Die kirchliche Baukunst des
Abendlandes: Bd. Der ...
Georg Dehio
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ArcJwtectural
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ATTENTION PATRON:
This volume is too fragile for any future repair.
Please handle with great care.
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ERSTER BAND
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DIE
KIRCHLICHE BAUKUNST
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DES
ABENDLANDES
HISTORISCH UND SYSTEMATISCH DARGESTELLT
■
VON
G. DEHIO und G. von BEZOLD.
ERSTER BAND
HIERZU EIN BILD ER ATLAS VON j6o TAFELN
IN FÜNF MAPPEN ODER DREI BANDEN.
STUTTGART 1892
VERLAG DER J. G. COTTA'SCHEN BUCHHANDLUNG
NACH FOIX; KR.
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Druck der Union Deutsche Vcrlatfsgescllschaft in Stuttgart.
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Anstatt des Vorwortes.
Da ein solches für den Autor naturgemäss erst Nachwort sein
kann, wünschen wir wenigstens über einige Punkte in Plan und Aus-
fuhrung unseres Werkes dem Leser schon jetzt Auskunft zu geben.
Es ist in erster Linie von wissenschaftlichem Interesse eingegeben.
Doch hoffen wir nicht minder, dass es gleichzeitig auf praktischem Ge-
biete als fördernd sich erweisen möge. Angesichts der Stellung, welche
die Baukunst in unserem Jahrhundert einnimmt, ist für den schaffenden
Architekten umfassende historische Bildung eine unerlässliche Vor-
bedingung, von der auch die grösste persönliche Begabung nicht dis-
pensiert. Es fehlt ja auch keineswegs an der Einsicht in diese Notwendig-
keit, wohl aber noch immer an ausreichenden Mitteln, ihr gerecht zu
werden. Wohl sind Reisen der heutigen Generation erheblich leichter
gemacht, aber jedermann weiss, wieviel selbst dem geübten Beobachter
bei einmaliger Betrachtung entgeht, wiewenig selbst in einem guten Ge-
dächtnis auf die Dauer Raum findet. Nur ganz grosse Bibliotheken ge-
statten wirklich gründliche und immer mühsame und zeitraubende archi-
^ tekturgeschichtliche Studien. Wieviel solcher Bibliotheken giebt es
aber? wieviel Architekten leben in ihrer Nähe? und wie vielen von den
letzteren gestatten ihre Tagesgeschäfte häufigere Benutzung? In der
gleichen misslichen Lage befinden sich alle die in der Provinz zer-
streuten Geistlichen, Lehrer, Beamten, Kunst- und Geschichtsfreunde
i. jeglichen Standes, welche durch Amt oder persönliches Interesse be-
rufen sind, die Baudenkmäler ihres Heimatkreises zu studieren, für ihre
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Anstatt des Vorwortes.
Erhaltung zu sorgen, durch Lokalforschungen an der grossen all-
gemeinen Arbeit der Architekturgeschichte teilzunehmen. Eis fehlt hier
durchweg an lebendiger Anschauung der entfernteren Denkmälerkreise,
an der Möglichkeit gründlicher und methodischer Vergleichung. End-
lich denken wir an die immer dringender werdenden Desiderate des
Unterrichtes an Fachschulen, Akademien, Universitäten. Kein Zweifel,
es besteht offenbar weit über die Architektenkreise hinaus das Bedürfnis
nach einem neuen architekturgeschichtlichen Handbuch ; aber nicht nach
einem in der Art der vorhandenen, zum Teil vortrefflichen, wie die
von Kugler, Lübke, Ottc u. s. w. , sondern nach einem Werke, das
unmittelbar an die Monumente selbst heranführt, das seinen Schwer-
punkt in die bildliche Darstellung legt, durch Reichhaltigkeit, Kor-
rektheit, planvolle Anordnung erheblich mehr zu bieten vermag, als
jene oben genannten.
Wenn wir mit einem solchen Versuche hervorzutreten wagen, so
bedarf es keiner besonderen Rechtfertigung, dass wir uns auf einen
Ausschnitt aus der allgemeinen Architekturgeschichte eingeschränkt und
dass wir gerade den christlichen Kirchenbau des Abendlandes dafür
ausgewählt haben.
Wir werden denselben von seinen Anfängen bis zum Erlöschen
der originalen Produktionskraft in den Ausläufern der Renaissance zur
Darstellung bringen.
Die Einheitlichkeit des Stoffes fordert zu möglichster Einheitlich-
keit der Behandlung auf. Das Gemeinschaftliche, Dauernde, Typische
soll vor und über dem Wandel der historischen Stile und nationalen
Besonderheiten klar hervortreten ; aber auch ohne Vernachlässigung der
letzteren. Wir wählten deshalb eine streng systematische Vortrags-
weise. Das vorliegende erste Buch — die christlich-antike Baukunst —
lässt das Schema der Behandlung genügend erkennen ; es wird mutatis
mutandis in den andern stilistischen Hauptgruppen — dem Romanischen,
dem Gotischen, der Renaissance — sich wiederholen.
In betreff der äusseren Einrichtung des Werkes haben wir uns
bemüht, es dem Zwecke bequemer Handbarkeit thunlichst anzupassen.
Insbesondere hoffen wir, dass die Trennung der Bildtafeln und des Textes
in gesonderte Bände, ein jeder der technisch zulässigen Minimalgrenze
des Formates möglichst nahe kommend, sich als zweckmässig und be-
quem erweisen werde. Doch ist für diese Trennung der praktische Beweg-
grund nicht der einzige und nicht der wichtigste. Sie entspricht unserer
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Anstatt des Vorwortes.
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oben motivierten Absicht, dass die bildlichen Darstellungen nicht
bloss gelegentliche Illustration des Textes, sondern der eigentliche
Körper des Werkes sein mögen. Das meiste, worauf es ankommt,
soll der Benutzer direkt aus dem Bilderatlas ablesen können. Dem
Texte fällt die Aufgabe zu, die weitere Ausführung, Verbindung
und Ergänzung zu geben. Und zwar in knapper, übersichtlicher
Fassung, weshalb wir von beschreibenden und geschichtlichen Daten
immer nur das Nötigste mitteilen. In strittigen Fragen bleibt uns
meist nur für kurze apodiktische Urteile Raum, nur in wichtigeren
Fällen sind kleine untersuchende Exkurse eingeschoben. Auch die
Litteratur- und Quellenangaben können nur eine Auswahl des Wichtig-
sten geben, wenn nicht der Textband zu unerwünschtem Umfang an-
schwellen soll.
Weiter ist die Trennung in Atlas und Text auch darin nützlich,
dass der objektive Thatbestand von dem unvermeidlich mehr oder
minder subjektiv gefärbten und dem Irrtum unterworfenen Raisonnement
klar geschieden bleibt.
In Rücksicht auf den systematisch-didaktischen Zweck sind bei
unserer Wiedergabe der Monumente häufig die Zusätze späterer Bau-
epochen weggelassen, Zerstörungen ergänzt; wobei jedoch in allen
irgend erheblichen Fällen das Verhältnis der Restauration zum aktuellen
Zustand genau angegeben ist ; rein hypothetische Restaurationen bringen
wir nur selten und immer unter spezieller Rechtfertigung.
Ein Hauptmoment unseres Programmes ist die durch das ganze
Werk durchgeführte Einheitlichkeit des Massstabes (für Grundrisse
i V* nim = i m , für Schnitte 5 mm = 1 m). Weder der eminente
Wert dieses Grundsatzes, noch die aus ihm erwachsenden Schwierig-
keiten, namentlich für die Anordnung der Tafeln, bedürfen besonderer
Hervorhebung. Wir werden davon nur in seltenen Fällen, aus zwingen-
den technischen Gründen, Abweichungen uns erlauben, und zwar
niemals bei Grundrissen, nur bei Schnitten, wie z. B. auf Tafel 18,
52, 69. Hiergegen auch für das Detail an einen konstanten Massstab
sich zu binden wäre unausführbar und verhältnismässig von geringem
Nutzen.
Die Veröffentlichung des Werkes lieferungsweise vorzunehmen,
empfahl sich aus vielen Gründen ; doch scheint uns richtig, die einzelne
Lieferung nicht zu klein sein zu lassen, so dass ihrer im ganzen nur
vier oder fünf werden sollten. Die nächste, welche eine Reise durch
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Anstatt des Vorwortes.
Süd-, Mittel- und Westfrankreich und längere Bibliothekstudien in Paris
zur Voraussetzung hat, wird in etwa zwei Jahren erfolgen, die weiteren
in kürzeren Fristen. Wir veranschlagen den schliesslichen Umfang des
Textes auf 40 — 45 Bogen, des Atlas auf 400 — 420 Tafeln. Dieser
Ansatz ist das Resultat zweier sich entgegenwirkender Erwägungen:
einerseits soll ja das Werk handlich bleiben und den durch seine Ten-
denz geforderten mässigen Ladenpreis nicht übersteigen, anderseits soll
es durch Stoffreichtum einen durchgreifenden Fortschritt über die bis-
her zur Verfügung stehenden Handbücher verwirklichen. Wenn wir
vielleicht dem einen zu viel, dem andern zu wenig zu geben scheinen
werden, so bitten wir diesen Kompromisscharakter und seine Beding-
ungen im Auge zu behalten.
Nach dem skizzierten Plane nun wollen wir das gesamte bisher
veröffentlichte, über eine Unzahl von Sammelwerken, Monographien und
Zeitschriften, wie man weiss, zerstreute Material durchsehen, kritisch
prüfen und sichten, endlich in einer streng systematisch geordneten
Auswahl reproduzieren. Hierbei gilt uns für selbstverständlich, dass
es mit den bibliothekarischen Studien nicht genug ist. Die einsichts-
volle Liberalität der Verlagshandlung hat uns instandgesetzt, um-
fassende Studienreisen zu unternehmen und so die Selbständigkeit
unseres Urteils zu sichern, die vorhandenen Publikationen zu kontro-
lieren und zu berichtigen.
Neben dieser kritisch-kompilatorischen Thätigkeit, die allein für
sich ein starkes Arbeitspensum ist, können wir erst an zweiter Stelle
als unsere Aufgabe betrachten, durch Aufnahme bisher unedierter Stücke
und durch selbständige historische Forschungen stofflich Neues bei-
zubringen. Dass wir gleichwohl nach beiden Seiten nicht müssig gewesen
sind, zeigt schon diese erste Lieferung. Was wir an eigenen Aufnahmen
mitteilen, ist freilich ungleichwertig hinsichtlich seiner Exaktheit. Können
Reiseaufnahmen naturgemäss nur selten eine volle Genauigkeit der
Messung erreichen, so liegt die Sache noch misslicher, wenn der Reisende
innerhalb einer knapp bemessenen Frist einen bestimmten Kreis von
Monumenten besuchen muss, wie dies unsere Aufgabe erheischte, bei
der es mehr darauf ankam, das einer Gruppe Gemeinsame, als die Be-
sonderheiten einzelner Monumente zu erkennen. In nicht wenigen Fällen
konnten neben dem Grundrisse auch die Höhen im ganzen und ein-
zelnen gemessen werden, in anderen war dies nur teilweise möglich,
in einzelnen mussten wir uns mit Schätzungen begnügen. Systeme
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Anstatt des Vorwortes.
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und Schnitte sind indes fast ausnahmslos an Ort und Stelle nach Mass-
stab aufgetragen und dürften durch dieses Verfahren grobe Irrtümer
ausgeschlossen sein.
Mit Freude und Dank konstatieren wir, dass der bei früherer Ge-
legenheit persönlich oder öffentlich (s. Deutsche Bauzeitung 1882 Nr. 88)
an die freiwillige Mitarbeit der Fachgenossen gerichtete Appell
uns bereits höchst schätzenswerte Beiträge eingebracht hat. Um so
eher dürfen wir es wagen, ihn hier zu wiederholen. Wir werden für
Mitteilungen jeglicher Art dankbar sein und sind uns bewusst, unsere
Bitte kühnlich im Namen des allgemeinen Interesses aussprechen zu
dürfen. Wohl ein jeder Architekt kommt von Zeit zu Zeit in die Lage,
sei es in seinem Heimatkreise, sei es auf Reisen, die Denkmäler nach
dieser oder jener Richtung gründlicher, als bisher geschehen, zu be-
obachten eder aufzunehmen. Vieles dieser Art liegt fertig aber unver-
wertet in Notizbüchern und Mappen da, vieles könnte ohne zu grosse
Mühe neu beschafft werden. Es bedarf nur eines Mittelpunktes zur
Sammlung und passenden Einordnung dieser — vereinzelt wertlosen —
Bruchstücke. Möchte es unserem Werke glücken, zu einem solchen
Anziehungs- und Sammelpunkte sich zu entwickeln!
Als vorteilhaft für unsere Arbeit von vornherein erachten wir,
dass sie auf die kombinierte Thätigkeit zweier, eines Historikers und
eines Architekten, aufgebaut ist. Alle grösseren Studienreisen haben wir
gemeinschaftlich ausgeführt — wie denn auf einer solchen die erste
Idee des Unternehmers zu Tage trat — und werden es auch künftig
so halten. Es hat sich uns dabei fortwährend die Erfahrung bestätigt,
wie fruchtbar die Diskussion vor den Monumenten selbst ist und wie-
viel mehr zwei verbundene als zwei vereinzelte Beobachter zu sehen
vermögen. Ebenso haben wir auch während der nachfolgenden Aus-
arbeitung uns in fortlaufendem Meinungsaustausch erhalten. In der
vorstehenden Lieferung ist von G. v. B. Buch I., Kap. 2, der letzte
Abschnitt in Kap. 4 und mehreres in Buch IL, Kap. I., Abschnitt 2
ausgeführt, von G. D. das übrige. Indes hat jeder der beiden Heraus-
geber die Arbeit seines Kollegen revidiert und ergänzt, so dass die
Arbeit im ganzen eine gemeinschaftliche ist, für welche wir solidarisch
einstehen.
Der Raumersparnis halber ist die Provenienz der Zeichnungen
bloss durch kurze Schlagwörter angegeben, ein ausführliches Quellen-
verzeichnis in alphabetischer Ordnung wird zum Beschluss des Ganzen
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VIII Anstatt des Vorwortes.
folgen. Das gewissen Nummern beigefügte Sternchen bedeutet Original-
aufnahmen, von uns selbst gefertigte oder von befreundeter Seite uns
zur Verfügung gestellte, und Bearbeitung von Photographien.
Zu bemerken ist noch, dass wir von den Kapiteln 2 und 3 des
zweiten Buches zwar die Zeichnungen mitgeteilt, aber den Text für
die nächste Lieferung zurückgelegt haben, da derselbe besser erst
gleichzeitig mit den folgenden Abschnitten seine endgültige Fassung
erhalten wird.
KÖNIGSBERG & MÜNCHEN, im April 1884.
Die Herausgeber.
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*
Inhalt des ersten Bandes.
Krstes Hiu h
DER CHRISTLICH. AXTIKK STIL.
Seite
Erstes Kapitel. Geschichtliche Stellung 3
Zweites Kapitel. Der Zentralbau . is
i. Allgemeines 1 <)
1. Dig pjnfnrhf Rotunde , . , , , , , . , , 21
3. Ful^efürmeii des Nischenh.uie> 2(>
4. Kundbauten mir inneren Portiken 3 i
5- Die Heilige Grabkirche und Verwandtes 35
6. Kreuzförmige Anlagen griechisches Kreuz 43
7. S;<n I.orcnr.j in Mailand Exkurs 4«)
Drittes Kapitel. Die Basilika 62
1. Genesis 63
2. Anlage im allgemeinen 79
3. Der «■rundj.lan S7
4- Der innere Aufbau 100
Viertes Kapitel. Aussetibau, Dekoration und Konstruktion.
1 . Der Aus-senbau 114
2. Detailfonnen und Dekoration 118
3. Konstruktion 126
VI Inhalt des ersten Bandes.
Zweites Ruch.
DER ROMANISCHE STIL.
Krstes Kapitel. Grundlegung.
1. Allgemeine;. 143
2. Der Zentralbau 152
y Die kreuzförmige Basilika 1^7
4. Doppelte Chöre 1 67
5. Doppelte Transscpte . * 174
<>. Die Krypta 1 iv>
7. Der innere Aufbau 1S5
Zweites Kapitel. Die flachgedeckte Basilika in Deutschland 201
1. Allgemeines 202
2. Der Gruadrbü . . . . . . . . . . . . . . . . . . _qü
3. Der innere Aufbau 212
Drittes Kapitel. Die ß achgedeckte Basilika in Italien.
1. Allgemeines 223
2. Die reine Basilika . . . , . . , , . : . , , . , 22h
3. Die zentralisierende Basilika 230
4. Der innere Aufbau 236
Viertes Kapitel. Die flachgedecktt Basilika in Westeuropa.
1. Einleitung 244
2. Der Grundriß im allgemeinen 254
3. Die Choranlagen 264
4. Der innere Aufbau 273
5. Normandie und England 278
Fünftes Kapitel. Der Gewölbebau in seinen Grundformen 295
1. Bogenform 299
2. Gewölbetechnik 30'
3. Gcwölbeformcu 3°2
4. Gewölbesysteme 310
Sechstes Kapitel. Einschiffige Säle mit Tonnengewölben 32'
Siebentes Kapitel. Einschiffige Säle mit Kuppeln.
1. Allgemeines 332
Inhalt des ersten Bande*. VII
2. Die aquitanischen Kiijipelkirchen 334
3. Basiliken mit Klostergewölben oder Kuppeln
Achtes Kapitel. Hallenkirchen mit Tonnengewölben.
1. F/mge.v. hos-ige Anlagen 35S
2. Anlagen mit Emporen 367
Neuntes Kapitel. Basiliken mit Tonnengewölben 3S0
Zehntes Kapitel. Die krtuz^au Ibte Basilika Westeuropas 105
1. Burgund, Süd- und Westfrankrtieh, Spanten, Palästina .... 40S
2. Normandie und England 415
3. I'icardi'-' und Isle de France. Das Werden des gotischen Bau-
systtms 417
Elftes Kapitel. Der Geioölbebau in Oberitalien und den .Upenländern.
1. Allgemeines 435
.;. Im-, System und dir Denkmäler . 4 ;o
3. Der Grundriss 453
Zwölftes Kapitel. Der Gewölbebau in Deutsehland .
1. Gewölbte Kleinarehitektur 457
2. Die ersten Gewölbebasiliken 460
3. Das gebundene System des 12. Jahrhundert- 460,
4. I > t l LYl-erg.mgsvil . 477
5. \\.\\\ ni.uvhrn . . . , 507
Dreizehntes Kapitel. Die Kirchen ,h's CistrrcienStrordctn ,>' 7
Vierzehntes Kapitel. Der Zentralbau 54'
1. Italien $42
2. Frankreich 54S
3. Deutschland 550
4. Tcmplerkirchen 554
Fünfzehntes Kapitel. Der Aussenbau.
1. Gruppierung der Baumxssen 5 58
2. Behandlung der Wand flächen ... 59Ö
3. Komposition der Schauseiten 00»
VIII Inhalt des ersten Bandes.
>f,lr
1 .
Allgemeines. Polychrom! e
. . 652
2.
.... 659
I >«.-r Sduft
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Das Kapitell
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Her Pkil.-r
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4-
Die Fenster
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Die Thliren
. . . . 6q7
Das Register folgt im zweiten Bande.
ERSTES BUCH.
DER CHRISTLICH-ANTIKE STIL.
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Erstes Kapitel.
Geschichtliche Stellung.
^VJott ist ein Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im
Geist und in der Wahrheit anbeten. « »Er wohnt nicht in Tempeln, die
mit Händen gemacht sind; sein wird auch nicht von Menschenhänden
[gepflegt, als der jemandes bedürfe. c »Wo zwei oder drei versammelt
Jsind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.« »Und wenn
[du beten willst, so gehe in dein Kämmerlein und schliesse die Thür
[hinter dir zu.« — Das ist die Gesinnung des ältesten Christentums.
Aber noch sind nicht drei Jahrhunderte seit dem Kreuzestode des
[Stifters dahingegangen, und das römische Reich, vom Nil bis an den
[Rhein, vom Euphrat bis an die Säulen des Herkules, wird erfüllt von
ungezählten christlichen Tempeln, strahlend in allem erreichbaren
Glänze von Marmorsäulen, Mosaikgemälden, Goldschmuck, Purpurseide ;
Schauplätzen umständlicher, die Wirkung auf die Sinne nicht ver-
schmähender gottesdienstlicher Pompe; die weiten Vorhöfe, heiligen
und allerheiligsten Räume sorglich geschieden nach streng abgemessenen
Ordnungen der Neophiten, Büsser, Gläubigen, des Laienstandes und
der geweihten Priesterschaft.
Welch ein Kontrast und Umschwung!
Diese Religion, die in bewusstestem Gegensatz zu den Religionen
der alten Welt in ihrer Gottesverehrung ganz geistig, an keine sinn-
lichen Symbole, an keine auserwählten heiligen Oerter gebunden sein
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Erstes Buch : Der christlich-antike Stil.
will; die nicht Tempel noch Tempeldienst kennt; für die die schönen
Künste, den Völkern der Antike eines der wichtigsten Ausdrucksmittel
ihres Verhältnisses zur Gottheit, so viel wie nicht vorhanden sind; in
deren ältesten Urkunden entfernt keine, und wären es auch nur mittel-
barste, Andeutungen zu einer künftigen Sakralarchitektur zu finden sind,
— wie ist sie dennoch in Besitz einer solchen gelangt? Wie ist über-
haupt nur eine im vollen Verstände christliche Architektur —
als welche die von den Christen geübte in Anspruch genommen wird
— möglich? und was kann, was soll man sich bei diesem Worte
denken ?
Das Christentum begann seinen geschichtlichen Lauf inmitten einer
uralten festgegründeten Kulturgemeinschaft. Seinen neuen Wein hatte
es in alte Schläuche zu füllen. Es bot der Welt einen neuen Gottes-
begriff und eine neue Sittenlehre, ein allseitiges System menschlicher
Bildung brachte es von sich aus nicht mit. Und wie hätten die An-
gehörigen der hellenistisch-römischen Kultur, indem sie sich nach und
nach der christlichen Heilslehre zuwandten, ihrer ererbten, schon längst
ausgereiften und abgeschlossenen Bildung sich entäussern können ohne
Selbstvernichtung? Es gehört mit zu der weltgeschichtlichen Mission
des Christentums, dass es wichtige Bestandteile der antiken Kultur,
selbst unter mancherlei Einbusse der Reinheit seiner eigenen ursprüng-
lichen Idee, sich aneignen, weitertragen und zur künftigen Wiedergeburt
aufbewahren musste, während das antike Volkstum selbst ohne Rettung
seinem doppelten Verhängnis erlag: der Alterung und dem Absterben
von innen — der Ueberflutung von aussen durch die jungen Mensch-
heitsgenerationen der Barbaren Völker. Ein neues Weltalter bricht an.
Im Abendlande, in dem frischen. Erdreich, das die germanischen
Völkerwogen angeschwemmt haben, ein langsames Erwachen der alten
Fruchtkeime zu neugeartetem Leben. Im byzantinischen Ostreich
ein Ueberrest der Antike, der stehen bleibt wie ein verdorrter Baum,
den man abzuhauen vergessen.
Bevor aber diese Schicksale sich erfüllten, stand das Christentuni
mitten drin im antiken Leben und hatte sich damit abzufinden. Die
innere Geschichte der werdenden Kirche des 2. und 3. Jahrhunderts
zeigt, für wieviel Dinge in ihr noch Raum war. welche die nachkon-
stantinische Zeit als heidnisch oder häretisch verdammte. Sie konnte
fast zu einem Staat im Staate heranwachsen, ein Volk im Volke bilden
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Kapitel I : Geschichtliche Stellung.
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nimmermehr. Im praktischen Leben standen doch Christen und Heiden
ohne wesentlichen Unterschied nebeneinander, oft in demselben Hause
und derselben Familie, immer unter der gleichen Rechtsordnung, der
gleichen Volkssitte, der gleichen Sprache, den gleichen Kulturbedürf-
nissen. Was wäre aber dem antiken Menschen unentbehrlicher und
mehr ein Lebensbedürfnis des ganzen Volkes im eigentlichsten Ver-
stände, als die Erheiterung und Veredelung des Daseins durch die
Kunst? Indem das Christentum sich zu dem Berufe entschied, das in
Juda entsprungene Heil den Heiden zu bringen, musste es notwendig
auch zur schönen Kunst irgendwie Stellung nehmen; es begegnet ihr
täglich, auf Schritt und Tritt; seine Gottesdienste hält es in den
Häusern der Gemeindeglieder, in Räumen, für deren Bildung es von
sich aus kein Gesetz mitbringt, deren künstlerische Form und Ausstat-
tung es belässt, wie es sie findet, weil sie ihm gleichgültig und be-
deutungslos sind. So tritt die christliche Religionsübung wohl schon
frühe in Berührung mit der Kunst, aber es ist eine Berührung wie
zwischen Wasser und Oel. Kann es auf die Dauer dabei bleiben?
Entweder wird die Kunst zu einem wahren und inneren Anteil an der
Religion durchdringen — oder sie wird überhaupt wertlos werden, ver-
kümmern, schwinden.
Die inneren Voraussetzungen des früh-christlichen Bauwesens zu ver-
stehen, kann nur aus dem Ganzen der kunstgeschichtlichen Betrach-
tung gelingen ; und dies um so unerlässlicher, da die Reihe der Archi-
tekturdenkmäler, wenigstens für uns, mit einer weit jüngeren Generation
erst anfängt, wie die Denkmäler der Malerei und Bildnerei. Mit welcher
Ueberraschung und Verwunderung sah man seit der Wiedereröffnung
der Katakomben Roms ein Stück aus dem Dasein der alten Christen
ans Licht gebracht, das ein falscher Pragmatismus ganz anders sich
zurecht gelegt hatte. Zahlreiche Reste von Malereien hohen Altertums,
aus dem 3., 2., einigemal vielleicht sogar noch aus dem I.Jahrhundert
sind an den Wänden und Decken dieser unterirdischen Begräbnisstätten
erhalten und legen, wiewohl nur halbwegs Ersatz für das über der
Erde zu Grunde Gegangene, doch schon für sich allein ein umfassendes
Zeugnis ab, wie unverkürzt und fest im Leben des christlichen Alter-
tums die Kunst die Stellung behauptet hat, die ihr im Leben der
griechisch-römischen Welt einmal gehörte. Die populäre Gestalt des
Christentums erzeigt hierin eine Unbefangenheit, von welcher auf die
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Erstes Buch : Der christlich-antike Stil.
modernen Ausleger leider selten etwas übergegangen ist. Viel ver-
kehrte Anstrengungen des Scharfsinns wären erspart und wechselseitige
Missverständnisse der Forscher vermieden worden, wäre man nicht über
die einfache Wahrheit, dass eine von Christen geübte Kunst nicht
schon an sich auch eine christliche Kunst dem Geiste nach zu
sein brauche, in blinder Praokkupation so oft hinweg gegangen. Es
war ein grosser Irrtum, die Katakomben als gottesdienstiiche Versamm-
lungsorte zu nehmen, und wäre es auch nur für zeitweiligen Gebrauch ;
sie sind Begräbnisorte, nichts als Begräbnisorte. Und nicht minder
irrig wähnte man in ihrer malerischen Ausstattung hieroglyphierte
Dogmensysteme und gemalte Predigten vor sich zu haben, wo es sich
in Wahrheit nur um ein harmloses Dekorationsspiel handelt. Der
Bilderschmuck dieser engen unterirdischen Gänge und formlosen Grab-
zellen — anspruchsloses und flüchtiges Handwerksprodukt, wie es von
der durchschnittlichen Armut der Gemeindeglieder eben beschafft werden
konnte — ist aus demselben Triebe hervorgegangen, der in den Häusern
Pompejis kein letztes Stückchen Wand von Bild und Farbe unberührt
und unveredelt Hess. Man missversteht gänzlich die christliche Sepul-
kralkunst, wenn man sie von der gleichzeitigen heidnischen prinzipiell
verschieden denkt. Die eine wie die andere fasst die malerische Aus-
stattung der Grabkammern einfach als Dekoration, als heitere Ver-
hüllung ihrer architektonischen Armseligkeit. Dem dekorativen Zwecke
bleiben die Gegenstände, teils Ornament teils Einzelfiguren oder er-
zählende Szenen, untergeordnet, wobei jedoch nicht zu verkennen ist,
dass das Interesse an den letzteren und den ihnen unterstellten sinn-
bildlichen Beziehungen, dem reflektierenden Zuge der Zeit gehorchend,
wachsende Ausdehnung gewinnt. Wie die künstlerische Methode, so
ist auch der Inhalt der Darstellungen — Gedanken über Tod, Schick-
sal, Unsterblichkeit — der gleiche in den heidnischen und den christ-
lichen Gräbern. Die symbolisch umgedeuteten Typen aus der antiken
Götter- und Heldensage werden bei den Christen gegen parallele Mo-
mente aus der biblischen Geschichte ausgewechselt. Indes nicht ein-
mal durchgehend. Die Einheit der Volkssitte und der Zusammenhang
der Handwerkstradition bewähren sich so mächtig, dass auch direkt
heidnische Elemente in reichlicher Menge in der christlichen Umgebung
sich behaupten. Teils um ihrer allgemeinen sepulkralen Bedeutung
willen, wie die bekannte Orpheusgestalt, wie Eros und Psyche, die
Dioskuren , Genien mit gesenkter Fackel , Nereiden und Sirenen , bac-
chische Szenen oder Embleme (letztere selbst noch an einem so späten
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Kapitel I: .Geschichtliche Stellung.
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Denkmal wie der Grabkirche der Constantia a. 354); teils reinhin als
inhaltsloser Zierat, wie Athene, Venus u. s. w. Es ist eine ausge-
prägt volkstümliche und laienhafte Kunstübung. So gut christliche
Handwerker für ihre heidnischen Mitbürger Kunstarbeiten nach Bestel-
lung lieferten, wohl selbst Idole und Amulette, wie wir wissen, so
werden gewiss auch heidnische Arbeiter oft genug für Werke christ-
licher Bestimmung in Verwendung genommen sein. Die kirchlichen
Oberen sind es zufrieden, wenn nur kein heidnischer Aberglaube sich
einmischt: die Kunst in positiver Wirkung den kirchlichen Zwecken
dienstbar zu machen, bleibt den ersten Jahrhunderten ein fremder Ge-
danke. Zwischen den Extremen des griechisch-kunstfreudigen Gnosti-
zismus und des semitisch-kunstscheuen Montanismus bewahrt die Praxis
der katholischen Kirche eine neutrale Mittelstellung. Sie nimmt die
Kunst mit, wie so manches andere, als eine gegebene Lebensmacht,
als ein unverfängliches und jedenfalls unvermeidliches Zugeständnis
an die Volkssitte; die symbolisch-tendenziöse Seite derselben ist ihr
wohl selbst willkommen; an das eigenste Wesen jener aber, an die
Kraft, das Hohe und Heilige in unmittelbarer Wirkung dem Gemüte
nahe zu bringen, wendet sie sich nicht.
Das Bildwerk der Katakomben zeigt uns den Anteil der alten
Christen an der Kunstthätigkeit ihrer Zeit nur auf einem verhältnismässig
kleinen Abschnitt; doch so, dass über ihr prinzipielles Verhalten zur
Kunst überhaupt kein Zweifel obwalten kann. In diesem Sinne darf
gesagt werden, die Katakomben brächten Aufschlüsse über den ältesten
Zustand auch der oberirdischen kirchlichen Architektur; wovon
wir jedoch die Frage nach etwaniger Einwirkung jener auf diese deut-
lichst unterschieden wissen wollen. Es ist schlechthin unwahrschein-
lich, dass in der Architektur, der durch technische und stilistische •
Gesetze unter allen Künsten am strengsten gebundenen, jene an den
Erzeugnissen des Pinsels und Meisseis wahrgenommene Abhängigkeit
vom gemeinen Herkommen in geringerer Stärke sich geäussert oder
gar gefehlt haben sollte, um so mehr, da das Interesse an der Sach-
bedeutung des Dargestellten, das in der Malerei und Skulptur die erste
Anknüpfung zwischen Kunst und Kirche abgab, hier vorweg ausser
Frage blieb. Ganz gewiss wäre der von missverständlichem Eifer ein-
gegebene moderne Gedanke einer aus der allgemeinen Kunstübung
ausgeschiedenen spezifisch-ch ristlichen Architektur den alten griechi-
schen und römischen Christen ein völlig unverständliches Ding ge-
blieben. Wahrlich ganz andere Dinge als Neugestaltung der Kunst
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Erstes Buch . Der christlich antike Stil.
lagen der Geistesbewegung der christlichen Urzeit am Herzen. Das
Christentum als ein Prinzip von schlechthin universalistischem Anspruch
kann sich jeweilig mit den verschiedenartigsten Nationen und Kulturen
verbinden, folglich auch mit ihren Baustilen, weshalb es uns immer
als Willkür und Befangenheit erschienen ist, wenn wir über die Christ-
lichkeit oder die Nichtchristlichkeit dieses oder jenes Baustiles zu
Gericht sitzen sahen.
An dem Ergebnis der obigen Erwägungen könnten wir, solange
es nur um jene ältesten Zeiten sich handelt, in denen der christliche
Gottesdienst nichts als ein Stück des häuslichen Lebens war, uns allen-
falls genügen lassen. Allein es trifft noch gar nicht den eigentlich
springenden Punkt des Problemes: das Wann, Wo, Wie der Ent-
stehung einer von der Privatarchitektur abgelösten selbstzwecklichen
und selbstgestaltigen, — kurz, einer > eigentlichen c Kirchenarchitektur.
Wir stellen hier als offene Frage hin, was lange Zeiten hindurch
für eine entschiedene gegolten hat und vielleicht für die meisten noch
heute gilt: Der Anfang des Kirchenbaues, so lautet das Axiom, sei
der Sieg des Kirchentums unter Konstantin d. Gr.; es habe keinen
Kirchenbau gegeben bis zu diesem Augenblick, weil es keinen gegeben
haben könne. Das Recht zu dieser Folgerung entnimmt man der
traditionellen Vorstellung, dass die That Konstantins einer so voll-
ständigen wie plötzlichen Umkehrung des Weltzustandes von der
Wurzel aus gleichkomme. Mag man immerhin der populären Geschichts-
auffassung, indem sie auf einen Moment und eine Person zusammen-
drängt, was ein höchst ausgedehnter Komplex geschichtlicher Vor-
gänge war, das Anrecht auf eine Art von poetischer Wahrheit ein-
räumen: dass auch Gelehrte, die auf freie und nüchterne Stellung
Anspruch erheben, von der Legende nicht loszukommen vermögen, ist
beklagenswert und unentschuldbar.
Die Unzulänglichkeit in der Begründung der These vom konstantini-
schen Ursprung des kirchlichen Bautypus blosszulegen ist leicht, unend-
lich mühsamer ihre Ersetzung durch ein deutliches positives Bild. Wenig
Erfolg wäre zu erwarten, sähen wir uns lediglich auf die litterarischen
Quellen angewiesen; gehaltreicher und zuverlässiger ist, was die Bau- .
monumente unmittelbar über ihre Vorgeschichte aussagen, in einer
Sprache allerdings, die nicht ohne weiteres verständlich ist. Die Denk-
mäler des 4. Jahrhunderts, vorgeblich die Erstlingsgeneration des Kirchen-
baues überhaupt, haben in der That nichts an sich von der inneren
Beweglichkeit, dem Suchen und Tasten einer eben erst ansetzenden
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Kapitel I: Geschichtliche Stellung.
9
Entwicklung ; es fehlen die Züge persönlicher Einwirkung, individueller
Charakterisierung ; überall Gleichförmigkeit, eine den beschränkten Vor-
rat ihrer Formen nach festem Herkommen ohne Schwanken verwaltende
Typik, die auch keine Weiterentwicklung vor sich hat, sondern, wie
sie uns zuerst entgegen tritt, so ein halbes Jahrtausend und länger
stationär bleibt. Will man nicht für die konstantinisch-christliche Bau-
thätigkeit eine Stellung ausserhalb aller sonst bekannten architektur-
geschichtlichen Gesetze fordern, nicht als Erzeugnis einer einmaligen ge-
setzgeberischen Abmachung oder geradezu einer höheren Inspiration sie
ansprechen : so folgt unweigerlich aus ihrer ganzen Art, dass eine durch
die Arbeit, Erfahrung, Gewöhnung mehrerer Generationen bedingte
Entwicklung vorausgegangen sein muss. Der Mangel an direkten Aus-
sagen in der kirchlichen Litteratur ist kein Gegenargument, er bestätigt
nur, was wir oben im Verhältnis zur dekorativen Kunst konstatiert
haben, die langdauernde Indifferenz der leitenden Kreise. Das meiste
erwarten wir deshalb von dem unmittelbaren Selbstzeugnis der Monu-
mente, immer eingedenk jedoch, dass auch dieses nur aus der allgemein-
geschichtlichen Situation heraus richtig gedeutet werden kann.
In der apostolischen Zeit versammelte sich die Gemeinde v.af
otxoo;, in diesem oder jenem Privathause, je nach Ort und Gelegen-
heit. Unvermeidlich aber mussten das Anwachsen der Kopfzahl der
Gemeinden und die Anfänge verfassungsmässiger Ordnungen und fester
Formen des Gottesdienstes auch ein festeres Verhältnis zum gottes-
dienstlichen Lokale nach sich ziehen. Was die gottesdienstlichen Ord-
nungen betrifft, so ersehen wir durch Justinus, um die Mitte des
2. Jahrhunderts, dass zu dieser Zeit die Agapen aus dem Kreise der
eigentlichen Kultushandlungen bereits ausgeschlossen waren; dass die
eucharistische Feier, von jenen getrennt, mit den täglichen Morgen-
gottesdiensten sich verband ; endlich dass ein sonntäglicher Hauptgottes-
dienst die Gesamtheit der Gläubigen einer Stadt und des nächsten
Landbezirkes vereinigte (*<ivTa>v xata frtfXsi«; tj afpoo^ (j.svövto>v ix\ zb
Vycb lov^Xeoaic ^verat). Durch die Anfangsorganisation der Gemeinden
— Erweiterung des antiken Patronatsinstitutes zu einer die gesamten
sozialen Verhältnisse umfassenden freiwillig übernommenen und aner-
kannten Thätigkeit des Schutzes und der Vertretung — war die Frage
nach dem Ort der gottesdienstlichen Versammlungen von selbst gelöst:
es war der Hauptraum im Hause des Patrons. Für die Unter-
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Erstes Buch: Der chrisüich-antike Stil.
suchung des architektonischen Urtypus der christlichen Kultgebäude
eine Thatsache von höchster Bedeutung, die uns später in einem eigenen
Kapitel noch beschäftigen wird. Sie ist massgebend für das i. Jahr-
hundert der Kirche, doch auch nicht länger. Die in der Apologie des
Justinus als normal vorausgesetzte Ordnung des Gottesdienstes ist nicht
mehr denkbar als einfacher Hausgottesdienst im Sinne der apostolischen
Zeit: notwendig müssen in dieser zweiten Periode, wenigstens bei den
grösseren Gemeinden, bestimmte Räumlichkeiten für den gottesdienst-
lichen Zweck ausgesondert, dem Bereiche des profanen Tageslebens
entrückt, nach Bedarf baulich modifiziert oder zuweilen wohl auch
schon neu hinzugebaut worden sein. Es sind Gebäude, die den äusseren
Schein von Privatgebäuden noch aufrecht halten, jedoch ihrer Bestim-
mung nach bereits nichts anderes als Kirchen, »eigentliche* Kirchen. —
Mit der Fortbildung des Kultus geht die Fortbildung der Verfassung
Hand in Hand. Es gilt als ein verlässiges Resultat der neueren For-
schung, dass um den Beginn des 2. Jahrhunderts die christlichen Ge-
meinden, damit sie dem Staate gegenüber eine gesicherte Rechtsstellung
erlangten, die Organisation der seit Jahrhunderten in der römischen
Welt eingebürgerten Kultvereine und religiösen Genossenschaften sich
aneigneten. Wir wissen, dass die Christen kraft dieser Rechtsaneignung
eigenes Korporationsvermögen, eigene Gerichtsgebäude, eigene Begräbnis-
plätze besassen — warum nicht auch kultliche Versammlungshäuser
als Korporationsbesitz f Nichts erhebliches steht dieser Annahme im
Wege, welche die natürliche ist, nachdem einmal eine Gemeinde einen
gewissen Umfang überschritten und der halb patriarchalische, halb
kommunistische Zustand der Frühzeit einem ausgebildeten Genossen-
schaftswesen nach römischem Recht Platz gemacht hat. In den apo-
logetischen Schriften ist es ein immer wiederkehrendes Thema, den
Heiden klar zu machen, dass der christliche Gottesdienst deshalb noch
kein Geheimdienst sei, weil er keine Tempel und Altäre habe. »Welches
Bild sollen wir Gotte machen ? Der Mensch selbst ist das beste Gottes-
bild. Welchen Tempel? Die ganze Welt, sein Werk, mag ihn nicht
fassen.« (Minucius Felix.) >Nicht der Ort heiligt den Menschen, sondern
der Mensch den Ort.« (Apostol. Konstit.) Ist aber die Entschiedenheit,
mit welcher der Anspruch auf privilegirte Heiligkeit und monumentalen
Kunstwert für die christlichen Versammlungshäuser abgelehnt wird,
irgend beweisend, dass dennoch die letzteren nicht bereits in allem
Wesentlichen das gewesen sind, was wir eine Kirche nennen? Wir
meinen, durch solche Aeusserungen soll lediglich der fundamentale
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Kapitel 1 : Geschichtliche Stellung. I j
Unterschied im Begriffe der heidnischen und der christlichen Kult-
gebäude deklariert, nicht aber die Existenz der letzteren geleugnet
werden. Bei Schriftstellern seit dem Ende der Antoninenzeit treffen wir
die Ausdrücke »domus dei«, >domus columbae«, oder schon schlecht-
hin »ecclesia« in einer Weise angewandt, dass kein Missverständnis
mehr möglich scheint. Es ist kein Widerspruch, vielmehr ein charak-
teristischer Reflex der Sachlage im 2. Jahrhundert, wenn in dem apo-
logetischen Dialog des Minucius Felix, eines Zeitgenossen Mark Aurels,
der heidnische Interlokutor zwar die alten Anklagen gegen den tempel-
und altarlosen Dienst der Christen wiederholt, aber zugleich mit Be-
stürzung wahrnimmt, »dass diese garstigen Weihestätten ruchloser
Zusammenkünfte schon über den ganzen Erdkreis anwachsen. «
Im Gegensatz zu der durch den überschwänglichen Märtyrerkult
der späteren Zeit grossgezogenen Ansicht von der vorkonstantinischen
Epoche, als wäre sie eine ununterbrochene Kette von Verfolgungen
gewesen, zeigen die echten zeitgenössischen Quellen, christliche wie
heidnische, litterarische wie monumentale, ein weit weniger düsteres
Bild. Im Gesamteindruck urteilen ein Origines, Lactantius, Eusebius,
die Zeit bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts sei für die Kirche eine Aera
des Friedens gewesen. Decius ist der erste Kaiser, der in der mäch-
tigen Organisation der christlichen Gesellschaft eine ernste Gefahr für
den Staat erblickt und danach handelt; sein Ziel ist ausgesprochener-
massen die Vernichtung der Hierarchie und in ihr die Vernichtung des
Christentums überhaupt. Allein die Kirche geht aus dem Kampfe mit
vermehrter Kraft hervor; sie fühlt sich Siegerin und ist es; so dass
die neue Verfolgung durch Diokletian, die allgemeinste und schreck-
lichste, die Entscheidung nur hat beschleunigen können. — Zwischen
beiden Verfolgungen liegt eine vierzigjährige Friedenszeit, welche Euse-
bius mit folgenden Worten schildert: »Wer beschreibt die unzählbaren
Scharen, die täglich dem christlichen Glauben sich zuwandten ? wer die
Menge der Kirchen in jeder Stadt? wer das Zusammenströmen des
Volkes in den heiligen Häusern? Weshalb man, in den älteren Kirchen-
gebäuden sich beengt fühlend, in allen Städten weiträumige neue von
Grund aus aufbaute.« Es sind ebendieselben Ausdrücke, mit denen
nachher von Eusebius Konstantins Kirchenbauten beschrieben werden.
Damit vergleiche man die generellen Vorschriften der sogenannten
apostolischen Konstitutionen (deren älterer Teil noch dem 3. Jahrhundert
zugehört), und als Einzelbeispiel die Erzählung des Lactantius von der
Niederreissung der Kirche in Nikomedien, womit Diokletian die Ver-
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
folgung eröffnete. Ferner die bekannte Aussage des Optatus von Mileve,
derzufolge zu Beginn der donatistischen Bewegung in Rom, d. i. noch
vor dem Ende der diokletianischen Verfolgung, »40 und mehr
Basiliken« in den Händen der katholischen Partei sich befanden, wäh-
rend die Ketzer nur »draussen vor der Stadt in einem Winkel zwischen
Hürden < ihre Konventikel halten konnten. Mag noch hinzugefügt
werden, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit als Vorsteher dieser Kirchen
die 46 Presbyter anzunehmen sind, welche zufolge einem Briefe des
Bischofs Cornelius die kirchliche Organisation der Stadt befasste , mit- *
hin dass schon um die Mitte des 3. Jahrhunderts diese ansehnliche
Ziffer bestand. Endlich bestätigt die Notiz des Optatus, was aus der
Fassung des Friedens- und Restitutionsediktes ohnedies hervorgeht:
dass in der Verfolgung die Gotteshäuser der Christen keineswegs alle
zerstört, sondern vielfach nur geschlossen worden sind J). So zweifel-
los wahr ist es, dass die kirchliche Bauthätigkeit durch den Umschwung
der Weltgeschicke unter Konstantin einen mächtigen Anstoss empfangen
hat, so hat sie einer solchen tabula rasa am Schlüsse der Verfolgungs-
zeit doch mit nichten gegenübergestanden, dass sie nötig gehabt hätte,
mit dem neuen Jahrhundert völlig von neuem zu beginnen.
Mit wie beflissenem Eifer hat Eusebius alle Zeugnisse, echte und
zweideutige, zusammengetragen, die geeignet scheinen, die Christlich-
keit seines Helden vor Welt und Nachwelt in helles Licht zu setzen,
den ihm verdankten Triumph der Kirche zu feiern. Wenn es sich wirk-
lich so verhielte, dass in dem Kirchenbau der konstantinischen Aera
ein Schöpfungsbau im eminenten Sinne in die Welt träte : hier in den
Panegyriken Eusebs müsste es notwendig seinen Ausdruck finden.
Aber nichts davon. Es ist viel vom v Wiederbeleben«, vom > Wieder-
erstehen« aus Befleckung oder Ruin zu grösserer und prächtigerer Er-
scheinung die Rede, — keine leiseste Andeutung, dass etwas der Art
nach Neues jetzt erst Dasein und Gestalt gewonnen habe. Wir meinen
in diesem schweigsamen Verhalten der kirchlichen Schriftsteller eine
starke indirekte Bekräftigung zu finden dessen, was wir in Bezug auf
die Denkmäler des 4. Jahrhunderts allein aus ihrem architektonischen
Charakter oben gefolgert haben. Sie bezeichnen nicht den Anfangs-,
*) Vgl. noch Optatus I, c. 14: »post persecutionem apud Cirtam civitatem, quia
basilieat necdum fuerunt restitutae, in domum Urbani Carisi consederunt.* Und III, c. 4:
»cum aliqui in basilicis upeliri coepissent (etwa im Vorhof?) . . . nec sepultura in
domo Dei exhiberi concessa est — » in beiden Fällen unwidersprechlich »eigentliche
Kirchen«.
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Kapitel I: Geschichtliche Stellung.
13
sondern den Höhepunkt in der längst im Gange befindlichen Entwick-
lung des christlich-antiken Kirchenbaues. Diese Entwicklung aber ist
keine abgetrennt für sich verlaufende. Sie ist — um die Summe der
nachfolgenden Kapitel vorwegzunehmen — lediglich ein Teil der
allgemeinen Kunstbewegung im römischen Reich, den Gesetzen
und Schicksalen derselben unlöslich verbunden. Das durch das Christen-
tum der Baukunst neu zugebrachte Inhaltsmotiv hat einen neuen Stil,
solange Kultur und Volkstum der Antike noch aufrecht standen, nicht
hervorgebracht; nur eine praktische Modifikation vorhandener Typen.
Die grossen Epochen der Kunstgeschichte stehen mit denen der
Kulturgeschichte in bestimmtem geistigem Zusammenhange, ohne dass
sie chronologisch sich völlig deckten. Regelmässig pflegt die Kultur
der Kunst um einige Menschenalter, zuweilen selbst um Jahrhunderte
voraus zu sein. So waren die weltherrschende Kirche des Mittelalters
und die scholastische Organisation der Wissenschaften früher da, als
ihr baukünstlerisches Gegenbild, die Gotik; so machte die Gotik der
Renaissance erst Platz, als die mittelaltrige Weltanschauung längst von der
modernen überwunden war ; so ist auch die frühchristliche Architektur
in ihrer Stellung zwischen den Weltepochen zu beurteilen. Wo immer
man vom Standpunkte der Universalgeschichte die Grenze zwischen
Altertum und Mittelalter ziehen mag : stilgeschichtlich ist der Zeitraum
von Konstantin d. Gr. bis auf Karl d. Gr. (für manche Länder noch darüber
hinaus) der antiken Baukunst zuzuzählen. Als das Schlusskapitel ihrer
Geschichte. Eine Zeit des Stillstandes im künstlerischen Denken von
ähnlicher Länge kennen wir vorher und nachher nur noch in der Ge-
schichte der Aegypter. Der von der christlich-antiken Kunst des Abend-
landes — denn immer nur dieses haben wir bei unserer Be-
trachtung im Auge — umfasste Komplex von Bauformen ist voll-
ständig fixiert in der grossartigen Produktion des 4. Jahrhunderts. Mit
dieser ihrer ersten Probe als Monumentalkunst im Grossen erreicht
die christlich-antike Bauweise auch schon das Ende ihrer inneren Ent-
wicklung; die Lebenstage des alten Reiches sind gezählt, das Jahr-
hundert, das mit den herrlichen Triumphen der Kirche begonnen hatte,
endet im Sturm der Völkerwanderung. Keine Veränderung ist seitdem
wahrzunehmen (beiläufige und nicht in die Tiefe gehende Einflüsse des
Ostens abgerechnet), als die indes auch nur langsam zunehmende Ver-
armung und Barbarisierung. Diese innere Bewegungslosigkeit macht
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
die Zeitbestimmung eines Baues oder eines Bauteiles nach stilistischen
Merkmalen zu einer überaus unsicheren, ja oft unmöglichen — eben
deshalb aber auch relativ belanglosen Sache. Was ein Werk des
8. oder 9. Jahrhunderts von einem solchen des 4. oder 5. unterscheidet,
ist nicht die Auffassung, sondern die grössere oder geringere Tüchtig-
keit der Ausführung, eine Regel von freilich auch nur ungefährer
Gültigkeit. Nicht minder merkwürdig ist das zweite: dass so gut die
grossen nationalen Besitzveränderungen der Wanderzeit wie der bittere
konfessionelle Hader der Arianer und Orthodoxen die traditionelle
Gestalt des Bauwesens unberührt lassen. Die Reiche der Goten, Lango-
barden, Franken bilden mit Italien und der Provinz Afrika baugeschicht-
lich betrachtet eine ungestörte Einheit. Die leichten Differenzierungen
des Stils bei ihnen hängen von Unterschieden des Materials, des Klimas,
des technischen Vermögens oder älterer Lokaltraditionen ab, nicht von
der Nationalität. Die Welterneuerung durch den Zutritt der germani-
schen Völker musste auf allen Hauptgebieten des geistigen Lebens
sich durchgebildet und vollendet haben, bevor sie sich ihren eigenen
Baustil schuf. Deshalb ist der Endtermin für die christlich-antike
Weise ein verschiedener in den verschiedenen Ländern. Als das arith-
metische Mittel mag man etwa das Jahr 1000 annehmen.
So vollkommen wahr es nun ist, dass die christliche Kirche nicht
ein einziges neues Baumotiv von sich aus hervorgebracht sondern nur
unter den vorhandenen ausgewählt hat, ebenso gewiss hat ihr Sieg
doch eine tief greifende Verschiebung in der Gesamterscheinung der
Bauthätigkeit im Gefolge: dadurch, dass alle verfügbaren Interessen
von nun ab im Kirchenbau sich konzentrieren. Im Gegensatz zu der
vom heidnischen Rom gepflegten reichhaltigsten Vielheit der Kom-
positionstypen giebt es für das christliche Rom nur eine monumentale
Bauaufgabe schlechthin: den Kirchenbau; und wiederum im Kirchen-
bau nur eine Normalform schlechthin: die Basilika. Das Schema
der Basilika •— womit wir einen Kardinalsatz unseres Systemes aus-
sprechen — ist unbedingt das massgebende für das eigent-
liche Kirchengebäude, d. i. das Versammlungshaus der Ge-
meinde zu den regelmässigen Gottesdiensten; hingegen
kreisförmige, polygonale oder zentral kombinierte Pläne
kommen im Abendlande bloss accessorisch und bloss für
einen beschränkten Kreis von Aufgaben, für Tauf- und Grab-
kirchen, in Anwendung.
In Bezug auf diese Sätze, wie nicht verschwiegen werden soll,
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Kapitel I: Geschichtliche Stellung.
'S
haben wir die herrschende Meinung wider uns. Wenn oft und von
hochgeschätzten Forschern ausgesprochen ist, dass der Baukunst der
ersten christlichen Jahrhunderte > eine Kühnheit, eine Frische der Phan-
tasie und eine jugendliche Lust an Erfindungen eigen sei, die einen
Beweis von der anregenden Kraft gäbe, welche das Christentum auf
die Völker ausübte«; dass sie * durch einen grossartigen Aufschwung
in Bezug auf Konstruktion und Raumgliederung die Leistungen des
Römertums verdunkelt habe*; und gesteigerte Bewunderung hierfür
angerufen wird durch den Hinweis auf den gleichzeitigen Verfall der
heidnischen Antike: so können wir unsererseits die behauptete Aus-
nahmestellung der christlichen Baukunst so wenig anerkennen, dass wir
die grosse geschichtliche Bedeutung, die ihr ganz gewiss zukommt,
vielmehr in einer entgegengesetzten Thatsache finden, in der Reduk-
tion, nicht in der Vermehrung der Mannigfaltigkeit der römischen
Kompositionsformen *). In der That hängt die ganze Differenz der
Auffassung von einer nur kleinen Summe von Baudenkmälern , be-
ziehungsweise Baumotiven ab, welche die anderen als christliche Neu-
schöpfungen in Anspruch nehmen, während wir sie älteren, heidnischen
Ursprunges erachten. Die Rechtfertigung unserer Abweichung gehört
in den speziellen Teil ; hier wollen wir nur die daraus sich ergebenden
allgemeinen Gesichtspunkte noch eine Strecke weiter verfolgen.
Die Grundstimmung der architektonischen Kunst ist zu allen Zeiten
am tiefsten bedingt gewesen durch die jeweilige Stellung der Religion
innerhalb des geistigen Gesamtlebens. Es hatten die alten Griechen
nur einen baulichen Haupttypus, weil nur eine bauliche Hauptauf-
gabe gekannt : den Tempel. Dann, durch die grosse innere Wandelung,
die mit dem Aufgehen des Hellenentums in den Hellenismus eingeleitet
wird, wurde jene Einheit in Vielheit aufgelöst. Was Alexandrien be-
gann, setzte Rom grossartigst fort. Neben dem Sakralbau gelangten
profane Aufgaben von unabsehbarer Mannigfaltigkeit zu breitester Gel-
tung ; zentrale und kombinierte Pläne beschäftigten lebhaft die Phantasie ;
die Wirkungen der Grossräumigkeit wurden mit gewaltiger Kühnheit
und nach den verschiedensten konstruktiven Systemen, in Verbindung
mit flacher Bedeckung wie mit Gewölben und Kuppeln, durchgeprobt.
Zu alledem hat der christliche Geist nichts Neues mehr hinzugetragen.
Die grosse Revolution, die er hervorrief, liegt in etwas anderem.
') Vielheit der Kompositionsmotive ist Uberhaupt nicht ein Kennzeichen jugend-
licher, sondern alternder Bauepochen: Alexandria, das kaiserliche Rom, der Barocco.
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Erstes Bach : Der christlich-antike Stil.
Darin, wir wiederholen es, dass er die Vielheit der Bauaufgaben wieder
auf eine allbeherrschende einige zurückführt; nicht sowohl durch Um-
wandelung der Kunstgesinnung als durch Wiederherstellung der Religion
als zentrales Lebensmotiv. Er setzte damit für die zukünftige Baukunst
des Mittelalters analoge Vorbedingungen, wie die, welche über den An-
fangen der griechischen gewaltet hatten, und so wurde es möglich,
dass auf der Höhe des Mittelalters, aus der fortgesetzten Konzentration
aller Baugedanken auf den einen sakralen Zweck, die Gotik geboren
wurde: zum zweitenmal ein wahrer organischer Stil, gleich dem griechi-
schen Tempelstil.
Die Einwirkung des Christentums auf die Baukunst äusserte sich
jedoch auf sehr verschiedene Weise im Orient und im Occident. Nur
auf den letzteren bezieht sich unser obiger Satz von der exklusiven
Geltung des Basilikentypus. Die politische Trennung des Kaiserreiches
in ein östliches und westliches war nur der letzte Ausdruck einer von
innen her wirkenden Auseinanderlösung, die lange vorher allgemach
begonnen hatte al» eine unvermeidliche, seitdem die zusammenhaltenden
Mächte, die Energie des römischen Staatsgedankens und der Univer-
salismus der hellenistischen Kultur, zunehmender Entkräftung erlagen.
Wie aber die vom Römerreich umschlossene Weltbildung, die grosse
Arbeit des christlichen Denkens nicht ausgenommen, nach ihrer wesent-
lichsten Substanz griechisch war: so bewährte sie gleichfalls bei den
Griechen, ob auch sichtlich gealtert und degeneriert, die zähere Lebens-
dauer. Und so gewann auch in der Baukunst die griechisch-orientalische
Kirche ein Herz für einen Teil der antiken Erbschaft, welchem die
Kirche des Abendlandes die Aufnahme so gut wie ganz versagte. Wir
meinen den Gewölbebau in Verbindung mit zentralen Grundplänen.
Auf beides hat Griechenland und der Orient, wiewohl auch hier die
Basilika die ursprüngliche Form der Gemeindekirche war, nicht ver-
zichten wollen bei Werken von höchster monumentaler Absicht. Ein
frühes Beispiel dieser Richtung sehen wir in der von Eusebius be-
schriebenen Hauptkirche zu Antiochien, ihren glanzenden Abschluss in
der Hagia Sophia Kaiser Justinians.
Im lateinischen Westen hat auf allen Gebieten der Niedergang
früher begonnen und rascher um sich gegriffen. Das Ende des dio-
kletianischen Zeitalters ist für Rom und Italien das Ende der grossen
weltlichen Baukunst. Die siegreiche Kirche während des folgenden
Jahrhunderts baut viel, aber nicht mehr gross im Sinne der Vorzeit;
mit den alten Ausdrucksmitteln, aber nicht mehr in der alten, sondern
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Kapitel I : Geschichtliche Stellung.
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einer völlig veränderten Grundstimmung. Das stolze und ruhige Ver-
trauen auf die Unerschütterlichkeit des bestehenden Zustandes, das aus
der verschwenderischen Solidität der Römerbauten zu uns redet, ist
nun in sein Gegenteil umgeschlagen. Die altchristliche Baukunst ist
die Kunst eines aufs äusserste übermüdeten Geschlechtes. Sie kargt
und vergeudet zugleich. Die Beraubung und Zerstörung der Ahnen-
werke ist ihr Leben. Wie es möglich ist, dass viele Betrachter hier
Züge von »jugendlicher Frische« begrüssen können, würde uns unbe-
greiflich bleiben, hätten nicht Greisentum und Kindheit eine verhängnis-
volle Aehnlichkeit. Dass aber in dieser dem Alter erliegenden Kunst
von der ehemaligen Grossheit nicht immer noch ein ehrfurchtgebietender
Anteil fortlebe, sind wir gewiss die letzten in Abrede zu stellen.
. . Und überdies wäre es sehr verfehlt, den Massstab des Urteils
allein dem Vergleich mit dem Vergangenen zu entnehmen. Der zu
der aufsteigenden Linie der Jahrhunderte sich hinüberwendende Blick
erkennt in den Denkmälern der christlichen Frühzeit zugleich die An-
weisung auf ein grosses Neue. Noch nicht dieses Neue selbst , aber
die Vorbereitung dazu. Die antike Baukunst als Ganzes dem Mittel-
alter zu überliefern lag überhaupt nicht in der Macht der Kirche ; hätte
sie es vermocht, so wäre die Geschichte um die grossen Erscheinungen
des romanischen und gotischen Stils ärmer geblieben. Anstatt dessen
hat das zur Lehrerin des sich neu gestaltenden Abendlandes berufene
christliche Rom aus der Fülle der Baugedanken seiner Ahnen nur einen
einzigen aufbewahrt und weitergetragen: d. i. den als einheitliche
Innenperspektive gedachten Longitudinalbau. Sie hat diesem Ge-
danken noch keine neue Fassung gegeben , wohl aber in der innigen
Beziehung zu dem, im Altardienste gipfelnden, Kultus ein Lebensprinzip
von vielseitigster Entwicklungsfähigkeit. Der Kirchenbau des abend-
ländischen Mittelalters bewegt sich strikte auf der vorgezeichneten
Linie: er ist wesentlich Geschichte der Basilika. Der Renaissance
— und dürfen wir hinzufügen : der Gegenwart ? — verblieb, den römi-
schen Zentralbaugedanken die hohe Stellung wiederzugeben, die
ihnen gebührt.
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Zweites Kapitel.
Der Zentralbau.
Litteratur. — ALLGEMEINES. A\ Kahn : Ueber den Ursprung and die Entwicke-
lung des christlichen Zentral- und Kuppelbaues. Leipzig 1866. 8°. Ch. Lucas: Les
eglises circulaires d'Angleterre *. Paris 1882. 40. S. A. aus den Annales de la societe
centrale des Architects I. s^rie, vol. II. 1881 ; enthält eine Uebersicht und kurze Be-
schreibung der wichtigsten antiken und christlichen Zentralbauten. Ueber das Wesen des
Z.-B. sind die feinen Bemerkungen J. Burckhardts : Gesch. d. Renaissance in Italien*,
Stuttg. 1878, zu vergleichen. — Aufnahmen. C\ E. Isabelle: Les ödifices circulaires et
les dömes. Paris 1855. 2°. Hübsch: Die altchristlichen Kirchen nach den Baudenk-
malen und Siteren Beschreibungen. Karlsruhe 1863. 20. — Für Italien. C. E. Isabtllt .
Parallele des salles rondes en Italic. Paris 1831. O. Mothts : Die Baukunst des Mittel-
alters in Italien. Jena 1884. 8°. Bd. I. Oberitalien. F. Dartein: Etüde sur l'archi-
tecture Lombarde. Paris 1865 ff. 40 und 2°. Rom. Beschreibung der Stadt
Rom von E. Plattier, C. Bunsen u. a. 3 Bde. Stuttgart und Tübingen 1829 — 42. 8°.
Le rovine di Roma. Studj del Bramantino (Bartolomeo Suardi) ed Mongeri. Milano
1875. 40; sehr interessante Grundrissaufnahmen von meist nicht mehr bestehenden
Zentralbauten. F. IHranesi . La villa Adriana. Ravenna. A. F. v. Quast: Die alt-
christlichen Bauwerke von Ravenna vom V. bis IX. Jahrhundert. Berlin 1842. 2°.
R. Rahn: Ravenna. Leipzig 1869. 8°. S. A. aus Zahns Jahrbüchern f. Kunstwissen-
schaft. C. Ricci- Ravenna. Ravenna 1878. 8°. — Konstantinopel. Salzenberg .- Die
altchristlichen Denkmale von Konstantinopel vom V. bis XII. Jahrhundert. Berlin 1854. 2°.
Pulgher: Les anciennes Iglises byzantines i Constantinople. Vienne 1878. 2'. - Palaestina.
De Voguc: Les eglises de la terre sainte. Paris 1860. 40, auszüglich in Allg. Bz. 1873.
Syrien. De Voguc: Syrie centrale. Paris 1865. 4". — Monographien: Pantheon.
F. Adler: Das Pantheon zu Rom. Berlin 187 1. (Winckelmann Programm). Heilige
Grabkirche. Ausser De Voguc' ist zu nennen: Unger: Die Bauten Konstantins d. Gr.
am hl. Grabe. 1863. S. A. aus Benfeys Orient und Occident Bd. II. Kelsendom. De Voguc.
Le Temple de Jerusalem. Paris 1864. 20. Ungcr a. a. O. Fergusson: An Essay on
the ancient topography of Jerusalem. Sepp: Die Felsenkuppel, eine justinianische Sophien-
kirche. München 1882. 8°. Trier: ». Wilmowsky: Der Dom zu Trier. Trier I874.
4" u 20. S. Lorenzo in Mailand. P. Rotta. Milano 1882.
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
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1. Allgemeines.
Die alexandrinische und weiterhin die römische Baukunst löst den
strengen Organismus des hellenischen Säulen- und Architravbaues auf
und schaltet frei mit den überkommenen Formen, deren symbolischer
Bezug ihrem Bewusstsein mehr und mehr entschwindet. Will man
diesen Prozess beklagen, immerhin, man halte sich aber gegenwärtig,
dass mit dem Parthenon — als Repräsentanten einer Gattung — eine
Entwicklungsreihe abgeschlossen, ein absoluter Höhepunkt erreicht ist,
von dem die Wege naturgemäss abwärts fuhren, und man wird zugeben
müssen, dass gleichzeitig mit dem Abgehen vom streng Organischen
neue, grossartige architektonische Probleme aufgenommen wurden,
Probleme, an deren Lösung Jahrtausende gearbeitet haben, ohne sie
völlig zu erschöpfen. Unter diesen steht die Einführung des Gewölbes
in den Hochbau als formbestimmenden Elementes für den oberen
Raumabschluss in erster Linie. Sie zieht eine völlige Revolution des
Raumsinnes nach sich und verlegt den Schwerpunkt der künstlerischen
Gestaltung in das Innere der Gebäude. Werden vollends wie in den
römischen Palästen und Thermen mehrere gewölbte Räume zusammen-
gruppiert, so ist die überwiegende Bedeutung des Innenbaues ent-
schieden; ein Kompositionsprinzip, welches in der letzten Epoche der
antiken Architektur, der christlichen, zu gänzlicher Vernachlässigung
des Aeusseren führt.
Die römische Architektur überwölbt Räume der verschiedensten
Gestalt, und wenn sie die höchste Form des Gewölbebaues, den Zen-
tralbau, nur nebenher oder als gleichberechtigt mit anderen Gestal-
tungen behandelt, so nimmt sie doch die Ausbildung seiner verschiede-
nen Grundmotive mit Energie und konstruktivem wie formalem Geschick
in Angriff. Der altchristliche Zentralbau erscheint als die unmittelbare
Fortsetzung des heidnisch-antiken ; an ihm lässt sich das Verhältnis der
altchristlichen Baukunst überhaupt zur heidnisch-antiken am klarsten
erkennen ; unsere Untersuchung soll deshalb , obgleich seine Bedeutung,
nie oben angedeutet, nur eine sekundäre ist, von ihm ihren Ausgang
nehmen.
Das Wesen des Zentralbaues fordert das Dominieren einer verti-
kalen Mittelaxe, um die sich der Grundriss eurhythmisch gruppiert,
Grundlage können also neben dem Kreis alle regulären Polygone sein.
Der so bestimmte Begriff erfährt nun sofort gewisse Einschränkungen
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Erstes Buch : Der christlich-antike Stil.
wie Erweiterungen. Die Seitenzahl darf nur eine beschränkte sein,
wenn der Eindruck nicht unklar werden soll. Das Bedürfnis des Auges
nach festen Anhaltspunkten verlangt, dass der Grundriss zu zwei auf-
einander senkrechten Axen symmetrisch ist, ja die höchsten Wirkungen
sind nur da zu erzielen, wo beide Axen miteinander vertauscht werden
können. So wären also Polygone von ungerader Seitenzahl auszu-
scheiden und würden im Sinne der letzten Bestimmung nur solche bei-
behalten, deren Seitenzahl mit 4 teilbar ist »). Flachgedeckte Zentral-
bauten entbehren der höheren Weihe. Der obere Raumabschluss muss
dem Grundriss entsprechend gerundet sein.
Sind diese beschränkenden Forderungen ästhetischer Natur, so
ergeben sich die Erweiterungen aus dem Bedürfnisse des Systems,
Gebäude zu klassifizieren, in welchen zwar das zentrale Element vor-
herrscht, aber nicht völlig klar zum Ausdruck gelangt. Es sind ge-
wissermassen Trübungen des reinen Formgedankens, veranlasst durch
die liturgische Forderung einer Verhüllung des Allerheiligsten. Man
konnte sich nicht entschliessen , den Altar in die Mitte zu stellen,
sondern brachte ihn in einem besonderen Altarhause (Apsis) unter,
welches die Eurhythmie der Anlage unterbricht. Endlich kommen
Verquickungen des Zentralbaues mit der Basilika vor und erlangen
sogar zeitweise eine grosse Verbreitung. Alle diese Anlagen Verstössen
. gegen das Wesen des Zentralbaues darin, dass sie die Richtungslosig-
keit aufheben und eine Hauptrichtung einfuhren. Ersterer Art sind
die meisten byzantinischen Kirchen, letzterer die rheinisch-romanischen
Drei -Konchen -Kirchen, die Nachbildungen der (modernen) Peters-
kirche u. a.
Im Abendlande war und blieb die Basilika die ausschliessliche
Form der Gemeindekirche. Zu enge war die Gottesdienstordnung mit
dem basilikalen Grundrisse verknüpft, als dass sie sofort und ohne
Modifikationen auf Zentralbauten hätte übertragen werden können.
Von den jetzt als Kirchen verwendeten frühchristlichen Zentralbauten
(soweit sie nicht unter byzantinischem Einflüsse entstanden sind)
lässt sich denn auch in keinem einzigen Falle die* ursprüngliche
') Diese letzten Forderungen lassen sich abstrakt nicht begründen, denn die im
Wesen des Zentralbaues liegende Richtungslosigkeit ist bei ungerader Seitenzahl ebenso
gewahrt wie bei gerader, sie scheinen vielmehr in den perspektivischen Gewohnheiten
unsres Auges begründet zu sein. Die Praxis nimmt auf diese Forderung nicht immer
Rücksicht, es kommen fünfeckige und siebeneckige, sogar auch dreieckige Zentralbauten vor,
symbolische Gründe dürften für die Wahl solcher Formen entscheidend gewesen sein.
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
21
Bestimmung zur Gemeindekirche unzweifelhaft nachweisen. Die An-
wendung des Zentralbaues beschränkt sich auf kirchliche Nebenformen,
Grab- und Denkmalskirchen und Baptisterien ; erstere im Anschluss an
antike Sitte, letztere einem neuen Bedürfnisse entsprechend ; in beiden
Anwendungen mit unmittelbarer Verwendung antiker Motive. Die sym-
bolischen Beziehungen, welche man der Form und den einzelnen Teilen
dieser Bauten (vgl. die bekannten Verse des Ambrosius) untergelegt
hat, sind architektonisch völlig bedeutungslos, aus den üblichen Formen
abgeleitet und, von Kleinigkeiten abgesehen, ohne Einfluss auf deren
Ausbildung. Gänzliche Entwicklungslosigkeit , ein kümmerliches Aus-
leben ererbter Motive ist das Cliarakteristikum des christlich-antiken
Zentralbaues im Abendlande. Anders im Orient, wo sich der Kultus
des Zentralbaues bemächtigt und ihn seinen Anforderungen gemäss
ausgestaltet; eine kurze, glänzende Entwicklungsreihe erreicht um die
Mitte des saec. VI in der Sophienkirche Justinians ihren Höhepunkt und
zugleich ihr Ende; eine andere Form hat in Jerusalem ihre Heimat
(hl. Grab). Wir müssen den Haupttypen der byzantinischen Baukunst
wegen des Einflusses, den sie zu verschiedenen Zeiten auf das Abend-
land geübt hat, im folgenden wenigstens eine kurze Betrachtung zu
Teil werden lassen.
Die historische Aufgabe des christlich-antiken Zentralbaues ist
denn auch keine formal-produktive, sondern eine konstruktiv-
konservative; er ist der Träger der technischen Traditionen des an-
tiken Gewölbebaues bis zu dem Zeitpunkt, wo das grosse Problem der
mittelalterlichen Architektur, die Ueberfuhrung der flachgedeckten Basi-
lika in einen organischen Gewölbebau, klar erkannt und allseitig in An-
griff genommen wird. Die Basilika trägt die befruchtenden Keime für
diesen Entwicklungsprozess nicht in sich, sie werden ihr von aussen
zugeführt und sind dem Zentralbau entnommen, in dem sich die Uebung
des Wölbens ununterbrochen erhalten hatte.
2. Die einfache Rotunde.
Die morphologische Entwicklung des Tholos, der Kuppel oder
des Klostergewölbes auf rundem, beziehungsweise polygonem Unterbau,
zu reicheren Formen beginnt mit der Gliederung durch Nischen
in den Umfassungswänden. In dieser Entwicklung walten bald konstruk-
tive, bald ästhetische Absichten vor und können in der Untersuchung
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22
Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
nicht stets auseinander gehalten werden, da das gegenseitige Bedingt-
sein der Teile eines Zentralbaues einen viel engeren Zusammenhang
von Konstruktion und Form mit sich bringt, als dies bei anderen An-
lagen der Fall ist. Der Nischenbau, eine Anwendung des Haupt-
prinzipes der römischen Baukonstruktion (vgl. Kap. IV, Abschnitt 3), hat
zunächst den Zweck, die Mauermasse zu verringern und auf ein not-
wendiges Minimum zu beschränken, er liefert jedoch sofort ein frucht-
bares künstlerisches Motiv. Zumeist sind es 8 Nischen ; bald alle gleich,
bald in rhythmischem Wechsel von rechteckiger und halbrunder Grund-
form, ermöglichen sie schon sehr ansprechende Grundrissgestaltungen
(z. B. Taf. 1, Fig. 3). Bereichert wird der Eindruck durch die, frei-
lich nur bei ganz grossen Gebäuden mögliche, Anordnung von Säulen-
stellungen in den Oeffnungen der Nischen (Pantheon) oder durch Säulen,
welche vor die Pfeiler zwischen den Nischen gestellt werden. Dies
ist in äusserlich dekorativer Weise geschehen an dem Jupitertempel zu
Spalato, in engerem Zusammenhang mit der Konstruktion an mehreren
Baptisterien. Aber auch die letzteren Versuche befriedigen nicht: wohl
tragen die Säulen zur Belebung bei, allein das Auge verlangt für den
Schildbogen der Nische, der die Obermauer trägt, ein festeres Auf-
lager ; die Säule erscheint schwächlich, nicht an sich, sondern weil sie
sich nur als Ausschnitt (Schwächung) des unmittelbar hinter ihr be-
findlichen Pfeilers darstellt.
Die Nischen reichen auch bei ganz eingebauten Räumen nie höher
als bis zum Ansatz der Kuppel, wie überhaupt die römische Baukunst
die Verschneidungen verschiedener Gewölbe thunlichst vermeidet, und es
ist somit schon von Anfang an der sogen, basilikale Querschnitt (vgl. unten
Kap. III Abschnitt 2) im Zentralbau latent. Aber in dieser unfertigen
Gestalt kommt er bei den antiken Monumenten (wenigstens den uns
erhaltenen) nur im Inneren zur Geltung, während das Aeussere als
gerader Cylinder gestaltet ist. Die christlichen Monumente zeigen im
Aeussercn nach oben eine Verjüngung: sei es Ueberfuhrung des Qua-
drates ins Achteck, sei es Zurücktreten des oberen Oktogones gegen
das untere. Man wird indes bei der Identität der Innenarchitektur
den Gegensatz nicht als heidnisch und christlich, sondern als Betonbau
und Backsteinbau (Mauer in Verband) zu fassen haben, wobei einer-
seits festzuhalten ist, dass in früherer Zeit der erstere, in späterer der
letztere verbreiteter war, anderseits, dass der höhere Materialwert des
Backsteines, wo nicht die kirchliche Bestimmung das Gebäude schützte,
zur Zerstörung und andenveiten Verwendung reizte.
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
23
Es ist endlich der Licht Zuführung zu gedenken. Die Beleuch-
tung durch ein mittleres Oberlicht, vollkommen einheitlich und von
herrlichster Wirkung, ist aus praktischen Rücksichten nicht allgemein
anwendbar, weshalb schon frühe (Minerva medica) Fenster in der Ober-
mauer vorkommen und bei den christlichen Zentralbauten ausschliess-
liche Regel werden.
FRIGIDARIUM DER FORUMSTHERMEN ZU POMPEJI (Taf. 1,
Fig. 1). Erbaut in«den ersten Zeiten der römischen Kolonie (a. 80 bis
60 v. Chr.), jetzige Dekoration nach a. 63 n. Chr. Ein kreisförmiger
Raum, quadratisch ummauert, wobei die Mauermasse der Ecken durch
Nischen verringert ist, wird von einem steil ansteigenden konischen
Gewölbe überdeckt. Ursprünglich auf künstliche Beleuchtung angelegt.
Architektonisch wenig entwickelt, ist dieser kleine Raum in Stuck und
Farbe aufs glücklichste dekoriert und gewinnt dadurch den anmutigen
Reiz, der uns an den Bauten Pompejis so sehr anspricht
ACHTECKIGER RAUM IN DEN CARACALLA-THERMEN ZU
ROM (Taf. i, Fig 2). Die südöstlich vom Hauptbau vereinzelt stehende
Ruine ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Das Untergeschoss —
mit Nischen, welche den Diagonalaxen entsprechend in der Mauer-
masse ausgespart sind (Fig. 2, links), das Obergeschoss mit Fenstern
nach allen Seiten, welche sich jedoch auf den Diagonalseiten nur nach
Hohlräumen in der Umfassung öffnen (Fig. 2, rechts, Blouet, les Thermes
de Caracalla PI. VII). Das runde Kuppelgewölbe setzt über Hänge-
zwickeln an (Taf. 39, Fig. 8). Ein ähnlicher Raum im flavischen
Palast auf dem Palatin (Taf. 15, Fig. 4).
Oktogone durch 8 Nischen erweitert finden wir im Untergeschoss
des PALASTES DES AUGUSTUS auf dem Palatin (Taf. 1, Fig. 3, 4)»
die rechteckigen Nischen, den Hauptaxen entsprechend, wiederum
durch kleinere Nischen gegliedert, sehr schön im Grundriss, etwas
kleinlich im Aufbau. Die Lichtzuführung durch tief angebrachtes Seiten-
licht und ein Opäon im Scheitel des Gewölbes war mangelhaft, wie
bei vielen antiken Räumen. Der Palast des Augustus in dem der-
maligen Klostergute der Salesianerinnen ist jetzt unzugänglich. Aufn.
bei Guattani, mon. inediti, 1785.
Vornehmlich beliebt war das Motiv für Grabmäler.
TORRE DE* SCHIAVI an der via Praenestina (Taf. 1, Fig. 5),
3 Miglien vor porta maggiore (saec. III), mit einer Vorhalle. 8 abwech-
selnd rechteckige und halbrunde Nischen gliedern das Innere. Be-
leuchtung durch Rundfenster im unteren Teil der Kuppel. In Anlage
und Proportionen dem Pantheon verwandt Aehnliche Bauten nicht
selten.
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24
Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Von christlichen Denkmälern sind zunächst einige KATAKOMBEN-
KAPELLEN zu nennen. Wir geben ein Beispiel nach Hübsch (Taf. i,
Fig. 6). Aehnliche Räume in den Prätextatus-Katakomben bei L. Perret,
les catacombes de Rome I, pl. 36 ein Sechseck mit unregelmässig
rundlichen Nischen; pl. 39 ein runder Raum mit 6 Kompartimenten.
Diese Anlagen sind indes, was schon ihre chronologische Stellung
beweist, keineswegs die Anfänge der Entwicklungsreihe.
Die Grabkapelle der H. PETRONILLA und die BASILIKA DES
H. ANDREAS (Taf. t8) südlich der alten Peterskirche zu Rom. Erstere
von Stephan II. um die Mitte des saec. VIII erbaut, sicher jedoch älterer
Gründung — Mausoleum der Töchter Stilichos. Ganz der vorigen
gleich S. Andreas, Anfang saec. VI. Es waren einfache Rundbauten mit
8 rechteckigen Nischen. — Beschreibung der Stadt Rom II, 1, S. 95 ff.
Das BAPTISTERIUM DER ARIANER IN RAVENNA (Taf. 1,
Fig. 7)1 ein Oktogon mit Nischen auf vier Seiten (jetzt nur eine er-
halten) von einer Kuppel auf kleinen Hängezwickeln überspannt.
Bull, crist. 1866.
Die LIEBFRAUENKAPELLE AUF DER BURG ZU WURZ-
BURG (Taf. 1, Fig. 8). A. 706 von Bonifatius zur Kirche geweiht, viel-
leicht ein römisches Grabmal. Der obere Teil romanisch aus dem
Ende des XI. Jahrhunderts oder noch jünger. Hierher gehört seiner
ursprünglichen Anlage nach auch St. Gereon zu Köln, und der >alte
Türmt zu Mettlach (Taf. 41).
BAPTISTERIUM ZU ZARA (Taf. 1, Fig. 9). Sechseckig mit halb-
runden Nischen. Der Dom, mit welchem es zusammenhängt, ist in
der zweiten Hälfte des saec. XIII erbaut, doch ist es möglicherweise älter.
Ueber die Form des Aufbaues nichts näher bekannt. — Eitelberger
im Jahrbuch der k. k. Central-Commission V (1861).
Ein ganz einfaches Sechseck (Taf. 1, Fig. 10) das Baptisterium der
Basilika auf den colli di Sto. Stefano bei Tivoli. Einfach acht-
eckig das beim Dom von Parenzo (Taf. 16, Fig. 2).
MADONNA DELLA TOSSE bei Tivoli (Taf. 1, Fig. 11), ein
Grabmal, welches von einigen dem 4., von anderen dem 7. Jahr-
hundert zugeschrieben wird, ein zweigeschossiger Saal, das Obergeschoss
von grossen, in Nischen stehenden Fenstern durchbrochen.
Diese einfache Form der Rotunde kommt bei Baptisterien vor
solange solche überhaupt gebräuchlich sind. Daneben aber finden
sich schon in der heidnischen Antike reichere Ausgestaltungen des
Motives.
Der JUPITERTEMPEL ZU SPALATO, erbaut von Diokletian
(Taf. 3, Fig. 1, 2). Oktogon mit umlaufender Säulenhalle und einer
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
25
von Säulen getragenen Vorhalle. Im Innern ist vor den Pfeilern eine
zweigeschossige Säulenstellung mit verkröpftem Gebälke angebracht,
welche indes mit der Konstruktion nicht zusammenhängt. Interessantes,
wenn auch konstruktiv geringwertiges Gewölbe. Krypta. Adams,
Ruins of the palace of Diocletian at Spalato, 1764. Cassas, voyage
pittoresque de l'Istrie et de la Dalmatie. Eitelberger im Jahrbuch der
k. k. C.-C. 1861. Ein ähnlicher Grundriss (Taf. 3, Fig. 3) im Skizzen-
buche des Bramantino.
In engeren Zusammenhang mit dem baulichen Organismus ist die
Säule gebracht bei einigen Baptisterien :
BAPTISTERIUM BEIM DOM ZU NOVARA, jetzt einziger Rest
der alten Anlage (Taf. 3, Fig. 4, Taf. 16, Fig. 10). Freistehende an-
tike Säulen vor den Pfeilern tragen die Schildbögen der Nischen, über
welchen sich die Obermauer erhebt. Klostergewölbe mit Laterne. —
Vergl. v. Osten, Die Bauwerke der Lombardei vom 7. bis zum 14. Jahr-
hundert. Darmst. 1847.
BAPTISTERIUM ZU ALBEGNA (Riviera di Ponente). (Taf. 3,
Fig. 5, 6.) Dem vorigen sehr ähnlich. Dem saec. VIII oder IX zu-
geschrieben, wohl älter. — E. Mella in den Atti della societa di archeo-
logia per la prov. di Torino, vol. IV, p. 56 ff., Tav. 17.
BAPTISTERIUM DER ORTHODOXEN — S. GIOVANNI IN
FÖNTE ZU RA VENN A (Taf. 3, Fig. 7, 8). Erbaut und ausgeschmückt
von Bischof Neo a. 430. Achteck mit 4 Nischen und 2 Eingängen.
Ausser dem den vorigen analog behandelten unteren Geschoss hat hier
auch die Obermauer eine reiche Gliederung durch Blendarkaden, 3
auf jeder Seite (die mittlere ein Fenster umfassend), von einem grösse-
ren auf Konsolen ruhenden Bogen umschlossen, welcher in die Kuppel
einschneidet. Die wohlerhaltene Dekoration in Stuck und Mosaik vergl.
Taf. 37.
GRABMAL DES THEODERICH ZU RAVENNA (Taf. 3, Fig. 9, 10).
Durch seine vorzügliche Quadertechnik vor anderen Bauten des saec. VI
ausgezeichnet. Zweigeschossig, der untere Raum kreuzförmig, der obere
rund. Das Aeussere zehneckig, unten mit tiefen Nischen, oben mit
einem (ehemals) bedeckten Umgange. Technik der an den Bauten
Diokletians zu Spalato verwandt. Das Ganze sicher nach einem jetzt
verschwundenen römischen Vorbilde konzipiert. Eingehend beschrieben
bei Rahn, Ravenna, S. 38 ff.
Wir wenden uns nochmals zur Antike zurück, um das Motiv in
seiner grossartigsten Gestalt zu betrachten.
Das PANTHEON ZU ROM (Taf. 1, Taf. 2), das besterhaltene antike
Monument, eine der grössten Schöpfungen aller Zeiten. Erbaut von
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
M. Agrippa, a. u. 729 vollendet. Die neuerdings erfolgte Freilegung der
Rückseite hat die Frage, ob es zu den Thermen des Agrippa gehörte, oder
von Anfang an zum Tempel bestimmt war, in letzterem Sinne entschieden.
Rotunde mit achtsäuliger Vorhalle. Das Innere durch 8 abwechselnd
rechteckige und halbrunde Nischen gegliedert, deren bedeutende Grösse
eine Säulenstellung vor der Oeflhung veranlasst hat. Die Bögen über
dem ersten Gesimse jetzt geschlossen; fraglich, ob sie überhaupt ein-
mal offen waren '). — Ist die Last der Kuppel durch die Nischen auf
8 Pfeiler übertragen, so sind diese nochmals durch Hohlräume ge-
gliedert und die tragende Fläche sehr wesentlich reduziert (vergl.
auch Taf. 39, Fig. 11). Gussmauerwerk mit vorzüglicher Backstein-
verkleidung. — Die moderne, ziemlich fragwürdige Dekoration vermag
den unvergleichlichen Zauber des Gebäudes nicht zu zerstören. Wohl
der bestbeleuchtete Raum der Welt; völlige Einheit des Lichtes durch
ein grosses Opäon im Scheitel des Gewölbes.
In der grossen ROTUNDE DER CARACALLA-THERMEN (Taf. 1,
Fig. 13), welche grundlos als Laconicum bezeichnet worden, ist endlich
die Mauer ganz durchbrochen und ruht die Kuppel auf 8 — 4 einfachen
und 4 doppelten — Pfeilern.
3. Folge formen des Nischenbaues.
Das Bestreben, die Mauermasse möglichst zu verringern, welches
erst dazu geführt hatte, Nischen aus dem Mauerring auszuschneiden,
welches weiterhin Veranlassung gab zu der reichen inneren Gliederung
der Umfassungsmauern des Pantheon und zur gänzlichen Durchbrechung
derjenigen der grossen Rotunde der Caracalla-Thermen , bedingt end-
lich das Verlassen der Kreisform am Aeusseren der Rundbauten, deren
Umfang der inneren Peripherie der Nischen folgend gegliedert wird.
Die Nischen sind hier äusserlich angefügte Nebenräume, welche den
auf Pfeilern ruhenden Mittelbau umgeben. Aber auch damit begnügte
man sich nicht. Auch die Umfassungswand der Nischen wurde durch-
brochen und der Blick nach ausserhalb gelegenen Nebenräumen frei-
gegeben. Minerva medica. — Damit sind Grundrisslösungen an-
•) Die Restauration auf Taf. 2 nach F. Adler hat so grosse künstlerische Vorzüge,
dass wir hier, wo das Pantheon nur als Repräsentant eines grossartigen Nischenbaues in
Betracht kommt, von der archäologischen Richtigkeit oder Unrichtigkeit absehen können.
Fehlerhaft ist auf alle Fälle, dass die Bogen der seitlichen Nischen über einer Attika
ansetzen und so viel höher werden, als die der Hauptkoncha und des Einganges, welche
unmittelbar Uber dem Gesimse beginnen.
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
27
gebahnt, wie wir sie bei S. Vitale zu Ravenna und anderen byzan-
tinischen Bauten finden. Freilich fehlen zwischen den beiden genannten
Beispielen einige Zwischenglieder, weniger im Grundriss, denn von der
Durchbrechung von 4 Nischen, die sich nach zwei getrennten Neben-
räumen öffnen — Minerva medica — ist nurmehr ein Schritt zur Durch-
brechung aller und zum ringsum geführten Umgang — S. Vitale — ,
als im Aufbau. Hier waltet ein prinzipieller Unterschied. Der Haupt-
raum der Minerva medica mit seinen Nischen besteht für sich, die
wahrscheinlich unbedeckten Nebenräume, wenn sie überhaupt dem
Hauptbau gleichzeitig waren, sind eine äusserliche Hinzufügung.
Der sogenannte Tempel der MINERVA MEDICA auf dem Esquilin
(Taf. 4 und 5). Weder seine Bestimmung noch seine Erbauungszeit ist
bekannt. Die Benennung M. m. gründet sich auf eine Stelle der
Mirabilien, ist aber ganz unerwiesen. Die geringe Technik, die
Mängel der Kuppelkonstruktion und grosse Unregelmässigkeiten des
Grundrisses weisen den Bau dem saec. III oder IV zu. Die Kuppel ruht
auf 10 Pfeilern, welche, unten zwischen Nischen stehend, oben als
Strebepfeiler vor die Mauerfläche vortreten. Die Ueberführung vom
Zehneck in den Kreis durch Gewölbezwickel vermittelt; vgl. Taf. 39,
Fig. 3. Die Nischen, äusserlich angelehnt, nicht in Verband mit dem
Mittelbau, können kaum eine statische Funktion gehabt haben. Die
Nebenräume fast ganz verschwunden. Die Raumverhältnisse sehr
schön. — In der Camera della Segnatura unter Raphaels »Parnass«
am Sockel links ist ein der Minerva medica sehr ähnlicher Rundbau,
wenn nicht diese selbst abgebildet. Ein anderes interessantes Beispiel
bei Piranesi, Antichitä di Roma II, 29.
In S. Vitale zu Ravenna ist der Hauptbau mit dem Umgange zu
einem konstruktiven Organismus zusammengezogen: eine Entwicklung,
die sich im Orient vollzogen zu haben scheint. Die byzantinische
Kunst verfolgt das Problem in d e r Richtung weiter, dass sie den poly-
gonen Mittelbau in einen rechteckigen Umgang stellt. Diese Um-
gestaltungen sind, worauf schon im Beginn der Kapitels hingewiesen
wurde, durch liturgische Forderungen begründet. Insbesondere bedingte
die Verhüllung des Altares während des Gottesdienstes besondere Chor-
räume, welche die innere Einheit des Zentralbaues stören. In S. Vitale
die Apsis mit ihrem Vorraum einfach in den Umgang hineingestellt;
Weiterbildung in S. Sergius und Bacchus zu Konstantinopel, end-
lich in der Sophienkirche.
Die von Konstantin d. Gr. erbaute KIRCHE ZU ANTIOCHIEN
war ein Achteck, ringsum mit Exedren und Nebenräumen in zwei Ge-
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Erstes Buch. Der christlich-antike Stil.
schössen umgeben. Eusebius, vita Constantini III, 50, beschreibt sie:
. . . (iaxpQt{ |iev ££to9tv t«p».(}öX<K<; töv «dtvxa vewv RepiXaßutv, statu 3e töv suxr^piov
otxov itc ötfx-fj^avov trtäpa; U'J/05, ev oxtaiäpou piv oovsstütvta o^*f||Aatt, olxotc. $1
nXsioo'.v, e£s3pat<: ts ev xoxXtp, 6itsp»j>tov te xai xotofsltov ^tupr^ixiuv dicavTaxG$cv
Rsptsatoi/t3ji.svov . . .
Die Beschreibung der Kirche zu Antiochien wird illustriert durch
den berühmten ravennatischen Zentralbau S. VITALE (Taf. 4). —
A. 526 begonnen,- a. 547 geweiht. Nach Anlage und Detail völlig byzan-
tinisch. Die Schiefstellung der Vorhalle durch den alten Strassenlauf
veranlasst. Der Aufbau zweigeschossig. Ueber die Höhe der grossen
Hauptbögen ist das Oktogon durch kleine Gewölbezwickel in den Kreis
übergeführt, der der runden, an ihrem Fusse von Fenstern durch-
brochenen Kuppel zum Auflager dient. — Der konstruktive Organis-
mus ist mit vielem Scharfsinn und grosser Folgerichtigkeit, wenn auch
vielleicht mit übergrosser Vorsicht durchdacht. Der Druck und Schub
der aus Hohlkörpern konstruierten, also sehr leichten, und stark über-
höhten Kuppel ist durch die Fensteröffnungen auf die Pfeiler konzen-
triert, hinter welchen sich Strebemauern von mehr als der Breite des
Umganges, oben und unten von Bögen durchbrochen, befinden (Taf. 39,
F>g- 1 3)- Ueberdies schützen die ihrerseits von den Gewölben des Um-
ganges widerlagerten Halbkuppeln der Nischen die zwischen den Pfeilern
gelegenen Teile der Obermauer vor dem Ausweichen. — Der perspek-
tivische Eindruck (vgl. die Skizzen Taf. 4, Fig. 3, 4) ist reich, doch
nicht von allen Punkten aus ganz klar; sehr störend für die Einheit
des sonst so konsequent durchgeführten zentralen Gedankens die Unter-
brechung des Systems durch den (an sich vortrefflich behandelten)
Chor. Die Verhältnisse der Nischen und des Mittelbaues im Ganzen
sind auch wohl zu hoch. Sehr glücklich die Lichtführung. Von der
alten Dekoration hat sich der Mosaikschmuck der Apsis, auch sonst
noch einige Reste erhalten. Zopfig leichtfertige Kuppelmalerei von
1782. Der Fussboden fast um 1 m aufgehöht. Trotz alledem bleibt
noch ein mächtiger Eindruck. — Rahn, Ravenna S. 55 ff., C. Ricci,
Ravenna S. 41 ff., mit geometrisch interessantem Grundriss.
SS. SERGIUS UND BACCHUS ZU KONSTANTINOPEL (Taf. 4,
Fig. s, 6). Ungefähr gleichzeitig mit S. Vitale, im Beginn der Re-
gierung Justinians gegründet. Das Problem, den Zentralbau zur Ge-
meindekirche brauchbar zu machen, ist nicht ohne Geschick gelöst.
Dadurch, dass die Nischen nur auf den Diagonalseiten des inneren
Oktogones angebracht sind , während die den Hauptaxen entsprechen-
den Seiten — die Chorseite ausgenommen — durch gerade Säulen-
stellungen von den Nebenräumen getrennt sind, erhält schon der Mittel-
raum eine dem Quadrat sich annähernde Grundgestalt, und ist ein
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
29
Wechsel in den Aufbau gebracht, welcher die Unterbrechung der
Stockwerke am Chor weniger empfindlich macht. Es ist ferner durch
diese, durch die Raumverhältnisse mitbedingte, Anordnung die Möglich-
keit gewonnen, den Umgang, der durch Nischen auf den drei Haupt-
seiten unterbrochen oder doch sehr reduziert worden wäre, bis zum
Chor zusammenhängend fortzuführen. Kuppel in 16 Rippen auf Ge-
wölbezwickeln. Die Säulenstellungen zwischen den Pfeilern haben
unten gerades Gebälke, oben Bögen. Dadurch ist eine geringere Höhe
ermöglicht, als bei S. Vitale, welches durch die zu grosse Höhe des
Mittelbaues beeinträchtigt wird. Im allgemeinen aber steht die Kirche
in künstlerischer, wie in struktiver Hinsicht weit tiefer als S. Vitale;
es ist eben ein Kompromiss zwischen Longitudinalbau und Zentralbau,
bei welchem wesentliche Erfordernisse auf beiden Seiten geopfert werden
raussten. Vgl. den Grundriss der Kirche zu Ezrah in Zentralsyrien,
(Taf. 8, Fig. 5).
Wir reihen dieser Gruppe noch das Hauptwerk der byzantinischen
Architektur an, die SOPHIENKIRCHE ZU KONSTANTINOPEL
(Taf. 6, Fig. 1, Taf. 39, Fig. 14). A. 532 begonnen, schon nach fünf
Jahren vollendet; bald darauf eingestürzt; a. 558—563 zum zweiten-
male aufgebaut. Die Baumeister (Anthemius von Tralles und Isidorus
von Milet) gingen von dem Kompositionsmotive von S. Sergius und
Bacchus aus, kombinierten es jedoch in sinnreichster Weise mit dem
der grossen römischen Thermensäle, so dass zwar beide Grundmotive
noch erkennbar bleiben, doch aber ein wesentlich neues aus ihrer Ver-
einigung hervorgegangen ist. Wir stellen als Beispiel eines derartigen
Saales auf Taf. 6, Fig. 2 neben den Grundriss der Sophienkirche den
der Konstantinsbasilika zu Rom. Hier wie dort eine Teilung des
Grundrisses in 9 Abteilungen ; hier wie dort die ganze Last auf einzelne
Pfeiler übertragen, bei völliger Funktionslosigkeit der Wände; hier
wie dort die 3 mittleren Kompartiraente zu einem einheitlichen Haupt-
raume vereinigt, während die Nebenräume unter sich durch Pfeiler ge-
trennt und vom Hauptraume durch Einstellen von Säulen in die
grossen Bögen geschieden sind1); aber hierein reiner Longitudinalbau,
dort ein zentrales Element eingeführt und zum Hauptmotiv des ganzen
Bauwerkes gemacht und deshalb hier die einfachste Lösung — der '
Mittelraum von 3 durch je 2 Tonnen gestützten Kreuzgewölben über-
spannt, — dort eine sehr komplizierte Lösung — eine Mittelkuppel,
gestützt durch ein künstliches System von Hilfskonstruktionen. — Ver-
gleichen wir anderseits SS. Sergius und Bacchus, so sind die südliche
und nördliche Oktogonseite bis zur Länge des Durchmessers ausgedehnt,
l) Auch bei der Konstantinsbasilika sind derartige Säulenstellungen anzunehmen.
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
so dass ein mittleres Quadrat entsteht, an das sich zwei Halbkreise, ähn-
lich dem Hauptkreise von SS. Sergius und Bacchus behandelt, anlehnen.
Der Hauptraum ist also von ausgesprochener Längenausdehnung. Immer-
hin beherrscht die hier zum erstenmale in so gewaltigen Dimensionen
über einem Grundquadrate ausgeführte Mittelkuppel das Ganze. Diese
Kuppel ruht auf 4 mächtigen Pfeilern , welche zwar mehrfach durch-
brochen, doch eine kompakte Widerlagsmasse bilden und ausserdem
so verstärkt sind, dass die südlichen und nördlichen Tragebögen —
Oeffnung gegen die Seitenräume — nur 24 m Spannweite, gegen 31 m
Spannung der östlichen und westlichen, haben. Diese Tragebögen
sind nun östlich und westlich durch angelehnte Halbkuppeln gestützt,
welche ihrerseits wieder durch je eine Tonne und zwei Halbkuppeln
widerlagert sind, und letztere werden in zwei Stockwerken von weiter
sich anschliessenden Wölbungen gesichert, deren Funktion eine analoge
ist, wie die der Gewölbe der Umgänge von S. Vitale und S. Sergius
und Bacchus. Südlich und nördlich ist die Verstrebung eine andere,
die anschliessenden Räume sollten hier als Nebenräume behandelt,
zweigeschossig angelegt werden; Halbkuppeln waren somit nicht wohl
anwendbar, hätten sich auch mit der Grundform der Pfeiler nur schwer
vereinigen lassen. Zwischen die mächtigen Strebepfeiler sind in diesen
Teilen Tragebögen von nahezu 5 m Tiefe angebracht und ausserdem
durch die Gewölbe der Seitenräume eine Verspannung zwischen den
Strebepfeilern bewerkstelligt Betrachten wir das ganze System, so
zeigt sich, dass trotz aller Vorsichtsmassregeln gerade die Punkte, auf
welche der Schub der Kuppel durch die Pendentifs übergeleitet wird —
in der Diagonalrichtung des Mittelquadrates — am schwächsten sind;
derselbe trifft die grossen aussen in voller Breite bis zum Beginn der
Kuppel emporgeführten Strebepfeiler nicht in der Richtung ihrer Längen-
axe, sondern schneidet eben noch eine Ecke. Es finden denn auch
fortwährend Verschiebungen des Systeraes statt und das Riesenwerk
geht langsam aber unaufhaltsam seinem Verfall entgegen.
Die Entwicklungsreihe, welche wir soeben in ihren drei Haupt-
repräsentanten kennen gelernt haben, erreicht in der Sophienkirche ihren
Abschluss. Sie ist ein Werk freiester Individualität eines hochgenialen
Künstlers. Kein Zweifel, die Aufgabe, den Longitudinalbau mit dem
Zentralbau einheitlich zu kombinieren, ist, soweit sie überhaupt lösbar
ist, aufs glänzendste gelöst, die grossartigste Raumentfaltung, das all-
mähliche Ansteigen und Abnehmen der Höhe, die reiche Gliederung
der Nebenräume, alles wohl abgewogen; die Marmorinkrustation mit
ihren kräftigen doch milden Farben, der tiefe Glanz des Mosaikschmuckes,
alles vereinigt sich zur grossartigsten Gesamtwirkung. Freilich, eine
streng architektonische Betrachtung stösst auch auf manche Schwächen,
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
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und nicht alles ist zu einem völlig konsequenten Organismus zusammen-
gewachsen; aber einem so grenzenlös genialen Werke gegenüber ver-
liert theoretisches Raisonnement sein Recht, hier werden die Fehler
selbst zu Vorzügen, und was an architektonischer Konsequenz ver-
loren geht, wird an malerischem Reiz gewonnen. Die Sophienkirche
hat in der byzantinischen Architektur nicht Schule gemacht, sie hat
keine Nachfolge, noch weniger eine Weiterbildung der Motive hervor-
gerufen, es sind ganz andere, viel einfachere Formen (griechisches Kreuz),
welche in der nachjustinianischen Zeit herrschend wurden. Erst in
mohammedanischer Zeit findet sie Nachahmung in den grossen Moscheen
von Konstantinopel und wird bis ins 17. ja ins 18. Jahrhundert als
Vorbild benützt.
4. Rundbauten mit inneren Portiken.
Der Zentralbau, dessen auf einem Säulenkreise ruhende Kuppel
von einem niedrigeren Umgange umgeben ist, wird neuerdings als
Uebertragung des Basilikenschemas auf den Zentralbau er-
klärt und diese Form — »die runde Basilika« — als eigenstes Produkt
des christlichen Geistes in Anspruch genommen. Diese Erklärung,
welche mit der Lehre in Zusammenhang steht, dass der drcischiffige,
im Mittelschiff überhöhte Querschnitt das einzige Kriterium für den
Begriff Basilika sei (vgl. Kap. III Abschnitt 2), und welche wohl an
unseren geometrischen Querschnittzeichnungen ausgedacht worden ist,
hat gewiss den Vorzug der Einfachheit, ja ginge man von ihr einen
Schritt weiter und sagte, die in der »runden Basilika« gewonnene An-
wendung des Gewölbebaues auf den basilikalen Querschnitt werde
wieder auf die »Iongitudinale Basilika c übertragen, so wäre eines der
grössten baugeschichtlichen Probleme gelöst.
Einer spekulativen Kunstbetrachtung mögen derartige Erklärungen
gestattet sein, eine auf die genetische Entwicklung der baulichen
Motive gerichtete Untersuchung darf sich mit ihnen nicht begnügen,
denn diese Motive entstehen nicht auf so abstraktem Wege.
Wir haben auch hier zu fragen: von wo hat das Motiv seinen
Ausgang genommen ? wann und wo kommt es zuerst vor? Auch die
Anhänger obiger Definition, welche ja eine weitere historische Ablei-
tung überflüssig macht, haben das Bedürfnis einer solchen empfunden
und folgende Entwickelungsreihe aufgestellt: Minerva medica — Santa
Costanza — San Lorenzo in Mailand — San Vitale in Ravenna —
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Hagia Sofia in Konstantinopel. Diese Reihe hat vorweg den Fehler,
dass sie eine Entwicklungsreihe gar nicht ist, und dass namentlich
Santa Costanza ganz aus ihr herausfällt. Dieser Bautypus hat mit der
Entwicklungsstufe , auf welcher die einfache Rotunde in der Minerva
medica steht , keinen Zusammenhang. Die Abzweigung erfolgte viel-
mehr von jenen Formen, welche wir in den Baptisterien von Novara,
Albegna etc. (Taf. 3) kennen gelernt haben. In diesen ist der frag-
liche Querschnitt schon vorgebildet: indem die Säulen weiter von der
Wand abrücken, entsteht der Umgang. Im einzelnen lässt sich der
Prozess nicht mehr verfolgen. — So könnte er sich freilich auch, erst
einem christlichen Bedürfnisse entsprechend, an dem lateranischen
Baptisterium und Santa Constanza vollzogen haben. — Dem aber
stehen zunächst innere Gründe entgegen. Wenn christliche Desiderate
die Form hervorgerufen haben , so ist es* befremdend , dass sie keine
grössere Verbreitung gefunden hat, und dass ihre Entwicklung in den
christlichen Monumenten eine rückgängige ist, da gerade die ältesten
Beispiele die bedeutendsten sind. Das Vorkommen von Rotunden mit
inneren Portiken in der antiken Architektur lässt sich jedoch auch direkt
nachweisen.
Zunächst ist das MARNION ZU GAZA nach der Beschreibung in
der vita S. Porphyrii (vgl. Abschnitt 5) als ein Beispiel anzusehen, dann
findet sich in der VILLA ADRIANA (Canopus) ein wenigstens zur
Hälfte mit einem Umgang versehener Monopteros (Taf. 7, Fig. 1), der
als Vorstufe gelten könnte, doch wird man diesem Gebäude, das doch
nur bedingt zu diesem Kreise gehört, keine grosse Bedeutung beilegen
dürfen. — Von höchster Wichtigkeit dagegen ist der Grundriss eines
RUNDTEMPELS, welcher AN DER STRASSE NACH MARINO
(via Appia nuova?) gestanden hatte (Taf. 7, Fig. 2) und welcher in
dem Studienbuche des Bramantino (Tav. XLVII) erhalten ist. Die
Zeichnung ist sehr exakt und sind die eingeschriebenen Masse in guter
Uebereinstimmung, so dass nicht zu bezweifeln ist, dass wir es mit der
Aufnahme eines zu Anfang des 16. Jahrhunderts noch bestehenden
Denkmales zu thun haben. Nach der kurzen Beschreibung, welche
Bramantino seiner Zeichnung beigegeben hat, hatte das Gewölbe ein
mittleres Opäon — era deschopereto tanto quanto era lo sachraficio —
und Fenster in der Umfassung. Bramantino teilt auf Blatt 49 seines
Skizzenbuches einen ganz ähnlichen Rundtempel mit, welcher in der
Nähe der Tiber gestanden hatte. Es sind zwei Säulenkreise von je
12 Säulen, in regelmässigen Abständen; die des inneren Kreises zu je
zweien auf Postamenten, die des äusseren durch Zwischenmauern ver-
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau. 33
bunden mit einer Thüre, über der Mitte ein Opäon. Ferner auf
Blatt 55 ein Rundtempel am Wege nach Vachano, in welchem 12 frei-
stehende Pfeiler mit vorgelegten Halbsäulen den Mittelraum umgeben,
oben eine äussere Säulenstellung. — Als antike Bauwerke gelten ferner
die BAPTISTER1EN zu AIX (Taf. 8, Fig. 8) und zu RIEZ' (Taf. 8,
Fig- 6» 7) m Südfrankreich, bei welchen indes weder die ursprüngliche
Form, noch der antike Ursprung völlig sichergestellt ist ').
Die angeführten Beispiele genügen indes, um darzuthun, dass das
Motiv der Antike nicht fremd war.
ROM: DAS LATERANISCHE BAPTISTERIUM (Taf. 7). An-
geblich eine konstantinische Gründung, welche von Sixtus III. a. 432 bis
440 mit einem inneren Säulenkreise und daraufruhender Kuppel ver-
sehen worden sein soll; eine Erklärung, welche, völlig untechnisch,
erfunden ist, um eine vage Notiz des Papstbuches zu retten, die
nur die Absicht hat, die Sage von der Taufe Konstantins in Rom zu
begründen, dadurch, dass sie die Erbauung des Baptisteriums mit
diesem Akte in Verbindung setzt und in demselben ein monumentales
Zeugnis für den Vollzug der Taufe in Rom erkennt. Nimmt man die
Umfassungsmauern als Rest des konstantinischen Baues an, so kann
dieser wegen der geringen Mauerdicke nur eine Flachdecke gehabt
haben, wäre also eine in jener Frühzeit ganz isolierte Erscheinung und
stünde überdies mit dem Aufwände der übrigen konstantinischen
Bauten in grellem Widerspruch. Auch ergiebt die mit Hilfe eines
Kupferstiches von Lafreri aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
(Taf. 7, Fig. 5)') ausgeführte Restauration Rohault de Fleurys (Taf. 7,
Fig. 3, 4) ein durchaus einheitliches Gebäude, das dem Charakter
des saec. 5 sehr gut entspricht. Wir erkennen demgemäss in dem Ge-
bäude eine Gründung Sixtus III. Acht Säulen, von horizontalem Gebälke
überspannt, über welchem sich Entlastungsbögen öffnen, tragen die
Obermauer mit der Kuppel, den Säulenkreis umschliesst ein gleich-
falls achteckiger, überwölbter Umgang. Jetzt zwei Säulenordnungen
übereinander, dann ein drittes Geschoss und eine (hölzerne) Kuppel
mit Rundfenstern. — Papst Hilarius a. 461—467 fügte dem Oktogon
einige Anbauten hinzu ; zuerst das noch bestehende kreuzförmige Ora-
torium des hl. Johannes Ev., dem gegenüber das des hl. Johannes
') Vgl. Isabelle edif. circ. p. 77 ff. , welcher annimmt , das Baptisterium zu Riez
sei ein antiker Monopteros, uro welchen in christlicher Zeit der Umgang herumgebaut
worden wäre. Sehr fraglich.
s) Kohault de Fleury : Le Latran, p. 418, weist mit grosser Wahrscheinlichkeit
nach, dass der Lafreri'schc Kupferstich den Zustand vor der Restauration unter Paul III.
wiedergiebt.
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Baptista, ebenfalls kreuzförmig l) , ferner eines zum heiligen Kreuz,
freistehend, auf Fig. 4 rechts sichtbar, endlich ein dem hl. Stephanus
Protomartyr geweihtes. Dieses vermutlich die jetzt Oratorio di S. Ve-
nanzio genannte Vorhalle. — Rohault de Fleury, le Latran au moyen
äge. Paris 1877. 2° u- 8°-
STA. COSTANZA an der via Nomentana bei ROM (Taf. 8, Fig. i, 2)
das Grabmal der Constantia, der Schwester Konstantins d. Gr., und anderer
Mitglieder der kaiserlichen Familie, a. 1256 unter Alexander IV. zur
Kirche geweiht. Das bedeutendste Monument der Gruppe. Die Ge-
samtanlage, namentlich die Zwölfzahl der Stützen erinnert an die von
Bramantino gezeichneten antiken Rundbauten. Bei den grossen Di-
mensionen und Mauerdicken ist der Mittelraum von radial gestellten
Säulenpaaren umgeben, welche oben durch ein Gebälkstück verbunden
sind. Ueber dem hohen, von zwölf Fenstern durchbrochenen Tambour
erhebt sich eine Kuppel aus Gusswerk (Taf. 39, Fig. 4) mit einem
mittleren Opäon. Die kreisförmige Umfassungsmauer durch Nischen
zur Aufnahme der Sarkophage belebt. Das den Umgang Uberdeckende
ringförmige Tonnengewölbe beginnt, in antiker Weise, erst über den
Scheidebögen. Das Gebäude war früher aussen von einem überwölbten
Portikus umgeben, unter welchem Treppen nach einem Hypogäon
führten. Vor dem Eingange eine Vorhalle ähnlich der des lateranischen
Baptisteriums. Bemerkenswert ist die Gruppierung der inneren Arkaden,
den Hauptaxen entsprechen grössere Bögen, zwischen welchen je zwei
kleinere stehen. Wie die Komposition und Konstruktion, so war auch
die ursprüngliche Dekoration von Sta. Costanza dem heidnisch antiken
Ideenkreise entnommen. In der Kuppel, von deren Ausschmückung
Ciampini, vetera monimenta, Tom. I, Tab. I, eine Abbildung überliefert
hat, waren Panther, Karyatiden u. dgl. mit zwischenstehenden Genre-
szenen dargestellt, Fig. 2, und ganz entsprechend ist das Tonnen-
gewölbe des Umganges geschmückt. — Den vor dem Gebäude befind-
lichen oblongen Raum halten einige für einen Zirkus zur Veranstaltung
von Leichenspielen, andre für einen Campo Santo aus saec. 7, was
dahingestellt bleiben muss.
STA. MARIA MAGGIORE BEI NOCERA (Taf. 8, Fig. 3, 4), ein
Baptisterium. Ein Sechzehneck, bei welchem eine Seite übersprungen
ist, um einen freieren Durchblick nach der Apsis zu ermöglichen. Die
Wölbung beginnt sofort über den Scheidebögen, setzt aber unter den
Fenstern ab und ist von da mit einem kleineren Radius fortgeführt.
') In unsrem Grundrisse unrichtig. Das Skizzenbuch des Bramantino enthält auf
Taf. 30, 41, 43, 44 und 46 das Baptisterium mit den genannten Oratorien, jedes auf
einem Blatt, das in Rede stehende auf Taf. 41.
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
35
Von den Säulen gehen Bögen nach Pfeilern, welche von der Um-
fassungsmauer nach innen vortreten. Diese Bögen sind bis zum Ab-
sätze der Kuppel übermauert und bilden eine Art Strebesystem, ähn-
lich dem von S. Vitale zu Ravenna. Die Gewölbekappen zwischen
diesen Bögen schneiden die Obermauer des Mittelraumes über den
Scheidebögen — vgl. die richtigere Darstellung Taf. 39, Fig. 15. —
Vergleichen wir dieses Gebäude mit Sta. Costanza, so beschränkt sich
die oft hervorgehobene Aehnlichkeit auf die allgemeine Grundriss-
disposition und die radial gestellten Doppelsäulen. Die Form des
Aufbaues und die Konstruktion sind wesentlich verschieden, so dass
von einer direkten Nachahmung kaum gesprochen werden darf.
EZRAH IN ZENTRALSYRIEN (Taf. 8, Fig. 5). Laut Inschrift
a. 512 vollendet, zwei konzentrische Achtecke in ein Quadrat ein-
geschrieben, das Innere trägt auf Pfeilern einen Tambour und — mittels
Uebertragung — eine runde Kuppel. Aehnlich und fast gleichzeitig
Bosrah.
BRESCIA: LA ROTONDA (Taf. 7, Fig. 6). Im Anfang des
7. Jahrhunderts (612) gegründet. Sehr einfacher Pfeilerbau. Das Ge-
wölbesystera des Umganges analog S. Fedele zu Como und Aachen.
Dartein a. a. O., PI. 21, 22, S. 45 ff. Mothes, B. d. M. S. 244 ff., mit gut
restauriertem Grundriss.
5. Die heilige Grabkirche und Verwandtes.
Als eine besondere Gruppe der Rotunden mit inneren Umgängen
müssen die von Konstantin und Helena in Jerusalem über den heiligen
Orten errichteten Kirchen und ihre unmittelbaren Nachahmungen
zusammengefasst werden. Geographisch ausserhalb des von uns behan-
delten Gebietes gelegen, sind sie wegen des Einflusses, den sie fort-
dauernd auf den abendländischen Zentralbau geübt haben, hier aufzu-
nehmen.
Ihrer Idee und ursprünglichen Bestimmung nach sind sie keine
Gemeinde-, sondern Denkmalkirchen, und gerade die ältesten sind als
Temenoi zu betrachten, welche ein besonderes Heiligtum umschliessen.
Ein oder zwei Portiken umgeben den oben offenen Mittelraum, in
welchem sich der heilige Ort (das Grab, der Stein mit der heiligen
Fussspur u. dgl.) befindet. Es ist eine für das Einzelgebet oder für
besondere Feierlichkeiten bestimmte Form ; für den liturgischen Gottes-
dienst, dessen Ritual auf ganz andere Raumdispositionen berechnet war,
ist sie so ungeeignet als möglich.
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J
Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Auch hier scheint die christliche Architektur einem altorientalischen,
oder wenigstens einem in der Diadochenzeit vorkommenden Motive sich
angeschlossen zu haben. Die Beschreibung, welche Marcus, der Schüler
des Porphyrius, in der Vita seines Lehrers von dem MARNION, dem
Haupttempel zu GAZA, giebt, lässt sich unmittelbar auf die Denk-
malskirche in Jerusalem anwenden. Sie lautet, Acta SS. Febr. (27)
Tom. II, p. 643 ff.: Erat enim formae rotundae, circumdatum duabus porti-
cibus se invicem interius subeuntibus; ejus vero medium erat ad emit-
tendos vapores constitutum, septentrionaleque (?) et extensum in altum.
Habebat autera quaedam etiara alia (?), quae decebant simulacra, apta
ad execranda illa et nefaria, quae fiebant ab idolatris . . . Die weiter
hin folgende Erzählung der im Jahre 400 durch Porphyrius ausgeführten
Zerstörung des Tempels erregt freilich über das einzelne einige Zweifel,
die allgemeine Disposition aber, zwei kreisförmige Portiken mit einem
hypäthralen Mittelraum ist mit genügender Deutlichkeit zu erkennen.
K. B. Stark, Gaza und die philistäische Küste, S. 599; Sepp, Die Felsen-
kuppel, S. 46, wo zuerst auf die Verwandtschaft mit den Denkmals-
kirchen in Jerusalem hingewiesen ist.
DIE HEILIGE GRABKIRCHE ZU JERUSALEM. Gegründet durch
Konstantin den Grossen a. 326 wurde die Kirche zerstört bei der Ein-
nahme Jerusalems durch Chosroes II. von Persien a. 614. Unmittelbar
nach dem Abzüge der Perser unternahm der Mönch Modestus den
Wiederaufbau, welchen er mit Unterstützung des Patriarchen von Ale-
xandria innerhalb 15 Jahren vollendete. Mehrfach restauriert, einmal
aus Beiträgen Karls des Grossen, wurde der Bau des Modestus im
Jahre 1010 auf Befehl Hakem Biamr Illahs, Sultans von Aegypten, zu-
gleich mit den andern Kirchen Jerusalems wieder zerstört. Doch schon
im folgenden Jahre gestattete Hakem auf Vermittelung seiner christ-
lichen Mutter die Wiederherstellung, an der sich weiterhin die byzan-
tinischen Kaiser beteiligten. A. 1099 wurde Jerusalem durch die Kreuz-
fahrer erobert, und um das Jahr 1 130 an die Rotunde das noch bestehende
Langhaus angebaut. Dieser Komplex bestand wenig verändert bis zu
einem Brande im Jahre 1808. Die darauffolgende Restauration hat die
alte Anlage entstellt, doch nicht so unkenntlich gemacht, dass sie nicht
mit Hilfe der Aufnahmen von B. Amico, Trattato delle piante . . . dei
sacri edificii di Terra santa, Roma 1609, und C. de Bruyn. reizen
door de vermaardste deelen van Klein Asie, Delft 1694, Taf. 144,
mit genügender Sicherheit sich restaurieren Hesse. — Von den Bauten
Konstantins giebt Eusebius, vita Constantini III, 34 ff., eine eingehende,
aber keineswegs klare Beschreibung. An eine fünfschiffige Basilika
schloss sich westlich ein auf drei Seiten von Portiken umgebener Hof
an, an dessen Westseite der Rundbau der Anastasis stand. Die An-
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
37
gaben des Eusebius sind nicht ausreichend, um auf sie eine einiger-
massen zuverlässige Restauration der allgemeinen Anlage zu begrün-
den. — Modestus, auf geringe Mittel angewiesen, beschränkte sich
auf den Wiederaufbau der Anastasis, während er die früher von der
grossen Basilika umschlossenen heiligen Orte (Golgatha etc.) mit ge-
trennten Kapellen überbaute. Mittelalterliche Pilger haben uns mehr-
fach Notizen über die Kirche in dieser Periode hinterlassen; besonders
wichtig ist die von Adamnanus aufgezeichnete Beschreibung St. Arculphs,
Acta SS. O. S. B. saec. 3, Pars II, S. 505 ff., welche von einer
rohen Planskizze begleitet ist. (Vgl. Taf. 9, Fig. 1, Nebenfigur.) Die
Kirche war ein Rundbau mit zwei Umgängen, je vier Thore führten
von NO. und SO. in dieselbe, drei Altäre standen in Apsiden der
Mittelmauer (tria quoque altaria in tribus locis parietis medit artifice
fabricatis), 12 Säulen stützten den mittleren Tambour, welcher mit einem
hölzernen oben offenen Dache (so schon die konstantinische Auastasis)
bedeckt war. In der Mitte unter einem Tugurium das heilige Grab.
Vergleichen wir den Plan und Text Arculphs mit der Kirche, wie sie
sich später gestaltet hat, so sehen wir sofort die drei vielleicht schon
von dem konstantinischen Bau herrührenden Apsiden und das mittlere
Tugurium ; so weit hat die allgemeine Restauration keine Schwierigkeiten.
Anders liegt die Sache hinsichtlich des zweiten Umganges. Text und
Zeichnung stimmen über denselben überein, die Konfiguration des
Terrains, das sich an der Aussenseite westlich um 8— 9m erhebt,
schliesst die Möglichkeit eines solchen Umganges aus. De Vogue"
nimmt einen halbrunden äusseren Portikus an. Eine Analogie würde
S. Fosca auf Torcello bieten.
Die auf die zweite Zerstörung folgende Gestalt der Kirche (Taf. 9,
Fig. 1 u. 2), welche durch die Bauten der Kreuzfahrer nicht wesent-
lich alteriert wurde, schliesst sich der früheren an, doch wurde die
Rundung des Umganges nicht festgehalten (vgl. auf dem Grundriss die
schwarzen Teile), sondern östlich in ein gerades Atrium übergeführt,
an welches sich südlich und nördlich kleine Kapellen und später der
Bau der Kreuzfahrer anschlössen. Der Umgang war zweigeschossig.
Die Gruppierung ist aus dem Schnitt ersichtlich.
DIE HIMMELFAHRTSKIRCHE AUF DEM OELBERGE (Taf. 10,
Fig. 1). Gleichfals eine konstantinische Gründung, hat sie ähnliche
Schicksale gehabt, wie die heilige Grabkirche. Jetzt sind nur noch
geringe Reste vorhanden. — Ihren Zustand im saec. 8 lernen wir aus
der Beschreibung und Planskizze Arculphs, Acta SS. O. S. B. saec. 3,
Pars II, p. 509, so weit kennen, dass eine Restauration des Grundrisses
versucht werden kann. Arculph beschreibt sie: In toto monte Oliveti
nullus alius locus altior esse videtur illo, de quo Dominus ad caelos
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
adscendisse traditur. Ubi grandis ecclesia stat rotunda, ternas per cir-
cuitum cameratas habens porticus desuper tectas. Cujus videlicet ro-
tundae ecclesiae interior domus sine tecto et sine camara, ad caelum
sub aere nudo aperta patet, in cujus orientali parte altare sub angusto
protectum tecto constructum exstat. ... In der Mitte befand sich unter
freiem Himmel der Fels, von dem aus der Herr gen Himmel gefahren
ist und auf welchem seine Fussspuren zurückgeblieben sind, sowie ein
Altar unter einem Ciborium. Zwei Umgänge umgaben den Mittelraum,
von Osten her führten drei Thore in das Innere.
Wir haben bei unserer Restauration eine Gruppierung von Pfeilern
und Säulen angenommen analog dem Felsendome, in welchem wir eine
Nachahmung dieser Kirche, erbaut über der Stelle, von der aus Moham-
med seine Reise durch die Himmel begonnen hatte, vermuten ; ja viel-
leicht war die Himmelfahrtskirche schon ursprünglich achteckig, wenig-
stens hat die Erneuerung durch die Kreuzfahrer diese Form.
DIE MARIENKIRCHE IM THAL JOSAPHAT, in der die heilige
Jungfrau zwischen ihrem Tode und ihrer Himmelfahrt ruhte. Eine sehr
alte Gründung, erwähnt im Beginne des saec. 5. Adamnanus 1. c. p. 507.
Arculphus sanctae Mariae ecclesiam in valle Josaphat frequentabat :
cujus dupliciter fabricatae inferior pars sub lapideo tabulato mirabili
rotunda structura est fabricata ... in superiore igitur aeque rotunda
ecclesia Mariae, quattuor altaria inesse monstrantur. . . . Bernhardi
monachi Franci itinerarium DCCCLXX Acta SS. O. S. B., saec. 3,
P. II, 525: In ipsa quoque villa (Gethsemani) in valle Josaphat est
ecclesia S. Mariae rotunda, ubi est sepulcrum illius, quod supra se
tectum non habet, pluviam minime patitur.
DER FELSENDOM AUF MORIAH (MOSCHEE OMARS, KUB-
BET ES SAKKRAH) (Taf. 10, Fig. 2, 3), an dem Orte des salomo-
nischen Tempels. In Erinnerung an die Himmelsreise Mohammeds von
Omar a. 638 gestiftet. Der jetzt bestehende grossartige Kuppelbau
errichtet unter dem zehnten Kalifen Abd el Melik (a. 688—691). Das
Datum ist inschriftlich beglaubigt. A. 1099 kam der Felsendom in die
Hände der Christen, hier wurde der Templer-Orden gegründet und seine
Mitglieder zu Hütern des Tempels (Templum Domini) bestellt. Der
Tempel, das Symbol des Ordens, wurde typisch für die Templerkirchen;
dem Volke galt er als der Tempel Salomons, die Vorstellungen von
dem Tempel des heiligen Grabes gehen auf ihn zurück, von ihm
sind die gotischen Zentralbauten auf den Gemälden der flandrischen
Maler inspiriert, und noch Raphael stellt im »Sposalizioc den Tempel als
einen Zentralbau nach dem Vorbilde des Felsendomes dar. — Die Anlage
des Gebäudes ist eine besonders glückliche. Der Mittelraum ist kreis-
förmig, aber durch 4 starke Pfeiler, zwischen welchen je 3 Säulen stehen,
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
39
sind 2 aufeinander senkrechte Axen markiert, wodurch nicht allein be-
stimmte perspektivische Richtungen, sondern auch eine angenehme Grup-
pierung der Arkaden gegeben ist. Der erste Umgang ist von einem Acht-
eck umschlossen, dessen Ecken wiederum durch Pfeiler gekennzeichnet
sind, zwischen welchen je 2, also im ganzen 16 Säulen stehen, den zweiten
Umgang umschliesst die achteckige Umfassungsmauer. Die Arkaden des
mittleren Kreises sind sehr schlank (um das Verhältnis klar hervortreten
zn lassen haben wir im Schnitt den mittleren Felsen weggelassen); die
Säulen und Kapitelle älteren Monumenten entnommen, einige mit einem
Kreuz auf der Deckplatte; die Bögen, jetzt leicht zugespitzt, waren
früher halbkreisförmig (De Voguö, Le Temple de Jerusalem, S. 94).
16 Fenster in der Obermauer beleuchten den Mittelraum. Die Mauer-
dekoration ist, wie die ganze Anlage, byzantinisch, nur die Holzkuppel,
auf einer leichten Zwerggalerie sich erhebend, ist in Konstruktion und
Dekoration arabisch. Die Arkaden des Umganges sind von hölzernen
Architraven überspannt, über welchen sich Rundbögen Öffnen, ein Motiv,
das von der byzantinischen Architektur in die des Islam übergeht
(vgl. auch Taf. 7, Fig. 4, das lateranische Baptisterium). Vier Thore
Öffnen sich nach den vier Himmelsgegenden.
Der Felsendom ist nicht nur das hervorragendste Monument dieser
Gruppe, sondern er zählt unter die bedeutendsten Baudenkmäler aller
Zeiten. Hierüber sind alle einig, welche ihn aus eigener Anschauung
kennen, und die Aufnahmen lassen wenigstens ahnen, worin seine
Vorzüge beruhen. Reichtum und Klarheit der Komposition, fein
abgewogene Proportionen, eine reiche, trotz stilistischer Verschieden-
heiten harmonische Dekoration bedingen den Eindruck des Gebäudes,
welchem an perspektivischem Reichtum wenige gleichkommen mögen.
Die (im engeren Sinn) architekturgeschichtliche Würdigung des
Felsendomes wird von den um seine Entstehung geführten Kontro-
versen nicht eigentlich betroffen. Die letzteren haben indessen auch
ein prinzipielles Interesse. Zu dem ebenso verbreiteten wie schädlichen
Irrtum, dass ein für christliche Kultzwecke bestimmtes Gebäude not-
wendig die Merkmale »christlichen Geistes« tragen müsse, kommt hier
ein zweiter analoger in Betreff des Islam hinzu. Wir können die Ver-
suche, den Felsendom als »konstantinische Anastasis« oder als »eine
justinianische Sophienkirche« u. s. w. in Anspruch zu nehmen, keines-
wegs für geglückt halten. Die richtige und ungezwungene Lösung der
Frage hat schon de Vogue" gegeben. Der Felsendom ist ein byzan-
tinischer Bau, ausgeführt von byzantinischen Meistern für einen arabi-
schen Kalifen, und die Gründe, die er a. a. O. S. 82 beibringt, sind für
jeden Unbefangenen völlig überzeugend.
Digitized by üH^glö*
40
Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Der Typus für kirchliche Denkmalsbauten bleibt also in Palästina
jahrhundertelang konstant. Die hohe Verehrung, welche die heiligen
Stätten genossen, musste Nachahmungen veranlassen. Das heilige Grab
und der Felsendom fanden solche nicht selten im späteren Mittelalter,
und es wird seines Ortes auf dieselben zurückzukommen sein. Aus
frühchristlicher Zeit erfahren wir wenig von solchen, noch weniger hat
sich erhalten.
NICAEA. Ueber die Kirche, in welcher das Nicäische Konzil ab-
gehalten wurde, erfahren wir — vita S. Willebaldi, Acta SS. O. S. B.,
saec. 3, P. II, p. 379: Et inde (Constantinopoli) venit ad urbera
Nicaenam, ubi olim habebat Caesar Constantinus synodum ... Et illa
ecclesia sirailis est Uli ecclesiae in monte Oliveti, ubi Dominus adscendit
in caelum. Et in illa ecclesia erant imagines episcoporum qui erant ibi
in synodo.
SANTO STEFANO ROTONDO auf dem Caelius zu ROM (Taf. 11,
Fig. 1 u. 2). Ein Rätsel in der Baugeschichte der Stadt. Analoga
aus frühchristlicher Zeit finden sich nicht in Rom. Man hat deshalb in
dem Gebäude eine antike Gründung erkennen wollen und verschiedene
Benennungen in Vorschlag gebracht. Seitdem die Topographen der
Renaissance die Stelle der Mirabilien: Stefanus rotundus fuit templum
Fauni, welche den sogen. Vestatempel (Santo Stefano alle Carrozze) bei
Bocca della veritä meint, irrtümlich auf die Kirche auf dem Caelius
bezogen haben, hat sich dieser Irrtum hartnäckig behauptet. Andere
sehen in ihr einen Tempel des Claudius nach der Notitia. Endlich gilt
es, namentlich bei französischen Archäologen für einen Raum im ma-
cellum grande des Nero, wofür gleichfalls die Regionenbeschreibung und
eine Münze (Agincourt, Architektur, Taf. 22) angeführt wird. — Bunsen
hat (Beschr. d. St. Rom, III, 1, S. 496) zuerst den altchristlichen Ursprung
bestimmt behauptet, und seit Hübsch gilt Santo Stefano rotondo als ein
Hauptbeleg für die grossartig erfinderische Phantasie der altchristlichen
Architekten. Wohl ist — namentlich von Fergusson a. a. O. p. 1 10, 1 1 1 —
die Verwandtschaft mit den Monumenten Jerusalems schon früher klar
ausgesprochen worden, allein diese Thatsache wurde keineswegs all-
gemein anerkannt, und Rahn a. a. O. S. 55, 56, lehnt jeden auswärtigen
Einfluss ab. — Ein vergleichender Blick auf die Tafeln 9—11 lässt
jedoch die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe sofort unzweifelhaft er-
kennen. — Ueber die Einweihung eine kurze Notiz beim Anastasius:
hic (Simplicius) dedieavit Basiiicam Sti. Stefani in Caelio monte — ist
alles, was über die Gründungszeit überliefert ist. Mauertechnik und
Formbehandlung widersprechen dieser Angabe nicht (Simplicius war
Papst a. 467—483). Es ist wenig, was wir erfahren und an dem
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
41
Monumente konstatieren konnten, genügt aber, um darauf eine Ver-
mutung zu begründen, welche den Bau mit dem sinkenden Hause des
grossen Theodosius in Beziehung setzt und in ihm das letzte von west-'
römischen Imperatoren unmittelbar vor dem Sturze des Reiches er-
richtete Denkmal erkennt. Im Jahre 421 hatte sich Theodosius II.
mit der athenischen Philosophentochter Athenais vermählt. Sie war
zuvor zum christlichen Glauben übergetreten und hatte den Namen
Eudokia angenommen. Die Taufe fand in Konstantinopel statt in der
Kirche des Protomartyrs Stephanos, dem sie stets eine hohe Verehrung
bewahrte, und dem sie bei ihrem unfreiwilligen zweiten Aufenthalte in
Jerusalem eine Meile vor der Stadt, an der Stelle wo er begraben war,
eine prächtige Kirche errichtete (De Vogue", e"gl. d. 1. terre sainte, p. 332).
Ueber die Gestalt der frühe zerstörten Kirche ist uns nichts überliefert,
doch ist ein Rundbau um so wahrscheinlicher, als die Kirche den
gleichen Zweck hatte, wie die andern Denkmalskirchen in Jerusalem,
und überdies zur Grabkirche der Kaiserin bestimmt war, in der sie
denn auch nach ihrem a. 460 erfolgten Tode bestattet wurde. Neben ihr
wurde etwa zehn Jahre später ihre Enkelin Eudokia bestattet, ihre zweite
Enkelin Placidia aber vermählte sich in Konstantinopel mit dem vor-
nehmen Römer Olybrius, der nach dem Tode des Anthemius unter
Ricimer zum Imperator des Westreiches erhoben wurde (a. 472). Ihr, die
vielleicht selbst das Grab der Grossmutter besucht und die heiligen
Stätten in Jerusalem gesehen, sicher aber durch ihre Schwester Be-
ziehungen zu der heiligen Stadt hatte, möchten wir die Gründung von
Santo Stefano rotondo zuschreiben, das dem Protomartyr gewidmet ist,
wie die Grabkirche ihrer Grossmutter und dessen Form bestimmt nach
Jerusalem weist. Noch waren damals, mit einer Ausnahme (Santa Maria
maggiore), alle grösseren kirchlichen Bauunternehmungen nicht von den
Päpsten, sondern von den Imperatoren ausgegangen, und kurz nach
der Plünderung durch die Vandalen mochten jene auch zu einem so
grossen Unternehmen nicht in der Lage sein. Die Vollendung des
Baues hat Placidia aber sicher nicht in Rom erlebt, denn schon nach
7 Monaten starb Olybrius, und sie kehrte nach Byzanz zurück. — Der
Grundriss von Santo Stefano rotondo besteht, wie bei den eben
betrachteten Monumenten aus einem System konzentrischer Kreise in
Verbindung mit 2 aufeinander senkrechten Hauptaxen. Letztere sind
im mittleren Kreise nicht markiert; derselbe enthält 22 jonische Säulen
mit geradem Gebälke, über dem sich eine sehr hohe Obermauer erhebt.
Von dem zweiten Kreise gehen, den Hauptaxen entsprechend, 4 Kreuz-
arme nach der Umfassungsmauer. Vor den Kreuzarmen stehen je
4 korinthische durch Bögen verbundene Säulen, in den Zwischenräumen
je 5 niedrigere jonische Säulen gleichfalls von Bögen überspannt. Sämt-
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
liehe Säulen des äusseren Kreises haben Kämpferaufsätze. Zwischen
den Kreuzarmen erstreckten sich überwölbte Vorräume, von denen man
in schmale Höfe und ins Freie gelangte. Die Kirche wurde von
Johann I., Felix IV. und Hadrian I. reich mit Marmor und Mosaik
geschmückt, geriet jedoch in der Folgezeit sehr in Verfall, so dass
unter Nikolaus V. eine Restauration nötig wurde. Das Skizzenbuch
des Bramantino enthält auf Blatt 39 eine Zeichnung, welche als »Santo
Stefano aretondo primache alfuse aretifichato« (Santo Stefano rotondo
vor der Restauration) bezeichnet ist; diese Bezeichnung ist indes irr-
tümlich, das Blatt enthält vielmehr eine Skizze für die Restauration —
von L. B. Alberti? — Nach dieser war beabsichtigt, den zweiten Säulen-
kreis mit einer Mauer mit Pilastern hinter jeder Säule zu umgeben und
in den vier Hauptrichtungen Eingänge mit Vorhallen anzubringen. Der
Entwurf ist ganz im Geiste der Renaissance gedacht, zur Ausführung
ist er nicht gelangt, man begnügte sich vielmehr damit, den äusseren
Säulenkreis, mit Ausnahme einiger zu Kapellen eingerichteten Zwischen-
räume, zu vermauern. — Beschr. d. St. Rom, III, 1, S. 496. Isabelle,
im Text p. 85 ff., eine nicht unwichtige Bemerkung über die ursprüng-
liche Höhe des Tambours.
S. ANGELO IN PERUGIA (Taf. 11, Fig. 3, 4, 5), wahrscheinlich
aus dem 6. Jahrhundert, eine verkleinerte Nachbildung von Santo
Stefano rotondo. Hier sind die Hauptaxen schon im mittleren Säulen-
kreise angedeutet durch weitere Bögen und grössere Säulen, welche auf
dem Boden ruhen, während die zwischenstehenden auf Postamente
gesetzt sind. In der Umfassungsmauer sind noch Fragmente des zweiten
Säulenkreises zu sehen, desgleichen bestehen noch Fundamente der
Kreuzarme und (nach Isabelle) der Eingänge, so dass eine ideale Re-
konstruktion des Grundrisses versucht werden kann (Fig. 4).
S. DONATO ZU ZARA (Taf. 9, Fig. 4, 5). Angeblich eine Grün-
dung des heiligen Donatus, eines Zeitgenossen Karls des Grossen, und
früher der heiligen Dreieinigkeit geweiht. Ein enger Raum mit unverhält-
nissmässig starken Pfeilern von ungleicher Breite und 3 Apsiden, die
3 Arkaden vor diesen auf antiken Säulen ruhend. Der Umgang hat
2 Geschosse, wovon das obere durch eine aussen angebrachte, ihrer An-
lage nach dem Bau gleichzeitige Treppe zugänglich ist. Das Ganze, in
allem Technischen befangen und ängstlich, hängt in seiner Grundidee
doch mit der hl. Grabkirche zusammen und schliesst sich dieser näher
an als die meisten Kirchen, welche als hl. Grabkirchen bezeichnet
werden. — Eitelberger, im Jahrb. d. Centr.-Comm. 1861. Neue (für
uns leider nicht mehr benutzbare) Aufnahme von Hauser in Mitt. d.
Centr.-Comm. 1882.
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
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S. MICHAEL ZU FULDA (Taf. 9> Fig. 4, 5). A. 820—21 auf dem
nördlich der Klosterkirche gelegenen Begräbnisplatze der Ordensbrüder
.von Eigil erbaut Rotunde mit Umgang. Der innere Mauercylinder auf
8 Säulen mit antikisierenden Kapitellen und Kämpferaufsätzen ruhend,
war ursprünglich von einer Kuppel Uberdeckt. In der Mitte stand eine
Nachbildung des Tuguriums mit dem heiligen Grabe. — Der obere
Umgang (?) und das Langhaus aus saec. 1 1 . Die hl. Grabkirche hat nur
ganz allgemein als Vorbild gedient. — v. Dehn-Rotfelsen , Kurhess.
Bdkm.
Noch weniger schliesst sich die S. MAURITIUSKAPELLE AM
DOME ZU KONSTANZ (Taf. 49, Fig. 17), welche gleichfalls ein
heiliges Grab enthält, jenem Vorbilde an; ein ganz einfacher Mauer-
kreis, erbaut von Bischof Konrad (f 976), im saec. 15 gotisch überwölbt.
STA. SOFIA ZU BENEVENT (Taf. 9, Fig. 3), gestiftet a. 774 von
Arrichis, einem der letzten Langobardenherzoge, neben seinem Palast.
Rundbau, an den sich ein rechteckiger Fassadenbau anschliesst, ähn-
lich dem Atrium der hl. Grabkirche; 6 antike Säulen, unregelmässig
gestellt, tragen eine modernisierte Kuppel. Der zweite Säulenkreis ent-
hält 10 Säulen. — H. W. Schulz, Denkmäler der Kunst des M.-A. in
Unteritalien.
Endlich ist hier das BAPTISTERIUM ZU PISA zu erwähnen, in
der Gruppierung von Säulen und Pfeilern, dem zweigeschossigen Um-
gange und der konischen, ehemals oben offenen Kuppel vielleicht die
strikteste Nachbildung der hl. Grabkirche, deren Motive hier mit künst-
lerischer Freiheit zu einem neuen selbständigen Ganzen umgebildet
sind. Erbaut um a. 11 53 von Diotisalvi. Der Grundriss (Taf. 9, Fig. 6)
zeigt links das untere, rechts das obere Geschoss. Eingehenderes wird
in Buch II folgen. — Rohault de Fleury, Monuments de Pise, PI. 18 — 21.
S. SEPOLCRO ZU PISA, gleichfalls von Diotisalvi, ein Achteck
mit Umgang, steht dem Vorbilde weit ferner. Rohault a. a. O. PI. 17.
6. Kreuzförmige Anlagen (griechisches Kreuz).
Dem Sprachgebrauche folgend fassen wir in diesem Abschnitte
zwei Gebäudegruppen zusammen, welche ganz verschiedene Ausgangs-
punkte haben und bei streng konsequenter Systematik getrennt zu
behandeln wären. Die erste, runde oder quadratische Räume mit 4 den
Hauptaxen entsprechenden Nischen befassend, ist eine Unterabteilung
der einfachen Rotunde. Wenn diese Form von heidnisch-antiken Grund-
motiven ausgeht, so wird doch die symbolische Beziehung auf das
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Kreuz des Erlösers Anlass zur weiteren Ausbildung, Verlängerung der
Kreuzarme gegenüber den antiken Vorbildern und selbständiges Vor-
treten derselben nach aussen. Es ist die Form, welche in der früh-
christlichen Litteratur im vorzugsweisen Sinne als kreuzförmig be-
zeichnet wird. Eine grosse Verbreitung hat dieselbe indes nicht gefunden,
noch auch ist aus ihrer Weiterentwicklung die kreuzförmige romanische
Basilika hervorgegangen (vgl. Buch II, Kap. I, Abschnitt 3).
Kreuzförmige Anlagen sind, wie im Altertum, vorzugsweise für
Grabkirchen beliebt, ohne dass ihre Verwendung für andere Zwecke
ausgeschlossen wäre.
VILLA ADRIAN A, drei Räume von kreuzförmigem Grundriss (Taf. 12,
Fig. 1) zeigen das Vorkommen des Motives im antiken Profanbau.
Antike Grabmäler (b. Canina: La prima parte della Via Appia, Roma
1853, Tom. II, Tav. II, VI, VII; auch sonst publiziert) verbinden die
Kreuzform des Inneren mit rundem Aussenbau. Analog ist im unteren
Geschosse des GRABMALS THEODERICHS ZU RAVENNA (Taf. 3,
Fig. 9, 10) der innere Raum kreuzförmig, das Aeussere polygon. An
der KAPELLE DES ERZBISCHÖFLICHEN PALASTES ZU RA-
VENNA aus saec. 5 (Taf. 12, Fig. 2, 3) ist das Aeussere rechteckig,
ebenso in der CAPELLA DI S. ZENONE BEI STA. PRASSEDE
ZU ROM (Taf. 16, Fig. 1).
Aehnlich, aber durch Säulen und Gurtbögen unter der Vierung etwas
reicher gegliedert, ist die CAPELLA DI S. IPPOLITO BEI S. LO-
RENZO IN MAILAND (Taf. 14, Fig. 3. Schnitt bei Hübsch, PI. XIV,
Fig. 14). Eine Anzahl ähnlicher Kapellen stand auf der Nord- und
Westseite der alten Peterskirche (Taf. 18). Ferner zwei Kapellen neben
dem lateranischen Baptisterium (Taf. 7, Fig. 3), S. Tiburtio bei Rom
und andere.
Die APOSTELKIRCHE ZU KONSTANTINOPEL, welche Kon-
stantin d. Gr. als Begräbnisstätte für sich und seine Familie erbaut
hatte, war eine grossartige Anlage von der Form eines griechischen
Kreuzes, über deren Einzelheiten sich jedoch nichts Genaueres mehr
ermitteln lässt. Ob wir in S. NAZARO GRANDE ZU MAILAND
eine Nachbildung dieser Kirche zu erblicken haben, mag dahingestellt
bleiben, ist indes nicht ganz unwahrscheinlich. Die Kirche wurde
a. 382 von Ambrosius in Kreuzform erbaut (nach einer von Landulph
M. G. SS. VIII, p. 40, mitgeteilten Inschrift) und behielt diese Grund-
form nach einem Neubau von a. 1075 De'* Sie war ursprünglich
den Aposteln geweiht und erhielt erst a. 396 den Titel des hl. Nazarius.
In dem jetzigen Gebäude ist nichts, was über das saec. 11 zurück-
reichte.
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
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S. NAZARIO E CELSO, die Grabkapelle der Galla Placidia
ZU RAVENNA (Taf. 12, Fig. 4, 5), stand in Zusammenhang mit der
gleichfalls kreuzförmigen, nicht mehr bestehenden Kirche zum heiligen
Kreuz (vgl. den Grundriss), welche vielleicht eine Nachbildung der
Apostelkirche zu Mailand war (H. Graf, opus francigenum, S. 93).
Auch das erhaltene Mausoleum hat im Grundriss grosse Aehnlichkeit
mit der Mailänder Kirche. Die Kreuzarme mit Tonnen überwölbt, der
Mittelraum höher geführt und mit einer auf sehr unschön vorgekragten
Tragebögen ruhenden Hängekuppel überdeckt. Die musivische Aus-
schmückung dieses in formaler Hinsicht sehr ärmlichen Bauwerkes
gehört zum Besten jener farbenprächtigen Dekorationsweise, und ver-
leiht bei günstiger Beleuchtung dem kleinen Räume einen hohen
Stimmungsreiz.
Das BAPTISTERIUM ZU VALENCE (Dröme) (Taf. 12, Fig. 6),
nur im Grundriss erhalten. Dagegen vollständig erhalten ein altchrist-
liches BAPTISTERIUM südlich neben STA. GIUSTINA ZU PADUA.
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Kreuzförmig, über dem quadratischen Mittelraume eine achteckige
Kuppel. Der Uebergang zum Achteck durch Trorapen vermittelt.
Bei der zweiten Gruppe der als kreuzförmig bezeichneten Räume
wird ein rechteckiger oder quadratischer Raum durch 4 Stützen in
9 Felder geteilt. Als Prototyp dieser Form und als Ausgangspunkt
für die Entwicklung kann das Atrium Tetrastylum (Taf. 12, Fig. 7)
angesehen werden. Freilich kann dieselbe auf dieser Stufe noch kaum
als Zentralbau gelten, wird es aber in der Folge dadurch, dass das
mittlere Feld den Aufbau beherrscht und die übrigen je nach ihrer
Lage ihm mehr oder weniger untergeordnet werden. Ein erster Schritt
ersetzt die weitgespannten Architrave ganz oder teilweise durch Bögen
und bringt über diesen eine Flachdecke an. Weiterhin werden die über
den seitlichen Intercolumnien beibehaltenen Architrave (Taf. 13, Fig. 1, 2),
oder die Uebermauerung entsprechender Bögen (Taf. 13 passim) als
Auflager für die Tonnengewölbe verwendet, welche die den 4 Haupt-
axen entsprechenden Felder überdecken und ihrerseits dem den Mittel-
raum überdeckenden Gewölbe als Widerlager dienen. Hier kommen
die zentralen Beziehungen schon sehr klar zum Aus-
druck. Endlich entwickelt sich diejenige Form,
welche als Typus der späteren byzantinischen
Kirchen die weiteste Verbreitung gefunden hat.
Vier sich kreuzende Tonnengewölbe, über ihrer
Vierung eine Kuppel auf lichtbringendem Cylinder,
über den Eckfeldern kleinere Kuppeln ohne solchen.
Auch im Abendlande findet die Form unter direktem
Einfluss des Ostreiches Aufnahme, und führt in
Unteritalien (Capri, Gaeta etc.) zu einem wenig
glücklichen Kompromiss mit der Basilika. Dagegen
ergreift die Renaissance das Motiv mit Vorliebe
und führt es durch mannigfache Modifikationen zur
höchsten Vollendung: Madonna di Campagna zu Piacenza, Madonna di
Carignano zu Genua, die Pläne Bramantes, Peruzzis und Michel-Angelos
zur Peterskirche.
Der DOM ZU TRIER, in seiner jetzigen Gestalt aus der successiven
Arbeit vieler Jahrhunderte hervorgegangen, enthält in seinen östlichen
Teilen eine fast vollständig erhaltene antike Gerichtshalle aus der Zeit
Valentinians I., um a. 370 erbaut und etwa 50 Jahre nach der Er-
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
47
bauung zur Kirche geweiht, v. Wilmowsky hat in seiner ausgezeichneten
Monographie Restaurationen des Gebäudes in seinen verschiedenen
Perioden gegeben, welche, auf die eingehendsten Untersuchungen ge-
gründet, grosse Wahrscheinlichkeit haben. Das antike Gebäude (Taf. 12,
Fig. 8, 9), ein quadratischer Raum von 38 m Seitenlänge, war durch
4 monolithe Säulen in 9 Felder geteilt. Bei den gewaltigen Abständen
der Stützen raussten die Architrave durch Gurtbögen ersetzt werden,
deren Uebermauerung den Dachstuhl und die Kassettendecken trug.
Das Gebäude ist namentlich in struktiver Hinsicht äusserst wichtig,
als Beleg für die Kühnheit der römischen Constructeure, welche der
der frühchristlichen Baumeister mindestens gleichkam. Der Gegensatz,
wir können es nicht genug betonen, beruht nicht in heidnischen oder
christlichen Bedürfnissen, welchen ein Gebäude zu genügen hat, son-
dern darin, ob es in geschichtetem, oder in Gussmauerwerk ausgeführt
ist In ersterem Falle geht auch bei heidnisch-antiken Gebäuden die
Materialersparnis bis an die zulässige Grenze '). — Ein kleines und wie
es scheint ganz überwölbtes Gebäude von ähnlicher Anlage aus MARINO
(Taf. 12, Fig.gto), im Skizzenbuche Bramantinos Tav. 48, ein gleiches
mit äusserem Portikus ebenda Tav. 52.
MUSMIEH (Phäna in Zentralsyrien). PRÄTORIUM (Taf. 13,
Fig. i , 2). Errichtet unter Marcus Aurelius und Lucius Verus a. 160
bis 169. Mehrere Inschriften bezeugen das Alter. Die Konstruktion
ist später verändert, der ursprünglichen Anlage gehören die Um-
fassungsmauern und die Tribuna mit ihren Nebenräumen an, die
Tragebögen scheinen jünger, doch sicher vor dem 4. Jahrhundert er-
neuert zu sein, in welchem das Prätorium zur Kirche geweiht wurde. —
8 gekuppelte Bögen auf 4 Säulengruppen ruhend tragen Tonnengewölbe
aus grossen Steinplatten. Der quadratische Mittelraum war von einem
Klostergewölbe in Gusswerk (mit Opäon?) überdeckt Wir haben in
dem interessanten Bauwerke, mit Ausnahme der Ueberdeckung des
Mittelraumes, das vollständige Modell der späteren byzantinischen
Kirchen vor uns. Der konstruktive Gedanke, ein zentrales Gewölbe
durch transversale Tonnen zu stutzen, ist hier (schon im 2. Jahrhundert)
klar ausgesprochen; was an jenen späteren Bauten neu hinzukommt,
ist die von Gowölbezwickeln getragene Kuppel auf lichtbringendem
Cylinder. Es kann deshalb auch von einer Beschreibung der folgenden
Monumente abgesehen werden.
') Die Bedenken, welche Hübsch S. 3 gegen die statische Möglichkeit quer über
das Mittelschiff gespannter Gurtbögen äussert , werden schon dadurch widerlegt , dass
diese Bögen jetzt wirklich vorhanden sind und nicht nur eine Flachdecke, sondern ein
romanisches Gewölbe tragen.
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
KONSTANTINOPEL: HAGIA THEOTOKOS (Taf. 13, Fig. 3, 4)
um das beginnende 10. Jahrhundert von dem Patrizier Konstantinus
gegründet. Der äussere Narthex eine spätere Zuthat.
MAILAND: S. SATIRO (Taf. 13, Fig. 5, 6), eine byzantinische
Kapelle neben Santa Maria presso S. Satiro, fast ganz modernisiert.
Erbauungszeit unbekannt.
VENEDIG: S. GIACOMETTO DI RIALTO (Taf. 13, Fig. 7),
angeblich um a. 520 gegründet, mit verlängertem Westarme, die Vierungs-
kuppel nicht erhalten, auch sonst modifiziert.
STILO in Unteritalien: LA CATTOLICA (Taf. 13, Fig. 8, 9). Alle
Kuppeln auf Tambours. Eine griechische Inschrift am Portal weist auf
byzantinischen Ursprung.
PALERMO: LA MARTORANA (Taf. 13, Fig. 10, 11), a. 1143
gegründet und bis um a. 1220 mit griechischen Mönchen besetzt. In
allen Details normannisch. Die Kirche wurde später verlängert. Weitere
Beispiele bei Rahn, Kuppelbau S. 101 ff.
Ihrer Komposition nach gehört in diese Gruppe auch die kleine
Kirche zu GERMIGNY DES PRES (Taf. 13, Fig. 12) aus dem be-
ginnenden saec. 9, mit einem flachgedeckten Turme über dem Mittel-
raum. (Vgl. Taf. 41 und Buch II, Kap. 1.)
Eine eigene Stellung nimmt der merkwürdige Zentralbau STA.
FOSCA auf der Insel TORCELLO bei Venedig ein (Taf. 13, Fig. 13, 14).
Vielleicht schon im saec. 9 erbaut, im saec. 11 erweitert. Ein grie-
chisches Kreuz, dessen Arme durch Säulenstellungen geteilt sind, so
dass die Vierungsbögen (wenn der Ausdruck gestattet ist) nicht die
ganze Breite des Mittelraumes einnehmen. Ueber dem Mittelraume
ursprünglich eine Kuppel auf Gewölbezwickeln, welche in eigentüm-
licher Weise durch Nischen unterbrochen sind (die Schnitte Fig. 14
nach Hübsch und Mothes, namentlich der Diagonalschnitt nicht ganz
richtig, eine eigene Skizze Taf. 39, Fig. 9). Der Grund dieser Anord-
nung dürfte darin zu suchen sein, dass der Vierungsbögen nicht die
ganze Breite des Quadrates einnimmt, so ist zunächst ein unregel-
mässiges Achteck geschaffen (unterer Bogen) und von dem aus eine
zweite Einziehung begonnen, welche nach dem Grundkreise der Kuppel
überführt. In statischer, wie künstlerischer Beziehung sehr beachtens-
wert. Die Verlängerung des Chores und der äussere Portikus jünger.
(Vgl. auch Taf. 24, Fig. 2.)
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
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7. San Lorenzo in Mailand.
— Exkurs. —
Noch bleibt ein Monument von höchster Bedeutung zu betrachten,
welches sich passend den kreuzförmigen Anlagen anschliesst, San
Lorenzo in Mailand (Taf. 14, Fig. 3). Dieser Bau hat früher für einen
zur Kirche geweihten Palast oder Thermenraum gegolten. Nachdem
zuerst v. Quast (Ravenna, S. 34) einen christlich-kirchlichen Ursprung
für ihn in Anspruch genommen hatte, hat seinerzeit über diese Frage
eine Diskussion zwischen Hübsch und Kugler stattgefunden (Deutsches
Kunstblatt 1854, S. 415, 442 ff.), in welcher Hübsch für den kirchlichen,
Kugler für den profanen Ursprung des Gebäudes eintrat. In seinem
grossen Werke ist Hübsch nochmals auf die Frage zurückgekommen,
welche seitdem in Deutschland als durch ihn erledigt gilt. Neuerdings
hat Dartein a. a. O. S. 4 ff. die Kirche dem saec. 6 zugeschrieben.
Eine — freilich eine sehr gewichtige — Stimme (Jac. Burckhardt) hält
noch an dem profanen Ursprünge fest.
Wir müssen die Frage als eine offene bezeichnen. Zwingende
Beweisgründe für die eine oder andere Meinung sind von keiner Seite
beigebracht worden. Auch wir sind dazu nicht in der Lage. Wir
haben S. Lorenzo in den Jahren 1882 und 1883 zweimal besucht und
sind, soweit es Reisenden, welche ihre Thätigkcit nicht auf ein einziges
Studienobjekt konzentrieren können, möglich ist, zu einer leidlich
genauen Kenntnis des merkwürdigen Werkes gelangt. Wir mussten
uns indes überzeugen, dass gerade die entscheidenden Fragen nur
durch eine sehr eingehende technische Untersuchung des Gebäudes in
allen Teilen, Blosslegung der Fundamente, Untersuchung des Vorhofes,
teilweise Entfernung des Putzes, ja der Apsidengewölbe etc., gelöst
werden könnten, eine Untersuchung, zu welcher wir weder Zeit noch
Mittel hatten. Im folgenden sollen die Gründe angegeben werden,
welche uns vorerst verhindern, der herrschenden Meinung beizutreten ;
die Wichtigkeit des Monumentes mag die über das sonst für dieses
Buch befolgte Mass hinausgehende Ausführlichkeit der Behandlung
entschuldigen.
Mailand war nach der dioklctianischen Reichsteilung Residenz des
Augustus Maximian geworden; seine Bedeutung steigerte sich mit dem
Sinken Roms mehr und mehr, und von Valentinian I. (a. 366) bis auf
Honorius ist es die erste Stadt in der westlichen Hälfte des Reiches
und ständiger Herrschersitz. Noch a. 402 residierte Honorius in Mai-
land, als Alarich in Italien einbrach. Wohl wurde er durch Stilicho zu-
rückgeschlagen, aber der Kaiser fühlte sich in Mailand nicht mehr sicher
und siedelte nach dem festen Ravenna über, dessen Bedeutung nunmehr
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
überwiegt. Indessen bleibt die Stadt bis zum Einfall der Langobarden
a. 569 blühend. — Von Bauwerken aus der Kaiserzeit hat sich in
Mailand fast nichts erhalten. Aber gerade vor dem Vorhofe von
S. Lorenzo steht eine antike Kolonnade von 16 Säulen, deren mittleres
Intercolumnium, weiter als die übrigen, mit einem Bogen überspannt
ist, während jene gerades Gebälke haben. Nach einer Notiz von a. 1560
wird sie für einen Rest der Thermen des Maximian gehalten *). Wie
weit diese Nachricht beglaubigt ist, wissen wir nicht. Nach ihrer
Komposition und Formbehandlung gehört die Halle frühestens der
diokletianischen Zeit an, kann aber auch jünger sein.
Schon in den ersten Dezennien des 4. Jahrhundertes bestand in
Mailand eine christliche Gemeinde. Einen bedeutenden Aufschwung
nahm die Mailänder Kirche als Ambrosius Bischof wurde (a. 374 — 397).
Ambrosius hat viele Kirchen gegründet und über seine wichtigsten
ßauunternehmungen sind wir unterrichtet, S. Lorenzo wird nicht unter
denselben genannt. Nach dem Catalogus episcoporum Mediolanensium
aus saec. 6 (M. G. SS. VIII, p. 101) wurden zwischen a. 449 und
a. 512 vier Bischöfe in S. Lorenzo und den Kapellen S. Ippolito und
S. Sisto beigesetzt; a. 1075 un<* a. 11 19 litt die Kirche durch Brand;
a. 1573 stürzte die Kuppel ein und zog auch andere Teile mit in ihren
Ruin, so dass eine umfassende Restauration nötig wurde, welche Martino
Bassi zwischen a. 1573 — 1591 ausführte.
Wesentliche Aufschlüsse ergeben sich aus der allgemeinen historischen
Betrachtung nicht. Dass an der Stelle ein grosses antikes Gebäude,
sei es ein kaiserlicher Palast, sei es eine Thermenanlage, stand, ist
zweifellos. Es ist also mit Bestimmtheit anzunehmen, dass, solange die
Kaiser in Mailand residierten, eine Kirche an der Stelle nicht erbaut
wurde, wie ja auch von einer Laurentiuskirche des Ambrosius, dem
am ehesten ein so grossartiges Unternehmen zugeschrieben werden
dürfte, nichts bekannt ist. Wenn es ferner auch nicht wahrscheinlich
ist, dass sofort, oder bald nach Verlegung der Residenz der kaiserliche
Bau zerstört und an seiner Stelle eine Kirche erbaut wurde, so ist dies
doch nicht geradezu unmöglich. Ferner ist auch die von Dartein auf-
gestellte Ansicht, dass zuerst ein Saal des antiken Baues geweiht und
im saec. 6 durch den, wenigstens im Grundriss, noch bestehenden Bau
ersetzt worden sei, nicht sofort abzuweisen.
Wenden wir uns nunmehr dem Monumente selbst zu und unter-
suchen zunächst das Herkommen des Kompositionsmotives, dann,
soweit es möglich ist, den ursprünglichen Zustand des Gebäudes selbst. —
') Die ziemlich reichhaltige Litteratur über diese Kolonnade ist uns nicht zugäng-
lich Desgl. kennen wir die Topographie Mailands im Altertum nicht näher.
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
Wir erinnern daran, dass dem römischen Altertum der Unterschied
zwischen bedeckten und unbedeckten Innenräumen ein rliessender ist.
Schon mehrfach haben wir darauf hingewiesen, wie das halbbedeckte
Atrium (vgl. S. 46 und das folgende Kapitel) den Ausgangspunkt für
bedeckte Räume bildet. Dass die forensische Basilika nach Form und
Bestimmung ein bedecktes Nebenforum war, ist bekannt. Ein gleicher
Ursprung lässt sich auch für das Grundrissmotiv von S. Lorenzo nach-
weisen. Portiken, welche im Halbkreis ausgebogen (auch wohl zwei-
geschossig) einen rechteckigen Platz umgeben, finden wir bei den
Kaiserforen in Rom (Augustusforum , Trajansforum). Ein sehr klares
Beispiel in der VILLA ADRIAN A (Taf. 14, Fig. 1) in der Nähe des
Stadions. Es ist ein Tempelperibolos und war niemals auf Ueber-
deckung angelegt, allein die Horizontalperspektive, die Behandlung der
Ecken u. s. w. ist gegeben. — Nun wird das Motiv auf Innenräume
übertragen. In einfacher Form im KAISERPALAST ZU TRIER
(Taf. 14, Fig. 2) (erbaut von Konstantin?), ein rechteckiger Raum, dem
sich auf drei Seiten Konchen mit äusseren Umgängen vorlegen. Das
Motiv ist hier sehr vereinfacht, denn die Umgänge tragen kaum zur
Raumwirkung des Inneren bei. Ferner S. MARIA im KAPITOL zu
Köln (Taf. 14, Fig. 4), ca. 700 gegründet. Die Kirche enthält indes
keine Bauteile, welche über das 11. Jahrhundert zurückreichten. Dass
der Zeit der ersten Gründung die Erfindung einer so grossartigen An-
lage wie des Drci-Konchen-Chores nicht zugeschrieben werden darf, ist
nach dem, was wir von der sogenannten merowingischen Baukunst
wissen, ausser Zweifel. Aber auch dem Kreise romanischer Kom-
positionsideen liegt eine derartige Grundrissgestaltung fern (die Aehn-
lichkeit mit Tournay ist nur äusserlich). Die rheinischen Drei-Konchen-
Kirchen, samt und sonders jünger, können von dem Vorbilde der
Kapitolskirche inspiriert sein, sind aber wesentlich einfacher. Der Bau
selbst aber leidet an inneren Widersprüchen. Wer imstande war, diesen
Grundriss zu erfinden, der begnügte sich nicht mit einem so unbedeuten-
den Aufbau, wie wir ihn an den Kreuzkonchen (die Ostapsis ist er-
neuert) sehen, der musste vor allem die Mittelkuppel, auf die sich alles
konzentriert, viel mehr zur Geltung bringen, als es hier geschehen ist.
Diese kleine Hängekuppel ist auf drei Seiten von je 2 Tonnen-
gewölben widerlagert, welche noch durch die Apsiden weiter verstrebt
sind, obwohl gerade nach diesen Axen der Seitenschub ganz gering
ist. Nach den Ecken zu steht ein System von 4 Kreuzgewölben,
welches ebenfalls eine übertrieben grosse Strebemasse bildet. — Nein,
hier müssen tiefgreifende Veränderungen stattgefunden haben. Sollte
hier, wie bei S. Lorenzo, auf alten römischen Fundamenten immer
wieder neu gebaut worden sein? Diese, schon von Otte (G. d. deutsch.
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Bauk. S. 37) ausgesprochene Vermutung lässt sich freilich nicht beweisen,
gewinnt aber an Wahrscheinlichkeit, wenn wir uns erinnern, dass die
Lokaltradition an diese Stelle das Kapitol der Colonia Agrippina ver-
legt, wie denn auch in der Nähe der Kirche antike Baureste gefunden
worden sind. Nehmen wir an, dem sei so, und suchen wir uns den
Hauptsaal des Kapitols in der Idee zu rekonstruieren (Taf. 14, Fig. 5).
Wir haben hierzu nichts weiter nötig, als dass wir die durch Anfügung
des Langhauses bedingten heutigen Vierungspfeiler weglassen und den
Raum nach Westen symmetrisch ergänzen. Nun ist alles in schönster
Harmonie, Spannung und Verstrebung der Mittelkuppel sind in richtiger
Proportion und — bei etwas komplizierterem Organismus — welche
frappante Aehnlichkeit mit S. Lorenzo ! — Doch das ist ein Spiel der
Phantasie, das vielleicht der realen Grundlage nicht ganz entbehrt,
vielleicht sogar das Richtige trifft, dem aber doch nur eine bedingte
Beweiskraft innewohnt. Mit der Vergleichung obiger Beispiele dürften
wohl einige Anhaltspunkte für die Herkunft des Motives gewonnen sein,
der Zusammenhang seiner Entwicklung ist damit noch nicht klargelegt.
Es sind anderseits die Kirchenbauten zu Antiochien, Ravenna und
Konstantinopel (Taf. 4 — 6) zum Vergleiche heranzuziehen. Gewisse
Analogien springen sofort in die Augen, der mittlere Hauptraum ist
durch Exedren erweitert , deren Mauern in Säulenstellungen aufgelöst
in zwei Geschossen den Blick nach den Umgangen frei lassen. Auch
der struktive Apparat hat in seinen Grundideen manches Aehnliche. Da-
neben besteht aber eine sehr wesentliche Differenz. S. Lorenzo ist ein
reiner, durchaus konsequenter Zentralbau, bei den genannten Kirchen
ist ausnahmslos ein besonderes Altarhaus vorhanden, muss vorhanden
sein, da die liturgischen Vorschriften bei der Wandelung und anderen
Zeremonien eine Verhüllung des Altares verlangten. Die Anlage der
Basilika ist im ganzen und einzelnen diesen liturgischen Erfordernissen
conform, der Zentralbau widerstreitet ihnen, und die ganze Tendenz
der byzantinischen Kunstentwicklung ist darauf gerichtet, ihn in gleicher
Weise umzubilden, was oben (Abschnitt 2) weiter ausgeführt ist; sie
geht vom Polygon aus und kombiniert es mit dem Rechteck. Diesen
Anforderungen genügt S. Lorenzo in keiner Weise. Und auch die eben
angeführten Analogien sind nicht so wesentlich, dass sie uns zwängen,
den Bau der Gruppe jener byzantinischen Kirchen einzureihen, es be-
stehen doch auch in der Idee der Komposition erhebliche Unterschiede.
Noch bleibt die Frage zu erörtern: wie weit ist in dem jetzigen
Bau die alte Form beibehalten. Hübsch operiert in seinen Ausführungen
mit einer Restauration, bei der er grosses Gewicht darauf legt, dass in
den unteren Arkaden ursprünglich nur 2 Pfeiler gestanden haben und
dass erst Martino Bassi 4 Stützen in jeder Konche angeordnet habe.
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
53
Ja, prüfen wir die Beweisführung Hübschs auf ihren Gedankengang, so
beruht sie im Grunde auf folgendem Zirkelschluss : i) Die altchrist-
liche Kunst liebte weitstehende Stützen, folglich müssen wir den Bau
so restaurieren, dass in jeder Konche nur 2 Stützen stehen, also
nicht 5 (wie jetzt), sondern nur 3 Intercolumnien vorhanden sind.
2) Weil S. Lorenzo so grosse Zwischenweiten hatte, ist es nicht antik,
sondern christlich. < Hübsch stützt sich in seinen Ausführungen viel-
fach auf die Schriften Bassis, der ihn aber gerade in diesem wesent-
lichen Punkte widerlegt, indem er sagt'): »Poiche (i Signori) dalla
pianta non si volevano per niun modo partire, alcuno de' qtiali fu per
empire, ed ornare gli angoli verso i campanili, per dividere i semi-
circoli in tre campi soli, per fare un vestibolo di colonnati innanzi
alla porta; ed altri per lasciare i cinque campi, che si sono eseguiti,
per aggiungere le lesene, che si veggono (Vorsprünge der Hauptpfeiler),
per fare un portico innanzi alle porte, com' e principiato, e finalmente
per fare la cupola di otto faccie eguali . . . .< Die Fünfteilung wird
auch durch eine hochinteressante Zeichnung Lionardos, welche mit
grosser Wahrscheinlichkeit auf S. Lorenzo zu beziehen ist (J. P. Richter,
scritti letterari di L. d. V., London 1883, Vol. II, PI. 88, 1), sowie
massgebendst durch das Monument selbst
bestätigt, indem in der Fortsetzung der vom
Mittelpunkt der Konchen nach den Säulen-
axen gezogenen Radien an der Aussenmauer
Strebepfeiler angebracht sind. Es mögen hier
ringförmige durch Gurten verstärkte Tonnen-
gewölbe bestanden haben. Wir legen indes
auf diese engere Teilung nur insofern Ge-
wicht, als sie beweist, dass in diesem Punkte
der Grundriss nicht verändert wurde, sie ist
für uns kein Argument gegen den christlichen
Ursprung. Bezüglich dieser Stützen ist noch
zu bemerken, dass in der östlichen und west-
lichen Konche Säulen aus saec. 16 , in den beiden anderen Pfeiler
stehen, welche vielleicht noch von der ersten Anlage, wahrscheinlicher
von den Umbauten des saec. 11 und 12 herstammen. — Die 8 Haupt-
pfeiler sind durch M. Bassi verstärkt und durch Bögen in beiden
Geschossen verbunden worden (a. a. O. S. 98). Es ist dadurch im
Grundrisse das Achteck betont worden. Die Zeichnungen Lionardos
zeigen, dass vor dem Umbau der Einblick in die Ecken des Grund-
') Martino Bassi. Scritü intorno all' insigne tempto di S. Lorenzo maggiore di
Milano. In: »Dispareri in roateria d'Architettura etc.« Ausg. von 1771, S. 96.
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
quadrates völlig frei war. Vor der Westfronte nimmt Hübsch eine
gewölbte Vorhalle an (S. 22). Die Pilaster und Bögen, welche eine
solche vermuten lassen, sind aber nicht altchristlich, sondern aus dem
16. Jahrhundert, was auch Bassi bestätigt. Die Restauration des ur-
sprünglichen Grundrisses hat also keine Schwierigkeiten. Anders ver-
hält es sich mit dem Aufbau.
Hier ist zunächst zu konstatieren, dass an den Umfassungs-
mauern viel mehr romanisch ist, als man nach der Darstel-
lung Hübschs vermutete, auch im Inneren lassen sich an den
Pfeilern der Ostkoncha romanische Zusätze (Dienste, welche auf um-
gekehrten Kapitellen ruhen) wahrnehmen. Es lässt sich deshalb nur
vermutungsweise aussprechen, dass die Arkadenteilung des oberen Um-
ganges die gleiche gewesen sein mag, wie unten, und dass das Quadrat
durch irgend welche Ueberkragung (Trompen?) in ein unregelmässiges
Achteck übergeführt war, das die eckige mit einem Opäon versehene
Kuppel trug. Nach der romanischen Erneuerung dürfte der obere
Umgang triforienartig behandelt gewesen sein, wenigstens spricht dafür
die Skizze Lionardos, welche freilich auf genaue Einhaltung der Pro-
portionen keinen Anspruch macht, vielleicht auch die Triforien im
Oktogone des Domes von Pavia, dessen Komposition das Studium von
S. Lorenzo voraussetzt Die Ueberführung vom Quadrat zum Achteck
geschah durch übereinander vorgekragte Bögen — Bassi S. 95 : »era . . .
la cupola di pietre cotte sostenuta dagli accennati quattro arconi, e negli
angoli da molti Archetti l'uno sopra l'altro, che sporgevano in aria
uno piü dell' altro, nel modo che si veggono ancora quelli della Chiesa
di S. Ambrogio.« Aehnlich ibid. S. 99. — Die Kuppel scheint fenster-
los gewesen zu sein mit einer Laterne im Scheitel, eine Anordnung,
die auch Bassi ursprünglich beibehalten wollte (a. a. O. S. 105, S. 109).
Ueber den 4 Ecken des Baues erheben sich Türme, deren Vorhanden-
sein im S. VIII bezeugt ist in einem Gedichte über Mailand (Muratori
rer. Ital. SS. Tom. II, Pars II, p. 989). In ihrem jetzigen Bestände sind
sie zum grössten Teil romanisch. — Noch sei erwähnt, dass die
Orientierungsaxe der Kirche genau auf die Mitte der obenerwähnten
Säulenhalle trifft, welche 54m von der Fassade der Kirche entfernt
steht. Was lag dazwischen? — An die Kirche schliessen sich genau
in den Axen 3 Kapellen, S. Sisto, S. Ippolito und S. Aquilino an, alle
drei altchristlich. Ueber das Technische der ältesten Teile lässt sich
nur wenig ermitteln. Die Umfassungsmauern zeigen ein mittelgutes
Backsteinwerk ; bei den Hauptpfeilern im Inneren wechselten Schichten
von Haustein und Backstein *) Die alten Gewölbe sind nicht erhalten.
') Eine Datierung wagen wir nicht. Die Kenntnis der antiken und frühchrist-
lichen Technik ist noch zu unentwickelt, um aus ihr, namentlich bei mittelguten Arbeiten,
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
55
Das System der Verstrebung der Kuppel ist sehr entwickelt und hat
an erhaltenen antiken Monumenten kein Analogon.
Das in obigem beigebrachte Material zeigt mehr die Schwierigkeit
des Problemes, als dass es seine Lösung fördert. Immerhin glauben
wir einige Schlüsse daraus ziehen zu dürfen.
Um die Mitte des 5. Jahrhundertes bestanden neben der Kirche
S. Lorenzo die Kapellen des hl. Sixtus und des hl. Hippolytus. Sie
bestehen noch, und neben ihnen eine dritte, S. Aquiline Alle drei
können wohl dem saec. 5 angehören. Sie stehen genau in den Axen
der Kirche, sind also sicher jünger als diese, es müssten denn, wenn
sie älter wären, die Hauptaxen der Kirche genau mit denen des eventuell
vor ihrer Erbauung zur Kirche geweihten Palastsaales übereinstimmen,
an welchen die Kapellen angebaut waren. Dadurch wäre aber eine
fast vollständige Uebereinstimmung des Grundrisses der Kirche mit dem
jenes Saales bedingt, und es wäre nicht abzusehen, warum überhaupt
ein Neubau vorgenommen wurde. Ein solcher ist, wie oben ausgeführt,
auch deshalb nicht wahrscheinlich, weil der Palast, oder welche Be-
stimmung das antike Gebäude gehabt haben mag, sicher bis zur Ueber-
siedelung des Hofes nach Ravenna nicht baufällig war. Wäre aber —
gleichviel wann — die Kirche als solche auf dem Areal des antiken
Gebäudes errichtet worden, so hätte sich doch kein Baumeister die
Mühe genommen, sie in ihren Axen genau mit den Ruinen jenes Ge-
bäudes — der Kolonnade — zu orientieren. Diese Orientierung spricht
unzweideutig für den Zusammenhang beider. Kommt nun eine Vor-
halle mit einer so kolossalen Säulenstellung bei Kirchen niemals vor,
so ist sie für einen Profanbau ganz wohl denkbar (vgl. Spalato). Es
mag sich an sie etwa ein grosses Atrium wie im flavischen Palast mit
seinen Nebenräumen und am Schluss der grosse Hauptsaal angeschlossen
haben.
Die Form der Kirche entspricht den frühchristlichen Kultus-
forderungen, wegen Mangels eines Altarhauses, nur wenig. Was sie mit
byzantinischen Kirchen gemein hat, die Erweiterung des Raumes durch
Exedren, kommt doch auch bei Profanbauten vor. Das Vorhandensein
von Türmen, welche übrigens von den Treppentürmen an S. Vitale
recht wesentlich verschieden sind, ist eher eine Instanz gegen, als für
den kirchlichen Ursprung. Also auch die Form des Gebäudes weist
mehr auf einen profanen Ursprung. Konstruktion und Technik endlich
können wohl zu Zeitbestimmungen verwendet werden, entscheiden aber
nichts über die Bestimmung des Gebäudes.
sichere Schlüsse ziehen zu können. Gilt doch selbst der in bester römischer Ziegeltechnik
ausgeführte Palazzo delle Torri in Turin vielen noch für langobardisch oder gar fränkisch,
obwohl Promis schon vor Dezennien den antiken Ursprung zweifellos nachgewiesen hat.
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Erstes Buch : Der christlich-antike Stil.
Ist dieses profane Gebäude nun der diokletianischen Zeit zuzu-
schreiben, ist es jünger? Die Frage ist bis jetzt noch nicht gestellt
worden. Wir vermögen auch für ihre Beantwortung nur Fingerzeige
zu geben. Hier sind technische Kriterien heranzuziehen. Die Mauer-
technik besagt, wie bemerkt, nichts, es kommt hier nicht nur der Unter-
schied zwischen Gusstechnik und eigentlicher Mauertechnik, welche zu
jeder Zeit ganz verschiedene Massen zur Umschliessung des gleichen
Raumvolumens aufwenden, sondern auch die Verschiedenheit pro-
vinzieller Uebung, welche zweifellos vorhanden war, in Betracht. Um
so mehr fallen die konstruktiven Ideen in die Wagschale. Sie sprechen
allerdings für eine spätere Zeit als das beginnende 4. Jahrhundert.
Dagegen scheint uns nichts Wesentliches gegen die Spätzeit dieses
Jahrhunderts zu sprechen, im Gegenteil, die Kaiser Valentinian und
Theodosius standen in naher Beziehung zu Byzanz und dem Osten,
wo der Zentralbau sich einer besonderen Vorliebe erfreute. Das un-
entwickelte Motiv der Minerva Medica kommt organisch durchgebildet
aus dem Osten zurück in S. Vitale. Kann sich nicht ein gleicher Ent-
wicklungsprozess, unserer Wahrnehmung verborgen mit den unfertigen
Motiven der Villa Adriana und des Kaiserpalastes in Trier, im Osten
vollzogen haben, dessen Resultat uns in einem occidentalen Repräsen-
tanten, dem Palastsaale in Mailand vorliegt? Und wären damit nicht
auch die byzantinischen Anklänge erklärt?
Wir sind uns wohl bewusst, für diese unsere Anschauung einen
vollen Beweis nicht erbracht zu haben, wir zweifeln aber nicht, dass
es einer eingehenden Forschung gelingen kann, gelingen wird, die Frage
endgültig, und wir glauben in unserem Sinne, zu entscheiden. Uns,
deren Aufgabe in diesem Buche nicht in der Erforschung einzelner
Monumente beschlossen ist, muss es genügen, zu solchen Forschungen
die Anregung zu geben. Wie immer die Entscheidung künftig fallen mag:
das muss schon heute verlangt werden, dass man die wahrhaft kümmer-
lichen Velleitäten Hübschs — man verzeihe den harten Ausdruck gegen
einen sonst verdienstvollen Verstorbenen — nicht ferner für unumstöss-
liche Beweise ausrufe.
Und sollte es nicht gelingen, sollten die Meinungen immer geteilt
bleiben — eines ist es, worin wir alle einig sind: in der Wertschätzung
der künstlerischen Bedeutung des unvergleichlichen Raumes. Ja für-
wahr, unter den höchsten Erzeugnissen unserer Kunst wird S. Lorenzo
immer eine erste Stelle einnehmen. In spröden Einzelformen, ohne
den Reiz harmonischer Färbung, stumpf und kalt mutet der Raum den
eintretenden Beschauer an, doch je mehr er sich in die Betrachtung
vertieft, je mehr sich ihm in der Bewegung (denn der Wechsel des
Augpunktes ist bei Betrachtung von Architekturen vom höchsten Be-
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
57
lang) das Bild belebt, je mehr er sich der reichen und doch allent-
halben klaren Perspektive, der wohlerwogenen Verhältnisse bewusst
wird, desto höher steigt die Bewunderung, die Liebe. Ks ist die stille
Grösse vollendeter Raumentfaltung, welche über alle Mängel der Aus-
führung hinweg ihren sieghaften Zauber walten lässt.
Noch wird S. Lorenzo im allgemeinen nicht ganz nach Gebühr
gewürdigt. Die grossen Meister der Renaissance, deren Hauptstreben
ja gleichfalls auf schöne Raumbildung gerichtet war, haben seinen Wert
besser erkannt und es unablässig studiert. In den Werken des grossen
Bramante, des grössten Genius im Gebiete des Zentralbaues, erkennen
wir dieses Studium, und Lionardo da Vinci, dessen Thätigkeit alles
umfasste, hat auch das Problem, Zentralbauten nach dem Motive von
S. Lorenzo zu komponieren, mit Eifer verfolgt. Es wird bei Betrach-
tung der Renaissance das Kapitel, welches den Einfluss von S. Lorenzo
auf den Zentralbau des Cinquecento zu untersuchen hat. eines der
lehrreichsten werden.
S. FEÜELE ZU COMO (Taf. 14, Fig. 6). Die Kirche soll a. 914
gegründet sein, ist indes vielfach umgestaltet. Der Gründungszeit können
nur die beiden Kreuzarme und die Vierung angehören, das Langhaus
ist jünger, noch mehr die Hauptapsis. Die östlichen Teile gelten als
Nachbildung von S. Lorenzo, doch ist die Kopie, wenn wirklich eine
solche beabsichtigt war, eine sehr freie. Der nach Analogie von
S. Lorenzo und St. Maria im Kapitol zu Köln gegebene Restaurations-
versuch auf der rechten Seite des Grundrisses ist nicht ganz richtig.
Die zwischen den Konchen nach aussen vorspringenden Ecken waren,
wie wir uns bei erneuter Untersuchung (1883) überzeugten, nicht vor-
handen. Wir kommen, Buch II Kap. I, auf dieses Monument zurück.
Cömeterialzellen — Tricorien.
Gewisscrmassen den Zentralbauten zuzuzählen sind die kleinen
Drei-Konchen-Kapellen über Cömetericn, von welchen sich zwei auf dem
Areale der CALLIXT-KATAKOMBEN erhalten haben, STA. CECI-
LIA E S. SISTO (Taf. 14, Fig. 7) und STA. SOTERE (Fig. 8), ferner
eine bei STA. SIMFOROSA (Taf. 17).
Zweck und Form sind den antiken cellac memoriae analog (vgl. Fig. 8),
sie dienten zu Leichen- und Gedächtnisfeierlichkeiten. Die heidnischen
Grabmäler hatten häufig zwei Geschosse, in deren unterem die Asche
oder die Leiche des Verstorbenen beigesetzt wurde, während das obere
zu den erwähnten Versammlungen diente. In manchen Fällen war auch
ein triclinium funebre zu allgemeinem Gebrauche vorhanden (Pompeji).
— Ebenso dienten die christlichen Tricorien oder anders gestalteten
Kapellen als eubicula superiora für die benachbarten Hypogäen.
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5»
Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Die beiden Zellen sind quadratische Räume, deren Vorderseite offen
war '), während sich den drei anderen Seiten halbkreisförmige Apsiden
anschlössen. Die Strebepfeiler bei Sta. Cecilia e S. Sisto deuten auf
eine Ueberwölbung des Mittelraumes; auch für Sta. Sotere nimmt
de Rossi eine Kuppel über dem Mittelraume an. Die Erbauung beider
Zellen, welche schon im Altertum wesentlich verändert wurden, wird
in das 3. Jahrhundert gesetzt. De Rossi, Roma sotteranea Tom. III,
Roma 1877, s- 468—477. Die Form dieser Cömeterialzellen findet
für Friedhofkapellen eine weite Verbreitung. Beispiele sind : SS. COS-
MEO E MATTEO zu GRAVEDONA am Comersee (Taf. 14, Fig. 10);
das Schiff von dem einspringenden Pfeiler an und die Chornische
jünger. Die HEILIGKREUZKAPELLE zu MUNSTER IN GRAU-
BÜNDEN (Taf. 14, Fig. 11). Auch die östlichen Teile und die Krypta
der Kirche von OBERZELL auf REICHENAU gehören diesem Kreise
an. Im südlichen Bayern eine Friedhofkapelle in WEILHEIM und
eine (mit 4 Konchen) in SCHLEHDORF am Kochelsee. In Südfrank-
reich die Kapelle STE. TRINITE auf SAINT HONORAT DE LERINS,
(Taf. 14, Fig. 12), welche dem saec. 10 zugeschrieben wird.
Beschreibung der Tafeln.
Einfache Rotunden,
Tafel 1.
1. Pompeji: Frigidarium der Forumsthermen. — saec. 1 a. ehr. — Isabelle.
2. *Rom: Oktogon in den Ca raealla- Thermen, südwestlich vom Haupt-
bau ; links unteres, rechts oberes Geschoss. — saec. 3. — Bezold.
3. 4. Rom: Palast des Augustus auf dem Palatin. Grundriss d. unt. Ge-
schosses, Schnitt. — saec. 1 a. ehr. — Guattani, monumentiinediti 1785.
5. Rom: Torre de Schiavi. — saec. 3. — Isabelle.
6. Rom: Katakombenkapelle. — Hübsch.
7. Ravenna: Baptisterium der Arianer. — saec. 6. — Lanciani b.
de Rossi, Bull, crist. 1866.
8. * VViirtburg: Liebfrauenkapelle. — saec. 8? — Höfken.
9. Zara: Baptisterium. — C.-Comm., Jahrb. 1861.
10. Colli diSto. Stefano b. Tivoli. Baptisterium. — Piranesi, Villa Adriana.
11. Tivoli: Madonna della Tosse. Links unteres, rechts oberes Ge-
schoss. — saec. 4? — Isabelle.
12. Rom: Pantheon. Grundriss (unter Hinweglassung der rückwärtigen
Anbauten). — saec. 1 a. ehr. — Isabelle.
») Bei Sta. Sotere ist dies zweifelhaft. Möglicherweise schloss sich schon ursprüng-
lich eine Vorhalle an.
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
59
Tafel i.
13. Rom: Caracalla- Thermen , Rotunde. — saec. 3. — A. Blouet, Les
thermes de Caracalla.
Tafel 2.
1. Rom: Pantheon. Längenschnitt, nach der Restauration F. Adlers
im Berliner Winkelmann -Programm 1871.
Tafel 3.
1, 2. Spalato: Juppitertempel. — saec. 4. — Fig. 1, nach Eitelberger,
Jahrb. d. C.-Comm. 1861, giebt den jetzigen Zustand. Fig. 2, Cassas,
Voyage pittoresque dans l'Istrie. Paris 1802.
3. Rundbau mit innerer Säulenstellung. — B. Suardi: Le rovine di Roma.
' 4. Novara: Baptister tum. — saec. 5? — v. Osten.
5, 6. Albegna (Riviera diponente): Baptisterium. — E. Mella in: Atti
della Societä die Archeologia e belle arti per la provincia di Torino
Vol. IV. r88o.
7, 8. Ravenna : S. Giovanni in Fönte. Baptisterium der Orthodoxen. —
saec. 5. — Grundr. n. Lanciani in de Rossis Bull, crist. 1866,
Schnitt nach Isabelle.
9, 10. * Ravenna: Grabmal Theoderichs. — saec. 6. — Isabelle, Bezold.
Folgeformen des Nischenbaues.
Tafel 4.
1. Rom: Minerva medica. Grundriss. — saee. 3. — Isabelle. — Schnitt
Taf. 5.
2. Ravenna: S. Vitale. Grundriss. — saec. 6. — Dartein, Ricci. —
Schnitt Taf. 5.
3. 4. * Ravenna: S. Vitale. Perspektivische Durchblicke aus dem unteren
und oberen Umgang. — Skizzen von Bezold und Dehio.
5, 6. Konstantinopel: SS. Sergius und Bacchus. — saec. 6. — Pulgher.
Tafel 5.
1. Rom: Minerva medica. Schnitt. — Restauration. — Isabelle.
2. * Ravenna: S. Vitale. Längenschnitt mit restaurierter Dekoration. Die
alte Mosaikdekoration nur im Chor erhalten. — Bezold, in ein-
zelnen Teilen nach Isabelle ergänzt.
Tafel 6.
1. Konstantinopel: Sophienkirche. Grundriss. Obere Hälfte: Erdgeschoss;
untere: Obergeschoss. — saec. 6. — Salzenberg.
2. *Rom: Konstantinsbasilika. Grundriss. — saec. 4. — Bezold.
Rundbauten mit inneren Portiken.
Tafel 7.
1. Villa Adriana (Canopus). Kuppel auf Säulen mit halbrundem Um-
gang. — Piranesi.
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Tafel 7.
2. Rundtempel bei Rom. — Bramantino.
3 — 5. Rom: Lateranisehes Baptisterium. Grundriss und geometrischer
Schnitt. — saec. 5. — Restauration von Robault de Fleury, Le
Latran au moyen äge. — Perspektivischer Schnitt mit Darstellung
des Zustandes vor dem Umbau unter Paul III. Kupferstich von
A. Lafreri saec. 16.
6. Brescia: La Roionäa. Grundriss. — saec. 7. — Dartein.
Tafel 8.
i, 2. Rom: Sta. Costansa. — saec. 4. — Restauration von Isabelle,
Kuppelmosaik nach Ciampini.
3, 4. Nocera: Sta. Maria maggiore. Baptisterium. — Isabelle, Hübsch.
5. Ezrah. — saec. 6. — De Vogud, Syrie centrale.
6, 7. Ries: Baptisterium. — Isabelle.
8. Aix: Baptisterium. — Isabelle.
Heiliges Grab und Verwandtes.
Tafel 9.
1, 2. Jerusalem: Heilige Grabkirche. Grundriss: die schwarzen Teile
bezeichnen den Zustand nach a. 1010, die schraffierten die Bauten
der Kreuzfahrer, die Nebenfigur eine Reproduktion der Planskizze
Arculphs. — De Vogue", la terre sainte.
3. Benevent: Sta. Sophia. — H. W. Schulz.
4, 5. Fulda: S. Michael. Nebenfigur: Krypta. — saec. 9. — v. Dehn-
Rotfelser: Baudenkmäler in Kurhessen.
6. Pisa: Baptisterium. Grundriss. — saec. 1 2. — Rohault de Fleury, Pise.
Tafel 10.
1 . Jerusalem : Himmelfahrtskirche auf dem Oelberg. — Ideale Rekon-
struktion nach Arculph, Acta SS. O. S. B. saec. III, P. II, p. 509,
und De VogutJ, Terre sainte.
2, 3. Jerusalem: Der Felsendom. — saec. 7. — De Vogue\ le Temple de
Jerusalem.
4, 5. Zara: S. Donato. — v. Eitelberger im Jahrb. d. C.-Comm. 1861.
Tafel 11.
1, 2. Rom: Sto. Stefano rotondo. — saec. 5. — Hübsch.
3—5. Perugia: St. Angelo. — Fig. 3 u. 5 nach Hübsch, Fig. 4 Re-
staurationsversuch.
Kreuzförmige Anlagert. — Griechisches Kreuz.
Tafel 12.
1. Villa Adriana. — saec. 2. — Piranesi.
2, 3. Ravenna: Hauskapelle im erzbischöflichen Palast. — saec. 5. —
C. Ricci.
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Zweites Kapitel: Der Zentralbau.
6J
Tafel 12.
4, 5. Ravenna: S. Kazario e O/so. (Grabkirche der Galla Placidia.) —
saec. 5. — Grundriss nach Lanciani b. de Rossi, Bull, crist. 1866.
Schnitt nach v. Quast.
6. Valence: Baptisterium. — Revoil.
7. Pompeji: Atrium tetraslylum der casa del Fauno. — Overbeck,
Pompeji *.
8. Tetrasty'er Raum aus Marino. — Bramantino.
9. 10. Trier: Dom. Die ursprüngliche römische Anlage. — saec. 4. —
v. Wilmowsky.
Tafel 13.
1, 2. Musmieh (Syrien): römisches Prätorium. — saec. 2. — De Vogue.
3, 4. Konstantinopel: IJagia Theotokos. — saec. 9—10. — Salzenberg.
5, 6. Mailand: S. Saiiro. — Hübsch.
7. Venedig: S. Giatometto di Riallo. — saec. 6. — Hübsch.
8, 9. Stilo (Unteritalien): La cattolica. — H. W. Schulz.
10, 11. Palermo: La Martoratta, älteste Teile. — saec. 12. — Gail-
habaud, Denkmäler.
12. Germigny des Pres. — saec. 9. — C. Daly, Revue ge'ne'rale de
l'architecture , Vol. VIII. Eine Darstellung der Restauration b.
A. de Baudot, Eglises de bourgs et de villages, Vol II.
Typus von San Lorenzo in Mailand.
Tafel 14.
1. Villa Adriana. Peribolos mit 3 Exedren. — saec. 2. — Piranesi.
2. Trier: Kaiserpalast, Saal. — saec. 4. — Ch. VV. Schmidt.
3. Mailand: S. Lorenzo. — saec. 4(?). — Dartein.
4. Köln: Sta. Maria im Kapitol. — saec. 11. — Boisseröe, Frantzen.
5. Köln: Saal im Kapitol. Ideale Rekonstruktion. — Bezold.
6. Como: S. Fedele. Die ältesten Teile schwarz. — saec. 10. — Der Rekon-
struktionsversuch rechts ist insofern unrichtig, als ein Vortreten der
Ecken zwischen den Konchen nicht stattgefunden hat. — Dartein.
7. Rom: Sta. Ceeilia e S. Sisto. Cömeterialzelle über den Callixtkata-
komben. — De Rossi, R. sott. III.
8. Ebenda: Sta. Sotere. — De Rossi.
9. Rom: Antiker Rundbau mit 3 Konchen. — Bramantino.
10. * Gravedona: SS. Cosmeo e Matteo. — Dehio.
11. Münster in Graubünden: Heiligkreuzkapelle. — R. Rahn, Schweiz,
S. 161.
12. Sainte Triniti auf St. Honorat de Urins. — Revoil.
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Drittes Kapitel.
Die Basilika.
Litteratur. — Sarnelli : Antica Basilicografia. Napoli 1686. 4°. — Ciampini:
Vetera Monimenta. Roma 1690. 20. — Dtrselbe: De aediftciis a Constantino Magno
constructis. Roma 1693. 2°. — Bimsen, Guttensehn und Knapp: Die Basiliken des
christlichen Roms. Stuttgart u. München 1822 u. 1843. 40 u. 2°. — Canina : Ricerche
sull' architettura piü propria dei tempj cristiani. Roma 1846. 2 °. — Kreuser : Der
christliche Kirchenbau. Bonn 1851. 8U. — v. Quast : Ueber Form, Einrichtung und Aus-
schmückung der ältesten christlichen Kirchen. Berlin 1853. 40. — Hübsch: Die alt-
christlichen Kirchen. Karlsruhe 1863. 2 °. — Stockbauer: Der christliche Kirchenbau in
den ersten sechs Jahrhunderten. Regensburg 1874. 8 °. — Augusti : Denkwürdigkeilen
aus der christlichen Archäologie, Bd. XI, 1831. — X. Kraus : Real-Encyklopädie der
christlichen Altertümer 1. Freiburg i. B. 1882. Lex.-8°. — Mothts : Die Baukunst des
Mittelalters in Italien. Bd. I. 1884. 8°. — Rohault de Pleurv: La messe et ses monu-
ments. Paris 1882-83. 40.
Zestermann : Die antiken und die christlichen Basiliken. Leipzig 1847. 40. —
Irlichs: Die Apsis der alten Basiliken. Greifswald 1847. 8°. - J. A. Messmcr : Ueber
den Ursprung , die Entwicklung und Bedeutung der Basilika in der christlichen Bau-
kunst. Leipzig 1854. 40. — Weingärtner: Ursprung und Entwicklung des christlichen
Kirchengebäudes. Leipzig 1858. 8°. — J. A. Messmcr: Ueber den Ursprung der christ-
lichen Basilika (v. Quast u. Otte, Zeitschr. f. christl. Archäologie II, 1859). — Mothes :
Die Basilikenform bei den Christen der ersten Jahrhunderte. Leipzig 1865. 8°. —
J. P. Richter: Der Ursprung der abendländischen Kirchengebäude. Wien 1878. 8°. —
Dehio: Die Genesis der christlichen Basilika (Sitzungsberichte der hist. Klasse d. k. b. Aka-
demie der Wissenschaften, München 1882, Bd. II). — V. Schallte: Der Ursprung des
christlichen Kirchengebäudes (Christliches Kunstblatt 1882). — Reber: Ueber die Urform
der römischen Basilika (Mitteilungen der k. k. Centr.-Comm. 1869). — Holtzinger : Die
römische Privatbasilika (Repertorium f. Kunstwissenschaft Hd V, 1882). — Eine Unter-
suchung von Konrad Lange über denselben Gegenstand wird demnächst erscheinen.
Wichtigere Monographien: Ueber St. Peter im Vatikan: Fontana 1694. Cancel-
lieri 1786 Valentini 1845—55. Letarouilly 1878-82. — Ueber den Lata an . Valentini
1 832- 1834. Rohault de Fleury 1877. — Ueber Sta. Maria Maggiore: de Angelis 1621. —
Leber S. demente: de Rossi wiederholt im Bulletino Cristiano. Mulooly 1873. Roller
1873. — Ueber Sta. Pudentiana: de Rossi, Bull. 1864, 1867—69 — Ueber Sta. Petro-
nilla, de Rossi, Bull. 1874, 1875. — Ueber Sta. Simforosa: Steevenson in Studj in Italia
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
63
1878. — Ueber die /Jas. Saeriana in Ntaptl: de Rossi, Bull. 1880. — Utbtr die Basi-
liken in Porto: de Rossi u. Lanciani , Bull. 1866. — Ueber S. Agostino in Spoleto :
de Rossi, Bull. 1871. — Ueber die altchristliehen Bauten Ravennas: v. Quast 1842.
Rahn 1869. Lanciani im Bull. Crist. 1866. C. Ricci 1878. — Ueber den Dom von
Parenzo; Lohde in Erbkams Ztsch. f. Bauwesen 1859. — Ueber Tours ; Quicherat 1869.
1 . Genesis.
Für die Untersuchung des Ursprunges der in der christlich-antiken
Basilika typisierten Bauform kann es nur einen rationellen Ausgangs-
punkt geben : die Thatsache, dass während des ersten Jahrhunderts der
Kirche, in etwas bedingterem Sinne auch noch während des zweiten,
die Stätte der christlichen Gottesdienste das Privat haus war. (Vgl.
oben Kap. I.) In Anpassung an die gegebenen räumlichen Dispositionen
des griechisch-römischen Wohnhauses hat der gottesdienstliche Ritus
die ersten massgebenden Stadien seiner Entwicklung durchgemacht:
so muss man erwarten, dass auch die traditionelle Normalform des gottes-
dienstlichen Gebäudes, d. i. die Basilika, auf die gleiche Quelle zurück-
gehen werde. Wir schicken der Prüfung dieser Präsumption eine Schil-
derung des antiken Wohnhauses voraus.
Es ist wichtig, vorweg festzustellen, dass der Synkretismus der
Nationalkulturen, der die Kaiserzeit charakterisiert und für die Aus-
breitung des Christentums so fördersam war, auch auf die Wohnsitten
sich erstreckte, dass ein erheblicher Unterschied zwischen griechischer
und italischer Hausanlage jetzt nicht mehr existierte. Gleichwohl
handelt es sich um eine so gesetzmässig fortschreitende Entwicklung,
dass wir noch einen Schritt zurückgehen und die nationalen Formen
zuerst in ihrer gesonderten Art uns vergegenwärtigen müssen.
Das griechische Haus zerfällt in eine Männer- und eine Frauen-
wohnung. Wenigstens von der letzteren gewährt Vitruvs Beschreibung
eine für unseren Zweck genügende Darstellung (danach der Rekon-
struktionsversuch Taf. 15, Fig. 1). Der Mittelpunkt ist das Peristyl,
ein im Inneren von drei Seiten mit Säulenhallen umgebener Hof; an
der vierten, dem Eingang gegenüber, ein gedeckter, gegen die Säulen-
halle in voller Breite offener Ausbau, die Prostas ; um dieses Zentrum die
übrigen Gemächer ohne feste Regel gruppiert. Von den reicheren Kom-
binationen des vornehmen Hauses erhalten wir leider keine Nachricht.
Im Gegensatz zu der lockeren Kompositionsweise des griechischen
Hauses bildet das italische') eine feste nach bestimmtem Plan ge-
') Für das Folgende stützen wir uns insbesondere auf die » Pompejanischen Studien«
von Heinrich Nissen (1877)
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
gliederte Einheit und besitzt als solche ein das Ganze überspannendes
einziges Dach. In dieser dem Bauernhause noch nahestehenden Ge-
stalt heisst es atrtum testudinatum. Seine Entwicklungsgeschichte dreht
sich um die Frage der Lichtführung, worin es — man erlaube diese
Anticipation — in gerader Folge in die Entwicklungsgeschichte des
christlichen Kirchengebäudes übergeht. Der dem Ganzen den Namen
gebende Mittel- und Hauptraum ist das Atrium mit dem (der griechischen
Prostas entsprechenden) Tablinum. In ältester Zeit, als auch das
städtische Haus noch isoliert stand, war das Atrium in seinen vorderen
Teilen allein durch die weite ThürörTnung erhellt; um aber auch der
Tiefe, wo der Herd stand und die häuslichen Arbeiten der Frauen
ihren Platz hatten, das nötige Licht zuzuführen, wurde die Reihe der
Seitengemächer in ihrem letzten Drittel nicht bis zur Rückwand durch-
geführt, sondern durch eine in die Queraxe gelegte bis an die seitliche
Umfassungsmauer reichende und somit zur Anlage von Fenstern Ge-
legenheit gebende Erweiterung, die alac, durchbrochen. — Die nächst-
folgende Entwicklungsphase ist bedingt durch die Einführung geschlos-
sener Häuserinseln mit gemeinschaftlichen Zwischenwänden und drängt
zu einem neuen Beleuchtungsverfahren, der Durchbrechung des Daches
durch ein Oberlicht. Der Grundplan des Hauses stellt nunmehr ein
längliches Viereck dar, das aber stets seine schmale Seite — eine Nach-
wirkung des alten Giebelhauses — der Strasse zuwendet und, wenn
irgend möglich, auch für den Eingang, trotz der die Fronte einnehmen-
den Werkstätten und Kaufläden, die Mittelaxe festhält. In der auf
dieser Stufe üblichen Konstruktionsform wird das Atrium als tuscanicum
oder cavum eudium bezeichnet. Wie ehedem, so wird auch jetzt das
Dach desselben von zwei quergelegten Hauptbalken getragen, aber es
ist kein Giebeldach mehr, sondern neigt sich von allen vier Seiten ein-
wärts gegen die in der Mitte angebrachte Licht-, Luft- und Regen-
öffnung, das compluvium. Man erkennt, dass wegen dieser Konstruktion
und der nach wie vor aufrecht erhaltenen Einheit mit den Alae und dem
Tablinum das italische Atrium seine Dimensionen nicht beliebig zu-
nehmen lassen kann, wie das griechische Peristyl, sondern an sehr
bestimmte Grenzen gebunden bleibt. Die von den steigenden An-
sprüchen an Würde und Behagen verlangte Raumvermehrung kann also
nur durch Anhängung neuer Bauteile erreicht werden: etwa eines
zweiten Atriums neben dem alten, oder — und das ist das Er-
wünschteste — eines hinteren luftigen Säulenhofes nach griechischem
Muster, mit einem Blumen- und Rasenplatz in der Mitte und Gesell-
schafts- und Speisezimmern (triclinia) an den Seiten. Das ist in dem
i. Jahrhundert der Kaiserzeit die Hausanlage der Reichen. Die Menge
der Kleinbürger begnügt sich fort und fort mit dem einfachen Atrium,
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
65
und es ist schon ein Zeichen von behaglicher GlUckslage, wenn dieses
unverkürzt bleiben darf. Bei jenen ist das Atrium nur mehr der Ort
für den Verkehr mit der Oeffentlichkeit, bei diesen bleibt es Mittel-
punkt der Familiengeselligkeit. Als Beispiel für die eine und für die
andere Art vergleiche man die beigegebenen Grundrisse zweier normal
entwickelter Häuser in Pompeji, der casa di Saüustio und der casa di
Pansa (Taf. 15, Fig. 2, 9). — In der Grossstadt Rom konnte die geschil-
derte Bauart nur in den wohlhabenden Klassen aufrecht erhalten bleiben,
während die unbemittelte Masse in vielstöckigen Mietkasernen sich
zusammendrängte; doch haben sich unter den Fragmenten des römischen
Stadtplanes auch von jener ein paar Beispiele erhalten, dem pom-
pejanischen Atrientypus wesentlich entsprechend (Fig. 5 a = Jordan,
tab. 23. fr. 173, cf. ibid. tab. 36. fr. 174b). — Noch ist auf einige
regelmässig wiederkehrende Züge aufmerksam zu machen. Zuvörderst
erscheint als des Atriums notwendiger Begleiter das Tablinum; ur-
sprünglich mit geschlossener Rückwand, nach vorn aber nur durch
Vorhänge absperrbar. Vor alters der Standort des in Kultus und Sitte
geheiligten ehelichen Lagers verblieb das Tablinum bis in späteste Zeit
der Ehrenplatz des Hauses, Schatzkammer, Archiv und Schauplatz
feierlicher Familienakte. Mit bemerkenswerter Beharrlichkeit werden
ferner auch die Alae zu beiden Seiten des Eingangs ins Tablinum
festgehalten, nachdem ihre ursprüngliche Funktion (die seitliche Licht-
zuführung) durch die Veränderung der Gesamtanlage längst in Weg-
fall gekommen ist. Ihre Wände zieren in den Häusern der Nobilität
die wächsernen Gesichtsmasken der Ahnen, in den Häusern neuer
Familien als Ersatz dafür bronzene oder silberne Medaillonporträte
(clipeatae imagitus) von Kaisern oder sonst berühmten Personen. End-
lich findet sich auf typisch feststehendem Platze, zwischen Tablinum
und Impluvium, ein nach Möglichkeit reich ornamentierter Marmor-
tisch — der aus Gewöhnung und religiöser Pietät konservierte Stell-
vertreter des alten Herdes.
Seit den letzten Zeiten der Republik tritt mit der tuskanischen
Atriumform das Säulenatrium in Konkurrenz, entweder in tetrastyler
oder in korinthischer Anlage, wie Vitruv sie nennt. Das tetra style
unterscheidet sich vom tuskanischen weiter nicht, als durch die Ein-
schiebung von 4 Stützen an den 4 Ecken des Impluviums. (Ueber seine
Weiterentwicklung in der Monumentalarchitektur vgl. oben Kap. II,
S. 46.) Das korinthische acceptirt einen mehrsäuligen Portikus
und bringt damit die schweren durchlaufenden Deckbalken in Wegfall,
während die an Umfang zunehmende Area nicht mehr durchaus vom
Wasserbecken eingenommen wird , sondern einen Rasenplatz mit um-
laufenden Abzugskanälen erhält. Die letztere Anlage ist, wie man sieht,
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
eine Verquickung des nationalen Atriums mit dem modischen den Griechen
abgelernten Pcristyl, ebenso dienlich, die erstere Bauform stattlicher aus-
zubilden, wie die letztere bei beschränkten Raumverhältnissen zu ersetzen.
Wir geben als Beispiel das Haus des M. Epidius Rufus zu Pompeji, Taf. 15,
Fig. 8, (bei welchem die abnormale Stellung der Alae den stattgehabten
Erweiterungsumbau zu erkennen giebt) und ein Fragment des römischen
Stadtplanes, Taf. 15, Fig. 5 b = Jordan tab. 16. fr. 109c. Schon an den
Häusern von Pompeji kann man die rasch fortschreitende Umwälzung be-
obachten, welche die Einbürgerung der Säule im italischen Hausbau her-
vorrief. Denn nicht nur, dass dieselbe um ihrer schönen Erscheinung
willen reichlichste Verwendung fand, sie gab auch die Möglichkeit, ohne
Verzicht auf den altgewohnten Grundplan, zu gesteigerten Dimensionen
und neuen Methoden der LichtfÜhrung fortzuschreiten. Es ist mit
Bestimmtheit anzunehmen , dass in der Kaiserzeit , mithin in der für
unsere Untersuchung massgebenden Epoche, die ansehnlicheren Häuser
ihr Atrium regelmässig als gesäultes gebildet haben. — Endlich ist in
Erinnerung zu bringen, dass die gedeckten Nebenräume durchweg in
kleinen oder kleinsten Dimensionen sich hielten, weshalb selbst in vor-
nehmen Bürgerhäusern (ein solches war z. B. das sog. Haus des Pansa
in Pompeji, Taf. 15, Fig. 9) ein zur Aufnahme grösserer Versammlungen
geschickter Raum ausser dem Atrium oder dem Peristyl nicht zu
finden war.
Nun noch ein Wort über die Häuser der Reichsten, die eigentlichen
Paläste nach unserer Sprechweise. Im Gegensatz zu der Neigung der
bürgerlichen Bauart, an Herkommen und Regel beharrlich sich an-
zuschliessen, besteht in der Palastarchitektur Uebereinstimmung nur in
den allgemeinsten Tendenzen und — selbstverständlich — in den bau-
lichen Grundelementen ; in Bezug aber auf die Kombination derselben
im einzelnen Falle ist Verschmähung alles Schematischen, freiestes
Walten von Phantasie und Laune das eigentlich Bezeichnende, und
darum ist jeder Versuch zur Rekonstruktion eines römischen Normal-
palastes Verkennung des Grundcharakters dieser Gattung. Als Fun-
damentalzeugnis betrachtet man gewöhnlich Vitruv VI, 8: nobüibus vero
qui honores magistratusque gcrundo praestare debent officia civibus, facienda
sunt vestibula regalia aJta, atria et peristylia amp/issima, silvae ambulationes-
que laxiores ad decorem majestatis perfectae, praeter ea biblicthecae pinaco-
thecae basilieae non dissimili modo quam publicorum operum magnificentia
comparatae, quod in domibus eorum saepius et publica consilia et privata
judicia arbitriaque conficiuniur.
Die bisherigen Versuche zur geschichtlichen Ableitung der christ-
lichen Kirchenbasilika aus vorgefundenen Formen der römischen Archi-
tektur haben zunächst an den Namen angeknüpft. Leon Battista
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
6/
Alberti, der grosse Florentiner Architekt und Humanist des 15. Jahr-
hunderts, war der erste, der die den Zwecken des öffentlichen Ver-
kehrs und der Rechtsprechung gewidmete, meist mit dem Forum in
Verbindung stehende römische Basilika als Urbild der christlichen
bezeichnete, und diese Theorie hat allgemeine Anerkennung genossen
bis in unsere Zeit. Durchschlagende Widerlegung widerfuhr ihr zuerst
im Jahre 1847 durch Zestermann: die Ableitung der christlichen Basilika
aus der heidnisch-profanen sei geschichtlich unhaltbar; auch formal
beständen zwischen beiden Gattungen wesentliche Differenzen; die
Kirchenbasilika könne nur als selbständiges, und zwar in der kon-
stantinischen Zeit geschaffenes Produkt des christlichen Kultus und
Geistes erklärt werden. Eine grosse Zahl von Archäologen und Archi-
tekten — darunter der Herausgeber des umfassendsten Uber die altchrist-
liche Architektur bis jetzt erschienenen Werkes, H. Hübsch — eigneten
diese Doktrin sich an ; andere, an ihrer Spitze Weingärtner und Messmer,
widersprachen und gaben eine neue Erklärung, welche den Kern der
gegenwärtig in Deutschland herrschenden Lehre bildet. Die grund-
legende Prämisse bildet der unwiderleglich richtige Satz, dass die An-
fänge des christlichen Kirchenbaues in der antiken Privatarchitektur
wurzeln. Allein man beging den Fehler, nicht das antike Wohn-
haus generell, sondern allein das vornehme Haus, den Palast, in
Betracht zu ziehen. Gleich den Vertretern der alten Theorie beherrscht
von der Meinung, dass der untrüglichste Leitfaden durch die Be-
nennung gegeben werde, machte man zum Fundamente der Unter-
suchung das Wort basilica in der oben reproduzierten Stelle bei Vitruv.
Man betrachtete dadurch als erwiesen, das vornehme römische Haus
habe unter seinen Bestandteilen regelmässig einen Saal von specifischer
Gestalt und specifischer Benennung besessen, eben die »Basilika«;
weiter sei bekannt, dass zu der christlichen Gemeinde viele Angehörige
vornehmer Familien gehörten: folglich habe die Kirchenbasilika ihren
Ursprung in der römischen Palastbasilika.
Auch gegen diese Theorie, so grossen Beifall sie sich mehr und
mehr erworben hat, erwachsen entscheidende Bedenken. Da wir die-
selben schon einmal ausführlich zur Sprache gebracht haben (Sitzungs-
berichte der k. b. Akademie der Wissenschaften zu München, historische
Klasse, 1882 Bd. II, Heft 3), bemerken wir in Kürze folgendes. —
Es ist unstatthaft, die Worte Vitruvs als normativ für die römische
Palastanlage in genere zu betrachten. Das Wort Basilika bezeichnet im
römischen Sprachgebrauch nicht eine bestimmt umschriebene architek-
tonische Form, sondern zunächst den Zweck einer gewissen Bau-
gattung, dann allgemein etwa so viel wie unser »Halle« (vgl. auch
unten Abschn. 2), so dass aus der Bezeichnung eines Gebäudes oder Bau-
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
teiles als »Basilika« allein schon Schlüsse auf dessen bauliche Gestalt
zu ziehen niemals zulässig ist. Endlich finden sich unter den, alles
zusammengerechnet, an Zahl und Bedeutung gewiss nicht unbeträcht-
lichen Ueberresten römischer Palastbauten nirgends erkennbare Spuren
zugehöriger Basiliken — wir meinen immer Privatbasiliken in der
vorausgesetzten kirchenähnlichen Gestalt — , geschweige denn, dass
solche als ständiges Attribut nachzuweisen wären. Die grosse Palast-
architektur der Kaiserzeit ist vorwaltend Gewölbearchitektur
und bevorzugt infolgedessen für die einzelnen gedeckten Räume
quadratische oder doch nur mässig verlängerte und zentrisch kom-
binierte Grundpläne (z. B. Taf. 15, Fig. 4); mithin bleiben die am
häufigsten angewandten und am meisten charakteristischen Formen der
Palastsäle für die Ableitung des christlichen Kirchengebäudes von vorn-
herein ausser Betracht. Unter den Sälen von entschieden oblonger
Gestalt ist die geläufigste Anlage die einschiffige, also wiederum eine
nicht basilikale; bald mit flacher Balkendecke (z. B. Taf. 15, Fig. 6),
bald nach der Tonne überwölbt Werden Säulen hinzugezogen, so
geschieht es in der Regel mehr um der Dekoration als um der Raum-
teilung willen. Als monumentales Hauptzeugnis für die »Privatbasilika«
wird der auf Taf. 15, Fig. 3 dargestellte Raum des flavischen Palastes
auf dem Palatin vorgeführt. Wir unseresteils halten jedoch im höchsten
Grade für unwahrscheinlich, dass er im Aufbau analog der christlichen
Basilika gestaltet gewesen, meinen vielmehr starke Indizien für Ueber-
wölbung (vermutlich als Halbtonne mit Lichtöffnung im Scheitel) wahr-
zunehmen, wobei dann auch die Seitenräume nicht als eigentliche Schiffe,
sondern nur als Wandnischen zu betrachten wären, das Ganze über-
einstimmend mit dem oecus eorinthius bei Vitruv VI, 5. Bei alledem
finden wir ganz glaublich, dass jezuweilen (so vielleicht in einem Raum
der hadrianischen Villa, von dem der Grundplan, Taf. 15, Fig. 6,
erhalten) auch in Palastsälen laternenartige Ueberhöhung des Mittel-
raumes, also ein basilikales Motiv, zur Anwendung gekommen ist. Die
Thatsache bleibt darum ungeschmälert bestehen, dass die weitaus
gebräuchlichsten Saalformen solche sind, die von dem basilikalen
Prinzip sich gründlich unterscheiden.
Offenbar ist für die Frage nach dem Ursprung der christlichen
Basilika aus der etwaigen Entdeckung vereinzelt hie und da auftauchen
der Analogien überhaupt nichts zu gewinnen. Bereits im konstantini-
schen Zeitalter tritt sie uns als fertige, man dürfte fast sagen erstarrte,
Bildung entgegen; es wird nicht mehr gesucht und gewählt; es scheint
sich längst von selbst zu verstehen, welche Formen anzuwenden, welche
auszuschliessen sind; kurz, alles weist auf eine Vorgeschichte hin, in
der die bestimmenden Einflüsse in immer gleicher Gestalt wieder-
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
69
gekehrt sind. Darum vermöchten wir nur eine solche Bauform, in
welcher, sei* es fertig sei es im Keime, die ihre Wesenheit ausmachenden
Züge bereits vorgebildet sind, als ihre wahre Mutterform anzuerkennen.
Solche essentielle Merkmale sind aber: der oblonge, durch Freistützen
in ein Hauptschiff mit begleitenden Nebenschiffen geteilte Grundriss,
und der das Hauptschiff zum Zwecke seitlicher Oberlichter Uberhöhende
Querschnitt. — Unmöglich könnte gesagt werden, dass die Saal-
architektur der römischen Paläste diesen Forderungen Genüge thäte;
vielmehr, wäre die christliche Basilika in Wahrheit eine Tochter jener
gewesen, sie hätte wesentlich andere Gestalt annehmen müssen, als in
der wir sie erblicken.
Nun nützt aber der herrschenden Lehre ihre These von der Privat-
basilika noch gar nichts ohne Hinzutritt einer zweiten Voraussetzung :
der, dass im Durchschnitt einer jeden Gemeinde ebensoviel Paläste
(und zwar immer solche mit Basilika) zur Verfügung standen, als sie
kirchliche Versammlungslokale nötig hatte. Sie kann indes ebensowenig
gutgeheissen werden, wie die erste. Während der für unsere Frage
entscheidenden zwei ersten Jahrhunderte hatte das Christentum seine
Angehörigen ganz Uberwiegend in den mittleren und niederen Regionen
der Gesellschaft. An dieser Durchschnittsphysiognomie ändert der Bei-
tritt einzelner vornehmer Personen, namentlich Frauen, wenig oder
nichts. Es sind ihrer im Verhältnis zur Gesamtheit doch nur wenige,
ihrer Hilfsbereitschaft setzen Rücksichten auf ihre Familie und auf den
Staat sehr bestimmte Grenzen, und man kann als gewiss ansehen, dass
eigentliche Paläste während der in Rede stehenden Frühperiode nur
ausnahmsweise dem christlichen Kultus sich öffnen durften. Uebertritte
ganzer Familien der römischen Aristokratie rechnet die Kirche erst von
Kaiser Kommodus ab, also von einer Zeit, wo die Ecclesia feste Ver-
fassung und Gottesdienstordnung, selbständiges Vermögen, besoldete
Beamte und (wie Minucius Felix und Tertullian bezeugen) auch stän-
dige Versammlungshäuser bereits besass. Wenn selbst zwei Menschen-
alter nach Konstantin das Christentum in den vornehmen Familien
Roms noch nicht Uber die Majorität gebot, wie wäre auch nur zu denken,
dass die schon im 3. Jahrhundert in Rom vorhandenen mehr wie
vierzig Ecclesialbasiliken (vgl. S. 12) ebensoviel vornehmen Palästen an-
gehört hätten? Und nun gar die mittleren und kleineren Provinzial-
gemeinden! Nein, es können in der grossen Masse nur Bürgerhäuser
gewesen sein, in denen die Christen sich versammelten, und in den
Bauverhältnissen dieser haben wir die Entscheidung zu suchen. Das
ist es, worauf die Abwägung der verschiedenen Möglichkeiten immer
zurückführt und worin zugleich für die weitere Untersuchung eine Grund-
lage von der oben postulierten Beschaffenheit gewonnen ist, d. i. eine
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Erstes Buch : Der chrotüch-antike Stil.
Summe wesentlich gleichartiger Einzelprämissen, dargestellt durch eine
bestimmt typisierte, an eine feste Tradition und Sitte gebundene Bau-
gattung.
Im antiken bürgerlichen Hause, nicht ausgenommen das reiche
und stattliche, gab es regelmässig nur einen einzigen geschlossenen
Raum von ausreichendem Umfange für eine gottesdienstliche Versamm-
lung: das ist das Atrium, beziehungsweise — in Ländern griechischer
Sitte — das Peristyl. Vergleichen wir den Grundriss des Atriums,
zumal des in der Kaiserzeit am meisten gebräuchlichen Säulenatriums,
mit jenem der Kirchenbasilika, so fallt, trotz der hier gewaltig ange-
wachsenen Dimensionen, in der That die Uebereinstimmung der Raum-
gestaltung ohne weiteres ins Auge, und wir erkennen zugleich, wie die
äussere Anordnung des Gottesdienstes in der antiken häuslichen Sitte
ihre Wurzel hat. Wir bringen in Erinnerung, dass die älteste Organi-
sation der christlichen Gemeinde Familiengruppierung war, Anlehnung
an das umfassende Rechts- und Pietätsverhältnis, das in der antiken
Welt den Fremdling, der kein Bürgerrecht am Orte besass, oder den
Gastfreund oder den Freigelassenen mit seinem Schutzherrn verband.
Der traditionelle Ort aber für den Verkehr des Patrons mit den Klienten
wie für die förmlichen und feierlichen Vorgänge des häuslichen Lebens
überhaupt war das Atrium. Von den Teilen des Atriums bedeutet das
Tab Ii n um den Ehrenplatz des Hausherrn — im Sinne der Gemeinde
des StAxovoc, wie die paulinischen Briefe ihn nennen : — es deckt sich,
architektonisch wie zwecklich, mit dem Priesterchor der entwickelten
Kirchenbasilika; auch übersehe man nicht, dass es nicht, wie die
Apsis der Forumsbasilika, ein willkürlicher und entbehrlicher Zusatz,
sondern zum Begriff des Atriums gehörender unveräusserlicher Bestand-
teil ist. -Sodann in dem Querraum vor dem Tablinum haben wir
uns die Diakone (im Sinn der nachapostolischen Zeit) und die Dia-
konissen und Witwen zu denken, von denen es heisst, dass sie in der
Versammlung an einem besonderen Platz sassen, unversch leiert, um ihr
Amt der Rüge zu üben. Es ist derselbe Raum, der später als Limi-
nare oder Solea, auch wohl in ein Senatorium und Matronaeum geteilt
erscheint, in dem die Sitze der vornehmen Magistratspersonen, der
Clerici minores, der geweihten Jungfrauen, sich befanden und wo den
Laien die Kommunion erteilt wurde. Gerade an dieser Stelle nun,
zwischen Tablinum und Impluvium, befand sich im antiken Hause (oben
S. 65) regelmässig ein steinerner Tisch. Um ihn, als den Nachfahren
des geheiligten Hausherdes, schwebte noch immer eine Erinnerung
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
71
religiöser Weihe, und es ist uns nicht zweifelhaft, dass wiederum sein
Abkömmling der christliche Altar wurde. Dass die ältesten, sei es
real, sei es im Bilde, uns überlieferten christlichen Altäre in ihrer Form
den pompejanischen Atrientischen so ganz gleichen, ist längst aufge-
fallen; noch bedeutsamer scheint uns die Uebereinstimmung des tradi-
tionell fixierten Standortes. (Nebenher möge auch noch eine Kleinig-
keit Beachtung finden : die Medaillons mit Papst- und Bischofs-
porträten als Wanddekoration der Kirchen, bei deren Anblick es nicht
unerlaubt sein wird, an die clipeatae imagines des römischen Atriums
sich erinnert zu fühlen.) Dem dreigeteilten Säulencavaedium entspricht
das Langhaus der christlichen Basilika, den Alae entspricht deren
Querschiff. In diesen Analogien würden wir, wenn sie einzeln für
sich ständen, wenig Beweiskraft finden ; aber in dem vorstehenden festen
Zusammenhange scheinen sie uns vollkommen durchschlagend : eine ähn-
liche Parallelkombination — wie in dem Cavaedium , den Alae , dem
Tablinum einer-, dem Langhaus, dem Querschiff, der Apsis anderer-
seits — ist sonst im ganzen Bereiche der antiken Architektur nicht
mehr bekannt.
Das Querschiff ist derjenige Teil des Kirchengebäudes, der den
Erklärern bisher die meiste Beschwerde gemacht hat. Entweder ver-
zichten sie Uberhaupt auf eine baugeschichtliche Ableitung, oder sie
helfen sich mit Hypothesen, denen die Ratlosigkeit an die Stirne ge-
schrieben ist. Um nur die neuesten zu nennen: J. P. Richter erklärt
das QuerschifT für ein ins Riesengrosse übertragenes Arkosolium;
F. X. Kraus findet es in den Seitenapsiden der Cömeterialzellen vor-
gebildet; H. Holtzinger lässt es gelegentlich des konstantinischen Um-
baues der sessorianischen Basilika erfunden sein. Ein richtiges Gefühl
liegt diesen Versuchen indes zu Grunde: einmal die Abkehr von der
früher beliebten symbolischen Beziehung auf das Kreuz Christi ; sodann
die Anerkennung, dass es durch kein konstantes Bedürfnis des Kultus
gefordert, auch nicht aus der konstruktiven oder formalen Grundidee der
Basilika als solcher heraus entwickelt sei, sondern nur als von einem
.fremden Urbild übernommene atavistische Form betrachtet werden könne.
Welche historische Bauform hier allein in Frage zu ziehen sei, kann für uns
nicht mehr zweifelhaft sein. Die Zurückfiihrung des Basilikenquerschiffes
auf die Alae des italischen Atrienschemas löst das Rätsel in denkbar
einfachster Weise : es bedarf keiner hypothetischen Zwischenglieder —
das Querschiff ist da; ist fertig da als Wiegengabe einer uralten
italischen Bauüberlieferung an das werdende christliche Gotteshaus. —
Auch kann eine Gegenprobe angestellt werden. Sie liegt in der
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j2 Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Beobachtung, dass das Querschiff ausschliesslich in Rom und den von
Rom beeinflussten Landschaften des Occidents, und auch hier relativ
selten, sich vorfindet, hingegen der morgenländischen Welt, mit Ein-
schluss Ravennas, fremd bleibt1). Der Grund dieser merkwürdigen
Thatsache wird jetzt offenbar : es sind die Alae eben ein dem griechischen
Peristylhause unbekanntes, ein spezifisch dem italischen Hause eigen-
tümliches Motiv, dessen Geltung zwar im Laufe der Zeiten, am meisten
durch das Eindringen des griechischen Säulenbaues, in der römischen
Baupraxis geschmälert, aber nie ganz beseitigt worden ist, wie mehrere
Fragmente des in den Anfang des 3. Jahrhunderts gehörenden Stadt-
planes beurkunden (z. B. Fig. 4).
Die landläufige Rede, die Konfiguration des christlichen Kirchen-
gebäudes sei bestimmt durch den Geist und das Bedürfnis des christ-
lichen Kultus, ist also so wenig wahr, dass man sie vielmehr umkehren
muss und sagen: der christliche Kultus ist nach seiner äusseren Ein-
richtung bestimmt durch die vorgefundene Konfiguration des antiken
Hauses. Was die christliche Basilika vom griechischen Tempel so
durchgreifend unterscheidet: dass sie lediglich als Innenarchitektur ge-
dacht ist ; — ferner der oblonge Grundplan mit der festen Perspektiven
Richtung auf das Sanctuarium, ja selbst alle einzelnen Züge des Grund-
planes erweisen sich als ein Gegebenes: QuerschifT und Chor im ita-
lischen Cavaedium, die dreischiffige Teilung des Langhauses im griechi-
schen Peristyl und die Verschmelzung beider im spätrömischen Säulen-
atrium. — So weit, in Bezug auf den Grundriss, erachten wir durch
unsere Hypothese die geschichtliche Ableitung für vollständig und exakt
gelungen; es ist aber ein zweites Moment da, welches derselben noch
harrt: der Querschnitt.
Die Ausbildung des Querschnittes bezeichnet die zweite Phase
in der Entstehungsgeschichte der christlichen Basilika. Eingeleitet wird
dieselbe damit, dass das Haus eines Gcmeindemitgliedes durch Schenkung
oder sonstige Vereinbarung Eigentum der Ecclcsia und als solches zum
ständigen Lokal des Gottesdienstes eingerichtet wird. Nun können
bauliche Abänderungen und Zuthaten, wofern sich ein Bedürfnis danach
geltend macht, ihren Anfang nehmen. Will man, was auf diese Weise
entsteht, Hausbasilika benennen, so wäre nichts dagegen einzuwenden \
doch müsste schärfstens hervorgehoben bleiben, dass es etwas von der
') Die Querschifte der Demetriuskirche in Thessalonich und der Marienkirche in
Bethlehem (Taf. 17, Fig. 7) gehören einem durchaus anderen Formgedanken an, wie die
römischen.
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Drittes Kapitel: Die Basilika. 73
Hausbasilika in dem bisher in der Litteratur angewandten Sinne nach
Ursprung und Art wesentlich verschiedenes ist. Als die wichtigste
Aufgabe der jetzt einsetzenden Fortbildung des Atriums erkennt man
die vollständige Ueberdachung desselben. Die entwickelte Kirchen-
basilika hat bekanntlich eine feste Formel dafür: sie überhöht das
Mittelschiff. In der ausnahmslosen Geltung, in der dieses System schon
im 4. Jahrhundert sich vorfindet, haben wir oben ein Anzeichen zu sehen
geglaubt, dass auch es auf einer frühen Entwicklungsstufe sich stabiliert
haben müsse. Dies wird jetzt durch die Einsicht, dass die Kirchenbasilika
vom Atrium ausgegangen ist, ganz klar. Weiter erinnern wir an den
eingangs (S. 64) hervorgehobenen unlöslichen Zusammenhang, in dem
die Bedachungs- mit der Beleuchtungsfrage und diese mit dem Gesamt-
grundriss steht Wollte man bei unverändertem Fortbestande des letz-
teren, d. h. bei der ringsum eingeschlossenen Situation des Atriums,
das Kompluvialsystem aufgeben, so gab es, wie ohne weiteres ein-
leuchtet, keine Alternative als die basilikale Ueberhöhung. So ist also
auch dieses zweite Hauptmerkmal des christlichen Kirchengebäudes eine
aus den geschichtlich gegebenen Verhältnissen des bürgerlichen Hauses
mit Notwendigkeit abfolgende Konsequenz, ist das hoch über den
Seitenräumen schwebende Dach des Hauptschiffes der Basilika ein
Erinnerungszeichen an den Zustand, da dieses noch ein offener Hof-
raum war.
Ist es aber bloss ein logischer Zusammenhang? Hat diese Kon-
sequenz wirklich nie früher sich eingestellt, als durch die Versamm-
lungen der Christen? Es ist wahr, die überwiegende Mehrzahl der
Atrien Pompejis liegt in der Mitte dem freien Himmel offen. Aber
Pompeji ist nicht ohne weiteres und in allem massgebend für ganz
Italien, die Landstadt nicht für die Grossstadt, das 1. Jahrhundert nicht
für die folgenden. Zudem hat durch die Verdrängung der tuskanischen
Atrienform und die damit verbundene Erweiterung des Compluviums
die Blossstellung gegen Käke und Regen noch immer zugenommen.
Wie hat man in dem Durchschnittshause, in dem ausser dem Atrium
nichts als winzige Zimmerchen vorhanden waren, an Wintertagen über-
haupt nur existieren können? Ist es irgend glaublich, dass ein im
Raffinement des leiblichen Behagens so erfindungsreiches Geschlecht,
wie das der Kaiserzeit, in diesem einen Punkte über einen so primi-
tiven Zustand nicht hinausgekommen sein sollte? Scheint hiernach die
Folgerung unausweichlich, dass im kaiserlichen Rom die Schliessung
der Atrien eine mindestens häufige Sache gewesen sei, so bedarf es für
uns keines weiteren Nachweises, um sagen zu dürfen, dass in den
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Erstes Buch: Der chrisUich-anüke Stil.
meisten Fällen die Ueberdachung des Compluviums nur in Verbindung
mit Ueberhöhung desselben ausführbar sein konnte. Ausser diesen
allgemeinen, aber wahrlich nicht leichtwiegenden, Gründen glauben wir
zu gunsten unserer Vermutung auch noch Vitruv aufrufen zu sollen.
Wir glauben, dass er in seine leider sehr wortkarge !) Beschreibung des
atrium displuviatum (VI, 3) den von uns angenommenen Fall mit ein-
begriffen hat. Displuviata autem sunt in quibus deliquiae arcam sustinentes
stillicidia rciciunt. Ueber die Deutung dieses Satzes besteht gegen-
wärtig nur eine Meinung (Reber, Overbeck, Nissen u. s. w.): man denkt
sich das displuviatum nur dadurch vom tuscanicum unterschieden, dass
die Dachflächen nicht einwärts, sondern mit der Neigung nach aussen
gestellt sind, wieTaf. 15, Fig. 16 veranschaulicht. Wir wollen nun keines-
wegs sagen, dass diese Erklärung falsch sei, allein wir halten sie für un-
vollständig. Sie berücksichtigt nicht, was Vitruv unmittelbar hinzusetzt :
hacc hibernaculis maxime pracstant ulilitatcs, quod compluvia eorum erecta
twn obstant luminibus tricliniorum. Bevor wir an die Erläuterung dieser
Stelle gehen, müssen wir die Frage aufwerfen, welche Vorteile denn
eigentlich das displuviatum (in der angenommenen Gestalt) gegenüber
dem tuscanicum aufweisen kann ? Es ist nur der einzige da, dass das
Impluvium vom Traufwasser befreit wird; aber es wird darum doch
nicht entbehrlich gemacht; Kälte, Wind, Feuchtigkeit werden vom
Binnenraum nicht besser abgehalten. Hingegen treten zwei schwere
Uebelstände neu hinzu: der eine, den schon Vitruv hervorhebt, dass
das Traufwasser durch Röhren abgeleitet werden muss, die in den
Wänden stecken; der andere, von dem aber Vitruv nichts zu wissen
scheint, dass der Dachstuhl der eindringenden Feuchtigkeit schutzlos
preisgegeben ist. Dies führt auf einen Fehler der üblichen Interpretation,
nämlich dass sie das displuviatum lediglich mit dem tuscanicum, nicht aber
auch mit dem icstudinatum in Vergleich setzt; ferner dass, wie gesagt,
Vitruvs Zusatzbemerkung unbeachtet bleibt. In der letzteren wird vom
displuviatum ausgesagt : einmal, dass es für Winterwohnungen grosse An-
nehmlichkeit biete, dann dass es der Beleuchtung der Seitengemächer
(welche eben auf Lichtzufuhr aus dem Atrium angewiesen sind) nicht
im Wege stehe. Offenbar ist durch die erstere Eigenschaft ein Unter-
schied gegenüber dem tuscanicum, durch die zweite ein Unterschied
gegenüber dem Icstudinatum angegeben. Nicht minder offenbar aber
kann eine Dachkonstruktion, welche beides in einem gewährleistet —
Wetterschutz und Lichtfülle — unter den gegebenen Verhältnissen nicht
gedacht werden, als allein in Gestalt einer über dem Compluvium an-
') Man vergesse nicht, dass Vitruvs Text von Abbildungen begleitet war, die uns
verloren sind.
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
75
gebrachten Laterne. Als eine solche Laterne wäre also die von den
deiiquiae, d. i. den aufwärts gerichteten Dachsparren getragene arca
Vitruvs aufzufassen, und es ist vielleicht nicht bedeutungslos, dass
gerade die ältesten römischen Altartabernakel, die einen Tempel im
kleinen vorstellen, eben dieses Motiv aufweisen, ja dass auch für sie
der Name arca im Gebrauch ist, während der Name xtßutpicv, d. i. Becher,
auf die in der morgenländischen Kirche vorherrschende Kuppelbedeckung
hinweist. Weitere, wie mir scheint, nicht verächtliche Zeugnisse für die
Bekanntschaft mit dieser Einrichtung geben die in Afrika gefundene
Bronzelarape in Gestalt einer kleinen Basilika (Taf. 15, Fig. 13) und
die architektonischen Hintergründe mancher altchristlichen Mosaiken,
besonders reichlich in St. Georg zu Thessalonich (Texier et Pullan,
Arch. byz. XXX— XXXIV, daraus unsere Fig. 14).
Der in Fig. 17 gegebene Restaurationsversuch nimmt den einfachsten
Fall an, nämlich dass die Hauptbalken noch in derselben Weise an-
geordnet sind, wie im Tuscanicum. Im tetrastylen oder im korinthischen
Atrium kann die Ausfahrung natürlich eine viel vollkommenere werden,
ja es ist durch sie der Gedanke so nahe gelegt, dass es förmlich ver-
wunderlich wäre, ihn nicht aufgenommen zu sehen. Weiter lese man
nach, was Vitruv in einem späteren Kapitel desselben Buches (VI, 6)
Uber Beleuchtungsverhältnisse im allgemeinen sagt, Uber die Schwierig-
keiten, welche für dieselben aus der überragenden Höhe der Nachbar-
häuser erwachsen, über die Berechnung des Einfallswinkels u. s. w.,
und man wird finden, dass diese Erwägungen für ein Atrium mit Area
sub diu gegenstandslos sind, vielmehr nur für eine Anlage mit seit-
licher Lichtzuführung Sinn haben. Dass aber eben unter den von
Vitruv ins Auge gefassten, in städtischen Häusern regelmässig wieder-
kehrenden Bedingungen, Seitenlichter nur bei einem in der angenomme-
nen Weise überhöhten Querschnitte durchführbar sind, dafür bedarf es
nach dem Bishergesagten keines Wortes mehr. Ebenso versteht sich
von selbst, dass eine solche Anlage, sobald sie gewisse Dimensionen
überschreitet, die dreischiffige Teilung mit Freistützen zur notwendigen
Konsequenz hat. — Weiter als bis zu dieser logischen Beweisführung
vermögen wir allerdings nicht vorzudringen, denn den Augenscheins-
beweis zu erbringen versagt uns der Zustand der Monumente. Allein
es giebt doch Wahrscheinlichkeiten, welche innerlich so stark begründet
sind, dass sie nahezu den Wert von Thatsachen erhalten. Und wenig-
stens in einem Falle liegt ein Baurest vor, welcher eine andere Er-
gänzung als die befürwortete kaum zulassen möchte. Das ist der im
Grundriss die Form eines korinthischen Atriums zeigende kleine Raum
im sog. Palazzo der Villa Adriana (Taf. 15, Fig. 6).
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76
Krstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Es zeigt sich, dass das antike Wohnhaus — wie für den Grundriss,
so höchst wahrscheinlich auch für den typischen Querschnitt der christ-
lichen Basilika — Vorbild war. Nicht jedoch, wie dort, einziges, son-
dern nur nächstes Vorbild. Fensterlose Räume durch Ueberhöhung
der Mittelpartie zu erleuchten, war ein der antiken Architektur seit
ältester Zeit geläufiger Kunstgriff : wir begegnen ihm in den hypostylen
Sälen der ägyptischen Tempel, in umfangreicher Verwendung im
assyrischen Palastbau; er war den Griechen nicht unbekannt und hat
vielleicht in der alexandrinischen Baukunst schon eine bedeutende Rolle
gespielt; er war zweifellos ein Element in der grossen öffentlichen
Architektur der römischen Kaiserzeit, und zwar vorzüglich der foren-
sischen Basiliken. So wenig diese Baugattung als solche einen
allseitig abgeschlossenen Kanon besass, so müssen doch gewisse Grund-
motive in namhafter Häufigkeit in ihr wiedergekehrt sein. Dass da-
hin, Hand in Hand mit der (durch die monumentalen Ueberreste sicher-
gestellten) mehrschiffigen Grundrissteilung, auch die Ueberhöhung des
Mittelschiffes gehört habe, ist unsere wohlerwogene Ueberzeugung, die
wir hier nur als solche aussprechen können , da ihre nähere Begrün-
dung eine allzu weitläufige Digression verursachen würde. Wer diese
unsere Meinung teilt, wird mit uns auch weiter natürlich und unver-
meidlich finden, dass die werdende Kirchenbasilika von dem Augen-
blicke ab, da sie aus der Schale des Privathauses heraus einer selb-
ständigen monumentalen Existenz entgegenstrebte, nach ihren Zwecken
sich angeeignet und ausgenützt habe, was die Gattung der forensischen
Basilika in häufigen Beispielen bereits gelöst und in grösstem Mass-
stabe durchgeprobt vorwies, und worauf sie selbst durch Tradition und
innere Notwendigkeit hingedrängt wurde. Es kann keine unhistorischere
Anschauung geben, als die den christlichen Kirchenbau aus dem grossen
Gange der gemein-römischen Architekturgeschichte wie eine autonome
oder gar gegnerische Macht herausheben möchte. (Beiläufig bemerkt:
gründet es nicht vielleicht in bewusstem Wetteifer, dass die beiden
grossen christlichen Basiliken S. Peter und S. Paul mit der Julia
und Ulpia bis auf geringe Differenzen in der Breite des Hauptschiffes
übereinstimmen ?)
Der Vorgang, von dem wir sprechen und der in allem Einzelnen
freilich der Beobachtung sich durchaus entzieht, führt hinüber in die
dritte und letzte Phase der Entwicklungsgeschichte des altchrist-
lichen Kirchengebäudes. Hier ist dasselbe nicht mehr oder nur noch
ausnahmsweise als Umbau eines übernommenen Privathauses sondern
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
77
als selbständiger Neubau, nicht mehr als Bedürfnisarchitektur sondern als
getragen von monumentaler Absicht zu denken. Als den historischen Zeit-
raum, in dem dieses sich vollzog, vermuten wir die vierzigjährige Toleranz-
epoche zwischen der decischen und der diokletianischen Verfolgung
(oben S. Ii). Das 4. Jahrhundert steigerte erheblich die Dimensionen,
zuweilen bis zum Kolossalen, vermehrte die Pracht der Ausstattung,
fixierte manche wohl noch schwankende Einzelheiten : ein entscheidendes
Moment für das allgemeine Kompositionsschema hat es schwerlich mehr
hinzugebracht. Was dieser dritten Entwicklungsepoche zu thun oblag,
war die Anpassung des schon unlöslich mit den Gewohnheiten des
Kultus verknüpften Atrienschemas an die jetzt geforderten grossen
Raumabmessungen. Während Griechenland und der Orient, in näherem
Anschluss an die öffentliche Basilika, die doppelgeschossige Anlage der
Seitenschiffe bevorzugte, entschieden sich die lateinischen Länder für die
vielleicht nicht schönste aber einfachste, den Ursprungsverhältnissen am
nächsten bleibende Lösung : über den Portiken, mit Verzicht auf Seiten-
galerien, sogleich die lichtbringenden Obermauern aufsteigen zu lassen.
Ob etwa auch schon die Profanbasilika zuweilen dieses System nicht ver-
schmäht hatte, muss dahingestellt bleiben. — Die Grundrissdisposition
blieb währenddem nahezu unverrückt so, wie sie durch die ersten An-
fänge vorgezeichnet war. Als wichtigen Unterschied im Vergleich mit
der forensischen Basilika pflegt man den Wegfall der Säulenreihe an
der abschliessenden Schmalseite des Hauptschiffes hervorzuheben. Es
kommt darin der perspektivische Charakter der Anlage und die Be-
deutung des Altars für sie zum Ausdruck. Indes ist auch dieses
Moment schon im Privathause gegeben. Nach Vitruv bildet es die
Regel im griechischen Peristyl (Taf. 15, Fig. 1), es begegnet nicht minder
an römischen Säulenatrien der Kaiserzeit (Taf. 15, Fig. 5 b, 6). Dafür
ist einmal ein merkwürdiges Beispiel von einer christlichen Basilika
erhalten, welche nach der Weise vieler forensischen den Säulengang
vor der Tribuna vorbeifuhrt (De Voguö: Syrie centrale pl. 19). Als
etwas Selbstverständliches vollzieht sich endlich die Umwandlung der
Priesterexedra aus der rechtwinkeligen Gestalt, die sie im Tablinum
und in der Prostas gehabt hatte, in die hemicyklische : d. i. in das der
römischen Architektur geläufigste, in allen Gebäudegattungen ange-
wendete Abschlussmotiv. Uebrigens begegnen wir, in Afrika und im
Orient häufig, im Occident hier und da, noch Apsiden, welche nach
aussen die rechtwinkelige Ummauerung konservieren.
Es ist eine Stellung ohnegleichen, die die altchristliche Basilika
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7«
Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
im ganzen der Architekturgeschichte einnimmt. Keine zweite Bauform
giebt es, in welcher so viel uralte Traditionen zusammenfliessen und so viel
Keime unendlicher neuer Gestalten verborgen sind. Nach ihren nächsten
Antecedentien eine Weiterbildung aus der, Atrium und Peristyl ver-
quickenden, spätrömischen Halle, umschliesst sie in gewissem Sinn zu-
gleich eine Rückbildung zu dem alten , unmittelbar auf dem Bauern-
haus beruhenden Testudinat - Atrium. Die Einheit des Raumes, in
den späteren Stadien des antiken Hauses etwas aufgelockert, wird
wieder stärker zur Geltung gebracht, vor allem durch die Wiederher-
stellung der durchgehenden Bedachung. Nicht minder bedeutsam ist
die veränderte Gestalt des Daches, die Rückkehr zur ursprünglichen
Giebelform. Mit der Einführung des tuskanischen Atriums war dem
italischen Hause die Fassade verloren gegangen — die Rückkehr zum
Giebeldach hilft sie wiedergewinnen. Festgehalten aber wird gleichwohl
die Errungenschaft der jüngsten Jahrhunderte, der innere Säulenbau,
und in ihm das Mittel, die grössten Binnenräume vollkommen gedeckt
und doch wirksam beleuchtet zu bilden.
Es ist eine ununterbrochene, manches Fremde sich anartende,
im wesentlichen doch nur den eingeborenen Formungstrieb entfaltende
und aus sich selbst sich fortzeugende Stufenfolge monumentaler Gene-
rationen: von dem altitalischen Bauernhause zu den gewaltigen Basi-
liken St. Peters und St. Pauls — und von diesen weiter zur Kathedrale
von Rheims, zum Kölner Dom.
Zum Schluss sei in Kürze zweier abweichender Doktrinen Erwäh-
nung gethan.
Auf einen völlig anderen Boden, wie die deutschen Forscher, stellten
sich der Italiener Pater Marchi und der Franzose Martigny, indem
sie als Prototyp der Basilika die unterirdischen Katakombenkrypten
proklamierten. Ihnen folgte F. X. Kraus, zuerst unbedingt, dann mit
einer Modifikation. Seine jetzige Lehre (Real-Encyklopädie I, 119 ff.)
ist: die Kirchenbasilika sei im Zeitalter Konstantins entstanden durch
das Zusammentreten zweier Faktoren, der Cömeterialzellen sub diu,
und der Hausbasilika (im Sinne Messmers), beziehungsweise der forensen
Basilika. Typische Beispiele von Cömeterialzellen giebt unsere Taf. 14,
Fig. 7, 8. Kraus' Versuch, eine Bauform, deren substantielle Eigen-
schaften die Längenrichtung, die mehrschiffige Teilung, die flache
Holzdecke sind, aus einer zentral disponierten, ungeteilten, gewölbten,
also aus ihrem geraden Oppositum genetisch zu erklären, kann nur
damit entschuldigt werden, dass dem gelehrten Theologen das Ver-
ständnis für architektonische Dinge offenbar fehlt. Eine Fortbildung
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
79
der Cömeterialzellen im Sinne von Kraus hätte zu Anlagen ungefähr
wie S. Fedele in Como oder St. Maria im Kapitol zu Köln führen
müssen. Wie viel oder wenig Gewicht es hat, »dass die Christen des
Altertums basilica und coemeterium geradezu promiscue brauchtenc,
ergiebt sich aus »Die Genesis etc.« S. 313 und unten S. 84 ff.
Erst nach Veröffentlichung der Abhandlung »Die Genesis etat lernten
wir die Ansicht von Viktor Schultze kennen, die er im »Christ-
lichen Kunstblatt« von Merz und Pfannschmidt 1882, Augustheft, kurz
vorgetragen hat. Wir freuen uns zu sehen, dass wir in der grundlegen-
den Prämisse Ubereinstimmen : auch Schultze erkennt die Ableitung aus
dem antiken Bürgerhause als die historisch allein begründete. Im
eigentlich Architektonischen aber differieren wir mit ihm. Schultze stellt
sich von vornherein auf eine zu eng genommene Grundlage, indem er
von dem irrtümlich sogenannten Normalhause (Typus der Casa di Pansa
in Pompeji) ausgeht. Nach ihm entspräche das Atrium dem Vorhof,
das Peristyl dem Schiff der christlichen Basilika. (Aehnlich der Roman
»Antinous« von George Taylor.) Architektonisch betrachtet ist aber
die Analogie gerade die umgekehrte. In der angenommenen Kom-
bination bleibt das Peristyl immer offener Hof, während die Elemente
zur Deckenbildung im basilikalen Sinne doch allein im Atrium zu
finden sind ; ebenso auch nur hier das Vorbild des Querschiffes, von dem
Schultze sehr mit Unrecht behauptet, dass den älteren Basiliken es
fehle (s. S. Peter, S. Paul, Sta. Maria Maggiore). Die Namensgleich-
heit mit dem Atrium (Vorhof) der entwickelten Kirchenbasilika ist irrele-
vant, da der Sachinhalt des Wortes in der späten Latinität ein völlig
vager geworden und die Benennung »Atrium« keine vorzugsweise,
sondern neben vielen anderen im Gebrauch ist.
2. Anlage im allgemeinen.
Die Basilika ist im abendländischen Kunstgebietc die kirchliche
Bauform schlechthin (vgl. oben S. 14). Jedoch nicht etwa infolge eines
eigentlich sakralen Vorurteils. Bekanntlich hat die christliche Kirche
keine Scheu empfunden, Gebäude heidnischen Ursprunges und ver-
schiedenster Kunstform und Bestimmung, Tempel wie Profanbauten,
nach Gelegenheit für ihren Gottesdienst in Gebrauch zu nehmen, oder,
wiewohl nur ganz ausnahmsweise, auch bei eigenen Neubauten einem
anderen als dem basilikalen Schema zu folgen. Die Vorherrschaft des
basilikalen Schemas ist begründet in den eigentümlichen Bedingungen
der vorkonstantinischen Entwicklung. Zu Konstantins Zeit war der
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80 Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Kultus in die Basilikenform schon so fest eingewöhnt, dass von seiner
Seite keine Aufforderung zu baulichen Neuerungen gegeben wurde.
Selbständige künstlerische Beweggründe aber kannte diese Zeit nicht
mehr. Die quantitativ noch höchst grossartige Bauthätigkeit der Kirche
im 4. und 5. Jahrhundert macht es nur noch fühlbarer, dass die innere
Triebkraft der antiken Kunst versiegt, dass sie geistig tot ist. Endlich
sprach für das unveränderte Fortbauen nach der herkömmlichen Fassung
deren grosser praktischer Vorzug, mit unvergleichlich geringerem Auf-
wände an Material und Arbeitskraft als sonst eine der bekannten Kon-
struktionsweisen die grossen Räume herstellen zu können, deren man be-
durfte. So hat die Kirche, wenigstens die des Abendlandes, auch nachdem
die letzten äusseren Schranken gefallen und grosse materielle Mittel in
ihren Dienst gestellt waren, den in der römischen Architektur angesammel-
ten Reichtum von Konstruktion- und Kompositionsformen unberührt
liegen lassen ; nicht einmal der in der Entwicklung der Basilikenidee selber
durch Verbindung mit dem Gewölbebau vollzogene Fortschritt, von
dem im Bau des Maxentius in Rom ein denkwürdiges Zeugnis auf-
bewahrt ist und den Byzanz in der Hagia Sofia auf eine neue Stufe
weiterführt, wird von ihr betrachtet ; sie beharrt, ablehnend nach allen
übrigen Seiten, bei der einen in der Frühzeit gewonnenen Fassung.
Dem germanischen Mittelalter blieb es zu offenbaren vorbehalten, wie
vielseitige Entwicklungsmöglichkeiten in der Basilika noch ruhten.
Bevor wir der detaillierten Analyse uns zuwenden, wollen wir in
Kürze die Eigenschaften schematisieren, welche an der abendländischen
Basilika als wesentliche erkennbar werden :
1) IM GRUNDRISS: Rechteck mit starkem Uebergewicht
der Längendimension, parallel dieser Hauptaxe durch offene
Säulenstellungen geteilt in mehrere Schiffe von ungerader
Zahl, das Mittelschiff in seiner Querausdehnung die seitlichen
erheblich übertreffend und an der abschliessenden Schmal-
seite in einen halbkreisförmigen Ausbau (Apsis) endigend.
2) IM QUERSCHNITT: Ueberhöhung des Hauptschiffes,
Lichtführung durch die Obermauern desselben, flache Holz-
balkendecke.
Zu diesen stets und ständig wiederkehrenden essentiellen Mo-
menten kommen zwei accidentelle , die nach Ermessen den ersteren
hinzugefügt oder auch weggelassen werden:
a) Das Querschiff, ein Sonderbesitz des abendländischen
Kunstgebietes.
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
81
b) Die doppelgeschossige Anlage (Galerie) der
Seitenschiffe, ein Motiv griechisch-orientalischer Uebung, das im
Occident spät und auch nur sporadisch auftaucht.
Hiernach würden vier Arten von Basiliken zu unterscheiden sein ;
thatsächlich jedoch giebt es ihrer nur drei, da innerhalb der christlich-
antiken Stilepoche die Zusatzmotive a und b sich niemals miteinander
verbunden zeigen, d. h. Anlagen m i t Galerien erscheinen immer ohne
Querschiff1).
Die auf eine viel grössere Anzahl von Arten hinauslaufenden Klassi-
fikationen von Zestermann, Messmer, Hübsch, Mothes, Kraus u. a.
können wir nicht adoptieren, denn es werden in ihnen wesentliche und
nebensächliche Unterscheidungsmomente in ungehöriger Weise parallel
gesetzt. Irreführend in hohem Grade ist namentlich die von Hübsch
(p. XXXII) für den altchristlichen Kirchenbau aufgestellte Tafel, welche
38 Arten angiebt, von denen 24 auf die Basilika entfallen. Zu dieser
überraschenden Vielzahl gelangt Hübsch teils infolge des oben gerügten
Fehlers, teils dadurch, dass er nachträglich erst dem kirchlichen Zweck
angeeignete heidnische Gebäude für originale Kirchenbauten ansieht,
teils indem er Mutationen des Mittelalters und zuweilen selbst der
Renaissance auf die frühchristliche Zeit zurückführt, und endlich durch
willkürliche Restaurationen aus eigener Phantasie (so die Klassen 3, 4,
7, 10, 11, 27—38). — Aus dem bunten Durcheinander der Hübsch'schen
Tabelle heben wir, als genauerer Erörterung bedürftig, die nachfolgen-
den Querschnittschemata heraus.
ABC D
Das Schema B, um dieses vorweg zu erledigen, ist unter den Monu-
menten des lateinischen Gebietes durch gar keine, unter denen des
griechischen nur durch wenige und verdächtige Beispiele vertreten. So
die jetzige Moschee Eski-Djouma in Saloniki (Texier et Pullan
tab. 43), wo der Ansatz der Decke dicht über dem Bogen der Apsis
') Wo beides dennoch verbunden, wie zu Rom in S. Pietro in vincoli (an-
geblich) und SS. Quatro Coronati, sind die Galerien jüngere Einschiebung.
6
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Krstcs Buch: Der christlich-antike Stil.
ursprünglich höhere Oberraauern vermuten lässt. Weiter die ehemalige
Kirche Hagios Johannes in Konstantinopel (Salzenberg tab. 2),
worüber Hübsch (S. 47, Anm. 2) richtig bemerkt: »Darin kann ich
mit Salzenberg nicht übereinstimmen, dass er das Mittelschiff nicht
höher wie die Seitenschiffe und ohne obere Fenster restauriert hat;
dafür dürfte schwerlich auch nur ein analoges Beispiel unter allen auf
uns gekommenen altchristlichen Basiliken aufzuführen sein.c Dieses
sein durchaus zutreffendes Urteil muss Hübsch jedoch wieder vergessen
haben, denn er restauriert Santa Croce in Jerusalemme zu Rom,
ohne dass hier positive Anhaltspunkte dafür vorhanden wären, genau
nach der bei Salzen berg getadelten Weise.
Ebensowenig vermögen wir das Schema A als ein von der alt-
christlichen Kirchenarchitektur rezipiertes anzuerkennen. Sämtliche
Monumente, an denen es uns entgegentritt, sind entweder nachweislich
oder doch höchst wahrscheinlich nicht kirchlichen, sondern heidnisch-
profanen Ursprunges, und mehrere von ihnen erst beim Uebergang in
den gottesdienstlichen Gebrauch durch Einbau eines überhöhten Mittel-
schiffes in echte Basiliken mutiert. Für beides giebt die instruktivsten
Beispiele die Stadt Rom.
SANT ANDREA IN BARBARA (Taf. 15, Fig. 10). Ein Profan-
bau mit malerischen Dekorationen entschieden heidnischen Charakters,
a. 317 von Junius Bassus erbaut; von Papst Siraplicius (a. 468—483)
zur Kirche geweiht; im 18. Jahrhundert abgebrochen, aber durch Zeich-
nungen Giuliano da Sangallos (de Rossi, Bull, crist. 1871) und Ciam-
pinis (Vet. Mon. I) überliefert. —
SANTA PUDENZIANA. Die nicht in allen Stücken genügenden
Aufnahmen bei Hübsch, tab. 17, 18, sind leider die einzigen; mehr-
fach besprochen von de Rossi (Bull, crist. 1864, 1867 — 69, 1875). Uns
ist genauere Untersuchung verweigert worden. Schon vor Umwand-
lung zur Kirche einschneidende bauliche Veränderungen, zuletzt über
gewölbten Substruktionen ein einschiffiger Saalbau ähnlich dem des
Junius Bassus. Die Umwandlung zur Kirche wurde genau nach dem
herrschenden basilikalen Typus vorgenommen, d. h. es wurden Säulen-
stellungen eingezogen, darüber feste Wände angeordnet (nicht etwa
Galerien !) und von der Höhe der alten Umfassungsmauer eben nur so
viel abgebrochen als nötig, um den Oberfenstern des neu entstandenen
Mittelschiffs Licht zu bringen. Die Segmentform der Apsis halte ich
(mit Urlichs) für Resultat dieser dreischiffigen Mutation, nicht für ur-
sprünglich, wie Hübsch will. Nach der guten Technik der Obermauern
und dem Stil der Apsidenmosaik zu urteilen muss der Umbau noch in
saec. 4 fallen. Die bis auf den h. Petrus hinaufsteigende Gründungs-
legende mag ein jeder für sich beurteilen.
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
83
SANTA CROCE IN JERUSALEMME (Taf. 15, Fig. 12). Die näm-
liche Aufgabe unter den nämlichen Vorbedingungen wie bei der Sta. Pu-
denziana, d. h. Umbau eines heidnisch-profanen Saalbaus (»Sessoriumc)
im Sinne einer christlichen Basilika. Aber mit anderer, geschickterer
Lösung. Anstatt, wie dort geschehen, die Apsis der unvermeidlich ge-
ringer ausfallenden Breite des Mittelschiffs konform zu beschneiden, ist
sie hier in ihrer ursprünglichen (so meine ich trotz Hübsch) Breite
belassen, dafür aber zur Unschädlichmachung der Massdinerenz ein
Querschiff (von aussen nicht sichtbar) zwischengeschoben. In welcher
Gestalt der Querschnitt des Langhauses aus dieser Operation hervorging,
ist wegen der Einwölbung und andrer Umbauten von a. 1743 nicht mehr
zu eruieren. Im Gegensatz zu der nach Schema B. gegebenen Restauration
von Hübsch halte ich für das relativ wahrscheinlichste eine Anlage ähn-
lich der in Sta. Pudenziana; also 'prinzipiell der heute sichtbaren gleich-
kommend, nur mit flacher Decke und grösseren Fenstern.
SANT' ADRIANO AM FORUM ROMANUM. Wahrscheinlich die
von Konstantin umgebaute Kurie; davon noch die Fassade mit Resten
antiker Stuckdekoration; die Art der ersten Einrichtung als Kirche durch
jüngere Umbauten unkenntlich gemacht. —
SANTA BALBINA AUF DEM AVENTIN (Taf. 15, Fig. 11.
Taf. 22, Fig. 1). Unter den auf uns gekommenen Exemplaren dieses
Typus das am reinsten erhaltene. Die Weihung durch Papst Gregor I.
wird im Papstbuch in der nämlichen Weise berichtet wie die von
St. Andrea in Barbara; es liegt also kein Grund vor, daraus (wie
bisher immer geschehen) die Erbauung durch Gregor zu folgern.
Vielmehr, da in allen sonst bekannten Exemplaren dieser Baufamilie
(zu den oben genannten ist noch die Kurie in Pompeji und die Basi-
lika in Trier ') hinzuzurechnen) der heidnisch-profane Ursprung sicher ist,
muss er auch hier präsumiert werden. Die technischen Qualitäten
enthalten kein Hindernis, die Entstehung bis Anfang saec. 4 hinauf-
zurücken. Ganz irrig ist die Behauptung, dass ursprünglich Seiten-
schiffe dagewesen wären; die Bögen in der Mauer des Erdgeschosses
sind lediglich Entlastungsbögen , ihre Füllung mit dem übrigen Werk
') Der in betreff der Basilika von Trier von F. X. Kraus in der ausgesucht gehässigen
Recension der »Genesis* im »Repertorium für Kunstwissenschaft* VI, 388, uns gemachte
Yurwurf — eine Antwort darauf aufzunehmen weigerte sich die Redaktion — fällt lediglich
auf ihn selbst zurück K. hat die Angaben von »H Hetlner=, auf die er sich beruft
(gemeint ist voraussichtlich ein Aufsatz von F. H et in er in Picks Monatsschr f. Gesch.
Westdeutschlands 1880), entweder nicht verstanden, oder nicht mehr im Gedächtnis ge-
habt. Denn dort heisst es als Schlussurteil Uber die bei den Ausgrabungen der vierziger
Jahre gefundenen Säulenfragmente: »es kann sich demnach nur eine einstöckige Galerie
längs den Umfassungswänden hingezogen und die Decke muss, wie sie jetzt restauriert
ist. ohne Stutzen den ganzen Raum Uberspannt haben t, — d. i. im Sinne des Quer-
schnittes »ein ungeteilter Saal», wie wir »Genesis» S. 311 kurz angegeben hatten.
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84
Krstes Buch: Der christlich-antike Stil.
homogen (Taf. 38, Fig. 5) ; der obere Teil der Apsis im Mittelalter er-
neuert; die Nische, in welcher jetzt der Bischofsthron, hat ihr Gegen-
stück nicht bloss in Katakombenzellen, sondern auch in heidnischen
Gebäuden, wie der Kurie zu Pompeji und in der Villa Adriana (Taf. 15,
Fig. 6).
Hiernach verbleiben als echte Querschnittformen der
christlichen Basilika allein die Schemata C. und D.
ANMERKUNG UEBER DEN TERMINUS »BASILIKA«. Ueber
die Sachbedeutung, in welcher dieser Name zu gebrauchen sei, besteht
ein festes Uebereinkommen noch nicht. Das Gewöhnlichste ist, ihn
historisch zu nehmen und seine Anwendung auf die antike Stilepoche,
inclusive die christlich-antike, einzuschränken. Viele Fachschriftsteller,
vorzüglich in Deutschland, haben jedoch begonnen, auch romanische
und gotische Kirchen als »Basiliken« zu bezeichnen, insofern in ihnen
entscheidende Grundzüge des christlich-antiken Kirchentypus wieder-
kehren. Dann giebt es wieder Autoren, welche die Wesensbestimmung
mit Hintansetzung des Grundrisses allein aus dem Querschnitt ableiten,
so dass nach ihnen z. B. auch die karolingische Palastkirche zu Aachen
(Taf. 40) eine echte Basilika wäre. Diese Definition ist auf folgende
Weise gewonnen : man stellt eine Anzahl von Monumenten verschiedener
Epochen, die in den zeitgenössischen Quellen als Basiliken benannt
werden, zusammen, bringt alle Unterschiede in Abzug, und was danach
als gemeinsamer Rest übrig bleibt, das soll die wahre Essenz der Ba-
silika« sein. Die Prüfung dieser Methode bis auf weiteres zurück-
legend, wollen wir vorerst feststellen, an welche Qualitäten der
betreffenden Gebäude die Autoren jedesmal dachten, wenn sie den
Namen Basilika auf sie anwandten; insbesondere ob im gegebenen
Fall an die bauliche Form, oder an die sachliche Bestimmung,
oder vielleicht an beides in einem gedacht wird.
Wort wie Sache haben die Römer von den Griechen, voraussetzlich
aus der alexandrinischen Bauschule, empfangen. Dass die Basiliken
der republikanischen Zeit architektonisch von ziemlich gleichartiger
Beschaffenheit gewesen sind, mag wohl sein, wiewohl Näheres nicht
mehr festzustellen ist: — gewiss ist, dass in der Kaiserzeit das Wort
eine immer mannigfaltigere Verwendung und immer unbestimmter
werdende Bedeutung erhält, Gebäude von verschiedenster Gestalt wie
auch verschiedenstem Gebrauchszweck zu umfassen bestimmt ist. Eine
Reihe von Belegen (die indes nichts weniger wie vollständig sein
wollte) haben wir in den Sitzungsberichten der Akademie der Wissen-
schaften zu München, 1882, Bd. II, Heft 3, S. 310 ff. zusammengestellt
Mit wünschenswertester Sicherheit geht daraus hervor, dass bei den
Römern der Kaiserzeit Basilika nicht terminus techmcus für eine be-
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
85
stimmt umschriebene architektonische Form gewesen ist. Anfäng-
lich allein und nachher noch immer im vorzüglichen Sinne verstand
man darunter die mit den Fora in Verbindung stehenden grossen ge-
deckten Gerichts- und Verkehrshallen, gleichsam gedeckte Nebenfora
(mit einander verglichen von höchst ungleichartigen Kompositionstypen) ;
in diesem Sinne braucht einmal Cicero die charakteristische Wendung,
er sei in seiner Villa so von den Leuten überlaufen, dass sie keine
Villa mehr, sondern eine Basilika sei. Spater verallgemeinerte sich die
Anwendung auf Gebäude oder Gebäudeteile auch von anderweitiger
Bestimmung, z. B. Säulengänge bei Bädern, Theatern, Märkten, Tempeln;
weiter Tempel selbst, jüdische Synagogen, Exerzierhäuser, Reitschulen
— kurz das Wort gewinnt ebenso vielseitige Anwendbarkeit und archi-
tektonisch unbestimmten Gehalt wie unser »Halle« und es scheint kaum
irgend eine hallenartige Anlage zu geben, für welche nicht diese Be-
zeichnung in ihrer bequemen Dehnbarkeit passend befunden würde. —
Den ältesten Beleg für > Basilika c bei einem christlichen Autor giebt
die pseudojustinische »Cohortatio ad Graecosc (saec. 2 oder 3?), vgl.
A. Harnack in der »Zeitschr. f. Kirchengeschichte < Bd. VI, p. 115 ff.,
wo mit diesem Namen eine künstlich erweiterte Felshöhle, in welcher
die Einwohner von Cumä ihre Lokalheilige , die Sibylle, verehrten, be-
zeichnet wird. Was daraus gefolgert werden muss, ist keineswegs, wie
Harnack will, dass es zur Zeit noch keine christlichen Basiliken (in
unserem Sinne) gegeben habe, sondern lediglich, dass auch die Christen
einen spezifischen Sinn mit dem Worte nicht verbanden. Eben sein
nach allen Seiten unbestimmter Gehalt machte es möglich , den Ter-
minus auch auf das christliche Gotteshaus anzuwenden : basüica ecclesiae
ist nur würdevollerer Ausdruck für die durchaus promiscue gebrauchten
domus eccksiae , olxoc »xxXYjwxc; schliesslich sagte man, wo ein Miss-
verständnis ausgeschlossen schien, schlechthin basiliea. Die ersten Bei-
spiele dafür sind nachgewiesen in Schriften, die sich auf die dio-
kletianische Verfolgung beziehen. Den Vätern des 4. Jahrhunderts ist
er schon sehr geläufig, doch immer in Konkurrenz mit anderen. Hier
ein paar aus Eusebius ausgezogene Beispiele: otxoc sxxXvjotac, H. eccl.
VII 30, VIII 13, IX 9 — ßoatXsto« olxo«, H. eccl. X 4 — ßaatXixYj,
vita Const. III 31, 32, 53 — xupiaxvj, Laud. Const. XVII. Diese Paral-
lelen führen uns auf die Spur, dass sehr frühe schon die wortspielende
Erklärung aufgekommen ist, welche Isidor von Sevilla dahin an-
giebt: nunc autem ideo divina templa basilicae nominantur, quia
regi ibi omnium, Deo, cultus et officia offeruntur; vgl. Eusebius
Laud. Const. XVII: \% «äxoo ft< toö t»v 8Xa»v xoptoo. Mithin wird basiliea
= xoptorx-rj, dominicum, domus dei, domus columbae. Doch erhält es sich
nebenher noch immer in seiner älteren, weiteren Bedeutung, so dass
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Erstes Buch: Der christlich-antike StU.
z. 6. ein Gebäudekomplex auf dem Palatin im Mittelalter >Basilica
Jovis« hiess. Durchaus irrig ist die Annahme, dass unter den Kirchen-
gebäuden die basilicae eine bestimmt abgegrenzte Gattung ausgemacht
hätten, sei es in bezug auf ihre Bauform, sei es in bezug auf ihre
Bestimmung. Bis ins 4. Jahrhundert hinauf sind Beispiele nachge-
wiesen, dass Kultgebäude jeglicher Form und Bestimmung, von
den grossen Gemeindekirchen bis hinab zu den Grabkapellen und
Memorien diesen Namen tragen. Und das ganze Mittelalter hindurch
heissen so ohne Unterschied alle Kirchen, auch ausgesprochene Zentral-
bauten, wie Sto. Stefano rotondo in Rom, das Oktogon in Aachen, die
Klosterkirche zu Germigny des Pres (Taf. 41, Fig. 11) u. s. w. und ander-
seits wieder einschiffige Saalbauten, wie St Remigius in Ingelheim
(Taf. 42 , Fig. 6). Unhaltbar ist endlich auch die von Valesius und
Mabillon für saec. 6 und 7 angenommene Unterscheidung, dass »basilicae
= Klosterkirche, »ecclesia« = Kathedral- und Parochialkirche.
Aus alledem ergiebt sich, dass und warum eine bautechnische
Definition der Basilika aus den alten Quellen abzuleiten unmöglich ist
Wenn die moderne wissenschaftliche Terminologie das Wort Uberhaupt
verwenden will, muss sie sich bewusst bleiben, dass es lediglich in
einem von ihr selbst gesetzten konventionellen Sinne geschehen kann,
und dass ein solcher Gebrauch nur dann nutzbringend sein wird, wenn
er auf eine unzweideutig klare Definition gegründet und allerseits streng
respektiert wird. Da ein solches Uebereinkommen leider noch nicht
existiert, vermögen wir einstweilen nur anzugeben, was wir im Verlaufe
unserer Darstellung als »basilikalc verstehen werden. Auf Grund der
im vorstehenden Abschnitt ausgeführten historisch-analytischen Unter-
suchung sind die wesentlichen Eigenschaften der Basilika diese:
1) Die oblonge Gestalt und das ausgesprochene Richtungs-
moment des Grundrisses. 2) Die mehrschiffige Teilung.
3) Die beherrschende Stellung des Mittelschiffes, ausgedrückt
im Grundriss durch grössere Breite, im Querschnitt durch
Anlage eines Uberragenden Obergeschosses. (Mit der Ueber-
höhung ist regelmässig verbunden die Anlage oberer Seitenlichter. Wir
nehmen diese jedoch in die Definition deshalb nicht mit auf, weil es
wichtige Baugruppen giebt, in der romanischen Epoche des mittleren
und südlichen Frankreich, denen aus lediglich technischen Gründen
die Seitenlichter des Mittelschiffs zwar fehlen, die aber in allem Uebrigen
als echte Basiliken sich ausweisen und aus deren Reihe deshalb nicht
ausgeschlossen werden dürfen.)
Insofern nun das definierte Schema nicht auf die christlich-antike
Epoche des Kirchenbaus beschränkt ist, sondern auch in der romani-
schen, gotischen und Renaissance-Epoche mehr oder minder reichliche
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Drittes Kapitel . Die Basilika.
«7
Verwendung findet, darf es als erlaubt und erspriesslich gelten, das
Schlagwort »Basilikac auch in die Terminologie der genannten jüngeren
Stile einzuführen. Der Basilika entgegengesetzt ist auf der einen Seite
die ganze Kategorie der Zentralbauten, auf der anderen Seite unter
den Longitudinalbauten die ungeteilte Saalanlage und die Hallen-
anlage, welche letztere zwar gleich der Basilika in mehrere Schiffe
geteilt ist, eines überragenden Obergeschosses im Mittelschiff jedoch
entbehrt. (Wir wählen diese Definition, weil die übliche »gleiche
Höhe aller Schiffe« gegenüber dem Thatbestand der Monumente zu eng
gefasst ist.
3. Der Grundplan.
Betrachten wir zunächst das Kirchengebäude im Verhältnis zu
seiner Umgebung. — Während im griechisch-orientalischen Gebiet die
Neigung früh hervortritt, es von seiner profanen Umgebung abzusondern,
ihm eine mehr monumentale, tempelähnliche Erscheinung zu geben,
bleibt das Kirchengebäude in Italien eingeschlossen mitten in das
städtische Häusergewirr, in der Aussenansicht also grossenteils verdeckt.
Die Entstehung der Basilika aus der inneren Halle des Privathauses
wirkt hierin erkennbar nach. Es ist der monumental stilisierte Aus-
druck dieses Verhältnisses, dass regelmässig die Fassade der eigentlichen
Kirche durch einen Vorhof von der Strasse getrennt wird *). Die Ge-
wöhnung an diesen Bauteil wurzelt indes nicht bloss in formal ent-
wicklungsgeschichtlichen Momenten, sondern ebenso in solchen der
Disziplin, des Kultus, der Symbolik.
Wir müssen uns schon hier an der Schwelle des Tempels ver-
gegenwärtigen, was im weiteren Verfolge seiner Disposition Schritt für
Schritt wiederbegegnen wird : die dem spät-antiken Leben eigentümliche
Leidenschaft für Einspannung der Gesellschaft in einen unendlich viel-
gliedrigen Schematismus von Rangordnungen, in der christlichen Welt
noch gesteigert durch alttestamentalische Erinnerungen und den starken
eigenen hierarchischen Zug der Kirche. Alle hierdurch hervorgerufenen
Unterscheidungen — von Priesterstand und Laienstand, von Mann und
Weib, von Vornehm und Gering, von Gläubigen und Lehrlingen, von
*) Der für diesen u. a. vorkommende Name «Atrium« (griechisch at»).-r4, spovao;)
hat jedoch mit dem Atrium des altitaliscben Hauses nichts gemein, sondern gründet in
der verallgemeinerten Bedeutung des Wortes als »atrium publicum«, mit »basilica« unter
Umständen sich nahe berührend.
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Gerechten und Sündern, und die in jeder dieser Klassen sich wieder-
holenden Abstufungen — werden mit peinlichster Sorge und Wert-
schätzung in die Anordnungen des Gottesdienstes eingetragen. Diese
Rücksicht ist unter allen die wichtigste bei der Detailausbildung des
überlieferten Grundrisses. Doch stellt sich auch das unüberwindlich
mächtige formale Einheitsmoment der basilikalen Bauidee immer wieder
als heilsames Gegengewicht ein , so dass nur die Hauptabteilungen
wirklich architektonisch charakterisiert werden, während für Herstellung
der Unterabteilungen Schranken und verschiebbare Vorhänge ein be-
quemes Auskunftsmittel geben.
Die Hauptabteilungen sind : das Vorhaus, das Gemeindehaus, das
Priesterhaus.
Das Vorhaus ist der Aufenthalt der Katechumenen , der Pere-
grinen, der Bettler, der Büsser. (Der Büsser wiederum giebt es eine
Menge von Graden. Nach der Vorschrift des hl. Basilius sollte z. B.
ein Mörder vier Jahre unter den Weinenden, fünf Jahre unter den Hören-
den, sieben Jahre unter den Knieenden, vier Jahre unter den Stehenden
seinen Platz haben, bis er nach zwanzigjähriger Busszeit erst die Kirche
selbst betreten durfte.) Weiter diente das Vorhaus zu Gerichtssitzungen
und sonstigen nichtgottesdienstlichen Versammlungen, seit dem 6. Jahr-
hundert auch als Begräbnisplatz. Der Flächenraum des Vorhauses wird
zum grössten Teil von dem Atrium eingenommen, dessen Gestalt ein
Viereck ist, meist ein gleichseitiges, seltener ein längliches, und das auf
den Innenseiten von Säulengängen mit einwärts geneigten Dächern um-
geben wird. Schon hier beginnen die Gitter und Vorhänge zur Scheidung
der disziplinarischen Stufen. Die offene Area ist mit bunten Marmorplatten
gepflastert oder mit Blumen und Sträuchern ausgeziert, von welchen
letzteren am ehesten der seit dem 9. Jahrhundert nachweisbare, im Mittel-
alter viel gebrauchte Name paradisus, parvis abzuleiten sein wird. Das
wichtige Mittelstück ist der Brunnen, cantharus, nymphaeum, labrum,
»Sinnbild des Reinigungsopfers « (Eusebius), an welchem die Gläubigen,
bevor sie das Heiligtum betreten, Antlitz, Hände und Füsse abwaschen.
Geöffnet ist das Atrium gegen die Kirche in so viel Thüren. als
letztere Schiffe hat, gegen das Freie in einer nach aussen ein wenig
vortretenden Thor halle, vestibulumi rcpdJtoXov, welche bei ganz gross-
artigen Anlagen dreiteilig, in der Regel indes nur einfach ist Bei
Kirchen, welche Sitz eines Bischofs sind, wird häufig an der Stelle des
Vestibulums die Taufkapelle angebaut, in welchem Falle der Eingang
an eine der Langseiten des Vorhofs verlegt wird.
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
89
Ein weiterer Anhang des Pronaos ist der Narthex: eine zwi-
schen die Fassade der Kirche und die Hofhallen eingeschobene be-
sondere Binnen Vorhalle, nicht viel breiter als der angrenzende Portikus
des Atriums (woher wahrscheinlich der Name = Stab) und von diesem
durch eine Mauer getrennt; in ritueller Hinsicht der Standort der
Pilger, der Katechumenen und der vorgeschrittenen Büsserklassen.
Der eigentliche Narthex in der vorstehenden Anordnung ist eine
partikulare Eigentümlichkeit der griechisch-orientalischen Kirche, welche
überhaupt den pedantischen Kastengeist des Zeitalters am höchsten aus-
bildet. Nicht die Sache, aber der Name wurde später auch vom Abend-
lande adoptiert. Hier bedeutet Narthex entweder den an die Fassade
angrenzenden Flügel des Atriums oder, wenn im Innern der Kirche
eine Queremporc vorhanden ist, die darunter befindliche Halle. Da
es sich aber in beiden Fällen nicht um einen selbständigen Bauteil,
sondern um eine lediglich für den Ritus in Betracht kommende Ab-
teilung handelt, wird man besser thun, den Namen Narthex für das
Abendland ungebraucht zu lassen.
Gegen Ende des Jahrtausends kommen bei Neubauten die Vor-
höfe im grossen und ganzen ausser Gebrauch. Selbst in Rom hat man
die meist in Verfall geratenen alten, als im 12. Jahrhundert eine Periode
umfassender Restaurationsarbeiten eröffnet wurde, ganz selten voll-
ständig wieder hergestellt, begnügte sich vielmehr regelmässig mit dem
Aufbau des einzigen unmittelbar an die Fassade angelehnten Säulen-
ganges.
Tertullian : nostrae columbae domus simplex in tditis Semper et apertis
et qd lucem — wohl mehr ein Wunsch, als Aussage über eine allgemeine
Thatsache. Die Kathedrale von Tyrus, unter Konstantin erneuert, er-
hielt einen freien Umgang (jcepißoXo;) um den ganzen Bau. — In Rom
ist von den altchristlichen Kirchen der innern Stadt noch bis auf den
heutigen Tag keine einzige ganz freigelegt. Selbst wo moderne Strassen-
regulierungen wenigstens für den Anblick der Fassade Raum geschafft
haben, sind die Langseiten verbaut geblieben. Unverfälscht vergegen-
wärtigt die ursprüngliche Situation Santa Prassede (Taf. 16, Fig. 1).
Atrien werden in fast allen Baubeschreibungen der konstantinischen
Epoche ausdrücklich erwähnt. Vielfach erkennt man, dass sie früher
vorhanden gewesen, an dem Verhältnis der Fronte zur Strassenlinie;
Beispiele aus Rom: Sta. Cecilia in Trastevere, S. Bartolomeo
in Isola, S. Alessio, S. Gregorio Magno, S. Cosimato u. a. ;
in Ravenna S. Giovanni Evangelista, S. Apollinare nuovo. —
Von frühchristlichen Atrien haben in Rom nur die beiden am Lateran
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Erstes Buch : Der chrisüich-anüke Stil.
und am S. Peter bis ins spätere Mittelalter gedauert; jenes ging im
Brande von a. 1361 zu Grunde, dieses wurde unter Leo X. abgebrochen.
Heute sichtbar: S. Martino ai Monti, Sta. Prassede, beide saec. 9;
SS. Quattro Coronati, eigentlich Teil des Mittelschiffs der grösseren
älteren Kirche, a. im wiederaufgebaut; S. demente, a. 1108, unter
allen am besten erhalten. Ausserhalb Roms, in allen vier Seiten wohl-
erhalten: Dom von Parenzo, saec. 7; S. Ambrogio zu Mailand,
saec. 9; Dom zu Capua, saec. 9; Dom zu Salerno, saec. it.
Einflügelige Portiken sind in Rom nicht vor saec. 12 nach-
zuweisen. Bei SS. Vincenzo e Anastasio alle tre Fontana laut
Inschrift a. 1140; schwerlich früher S.Giorgio i n Velabro (gewöhn-
lich saec. 9 angesetzt); SS. Giovanni e Paolo gleichfalls nicht älter;
S. Lorenzo f. I. m. , besonders geräumig, a. 1216 — 27; S. Lorenzo
in Lucina, S. Crisogono, Sta. Maria maggiore it. a. m. sämtlich
mit geradem Gebälk. Ein Unicum die Doppelloggia an der Fassade
von S. Sabba; ein zweites Geschoss besass auch die Vorderseite des
lateranischen Atriums, vgl. Münze Papst Nikolaus IV. bei Rohault
de Fleury, tab. II.
Geschlossene Vorhallen mit halbrunder Endigung der Schmal-
seiten finden sich nur an Monumenten, die der Antike noch nahe stehen,
meist Zentralbauten: Sta. Costanza (Taf. 8, Fig. 1), Baptisterium
des Lateran (Taf. 7, Fig. 3), S. Aquilino bei S. Lorenzo in Mailand
(Taf. 14, Fig. 3), vgl. Minerva medica, Kaiserpalast zu Trier etc. —
Einen echten Narthex haben S. Apollinare in Classe, Sta. Maria in
Cosmedin zu Rom, beide byzantinisch beeinflusst; vielleicht auch Sto. Ste-
fano in Via Latina.
Aeussere Thorhalle: dreiteilig am S. Peter (Abbildung bei
Letarouilly: Le Vatican) und Lateran (Abbildung bei Rohault de
Fleury: Le Latran), vgl. Eusebs Beschreibung der Basilika zu Tyrus.
Einteilige mehrfach erhalten: das älteste und vollständigste Beispiel,
auch nach innen vorspringend, S. Cosimato in Trastevere, saec. 9?
(Taf. 26, Fig. 1); mit bloss äusserem Vorbau Sta. Prassede, saec. 9;
Sta. Maria in Cosmedin, Zeit ungewiss, modernisiert; S. demente,
S. Sabba, beide saec. 12; zum Teil noch mit den eisernen Stangen
und Ringen für Vorhänge; bei S. Cosimato und S. Clemente später
aufgesetzte Obergeschosse, etwa Wohnungen des Thürhüters.
Verbindung von Atrium und Baptisterium: am besten erhalten
bei den Domen von Parenzo und Novara (Taf. 16, Fig. 2, 10);
geringe Spuren inAquileja; mittelalterlich erneuert Sto. Stefano in
Bologna; jenseits der Alpen erhalten am Münster zu Essen im
Rheinland, saec. 10, später umgebaut. Auch nach Wegfall des Atriums
disponierte man die Baptisterien gern gegenüber dem Westportal der
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
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Kathedralen: Florenz, Pisa; ehemals Mainz, Regensburg. Diese Remi-
niszenz halte ich für den wahren Grund, weshalb Ghibertis Ostthür
»porta del paradisoc heisst
Einen Cantharus in Gestalt einer Schale auf säulenartigem Fuss
zeigt das Mosaik in S. Vitale zu Raven na, wejches den Kirchgang
der Kaiserin Theodora darstellt. Im Baptisterium des Laterans waren
die symbolischen Tiere Lamm und Hirsch als wasserspeiende Brunnen-
figuren verwendet; im S. Peter aus Erz; mit einem Baldachin über-
deckt bei S. Demetrius in Thessalonica (Texier et Pullan, p. 138),
auf dem Berge Athos (Lenoir I, 33).
ORIENTIERUNG. Eine mehr liturgisch als architektonisch wichtige,
übrigens erst wenig aufgehellte Frage. Alberdingk Thijrn: De Heilige
Linie. Amsterd. 1858. H. Otte in d. Zeitschr. f. ehr. Archäologie und
Kunst I, 32 f. Handbuch 5, S. 11 ff. H. Nissen im Rhein. Museum
f. Philologie N. F. XXIX, 369 f. — Eine genaue Statistik liegt nur über die
Kirchen der Stadt Rom vor. Dieselbe zeigt sämtliche Striche der Wind-
rose vertreten. Wir erblicken darin eine Nachwirkung des Ursprunges aus
dem Privathause. Seitdem man aber in die Lage kam auf freiem Terrain
zu bauen, machte sich eine gewisse Regel geltend, nämlich dass, ent-
sprechend der Regel des antiken Tempels, die west-östliche Lage der
Baulinie erstrebt wurde. Doch findet sich dieselbe fast nie genau inne-
gehalten, sondern es zeigen sich mehr oder minder starke Deklinationen.
Die Frage ist, ob die letzteren lediglich durch zufällige, meist wohl
topographische, Umstände veranlasst? oder ob sie mit Absicht herbei-
geführt sind im Interesse einer spezielleren Symbolik? Für dieses zweite
entscheidet sich Nissen. Der christliche Kirchenbau, behauptet er,
hätte die im Sonnenkultus gründenden Orientierungsprinzipien vom
heidnischen Tempelbau herübergenommen. An einer langen, übrigens
vielfach unsicheren, Reihe von Beispielen sucht er den Nachweis zu
führen, dass der Sonnenaufgang entweder am Hauptfeste der betreffen-
den Kirche (Jahrestag des Märtyrers oder der Kirchweihe) oder an
den Jahrespunkten (Wintersolstiz = Weihnacht, Frühlingsäquinoctium
= Christi Empfängnis oder Ostern) für die Orientierung massgebend
gewesen sei. Eine interessante, doch bei weitem nicht genügend be-
gründete Hypothese. Wichtiger für unsern Standpunkt ist die andere
Beobachtung, dass die alten Basiliken Roms den Altar und Apsis
meistenteils an das westliche Ende, hingegen diejenigen Ravennas
schon so, wie es im Mittelalter die allgemeine Regel war, nämlich an
das östliche disponieren. Die Bedeutung dieser Umdrehung ist nicht
völlig klargestellt. Sie scheint in der orientalischen Kirche aufge-
kommen zu sein. Die erste in Rom nach der neuen Regel orientierte
Apsis, im Neubau von S. Paul, ist bemerkenswerter Weise von der in
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Erst« Buch: Der christlich-antike Stil.
Ravenna residierenden Kaiserin Galla Placidia erbaut; desgleichen
S. Pietro in vincoli von der Kaiserin Eudoxia. Uebrigens dauert
die Freiheit der Orientierung noch lange fort, z. B. Sta. Prasscde.
saec. 9., NNW. Für das architektonische hat der in Rede stehende
Wechsel nur eine, allerdings wichtige Folge: die unten näher zu be-
sprechende Einführung befensterter Apsiden anstatt der alten lichtlosen.
Betreten wir nun den gottesdienstlichen Versammlungsraum selbst,
so zeigt sich in dessen Grundplan als Fundamentalgesetz die Teilung
in ein Hauptschiff mit begleitenden Nebenschiffen (wie im vorigen Ab-
schnitt näher begründet wurde). Dabei ist die Zahl der Schiffe immer
ungerade, gewöhnlich 3, seltener 5, und es übertrifft das Mittel-
schiff die Seitenschiffe stets durch ein in die Augen fallendes Mehr
an Breite.
Die von Vitruv für die römische Profan basilika angegebene Ver-
hältniszahl der Schiffe von 1 : 3 wird auch in den christlichen der
saec 4 und 5 ziemlich genau innegehalten. Im Laufe der Jahrhunderte
nimmt dann die relative Breitendimension des Hauptschiffes (in Ra-
venna früher wie in Rom) allmählich ab, schliesslich bis zum Ver-
hältnis von 1 : 2, doch nie darüber hinaus. Wollte man eine grössere
Gesamtbreite des Hauses erreichen ohne Aufopferung der genannten
für die Basilikenform wesentlichen Verhältniszahlen und zugleich ohne
allzu gewaltige (wegen der Deckbalken kostspielige) Steigerung der
Mittelschiffsbreite, so wählte man die fünfschiff ige Anlage; bei
welcher indes die Einschränkung immer bestehen blieb, dass auch
je zwei Seitenschiffe zusammengenommen, um einen erkennbaren Grad
enger sein mussten wie das Hauptschiff.
Wie im Vorhaus, so und noch mehr ist auch wieder im Lang-
haus die der Hauptaxe folgende architektonische Grundrissteilung von
einer anderen, der durch Ritus und Disziplin bedingten, rechtwinklig
durchkreuzt, welche mit ihrem reichhaltigen Apparate von Schranken,
Gittern, Vorhängen, die grosse perspektivische Wirkung des Innern,
wie sich nicht anders denken lässt, empfindlich beeinträchtigt. Für
die Architektur indes kommt nur der allgemeinere Gegensatz von Ge-
meindehaus und Priesterhaus in Betracht. Ersteres wird durch das
Langhaus (oratorium laicorum, quadratunt populi) , letzteres durch
den halbrunden Ausbau des Apsis (auch concha, tribuna, exedra) dar-
gestellt. Diese Disposition, so klar und ausdrucksvoll als sie ist, leistete
dem Ritus thatsächlich doch kein völliges Genüge. Für die Rolle, die
der Klerus im Leben wie im Gottesdienste beanspruchte, wurde die
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
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Apsis alsbald eine zu beschränkte Bühne, auch unzureichend, die Rang-
verhältnisse der Kleriker untereinander gehörig kennbar zu machen.
Gleichwohl hat man eine entsprechende Umgestaltung und Erweiterung
des Grundplanes, dank dem bald nach Konstantin eintretenden Still-
stande aller architektonischen Ideen, nicht mehr unternommen (erst das
germanische Mittelalter gelangte dazu), sondern genügte sich fort und
fort mit dem allzeit hilfreich zur Hand liegenden Mittel der Schranken-
abteilung, welche nach Bedürfnis ins Langhaus vorgerückt wurde, also
dass ein, architektonisch betrachtet, dem Gemeindehaus gehörender
Raumteil rituell dem Priesterhaus hinzuwuchs (s. Taf. 27, Fig. 2).
Abweichungen von der halbkreisförmigen Gestalt der Apsis kommen
an deren Innenseite nie, wohl aber zuweilen an der Aussenseite vor:
1) Maskierung durch rechtwinklige Ummauerung, im Abend-
lande selten; 2) Polygonal gebrochene Aussenwand, eine der
Besonderheiten • Ravennas, gleich den übrigen aus Byzanz entlehnt.
3) Auflösung der Mauern durch Arkaden, die gegen einen äusse-
ren Umgang sich öffnen. Einziges erhaltenes Beispiel : die kürzlich aus-
gegrabene Basilika Severiana in Neapel mit drei Arkaden auf zwei
Säulen, saec. 5 (Abb. Bull, crist. 1880) ; de Rossi weist nach, dass auch
die alte Apsis von Sta. Maria maggiore in Rom (gleichfalls saec. 5)
so gestaltet gewesen; vgl. die derselben Zeit angehörige Lampe der
Sammlung Basilewski (Taf. 15, Fig. 13); ein sogar zweigeschossiger
Umgang in der seltsamen kleinen Kirche Sto. Stefano zu Verona, in
jetziger Gestalt etwa saec. 11.
Leichter zu vermeiden war der bezeichnete innere Widerspruch,
wenn zwischen Langhaus und Apsis noch ein Qu er schiff sich ein-
schob. Man sollte meinen, dass demnach dieser Raumteil, dessen Ge-
brauch bis in die ersten Anfänge der christlichen Basilikenarchitektur
Italiens hinaufreicht, ständig und überall in das Programm des Basiliken-
planes aufgenommen worden wäre. Allein dies ist, wenigstens während
der antik-christlichen Periode, nicht eingetreten. Noch in den grösseren
römischen Basiliken des 4. und 5. Jahrhunderts fehlt es fast nie, wo-
hingegen gerade in jüngerer Zeit es eher entbehrlich gefunden wurde.
Umgekehrt die Monumente der ravennatischen Gruppe ermangeln seiner
durchweg; ohne Zweifel eine Wirkung der Beziehungen zum griechi-
schen Ostreich. Wie die anderen Landschaften Italiens sich verhielten,
ist genauer nicht mehr zu bestimmen. Den arianischen Westgoten in
Spanien scheint das QuerschirT unbekannt gewesen zu sein, hinwider
im fränkischen Gallien war es viel im Gebrauch, worin man eine Frucht
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
der Verbindung mit dem römischen Stuhle zu erkennen hat. — In
betreff der Form des Querschiffes ist zu unterscheiden, ob es mit
seinen Enden über die seitlichen Fluchtlinien des Langhauses vortritt
oder denselben sich anschliesst. Der erstere Modus ist im ganzen der
weniger häufige, jedoch gerade Roms Hauptkirchen, der Lateran,
S. Peter, S. Paul, weisen ihn auf, und dies mag die Ursache sein,
dass die nordischen Pilger das Motiv gerade in dieser Ausprägung auf-
fassten und der heimischen Bauweise aneigneten; für die Fortent-
wicklung der Kirche im Mittelalter ein folgenreiches Präzedenz. — Eine
feste Regel für die Breite des Querschiffes besteht noch nicht; man
kann nur sagen, dass es hinter derjenigen des Hauptschiffes im Lang-
hause beinahe immer zurückbleibt
Die Bezeichnung >TranssepU für das Querschiff der christlich-
antiken Zeit sollte lieber vermieden werden, weil hier noch keine
wirkliche Durchschneidung vorliegt wie im kreuzförmigen Grundnss
des Mittelalters. — Bei S. Paul in Rom beträgt die Ausladung nicht
mehr als die zweifache Mauerstärke, erheblicher ist sie im Lateran
und S. Peter. Dass die Breite diejenige des Mittelschiffes übertrifft,
kommt nur einmal vor, bei S. Paul. — Querschiffe in Gallien:
Saint-Denis (Taf. 43, Fig. 1), Montmartre, Ste. Genevieve; bei
den zwei in der Chronik Gregors beschriebenen Basiliken zu Tours
ungewiss. S. Trophime in Arles (nach Hübsch saec. 7) sicher erst
mittelalterlich. — Um des Gegensatzes willen interessant ist ein Seiten-
blick auf die Marienkirche in Bethlehem (Taf. 17, Fig. 7); dass das
Langhaus noch der Bau Konstantins sei, finden wir ganz glaublich,
der Quer- und Chorbau dagegen kann nicht älter als justinianisch sein ;
es ist ein an die alte Basilika angehängter Zentralbau, und deragemäss
das Transsept mit seinen Apsidenschlüssen zu beurteilen.
Die Anlagen ohne Querschiff besitzen zuweilen eine ideelle An-
deutung des letzteren in dem durch Querstufen hervorgehobenen Chor-
raum. Immer durch Stufen ausgezeichnet ist die Apsis, doch nicht
durch mehr als zwei oder drei. Wo die Ueberhöhung sich beträcht-
licher erzeigt, ist jüngere Umgestaltung anzunehmen. Der durch die
Stufen vom Gemeindehause abgesonderte Teil heisst Bema, Tribunal
(von der forensischen Basilika entlehnte Ausdrücke) oder sanetuartum,
sacrarium, presbyUrium, locus inter cancellos, zb äSotov (weil unzugäng-
lich für die Laien) u. s. w. Im Scheitelpunkte der Apsis mit der
Stirn gegen die Gemeinde steht die Kathcdra des Bischofs; ihr zu
beiden Seiten, an den Halbkreis der Wand sich anschliessend, die
Bänke (subsellia) der Priester; alles der Rangordnung gerecht durch
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
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Stufen gehörig gesondert ; davor — mathematisch das Zentrum des
Apsidenzirkels, symbolisch das der ganzen Kirche — der Altar.
Die an Gestalt und Dienst des Altars sich knüpfenden mannig-
faltigen und diffizilen Fragen mögen den Theologen verbleiben; uns
hat nur seine Bedeutung für. die bauliche Komposition näher anzugehen.
Nebenaltäre mit besonderem Weihetitel kommen in der That schon in
der altchristlichen Periode vor, auf die Architektur hat aber nur der
eine Hauptaltar Einfluss. Er ist der perspektivische Richtpunkt, die
Seele und der Gebieter der ganzen Anlage, in allen Epochen der
kirchlichen Baugeschichte der stärkste Anwalt für das longitudinale
Kompositionsprinzip gegenüber den rein künstlerischen Reizen des
Zentralbaues. Der Altar, als Vereinigungspunkt zwischen Priester-
schaft und Volk, muss mit seiner einen Seite jener, mit der andern
diesem zugewandt sein. Darum ist sein Platz am Rande des Bema:
also, wenn ein QuerschifT vorhanden, unter dem vorderen Triumph-
bogen desselben ; wenn ein solches fehlt, unter dem Bogen der Apsis,
vorbehaltlich leichter Schwankungen innerhalb dieser Grenzen. Sodann
erhält er ausser nochmaliger Umschränkung und Stufenpodium ein
eigenes Gehäuse, gleichsam ein kleines Tempclchcn im grossen. Vier
im Quadrat aufgestellte Säulen tragen einen Baldachin, der im Occident
als Giebeldach (gewöhnlich noch ein zweites Geschoss, von Zwerg-
säulen vermittelt), im Orient als Kuppel gebildet ist (woher der Name
Ciborium, xtßtbptov = Becher). Höchster Luxus an edlen Steinen und
Metallen drängt sich auf diesem Punkt zusammen. Endlich fehlen nicht
Vorhänge, so für das Sanktuarium als Ganzes, wie für den Altar und
die bischöfliche Kathedra jedes im besonderen, um in gewissen Mo-
menten der Zeremonien die Abschliessung des im Mysterium des
Opfers gegenwärtigen Gottes und seines Priesters vom profanen Volke
zu vollenden — ein Abbild der Scheidung, wie die Kirchenväter sagen,
von Himmel und Erde. — Unterhalb des Bema und des Altars, also
schon im Mittelschiff des Langhauses, ist der Standort der niederen
Geistlichkeit; weil diese den Sängerchor bilden, wird der Name Chor
auch auf ihren Platz übertragen (nachmals im Mittelalter in verschobener
Bedeutung synonym für Sanktuarium oder Apsis). — Die den Sänger-
chor vom Presbyterium oder auch das ganze Priesterhaus vom Laien-
haus trennenden Schranken erheben sich zuweilen zu einer wirklichen
Säulenstellung mit verbindendem Architrav ungefähr vergleichbar der
Ikonostasis der griechischen Kirche und dem Lettner des Mittelalters,
aber mit keinem von beiden genau sich deckend.
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Zu den in die Augen fallenden Ausstattungsstücken gehört weiter
der Ambo oder Bema im engeren Sinn (beide von ßouva>, avaßottvco,
wegen der hinaufführenden Treppe). In ältester Zeit hatte der Bischof
von seinem Stuhl aus die Versammlung überschaut und zu ihr ge-
sprochen. Seit der Mitte des 3. Jahrhunderts findet sich eine eigene
Rednerbühne, eben der Ambo. Je mehr dann die Dimensionen des
Kirchengebäudes anwuchsen und je komplizierter die Ausstattung des
Sanktuariums wurde, um so weiter musste der Ambo gegen das Ge-
meindehaus vorgerückt werden. Ausser zur Predigt diente er zu den
liturgischen Lesungen (daher lectorium, analogiam , pulpitum), welche
je nach der Würde des Gegenstandes von einer höheren oder niederen
Stufe herab vorgenommen wurden. Endlich kam er in der Zweizahl
in Gebrauch, der eine für die Evangelien, der andere niedrigere und
weniger geschmückte für die Episteln; jener, vom Altar gerechnet,
rechts, dieser links.
Annähernd vollständige Gesamtbilder altchristlicher Choranlage
sind erhalten im Dom von Torcello, in S. Clemente zu Rom (zwar
erst saec. 12 ausgeführt, aber wohl in genauer Reproduktion älterer
Muster), frühmittelalterlich im Bauplan von S. Gallen, im Dom von
Salerno, in S. Pietro in Toscanella, in S. Miniato, vgl. Taf. 16, 27,
28, 42, 67, 69, 72. Für die einzelnen Stücke der Ausstattung lassen sich
indes viel ältere Beispiele, wie sie hier und dort zerstreut sind, anziehen. —
Zunächst ist nicht zu vergessen, dass in S. Clemente die Anordnung, im
Vergleiche zu den grossen Kathedralkirchen und deren viel komplizier-
teren Zeremonien, noch einfach zu nennen ist. So sind z. B. die dort
einfachen Priestersubsellien sonst häufig in mehreren Reihen amphi-
theatralisch angeordnet; als antike Parallele vgl. das sog. Auditorium
des Mäcenas auf dem Esquilin. Zuweilen ist für den Bischofsstuhl
eine kleine Nische eingebaut (Sta. Balbina, SS. Nereo e Achilleo zu
Rom), gleichfalls schon dem antiken Profanbau geläufig. Wie bei allen
Gelegenheiten, wo es besondere Auszeichnung gilt, werden zu den
Bischofsstühlen am liebsten antike Spolien verwendet: so zeigt die in
der vatikanischen Basilika aufbewahrte berühmte Kathedra des
h. Petrus 18 elfenbeinerne Reliefplatten mit den Thaten des Herkules
und den Zeichen des Tierkreises. Selbständige Arbeiten der christ-
lichen Epoche: die Kathedra des h. Maximian im Dom von Ra-
ven na, Holz mit Elfenbeinverkleidung, saec. 6. Aus Stein und in
sehr einfachen Formen: in S. Giovanni Evangelista zu Raven na, in
S. Ambrogio zu Mailand, in den Domen von Torcello, Parenzo,
Grado, letzteres Exemplar mit steinernem Baldachin, Taf. 29, Fig. 6.
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
97
In Rom nichts vor saec. 12, wohl die beiden ältesten in S. Clemente
und S. Cesareo.
Die Stellung des Altars') ist in S. Paul, Sta. Maria mag-
giore und in der Lateranskirche unter dem Triumphbogen des
Querschiffes ; abweichend, d. i. in der Apsis im S. Peter, wo der
Grund wahrscheinlich der, dass man, um bis an die Ruhestätte des
Apostels zu gelangen, einen Teil des vatikanischen Hügels schon jetzt
abgraben musste und nicht auch noch mit dem ganzen Querschiff hin-
einrücken wollte. — In betreff der Gestalt des Altars beschränken wir
uns auf eine kurze Bemerkung. Die aus altchristlicher Zeit, sei es real,
sei es im Bilde, uns überlieferten Beispiele sind immer als Tisch
charakterisiert, in einer Form, welche sich von der profanen in nichts
unterscheidet : eine Tafel, getragen von einem mittleren oder vier Eck.
pfosten, oder auch auf zwei breiteren Füssen, Taf. 27, 29. Dagegen
finden wir für die Theorie, dass neben der Tischform eine zweite, die
sog. Sargform, als ebenso alte in Gebrauch gewesen, keinen ausreichen-
den Beweis; welches ja auch eine leere Tautologie wäre, da der wahre
Sarg des Märtyrers unter dem Altar in der Confessio stand. Bei ein
paar Darstellungen auf Mosaiken, z. B. im orthodoxen Baptisterium zu
Ravenna, die man vielleicht dafür anrufen möchte, zeigt näheres Zu-
sehen, dass die geschlossenen Seitenwändc von einer herabhängenden
gewebten Decke herrühren. Erst die jüngere Sitte, die Reliquien dem
Altar selbst einzuverleiben, kann die geschlossenen Seitenwände, d. i. die
in Rede stehende Sargform (manchmal antike Badewannen) erzeugt
haben; eine Kombination von Reliquienschrein und Tisch im Bapti-
sterium zu Ravenna, saec. 6?, Taf. 29, Fig. 1. — Ciborien oft auf
Reliefs und Mosaiken abgebildet, schon über heidnischen Altären.
Eines der ältesten, freilich nur fragmentarisch erhaltenen Exemplare
wird dasjenige in der Unterkirche S. Clemente mit der Weiheinschrift
des Mercurius (a. 514—25) sein; sonst die römischen alle jünger, doch
wohl mit Wiederholung alter Muster. — Das Ciborium über dem Haupt-
altar des S. Peter, gestiftet von Papst Leo III., war aus vergoldetem
Silber im Gewichte von 27041/* Pfund; in der Laterankirche von
1227 Pfund. — Auch die ältesten Ambonen sind nic ht in Rom, sondern
in Ravenna zu suchen: in Sto. Spirito und St. Apollinare nuovo,
saec. 6, im Dom und in SS. Giovanni e Paolo, etwa saec. 8; weiteres
in Grado, Parenzo, Torcello etc. Charakteristisch für ihre Gestalt
ist der halbrunde Ausbau der Brüstung, an den römischen Denkmälern
(erst mit saec. 12 beginnend) unterscheidende Auszeichnung des Evan-
') Das grosse Werk von Rohault de Fleury : La messe et ses monuments , Paris
1883, ist uns leider bis zur Drucklegung noch nicht zu Händen gekommen.
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil
gelienambo vor dem rechtwinklig gebrüsteten Kpistelambo. — Die Säule n-
ste llung vor dem Presbyterium der vatikanischen Basilika (Taf. 18,
Fig. 28) muss in hohes Alter hinaufreichen, da schon Papst Gregor III. eine
zweite Reihe hinzufügte; nach dem Volksglauben Reliquien aus dem
Tempel von Jerusalem, unzähligemal von Malern verwertet. Eine ähn-
liche Halle, von 20 Säulen, erhielt durch Papst Leo III. (a. 795—816)
die Paulsbasilika, von uns im Grundriss (Taf. 17) vermutungsweise ein-
gezeichnet. Im Mittelschiff: Bas. Ursiciana zu Ravenna (Taf. 17). Er-
haltene Exemplare: im Dom von Torcello (Taf. 28), Sta. Maria in valle
bei Cividale (Dartein). Besonders gegen Ende unserer Epoche scheint
die in Rede stehende Anordnung sehr verbreitet gewesen zu sein ; über
die karolingische Basilika zu Michelstadt vgl. unt. Buch II; mehrmals
in frühromanischen Kirchen Spaniens, vielleicht direkte Reminiszenz
aus der Westgotenzeit (Taf. 75, Fig. 4, 5); Ikonostasis nach griechischer
Weise, d. h. eine förmliche Scheidewand, in der Kirche des mit griechi-
schen Mönchen besetzten Klosters S. Sabba zu Rom. — Den massen-
haften Gebrauch gewebter Vorhänge bezeugen reichlichst sowohl die
bildlichen wie die Schriftqucllen. Hier nur ein paar Beispiele. Gregor IV.
stiftete für S. Paul ein mit Darstellungen der Verkündigung und der Ge-
burt geschmücktes, vermutlich zweiteiliges, Velum, das, vom Triumph-
bogen herabhängend, das Mittelschiff in ganzer Breite abzusperren
vermochte; ausserdem 24 kleinere Cortinen für das Presbyterium. Am
Altartabernakel von S. demente sind eiserne Tragestangen und Ringe
noch gegenwärtig sichtbar; desgl. in der Portalhalle von Sta. Maria
in Cosmedin.
Auf weitere Details einzugehen ist nicht Sache dieses Werkes. Wer
sich einen Begriff machen will von dem mit der Zeit anwachsenden Ge-
dränge der Ausstattungsgegenständc in manchen besonders ehrwürdigen
Kirchen, möge den Plan des alten S. Peter bei Fontana nachsehen.
Noch haben wir einen Bauteil nicht betrachtet, der unscheinbar,
ja dem Anblick fast ganz entzogen, für das christliche Gemüt bedeu-
tungsvoller war als jeder andere: wir meinen das Märtyrergrab.
Die diokletianische Verfolgung mit ihrer ungeheuren religiösen Span-
nung und ihren erschütternden Kontrasten von Schwäche und Todes-
enthusiasmus erzeugten die unbegrenzte Verherrlichung des Leidens und
seiner Helden, welche in dem Religionswesen der nächsten Jahrhunderte
einen hervorstechenden Charakterzug bildet. Nicht bezeichnender konnte
das neue Weltalter sich introduzieren als durch Einrichtung der gross-
artigen Triumphalkirchen über den Gräbern der vornehmsten Glaubens-
zeugen. Demnächst aber wollten auch die im Innern der Städte entweder
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Dritt« Kapitel : Die Basilika.
99
schon vorhandenen oder neu errichteten Kirchen so teuerwerten Schatzes
nicht entbehren, es begannen die seitdem eine so grosse Rolle spielen-
den Uebertragungen heiliger Gebeine (in Rom seit den Gotenkriegen
häufig). Wie das Leiden des Bekenners Nachfolge des Leidens Christi
ist, so wird sein Grab in nächste Beziehung zu dem Altar gesetzt,
auf dem sich das Opfer Christi täglich erneuert. — In baulicher Hin-
sicht ergiebt sich am einfachsten diese Anordnung, dass die Flur der
Kirche in gleiche Ebene mit der Decke der Grabkammer (confessio,
f Martyrium, memoria) zu liegen kommt, und dass genau über dem letz-
teren der Altar seine Stelle erhält. In der Regel freilich konnte dies
nur um den Preis mühsamer Abgrabung und Ebnung des Terrains er-
reicht werden. Z. B. die Tribuna des alten S. Peter lag in einer
förmlichen Aushöhlung des vatikanischen Hügels und man begreift die
häufigen Klagen des Papstbuches über Beschädigung der Mauern durch
Wasseransammlung. In S. Lorenzo f. 1. m. liegt der Fussboden 3 Meter
unter dem gegenwärtigen Niveau und lag noch ein gut Stück tiefer
unter dem ursprünglichen. Aehnlich der Ostbau von Sant' Agnese.
Trotz solcher Anstrengungen war es häufig nicht einmal möglich, in
der oben angegebenen Weise an das Cubiculum heranzukommen, in
welchem Falle man zwischen die Decke des letzteren und das Podium
des Altars noch einen Hohlraum (so im S. Peter) einschob; Stufen
führten zu ihm hinab (catastasis), eine vergitterte OefTnung im Boden
(umbelicus, fenestrella) zeigte den Sarg und vermittelte den mystischen
Verkehr der Gläubigen mit demselben \ auch ein eigener Altar befand
sich da, dem noch höhere Würde zuerkannt wurde, wie dem Hochaltar.
— Einfacher stellt sich die Sache, wenn das Grab nicht das ursprüng-
liche, sondern für transferierte Gebeine neu hergerichtet war. Dann
wird keine oder nur eine geringe Vertiefung angenommen und man
beschaut die Confessio durch ein Fenster in ihrer senkrechten vorderen
Wand (Taf. 29, F. 2). Endlich verzichtet man auf die Confessio wohl
auch ganz und macht den Altar selbst zum Behälter der heiligen Reste,
wählt einen antiken Sarkophag, eine Badewanne oder dergleichen dazu,
kurz: giebt ihm im Laufe des Mittelalters mehr und mehr die ge-
schlossene sogenannte Sargform. Ist hiermit der Weg angedeutet, auf
welchem die Märtyrergruft allmählich aus dem Bestände der Kirchen-
architektur ausscheidet — was konsequent vom gotischen Stil durch-
geführt ist — so tritt vorher noch eine Epoche ein, in der es vielmehr
erweitert, in der die Confessio zu einer selbständigen Unterkirche, zur
Krypta , ausgebildet wird. Diese Entwicklung beginnt zwar schon im
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Erstes Buch : Der christlich-antike Stil.
letzten Abschnitt unserer Epoche, ist aber vorzüglich charakteristisch
erst für die romanische und soll bei dieser zusammenhängend ab-
gehandelt werden.
4. Der innere Aufbau.
Der Stil der christlichen Basilika ist ein abgeleiteter, und zwar
ein abgeleiteter in zweiter Ordnung. Wer mit dem Massstabe der
originalen hellenischen Kunst an diese Spätlingsschöpfung herantritt,
wird umsonst suchen nach dem, was die Seele jener gewesen war,
nach dem Anklang an das lebendige Kräftespiel der Natur, nach der
sinnbildlichen Erläuterung des Struktiven durch das Formale; er wird
Klage führen, dass die Freiheiten, auf die ein abgeleiteter Stil recht
hat und von denen schon die römische Baukunst reichlichsten Ge-
brauch gemacht hatte, hier zur Anarchie entartet seien ; dass das eigent-
lich Architektonische auf das materiell notwendige Minimum ein-
geschränkt sei, während die Dekoration in unbefugter Selbständigkeit
und Breite ihr Wesen treibe. Trotz alledem entbehrt die Basiliken-
architektur mit nichten eines ausgesprochenen Kunstprinzipes. Das,
worin sich für diesen Stil alles Interesse konzentriert, ist das per-
spektivische Bild für das dem Altar zugewandte Auge, erzeugt in
erster Linie durch den Raumeindruck im ganzen, akkompagniert
und zu individueller Stimmung abgetönt durch die Lichtfuhrung und
den farbigen Ueberzug aller Flächen. In diesen Stücken bewährt das
künstlerische Bewusstsein noch volle Lebensenergie. In ihnen werden
einfach -grosse Wirkungen von höchstem Werte nicht nur gewollt,
sondern auch erreicht 1). Es ist dasselbe, was mit umfassenderem
Programme die römische Baukunst von jeher angestrebt hatte; hier
freilich höchst einseitig und wenig wählerisch in den Mitteln durchge-
führt; denn diese Spätzeit weiss von den beschränkenden Rücksichten,
deren die älteren Jahrhunderte gegenüber den Griechen noch sich
schuldig gefühlt hatten, nichts mehr. Der christliche Basilikenstil be-
thätigt sich wesentlich als Raumkunst; das ist seine Stärke und ist
seine Schwäche.
*) Die Macht und zugleich die Grenze dessen , was die Raumkategorie allein für
sich in der Gesamtheit des architektonisch Schönen vermag, ist nirgends besser zu stu-
dieren als in dem Neubau der Paulsbaiil ika , wo die echte alte Bauform mit moderner,
stil- und stimmungswidriger Dekoration eine Missehe hat eingehen müssen.
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
101
In vollem Missverhältnis zu den grossen Intentionen der Raum-
bildung steht die Gleichgültigkeit oder Resignation in bezug auf Dauer-
haftigkeit des Materials, die geringe persönliche Freude an tüchtiger
Werkleistung als solcher, der Mangel — um es kurz zu sagen — an
Monumentalität In der heidnisch-antiken Monumentalarchitektur war
der möglichste Ausschluss vergänglicher Materialien, also auch des
Holzes, aus dem konstruktiven Gefuge erste Bedingung der monumen-
talen Würde gewesen : die griechischen Säulenordnungen sind durch die
Steinbalkendecke bedingt; nur in dem für die künstlerische Intention
des Tempels weniger wichtigen Innern wurden Holzbalken zugelassen ;
reichlicheren Gebrauch vom Holze, altitalischen Gewohnheiten folgend,
machen die Römer, wiewohl ihre eigentlichsten Wünsche doch erst im
Gewölbebau sich verwirklichen. Die Decke der christlichen Kirchen-
basilika hingegen ist grundsätzlich und immer aus Holz. Durch ihre
historischen Anfange an die leichte Konstruktionsweise des Privatbaues
gewöhnt, kommt sie über diese nie mehr hinaus, auch nicht nachdem
sie sich zu den Dimensionen und den idealen Ansprüchen des Monu-
mentalbaues erhoben hat. Die Versuche der Profanarchitektur, das basili-
kale Plan- und Querschnittschema mit gewölbter Decke zu kombinieren
(wovon in der sog. Konstantinsbasilika zu Rom ein hochbedeutendes
Zeugnis erhalten ist), fanden in der kirchlichen Baukunst des Abend-
landes keine Nachfolge. Gewiss nicht ist diese Ablehnung Folge tech-
nischen Unvermögens. Es fehlte lediglich der Wille. Die Zeit war
geistig zu erschöpft und bewegungsscheu, die Macht der Tradition
bereits zu stark, um ein neues, wiewohl nicht unvorbereitetes Problem
noch auf die Tagesordnung zu setzen. Zudem hätte auf die durch
die Holzdecke ermöglichte bequeme, flüchtige und aufwandlose Be-
handlungsweise der stützenden Teile Verzicht geleistet werden müssen.
In hohem Grade desorganisierend wirkte dann der Brauch, alles for-
mierte Detail, von der Säule bis herab zur kleinsten Konsole, geplün-
derten antiken Gebäuden zu entlehnen. Das eigene Werk der christ-
lichen Architekten ist allein der Mauerkörper. Bei seiner Herstellung
wird die leichte Behandlungsweise, welche die geringe Last der hölzer-
nen Decke und die treffliche Bindekraft des Puzzulanmörtels gestatteten,
bis aufs äusserste ausgebeutet. Der Backstein ist das bestimmende
Material. Wo er zu haben ist — und er ist es an allen wichtigen
Stätten der altchristlichen Bauthätigkeit — wird er allein angewendet,
nicht mehr durch Haustein verkleidet wie in der guten römischen Zeit,
sondern offen zu Tage tretend. In Rom und überhaupt in den meisten
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Gegenden Italiens geht die glänzend-solide Steintechnik der Vorzeit auf
lange Zeit hinaus verloren, während die Kargheit und Flüchtigkeit in
der Behandlung des Backstein werkes , schon im 3. Jahrhundert ein-
geleitet, nun fortgesetzt zunimmt. Welche Einbusse der Dauerhaftig-
keit daraus erwachsen musste, versteht sich von selbst, mag auch die-
selbe einigermassen wieder aufgewogen werden durch die Leichtigkeit,
mit der Beschädigungen ergänzt, ja durchgreifende Umbauten ohne
Preisgebung der alten Werkstücke vorgenommen werden konnten. Ein
Vorzug, welchen man jedoch kaum sehr wird preisen wollen. In ihm
liegt eine der Ursachen, weshalb die Bauthätigkeit der Stadt Rom aus
dem immer sich wiederholenden Kreislauf von Verfall und Restauration
nicht mehr herauskam, während des ganzen Mittelalters von jeglichem
aktiven Anteil an der kirchlichen Architekturentwicklung des Abend-
landes sich ausschloss.
Mit einem Worte wenigstens muss hier der abweichenden und in
den Augen vieler noch immer massgebenden Doktrinen von Hübsch
gedacht werden. Es ist zu beklagen, dass das grossartig angelegte
und mit dem hingebenden Fleisse der Begeisterung durchgeführte Werk
dieses gelehrten Architekten der kunstgeschichtlichen Forschung un-
verhältnissmässig geringen Nutzen gebracht, ja vielfach sie desorientiert
und auf Irrwege geführt hat. Dass Hübschs allgemeine Doktrin von
vorgefassten Meinungen beeinflusst ist, erkennt man bald; leider ist
unter dem Bann der letzteren auch sein fachmännischer Blick in der
Detailbeobachtung getrübt, sein Urteil oft zu unbegreiflichen Willkür-
lichkeiten verführt. In betreff des Ursprunges des christlichen Kirchen-
baues teilt Hübsch in vollem Umfange die Ansichten von Zestermann
und Kreuser, d. h. betrachtet ihn als ureigene und autonome Schöpfung.
Der antiken Baukunst ist die christliche, nach Hübsch, technisch sowohl
als künstlerisch in mehreren Stücken Uberlegen; und ihr Verhältnis
zu den nachfolgenden Epochen bezeichnet er dahin, »dass während
des ganzen Mittelalters kaum ein neues Motiv für den
eigentlichen Kirchenbau weiter erfunden wurde — mit Aus-
nahme der demselben mehr organisch einverleibten Stellung der
Glockentürme.c U. a. soll die altchristliche Baukunst auch schon
vollkommen durchgeführte Gewölbebasiliken besessen haben. Alle
von Hübsch für diese Behauptung angeführten Belege beruhen ent-
weder auf evident falscher Datierung oder noch häufiger auf aus der
Luft gegriffener Restauration. Nur einige Fälle eingewölbter Seiten-
schiffe (so bei St. Agnese f. 1. m., Sta. Croce in Jerusalemme, S. Pietro
in vincoli, S. Crocifisso bei Spoleto etc.) sind so beschaffen, dass der
altchristliche Ursprung wenigstens auf den ersten Blick noch als mög-
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Drittes Kapitel : Die Basilika.
I03
lieh erscheint. Genaue bautechnische Untersuchung, die erst nach
Wegräuraung des Stuckes möglich wäre, ist noch nicht vorgenommen
worden. Doch zeigt schon die äussere Form, dass hier überall j üngere
Einschiebsel vorliegen. Wann dieselben vorgenommen, kann nicht
näher bestimmt werden, da sämtliche in Frage kommenden Monu-
mente eine ganze Folge von Restaurationen erlebt haben; man kann
nur sagen, dass die allgemeine Präsumption durchaus erst fürs Mittel-
alter spricht.
Beginnen wir nun die analytische Betrachtung des Systems.
Die Proportionen des Auf baus charakterisieren sich, verglichen mit
den im Mittelalter üblichen, durch stärkere Accentuirung der Breiten-
dimension des Hauptschiffes. Und zwar nicht bloss im Verhältnis zur
Breite der Seitenschiffe, sondern noch auffälliger im Verhältnis zur
eigenen Höhe. Die römischen Basiliken des 4. bis 9. Jahrhunderts
zeigen im Vergleiche der beiden Linien einen Höhenüberschuss von
l,% oder '9, mitunter sogar noch weniger, und niemals mehr wie Y7 ;
die ravennatischen dagegen schon im 6. Jahrhundert *:» bis */7. Unter
allen Verhältniszahlen ist im basilikalen Schema diese die für den
Raumeindruck wichtigste, wogegen die Höhendimension der Seiten-
schiffe weniger in Betracht kommt, da sie mit derjenigen des Mittel-
schiffes niemals gleichzeitig vom Betrachter aufgefasst wird. Das näm-
liche gilt vom Querschiff. In der Regel ist dessen Höhe jener des
Mittelschiffes gleich, zuweilen auch ein wenig geringer.
Die seitlichen Wände des Hauptschiffes sind in ihrer untern Hälfte
behufs Kommunikation mit den Seitenschiffen in Freistützen aufgelöst.
In solchem Falle hatte die römische Architektur der älteren Zeit die
Bedeutung der Stütze als Ersatz der Mauer deutlich hervortreten lassen,
indem sie ihr Pfeilergestalt gab. Von dieser Regel nun sagt sich die
christliche Epoche vollständig los : sie verwendet den Pfeiler bloss aus-
nahmsweise und mit deutlicher Geringschätzung: ihr eigentliches Aus-
drucksmittel ist stets und ständig die Säule. Strenge Stilisten haben
hierin etwas bemerkenswert Unantikes finden wollen. Man sage lieber, und
die Kritik trifft dann zu: etwas Ungriechisches. Denn es ist nicht zu
verkennen, dass hiermit die christliche Architektur nur einer Neigung
freies Spiel Hess, durch welche von jeher der römische Baugeist vom
griechischen sich unterschieden hatte, — der Neigung, das die Struktur
Bestimmende mehr im materiellen Bedürfnis als in logischer Strenge
der Formensymbolik zu suchen. Was fortgesetzt zu gunsten der Säule
sprach, ist klar genug : die lichtere Durchsicht in die Seitenschiffe, das
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Wohlgefallen an der geschmückteren Gestalt und dem glänzenderen
Material, endlich nicht an letzter Stelle die Gelegenheit, ohne Mühe und
Kosten aus verödeten heidnischen Gebäuden sie herüberzunehmen.
War aber einmal der funktionelle Unterschied von Pfeiler und
Säule verwischt, so that die christliche Architektur ganz recht, dass
sie nun auch ohne Beschränkung diese die Rechtsnachfolgerin jener
werden Hess. Dahin gehört obenan die Verbindung der Säule
mit dem Bogen. So umvidersprechlich es richtig ist, dass der als
Säule gestaltete Träger, wenigstens so wie die antiken Ordnungen ihn
ausgebildet hatten, auf eine horizontal ausgebreitete Last hinweist: so
gewiss ist auf der andern Seite, dass die streng genommen unlogische
Kombination mit der aufsteigenden Linie des Bogens nicht erst durch
den christlichen Kirchenbau eingeführt ist, sondern dass dieser ledig-
lich einem gegen Ende des 3. Jahrhunderts allgemein werdenden Um-
schwünge des Stilgefühls sich anschliesst. (Bekanntestes Beispiel:
Diokletians Palast in Spalato.) Die von Bauteil zu Bauteil fortschrei-
tende Verdrängung der Geraden und des rechten Winkels durch die
Bogenlinie — im Grundriss reichliche Verwendung halbrunder Exedren,
im Aufbau Bogenthüren, Bogenfenster etc. — ist nur ein folgerichtiges
Ergebnis der von den Römern der Gewölbekonstruktion erteilten Macht-
stellung, welche nun auch das flachgcdcckte System in ihre Konse-
quenzen hineinzieht. An Orten, wo in grosser Menge Denkmäler aus
der klassischen Epoche das Auge in der Gewöhnung an den gerad-
linigen Architravbau erhielten, blieb dieser eine Zeitlang noch neben
der Archivolte in Ucbung, in andern Gegenden aber siegte die letztere
schnell. So ist schon in Ravenna der Bogen ausschliesslich in Geltung.
In Rom haben vielleicht noch die meisten Kirchen des 4. Jahrhunderts
das gerade Gebälk gehabt; sporadisch kommt es noch bis ins 9. Jahr-
hundert vor und wird wieder in der Restaurationsepoche des 12. und
13. geradezu vorwaltend.
Ueber dem mit einem Gesimse abschliessenden Kolonnadengeschoss
erhebt sich die Obermauer ohne jegliche architektonische Gliederung
als die durch die Fenstereinschnitte von selbst gegebene. Was man
weiter zu ihrer Belebung noch verlangte, wurde der malerischen Dekora-
tion zu thun überlassen.
Von Pfeilerbasiliken besinnen wir uns in Italien nur auf zwei
Beispiele: Sta. Sinforosa, neun Miglien von Rom an der Via Tiburtina,
und die (ältere) Basilika des H. Felix in der Beschreibung des Paulinus
von Nola; S. Vittore in Ravenna, von Hübsch saec. 6 angesetzt,
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
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dürfte mittelalterlich sein. Selbstverständlich ist die Anwendung des
Pfeilers, wenn auch auf anspruchslosere Bauten beschränkt, eine häufigere
gewesen. Die achteckigen Pfeiler in SS. Nereo e Achilleo zu Rom
können nicht älter sein als die Restauration des saec. 13, ja vielleicht
erst saec. 16. In SS. Vincenzo e Anastasio alle tre Frotane
gleichfalls erst aus einem (welchem?) der mehrfachen mittelalterlichen
Umbauten. Wirkliche Pfeiler dagegen in den im Untergeschoss offenen
profanen Basiliken Sta. Croce und St. Andrea in Barbara (vgl. die
Grundrisse Taf. 15, Fig. 10, 12). — Der Wechsel von Pfeilern und
Säulen ist eine seltene und consequenzlose Erscheinung. In bewusstcr
künstlerischer Absicht zuweilen in Griechenland : frühes Beispiel S. De-
metrios in Thessalonica (saec. 5—6) wo die 3X3 Säulen jedesmal von
einem Pfeiler unterbrochen werden. Aehnlich die der Schola Graeca ge-
hörige Kirche Sta. Maria in Cosmedin zu Rom (Taf. 16, Fig. 9). Die
Unregelmässigkeit der Intervalle bezeugt nachträgliche Mutation. Hier
dienen die Pfeiler zur Markierung der rituellen Abteilungen (Presby-
terium — Sängerchor — Oratorium Populi) ; das Gleiche ist der Zweck
des einen Pfeilers in S. C lerne nte, und vermutlich überall, wo diese
Anlage im Mittelalter sonst noch begegnet, z. B. S. Maria fuoreivitas in
Lucca (Taf. 67, Fig. 4). — Eine andere Bedeutung haben die oftgenannten
Pfeiler von Sta. Prassede (Taf. 16, Fig. 1 und Taf. 45, Fig. 1).
Sie sind im Grundriss quer gestellt und tragen kräftige Kragsteine,
von welchen aas Gurtbögen sich über das breite Mittelschiff spannen
— zweifellos (wie u. a. die Stellung der jetzt vermauerten , aber von
aussen noch erkennbaren alten Fenster beweist) später eingebaute Not-
stützen ; über den baugeschichtlichen Zusammenhang vgl. Buch II, Kap. 1.
Proportionen. Die Höhe des Architravs, beziehungsweise der
Arkadenöffnungen steht zur Gesamthöhe des Mittelschiffes in einem
nur wenig schwankenden Verhältnis. Beispiele aus Rom: Sta. Maria
maggiore 4,44 : 10; Sta. Sabina 4,5 : 10; S. Paolo 4,1 : 10; aus
Ravenna: St. Apollinare nuovo 5,2:10; St. Apollinare in Classe
4,3 : 10. Zwischen diesen Zahlen und den oben S. 103 für das Ver-
hältnis der Gesamthöhe zur Breite angegebenen besteht, wie man
sieht, eine feste Korrespondenz. — Für die Interkolumnien giebt es
einen festen Kanon nicht mehr. In den älteren Monumenten bleibt ihre
Proportion der traditionellen der römischen Baukunst noch ziemlich
nah, aber je mehr der Vorrat verfügbarer antiker Säulen zusammen-
schmilzt, um so mehr nehmen die Intervalle zu, und relativ gross sind
sie von Anfang an in Ravenna, wo die Säulen neu gearbeitet wurden.
Bei fünfschiffigen Anlagen wurden ohne Anstoss die äusseren Ko-
lonnaden niedriger angenommen: S. Peter, S. Paul; in der La-
teranskirche (saec. 9) sind nicht einmal die Interkolumnien der
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lo6 Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
äusseren Reihen denen der inneren gleich — eine erstaunliche Stumpf-
heit des Symmetriegefuhls. Weiter wird mit der Zeit auch die Gleich-
artigkeit der Säulen innerhalb einer und derselben Reihe preisgegeben,
zeigt sich regelloser Wechsel von Säulen nicht nur verschiedener
Ordnung, sondern auch verschiedener Grösse und verschiedenen Ma-
teriales, wird von den zu hohen ein Stück abgeschlagen oder eingegraben,
werden die zu kurzen auf Sockel gestellt oder mit Kämpfern ausgerüstet.
Schliesslich haben die Restauratoren des 16. und 17. Jahrhunderts nach
ihrer Weise, durch Abmeisselung oder Stucküberzug, die Disharmonie
wieder gut zu machen gesucht. In manchen Kirchen, z. B. Sta. Maria
in Trastevere, Sta. Maria in Araceli, sieht man noch heute ergötzliche
Musterkarten jener naiven Buntheit.
Von den Basiliken des saec. 4, soweit sie noch relativ unversehrt
sind, haben über den Säulen gerades Gebälk: Sta. Maria maggiore.
S. Lorenzo f. 1. m. (im Erdgeschoss) , S. demente Unterkirche (?),
S. Pietro in Vaticano (nur im Mittelschiff, während zwischen den
Seitenschiffen Archivolten) ; durchweg Bogen allein die ravennatisch
beeinflusste Paulskirche. Ausserhalb Roms findet sich gerades Gebälk
gar nicht, in Rom noch in S. Martino ai Monti saec. 6, Sta. Prassede
saec. 9. Bemerkenswerte Vorliebe für den Architravbau wieder in der
Restaurationsepoche saec. 12 und 13: S. Crisogono, S. Lorenzo
Vorderkirche, Sta. Maria in Trastevere und in den sämtlichen zahl-
reichen Vorhallen aus dieser Zeit. Zur Konstruktion bemerken wir noch,
dass behufs Verteilung des Druckes über den Architraven von Säulen-
axe zu Säulenaxe Flachbögen gesprengt zu sein pflegen, die jedoch durch
die Dekoration dem Anblick verhehlt werden. Ein Idiotismus des
Bischofsitzes von Narni ist die Verwendung dieser Flachbögen auf
ihren zwischenliegenden Architrav; Vorhalle der Pensola, Hauptschiff
des Doms (Taf. 71, Fig. 1).
Erschien uns schon bei Betrachtung des Grundrisses als Seele und
Beherrscher des Gebäudes der Altar, so klingt dessen Macht noch viel
vernehmlicher aus dem Aufbau uns entgegen. Für den in der Mittel-
axe des Hauptschiffes stehenden Beschauer deckt sich der Altar genau
mit dem perspektivischen Verschwindungspunkte der grossen Horizontal-
linien. Auf seinen Ort, auch wenn er selbst hinter Gittern und Tüchern
verborgen sein sollte, wird der Blick mit Notwendigkeit hingelenkt
Hier ist es, wo der scheinbar in immer kürzer werdenden Intervallen
vorwärts eilende Rhythmus der Säulen und Bogen stille steht, wo
dieser zweigeteilte Bewegungsstrom sich gleichsam aufstaut und empor-
steigt, um in der Halbkreislinie der Apsidenwölbung sich zu vereinigen —
ein Finale von unvergleichlich einfacher, ruhiger, majestätischer Wirkung.
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Drittes Kapitel: Die Basüika.
IO7
Immer erscheint dem Auge das Sanktuarium, obgleich nach der Grund-
fläche berechnet nur ein kleiner Bruchteil des Ganzen, als der be-
herrschende Hauptaccent des Bildes.
Ist die Tribuna durch ein Querschiff vom Langhause getrennt, so
wird dem Bogenmotiv Vervielfältigung zu Teil, d. h. die mit dem
Langhaus zusammenstossende Wand des Querschiffs wird in weiten
Bögen gegen jenes geöffnet, ebenso vielen als es Schiffe besitzt. Den
ins Hauptschiff fuhrenden pflegt man, mit einem Terminus von an-
scheinend erst modernem Ursprünge, Triumphbogen zu nennen.
Alles Nähere wird aus unsern Abbildungen genügend ersichtlich.
Von der Decke wurde bereits gesagt, dass sie, ausgenommen das
halbe Kuppelgewölbe der Apsis, durchaus von Holz gezimmert war.
Und zwar war beides nebeneinander im Gebrauch: die Vertäfelung
nach Art der antiken Kassettendecken und das offene Zutagetreten der
Dachrüstung. Einige, zwar nicht mehr aus altchristlicher Zeit, doch aus
dem Mittelalter erhaltene Beispiele liefern den Beweis, dass auch die
letztere Form einer echten künstlerischen Behandlung fähig ist.
Nicht richtig ist, dass in den älteren christlichen Jahrhunderten allein
die Felderdecken in Uebung gewesen seien und erst die Armut der
späteren Zeiten ihrer sich entwöhnt habe, vielmehr sind offene Dach-
stühle zu keiner Zeit bei den Römern verschmäht gewesen ; s. Vitruvs
Basilika zu Fanum; dann die Basilika zu Tyrus und die älteste
Peterskirche, andererseits hat S. Paul noch im 9. Jahrhundert eine
neue Lacunariendecke erhalten ; auf eine solche weisen vermutlich auch
das mehrfach vorkommende Namensepitheton »in coelo aureo«. Haben
nicht vielleicht einige solcher Decken bis ins 15. Jahrhundert sich er-
halten und den Renaissancekünstlern zum Muster gedient?
Als eine Gruppe für sich, nicht nur durch die Bauform, sondern
auch nach ihrer chronologischen Begrenzung, zeigen sich die Basiliken-
anlagen mit Langseitsemporen. Diese der forensischen Basilika
sehr geläufige Anordnung ist der ecclesialen ursprünglich fremd. Vom
Occident kann dies mit Bestimmtheit behauptet werden ; nicht so sicher
vom griechisch-orientalischen Gebiet, wiewohl auch hier, nach Ausweis
der syrischen und palästinensischen Monumente des 4. und 5. Jahr-
hunderts die eingeschossigen Anlagen die gewöhnlichen gewesen zu
sein scheinen. Im Laufe des 6. Jahrhunderts dagegen werden in der
Bausitte der griechischen Kirche die Emporen zur Regel, wohl nicht
allein aber am stärksten bedingt durch die hier mit noch grösserer
Strenge als im Abendlande durchgeführte Scheidung der Geschlechter.
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Erstes Buch : Der christlich-antike Stil.
Der Bautypus Ravennas, sonst so vielfaltig mit griechischen Ingre-
dienzien durchsetzt, hat die Emporen jedoch nicht adoptiert. Dagegen
kam für Rom eine Periode , in der es sich damit noch befreunden
lernte. Sie dauert, einer unzweideutig byzantinisierenden Richtung der
dekorativen Künste parallel laufend, vom letzten Viertel des 6. bis ins
erste des 9. Jahrhunderts; d. i. gerade so lange wie die mehr durch
die Not barbarischer Angriffe als durch eigne Neigung bestimmte Ab-
hängigkeit des römischen Stuhles vom Kaiserhofe in Byzanz.
Das früheste datierte Beispiel und wahrscheinlich früheste über-
haupt giebt S. Loren zo f. 1. m.f erbaut von Papst Pelagius II. (a. 578 — 90;
nach der Besetzung der Stadt durch die Griechen. Das Säulen- und
Architravmaterial des Erdgeschosses sowie der Grundplan werden wohl
noch vom Baue Sixtus III. (a. 432 — 440) herrühren; die Kämpferwürfel
über den Säulen der Emporen bezeugen aber ebenso zweifellos wie
das Triumphbogenraosaik den Einfluss von Byzanz. Dann folgt Sant
Agnese f. 1. m. (635 — 38), sehr ähnlich disponiert und gleichfalls mit
Kämpferwürfeln. Die harmonische Eingliederung des neuen Motives
in die Gesamtproportionen ist in beiden Fällen nicht recht geglückt:
übel namentlich die hohe Mauerfläche über dem Apsidenbogen. Die
erst in unserem Jahrhundert beseitigten Langschiffemporen in Sta. Ce-
cilia in Trastevere stammen von Papst Paschalis (a. 817 — 24); von
demselben (?) die Querschiffemporen in Sta. Prassede. Weitere teils
ganz, teils in Spuren vorhandene Emporen : in S. Pietro in vincoli (?)
und SS. Quattro Coronati zu Rom, Sta. Maria maggiore zu Capua; —
in betreff deren Datierung hat man die Wahl zwischen verschiedenen
Restaurationsperioden von saec. 7 — 9.
Schliesslich ist noch der zweite grosse Faktor des architektonisch
Schönen, die Beleuchtung, in Betracht zu ziehen. Die altchristliche
Architektur ist eine in hohem Grade dem Licht freundlich gestimmte.
In bezug auf die Verteilung dieses Elementes aber herrschen nicht un-
beträchtlich verschiedene Grundsätze in der römischen und der raven-
natischen Baugruppe. Im allgemeinen gilt, dass die römische Basilika
allein die Hochwände des Mittelschiffs mit Fenstern versieht, die raven-
natischc ausserdem noch die Seitenschiffe und die Apsis. In der ersteren
Anlage erkennen wir eine Vererbungsform aus dem Privathause wieder
und unbestreitbar giebt sie die schönere und feierlichere Wirkung ; sie
charakterisiert nachdrücklicher den Raum als einen geschlossenen, sie
sondert ruhiger voneinander die belichteten und beschatteten Massen.
Vielleicht noch fühlbarer als durch die dunkeln Seitenschiffe wird der
Unterschied der römischen Basiliken von den ravennatischen durch die
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
IO9
dunkle Apsis. Die Art, wie die schimmernde Pracht des Altartaber-
nakels von der farbigen und goldenen Dämmerung der Tribuna sich
abhebt, mutet uns an, wie eine Erinnerung an das Götterbild der
Tempelcella, — die polygone Apsis Ravennas mit ihrem scharf und
streifig einfallenden Sonnenlicht wie die frühe Vorahnung eines gotischen
Chors. Indessen darf nicht übersehen werden, dass an diesem Unter-
schiede das ästhetische Bewusstsein keineswegs alleinigen Anteil hat:
er entspringt zuerst aus dem liturgischen Unterschiede, dass die römi-
schen Basiliken, wenigstens die massgebenden älteren, immer gegen
Abend, die ravennatischen gegen Sonnenaufgang orientiert sind.
Was die Axenstellung der Fenster betrifft, so ist Regel, dass auf
jedes Intercolumnium des Untergeschosses ein Fenster in die Hochwand
kommt Die Zahl der Fenster ist also eine sehr grosse, und zwar
um so grösser, je höher hinauf die Entstehungszeit der Kirche reicht,
weil dies gleichbedeutend mit der grosseren Dichtigkeit der Säulcn-
stellung ist.
Die Restaurationen des 16. bis 18. Jahrhunderts pflegten von den
alten Fenstern die Hälfte oder Zweidrittel zuzumauern; die ursprüng-
liche Beschaffenheit häufig noch an der Aussenwand zu erkennen,
z. B. Sta. Maria maggiore, S. Lorenzo in Lucina, Sta. Prassede. Die
Fensterlosigkeit der Seitenschiffe ist bezeichnenderweise nicht bloss
den Basiliken der Innenstadt Rom, sondern auch den vor den Thoren
liegenden, wie S. Lorenzo und St'. Agnese, eigen. Auch die Ab-
bildungen der Peterskirche zeigen an dieser Stelle nur wenige, offen-
bar erst später eingebrochene. Eine Ausnahme machte S. Paul, doch
auch nur vielleicht; die vor dem letzten Brande sichtbaren Seiten-
schiffsfenster waren gotisch ; immerhin könnten schon ursprünglich solche
vorhanden gewesen sein, da ravennatisch-byzantinischer Einfluss, durch
die kaiserlichen Bauherren erklärlich, auch in anderen Stücken hier
wahrzunehmen ist, in der östlichen Richtung der Apsis und der Durch-
führung der Archi volten. Hinwieder giebt es auch einige ravennatische
Kirchen, die infolge ihrer eingeschlossenen Situation fensterlos geblieben
sind. — Eine ausnahmsweise schon Anfang saec. 9 befensterte römische
Apsis war die der Lateranskirche; in Sta. Maria maggiore und
Sta. Maria in Trastevere erst aus dem hohen Mittelalter.
Um eine richtige Vorstellung von der Totalwirkung der Beleuch-
tung zu gewinnen, muss schon hier die Art des Fensterverschlusses in
') Eine Ausnahme (ob von Anfang an?) macht der S Peter, wo zufolge einer
Nachricht des 9. saec. auf jeder Seite elf Fenster, also erst nach jedem zweiten Säulen-
intervall; allerdings die letzteren hier besonders eng.
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I 10
Erat es Buch : Der christlich-antike Stil.
Rücksicht gezogen werden. Dass der Gebrauch des Glases zu diesem
Zwecke wie dem Altertum so auch der christlichen Zeit nicht un-
bekannt war, kann nach häufigen Erwähnungen der Schriftsteller nicht
bezweifelt werden; nicht minder aber auch, dass derselbe nur ein be-
schränkter und ein Reservatrecht des höchsten Luxus gewesen. Im
allgemeinen ist die Methode der Befensterung in den südlichen Ländern
jetzt und bis ins hohe Mittelalter dieselbe wie im ganzen Altertum
schon von Aegypterzeiten her. Dünne Steintafeln werden in die Falze
des Gewändes eingelassen und eine Menge kleiner Bohrlöher so über
sie verteilt, dass einerseits dem Regen das Eindringen verwehrt, anderer-
seits einem genügenden Quantum von Licht es gestattet wird. In
Gegenden, die passenden Steinmaterials entbehrten, kamen analoge
Holzgitter zur Verwendung.
Vereinzelte Ueberbleibsel solcher Verschlüsse (transennae) sind noch
in allen Mittelmeerländern zu finden. Die Datierung ist im konkreten
Falle freilich sehr schwierig. Am gebräuchlichsten scheinen die ein-
fachen siebartigen Muster gewesen zu sein (Taf. 31, Fig. 13, 15), seltener
die gitterähnlichen (Fig. 12, 14); mitunter, wo es sich um kleinere dem
Auge näherstehende Oeflhungen handelte, kunstvollere Dessins, auch
aus Bronze. Lediglich als Füllung solcher durchbrochener Transennen
haben wir uns das Glas — und auch so nur selten — verwendet zu
denken. Sonst mussten transparente Gipse zum Ersatz dienen. Die
grosse Masse der Fenster aber hat einen solchen zweiten Verschluss
wohl nie erhalten. Etwaniger Belästigung durch Zugluft (die ohnedies
nur von den Seitenschiffen her zu befürchten war) mochten Teppiche
abhelfen. In Torcello sieht man noch bewegliche steinerne Fensterläden.
Keineswegs ist das antike und frühmittelalterliche Befensterungs-
system ein unvollkommenes. Wenigstens nicht für die Länder des
Südens. Vermöge der durchdringenden Kraft der südlichen Sonne war
die Beleuchtung noch immer eine reichliche, aber zugleich in einer
Weise sanft gebrochen und verdämmert, die vielleicht ebensosehr vor
der brennenden Pracht der mittelalterlichen Glasgemälde wie gewiss
vor der profanen Helligkeit der farblosen grossscheibigen modernen
Fenster — als Faktor der architektonischen Harmonie beurteilt — den
Vorzug verdient. Endlich sei zu bemerken erlaubt, dass die heute von
den meisten Kircheninterieurs unzertrennliche spezifische Dumpfheit der
Luft den altchristlichen, dank der von den Transennen besorgten Ven-
tilation, unbekannt gewesen sein wird.
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
II!
Beschreibung der Tafeln.
Zur Vorgeschichte der Basilika.
Tafel 15.
1. Griechisches Haus nach Vitruv. Grundriss.
2. Pompeji: Haus des Sallustius. Grundriss. — Mazois.
3. * Rom, Palatin: Saal im Paläste Domitians. Grundriss. — Bezold.
4. Dasselbe: Gesamtgruppe in kleinerem Massstab. — Lanciani und
Visconti.
5. Zwei Häuser aus dem römischen Stadtplan. — Jordan.
6. 7. * Zwei Säle aus der Villa Hadrians bei Tivoli. Grundriss. — Bezold.
8. Jbmpeji: Haus des Epidius Rufus. Grundriss. — Fiorelli.
9. Pompeji: Haus des Pansa. Grundriss. — Mazois.
10. Rom: Basilika des Junius Bassus (St\ Andrea in Barbara). Grund-
riss. — Ciampini.
11. * Rom: Sta. Balbina. Grundriss, links des unteren, rechts des oberen
Geschosses. — Dehio.
12. Rom: Sta. Croce in Gerusalemme. Grundriss. — Hübsch. — Das
Schwarze bezeichnet die antiken Bauteile, das Schraffierte den
christlichen Einbau; rechts der gegenwärtige Zustand seit dem Um-
bau von a. 1743.
13. Bronze- Lampe , in Afrika gefunden. — Sammlung Basilewsky zu
Paris. — De Rossi, Bull, crist. 1866.
14. Architektur-Hintergrund auf einem Mosaikbilde in S. Georgios zu Thes-
salonica. — Texier et Pullan.
15. * Restaurierte Ansicht eines Atrium tuscanicum.
16. 17. * Desgleichen eines Atrium displuviatum.
*, , _ Grundrisse.
Tafel 16.
1. Rom: Sta. Prassede. — saec. 9. — Bunsen, Dehio.
2. Parenzo: Kathedrale. — saec. 7. — Lohde bei Erbkam.
3. Rom: S. demente. — saec. 12. — Bunsen, Hübsch.
4. Rom : S. Lorenzo fuori le mura. — Der hintere östliche Teil saec. 4 u. 6 ;
die Fundamente der alten nach Westen gerichteten Apsis durch zwei
Striche angedeutet; die Vorderkirche saec. 12. — Bunsen, Hübsch.
5 . Ravenna : San Martine (St\ Apollinare nuovo). — saec. 6. — Hübsch,
Bezold.
6. * Ravenna: Santy Agata. — saec. 6. — Bezold.
7. * Ravenna : Sto. Spirito. — saec. 5— 6. — Auf der Südseite Spuren
einer offenen Säulenstellung. — Bezold, Ricci.
8. Ravenna: St\ Apollinare in Ciasse. — saec. 6. — Links Grundriss
der Krypta. — Dartein.
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I 12
Erstes Buch : Der christlich-antike Stil.
Tafel 16.
9. Rom: Sta. Maria in Cosmedin. — saec. ?. — Bunsen, Hübsch,
Gailhabaud.
10. Novara: Kathedrale. — Vier Bauperioden: Baptisterium und Vor-
hof altchristlich, Schiff frühromanisch flachgedeckt (links, restauriert),
spätromanisch eingewölbt (rechts), Querschiff und Chor gotisch.
Der ganze Bau kürzlich abgebrochen. — Osten.
Tafel 17.
1. Rom: Basilica Ostiensis (S. Paolo fuori le mura). — saec. 4, 5. —
Bunsen, Hübsch.
2. Campagna di Roma: Sfa. Sinforosa. — Im Osten Cömeterialzelle,
vorkonstantinisch ; die Basilika saec. 4. — De Rossi: Bull, crist.
3. Rom: Sint* Agnese f. /. m. — saec. 7. — Bunsen, Hübsch.
4. Rivenna: Basilica Ursiciana. — saec. 5. — Buonarotti.
5. Rom: S. Pietro in vincoli. — saec. 5. — Hübsch, Dehio.
6. Rom: S/a. Maria maggiore. — saec. 4. — Apsis und Vorhalle
saec. 13. — Bunsen, Ambonen und Altare nach de Angelis.
7. Bethlehem: Marienkirche. — saec. 4, Ostbau saec. 6. — De Vogue\
Tafel 18.
1, 2. Rom: Basilica Vaticana Sancti IVtri. — saec. 4. — Anfang
saec. 16 abgebrochen. Die schraffierten Teile Anbauten aus ver-
schiedenen Jahrhunderten. — Zeichnungen und Masse des saec. 16
gesammelt von Alfarani (Handschrift der vatikanischen Bibliothek);
danach Fontana, Ciampini, Bunsen u. a. m.; für den Grund-
riss zu vergleichen eine Skizze von Bramante bei Geymüller: Ent-
würfe zum S. Peter. Die Angaben über den Aufbau nur summarisch.
Der Lichtgaden saec. 1 4 (?) erneuert, mit gotischen Fenstern versehen
(vgl. Taf. 21, Fig. 3) und erhöht; auf unserer Zeichnung im ursprüng-
lichen Sinne vermutungsweise restauriert (vgl. oben S. 109 Anm.).
Schnitte und Systeme.
Tafel 19.
1. * Rom: Sta. Maria maggiore. — System des Hauptschiffes. —
saec. 4 und 5. Von der Dekoration alt: der Fries und die recht-
eckigen mosaikierten Felder darüber ; das übrige jetzt durch Renais-
sancedekoration verdrängt, auch jedes zweite Fenster zugemauert.
— Dehio, Photographie.
2. Dasselbe im Querschnitt. — Dehio, Hübsch.
3. *Ravenna: S. Martina (San? Apollinare nuovo). — saec. 6. —
Bezold, Photographie.
Tafel 20.
1, 2. Rom: S. Pietro in vincoli (restauriert). — saec. 5. — Hübsch.
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Drittes Kapitel: Die Basilika.
113
Tafel 20.
3, 4. Ravenna: San? Apollinare in Ciasse. — saec. 6. — Hübsch. —
Der Fussboden gegenwärtig um 12c aufgeschüttet, vgl. das Detail
Taf. 31, Fig. 2.
Tafel 21.
1. Rom: S. Paolo fuori le mura. Querschnitt mit Perspektive. —
saec. 4, 5. — Bearbeitet nach den geometrischen Aufnahmen von
Hübsch und der Ansicht bei Piranesi.
2. Rom: S. Loremo fuori le mura. Ansicht der Westfassade. —
saec. 13. — Nach Photographie.
3. Rom: S. Pietro in Vatkano. Querschnitt durch das Atrium. —
saec. 4, die Fassade saec. 13 restauriert. — Fontana.
Tafel 22.
1. *Rom: Sta. Balbina. Querschnitt — Dehio.
2. Rom: S. demente. Teil des Längenschnittes. — Starke Aufhöhung
des Terrains durch Ruinenschutt. Zuunterst altrömisches Quader
mauerwerk ; darüber christliche Basilika von unbestimmtem, wahr-
scheinlich hohem Alter; zuletzt der aktuelle Bau, nach der Ver-
wüstung Roms durch Robert Guiscard in kleineren Massen wieder
aufgebaut a. 1099 — 11 18; das gegenwärtige Strassenniveau wiederum
aufgehöht um c. 2 m. — De Rossi, Bull, crist
3. Parenzo: Kathedrale. Querschnitt durch das Atrium. — saec. 6,
mit späteren Ueberarbeitungen. — Lohde bei Erbkam.
4. Thessalonica: Hagios Demetrios. — saec. 5—6. — Texier et Pullan.
5. Rom: S. Lorenzo fuori le mura, Ostbau. Querschnitt. — saec. 6,
Ende ; der Einbau aus saec. 13 auf unserer Zeichnung weggeräumt. —
Lenoir, Hübsch, Photographie.
6. Rom: Sta. Agnese fuori le mura. Querschnitt mit Perspektive. —
saec. 7. — Bearbeitet nach Bunsen, Hübsch.
Tafel 23.
1. * Rom; Sta. Maria maggiore. Innenperspektive. Vgl. Grundriss
Taf. 17, Fig. 6, Schnitte Taf. 19, Fig. 1, 2, und was dort über
die Wanddekoration gesagt; an Stelle des gegenwärtigen barocken
Hochaltars haben wir einen stilgerechten nach S. demente ein-
gezeichnet; die durch die moderne Restauration gleichfalls ent-
fernten, bei de Angelis abgebildeten Nebenaltäre und Ambonen
haben wir nicht benutzt, da sie nicht die ursprünglichen, sondern
aus saec. 14; dagegen belicssen wir die schöne Reoaissancedecke
(angeblich von Giuliano da Sangallo, Ende saec. 15), welche in
der Wirkung von der ursprünglichen nicht allzuweit sich entfernen
wird. — Bearbeitet nach Piranesi, Bunsen, und Photographie.
s
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I
i
Viertes Kapitel.
Aussenbau, Dekoration und Konstruktion.
i. Der Aussenbau.
Die frühchristliche Kirchenarchitektur behandelt das Aeussere nach
gleichen Grundsätzen in basilikalen wie in zentralen Anlagen, wobei
die erstere Gattung als die richtunggebende sich erweist. Nirgends
wird die veränderte Grundstimmung augenfälliger wie von dieser Seite.
Die christliche Spätantike belässt dem Aussenbau — gewisse später zu
benennende Zugeständnisse abgerechnet — keinerlei selbständige Rechte
mehr: weder in dem streng organischen Sinne der Griechen, noch in
der für das Auge und nach Verhältnissen frei komponierenden Weise der
Römer. Sie giebt als Aussenbau den zur Umschliessung des Binnen-
raumes materiell notwendigen Mauerkörper und nichts darüber. Ihr
Prinzip ist also rein ein negativ bestimmtes; bei den einfachen und
klaren Verhältnissen der Basilika noch ohne Verletzung des Auges,
von wahrhaft kruder Wirkung aber in der Ausdehnung auf den ver-
wickelten byzantinischen Kuppel- und Gewölbebau (Hagia Sofia !). Die
Begründung und in gewissem Sinne Rechtfertigung dieser Dürftigkeits-
seite des Stiles haben wir ohne Zweifel in der Entwicklungsgeschichte
der Basilikalkirche zu suchen, in ihrem Ursprünge aus dem Privat-
hause und ihrer an vielen Orten gewohnheitsgemäss festgehaltenen ver-
deckten Situation (vgl. oben S. 87). Wozu an Bauteile Gliederung
und Schmuck wenden, die doch nicht sichtbar werden? Der einzige
Ort, an dem dergleichen zur Geltung kommen konnte, war die dem
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Viertes Kapitel: Aussen bau, Dekoration und Konstruktion. 115
Vorhofe zugewandte Eingangsseite; und dieser die schmückende
Ausstattung zu versagen, lag keineswegs im Geiste der Kirche, ja es
wird sogar eine nach der Weise der Zeit höchst aufwendige Pracht hier
entwickelt.
Der für die Fassade zu wählende Kontur ergab sich aus dem
eingangs genannten Grundsatze von selbst : er hat einfach sich zu
decken mit dem Querschnitt des Innern. Hierin ist ein Prinzip ent-
halten, dessen hohe Bedeutung schon hier mit Nachdruck hervor-
gehoben werden mag, obschon während der altchristlichen Epoche zu
seiner Entfaltung über den Keimzustand hinaus nichts geschehen ist.
Eine Schwierigkeit lag zunächst in dem Zusammenstoss der Fassade
mit dem Portikus des Vorhofs. Indem der Portikus nicht in die Fas-
sade hineingezogen wurde, wie es nachmals das Mittelalter that (z. B.
S. Ambrogio in Mailand), vielmehr als gesonderter Bauteil mit eigenem
Dach verharrte, kam die Fassade (für das Auge) um ihren Unterbau
und mithin um die Grundlage aller naturgemässen Entwicklung. Die
Disharmonie zwischen dem feingliedrigen, in eine Vielheit kleiner Ab-
messungen geteilten Säulengange und der dahinter unvermittelt auf-
steigenden schweren Steinmauermasse der Kirche blieb unaufgelöst;
ein Versuch, der letzteren eine weitere Gliederung als durch die ein-
fachen rechtwinkligen Fenstereinschnitte zu geben, wurde nicht unter-
nommen. Man that sich genug an einer blossen Flächendekoration,
überzog die Mauer mit Stuck, oder inkrustierte sie mit Marmor, oder
gab ihr figürliche Darstellung in Glasstiftmosaik.
FrUhe schon scheint selbst das Horizontalgesimse unter dem Giebel-
felde verschwunden zu sein. (Bei SS. Cosraa e Damiano in Rom aus
antikem Profanbau herübergenommen.) In den römischen Restaurations-
bauten des 12. und 13. Jahrhunderts herrscht ein horizontal schliessender
Aufsatz mit geschweiftem Profil, der den Giebel übersteigt und maskiert
(Sta. Maria maggiore) oder ihn durch Abwalmung beseitigt (S. Lo-
renzo f.). Beiläufig der ägyptischen Hohlkehle vergleichbar, ist dies
Glied doch viel energieloser und schwerfälliger, durch kein Zwischen-
glied von senkrechtem Mauerteil abgelöst, lediglich direkte Ausbiegung
des letzteren und auch von der figürlichen Dekoration als fortlaufende
Fläche angenommen. Betspiele: S. Peter (Taf. 21, Fig. 1), S. Paul
(Piranesi); die deutlicher friesartige Behandlung bei S. Lorenzo (Taf. 21,
Fig. 2) modern. — An der Disharmonie zwischen Portikus und Hoch-
fassade leiden alle Basiliken Roms. Ein leiser Versuch zur Abhilfe
in Parenzo (Taf. 21, Fig. 3), wo die Zahl der Arkaden auf drei reduziert
und die mittlere breiter und höher angenommen ist. — Reste einer
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Il6 Erstes Bach: Der christlich-antike Stil.
in Stuck imitierten Rustica, übrigens noch von der profanen Vergangen-
heit des Gebäudes herrührend, an Sant' Adriano am Forum Roman um.
Fassadeninkrustationen in Marmor sind aus unserer Epoche nicht mehr
erhalten. Für Mosaikierung das älteste Beispiel Parenzo (7. Jahrhundert
oder jünger); die römischen Exemplare (erhalten bei Sta. Maria
maggiore, Sta. Maria in Trastevere, in Abbildungen weiterlebend
S. Pietio in Vaticano, S. Paolo fuori) erst aus saec. 12 und 13. — Ein
Unikum ist die Fassade von Sant' Agostino in Crocifisso bei Spoleto,
wo eine ganze Pilasterstellung und reich dekorierte Thüren und Fenster
aus einem antiken Gebäude herübergenommen; nach Hübsch vorkon-
stantinisch (!), nach de Rossi im 5. Jahrhundert gegründet, im 7. er-
neuert; nach unserer Ueberzeugung (wegen der beträchtlichen Ueber-
höhung des Giebels über den Dachfirst entsprechend dem im Mittel-
alter in Pisa, Lucca u. s. w. herrschenden System, sowie wegen einiger
zwischen die antiken eingeschobenen entschieden erst mittelalterlichen
Details) etwa in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts noch einmal
stark überarbeitet.
Die Erscheinung aller übrigen Aussenteile ist bedingt durch das
Backsteinmaterial. Wenn das durch das ganze Altertum von
Aegypten und Assyrerzeiten bis auf und über Konstantin nur ganz
selten verleugnete Prinzip, im Backsteinbau nie das Material als solches
sichtbar werden zu lassen, sondern mit Stuck oder Stein es zu ver-
kleiden, als Prinzip (wie die Fassadenbehandlung zeigt) auch von der
christlichen Architektur noch aufrecht erhalten wird, so nimmt doch
dieselbe von dieser Verpflichtung thatsächlich umfänglichsten Dispens.
Eben allein die Fassade noch wird nach der oben angegebenen Weise
mit einer Verkleidung bedacht, — alle übrigen Teile, die Langseiten
wie die Chorpartie erscheinen als unverhehlter Backsteinrohbau. Diese
Neuerung, durch Sparsamkeitsrücksichten erstlich veranlasst und von
der tödlichen Entkräftung des antiken Stilgefühls in freiem Lauf ge-
lassen, kam zu ihrer wahren und positiven Bedeutung gleichfalls erst
durch die im Mittelalter aus ihr gezogenen Konsequenzen. Die alt-
christliche Epoche indessen nahm nur einen schwachen Anlauf zur
Schaffung eigener Backsteinformen. In Rom zumal blieben die Mauern
der Langseiten (wenige Werke ausgenommen) immer völlig glatt und
kahl bis zu dem magern Dachgesimse hinauf. Anfänge plastisch-
architektonischer Gliederung melden sich dagegen in Ravenna, welches,
damals erst zur Grossstadt sich erweiternd, Gelegenheit bot, die Kirchen
öfters freistehend anzulegen. Diese sehr einfache Einteilung besteht
in der Umrahmung je eines Fensters durch schwach vorspringende Blend-
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Viertes Kapitel: Aussenbau, Dekoration und Konstruktion.
117
arkaden, wobei die zwischen den Fenstern stehen bleibenden Mauer-
streifen jedoch nicht als Pilaster charakterisiert werden, sondern nach
oben wie nach unten unmittelbar ohne Kopf- und Fussglied verlaufen.
(Vgl. Taf. 24, 25.)
Die wenigen Kirchen Roms, welche Aehnliches aufweisen, reichen
bemerkenswerterweise in oder nahe an die heidnische Zeit hinauf:
Sta. Balbina (ursprünglich ein Profanbau, vgl. oben S. 83 und Taf. 38,
Fig. 5), Sta. Pudentiana (oben S. 82 und Taf. 25, Fig. 5), S. Lorenzo
in Lucina, — Als Zeuge eines weiteren Fortschrittes müsste man die
Fassade des Domes von Torcello nennen, läge nicht die Präsumtion
vor, dass sie erst durch mittelalterlichen Umbau ihre jetzige Gestalt
(Taf. 24, Fig. 1) erhalten habe.
Eine andere Art der Dekoration, hauptsächlich in Gallien, am Rhein
und in der Lombardei beliebt, eine Fortsetzung römischer Ueber-
lieferung, entsteht, wenn der Backstein nicht ausschliessliches Material
ist, sondern mit gebrochenem Stein vermischt zur Verwendung kommt.
Schichten von kleinen würfelförmig behauenen Steinen in dicke Mörtel-
betten eingelegt (das »petit appareil« der französischen Archäologen
und dessen Abart, das >petit appareil allonge«) wechseln nach gewissen
Abständen mit dünneren (ein- bis dreifachen) Schichten von Ziegeln;
auch werden die letzteren fischgrätenartig gestellt, oder in kompli-
ziertere geometrische Figuren gebracht, wohl auch zerstreute Marmor-
und Porphyrbrocken eingeflickt. (Beispiele bei de Caumont, Abecc-
daire.) Sehr häufig und an dieser Stelle auch dekorativ sehr an-
gemessen, ist der gemischte Verband an Fenstern, Thüren und Arkaden
(Taf. 31, Fig. 4). Das merowingische Gallien darf sich überdies rüh-
men, um Belebung des Aeusseren durch Pilaster und Fenstergiebel
(bei St. Jean in Poitiers [Gailhabaud I.] die letzteren abwechselnd
im Dreieck und im Halbkreis, wie man es viel an spätantiken Sarko-
phagen sieht), wenigstens sich Mühe gegeben zu haben, dergleichen
um diese Zeit in Italien nicht mehr geschah.
Das Aeussere der Zentralbauten schliesst sich der durch die
Basiliken eingebürgerten Behandlung an. Der Effekt natürlich ist ein
reicherer, dank dem gegliederteren Grundriss und den zuweilen zu
Hilfe genommenen Strebepfeilern. Keine Nachahmung findet die byzan-
tinische Sitte, Kuppel und Gewölbe unverdacht zu lassen ; die sphärische
Kuppel von S. Vitale in Ravenna z. B. wird von einem wenig steilen
achtseitigen Zeitdach überstiegen.
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H8
Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
2. Detailformen und Dekoration.
Die christliche Kirche gelangte zu ganzer Entfaltung ihrer Bau-
kräfte erst zu einer Zeit, wo der geistige Bankrott der antiken Kunst
schon in vollem Gange war. Die Gesinnung aber, welche sie von ihrer
Seite für die Kunst mitbrachte, war nicht dazu geschaffen, dem Ver-
fall Einhalt zu thun, noch die erlöschende Kraft durch eine neu auf-
strebende zu ersetzen. Die christliche Religion vermochte nun einmal
nicht zu verleugnen , dass ihr ursprünglicher Ideengehalt zur Kunst
schlechterdings kein Verhältnis gehabt hatte; als Dienerin war sie ihr
jetzt höchst willkommen und brauchbar, als gleichgeborene Schwester
sie anzuerkennen , blieb ihr ein fremder Gedanke. Und darum ver-
mochte die im Namen der christlichen Kirche ausgeübte Kunst im
höchsten Sinne eine christliche Kunst auch nicht zu sein.
Ausserdem lagen im Bereiche der Kunstentwicklung an und für sich
Ursachen genug für die unaufhaltsame Auflösung. Das erste ist, dass
durch die von den Römern an die Spitze gestellten Aufgaben, die
Binnenraumkunst und die Gewölbekonstruktion, das ererbte griechische
Bausystem bereits zersprengt, der organische Wert der Einzelform auf
einen bloss konventionellen herabgesetzt war. Seitdem sieht die immer
materialistischer werdende Prunklust keine Schranke mehr vor sich : sie
überbietet sich von Leistung zu Leistung in der willkürlichen Häufung
der architektonischen Glieder, in dem Gedränge plastischen Schmuckes,
in der Steigerung derber Licht- und Schattenkontraste. Die Ueber-
anstrengung des Dekorationstriebes entspringt aber aus einer inneren
Schwäche, und so musste es dahin kommen, dass derselbe plötzlich
in entgegengesetzte Richtung umsprang. Dieser Moment fällt mit dem
Siege der christlichen Kirche zusammen. Dem forcierten Ueberreichtum
plastischer Gliederung, in dem das sinkende Heidentum sich erging
(so noch in Diokletians Palast zu Spalato), setzt der christliche Kirchen-
bau, wie von einem plötzlichen Ekel der Uebersättigung ergriffen, in
nicht minder übertreibender Einseitigkeit und vielleicht nicht ohne be-
stimmte Absicht, eine ganz und völlig unplastische Ausdrucksweise
entgegen. Die farbige Mosaikierung der Flächen wird jetzt der vor-
waltende Schmuck, der einzige, an dem die abgestumpften Augen noch
Reiz empfinden; den Wünschen der Kirche überdies höchst genehm
als Darstellungsmittel hieratischer Symbole und Gestalten. Dass neben
diesen starken farbigen Effekten, zumal in dem gedämpften und zer-
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Viertes Kapitel: Aussenbau, Dekoration und Konstruktion.
119
streuten Lichte des Kircheninnern , rein architektonische Profile und
feinerer plastischer Zierat den grössten Teil ihrer Wirkung eingebüsst
hätten, versteht sich ohnedies. Ausserdem hängt die unplastische Rich-
tung auch mit dem gesamten struktiven System der altchristlichen
Kirchenarchitektur zusammen, welche, auf möglichste Materialersparnis
abzielend, die Möglichkeit so reicher plastischer Wirkung, wie beim
Gewölbebau, ausschloss.
Die Feststellung des kirchlichen Dekorationssystemes erfolgt in
der Zeit zwischen Konstantin und dem Tode Justinians, zugleich aber
auch seine Differenzierung in eine griechisch-orientalische und eine
lateinisch-occidentale Weise. Voraussetzungen und allgemeine Richtung
beider sind die gleichen ; das Formgefühl im engeren Begriff ist ein
unterschiedenes. Auch auf diesem Gebiet zeichnet sich die griechische
Welt durch eine gewisse Aktivität und Selbstbestimmung vor der in
Quietismus versinkenden lateinischen aus.
Rom und Mittelitalien gewöhnen sich so sehr, den massigen Bedarf
an formierten Details durch Plünderung antiker Gebäude zu decken,
dass die Steinmetzenpraxis auf mehrere Jahrhunderte fast gänzlich ab-
stirbt; was insofern sein Gutes hat und dem es zu danken ist, dass
die nach dem Jahre 1000 wiedererwachende Kunstthätigkeit in diesen
Gegenden in grosser Menge noch Muster aus guter Zeit vor Augen
sah und an ihnen sich schulen konnte. Nicht in demselben Masse
unerschöpflich war der Vorrat antiker Ueberreste in den Provinzen,
wo infolgedessen eine quantitativ nicht unerhebliche Handwerksthätig-
keit noch immer im Gange blieb ; zudem fielen dieselben während dieses
Zeitraumes in die Hände der germanischen Eroberer, mit denen sie
neues Blut und neue Lebensordnungen in sich aufnahmen; endlich
wurde selbst die Einheit der Kirche zerrissen durch den zwischen Ari-
anern und Orthodoxen entbrannten Streit. Das Merkwürdige ist, dass
von alledem das künstlerische Handwerk so gut wie nicht alteriert
wird. Es wachsen sich keine landschaftlichen Sonderstile aus, der ein-
gewurzelte uniforme römische Reichsstil überdauert allen sonstigen Um-
sturz und Auseinanderfall »). Die einzige wahrnehmbare Wandlung ist
') Fremdartig und vereinzelt das sog. Zangenornament am Mausoleum König
Theoderichs in Ravenna (einigemal auch an Produkten des Kunsthandwerks : »Rüstung
des Odoaker« , Goldvase in der k. k. Schatzkammer zu Wien). Dass es nicht, wie häufig
angenommen , ein missverstandenes lesbysches Kyma ist , geht schon daraus hervor , dass
alle anderen antiken Details an diesem Denkmal korrekt im Sinne der Zeit behandelt
sind. Wo nicht erweislich , so doch aus mehreren Gründen wahrscheinlich liegt hier
ausnahmsweise wirklich ein germanisches Motiv vor; vgl. Dehio in d. Mitteilungen
der k. k. Central-Commission 1873, v. Bezold in Z. f. Baukunde 1879.
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Erstes Buch: Der chretlich-antike Stil.
die fortschreitende Abnahme im Verständnis der unermüdlich repro-
duzierten alten Vorbilder. Bedenkt man aber, wieweit die Ausartung
schon vor dem Eintritt der Völkerwanderung gediehen war und über
einen wie langen Zeitraum doch ihr weiterer Verlauf sich hindehnt, so
wird man eher darüber sich verwundern, dass der Zersetzungsprozess
nicht viel schneller und radikaler vor sich gegangen ist.
Währenddes war, wie angedeutet, im Ostreich ein relativ eigen-
artiges System auf die Bahn gekommen. Gewisse verknöcherte Re-
miniszenzen der national-griechischen Weise und erneuerter Zufluss
altorientalischer Elemente traf in ihm mit dem spätrömischen Formalis-
mus zusammen. Das Abendland, während es den byzantinischen
Architekturformen nur beschränktesten Eingang gewährte, hat nicht
ebenso ablehnend gegen die byzantinische Dekorationsweise sich ver-
halten. In den adriatischen Küstenländern Italiens wurde die letztere
die vorwaltende ; im lombardischcn Königreich, ja selbst in Rom bildet
sie während des 7. bis 9. Jahrhunderts ein starkes Ingrediens ; einzelne
Motive versendet sie bis nach Spanien und Gallien.
DIE SÄULE. Von ihr vornehmlich gilt das oben über die Spo-
liierung antiker Bauwerke Gesagte. Unter den Basiliken Roms hat
allein Sta. Maria maggiore, und auch nur vielleicht, eigens gearbeitete,
nicht entlehnte Säulen. Begreiflicherweise walten unkannellierte Stämme
vor, oft aus prachtvollem Materiale; man kann an ihnen die Be-
obachtung machen, dass die auf dem polierten Körper entstehenden
vertikalen Glanzlichtstreifen eine Art Ersatz der Kannelierung ergeben,
indem sie in freierer malerischer Weise die aufstrebende Funktion der
Säule gleichfalls erläutern und verstärken helfen. — Ravenna war
meist in der Lage, seine Säulen neu beschaffen zu müssen. Sie sind
sogleich an einem starken Defekt des Stilgefühls, dem Mangel der
Enthasis, kenntlich. Hübschs Behauptung, dass sie fertig gearbeitet
aus den Steinbrüchen der Propontis importiert seien, wiederholen wir
unter allem Vorbehalt.
Unter den Kapitellformen ist das korinthische und komposite
natürlich am reichlichsten vertreten; dem dorischen begegnen wir als
durchgeführtem nur einmal (Rom, S. Pietro in vincoli); das jonische
wird mit richtigem Takt vornehmlich in Verbindung mit geradem Ge-
bälk angewandt (S. Maria maggiore, S. Crisogono, Vorderkirche von
S. Lorenzo fuori, die meisten Vorhallen aus saec. 12 und 13). — Von
den Provinzen bietet Spanien die meisten und interessantesten Beispiele.
Während es in Italien im einzelnen Falle nicht selten unmöglich zu
unterscheiden ist, ob wir spätantike oder mittelalterliche Arbeit vor
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Viertes Kapitel: Aussenbau, Dekoration und Konstruktion. 121
uns haben, giebt in Spanien der Einfall der Araber die feste Grenze
der Datierung. Unter der Westgotenherrschaft entwickelte Spanien eine
reichere Bauthätigkeit, als gleichzeitig irgend ein Land des Occidents.
Von den vielen durch ihre Chronisten aufgezählten kirchlichen Pracht-
bauten ist zwar keiner mehr erhalten, wohl aber zahlreiche in arabische
Bauten aufgenommene Fragmente. Die »Monumentos arquitectonicos
de Espana« geben Abbildungen von mehreren Hunderten derselben,
wovon wir auf Taf. 34 eine Auswahl zusammengestellt haben. Mit
gemein-römischen Typen ohne jegliche Besonderheit beginnend, zeigt
die Reihe gegen Ende schon eine leise Ankündigung mittelalterlich-
romanischer Auffassung; u. a. auch darin, dass die Monotonie der
späteren Römerzeit grosser Mannigfaltigkeit und Individualität Platz
macht. Das Vorbild ist durchweg in der korinthischen und kompositen
Ordnung zu suchen, die Wiedergabe sehr häufig eine mehr oder minder
abbreviierte und immer eine korrumpierte. So zeigt die Kernform nicht
mehr den geschwungenen Kontur des echten korinthischen Kalathos,
sondern einen abgestumpften Kegel mit gerader Begrenzungslinie. Fast
nie mehr ist im Blattwerk wirklicher Akanthus zu erkennen ; am öftesten
begnügen sich die Steinmetzen damit, den allgemeinen Umriss eines
Uberfallenden Blattes bloss im Rohen zu geben (Beispiele Fig. 4, 8,
11, 13); oder sie führen auf den Flächen desselben Zacken und Ein-
schnitte in leblosen Parallellinien aus (Fig. 2, 12, 17); hier und da ein-
mal bricht wohl auch ein entschiedener Naturalismus durch (Taf. 34,
Fig. 16; Taf. 33, Fig. 4). — Gallien zeigt verwandte Erscheinungen,
nur dass in der späteren Merowingerzeit die Barbarei um einige Grade
stärker ist, wie bei den Westgoten. — Das Langobardenreich
schwankt zwischen west- und oströmischen Vorbildern. — InRavenna
haben die Werke des 5. und beginnenden 6. Jahrhunderts noch korinthi-
sierende Kapitelle, so S. Apollinare nuovo; dagegen S. Vitale, S. Apol-
linare in Classe und die folgenden rein byzantinische. Der schon an
den spanischen und gallischen Arbeiten hervortretende Mangel an plasti-
schem Lebensgefühl wird hier bewusst zum Systeme ausgebildet. Vgl.
z. B. den Fortschritt der Verflachung im Blattwerk von Fig. 3 zu Fig. 2
auf Taf. 32. Die eigenste Natur des Byzantinismus enthüllen aber erst
Fig. 1, 4, 6. Die Ueberleitung von der Kreisform des Säulendurch-
schnittes zum Quadrat des Bogenfusses ist auf denkbar primitivsten
Ausdruck gebracht und das Flachornament, das sich über den Kern
ausbreitet, nimmt in keiner Weise auf die statische Funktion des letz-
teren, den Konflikt zwischen Stütze und Last, Bezug; zumal das bevor-
zugte Umrahmungsmotiv ist das denkbar unangemessenste an dieser
Stelle. Ferner erscheint diese Art von Kapitellen regelmässig in Be-
gleitung eines massigen Kämpferblockes (schon in Sto. Spirito und
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
S. Apollinare nuovo). Man pflegt denselben als abbreviierte Hindeutung
auf den der Säule eigentlich zukommenden Architrav zu erklären, ver-
gleichbar den Verkröpfungsstücken der römischen Gewölbebauten, oder
dem Gebälkstück über den gekuppelten Säulen von Sta. Costanza (Taf. 8,
Fig. i). Liegt wirklich diese Absicht der ästhetischen Vermittlung
zwischen Säule und Bogen zu Grunde (und nicht etwa bloss der Wunsch,
an der Säulenhöhe zu sparen, oder durch breiteres Auflager die Ecken
gegen Abdrücken zu schützen), so ist sie gewiss nicht gar klar aus-
gedrückt: denn der Kämpfer, anstatt mit dem Kapitell entschieden zu
kontrastieren, wiederholt nur dessen von Trapezflächen umschriebene Ge-
stalt. Die Zusammenwirkung ist schwerfällig und zugleich matt, ein
Charakterzug, der überall in diesem Stil, z. B. den Basen (Taf. 31, Fig. 2),
sich wiederholt, durch die peinliche und mühsame Feinarbeit der Aus-
führung doppelt fühlbar gemacht — Die Kämpferwürfel sind regel-
mässige Attribute der oströmischen und ravennatischen Bauten , in
Rom und dem übrigen Italien tauchen sie nur sporadisch auf. In
Rom an Kirchen, deren Baugeschichte direkt byzantinische Beziehungen
aufweist — Sto. Stefano rotondo, St* Agnese f., S. Lorenzo f. Ober-
geschoss; in der Basilica Severiana in Neapel will de Rossi, Bull,
crist. 1880, p. 151 ff. die Kämpfer als unabhängig von Byzanz und
schon dem saec. 5 angehörig betrachtet wissen, was noch bewiesen
werden müsste.
ARCHITRAVE UND ARCHIVOLTEN. Ueber die sehr beschränkte
Verwendung des geraden Gebälkes oben S. 106. Ein Beispiel grau-
samer Gleichgültigkeit in der Zusammenstellung zerschlagener antiker
Gebälkstücke von verschiedenster Ornamentation im ältesten Teil von
S. Lorenzo f. 1. m.; was hingegen noch im 5. Jahrhundert geleistet
werden konnte, zeigt S. Maria maggiore; der Mosaikfries giebt
wohlgezeichnete farbige Ranken auf Goldgrund. — Der Archivolte
hatte die römische Architektur die Idee des nach den Erfordernissen
des Keilschnittes gebogenen Architraves supponiert. Diese struktive
Ausgangsidee versteht die christliche Epoche nicht mehr; sie geht an-
statt dessen auf ein bloss dekoratives Umrahmungsmotiv über, dessen
äussere Glieder nicht auf der Kapitellplatte Fuss fassen, sondern schon
bevor sie diese erreicht haben, eckig umbiegen und sie horizontal
begleiten (Taf. 33, Fig. 10). Auf die Leibung des Bogens kommt
ein farbiges Stuck- oder Mosaikornament, bald als Kassettenreihe,
bald nach Analogie von Webe- und Stickmustern charakterisiert (Taf. 33,
Fig. 2).
FENSTER UND THÜREN. Ueber die Anordnung der Fenster
sowie ihren Verschluss oben S. 108. Von der Form ist zu bemerken,
dass der Halbkreisschluss bereits unbedingt die Herrschaft erlangt hat.
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Viertes Kapitel: Aussenbau, Dekoration und Konstruktion.
123
Ein neues Motiv ist die Teilung der Fensteröffnung in eine Gruppe
von (zwei oder drei) Bögen, die von Zwischensäulchen getragen werden ;
hauptsächlich den Glockentürmen eigen, ist es ebensowenig wie diese
von sicher datierbarer Entstehungszeit. — Umgekehrt wie mit den
Fenstern verhält es sich mit den Thüren; sie konservieren durchaus
den wagrechten Sturz nach antiker Regel und sind somit der letzte
Posten, auf dem der sonst Überall verdrängte Horizontalismus sich noch
halten darf. Die meisten auf uns gekommenen Thürrahmen sind aus
Spolien zusammengestellt, was nicht der unwichtigste Grund des Be-
harrens bei der antiken Form gewesen sein wird. Selbständige Ar-
beiten auf Taf. 26, Fig. 4, 5. — Daneben gewahren wir, nicht in Rom,
sondern auf Provinzialboden , die ersten Ansätze des Ueberganges zur
mittelalterlichen Bogen thiir. Es besassen nämlich auch die horizontal
abschliessenden Thüren regelmässig einen Bogen über der Oberschwelle,
der aber bloss eine konstruktive Hilfsform (Entlastungsbogen) und dem
Auge verhehlt war. Zuerst nun beginnt jene auf dem gemischten Ver-
bände beruhende Bauart (oben S. 117) den Entlastungsbogen zu demas-
kieren, ihn im Interesse ihrer Flächendekoration zu verwerten (Taf. 31,
Fig. 4 und anderes bei de Caumont). Dann geschieht ein weiterer Schritt :
der Entlastungsbogen wird zur profilierten Archivolte (sog. goldene Pforte
zu Spalato); und schliesslich springt auch das Bogenfeld als Nische
vertieft zurück (wofür uns nicht früher als aus saec. 8. ein Beispiel
bekannt ist, Sta. Maria in Valle bei Cividale (Taf. 26. Fig. 3).
GESIMSE. Sparsamst verwendet und schwächlichst von Bildung.
Zunächst das Gurtgesimse über den Arkaden des Mittelschiffs ist zu
einer mageren Leiste zusammengeschrumpft. Häufig, namentlich in
späterer Zeit, lässt man selbst dies wenige fallen und giebt nur ein ge-
maltes Band oder (besonders charakteristisch) eine das Konsolengesims
in perspektivischer Zeichnung imitierende Intarsia oder Malerei. Beispiele:
Hagios Demetrios in Thessalonica (saec. 6? Taf. 31, Fig. 9), Einhards
Kirche in Michelstadt (saec. o). Erst die im 12. und 13. Jahrhundert
restaurierten römischen Basiliken zeigen wieder kräftiger ausladende
Profile : Sta. Maria in Trastevere, S. Lorenzo — Vorderkirche. Eher zu
rechtfertigen ist der Mangel eines Deckengesimses, da hier den
Streckbalken Konsolen doch wohl nie gefehlt haben werden. Das
Aeussere kennt nur ein einziges, das Dachgesims. Am relativ reich-
sten wird es an der Apsis behandelt, wo zusammengelesene antike
Kragsteine aushelfen. Geringere Aufmerksamkeit schenkte man den
Gesimsen der Langseiten : ja sie fehlen hier wohl auch ganz : doch sind
gerade sie wichtig als erster Versuch, aus dem Backstein eigene mate-
rialgemässe Formen abzuleiten. Das im antiken Gesimsbegriff liegende
Mass der Ausladung ist selbstverständlich erheblichst reduziert, die
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Absicht eine vornehmlich malerische. Feine Horizontalbänder, nicht
dicker als die Ziegelstarke, wechseln mit tiefbeschatteten Einsprüngen,
welche mit prismatisch beschlagenen Steinchen, den Zahnen einer Säge
vergleichbar, ausgestellt sind, und mit diesen einfachen Mitteln werden
durch Hilfe der stark wirkenden südlichen Sonne höchst zierliche
Muster hervorgerufen (Taf. 31, Fig. 5—8). Einem andern bemerkens-
werten Motive begegnen wir im sog. Bogen fr ies. Es ist eine Meta-
morphose des römischen Konsolengesimses kraft jenes durch den Ge-
wölbebau entbundenen Triebes, der bereits an Arkaden, Fenstern u. s. w.
die Kogenlinie Über die Horizontale hatte siegen lassen. Dass der Bogen-
fries nicht erst eine Erfindung der christlichen Epoche ist, beweist ein
Grabmal in Pompeji (Taf. 31, Fig. io), eine gemalte Imitation ebendaselbst
(Zahn II, 55), die Innendekoration in der (heidnischen) Basilika des Junius
Bassus (Taf. 31, Fig. 11), die vielfältige Verwendung an den Bauwerken
Zentralsyriens (de Vogue*) ; wenn schon es ganz ungewiss bleibt, wegen der
Seltenheit unversehrter Hochbauten, in welchem Umfange die Antike da-
von Gebrauch gemacht hat. In der Kirchenarchitektur Italiens begegnen
wir dem Bogenfries am häufigsten in Ravenna; frühestes Beispiel das
orthodoxe Baptisterium a. 425. Die Bögen pflegen unmittelbar aus den
Wandstreifen hervorzuwachsen , auch sind sie relativ gross (im Unter-
schied zum Mittelalter), nicht mehr wie zwei oder drei im einzelnen
Kompartimente. Das Motiv steht in nächster Analogie zu den oben
(S. 115, 117) erwähnten Blendarkaden; es bricht und vervielfältigt gleich-
sam die letzteren, um sie dem Gesimse enger anzuschliessen.
AUSSTATTUNGSSTÜCKE. Bei dem grossen und fortdauernden
Bedarf an Altären, Tabernakeln, Ambonen, Transennen und Schranken
aller Art bietet diese Gattung dem Handwerk weitaus den wichtigsten
Anlass zu selbständiger Arbeitsleistung und uns den treuesten Abdruck
des Dekorationsgeistes der Epoche. Es ist derselbe Geist, der in dem
steifen Kleiderpomp und in der Leidenschaft für massenhafte Verhängung
der Architektur mit Seidenstoffen und Goldbrokaten sich ausspricht.
Die bevorzugte Textilkunst diktiert nun ihre Formen durchaus auch
dem Stein und Metall. Ohne Rücksicht auf struktive Beziehungen und
Uebergänge (vgl. auch oben die ravennatischen Kapitelle) wird eine jede
Fläche in ein Rahmenwerk von Leisten und Bändern eingespannt und
die Füllung mit Flachornamenten überzogen. Geflochtene oder ge-
drehte Bänder, Tressen und Schnüre, verschlungene Kreise, dann
Kreuze, Sterne, das altorientalische Vierblatt und Sechsblatt spielen als
Einzeleleraente eine grosse Rolle; vieles nimmt sich geradezu aus wie
eine Stickerei auf Stein. Die Ausführung geschieht in flachem Relief,
sauber, glatt, zuweilen bis zum Verwaschenen — eine ganz in freud-
loser Routine aufgehende Kleinmeisterei. — Vgl. Taf. 29, 30, 35.
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Viertes Kapitel: Aussenbau, Dekoration und Konstruktion.
I25
MALERISCHE DEKORATION. In nichts erkennen wir die
innersten Neigungen der Epoche so ganz, wie in der unbedingten
Parteinahme für die Mosaikmalerei. Diese Gattung war durch den
Gewölbebau grossgezogen worden. Zu der schweren Massigkeit der
Thermen, der Kaiserpalaste, ihren monolithen Kolossalsäulen, ihren
ungeheuren gewölbten Steindecken, ihrem reichlichen Metallschmuck
passte gewiss keine Malerei besser, als diese nicht die Oberfläche des
Mauerkörpers mit einem idealen Gewände verhüllende sondern selbst
einen Teil von ihm bildende Malweise. In die Basilika verpflanzt, behält
sie doch eigentlich etwas Fremdes und Unwahres: neben äusserster
Sparsamkeit der Architektur an Material und Arbeitskraft die luxu-
riöseste aller malerischen Vortragsmethoden, auf höchst unmonumen-
talem Baukörper der monumentalste Schmuck. — Nachdem die Mosaik-
dekoration alle rein architektonische Gliederung aus der Kirche hinaus-
gedrängt hatte, wäre sie, bis zu einem gewissen Grade, noch immer
imstande gewesen, jene zu ersetzen. Das Bewusstsein dieser Verpflich-
tung, samt der Technik aus der heidnischen Zeit ererbt, hält, wenn
auch nicht mehr sehr mächtig, bis ins 6. Jahrhundert an; von da ab
wird sie kaum noch gekannt: das Gegenständliche der Darstellung, die
hieratische Tendenz, übertönt alle anderen Beziehungen. Diese christ-
lich-spätantike Polychromie hat letztlich eine der griechischen völlig
entgegengesetzte Wirkung. Sie ist nicht, wie diese, eine Helferin und
Interpretin der Architektur, sie beginnt ein vom baulichen Organismus
im Prinzipe abgelöstes, selbstzweckliches Dasein.
Auf die wichtigsten Denkmäler können wir eben nur hindeuten. —
Die Malereien in der Taufkapelle des Lateran (Nische der ehe-
maligen Vorhalle) und in der Grabkirche der Constantia (saec. 4)
(Taf. 8, Fig. 2) zeigen (oder zeigten) noch überwiegend ornamentale
Motive, Ranken- und Laubwerk in guter Verteilung im Raum, in der
Kuppel Karyatiden. Aber schon im folgenden Jahrhundert hat die
historische Erzählung oder das isolierte Heiligenbild auf Goldgrund die
Oberhand; in S. Paolo Fuori (Taf. 21) in anspruchsloser aber doch
im ganzen ihren Zweck erfüllender Einfassung zwischen (gemalten) Pi-
lastern; ähnlich voraussetzlich Sta. Maria maggiore (Taf. 19); da-
gegen die Einteilung des Triumphbogens in beiden Kirchen, zumal der
letzteren, schon sehr übel (saec. 5). Vielleicht auf einer älteren Kom-
position (zwar nicht aus der konstantinischen, aber etwa aus der
jullinianischen Bauperiode) beruht die Arbeit (oder nur Ueberarbeitung?)
der Kreuzfahrer des 1 2. Jahrhunderts in der Marienkirche zu Beth-
lehem (Taf. 36, Fig. 1). In Ravenna giebt das orthodoxe Bap-
tister ium (a. 425) eine durchkomponierte Scheinarchitektur, als Ganzes
von mässigem Wert, aber mit ornamentalen Details von grosser Schön-
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
heit (Taf. 37). Hingegen in S. Apollinare nuovo (saec. 6 und 7)
ist von architektonischer Einteilung nicht mehr die Rede (Taf. 19).
Treffliche Abwägung von Ornamentalem und Figürlichem in S. Vitale
(saec. 6); leider bloss noch im Chor erhalten; auf unserer Zeichnung
(Taf. 5, Fig. 2) das übrige mit Benutzung alter Motive ergänzt Als
umfänglicheres Ensemble haben wir noch den Chor des Domes von
Parenzo aufgenommen (Taf. 36, Fig. 2); die Marmor- und Perlmutter-
Intarsia des Erdgeschosses (mit antikem Namen >opus sectile«, vgl. sonst
Basilika Junius Bassus bei de Rossi, Bull. 187 1, S. Ambrogio in Mailand
bei Dartein) und die Mosaiken zwischen den Fenstern vielleicht noch
saec. 7, die Dekoration der Halbkuppel und das Ciborium saec. 13. —
Sind das auch nur geringe Ueberbleibsel ehemals massenhafter Pracht,
so geben sie doch einen Begriff von dem hohen Stimmungswerte der
Mosaiken und ihrem schwer ins Gewicht fallenden Anteil an der er-
strebten Gesamtharmonie des Architekturbildes. Setzt man in Gedanken
dagegen die prahlerische, bunte, harte, herzlose Pracht der modernen
Restauration von S. Paolo, so wird man vollends und mit Schmerzen
inne, dass mit der originalen Dekoration die Basiliken Roms die Hälfte
oder mehr ihres Schönheitswertes verloren haben.
3. Konstruktion1).
Hauptwerk: A. Choisy, l'art de batir chez les Romains. Paris 1873. 2°.
Das Bestreben, imponierende Räume nach Möglichkeit und unbe-
schadet der Dauerhaftigkeit rasch und billig herzustellen, beherrscht
die gesamte Baukonstruktion der Römer. Die römische Architektur
verwendet infolge dieser Tendenz im Hochbau selten volle Quader-
oder Backsteinmauern, sondern sie zerlegt, einer altitalischen
Tradition folgend, wo immer es angeht, jede Mauer in
stützende und raumabschliessende Teile, von welchen erstere
in regelmässigem Verband ausgeführt sind, während letztere aus einem
geringeren Mauerwerke oder einer Gussmasse bestehen und aussen mit
Retikulat oder Backstein verkleidet sind. Diesem Konstruktionsprin-
zipe begegnen wir schon in dem sogenannten Stein fachwerk der
ältesten Atrien Pompejis, welche erbaut sind, lange bevor der Kalk-
mörtel in Italien bekannt war; nachdem sich dasselbe den Mauerbogen
') Eine zusammenhängende Geschichte der kirchlichen Baukonstruktion, zu welcher
überdies genügendes Material nicht vorliegt, ist nicht in der Absicht unseres Buches
gelegen. Wir ziehen die Konstruktion nur so weit in Betracht, als durch sie die archi-
tektonische Komposition bedingt und beeinflusst ist.
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Viertes Kapitel. Aussenbau, Dekoration und Konstruktion.
127
und den unverwüstlichen Puzzolanmörtel dienstbar gemacht hat und
stilistisch durchgebildet ist, beherrscht es die gesamte römische Archi-
tektur und wirkt fort durch das ganze Mittelalter und die Renaissance.
Das Steinfachwerk erscheint als eine Uebertragung aus dem Holz-
bau, nicht als eine dem Steinbau eignende Konstruktionsweise. Rahmen
aus grossen Quadern umschliessen Felder von Incertum aus Bruch-
stein in Lehmbettung (Taf. 38, Fig. 1). Pompeji. Atrium der
Casa della Fontana grande. (Noch im Kolosseum Pfeiler aus
Travertin, deren Verzahnungen in die Peperinmauern eingreifen [Taf. 38,
Fig. 2]. Weiter oben sind diese Pfeiler durch Backsteinbögen verbunden
und ihre Zwischenräume mit backsteinverkleidetem Gussmauerwerk ge-
füllt.) Später, als der Puzzolanmörtel dem Incertum grössere Konsistenz
gewährte, begnügte man sich, die Ecken aus Backstein Tuffziegeln oder
Quadern aufzubauen, während die Mauern im übrigen aus einem mit
Reticulat verkleideten Incertum bestanden (Taf. 38, Fig. 3, Pompeji).
Ein weiterer Schritt ist die Teilung der Mauer in eine Folge von
massiven, von Bögen überspannten Pfeilern, deren Zwischenräume mit
Incertum oder mit dünneren Backsteinmauern geschlossen, zuweilen
auch offen sind. Paris: Thermen (Taf. 38, Fig. 4), wo indes runde
und eckige Nischen abwechseln. Rom: Sta. Baibin a (Taf. 38, Fig. 5),
Bögen in einer anscheinend homogenen Mauer.
Die christliche Architektur behält das System bei ; es verliert bei
den dünnen Backsteinmauern seine konstruktive Bedeutung, wird aber
zum dankbaren und vielverwendeten Dekorationsmotive.
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Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Rom: Sta. Pudenziana (Taf. 38, Fig. 6), Obermauer des Mittel-
schiffes. Ueber den Säulen erheben sich schlanke Backsteinpfeiler, von
Bögen überspannt, deren Zwischenräume mit einer dünneren von Fen-
stern durchbrochenen Mauer geschlossen sind. — Aehnlich Ravenna:
S. Apollinare inClasse (Taf. 38, Fig. 7), Detail von der Obermauer
des M. Sch., vgl. Taf. 24, Fig. 2. Ravenna: S. Giovanni in Fönte
(Taf. 38, Fig. 8), schon rein dekorativ. Ebenso die Kirche zu Bagna-
c a v a 1 1 o.
Das eben beschriebene Struktursystem erlangt eine höhere stili-
stische Bedeutung, wenn es mit dem Säulenbau in Verbindung gesetzt
wird. Das Motiv der Mauerbögen auf Pfeilern mit vorgesetzten Säulen,
Halbsäulen oder Pilastern ist im höchsten Sinne monumental und hat
der Baukunst neue und folgenreiche Bahnen erschlossen. Schon an
sich, indem es den Säulenbau aus der Gebundenheit der Säulen-
ordnungen befreit, ist es unendlicher Variationen fähig und für den
Aussenbau der römischen Theater, Amphitheater, Thermen und Paläste
allgemein angewandt, seine historische Bedeutung beruht aber mehr
Villa Adriana Hippodrom.
auf seiner Verwendung im Innenbau und seiner Kombination mit dem
Gewölbe; es entstehen die kombinierten Pfeiler, der Ausgangspunkt
für den mittelalterlichen Pfeiler- und Gewölbebau, welche sich, nachdem
das Gewölbe als Rippengewölbe in organische Verbindung mit den
Stützen gesetzt ist, in jahrhundertelangem Wcrdeprozess zu dem
gotischen Dienst- und Rippensystem umbilden.
Und nachdem dies System sich ausgelebt, greift die Renaissance
wieder auf das unveränderte römische Motiv zurück, das, im Profanbau
für Hallenhöfe und Fassaden viel verwandt, schon von Brunelleschi in
den Kirchenbau eingeführt, diesen oft in sehr grossartiger Gestalt bis
zum Ausgange des Barockstiles beherrscht.
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Viertes Kapitel: Aussenbau, Dekoration und Konstruktion.
129
Aeltestes bekanntes Beispiel das Tabularium in Rom, erbaut
a. u. 676 von C. Lutatius Catulus. Arena zu Ntmes (Taf. 38, Fig. 9)
als Repräsentant der Gattung. Der Hauptsaal der Caracalla-Thermen,
der der Dioklet iansthermen, die Konstantinsbasilika u. a.
zeigen das Motiv in Verbindung mit Kreuzgewölben.
Eine andere Konsequenz des gleichen Konstruktionsprinzipes ist
der Nischenbau, bei welchem entweder zwischen den Pfeilern rechteckige
oder halbrunde Nischen in der Mauerdicke ausgespart, oder Exedren
aussen an die Mauer angelehnt werden. Die römische Architektur
macht von dieser Form den ausgedehntesten Gebrauch. Ihr konstruk-
tiver Zweck ist die Verringerung der Mauermasse; in späteren Bei-
spielen dienen die Exedren als Streben; die formale Bedeutung der
Nischen ist bei Behandlung des Zentralbaues (Kap. II) erörtert worden.
Hier nur noch die kurze Bemerkung, dass die Nischen, welche die
Mauer anmutig und wirkungsvoll beleben, nicht als eine spielende und
zufällige, sondern als eine mit dem ganzen römischen Bausystem im
engsten Zusammenhange stehende Dekoration aufzufassen sind. Bei-
spiele bieten die Tafeln 1—3, auch Taf. 38, Fig. 4.
. Die christliche Baukunst nimmt auch diese Form herüber, sowohl
die in der Mauerdicke ausgesparten, als die aussen angelehnten Nischen.
Erstere sind namentlich an den frühromanischen Bauten am Nieder-
rhein, ferner in Regensburg und anderwärts nicht selten (Taf. 42,
Fig. 12, 14, 15); doch ist die struktive Bedeutung gering. Anders bei
den aussen angelehnten Nischen, welche, wie in der antiken Archi-
tektur, bei der Minerva medica in der byzantinischen als zwi-
schen den Hauptstützen stehende kontinuierliche Streben gegen den
Schub der Kuppel fungieren (vgl. Taf. 4 und 5).
Die römische Architektur kennt folgende Gewölbeformen: das
Tonnengewölbe, das Kreuzgewölbe — stets als Durchdringung
zweier Tonnengewölbe aufgefasst , das Klostergewölbe und die
Kuppel über runden und polygonen Räumen. — Bei Konstruktion
der Gewölbe sind die gleichen Grundsätze wie bei der der Mauern
wirksam, allein sie führen nicht zu einer entsprechenden stilistischen
Durchbildung. Das Gewölbe wird entweder — wenn der Ausdruck
gestattet ist — als eine gebogene Stroterendecke, oder als glatte, durch
freie malerische Dekoration belebte Fläche behandelt. Gleichwohl
sind schon in der römischen Gewölbekonstruktion die Ele-
mente latent vorhanden, welche das Mittelalter zur orga-
nischen Gestaltung seiner Gewölbe verwertet.
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Ijo Erstes Buch: Der christlich antike Stil.
Gewölbe in Haustein sind in Italien selten. Der Backstein
ist das Hauptmaterial der römischen Lokalarchitektur, und wenn auch
Hausteingewölbe nicht ausgeschlossen waren, so erklärt die leichte
Wiederverwendbarkeit des Materiales die Seltenheit ihrer Erhaltung. Im
südlichen Frankreich und im mittleren Syrien, wo vorwiegend in Haustein
gebaut wurde, sind auch Hausteingewölbe erhalten und geben einen
ausreichenden Aufschluss über die Konstruktionsprinzipien.
TONNENGEWÖLBE. Bei geringer Länge — Mauerbogen —
werden zwei oder drei Ringe ohne Verband nebeneinander gestellt —
Arena zu Arles (Taf. 38, Fig. 10), de Vogue", Syrie centrale pl. 73.
Bei grösserer Länge wird mit kleinen Steinen ein Verband hergestellt,
während beim Vorhandensein grosser Platten in gewissen Abständen
Gurtbögen aufgestellt werden, welche dem eigentlichen Gewölbe als
Lehrbögen dienen. — Bai ns de Diane zu Ntmes (Taf. 38, Fig. 11);
Prätorium zu Musmieh (Taf. 13, Fig. 1).
Hier sind auch die Flachdecken aus Steinplatten, welche auf
Gurtbögen ruhen, zu erwähnen: Arena zu Arles (Taf. 38, Fig. 1a)
— Basilika zu Chaqqa in Zentralsyrien (Taf. 38, Fig. 13) —
sowie die Gurtbögen als Träger der Dachbalken. — Weitere
Beispiele bei de Vogue", Syrie centrale.
Ein eigentümliches System, einen langen Raum zu überwölben,
kommt an dem äusseren Umgange der Arena zu Arles vor (Taf. 38,
Fig. 10), der mit einer Reihe transversaler Tonnen überwölbt ist. Ein
Baugedanke, der in die Anfänge des mittelalterlichen Gewölbebaues
übergeht.
Kreuzgewölbe und Kuppeln aus Haustein sind selten und
weichen in ihrer Konstruktion nicht von den noch heute gebräuchlichen
Methoden ab. Choisy a. a. O. PI. 19. Vogue", Syrie passim.
Der überwiegenden Verbreitung des Backstein-Betonbaues
entsprechend sind Gewölbe aus diesen Materialien am häufigsten und
sind gerade sie für das Studium der Konstruktion besonders lehrreich.
Wie die Mauern von stärkeren Pfeilern, so sind die Gewölbe von
Backsteinrippen durchzogen, deren Zwischenräume mit Gusswerk in
horizontaler Schichtung gefüllt sind. Auch für die Anwendung dieses
Systemes ist das Prinzip möglichster Sparsamkeit (der Arbeit) mass-
gebend. Die massigen Gewölbe hätten zu ihrer Ausführung äusserst
starker Lehrgerüste bedurft, welche sehr kostspielig gewesen wären.
Es war zur Vermeidung dieses Uebelstandes ein ebenso einfacher als
sinnreicher Ausweg, die Lehrbögen in das Gewölbe selbst zu verlegen.
Denn als Lehrbögen, welche die weiche Gussmasse bei der Ausführung
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Viertes Kapitel: Aussenbau, Dekoration und Konstruktion. 13 j
zusammenhalten und deren Druck auf die Holzschalung vermindern,
sind diese Rippen aufzufassen. Nach Erhärtung der Füllmasse aber
bilden sie mit dieser ein homogenes Ganze. Dies ist wesentlich,
denn wenn K ei Isteingewölbe aus einzelnen Stücken bestehen, welche
vermöge ihrer Form und äusserer Widerstände (Streben) sich durch
gegenseitigen Druck in ihrer Lage erhalten, so ist die Stabilität
dieser Wölbungen, sobald sie erhärtet sind, hauptsächlich auf die
Kohäsion der Masse gegründet.
TONNENGEWÖLBE. Die Art und Weise der Konstruktion zeigen
Taf. 38, Fig. 14, 15: Gewölbe auf dem Palati n zu Rom. Bei
Fig. 14 — den Bauten beim Stadium entnommen — sind die Rippen
durch horizontale Bänder aus grösseren Backsteinen verbunden und
ist auf diese Weise ein zusammenhängender Rost gebildet. Fig. 15
zeigt erst eine Schalung von flachgelegten Platten und darüber getrennte
Rippen. Es sind hier zwei Systeme vereinigt, welche auch getrennt
vorkommen.
KREUZGEWÖLBE. Bei kleineren Dimensionen werden nur Dia-
gonalrippen angeordnet (Taf. 39, Fig. 1 vom Palatin); bei grösseren
kommen auch transversale Rippen vor, so an den grossen Kreuz-
gewölben in den Diokletiansthermen (Taf. 39, Fig. 2) und der
Konstantinsbasilika. Von den beiden Diagonalbögen geht immer
der eine ungebrochen durch und ist der andere stumpf gegen ihn gestossen.
KUPPELN. Die Kugelform macht die Ausführung eines zusam-
menhängenden Rostes beschwerlich, meist sind einzelne Rippen ange-
ordnet, so bei der Kuppel der Minerva medica (Taf. 39, Fig. 3),
welche über Hängezwickeln ansetzt. Den durch Strebepfeiler verstärk-
ten Ecken entsprechen starke Rippen, zwischen welchen je zwei
schwächere angebracht sind. Die Konstruktionsidee ist jedoch in der
Ausführung bald über dem Beginn der Wölbung verlassen und ein
weit schwächeres System gewählt worden. Aehnlich das Gewölbe von
Sta. Costanza (Taf. 39, Fig. 4).
Von dem Organismus der Kuppel des Pantheon hat Piranesi
gelegentlich einer Reparatur unter Benedikt XIV. eine Zeichnung ge-
fertigt (Taf. 39, Fig. 5). Wie bei der reichgegliederten Umfassungs-
mauer ist auch hier alles das Produkt der reifsten Ueberlegung. Acht
Meridianrippen durchschneiden die Kuppel; um ihren Druck von den
Hohlräumen der Mauer abzuleiten, sind sie auf sehr starke Entlasrungs-
bögen- gestellt; ihre Zwischenräume sind durch weitere Bögen geteilt.
Das ganze System stützt sich gegen den Ring des grossen Opäons1).
*) Ueber den konstruktiven Zweck der einzelnen Teile ist die ausgezeichnete Klar-
legung bei Choisy S. 85 ff. zu vergleichen.
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1^2 Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Kleinere Kuppeln wurden bloss auf Schalungen von flachgelegten
Backsteinen ausgeführt, ohne Zwischenrippen, so in dem O k t o g o n
der Caracalla-Therraen südlich vom Hauptbau (Taf. 39, Fig. 8,
vgl. Taf. 1, Fig. 2).
Endlich sind auch die sogenannten Topfgewölbe zu erwähnen,
Spiralen von ineinander gesteckten Töpfen in Mörtel gelegt. Ein Bei-
spiel schon in der Gräberstrasse zu Pompeji. Ueber Gebühr berühmt
die Kuppel von S. Vitale zu Raven na — Isabelle, e*dif. circ.
PI. 48. — Die byzantinische Baukonstruktion scheint, wie in den
Mauern den reinen Backsteinbau, bei Gewölben die vollständige Maue-
rung mit konvergierenden Fugen dem Gusswerk vorgezogen zu haben.
Die älteren römischen Kuppeln ruhen alle auf rundem Unterbau.
Erst spät versucht man, eckige Räume mit Kuppeln zu überwölben,
wozu mancherlei Auskunftsmittel ergriffen werden.
Das einfachste ist die Ueberkragung der Ecken (Taf. 39, Fig. 6),
Kalybe in Chaqqa, Zentralsyrien. In eigenthümlicher Weise ist
der vierseitige Innenraum des Bogens von Lattaquieh, Syrien
(Taf. 39, Fig. 7), ins Achteck übergeführt und auf das weitausladende
Gesimse die runde Kuppel gestellt. Ob die Ueberführung des Qua-
drates in das Achteck durch übereinander vortretende Bögen wie in
S. Ambrogio zu Mailand schon der römischen Gewölbetechnik
angehört und wann und wo sie zuerst vorkommt, wissen wir nicht
anzugeben. Konische Trompen an dem Baptisterium neben Sta, Giustina
zu Padua (S. 45).
Die erwähnten Hilfskonstruktionen ermöglichen nun wohl den Ueber-
gang von einem Polygon in ein anderes mit doppelter Seitenzahl, nicht
aber in den Kreis, resp. die runde Kuppel. Hierfür sind bekanntlich
zwei Lösungen möglich. Entweder wird die Kuppel aus dem das
Polygon umschreibenden Kreise konstruiert, in welchem Falle die
Polygonseiten die Kuppelfläche in Halbkreisen schneiden, oder es wird
der dem Polygon eingeschriebene Kreis zur Grundlage der Kuppel
gewählt, wobei Hilfskonstruktionen, sogenannte Hängezwickel (Pen-
dentifs) nötig werden, sphärische Dreiecke, welche entstehen, wenn die
dem Polygon umgeschriebene Kugel über den Schildbögen horizontal
durchschnitten wird. Man scheint zunächst mehrseitige Polygone
mit runden Kuppeln überdeckt zu haben. Hierbei werden die Hänge-
zwickel sehr klein und es ist meist schwierig, ohne Messungen zu unter-
scheiden, welche von den beiden Konstruktionsarten vorliegt. Für
erstere ist unseres Wissens das Baptisterium der Orthodoxen
zu Ravenna (S. Giovanni in Fönte) das älteste erhaltene Beispiel.
Hängezwickel kannten schon die Römer; sie kommen vor an der
Minerva medica (Taf. 39, Fig. 3), sowie an dem mehrerwähnten
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Viertes Kapitel: Aussenbau, Dekoration und Konstruktion.
133
Oktogon in den Caracalla-Thermen zu Rom (Taf. 39, Fig. 8),
ein Beispiel über quadratischen Grundriss giebt Isabelle, £dif. circ.
PI. 25, Grabmal an der via Nomentana.
Auch die byzantinische Architektur wendet sie anfänglich sehr
schüchtern an. S. Vitale zu Raven na hat — nach älteren Zeich-
nungen — jetzt alles dick verputzt — unklar ausgesprochene Hänge-
zwickel, deren untere Spitze durch Trompen abgeschnitten ist. Erst
in der Sophienkirche zu Konstantinopel (Taf. 39, Fig. 14,
Grundr. Taf. 6, Fig. 1) ist das Grundquadrat in vollkommen klarer
Weise in den Grundkreis der Kuppel übergeführt. Von da an bleiben
sie der byzantinischen Kunst geläufig und kommen im Abendlande da
vor, wohin sich byzantinischer Einfluss erstreckt. Die Gewölbezwickel
von Sta. Fosca auf Torcello (Taf. 39, Fig. 9) durch Nischen unter-
brochen; es ist zuerst ein Achteck geschaffen (erster Bogen in senk-
rechter Ebene), dann von diesem aus der Uebergang zum Grundkreise
der Kuppel gewonnen.
SICHERUNG DER WIDERLAGER, STREBEN l). Das römische
Gussgewölbe bildet eine homogene, unverschiebliche Masse und übt
als solche keinen Seitenschub *) auf seine Widerlager aus ; eine weitere
Sicherung derselben, wenn nur der Querschnitt gross genug war, um
dem Druck der Gewölbelast zu widerstehen, konnte überflüssig er-
scheinen. Die den Seitenschub aufhebenden Molekularkräfte treten
jedoch erst mit der Erhärtung der Gussmasse auf und sind während
der Arbeit und des Erhärtungsprozesses Verschiebungen und Risse
keineswegs ausgeschlossen. Es wurden deshalb auch Mauerverstärkungen
angeordnet, welche besonders beanspruchten Punkten Schutz gewähren
sollten. Namentlich ist dies der Fall bei den grossen Kreuzgewölben
der Thermensäle, bei welchen der ganze Druck und Schub auf einzelne
Punkte konzentriert ist. Es lag jedoch nicht im Charakter der römi-
schen Bauweise, Hilfskonstruktionen zu errichten, welche nur den Zweck
') Der Ausdruck Streben, Strebesystem ist vielleicht an dieser Stelle statisch nicht
ganz korrekt, mag aber in Ermangelung einer anderen Bezeichnung hingehen.
*) Es ist zwar der Fall nicht ausgeschlossen, dass die Molekularkräfte der erhärteten
Masse dem Seitenschube nicht ganz gleich sind und noch ein schiefer Druck auf das
Widerlager trifft. Doch kann dieser Fall hier ausser Betracht bleiben.
G«wölbexwiclcel
S. Vitale.
«34
Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
hatten, dem Gewölbe bis zu seiner Erhärtung als Streben zu dienen;
man zog dieselben vielmehr in das Innere der Gebäude und ver-
wandte sie als Mittel zur Raumgliederung. Die den Stützpunkten der
Kreuzgewölbe vorgelegten Wände wurden mit Tonnengewölben über-
spannt und es entstanden so Nebenräume, welche die grossen Säle aufs
wirkungsvollste gliedern und beleben (Taf. 6, Fig. 2, und Taf. 39,
Fig. 10). Damit sind die jeweiligen Dimensionen der Strebemauern
weniger von ihrer statischen Beanspruchung, als von künstlerischen
Bedingungen abhängig geworden und es werden banale Betrachtungen
über Materialverschwendung, wie sie u. a. Viollet-le-Duc : Entretiens
sur l'architecture I, p. 267, anstellt, gegenstandslos.
Indes sind auch äussere Strebepfeiler den Römern nicht ganz
fremd, so sind die Ecken des Oberbaues der Minerva medica mit
kräftigen Strebepfeilern versehen, auch am Prätorianerlager kommen
solche vor und sie gehen gerade in die romanische Architektur der
Gegenden über, welche die antike Bautradition am lebendigsten be-
wahren, Südfrankreich und die Lombardei *).
Ausgedehnten Gebrauch von dem Strebeapparat macht die byzan-
tinische Baukunst. Die Kuppel von S. Vitale zu Ravenna (Taf. 39,
Fig. 13) wird weit weniger durch die Nischen und die Gewölbe der
Umgänge, als durch die hinter den Pfeilern angebrachten Strebe-
mauern gestützt. Verglichen mit dem Pantheon und der Minerva
medica (Taf. 39, Fig. 11 u. 12, Taf. 5, Fig. 1) ist dieser Apparat
unverhältnissmässig gross. Freilich dient er auch hier zur Raum-
gestaltung, widerlegt aber doch die oft wiederholte Phrase von der
unerhörten Kühnheit der altchristlichen Konstrukteure. Verwandt mit
S. Vitale ist das Strebesystem von Sta. Maria maggiore zu
Nocera (Taf. 39, Fig. 15, vgl. Taf. 8, Fig. 3 u. 4). Diese Strebe-
mauern bilden den Ausgangspunkt für die Entwicklung der Strebe-
bögen in der mittelalterlichen Architektur. Querschnitte wie der von
Saint Etienne zu Caen — Chorrundung, Noyon — Chorschluss in
seiner ursprünglichen Gestalt, Saint Germer in der Pikardie sind prin-
zipiell wenig von dem von S. Vitale verschieden.
Wir geben zur Vergleichung noch (Taf. 39, Fig. 14) einen halben
Querschnitt der Sophienkirche zu Konstantinopel.
Die hier gegebene Uebersicht beschränkt sich fast ausschliesslich
auf den römischen Gewölbebau. Für eine Darstellung seiner Weiter-
') Gfinzlich falsch ist es, die HalbsSulen zwischen zwei Mauerbögen (Taf. 38,
Fig. 9) als Strebepfeiler zu betrachten.
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Viertes Kapitel: Aussenbau, Dekoration und Konstruktion.
135
bildung fehlt es fast vollständig an Material. Bekanntlich hat zunächst
Byzanz das Erbe Roms angetreten. Die Haupterrungenschaft der By-
zantiner ist die konsequente Ausbildung der Gewölbezwickel (Pendentifs)
und deren Anwendung auf Kuppeln grössten Massstabes. Ferner ver-
mieden die Römer thunlichst Verschneidungen mehrerer Gewölbe (ausser
dem regulären Kreuzgewölbe) ; die Byzantiner hegten diese Scheu nicht,
wofür S. Vitale reichliche Beispiele bietet. Die Bestimmung der Schnitt-
linien war indes wohl kaum das Werk vorhergegangener Ausmittelungen,
und Lehrbögen für die Grate wurden nicht angewendet, sondern es
wurde eben ein Gewölbe eingeschalt und die Stichkappen von den
Schildbögen aus gegen die Verschalung angeschiftet, was keineswegs
immer sehr regelmässig ausfiel.
Im Abendlande sinkt die Wölbetechnik rasch, ohne indes je ganz
in Vergessenheit zu geraten. Namentlich waren die Magistri Comacini
die Erhalter der technischen Traditionen. — Gussgewölbe kennen wir
in Deutschland am Westbau von Reichenau, Mittelzell und anscheinend
an den Treppen im Westbau von Werden a. R. und von S. Pantaleon
zu Köln. — Sonst sind die ältesten Krypten — soweit uns bekannt —
gewöhnlich sehr roh in Bruchstein überwölbt.
Bei Beginn der Versuche, die Basilika zu überwölben, kommen
die Rippen der römischen Gewölbe wieder zur Anwendung — Lom-
bardei, Normandie — , ebenso die transversalen Tonnen — Rhein, Süd-
frankreich — , worauf seines Ortes zurückzukommen sein wird.
Beschreibung der Tafeln.
Aussenbau.
Tafel 24.
1. * Torcello: Kathedrale Sta. Maria und Sta. Fosca. Ansicht. —
saec. 9 und 11. — Turm und Westfassade mittelalterlich. — Nach
Photographie.
2. *Ravenna: Sani* Apollinare in Classe. Ansicht. — saec. 6, Turm
jünger (saec. 8?). — Nach Photographie.
Tafel 25.
1. Rom: Sta. Pudenziana. Turmaufriss in 1 : 200. — Nicht vor saec. 8.
2. * Rom: S. Giorgio in Velabro. Ansicht. — Vorhalle saec. 12, Turm
älter. — Nach Photographie.
3. Ravenna: Baptist erium der Orthodoxen. Detail des oberen Mauer-
abschlusses. — saec. 5. — Hübsch.
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136
Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Tafel 25.
4. Ravenna: S Apollinare in Gasse. Detail; Fenster, Lesene und
Dachgesims. — saec. 6. — Hübsch.
5. Rom: Sta. Pudenziana. Fenster der Obermauer. — saec. 4? —
Hübsch.
~. «. , _ Thüren.
Tafel 26.
1. * Rom: S. Cosimato. Doppelthorhalle des Vorhofs. Grundriss und
Längenschnitt. — saec. 9? — Dehio.
2. Rom: S. Sabba. Thorhalle. — saec. 12. — Gailhabaud.
3. Cividale: Sta. Maria in valU. Innere Portaldekoration. — saec. 8. —
Dartein.
4. Parenzo: Kathedrale. Thürprofil. — saec. 7. — Lohde.
5. Rom: Sta. Prassede. Portal der Kapelle S. Zeno. — saec. 9. —
Nesbitt.
6. Ravenna: S. Apollinare in Classe. — Thürprofil. — saec. 6. —
Hübsch.
7 • Rom : Lateranisches Baptister ium. — saec. 5. — RohaultdeFleury.
Ausstattungsstucke.
Tafel 27.
1. * Ravenna: S. Apollinare nuovo. Ambo. — saec. 6. — Photo-
graphie.
2. Rom: S. Cletnentc. Choreinrichtung. — saec. 12; die skulpierten
Cancellenplatten grossenteils saec. 9, zum Teil vielleicht noch
älter. Vgl. Grundriss Taf. 16, Fig. 3, Längenschnitt Taf. 22,
Fig. 2. — Bunsen, Photographie.
3. * Ravenna: S. Apollinare in Classe. Nördliches Seitenschiff. Altar-
tabernakel a. 807, der Altar selbst älter. — Photographie.
Tafel 28.
1. Rom: S. Peter. Chor; vgl. S. 98. — Nach Raphaels Fresko
»Die Schenkung Konstantins« in den vatikanischen Stanzen. Die
Proportionen nicht richtig.
2. Torcello: Kathedrale. Chor. — saec. 7. — Nach der perspektivischen
Skizze von Lenoir und den Aufmessungen von Hübsch.
Tafel 29.
1. Ravenna: Baptisterium der Orthodoxen. Altar. — saec. 5 oder 6. —
Rahn.
2. * Rom: S. Giorgio in Velabro. Confessio und Altar. — Die im
Cosmatenstil erneuerten Teile auf der Zeichnung nach altchrist-
lichen Mustern ergänzt — Photographie.
3. Sta. Maria in Casteüo (Friaul). Ambo. — saec. 8—9. — Dartein.
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Viertes Kapitel: Aussenbau, Dekoration und Konstruktion.
»37
Tafel 29.
4. Porto: Fragment eines Altartabernakels. — saec. 9 Anfang. —
De Rossi, Bull, crist.
5. Ravenna: S. Apollinare in Classe. Gurtgesims des Mittelschiffs. —
saec. 6. — Hübsch.
6. Grado (Istrien): Kathedrale. Patriarchenthron. — saec. 7—8. —
Oesterr. Kunstdenkmale.
7. 8. Cividale: Baptisterium. Taufbrunnen. — saec. 7—8. Dartein.
9. Avignon. Fragment eines Frieses. — saec. 6—8. — Revoil.
Tafel 30.
1, 3. Rom: Lateran. Fragmente von Chorschranken. — saec. 7—9.
— Rohault de Fleury.
2. * Ravenna : S. Vitale. Chorschranken aus Marmor in durchbrochener
Arbeit. — saec. 6. — Photographie.
4, 5. *Rom: Sta. Maria in Trastevere. Chorschranken (jetzt in der
Vorhalle). — saec. 8—9. — Dehio.
6. Aachen: Palastkapelle Karls d. Gr. Schranken aus Bronze. —
saec. 9. — Gailhabaud.
7. Toledo: Wandnische. — Westgotisch. — Mon. Esp.
8. 9. Merida: Wandarkatur. — Westgotisch. — Mon. Esp.
Gesimse und sonstige Details.
Tafel 31.
1. Aquileja: Altarschranken. — saec. 7 — 8. — Oesterr. Kunst-
denkmale.
2. * Ravenna: Säulenbasen.
a) S. Apollinare in Classe, durch Auf höhung des Fussbodens der
untere Teil jetzt verdeckt.
b) S. Vitale, Galerie. — Beide saec. 6. — Dehio.
3. Cividale: vom Altar des Pemmo. — saec. 8. — Dartein.
4. Vienne: St. Pierre. Bogenfeld über einer Thür, gemischtes Mauer-
werk. — Zufolge A. Ramd im Bulletin du comite" des travaux
historiques 1882 p. 189 nicht merowingisch, wie bisher angenommen,
sondern erst saec. 9 oder 10, ist dies Stück doch ganz im Charakter
älterer Jahrhunderte behandelt. — De Caumont, Abecddaire.
5. 6, 7. Ravenna\ S. Vifale. Dachgesimse. — saec. 6. — Hübsch.
8. Ravenna: Grabkirche der Galla Placidia. Dachgesimse. — saec. 5.
Hübsch.
9. Thessalonica : Hag. Demetrios. Gurtgesims des Mittelschiffs, Marmor-
intarsia. — saec. 6. — Texier et Pullan.
10. * Pompeji: Gräberstrasse. Bogenfries mit Stuckdekoration. — saec. 1.
— Dehio (Skizze).
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13«
Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Tafel 31.
11. Rom: Basilika des Junius Bassus. Bogenfries. — saec. 4 Anfang. —
Giuliano da Sangallo, Ciampini.
Fenster.
12. Rom: Sta. Prassede. — Hübsch.
l3> lS- Rom: S. Lorento f. I. m. — Lenoir.
14. Grado (Istricn). — Oesterr. Kunstdenk male.
16. Priesca (Asturien), — Mon. Esp.
Kapitelle.
a) Ravenna und Oberitalien, saec. 6—8.
Tafel 32.
1. *.S. Vitale. — Photographie.
2 * S. Apollinare in Classe. — Phot.
3. *S. Vitale. - Phot.
4. •£ Vitale. — Phot.
5. * Venedig: S. Marco. - Phot.
6. *S. Vitale. - Phot.
Tafel 33.
1. Ravenna: S. Apollinare in Classe. Pfeiler des Triumphbogens.
Am unteren Rande ein mit Diamantschnitt versehenes Blatt vom
zweiten Pfeiler. — saec. 6. — Rahn, v. Quast.
2. Faremo: Kathedrale. Pfeilergesims und Bogenleibung mit Stuck-
dekoration. — saec. 7. — Lohde bei Erbkam.
3. Parenzo: Kathedrale. Altartabernakel, die Säulen älter als der
Aufsatz, vgl. Taf. 36, Fig. 2. — Lohde.
4. Mailand: S. Ambrogio. Tribuna. — Dartein.
5. Ravenna: S. Vitale. — Gewerbehalle.
6. Parenzo: Kathedrale. Vorhof. — Lohde.
7. Pavia: S. Michele. — Dartein.
8. 0. Breseia: Rotonda. Cripta di S. Filostrato. — Dartein.
10. Civate (Friaul): S. Pietro. — Dartein.
b) Spanien und Gallien, saec. 5—8.
Tafel 34.
1 . Cordoba.
2. Cordoba.
3. Merida.
4. Toledo.
5. Cordoba.
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Viertes Kapitel: Aussenbau, Dekoration und Konstruktion.
139
Tafel 34.
6. Cordoba.
7. S. Roman de Hornija.
8. * Verona: S. Lorenzo. — Dehio.
9. 10. Provinz Sevilla.
11. Cordoba.
12. Provinz Cordoba.
13. Toledo.
14. Cordoba.
15—17. Provinz Cordoba.
Sämtliche Figuren, ausgenommen Nr. 8, nach den Monumentos
arq. de Espana.
Tafel 35.
1 , 3. Paris : Montmartre. — L e n o i r : Statistique monumentale de Paris.
2. Jouarre: Krypta. — Gailhabaud.
4. Merida. — Mon. Esp.
5. * Aachen: Palastkapelle. — saec. 9. — Tornow.
Füllungen.
6. Arles: Museum. — Revoil.
7. Sevilla. — Mon. Esp.
8. Civate: S. Pietro. Bordüre in Stuck. — Dartein.
9. Como: Unterkirche von S. Abondio. — Boito.
10. Toledo. — Mon. Esp.
11. Poitiers: S.Jean. — De Caumont.
12. Lyon: S. Jrenie. — De Caumont.
13. Bordeaux: S. Seurin. — De Caumont.
Mosaik-Dekoration.
Tafel 36.
1. Bethlehem: Marienkirche. — Wanddekoration in Mosaik saec. 12
nach älteren Motiven, Architektur saec. 4. — De Vogue\
2. Parenzo: Kathedrale. — Die Marmorintarsien des Erdgeschosses
und die Mosaiken zwischen den Fenstern sowie die Säulenstellungen
wohl noch saec. 7, Halbkuppel und Ciborienaufsatz saec. 13. —
Lohde bei Erbkam.
Tafel 37.
1. Ravenna: S. Giovanni in fönte. — saec. 5. — Nach v. Quast,
Rahn, Photographie.
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I^O Erstes Buch: Der christlich-antike Stil.
Konstruktion.
Tafel 38.
1. Steinfachwerk. Pfeiler aus dem Atrium der Casa della fontana
grande tu Pompeji. — Bezold. — Mauer nach Fiorelli, relazione.
2. Steinfach werk. Zwischenmauer im Kolosseum tu Rom. — Choisy,
F>g. 97» 98 im Text S. 166.
3. Mauer aus Incertum mit Ecken aus TufFziegeln und Retikulat-
verkleidung. Pompeji. — Bezold.
4. Mauer durch Nischen gegliedert, aus den Thermen von Paris. —
Lenoir, Statistique monumentale de Paris I, pl. 3.
5. *Aeusseres von Sta. Balbina tu Rom. — Dehio & Bezold.
6. Obermauer von Sta. Pudemiana su Rom. — Hübsch, PI. VIII,
Fig. 14, 15.
7. Obermauer von 5. Apollinare in Classe tu Ravenna. — Hübsch,
PI. XXIII, Fig. 4.
8. Mauerbögen an S. Giovanni in Fönte tu Ravenna. — Hübsch,
PI. XV, Fig. 5.
9. System der Arena zu Ntmes. — Reynaud, Traite* de Tarchitecture,
AÜas II.
10. Arena tu Arles. Transversale Tonnengewölbe aus einzelnen Ringen
ohne Verband. — Choisy, PI. XVII, 1.
11. Tonnengewölbe aus Steinplatten auf Gurtbögen in den Bat'ns de
Diane zu Nimes. — Choisy, PI. XVI, 1.
12. Flachdecke aus Steinplatten auf Gurtbögen in der Arena tu Arles.
— Choisy, PI. XVI, 3.
13. Flachdecke aus Steinplatten auf Gurtbögen in der Basilika tu
Chaqqa in Zentralsyrien. — De Vogue", Syrie centrale.
14. Tonnengewölbe in Gusswerk mit kontinuierlichem Backsteinrost
Palaün zu Rom. — Choisy, PI. I.
15. Tonnengewölbe in Gusswerk, mit getrennten Backsteinrippen und
Schalung aus Thonplatten. — Choisy, PI. VI.
Tafel 39.
1, 2. Kreuzgewölbe in Gusswerk vom Palatin und aus den Diokletians-
thermen tu Rom. — Choisy, PI. VII u. IX.
3. Kuppel der sog. Minerva medica tu Rom. Gusswerk. UeberfÜhrung
des Zehneckes in den Kreis durch Gewölbezwickel. — Choisy,
PI. XI.
4. Kuppel von Sta. Costanta des' Rom. — Isabelle, ddif. circ, PI. 24.
5. Kuppel des Pantheon nach Piranesi. — Choisy, S. 85.
6 — 9. UeberfÜhrung von Polygonen in den Kreis:
Fig. 6. Ueberkragung in horizontalen Schichten. Kalybe zu Chaqqa
in Zentralsyrien. — De Vogue*, Syrie.
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Viertes Kapitel: Aussenbau, Dekoration und Konstruktion.
141
Tafel 39.
6—9. Ueberführung von Polygonen in den Kreis:
Fig. 7. Ueberkragung in schräger Fläche mit schieflaufenden Stoss-
fugen. Bogen zu Lattaquich. — De Vogue\ Syrie.
Fig. 8. Gewölbezwickel in dem Oktogon der Caraealla- Thermen. —
Bezold, vgl. auch Fig. 3.
Fig. 9. Gewölbezwickel in Sta. Fosca auf Torcello. — Bezold.
1 o — 1 5. Strebesysteme :
Fig. 10. Konstantinsbasilika zu Rom. — Reynaud, Traite* de
l'architecture, Atlas II.
Fig. 11. Pantheon tu Rom — Isabelle, ddif. circ, PI. 14, 15.
Fig. 12. Minerva mediea zu Rom. — Isabelle, PI. 23 bis 24.
Fig. 13. S. Vitale zu Ravenna. — Isabelle, PI. 48.
Fig. 14. Sophienkirche zu Konstantinopel. — Salzenberg, Bl. X.
Fig. 15. Sta. Maria maggiore zu Nocera. — Hübsch.
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ZWEITES BUCH.
DER ROMANISCHE STIL.
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■
Erstes Kapitel.
Grundlegung.
I. Allgemeines.
Jene eminente Einheit des Stiles, welche die Römerherrschaft, so-
weit sie reichte, dem gesamten Bauwesen und so auch den Anfängen
des christlichen Kirchenbaus aufgeprägt hatte, ging mit dem wunder-
baren Staats- und Kulturorganismus, in dem sie ruhte, unter, und etwas
ihr Gleichendes wird die Welt nicht wiedersehen. Uralt Verbundenes,
die Ost- und die Westhälfte des Mittelmecrgebietes, trennte sich, Ur-
fremdes, Antike und Germanentum, trat in Zusammenwirkung.
Seither müssen in der europäischen Kunstgeschichte diese beiden
Grundströmungen, die auf allgemeingültige Autorität den Anspruch
erhebende klassische Ueberlieferung und der individuelle Selbstdar-
stellungstrieb der Nationen, in einem Bette Platz finden; bald ist jene,
bald ist diese die stärkere und breitere; ganz durchdrungen und aus-
geglichen haben sie sich doch bis auf den heutigen Tag nicht. Der
germanische Stamm in seiner Jugenderscheinung Hess nicht vermuten,
dass er in der Geschichte der bildenden Künste einmal noch vollge-
wichtig mitzählen werde. Unter allen von der Natur den Germanen
mitgegebenen seelischen Kräften ist das ästhetische Auge am spätesten
erwacht. Sie haben eine Sprache, ein Recht, eine Poesie, einen Re-
ligionsmythus, welche sie zum Höchsten berufen erscheinen lassen, und
sind noch immer ein kunstloses Volk, kunstloser als viele Völker von
unvergleichlich niedrigerer Anlage. Die Reiche der Goten, Vandalen,
10
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146
Zweites Buch : Der romanische Stil.
Burgunden, Langobarden sind entstanden und wieder vergangen, ohne
zu einem eigenen Blatt in der Kunstgeschichte Stoff zu geben, höchstens
zu einer Randbemerkung.
Anders wie jene vordere Schlachtordnung der germanischen In-
vasion verhalten sich die in Mitteleuropa zurückgebliebenen, schliesslich
im Königtum der Franken ihren Vereinigungspunkt findenden Stämme.
Langsamer und unbiegsamer an Geist und zögernder in der Aneignung
fremder Gedanken, beharrlicher im Festhalten, gewichtiger im Durch-
setzen der eigenen Art sind sie es, die zum erstenmal aus dem bloss
passiven Verhalten zur antiken Kunstüberlieferung heraustreten. Frei-
lich waren es auch nur Bruchstücke der Antike, die sie aufTassten:
den Franken und Deutschen stellte die letztere fast nur in der Gestalt
sich dar, welche sie in ihrer letzten, der christlichen Entwicklungs-
phase angenommen hatte, und auch hiervon übersahen sie nicht das
Ganze — nicht die oströmische, allein die lateinische Baukunst.
Welche Physiognomie hätte die europäische Geschichte wohl an-
genommen, wenn das Germanentum anstatt der, wie man weiss, nach
langer Zögerung vollzogenen Verbindung mit der Kirche Roms eine
solche mit der griechischen eingegangen wäre? Von der Erwägung
dieser Möglichkeit wird nicht minder tief als der Staats- und Kirchen-
historiker der Geschichtsschreiber der Kunst, insbesondere der archi-
tektonischen Kunst, berührt. Dies ist gewiss: das Bild wäre ein
wesentlich anderes geworden, als das wir thatsächlich erblicken.
Merkwürdig spät ist die Kunsthistorie hierüber sich klar geworden.
Es ist kurze Zeit erst her, dass die Kunstweise unseres Mittelalters in
der Epoche von Karl d. Gr. bis zum Auftreten der Gotik noch kurzweg
als »byzantinisch« bezeichnet wurde. Jetzt ist man über das Irrige dieser
Vorstellung, zunächst was die Baukunst betrifft, einig. Für die Malerei
und Skulptur hat die wissenschaftliche Forschung mit der Auseinander-
setzung erst begonnen, doch wird auch hier die lateinische Basis der Ent-
wicklung und die Selbständigkeit ihres Fortganges mit jedem Schritte ge-
wisser. Damit soll indes nicht gesagt werden, dass die Scheidewand eine
so dichte gewesen sei, dass nicht mancher Tropfen byzantinischer, ja
ebensosehr orientalischer Weise fort und fort durchzusickern vermochte.
Der reichliche Handelsimport von Erzeugnissen der Kunstindustrie des
Ostens unterhielt einen beständigen und nicht wirkungslosen Kontakt
mit jener fremden Formenwelt. Zerstreute Elemente derselben werden
mit jugendlicher Neubegicr aufgegriffen, zuweilen als romantischer Putz
dem eigenen Wesen angehängt, in der Hauptsache demselben assimiliert.
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
147
Und diese Anleihen erstrecken sich allein auf die Zierformen der Archi-
tektur. Hingegen die Gesamtanlage des Kirchengebäudes setzt in
gerader Linie die von der altchristlich-occidentalen Epoche festgestellte
Richtung fort. Mit welchem Namen nun soll diese nicht byzantinische
und nicht mehr altchristliche Baukunst des früheren Mittelalters be-
zeichnet werden? Es ist der Name »romanisch« in Vorschlag gebracht
M'orden, und es scheint, dass er sich dauernd einbürgern will. Die
bei seiner Wahl zu Grunde gelegte Parallele mit der Entstehung der
romanischen Sprachen aus der Wurzel der lateinischen kann freilich
nur sehr im allgemeinen als zutreffend gelten. Völliger durchzuführen
"wäre der Vergleich mit jener in den nordischen Klöstern gepflegten
mittellateinischen Litteratur, welche, in einem aus antikem Stoff und
nach antikem Muster geschnittenen Gewände einhergehend, doch ganz
germanisch nach Gegenstand und Geist ist.
Allererst aber ist die Vorstellung zu verbannen, als wäre die
romanische Kunst in vorzugsweisem Sinne Schöpfung und Eigentum
der romanisch redenden Völker: in Wahrheit sind es die Germanen,
von denen der zeugungskräftige Impuls ausgeht. Es sind die deutschen
Lande und neben ihnen Nordfrankreich, die Normandie und England,
Burgund und Lombardei, diese mit germanischem Blute verjüngten, mit
germanischem Geist und Wesen allesamt, wenn auch in ungleichem
Grade durchsetzten Gebiete, in welchen der romanische Stil seine
früheste Ausbildung wie seine höchste Blüte und in ihm die Gesinnung
des Mittelalters ihre treueste baukünstlerische Interpretation gefunden
hat, — während die Völker des Südens, vor allem der Ausruhung und
Sammlung bedürftig, bei der Bauweise der ersten christlichen Jahr-
hunderte lange beharren und hernach, da sie ihre künstlerische That-
kraft wiederfinden, alsbald der Wiederbelebung der Antike entgegen-
streben.
Der romanische Stil führt sich nicht ein mit einer neuen organi-
schen Idee von beherrschender zentraler Gestaltungskraft wie etwa
das griechische Säulenhaus oder das gotische Gewölbe- und Strebe-
system. Die romanische Bauweise ist eine Paraphrase der römischen,
die je nach dem verschiedenen Grade der Kenntnis der letzteren und
der verschieden starken geistigen Sonderart der beteiligten Nationen
und Stämme, dann nach den wechselnden und ungleichmässig be-
wältigten äusseren Bedingungen der Technik, des Materials, des Klimas
zu fast unbegrenzter Mannigfaltigkeit variiert wird. Hieraus erklärt sich,
dass der romanische Stil nicht nur eines eigenen Systemes, sondern,
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
das Wort streng genommen, des Systemes überhaupt entbehrt. Für
jede Sache, die er ausdrücken will, hat er eine Mehrheit von Formeln
in Bereitschaft; kein Stil ist so reich an Synonymen; man kann bei
ihm nie einfach sagen: dies und das ist so, ohne hinzuzufügen: oder
so und noch anders. Unordnungen in der Bauführung, Verstösse und
Roheiten aller Art sind gewöhnlich, selbst bei sonst ausgezeichneten
Werken. Die Symmetrie in ihrer strengsten Form ist ihm geradezu
unbehaglich und wird deshalb immer, gelinder oder entschiedener, ge-
brochen. Unter seinen Produktionen wird man seltener als unter denen
einer andern Epoche, durchaus Vollendetes, seltener aber auch gänzlich
Reizloses, Gleichgültiges, Triviales finden. Die proteusgleiche Versabilität
in der Gesamterscheinung des Stiles bedeutet jedoch mit nichten Un-
entschicdenheit der Intention im einzelnen Werke. Sehr im Gegenteil.
Kein anderer Stil weiss das Besondere und Charakteristische so präg-
nant sich aussprechen zu lassen, kein anderer hat so wenig Konven-
tionelles, so viel Naivetät und unmittelbares Lebensgefuhl. Er neigt
dabei sehr entschieden nach dem malerischen Pole hin und will hier-
nach in jeder einzelnen Leistung beurteilt sein, nicht allein nach
seinen architektonischen Qualitäten. Ja, man muss sagen, ein nicht
geringer Teil seiner schönsten und kräftigsten Wirkungen liegt gerade
in den ästhetischen Imponderabilien, in dem, was man Haltung, Stim-
mung, Duft nennt. Oft sind es diese letzteren allein, wodurch sich
ein romanisches Denkmal als solches zu erkennen giebt und aus der
Linie der christlich-antiken heraustritt, mit denen es die Grundzüge des
Systems, den Knochenbau sozusagen, in vielen Gegenden unverändert
teilt. Auf der andern Seite wäre das Romanische seiner Natur nach
ebenso befähigt zum Uebergange in die Renaissance. Sehe die Bau-
kunst der Gegenwart zu, ob sie nicht aus der freien Ausnutzung und
Umschmelzung des Romanischen viel grösseren Gewinn ziehen wird,
wie aus ihren Anleihen bei der Gotik, zu welcher eben wegen ihres
grössten Vorzuges, ihrer in strenger Logik durchgeführten und abge-
schlossenen Systematik, ein wahrhaft freies Verhältnis nie zu erreichen ist.
Die Geschichte des romanischen Stiles zeigt ihn uns als einen
ewig werdenden. Die bei der Epochenteilung anderer Stile geltenden
Kategorien des Aufblühens, der Reife, der Zersetzung finden auf ihn
keine Anwendung. Wie das Gotische ein partiell gesteigertes Ro-
manisch ist, so entwickelt sich das Romanische in fliessendem Ueber-
gange aus dem Christlich-Antiken. Und dieser Uebergang hat in jedem
Lande und in jeder Provinz einen andern Anfangstermin, anders ver-
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Erstes Kapitel : Grundlegung.
149
teilte Absätze des Verlaufes, ja — was das Schwierigste für die ge-
schichtliche Darstellung ist — überall auch andere sachliche Aus-
gangspunkte.
Die landläufige Chronologie, die den Beginn der romanischen
Epoche in runder Zahl auf das Jahr 1000 ansetzt, ist aus unklarer
Fragestellung hervorgegangen. Von »Beginn« kann, wie wir sahen,
nur in bedingtem Sinne die Rede sein, dann aber muss dessen Termin
um zwei Jahrhunderte weiter hinaufgerückt werden. Die nächstfolgenden
Abschnitte werden den Nachweis führen, dass schon von c. a. 800 in
der fränkischen Baukunst gewisse neue, aus dem herkömmlichen alt-
christlichen Schematismus merklich heraustretende Motive auftauchen;
und zwar durchweg solche Motive, die wir in dem fertigen System
als vorzüglich charakteristisch wiederfinden. Es sind in Kürze diese:
Erweiterung des Grundrisses der Basilika zur Gestalt des
lateinischen Kreuzes; doppelte Chöre; doppelte Quer-
schiffe; häufige Ersetzung der Säule durch den Pfeiler
oder alternierende Kombination beider Stützengattungen;
Krypten; Glockentürme. Wie man sieht, betreffen alle diese
Neuerungen nur die eine Baugattung der Basilika und, so wichtig
sie sind , nur die Komposition im allgemeinen ; hingegen ist eine Re-
form der Konstruktions- wie der Zierformen nicht angestrebt: diese
halten sich noch ganz im Geleise der verfallenen und barbarisierten
Spätantike. Sehr natürlich; denn eine eigene Formenwelt brachten
die Germanen nicht mit, und um die römische zur romanischen um-
schaffen zu können, mussten Auge und Hand zuvor durch die Nach-
ahmung der ersteren sich durchgeschult haben. Es kann zuerst nur die
dem Verstände fassliche Seite des Bauwesens sein, worin sich ihr Selbst-
bewusstsein zu Reformen befugt und aufgelegt fühlt. Ohne Frage sind
aber die Zierformen nicht allein massgebend für die stilgeschichtliche
Klassifizierung einer Epoche. Rechnet man etwa die Produktionen der
primitiven Gotik, weil sie ihr Detail mit den gleichzeitigen romanischen
Werken teilen, darum weniger zur Gotik? Nicht darauf kommt es bei
Beurteilung einer Epoche an, wieviel sie noch vom Alten beibehalten,
sondern wieviel sie neue Resultate gewonnen und gesichert hat.
Mit Karl dem Grossen tritt das Germanentum zum erstenmal als
aufbauende Macht in der Weltgeschichte auf. Karl hat das dem un-
geheuren Trümmersturz des römischen Reiches nachfolgende Chaos
bemeistert; das Abendland als eine Welt für sich gegen Araber, By-
zantiner, Slawen gesichert; das Leben dieser romanisch-germanischen
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
Völkervereinigung in feste staatliche und kirchliche Ordnungen ein-
gebettet: auf welches Gebiet man sich wende, es kann kein Zweifel
sein, dass mit Karl ein neues Weltalter anhebt, das Mittelalter im
eigentlichen Sinne. Und wir zweifeln nicht, dass dieselbe epoche-
machende Stellung auch in der Kunstgeschichte ihm gehört. Der dem
fränkisch-karolingischen Bauwesen innerhalb der allgemeinen Entwicklung
zukommende Platz ist nicht als anhängendes Schlusskapitel in der Ge-
schichte der christlichen Antike, sondern am Eingang in die Geschichte
des Romanismus
Unsere Bezeichnung der Anfänge des Romanismus als fränkisch
gilt nicht dem Gesamtreich, sondern recht eigentlich dem fränkischen
Stamm, noch genauer gesagt: den austrasischen Franken. Hier, irt
den Mosel- und Rheinlanden, wo die Heimat des karolingischen Ge-
schlechtes war, wo Karl am liebsten und längsten Wohnung nahm und
wo der Schwerpunkt der Reichsregierung lag, ist der Herd auch der
baugeschichtlichen Bewegung, von der wir reden. Das wandernde
Hoflager des grossen Monarchen war der Sammelplatz der besten
Talente, der Brennpunkt aller Bildungsinteressen der Zeit. Die meisten
Angehörigen dieses Kreises waren Geistliche in höheren Stellungen,
viele von ihnen Vorsteher der grossen Reichsabteien, deren Beruf war, in
ihrem engeren Bezirk die Kulturbestrebungen des Hofes zu propagieren.
Eine innerhalb dieses Wechselverkehres auftauchende neue Bauidee
konnte so in kurzer Frist an entferntere Orte getragen werden, wovon
der berühmte Bauriss von S. Gallen ein redendes Exempel ist. In
diesen Gegenden standen noch Zeugen der römischen Bauthätigkeit in
ausreichender Menge, um für vieles einzelne als Muster zu dienen;
aber sie wirkten nicht mehr als ganze, ungebrochene Tradition und es
begreift sich, dass gerade hier am ehesten zur Antike ein freieres Ver-
hältnis gefunden werden konnte. Daran schlössen sich die rechts-
') A. de Caumont lässt den romanischen Stil — irren wir nicht, so hat er
Uberhaupt als der erste den Terminus »romanisch« in unsere Litteratur eingeführt —
schon mit dem 5. Jahrhundert beginnen und seine »ere primitive« bis gegen Ende des
10. Jahrhunderts sich erstrecken ; eine mehr auf universalgeschichtliche als auf kunst-
geschichtliche Beobachtungen sich gründende Einteilung. Ganz entgegengesetxt verfocht
Franz Mertens (Die Baukunst des Mittelalters, Berl. 1850) mit Eifer den Satz : »Von
den Bauten Karls des Grossen bis zum wirklichen Anfang der romanischen Baukunst
liegen volle dreihundert Jahre«; Kugler und Otte setzen den Beginn in das aus-
gehende 10. Jahrhundert, Lübke «etwa von a. iooo«, wfihrend sie die karolingische
Architektur mit der altchristlichen zusammenrangieren. Näher kommen wir mit unserer Auf-
fassung Schnaase und am nächsten Springer (im Textbuch zu Seemanns Bilderbogen),
der zwar die karolingische Epoche auch noch nicht als eigentlich romanisch gelten lasst,
aber doch von ihr den Anfang des Mittelalters im kunstgeschichtlichen Sinne datiert.
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
151
rheinischen Lande, jungfräulicher Boden, auf dem Kultur und Christen-
tum eben erst ihre Arbeit ernstlich begannen. Dass dem Kirchenbau
da reichlich zu thun gegeben wurde, versteht sich von selbst, ebenso
wie dass seine Anstalten grossenteils nur auf die erste Notdurft be-
rechnet waren und etwas Provisorisches an sich hatten. Irrig ist es
jedoch, die gesamte Bauproduktion des 9. und 10. Jahrhunderts schlecht-
hin als s Dürftigkeitsbau < , als des * Denkmalbaus« durchaus entbehrend
zu charakterisieren. In Wahrheit ist unter Karl dem Grossen und
seinen nächsten Nachfolgern ein energisches Aufstreben des monu-
mentalen Sinnes zu konstatieren, wenn auch naturgemäss nur an wenigen
Orten die Mittel zu dessen Befriedigung ausreichten. Sodann hat der
Zerfall der karolingischen Monarchie die Fortentwicklung des werdenden
romanischen Stiles retardiert und seine Einheit gebrochen. Aber gleich-
wie im Staats- und Rechtsleben der abendländischen Völker allenthalben
die fränkischen Grundlagen sich behaupteten, so gingen auch die karo-
lingischen Baubestrebungen der Welt nicht ganz verloren. Ihre Fort-
wirkung müssen wir von nun ab in den einzelnen Ländern aufsuchen.
Der Verkehr zwischen denselben ist in den nächstfolgenden Jahrhunderten
ein äusserst schwacher. Er würde für die Baukunst kaum in Betracht
kommen ohne das Medium der Kirche. Der Kirche ist der merk-
würdige Erfolg zu danken, dass trotz des abgeschlossenen Sonderlebens
der Völker, über deren Baukreise hinaus, die Architektur im Welt-
zusammenhange blieb. Aber diese einigende Macht der Kirche ist nur
eine relative. Die Nationalkirchen behaupten noch einen besonderen
Charakter innerhalb der allgemeinen römisch-katholischen, und so be-
hauptet auch die kirchliche Baukunst überall ein entschieden nationales
Gepräge. Erst als das System der grossen universalistischen Päpste
von Gregor VII. bis auf Innocenz III. den Völkern in Fleisch und
Blut übergegangen ist, vermag ein wahrhaft katholischer und universaler
Baustil durchzudringen, der gotische.
Wir behandeln in diesem Kapitel den Frühromanismus des 9.
und 10. Jahrhunderts. Obzwar das Geschlecht der Karolinger nicht
ganz so lange ausdauert, darf die Epoche ihrer Essenz nach doch als
karolingisch bezeichnet werden. Mag der absolute künstlerische Wert
ihrer Bauleistungen nur ein untergeordneter sein: der entwicklungs-
geschichtliche ist sehr hoch anzuschlagen.
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152
Zweites Buch: Der romanische Stil.
2. Der Zentralbau.
Unter den wenigen bis auf unsere Tage gekommenen karolingischen
Baureliquien ist die Zahl der Zentralbauten verhältnismässig gross.
Dieser zufällige Umstand ist es, der die irrige Lehre, dass die karo-
lingische Baukunst von Byzanz inspiriert sei, auf die Bahn gebracht
hat. Berührung mit byzantinischer Weise findet in Wahrheit nur in dem
beschränkten Masse statt, als diese in Oberitalien eingedrungen war.
Wenn das Wohlgefallen des Zeitalters am Zentralbau um einige Grade
lebhafter gewesen ist, wie einerseits in der altchristlich-occidentalen
Epoche, anderseits im weiteren Verlaufe des Mittelalters, so rührt
dies daher, dass ein an besonders hervorragender Stelle ausgeführtes
Werk Kaiser Karls aus besonderen Gründen diese Form empfing. Wir
meinen die Pfalzkirche zu Aachen. Die Wahl der zentralen Anlage
ist hier nicht durch das Vorbild byzantinischer Hofkirchen bedingt,
sondern durch den Umstand, dass diese Kirche dereinst des Kaisers
Grab aufnehmen sollte. Für Grabkirchen aber war auch im Abend-
lande die zentrale Anlage von jeher normal.
Die vielfachen Nachahmungen während der beiden nächsten Jahr-
hunderte bezeugen mehr die individuelle Bewunderung für den be-
rühmten Kaiserbau, als ein grundsätzliches Hinüberneigen zum Zentral-
bau als solchem ; sie geben in dem Gesamtbilde der Baubestrebungen
des 9. und 10. Jahrhunderts einen interessanten Zug ab, jedoch ent-
fernt nicht den dominierenden.
PAL ASTKAPELLE ZU AACHEN (Taf. 40, Fig. 1—3), erbaut
a. 796— 804. Die Person des Baumeisters im eigentlichen Sinne ist
nicht mehr festzustellen. Einen erheblichen , wenn auch vielleicht nur
ins allgemeine gehenden Einfluss hat man mit aller Wahrscheinlichkeit
für Einhard, den Staatsmann und Gelehrten, den Vitruvforscher und
vielseitig geübten Techniker, den »Beseleelc der karolingischen Aka-
demie, in Anspruch zu nehmen. Die Bedeutung des Werkes ist nicht
sowohl im Künstlerischen als im Konstruktiven zu suchen. Der — oder
sagt man lieber, die? — Meister zeigen umfassende Bekanntschaft mit
den technischen Hilfsmitteln des römisch-altchristlichen Gewölbebaues.
Ohne Frage enthielten damals noch die linksrheinischen Lande eine
weit grössere Zahl mehr oder minder wohlerhaltener Gewölbe- und
Zentralbauten, als wir heute irgend zu bestimmen imstande sind, und
die technischen Traditionen der römischen Baukunst, welche ja gerade
am Niederrhein weit in das Mittelalter sich verfolgen lassen, flössen
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
153
noch reichlich. Anderseits sind italienische Studien ergänzend hinzu-
getreten. S. Vitale in Ravenna hat zweifellos auf die Gesamtkonzeption
mitbestimmend eingewirkt, die Raumbehandlung ist eine verwandte;
der struktive Organismus aber ist weit einfacher und klarer und steht
der antiken Konstruktionsweise näher als das komplizierte Gewölbe-
system jenes byzantinischen Zentralbaues ; am nächsten gewissen Monu-
menten in der Lombardei.
Der Aachener Bau hat die zweifache Bestimmung, Grabkirche und
Palastkirche zu sein. Durch die erstere ist zentrale Plananlage, durch
die zweite das Emporengeschoss vorgeschrieben. Ein inneres Oktogon
von einem zweigeschossigen, nach aussen sechzehneckigen Umgange
umschlossen. Jenes war durch niedere Schranken, deren Spuren noch
sichtbar, als Chor für die Geistlichkeit eingerichtet. Die Empore, für
das Laiengefolge bestimmt, erweitert sich auf der dem Altar gegenüber-
liegenden Seite zu einem Oratorium für den Kaiser, nach aussen in
einer Art von Loggia sich öffnend, von welcher der Kaiser vielleicht
an Festtagen dem Volke sich zeigte.
Die Verdoppelung der Seitenzahl an der Aussenmauer des Um-
ganges hat den Zweck, quadratische, mit regelmässigen Kreuzgewölben
zu überspannende Felder zu gewinnen. Freilich ergaben sich bei diesem
Verfahren neben den quadratischen
auch dreieckige Felder, welche indes
ohne Mühe mitTonnen oder mitgrätigen
Gewölben überdeckt werden konnten,
während bei Annahme auch eines äusse-
ren Achtecks der äussere Schildbogen
entweder sehr gedrückt, oder beträcht-
lich höher geworden wäre als der innere.
Zudem wurde damit eine Verdoppelung
der Widerlagsmasse erzielt, indem jedem
inneren Pfeiler nun je zwei statt einer
Strebemauer sich vorlegen.
Im oberen Geschosse sind die qua-
dratischen Felder mit steil ansteigenden
Tonnen überwölbt und ist auf diese
Weise nicht nur ein freierer Einblick
auf die Deckenmosaiken, sondern, was
wesentlicher, eine wirksamere Wider-
lagening der Obermauer des Mittel-
raumes gewonnen, da der Hebelarm, unter welchem diese von dem
Seitenschube der Kuppel angegriffen wird, beträchtlich kürzer ist als
bei horizontaler Ueberwölbung. Höchst sinnreich sind sodann mit dem
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Zweites Buch; Der romanische Stil.
schrägen Abfall der Gewölbaxe flache Wandnischen in Verbindung ge-
bracht, wie der beistehende Grundriss des Einporgeschosses (S. 153)
verdeutlicht.
Dieses Gewölbesystem gehört dem Kreise der römischen Konstmk-
tionsideen an. Transversale Tonnen als Streben für grosse Gewölbe
(Taf. 39, Fig. 10) waren verbreitet und haben sich gerade am Nieder-
rhein lange erhalten — Werden a. R. saec. 9, Maestricht: Liebfrauen
saec. xi, Herzogenrath saec. 12. Für das ganze System lässt sich ein
bestimmtes Vorbild nicht nachweisen, dagegen finden wir, dass es in
der Lombardei bekannt und angewendet war. Die Rotunde zu
Brescia (Taf. 7) hat eine gleiche Teilung des eingeschossigen Um-
ganges; fast identisch mit Aachen sind die ältesten Teile — die Kreuz-
arme — von S. Fedele zu Como (Taf. 40, Fig. 4, 5), nur sind hier
statt Tonnen steigende Kreuzgewölbe verwendet. Die Datierung von
S. Fedele ist schwierig, es ist Jünger als Aachen, gehört aber nach
seinen einfachen Profilen noch der romanischen Frühepoche an (914?).
Vgl. S. 57.
Mit aller Gewissheit ist der römische Ursprung bei einem anderen
Baugliede des Aachener Münsters in Anspruch zu nehmen. Nämlich
die Oberraauern des Oktogones werden aussen durch je zwei kräftige
Wandpfeiler verstärkt, in der Ausladung stufenweise abnehmend und
oben in korinthischen Kapitellen mit halbierten Pyramiden als Aufsatz
endigend (Taf. 40, Fig. 2 rechts oben). (Strebepfeilerartig abgestufte
Pilaster am Aeusseren der Arena zu Nim es, Taf. 38, Fig. 9. Die
Wandpfeiler an der Fassade von S. Zeno zu Verona sind ebenso
behandelt.) Es sind richtige Strebepfeiler ; ein Kranzgesimse tragen sie
nicht und haben sie nie getragen, ihre Charakterisierung als Pilaster
ist also sinnwidrig. Hierbei sei bemerkt, dass der Strebepfeiler in
Deutschland keine Aufnahme gefunden hat bis zum Eintritt der Gotik —
in Essen, der Nachbildung Aachens, korrekte Pilaster — , während er
der westfränkischen Architektur jederzeit geläufig bleibt. — Die Kuppel,
in acht Kappen gebrochen, ist in 59 Schichten 68 cm dick aufgemauert.
Die Technik der Umfassungsmauern — im Unterbau und an den
Kanten Quader, sonst solides Bruchsteinmauerwerk.
Ist nun in dem Aachener Münster die technische Tradition des
Altertums noch lebendig und wirksam, so ist das Verständnis für die
antiken Formsymbole fast völlig erloschen. In den mit dem Ganzen
weder in struktivem noch in formalem Zusammenhange stehenden dop-
pelten Säulenstellungen hat sich — durch byzantinische Vermittelung ? —
ein römisches Motiv erhalten, sie sind die einzige architektonische De-
koration dieses mit einem Minimum von plastischem Detail ausgeführten
Pfeilerbaues. Nach dieser Richtung ist der Aachener Kaiserbau ein
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
155
Repräsentant des Tiefstandes der christlichen Architektur, womit ver-
glichen die besseren Bauten aus der zweiten Hälfte des 9., auch die-
jenigen des 10. Jahrhunderts — Lorsch, Essen — schon einen gewissen
Fortschritt des Formensinnes bekunden. Und doch, selbst in der nackt
struktiven Erscheinung, in welcher er heute, von der alten malerischen
Bekleidung völlig entblösst, dem Beschauer sich darbietet, noch immer
ein wahrhaft weihevoller Raum, eine siegreiche Probe für die unver-
lierbare Schönheit des Zentralsystemes ! — Mertens in Försters Bz.
1840. — Dohme, Kunst und Künstler I.
Als unmittelbare Kopien nach Aachen kennen wir die Kapellen der
kaiserlichen Pfalzen zu NYM WEGEN (Taf. 41, Fig. 1, 2) und DUTEN-
HOFEN. Jene lässt unter den Restaurationen des saec. 1 2 die alte An-
lage noch erkennen, diese, ein Bau Ludwigs des Frommen, ist ver-
schwunden. Höchst wahrscheinlich besteht, wenn auch die Zwischen-
glieder heute fehlen, ein Zusammenhang zwischen diesen karolingischen
Pfalzkapellen und den Schlosskapellen des späteren Mittelalters,
welche gleichfalls die zentrale Anlage, sehr vereinfacht allerdings, be-
vorzugen. Hiervon, wie von der speziell auf Aachen hinweisenden
Gattung der Doppelkirchen, später.
Untergegangene Nachbildungen : Johanniskirche zu LÜTTICH (a. 978),
Walpurgiskirche zu GRONINGEN. — Erhaltene: Kirche zu OTTMARS-
HEIM im Elsass (Taf. 41, Fig. 3, 4), vergl. Jakob Burckhardt in den
Baseler Mittl. II, 1833; Adler, Forschungen II. Merkwürdig durch das
späte Datum (11. Jahrhundert, 2. Viertel), wie durch den engen An-
schluss an das Original. Die einzige wesentliche Abweichung: die bei
den kleineren Massverhältnissen leichter durchzuführende Gleichheit der
Seitenzahl des äusseren mit dem inneren Polygon. Die Bestimmung als
Nonnenklosterkirche und das dadurch gegebene Bedürfnis einer Empore
ist der Sachgrund zur Wahl des Vorbildes. Dessen weitere Differenzierun-
gen sind einerseits in den Nonnenchören zu Essen und der Kapitols-
kirche zu Köln, anderseits in den Doppelkirchen zu verfolgen.
Westchor im MÜNSTER ZU ESSEN (Taf. 41, Fig. 5, 6, 7)- Das
a. 874 gestiftete Kloster a. 947 abgebrannt. Nach diesem Brande noch
im saec. 10 wieder aufgebaut. Von diesem Bau ist der Westchor er-
halten. Ein halbes Sechseck, dessen Durchmesser halb so gross ist
als der des Aachener Münsters, ist in einen rechteckigen, von zwei
Treppentürmen flankierten Turmbau eingeschlossen und öffnet sich in
einem weiten, von Pi lästern mit korinthisierenden Kapitellen und
Kämpferaufsätzen getragenen Rundbogen gegen das Schiff. Formal
eine strikte Nachahmung von Aachen. Runde Hängekuppel unmittelbar
über den oberen Arkaden. Oberhalb des Chores ist der Bau ins Achteck
übergeführt. — v. Quast i. d. Z. f. christl. Archäologie u. Kunst I.
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156 Zweites Buch: Der romanische Stil.
Westchor von S.MARIEN IM KAPITOL ZU KÖLN (Taf. 41,
Fig. 8, vergl. den Grundriss Taf. 14, Fig. 4), ein rechteckig vor den
westlichen Turmbau vortretender Raum, der sich in zwei Geschossen
nach dem Mittelschiff öffnet. Der untere Bogen in drei kleinere Bögen
geteilt, welche auf Säulen mit Würfelkapitellen ruhen; der obere nach
dem Motive von Aachen mit dem Unterschiede, dass die seitlichen Bögen
nicht gegen die Leibung des Hauptbogens stossen, sondern auf Halb-
säulen ruhen. Die korinthisierenden Kapitelle mit Kämpferaufsatz ab-
sichtlich archaisi erend. Erbaut um die Mitte des saec. 11. — v. Quast
im Jahrbuch des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinland XIII.
S. 180 ff.
DER »ALTE TURMc ZU METTLACH (Taf. 41, Fig. 7, 8). Er-
baut in der Regierungszeit des B. Ekbert von Trier (a. 975 — 993 ).
Enthielt das Grab des Klosterstifters St. Liutwin (f a. 718). Eine um
a. 1070 geschriebene Quelle sagt: >. . . et Aquisgrani Palatium
mittens et exeode similitudinem sumens, turrim quae adhuc superest
erexitc Die Nachahmung ist so sehr eine abbreviierte , dass wir sie
ohne den obigen Hinweis kaum als solche erkennen würden. Grösser
ist die Aehnlichkeit mit dem Typus von S. Gereon in Köln, und ist
die konkurrierende Kenntnis irgend eines in diese Familie gehörenden
Bauwerkes vorauszusetzen. Dreistöckiges Oktogon; unten Nischen in
den fast 3 m dicken Mauern; darüber ein (ursprünglich innerer) Um-
gang in der Mauerstärke und weiter die auf ca. '/« ni verjüngte
Obermauer mit Fenstern und Balkendecke. — v. Co hausen bei
Erbkam 1871.
GERMIGNY DES PRES (De> Loiret) (Taf. 41, Fig. 9, 10). Kirche
der HH. Ginevra und Germinus; erbaut a. 806 von Theodulf, Abt von
S. Fleury, nachmals Bischof von Orleans, einem Angehörigen der
Akademie Kaiser Karls. Vom ursprünglichen Bau das Wesentliche bis
vor kurzem erhalten (1863 abgebrochen); das Fehlende leicht zu er-
gänzen. Ein Chronist des 10. Jahrhunderts nennt sie »basilicam miri
operis, instar videlicet ejus quae Aquis est conditac Eine direkte
Nachahmung des Aachener Baues ist hier noch weniger vorhanden wie
in Mettlach. Der Vergleichspunkt kann nur im allgemeinsten liegen:
dem zentralen Grundplan mit überhöhtem, lichtbringendem Mittelraum.
Vgl. S. 48. — Parker in Archeologia 1857; Merim^e in Dalys Revue
1849; Bouet im bull. mon. 1868. De Baudot, Eglises de bourgs
et de villages II, teilt eine ansprechende Restauration von Lisch mit.
S. MICHAEL ZU FULDA (Taf. 41, Fig. 11, vergl. Taf. 9), Rund-
kapelle auf dem Begräbnisplatz der Mönche, erbaut a. 820 — 22 ; vergl.
oben S. 43 u. v. Dehn-Rotfelser, Kurhess. Bdkm.
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
»57
3. Die kreuzförmige Basilika.
Hugo Graf: »Opus francigenumc, Stuttgart 1878.
Es giebt ganz und gar ein unvollständiges und schiefes Bild von
dem Totalgehalte der karolingischen Baubestrebungen, wenn es, wie
allzu oft geschehen ist, unter dem prävalierenden Eindrucke des einen
Monumentes, der Aachener Palastkapelle, als der vermeintlich spre-
chendsten Verkörperung des Bauideales der Epoche, zustande kommt.
Urkunden und Geschichtsschreiber bezeugen die grosse Zahl der direkt
oder indirekt durch Karl ins Leben gerufenen Kirchenbauten und es
unterliegt keinem Zweifel, dass es regelmässig, d. i. bei allen Kathedral-,
Pfarr- und Klosterkirchen basilikale Anlagen waren, wie es eben die
Sitte des Abendlandes mit sich brachte. Das quantitative Ueber-
gewicht der Basilika ist aber noch nicht die Hauptsache. Während
das geschichtliche Verdienst der karolingischen Zentralbauten wesent-
lich und allein ein konservatives ist, wird die Basilika das Gebiet, wo
die Epoche über das Ueberlieferte hinaus selbständige Schritte wagt,
den Besitzstand der Architektur erweitert. Und zwar durch Motive
von allerhöchster Fruchtbarkeit und Tragweite. Obenan die unter den
Händen der Franken sich vollziehende Erweiterung des in der Bau-
praxis eines halben Jahrtausends unverändert fortgeerbten Basiliken-
planes zur Gestalt des lateinischen Kreuzes. Die Geschichte des
romanischen Stils zeigt die allmähliche Rezeption dieses fränkisch-karo-
lingischen Motives im gesamten Abendlande; es behauptet in der Go-
tik den ersten Platz; es lebt noch fort in der Renaissance.
So hoch die künstlerische Bedeutung der Neuerung anzuschlagen
ist, gaben den Anstoss dazu doch nicht eigentlich ästhetische, sondern
praktische gottesdienstliche Desiderate. In der altchristlichen Basilika
hatte die bauliche Entwicklung des Priesterhauses nicht gleichen Schritt
gehalten mit dem numerischen Zuwachs der Priesterschaft. Jetzt unter-
nahmen es die Franken, über diesen Mangel hinwegzukommen. Es
ist bemerkenswert, dass die Neuerung von den grossen Klöstern aus-
ging, deren Frequenz damals enorm anwuchs. Fulda z. B. hatte schon
unter dem zweiten Abte 400 Mönche; Centula ihrer 300, ungerechnet
die beim Chordienst verwendeten Schüler. Verwandte Verhältnisse
lagen in den Kathedralkirchen vor, seitdem die der Benediktiner nach-
gebildete Regel Chrodegangs von Metz, welche die gesamte Geistlich-
keit der Bischofsstadt zum Zusammenleben im Münster (monasterium)
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
und Zusammenwirken im Chor verband, im fränkischen Reich zur all-
gemeinen Durchführung gelangte. Die also gehäufte Zahl der Geist-
lichkeit, deren zunehmende aristokratische Sonderung vom Volke, welche
man besonders den neubekehrten germanischen Nationen gegenüber
hervorzukehren für gut fand, die vermehrte Umständlichkeit und Pracht
der Zeremonien, — alles das machte die Erweiterung des Chorraumes
dringlicher wie je. Diese Erweiterung in der Richtung zu suchen,
wie es bisher immer geschehen war und in Italien noch fortgesetzt
geschah, d. i. durch Vorschieben der Chorschranken in das Haupt-
schiff des Gemeindehauses, gaben die Franken auf. Sie nahmen die
Erweiterung nach der entgegengesetzten Seite des Querhauses, nach
Osten, an, machten den Chor zu einem besonderen Bauteil, den sie
zwischen das Querhaus und die Apsis einschoben : — das ist eben,
nach dem uns geläufigen, von jener Zeit übrigens nicht verwerteten,
Vergleiche die Verwandelung der crux conimissa oder des Signum Tau in
die crux immissa, crux capitata. Klärlich ist dieses die einzig logische
und wahrhaft architektonische Lösung.
Ein zweites ist die Ortsveränderung des Altars. Aus dem Quer-
schiff wird er in den neugewonnenen jenseitigen Ostbau hinausgerückt.
Hiermit erst kommt der Altar, wie es sich gebührt, zu seinem eigenen
Altarhaus, wird das Allerheiligste bedeutsam charakterisiert und heraus-
gehoben.
Wahrscheinlich hat dann noch ein drittes Moment zu diesem Er-
gebnis mitgewirkt, d. i. die Rücksicht auf die um diese Zeit in den
Ländern des Nordens ein notwendiges Requisit aller grösseren Kirchen
werdende Krypta. Eine solche Krypta, zu einem geräumigen und um
der Lichtführung willen zur Hälfte über das Niveau des Kirchenflures
emporsteigenden Oratorium erweitert, wie man sie jetzt verlangte , ist
mit dem alten T förmigen Chorschluss nicht wohl in Verbindung zu
bringen. Der Flächenraum der Apsis wäre ihr zu klein, anderseits
würde die eventuelle Ausdehnung über den Mittelraum des Querhauses
die räumliche Wirkung des letzteren empfindlich beeinträchtigen l).
Durch den Fortschritt zum Grundplan des lateinischen Kreuzes aber
sind diese Schwierigkeiten beide überwunden. In dieser neuen Kom-
bination wird die Krypta aus einem bedenklichen zu einem wertvollen
Baugliede; wertvoll nicht bloss um ihrer selbst willen, sondern auch
') Wie es z, B. in dem noch Tfbrmig abschliessenden Münster zu Strassburg
wirklich geschehen ist.
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
J59
flir die Oberkirche, indem sie das Sanktuarium über das Niveau des
Gemeindehauses emporhebt als eine imposante Bühne für den Altar
und seine Feier.
Hiermit erst sind die durch die Ausbildung des Altarhauses im
Sinne der crux capitata gewonnenen Vorteile völlig sichergestellt.
Nun mochte es immerhin geschehen , wie in Kirchen mit besonders
ausgedehntem Chordienst nicht zu vermeiden war, dass die Schranken
des Chores wieder nach alter Weise in das Quer- oder selbst das
Langhaus vorrückten: ein Blick auf den Hochbau genügte zur Auf-
klärung der einheitlichen Kompositionsidee.
Die erste Anregung zu der geschilderten Umgestaltung der Ba-
silika haben also praktische Motive des Gottesdienstes gegeben. Sehr
bald aber, wie es scheint, wurde das künstlerisch Bedeutsame und
Entwicklungsfähige, das darin liegt, erkannt und verwertet.
Während in der Summe der altchristlichen Basiliken die mit
Querschiff versehenen einen verschwindend kleinen Prozentsatz aus-
machen, so ist umgekehrt für die nordisch-romanische Basilika der
Besitz des Querschiffes die Regel, der Mangel desselben eine nur ge-
wissen Provinzialstilen eigene Abweichung. In der Kreuzbasilika wird
auch die Bedeutung des Querschiffes innerhalb des Gesamtorganismus
eine andere. Der Rückblick auf die durch ein Querschiff ausgezeich-
neten Basiliken Roms zeigt dasselbe überall als selbständigen unge-
teilten Raum, welcher dem Langhaus sich entgegenstemmt und die in
dessen Arkaden ausgedrückte Fortbewegung zum Stillstand bringt.
Diese ausgesprochen und allein kontrastierende Bedeutung verliert es
jetzt, es wird in den Rhythmus des Ganzen organisch eingegliedert,
gleichzeitig denselben bereichernd und strenger einigend. Mit logischer
Folgerichtigkeit zieht der erste Schritt einen zweiten nach sich: Das
bisher willkürliche und schwankende Verhältnis der Breitendimension
des Querschiffes zu derjenigen des Hauptschiffes kann nicht länger
geduldet werden; beide Masse müssen einander gleichgesetzt werden;
und somit gewinnt die Fläche ihrer Durchschneidung, das Kreuzes-
mittel, eine ein für allemal feststehende, vermöge ihrer Einfachheit
leicht fassliche Konfiguration: als Quadrat. Weiter soll dieses auch
im Aufbau nach seiner zentralen Bedeutung nachdrücklich hervorge-
hoben werden und wird demgemäss nach allen vier Seiten durch Gurt-
bögen markiert, welche Form bis dahin nur zur Abgrenzung von Quer-
schiff und Hauptschiff (als sog. Triumphbogen) in Verwendung ge-
kommen war. Und hatte diese Abgrenzung bis dahin immer noch den
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i6o
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Charakter einer Wand gehabt, wenn auch einer von weiten Oeffnungen
durchbrochenen, so verschwindet jetzt diese Scheidewand gänzlich, die
Träger der Gurtbögen werden zu Pfeilern mit kreuzförmigem Grundriss.
Es folgen weitere Konsequenzen. Man will die Vierung nicht nur als
Mittelpunkt, sondern auch als Gesetzgeberin des ganzen Grundrisses
betrachtet wissen, indem man die in ihr enthaltenen Masse auch den
übrigen Räumen zur Norm giebt: zuerst wird die Fortsetzung des
Mittelschiffes gegen die Apsis congruent der Vierung gemacht ; dann
geschieht das Gleiche mit den beiden Flügeln des Kreuzschiffes ; schliess-
lich darf auch das Langschiff sich nicht beliebig entwickeln, sondern
nur als Summe von zwei, drei oder mehr der im Kreuzesmittel ge-
gebenen Einheiten.
Unverkennbar enthält in der Kreuzbasilika die Behandlung des
Quer- und Altarhauses eine Annäherung an das Kompositionsprinzip
des Zentralbaues. Die Hypothese aber, dass diese Um- und Fort-
bildung der Basilika thatsächlich vom Zentralbau ihren Ausgang ge-
nommen habe, entbehrt gleich sehr der äusseren historischen, wie der
inneren architektonischen Begründung. Nächst der Befriedigung der
oben bezeichneten ritualen Bedürfnisse ist das Ziel, worauf am meisten
jene Zeit hinauswollte: den Kirchenbau über die lockere, unentschiedene
Behandlungsweise der älteren Jahrhunderte, über alle Willkür und Miss-
verständnisse hinauszuheben durch Fixierung einer leicht verständlichen,
in der Anwendung untrüglichen, alle Einzelverhältnisse durchdringenden
und sicherstellenden Regel. Die Kreuzbasilika bezeichnet, verglichen
mit der altchristlichen, nicht nur einen relativen Fortschritt — insofern
sie die besonderen Anschauungen und Bedürfnisse des Mittelalters
vollkommener zum Ausdruck bringt — sie ist auch an und für sich,
im Sinne des Organischen, eine Form höherer Ordnung. Es ist der
von innen heraus wirkende Trieb nach entschiedener Betonung des
Richtungsmomentes, nach straffer Sammlung und Bindung, welcher sie
zu ideeller Annäherung an den Zentralbau bringt ; äusserlich von diesem
abhängig ist sie nicht.
Die frühesten beglaubigten Beispiele von Basilikenplänen im Sinne
des lateinischen Kreuzes begegnen uns in der Zeit Karls des Grossen.
Trügt nicht alles, so ist dies auch die Zeit ihrer Entstehung. Für
die geschichtliche Stellung eines derartigen Typus von höchst einfachem
Grundgedanken trägt es nichts oder wenig aus, ob er vielleicht schon
früher hier und dort einmal versucht worden; wesentlich ist allein die
Frage, wann die entschiedene allgemeine Teilnahme für ihn
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
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beginnt. Denn seine massgebende Gestalt gewinnt er nie durch
einen einzelnen, sondern durch die Arbeit eines ganzen Geschlechtes.
Oertlich verteilen sich die ältesten uns bekannten Denkmäler
dieser Klasse wie folgt: Fulda c. a. 800, Köln a. 814, S. Gallen a.
830, Hersfeld beg. a. 831, Werden a. R. voll. a. 870. Nach Aus-
scheidung von S. Gallen, dessen Bauriss von auswärts eingesandt war,
ist also das früheste Verbreitungsgebiet ein ganz bestimmt begrenztes :
das fränkische Rheinland mit Hessen. Wir müssen sie als die Wiege
der Kreuzbasilika betrachten. Die Probe auf die Richtigkeit dieser
Annahme giebt die weitere Verbreitung im 10. und 11. Jahrhundert.
Da findet sich das lateinische Kreuz im Gebiete des fränkischen und
sächsischen Stammes als anerkannte Normalform; in Alemannien und
Bayern zeigt es sich nur sporadisch zwischen überwiegend querschifflosen
oder T förmigen Grundrissen; im westfränkischen Reich wie in Italien
ist es bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts überhaupt unbekannt.
S. GALLEN (Taf. 42, Fig. 2). Von dem Bau selbst, begonnen
a. 830, ist keine Spur mehr übrig, erhalten aber ist uns der Bauriss:
das früheste, absolut sichere Zeugnis für den fraglichen Typus. Abt
Gozbert hatte ihn von auswärts sich zusenden lassen. Nach der Person
des Autors zu raten ist aussichtslos. Wir haben ihn als einen jener
hochgestellten und hochgebildeten Geistlichen in der Umgebung des
Kaisers zu denken, welche für den Baugeist der Zeit hauptsächlich be-
stimmend waren. Noch Gozberts zweiter Nachfolger in der Abtswürde
liess sich, als er einige bauliche Neuerungen vorhatte, Hofbaumeister
(»palatini magistri«) kommen. Der Bauriss von a. 830 kann indes, so
wie er vorliegt, nicht ausgeführt worden sein, da er auf die besonderen
topographischen Verhältnisse des S. Galler Klosterbezirkes nicht Rück-
sicht nimmt; er will nur in den Grundzügen skizzieren, was man in
den leitenden Kreisen damals für mustergültig hielt, und eben dies
macht ihn für uns so wertvoll. Zu bedauern bleibt, dass die summa-
rische, mehrfach bloss andeutende Art der Darstellung dem heutigen
Betrachter einiges unaufgeklärt oder zweifelhaft lässt. — Bemerkenswert
ist die mathematisch abstrakte Strenge in der Durchführung der Kreuzes-
gestalt. Nicht nur, dass das Kreuzesmittel als reines Quadrat formiert
ist, es ist auch bereits zur durchgehenden Masseinheit genommen.
Einerseits die Kreuzflügel samt dem Altarhaus , anderseits das Haupt-
schiff erweisen sich in ihrem Flächenraum als gleiche Hälften, eine
jede das Produkt aus drei Mittelquadraten. Lehrreiche Aufschlüsse
giebt sodann die Skizze der durch die Zwecke des Kultus bedingten
inneren Einteilung. Zunächst fällt auf, dass zwei Chöre vorhanden
sind, ein östlicher und ihm gegenüber ein westlicher. Von der Be-
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
deutung des letzteren handeln wir an späterer Stelle. Der Ostchor
zerfällt in drei durch Ballustraden , nach aussen wie unter sich, abge-
sonderte Kompartimente : i) Apsis und Altarhaus (»sancta sanctorumc),
durch die darunter befindliche Krypta um sieben Stufen überhöht, an
den Wänden ringsum laufende Bänke für die Presbyter. 2) Der Sänger-
chor, in seiner Ausdehnung der Vierung entsprechend. 3) Die ersten
Arkaden des Hauptschiffes einnehmend ein während des Gottes-
dienstes frei bleibender Zwischenraum, der den Ambo und zwei Lese-
pulte enthält. Diese Räume beziehen sich auf den Dienst am Haupt-
altar; ausserdem sind noch Uber die ganze Kirche Nebenaltäre verteilt,
jeder mit eigenen Schranken und Gestühl; in der Wahl ihrer Plätze
kommt eine wahrscheinlich sorgfältig erwogene Rangabstufung der be-
treffenden Heiligen zum Ausdruck. — Hier einige von den erklärenden
Beischriften des Risses: A) Exedra; B) Sancta sanetorum; a) Altar
S. Pauli; b) Altar S. Mariae et S. Galli; c) Altar S. Benedicti; d) S. Co-
lumbani; e) SS. Philippi et Jacobi; f) S. Andreae; g) S. Salvatoris et
S. Crucis; h) S. Joannis Bapt. et S. Joan.Evang.; i) S. Petri ; C) Chorus
psallentium; k) accessus ad confessionem ; 1) in cryptam introitus et
exitus; m) analogia ad legendum; n) ambo; o) fons. D) Chorus.
Der Typus der fränkischen Kreuzbasilika tritt uns in S. Gallen be-
bereits in ganz reifer und strenger Durchbildung entgegen. Es ist
nicht zu denken, dass er gleich auf den ersten Wurf so gelungen sein
sollte. Und vielleicht ist uns aus der Reihe der Vorstufen e i n Denkmal
noch erhalten: die Klosterkirche zu HERSFELD (Taf. 42, Fig. 3).
Der älteste Bau, gewiss nur ein Notbau, begann a. 768; Monumental-
bau a. 831 — 850; a. 1038 Feuersbrunst; die Krypta ist schon a. 1040
von neuem geweiht und die Herstellung des Hochbaues^ im Chor und
Querhaus wird, nach der Verwandtschaft der Formen zu schliessen,
bald nachgefolgt sein; die Vollendung des Westbaues bis a. 11 44 ver-
zögert; seit der Brandlegung durch die Franzosen a. 1761 Ruine. —
Die zunächst nach a. 1038 renovierten Teile zeigen, verglichen mit
der unter der gleichen Oberleitung (des Abtes Poppo von Stablo) einige
Jahre vorher erbauten Klosterkirche zu Limburg a. d. Hardt, die grösste
Uebereinstimmung der Detailforraen , ja sogar genau die gleiche Ge-
samthöhe (vergl. Taf. 55). Um so auffälliger ist der prinzipielle Unter-
schied in den Grundrissen. Noch mehr : derjenige von Hersfeld wider-
spricht überhaupt allen im entwickelten deutschen Romanismus geltenden
Regeln. Während in Limburg der übliche quadratische Schematismus
korrekt befolgt ist, zeigt in Hersfeld das Querhaus nicht nur eine ab-
norme Ausladung der Flügel, sondern es ist auch schmäler als das
Mittelschiff und es fehlen ihm die Schwibbogen über dem Kreuzungsmittel.
Diese letzteren Anomalien treten dadurch noch schärfer ins Licht, dass sie
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
an dem sonst den Hersfelder Grundriss kopierenden Dom zu Würz-
burg geflissentlich vermieden sind (vergl. Taf. 48, Fig. 2 u. 3). Alles
dies verliert sogleich sein Verwunderliches, ja Unbegreifliches, wenn
man annimmt, dass der Brand von a. 1038 kein vollständig zer-
störender gewesen sei, so dass der Herstellungsbau mindestens in der
Ostpartie die alten Fundamente konserviert habe'). Unterstützt wird
diese Hypothese durch die ungewöhnlich schnell, nämlich schon zwei
Jahre nach dem Brande erfolgte Wiedereinweihung der Krypta. Ver-
gleicht man sodann die auf Taf. 42 vereinigten Grundrisse, so zeigt
sich, dass der von Hersfeld zwischen dem merowingischen (Fig. 1) und
den karolingischen (Fig. 2 u. 4) gerade eine mittlere Entwicklungsstufe
einnimmt, und dies verleiht ihm ein ganz besonderes Interesse.
Vielleicht ist uns in Hersfeld eine ziemlich genaue Nachahmung
erhalten von der an der Spitze der Schule stehenden Klosterkirche zu
FULDA. Unter den ostfränkischen Klöstern durch den Ruhm seines
Stifters, Winfrid-Bonifacius, das angesehenste und am stärksten frequen-
tierte. In rascher Folge werden Erweiterungsbauten nötig : die Baulust
der Aebte äussert sich aber gleich so grossartig, dass die Mönche auf-
sässig werden. Fremden Rates , wie in S. Gallen , scheint man nicht
bedurft zu haben ; das Kloster zählt unter seinen eigenen Mönchen bau-
kundige Männer; einige von ihnen studieren den Vitruv, zu dessen
Erläuterung Elfenbeinmodelle vorrätig sind; Einhard ist aus dieser
Schule hervorgegangen und bleibt in Korrespondenz mit ihr. Für die
Bauthätigkeit im fränkischen Ostreich scheint Fulda der wichtigste
Mittelpunkt gewesen zu sein, und nicht unwahrscheinlich geht der Bau-
riss von S. Gallen mindestens indirekt auf diese Quelle zurück. Von
der Fuldaer Hauptkirche ist keine eigentliche Beschreibung überliefert,
nur gelegentliche kurze Andeutungen, weshalb mehr als ein ungefähres
Bild von ihr nicht zu gewinnen ist. Der zweite Abt, Baugulf, lässt
durch den Mönch Ratger einen Erweiterungsbau beginnen, welcher,
wie es scheint, auf allmähliche Ersetzung der alten Teile nach einheit-
lichem Plane von Anfang an berechnet ist. Unter Baugulf (a. 779—802)
!) Nach der lange dauernden unkritischen Art, die Baugeschichte des Mittelalters
zu behandeln, herrscht jetzt eine hyperkritische. Viel zu oft werden die Nachrichten der
Chronisten Aber Brandschäden so genommen, als mussten dieselben jedesmal die Zer-
nichtung des Gebäudes bis auf den Grund bedeuten. Besonnenere Kritik wird jeden
einzelnen Erneuerungsbau darauf zu prüfen haben, wie viel er etwa, sei es real, sei es in
der Idee, von seinem Vorläufer herübergenommen hat. Dass der Platz eines einmal geweihten
Altars ungern verlassen wurde, ist bekannt, und darin liegt eine gewisse konservierende
Rücksicht auch auf die Architektur. Wir werden im folgenden noch oft auf diese unsere
Ansicht zurückkommen. Hier nennen wir als Beispiel nur die wahrscheinlich gleichfalls
von Poppo geleitete Restauration des Strassburger Münsters, wo unter denselben
Voraussetzungen, wie wir sie für Hersfeld vermuten, der altertümliche Tförmige Chor-
schluss beibehalten ist.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
wird das Querhaus (transversa domus) vollendet und eine Erweite-
rung nach Osten vorgenommen: also lateinisches Kreuz. Von Ratger
als dieser zur Abtwürde aufrückte, heisst es sodann: >Occidentale tem-
plum (Westchor) mira arte et immensa magnitudine altari copulans,
unam facit ecclesiam.c Eigil versieht beide Chöre mit Krypten und
vollendet die innere Ausstattung; a. 819 erfolgt die Einweihung. Ein
Brand von a. 937 macht einen Herstellungsbau nötig, der jedoch den
älteren, scheint es, genau reproduziert. Die Grundform des lateinischen
Kreuzes tritt in der Schilderung bestimmt hervor; das Langhaus hat
20 Säulen, also jederseits 11 Arkaden, und 22 Oberfenster; das Quer-
haus 18 Fenster. — Ueber die Baugeschichte Gegenbauer im Fuldaer
Gymnasialprogramm 1881. — Als eine Nachahmung der Fuldaer Sal-
vatorkirche betrachtet man den a. 814 begonnenen Dom zu Köln; die
Nachrichten sind sehr dunkel.
WERDEN A. D. RUHR (Taf. 42, Fig. 4). In dem spätromanischen
Umbau sind Reste des a. 875 geweihten Stiftungsbaues enthalten, welche
das lateinische Kreuz des Grundplans sicher stellen ; ausführlicher be-
gründet unter Abschnitt 7.
MICHELSTADT (Taf. 42, Fig. 5, Taf. 44, Fig. 1) und SELIGEN-
STADT. Die an diesen beiden Orten im Odenwald von Einhard er-
richteten Stiftskirchen (die erstere vollendet a. 827, die zweite begonnen
a. 828) sind in erheblichen Teilen noch erhalten. Während für die
oben betrachteten grossen Abteikirchen durchweg das lateinische Kreuz
massgebend war, beharrt die für eine nur mässige Zahl von Stiftsherren
bestimmte Michelstädter Basilika im Kreise der älteren Grundformen
(in Seligenstadt gerade die Ostpartie in ihrer ursprünglichen Anlage
nicht mehr erkennbar). Der Vorderchor gegen die Querhausflügel durch
tief herabsteigende Bögen abgegrenzt — eine im frühen Mittelalter
häufige Anlage, vgl. Agliate Taf. 44, Fig. 2. S. Pietro und Sta. Maria
in Toscanella (Taf. 72 u. Taf. 76); S. Vincenzo alle tre fontane bei
Rom, Abb. bei Bunsen Bl. 12; S. Miguel de Escalada (Taf. 75);
S. Ge"ne"roux, Abb. b. Gailhabaud I; S. Salvator in Aachen, Abb.
b. Bock, Rheinl. III. In der Richtung des Hauptschiffes waren, wie
die bis zur Höhe der Arkaden hinaufreichenden Mauerverzahnungen
und ein quer durch das Schiff laufendes Fundament erkennen lassen,
die Chorschranken durch eine Kolonnade gebildet, ähnlich den auf
S. 98 besprochenen. (Den gleichen Zweck hatten vielleicht die a. 990
dem Kloster Korvey geschenkten sechs bronzenen Säulen.) — Braden
im Archiv f. hessische Gesch. XIII. Schäfer in Lützows Z. f. bild.
Kunst IX. Schneider in Nassauer Annalen XII, XIII.
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
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INGELHEIM : S. REMIGIUS (Taf. 42, Fig. 6). Erbaut von Kaiser
Otto I. Einschiffig, flache Balkendecke. Eine Anlage, wie man sieht,
die sowohl von dem durch das Aachener festgestellten Typus der
Palastkapellen als auch von demjenigen der Pfarrkirchen prinzipiell
abweicht; vielleicht aus dem zwischen a. 768—774 ausgeführten Bau
Karls d. Gr. herübergenommen die Ecktürme zu Seiten der Apsis aus
dem Restaurationsbau Kaiser Friedrichs I. ; — v. Cohausen in »Ab-
bildungen von Mainzer Altertümern« Heft 5; Wörnerim Correspon-
denzblatt der deutschen Geschichtsvereine 1881. — Aehnliche Grund-
risse, indes nur bei gewölbten Decken, zuweilen im westfränkischen
Reich. Viollet - le - Duc V, 181 : »Saint-Etienne de Beäugency
(Ddp. Loiret). Eglise fort ancienne, 9. ou 10. siecle. Nef ötroite, longue,
sans bas-cöte's. Transsept tres-prononce', avec chapelles semi-circulaires
orientees. Votttes en berceau, voütes d'arSte sur le centre de la croise*e.«
KOBLENZ: S. KASTOR (Taf. 47, Fig. 7). Erbaut von Erzbischof
Hetti von Trier, Weihe a. 836. Wiederholcntliche Brandbeschädigungen.
Seit Mitte saec. 1 2 Erneuerung, zuerst des Chores, dann durch Erzbischof
Johann I. (a. 11 90 — 12 12) Transsept und Langhaus. Das flachgedeckte
Mittelschiff Ende saec. 15 mit Sterngewölben versehen, die Mauer des
südlichen Seitenschiffs nach aussen verblendet. — Dr. Lehfeldt glaubt
(nach brieflicher Mitteilung), dass, die Gesamtdisposition der West-
turmanlage und einige aussen vermauerte Architekturteile desselben
ausgenommen, nichts weiter vom Bau des saec. 9 übrig sei. Wir
möchten mehr dafür in Anspruch nehmen. Uns ist höchst auffällig,
dass zwar der Chor und die Pfeilerstellung des Langhauses dem im
entwickelten deutsch-romanischen Stil üblichen quadratischen Schema-
tismus folgen, dagegen der Teil, wo derselbe am meisten geboten ist, d. i.
das Querhaus, nicht. Eine solche Anomalie hätten die Baumeister des
saec. 12 bei einem totalen Neubau sich nicht zu schulden kommen
lassen. Ebenso besitzt das Mittelschiff eine für das saec. 12 ganz un-
gewöhnliche Breite. Wir glauben , dass man zunächst nur auf die
Erneuerung des Chores Bedacht gehabt hat und dass deshalb bei der
nachfolgenden Restauration des Quer- und Langhauses die alten Um-
fassungsmauern (jedoch nicht auch die Pfeiler) in ihren Grundlinien
festgehalten wurden. Vergleicht man die in unserem Grundriss schwarz
angelegten Teile mit einem anderen, sicher karolingischen Monument,
der Einhardsbasilika zu Michelstadt (Taf. 42, Fig. 2), so zeigt sich ge-
naueste Uebereinstimmung der Disposition. Vielleicht beruht dieselbe
nicht bloss auf der gleichen Zeitstellung. Es ist von Einhard ein Brief
erhalten (Mon. Germ. II, p. 603), mit dem derselbe dem obengenannten
Erzbischof Hetti Reliquien übersendet, welche dieser zur Weihe einer
neuen Basilika sich erbeten hatte. Unter den von Hetti erbauten
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
Kirchen nimmt aber die von S. Kastor die erste Stelle ein. Die Ver-
mutung liegt nicht fern, dass Hetti von dem baukundigen Freunde
schon früher auch den Plan zu seiner Kirche sich habe schicken lassen.
In diesem Zusammenhange scheinen die auffallend an die Aachener
Palastkapelle erinnernden Flachnischen der Seitenschiffe doppelt be-
achtenswert; vielleicht ist auch dieses Motiv dem karolingischen Bau
nachgebildet — Monographie von A. J. Richter, 3. Auflage, Koblenz
1868; F. Bock in Rheinlands Baudenkmale«.
Die hohe baugeschichtliche Bedeutung des Ueberganges vom T för-
migen zum lateinischen Kreuz wurde zuerst von Hugo Graf (>Opus
francigenum«, Stuttgart 1878) erkannt und mit Nachdruck vertreten.
Hierdurch hat Graf sich ein nicht geringes Verdienst erworben. Seinen
Einzelausführungen vermögen wir aber nicht beizutreten. Graf be-
hauptet die Entstehung des lateinischen Kreuzes in der Weise, dass
einem in »reiner Kreuzform c (analog S. Nazaro in Mailand, oben S. 45}
ausgeführten Gebäude nachträglich eine dreischiffige Basilika ange-
hängt worden; Ort und Zeit der Entstehung verlegt er in das mero-
wingische Paris des 6. Jahrhunderts ; die massgebenden Urbilder sind
ihm die Vincentiusbasilika in ihrer präsumtiven Erweiterung durch
Chilperich a. 577 und demnächst die Dionysiusbasilika Dagoberts
a. 628. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, bedurfte Graf einer
langen, kunstvoll geordneten Reihe von Konjekturen, deren meist
schwache Begründung anzufechten leicht wäre. Wir sind dieser Pflicht
jedoch enthoben, da der Gegenbeweis einfach ad oculos demonstriert
werden kann. Graf hat übersehen, dass in Saint- Denis an dem ent-
scheidenden Ostbau die Fundamente des Dagobertischen Baues
noch vorhanden sind. Viollet-le-Duc IX, 228 hat sie abgebildet,
danach bei uns Taf. 42, Fig. 1. Dieser Grundriss sieht nun freilich
ganz anders aus als das Phantasiegebäude Grafs : es zeigt den für jene
Zeit normalen TSchluss. Weiter hat Graf unbeachtet gelassen, dass
bis ins n. Jahrhundert hinein in Paris und Nordfrankreich überhaupt
kein einziges Mal der Grundplan des lateinischen Kreuzes nachzuweisen
ist, wodurch allein schon die Behauptung, diese Gegenden seien die
früheste Heimat der in Rede stehenden Form, gerichtet ist (s. dagegen
z. B. die Grundrisse der Ste. Gönövieve bei Lenoir, Statistique mon.
de Paris I, von S. Remy zu Reims, von Vignory etc.). Nicht minder
widerstreben der Grafschen Hypothese alle inneren Gründe. Hätte
der Zentralbau den Ausgangspunkt gebildet, so müsste er notwendig
den Gewölbebau im Gefolge gehabt haben. Wie in Wirklichkeit eine
aus der basilikalen Erweiterung eines Zentralbaues entstandene Anlage
aussieht, lehren Sta. Maria im Kapitol zu Köln oder S. Fedele zu Como.
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4. Doppelte Chöre.
Otte, Handbuch I, 55—58; v. Quast in Z. f. christl. Arch. I, 276 f.; Kraatz in
Z. d. Harzvereins X, 216 f.; Holtzinger in »Beiträge zur Kunstgeschichte« V.
Verwandte rituale Desiderate, wie diejenigen, welche die Er-
weiterung des Ostbaues der Basilika zur Gestalt des lateinischen Kreuzes
herbeiführten, wirkten umgestaltend auch auf deren westlichen Gegen-
pol. War in der altchristlichen Basilika dieser Teil mit grosser Klar-
heit als Stirnseite und Introduktionsbau charakterisiert, so greift jetzt
in der karolingischen Zeit eine überraschende und radikale Veränderung
Platz. Dieselbe geht vom Innenraum aus und besteht darin, dass die
Geistlichkeit an dieser Stelle einen zweiten Chor räum mit Schranken
und Gestühl sich einrichtet. Die grossen westlichen Thüröffnungen des
Hauptschiffes verschwinden damit, und bald macht sich der neu eta-
blierte VVestchor auch darin bemerklich, dass er über die Abschluss-
linie der Seitenschiffe nach aussen vorspringt, gleichwie der Ostchor
über das Transcpt, und schliesslich bleiben auch die Concha und die
Krypta nicht aus, so dass er nun ein völlig symmetrisches Gegenstück
zu seinem älteren Bruder abgiebt. Dass damit der Narthex der altchrist-
lichen Basilika ausfallen muss, ist eine selbstverständliche Konsequenz;
bald folgt als weitere die Abschaffung des Vorhofes.
Die doppelchörigen Anlagen — ein paar sporadische und unter
sich in keinem Zusammenhange stehende Fälle aus älterer Zeit ab-
gerechnet — sind ein fränkisch-karolingisches Produkt, und zwar
wiederum ganz vorzugsweise der östlichen Reichshälfte. Sic haben
sich aber nicht, gleich dem Grundplan des lateinischen Kreuzes, von
hier aus allmählich dem ganzen Abendlande mitgeteilt, sondern sind
ein fast ausschliessliches Eigentum und Abzeichen des deutsch-roma-
nischen Stils geblieben. Vom 9. bis in die erste Hälfte des 12. Jahr-
hunderts ist in Deutschland die Doppelzahl der Chöre nicht nur häufig,
sondern bei grossen Kirchen geradezu vorwaltend. Seit etwa a. 1 1 50
wird sie bei neuen Stiftungen selten und bald gar nicht mehr ange-
wandt ; so oft wir Westapsiden in spätromanischen Bauformen erblicken,
müssen sie in der Regel als von älteren Gründungen ihrer Disposition
nach herübergenommen gelten *).
>) Anachronistische Spätlinge gotischen Stiles s. bei Otte a. a. O. p. 58.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
In der Einführung des Westchores haben wir nicht etwa einen
Rest des Schwankens über die Orientierung zu sehen — denn die
östliche Richtung des Hauptaltars stand um diese Zeit im Norden
durchaus fest — , auch nicht, wie wohl behauptet worden, eine Ein-
wirkung des Zentralbaus; die allermeisten Fälle werden auf die fol-
genden häufig koinzidierenden Grundgedanken zurückzuführen sein.
Die kumulierte Heiligenverehrung forderte in jeder grösseren
Kirche eine Mehrheit von Altären. Gegen die Ueberzahl derselben
sehen schon karolingische Kapitularien sich gedrungen, einzuschreiten,
indes erfolglos. Der Bauriss von S. Gallen giebt ihrer nicht weniger
wie 17 an. Dies hatte bereits früher Anlass gegeben, der Ostseite des
Querhauses kleinere Nebenapsiden beizuordnen. Allein dem hierar-
chischen Zuge der Zeit und der Gewissenhaftigkeit, welche für be-
sondere Wohlthaten auch besondere Erkenntlichkeit heischte, entsprach
es, dass man aus der Schar der befreundeten Heiligen einen kennt-
lichst an die Spitze zu stellen wünschte und deshalb für seinen Altar
nach einem Platze suchte, der nur mit demjenigen des Hauptaltars,
sonst mit keinem, in Vergleich zu bringen wäre. Ein solcher Platz
nun konnte einzig auf der Längenaxe der Kirche zu finden sein.
Hier, in dem mittleren Teile derselben, finden wir häufig z. B. einen
Altar des Salvators oder des hl. Kreuzes erwähnt. Allein da man in
der Regel in der glücklichen Lage war, mit dem Namen des Titel-
heiligen zugleich seine sterblichen Reste oder Stücke davon verehren
zu können, und der Kult der letzteren ohne Krypta nicht vollständig
gewesen wäre, so waren jene mittleren Teile nicht zu brauchen, und
man musste bis an das noch freie Westende der Hauptaxe hinaus-
rücken. Dies ist das eine.
Das andere ist die Unmöglichkeit in sehr stark bevölkerten
Klöstern die Mönche alle in dem einen Ostchor unterzubringen; also
derselbe Beweggrund, welcher um dieselbe Zeit zur kreuzförmigen Aus-
bildung des Ostbaues führte. Es ist wichtig zu wissen, dass es Kloster-
kirchen sind, von denen beide Neuerungen ausgehen. Unverhehlbar
ist in dieser Konkurrenz eines östlichen und eines westlichen Chores
eine Abweichung von der Grundidee der Basilika gegeben, welche nicht
wie das lateinische Kreuz eine organische Fortbildung, sondern im
Gegenteil etwas Willkürliches, wo nicht Widersinniges an sich hat.
Denn die natürliche Reihenfolge der Räume entlang der Hauptaxe ist
verwirrt, die bedeutsame Gegenüberstellung von Portalbau und Altar-
haus, Gemeindeschiff und Priesterchor ist aufgehoben, ja es würde das
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
169
für die Basilika so wichtige Richtungsmoment ihr ganz verloren gehen,
wenn nicht die gleichzeitige Ausbildung der Kreuzesform demselben
von anderer Seite her nachhülfe.
Aus altchristlicher Zeit bietet Afrika zwei Beispiele: Basilika zu
Hermonthis in Aegypten (Description de l'Egypte, Architccture I, pl. 97),
Basilika zu Castellum Tingitanum (Orleansville) in Mauretanien
(Abb. b. Kugler, Schnaase, Otte etc.). Nur von der letzteren kennen wir
den Beweggrund: als Bischof Reparatus a. 475 starb, gab man der a. 325
erbauten Kathedralkirche als ehrenvolle Stätte für sein Grab einen west-
lichen Koncheneinbau. (Ueber die afrikanische Sitte, in Kirchen zu be-
erdigen, vgl. oben S. 12, Anmerkung). Dies Beispiel zeigt, »wie nahe-
liegend die Erbauung von Westchören war, wo es sich um Verherrlichung
eines besonders verehrten Grabes handelte,« (v. Quast) und steht dadurch
zwar nicht in historischem, wohl aber in logischem Zusammenhang mit
den fränkischen Westchören.
CENTULA (Saint-Riquier) in der Normandie. Grossartiger Neubau
a- 793—798 durch Angilbert, den Schwiegersohn Karls des Grossen.
Es galt hier, den Stifter des Klosters, den hl. Bekenner und Wunder-
täter Richarius (Riquier), gebührlich zu Ehren zu bringen. Die alte
Kirche war dem Erlöser und seiner jungfräulichen Mutter gewidmet
gewesen. An Stelle Mariens wird jetzt Richarius eingeschoben und
jene durch Errichtung einer eigenen kleinen Kirche entschädigt. Richa-
rius erhält seinen Altar gewohnterweise über der Stelle, wo seine irdi-
schen Reste ruhen; da dies aber im Ostchor ist (vielleicht in einer
schon im älteren Bau vorhandenen Krypta), so muss für den Haupt-
altar des Salvators ein Westchor eintreten: 100 Mönche und 34 Schüler
erhalten in diesem, 100 Mönche und 33 Schüler in jenem, ebensoviel
in der Mitte des Hauptschiffes ihren Platz, und sollen zu jeder der
kanonischen Hören gemeinschaftlich ihren Gesang erheben, in gleich-
mässig verteiltem Wechsel, »qualiter chorus a choro invicem non gra-
vetur;« (das Präscript Angilberts im Chr. Centulense 1. II, c. 31, D'Achery
Spicilegium IV. 469).
Wenn auch der Westchor von Centula der älteste uns bekannte
in der Reihe der fränkischen ist, so braucht er keineswegs der älteste
in diesen Gegenden Uberhaupt zu sein. In AI et in der Bretagne sind
die Ruinen einer doppelchörigen , querschiff losen Basilika erhalten,
welche nicht unwahrscheinlich auf Fundamenten des saec. 6 steht (be-
schrieben und abgebildet in der Revue arch. nouv. se"rie VII, 359). In
jedem Fall viel zu weit gehen Graf und Holtzinger, wenn sie Fulda,
S. Gallen u. s. w. alle direkt auf Centula zurückführen. Für die all-
gemeine Betrachtung wichtig ist allein der Umstand, dass die fragliche
Form im Ostfrankenreich seit a. 800 nicht nur bekannt, sondern gleich
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
auch ungemein verbreitet ist, während im Westfrankenreich Centula
isoliert bleibt.
In DEUTSCHLAND beginnt die Reihe mit der Sal vatorkirche
zu Fulda. Hier hatte man den Sarg des im Märtyrertode dahin-
gegangenen Stifters Bonifacius, des grossen Apostels, ursprünglich mitten
in der Kirche (in der Vierung?) aufgestellt; infolge bald zu Tage tre-
tender Unzukömmlichkeiten aber erbaute man ihm eine eigene west-
liche Apsis und Krypta (begonnen ca. a. 800, geweiht a. 819).
In S. Gallen wurde das doppelchörige Schema, ähnlich wie in
Centula, zu einer Art gütlichen Vergleiches zwischen den konkurrieren-
den Patronen benützt. Die Klosterleute vermochten es sich nicht zu
versagen, gelegentlich des Neubaues von a. 830 ihren Gallus an den
Ehren des Hauptaltares mit der hl. Jungfrau partizipieren zu lassen.
Dank der neu aufgekommenen Kreuzanlage blieb noch Raum in der
Koncha für einen Altar des Apostels Paulus, des Titelheiligen der vor-
gängigen Klosterkirche, während Petrus, dem die älteste Kapelle des
Ortes gewidmet gewesen war, die Westapsis erhielt. Die Disposition
der Chorschranken erinnert sehr an die Vorschriften für Centula.
Im Dom zu Brixen war die Veranlassung zur Doppelzahl der
Chöre die Entstehung dieses Bischofssitzes durch Verlegung aus dem
älteren Säben und die dadurch gegebene Doppelung der Titelheiligen.
In Reichenau war es die Erwerbung des Körpers des hl. Markus.
In S. Emmeram zu Regensburg ein grosser Reliquienfund auf
dem Marterberge. In Bremen die zunehmenden Forderungen des
Marienkultus. In Hildesheim bestimmte B. Bernward die westliche
Krypta der von ihm erbauten Michaeliskirche zur Ruhestätte seiner
eigenen Gebeine, umringt von den Partikeln von 66 heiligen Körpern.
In Naumburg wurde der noch im saec. 13 neuerbaute Westchor mit
den Standbildern der Stifter und Gönner geschmückt und ihrem An-
denken hier besondere Messen gelesen. In Laach enthält er das
prächtige Grabmal des Stifters Pfalzgrafen Heinrich.
In bezug auf die liturgische Verwendung bildeten sich nach und
nach sehr mannigfaltige Lokalgewohnheiten aus, deren einseitige Her-
vorhebung die Frage nach der ursprünglichen Bedeutung der Doppel-
chöre lange Zeit in Verwirrung gehalten hat. Der häufigste und wich-
tigste Fall ist die Verwendung der Westchöre als
NONNENCHÖRE. Der Geist der abendländischen Völker
forderte so strenge Sonderung der Geschlechter, wie der griechische
Ritus, nicht. Nur für geweihte Jungfrauen schien es nicht ziemlich
den Augen der Laien öffentlich sich auszusetzen. Ein sehr geeigneter
Platz für sie fand sich im Westchor, wenn man demselben eine
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
171
Empore einfugte. Von dort mochten sie, selber unsichtbar, den Haupt-
altar bequem überblicken und mit ihrem Gesang in den Gottesdienst
eingreifen. Auch Mannsklöster haben sich nachmals dieses Motiv an-
geeignet und die ziemlich abgeschlossenen und leicht envärmbaren
Emporen als WINTERCHÖRE eingerichtet.
Es ist ein leidiges Geschick, dass an den allermeisten älteren Kir-
chen gerade der Westchor durch Restauration oder völlige Erneuerung
seine ursprüngliche Gestalt eingebüsst hat. — Die erste Gelegenheit,
in die bauliche Gestaltung Einsicht zu gewinnen, giebt der Riss von
S. Gallen. Der Westchor hat hier apsidiale Gestalt; die Krypta,
die für Fulda und Köln bezeugt wird, fehlt; vielleicht weil von dem
Titelheiligen dieses Chores, St. Peter, umfangreichere Reliquien nicht
vorhanden waren. Interessant ist die konsequente Ausdehnung der
Apsidenform auf dem Vorhof, aus dessen in konzentrischem Halbkreis
angeordneter Säulenhalle die Eingänge in die Seitenschiffe führen.
Münster zu Essen (Taf. 41): Der Nonnenchor als Halbpolygon
(V2 Sechseck); geistreiche Verwertung von Motiven aus der Aachener
Palastkapelle; nach aussen unter geschickter Benützung der Treppen-
türme platt geschlossen; Vorhof viereckig. Der Westbau in jetziger
Gestalt nach Brand von a. 947 ; seine Disposition etwa aus dem Grün-
dungsbau von a. 874 herübergenommen ? Der Vorhof saec. 1 1 erneuert,
die alten Mauerverzahnungen noch sichtbar, an seiner Westseite nach
altchristlicher Weise ein (gotisch erneuertes) Baptisterium. — Die tra-
ditionelle Ausstattung der Basilika mit einem westlichen Vorhof, in den
Lebensgewohnheiten des Südens und seiner volkreichen Städte begründet,
kam in Deutschland frühe in Abgang. Ein spätes vereinzeltes Beispiel
giebt das in einsamer Waldlandschaft gelegene Kloster Laach (12. Jahr-
hundert, 1. Hälfte), wobei jedoch der Gedanke des Kreuzganges über-
wogen haben wird.
Innerhalb der allgemeinen Verbreitung des doppelchörigen Systems
sind doch bestimmte Unterschiede wahrzunehmen. Nicht überall war
man unempfindlich für die mit ihm verbundenen Missstände, welche
dann am stärksten hervortreten, wenn der westliche Chor dem östlichen
völlig konform als halbrunde Koncha gebildet wird. Ein Mittel zur
Milderung des Uebels ist dieses, dass man das Halbrund resp. Halb-
polygon des Binnenraumes nach aussen durch platten Abschluss mas-
kiert, so in Essen und Reichenau. Oder einfacher: man aeeeptiert
die rechtwinkelige Form auch für das Innere. Dies ist das regel-
mässige in der sächsischen und westfälischen Schule. Am Rhein
dagegen und in Süddeutschland behielt man an der apsidialen
Fassung überwiegendes Gefallen.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
In SACHSEN bietet aus älterer Zeit S. M i c h a e 1 in Hildes heim
das einzige Exemplar eines ursprünglich wahrscheinlich runden West-
chors. Erst im saec. 12, wo überhaupt mehrfach rheinische und süd-
deutsche Einflüsse bemerkbar werden, sind die Fälle häufiger: S. Gode-
hard in Hildesheim, Gernrode, Drübeck. In Gernrode
(Taf. 46 u. 47, Fig. 1) umfasste ehedem die Empore der Stiftsdamen das
letzte der drei MittelschifTsquadrate; der noch bestehende Gurtbogen
giebt die Grenze an ; eine Doppelarkade führt rechts und links in einen
kleinen Vorraum und von diesem einerseits zu den Treppenaufgängen,
anderseits zu den ein paar Stufen höher liegenden Emporen der Lang-
seiten. Um Mitte des 12. Jahrhunderts wurde der Nonnenchor in die
Kreuzflügel verlegt und die Westwand durchgebrochen, um einen
apsidialen Altarraum nebst Krypta für die inzwischen erworbenen Ge-
beine des hl. Metronus herzustellen. Vgl. v. Heinemann in Z. d. Harz-
vereins X. — In Drübeck (Taf. 47, Fig. 3, gest. um 880, Hauptbau
saec. 11, 1. Hälfte) zeigt die Westkoncha gleichfalls die Bauformen des
saec. 12, und wir dürfen annehmen, dass ihren Platz vorher eine ähnliche
Nonnenempore eingenommen hat wie in Gernrode.
Platt geschlossene Westchöre ohne Emporen: Dome zu Münster,
Paderborn, Bremen.
Platt geschlossene Nonnenchöre sehr häufig ; als Beispiele aus dem
sächsischen Gebiet nennen wir noch: Quedlinburg, Moritzberg
bei Hildesheim, Gandersheim, Frose, Hecklingen, Stiftungen
aus dem 9. und 10. Jahrhundert.
Eine ungewöhnliche Anordnung bietet die Kirche des Nonnen-
klosters S. CACILIA ZU KÖLN (Taf. 47, Fig. 11 und Taf. 60, Fig. 5, 6);
errichtet von Erzbischof Bruno 10. Jahrhundert 2. Hälfte, erneuert 12. Jahr-
hundert. Die Empore ist hier ganz niedrig, aber sehr ausgedehnt, die
Abseiten mit eingeschlossen. Vom Altar kommend steigt man aus den
Seitenschiffen auf je 5 Stufen zur Empore hinauf, während aus dem Mittel-
schiff 7 Stufen zu einer halb unterirdischen fünfschiffigen Halle hinab-
führen, und aus dieser weitere 7 Stufen in die Krypta, beide mit sehr
altertümlichen, auf die Brunonische Zeit hinweisenden Formen. — Hier-
mit zu vergleichen ist unseres Wissens nur noch die Frauenstiftskirche
S. Peter und Paul zu Hadersleben unweit Halberstadt (publiziert
von Hartmann BD. NS. Bl. 54). Die Kombination von Empore und
Krypta ist ganz ähnlich und umfasst gleichfalls die volle Hälfte des
Langhauses; die Ueberwölbung der Krypta jetzt io1/« Fuss über dem
Schiff, früher etwas höher; der jüngere Teil saec. 12, der ältere sehr
wahrscheinlich auf den Stiftungsbau (a. 961), also in dieselbe Zeit wie
S. Cäcilia zu Köln, zurückgehend.
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
173
Anordnung der Frauenchöre in den Flügeln des Querschiffes:
S. PANTALEON IN KÖLN (Taf. 43 u. 6o), S. MICHAEL IN HILDES-
HEIM (Taf. 43 u. 59), beide mit eigenen Altarnischen.
Wie in S. Michael Verbindung eines Mannsklosters mit kleinem
Nonnenkonvent: in Huy seburg bei Halberstadt und den thüringischen
Paulinzelle, Bürgelin, Vessera, alle mit westlichen Emporen.
Westemporen für Chorherren, zum Teil als Winterchöre zu be-
trachten: Limburg a. d. Hardt, Hersfeld, Ilbenstadt, Ell-
wangen, Dom zu Gurk, S. Jakob in Regensburg, S. Godehard
in Hildesheifh, Königslutter, Hamersleben u. s. w.
An dieser Stelle auch wohl Logen für den Kirchenpatron oder
sonst ausgezeichnete Personen: das Oratorium des Kaisers in Aachen,
die von Einhard in einem Briefe erwähnte Empore in seiner Seligen-
städter Basilika, beide mit einem eigenen Altar.
Es ist der frühmittelalterlichen Baukunst nicht weniger wie der
altchristlichen eigen, dass sie fast nur für den inneren Raum Interesse
hat. Nur an diesen ist bei Einführung der Doppelchöre gedacht
worden. Unvermeidlich aber heften sich daran erhebliche Konse-
quenzen auch in Ansehung des Aussenbaues. Die Doppelchöre sind
dafür verantwortlich, dass dem deutschen Kirchenbau der wahre Be-
griff der Fassade bis nahe an den Schluss der romanischen Epoche
fremd blieb. Sie veranlassen auch die Veränderung in der Disposition
der Eingänge. Das Mittelportal fällt unvermeidlich weg. Dass man
damit nicht notwendig auch auf die westliche Lage der Seiteneingänge
zu verzichten brauchte, lehrte schon der Bauplan von S. Gallen.
Gleichwohl ist es häufig geschehen. In Sachsen ist es geradezu Regelr
die Thüren an den Langseiten anzulegen. Am Rhein und in Süd-
deutschland hält man es lieber wie in S. Gallen (Essen, Laach»
Reichenau) oder disponiert die Thüren umgekehrt zu beiden Seiten
der Ostapsis (Mainz, Worms, Bamberg).
War der Westchor durch eine Empore in zwei Geschosse geteilt,
so lag überdies die Möglichkeit vor, dem Erdgeschoss, indem man es
als Vorhalle auffasste, das Mittelportal zurückzugeben. Ein wichtiger
Schritt ist hiermit gethan, die Anknüpfung an die Fassadenidee wieder-
gefunden.
In älterer Zeit hat man diese Lösung nur selten versucht. Inter-
essante Beispiele aus saec. 11: Dom zuHildesheim (Taf. 47, Fig. 6)
und Kapitolskirche in Köln (Taf. 41); aus saec. 12: Dom zu
Gurk (Taf. 61) und Klosterkirche zu Hersfeld (Taf. 48 u. 55); die
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j 74 Zweites Buch: Der romanische Stil.
letztere besonders merkwürdig durch die Verbindung eines recht-
winkeligen Unterbaues mit apsidialem Hauptgeschoss.
Alphabetische Aufzählung doppelchöriger Kirchen in Deutschland
bei Otte, Handbuch I, 58; wir fügen hinzu: S. Jakob in Bamberg
(Taf. 48), Abteikirche in Füssen (mit zwei Krypten), Augustinerkirche
in Schiffenberg (Taf. 49). Die Kreuzkirche in Lüttich und S. Ger-
trud in Nivelles (Belgien) wie die Kathedralen von Verdun und
Besangon deutsch beeinrlusst. Im eigentlichen Frankreich einziges Bet-
spiel die Kathedrale von Nevers (Viollet-le-Duc I, 209, Crosnier,
Statistique mon. de la Nievre). In Italien S. Pietro in Grado bei Pisa,
später Einbau des saec. 13.
5. Doppelte Transsepte.
In dieser Gruppe — sie ist nicht zahlreich, aber umschliesst
Monumente von erster Bedeutung für ihre Zeit — wird die dem
doppelchörigen Systeme zu Grunde liegende Idee zu völliger und letzter
Konsequenz hinausgeführt. Während das Langhaus in seiner Haupt-
dimension um ein Bedeutendes reduziert ist, treten die Nebenaxen
mit Nachdruck und Selbständigkeit hervor, eine Kontrastwirkung er-
zeugend, die dem altchristlichen Typus fremd war; dazu akkom-
pagnierend und verstärkend ein System von grösseren und kleineren
Türmen, kurz eine Metamorphose der alten Basilika, die durchgreifender
nicht gedacht werden kann. An Stelle des dort in voller Reinheit und
Schärfe durchgeführten Longitudinalprinzipes ist ein Gruppenbau ge-
treten. Ein Gruppenbau jedoch, in welchem anstatt des durch das
Wesen des christlichen Gottesdienstes geforderten einen zwei Schwer-
punkte da sind, also eigentlich keiner. Eine Zwitterform ist geschaffen,
eine Vermischung des Longitudinalbaues und des Zentralbaues, bei
welcher die Idee des ersteren verdunkelt und der Springpunkt des
letzteren doch nicht getroffen wird. Allerdings steht dieser Einbusse
an architektonischer Klarheit und Folgerichtigkeit ein ebenso grosser
Zuwachs reichster malerischer Reize gegenüber, die indes wesentlich
erst dem Aussenbau zu gute kommen und erst im fortgeschrittenen
Stil sich völlig entfalten.
S. RICHARIUS ZU CENTULA (Taf. 43, Fig. 1). Die älteste be-
kannt gewordene Anlage mit doppeltem Querschiff. Und zwar auf
einem geographischen Gebiete, dem diese Kompositionsweise sonst
fremd ist. Erbaut a. 793 — 798, vgl. oben S. 169. Eine alte Abbildung,
von deren Herkunft und Verbleib wir nichts Näheres erfahren haben,
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
lebt in zwei Kupferstichkopien fort: bei P. Petau, De Nithardo illius-
que prosapia a. 1612 (danach Lenoir, arch. monast. I, 27) und bei
Mabillion, Acta SS. s. IV pars 1. a. 1673 (danach unsere Taf. 43,
Fig. 1). Auf Einzelheiten wird man in keinem Sinne Gewicht legen
wollen, da Zuverlässigkeit hier von vornherein nicht zu erwarten ist.
Ausserdem haben selbstredend spätere Zusätze stattgefunden, als welche
man sogleich den westlichen (auf der Zeichnung rechts stehenden) An-
bau und die Bekrönung der Vierungstürme erkennt. Die General-
disposition aber macht durchaus den Eindruck des Authentischen: es
ist nichts darin, das nicht mit den Angaben der Biographen Angilberts
bequem zu vereinbaren wäre, und es zeigen sich gewisse spezifisch früh-
romanische Merkmale, welche alle etwaigen Einwände gegen die Glaub-
würdigkeit der Zeichnung entkräften •). — Zweifaches Querschiff, indes
noch nicht Durchkreuzung mit dem Mittelschiff. Die Apsiden sind
maskiert zu denken, wie die westlichen in Essen und Reichenau (Taf. 43,
Fig. 7). Die Disposition der kleinen Treppentürme findet eine über-
raschende Analogie an den Querschifffronten von S. Michael in Hildes-
heim (Taf. 43). Diese Treppentürme nebst der zweigeschossigen Fenster-
stellung weisen auf Emporen, gleichfalls wie in S. Michael und in
S. Pantaleon zu Köln. Schon Hariulf, der Biograph Angilberts, spricht
von zwei Türmen, einem östlichen und einem westlichen, welche dieser
gebaut habe ; er meint die Vierungstürme, die kleinen Treppentürmchen
zählt er als blosse Anhängsel jener nicht mit.
Der nächste Repräsentant dieser Familie ist anderthalb Jahrhundert
jünger: S. PANTALEON IN KÖLN (Taf. 43). Bedeutendste Bau-
schöpfung des grossen Erzbischofs Bruno, Bruders Kaiser Ottos I. ; der-
selbe a. 965 hier begraben; Einweihung a. 980. Das Langhaus saec.
12 erneuert, der Chor saec. 13. Dem Primärbau gehören mutmasslich
einige Teile des östlichen Querschiffs, sicher der Westbau (soweit über-
haupt erhalten). Die Zweifel Kuglers (Gesch. d. BK. II, 315): *Die
feine Behandlung der Formen scheint auf die frühere Zeit des elften
Jahrhunderts zu deuten« — sind unbegründet, da die fraglichen Profile
aufs genaueste mit den gleichzeitigen zu Ingelheim übereinstimmen.
S. MICHAEL ZU HILDESHEIM (Taf. 43, Fig. 2, 3 u. Taf. 59, Fig. 1).
Der Bauherr (und voraussetzlich auch Autor des Bauplanes) war der in
allen Zweigen der Kunst erfahrene Bischof Bernward ; begonnen a. 1001,
vollendet a. 1033; nach Brand von a. 1163 Obermauern und Chöre er-
neuert. Der westliche der letzteren (nach a. 1 200) hat sich wahrscheinlich
der Disposition seines Vorgängers angeschlossen, der östliche wurde
') Ohne Berücksichtigung dieser Zeichnung entworfen und ganz verfehlt der
restaurierte Grundriss bei Holtzinger a. a. O. S. 9.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
verlängert. Wie er ursprünglich angelegt war, zeigt, durch die auf-
gedeckten Fundamente erhärtet, der Grundriss Taf. 43, während die
spätere Gestalt, von den Restaurationen des 12. und 13. Jahrhunderts
bis zum Umbau der Seitenschiffe im 15., in dem Modell am Grabmal
des Stifters fortlebt (darnach Fig. 3).
Hypothetisch rechnen wir hierher noch den DOM ZU MÜNSTER I.W.
Der Baukörper gehört dem saec. 13, der Grundriss fällt ganz aus der
Linie des herrschenden Stiles. Seine Verwandtschaft mit den obigen
frühromanischen ist evident. Da den Bränden von a. 107 1 und a. 1121
die Wiederherstellung sehr schnell folgte, ist es leicht möglich, dass
dieselben nicht radikal zerstörend gewesen sind. Auch soll die Unter-
suchung das Vorhandensein alter Fundamente (ausgenommen am Ost-
chor) bestätigt haben. Vielleicht also sehen wir noch den Plan B. Dodos
(reg. a. 967—993) vor uns. Bedenken dagegen erregen nur etwa die
grossen Dimensionen. Ein Restaurationsprojekt geben wir auf Taf. 43,
Fig. 6.
STA. MARIA ZU MÜNSTER (MITTELZELL) AUF REICHENAU
(Taf. 43, Fig. 7). Erbaut a. 813 — 816. Von dem umfassenden Er-
weiterungsbau unter Abt Witigowo (gew. a. 991), wahrscheinlich einer
reinen Säulenbasilika, stammen die heutigen Seitenschiffsmauern ; der
Westbau mit dem Markuschor geweiht a. 1048 unter Abt Berno. Die
Arkaden und Chorschranken des Mittelschiffes 1 2. Jahrhundert, 2. Hälfte,
der Ostbau gotisch. — Adler, Forschungen I.
Doppeltranssept und Doppelchor haben (oder hatten?) ferner die
Kathedralen' von Verdun und Besancon (ViolleMe-Duc I, 209,
IX, 236). Der politische und zugleich auch kirchliche Zusammenhang
mit Deutschland erklärt es ; die Zeit der entscheidenden Anlage haben
wir nicht ermitteln können.
Eine merkwürdige Abart der obigen Gruppe sind die Anlagen
mit blossem Westtranssept. Diese Anomalie hat nämlich keinerlei
Zusammenhang mit den Orientierungsschwankungen der altchristlichen
Vorzeit, sie erklärt sich vielmehr aus dem neuerlichen Schwanken
ganz anderer Art, das von den Doppelchören und Doppeltranssepten
herrührt. An zwei wichtigen Beispielen, dem Dom zu Mainz und
S. Emmeram zu Regensburg, haben wir Einsicht in den baugcschicht-
lichen Vorgang, der beidemal gleichartig verläuft: die erste Anlage ist
die normale, d. i. mit blossem inneren und zwar östlichen Chor; in
Rücksicht auf neu hinzutretende heilige Reliquien wird ein westlicher
Chor angefügt. Nach und nach erhält im Kultus der letztere den
Vorrang und um dies Verhältnis entschieden zu markieren, wird bei
nachfolgendem Neubau ihm und nur ihm das Transsept zugeordnet.
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
177
Diese historisch gewordene Besonderheit wird dann typisch für die
Schulnachbilder.
DOM ZU MAINZ. Neubau durch Erzbischof Willigis a. 978 bis
1009; nach Brand Herstellung durch Erzbischof Bardo, geweiht a. 1036;
saec. 12 wieder Brand u. s. w. Es ist im höchsten Grade wahrscheinlich,
dass schon der Willigis-Bardosche Bau des östlichen Transseptes ent-
behrt, ebenso unwahrscheinlich aber, dass er überhaupt kein Transsept
gehabt, mithin muss in ihm der aktuelle Westbau, nicht in den Grund-
linien aber der Sache nach, vorgebildet gewesen sein. — Der Neubau
des DOMES ZU WORMS ist wenige Jahre jünger, a. 996—1016;
wegen der Uebereinstimmung mit Mainz glauben wir, dass die Er-
neuerung des Baukörpers a. 11 10 und 1 181 auch hier die alte Plan-
disposition nicht alteriert hat.
In Mainz wie in Worms zeigt sich in der Behandlung der Östlichen
Turmgruppe — breiter Zentralturm mit flankierenden schlanken Rund-
türmen — die Verwandtschaft mit der Familie der Doppeltranssept-
kirchen noch als sehr nahe. Entfernter ist sie in der schwäbisch-
bayrischen Gruppe:
DOM ZU AUGSBURG. Neubau seit a. 994 ; gegenwärtig ein Kon-
glomerat aus verschiedensten Jahrhunderten, aus dem jedoch mit grosser
Wahrscheinlichkeit als echter Kern der auf Taf. 50, Fig. 5, gegebene
Grundriss sich herausschälen lässt.
S. EMMERAM ZU REGENSBURG (Taf. 50, Fig. 1, Taf. 53, Fig. 2).
Hohe Blüte des Klosters in der Zeit des Bischofs S. Wolfgang a. 972—994.
Aus der ältesten Baugeschichte einziges bekanntes Datum die Hinzu-
fügung der Westkrypta a. 980; die noch bestehende, in. ihrer Anlage
noch altchristliche Ostkrypta muss also noch älter sein. Nach einem
Brande Erneuerung und Weihung a. 1052. Als einzige noch bestehende
Reste aus saec. 11 betrachtet v. Quast die Westkrypta (Taf. 42, Fig. 12)
und das inschriftlich von Abt Reginward (a. 1049—64) errichtete nörd-
liche Seitenportal (Ansicht folgt später). Die von uns angestellte Unter-
suchung hat jedoch erwiesen, dass ausserdem auch noch die (jetzt hinter
der Orgel versteckten) Kämpfer des grossen westlichen Triumphbogens
echte frühromanische Formen zeigen (Details der Profile später), mit
hoher Wahrscheinlichkeit also der ganze Körper des Querschiffes noch
aus dem a. 1052 geweihten Bau erhalten ist. Ferner bietet die Be-
handlung der Barockarchitektur des Langhauses sichere Anhaltspunkte,
dass in den Pfeilern der westlichen Hälfte desselben der romanische
Kern noch erhalten sein muss, und setzt man deren Axenabstände in
der Richtung auf die Ostkrypta fort, so findet man genauen Anschluss
und es unterliegt die Herstellung des alten Grundrisses, wie wir ihn
auf Taf. 50, Fig. 1 gegeben haben, keinen Zweifeln. Die Frage ist
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
nur: ist dieser Grundriss für den Restaurationsbau des saec. 11 neu
entworfen? oder hat ihn dieser vielleicht im wesentlichen unverändert
von seinem Vorgänger übernommen: Zu gunsten der letzteren Even-
tualität scheint uns ausser Ostkrypta auch das Doppelportal des Abtes
Reginward zu sprechen, dessen gesonderte Weihe-Inschrift und eigen-
tümliche Disposition am ehesten aus der Anfügung an schon be-
stehende Grundmauern erklärt wird. Ferner die Thatsache, dass die
bereits a. 1010 vollendete OBERMUNSTERKIRCHE (Taf. 50, Fig. 3)
der Anlage von S. Emmeram bei kleineren Dimensionen konform ist ;
die führende Stellung aber, welche das Emmeramsstift in Regensburg
einnahm, ist bekannt; es ist nach allen baugeschichtlichen Analogien
nur anzunehmen, dass der Plan von S. Emmeram das Original, der
des Obermünsters Kopie sei, mithin der erstere über a. 1010 zurück-
reichen müsse.
Endlich vermuten wir auch vom DOM ZU BAMBERG, dass er
durch alle späteren Umbauten hindurch die Plandisposition des Stif-
tungsbaues a. 1004— 1012 wesentlich bewahrt habe. Der Umstand, dass
der Stifter, der eben zum König gewählte Heinrich IL, bis dahin Herzog
von Bayern gewesen war, erklärt die Aehnlichkeit mit dem Regens-
burger Typus und damit zwanglos die durch lokale Ursachen nicht
erklärbare westliche Anordnung des Querschiffes. Wiederholung in
S. Jakob ebendaselbst (Taf. 48, Fig. 4, durch Versehen die
Himmelsrichtung verkehrt gestellt).
Die nahe zeitliche Nachbarschaft aller dieser Monumente miteinander
und dann ebenso mit den meisten aus der ersten Gruppe fallt ins Auge.
Man sieht: es gab eine Zeit in Deutschland, wo das Planschema des
Doppelkreuzes, schon in karolingischer Zeit hier und da zur Anwen-
dung gebracht, plötzlich die Bauphantasie einer unternehmungslustigen
Generation ganz und gar einnahm und erfüllte. Es ist die Zeit der
beiden letzten Herrscher aus dem sächsischen Kaiserhause, nicht viel
länger als ein Menschenaltcr, aber genügend, einer Anzahl der wich-
tigsten Bischofs- und Klosterkirchen des Reiches dauernd die Gestalt
zu bestimmen. Ueber diesen Kulminationspunkt hinaus verliert sich
schnell der merkwürdige Enthusiasmus. Bereits die grossen Neugrün-
dungen des ersten Saliers, die Klosterkirche Limburg a. H. und der
Dom zu Speicr, wenden sich ausgesprochenermassen zum reinen
Longitudinalbau und der normalen Orientierung zurück.
In bloss scheinbarer Verwandtschaft zu der hier betrachteten , zeit-
lich eng begrenzten, Familie steht eine andere, dem spätromanischen
Stil vornehmlich des Niederrheins angehörige, für welche wir als Bei-
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Erstes Kapitel : Grundlegung.
spiel S. Aposteln und S. Kunibert in Köln und S. Quirin in Neuss
anführen. Diese besitzen zwar auch ein zweites Querschiff, aber es
ist nicht Zubehör eines westlichen Chors, sondern amplifizierte
Eingangshalle, mithin Erzeugnis eines wesentlich anderen Form-
gedankens.
Wir haben das Befremdliche und Inkonsequente, das in der Ver-
doppelung des Chores liegt und vollends in der Verdoppelung des
Kreuzschiffes, wiederholt hervorgehoben und lenken die Aufmerksam-
keit noch einmal auf diesen Punkt. Die eigentümliche Richtung des
Heiligenkultus und die anderen speziellen Umstände, auf die wir oben
hinwiesen, erklären vieles, lange nicht alles. Warum hat nur das
germanische Mitteleuropa Teil daran, nicht die romanischen Provinzen
Frankreichs, nicht Italien, nicht England? Und warum auch Deutsch-
land nur in einem bestimmten Zeitabschnitt? — Vielleicht kann eine
Erwägung allgemeiner Bedingungen zu weiteren Aufschlüssen führen.
Wie unermesslich war doch der Unterschied der Lebensverhält-
nisse des antiken Südens, in welchem die Basilika ihren Heimatboden
hatte, und des germanischen Nordens, wohin sie mit den übrigen kirch-
lichen Institutionen verpflanzt wurde. Dort ein von alters mit Städten
übersätes, hier ein städtearmes, ja zum grössten Teil städteleeres Land;
dort die erste Aufgabe des Kirchengebäudes, Raum zu schaffen für die
Versammlung grosser Volksmassen, hier die Kirchen als einsame Zeugen
der Ehre Gottes in die Wildnis hinausgesetzt; dort die Gemeinde-
kirche der massgebende Prototyp, hier die Klosterkirche. Deutsch-
land unterscheidet sich von den romanischen Ländern sehr auffallend
durch die geringe Zahl seiner über ein weites schwachbevölkertes Ge-
biet zerstreuten Bischofssitze; städtisches Leben beginnt an denselben
erst seit der Mitte des 1 1 . Jahrhunderts nach und nach sich zu sam-
meln; zur Errichtung irgend bedeutender Pfarrkirchen fehlte vollends
die Gelegenheit. Daher kommt es, dass weitaus die Ueberzahl aller
ansehnlichen Bauunternehmungen des 9., 10. und 11. Jahrhunderts
Klosterbauten sind. In den Klöstern zuerst fand sich die Konzen-
tration materieller und geistiger Hilfsmittel, die Müsse und Stimmung,
vom blossen Bedürfnisbau zu freien künstlerischen Intentionen sich zu
erheben. Sie blieben die Schulmittelpunkte der Architektur bis nahe
an das Ende der romanischen Epoche. Dass dieses Verhältnis für die
Richtung und Artung auch der Bauformen nicht gleichgültig sein
konnte, leuchtet ein. — Die Vorschriften Angilberts und der Bauriss
von S. Gallen, mit seinem übergrossen Reichtum von Altären und
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
absperrenden Chorschranken, zeigten uns sehr schlagend, wie diese
alten Klosterkirchen nichts sein wollten als Klosterkirchen schlechthin,,
Kirchen für die Mönche und ihre gottesdienstlichen Begehungen; an
eine Gemeinde ist nicht gedacht, und gewiss hätte eine zufällig einmal
zusammentreffende grössere Laienmenge vergeblich Platz gesucht. —
Zu alledem ist ein Drittes, Allgemeinstes in Rücksicht zu ziehen: die
objektive Richtung des Kultus, gemäss deren die Priesterschaft allein
die Heilsvermittelung zu besorgen, Gott und den Heiligen zu dienen hat.
Und endlich der in dieser Epoche noch fast völlige Mangel der Predigt.
Alles trifft darin zusammen, dass der christlich-antike Basiliken-
typus bei seiner Wanderung über die Alpen in eine Lebensluft von
wesentlich anderer Beschaffenheit gerät, in welcher er die für seine
Gestaltung in der Heimat entscheidend gewesenen sachlichen Voraus-
setzungen nicht mehr vorfindet. Die Trübungen, Schwankungen, Ab-
irrungen, die er unter den Händen der fränkisch-deutschen Bauleute
erfährt, erscheinen in diesem Lichte betrachtet ganz entschuldbar, ja
es offenbart sich im Irrtum eine Selbständigkeit und Energie der Auf-
fassung, die in anderer Richtung zum Trefflichsten befähigte. Auch
ist der Irrtum kein dauernder geworden. Unter dem Einfluss der zu-
nehmenden Volksdichtigkeit, der aufsteigenden Kultur und des regeren
Verkehrs mit Italien und Frankreich gelangten auch in Deutschland
die Grundgedanken der Basilika wieder zu ihrem Recht.
6. Die Krypta.
Ausführlichste Behandlung bei Rohault de Fleury: La messe II, Paris 1883; reich-
liche und gute Abbildungen, das Historische unkritisch. Vgl. sonst noch Messmer in
Mittl. d. Centr.-Com. IX; Haas in Mittelalt. K.-Denkm. d. Oest. Kaiserstaates II;
Schneider in Nassauer Annalen XIII, p. 127—130.
Da die Krypta auf die allgemeine Erscheinung des Kirchen-
gebäudes nur bedingten Einfluss, bei ihrer architektonischen Ge-
staltung aber Willkür und Zufall grossen Spielraum hat, beschränken
wir uns im folgenden auf die Betrachtung bloss der Haupttypen.
Das Institut der Krypta reicht bis in die altchristliche Epoche
hinauf; zu einem ständigen Attribut des Kirchengebäudes wird sie in-
des erst in der romanischen Epoche, um nachmals von der gotischen
wieder ausgeschieden zu werden 1).
') Vereinzelte gotische Krypten aufgeführt bei Otte, Handbuch I, 55, Viollet-
Ie-Duc IV, 459.
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
181
Nach dem alten Sprachgebrauche hat die Bezeichnung Krypta ein
sehr ausgedehntes Gebiet, es umfasst namentlich auch die von uns im
ersten Buch geschilderten Konfessionen und Martyrien. Lediglich im
Interesse einer bestimmteren Ausdrucksweise versuchen wir beides von-
einander zu scheiden und reservieren das Wort Krypta für einen enger
geschlossenen Kreis von Anlagen. Danach verstehen wir unter Krypta
die Erweiterung der Confessio zu einem halb oder ganz unterirdischen
keilerartigen Oratorium. Dasselbe deckt sich im Grundriss mit dem
Altarhause der Kirche. War in der normal angelegten Confessio die
Grabkammer unzugänglich, und wurde hier der Verkehr der Gläubigen
mit den heiligen Gebeinen nur durch ein kleines Fensterchen in der
Decke oder der Vorderwand vermittelt, so soll die Disposition der
Krypta die Möglichkeit geben, geradezu an die Tomba heranzutreten.
Es ist für die Krypta wesentlich, dass sie ihren eigenen Altar und
Altardienst hat.
In dem Fortgange von der altchristlichen Confessio zu der ro-
manischen Krypta spiegelt sich die wuchernde Fortentwicklung des
Märtyrerkultus nach der superstitiösen und sinnlich vergröberten Rich-
tung hin. Es ist begreiflich und ganz entschuldbar, dass die halb-
barbarischen Germanen Völker den meisten Anteil daran hatten, und
bekannt, welchen Vorschub dieser Empfänglichkeit ihrerseits die römische
Kirche leistete. Ungezählte Heerscharen toter Heiligen zogen während
des 9. und 10. Jahrhunderts über die Alpen und nahmen Wohnung
bei den neubekehrten Völkern, ohne Zweifel zur weiteren Ausbreitung
und Befestigung des Christentums durch den Ruf ihrer Wunderkraft
nicht wenig mithelfend. Je mühsamer aber der Erwerb so kostbarer
Besitztümer war, um so mehr Raum forderte auch äusserlich ihre
Verehrung.
Die Krypta gehört zu den charakteristischen Sonderbesitztümern
des romanischen Stiles. Eine weitere Beschränkung zeigt sich in ihrer
geographischen Verbreitung. Es sind nur die germanischen Länder,
in denen sie als ein unbedingt notwendiger Bestandteil eines jeden
grösseren Kirchengebäudes erachtet wurde. Hingegen Italien und die
übrigen Mittelmeerländer verwenden sie immer nur arbiträr.
Ganz im ungewissen liegt die Chronologie der Anfange des In-
stituts. Denn die primitive ringförmige Art, mit welcher die italienische
Bauweise bis ans Ende des ersten Jahrtausends sich begnügte, entbehrt
zu sehr der bestimmten stilistischen Merkmale und ist zu leicht einer
bestehenden älteren Anlage einzubauen. Mit einiger Zuversicht sind
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182
Zweites Buch: Der romanische Stil.
ältere als dem 7. Jahrhundert angehörende Krypten nicht zu nennen,
wodurch keineswegs ausgeschlossen ist, dass sie nicht schon 100 oder
200 Jahre früher vereinzelt vorgekommen sein könnten. Mit mehr Be-
stimmtheit ist zu sagen, in welchem Gebiet der Brauch zuerst ein all-
gemeinerer geworden, nämlich im ravennatischen.
Nach den Anknüpfungspunkten, welche die antike Bautradition
darbot — Grab- und Memorialzellen, Juppitertempel zu Spalato u. a. m.
— müsste man meinen, dass die christliche Krypta zuerst im Zentral-
bau sich entwickelt habe. Dies ist aber nicht der Fall l). Nicht einmal
bei den Grabkirchen. Ihre Entstehungsgeschichte fuhrt auf die Con-
fessio der Basilika zurück.
Der primitive Typus ist dieser. Ein enger, nicht viel mehr als
mannshoher Gang, bald in der Tonne überwölbt, bald nur mit Stein-
platten gedeckt, läuft innerseits an der Grundmauer der Tribuna hin,
von welcher aus ein gerader Stollen (in der Längenaxe des Gebäudes)
auf die Grabkammer hin abzweigt. Von den jedesmaligen Terrain-
verhältnissen hängt es ab, ob die vertikale Entwicklung der Krypta
unter dem Kirchenflur bleibt, oder dessen Niveau teilweise übersteigt,
in welchem letzteren Falle das Sanktuarium um einige Stufen höher
angelegt wird, als es sonst üblich. An den Mündungen des ring-
förmigen Umganges, von der Seite her, befinden sich die Eingänge,
im Scheitel der Kurve das einzige kleine Fenster, wenn nicht etwa im
Fussboden des Sanktuariums noch ein Oberlicht angebracht ist. — Die
hier beschriebene Disposition ist entstanden in Rücksicht auf schon vor-
handene Konfessionen, wird dann aber typisch auch für neue Anlagen.
Willkürlich und aller Wahrscheinlichkeit zuwider ist die von vielen
(z. B. kürzlich von Mothes) noch ins saec. 4 gesetzte Zeitbestimmung
der Krypten bei S. Ambrogio in Mailand, bei den Basiliken von
Nola und Fondi u. a. m. — Eher könnte vielleicht von den in
RAVENNA dem saec. 5 zugeschriebenen Exemplaren — Kathedrale,
S. Pietro maggiore, S. Giovanni Evang., Sta. Agata — das eine oder
andere thatsächlich so alte Bestandteile bergen. In S. Apollinare
in C lasse kann (nach oberflächlicher Untersuchung) die Gleichzeitigkeit
der Krypta mit der Kirche (a. 534 ff.) nicht strikte behauptet, doch
auch nicht negiert werden; vielleicht war erst die Ueberführung des
Sarkophags durch Bischof Maurus (642—671) der Anlass zu ihrer An-
') Die Angabe von Mothes, BK. in Italien I, 132 u. 151, dass das orthodoxe
Baptisterium in Ravcnna eine Krypta besitze, ist falsch; anscheinend Missverständnis
einer Notti von Rahn, oder Verwechselung mit der erhaltenen Krypta der Basilica Ursiana.
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
•83
läge; auf unserer Zeichnung (Taf. 16, Fig. 8 oben links) ist das Fenster
anzugeben vergessen. Die Krypta des Domes von Torcello nicht un-
wahrscheinlich noch aus der ersten Anlage saec. 7, verändert saec. 11,
liegt in dem Hohlraum unter den Priesterbänken und hat eine eigene
kleine, über die grosse vortretende, Apsis.
In ROM nicht vor saec. 9 nachweisbar: daher SS. Quattro Co
ronati (Taf. 42, Fig. 9), Sta. Cecilia, Sta. Prassede. Das Alter
des ringförmigen Umganges der Confessio Sti. Petri mit Sicherheit
nicht zu ermitteln. Ausser der Reihe stehen die Krypten von Sta. Prisca,
Sta. Maria in Cosmedin, S. Martino ai Monti u. s. w., die aus
Ueberbauung älterer Bauwerke entstanden sind.
In der NORDISCHEN Baukunst der Karolingerzeit ist der ring-
förmige Typus im Verschwinden begriffen. Bauriss von S. Gallen
(saec. 9). Noch wohlerhalten in Werden a. R. (Taf. 42 , Fig. 4»)
saec. 9. Ebenso die Ostkrypta von S. Emmeram in Regensburg,
welche schon bestanden haben muss, als a. 980 eine Westkrypta (nicht
die heutige) hinzugefügt wurde.
Ein zweiter Typus hat seine Ausbildung in den Ländern diesseits
der Alpen gefunden in den Jahrhunderten, die wir als Merowingerzeit
zusammenzufassen pflegen. Es sind Komplexe von grösseren und
kleineren Kammern, durch geradlinige Korridore verbunden, ohne ein
bestimmtes Schema der Anordnung und oft höchst unsymmetrisch.
Man könnte sie ins Enge zusammengezogene Katakomben nennen.
In den Rhein- und Donauländern, Britannien, am zahlreichsten in
Gallien. Auch hier im konkreten Fall die Altersbestimmung meist un-
sicher. Wir beschränken uns auf Namhaftmachung weniger Beispiele. —
6. Jahrhundert: S. Medardus in Soissons (Taf. 42, Fig. 7). —
7. Jahrhundert: Jouarre, publiziert in Archives des mon. hist., u. Gail-
habaud, Archt. III; S. Mellon bei Rouen ; S. Maixent in Poitiers;
in England S. Wilfridskrypta der Kathedrale von Ripon. — 8. Jahr-
hundert: S. Savinien bei Sens; Echternach (Taf. 42, Fig. 11).
9. Jahrhundert K. auf dem Petersberge bei Fulda, drei parallele Gänge
durch einen vierten verbunden. — Spätere Nachzügler: Dom zu Kon-
stanz (Taf. 42, Fig. 8) a. 934? oder erst 1052? Premontre saec. 12.
Interessant durch die regelmässige Kreuzesgestalt des Grundrisses
die Krypta in Michelstadt (Taf. 42, Fig. 5, Taf. 45, Fig. 1) a. 827.
Einigermassen ähnlich diejenige der Morizberger Kirche bei Hildes-
heim ca. a. 1058 (BD. Nieders. Bl. 26).
Die Verschmelzung dieser beiden primitiven Arten und ihre Fort-
bildung zu eigentlichen Oratorien von regelmässiger hallenartiger Bau-
form erfolgt Hand in Hand mit der Ausbildung des kreuzförmigen
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I
Zweites Buch: Der romanische Stil
romanischen Grundrisses. Der im Grundriss dem Chorquadrat und der
Apsis entsprechende Raum wird nunmehr als einheitlicher, bloss durch
Freistützen gegliederter behandelt. Die Schiffe (meist drei, seltener fünf
haben notwendig gleiche Höhe und wegen der gleichfalls geforderten
quadratischen Grundform der Kreuzgewölbe auch gleiche Breite unter-
einander, es entsteht mithin eine schachbrettmässige Einteilung des
Grundrisses, deren Fortsetzung in das Halbrund der Apsis freilich oft
zu unschönen Verschneidungen führt. In bezug auf den Eingang be-
steht zwischen der älteren und der jüngeren Epoche der Unterschied,
dass jene ihn noch doppelt, an beiden Seiten des zum Chor führenden
Treppenaufganges, diese in der Mitte desselben anbringt.
Die Einbürgerung der Krypten hat nun auch für die Oberkirche
wichtige Folgen. Dadurch dass die Krypta ihren eigenen Altar em-
pfängt, wird der früher Regel gewesene direkte räumliche Zusammen-
hang des Hochaltars mit dem Märtyrergrabe gelöst, die Stellung des
ersteren im Oberchor ist deshalb keine fest bestimmte mehr, regel-
mässig weicht er bis in die Apsis zurück. Ein zweites ist die beträcht-
liche Hochlegung des Chores: in der altchristlichen Epoche war sie
mit ihren nicht mehr wie 2 oder 3 Stufen mehr nur eine symbolische
gewesen, jetzt aber werden io, 15 und mehr Stufen erforderlich, deren
stattlicher Aufbau so dem architektonischen Bilde wie dem liturgischen
Zeremoniell einen neuen bedeutenden Zug hinzuträgt. Ueber den Wangen
des Treppenaufganges befinden sich die Amboncn (Taf. 64, Fig. 1).
Die Verlegung des Krypteneinganges in die Mitte ergiebt Doppeltreppen.
FRANKREICH. Die Krypten von S. Aign an und S. Avit zu
Orleans (Abb. Viollet-le-Duc IV, 449); nach Mutmassung dem saec. 9
oder Anfang saec. 10 zugeschrieben ; ungewiss. Die Ostpartie der Krypta
unter der Kathedrale zu Chartres a. 858.
DEUTSCHLAND. Für karolingisch gelten Reste einer K. zu Unter-
regenbach im Jagstthale (Württembg. Vierteljahrshefte 1881). Wohl-
erhalten und sicher saec. 10 die Ostkrypta der Stiftskirche zu Gernrode
(Taf. 46) durch 2 X 2 freistehende Pfeiler in drei Schiffe geteilt, nur 2 m
hoch. Gleichfalls saec. 10 Teile der Westkrypta von Sta. Cacilia in
Köln (Taf. 60), einiges in S. Peter und Paul zu Hadmersleben
(Abb. BD. Nieders. II, Bl. 54) und vielleicht auch die Krypta des
Martinsmünsters zu Emmerich.
ITALIEN kennt die in Rede stehende Gattung fast nicht, sondern
geht unvermittelt von den ringförmigen Anlagen zu hoch- und weit-
räumigen Unterkirchen über, jedoch erst nach ca. a. 1000. Die Krypta
S. Filo strato beim alten Dom in Brescia, von Dartein der Lango-
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
.85
bardenzeit zugeschrieben, nach Mothes sogar jedenfalls vor 610*; die
»arianisch figurierten <. Kapitelle beweisen dafür nichts, die Disposition
hat Analogien nicht vor a. 1000.
Französisch ist die Verbindung der Hallenkrypta mit hemicyk-
Iischem Umgang.
Grossartiges Beispiel bei der Kathedrale von Auxerrc (von Viollet-
le-Duc IV, 451 abgebildet und ins saec. 9 gesetzt, richtiger als Neu-
bau seit a. 1023 zu betrachten.
Eine Uebergangsform bieten zuweilen die Schlosskapellen, wenn
durch Raumbeschränkung Hallenanlage von geringer Höhe geboten ist.
WIPERTIKRYPTA BEI QUEDLINBURG (Taf. 58). Kapelle der
ehemaligen Pfalz König Heinrichs I. Die Krypta der Stiftskirche zu
Quedlinburg ist gleichfalls aus einer ehemaligen Schlosskapelle er-
standen, vgl. den Restaurationsversuch von Hase im Ergänzungsheft
d. Z. des Harzvereines 1877 und Z. d. hannov. Arch.- u. Ing.-Ver. 1873.
Aehnlichen Grundriss hat auch die von Wilhelm dem Eroberer er-
baute Kapelle des Towers zu London. — An die Quedlinburger
Krypten und zugleich an diejenige von S. Avit zu Orleans erinnert die
S. Magnus-Krypta zu Füssen (Taf. 42, Fig. 10). — Vgl. auch die West-
krypta von S. Emmeram in Regensburg mit der Stephanskapelle
ebenda (Taf. 42, Fig. 12 u. 13) sowie die Lindgeri-Krypta zu Helm-
stedt mit der Doppelkapelle des gleichen Ortes (Reiseskizzen d. Nieder-
sächs. Bauhütte Bl. 5, 6).
7. Der innere Aufbau.
Wie wir im bisherigen an den verschiedensten Punkten des über-
lieferten Grundrissschemas der Basilika, frische Triebkräfte unter den
Händen der fränkischen Bauleute lebendig werden sahen, so erwächst
die Voraussicht, dass auch das System des inneren Aufbaues von den
Neuerungen nicht unberührt geblieben sein werde. Ueberaus spärlich
allerdings ist das Material zur Behandlung gerade dieses Gegenstandes •
uns nur erhalten, indes in Zügen, welche mit Bestimmtheit auf ein
allgemeines hindeuten.
Die erste wichtige Veränderung betrifft die Form der Stützen.
Die in der christlich-antiken Basilikenarchitektur bestandene unbedingte
Vorherrschaft der Säule hört auf; der Pfeiler, bis dahin nur gleich-
sam verschämt zugelassen, tritt in offene und erfolgreiche Konkurrenz
mit jener. Nicht als ob es der karolingischen Epoche an Respekt vor
der Schönheit und Würde der antiken Säule gefehlt hätte: wohl aber
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
mehr und mehr an der bequemen Gelegenheit zu ihrer Beschaffung
aus antiken Gebäuden, welche dem Basilikenstil der lateinischen Lander
ein so festes Gepräge gab. Auf römisch-germanischem Provinzialboden,
am Rhein, in Gallien u. s. w. wurden römische Zierfragmente noch in
ziemlicher Menge gefunden und aufgebraucht, ganze Säulenstämme hin-
gegen nur noch selten. Als Schaustücke, deren Verehrung die alsbald
an sie sich heftenden Sagenbildungen bezeugen, kommen sie vereinzelt
in rheinischen und selbst sächsischen Kirchen vor (Essen, Hildesheim),
aber nur ein Karl oder Otto konnten es sich gestatten, einmal ganze
Reihen antiker Säulen aufzustellen (Aachen, Magdeburg), die von Last-
tieren über die Alpen herbeigeführt waren. Trotzdem blieb das eigent-
liche Ideal auch der nordischen Baukunst im frühen Mittelalter der
Säulenbau. (Beispiele karolingischer Säulenbasiliken: die Klosterkirchen
von Fulda, Hersfeld, Höchst, S. Gallen, Reichenau, der Dom zu Köln.)
Dieser Tradition des Südens und der Antike aber ungeschmälert und
in reinem Sinne treu zu bleiben, erwies sich als schwierig, ja un-
möglich. Zwei wichtige Veränderungen hatte dies im Gefolge. Die
eine, etwas später erst eintretende, ist, dass eine von der antiken Ueber-
lieferung abweichende spezifisch romanische Säulcnform sich ausbildet;
die andere, dass man häufig sich entschliesst, der Säule ganz zu ent-
sagen, ihr eben den Pfeiler zu substituieren. Neben der früher be-
sprochenen Umwandelung des Grundplanes ist dies, die Ebenbürtig-
machung des Pfeilers, der wichtigste Schritt, den die fränkische Bau-
kunst ins Mittelalter hinein gethan hat, ja man ahnt schon, dass dem
Pfeiler die Zukunft der nordischen Architektur gehören wird.
Die Kunst des Ziegelbrennens ist, wo nicht verloren, so doch in
Verfall geraten. Man sucht im Norden umsonst die dünnen, durch einen
vorzüglichen Mörtel gefestigten Wände der italienischen Säulenbasiliken :
die vorwaltende Behandlungsweise ist opus mixtum und noch mehr reines
Bruchsteinwerk. Mit der Unbehilflichkeit des Verbandes nimmt not-
• wendig die Dicke und Last der Mauern zu, in umgekehrtem Verhält-
nis die rückwirkende Festigkeit der Stützen ab. Es fehlen in den
meisten Landschaften die dem Süden geläufigen Marmore und Granite
und überall die Arbeiter, die sie zu behandeln gewusst hätten; Sand- und
Kalksteine wiegen vor; und selbst die Herbeischaffung dieses geringer-
wertigen Materials bringt vielerorten Transportschwierigkeiten mit sich,
die man nicht auf sich nehmen darf oder mag. Ueberschlägt man
dieses alles, so setzt es eher in Verwunderung, dass im romanischen
Stil die Säule doch noch so viel Terrain behauptet hat.
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
187
Als reine Pfeilerbasiliken bezeichnen wir diejenigen, in welchen
der Pfeiler einfach für die Säule eintritt, während alles übrige unver-
ändert bleibt.
Aus saec. 9 die von Einhard erbauten Basiliken zu MICHELSTADT
und SELIGENSTADT (s. oben S. 164 u. Taf. 44, Fig. 1). Die aus
grossen Ziegeln aufgemauerten Pfeiler schlank, von quadratischem
Grundriss, dicht gestellt; Basen- und Kämpfergesimse mit ihren zier-
lichen und ausdrucksvollen Profilen »noch vom Lebenshauche antiker
Art durchweht«. An dieser Stelle persönliches Verdienst des um seines
Kunstverständnisses willen berühmten Erbauers, wird dergleichen nicht
oft wiedergekehrt sein. Wie wahrhaft barbarisch nimmt sich daneben
die alte Kathedrale, das sog. BASSE -OEUVRE von BEAUVAIS
(Taf. 44, Fig. 3) aus: schwerfällig proportionierte Arkadenöffnungen,
quadratische und achteckig abgefaste Pfeiler regellos wechselnd, gänz-
licher Mangel an plastischer Detaillierung. Lange für merowingisch
gehalten, in Wahrheit nicht älter als a. 987—98; vgl. Rame im Bull,
du comite des travaux historiques 1882, p. 190. In der Umgegend noch
mehrere Landkirchen von nicht geringerer Roheit aus saec. 9 und 10;
vgl. Woillez, Archäologie de l'ancien Beauvoisis, Paris 1856. — Das-
selbe System in kultivierterer Behandlung in S.MARTIN ZU ANGERS;
nicht saec. 9, sondern a. saec. 11; vgl. Rame a. a. O. p. 188.
Ein drittes und für die frühromanische Weise vorzüglich charakte-
ristisches System ist das der wechselnden Stützen. Es hat ur-
sprünglich nicht den Sinn gehabt, in welchem wir es hauptsächlich
verwendet sehen, sondern ist hervorgegangen aus gewissen nachher auf
halbem Wege erlahmten Bestrebungen der Karolingerzeit zur Reform
der Deckenbildung, und zwar der Ersetzung der flachen Holzdecke
durch die gewölbte Steindecke.
Das wichtigste auf uns gekommene Zeugnis hiervon giebt die
AMBROSIUSKIRCHE ZU MAILAND. Die Mailänder Erzbischöfe,
unter denen diese Kirche erbaut wurde, Angilbert und Ansbert, sind
wahrscheinlich Franken von Geburt und mit dem königlichen Hof in
regem Verkehr. Ohne Zweifel stehen S. Ambrogio und die nächst-
verwandten Monumente der Lombardei der nordischen Bauweise ebenso
nahe, wie sie von dem stationären Basilikenstil des übrigen Italiens
sich entfernen. An dem gegenwärtigen Bau gewahrt man bei unver-
kennbarer Einheit des Planes drei Abschnitte der Ausführung, vgl.
unseren Grundriss auf Taf. 45. Völlig sicher datiert ist nur die Apsis,
nämlich auf ante a. 855. Die Erbauung des Atriums wird durch Epi-
taph des Erzbischofs Anspert (a. 868—81) für diesen in Anspruch
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
genommen; der Augenschein zeigt eine Restauration in Konstruktions-
formen des saec. 12 ohne völlige Beseitigung der älteren Bestandteile.
Ueber das Schiff der Kirche endlich ist zu bemerken, dass es, wie
gewisse Unregelmässigkeiten der Stützenabstände und die aufiallige
Winkelabweichung der Hauptaxe beweisen, an letzter Stelle zur Aus-
führung gekommen ist, als einerseits der Chorbau, anderseits das
Atrium bereits standen; doch darf aus der Formenübereinstimmung
mit dem letzteren wohl geschlossen werden, dass es nicht gar viel
jünger sein wird. Die nächste Frage ist: sind die Gewölbe der
Schiffe mit den Mauern und Pfeilern gleichzeitig? Die beiden fran-
zösischen Forscher, welche sich zuletzt damit beschäftigt haben, be-
jahen die Frage, ihre Schlussurteile sind aber weit voneinander ver-
schieden. D arte in (Etüde sur l'Architecture Lombarde, Paris 1865)
hält den Ursprung der Pfeiler aus saec. 9 für gesichert und beansprucht
deshalb auch die Gewölbe für die nämliche Zeit. Rame (Bulletin du
comite des travaux historiques 1882, N. 2) geht umgekehrt von den
Merkmalen der Gewölbekonstruktion aus und sagt, da diese unmög-
lich vor a. 1100 ausgeführt sein könne, so müsse der ganze Aufbau
der Kirche und des Atriums zu Anfang saec. 12 erneuert sein. —
Erschwerend für die Beurteilung ist es, dass die Gewölbe des Haupt-
schiffes total erneuert sind und über ihre Vorgänger eine gründliche
Untersuchung nicht vorliegt; summarische Abbildung in den K.-D. d.
Oesterreich. Kaiserstaates V. Immerhin sind Anhaltspunkte genug vor-
handen, um mit Bestimmtheit dem Widerspruche Rames gegen Dartein
beizupflichten, ja wir halten mit Kugler II, 79, dafür, dass die frag-
lichen Gewölbe sogar jünger sind, wie diejenigen in S. Michele zu
Pavia. Nicht teilen können wir jedoch die Meinung der beiden fran-
zösischen Forscher, dass die Altersbestimmung der Gewölbe diejenige
des ganzen Hochbaus notwendig involviere. Man betrachte den Quer-
schnitt auf Taf. 45. Die tief ansetzenden Gewölbe des Mittelschiffs, welche
die selbständige Beleuchtung des letzteren sehr zum Nachteil des Ganzen
unmöglich machen ; die unzusammenhängende Anordnung ihrer Kämpfer-
linie im Verhältnis zu derjenigen der Emporen; die abweichende und
zwar viel altertümlichere Behandlung der Gewölbe im Untergeschoss der
Abseiten : alles dies sind Erscheinungen , die mit der Annahme eines
völligen Neubaues im 12. Jahrhundert schwer in Einklang zu bringen
sind, hingegen einem auf die Einwölbung der oberen Teile abzielenden
Restaurationsbau ganz angemessen wären. Wir fügen hinzu, dass die
im 12. Jahrhundert genügend reichhaltigen Mailänder Geschichtsquellen
einen Neubau der wichtigen Ambrosiuskirche zu erwähnen gewiss nicht
unterlassen hätten. Weiter beachte man die Unterschiede in den
Detailformen der Pfeilerkapitelle : neben solchen, die das Gepräge des
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
189
12. oder allenfalls des ausgehenden 1 1. Jahrhunderts tragen, kommen,
namentlich im Erdgeschoss und zum Teil auch in den Emporen, andere
augenscheinlich altertümlichere vor, die denjenigen von S. Celso in
derselben Stadt (saec. 10) genau entsprechen und die schon in meh-
reren deutschen Bauten der Ottonenzeit, z. B. in Quedlinburg, Nach-
ahmung gefunden haben. Aehnliche Unterschiede wiederholen sich
im Atrium. Alles dies bestätigt, dass die saec. 12 vorauszusetzen-
den Restaurationsarbeiten den Aufbau bis zum Gewölbeansatz im
wesentlichen unverändert gelassen haben. Und ist dem so, so kann
für diesen älteren Teil nur die karolingische Zeit in Frage kommen. —
Welcher Art ist aber dann die ursprüngliche Deckenkonstruktion ge-
wesen? Der nach Quadraten geordnete Grundriss, der entsprechende
Wechsel stärkerer und schwächerer Pfeiler, die wohlüberlegte und
vielfältige Sicherung des Aufbaues gegen eine zugleich vertikale und
seitlich schiebende Last u. s. w. sind Umstände, die in der That als
Vorbereitung auf Kreuzgewölbe auch im Mittelschiff anerkannt werden
müssen. Keineswegs aber beweisen sie, dass diese Absicht schon in
der ersten Bauperiode auch zur Ausführung gekommen.
Stutzpunkte zu bestimmterer Vermutung giebt eine andere Mailänder
Kirche, S. CELSO. Sie ist augenscheinlich eine verkleinerte Kopie
von S. Ambrogio. Im Jahre 1808 abgebrochen, bestehen von ihr heute
noch die letzte Travee mit der Apsis, Teile der seitlichen Umfassungs-
mauern, dekorative Fragmente, dazu eine beim Abbruch gefertigte Auf-
nahme des Grundrisses (Taf. 45). S. Celso ist so gut wie gewiss als
ein Werk des Erzbischofs Landolf (f a. 998) zu betrachten. Daher
stammen die Pfeiler und die mit grätigen Kreuzgewölben, ähnlich
denen in S. Ambrogio, gedeckten Seitenschiffe; eine Restauration,
etwa Ende saec. 11, hat leider die uns erhaltene Ostpartie am meisten
betroffen; endlich hat saec. 16 oder 17 das Mittelschiff ein Tonnen-
gewölbe erhalten. Dieselben Umstände, welche in S. Ambrogio zu
gunsten ursprünglicher Kreuzgewölbe angeführt werden , kehren in S.
Celso wieder. Allein ein Blick auf die Mauerhöhe, die durch das am
östlichen Abschluss erhaltene alte Dachgesims gesichert ist, belehrt,
dass für derartige Gewölbe hier kein Raum vorhanden war, woraus
Dartein die unweigerlich richtige Folgerung zieht: also muss ursprüng-
lich eine flache Balkendecke dagewesen sein. Weiter vermutet Dartein
sehr plausibel, dass die Hauptpfeiler mit ihren Pilastem die Bestim-
mung gehabt haben werden, quer über das Schiff gesprengte Gurtbögen
zu tragen, wie der restaurierte Aufriss Taf. 45, Fig. 2 annimmt. Wir
meinen nun, dass, was für S. Celso als wahrscheinlich anerkannt wird,
ebenso für S. Ambrogio, das anerkannte Urbild von jenem, Geltung
haben müsse. Die Wahrscheinlichkeit, dass S. Ambrogio gleichwohl
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Zweit« Buch: Der romanische Stil.
ursprünglich auf Kreuzgewölbe angelegt war, bleibt dabei bestehen;
allein als man so weit war, mit den letzteren Ernst raachen zu sollen,
scheint man sich dessen doch nicht getraut und mit dem beschriebenen
Kompromiss sich begnügt zu haben. Auch die um so viel erfahreneren
Konstrukteure des 12. saec. wagten die endliche Ausführung der Ge-
wölbe nur so, dass sie dieselben tiefer bis an die Emporen (als Wider-
lager) herabrückten unter Preisgebung des basilikalen Lichtgadens.
Die von uns vorausgesetzte Stützbogenkonstruktion war schon der römi-
schen Baukunst wohlbekannt, vgl. oben S. 130. So umfassende Ver-
wendung, wie in den Basiliken Zentralsyriens, wo lokale Verhält-
nisse dazu drängten, hat sie allerdings sonst nicht mehr gefunden. Die
meisten erhaltenen Beispiele des Abendlandes in gewölbten Zentral-
bauten: Emporgeschoss von S. Vitale zu Ravenna (Taf. 4, Taf. 5,
Fig. 2); Rundkirche zu Nocera und Baptisterien zu Aix und Riez
(Taf. 8); Pfalzkapelle zu Aachen (Taf. 43), S. Fedele zu Corao, ebenda ;
mit flacher Steinplattendecke in der Arena zu Arles (Taf. 38, Fig. 12).
Aeltester Beleg für Verbindung mit flacher Balkendecke gleichfalls ein
Zentralbau, der Dom zu Trier (Taf. 12). Häufigere Verwendung für
die Basilika scheint aber erst im saec. 9 zu beginnen: Vorhalle von
Sta. Sabina zu Rom, Mittelschiff von Sta. Prassede, ebenda (Taf. 45,
Fig. 1); im 10. und n. saec. sodann ist diese Konstruktion, zumal in
Oberitalien, ganz geläufig: Kathedralen von Modena und Novara,
S. Zeno bei Verona, S. Miniato bei Florenz (Taf. 75, 76).
Bestrebungen, wie die an S. Ambrogio wahrgenommenen, pflegen
nicht isoliert aufzutreten. Auch sonst sind einige Anzeichen vorhanden,
dass das von der altchristlichen Epoche abgelehnte Problem der
Gewölbebasilika die Köpfe der fränkisch-karolingischen Bauleute zu
beschäftigen begann. Eine vollständige Umgestaltung im herkömmlichen
System des Aufbaues war darin unvermeidlich inbegriffen. Mit diesem
Gedanken sich zu befreunden, erleichterte die zunehmende Gewöhnung an
den Pfeiler, vor allem aber das diese Epoche auszeichnende lebhaftere
Interesse für den Zentralbau. Ja, man muss sagen, dass alle die durch-
greifenden Neuerungen, durch welche S. Ambrogio aus den Traditionen
des lateinischen Basilikenstils heraustritt — die Eindeckung der Abseiten
durch Aneinanderreihen quadratischer Kreuzgewölbe oder transversaler
Tonnen, die Emporen, die Strebepfeiler — nichts anderes sind als eine
geistreich variierte Uebertragung der dem Zentralbau (vgl. namentlich die
Aachener Palastkapelle und ihre Verwandten) längst geläufigen Mittel zur
Widerlagerung des Hauptgewölbes (oben S. 133 f.) auf den longitudinalen
Grundplan. Hier sollte das Hauptgewölbe aber kein einheitliches sein,
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
19I
sondern ein zusammengesetztes analog der in den Seitenschiffen vor-
gebildeten Anordnung, das bezeugt die Zusammensetzung des Grund-
risses aus Quadraten von doppelt so grossem Seitenmass. Ob dieser
folgenschwere Gedanke hier ganz selbständig gedacht, ob er durch
römische Präzedenzien angeregt ist , lassen wir unentschieden : immer
wird um seinetwillen, trotzdem er nicht zur Ausfuhrung kam, S. Am-
brogio zu den Denkwürdigkeiten ersten Ranges in der Baugeschichte
des Mittelalters gerechnet werden müssen. Theoretisch ist hier von
einem begabten Kopf des 9. Jahrhunderts gelöst, was in die allgemeine
Praxis erst seit dem 12. Jahrhundert übergegangen ist. Nichts so gar
Erstaunliches scheint uns diese lange Stockung dicht vor dem fast er-
reichten Ziele. Das ist das Schicksal so vieler anderer Errungen-
schaften der karolingischen Kultur auch gewesen. Wenn also die Ver-
suche, aus deren Reihe S. Ambrogio gewiss nur ein Bruchstück dar-
stellt, ihre Hauptaufgabe, d. i. die Einwölbung des Mittelschiffs, noch
unerledigt Hessen, so waren durch sie doch mehrere Nebenprodukte
zu Tage gefördert, welche, abgelöst von ihrer ursprünglichen Bedeutung
und in das System der flachgedeckten Basilika des romanischen Stils
aufgenommen, selbständig fortlebten. Das sind die gewölbten Ab-
seiten, die Langseitenemporen, der Stützen Wechsel.
Unsere Aufmerksamkeit gebührt vor allem dem letzteren Motive,
als in welchem die künstlerische Eigenart der frühromanischen Epoche
besonders bezeichnend sich ausspricht. Wir verstehen unter Stützen-
wechsel eine Anordnung, welche in einer und derselben Reihe Stützen
verschiedener Formen — entweder Pfeiler und Säulen, oder stärkere
und schwächere Pfeiler, quadratische und polygone, einfache und kan-
tonierte — nach bestimmter Regel in wiederkehrender Folge sich ab-
lösen lässt. Man hat die Meinung ausgesprochen, dass der Stützen-
wechsel aus den Gewohnheiten einer primitiven, Holz- und Steinmaterial
mischenden Bauweise hervorgegangen sei. Das Entscheidende scheint
uns jedoch in dieser Thatsache zu liegen: die ältesten Beispiele
des Stützenwechsels weisen denselben immer in Verbindung
mit Langseitenemporen, fast immer mit Ein Wölbung der Seiten-
schiffe auf — eine Verbindung, die später aber vielfach wieder auf-
gelöst wird — , und wir betrachten ihn deshalb als ein im Ideenkreise
des Gewölbebaucs entsprungenes Motiv. Die Absicht, allgemein aus-
gedrückt, ist, die Widerstandsfähigkeit der tragenden Teile zu steigern
ohne erhebliche Vermehrung der Mauermasse. Schon die Römer
hatten dies durch Verteilung des Druckes auf einzelne stärker befestigte
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192
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Punkte zu erreichen gelehrt (S. 128). Die Lisenen der ravennatischen
Basiliken, die Strebepfeiler der Aachener Pfalzkapelle u. s. w, bieten
Beispiele fortdauernder Anwendung. Die überaus fruchtbare Eingebung
der karolingischcn Baumeister nun ist die Aufnahme dieses Prinzipes in
die Innenarchitektur.
Wir kommen noch einmal auf S. AMBROGIO, als auf das voll-
ständigste Paradigma, zurück. Die Aufgabe der Teilung der Last ist
hier in vielseitigster Weise in Angriff genommen. Zunächst sind je
zwei Gewölbjoche der Abseiten als einheitliche Gruppe gefasst und
bedarf demgemäss nur je die zweite Stütze der Verstärkung: die Binnen-
pfeiler durch Pilaster und Halbsäulen , die Umfassungsmauern durch
massive Streben. Zweitens werden die Obermauern des Mittelschiffs
durch die Oeffnungen der Emporen erleichtert, zugleich aber wieder
die getrennten Teile durch die Scheidbögen und Quergurten der Seiten-
schiffe wechselseitig verbunden und abgestützt. Drittens schwingen
sich von den bis über die Emporen hinaufgeführten Vorlagen der
Hauptpfeiler quer über das Mittelschiff Freibögen, gleichsam Verviel-
fältigungen des Triumphbogens der altchristlichen Anlagen, welche teils
die Dachrüstung tragen helfen, teils und noch mehr eine festere gegen-
seitige Beziehung der ganzen Baumassen herstellen sollen. Endlich
beachte man die deutliche Entlehnnng aus der Aussenarchitektur in den
Dekorationsmotiven des Bogenfrieses und der über den Zwischenpfeilern
aufsteigenden Halbsäulen.
Wir lassen einige der gleichen Epoche angehörende Monumente
Nordfrankreichs und des Rheinlands folgen, welche mit S. Ambrogio
in eine Familie gehören, obwohl sie den Typus in weniger entwickelter
oder, richtiger gesagt, reduzierter Fassung darstellen. Unter den zur
Abtei FONTANELLA (S. Wandrille unweit Rouen) gehörenden Kirchen-
gebäuden besass eines eine Empore (solarium). Schnaase III, p. 539 er-
innert daran, dass der Abt Ansegis Vorsteher der Werkstätten in Aachen
gewesen war, und denkt an eine der dortigen Pfalzkapelle ähnliche
Anlage. Nicht vielleicht eher Verwandtschaft mit S. Ambrogio zu
Mailand? — Noch von einem anderen Genossen des karolingischen
Hofes, dem berühmten Alkuin, wird berichtet, dass er in seiner Heimat
YORK eine mit ^solaria« versehene Kirche erbaut habe, von welcher
Schnaase III, p. 525 mit Recht bemerkt, dass sie wahrscheinlich ein
Langbau, kein Polygonbau gewesen.
WERDEN AN DER RUHR (Taf. 42, Fig. 4). In dem Bestände
des in den spätestromanischen Formen des saec. 13 sich präsentierenden
Baues sind zwei fremdartige, wie man bald erkennt, hochaltertümliche
Stücke aufbewahrt: die innere Krypta mit dem Grabe des Stifters
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
i93
S. Liudger (Taf. 42, Fig. 4*) und die beiden unter dem jetzigen West-
turrn befindlichen Joche des Langhauses (Taf. 44, Fig. 6). Von Daten
zur älteren Baugeschichte ist überliefert: a. 875 Einweihung, a. 1059
Restauration der Krypta, a. 11 19 Brand, durch welchen die Basilika
»consumpta vel potius deformatat. Betrachten wir zuvörderst die
Krypta. Sie besteht aus zwei gesonderten Teilen ; der erste normaler-
weise unter dem Chor, der zweite ein östlich darüber hinaustretender
halb oberirdischer und mit eigenem Dach versehener Ausbau. Die An-
lage zeigt die grösste Aehnlichkeit mit der Westkrypta von S. Emme-
ram zu Regensburg von a. 1052 (vgl. Fig. 12 und Fig. 4» auf Taf. 42),
wird mithin, wofür auch die Detailformen sprechen, der Restauration
von a. 1059 angehören (die Apsidiola später durchgebrochen). Die unter
dem Chor befindliche Partie zeigt dagegen die in den ältesten Krypten
Italiens übliche, in Deutschland nur noch im Bauriss von S. Gallen
und in der Ostkrypta von S. Emmeram bekannte Anlage mit isolierter
Grabkammer und ringförmigem Umgange; in der Grabkammer ein
auf römische Muster hinweisender Mosaikboden; das Tonnengewölbe
des Umganges Gusswerk ; alles dieses lässt uns nicht im Zweifel, dass
wir hier einen Rest von dem a. 875 geweihten Bau vor uns haben. —
Betrachten wir nun die vorerwähnten zwei Traveen des westlichen
Langhauses (in unserem Grundriss schwarz ausgeführt), so zeigen sie
im Erdgeschoss quadratische Pfeiler ohne Fuss- und Kämpfergesims,
ähnlich denen von Beauvais ; von ihnen zur Umfassungsmauer gesprengt
breite Gurtbögen in etwas abgeflachtem Halbkreis, darüber quer ge-
legte Tonnengewölbe ; alles von grösster Ungeschlachtheit in der Aus-
führung. Der nämlichen Bauzeit scheint auch der Treppenaufgang zu
den Emporen anzugehören, dessen Tonnengewölbe ähnliche Behand-
lung zeigen wie die des Kryptenumganges. Dagegen sind die Kreuz-
gewölbe des Galeriegeschosses, zwar noch rippenlos, sichtlich eine
spätere Einschiebung ; die Gestalt ihrer Oeflfnungen gegen das Mittel-
schiff zeigt Taf. 44, Fig. 6. — Gegenüber der herrschenden Ansicht
(v. Quast, Lötz, Otte), derzufolge die fraglichen Bauteile einem Neubau
nach dem Brande von a. n 19 entstammen sollen, konstatieren wir zu-
nächst, dass die Annahme eines totalen Neubaues keineswegs durch die
bezügliche Brandnachricht (»consumpta vel potius deformata«) nötig
gemacht wird. Unbedingt schliesst sodann die stilistische Erscheinung
die behauptete Entstehung im 12. saec. aus, weist mit Bestimmtheit auf
ein viel höheres Alter. Konstruktion wie Komposition sind mehreren
nachstehend beschriebenen Werken des 10. saec. ähnlich, nur noch
um einen Grad primitiver wie diese. Von formiertem Detail liegt
nichts vor als die Kapitelle der vier Zwischensäulchen der Galerie.
Davon eines in roh korinthisierender, die drei übrigen in höchst eigen-
13
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iy4 Zweites Buch: Der romanische Stil.
tümlicher, etwa mit Pilzen vergleichbarer Form, wie die beistehende
Skizze zeigt.
Diese Pilzform begegnet sonst an deutschen Monumenten nur noch
dreimal und zwar in einem eng begrenzten Zeitraum: in der Wiperti-
krypta und in der Schlosskapelle Hein-
richs I. in Quedlinburg (saec. 10, H. i)
und vereinzelt in dem Werden be-
nachbarten, übrigens auf höherer Kunst-
stufe stehenden Münster von Essen (Mitte
saec. 10); ausserdem in einigen alten
Kry pten Englands, z. B. Canterbury, Wells. Erwägt man, dass Werden
eine angelsächsische Stiftung ist, dass angelsächsische und schottische
Mönche in den niederrheinischen Klöstern des saec. 8 bis 10 überall
reichlich vertreten und auch bei der Begründung des Kirchenwesens
in Niedersachsen thätige Mitarbeiter sind, so glauben wir eine wohl-
begründete Vermutung auszusprechen, wenn wir jene Kapitelle einer
spezifisch angelsächsischen Uebung zurechnen. Fügen wir hinzu, dass
von a. n 19 bis rückwärts zu a. 875, dem Jahre der ersten Ein-
weihung, von einer baulichen Veränderung nichts bekannt ist, so liegt
in der That kein Grund vor, daran zu zweifeln, dass die in Rede
stehenden beiden Westtraveen gleich wie die Krypta noch Reste des
Stiftungsbaus sind. In dieser Meinung bestärkt uns noch die folgende
Beobachtung. Es sind für den Chor und die Ostmauer des Transseptes
die Grundlinien des Primärbaues durch die Krypta festgestellt; denkt
man sich nun alle im 13. Jahrhundert formierten Bauteile bis westlich
zu jenen beiden Traveen weggeräumt, und setzt dann die Pfeilerabstände
der letzteren wieder ostwärts fort: so gewinnt man genauen Anschluss
an die gegenwärtigen Vierungspfeiler; mit anderen Worten: es wird
durch diese Probe der planeinheitliche Zusammenhang mit der Krypta
erwiesen und der ursprüngliche Grundriss lässt sich mit hoher Wahr-
scheinlichkeit so restaurieren, wie es die linke Hälfte unserer Zeichnung
annimmt. — Problematisch bleibt die Vorhalle und das westlich von
ihr liegende Baufragment mit der Flachnische, welche ihre jetzige Ge-
stalt erst durch die Restaurationen des saec. 12 und 13 erhalten haben. —
Geck: Die Abteikirche etc. 1856, 8. — Loh de und Stüler bei
Erbkam 1857.
Das System von Werden begegnet uns wieder in der Klosterkirche
von MONTIERENDER (Dep. Haule-Marne) (Taf. 44, Fig. 5), erbaut
von Abt Adso (reg. a. 960—992), Transsept und Chor saec. 13. Die
rechtwinkelig profilierten Quergurten der Abseiten sind ursprünglich, wahr-
scheinlich trugen sie eine flache Balkendecke; über dem Galeriegeschoss
offener Dachstuhl. Vgl. Archives de la com. des monum. hist. t. I.
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
*95
Wir schlicssen hier ein Monument derselben Landschaft an, das
zwar nach seiner Entstehungszeit Uber unsere Epoche hinausliegt,
jedoch den bisher besprochenen Familiencharakter völlig bewahrt :
S. REMY IN REIMS (Taf. 46, Fig. 4). Von Erzbischof Hinkmar
vollendet und geweiht a. 852. Nach 150 Jahren wegen Baufälligkeit
abgebrochen und völlig neugebaut a. 1005—1049. Jüngste Bearbeitung
der Baugeschichte von Demaison im Bull, des travaux hist. 1882,
p. 219 ff. Der Bauzeit zunächst a. 1005 schreibt D. das Erdgeschoss
des Langhauses zu; die auf dem Archäologenkongress von 1875 au**
gestellte Behauptung, dass noch ein grosser Teil vom Bau Hinkmars
im gegenwärtigen erhalten sei, weist er auch unseres Erachtens mit
Recht zurück; dies hindert nicht, dass das System, wie wir meinen, in
den Traditionen des 9. und 10. Jahrhunderts wurzelt. Die gegenwärtigen
seltsamen Bündelpfeiler abgebildet bei Viollet-le-Duc VII, p. 155; dass
sie aus ursprünglich viereckigen im saec. 12 ausgehauen, bemerkt
richtig schon Schnaase IV, p. 567 Anmerkung 2; die echte Gestalt aus
dem Umriss der Deckplatte zu entnehmen. Die Deckenformation der
Abseiten giebt unsere Zeichnung nach der wohlbegründeten Restau-
ration von Viollet-le-Duo IX, p. 240. Endlich beachte man die Ver-
stärkung der Mauern durch Strebepfeiler. — Wir kommen auf das be-
deutende Denkmal an späterer Stelle zurück.
DIE MÜNSTERKIRCHE ZU ESSEX (Taf. 40 ist das geistreichst
komponierte und sorgfältigst ausgeführte rheinische Bauwerk des saec. 10.
Leider die alte Anlage bis auf den Westchor arg verdunkelt (vgl. S. 171).
An der Innenwand der Abseiten eine Blendarkatur auf verkröpften Säulen,
welche nebst einigen anderen Indizien wahrscheinlich machen , dass
die Abseiten ein Emporengeschoss besassen, vielleicht auch, dass sie
unten gewölbt waren, vgl. v. Quast in der Zeitschr. f. christl. Archäo-
logie I, p. 6. Beachtenswert ist im Zusammenhang mit unserer Ausfüh-
rung auf S. 190 (vgl. auch S. 192 über Fontanella) das intime Verhältnis
des Essener Münsters zum Aachener Zentralbau.
STA. URSULA IN KÖLN (Taf. 46 , Fig. 3). Erste Bauzeit unge-
wiss; zu a. 1003 ein Einsturz, unter Erzbischof Anno (1056 — 75) Re-
stauration verzeichnet; weitere Nachbesserungen im saec. 12 dürften
nicht erheblich gewesen sein. Die Gruppierung der Galerieöffnungen
hat die grösste Aehnlichkeit mit dem gleichen Bauteil des zwischen
a- 975 — 993 ausgeführten üktogons zu Mettlach (Taf. 44), das seiner-
seits wieder an das Aachener anknüpft ; das starr korinthisierende Säulen-
kapitell in der Querem po*re kann kaum jünger sein wie Anf. saec. 11;
ungewöhnlich und in gewissem Betracht an S. Ambrogio in Mailand
erinnernd die inneren Lisenen mit Rundbogenfries. Und was bedeuten
die, wie sie sich jetzt zeigen, funktionslosen Kämpfergesimse der Lisenen
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t(5 Zweites Buch: Der romanische Stil.
in der Höhe der Fensterbank? etwa ehemalige Gurtbögen, auf welche
der Einsturz von a. 1003 zu beziehen wäre? Dies alles lässt uns als
möglich, ja einigermassen wahrscheinlich ansehen, dass die Ursulakirche
ihr allgemeines Gepräge aus der Zeit vor a. 1103 konserviert hat.
Eine weitere Entwicklungsstufe repräsentieren diejenigen Anlagen,
die den Stützenwechsel nicht bloss im Galeriegeschoss , sondern auch
zu ebener Erde durchführen.
Die dahin gehörenden Mailänder Kirchen S. AMBROGIO und
S. CELSO wurden oben besprochen.
Diesseits der Alpen ist das wichtigste Beispiel die Stiftskirche zu
GERNRODE am Harz (Taf. 46). Nach Abzug der Umbauten des
saec. 12 (vgl. oben S. 172) ein die Kunstrichtung des saec. 10 vorzüg-
lich rein zur Erscheinung bringendes Denkmal, gegründet a. 960, voll-
endet wohl noch vor Schluss des Jahrhunderts. Hier auch die Zwischen-
decke der Abseiten nur aus Holz. — Aehnlich anscheinend die Kirche
des mit G. in geistlicher Verbindung stehenden Klosters Frose, vgl.
den Ausgrabungsbericht von Maurer, Deutsche B.-Z. 1884, Nr. 24. —
Vgl. auch die Wipertikrypta in Quedlinburg (Taf. 58) als Beleg für
Kenntniss des Stützenwechscls in Sachsen schon zu Anfang saec. 10.
S. VINCENT IN SOIGNIES. Von diesem interessanten Monument
ist uns leider nichts bekannt als die ungenügende Skizze bei Schayes,
Hist. de l'archit. en Belgique II (wiederholt bei Kugler und Schnaase),
ein durch die Gefälligkeit des Herrn Jules Heibig in Lüttich uns
mitgeteilter Bericht des Bull, de l'academie de St. Thomas et de St.
Luc. 1869 und ein Aufsatz von Th. Lejeune in d. Revue de l'art ehr.
1865. St. Vincent kommt unter allen Exemplaren dieser Gruppe
S. Ambrogio am nächsten. In den unteren Arkaden wechseln schwere
Säulen mit Pfeilern; die letzteren haben pilasterartige Vorlagen, in be-
treff deren (wegen der in gotischer Periode eingeschobenen Gewölbe)
nicht mehr zu erkennen ist, ob sie früher Gurtbögen oder etwa nur
blinden Wandbögen zur Stütze bestimmt waren. Die allgemeine Bau-
form entspricht durchaus der Epoche des Wiederaufbaus durch Erz-
bischof Bruno von Köln a. 965; vollendet wohl erst im Laufe des
saec. 1 1 .
VIGNORY, Dep. Haute-Marne (Taf. 46). Gemeinhin für ein Werk
des saec. 10 ausgegeben. Zufolge dem Nachweise von Rarae im Bull,
des traveaux hist. 1882, p. 193 in Wahrheit zwischen 1049 — 1052 ent-
standen. Im Erdgeschoss erstreckt sich der Stützenwechsel bloss auf
die östliche Hälfte. Die Galerie ist, wie der Querschnitt zeigt, eine
nur scheinbare — ein instruktiver Beleg, wie sehr diese Form in die
Gewohnheit übergegangen und dem Auge erwünscht geworden war.
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Erstes Kapitel: Grundlegung.
197
Die monumentalen Zeugnisse über den Baugeist des 9., 10. und be-
ginnenden 1 I.Jahrhunderts ergeben ein zwar höchst unvollständiges, doch
mit nichtcn, was die Grundzüge betrifft, ein undeutliches Bild. In den
Stiftungen aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts hat noch der reine
Säulenbau den Vorzug; daneben kommt der Pfeilerbau auf den Plan; end-
lich, nach der Mitte des 9. Jahrhunderts, taucht als drittes der Stützcn-
wechsel auf und zwar immer im Verein mit Emporen. In Frankreich
bleibt in den folgenden Jahrhunderten dies System fortgesetzt neben
anderen in Uebung in seiner ursprünglichen konstruktiven Bedeutung,
entweder schon geradezu in Verbindung mit dem Gewölbebau oder
doch als mahnende Vorstufe desselben. In Deutschland dagegen fasst
man es rein von der ästhetischen Seite auf; es führt zu Fortschritten
in der Richtung auf den Gewölbebau nicht, die Emporen kommen dies-
seits des Jahres 1000 wieder ausser Gebrauch1), der Stützenwechsel
aber dauert unabhängig von jenen fort (vergl. Taf. 58). Das hohe
Wohlgefallen an diesem Motive wurzelt in seinem beziehungsreichen
Einklang mit dem Bildungsgesetze des strengen deutsch-romanischen
Grundrisses (vergl. Taf. 43, Fig. 2). Erst im Stützen Wechsel des
Aufbaues kommt der Umschwung von dem christlich-antiken zu dem
mittelalterlichen Kompositionsprinzip, das wir bereits in der Krcuzes-
gestalt des Grundrisses, in dessen Zusammensetzung aus Quadraten,
in den Doppelchören und Doppeltranssepten in thätigstem Walten ge-
funden haben, zur Vollendung. Es ist — um es in ein kurzes Schlag-
wort zusammenzufassen — der Gegensatz der Reihung und der Grup-
pierung, der wieder auf die kontrastierenden Grundstimmungen des
Klassischen und des Romantischen zurückgeht2).
Es sei dies an dem Beispiel der Stifskirche von GERNRODE näher
erläutert. Der Längenschnitt (Taf. 46) zeigt, abgerechnet die beiden
Apsiden, fünf Kompartimente von gleicher Grösse aber ungleicher Be-
handlung: zuerst die Querempore (die nach S. 172 restauriert zu denken
ist) ; dann das durch die Pfeiler in zwei symmetrische Gruppen ge-
teilte Langhaus; dann den weiten und hohen Vierungsbogen mit dem
Ausblick ins Transsept; dann die ungeteilte Mauermasse des Chores,
nur durch eine Fensterpyramide belebt. Im Langhaus wird die Tei-
lung weiter detailliert: im Erdgeschoss einer jeden Gruppe eine Zwei-
') Bezeichnenderweise ist ihre Wiederaufnahme im rheinischen Spätromanismus
durch das Vordringen des Gewölbebaues bedingt.
*) Vgl. die geistvollen, wiewohl etwas zu sehr systematisierenden Erörterungen von
Schnaase am Schluss des 3. Bandes, und von Semper, der Stil I, p. XXIX.
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
teilung; in der Galerie eine Dreiteilung, die durch Zwischensäulcn noch
einmal verdoppelt wird; von den dadurch für jede Hauptgruppe der
Galerie resultierenden fünf Säulen erhalten die zweite und vierte, d. i.
die Träger der Blendbügen, stärkere Durchmesser, reichere Kapitelle
und Basen. In höchst ausdrucksvoller Weise wird solchermassen die
strenge Quadrateinteilung des Grundrisses mit dem freien Rhythmus
in der Folge der Traveen des Hochbaues in Beziehung gesetzt. —
Einfacher, indes noch immer wohl erkennbar, entwickelt sich das
Prinzip in den anderen der oben zusammengestellten Monumente: in
MONTIERENDER haben die Teilungssäulchen der Galerie abwechselnd
runde und achteckige Schäfte, in den MAILÄNDER Kirchen ist bei
gleicher Kernform der Stützen das Ornament jedesmal ein anderes u.s.w.
Dagegen halte man die Längenschnitte altchristlicher Basiliken auf
Taf. 19.
In dem einfachen Säulenrhythmus der christlich -antiken Basilika
wie des heidnisch-antiken I'cripteraltempels sind die Glieder und Ab-
schnitte der Reihe unter sich gleich und stehen alle in dem gleichen
Grade der Unterordnung unter das Ganze. In der mittelalterlich-
romanischen Kompositionsweise dagegen werden ungleiche Elemente
zu rhythmischen Perioden zusammengebunden und erst in dieser zweiten
Instanz, in der Gleichheit der Wiederkehr des Verschiedenen, giebt das
Einheitsgesetz des Gesamtorganismus sich zu erkennen. Wie dieses
schon in der Entwicklung der einzelnen Reihe für sich zum Bcwusst-
sein kommt, so bewährt es sich mit vermehrter Deutlichkeit in der
vergleichenden Betrachtung des Gegenüberstehenden. In dem per-
spektivischen Ensemblebilde und der genauen symmetrischen Rcsponsion
in welcher hier die beiden Seiten des Hauses sich darstellen, wird die
in jeder einzelnen derselben gebrochen erschienene Einheit wieder her-
gestellt, und die über dem Ganzen waltende Ordnung tritt um so über-
zeugender hervor, je mehr sie für den ersten Anblick hinter der Mannig-
faltigkeit und eigenwilligen Sonderart der Einzelgruppen und -Glieder
sich verbarg. Dem geschichtsphilosophisch gerichteten Betrachter wollen
wir nicht widersprechen, wenn er hierin das Seitenstück zu bekannten
Phänomenen in Kirche, Staat und Gesellschaft des germanischen Mittel-
alters finden mag.
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Erstes Kapitel: Grundlegung
199
Beschreibung der Tafeln.
Zentralbauten.
Tafel 40.
1, * Aachen: Münsterkirche. Die schwarz angelegten Teile geben die
karolingische Palastk.apelle , die schraffierten die Zubauten des
späten Mittelalters. — Bäcker.
2, 3. Aachen: Palastkapelle. Schnitte. Das Altarhaus ergänzt. —
Isabelle, Dohme.
4, 5. Como: S. Fedele. — saec. 9 — 10. — Dartein.
Tafel 41.
1, 2. * Nymwegen: Palastkapelle. — Grundriss saec. 9, Hochbau
saec. 1 2 mit Resten des Gründungsbaues. — B e z o 1 d.
3, 4. Ottmarsheim: Damenstiftskirche. — saec. 11 M. — Isabelle.
5, 6, 7. * Essen: Münsterkirche. Nonnenchor. — saec. 10 E. —
- Zindel.
8. Köln: S. Maria im Kapitol. Nonnenchor. — saec. 11 M. -
Frantzen.
9, 10. Mettlach: »Der alte Turm« . — saec. 10 E. — Erbkam 187 1.
ii, 12. Germigny des Pres : Klosterkirche. — saec. 9 A. — Daly 1849.
13. Fulda: S. Michael, Grundrisse der Kirche und der Krypta. —
saec. 9 A. — v. D ehn-Rot felser.
Basiliken. Grundrisse.
Tafel 42.
1. Saint- Denis. — saec. 6. — Viollet-le-Duc.
2. *S. Gallen: Benediktinerkirche. — saec. 9 A. — Nach den dem
Originalriss eingeschriebenen Massen.
3. Hersfeld: Benediktinerkirche. — saec. 9 M. u. 11. — Correspon-
denzblatt.
4. * Werden a. R.: Benediktinerkirche. Links restauriert im Sinne des
saec. 9, rechts saec. 13. — Stüler, ergänzt durch Lieber.
5. Michelstadt: Stiftskirche. — saec. 9 A. — Nassauer Annal. XIII.
6. Ingelheim: Palastkirche. — saec. 10 M. — Mainzer Alter-
tümer.
Krypten.
3a. Hersfeld. — saec. 11.
4*. Werden a. R. — saec. 9 u. 11.
7. Soissons: S. Medardus: — saec. 6? — Taylor et Nodier.
8. Konstanz: Dom. — saec. n A. — Schober.
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200
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Krypten.
Tafel 42.
9. *Rom: SS. Quattro Coronati. — saec. 9 A. — K. Lange.
10. * Füssen: S. Mang. — saec 11 ? — Dehio.
11. Echternach. — saec. 7. — Rhein 1. BD.
12. * Regensburg: S. Emmeram. — saec. 11 M. — Bezold.
13. * Regensburg : S. Stephanskapelle. — saec. 11. — Bezold.
Anlagen mit Doppeltranssept.
Tafel 43.
1. Centula. — saec. 8 E. — Mabillon »ex scripto codicec.
2. Hildesheim : S. Michael. — saec. 11 A. — Niedersächs. BD.
3. * Dasselbe: restaurierte Ansicht. — Nach Baumodell u. Photogr.
4. * Köln: S. Pantaleon. — saec. 10, 12, 13. — Höfken, Frantzen.
5. Dasselbe: Ansicht. — Nach Kupferstich von a. 1663.
6. * Münster i. \V.: Dom. — Restaurationsprojekt des Grundrisses.
7. Reichenau: Münster Sta. Maria. — saec. 11. — Adler.
System des Inneren.
Tafel 44.
1. Michelstadt. — saec. 9 A. — Nassauer Annalen XIII.
2. Agliate. — saec. 9— 11? — Dar t ein.
3. Beauvais: Basse- Oeuvre. — saec. 10. — Woillez.
4. Angers: S. Martin. — saec. 11. — Gaühabaud.
5. Montier-en-Der. — saec. 10 — 11. — Archives m. hist.
6. * Herden a. R. saec. 9, 11, 13. — Lieber.
Tafel 45.
1. Rom: Sta. Prassede. saec. 9. — Hübsch.
2. 3. Mailand: S. Celso. — saec. 10. — Dar t ein.
4, 5, 6. Mailand: S. Ambrogio. — saec. 9, 10, 13. — Dartein.
Tafel 46.
1, 2. Vignory. — saec. 11. — Archives m. hist.
3. * Köln: Sta. Ursula. — saec. 10? 12. — Bezold, Frantzen.
4. * Reims : S. Remy. — Restauriert im Sinne des saec. 11, mit Be-
nutzung der Aufnahmen von Gailhabaud u. Viollet-le-Duc.
5. Gernrode: Damenstiftskische. — saec. 10, 12. — Zeit sehr. d.
Harzvereins.
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Zweites Kapitel.
Die flachgedeckte Basilika in Deutschland.
Litteratur. — H. Otte: Handbuch der kirchlichen Kunstarchäologie des deutschen
Mittelalters. 5. Aufl., bearb. von E. Wernicke. 1884. — H. Ottt: Geschichte der roma-
nischen Baukunst in Deutschland. 1874. — G. Möller: Denkmäler der deutschen Bau*
kunst, 2 Bde., 1821 — 1836. Bd. 3 von E. Gladbach, 1844 fr. — Chafuy: L'AUemagne
monumentale et pittoresque. 12 Livr. 1845—40. — G. Kallenbach: Die Baukunst des
deutschen Mittelalters, chronologisch dargestellt, 1847. — Derselbe: Atlas zu obigem
Werk, 1847. — E. Farster: Denkm. der deutschen Baukunst, 12 Bde., 1853 — 69. —
Jt. Dehme : Geschichte der deutschen Baukunst, 1885 ff. — IV. Lötz: Kunsttopographie
Deutschlands. 2 Bde., 1862 — 63. — A. Schultz: Regesten zur Baugeschichte der Jahre
800—1300. (Repertorium f. Kunstwissenschaft, II. 1879). — Inventare der Baudenkmäler
sind für alle deutschen Staaten und Provinzen in Bearbeitung genommen. — //. Müller :
Karte der mittelalterlichen Kirchenarchilektur Deutschlands.
Monographien. — 1. Sachsen, Thüringen und die nordöstlichen Marken.
— /,. Puttrich: Denkm. der Baukunst des Mittelalters in Sachsen, 4 Bde., 1835—52. —
H. Mithoff: Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte, 1852 — 62. — Baudenkmäler
Niedersachsens im Mittelalter, redigiert von C. W. Hast, 3 Bde., 1856 — 83. — Reise-
skizzen der niedersächsischen Bauhütte, 1864. — v. Quast: Reiseberichte in der Zeitschr.
f. christl. Archäologie und Kunst. — Andrea: Monumente des Mittelalters im sächsischen
Erzgebirge. — //. Stier: Liebfrauenkirche in Arnstadt, 1883. — v. Heinemann: Gern-
rode. Zeitschr. d. Harzvereins, X. — Kratz; Dom zu Hildesheim, 1840. — Heine:
Quedlinburg. Zeitschr. d. Harzvereins, VIII. — H. A. Müller : Der Dom zu Bremen,
1861. — Pfeiffer : Mittelalterliche Dorfkirchen im Herzogtum Braunschweig. Zeitschr. f.
Bauwesen, 1882. — A. Essenwein : Norddeutschlands Backsteinbau im Mittelalter, 1856.
— F. Adler - Mittelalterliche Backsteinbauten des preussischen Staates, 1862 ff. — Mit-
hoff: (Inventar) der Kunstdenkmäler u. Altertümer im Hannoverschen, 7 Bde., 1871
bis 1880. — Beschreibende Darstellung (Inventar) der Bau- u. Kunstdenkmäler d. Provinz
Sachsen, 1879fr. — Desgl. für die Provinz Schleswig-Holstein, herausgegeb. von
Haupt, 1885 ff. — Desgl. für die Provinz Brandenburg, herausgegeb. von R. Bergau.
— Desgl. für das Königreich Sachsen, 1882 ff. — 2. Westfalen. — YV.Lübke:
Die mittelalterl. Kunst in \V. Mit Atlas. 1853. — A. Orth : Die roman. Kirchen im
Fürstent. Waldeck. Zeitschr. f. B., 1862. — Memminger: Kunstdenkm. des Kreises Soest,
1881. — Inventar, bearb. von Nordhoff, 1881 ff. — 3. Mittel- und Niederrhein. —
C/t. IV. Schmidt: Haudenkm. in Trier u. Umgebung, 1839 — 41. — .S\ Jioisserie: Denkm.
der Baukunst am Niederrhein, 1843. — Cfier "• Gort; Denkm. romanischer Baukunst,
1846. — v. Quast: Die roman. Dome in Mainz, Worms u. Speier, 1853. — Kugler ■.
Rheinreise. Kl. Schriften II. — F. Bock: Das monumentale Rheinland, 1866—69. —
«4
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202
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Derselbe: Rheinlands Baudenkm. des Mittelalters, 3 Bde., 1869 — 72. — F. Schneider:
Rheinhessens kirchl. Baudenkm. Bonner Jahrb., Bd. 21. — Derselbe: Inventar filr den
Regierungsbeiirk Wiesbaden, 1880. — v. Ftsenne: Kunstdenkm. des Mittelalters am Nieder-
rhein, 1880—86. — Frantten : Mittelallerl. Kirchen in Köln, Autographierte Aufnahmen
(Manuskript). — Prisac: Sieben alte Landkirchen im Erzstifte Köln. Hornblatt 1854 —
v. Quast : Münster zu Essen. Zeitschr. f. A. u. K. 1. — Wiethase . Brauweiler. Zcitschr.
d. Arch.-Vereins Hannover, 1878. — Raschdorf: Knechtsteeden. Zeitschr. f. B. 1874.
— //. Stier: Limburg a. L. Daselbst 1874. — F. Schneider : Dom zu Mainz, 1886. —
W. Meier: Dom zu Speier (wird erscheinen). — A. Simons: Schwarzrheindorf, 1848. —
v. Wilmowski: Dom zu Trier, 1874. — Stüter u. Lende: Werden a. R. Zeitschr. f. H.
1857. — F. Schneider: S. Paul zu Worms. 1881. — 4. Oberrhein, Schweiz und
Schwaben. — (//.Schreiber): Denkm. deutscher Baukunst am Oberrhein, 1825 — 28. —
Schzoeighäuser et Gollbcry. Antiquites d'Alsace, 18:8. — A. Woltmann: Geschichte der
deutschen K. im Elsass, 1876. — F. Adler: Frtihroman. Baukunst im Elsass, 1879. —
/*'. X. Kraus: Kunst und Altertum in Elsass- Lothringen, 2 Bde., 1876 ff. — /'. Adler :
Die Klosterkirchen auf Reichenau, 1870. — Nettti'irt: Die kirchl. Bauten in St. Gallen,
Reichenau, Petershausen. Wiener Sitzungsber. 1884. — Schober: Münster in Konstanz.
Das alte Konstanz. Jahrg. I. u. II. 1881 — 82. — J. Rahn: Gesch. der bildenden Künste
in der Schweiz. — Füss/i: Zürich, 1846. — Vögtli , Keller u. IVyss : GrossmUnster zu
Zürich. Mitteil. d. Antiquar. Ges. I. II. VIII. — F. Eisenlohr : Mittelalterl. Baudenkm.
im südwestlichen Deutschland, 1853 ff. — C. Heideloff: Die Kunst des Mittelalters in
Schwaben, 1855 — 64. Supplement 1858 — 72. — Leins: Beitrag u. s. w. zum Kirchenbau
in Württemberg, 1864. — //assler: Kunstdenkm. Württembergs, 1859 — 62. — v.Lorent:
Denkm. des Mittelalters in Württemberg. Photogr. Aufnahmen, 1866 — 69. — Jahresh.
des Württemb. Altert. -Vereins, 1844 ff. — G. Thrän: Deokm. altdeutscher Baukunst in
Schwaben, 1846. — Th. Herber ger : Dom zu Augsburg, 186t. — C. Klunzingcr : Belln-
hausen, 1852. — E. J. Schwarz: Ellwangen, 1882. — v. Egle: Hirschau (Autograph.
Aufnahmen als Manuskript). — Klunzingcr: Maulbronn, 1861. — E. Paulus: Maul-
bronn, 18S2. — 5. Franken und Hessen. — v. Dehn- Rotf eiser: Mittelalterl. Bau-
denkm. in Kurhessen, 1862 — 65. — Inventar für die Provinz Hessen-Nassau, bearbeitet
von v. Dehn- Rotf eiser, W. Lötz, F. Schneider. 1870 — 80. — v. Stillfried: Heilsbronn,
1877. — 6. Bayern und Oesterreich. — J. Sighart: Gesch. der Künste im Königr.
Baiern, 1862. — Derselbe : Dom zu Freising, 1852. ~ J. Popp u. IJiilau: Architektur
des Mittelalters in Regensburg, 1834 — 39. — v. Quast : Regensburg, D. Kunstbl., 1852.
— v. Walder dorff: Regensburg, 1869. — G. //eider, R. v. Eitelberger u. J. Hieser :
Mittelalterliche Kunsdenkm. des österr. Kaiserstaates, 2 Bde., 1856 — 59. — {v. //eifert):
Atlas kirchl. Kunstdenkm. im österr. Kaiserstaat, 1873. — Jahrbuch der A*. K. Central-
Commission zur Erforschung u. Erhaltung der Baudenkm., 5 Bde., 1856 ff. — Mitteil.
derselben C.-C. 30 Bde., 1856 ff. — v. Sachen : Kunst u. Altertum in Nieder-Oesterreich,
1877. — Aufnahmen der Wiener Bauhütte (Manuskript). — B.Grueber : Die Kunst des
Mittelalters in Böhmen, 4 Bde., 1871—79.
Weitere Litteraturnachweise in W. Lötz' Kunsttopographie und H. Ottes Handbuch.
1. Allgemeines.
Die Geschichte des Mittelalters lehrt als die wahren Erben der
Universalmacht Karls des Grossen nicht die deutschen Kaiser, sondern
die römischen Päpste erkennen. Für die Baugeschichte indes hat
dieser Satz keine Geltung. Es bleibt höchst merkwürdig, dass Rom
über ein so wichtiges Gebiet des kirchlichen Lebens, wie die kirch-
liche Baukunst, ein Gebiet auf dem es bis dahin unbestritten der
Gesetzgeber des ganzen Abendlandes gewesen war, eben damals jeg-
lichen Einfluss verlor. Es wurde eine der bedeutsamsten Eigentümlich-
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Zweites Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Deutschland. 203
keiten der romanischen Baukunst, dass sie eines Mittelpunktes, wie
sie ihn in dem kurzen Momente ihrer ersten Kristallisation am Hofe
Karls des Grossen besessen hatte, nachmals dauernd entbehrte.
Das Europa des hohen Mittelalters beruht wesentlich auf den
drei aus der fränkischen Monarchie ausgesonderten Völkergruppen:
der deutschen, der italienischen, der französischen. Eben diese sind
auch die Führer der abendländischen Baukunst, und je einer von ihnen
ordnen sich die an der Peripherie liegenden Länder — England,
Spanien, Dalmatien, Ungarn, Böhmen, Skandinavien — unter, die
ihnen dargebotenen Bautypen in oft interessanter Weise variierend,
aber keine neuen Typen schaffend.
Deutschland, um damit zu beginnen, ist den anderen in bezug
auf Einheit und Stetigkeit der Entwickelung bei weitem voraus. Sonst
immer gewöhnt, die Deutsche Geschichte dieser Zeit in einem Geiste
der Absonderung der Stämme und in deren Widerstreit gegen die
Reichsgewalt sich bewegen zu sehen, werden wir durch diese That-
sache der Kunstgeschichte doppelt überrascht. Und wir meinen, dass
unsere Könige und Kaiser mehr Verdienst darum haben, als ihnen
gewöhnlich zugestanden wird. Man muss sich, um dies zu verstehen,
ihr Verhältnis zur Kirche vergegenwärtigen. Die hohen Beamten der
Kirche waren zugleich Beamte des Reiches. Für die Könige des
sächsischen und fränkischen Hauses war es oberste politische Maxime,
der Bischöfe sich sicher zu stellen, um durch sie den Partikularismus
der Fürsten und Stämme zu überwinden. Die Besetzung der Bistümer
und grossen Abteien ging unmittelbar vom Könige aus; ein grosser
Teil der zu diesen Würden Beförderten waren Männer, die in jungen
Jahren ihre Schule in der königlichen Kapelle und Kanzelei durch-
gemacht hatten und die mit dem Hofe in stetem Verkehr blieben;
in diesem Kreise war der Gedanke der Reichseinheit am lebendigsten,
er war von nicht zu unterschätzender Bedeutung aber auch für den
Zusammenhang der Bildungsinteressen. Die Baulust der Könige des
sächsischen und fränkischen Hauses kam fast ausschliesslich der Kirche
zu gut; erst die Staufer gönnten dem weltlichen Prunkbau eine Stelle.
Ihren ersten Aufschwung nahm die deutsche Baukunst unter der Pflege
der Ottonen an deren Lieblingssitzen am Harz; Ottos I. Bruder, Erz-
bischof Bruno von Köln, förderte sie am Niederrhein und in Lothringen ;
Heinrich II. wurde epochemachend für Regensburg und Bamberg;
Konrad II. beschenkte seinen Heimatsgau mit den grandiosen Kirchen
zu Limburg und Speier; Heinrich III. verlieh dem kleinen Goslar
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204 Zweites Buch: Der romanische Stil.
hohe monumentale Würde ; Heinrich IV. wurde nur durch sein drang-
volles Schicksal verhindert, den Bauruhm seines Vaters und Gross-
vaters zu übertreffen. Sehen wir uns sodann unter den Kennern und
Förderern des Bauwesens im hohen Klerus um, so waren — nur um
die berühmtesten zu nennen — Bernward von Hildesheim, Poppo
von Stablo, Benno von Osnabrück, Adalbert von Bremen, Otto von
Bamberg, zuvor vertraute Diener ihrer königlichen Herren, mehrfach
von ihnen auch geradezu als Bauintendanten beschäftigt. Männer
dieser Art brachte das 12. Jahrhundert nicht mehr hervor — der
Investiturstreit lag dazwischen. Und eben im 12. Jahrhundert trat
auch eine Spaltung im System der deutschen Baukunst ein, indem
die Rheinlande sich dem Gewölbebau zuwandten, während Sachsen,
Bayern und Schwaben an der Flachdecke festhielten. Dass aber eine
lange Epoche der Einheit vorausging, war ein Glück. Denn Deutsch-
land hätte eine ähnliche Zersplitterung in scharf gesonderte Provinzial-
schulen, wie Frankreich und Italien sie durchmachten, nicht ertragen
können: die Mehrzahl der deutschen Landschaften wären in primitiver
Roheit zurückgehalten worden.
Die Einheit, von der wir sprechen, ist allerdings nur eine relative.
Sie schloss nicht aus, dass jeder Stamm das gemeinschaftliche Ideal
in besonderer Weise ausprägte. Drei Hauptregionen grenzen sich ab :
der Norden, der Westen, der Süden, oder — nach den tonangebenden
Stämmen benannt — die sächsische, die rheinfränkische, die aleman-
nisch-bayrische; zwischen ihnen als Uebergangstypen im Innern die
westfälische, die hessische, die mainfränkische, an der Peripherie die
lothringisch-elsässische und die Alpenregion. Ausser in diesen Grenz-
gebieten ist der Einfluss des Auslandes in dieser Epoche noch sehr
gering, geringer als in irgend einer späteren der deutschen Bau«
geschichte.
Die letzten Ausläufer eines auf römischen Traditionen fussenden
Bauhandwerks, die wir unter Karl und seinen nächsten Nachfolgern
am Rhein noch wahrnehmen können, sind nach der Teilung des
Reiches und dem allgemeinen Wirrsal unter den letzten Karolingern
entweder unter oder in die kirchlichen Werkstätten übergegangen.
Diese letzteren bildeten — da dem nationalen Holzbau Einfluss auf
die Kirchenarchitektur nicht zugestanden wurde — die einzige Schule
einer neuen Maurer- und Steinmetzengewerkschaft, die sehr langsam
nur, erst gegen Ende der romanischen Epoche, der geistlichen Lei-
tung entwuchs. Zwischen Bauherren und Baumeistern war keine
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Zweites Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Deutschland.
205
strenge Grenze gezogen. Ist auch die Zahl der Bischöfe und Aebte,
die gründlichere Fachkenntnisse besassen, nie sehr gross gewesen, so
war ein gewisses allgemeines Bauverständnis doch Gemeingut des
geistlichen Standes und bei den technisch durchweg einfachen Auf-
gaben der vor der Einführung des Gewölbebaus liegenden Zeit
auch nicht schwer zu erwerben. Die Geistlichen gaben die allge-
meinen Bestimmungen über Formen und Maasse, die Ausführung
lag in der Hand der Laienhandwerker, die freilich nicht immer die
Kundigsten waren 1). Dieser halbdilettantische Betrieb hatte sehr
viel Mängel im Gefolge, aber auch schwerwiegende Vorzüge. Er
verschuldete die oft sehr grossen und auch niemals ganz über-
wundenen Nachlässigkeiten und Ungleichheiten der Abmessungen,
die trotz durchschnittlich übertriebener Massigkeit des Mauerwerks
häufig vorkommenden Senkungen und Einstürze, die späte Ver-
feinerung des Mauerverbandes u. s. w. Andererseits wäre aber ohne
eine so weit ausgebreitete praktische Teilnahme am Bauwesen- eine
so gewaltige Leistung der Volksphantasie, wie die Erschaffung der
neuen romanischen Formensprache , niemals möglich geworden.
Denn die Klöster und Domstifter, wie man nicht übersehen darf,
sammelten ihre Insassen aus allen Ständen, eine Auslese der besten
geistigen Kräfte der Nation. Diese Kunst ist, sehr im Unterschiede
von der frühchristlichen wie von der spätmittelalterlichen , fern von
Routine und leerer Konvention. So einfach und gleichförmig ihre
Grundelemente sind, liegt in der Behandlung des einzelnen Werkes
immer persönliche Bestimmtheit und seelische Wärme, und man hat
das Gefühl, dass der Priester wie die Gemeinde sich gleichmässig
wohl fühlten in diesen schlichten aber weihevollen Räumen.
Nach den grundlegenden Neuerungen der Karolingerzeit ver-
gingen drei Jahrhunderte bis eine ähnlich tief einschneidende Wendung
eintrat, Waren jene vom Grundriss ausgegangen, so diese von der
Decke. Es handelt sich um das Aufkommen der gewölbten Stein-
decke. So scharf die hierdurch gegebene Grenzlinie, systematisch
betrachtet, sich abzeichnet, so allmählich verläuft sie in chronologischer
Hinsicht. Die Neuerung, zuerst am Rhein auftauchend, rückt nur
langsam gegen Osten vor, auch entscheidet sich nirgends gleich eine
') Dem Mangel an heimischen Kräften sachte man nach Möglichkeit durch Heran-
ziehung fremder abzuhelfen. Wandernde Bauführer häufig genannt. Zuweilen ganze
Arbeitergesellschaften von auswärts, selbst von jenseits der deutschen Grenzen, aus Gallien
und namentlich der Lombardei angeworben. Vgl. Schneider imCorrespondenzbl. 1876, S. 79.
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206
Zweites Buch: Der romanische Stil.
ganze Landschaft für sie, sondern es gehen längere Zeit Bauten des
alten und des neuen Systems nebeneinander her. Wenn am Rhein
die Erstlinge des Gewölbebaus um 1 100 auftreten, so ist im östlichen
Sachsen und Bayern noch nach 1200 die Flachdecke bei Neubauten
nichts Unerhörtes. Solchermassen ergibt sich für das letzte Jahrhundert
der romanischen Epoche ein der früheren geradezu entgegengesetztes
Bild : nicht mehr Einheit, sondern Dualismus der Grundbestimmungen.
Für die von uns zur Richtschnur genommene Betrachtungsweise folgt
daraus, dass wir die Bauthätigkeit des 12. Jahrhunderts nicht mehr
zusammenhängend, sondern nach ihren beiden Hauptrichtungen ge-
trennt nur zur Darstellung bringen können.
2. Der Grundriss.
Einige wichtige Besonderheiten, wie die Doppelchöre und Doppel-
transfepte, haben wir vorweg im ersten Kapitel behandelt. Hier soll nur
von den für die übrige grosse Masse gültigen Formen die Rede sein.
An der Spitze ist, als die für Deutschland am meisten bezeich-
nende Grundrissform, das regelmässige lateinische Kreuz zu nennen. Das
Gestaltungsprinzip war schon zu Anfang des 9. Jahrhunderts in aller
Klarheit ausgesprochen (vgl. oben S. 157 ff.). Aber dasselbe fand
nicht in allen Landschaften gleiches Verständnis.
Obenan steht Sachsen in konsequenter Erfassung und unver-
brüchlicher Anhänglichkeit. Hierzu kam als neues Motiv nur die An-
lage von je einer Nebenapsis an der Ostseite der Kreuzarme. Es ist,
als ob die sächsischen Bauleute sich verpflichtet gefühlt hätten, den
neuerlernten Begriff der Regelmässigkeit und Symmetrie mit mathe-
matischer Strenge durchzuführen. Dass das Kreuzungsquadrat die
Maasseinheit bilden, oder, was auf dasselbe hinauskommt, dass die
Breite des Hauptschiffes in dessen Länge in gerader Zahl aufgehen
müsse, steht von Anfang an fest. Etwas länger dauert die Unter-
werfung der seitlichen Teile unter diese Regel. Den Kreuzarmen des
Querschiffes etwas weniger als das volle Quadrat oder den Abseiten
des Langhauses etwas mehr als die halbe Breite des Mittelschiffs zu
geben und infolgedessen geringes Vorspringen des Querbaues über
die Langseiten, das sind Merkmale der Fruhzeit, übrigens auch ausser-
halb Sachsens.
Beispiele: Gernrode, Quedlinburg, S. Kastor in Koblenz,
S.Pantaleon in Köln, Sta. Maria auf Reichenau, S.Emmeram und
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Zweites Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Deutschland.
207
Obermünster in Regensburg — sämtlich aus dem letzten Drittel des
10. oder dem ersten des 11. saec. In S. Michael in Hildesheim
(Taf. 43. 59) sind die Kreuzarme ausnahmsweise länger wie das Mittel-
quadrat und mit Emporen abgeschlossen , wohl nach dem Vorbilde
der Peterskirche zu Rom (vgl. auch Sta. Prassede daselbst) ; in diesem
Zusammenhang hat man sodann die Trennungssäule zwischen dem
Querhaus und den Abseiten des Langhauses als Rudiment fünfschiffiger
Teilung zu betrachten ; dasselbe Motiv in Quedlinburg und Reichenau.
In S. Pantaleon in Köln (Taf. 60) sind die Kreuzarme kürzer, dafür
vollständig mit Emporen überbaut; Nischen im Obergeschoss deuten
hier wie in S. Michael auf ehemalige Altäre, deren die Klöster infolge
ihrer komplizierten Messgebräuche nie genug haben konnten. — Die
Länge des Hauptschiffes beträgt im 10. und n. saec. zwei oder drei, erst
im 12. saec. vier Breiten.
Im Rheinlande ist das lateinische Kreuz gleichfalls die normale
Form, doch kommen hier Abweichungen von der strengen Regel
schon häufiger vor. Hin und wieder selbst Wegfall des Querschiffs.
In der unter Leitung Poppos von Stablo entstandenen Klosterkirche
zu Limburg a. H. und dem vielfach verwandt behandelten Dom zu
Speier (Taf. 48) kein gerades Aufgehen der Breite in die Länge. Im
Dom von Würzburg, einer Nachahmung von Hersfeld, ist dies zwar
der Fall, aber die Stützen fallen nicht mit den Ecken der Quadrate
zusammen. Ungewöhnlich für ihre Zeit (beg. 1030— 1040) ist an diesen
Bauten die gesteigerte Längenausdehnung, wie sie überhaupt in ihrem
Flächenraum alles bisher versuchte weit hinter sich lassen.
Süddeutschland bietet ein nicht unwesentlich verschiedenes
Bild dar. Es besteht hier weniger Neigung zu strenger Typenbildung ;
die Verhältniszahlen sind unentschieden, die Grundrisse im Vergleich
zu den nord- und westdeutschen reduziert, oder richtiger: weniger
entwickelt.
Am Oberrhein ist zwar durchschnittlich ein Querhaus vor-
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208
Zweites Buch: Der romanische Stil.
handen, aber die Quadrateinteilung desselben wird lax behandelt;
nicht selten kommen rechteckige Chorschlüsse vor.
Elsässisch ist der altertümliche T förmige Grundriss; im Strass-
burger Münster noch im letzten, spätromanischen Umbau beibehalten,
ferner S. Stephan daselbst, Eschau, Berg hol zzell u. s. w.
In Schwaben dieselbe Neigung zu platten Chorschlüssen, ausser-
dem durchweg Unterdrückung des Querschifles.
Eine Ausnahme von der letzteren Regel machen die beiden (ein-
zigen) bischöflichen Kathedralkirchen des Landes, zu Konstanz und
Augsburg, und die Klosterkirchen der Hirsauer Regel. Von diesen ab-
gesehen kommen grössere Kirchen überhaupt nicht vor. Beispiele von
Chordispositionen geben die vor- und beistehenden Figuren ; zu bemerken
ist dabei, dass mitunter über dem Chor ein Turm zu stehen kommt; in
Brenz.
anderen Fällen ein einzelner Westturm ; in Brenz von niederen Treppen-
türmen flankiert. Einschiffige Kirchen, dergleichen vereinzelt auch in
anderen Landschaften vorkommen, hier besonders häufig; vgl. die Liste
bei Otte, Handbuch II, 114. Als Beispiel geben wir die Kirche von
Simmersfeld, mit queroblongem Turm über dem Chor und hufeisen-
förmiger Apsis.
In Bayern sind die Anlagen nicht minder einfach wie in
Schwaben, die Dimensionen aber stattlicher. Das Querschiff kommt
nur in einer bestimmten Baugruppe, und zwar abnormal als westliches,
vor; sonst fehlt es immer, und die auf gleicher Linie endigenden
Schiffe laufen in eine Gruppe von drei Apsiden aus.
Die regulären Kreuzbasiliken in Prüfening, Biburg, Windberg
stehen als Zugehörige zur Hirsauer, resp. Prämenstratenser Regel ausser
der Linie. Woher aber hat S. Peter in Straubing die Kreuzform?
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Zweites Kapitel: Die »lachgedeckte Basilika in Deutschland.
209
Ueber das westliche Querschiff der baugeschiehtlich eng zusammen-
gehörigen Gruppe der Dome zu Augsburg (994 — 1006), S. Emmeram
zu Regensburg (1002— 1020), Bamberg (1004—1012), Eichstätt
(um 1021 — 1042), vgl. oben S. 176—178. Beispiele normaler bayrischer
Anlagen: Niedermünster und S. Jakob in Regensburg, Moosburg,
Steingaden, sämtlich auf Taf. 50; ferner Petersberg bei Dachau,
Isen, Ilmmünster, Tierhaupten, Abtei S. Zeno und Pfarrkirche in
Reichenhall, endlich der stattliche Dom zu Freising.
Die südöstlichen Marken folgen, was den Gru ndriss betrifft,
der bayrischen Sitte. Ihnen schliesst sich Ungarn an, während in
Böhmen fränkische und sächsische Einflüsse vorschlagen.
Nun ist noch ein Typus zu beachten, der nicht provinziell be-
grenzt, sondern dessen Träger eine neue Ordensregel ist. Von dem
burgundischen Kloster Cluny ging im 11. Jahrhundert eine Bewegung
aus, die, auf allgemeine Reform der Kirche hinzielend, mit der Unter-
werfung der alten Benediktinerklöster unter eine strengere Regel begann.
In Deutschland war das einflussreichste Reformkloster das zu
Hirsau im schwäbischen Schwarzwald. Die von dem Abt Wilhelm
(1069 — 1091) eingeführte Regel ist nach dem Muster jener von Cluny
entworfen, indes ohne einen Verband mit dem burgundischen Kloster
zu begründen und ohne die von Hirsau aus in allen Teilen Deutsch-
lands reformierten oder neuerrichteten Klöster, es ist von mehr als
hundert die Rede, zu einer gleich fest geordneten Kongregation wie
die cluniacensische zusammenzuschliessen. Gleichwohl haben die bau-
lichen Eigentümlichkeiten des Mutterklosters eine von den Töchtern
zähe festgehaltenen Typus erzeugt. Dessen Merkmale sind: das la-
teinische Kreuz in strenger Ausbildung ; Abseiten neben dem grossen
Chorquadrat, von letzterem anfangs durch eine geschlossene Mauer,
später durch Arkaden geschieden ; Wegfall der Krypta ; an der West-
front eine Vorhalle mit Empore zwischen einem Paar von Türmen.
Von allgemeiner Bedeutung ist namentlich das letztere Motiv, weil
es zur Durchbrechung und schlicsslichcn Beseitigung des in Deutsch-
land bis dahin vorherrschenden Systems der Westchöre am meisten
beigetragen hat. Diesem Hirsauer Plan folgt eine Reihe der ausge-
zeichnetsten Kirchenbauten aus der ersten Hälfte des 1 2. Jahrhunderts.
DIE HIRSAUER SCHULE. Das Mutterkloster besass zwei
Kirchen. Die dem H. Aurelius gewidmete befand sich schon im Bau
(seit a. 1060), als 1069 Wilhelm zum Abt berufen wurde. Er weihte
sie 107 1. Nicht lange danach aber forderte der gewaltige Zudrang
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2IO
Zweites Buch: Der romanische Stil.
von Mönchen und Laienbrüdern die Errichtung einer zweiten grossen
Kirche, die gleich der von Cluny den HH. Peter und Paul geweiht
wurde. Beide liegen jetzt in Trümmern. Die Gestalt der Aurelius-
kirche kann noch mit aller Sicherheit rekonstruiert werden (Taf. 51. 56),
die der Peter-Paulskirche ist in einigen Zügen verwischt. Die allge-
meine Anlage teilt diese mit jener, nur scheint der Chor ohne Apsis
platt zu schliessen und zwischen das Schiff und die Vorhalle ist ein,
anscheinend unbedecktes, Atrium eingeschaltet.
Hier ist der Irrtum zu beseitigen, dass Abt Wilhelm es sei, der
die cluniacensische Anlage in Deutschland zuerst eingeführt habe. Sein
erster Verkehr mit Cluny datiert erst von a. 1077, die engere Verbindung
von a. 1085 (Giesebrecht, Kaiserzeit III. 632), während es nach v. Egles
Untersuchungen keinem Zweifel unterliegt, dass die Aureliuskirche, wie
wir sie heute sehen, in die Bauzeit 1060 — 107 1 fällt. Offenbar hat der
Einfluss des mächtigen burgundischen Klosters schon früher begonnen.
Zuerst im Elsass. Sehr erkennbar ist er z. B. an den älteren Teilen
der Klosterkirche zu An dl au, die a. 1049 von Papst Leo IX. geweiht
wurde. Dieser Papst aus dem elsässischen Geschlechte der Grafen
von Egisheim, einer der eifrigsten Vorkämpfer der cluniacensischen
Reform war nun Mitstifter von Hirsau, Noch etwas weiter zurück
führt ein anderer Freund Clunys, Abt Poppo von Stablo, und die unter
seiner Oberleitung erbaute Klosterkirche Limburg a. H. (seit 1030),
deren Vorhalle und platter Chor gleichfalls nach Cluny weisen. End-
lich als eine Förderung allgemeinerer Art die a. 1032 von Konrad II.
vollzogene Vereinigung der burgundischen Krone mit Deutschland1).
Sowohl in Burgund wie in Alemannien (Schweiz, Elsass, Schwaben)
ist die Neigung zu platten Chorschlüssen alt und verbreitet. In grösseren
Klosterkirchen wurde das Motiv dahin erweitert, dass dem Chorquadrat
beiderseits enge und tiefe Nebenchöre, nach Analogie der Abseiten
des Langhauses, beigeordnet wurden. Wir haben sehr triftige Gründe
(das genauere in Kap. IV) zur Annahme, dass die im Jahre 981 geweihte
Kirche von Cluny in dieser Weise disponiert war. Ob das Motiv zu-
erst in Cluny erfunden wurde, ist ungewiss und nicht sehr wahrschein-
lich; um so sicherer, dass Cluny den wirksamsten Anstoss zu seiner
Verbreitung gegeben hat. Südwestdeutschland war schon durch seine
provinziellen Gewohnheiten darauf vorbereitet, so dass sich selbst ein
ausserhalb der Kongregation stehender Bau, wie der Dom zu Konstanz,
anschloss. In den elsässischen Cluniacenserklöstern Andlau und Mur-
bach, dann in der Peter-Paulskirche zu Hirsau und im Tochterkloster
') Bei dieser Gelegenheit sei die Frage aufgeworfen , ob nicht die grossartige
Unterkirche in Konrads II. Dom ru Speier, die Uber die Intentionen deutscher Krypten
so weit hinausgreift , auf ein burgundisches Vorbild , wir denken speziell an S. Benigne
in Dijon, zurückgehe?
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Zweites Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Deutschland.
211
Schaffhausen blieb der östliche Abschluss geradlinig. Die weiter
ins innere Deutschland vordringenden Filialen aber vermochten sich,
so getreu sie sonst sich an das Vorbild hielten, mit dieser etwas kahlen
Fassung nicht zu befreunden ; vielmehr verliehen sie, womit schon die
Aureliuskirche vorangegangen war, dem Chore immer eine Apsis und
fast immer auch den Nebenchören Nebenapsiden.
Für die Hirsauer Schule typisch und gleichfalls cluniacensisch ist
zweitens der Mangel der Krypta, wodurch die Hirsauer Kirchen von
ihrer deutschen Umgebung auffallend abstechen. (In der Aureliuskirche,
wohl aus Pietät, eine kleine Grabkammer noch beibehalten.)
Auf dieselbe Quelle geht drittens das Motiv der zweigeschossigen
westlichen Vorhalle zwischen Türmen zurück. Wir kennen davon in
Deutschland nur ein Beispiel ausserhalb der Einflusssphäre von Cluny :
in Corvey an der Weser, wo die Anlage noch auf das 10. saec. zurück-
geht. Sonst herrschten durchaus die westlichen Chöre vor. Die erste
bemerkenswerte Reaktion gegen sie ging von Poppo von Stablo aus
(Limburg, Speier) ; die zweite, umfassendere und schliesslich siegreiche
von der Hirsauer Schule. Zur vollen Entfaltung des Motives gehörte,
nach dem Vorbilde Clunys, die Einschaltung eines Atriums. Ein solches
besass die Hirsauer Peter-Paulskirche, und zwar, wie es scheint, unbe-
deckt ; bedeckt, also zu einer förmlichen Vorkirche ausgebildet, Paulin-
zella, Bürgelin, Hamersleben, (an der letzteren Kirche zwar nicht aus-
geführt, doch, nach den Ansätzen zu urteilen, sicher beabsichtigt). Die
meisten Kirchen der Schule begnügten sich jedoch, nach dem Vorgange
der Aureliuskirche, Andlaus, Limburgs, mit einer knapperen Fassung:
die Türme direkt an das Kirchenschiff angelehnt, die Vorhalle nur in
der Tiefe einer Turmseite (vgl. auch das Statut von Farfa Mab. ann.
IV. S. 20 f.). Ausserdem gehört zum vollständigen System noch ein
zweites Turmpaar, das seinen Platz in dem Winkel zwischen Langhaus
und Transsept erhält. In der Aureliuskirche kommt es noch nicht vor,
das Vorbild wird also wohl in der Peter-Paulskirche zu suchen sein ; im
Grundriss daran erkenntlich, dass nach lauter Säulen als letzte Stütze
ein Pfeiler folgt (vgl. T. 51, Fig. 2, 6, 8); auch in Fig. 10 an dieser Stelle
Gewölbansätze erkennbar, die Ausführung der Türme unterblieb jedoch.
Die Hirsauer Klöster bilden die erste eigentliche »Schule« in der
deutschen Baugeschichte. Förderlich für den geschlossenen Schul-
charakter war, ausser der strengen Disziplin überhaupt, das gleichfalls
von Cluny entlehnte, bis dahin in Deutschland unbekannte Institut
der Konversen, das sind Handwerker, insbesondere »fabri lignarit et
ferrarii latomi quoque et muratores« die, ohne ihren Laiencharakter
aufzugeben, doch mit dem Kloster in engerem Zusammenhange standen
und dem Regiment des Abtes unterworfen waren. Hirsau soll schon
unter Abt Wilhelm ihrer 50 besessen haben. Offenbar pflegte, wenn
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212
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Hirsauer Mönche nach auswärts verpflanzt wurden — unter Abt Wilhelm
allein sollen nicht weniger als 130 Klöster in dieser Weise reformiert
worden sein — ein Stamm von solchen Konversen ihnen beigegeben
zu werden. Die Baupraxis der Hirsauer war eine höchst löbliche,
namentlich scheinen sie sich um die Ausbreitung des feineren Quader-
verbandes Verdienste erworben zu haben. Ihr Ansehen war so gross,
dass auch ausserhalb der Kongregation stehende Klöster, wie die
Benediktiner in U. L. F. zu Halberstadt und zu Königslutter, die
Augustiner in Hamersleben, die Prämonstratenser in Jerichow in der
Altmark, Windberg in Bayern, Germerode in Hessen, mehr oder minder
vollständig ihre Baugewohnheiten annehmen.
Die Hirsauer Schule ist ferner das erste Beispiel umfassenderen
Einflusses der französischen auf die deutsche Baukunst J). Zu bemerken
ist, dass derselbe noch nicht artistischer Natur, sondern allein durch
Momente des Gottesdienstes bedingt ist.
Das 12. Jahrhundert sah zwei neue französische Mönchsorden in
Deutschland eindringen: die Prämonstratenser und die Cister-
cienser. Die ersteren brachten keine ausgeprägten Baugewohnheiten
mit, um so schärfer umrissene diese. Da fast alle Cistercienserkirchen
schon gewölbt sind, gehören sie an eine spätere Stelle.
3. Der innere Aufbau.
Das Besondere der deutsch-romanischen Basilika im Vergleich
mit der frühchristlichen zeigt sich mehr im Grundriss als im Auf-
bau und an diesem mehr in der Behandlung als in der allgemeinen
Disposition. Der am meisten in die Augen fallende Unterschied — in
betreff der Stützen — ist eine Hervorbringung der karolingischen Zeit
und in Kap. I. genauer besprochen. Nach diesem Merkmal lassen sich
die romanischen Basiliken Deutschlands in drei Klassen teilen: reine
Säulen-, reine Pfeiler-, stützen wechselnde Basiliken (Taf. 52).
Die Säulenbasilika ist die verhältnismässig seltenste, jedoch
die in gewissem Sinne vornehmste Art. Dem sächsischen Provinzialis-
mus ist sie von Haus aus fremd. Am Rhein, wo sie in der karolingi-
schen Zeit noch vorherrschte, begegnet sie uns in spärlichen Aus-
nahmen , diese aber zum Teil von grossartigster Haltung. So gut
wie ganz unbekannt ist sie in Bayern und Oesterreich. Dagegen im
l) Durchaus isoliert der nach mittelfranzosischen Mustern disponierte Chor von
S. Godehard zu Hüdesheim.
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Zweites Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Deutschland.
südwestlichen Deutschland hat sie dauerndes Bürgerrecht behauptet.
Durch die Hirsauer Schule, der sie durch deren schwäbischen Ur-
sprung vertraut ist, erwächst ihr endlich noch im 12. Jahrhundert eine
mächtige Propaganda auch in solchen Landschaften, in welchen sie,
wie in Sachsen, bis dahin unbekannt gewesen war.
Die grossartigsten aller deutschen Säulenbasiliken sind die zu Lim-
burg a. H. (ca. 1030 ff.) und Hersfeld (a. 1041 ff.), beide Schöpfungen
Poppos von Stablo (Taf. 52 , 55). Ihnen verwandt und gleichfalls
grossartig waren die jetzt zerstörten lothringischen Abteikirchen
zu Stablo und S. Trond. Am Niederrhein nur die wenig be-
deutenden S. Georg in Köln und S.Peter in Utrecht. Im Elsass:
Neuweiler, Mutzig, Hattstadt, Sulzmatt, am bedeutendsten
S. Georg zu Hagenau (a. 1 149— 1 184). In Alemannien und Schwaben:
Die drei Kirchen auf Reichenau (Mittelzell in Pfeiler umgewandelt),
Stein a. Rh., Petershausen, Schaffhausen, Dom zu Konstanz
(Taf. 56), Schwarzach, Alpirsbach (Taf. 55), S. Peter-Paul und
S. Aurelius in Hirsau (Taf. 56), Faurndau, Neckartheilfingen,
Oberstenfeld, Brenz. In Franken: Münch-Aurach und Hcils-
bronn, beide Hirsauer Filialen, S. Gilgen bei Komburg. Ober-Zell
bei Würzburg, S. Jakob in Bamberg (Taf. 57) erbaut von dem den
Hirsauern günstigen Bischof Otto. In Bayern einzig der Westbau der
Schottenkirche in Regensburg. Bemerkenswert ist, dass in Bayern
und Oesterreich selbst die Hirsauer Schule sich zu Pfeilern bequemt:
Biburg, Prüfening, S. Paul im Lavant. In Thüringen führt sie
den Säulenbau mit Pau linzeile (a. 11 05 — 1119) aufs herrlichste ein
(Taf. 57); eine Ableitung davon ist die durch harmonische Raum-
bildung und sorgsamste Ausführung nicht minder ausgezeichnete nieder-
sächsische Kirche zu Hamer sieben (a. 1112 ff.) und wieder von dieser
Richenberg bei Goslar. Noch dem saec. 11 gehört die kleine Säulen-
kirche auf dem Moritzberge bei Hildesheim, vom Schwaben Benno;
ihr nachgebaut die Kirche zu Eldagsen. Im späteren Verlaufe des
12. Jahrhunderts wird die Säule in Norddeutschland sogar ziemlich
häufig: Mannsfeld, Neuenheerse, Hardehausen in Westfalen,
Philippsthal in Hessen, Jerichow in der Altmark (Taf. 57).
Endlich nennen wir einige Säulenkirchen mit schon spitzbogigen
Arkaden: Oberstenfeld und Weinsberg in Schwaben, Crailsheim
in Franken, Merz ig a. d. Saar.
Der Stützen Wechsel ist nach seinem konstruktiven Ursprung
wie nach seiner ästhetischen Bedeutung oben S. 191 gewürdigt worden.
Er ist kein gemeindeutsches Motiv, sondern auf zwei räumlich nicht
sehr ausgedehnte Gruppen eingeschränkt. Die eine in Lothringen,
die andere am Harz.
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2I4
Zweites Bach: Der romanische Stil.
In Lothringen offenbar im Zusammenhang mit Nordfrankreich.
Dort war das Stützenwechselsystem sehr verbreitet, allerdings, soviel
uns bekannt, immer in Verbindung gewölbter Seitenschiffe und Em-
poren. In Lothringen tritt es selbständig, ohne Emporen, auf. In
edelster Behandlung in der berühmten Abteikirche S. Willibrord zu
Echternach (a. 1031 ff.); davon abhängig Susteren im Limburgischen
(Taf. 58); ferner S. Ursmer (Lobes) und Roth a. d. Ur; im Elsass
Surburg, Lutenbach, Hattstadt.
In Sachsen ist der Ausgangspunkt gleichfalls das dreigeschossige
System. Hauptbeispiel aus saec. 10 Gern rode (Taf. 46, vgl. S. 196).
Gleiche Anlagen besassen die ursprünglichen Anlagen (saec. 10) von
Froose und Gandersheim; ja es wäre denkbar, dass auch in
S. Michael zu Hildesheim das saec. 12 erneuerte Mittelschiff Emporen
besessen hat, wie die Querschiffe noch jetzt. Im 11. saec. finden
wir die Emporen schon durchweg unterdrückt: Quedlinburg, Huyse-
burg, Ilsenburg, Drübeck, Heiningen, Goslar. Aus saec. 12
Beispiele auch ausserhalb des Harzgebietes: Bursfelde, Wilhems-
hausen und Amelunxborn im Wesergebiet, Hecklingen im
Magdeburgischen, Neumarktskirche in Merseburg, S. Nikolai in
Eisenach. Aus saec. 13 Wiebrechtshausen. — Vereinzelt in Mittel-
deutschland: Reichenbach und Ziegenhain in Hessen, S. Burk-
hard in Würz bürg; nachweislich durch sächsische Klosterbeziehungen
Sekkau in Obersteiermark. — Kaum noch hierher zu rechnen, weil
eine sehr geschwächte Aeusserung des rhythmischen Gedankens, der
Wechsel von Säulen mit achteckigen Pfeilern wie in Weinsberg und
Chammünster, oder eine unregelmässige Unterbrechung der Säulenreihe
durch Pfeiler wie in Rasdorf bei Fulda, Petersberg bei Eisenhofen»
Oberstenfeld, S. Nikolai in Reichenhall, S. Peter in Salzburg.
Die sächische Gruppe nimmt in bezug auf künstlerischen Wert
unstreitig den ersten Platz ein, ja diese Bauten gehören zu den charakter-
vollsten und anmutigsten des deutsch-romanischen Stils überhaupt. Die
Vorliebe für den Stützenwechsel hängt innig mit der andern sächsischen
Neigung für strenge Quadrateinteilung des Grundrisses zusammen. Die
Pfeiler markieren jedesmal die Ecken der Quadrate; die Säulen als
Stützen zweiter Ordnung können flüssiger behandelt werden, d. h. es
können ihrer nach Gefallen je 1 oder 2 zwischen die Pfeiler einge-
schaltet werden. Der zweisäulige Rhythmus begegnet zuerst an zwei
wohl nicht ohne Wechselwirkung entstandenen Bauten : der Stiftskirche
zu Quedlinburg (a. 997 ff.) und S. Michael in Hildesheim (a. 1001 ff.).
Zuweilen wird der Gedanke des Gesamtwandfeldes durch einen von
Pfeiler zu Pfeiler über die zwischenstehende Säule weg gespannten
Blendbogen ausgedrückt.
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Zweites Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Deutschland.
215
Die Pfeilerbasilika, als die kunstloseste, ist die gemeinste und
verbreitetste Form. Typisch ist sie an den eines guten und bequem
erreichbaren Säulenmaterials entbehrenden Arten, als Nebenform kommt
sie überall vor. Bedeutet sie in ihrer schlichteren und gröberen Er-
scheinung einerseits eine Herabstimmung der künstlerischen Intention,
so gestattet sie andererseits eine im Säulenbau nur ausnahmsweise
gewagte Grossräumigkeit.
Aus der grossen Menge vorhandener Pfeilerbasiliken heben wir
nur die wichtigsten hervor. Rheinlande: Dom zu Speier, gegr.
von Kaiser Konrad II. um a. 1030; die Wahl der Pfeiler u. a. da-
durch bedingt, dass die Seitenschiffe von Anfang an auf Gewölbe be-
rechnet waren, während das Hauptschiff eine Flachdecke erhalten
sollte1); die grösste bis dahin diesseits der Alpen errichtete Kirche;
in romanischer Epoche nur von einigen englisch-normannischen an
Längenausdehnung, an Flächenraum einzig von der Abteikirche zu
Cluny (saec. 12) übertroffen; in Deutschland sind auch unter den
gotischen nur zwei grösser, der Dom von Köln und Ulm. Von den
Domen zu Mainz (978—1036), Worms (996 — 1016), Strassburg
(1015 — 1028) ist die Art der Stützen nicht bekannt; von Heinrichs II.
Dom zu Bamberg (1004 — 10 12) ist es sicher, dass er Pfeiler besass,
desgleichen der Dom zu Würzburg (1042 ff), wo sie in der Barock-
umhüllung noch vorhanden sind. Von früh auf war der Pfeiler hei-
misch auf der schwabisch -bayrischen Hochebene: Dom zu Augsburg
(994 — 1006), S. Emmeram in Regensburg (1002 — 1020), Obermünster
daselbst (1010— 1020), und er blieb die alleingültige Form bis ans
Ende der romanischen Epoche, so dass weitere Beispiele aufzuzählen
überflüssig wäre. Dasselbe gilt von Oesterreich und Ungarn. In
Sachsen: aus saec. 11 Dome zu Bremen und Merseburg, aus
saec. 12 Klosterkirchen U. L. F. zu Halberstadt, Neuwerk und
Frankenberg bei Goslar, zu Königslutter, Marienthal, Mandels-
loh, Breitenau. In Westfalen ausschliesslich. In Obersachsen und
Thüringen zierliche Gliederpfeiler, von denen an späterer Stelle Ge-
naueres: Wechselburg, Bürgelin, Petersberg bei Erfurt, Ilbenstadt in
Hessen.
Spitzbogige Pfeilerarkaden aus Anfang saec. 13 nicht bloss in den
entlegeneren Gegenden, sondern auch im Westen in Gelnhausen
(1230), Rasdorf bei Fulda, Brackenheim und Tiefenbronn in
Schwaben, Memleben und Dippoldiswalde in Sachsen, letztere
Kirche aus dem 2. oder 3. Drittel des saec. 13.
') Wir folgen hier vorerst der herrschenden Ansicht, ohne uns direkt für dieselbe
in entscheiden und behalten uns vor, bei Behandlung des Gewölbebaues auf diese Frage
z u rtl c k. z u 1c o im m cxi •
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216
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Emporen über den Langseiten erhalten sich nur in den Rhein-
landen über die Frühepoche hinaus, als Ausnahmen allerdings, doch
nicht als ganz seltene.
Werden a. d. Ruhr saec. 9(?), Essen saec. 10, S.Ursula in Köln
und And lau im Elsass saec. n; S. Kastor in Koblenz, S. Johann
in Niederlahnstein, S. Lubentius in Dietkirchen (Taf. 63), Pfarr-
kirche in Heimersheim (Taf. 62), frühgotisch eingewölbt und die
Oberfenster vermauert, sämtlich saec. 12. Isoliert und nicht in Ein-
klang mit dem System die Emporen des Doms zu Freising, von
welchen es zum mindesten sehr fraglich ist, ob sie der ersten Anlage
(a. 1 159 ff.) angehören, oder nicht vielmehr den Umbauten des saec. 17.
Ohnegleichen in ihrer Art die mit Emporen versehenen Nebenchöre
auf der Petersbergkirche bei Halle.
An die Gliederung der Oberwand werden, da die Malerei hier
die Herrschaft hat, sehr geringe Ansprüche gestellt. Ein Gesims über
den Arkaden ist in der Regel alles, oft fehlt selbst dieses. Unleugbar
roh in ihrem Mangel an Gliederung wirken die grossen Wandflächen
der Querhäuser.
Senkrechte Streifen vom Arkadengesims auf die Kämpferplatten der
Stützen herabreichend, ein von der Hirsauer Schule aufgebrachtes
Motiv (Taf. 57. 59). Von ungewöhnlich feinem Gefühl zeugt im Chor
und Querschiff zu Limburg a. H. die Wandgliederung durch Pilaster
und Blendbögen (Taf. 52). Aehnliches erstrebt in Sta. Ursula in Köln
und S. Kastor in Koblenz (Taf. 63).
In betreff der allgemeinen Proportionen gestattet sich die
romanische Basilika ungleich mehr Freiheit und Abwechselung, als die
altchristliche. Nicht zuletzt daraus erklärt sich ihre Fähigkeit trotz
der Einfachheit und Gleichförmigkeit des Systems mannigfaltige indi-
viduelle Nüancen zu erreichen. Was den Querschnitt betrifft, so kann
man, freilich nur ganz im allgemeinen, sagen, dass mit der vorrücken-
den Zeit die Höhendimension stärker betont wird; ferner dass eine
gewisse Korrespondenz des Querschnitts mit dem System beobachtet
wird. So hat Süddeutschland bei verhältnismässig niedrigen und
breiten Schiffen auch niedrige und weit abstehende Stützen, wogegen
Sachsen und Rheinland in beiden Stücken schlankere Proportionen
lieben.
Hier einige Zahlenbeispiele für das Verhältnis der (lichten) Breite
zur Höhe im Mittelschiff. — Sta. Maria auf Reichenau 10,5:12,7;
S. Emmeram zu Regensburg 13,0:^,5; Hirsau 6,0:10,5; Konstanz
11,4:18,0; Limburg 12:23; Paulinzelle 7,8:17,6; Liebfrauen zu
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Zweites Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Deutschland. 21 7
Halberstadt 9,2:16.5; S.Godehard zu Hildesheim 10,2:20,0; S. Ser-
vaes zu Mastricht 10,5 : 22,2.
Die Flachdecken des Mittelalters sind mit wenigen Ausnahmen
entweder durch jüngere Nachahmungen oder, was die Regel bildet, durch
Gewölbe ersetzt. Nach gelegentlichen Bemerkungen der Chronisten und
örtlichen Spuren zu urteilen, scheinen in Deutschland Vertäfelungen recht
häufig, vielleicht sogar häufiger als offene Dachstühle gewesen zu sein.
Das älteste erhaltene Beispiel mit figürlicher Bemalung zu Zillis
in Graubündten; Abb. in Mitteil. d. antiquar. Ges. zu Zürich, 1872.
Weltberühmt die a. 1186 ausgeführte in S.Michael zu Hildesheim
mit dem Stammbaum Christi (in Farbendruck publiziert von Kratz
1856). Eine Kassettendecke mit Stern- oder Kreuzmusterung und
vergoldeten Knöpfen aus E. saec. io, beschrieben in der Chronik von
Petershausen, vgl. Neuwirt in Wiener Sitzungsber. 1884, p. 85.
Die Seitenschiffe sind im allgemeinen gleichfalls mit Holzdecken
versehen. Daneben kommt, lange bevor im Hauptschiff daran gedacht
wurde, Ueberwölbung vor. Die Priorität hierin hat das Rheinland.
Man pflegt das Aufkommen der Seitenschiffgewölbe ins 11. Jahrhundert
zu setzen; nach unserer Ueberzeugung waren sie schon in karolingi-
scher Zeit bekannt und sind im Rheinlande niemals ganz ausser Ge-
brauch gekommen.
Den Ausgangspunkt bilden die Anlagen mit Emporen nach dem
Vorbilde des Aachener Zentralbaus. In Werden a. d. Ruhr noch mit
quergelegten Tonnen, sehr früh, mutmasslich a. 875. Später regel-
mässig Kreuzgewölbe. So sehr wahrscheinlich im gotisch umgebauten
Münster zu Essen; die Reste der Seitenwände zeigen in Nischen,
Blendbögen und vorgekröpften Säulen eine ganz gewölbmässige Gliede-
rung (vgl. den Grundriss Taf. 41). Die Flachnischen in S. Kastor zu
Koblenz sprechen ebenfalls für Gewölbe schon vor der Erneuerung
saec. 12. Dann aus saec. n : Dom zu Speier beg. c. a. 1030; Echter-
nach a. 1031, die Gleichzeitigkeit der Gewölbe allerdings angezweifelt;
S.Maria im Kapitol zu Köln a. 1049. Tonnengewölbe mit Stichkappen
in einigen frühen Backsteinkirchen der Mark: Krewese, Arendsee.
Die Beleuchtung der romanischen Basiliken ist erheblich
schwächer als die der altchristlichen. Wieviel an dieser Veränderung
bewusste ästhetische Absicht ist und wieviel auf technischen Gründen
beruht, ist kaum ins reine zu bringen. Jedenfalls sind in Deutsch-
land die Fenster zahlreicher und breiter als gleichzeitig in Italien;
Apsis und Seitenschiffe sind regelmässig damit versehen (vgl. dagegen
S. 108). Auch bemühte man sich, der durch die Dicke der Mauern
»5
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
drohenden Beschränkung des Lichteinfalls durch Abschrägung der
Gewände entgegenzuwirken. Den Verschluss bildeten Tücher oder
hölzerne Läden. Erst nach a. iooo begann die Verglasung häufiger,
aber entfernt noch nicht die Regel zu werden. Ja, man möchte glauben,
dass die im Verlaufe des n. bis ins 1 2. Jahrhundert hinein zunehmende
Verengung der Fensteröffnungen gerade eine Folge des zunehmen-
den Gebrauches der Verglasung gewesen sei. Nichts Ungewöhnliches
ist, dass die Zahl der Fenster und der Arkaden, und folglich auch
die beiderseitigen Axen, nicht übereinstimmen.
Auch die im Besitztum von Glasfenstern befindlichen Kirchen
müssen wir uns viel dunkler denken, als sie sich heute zeigen. Denn
das Glas war trübe, meist künstlich gefärbt, und die bleierne Fassung
nahm viel Licht weg. Unter solchen Umständen muss in bedeutender
Masse Kerzen- und Lampenlicht zur Hilfe genommen worden sein,
namentlich bei winterlichen Frühgottesdiensten, worin wir die Erklärung
sehen, dass in Deutschland Brandschäden so unvergleichlich häufiger
wie in Italien vorkommen, sowie dass sie besonders oft auf Fest-
tage fallen.
Beschreibung der Tafeln.
Grundrisse.
Sachsen und Niederrhein.
Tafel 47.
1. Gernrode: Stiftskirche. — Beg. a. 961. — Zeitschrift d. Harz-
vereins, Bd. 10.
2. Quedlinburg: Sti/ts-K. — a. 997. — Baudenkmäler Nieder-
Sachsens.
3. DrUbeck: Nonnenkloster- K. — saec. 11. — B.-D. Nieder-S.
4. Huyseburg: Benedikt-K. — a. 11 10 — 1121. — Erbkam IV.
5. Goslar: „Dom" Collegiat-K. S. Simon und Judas. — a. 1040— 1050.
Mithoff.
6. Htldesheim: Dom. — a. 1055- 106 1. — Mithoff.
7. * Koblenz: S. Kastor. — Westbau und Umfassungsmauern a. 836,
Chor M. saec. 12, Pfeiler 1190—1212. — Höffken.
8. *Susteren: Benediktiner- K. — saec. 11. — Cuypers.
9. *Maestricht: S. Semaes. — saec. 12. — Cuypers.
10. * Niederlahnstein : S. Johann. — saec. 12. — Höffken.
11. Köln: Sta. Ursula. — a. 1155? — Frantzen.
12. ^Ilbenstadt: Prämonstratenser-K. — a. 1123— 1159. — Höffken.
Zweites Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Deutschland. 219
Pfalz, Hessen, Main.
Tafel 48.
1. Limburg a. d. Hardt: Benediktiner- K. — c. a. 1030— 1042. —
Geier 11. Görz.
2. Hersfeld: Benediktiner- K. — a. 1040 ff., im Chor- und Querbau
vielleicht mit Benutzung der Grundmauern des saec. 9. — Cor-
respondenzbl., Bd. 10.
2». Dasselbe: Oberbau der Westapsis.
3. * Würzburg: Dom. — a. 1042 ff. — Höffken.
4. * Bamberg: S. Jakob. — E. saec. 11. — Richter (durch Versehen
falsch orientiert, das Transsept liegt in Wahrheit im Westen).
5. Speier: Dom. — c. a. 1030 ff. — Geier u. Görz.
6. Speier: Domkrypta. — gew. a. 1039. — Geier u. Görz.
Oberrhein.
Tafel 49.
1. Schiffenberg: Kloster-K. — saec. 12. — Hess. Denkm.
2. Strassburg: S. Stephan. — E. saec. 12. — Kraus.
3. Eschau: Kloster- K. — saec. 11. — Adler.
4. * Stein am Mein: Kloster- K. — saec. 11. — Bezold.
5. * Würzburg: S.Jakob. — gew. a. 11 46. — Höffken.
6. Bergholzzell. — a. 1006 ff. — Adler.
7. ^Konstanz: Dom. — a. 1052— 1068. — Schober, Bezold.
8. * Schaffhausen : Benediktiner- K. — a. 1052— 1064. — Bezold.
9. Alpirsbach: Benediktiner- K. — a. 1095 ff. — Stillfried.
Bayern und Oesterreich.
Tafel 50.
1. * Regensburg: Benediktiner- K. S. Emmeram. — a. 1002 — 1020,
Westbau a. 1052. — Bezold.
2. * Regensburg: Niedermünster. — nach a. 1152. — Bezold.
3. *Rcgensburg: Obermünster. — gew. a. 1010. — Bezold.
4. * Moosburg: Benediktiner- K. — a. 1171 ff. — Höffken.
5. * Augsburg : Dom. c. a. 994 — 1006. — Bezold.
6. Seckau: Augustiner- K. — a. 1142 ff. — C.-Co mm. Jahrb.
7. Regensburg: Schotten-K. S. Jakob. — Chor gew. a. im, Schiffe
a. 1 152 ff. — Popp u. Bünau.
8. * Steingaden: Prämonstr atenser- K. — c. a. 11 70. — Dehio.
9. Gurk: Dom. — voll. 1194. — Oesterr. Denkm.
Hirsauer Schule und Verwandtes.
Taf. 51.
1. Halberstadt: Kloster-K. Liebfrauen. — a. 1 135 — 1 146, Westbau um
a. 1005. — B.D. Nieder-Sachsens.
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220
Zweites Buch: Der romanische Stil.
2. Schwarzach: Benediktiner- K. — saec. 12. — Geier u. Görz.
3. Hildesheim: Kloster-K. S. Godehard. — a. 1133 ff. — B.-D. Nied er-
Sachsens.
4. Hirsau: Benediktiner- K. S. Aurelius. — a. 1060— 1071. — v. Egle.
5. »Prüfening: Benediktiner- K. — a. 1109 ff. — Höffken.
6. * Paulimelle •: Benediktiner-K. — a. 1 105— 11 19. — Brecht.
7. Breitenau: Benediktiner- K. — voll. a. 1142. — B.-D. Nied.-S.
8. Hamersleben: Augustiner-K. — a. 11 12 ff.; eine Vorhalle wie in
Paulinzelle war beabsichtigt. — B.-D. Nied.-S.
9. Jerichow: Prämonstratenser-K. — saec. 12. — Adler.
10. Königslutter: Stifts-K. — a. 11 35 ff. — B.-D. Nied.-S.
Langenschnitte.
Tafel 52.
r. Limburg a. d. Hardt. — c. a. 1030— 1042. — Geier u. Görz.
2. Hildesheim: S. Godehard. — a. 1133 ff. — Kallenbach u. Schmitt.
3. *Moosburg. — a. 1171 ff. — Höffken.
4. »Ilbenstadt. — a. 1123 — 1159. — Höffken. (Die vom Zeichner
restaurierte Apsis zweifelhaft, wahrscheinlich platter Chorschluss.)
Querschnitte.
Tafel 53.
1. Hildesheim: S. Michael. — Erdgeschoss a. 1 001 ff, Obermauer E.
saec. 12. — B.-D. Nied.-S.
2. * Regensburg: S. Emmeram. — a. 1002— 1020. — Bezold.
3. * Regensburg: Obermünster. — c. a. 1010. — Bezold.
4. Reichenau: Sta. Maria. — Seitenschiffe gew. a. 991 , Querschiff
a. 1048. — Hübsch.
Tafel 54.
1. »Paulinzella — a. 1105— 11 19; in dem Winkel zwischen Lang- und
Querhaus befanden sich Türme, deren Verzahnung noch erkenn-
bar. — Brecht.
2. Hamersleben. — a. 11 12 ff. — v. Quast.
3. * Ilbenstadt. — a. 1123—1159. — Höffken.
4. * Würzburg : S. Jakob. — a. 11 34 — 1146. — Höffken.
5. Regetisburg: S.Jakob. — voll. 1184. — Popp u. Bünau.
Saulensyste.me.
Tafel 55.
1. Limburg a. H. — c. a. 1030—1042. — Geier u. Görz.
2. Hersfeld. — a. 1040 ff. — Denkm. d. Berl. Bauakademie.
3. Alpirsbach. — c. a. 1100. — Still fr ied.
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Zweites Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Deutschland.
221
Tafel 56.
1, 2. *Konstanz: Dom. — c. 1052— 1068. — Bezold.
3. * Siein a. Rh. — E. sacc. 11.— A. saec. 12. — Bezold.
4. * Schaff hausen. — a. 1052— 1064. — Bezold.
5. 6. Hirsau: S. Aurelius. — a. 1060—1071. — v. Egle.
Tafel 57.
1, 2. * Bamberg: S.Jakob. — gew. a. 1109. — Richter.
3. *Paulinzelle. — a. 1105— 11 19. — Brecht.
4. Hamer sieben. — a. 11 12 ff. — v. Quast.
5. Jerichaiv. — saec. 12. — Adler.
■
Stutzenwechsei,.
Tafel 58.
1, 2. Quedlinburg: Wipertikrypta. — saec. 10. — B.-D. Nieder-S.
3. Ilsenburg. — voll. a. 1077. — B.-ü. Nieder-S.
4. Quedlinburg. — a. 997 — 1021, erneuert nach a. 1070, vom ersten
Bau vielleicht noch die Arkaden. — Erb kam.
5. Echternach. — a. 1031 ff. — Bock.
6. Heitlingen. — E. saec. 12. — Puttrich.
7. Huyseburg. — a. 11 10— 11 21. — Erbkam.
8. *Susteren. — saec. 11 — Cuypers.
Tafel 59.
1. Hildesheim : S. Michael. — Querschiff und Langhausarkaden, Krypta
(mit Ausnahme des Umganges) a. 1001 ff.. Lichtgaden nach a. 1162,
Chor nach a. 1200. — Gladbach.
2. *Hildesheim: S. Godehard. — voll. a. 1172. — Bezold.
3. Maulbronn. — voll. a. 1178. — Eisenlohr.
4. Seekau. — a. 1142 ff. — C.-Comm. Jahrb.
Pfeileksysteme.
5. Halberstadt: Liebfrauen. — voll. a. n 46. — Chorschranken c. a.
1200. — v. Quast.
Tafel 60.
i, 2. *Köln: S. Pantaleon. — c. a. 960—980. — Höffken.
3. Fischbeck. — 1. H. saec. 12. — B.-D. Nieder-S.
4. Köln: S. Maria im Kapital. — voll. a. 1049. — Frantzen.
5. Köln: Sta. Ursula. — a. 1 1 55 ? — Frantzen.
Tafel 61.
i, 2. * Maestrich t: S. Servaes. — saec. 12. — Cuypers.
3. * Prüfening. — 1. H. saec. 12. — Höffken.
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1
222 Zweites Buch: Der romanische Stil.
4. Schiffenbcrg. — saec. 12. — Hess. Den km.
5 5. Paul im Lavant. — E. saec. 12. — C.-Comm. Jahrb.
6. Gurk: Dom. — vor a. 1194. — Oesterr. Denkm.
Anlagen mit Emporen.
Tafel 62.
1, 2. * Niederlahnstein: S.Johann. — saec. 12. — Höffken.
3. * Heimersheim. — E. saec. 12. — Tornow.
4, 5. * Koblenz: S. Kastor. — E. saec. 12. — Höffken.
Perspektiven.
1. 'Dietkirchen. — saec. 12. — Tornow.
2. Köln: Sta. Ursula. — saec. 11 u. 12. — Tornow.
Tafel 64.
1. * Gernrode. — saec. 10. — Bezold.
2. * Hildes he im: S. Michael. — saec. 11. u. 12. — Bezold.
Tafel 65.
1. * Hildesheim: S. Godehard. — Dehio.
2. * Hildesheim : S. Michael. — Photographie.
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Drittes Kapitel.
Die flachgedeckte Basilika in Italien
I_ Itter ATl* R. dAgincourt : Histoire de l'art par les monuments , 18:3 fF. —
Cordero: Dell' italiana architettura durante la dominazione longobardica , 18J9. —
//. Gally Knight: The ecclesiastical archt. of Italy. 2 vols. 1842. — A, Ricci : Storia
dell' architettura in Italia, 3 Bde., 1857. — C. Iioito: Archt. del medio evo in Italia,
18S0. — O.Motha: Die B -K. des Mittelalters in Italien, 1884. — J. Burtkhardf. Der
Cicerone. 5. Aufl. 1884. •
Monographien. — G. Kohattlt de FUury. Pise en moyen-dge, 1862. — Guarda-
ba.'st : Indice-guida dei monumenti della provincia d'Umbria, 1872. — H.Schuh: Denkm.
der Kunst des Mittelalters in Unteritalien, 1860. — de Lttynes: Recherches sur les monu-
ments des Normands daus l'Italie ml-ridionalc, 1844. — Htttorf et' Zanth : Archt. mo-
derne de la Sicilie, 1835. — Serradifalco \ Del duomo di Monreale e di altre chiese
Sicule-Normanne, 1838. — Gravirta : II duomo di Monreale, 1859. — Becker u. Forstet :
Kathedrale zu Palermo, 1866. — /•'. Osten; Die Bauwerke der Lombardei vom 7.— 14.
Jahrhundert o. I. — /. Darteits: Etüde *ur l'architccture lombarde, l£66 ff. — v. Eitel-
berger : Denkm. in Dalmatien. Jahrb. der Centr.-Comm., 1861.
1 . Allgemeines.
Italien trat in die romanische Stilbewegung erheblich später ein
als die transalpinen Lander. Die allgemeine Verfassung des Landes
erklärt dies Zurückbleiben genügend. Die grossen schöpferischen
Impulse, mit denen Karl der Grosse das Leben der nordischen Völker
erfüllte, gingen an Italien ohne dauernde Nachwirkung vorüber. Fäulnis
der Sitten, wilde Entfesselung aller selbstsüchtigen Triebe, Anarchie
in Kirche und Staat waren die verderblichen Uebel, von denen es
erst in der nach Papst Gregor VII. benannten Epoche langsam zu
genesen begann. Keine Frage zwar, dass auch in dieser dunkeln
Zeit Italien in allem, was man unter dem Namen der materiellen
Kultur zusammenzufassen pflegt — unzerstörbaren Rückständen der
antiken Zivilisation — dem germanischen Norden überlegen blieb.
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224
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Ebensoviel ärmer als jener war es aber an frischen aufstrebenden
Kräften, an dem Sauerteig neuer das Volksbewusstsein erregender
Vorstellungen. Dort ein täglicher Eroberungskampf um die Güter
der Humanität, hier ein gedankenlos bequemer Besitz.
Diese an der Kultur im ganzen sich darbietenden Beobachtungen
wiederholen sich genau im einzelnen in der Architekturgeschichte.
Immer ist namentlich das im Auge zu behalten: während im Norden
in der romanischen Epoche es sich allermeist um Neubauten handelt,
sei es Ersetzung dürftiger Erstlingsbauten durch würdigere Monumental-
werke, sei es, der raschen Zunahme der Bevölkerung und dem Wachs-
tum der kirchlichen Institute nachgehend, um Neugründungen auf
jungfräulichem Boden: so war Italien seit Jahrhunderten mit Kirchen-
gebäuden wohlversorgt, und die Beweggründe, die im späteren Mittel-
alter wieder massenhaft neue Stiftungen hervorbrachten — Steigerung
des kirchlichen Sinnes, Gründung neuer Orden, Ruhmsinn der Kom-
munen oder einzelner Reichen — , spielten noch keine grosse Rolle
in der vor den Kreuzzügen liegenden Epoche. Im grossen und ganzen
ist bis dahin die Bauthätigkeit sehr viel seltener auf neue Unterneh-
mungen, als auf das Erhalten und Nachbessern des Vorhandenen
gerichtet. Nachlässigkeit in der Ausfuhrung dieser Art Arbeiten oder
erneute Unfälle durch Feuersbrünste, Erdbeben, Krieg Hessen die
Notwendigkeit der Restaurierung oft in kurzen Fristen wiederkehren,
und so war die Gestalt vieler, um nicht zu sagen der meisten, Ge-
bäude fortwährend gleichsam im Fluss begriffen. Die Neigung, alte
Werkstücke wiederzuverwenden, lag den Italienern vom sinkenden
Reiche her im Blut. Oft waren damit Veränderungen der allgemeinen
Anlage verbunden, ebenso oft aber lag das Verhältnis umgekehrt, d. h.
die allgemeinen Bestimmungen wurden beibehalten und die Einzel-
heiten erneuert. Welche unendlichen Schwierigkeiten daraus für die
geschichtliche Einordnung der Monumente erwachsen, liegt auf der
Hand. In der That steht bis zur Höhe des Mittelalters, wo ein festerer
Zug in die Entwickelung kommt, die baugeschichtliche Chronologie
Italiens auf so schwachen Füssen, wie die keines anderen Landes1).
') Anderer Meinung offenbar ist der neueste Bearbeiter der italienischen I'.au-
geschichte im Mittelalter, Oskar Mothes. Er hat die Zeitfolge geradezu zum leitenden
Prinzipe der ganzen Anordnung gemacht , so zwar , dass er jedes Gebäude danach in
seine Bestandteile auseinanderlegt , um sie an dem durchlaufenden annalistischen Faden
wieder aufzureihen. Die überraschende Sicherheit in der Bestimmung der betreffenden
Jahre gewinnt er dadurch , dass er von den zufallig erhaltenen und ihm bekannt gewor-
denen Baunachrichten so viel als irgend möglich mit dem aktuellen Gebäude in Ver-
bindung bringt. Die auf diese Weise gewonnene chronologische Reihe sieht natürlicher
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Drittes Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Italien.
225
Ein weiterer Unterschied zwischen Deutschland und Italien zeigt
sich in der Stellung, welche der geistliche Stand dort und hier zum
Bauwesen einnahm. Dort enthielt er ohne Frage eine Auslese der
besten Geister, konzentrierte sich in ihm insbesondere alles von der
antiken Ueberlieferung abhängige Wissen und Können und somit ganz
von selbst die Leitung des Bauwesens; hier besass er aber keinen
solchen natürlichen Vorrang, da ein gewisses Mass von Bildung dem
Laienstande nie verloren gegangen war. Von der oft übertriebenen
Baulust, die für die Bischöfe und Aebte des Nordens in dieser Zeit
charakteristisch ist, bemerkt man an ihren italienischen Amtsbrüdern
wenig. Die Baukunst blieb hier eine Laienkunst ; es galt nicht, neue
Entdeckungen darin zu machen, sondern die alten Ueberlieferungen vor
Verfall zu schützen; anstatt der Begeisterung Handwerkssinn, anstatt
des stolzen Bewusstseins, den Volksgenossen niegesehene Wunder-
werke vorzuführen, der -beschämende Vergleich mit der grösseren Vor-
zeit. Zwar kam auch für Italien die Zeit der kirchlichen Reform,
aber dieselbe ist für die Baukunst, merkwürdig genug, ohne Folgen
geblieben, wie nicht allein, aber am deutlichsten, daraus erhellt, dass
der Sitz des Papsttums baugeschichtlich den letzten Platz in Italien
einnimmt. Die Reform der Baukunst war vielmehr an eine andere,
zwar gleichzeitig einsetzende, jedoch wesentlich unabhängige, ausser-
kirchliche Bewegung gebunden: an den wachsenden Reichtum, das
aufstrebende Selbstbewusstsein der Städte; in Süditalien an die Be-
gründung der normannischen Fürstentümer. In den Städten liegt
alle Kraft des vielgestaltigen Lebens der werdenden italienischen
Nation von nun ab bis zu den grossen Umwälzungen in der Renais-
sanceepoche. Sind im nordisch-romanischen Stil die Klosterkirchen,
die einsamen Sitze geistlich-aristokratischer Gesellschaften, die ton-
angebenden: so im italienisch-romanischen die städtischen Kathedral-
und Pfarrkirchen als monumentaler Ausdruck des Bürgersinns.
Aus dem bisher Gesagten werden die folgenden Grundthatsachen
in der Geschichte des italienisch-romanischen Stiles verständlich: erstens,
dass er langsamer, unmerklicher, als es im Norden geschah, vom antik-
christlichen Stil sich ablöst; zweitens, dass das veränderte Bewusstsein,
Stilentwickelung so unähnlich wie möglich, sie giebt vielmehr das Bild permanenter Stil-
konfusion. Es ist sehr tu bedauern, dass so viel Fleiss mit so wenig historischem Sinn
und kritischem Verständnis zusammengetroffen ist. Von des Verfassers Behauptungen im
einzelnen können wir nur hie und da eine Probe geben. Im ganzen bemerken wir, dass
er den germanischen, insbesondere den langobardischen Einfluss weit Uberschätzt.
226
Zweites Iluch: Der romanische Stil.
umgekehrt wie im Norden, nicht zuerst in der allgemeinen Anlage
des Gebäudes, sondern zuerst in den anhängenden Ziergliedern sich
bekundet; drittens, dass es an einheitlicher, zielbewusster Entwicke-
lung fehlt.
Dazu die fortwährenden Einwirkungen des Auslandes: die fried-
lichen durch die handelsfrohen Städte herbeigeleiteten, wie die feind-
lichen durch fremde Eroberer hereingetragenen. Hatte in früherer
Zeit die Ankunft der Goten und Langobarden keine unmittelbaren
Folgen gehabt, weil diese Völker von Kunst nichts wussten, so haben
jetzt Griechen, Araber, Normannen, Deutsche, Franzosen — Orient
und Occident — , ein jeder mit einem kenntlichen nationalen Zuge in
die Architekturgeschichte Italiens sich eingezeichnet. In diesem Gegen-
satz — dem wiederaufstrebenden eigenen Genius, der auf nichts an-
deres als die Renaissance der antiken Kunst hinzielt, und der ver-
wirrenden Einwirkung des Fremden — bewegt* sich die ganze Bauweise
Italiens im Mittelalter.
In der romanischen Epoche kommen die folgenden Hauptsysteme in
Betracht: als Grundstock der altüberlieferte Basiliken bau, die natio-
nale und den Renaissancetendenzen entgegenkommende Bauform ; dann,
im Süden und an der Ostküste bis hinauf nach Venedig eingebürgert,
bald rein, bald in Fusion mit der lateinischen Basilika, die byzanti-
nische Kuppelkirche; endlich, in der Lombardei, schon in der fränki-
schen Epoche versucht, aber erst im 12. Jahrhundert fertig ausgebildet,
die Gewölbekirche mit gebundenem Grundriss. Das letztgenannte
System dringt südlich über den Appennin nur sporadisch vor; sonst
herrscht hier die hölzerne Flachdecke bis in die Zeit des letzten Hohen-
staufenkaisers, um dann unmittelbar dem aus Frankreich eindringenden
gotischen Gewölbebau den Platz zu räumen.
2. Die reine Basilika.
Wenn es von ganz Italien gilt, dass es nur spät und zögernd sich
entschloss, der Veränderung der Zeiten durch Veränderung der Bauweise
Rechnung zu tragen, so giebt es einen Ort, der sich dessen überhaupt
weigerte: die Stadt Rom. Das traditionelle System hat hier wohl
eines Tages zu leben aufgehört, aber es hat sich nie transformiert.
Auf die verhältnismässig regsame Bauepoche des karolingischen Jahr-
hunderts, abschliessend mit dem räumlich grossartigen, aber von tiefer
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Drittes Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Italien.
227
Verwahrlosung des künstlerischen Sinnes Zeugnis ablegenden Neubau
der Latarankirche unter Sergius III., folgte ein zweihundertjähriger,
so gut wie vollständiger Stillstand. Die auffrischende Thätigkeit des
12. und 13. Jahrhunderts geht in Herstellungsarbeiten auf, die zu-
weilen allerdings — wie bei S. Clemente, Sta. Maria in Trastevere,
S. Lorenzo fuori — zu förmlichen Neubauten werden. Neubauten
indes nur im materiellen, nicht im geistigen Sinne; denn sie unter-
scheiden sich von denen des ersten Jahrtausends weder im Plan noch
in der Konstruktion, höchstens durch leise Verschiebungen der Pro-
portion, wie solche im Buch I besprochen. Auf die letzten Bauten
dieser in unerschütterlicher Selbstgenügsamkeit beharrenden Richtung
— sie fallen in den Pontifikat Honorius' III., 12 16— 1227 — folgt
nach fünfzigjähriger Pause die erste und einzige Kirche des gotischen
Stils in Rom — Sta. Maria sopra Minerva — , dann wieder eine breite,
gähnende Lücke bis zum Eintritt der Renaissance. Allerdings wurde
im Jahrhundert der staufischen Kaiser auch Rom von dem schöpfe-
rischen Hauch, der damals allenthalben im Abendlande die Baukunst
mächtig durchwehte, wenigstens leise gestreift. Aber die hierdurch
wachgerufene Produktion wagt sich nur an die dekorative Ausstattung
des Innern der Kirche, wie Fussböden, Schranken, Lesepulte, Bischofs-
stühle, wenn es hoch kommt, an architektonische Accessorien wie
Vorhallen und Kreuzgänge. Sie dem Gesamtbegriff des romanischen
Stils unterzuordnen berechtigt nichts als ihre chronologische Stellung:
sonst hat sie mit ihm weder äussere Fühlung noch innere Verwandt-
schaft; der Geist, der in ihnen wohnt, ist der einer träumerisch spie-
lenden Versenkung in das römische Altertum, einer verfrühten und
wenig energischen Renaissance. Rom, so meinen wir, zählt in der
Geschichte der romanischen Baukunst nicht mit
Für die übrigen Landschaften Italiens kam nun allerdings der
Tag, wo der Basilikenbau sich zu verjüngen begann. In der Lombardei
ist der Ausgangspunkt das Streben nach festerer Deckenkonstruktion,
in Toskana die Neubelebung des Aeusseren. Der Grundplan dagegen
bleibt lange Zeit in unentwickelten Formen gefesselt. Bezeichnend
ist namentlich die indifferente Behandlung des Querschiffes. Bis
über das Jahr 1000 hinaus scheint ausserhalb Roms das Querschiff
überhaupt eine ungewohnte Sache gewesen zu sein; höchstens dass
es in verdunkelter und abgeschwächter Gestalt zuweilen sich zeigt.
Es ist also die primitivste Form des dreischiffigen Longitudinalbaues,
welche die Herrschaft hat.
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228
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Etwa an der Grenze des u. und 12. Jahrhunderts — genauerer
Datierung versagen sich die Monumente — beginnt das Verlangen
nach entschiedenerer Gliederung der Baumassen rege zu werden: die
Querschiffanlagen kommen in Aufnahme. In Oberitalien werden sie
als Summe von drei regelmässigen Quadraten gebildet, übereinstim-
mend mit der längst bestehenden Norm des deutsch-romanischen
Grundrisses, wenn auch kaum unter dessen Einfluss1), in der Haupt-
sache vielmehr bedingt durch den endgültigen Uebergang zur Kreuz-
gewölbedecke
In Mittelitalien, wo konstruktive Neuerungen nicht ins Spiel
kamen, hielt man sich an das Muster der grossen alten Basiliken
Roms. Jedoch nicht ohne eine bedeutsame Modifikation, welche
darin bestand , dass das Unbestimmte in der Breitendimension des
Querschiffes aufgegeben, dieselbe mit jener des Hauptschiffes gleich-
gesetzt wurde. So entstand, zwischen Gurtbogen eingespannt, eine
echte romanische Vierung; die Kreuzarme liess man sehr stark aus-
laden, etwa jederseits um das anderthalbfache der Vierungsseite, und
die Tribüne unmittelbar sich anschliessen ; mithin kein wahres lateini-
sches, sondern ein Tförmiges Kreuz.
Querschifflos sind alle flachgedeckten oder als solche ursprünglich
gedachten Basiliken Oberitaliens; um nur die wichtigsten zu nennen:
S. Ambrogio in Mailand (Taf. 45), S. Antonio in Piacenza, Dome
von Novara (Taf. 16) und Mode na (Taf. 66), S. Zeno in Verona
(Taf. 66), S. Marco in Venedig in seiner ursprünglichen basilikalen
Gestalt. Dagegen der unter einem deutschen Kirchenhirten erbaute
Dom von Aquileja mit stark ausladendem, in Doppelarkaden ähnlich
S. Michael in Hildesheim abschliessenden Querschiff, vgl. Mitt. der C-
Comm. 1884. In Mittelitalien: Die wenigen erhaltenen Basiliken von
Florenz (S. Miniato, SS. Apostoli, Taf. 66); desgleichen die vonPistoja
(Kathedrale, mit vielleicht noch vormittelalterlichem Plan, S. Andrea
und S. Bartolomeo, saec. 12); ferner in S. Gimigniano, Arezzo,
Viterbo; in Pisa die vor den Dombau fallenden kleinen Kirchen
S. Michele 1018 und S. Frediano 1007 und die benachbarten S. Cas-
siano und S. Pietro-a-Grado (Taf. 66), saec. 9, mit Veränderung um
1100 und noch späterem Anbau der Wcstapsis; in Lucca S. Ales-
s.indro, vor io5o(?), und die berühmte Kirche S. Frediano (Taf. 67),
deren Baugeschichte zu weitläufigen Diskussionen der italienischen
Gelehrten Anlass gegeben hat; neuerdings wiederholt Mothes (p. 94
) Gerade in Suddeutschland ist das strenge lateinische Kreuz ungewöhnlich.
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Drittes Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Italien.
229
und p. 260) die ältere Behauptung, dass die bestehende Kirche im
wesentlichen ihrer Anlage von a. 570 sei, dass schon dieser Bau fünf
Schiffe im Langhaus, ein Querschiff und nach Westen liegende Apsis
gehabt habe, welche erst a. 1260 nach Osten verlegt worden sei; Mothes,
der wegen Unkenntnis der Schriften, worin dies bewiesen sein soll,
Schnaase, Kugler und Burckhardt tadelt, ist selber in Unkenntnis ge-
blieben, dass Ausgrabungen von 1844 und 1851 (die Resultate der
darüber gepflogenen Verhandlungen der Akademie zu Lucca bei Ridolfi,
Guida di Lucca 1877, p. 1 10— 128) die ältere Ansicht völlig umge-
stossen haben. Danach ist die ältere Kirche kürzer und enger gewesen,
dreischiffig im Langhaus und ohne Querschiff, während der jetzige
Grundriss von einem völligen Neubau, beg. 11 12, gew. 1147, herrührt;
ferner die Zerlegung der äusseren Seitenschiffe in Kapellen (in unserem
Grundriss weggelassen) nicht 1112, wie Mothes behauptet, sondern
urkundlich aus A. saec. 15. Wir unsererseits glauben uns nach un-
zweideutigen Anzeichen an der Fassade zu der Annahme berechtigt,
dass die äusseren Seitenschiffe auch noch nicht in den Plan von a. 11 12
einbegriffen gewesen, sondern um einiges später angefügt seien, wohl
im Wetteifer mit der Kathedrale von Pisa. — In Unteritalien die
Querschiffe meist fehlend oder, wenn vorhanden, über die Fluchtlinie
des Langhauses nicht vorspringend.
Rudimentäre oder getrübte Querschiffe in Agliate (Taf. 44, 66),
S. Pietro und Sta. Maria in Toskanella (Taf. 66, 72), vgl. die deutschen
frühromanischen Kirchen in Michelstadt, S. Salvator in Aachen, Sta. Ur-
sula in Köln; eigentümlich die vollständige Ueberbauung der Kreuz-
flügel durch Emporen in S. Lorenzo zu Verona (Hübsch, Taf.).
Entwickelte Querschiffe sind in Toskana vorzüglich der Schule
von Lucca eigen (Taf. 67): S. Martino a. 1070, Sta. Maria fuorisportam,
S. Michele, die beiden letzten undatiert, nach ihrem Stil saec. 12,
S. Giovanni mit Inschrift von a. 1 187 (Ridolfi p. 39); nur ein so
völliges Missverstehen der geschichtlichen Entwicklung, wie es Mothes
eigen ist, kann in diesen Kirchen die Gründungsbauten des saec. 8
wiedererkennen. Aehnlich den Luccheser Grundrissen S. Paolo in ripa
zu Pisa, Umbau aus A. saec. 13. Isoliert in seiner Region der Dom
von Fiesole; dass hier das Querschiff mit seinem kuppelartigen Ge-
wölbe im Mittelraum und Tonnengewölben über den Kreuzarmen der
Bauzeit von a. 1028 angehöre, scheint recht fraglich.
Apsis. In Oberitalien läuft nicht bloss das Mittelschiff, sondern
auch jedes Seitenschiff in eine Apsis aus, wohl unter byzantinischem
Einfluss, wie das frühe Beispiel von Parenzo zeigt (Taf. 16). Die
Nebenapsiden oft nur Nischen in der aussen gerade geführten Mauer:
Parenzo, S. Marco in Venedig, S. Abbondio bei Como (Taf. 66).
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
Toskana, auch hierin dem altchristlichen System näher, bleibt bei der
einen Apsis. — Als Besonderheiten bemerken wir noch die einigemal
vorkommende Anordnung eines engen inneren Säulenumganges: Sta. Sofia
in Padua, Sto. Stefano in Verona, S. Giovanni in Arbe in Dalmatien
(Taf. 68).
3. Die zentralisierende Basilika.
Den Preis unter den romanischen Bauschulen Italiens hat sich
unbestritten die toskanische verdient. Von der im 12. und ^.Jahr-
hundert in ihr lebenden Schaffenslust gibt die erstaunliche Menge
romanischer Kirchen, die noch heute in den damals aufblühenden
Städten des unteren Arnobeckens sich zusammendrängt, ein impo-
nierendes Zeugnis. Sie befand sich nicht im Widerspruch mit der
Ueberlieferung ; sie bemühte sich nicht um neue Erfindungen; ihr
klarer und massiger Sinn fand die alte Form der Basilika ausreichend,
in ihr ein neues Leben zu bethätigen. Der Inhalt desselben, den
am kürzesten das Wort »Vorschule der Renaissance c bezeichnet, wird
uns an späterer Stelle ausführlich beschäftigen. Einmal jedoch trat
sie aus dieser Beschränkung heraus und versuchte eine neue Bauform
höherer Ordnung zu finden. Das war in der Kathedrale von Pisa.
Wenn die Toskaner mit stolzer Liebe auf dieses Denkmal, als den
ehrwürdigen Anfang der »gutenc Baukunst, seit langem zu blicken
gewöhnt sind, so denken sie vornehmlich an die neuerrungene Formen-
sprache, wodurch die Kathedrale von Pisa weit über Toskana hinaus
reformatorisch gewirkt hat. Von ihrem Plane und Aufbau aber findet
man im eigenen Lande weder Vorstufe noch Nachbildung: sie ist
keine Basilika in dem hergebrachten und sonst überall beibehaltenen
Sinne. Das im ursprünglichen Plane mit dem Langhaus gleichartig
behandelte und auch nach den später beliebten Veränderungen noch
immer mächtige Querhaus, die Apsiden an beiden Enden desselben,
der weit vorspringende Ostbau, die Kuppel über der Vierung — das
sind Gedanken des Zentralbaues.
Kathedrale von Pisa. An der Fassade ist eine lange Reihe
von Inschrifttafeln eingelassen, wovon aber nur ein Teil auf die Bau-
geschichte sich bezieht, während andere von anderen denkwürdigen,
meist kriegerischen Ereignissen der Stadtgeschichte Bericht geben. Die
oberflächlichen oder grillenhaft willkürlichen Deutungen älterer Ge-
lehrten, welche aus ihnen das Jahr 1006 (1005) oder 1016 als Beginn
des Baus entnehmen wollten, sind u. a. von Cicognara (Storia della scul-
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Drittes Kapitel: Die flachgedeckte Rasilika in Italien.
231
tura II. 1823 p. 80 — 8g) mit aller Gründlichkeit widerlegt. In der
That beurkunden die Inschriften — in erster Linie die grosse 25versige
mit »Anno quo XPS« beginnende, dann noch eine andere, die Sedenz-
zeit des Bischofs Wido (1061— 1072) angebende — so unzweideutig
und widerspruchsfrei, wie nur irgend denkbar, das Jahr 1063 als An-
fang und den damals erfochtenen rühm- und beutereichen Sieg über
die Sarazenen bei Palermo als den Anlass des grossen Bauunternehmens.
Alle späteren sind denn auch unbedenklich Cicognara gefolgt, bis
neuestens O. Mothes, und durch ihn verführt Lübke, wieder das
Jahr 1005 hervorgeholt haben, wogegen sie für das Jahr 1063 nur eine
Verlängerung nach Westen und die Erbauung der Fassade zugestehen
wollten. Wir halten nicht für nötig, ein Wort weiter darüber zu ver-
lieren. Die besonderen Quellen wie der allgemeine Gang der Stil-
entwickelang verbieten schlechthin, an ein früheres Anfangsdatum als
1063 zu denken. Weiter notieren wir, dass 1095 der Bau ins Stocken
geraten war, und dass 1103 eine erste, 11 18 eine zweite Weihung er-
folgte; die letzte Vollendung mag sich noch länger hingezogen haben.
Man hat bemerkt, dass in der Komposition der Kathedrale von
Pisa »in seltsamer Weise Klarheit und Gefühl des reinsten Adels mit
Unbekümmertheit in betreff durchgebildeter Harmonie, selbst mit ab-
sichtlich entgegenwirkender Laune sich mischt«: (Kugler). In der That
liegen Inkongruenzen vor, die aber vollständig begreiflich werden,
wenn man annimmt, dass während der mehr als 50jährigen Bauführung
Veränderungen, insbesondere Erweiterungen des Planes stattgefunden
Pisa.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
haben. Unsere Vermutungen über die mögliche erste Gestalt desselben
haben wir im vorstehenden Grundriss zusammengefasst. Die nachher
beliebten Abweichungen sind als aus dem Konflikt zwischen Zentral-
bau und Basilika hervorgegangen zu erklären — einem ähnlichen
Kampfe, wie er ein halbes Jahrtausend später in der Baugeschichte der
römischen Peterskirche sich wiederholt hat. — Rohault de Fleury beob-
achtete zuerst, dass in der Linie des fünften (äusseren) Pilasters, von
der Fassade her gerechnet, ein deutlicher Absatz in der Bauführung
(u. a. von N. nach S. durchlaufende starke Grundmauer) mit grosser
Wahrscheinlichkeit daraufhinweist, dass das Gebäude westwärts ursprüng-
lich nur so weit reichen sollte. Unbemerkt ist der bedeutsame Um-
stand geblieben, dass somit im ersten Plan die Länge des Gebäudes
von O. nach VV. genau dieselbe war, wie von N. nach S. Ein
eigentümlicher Kompromiss zwischen griechischem und lateinischem
Kreuz! Im Hinblick auf die in der Längenrichtung so stark betonte
Gleichwertigkeit der beiden Kreuzarme können wir von dem Gedanken
nicht loskommen, dass auch der Breitenunterschied ursprünglich nicht so
stark betont war, wie er schliesslich es geworden ist; m. a. W. : wir
halten für einigerraassen wahrscheinlich, dass auch das Langhaus nur
dreischiffig projektiert war, gegen das Querhaus bloss in der grösseren
Breite des Mittelschiffs mit einem leisen Uebergewicht. Diese Hypothese
empfiehlt sich, ausser durch ihre innere Logik, auch dadurch, dass erst
durch sie mehrere auffallende Unregelmässigkeiten verständlich werden.
Zuerst, dass gegen Natur und Gewohnheiten die äusseren Seitenschiffe
(vgl. Taf. 70) breiter sind als die an das Mittelschiff zunächstgrenzenden.
Zweitens, dass das Langhaus, in der Aussenansicht unangenehm auf-
fällig, höher ist als das Querhaus; nicht aus Bizarrerie, meinen wir,
sondern weil die angenommene Verdoppelung der Seitenschiffe den
Ansatz der Pultdächer über den Emporen beträchtlich erhöhte, wodurch
wiederum eine Erhöhung des Lichtgadens nötig wurde; ja, man hätte
noch weiter in die Höhe sich ausdehnen müssen, wäre nicht vorsorglich
das Niveau der Emporen im Schiff schon niedriger angenommen worden
wie im Ostbau (vgl. den Längenschnitt Taf. 69). Hiermit stimmt die
auf stilistischen Beobachtungen fussende Meinung von Burckhardt, dass
die Galerie im Innern zu den späteren Baugedanken gehöre. Als
weitere Folge vermuten wir die an sich unschöne, aber für die unge-
hemmte Raumwirkung nötige Ueberhöhung und Zuspitzung des Triumph-
bogens. Endlich muss auch die Vierungskuppel ein späterer Bau-
gedanke sein. Nur so wird der seltsame ovale Grundriss, nur so die
noch seltsamere Ueberbrückung und Absperrung der Kreuzarme durch
die durchlaufenden Emporen verständlich. Dass für tragfähige Kuppel-
pfeiler im ersten Grundriss nicht gesorgt war, liegt auf der Hand; sie
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Drittes Kapitel. Die llachgedeckte Basilika in Italien. 233
nachträglich einzuschieben hätte den aufs schönste vorbereiteten per-
spektivischen Effekt im Zusammentreffen der Lang- und Querschiffe
man übersehe nicht den grossen Fortschritt in diesem Punkte gegen
S. Paul in Rom) zerstört (wir erinnern uns hierbei an S. Sernin in
Toulouse, wo es zum Unglück geschehen ist). So hielt man, gewiss
mit Recht, den gewählten Ausweg für das kleinere Uebel. Und ohne
Zweifel haben sich die Erbauer an dem neu gewonnenen perspektivischen
Reiz der >geheimnisvoll-prächtigen< Durchblicke von den Enden des
Querschiffes nicht weniger gefreut, als wir es heute thun.
Die höchst geniale Neuschöpfung, als die uns die Kathedrale von
Pisa als Ganzes genommen entgegentritt , dispensiert nicht von der
Frage, aus welcher Quelle die in ihr verarbeiteten Anregungen ge-
flossen seien. Wir sagten oben : aus dem Zentralbau, und können jetzt
bestimmter sagen: aus dem griechischen Kreuz. Dennoch vermögen
wir nur einen mittelbaren byzantinischen Einfluss anzuerkennen. Mothes
und andere haben auf die Demetriuskirche in Thessalonika hingewiesen :
eine durchaus ungültige Analogie, da dort die Kreuzflügel nichts wie
angebaute Sakristeien sind, die nur im Erdgeschoss durch eine Bogen-
stellung mit dem Schiff kommunizieren. Mit mehr Recht könnte an
die den Pisanern als Vermittlern des Pilgerverkehrs wohlbekannte
Nativitätskirche in Bethlehem (Taf. 17) — vielleicht auch an die gross-
artige Anlage zu Kelat Seman — gedacht werden. Sehr wichtig erscheint
uns aber, dass in Italien selbst, an der Ostküste und im ganzen Süden,
mit dem Pisa in lebhaftem Verkehr stand und wo Reste der griechischen
Herrschaft bis tief ins elfte Jahrhundert sich erhielten, Verquickungen
zwischen basilikalen und zentralen Formen
gäng und gäbe waren. Wir heben hier zu-
nächst eine Gruppe heraus, welche den in
Pisa durchgeführten Gedanken noch in
weniger entwickelter Form zeigt. Den Aus-
gangspunkt bildet der Typus mit quadrati-
schem Zentralraum, kurzen Kreuzarmen, und
ausfüllenden kleinen Eckquadraten (Taf. 1 3). Gaeta
Durch gleichmässige Verlängerung des öst-
lichen und des westlichen Armes entstand eine Kompromissform zwischen
Longitudinal- und Zentralbau, von der in den kleinen Kirchen S. Giuseppe
in Gaeta, S. Costanzo auf Capri, SS. Niccolo e Cataldo in Lecce
Beispiele erhalten sind (Grundriss der ersteren S. 46, Längenschnitt
beistehend). Eine weitere Amplifikation zeigt S. Cyriaco in Ancona.
Leider kennen wir das merkwürdige Denkmal nicht aus eigener
Anschauung, sondern nur aus der umstehend (Fig. a u. b) reprodu-
zierten, wahrscheinlich recht ungenauen Skizze von d'Agincourt. Das
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Zweites Buch. Der romanische Stil.
zentralistische Element ist im Grundriss verstärkt, aber der Aufbau ist
als abendländische Basilika behandelt. Leider ist nicht ermittelt, aus
welcher Zeit die erste Anlage stammt (Baunachrichten aus saec. ior);
sollte sie wirklich eine Nachahmung der Kathedrale von Pisa sein —
T- TT
was gewöhnlich behauptet wird, aber keineswegs ausgemacht ist — so
würde sie auf dem von uns angenommenen ersten Plan, mit dem sie
unter allen Umständen nahe verwandt ist, beruhen. — Diese oder
ähnliche Bauten muss der Meister von Pisa gekannt haben. Sicher war
das Problem schon vor ihm gestellt und wartete nur der Gestaltung
durch ein echtes Genie.
Eine so organische Erweiterung des alten Basilikenbaues, wie
in der Kathredrale von Pisa, ist im Süden Italiens und auf der
sizilischen Insel nicht gelungen. Gegenüber den von Byzantinern,
Arabern, Normannen herzugetragenen fremden Elementen war die
einheimische Kunst nicht stark genug, weder sie sich zu assimilieren,
noch auch sie auszustossen. Die Mischung erzeugte mehr ein Vielerlei
als wahren Reichtum und stand der Gewinnung fester Zielpunkte, wie
sie die Toskaner besassen, im Wege. Das blieb die Schwäche dieser
süditalischcn Kunst, die, so glanzvoll und mit so grossen materiellen
Mitteln sie auftrat, doch keine von den treibenden Kräften der grossen
geschichtlichen Strömung gewesen ist und deshalb auf unserm Stand-
punkte nur sekundäres Interesse erregt.
Sizilien. Die östliche Gruppe lässt mehrmals, z. B. an den
Kathedralen von 'Proina, Cefalu, und Messina, in der Disposition
des QuersrhifTes und der Nebenchöre normannische Nachklänge er-
kennen. Die an Denkmälern reichere westliche mit dem Mittelpunkt
Palermo dagegen knüpft an die als landesüblich vorgefundene griechische
Zentralanlage an. Dieselbe wird jedoch mit der lateinischen Basilika
nicht sowohl verschmolzen, als vielmehr nur rein äusserlich verkoppelt.
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Drittes Kapitel : Die flachgedeckte Basilika iu Italien.
235
So mit geringen Abweichungen die Palermitaner Kirchen S. Giovanni
de' Leprosi, Sto. Spirito, La Maggione, und die Capella Palatina; selbst
die berühmten Kathedralen von Monreals und Palermo erheben sich
nicht über diese gedankenarme Kompositionsweise. Vielleicht geschah
es im Gefühle dieses Mangels an Homogenität, dass in Monreale die
ursprünglich sicher beabsichtigte Einwölbung der Osthälfte unterblieb.
In der Capella Palatina dagegen sieht man nebeneinander: Kuppel
und gespitzte Tonnengewölbe im Querbau , Stalaktiten-Scheingewölbe
im Hauptschiff, offene Pultdächer in den Seitenschiffen. Rein französisch
ist endlich die Anordnung von zwei Westtünnen mit Vorhalle an den
grossen Domen (Palermo, Monreale, Cefalu).
UNTERITALIEN. Hier sind die eigentlich byzantinischen Anlagen
wenig zahlreich vertreten, während in allen Landesteilen reine Basiliken
in Menge vorkommen. Die bedeutendste die Kathedrale von Salerno,
erbaut von Robert Guiscard seit a. 1077; im Umbau des saec. 18
^Pfeiler und Tonnengewölbe) lässt sich die ursprüngliche Anlage mit
Sicherheit erkennen, es sind nämlich je zwei Säulen, ohne ihren Platz
zu ändern , in die Pfeilerecken eingemauert und die jedesmal dritte
Säule ausgeschaltet (vgl. die beistehende Figur). Das QuerschifT nach
römischem Muster ; wegen der flachen Kapellen an den seitlichen Lang-
wänden (im Grundriss weggelassen) wollen wir die Möglichkeit nicht
durchaus bestreiten, dass sie noch aus der alten Anlage sein könnten
(vgl. unten Bitonto) ; interessant das noch gut erhaltene Atrium mit Säulen
aus Pästum. Weitere Beispiele: S. Giovanni in Ravello, Querschiff
nicht vorspringend; S. Angelo in Formis, ohne QuerschifT; S. Gre-
gorio in Bari, ohne QuerschifT; Kathedrale von Otranto, Querschiff
nicht vorspringend; ferner in den Abruzzen zwei Kirchen in Moscufo,
zwei in Alba Fucese, eine in Pianella u. s. w., sämtlich ohne
QuerschifT.
Zwischen dem byzantinischen und dem lateinischen Plan werden
nun verschiedene Kompromisse eingegangen: 1) in dem oben an den
Beispielen aus Gaeta, Capri, Lecce besprochenen Modus ; 2) Anordnung
von fünf Kuppeln nach der Figur des lateinischen Kreuzes, mit ge-
wölbten Seitenschiffen (vgl. unten Kap. 7); 3) auf Grundlage des Ba-
silikenplanes byzantinisierende Modifikation der Ostpartie, insbesondere
Aufnahme einer Vierungskuppel in Begleitung von meist kurzen Kreuz-
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
armen. Die letztere Form gewann das meiste Ansehen. — Zunächst
eine stattliche Kirchengruppe in der Terra di Bari. Zwei regelmässig
wiederkehrende Eigentümlichkeiten sind kapellenartige Nischen entlang
der Seitenschiffe und Verdeckung der Apsiden durch eine gerade, bis
zur vollen Höhe des Querhauses aufsteigende Abschlussmauer ; der für
Sizilien typische Oblongraum zwischen Vierung und Hauptapsis fehlt.
Tonangebend wurden die beiden Kirchen in
Bari: die Kathedrale (das Innere vielleicht
noch aus der Bauperiode 1034 — 1061) und
S. Niccolo (1085 — 1105); fast genaue Nach-
ahmungen davon die Kathedralen von Ruvo
und Bitonto (s. den beistehenden Grundriss).
Nicht überall übrigens ist die Kuppel zur
Ausführung gekommen; in der Kathedrale
von Trani war sie wohl nie beabsichtigt.
Ausser der Linie steht die Kathedrale von
Troja (Taf. 68) mit ihren stark vorspringen-
den Kreuzarmen, wohl spätere Anbauten. Ein
anderes, oberitalienischen Gewohnheiten näher
kommendes System an der Westküste: da*
Querschiff aus drei Quadraten zusammenge-
setzt, das mittlere mit einer Kuppel, die
flankierenden mit je einem Kreuzgewölbe ge-
deckt; Caserta vecchia (Taf. 67), Sta.
Maria del Gradillo zu Ravello. — Um das Vielerlei zu vollenden,
tauchen saec. 13, und zwar wohl noch vor der Zeit der Anjous, in
Acerenz a (Taf. 68) und Venosa zwei nach französischen, jedoch
nicht gotischen, sondern noch romanischen, Vorbildern disponierte
Chöre (Umgang und radiante Apsidiolen) auf, bei übrigens noch flach
gedecktem Quer- und Hauptschiff.
4. Der Aufbau.
Sieht man ab von dem Schwibbogensystem Oberitaliens und
dem unorganischen Nebeneinander gewölbter und flachgedeckter
Bauteile in Süditalien, so bleibt die Norm für die Konstruktion der
Decke und ihrer Stützen durchweg das frühchristliche System, d. i.
die einfach auf der glatten Mauer aufsitzende Balkendecke. Sie ist jetzt
auch nur noch selten vertäfelt, sondern zeigt das offene Sparrenwerk.
Einwölbung der Seitenschiffe, wie solche in Deutschland und
Frankreich früh beliebt wurde, bleibt Ausnahme.
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Drittes Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Italien.
237
Von den süditalischen Vierungskuppeln ist zu bemerken, dass
sie, obgleich byzantinisch komponiert, doch in der Regel nicht
ebenso konstruiert sind, d. h. nicht auf sphärischen Zwickeln, sondern
auf Trompen ruhend.
Lediglich dekorative Bedeutung haben die von den Normannen
auf Sizilien den Arabern abgesehenen Stalaktitengewölbe.
Was die Form der Stützen betrifft, so ist für das italienische
Gefühl bezeichnend, dass man nur die Säule für anständig hielt; wo-
gegen der Pfeiler immer ein Zeichen von Roheit ist (nur in einigen
Gegenden Unteritaliens, namentlich den Abruzzen wird er häufiger
zugelassen). Antike Säulen waren natürlich noch immer sehr begehrt,
wenn auch für Neubauten selten mehr zu haben (glänzende Ausnahme
die Kathedrale von Pisa, wo sie unter grossen Anstrengungen übers
Meer herbeigebracht). Andererseits Hess man so naive Zusammen-
Stoppelungen verschiedenster Formen und Grössen, wie z. B. in S. Pictro
in Toskanella im 1 1. Jahrhundert, im 12. Jahrhundert, ausser in Rom,
sich schon nicht mehr bieten. So lernte man, seit Jahrhunderten
eine entwöhnte Sache , wieder neue Säulen arbeiten. Neue Formen
kamen dabei, ausser in Oberitalien, nicht zum Vorschein.
Die der Antike nachgebildeten schlanken Proportionen der Säulen
werden mit ein Grund gewesen sein , dass die Seitenschiffe so selten
gewölbt wurden (die heutigen meist aus dem späteren Mittelalter oder
der Renaissance). Wo das dennoch geschah, sicherte man sich zuweilen
durch Verdoppelung der Säulen: S. Niccolo in Bari, Kathedrale von
Trani; in der Kathedrale von Palermo trägt eine Gruppe von vier
arabisch schlanken Säulen eine gemeinschaftliche Deckplatte. (Vom
sizilianischen Spitzbogen werden wir in einem späteren Kapitel
handeln.)
Wesentlich als eine für die Liturgie in Betracht kommende Cäsur
ist es anzusehen, wenn die Reihe der Säulen einmal, meist genau in
der Mitte, von einem Pfeiler unterbrochen wird: Bitonto, Bari (in
mehreren Kirchen), S. demente in Rom, S. Alessandro und Sta. Maria
fuoreivitas (Taf. 67) in Lucca u. a. m.
Das wichtigste ist der Umschwung im Raumgefühl. Im ganzen
gilt, dass die Höhenentwicklung im Vergleich zu den Gewohnheiten
des ersten Jahrtausends, verstärkt wird; im einzelnen finden starke
Schwankungen statt. Ferner werden die Zwischenbreiten der Säulen
erheblich grösser, die sie verbindenden Bögen höher, und folglich,
was trennend zwischen Haupt- und Nebenschiffen liegt, verringert.
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238 Zweites Buch: Der romanische Stil.
Die freieste und edelste Raumbehandlung in dem angegebenen
Sinne in der Florentiner Schule; leider sind nur zwei Innenräume,
.in den Kirchen SS. Apostoli (Tat 72) und S. Miniato (Taf. 69), erhatten ;
Mothes sucht die Zeitangaben Vasaris — für jene Karl d. Gr., für diese
Heinrich II. — zu retten, während sonst allgemein saec. 12 ange-
nommen wird; in betreff von S. Miniato lehrt allerdings eine Urkunde
von a. 1013, dass der Neubau damals schon begonnen war (vgl. Reumont,
Lorenzo de Medici I, 38), womit aber für die jetzige Gestalt des Hoch-
baues noch nichts entschieden ist; SS. Apostoli ist vor 1100 nicht
denkbar. Verwandt durch die Weite der Arkaden der Dom von Prato.
Die Schule von Lucca (Taf. 71, 72) betont dagegen die Höhenentwick-
lung des Mittelschiffs und geht darin schon an die äusserste ohne
Schädigung der Harmonie statthafte Grenze. Arg überschritten wird die-
selbe inS. Bartolommeo und S.Andrea (Taf. 71) zu Pistoja, E. saec. 12,
besonders auffallend gegen die Weiträumigkeit der alten Kathedrale
daselbst. Sehr hoch auch die Kirchen von Viterbo, S. Giovanni,
Sta. Maria Nuova und die stattliche Kathedrale, um a. 1100 (Taf. 71).
In Unteritalien zuweilen noch ganz antik dichte Säulenstellung; so
in der Kathedrale von Salerno (Taf. 67), so selbst noch in der von
Monreale, E. saec. 12 (Taf. 73).
Einseitige Steigerung der Höhenproportion, wie die obigen Bei-
spiele lehren, bestrafte sich. Die Säule, zumal wenn für sie die antike
Bildung festgehalten wird, bleibt eben der Massstab aller übrigen
Verhältnisse, und zwar ein empfindlicher und wenig elastischer Mass-
stab. Die Säulen entsprechend mit zu steigern wäre, ungerechnet die
vermehrten Kosten und technischen Schwierigkeiten, von zweifelhaftem
Schönheitswert gewesen. Hier gab es nur eine befriedigende Aus-
gleichung: durch Anlage eines Galeriegeschosses über den Arkaden.
Der Meister der Kathedrale von Pisa, dem nach den Wünschen
der Zeit die Schaffung eines schlanken Hochbaus oblag, bewies auch
hierin seinen hohen Kunstverstand. Als Mittelglied zwischen der
unteren Kolonnade und der Lichtgadenmauer öffnet sich die Galerie
in einem Wechsel von Säulen und Pfeilern, die letzteren >gleichsam
Repräsentanten der Mauert, luftig, doch ohne dem Eindruck der Festig-
keit Eintrag zu thun. Die Ausdehnung des Motivs auf das Querschiff
erscheint wie selbstverständlich und ist doch ein (für Italien wenigstens)
ganz neuer Gedanke. — Das System von Pisa hat in Toskana und
überhaupt in Mittelitalien keine Wiederholung gefunden. Ob als solche
die im 13. saec. mit Benützung der alten umgebaute Kathedrale von
Genua (Taf. 70) zu gelten habe, lassen wir dahingestellt. Dagegen
bilden die Emporen einen regelmässigen Bestandteil in den Kirchen
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Drittes Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Italien.
239
der apulischen Küstenstädte, Bari, Trani, Barle tta 11. s. w. Zweifel-
los sind sie hier durch die Griechen eingebürgert und sehr wahrschein-
lich von hier nach Pisa weitergegeben. Jede Emporentravce pflegt
durch zwei Säulen in drei Abschnitte geteilt zu sein, was eine etwas
kleinliche Wirkung ergiebt. So ist es auch an dem ältesten Teil (dem
Chor) der Kathedrale von Pisa wiederholt, wogegen das Vorderschiff
dort die glückliche Aenderung aufweist, dass bloss eine Teilungssäule
angenommen ist.
Ein weiteres Hauptunterscheidungsmerkmal der romanischen
Basiliken ist, neben der veränderten Raumbehandlung die veränderte
Beleuchtung. Die Zahl der Fenster wird erheblich verringert, ihre
Gestalt verschmälert; damit verschwindet die Lichtfülle der frühchrist-
lichen Kirchen, schlägt oft geradezu in Finsternis um. Offenbar ist in
der Technik des Fensterverschlusses ein Rückschritt gegen das Altertum
eingetreten, namentlich die Mitwirkung des Glases erheblich reduziert.
Ausserdem liegt aber auch eine Veränderung der Stimmung vor, wie
sie im Mittelalter überall, im Süden (Spanien, Aquitanien, Provence)
noch stärker als im Norden, wahrgenommen wird, vom 9. bis 12. Jahr-
hundert zunehmend, dann seit dem 13. Jahrhundert rasch wieder
zurückweichend.
Im älteren toskanischen Stil Verengung der Oberfenster zu schiess-
schartenartigen Mauerschlitzen, am extremsten nach unserer Erinnerung
in den kleinen Kirchen von Viterbo. Herrlich und allem überlegen
die Lichtstimmung in der Kathedrale von Pisa: nicht hell, eine mässige
nach oben lichter werdende Dämmerung.
Die Unterdrückung fast aller architektonischen Zierformen im
Innern ist von der frühchristlichen auf die romanische Basilika über-
gegangen, verschwunden aber, was ihr dort zur Entschuldigung ge-
dient hatte, der farbige Mosaikenschmuck.
Nur in Sizilien erlebte die Kunst des Mosaiks eine glänzende Renais-
sance. Wesentlich der feierlichen Pracht ihrer Dekoration und nicht
ihren sehr anfechtbaren architektonischen Qualitäten verdanken die
Interieurs der Capeila Palatina und des Doms von Monreale die von
den Besuchern einstimmig gepriesene hinreissende Wirkung. Auf dem
Festlande mosaizierte man, wenn es hoch kam, die Halbkuppel der
Apsis, die grossen kahlen Mauerflächen der Schiffe aber mussten sich
mit einfacher Bemalung begnügen und selbst mit dieser wird oft ge-
spart worden sein. Dafür kommt an den vornehmsten Monumenten
Toskanas (S. Miniato bei Florenz, Kathedrale von Pisa) eine gleich-
massig durchgeführte Bekleidung mit mehrfarbigem Marmorgetäfel in
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240 Zweites Buch: Der romanische Stil.
Aufnahme: einfache geometrische Muster und Streifen, die mit ihren
vorwaltenden Horizontallinien dem Vertikalismus der Säulen ein er-
wünschtes Gegengewicht halten.
Einen ersten Schritt aus dem traditionellen Basilikenbau heraus
bezeichnet das Schwibbogensystem. Der Zweck ist nicht in
erster Linie die Unterstützung der Deckbalken, vielmehr die festere
gegenseitige Verbindung der Hochmauern. Nebenher ist dabei viel-
leicht auch eine Vorsichtsmassregel gegen Feuersgefahr im Spiele.
Die Quermauern über den Schwibbogen sind nämlich immer als
förmliche Giebel ausgebildet, durch welche der Dachraum in eine
Folge von geschlossenen Kompartimenten zerlegt wurde und die
Flammen leichter isoliert werden konnten.
Vereinzelt in ganz Italien: S. Nicolo in Bari, S. Valentino in
Bitonto, Sta. Prassede in Rom, S. Cipriano in Spoleto, in edelster
Ausbildung in S. Miniato bei Florenz.
Grössere Verbreitung fand das System nur in Oberitalien, und
nur hier wurden weitergehende Folgerungen für die Konstruktion
daraus gezogen; vgl. oben S. 187 ff. Durch regelmässige Durchfüh-
rung des Wechsels von Säulen und Pfeilern kam zugleich eine neue
künstlerische Auffassung in die Komposition, ein zusammengesetzter
Rhythmus, der dem übrigen Italien fremd ist und womit die lombar-
dische Baukunst mit der nordfranzösischen und deutschen — jedoch
nicht der süddeutschen, sondern der rheinischen — sich auf gleichem
Wege zeigt. Ueber die karolingische Wurzel dieser Erscheinung siehe
oben Kapitel I. Abschnitt 7.
Das lombardische Schwibbogensystem tritt zuerst immer in Ver
bindung mit Emporen über den Abseiten auf. So in S. Ambrogio und
S. Celso zu Mailand (Taf. 45), im mehrfach mutierten, jetzt abge-
tragenen, Dom von Novara (Taf. 16, 74), wahrscheinlich auch in S. Lo-
renzo in Verona, wo das jetzige Tonnengewölbe im Mittelschiff keines-
falls ursprünglich. Besonders konsequent in der Konstruktion der Dom
von Mode na (Taf. 66, 74); die Oeffnungen über den grossen Arkaden
des Mittelschiffs erwecken den Anschein von Galerien, haben aber
keine solchen hinter sich, sondern nur ein doppeltes System von Quer-
bogenverbindungen ; ungewöhnlich stark die korrespondierenden Quer-
bögen des Mittelschiffs, die noch über dem Dach als Giebelwände
emporragen; die im 12. saec. eingeschalteten Gewölbe (rechte Hälfte
der Figur auf Taf. 74) haben das geschilderte Gurtbogensystem unver-
ändert als Rahmen benutzen können ; über so viel konstruktiven Sorgen
ist dann allerdings die Schönheit der Verhältnisse zu kurz gekommen.
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Drittes Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Italien.
24I
Zuweilen tritt eine Rückbildung ein, insofern die Emporen ausgeschieden
werden. So in S. Zeno bei Verona; das Innere nicht später als
A. saec. 12 (vor dem a. 1123 beg. Kreuzgang); die Schwibbogen bei
Anlage der hölzernen gotischen Gewölbe zum Teil entfernt (Taf. 74),
in unserer Perspektive (Taf. 77) restauriert. — In der Behandlung des
Stützenwechsels wie auch im Aussenbau, eine Nachahmung von S. Zeno,
jedoch auf die Emporen zurückgreifend, die Kathedrale von Zara in
Dalmatien, merkwürdig spät (a. 1247) begonnen (Taf. 68). — Einfacher
Stützenwechsel mehrfach in Verona (S. Giovanni in fönte, S. Giovanni
in valle, S. Pietro in castello) jedoch schwerlich unter deutschem Ein-
lluss, wie Schnaase IV., 434 vermutet, sondern Reduktion aus dem
Schwibbogensystem.
Ein in romanischer Zeit oft sehr in die Augen fallender Be-
standteil der Komposition ist die Krypta. Feste Gewohnheiten in
betreff ihrer, wie sie im Norden bestanden, haben sich jedoch nicht
ausgebildet; den Kirchen mit Krypta stehen ebensoviele gegenüber,
die ihrer entbehren. Sie verbirgt sich jetzt nicht mehr in der Erde,
sondern bildet den geräumigen, verhältnismässig hohen, gegen das
Schiff in Bogenstellungen sich eröffnenden Unterbau des Chores
(Beispiele Taf. 74, Fig. 5, 77, Fig. 1, 2). Uebergangsformen aus der
altchristlichen Confessio sind merkwürdigerweise gerade in Italien nicht
vorhanden. Toskana macht sich am frühesten von der Krypta los;
die Lombardei ist ihr am geneigtesten; Unteritalien besitzt, in der
Kathedrale von Trani, wo sie dem ganzen Flächenraum der Ober-
kirche nachfolgt, die grösste Krypta der Welt.
Beschreibung der Tafeln.
Tafel 66. Gründr.sse.
1. Agliatt. — vor a. 1000? — Dartein.
2. * Verona: S. Giovanni in valle. — saec. 11? — Bezold
3. Conto: S. Abbondio. — gew. a. 1095. — Dartein.
4. Modena: Dom. — a. 1099 ff. — Osten.
5. * Florenz: SS. Apostoli. — saec. 12. — Bezold.
6. Verona: S. Zenone. — A. saec. 12 — C.-Com. Mitteil.
6 a. Ebenda: Krypta.
7. S. Pietro in Grado bei Pisa. — saec. 9, Westapsis saec. 13. —
Rohault de Fleury.
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242 Zweites Buch: Der romanische Stil.
8. Vertemate. — a. 1086 ff. — Dartein.
9. *Toskanella: S. Pietro. — E. saec. 11. — Dehio.
10. Conto: S. Jacopo. — saec. 12. — Dartein.
Tafel 67.
1. Pisa: S. Paolo in ripa. — Umbau A. saec. 13. — Rohaul t.
2. *Lucca: S. Frediano. — a. 11 12— 1147, Seitenschiffe vermutlich
jünger. — Bezold.
3. *Lueea: S. Muhde. — saec. 12. — Dehio.
4. *Lucca: Sta. Maria fuorcivitas. — saec. 12. - Bezold.
5. Caserta vecchia: Kathedrale. — saec. 12. — Schulz.
6. Palermo: Capeila Pa'.atina. — saec. 12. — Gailhabaud.
7. Trani: Kathedrale. — a. 1094 ff. — Schulz.
8. *Lucca: S. Giovanni. — saec. 12, das mit dem Querschiff zusammen-
hangende Baptisterium bedeutend älter, die Wölbung gotisch. —
Bezold.
9. *Salerno: Kathedrale. — a. 1077 ff. — Dehio.
Tafel 68.
1. Pisa: Kathedrale. — a. 1063 ff., mit Erweiterung um a. 1100
(vgl. S. 231). — Rohault de Fleury.
2. S. Pellino: Kathedrale. — saec. 12? - Schulz.
3. Troja: Kathedrale. — a. 1093 ff. — Schulz.
4. Aeerenza: Kathedrale. — 1. H. saec. 13. — Schulz.
5. Zara: Kathedrale. — 1247 ff. — C.-Com. Jahrb. 1861.
6. Bannos: S. Juan. — saec. 12? — Monumentos arquitectonicos
de Espana.
7. Arbe: S. Giovanni. — saec. 12. — C.-Com. Jahrb. 1862.
8. S. Miguel de Escalada. — saec. 12? — Mon. Esp.
9. Monreale: Kathedrale. — a. 1174—89. — Serrad i falco.
Schnitte und Systeme.
Tafel 69 Toskana und Mittelitalien.
1. Pisa: Kathedrale. — a. 1063— 11 18. — Rohault.
2. Florenz: S. Miniato al monte. — saec. 12. — Gailhabaud.
Tafel 70.
1. *Lucca: S. Frediano. — saec. 12. — Bezold.
2. Pisa: Kathedrale. — Rohault.
3. Genua: Kathedrale. — saec. 13. — Osten.
Tafel 71.
1. *A<tr«/'.- Kathedrale. — vor a. 1000. — Dehio.
2. 3. *Viterbo: Kathedrale. — c. a. 11 00. — Dehio (Skizze\
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Drittes Kapitel : Die flachgedeckte Basilika in Italien.
243
4. *Pistoja: S. Andrea. — saec. 12. — Dehio (Skizze).
5. *Lucca; Sta. Maria fuorävitas. — saec. 12. — Bezold.
6. 7. *Lucca: S. Michele. — saec. 12. — Bezold.
Tafel 72.
1. * Lutea: S. Frediano. — saec. 12. — Bezold.
2, 3. *Toskatuüa: S. Pietro. — E. saec. n, Lichtgaden ca. 1200. —
Dehio.
4. * Toshanella: Sta. Maria. — saec. 12. — Dehio.
5, 6. * Florenz: SS. Aposioli. — saec. 12. — Bezold.
_ _ , Süditalien.
Tafel 73.
1. Monreale: Kathedrale. — a. 1174—89. — Etudes de l'Ccole des
beaux-arts.
2. Caserta vecchia. — saec 12. — Schulz.
3. Altamura. — a. 1220 ff. — Schulz.
4. Bari: S. Niccolo. — a. 1085— 1 105. — Schulz.
5. Trani: Kathedrale. — a. 1094 ff. — Schulz.
_. . , Lombardei.
Tafel 74.
1. * Verona: S. Giovanni in valle. — saec. 11? — Bezold.
2. Verona: S. Zenone tnaggiore. — A saec. 12. — C -Com. Mitt.
3. 4. *Como: S. Abbondio. — saec. 11. — Dartein.
5. Modena: Kathedrale. — saec 12. — Osten.
6. Novara: Kathedrale. — saec. 11? — Osten.
Tafel 75 Dalmatien und Spanien.
x. Arbe: S. Giovanni. — saec 12. — C.-Com. Jahrb.
2. S. Juan de Hannos. — saec. 12? — Mon. Esp.
3. Trau: Kathedrale. — nach a. 1 185. — C.-Com. Jahrb.
4. 5. S. Miguel de Escalada. — saec 12. — Mon. Esp.
6. Segovia: S. Millan. — saec. 12, vielleicht auf Gewölbe angelegt.
Mon. Esp.
_ , , „ Perspektiven.
Tafel 76.
1. Toshanella: Sta. Maria. — Gailhabaud.
2. Palermo: Capella Palatino. — Gailhabaud.
Tafel 77.
1. * Florenz: S. Miniato. — Nach Photographie.
2. * Verona: S. Zeno. — Bezold.
Tafel 78.
1. *Pisa: Kathedrale. — Nach Photographie.
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Viertes Kapitel.
Die flachgedeckte Basilika in Westeuropa
LriTKRATl R. - - Willemin: Monuments francais inedits. 2 vol. Paris 1806. 2". —
Whittington: An historical survey of the ecclesiaslical antiquities of France, 2. ed.
London 181 1. 8°. — Alexandre de Labor de: Monuments de la France. 2 vol. 20. 1816
bis 1836. — Taylor, Nodier et de Cailleux . Voyages pittoresques et romanliques dans
l'ancienne France. 19 vol. 2°. 1820 — 64. — Chapuy: Cathedrales francaises. 1826 — 31.
4°. — Ramie et Chapuy : Moyen-äge monumental. 3 vol. 2°. 1843. — Archives de la
commission des monuments historiques. 4 vol. gr. 2°. 1855 — 72. — Anthyme Saint-
Paul : Histoire monumentale de la France. 1883. 8°. — A. de Baudot : Eglises de
bouxgs et villages. 2 vol. 40. 1867. — A. de Caumont: Histoire sommaire de l'archi-
tecture. 1838. 8". — Derselbe: Ab£c6daire d'archcologie. 5 6d. Caen 1870. 8°. —
Batissier : Elements d'archeologie nationale. 1843. ,2°- — Viollet-le-Duc: Dictionnaire
raisonne de l'architecture francaise du XI. au XVI. siecle. 2 cd. Paris 1875. IO vo'- 8°. —
TA. Inlerslev: Romanesque and pointed archt. in France London 1850. 8*. —
Quicherat: De l'architecture romane. (Revue archeologique, t. VIII. 1851). -- Derselbe:
Fragment d'un cours d'archcologie (enthält die romanische Baukunst in Frankreich), in
McHanges d'archeologie et d histoire. Paris 1886. 8°.
Fortlaufende Jahrespublikationen : Bulletin monumental, seit 1834. — Bulletin des
comites historiques, seit 1849 ~ Revue arehMogique , seit 1844. — Congr'es areheo-
logiques de la Franee, seit 1834. — Revue generale de farehitecture , publiee par Cesar
Daly, seit 1840.
r. Einleitung.
Die Denkmäler, aus denen wir unsere, leider höchst unvollständig
gebliebenen, Vorstellungen von der fränkischen Baukunst im karolingi-
schen Jahrhundert abzuleiten versuchten, fanden sich sämtlich in
Austrien, in den Grenzen des späteren deutschen Reiches. Auf dem
westfränkischen Boden dagegen hat sich nur ein einziges authentisches
Karolingerwerk, der kleine Zentralbau von Germigny-des-Pres bis in
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Viertes Kapitel : Die flachgedeckte Basilika in Westeuropa.
245
unsere Tage erhalten Indes bezeugen Geschichtsschreiber und Ur-
kunden, dass auch im Westreich unter Karl und seinen nächsten Nach-
folgern der Kirchenbau eine sehr lebhafte Thätigkeit entfaltet hat, und
es wurde schon ein langes Register abgeben, wenn wir auch nur die
uns mit Namen genannten Gründungen aufzählen wollten *). In welchem
Umfange in ihnen etwa Versuche zur Umbildung der herkömmlichen
Bauformen schon hervortraten, lässt sich nicht einmal ahnen; nur so
viel ist gewiss, dass es daran überhaupt nicht gefehlt hat 3). Dieser
reichen karolingischen Bauproduktion war nur ein kurzes Dasein be-
schieden. Man kennt die schreckliche Bedeutung, die der Name der
Normannen in der Geschichte dieser Zeit erlangte. Die Flüsse, deren
Mündungen sie in Besitz nahmen, trugen ihre Schiffe bis tief ins
Innere des Landes: die Saone führte sie nach Amiens, die Seine
vor Paris, die Loire bis über Orleans hinaus, die Garonne bis vor
Toulouse ; das Land zwischen den Flüssen ward weit und breit wüste
gelegt. Und vielleicht noch gründlicher betrieben an der Küste des
Mittelmeeres und den Ufern der Rhone die Sarazenen das Zerstörungs-
werk. Beide waren Feinde des christlichen Glaubens. Die noch
durchweg nach Basilikenart konstruierten Kirchengebäude zu vernichten
machte ihnen leichte Arbeit: ein Funke genügte, um in Eile Dach
und Decke in einen einzigen Flammenherd zu verwandeln, die Säulen
oder Pfeiler zerbarsten in der Glut und die von ihnen getragenen
Mauern stürzten zusammen. Was den heidnischen Räubern entgangen
war, ging in den inneren Unruhen dieser Zeit, wo ein Krieg aller
gegen alle entbrannt zu sein schien, zu Grunde oder wurde ein Opfer
des Baueifers der folgenden Jahrhunderte. So findet die Armut
Frankreichs an karolingischen Denkmälern — eine Thatsache, in die
sich die französischen Altertumsforscher nach langem Sträuben erst
neuestens zu finden beginnen4) — ihre sehr ausreichende Erklärung.
Zwar giebt es eine Anzahl von Bauten aus der Zeit der ersten Kape-
tinger, die ihrem Stil nach karolingisch genannt werden können, doch
sind es durchweg Werke zweiten oder dritten Ranges, die keinen
Massstab für das uns verborgen bleibende Leben der grossen Archi-
tektur geben.
') 1863 abgebrochen und durch eine Kopie ersetzt.
s) Vgl. A. Saint-Paul, Hist. monumentale, p. 73, wo aber nur Klosterkirchen
aufgeführt werden.
') Vgl. oben S. 169 und 174 Uber die Klosterkirche zu Centula.
*) A. Rame : De 1 etat de nos connaissances sur l'architecture carlovingienne, im
Bulletin des travaux historiques, 1882.
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246
Zweites Buch : Der romanische Stil.
Hier ist mit einem Worte einer in der neueren Archäologie
aufgekommenen Fabel Erwähnung zu thun. Die Erwartung des zum
Jahre 1000 prophezeiten Weltgerichts habe alle Bauthätigkeit gelähmt;
als aber das Jahr 1003 ins Land gekommen sei, ohne das Furchtbare
zu bringen, da habe eine neue Freudigkeit und unwiderstehliche Lust
die Völker ergriffen, ihre alten unansehnlichen Gotteshäuser nieder-
zulegen und die Erde mit einem glänzenden Gewände schönerer Kirchen-
gebäude als die alten neu zu schmücken. In der Glut dieses bc-
geistcrungsvollen Momentes habe sich der altchristliche Baustil zum
romanischen umgeschmolzen 1). Diese Combination mag ihr Be-
stechendes haben, aber vor nüchterner Betrachtung der Thatsachcn
hält sie nicht stand. Einmal kann dem Berichte des aufgeregten
Mönchschronisten von Cluny2) eine so grosse und allgemeine Trag-
weite keinesfalls zugestanden werden; es ist nicht richtig, dass alle
Welt damals von dem chiliastischen Wahn fortgerissen wurde, die
Kirche selbst bekämpfte ihn und es lässt sich eine stattliche Reihe
von Bauunternehmungen, die noch im letzten Jahrzehnt vor dem Mil-
lesimum in Angriff genommen wurden , aufzählen. Zum anderen
haben wir an früherer Stelle ausgeführt, dass wesentliche Grundzüge
der romanischen Bauweise viel weiter, bis ins 9. Jahrhundert, hinauf-
reichen.
In Wahrheit erfolgte die Wiederaufnahme der Bauthätigkeit im
westfränkichen Reich weder so plötzlich noch so spät. Schon nach
dem Vertrage von Saint-Clair im Jahre 911, durch den die unteren
Seineufer den Normannen zur Ansiedelung überlassen wurden, worauf
ihre Raubzüge allmählich zum Stillstand kamen, begannen Kirchen und
Klöster in Menge sich aus der Asche wieder zu erheben. In der
Kriegszeit verborgene oder verloren gegangene Reliquien wurden jetzt,
meist unter wunderbaren Umständen und Zeichen, wiedergefunden : ein
mächtiger Anreiz regelmässig für den frommen Sinn, mit Bauten und
Schenkungen den Heiligen zu ehren. Dann gegen Ausgang des
Jahrhunderts kamen die Pilgerfahrten an ferne heilige Orte, nach
Rom, nach S. Jago de Compostella, nach Palästina vor allem, in leb-
haften Schwung und trugen durch die Heimkehrenden reiche Schätze
neuer Reliquien dem Vaterlande ein. Eine Menge von Beispielen
sind überliefert, dass solche Erwerbungen zu Kirchen- und Kloster-
') Dieser Anschauung huldigt u. a. Quicherat, Cours d'Arch. \i. 431. Eine sehr
verständige Bekämpfung, deren Argumente wir uns aneignen, bei A. Saint-Paul , p. 92 - 95.
- Rodulfus Glaber, Hislor. Hb. III. cap. 4.
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Viertes Kapitel: Die nachgedeckte Basilika in Westeuropa.
247
gründungen den Anstoss geben. Nichts ist wahrscheinlicher, als dass
diese Wiederaufnahme der Bauthätigkeit in der zweiten Hälfte des
10. Jahrhunderts, ähnlich wie es im Deutschland der Ottonen geschah,
auch in Frankreich neue Baugedanken gezeitigt hat. Leider aber muss
die besonnene Forschung wiederum eingestehen, dass auch von dieser
Denkmälergeneration sehr wenig übrig geblieben ist. Es scheint, dass
eben die Eilfertigkeit, mit der man sich zu Neubauten gedrängt sah,
eine nachlässige Baupraxis auf die Bahn brachte, die sich bis in die
ersten Dezennien des folgenden Jahrhunderts erhielt. Die Geschichts-
bücher sind voll von Beispielen, dass in diesem Zeitraum erbaute
Kirchen ohne äussere Veranlassung#.zusammenstürzen , manche un-
mittelbar nach ihrer Vollendung, andere nachdem sie einige Menschen-
alter ausgedauert 1).
Um die Zeit nun, wo das über der frühromanischen Baukunst
des Westfrankenreiches — viel dichter als über der parallelen Periode
in Deutschland — gelagerte Dunkel sich zu lichten beginnt, indem
die unmittelbaren monumentalen Zeugen reichlicher auftreten, d. i. seit
dem I I.Jahrhundert: da stehen wir überrascht vor der Thatsache, dass
sich eine bis in die Grundbedingungen hinabreichende Spaltung der
baulichen Systeme nicht etwa nur vorbereitet, sondern schon fertig
vollzogen hat. Wir sehen ein Frankreich, das sich ausnahmslos für
die gewölbte Steindecke erklärt und ihr zuliebe von der bis dahin
im Abendlande alleingültigen Grundgestalt des Kirchengebäudes, wir
meinen die Basilika, sich vollständig entfremdet hat; — wir sehen
ein anderes Frankreich, das der Basilika treu geblieben ist, eben des-
halb aber auf die Vorzüge der Gewölbedecke bis auf weiteres Ver-
zicht leistet. Dieses umfasst das Thal der Loire von Ncvcrs abwärts
und alles rechts davon liegende Land; jenes die übrige, südliche Hälfte
des alten Galliens.
Fordert es also das von uns angenommene Einteilungsprinzip,
dass wir uns in diesem Kapitel nur mit der einen Hälfte des monumen-
talen Frankreich beschäftigen, so haben doch die zunächstfolgenden
Präliminarbemerkungen noch beide Teile zugleich im Auge.
Um die Erscheinungsformen, die der romanische Stil im westfränki-
schen Reich annahm, nach ihren tieferen Bedingungen zu verstehen,
muss man sich allem voran klar machen, dass das Frankreich, an das wir
heute denken, damals in keinem Sinne noch existierte. Weder um-
') Vgl. Quicherat p. 434.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
schloss das Reich eine einheitliche Nation, noch bildete es eine andere
als nur dem Namen nach bestehende Staatseinheit. In seinen Besitz
teilten sich ein Dutzend oder mehr grosser Herren, vom König nur
durch das dünne Band der persönlichen Vasallentreue abhängig, um
so beschränkter nach unten durch die eigenen Lehensleute. Die
künstlichen Fiktionen des Feudalrechtes gestatteten sogar, dass ganze
Provinzen an fremde Königreiche fielen ; mehrere des Südens an Aragon ;
die Normandie und später der ganze weite Westen an England. End-
lich die Provence und das jurensische Burgund, mit den altberühmten
und noch immer blühenden Städten Arles, Vienne, Lyon, Genf, Be-
sancon, im 10. Jahrhundert ein selbständiges Königreich, wurde im
1 1. Jahrhundert mit der deutschen Krone verbunden.
Die Zerklüftung der staatlichen Bildungen hat nichts Unnatür-
liches an sich, denn eine dreifache Völkerschicht lag über dem galli-
schen Boden. Als die wichtigste in Sprache und Kultur zeigte sich
wohl die mittlere, romanische Schicht. Der keltische Untergrund
war aber mit nichten völlig zugedeckt, vielerorten brach er sogar mit
wahrer Heftigkeit jetzt hervor. Und zuoberst der germanische Zufluss
ward sobald nicht aufgesogen; der Name der Goten selbst trat wieder
hervor, zwischen Narbonne und den Pyrenäen, wie im Nordwesten
die Normannen das Germanentum um eine neue Schattierung ver-
stärkten. So trafen zwar überall dieselben Grundbestandteile zusammen,
aber das Verhältnis ihrer Mischung war nirgends das gleiche. In
der Selbständigkeit der grossen Herrschaften boten sich nun gleichsam
die Gefässe dar, in denen die mannigfaltigen Völkerelemente zu neuen
Stammes-Individualitäten sich ausgärten. Die Sprache war nicht
mehr die lateinische, noch nicht die französische. Eine unübersehliche
Menge von Mundarten schoss aus dem Boden. Sehr bald indes
machte sich in den höheren Sphären des Verkehrs das Bedürfnis nach
einem gemeingültigen Ausdrucksmittel fühlbar. Zu einheitlicher Sprach-
büdung fehlten aber noch die Bedingungen. Die Volksdialekte son-
derten und einigten sich in zwei Hauptidiomen, der langue d'oe und
langue d'oil, oder, wie sie in der Litteratur genannt werden, der
provencalischen und der altfranzösischen Sprache ; ein Gegensatz, der
in tausendfältigen Lebensäusserungen ein Echo findet.
Ueberaus merkwürdig nun ist die Thatsache, dass die Grenze
zwischen der langue d'oe und der langue d'oil wesentlich dieselbe ist.
wie im Kirchenbau die Grenze zwischen dem gewölbten und
dem flachgedeckten System.
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Viertes Kapitel: Die flachgedeckte Hasilika in Westeuropa.
249
Wir haben bis jetzt die Sondertendenzen genannt, denen die
Ahnen der heutigen Franzosen die Fülle und Mannigfaltigkeit ihrer
mittelalterlichen Kultur verdanken. Es gab aber auch verbindende
Mächte lange bevor das Königtum mit Erfolg an die Spitze der Ein-
heitsbewegung sich stellte. Das organisatorische und propagandisti-
sche Talent des Volkes feierte frühe Triumphe in den beiden grossen
sozialen Institutionen des Mönchtums und des Rittertums. Durch
sie hat Frankreich Europa in Gährung gesetzt. Beide waren die
wichtigsten Hebel der nationalen Baukunst.
Die Idee des asketischen Lebens auf Grund klösterlicher Gesell-
schaftsverfassung fand in keiner Bevölkerung des Abendlandes einen
fruchtbareren Boden wie in der gallo-romanischen. Fast alle grossen
Bewegungen in der Geschichte des Mönchtums bis ins 12. Jahrhundert
sind von Frankreich ausgegangen. Noch bevor der H. Benedikt Monte-
cassino gründete, legte der H. Martin den Grund zum Münster in
Tours. Es blieb unter Merowingern und Karolingern das berühmteste
Institut dieser Art, wie die über dem Grabe des pannonischen Kriegs-
mannes errichtete Kirche das oberste Nationalheiligtum des christlichen
Galliens. Die Pilger strömten hier aus den entferntesten Gegenden
zusammen, Kranke belagerten nach Heilung verlangend jederzeit das
Grab des Heiligen, Missethäter oder Schwache fanden hier ein unan-
tastbares Asyl, grosse Reichtümer häuften sich an. Unter Karl dem
Grossen brachte Alkuin als Abt von Sankt Martin der Klosterschule
den Ruhm der ersten Bildungsanstalt des Abendlandes. Zu den Vor-
zügen, auf die Hugo Capet sich berufen konnte, als er nach der
Königskrone griff, rechnete man auch, dass er wie schon sein Vater
und Grossvater im Besitze der Martinsabtei war. — Das wachsende
Ansehen des Mönchtums erkennt man sodann aus der im 8. Jahr-
hundert von Bischof Chrodegang von Metz für seine Domgeistlichkeit
eingeführten, dem klösterlichen Leben nachgebildeten Regel. Sie
wurde später im ganzen fränkischen Reich obligatorisch gemacht.
Für die Architekt Urgeschichte hat sie die wichtige Folge, dass auch
die Kathedralkirchen an einer ihrer Langseiten, meist der südlichen,
mit Wohnräumen für die Domherren, einen Kreuzgang in der Mitte,
verbunden wurden, — wohlbemerkt eine nur diesseits der Alpen ein-
gebürgerte, den italienischen Kathedralen aber, es wäre denn, dass
nordische Einflüsse ins Spiel kämen, fremde Einrichtung. — Der friedlose
Weltzustand während und nach der Zersetzung der karolingischen Monar-
chie richtete Sinn und Zug der Menschen immer entschiedener darauf,
'7
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Zweites Buch. Dir rumänische Stil.
die Macht des Monchtums nicht bloss in der Kirche, sondern in der
Gesellschaft überhaupt, von Stufe zu Stufe zu steigern. Ihr kräftigstes
Organ fand diese Richtung im burgundischen Kloster Cluny, gestiftet
im Jahre 910. Der H. Odo stellte als Abt (927—942) die Regel fest,
die sich nicht begnügte, die alten Vorschriften Benedikts herzustellen,
sondern sie an Strenge überbot. Kine unglaubliche Verehrung wurde
Cluny entgegengebracht. Hart an der Grenze des deutschen und
französischen Burgund gelegen, erstreckte es seinen Einfluss nach
allen Seiten. Noch vor Ablauf des 10. Jahrhunderts vereinigte die
Congregation 37 Klöster in Frankreich und Burgund im Gehorsam unter
dem Abt von Cluny ; viele italienische wurden nach dem Muster von
Cluny reformiert, durch Wilhelm von Hirsau drang der Geist Clunys über
den Rhein. Die Weltentsagung, deren Losung hier ausgegeben wurde,
war aber nur eine andere Form der Weltbeherrschung. Es handelte
sich schon langst nicht mehr bloss um Reform des Mönchtums, son-
dern um Reorganisation der abendländischen Kirche im ganzen. Nicht
zu viel ist es gesagt, dass Cluny die erste geistige Macht in Europa
während des M. Jahrhunderts darstellte. Recht eigentlich Clunys
Ideen waren es, die der Mönch Hildebrand, als Gregor VII. auf den
päpstlichen Stuhl gelangt, zu verwirklichen trachtete.
Ks liegt aber in der Natur des Mönchtums, dass es sich in
einem beständigen Kreislauf von Ueberspannung und Erschlaffung,
von Reform und Verfall bewegte. Kein Orden war streng genug, es
folgte immer noch ein strengerer. So mussten auch die Cluniacenser
es sich gefallen lassen, dass während sie noch ihre höchsten Triumphe
feierten, die Anklage auf weltliche Eitelkeit gegen sie laut wurde.
Eine Anzahl neuer, verschärfter Regeln trat gegen Ausgang des
1 1. Jahrhunderts hervor, von denen wir nur die von Fontevrault,
Grandmont, Chartreuse nennen wollen, da die übrigen bloss lokale
Bedeutung hatten. Sie wurden alle überflügelt von den Prämon-
stratensem und Cisterciensern, in denen die Religiosität des Zeitalters
der Kreuzzüge ihren eigensten Ausdruck fand und die mit erstaun-
licher Schnelle von Frankreich über das ganze Abendland sich aus-
breiteten. Ihre Bedeutung für die Architekturgeschichte wird uns
noch in einem eigenen Kapitel beschäftigen.
Von einem mit solchen Gesinnungen erfüllten, mit solchen
Erfolgen gekrönten Mönchtum sahen sich die Bischöfe und der
Weltklerus überhaupt in Schatten gestellt. Eine dauernde Span-
nung zwischen beiden Teilen griff Platz, oft zu bitterer Feindschaft
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Vierte« Kapitel : Die flaehgedeckte Basilika in Westeuropa.
25I
ausartend. Die Gunft der Laien war dabei durchaus auf Seiten der
Mönche. In den Bischöfen sahen die Grossen nur ihre Nebenbuhler,
die Kleinen ihre Bedrücker. Was das Volk von der Kirche forderte,
war aber, die allgemeine Sündenlast durch einen Ueberschuss an
Heiligkeit auszugleichen *) und es ermüdete nicht, seinen Dank durch
neue und immer neue Schenkungen auszudrücken.
Ueberhaupt ist Frankreich das Land, in dem die Religiosität
des hohen Mittelalters ihre Eigenart am schärfsten zuspitzt. So in
der praktischen Gestaltung der Hierarchie, wie in der theologischen
Spekulation, wie auch im volkstümlichen Glauben und Aberglauben.
Nirgends mehr war der Heisshunger nach Wundern so stark, die
Verehrung der Reliquien so inbrünstig, nirgends vermochte ein re-
ligiöser Impuls im Augenblick eine ganze Bevölkerung in solchem
Fieber auflodern zu machen. An die beiden grössten Bewegungen
dieser Art, den Gottesstillstand und den ersten Kreuzzug, braucht nur
erinnert zu werden. Aus beiden gedieh dem Bauwesen unschätzbare
Förderung, wie später ein anderer Kreuzzug, der gegen die Albi-
genser, sein Verderben wurde.
Die ungeheueren Menschenfluten , die sich in den Jahren 1096
und 1097 von Frankreich ostwärts, dem Grabe Christi entgegenwälzten,
wiederholten nur in grösserem Massstabe ein in kleinerem längst ge-
wohntes Schauspiel. Die Lust an Pilgerfahrten war bei den Franzosen
bis zur Leidenschaft entwickelt. Naturgemäss nur ein kleiner, bevor-
zugter Teil konnte ferne Lande aufsuchen. Die Masse erfreute sich
der heiligen Stätten, die Frankreich selbst in gar nicht geringer Zahl
besass. Die meisten von ihnen waren mit Klosteranlagen verbunden.
Mehrere der ältesten Klosterkirchen standen über den Gräbern natio-
naler Märtyrer und Bekenner, der Ruhm anderer gründete sich auf
den Erwerb hochheiliger Erinnerungsstücke aus der Urzeit des Christen-
tums. Bei manchen war die Bedeutung eine mehr lokale, wie bei
den Kirchen des H. Germanus und der H. Genoveva in Paris, des
H. Remigius in Reims, des H. Hilarius und der H. Radegunde in
Poitiers. Andere zogen die Kreise ihrer Verehrung über ganz Frank-
reich und vereinigten zu ihren Festen unendliche Pilgerzüge aus Nord
und Süd: so S. Martin in Tours, S. Denis bei Paris, Fecamp in der
Normandie, das eine Flasche vom heiligen Blute aufbewahrte; Char-
') Die Inschrift auf der GrabSdicula des H. Martin schloss mit dem Dystichun
... et miserae purgans peccamina vi tat»
occultet meritis crimina nostra suis.
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252
Zweites Buch: Der romanische Slil.
roux im Poitou, von Karl dem Grossen mit einer beträchtlichen Partikel
des Kreuzes Christi beschenkt; Saint-Sernin zu Toulouse, wo die
reichen Grafen des Landes die Gebeine von sechs Aposteln und
unzählbare kleinere Reliquien angehäuft hatten; an der Grenze
der Bretagne und Normandie, aus Triebsand und Meeresbrandung
wie ein Wunder emporsteigend, der geheimnisvolle Berg des Erzengels
Michael. Doch waren es nicht die eigentlichen Wallfahrtsklöster allein,
die bedeutende Besuchermassen anzogen — für den Abt von Cluny
z. B. war es eine, fast kann man sagen alltägliche Sache, weit- und-
kirchen fürstliche Personen mit grossem Gefolge zu Gästen zu haben,
er speiste ausserdem im Laufe eines Jahres 17000 arme Wanderer und
Bettler. Aehnliches wird von der grossen Tochterpriorei an der
mittleren Loire, der Cella Caritatis, berichtet.
Eindringlicher aber als alles Geschriebene bezeugen die Macht und
den Glanz des französischen Mönchtunis die Bauten, die es hinterlassen
hat. Wenn unter den romanischen Kirchen Deutschlands zwischen
Kloster- und Kathedralkirchen insofern ein Gleichgewicht besteht, als
die ersteren zwar an Zahl, die letzteren jedoch an Grösse überwiegen;
wenn in Italien die Kathedralen in jeder Hinsicht den Vorrang haben ;
so ist in Frankreich das Verhältnis durchaus das umgekehrte. Die
Stimmung dieser Zeit, die sich so gern in Gegensätzen bewegte, ge-
stattete nicht nur, sondern forderte, dass im Mönchtum Armut und
Entsagung des einzelnen Gliedes in um so vorleuchtenderem Glänze
der Körperschaft, wo sie als Ganzes sich zeigte, ihre Antithese fand.
Keine Frage, diese grossartige äussere Repräsentation, zu der alle
Künste im Verein aufgerufen wurden, gehörte mit zu den Grundlagen
ihrer Macht über die Gemüter. Noch waren die Städte nicht volk-
reich, die Körperschaften nicht kräftig und selbstbewusst genug, um
daran zu denken, im Bau gewaltiger Kathedralen sich selber Denk-
mäler zu setzen. Kaum eine Bischofsstadt gab es, in der nicht die
Kathedralkirche von einem Kloster innerhalb derselben Mauern oder
sicher einem aus der Nachbarschaft, weitaus überstrahlt wurde1);
wir erinnern beispielsweise nur an S. Remy in Reims, S. Martin in
Tours, S. Hilaire in Poitiers, Notrc Dame du Port in Clermont, S. Front
in Perigueux, S. Caprais in Agen, S. Sernin in Toulouse; die im
Jahre 1089 begonnene neue Kirche von Cluny gar blieb auf lange
') Anthyine Saint Paul 1. c. 91 bemerkt, dass die Kathedrale von Chartres, die
einzige in Nordfrankreich, die mit den Abteikirchen wetteifern konnte, ausnahmsweise
Wallfahrtsort war; dasselbe gilt für den Süden von der Kathedrale Notre-Dame zu Puy
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Viertes Kapitel: Die llachgedeckte HasUika in Westeuropa. 253
Zeit hinaus die grossräumigste des ganzen Abendlandes. Erst im
12. Jahrhundert tauchen einige, immerhin wenige Kathedralen von
ebenbürtigem Range auf: in Angouleme, Angers, Autun, — bis dann
nach der Mitte des Jahrhunderts die grosse Zeit dieser bis dahin so
merkwürdig vernachlässigten Klasse anbricht. Die in Chroniken über-
lieferten Namen berühmter Baumeister des 1 1. und beginnenden 12. Jahr
hunderts gehören durchweg Mönchen an; baukundige Bischöfe, wie
sie für Deutschland bezeichnend sind, begegnen uns nicht, sie wären
denn aus Klöstern hervorgegangen *) , ebensowenig auch Laienarchi- •
tekten, deren Ruhm in Italien die Bauinschriften der Dome von Pisa,
Modena u. a. verkünden.
Die Generation des ersten Kreuzzuges sah die Mehrzahl der
Meisterwerke des französisch - romanischen Stils im Bau begriffen,
meistens auf so grosse Verhältnisse angelegt, dass allerdings erst
spätere Geschlechter die Vollendung erlebten. Die alle tiefsten Kräfte
der Volksphantasie entbindenden Zeitereignisse, der Hinweis des
Unternehmungsgeistes auf das Neue, Grosse, Ideale, und nicht zuletzt
der plötzliche Ueberfluss an materiellen Hilfsmitteln, den Vermächt-
nisse der abziehenden Kreuzfahrer und wetteifernde Frömmigkeit
der Zurückbleibenden der Kirche zuwandten, dies alles vereinigte sich
zu einem Aufschwung des Baugeistes, der den geschichtlichen Be-
trachter noch heute mit freudig nachempfindendem Staunen erfüllt.
Die Leistungen dieser Epoche erhoben die französische Baukunst
zur unbestreitbar ersten des Abendlandes. Während in Deutsch-
land und Italien die vorgeschrittensten Schulen mit dem Problem
der Ucberwölbung noch rangen, hatte Frankreich nicht eine,
sondern ein halbes Dutzend Lösungen dafür gefunden. Das Ziel,
dem Gebäude höchste Dauerhaftigkeit, Gediegenheit, Würde zu
verleihen, war das gemeinsame: die Wege, auf denen es erstrebt
wurde, in jeder Landschaft andere. Jedes neue grosse Bauunternehmen
brachte eine neue konstruktive und ästhetische Entdeckung. Mit den
wechselnden Grundbestimmungen modifizierten sich die einzelnen Bau-
glieder und ihr Schmuck. Die noch lange nicht ausgeglichene Mi-
schung der Stämme und ihr verschiedenes Verhältnis zur antiken
Tradition thaten denn noch das ihre, um jede Landschaft ihre eigene
Formensprache entwickeln zu lassen. Die französische Baukunst des
11. und 12. Jahrhunderts mit der Vielheit der in zeitlichem Neben-
1 Wie Vulgrin von Mans und Gondulph von Kochester.
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254
/weites liueh ; l>er rumänische Stil.
einander in Blüte stehenden Stile ist ein Phänomen, dem in der
Baugeschichte aller Zeiten nichts vergleichbar ist.
Die Klassifikation der romanischen Stilarten hat die französischen
Gelehrten vielfältig beschäftigt, fast ein jeder namhafte Archäologe
hat sein eigenes System. Arcisse de Caumont z. B. statuiert zehn
Schulen, Viollet-le-Duc acht, Anthyme Saint-Paul fünfzehn, die in
sechs Regionen zusammengefasst werden. Für unsere Betrachtungs-
weise steht das Einteilungsprinzip ein für allemal fest und demgemäss
legen wir die Denkmäler zuoberst in die zwei eingangs angedeuteten
Hauptgruppen auseinander: Kirchen mit flacher Holzdecke, Kirchen
mit gewölbter Steindecke.
2. Der Grundriss im allgemeinen.
SODFRANKREICH ist unter allen für die Geschichte des ro-
manischen Stils in Betracht kommenden europäischen Gebieten das-
jenige, das die wenigsten, ja eigentlich so gut wie keine Ueberreste
flachgedeckter Basiliken aufzuweisen hat, obgleich nach aller Wahr-
scheinlichkeit noch in der karolingischen Epoche diese Bauform auch
hier die normale war. Es scheint, dass die Zeit der normännischen
und sarazenischen Verwüstungen, die so erschreckende und umfassende
Beweise von der Widerstandsunfähigkeit der Basilika in Feuersgefahr
erbrachte, entschiedene und allgemeine Abneigung gegen dieses
System zurückgelassen hat. Fühlte man sich hier doch auch viel
weniger wie anderswo daran gebunden, da reichliche Muster römischer
Konstruktionen den Uebergang zum Gewölbebau beförderten. Schon
bei den Neubauten des späteren 10. Jahrhunderts, nach Stillung jener
feindlichen Ueberfalle, dürfte die Basilikenform mehr oder minder
vollständig ausser Gebrauch gesetzt gewesen sein ; wo nicht, so müssten
sich doch mehr Spuren von ihr erhalten haben.
Einige sporadisch begegnende Beispiele flachgedeckter, meist ein-
schiffiger kleiner Kirchlein, z. B. im Thal der Ariege (vgl. J. de Lahou-
des im Bull. mon. 1877) oder in der Gironde (Taf. 79, 84 Loupiae) können
nicht in Betracht kommen, zumal manche von ihnen offenbar für Ge-
wölbe bestimmt waren. Die einzige uns bekannt gewordene Basilika
mit Balkendecke ist S. Aphrodise zu Bdziers (Grundriss Taf. 79,
Krypta Taf. 119), eine noch ganz der altchristlichen Tradition ge-
horchende Anlage; die Gallia christiana meldet eine Restauration zu
A. saec. 10, womit die Einzelformen stimmen. — Wenn die gewöhn-
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Viertes Kapitel: Die (lacligedecku- Uasilika in Westeuropa.
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liehe Annahme recht hätte, wäre hier noch die alte Kirche von S. Front
zu Ptfrigueux (beg. a. 984, gew. 1047) zu nennen; wir halten es je-
doch keineswegs für wahrscheinlich, geschweige denn sicher, dass
dieselbe auf Flachdeckc angelegt gewesen. Dagegen weisen auf solche
die Arkaden von S. Sauveur in Aix.
SPANIEN. Ein Blick auf den Zustand der christlichen Königreiche
in den nächsten Jahrhunderten nach der arabischen Invasion genügt,
um zu verstehen, dass sie ausser stände waren, die reiche Bauthätig-
keit der westgotischen Epoche fortzusetzen. Die Architektur schrumpfte
zu einer Lokalkunst zusammen, die für die allgemeine Baugeschichte
niqht mitzählt. In den nördlichen Provinzen finden sich noch einige
frühromanische Denkmäler von altertümlichem und originellem Gepräge,
über deren wirkliches Alter indes noch keine zuverlässigen Resultate
gewonnen sind. Der Aufschwung der spanischen Architektur datiert
erst vom 12. Jahrhundert und wird dem engen Anschluss an die
mächtige aquitanische Nachbarschule gedankt. Schon unter den ältesten
Kirchen des Landes finden sich einschiffige, tonnengewölbte Anlagen,
ähnlich, nur von kleineren Dimensionen wie die südfranzösischen.
Daneben hält sich, länger als im Norden der Pyrenäen, die flach-
gedeckte Basilika. Der überlieferte Grundriss ist auf die denkbar
einfachste Raumgliederung reduziert: ein Rechteck ohne (Juerschiff.
ohne Apsis; das Sanktuarium, in einem niedrigeren Anbau bestehend,
der aussen geradlinig geschlossen, innen in drei bald rechtwinklige,
bald gerundete Altarkapellen abgeteilt ist ; als Andeutung des fehlen-
den Querschififs häufig eine quer gestellte Säulenreihe.
S. Adriano in Tuno; Pfeiler mit oblongem Grundriss. ohne
Sockel und ohne Kämpfer. S. Juan de Hannos und S. Miguel de
Escalada, beide Säulenbasiliken mit Hufeisenbogen, also arabisierend.
(Taf. 68, 75}. Ungleich stattlicher S. Millan in Scgovia, schon
saec 12, nach dem Grundriss zu urteilen wohl auf Gewölbe berechnet,
die aber nicht ausgeführt worden (Taf. 75).
MITTELFRANKREICH. Im Becken der Loire war die Balken-
decke in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts noch allgemein im
Gebrauch. Am unteren Laufe des Flusses fällt eine Besonderheit auf:
die teilweise Zurückdrängung der Basiliken durch einschiffige Saal-
kirchen. Bei sehr kleinen und anspruchslosen Bauten, Oratorien,
Landkirchen u. s.w. ist diese vereinfachende Abweichung allenthalben,
auch in Deutschland , nicht ungewöhnlich. Auffallend aber ist , was
uns in der Touraine, in Anjou und im nördlichen l'oitou entgegen-
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/.weites Huch . Der romanische Stil.
tritt: dass sie auch bei grösseren und im Range höher stehenden
Kirchen zugelassen wird. Ja, die in Rede stehende Anlage scheint
in diesen Gegenden in der Epoche zunächst noch den normannischen
Verwüstungen bis ins 11. Jahrhundert hinein sogar die gewöhnliche
gewesen zu sein, so dass nur die vornehmsten Kirchen die basilikale
Anlage bewahrten. In welchem Umfange sie etwa auch im Süden
verbreitet war, lässt sich nicht mehr sagen. Vielleicht ist aber doch
aus dem Umstände, dass der Süden beim Uebergang zum Gewölbe-
bau des basilikalen Systems so schnell sich entwöhnen lernte, ein
Ruckschluss gestattet.
Als typisches Beispiel geben wir auf Taf. 79 u. 84 die Kirche der
Priorei Saint-Ge'ne'roux im nördlichen Poitou. Der Grundriss ein
einfaches Parallelogramm ; kein wirkliches QuerschifT, sondern nur eine
innere Abteilung durch eine Quermatier, die von drei weiten Bögen
und darüber eine Scheingalerie durchbrochen wird. Krst im spateren
Mittelalter wurde die Decke des Schiffs durch eine doppelte Pfeiler-
und Arkadenstellung (auf dem Grundriss Taf. 79 durch Schraffierung
angedeutet) unterstützt. Die Kirche galt lange Zeit für merowingisch
oder mindestens karolingisch ; jetzt hat man aus den Detailformen die
Hinsicht gewonnen , dass sie nicht früher als saec. 10, vielleicht erst
A. saec. 1 1 erbaut ist.
Weitere Beispiele einschiffiger Anlagen geben die Kirchen von
Crayant (Imire et Loire), Savennikres (Maine et Loire), Vieux-Pont
Calvados), S. Christophe zu Sukvres (Loire et Cher), S. Mexme zu
Chinon, Pkrusson bei Loches und Rivikres (sämtlich Indre et Loire).
Der Chor ist bei den meisten platt geschlossen; in Pörusson und Ri-
vieres gleich S. Gdndroux, d. i. das tonnengewölbte Schiff in drei halb-
runde Nischen auslaufend. — Ueber diese Gruppe wiederholte Ver-
handlungen im Bull, mon., vergl. namentlich de Cougny in Bd. 35
passim; derselbe in Congres arch. 1871, p. 130.
Die obigen Bauten sind sämtlich undatiert. Manche Merkmale
sprechen dafür, dass sie in das Jahrhundert nach dem Frieden von
Saint-Cieu (912) gehören. Ausnahmsweise genau kennen wir die Bau-
daten der Abteikirche Beaui.ieu bei Loches. Sie wurde a. 1008—1012
vom Grafen Fulko von Anjou erbaut und ist die grösste in der Reihe.
Die Umfassungsmauern sind 19 m hoch, durch breite flache Streben
verstärkt; die Fenster breit und gross, noch an gallo-römische Tra-
ditionen erinnernd , die Breite des Schiffes erreicht die bedeutende
Ziffer von 14,40 m. Diese Kühnheit wird schuld gewesen sein, dass
die aus Grabes und daquearia« konstruierte Decke nicht lange nach
ihrer Vollendung durch einen Orkan zerstört wurde. Als man sich
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Viertes Kapitel: Die rlachgedeckle Basilika in Westeuropa 257
an die Restauration machte (voll. a. 1052}, standen diese Gegenden
bereits im Uebergang zum Gewölbebau; das früher einheitliche Schiff
wurde jetzt mit drei parallelen Tonnen bedeckt, die Fenster tiefer gelegt
und verkleinert, wie die beistehende dem Bull. mon. entlehnte Abbildung
der Obermauer deutlich macht. Vgl. Bull. mon. t. 33, p. 649 ff. und
Pe"rigueux (de Verneillh p. 106), die Kirche zu Loupiae (Taf. 84).
Sehr interessant ist es, eine Anlage gleicher Art auch am entgegen-
gesetzten Ende Frankreichs zu finden ; wir meinen S. Pien-e in Viennb,
gegr. a. 920. Auch hier Hess sich die einheitliche Decke bei einer
Spannung von reichlich 14 m nicht dauernd aufrecht erhalten; man
erneuerte zwar die Balkendecke, unterstützte sie jedoch durch zwei-
geschossig angeordnete Pfeiler- und Arkadenstellungen, welche nunmehr
den Raum in drei gleich hohe Schiffe teilen. Diese inneren Stützen
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25S
Zweites Buch I>er romanische Stil.
tragen die Formen des vorgeschrittenen romanischen Stils, während
an den Umfassungsmauern der kleinere Verband im Wechsel mit Ziegel-
streifen auf den Gründungsbau hinweist.
Von den frühromanischen Basiliken des Loiregebtetes ist wenig
mehr als die Namen auf uns gekommen. Es befanden sich schon
mehrere bedeutende Werke darunter, die nicht mit Stillschweigen
übergangen werden dürfen.
Den ersten Platz nahm die Abteikirche von S. Martin in Tours
ein. Die ehrwürdige Basilika des 5. Jahrhunderts, das bedeutendste
Bauwerk, das zwischen dem Untergang des romischen Reiches und
Karl dem Grossen im Oecident entstanden war, ging im Jahre 997
vgl. Congres arch. 1871, j». 250 fi'. und Bull. mon. 1873, P- 4°3
Der baulustigste Fürst seiner Zeit war Graf Fulko Nerra von Anjou
987 — 1040). Die Gewaltigkeit seiner Fortifikationsbauten setzt noch
heute in Staunen. Seine Kirchenbauten hatten aber durchweg noch
Holzdecken. Beaulieu bei Loches nannten wir schon. Die übrigen
waren Pfeilerbasiliken, gegenwärtig freilich alle mehr oder minder
entstellt: in der Stadt Angers S. Martin (Taf. 79, 84), lange fälschlich
für karolingisch gehalten, und die Abteikirche Roncerav, eingewolbt
a. 11 15 (s. die obenstehende Figur), vgl. Quicherat, MeManges ]>. 430.
Revue de 1' Anjou I, p. 166; in der Grafschaft: S. Jean zu Langeois
und S. Jean zu Chateaugontier. vgl. Congres arch. 1871, p. 160.
durch Feuersbrunst zu Grunde.
Unverzüglich wurde ein Neubau
in Angriff" genommen und a. 1014
vollendet. Umbau zum Zwecke
der Einwolbung seit A. saec. 12.
In den Revolutionsjahren abge-
brochen. Von dem Bau des saec.
1 1 , dessen ausserordentliche vor-
bildliche Wirkung wir einerseits
bis in die Champagne, anderer-
seits bis nach Toulouse verfolgen
können, sind neuerdings die Fun-
damente des Chors aufgedeckt. —
Stattliche Basiliken waren ferner
die Kathedralen von Angers (ge-
weiht a. 1030) und Le Mans (a.
1085— 1097); von beiden bestehen
noch die in die Umbauten de*
folgenden Jahrhunderts herüber-
genommenen SeitenschifTsmauern.
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Viertes Kapitel Die ttechgedeckte Basilika in Westeuropa.
2 59
Weiter stromaufwärts im Orlöannais hat sich der Gebrauch der
Flachdecke länger erhalten. Die NotreDame in BeaUGENCY hat mit
Ausnahme der im saec. 16 hinzugefügten Gewölbe das Gepräge des
späten saec. 1 1 treu bewahrt. — In Orleans dagegen ist in der Kirche
Saint Aignan von dem a. 1029 gew. Bau nur die Krypta übrig, die
Oberkirche gotisch erneuert. — Das grossartigste Denkmal dieser Re-
gion ist die Abteikirche S. Benoit-sür-Loirf., bei Beginn des Baues
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Zweites Buch Der rumänische Stil.
a. 1062 wahrscheinlich als eine im Mittelschiffe flachgedeckte Säulen
basilika mit tonnengewölbten Seitenschiffen geplant.
Die Kathedrale S. Cyr von Nevers wurde seit a. 010 neu gebaut,
a. 1028 durchgreifend restauriert. Hiervon hat die spätere gotische
Erneuerung Transsept und Apsis bestehen lassen. Dieselben liegen
merkwürdigerweise nach Westen. Die Dimensionen sind für die Ent-
stehungszeit sehr bedeutend, indem das Transsept 40 m in der Länge,
13,20 m in der Breite hat. Eigentümlich sind sodann die jederseits
die Kreuzflügel von der Kreuzvierung scheidenden Doppelarkaden
vgl. die vorstehende Figur), welche, da sie nur bis zur halben Mauer-
höhe hinaufreichen, keine konstruktive Bedeutung haben, sondern als
liturgische Markierung zu denken sind. Die Anlage eines Westchors
ist bekanntlich in Frankreich ebenso ungewöhnlich, wie sie in Deutsch-
land geläufig war. Sie ist hier wie anderwärts in einer Mehrheit von
Lt Marchc.
Titelheiligen begründet. Die Kirche war ursprünglich dem heil. Ger-
vasius geweiht. Karl der Kahle, welcher eine besondere Verehrung
gegen S. Cyrus hegte, schenkte ihr die Reliquien dieses Heiligen und
erhob ihn zum Titularheiligen der Kirche. Ihm war der Westchor
geweiht ; Marten e voy. litt. I, p. 47) und die Anlage der westlichen
Krypta ist auf die Schenkung der Reliquien zurückzuführen. Vielleicht
ist es auch diesem Umstände zu danken, dass beim gotischen Umbau
der alte Westchor stehen blieb. Dass die Kirche nicht westlich orien-
tiert war, sondern von jeher einen Ostchor hatte, wird durch die
östlich gerichteten Apsidiolen am Westtranssept unzweideutig dargethan.
Das Beispiel der Kathedrale blieb nicht ohne Einfluss auf die Umgebung.
-Le Nivernais« p. 175 giebt den Grundriss der fast ganz zerstörten
kleinen Kirche zu La Marche doppelchörig , doch ohne Transsept.
Die a. 1063 in Nevers begonnene Abteikirche von S. Etienne ist be-
reits ein durchgebildeter Gewölbebau.
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Viertes Kapitel : Die tlachgedeckte Basilika in Westeuropa.
2ÖI
Weiter ostwärts Burgund hat die Kenntniss des Wölbens früh
entwickelt und besitzt aus der vorangehenden Epoche jetzt keine
Ueberreste mehr. Die von Abt Majolus neugebaute Abteikirche von
Cluny war aber sicher noch eine Flachdeckbasilika; die Menge der
auf der Durance und Rhone herbeigeschifften Marmorsäulen wird
gerühmt. Nächst S. Martin in Tours das einflussreichste architektonische
Vorbild in Frankreich und über Frankreich hinaus, worüber das Nähere
im nächsten Abschnitt.
NORDFRANKREICH lässt nicht ahnen, dass es noch vor Ab-
lauf des 12. Jahrhunderts sich an die Spitze des nationalen Bau-
wesens emporschwingen werde. Bis zur Mitte des Jahrhunderts ist es
die am meisten zurückgebliebene, die am wenigsten durch eigentüm-
liche Züge ausgezeichnete Region. Auf Grundlage der karolingischen
Tradition begegnen sich, mittelfranzösische, normannische, rheinische
Einflüsse. Die grösseren Abtei- und Kathedralkirchen sind mit wenigen
Ausnahmen dem Baueifer der frühgotischen Epoche gewichen, doch
haben wir guten Grund anzunehmen, dass sie weder räumlich noch
durch künstlerischen Gehalt bedeutend waren. Die Gattung der Dorf-.
Pfarr- und kleineren Klosterkirchen dagegen ist noch in zahlreichen
Beispielen vertreten ; in ihr blieb die Balkendecke bis in die Epoche
der friihgotischen Kathedralen hinein im Gebrauch : durchweg von
schlichter und derber, die älteren sogar von auffallend roher Be-
handlung.
Der eine Schulmittelpunkt ist in Paris. Die im saec. 11 erneuerten
Abteikirchen S.Germain-des-Pre"s (um a. 1014) und Ste. Ge*n£vieve
(a. 1068), die vornehmsten der Stadt, zeigen am besten, dass man
unter den ersten Kapetingern hier seine Ansprüche nicht gar hoch stellte.
Vron der letzteren sind nur die Fundamente und vereinzelte Trümmer
aufgedeckt (Abb. bei Lcnoir, Statistiquc monumentale de Paris), von
der erstcren sind Langhaus und Transsept in den friihgotischen Umbau
aufgenommen. Das Transsept ist nach deutscher Weise aus drei
Quadraten zusammengesetzt, wie es auch die kleine Prioreikirche
Montmille und die von Epoy bei Reims hat. Sonst entbehren die
kleineren Kirchen dieser Gegenden meist des Transseptes oder be-
gnügen sich mit einer Andeutung nach dem uns von Deutschland und
Italien her bekannten Verfahren (vgl. S. 164 u. 229), dass die letzte
Arkade vor dem Sanktuarium bedeutend breiter angelegt wird; Bei-
spiele: S. Brice in Chartres, S. Remy l'Abbaye im Beauvaisis.
Ausserdem kommen ganz einfache Räume vor, die nicht viel anders
wiegrosse Scheunen aussehen: Abbeville, Bailleval, Bresles, Her-
mös. Vgl. T.if. 79. Weitere Beispiele bei Woillez in den Monuments
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262
Zweites Huch : Der romanische Stil.
de landen Beauvaisis. Paris 1839—49. — Als Beispiele von flach-
gedeckten Kirchen, die durch Spitzbogenarkaden auf die zweite Hälfte
des saec. 12 hinweisen, nennen wir aus den Departements Oise und
Marne die zu Maisons sous Vitoy-le-Francais, Coudun, Gudrande,
Plailly, Marolies, endlich selbst zwei Stadtkirchen: S. Martin in
Laon (Abb. bei Viollet-le-Duc VII, p. 167) und S.Jacques in Reims,
beide indes noch vor Schluss des Jahrhunderts eingewölbt. In S. M£
•lard zu Quesmy, einer kleinen Säulenbasilika von zierlich spätroma-
nischer Durchbildung, lässt sich, obgleich sie noch keine Spitzbogen
hat, der Einfluss der frühgotischen Kathedrale des unfern gelegenen
Xoyon wohl erkennen.
Bedeutender wie die Schule von Paris zeigt sich die von Reims.
Die Kathedrale, ein Werk der grossen Erzbischöfe Ebbo und jenes
Hinkmar, der Reims zum nordischen Rom zu erheben sich zutraute,
stand bis zum Jahr 12 10. Derselbe Hinkmar erbaute eine neue Kirche
über dem Grabe des H. Remigius, des Täufers König Chlodwigs
gew. 852). Allein nach 150 Jahren zeigte sie sich schon baufällig —
wie der Chronist sagt : weil die häufigen Einfälle der Barbaren nicht
gestattet hatten, die Arbeit mit der nötigen Sorgfalt auszuführen —
und der Abt Airard, von Ehrgeiz gespornt, beschloss anstatt Aus-
besserung einen Neubau. Erwähnen wir noch rasch, dass im n. Jahr-
hundert die Stadt noch zwei andere Abteikirchen, des H. Dionysius
und des H. Nichasius, entstehen sah. Sie werden als stattlich ge-
rühmt, doch überragte sie und überhaupt alle Kirchen des französischen
Nordens jene des H. Remigius um Haupteslänge. Ihre Vollendung
und Weihe durch Papst Leo IX. im Jahre 1049 gab dem Mönche
Anselm Anlass, die Baugeschichte aufzuzeichnen , die ausführlichste
ihrer Art, die wir aus jener Zeit besitzen (>Itinerarium Leonis papae<
bei Mabillon, acta SS. saec. ed. Venet. VI, pars I, p. 625 ff.). Dadurch
werden die Behauptungen ViolIet-le-Ducs, dass die Kirche dem 9. und
10. saec. angehöre und Leblans (Congres arch. 1875, P- 234 ^-)> dass
das vorhandene wesentlich das Werk Hinkmars sei, durchaus hinfällig.
Der Chronist sagt sehr bestimmt, dass Airard a. 1005 einen völligen
Neubau unternahm. Sein Nachfolger Dietrich jedoch, der es für un-
möglich hielt, das Werk in dem Sinne wie es begonnen war zu einem
guten Ende zu führen, brach es grossenteils wieder ab und führte es
nach einem einfacheren Plane (Taciliore struetura sed non indecentiore),
indes mit Beibehaltung der Fundamente, weiter. Was Airards Ab-
sichten gewesen sein mögen, ist über den Grundriss hinaus nicht mehr
zu erkennen. Dass ein Schwanken in der Bauführung vorgekommen
ist, erkennt man indes deutlich in der Chorpartie und dem Transsept
Taf 119) und den Abweichungen des Systems in Lang- und Querhaus
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Viertes Kapitel Die rlachgedeckte Basilika in Westeuropa.
263
(Taf. 86). Von spateren Zuthaten ist die wichtigste die (in unserem
Grundriss nicht angegebene) frühgotische Erweiterung des Sanktuariums
Während der Aufbau noch befangene, ja einigermassen rohe Behand-
lung zeigt, scheint die Plandisposition einem schöpferischen Geiste
ersten Ranges entsprungen zu sein. Die reiche Gliederung der Chor-
partie, die dreischiffige Bildung des Querhauses, die fünfschiffige des
Langhauses, das sind ebensoviel ganz neue, kühne bedeutende Ge-
danken, eine notwendig in Staunen versetzende Erweiterung der Ueber-
lieferung. Ist dieser Plan in Reims ersonnen? Zunächst für den Chor
und die anstossende Ostseite des Transseptes ist die Frage mit Sicher-
heit zu verneinen. Sie weist sich klärlich als Kopie des wenige Jahre
zuvor begonnenen Martinsmunsters in Tours, jener berühmtesten
und ehrwürdigsten Kirche Galliens, aus. Die Wendung des Chronisten,
der Abt sei durch das Beispiel anderer Kirchenhirten, »qui ecclesias
suas ex vetustate in potiorem statum studuerunt reforrnare -, zu seinem
Unternehmen angereizt worden, und habe Männer, »qui architecturae
periti ferebantur*, herbeigerufen, erscheint hierdurch auf einmal in hel-
lerem Lichte. Ein Unterschied besteht nur insofern, als in Tours die
Chorrundung mit fünf, in Reims mit drei Absidiolen besetzt ist. Allein
dieser Teil beruht auf einer restaurierten Zeichnung Viollet-le-Ducs,
von der wir nicht wissen, auf wie sichere Indizien sie sich gründet.
Um so bedeutsamer bleibt, dass der Durchmesser der Rundung auf
ein Haar das gleiche Maass hat, wie in Tours. Dasselbe gilt von der
Länge des Transseptes, wenn man den jüngeren südlichen Kreuzarm
dem früher ausgeführten nördlichen kongruent denkt. Den Vergleich
auf direktem Wege weiter zu führen, sind wir nicht im stände; denn
das Münster in Tours ist im saec. 12 einem Umbau unterworfen worden.
Trotzdem ergiebt sich auch für die übrigen Hauptmaasse , nämlich
Breite des Transseptes und Länge des Vorderschiffes (wobei zu wissen
nötig ist, dass die zwei westlichsten Joche von S. Remy jenseits
der Linie a — b im saec. 12 hinzugefügt worden), aufs neue genaue
Gleichheit. Zwei wichtige Schlüsse ergeben sich daraus: erstens, dass
der Umbau von S. Martin im saec. 12, mit Ausnahme der Chorerwei-
terung, die Grundlinien des Baus von 997 — 1014 festgehalten hat;
zweitens, dass der Bau Airards in Reims eine buchstäbliche Kopie
davon war.
Bedürfte es noch einer Stütze der obigen Folgerung, so wird sie
durch ein drittes Monument gegeben: S. Sermn in Toulouse. Der
Vergleich mit S. Remy erweist nicht nur Aehnlichkeit der Konfiguration,
sondern auch Kongruenz der Hauptmaasse, d. i. der Längen des Trans-
septes und Langhauses (letzteres von den Vierungspfeilern gemessen).
Dagegen bestehen Verschiedenheiten in betreff der inneren Einteilung
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264
Zweites Buch Der romanische Stil.
der Schiffe. Es ist interessant, auch diese näher zu betrachten. S. Sernin
ist junger wie S. Remy. Der Chor wurde a. 1096 eingeweiht, Trans-
sept und Langhaus im nächsten Jahrhundert langsam fortgeführt. Mit-
hin hatten die Erbauer von S. Sernin das gemeinschaftliche Muster
schon in einem veränderten Zustande vor Augen: nämlich in dem
auf Wölbung berechneten Umbau seit A. saec. 12. Dieser Zustand ist
ganz genau kopiert: man erkennt dieselben Pfeilergrundrisse, dieselben
Gewölbespannungen ; eine leider nur flüchtige Ansicht von S. Martin,
genommen während des Abbruches im Jahre 1798, zeigt auch dasselbe
System des Aufbaus (Abb. im Bull mon. 1874, p. 50). Besitzen wir
nun in S. Remy eine ebenso genaue Kopie des ersten, flachgedeckten
Zustande.*? Ein paar bedeutsame kleine Umstände machen es höchst
wahrscheinlich. Während nämlich der Kopist in S. Sernin Länge und
Breite der Schiffe präzis wiedergiebt, hat er sich die Pfeilerintervallen
nicht so genau gemerkt : sie sind um 40 cm enger geraten und dadurch
bei gleicher Gesamtlänge 12 Traveen anstatt der 11 des Originales
herausgekommen. In diesen beiden Punkten nun stimmt S. Remy
auch noch mit dem zweiten Zustande von S. Martin mit staunens-
werter Akkuratesse überein. Nichts ist da wahrscheinlicher, als dass
auch die Schiffweiten ursprünglich die gleichen waren. Eine Weite
von 13,50 m zu überwölben, schien jedoch zu Anfang des saec. 12 mit
Recht ein zu kühnes Wagestück und deshalb rückte man die Stützen
enger zusammen und zwar, um als Grundlage für den Zentralturm ein
reines Quadrat zu gewinnen, auf das unverändert das alte bleibende
Maass des Querhaus-Mittelschiffs. Die Winkelabweichungen beim An-
schluss an die Chorrundung zeigen deutlich, dass hier eine nachtrag-
liche Verschiebung vorliegt.
Wir haben der obigen Untersuchung einen grösseren Raum ge-
stattet, als sonst unsere Gewohnheit ist. Das Resultat — die Resti-
tution des für die Entwicklungsgeschichte des Frühromanismus in
Frankreich wichtigsten Denkmals — schien uns dieses Aufwandes
wert zu sein.
3. Die Choranlagen.
Wie in Deutschland, so ist auch in Frankreich der Chor derjenige
Teil des überlieferten Basilikengrundrisses, der zuerst und am kräf-
tigsten vom Umgestaltungstriebe ergriffen wird. Während aber in
deutsch-romanischem Stil der an dieser Stelle angeschlagene Rhyth-
mus alsbald den ganzen Grundplan durchdringt, wird im französischen
der Chor als ein für sich bestehendes Motiv behandelt. Diese Auf-
fassung ist weniger organisch, aber sie gestattet eine Mannigfaltigkeit
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Viertes Kapitel Die Hachgedeckte Basilika in Westeuropa.
der Lösungen, die in Wirklichkeit zu einer unübersehlichen wird. Wir
wollen uns nur mit den geläufigeren Formen beschäftigen.
EINFACHE. Der Halbkreis der Apsis schliesst unmittelbar an
das Transsept, beziehungsweise das Hauptschiff an : Taf. 79, Fig. 3,
4, 5, 8. Häufiger wird ein viereckiger Raumteil in der Breite der
Apsis — man könnte ihn Vorderchor nennen — eingeschoben. Die
Aehnlichkeit mit dem deutschromanischen Kreuzgrundriss ist nur eine
scheinbare; denn dieser Vorderchor ist nicht das durch das Trans-
sept hindurchgedrungene Hauptschiff, sondern niedriger wie dieses,
gewölbt, in gleicher Scheitelhöhe mit der Apsis. Beispiele Taf. 79,
Fig. 2, 6, 7, 15, Taf. 84, Fig. 3, Taf. 85, Fig. 3. Zuweilen hat der
Vorderchor nur sehr geringe Tiefe : S. Cyr in Nevers S. 260.
Rundchor mit Umgang und ausstrahlenden Kapellen.
In den grossen Kirchen, noch mehr den Abtei- als den Kathedral-
kirchen, ging die erste Forderung an vorzunehmende Neuerungen auf
Erweiterung des Chores, teils um einen unabhängigen und passend
gegliederten Raum für die Geistlichkeit, teils um angemessene Plätze
für eine Mehrheit von Altären zu gewinnen. Im ostfränkischen Reiche
waren diese Desiderate getrennt behandelt worden ; das eine führte
zur Verlängerung des Mittelschiffs über das Querschiff hinaus, das
andere zur Anlage des Westchors. Im westfränkischen Reich suchte
man beide gemeinschaftlich zu lösen, eben durch die in Rede stehende
Disposition. Lag dort der Krystallisationspunkt im Kreuzesmittcl
(der Vierung), so hier in der Apsis. Die Erweiterung erfolgt kon-
zentrisch. Ein ringförmiger Umgang setzt sich an, durch eine Säulen-
stellung vom inneren Halbkreis abgegrenzt. Der letztere enthält den
Hauptaltar und ihn umgiebt gleichsam ein Strahlenkranz von Neben-
altären, in halbrunden, aus dem äusseren Mauerring in radianten
Stellungen zum Zentrum hervortretenden Nischen. Noch ausdrucks-
voller gestaltet sich diese Gruppierung, wenn der innere Halbkreis
von einem Lichtgaden überragt wird. Ist ein Transsept vorhanden,
so wird auch dieses an der Ostseite seiner Flügel mit Apsidiolen
besetzt.
In der That hat die ganze Baukunst des Mittelalters kein zweites
Grundrissmotiv mehr von so glänzender Schönheit und so reicher
Entwickelungsfähigkeit — zumal für die Komposition des äusseren
Aufbaus — hervorgebracht, wie das eben beschriebene. Es ist der
erste selbständige Gedanke von Bedeutung, mit dem die romanische
Kunst in Frankreich hervortritt, und bleibt dann ihr immer stolzer
iS
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Zweites Buch; Der romanische Stil.
heranwachsendes Lieblingskind j ja , er überdauert den romanischen
Stil selbst, um im gotischen seinen aufs höchste gesteigerten Aus-
druck zu finden. Dabei bleibt das Motiv ein spezifisch französisches.
Schon die provengalische, wie die normannisch-englische Schule machen
nur sporadischen Gebrauch davon, Deutschland und Italien kennen
es nicht *) wohl aber Spanien, das baugeschichtlich nur eine franzö-
sische Provinz ist.
Die Entstehung des Motives liegt nach Zeit und Ursache im
Dunkel verborgen *). Wir geben nachstehend einen Versuch, dasselbe
wenigstens auf einigen Punkten zu erhellen. — Die beiden ältesten
erhaltenen Denkmalbeispiele sind die Notre-Dame de la Coüture
in Le Mans (Taf. 119, Fig. 7 u. 7a) und S. Martin in Tours. An
der Coüture unterscheidet man drei Bauperioden: die jüngste, ein
Umbau des Schiffs im saec. 12, vgl. die rechte Hälfte unserer Zeich-
nung; die zweite, eine Erweiterung des Chors unter Abt Gauzbert (c.
a. 990—1007); die älteste, aus saec. 9, in der Krypta (Fig. 7 a) und
den untern Mauerteilen der Schiffe noch erkennbar, woraus sich die
Restitution auf der linken Hälfte der Zeichnung ergiebt s), vgl. Congres
arch. 1878.
Da in der 992 oder 993 beginnenden Bauperiode zweierlei zu
unterscheiden ist: Ausbesserung der Schiffe und Neubau des Chors —
so folgt aus der Thatsache, dass a. 995 Bischof Sigenfried in der
Kirche bestattet wurde, noch keineswegs die andere, dass in diesem
Jahre schon der neue Chor bestanden habe ; er könnte ganz wohl erst
in den letzten Jahren Abt Gauzberts (f a. 1007) errichtet sein. Mit
andern Worten: die chronologische Ueberlieferung widerspricht der
Möglichkeit nicht, dass die Coüture eine Nachahmung des schon 997
begonnenen Martinsmünsters gewesen sei. Und diese Möglichkeit ist,
wenn wir die auf S. 249 u. 263 dargelegte hohe Bedeutung von S. Martin
in Erwägung ziehen , ohne Frage die überwiegend wahrscheinlichere.
Sie empfängt eine spezielle Unterstützung in der Nachricht, dass Gauz-
bert, als er nach Le Mans berufen wurde, sich bereits als Baumeister
einen Namen gemacht hatte: vier nicht unbedeutende Kirchen waren
unter seiner Leitung entstanden (vgl. Rame* im Bulletin du comite" des
travaux historiques 1882, p. 191) sämtlich bei oder in Tours.
') Ausnahmen S. Gudehani in Hildesheim , S. Trinita in Venaso , Kathedrale
von Acerenza.
r< 7.ut Kritik der Meinungen von Fergusson , Marimee, Lenoir vgl. G. v. Be/o'.d
in Centralhlatt der Bauvcrwaltung 1886, Nr. 15.
*) Beiläufig bemerkt eine Überraschende Aehnlichkeit mit dem von uns ver-
mutungsweise gleichfalls dem saec. 9 zugeschriebenen Grundriss von Hersfeld. Taf. 42.
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Viertes Kapitel : Die rtachgedeckte Basilika in Westeuropa.
267
Ueber allem Zweifel steht sodann die vorbildliche Einwirkung des
Martinsmünsters bei dem drittältesten der erhaltenen Beispiele, bei
S. Remy in Reims, vgl. oben S. 262.
Die weitere Frage ist nun, ob «las Motiv bei dem Neubau des
Martinsmunsters seit 997 als ein ganz neues auftrat, oder ob es schon
durch den alten Bau des Perpetuus (von a. 470) irgendwie prädisponiert
war. Von dem hohen, ja einzigen Ruhm dieser Kirche, so als Architektur-
werk wie als Wallfahrtsziel, haben wir früher gesprochen. Ihre Anlage
unterschied sich in mehreren Punkten von dem altchristlichen Normal-
schema, vorab in betreff der Apsis. Dieselbe hatte hier nicht, wie es
sonst die gewöhnliche Bestimmung war, als Presbyterium zu dienen,
sondern als Martyrium, als Aufbewahrungsort für die sterblichen Reste
des Heiligen : >Hic (Perpetuus) sub mota basilica, quam Briccius epi-
scopus aedifieaverat super sanetum Martinum, aedineavit aliam amplio-
rem miro opere, in cujus absida beatum corpus vcnerabilis saneti
transtulit« ^Gregorii Turonensis Hist. Franc. X, c. 31). Diesem Zwecke
wurde die bauliche Disposition angepasst. Der dreifache Sarg, anstatt
in einer Krypta verborgen zu werden, stand auf ebener Erde, im
Zentrum der Apsis, geschützt durch eine Aedikula, zu der eine mit
einem Vorhang versehene Thür führte. In der Richtung der Füsse
des Heiligen, d. i. gegen Osten, schloss sich an die Apsis ein »atriumc,
von welchem aus die Besucher das Grab in der Nähe betrachten
konnten. J. Quicherat hat in seiner bedeutenden Abhandlung »Resti-
tution de la basilique de Saint-Martin de Tours« (Revue arche"ologique
1869 und 1870, wieder abgedruckt in den Mdanges d'arche"ologie et
d'histoire i886\ auf Grund sorgfältigster und scharfsinnigster Erwägung
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268
Zweites Buch Der romanische Stil.
aller zerstreuten Zeugnisse, die Ansicht ausgesprochen, dass das fragliche
»atriunu nur als ein ringförmiger Umgang um die in Säulenstellungen
sich öffnende Apsis gedacht werden könne, wie die beistehende Zeich-
nung anschaulich macht. Wir wollen Quicherats Restitution nicht in
allen Stücken vertreten , in dem genannten Hauptpunkte aber kommt
ihr höchste Wahrscheinlichkeit zu. Sie findet schwerwiegende Unter-
stützung in den inzwischen von G. B. de Rossi (Bulletino cristiano
1880, p. 148 — 151) nachgewiesenen Analogien, wonach eine ganze
Anzahl frühchristlicher Kirchen speziell des 5. und 6. Jahrhunderts
(S. Maria maggiore und SS. Cosma e Damiano in Rom, die Basilika
Severiana in Neapel, die Basilika von Prata bei Avellino, die Basilika
zu Tebessa in Afrika etc.) ihre Apsiden durch Bogen- und Säulenstel-
lungen gegen einen hinterwärts liegenden, meist konzentrisch angelegten
Raum öffneten. Mit Recht meint de Rossi, dass diese abnormale
Disposition in den genannten Jahrhunderten in Italien, Afrika und
Gallien ziemlich häufig angewendet worden sein muss. Der spezielle
Zweck wechselte; in S. Maria maggiore z. B. wurde der Umgang als
Matronäum benutzt. In Tours dürften, was die formale Ausbildung
betrifft, die zentrischen Grab- und Denkmalskirchen — halbiert genom-
men — vorbildlich eingewirkt haben, und in diesem beschränkten Sinne
sind wir ganz geneigt, der Vermutung Ch. Lenormants, der das Sank-
tuarium von S. Martin für eine Nachahmung der konstantinischen
Anastasis bei der H. Grabkirche zu Jerusalem erklärte, beizutreten.
Wahrscheinlich viel jüngeren Ursprungs ist die Evolution der
radianten Kapellen. Sie sind nicht früher nachzuweisen als im Umbau
von S. Martin von a. 997, dessen Fundamente noch erhalten sind
(Taf. 119). Den Keim dazu glauben wir indes schon im Bau des Per-
petuus zu erkennen. Die Sitte der Zeit brachte es mit sich, dass aus-
gezeichnete Personen geistlichen oder auch weltlichen Standes unter
einem Dach mit dem Heiligen ihre letzte Ruhestätte suchten. Die
Ehrenplätze waren die in seiner Nähe, im »atriunu der Apsis, und
zwar müssen die Sarkophage, wenn anders sie die Zirkulation nicht
stören sollten , in Nischen sub arcu aufgestellt worden sein (wofür
Quicherat p. 63 auch noch bestimmte Analogien anführt). Die hier
Bestatteten erlangten nun mit der Zeit selber das Ansehen von Heiligen,
auch an ihren Gräbern geschahen Mirakel, ihre Sarkophage wurden
zu Altären. — Somit wären die radianten Kapellen die naturgemässe
Fortbildung dieser ursprünglichen Grabnischen. Wann das geschah,
ist nicht zu sagen. Vielleicht erst im Neubau von 997, vielleicht
schon gelegentlich einer der früheren Restaurationen, deren das Ge-
bäude in seinem 500jährigen Bestände mehrere erfahren hatte. Nach-
bildungen sind mit Sicherheit jedenfalls nicht früher als seit jenem
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Viertes Kapitel Die flachgedeckte Basilika in Westeuropa.
269
Neubau nachzuweisen '). Derselbe traf in den fruchtbaren Augenblick,
wo nach einer mehr wie hundertjährigen Epoche des Darniederliegens
eine ausserordentliche Thätigkeit im Kirchenbau erwacht war. Solche
Augenblicke sind erfahrungsmässig die günstigsten für die Ausbreitung
einer zuerst lokal fixierten Bauidee. Das hohe Ansehen des Martins-
münsters wie die Schönheit des Motives an sich lassen die nun an-
hebenden vielfältigen Nachahmungen sehr begreiflich erscheinen. Ganz
besonders aber wurden dieselben durch die eben in diese Zeit fallende
ausschweifende Steigerung der Reliquienverehrung und des Wallfahrts-
wesens (S. 251) befördert. Waren in früherer Zeit die heiligen Gebeine
in Konfessionen und Krypten verborgen , so wurde es jetzt , zunächst
in Frankreich, Sitte, sie in der Apsis der Oberkirche an besser sicht-
barem Platze aufzustellen ; mit andern Worten : die Anordnung, die in
S. Martin als eine singulare von jeher bestand, wurde jetzt eine häufig
beliebte. Ein, wie uns scheint, sehr helles Licht über diesen Zusammen-
hang 4) verbreitet die Wahrnehmung, dass von den Denkmälern, die als
die nach S. Martin ältesten Beispiele für die Anwendung des Chor-
umgangs mit Kapellenkranz zu nennen sind, die meisten zugleich in
der Reihe der oben (S. 251) aufgeführten vornehmsten Wallfahrtsziele
figurieren, nämlich: S. Remy in Reims (seit a. 1005), die Kathedrale
') Als ältestes Beispiel für den Umgang mit Kapellenkranz pflegen die franzö-
sischen Archäologen nicl.t S. Martin in Tours, sondern die Kathedrale von Le Mans zu
nennen. Dieselbe , erbaut seit a. 834 , besass zufolge den GesU Alderici ap. Balu/e,
Miscell. 1, p. 81 : »deambulatoria in cireuitu, in quibus et altaria quinque.« Die Inter-
pretation, dass zu diesen fünf Altären ebensoviel Apsidiolen in radianter Stellung gehört
hätten, scheint uns doch recht unsicher. Thatsache bleibt jedenfalls, dass die Ausbreitung
des Motivs von Tours ausgeht, und zwar erst vom Neubau von a. 997.
*) Die oben ausgeführte Ursprungshyputhese erhebt nicht den Anspruch einer
allseitigen Erklärung. Ist auch der Ausgangspunkt , wie wir Überzeugt sind , richtig er-
kannt , so bleiben für die lange Epoche bis in den Anfang des 11 Jahrhunderts die
Zwischenmomente und mitwirkenden Bedingungen im Dunkeln. Der Versuch kann nur
nützlich sein , den Hergang auch von anderer Seite her zu beleuchten. Einen solchen
hat G. v. Bezold im Centralblatt der Bau Verwaltung 1886, Nr. 15, 16 vorgelegt. Ah
das sachliche Agens wird hier gleichfalls der Relif|uienkult , als Grundlage der formalen
Ausbildung jedoch die Krypta angenommen. An den Beispielen Taf. 119, Fig. 1 — 5
lässt sich eine Entwickelung aus der altchristlichen Konfession (Taf. 42, Fig. 9) verfolgen,
darauf hinauslaufend , dass der Umgang immer mehr verbreitert und die denselben von
der Grabkammer trennende Wand mit Arkaden durchbrochen wurde, welche Anordnung
der vorüberziehenden Menge den Sarkophag bequem zu betrachten, vielleicht zu berühren
gestattete, ohne dass sie in die Kammer selbst eindringen durfte. Diese Einrichtung
nun, meint Bezold, sei hinterher auf den Chor der Oberkirche übertragen worden. Lo-
gisch betrachtet eine sehr ansprechende Erklärung. Aber an der Hand der Denkmäler
lässt sie sich nicht durchfuhren. Es giebt keine Krypten dieser Art , die älter wären
als die entsprechenden Dispositionen der Oberkirche in S. Martin, S. Remy u. s. w.
Wohl die älteste nachweisbare (c. a. 1020) ist d e zu Montmajour; aber gerade hier
und überhaupt in der ganzen Provence, findet Uebertragung auf die Oberkirchc nicht
statt. Dagegen sind S. Martin und S. Remy ohne Krypten, und die aus dem Bau des
saec. 9 herübergenommene Krypta der Cofltnre zu Le Mans (Fig. 7a) hat keinen Um-
gang, desgleichen nicht die von S. Sernin. In vereinzelten Fällen, z. B. in S. Philibert
zu Tournus, könnte immerhin der Ausgangspunkt in der Krypta gewesen sein.
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270
/.weites Buch: Der rumänische Stil
von Chartrcs (a. 11 12), Saint-Savin (zwischen r. a. 1020 — 1030),
S. Hilaire in Poitiers 'geweiht a. 1049); wahrscheinlich auch die Abtei-
kirche zu Fe*camp in der Norraandie (bald nach a. 1000); endlich
S. Sernin in Toulouse. Sehr bald gewann dann das Motiv typische
Geltung und wurde auch bei solchen Kirchen verwendet, die zu den
Wallfahrtskirchen grossen Stils nicht gehören, wie die Coüture in Le
Mans, die Kathedrale von Vannes in der Bretagne (erbaut von Bi-
schof Judicael, der 991—1037 regierte, vgl. Congres arch. 1882,
S. Aignan in Orleans (gew. a. 1029).
Ein zweites Zentrum scheint Clkrmont-Fkrrand gewesen zu
sein. Gelegentlich seines Berichtes über die Einweihung von S. Aignan
in Orldans a. 1029 (aus welcher Epoche die Krypta Taf. 119, Fig. 2)
bemerkt der Chronist, die Kirche sei gebaut >in similitudinem S. Ma-
riae etc. SS. Agricolae et Vitalis in Claramontc«. Diese Kirche, die Vor-
gängerin der jetzigen Notre-Dame du Port, mit der sie oft verwechselt
wird, die aber erst aus E. saec. 11 stammt, war von Bischof Namatius um
a. 470, also genau gleichzeitig mit dem Bau des Perpetuus in Tours er-
baut, a. 870 erneuert, im folgenden Jahrhundert durch die Normannen
beschädigt und wiederhergestellt. Auch hier anscheinend Nachahmung
von S. Martin. Denn nach der obigen Notiz über S. Aignan muss die
Existenz eines Deambulatoriums unbedingt angenommen werden. Das
in Clermont aufgestellte Muster fand in der Auvergne so allgemeint
Nachahmung, dass hier kaum eine Kirche ohne die betreffende Choranlage
zu finden ist. Bei aller Aehnlichkeit im allgemeinen unterscheiden sich
der auvergnatische und der tourainische Typus doch in einem Punkte
grundsätzlich voneinander: bei jenem ist die Zahl der radianten Ka-
pellen immer gerade, meist vier, zuweilen zwei — bei diesem immer
ungerade, fünf oder drei; so dass dort die Hauptaxe des Gebäudes
zwischen zwei Kapellen auf ein Fenster im Umgange trifft, hier mit
der Axe der mittleren Kapelle zusammenfällt. Die Ursache der letztern
Disposition glauben wir darin zu erkennen , dass im alten Martins-
münster das Grab des Perpetuus in der Richtung der Füsse des Mar-
tinus. d. h. eben in der Hauptaxe des Gebäudes, angelegt war. —
Wir fassen die letzten Erörterungen mit den früheren auf S. 263 in
folgender Stammtafel zusammen :
S. Martin in Tours:
Hau von a. 470. Neubau a. 997—1014. Inibau c. a. 1100.
i I I
SS. Agricola et Vitalis l.e Mans, Poitiers. Reims, Cluny S. Sernin in Toulouse.
in Clermont. a. 1089
■ | S. Jago de Conipo-
Auvergne, Nevers, jltngerc Stella.
Orleans. burgundische
Schule.
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Viertes Kapitel : Die llachgcdeckte Basilika in Westeuropa.
2JI
Viereckige Chöre mit Nebencuoren 1). Diese Formation
ist nicht von so altem Ursprung und auch nicht von so langer Dauer,
wie der Rundchor mit Umgang, aber in einem engeren zeitlichen
Rahmen, nämlich im 1 1. und in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts,
hat sie grosse Verbreitung gefunden, in Frankreich und über Frank-
reich hinaus. Der Mittelpunkt ist Cluny.
Diese berühmte Abtei gehörte nicht in die Reihe der Wallfahrts-
kirchen; Zwecke, wie sie durch das Deambulatorium der Schule von
Tours verfolgt wurden, lagen hier nicht vor. Dafür war die Geistlich-
keit sehr zahlreich, ihr Raumbedürfnis gross. Seit dem 9. Jahrhundert
bestand die Regel, dass jeder Priester täglich die Messe lese; zu ver-
meiden war dabei, dass zwei Priester von gleichem Range an dem-
selben Tage denselben Altar benutzten; ferner sollten diese Privat-
messen nach der missa solemnis und niemals zu zweien zugleich ab-
gehalten werden a). Erwägt man dazu, dass die Mönche zwar nicht
alle, in stark bevölkerten Klöstern immerhin viele, die Priesterweihe
besassen , so wird die mit der Jugendentwickelung der romanischen
Baukunst zusammenfallende, in erster Linie von den Klosterkirchen
auf die Bahn gebrachte Vermehrung der Altäre begreiflich. Der Bau-
riss von St. Gallen zeigt ihrer nicht weniger als 17 auf die ganze Kirche
verteilt, in der von Alkuin in York erbauten Kirche waren es sogar
30. Das mochte hingehen, solange das Kloster in einsamer Gegend
lag und seine Laiengemeinde klein war. Wo man aber mit stärkerem
Andrang des Volkes zu rechnen hatte, war es durchaus nötig, das
Schiff von Altären und Schranken zu befreien und an anderer Stelle
für sie Raum zu schaffen. Frühe Beispiele konsequenter Ausbildung
auf dieses Ziel hin gewahren wir an einigen Kirchen des saec. 1 1 in Bur-
gund: Anzy-le-Duc im Herzogtum, Paverne und Romaixmotier im
Königreich, jetzt zur Schweiz gehörig, Taf. 118, 121. Der formbestim-
mende Kern ist das (nicht immer reine) Chorquadrat, das in seinem
Verhältnis zum Querschiff auf frühe geschichtliche Beziehung zur
deutsch-romanischen Kreuzbasilika hinweist. Neben diesem werden
zwei rechteckige Kapellen als Nebenchöre angelegt, schmäler und
niedriger, aber von gleicher Tiefe, so dass sie gegen Osten mit dem
Hauptchor eine zusammenhängende Abschlussmauer bilden, an die
sich Apsiden anlehnen; dann noch je eine Apsis an den Kreuzarmen,
also im ganzen fünf. Wie verbreitet diese Disposition in Burgund
gewesen sein muss, sieht man daraus, dass sie noch im folgenden
') Vgl. G. v. Bezold im Ceotralbtatt der Bau Verwaltung 18S6. Nr. 29.
*) Martene, De antiquis ecclesiae ritibus, cd. 1763, t. II, lib. I. cap. 3.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
Jahrhundert, trotz der durch den Rundchor mit Umgang gemachten
Konkurrenz, sich erhält: reich in Chateau-Meillant, einfacher in
Chateau-Poncat und Semur-en-Brionnais ; ja im Grunde gehen selbst
die grossen Kathedralbauten von Al ixn, Lyon, Vienne auf diesen
Typus zurück. Bedeutsam ist nun, dass die oben genannten drei ältesten
Kxemplare der Cluniacenserkongregation angehören.
Das Mutterkloster zu Cluny hat drei Kirchen nacheinander ent-
stehen sehen , jede folgende grösser und prachtvoller als die vorher-
gehende: den Stiftungsbau von a. 910, die schon bedeutende Säulen-
basilika des Majolus, geweiht a. 981, die kolossale Gewölbekirche
Hugos, begonnen a. 1089. Der für uns in Frage kommende Bau ist
der mittlere. Wenn schon die speziell in der Choranlage hervortretende
Familienähnlichkeit der genannten drei burgundischen Tochterkirchen
eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür ergiebt, dass das gemeinschaft-
liche Formprinzip der Mutterkirche entnommen sei , so steigert sich
dieselbe, man kann sagen zur Gewissheit, wenn wir sehen, unter welchen
Voraussetzungen eben dieselbe Form in zwei entfernten Stilregionen
wieder auftaucht.
Das eine Mal in Deutschland, in den auf S. 209 f. besprochenen
Klöstern der Hirsauer Regel. Dieselbe war, wie bekannt, eine Filiation
von Cluny, und die unverbrüchliche Gewissenhaftigkeit, womit gewisse
Eigentümlichkeiten des Planes, darunter besonders die Chordisposition,
stets wiederholt wurden, bezeugt deren feste Begründung in den litur-
gischen Gewohnheiten der Kongregation.
Das andere Mal in der Normandie. Hier wurde die Cluniacenser-
regel durch den berühmten Abt Wilhelm eingeführt, einen geborenen
Piemontesen, der in früher Jugend mit S. Majolus nach Cluny gekom-
men war, dann dem Kloster S. Benigne in Dijon vorstand, von Herzog
Richard II. in die Normandie berufen wurde und die grosse Abtei von
Fe"camp bis an seinen Tod a. 1031 regierte. Er soll in seiner neuen
Heimat über 40 Kirchen und Klöster errichtet haben. Unter den
ältesten Kirchen des Landes ist wenigstens eine, die mit aller Sicher-
heit als Wilhelms Werk betrachtet werden kann: die des Klosters
Bernay. Der Grundriss (Taf. 80) zeigt in der entscheidenden Partie
genaueste Uebereinstimmung mit der Aureliuskirche zu Hirsau. Und
ebenso sorgfältig, wie in den Klosterkirchen der Hirsauer Regel wurde
in den normannischen die in Rede stehende Eigentümlichkeit fest-
gehalten.
Diese Uebereinstimmung giebt eine Grundlage, wie sie fester kaum
gedacht werden konnte, für die Restitution des gemeinschaftlichen
Vorbildes, der Kirche des Majolus zu Cluny, und sie zeigt zugleich,
welches Gewicht die oberste Leitung der Kongregation , auch hierin
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Viertes Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Westeuropa.
dem in ihr waltenden zentralistischen und internationalen Geiste treu,
auf die Genauigkeit der Nachahmung legte.
Merkwürdig nun, dass Cluny selbst von dem traditionellen Ideale
zuerst abfiel. Als Abt Hugo der Grosse im Jahre 1089 den Bau des
Majolus abbrach, um ihn durch einen über jedes bekannte Maass hinaus-
greifend grossartigen Neubau zu ersetzen , da adoptierte er für den
Chor den Typus von S. Martin in Tours. Wir glauben, dass es aus
einer rein künstlerischen Begeisterung geschah, der wir unsererseits
durchaus beipflichten. Wie eine Art Entschuldigung klingt es, wenn
verbreitet wurde, der Baumeister — Mönch Gauzo — habe den Plan im
Traume von einem Engel empfangen. Das hiermit gegebene Beispiel
fand Nachahmung in Paray-le-Moniai, und La-Charite, wo ein älterer
Chor, dessen mutmassliche Gestalt wir Taf. 121, Fig. 3, vorführen,
eigens deshalb abgebrochen wurde. Es fehlte aber auch nicht an Tad-
lern. Der feurigste und überzeugendste war der H. Bernhard. Die
grosse Reaktion, die er im kirchlichen Bauwesen heraufführte — eine
Reaktion der Einfachheit gegen die Pracht — , wird uns an späterer
Stelle ausführlich beschäftigen. Eines wollen wir aber schon hier fest-
stellen : dass Bernhard seine Forderung der Rückkehr zur Einfachheit
der Alten ganz wörtlich verstand; denn der bekannte typische Chor
der Cistercienserkirchen ist in der That nichts anderes als die Erneue-
rung des alten Cluniacenserchors in streng rationellem Sinne.
4. Der innere Aufbau.
Wenn wir die in diesem Kapitel betrachtete Baugruppe durch
das Epitheton »flachgedekt< charakterisiert haben, so ist das nicht
ganz unumschränkt zu verstehen. Wir haben früher einige Anzeichen
dafür aufgeführt, dass schon die karolingische Epoche mit dem Ge-
danken der Ueberwölbung der Basilika sich zu schaffen gemacht habe.
Wir sahen weiter die grosse Spaltung in der westfränkischen Archi-
tektur eintreten, derzufolge der Süden auf die basilikale Konformation,
der Norden auf die Gewölbedecke Verzicht leistete. Dieser letztere
Verzicht war jedoch kein unbedingter, man bezeichnet ihn genauer
als Kompromiss. Zwei Raumteile wurden nämlich in der That mit
Gewölben gedeckt: der Chor und die Seitenschiffe, die mit ihren ge-
ringen Abmessungen und wenig durchbrochenen Mauern konstruktive
Schwierigkeiten nicht boten. Flachgedeckt blieb dagegen das Mittel-
schiff und damit der struktive Organismus des Ganzen tiefergreifenden
Umwälzungen nicht weiter ausgesetzt.
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274 Zweites Buch: Der romanische Stil.
Zwei bedeutende Beispiele aus A. saec. 11: Abteikirche Fe'camp
t^Quicherat, Mdlanges p. 430) und S. Remy in Reims, zufolge der
ansprechenden Vermutung von Viollet-le-Duc I, 178 mit quergelegten
Tonnengewölben. Kleinere Kirchen bleiben lange auch in den Seiten-
schiffen ungewölbt.
Eine Folge des Umsichgreifens der SeitenschirTsgewölbe war die
fortschreitende Verdrängung der Säule durch den Pfeiler. Mehrere
bedeutende Bauten des 10. Jahrhunderts, wie die Kathedrale von
Auxerre, die Kathedrale von Sens, die Abteikirche von Lobbes, zu-
letzt noch die Kirche des Majolus in Cluny, werden als Säulenkirchen
genannt (Quicherat 118 ff.) : vom 11. saec. ab hören wir dergleichen
nicht mehr. In der That herrscht unter den erhaltenen Denkmälern
durchaus der Pfeiler vor.
Die Säule, wo sie noch auftritt, weicht vom römischen Vorbilde
viel weiter ab, als z. B. die deutsch-romanische : die Proportionen zwi-
schen Basis, Kapitell und Stamm
haben sich durchaus verschoben,
der letztere wird aus einzelnen
Werkstücken geschichtet, bleibt
ohne Verjüngung und Schwel-
lung, kurz, es ist eher ein run-
der Pfeiler, als eine wirkliche
Säule.
Der Pfeiler hat gleichfalls
die Tendenz, neue und wech-
selnde Formen aufzusuchen.
Ausser dem quadratischen
Grundriss kommen oblonge oder
kreisförmige vor; die Ecken wer-
den abgefast; seitdem es Sitte
wird, die Arkaden durch Ein-
sprünge abzustufen, kommt der
kreuzförmige Grundriss auf; zierlicher ist die Ersetzung der recht-
winkligen Vorlagen durch Halbsäulen. Auch wechseln wohl Pfeiler
verschiedener Formen miteinander ab.
Beispiele für alle diese Fälle auf Taf. 84, 85, dazu die beistehende
Figur, die nach Viollet-le-Duc eine Arkade aus Lons-le-Saulnier saec. 12
darstellt.
Die Fenster sind in der Frühzeit grösser, weiter und in den
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Viertes Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Westeuropa.
275
Gewänden weniger abgeschrägt, als man es in Deutschland und Ita-
lien sieht; im Laufe des 11. Jahrhunderts verengern sie sich.
Beispiele der ersten Art: Bassc-oeuvre zu Beauvais, Beaulieu-les-
Loches, Cravant, S. Mexmes zu Chinon, Rivieres.
Ueber das System ist, da so wenig grössere Kirchen übrig
geblieben sind, auch nur wenig zu sagen. Das bemerkenswerteste ist
die bedeutende Stellung, welche das dreigeschossige System errungen
hat. Zu Haus ist es vornehmlich in der Champagne mit Ausläufern
nach Lothringen und Hennegau. Aus Franzien, der Picardie und dem
Orleannais sind keine Beispiele davon erhalten.
Kathedrale (Basseoeuvre) zu Beauvais, Taf. 85, erbaut um 990.
Die Proportionen der Arkaden und der weiten Fensteröffnungen er-
innern an gallo-römische Traditionen; die Behandlung von äusserster
Schlichtheit.
S. Germain-des-Prks zu Paris (Abb. Taf. 146, 149, 154). Ro-
manisch seiner Substanz nach ist nur das Langhaus, der Bau des
Morard (990—1014) in einer etwa hundert Jahre jüngeren Ueberarbei-
tung, die namentlich in den kantonierten Theilen erkennbar wird;
wohl schon ursprünglich auf Ueberwölbung angelegt ; in den Verhält-
nissen ein kräftiges Breitenmaass vorherrschend; die Gewölbe er-
neuert, der an der Vorderseite der Pfeiler emporlaufende Runddienst
angeblich ein Zusatz des 17. saec.
S. Remv in Reims, Taf. 68, vgl. oben S. 262. Das System hat
dreimal gewechselt; im nördlichen Kreuzarm, dem ältesten Teil, kurze
derbe Säulen in beiden Geschossen ; im südlichen Kreuzarm quadratische
Pfeiler mit flachen Vorlagen ; im Schiff sehr eigentümliche Bündel-
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j
2;6
Zweites Buch: L>er romanische Stil.
pfeiler, deren Grundriss wir beifügen (der punktierte Umriss entspricht
der Gesimsplatte); nach Schnaase sicher aus ursprünglich vierekiger Form
herausgearbeitet, vgl. oben S. 195. Interessant der Wandel im Raum-
gefühl ; der Lichtgaden des Langhauses von Anfang an höher angenom-
men, als der des Querhauses; das genügte aber der fortschreitenden
Zeit nicht, und so wurde das Stück mit den Okulusfenstern hinzugefügt.
Ableitungen von S. Remy sind die Klosterkirchen Vignorv, Som-
mevoir, Montier-en-Der ; das der letzteren von den französischen
Archäologen beigelegte Datum 992 ist nicht haltbar.
Als jüngstes Glied dieser Reihe wäre die Notre-Dame in Chä-
lons s. M. anzureihen, wenn M. de Dion (Congres archdol. 1875,
p. 233 ff.) mit seiner Behauptung recht hätte, dass das Langhaus in
seiner unteren Partie aus der Zeit vor dem Brande von a. 1 157 stamme
— eine Hypothese, die, soweit Erinnerung und Abbildungen eine
Prüfung gestatten, uns sehr zweifelwürdig erscheint.
Den genannten Denkmälern der Champagne verwandt sind die
folgenden des Hennegau: S. Vincentius zu Zinik, Soignies (Grundriss
beistehend, System Taf. 86). Aus der Menge der östlich und südlich
angebauten Kapellen und Nebenräume lässt sich mit voller Sicherheit
der sehr einfache und altertümliche Grundriss herausschälen. Dreischiffig
mit einfachem Transsept von nahezu drei Quadraten, der rechteckige
Chor etwas über das Quadrat verlängert. Die Absicht der Wölbung, im
Untergeschoss des Schiffes unverkennbar, ist bei Höherführung des Baues
aufgegeben worden. Die Grundform der mächtigen Pfeiler wechselt vom
Arkadensimse an, sie sind in den oberen Teilen in Backstein vor das
Bruchsteinmauerwerk vorgesetzt, vielleicht erst bei der Einwölbung im
saec. 17 (Mitteilung des Doyen Mr. Francois, jetzt alles dick verputzt und
getüncht). Die Oberfenster waren, wie am Aeusseren deutlich zu sehen,
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Viertes Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Westeuropa.
277
in annähernd gleichen Abständen über die ganze Länge verteilt. Von
den Gesimsen, welche wir in unserem Restaurationsversuch geben, sind
noch einige Reste vorhanden. Schon in romanischer Zeit fanden Um-
bauten und Erweiterungen statt. Der Chor wurde gewölbt und hierbei
die Anordnung der östlichen Fenster verändert, um halbrunde Strebe-
pfeiler anzubringen, zwei Kapellen wurden der Ostseite des Transseptes
angefügt, endlich schon im Uebergang zur Gotik der Westturm erbaut.
Als wahrscheinlicher Verlauf der Baugeschichte ergiebt sich: Beginn
des Baues a. 963 mit Chor, Transsept und unteren Teilen des Schiffes,
letzteres mit Unterbrechungen weitergeführt und gleichzeitig mit der
Wölbung des Chores fertig gestellt, vielleicht unter Einfluss von S. Remy
zu Reims, mit welchem er in seinen Abmessungen, im allgemeinen
Raumeindruck und in manchen Einzelheiten übereinstimmt. Wir wer-
den im Centralblatt der Bauverwaltung etwas eingehender über das
interessante Denkmal berichten.
Die Kathedrale von Doornik (Tournay), Taf. 83, 86, 89. Die
bedeutendste romanische Kirche im jetzigen Königreich Belgien. Von
einem älteren a. 1066 geweihten Bau ist anscheinend nichts erhalten;
zu a. 11 46 wird des im Werke begriffenen Neubaus gedacht, welcher
Epoche die Langschiffe, die hier allein in Frage kommen, zuzuschreiben
sind. Erdgeschoss und Emporgeschoss von gleicher Höhe, in den
Maassen der Oeffnungen wiederum mit S. Remy fast kongruent, in der
Behandlung wesentlich verschieden. Die sehr starken und reich ge-
gliederten Pfeiler, im Erdgeschoss mit quadratischem Kern und Halb-
säulen, in der Empore mit achteckigem Kern und Polygonalsäulen,
wirken schwerer, als mit der Flachdecke verträglich ist; darüber ein
unverhältnismässig hoher Lichtgaden, der aussen durch eine schöne
normännische Galerie gegliedert ist, für dessen Innenseite aber nur ein
gedrücktes Triforium gefunden wurde: lauter Fehler, die durch die
Enge des Querschnittes noch empfindlicher werden ; endlich als Material
ein rauh bearbeiteter schwarzer Schieferstein. Dies alles giebt der aufs
Mächtige und Reiche ausgehenden Komposition eine Wendung ins Un-
freie und Düstere. — Renard, Monographie de Notre-Dame de Tournay,
1856. Osten, in der Wiener B.-Ztg. 1845. Kugler, Kleine Schriften II.
Die Kathedrale von Kamerik (Cambray), zu A. saec. 19 abge-
brochen. Ein alter Kupferstich (reproduziert bei Kugler, B.-K. II, 356)
lässt ein System des Langschiffes erkennen, das dem von Doornik sehr
ähnlich ist, ja — falls wir den noch a. 1080 begonnenen Bau vor uns
hätten — als das Vorbild von jenem anzusehen wäre; vgl. Quicherat
in der Revue archdol. X, p. 80.
Die Normandie wird uns in einem eigenen Abschnitt beschäftigen.
Die Bretagne haben wir weder selbst besucht, noch kennen wir das
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27S
Zweites liuch : Der romanische Stil.
Hauptwerk von Delamonnerayc. Essai sur l'histoire de 1 architecture
religieuse en Bretagne, Rennes 1849. Nach Citaten daraus zu urteilen,
giebt es hier noch mehrere Kirchen aus dem 11. und 12. Jahrhundert
(Loctudy, Fouesnant, Lochmariaker, S. Malaine zu Rennes, Lochmaria
zu Quimper, S. Martin zu Lamballe u. s. w.), mit Balkendecke im
Mittelschiff, mit Gewölben in den Seitenschiffen.
5. Normandie und England.
I n I i kau k. Hauptwerk . //. Ruf>ri<h-Robtrt I. architecture noimaude aux XI
<"t XII siecle. Paris 1S84. 2*. Unvollendet und noch ohne Text. - Pugin: Specimcns
of the architecture of Normandy. London 1874. 40. — //. Gaily Knight An archi-
tectural tour in Nonnandy. London 1841. 8U. - Artisst dt Caumont : Statistiquc monu-
mentale du Calvados, 5 vol. Paris 1847—1867. 8°. — Zahlreiche Aufsätze von dt Cau-
uiont, Parker und Beuel im Bulletin Monumental. Separatabdruck daraus (Bd. 31 u. 53 1 :
Honet: Analyse architecturale de l'abbaye de Saint-Etienne de Caen. Caen 1868.
Ruft it/t- Robert : L'eglise de Ste. Trinite et l'eglise St. Etienne.
'/.Britten: Cathedrai antiquities, 5 Ilde. London. Enthalt Monographien von 14
englischen Kathedralen. — Britton : The architectural antiquities of Great Britain, 5 13de.
London. 40. ll'inkles: Architectural illustrations of the Cathedrai Churches of Eng-
land and Wales. 2 Bde. 8". — Monasticon Anglitanum (I)ugdale). 6 Bde. 2°. —
IV. Billings: The baronial and ecclesiastical architecture of Scotland. 4 Bde. Lon-
don 1848. 40.
Potdt, G. I. : A History of ecclesiastical architecture of England. London 1S48.
S". - Riekman : An attempt to discriminate the Styles of architecture in England. Lon-
don 181 7. 8°. Bloxam : The principles of gothic architecture, 9. Ausg. London 1849.
Deutsch von Hensulmann : Die mittelalterliche Kirchenbaukunst in England von Bl. 8".
Sharfe: The seven periods of English Architecture. London 1851. 8°.
Monographien. Canterbury. Willis, the architectural history of Canterbury
Cathedrai. London 1845. 8°. — Saint-Albans : Huckler, A history of the abbey church
<>f St. Albans. London, 1847. 8°. - Winthester Willis, the architectural history of
W. Cath. in den Proceedings of the annual meeting of the archaeol. Inst, of Great Britain
at Winchester, 1845. — Carlisle: R. W. Billings, Architectural illustrations of Carüsle
cathedrai. London 1S39. 40. — Durham: R.W. Billings, Architectural illustrations and
account of Durham cathedrai. London 1843. 40.
-
Die Normannen, diese letzten Nachzügler der grossen germa-
nischen Wanderung, traten in die westeuropäische Völkergesellschaft
als ein Sauerteig ein, der diese in tiefe Gärung zu setzen bestimmt
war. Ihre Bedeutung für Ereignisse und Institutionen des öffentlichen
Lebens ist bekannt genug. Nicht minder merkwürdig in ihrer Art
sind ihre Einwirkungen auf das Bauwesen dieser Gegenden. Sie zeigen
sich als zweifache. Zuerst waren es ihre Verwüstungen, durch welche
die Normannen weit und breit unter den alten Denkmälern gewaltig
aufräumten, den Keimen einer neuen Architektur freie Luft machten,
sie zu beschleunigtem Wachstum antrieben. Hernach, als sie zu festen
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Zweites Kapitel: Die llachgeileckte liasilika in Westeuropa.
2/9
Sitzen kamen, wechselten sie die Rolle: ihre einst im Zerstören be-
währte Energie warf sich aufs Schaffen und Bauen.
Die normannisch-romanische Baukunst ist ein Setzling vom
Stamme der westfränkischen Architektur, der dies Verwandtschafts-
verhältnis nicht verleugnet, aber unabhängig und aus eigenen Kräften
weiterwächst.
Unter Karl dem Grossen hatten die nachmals von den Nor-
mannen besetzten Gegenden manche bedeutende Kirchenbauten be-
sessen, obenan das Kloster Centula (vgl. S. 174). Die Wiederaufnahme
höherer Kunstthätigkeit hängt zusammen mit der grossen Kloster-
reform nach cluniacensischem Muster, die unter dem Schutze Herzog
Richards II. der berühmte Wilhelm, a. 1010 — 1031 Abt von Fecamp,
durchführte, und durch die, im Wetteifer der Barone mit dem Herzog,
nicht weniger als vierzig neue Kirchen und Klöster ins Dasein ge-
rufen sein sollen. Wilhelm war Lombarde von Geburt, und es wird
zu untersuchen sein, inwieweit er und andere Italiener, die nach
ihm kirchliche Würden in der Normandie bekleideten , heimischen
Gewohnheiten hier Eingang verschufen. Sehr bestimmt ausgeprägt
ist der burgundisch-cluniacensische Einfluss in der typischen Aus-
bildung sowohl der Chorpartie als des Westbaues mit seinen Doppel-
türmen. Der innere Aufbau endlich knüpft an die in der karolingi-
schen Epoche eingeschlagene einheimische Richtung an.
Zu alle dem nun brachten die Normannen feststehende eigene
Bauformen nicht hinzu , wohl aber die wertvollere Mitgift eines echt
monumental gerichteten Sinnes und kühner Unternehmungslust. Ver-
möge dieser Eigenschaften zeigt sich schon bald nach der Mitte des
1 1. Jahrhunderts die normännische Schule allen übrigen Nordfrank-
reichs überlegen. Um gleich die Hauptsache zu nennen: sie ist ent-
schlossen, in der Ueberwölbungsfrage nicht wie jene auf halbem Wege
stehen zu bleiben, sondern die steinerne Decke im ganzen Gebäude
/.ur Herrschaft zu bringen; und zwar ist sie über die Methode von
Anfang an nicht im Zweifel : es sollen Kreuzgewölbe sein im Haupt-
schiff, wie sie in den Nebenschiffen längst in Anwendung kamen. Die
grossen Bauschöpfungen des 1 1 . Jahrhunderts haben die Aufgabe zwar
noch nicht bis zur Lösung geführt , doch in allen Stücken sie vor-
bereitet. Und so vermag an der Schwelle des folgenden Jahrhunderts
die normännische Schule als die erste das Ziel zu erreichen, das das
gemeinsame aller nordfranzösischen Schulen seit langem war.
Derselbe Geist klarer, fester, gesammelter Zielbewusstheit nun
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Zweites Buch Der romanische Stil.
durchdringt die normannischen Bauten bis in die letzten Teile. Das
lässige und reizende Spiel mit dem Irrationellen, worin sich anderswo
der romanische Stil so oft gefällt, hat hier keine Stätte; das Typische
ist durchaus stärker als das Individuelle; eine straffe Disziplin und
Konzentration herrscht in dieser Schule, ein Streben nach Folge-
i ichtigkeit und Regelmässigkeit, das im ganzen wie selbst in manchen
Einzelbestimmungen an die Baurichtung Niedersachsens erinnert. Im
übrigen sind die Charaktere verschieden genug. Von der Bescheiden-
heit, Feinheit, gemütlichen Wärme der sächsischen Bauten findet man
bei den normännischen nichts; diesen glaubt man es auf den ersten
Blick, dass eine hochfahrende, sieges- und herrschaftsgewohnte Militär-
aristokratie sie sich zu Denkmälern gesetzt hat. Uebersichtlichkeit
und logische Klarheit im Grundriss, scharfe Accentuierung des struk-
tiven Organismus im Aufbau ; grossartige Raum- und Massenentwicke-
lung, insbesondere in der Höhenrichtung; die dekorativen Zuthatcn
in der älteren Zeit sparsam aber wirkungsvoll, in der jüngeren reich
und prunkend, aber immer dem struktiven Gedanken untergeordnet;
tiefer Ernst der baulichen Grundstimmung: das sind die Züge, aus
denen der scharfumrissene Familiencharakter der normännischen Bau-
kunst diesseits wie jenseits des Kanals sich zusammensetzt.
Denn mit den Normannen eroberte auch ihre Baukunst die
britische Insel. Dieser schnelle und vollständige künstlerische Sieg
erklärt sich nicht bloss aus der durchgreifenden Normannisierung des
Kirchenregiments, vielmehr hat allem Anschein nach der angelsäch-
sische Kirchenbau von jeher wesentliche Grundzüge mit dem der
festländischen Nachbargebiete gemein gehabt. Die wenigen als angel-
sächsisch anzusprechenden Ueberreste geben allerdings ein abweichen-
des Bild, allein es sind eben nur untergeordnete Bauwerke, aus denen
wir wohl einige Aufschlüsse über das Gebiet der Zierformen, aber
keine über die allgemeine Anlage der grossen Kirchen gewinnen.
Um so wichtiger sind die zahlreichen und ungewöhnlich präzis ge-
fassten schriftlichen Zeugnisse, von denen wir einige herzusetzen nicht
unterlassen wollen.
In Canterhurv hatte Augustinus, der erste römische Missionar
unter den Angelsachsen, eine Kirche erbaut, a. 590. Sie wurde um 950
durch Bischof Odo erweitert. Ueber diesen Bau schreibt Edmerus,
Cantor von Canterbury, welcher mit St. Anselm in Rom gewesen war:
-Erat enim ipsa ecclesia .... Romanorum opcre facta, et ex quadam
parte ad imitationem ecclesiae beati apostolorum principis Petri ....
ad haec altaria nonnullis gradibus ascendebatur a choro cantorum.
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Viertes Kapitel . Die flachgedeckte Basilika in Westeuropa.
281
quaedam cripta quam confessionem Romani vocant. Subtus erat ad
instar confessionis sancti Petri fabricata, cujus fornix eo in altum ten-
debatur ut superiora ejus non nisi per plures gradus possent adiri.»
(Ms. of Corpus Christi coli., citiert bei Willis, Canterbury p. 10).
Bischof Benedikt baute um a. 670 ein Kloster zu Ehren des Apostels
Petrus nahe der Mündung des Flusses Were: Wiremuth, Wearmouth.
Ein Jahr nach der Gründung reiste er nach Gallien, »caementarios,
qui lapideam sibi ecclesiam juxta Romanorum, quem Semper amabat
morem facerent, postulavit, accepit, attulit.c
Sein Zeitgenosse, der Bischof Wilfrid von York baute »in Hrypis
(Ripon) basilicam polito lapide a fundamentis in terra usque ad sum-
mum aedificatam, variis columnis et porticibus sufTultam«; und die zu
Hexham , von welcher uns eine eingehende Beschreibung aus dem
12. saec. erhalten ist: >Profunditatem ipsius ecclesiae criptis et ora-
toriis subterraneis, et viarum anfractibus, inferius cum magna industria
fundavit. Parietes autem quadratis et variis et bene politis co-
lumpnis suffultos, et tribus tabulatis distinctos immensae longitudinis
et altitudinis erexit. Ipsos etiam et capitella columpnarum quibus
sustentantur, et arcum sanctuarii historiis et imaginibus et variis caela-
tttrarum figuris ex lapide prominentibus et picturarum et colorum grata
varietate mirabilique decore decoravit. Ipsum quoque corpus ecclesiae
appenticiis et porticibus undique circumcinxit, quae miro atque inex-
plicabili artificio per parietes et cochleas inferius et superius distinxit.
In ipsis vero cochleis et super ipsas, ascensoria ex lapide et deambu-
latoria, et varios viarum anfractus modo sursum, modo deorsum, arti-
ficiosissime ita machinari fecit, ut innumera hominum multitudo ibi
existere et ipsum corpus ecclesiae circumdare possit, cum a nemine
tarnen infra in ea existentium videri queat . . . .« (Richardus Hagulstad.
t. c. 3. citiert bei Britton A. A. V. 122).
Die von Wilfrid erbaute Kirche S. Peter zu York hatte 741
durch Brand gelitten. Sie wurde von Eanbald und Alkuin wieder auf-
gebaut und wird von letzterem folgendermassen beschrieben:
»Haec nimis alta domus solidis suffulta columnis,
Suppositae quae stant curvatis arcubus, intus
Emicat egregiis laquearibus atque fenestris,
Pulchraque porticibus fulget circumdata multis
Plurima diversis retinens solaria tectis
Quae triginta tenet variis ornamentibus aras.«
Ueber die Erbauung der Abteikirche zu Ramsev durch Oswald,
Bischof von Worcester (saec. 10), berichtet die Historia Ramasiensis
(Poole S. 58, Note 3):
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
»Exquisiti condueuntur artifices, construendae Basilicae longitudo
et latitudo commensuratur , fundamenta alta propter uliginem undi-
que vicinam jaciuntur, et crebris arietum ictibus insolidam supponendo
oneri fortitudinem fortius contunduntur .... Domino incrementum
praestante opus indies altius consurgit. Duae quoque turres ipsis tec-
torum culminibus eminebant, quarum minor versus occidentem in
fronte Basilicae pulchrum intrantibus insulam a longe spectaculum
praebebat, major vero in quadrifidae srrueturae medio coluranas qua-
tuor, porrectis de ala ad alam areubus sibi invicem connexas, ne laxe
defluerent, deprimebat.t
Es ergeben sich aus diesen Notizen nicht unwichtige Anhalts-
punkte für die Beurteilung der angelsächsischen Baukunst. Der Stutzen-
wechsel (parietes quadratis et variis columpnis suffulti in Ripon),
Emporen (ebenda und in York) und Vierungstürme (in Ramsey) sind
Elemente, welche die fränkisch-karolingische Epoche auf die Bahn
gebracht hatte und welche dann von der normannischen Baukunst in
ein festes System gebracht wurden. Sie beweisen, dass schon vor
der Eroberung eine der normannischen verwandte Richtung vorhanden
war, infolge deren der neue Stil leichter Eingang und allgemeine Ver-
breitung fand. Die englisch-normannische Architektur geht gleichwohl
nicht unterschiedslos in derjenigen der Normandie auf, sie bewahrt
sich vielmehr so manche Besonderheiten, welche im folgenden nam-
haft zu machen sind.
DER GRUNDRISS. Die auf Taf. 80 vereinigten Beispiele zeigen
die strenge Gleichförmigkeit im Plane der normannischen Abteikirchen,
welche Gattung alle wichtigen Bauten des 1 1 . Jahrhunderts in sich
begreift. Die typischen Merkmale sind: die im Sinne des regelmäs-
sigen lateinischen Kreuzes gewählte Disposition des Transseptes und
die platt schliessenden Nebenchöre. Von wo und auf welchem Wege
— nämlich aus Burgund durch Abt Wilhelm — die letzteren hier
eingeführt worden sind, ist im dritten Abschnitt berichtet. Querschiff
und Hauptschiff haben stets das gleiche Breitenmass. Die Einteilung
des Langhauses folgt dem sogenannten gebundenen System, d. h.
auf je zwei Traveen der Seitenschiffe kommt eine Doppeltravee im
Hauptschiff. Es ist das Kompositionsgesetz, das wir von Sachsen und
der Lombardei her kennen. Jedoch bildet die normannische Doppel-
travee kein reines Quadrat, wie die sächsische, sondern gleich der
lombardischen ein um ein kleines Teil verlängertes. So sind auch
die Kreuzesarme immer ein wenig länger als das rein quadratische
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Viertes Kapitel. Die flachgedeckte Basilika in Westeuropa. 283
Kreuzesmittel. Eigentümlich ist, wie des Öfteren ihre vorspringenden
Enden durch je eine Doppelarkade gleichsam als Kapellen abgesondert
werden, und zwar zweigeschossig, mit Wiederholung der Apsidiola in
der Empore ; vgl. S. Michael in Hildesheim, Dom von Aquileja u. s. w.
Von der Abteikirche von Fe*camp sind uns leider Aufnahmen
nicht bekannt geworden. Zufolge Inkersley a. O. p. 151 soll aus der
Zeit vor Ankunft des Abtes Wilhelm noch ein Theil eines Umganges
mit zwei Kapellen erhalten sein : das wäre also das oben S. 265 f. defi-
nierte Schema von S. Martin in Tours. Bemerkenswerterweise kommt
dasselbe an keinem späteren Bauwerke mehr vor. Schon die Abteikirche
von Bernay (voll. a. 1025), bei welcher der Einfluss Wilhelms gesichert
ist (vgl. Gall. Christ. XI. col. 830), zeigt das Cluniacenserschema, das
von nun an die Alleinherrschaft hat.
Die vollkommensten Beispiele normannischer Bauweise im 11. saec.
sind die Abteikirchen S. Vigor zu Cerisy, S. lttienne zu Caen, die
Kathedrale von Canterburv. Keines dieser Werke ist unverändert
auf uns gekommen — in Cörisy fehlen die westlichen Joche, in Caen
der Chor, in Canterbury ist der ursprüngliche Zustand nur aus den
Grundmauern zu entnehmen — , alle drei zusammen geben indes ein
vollständiges Bild, das um so zuverlässiger genannt werden darf, als
sie von nahezu gleichen Abmessungen sind und in den erhaltenen
Teilen in enger Uebereinstimmung stehen. Die nämliche Chordispo-
sition bei zwei anderen Kirchen in Caen, Ste. Trinite' und S. Nicolas.
An die genannten Hauptwerke schliesst sich am engsten S. Georges
zu Boscherville, wahrscheinlich erst nach a. 11 14 begonnen und vor
a. 1157 vollendet. Etwas abweichend in der aligemeinen Haltung,
ohne Westtürme und mit einfacherer Behandlung des QuerschifTes, die
Kirche des Mont-Saint-Michel ; begonnen nach Brand von 1022,
vollendet unter Abt Ranulf (1058 — 85), nach neuem Brande im Jahre
11 12 mit Benützung der alten Pfeiler in einen Gewölbebau verwandelt.
Als Beispiel der Vereinfachung des Planes für die Verhältnisse
kleinerer Kirchen diene die von Secqueville (Taf. 79), ein Grundriss,
den man ohne Kenntniss der Herkunft für niedersächsisch halten würde.
Verfolgen wir die Weiterentwicklung des normannischen Typus
auf englischem Boden, so finden sich gerade im Grundplan sehr
belangreiche Veränderungen. Eine feste organische Idee taucht aus
denselben jedoch nicht auf, und so bleibt der englisch-normannische
Kirchenbau den Schwankungen des freien Ermessens in einem Masse
überlassen, das gegen die strenge Gesetzlichkeit des festländischen
auffallend absticht und ihm im ganzen nicht zum Vorteil gereicht.
Immerhin lassen sich gewisse Gemeinsamkeiten erkennen. Darunter
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
ist die wichtigste die Dehnung der Chorpartie zu einer oft exor-
bitanten Länge. Das Beispiel dazu gab schon Erzbischof Anselm von
Canterbury, der Nachfolger Lanfrancs, indem er den kaum vollendeten
Chor seiner Kathedrale wieder abbrach und ihn dermassen verlängerte,
dass nun das Querschiff genau in die Mitte des Ganzen fiel (Taf. 80).
Der Beweggrund ist in liturgischen, ja im letzten Grunde in kirchen-
politischen Verhältnissen zu suchen. Es lag in der Politik der nor-
mannischen Sieger , den einheimischen Säkularklerus möglichst zu
beschränken und einflusslos zu machen, zu welchem Ende man den
Kathedralgeistlichkeiten eine Klosterverfassung gab. Von jenseits des
Kanals herbeigerufene Mönche mussten die missliebige Reform durch-
führen helfen. Die Kirchen waren solchermassen zugleich KJoster-
und Gemeindekirchen, sie bedurften fiir die sehr zahlreichen Mönche
ausgedehnte Chöre, aber dieselben durften nicht, wie es in einer
Klosterkirche oft geschah, in das Schiff vorgeschoben werden, sondern
forderten eine bauliche Erweiterung nach Osten. Die dreischiffige
Anlage für den Langchor war indiziert. Die Abschlussform wechselt :
bald sind es drei parallele Absiden ; häufiger, zumal wo grosse Krypten
darunter liegen, ein Rundhaupt mit Umgang; meist ohne Kapellen;
niemals mit regelmässiger strahlenförmiger Disposition derselben ; früh-
zeitig kommt auch der gradlinige Chorschluss vor, der nachmals in
der gotischen Epoche sehr beliebt wurde. — Englisch ist der Ge-
schmack an kolossalen Krypten, wovon die normännischen Kirchen
des Festlandes, wohl unter dem Einfluss Clunys, nur sparsam Gebrauch
machten. — Die Transsepte pflegen sehr weit über die Flucht-
linien des Langbaus vorzutreten. Ausser einschiffigen und dreischif-
figen kommen auch zweischiffige , mit östlichem Seitenschiff, vor. —
Derselbe Mangel an festen Bestimmungen wird in betreff der West-
seite beobachtet. Dabei kommen vielfach Gestaltungen zum Vor-
schein, die von den festländischen Gewohnheiten abweichen. Entweder
fehlt jede Vorhalle und damit auch das westliche Turmpaar; oder
die Vorhalle wird querschiffartig vor die ganze Breite der Front ge-
legt. Sind Westtürme vorhanden, so treten sie häufig über >die Flucht
der Seitenschiffe vor oder sind auch wohl ganz seitlich disponiert —
wie es die Normannenbauten auf Sizilien, aber niemals diejenigen des
französischen Festlandes zeigen. Für kleinere Kirchen wird die säch-
sische Anlage mit einem Westturm beibehalten.
Eine der bezeichnendsten Eigenheiten der englisch-normännischen
Kirchen ist endlich ihre auch im Vorderschiff unerhört gestreckte
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Viertes Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Westeuropa.
285
Gestalt. Während bei festländischen Bauten die Totallänge, in lichten
Mittelschiffbreiten berechnet, sich zwischen 6 — 8 hält, so ist hier an
ganz grossen Kirchen das beliebteste Mass 13 — 14.
Belege für alles Gesagte auf Taf. 81 — 83, wo wir von den sehr
zahlreichen Normannenbauten Englands nur einige der bezeichnendsten
zusammengestellt haben. Ein paar Beispiele kleinerer Kirchen auf
Taf. 79.
DER INNERE AUFBAU. Die kleineren Kirchen der Norman-
die pflegen sich vor dem sonst im nördlichen Frankreich üblichen
System nur hinsichtlich der Einzelbehandlung zu unterscheiden. Die
spezifischen Ziele der Schule kommen erst an den grossen Abtei-
kirchen zum Vorschein. Hier ist der Aufbau immer dreigeschos-
sig. Die Abseiten des ersten Geschosses sind mit Kreuzgewölben
überdeckt; die Emporen haben entweder Balkendecken oder gleich-
falb Gewölbe (bald Kreuzgewölbe, bald Halbtonnen mit starker Unter-
gurtung) ; und zwar findet ein gleichmässiger Fortschritt in dieser
Hinsicht nicht statt, da mehrere frühe Beispiele schon Gewölbe, nicht
wenige spätere Holzdecken aufweisen. Gegen das Mittelschiff öffnen
sich die Emporen in Bögen von gleicher Weite und oft auch gleicher
Höhe, wie die unteren Arkaden; in der Regel werden dieselben mit
kleineren Bogenstellungen ausgesetzt, zuweilen bleiben sie auch un-
geteilt. In der Gestalt der Stützen rindet ein regelmässiges Alternieren
statt: zwischen Pfeilern und Säulen, oder stärkeren und schwächeren
Pfeilern ; doch nur an der älteren Baugeneration, während die jüngere,
was sehr bemerkt zu werden verdient, des Stützen wechseis sich ent-
wöhnt. Ein weiterer Umstand von Wichtigkeit liegt in den ausser-
ordentlich starken Abmessungen der Pfeilerfläche und der Mauerdicke,
sowie in der Verstärkung der Hochmauern durch Vorlagen, die vom
Boden bis zur Decke hinaufreichen. Diese Anstalten in Verbindung
mit den Gewölben der Emporen weisen unstreitig auf die Absicht,
die Hochmauern gegen einen nach aussen wirkenden Druck zu sichern,
d. h. die Absicht, das Mittelschiff zu überwölben. In diesem
Lichte betrachtet, versteht man auch die wahre Bedeutung der oben
konstatierten gebundenen Grundrissanlage. Die so wohl vorbereitete
Absicht ist aber schliesslich — ■ man findet keine andere Erklärung,
als zu sagen: aus Aengstlichkeit — unausgeführt geblieben. Schon
die Gestaltung des obersten Geschosses — Durchbrechung der Mauer-
dicke durch einen in zierlichen Bogenstellungen gegen das Schiff sich
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Zweites Buch. Der romanische Stil.
öffnenden Gang — zeigt, dass der Gedanke der Einwölbung im Laufe
der Bauführung aufgegeben war. Er beherrschte, kann man sagen,
die normannische Architektur in den zwei Dezennien um die Mitte
des Ii. Jahrhunderts; dann trat Entmutigung ein; und erst mit Be-
ginn des nächsten Jahrhunderts wurde ein zweiter, endlich zum Ziele
führender Anlauf gewagt.
Uebrigens haben auch die Bauten des 1 1 . Jahrhunderts nach-
träglich allermeist Gewölbe erhalten und es zeigte sich, dass ihre
Konstruktion vollständig vermögend war, solche zu tragen. Aber
auch ästhetisch war die Massregel im Recht. Das System leidet,
wenn die Wölbung nicht ausgeführt wird, an einem inneren Wider-
spruch. Wohl ist durch die ununterbrochen vom Fussboden zur Decke
aufsteigenden Dienste eine nachdrückliche Gliederung der Mauer ge-
geben, welche auch, unangesehen den konstruktiven Zweck, einen ge-
wissen ästhetischen Wert hat; allein sie verläuft sich zu unvermittelt
in die Flachdecke; es scheint etwas angekündigt zu werden, was
dann nicht kommt.
Einen anschaulichen Beleg für das letzterwähnte Missverhältnis
giebt die perspektivische Ansicht von Peterborough auf Taf. 90.
Viel besser wirkt auf der nebenstehenden Abbildung von Ce*risy das
Gurtbogensystera. Wir möchten glauben, dass dasselbe auch sonst in
der Normandie ziemlich häufig zur Anwendung gekommen ist, wenn
auch in den meisten Fällen die nachträgliche Einwölbung den That-
bestand verdunkelt hat. (Ein sicheres Beispiel Notre-Darae du Pre"
zu Le Mans, Taf. 86, 89). Interessant ist diese Erscheinung auch da-
durch, dass sie die Reihe der Aehnlichkeiten mit dem lombardischen
Bausystem vervollständigt. In der That sind die in der Normandie
ergriffenen Vorbereitungsmittel zum Uebergang auf die Gewölbebasilika
von den zielverwandten Bestrebungen des übrigen Frankreichs so ver-
schieden und denen der Lombardei in den Grundgedanken so ähnlich,
dass die Möglichkeit eines Anstosses von dorther in ernste Erwägung
gezogen werden rauss. Nicht umsonst, so möchte man argumentieren,
war der einflussreichste Kirchenmann der Normandie in der Zeit Wil-
helms des Eroberers, Lanfranc, ein Lombarde von Geburt. Es ist
notorisch, dass derselbe Landsleute nach sich zog, wir erinnern nur an
den berühmten Anselm, und es können darunter ja ganz wohl bau
kundige Männer gewesen sein. Alles freilich nur Vermutungen I Indes
verträgt sich mit ihnen die Thatsache recht gut, dass die beregte
Verwandtschaft mit der lombardischen Weise gerade die um die Mitte
des Jahrhunderts im Bau begriffenen Werke trifft, während bei den
späteren die Aehnlichkeit verblasst. Die geschichtlichen Zusammen-
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Viertes Kapitel: Die tlachgedeckte Basilika in Westeuropa.
287
hänge, deren Ahnung uns hier aufgeht, sind merkwürdig genug. Denn
es sind nicht fremdartige , sondern urverwandte Formen , die hier
zusammentreffen. Wir haben früher (S. 190) gesehen, dass das lom-
bardische gebundene System einem fränkisch-karolingischen Gedanken-
kreise angehörte und dass ein wichtiges Element desselben, der Stützen-
wechsel mit Emporen, im nördlichen Frankreich ununterbrochen fort-
lebte. Indem die aufstrebende normannische Architektur lombardische
Baugedanken zu Hilfe ruft, greift sie nur scheinbar in die Ferne: in
Wahrheit stellt sie den Zusammenhang zweier ursprungsgleicher Ent-
wickelungsreihen wieder her.
Dass der normannische Grundriss und das normannische System
des Aufbaus nicht gemeinsam konzipiert sind, lehrt die Abteikirche
von Bernay. Das charakteristische Gepräge der Ost- und Querpartie ist
vollkommen fertig, dagegen zeigt das Langhaus noch nicht die ge-
bundene Einteilung. Von dem Bilde, das Taf. 86 ti. 89 zeigen, gehört
nur das untere Geschoss bis zum Gurtgesims der ursprünglichen Anlage
(vollendet a. 1025), und auch diese nicht unverändert; die den Pfeilern
vorgelegten Halbsäulen sind ein jüngerer Zusatz, vgl. die Nebenfigur
zum Grundriss Taf. 79; die Kuppelgewölbe über den Seitenschiffen
sogar erst modern. Nach Abzug alles dessen erscheint ein System,
das demjenigen von S. Martin zu Angers oder der alten Kathedrale
von Beauvais (Taf. 84, 85) ähnlich sieht. Vgl. die Untersuchungen von
Bouet im Bull. mon. t. 31.
Das älteste Beispiel des vorzugsweise so zu nennenden normän-
nischen Systems giebt die jetzt in Ruinen liegende Abteikirche von
Jumikges (Taf. 86, 89). Erbaut a. 1040 — 1067. Sehr ausgeprägter
Stützenwechsel. Ob Gewölbe- oder nur Gurtbögen beabsichtigt waren,
ist ungewiss. Das Ganze macht einen schwankenden Eindruck, es fehlt
der schöpferische Hauch. In vollem Masse ist derselbe vorhanden
in S. Etienne zu Caen; begonnen zwischen 1063 und 1066, geweiht
a. 1077. Auf Gewölbdecke angelegt, mit Flachdecke vollendet, zu
Anfang des folgenden Jahrhunderts doch in Gewölbdecke umgewan-
delt. Die Restitution des ersten Zustandes nach Bouet und Ruprich-
Robert (Taf. 87 u. 89 links) ist für uns nicht durchaus überzeugend.
Die Gewölbe der Emporen könnten ganz wohl ursprünglich, und die
Doppeitraveen im Lichtgaden durch Gurtbögen eingerahmt gewesen
sein, kurz der Zustand von a. 1077 könnte im wesentlichen dem Bilde
entsprechen, das S. Vigor zu Cerisy darbietet. Dieser von Herzog
Robert gegründete Bau wurde von Wilhelm fortgesetzt, »usquequo ipse
Monasterium saneti Stephani . . . aedificavit.c Formen und Masse des
Grundrisses sind identisch; also wohl in S. Etienne von S. Vigor ent-
lehnt, dagegen die oberen Geschosse von S. Vigor erst nach S. Etienne
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
zur Ausführung gekommen. — Censy zu besuchen hat uns die Ge-
legenheit gefehlt; von S. Etienne in Caen haben wir den Eindruck
empfangen, dass es das von den prunkvollen Erzeugnissen der jüngeren
Schule nicht überbotene Meisterwerk der normannischen Architektur
und überhaupt dem Besten zuzuzählen sei, was der romanische Stil
irgendwo hervorgebracht hat.
Die ersten Normannenbauten in England schliessen sich eng an
die festländischen Vorbilder an. Indes diese letzteren waren gerade
in der der Eroberung zunächst folgenden Zeit an der Erreichbarkeit
ihres höchsten Zieles, der vollständigen Ueberwölbung, irre geworden.
Was aber auf dem Festlande nur ein vorübergehender Verzicht war,
wurde in England ein dauernder. Die als Vorstufen der Ueberwölbung
bedeutsamen Motive des normannischen Systems verkümmern und
schwinden : so die Gewölbe der Emporen, die durchweg der Sparren-
decke Platz machen ; so der Stützenwechsel, von dem höchstens einige
unklare Nachklänge übrigbleiben von der Anwendung der grossen
Gurtbögen im Mittelschiff findet sich keine Spur; nur die halbrunden
Dienste werden, obgleich sie bei der reinen Flachdecke konstruktiv
bedeutungslos sind, beibehalten; ingleichen die unverhältnismässig
mächtigen Mauerdicken. Erst ganz am Ende der romanischen Epoche
treten vereinzelt gewölbte Mittelschiffe auf.
Das Hauptbeispiel der älteren Periode — da die Kathedrale von
Canterbury zu E. saec. 12. gotisch umgebaut wurde — ist das Quer-
schiff der Kathedrale von Winchester, begonnen 1079, vollendet 1093
(Taf. 81, 88); ein massig strenger Bau, der im System noch mehr an
S. Vigor in Cerisy wie an S. Etienne in Caen erinnert. Nahe verwandt
das System der Kathedrale von Nor wich , begonnen 1096. (Die An-
sicht Ruprich-Roberts, dass hier sechsteilige Kreuzgewölbe beabsichtigt
gewesen seien, können wir nicht teilen.) Wiederum die gleiche Kom-
position, doch etwas schlanker in den Verhältnissen und zierlicher in
der Behandlung, hat die Kathedrale von Ely; begonnen von Bischof
Simeon, einem Bruder des Erbauers der Kathedrale von Winchester,
vollendet erst a. 11 74 (Taf. 88, 89). Endlich in reichster Ausbildung
die Kathedrale von Peterborolgh, der Chor vollendet 1140, das Lang-
haus 1177—93 (das System des letzteren Taf. 88). — Ausser der Linie
') Dagegen kommt der Stutzenwechsel in nachdrücklicher Behandlung zuweilen an
kleineren Kirchen ohne Emporen vor, t.. R. Taf. 85 S. Peter in Northampton und die
Kirche zu Vesterwig auf Jutland , die in den Details englischen Einfluss bekundet.
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Viertes Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Westeuropa.
289
steht mit ihrer ganz schmucklosen Behandlung und ihrer selbst in
England auffallenden Massivität die Kirche von Saint-Albans; schon
vor der Eroberung in Vorbereitung genommen, unter dem Abte Paul,
einem ehemaligen Mönche aus Caen, ausgeführt und a. 1115 geweiht.
(Unser Querschnitt, Taf. 89, nach Buckler stimmt mit dem System
Taf. 87 nach Ruprich-Robert insofern nicht überein, als letzterer eine
selbständig beleuchtete Empore angiebt.)
Neben dem bisher betrachteten unverändert normannischen
Systeme besteht ein zweites, bei welchem die Scheidbögen von dicken
Rundpfeilern getragen werden. Da dasselbe in der Normandie, mit
Ausnahme einiger Denkmäler von untergeordneter Bedeutung nicht
vorkommt, darf man darin vielleicht ein Fortleben sächsischer Ueber-
lieferungen erkennen. Es fehlt der Komposition dieses Systemes die
strenge Konsequenz des normännischen.
St. Bodolph zu Colchester (Ruine) ein in Anbetracht seiner
späten Erbauungszeit, zu Anfang saec. 12., äusserst roher Bau (Taf. 88).
In einfacher Behandlung finden wir das System in der Kathedrale von
Carlisle (Taf. 87), von deren romanischem Schiff noch zwei Arkaden
stehen. Sie hat im Lichtgaden das normännische Motiv des Lauf-
ganges. Die a. 1 138 begonnene und sehr langsam ausgeführte Kathedrale
S. Magnus zu Kirkwall auf den Orkneyinseln hat im Schiff einfache
Rundpfeiler, im romanischen Teile des Chores (Taf. 86) einen Rund-
pfeiler und einen eckigen mit halbrunder Vorlage; auf Flachdecke
angelegt, in später Zeit als Gewölbebau vollendet. In reicherer Aus-
bildung, mit elegant behandelten Emporenbögen finden wir das System
an St. Bartholomew in London, West Smithfield (Taf. 87), sowie
an der Abteikirche von Malmsbury; diese schon mit spitzbogigen
Arkaden. Stevning (Taf. 88) ohne Empore, mit reich geschmückten
Scheidbögen, scheint in seinen oberen Theilen modern zu sein. In
allen diesen Beispielen fehlen die aufsteigenden Dienste des eigent-
lichen normännischen Systems; mit Rundpfeilern verquickt zeigen
sie sich im Chor von Peterborough und in der Prioratskirche von
Binham. Ein glänzendes Beispiel aus spätromanischer Zeit die Abtei-
kirche zu Kelso (Taf. 90). Zuweilen sind die Rundpfeiler bei enger
Stellung verhältnismässig höher, wodurch das Gepräge des Systems,
im allgemeinen nicht zu seinem Vorteil , wesentlich verändert wird.
Hierher gehört das Schiff der Kathedrale zu Glolcester (Taf. 87) ;
ähnlich behandelt ist das der Kathedrale zu Hereford und der Chor
der Abteikirche zu Tewksbury. — Bei dieser Anordnung verliert das
Trifolium an Bedeutung und rückt sehr hoch hinauf. In der Kathe-
drale von Oxford ist das System der höheren Pfeiler in sehr eigen-
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290
Zweites buch: Der romanische Stil.
tumlicher Weise mit dem der niedrigen verquickt, der Scheidbogen
tritt etwas über der halben Höhe des Pfeilers auf Konsolen aus diesem
heraus, der Pfeiler aber ist höher geführt und trägt einen Blendbogen,
unter welchem das Triforium steht. Die Verbindung befriedigt in keiner
Weise. Besser geglückt ist der Versuch im Chor der Abteikirche zu
Jedburoh in Schottland (Taf. 90). Die Formbehandlung ist äusserst
kräftig und der Eindruck ein sehr malerischer. Höheren architekto-
nischen Anforderungen genügt das System freilich nicht.
Ein drittes System ergiebt sich endlich aus der Kombination des
Rundpfeilersystems mit dem normännischen. Als Beispiel die Abtei-
kirche zu Waltham (Taf. 87, 89). Es ist Wechsel ohne festen Rhyth-
mus, da die an der gleichen Stelle des Systems wiederkehrenden Stützen
immer eine andere Dekoration erhalten.
Die Veränderungen, die in England mit dem normännischen
Typus vor sich gehen, bedeuten nichts weniger als eine organische
Fortentwicklung desselben. Worauf sie hinauslaufen, das ist eine
höchst einseitige Steigerung der Raumentfaltung und Wendung der
ursprunglichen herben Einfachheit zu Pracht und Würde. Die Pfeiler
erhalten durch vielfache Einsprünge und Besetzung mit Halbsäulen
eine übermässig zusammengesetzte Gestalt. Die * breiten Leibungs-
flächen der Scheidbögen werden durch mehrfache Untergurtung und
Häufung der Profile in nicht immer klarer Weise belebt (vgl. z. B.
den Fortschritt in der Reihe Winchester-Ely-Peterborough). Während
Kapitelle und Gesimse schmucklos bleiben, werden Bogenfelder und
Zwickel mit Mustern von Rauten, Schuppen, Flechtwerk in kräftigem
Relief überzogen ; Zickzackstäbe werden auf die Bogenprofile gesetzt ,
Spiralfurchen in weiten Abständen umziehen die Rundpfeiler oder
durchschneiden sich in zwei entgegengesetzten Läufen, rautenförmige
Flächen erzeugend; wo nur immer ein schicklicher Platz sich bietet,
ist mit unsäglichem Fleiss Zierat an Zierat gereiht und überall sind
es dieselben harten geometrischen Formen. Dieser strotzende Reich-
tum atmet aber keine Heiterkeit, starr und streng wie eine eiserne
Rüstung umschliesst er den Gliederbau, dessen Schwerfälligkeit und
Derbheit er nicht vergessen macht. Man gewahrt darin eine Ueber-
fülle von Kraft, die aber gleichsam von ihrer eigenen Last gedrückt,
nicht frei sich auszuleben vermag. Und so scheint auch die Raum-
entfaltung einer inneren Hemmung zu unterliegen. Je endloser die
Schiffe sich in die Längenrichtung hindehnen, um so entschiedener
hat man den Eindruck, dass sie eng, niedrig, gepresst seien; die
dichtgestellten massigen Pfeiler verwehren die Durchsicht in die Seiten-
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Viertes Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Westeuropa.
291
schiffe, und folgt der Blick dem trotzigen, starkgliedrigen Stützen«
gerüste nach oben, so findet er nichts als das magere Sparrenwerk
der Empore und die leichte Täfelung der Mitteldecke. Es ist, als
ob der kreissende Berg eine Maus geboren habe.
Beschreibung der Tafeln.
Tafel 7g Grundrisse.
1. Poitiers: S. Jean. Gewöhnlich als Taufkapelle erklärt, nach neuer-
licher Vermutung Eingangshalle in einen Vorhof. — Vorkarolingisch.
Archives mon. hist.
2. S. Glniroux. — saec. 10. Spätzeit, die schraffierten Teile jünger.
— Gailhabaud.
3. Angers: Saint- Martin. — A. saec. 11. — Gailhabaud. (Auf der
Tafel die Unterschriften von 2 u. 3 vertauscht.)
4. *Biziers: S. Aphrodise. — saec 10. — Bezold.
5. Remy V Abbaye. — saec. 1 1 (?) — YVoillez.
6. Montmille. — saec. n(?) — Woillez.
7. Morietwal. — saec. n u. 12. — Rame*e, hist. ge*n. de l'arch.
8. Epoy. — saec. 11 — 12. — Taylor et Nodier.
9. Loupiac. — saec. 12. — Archives mon. hist.
10. Bresles. — saec. n(?) — Woillez.
11. Hermes. — saec. 1 1 (?) — Woillez.
12. Peel Castle (Insel Man). — Gr ose.
l3- tffhy- — saec. 12. — Britton.
14. Colchester: S. Rodolph. — saec. 12. — Britton.
15. Secqueville. — saec. 12. - Ruprich-Robert.
16. S. Peter zu Northampton. — saec. 12. -- Britton.
Tafel 80.
1. Bernay. — Um 1024 im Bau begriffen. — Bull. mon.
2. lioscherville : S. Georges. — Begonnen a. 1050 (?) — Ruprich-
Robert.
3. Cerisy la Foret: S. Vigor. — Begonnen 1030 (?) — Ruprich-
Robert.
4. Canterbury: Kathedrale. — E. saec. n. — Willis.
5. Caen: Saint Etienne (abbaye aux Hommes). — Beg. a. 1063. —
Pugin.
6. Mottt-Saint- Michel. — saec. 11., Chor saec. 13. — Viollet-le-Duc.
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2Q2 Zweites Buch: Der romanische Stil.
Tafel 81.
1. Saint Albans. — Spätzeit saec. n, geweiht 1116, gotisch erweitert*
die untere Hälfte des Chores giebt eine Restauration des ursprüng-
lichen Zustandes. — Buckler.
2. Winchester: Kathedrale. — Beg. a. 1079. Die obere Hälfte restau
riert, der Chor nach der in der Krypta gegebenen Grundlage ; Chor
gotisch. — Britton.
3. Peterborough : Kathedrale. — Gegr. 11 17, Vollendung des Chors
1140, Querschiff 1160, Schiff 1177 — 93. — Britton.
Tafel 8a.
1. Ely: Kathedrale. — Voll. 11 74. — Ruprich-Robert.
2. Norwich. — Gegr. 1096, ursprünglich wohl nicht mit sechsteiligen
Gewölben, sondern flach gedeckt. — Ruprich-Robert.
3. Dur harn: Kathedrale. — Mitte saec. 12. — Billings.
Tafel 83.
1. Tewksbury. — saec. 12. — Monasticon anglicanum (Dugdale).
2. Toumay: Kathedrale. — 1. Hälfte saec. 12. — Renaud.
3. Romsey. — saec. 12. — Britton.
4. Hereford: Kathedrale. — Romanische Teile aus saec. 12. —
Britton.
5. Kirkwall: S. Magnus. — Beg. 1137. — Worsaae.
6. Chichester: Kathedrale. — Beg. 11 70; nach Bränden 11 14 u. 1186
restauriert; gotische An- und Umbauten zwischen 1282 u. 1385. —
Monasticon angl.
_ . , _ Systeme.
Tafel 84.
1, 2. Poitiers: S. Jean. — Archives mon. hist.
2, 3. St. Giniroux. — c. a. 1000. — Gailhabaud, Arnauld.
5, 6. Loupiac. — saec. 12. — Archives mon. hist.
7. N. Dame sur feau. — saec. 11 — 12. — Ruprich-Robert.
8. Angers: S. Martin. — 1. H. saec. 11. — Gailhabaud.
9. Brixworth. — saec. 10 (?) — Britton.
Tafel 85.
1. Beauvais: Basse-oeuvre. — saec. 10. — Woillez.
2. Montmille. — saec. 11. — Woillez.
3. Tracy-le-val. — saec. 12. — De Baudot.
4. *Beaugency: N. Dame. — 2. H. saec. 11. — Dehio.
5. Pant-Audemer. — saec. 12. — Ruprich-Robert.
6. Northamptan: S. Peter. — saec. 12. — Britton.
7. Graville. — saec. 12. — Ruprich-Robert.
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Viertes Kapitel: Die flachgedeckle Basilika in Westeuropa.
293
8. Etretat. — saec. 11 — 12. — Ruprich-Robert.
9. Vestervig. — 1 197 vollendet. — Nord. Univ. Tijdskrift, 1856.
10. Than. — saec. 12. — Ruprich-Robert.
Tafel 86.
1. Moni ier-en- Der. — 1. H. saec. 11. — Archives mon. hist.
2. Reims: S. Remy (Querschiflf). — i.H. saec. 11. — Leblan, Dehio.
3. Bernay. — c. a. 1024. — Ruprich-Robert.
4. Le Mans: N.-D. du Pri. — c. a. 1100. — Viollet-le-Duc.
5. Vignory. — M. saec. 11. — Archives mon hist.
6. Reims: S. Remy (Langhaus). — Gailhabaud, l'architecture etc.
7. *Soignies (Zinik): S. Vincent. Links der jetzige Zustand, rechts
Restauration. — saec. 10— 11. — Aufnahme der Schüler des Col-
lege de S. Vincent und Skizzen von Bezold.
8. Tournay: Kathedrale. — saec. 12. — Renard.
9. Jumieges. — saec. 11. — Ruprich-Robert.
Tafel 87.
1. Saint Albans. — saec. 11 — 12. — Ruprich-Robert.
2. Caen: Saint Etienne. — Nach 1063. — Restauriert nach Bouet,
unter Zugrundelegung der Aufnahme von Ruprich-Robert.
3. Boscherville : S. Georges. — saec. ir. — Ruprich-Robert.
4. Cerisy: S. Vigor. — 2. H. saec. 11. — Ruprich-Robert.
6. Moni- Saint- Michel. — saec. 11. — Ruprich-Robert.
7. Gloucester: Kathedrale. — saec. 12. — Britton.
8. Carlisle: Kathedrale. — saec. 12. — Billings.
9. London: S. Bartholomen^. — saec. 12. — Carter.
10. Waltham. — 2. H. saec. 12. — Ruprich-Robert.
Tafel 88.
1. Petcrborough (Schiff). — saec. 12. Spätzeit. — Ruprich-Robert.
2. Romsey (Chor). — saec. 12. — Ruprich-Robert.
3. Winchester (QuerschirT). — E. saec. n. — Ruprich-Robert.
4. Ely (Schiff). — Vollendet 1174. — Ruprich-Robert.
5. Oxford. — Geweiht 1180. — Britton.
6. Steyning. — saec. 12. — Britton, Arch. aut.
7. Colchester: S. Bodolph. — saec. 12. — Britton, Arch. aut.
8. Bayeiix: Kathedrale. — Nach 11 59. — Pugin.
Querschnitte.
Tafel 89.
1. Caen: Saint Etienne; links restauriert, rechts jetziger Zustand. —
Ruprich-Robert.
2. Orisy. Saint Vigor. — Ruprich-Robert.
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294
Zweites Buch: Der romanische Stil.
3. Saint Albans. — Buckler.
4. Ely: Kathedrale. — Ruprich-Robert.
5. Bernay. — Ruprich-Robert.
6. Le Afans: N.-D. du Pri. — V iolIct-lc-Dur.
7. Waltham. — Ruprich-Robert.
8. Graville. — Ruprich-Robert.
9. Jumiiges. — Ruprich-Robert, Gall. christ.
10. Tournay. — Renard.
_ _ , Perspektiven.
Tafel 90.
1. Peterborough. — Nach geometrischen Aufnahmen.
2. Cirisy. — Nach geometrischen Aufnahmen.
3. Jedburgh. — Billings.
4. Kelso. — Billings.
Fünftes Kapitel.
Der Gewölbebau in seinen Grundformen.
Litteratur. — A. Essetru<tht : Die Entwicklung des Pfeiler- und Gewölbe-
systemes in der kirchlichen Baukunst bis zum Schluss des XIII. Jahrhunderts. Jahrb. der
Centr.-Comm., 1858. — //. Leibnitz : Die Organisation der Gewölbe im christlichen
Kirchenbau, 1855. — Violtei'U-Duc : D. R. Unter den verschiedenen auf den Gegen-
stand bezüglichen Artikeln sind die wichtigsten : construction , coupole und voute. —
De* selbe: In der Revue generale de l'architecture , Bd. 11. — Willis : In den Trans-
actions der brit. Arch., Ubersetzt von C. Daly im 4. Bd. der Revue glnlrale de l'archi-
tecture, 1843. -- Redtenbaehtr : Leitfaden zum Studium der mittelalterlichen Baukunst,
1881. — Karl Schäfer, im Zentralblatt der Bauverwaltung, Bd. V, 1885, S. 300: Der
Spitzbogen und seine Rolle im mittelalterlichen Gewölbebau. — Mollinger: Die deutsch-
romanische Architektur, Lief, l, 1886. — Hu^o Graf: Opus Francigenum, 1878, I, Zur
Geschichte des Strebebogens.
Es ist im innersten Wesen der Baukunst begründet, dass in ihr
das Streben nach Schönheit mit dem Streben nach Dauerhaftigkeit
unlöslich sich verbindet. Deshalb sind zu allen Zeiten die höchsten
baukünstlerischen Ideen im Gewände der reinen Steinkonstruktion auf-
getreten. Hatte die beherrschende Rolle, welche der frühchristliche
Kirchenbau der flachen Holzdecke zuteilte, einen relativen Rückschritt
bedeutet, so haben alle in aufsteigender Linie sich bewegenden Be-
strebungen des Mittelalters die Gewinnung der Steindecke zum Ziel.
Dass diese die ästhetisch höhere Potenz sei, wurde schon von der
karolingischen Epoche anerkannt und ist seither nicht mehr aus dem
Bewusstsein der für die Architekturentwicklung massgebenden Völker
des Abendlandes geschwunden. Noch stärker und gemeinverständlicher
sprechen für die Steindecke ihre materiellen Vorzüge. Sie verhiess
Sicherheit vor den beiden grossen Feinden, welche die holzgedeckte
Basilika unausgesetzt bedrohten : der langsamen aber unwiderstehlichen
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296
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Wirkung der Feuchtigkeit und der Luft, wie der plötzlichen Wut des
Feuers. Nicht nur jener, sondern auch dieser waren die Kirchen der
nordischen Länder in ungleich höherem Masse ausgesetzt, als die der
südlichen. Ungerechnet die Kriegs- und Blitzesgefahr führte die leichte,
auf vorwiegender Benutzung des Holzmaterials beruhende Bauweise
der nordischen Städte in rascher Folge Feuersbrünste herbei, von denen
nur zu leicht die Kirchen mitergriffen wurden; dazu im Innern der
letzteren die wie es scheint sehr reichliche Verwendung von Kerzen-
und Lampenlicht. Es ergiebt eine förmlich erschreckende Rechnung,
wenn man aus den Chroniken die gewiss recht unvollständigen Mel-
dungen von Brandschäden zusammenzählen will.
Weshalb nun ist die thatsächliche Aneignung der Steindecke so
langsam und zögernd erfolgt? ja, weshalb hat eigentlich erst die Gotik
die allgemeine Zustimmung findende Lösung gebracht? Die Gründe
sind zusammengesetzt. Keineswegs allein oder auch nur vorwiegend
liegen sie, wie man es oft zu erklären beliebt hat, im technischen
Unvermögen der früheren Zeit. Eine Reihe bedeutender Gewölbe-
bauten — man bemerke: durchweg Zentralbauten, wie die Palast-
kirche zu Aachen, die Hauptteile von S. Marien im Kapitel zu Köln,
die Rotunde von S. Benigne in Dijon, das Baptisterium von Florenz
u. a. m. — bezeugt, dass die Kunst des Wölbens niemals ganz er-
loschen war. Freilich nicht allerorten hat sich dies technische Können
in gleicher Weise lebendig erhalten, wie in Oberitalien, wo die magistri
tomacini die Ueberlieferungen der römischen Bautechnik, wenn auch
getrübt, in das Mittelalter hinüberführten, oder wie in Südfrankreich,
wo die herrlichsten antiken Vorbilder vor aller Augen standen; aber
kleineren Aufgaben, wie der Einwölbung von Grabkapellen, Krypten,
Apsiden, auch wohl der Seitenschiffe der Kirchen, war man überall
gewachsen.
Die entscheidende Schwierigkeit, über die man lange Zeit nicht
hinaus zu kommen vermochte, liegt nicht in der Herstellung der Ge-
wölbe als solcher, sondern in deren Anwendung auf die Konformation
der Basilika, speziell auf das Mittelschiff derselben. Denn es gehörte
nicht viel Erfahrung dazu, um zu wissen, dass der von einem Gewölbe
ausgehende Druck mit der Höhe der Stütze zunimmt; wovon die
Ursache die ist, dass dieser Druck nicht einer senkrechten Linie, sondern
einer über die senkrechte in seitlicher Richtung mehr oder minder
weit hinausgreifenden Kurve folgt, mithin die stützende Mauer als
Hebelarm in Wirkung tritt. Die Mittelschiffsmauer war aber ohnedies
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Fünftes Kapitel : Der Gewölbebau in seinen Grundfonnen.
297
schon durch die Arkadendurchbrechungen geschwächt und die an-
liegenden Seitenschiffe beschränkten die Möglichkeit der Anbringung
von Verstärkungen auf ein ganz unzureichendes Mass.
Der Konflikt zwischen den konstruktiven Forderungen des Ge-
wölbebaus und den formalen Grundbestimmungen der Basilika war
schon einmal in der Geschichte des christlichen Kirchenbaus brennend
gewesen: in der oströmischen Kunst des 6. Jahrhunderts. Auch hier
hatte die Basilika bis zu diesem Zeitpunkt die Vorherrschaft gehabt:
sie wurde nicht sowohl umgestaltet als vielmehr vollständig beseitigt
und an ihre Stelle traten Typen , die aus der eigensten Natur des
Gewölbebaues abgeleitet auf wesentlich andersartige Grundformen hin-
führten.
Vor dieselbe Alternative sah sich das Abendland beim Eintritt
in die romanische Epoche gestellt. Es entschied sich in ihr in um-
gekehrtem Sinne, wie die orientalische Christenheit. Für die jetzt
massgebenden germanischen und germano-romanischen Stämme hatte
die Basilika die Bedeutung einer heiligen und unantastbaren Ueber-
lieferung gewonnen, war sie die Kirchenbauform schlechthin. Die
vielversprechenden Vorbereitungen zur gewölbgemassen Weiterbildung
der Basilika, die wir in der fränkischen Architektur des 9. Jahrhunderts
wahrzunehmen glauben, erlahmten, da seit der Spätzeit dieses Jahr-
hunderts mit dem Hinschwinden so vieler antiker Kulturerinnerungen
ein tiefer Niedergang auch des Bauwesens namentlich nach der tech-
nischen Seite eintrat, dem erst im Laufe des 1 1 . Jahrhunderts ein neuer
Aufschwung folgte. So gewann in Deutschland wie in Nordfrankreich
und England die Flachdeckbasilika aufs neue Zeit sich zu befestigen,
gleichwie in Italien das an den Ostküsten eindringende byzantinische
System ihr nur wenig Boden abzugewinnen vermochte. Nur die
gallo romanischen Stämme im Westen und Süden Frankreichs sprangen
von der durch die Tradition der Jahrhunderte vorgezeichneten Linie
ab: ihnen wogen die praktischen Vorteile der Gewölbekonstruktion
schwerer: sie gaben zu gunsten dieser die Formgedanken der Basilika
vollständig preis. Sehr verschiedenartige Systeme werden nun neben-
und nacheinander versucht; mit der Zeit schliessen sich andere,
geographisch in der Mitte liegende Landschaften Frankreichs an und
lenken den Gewölbebau auf die Bahn der Basilika zurück; die Lom-
bardei, die Rheinlande, die Normandie treten mit verwandten Be-
strebungen hervor. Dabei zeigte sich, dass die Wartezeit nicht
fruchtlos verstrichen war: die Modifikationen der romanischen Basilika
20
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Zweites Buch . Der romanische Stil.
gegenüber der altchristlichen, als: der gebundene Grundriss in Deutsch-
land und Oberitalien, die zweigeschossige Anlage der Abseiten in
Nordfrankreich, vor allem die Substituierung der Säule durch den
Pfeiler — sind ebensoviel Annäherungen an die Forderungen des Ge-
wölbebaues. Wohl haben diese verschiedenen Schulen eine gewisse
wechselseitige Kenntnis voneinander; im ganzen aber gehen sie
selbständig vor, erstreben auf sehr verschiedenartigen Wegen das
gemeinsame Ziel; ein erstaunlicher Reichtum der Formen und Systeme
wird hervorgebracht.
Nicht alle Schulen waren zu reifen Ergebnissen gelangt, als das
jüngste dieser Systeme, das wir das gotische zu nennen gewöhnt sind,
von dem Zentrum der damals modernsten internationalen Bildung,
von Paris aus, seinen Siegeslauf durch Europa antrat und dem ganzen
Abendlande wenigstens scheinbar ein einiges, ein vollendetes System
des Kirchenbaues brachte. Aber diese Einheit war teuer erkauft.
Achtlos musste die Gotik in ihrer grossartigen Einseitigkeit an allen
ihr heterogenen Bestrebungen vorüber gehen ; sie hat dieselben erstickt,
ohne dafür vollen Ersatz zu bringen; denn wahre Gotik ist sie, von
einzelnen glänzenden Ausnahmen abgesehen, doch nur in ihrem Heimat-
lande geblieben. Die romanische Baukunst aber hat sich in Formen
versucht, welche an rein architektonisch-raumkünstlerischer Bedeutung
über alles hinausgehen, was die Gotik jemals gewollt und gekannt
hat. Dass sie in ihren Bestrebungen selten zum letzten Ende ge-
langt ist, ist in äusseren Verhältnissen, nicht im Wesen der einen
oder anderen Bauweise begründet. Es ist vielleicht ein müssiges
Unterfangen, mit Möglichkeiten zu rechnen, welche nicht eingetreten
sind, zuweilen aber drängen sich solche Fragen auf, und wenn die
Bilanz gezogen werden sollte, ob der Baukunst durch den raschen
Sieg der Gotik über die national verschiedenen romanischen Bau-
weisen Gewinn oder Verlust erwachsen sei, so ist es — man darf
das aussprechen, ohne gegen die hohe, ja einzige Schönheit vollendeter
gotischer Bauten blind zu sein — mehr als fraglich, ob sie zu gunsten
der thatsächlich eingetretenen Entwicklung ausfallen würde.
Wir schicken der geschichtlichen Darstellung die nötigsten
technisch-konstruktiven Erörterungen voraus.
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Fünftes Kapitel : Der Gewölbebau in seinen Grundformen.
299
1. Bogenform.
Die Vorherrschaft des Gewölbebaues in der späteren römischen
Architektur hatte zuwege gebracht, dass, im Gegensatz zum grie-
chischen Kanon, der Bogen die normale Form der Verbindung zweier
Freistützen oder der Ueberspannung einer Maueröfthung wurde. In
welchem Umfang die christlich-antike und die romanische Architektur
auch in ihren vom Gewölbebau unabhängigen Gattungen dieser An-
schauung gehorchten, braucht hier nicht wiederholt zu werden.
Die normale Bogenforni des romanischen Stils ist der Halbkreis.
Er erfährt unter Umständen Modifikationen: entweder Ver-
kürzung oder Ueberhöhung. Die erstere (Segmentbogen) findet
wenigstens im Kirchenbau keine Verwendung, ausser als gelegentliches
und wenig in die Augen fallendes Expediens mancher Gewölbe-
konstruktionen. Ueberhöhung entsteht durch Einschiebung eines senk-
rechten Stückes zwischen den virtuellen Kämpferpunkt und den tiefer-
gelegten architektonisch charakterisierten Kämpfer. Eine mässige
Ueberhöhung ist z. B. an den Hauptarkaden des Schiffs sehr gewöhn-
lich und bezweckt die für den tiefstehenden Beschauer entstehende
optische Verkürzung auszugleichen. Ein höherer Grad wird als Stel-
zung bezeichnet. Die romanische Baukunst macht davon viel seltener
Gebrauch als die byzantinische; hauptsächlich nur an sehr hoch liegen-
den Bauteilen, wie Zwerggalerien, Turmfenstern u. s. w., oder an den
inneren Bögen der Chorumgänge, zur Ausgleichung des Höhenunter-
schiedes gegenüber den äusseren.
Der Hufeisenbogen ist arabischen Ursprungs und findet sich
in ausgeprägterer Gestalt nur in spanischen Kirchen (Taf. 75); seit
ca. 1 100 auch in Frankreich und Italien, speziell an Portalen; in
Deutschland erst im Uebergangsstil.
Andere Formen, wie der Dreieckbogen (franz. arc en mitre)
und der Kl eeblattbogen kommen nur an konstruktiv indifferenten
Teilen, namentlich Blendarkaturen, auch wohl Fenstern und Türmen
vor, die letztere Form gleichfalls aus dem Orient importiert.
Endlich der Spitzbogen.
Die Irrtümer, wenigstens die gröberen, mit denen in betreff seiner
die Kunstgeschichte bis vor kurzem belastet war, dürfen jetzt als
abgethan gelten. Die Entdeckungen der letzten Jahrzehnte in der
Baugeschichte des alten Orients haben gelehrt, dass der Spitzbogen so
alt ist, wie die Kenntnis des Wölbens überhaupt. Er bietet sich so
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
sehr von selbst dar, dass man weit eher zu fragen berechtigt ist:
warum hat man hier seiner sich enthalten? als: warum hat man ihn
dort gebraucht? Die Frage nach der Erfindung des Spitzbogens hat
somit nur Sinn, wenn sie sich auf eine bestimmte Funktion unter
bestimmten Verhältnissen richtet, und so genommen kann man sagen,
dass sie sich im Laufe der Geschichte zum öftern wiederholt hat.
Spitzbogige Gewölbe aus radianten Steinen, zum Teil schon in sorg-
fältigster Keilformung hergestellt, haben so die Aegypter wie die Assyrer
für gewisse Aufgaben im Gebrauch gehabt, vgl. Perrot et Chipiez,
Histoire de l'art dans l'antiquitd I Fig. 302, II Fig. 72. Reichlichere
Verwendung findet der Spitzbogen bei den Persern seit der Zeit der
Arsaciden und ohne Zweifel haben ihn die Griechen und Römer ganz
gut gekannt, nur dass sie ihn nicht gebrauchen wollten. Als abgeleitete
Form lebt er in der arabischen Baukunst fort; er ist dort nur um
seiner linearen Erscheinung willen, nur fürs Auge da, nicht Glied
eines konstruktiven Systems. Lediglich in diesem Sinne geht er auf
die christliche Architektur Siciliens über: er herrscht an Fenstern und
Arkaden, an letzteren mit starker Stelzung (Taf. 73, 76); an den Ge-
wölben ohne tiefere Konsequenz. Vereinzelt dringt er auch nach
Unteritalien, ja selbst bis nach Toskana (Dome zu Pisa und Ancona)
vor. Dass die gebrochenen Gurtbogen in S. Scolastica zu Subiaco dem
J. 981 angehören, wäre, wenn beweisbar, geschichtlich gleichgültig.
Unter den Kernlanden der abendländischen Baukunst ist es zuerst
und lange Zeit allein Südfrankreich, das dem Spitzbogen in seinem
Formenschatz eine Stelle giebt. Die herrschende Meinung sieht auch
hier Entlehnung von den Arabern. Wir können jedoch derselben,
wenn überhaupt eine, so nur ganz untergeordnete Bedeutung zuschreiben.
Der Spitzbogen tritt hier von Anfang an in einer Art auf, für die die
Araber kein Vorbild geben: an anderen Bauteilen, in anderer Form,
in anderer Funktion. Der südfranzösische Spitzbogen gehört lange
Zeit allein dem Gewölbe an. Von den konstruktiven Vortheilen, die
er bot, wird weiter unten die Rede sein. Aesthetisches Wohlgefallen
an seiner Form war ursprünglich so wenig im Spiel, dass man unter
dem zugespitzten Gewölbe mndbogige Gurte anordnete, was nur be-
deuten kann, dass man jene Form möglichst wenig bemerklich werden
lassen wollte. Ziemlich bald gewöhnte man sich dann allerdings so
weit an sie, dass man auch die Gurte gebrochen bildete, während alle
übrigen am Gebäude vorkommenden Bögen die Halbkreisform noch
lange Zeit bewahrten. Der die Mehrzahl der südfranzösischen Denk-
mäler treffende Mangel einer sicheren Chronologie gestattet auf die
Frage nach dem Zeitpunkte des ersten Auftretens nur eine ungefähre
Antwort. Da wir ihn am frühesten und allgemeinsten an den ein-
schiffigen Kirchen mit Tonnengewölben beobachten, wird er bei Ein-
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Fünftes Kapitel: Der Gewölbebau in seinen Grundformen.
30I
bürgerung dieser Gattung ziemlich bald sich eingestellt haben, also
eher etwas jenseits wie diesseits des J. 1000 Erheblich jünger ist
die Uebertragung der Form auf die Arkaden. Uns sind dafür früher als
aus den letzten Decennien des n. Jahrhunderts keine Beispiele bekannt,
diese erstrecken sich aber allerdings schon über einen weiten Umkreis
bis nach Burgund und an die Loire (die flachgedeckte Kirche Notre-
Dame zu Beaugency.)
2. Gewölbetechnik.
Der romanische Gewölbebau entwickelt sich, ausgehend von der
erlöschenden Tradition des römischen Altertums, selbständig weiter.
Er schliesst sich ihr unmittelbar an, wo so herrliches Material, so
treffliche antike Vorbilder zur Hand waren wie im südlichen Frank-
reich. Dort finden wir schon im 11. Jahrhundert Keilsteingewölbe in
mehr oder minder regelmässigem Fugenschnitt. Gussgewölbe kommen
in frühromanischcr Zeit in Deutschland zuweilen vor (S. 135) und werden
sich auch in Italien und Frankreich finden. Die Ausführung geschah
nicht in der Weise, dass einfach ein Grobmörtel (Beton) auf die
Schalung gebracht wurde, sondern es wurden die Steine mit der Hand
in die aufgebrachte Mörtelmasse eingedrückt, und damit schichten-
weise zum Gewölbeschluss vorgegangen, oder die Steine auf die
Schalung geschichtet und mit flüssiger Mörtelmasse übergössen, welche
in die Fugen eindrang und erhärtend dem Gewölbe die nötige Festig-
keit gab. Ihrer überwiegenden Menge nach sind die romanischen
Gewölbe aus Bruchstein, oder wenig regelmässigen Hausteinen in
reichlicher Mörtelbettung hergestellt.
Byzantinische Einflüsse machen sich im östlichen Italien und in
Aquitanien fühlbar, beziehen sich indes mehr auf die Form als auf
die Ausführung der Gewölbe.
Der von mancher Seite behauptete Einfluss der Quaderbauten
Zentralsyriens lässt sich nicht erweisen, ist auch an sich ganz unwahr-
scheinlich. Die syrischen Bauten sind in römischer Quadertechnik
ausgeführt und was an ihnen zu lernen war, konnte ebensogut an den
südfranzösischen Römerbauten studiert werden. Die Gewölbesysteme,
für welche ihr Einfluss in Anspruch genommen wird, in erster Linie
das auvergnatische, waren zur Zeit des ersten Kreuzzuges schon voll-
kommen ausgebildet, und die Kirchenbauten, an welchen ein derartiger
Einfluss am nächstliegendsten wäre, die Bauten der Kreuzfahrer i*
:) Ein spitzes Klostergewölbe von a. 1016 in der Kreuzkapelle zu Montmajour.
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Zweites Buch Der romanische Stil.
Jerusalem lassen ihn nicht erkennen. Die Hypothese ist zuerst von
de Vogüe", Syrie centrale, aufgestellt worden. Viollet-le-Duc hat sie
sich mit wahrer Begeisterung angeeignet und in den späteren Bänden
des D. R. vorgetragen, wodurch er mit dem in früheren Bänden
Gesagten zuweilen in Widerspruch gerät. Zur Kritik der Hypothese
vgl.: A. Saint Paul: Viollet-le-Duc p. 184 fr., Dehio: Romanische Re-
naissance im Jahrb. d. k. pr. Kunstsammlungen 1S86, p. 135 ff.
3. Gewölbeformen.
TONNENGEWÖLBE. Das einfache halbkreisförmige Tonnengewölbe
ist an frühromanischen Bauten nicht selten , gewöhnlich ist es jedoch
in gewissen Abständen durch Gurtbögen verstärkt (Taf. 91 Fig. 1),
welche dem Gewölbe gewissermassen als ständige Lehrbögen dienen.
Im Keilschnitt gearbeitet geben sie kleinen Verschiebungen nach und
sichern selbst in diesem Falle noch das Gewölbe vor dem Einsturz.
Sehr frühzeitig (vgl. oben) kommt eine massige Zuspitzung der Bogen-
linie zur Anwendung. Ein solches Gewölbe übt bei gleicher Spann-
weite einen geringeren Seitenschub, als ein aus dem Halbkreisbogen
konstruiertes, da der der Horizontale am nächsten kommende Scheitel-
abschnitt des letzteren wegfällt. Ausser diesem Hauptvorteil scheint
noch ein zweiter in Rücksicht gezogen zu sein. Die spitzbogigen
Gewölbe kommen früher und allgemeiner bei einschiffigen als bei mehr-
schiffigen Anlagen vor und es war dabei Sitte, sie ohne Dachgerüst
zu lassen, vielmehr den Gewölberücken so weit mit Bruchsteinen auf-
zufüllen, dass er zwei geneigte Ebenen bildete, welche die Dachziegel
unmittelbar aufnahmen. Die beistehende Figur zeigt nun, dass bei
dieser Formation ein rundbogiges Gewölbe zugleich stärkere Belastung
des Scheitels und schwächeres Widerlager ergäbe, während ein spitz-
bogiges nach beiden Richtungen zu günstigeren Verhältnissen führt.
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Fünftes Kapitel: Der Gewölbebau in seinen Grundformen.
303
Klostekgewülbe und Kuppel. Aus der Durchdringung zweier
Tonnengewölbe entsteht einerseits das vierseitige Klostergewölbe,
anderseits das Kreuzgewölbe, je nachdem die innerhalb der Schnitt-
linien liegenden Teile der Gewölbeflächen, oder die ausserhalb der-
selben liegenden die Gewölbeform bestimmen. Ersteres findet auf
den vier Umfassungsmauern des zu überwölbenden Raumes oder auf
vier Gurtbögen seine kontinuierlichen Widerlager, letzteres ruht auf
den vier Eckpunkten der Grundfigur.
Das vierseitige Klostergewölbe ist selten, dagegen findet das
achtseitige (Taf. 91 Fig. 2) ausser bei Zentralbauten noch vielfach
Anwendung zur Ueberwölbung der Vierung von Gebäuden, welche
im übrigen mit Tonnen oder Kreuzgewölben versehen sind. Um in
solchen Fällen die Widerlagsflächen zu gewinnen, sind Hilfskonstruk-
tionen erforderlich, welche entweder aus übereinander vorspringenden
Bögen bestehen, wie in San Ambrogio in Mailand, oder als sogenannte
Trompen gebildet sind. Die Form der letzteren ist verschieden,
meistens sind es Kegelsegmente oder Nischen. Oft sind sie in ziem-
lich unregelmässiger Weise, offenbar in Bruchstein und Mörtel, aus-
geführt und verputzt. Im Steinschnitt erfordern sie wegen der stark
konvergierenden Fugen eine sehr exakte Bearbeitung, bieten indes
keine nennenswerten Schwierigkeiten.
Wir schliessen hier die sphärische Kuppel als spezielle Form
des Klostergewölbes an. Sie hat in Anwendung auf die Ueber-
wölbung der Basilika, wie einschiffiger Kirchen eine allgemeine Ver-
breitung nicht gefunden, ist jedoch in Unteritalien und namentlich im
westlichen Frankreich häufig und wird dort nicht allein über der
Vierung, sondern in reihenweiser Anordnung zur Ueberwölbung ganzer
Kirchen angewandt. Da hier quadratische Felder zu überwölben
waren, musste sie auf Hängezwickeln (Pendentifs) aufsetzen (Taf. 91
Fig. 3). Die Fläche der Hängezwickel ist bei rundbogigen Gurt- und
Schildbogen rein sphärisch und zwar sind die Zwickel Ausschnitte
einer Kugelfläche, deren Radius gleich der halben Diagonale des
Grundquadrates ist. Bei spitzbogigen Gurten ist dies nicht der Fall,
denn die Bogenlinien liegen ausserhalb der über dem Grundquadrat
beschriebenen Kugelfläche. Hätte man die Zwickel in gleicher Weise
wie bei rundbogigen Gurtungen gestaltet, so würde sich für den Kranz
kein Kreis, sondern ein Viereck mit kreisbogigen Seiten ergeben haben,
da alsdann die Zwickel nicht einer, sondern vier sich durchschneiden-
den Kugelflächen angehört hätten. Bei korrekter Ausführung ist die
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304
Zweites Buch : Der romanische Stil.
Fläche, aus welcher die Pendentifs ausgeschnitten sind, eine dem Elli-
psoid ähnliche Figur, d. h. die Bogenlinien der Gurtungen sind Leit-
linien, um welche eine Folge von Kreisen gelegt wird. Ein Rotations-
ellipsoid, wie wohl behauptet wird, ist die Fläche gleichwohl nicht,
denn sonst müssten die Gurtungen Ellipsen sein. Es ist klar, dass
die romanischen Baumeister bei Bildung der Hängezwickel nicht von
der Figur des Ellipsoides oder Paraboloides ausgingen und die Gurt-
bögen in dieses einschneiden Hessen, so dass deren Gestalt durch die
der Oberfläche zweiter Ordnung, von deren geometrischen Eigen-
schaften sie keinen Begriff haben konnten, bestimmt wurde, sondern
dass sie ihre Gurtbögen ausführten und danach die Gestalt der Hänge-
zwickel in der Weise ermittelten, dass ein kreisförmiger Kranz ge-
wonnen wurde *). Auf die Anwendung des Spitzbogens aber wurde
man vermutlich dadurch geführt, dass bei dieser Form der Gurtungen
die oberen Teile der Hängezwickel eine geringere Neigung erhielten
als bei rundbogigen Gurten. Nicht selten sind die Hängezwickel sehr
unregelmässig gestaltet und treten nicht weit genug vor, um eine
kreisförmige Widerlagslinie zu ergeben, so dass die Kuppeln fast die
Form von vierseitigen Klostergewölben mit abgerundeten Ecken haben.
Es rührt dies daher, dass die Hängezwickel der älteren Kuppeln nicht
in einem ihrer Form entsprechenden Steinschnitt mit konischen, sondern
mit horizontalen Lagerfugen ausgeführt (ausgekragt) sind. Man mochte
Bedenken tragen, die Auskragung bis zum kreisförmigen Kranze heraus-
zuführen und begnügte sich mit einer Abrundung der Ecken. Spätere
Beispiele haben den für Kugelgewölbe normalen Steinschnitt. Zu-
weilen werden die Hängezwickel nicht als Kugelgewölbe, sondern als
Kreuzgewölbe gestaltet, welche aus der Durchdringung zweier Kegel
gebildet sind. Wir werden bei Besprechung der Kreuzgewölbe auf
diese Form zurückkommen. Desgleichen auf die kuppeiförmigen
Rippenge wölbe, welche eine Mittelstellung zwischen Kuppel und Kreuz-
gewölbe einnehmen. Die Ausführung der Kuppel in regelmässig be-
arbeiteten Hausteinen geschieht aus freier Hand, da jede Schichte,
wenn sie geschlossen ist, sich selbst trägt. Die romanischen Kuppeln
sind indes ihrer Mehrzahl nach nicht aus Hausteinen hergestellt, sondern
') Das erstere Verfahren wurde bei der Restauration (Neubau) von S. Front zu
Perigueux befolgt und führte dazu , dass die ursprünglich spitzbogigen Gurtbögen be-
seitigt und durch eine annähernd parabolische Kurve ersetzt wurden. Der Spitzbogen von
S. Front war nach Verneilh, Aren, byz. en France, ein sehr stumpfer und näherte sich
allerdings der Parabel, war aber, darin stimmen alle älteren Beobachter Uberein, ein
wirklicher Spitzbogen.
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Fünftes Kapitel: Der Gewölbebau in seinen Grundformen.
30S
ihre Ausführung geschah in Bruchstein auf Schalung, ein Verfahren,
welches oft sehr unregelmässige Formen ergab.
Kreuzgewölbe. Die zweite Gewölbeform, welche aus der Durch-
dringung zweier Ilalbcylinder entsteht, ist das Kreuzgewölbe. Seine
Scheitellinien laufen horizontal, seine Grate bilden Ellipsen, deren kleiner
Durchmesser gleich der Seite, deren grosser gleich der Diagonale
des Grundquadrates ist. Die untenstehende Figur A zeigt ein solches
Gewölbe in Grund und Aufriss, Taf. 91 Fig. 4 in isometrischer Pro-
jektion. Es ist die Form des römischen Kreuzgewölbes, gewisser-
massen ein fortlaufendes Tonnengewölbe mit Stichkappen. Es kommt
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in früher Zeit an Krypten häufig vor. Auch im Hochbau der Kirchen
hat es Anwendung gefunden und ist in Niedersachsen (Dom von
Braunschweig u. A.) nicht selten.
Verbreiteter ist jedoch eine andere Form, welche jedes Gewölbe-
feld durch einen Gurtbogen vom folgenden trennt (Taf. 91 Fig. 5).
Bei diesen Gewölben wird die horizontale Richtung der Scheitel-
linien sehr bald verlassen, weniger wegen der schwierigen Ermittlung
der elliptischen Gratlinien — diese ist gar nicht direkt nötig, weil
eine Tonne eingeschalt und die andere daran angeschiftet werden
kann — , sondern weil die oberen Teile des Gewölbes infolge des
grossen Krümmungsradius fast horizontal werden und nur mässigen
Widerstand gegen Durchbiegen bieten. Um dem abzuhelfen, giebt es
verschiedene Wege. Entweder lässt man die cylindrischen Kappen
gegen die Mitte ansteigen (gerader Stich), Fig. B, wobei die Gratlinien
elliptische im Scheitel gebrochene Kurven werden, oder man bildet
den oberen Teil des Gewölbes als Teil eines Kugelgewölbes (Fig. C).
Die Form entsteht, wenn die Kappen nicht cylindrisch sondern konisch
gestaltet sind, nach der Mitte ansteigen und in der Kreislinie E E' E"
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306
Zweites Buch : Der romanische Stil.
die Kugelfläche tangieren. Die Gratlinien verschwinden bei D' und
D" in der Kugelfläche. Würden die Mantellinien des Kegels über
die Linie E E' E" hinaus fortgesetzt, so würden von E an vertiefte
Grate entstehen. Es ist dies die Form, unter welcher das Kreuz-
gewölbe auch als Hängezwickel anwendbar ist. Ein dritter Weg ist
der, dass man die Gratlinien halbkreisförmig bildet (Fig. D). In diesem
Falle wird deren Radius gleich der halben Diagonale der Grundfigur
und der Scheitel des Gewölbes steigt damit gleichfalls nach der Mitte.
Aber es ist nicht mehr möglich, die Scheitellinien der Kappen gerade
zu führen, denn sie würden (siehe die punktierte Linie) in der Nähe
des Scheitels tiefer zu liegen kommen als die Gratbögen, es müssen
vielmehr die Kappen als sphärische Flächen gebildet werden (Bogen-
stich, Busung). Einige weitere weniger wichtige Formen bei Möl-
linger a. a. O. S. 15.
Die romanischen Kreuzgewölbe wurden zwar gewöhnlich über
vollkommen oder doch nahezu quadratischem Grundriss ausgeführt,
es sind indes Gewölbe über rechteckigem Grundriss keineswegs selten.
Etwas kompliziertere Formen ergeben sich bei den Chorumgängen.
Diese sind entweder mit einem fortlaufenden ringförmigen Tonnen-
gewölbe, in welches von den Scheidbögen aus kegelförmige, nach
aussen sich erweiternde Gewölbe einschneiden, oder mit einzelnen trapez-
förmigen, durch Gurtbögen getrennten Kreuzgewölben überdeckt. Die
Grundform bringt es mit sich, dass der äussere Schildbogen, sofern
beide als Halbkreise gebildet sind, weit höher wird, als der innere,
dass somit der Scheitel nach aussen steigt. Um diesen Uebelstand
zu vermeiden, wurde der äussere Bogen gedrückt, der innere über-
höht. Näheres bei Viollet-le-Duc, D. R. IX, 490 ff.
Die frühromanischen Kreuzgewölbe schliessen sich seitlich un-
mittelbar an die Schildmauer an, später werden, den Gurtbögen ent-
sprechend, besondere Schildbögen angebracht und so die Träger der
Wölbung ganz von dem Füllmauerwerk getrennt. Endlich werden auch
unter den Graten vortretende Bögen angebracht (Rippen, Gratgurte)
(Taf. 91 Fig. 6). Die Veranlassung zur Anbringung der Rippen mochte
der Umstand geben, dass der Verband der Gratbögen, in welchen je zwei
Kappen zusammentreffen, nicht ganz einfach herzustellen ist und dass sie
bei nicht sehr genauer Ausführung geringen Halt bieten. Die Rippen
stehen anfangs mit dem Gewölbe nicht in Verband, bald aber greifen
sie in das Innere der Gewölbe ein, trennen und tragen die einzelnen
Kappen und führen zu einer vollständigen Umwälzung im Gewölbebau.
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Fünftes Kapitel : Der Gewölbebau in seinen Grundformen.
307
Die einfachen Kreuzgewölbe mit horizontalem Scheitel wurden
stets auf Schalung ausgeführt, wobei die Richtung der Fugen den
Axen der Kappen parallel angenommen wurde, wie bei den Tonnen-
gewölben. Hierbei wurde es mit dem Verbände der Gratbögen keines-
wegs immer genau genommen, ja zuweilen stossen die Kappen in den
Gratlinien einfach in einer Fuge zusammen. Die ersten Schichten
wurden in horizontaler Lagerung und Ueberkragung ausgeführt und
erst nach einigen Schichten die Wölbung begonnen. Auch bei den
durch Gurten getrennten Kreuzgewölben, sowohl ohne als mit Busung,
hielt man in Frankreich an der den Axen parallelen Fugenrichtung
fest, während man in Deutschland und England die Schichten senk-
recht zur Gratlinie anordnete, auf den Schwalbenschwanz wölbte, wo-
bei die Ausführung über den Wand- und Gratlehrbögen ohne Schalung
aus freier Hand möglich ist. Solange aber der Bruchstein das Material
war, in welchem die Gewölbe ausgeführt wurden, musste immer auf
Schalung gewölbt werden.
Das Rll'PENGEWöLBE. Diese Gewölbeform tritt ziemlich gleich-
zeitig in verschiedenen Gegenden auf. In den Mittelschiffen ober-
italienischer Kirchen seit dem Ausgange des saec. XI. In Frankreich
sind die ältesten bekannten Beispiele: der Mittelraum in der Zentral-
kirche S. Croix zu Quimperley, die Vorhalle der Abteikirche zu Moissac,
die Vorhalle von S. Victor in Marseille; sichere Daten für sie fehlen,
nach allgemeinen Kennzeichen ist die Zeit etwas vor oder nach 1100
anzunehmen (vgl. Quicherat 1. c. 501 f.); dann die inschriftlich a. 1 1 16
begonnene Krypta der Abteikirche Saint-Gilles, schon viel sicherer
in der Ausführung wie jene. Ausser diesen sporadischen und kon-
sequenzlosen Beispielen und ausser Zusammenhang mit ihnen findet
sich eine geschlossene Gruppe in der Ile-de- France. Die betreffenden
Kirchen sind etwa 1 120 — 1 140 entstanden; die an ihnen zu gewahrende
Einheit der Methode und Geschicklichkeit der Ausführung setzt indes
Vorstufen voraus, die über 1120 noch etwas zurückgehen mögen.
Erst in dieser Schule wurden die wesentlichen Vorteile des Rippen-
gewölbes erkannt und bis in ihre letzten Konsequenzen verfolgt. Taf. 91
Fig. 6 zeigt ein derartiges Gewölbe. Mehr noch als beim reinen Kreuz-
gewölbe ist hier die Halbkreisform der Gratbögen erwünscht, um die
Keilsteine derselben alle nach einem Mittelpunkt bearbeiten zu können und
um einfach zu konstruierende Lehrbögen zu erhalten. Damit ist natür-
lich wieder eine Erhöhung nach der Mitte des Gewölbes verbunden und
die Kappen können nicht als Cylinder- oder Kegelausschnitte konstruiert
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Zweites Much: Der romanische Stil.
werden, sondern erhalten, wie bei den einfachen Kreuzgewölben, eine
sphärische Krümmung (Busen). Zuweilen begann man die Kappen
cylindrisch, liess jedoch die Mantellinie nicht nach dem Schlussstein
laufen sondern steiler ansteigen und bog sie dann ab. Die Form ist
namentlich am Niederrhein und in Niedersachsen verbreitet.
Auch das Rippengewölbe wurde anfangs über quadratischem
Grundriss ausgeführt und es wurde diese Form in Italien und Deutsch-
land lange beibehalten. In Frankreich ist das sechsteilige Kreuz-
gewölbe verbreiteter. Es tritt zuerst in der Normandie auf und wir
finden hier zuweilen eine eigentümliche Zwischenform zwischen dem
vierteiligen und dem sechsteiligen Gewölbe. Das Gewölbe umfasst
zwei Wandfelder und es geht von dem mittleren Pfeiler eine Rippe
nach dem Gewölbescheitel, sie trägt indes keine Kappen, sondern ist
senkrecht übermauert und es wird dadurch die seitliche Kappe in
zwei Teile geteilt (Taf. 151 Fig. 3). Diese Form kommt fast aus-
schliesslich bei Gewölben mit horizontalen Scheitellinien und elliptischen
Rippen vor und dürfte den Zweck gehabt haben, die elliptischen
Gratbögen im Scheitel zu stützen; sie konnte weder in konstruktiver,
noch in ästhetischer Hinsicht befriedigen. Man machte deshalb statt
einer seitlichen Kappe deren zwei, welche nach dem Scheitel des
Gewölbes konvergieren (Taf 91 Fig. 7). Da das ganze Gewölbe einen
annähernd quadratischen Grundriss hat, so werden die Schildbögen
nur etwa halb so weit als die Gurtbögen und, soferne sie im Rund-
bogen ausgeführt werden, viel niedriger als diese und die Gratbögen;
die Kappen steigen nach dem Scheitel sehr steil an und üben einen
nicht unerheblichen Druck auf die Settenmauer aus. Der gleiche Uebel-
stand ergiebt sich, wenn vierteilige Kreuzgewölbe mit rundbogigen
Schildbögen über oblongen Rechtecken ausgeführt werden. Diesem
Uebelstande kann zwar durch parabolische Schildbögen, oder dadurch,
dass man dieselben stelzt, d. h. senkrecht beginnen lässt und erst in
einer gewissen Höhe in die Rundung überführt, vermieden werden,
allein beide Formen haben ihre ästhetischen Nachteile und sind nicht
überall anzuwenden. Vollständige Abhilfe bietet erst die Einführung
des Spitzbogens, welcher gestattet, verschieden weite Oeffnungen mit
gleich hohen Bögen zu überspannen.
Ein wesentliches Element des Rippengewölbes ist der Schluss-
stein. Die Rippen der römischen Gussgewölbe (Taf. 39 Fig. 2) sind
in der Weise konstruiert, dass die eine als vollständiger Bogen durch-
geführt ist, an welchen die andere stumpf angestossen wird. Ganz
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Fünftes Kapitel: Der (iewölbebau in seinen Grundformen.
ähnlich verfuhr man in der romanischen Epoche bei Einführung der
tragenden Diagonalrippen. Beispiele bieten die Vorhalle von Moissac
und einige spanische Kirchen. Dieses Verfahren ging an bei quadra-
tischen oder bei wenig von der quadratischen Grundform abweichen-
den Gewölben ; bei rechteckigem Grundriss wurde es um so bedenk-
licher, je gestreckter die Grundform war, denn es war ein Gleiten der
Bogenstücke an dem vollen Bogen nicht ausgeschlossen. Um dem
zu begegnen, wurde ein beiden Diagonalbögen angehöriger Stein in
ihre Durchdringung eingefügt, der Schlussstein. Der Schlussstein
gestattet nicht allein, die Diagonalen von Rechtecken beliebiger Grund-
form zusammenzuführen, sondern er ermöglicht auch die Zusammen-
führung einer grösseren Anzahl von Rippen in einem beliebigen Punkte
des Gewölbes. " Es konnten also Räume von beliebiger Grundform
mittels des Rippengewölbes überwölbt werden, was namentlich für die
Wölbung der Chorschlüsse, der Chorumgänge und Kapellen von Wert
war, und es war damit eine Freiheit gewonnen, wie sie keine andere
Wölbungsart gestattet. Diese Freiheit der Gewölbebildung eröffnet
um die Mitte des 12. Jahrhunderts der Baukunst neue und folgenreiche
Bahnen; sie wird die Grundlage einer neuen Stilrichtung, der gotischen.
Noch ist eine Form des Rippengewölbes zu erwähnen, welche
im westlichen Frankreich und in ähnlicher Weise in Westfalen vor-
kommt, das kuppeiförmige Rippengewölbe (voüte domicale). Sie
unterscheidet sich in dem Gerüste ihrer Gurte und Rippen nicht von
der in Figur D. S. 305 dargestellten Form des Kreuzgewölbes, bei
welcher die Diagonalbögen Halbkreise sind, die Kappen aber bilden
nicht gesonderte Flächen, sondern gehören alle einer Kugelfläche
an. Das Gewölbe ist also einerseits ein durch Rippen gegliedertes
Kugelgewölbe, anderseits ein Kreuz«Rippengewölbe, dessen Kappen
die Form eines Kugelgewölbes haben. Dies die geometrische Grund-
form, oft aber werden die Diagonalbögen als Ellipsen oder Spitz-
bögen noch höher geführt, so dass das Gewölbe eine ellipsoidische
Form enthält. Nicht selten werden auch im Scheitel der Kappen
Rippen angebracht, der Schlussstein mit einem Ring umgeben u. dgl.
Den Grundzug des Rippengewölbes, d. i. Verstärkung der Grat-
bögen, hatten schon die Römer gekannt und bei ihren Gussgewölben
angewandt, wenn auch die Verstärkung hier mehr während der Aus-
führung als für das fertige Gewölbe von Belang war. In der roma-
nischen Kunst bleibt die Rippe lange Zeit eine äusserliche Stütze,
welche auf die Struktur der Gewölbe keinen Einfluss hat. Erst im
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Zweites Buch. Der romanische Stil.
Ausgang der Epoche wurden die Rippen und Gurten das selbständige
tragende Gerüste, welches für sich bestehend die Kappen aufnahm.
Letztere konnten nunmehr in geringerer Stärke ausgeführt werden,
als dies bei den Gewölben ohne Rippen der Fall war. Allein der
Uebergang vollzog sich sehr allmählich. Solange die Kappen in Bruch-
steinmauerwerk ausgeführt wurden, was in einigen Gegenden bis ins
saec. XIII geschah, konnte eine ausgiebige Erleichterung nicht statt-
finden. Erst die Einführung genau bearbeiteter Steine und damit
eines regelmässigen Verbandes, bei welchem nicht mehr die Kohäsion
des Mörtels sondern die Form der Steine das wesentliche Moment
für die Stabilität des Gewölbes ist, ermöglichte die volle Ausnützung
aller Vorteile des Rippensystems. Die beiden Arten der Ausführung
mit einer der Axe der Kappen parallelen oder mit einer auf die Rippen
senkrechten Richtung der Fugen kommen hier gleichwie beim Kreuz-
gewölbe ohne Rippen zur Anwendung. In Frankreich ist erstere
herrschend nicht nur für die Kreuzrippengewölbe sondern auch für
kuppelartige Gewölbe (Schiff von Angers, Kathedrale von Poitiers),
während in Deutschland und England die Wölbung auf den Schwalben-
schwanz die übliche ist. Viollet-le-Duc schreibt der ersteren Wölbungs-
art wesentliche Vorzüge zu. Wir sind hinsichtlich des konstruktiven
Wertes derselben nicht dieser Ansicht, glauben vielmehr, dass die
Wölbung auf den Schwalbenschwanz nicht nur einfacher (ohne
Schalung) auszuführen, sondern auch leichter den verschiedensten
Formen der Kappen anzupassen ist. Aber gerade diese Leichtigkeit,
sich allen Formen anzupassen, führt bald auf Abwege und während
sich die gotischen Konstrukteure in England und Deutschland frühe
in den Spielereien der Stern-, Netz- und Fächergewölbe gefielen, hielt
man in Frankreich bis zum Ausgang der strengeren Gotik an der
monumentalen Form des vierteiligen Gewölbes fest.
4. G e w 0 1 b c s y s t e m e.
Die nachfolgende Klassifikation gründet sich auf die Wechsel-
wirkung der zwei ausschlaggebenden Momente: der allgemeinen Raum-
disposition in Grundriss und Aufbau, und der speziellen Form der
Gewölbdecke. (Wo bei den angezogenen Figuren nicht anders ver-
merkt, ist immer Taf. 92 gemeint.)
EINSCHIFFIG!: KlKCHF.N. Die einfachste Form der Ueberwöl-
bung eines länglich rechteckigen Raumes ist das Tonnengewölbe. Es
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Fünftes Kapitel: Der Gewölbebau in seinen Grundformen.
311
ist hinsichtlich der Gliederung der Widerlagsmauern indifferent,
wenigstens insofern, als es durch seine Form eine solche nicht be-
stimmt. Wohl aber lässt sich eine Gliederung der Langmauern aus
statischen Bedingungen ableiten. Ks ist nämlich nicht nötig, dass die
Widerlagsmauern ihrer ganzen Länge nach die für die Stabilität der
Gewölbe nötige Stärke besitzen, sondern es kann auch eine schwächere
Mauer ein ausreichend sicheres Widerlager bieten, wenn sie nur in
gewissen Abständen Verstärkungen hat, welche ausreichenden Vor-
sprung haben, um nicht nur dem Seitenschube der unmittelbar hinter
ihnen liegenden Gewölbeteile zu begegnen, sondern auch die zwischen-
liegenden Mauerstücke vor dem Ausweichen zu schützen. Die Strebe-
pfeiler treten gewöhnlich nicht nur nach aussen, sondern auch nach
innen vor und sind auf dieser Seite mit einer Halbsäulenvorlage ver-
sehen, welche Verstärkung sich, wie oben erwähnt, als Gurtbogen in
das Gewölbe fortsetzt (Taf. 91 Fig. 1). Auch die zwischenliegenden
Mauerteile können noch durch Blendarkaden erleichtert werden. Ist
der Raum mit einer Folge von Kuppeln und Kreuzgewölbe bedeckt,
so bringen diese schon durch ihre Grundform die Elemente der
Wand- und Raumgliederung mit sich. Dieselbe wird dadurch eine
mehr gebundene — es entstehen quadratische oder rechteckige Felder — ,
ohne sich in ihrer formalen Behandlung wesentlich von der bei Tonnen-
gewölben üblichen zu unterscheiden. Ein wesentlicher Unterschied
liegt aber darin, dass der Kämpfer nicht eine fortlaufende wagrechte
Linie bildet, sondern dass die Widerlager durch einzelne Pfeiler ge-
bildet werden. Beide Gewölbeformen werden von vier Bögen, zwei
Gurt- und zwei Schildbögen umrahmt, erstere quer über das Schiff,
letztere in der Längenrichtung von Pfeiler zu Pfeiler gespannt. Die
Pfeiler treten zunächst nach innen vor zur Aufnahme der Gurt- und
Schildbögen. Ist der innere durch formale Rücksichten bedingte Vor-
sprung nicht ausreichend zur Aufhebung des Seitenschubes, so springen
die Pfeiler auch nach aussen als Strebepfeiler vor. Dieses Pfeiler-
und Bogensystem bildet die statische Grundlage der Gewölbe. Als
Abschluss gegen aussen, und ohne konstruktive Funktion sind die
Zwischenräume der Pfeiler und die Schildbögen mit Mauern ge-
schlossen. Die Fenster können in der Schildmauer weit über die
Gewölbekämpfer hinaufgeführt werden, womit wesentliche Vorteile
für die Lichtführung ermöglicht sind. Voll und ganz können dieselben
aber nur beim Kreuzgewölbe erreicht werden, die Kuppel, welche sich
über einer zweiten horizontalen Kämpferlinie, dem durch die Hänge-
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312
Zweites Huch: Der romanische Stil.
zwickel vermittelten Kranze, erhebt, kann von den Schildmauern aus
nur unzureichend erhellt werden. — Es versteht sich, dass bei diesen
Systemen die Raumgliederung eine weit entschiedenere ist, als beim
Tonnengewölbe. Insonderheit gilt dies von der Kuppel, worauf unten
zurückzukommen ist.
Bei Anlagen mit Tonnengewölben über kreuzförmigem Grundriss
tritt an der Vierung eine Aenderung des Systemes ein ; entweder wird
sie durch ein Kreuzgewölbe bedeckt (Taf. 96 Fig. 1), oder durch ein
Klostergewölbe (Kuppel). Kuppel- und Kreuzgewölbe erfordern über
der Vierung keinen Wechsel des Systems, doch ist auch bei letzteren,
namentlich in solchen Fällen, in welchen die Vierung zum Zwecke
selbständiger Beleuchtung höher geführt ist, das Klostergewölbe —
gewöhnlich als Vierungskuppel bezeichnet — sehr verbreitet.
Die Figuren 1—3 der Taf. 92 veranschaulichen an den Beispielen
der Kirche von Montmajour, der Kathedrale von Angouleme und der
von Angers die Querschnittsverhältnisse einschiffiger Kirchen. Hierbei
ist, wie auch bei den folgenden Beispielen, der Schnitt links durch die
Strebepfeiler, rechts durch die Bogenscheitel genommen. Bei allen
drei Beispielen ist die Tiefe der Strebepfeiler ungefähr gleich der
halben Spannweite.
Im Anschluss an die einschiffigen Systeme ist eine Gewölbe-
kombination zu erwähnen, welche gewissermassen eine Mittelform
zwischen einschiffigen und mehrschiffigen Anlagen bildet; tonnen-
gewölbte Kirchen, welche dadurch eine Erweiterung erfahren, dass
die Umfassungsmauer an das äussere Ende der sehr tiefen Strebe-
pfeiler geruckt wird (Fig. 4). Es entstehen auf diese Weise seitliche
Kapellen , welche mit quer gelegten Tonnen überwölbt dem Mittel-
schiflfgewölbe ein sehr sicheres Widerlager bieten. Zuweilen werden
die Strebewände durchbrochen, wodurch sich dieser Typus den drei-
schiffigen Anlagen noch mehr nähert. Die Form ist im südlichen
Frankreich heimisch und geht auf römische Tradition zurück (vgl.
Taf. 39, Fig. 10). Durch die Cisterzienser kommt sie nach Deutsch-
land und der Schweiz, ohne in diesen Ländern Verbreitung zu finden.
In Westfalen kommt das System in Verbindung mit dem Kreuzgewölbe
oder der Kuppel im Mittelschiffe vor (Fig. 21).
Mehrschiffige Kirchen. Während bei einschiffigen Anlagen
das Gleichgewicht durch ruhende Massen (Mauern oder Strebepfeiler)
hergestellt wird, welche dem Seitenschub der Gewölbe entgegenwirken,
handelt es sich bei mehrschiffigen Räumen darum, Gewölbe von
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Fünftes Kapitel: Der Gewölbebau in seinen Grundformen.
verschiedener Form und Spannweite durch ihren gegenseitigen Druck
zu einem stabilen Ganzen zu vereinigen. Die einfachste und sicherste
Lösung ist die, dass man den drei resp. fünf parallelen Schiffen gleiche
oder doch annähernd gleiche Kämpferhöhe giebt. Bei ungleicher
Kämpferhöhe (Basilika) tragen die Seitenschiffsgewölbe wohl dazu bei,
die Hochschiffsmauern gegen das Umfallen zu schützen, denn der
Seitenschub der Gewölbe wirkt um so kräftiger, je länger der Hebel-
arm ist, unter welchem er auf eine Mauer wirkt, d. h. je höher diese
freisteht, aber sie sind für sich allein keine ausreichende Sicherung,
es müssen vielmehr die HochschifTsmauern und mit ihnen die Pfeiler,
auf welchen sie ruhen, entsprechend verstärkt werden, oder es sind
irgend welche Verstrebungen der Obermauern anzubringen.
Die erstere Gattung bezeichnen wir mit dem Namen Hallen-
kirche. Das wesentliche Moment ist die direkte Widerlagerung des
Mittelschiffsgewölbes durch die Seitenschiffsgewölbe. Die Kämpfer
brauchen dabei nicht notwendig in gleicher Höhe zu liegen; aber ihre
Differenz darf, wenn der obengenannte Zweck nicht verfehlt werden
soll, niemals so gross werden, dass zur Anbringung selbständiger
Lichter für das Mittelschiff Raum gefunden werden könnte. Die das
Princip am reinsten zu erkennen gebende, auch geschichtlich genommen
die Urform, ist die Anlage mit drei parallelen Tonnengewölben. In
dieser Fassung haben schon die Römer das System mehrfach verwendet
(Beispiel: das unter dem Namen bains de Diane bekannte Nymphäum
zu Nimes, Taf. 91, Fig. 8), und so ging es auf den romanischen
Kirchenbau im Süden und Westen von Frankreich über (Fig. 5). Da-
neben erfahrt es verschiedentliche Abänderungen. Wichtiger als die
Differenzierungen des Mittelschiffsgewölbes — ob rund- oder spitz-
bogig, ob ohne oder mit Gurten — sind diejenigen der Seitenschiff-
gewölbe. Es kommen bei letzteren folgende Fälle vor: 1) Quergestellte
Tonnen. 2) Longitudinale Tonnen, die bis zur Kämpferlinie der Scheid-
bogen herabrücken und gegen diese mit Stichkappen sich öffnen.
3) Vollständige Querdurchdringung, d. h. Umwandlung in eine Folge
von Kreuzgewölben; dies der bei weitem häufigste Fall, der zur Folge
hat, dass die Kämpferlinie des Mittelschiffs über die Scheitellinie der
Seitenschiffe hinaufrückt (Fig. 6, 7). 4) Im Gegensatze zu allen diesen
Formen, welche dem Seitenschube des Mittelschiffgewölbes durch
ruhende Massen begegnen, oder bei welchen dech nur ein Teil
der im Gewölbe auftretenden Kräfte zur Aufhebung, beziehungsweise
zur Ueberleitung derselben in die Richtung der Pfeiler des Mittel-
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314 Zweites Buch: Der romanische Stil.
schiffes verwendet wird, haben wir es hier mit einer Konstruktion zu
thun, welche, nur durch das Anlehnen an das Mittelschiff im Gleich-
gewicht erhalten, den Seitenschub des Mittelschiffgewölbes auf seitlich
gelegene Stützen, die Umfassungsmauern der Seitenschiffe überträgt.
Eine Unterbrechung erleidet das System der Kräfteverteilung an den
Gurtbogen, welche gewöhnlich nicht dem Profile der Halbtonnen
folgen, sondern in vollem Halbkreise ausgeführt sind. Es hat diese Ge-
wölbekombination äusserlich eine gewisse Aehnlichkeit mit den Nischen,
welche bei antiken und altchristlichen Centraibauten (Minerva medica,
S. Vitale) an den Hauptbau angelehnt sind. Diese Aehnlichkeit ist
jedoch nur eine scheinbare, denn jene Halbkuppeln stehen für sich
im Gleichgewicht, was bei den Halbtonnen nicht der Fall ist. Aus
diesem Grunde ist auch die mit Bestimmtheit überhaupt nicht zu
lösende Frage, ober der Konstruktionsgedanke der Halbtonnen von
jenen Centraibauten inspiriert sei, eher in verneinendem Sinne zu be-
antworten. 5) Kreuzgewölbe in allen Schiffen, auch dem Mittel-
schiff (Fig. 9).
In betreff der Verbreitung der Hallenkirche im romanischen Stil
gibt sich die deutsche Kunstwissenschaft noch ganz unzulänglichen
oder geradezu falschen Anschauungen hin. So heisst es — und wird
damit die herrschende Ansicht richtig wiedergegeben — in Ottes Hand-
buch der kirchlichen Kunstarchäologie noch in der letzten Auflage
(1883), I, 68: »Die Hallenkirchen gehören Deutschland fast ausschliess-
lich an und in Westfalen scheinen (doch kaum vor dem 13. Jahrhundert)
die ersten noch romanischen Versuche damit gemacht worden zu sein .
Hier ist zunächst übersehen, dass romanische Hallenkirchen, unabhängig
von den westfälischen, auch in Bayern vorkommen. Unvergleichlich
bedeutender aber als in den immer nur vereinzelten deutsch-romanischen
Repräsentanten zeigt sich die Hallenform in Frankreich, wo sie schon
vor dem Jahre 1000 auftritt und wo sie das verbreitetste aller Gewolbe-
systeme wurde, so dass noch heute ein paar hundert Kirchen dieser
Art existieren mögen. Mit Rücksicht auf sie haben wir die übliche
Definition der Hallenkirche in der Weise wie oben erweitert (vgl.
S. 87). Die Mehrzahl der französischen Hallenkirchen gehört dem
Systeme mit tonnengewölbtem Mittelschiff an, erst zum Schluss stellen
sich die kreuzgewölbten ein (Fig. 9). In Deutschland dagegen bilden
die Kreuzgewölbe die Regel (Fig. 10, 11).
Das Hallensystem gestattet keine selbständige Beleuchtung des
Mittelschiffes. Zwar wäre in vielen Fällen eine solche dadurch zu
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Fünftes Kapitel: Der Gewölbebau in seinen Grundformen.
315
erreichen gewesen, dass man das Tonnengewölbe des Mittelschiffes
mit Stichkappen versehen und in den Schildmauern Fenster angebracht
hätte. Zu dieser nachmals der Renaissancearchitektur so geläufigen
Auskunft verstand man sich aber nur ungern und selten. Die Regel
ist, dass die selbständige Mittelschiffsbeleuchtung in der Anpassung
an den unverkürzten Querschnitt der Basilika gesucht wird. Wollte
man hiebei sicher konstruieren, so ergaben sich unverhältnismässig
starke Pfeiler bei sehr engen Schiffen. Das System kommt in dieser
Weise nur in wenigen Beispielen in der Provence vor. Die jüngere,
burgundische Bauschule befolgt es zwar ebenfalls, doch nicht ohne
eingreifende Modifikationen (Fig. 13). Die Pfeiler sind verhältnis-
mässig schwächer, die Seitenschiffe statt mit Halbtonnen mit Kreuz-
gewölben überdeckt. Da ausserdem die Seitenschiffe statt der flachen
Steindächer Dächer mit hölzernem Dachstuhl, also mit steilerer Nei-
gung erhielten, ergab sich ein grösserer Zwischenraum zwischen den
Schildbögen und dem Lichtgaden. Infolgedessen standen die Mittel-
schiffsmauern auf eine beträchtliche Höhe ganz frei und waren auf ihre
ganze Länge dem Seitenschube des weitgespannten Gewölbes ausgesetzt.
Um letzterem zu begegnen, wurden zwar über den Arkadenpfeilern
Strebepfeiler angebracht, allein diese fanden nur teilweise auf dem
Pfeiler eine Unterstützung, ruhten mehr auf dem Gurtbogen der Seiten-
schiffe und verfehlten ihren Zweck, da sie jeder Form Veränderung der
auf diese Weise sehr ungleich belasteten Gurtbogen nachgaben. Die
meisten dieser Gewölbe mussten denn auch nachträglich durch Strebe-
bögen gesichert werden.
Konstruktiv vollkommener ist das nach seinem Heimatgebiet so
genannte auvergnatische Gewölbesystem (Fig. 12). Es darf je-
doch, richtig verstanden, mit dem burgundischen in keine Parallele
gestellt werden. Es ist nicht, wie die Ansicht des Mittelschiffs aller-
dings den Schein erweckt, ein basilikales, sondern lediglich eine
Hallenkirche mit zweigeschossigen Abseiten. Weder ist die Hoch-
mauer des Mittelschiffs freistehend, noch dessen Beleuchtung selb-
ständig. Um dem Seitenschube des Mittelschiffgewölbes zu begegnen,
sind über den mit Kreuzgewölben überdeckten Seitenschiffen Emporen
angebracht, deren halbe Tonnengewölbe, wie bei den analog kon-
struierten Hallenkirchen, denselben auf die Umfassungsmauern über-
leiten. Auch die hinter den Pfeilern stehenden, von rundbogigen
Oeffnungen durchbrochenen Strebemauern finden sich in gleicher Weise
bei den Hallenkirchen. Zuweilen folgt indes die Durchbrechung der
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316 Zweites Buch: Der romanische Stil.
Strebemauer dem Profil der Halbtonne. Halbtonnen sind auch zur
Verstrebung der sehr hoch liegenden Vierungskuppel nach Seite der
Kreuzarme angeordnet; die Vermutung, dass das ganze System von
hier seinen Ausgang genommen habe, entbehrt aber jeder Begründung.
Das Kreuzgewölbe und das Rippengewölbe kommt, auf die
Basilika angewandt, in zwei verschiedenen Systemen vor. Das erste
und verbreitetste ist das sogenannte gebundene System (Taf. 91,
Fig. 9), bei welchem sowohl die Gewölbe des Mittelschiffes, wie die
der Seitenschiffe über annähernd cuadratischem Grundriss errichtet
*
sind. Hieraus ergeben sich bestimmte Längen- und Breitenverhältnisse
der Joche. Es wird nämlich das Mittelschiff doppelt so breit gemacht
als die Seitenschiffe und jedem Gewölbejoch in ersterem entsprechen
je zwei in jedem Seitenschiffe. Beim zweiten System ist die Zahl der
Joche im Mittelschiffe die gleiche wie in den Seitenschiffen, was bei
der grösseren Breite des Mittelschiffes eine querrechteckige Grund-
form seiner Gewölbejoche, oder eine nach der Längenrichtung der
Kirche gestreckte der Seitenschiffsgewölbe bedingt. (Beispiele: einer-
seits die Abteikirchen zu Laach, Vezelay, Altenstadt, andererseits
der Dom zu Münster, die Kirche zu Maderno am Gardasee u. a.)
Eine sehr grosse Verbreitung hat dieses System indes nicht gefunden,
vielmehr ist das gebundene überall, wo Kreuzgewölbe zur Anwendung
kamen, das normale. Seine ästhetischen Konsequenzen sind S. 198
dargelegt. Es bedingt, wenn auch nicht unumgänglich, einen Wechsel
von stärkeren und schwächeren Pfeilern, erstere als Stützen der Haupt-
schiffsgewölbe zu diesen aufsteigend, letztere für die zwischen jene
fallenden Gurte der Seitenschiffsgewölbe.
Das gebundene System herrscht in Oberitalien, in der Schweiz, im
Elsass, am Rhein, in Niedersachsen und (soweit die wenigen vorhan-
denen Reste einen Schluss gestatten) in den vorgotischen Gewölbe-
bauten der französischen Domaine royale.
Verwandt dem gebundenen und von ihm ausgehend ist das
System der sechsteiligen Gewölbe. Es unterscheidet sich nur da-
durch von ersterem, dass auch der Zwischenpfeiler zum Hauptschiff-
gewölbe aufsteigt, um die Zwischenrippe aufzunehmen. Als die Heimat
dieses Systemes ist die Normandie zu betrachten, es ist das normale
Gewölbesystem der Frühgotik, vereinzelt scheint es in Italien beab-
sichtigt gewesen zu sein, ohne zur Ausfuhrung zu gelangen, am Rhein
kommt es erst im saec. XIII unter dem Einflüsse französisch-gotischer
Ideen vor.
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Fünftes Kapitel: Der Gewölbebau in seinen Grundformen.
317
Bei den Kreuzgewölbesystemen ist die Last der Gewölbe auf
einzelne Punkte konzentriert, es genügt also, wenn diese als Stützen
ausreichend stark, dass die Widerlager unverschieblich gemacht werden.
Für die Hochschiffsgewölbe ist der Strebebogen die Konstruktions-
form, welche diesen Zweck mit dem geringsten Aufwände von materiellen
Mitteln erreicht. Dieses einfachste und wirksamste Hilfsmittel wurde
in seinem vollen Werte von der romanischen Baukunst nicht erkannt,
und wenn es erkannt worden wäre, muss dahingestellt bleiben, ob sie
von ihm einen ausgedehnten Gel rauch gemacht hätte. Der äusserlich
zu Tage tretende Strebebogen steht mit dem ganzen Wesen des roma-
nischen Aussenbaues, welches in klarer Scheidung und ruhig har-
monischer Gruppierung der Teile besteht, in unlösbarem Widerspruch.
Sie hätte mit einem Hilfsmittel, das in seltsamster Weise das streng
Rationelle zur Hervorbringung eines phantastisch dekorativen Ein-
druckes benützt, nichts beginnen können. Man half sich im allgemeinen
mit anderen Mitteln. Das erste und früheste sind die Emporen.
Wenn solche auch schon bei der flachgedeckten Basilika zuweilen
vorkommen (Unteritalien, Normandie), so haben sie doch eine all-
gemeinere Aufnahme in die Komposition der abendländischen Basilika
erst mit der Einführung der Wölbung gefunden. So in Oberitalien,
in der Normandie, in der Schule von Saint-Denis, am Niederrhein.
Sehr befangen, einen Verzicht auf die selbständige Beleuchtung des
Mittelschiffs nach sich ziehend, finden wir sie in S. Ambrogio in Mai-
land (Fig. 14), die Kämpfer des Hochschiffsgewölbes stehen hier sogar
tiefer als die der Emporengewölbe und gewaltige Uebermauerungen
der Gurtbögen bilden die Umrahmung der einzelnen Gewölbefelder.
Ein weiteres Beispiel, gleichfalls ohne selbständige Beleuchtung des
Mittelschiffes, bietet die Vorhalle von Vezelay (Fig. 15). Auf dies
hochinteressante Gebäude, dessen historische Bedeutung indes nach
dem Vorgange Viollet-le-Ducs überschätzt wird, werden wir unten
zurückkommen (Kap. X). Das System der ansteigenden Kreuzgewölbe
der Emporen, welche in ihrem Ansätze an die Mittelschiffsmauer dem
Umrisse des Gewölbes im Mittelschiffe folgen, ist geistreich gedacht,
desgleichen die Bogenkonstruktion zur Aufnahme der Dächer. Letz-
tere hat jedoch mit der Sicherung der Gewölbe nichts zu thun. — In
den meisten Fällen reichen die Emporengewölbe nur bis zum Fuss
derjenigen des Mittelschiffes, ja nicht einmal so hoch (Fig. 16); ihre
Funktion ist nicht ein unmittelbares Aufnehmen des Seitenschubes der
letzteren, sondern eine Verkürzung des Hebelarmes, unter welchem
dieser auf die Obermauer wirkt. Der Fuss der Gewölbe konnte durch
eine schräge Uebermauemng der Gurtbögen noch mehr gefestigt werden.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
In Saint-Etienne in Caen sind die Emporen mit halben Tonnengewölben
überdeckt, welche in gleicher Höhe mit dem Fuss der HochschifTs-
gewölbe an die sehr starke Obermauer anschliessen. Ein liturgischer
Zweck, welcher die Emporen zu einem wesentlichen Bestandteile der
Kirchen gemacht hätte, ist uns nicht bekannt; sie haben auch nicht
in allen Bauschulen, welche das Kreuzgewölbe anwandten, Aufnahme
gefunden. So fehlen sie vor allem an unseren grossen rheinischen
Domen. Hier ist die Sicherung der Gewölbe einzig durch die grosse
Stärke der Mauern gewonnen (Fig. 25). Die Mehrzahl der kleineren
deutsch-romanischen Gewölbebasiliken ist nach diesem Systeme gebaut
(Fig. 20, 22, 24, 26). Vereinzelt die halben Kreuzgewölbe in den Seiten-
schiffen der Cistcrcienserkirche Bronnbach (Fig. 23). In Italien ist
das einfache Hilfsmittel eiserner Zugstangen, welche je zwei gegenüber-
liegende Pfeiler verbinden, zu allen Zeiten in Anwendung.
Auch der Strebebogen war keineswegs mehr ganz unbekannt,
allein er trat nicht über die Dächer der Seitenschiffe vor.
Vereinzelte Beispiele finden sich an verschiedenen weit voneinander
entfernten Bauten. In Frankreich in Beaulieu (Correze) Taf. 124, in
Sainte-Trinite" zu Caen (Taf. 148), in Saint-Germer (Fig. 18 u. Taf. 148),
in England in der Kathedrale von Durham (Taf. 91, Fig. 10 und
Taf. 149), in Deutschland in Limburg a. L. Endlich ist auch ein
romanischer Bau mit hochliegenden Strebebögen vorhanden, die Kirche
von Saint-Aignan (Fig. 19); sie soll nach den Archives de la comm.
des Mon. hist. a. 1080 begonnen sein und gehört in ihrem Aufbau
sicher keiner spätem Zeit an als der Mitte saec. 12. Und selbst die
Frühgotik betrachtet den Strebebogen noch nicht als ein wesentliches
Element ihrer Konstruktion. Solange sie die Emporen mit dem darüber
befindlichen Triforiura beibehielt, solange die Oberfenster nicht über
die Gewölbekämpfer herabreichten, hatte er nicht die Bedeutung wie
im entwickelten gotischen Stil und konnte unter Umständen ganz ver-
mieden werden. Das nähere hierüber gehört in die Betrachtung der
Gotik. — Viollet-le-Duc D. R. I. S. 20 ff. leitet den Strebebogen von den
Halbtonnen der auvergnatischen Kirchen ab, Hugo Graf, a. a. O. S. 24,
schliesst sich dieser Ansicht an und sucht weiterhin die Entstehung des
auvergnatischen Systemes historisch zu begründen. Wir werden seines
Ortes auf letztere Frage zurückkommen. Hier haben wir nur die angeb-
liche Ableitung des Strebebogens von den auvergnatischen Bauten kurz
ins Auge zu fassen. Der Hergang soll folgender sein: 1. Halbtonnen als
Stützen des Tonnengewölbes im Mittelschiff: Auvergne, N.-D. du Port ;
2. Halbtonnen als Stützen von Kreuzgewölben : Normandie, St.-Etienne
zu Caen; 3. eine fortlaufende Verstrebung ist bei Kreuzgewölben nicht
nötig, daher Beschränkung derselben auf die Pfeiler d. h. Strebebogen :
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Fünftes Kapitel: Der Gewölbebau in seinen Grundformen.
319
Isle de France, Saint-Denis. — Diese Entwicklungsreihe wird in erster
Linie durch die monumentalen Zeugnisse widerlegt, sie ist aber auch
an sich unwahrscheinlich und willkürlich kombiniert. Die auvergnatische
Bauschule ist in ihrem ganzen Charakter, wie in ihrer lokalen Ver-
breitung und ihren Wirkungen nach aussen eine der bestimmtest be-
grenzten , namentlich hat sie nach Norden gar keine Wirkung geübt.
Die Halbtonnen von St.-ßtienne zu Caen sind innerhalb der norman-
nischen Schule eine ziemlich isolirte Erscheinung; sind sie nicht ein
selbständiger, keineswegs bedeutender Gedanke des Baumeisters, welcher
den ehemals flachgedeckten Bau zu wölben hatte, so mag er sein Vor-
bild in den westlichen Gegenden gesucht haben, wohin mannigfache
Beziehungen bestanden.
Was nun die Verstrebung hochliegender Kreuzgewölbe anlangt,
so sind die Vorstufen derselben in der Uebermauerung der Gurtbögen
der Seitenschiffe zu suchen, denn es handelt sich einzig darum,
für einzelne, isolierte Pfeiler feste Stützpunkte zu gewinnen.
In welcher Weise das geschehen ist, zeigen die Figuren 14 ff. unserer
Tafel 92. Diese Strebemauern mussten in den Seitenschiffen, und wenn
Emporen vorhanden waren, auch in diesen durchbrochen werden.
Derartige Verstärkungen der Verstrebung finden sich auch bei Tonnen-
gewölben und namentlich bei den auvergnatischen Kirchen. Nun ist es
auffallend, dass die Bogenöffnungen in den Strebemauern, von wenigen
Ausnahmen abgesehen, niemals mit steigenden Bögen geschlossen
sind. Ueber diesen Bogenöffnungen, über den Seitenschiff-, resp.
Emporengewölben und unter dem Dache der Seitenschiffe finden sich
zum Schutze der Kämpfer des Hochschiffsgewölbes zuweilen Ueber-
mauerungen mit horizontaler Schichtung (Ellwangen, Fig. 24), zuweilen
ansteigende Bögen, Strebebögen. Dies sind die Anfänge dieses wich-
tigen Baugliedes. Ein bestimmter Ort, an dem sie zuerst aufgetreten
und von dem aus sie sich weiter verbreitet hätten, ist bis jetzt nicht
gefunden worden und es darf nach einem solchen überhaupt nicht
gesucht werden. Hier und dort aus unscheinbaren Anfängen gehen
sie hervor, als kleine Hilfskonstruktionen, welche das eine Mal recht
wohl ohne äussere Vorbilder erfunden, welche ein anderesmal eben-
sowohl durch den bekannten und verbreiteten Strukturgedanken der
Halbtonnen angeregt sein mögen. Mehr als eine allgemeine Anregung
aber konnten die Halbtonnen nicht bieten und niemals ist anzunehmen,
dass man bei irgend einer grossen Aufgabe, etwa bei der Kirche von
Saint-Denis, von den hergebrachten in den Strebemauern (um diesen
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220 Zweites Buch: Der rumänische Stil.
wenig glücklichen Ausdruck beizubehalten) gegebenen Hilfsmitteln ab-
gesehen habe, um aus den Halbtonnen von N. D. du Port oder der
Abbaye-aux-hommes zu Cacn einen dünnen Streifen auszuschneiden
und als Strebebogen gegen die Pfeiler des Hochschiffes zu lehnen.
Beschreibung der Tafeln.
Tafel 91.
Fig. 1. Tonnengewölbe mit Gurtbogen.
Fig. 2. Achtseitiges Klostergewölbe (Montbron).
Fig. 3. Kuppel auf Hängezwickeln (Roullet).
Fig. 4. Kreuzgewölbe ohne Gurtbogen mit horizontalem Scheitel.
Fig. 5. Kreuzgewölbe mit Gurtbogen und Busung.
Fig. 6. Rippengewölbe (Worms).
Fig. 7. Sechsteiliges Rippengewölbe (Limburg a. L.)
Fig. 8. Bains de Diane zu Nimes.
Fig. 9. Gebundenes Gewölbesystem (Rosheim).
Fig. 10. Strebebögen (Durham).
Taf. 92.
Sechsundzwanzig Querschnitte, bei denen links durch die Pfeiler, rechts
durch die Scheitel der Bögen geschnitten ist.
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Sechstes Kapitel.
Einschiffige Säle mit Tonnengewölben.
I.ittkratir (zugleich zu den folgenden Kapiteln bis IX). Die Frankreich be-
treffenden allgemeinen Werke s. unter Kap. IV. Die folgende Auswahl des wichtigeren
aus der sehr reichhaltigen Speziallitteratur ist nach Provinzen geordnet.
Miliin . Voyage dans les dcpartements du midi de la France. 5 vol. 8°. 1880. —
Merimee: Notes d'un voyage dans le midi de la France. 12°. 1835. — Renouvier :
Monuments de quelques anciens dioceses du Bas-Languedoc, 1835 — 41. — Revoil: L'archi-
tecture roinane du midi de la France. 3 vol. 2°. 1866 — 74. — D Everlange : Hist. de
Saint-Gilles. 8°. 1884. — De Lauri'ere: Antiquitcs de la ville d'Arles. 8°. 1878.
Memoire« de la Societe archeologique de Böziers. 18 vol. 8°. — Mcmoires de la
Societe archeologique du midi de la France. Toulouse. 12 vol. 8°. — Potlier: Monu-
ments historiques de Tarn-et-Garonne. 8°. 1877. — Devals: Repertoire archeologique du
departement de Tarn-ct-Garonne. 84. 1872. — Dumege: Archäologie pyreneenne. 3 vol.
8° u. 2°. 1861. — Crozes: Repertoire archeologique du Tarn. 40. 1865. — Gluck:
Album historique du Lot. 40. 1850. — Cauvet: Etüde historique sur l'abbaye de Font-
froide. 1875. — Salvan: Monographie de S. Saturnin a Toulouse. 1854. — 7 kolin:
Etudes sur Tarch. religieuse de l'Agenais. 8°. 1874. — Barrere: Hist. religieuse et
monumentale du diocese d'Agen. 2 vol. 180. 1858. — Lagreu-Fossat : Etudes historiques
sur Moissac. 6 vol. 8°. 1870 — 75.
Felix de Verneilh: L'Architecture byzantine en France. 40. 185 a. — Audierne:
Le Perigord illustre. 8°. 1851. — Bulletin de la Societe" archeologique et historique de
la Charente. 8". 1845 — Miehon: Statistique monumentale de la Charcnte. 40. —
Marvaud : Repertoire archeologique du departement de la Charente. 8°. 1862. — Musset :
L'art en Saintonge et en Aunis. 1879 ff. — L. Drouyn \ Types de l'architecture du
moyen-dge dans le d<-p. de la Gironde. s. a. — Rapport de la commission des mon.
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Antiquitcs et monuments du Poitou. 2°. 1823. — Arnauld : Monuments religieux etc. du
Poitou. 40. s. a. — Robuchou et Ledain : Paysages et monuments du Poitou. 2°. 1884 f.
— Fillon et Roekebrune: Poitou et Vendee. 40. 1862. — Ledain : La Gatine. 8". —
De Wtsmes : La Vendee. 2°. s. a. — Arnauld: Monuments religieux etc. des Deux-
Sevres. 8°. 1876. — Auber : Histoire de la cathedrale de Poitiers. 8°. s.a. — Brouilltt:
Indicateur archeologique de larrondissement de Civray. 40. — Mcrimee: Notice sur les
peintures a fresque de l'lglise de Saint-Savin. 2°. 1845. — Tripon: Histoire monumen-
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ß22 Zweites Buch. Der romanische Stil.
ßffttra's/: Rechcrches hist. et arch. sur les tfglises romanes cn Touraine. 8°. 1869. —
Derselbe: La Touraine, histoire et monuments. 2°. 1855. — Lecoy de la Marche: S. Martin
de Tours. 4". 1880. - Quicherat: Restitution de la basilique de S. Martin de Tours.
8°. 1869. — Bardel. L'cglise collegiale du chftteau de Loches. 12". s. a. — Reper-
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1874— 7S. — Bodin: Rechcrches sur la ville d' Angers et ses monuments. 2 vol. 8°.
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— Mabille et Marchegay: Chroniques des cgi i ses d'Anjou. 8°. 1869. — D' Espinay .
Notices archöologiqes sur les monuments d'Angers et de Saumur. 2 vol. 8°. 1875 —
— E<touard: Foutevrault et ses monuments. 2 vol. 8°. 1875. — Memoire* de la Societe
archcologique de la Loire-Inferieure. 20 vol. 8°. — Delamonneraye : Essai sur l'histoirc
de l'architecture religieuse en Bretagne. 8°. 1849. — Buhot de Kersers : Histoire et
statistique monumentale du dep. du Cher. 8°. 1875 f.
Repertoire archi-ologiquc du depart. du Loiret. 8°. — Mcinoires de la Societe
archlologique d'Orleannais. 18 vol. 8n. — Michel: Monuments religicux etc. du (Idti-
nais. 40. 1876 — 79. — Fournier Album archcologique de l'cglise abbatiale de Saint -
Henolt-sur-Loire. 4". 1851. — Rocher . Histoire de l'abbaye de S. Benott s. L. 8°. 1865.
— De Fetigny: Histoire archcologique du Vendomois. 8°. 1848. — Lc Bas-Vendomois
historique et monumental. 8°. 1879.
Afichel et Wandet : L'ancienne Auvergne et le Velay. 4 vol. 2°. 1843 — 47. —
Merimee: Notes d'un voyage en Auvergne. 8°. 1838. — Mallay: Essai sur les rglises
romanes du d.'-part. du Puy-de-D6me. — Bouillet : Statistique monumentale du depart. du
Puy-dc-Dome. 8° u. 40. 1846. — Allier : L'ancien Bourbonnais. 3 vol. 20. 1833 — 3S.
— Lt Nivernais; Album historique etc. 2 vol. 40. 1838. — De Scultraii; Repertoire
archcologique du ch'part. de la Nievre. 8°. 1876. — Crosnier: Monographie de la
Cathi-drale de Nevers s. a.
J^rain : Histoire de l'Abbaye de Cluny. 1845. — Cucherat: Cluny au XI siecle.
— Pinjon: Cluny, Notice sur la ville et l'abbaye. 1883. — Verdier : Album de Cluny.
1852. — Bard: Statistique generale des Basiliques et de culte dans la ville de Lyon.
1842. — Bard: Angiographie de l'insigne basilique de N.-D. de Beaune. — Lefexvc-
Pontalis: Etüde hist. et archeol. sur IVglise de Paray-le-Monial. 1886.
Die Fülle der innerhalb des romanischen Stils auftretenden Ge-
wölbesysteme sondert sich sehr bestimmt in zwei Richtungen: die eine
geht von der Basilika aus, deren organische Fortentwicklung erstrebend ;
die andere umfasst alle ausserhalb des basilikalen Formprinzips sich
ergehenden Bestrebungen. Jene hat ihre Vertreter in allen grossen
Nationen des Abendlandes, diese ist auf die Südhälfte, des alten
Galliens beschränkt. Während jene langsam und stockend, mit grossen
örtlichen und zeitlichen Unterbrechungen aus dem älteren System sich
herausarbeitet, siegt diese auf einen Schlag.
Das Vorbild der in der Provence wie in Septimanien und dem
südlichen Aquitanien noch sehr reichlich vorhandenen römischen
Gewölbebauten war gewiss nicht ohne Wirkung. Indes wohl nicht
von so umfassender und unmittelbarer, wie gewöhnlich angenommen
wird. Die Hauptsache ist, dass hier unter der kulturfreundlichen Herr-
schaft der Westgoten die Ueberlieferung der römischen Bautechnik
sich ungleich vollkommener erhalten hatte. Bis ins 10. Jahrhundert
findet sich in den Geschichtsbüchern zuweilen die Bemerkung, ein
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Sechstes Kapitel : Einschiffige Säle mit Tonnengewölben.
Bau sei elevatione Visigothica, manu Gothica ausgeführt, womit ohne
Frage im Gegensatz zu dem üblichen opus Gallicum (Verband aus
kleinen Bruchsteinen mit starken Mörtellagern, oft im Fischgräten-
muster) ein besseres Mauerwerk, Quaderwerk oder verfeinerter Bruch-
stein verband bezeichnet werden soll In welchem Umfange etwa
schon in merowingischer und frühkarolingischer Zeit in diesen Gegen-
den das Gewölbe im Kirchenbau Verwendung gefunden habe, kann
nicht mehr gesagt werden. Der allgemeine Abfall von der holz-
gedeckten Basilika ist ein Ereignis, von dem kein Geschichtsbuch
meldet, dessen nächste monumentale Zeugen zum grössten Teil unter-
gegangen oder wenigstens unter der Menge jüngerer Nachfolger nicht
mehr hcrauszuerkennen sind. Nach aller Wahrscheinlichkeit fällt der
Umschwung mit dem Eintritt des Friedens nach der Epoche der nor-
mannischen und sarazenischen Invasionen zusammen, als gleichzeitig
eine grosse Anzahl neuer Kirchen aus Trümmern und Asche sich
erhob. Charakteristisch ist, dass gerade die älteren Generationen des
Gewölbebaus alles Holzwerk vollständig verbannen, indem sie die Dach-
ziegel unmittelbar auf den Gewölben befestigen: vor dem Feuer war
man solchergestalt sicher, die Feuchtigkeit glaubte man unter diesem
Himmel nicht fürchten zu dürfen. Die Eile der Reform macht die
Plötzlichkeit und Vollständigkeit des Bruches mit der Tradition ver-
ständlich. Wir haben auf die grossen Schwierigkeiten der Verbindung
von Gewölbdecken mit der Basilikenform oben (S. 296) hingewiesen.
Eben für diese boten die Römerbauten und die an gewölbten Nutz-
bauten mancherlei Art gewiss noch fortgeübten Handwerksgewohnheiten,
welche die Herstellung auch grösserer gewölbter Räume an sich als
kein zu schwieriges Unternehmen erscheinen Hessen, keine Muster dar.
Anstatt also auf die Bahn langwieriger und wenig aussichtreicher Ex-
perimente sich zu begeben, griff man zu den Formen, welche die
heimische, allerdings ausserkirchliche Tradition als die nächstliegenden,
entweder unmittelbar benutzbaren oder doch nur mässiger Modifi-
kationen bedürftigen, entgegenbrachte. Die feste Leitschnur, welche
anderwärts die Basilika gab, war freilich fallen gelassen und so bildete
sich kein einheitlicher neuer Typus des Kirchenbaues heraus, sondern
mehrere Typen teilten sich in die Herrschaft.
Die beiden am meisten angewandten waren der einschiffige Saal
und die dreischiffige Halle, beide mit Tonnengewölben gedeckt.
') Vgl. J. Reimers in Lützows Zeitschr. f. bild. Kunst, XXII, 20 f.
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
Die erstere Form, als die einfachste, dürfte um einiges früher
in Gebrauch genommen worden sein. Sie erstreckt sich geographisch
über die Provence, Septimanien, Aquitanien bis nördlich an die untere
Loire. Eine fortschreitende Entwicklung bis an den Schluss der
romanischen Epoche hat sie nur im Südosten erlebt, im Westen wurde
sie schon vorher durch andere Formationen wo nicht ganz verdrängt,
so doch beschränkt.
Die Datierung der einzelnen Denkmäler liegt zur Zeit noch sehr
im argen. Die Untersuchungen von H. Revoil über die provencalische
Baugeschichte sind in hohem Grade unkritisch, seine Inanspruchnahme
einer Anzahl zum Teil wichtiger Denkmäler für das 9, resp. 10 saec.
durchaus unhaltbar; vgl. Dehio im Jahrbuch der k. preussischen Kunst-
sammlungen VII, 132 f. Was vor dem Ende des saec. 11 liegt, ist
fast alles im Ungewissen. Bis dahin hat sich auch, ausser in den Zier-
formen, schwerlich etwas geltend gemacht, was man Entwicklung nennen
könnte. Von sicher datierbaren Monumenten wüssten wir nur die der
Abtei Montmajour bei Arles anzuführen. Die dortige Begräbnis-
kapelle, geweiht a. 1016, zeigt ein schon tüchtiges technisches Können,
aber durch ihre Form (gleicharmiges Kreuz) steht sie ausserhalb der
Linie. Ihr Erbauer, der Abt Rambert, begann auch einen Neubau
der Hauptkirche; davon die Krypta (Taf. 119), und einige Details
der Apsis; die Kirche selbst (Taf. 93, 96) können wir nur als eine
durchgreifende Erneuerung des saec. 12 ansehen. Ohne Zweifel älter,
doch nicht ausser der Entwicklungsreihe stehend, ist das merkwürdige,
in die Felswand eingebaute Oratorium daselbst (Taf. 95, Fig. 8).
Lediglich vermutungsweise möchten wir dem ersten oder zweiten Drittel
des saec. 1 1 noch S. Martin dk Londres (Taf. 98) zuschreiben. Bei
ganz kleinen oder entlegenen Bauten kann Einfachheit und selbst Ro-
heit der Behandlung, wie bei Ste. Trinke" auf St. Honorat de Le"rins,
der kleinen Kirche von Molleges (Taf. 95), der Burgkapelle von Thouzon
noch nicht unbedingt als Beweis entsprechend hohen Alters angesehen
werden. Zuverlässigere Einsicht in den Entwicklungsgang der proven-
calischen Architektur beginnt erst mit dem für das letzte Dezennium
des saec. u gesicherten Bau der Kathedralen von Avignon und Aix. —
Für Aquitanien hat Auber (Me"moires des antiquaires de l'Ouest, 1884,
p. 160 f.) nachgewiesen, dass die Bauthätigkeit zwischen a. 950—1000
eine sehr rege gewesen ist; unter den uns bekannt gewordenen Denk-
mälern könnten das Schiff von Courcöme und der Chor von Pl vperoux
(Taf. 94, 98) möglicherweise noch dahin gehören.
GRUNDRISS. Für die Südfranzosen war das Tonnengewölbe, da
es bei den römischen Vorbildern, wenn Ueberdeckung von Langräumen
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Sechstes Kapitel: Einschiffige Säle mit Tonnengewölben.
325
in Frage kam, durchaus vorwaltete, die sozusagen vorgeschriebene
Gewölbeart, wie es ohnedies die am leichtesten auszuführende ist. Die
einschiffige Raumdisposition folgte daraus unmittelbar, sie ist die dem
Tonnengewölbe am einfachsten sich anpassende und die grösste Sicher-
heit gewährende. Wir halten es für eine Verkennung der Verhältnisse,
wenn man sie als Weiterentwicklung aus irgend einer speziellen Vor-
form, z. B. den einschiffigen kleinen Oratorien oder gar den kreuz-
förmigen Grabkirchen glaubt erklären zu sollen. Vielmehr sind ge-
wisse durch die Liturgie bedingte Nachwirkungen des Basilikenplanes
gar nicht zu verkennen.
Dahin gehört vor allem die Anlage eines Querschiffes. Im
Westen bildet es durchweg die Regel (T. 94). In der Provence kommt
es in mehr oder minder reduzierter Form, als kapellenartiger Ausbau
vor (Taf. 93, Fig. 1, 3, 6, 10, Taf. 97, Fig. 3). Sonst ist wenigstens
das letzte Joch vor der Apsis durch eine an den Triumphbogen der
Basilika erinnernde Anlage als zum Chor gehörig ausgesondert und
durch eine abweichende Deckenformation (Klostergewölbe) ausge-
zeichnet (Taf. 93, Fig. 5, 12, 13). Eine interessante, sowohl im Osten
wie im Westen vorkommende Sonderform ergeben die abgerundeten
Kreuzarme l).
Die Apsiden sind in der Provence häufig polygonal gebildet.
Byzantinischen Einfluss darin zu erkennen — es wäre nicht einzusehen,
warum derselbe auf das vereinzelte Motiv sich beschränkt hätte — ,
halten wir nicht für geboten. Der Anlass ist wohl einfach der, dass
es bequemer ist die Werkstücke, namentlich für die Gesimse, in der
Geraden als in der Kurve zuzuhauen. Im Westen (in der Region von
Angouleme) findet sich einigemal Brechung des Halbkreises durch
einen Kranz von Nischen (Taf. 94, Fig. 4, Taf. 119, Fig. 21).
AUFBAU. Ein Blick auf die Querschnitte der Taf. 95 — 97 zeigt
den im Verhältnis zum umschlossenen Raum ganz ungeheuren Auf-
wand an Mauermasse. Allerdings forderte die Gewohnheit, die Ge-
wölberücken auf unmittelbare Aufnahme der Dachplatten einzurichten,
starke Wände; doch wird hierin über das wirkliche Bedürfnis weit
hinausgegangen. Erst die jüngere Zeit lernte eine an Material sparende
und zugleich dem Auge angenehme Gliederung durchführen. Das
Bestimmende für sie sind die mit Ausnahme einiger der ältesten
') A. Saint-Paul bei Joanne, Gascogne et Languedoc p. 91 behauptet von dieser
Anlage : »On en connatt une vingtaine d'cxemples en France.«
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326
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Denkmäler nie fehlenden Gurtbogen der Decke. Diese werden von
Wandvorlagen aufgefangen, zwischen denen wieder Rückspriinge flache
vom Bogen überspannte Nischen bilden. Auf der Aussenseite ist die
Wand an den Punkten, wo die Gurtbögen auf sie niederfallen, durch
Strebepfeiler von einfachster Gestalt verstärkt. Das Gurtbogenmotiv
ist den Römerbauten abgesehen (vgl. Taf. 38, Fig. 10, 1 1), doch erst
die romanische Kunst hat es systematisch durchgebildet. Die Ge-
wölbe pflegen in den Mittelmeerlandschaften fast ausnahmslos spitz-
bogig zu sein, in Aquitanien häufiger rundbogig. Dieser Unterschied
steht wohl im Zusammenhang mit dem anderen, dass dort die Dach-
platten direkt auf dem Gewölbe liegen, hier dagegen selbständige
hölzerne Dachrüstungen im Gebrauch blieben, wie oben (S. 302) des
näheren begründet. Uebrigens wird die Zuspitzung des Scheitels dem
Auge in Wirklichkeit viel weniger fühlbar, als im geometrischen Riss,
und zuweilen sucht man durch Beibehaltung des ungebrochenen Halb-
kreises an den Gurten über die abweichende Form des Gewölbes
vollends hinwegzutäuschen. Zu bemerken ist der zwischen Aquitanien
und dem Languedoc einer-, der Provence andererseits waltende Unter-
schied in betreff der Gestalt der Gurtträger. Dort regelmässig Halb-
säulen, hier rechtwinklig in einem oder mehreren Rücksprüngen ab-
setzende Pilaster. Die provengalische Fassung ist also die schlichtere.
Im Schiff entbehrt sie über die eben beschriebene Gliederung hinaus
jeglichen weiteren Schmuckes, was durch den Gegensatz des dem
Aussenbau mit freigebiger Hand zugewendeten Reichtums an plastischer
Dekoration besonders auffällig wirkt; einesteils wohl eine Folge der
antiken Vorbilder in ihrem damaligen spoliierten Zustande, anderesteils
verständige Rücksicht auf die spärliche Beleuchtung dieser Kirchen.
Nur dem heller beleuchteten Sanktuarium sind reichere Kombinationen
von Ziergliedern vorbehalten, diese dann allerdings von auserlesen
zarter und geschmackvoller Behandlung.
Solchermassen würden diese Interieurs in ihrer grossen Schlicht-
heit etwas Dürftiges und Unentwickeltes behalten, wenn nicht ein höchst
lebendiges Gefühl für Raumschönheit sie adelte. Hierin sind die
provengalischen Bauten dieser Gattung ihren Geschwistern im Westen
weit überlegen. Sie verdanken es ihrem näheren Verhältnis zur Antike.
In bezug auf dieses weist die Geschichte der Zierformen auf einen
in den letzten Dezennien des 1 1. Jahrhunderts eintretenden grossen
Umschwung hin. Bis dahin war die Fortexistenz antiker Erinnerungen
auch in diesen Gegenden nur eine dumpfe Handwerkstradition gewesen,
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Sechstes Kapitel: Einschiffige Säle mit Tonnengewölben.
32/
nicht etwas unmittelbar aus den Denkmälern Erschautes: jetzt aber
erwachte lebendig gefühlte Ehrfurcht vor der echten Kunst des Alter-
tums, deren Zeugen ja überall im Lande umherstanden, und damit die
ernstliche Bemühung, sie zu verstehen und etwas von ihrem Geiste
den eigenen Schöpfungen zuzuführen. Diese erst strenge, dann freier
auftretende Protorenaissance — deren Entwicklung nach wenig mehr
als hundertjährigem Laufe schon unter den zernichtenden Erschütte-
rungen der Albigenserkricgc ihr Ende fand — war nun keineswegs
eine blosse Dekorationskunst; als Schülerin der Antike im tieferen
Sinne bekundet sie sich vor allem durch ihre Richtung als Raumkunst.
Die immer reicheren Planbildungen und effektvollen Gruppierungen
des inneren wie des äusseren Aufbaues, welche die Blüte des roma-
nischen Stiles in den Regionen der Mitte und des Nordens heraufführt,
bleiben der Kunst des Südens fremd. Der Fortschritt des Geschmackes
äussert sich hier als Fortschritt der Einfachheit in der allgemeinen
Anlage. Diese Stimmung findet auch in dem ihr ursprünglich nicht
zugeneigten Westen vielfachen Widerhall, am reinsten aber erklingt
sie in der Provence und Languedoc; die bis in den Anfang des 12. Jahr-
hunderts für grössere Kirchen bevorzugte dreischiffige Halle kommt
im weiteren Verlaufe des Jahrhunderts mit wenigen Ausnahmen
(Cistercienserkirchen) ausser Gebrauch ; die Versuche mit der Gewölbe-
basilika finden keine Fortsetzung; die Gunst gehört mit wachsender
Entschiedenheit dem einschiffigen Saal, dessen mächtig einheitliches
Raumbild zu weiten, freien, ruhevollen Verhältnissen ausgebildet wird :
dem polaren Gegensatz zur Kunst des Nordens, die eben in derselben
Zeit bei dem vielgliedrigen gotischen Höhenbau anlangt. — Die Ge-
schlossenheit der Raumwirkung wird noch begünstigt durch die Art
der Lichtfuhrung. Im Schiff fehlen die Fenster meistenteils ganz,
oder sind doch nur unscheinbar und unregelmässig angebracht. Das
Hauptlicht kommt aus den Fenstern der Apsis und der Kuppel,
und wo diese fehlen, aus einer grossen Oeffnung in der westlichen
Giebclwand.
Soviel wir sehen, ist das früheste Denkmal dieser Richtung, die
im letzten Viertel des saec. 11 entstandene Kathedrale Notre-Dame-des-
Domes zu Avignon, durch jüngere Zuthaten ziemlich stark entstellt.
Gleicher Grundplan und gleiches System (der zweite Rücksprung der
Gurtträger von der Kämpferhöhe der Nischen bis zum Hauptgesims
von eingelassenen Ecksäulchen durchbrochen) in der Kirche zu Ca-
vaillon; das überlieferte Einweihungsjahr 1251 kann höchstens nur
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
auf das Sanktuarium bezogen werden. Derselben Richtung gehören
ferner die kleineren Kirchen S. Quinin zu Vaison, S. Restjtut,
S. Gabriel, Notrt-Dame la Major zu Arles, letztere besonders breit
in den Verhältnissen. Zum Besten gehört die Abteikirche von Moxt-
majour; vom Schiff nur zwei Jahr ausgeführt; ein Minimum an Details;
der ganze Wert liegt in den Verhältnissen, die eines echten antiken
Werkes würdig wären , ernst und bedeutend. Imposante Raum-
entfaltung in der Kathedrale von Orange; die überlieferte Erbauungs-
zeit 1085 — 11 26 können wir nur für den sichtlich älteren Chor gelten
lassen; das Schiff dürfte aber ein Jahrhundert jünger sein'). Zu den
jüngsten Werken der Schule, E. saec. 12 — A. saec. 13, gehören die
Kirchen von Thor, Maguelonne, Ste. Marthe zu Tarascon (i 187.) —
Ein Meisterwerk edel anmutiger Behandlung bei kleinerem Massstabe
die Kirche der Abtei S. Ruf bei Avignon. — Im Languedoc: die
Kathedrale von Pons, die Kirchen von Castries, Sausines, Villem agne,
Serrabona, S. Jacques in Beziers.
Das Durchschnittsmass der Bauten dieser Gruppe ist klein oder
höchstens mittelgross; die Wirkung im Verhältnis dazu bedeutend.
Zum Schluss aber wurde einmal ein Schritt ins wahrhaft Kolossale ge-
wagt, in der Kathedrale von Toulouse, zu Anfang des 13. saec. vom
Grafen Raimund VI. begonnen. Die Wahl dieses ganz einfachen
Schemas fällt besonders auf, nachdem in der ersten Hälfte des voran-
gehenden Jahrhunderts die tolosanische Baukunst in der Kirche
S. Sernin bereits eine grossartige Vorahnung des gotischen Kathedralen-
typus hingestellt hatte. Durch den Ausbruch des Ketzerkrieges wurde
der Bau unterbrochen, dann a. 1272 in entwickelt gotischen Formen
wieder aufgenommen in einer Weise, dass man die Absicht deutlich
erkennt, das Werk der Ketzer vollkommen zu beseitigen; aber auch
dieser zweite Bau blieb unvollendet. Die unbeschreiblich bizarre Kon-
trastwirkung zwischen dem in äusserster Simplizität massig hingelagerten
romanischen Breitbau und dem in ausschweifender Höhensteigerung und
Massenteilung sich verlierenden gotischen Chor lässt der Grundriss
auf Taf. 94 nur annähernd ahnen.
Sehr bemerkenswert sind in den Werken des reifen Stils die aus-
gesucht einfachen Zahlenverhältnisse des Querschnitts. Z. B. in
Maguelonne und Saintes-Maries die Höhe bis zum Gewölbekämpfer
genau der Breite gleich. In Toulouse (Taf. 97) die Kämpferhöhe gleich
der halben, die Scheitelhöhe gleich der ganzen Breite ; also die klassische
Proportion des Pantheons zu Rom! Hier auf den Longitudinalbau an-
gewendet, jedoch nicht von derselben günstigen Wirkung, wie dort im
Zentralbau. In Orange ergibt sich, wenn man in der Querschnittfigur
') Die saec. 14 oder 15 erneuerten Gewölbe wiederholen die alte Form.
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Sechstes Kapitel: Einschiffige Süle mit Tonnengewölben.
(Taf. 99) den Scheitelpunkt des Gurtbogens im Hauptgewölbe mit den
in den Nischen liegenden Endpunkten der Grundlinie verbindet, genau
ein gleichseitiges Dreieck, was unmöglich ein Spiel des Zufalls
sein kann.
Die hierher gehörenden Bauten Aquitaniens, denen auch die
spanischen anzureihen sind, stehen im ganzen an künstlerischem
Wert hinter denen der Provence zurück. Von den Abweichungen des
Systems war oben die Rede. Die seitlichen Fensteröffnungen sind
grösser. Die Proportionen des Querschnittes beginnen ängstlich eng
(Taf. 98, Fig. 2), werden später bequemer, ohne doch zu so ausge-
prägtem Weitbau zu führen , wie in der Provence und Languedoc. —
Im Gebiet von Agen die Kirche von Layrac, a. 1063 — 1102 (Bull,
monum. 1872, p. 539); ähnlich die kleineren zu Cuzorn, Cocumont,
Ste. Lürade (Congres arch. 1874, p. 160 f.). Sehr verbreitet muss
der Typus in den Landschaften an der Gironde, Dordogne und Cha-
rente gewesen sein; doch erhielt hier seit dem saec. 12 das Tonnen-
gewölbe eine starke Konkurrenz in der Reihung von Kuppeln (s. das
nächste Kapitel). Die vorhandenen Denkmäler durchweg klein. Bei-
spiele (Taf. 94, 98, 99): Petit-Palais; Puyperoux; Rioux-Martin ;
Montbron; Monthier; Richemont; Courcöme; Femoux; am an-
sehnlichsten in der Reihe die Kirche zu Montmoreau, elegantes Werk
des 12. saec. Weiter nördlich viel spärlicher. Beispiele: Fontaine-
le-Comte und Genouville im Poitou; BEnEvent im Limousin, Arnac-
Pompadouk imQuercy; Notre-Dame de Nantilly zu Saumur im Anjou
von E. saec. 10 (Taf. 94); S. Etienne zu Beaugency im Orleannais,
sehr primitiv, angeblich E. saec. 10; ein zierliches Beispiel aus saec. 12
zu Cognat im Bourbonnais (Taf. 97); Bourc-Lastic und Larouet in
der Auvergne.
Die Anlage des einschiffigen Saales erfahrt eine Amplifikation,
wenn die in der Mauerdicke ausgesparrten Flachnischen sich zu förm-
lichen Kapellen vertiefen, die Zwischenwände übernehmen dabei die
Rolle der Strebepfeiler. Ihre Durchbrechung fuhrt in die dreischiffige
Anlage hinüber.
Diese Variante gehört fast ausschliesslich der Provence und Lan-
guedoc. Aeltestes Beispiel in der Kathedrale von Avignon ; dieser
nahe verwandt die von Cavaillon ; ferner die zu Nimes ; zu Orange
durch vermehrte Weite der Oeffnung dem allgemeinen Raumcharakter
glücklich angepasst. Die fortschreitende Entwicklung zur dreischiffigen
Anlage zeigen Taf. 93, Fig. 14 und Taf. 99, Fig. 4—6.
Der Typus verändert gänzlich seinen Gmndcharakter, wenn das
einheitliche Tonnengewölbe durch eine Folge von Kreuzgewölben
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
ersetzt wird. Das geschieht jedoch erst am Schluss der Epoche, an
der Grenze des 12. und 13. Jahrhunderts, was um so bemerkens-
werter ist, da für Aufgaben anderer Art (Vorhalle von S. Victor in
Marseille, Krypta von S. Gilles) das Kreuzgewölbe mit Diagonalrippen
hier schon zu Anfang des Jahrhunderts bekannt ist.
Beispiele: Le Thor in der Nähe von Avignon; Kathedrale von Tou-
louse, Ausgangspunkt für den gotischen Provinzialstil des Languedoc.
Beschreibung der Tafeln.
Grundrisse.
Tafel 93.
1. Reddes, saec. 12 (?) — Revoil.
2. .V. Gabriel. — c. a. 1100. — Revoil.
3. Vaison: S. Quenin. — c. a. 1100. — Revoil.
4. S. Martin de- Londr es. — saec. 11. — Revoil.
5. Le Thor: S. Marie au Lac. — E. saec. 12. — Revoil.
6. Maguelonne. — saec. 12. — Revoil.
7. Villeneuve-les- Avignon. — saec. 12. — Revoil.
8. Molliges. — saec. 10— 11 fr) — Revoil.
9. Saintes- Maries. — saec. 12. — Revoil.
10. Montmajour. — saec. 11, 12. — Revoil.
11. S. Macaire. — saec. 11, 12. — Bull. mon.
12. Cavaillou. — E. saec. 11. ~ Revoil.
13. *Orange. — E. saec. 12. — Bezold.
14. *Biziers: S.Jacques. — saec. 11 — 12. — Dehio.
Tafel 94.
1. Layrac. — E. saec. 11. — Bull. mon.
2. *Montinoreau. — saec. 12. — Dehio.
3. Saumur: Not re- Dame de Nantilly. — E. saec. 11. — Godard-
Faultrier.
4. * Puyptroux. — Chor c. a. 1000, Schiff saec. 12. — Bezold.
5. S. Jean de Val. — saec. 11 (?) — Taylor et Nodier.
6. Cognai. — saec. 12. — de Baudot.
7. *Courcome. — Schiff c. a. 1000, Chor saec. 12. — Dehio.
8. Foix: Kathedrale. — saec. 11 (?) — Bull. mon.
9. Toulouse: Kathedrale. — Schiff Anfang, Chor Ende saec. 13 —
Taylor et Nodier.
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Sechstes Kapitel: Einschiffige Säle mit Tonnengewölben.
33i
10. Lena: Ermita de Sta. Cristma. — Mon. arqu. de Espart a.
11. Barcelona: S. Pedro e Pablo. — saec. 12. — Street.
12. Camprodon. — saec. 12. — Mon. arq. de Esp.
Tafel 95. Systeme und Schnitte.
1, 2. S. Gabriel. — c. a. 1100. — Revoil.
3. Vaison: S. Quenin. — c. a. 1000. — Revoil.
4. Urins: Sie. Triniti. — saec. 10 — 11. — Revoil.
5. Villeneuve-les-Avignons. — saec. 12. — Revoil.
6. Reddes. — saec. 12. — Revoil.
7. Molliges. — saec. 10 — 11. — Revoil.
8. Montmajour: Oratorium S. Trophhnus. — Vor a. 1000. — Revoil.
Tafel 96.
1, 2. Montmajour: Abteikirche. — Krypta c. a. 1020, Oberbau erneuert
saec. 12. — Revoil, Bezold.
3, 4. Saintes- Maries. — a. 1140 f. — Archives mon. hist.
Tafel 97.
1, 2. Le Thor: Sie. Marie au Iau. — E. saec. 12. — Revoil und
Bezold.
3. Maguelonne. — 2. H. saec. 12. — Revoil.
4. * Toulouse: Kathedrale. — A. saec. 13. — Bezold (Skizze).
Tafel 98.
1, 2. *Courcbme. — c. a. 1000, mit jüngerer üeberarbeitung. — Dehio.
3. Layrae. — E. saec. 11. — Bull. mon.
4. S. Martin-de-Londres. — saec. n. — Revoil.
5. *Montmoreau — t. H. saec. 12. — Bezold.
6. Lena: S. Cristina. — Mon. Esp.
Tafel 99.
1, 2. Montbron. — saec. 12. — de Baudot.
3. * Orange: Kathedrale. — 2. H. saec. 12. — Bezold.
4. *Hauterive. — saec. 12. — Rahn.
5. Binivent-t Abbaye. — saec. 12. — Archives mon. hist. (Skizze.)
6. *Botmont. — saec. 12. — Rahn.
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Siebentes Kapitel.
Kuppelkirchen.
Die Kuppel ist eine durchaus zentralistische Gewölbeform. Sie
hat einen exklusiven, alle Beziehungen nach aussen abwehrenden
Charakter. Ihr eigenstes Gebiet ist der Zentralbau. In der Anwen-
dung auf die Basilika bleibt sie eine vereinzelte Erscheinung, dagegen
hat sie im südlichen Frankreich für einschiffige Longitudinalbauten
eine grosse Verbreitung gefunden. Und selbst in dieser ihrer Natur
nicht völlig entsprechenden Anwendung erscheint sie als die höchste
und vornehmste Gewölbeform. Das ruhige Schweben der Calotte auf
dem durch den Zusammenschluss der Hängezwickel gebildeten Kranze
hat, wenn anders die Abmessungen nicht zu gering sind, immer
etwas überaus Feierliches, und soll ein Raum nicht nur im System
der Wände, sondern auch in dem der Decke in bestimmtester Weise
gegliedert werden, so kann dies nicht ausdrucksvoller geschehen, als
durch eine Reihe von Kuppeln. Die Kuppel bildet hierin den Gegen-
satz zum Tonnengewölbe. Wie dieses der sprechendste Ausdruck der
Einheit des vielgegliederten Raumes ist, so jene der der individuellen
Selbständigkeit der einzelnen Abteilungen.
Wir fassen in diesem Kapitel die Kuppelbauten, soweit sie
nicht reine Zentralbauten sind, zusammen mit den Kirchen, welche
bei gleicher Gesamtanlage mit kuppeiförmigen Kreuzgewölben über-
wölbt sind, und betrachten zum Schlüsse die wenigen kuppelgewölbten
Basiliken.
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Siebentes Kapitel: Kuppelkirchen.
333
!. S. Marco in Venedig.
An die Spitze der hier zu betrachtenden Monumente muss der
berühmte venezianische Zentralbau gestellt werden, sowohl weil er
innerhalb der italienischen Architektur eine vereinzelte Erscheinung
ist, als auch wegen der behaupteten Vorbildlichkeit für S. Front zu
Perigueux, welche eine Nebeneinanderstellung beider wünschenswert
macht.
Der Grundriss der Kirche (Taf. 100 Fig. i) bildet annähernd
ein griechisches Kreuz, doch sind die fünf Kuppeln nicht ganz gleich
weit gespannt, die mittlere und die westliche sind etwas weiter als
die übrigen. Die Differenz ist dadurch entstanden, dass die Gurt-
bögen für erstere von den Kanten der Hauptpfeiler ausgehen, ja sogar
etwas gegen diese zurückspringen, während jene der letzteren auf
vorgesetzten Säulen ruhen.
Die wichtigste Eigentümlichkeit des Planes besteht in der Bil-
dung der Pfeiler und in der hierdurch gegebenen Raumgliederung.
Es sind nämlich nicht kompakte Massen, sondern Gruppen von Pfeilern,
die durch Bögen verbunden sind. Die gegenseitigen Abstände der
zu einer Gruppe vereinigten Pfeiler sind nahezu gleich der halben
Spannweite der Kuppeln. Der zwischen ihnen gelegene Raum ist
mit einer kleinen Kuppel überwölbt. Die Anordnung wiederholt sich
in zwei Geschossen. Nun sind die oberen Binnenräume der Pfeiler
gegenseitig durch schmale, auf Säulen ruhende Laufgänge verbunden
und es entstehen auf diese Weise scheinbare Seitenschiffe, scheinbar
insofern, als sie des eigenen Abschlusses nach oben ermangeln. Das
Motiv kommt schon in römischen Thermensälen vor und wird von
der byzantinischen Baukunst beibehalten. Byzantinisch ist auch die
der Eingangsseite vorgelagerte, hier aber auch die Nordseite entlang
geführte Vorhalle (Narthex), wie die Chorgestaltung mit drei Apsiden.
Der Aufbau gestaltet sich in seinen Grundzügen sehr einfach.
Die gegenüberliegenden Pfeiler sind durch Tonnengewölbe verbunden,
welche als Gurtbogen für die Aufnahme der Hängezwickel und weiter-
hin der an ihrem Fusse in byzantischer Weise von Fenstern durch-
brochenen Kuppeln dienen (Taf. 103, Fig. 1). Im Chor und Quer-
schiff ist die Ausbildung etwas reicher, es sind hier Säulen den Pfeilern
vorgesetzt zur Aufnahme der Gurtbögen l). Dieses einfache System
') Dieses Motiv findet sich wieder in der Kathedrale von Le Puy, sowie in der
kleinen Kirche von Germigny-des-Pres.
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334
Zweites Buch . Der romanische Stil.
ist nun in seinen unteren Teilen mit farbigem Marmor, in den oberen
mit Mosaiken aufe reichste geschmückt. Dazu kommen reiche mit
Statuen gekrönte Chorschranken und eine verschwenderische Aus-
stattung mit Kanzeln, Tabernakeln, Lampen u. s. w. Diese dekorative
Ausstattung ist für den künstlerischen Eindruck des Gebäudes be-
stimmend geworden. Licht und Farbe herrschen über die Form und
an malerischem Reiz wird dieser Innenraum immer das Höchste bleiben,
was je zustandegekommen ist. Nach der erschöpfenden Würdigung durch
Jakob Burckhardt (im »Cicerone«) bleibt uns nichts mehr zu sagen.
War eine derartige Wirkung schon in der Absicht der Erbauer
gelegen? Wir wissen es nicht. Die Ausstattung der Kirche ist das
allmähliche Werk der Jahrhunderte und im Aeusseren wenigstens war
sie ursprünglich viel einfacher. Das Innere aber dürfte doch, gleich
anderen byzantinischen Bauten, von Anfang an auf Marmor- und Mosaik-
schmuck berechnet gewesen sein.
Die Geschichte des Baues ist keineswegs ganz aufgeklärt. Eine
vermutlich im saec. IX (a. 828 waren die Reliquien des hl. Marcus
nach Venedig gebracht worden) erbaute Kirche brannte im Jahr 976
ab. Der hierauf vom Dogen Orseolo begonnene Neubau ist jedoch
nicht, wie man bis vor kurzem annahm, mit der heutigen Markuskirche
identisch, vielmehr sind nur einzelne Teile von ihm (im untenstehen-
den Grundriss schwarz angelegt) in den Umbau des folgenden Jahr-
hunderts aufgenommen. Es war ein dreischiffiger Langbau ohne Quer-
schiff, unseres Erachtens indes nicht, wie jetzt behauptet wird, eine
flachgedeckte Basilika, für die Form und Mauermasse des Ostbaues
gar nicht passen, sondern ein Gewölbebau, etwa nach dem Typus der
Irenenkirche in Konstantinopel. Der Umbau nach dem Plane des,
übrigens nicht ganz rein durchgebildeten, griechischen Kreuzes wurde
um 1043 unter dem Dogen Domenico Contarini begonnen; dessen Nach-
folger Domenico Selvo (1071 — 1084) verkleidete die Mauern im Inneren
mit griechischem Marmor, und a. 1085 fand die Weihe statt. Das
Aeussere war ein massiger Backsteinbau, in seiner Gesamtanlage byzan-
tinisch, im einzelnen den gleichzeitigen Bauten der Lombardei verwandt.
Der glänzende Säulenschmuck und die Marmorverkleidung wurde im
Laufe des saec. XII unter den Dogen Michiel, Morosini und Enrico Dan-
dolo zugefügt (Boito, Architettura del medio evo in Italia S. 310, 311).
2. Die aquitanischen Kuppelkirchen.
Ihr Stammgebiet, in welchem sie eine geschlossene Gruppe bilden
und während der Blütezeit des romanischen Stils alle anderen Bau-
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Siebentes Kapitel : Kuppelkirchen.
335
formen zurückdrängen, umfasst die Landschaften PeVigord, Angoumois
und Saintonge. Ausserdem nur vereinzelte Ausläufer: nach Norden
Fontevrault, nach Osten Solignac, nach Süden Cahors und Agen.
Unter nordfranzösischem (normannischem) Einfluss entwickelt sich, vor-
nehmlich in Anjou und Poitou heimisch, aus der Kuppel die eigen-
tümliche Form des kuppeiförmigen Kreuzgewölbes; die allgemeine
Gestaltung bleibt dieselbe wie bei den eigentlichen Kuppelkirchen,
weshalb wir beide Gruppen gemeinsam betrachten.
Der GRUNDRISS. In den Gegenden, in welchen die Kuppel-
kirchen zu Hause sind, kommt vor und neben ihnen eine zweite Form
vor, der einschiffige Saal mit tonnengewölbter Decke. Es ist eine
bemerkenswerte Thatsache, dass beide Typen sich nur in der Art
ihrer Wölbung unterscheiden, während sie in ihrer formalen Behand-
lung, in der Fassadengestaltung und im Grundplan übereinstimmen;
in betreff des letzteren natürlich mit dem Unterschiede, dass das Ver-
hältnis der Breite zur Länge bei den tonnengewölbten Kirchen ein
beliebiges, bei den Kuppelkirchen ein an die Einteilung in Quadrate
gebundenes ist. Vorwiegend sind es lateinisch kreuzförmige Pläne
mit breit ausladendem Querschiff, einer Hauptapsis und zwei Neben-
apsiden, erstere nicht selten mit kleinen Apsidiolen umgeben. Mit
den Grundrissen auf Taf. 101 vergleiche man Taf. 94 Fig. 1 — 7. Am
klarsten ausgeprägt ist der Typus in Solignac und Souillac, weniger
klar in Angou lerne, wo die Kreuzarme von hohen Türmen überbaut
sind. S. Maurice zu Angers (Taf. 101) ist rein kreuzförmig ohne
Nebenapsiden. Diese sind vorhanden an S. Caprais zu Agen
(Taf. 10 1), wo indes die Kreuzarme nur wenig über die Breite des
Schiffes vortreten. Fontevrault hat eine von den übrigen abweichende
Choranlage, ist überhaupt keine einheitliche Anlage. Die Durch-
brechung der Vierungspfeiler im unteren Teil kommt zwar mehrfach
vor — Sainte Radegonde zu Poitiers, Ste. Trinite zu Angers,
St. Ours zu Loches (Taf. 102), Fontevrault, Puype>oux und
Saumur (Taf. 94) — weist aber in allen Fällen auf Mutation. — Neben
der ausgeprägten Kreuzform finden wir Bauten, bei welchen dieselbe
nur angedeutet ist — St. Avit S^nieur, Le vieux Mareuil — und
endlich solche ohne Querschiff — S. Etienne in Pe'rigueux, Cahors
(Taf. 100), Roullet und Gensac (Taf. ioi), Ste. Trinitd zu Angers
und Ste. Radegonde zu Poitiers (Taf. 102). In Tremolac ist die
Choranlage jünger. Endlich kommt, hinsichtlich der Grundrissanlage
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
ausser der Reihe stehend, das griechische Kreuz vor an S. Front
zu Perigueux (Taf. 100), und die mehrschiffige Anlage an dem
eigentümlich weiträumigen, gegen Westen sich erweiternden Grund-
riss der Kathedrale zu Poitiers (Taf. 102).
DER AUFBAU. Das System des Aufbaues ist in seinen Grund-
zügen stets das gleiche. Jedes von einer Kuppel überdeckte Quadrat
wird von vier kräftigen Bögen begrenzt, welche auf entsprechend starken
Pfeilern ruhen. Diese Bögen bilden das struktive Gerüste. Sie sind
indes, auch wenn sie durch Archivolten als ein besonderer Architektur-
teil charakterisirt sind , fast immer von ihrer Kante an in die Fläche
der Hängezwickel übergeführt (Taf 100 — 107). Letztere sind oft sehr
unregelmässig gestaltet und ergeben keineswegs immer einen kreis-
förmigen Kranz als Auflager der Kuppel. Es hängt diese Unregel-
mässigkeit mit der Konstruktionsweise zusammen ; sie sind nicht selten
bloss ausgekragt, statt in konvergierenden Lagerfugen ausgeführt. Die
Kuppel springt gegen die Hängezwickel zurück, zuweilen so weit, dass
man auf dem Kranze herumgehen kann (in Souillac, wo das Gesimse
auf Konsolen ruht, beträgt der Rücksprung von der Gesimskante fast
1 m). Der Zweck dieses Rücksprunges ist der eines Auflagers für
die Einrüstung, auf welcher die Kuppel ausgeführt wurde.
Die seitlichen Umfassungsmauern sind in ihrem unteren Teile
durch eine auf Pfeilern oder Säulen ruhende Blindbogenstellung belebt,
welche einen schmalen, die Pfeiler durchbrechenden Laufgang trägt.
Wenige aber mächtige Fenster, in Gruppen von zwei oder drei unter
den Schildbögen angeordnet, fuhren dem Inneren ein reichliches und
schön verteiltes Licht zu, wie es bei keinem anderen System auch
nur annähernd erreicht wird.
Dieses System nun bleibt stets das gleiche, keineswegs aber der
mittels desselben hervorgerufene Eindruck. Die hohe Einfachheit
und Eindringlichkeit der beherrschenden Hauptlinien gestattet durch
Veränderung der Abmessungen und Verschiebung der Verhältnisse,
selbst dann schon, wenn diese nur eine mässige ist, höchst mannig-
faltige Modulation des Grundcharakters. Als Beispiele die folgenden
Verhältniszahlen zwischen der Kämpferhöhe der grossen Bögen und
ihrer Spannweite: in S. Ktienne zu PeVigueux 1 : 1,75, in Solignac
i:i,66, in Cahors 1:1,55, in Angoulcme 1:1,13, m Souillac 1:1,05,
in S. Front 1 : 0,89.
S. JvriENNE (alte Kathedrale) zu Perigueux (Taf. 100, 104), ist
nur ein Fragment. Den ursprünglichen Grundriss hat man sich viel-
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Siebentes Kapitel: Kuppelkirchen.
337
leicht zu denken, wie den von Cahors. Vom älteren Bau besteht das
westliche Quadrat, an das sich ehemals ein Turm anschloss. Der Ost-
bau ist in der zweiten Hälfte des saec. ia durch ein zweites, etwas
grösseres, ohne Apsis platt schliessendes Quadrat ersetzt. Die Dimen-
sionen bedeutend, die Wirkung nicht eben harmonisch. — Abteikirche
Solignac unfern Limoges (Taf. 101, 105). Trotz später Erbauung
(a. 1 143 geweiht) in der ganzen Erscheinung hoch altertümlich. Die
Proportionen identisch mit S. F.tienne, die Dimensionen geringer, doch
immer noch bedeutend (Spannung der Kuppeln 10,90 m). Infolge
der niedrigen Pfeiler erscheint der Raum merkwürdig in die Breite
gedrängt; schwerfallige Grossartigkeit wohnt in ihm; es ist, als ob der
urweltliche Charakter des Granits, aus dem das Gebäude in mächtigen
Blöcken aufgeschichtet ist, als Grundton in die künstlerische Stimmung
übergegangen sei. — Auf fast identischem Grundplan, jedoch mit
schlankerem System, Spitzbogen auch schon in der Blendarkatur, ist
die Abteikirche zu Souili.ac (Taf. 104) errichtet; der Eindruck nicht
mehr wie dort einer ungeheuren, aber gebundenen, sondern einer frei-
gewordenen, wenn auch in strenger Gemessenheit wirkenden Kraft. —
Höchst merkwürdig muss die (von uns nicht besuchte, vielfach ent-
stellte) Kathedrale von Cahors (Taf. 104) wirken; nur zwei Kuppeln,
diese aber mit einer Spannung von 16 m. — Alle übertrifft S. Front
zu PGrigueux (Taf. 105, 115). Es gibt auf der Welt keinen architek-
tonischen Kaum, der diesem an abstrakter Schönheit gleichkäme. Selbst
im Pantheon des Agrippa ist die Dekoration der Wand- und Kuppel-
nache nicht gleichgültig für die beabsichtigte Wirkung. Hier aber
ist absolute Architektur verzichtend auf jegliche Mitwirkung der de-
korativen Künste. Ein paar unscheinbare Pilasterkapitelle , das Not-
wendigste an Gesimsen zur Auszeichnung der Kämpferlinien — das
ist das ganze Detail ; auch auf Mitwirkung der Malerei war wohl nie
gerechnet. Der Erbauer hat sich allein auf seine Raumkunst verlassen,
auf die sich selbst genügende Harmonie reingestimmter Verhältnisse.
Man kann lange in diesem unvergleichlichen Räume verweilen , ohne
seiner gänzlichen Schmucklosigkeit überhaupt nur bewusst zu werden ;
als Armut empfindet man sie nie, nur als Notwendigkeit. Diese herbe
Idealität der Kunstgesinnung versetzt in um so höheres Staunen, als
sie mitten aus einer sinnlich naiven, am bunten Schein und Schimmer,
an schrauckreicher Mannigfaltigkeit vor allem sich freuenden Zeit zu
ihrer einsamen Höhe emporgestiegen ist. Der unbekannte Meister von
S. Front hat auf dem weiten Gebiete der Baukunst nur einen eben-
bürtigen Gesinnungsgenossen : den grossen Bramante. Auch ihm er-
scheint die architektonische Idee in solcher Reinheit, dass aller Schmuck
zu müssigem Beiwerk wird und nur so viel von Kunstformen zur Ver-
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
wendung kommt, als zum irdischen Kleide der Idee unumgänglich
nötig ist. — S. Front ist im Unterschiede zu allen andern aquitanischen
Kuppelkirchen über dem griechischen Kreuz erbaut; ob dies die urprüng-
liche Idee sei, ist nicht sicher; jedenfalls ist der Bau trotzdem kein
Zentralbau im eminenten Sinne, wir meinen das nicht so sehr wegen
der Verlängerung des Altarhauses, als weil die Zentralkuppel eines
höheren Accentes entbehrt, den Kuppeln der vier Kreuzarme gleich-
wertig behandelt ist. Abweichend ferner von allen übrigen Kirchen
des gleichen Systems ist die Querschnittsproportion ; in S. Front allein
ist das Maass der Kämpferhöhe grösser als das der Spannung, und
wird der Breitbau also zum Hochbau. Es ist nicht zu sagen, einen
wie andern Ausdruck die Kuppeln damit gewinnen, wie leicht, wie
schwebend sie wirken. Abweichend sind endlich auch Gestalt umi
Maass der Pfeiler. Die Fenster stehen relativ höher als irgendwo
sonst; eine herrlich abgewogene Fülle des Lichtes dringt durch sie ein;
aber keine prosaische Tageshelle, kein träumerisches Halbdunkel, kein
malerisches Spiel mit Kontrasten, sondern gerade so viel und so wenig,
als die Raumwirkung zu ihrer Unterstützung bedarf. Selbst wenn abends
beim Lichte der Lampen die Dimensionen ins Unermessliche sich aus-
zuweiten scheinen, trennen sich die Massen noch ruhig und bestimmt
wie am Tage. Es giebt Kunstwerke, deren Wesen kein Bild, geschweige
denn das Wort wiederzugeben vermag. Zu diesen gehört S. Front.
Was wir an S. Front als weise Mässigung bewundern , erscheint
an anderen perigordinischen Bauten als Dürftigkeit. Dieses Gefühl
müssen auch die Erbauer der Kathedrale von Angoulemk (Taf. 107
gehabt haben, als sie in richtiger Einsicht von dem einfachen System
des westlichen Joches in den folgenden zu reicherer architektonischer
Behandlung übergingen und den Pfeilern, wie den Pilastern der Um-
fassungsmauern Säulen vorlegten. Die starke Hereinziehung der Pfeiler
giebt eine äusserst bestimmte Gliederung des Raumes, schmale Tonnen
schliessen sich den Schildbögen an, ein römisches Motiv, wie denn die
ganze Raumbehandlung und die Gliederung des Schiffes in drei grosse
Abschnitte eine auffallende Aehnlichkeit mit römischen Thermensälen
(S. Maria degli Angeli) hat. Ausserordentlich malerisch ist der Blick
in die den Unterbau der Türme bildenden Kreuzarme. Eine intere^
sante Besonderheit gewährt die prachtvoll durchgebildete Vierungskuppel
auf reichlich lichtbringendem Tambour; wohl ein späterer Baugedanke.
Der Chor anscheinend fast ganz, aber mit Geschick erneuert.
Ausser den bisher aufgeführten Kathedral und Abteikirchen grossen
Maassstabes giebt es noch eine ansehnliche Zahl kleinerer Priorats-,
Archipresbyteriats- und selbst Parochialkirchen mit vollständig durch
geführten Kuppelsystemen. De Verneilh hat im Pdrigord ihrer 15
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Siebentes Kapitel Kuppelkirchen.
339
beschrieben, glaubt aber, dass die Zahl der noch vorhandenen leicht
30 erreichen werde; im Angoumois und Saintonge 13; int Borde-
lais nur 1. Sie schliessen sich in der allgemeinen Anlage den tonnen-
gewölbten einschiffigen Sälen an und haben dieselben speziell im Plri-
gord vollständig verdrängt. Die Grundrisse sind in die Länge gezogen,
meist ohne Querschiff, oft mit platt schliessendem Altarhaus; die Quer-
schnitte im Gegensatz zu den grossen Kirchen gedrängt (vgl. z. B.
Taf. 106, Fig. 2, 4). In der perigordinischen Schule wird die schlichte
Behandlungsweise auch auf diese kleineren Bauten übertragen, wo sie
aber nicht mehr als grandiose Strenge, sondern trocken und ärmlich
wirkt. Mehr zu loben ist die in der Einflusssphäre von Angouleme
erwachsene gegliedertere und geschmücktere Art. In den Kirchen von
Roullet, Gensac, Bourg-Charente haben wir äusserst anziehende
Beispiele davon kennen gelernt. Zu den wichtigeren gehören ferner:
die Kathedrale von Saintes (sehr verbaut), S. Liguaire in Cognac,
die Abteikirchen von Chastres und Pdyrat.
S. Caprais in Agen (Taf. 102, 110) schliesst sich im Plane des
Ostbaues an die Kathedrale von Angouleme an, mit Weglassung der
Türme und Vervollkommnung der Chorpartie; die Vierungskuppel ist
wohl nie ausgeführt worden; an ihre Stelle trat ein Kreuzgewölbe;
das Langhaus gotisch. Die Raumwirkung, namentlich in der Apsis
milde Grossartigkeit atmend, lässt noch immer erkennen, dass das
Werk, wenn nach dem ersten Plane vollendet, zum edelsten und reich-
sten der ganzen Gattung gehört haben würde.
Eine fast wörtliche Abschrift der Kathedrale von Angoul&me zeigt
die Abteikirche von Fontevrault (Taf. 101, 106).
Es ist uns zweckmässig erschienen, bei Betrachtung der aqitita-
nischen Kuppelkirchen die formale und die geschichtliche Frage von-
einander zu trennen. Denn mit der letzteren betreten wir ein kontro-
verses Gebiet.
Felix de Verneilh, der auf den Titel eines Entdeckers dieses hoch-
wichtigen Gebietes der Architekturgeschichte gerechten Anspruch hat.
glaubte allerdings auch schon dessen geschichtliche Stellung mit Sicher-
heit umschreiben zu können. Seine in dem Buche »L'Architecture
byzantine en France, Paris 1S5K, vorgetragene Lehre ist diese: Die
aquitanischen Kuppelkirchen sind ihrem Stil und Ursprung nach byzan-
tinisch; ihrer aller Mutter ist S. Front in Pe"rigueux, erbaut 984 bis
1047, und diese wieder ist die Tochter von S. Marco in Venedig.
Zwar wurden unmittelbar nach Veröffentlichung dieser Aufsehen machen-
den Thesen starke Einwendungen gegen sie erhoben : von L. Vitet im
Journal des Savants 1853 und von D. Ramdc im Text zu Gailhabauds
Denkmälern, welchen sich Kugler und Schnaase in Deutschland an-
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34o
Zweites Buch: Der romanische Stil.
schlössen. In der französischen Archäologie indes behielten de Ver-
neilhs Sätze sozusagen offizielle Geltung. Erst ganz neuerdings hat
man wieder gewagt, an ihnen zu rütteln ; so A. Rame* im Bulletin du
comitt des travaux historiques 1882, p. 100 f., und A. Saint-Paul, Histoire
monumentale de la France 1883. Im allgemeinen auf obige für uns
durchaus überzeugenden Widerlegungen verweisend, brauchen wir nur
das Nötigste herauszuheben.
Wir fragen zuerst: Was ist an diesen Bauten byzantinisch?
Zwei Grundrisstypen haben wir unter den aquitanischen Kuppel-
kirchen als allgemeiner verbreitet kennen gelernt, einen lateinisch kreuz-
förmigen und einen rein longitudinalen, querschififlosen. Ersterer ist
der im südlichen und westlichen Frankreich allgemein verbreitete, und
es unterscheiden sich die Kuppelkirchen nur darin von den tonnen-
gewölbten, dass sie stärkere Hauptpfeiler haben, ein Umstand, der, ein-
fach durch eine konstruktive Notwendigkeit bedingt, für die Stilfrage
nicht in Betracht kommt. Der zweite, wie es scheint ältere, Typus
kommt allerdings in ähnlicher Gestalt an byzantinischen Bauten vor
(Irenenkirche in Konstantinopel), ist aber so einfach, dass diese Aehn-
lichkeit nicht viel besagt. Mithin bleibt nur ein einziger Bau — S. Front
— übrig, der um seines Grundplanes willen — vorausgesetzt immer,
dass das griechische Kreuz hier wirklich ursprünglicher Baugedanke ist,
was nicht feststeht — als byzantinisch bezeichnet werden könnte : alle
übrigen sind romanisch. — Aehnlich verhält es sich mit dem System
des Aufbaues. Das Gewölbesystem (Kuppel auf Hängezwickeln) ist
allerdings byzantinisch, aber nur in der Form, nicht in der Konstruktion,
die sich von der byzantinischen wesentlich unterscheidet. Die byzan-
tinischen Hängezwickel sind stets mit konvergierenden Fugen als Teile
von Kuppelflächen gewölbt; die perigordinischen sind anfangs nichts
als Auskragungen mit horizontalen Lagerfugen. Die byzantinische
Kunst behält bis in die letzte Zeit den Rundbogen bei; hier herrscht
von Anfang an der Spitzbogen. Ferner das System der Mauergliederung
unterscheidet sich nur insoweit von dem der Tonnenkirchen , als dies
durch die andere Bildung der Hauptpfeiler und das Vorhandensein
von hohen Schildbögen bedingt ist. Es liegt jedenfalls näher, die
Blendarkaden am unteren Theile der Schildmauern mit dem System
der tonnengewölbten Kirchen in Zusammenhang zu denken, als in ihnen
ein an die Mauer geklebtes Abbild der Säulenstellungen von S. Marco
oder anderer byzantinischen Bauten zu erblicken. Noch enger schliessen
sich die Fassaden, wo solche vorhanden, den romanischen Fassaden
des Landes an, und die Einzelformen zeigen kaum einen Anklang an
byzantinische Weise.
Die aquitanischen Kuppelbauten setzen also nicht mehr als eine
ganz allgemeine Kenntnis der byzantinischen Kunst voraus, und es
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Siebentes Kapitel: Kuppelkirchen.
34»
stehen dieser manche andere französische Bauten, wie die ältesten Teile
der Kathedrale von Le Puy oder das Kirchlein von Germigny, weit
näher. Alle zusammen weisen wohl darauf hin, dass in diesen Ländern
in frühromanischer Zeit ein grösserer byzantinischer Einfluss, wie er
auch in den Zierformen zu erkennen ist, stattgefunden hat. Derselbe
ist indes keineswegs so wichtig, dass wir gezwungen wären, eine
direkte Uebermittelung durch griechische Werkleute oder auch (wie
wohl geschehen) durch Studienreisen französischer Meister anzunehmen.
Man hat auf die Handelsbeziehungen zum Orient und auf das venetia-
nische Emporium zu Limoges hingewiesen. Mit Recht insofern, als
sie einen Verkehr zwischen beiden Ländern beweisen, mit Unrecht,
wenn man direkte künstlerische Beziehungen daraus abgeleitet hat.
Wichtiger scheinen uns die Pilgerfahrten, welche gerade im 11. Jahr-
hundert die grösste Ausdehnung annahmen, und vollends die aus dem
Kreuzzug sich ergebenden Berührungen. Orientalische Kirchen wurden
besucht, ihr Bild im ganzen blieb im Gedächtnis, auf ihr Herstellungs-
verfahren gab man wenig acht. Pilger kamen freilich aus ganz Europa
nach dem Orient, — warum haben die Kuppeln gerade in Aquitanien
Aufnahme gefunden und anderwärts nicht?
Fragen dieser Art sind immer einigermassen müssig. Doch wird
manches erklärt, wenn wir antworten : erstens, weil die Fragen des Ge-
wölbebaues Leuten aus Südfrankreich überhaupt näher lagen als sonst
irgend welchen Occidentalen ; zweitens, weil hier einschiffige Anlagen,
früher flachgedeckte, später tonnengewölbte durchaus zur Gewohnheit
gehörten. Für grossräumige Kirchen dieser Art brachte das Tonnen-
gewölbe aber Unzuträglichkeiten mit sich. Desgleichen das Kreuz-
gewölbe, solange es nicht als Rippengewölbe eine höhere technische
Vollendung erreicht hatte. Ueberdies war es in jenen Gegenden eine
ebenso fremdartige Form wie die Kuppel. Diese aber war gerade zur
Ueberdeckung grosser einschiffiger Räume eine technisch und archi-
tektonisch voll befriedigende Gewölbeform.
Man sieht, es ist gar nicht nötig, die Vermittelung durch ein spe-
zielles einzelnes Bauwerk vorauszusetzen, um die Aufnahme der Kuppel
in die aquitanische Architektur begreiflich zu finden. Die von de Ver-
neilh behauptete Einwirkung von S. Marco auf S. Front hätte nur dann
Bedeutung für die Familie der Kuppelkirchen im ganzen, wenn auch
die zweite Behauptung, nämlich dass S. Front deren Prototyp sei, fest-
stünde. Nun befand sich de Verneilh noch in dem Irrtum, S. Marco
in seiner gegenwärtigen Kreuzesgestalt für ein Werk des saec. 10 zu
halten; jetzt wissen wir, durch die Forschungen von Selvatico und
Boito, dass die Markuskirche von a. 976 ein dreischiffiger Langbau
war und erst nach der Mitte des saec. 1 1 kreuzförmig umgebaut wurde,
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Zweites iluch: Der romanische Stil.
und damit fällt die geschichtliche Konstruktion de Verneilhs in sich
zusammen. Lassen wir S. Front einstweilen ganz aus dem Spiel und
halten uns an die sicher datirten Werke.
Die Kathedrale von Angoulöme wurde von Bischof Gudrard de Blaye
(i ioi — 112g) »a primo lapidec neu erbaut ; seiner Zeit gehört sicher das
erste Joch vom Westen an, wieviel von den folgenden lassen wir dahin
gestellt sein. Diesem ältesten Joch nahe verwandt ist das System der
Kathedrale von Cahors, geweiht a. 11 19; ferner das von S. Avit-Sdnieur,
wo laut Inschrift a. 1 1 1 7 die Konsekration eines Altars stattfand ; end-
lich der ältere Teil von S. Etienne in Perigueux, der unter allen aqui-
tanischen Kuppelkirchen den altertümlichsten Eindruck macht , aber
eben wegen der genannten Aehnlichkeit sehr weit über das Jahr 1 100
nicht zurückgesetzt werden darf. Die Abteikirche von Solignac wurde
erst a. 1143 geweiht, ist aber gewiss bedeutend früher begonnen, doch
auch nicht früher als im Anfang des Jahrhunderts, wohin das Ornament
der Konsolen in der Blendarkatur hinweist.
Wie steht es nun mit S. Front? Ein Blick auf den Grundriss
(Taf. 110) lehrt, dass unter diesem Namen zwei völlig verschiedene
Bauwerke zusammengefasst werden: der grosse Zentralbau und, an
diesen westlich anstossend, die Reste einer älteren, stark verbauten
dreischifiigen Kirche. Von Baunachrichten haben wir zuerst diese : >Hic
episcopus (Froterius a. 976—991) magnum monasterium S. Fr. aedi-
ncare coepit.c Nach de Verneilh »infiniment probable c der Baubeginn
des gegenwärtig bestehenden Kuppelbaues! Diese Zeitstellung ist aus
hundert Gründen , die wir nicht zu wiederholen brauchen , ein Ding
der Unmöglichkeit. Der Bau des Froterius ist vielmehr die alte drei-
schiffige Kirche, die de Verneilh mit nicht stichhaltigen Gründen ins
6. Jahrhundert hinaufrücken wollte. Doch müssen auch mit dieser
mehrmals Veränderungen vorgenommen sein, weil zu a. 1047 und
wieder zu 1077 Weiheakte verzeichnet werden Der Grundriss scheint
wegen der geringen Breite des Mittelschiffs auf eine tonnengewölbte
Hallenkirche hinzudeuten ; in den Seitenschiffen sind in der That noch
quergestellte Tonnen erhalten ; dagegen muss das Mittelschiff mindestens
zu A. saec. 12, zufolge der gleich zu erwähnenden Notiz, doch eine
Holzdecke gehabt haben. A. 1122 ein zweifach bezeugter Brand:
>. . . atque signa in clocario igne soluta sunt Erat tunc temporis mo-
nasterium ligneis tabulis coopertum . . . Monasterium S. Frontorius com-
bustum . . . cum multis hominibus et feminis.« Schon Kugler hat
richtig bemerkt, dass einer Glut, die stark genug war, um die Glocken
zu schmelzen, der gegenwärtige nichts weniger als massiv konstruierte
Turm unmöglich hätte widerstehen können; also muss die von de Ver-
neilh beobachtete Schwärzung in dessen Innerem von einem späteren,
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Siebentes Kapitel: Kuppelkirchen.
343
wohl nicht bedeutenden Feuer herrühren. Ferner bedeutet »monaste-
riumc nicht die Klostergebäude, mit welcher Uebersetzung de Verneilh
sich zu helfen suchte, sondern es ist da nach feststehendem Sprach-
gebrauch die Kirche selbst gemeint, gerade wie wir im Deutschen
»Münster« sagen, selbst von nicht klösterlichen Kirchen; auch kann
der Umstand, dass Frauen mit verbrannt wurden, nur für die Kirche,
nicht für das Kloster in Betracht kommen. Im Hinblick auf diese
Brandnachricht sind die früher genannten französischen und deutschen
Forscher übereinstimmend zum Schluss gekommen: S. Front ist nach
1 122 erbaut.
Allerdings nur ein Wahrscheinlichkeitsschluss, kein Beweis. Es
Hesse sich z. B. sagen: vielleicht ist der Kuppelbau dennoch älter,
zwar gewiss nicht 990 begonnen, aber etwa mit der Weihe von a. 1077
zusammenhängend ; vielleicht war mit der alten Basilika der Zentralbau
in der Weise in Verbindung gebracht, wie in Charroux, in S. Benigne
zu Dijon und vor allen in den Denkmalkirchen des heiligen Landes.
Eine solche Vermutung hat auf den ersten Blick sogar etwas Bestechen-
des. Doch folgen ihr alsbald schwerwiegende Bedenken. Der Zentral-
bau müsste die Basilika in einem Grade überragt und erdrückt haben,
dass der Vergleich mit den obengenannten Werken nicht mehr zutrifft.
Wichtiger noch : der westliche Kreuzarm greift in einer Weise unregel-
mässig und rücksichtslos in die alte Basilika ein, dass bei seiner An-
lage unmöglich an die Erhaltung und Mitbenutzung der letzteren für
den Gottesdienst gedacht worden sein kann. Ebensowenig aber kann
einfacher Abbruch ohne Ersatz in der Absicht gelegen haben; den
einmal von Kirchenmauern umgebenen geweihten Grund der Profanie-
rung preiszugeben, wäre durchaus gegen die Sitte gewesen. Hatte man
also Fortführung des Kuppelbaues bis zum Westende der alten Basilika
im Sinne? Wir glauben: ja, in der That. Die jetzige Abschlusslinie
des westlichen Kreuzarmes ist nur scheinbar mit planloser Willkür
gezogen — sie ist es nicht, ganz und gar nicht. Denkt man sich an
den westlichen Kreuzarm zwei weitere Quadrate von gleicher Dimension
angefügt, so würde die Innenkante der äussersten Pfeiler genau die
Innenkante der Stirnmauer der alten Kirche erreichen. Diese Kongruenz
kann keine zufällige sein , sie muss gleich bei der ersten Grundriss-
absteckung des Kuppelbaues in Rechnung gezogen worden sein. Damit
tritt S.Front aus der isolierten Stellung, die es gegenwärtig
in der aquitanischen Familie einnimmt, heraus, tritt an die
Seite von Angouleme, Solignac etc., und von S. Marco kann nicht weiter
die Rede sein. Wahrscheinlich hat man sich in die Reduktion des für
die vorhandenen Werke allzu grossartigen Planes schon bald nach dem
Baubeginn gefügt. Der Turm erhielt seine jetzige Stellung über der
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Zweites Kuch: Der romanische Stil
östlichen Hälfte des alten Langhauses, die übrig bleibende westliche
wurde zu einem Nebenraum eingerichtet, der heute weder Gestalt noch
Bestimmung mehr erkennen lässt, und das Hauptportal wurde in den
nördlichen Kreuzarm verlegt.
Um auf die chronologische Frage zurückzukommen, so wiederholen
wir: die historischen Texte begründen für die Annahme des Bauanfangs
nach ii 20 nur Wahrscheinlichkeit, nicht Gewissheit. Letztere könnte
nur durch das übereinstimmende Zeugnis technischer und stilistischer
Merkmale gewonnen werden. Die Möglichkeit, die Untersuchung in
dieser Richtung weiter zu führen, ist aber heute nur noch eine be-
schränkte. S. Front ist seit 1865 einer Restauration unterzogen worden,
die einem Neubau gleichkommt und alle technischen Kriterien für die
Altersbestimmung vernichtet hat. Es bleibt also nur das Prüfungsmittel
der allgemeinen Stilvergleichung übrig. Keineswegs für alle Zeiten
gilt, dass das künstlerisch vollkommenere Werk das jüngere sein müsse.
Für die Epoche vom Ende des saec. 11 ab ist aber ein geschwinder
und stetiger Fortschritt unbestreitbar. Stellen wir S. Front den unter
sich nahe verwandten Bauten von AngoulSme, Cahors und der Kathedrale
S. Etienne in Pdrigueux, deren Entstehungszeit E. saec. 1 1 — A. saec. 1 2 ist,
gegenüber und vergleichen sie in Bezug auf System und Raumwirkung,
so ist es gewisser, als es durch jeden historischen Text werden könnte,
dass jene letztgenannte Gruppe nicht jünger als S. Front sein kann.
Ein vereinzelter Rückschritt ist wohl möglich, nicht aber ein allgemeiner,
wie er andernfalls hier vorausgesetzt werden müsste. Dasselbe bezeugt
die Detailbildung. Bewusstes Studium der Antike, wie es die Profile
und Kapitelle von S. Front zu erkennen geben, beginnt am frühesten
in der Provence , nämlich E. saec. 11, in keinem anderen Teile von
Frankreich vor dem zweiten Viertel saec. 12.
Nach alledem dürfen wir, solange nicht ein ganz neues Material
zur Beurteilung der Frage zum Vorschein kommt, ohne Bedenken sagen :
S. Front ist in der Reihe der grossen aquitanischen Kuppelkirchen die
jüngste, geschichtlich wie künstlerisch der Gipfel. Daraus erklärt sich
auch, weshalb ausserhalb des Stammlandes in Fontevrault und Angers
die Kathedrale von AngouleW, in Solignac die alte Kathedrale von
Pe"rigueux zum Vorbild genommen wurde, — nirgends aber S. Front!
Dessen Vollendung fiel in eine Zeitströmung, die schon zu anderen
Idealen überging. Die Anfänge der aquitanischen Kuppelbaukunst
liegen im Dunkeln. Keinesfalls können sie sehr tief ins 1 1 . Jahrhundert
zurückreichen; möglicherweise sind sie erst ein Produkt des Kreuzzuges
im Zusammenwirken der im heiligen Lande gewonnenen Anschauungen
und der in der Heimat durch Schenkungen und Vermächtnisse gewaltig
aufgeregten Baulust.
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Siebentes Kapitel: Kuppelkirchen.
345
Die Verpflanzung der Kuppel nach Fontevrault rief in der dor-
tigen Gegend eine förmliche Revolution hervor. Sie traf die Bau-
kunst in einem Zustande des Schwankens und Suchens. Die Flach
deckkonstruktion, die in älterer Zeit teils einschiffige, teils dreischiffii;
basilikale Anlagen hervorgerufen hatte, war längst ein überwundener
Standpunkt; auch die engen und finstern Hallenkirchen mit Tonnen-
gewölben genügten nicht mehr. Wollte man sich bei vorgeschritteneren
Schulen Rates erholen, so bot auf der einen Seite die Normandie und
noch näher S. Martin in Tours bereits bedeutende Muster der ge-
wölbten Basilika, auf der anderen Seite Aquitanien den einschiffigen
Saal. Es ist merkwürdig genug, dass die Wahl zu Gunsten des letz-
teren ausfiel, dass der Geschmack sich für Einheitlichkeit und über-
sichtliche Weite der Raumbildung entschied. Die engere Wahl stand
dann zwischen dem Tonnengewölbe und der Kuppel. Die Anwendung
des ersteren in der Notre-Dame zu Saumur blieb vereinzelt, die Kuppel
obsiegte. Doch wurde sie nur ein einziges Mal — in Fontevrault —
in der reinen aquitanischen Form wiederholt. Alsbald trat eine Um-
gestaltung ein, in der die geographische Mittelstellung dieser Land-
schaften prägnant zum Ausdruck kommt. Denn die fragliche Um-
gestaltung zielt auf Verschmelzung mit dem aus Nordfrankreich,
zunächst der Normandie her, bekannten Kreuzrippengewölbe.
Die Baugeschichte von Fontevrault liegt leider nicht klar. Unsere
summarische Meinung — sie zu begründen würde zu weitläufig werden —
Fontevtault i Vierungskuppelj
ist diese. Ersichtlich liegt ein Wechsel im Plane vor (Taf. 101), Chor
und Transept ist (u. E.) der altere Teil, wahrscheinlich 1 1 1 9 geweiht;
das Langhaus, das ursprünglich dreischiffig werden sollte, der jüngere.
Doch dürfte der Wechsel in einem Zeitpunkte eingetreten sein, als die
Wölbungen des Transeptes noch nicht gelegt waren. Die Vierungs-
23
Zweites Buch . Der romanische Stil.
kuppel erhielt eine von denen des Langhauses abweichende, anscheinend
hier zum erstenmal angewandte Form. Wie man aus der beistehenden
Figur ersieht, ist die Sonderung der Konstruktion in Halbkugel und
Zwickel aufgegeben und erscheint die Wölbung viel flacher. Das rührt
daher, dass die Kuppel nicht einem in das Grundquadrat eingeschriebenen,
sondern einem umgeschriebenen Kreise entspricht, mithin das Zentrum
in die Tiefe der Bogenkämpfer herabrückt, die Bogen selbst aber in
den Kreis einschneiden. Dieser Versuch fand einige Nachahmung
(S. Laumer in Blois, nach 1138, Restauration von S. Martin in Angers),
konnte aber nicht lange befriedigen.
Ein fruchtbareres Princip ergab sich aus der Verschmelzung mit
dem Rippengewölbe. Ste. Trinite zu Angers (Taf. 102, 108) zeigt,
woher es im Anjou eingeführt ist. Das erste Joch westlich vom Chor
hat ein vierteiliges Kreuzgewölbe mit senkrecht übermauerter Trans-
versalrippe, die folgenden sechsteilige Gewölbe: beides normannische
Formen. Ste. Trinite" ist ein Umbau aus einer dreischiffigen Anlage,
voll eigentümlicher und interessanter Züge, aber noch ohne harmo-
nische Wirkung. In S. Pierre in Saumur sind die ein Doppelkreuz
bildenden Rippen wohl blosses
Dekorationsmotiv, die Konstruktion
steht auf der Stufe von Fontevrault.
— Es dauerte aber gar nicht lange,
so erstand auf dem Grunde dieser
und ähnlicher Experimente schon
eine reife Meisterschöpfung in der
mächtigen Kathedrale S. Maurice
zu Angers (Taf. 107, 108, 116).
Ihre Baugeschichte ist ungewöhn-
lich gut überliefert. Zwischen 11 50
und 1160 waren die Gewölbe des
Schiffes vollendet; 11 70 wurden die
bis dahin mit hölzernen Verschlüssen versehenen Fenster verglast ; 1 178
bis 1198 wurde der südliche, erst nach 1236 der nördliche Kreuzarm
ausgeführt, 1274 ist der Chor vollendet (Congres archeol. 45. sess.). Die
langsame Bauführung hat die Einheit des Werkes indes nur wenig beein-
trächtigt. Ohne Belang für die Gestaltung ist die teilweise Benützung
der Seitenschiffsmauer einer älteren Basilika. Der streng quadratische
Grundriss der Joche wie überhaupt die Grundzüge der Komposition
sind aus den Kuppelkirchen herübergenommen, die Selbständigkeit
des einzelnen Joches dagegen weniger stark betont. Die Pfeiler treten
im Inneren weniger vor und sind in nordfranzösischer Weise durch
Rückspringe und Halbsäulen gegliedert, entsprechend der veränderten
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Siebentes Kapitel: Kuppelkirchen.
347
Gestalt des Gewölbes; dagegen die äusseren Widerlager (Strebepfeiler)
verstärkt; endlich die Quer- und Schildbögen, welche die Last des
Gewölbes nicht mehr allein zu tragen haben, sondern sich mit den
Diagonalgurten darin teilen, bedeutend schmäler, die Mauern ungleich
weniger mächtig gebildet. Kurz, das Princip der Trennung der Kon-
struktionsteile in statisch wirkende und in statisch indifferente, bloss
raumabschliessende, ist hier schon vollkommen ebenso klar durch-
geführt, aber ästhetisch in ganz anderem Sinne verwertet, wie nach-
mals in der Gotik. Der Einfachheit der tektonischen Komposition
entspricht gleiche Einfachheit in der Ausschmückung. Man muss die
überquellend üppige Pracht der in der ersten Hälfte des Jahrhunderts
in derselben Stadt entstandenen Bauten des Klosters S. Aubin daneben
halten, um die hier in der Kathedrale eingetretene Reaktion zu wür-
digen. Der Detailreiz ist nicht so rigoros verschmäht wie in S. Front,
aber es ist ihm doch nur ein untergeordneter Platz eingeräumt. Ein
klarer Verstand, ein heiterer Ernst wohnt in diesem von hellstem Licht
erfüllten Räume, das Gegenteil von allem Mystischen.
Ein Vergleich mit der Kathedrale von Angoulöme, liegt nahe
Die von Angers bekundet ein reiferes Können. So ist in Angouleme
der Höhenunterschied zwischen der Blindbogenstellung und den Haupt-
kämpfern etwas unentschieden, was hier weit besser ist. Im ganzen
aber gleichen sich die Vorzüge und Nachteile beider ziemlich aus. Die
Konzentrierung der Last des Gewölbes auf vier Punkte und die Raum-
gliederung ist schon in Angouleme gegeben und zwar in einer Kraft
und Schönheit, welche Angers nicht erreicht, wenn es auch in den
Proportionen besser ist. Die Kuppel auf schwebendem Kranze ist doch
eine höhere Gewölbeform als das Kreuzgewölbe, namentlich wenn es
kuppeiförmig behandelt ist. Die Kuppel hat den Vorzug der klaren
und bestimmten Scheidung der Joche, wogegen das Kreuzgewölbe eine
grössere Einheitlichkeit der Decke und eine bessere Beleuchtung der-
selben gewährleistet. Es nimmt eine Mittelstellung zwischen der zen-
tralistischen, jedes Joch trennenden Kuppel und dem einigenden Tonnen-
gewölbe ein und teilt die logischen Vorzüge, die charakteristischen
Schwächen aller Mittelstellungen.
Mit grosser Geschwindigkeit breitet sich der belebende Einfluss
der Kathedrale von Angers im Norden wie im Süden der Loire aus.
Sie ist das Programm werk und die Basis des sogenannten Planta-
genetstils. Der nicht eben glücklich erfundene ') Name will sagen,
dass der Sitz desselben in den Stammlanden des auf den königlichen
') Das Folgende Niederschrift von G. B. in der Kathedrale zu Angouleme am
2. Mai 1885.
*) Vom Archäologen Godard-Faultrier.
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34»
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Thron von England erhobenen Heinrich Plantagenet Grafen von Anjou
und seiner Gemahlin Eleonore, Erbgräfin von Poitou, lag. Dieser Stil
ist über das Romanische hinausgewachsen, aber nicht gotisch nach dem
herkömmlichen Begriff, vielmehr ein ganz selbständiger Bruderstil des
frühgotischen der französischen Königsdomäne, auf dem Boden der
gleichen konstruktiven Grundgedanken einem wesentlich verschiedenen
künstlerischen Ziele nachgehend. Mitten auf seinem Wege wurde er dann
von der eindringenden Pariser Architektur überrascht und in seiner
eigentümlichen Fortentwicklung gestört. Wir haben hier nur seine vor
der französischen Invasion liegenden Leistungen zu betrachten.
Im genauen Anschluss an das System von Angers bewegen sich
der Umbau des Langhauses von Notrc-Dame de la Cottture zu Le
Mans (Taf. 108, 119) und der Kathedrale von Laval.
Selbständiger werden die neueren Anregungen im Poitou verar-
beitet. Der Mittelpunkt ist die schon 1161, also unmittelbar nach
Vollendung des Schiffs von Angers begonnene und im Chorbau rasch
geförderte Kathedrale S. Pierre zu Poitiers. In ihr geht das kuppei-
förmige Kreuzrippengewölbe mit der altheimischen Hallenanlage eine
der glücklichsten Vermählungen ein (worüber des näheren im folgen-
den Kapitel).
Gleichzeitig und offenbar von denselben Bauleuten wurde der Um-
bau der Ste. Radegunde (Taf. 102, 109) ausgeführt; hier lag eine
Hallenkirche in den engen Proportionen des u.saec. vor, deren drei
Schiffe nun, um dem total veränderten Raumgefühl zu genügen, nach
dem Muster der Bauten von Angers in ein einziges zusammengezogen
wurden; die Gliederung des Gewölbes schon unvergleichlich besser
gelungen, wie in Ste. Trinke" zu Angers.
Die Vorzüge der Rippenkonstruktion machten sich endlich selbst
in dem alten Stammlande des Kuppelbaues siegreich geltend. Sie
finden sich als Umbauform in der Schlosskirche von Brantome und
der Abteikirche von S. Avit (Taf. 101); als von vornherein beab-
sichtigte über der Vierung der Hallenkirche S. Amant-de-Boixe (ge-
weiht 11 70); zu Brassac; endlich zu einer nach allem Anschein durch
die Kathedrale von Poitiers inspirierten, jedoch früher vollendeten
Hallenanlage verwendet in der bedeutenden Cistercienserkirche La
Couronne (jetzt Ruine) unweit Angouleme, erbaut a. 11 71 — 1201.
Wir schliessen mit einem Unikum, das zugleich ein Kuriosum ist:
Die Kollegialkirche S. Ours auf dem Schlossberge von Loches, süd-
lich von Tours (Taf. 102, 110). Wieder die beliebte Verwandlung
einer alten dreischiffigen in eine einschiffige Kirche. Der Anordner,
Prior Thomas Pactius (f 1168), kam auf den sonderbaren Einfall, die
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Siebentes Kapitel : Kuppelkirchen.
349
zwei Joche des keineswegs weiträumigen Langhauses nicht mit Gewölben
irgend welcher bekannten Art, sondern mit achtseitigen Spitzpyramiden
nach Art der hölzernen Turmhelme zu bedecken. Man sieht von
unten in deren offenen Hohlraum hinein , das Auge erreicht aber nie
den Gipfel, weil dieser sich in undurchdringliche Nacht verliert. Auch
eine Art, dem Seitenschub vorzubeugen!
Unter allen ausserbasilikalen Gattungen der Gewölbebaues ist
die aquitanische Kuppelkirche und ihre angevinische Fortbildung die
künstlerisch vornehmste. S. Front in Perigueux, S. Pierre in An-
gouleme, S. Maurice in Angers, S. Pierre in Poitiers: in diesen vier
Namen ist das Höchste umfasst, was die Baukunst des Mittelalters im
Westen von Frankreich hervorgebracht hat. Von gemeinsamem
Grunde sich erhebend bilden sie vier ganz selbständige Gipfel. Im
weiten Reiche der romanischen Architektur können nicht viele Werke
sich mit ihnen messen, keines überragt sie.
3. Basiliken mit Klostergewölben oder Kuppeln.
Wir kennen deren in Frankreich nur zwei, beide zählen zu den
merkwürdigsten und eigenartigsten Werken der romanischen Baukunst.
NOTRE DAME DU PUY (Taf. m, 112, 114, 115). Auf der
Höhe des felsigen Hügels, welchem die Stadt Le Puy angebaut ist,
erhebt sich die Kathedrale, überragt von dem neuerdings mit dem
Standbilde der N.-D. de la France gekrönten rocher de Corneille. Die
Lage lässt sich kaum malerischer denken und ihre Vorteile sind aufs
glücklichste benützt. Aus den engen, steilen Strassen der Stadt, die wie
keine zweite das mittelalterliche Gepräge bewahrt hat, führt eine breite
Treppe von 60 Stufen, an jene andere weltberühmte von Araceli in
Rom erinnernd, auf die Westfront zu. Sie erreicht damit aber noch
dicht die Flurhöhe der Kirche, sondern erst die gewaltigen Substruktions-
hallen, auf denen der westliche Teil derselben ruht. Innerhalb dieser
setzt sie sich in 42 Stufen bis unter das vierte Joch des Schiffes fort,
teilt sich hier in zwei Arme und erreicht so links den Kreuzgang,
rechts die Kirche, in die man im fünften Joch des südlichen Seiten-
schiffs eintritt. So jetzt; ehemals liefen die Stufen immerfott in ge-
rader Linie unter dem Mittelschiff hin und mündeten vor der Vierung.
Idee wie Ausführung dieser einzigartigen Anlage sind gleich über-
raschend und imponierend. — Ausserdem sind zwei Eingänge an der
Ostseite des Querschiffes angeordnet, in welcher Richtung das Terrain
weniger steil abfällt.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
Die Kirche ist eine dreischiffige Basilika von sechs Jochen im
Vorderschiff, die Kreuzarme springen weit vor und endigen in je zwei
kleinen Kapellen, die drei Chorkapellen sind geradlinig abgeschlossen.
Oestlich schliesst sich ein sehr merkwürdiger Glockenturm an. Vor
dem südöstlichen Eingang eine schöne spätromanische Vorhalle.
Der Bau ist nicht einheitlich, man kann deutlich drei Epochen
unterscheiden, Lokalforscher unterscheiden deren fünf bis sieben. Der
älteste Teil uinfasst Chor, Querschiff und zwei Joche des Langhauses.
Es folgen die beiden mittleren und endlich die zwei westlichen Joche
des Schiffes.
Die Betrachtung des Aufbaues wird diese Teilung bestätigen. Die
Vierung erhebt sich auf kräftigen, sehr eigentümlich behandelten
Pfeilern von T-förmiger Grundform. Die Arme des T sind in gewisser
Höhe ausgeschnitten und durch Doppelsäulen ersetzt, welche die Gurt-
bögen aufnehmen, in die drei Seiten des Fusses und in das Haupt
des T sind die Säulen eingelassen, letztere Uber einer kleinen Nische
(Querschnitt links Taf. 1 1 1). Die Doppelsäulen sind ein byzantinisches
Motiv, sie finden sich in ähnlicher Weise wieder an der kleinen Kirche
von Germigny des Pres (Taf. 41, Fig. 12) und an der östlichen Kuppel
von S. Marco in Venedig. Die Bögen sind gleichfalls in byzantinischer
Weise stark überhöht, endlich ist auch die Formgebung eine roh byzan-
tinisierende. — Ueber Trompen und kleinen Konsolen erhebt sich
eine runde Kuppel, welche sich in einem weiten Kranze nach einer
reich gegliederten Laterne öffnet. Die Kreuzarme sind mit Tonnen-
gewölben bedeckt, ihr äusserer Teil ist zweigeschossig, es sind ähnlich
wie an normannischen Bauten Tribünen eingebaut. Diesem Teil gehören
noch die beiden östlichen Joche des Langhauses an.
Was wir hier zusammenfassen ist keineswegs ganz einheitlich. Nach
der Ansicht des Mr. Aymard, archiviste de la Haute-Loire, sollen die
drei Chöre dem saec. 4 und 5 angehören, was schon durch ihren
platten Schluss unwahrscheinlich gemacht wird; die unteren Teile der
Vierung schreibt Mr. Aymard dem saec. 6 und 7, die Kreuzarm/ dem
8. die höheren Teile dem 9 zu. Sicher ist die ganze Anlage hoch-
altertümlich und zweifellos war sie von Anfang an auf Wölbung an-
gelegt, ihre Datierung ist indes in Ermangelung aller näheren Analogien
eine äusserst schwierige. Wir glauben, von der Vierungslaterne ab-
gesehen, keinen sehr weiten Altersunterschied zwischen den älteren
und jüngeren Teilen annehmen zu sollen und möchten das Ganze
nicht über die Frühzeit saec. n zurückdatieren. Auch für diese Zeit
bleibt der Bau eine sehr achtenswerte Leistung, deren Unbeholfenheit,
ja Roheit des Einzelnen vollkommen ausgeglichen wird durch die
bedeutende Gesamtwirkung.
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Siebentes Kapitel : Kuppelkirchen.
351
In den beiden folgenden Jochen sind die Scheid- und Gurtbogen
spitz und mit gegliederten Archivolten geschmückt, Uber den Scheid-
bögen ein sehr eigentümliches Triforium, ein reich behandelter Licht-
gaden und ein achteckiges Klostergewölbe. Die folgenden Joche mit
rundbogigen Scheidbögen sind in entwickelteren Formen ausgeführt,
schliessen sich aber in ihrer Gesamtkonzeption den vorigen nahe an.
Die vier Joche der Vorhalle sind den entsprechenden Teilen der Kirche
gleichzeitig. Die beiden mittleren Joche dürfen vielleicht noch der
Spätzeit des saec. 1 1 oder dem beginnenden saec. 1 2 zugeschrieben
werden, die westlichen sind nicht vor der Mitte saec. 12 denkbar,
können aber auch nicht viel später sein. Die eigentümliche Form der
Kuppeln weist auf Burgund, wo wir sie in Tournus (Taf. 137), S. Martin
d'Ainay (Taf. 125) und danach in La Boisse zwischen Genf und Lyon
und in S. Andre* de Bagl wiederfinden.
Auf dass Aeussere, namentlich auf die sehr merkwürdige Fassade
und den reizenden Kreuzgang werden wir zurückkommen.
Die Innenwirkung der Kathedrale von Le Puy ist namentlich nach
der malerischen Seite eine sehr bedeutende. Sie vereinigt die Vorzüge,
welche die Basilika für die Lichtführung gewährt, mit der bestimmten
und kräftigen Raumgliederung der Kuppelbauten, hat aber vor diesen
den Vorzug des hoch einfallenden Oberlichtes, welches in Verbindung
mit den tief herabreichenden Gurtbögen einen reichen Wechsel von
Licht und Schatten bewirkt. In historischer Beziehung zählt sie zu
den grössten Merkwürdigkeiten. Eine eingehende Untersuchung und
eine genauere Aufnahme, als wir zu bieten imstande sind, ist dringend
zu wünschen.
S. HILAIRE ZU POITIERS (Taf. 114). An künstlerischem Werte
der Kathedrale von Le Puy nachstehend, reizt S. Hilaire den analy-
sierenden Scharfsinn des Archäologen vielleicht in noch höherem Masse.
Leider ist von dem alten Bau nur der Chor, das Querschiff und etwa
zwei Joche des Schiffes erhalten.
Zur Baugeschichte ist zu bemerken, dass ein Neubau durch Agnes
von England (?), Gräfin von Poitou unter Leitung eines sächsischen
Meisters Walter von Cooleland begonnen wurde. Die Weihe fand
a. 1049 statt (Inkersley S. 42). In der Spätzeit saec. 11 oder im Be-
ginne saec. 12 wurde die Kirche in einen Gewölbebau umgewandelt,
Man darf diesen Umbau vielleicht mit dem Umstände in Verbindung
bringen, dass die Reliquien des heiligen Hilarius einmal nach Le Puy
geflüchtet worden waren, woher sie im saec. 1 1 zurück gebracht wurden.
Mehr als eine allgemeine Anregung hat indes Le Puy keinesfalls ge-
boten. Das Gebäude, in der Revolution zum grössten Teil zerstört,
wurde neuerdings, um eine Kuppel verkürzt, wieder aufgebaut.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
Die Kirche ist siebenschiffig mit zweischifhgem Querhause und
Chor mit Umgang und vier Kapellen. Eine genauere Untersuchung
der alten Teile ergiebt indes, dass sie ursprünglich nachgedeckt und
vermutlich nur dreischiffig war. Die anlässlich der Ueberwölbung vor-
genommenen Aenderungen sind ziemlich tiefgreifend und es dürfte
kaum möglich sein ein vollkommen zuverlässiges Bild der ursprüng-
lichen Anlage zu gewinnen. Im System wechselten Säulen und Pfeiler;
die Bögen, welche je ein Doppeljoch umfassen, gehören ebenso wie
die Oberfenster dem Umbau an. Ein altes Fenster hat sich in dem
ersten Halbjoche westlich der Vierung erhalten. Das System der
wechselnden Stützen, welches sonst im westlichen Frankreich nicht,
wohl aber in England vorkommt, spricht dafür, dass wir Reste vom
Bau des Walter von Cooleland vor uns haben. Die älteren Mauern
sind im kleinen Handquaderverband ausgeführt, während die jüngeren
Teile aus grösseren Werkstücken hergestellt sind.
Nach der Ansicht französischer Archäologen wären in dem Ge-
bäude einzelne noch ältere Teile erhalten. Dies kann vielleicht mit
Recht von der eigentümlich zwischen den nördlichen Kreuzarm und
das Seitenschiff eingeschobenen Halle behauptet werden, welche an-
scheinend ursprünglich eine zweigeschossige offene Vorhalle war, über
der sich ein Turm erhob; vgl. über diese Fragen de Cougny im Bull,
mon. 34 S. 149 ff. Wir können den Ausführungen desselben nicht in
allen Stücken beistimmen, glauben vielmehr, dass Reste, welche über
das saec. 1 1 zurückreichen, in dem Gebäude nicht enthalten sind. Wir
hatten zu einer genaueren Untersuchung weder Zeit noch Gelegenheit
und hielten es für wichtiger, eine wenigstens in den Hauptzügen richtige
zeichnerische Darstellung des merkwürdigen Gebäudes zu geben, ohne
welche gerade bei einer so ungewöhnlichen Anlage auch eine ein-
gehende Besprechung nur schwer verständlich sein würde.
Interessant ist die Art und Weise, in welcher der Meister des
Umbaues die Ueberwölbung der sehr weiten flachgedeckten Kirche
ermöglicht hat. In den Seitenschiffen erhielt jedes Doppeljoch zwei
parallele quergestellte Tonnen, in die von der Mittelsäule aus je zwei,
von den grossen Gurtbögen, welche tiefer ansetzen und schon dem
älteren Bau anzugehören scheinen, je eine Stichkappe einschneiden. —
Im Mittelschiff wurde zunächst eine Verstärkung der Mauern vorge-
nommen und zwar in recht glücklicher Weise dadurch, das in die Ecken
der Pfeiler zwei schlanke Säulchen gestellt, und von ihnen aus ein die
beiden Bögen jeden Doppeljoches umfassenden Bogen vor die Mauer
vorgeblendet wurde. Aber auch so war die Weite immer noch zu gross
und es wurde deshalb den Hauptpfeilern entsprechend eine zweite
Pfeilerreihe aufgestellt, wodurch annähernd quadratische Felder und
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Siebentes Kapitel: Kuppelkirchen.
353
überdies ein sehr sicheres Widerlager für die Kuppeln gewonnen wurde.
Die inneren Pfeiler (vgl. den Querschnitt rechts) sind zweimal mit den
Umfassungsmauern verbunden (vgl. S. Pierre zu Chauvigny (Taf. 124)
und die schmalen Felder mit Kreuzgewölben überdeckt. Das ganze
System verfehlt nicht eine im malerischen Sinne schöne Wirkung.
Das zweite mit dem Kuppelgewölbe vertraute Gebiet des Abend-
landes war bekanntlich die Ostküste Italiens. Wo so viel Arten
Kompromisse zwischen Basilika und Zentralbau zustande kamen, konnte
es nicht fehlen, dass auch die Ueberwölbung eines basilikalen Mittel-
schiffs mit einer Folge von Kuppeln versucht wurde. Doch ist es
nur vereinzelt geschehen und an nicht eben bedeutenden Gebäuden.
S. Sabino zu Canosa, geweiht a. 1101, ziemlich byzantinisch be-
handelt; über die Gewölbeform der Seitenschiffe gibt Schulz leider
nichts an; doch wohl Tonnengewölbe? — Dom zu Molfetta, gleich-
falls mit Querseitenschiffen; nur die Vierungskuppel über Pendentifs,
die des Langhauses über Trompen; die Formen rein romanisch und
zwar spät. — Kleinere Anlagen sind S. Maria de Martiri bei Molfetta
und S. Maria immaculata in Trani. Quasts Vermutung aquitanischen
Einflusses scheint uns so wenig, wie Schnaase, wahrscheinlich. Selbst
die Halbtonnen in Trani können nicht dafür angeführt werden, da sie
auch sonst in dieser Gegend vorkommen.
S. Antonio zu Padua (Taf. 100, 103). Die Kirche ist von Essen-
wein in den Mitth. der k. k. C.-Comm. Bd. VIII. (1803) S. 69 ff. u.
96 ff. und danach von Schnaase G. d. C.-K. VII. S. 133 ff. eingehend
besprochen. Unter Hinweis auf das dort Gesagte können wir uns
um so kürzer fassen, als das in diesem grossen Werke Gewollte nach
keiner Richtung erreicht ist. Schon ihre allgemeine stilistische Stellung
ist eine unklare, zwischen dem romanischen und gotischen Stile
schwankende. Sie ist kein Uebergangsbau, welcher die konstruktiven
und formalen Errungenschaften des neuen Stiles selbständig zur Weiter-
bildung der heimischen Weise verwertet, sondern ein Werk, welchem
bei wesentlich romanischer Anlage einige gotische Elemente ohne innere
Notwendigkeit beigegeben sind. Nur der Chor, eine Erweiterung des
ursprünglichen Planes, schliesst sich dem gotischen Schema enger an
und ist, wenn auch nicht im besten Einklang mit dem Ganzen, für
sich betrachtet nicht ohne Verdienst.
Die Erbauer wollten den benachbarten Kuppelbau von S. Marco,
dessen Einwirkung unverkennbar ist, dadurch übertreffen, dass sie ihn
um ein Joch verlängerten und zur Basilika erweiterten. Sie entwarfen
ihren Grundriss nach dem in Oberitalien üblichen gebundenen Ge-
wölbesysterae, mit zwei Jochen in den Seitenschiffen auf ein Joch im
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354
Zweites Buch- Der romanische Stil.
im Mittelschiffe. Die Seitenschiffe sind jenseits des Querschiffes fort-
gesetzt und umgeben den Chor als Umgang mit elf Kapellen.
In Erinnerung an den säulengetragenen Laufgang in S. Marco ist
auch hier ein solcher über den Scheidbögen angebracht. Er steht
S. Maria m Trani. S. Sabino xu Cano*a.
jedoch nicht frei, sondern ist an die hohe Schildmauer angelehnt. Im
Mittelschiff stark überhöhte Kuppeln auf Hängezwickeln, in den Seiten-
Dom zu Molfetla.
schiffen Kreuzgewölbe. An Stelle der Pfeilergruppen und der sie ver-
bindenden Säulenreihen von S. Marco sind stärkere und schwächere
Pfeiler getreten, welche, wenn sie auch weit schmälere Gurtbögen er-
geben als dort, doch den malerischen Durchblick in übelster Weise
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Siebentes Kapitel : Kuppelkirchen.
3S5
hemmen. Das Innere imponiert durch seine Grösse, entbehrt aber des
Reizes wohlabgewogener Verhältnisse und der künstlerischen Durch-
bildung des Organismus, wie der Einzelformen. Die Kirche ist be-
gonnen a. 1232, der Bau geriet indes bald ins Stocken und wurde
erst nach 1256 rascher gefördert, a. 1307 war er in der Hauptsache
vollendet.
Beschreibung der Tafeln.
Grundrisse.
Tafel 100.
1. Venedig: S. Marco. — Zweite Hälfte saec. ri. — Kreutz: la basi-
lica di San Marco.
2. Padua: S. Antonio. — saec. 13. — Essenwein in den Mitt. der
k. k. C.-Comm., VIII. 1863.
3. Pirigueux: S, Etienne. — Westliche Kuppel c. a. n 00, Östliche
E. saec. 12. Aus Versehen verkehrt gestellt. — De Verneilh.
4. Perigueux: S. Front. — Die schwarzen Teile geben die Kuppel-
kirche (beg. a. 11 20?), die doppelt schraffierten die ältere Kirche
(c. a. 990), die einfach schraffierten spätere Zuthaten. — Bezold
(für den Zentralbau), De Verneilh.
5. Cahors: Kathedrale. — c. a. 1100. — De Verneilh.
6. 5. Jean de Cole. — Jünger als die Klostergründung a. 1086. —
De Verneilh.
Tafel zoi.
1. *Solignac. — 1143 geweiht. — Bezold.
2. Souillac. — saec. 12. — De Verneilh.
3. S. Avit Sinieur. — Beginn saec. 12. Kuppeln erneuert. — De Ver-
neilh.
4. Le vieux Mareuil. — saec. 12. — De Verneilh.
5. Roullet. — saec. 12. — De Baudot.
6. *Gensac. — saec. 12. — Dehio.
7. *Bourg sur Charente. — saec. 12. - Bezold.
8. *Tremolac. — Schiff saec. 12 Frühzeit, Chor Ende saec. 12. —
Bezold.
9. Angouleme: Kathedrale. — Begonnen zw. 1101 — 11 19. — Reynaud.
10. Fontevrault. — Chor gew. a. 11 19, Schiff jünger. — De Verneilh.
Tafel 102.
1. * Angers: Sainte Triniti. — saec. 12, Mitte. Transept und Chor
älter, begonnen angeblich 1092. — Dehio.
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356 Zweites Buch: Der romanische Stil.
2. Angers: Kathedrale. — Schiff ca. 1150, südlicher Kreuzarm 1175,
Chor saec. 13. — Reynaud, Bezold.
3. *Loches; S. Ours. — Chor saec. n, Schiff c. a. 1160, Vorhalle
E. saec. 12. — Dehio.
4. *I\>itiers: Sie. Radegonde. — Chor und Vorhalle saec. 11, Schiff
c. c. 1 170. — Dehio.
5. Poitiers: Kathedrale. — Begonnen 1 161 . — Viollet-le-Duc,
Bezold.
6. *Agen: S. Caprais (Kathedrale). — saec. 12 u. 13. — Bezold.
_ _ , Schnitte.
Tafel 103.
1. Venedig: S. Marco. — Reynaud.
2. Padua: S. Antonio. — Essenwein.
Tafel 104.
1. Pirigueux: S. Etienne. — De Verneilh.
2. *Souillac. — Bezold.
3. Cahors: Kathedrale. — De Verneilh.
Tafel 105.
1. Pirigueux: S. Front. — Gailhabaud, Monuments, De Ver-
neilh und eigene Messungen.
2. *Solignac. — Bezold.
Tafel 106.
1, 2. Roullet. — De Baudot.
3. *Gensae. — Bezold.
4. *Tremolae. — Bezold.
5. Fontevrault. — De Verneilh.
6. Angoulcme : Querschnitt. — Reynaud.
Tafel 107.
1. Angoulcme: Kathedrale. — Reynaud.
2. Angers: Kathedrale. — Aufnahme des Schiffes und Hauptmasse
des Chores: Bezold; Darstellung des letzteren im einzelnen nach
Reynaud.
Tafel 108.
1. * Angers: Kathedrale. Querschnitt. — Bezold.
2, 3. * Angers: Saint e TriniU. — Bezold.
4. Le Maus. — N. D. de la culture. Viollet-le-Duc.
Tafel 109.
1. * Poitiers: Ste. Radegonde. — Bezold.
2, 3. * Poitiers: Kathedrale, Chor. — Bezold.
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i
Sicbenes Kapitel: Kuppelkirchen.
357
Tafel 110.
1. * Loches: S. Ours. — Bezold.
2. *Agen: S. Caprais. — Bezold.
Tafel in, ii2.
*Ze Puy: Notre Dame. — Bezold. — Den Namen eines ein-
heimischen Architekten, der uns die Maasse der Vierungskuppel
mitteilte, haben wir leider vergessen.
Tafel 113.
*Poitiers: S. Hilaire. — Schnitte Bezold, Grundriss nach einer
älteren Aufnahme, veröffentlicht von Parker : Archaeologia, Bd. 34.
Perspektivische Ansichten.
Tafel 114.
1. *Angouleme: Kathedrale. — H. Stier.
2. *Le Puy: Notre Dame. — H. Stier.
3. *Tournus: S. Phüibert. Chorumgang. — H. Stier.
Tafel 115.
1. *Pcrigueux: S. Front. — Nach geometrischer Aufnahme mit Be-
nützung einer Skizze von Dehio.
2. Le Puy: Notre Dame. — Nach geometrischer Aufnahme.
Tafel 116.
1. * Angers: Kathedrale. — Nach geometrischer Aufnahme.
2. *Poitiers: Kathedrale. Südliches Seitenschiff. — Nach Photographie.
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Achtes Kapitel.
Hallenkirchen mit Tonnengewölbe.
i. Eingeschossige Anlagen.
Die beiden vorigen Kapitel haben dargethan, in welchem
Umfange im Süden und Westen von Frankreich einschiffige Pläne
verbreitet waren, ja man darf alles in allem wohl sagen, dass der
besondere Baugeist dieser Gegenden in dieser Grundform sich am
eigentümlichsten und grössten zeigte. Freilich waren ihr lange Zeit,
was die Grössenverhältnisse betrifft, gewisse nicht zu übersteigende
Schranken gesetzt. Erst die vervollkommnete Wölbekunst des 12. Jahr-
hunderts vermochte, und zwar nur selten noch mit der alten Form
des Tonnengewölbes, in der Regel erst mit Hilfe der Kuppel und
des Kreuzgewölbes, wahre Grossräumigkeit zu erreichen. Die ältere
Zeit hingegen griff da, wo sie Kirchen von grösserer Grundfläche
nötig hatte, zur Zusammensetzung der Decke aus mehreren parallelen
Tonnengewölben. Die Römerbauten des Landes gaben das Vorbild
dazu. Neu und fruchtbar war aber der Gedanke, dieses Deckensystem
mit dem ererbten Grundriss der Basilika und der Raumteilung durch
Freistützen in Verbindung zu setzen.
Die ältesten erhaltenen Beispiele, noch aus dem 10. Jahrhundert,
gehören dem Rhonethal an. Bald verbreitete sich die Form über die
Küstenlandschaften des Mittelmeeres und bis nach Spanien. Im Westen
ist sie nicht lange nach a. 1000 sicher bekannt gewesen.
Die Hallenkirche hat unter allen Gattungen des französisch-
romanischen Gewölbebaus die grösste Zahl von Individuen hervor-
gebracht, wie auch die grösste räumliche Verbreitung gefunden. Dank
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Achtes Kapitel: Hallenkirchen mit Tonnengewölbe.
3 59
der Festigkeit ihrer Bauart und der in den betreffenden Landschaften
verhältnismässig unerheblichen, zum Teil selbst ganz schwachen Bau-
thätigkeit der nachromanischen Epochen ist die Zahl der bis heute
erhaltenen Denkmäler sehr gross. Eine irgend vollständige Statistik
ist noch nicht geliefert. Die folgende Uebersicht des Wichtigsten wird
also nur ein annäherungsweise richtiges Bild geben können.
In Lyon: S. Martin d'Ainay und S. Irinee. Im Vivarais die
Kirche von Cruas. In Dauphine", Provence und Bas-Languedoc
mehrere Kathedralen: zu Valence, zu Die*, zu Apt, zu Vaison, zu
Marseille, zu Nimes, sämtlich saec. n oder frühes saec. 12; im weite-
ren Verlaufe des saec. 12 tritt die dreischiffige Hallenanlage zu Gunsten
der einschiffigen zurück, nur die Cistercienser bevorzugen sie, so in
Thoronet, Silvacanne, Senanque. Vornehmlich durch diesen Orden
wird sie auch in Burgund vertreten: Fontenay, Hauterive, Bonmont.
Im südlichen Languedoc: S. Nazaire zu Carcassonne, Kirchen zu
Alet, Espondilhan, Quarante, die stattlichen Abteikirchen von Eine und
Fontfroide und eine wie es scheint nicht geringe Anzahl kleinerer
Kirchen im Roussillon und in den Pyrenäen, zum Teil von altertüm-
lichem Gepräge, wie Canigou, Sabart. Auf diesem Wege eignete sich
auch Spanien die Hallenkirchen an: Gerona, Huesca, Segovia. Da-
gegen besitzen das Toulousain und Albygez, die Uberhaupt arm an ro-
manischen Bauten sind — eine Folge der Zerstörungen des Ketzerkrieges
— nur wenige Beispiele. Reicher ist das Agenais: Moirax, Monsem-
pron, Mas. Im Pdrigord und Angoumois teilte sich im saec. 11 die
Hallenkirche mit der einschiffigen tonnengewölbten, und wurde im 12.
durch die Kuppelkirchen stark zurückgedrängt, wiewohl nicht beseitigt :
Cadouin, Bussiere-Badil, Chateauneuf, Aubeterre, S. Amand-de-Boixe
sind im saec. 12 gebaut. Ueberschreiten wir die Charente, so finden
wir dagegen die Hallenkirche bis ans Ende der romanischen Epoche
im Uebergewichte. So im Bas-Saintonge und Aunis — Beispiele:
Saintes, Aulnay, Eschillais, Surgeres — wie andererseits im Limosin
und der Marche — Beispiele: Brives, Beaulieu, Tülle, Uzerches, Oba-
zine, Lesterps, alte Kathedrale von Limoges (?), Le Dorat, Be*ndvent,
S. Junien, Chambon, Chateau-Pon^at, La Souterraine. Im Poitou und
derVende"e endlich hat sie nahezu die Alleinherrschaft — Beispiele:
Notre-Dame-la-Grande , Montierneuf, S. Radegonde (älterer Zustand),
Kathedrale S. Pierre, alle vier in der Stadt Poitiers; Chauvigny
(2 Kirchen), Melle (2 Kirchen), Parthenay (2 Kirchen), Airvault, Nou-
aille\ Villesalem, Saint-Savin, Airvault, Champdeniers , S. Jouinles-
Marnes, Civray, Gencay, Verrine-sur-Celle , Nieul-sur- Antise , Vouvent,
Javarzay. Nicht im gleichen Masse vorherrschend, doch noch immer
häufig in der südlichen Hälfte des unteren Loirebeckens: Cunault,
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360
Zweites Buch. Der romanische Sül.
Beaulieu-les-Loches (Umbau aus einschiffiger flachgedeckter Anlage),
Preuilly. Ferner im Berry, Bourbonnais, Nivernais: La Celle-
Bruere, Souvigny, Bourbon-Archambault, Ygrande, Colombier, L.i
Marche, S. Rdvdrien, Mars-sur-Allier. Im zentralfranzösischen Berg-
lande ist die eingeschossige Hallenanlage eine Ausnahme, weil hier die
im zweiten Abschnitt zu behandelnde Modifikation vorherrscht.
Der GRUNDRISS hat nichts, was der Hallenanlage als solcher
zu eigen gehörte, er folgt vielmehr den allgemeinen Vorschriften für
dreischiffige Kirchen. Die Abweichungen, bei denen es sich natur-
gemäss hauptsächlich um die Chorpartie handelt, gruppieren sich nach
Landschaften.
Der Süden bevorzugt, wofern nicht spezielle Ordensgewohn-
heiten in Frage kommen, sehr einfache Anlagen: drei parallele Apsiden
mit oder ohne QuerschifT. Die Kathedrale von Valence hat ausnahms-
weise den Umgang mit ausstrahlenden Kapellen, wohl auf Grund von
Beziehungen zur jüngeren burgundischen Schule. — Die West-
provinzen verwenden nebeneinander zwei Typen. Erstens ausge-
bildete Kreuzform mit Apsidiolen am Transept. (Beispiele : Lusignan,
Parthenay, Civray, Notre-Dame de Chauvigny, Verrine-sur-Celle,
Melle, Chäteauneuf u. s. w., also hauptsächlich im Saintonge, Poitou
und Vendee); dazu eine Variante mit Nebenchören, einigermassen
an den älteren Cluniacensertypus erinnernd (La grande Sauve im
Bordelais und S. Amand-de-Boixe im Angoumois). Zweitens Um-
gang mit radianten Kapellen, teils von S. Martin in Tours, teils
von der Auvergne beeinflusst. (Beispiele: alle grösseren Kirchen in
Poitiers, als Notre-Dame la Grande, S. Hilaire, Montierneuf, S. Rade-
gonde l); S. Pierre in Chauvigny, Saint-Savin, Le Dorat, Chambon,
Benevent u. s. w.)
Als Urform der Wölbung sind die drei parallelen Tonnen zu
betrachten.
Die Klosterkirche S.Martin d'Ainay bei (jetzt in) Lyon (Taf. 117,
122, 125). Ueberliefert sind zwei Bauperioden: Neubau a. 954 f.,
Restauration mit Weihungen a. 1106 u. 11 13, womit die vorhandenen
Unterschiede der Behandlung in gutem Einklang stehen. Die Restau-
ration befasst die Hauptapsis, die Durchbrechung der Langmauern
behufs Anlage äusserer Seitenschiffe (auf unserem Grundriss weggelassen),
die Fenster und verschiedene Stücke der Dekoration — der Kernbau
') Merkwürdig durch die Ableitung aus einem, übrigens unregclmässigen , Polygon;
Taf. 10; , Fig. 4.
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Achtes Kapitel: Hallenkirchen mit Tonnengewölbe.
könnte ganz wohl noch aus dem saec. 10 sein. Chor und Transsept
erinnern an byzantinische Disposition, die Anordnung der Vierungs-
kuppel an die kaum viel jüngeren ältesten Teile von Le Puy, in
manchem Betracht auch an den karolingischen Zentralbau Germigny
des Pres. Der Aufbau des Schiffes bleibt den gewohnten Formen der
Basilikenarchitektur noch sehr nahe. Ausnahmsweise hatte man antike
Säulenstamme zur Verfügung, und zwar sehr starke, granitene; beson-
ders mächtig die vier unter der Kuppel. Im Vertrauen auf ihre Trag-
kraft wurden die Arkaden weit und hoch genommen. Die Vierungs-
kuppel in ihrer gegenwärtigen Gestalt ist wohl jünger als saec. io,
eine ähnliche Vorkehrung muss indes von Anfang an dagewesen sein.
Die sogenannte Krypta von S. Irenee in Lyon (Taf. 122) kennen
wir leider nicht vom Augenschein, nur aus den Zeichnungen von
Hübsch. Dessen Datirung auf saec. 4 ist ein Unding. Auch die her-
kömmliche Bezeichnung als Krypta scheint uns in hohem Grade zweifel-
würdig. So der langgestreckte Grundriss, wie Form und Maasse des
Querschnitts deuten vielmehr auf eine wirkliche Kirche ; die annähernd
der gleichen Zeit, wie S. Martin angehören dürfte. Die Anlage der
Arkadenscheitel in ziemlicher Tiefe unter den Gewölbekämpfern ist
beiden Bauten vor andern eigen und zeigt eine frühe Entwicklungs-
stufe an.
Der wichtigste Fortschritt des Systems besteht darin, dass die
Arkadenscheitel bis dicht unter die Kämpferlinie der Gewölbe hinauf-
geführt werden. Nur so konnte ein freieres Ineinander der Räume
und, was noch wichtiger war, eine wo nicht genügende, so doch er-
trägliche Beleuchtung des Hauptschiffes herbeigeführt werden. Ferner
erhielten die Gewölbe Gurten, die Arkaden Rücksprünge, beide Träger
in Gestalt von Pilastern oder Halbsäulen im Verband mit dem vier-
eckigen Pfeilerkern.
Die gewöhnliche Kombination ist die beistehend unter a gegebene ;
in Poitiers und Umgegend kommt vielfach die Form b vor; in Moirax
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
achteckige und kreisrunde Pfeilerkerne. Säulen sind allein in der Fruh-
zeit angewendet worden und nur in wenigen Beispielen uns bekannt
geworden: ausser S. Martin d'Ainay in Canigou in den Pyrenäen, in
Monsempron an der Garonne, in Mars-sur- Allier. Die übermässig
schlanken Rundpfeiler von S. Savin im Poitou sind ohnegleichen.
Wechsel von runden und viereckigen Pfeilern in Carcassonne und
dem benachbarten Alet. Von den Besonderheiten der Cistercienser-
bauten später.
Die mannigfaltigen Abweichungen des Gewölbesystems von
der Urform sind auf S. 313 beschrieben. Sie modifizieren indes den
allgemeinen Eindruck in viel geringerem Grade, als die geometrischen
Querschnittaufzeichnungen (Taf. 122 — 124) glauben machen.
Die Halbtonnen haben die allgemeinste Verbreitung in der Au-
vergne gefunden und sind von dort ins Nivernais, Bourbonnais,
Berry und Limosin eingedrungen.
Ausserdem kommen sie, jedoch noch
nicht an den ältesten Denkmälern, in
Burgund und abwärts im ganzen
Rhonegebiet sehr häufig vor ; ferner
im südwestlichen Languedoc und in
Spanien. Im Westen nur ausnahms-
weise und wohl immer unter auverg-
natischem Einfluss '). Eine eigen-
tümliche Variante zeigt Taf. 123,
Fig. 2, vgl. Taf. 134. — Die querge-
stellten Tonnen sind bei den Cister-
cienserkirchen des Ostens beliebt, z. B.
Fontenay, Hauterive, Bonmont;
im Westen nur an einigen Bauten der
Frühzeit, Kathedrale von Limoges,
Ronceray in Angers. — Sonst teilt
sich der Westen zwischen vollen Ton-
nengewölben und Kreuzgewölben, so
zwar, dass auf die ersteren etwa zwei
Drittel, auf die letzteren ein Drittel
der ausgeführten Bauten fällt. Dass die Kreuzgewölbe die jüngeren
wären, kann nicht gesagt werden. Sie kommen z. B. schon an einer der
ältesten Hallenkirchen dieses Gebietes, der Abteikirche Saint- Savin
(a. 1025 im Bau begriffen) vor, noch in sehr primitiver Gestalt; in
') Nachweislich z. B. in Parthenay und Saint-Gemme. Vgl. Mcmoires des anti-
quaires de l'Ouest 1884, 182 f.
Marvsur-Allicr.
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Achtes Kapitel : Hallenkirchen mit Tonnengewölbe. 363
S. Hilaire zu Melle wurden die ursprünglichen Kreuzgewölbe im
saec. 12 durch Tonnen ersetzt. Ein umgekehrter Wechsel hat viel-
leicht in S. Pierre zu Chauvigny stattgefunden. Weitere Beispiele
für Kreuzgewölbe: Notre-Dame in Poitiers, Notre-Dame in Chau-
vigny, Vouvent, Champdeniers, Moirax; für Tonnengewölbe:
S. Pierre in Melle, Airvault, Aulnay, Lesterps, Javarzay,
Lusignan, Nouaillö, N ieul -sur- Aubize, S. Amand-dc- Boixe.
Canigou.
Eine seltsame Zwitterform in Monsempron (zwischen Pe'rigueux und
Agen): *les arcs longitudinaux pe*netrent dans les voütes en berceau
des bas-cotös et rdposcnt sur des colonnes monocylindriques,« wohl in
der Weise, wie wir es bei überhöhtem Mittelschiff auf Taf. 141, Fig. 2
und 6 finden.
Die Umfassungsmauern sind verhältnissmässig viel weniger
mächtig, wie bei den einschiffigen Kirchen. Auch die Strebepfeiler
treten nur wenig vor; in der Auvergne, im Poitou und Saintonge
fehlen sie häufig ganz; durch Blendbögen verbundene Pilaster, ein
schon den Römern bekanntes Motiv (Taf. 38, Fig. 4), treten an ihre
Stelle. An der innern Wandseite nehmen Halbsäulen, den Pfeiler-
3<H
Zweites Buch: Der romanische Stil.
vorlagen entsprechend, die Gurten auf ; nicht selten aber werden blosse
Gesimse dafür genügend befunden.
Interessant sind die hier und dort in Bogenform auftretenden
Strebekonstruktionen. Bei sehr hohen Pfeilern, in deren halber Höhe
quer durch die Seitenschiffe gespannt, also gewissermassen rudimentäre
Emporen; wir fanden dies in Poitiers und Umgegend: S. Hilaire
(Taf. 113), S. Pierre zu Chauvigny als Verstärkung des Vierungspfeilers
(Taf. 124), als Viertelkreisbogen in Nouaille*; vereinzelt im Süden zu
Lescures unweit Alby (Taf. 122). Ueber den SeitenschifTsgewölben in
Notre-Dame zu Chauvigny und in Beaulieu (Taf. 124). Aehnliche
primitive Strebebögen kommen sehr wahrscheinlich noch mehrfach vor
(z. B. in Figeac) und die Lokalforscher würden sich ein Verdienst
erwerben, wenn sie die Beispiele sammeln wollten. Es würde sich
dabei zeigen, dass die Erfindung nicht einer einzelnen besonders er-
leuchteten Bauschule angehört, sondern gegen die Mitte des 12. Jahr-
hunderts überall sozusagen in der Luft lag.
Der besondere Geist der an der Hallenkirche beteiligten Pro-
vinzialschulen spricht sich am deutlichsten im Raumgefühl aus. Die
hier obwaltenden Unterschiede entsprechen den bei Betrachtung der
einschiffigen Säle bereits wahrgenommenen , d. h. das Gefühl der
Mittelmeerlandschaften ist auf Weiträumigkeit gerichtet, das der ozea-
nischen macht sich nur langsam und selten vollständig von der ur-
sprünglichen Befangenheit und Enge los. Dort wird vor allem freie
Entfaltung des Mittelschiffs gegenüber den als untergeordnete ent-
schieden gekennzeichneten Abseiten erstrebt; hier tritt dieser Unter-
schied verhältnismässig zurück. Und während dort bei weiterer Ar-
kadenöffhung die Mitwirkung der Seitenschiffe am Zustandekommen
des Raumbildes eine stärkere ist, beschränkt hier die dichtere Pfeiler-
stellung diesen Ausblick und lässt den Mittelraum noch beklemmter
erscheinen. Die Querschnittsproportion ergiebt regelmässig mehr als
das Doppelte, zuweilen fast das Dreifache der lichten Weite zur Höhe;
ein Verhältnis, das zwar auch bei basilikalen Anlagen vorkommt,
aber hier beim eingeschossigen System der Hallenkirche natürlich eine
ganz andere Wirkung thut, als dort beim zwei- oder dreigeschossigen.
Die Belege für das Gesagte geben die Tafeln, wo auch die selbst-
verständlich nicht fehlenden Gradunterschiede ersichtlich werden. Auf
einiges machen wir noch besonders aufmerksam. — Das System der
Kreuzgewölbe in den Seitenschiffen hat neben seinen unleugbaren
Vorzügen — bessere Widerlagerung, höhere Stellung der Fenster,
vollerer Lichteinfall ins Mittelschiff — doch überwiegende Nachteile
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Achtes Kapitel: Hallenkirchen mit Tonnengewölbe.
365
für die Raumbildung, denn es fordert im Grundriss quadratische Joche,
was wieder zu unschöner Verengung der Pfeilerabstände oder aber
zu unverhältnismässiger Verbreiterung der Seitenschiffe führt. Das
mag der Hauptgrund sein, weshalb die Provence und Languedoc sich
auf Kreuzgewölbe nicht einlassen ; vgl. dagegen das System von Notre-
Damela-Grande in Poitiers (Taf. 126) und die Querschnitte von Saint-
Savin und Chauvigny (Taf. 124). Das Schiff von Notre-Dame-la-
Grande gehört erst dem Anfang des 12. saec. an und weist im ein-
zelnen schon raffinierte perspektivische Künste auf — konstantes
Kleinerwerden der Axenabstände vom Eingang gegen den Chor — ,
dennoch ist die Gesamtstimmung eine überaus altertümliche, unfreie,
schwere. Die Schuld liegt gewiss nicht im System allein , denn die-
selben Befangenheiten kehren auch bei mit vollen oder halben Tonnen
versehenen Kirchen der westlichen und zentralen Gegenden (z. B.
Souvigny, Taf. 118, 122, Parthenay, Taf. 123) wieder, während
Moirax (Taf. 122), ein südlich der Garonne gelegener Bau, den Be-
weis liefert, dass auch mit Kreuzgewölben eine harmonische Wirkung
zu erzielen war. Eine merkwürdige Ausnahme durch die mächtige
Weite ihres Hauptschiffes bildet die zwischen Limoges und Confolens
gelegene Abteikirche Lesterps (Taf. 118, 122), worin vielleicht der
Einfluss des Pdrigord zu erkennen ist. Mit anderen Mitteln sucht die
wohl erst gegen die Mitte des saec. 12 erbaute Kirche S. Nicolas in
Civray (Taf. 117, 122, 126) bequemere Raumwirkung zu erreichen;
auch hier wieder eine perspektivische Künstelei.
Die den Hallenkirchen anhaftenden Mängel der Raumbildung
werden noch fühlbarer durch die Mängel der Beleuchtung. Es ist
eine der einfachsten und unumstösslichsten Erfahrungen, dass ein in
helles Licht gesetzter Bauteil leichter, ein dunkel bleibender schwerer
erscheint, woraus folgt, dass in der Richtung von unten nach oben die
Helligkeit zunehmen muss — wofern man nicht oben durch andere
Verteilung eine bestimmte Wirkung erzielen will. Wenn es als ein
besonderer Vorzug der Basilika, insbesondere in ihrer ältesten Gestalt
(S. 108), zu rühmen ist, dass sie das Licht auf das Mittelschiff und
in diesem wieder auf den oberen Raumabschnitt konzentriert, so liegt
in den Hallenkirchen das genau entgegengesetzte Verhältnis vor. Das
Quantum des eindringenden Lichtes ist in ihnen ein ganz ausreichendes,
aber es gelangt nicht zu den Stellen, die seine Wirkung zu einer
schönen machen würden. Die Pfeiler zeigen ihre den Fenstern ab-
gekehrte, dunkle Seite dem Beschauer, das durch die tiefe Lage der
Lichtquellen geblendete Auge sieht das Dunkel noch dunkler, und
vor allem die Gewölbe geraten in tiefen Schatten. Diese finstere
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366
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Last scheint um so drückender, je dichter die Stützen stehen, je ein-
seitiger an ihnen die Vertikallinien vorwalten. Wir kennen im Bereiche
des abendländischen Kirchenbaues nichts, was so unfrei und trübe,
so fremd, ja barbarisch wirkte, so unbehaglich ein mühsames und
siegloses Ringen mit der Materie ausdrückte, wie die älteren Hallen-
kirchen der französischen Westprovinzen. Es wäre falsch, dies allein
auf Unbeholfenheit im Technischen zurückzufuhren; wir finden eine
verwandte Stimmung in der unheimlich-phantastischen, spukhaften
Tierornamentik dieser Gegenden wieder: offenbar keltischer Geist.
Seit dem Anfang des 12. Jahrhunderts weicht überall im Süden
die Hallenkirche zurück und räumt der einschiffigen, vereinzelt auch
der basilikalen oder basilikaähnlichen Anlage (S. Gilles, S. Sernin)
den ersten Platz ein. Nur in den Westprovinzen behauptet sie ihre
Herrschaft ungeschmälert und bis über die Mitte des 12. Jahrhunderts
ohne nennenswerten inneren Fortschritt. Die ungeheure Steigerung
der dekorativen Pracht, zumal an den Fassaden, kann über die in
dieser Schule eingetretene Stagnation nicht täuschen. Erfrischung
brachte ihr erst das in späterem 12. Jahrhundert ja überall in Frank-
reich zum Siege gelangende Kreuzgewölbe. Auf zwei Wegen und
in zwei Formen drang es ein: als normales Kreuzgewölbe von der
mittleren, als kuppeiförmiges von der unteren Loire aus dem Anjou her.
Taf. 128 zeigt verschiedenartige Versuche. Ruffec im Thalgebiet
des Indre hat noch rippenlose Gewölbe; das System ist das sog. ge-
bundene und ermöglicht dadurch grössere Breite des Mittelschiffs. In
Chambon wurde ein tonnengewölbtes Schiff (s. die Nebenfigur) in den
westlichen Jochen auf Kreuzgewölbe von recht ungeschickter Haltung
umgebaut und diese Gelegenheit zur Anbringung seitlicher Oberlichter
nicht unbenutzt gelassen. In La Souterraine hat das erste unter
dem Westturm befindliche Joch eine perigordinische Kuppel, das zweite
Joch ein Tonnengewölbe , das dritte und die folgenden achtrippige
angevinische Kreuzgewölbe; auch hier unter einigen der Schildbögen
Fenster.
Wird in diesen den nordöstlichen Gebietsteilen angehörigen Bei-
spielen die Neigung zum Uehergang in die Basilika bemerklich , so
zeigt sich das Prinzip der Hallenkirche noch einmal in aller Reinheit,
aber zugleich in einer ganz neuen, grandiosen Auffassung in der Kathe-
drale von Poitiers (vgl. S. 348). Begonnen a. 1161 von König Hein-
rich II. von England und seiner Gemahlin Eleonore, der Gräfin des
Landes; Chor und Querschiff in rein romanischen Formen, wahr-
scheinlich schnell gebaut, da schon a. 1171 in La Couronne eine Nach-
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Achtes Kapitel: Hallenkirchen mit Tonnengewölbe.
367
bildung auftrat. Der heimischen Tradition ist nur das Allgemeinste der
Grundidee entlehnt; Gewölbeform, wie Pfeiler-, Wand- und Fenster-
gliederung schliessen sich dem in der Kathedrale von Angers inau-
gurierten Stile an. Von der Notre-Dame-la-Grande derselben Stadt ist
die Kathedrale nach Jahren gerechnet kaum durch ein Halbjahrhundert,
in der künstlerischen Denkweise durch eine ganze Welt getrennt.
Im Grundriss fällt zunächst die Vereinfachung des Chores auf,
dann das Konvergieren der seitlichen Fluchtlinien, wohl ein perspekti-
visches Raffinement, dergleichen in dieser Gegend schon in älterer Zeit
bekannt war (S. 365); ein eigentliches Transsept ist nicht vorhanden,
sondern zwei kapellenartige Ausbauten, die vermutlich Türme, ähnlich
wie in AngoulSme, tragen sollten. Die an das Quadrat gebundene
Grundform des Domikalgewölbes bedingt nahezu gleiche Abstände der
Stützen in der Längs- wie in der Querrichtung. Diese Einteilung
könnte das Vorurteil erwecken, dass sie nüchtern wirke. Unter den
Händen eines geringeren Meisters wäre das wohl auch die Folge ge-
wesen. Hier wird aber durch die Macht der Dimensionen und die
wunderbar glückliche Wahl der Proportionen der Eindruck einer er-
habenen Simplizität hervorgerufen, in der man etwas von dem Geiste
des Erbauers von S. Front in PtJrigueux wiederzufinden meint. — Das
Vorderschiff wurde nach längerer Pause im 13. Jahrhundert gotisch
weitergeführt, mit wenigen, aber nicht glücklichen Aenderungen des
Systems, wohin wir vornehmlich die Höherlegung der Kämpfer des
Mittelschiffs rechnen; vgl. die Abbild, bei Viollet-le-Duc II, 371 und
IX, 254. Die Vermuthung von Schnaase V, 148, dass man anfänglich
Anlegung eines Lichtgadens beabsichtigt habe, können wird nicht teilen.
Kraft des Beispieles der Kathedrale von Poitiers wurde die Form
der Hallenkirche, die sonst wohl dem Untergang geweiht gewesen
wäre, in Westfrankreich in die gotische Stilepoche hinübergetragen,
in der sie noch manches anmutige, kein annähernd so gewaltiges
Werk hervorrief.
2. Anlagen mit Emporen.
In der Mitte der westfränkischen Lande bestand eine Schule,
die eine höchst merkwürdige Weiterbildung der Hallenkirche voll-
führte. Es war eine Art von Kompromiss mit der Basilika. Das
Wesentlichste des sehr prägnant charakterisierten Typus ist der zwei-
geschossige Aufbau der Seitenschiffe: über dem kreuzgewölbten Erd-
geschoss ein mit Halbtonnen gedecktes Emporgeschoss, das sich gegen
das Hauptschiff in fensterartig gruppierten Bogenstellungen öffnet und
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
mit seinen horizontal übermauerten Querbögen dem Seitenschub des
grossen Mittelgewölbes entgegenwirkt. Offenbar ist diese Anordnung
von dem doppelten Wunsche eingegeben: zum ersten ein Raumbild zu
gewinnen, das dem der Basilika ähnlich sei, zum anderen die erprobten
konstruktiven Vorteile der Hallenkirche festzuhalten. Die hier ver-
suchte Ueberwindung des grossen Dilemmas wäre als höchst voll-
kommene zu preisen, wenn sie eine gleich günstige Lösung für die
Lichtführung gefunden hätte. Hierin aber blieb ein empfindlicher
Mangel bestehen : die Oberteile des Hauptschiffes sind, gerade wie in
der einfachen Hallenkirche, zu schwach erhellt und dadurch bekommt
der Gesamteindruck trotz der an sich guten, oft sehr guten Quer-
schnittsverhältnisse etwas merkwürdig Unfreies und Gedrücktes.
Immer gehört dieses System zu den geistreichsten und origi-
nellsten Baugedanken der ganzen romanischen Epoche. Um so be-
dauerlicher, dass seine Geschichte mehr als die irgend eines anderen
in Rätsel gehüllt ist. Wir sehen es nicht entstehen: völlig fertig
tritt es uns entgegen, dauert fast wandellos seine Zeit und verschwindet.
Nur wo es auf fremden Boden verpflanzt wird, erfährt es nennens-
werte Umgestaltungen; die Vertreter in der Heimatprovinz sehen
alle aus wie Kopien eines einzigen Urbildes. Wo dieses sich be-
funden hat? wann es entstanden ist? wir wissen davon nichts. Mög-
licherweise ist es wirklich ohne stufenweise Entwicklung, ohne andere
Voraussetzungen als die ganz allgemeinen des Hallensystems einer-
seits, des Basilikensystems andererseits, gleich auf den ersten genialen
Wurf fertig so hingestellt worden, wie wir es kennen.
Für die hier angedeutete Möglichkeit ist es von Bedeutung, dass
das System in einem genau und verhältnismässig eng begrenzten
Bezirk seine Heimat, in dieser aber die Alleinherrschaft hat. Das
ist die Auvergne, das zentralfranzösische Bergland mit den oberen
Flussläufen der Loire, des Allier und der Dordogne.
Die Frage nach der Entstehung des auvergnatischen Systems ist
von den französischen Archäologen unseres Wissens noch nicht ein-
gänglich erörtert worden. Ueber die Unhaltbarkeit von Viollet-le-Ducs
Hypothese der Herkunft aus Syrien vgl. oben S. 301 u. 302. Ein von
H. Graf ungeachtet unendlich dürftiger Kenntnis der einschlägigen
Denkmälerkreise gewagter Versuch rausste zu einem völlig schiefen Er-
gebnis führen. Während Graf die auvergnatischen Halbtonnen aus der
Provence ableitet — jedoch nicht von den dortigen Hallenkirchen, von
denen er nichts weiss, sondern von dem kleinen Zentralbau bei Mont-
majour — sprechen französische Archäologen (Memoires des Antiquaires
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Achtes Kapitel: Hallenkirchen mit Tonnengewölbe.
de l'Ouest 1884 p. 182 f.) die umgekehrte Vermutung aus, dass die
Halbtonne aus der Auvergne ins Rhonethal gewandert sei.
Ein gewisser allgemeiner Zusammenhang zwischen der Auvergne,
dem Forez und Velay einerseits, den östlich benachbarten Gebieten der
Dauphine'e, des Lyonnais und Burgunds andererseits (in welchen Land-
schaften die Halbtonnen früher im Gebrauch zu sein scheinen, wie
weiter südlich in Provence und Languedoc) ist auch uns wahrschein-
lich, wenn wir auch keine Vermutung haben, welcher Teil hierbei der
gebende und welcher der nehmende gewesen sein möchte. Nicht aus-
geschlossen wäre auch eine im wesentlichen selbständige parallele Ent-
wicklung. Abgesehen von diesem einen Motiv jedoch gehört die
auvergnatische Bauweise ganz entschieden in den Verwandtschaftskreis
der westlichen Schulen : sie teilt mit ihnen den Grundriss, viele Einzel-
heiten des Aufbaues, die bauliche Grundstimmung.
Zu den regelmässigen Merkmalen der auvergnatischen Kirchen
gehört der Chor mit Umgang und ausstrahlenden Kapellen. Nach
unserer Vermutung (S. 270) durch frühe Beziehungen zu S. Martin
in Tours angeregt, gelangte das Motiv in diesem abgeschlossenen
Berglande zu einer so unbedingten Anerkennung, wie in keiner andern
Provinz.
Typisch ist ferner die sehr eigenartige Anlage des Querschiffs
(Taf. 131, Fig. 2 und Taf. 132, Fig. 3). Es setzt sich aus fünf Ab-
teilungen von ungleicher Höhe zusammen. Die vorspringenden Kreuz-
arme sind mit axialen Tonnengewölben bedeckt, gewöhnlich etwas
niedriger als das Hauptschiff. Die drei mittleren Kompartimente
schliessen sich der Teilung des Langhauses an, erheben sich aber zu
einer auch in der Aussenansicht bedeutend überragenden Höhe. Das
achtseitige Kiostergewölbe der Vierung wird seitlich durch Halb-
tonnen wirksam widerlagert, während in der Längsrichtung westlich
das Tonnengewölbe des Vorderschiffes an die Kämpferlinie der Kuppel
nicht ganz hinanreicht, östlich das Chorgewölbe noch tiefer liegt, so
dass eine Fenstergruppe in dem zwischenliegenden Mauerstück Platz
findet. Die Vierungsbögen setzen in gleicher Höhe an, jedoch weit
tiefer als die Gewölbe des Lang- und Querhauses. Der struktive
Zweck dieser Anordnung ist offenbar der, den Angriffspunkt des von
den Vierungsbögen ausgehenden Seitenschubes möglichst tief herab-
zusetzen.
Das System des Schiffes zeigt enge und hohe Arkaden. Die
Gliederung der Pfeiler geschieht nach derselben Grundform, wie bei
den Hallenkirchen des Westens; dadurch jedoch, dass dem Gewölbe
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
die Gurtbögen entweder ganz fehlen (Clermont) oder dass dieselben
je eine Arkadenabteilung überspringen, entsteht die Abweichung, dass
die Vorderseite der Pfeiler glatt bleibt, beziehungsweise glatte und
besetzte Pfeiler abwechseln. Zu bemerken ist ferner, dass das Mittel-
schiffsgewölbe unmittelbar über den Emporenöffnungen und meist ohne
Gesimse ansetzt. An der Eingangsseite pflegt eine Vorhalle in zwei
Geschossen angeordnet zu sein, deren oberes jedoch erheblich tiefer
liegt, als die Emporgeschosse der Langseiten. Sehr merkwürdig ist,
dass die letzteren keine Treppenzugänge haben, also von der Ge-
meinde nicht benutzt gewesen sein können, woraus ihre ausschliess-
lich konstruktive Bedeutung klar erhellt.
Das System des Vorderschiffes setzt sich im Chor nicht fort.
Derselbe hat immer den Säulenumgang — gewöhnlich mit vier Ka-
pellen — , dessen flaches Steindach eine so geringe Neigung hat, dass
die Fenster fast unmittelbar über den Scheidbögen beginnen. Das
Gewölbe des Umganges ist ein ringförmiges Tonnengewölbe, in welches
von den Scheid- und Schildbögen Kappen einstechen. Die Scheid-
bögen sind stark überhöht, um für die Stichkappen horizontale Scheitel-
linien zu bekommen.
Ueberblickcn wir die Gesamtkomposition der auvergnatischen
Kirchen, so ist das am meisten Auffallende die gewaltig gesteigerte
Höhe der Vierung. Sie befremdet, wenn man den Standpunkt der
Betrachtung allein im Inneren nimmt, um so mehr, als sie hier fast
gar nicht sich geltend zu machen vermag. Sie kommt einzig dem
Aeusseren zu gute. Für dieses als Steigerung und Abschluss des
im Chor ansetzenden Gruppenaufbaues ist sie allerdings vom höchsten
Werthe. In der Ostansicht auvergnatischer Kirchen sind Wirkungen
von wahrhaft vollendeter Schönheit mit sicherer Meisterschaft be-
rechnet und erreicht. Man fühlt im Angesicht der freien Höhen-
lage der meisten dieser Gebäude die Lust, womit die künstlerische
Phantasie vor allem in diese Richtung sich locken Hess. Es ist, als
ob der Genius der edelgeformten Berge des Landes an diesen herr-
lichen Gruppen mitgebaut habe. Allein, indem alle Gedanken auf
dies eine gerichtet waren, kam anderes zu kurz. Vorab der Innen-
raum. Der Hauptmangel, der einer ausreichenden Beleuchtung des
Mittelschiffes, ist schon eingangs berührt. Das Lastende des grossen,
dunkeln Tonnengewölbes wird gesteigert durch die geringe Gliederung
der Mauer, die enge Pfeilerstellung, die schmalen und hohen Ver-
hältnisse des Querschnittes, welche auch das schöne Motiv des
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Achtes Kapitel: Hallenkirchen mit Tonnengewölbe. ^yj
Säulenumganges im Chor nicht zur Geltung kommen lassen. Alle
diese Momente aber wirken nach einer Richtung und bringen dem-
gemäss eine sehr bestimmte künstlerische Wirkung hervor, welche frei-
lich für uns etwas Fremdartiges hat. Es ist derselbe Grundakkord, wie
in den Hallenkirchen des Westens, trotz der Verschiedenheit des
Stützensystemes und eben durch sie in seiner durchdringenden Eigen-
art besonders fühlbar, und wir dürfen die früher ausgesprochene Ver-
mutung, dass etwas spezifisch Keltisches — ist ja doch die Auvergne
neben den Westprovinzen der am meisten keltisch gebliebene Teil
von Frankreich — hierin zum Vorschein komme, mit gesteigertem
Vertrauen wiederholen.
Die schöne Perspektive, die Bruno Specht nach unseren Angaben
von S. Sernin zu Toulouse gezeichnet hat (Taf. 133, Fig. i), bringt
die Stimmung dieser auvergnatischen Bauten in sehr zutreffender
Weise zum Ausdruck, während die von S. Nectaire (Taf. 133, Fig. 2),
nach Michel (L'ancienne Auvergne) kopiert, der malerischen Wirkung
zuliebe zu pikante Lichteffekte giebt.
Bei der Gleichartigkeit der auvergnatischen Bauten genügt die
Besprechung einer kleineren Auswahl.
NOTRE-DAME-DU-PORT ZU ClERMONT-FeRRAND (Taf. I 1 9, I30, 131,
132). Manches trifft zusammen, um in dieser alten und berühmten
Kirche der Landeshauptstadt auch im baugeschichtlichen Sinne die
Mutter der ganzen Familie zu vermuten. Allerdings könnte das nicht
der heute bestehende Bau sein. Denn dieser ist, nach dem Charakter
der Einzelformen zu urteilen, keinesfalls lange vor a. noo begonnen
und sicherlich erst nach dieser Epoche vollendet. Inwieweit ist er durch
Altes bedingt? Der Stiftungsbau wurde a. 470 errichtet, gleichzeitig
mit S. Martin in Tours und vielleicht auch in baulicher Verwandt-
schaft. Dass dieser nicht unverändert bis E. saec. 11 bestanden hat,
ist gewiss. Wir erfahren von Beschädigung durch die Normannen. Die
dadurch nötig gemachten Arbeiten des Bischofs Sigonius werden, da
sie nur fünf Jahre erforderten (863—868), Reparaturen gewesen sein,
kein Neubau. Kommt unserer Kirche wirklich die vermutete, vor-
bildliche Wirkung zu, so kann diese nur von einem nach dem 9. saec.
anzunehmden Neubau ausgegangen sein. Mindestens der Chorgrund-
riss hatte in den zwanziger Jahren des 11. saec. schon dieselbe Ge-
stalt, wie heute. Denn um diese Zeit wurde er von S. Aignan in
Orleans zum Muster genommen (vgl. S. 270). Dergleichen Nach-
ahmungen pflegen sich aber nicht an ein älteres Werk, sondern an
ein die neuesten Fortschritte der Kunst darbietendes Vorbild anzu-
lehnen. Auch die bei dieser Gelegenheit wahrzunehmende Veränderung
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372
Zweites Buch: Der romanische Stil.
im Titel (die H. Maria tritt an die Spitze und verdrängt die HH. Agri-
cola und Vitalis) würde zu einem Neubau, etwa in der baulustigen Zeit
um a. iooo, wohl passen. Hätten wir dann die Thätigkeit zu A. saec. 12
nur als einen Umbau aufzufassen, so fände der jetzt so auffallende
Antagonismus zwischen dem Aeussern und dem Innern — dort vir-
tuose Beherrschung aller Kunstmittel, hier altertümliche Befangenheit
— eine befriedigende Erklärung. Sehr zu bemerken ist weiter, dass
die charakteristische Anordnung der Vierungsbögen ihre nächsten
Analogien gerade in Werken der frühromanischen Epoche findet :
S. Martin d'Ainay aus E. saec. 10 (Taf. 122), S. Philibert zu Tournus
A. saec. n (Taf. 137) und andere Bauten Burgunds, also derselben
Schule angehörig, mit der die auvergnatische die Halbtonnen gemein
hat; endlich ein noch früheres Vorbild Germigny des Pres oberhalb
Orldans (Taf. 41 Fig. 12).
S. Paul zu Issoire (Taf. 119, 130, 131). Die Formbehandlung
dieselbe wie in Clermont, System und Raumbildung erheblich fort-
geschrittener; namentlich der Querschnitt frei und schön, wenn auch
durch die unvermeidlichen Mängel der Lichtführung in der Wirkung
geschmälert.
Ferner: Orcival; Ennezat; S. Saturnin, mit Umgang aber ohne
Kapellen; Cournon; ausnahmsweise mit Säulen, derb und schlicht,
S. Nectaire (Taf. 133) und Chauviat; S. Amable in Riom, gleichfalls
eine Ausnahme für die Auvergne, mit Spitzbögen und Arkaden.
Zum Schluss giebt auch das auvergnatische System, jedoch später
als irgend ein anderes, der Hinneigung zum Kreuzgewölbe nach: in
S. Julien zu Brioude (Taf. 119, Fig. 19), entstanden im Uebergang
vom 12. zum 13. saec.
Ausserhalb der Auvergne ist das in Rede stehende System nur
durch wenige, aber grossartige Denkmäler vertreten. Obenan S. Sernin
(Saturninus) zu Toulouse, eine gewaltige fünfschifnge Anlage mit
dreischiffigem Querschiff (Taf. 119.). Die Abweichungen des Aufbaus
(Taf. 132) von dem auvergnatischen sind nicht unerheblich: durch-
laufende Halbsäulen und Gurtbögen bei jedem Pfeiler; üeffnung der
Emporen in der gleichen Breite mit den darunter befindlichen Schiffs-
arkaden; kräftiges Kämpfergesimse; keine Höherführung der Vierung.
Der Querschnitt (Taf. 130) zeigt den struktiven Gedanken des Systems
besonders klar und folgerichtig entwickelt. Er widerlegt sehr bestimmt
die von uns mit andern Gründen schon S. 318 bekämpfte Behauptung,
dass das auvergnatische System die Vorstufe des gotischen Strebebogens
bilde. Etwas Gedankenverwandtes liegt allerdings vor, aber es liegt
nicht in den Halbtonnen (ViolletleDucs >arc boutant continu«) son-
dern in dem doppelten System von Strebewänden — über den Gurt-
bögen der Emporen wie über denjenigen der äusseren Seitenschiffe —
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Achtes Kapitel: Hallenkirchen mit Tonnengewölbe.
373
wodurch der Seitenschub des Mittelschiffsgewölbes in der That in einer
dem gotischen Strebesystem ganz analogen Weise paralysiert wird —
Saint-Sernin gilt mit Recht für eines der Hauptwerke der romanischen
Baukunst. Dies darf behauptet werden, man mag im ganzen und
einzelnen noch so viel daran zu tadeln finden. Und es ist nicht
wenig, was einem vollkommen harmonischen Eindruck im Wege
steht. — Viollet-le-Duc (D. R. VII. S. 537 ff.) widmet den Proportionen
von Saint Sernin eine eingehende Untersuchung, auf welche wir ver-
weisen können. Allein diese Proportionen mögen geometrisch noch
so korrekt sein, perspektivisch erscheint das untere Geschoss zu hoch.
Die Doppelarkade der Empore ist ausserordentlich schön , aber das
Gewölbe setzt zu nahe über ihrem Scheitel an. Die Pfeilerbildung
ist spröde und trocken und bei der Enge der Bögen und der relativ
grossen Pfeilerstärke ist der perspektivische Durchblick durch die fünf
Schiffe nach allen Seiten gehemmt. Man fühlt sich an römische
Substruktionen gemahnt. — Der Uebelstand, dass durch die grosse
Verstärkung der Vierungspfeiler der Blick nach dem Chor fast ganz
verloren geht, fällt nicht dem ersten Erbauer zur Last, sie wurden
im saec. 13 bei Höherführung des Turmes verstärkt. Indes ist der
Chorschluss auch an sich betrachtet nicht durchaus geglückt. Sehr
schön und edel präsentieren sich die dreischiffigen Kreuzarme. S. Sernin
teilt naturgemäss die Mängel des Systems hinsichtlich der Lichtführung.
Kommt gegen die Mittagsstunde durch die Fenster der Emporen reich-
licheres Licht herein und umspielt die zierlichen Säulen der oberen
Doppelbögen , so entstehen gleichwohl reizende Lichteffekte. Aber
alle diese Mängel vermögen nicht, den hohen Ernst des gewaltigen
Innenraumes zu vernichten, ja vielmehr ist derselbe gerade durch die
mangelhafte Beleuchtung, durch das zerstreute Licht in dem nirgends
direkt beleuchteten Hauptschiffe mit bedingt. — Die Abteikirche von
Conques (Taf. 119, 130, 132) hat bei dreischiffiger Anlage grosse Aehn-
lichkeit mit S. Sernin, ist indes weniger harmonisch durchgebildet. Der
Querschnitt ist ausserordentlich eng und hoch, das Schiff kurz, die
Raumwirkung — wir kennen die Kirche aus eigener Anschauung nicht
— kann keine sehr günstige sein. Angeblich zwischen a. 1030 — 1060
erbaut, was wegen der augenscheinlichen Nachahmung von S. Sernin
(Chor geweiht a. 1096, Schiff saec. 12) nicht richtig sein kann.
Man ist gewöhnt, die beiden obengenannten Denkmäler wegen der
Uebereinstimmung des Gewölbesystemes der auvergnatischen Schule
zuzurechnen. Ein solcher Zusammenhang, wenn er überhaupt bestanden
') Während des Druckes kommt uns J. Reimers Abhandlung : Das auvergnatische
Halbtonnensystcm und der Strebebogen (Zeitschr. f. bild. Kunst 1887, Heft 5, 6} in
die Hand, worin die Aufstellungen Violett-le-Ducs und Grafs im einzelnen nicht frei von
Irrtümern, im ganzen recht treffend widerlegt wurden.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
hat, kann indes nur von sekundärer Bedeutung gewesen sein. Wir haben
an früherer Stelle (S. 264) den Grundriss von S. Sern in als Kopie,
bis in die Einzelheiten der Pfeilerform genaue Kopie von S. Martin
in Tours nachgewiesen. Allein schon darin liegt die Notwendigkeit,
dass auch das System des Aufbaues mehr oder minder ähnlich gewesen
sein muss. Eine leider nur flüchtige Ansicht von S. Martin aus dem
J. 1798 (Abb. in Bull. mon. 1874 p. 50) weist diese Aehnlichkeit und
damit alle die oben namhaft gemachten Abweichungen vom auvergna-
tischen Typus in der That auf. Allerdings zeigt S. Martin noch ein
wichtiges Plus : eine von Fenstern durchbrochene Hochmauer über den
Emporen 1 Hier ist zu berücksichtigen, dass der Bau in Tours, obgleich
das Vorbild jenes in Toulouse, erst später als dieser seine letzte Voll-
endung erhielt. Zwei erhebliche Brandschäden, zu 1122 und 1 175,
werden gemeldet. Abschluss der Arbeiten erst im 13. saec. Zweier-
lei ist also möglich: entweder der Lichtgaden von S. Martin ist ein
Zusatz dieser Spätzeit, und dann giebt S. Sernin auch in diesem
Punkte die ursprüngliche Absicht des Vorbildes genau wieder; oder
der Lichtgaden war wirklich vom Anfang an projektiert, dann haben
sich die Erbauer von Sernin aus Vorsicht eine Abweichung gestattet
und die ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach ganz wohl bekannte
auvergnatische Konstruktionsart bevorzugt.
Der in Rede stehende Typus hat in Südfrankreich keine weitere
Nachahmung gefunden. Wohl aber finden wir ein in allen Stücken
sehr ähnliches Gebäude in der berühmten spanischen Wallfahrtskirche
S. Jaco de Compostella (Grundriss Taf. 119). Sie gilt allgemein für
eine genaue Wiederholung von S. Sernin in Toulouse. Nach unseren
obigen Ausführungen Hesse sich ebensogut denken, dass sie direkt nach
S. Martin kopiert wäre, der französischen Wallfahrtskirche par excellence.
Ungefähr gleichzeitig mit diesen Bauten entsteht nordöstlich der
Auvergne ein Werk, welches bei allgemeinem Anschlüsse an das auverg-
natische System darin über dasselbe hinausgeht, dass es dem Mittel-
schiffe seine selbständige Beleuchtung wiedergiebt, S. Etienne zu
Neyers. Gegründet a. 1063, geweiht a. 1099, eines der bestdadierten,
auch homogensten Werke. Der Querschnitt des Mittelschiffes (Taf. 130)
ist im Verhältnis nicht höher als bei den anderen auvergnatischen
Kirchen, es musste also, um Raum für Oberfenster zu gewinnen, das
Verhältnis der unteren Arkaden ein niedrigeres werden (Taf. 131).
In der Empore Doppelarkaden; darüber die Oberfenster; die Halb-
säulen steigen ohne Pilasterunterlage an der Mittelschiffsmauer zum
Gewölbe auf, was keinen ganz günstigen Eindruck macht. Sonst ist
das System gut gegliedert. Im Chor ein niedriges Triforium, eines
der ältesten.
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Achtes Kapitel: Hallenkirchen mit Tonnengewölbe.
375
Wenn S. Etienne in Nevers eine Erweiterung des auvergnatischen
Systems in der Richtung auf die Basilika bedeutet, so lernen wir von
dem hier gewonnenen Punkte aus eine Vereinfachung in der Kirche des
einsamen Bergklosters Chätel-Montagne im Bourbonnais kennen
(Taf. 132). Das Zwischengewölbe der Empore ist hier nämlich ausge-
fallen (Fig. 5), gleichwohl aber sind deren Bogenöffnungen im System
(Fig. 4) beibehalten. Aehnlichen Querschnitt erkennt man an der in
unserem Jahrhundert zum grössten Teil zerstörten Kirche S. Sauveur
in Nevers.
Beschreibung der Tafeln.
Grundrisse.
Da die Planbildungen der tonnengewölbten Hallenkirchen und lonnengewölbten Basiliken nicht prinzipiel
verschieden sind, haben wir die ru Kap. 8 und Kap. 9 gehörenden Risse vereinigt.
Tafel 117.
1. *Lyon: S. Martin (TAinay. — saec. 10? — Bezold.
2. Vaison: Kathedrale. — saec. it. — Revoil.
3. S. Guilhem-en-disert. — saec. ir. — Revoil.
4. Arles: S. Trophime. — saec. n — 12. — Revoil.
5. S. Paut-trois-Chäteaux. — saec. 12. — Archives mon. hist.
6. *Moirax. — E. saec. 11. — Dehio.
7. *Civray: S. Nicolas. — saec. 12. — Bezold.
8. *Parthenay~le-vieux. — saec. 12. — Dehio.
9. *La Garde- Adhemar. — saec. 12. — Bezold.
10. Saint-Savin. — saec. 11. — Me'rime'e.
11. *Poitiers: Notrc-Dame-la-Grande. — saec. 11 — 12. — Dehio.
12. Carcassonne : S. Nazaire. — saec. n. — Archives.
13. Getifay: S. Maurice. — saec. 11 — 12. — Parker.
Tafel 118.
1. Huesca: S.Pedro. — saec. 12. — Street.
2. Trau: S.Martin. — saec. 11 — 12. — C.-Comm.
3. Val de Dios: S. Salvador. — saec. 11 — 12. — Mon. Esp.
4. Leon: S. Isidoro. — saec. 12. — Street.
5. ChäteaU'Poncat. — saec. 12. — De Baudot.
6. *Souvigny. — saec. 11, erweitert saec. 12. — Bezold.
7. Lesterps. — saec. 12. — Viollet-le-Duc.
8. Romain-motier. — saec. 11. — Rahn.
9. Tournus: S. Philibert. — saec. 11. — Archives mon. hist.
io. Fontfroide. — saec. 12. — Taylor et Nodier.
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376
Zweites Bach: Der romanische Stil.
11. Senanque. — saec. 12. — Revoil.
12. *Hauterive. — saec. 12. — Rahn.
13. Silvaeanne. — saec. 12. — Revoil.
Tafel 119.
1. Bester $: S. Aphrodite, Krypta. — saec, 10? — Bull. mon.
2. Orlians: S. Aignan, Krypta. — gew. a. 1029. — Bull. mon.
3. Auxerre: S. Etienne, Krypta. — Gegr. a. 102 1. — Viollet-le- Duc.
4. Tournus: S. Philibert, Krypta. — saec. 11. — Archive s.
5. Monttnajour, Krypta. — c. a. 1020. — Revoil.
6. Saintes: S. Eutrope, Krypta. — saec. 12. — Viollet-le-Duc.
7. Le Mans: JV.-D.-de-la-culture. — Links Restitution saec. 9, rechts
Chor c. a. 1000, Schiff 2. H. saec. 12. — Congres arch.
7» Dasselbe: Krypta. — Rohault de Fleury.
8. Tours: S. Martin. — Chorgrundriss von a. 997. — Bull. mon.
9. * Tours: S. Martin. — saec. 12. — Nach Photographie einer Auf-
nahme aus der Zeit des Abbruchs um 1790.
10. Reims: S. Remy. — saec. 11. — Viollet-le-Duc, King.
11. Vigncry. — saec. n. — Archives mon. hist.
12. Toulouse: S. Sernin. — E. saec. 11. — Archives.
13. S. Jago de Compostella. — saec. 12. — Street.
14. Nevers: S. Etienne. — E. saec. 11. — Bulletin Nivernais.
15. Clermont-Ferrand: N.-D.-du-Port. — saec. 11. — Gailhabaud.
16. */ssoire: S. Paul. — saec. 12. — Bezold. — Der westliche Vor-
bau nicht ganz richtig.
17. Figeac: S. Sauveur. — saec. 12. — Bull. mon.
18. Conques. — saec. 11 — 12. — Taylor et Nodier.
19. Brioude: S. Julien. — saec. 12. — Mallay.
20. Saint-Aignan (Krypta). — saec. 12. — Archives.
21. Montbron. — saec. 11 -12. — De Baudot.
22. Ar nac~ Pompadour. — saec. 12. — De Baudot.
Tafel 120.
1. Cluny. — a. 1098, Vorhalle a. 1 187, Türme saec. 11. — Mabil-
lon, Lenoir, Penjon.
2. *La Charite"- sur- Loire. — saec. 11 u. 12. — Bezold.
3. Paray-k'Monial. — 1. H. saec. 12. — Archives.
4. Beaune. — 1. H. saec. 12. — Archives.
5. *S. Benoit-sur- Loire. — Chor, Querschiff und Vorhalle 2. Hälfte
saec. n, Schiff saec. 12. — Bezold.
Tafel 121.
1. Payerne. — saec. 11. — Rahn.
2. * Anzy-le-Duc. — saec. 11. — Dehio.
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Achtes Kapitel: Hallenkirchen mit Tonnengewölbe.
377
3. *La Charite", Chor des saec. 11 restauriert. — Bezold.
4. *Chateau-Meillant. — saec. 11 — 12. — Archives (Skizze).
5. Chäteauneuf-en-Brionnais. — saec. 12. — De Baudot.
6. *Semur-en-Brionnais. — saec. 12. — Bezold.
7. Bris- Sie. Marie. — saec. 12. — De Baudot.
8. *Langres: Kathedrale. — 2. H. saec. 12. — Bezold.
9. Autun: Kathedrale. — 1. H. saec. 12. — Viollet-le-Duc.
10. Vierine: Kathedrale. — saec. 12 u. 13. — Rey.
11. Lyon: Kathedrale. — saec. 12 u. 13. — Be'gule.
EINGESCHOSSIGE HALLENKIRCHEN.
Querschnitte.
a) Mit vollen Tonnen in den Seitenschiffen.
Tafel 122.
1. Lyon: sog. Krypta S.Jrenie. — saec. 10? — Hübsch.
2. Lerins: S. Honorat. — saec. 10? — Revoil.
3. *Lyon: S.Marlin d Ainay. — saec. 10, überarbeitet saec. 12. —
Bezold.
4. Careassonne : S. Nazaire. — 2. H. saec. 11. — Archives.
5. *Lesterps. — saec. 10— 11. — Archives (Skizze).
6. *Civray. — saec. 12. — Bezold.
7. * Lescures. — saec. 12. — Bezold.
8. *Souvijrny. — Rechts saec. 11 , links Erweiterung saec. 12. —
Bezold.
b) Mit Halbtonnen in den Seitenschiffen.
Tafel 123.
1. *Parthenay-vieux. — saec. 12. — Dehio.
2. Silvaeanne. — 2. H. saec. 12. — Revoil.
3. Chätfau-Poncat, Chor. — saec. 12. — De Baudot.
4. Lirins. — saec. 11 — 12. — Revoil.
5. *Grandson. — saec. 11. — Rahn.
6. Preuilly. — saec. 12. — Bull. mon.
7. Fontfroide. — E. saec. 12. — Taylor et Nodier.
c) Mit Kreuzgewölben in den Seitenschiffen.
Tafel 124.
1. *Saint-Savin. — saec. 11. — Bezold. Me"rime"e.
2. *Poitiers: Notre-Dame-la- Grande. — A. saec. 12. — Bezold.
3. *Chauvigny: S.Pierre.'— saec. 12. — Bezold.
4. *Chauvigny: Notre-Dame. — saec. 12. — Dehio.
5. *Moirax. — E. saec. 11. — Bezold.
6. *Beaulieu (Correze). — saec. 12. — Archives (Skizze).
25
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37»
Zweites Buch: Der romanische Stil.
LANGENSCHNITTE.
Tafel 125.
1. *Lyon: S. Afartin d'Ainay. — Bezold.
2. Lirins. — Revoil.
3. Chäteau-Pon(at. — De Baudot.
4. Silvacanne. — Revoil.
Tafel 126.
1. *Poitiers: Notre-Dame-la-Grande. — Bezold.
2. *Civray: S. Nicolas. — Bezold.
Tafel 127.
1. * 'Saint- Savin. — Bezold, Mdrime"e.
2. Carcassonnt: S. Nazaire. — Archive s.
3. *Chauvigny: Notre-Dame. — Dehio.
4. Fontfroide. — Taylor et Nodier.
5. *Moirax. — Bezold.
Uebergang zum Kreuzgewölbe.
Tafel 128.
1, 2. La Souterraine. — 2. H. saec. 12. — Archives.
3. *Chambon. — saec. 11 u. 12. — Archives (Skizze).
4, 5. *Ruffec. — saec. 12. — Archives (Skizze).
Perspektiven.
Tafel 129.
1. * Binivent-V Abbaye . — saec. 12. — Photographie.
2. *Saint-Savin. — saec. 11 u. 12. — Dehio.
HALLENKIRCHEN MIT EMPOREN.
Querschnitte.
Tafel 130.
1. *Clermoni: Notrc- Damc-du-Port . — saec. 11— 12. — Bezold.
2. *Issoire: S. Paul. — saec. 12. — Bezold.
3. *Nevers: S. Etiennc. — saec. 11. — Bezold.
4. Conqucs. — saec. n. Spätzeit. — Taylor et Nodier.
5. Toulouse: S.Sernin. — saec. 11 — 12. — Archives des mon. hist.
Langenschnitte.
Tafel 131.
1. *Issoire: S. Paul. — Bezold.
2. Clcrmont-Ferrand: Notre-Dame-du-Port. — Gailhabaud.
3. *Nevers: S. EJienne. — H. Stier, Bezold.
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Achtes Kapitel: Hallenkirchen mit Tonnengewölbe. 37g
Tafel 132.
1. Conqius. — Taylor et Nodier.
2. Toulouse: S. Sertun. — Archives des mon. hist.
3. Clermont-Ferrand : Notre-Dame-du-Pbrt. — Gailhabaud.
4. 5. Chätel-Montagne. System und Querschnitt. — saec. 11 — 12. —
Viollet-le-Duc.
Innenansichten.
Tafel 133.
1. * Toulouse: S. Sernin. — Bruno Specht nach geometrischen Auf-
nahmen.
2. S. Nectaire. — Michel, L'ancienne Auvergne.
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Neuntes Kapitel.
Die tonnengewölbte Basilika.
i
i
i
Die romanische Baukunst der Süd- und Westprovinzen des alten
Galliens, wie sie in den vorigen Kapiteln dargestellt worden, war im
1 1. Jahrhundert unstreitig die vorgeschrittenste des Abendlandes, inso-
fern sie erreicht hatte, was allen andern nur als ein fernes Ideal vor-
schwebte: den durchgeführten Gewölbebau. Im 1 2. Jahrhundert sodann
hat sie nicht nur der Formenphantasie des Zeitalters eine unvergleich-
lich glanzvolle und blühende Sprache geliehen , sondern auch eine
Anzahl von Bauwerken geschaffen, die mit strengstem architektoni-
schem Masse gemessen dem Besten, was der christliche Kirchenbau
irgendwann erreicht hat, zuzurechnen sind. Auf die gemein-euro-
päische Entwicklung aber hat sie keinen nennenswerthen Einfluss
gewonnen. Ihr kommt, von diesem Standpunkte aus beurteilt, nur
die Bedeutung einer Episode zu. Nicht ohne eine Art tragischen
Mitgefühls können wir den machtvollen, stolzen Strom dieser Bau-
kunst, unmittelbar nachdem er die Schwelle des 13. Jahrhunderts er
reicht hat. im Sande der Unbedeutendheit und Unfruchtbarkeit sich
verlieren sehen. Die äusseren Schicksale der Länder — es sei nur an
die Albigenserkriege einerseits, die Kriege zwischen der englischen
und französischen Krone andererseits erinnert — erklären vieles,
nicht alles. Das Verhängnis liegt schon in der von ihnen einge-
schlagenen baukünstlerischen Richtung als solcher. Es musstc die
Zeit kommen, wo es sich bestrafte, dass sie von der Grundüber-
lieferung des christlichen Altertums sich eigenwillig getrennt hatten,
während das ganze übrige Abendland unbeirrt dieser nachzuleben fort-
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Neuntes Kapitel : Die tonnengewölbte Basilika.
381
fuhr — der Ueberlieferung der Basilika. Und diese Zeit war da, sobald
es irgendwo einer anderen Schule gelang, die Idee der Basilika in
die Formenwelt des Gewölbebaues überzuführen. Das war keine
unabhängige Frage des Geschmacks, ein unermessliches geschicht-
liches Vorurteil trieb auf das eine Ziel hin. War es erreicht, so
musste die Vielheit der romanischen Bauweisen aufhören , war die
Stunde des europäischen Einheitsstils gekommen. Die siegende
Formel ist, wie man weiss, an der Seine gefunden worden. Ihrer
Feststellung ging aber eine lange Reihe von Bemühungen voraus —
in der Lombardei, in Burgund, in der Normandie, in den deutschen
Rheinlanden — die keineswegs bloss als Vorstufen der Gotik, sondern
um ihrer selbst willen Beachtung und Schätzung verdienen.
Der vereinzelten Versuche, das Mittelschiff basilikaler Anlagen
mit einer Reihe von Kuppeln einzuwölben, haben wir schon gedacht
(S. 349), folgereich sind allein die auf dem Tonnengewölbe oder dem
Kreuzgewölbe beruhenden Systeme.
Das Hauptland der tonnengewölbten Basilika ist Burgund, unter
partieller Mitbeteiligung einerseits der Rhonelandschaften, andererseits
des mittleren Loiregebietes.
Wir unterscheiden hier in genetischer Hinsicht zwei Arten:
eine, die von der gewölbten Hallenkirche, eine andere, die von der
Basilika mit flacher Holzdecke ausgeht.
Zu der ersteren gehören die am Schluss des vorigen Kapitels
besprochenen Ausläufer der auvergnatischen Schule zu Nevers und
Chätel-Montagne. Dann eine etwas zahlreichere Gruppe in der Pro-
vence und dem Nieder-Languedoc (Taf. 134). — Das älteste uns
bekannte Beispiel bietet S. Guilhem-en-desert, in einem Thal der Süd-
Cevennen; zwar gewiss nicht aus saec. 9, wie Revoil annimmt, sondern,
nach Ausweis der Zierglieder saec. 11, vielleicht noch aus der ersten
Hälfte. Die Kathedrale von Vaison ; nach ihrem Querschnitt eigentlich
eine Hallenkirche, denn die Fenster verfügen nicht über eine selb-
ständige Obermauer, sondern schneiden mittelst Stichkappen in das
Gewölbe ein, in der Weise, dass sie über dem Kämpfergesimse stehen.
Im Süden fand dieses Verfahren unsers Wissens keine Nachahmung.
S. Trophime in Arles, S. Paul-trois-Chateaux und La Garde-
Adhemar — alle drei ohne anwendbare geschichtliche Daten, doch wohl
nicht jünger als Anfang bis Mitte saec. 12 — zeigen ausgebildeten basili-
kalen Querschnitt, zugleich aber auch die Mühe, in die veränderten
Konstruktionsbedingungen sich hineinzufinden. Selbst bei der mässigen
Spannweite, über die man sich nicht hinauswagte, glaubte man dem hoch-
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Zweites Buch- Der romanische Stil.
liegenden Tonnengewölbe — zumal von der provengalischen Gewohn-
heit, dasselbe mit dem Dach in eins zusammenzuziehen, nicht abge-
wichen wurde — die stärksten Widerlager geben zu müssen. Das Ver-
hältnis der Pfeilerstärke zur lichten Schiffsweite in diesen Bauten ist
ohne Beispiel (1:2,10; 1:2; 1:1,8), und vollends die Seitenschiffe
schrumpfen zu schmalen Gängen zusammen. Zu der Enge des Quer-
schnitts steht die bequeme Weite des Arkadensystems im Widerspruch;
doch hat sie ihren guten Grund, nämlich in der Rücksicht auf die
perspektivische Ansicht: es sollte trotz der enormen Pfeilerstärke der
Blick in die Seitenschiffe offen bleiben, und in der That ist dadurch ein
in Betracht der vielen Hindernisse noch immer günstig zu nennender
Raumeindruck erzielt. Eine andere, gewiss weniger willkommene Folge
war die bedeutende Steigerung der Höhe, die nicht durch den struktiven
Aufbau des Querschnitts als solchen, sondern eben durch die Weite der
Arkaden bedingt wurde. Am glücklichsten hat sich mit diesen Schwierig-
keiten der Erbauer von S. Paul-trois-Chäteaux abgefunden; der ganz
mit antikem Schönheitsgefühl gesättigten Wanddekoration dieses aus-
gezeichneten Bauwerks werden wir noch ausführlicher gedenken; zu
bemerken ist auch, dass überall, selbst im Gewölbe, vom Spitzbogen
auf den Rundbogen zurückgegangen ist.
Waren in S. Guilhem die Seitenschiffe noch mit vollen Tonnen-
gewölben bedeckt, so zeigen die späteren Beispiele allgemein an dieser
Stelle die steigenden Halbtonnen, die wir schon aus den Hallen-
kirchen dieser Gegenden kennen. Sie boten den Vorteil, dass mit
ihnen die landesübliche Verschmelzung der Gewölbedecke mit dem
Dach sich ungleich geschickter und mit weniger Materialverbrauch
ausführen Hess, ferner dass sie die Scheidbögen höher zu führen er-
laubten ; von einem Vorzugswert für die Verstrebung des Mittelschiffs-
gewölbes, worin von manchen der Grund für ihre Einführung gesucht
wird, kann bei den Basiliken am wenigsten die Rede sein.
Einen isolirten, leider nicht mehr sicher festzustellenden Platz in
der Baugeschichte der Provence nimmt die Klosterkirche von Saint-
Gilles ein. Wir ahnen in ihr einen der herrlichsten Gedanken des
12. Jahrhunderts, ohne ihn enträtseln zu können. Der laut Inschrift
in der Krypte a. 11 16 begonnene Bau war beim Ausbruch der Ketzer-
verfolgung noch unvollendet; erst seit 1261 legte ein recht mittelmäs-
siger nordfranzösischer Meister die Gewölbe des Hauptschiffs (der
interessante Kontrakt besprochen von Quicherat, Me'langes 176 ff.}-
Papst Julius II., der einst als Kardinal-Erzbischof von Avignon sich
S. Gilles hatte schenken lassen, plante die Vollendung der Fassade und
des Chores um dieselbe Zeit als er den Neubau des St. Peter beschloss;
die schwere Verstümmelung, die wir heute sehen, datiert von den Partei-
kämpfen unter Ludwig XIII. und von 1793. — Vom Schiff der Kirche
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Neuntes Kapitel: Die tonnengewölbte Basilika.
333
wurden die ersten fünf Joche im Jahre 1650 notdürftig zum Gottesdienste
wieder eingerichtet. Die Pfeiler sind zwar noch die ursprünglichen,
aber, wie man an dem einzigen unverändert erhaltenen Joch des nörd-
lichen Seitenschiffs (jetzt als Sakristei verwendet) erkennt, um 2,15 m
niedriger gemacht (vielleicht schon 1261) und mit garstigen Barock-
gewölben versehen. Die vorzüglich behandelten alten Kapitelle wurden
wieder verwendet. Der im Schutte des Chores aufgefundene Schluss-
stein ist kein Beweis für Kreuzgewölbe im Mittelschiff. Die Pfeiler-
form deutet für das Mittelschiff im Gegenteil eher auf Tonnengewölbe.
Weiter lässt sich über das System — ob Basilika oder Hallenanlage —
nichts Begründetes mutmassen. — Transept und Chor liegen jetzt als
Ruinen unter freiem Himmel. Im Grundriss zeigen sie eine Verjüngung
von West nach Ost von 27 m auf 24,5 m, dergleichen hie und da
übrigens auch sonst, z. B. an der Kathedrale von Poitiers, vorkommt.
In den Pfeilermassen links vom Eingang in das Deambulatorium des
Chores sieht man noch den Anfang einer Wendeltreppe, ein mit Recht
berühmtes Meisterwerk des Steinschnittes. Leider ist nicht mehr zu
entscheiden, ob sie zu einer etwa vorhanden gewesenen Empore, oder
zu einem Turm führte.
Das Gebäude selbst gibt also nur ungenügende Anhaltspunkte zu
seiner Wiederherstellung in Gedanken. Einige nicht ganz verwerfliche
Mutmassungen lassen sich aber an die Person des Bauherrn knüpfen.
Dieser ist Graf Raimund IV. von Toulouse, einer der Führer des
ersten Kreuzzuges und ein so ergebener Verehrer des H. Aegidius
und seines Klosters, dass er nur >Graf von Saint-Gilles« genannt werden
wollte. Es ist wichtig, sich zu erinnern, dass Graf Raimund noch
eine andere Kirche von erstem Rang erbaut hat: S. Sernin in Tou-
louse. Unverkennbar teilt S. Gilles einige Züge mit S. Sernin und
zwar — was besondere Beachtung verdient — solche Züge, die der
Baukunst der Provence und des Nieder-Languedoc sonst fremd sind.
Dahin gehört vor allem der Chor mit Umgang und ausstrahlenden
Kapellen, dahin die quadratischen Pfeiler mit Vorlage von Zweidrittel-
säulen an jeder Seite. In diesen Analogien liegt wohl ein Anknüpfungs-
punkt für die Vermutung, dass dieselben auch noch auf andere Mo-
mente, z. B. das Konstruktionssystem sich erstreckt haben könnten,
aber auch nicht mehr. Nicht zu vergessen bleibe, dass S. Gilles um
25 Jahre jünger ist als S. Sernin, 25 in dem schnellen Fortschritt der
Baukunst jener Zeit schwer wiegende Jahre. Und offenbar war der
Meister von S. Gilles einer der Protagonisten in diesem Fortschritt.
Die Kreuzrippengewölbe der Krypta gehören zu den ältesten, die wir
überhaupt kennen. Auch in dem nahen Zusammenrücken der Chor-
kapellen und ihren massigen Zwischenpfeilern klingt schon ein wich-
tiger Gedanke der primitiven Gotik an. Die Ueberreste von S. Gilles,
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3«4
Zweites Buch: Der romanische Stil.
so kläglich zusammengeschmolzen als sie sind, bezeugen doch, dass
es die grossartigste Leistung der provencalischen Kunst — welcher der
Bau durch seine Forraenbehand-
lung durchaus angehört — ge-
wesen ist, die hier unterging.
Wir denken bei diesem Urteil
nicht in erster Linie an die be-
rühmte Fassade, deren architek-
tonischer Wert kein ganz unan-
tastbarer ist. Im Chor aber ge-
wahren wir die Spuren einer
Grösse der Auffassung, eines
Adels der Formengebung , die
einem dem italienischen Cinque-
cento verwandten Sinn zeigen
und die sympathische Bewunde-
rung eines Kenners wie Papst
Julius II. vollauf rechtfertigen ;
dazu eine nirgends in der Welt
überbotene Schönheit und fast
mathematische Genauigkeit des
Quaderverbandes.
Die Versuche der Pro-
vengalen mit der Gewölbe-
basilika wurden, wie man sieht,
nur vereinzelt angestellt und
führten zu keinen nennens-
werten Fortschritten. Schon
vor Mitte des 12. Jahrhunderts
hörten sie ganz auf. Um die-
selbe Zeit sahen wir auch die
Hallenkirche in den Hinter-
grund zurücktreten, so dass die
einschiffige Anlage fast allein
auf dem Plane blieb. Das
Interesse der provencalischen
Kunst war offenbar mehr auf
Grundriis von s. ciii«. innere Vervollkommnung der
von alters geübten als auf Gewinnung neuer Kompositionstypen
gerichtet.
Zu dieser Ruhe steht in ausgesprochenem Gegensatze die Reg-
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Neuntes Kapitel: Die tonnengewölbte Basilika.
385
samkeit in der durch mannigfache verwandtschaftliche Beziehungen
mit der Provence verbundenen Architektur von Burgund, der wir
uns nun zuwenden wollen. Wohl sind einige der Hauptwerke dieser
mächtigen Schule untergegangen; immerhin ist genug enthalten, um
ihren Entwicklungsgang in den wesentlichen Zügen uns vergegen-
wärtigen zu können.
Der Beginn einer höher gearteten Baukunst in Burgund fällt zu-
sammen mit dem mächtigen Aufschwünge, den die a. 910 gegründete
Abtei Cluxy unter den Aebten Odo, Maiolus und Odilo nahm. Die
zweite Kirche des Klosters wurde im Jahre 981 geweiht. Der Grund-
riss ist bereits (S. 27 1) besprochen. Ueber den inneren Aufbau wissen
wir nichts Näheres; aller Wahrscheinlichkeit nach war es eine flach-
gedeckte Basilika.
Unter Maiolus war der Lombarde Wilhelm aus Jvrea nach Cluny
gekommen , welcher als Abt von S. Benigne zu Dijon um das Jahr
1000 einen Neubau seiner Klosterkirche unternahm. Der Bau fand
die höchste Bewunderung der Zeitgenossen und ist im Chronicon
Divonense eingehend beschrieben: eine grosse Säulenbasilika, an
welche sich östlich ein gewaltiger Rundbau anschloss. Einen Restau-
rationsversuch nach dieser Beschreibung giebt Henszelmann in C-
Comm. Mitth. 1868, S. LXV ff.). Von letzterem ist das Untergeschoss
(Krypta) erhalten, Aufnahmen des Ganzen finden sich in Dom. Planchers
Hi&toire de Bouryogne. Die Kirche wurde a. 1271 durch den Einsturz
des Vierungsturmes beschädigt und gegen Ende des saec. 13 , durch
einen gotischen Neubau ersetzt.
Wilhelm soll auch an dem Bau der Abteikirche S. Philibert zu
Tournus (Trenchorium) mitgewirkt haben '). Das ausgedehnte Ge-
bäude (Taf. 137) zeigt verschiedene Verfahrungsweisen zur Ueber-
wölbung eines dreischiffigen Raumes. Im unteren Geschosse der
Vorhalle hat das Mittelschiff Kreuzgewölbe zwischen Gurtbogen mit
horizontalen Scheitellinien, die Seitenschiffe quergestellte Tonnen, das
Obergeschoss hat die Anordnung der provencalischen Basiliken, ein
tonnengewölbtes Mittelschiff und Seitenschiffe mit Halbtonnen. Im
Schiff des Kirche ist gewissermassen das System des Untergeschosses
der Vorhalle umgekehrt. Es hat im Mittelschiffe quergestellte Tonnen,
in den Seitenschiffen Kreuzgewölbe, welche gegen die Hochschiffs-
mauer ansteigen. Im Chor bedeckte ein longitudinales Tonnengewölbe
das Mittelschiff, die Seitenschiffe haben schlichte Kreuzgewölbe. End-
lich eine Vierungskuppel, welche nach Art derjenigen von S. Martin
d'Ainay zu Lyon und der westlichen Kuppeln von Le Puy angeordnet
>) Wir wissen nicht, woher Schnaase IV, S. 510 diese Notiz hat.
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Zweites Buch. Der romanische Stil.
ist. Das Gewölbesystem des Mittelschiffes ist eine interessante und ganz
vereinzelte Erscheinung. War im Mittelschiffe ein fortlaufendes Tonnen-
gewölbe beabsichtigt und hat man es aus statischen Rücksichten, oder
einer besseren Beleuchtung zuliebe mit querstehenden Tonnen ersetzt,
oder wollte man eine Hallenkirche bauen, worauf die tiefstehenden Gurt-
bogen weisen? Es sind das Fragen, welche sich aufdrängen, ohne dass
sie beantwortet werden können. Auf alle Fälle hat der Erbauer seine
Aufgabe nach der struktiven Seite in origineller Weise und mit Ge-
schick gelöst. Das formale Können allerdings hält damit nicht gleichen
Schritt. Zwar die Raumwirkung ist nicht ungünstig und könnte durch
eine etwas bessere Färbung, als die gegenwärtige, noch gehoben werden.
Die Gurtbogen und die hellbeleuchteten Flächen der Tonnen geben
eine sehr bestimmte Raumgliederung *). Die plastische Einzelgestaltung
aber ist — wenigstens in Vorhalle und Schiff — von der äussersten
Bescheidenheit. In jeder Hinsicht besser ist der Chor. — Die technische
und formale Analyse des Baues zeigt, dass er von Westen begonnen
und successive nach Osten fortgeführt wurde, doch können die Alters-
unterschiede nicht eben gross sein. — Seiner Grundanlage nach ver-
wandt mit dem Chor von S. Philibert ist der von Vignory, einer
Dependenz von Saint Benigne, erbaut nach a. 1052 (Taf. 137).
Noch einige andere Monumente dieser Frühzeit sind ganz oder teil-
weise erhalten. Im südlichen Burgund: Chor und Querschiff von Anzy
le duc (Taf. 121, 136), eine höchst einfache Anlage; die Apsis, an
die sich östlich noch eine kleine Nische anschliesst, im Inneren mit
Lisenen und Bogenfries dekoriert. In der Westschweiz: Romainmotier
(Taf. 118, 136); das Kloster kam im saec. 10 an Cluny und Abt
Odilo führte einen Neubau aus, welcher a. 1026 schon als vollendet
bezeichnet wird; die zweigeschossige Vorhalle ist mit Kreuzgewölben
überdeckt; das Mittelschiff war flachgedeckt (jetzt gotische Gewölbe),
die Seitenschiffe haben Tonnengewölbe, in welche die Scheidbögen
und die Fenster einschneiden; auch in den Armen des Querschiffes
Tonnengewölbe auf kräftig vortretenden Wandbögen. Rahn, Mittl. d.
ant. Ges. in Zürich. Bd. XVII. — Payerne, gleichfalls eine Clunia-
censerkirche aus saec. 11 (Taf. 121, 136), hat im Mittelschiff ein
Tonnengewölbe mit Gurten, in welches die Oberfenster einschneiden,
in den Seitenschiffen Kreuzgewölbe mit Bogenstich; die Kreuzarme
gleichfalls mit Kreuzgewölben überspannt, das der Vierung jünger.
Die letztgenannten Bauten stehen in formaler Hinsicht fast noch
tiefer als die älteren Teile von S. Philibert zu Tournus, doch ist eine
gewisse Verwandtschaft mit diesem Monumente nicht zu verkennen.
Hier wie dort ist das konstruktive Können dem formalen vorausgeeilt,
') In Le Puy freilich ist mit ähnlichen Mitteln unendlich mehr erreicht.
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Neuntes Kapitel: Die tonnengewölbte Basilika.
387
aber ein Abschluss ist in keiner Weise erreicht. Vergleichen wir die
burgundische Baukunst des saec. 1 1 mit der gleichzeitigen des Westens
oder gar des Südens von Frankreich, oder anderseits mit der der Rhein-
lande (Limburg a. H.f Dom zu Mainz, S. Marien im Capitol etc.), so
muss sie als zurückgeblieben bezeichnet werden. Cluny konnte sein
Grundrissschema nach Deutschland abgeben (S. 309), weiter vermochte
es nichts zu bieten.
Abseits steht die Kirche der Abtei Fleury, auch genannt S. BenoTt-
sur-Loire (Taf. 120, 142). Hier kommt nur der a. 1062 begonnene
Chorbau in Betracht. Er zerfällt in zwei deutlich geschiedene Teile:
den ungewöhnlich lang gestreckten, dreischiffigen Vorderchor, und
den über einer Krypte stehenden, mit Umgang und Kapellen aus-
gestatteten Hauptchor. Der letztere Teil war ohne Zweifel von
Anfang an auf Gewölbe angelegt, ebenso die tonnengewölbten Seiten-
schiffe des Vorderchors; das Hauptschiff des letzteren hat dagegen
ganz das Ansehen, als wäre es auf eine Balkendecke
berechnet gewesen, die etwa nach dem Brande von
a. 1095 durch das gegenwärtige Tonnengewölbe er-
setzt wäre; sollte es dennoch ursprünglich sein,
so wäre es ein naives Wagestück, wie nur eine des
Wölbens unkundige Landschaft es hervorzubringen
vermochte. Die dem Gurtbogen entsprechenden
Strebebögen sind modern.
Eine zweifellos vom Anfang an gewölbgemäss
gedachte Nachahmung ist S. Genou im Berry
(Taf. 142 und beistehende Figur), wovon nur Chor
und Querschiff erhalten.
Der entscheidende Umschwung knüpft sich an den im Jahre 1088
beschlossenen Neubau der Kirche von Clüny. Nach einem Jahrhundert
des Kampfes an der Spitze der Kirchenreform sah sich dieses Kloster
damals auf der Höhe seiner Erfolge, in einer Stellung ohnegleichen.
Das Zeitalter, das nach Gregor VII. genannt wird, sollte mit noch
grösserem Rechte das Zeitalter Clunys genannt werden. Denn nur,
weil er der grosseste Cluniacenser war, wurde Gregor der grosseste
Papst. Und eben im Jahre 1088 bestieg ein zweiter gewaltiger Sohn
Clunys als Urban IL den Thron des Apostelfürsten, um die Früchte
der Thaten Gregors einzuernten. Die Wahl dieses Momentes für den
Neubau von Cluny ist bedeutsam; noch bedeutsamer ein anderer bis
jetzt unbeachtet gebliebener Umstand: Die neue Kirche erhielt
genau die gleiche Länge1) wie die Peterskirche in Rom,
') Nach Abzug des Umganges.
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388 Zweites Buch: Der romanische Stil.
wodurch sie die grösste der abendländischen Christenheit neben
dieser wurde. Eine Symbolik, die keiner Erklärung bedarf.
A. 1095 fand die Weihe des Chores durch Urban II. statt und
im Jahre 1131 die Weihe der vollendeten Kirche durch Innocenz IL;
a. 1798 wurde sie als Nationaleigenthum dem Verkaufe unterstellt, aber
erst 181 1 (!) abgebrochen. Ihre Zerstörung ist ein schwerer Verlust
für die Baugeschichte. — Als Baumeister werden zwei Mönche von
Cluny genannt: Gauzo, früherer Abt von Beaune, und Hezüo, der
von Lüttich gekommen war; Abt Hugo selbst nahm thätigen Anteil.
— Beschreibungen und Pläne der Kirche sind erhalten. Von dem
Gebäude selbst steht noch ein Teil des südlichen Armes des grossen
Querschiffes ; eine Skizze hiervon verdanken wir gütiger Mitteilung des
Hrn. Prof. Rahn in Zürich (Taf. 138, Fig. 1). Der Grundriss (Taf. 120)
zeigt anderen Bauten des saec. 11 gegenüber keine wesentlichen
Neuerungen (vgl. S. 272). Die fünfschiffige Anlage, der Chorumgang
und das doppelte Querschiff waren auch anderwärts schon vorge-
kommen. Die Vorhalle ist eine Eigentümlichkeit des Ordens und
eignete schon der älteren Kirche. Dagegen ist der Aufbau eigen-
tümlich und neu und weist hinsichtlich der künstlerischen Durchbildung
einen ganz erstaunlichen Fortschritt auf gegenüber den früheren
Leistungen der burgundischen Schule. Nach den bestehenden Resten
und den Beschreibungen kann eine Restauration des Systemes ver-
sucht werden (Taf. 138, Fig. 2). Unsere Skizze macht natürlich auf
Genauigkeit der Abmessungen, der Verhältnisse und Einzelheiten keinen
Anspruch, wird aber die Grundlinien im wesentlichen richtig wieder-
geben. Jedes Schiff hatte über dem Dachansatze des folgenden seine
eigenen Fenster. Das Mittelschiff war mit einem Tonnengewölbe über-
deckt, das erste Paar der Seitenschiffe mit Kreuzgewölben, das zweite
(äussere) mit quergestellten Tonnen (?) oder Kreuzgewölben. Die Pfeiler
setzten sich in ihrem unteren Theile aus einem kreuzförmigen Kerne
mit Pilastervorlage nach Seite des Mittelschiffes und Halbsäulenvor-
lagen nach den drei anderen Seiten zusammen. Ueber dem Pilaster
folgte, bis zum Triforium reichend, ein Bündel von drei kleinen Säulen,
dann eine rechtwinkelige Vorlage mit Halbsäule als Stütze des Gurt-
bogens. Die Bildung des Triforiums und des Lichtgadens ergiebt sich
aus den Resten des Querschiffs. Das Hochschiff hatte in jedem Joche
drei Fenster (nach der Ansicht bei Mabillon, Ann. 5., 235); die über-
grosse Höhe der Scheidebögen des Mittelschiffs ist durch die fünf-
schiffige Anlage bedingt.
Der Bau der Gauzo und Hezilo in Cluny ist einer der seltenen,
auf welche die Bezeichnung > Schöpfungsbau c im eminenten Sinne
passt. Eine Höhe, an deren Fuss der Entwicklungsgang jahrhunderte-
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Neuntes Kapitel: Die tonnengewölbte Basilika. 389
lang stehen geblieben war, an welcher die einen langsam empor-
klommen, welche die andern zu umgehen vorzogen, ist hier gleich-
sam mit Sturm genommen. Den schöpferischen Wert der Leistung
verkleinert es mit nichten, dass nur im Aufbau, nicht auch im Grund-
plan die neuen Gedanken hervortreten. Denn eben darin lag ja die
besondere Aufgabe: dass in dem neuzuschaffenden struktiven Organis-
mus die alte historische, unter der Herrschaft der Flachdecke ausge-
staltete Kompositionsidee in voller Kraft und Reinheit fortleben sollte.
Die späteren Siege der Gotik sind in Cluny schon zur Hälfte ge-
wonnen. Man darf in gewissem Sinne sagen: zu früh. Der welt-
bürgerliche Zug, der hundert Jahre später die Völker und Stämme
des Abendlandes einander naher führte, war kaum erst im Erwachen ;
insonderheit auf dem Gebiete der Baukunst fühlten sich die ein-
zelnen Provinzialschulcn noch ganz autonom und waren eine jede
voll eigener nach Auslebung verlangender Gedanken.
Der unmittelbare Einfluss Clunys blieb deshalb zunächst auf
das Herzogtum Burgund und dessen nächste Grenzregionen be-
schränkt. Er war ein unbedingter auch nur hinsichtlich des Auf-
baues. Hinsichtlich des Grundrisses dagegen sind es nur die grossen
Abteikirchen, die auch hierin Cluny sich anschliessen (Taf. 120);
die Kathedral- und Pfarrkirchen befolgen ihren besonderen Typus
(Taf. 121), der durch einfachere Anlage des Chores und Wegfall der
Vorhalle bezeichnet ist *).
Der Name Bauschule von Cluny wird von den französischen
Archäologen häutig angewendet, aber in schwankender Weise. Viollet-
le-Duc z. B. braucht ihn synonym mit »Schule von Burgund* . A. Saint-
Paul stellt die Existenz einer eigenen Schule von Cluny ganz in Ab-
rede (»A travers les monuments historiques.* Bull. raon. 43, p. 144).
Zur Klarheit ist hier nur zu gelangen, wenn man zwischen der zweiten
und der dritten Kirche von Cluny (Bau des Maiolus — Bau Hugos)
scharf unterscheidet. Beide waren einflussreiche Muster, aber in ganz
verschiedener Richtung wirkende.
Der Bau des Maiolus entwickelte aus lokalburgundischen Elementen
erstens ein eigentümliches Chorschema, das wir S. 270 — 73 erörtert
haben; zweitens das Motiv einer westlichen Vorhalle (»Galiläa«:) mit
zwei Türmen, welche bald als offenes Atrium, bald als gedeckte Vor-
kirche, bald in reduzierter Gestalt als Zwischenhalle zwischen den
7) Die Kathedrale von Autun macht nur scheinbar eine Ausnahme. Die Vorhalle
ist hier ein späterer Zusatz, veranlasst durch die Menge der Aussatzkranken , die bei
S. Lazarus, dem Titelheiligen, Hilfe suchten.
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I
Zweites Ruch. Der romanische Stil.
Türmen auftritt. Diese baulichen Eigentümlichkeiten kehren wieder,
soweit der Einfluss der Kongregation reicht, bis in die Normandie
einerseits, Italien und Deutschland andererseits (S. 272). Ausser
den Denkmälern selbst besitzen wir das Zeugnis des Statuts von
Farfa, welches mittelitalienische Kloster a. 998 die Reform von Cluny
annahm. Es heisst daselbst (Mabillon, ann. O. S. B. IV., p. 207):
iduae turres sint in ipsius (ecclesiae) fronte statuta, et subter ipsas
a tri um ubi laici stare debent, ut non impediant processionem (sc.
monachorum)t. Es ist eine spezifische Ordensvorschrift, die allein
die Grundrissanordnung ins Auge fasst, hingegen der Behandlung des
Aufbaus in jeder Hinsicht Freiheit lässt. Von einem cluniacensischen
Schultypus in dem umfassenden Sinne, wie nachmals der cistercien-
sische es war, kann also die Rede nicht sein.
Ganz anders verhält es sich mit dem uns in diesem Kapitel be-
schäftigenden Neubau des Abtes Hugo. Er fällt in eine Zeit, wo der
Reichtum des Klosters auf dem Gipfel steht, der internationale mo-
ralische Einfluss aber im Sinken begriffen ist. Seine Wirkung ist
extensiv geringer, intensiv grösser, als die des älteren Baus. Er be-
einflusst entfernter gelegene Ordensbauten nicht mehr, wohl aber wird
er — was der ältere Bau nicht war — der künstlerische Mittelpunkt
der mächtig aufstrebenden Architektur in seinem burgundischen Heimat-
lande. In diesem engeren Kreise beherrscht er nicht bloss die Bauten
der Kongregation, sondern den Kirchenbau überhaupt. Die Erbauer
gerade der burgundischen Hauptwerke des 12. Jahrhunderts suchen ihr
Verdienst nicht in von Cluny abweichenden neuen Erfindungen, sondern
allein in leisen Verschiebungen der Proportionen, in vollendeterer Ein-
zeldurchbildung. Insofern also der vorbildliche Einfluss dieser dritten
Kirche von Cluny sich nicht auf den Orden beschränkte, andererseits
aber über das Herzogtum Burgund nicht hinausreicht, wird man die
Bezeichnung Schule von Cluny besser vermeiden und nur von einer
jüngeren burgundischen Schule reden, für deren Haupt zu gelten
Cluny allerdings vollen Anspruch hat.
Ist das Anfangsdatum dieser Schule also scharf bestimmt, so nicht
das Ende. Ihr letztes grosses Werk, in der zweiten Hälfte des saec. 12
entstanden, die Kathedrale von Langres, zeigt schon den zersetzenden
Einfluss der Gotik, andererseits dauern romanische Einzelmotive bis ins
13. Jahrhundert. Zur genaueren Zeitbestimmung der der Blütezeit ange-
hörenden Denkmäler fehlen die Daten oder sind uns wenigstens nicht
zugänglich geworden. — Paray-le-Monial (Taf. 120, 138, 140, 144), ein
Priorat von Cluny, wohl erst gegen Mitte saec. 1 2 ; die abnorme Kürze
des Vorderschiffs erklärt sich daraus, dass man die (im ersten Entwurf
sicher fortgedachte) Vorhalle des älteren Baus stehen Hess. — Cella
Caritatis (La Charite sur Loire) Taf. 121, 138, gleichfalls Priorat von
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Neuntes Kapitel: Die tonnengewölbte Basilika.
391
Cluny. Die Abschnitte der Baugeschichte sind schwer auseinanderzu-
legen. Wir erfahren von einem Neubau seit a. 1055, dann von Bautätig-
keit des Abtes Hugo von Cluny, die mit einer Weihe a. 1107 abschloss.
Ein Bruch des Systems am zweiten Pfeiler des Chores weist auf einen
ursprünglich anders, voraussetzlich noch nach der älteren Kirche von
Cluny gestalteten Grundriss (Restaurationsversuch Taf. 121, Fig. 3).
Dem älteren System gehörte noch das Querschi ff an ; der Spitzbogen
kommt noch nicht vor, die grossen Blendbögen des zweiten Geschosses
sind vermauerte Fenster, die Pfeilervorlagen und der Lichtgaden jün-
gere Zusätze; man möchte beinahe Reste einer Flachdeckbasilika zu
erkennen glauben — was für die Bauepoche 1055— 1 107 in dieser
Gegend auch nichts Unwahrscheinliches hätte. Erst der Umbau, nach
den schon der Entartung sich nähernden Formen zu urteilen nicht vor
dem Ende des saec. 12, schloss die Kirche dem burgundischen Stile an.
Nach schweren Verwüstungen in den Hugenottenkriegen wurde das
Vorderschiff nur bis zur Linie A— B wieder hergestellt; westlich davon
bildet das Mittelschiff jetzt einen Hof, während sich in die Seitenschiffe
Wohnhäuser eingenistet haben. Ein Teil der westlichen Joche wird
nach aller Wahrscheinlichkeit eine Vorhalle gebildet haben, deren Grenze
indes wegen spätgotischer Eingriffe nicht mehr festzustellen ist.
Kathedrale S. Lazare zu Autun (Taf. 121, 139, 140, 143). Bau-
beginn unbekannt, Weihe a. 1147, die der ursprünglichen Bauidee
fremde Vorhalle beg. a. 11 78. Mit Hilfe vertieften Studiums der
Antike ist das System von Cluny noch einmal durchgearbeitet und
so das Meisterwerk der burgundischen Architektur geschaffen. Bis
auf den gotisch erneuerten Chor (derjenige unserer Abbildung nach
der Restauration von Viollet-le-Duc) und die gotischen Kapellenreihen
an den Seitenschiffen der Eindruck ganz einheitlich. Der Beachtung
der praktischen Architekten dringendst zu empfehlen. — Notre-Dame
zu Beaune (Taf. 120, 138, 140), eine dem Bischofssitz von Autun unter-
stellte Kollegiatkirche, wiederholt das System der dortigen Kathedrale
in vergröberter Ausdrucksweise. — Die Kathedralen von Vienne und
Lyon sind nach ihren Grundrissen (Taf. 121) mit der von Autun nahe
verwandt; die letztere zeigt nur in den Nebenchören romanische For-
men und geht dann in gotische über; die erstere (Taf. 138) ist roma-
nisch bis zum Arkadengesims, die Anordnung des Pilasters weniger
antik gedacht, wie in Autun.
Das in den älteren burgundischen Bauten kaum erst angedeutete
struktive System ist in der jüngeren zu voller Klarheit entwickelt.
Das Beispiel der Cluniacenserkirche Saint Etienne zu Nevers, in welcher
das auvergnatische System zu selbständiger Beleuchtung des Mittel-
schiffes fortschritt, dürfte nicht ohne Einfluss gewesen sein. Allein für
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392
Zweites Huch : Der romanische Stil.
die Ausgestaltung waren künstlerische Gesichtspunkte in höherem Masse
bestimmend, als die Rücksicht auf eine sehr rationelle Konstruktion.
Das Tonnengewölbe des Mittelschiffes übt einen gewaltigen Seitenschub.
Derselbe wird in den auvergnatischen Kirchen durch die Halbtonnen
und übermauernden Querbögen der Emporen aufgenommen und auf-
gehoben, in den proven^alischen Basiliken ist wenigstens durch die
starken Pfeiler in jedem Joche ein genügender Halt geschaffen, die Ober-
mauer ist niedrig und der Hebelarm, unter welchem der Seitenschub
des Gewölbes auf sie wirkt, ein kurzer. Anders hier. Die Masse
der Pfeiler ist im Verhältnis zur Spannweite eine viel geringere, sie
stehen auf eine grössere Höhe frei und gehen ausserdem nicht in
gleicher Stärke durch, sondern die äusseren Strebepfeiler ruhen zum
Teil auf den Gurtbögen der Seitenschiffe. Jede Formänderung dieser
Gurtbögen müsste also eine Bewegung des Hochschiffsgewölbes mit
sich bringen. Mit Ausnahme von Paray-lc-Monial mussten denn
auch alle grösseren burgundischen Gewölbe nachträglich durch Strebe-
bögen gesichert werden. Zu betonen ist jedoch, dass die struktiven
Schwächen des Systemes auch ohne Zuhilfenahme von Strebebögen,
welche dem ganzen Charakter dieser Bauweise widersprechen, hätten
überwunden werden können.
Aber den struktiven Mängeln des Systems stehen künstlerische
Vorzüge höchster Art gegenüber, und es ist kein Zweifel, dass ohne
den Mut, mit jenen sich zu vertragen, diese nie erreicht worden wären.
Sehr ungleich ihrer Vorgängerin im Ii., wie ihrer Nachfolgerin im
13. Jahrhundert, die beide, wennschon auf weit auseinanderliegcnden
Stufen, die konstruktive Rechnung in der Vordergrund stellten, war
die burgundische Architektur der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts
in einem reinen künstlerischen Enthusiasmus entflammt, der sich
durch Bedenken von jener Seite nicht aufhalten lassen wollte. Freilich
blieb ihr die Erfahrung nicht ganz erspart, dass eben diese Gering-
schätzung wieder zu einer Fessel wurde und zu den letzten Stufen
künstlerischer Freiheit ihr den Weg vertrat. Immer ist auch schon
das, was sie erreicht hat, bewunderungswürdig.
Dass die Kunstgeschichtsschreibung das volle Mass der ver-
dienten Anerkennung, wie uns scheint, ihr noch vorenthalten hat, liegt
vielleicht am meisten daran, dass die burgundische Baukunst in
keine der herkömmlichen stilgeschichtlichen Kategorien recht passen
will. Nach ihrer Zeitstellung der romannischen Epoche angehörend
enthält sie doch vieles, was auf die Gotik und anderes, was auf die
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Neuntes Kapitel : Die tonnengewölbte Basilika.
393
Renaissance hinweist. Elemente, die nachher in zwei gegensätzliche
Richtungen sich trennten, liegen in ihr noch gebunden nebeneinander,
so zwar, dass man von Abstossung, von Trennungsbedürfnis nichts
wahrnimmt. Für diejenigen, welche in der Aufhebung des Gegensatzes
von Gotik und Renaissance das grosse Problem der modernen Bau-
kunst erblicken, muss der burgundische Stil ein überaus lehrreiches
Studium und gewiss mehr unmittelbar Nachahmungswertes bieten,
als etwa die Vermengung von Gotik und Renaissance in der ausser-
italienischen Kunst des 16. Jahrhundertes.
Für das Gewölbesystem besteht eine feste Formel : Kreuz-
gewölbe, und zwar rippenlose, in den Seitenschiffen, Tonnengewölbe
mit Quergurten im Hauptschiff. Die ersteren haben den Vorzug vor
den provengalischen Halbtonnen, dass sie grössere Breitenausdehnung,
vor den Volltonnen, dass sie im Verhältnis zu den Scheidbogen tiefere
Lage ihres Scheitels und folglich auch tieferen Anschluss der Dächer
an die Hochmauer gestatten, kurz freiere Bewegung der Kompo-
sition. Das Tonnengewölbe des Hauptschiffes dagegen legt vermöge
seiner spröden struktiven Natur auch der Komposition mancherlei
Hemmungen auf, aber es besitzt formale Eigenschaften, durch die
es den burgundischen Meistern unlöslich ans Herz gewachsen war.
Auch uns erscheint das Tonnengewölbe verglichen mit der Folge
von Kreuzgewölben unbedingt als die dem Wesen des basilikalen
Langbaus adäquatere Form. Es spricht die Einheit des Raumes
mäehtiger aus, vertritt das Richtungsmoment mit grösserer Ent-
schiedenheit; die Gliederung durch Quergurten allein wirkt unver-
gleichlich ruhiger, als die zumal im perspektivischen Bilde immer
unklaren Ueberkreuzverbindungen der Gotik, und veranschaulicht
doch mit aller Bestimmtheit den Wechselbezug zwischen Decke und
Pfeilern.
Auch in einem anderen wichtigen Stücke, im System der Stützen,
hat der burgundische Typus vor den Kreuzgewölbe-Basiliken Ita-
liens, Deutschlands, Nordfrankreichs, die sich ganz überwiegend auf
den gebundenen Grundriss angewiesen sahen . die nähere Verwandt-
schaft mit der ursprünglichen Idee der Basilika voraus, denn mit dieser
steht die einfache Reihung gleicher Elemente in reinerem Einklang als
der gruppierende Rhythmus; hat sie ferner voraus die Freiheit in
der Bestimmung der Stützenintervalle, eine Freiheit, die sonst erst
die Gotik brachte. Besonders zu beglückwünschen ist das burgundische
System wegen der Einführung des als Blindgalerie gestalteten Zwischen-
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
geschosses zwischen Scheidbögen und Lichtgaden; auch dies ein
protogotisches Motiv, der Vorläufer des Triforiums.
Die meisten romanischen Gewölbesysteme sonst — das lom-
bardische , auvergnatische , normannische , auch noch das französisch -
frühgotische — hielten zur Sicherung des Hauptgewölbes an dieser
Stelle ein wirkliches Emporgeschoss für notwendig ; indem sich die
Burgunder dieses konstruktiven Hilfsmittels begaben und dafür die
bloss blinde Galerie einsetzten, gewannen sie ein Bauglied, das ver-
möge seiner elastischen (eben weil struktiv indifferenten) Natur ihrem
auf die Schönheit der geometrischen Verhältnisse und auf Ruhe der
Massenwirkung vornehmlich gerichteten Sinn aufs dienlichste ent-
gegenkam. Sie gewannen hiermit einen mit voller künstlerischer
Freiheit gestimmten Dreiklang des Aufbaus, dessen reich belebte und
zugleich durchsichtig klare, mit echt architektonischen Mitteln durch-
geführte Behandlung ebenso weit entfernt von der gotischen Flächen-
negation wie von dem altchristlichen und frühromanischen Flächen-
überfluss ist. Den Formenapparat hierzu leitet die burgundische Kunst
aus der römischen Antike ab ; jedoch mehr im ganzen als im einzelnen,
mehr nachempfindend als eigentlich nachahmend. An Kapitellen,
Gesimsen und anderen Ziergliedern ist die unmittelbare Wiederholung
antiker Muster zwar nicht ausgeschlossen, aber ungleich seltener als
in der provencalischen Schwesterkunst und immer zum grösseren
Teile gemischt mit frei romanischen Erfindungen.
Immer stimmt jedes entlehnte Motiv (z. B. das der Attika 4es
römischen Stadtthors zu Autun in seiner Uebertragung auf das Trifo-
rium der dortigen Kathedrale) so trefflich zu seinem Ort, dass es nicht
besser dazu hätte neu erfunden werden können. In der senkrechten
Gliederung wurden anfangs (Cluny, Paray) antike Pilaster und roma-
nische Runddienste und Ziersäulchen noch einigermassen willkürlich
gemischt, später an den reifen Werken (Autun, Langres) aber herrscht
der Pilaster fast ausschliesslich. Er ist regelmässig durch kräftige,
tiefgefurchte Kannelierung belebt. Das grössere oder geringere Ver-
ständnis für seine Natur erkennt man daraus, wie oft und an welchen
Stellen er durch Horizontalgesimse abgeteilt ist. Die sparsame
Verwendung, bei den strengsten Vertretern der Schule (Autun) die
Ausschliessung, aller aus kreisförmigem Durchschnitt abgeleiteten Ver-
tikalglieder verleiht dem burgundischen Bautypus einen Zug, den er
allein mit dem provengalischen teilt, durch den er von allen andern
romanischen Typen sich unterscheidet. Die Säule, selbst wenn sie als
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Neuntes Kapitel Die tonnengewölbte Kasilika.
395
Halbsäule der Mauer verbunden ist, behält durch ihre exklusive, auf den
in ihr selbst liegenden Mittelpunkt weisende Gestalt immer einen be-
deutenden Rest von Unabhängigkeit; Pfeiler und Pilaster dagegen
sind mit der Mauer gleichen Geschlechtes, ihre Flächen haben die
gleiche Richtung ; eine vornehmlich aus ihnen komponierte Gliederung,
auch wenn sie so reich zusammengesetzt ist und mit so kräftigem
Relief heraustritt, wie in der burgundischen Behandlung, behält im
Eindruck eine nähere Beziehung zur Mauer. Dieses, der ungebrochene
Masse neindruck, ist es ganz besonders, worin viel tiefer und ent-
scheidender als in der vereinzelten Nachahmung von Zierformen die
der römischen Antike verwandte, der nordfranzösischen Gotik abge-
kehrte Stimmung beruht. Denn so ähnlich Grundriss, Querschnitt
und Gliederbau in ihrer allgemeinen Anordnung dem gotischen Bau-
system schon sind, so waltet doch prinzipielle Verschiedenheit in der
Beziehung zwischen den Gewölben einerseits, den Pfeilern und Mauern
andererseits; der Gliederbau hat sich von den raumabschliessenden
Massen noch nicht zu selbständigem Leben abgetrennt, er verkündet
seine struktive Leistung noch nicht mit so lauter Stimme, man em-
pfindet ihn mehr als Symbol der treibenden Kräfte, denn als deren
unmittelbaren Träger. Andererseits, mit der Verwendung der antiken
Glieder in der italienischen Renaissance verglichen, ist das burgun-
dische System weniger Scheinorganismus, weniger bloss konventio-
nelle Hülle.
Ein mit der antikisierenden Haltung der burgundischen Kunst
unverträgliches Element wird man vielleicht in der Verwendung des
Spitzbogens, einen inneren Widerspruch überhaupt in dem Neben-
einander desselben mit dem Rundbogen blosslegen wollen. Dagegen
ist zu erinnern, dass wir den Spitzbogen fast niemals unbefangen,
sondern als wesentlich mit der Gotik, dem polaren Gegensatze der
Antike, verbunden denken; eine in dieser Allgemeinheit keineswegs
richtige Anschauung. Der Bogen ist dem strengen Formsystem der
antiken Baukunst überhaupt fremd; lässt man ihn zu, so ist kein
Grund, ihn allein als Rundbogen zuzulassen. Ohne Zweifel wohnt
dem Spitzbogen reichere Modulationsfähigkeit inne und bei nicht zu
steiler Bildung ergibt er im Nebeneinander mit frei behandelten antiken
Formen keineswegs eine Dissonanz. Die gemischte Anwendung von
Rund- und Spitzbogen ist, wie die vorigen Kapitel gezeigt haben,
allen romanischen Schulen im Süden der Loire eigen. Als ein Vor-
zug der burgundischen darf die Festhaltung eines ganz bestimmten
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396
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Systemcs der Mischung gelten: spitz sind alle mit dem struktiven
Gerüste in näherem Zusammenhange stehenden, stark in Anspruch
genommenen Bögen, rund alle struktiv untergeordneten, insbesondere
alle bloss dekorativen z. B. am Triforium.
Zuzugestehen ist eine gewisse Inkonsequenz in betreff des Chores
in den Fällen, wo derselbe mit Umgang versehen ist (getadelt von
Viollet-le-Duc I, p. 230). Dann treten nämlich in der Rundung Säulen
an Stelle der Pfeiler ein, auch die Höhenteilung ändert sich. Allein
dieser Bauteil nimmt in mehrerem Betracht eine Ausnahmestellung
ein. Das Motiv an sich ist ein in hohem Grade schönes, es wird
in Burgund so trefflich behandelt, wie in keiner andern Schule und
es hat als Abschluss der Innenperspektive die Wirkung, das Schiff
weiter erscheinen zu lassen, als es in Wahrheit ist.
In letzterer Hinsicht waren durch das hochliegende Tonnen-
gewölbe schwer zu überwindende Schranken gesetzt. Für das Raum-
gefühl der Burgunder ist aber bezeichnend, dass sie die fortschreitende
Beherrschung der Konstruktion von Bau zu Bau, wie die Reihe Paray-
Autun-Langres (Taf. 140) darlegt, zur Steigerung des Breiten Verhält-
nisses verwerteten. Schlechthin rühmenswert ist die feine harmonische
Anpassung der Längen- und Höhenteilung des Systems zum jedes-
maligen Querschnitt.
Folgende Tabelle veranschaulicht an vier Hauptbeispielen die
wichtigsten Proportionen: „ „ A T
0 1 Beaune. Paray. Autun. Langre-.
Achsenweite des Mittelschiffes zu Achsen-
weite der Joche 1:1,3 1 : i»3 1:2 i:a
Lichte Weite des Mittelschiffes von Mauer
zu Mauer zu lichter Höhe . . . .1:2,6 1:2,7 > : 2,4 1 : «»9
System. Achsenweite der Joche zu
Kämpferhöhe 1:2,4 1:2,45 1:3 1:2,26
Für die Höhenteilung des Systemes ergeben sich folgende Werte:
Beaune
Paray
Autun
Langres
Gesimse unter dem Triforium geteilt.
oberer Teil . unterer Teil :
ganze Höhe
1
1,62
2,62
1
I.62
1 :
2;oS
1
1,48
1
2,02
3,02
I
i,5°
2,35
3.35
1
1,42
zum Gewölbekämpfer durch das
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Neuntes Kapitel : Die tonnengewölbte Basilika.
397
Während Autun und Langres im Grundrissverhältnis genau über-
einstimmen, unterscheiden sie sich in den Höhenproportionen und
steht Autun den beiden ersten Gebäuden wesentlich näher. Es ist
dies eine Folge des verschiedenen Gewölbesystemes. Die Anwendung
des Tonnengewölbes, welches erst über dem Lichlgaden ansetzen kann,
bedingt eine grosse relative Höhe, welche hier im Durchschnitt 2 *,'» mal
grösser ist als die lichte Weite, wogegen sie bei Anwendung des Kreuz-
gewölbes (in Langres) auf 1,9 der lichten Weite fällt. Neben diesen
Hauptproportionen ist das Verhältnis der Pfeilerdicke zur lichten
Bogenöffnung für den Raum eindruckbestimmend, dieses ist bei Beaune
und Paray grösser als 1 : 2, bei Autun und Langres etwas kleiner.
Diese relativ geringen Unterschiede genügen, um trotz der grossen
Uebereinstimmung in der Konzeption der Systeme doch jedem der
genannten Gebäude seinen ganz bestimmten, individuellen Charakter
zu sichern.
Das Bausystem der Burgunder, wir wiederholen es, war nach
der konstruktiven Seite nichts weniger als ein vollkommenes. Aber
durch verwegenes Sichhinwegsetzen über Schwierigkeiten, denen alle
andern bis dahin ausgewichen waren, und eine erstaunliche form-
bildende und formbeherrschende Kraft gelang ihnen ein herrliches
Ganzes. Einen schwachen Punkt jedoch gibt es darin, der unüber-
wunden blieb. Das ist die Lichtführung. Die Rücksicht auf die
Sicherheit des Tonnengewölbes gestattet nicht, trotz der Zuhilfe-
nahme der Gurtbögen und Strebepfeiler, irgend zahlreiche und breite
Fensterdurchbrechungen ; Steigerung des Höhenmasses der Fenster
wäre hier wieder gleichbedeutend mit Erhöhung des Schiffes über-
haupt gewesen und eben dieses wollte man, wie wir uns erst über-
zeugten, vermeiden. Die mangelnde Helligkeit wird zur Zeit der
Begründung des Stiles noch nicht sehr empfunden sein, weil sie
damals eine allen Systemen gemeine war; seit der Mitte des 12. Jahr-
hunderts geht aber durch die Baukunst aller Länder ein Ruf nach
mehr Licht.
Unter den mancherlei Vorzügen nun, die dem Kreuzgewölbe im
Wettstreit mit dem Tonnengewölbe zur Seite standen , war die
günstigere Beschaffenheit für Stellung und Grösse der Fenster immer
ein besonders dankbar begrüsster. Vornehmlich durch dieses Moment,
glauben wir, wurde auch der Erbauer der Kathedrale von Langres
dafür gewonnen, das Tonnengewölbe zu opfern, zum erstenmal das
Kreuzgewölbe anzunehmen. Wunderbar geschwind fiel nach der Preis-
gebung dieses einen Elementes das ganze System auseinander. Und
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398
Zweites Buch: Der romanische Stil.
so endete die burgundische Schule genau an dem Punkte, wo wir alle
andern romanischen Schulen Süd- und Mittelfrankreichs schon enden
sahen. Mit einer Regel mässigkeit, die einem unabwendbaren Schicksal
gleichsieht, dringt überall das Kreuzgewölbe ein, aber nicht um in
das vorgefundene ältere System ein höheres Moment der Entwicklung
zu bringen, sondern um es zu zersprengen, niederzuwerfen, die Bahn
freizumachen für die Gotik.
Die Kathedrale Saint-Mammi^s zu Langres (Taf. 121, 139, 140,
144). Ueber die Erbauungszeit besitzen wir gar keine Nachrichten.
Von den heimischen Archäologen wird sie in die ersten Jahre des
saec. 11 und an den Anfang der Entwicklung der burgundischen
Baukunst gestellt. Dies ist einfach unmöglich. Auch für die ältesten
Teile wäre die früheste denkbare Entstehungszeit die Mitte des
saec. 12. Sie umfassen den Chor und die angrenzenden Teile de>
Querschiffes bis auf ein Drittel der Kapellen. Diese Teile sind in
antikisierenden Formen reich dekoriert. Das von einem prachtvollen
Rankenornament begleitete Arkadengesims hört in den Kapellen am
Transsept plötzlich auf und es treten die Profile ein, welche im Vor-
derschiff durchgeführt sind. Damit ist eine bestimmte lokale Ab-
grenzung der beiden Bauperioden gegeben. Im Chor ist die formale
Behandlung durchaus antiken Vorbildern entnommen, speziell dem noch
heute bestehenden römischen Stadtthor; die Ausführung, mit sicherer
Berechnung der dekorativen Wirkung, zeigt einen Anflug von Weichlich
keit. Das Schiff hat bereits frühgotische Formen in strenger Behand-
lung und steht entschieden unter französischem Einfluss.
Im Jahre 1144 predigte Bernhard von Clairvaux in der Kathedrale
von Langres. Dieses Datum könnte sich, wenn überhaupt der jetzige
Bau in Frage käme, nur auf den Chor beziehen. Die Behandlung der
Kapitelle und Archivolten der Thüre zur Sakristei stimmt aufs ge-
naueste mit der des Westportales von S. Philibert in Dijon überein,
aber auch dieses ist nicht datiert. Dieselben Werkstatttypen , doch
schon etwas mehr in der Richtung auf das Frühgotische entwickelt,
finden wir in der a. 1 187 begonnenen Vorhalle von Autun wieder.
Wie der Habitus der Formen, so weist in noch bestimmterer Weise
auf die Spätzeit des saec. 12 die Analyse der Konstruktion. Schon
die Grundform des Chorumganges ist nicht früh. Alle burgundisch-
romanischen und ebenso alle frühest gotischen Chorschlüsse bauen
sich auf halbkreisförmiger Grundlage auf: der von LangTes ist polygon.
Noch mehr trägt der Aufbau den Charakter des Ueberganges, und
zwar nicht des aktiven Ueberganges, welcher selbständig und auf
eigenem Wege der Gotik zustrebt als Weiterentwicklung etwa jenes
früher namhaft gemachten protogotischen Elementes, sondern des jus-
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Neuntes Kapitel: Die tun nenge wölbte Basilika.
399
siven, welcher die Ergebnisse der französischen Schule verwertet, ohne
das Wesen der heimischen Bauweise aufzugeben. Es ist eine den
rheinischen Uebergangsbauten analoge Erscheinung, welche freilich
hier, wo der Zauberhauch der neuen Kunstweise unmittelbar anflutete,
fast ohne Folge blieb, denn schon im Anfange des saec. 13 hält die Gotik
in voller Rüstung ihren Einzug in Burgund und der östlichen Cham-
pagne und führt einen vollständigen Bruch mit der künstlerischen
Vergangenheit herbei.
Wir finden im Chorumgange von Langres Kreuz- Rippengewölbe
über trapezförmigem Grundriss, aber der Spitzbogen ist nicht dazu
verwendet, den Schildbögen gleiche Höhe zu geben, sondern die Ge-
wölbe steigen nach aussen. Die Diagonalbögen sind halbkreisförmig,
aber weil sie über trapezförmigem Grundrisse stehen, schneiden sie sich
nicht in der Mitte und der Schlussstein steht nicht im höchsten Punkte
des Gewölbes. Der Meister kannte also das Rippengewölbe und den
Spitzbogen vom Hörensagen , vielleicht auch aus eigener flüchtiger
Anschauung, wusste aber seine Vorteile nicht auszunützen. — Noch
seltsamer ist die Wölbung des Hochchores. Das erste Joch nach
der Vierung zeigt ein normales Kreuz-Rippengewölbe, die Rundung
aber ist nicht mit einem solchen, sondern mit einer Halbkuppel
überdeckt, in welche die Fenster etwas einschneiden. Ganz ohne Bei-
spiel aber ist die Verbindung der Halbkuppel mit dem ausgebildeten
Strebesysteme, das nicht etwa erst später hinzugefügt ist, sondern schon
der ersten Anlage angehört. Nun ist einerseits klar, dass der zu Tage
tretende Strebebogen nicht als Stütze einer Kuppel erfunden sein kann,
andererseits spielt er, wie weiterhin zu zeigen sein wird, auch bei den
frühesten gotischen Bauten noch keine grosse Rolle. Es hat also
hier ein fortgeschrittenerer gotischer Bau (Kathedrale von Sens?) zum
Vorbild gedient, was ebenso wie die Detailform des Vorderschiffs auf
das letzte Drittel des Jahrhunderts hinweist.
Man sieht: der Meister von Langres verschliesst sich nicht gegen
den Wert der in der französischen Schule aufgekommenen konstruk-
tiven Neuerungen, aber im Herzen seiner Kunst bleibt er ein ganzer
Burgunder. Ueberall zeigt sich, wie sehr er bemüht ist, jenen nur
die Rolle eines äusseren Hilfsapparates zuzugestehen, dagegen den
Grundcharakter seiner heimischen Art unangetastet zu lassen. Dahin
gehört die ungewöhnlich hohe Seitenzahl des Chorpolygons (9 Seiten
des Sechzehnecks), wodurch eine dem Halbkreis sehr nahe bleibende
Wirkung erzeugt und zugleich (ausser den konstruktiven Vorteilen) eine
reinere Form der die Säulen verbindenden Bögen gewonnen wird;
terner die Halbkuppelform des Gewölbes ; ferner das sich am nächsten
an die Kathedrale von Autun anschliessende System (nur im ersten
Joch zunächst dem Rundhaupt im ursprünglichen Sinne ausgeführt,
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400
Zweites Buch: Der romanische Stil.
im Schiff in reduzierten, von der Antike sich entfernenden Formen);
ganz besonders aber die eigentümliche Behandlung der Kreuzgewölbe
mit ihrem in der Querrichtung bogenförmig ansteigenden Scheitel,
Cluny: Vorhalle. (Nach Viollet-Ie-Duc.)
den breiten eckigen Quergurten und den daneben möglichst unter-
geordnet behandelten Kreuzrippen und Runddiensten, womit der per-
spektivische Eindruck dem des Tonnengewölbes wirklich einigermassen
angenähert, der Mangel einer fortlaufenden horizontalen Abschluss-
linie des Systems allerdings nicht vergessen gemacht wird. Die hohe
Neuntes Kapitel: Die tunnengewölbte Basilika.
40I
Einfalt und Einheitlichkeit des Vorbildes von Autun ist zwar nicht er-
reicht worden und konnte es nicht; dafür ist die Lichtführung eine weit
überlegene und ist die grössere Freiheit der Querschnittbildung für die
Raumentfaltung aufs herrlichste ausgenützt. Nach diesen beiden Rich-
tungen bezeichnet die Kathedrale von Langres den Höhepunkt der
burgundischen Baukunst. Doktrinären Puristen überlassen wir gern,
die begangenen Inkonsequenzen zu bemäkeln, und bekennen dafür in
diesem viel zu wenig bekannten Gebäude eine spezifische Schönheit
der Verhältnisse und des Raumes gefunden zu haben, wie sie nur in
wenigen romanischen Kirchen, in keiner gotischen, sondern erst wieder
in der italienischen Renaissance erreicht worden ist.
Thil-Chitel. (Dehio.)
In der Kathedrale von Langres ist die burgundisch- romanische
Bauweise über ihre Grenzen schon hinausgeführt, nur die höchste künst-
lerische Kraft konnte ihr das widersprechende Gewölbesystem zueinigen.
Einen ähnlichen Versuch machte um das Jahr 1220 Abt Roland von
Cluny mit der Erbauung der grossartigen Vorkirche zum Bau Hugos.
Dieselbe hält in ihrem Untergeschoss noch das System der kannelierten
Pilaster fest, der Oberbau aber schliesst sich noch enger dem gotischen
Systeme an als die Kathedrale von Langres. Es ist die letzte grosse
Leistung der burgundisch-romanischen Kunst, sie schliesst ihren Lauf
an demselben Denkmale, von dem sie ausgegangen.
In der Uebertragung auf Kirchen von kleineren Abmessungen
erfahrt das burgundische System Vereinfachungen, oft von sehr
glücklicher Art.
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402
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Durch feine Anmut und gemässigten Reichtum der Erscheinung
überaus liebenswürdig ist die Schlosskirche der Barone von Semur-en-
Brionnais (Taf. 121, 141). In derselben Landschaft die Cluniacenser-
priorei Charlieu; deren heute allein übrige Vorhalle zeigt die bur-
gundische Dekorationskunst in konzentrierter Pracht. Westwärts verfolgt
man den burgundischen Einfluss, jedoch erst im späteren 12. Jahrhundert,
bis ins Bourbonnais ; die Kirche von Souvigny, eine der ältesten und
angesehensten Töchter von Cluny, erweist sich in ihren dem saec. 1 1
angehörenden Teilen (Taf. 122) architektonisch von Cluny unabhängig;
erst der Erweiterungsbau des saec. 12 ist burgundisch (das Taf. 141
abgebildete Seitenschiff für dieses Verhältnis allerdings weniger cha-
rakteristisch als andere Teile) ; dieselbe Bauhütte errichtete die benach-
barte Kirche von S. Menoux, von der leider nur Transsept und Chor
(T. 143) unberührt geblieben sind.
Einige kleinere Kirchen interessieren durch die mittelst Stichkappen
in das Tonnengewölbe einschneidende Anlage der Fenster. Man sieht,
dass die Burgunder dies bequeme Verfahren wohl im Auge behielten ;
ihre Abneigung, bei Werken von Rang es anzuwenden, ist um so
bemerkenswerter; wieviel weniger heikel ist darin der Renaissance-
und Barockstil ! Eine sehr hübsche Lösung in Chateauneuf im Brionnais
(Taf. 141), eine gröbere in Thil-Chatel zwischen Dijon und Langres.
Beschreibung der Tafeln.
Provence und Languedoc.
Querschnitte.
Tafel 134.
1. Vaison: Kathedrale. — Anfang saec. 12. — Revoil.
2. Val de Dios (Spanien): S. Salvador. — Mon. Esp.
3. Trau (Dalmatien) S. Marlin. — Jahrb. C.-Comm.
t 4. S. Guilhem-en-de'sert. — saec. u(?) — Revoil.
5. S. Paul-trois-chäteaux. — saec. 12. — Archives des mon. hist.
6. * Arles: S. Trophime. — saec. 11 — 12. — Bezold.
7. *La Garde Adhimar. — saec. i2(?) — Bezold.
_ r . Langenschnitte.
Tafel 135.
1. *La Garde Adhe'mar. — Bezold.
2. * Arles: S. Trophime. — Bezold.
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Neuntes Kapitel: Die tonnengewölbte Basilika.
403
3. 5. Paul-trois-chtiteaux. — Archives des mon. hist.
4. Leon (Spanien) S. Isidoro. — Angeblich saec. 11, wohl später. —
Mon. Esp.
Burgund. Aeltere Schule.
Tafel 136.
1. *Ansy-te-Duc (Querschiff). — saec. 11. — Bezold.
2. 3. Romainmoticr. (Schnitt durch das Querschiff und System des
Langhauses, letzteres ursprünglich flach gedeckt.) — Vollendet 1026.
Rahn in den Mitt. der ant. Ges. in Zürich, XVII.
4, 5, 6. Payerne. (Schnitt durch das Querschiff, Querschnitt und
System des Langhauses.) — saec. 11. — Rahn a. a. O.
Tafel 137.
1, 2, 3. Tournus: S. Philibert. (Längenschnitt durch den Chor und
einen Teil des Langhauses, Querschnitt des letzteren, Querschnitt
der Vorhalle). — Erste Hälfte saec. 11. — Archives des mon.
histor.
4. Vignory (Chor). — saec. 11. — Archives des mon. hist.
Burgund. Jüngere Schule.
Tafel 138.
1, 2. *Guny. (Die erhaltenen Teile des südlichen Querschiffes. System
des Langhauses, rekonstruiert.) — 1089 begonnen. — 1. Skizze von
Rahn, 2. Bezold.
3. *Vienne: Kathedrale. — saec. 12. — Skizze von Bezold, die
oberen (gotischen) Teile nach Rey.
4. Beaune: Notrc-Damc. — saec. 12. — Archives des mon. hist.
5. 6. *La Chariti-sur- Loire. — Schnitt durch das Querschiff, System
des Chores. Die unteren Teile des Querschiffes saec. 12, sonst
saec. 12. — Bezold, Dehio.
7. Paray-le-Monial. — saec. 12. — Archives des mon. hist.
Tafel 139.
1. Autun: Kathedrale. — saec. 12, um 1148 geweiht. Vorhalle nach
1 187. — Viollet-le-Duc in Daly's Revue.
2. *Langres: Kathedrale. — saec. 12, letztes Drittel. — Bezold.
Tafel 140.
1. Autun: Kathedrale. Querschnitt. — Viollet-le-Duc.
2. Paray-le-Monial. Querschnitt. — Archives des mon. hist.
3. Beaune. Querschnitt. — Archives des mon. hist.
4. *Langres. Querschnitt. — Bezold.
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404
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Tafel 141.
1, 2. Chäteauneuf (Saöne et Loire). — saec. 12. — De Baudot.
3. *Semur-en-Brionnais. — saec. 12. — Bezold.
4, 5. Bois-Sainte- Marie. — saec. 12. — De Baudot.
6. *Rouy. — saec. 12. — Archives des mon. bist. (Skizze.)
7. *Souvigny. System der Seitenschiffe. — saec. 12. — Dehio.
Tafel 142.
1, 2. * Saint Benoit-sur- Loire. — 1062 begonnen. — Bezold.
3, 4. Saint Genau. — saec. 11. Ende — Archives des mon. hist.
Tafel 143.
1. *Autun: Kathedrale. — Nach den geometrischen Aufnahmen in
Perspektive gesetzt.
2. !i,Saint Xfenoux. — saec. 12. — Photographie.
Tafel 144.
1. * Langres: Kathedrale. — Nach den geometrischen Aufnahmen.
2. *Paray-le-Monial. — Nach den geometrischen Aufnahmen.
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Zehntes Kapitel.
Die kreuzgewölbte Basilika Westeuropas.
Wenn die römische Baukunst und nachmals wieder die Renais-
sance ihr Formgefühl am meisten durch das Tonnengewölbe be-
friedigt fand, wenn die Byzantiner die beherrschende Rolle der
Kuppel zuwiesen: so übt auf die Entwicklung des abendländischen
Kirchenbaus im Mittelalter das Kreuzgewölbe alles in allem die
grösste Macht aus, ja es wird hier erst offenbar, was alles mit dieser
Form sich ausrichten lässt. Im Mittelalter verhalten sich Tonnen -
und Kuppelgewölbe zum Kreuzgewölbe gleichsam wie heterodoxe
und häretische Sekten zur Einen rechtgläubigen Kirche. Ihre Ge-
schichte, wie wir sie in den vorigen Kapiteln kennen gelernt haben,
führt deshalb unweigerlich immer zu demselben Endergebnis: dem
Unterliegen unter das Kreuzgewölbe. Der allgemeinste Grund für
die Uebermacht des letzteren ist offenbar der, dass es sich dem
basilikalen Gestaltungsprinzip struktiv am vollkommensten anpasst. Die
Vorherrschaft der Basilika zieht die Vorherrschaft des Kreuzgewölbes
unmittelbar nach sich. Denn was immer der besondere Schönheits-
wert des tonnengewölbten Hauptschiffs sein mochte, er konnte nicht
standhalten vor den zwei grossen Tugenden des Kreuzgewölbes, in-
sonderheit des Kreuzrippengewölbes, welche diese sind. Erstens ge-
stattet es, dank der Unterbrechung der Kämpferlinie durch die Schild-
bögen, die Fenster höher zu führen, als irgend ein anderes System,
bis nahe an den Gewölbescheitel selbst; es ist somit das einzige
System, das einem der wesentlichsten unter den Charakteren der Ba-
silika, dem hoch einfallenden Seitenlicht, volle Entfaltung gewährt.
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406
Zweites Buch : Der romanische Stil.
Zweitens und aus dem gleichen Grunde gestattet es den Angriffspunkt
des Seitenschubes tiefer herabzurücken, als es bei Tonnengewölben
oder Kuppeln möglich ist, und eröffnet somit einen freieren Spielraum
für die Gestaltung des Querschnittes.
Das sind Vorzüge, deren man sich schon lange bewusst war,
ehe man zu ihrer vollen Ausnutzung den Entschluss fand. Wir haben
früher (S. 187 — 191) auf gewisse Erscheinungen in der karolingischen
Architektur hingewiesen, die darauf gedeutet werden könnten, dass
bereits damals der Gedanke der Kreuzgewölbebasilika in Sicht kam.
Bestimmter tritt er im 11. Jahrhundert, in dessen erstem Drittel ein
neues Regen und Treiben in der mitteleuropäischen Baukunst anhob,
wieder hervor. Eine Anzahl mächtiger Basiliken wächst aus dem
Boden, welche die Seitenschiffe mit einer Folge von Kreuzgewölben
eindecken und unverkennbar die Absicht zeigen, für das Hauptschiff
ein Gleiches zu thun. Hierzu aber erweisen sich Mut und Geschick
doch zu klein, und erst im Uebergang vom 11. zum 12. Jahrhundert
gelangt die im Prinzipe längst festgestellte Lösung zur Ausführung.
Die beteiligten Länder sind die nämlichen, die einst der vor-
zugsweise Schauplatz der fränkisch -karolingischen Baubewegung ge-
wesen waren: Oberitalien, die deutsche Schweiz, die Rheinlande und
Nordfrankreich.
Wir stellen in unserer Betrachtung Frankreich voran, nicht weil
hier die Entwicklung am frühesten begonnen hätte, sondern weil sie
hier am frühesten sich vollendete. Jene auf S. 248 bezeichnete, im
ganzen mit dem Laufe der Loire zusammenfallende Grenze, die in
frühromanischer Zeit den basilikalen Flachdeckenbau vom ausser-
basilikalen Gewölbebau schied, dauerte im 12. Jahrhundert in unver-
wischter Schärfe als Grenze zwischen dem Kreuzgewölbe einerseits,
dem Tonnen- und Kuppelgewölbe andererseits fort. Geschlossene
Bauschulen, wie in Deutschland die rheinische oder die westfälische,
haben sich in Frankreich aus der Adoptierung des Kreuzgewölbes
zwar nicht ergeben. Die normännische, eine der geschlossensten, die
überhaupt bestanden haben, war schon vor dem Uebergang zur
Wölbung fertig und erleidet durch diesen, da sie ihn von jeher er-
strebt hatte , keine Veränderung. In der Isle de France und Picardie
ist der Abschluss der auf die Gewölbe gerichteten Bestrebungen zu-
gleich der Anfang der Gotik. Die Champagne, welche im 11. Jahr-
hundert bedeutende Werke hatte entstehen lassen, ist in der ersten
Hälfte des 12. Jahrhunderts wenig thätig und erhebt sich erst in der
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Zehntes Kapitel : Die kreuzgewölbte Basilika Westeuropas.
407
zweiten Hälfte desselben zu ansehnlicheren Leistungen, die aber schon
der primitiv-gotischen Schule von Saint-Denis angehören. In Burgund
wie in Süd- und Westfrankreich bleibt die Kreuzgewölbebasilika zwar
nicht gänzlich unbekannt, doch sind es nur sporadische Erscheinungen
ohne lebhafteren Zusammenhang untereinander oder mit den nord-
französischen Schulen. Ihnen stehen am nächsten einige Monumente
Spaniens und Palästinas.
Bevor wir in die Betrachtung dieser Gruppen eintreten , seien
einige allgemeine Bemerkungen vorausgeschickt.
Der formale Charakter des Kreuzgewölbes zeigt sich je nach seiner
Behandlung als ein so verschiedener, dass eine generelle Charakteristik
kaum gegeben werden kann. Das einfache Kreuzgewölbe ist eine
sehr nüchterne Form. Sind die einzelnen Felder durch kräftige Gurte
getrennt, so sind letztere für den Eindruck bestimmend und es können
gute Wirkungen erzielt werden. Das Rippengewölbe ist nicht allein
in konstruktiver, sondern auch in ästhetischer Hinsicht die voll-
kommenere Form; das Spiel der Kräfte im Gewölbe ist durch den
Verlauf der Gurte und Rippen klar zum Ausdruck gebracht. Aber
es ist eine sorgfaltige Abwägung der Gliederung nötig, wenn die-
selbe nicht zum ausdruckslosen Schematismus erstarren soll. Die
formale Charakteristik bewegt sich zwischen den zwei Polen des
kuppeiförmigen Kreuzgewölbes und des Tonnengewölbes mit Stich-
kappen. Ersteres betont die Scheidung, also die Selbständigkeit der
Joche, letzteres die Einheit der Decke und somit des Raumes; für
jenes bestimmen die Gurtbögen die Gliederung und ihnen müssen
die Diagonalbögen untergeordnet werden, für die Gliederung dieses
sind im Gegenteil die Diagonalrippen massgebend, die Scheitellinie
wird horizontal geführt und durch eine fortlaufende Rippe hervor-
gehoben, eine Form, die im romanischen Stil noch kaum vorkommt,
am vollkommensten ausgebildet in der englischen Gotik ist. Für erstere
Form ist eine gewisse Grösse der Gewölbefelder ein wesentliches
Erfordernis. Das quadratische und das sechsteilige Rippengewölbe
schlagen einen gewaltigen Rhythmus an, der, in der Gliederung der
Wand entsprechend fortgesetzt, eine bedeutende Wirkung hervorbringt.
Die querrechteckigen Gewölbefelder über den einzelnen Jochen aber
erscheinen um so mehr kleinlich und unruhig, je mehr im Laufe der
Entwicklung der Unterschied zwischen der Form der Gurten und
Rippen schwindet. Das gebundene Gewölbesystem ist nicht allein
in Deutschland und Italien das herrschende, es ist auch in Frankreich
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
verbreitet. Freilich sind die erhaltenen Denkmäler nicht sehr zahl-
reich, sie reichen aber aus, um darzuthun, dass es vorkam, und dann
ist auch das System der sechsteiligen Gewölbe nichts anderes, als
eine Weiterbildung der gebundenen. Fast ausnahmslos tritt das Ge-
wölbe als Rippengewölbe auf, wenigstens für die Mittelschiffswölbung,
und daraus erklärt sich, dass das gebundene System frühe verlassen
wird, denn das Rippengewölbe erleichtert die Wölbung rechteckiger
Gewölbefelder.
i. Burgund, Süd- und Westfrankreich, Spanien,
Palästina.
Unter den Denkmälern, welche hier in Betracht kommen, gebührt
der Abteikirche zu Vezelav die erste Stelle (Taf. 145, 149, 150); sie
gehört nach ihrer Formbehandlung der burgundischen Schule an, von
der sie sich aber durch ihre Gesamtanlage, ihre Verhältnisse und ihr
Gewölbesystem auf das bestimmteste unterscheidet. Wir wissen nicht
anzugeben, woher das System genommen ist; cluniacensisch, wie wohl
behauptet worden, ist es nicht. Nach dem Text der Archives de la
comm. des mon. hist. wäre die Kirche im saec. 11 erbaut und a. 1104
geweiht. Wäre dem so, so gehörte sie zu den Versuchen, welche der
Ausbildung der jüngeren burgundischen Schule (seit a. 1089) voraus-
gingen. Allein die ganze formale Behandlung weist auch den ältesten
Teil, das Schiff, unzweifelhaft dem saec. 12 zu1). Wir haben auch
die bestimmte Nachricht von einem grossen Brandunglück im Jahre
1120, bei welchem über 1000 Menschen umkamen, und wenn sich an
dem Gebäude keine Brandspuren finden, so ist daraus nicht zu schlies
sen, dass es ganz verschont blieb, sondern im Gegenteil, dass es ganz
zerstört und durch einen vollständigen Neubau ersetzt wurde. Die
Kirche ist ganz als Gewölbebau gedacht und anscheinend in bewusstem
Gegensatze zu dem durch das burgundische Tonnengewölbesystem be-
dingten grossen Höhen Verhältnis ist ein thunlichst niedriger Quer-
schnitt angestrebt. Schon die untere Bogenstcllung ist ungewöhnlich
niedrig, die Kämpferhöhe beträgt wenig mehr als den lichten Pfeiler-
abstand; auf das Triforium ist ganz verzichtet; es ist endlich das
Kreuzgewölbe auch im Mittelschiff angewandt und dessen Kämpfer bis
an den unteren Rand der Fenster herabgerückt "). Die Pfeilerbilduni:
') Die Krypta könnte ältere Reste enthalten, kommt jedoch an dieser Stelle nicM
in Betracht.
'-') Die Querschnittsverhältnisse bleiben gleichwohl ungewöhnlich, es sind mehr
<!ie einer flachgedeckten Basilika als eines Gewölbebaues. Sollte bei dem Neubau die
Grundrissanordnung der Kirche des saec. 1 1 beibehalten worden sein 5 Der Text der
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Zehntes Kapitel: Die kreiugewülbte Basilika Westeuropas.
409
ist burgundisch, einem kreuzförmigen Kern legen sich vier Halbsäulen
vor. Für die Aufnahme der Schildbögen sind über dem Gurtgesimse
kannelierte Pilaster aufgesetzt. Die Beschreibung, welche die Archives
de la corara. des mon. hist. von den Gewölben geben, ist, wie auch die
Ausführungen Schnaases, Gesch. d. bild. Kunst 4 *, S. 514, nicht ganz
zutreffend. Die Gurtbögen sind sehr merklich gedrückt und noch weniger
haben die Gratbögen Halbkreisform. Die Gewölbe haben nur wenig
Stich und von einer > Verselbständigung der Grate« ist so wenig die
Rede, dass sie nach dem Scheitel zu vielmehr ganz verschwinden.
Anry-le Duc (Dehio.)
Das in diesen Gegenden ungewöhnliche System findet in den an-
gedeuteten konstruktiven Erwägungen und in einer allgemeinen Kennt-
nis auswärtiger Kreuzgewölbebauten seine Erklärung. Eine allgemei-
nere Verbreitung hat es nicht gefunden. — Das System von Anzy-le-
Duc im Brionnais (Grundriss Taf. 121) hat bei grösserer Einfachheit
Archives de la comm. des mon. hist. erwähnt nur, dass an dem Gebäude keine Brand
spuren sichtbar sind, fraglich bleibt es, ob nicht im Mauerwerk ältere und jüngere Teile
7.u unterscheiden sind. Uns war zur Untersuchung dieser Frage keine Gelegenheit ge-
boten. Aber wenn auch Reste des älteren Gebäudes in dem bestehenden erhalten sein
sollten, so dürfte daraus doch keineswegs geschlossen werden, dass wir eine ursprünglich
nachgedeckte und nachträglich gewölbte Basilika vor uns haben.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
die Grundzüge mit Vezelay gemein. — S. Ladre zu Avallon ist fort-
geschrittener. Weitere Betspiele sind uns nicht bekannt.
Eine neue und höchst merkwürdige Stufe des Konstruktionssystems
zeigt sich in der bald nach Vollendung des Schiffes erbauten (a. 1132)
Vorhalle zu Vezelay (Taf. 149, 150). Hier, wie im Schiff, sucht
der Erbauer eine zu grosse Gewölbehöhe zu vermeiden und da er über
den Seitenschiffen Emporen anzubringen hat, giebt er die selbständig
seitliche Beleuchtung des Mittelschiffes preis. Er konnte dies ohne
Bedenken thun, denn bei der geringen Länge des Raumes wurde eine
genügende Erleuchtung von der Fassade her möglich. Das Mittelschiff
hat steil ansteigende, fast kuppeiförmige Kreuzgewölbe, in den beiden
ersten Jochen ohne Rippen, im letzten mit solchen, welche indes keine
struktive Bedeutung haben , sondern nur als Schmuck über die Grate
gelegt sind. Die Gewölbe sind zwischen ein kräftiges Gurtbogen-
system eingespannt. Da aber ein so steil ansteigendes Gewölbe die
Last nicht einfach auf die vier Hauptstützpunkte konzentriert, sondern
auch in der Linie der Gurt- und Schildbögen einen Schub ausübt,
steigen die Gewölbe der Emporen so gegen das Mittelschiff an , dass
ihr innerer Ansatz genau dem des Hochschiffgewölbes folgt. Die über
dem Gewölbe gelegenen, zur Aufnahme der Dachkonstruktion be-
stimmten Mauern und Bögen tragen zur Festigkeit der Verspannung
bei, ohne dass sie als Strebewerk bezeichnet werden dürften. — Auch
dieser Bau ist seiner historischen Bedeutung nach weit überschätzt
worden. Viollet-le-Duc (D. R. IV. 31 ff.) bezeichnet ihn als eine Haupt-
vorstufe des gotischen Bausysteines. Dies ist nicht richtig, er gehört
vielmehr gar nicht zu diesen Vorstufen. Bei diesen geht das Bestreben
dahin, die Last und den Druck auf einzelne Punkte zu vereinigen und
diese unverschieblich, die abschliessende Mauer aber vom Gewölbe
ganz unabhängig zu machen. Hier dagegen haben wir nur einen aller-
dings geistreichen und selbständigen Versuch zur Weiterbildung der
Kreuzgewölbe ohne tragende Rippen, und anstatt vom Schub der
Gewölbe frei zu sein, werden die Mauern nach dem ganzen Umfang
des Gewölbes durch das Emporgewölbe gestützt. Will jemand in diesem
System eine Uebertragung des auvergnatischen auf einen Kreuzgewölbe-
bau erblicken, so wollen wir dem nicht widersprechen, um so weniger,
als auch die Oeffnungen der Emporen gegen das Schiff ähnlich be-
handelt sind wie dort, es kann aber ebensowohl das ganze System die
freie Erfindung eines begabten Konstrukteurs sein. Nachahmung hat es
kaum gefunden. — Das Schiff der Kirche von Vezelay hat bei grossen
Schönheiten im einzelnen im ganzen etwas Unbefriedigendes, es er-
mangelt des Reizes der Stimmung, welcher bei romanischen Bauten
von so hoher Wichtigkeit ist. Die allzu saubere Restauration mag
hierzu das Ihrige beitragen. Dagegen ist der Blick von der Vorhalle
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Zehntes Kapitel Die kreutgewölbte Basilika Westeuropas. 41 r
durch die geöffneten Thore nach der Kirche von wahrhaft berauschen-
der Schönheit und einer der gewaltigsten Architektureindrücke, die
man haben kann.
Die in der Schule des Anjou und Poitou gewonnenen Ergeb-
nisse finden in einigen, wenig zahlreichen Monumenten Anwendung
auf die Basilika. Die stilistische Behandlung bleibt die angevinische. Die
Gewölbefelder des Mittelschiffes erhalten über annähernd quadratischem
Grundriss kuppeiförmige Kreuz-Rippengewölbe, die Seitenschiffe wer-
den mit einfachen Kreuzgewölben überwölbt.
Saint Aignan (Taf. 145, 149, 150) in der Nähe von Blois. Die
Kirche soll nach einer Zerstörung durch Fulco Nerra (1030) im Laufe
des saec. 11 erbaut sein. Dieser Periode gehört der Chor und das
nicht über die Seitenschiffe vortretende Transsept an. Der Chor hat
in seiner allgemeinen Anlage (abgesehen von der Zahl der Kapellen),
wie im System des Aufbaues eine gewisse Aehnlichkeit mit dem öst-
lichen Theil des Chores von S. Benoit-sur-Loire (Taf. 142). Im Hochschiff
ein Tonnengewölbe, in den Seitenschiffen Kreuzgewölbe ohne Gurtbögen.
Das Langhaus hat bei einfachen Kreuzgewölben in den Abseiten im
Mittelschiff ein Kreuzrippengewölbe und ein vollkommen ausgebildetes
Strebesystem (Taf. 149, Fig. 6). Die Gewölbeform, die Pfeilerbildung
und das Detail weisen mehr auf eine Herkunft aus den westlichen
Provinzen (Anjou), als aus Franzien. Ob dagegen das Strebesystem,
zweifellos eines der ältesten, der Schule von Franzien entnommen ist,
müssen wir dahingestellt sein lassen. — Verwandt, doch reicher
(Triforium) und grossartiger in der Anlage sind die romanischen Teile
von S. Laumer zu Blois (Chor und Querschiff), begonnen a. 1138. —
Das bedeutendste Denkmal der Gruppe ist die Kathedrale von Le Mans
(Taf. 145, 155). Erhalten ist nur das Schiff, fünf Joche im gebundenen
Gewölbesystem, mit einem Wechsel von kräftig gegliederten Pfeilern
und Säulen. Das System ist in drei Geschossen überaus schön und
klar aufgebaut. Diese Leistung ist um so bemerkenswerter, als wir
auch hier keinen Neubau, sondern nur den Umbau eines älteren Ge-
bäudes vor uns haben. Die Grundlage bildet der zwischen den Jahren
1097 — 11 25 ausgeführte Bau des Bischofs Hildebert, welcher in den
Jahren 1 134 und 1136 durch Brand gelitten hatte. An einem Vierungs-
pfeiler findet sich das Datum 1145 und die Weihe fand a. 11 58 statt.
Die Scheidbögen lassen noch erkennen, dass sie früher im Rundbogen
geschlossen waren, doch schon das Triforium dürfte der jüngeren Bau-
periode angehören. — Vgl. Bull. mon. 1863 p. 867, 1864 p. 185,
1873 p. 403 ff.
Leider haben diese Monumente in Frankreich keine Nachfolge
gefunden. Die Entwickelung der angevinischen Bauschule wurde unter-
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Zweites Buch: Der rumänische Stil.
brochen durch die unruhigen und unsicheren Verhältnisse, unter
welchen jene Landschaften in den letzten Dezennien des 12. Jahr-
hunderts zu leiden hatten; dagegen hat sie nach aussen gewirkt.
Die spanischen Gewölbebauten, soweit wir sie früher betrachtet
haben, schlössen sich südfranzösischen Vorbildern mehr oder minder
genau an. Für Kreuzgewölbebauten jedoch bot Südfrankreich keine
unmittelbaren Vorbilder; es ist die Schule von Anjou, welche hier
befruchtend eingewirkt hat. Eine unbedingte Nachahmung fand jedoch
nicht statt, die spanische Baukunst erweist vielmehr in der kreuz-
gewölbten Basilika höhere Selbständigkeit und es entstehen Werke,
welche in ihrer einfach grossen Behandlung nicht allein einen Höhe-
punkt der spanischen Baukunst bezeichnen, sondern innerhalb des
romanischen Baustiles im allgemeinen einen ehrenvollen Platz ein-
nehmen. Wir kennen dieselben leider nicht aus eigener Anschauung,
und was bisher an Abbildungen und Aufnahmen veröffentlicht ist,
ermöglicht keine ins einzelne gehende Würdigung.
Im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts beginnend und bis
ins 13. Jahrhundert hinabreichend bekundet diese interessante
Monumentenreihe langes und zähes Festhalten an der romanischen
Bauweise.
Die Eigentümlichkeiten des Grundrisses (Taf. 147) sind da-
durch bedingt, dass der Chor vom Sanktuarium getrennt und in das
Mittelschiff verlegt ist, w. hrend die Kreuzarme und die Seitenschiffe
zum Aufenthalt der Gemeinde bestimmt sind. Dementsprechend er-
hält das Sanktuarium nicht die ausgedehnte und glänzende Entfaltung
wie in Frankreich, es besteht aus drei Apsiden, welche gewöhnlich um
ein kurzes Joch über das Transsept hinausgerückt sind. Dieses erhält
eine bedeutende Länge, wogegen das Schiff in den meisten Fällen nur
kurz ist. Die Zahl der Joche ist im Mittelschiff und in den Abseiten
die gleiche, in beiden ist das angevinische (kuppeiförmige) Kreuzrippen-
gewölbe die herrschende, wenn auch nicht die ausschliessliche, Ge-
wölbeform. Bei der immerhin grossen Spannweite fällt der geringe
Vorsprung der Strebepfeiler auf. Der Grundriss der Pfeiler ist kreuz-
förmig mit Dreiviertelssäulchen in den Ecken und je zwei Halbsäulen-
vorlagen auf jeder Seite. In allen struktiv stärker beanspruchten Bögen
herrscht der Spitzbogen, wogegen die Fenster im Rundbogen ge
schlössen sind. Die Gurt- und Scheidbögen sind einfach rechteckig
profiliert (Taf. 150, Fig. 3), die Rippen mit Rundstäben an den Ecken,
an der Vorderfläche zuweilen mit Sternen oder Diamantfacetten ge-
schmückt. Der Aufbau des Systemes ist sehr einfach. Die sehr flachen
Dächer der Seitenschiffe gestatten, die Fenster und damit den Gewölbe-
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Zehntes Kapitel: Die kreiugewölbte Basilika Westeuropas.
413
kämpfer bis nahe über den Scheitel der Scheidbögen herabzurücken.
Triforien haben in diesem System kaum Raum und kommen nur ganz
ausnahmsweise vor (S. Vicente zu Avila). In bewusstem Gegen-
satze zu dieser Einfachheit der ganzen Anlage werden die Vierungs-
laternen im Inneren wie im Aeusseren als glänzende Prunkstücke
überaus reich und zierlich herausgehoben.
Das älteste unter den hierher gehörigen Werken ist die Alte
Kathedrale zu Salamanca (Taf. 147, 150), begonnen a. 11 20. Die
Gewölbe nach Mon. Esp. mit geradem Stich; nach Street die west-
lichen Kuppeln mit konzentrischen Fugen und untergelegten Rippen,
die östlichen kuppeiförmige Kreuzrippengewölbe. Die sicher jüngere
Vierungslaterne (Abb. bei Street, S.80 und danach bei Lübke, G.d. Arch.
I, 651, sowie in Mon. Esp.) ist das glänzendste Beispiel der Gattung.
Sie erhebt sich auf Hängezwickeln und ist in zwei Geschossen reich
mit Säulchen und Bögen geschmückt, welche teils blind, teils als
Fenster behandelt sind; Rippenkuppel mit 16 Rippen. — Aehnlich aber
einfacher im Detail ist die Kathedrale von Zamora, a. 11 74 vollendet;
auch hier kuppeiförmige Kreuzgewölbe; Chor erneuert. — Es folgt eine
Gruppe von drei unter sich näher verwandten Monumenten, die Kirche
S. Maria zu Tudela 1 135 — 11 88, die Kathedrale von Tarragona
beg. 1 131 und die von Lerida 1203 — 78. Diese drei Monumente sind
die bedeutendsten unter den spanischen Kreuzgewölbebauten. Hohe
Einfachheit, Kühnheit der Konzeption, solideste Konstruktion, liebe-
volle Durchbildung der Einzelformen zeichnen sie aus. Die Grund-
risse auf Taf. 147; weitere Aufnahmen fehlen; eine schöne Skizze der
Kathedrale von Tarragona bei Ewerbeck, Reiseskizzen Bl. 12. —
S. Maria zu Val de Dios, Taf. 150, im System noch rundbogig; zweifel-
los auf Gewölbe angelegt, doch scheinen die zur Ausführung gekom-
menen der ursprünglichen Absicht nicht zu entsprechen.
Im südlichen Frankreich sind uns grössere Kreuzgewölbe-
basiliken nicht bekannt. Dagegen zeigen die Bauten der Kreuz-
fahrer zu Jerusalem, zumeist kleine kreuzgewölbte Basiliken, der
provengalischen Bauschule verwandte Merkmale.
Das bedeutendste unter diesen Monumenten ist der Erweiterungs-
bau, welcher sich östlich an die Grabkirche des Erlösers an-
schliesst und die früher getrennten Heiligtümer in einem Räume vereinigt.
Er gestaltet sich als Transsept und Chor einer französischen Kirche
(Taf. 9, Fig. 1, die schraffierten Teile). Der südliche Flügel des Trans-
septes und das gerade Joch des Chores mit Emporen. Die Chorrundung
öffnet sich in spitzbogigen , auf schlanken Doppelsäulchen ruhenden
Arkaden nach dem Umgang, der Lichtgaden mit einer zierlichen,
einen schmalen Laufgang bildenden Arkatur, eine Anordnung, welche
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Zweites Buch. Der romanische Stil.
ganz ähnlich in Heisterbach wiederkehrt, für welche uns aber ein
französisches Vorbild nicht bekannt ist1). Die Kirche ist am 15. Juli
11 49 geweiht, wohl vor ihrer gänzlichen Vollendung. — Die übrigen
Kirchen der Kreuzfahrer in Jerusalem sind weit einfacher; kleine drei-
schiffige Pfeilerbasiliken, das Querschiflf nicht über die Flucht der
Jerusalem. Kirche der hl. Müller Anna, (de Voguc.l
Seitenschiffe vortretend, drei Apsiden. In ihrer stilistischen Behandlung
schliessen sie sich den provengalischen Monumenten an. Die Pfeiler
sind in rechtwinkeligen Rücksprüngen gegliedert, das Detail auf das
Unumgängliche beschränkt. Nur die Wölbungsart ist eine andere : die
drei Schiffe mit einfachen Kreuzgewölben, die Arme der QuerschirTe
M Am ehesten könnte der Chorumgang von S. Gilles herangezogen werden, der
gleichfalls Doppelsäulen und ähnliche Pfeilcrgrundrisse aufweist Beide Bauten sind un-
gefähr gleichzeitig. Auch bestanden vielfache Beziehungen zwischen S. Gilles und
Jerusalem. S. Gilles war ein Haupteinschiffungsplatz für die Reise nach Jerusalem. Die
Johanniter errichteten dort schon a. II 12 ihre erste Niederlassung im Abendlande. Da
aber vom Chor von S. Gilles nur der Grundriss bekannt ist, können sichere Schlüsse
nicht gezogen werden.
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Zehntes Kapitel : Die kreuzgewölbte Basilika Westeuropas.
415
mit querstehenden Tonnen, die Vierung mit einer Kuppel auf Hänge-
zwickeln. Orientalischer Einfluss macht sich höchstens in den sehr
flachen Dächern geltend. Als typisches Beispiel geben wir die Kirche
der hl. Mutter Anna (Grundriss Taf. 147, System nebenstehend) aus
der ersten Hälfte saec. 12.
2. Normandie und England.
Die normannische Bauschule ist S. 278 ff. eingehend besprochen.
Sie geht von Anfang an zielbewusst auf die Ueberwölbung der Ba-
silika mittels des Kreuzgewölbes nach dem gebundenen System aus,
auf welchen Umstand schon bei Behandlung der flachgedeckten Kir-
chen so weit Rücksicht genommen werden musste, dass an dieser
Stelle nur mehr einige kurze Bemerkungen nachzutragen sind.
Die Baubestrebungen des 11. Jahrhunderts hatten bis unmittel-
bar an die Wölbung der Mittelschiffe herangeführt, vor der Aus-
fuhrung war man noch zurückgeschreckt. Es gibt in der Normandie
und in England kein grösseres Mittelschiffsgewölbe, das mit Sicherheit
dem saec. 1 1 zugeschrieben werden darf, einige Chorgewölbe können
dagegen wohl der Spätzeit des Jahrhundertes angehören.
In erster Linie ist hier die zur Abbaye-aux-hommes gehörige
Pfarrkirche S. Nicolas- des -Champs zu Caen zu nennen. Dieselbe
war im Jahre 1083 bereits vollendet. Das Schiff war bis im saec. 15
flachgedeckt und dieser Umstand dürfte dafür sprechen, dass die Wöl-
bung des Chores (Taf. 151) der Erbauungszeit zuzuschreiben ist und
nicht erst dem saec. 12, da in diesem Falle gewiss das Langhaus in
gleicher Weise gewölbt worden wäre. — Nahe verwandt ist der Chor
von S. Georges zu Boscherville, der gleichfalls ein einfaches Kreuz-
gewölbe hat, während das Schiff im Laufe des saec. 12 Kreuzrippenge-
wölbe erhielt; das flachgedeckte System (Taf. 87) in den Einzelheiten
entwickelter als in S. Nicolas zu Caen. — Wieder fortgeschrittener Ste.
Trinite zu Caen. Von dem Stiftungsbau der Königin Mathilde (a. 1066)
sind nur geringe Reste erhalten. Das System des Querschiffes Taf. 151,
Fig. 7, hat mit dem ebengenannten grosse Aehnlichkeit und darf als
ungefähr gleichzeitig angesehen werden. Im Schiff (Fig. 6 und Taf. 155)
gewinnen wir den Eindruck, als ob eine Flachdecke beabsichtigt ge-
wesen sei; die Pfeiler sind nämlich alle gleich, erst im Triforium setzen
die Dienste für die Diagonalrippen an, sind aber keine spätere Zuthat,
sondern, wie die Teilung des Triforiums beweist, mit diesem gleich-
zeitig. Hier finden wir nun zum erstenmale die S. 308 besprochene
Zwischenform zwischen dem vierteiligen und dem sechsteiligen Rippen-
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
gewölbe. Bemerkenswert ist das Vorhandensein von Strebebögen unter
dem Dache der Seitenschiffe (Taf. 148). Als Beispiele des reichen Stiles
des späteren saec. 12 seien die Kirchen von Üuistrehaxi (Taf. 151),
Berniers s. Mer und der Chor von S. Gahriel (Taf. 151) genannt. —
Nun wurde auch die Abijaye-aux-Hommes (S. Etienne) zu Caent ge-
wölbt. Ob die Emporen erst bei dieser Gelegenheit ihre Halbtonnen
erhielten, bleibt fraglich. Das Mittelschiff erhielt sechsteilige Kreuz-
gewölbe (Taf. 151 und Taf. 89, Fig. 1 rechts) und damit erst die von
Anfang beabsichtigte Form. Nur der Uebergang der Pilastervorlagen
an den Hauptpfeilern in Runddienste lässt die Umgestaltung ahnen.
Auch nach dieser ist die Gesamterscheinung durchaus einheitlich
geblieben. Das rechteckige Kreuzrippengewölbc , welches wir schon
im Querschiff von Ste. Trinite" zu Caen gefunden haben, ist auch an-
gewandt bei Einwölbung des Schiffes von S. Georoes zu Boscher-
ville und in der Kirche des Mont-S. Michel (Taf. 155), erbaut nach
Brand a. 11 12, wahrscheinlich unter Abt Bernhard (1 131 — 1 149*», doch
ist auch hier die Wölbung eine jüngere Zuthat.
In England ist eine einzige unter den grossen Kathedralen in
romanische Formen gewölbt, die Kathedrale von Durham (Taf. 149,
151, Grundriss Taf. 82). Der Bau wurde a. 1093 begonnen, Chor und
Querschiff waren (ohne Gewölbe) im Jahre 1099, das Schiff 1128 voll-
endet. Obgleich erst nach langer Pause (a. 1233 ff. im Schiff, a. 12S9
im Chor) ausgeführt, war die Ueberwölbung zweifellos von Anfang an
beabsichtigt. Darauf weist nicht allein das ganze System weit ent-
schiedener hin als das anderer englischer Kirchen, es sind auch direkte
Beweise dafür vorhanden. Die Strebebögen des Schiffes sind nämlich
nicht erst bei Ausführung der Hochschiffsgewölbe errichtet, sondern
gehören der ersten Bauperiode (vor 11 28) an (Billings, Durham cathedral
S. 5) und Ansätze von Gewölberippen, welche später bei der wirklichen
Einwölbung nicht benützt wurden, sind über den Pfeilern des Schiffes
sichtbar. Diese beabsichtigten Gewölbe waren sechsteilig oder quadratisch
angelegt, ausgeführt sind oblonge Kieuzrippengewölbe, welche im Schiff
auf Consolen , im Chor auf Säulenbündeln aufsitzen. Bemerkenswert
sind beide durch das Festhalten der normännischen Formen zu einer
Zeit, wo das sogenannte early English, der frühgotische Stil Eng-
lands, schon allgemein verbreitet war. Die Abmessungen des Gebäudes
sind ungewöhnlich gross. — St. Cross in Hampshire (Taf. 148) zeigt
die reichste spätromanische Behandlungsweise.
Mit der Einwölbung der Mittelschiffe erreicht die normannische
Bauschule ihren Abschluss. Sie hält ihre formale und konstruktive
Eigenart in immer reicherer Ausbildung das ganze 12. Jahrhun-
dert hindurch fest. Dieses Verhalten und die Thatsache, dass sehr
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Zehnt« Kapitel: Die kreuzgewölbte Basilika Westeuropas.
417
viele normannische Kirchen erst nachträglich eingewölbt wurden,
hat zu der Ansicht geführt, die sämtlichen Mittelschiffsgewölbe der
Normandie seien erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in
Nachahmung der Errungenschaften der Schule von Franzien ent-
standen. Eine unbefangene Vergleichung der beiden Gewölbesystcine
zeigt klärlich das Unhaltbare dieser Anschauung. Das in der Früh-
gotik ausschliesslich angewandte Mittelschiffsgewölbe ist das sechs-
teilige, welches allerdings auch in der Normandie (S. Ktienne zu
Cacn), dort aber in weniger entwickelter Form, mit elliptischen
Diagonalrippen vorkommt; verbreiteter ist jedoch in der Normandie
die Gewölbeform, welche wir an Ste. Trinite zu Caen kennen gelernt
haben, das vierteilige Rippengewölbe mit senkrecht übermauerter
Zwischenrippe, und dass dieses keine Nachahmung des französischen
sechsteiligen Gewölbes sein kann, steht ausser Frage, es erscheint
vielmehr als eine Vorstufe des sechsteiligen Gewölbes (sehr deutlich
in Ste. Trinite' zu Angers S. 346). In Franzien dagegen kommt es
gar nicht vor. Wohl aber sind die letzten Vorstufen des gotischen
Systemes (S. Germer und der Westbau von S. Denis) in formaler
Hinsicht so sehr von der Normandie beeinflusst, dass nicht anzu-
nehmen ist, dieses Abhängigkeitsverhältnis habe sich nur auf das
Formale beschränkt und sei im Konstruktiven sofort in das Gegen-
teil umgeschlagen. Dann erfolgt in der Schule des Anjou die Umge-
staltung der Kuppel zum kuppeiförmigen Kreuzgewölbe in Fontevrault,
Saumur und Ste. Trinite' zu Angers unter normännischem Rinfluss ent-
schieden vor Festsetzung des gotischen Systemes. Endlich durften wir
oben auf historische Daten und Analogien gestützt wenigstens einige
Chorgewölbe der Frühzeit saec. 12 zuweisen. Und man wird demnach
an der Priorität oder wenigstens der Unabhängigkeit der Normandie
gegenüber der Schule von Franzien festhalten dürfen.
3. Picardie und Isle de France. — Das Werden des
gotischen Bausystems.
Das 11. Jahrhundert hatte im Mittelpunkte der französischen
Monarchie wenige Denkmäler von Bedeutung hinterlassen, es hatte
deren auch wenige hervorgebracht. Die erhaltenen Ueberreste stehen
unter sich in keinem näheren Zusammenhange, eine feste Schultra-
dition hatte sich nicht herausgebildet. Bedeutender konzipiert ist
nur die an der Südgrenze der Königl. Domäne liegende Klosterkirche
von S. Benoit s. Loire (Taf. 142). Was sonst in Orleans, Paris,
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
Beauvais gebaut wurde (Kap. IV) steht weit zurück hinter den Kirchen
von Cerisy und Caen, der alten Kathedrale von Le-Mans und
S. Remy zu Reims.
Frühestens im zweiten Dezennium des 12. Jahrhunderts be-
ginnen die Versuche, die Basilika zu überwölben und damit selb
ständigere Regungen, anfänglich ein noch unruhiges Suchen und Ver-
suchen an allen Teilen des Kirchengebäudes.
Die grosse Leistung der Bauschule von Franzien besteht
nicht darin, dass sie schon vom Anfang des 11. Jahrhunderts oder
noch früher anderen Schulen voraus wäre, sondern im Gegenteil darin,
dass sie in der kurzen Zeit von zwanzig bis dreissig Jahren nicht nur
das Versäumte einholte, sondern ein ganz neues Bausystem aufstellte,
welches in kurzer Zeit das ganze Abendland sich dienstbar machen sollte.
Soweit ihre Werke noch in den Grenzen des Romanischen bleiben,
sind sie weder durch Grösse noch durch Schönheit sonderlich hervor-
ragend. Das hohe Interesse, das diesen gleichwohl zukommt, gründet
sich nicht sowohl auf das was sie sind, als auf das was sie ankündigen:
den Umschwung zur Gotik. Die Behauptung, die Pariser Schule habe
in der Frühzeit des 12. Jahrhunderts gegenüber der burgundischen
einen Vorsprung von 20 — 30 Jahren (Viollet-le-Duc), ist also so wenig
begründet, dass umgekehrt behauptet werden muss die rasche und
energische Lösung der Aufgabe beruht eben in der Voraussetzung>-
losigkeit, in der Freiheit von traditionellen Fesseln, mit einem Worte
darin, dass im ersten Viertel des Jahrhunderts eine Pariser Schule
überhaupt noch nicht bestand.
Das Gebiet, auf welchem die Schöpfung des gotischen Baustiles,
eine der grössten und folgereichsten Thaten der gesamten Bauge-
schichte, vollbracht wird, umfasst die Landschaften Isle de France
und die südliche Picardie (die Gegend von Beauvais).
Wir stossen zunächst im Grundriss auf verschiedene Neuerungen.
Neben der Choranlage mit drei Apsiden, welche wir an der noch rein
romanischen Ostpartie von S. Loup-de-Naud, an der Abteikirche von
Montmartre, sowie am Chor der kleinen, keineswegs frühen Kirche
S. Juuen-le-Pauvre zu Paris finden, kommt an kleinen Kirchen die
einfache Apsis, zuweilen rund, zuweilen vieleckig (Taf. 145, Fig. 4;
146, Fig. 5, 6) vor. Daneben gelangt der Chorumgang in Aufnahme.
Er war in Orleans (S. Aignan), in Saint-Benoit, in Le Mans, in Reims
bereits im 11. Jahrhundert in Anwendung, in dem hier in Rede
stehenden Gebiete kennen wir keinen vor 11 20— 11 30. F.r tritt aber
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Zehntes Kapitel : Die kreuzgewölbte Uasilika Westeuropas.
419
hier sofort in anderer Gestalt auf, als an den ebengenannten und an
allen übrigen romanischen Monumenten: entweder ganz ohne Ka-
pellen, so in Poissy (Taf. 146, Fig. 4) und später in Notre-Dame zu
Paris, oder mit einem ununterbrochenen Kapellenkranze, so in
S. Germer, in S. Maclou zu Pontoise, in S. Germaindes-Pres zu
Paris (Taf. 146, Fig. 7, 8, 10) oder auch mit doppeltem Umgang,
d. h. mit tiefen Kapellen, deren Seitenmauern durchbrochen sind, so
in S. Martin-des-Champs zu Paris und S. Denis (Taf. 146, Fig. 3, 9).
Der wesentliche Unterschied dieser Chorgrundrisse von allen
früheren besteht darin, dass sie von der Form und Struktur der
Gewölbe bedingt sind, d. h. dass bei ihrer Konzeption sofort auch
die günstigste Form der Wölbung ins Auge gefasst ist, während in
anderen Bauschulen umgekehrt das Gewölbe der Grundform angepasst
wurde. Und nicht nur die Wölbung des Umganges und der Kapellen,
sondern auch die Widerlagerung der Gewölbe des Hochchores wirkt
auf die Grundrissgestaltung bestimmend ein. Gerade dem letzteren
Moment kommt ein sehr wesentlicher Einfluss zu insofern, als die
mächtig vorspringenden Strebepfeiler den ununterbrochenen Kapellen-
kranz zur nothwendigen Folge haben.
Die fast ausschliesslich zur Anwendung kommende Gewölbeform
ist das Rippengewölbe, welches in der Frühzeit saec. 12. in der Nor-
mandie zur Ausbildung gelangt war. Die Gewölbe der Picardie
unterscheiden sich darin von den Hauptschiffgewölben der meisten
normannischen Kirchen, dass sie stets oblong sind und nur ein Joch
umfassen. Sechsteilige Gewölbe sind uns in dieser Gegend nicht
bekannt. Allein das rechteckige einfache Kreuzrippengewölbe war
auch in der Normandie keineswegs unbekannt (Querschiff von St.
Trinitc zu Caen). In ihrer formalen Behandlung schliessen sich die
Monumente der südlichen Picardie den normannischen nahe an.
In der Isle de France dagegen scheint anfänglich das ge-
bundene Gewölbesystem vorherrschend gewesen zu sein, auf welches
der den flachgedeckten Basiliken dieser Gegenden geläufige Stützen-
wechsel hinwies.
Erhalten ist wenig. In den westlichen Jochen von S. Loup-de-
Xaud ') findet ein Wechsel von Pfeilern und Säulen statt. Die Seiten-
') S. Lour- war ein dem Kloster S. Pierre-le-Vik zu Skns unterstelltes Priorat.
Die Kirche ist in ihrem östlichen Teil (Taf. 146, Fig. 1) rein romanisch, vielleicht das
nördlichste Beispiel einer Kirche mit tonnengewölbtem Mittelschiff und Vierungskuppel.
Ob das westlich an die Vierung anstehende Joch schon anfänglich ein Kreuzgewölbe
hatte, scheint uns fraglich. Die beiden westlichen Doppeljoche haben, wie im Text
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
schiffe haben einfache Kreuzgewölbe, das Mittelschiff Rippengewölbe
von quadratischer Grundform, welche annähernd klippelförmig sind.
Die Oberfenster jetzt vermauert aber noch sichtbar. Die Pfeilerform
weist auf die ausgeführten Rippengewölbe. Der Spitzbogen kommt
noch nicht vor. Ein ähnlicher Stützenwechsel in Notre-Dame zu
Etampks, gotisch überarbeitet.
Diese Bauten verharren noch ganz innerhalb des romanischen
Systems und verwenden einfach Motive, welche anderwärts ausgebildet
waren. Die Ankündigung künftiger Selbständigkeit finden wir zuerst
in der Kollegiatkirche zu Poissy bei Paris (Taf. 146, 154). Freilich ist
der Bau vielfach umgestaltet, aber die ursprüngliche Anlage lässt sich
doch noch mit annähernder Sicherheit erkennen. Schon der Grundriss
ist ungewöhnlich. Die Kirche hat kein regelrechtes Querschiff, die
Seitenschiffe sind als Umgang ohne Kapellen um den Chor fortgesetzt,
an das erste Joch des Umganges schliesst sich auf jeder Seite eine
östlich mit einer Apsis geschlossene Kapelle an, eine Anordnung,
welche das Querschiff einigermassen ersetzt. Im Aufbau lässt sich
das ursprüngliche System des Hochschiffes noch im ersten Joch vor
dem Chorschluss erkennen. Die Teilung in drei Geschosse entspricht
den normannischen Monumenten. Die Pfeiler sind sehr reich gegliedert
und deuten auf Kreuzrippengewölbe über jedem einzelnen Joche, auch
wenn die bestehenden Gewölbe erneuert sein sollten. Die Scheidbögen
des Chores ruhen auf Rundpfeilern, die oberen Teile sind erneuert.
Interessant sind nun vor allem die Gewölbe des Chorumganges und
der seitlichen Apsiden. Da der Chorschluss nur fünf Arkadenöff-
nungen umfasst, deren Teilung ungefähr fünf Seiten des Achtecks ent-
spricht, erweitern sich diese nach aussen unter einem sehr grossen
Winkel und es wäre demnach der äussere Schildbogen viel höher
geworden als der innere und als die Gurtbögen ; um dem zu begegnen,
ist der Ansatz der Schildbögen tiefer gelegt, als der der übrigen
(Taf. 1 53, Fig. 6) ; trotzdem steigen die Gewölbe nach aussen an. In
den Seitenkapcllen dagegen finden wir bereits Rippen angewandt,
zwischen welche sich steil im Bogenstich ansteigende Kappen ein-
spannen. Die Gewölbe von Poissy bekunden in ihrer Form ein selb-
ständiges, wenn gleich noch keineswegs ganz zielbewusstes Suchen
nach einer Lösung für unregelmässig gestaltete Kreuzgewölbe. Die
fortdauernde Beschäftigung mit dieser Aufgabe bis zu ihrer endlichen
Lösung ist einer der wesentlichen Faktoren in der Genesis des goti-
bemerkt, Kreuzrippengewölbe. Vorhalle mit interessanten Skulpturen aus der Legende
des hl. Lupus. Beide Teile des Schiffes sind in gleicher Technik, Bruchsteinmauerwerk,
ausgeführt , können aber nicht als gleichzeitig angesehen werden. Der Chor dürfte der
Friihzeit, die westlichen Joclie der Mitte sacc. 12 angehören. liibl. de 1 ccole des Chartes 2,
S. 244 ff. Bull. mon. 43, S. 123 IT.
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r Zehntes Kapitel: Die kreuzgewölbte Basilika Westeuropas. 421
sehen Bausystemes. Auch in technischer Hinsicht wird in Poissy ein
Fortschritt bemerkbar, indem die Ausführung der Gewölbe in Mörtel-
bau verlassen und ein der Gewölbeform angepasster Steinschnitt —
kleine Quader, deren Lagerfugen den Gewölbeachsen parallel laufen —
angewandt ist. — Die hier besprochenen Teile der Kirche von Poissy
durften um a. 1 130 — 1 135 entstanden sein, der Hochchor ist nach u6o
erneuert, die vorderen Teile des Schiffes und der Vierungsturm sind
in ihrer jetzigen Gestalt um 1200 vollendet. Wir geben in unserem
Grundriss die Ausscheidung der Bauperioden nach den Archives des
Mon. hist. , halten dieselbe aber nicht für ganz richtig. — Mit dem
System von Poissy vergleiche man das von S. Etienne zu Beauvais
Taf. 152, Fig. 4. Beide Monumente scheinen annähernd gleichzeitig
zu sein.
Ihnen schliesst sich, in seinen Einzelformen den Bauten der Pi-
cardie verwandt, der Chor von S. Martin-dks-champs zu Paris an.
Eine falsche Datirung, vielleicht auch das Unbefriedigende der Lösung,
ist bislang einer richtigen Würdigung der hohen historischen Bedeu-
tung dieses merkwürdigen Gebäudes im Wege gestanden. Es hat
(Taf. 146, 154) im Chor einen doppelten Umgang, flache Kapellen und
eine tiefe Mittelkapelle von kleeblattförmigem Grundriss. Das Lang-
haus ist einschiffig und flachgedeckt, es kommt hier nicht in Betracht.
— Ueber die Erbauung einer Kirche bei S. Martin haben wir nur
eine Nachricht, nämlich die, dass sie a. 1067 geweiht sei. Man hat
sie auf den bestehenden Chorbau bezogen und die Gewölbe als eine
im saec. 12 ausgeführte Erneuerung betrachtet. Eine kritische Be-
trachtung zeigt sofort das Unhaltbare dieser Ansicht. Schon die An-
lage im ganzen muss Zweifel hervorrufen. Das Motiv des doppelten
Chorumganges, so unklar und unfertig es hier noch auftritt, ist in der
Mitte des 1 1. Jahrhundertes kaum denkbar. Noch entschiedener spre-
chen Struktur und Einzelformen für eine spätere Erbauung. — An dem
Grundriss fällt zunächst die eigentümliche Unregelmässigkeit der Pfeiler-
stellung auf. Nicht nur ist das mittlere Joch viel weiter als die seit-
lichen, sondern die Pfeiler des äusseren Umganges entsprechen weder
nach ihrer Zahl, noch nach ihrer Stellung zum Mittelpunkte des Chores
denjenigen des inneren. Die Absicht mit dieser Unregelmässigkeit ist
augenscheinlich die, den Abstand der Pfeiler im äusseren und inneren
Umgang möglichst gleich zu machen, um für die beiderseitigen Schild-
bögen eine gleiche Höhe zu gewinnen. Was in Poissy durch ver-
schiedene Kämpferhöhen angestrebt ist, wird hier also durch die
Pfeilerstellung zu erreichen gesucht. Das mittlere Joch ist von nahezu
rechteckigem Grundriss; ihm schliesst sich zu beiden Seiten ein drei-
eckiges Gewölbefeld an, die zwei folgenden haben die Form von Paral-
lelogrammen, der sie trennende Gurtbogen steht radial, dann wieder
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
Dreiecke und endlich unregelraässige Felder. Die Gewölbe sind, mit
Ausnahme des mittleren, Kreuzgewölbe, deren Grate nach oben in der
Gewölbefläche verschwinden. Der zweite Umgang ist sehr eng und
es schliessen sich ihm die flachen Kapellen unmittelbar an. Die Grund-
form der einzelnen Abteilungen ist hier fast noch unregelmässiger als
im ersten Umgang. Die Gewölbe umfassen zugleich den Umgang und
die Kapellen, es sind Kreuzgewölbe von ziemlich nachlässiger Ge-
staltung. Dem mittleren Joche des ersten Umganges schliesst sich die
oben erwähnte kleeblattförmige Kapelle an. In diesen Teilen sind
ausschliesslich Rippengewölbe angewandt, Kreuzgewölbe im ersten
Umgang, im folgenden, wie in der Kapelle ein Gewölbe, welches
teilweise als Kreuzgewölbe, teilweise als Klostergewölbe und Kuppel
mit Rippen behandelt ist *). Die Gewölbe des Hochchores scheinen
später ausgeführt zu sein, überhaupt dürfte zwischen der Ausführung
dieses oberen Teiles und der des unteren eine Unterbrechung des
Baues stattgefunden haben. Dass aber die Dienste für die Schildbögen
des Hochchores ein späterer Zusatz seien, scheint uns nach dem Grnnd-
riss der Pfeiler nicht wahrscheinlich.
Wir finden also am Chor von S. Martin-des-Champs sehr verschie-
dene Gewölbeformen nebeneinander und man könnte, wenn man eine
vollständige Erneuerung aller Gewölbe nicht zulassen will, versucht sein,
aus dieser Verschiedenheit wenigstens auf eine teilweise Erneuerung
zu schliessen. Allein auch dieser Schluss entbehrt der nötigen Unter-
lagen. Einfache Kreuzgewölbe und Kreuzrippengewölbe kommen nicht
selten nebeneinander an Bauten vor, über deren einheitliche Ausführung
kein Zweifel besteht. Die Pfeilergestaltung aber mit ihrer reichen
Gliederung weist auf das bestimmteste auf die bestehende Gewölbe-
anordnung hin. Nun sind die Profile der Rippen , soweit solche vor-
kommen, zweifellos die der Frühzeit saec. 12, auch der vielfach an
diesem Bau angewandte Spitzbogen kommt in Isle de France im
saec. 11 noch nicht vor. Endlich ist die Form der Fenster, der
Kapitelle, der Basen und aller anderen Einzelheiten so, dass an eine
Erbauung im saec. 1 1 nicht gedacht werden kann. Nachdem also
alle Formen ebenso wie die Gesamtanlage auf die Frühzeit des
12. Jahrhundertes weisen, wird man das Datum 1067 für die Weihe
des bestehenden Gebäudes ganz fallen lassen müssen. — Kann der
Chor von S.Martin nicht in saec. 11, so kann er andererseits nicht nach
c. a. 1150 entstanden sein. Damals war der Chor von S. Denis voll-
endet, der von S. Germain-des-Pre's im Bau, beides bedeutende Bauunter-
nehmungen , von welchen jeder Baumeister in Paris Kenntnis haben
') Die Zeichnung Taf. 154 nach Lenoir, Statistique monumental de la ville
de Paris. Nach unseren N'otiren ist auch das Gewölbe des zweiten Umganges ein reines
Kreuzrippengewölbe.
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Zehntes Kapitel: Die kreuzgewulbte Basilika Westeuropas.
423
musste, beides Werke, in welchen die unmittelbare Anlehnung an die
Normandie oder Picardie überwunden und die Pariser Bauschule zu
voller Selbständigkeit gediehen ist. Ihnen gegenüber erscheint S. Martin-
des-Champs als eine recht unfertige Vorstufe. Mehr als irgend ein
anderes Gebäude bekundet dieser Chor das Suchen und Streben nach
einer Lösung für die Ueberwölbung der unregelmässigen Gewölbe-
felder der Chorumgänge. Gefunden ist diese Lösung hier noch nicht.
(Vgl. Eugene Lefevre-Pontalis in der Bibl. de l'ecole des chartes 1886.)
Wenn wir in S. Martin- des- Champs noch allenthalben ein un-
sicheres Suchen wahrnehmen, so führt uns die Abteikirche von S.
Germer bei Beauvais (Taf. 146, 148, 152) unmittelbar an das gotische
Bausystem heran, welches hier in seinen wesentlichen Grundzügen bereits
festgestellt ist. Das Datum auch dieses Gebäudes ist nicht überliefert.
F. de Verneilh schreibt ihm nach der »histoire e"crite< das Datum 1132
zu (Le premier des monuments gothiques. Didron, Ann. arch. 23,
S. 121), gibt aber eine nähere Quelle nicht an. Die Datierung ist in-
des nach allen stilistischen Merkmalen als für den Baubeginn zutref-
fend anzuerkennen. — Die Kirche ist eine dreischiffige Pfeilerbasilika,
die Querschiffanlage die normännische, ohne die Tribünen in den
Kreuzarmen; jenseits des Transseptes folgt noch ein Joch und dann
der Chorschluss mit Umgang und Kapellenkranz. Das letztere Motiv
ist hier zum erstenmale ganz regelmässig aus dem reinen Halbkreis
konstruiert, welcher in fünf gleiche Teile geteilt ist. Die Stützen der
leicht gespitzten Scheidbögen sind gegliederte Pfeiler. Jedem Schild-
bogen entspricht jenseits des Umganges eine auf gleicher Achse stehende
flache Kapelle. Es ist also die Umfassungsmauer in lauter Pfeiler
aufgelöst, welche als Strebepfeiler zwischen den Kapellen vortreten.
Die Schlusskapelle ist im saec. 13 durch eine überaus prächtige
gotische Marienkapelle ersetzt worden, ein Seitenstück zu der Sainte
Chapelle- du- Palais zu Paris. — Wie der Grundriss, so ist auch der
Aufbau in streng logischer Konsequenz durchgeführt. Die Rippen-
gewölbe des Umganges haben nicht mehr in der geraden Diagonale
durchgeführte Rippen, sondern der Schlussstein ist nach der Mitte der
Gewölbefelder verlegt, wodurch eine wesentlich bessere Teilung dieser
Gewölbe erzielt wird. Wie bei den grossen normännischen Kirchen
sind über den Seitenschiffen Emporen angeordnet, welche sich hier
als oberer Umgang auch um den Chor fortsetzen. Die Gewölbe der-
selben sind einfache Kreuzgewölbe ohne Rippen. Die Emporen öffnen
sich nach dem Mittelschiff in rundbogigen Doppelarkaden von ähn-
licher Behandlung, wie die Triforien von St. Etienne zu Beauvais und
von Poissy. Nun folgt über diesen Emporen noch eine hohe, von
eigentümlichen, rechteckigen Oeffnungen durchbrochene Obermauer.
Sie ist durch ein weit ausladendes, einen Laufgang bildendes Konsolen-
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Zweites buch : Der rumänische Stil.
gesimse gegen den Lichtgaden abgeschlossen. Ueber diesem Gesimse
setzen kleine Säulchen als Träger der Schildbögen, und in gleicher
Höhe die Gewölberippen auf. Das Merkwürdigste ist die Behandlung
des Strebesystems, welches hier zum erstenmale in fertiger Gestalt auf-
tritt. Zu der Verstrebung der Obermauern durch die Gewölbe der
Seitenschiffe und Emporen kommt noch eine solche durch Strebebögen,
welche unter dem Dach der Seitenschiffe nach der Hochschiffsmauer
geführt sind. Und zwar setzen sie nicht schon in Kämpferhöhe an,
sondern sind noch um 1,20 m höher geführt, so dass die Fortsetzung
ihrer Oberkante ungefähr Tangente an die äussere Leibung der Gurt-
bügen ist. Die Fenster beginnen wegen der steileren Neigung der
Seitenschiffdächer nicht unmittelbar über dem Kämpfergesimse. — In
seiner formalen Behandlung beharrt das System von S. Germer trotz
der teilweisen Einführung des Spitzbogens noch ganz innerhalb des
romanischen Stiles und zwar in nahem Anschluss an die normän
nische Schule.
Ungefähr gleichzeitig oder wenig später als S. Germer ist S. Maclol
zu Pontoise. Erhalten sind nur die unteren Teile des Chores und
das Querschiff (Taf. 146, Fig. 6; 153, Fig. 3). Die Grundrissanordnung
ist ähnlich wie bei S. Germer, doch schliesst sich die Chorrundung
dem Transscpt unmittelbar an. An Stelle der Pfeiler sind kräftige
Säulen getreten, die Kapellen haben nur je zwei Fenster. Die Anord-
nung der Gewölbe ist unbeholfen. Die Gewölbe des Umganges und
der Kapellen sind zusammengezogen, so dass fünfteilige Rippengewölbe
entstehen. Die Rippen sind über dem Umgang gerade, d. h. von einem
Pfeiler zu dem diagonal gegenüberliegenden in einer vertikalen Ebene
durchgeführt, wodurch der Schlussstein sehr nahe an die innere Mauer
gerückt wird, aber der Schlussstein liegt nicht — wie beispielsweise in
Langres (Taf. 139) — jenseits des Bogenscheitels, d. h. tiefer als dieser,
sondern er bildet den höchsten Punkt des Gewölbes. Nach diesem
Schlussstein ist nun in sehr unschöner Weise eine Rippe von der Mitte
der Kapelle geführt. Die ursprünglichen Gewölbe, erhalten in der ersten
Kapelle nördlich, wo auch eines der alten Fenster vermauert, aber
unversehrt zu sehen ist, gingen ohne Schildbogen in die Mauer über.
Das Bild, das wir aus der Betrachtung der vier genannten
Kirchen, Poissy, S. Martin-des-Champs zu Paris, S. Germer
und S. Maclou zu Pontoise, der aktiven Träger der Bewegung,
gewonnen haben, wird vervollständigt durch einzelne kleinere Monu-
mente. Sie nehmen an der Förderung keinen thätigen Anteil, sondern
sind sämtlich im Laufe des 12. saec, zum Teil sehr spät, in Nach-
ahmung jener entstanden.
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Zehntes Kapitel: Die kreurgewölbte Basilika Westeuropas.
S. Loup-de-Naud, bei Longueville westlich von Provins, ist schon
genannt. In Provins selbst ist eine Kirche in der unteren Stadt
(S. Ayoul?) zu nennen: im Langhaus sehr niedrige kantonierte Rund-
pfeiler; die Scheidbögen rund; darüber ein wohlgebildetes, gleich-
falls rundbogiges Triforitim; von den Kapitellen der Pfeiler steigen
drei Dienste an der Obermauer auf; in den Seitenschiffen Kreuzrippen-
gewölbe, die Hochschiffsgewölbe nicht ausgeführt. — S. Quiriace
ebenda in der oberen Stadt, begonnen a. 1160 schon gotisch. — In
Paris ist die Abtei Montmartre im Jahre 1 133 von Ludwig dem
Dicken gegründet. Der Bau der Kirche, einer kleinen dreischiffigen
Basilika, ist im wesentlichen noch der Stiftungsbau, welcher a. 1147
geweiht wurde. Sonderbarerweise im Mittelschiff gewölbt, in den Seiten-
schiffen flachgedeckt. Aufnahmen bei Lenoir, Statistique T. 1. — Das
Schiff von S. Germain-des-Pres (Taf. 146, 149, 154) ist ein Umbau
des Morard'schen Baues aus der ersten Hälfte saec. 12. Die Absicht
der Wölbung unverkennbar, doch sind die Gewölbe der Seitenschiffe
erneuert und die des Hochschiffes erst a. 1644 an Stelle eines offenen
Dachstuhles getreten. — Auch der interessante Chor der kleinen Kirche
S. Julien-le-Pauvre auf dem linken Seineufer (Taf. 146, 149, 153)
mit unzweifelhaften Merkmalen der Spätzeit saec. 12 gehört seiner
Gcsamthaltung nach zu den Uebergangsbauten.
Der elegante kleine Chor von Mareil-slr-Mauldre (Taf. 146, 153)
hat über der Vierung ein Kreuzrippengewölbe, im Chorschluss ein
Klostergewölbe auf Rippen. Die Höhe der Fenster ist dadurch fast
auf den Gewölbekämpfer herabgedrückt; vgl. die Mittelkapelle von
S. Martin-des-Champs (Taf. 154). Diese Gewölbeform fand mehrfach
Anwendung bei Templerkirchen: z.B. in Paris, Laon, Metz (Viollet-
le-Duc, D. R. IX. S. 12 ff.).
Die Kirchen der südlichen Picardie (Beauvoisis) halten an der
normannischen Formbehandlung fest. Einfach und früh Bury und Cam-
bronne, reicher die schöne Kirche von Creil (alle auf Taf. 141, 148,
152), ferner Villers S. Paul, Hadricourt, S. Urcel bei Laon u. a.
Wir stehen an der Grenze des romanischen und gotischen Stiles,
wenn überhaupt in einer Schule, welche von Anfang an mit Not-
wendigkeit auf letzteren hinfuhrt und welche innerhalb des ersteren
zu keinem abschliessenden Ergebnis gelangt ist, von einer Grenze
die Rede sein kann. Die Summe aller vorhergegangenen Bestre-
bungen wird gezogen in dem Bau der Abteikirche von S. DENIS
durch Abt Suger.
Suger begann seine Bauunternehmungen, über welche er ausführ-
liche, etwas ruhmredige aber im wesentlichen zuverlässige Berichte
■iS
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
(Duchesne, Scr. IV, S. 343 ff. und Fdlibien, Histoire de l'abbaye royale
de S. Denis. Paris 1706. Pieces justificatives p. CLXXXI ff.) hinterlassen
hat, mit dem Bau einer zwischen zwei Türmen gelegenen zweige-
schossigen Vorhalle an der Westseite der Kirche. Dieselbe ist mit
Ausnahme des nördlichen Turmes erhalten; sie interessiert uns von
konstruktiver Seite nur insoweit, als sie zeigt, dass die Erbauer das
Kreuzrippengewölbe noch keineswegs mit voller Freiheit anzuwenden
wussten. Die Anwendung kuppeiförmiger Kreuzgewölbe mochte man
wegen der aus ihrer Konstruktionshöhe sich ergebenden Beschränkung
des Obergeschosses zu vermeiden wünschen und es wurde aus diesem
Grunde der Kämpfer der Diagonalrippen tiefer herabgerückt, als der
der Schildbögen (Taf. 153, Fig. 7). Nach Vollendung dieses Teiles
a. 1140 begann Suger den Neubau des Chores, welcher in der kurzen
Zeit von vier Jahren, 1140 — 1144, vollendet wurde ; ihm folgte mit Bei-
behaltung der älteren Umfassungsmauern der Neubau des Langhauses.
Diesem grossartigen Werke ist seit mehr als vierzig Jahren der Ruhmes-
titel des ersten gotischen Gebäudes zuerkannt und die Kunst-
geschichte operiert mit ihm , wie mit einer bekannten Grösse. Sehen
wir aber näher zu, so zeigt sich, dass es bisher fast eine Unbekannte
geblieben ist, denn schon im Jahre 1231 wurde ein abermaliger Neu-
bau nötig und von Sugers Werk ist nur die Krypta und der untere
Teil des Chores erhalten geblieben und auch an ihnen hat die Restau-
ration den ursprünglichen Charakter teilweise verwischt.
Der Chor von S. Denis ist fünfschiffig und hat einen doppelten
Säulcnumgang. Der Grundriss der Kapellen umfasst keinen vollen
Halbkreis, die Rundung des Chorhauptes dagegen etwas mehr als einen
solchen und ist im äusseren Umfang in sieben gleiche Teile geteilt,
so dass sieben Kapellen entstehen. Für die Wölbungen ist der Spitz-
bogen konsequent angewandt und damit die Scheitelhöhe der ver-
schiedenen Bögen dem Ermessen des Baumeisters anheimgestellt.
Taf. 153, Fig. 5 veranschaulicht, in welcher Weise dies geschehen ist.
Im ersten Umgang liegt der Schlussstein der vierteiligen Gewölbe in
der Mitte der Gewölbefelder, wie dies schon in S. Germer der Fall
war. Die Gewölbe des zweiten Umganges sind mit denen der Kapellen
zusammengezogen. Der Grundriss der letzteren ist so konstruiert, dass
die Fortsetzung der Innenseite ihrer segmentförmigen Umfassungs-
mauern zum vollen Kreis die Kämpferplatte der Säulen im zweiten
Umgang berührt. Ueber diesem Kreis ist ein fünfteiliges Rippenge-
wölbe errichtet, dessen Schlussstein über dem Mittelpunkte gelegen ist,
womit für die fünf in ihm zusammenstossenden Rippen eine gleiche
Länge gewonnen ist. (Ganz gleich lang sind sie nicht, weil die Kämp-
fer in den Kapellen etwas tiefer liegen.) Die Archivolten der Fenster
bilden zugleich die Schildbügen der Gewölbe. Wie in S. Germer und
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Zehntes Kapitel: Die kreuzgewölbte Basilika Westearopas.
Pontoise tritt zwischen je zwei Kapellen ein Strebepfeiler vor. Ein-
gehende Analyse dieser Gewölbe bei Viollet-le-Duc D. R. IX. S. 503 ff.
Die volle Freiheit der Gewölbekonstruktion ist hier erreicht, das System
ist, von geringfügigen Nebenumstanden abgesehen, fertig.
Mit dem Gesagten ist erschöpft, was sich an dem Bau unmittelbar
beobachten lässt. Im Grunde ist es doch nicht viel; über das System
des Aufbaues, über die Hochschiffsgewölbe und deren Verstrebung
sagt er uns nichts. Nun gestattet ja die hohe Vollendung der erhal-
tenen Teile gegenüber früheren Bauten den Schluss, dass auch der
Hochbau entsprechend fortgeschrittener gewesen, dass also die Be-
nennung der Kirche als »erstes gotisches Denkmal« gerechtfertigt sein
werde. Allein die wissenschaftliche Forschung wird sich hierbei doch
nicht ganz beruhigen, sondern nach Mitteln suchen, die fehlenden Be-
stimmungsstücke, selbstverständlich nicht in ihren Einzelheiten, wohl
aber in ihren Hauptumrissen zu rekonstruieren. Und diese Mittel sind
allerdings vorhanden, denn die Kirche von S. Denis hat sofort Schule
gemacht. Die Bauten, welche bei dieser Untersuchung in Betracht
kommen, sind: Die Kathedrale von Noyon, nach 11 50, die von Laon,
begonnen zwischen 1 155 und 1 174; dann zwei Monumente, welche vieles
Gemeinsame haben, der Chor von S. Remy zu Reims zwischen 1164 und
1181 und der von N.-D. zu Chalons s. M., geweiht 1183; die Kirche
zu Mouzon (Ardennes), einige Dezennien jünger als die genannten;
Notre-Dame zu Paris, Chor begonnen 11 63 (das System selbstän-
diger und entwickelter als bei den vorigen), endlich der Chor der
Abbaye-alx-hommes (S. Etiennc) zu Caen, der, in seiner Höhen-
theilung durch das romanische Langhaus bedingt, für das innere System
nicht herangezogen werden darf, für das Strebesystem dagegen wichtige
Aufschlüsse gewährt.
Bei den genannten Bauten ist das sechsteilige Kreuzrippengewölbe
die normale Gewölbeform für das Langhaus, während für die geraden
Joche des Chores eine feste Regel nicht besteht und der Chorschluss
ein vielteiliges Rippengewöbe hat, dessen Kappenzahl von der Zahl
der unteren Bogenöffnungen abhängig ist. Jeder Gurtbogen, jede Ge-
wölberippe und jeder Schildbogen erhält zu seiner Unterstützung ein
schlankes, durch Ringe mit der Wand verbundenes Säulchen (Dienst).
Nun treffen beim sechsteiligen Gewölbe (vgl. Taf. 153, Fig. 4a) auf
den Hauptpfeilern je fünf Bögen, ein Gurtbogen, zwei Schildbögen und
zwei Rippen zusammen , auf den Zwischenpfcilern je drei. In Noyon
sind die Dienste der Hauptpfeiler ganz herabgeführt, die der Zwischen-
pfeiler ruhen auf dem Kapitell einer Säule und es entsteht auf diese
Weise ein Wechsel von gegliederten Pfeilern und Säulen. Es ist dies
offenbar die beste und ausdrucksvollste Gruppierung, in den meisten
Fällen aber sind die Pfeiler gleich und als einfache Rundpfeiler ge-
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
staltet , auf deren Kapitellen die Dienste aufsetzen. Im Chorschluss
fast ausnahmslos Rundpfeiler. Die Fenster reichen niemals über den
Gewölbekämpfer herab. Die Schildbögen müssen deshalb stark ge-
stelzt werden und es folgt daraus, dass die Rippen, namentlich die
Zwischenrippen der sechsteiligen Gewölbe und die des Chorschlusses
bis zu einer gewissen Höhe senkrecht übermauert werden müssen, so
dass die Gewölbekappe nicht unmittelbar über dem Kämpfer beginnt.
Das System ist stets viergeschossig. Ueber den Seitenschiffen folgt
eine Empore, welche sich gewöhnlich in zwei von einem grösseren
Blendbogen umfassten Arkaden gegen das Hauptschiff öffnet. Die der
Dachneigung entsprechende Mauerfläche zwischen Empore und Licht-
gaden wird immer durch ein Triforium belebt. Es ist durchaus missver-
ständlich, wenn dieses Triforium über der Empore als > Pleonasmus«
bezeichnet wird. Ist ein Triforium, bis es in der entwickelten Gotik
als untere Fortsetzung der Fenster aufgefasst wird, niemals etwas
anderes, als eine Belebung der durch die Dachneigung der Seitenschiffe
bedingten toten Mauerfläche, so ist die Empore ein zum Aufenthalte
von Menschen bestimmter Raum, welcher zugleich einen konstruktiven
Zweck hat. Die Vierteilung des Systemes findet sich an allen ge-
nannten Bauten mit Ausnahme von S. Etienne zu Caen, sie ist ferner,
wenngleich unentwickelt, schon in S. Germer vorhanden und darf des-
halb mit grosser Wahrscheinlichkeit auch für S. Denis in Anspruch
genommen werden. Hierbei ist anzunehmen, dass an Stelle der un-
schönen rechteckigen Oeffnungen von S. Germer das schöne Motiv
des Triforiums eingeführt war. Unentschieden muss bleiben, ob im
Langhause ein Wechsel von Pfeilern und Säulen stattfand oder ob
ausschliesslich Rundpfeiler angewandt waren. Zur Veranschaulichung
des Gesagten geben wir auf Taf. 153, Fig. 4 das System des Lang-
hauses von Noyon, bei welchem a die ursprünglichen sechsteiligen,
b die jetzigen Gewölbe darstellt.
Grössere Schwierigkeit bietet die Frage, in welchem Stadium der
Entwicklung das Strebesystem an der Kirche von S. Denis ge-
standen hat, denn nur wenige Beispiele aus der Frühzeit des gotischen
Stiles sind unverändert auf uns gekommen. Gerade diese Frage
aber ist von besonderer Wichtigkeit und darf, wenn sie auch eine
abschliessende Lösung nicht finden kann, nicht umgangen werden.
In einer Schrift, welche den Anspruch erhebt, die »Geschichte des
Strebebogens« nachzuweisen (Hugo Graf, Opus francigenum S. 15)
lesen wir: >Der französische Ursprung des Strebebogens erscheint nun
freilich dadurch sicher gestellt, dass .... die von 11 40 an neuerbaute
Abteikirche von S. Denis bei Paris bereits ein ausgebildetes Strebe-
bogensystem aufweist. Da dieses indessen hier schon in technisch
weit geförderter Gestalt erscheint« u. s. w. Leider giebt der gelehrte
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9
Zehntes Kapitel : Die kreuigewolbte Basilika Westeuropas.
Autor nicht an, aus welcher Quelle er diese interessante Kenntnis
geschöpft hat, und so sind wir denn darauf angewiesen, aus der Ver-
gleichung der obengenannten Monumente Schlüsse zu ziehen. Die
Pfeiler, welche die Last und den Schub der Hochschiffsgewölbe aufzu-
nehmen haben, werden gegen letzteren in allen Fallen zunächst durch
die Gurtbögen der Seitenschiffe und Emporen gesichert. Dadurch wird
nun wohl der Hebelarm für die Einwirkung des Seitenschubes ver-
ringert, allein der Kämpfer der Hochschiffswölbungen liegt immer noch
höher als der Scheitel der Emporengewölbe und die geringe Mauerdicke
macht deshalb weitere Vorkehrungen nothwendig. In S. Germer sind
deshalb Strebebögen angeordnet, welche den Seitenschub auf die Strebe-
pfeiler überführen. Letztere haben im Langhause nur geringen Vor-
S. Gertner, Chor. Cnen : S. Etienne, Chor.
sprung, am Chor treten sie nach unten stufenförmig vor. Die bei-
den folgenden Figuren veranschaulichen die Strebesysteme der Chöre
von S. Etienne zu Caen und der Kathedrale von Xoyon. Ersterer
gehört zu den frühesten gotischen Hauten der Normandie , ist aber
nicht vor Ende saec. 12. erbaut; er kommt in der Grundrissanlage
der Rundung S. Denis am nächsten f vgl. Taf. 80, Fig. 5). Hier geht,
ähnlich wie in S. Germer, eine Verstrebung (Strebebogen oder Sporn)
von der Aussenmauer der Empore nach dem Fuss der Hochschiffs-
gewölbe. Es findet aber noch eine weitere Verstrebung statt, indem der
zwischen den Kapellen vortretende Strebepfeiler selbständig höher ge-
führt und durch einen Strebebogen mit der Umfassungsmauer der
Emporen in Verbindung gesetzt ist. In Novon ist die Anordnung
der unteren Theile analog, und haben wir vermutungsweise eine gleiche
Anordnung für den Oberbau, welcher irn vorigen Jahrhundert mit
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430
Zweites Buch : Der romauische Stil.
Strebemauern von der punktiert angedeuteten Form versehen wurde,
anzunehmen. Diese Strebemauern haben alle Spuren des früheren
Zustandes verwischt, doch ist es nach der Gestalt der unteren Strebe-
Noyon, Chor.
L,ion, Schiff.
pfeiler unzweifelhaft, dass ein freiliegender Strebebogen, der die Ober-
mauer im Angriffspunkte des Gewölbeschubes gestützt hätte, nicht
vorhanden war. Dieser ersten Entwicklungsstufe folgt schon im Lang-
hause von Noyon (Ende saec. 12) der frei-
liegende Strebebogen, der die Hochschiffs-
mauer ungefähr an der Stelle des stärksten
Angriffes des Seitenschubes trifft. Das Strebe-
system von Noyon ist nicht ganz unverändert
geblieben, dagegen dürfte das etwa gleich-
zeitige der Kathedrale von Laon (Langhaus"!
noch das ursprüngliche sein, lieber den Gurt-
bögen der Emporen sind Strebemauern, von
einem kleinen ansteigenden Bogen durch-
brochen zum Gewölbekämpfer geführt, dar-
über ein freiliegender Strebebogen zum An-
griffspunkte des Seitenschubes. Aehnlich aber
noch etwas komplicierter sind die Strebe-
systeme der Chöre von S. Rcmy zu Reims
und Notre-Dame zu Chälons. Es ist die Anordnung der Chöre von
Caen und Noyon, vermehrt um einen hochliegenden Strebebogen.
Soll nun aus den besprochenen Monumenten ein Schluss auf
S. Denis gezogen werden, so ergiebt sich für das Strebesystem des
ChAlonj, N. -Dirne.
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Zehntes Kapitel : Die kreuzgewölbte Basilika Westeuropas.
43»
Chores mit hoher Wahrscheinlichkeit eine ähnliche Anordnung wie in
Caen und Noyon, nicht nur weil dieselben eine primitivere Entwicklungs-
stufe aufweisen, sondern auch weil die am äusseren Ende der Strebe-
pfeiler von S. Denis angebrachten schlanken Säulen mit einem so
hohen Aufbau wie in Reims und Chälons nicht vereinbar wären.
Uebcr das Strebesystem des Langhauses lässt sich keine begründete
Vermutung aufstellen.
Mit diesen Ausführungen, auch wenn sie für die Kirche von S.Denis
im Einzelnen nicht völlig das richtige treffen sollten, ist das gotische
Bausystem, wie es zuerst in fertiger Gestalt auftritt, charakterisirt. Zwei
Grundprinzipien treten schon hier mit aller Bestimmtheit hervor: die
Konzentrierung der Kräfte auf einzelne Punkte unter Zuhilfenahme eines
künstlichen Kräftesystemes und, hieraus folgend, eine vollständigere
Trennung der stützenden von den raumabschliessenden Teilen, als sie
irgend ein anderes Bausystem kennt. Die folgerichtige, bis in die
letzten und kleinsten Teile des Bauganzen verfolgte Durchbildung dieser
Gedanken führt alsbald auch zur Umgestaltung der Kunstformen und
so entsteht ein selbständiger neuer Stil, der gotische.
Beschreibung der Tafeln.
Tafel 145. Grundrisse.
1. Saint- Aignan. — Chor Ende saec. 11. Schiff erste Hälfte saec. 12.
— Archives des mon, hist.
2. Le A/ans: Kathedrale. — Chor restaurirt Mitte saec. 12. — Viol-
let-le-Duc, Bull. mon.
3. La Souterraine. — 2. Hälfte saec. 12. — Archivesdes mon. hist.
4. Creil. — saec. 12. — VVoillez.
5. Bury. — saec. 12. - Woi'lez.
6. Beauvais : S. Ktienne. — Schiff saec. 12, Chor saec. 15. — Woillcz.
7. Caen: S. TrinitL — 1. Hälfte saec. 12. — Pugin.
8. Ouistreham. -- saec. 12. — Rupr ich- Robert.
9. Vezelay. — Schiff nach 11 20, Vorhalle nach 1132, Chor saec. 13.
— Archives des mon. hist.
Tafel 146.
1. *S. Loup de Naud. — 1. Hälfte saec. 12. — Bezold.
2. Paris: S.Julien le Pauvre. — E. saec. 12. — Lenoir. — Statist,
monumentale de Paris.
3. Paris: S. Martin des Champs. — 1. Hälfte saec. 12. — Lenoir,
Statistique.
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432 Zweites Buch Der romanische Stil.
4. Poissy. — Westturm saec. 11. Untere Teile des Chores und Ka-
pellen um 1135, Hochchor um 1160, Schiff Ende saec. 12. -
Archives des mon. hist.
5. Mar eil sur Mauldre. — saec. 12. — De Baudot.
6. *Pontoise: S. Maclou. — 1. Hälfte saec. 12. — Bezold.
7. Vetheuil: Chor. — saec. 12. — Archives des mon. hist.
8. S.Denis: Vorhalle 1137 — 1140, Chor 1140 — 1144, Schiff nach 1144.
Es ist hier eine vollständige Restauration vom Grundriss des Suger-
schen Baues nach Massgabe der bei Viollet-leDuc, D. R. IX, S. 228
mitgeteilten Ausgrabungen der Fundamente versucht. — Viollet-
le-Duc D. R. IX., Revue arch<?ol.
9. Paris: S. Germain des Pres. — Schiff saec. 11, im saec. 12 um-
gebaut; Chor nach 1103. — Lenoir, Statistique.
Tafel 147.
1. Veruela: Abteikirehe. — 1171 vollendet. — Street.
2. Salamanca: Kathedral vieja. — n 20 begonnen. — Street.
3. Avila: S. Vicente. — 2. Hälfte saec. 12. — Street.
4. Jerusalem: S. Anna. — saec. 12. — De Vogüd, terre sainte.
5. Lerida: Kathedrale. — 1203 — 1278. — Street.
6. Tarragona: Kathedrale. — 1131 begonnen. — Street.
Querschnitte.
Tafel 148.
1. Caen: S. Triniti. — 1. Hälfte saec. 12. — Pugin.
2. S. Cross (Hampshire). — saec. 12. — Britton, Arch. ant.
4. Creil. — saec. 12. — Woillez.
5. ßeauvais: St. Etienne. — saec. 12. — Woillez.
6. Bury. — saec. 12. — Woillez.
7. S. Germer. — Nach 1132. — V iollet-le-Duc, Archives des
mon. hist. In dem Querschnitt der Emporen, welchen Viollet-le-
Duc, D. R. IX, S. 278 giebt, und nach welchem der unsrige bear-
beitet ist, sind die Strebepfeiler weggelassen, ein Fehler, der leider
auch in unsere Zeichnung übergegangen ist.
Tafel 149.
1. Durham: Kathedrale. — Schiff 1128 vollendet ohne Gewölbe.
Diese 1233. — Billings.
2. Doomift: Quer schiff, — saec. 12. — Renard.
3. Vezelay: Vorhalle. — Um 1140. — Archives des mon. hist.
4. Vezelay: Schiff. — Nach 1120. — Archives des mon. hist.
5. *S. Loup de Naud. — 1. Hälfte saec. 12. — Bezold.
6. S. Aignan. — saec. 12. — Archives des mon. hist.
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Zehntes Kapitel: Die kreuzgewölbte Basilika Westeuropas.
433
7. Paris: S.Julien le Pauvre. — Spätzeit saec. 12. — Lenoir, S ta-
tist ique.
8. Paris: S. Gcrmain des Pres. Schiff. — saec 11 u. 12, Gewölbe
nach 1644. — Lenoir, Statistique.
Längenschnitte und Systeme.
Tafel 150.
1. Vezelay. Vorhalle und Schiff. — saec. 12. — Archives des
mon. hist.
2. S. Aignan. — saec. 11 u. 12. — Archives des mon. hist.
3. Salamanca: Alte Kathedrale. — Beg. n 20. — Mon. Esp.
4. Val de Bios: S. Maria. — Vollendet 12 18. — Mon. Esp.
Tafel 151.
1. Caen: S. J&ienne (Abbaye aux hommes). — saec. 11, Gewölbe
saec. 12. — Ruprich-Robert.
2. Durham: Kathedrale. Chor 1093— 1099, Gewölbe 1289. — Bil-
lings.
3. Ouisireham. — saec. 12. — Ruprich-Robert.
4. 6'. Gabriel (Normandie). — saec. 12. — Ruprich-Robert.
5. Caen: S. Nicolas. — Vollendet 1183. — Pugin.
6. 7. Caen: S. Triniti (Abbaye aux dames) Schiff und Querschiff.
— saec. 12. — Ruprich-Robert.
Tafel 152.
1. Creil. — saec. 12. — VVoillez.
2. Cambronne. — saec. 12. — Woillez.
3. Bury. — saec. 12. -— Woillez.
4. Beauvais: S. Etienne. — saec. 12. — Woillez.
5. S. Germer. — saec. 12. — Archives des mon. hist.
Tafel 153.
1. *S. Loup de Xaud. — 1. Hälfte saec. 12. — Bezold.
2. Mar eil s. Mauldre. — saec. 12. — De Baudot.
3. *Pontoise: S. Maelou. — 1. Hälfte saec. 12. — Bezold.
4. Noyon: Kathedrale. — Nach 11 50. — I>. Ramöe.
5. S. Denis. Chor. — 1140—1144. — Viollet-le-Duc.
6. Poissy. Gewölbe des Chorumganges. — Viollet-le-Duc.
7. Paris: S. Julien le Pauvre. — Spätzeit saec. 12. — Lenoir, Sta-
tistique.
8. *S. Denis: Vorhalle. - Bezold.
Tafel 154.
1 . Paris : S. Martin des Champs. — Um 1 1 30 — 1 1 40. — Lenoir,
Statistique.
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434
Zweites Buch: Der romanische Stil.
2. Poissy. — saec. 12 — 13. — Archives des raon. hist.
3. Paris: S. Germain des Pres. — Schiff saec. 11 u. 12; Gewölbe
nach 1644; Chor nach 1103. — Lenoir, Statistique.
Tafel 155.
1. *Mont-S. Michel. — saec. 12. — Photographie.
2. *Le Maris: Kathedrale. — Mitte saec. 12. — H. Stier.
3. *Cae;i: S. Triniti. — saec. 12. — H. Stier.
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Elftes Kapitel.
Der Gewölbebau in Oberitalien und den
Alpenländern.
Littkratxr. — Die Werke allgemeinen Inhaltes sind schon zu Kap. III. auf-
geführt. Dazu: Reynaud . Traitö de l'architecture. 31- £d. Paris 1870. — ClcrictUi ;
Ricerche sull' architettura lombarda. Milano 1869. — Mongeri : L'arte in Milano. Mi-
lano 1872.
Monographien. — Dartein: Etüde sur l'architecture Lombarde , Paris 1866.
behandelt fast alle wichtigeren Hauten, namentlich S. Ambrogio zu Mailand und S.Michele
zu Pavia in eingehenden Monographien mit vortrefflichen Aufnahmen. — l'eber S. Ambrogio
zu Mailand vgl. noch: Ä\ v. Eittlberger im 2. Band der mittelalterlichen Kunstdenkmale
des österreichischen Kaiserstaates. Stuttgart 1860. — J\ Kotta : Sülle sette antiche
basiliche di Milano 1881. — M. Caf/i: Sulla chiesa di S. Eustorgio. 184t. — Messori
Ronca^lia ■ La Cattedralc di Modena. Modena 1878. — Odorici : La Cattedrale di Parma.
Milano 1864. — Carlo Jelt Acqua : Dell insigne reale Hasilica di San Michele maggiore
in Pavia. Pavia 1875. 2 P>de.
I. Allgemeines. Zur Chronologie.
Wenn der Anteil Italiens am romanischen Gewölbebau geschildert
werden soll, so ist nur an einen kleinen Teil der Halbinsel, nur an
die oberitalienische Ebene, genauer die Lombardei und Emilia, dabei
zu denken. Vieles traf zusammen, diese Landschaften dem übrigen
Italien gegenüber eine Sonderstellung einnehmen zu lassen. Die Ober-
herrschaft der Franken und später der Deutschen fasste hier festeren
Fuss, als weiter nach Süden; desgleichen gab der Handelsverkehr
stets lebhafte Beziehungen über die Alpen, während die Entfernung
von der Ostküste gross genug war, um den entlang dieser überall
mächtigen byzantinischen Kultureinfluss zu dämpfen. Früh tritt in
den Kirchenanlagen der Lombardei das Bestreben nach einer festeren
Deckenbildung, als die herkömmliche Basilikenarchitektur sie darbot,
hervor (S. 240). Früh meldet sich in der Einzelbildung ein spezifisch
romanisches Formgefühl, während im Süden des Apennin die Wieder-
436
Zweites Buch: Der romanische Stil.
belebung des künstlerischen Geistes als Auffrischung der antiken
Ueberlieferung sich äussert. Ihrer Gesamterscheinung nach steht die
lombardische Architektur durchaus der deutschen, beziehungsweise der
provenzalisch-burgundischcn naher, als der des übrigen Italiens. Und
wie die Anregungen — wir denken weniger an speziell technische,
als an allgemein geistige — aus dem Wechselverkehr mit Mitteleuropa
kamen, so gingen auch die Wirkungen hauptsächlich dorthin zurück.
Die deutschen und österreichischen Alpenländer zeigen sie in breiter
Einströmung, in einzelnen Erscheinungen sind sie den ganzen Rhein
entlang zu bemerken.
Um nun gleich die Hauptmerkmale des lombardischen Gewölbe-
baus zu bezeichnen , so sind sie diese. Zum Tonnengewölbe wird
kein Verhältnis gewonnen; Ausgangspunkt aller Lösungen ist allein
das Kreuzgewölbe. Der Haupttypus ist der basilikalc Aufbau auf
gebundenem Grundriss, d. h. mit je zwei quadratischen Gewölbejochen
in den Seitenschiffen auf eines im Mittelschiff. Daneben zwei Se-
kundärtypen: Hallenanlagen und Basiliken mit gleicher Jochzahl in
Haupt- und Seitenschiffen.
Die Denkmäler, falls nicht etwa in ihrer Reihe wichtige Zwischen-
glieder fehlen — welches anzunehmen kein Grund vorliegt — bezeugen,
dass der lombardische Gewölbebau seine Hauptgedanken sehr schnell
zur Reife gebracht hat 1). Dieses geschehen, blieb er bis zum Aus-
gang der romanischen Periode fast stationär. Und wie die Struktur-
systeme, so lässt auch die formale Behandlung nur eine sehr geringe
Weiterbildung wahrnehmen. Kommen an einem Denkmal nebeneinan-
der unreifere und entwickeltere Formen vor, so darf das nicht immer
als Zeichen von stattgehabtem Umbau oder teilweiser Wiederverwen-
dung älterer Werkstücke in Bauten späterer Zeit gedeutet werden,
es muss ebenso oft auf die bessere oder geringere Ausbildung gleich-
zeitig arbeitender Steinmetzen zurückgeführt werden (sehr deutlich
z. B. in der Krypta des Domes zu Modena). Zieht man hierzu noch
die beiden anderen Umstände in Betracht, dass gerade in den
entscheidenden Fällen unzweideutige historische Nachrichten mangeln
und dass nach der teils ganz wegräumenden , teils bis zur Unkennt-
lichkeit entstellenden Thätigkeit der Renaissance- und Barockzeit die
'} Unsere früher (S. 187 ff.) Uber S. Ambrogio zu Mailand und das Schwib-
bogensystem ausgesprochene Ansicht hat sicli nach erneuter Untersuchung als unzutreffend
erwiesen. Das Schwibbogensystem, obwohl aus dein gleichen Wunsche, dem Aufbau der
Basilika grössere struktive Konsistenz zu geben, hervorgegangen, kann als zielstrebige
Vorbereitung auf die Üewolbebasilika doch nicht gelten.
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Elftes Kapitel : Der Gewölbebau in Oberitalien und den Alpenländern.
Zahl der erhaltenen Denkmäler nur noch eine kleine ist *), so erhellt,
dass die genauere Zeitbestimmung der einzelnen Werke höchlichst
erschwert wird. An der Möglichkeit einer näherungsweise richtigen
geschichtlichen Beurteilung der Bewegung im ganzen braucht darum
nicht verzweifelt zu werden.
Der von der Renaissance begründete, bis in unser Jahrhundert
aufrecht erhaltene Glaube, dass die romanischen Bauten Oberitaliens
ein Werk der langobardischen Einwanderer und im 6. bis 8. Jahr-
hundert entstanden seien, wurde durch die Untersuchungen von Hein-
rich Leo und Cordero (beide 1829) schwer erschüttert, ja, wie es mehr
und mehr schien, definitiv beseitigt. Wenigstens unter den deutschen
Forschern hatte sich seither das Uebereinkommen ausgebildet, den
fraglichen Baustil erst dem hohen Mittelalter zuzuteilen. Aber in
neuester Zeit ist eine rückläufige Bewegung eingetreten. Wenn die
Italiener der Renaissance die Ehre ihrer Nation zu retten suchten,
indem sie die ihrem ästhetischen Bewusstsein abstossend erscheinende
mittelalterliche Architektur den deutschen Barbaren zur Last legten,
so finden Deutsche unserer Tage eine Befriedigung ihres nationalen
Hochgefühls in der Rückkehr zu ebenderselben Vorstellung (neuestens
namentlich Mothes und Lübke). Es muss ihr vom Standpunkte
nüchterner Geschichtswissenschaft mit allem Nachdruck entgegen-
getreten werden. Sie häuft die stärksten historischen Anomalien.
Die Langobarden im 6. bis 8. Jahrhundert hätten eine formen-
schöpferische Kraft besessen , welche den übrigen germanischen Völ-
kern und dem ganzen Weltalter überhaupt fremd ist; und diese
Kraft wäre erloschen gerade zu dem Zeitpunkte, wo sie sonst
überall in Nord und Süd sich zu regen begann. Denn was an Fort-
schritten von dieser vermeintlichen Langobardenkunst zu der des
hohen Mittelalters übrig bleibt, ist verschwindend wenig im Ver-
gleich zu dem Abstände, der jene von der Spätantike trennt.
Prüfen wir dann die Einzelbeweise für diese ungeheuerlichen Sätze,
so zerfliessen sie unter der Hand in nichts. Die Baunachrichten der
Chronisten beweisen nur — was sich von selbst versteht — , dass
auch unter der Langobardenherrschaft zu bauen fortgefahren wurde,
sie besagen nichts, wie gebaut wurde. Die langobardischen Gesetze
kann als Beweise »hoch entwickelter architektonischer Thätigkeit« nur
jemand anführen, der sie nicht verstanden hat. Die Titel 144 und 145
des Edictus Kothari (Mon. Germ. LL. IV p. 33), welche allein hierher
bezogen werden könnten, handeln nur von der Haftbarkeit für Körper-
beschädigung bei Bauausführungen. Sodann das im Anhange zu den
') Wie arm an romanischen Denkmälern ist z. B. Mailand, die bei weitem
wichtigste und von alters führende Stadt der Lombardei, im Vergleich zu unserem Köln.
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438
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Edikten Liutprands erhaltene mcmoratorium de merccdes magistrum com-
macinorum (M. G. LL. 176) ist kein Bestandteil der langobardischen
Gesetze, ist überhaupt kein Gesetz; es ist lediglich eine Lohntabelle,
wahrscheinlich für öffentliche Bauausführungen. Sollte aus den darin
angeführten Arbeiten ein Schluss auf den Stand der Baukunst bei den
Langobarden im 8. Jahrhundert gezogen werden, so müsste er sehr un-
günstig ausfallen, denn es sind nur die einfachsten Arbeiten, Pflastern,
Mauern, Tünchen, Dachdecken u. dergl. angeführt. Die Ableitung
des Namens commacini (so, mit doppeltem m die richtige Schreibung',
ob vom Comcrsee , ob von macina , also gleichen Stammes mit fran-
zösisch, macon — wir neigen dem letztern zu — , ist hier gleichgültig.
Klar ist, dass unter den commacini Bauhandwerker im weitesten Be-
griffe verstanden wurden. Sie waren ein Rest der antiken collegia opi-
ficum , welche bei gewissen Immunitäten nur beschränkte politische
Rechte besassen. Um so weniger ist anzunehmen, dass freie Lango-
barden in diese Korporation eingetreten seien. Dass die commacini »dem
germanischen Element Rechnung getragen und Eingang verschafft haben
(Mothes 237), ist ein grundloser Einfall. Im hohen Mittelalter aber war
die Vermischung der Langobarden mit den älteren Bewohnern des Landes
vollzogen, und es entzieht sich durchaus der Berechnung, wieviel etwa
in der Baukunst auf Fortleben des germanischen Geistes zu setzen sei.
Was die lombardischc Baukunst mit der mitteleuropäischen in Fühlung
hält, ist doch wohl am meisten der wechselseitige Verkehr.
Ernsterer Erwägung wert ist die Anschauung französischer und
italienischer Forscher (Reynaud, Dartein, Clericetti), wonach der ent-
scheidende Aufschwung , insbesondere die ersten grossen Leistungen
im Gewölbebau, ins 9. und 10. Jahrhundert fallen. Wir selbst neigten
früher, mit gewissen Beschränkungen, ihr zu (S. 187 ff.), müssen sie
aber nach erneuter eingehender Prüfung nun für irrig erklären. Die
wenigen Monumente, welche mit einiger Sicherheit dem 6. bis 10. Jahr-
hundert zugeschrieben werden dürfen, sind teils Zentralbauten, teils
flachgedeckte Basiliken; dass das an jenen als tüchtig sich erweisende
technische Können schon auf basilikale Anlagen angewandt wäre, davon
findet sich hier ebenso wenig, wie irgendwo anders eine Spur. Die
Dekorationsformen zeigen fortschreitendes Zurücktreten der antiken
Erinnerung und gleichzeitig fortschreitenden Verfall des Formensinns
überhaupt. Als Beispiel, wie tief derselbe sinken konnte, verweisen
wir auf die wahrscheinlich aus der Gründungszeit (a. 903) herstammen-
den, sicher nicht älteren, Details der Krypta von S. Savino in Piacenza.
Weiter kommen für die Zeitbegrenzung gewisse indirekte, aber
darum nicht weniger triftige Schlüsse in Betracht. Bekanntlich haben die
geistlichen Bauherren Deutschlands Italien häufig besucht und wurden
anderseits nicht selten lombardische Handwerker in Deutschland zu
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Elftes Kapitel: Der Gewölbebau in Oberitalien und den Alpenländern.
grösseren Bauausführungen angeworben '), wie denn auch einzelne Nach-
ahmungen italienischer Motive sowohl durch die Chronisten (Dom zu
Bremen, Klosterrat) als durch die Denkmäler selbst bezeugt werden;
hätte die Lombardei im 10. und 1 1. Jahrhundert fertige Vorbilder der
Gewölbebasilika dargeboten, so wären sie gewiss nicht ohne Einfluss
auf Deutschland geblieben. Dasselbe zeigt in anderer Richtung der
Vergleich mit der Provence; die Formbehandlung des dortigen Früh-
romanismus deutet, bis gegen Ende des n. Jahrhunderts die eigen-
tümliche Renaissancebewegung eintrat, unverkennbar auf Verkehr mit
der Lombardei 2), die gleichzeitigen Gewölbesysteme aber sind ganz
unlombardisch. Ebenso Burgund. Hier reichen die ersten Versuche
im basilikalen Gewölbebau bis in den Anfang des n. Jahrhunderts
zurück; an ihnen war sogar ein Oberitaliener, Wilhelm von Ivrea, in
hervorragender Weise beteiligt (S. 385); aber wir finden hier ganz
andere, weniger befriedigende Gewölbekombinationen, als das ge-
bundene Kreuzgewölbesystem und die organische Pfeilergliederung der
Lombardei. Wären diese damals schon fertig vorgelegen, so wäre
ein so unsicheres Schwanken und Suchen, wie bei S. Philibert in
Tournus, einem Bau, welcher in manchen Einzelheiten an lombardische
Weise gemahnt, nicht mehr möglich gewesen.
Aus alledem folgt übereinstimmend, dass die Lombardei min-
destens bis in den Anfang des 1 1. Jahrhunderts eine gewölbte Gross-
architektur nicht besessen haben kann. Hier nun treten die ältesten
einschlägigen Bauten in Mailand und Pavia, den offenbaren Mittel-
punkten der Bewegung, ein. Ihr Stilcharakter ist mit der zweiten Hälfte
des 1 1. Jahrhunderts am ehesten vereinbar. Aber noch in der Frühzeit
des folgenden Jahrhunderts bezeugen die Dome von Modena und
Ferrara, wie S. Zeno bei Verona, dass die hölzerne Flachdecke selbst
bei Werken von Rang noch keineswegs gegen den monumentalen
Anstand verstiess, woraus man schliessen darf, dass um jene Zeit die
Gewölbebasilika noch keine allgemein verbreitete, also wohl relativ
junge Errungenschaft war. Anderseits wird sie schon vor der Mitte
des 12. Jahrhunderts ausserhalb Italiens (Zürich, Klosterneuburg)
nachgeahmt.
Die Einzelbetrachtung wird das Ergebnis dieser allgemeinen
Erwägungen erfreulich bestätigen : die Zeit der Grundlegung des lom-
bardischen Gewölbesystems, dürfen wir annehmen, ist das 11. Jahr-
hundert und zwar eher dessen zweite als erste Hälfte.
') Schneider im Korresp.-Bl. 1876, Nr. 10.
'•') Dehio im Jahrbuch der K. preuss. Kunstsammlungen 1886, p. 133.
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440
Zweites Buch: Der romanische Stil.
2. Das System und die Denkmäler.
Das Programm der lombardischen Bauschule, die Ueberwölbung
der Basilika mittels Kreuzgewölben von quadratischem Grundriss, wurde
Eingangs charakterisiert. Die Lösung ist aber nicht auf geradem
Wege erreicht worden. Die Denkmäler, die wir als die ältesten unter
den vorhandenen anzusehen Grund haben , zeigen , dass man , wenn
auch vielleicht nicht von Anfang an, so doch während der Baufuhrung
von der Anlage einer freistehenden Obermauer für das Mittelschiff
Abstand nahm und sich mit einer Form begnügte, die dem Begriff
der Hallenkirche im weiteren Sinne unterzuordnen ist. Und diese
Denkmäler befinden sich an dem Orte, dem wir in baulicher Hinsicht
das beste Vermögen zutrauen dürfen, in Mailand.
Die Aufgabe ist erstmals bestimmt gestellt und innerhalb der eben
bezeichneten Grenzen gelöst in SANT AMBROGIO (Taf. 45 , Fig. 4,
158, Fig. 1, 161, Fig. 1). Das ganze System des Aufbaues wird von
dem Gedanken der Anordnung und Sicherung der Gewölbe beherrscht.
Die grossen Gewölbe des Mittelschiffes sind mit halbkreisförmigen Dia-
gonalrippen (rechteckigen Querschnittes) versehen, haben also Kuppel-
form (S. 309); auch die Gewölbe der Seitenschiffe steigen gegen den
Scheitel an und ihre Gratlinien verschwinden gegen oben in der Ge-
wölbefläche. Die Pfeiler sind der Struktur der Gewölbe und der auf-
zunehmenden Bogen entsprechend organisiert, vollkommener die Haupt-
pfeiler, weniger streng die Zwischenpfeiler. Das Prinzip ist, an den
Hauptpfeilern jedem Vorsprung der Bogen, sowie jedem Gewölbegrat,
resp. Rippe, einen Vorsprung des Pfeilers entsprechen zu lassen. —
Bei der kuppclförmigen Gestalt der grossen Gewölbe konzentriert sich
der Gewölbeschub nicht einzig auf die Pfeiler, sondern er äussert
seine Wirkung im ganzen Umfange des Schildbogens und zwar nächst
den Pfeilern am stärksten im Scheitel des letztern. Da die Obermauer
nicht die zur Paralysirung dieses Schubes erforderliche Stärke hat.
wurden besondere Vorkehrungen nötig. Diese bestehen in erster Linie
darin, dass man die Obermauer nicht freistehend aufführte, sondern
die Seitenschiffe mit einer Empore versah, welche bei niedrigeren
Höhenverhältnissen die Disposition der Seitenschiffe wiederholt und
sich wie diese in grossen Bogen gegen das Mittelschiff öffnet. Durch
diese Anlage ist eine Verstärkung der Widerlager auf die ganze Aus-
dehnung der Hochschiffsmauer erreicht. Entsprechend der Kräfte-
verteilung in den grossen Gewölben sind dann noch weitere Ver-
stärkungen angebracht. Den am meisten beanspruchten Hauptpfeilern
legen sich seitlich in zwei Geschossen die Gurtbögen der Seitenschiffe,
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Elftes Kapitel . Der Gewölbebau in Oberitalien und den Alpenlandern.
resp. Emporen , vor und die letzteren sind überdies mit Mauersporen
übermauert, welche auch über den Gurtbogen des Mittelschiffes fort-
gesetzt sind (Taf. 92, Fig. 14). Sporen gleicher Art über den Zwischen-
pfeilern der Emporen sichern die Scheitel der Schild bogen des Haupt-
schiffs. Durch das System der doppelten Gurtbogen mit ihren Ueber-
mauerungen wird ein Teil der in den Gewölben auftretenden Kräfte
in die Richtung der Pfeiler, der andere auf die Umfassungsmauern der
Seitenschiffe, welche den Gurtungen entsprechend durch stärkere und
schwächere Strebepfeiler gegliedert sind, übergeführt. Im Hinblick
auf die letzteren konnten die Umfassungsmauern selbst sehr dünn
gehalten werden. — Das Struktursystem erreicht seinen Zweck voll-
ständig, es bedingte aber eine sehr tiefe Lage für die Kämpfer der
Mittelschiffsgewölbe und damit Verzicht auf selbständige, seitliche Be-
leuchtung des Mittelschiffes. S. Ambrogio ist mithin keine Basilika,
sondern eine Art Hallenkirche und also das Ziel, eben die Wölbung
der Basilika, nicht ganz erreicht; innerhalb der eben angedeuteten
Beschränkung aber ist die Aufgabe mit vieler Umsicht gelöst.
Die als Klostergewölbe behandelte Kuppel über dem vierten Joche
ist in ihrer jetzigen Gestalt, namentlich dem eleganten äusseren Aufbau,
von ca. a. 1200, doch war dieses Joch schon ursprünglich mit einem
(turmartigen?) Aufbau versehen. Hingegen mit dem Langhause gleich-
zeitig ist die merkwürdige zweigeschossige Vorhalle, welche sich der West-
seite vorlegt. Das Erdgeschoss ist mit Kreuzrippengewölben, das obere,
welches, der Dachneigung folgend, nach der Mitte ansteigt, in den
seitlichen Jochen mit einfachen Kreuzgewölben, im mittleren mit einem
Tonnengewölbe überdeckt (Taf. 161, Fig. 1). Zur Sicherung gegen
den Gewölbeschub sind eiserne Zugstangen angebracht. Das Ober-
geschoss öffnet sich nach aussen in fünf grossen, nach der Kirche in
drei etwas kleineren Bogenstellungen, durch welche im Zusammenwirken
mit der Kuppel dem Innern ein nicht eben reichliches, aber aus-
reichendes Licht zugeführt wird. Der Innenraum hat infolge der tiefen
Lage der Hochschiffsgewölbe etwas Gedrücktes.
Wir haben S. 188 ff. die Ansicht ausgesprochen, die Gewölbe des
Mittelschiffes von S. Ambrogio möchten dem übrigen Bau nicht gleich-
zeitig sein. Ein eingehenderes Studium des sehr konsequenten Struktur-
systemes, sowie erneute Untersuchung des Monumentes lassen uns diese
Ansicht jetzt nicht mehr festhalten. Bei den Bauten mit Gurtbogen,
auf deren Analogie S. 190 verwiesen ist, finden wir bei vielfachen
Anklängen doch auch sehr wesentliche Unterschiede. Was zunächst
S.Celso in Mailand betrifft, so ist die Uebereinstimmung mit S. Ambrogio
allerdings eine grosse, keineswegs aber eine vollständige, und mehr
eine formale, als eine struktive. Indem man hier von den Emporen
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442
Zweites Buch : Der romanische Stil.
absah, war man während der Ausführung genötigt, auch die Mittel-
schiffsgewölbe aufzugeben und zum offenen Dachstuhl auf Gurtbogen
zurückzukehren. In S. Miniato bei Florenz und S. Zeno zu Verona
weist die Bildung der Pfeiler darauf hin, dass niemals Gewölbe be-
absichtigt waren. Auch die Kathedrale zu Modena war nur auf ein
Gurtbogensystem ohne Gewölbe angelegt. In S. Ambrogio dagegen
ist in den Pfeilern das ganze Gewölbesystem, Gurtbogen, Schildbogen
und Rippen vorgebildet und es stehen die einzelnen Vorsprünge
in Verband), so dass die ursprüngliche Absicht zweifellos auf Rippen-
gewölbe im Mittelschiff gerichtet war. Ist damit nun freilich die Mög-
Tieferlegung der Kämpfer entfernt wurde. Bestimmte Anhaltspunkte zur
Beantwortung dieser Frage bietet zunächst die Fassade. Die Durch-
brechung derselben durch ungewöhnlich grosse Fenster erklärt sich nur
aus der Absicht, den sonst mangelhaft beleuchteten Innenraum aus-
reichend zu erhellen. Wäre ein höher geführter Lichtgaden vorhanden
gewesen, so würde sich der Giebel der Fassade nicht dem Querschnitt
angeschlossen haben, sondern er wäre niedriger gewesen, als das
Mittelschiff. Ferner beweist die Höhenlage der Trompen, welche zum
Achteck der Kuppel über dem vierten Joche überführen und welche der
Erbauungszeit angehören, dass die Gurtbogen niemals eine höhere
Lage gehabt haben können. Alle diese Momente weisen darauf hin,
dass ein Lichtgaden niemals vorhanden und dass der Bau schon ur-
sprünglich gewölbt war.
Dieses Ergebnis stellt uns wieder vor die Frage der Erbauungszeit
des ganzen Gebäudes. Die Gründe, welche verbieten, das System vor
Pfeiler von S. Ambrogio. (Dartcin.)
lichkeit, dass diese vielleicht
erst später zur Ausführung ge-
langten, nicht von vornherein
ausgeschlossen , so kommen
doch noch weitere Momente
hinzu, welche für die Gleich-
zeitigkeit der Gewölbe mit dem
übrigen Bau sprechen. Hätte
man bei einer ersten Bau-
periode auf die beabsichtigte
Wölbung verzichtet, so würde
man dafür zweifellos einen
Lichtgaden eingeführt haben.
Es wird sich also fragen , ob
nicht etwa ein solcher vorhan-
den war und bei Ausführung
der Wölbung und einer damit
in Zusammenhang stehenden
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Elftes Kapitel: Der Gewölbebau in Oberitalien und den Alpenländern. 443
Anfang saec. 11 zu setzen, sind eingangs erörtert. Auch das De-
tail gestattet keine frühere Datierung. Die untere Grenze sodann
ergibt sich aus dem Vergleich mit S. Michele zu Pavia. An dieser
Kirche ist nicht nur das System fortgeschrittener, sondern auch das
Detail steht bei aller Roheit der Ausführung auf einer höheren Ent-
wicklungsstufe. S. Michele muss dem beginnenden 12. Jahrhundert
zugeschrieben werden. Wir sind also für die Datierung von S. Am-
brogio auf das 1 1 . Jahrhundert beschränkt, innerhalb dieses Zeitraumes
aber fehlen die Anhaltspunkte zu einer genaueren Altersbestimmung
und wir können nur vermutungsweise aussprechen, dass es eher in
dessen zweiter, als erster Hälfte entstanden sein wird ').
Das System von S. Ambrogio weicht so sehr vom Aufbau der
altchristlichen Säulenbasilika ab, dass die Frage nach seiner Herkunft
sich unabweisbar aufdrängt. Ist es von auswärts eingeführt? ist es eine
lombardische Erfindung? und wenn letzteres, woher sind die Kon-
struktionsmotive genommen? Sucht man nach auswärtigen Einflüssen,
so können für solche nur Südfrankreich und Burgund (Cluny) in Frage
kommen. In beiden Ländern haben die ältesten Bauten (S. Guilhem
du de'sert, Puysalicon, Tournus) mit den lombardischen einige Ana-
logien formaler Art; die Gewölbesysteme, welche sie anstreben und
auch erreichen, sind dagegen ganz andere und beruhen auf der Kora-
bination von Tonnengewölben, oder von Tonnen- im Mittelschiff und
Kreuzgewölben in den Seitenschiffen. Auch die formalen Analogien
verschwinden mit dem Vordringen der romanischen Renaissance in
Burgund und Südfrankreich. Erst aus der Spätzeit der romanischen
Epoche besitzt Piemont einige Kirchen, welche entschieden unter süd-
französischem Einfluss stehen. Von Deutschland konnten konstruktive
Anregungen im 11. Jahrhundert noch nicht ausgehen. So müssen wir
das System als ein autochthones ansehen. Seine struktiven Grund-
gedanken aber sind nichts anderes, als Uebertragungen aus dem
Zentralbau. Italien hat im Zentralbau die Gewölbetechnik das ganze
Mittelalter hindurch auf einer achtenswerten Höhe erhalten. Man war
zu jeder Zeit der Lösung bedeutender Aufgaben gewachsen. Im 11. und
im beginnenden 12. Jahrhundert entstanden das Baptisterium zu Florenz,
S. Nazaro Grande zu Mailand, der Umbau von S. Marco zu Venedig,
die Erneuerung der Kuppel von S. Lorenzo und vielleicht früher als
alle diese wurde die grosse Rotunde von Saint Benigne zu Dijon von
einem Lombarden, dem Abte Wilhelm, ausgeführt. Die gleichen kon-
struktiven Hilfsmittel wie an S. Ambrogio, — gewölbte Seitenräume
mit Emporen, an den Pfeilern verstärkt durch durchbrochene Strebe-
') Mit der Kirche ist das Atrium nahezu gleichzeitig. Wir wollen , obwohl der
Wortlaut des Epitaphs nicht dazu zwingt, nicht bestreiten, dass Anspert ein Atrium an
S. Ambrogio erbaut habe; das bestehende ist zweifellos nicht sein Werk.
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1
Zweites Buch: Der romanische Stil.
III
mauern, Uebermauerung der letzteren mit ansteigenden Mauersporen —
rinden wir auch an den grösseren und reicher ausgebildeten Zentral-
bauten. Man vergleiche den Querschnitt von S. Ambrogio Taf. 92,
Fig. 14 mit dem von S. Vitale Taf. 39, Fig. 13, oder S. Fedele zu
Como Taf. 40, Fig. 5. — Emporen waren schon an den Basiliken des
frühen Mittelalters nicht selten, es handelte sich also hauptsächlich
darum, für die quadratischen oder rechteckigen Abteilungen des Mittel-
schiffes eine geeignete Gewölbeform zu finden. Die Kuppel, wie sie
bei runden oder polygonen Zentralbauten leicht auszuführen war, ver-
langte über quadratischem Grundriss Hilfskonstruktionen, welche sich
dem übrigen System nur schlecht einordnen Hessen; das Kreuzgewölbe
nach römischer Art ergab eine zu grosse Last, um sich einem Pfeiler-
system anpassen zu lassen , welches einen möglichst freien Blick in
die Seitenschiffe ermöglichen sollte, es war zudem in so grossen Di-
mensionen längst ausser Gebrauch. Man griff also zu der sehr ent-
sprechenden Form des kuppeiförmigen Rippengewölbes. Dasselbe ist,
so wie es in S. Ambrogio ausgeführt ist, eine Hängekuppel mit
untergelegten (mit dem Gewölbe nicht in Verband stehenden) Rippen.
Form und Ausführung der Gewölbe weist also ebenso wie der Strebe-
apparat auf die Herkunft aus dem Zentralbau. Neu ist nur die Ver-
stärkung durch Diagonalrippen, welche nebenbei den Zweck gehabt
haben mögen , die Ausführung zu erleichtern. Aber auch dieser Ge-
danke ist in den römischen Kreuzgewölben schon vorgebildet, wenn-
gleich sie in letzteren , entsprechend der verschiedenen technischen
Herstellungsweise, in der Gewölbefläche liegen (S. 130).
So sinnreich das Struktursystem von S. Ambrogio gedacht ist,
es repräsentiert eine Entwicklungsstufe, auf welcher man nicht be-
harren konnte. Das Ziel, die Wölbung der Basilika, war mit dem
grossen Aufwände struktiver Hilfsmittel doch nicht erreicht worden.
Wollte man auf die eigene Beleuchtung des Mittelschiffes ein für
allemal verzichten, so konnte man die Wölbung mit geringerem kon-
struktivem Aufwände durchführen. Die Entwickelung geht daher zu-
nächst in zwei Richtungen auseinander: die eine führt zur Gewölbe-
basilika mit Emporen, die andere zur Hallenkirche. — Vom System von
S. Ambrogio bis zur Gewölbebasilika mit Emporen war nur ein
einziger Schritt (vgl. die Querschnitte Taf. 158, Fig. 2, Taf. 159, Fig. I):
Höherlegung der Kämpfer der Hauptschiffgewölbe bei entsprechender
Weiterbildung des Strebesystems. Auch die letztere erfolgt nach der
schon in S. Ambrogio angegebenen Idee, d. i. durch Strebemauern,
welche jetzt über die Seitenschiffsdächer in einer diesen parallelen
Neigung hinausgeführt werden. Sie leisten genau denselben Dienst, wie
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Elftes Kapitel: Der Gewölbebau in Oberitalien und den Alpenländern. 445
die ein halbes Jahrhundert später ausgebildeten Strebebogen der franzö-
sischen Gotik, wirken aber in der Aussenansicht weniger störend als diese
— wenigstens bei der in Italien üblichen geringen Ueberhöhung der
Sargwand des Mittelschiffs über das Dach des Seitenschiffs — , weshalb
denn die italienische Baukunst auch weiterhin, sowohl in der gotischen
wie in der Renaissanceepoche, diese Art der Verstrebung keineswegs
aufgegeben, vielmehr ihr vor dem nordischen Strebebogen in der Regel
den Vorzug gegeben hat. — Was die lombardisch-romanische Hallen-
kirche betrifft, so gelangt sie allerdings nicht bis zu vollkommen
reiner Ausprägung ihres Gattungsbegriffs, d. h. zu der in allen Schiffen
gleichen Höhenlage der Gewölbekämpfer ; aber das Mass, um welches
diejenigen des Mittelschiffes höher liegen, ist immer klein genug, um
seitliche Oberlichter auszuschliessen. Die Emporen dagegen werden
aufgegeben , desgleichen das gebundene System und an Stelle der
quadratischen Joche im Mittelschiff treten querrechteckige. Die Monu-
mente dieser Gruppe kommen an künstlerischem Werte den grossen
Gewölbebasiliken nicht gleich, ihre entwickelungsgeschichtliche Be-
deutung aber ist keine geringe. Denn sie führen in ihrer weiteren
Fortbildung wieder zur Basilika zurück und zwar zur Basilika ohne
Emporen. Wir finden unter diesen kleineren Bauten solche, welche
das gebundene System unter Abänderung der kuppelförmigcn Gewölbe
in Kreuzgewölbe mit vollständig oder nahezu horizontal verlaufenden
Scheitellinien beibehalten, daneben solche, bei welchen die Zahl der
Joche im Mittelschiff und Seitenschiffen die gleiche ist. Dieselben
befolgen entweder die bei den Hallenkirchen übliche Disposition mit
querrechteckigen Jochen der Mittelschiffe und quadratischen in den
Seitenschiffen , oder sie haben im Mittelschiff quadratische Joche,
während die Gewölbe der Seitenschiffe eine in der Längenrichtung
gestreckte Form erhalten. Es ist letzteres das System, welches nach-
mals in den grossen gotischen Bauten : S. Maria del Fiore zu Florenz,
S. Petronio zu Bologna, im Dom von Como und in der Certosa bei
Pavia seine höchste Entfaltung findet. Vorzüglich charakteristisch für
diesen Typus, und zwar gleichfalls bis in die gotische Epoche hinein,
ist die dem Prinzip der Hallenkirche verwandte Neigung, die Seiten-
schiffe sehr hoch zu führen, bis zu einer relativ geringen Differenz
mit dem Hauptschiff.
Wie sich die verschiedenen Formen zeitlich zu einander verhalten,
wie sie sich gegenseitig beeinflusst haben, wird sich mit voller Sicher-
heit nicht mehr nachweisen lassen. Manches spricht dafür, dass an-
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446
Zweites Buch; Der romanische Stil.
fangs die Hallenform vorgeherrscht hat Die Monumente, welche hier
in Frage kommen, gehören nach ihrer mangelhaften Pfeilerbildung
und ihrem Detail sicher zu den ältesten lombardischen Gewölbebauten.
Auch das lombardische Fassadensystem scheint sich an der Hallen-
kirche ausgebildet zu haben, welcher es vollkommen entspricht,
wahrend es für die Basilika keine innere Berechtigung hat.
BASILIKKN MIT EMPOREN. Ihrer Bedeutung nach stehen
diese unter den lombardischen Gewölbebauten in erster Linie. Der
Bau, an welchem man den ersten Schritt über S. Ambrogio hinaus
that, scheint S. Michei.e zu Pavia gewesen zu sein. Die Kirche hat
im System des Langhauses (Taf. 158, 161) die grösste Aehnlichkeit
mit S. Ambrogio, der wesentliche Unterschied besteht nur in der höheren
Lage des Hauptgewölbes. Allein man hatte auf die Sicherung dieser
letzteren nicht genügend Bedacht genommen und sie mussten Ende
saec. 15 erneuert werden. (Das System in seiner jetzigen Gestalt bei
Reynaud, Traite* de l'architecture II. pl. 34, 35.) Die Ansätze der alten
Gewölbe sind über den jetzigen, die Oberfenster auch am äusseren
noch sichtbar. Auffallend ist das völlig andere System des Quer-
schi fies : die Wände durch schlanke Blendarkaden gegliedert, über
diesen ein leichtes Kämpfergesimse, welches ein Tonnengewölbe auf-
nimmt. Die Vierung mit einem achtseitigen Klostergewölbe bedeckt.
Unter der Halbkuppel der Apsis ähnliche Wandarkaden wie im
Querschiflf. Das Motiv ist sonst der lombardischen Innenarchitektur
fremd, auch die Mehrzahl der Seitenkapellen ist nicht lombardisch.
Ein Blick vom Langhause nach dem QuersehifF erinnert lebhaft an
frühe cluniacensische Anlagen (z. B. La Charit^). Dürfen wir hier clu-
niacensischen Einfluss erkennen? Wir möchten die Frage zum mindesten
nicht verneinen, darf doch das Vorkommen des gleichen Motives an
der Kirche zu Limburg a. H. ebenfalls mit gewisser Wahrscheinlichkeit
auf Burgund zurückgeführt werden. Leider sind wir über die Verhält-
nisse des Klerus von S. Michcle nur mangelhaft unterrichtet. Von
einem anderen Kloster Pavias, S. Pietro in ciel d'oro, sind frühe Be-
ziehungen zu Cluny bekannt. Könnte für S. Michele ein gleiches
angenommen werden, so müsste die Kirche wenigstens an ihren öst-
lichen Teilen vor a. 1089 (Neubau von Cluny) begonnen sein. Ein
anderer Anhaltspunkt für die Datierung ist, dass die im Detail mit
S. Michele nahe verwandte Kirche S. Pietro in ciel d'oro a. 1132
vollendet, die ganz nach S Michele kopierte zu Klosterneuburg a. 11 14
bis 1136 erbaut ist. Anderseits gestattet das Detail nicht, über die
letzten Dezennien saec. 1 1 zurückzugreifen.
Man hat, am eingehendsten Reynaud a. a. O. II. S. 603, an dem
Gebäude auf Grund des Vorkommens verschiedener Baumaterialien
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Elftes Kapitel: Der Gewölbebau in Oberitalien und den Alpenländern.
(Kalkstein, Sandstein und Backstein) verschiedene Bauperioden zu
konstatieren gesucht, allein die Art, wie diese Materialien nebeneinander
verwendet sind, spricht für eine einheitliche Bauführung, nur der äus-
sere Aufbau der Vierungskuppel und einige geringfügige Reparaturen
an den obersten Teilen der Mauern gehören späterer Zeit an.
S. Michele ist der Bau, an welchem sich der Geist der lombar-
dischen Architektur am reinsten und entschiedensten ausspricht. Die
Kirche hat einen ungewöhnlich bestimmten künstlerischen Charakter
und übertrifft in dieser Hinsicht den im ganzen wohl höher stehenden
Dom zu Parma. Die Verhältnisse haben gegen S. Ambrogio durch
die Ueberhöhung der Sargmauer sehr gewonnen, die Gliederung ist
kräftig, ein altertümlich strenger Ernst waltet in dem Räume. Das
Dekorationssystem steht in innigem Zusammenhange mit der Kon-
struktion, die Wandflächen sind in Backstein (unverputzt), die tragenden
Glieder und die Gesimse in Haustein ausgeführt. Das Detail flüchtig,
ja teilweise roh, aber niemals kleinlich, ist von trefflichster dekorativer
Wirkung. Neuerlich von Carlo und Siro dell Acqua gut restauriert.
— Verwandt und nach Ausweis des Details ungefähr gleichzeitig mit
S. Michele war unter den Kirchen Pavias noch S.Giovanni in Borgo;
i 8 i i abgebrochen (Grundriss Tat" 156, Fig. 5).
Der Dom zu Parma (Taf. 159, Fig. 1, Taf. 162, Fig. 2). Nach
vernichtendem Brande a. 1058 begann Bischof Cadalus einen Neubau,
der a. 1074 als fast vollendet bezeichnet wird, aber erst a. 1106 die
Schlussweihe erhielt; ein Erdbeben a. 11 17 machte durchgreifende
Erneuerung nötig, die sich bis ins 13. saec. fortzog. Wahrscheinlich
noch jener ersten Epoche gehören Chor und Querschiff in ihren unteren
Teilen an. Das Langhaus, dessen Mittelschiff breiter ist als die Vierung,
ist völliger Neubau des saec. 12. Es umfasst sieben Joche, in den
sechs westlichen mit Wechsel stärkerer und schwächerer Pfeiler. Mit die-
ser Pfeilerbildung steht das Gewölbesystem (rechteckige Kreuzgewölbe)
nicht in Einklang, der Wechsel des Planes hat indes im Laufe einer
nicht allzulangen Bauausführung stattgefunden. Man möchte nach der
Anordnung von drei Vorsprüngen über dem Haupt- und einem über
den Zwischenpfeilern sechsteiligen Kreuzgewölbe als beabsichtigt ver-
muten; allein diese Form kommt in der lombardisch- romanischen
Architektur sonst nicht vor ; wahrscheinlicher sollte der Dienst vor den
Zwischenpfeilern nur bis zum Gurtgesimse geführt werden, dann wäre
das ursprünglich beabsichtigte Gewölbesystem das gleiche gebundene
wie in S. Michele zu Pavia u. s. w. gewesen — Die Kathedrale von
Parma ist alles in allem das vollendetste Werk der lombardisch-roma-
') Die vier Bogenöffnungen der Emporen dürften ursprünglich von einem grosseren
Blendbogen umschlossen gewesen sein, welcher im saec. 16 beseitigt wurde, um Raum
für die Gemälde zu gewinnen.
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448
Zweites Buch: Der romanische Stil.
nischen Baukunst. Die kleinen Inkonsequenzen der Ausführung, wie
das trockene Detail vermögen die grossartige und harmonische Gesamt-
wirkung nicht wesentlich zu beeinträchtigen. System und Querschnitt
sind hoch und schlank und von schönsten Verhältnissen; äusserst
imposant die grosse Treppe, welche vom Mittelschiff zum erhöhten
QuerschifT und Chor führt.
Eine verkleinerte Kopie von Parma ist die Kirche von Borgo
S. Donnino (Taf. 162). Die oberen Teile erheblich jünger als die
unteren (Knospenkapitelle); die Emporen nicht gewölbt; die Hochschi ffs-
gewölbe durch hohe Strebemauern verstrebt.
Die beiden letztgenannten Monumente sind in ihrem System teil-
weise von der Kathedrale von Moden a (Taf. 162) abhängig ,). Dieser
a. 1099 begonnene Bau war ursprünglich flachgedeckt (vgl. S. 240).
Die Fenster des Mittelschiffes werden teilweise von den Gewölben
überschnitten, stehen aber in der Mitte der Blendbogen, welche jetzt
nur noch zur Hälfte sichtbar sind. Noch deutlicher ist das Gleiche
des Mittelschiffes deren zwei in den Seitenschiffen , während aussen
der gleiche Raum in drei Arkaden getheilt ist (vgl. den Grundriss
Taf. 66). Man hat sich über diese Inkonsequenz gewundert, dieselbe
war aber ursprünglich gar nicht vorhanden, sondern es waren, wie über
einigen der grossen Altäre noch zu sehen, auch im Inneren drei Blend-
arkaden, welche jetzt in sehr unschöner Weise vom Gewölbe durch-
schnitten werden (s. die obenstehende Figur). Die Wölbung dürfte im
Laufe des 13. Jahrhunderts ausgeführt worden sein, wenigstens sind die
Gewölbe des östlichsten Joches (Chor) und der querschiffartige Giebel-
aufbau über dem südlichen Seitenschiffe aus dieser Zeit (Knospenkapitelie).
Das System der Gewölbebasilika mit Emporen finden wir auch
nördlich der Alpen in einer Weise, welche mit den prinzipiell verwandten
Anlagen am Niederrhein ausser Zusammenhang steht und auf unmittelbare
Uebertragung aus der Lombardei weist. — Grossmlnster in Zürich
(Taf. 158, 161); begonnen a. 11 04, in sehr langsamer Ausführung erst
1289 vollendet. Die Anlage des Langhauses ganz lombardisch, die Aus-
') Der Dom von Modena war früher im Inneren verputzt , während jetzt die
Backsteinmauern wieder sichtbar sind. Bei dieser Restauration wurde auch der in unserer
Zeichnung noch angegebene Kreuzbogenfries entfernt.
L
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Elftes Kapitel: Der Gewölbebau in Oheritalien und den Alpenländern.
fiihrung roh. Vielleicht nur noch indirekt zeigt sich der lombardische
Einfluss in dem nach a. 1185 begonnenen Munster zu Basel (Taf.
158, 161); er ist unverkennbar im Aufbau des Langhauses und in manchen
Details (Galluspforte), die Choranlage dagegen hat nichts Italienisches ;
das a. 1258 erneuerte Gewölbe hatte schon anfänglich spitzbogige Gurt-
und Schildbogen. — Eine zweite Gruppe scheint ihren Mittelpunkt in
Salzburg gehabt zu haben. Es ist zunächst ein äusserst merkwürdiges
Gebäude zu erwähnen, die Kirche zu Klosterneuburg bei Wien
(Taf. 163 a). Die Baugeschichte ist gut überliefert. Markgraf Leo-
pold IV. von Oesterreich hatte 1106 eine fromme Stiftung gemacht
und 11 14 den Grundstein zu einer grossartigen Kirche gelegt, welche
den Chorherren von S. Augustin übergeben wurde. Die Kirche war
11 36 vollendet und wurde am 29. September geweiht. Probst Bernhard
(1630 — 1634) unterzog die Kirche einer tiefgreifenden Umgestaltung,
bei welcher indes die grossen Gewölbe des Mittelschiffes erhalten
blieben. Auch sonst blieb so viel vom Alten bestehen , dass Ober-
baurat Frhr. v. Schmidt, dessen Güte wir die Zeichnungen verdanken,
eine in allen wesentlichen Stücken vollkommen zuverlässige Rekon-
struktion machen konnte. Das System des Langhauses war eine un-
mittelbare Kopie von S. Michele zu Pavia, auch Detail und Technik
lombardisch. — Der a. 1181 begonnene alte Dom zu Salzburg, aus
alten Abbildungen nur mangelhaft bekannt, war ein Gewölbebau mit
zweigeschossigen Abseiten. C. C. Mitth. 1887, S. LXXXI. — Die Pfarr-
kirche zu Reichenhall (Taf. 163 a), begonnen 1181, ist leider durch
eine Restauration und Erweiterung für die Untersuchung fast verloren,
doch lässt sich noch konstatieren , dass die Kirche von Anfang an
gewölbt war und wenigstens im östlichen Joch Emporen hatte (diese
gewölbt); ob die flachgedeckten Emporen der folgenden Traveen ur-
sprünglich sind, müssen wir dahingestellt sein lassen; v. Herrmann,
welcher die Kirche vor dem Umbau untersucht hat, bestreitet es. —
Die alte Pfarrkirche, jetzt Franziskanerkirche zu Salzburg, hatte
anscheinend eine ähnliche Anlage, ist indes gerade an den Hochmauern
des Langhauses umgestaltet und bedarf näherer Untersuchung. — Von
Salzburg aus scheinen sich dann durch die Beziehungen Erzbischof
Konrads zu den Augustinern und zu Kaiser Lothar vereinzelt lom-
bardische Einflüsse bis nach Norddeutschland geltend gemacht zu haben.
Wir nehmen solche an den Kirchen zu Klosterrath und Königslutter
wahr, zunächst und zweifellos in manchen Einzelheiten, vielleicht auch
in der Anlage auf Gewölbe. Beide gehören zu den frühesten Gewölbe-
bauten der betreffenden Gegenden.
Nur noch in lockerem Zusammenhange mit dem bisher betrachteten
System stehen die Kathedralen von Piacenza und Cremona. Die
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
erstere (Taf. 156, 162) wurde begonnen a. 1122 und war a. 11 58
teilweise so weit gefördert, dass sie in Benutzung genommen werden
konnte; vollendet erst im 13. saec. Sie ist die grossräumigste aller
lombardisch-romanischen Kirchen, ebenso reich an grossen Schönheiten
wie an unerträglichen Disharmonien. Die allgemeine Idee ist dem Dom
von Pisa entlehnt mit Anpassung auf die Gewölbekonstruktion. Viel-
leicht aber war schon der erste Meister über die Lösung nicht bis in
alle Konsequenzen sich klar; den Nachfolgern gebricht es nicht an
bedeutenden Gedanken , aber sie verderben dieselben der eine dem
andern. Das Querhaus ist der ältere Teil und könnte wohl bis a. 11 58
vollendet gewesen sein; die Gewölbe ohne Rippen; eine Hallenanlage
von drei gleich breiten und gleich hohen Schiffen ; nur an den beiden
Enden sinken in der letzten Travee die Seitenschiffe zur halben Hohe
herab, so dass das System hier basilikal wird; das Ganze von eigen-
artiger und grandioser Wirkung. Zu einem wahren Unglück wird das
Schwanken der Bauführung in der Kreuzung, da das Querhaus zwar
höher als die Seitenschiffe des Langhauses, aber niedriger als dessen
Mittelschiff ist (vgl. Fig. 6 u. 7 auf Taf. 162). Dann die Disposition
der Kuppel, welche nicht wie in Pisa auf alle drei, sondern nur auf
zwei Schiffe des Querhauses sich bezieht ; für sich betrachtet ein hohes
Lob verdienendes Prachtstück, passt sie an dieser Stelle wie die Faust
aufs Auge. Wenden wir uns dann zum Langhause (Fig. 6), so zeigen
die Scheidebogen dieselbe Höhe, die Rundpfeiler dieselben Masse und
Formen wie in den basilikalen Schlusstraveen des Querhauses. War
ursprünglich das System des Langhauses ganz übereinstimmend gedacht?
Sicher sollte es nicht das gebundene, sondern sollten die Pfeiler unter
sich gleich, die Gewölbe querrechteckig sein. Endlich der den Ober-
bau ausführende Meister des 13. saec. war schon ganz mit franzö-
sischer Frühgotik erfüllt; die Vermittelung seiner sechsteiligen Gewölbe
mit den alten Rundpfeilern konnte nicht übler geraten; kleinlich und
müssig ist das Galeriemotiv. Vermöchte man über die leider so zahl-
reichen abstossenden Einzelheiten hinwegzusehen, so würde die Kathe-
drale von Piacenza vermöge ihrer Gross- und Wohlräumigkeit als eines
der besten mittelalterlichen Bauwerke Oberitaliens erscheinen. — Die
Kathedrale von Cremona (Taf. 157, 162) ist erbaut a. 1 107— 1 190.
Auf das gebundene System angelegt, endet der Bau mit schmalen
Rechteckgewölben. Die unter dem Einfluss von Piacenza hinzugefügten
Kretizflügel vermeiden zwar den hässlichen Einschnitt in das Haupt-
schiff, bleiben aber deshalb auch nur isolierte Anhängsel ohne Wert
für den Gesamteindruck.
HALLENKIRCHEN. Nur wenige Beispiele sind von dieser wahr-
scheinlich gar nicht selten verwendeten Anlage erhalten. In Mailand
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Elftes Kapitel: Der Gewolbebau in Oberitalien und den AHenländern. 4^1
zwei mit S. Ambrogio ungefähr gleichzeitige, oder wenig jüngere;
die eine, S. Kustorgio, ist leider durch spätere Umbauten und neue
Restaurationen so vielfach verändert, dass sich die ursprüngliche Ge-
stalt kaum mehr feststellen lässt. Die Kirche hat ziemlich grosse
Dimensionen, in der Längenrichtung umfasst sie acht Gewölbejoche.
Mailand S. EttStorfftO. (D:«rt<-ii>. Boold.]
ä
\/r
Am geringsten sind die Veränderungen an den drei westlichen Jochen
(s. die nebenstehende Fig.), doch sind auch in diesen gerade die Mittel-
schi ff sge wölbe zweifellos nicht mehr die alten. Der Höhenunterschied
der Kämpfer in Mittelschiff und Seitenschiffen ist ein ziemlich grosser,
doch nicht so gross, dass über dem Dachansatze der Seitenschiffe
Raum für Oberfenster da wäre; es geht vielmehr ein einheitliches Dach
über alle drei St hiffe. In den vier folgenden Jochen ist die Kämpfer-
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Zweites liuch: Der romanische Stil.
höhe in den Seitenschiffen ebenso hoch wie im Mittelschiff, eine in
der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts vorgenommene Aenderung.
bei welcher altes Detail wieder verwendet wurde. — S. Babila, kleiner,
roher und gleichfalls stark mutiert, die Hallenanlage aber zweifellos
ursprünglich. — Das gleiche System findet sich an einer Kirche zu
Vekcelm, an der Vorhalle von S. Eufemia zu Piacenza u. a. Auch
das oben beschriebene mächtige Querhaus des Domes von Piacenza
ist eine Hallenanlage und zwar in reinster Fassung. — Möglicherweise
sind die wenigen romanischen Hallenanlagen Süddeutschlands aus lom-
bardischer Anregung hervorgegangen. Diejenigen in Piemont weisen
mit ihren Tonnen und Halbtonnen, sowie in manchen Einzelheiten
auf die Provence. Ein interessantes Beispiel bietet die beistehend
abgebildete Kirche Sta. Fede zu Cavacnolo.
BASILIKEN OHNE EMPOREN. Auch für die Basilika glaubte
man bei kleineren Abmessungen der Emporen entraten zu können.
Derartige Bauten nach dem gebundeneu System sind nicht selten.
Ausgezeichnet durch herrliches Detail aus der Spätzeit saec. 12 S. Sa-
vino zu Piacenza (Taf. 163 a), S. Pietro e Paolo in dem merkwürdigen
Kirchenkomplex von S10. Stefano zu Bologna (Taf. 159, 162), klein
und unbedeutend. Chiaravalle bei Mailand ein Cistercienserbau
(Taf. 160, 161), von ungewöhnlich breiten Verhältnissen, 1221 geweiht,
sicher schon im Laufe des saec. 12 erbaut, wenn auch nicht der
Gründungsbau von 1135. Ferner lassen das gleiche System unter der
Umhüllung mit Renaissanceformen erkennen : Sta.Eufemia zu Piacenza,
S. Giorgio al Palazzo zu Mailand u. a.
Unter den Bauten, welche das gebundene System verlassen und
nach Art der Hallenkirchen querrechteckige Joche im Mittelschiff haben,
ist S. Pietro in ciel d'oro zu Pavia (Taf. 160, 163) einer der ältesten;
1132 geweiht, die Gewölbe des Mittelschiffes jünger. Zu bedeutenden
Dimensionen steigert sich das System im Dom zu Trient (Taf. 159,
163), nach 1212 von Magister Adam aus Arognio und seinen Nach-
kommen erbaut, im Querschnitt dem Hallenprinzip sich nähernd; ferner
in der Kirche zu Inichen (Taf. 163, Fig. 2) in Tirol und in trefflicher
Ausbildung zu Altenstädt bei Schongau in Bayern (Taf. 159, 163);
in beiden letzteren sämtliche Gewölbe ohne Rippen.
Beispiele des Systeme* mit quadratischen Jochen im Mittelschiff
und länglich-rechteckigen in den Seitenschiffen bieten: S. Theodoro
zu Pavia (Taf. 160), durch Verstärkung der Pfeiler sehr verunstaltet.
Maderno am Gardasee (Taf. 159, 163); die Gewölbe des Mittelschiffes
in ihrer jetzigen Gestalt von 1575, die Vierungskuppel, auf dem Aus-
schnitt eines Kreuzgewölbes ruhend, sowie die Gewölbe der Seiten-
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Elftes Kapitel : Der Gewölbebau in Uberitalien und den Alpenländern.
schiffe alt; die Kirche wird trotz ihres sehr altertümlichen Details nicht
vor saec. 12 gesetzt werden dürfen.
Im Süden des Apennins ist uns nur ein Beispiel lombardischer
Wölbungsart bekannt: die Kirche Sta. Maria in Castello zu Corneto,
begonnen a. 1121; sie zeigt das gebundene System ohne Emporen in
Sta. Fcdc *u Cavagnolo. (l)artcin.j
reiner Ausprägung; fünf Quadrate im Hauptschiff auf zehn in den
Nebenschiffen; kein Querhaus. Die Nachbarstädte Toscanella und
Viterbo besassen lombardische Kolonien.
3. Der Grundriss.
In der lombardischen Architektur ist von einem belebenden
Einfluss des Gewölbes auf die Planbildung kaum etwas zu spüren.
Er macht sich lediglich in der Abmessung der Pfeilerabstände geltend
— und auch hier nicht zwingend , da selbst im gebundenen System
454 Zweites Buch: Der romanische Stil.
auf genau quadratische Grundform der Joche wenig achtgegeben
wurde. Gewöhnlich, zumal bei kleineren Anlagen, wurde der alther-
gebrachte ganz einfache querschiflflose Typus beibehalten (Taf. 157,
F'g- 1 — 3)- Eine leichte Veränderung trat ein, wenn über dem Chor,
wie es oft geschah, eine Kuppel beliebt wurde; das bedingte auch
für die anliegenden Abteilungen des Seitenschiffs ein abweichend ge-
staltetes, meist höher ansetzendes Gewölbe, wodurch dann wohl eine
Art von Querschiff entstand, jedoch immer unter Vermeidung seit-
lichen Vorspringens (Taf. 156, Fig. 5, Taf. 157, Fig. 4, 6, 7).
Bedeutendere Abweichungen von dieser einförmigen Durch-
schnittsgestalt weisen immer auf fremde Anregung.
In der Kathedrale von Piacenza (Taf. 156) ist die zu Pisa etwas
unüberlegt nachgeahmt; welche Schwierigkeiten daraus für das Gewölbe-
system erwuchsen, wurde oben ausgeführt. Die Kreuzarme der Kathe-
drale von Cremona (Taf. 157) dagegen sind ein unorganisches An-
hängsel, mehr als hundert Jahre jünger als das Langhaus. Nachahmung
des Pisaner Domes will man gewöhnlich auch in Parma (Taf. 156)
erkennen. Durchaus ein Irrtum. Schon wegen der Chronologie : Chor
und Querhaus zu Parma sehr wahrscheinlich von 1058, Pisa 1063. Das
einzige Motiv, worin Aehnlichkeit besteht, die Apsiden an den Stirn-
seiten des Querhauses, ist keineswegs allein oder auch nur zuerst in
Pisa vorgebildet. Die strenge Quadrateinteilung im Chor und Querhaus
des Domes von Parma ist ein der italienischen Baukunst bis dahin fremd
gebliebener Formgedanke, er weist sehr entschieden auf Deutschland
hin, ja noch bestimmter: die hohe Treppe hinaufschreitend und in
diesen Räumen sich umschauend, wird man unwillkürlich und stark
an den Dom von Speier erinnert. Der Erbauer, Bischof Cadalus, war
einer der treuesten Anhänger und Ratgeber der Kaiser Heinrich III. und
Heinrich IV.; im Jahre 1061 wurde er auf der Synode von Basel unter
dem Namen Honorius II. zum Gegenpapst ausgerufen ; dass er in dieser
Form, durch Nachahmung der Lieblingsschöpfung des salischen Kaiser-
hauses, diesem seine Huldigung dargebracht habe, ist unter solchen Um-
ständen ganz begreiflich. — Beim Dom von Trient (Taf. 156), dem
einzigen, der sonst noch dies deutsche Motiv kennt, mag man zweifeln,
ob es direkt aus Deutschland oder nicht eher von Parma herstammt.
Als auffallend muss man bezeichnen, dass trotz früher und leb-
hafter Beziehung der Lombardei zu Cluny, cluniacensische Grundriss-
motive so selten sind. Am vollständigsten, im Chor wie in der von
zwei Türmen flankierten Vorhalle, treten sie in S. Jacopo zu Como
(Taf. 66) auf; rudimentär in S. Abbondio ebenda (Taf. 66) und in
S. Michele zu Pavia (Taf. 156). Der Grundriss der Cluniacenserkirche
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Elftes Kapitel: Der Gewölbebau in Oberitalien und den Alpenländern.
zu Vertemate (Taf. 66) ist, gewiss nicht zufällig, fast identisch mit
dem von Stfmur-en-Brionnois (Taf. 121). Cluniacensische Vorhallen:
S. Abbondio in Como, Badia in Sesto Calende, S. Lorenzo in Chia-
venna, S. Pietro in Pavia (beabsichtigt, aber nicht ausgeführt). Nach-
richten über die übrigen Cluniacenserkirchen Italiens fehlen.
Beschreibung der Tafeln.
_ . , „ Grundrisse.
Tafel 156.
1. Pavia: S. Miehele. — Um a. 1100. — De Dartein.
2. Parma: Kathedrale. — Chor und QuerschifT nach 1058, Langhaus
nach 1 1 1 7. — De Dartein.
3. Trient: Dom. — Beg. 1212. — Oesterr. Kunstdenkmale I.
4. Padua: Sta. Sofia. — Langhaus nach a. 1100, der äussere Halb-
kreis des Chors älter (? saec. 6). — De Dartein.
5. Pavia: S. Giovanni in Borgo. — saec. 12, erste Hälfte. — De
Dartein.
6. Piacenza: Kathedrale. — Beg. 1122. — Osten.
7. Zürich: Grossmünster. — 1 104— 1289. — Mitth. der antiquar.
Ges. zu Zürich, Bd. I.
8. *Basel: Münster. — Beg. 1185. — Kantonsbaumeister Reese in
Basel.
Tafel 157.
1. Casale Monferrato: S. Evasio. — Osten.
2. Cremona: Kathedrale. — Langhaus saec. 12, Querhaus saec. 13. —
Oesterr. Kunstdenkmale.
3. Bologna: S. Pietro e Paolo. — Osten.
4. * Mader no. — saec. 12. — Bezold.
5. * Altenstadt: S. Michael. — saec. 12 — 13. — Volk.
6. Pavia: S. Theodoro. — saec. 12. — De Dartein.
7. Pavia: S. Pietro in ciel (foro. — Vollendet 1132. — De Dartein.
8. Chur: Dom. — Chorbau 1178—1208. — Mitth. der antiquar.
Ges. Zürich, Bd. XI.
9. Inichen: — saec. 13. — C.-Comm. Mitth., III.
Tafel 158. Querschnitte.
1. Mailand: S. Ambrogio. — De Dartein.
2. Pavia: S. Miehele. — De Dartein.
3. * Zürich: Grossmünster. — Bezold.
4. * Basel: Münster. — Bezold.
456
Zweites Buch : Der romanische Stil.
Tafel 159.
1. Parma: Kathedrale. — De Dartein.
2. Trient: Dom. — Oesterr. Kunstdenkmale.
3. Bologna: S. Pietro e Paolo. — Osten.
4. * Altenstadt: S. Michael. — Volk, Bezold.
5. * Mader no. — Bezold.
Tafel 160.
1. Pavia: S. Pietro in ciel doro. — De Dartein.
2. Pavia: S. Theodor o. — De Dartein.
3. Chiaravalie bei Mailand. — saec. 12, 2. Hälfte. — Gruner.
4. Trau: Dom. — Nach 1185. — Jahrb. C.-Comm., V.
_ , Systeme.
Tafel 161.
1. Mailand: S. Ambrogio. — De Dartein.
2. Pavia: S. Michele. — De Dartein.
3. * Zürich: Grossmnnster. — Bezold.
4. Chiaravalie. — Gruner.
5. * Basel: Munster. — Bezold.
Tafel 162.
1. *Borgo S. Donnino. — saec. 12 — 13. — Bezold.
2. Parma: Kathedrale. — Osten.
3. *Modena: Kathedrale (vor der Restauration). — saec. 12. — Be-
zold.
4. Bologna: S. Pietro e Paolo. — Osten.
5. Cremona: Kathedrale. — Oesterr. Kunstdenkmale.
6. *Piacenza: Kathedrale (Langhaus), Skizze, bei welcher die Höhen
nicht gemessen sind. — saec. 12 11. 13. — Bezold.
7. Piacenza: Kathedrale (Querhaus). — Osten.
Tafel 163.
1. *Maderno. — Bezold.
2. Inichen. — Mitth. d. C.-Comm., III.
3. Pavia: S. Pietro in ciel doro. — De Dartein.
4. Trient: Dom. — Oesterr. Kunstdenkmale.
5. • Altenstädt: S. Michael. — Bezold.
Tafel 163..
1, 2. * Piacenza: S. Savino. — saec. 12. Ende. — Bezold.
3, 4. * Klosterneuburg. — 1106— 1 176. — Frhr. v. Schmidt.
5, 6. *Reiihcnhall: Pfarrkirche. — Beg. 1 181. — Bezold.
Zwölftes Kapitel.
Der Gewölbebau in Deutschland.
Litteratur: siehe Kap. 2.
I. Gewölbte Kleinarchitektur.
Soviel Jahrhunderte das hohe Mittelalter von jener Zeit trennten,
da der römische Grenzwall Germanien in ein beherrschtes und ein freies
geschieden hatte : der längst gebrochene und überstiegene blieb als un-
sichtbare Teilungslinie der Kultur doch fort und fort bestehen. Auch
im Bauwesen erkennt man sie alsbald. Am deutlichsten an dem grund-
verschiedenen Verhalten zur Steinkonstruktion. Im Norden und Osten
bekundet sich der Steinbau bis ins hohe Mittelalter deutlich als ein
Stück Kolonistenkultur; er gedeiht allein im Schutze der Kirche und
unter steter Zuhilfenahme fremder Baukräfte; er beschränkt sich auf
das notwendigste. Fehlte es dem Sachsenvolke nicht an kunstschöpfe-
rischer Kraft überhaupt, ja besass es davon ein so reichliches Teil,
dass es der Flachdeckbasilika die edelste, die für den deutschen
Baugeist klassische Ausprägung zu geben verstand: die Wiege der
Gewölbebasilika konnte allein im Rheinlande stehen. Nur hier
und etwa noch in einigen alten Donaustädten war der Steinbau boden-
heimisch und aus eigenem Samen sich fortpflanzend. Gewölbtes
Deckenwerk wird von der Karolingerzeit ab ununterbrochen, zwar
nach Verwendung und Grössenmass beschränkt nur, aber innerhalb
dieser Grenzen nicht seltener und kaum schlechter als etwa in Nord-
frankreich oder Oberitalien zur Ausführung gebracht. Doch schon vor
Mitte des 1 1 . Jahrhunderts zeigen die zentral disponierten Kirchen zu
Ottmarsheim und S. Maria im Kapitol zu Köln, dass die VVölbekunst,
30
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45»
Zweites Buch: Der romanische Stil.
wenn auch noch nicht neue Kombinationen ersinnen , so doch im
Anschluss an überlieferte Muster bedeutende Aufgaben technisch be-
wältigen konnte. Um dieselbe Zeit wurde auch bei Basilikalkirchen
die vereinzelt wohl schon früher geübte Einwölbung der Seitenschiffe
häufiger. Kam dann endlich am Schlüsse des Jahrhunderts die
schwierigste Aufgabe, die Wölbung des Hauptschiffs, in Angriff, so
durften sich die Deutschen aus eigenen Kräften daran wagen, nicht als
Schüler ihrer westlichen oder südlichen Nachbarn, sondern mit diesen
in gleicher Linie als Erben römischer Ueberlieferung.
Bei weitem den am häufigsten wiederkehrenden Anlass zur Aus
führung gewölbten Deckenwerkes geben in der frühromanischen Epoche
die KRYPTEN. Ihr Normaltypus zeigt sich schon im 10 Jahrhundert
festgestellt (S. 184). Fortentwicklung fand nur in dem Sinne statt,
dass die Grundfläche sich vergrösserte (in der grössten Krypta Deutsch-
lands, beim Dom zu Speier, bis auf ca. 827 qm). Vermehrte Schwierig-
keiten erwuchsen daraus nicht, da man nur die Zahl der Gewölbefelder,
nicht deren Abmessungen erhöhte. Je nach Bedürfnis wurde die Breite
des Chorquadrates in der Oberkirche hier unten in drei, vier oder
selbst fünf Schiffe zerlegt. Gerade der spätere Romanismus fand hier
an der Schaffung eines dichten Säulenwaldes ein phantastisches Wohl-
gefallen. Räume, wie die Krypta zu Freising (Taf. 170) oder gar die
>hundertsäulige« zu Gurk (Taf. 50) gemahnen im kleinen an die
Moscheen des Orients und könnten wirklich, wie manche andere bau-
liche Einzelheiten des Spätromanismus, Kreuzfahrererinnerung sein. —
Das Tonnengewölbe, welches die Frühzeit noch kannte, verschwindet
bald und es regiert allein das, fast immer streng quadratische, Kreuz-
gewölbe; seit dem 11. Jahrhundert (Limburg, Kapitolskirche in Köln)
öfters, doch keineswegs in der Regel, mit Begrenzung der Felder
durch breite, vorspringende Gurten. — Die in allen Schiffen der Krypta
gleiche Höhe der Gewölbe liess Schwierigkeiten der Widerlagerung
nicht aufkommen. Nur scheinbar deutet auf solche die den Römern
nachgeahmte Nischengliederung der Wände (Taf. 170, Fig. 1, 2, 11, 12);
dass an die ursprüngliche struktive Bedeutung dieses Motivcs nicht
gedacht wurde, beweist sein frühes und folgeloses Verschwinden (um
Mitte sacc. 11). Andererseits wird dies Nischenwerk auch von den Ba-
siliken zur Gliederung der Seitenschiffswände aufgenommen: mit halb-
kreisförmigem Grundriss im Münster zu Essen, in der Luciuskirche zu
Werden '), mit segmentförmigem in S. Kastor zu Koblenz.
Die Bauerscheinung der Krypta beherrschte so sehr die Vorstellung,
dass auch alle über der Erde mit gewölbtem Deckenwerk ausgeführten
') Mitteilung von Herrn G. Humann.
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Zwölftes Kapitel: Der Guwölbebau in Deutschland.
459
Bauteile oder selbständigen Bauten (sofern sie nicht solchen Gattungen
angehörten, für welche nach feststehendem Herkommen zentrale An-
ordnung gefordert war, wie z. B. für die Taufkapellen), einfach dem
Typus der Krypten folgten. Es sind deshalb die ältesten Gewölbe-
kirchen Deutschlands Hallenkirchen. Doch mochte am meisten das
fremdartige dieser Form dahin wirken, dass man sie nur für kleine
kapellenartige Gebäude zuliess. — Unter den wenigen erhaltenen
Stücken dieser Art das älteste ist das Erdgeschoss des zweistöckigen
Westchors der Abteikirche zu Cürvei (Taf. 170, Fig. 7, 8); vermutlich
ein Werk des Abtes Thankmar (f 1001); die vier (verkürzten) Mittel-
säulen aus dem Bau des 9. Jahrhunderts herübergenommen. Der fünf-
schiffig geteilte Raum gleicht durchaus einer gewöhnlichen Krypta,
ausser in der etwas grösseren relativen Höhe ; der Oberchor war flach
gedeckt (vgl. Nordhoff: Corvei und die westfälisch-sächsische Früh-
architektur, im Repertorium f. Kunstwissenschaft 1888, S. 147—165). —
Schon eine vollkommene und selbständige Hallenkirche ist die Bar-
tholomäuskapelle in Paderborn, erbaut a. 1017 (Taf. 170, Fig. 5, 6);
Kuppelgewölbe, welche durch in Stuck ausgeführte Gratansätze Kreuz-
gewölbe imitieren; wahrscheinlich gewählt, weil man wegen der
oblongen Grundform wirkliche Kreuzkappen für unausführbar hielt.
In der rätselhaften Nachricht des Chronisten, die Kapelle sei per grac-
cos operarios erbaut, dürfte graecos Corruptel sein (etwa für gnaros}).
— Die Stephanskapelle, der sog. »alte Dome, in Regensburg (Fig. 3,
4) und die Liudgerikapelle in Helmstadt (Fig. 9, 10) bilden einschif-
fige Rechtecke, aber das Nischenwerk der Wände zeigt deutlich den
Zusammenhang mit den Krypten an ebendenselben Orten (Fig. 2, 11).
SCHLOSSKAPELLEN. Der ältere, von dem Zentralbau in Aachen
abstammende Typus (S. 155) weicht im Laufe des 11. Jahrhunderts
einem anderen, der seine abschliessende Ausgestaltung in den sog.
»Doppelkapellen« findet. Die gemeiniglich behauptete Entwicklung
des letzteren Typus aus dem ersteren (so noch S. 155) will uns bei
näherer Betrachtung wenig einleuchten. Vielmehr sind Grundriss und
System der Doppelkapellen durchaus nach Analogie der Krypten be-
handelt (Fig. 15, 16, 19, 21); der Grund für die zweigeschossige Tei-
lung ist der, dass diese Kapellen nicht isoliert standen, sondern dem
Hauptbau eingegliedert wurden. Da nun die herrschaftlichen Wohn-
räume nicht zu ebener Erde, sondern im zweiten Geschoss sich be-
fanden, so musste die Kapelle in die gleiche F'lächenhöhe mit diesen
kommen. Zuweilen legte man sie in die Türme unmittelbar über der
Torhalle (Gelnhausen, Trifels, Münzenberg u. s. w.). Viel gewöhnlicher
war aber, dass der unter dem Oratorium befindliche Raum des Erd-
geschosses zur Gruft eingerichtet wurde, wobei häufig, doch keineswegs
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
immer, eine Oeffnung in der Zwischendecke beide Raumteile verband
(Fig. 19, 21). Die Spätzeit Hess das Hauptgeschoss gern in konzen-
trierter Pracht erglänzen, wofür Freiburg a. d. Unstrut und Land-
herg a. d. Saale die bekanntesten Beispiele sind. Doppelkapellen
kamen auch bei Bischofspalästen und selbst bei Klöstern vor. So
die Gothardskapelle {Capella curtis) an der Nordseite des Domes zu
Mainz; im Untergeschoss wurde der Erbauer, Erzbischof Adelbert
(I a. 1 1 37) begraben (Fig. 14 — 16). Ferner: Liudgerikapelle beim
Kloster zu Helmstedt (Fig. 9, 10); Obergeschoss 2. Hälfte saec. 11,
Untergeschoss älter. Abweichend durch das basilikale Obergeschoss
beim Kloster S. Peter und Paul zu Neuweiler (Fig. 17), aus 2. Hälfte
saec. 11. — Litteratur und Einzelheiten bei Otte, Handbuch 5 I, 25 — 28.
2. Die ersten Gewölbebasiiiken.
Die im vorigen Abschnitt betrachteten Verwendungen des Ge-
wölbes für sekundäre Zwecke können als Vorbereitung auf die Gewölbe-
basilika nur in beschränktem Sinne gelten, ja es scheint, dass zwischen
jenen und diesen mittlere Stufen überhaupt nicht vorhanden gewesen
sind. Die Gewölbebasilika tritt ganz plötzlich und sogleich in den
grössten Dimensionen hervor; die Erstlinge des neuen Baugeschlechtes,
die Dome von Speier und Mainz, sind in Gewaltigkeit der Raumver-
hältnisse in der deutsch-romanischen Baukunst nicht wieder erreicht.
Diese merkwürdige Erscheinung zu erklären, reichen innere Motive der
kunstgeschichtlichen Entwicklung als solcher nicht aus; allgemeinere
geschichtliche Kräfte müssen hier den Hebel angesetzt haben.
In der unendlich vielgliedrigen Bewegung der romanischen Archi-
tektur bildet das Problem der Gewölbebasilika ohne Frage die stärkste
Componente. Es sind die Anwohner der drei grossen von den Alpen
ausstrahlenden Ströme Mitteleuropas, der Rhone, des Po, des Rheins,
die sich in das Verdienst der Lösung teilen. Nach mannigfachen
unzulänglichen Vorversuchen liefern zuerst die Burgunder in der im
Jahre 1088 begonnenen, im Jahre 1095 in ihren östlichen Teilen voll-
endeten und geweihten neuen Kirche zu Cluny den Beweis, dass eine
Gewölbebasilika grössten Masses zu den möglichen Dingen gehöre. Um
dieselbe Zeit oder nur ganz wenig später wird von den Lombarden
der wichtige Schritt ausgeführt, der von S. Ambrogio in Mailand zu
S. Michele in Pavia fuhrt. Und parallel mit diesen geschieht die Ein-
wölbung der Dome von Speier und Mainz.
Jede dieser Schulen findet die Lösung selbständig und anders.
Und dennoch bei allen drei die überraschende Gleichzeitigkeit im
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Zwölftes Kapitel: Der Gewölbebau in Deutschland.
Eintritt der langbegehrten Entscheidung! Unmöglich kann sie eine
zufällige sein, notwendig niuss ihr ein Gemeinsames zu Grunde liegen,
welches wir aber nicht in besonderen Schulbeziehungen der Bauleute,
sondern in gleichartigen Grundbedingungen des allgemeinen Wollens
und Fühlens zu suchen haben.
Gewiss war es nicht gleichgültig, dass der Wendepunkt im
Kirchenbauwesen , von dem wir sprechen, mit einer grossen Krisis
der Weltgeschichte zusammenfiel. Der Entschluss, von der flach-
gedeckten zur gewölbten Basilika überzugehen, ist das baukünstlerische
Bekenntnis jener Generation, müssen wir uns erinnern, welcher den
Siegeskampf der geistlichen gegen die weltliche Gewalt in tieferregter
Mitleidenschaft durchlebte, welche zu der neuen Völkerwanderung
ans heilige Grab sich aufmachte. Die Machtfülle der Kirche erfuhr
eine Steigerung, wie noch nie zuvor, — real, und noch höher
in der Vorstellung der Völker. Wie sollte dies nicht als mächtiger
Impuls auf den kirchlichen Denkmalbau einwirken? Wir haben ihn
schon in der Geschichte der west- und süd französischen Architektur
vor und mit dem ersten Kreuzzug eintreten sehen (S. 253, 344); am
wenigsten die zentraleuropäischen Gebiete konnten sich ihm entziehen.
Eine derartige Bewegung, so weit und breit der Boden für sie
vorbereitet ist, muss aber notwendig an einem bestimmten Orte zuerst
hervortreten. Und wir glauben diesmal den Finger auf ihn legen zu
können: kein anderer kann es gewesen sein alsCluny. Der chrono-
logische Vorsprung Clunys, ob er auch nur kurz ist, ist gesichert.
Und dass eben von hier der entscheidende Anstoss kommen musste,
war durch die ganze Weltlage gleichsam vorherbestimmt. Man weiss,
wie dieses burgundische Kloster, das sich das zweite Rom nannte,
viel mehr als Rom das wahre Herz der grossen, damals auf der Höhe
des Triumphes anlangenden Kirchenreform war. Hundertc und hunderte
vornehmer Kleriker und Laien von fern und nah gingen hier aus und
ein. Was in Cluny geschah, geschah vor den Augen der ganzen
Welt. Es bedarf keines speciellen Nachweises, dass die Erbauer der
grossen rheinischen Gewölbedome von dem Neubau in Cluny Kunde
hatten, und wir möchten glauben, dass sie ohne diesen Vorgang den
Mut zu ihrem eigenen Werk nicht gefunden hätten. Aber es war
nur ein allgemeiner, moralischer Ansporn : die technischen grossen
Fragen lösten die Deutschen in vollkommener Selbständigkeit. Nicht
nur gegenüber Burgund, wo dies ohne weiteres ersichtlich ist, sondern
auch, wo mit Unrecht das Gegenteil häufig behauptet wird, gegen-
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462
Zweites Buch: Der romanische Stil.
über der Lombardei. Der rheinische Gewölbebau teilt mit dem lom-
bardischen, dass er sich ausschliesslich auf der Grundlage des Kreuz-
gewölbes bewegt, und hieraus entwickeln sich gewisse Aehnlichkeiten.
Jedoch erst mit der Zeit; gerade in den Anfangen, in den vor a. 1 100
begonnenen Bauten, werden hüben und drüben gründlich verschiedene
Konstruktionsgedanken verfolgt. Es genügt, anstatt aller Erörterungen,
den Domen von Mainz und Speier, S. Ambrogio in Mailand und
S. Michele in Pavia gegenüberzustellen.
Keine Hindeutung, wie gesagt, liegt vor, dass den Domen von
Speier und Mainz ältere Gewölbebasiliken, am wenigsten solche von
irgend ansehnlichen Dimensionen, vorausgegangen wären. Von jener
schwerfälligen Vorsorglichkeit der Lombarden, welche die hochliegen-
den Teile des Mittelschiffs nur nach und nach sich freier entwickeln
liess und nicht früher, als bis für einen umständlichen Strebeapparat
gesorgt war, war hier nicht die Rede; man legte die Mittelschiffs-
gewölbe nicht anders an, als man es bei denen der Seitenschiffe
schon gewohnt war, und vertraute im übrigen auf die Widerstands-
kraft der in grosser Mächtigkeit ausgeführten Mauern und Pfeiler.
Es liegt eine naive Unerschrockenheit hierin, die ohne Verzug, dass
wir so sagen, den Stier bei den Hörnern fasst. Nur ein an das
ausserordentliche gewöhnter, persönlicher Wille, ahnen wir, kann diese
beiden frühesten Gewölbebasiliken ins Dasein gerufen haben. Und
jetzt, wo ihre Geschichte sich aufzuhellen beginnt, wissen wir auch,
dass es bei beiden der Wille eines und desselben hochgesinnten und
geistreichen Mannes war: Kaiser Heinrichs IV. Deutschland besitzt
kein Denkmal von höherer geschichtlicher Weihe, als dies rheinische
Geschwisterpaar, mag man sie nun vom besonderen kunstgeschicht-
lichen Standpunkte betrachten, mag man Zeit und Personen bedenken,
die an ihnen schufen.
DOM ZU SPEIER (Taf. 48, 171, 173, 188). Die bisherigen viel-
fach kontroversen Verhandlungen über die Baugeschichte sind am be-
quemsten bei Otte, Geschichte der romanischen Baukunst S. 222 — 27,
335 — 38 "nd Schnaase IV, S. 377 — 83 nachzulesen. In den letzten
Jahren hat Herr Wilhelm Meyer eine eindringende bautechnische
und geschichtliche Untersuchung vorgenommen, deren in kurzer Ueber-
sicht uns gütigst mitgeteilte (noch nicht veröffentlichte) Resultate dem
Folgenden zu Gründe gelegt sind.
I. Periode: Beginn durch Kaiser Konrad II. c. a. 1030, Abschluss
durch Kaiser Heinrich III. c. a. 1060. Das Mittelschiff sicher flach
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Zwölftes Kapitel : Der Gewölbebau in Deutschland.
gedeckt; die Seitenschiffe in gleicher Weise beabsichtigt, aber vielleicht
noch während des Baues eingewölbt.
II. Periode: Umfassender, einem Neubau nahekommender Umbau
durch Kaiser Heinrich IV., begonnen c. a. 1080, vollendet c. a. 1100.
Den ersten Anstoss gab die Senkung des vom Rheinstrom unterspülten
Chores; die Schutzarbeiten wurden dem Bischof Benno von Osnabrück,
dem berühmtesten Bautechniker seiner Zeit unterstellt. Im Jahre 1097
erhielt die Oberleitung der kaiserliche Kanzler Otto; von ihm scheint
die Erneuerung des Langhausoberbaues herzurühren. Das Jahr der
Weihe ist nicht überliefert, aber wir dürfen mit Sicherheit Otto (der
a. 11 03 den bischöflichen Stuhl von Bamberg bestieg) und Kaiser
Heinrich IV. (f 11 06) als Vollender betrachten. Der Dom stand jetzt
als ein vollständig verwandelter, in allen Teilen gewölbter da. Was
hat, fragen wir, Heinrich IV. bewogen, das Werk des Grossvaters und
Vaters, ein Menschenalter kaum nach seiner Vollendung, so durch-
greifend umzugestalten, dass es so gut wie ein neues wurde? Praktische
Gründe allein gewiss nicht; die Gefährdung durch den Strom betraf
nur die Ostpartie; von Beschädigung des Langhauses, etwa durch Feuer,
wird nichts bekannt; wir werden also kaum fehlgehen, wenn wir als
entscheidenden Beweggrund den ästhetischen annehmen. Heinrich be-
schloss den Gewölbebau, als den höchsten Ausdruck des Monumentalen,
und der Gedanke ist verlockend, dass er damit gleichsam ein Trutz-
Cluny habe hinstellen wollen. Welchen Eindruck er mit seinem Werke
in der That hervorrief, bezeugen die bewundernden Stimmen der in
dergleichen Dinge sonst so schweigsamen Chronisten.
In den Bau Heinrichs IV. war von dem der ersten Periode ausser
der Grtindrissdisposition kaum viel mehr als Teile der seitlichen Um-
fassungsmauern und vielleicht, nicht sicher, die Krypta herübergenommen.
Vom jetzigen Bestände gehört Heinrich IV. folgendes: die Gewölbe-
träger und Gewölbe der Seitenschiffe (soweit nicht im 18. saec. er-
neuert); die Mittclschiffspfeiler ausschliesslich der Verstärkungen der
jetzigen Hauptpfeiler; die Hochwände des Mittelschiffs bis zum Lauf-
gang; der östliche Kuppelturm bis zur gleichen Höhe; geringe Reste
des Querhauses und Chorquadrates.
III. Periode: Weitere Senkungen in der Ostpartie, unzulängliche
Bildung der Gewölbe im Hauptschiff und in letzter Linie Brandschäden
(vermutlich a. 1159) machten einen zweiten, in der Hauptsache c. a.
1200 abschliessenden Umbau nötig. Aller Wahrscheinlichkeit nach
hatten im Bau der 2. Periode alle Pfeiler gleiche Stärke und Gestalt;
der neuerliche Umbau nun verstärkte die den Hauptschiffgewölben
entsprechenden Pfeiler durch doppelte Vorlagen, während die bloss
für die Seitenschiffsgewölbe in Betracht kommenden Zwischenpfeiler
ihre schwächere alte Gestalt behielten. Ferner können die Gewölbe
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Zweites Huch : Der romanische Stil.
Heinrichs IV. nur geringen oder gar keinen Stich gehabt haben; jetzt
bildete man an Stelle der flachelleptischen, halbkreisförmige Diagonal-
gräte, wodurch wieder Erhöhung der Sargwände nötig ward; man
löste sie, teils zur Belebung der Aussenansicht willen, teils zur Er-
leichterung der Mauerlast in einen Laufgang auf. Fast ganz erneuert,
wenn auch wohl ziemlich genau nach dem alten Raumbilde, wurde
der Quer- und Chorbau; neu dürfte nur die reichliche Fensterdurch-
brechung der Apsis sein. Ferner ist ein neu hinzutretendes Motiv die
quere Ueberhöhung der Vorhalle und deren Ausstattung mit Zentral -
und Flankentürmen, entsprechend den älteren des Ostbaues.
Im weiteren Verlaufe des Mittelalters scheinen tiefer eingreifende
Arbeiten nicht mehr vorgenommen zu sein. Aus der Neuzeit notieren
wir: a. 1689 Sprengungsversuch durch die Truppen Ludwigs XIV.,
wegen zu schwacher Ladung der Mine nur halb geglückt; bei der
Okkupation durch die französische Revolutionsarmee erneuerter Befehl
zur Zerstörung nach dem Muster von S. Martin in Tours, S. Gilles«
Cluny u. s. w.; durch Napoleon sistiert. Restaurationen von 1772 — 84,
und 1820—58, zuletzt unter der unglücklichen Hand Heinrich Hubschs.
DOM ZU MAINZ (Taf. 164, 173, 174, 179, 188). Die lange Zeit
schwankende Forschung über seine Geschichte ist durch die Mono-
graphie Fr. Schneiders (Berlin 1886), die beste, die wir über ein
deutsches Denkmal besitzen, zum Abschluss gebracht. — I. Periode:
Flachdcckbasilika a. 778—1056, vgl. S. 177. — II. Periode: Brand
a. 10S1; Wiederaufbau etwa seit dem letzten Dezennium des Jahrhunderts
mit Hilfe des dem Klerus und der Bürgerschaft um ihrer Treue willen
dankbaren Kaisers Heinrich IV. Die unmittelbar nach dem Tode des
Kaisers (a. 1106) verfasste Lebensbeschreibung desselben (Mon. Germ.
SS. XII, 270) klagt: t() Mainz, welche Zierde hast du verloren, da
dir der kunstreiche VV iederher stel ler deines Münsters entrissen
ist! Hätte er erlebt, an dein Münster, das er begonnen hatte, noch
die letzte Hand zu legen , so würde dieses wahrlich mit dem von
Speier wetteifern, das er von Grund aus erneuert, dessen Baumassen
und Ausschmückung er fertig hingestellt hat, so dass es über alle Werke
der alten Könige des Lobes und der Bewunderung wert ist.« Die
Vollendung liess indes nicht mehr lange auf sich warten; sie wurde,
nach einem unanfechtbaren Zeugnis, herbeigeführt durch Erzbischof
Adalbert I., also längstens bis a. 1137, dessen Todesjahr. Gründ-
lichste historische und technische Untersuchungen haben gegen die
Zweifel der älteren Forscher jetzt als sicher festgestellt: dass der ganze
Aufbau des Mittelschiffs, wie wir ihn heute sehen, die Pfeiler mit ihren
Halbsäulen und die Obermauern mit ihren Fenstern aus einheitlicher,
ununterbrochener Ballführung hervorgegangen ist; dass er der Epoche
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Zwölftes Kapitel : Der Ciewölbebau in Deutschland.
465
um a. 1100 entstammt; dass er Gewölbe, allerdings nicht die heutigen,
getragen hat. Die nähere Beschaffenheit dieser Gewölbe lässt sich
nicht mehr nachweisen; jedenfalls waren sie so wenig als die von Speier
befähigt, starken Angriffen, wie Erdbeben und Brände nach Mitte saec. 12,
sie herbeiführten, zu widerstehen: sie wurden kurz vor a. 1200 durch
die bis heute bestehenden ersetzt. Es sind nicht mehr grätige Gewölbe,
wie noch die in den 60er Jahren ausgeführten zu Speicr, sondern bereits
Rippengewolbe mit leicht spitzbogigem Quergurt. — III. Periode: c.
a. 1200— 1243, Hinzufügung des westlichen Querhauses mit dem gran-
diosen Martinschor; nach der ansprechenden Vermutung Schneiders
an Stelle der uralten Martinskirche, des ältesten Domes.
Die Dome von Mainz und Speier stehen sich in ihrer gewölb-
mässigen Umgestaltung nach Zeit und Umständen so nahe, dass man
sie als Zwillingsgeburt ansehen darf. Der Speierer kann noch nicht
vollendet gewesen sein, als der gemeinsame kaiserliche Bauherr den
Mainzer in Angriff nehmen hiess. Der allgemeine Baugedanke ist bei
beiden derselbe; beide zeigen auch, dass das kühne Wollen dem Wissen
vorausgeeilt war. Kür die Widerlagerung der voraussetzlich sehr schwer
konstruierten Gewölbe hatte man kein anderes Mittel bereit als ge-
waltige Dicke (2 m) der Mauern, welche wieder die Pfeiler stark be-
lasteten und sie unverhältnismässig dicht aneinander zu rücken nötigten,
während die Hilfsleistung der vorgelegten Halbsäulen nur wenig er-
giebig war. Dagegen hatte für die ästhetische Seite der Aufgabe —
wir fassen zunächst Spei er ins Auge — der kaiserliche Baumeister
fr Otto), ein volles Gefühl. Es war ihm klar, dass das gewohnte
System der Basilika eine Umgestaltung erfahren müsse, weil allein schon
das Auge bei gewölbtem Deckenwerk andersartige Organisation des
Aufbaues, als bei der Flachdecke fordert. Und so erfasste er mit
genialem Blick als leitende Idee die Verselbständigung der Pfeiler.
Nach der konstruktiven Seite erst unvollständig verwertet, ist sie nach
der formalen mit löblicher Klarheit ausgesprochen '). Indem über den
Arkaden die Wand als Blendnische zurückspringt, steigen die Pfeiler
mit ihren Vorlagen ununterbrochen , selbst über das Gurtgesimse weg,
bis zur Kämpferlinie der Gewölbe auf. Man muss sich hierbei das
ursprüngliche System vergegenwärtigen, wo noch alle Pfeiler gleich-
wertig behandelt waren; der durch die derben Verstärkungen der Folge-
zeit herbeigeführte Wechsel ist formell nichts weniger als eine Ver-
besserung. Auch die Flachdeckbasiliken Deutschlands hatten um jene
Zeit eine sehr schlanke Querschnittsproportion erreicht, im Durchschnitt
') Vielleicht hatte schon der Hau Konrads II. und Heinrichs III. Flachnischen
ähnlich denen im Chor und Querhaus von Limburg a. H., wo sie wieder durch Cluny
vermittelt sein durften.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
dieselbe von 1:2, die sich (immer die ursprüngliche Höhe voraus-
gesetzt) in den Domen von Speier und Mainz findet aber hier erst
erfasst der Vertikalismus auch die Linearkomposition des Systems und
leiht der Idee des vorwaltenden Hochbaus eine ebenso einfache, wie
eindringliche Sprache. — Unverkennbar, wie auch die chronologischen
Momente bestätigen, ist der Speierer Bau der Schöpfungsbau, dagegen
der Mainzer, dem wir uns nun zuwenden wollen, nicht sowohl die
unvollkommene Vorstufe (wie man bisher annahm), sondern die nicht
vollkommen verstandene Nachahmung. Er ist in seinei Haltung alter-
tümlicher, ungelenkiger. Die dem Speierer Meister schon aufgegangene
Erkenntnis, dass beim Kreuzgewölbe die zwischen den Pfeilern liegenden
Wände ohne Gefahr für die Stabilität schwächer gebildet werden dürfen,
ist dem Mainzer noch verborgen. Er hält es deshalb für vorteilhaft,
die Blendnischen nur wenig tief zurückspringen zu lassen (vgl. Taf. 171,
Fig. 3 mit Fig. 5) und schon unterhalb der Fenster sie zu schliessen
(Taf. 173). Andererseits glaubt er die Zwischenpfeiler ohne die (kon-
struktiv in der That entbehrliche, ästhetisch aber wertvolle) Halbsäulen-
vorlage lassen zu dürfen. Endlich sind die Pfeiler noch dichter ge-
stellt als in Speier.
Die Dome von Speier und Mainz bezeichnen einen Wendepunkt
in der deutschen Baugeschichte. Pflegt gemeinhin ein Neues dieser Art
unscheinbar und halbbewusst nur seine ersten Aeusserungen zu thun, so
tritt es hier sogleich mit aller Macht hervor. Und etwas von der hohen
Stimmung, welche die Erbauer erfüllt haben muss, spricht noch heute
zu uns mit geheimnisvoller Gewalt aus diesen wahrhaft königlichen
Bauten, die, ob auch im einzelnen noch vielfach unbeholfen und rauh,
im ganzen doch so echte Monumentalität atmen, die von keinem Werke
des jüngeren verfeinerten Stiles wieder erreicht wird. Leider sind die
in den späteren Jahrhunderten vorgenommenen Veränderungen ebenso-
viel Verdunkelungen der ursprünglichen schlichten Hoheit. In Speier
ist es zumal die moderne Ausmalung, die mit ihrer süsslich asketischen
Formen- und Farbenhaltung eine widrige Gegenwirkung erzeugt, wahrend
in Mainz wohl am meisten die gotische Durchbrechung und Erweite-
rung der Seitenschiffe, welche durch ihren Lichtüberfluss das Mittel-
schiff, namentlich in seinen oberen Teilen, düster und schwer erscheinen
lässt, schadet.
Nächst diesen beiden gehört unter den Erstlingen des deutsch-
romanischen Gewölbebaus der vornehmste Platz der Abteikirche zu
LAACH tTaf. 165, 171, 174). Begonnen a. 1093, fast gleichzeitig also
') Durch einen aus unserer Quelle Übernommenen und vergrösserten Fehler ist
der Querschnitt von Mainz, Taf. 17 1 u. 188, zu niedrig geraten; wir werden zum
Schhtss eine berichtigte Zeichnung nachtragen.
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Zwölftes Kapitel: Der Gewölbebau in Deutschland.
467
mit den Dornen von Speier und Mainz, aber erst a. 1x56 mit dem
Westchor vollendet. Das Langhaus, das uns hier am meisten interessiert,
zeigt, dass es von Grund aus auf gewölbtes Deckenwerk angelegt war;
leider bleibt unentscheidbar, ob der Plan der Gründungsepoche, oder
erst der Wiederaufnahme der Arbeiten (11 12) angehört (vgl. auch unten
S. 473). Das System ist von dem in Speier und Mainz befolgten grund-
sätzlich verschieden: kommen dort auf ein Joch im Mittelschiff zwei
Joche in den Seitenschiffen, so ist hier Zahl und Breite der Joche im
einen wie im anderen die gleiche; und hat dort jede Mittelschiffs-
abteilung zwei Fenster, jede seitliche eines, so ist hier das Verhältnis
das umgekehrte. Nicht minder bedeutsam sind die Abweichungen in
der Grundform der Gewölbe; sie war dort überall quadratisch und ist
hier überall rechteckig: querrechteckig im Hauptschiffe, axial in den
Seitenschiffen. Infolge dessen musste man die sonst die Regel bildende
vollkommene Halbkreisform der Gewölbebögen verlassen und die einen
soviel erniedrigen, die anderen soviel überhöhen, bis die gleiche Scheitel-
höhe gewonnen war. (Die Querbögen des Mittelschiffs haben nicht,
wie der Zeichner auf Taf. 171, Fig. 8 angibt, die Form eines regel-
massigen aber unvollkommenen Halbkreises, sondern folgen einer un-
reinen Korbbogenlinie.) Dieser Kompromiss ist unbefriedigend genug
und wird mit ein Grund sein, weshalb das Laacher Gewölbesystem in
der deutsch -romanischen Kunst keine Nachahmung fand. Nächste
Analogie hat es in der Abteikirche zu Vezelay; da beide der Cluniacenser-
kongregation angehören, könnte an Einfluss von dort gedacht werden,
wären nur nicht die betreffenden Bauteile zu Laach leichtlich älter, als
das Schiff von Vezelay.
Wir wollen nun noch durch eine knappe Uebersicht der wichtigsten
Denkmäler die, langsam genug, von Westen nach Osten fortschreitende
Verbreitung des Gewölbebaus bis zum Jahre 1200 veranschaulichen;
selbstverständlich sind die erhaltenen Denkmäler nichts weniger als
vollzählig und gerade von den ersten Versuchen werden voraussichtlich
recht viele früher oder später beseitigt sein.
Mittelrhein. Der nächste bedeutende Gewölbebau nach den
Domen von Mainz und Speier ist selbst in dieser Gegend mehr als
ein halbes Jahrhundert jünger: die Cistercienserabteikirche Eberbach,
beg. c. a. 1150 — 56. Dagegen waren die Kirchen von Johannisberg
(1106—30), Mittelheim (um 1140), Lorsch (1144—52) noch flachgedeckt.
Das gewölbte Langhaus des Domes von Worms folgt erst c. a. 1171
bis 1 181. — Im Elsass sind S. Georg in Hagenau, Maienhamsweiler,
Murbach u. a. m. Beispiele fortdauernder Anwendung der Holzdecken
bis Mitte saec. 12. Dass im Elsass schon vor dieser Zeitgrenze auch
einzeln gewölbte Kirchen ausgeführt sein werden, kann als wahrschein-
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
lieh vermutet, aber nicht mit sicheren Daten belegt werden1}. Das
Niedermünster an Üdilieniierg (Ruine) a. 1160—80; wohl nic ht viel
jünger die Kirchen zu Rosheim und Schleti stadt; Kreuzung mittel
rheinischer und nordfranzösischer Kintlüsse. — Das badische Ufer dc-
Oberrheins besitzt nichts hierher gehöriges. — Niederrhein. In Kols
S. Mauritius, kurz vor a. 1144 vollendet. Kloster Knecht sieden.
a. 1138 vielleicht noch in Absicht auf ein flachgedecktes Hauptschiff
begonnen, a. 1151 im Plan gewölbemässig geändert. Klosterrath,
Landhaus mutmasslich um 1143. Daneben fortlaufend Flachdeckbauten:
Kloster Rommersdorf um 1 1 35 ; S. Kastor in Koblenz erneuert nach
1150; selbst die einem Bau von 1152 — 73 mutmasslich angehörenden
Arkaden im Langhaus von GrossS. Martin zu Köln weisen auf eine mir
in den Abseiten gewölbte, im Hauptschiff flach projektierte Anlage.
Ausserdem viele kleine Flachdeckbauten im inneren Lande bis in d e
letzte Zeit des 12. saec. Die bedeutende Klosterkirche zu Brauweiler
(Ende saec. 12) macht im Grundriss (Taf. 165) den Eindruck einer ge-
wölbemässigen Anlage; dennoch wird gelegentlich der 15 14 eingebrachten
gotischen Gewölbe ausdrücklich angemerkt, dass sie an Stelle einer
hölzernen Decke traten und hiermit stimmt die Behandlung der Ober-
mauer (Bock, Rheinland II. 9, S. 121. — Westfalen gehört zu den
entschiedenst gewolbefreundlichen Landschaften. Kleinere Gewölbe-
bauten der Frühzeit wurden schon erwähnt (Corvei, Paderborn). Auch
mit der Einwolbung der Seitenschiffe hat man hier frühzeitig begonnen:
Kloster Abdinghof bei Paderborn, S. Patroklus in Soest. Die Reihe
der bedeutenderen Flachdeckanlagen schliesst um 1130: Kappenberg.
Freckenhorst. Was seit der Mitte des Jahrhunderts an Kirchen neu
entstand wird meistens schon gewölbt gewesen sein. Darauf weist die
verhältnismässig sehr grosse Menge der noch erhaltenen, durchweg nur
kleinen oder mittelgrossen Bauten von primitiver aber konsequent ge-
wölbemässiger Haltung: Kappel, Brenken, Berghausen, Husten,
Lügde u. s. w. Ferner der Eifer, mit dem man fast sämtliche vor-
handenen Flachdeckbasiliken des Landes jetzt in gewölbte umbaute. —
In Niedersachsen wurden S. Godehard in Hildesheim (seit 1133)
und die Abteikirche zu Königslutter (seit 1135) in der Absicht auf
vollständige Durchführung der Gewölbe begonnen, jene nach mittel-
französischem, diese nach lombardischem Vorbild unter Aufnahme
des Hirsauer Grundrissschemas für den Chor; allein nur der letztere,
resp. das (Querhaus kamen in dieser Weise zur Ausführung; beim Lang-
haus angelangt, wandte man sich zur heimischen Gewohnheit der Holz-
1 Die Behauptung F. Adlers (* 1- 'rühromanische Baukunst im Flsass« in Zcitschr.
f. B.tuw. 1878, p. 560', dass schon die a. 9S7 90 erbaute Klosterkirche zu Sehz »aus
triftigen Gründen als Cluniacenser-Gew olhebau anzusprechen sei, entbehrt der Begründung.
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Zwölftes Kapitel: Der Gewölbebau in Deutschland.
469
decke zurück. Erst in dem grossen Herzog Heinrich dem Löwen
erstand wieder ein energischer Förderer des Steingewölbes: obenan in
den Domen zu Braunschwkig und Lübeck, beide gegründet a. 1 1 73.
Eine etwas jüngere Nachahmung der Dom von Ratzeburg. Sonst
haben wir bis zum Schluss des Jahrhunderts von keinem bedeutenden
Gewölbeneubau Kunde; wohl aber von Umbauten, wie in Gandersheim,
Heiningen, Ilsenburg, Drübeck, Wunstorf, Dom zu Goslar u. s. w. Dann
einige kleinere Ziegelbauten in der Mark : Arekdsee, Diesdorf. —
Obersachsen, Thüringen, H essen, Franken zeigen sich, einige
später zu betrachtende Cistercienserkirchen ausgenommen, der Neuerung
unzugänglich. Auch Schwaben, Baiern und Oesterreich wölben
höchstens die Seitenschiffe. Die wenigen vollständig gewölbten Kirchen
stehen ausserhalb des Provinzialstiles; so Ellwangen unter rheinischem,
Heiligenkreuz unter cisterciensischem, Altenstadt, Klosterneuburg u. s. w.
unter lombardischem Einfluss.
Das Facit ist: vom Ende des 10. bis zur Mitte des 12. Jahr-
hunderts ist der Gewölbebau in Deutschland nur eine vereinzelte,
allerdings durch Werke ersten Ranges vertretene Erscheinung; von
c. a. 1 1 50 bis 1200 erlangt er auf der ganzen Linie des Rheines und
in Westfalen die Vorherrschaft; darüber hinaus erst mit dem 13. Jahr-
hundert.
3. Das gebundene System des 12. Jahrhunderts.
In allen Ländern, in denen wir bis dahin den Gewölbebau be-
trachteten, hatte seine Aufnahme als ein gründlich umwälzendes Er-
eignis gewirkt; war irgendwo an hervorragender Stelle das Muster
creirt, so machte es schnell Schule, so verwandelte sich die Erschei-
nung des Kirchengebäudes im ganzen wie im einzelnen. Nicht so in
Deutschland. Dem grossartigen Anlauf unter Kaiser Heinrich IV.
entsprach die weitere Entwickelung wenig. Langsam, wie wir sahen,
griff die Neuerung um sich, noch langsamer lebte man sich in ihre
inneren Bedingungen ein. Die Deutschen des 12. Jahrhunderts fassten
das Gewölbe nicht als organischen Keim eines neuzuschaffenden Ge-
bäudes, sondern ihr Hauptbestreben ging darauf, auch mit ihm und
trotz ihm die überlieferten Bauformen, soviel als möglich, zu bewahren.
So kam man geraume Zeit über eine bloss äusserliche Anpassung
nicht hinaus, und so blieb in einer im Vergleich zu Frankreich oder
Oberitalien unerhört langen Dauer die flachgedeckte Basilika neben
der gewölbten als gleichberechtigte Bauart fortbestehen. Ueberdies
sind die Gewölbeausfuhrungen des 12. Jahrhunderts zum grösseren
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
Teil blosse Umbauten aus flachgedeckten Kirchen, bald so, dass
Fundamente und innere Einteilung des Grundrisses von einem älteren
Bau unverändert herübergenommen, Pfeiler und Mauern aber erneuert
werden, bald so, dass während der Ausführung selbst die Absicht in
Betreff der Decke wechselt, bald endlich so, dass auch der ganze
Hochbau erhalten und nur an gewissen Stellen verstärkt wird. Diesen
Zwittergebilden gegenüber sind die von Anfang an gewölbemässig
gedachten reinen Neubauten durchaus in der Minderheit. Dass eine
klare Scheidung der Formen, eine energische Vertiefung in die vom
Gewölbebau dargebotenen Möglichkeiten bei solchem Verhältnis nur
langsam vorangedieh, kann nicht Wunder nehmen. Auch nachdem
er endlich seiner Mittel Meister geworden war, blieb der deutsch-
romanische Gewölbebau auf ein enges Programm beschränkt.
Am Anfang der Entwickelung zwar standen sich zwei Bausysteme
gegenüber: das der einfachen und das der gruppierenden Travee; jenes
durch die Klosterkirche zu Laach, dieses durch die Dome von Speier
und Mainz vertreten. Allein es kam nicht einmal zu einem Wettstreit
zwischen ihnen. Die einfache Travee fand keine Nachfolge erst in
viel späterer Zeit, in der inzwischen von der französischen Gotik ihr
gegebenen Gestalt, wurde sie in Deutschland wieder aufgenommen.
Vorerst im romanischen Stil gewann das gruppierende System die
ausschliessliche Herrschaft. Es gewann sie, weil es unter allen
innerhalb des Kreuzgewölbes möglichen Systemen in den gegebenen
Entwickelungsgang der deutschen Baukunst am leichtesten sich
einfügte, als sein logisches Produkt mit Notwendigkeit aus ihm
her vor wuchs.
Es liegt in der Natur des primitiven rundbogigen Kreuzgewölbes
(vgl. S. 316), dass seine Grundform ein Quadrat ist, mithin dass ein
mit einer Reihe von Kreuzgewölben zu überdeckender Raum sich im
Grundriss als eine Reihe von Quadraten darstellt. Es liegt weiter
in der Natur der Basilika, dass das Mittelschiff um ein erheb-
liches breiter ist, als die Seitenschiffe. Sollen diese beiden Forde
rungen miteinander in Verbindung treten, so kann dies nur so ge-
schehen, dass das Grundmass der Seitenschiffsquadratc genau gleich
der Hälfte jenes der Hauptschitfsquadrate, ihre Zahl somit die doppelte
ist, infolge dessen jede Gewölbabteilung des Hauptschiffs mit je zwei
') Anscheinend beabsichtigt in der Abteikirche S. Mathias bei Trier (a. 1 127—48),
doch kam im Mittelschiff nur Flachdecke zur Ausführung. Die Kirche von Altenstadt
in Kaiern gehört in die oberitalicnische Einflusssphäre, s. S. 449.
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Zwölftes Kapitel : Der Gewölbebau in Deutschland.
471
I*aar Gewölbabteilungen der Seitenschiffe eine Gruppe, ein »Doppel-
joch« bildet. Dies ist, was man das »gebundene System« nennt.
Man kann die deutsche Bauentwickelung nicht völliger misskennen,
als wenn man das gebundene System als lombardisch bezeichnet. In
cier Lombardei ist es erst als Folge des Gewölbes aufgetreten, in
Deutschland aber war es schon lange vor dem Gewölbe da; die karo-
lingische Zeit bereits hatte den quadratischen Schematismus im Keime
vorgebildet (S. Gallen), im Frühromanismus hatte er als einer der
eigenst deutschen Baugedanken zunehmende Verbreitung gefunden
(S. 206) — nicht aus irgend welcher konstruktiven Notwendigkeit,
sondern aus blossem Wohlgefallen an streng regelmässigen Massver-
hältnissen; jetzt wurde er unter dem zwingenden Einfluss der Decken-
gewölbe auf den Grundplan zur gemeinverbindlichen Regel erhoben.
Eine zweite Begleiterscheinung des gebundenen Systems ist der
Stützenwechsel. Er ist darin begründet, dass in den Doppeljochen
von den Stützen immer nur eine um die andere den Haupt- und
Nebenschiffsgewölben zugleich, die dazwischenliegenden den Neben-
schiffsgewölben allein zum Widerlager dienen. Allein auch der
Stützenwechsel ist nicht erst durch den Gewölbebau hervorgerufen,
nur allgemeiner durch ihn in Gebrauch gebracht.
Solchermassen erklärt sich die Eingangs hervorgehobene Ano-
malie, dass in Deutschland die Einführung der Gewölbe eine tief-
greifende Umgestaltung der Gesamterscheinung des Bauwesens, wie
überall in den anderen Ländern, zunächst noch nicht hervorrief. Sie
vollendete mehr bestehende Richtungen, als dass sie zu neuen Ge-
danken anregte. Sie trug mehr praktischen als ästhetischen Bedürf-
nissen Rechnung.
DIE GEWOELBE. Die primitive Fassung des Kreuzgewölbes,
in welcher es als rechtwinklige Durchdringung zweier Tonnengewölbe
erscheint, ist ausser an den quadratischen Grundriss auch an die wage-
rechte Lage der Scheitellinien gebunden. Formell den römischen
Kreuzgewölben nachgebildet, besass sie doch nicht deren Leistungs-
fähigkeit, teils weil ihre technische Herstellung eine weniger voll-
kommene, teils und vornehmlich, weil ihre Stellung im baulichen
Organismus eine andere war. Der erste Schritt aus der primitiven
Gebundenheit heraus geschah mit dem sog. Steigen oder Stechen-
lassen, welches darin besteht, dass der Durchscheidungspunkt der
Gratbögen höher als die Scheitel der Stirnbögen gelegt wird. Zwei
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
Vorteile wurden hiermit erreicht: es war um Vieles leichter geworden,
Räume zu überwölben, welche in der Grundfläche vom genauen Quadrat
gegen das Oblongum abwichen — eine namentlich beim Umbau
flachgedeckter Kirchen öfters sich einstellende Forderung — , es er-
hielten die Grate eine steilere, mithin statisch günstigere Bogcnlinie.
Indes schritt man nur langsam von geringerer zu stärkerer Steigung
vor; der für die technische Ausführung vorteilhafteste Grad wird
erreicht, wenn die Diagonalen (die bei wagerechtem Scheitel flach-
elliptisch gebildet waren i volle Halbkreisgestalt erhalten. Diese schwer-
lich ohne Kenntnis französischer Vorbilder zu Stande gekommene Ver-
besserung wurde im 3. Viertel des 12. Jahrhunderts eingeführt. Etwa
gleichzeitig ersetzte man den geraden Stich (S. 305, Fig. B) durch
den sphärische Kappen ergebenden bogenförmigen (S. 305, Fig. D
Während diese Reformen im Rheinlande sich anbahnten, beharrte man
in Sachsen bis ans Ende des 12. Jahrhunderts, in einzelnen Fällen
noch länger, beim wagerechten Scheitel, ja man fiel selbst in die
ganz primitive Fassung zurück, dass man die Joch um Joch trennenden
Gurtbögen, die am Rhein nie fehlten, fortliess — was sich in der
Reihe wie ein fortlaufendes Tonnengewölbe mit Stichkappen aus-
nimmt. Bei steigenden Gewölben machen sich die geringeren Grade
der Scheitelüberhöhung dem Auge des unten im Schiff stehenden
Betrachters noch kaum fühlbar; erst stärkerer Stich erzeugt eine wohl-
gefällige Bewegung der Linien und erhöht, der Erscheinungsweise des
Kuppelgewölbes sich nähernd, die selbständige Bedeutung des Joches. —
Alles das waren Verbesserungen von technisch nicht geringem Wert,
aber sie schufen doch keine neuen Grundlagen für die Komposition
im ganzen. Diese brachte erst das Rippengewölbe, mit dessen Auf-
nahme wir den romanischen Stil in seine letzte Epoche eintreten
sehen werden.
Beispiele. Von wagerechtem Scheitel: S. Gothard in Mainz
(Taf. 170), S. Mauritius in Köln (Taf. 175)» I'etersberger Kirche bei
Halle fl'af. 172), Frankenberger Kirche bei Goslar, Kloster Heiningkn.
Dom zu Braunschweig (sämtlich Taf. 176). — Von geradem Stich:
Untergeschoss der Doppelkapelle zu Xeuweiler (Taf. 170. im Mittel-
schiff, wegen der oblongen Grundform, wahrend die quadratischen
Gewölbe der Seitenschiffe wagerechten Scheitel haben; Langhaus zu
Laach, Klos ti rrat, Battenfeld r sämtlich Taf. 175), Chor zu Konio-
lütter (Taf. 176), Abtei Frerüach (Taf. 198X — Frühe Beispiele von
bogenförmigem Stich: Chor und QuerschifT zu Laach (Taf. 1741, Schiff
zu Knechtsteden (Taf. 175}. Erwitte bei Lippstadt, Langchor von
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Zwölftes Kapitel: Der Gewölbebau in Deutschland.
473
S. Gereon zu Köln. In Verbindung mit halbkreisförmigen Graten
kommt er aufs Mittelschiff angewandt vielleicht zuerst im Umbau des
Si'EiEKEK Doms vor; 3. Viertel des 12. Jahrhunderts. Noch älter ist
diese Gratformation in der Krypta zu Laach; doch können wir die
gewöhnliche Meinung nicht teilen, dass diese der frühest ausgeführte
Teil des Gebäudes sei (nach Bock kurz vor Ende saec. 11); die Gewölbe
sind hier, wie im Chorquadrat und Querschiff, entschieden entwickelter,
als im Langhaus. — Endlich wollen wir nicht unerwähnt lassen, dass
am Niederrhein und in Westfalen auch eigentliche Kuppelgewölbe
vorkommen: Querschiff zu Knechtsteden, Mittelschiff von S. Marien
zu Dortmund (Taf. 176), Kirchunde; mit Gratansätzen zwischen
Stirn- und Schildbogen in der einschiffigen Kirche zu Idensen in West-
falen und im Mittelschiff von Kloster Akendsee in der Mark.
DAS SYSTEM. Die beherrschende Idee im deutsch-romanischen
System ist der Stützenwechsel. Er folgt aus der Anlage nach Doppel-
jochen zwar nicht mit unbedingter Notwendigkeit — in Spcier, wie
wir sahen, war er ursprünglich nicht vorhanden — aber er ist ohne
Frage der am meisten logische Ausdruck der gegebenen Druckver-
hältnisse. Was die Form der Stützen betrifft, so kann der Forderung
organischen Zusammenhanges zwischen ihnen und der Gewölbedecke
allein der gegliederte Pfeiler vollkommen Genüge thun. Allein die
deutsch-romanische Kunst, welcher die gruppenmässige Zusammen-
ordnung kontrastierender Glieder immer ein Lieblingsprincip war,
mochte auf den Wechsel der Pfeiler mit Säulen nicht so bald ver-
zichten. Statisch genügte die Säule ihrer Aufgabe als blosser Zwischen-
stütze, deren Beziehung zum Gewölbe, weil dies nur das Seitenschiffs-
gewölbe war, in der Hauptansicht kaum bemerkt wurde; sie bot
ferner den Vorzug, vermöge ihres kreisförmigen Durchschnittes den
Ausblick in die Nebenräume weniger, als ein Pfeiler es gethan hatte,
zu beschranken. Gleichwohl ergaben sich beim Wechsel von Pfeilern
und Säulen Anstösse, welche bei der Flachdeckbasilika unbekannt
gewesen waren, hauptsächlich durch die vermehrte Stärke der Pfeiler,
wie durch das ununterbrochene Aufsteigen ihrer Vorlagen bis zum
Hauptgewölbc, auch wohl noch durch den MissgrifT, dass man die
Säulen zu verjüngen fortfuhr (z. B. Knechtsteden Taf. 175). Zwar
wäre die harmonische Auflösung dieser allzu schroff gewordenen
Kontraste auch im Gewölbebau noch möglich gewesen — durch pas-
sende, namentlich auch horizontale, Gliederung der Hauptpfeiler — ,
gelungen aber ist sie in Deutschland nirgends, ausser in einigen
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
Deutsches mit Französischem glücklich mischenden Kirchen am linken
Ufer des Oberrheins (Taf. 183, Fig. 2, 4, 7). Im Laufe der zweiten
Hälfte des 12. Jahrhunderts verschwand denn auch die Säule als
freistehende ganz, jedoch nur um in der Form eingegliederter Halb-
säulen einen kräftigen Nachwuchs zu hinterlassen.
Wir wenden uns den reinen Pfeilerbauten zu. Die Aufgabe
angemessener Umgestaltung der Pfeiler konnte befriedigende Losung
naturgemäss nur im engsten Zusammenhang mit der anderen Aufgabe,
der Gliederung der Obermauer, finden. Dies hatte gleich der Meister des
Speierer Domes vollauf erkannt und einen grossartigen Rhythmus ebenso
logisch klar in seiner symbolischen Beziehung auf das Struktive, wie
schön in der linearen Proportion angeschlagen. Es ist nun wahrlich
zum Erstaunen, wie wenig Nachfolge er fand. Nur in drei Gebäuden
ist sie zu bemerken: im Dom zu Mainz, den wir bereits erörterten,
dann im Dom zu Worms und in der von diesem abhängigen Stifts-
kirche zu Ellwangen. Die beiden letzteren reichen schon in den
Uebergangsstil hinüber; ihnen ist gemeinsam, dass siezwischen Fenstern
und Arkaden ein Zwischengcschoss von Blendnischen einschalten, das
man wohl als abgeschwächten Nachklang französischer Triforien auf-
zufassen hat (in Ellwangen einige der Nischen wirklich gegen den
Dachraum der Abseiten geöffnet, s. Taf. 171, Fig. 9).
Der Dom zu Worms . Taf. 164, 171, 173) wurde unter Beibehaltung
des Grundplanes von Bischof Burkhard 11000—1025) unter Bischof
Konrad II (1171 — 1192) vollständig erneuert, bis auf die aus dem alten
Bau herübergenommenen Westtürme. Im Jahr der Weihe 1181 war das
Langhaus indes wohl noch nicht vollendet und der über die Grund-
linien der Burkhardschen Anlage hinausgreifende Westchor entstand
erst im 13. Jahrhundert. Das Langhaus zeigt im System mehrfachen
Wechsel: auf der Nordseite beginnen die grossen Blenden wie in Speier
über den Arkadenkämpfern, auf der Südseite (Taf. 173) erst über dem
Gurtgesimse; ausserdem treten hier die erwähnten triforienartigen kleinen
Nischen hinzu, die aber in jedem Joch anders kombiniert werden. Die
Gewölbrippen waren unseres Erachtens anfanglich noch nicht vorge-
sehen; ihre Ausführung wohl erst nach a. 1881. — Vgl. Kunstdenk-
inaler im Grossherzogtum Hessen 1887.
St. Veit zu Eli.waxoen (Taf. t68, 171, 175). F.J.Schwarz, der
Verfasser einer Monographie (Stuttgart 1882) über diese mit der Kon-
gregation von Cluny in Verbindung stehende Stiftskirche behauptet
S. 18, dass sie ganz ausgesprochen den Charakter der burgundischen
Kirchenbauten an der Stirn trage« und nimmt S. 27 insbesondere die
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Zwölftes Kapitel: Der Gewölbebau in Deutschland.
475
Gewölbe (die er übrigens fälschlich Kuppelgewölbe nennt), als >ganz
südfranzösisch oder burgundisclu in Anspruch. Diese Sätze zeugen
von solcher Unkenntnis der verglichenen Objekte, dass sie nicht einmal
diskussionsfähig sind. Das einzige, was wirklich burgundisch an dem
Gebäude ist, hat der Verfasser dagegen nicht erkannt, nämlich den
durch Hirsau vermittelten Chorgrundriss. Ferner glaubt er an die
wesentliche Vollendung in den Jahren 1 100—1124; »"ch dieses ganz
und gar ein Ding der Unmöglichkeit. Uns scheint, bei Mangel sonstiger
Analogien, das Vorbild nur im YVormser Dom gesucht werden zu können.
Die Formen sind künstlerisch roher, konstruktiv reifer: vgl. die Streben
unter den ScitenschirTsdächcrn und die Dienste der Rippen.
Die grosse Masse schlug einen anderen Weg ein. Sie blieb
hinsichtlich der vertikalen Gliederung der Obermauer beim nackten
Bedürfnis stehen. Das in Speier so glücklich aufgenommene Princip
der senkrechten Zwischenteilung der Schildwand durch einen über
dem Zwischenpfeiler entspringenden Pilaster fand keine Nachahmung.
Unterstützte es dort durch seine optische Wirkung aufs löblichste
den Charakter des Hochbaus, so lassen hier die leeren, mehr
breiten als hohen Wandflächen zwischen der Fensterbank und den
Arkaden den Aufbau niedriger erscheinen, als er ist (Beispiele auf
Taf. i?5, 176). Nicht minder empfindlich ist die Dürftigkeit der
wagerechten Teilung. Ein unbedeutendes Gurtgesims, das sich aber
niemals um den Hauptpfeilcr herumzieht1), ist alles und oft fehlt
auch dies wenige. Um der Bedeutung dieses Mangels ganz inne
zu werden , betrachte man zum Vergleich eine burgundische Kirche,
etwa die Kathedrale von Autun (Taf. 139) oder die Abteikirche
von Vezelay (Taf. 150), wo die Gesimse zwei oder selbst dreimal
um die Pfeilervorlagen gekröpft werden. — Besser gelang die verti-
kale Pfeilergliederung. Von der richtigen Erwägung ausgehend, dass
an einem viereckigen Pfeiler die Ecken für die Widerlagerung we-
niger in Anspruch genommen werden , als die den Mittelaxen
näher liegenden Teile, kam man auf den kreuzförmigen Durchschnitt,
welcher statisch mehr leistet als ein viereckiger Pfeiler von gleichem
Volumen und überdies bessere Durchblicke gewährt. In einfachster
Fassung zeigt diese Form S. Mauritius in Köln (Taf. 175. F'ig. 1);
später komplicierte man sie durch Vermehrung der Vorsprünge, die
teils Pilaster- teils Halbsäulenform erhielten. Die Zwischenpfeiler bc-
l) Die seltenen Ausnahmen, wie im Dom zu Worms und einigemal im Elsass,
weisen auf Kenntnis französischer Hauweise.
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476
Zweites Buch. Der romanische Stil.
Hess man lange Zeit in schlichter, ungegliederter Vierecksgestalt. Die
fortschreitende Kunst empfand indes diesen Gegensatz als einen zu
harten und vermittelte ihn durch Halbsäulen (Taf. 176, Fig. 4, 5). Einfach
und zierlich ist das (schon in der Flachdeckbasilika vorgebildete^ Motiv
der Ecksäulchen im sächsischen Provinzialismus (Taf. 176, Fig. 1, 2). —
Die Axenabstände der Stützen haben nach dem Gesetz des gebundenen
Grundrisses ein konstantes Mass, nämlich die Hälfte der MittelschifFs-
weite, sehr ungleich aber ist die Stärke der Pfeiler ') und im um-
gekehrten Verhältnis die Weite der Arkaden.
Die QuerschifTsverhältnisse sind, wenn man die Höhe bis zum
Gewölbcscheitel rechnet, ungefähr dieselben, wie sie sich für die Flach-
deckbasiliken festgestellt hatten. Da jedoch die Unterkante der Gurt-
bögen mehr oder minder tiefer liegt, namentlich bei steigenden Gewölben,
und noch viel tiefer die den Kindruck mitbedingende Kampferlinie,
so erscheinen sie um ein gutes Teil niedriger. Ueberhaupt erhellt
aus allem bisherigen zur Genüge, dass der Gewölbebau auf der Stufe,
die er im 12. Jahrhundert einnahm, als Raumkunst wenig zu leisten
vermochte, viel weniger als vor und neben ihm die Flachdeckbasilika.
Endlich ist noch eine höchst auffallende Unterlassung anzumerken :
die, dass die Deutschen niemals-) auf den Gedanken kommen, die
Widerlagsmauern durch Streben an der Aussenscite, wie sie in Frank-
reich allgemein im Gebrauch waren, zu verstärken. Sie wären hier
statisch wichtiger gewesen, als die Pilastervorlagen an der inneren
Wandfläche und es hätten die gegen die Seitenschiffe gerichteten Vor-
sprünge der Hauptpfeilcr ihnen ein genügendes Unterlagcr dargeboten.
Damit wäre zugleich eine wesentliche Erleichterung der gesamten
Mauermasse ermöglicht gewesen. Dass von all diesen Vorteilen kein
Gebrauch gemacht wurde, beweist, dass die Deutschen des 12. Jahr-
hunderts von den in einem Gewölbebau auftretenden Kräften und
deren Verlauf keine klare Vorstellung hatten.
Vergleichen wir, um die Summe zu ziehen, den Gewölbebau
des 12. Jahrhunderts mit den beiden Entwickelungsstufen der deutschen
Baukunst, zwischen denen er zeitlich in der Mitte steht, so können
wir uns des Eindrucks seiner künstlerischen Inferiorität — die beiden
Kaiserdome immer ausgenommen — nicht entschlagen. Er ist gleich
') Nach Mölünger 2—2'/.. Teile, in Westfalen bis zu 3 '; j Teilen ilcr als 10 an-
genommenen Mitlelschiffsweile.
-) Fig. 2 u. 7 auf Taf. 171 kommen, als dem späten Uebergangsstil angehörend,
hier nicht in Betracht.
uig
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Zwölftes Kapitel: Der Gewolbebau in Deutschland.
477
weit entfernt von dem anmutsvollen Ernst der Flachdeckbasiliken, wie
von der reichen frohen Pracht der Hauten des Ucbergangsstils : sein
Charakter ist Schwerfälligkeit, Rauhheit, Nüchternheit. Das gebundene
System, dem man sich mit so abschliessender Einseitigkeit ergab,
hatte zwar den Anschluss an das Ueberlieferte bequem gemacht, aber
diese Bequemlichkeit war zur unheilvollen Fessel geworden. Erst
ganz am Schluss des 12. Jahrhunderts, als er anfing Elemente der
inzwischen in Frankreich begründeten Gotik in sich aufzunehmen,
gewann der deutsch - romanische Stil wieder Bewegungsfreiheit und
Gedankenreichtum.
»
4. Der Uebergangsstil.
Der Name Uebergangsstil — unter welchem man herkömmlicher
Weise die deutsche Baukunst der späteren Hohenstaufenzeit, vom
Tode Friedrich Barbarossas bis zum Ausgang Friedrichs II. versteht —
verdankt seine Entstehung der falschen Deutung einer an sich richtig
wahrgenommenen Thatsache. Richtig ist, dass in ihm zu dem roma-
nischen bereits gotische Stilbestandteile mehr oder minder reichlich
hinzutreten ; falsch ist, dass diese Erscheinung aus einem inneren Ent-
wicklungsbestreben hervorgegangen sei, dass der Uebergangsstil zu
derjenigen Gotik, die seit 1250 in Deutschland herrschend wurde, als
organische Vorstufe sich verhalte. Ist also die Bezeichnung schlecht
gewählt — i spätromanisch* hatte anstatt dessen genügt — so ist es
doch nicht gelungen, sie auszumerzen, und uns will scheinen, dass
man sie ohne sonderlichen Schaden weiterführen dürfe, wofern nur
richtig erfasst wird, was inhaltlich unter ihr zu verstehen sei.
Was wir Uebergangsstil nennen, ist also in Wahrheit kein Ueber-
gangs-, vielmehr ein Mischstil, in welchem das gotische Element von
aussen hinzugetragen, aus der zeitlich parallel laufenden, sachlich weit
vorausgeeilten französischen Baukunst entlehnt ist. Allein dieses fest-
zustellen genügt noch nicht: als Wesentliches kommt die beschrankende
Bedingung hinzu, dass die gotischen Elemente immer nur gesondert
auftreten, niemals ein zusammenhängendes System, in welchem erst
sie zu wirklich »gotischen« werden würden, eingehen. Dies ist es,
was den Uebergangsstil von dem rein romanischen einerseits, von
dem wirklich gotischen andererseits unterscheidet. Dass er darum
>als ein eigener, wenn auch nicht konsequent durchgebildeter Stil
betrachtet werden müsse« (Schnaase), können wir nicht zugeben, eben-
sowenig als wir eine nochmalige Scheidung in > romanischen Ueber-
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Zweites Much: Der romanische Stil.
gangsstil« und »gotischen Uebergangsstil c (Lötz) für erspriesslich oder
auch nur durchführbar erachten. Der deutsche Uebergangsstil ist
romanisch in seinem innersten Lebensgesetz. Ja die Art. in welcher
er seine französisch-gotischen Anleihen verwendet, bringt erst recht
an den Tag, wie sehr und ganz er romanisch geblieben ist. Denn
ihn treibt zu diesen Anleihen nicht etwa geheime Sehnsucht nach
dem gleichen Ziele, sondern der Wunsch nur, seinen Formenvorrat
im einzelnen zu bereichern, zu erfrischen, um im ganzen desto freier
und breiter nach seiner eigenen Art sich auszuleben. Mögen immerhin
die drei Grundelemente des gotischen Systems, Rippengewölbe, Spitz-
bogen , Strebewerk, in den deutschen Uebergangsstil aufgenommen
sein: sie hören dadurch, dass sie aus der logischen Verbindung, in
welche die französische Schule sie gesetzt hatte, hier ausgelöst sind,
doch wieder auf, x gotisch * zu sein; ja sie können eine der romani-
schen Formenwclt fremde Erscheinung nur vom Standpunkte der bis-
herigen deutschen Entwickclung genannt werden ; den meisten Schulen
Frankreichs, der aquitanischen, proven^alischen, burgundischen waren
sie schon in der frühromanischen Epoche bekannt gewesen. Mit ihrer
Aufnahme thaten die Deutschen dasselbe wie die Nordfranzosen —
und doch wieder etwas ganz anderes, weil sie andere Folgerungen
daraus zogen. Diese Anleihe allein, gesetzt, jede weitere Verbindung
mit Frankreich wäre danach abgebrochen worden, hätte nimmermehr
genügt, in der deutschen Baukunst die Wendung zur Gotik zu voll-
bringen. Dazu bedurfte es einer zweiten Einströmung des französischen
Baugeistes. Dieser zweiten ergaben sich, ein halbes Jahrhundert später,
die Deutschen bedingungslos; in der vorangehenden, der hier für uns
in Rede stehenden Epoche aber verhielten sie sich zur fremdem Gabe
prüfend , sondernd , wählend , im Trachten nach ihrem eigenen Ziele
unbeirrt. So war denn keineswegs in der Mischung der Stilelemente
das romanische etwa der passive, das gotische der aktive Teil,
vielmehr jenes der geistig herrschende, dieses das dienende.
Indem die deutsche Baukunst seit dem Ende des 12. Jahrhunderts
aus ihrer strengen nationalen Abgeschlossenheit heraustrat, gehorchte
sie nur einem auf allen Gebieten in Wirkung tretenden weltbürger-
lichen Zuge. Die Kreuzzüge und die an diese sich anschliessenden
Bewegungen hatten die Völker einander näher gebracht, zugleich aber
auch die in jedem derselben schlummernden besonderen Kräfte erweckt
und in Fluss gesetzt. Die lebhafteste Initiative in dem, was damals
moderner Geist war, wird niemand den Franzosen streitig machen.
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Zwölftes Kapitel: Der Gewölbebau in Deutschland.
479
Ihr Einfluss auf Deutschland wird seit der Mitte des 12. Jahrhunderts
immer deutlicher fühlbar. Während die altberühmten heimischen Kloster-
schulen, durch die an den Investiturstreit sich anschliessenden Kämpfe
schwer betroffen, veröden, zieht die aufstrebende Jugend nach Paris, um
durch die neue. Religion und Vernunft, Kirchenväter und Aristoteles
zu höherer Einheit verschmelzende Wissenschaft der Scholastik sich
erleuchten zu lassen; die von den neuen in Frankreich entstandenen
Mönchsorden der Prämonstratenser und Cistercienser ausgehende prak-
tisch-sittliche Bewegung pflanzt sich mit beispiellosem Erfolge nach
Deutschland fort; deutsche Reformer und Denker, wie der heilige Norbert,
Hugo von St. Viktor, später Albert der Grosse finden die wirksamsten
Ansatzpunkte ihrer Thätigkeit in Frankreich. Nun wollen auch die
weltlichen Herren, ihrer bäurischen Schlichtheit sich schämend, nicht
zurückbleiben und gehen bei ihren französischen Standesgenossen in
ritterlichem Brauch und höfischem guten Ton, in Tracht und Waffen-
fuhrung in die Lehre; ja selbst die erwachende deutsche Dichtung
verlässt alsbald die volkstümliche Weise, um durch Aneignung franzö-
sischer Stoffe, durch Nachbildung französischer Formen ihr Publikum
erst ganz zu befriedigen. Und die Baukunst? Es wäre sicher nicht
wider den Zusammenhang der Dinge gewesen, hätte sie schon jetzt
dem romanischen Stil den Abschied gegeben, dem gotischen die
Herrschaft eingeräumt. Das ist, wie wir sahen, nicht geschehen. Das
gotische Element spielt keine wichtigere Rolle im deutschen Ueber-
gangsstil, als das französische Lehnwort in der Sprache der höfischen
Dichter. Ja, bemessen wir den französischen Einfluss nach seinem
Totalgewicht, so hat ihm die Baukunst zweifellos ungleich weniger
nachgegeben, als die Dichtkunst. Wir wollen die sehr zusammen-
gesetzten Gründe dieser Erscheinung hier nicht untersuchen. Von
Belang war neben anderem gewiss dieses, dass, je höhere Ansprüche
das vervollkommnete Bauwesen an das technische Wissen und Können
stellte, um so mehr der früher massgebende Anteil der vornehmen
geistlichen Bauherren zurücktrat, und die Bauleute selbst, Laien mit-
hin, die Seele des Werkes wurden. In diesen Kreisen wurde schon
jetzt fleissig Wanderschaft nach Frankreich geübt, aber das Vorur-
teil für das Ausländisch -modische gewann naturgemäss — denn
das eigentliche Volk ist immer konservativ — in ihnen bei weitem
nicht die Macht, wie vergleichsweise in der ritterlichen Dichterzunft
oder bei den gelehrten Theologen. Es ist ein allgemeines Gesetz,
dass die bildende Kunst einen neuen Gehalt des geistigen Lebens
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
erst aufnimmt, wenn er seit längerer Zeit in der Litteratur verarbeitet
und dem allgemeinen Bewusstsein assimiliert ist. Die Geister zweier
Weltalter, des scheidenden hohen und des aufsteigenden späten Mittel-
alters, begegnen sich im Anfang des 13. Jahrhunderts. Volkstümlich
kraftvoll, romantisch ungebunden, in heiter blühender Pracht lebt in
der Baukunst jenes sich aus; hingegen die Formenkorrektheit der
höfischen Dichter, die dialektischen Künste der Scholastiker weisen
auf Strömungen, die erst in der Gotik ihr baugeschichtliches Seiten-
stück finden werden.
Aber noch ein anderer, ein unseliger Widerspruch geht durch
diese Epoche der deutschen Geschichte. Es stehen sich gegenüber:
unerschöpfliches Aufsteigen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Kräfte — völlige Zerrüttung, völliges Versagen der staatlichen Ein-
richtungen. Gedeihlicher Wohlstand bei Rittern und Bauern, im Auf-
blühen der Städte und mit ihnen des Handels und der Gewerbe eine
neue, bis dahin kaum bemerklich gewesene Kraft; dazu noch ein
Ueberschuss an Säften, mächtig genug, um weite Strecken des Ostens
unaufhaltsam zu überfluten, mit deutschem Leben, abendländischer
Kultur zu erfüllen: aber die oberste Rcichsgewalt eben in dieser
Zeit endgültig zerstört, die öffentliche Ordnung rettungslos ins Chaos
versunken. In tausend kleine Rinnsale von nun ab zerspalten fliesst
der Strom des nationalen Lebens weiter, herrlichste Kräfte ergebnislos
aufzehrend. —
Keine Epoche des deutschen Mittelalters, auch keine spätere
mehr, hat eine so grosse Masse von Werken, und darunter so häufig
künstlerisch wertvolle, hervorgerufen: dennoch müssen wir sagen, ist
der Uebergangsstil zu voller Entfaltung seines Könnens nicht gelangt.
Die grössten Bauherren der vorigen Zeiten, die Bischöfe, jetzt völliger
denn je von ihrer fürstlichen Stellung absorbiert, zeigen bei weitem
nicht mehr den Baueifer von ehemals ; bei den Kaisern des staufischen
Hauses sucht man grossartige Förderung des Kirchenbaues , wie bei
den Ottonen und Saliern, umsonst. Daher wurden in dieser Zeit die
deutschen Dome — im auffallenden Gegensatz zu den Ländern der
Krone Frankreich , die damals ihre Kathedralen sämtlich von Grund
auf neu erbauten — meist nur in einzelnen Teilen hergestellt oder
erweitert (Mainz, Worms, Speier, Trier, Strassburg); selbst bei um-
fassenderer Erneuerung konservierte man aus Sparsamkeit den alten
Unterbau (Bamberg. Naumburg, Münster, Osnabrück); völlige Neu-
bauten wurden nur im Nordosten in Angriff genommen und gerade
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Zwölftes Kapitel: Der Gewölbebau in Deutschland.
die grossartigsten gerieten mitten im Werke in Stockung (Magdeburg,
Halberstadt, Lübeck). Noch weniger Unternehmungslust regte sich
in den grossen alten Rcichsabteien. Alle Spcndelust der Laienwelt
konzentrierte sich auf die modernen Orden der Prämonstratenser und
Cistercienser, deren Bauweise jedoch vielfach abweichende Züge aufzeigt
und deshalb in einem eigenen Kapitel besprochen werden soll. Dafür
trat eine neue Gattung, die bis dahin in bescheidenen Grenzen sich
zurückgehalten hatte, wetteifernd auf den Plan : die Pfarrkirchen der
aufblühenden Städte und die kleinen Stiftskirchen, wofern sie an
wohlhabenden Bürgerschaften oder fürstlichen Herren eine Stütze
fanden ; gerade unter diesen hat der Ucbergangsstil viele seiner be-
zeichnendsten und reizvollsten Werke geschaffen.
Man sieht, woran es der deutschen Baukunst dieser Epoche
gebrach: Aufgaben höchsten monumentalen Ranges traten an sie zu
selten heran und noch seltener wurde ihnen ungestörte Durchführung
gegönnt. Ks tauchten wohl neue Gedanken auf, darunter bedeutende
und fruchtbare, aber sie blieben vereinzelt , gelangten nicht zu folge-
richtiger Durch- und Ausarbeitung. Die Masse der Uebergangsbauten
hielt an den bis zu Ende des 12. Jahrhunderts entwickelten Grund-
motiven , insbesondere an dem System und der Raumbildung des
Inneren fest. Sie bequemer, flüssiger, harmonischer durchzubilden
war die Aufgabe. Mit voller Energie erfasst, hätte dies zur Sprengung
des überlieferten gebundenen Gewölbesystems führen müssen. Aber
man gelangte dahin erst, als es für die Entwickehing im ganzen zu
spat war. Desto unbeschränkter und froher erging sich die Erfindungs-
lust nach der Seite der dekorativ-malerischen Erscheinung. Nur war
auch hier wieder der Innenraum der weniger dankbare Boden. Und
so ist es schliesslich der Aussen bau, dem die ganze Liebe des
Kunstschaffens der Epoche zugehört und worin sie erst zeigt, was sie
vermag; wir werden ohne Zaudern bekennen: herrliches.
DIE GEWOELBE. Der prinzipiell wichtigste Fortschritt in ihrer
Bildung ist die Einführung der selbständig gemauerten Diagonal-
rippen. Ohne Zweifel ist dies System den Franzosen abgelernt.
In Betreff der Zeit seiner Aufnahme fehlen genaue Daten ; allgemeinere
Verbreitung hat es vor dem Schlussdezennium des 12. Jahrhunderts
sicher nicht gefunden, also mehr wie 50 Jahre später als in Frank-
reich. Und wie es bei dergleichen Entlehnungen nicht selten geschieht:
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
die Vorteile, die sie darbot, wurden bei weitem nicht vollständig aus-
genutzt. Ja, es war das überhaupt nicht möglich, solange nicht die
grossquadratische Gewölbeanlage durch schmalrechteckige oder min-
destens sechstcilige ersetzt wurde. Die Gewölbekappen, statt in
korrektem Steinschnitt vielfach noch aus unregelmässig geformten
Steinen in reichlicher Mörtelbettung ausgeführt, blieben noch immer
sehr schwer und die Mauern , keineswegs stets mit entlastendem
Schildbogen versorgt, verloren wenig an Dicke. In Westfalen ist es
sogar das Gewöhnliche, dass die Rippen an das fertige Gewölbe ge-
fügt werden, also ein blosses Dekorationsglied sind. Oft wurde aber
nicht einmal dieser Schein aufrecht erhalten, vielmehr zeigten sich die
Gewölbe nach alter Weise mit scharfen Gräten noch im zweiten und
dritten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts (Heisterbach, Naumburg.
St. Martin in Braunschweig und öfters in Westfalen). Andererseits
hingegen beliebte man Verdoppelung der Rippen, indem zu den vier
übereck gestellten vier an den Scheiteln der Kappen angeordnet
wurden — wiederum lediglich eine Gliederung fürs Auge. (Beispiele:
Osnabrück, Münster, Legden, Querschiff zu Minden, Sinzig, Roermond;
am seltsamsten in Boppard, wo ein spitzbogiges Tonnengewölbe mit
Gruppen von je acht von einem Mittelpunkt ausstrahlenden Rippen
besetzt ist.) Derselben dekorativen Tendenz entspringen endlich die
phantastischen, tief herabhängenden Schlusssteine, auch sie eine Eigen-
tümlichkeit der rheinisch-westfälischen Schule (Bacharach, Roermond,
Legden, Billerbeck).
Etwa gleichzeitig mit den Diagonalrippen, in Sachsen und West-
falen noch vor diesen, hielt der Spitzbogen seinen Einzug1). Ra-
tionelle Verwertung desselben hätte dahin führen sollen, die Scheitel
der Quer- und Schildbögen, welche im bisherigen System bedeutend
tiefer als der Kreuzungspunkt der Gräte lagen, mit diesem in gleiche
Höhe zu rücken. Anstatt dessen hat der Uebergangsstil häufig den
Scheitelstich noch gesteigert. Der formale Effekt kommt dem fran-
zösischen Domikalgewölbe sehr nahe. Zumal einige westfälische
Bauten, wie der Dom zu Osnabrück und besonders der zu Münster,
das Querschiff zu Minden, von kleineren Kirchen die einschiffige zu
Zwischenahn . erinnern direkt an die Bauten des Anjou und Poitou ,
') '/.. B. im Braunschweiger Dom gehören die sjutzbogigen Gratgewölbe sicher
der ersten, 1173 beginnenden Üauzeit ; ;ds a. 1 1 95 der Blitz die Türme in Brand
steckte, muss nach dem Zusammenhang des Berichtes die Wölbung des Schiffe* vollendet
gewestn sein.
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Zwölftes Kapitel: Der Gewölbebau in Deutschland.
483
ja, mehr noch , selbst die oben erwähnten Scheitelrippen haben sie
mit diesen gemein (vgl. T. 189, 2 mit T. 108, 109); schwerlich ein
blosser Zufall, da auch andere Motive (wie die Fenster im Querhaus
zu Münster, der Chor zu Osnabrück, ebenda im Langhaus die äus-
sere Dekoration des Lichtgadens, auf Verkehr der nieder- rheinisch-
westfälischen Schule mit der angevinischen und normannischen
hinweisen l). In konstruktiver Hinsicht hatte die starke Scheitel-
stechung den Nachteil, dass die Schildmauern wegen des in ganzer
Ausdehnung gegen sie gerichteten Seitendruckes sehr massiv gehalten
werden mussten ; ästhetisch jedoch wirkt sie, zumal bei Einteilung
des Gebäudes in wenige, aber grosse Kompartimente, vorteilhaft.
Offenbar war die Vorliebe für Kompositionen letzterer Art mit ein
Grund, weshalb die in der nordfranzösischen Schule so bald erreichte
annähernd wagerechte Lage der Gewölbescheitel vom deutschen Ueber-
gangsstil erst ganz gegen sein Ende rezipiert wurde (Bamberg, Naum-
burg, Nürnberg ; früher im Südwesten : Gebweiler, Enkenbach südlicher
Kreuzarm des Strassburger Münsters im Gegensatz zu dem etwas
älteren nördlichen Taf. 179).
Das eben geschilderte Verhältnis zum Rippengewölbc und zum
Spitzbogen lässt begreifen , dass die deutsche Uebergangsarchitektur
dem dritten Grundelemente des französischen Systems, dem Strebe-
bogen, erst recht mit Zurückhaltung begegnete. Er konnte mit Fug
als entbehrlich gelten, da man ja die Folgerungen, um derenwillen er
den Franzosen so wertvoll wurde, gar nicht zu ziehen gesonnen war.
Seine Erscheinung ist den Deutschen offenbar anstössig gewesen. Und
in dieser Abneigung wurden sie noch bestärkt durch die als erste
Vermittlerin gotischer Konstruktionsgedanken so einflussreiche cister-
ciensische Bauschule, welche, wie wir später sehen werden, mit dem
offenen Strebebogen gleichfalls nichts zu schaffen haben wollte. —
So mächtig nun auch die Schildwände in Deutschland noch immer
gebildet wurden: dieses drang doch mehr und mehr durch,
dass einige Verstrebung nicht zu entbehren sei. Der durchgreifende
Unterschied zwischen der deutschen und der französischen Lösung
ist hierin der, dass diese nur einzelne Punkte, jene aber die Mauer
in ihrem ganzen Verlaufe verstrebte (durch Emporen). Infolgedessen
hat der Uebergangsstil selbst die einfachste (in Frankreich schon in
') Hiernach wäre sogar ganz möglich, dass das System von Kirch linde, Kuppel-
gewölbe von schmalen Tonnen flankiert (Taf. 169, Fig. 8) mindestens indirekt von der
Schule des I'erigord abstammte.
484
Zweites Buch: Der romanische Stil.
frühromanischer Zeit stark verwertete) Form der intersecierenden Ver-
strebung, den Strebepfeiler, die längste Zeit noch ausser Anwendung
gelassen1). Der deutsche Konstruktionsgedanke geht wesentlich darauf,
den Mauerabschnitt von den Kämpfern der Hauptgewölbe bis zu der
durch die Seitenschitfsgewölbe gesicherten Linie thunlichst kurz zu
halten. Schon die dem 12. Jahrhundert angehörigen Schnitte auf
Taf. 171, noch mehr diejenigen auf Taf. 172 geben dies zu erkennen.
Misslich blieb dabei die Beschränkung der Höhenentwickelung. Sollte
diese gesteigert, der wagerechten Gliederung des Systems mehr Frei-
heit und Abwechselung geliehen werden, so bot sich als schicklichstes
Hilfsmittel die Anbringung von Emporen über den Seitenschiffen.
Dies ist das Lieblingsmotiv der rheinischen Uebergangsbauten. Dass
das Vorbild der Lombardei, welche gerade damals die Emporen fallen
Hess, nennenswert mitgewirkt habe, glauben wir nicht; ebensowenig,
dass französischer Einfluss im Spiele sei; die bis in die Karolinger-
zeit hinaufreichende und nie ganz unterbrochene eigene Tradition
des Rheinlandcs ist Erklärung genug.
Auf die Dauer indes konnten die deutschen Bauleute der Ein-
sicht in den Nutzen besonderer Verstrebung der Anfallspunkte der
Gewölbe sich nicht verschliessen. Höchst merkwürdig bleibt, dass
sie dabei dem bereits völlig entwickelten französischen System nach
wie vor am liebsten aus dem Wege gingen. Annehmbarer erschien
die Strebe mauer nach lombardischem und cisterciensischem Vorbild,
allerdings auch diese oft unter dem Dach der Abseiten verborgen,
wie in Ellwangen, Basel, Trebitsch, Petersberg bei Halle; höher ge-
führt und deshalb offen am alten Dom zu Salzburg, in Naumburg,
Roermond. Daneben vereinzelt der wirkliche Strebebogen. Unter
dem Dach: in Limburg. Bacharach (?), Güls bei Koblenz; offen am
Dekagon von S. Gereon zu Köln a. 1227; ungefähr gleichzeitig an
der Kapitolskirche ebenda und am Münster in Bonn, um etliche Jahre
jünger in Limburg a. L.
Ein ganz originelles Konstruktionssystem, man möchte sagen, von
eigensinniger Selbständigkeit gegenüber dem französisch -gotischen,
zeigt die Abteikirche Heistkrhach. Sie gehört dem Cistercienserorden.
wird aber am füglichsten schon hier zu besprechen sein. Der Bau,
bald nach 1202 begonnen, war a. 1227 im wesentlichen fertig; a. 1S10
von der französischen Regierung abgebrochen bis auf den Chor; das
>) Früheste Heispiele die Seitenschiffe von Cistercienserkirchen : Bronnbach,
S. Thomas a. (!. Kyll, jene c. 1170 — 80, diese noch spater.
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Zwullte* Kapitel: Der (iewölbcbau in Deutschland.
übrige nur aus den von Boisseree veröffentlichten Zeichnungen bekannt
(Taf. 195, 199, 200, 177, 272, 273^. An der Behandlung der Gewölbe ist
zunächst auffallend, dass sie den Spitzbogen fast ganz vermeiden ; ferner
dass sie die um diese Zeit am Rhein sonst allgemein gebräuchlichen
Diagonalrippen abweisen : dennoch sind ihnen Formen gegeben —
oblonger Grundriss im Mittelschiff und eine höchst komplizierte In-
einanderschiebung von Kappen, sieben in jeder Abteilung, der Ab-
seiten — welche recht eigentlich ein Produkt des gotischen Rippen-
systems genannt werden müssen. Also unter altertUmelnder Verklei-
dung modernste Errungenschaften. Kbenso ist ein Strebesystem in
Anwendung gebracht, welches von genauer Kenntnis der struktiven
Bedingungen zeugt, aber die Lösung auf ganz eigenartigem Wege sucht.
Zunächst sind die Abseiten sehr hoch geführt; die Arkadenscheitel
treffen nahe an die Kämpferlinie der Mittelschiffsgewölbe , so dass
etwas Aehnliches geleistet wird, wie sonst mit der Anordnung von Em-
poren; dabei ermöglicht aber doch die sinnreiche Teilung der an der
Seite der Umfassungsmauer liegenden Kappen (vgl. Grundriß Taf. 1951
dieser Mauer eine massige, für den äusseren Aufbau nicht störende
Hohe zu belassen. Von besonderer Wichtigkeit ist sodann die Mauer-
gliederung gemäss dem Querschnitt (Taf. 177). Man bemerkt eine
Teilung in zwei Geschosse: in dem unteren ausgesparte Nischen nach
altrömischer, im Rheinlande nie ganz vergessener Weise (vgl. Essen,
S. Kastor in Koblenz, die Ostpartien der Kölner Kirchen S. Aposteln,
S. Martin u. s. w.); im oberen derselbe Wechsel von Ausbuchtungen
und Vorsprüngen, nur dass dieselben sich nach aussen wenden. Das
Ganze ein wohldurchdachtes und höchst wirksames, wenn auch dem
Auge sich verbergendes Strebesystem. Dasselbe vollendet sich in
Strebemauern, welche an der Mittelschiffswand bis über die Gewölbe-
anfänge aufsteigen, nach aussen mit der Neigung der Seitenschiffs-
dächer fast zusammenfallen, nach unten mit tlen Quergurten der Seiten-
schiffe eins sind, — alles in allem also nichts anderes, als latente
Strebebögen. Nicht ganz so vollkommen gelang die Absicht im
Chor, denn hier nötigte die tiefere Lage der Fenster zu einer flachen
Dachneigung über dem Umgang, so dass die Streben nicht mehr völlig
maskiert werden konnten (Taf. 199, 273). Die Gewölbe des Mittelschiffs
sind ohne Rippen , mit starkem bogenförmigem Stich. Ohne Frage
bildet der Bau von Heisterbach eine der merkwürdigsten Episoden in
der Geschichte des deutschen Uebergangsstiles. Es ist als ob der
Meister, mit dem Wesen der gotischen Konstruktion vollkommen ver-
traut, den Nachweis habe liefern wollen, wie man dieselbe unge-
schmälert sich zu Nutze machen und doch deren Auswüchse — als
welche er das offene Strebewerk ansah — vermeiden könne. Das
Experiment fand keine Nachfolge.
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486
Zweites Buch: Der romanische Stil.
GRUNDRISS UND RAUMBILDUNG. Grundsatzliche Neue-
rungen treten in Betreff dieser beiden nicht hervor; selbst die gegen
Ende der Epoche häufig werdenden polygonen Chöre kann man dahin
nicht rechnen, da sie wenigstens für die Innenansicht kein wesentlich
verändertes Bild ergeben. Wohl aber sind die Gestaltungsmöglich-
keiten zahlreicher geworden und variiert sich das individuelle Bau-
gefühl in zunehmender Mannigfaltigkeit. Am ehesten lassen die nieder-
rheinische und die westfälische Schule, die beiden fruchtbarsten der
Epoche, den Untergrund eines gemeingültigen Ideales erkennen. Die
langgestreckten Anlagen des n. und 12. Jahrhunderts machen ge-
drungenen , bis zu einem gewissen Grade zentralisierenden Planen
Platz. Das Mittelschiff wird auf drei, selbst zwei Quadrate beschränkt
am häufigsten wird es damit in seiner Längenausdehnung dem Ouer-
schiffe gleichgesetzt (Taf. 165, Fig. 6, 13; Taf. 168, Fig. 1, 2, 4, 6
7, 9), ja zuweilen sogar kürzer gelassen (Taf. 165, Fig. 7; Taf. 166,
Fig. 8. 10, 11). Die hierin eingeschlagene Richtung gehorcht zunächst
wohl der Rücksicht auf den Aussenbau, für welchen Geschlossenheit
der Gruppe, in einem Zentralturm gipfelnd, vorzüglich gewünscht
wurde, sie ist aber naturgemäss von der zentralisierenden, auf das
übersichtlich Weite und Freie ausgehenden Raumbehandlung de»
Innern untrennbar. Die folgerichtigste und schönste Entwickelung
tritt ein, wenn das Vierungsgewölbe sich öffnet, dem Aufblick in den
Turm, dem Herabströmen reichlicher Lichtwellcn freie Bahn macht
und so den Raummittelpunkt auch zum Lichtmittclpunkt — anderen-
falls ist gerade er der dunkelste Teil — erhebt. Mit das früheste
Beispiel für diese Anordnung wird die Apostelkirche in Köln sein,
während S. Martin ebendaselbst eine geschlossene Vierung hat; dk
offene begegnet weiter in Neuss, Roermond, Limburg. Gelnhausen.
Mainz, Offenbach am Glan in mannigfach abgestufter, jedesmal herr-
licher Wirkung. In Westfalen , Sachsen , am Oberrhein bleiben die
Zentraltürme für die Innenwirkung unverwertet: Osnabrück. Königs-
lutter, S. Godehard in Hildesheim, Freiburg i. B., Gebweiler, Schlett-
stadt (eine Ausnahme das Strassburger Münster).
Noch entschiedener äussert sich das zentralisierende Prinzip in)
Grundplan der sogenannten Dreikonchenkirchen. Die Stamm-
mutter dieser Familie ist S. Makia im Kapitol zu Köln (Taf. r4 •
Die ganz ungewöhnliche Grundform dieser Kirche verdankt einem
Zufall ihre Entstehung. Es bestand hier mutmasslich ein in die Urzeit
der Stadt hinaufreichender, spätestens im 8. Jahrhundert zur Kirche
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Zwölftes Kapitel: Der Gewoibebau in Deutschland.
487
eingerichteter Zentralbau, welchen Erzbischof Hermann II. vor Mitte
des 12, Jahrhunderts auf den alten Fundamenten erneuerte, jedoch, da
der zentrale Plan den gottesdienstlichen Gewohnheiten der Zeit ganz
zuwiderlief, unter Hinzufugung eines basilikalen Langhauses im Westen.
Aber auch in dieser Anpassung erschien der Bau noch zu fremdartig,
im Grundriss wie in den breiträumigen Verhältnissen, um zur Nach-
ahmung zu reizen. Eine freilich nur ins allgemeine gehende Verwandt-
schaft der Anlage zeigt hundert Jahre später die Kathedrale von
DoOKNYK (Tournay) im Hennegau (Grundriss Taf. 83, Aufbau des Quer-
schiffs Taf. 149). Dass der Gedanke des halbkreisförmigen Schlusses der
Kreuzarme, wie er hier auftritt, selbständig gefasst sei, in Anknüpfung
lediglich an das französisch romanische Motiv des Chorumganges, ist
nicht schlechthin ausgeschlossen; wahrscheinlicher dünkt uns doch,
dass die Erinnerung an die berühmte Kölner Kirche massgebend hinein-
gespielt habe; denn zu ganz neuen, voraussctzungsloscn Erfindungen
hatte die Baukunst des Mittelalters wenig Neigung. Von Doornyk
wird dann das Motiv an die rasch nacheinander entstandenen Kathe-
dralen von Cambray (Grundriss bei Darcel et Lassus, l'Album de
Villard d'Honnccourt pl. 67), Noyon, Soissons weitergegeben. In Köln
selbst erzeugte erst der Uebergangsstil aus dem Planmotiv der alten
Kapitolskirche einen neuen, freilich reichlichen Nachwuchs, und man
könnte glauben , dass erst der Vorgang jener belgisch-französischen
Kirchen dazu den Anftoss gegeben habe, wäre nicht die künstlerische
Absicht eine beträchtlich verschiedene hier und dort. Den Reigen
eröffnen gleichzeitig — wir können nur ungefähr sagen: im letzten
Viertel des 12. Jahrhunderts — S. Apostkln und Gross-S.-Maktin
(Taf. 166). In keiner von beiden Kirchen, wie man gestehen muss,
ist die Verschmelzung der longitudiualen mit der zentralen Anlage
tadelfrei gelungen l); allerdings galt es auch hier beidemal, ältere Bau-
reste in die neue Komposition aufzunehmen, nur dass, umgekehrt wie
in der Kapitolskirche, das Langhaus der gegebene Teil war. Was
den Erbauern am meisten am Herzen lag, war auch nicht diese Seite
des Problemes, sondern die Gewinnung einer malerisch wirksamen
Aussenansicht für den Standpunkt im Osten. Um dessenwillen wurde
das Motiv mit gerechtem Beifall begrüsst: es folgten in Köln selbst
1 > Dieses Problem hat 300 Jahre später Lionardo da Vinci lebhaft beschäftigt,
woran wir hier erinnern , weil sein Ausgangspunkt, der Zentralbau S. I.orenzo in Mai-
land, der Kölner Kapitolskirche nahe verwandt ist; s. die Skizzen bei J. P. Richter;
The literary Works of L. V. pl. 95—97
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488
Zweites Huch : Der romanische Stil.
S. Andreas und der Umbau von S. Panteleon, in Neuss S. Quirin,
in Roermond U. L. Frauen ; halbrunde Abschlüsse des Querhauses
erhielt auch das Münster zu Bonn und die kleine Kirche zu Pletten-
berg in Westfalen. Ueberall ist die innere Raumgliederung im Ver-
hältnis zur Kapitolskircho bedeutend vereinfacht durch Abstossung
der (in der belgisch-französischen Gruppe beibehaltenen) Säulenum-
gänge ; ferner sind die Kxedren näher an das zentrale Quadrat heran-
gezogen. Es mochte hierzu teils die an der Kapitolskirche gemachte
Erfahrung, dass die vom Saulemimgang getragenen Obermauern dem
Gewölbeschub ungenügend widerstanden hatten, raten, teils und viel-
leicht noch mehr die Rücksicht auf die Silhouette des Aussenbaues.
Das Innere verzichtet zwar auf die perspektivischen Reize der Kapitols-
kirche, erreicht aber als einheitliches Raumgebildc ein hohes Mass
von Schönheit. Denselben Gedanken in eigenartiger Variante gibt
der nach a. 1 200 entstandene Westchor am Mainzer Dom : an Ma-
jestät und Wohllaut des Raumes unübertroffen. — In der Entwicklung
der deutsch - romanischen Haukunst zu freierer Raumschönheit hin
nehmen die Dreikonchenkirchen einen wichtigen Platz ein.
Und zum Glück zog die Bewegung auch noch anderes in ihren
Bereich. Wir kommen hiermit zu einem Punkt, an welchem deutlich
wird, wie verschieden doch die hier von der spätromanisch-deutschen
und dort von der frühgotisch-französischen Kunst verfolgten Ziele
sind. Beide gehen vom gebundenen Gewölbesystem aus, beide suchen
über es hinauszukommen: die Gotik, indem sie schmale Gewölbe-
felder und dichte Reihung der Stützen einführt, in zunehmender Sub-
ordination der Abteilungen gegenüber dem Raumganzen; die deutsche
Schule, indem sie die Stützen immer weiter auseinanderrückt und somit
die selbständige Bedeutung der Einzelabteilungen steigert. Diese relative
Selbständigkeit kennzeichnet sich schon in der oben geschilderten Plan-
anlage, wie in der kuppelähnlichen Ausbildung der grossen Gewölbe,
Noch stärker wird sie betont in der zwar seltenen, aber an einigen hoch-
bedeutenden Gebäuden auftretenden Anordnung, die wir nunmehr näher
ins Auge fassen müssen. Die Zwischenpfeiler, das ist das Wesen der
Sache, werden ausgeschaltet, so dass die grossen Mittelschiffsjoche in voller
Weite, in einer einzigen mächtigen Arkade gegen die Abseiten sich öffnen.
Ein System, das dem der einheitlichen französischen Traven grund-
sätzlich verwandt, im Erfolg aber darin wesentlich wieder verschieden
ist, dass nicht wie bei jenen die kleinen Quadrate der Seitenschiffe,
sondern die grossen des Mittelschiffs die Basis der Einteilung abgeben.
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Zwölftes Kapitel. Der Gewölbebau in Deutschland.
489
Einen ersten Schritt in dieser Richtung gewahrten wir in Hf.ister-
v.ach; die Abteilungen des Mittelschiffs sind zwar nicht Quadrate, aber
doch sehr breite Rechtecke, und die ihnen entsprechenden Seitenschiffs-
abteilungen lassen durch die Gliederung des Gewölbes und der Wand
die Erinnerung an das gebundene System noch nachklingen. — Ent-
schiedener ist der Gedanke im Langhaus fyes Domes von Magdeburg
durchgeführt. Die Arkaden des Erdgeschosses gehören in die gleiche
Bauepoche mit dem 1234 geweihten Chor, während die Obermauern
nach längerer Pause in entwickelt gotischem System ausgeführt wur-
den. Hier nun sind für das Mittelschiff volle Quadrate angenommen;
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Magdeburg.
in den rechteckigen Abteilungen der Seitenschiffe senkt sich vom
Gewölbescheitel eine Zwischenrippe gegen die Umfassungsmauer, so
dass man auch hier noch von einem rudimentären üoppeljoch reden
darf; in welcher Weise die Wölbung des Mittelschiffs beabsichtigt war
(etwa scchsteilig?) ist nicht mehr zu bestimmen. — Einheitlicher, weil
noch in romanischer Zeit zu Ende geführt, wirkt der Dom zu Münster
i. W. Er wurde seit a. 1225 einem tiefgreifenden Umbau unterzogen,
wobei der doppelquerschiffigc Plan, im Westtranssept und Langhaus
auch die Untermauern, aus dem älteren Gebäude herübergenommen
sind. Dem Chor sind, wie in Magdeburg, fünf Seiten des Zehnecks
zu Grunde gelegt, mit Umgang aber ohne Kapellen (Taf. 167). Und
wieder wie in Magdeburg entbehrt das System des nur aus zwei Jochen
bestehenden Langhauses der Zwischenstützen , mögen solche auch ur-
sprünglich vielleicht beabsichtigt gewesen sein. Die kuppeiförmigen
Gewölbe und die grandiose Raumbildung erinnern auffallend an die
Kathedrale von Angers (vgl. Taf. 116 mit 189). — Eine verwandte Raum-
bildungstendenz lebt im ganzen westfälischen Uebergangsstil, nur dass
sie nicht so völlig entwickelt heraustritt, da einesteils, wie z. B. im
32
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490
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Dom von Osnabrück, die Zwischenstützen nicht überwunden werden,
andernteils zum Hallensystem übergegangen wird.
Die Dome von Münster und Magdeburg sind merkwürdig als gross-
artige Ansätze einer neuen, eigenartigen Entwickelung, die aber alsbald
(seit der Mitte des Jahrhunderts) von dem übermächtig werdenden franzo-
sischen Einfiuss durchbrochen und auf den entgegengesetzten Weg gelenkt
werden sollte. Nur in einigen wenigen romanisch begonnenen, gotisch
fortgesetzten Bauten klingt der angeschlagene Grundton nach : so in dem
mächtigen Weitraum des Domes von Minden; so in dem als Hallenkirche
umgebauten Dom von LÜBECK, wovon wir beistehend eine Achse des
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Lübeck.
Grundrisses mitteilen; so in der Kirche von Münsterm ufeld (Taf. i66\
deren durch höchst harmonische Verhältnisse ausgezeichneter Chor- und
Querbau noch romanisch ist, während das Langhaus sich zwar gotisch in
den Formen aber ganz ungotisch in der Breite der Proportionen darstellt.
Das Höchste von Weiträumigkeit, allerdings unter exceptionelkn
Bedingungen, leistet der Dom zu Trier. Den Kern bildet der auf
S. 46 besprochene römische Profanbau (Taf. 12); im 11. Jahrhundert
wurden die vier mächtigen Mittelsäulen pfeilermässig ummauert und
die im Grundriss Taf. 164 sichtbare westliche Verlängerung hinzu-
gefügt; Erzbischof Hillin (1152—69) begann einen gewölbmässigen
Umbau, Erzbischof Johannes (1 170— 121 2) vollendete ihn. Die polygone
mit einem Rippengewölbe geschlossene Ostapsis dürfte die früheste
ihrer Art in Deutschland sein. Die Fenster des Obergadens öffnen sich
nicht direkt gegen das freie, sondern gegen einen ziemlich schwach
beleuchteten Laufgang.
Die obigen Beispiele zeigen, dass die im Spätromanismus so be-
merkenswert hervortretende Weiträumigkeitstendenz auf die nieder-
deutschen Bauschulen beschränkt blieb. Zur Vervollständigung diene
die folgende vergleichende Tabelle über die Hauptproportionen des
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Trier.
Mittelschiffes. Man wird finden, dass meist sehr einfache Verhältnis-
zahlen gewählt sind. Als Grundzahl nehmen wir die lichte Weite an
und messen sie von Mauer zu Mauer, ohne Rücksicht auf die Vorlagen.
Wenn dieselbe in die Länge nicht in gerader Zahl aufgeht, sondern
noch ein überschüssiger Bruchteil sich zeigt, so fällt dieser auf die die
Joche trennenden Gurte. Anderweitig bei der Division übrig bleibende
Reste erklären sich aus ungenauer Abmessung. Von den in Klammern
beigesetzten Buchstaben bedeutet (E) dass Emporen, (T) dass Triforien
vorhanden sind.
Lichte
Weite
Länge
bis zum
Beginn
der
Vierung
Höhe
des
Arkaden-
gesimses
Höbe
der
Gewölbe-
kämpfe r
Höhe
der
Schild-
bögen
Höhe
der
Gewölbe-
scheitel
Worms (T)
I
4,6
I
1,6
2,1
2,3
Ellwangen (T) ....
1
3.3
o.9
M
«»9
Köln, S. Martin (T) . .
I
3
i
1.6
2
2,4
Limburg (E und T) . .
I
3.2
0,85
2
2,6
2,8
Bacharach (E und T) .
I
2
0,85
2
2,25
2,4
Roermond (E) ....
I
2
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»»33
2
2
I
3.2
1
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2
I
0,8
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1,8
2
Köln, S. Andreas T)
I
2,5
1
1.3
2
2,1
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492
Zweites Uuch : Der romanische Stil.
Lichte
Weite
Lange
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Beginn
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Höhe
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• 1 1
Arkaden
Hohe
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I
2,3
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I
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Münstermaifeld . . .
I
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I
2,4
0,95
1,8
Osnabrück
I
3,5
0,95
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I
4,3
0,85
«,4
1.8
Wildeshausen ....
I
2,6
0,65
1,2
»,4
1
5,4
1
1,2
2
2
1
4,25
1
1,2
1,75
i.S
DAS SYSTEM DES AUFBAUES ist zu betrachten einmal für
sich allein nach seinem planimetrischen Lineament, dann in seinem
Verhältnis zum Querschnitt, d. i. als Faktor der räumlichen Gesamt-
erscheinung. Die senkrechte Teilung wird durch das gebundene System,
da der Abstand von Hauptpfeiler zu Hauptpfeiler gleich der lichten
Weite des Schiffes sein muss ein für allemal festgelegt, so dass die
individuelle Charakterisierung vornehmlich durch die wagerechten Ab-
schnitte und die plastische Behandlung der Glieder geführt wird.
Die für den Geist des Uebergangsstiles nach dieser Richtung
bezeichnendsten Gestaltungen finden sich in der niederrheinischen
Schule, welche wir deshalb in der Betrachtung voranstellen. Zu-
nächst fallt die häufige Verwendung der Emporen ins Auge. Von
ihrer konstruktiven Bedeutung haben wir oben gesprochen. Sie waren
aber nicht minder willkommen als belebendes Element im geometri-
schen Aufriss. Derselbe baut sich demnach dreischossig auf. Das
meist mit grossem Nachdruck herausgekehrte Prinzip der Behand-
lung ist die Steigerung von einfachen und massigen Formen in
den unteren Teilen zu bewegteren und leichteren in den oberen. So
zierlustig sie sonst ist, bildet die rheinische Architektur bis in die
späteste Zeit die Zwischenpfeiler des Erdgeschosses mit ungegliedert
quadratischem Durchschnitt und ganz schlichten Basen und Deck-
platten. Die Hauptpfeiler erhalten einfache flache Vorlagen, etwa
') Kleine Ungenauigkeiten kommen natürlich häufig vor. Beabsichtigt ist dagegen,
was sich in S. Quirin in Neuss zeigt: successives Engerwerden der Joche von Westen
nach Osten. Es ist ein perspektivischer Kunstgriff, wie denn überhaupt dieses merk-
würdige l'.ebäude ungewöhnliche RauinschÖnheit mit willkürlichen Einzelheiten in ein«
Weise verbindet, die an die Harockarchiteklur des ^.Jahrhunderts erinnert.
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Zwölftos Kapitel : Der Gewölbebau in Deutschland.
493
von feinen Runddiensten begleitet, und gehen in dieser Form eher
ein harmonischeres Verhältnis mit den Zwischenpfeilern ein, als in der
zum Schluss der Epoche unter französischem Einfluss sich zeigenden
reicheren Kombination von Rundgliedern (Limburg, Bacharach, Roer-
mond , S. Andreas in Köln). Die Oeffnungen der Emporen haben
die gleiche Weite mit denen des Erdgeschosses, sind aber fast immer
durch Zwischensäulchen zwei oder dreimal geteilt, durch Ecksäulchen,
Rücksprünge, Blendbögen weiter vermannigfaltigt.
Im weiteren Verlauf indes wurde von den Emporen nicht selten
Abstand genommen, wie sie denn für den Gebrauch der Gemeinde
— man sieht das an den engen Treppenaufgängen — immer nur
wenig in Betracht gekommen sein können. Dann trat an ihre Stelle
ein Zwischengeschoss von rein dekorativer Bedeutung. Es machte,
an kein bestimmtes Höhenmass gebunden, die Komposition elastischer,
gestattete insbesondere die Arkaden des Erdgeschosses höher hinauf-
zuführen. Die Form ist entweder die des französischen Triforiums,
d. i. einer aus der Mauerdicke ausgesparten Galerie, oder häufiger
einer blossen Blindarkatur (Beispiele für beides Taf. 180 — 182).
Der Lichtgaden ist nicht mehr, wie unter der Herrschaft der
flachen Decke, eine fortlaufende Wandfläche, sondern zerfallt in eine
Folge gesonderter Bogenfelder. Damit tritt auch Form und An-
ordnung der Fenster unter neue Bedingungen. Mannigfaltigste Ver-
suche werden angestellt. Namentlich die Kölner Schule ist durch die
bizarre Phantastik ihrer Erfindungen (von denen Taf. 182, Fig. 3 und 6
eine Vorstellung gibt) übel berufen. Und doch wird man auch in den
anstössigsten einen gesunden Grundgedanken nicht verkennen, nämlich
den, dass das Fenster als Mittel des Bogen feldes der Form desselben
sich anzunähern habe. Die einfachste und glücklichste Lösung in dieser
Richtung ist die Kreisform, sei es, dass sie glatt auftritt (Chor im
Bonner Münster), sei es ausgezackt (S. Martin und S. Kunibert in
Köln, Gerresheim, Werden). Schliesslich fand man, dass doch auch
die herkömmliche Form der Fenster der Einfügung in den Schild-
bogen nicht widerstrebe, wenn man sie nur paarweise oder zu dreien
in pyramidale Gruppen zusammenordnete. In einfacher Nebeneinander-
stellung: Taf. 181, 5; 183, 7; 199, 9. In reicherer dekorativer Wirkung
durch triforienartig vorgesetzte Säulchen : Taf. 177,4; 180, I ; 189, 2;
181, 3. Sehr zu bemerken ist, dass inmitten alles Suchens nach neuen
Fensterformen der Spitzbogen fast ausnahmslos verschmäht wurde,
er, an den man an Gewölben und Arkaden schon vollkommen ge-
494
Zweites Huch: Der romanische Siil.
wohnt war; das erste und bis zur Mitte des Jahrhunderts einzige
Beispiel konsequenter Anwendung gibt der Dom von Magdeburg
{1208 — 1237), am Rhein kommt er aber nur ganz vereinzelt vor.
Löbliche Fortschritte zeigen sich hinsichtlich der Verteilung
des Lichtes. Während in den älteren Zeiten Zahl und Grösse der
Fenster in beiden Geschossen gleich war, geht jetzt das Bestreben
darauf, den Hochteilen des Mittelschiffs verstärkte Beleuchtung zu-
zuwenden, dagegen die Seitenschiffe in tieferer Dämmerung zu lassen ;
hier sind die Oculus- und Fächerfenster sehr am Platz (Taf. 180,
Fig. 1, 2, 4; Taf. 182, Fig. 1, 3, 5, 6). Man erkennt, wie die oben
erwähnte Steigerung der Formen von unten nach oben durch dieses
Beleuchtungsverhältnis wirksamst unterstützt wird.
Eine eigenartige Aufgabe hinsichtlich der Wandgliederung stellten
die Dreikonchenkirchen. Das Vorbild, die Kapitolskirche. war
nicht unmittelbar zu benutzen, weil der dortige Säulenumgang beim
jüngeren Geschlecht in Wegfall kam. In Annäherung an das System
des Langhauses wurde ein zweites galerieartiges Geschoss angelegt,
allerdings mit geringer Tiefe, aber perspektivisch - malerisch von
grossem Reiz; die massige Mauer des Erdgeschosses beleben Nischen
(Taf. ISO, 2; 182, 6; 207, 2).
Ueberschauen wir alle diese Momente, so zeigt das System des
Uebergangsstiles, verglichen mit dem des 12. Jahrhunderts, einen be-
trächtlichen Fortschritt in der Belebung und Durchbrechung der
Mauerflächen, ja man wird nicht leugnen können, dass zuweilen darin
ein unruhiges Zuviel eintritt. Keineswegs aber wird dem Eindruck
gedrungener Massigkeit, wuchtiger struktiver Kraft dadurch Abbruch
gethan. Denn jede Durchbrechung legt dem Auge wieder eine breite
Ouerschnittfläche bloss, welche die Stärke der Mauern erst recht zum
Bewusstsein bringt. Mit der gelassenen Weite der Raumbildung steht
dieser Charakter des Gliederbaues in vollkommenem Einklang. Und
beides zusammen erzeugt den spezifisch romanischen Grundakkord
auch solcher Werke, welche mit gotischen Einzelmotiven schon reich-
lich durchsetzt sind.
Unter den bedeutenderen Werken des Uebergangsstiles sind die-
jenigen drei, welche am meisten Gotisches, also Französisches in sich
aufgenommen haben, die Dome von Magdeburg und Halberstadt und
die Stiftskirche zu Limburg a. d. Lahn; dennoch wird man gerade
ihnen am wenigsten eine energische Originalität hinsichtlich der Ge-
samtauffassung streitig machen. S. Moiiz zu Magdeburg wurde a. 1234,
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Zwölftes Kapitel: Der Gewölbebau in 1 >eutschlan<l
495
S. Georg in Limburg a. 1235 dem Gottesdienst übergeben, beide nach
ungefähr aojähriger Bauzeit ; sie streifen also hinsichtlich der Zeit ihrer
( hör des Dome« /u Magdeburg.
Entstehung bereits nahe an die ersten wirklich gotischen Kirchen
Deutschlands, die Liebfrauenkirche in Trier (beg. a. 1227) und die
Elisabethkirche in Marburg ^beg. a. 12351. Während aber diese an
Zweites Buch: Der romanische Stil.
den jüngsten Stand der französischen Baukunst anknüpfen, greifen jene
auf Vorbilder zurück, die ein halbes Jahrhundert älter sind, und be
zeichnendenveise auf solche, die, wenn auch gotisch in der Konstruk
tion, in der Formengebung mehr als andere von romanischem Geiste
beibehalten haben. Der Magdeburger Meister machte seine Studien in
der oberen Champagne (Chälons, Montierender», der Limburger in
Laon. — S. Mokiz in Magdeburg wurde nach dem Brande von 1207,
und zwar wohl erst mehrere Jahre nach ihm, begonnen; mit der Weihe
von 1234 schliesst die erste Bauepoche ab. Damals waren Erdgeschoss
und Emporen {■> Bischofsgang ~) des Chors und die unteren Teile des
Querschiffs, die ersten Arkaden des Langhauses, einschliesslich der
Seitenschiffsgewölbe, vollendet. Die Wiederaufnahme der Arbeit, nun
in entwickelt gotischem Stil, erfolgte erst a. 1274. Der Grundriss de-
Chores, Umgang mit fünf Kapellen, ist rein französisch; das Quer-
schiff folgt dem herkömmlichen deutschen Schema der drei Quadrate;
die originelle Anlage des Langhauses haben wir oben S. 489 gewürdigt.
Der Spitzbogen ist an allen Teilen konsequent durchgeführt, aber in
einer in Deutschlands Gotik nicht mehr vorkommenden primitiven
Gestalt. Die Strebepfeiler des oberen Umganges gehören wohl erst der
mit 1274 beginnenden Bauepoche an, offene Strebebögen waren sicher
nie beabsichtigt. Und so hat auch der Gliederorganismus des Inneren
ein unfranzösisches Gepräge, im Umgang gedrungene Pfeiler anstatt
der Säulen, alle Formen von wuchtiger Schwere, im Gesamtbild bei
aller feierlicher Würde ein Hang zum Malerischen. Wäre der Magde-
burger Dom im Sinne des ersten Meisters vollendet worden, ihm hatte
ein namhafter Einfluss auf die Entwicklung der norddeutschen Baukunst
nicht fehlen können. — Am Dom von Hai.rerstadt ist es umgekehrt
allein die Westlassade und die Vorhalle, die in der ersten Hälfte des
13. Jahrhunderts zur Ausführung kamen; französische, namentlich der
Kathedrale von Laon entlehnte Motive sind mit rheinischen und säch-
sischen verschmolzen, zugleich weisen gewisse Details auf ein nahes
Verhältnis zur Bauhütte von Magdeburg. Die Schiffe gehen bekannt-
lich in entwickelt gotische Formen über. — Kam in Magdeburg und
Halberstadt eine höchst bemerkenswerte und vielversprechende Wen
dung der deutschen Bauentwickclung vorzeitig zum Stillstand, so ist
S. Georg in Limburg ohne Unterbrechung zu Ende gefithrt. Während
aber in Magtieburg von Anfang an der französische Plan vorgeschrieben
war, im Fortgang jetloch das Werk sich mehr und mehr verdeutschte,
ist umgekehrt in Limburg der Grundriss (Taf. 166) rein deutsch und
erst der Aufbau (Taf. 178, 182, 1S7) französierend. Doch ist diese
Zwieschlächtigkeit des Ursprunges vollkommen überwunden, ein Werk
von energischer künstlerischer Charaktereinheit geschaffen. Das fran-
zösische Vorbild ist die Kathedrale von Laon (nicht Noyon , wie all-
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Zwölftes Kapitel : Der Gewölbebau in Deutschland.
497
gemein behauptet wird). Legt man die Aufrisse der beiderseitigen
Systeme übereinander, so zeigen sie sich vom Arkadengesims aufwärts
so gut wie kongruent; kein Zweifel, dass der Meister von Limburg
nicht etwa bloss die Erinnerung oder eine Skizze des Urbildes, son-
dern eine in allen Massen genaue Zeichnung heimgebracht hatte. Wenn
der Eindruck doch ein ganz anderer ist, so liegt das am Erdgeschoss,
welches in Limburg ein gut Teil niedriger und in den herkömmlichen
rheinischen Formen, also in stark accentuirtem Gegensatz der Haupt-
und Nebenstutzen begonnen war. Uebereinstimmend ist ferner das
Strebesystem (vgl. die Textfigur S. 430), nur dass bei dem so viel kürzeren
Schiffe von Limburg auf jeder Seite bloss ein einziger Bogen nötig
wurde. Die Doppeltürme an den Stirnseiten des Querhauses waren
dem ersten Plan fremd, sie stammen ebenfalls aus Laon. Ein dem
Limburger Meister eigentümlicher und herrlicher Gedanke ist die un-
unterbrochene Durchführung des Langhaussysternes auch in den Kreuz-
armen. Hohe Bewunderung weckt die perspektivische Kunst, welche
der beschränkten Grundfläche den Schein der Grossräumigkeit abzu-
gewinnen verstanden hat. Die ziemlich schwere und grobe Bildung
der Einzelglieder und der an einem Werke des Uebergangsstils auf-
fallende Mangel an eigentlicher Dekoration beeinträchtigt nicht, hebt
vielmehr noch die glühende und strenge Feierlichkeit, die tlas Ganze
atmet und mit der wir nichts anderes zu vergleichen wissen. Eine
künstlerische Nachkommenschaft war S. Georg in Limburg ebenso-
wenig wie dem Dome von Magdeburg beschieden '). Höchstens die
Abteikirche zu Werden a. d. Ruhr könnte man dahin rechnen
(Taf. 182). Sie ist das letzte und sicher eines der edelsten Werke des
romanischen Stils im Rheinlande. Begonnen a. 1257, neun Jahre nach
der Grundsteinlegung des Kölner Domes, ging der Bau bis 1275 fort ohne
aus seiner romanischen Grundstimmung im mindesten herauszufallen.
Die mittel- und süddeutschen Schulen erregen im gegenwärtigen
Zusammenhange weniger Interesse. Im ganzen ist zu sagen, dass der
Geist der neuen Zeit sich hauptsächlich in der Behandlung und in
den Einzelformen geltend machte; hätten wir hier von Kapellen, Re-
fektorien, Kreuzgängen, Vorhallen, Portalen zu reden, so böte sich
eine Fülle der anziehendsten und originellsten Objekte. Jedoch die
grossen Fragen der Raum- und Systembildung wurden nicht selbständig
weitergefördert, oft genug gar nicht berührt. War doch ohnehin für
') Als Nebenerzeugnis haben wir die reizende kleine S. Teterskirclie in Uauiaracic
(Taf. 181) anzusehen, wie gcwis«e Einzelheiten klar bekunden; das System ist den
kleineren Dimensionen entsprechend vereinfacht, die Kumulation der Emporen mit dein
Triforium indes beibehalten. Auch die Querschnittsproportion ist die gleiche, vgl. S 491.
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49»
Zweites Buch: Der romanische Stil.
die ganze östliche Hälfte der Gewölbebau als solcher erst eine junge
Errungenschaft. Das gebundene System herrschte vor. Reichere
Kombinationen des Aufbaues, wie sie die Rheinlande mit Emporen
und Triforien erzielten, kamen äusserst selten zu stände.
Am Oberrhein ist auch in dieser Zeit die Bauthätigkeit lebhaft
genug. In Worms wird der Dom vollendet und neben ihm und unter
seinem Einfluss S. Martin, 1265, und S. Paul umgebaut 1261. Ver-
wandter Richtung die Benediktinerkirchen Seebach und Frankenthal;
ausserdem mehrere Cistercienscrkirchen. — Im Elsass ist von franzö-
sischem Einfluss, was die Gestaltung im ganzen betrifft, auffallend
wenig zu merken. Die Kirchen von Altdorf, Alspach , Schlett-
stadt, Sigolshkim, Gehweilkr Taf. 165, 183) sind von rein roma-
nischem, meist schwerfälligem Habitus; in gleicher Weise beginnen die
ostlichen Teile der stattlichen Stiftskirche zu Nelweiler, um im W
unvermittelt in frühgotische Form uberzuspringen. Von grossen Ab-
sichten zeugt der Umbau des Strassburger Münsters (Taf. 179); nur
der Chor und das stark ausladende Querschi ff, vielleicht den älteren
Grundriss wiederholend, gehören in diese Zeit; die mächtige Weite
des Raumes notigte zur Teilung in zwei Schiffe; die Wirkung ist
grandios, wiewohl nicht ganz frei. — Am rechten Rheinufer ist ausser
dem Münster von Freihurc. ein bedeutender Bau nicht zu nennen;
es gedieh nur bis zum QuerschirT (Taf. 1 79). Das der Entstehungszeit
nach hierher gehörige Münster in Basel wurde wegen seines Zusammen-
hangs mit der lombardischen Kunst oben S. 449 besprochen. Ein
Ausläufer der rheinischen Schule mainaufwärts ist die Pfarrkirche von
Gelnhausen (Taf. 180); das Langhaus ist als schlichte Flachdeck-
basilika, wiewohl bereits mit spitzbogigen Arkaden ausgeführt ; in desto
modischerem und glänzenderem Gewände — vielleicht einer Spende
des Kaiserhauses, das nahe dabei seinen Palast hatte, zu danken —
treten Querschiff und Chor auf; der Nachdruck liegt auf der reich
bewegten äusseren Gruppe; das Innere ist, wie einer Pfarrkirche ziem-
lich, von einfachem Plan, nur die graziös spielende Pracht der Deko-
ration aus den Grenzen des Gewöhnlichen allerdings weit hinaustretend.
Der Rundbogen als zu ernst ist verbannt ; Kleeblattbögen und mit Pässen
besetzte Kreise geben den Ton an; die Hauptfenster im Chor leise
gespitzt. Sehr ähnlich der Chor zu Seligenstadt im Odenwald, um
a. 1200 der alten karolingischen Basilika hinzugefügt.
Weiter aufwärts in Ostfranken begegnen wir, da die stattliche
Abteikirche Ebrach als Cistercienserbau uns an anderer Stelle zu be-
schäftigen hat, keinem bedeutenderen Werke bis zum Dom von
Bamberg. Wenn dieser als vollkommenstes Muster deutschromani-
scher Kunst gepriesen wird, so hat man vornehmlich die wundervolle
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Zwölftes Kapitel: Der Gewulbebau in Deutschland.
499
Aussenarchitektur im Auge ; das Innere tritt nicht nur durch die ein-
fachere Behandlung hinter jene zurück, es steht auch in seinen all-
gemeinen baukünstlerischen Eigenschaften nicht auf gleicher Höhe mit
den besten rheinischen und niederdeutschen Leistungen. Langhaus und
Ostchor des gegenwärtigen Baues waren a. 1237 vollendet; Westchor,
Querschiff, Türme sind jünger; noch a. 1274 wird am Dom gearbeitet.
In den zuerst genannten Partien sind teilweise noch die Mauern des
Anfang 12. Jahrhunderts ausgeführten Herstellungsbaus von Bischof Otto
erhalten ') und der Grundplan ist höchst wahrscheinlich noch derselbe,
den Kaiser Heinrich II. gezogen hatte. Durch das Bestreben nach
schlankerer Haltung des Systems sind die Pfeilermassen im Verhältnis zu
den Oeffnungen zu stark, die Hochwände leer geworden ; die Zeichnung
der Spitzbogen an Arkaden, Schild- und Quergurten ist wenig anmutig;
der Raum entbehrt der freieren Schönheit. Die jüngste Bauepoche,
bezeugt durch einen a. 1274 erteilten Ablass, steht unter der Herrschaft
französischer Einflüsse. Für die Skulpturwerke des Ostchors haben wir
sie im Jahrbuch der Kunstsammlungen des preussischen Staates Bd. XI.
nachgewiesen; damals wurden die in ihren unteren Stockwerken noch
den östlichen analog begonnenen Westtürme nach dem Muster der
Kathedrale von Laon weitergeführt; ja, es muss, wie das Modell in
der Hand der Kaiserin Kunigunde am Nord-Ost-Portal verrät, eine
Zeitlang die Absicht bestanden haben, dem Westchor einen gotischen
Kapellenkranz zu geben, wie es scheint in speziellem Anschluss an
die Kathedrale von Reims, wohin auch die Skulpturen weisen. —
Sichtlich unter dem Einfluss des Bamberger Doms steht der von Naum-
burg. Bei etwas kleineren Abmessungen sind die Proportionen im
Querschnitt fast die gleichen; im System, nicht zu ihrem Nachteil,
um einiges breiter. Im östlichen Doppeljoch ist der Zwischenpfeiler
mit Bamberg übereinstimmend gebildet (Taf. 184); weiter nach Westen
treten Halbsäulenvorlagen hinzu (Taf. 1871), wie denn überhaupt die
Gliederungen ausdrucksvoller, die Ornamente reicher sind. Ueberliefert
ist ein Weiheakt zu 1242. — Aus der Bambergisch-Naumburgischen
Schule sind dann die Bauleute hervorgegangen, welche, den Kolonisten
sich anschliessend, den Dom zu K \Ri.sm rg in Siebenbürgen errichteten
(Taf. 160, 184). — Des Vergleiches halber verweisen wir noch auf den
Dom zu Osnabrück (Taf. 167, 184). Bei aller Aehnlichkeit mit den
zuletzt besprochenen mitteldeutschen Bauten gewinnt sein System durch
die wuchtige Behandlung der Hauptstützen, die grossen verbindenden
1 Wegen des Anteils, den Otto als Kanzler Heinrichs IV. am Bau des Speierer
Doms genommen "hat, ist es besonders zu bedauern, dass über die Konstruktion, in
welcher er den Dom von Hamberg ausführte , Sicheres nicht mehr sich ermitteln lässt.
Riehl, Kunsthistorischi- Wanderungen durch Bayern, S. 150, glaubt unzweideutige Spuren
einer flachen Decke gefunden zu haben.
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
Blendbogen, die gruppierende Anordnung der Fenster, die tiefere
Kämpferlage, das kuppelartige Ansteigen der Gewölbe ganz betracht-
liche Vorzüge: alles in allem das Charaktervollste und Bestkomponierte,
was im gebundenen System gelungen ist.
Im Süden des Mains gedieh dem romanischen Stil ein langes aber
nicht eben thatkräftiges Leben. Das Hauptwerk Mittelfrankens,
S. Sebald in Nürnberg (im Schiff 1265, im Westchor gar erst 1274
geweiht), ist trotz der Aneignung der schmalen französischen Trave*e und
des Triforitims und trotz reichlichen Ornamentes (dieses im rheinischen
Charakter) eine schwere, unfreudige Komposition geblieben. —
Schwaben und Bayern zeigen ihren Anteil an den Zeitbestrebungen
nur im Dekorativen. Erst die im späteren 13. Jahrhundert erbaute
Ulrichskirche in Rkgensfjurg bekundet den Eintritt neuer Probleme
unter unmittelbar französischem Einfluss. — Reicher und grossartiger
gestaltet sich die Bauthätigkeit Oesterreichs. Im 12. Jahrhundert ist
sie lombardisch (so noch in dem nach 1182 begonnenen Dom von
Salzburg), im 13. rheinisch becinrlusst. Am glänzendsten thut sich die
Hauptstadt der Babenberger, Wien, hervor: seit 1258 Neubau der Pfarr-
kirche S. Stephan (wovon nur der Unterbau der Westfassade erhalten';
S. Michael 1276—88; Liebfrauenkirche in Wiener-Neustadt bis 1270.
So reift hier im Osten der romanische Stil zu voller Entfaltung erst
zu einer Zeit, da er am Rhein zu existieren aufgehört hat. Ueppiger
Dekorationstrieb bei schwachein Interesse für das eigentlich Architek-
tonische machen seinen Charakter aus. Die in letzterer Hinsicht eine
löbliche Ausnahme bildenden Cistercienserkirchen stehen ausserhalb
des Provinzialstiles.
Verlor die romanische Kunst je weiter nach Osten um so mehr
an innerer schöpferischer Kraft, so wurde ihrer äusseren Verbreitung,
wie man weiss, gerade in dieser Richtung das weiteste Feld geöffnet.
Reichliche Verdoppelung ihres Herrschaftsgebietes — wenn man die
Rechnung nach Quadratmeilen hier gelten lassen will — verdankt sie
dem gewaltigen Hinausströmen der deutschen Volkskraft während der
zweiten Hälfte des 12., der ersten des 1 3. Jahrhunderts. Obgleich auf
einen bis dahin völlig kunstfremden Boden verpflanzt und obgleich
ausschliesslich in den Händen der deutschen Einwanderer liegend, ver-
änderte sie doch bis zu einem gewissen Grade den Charakter, den sie
in der Heimat gehabt hatte. Derselbe wurde ein ganz verschiedener
in der südöstlichen, Böhmen, Ungarn, Siebenbürgen umfassenden
Gruppe einerseits, im nordöstlichen Tieflandc andererseits: in jener
bei einfacher Anlage, schwerfälligem Aufbau verschwenderisch prunk-
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Zwölftes Kapitel : Der Gewolbcbau in Deutschland.
501
lustig in der Dekoration, nicht immer frei von barbarischem Bei-
geschmack; in diesem vornehmlich auf technische Tüchtigkeit ge-
richtet, klar, schlicht, streng in der Gesamterscheinung.
Böhmen und Mähren besassen eine nicht ganz unbedeutende,
wenn auch rohe Baukunst schon im 12. Jahrhundert; sie tritt ganz in
Schatten gegen den imposanten Aufwand im 13. Von Entwickelung der
einen Epoche aus der anderen ist kaum die Rede, vielmehr erscheinen
die gotisierende Uebergangsformen unvermittelt und verhältnismässig
früh , wie es bei diesem wesentlich mit eingewanderten Kräften ar-
beitenden Kunstbetrieb nicht wundernehmen kann. Der Löwenanteil
in der Gunst der baulustigen Grossen fiel den Cisterciensern zu.
Ausserhalb ihres Kreises ist die Kirche des Benediktinerklosters Trk-
bitsch (ungefähr 1230—45) das ansehnlichste und eines der ältesten
Denkmäler im Uebergangsstil; der Grundriss (Taf. 168) nach süd-
deutscher Art ohne Querschiff, mit drei parallelen Apsiden; der lang-
gestreckte Binnenchor mit achtseitigen Klostergewölben gedeckt; ähn-
liche waren wohl auch im Schiff beabsichtigt, machten aber einem
seltsam komplizierten Rippengewölbe (aus dem sechsteiligen französi-
schen entwickelt) Platz; das viereckige Rippenwerk überaus derb; unter
dem Chor eine weitläufige Krypta (Taf. 179). Stattliche Pfarrkirchen
in Eger, Iglau, Kollin u. s. w. — Den west-ungarischen Typus
veranschaulichen die Grundrisse von Zsamheck und S. Jak (Taf. 168);
auch hier schon kein gebundenes System mehr. Das Hauptwerk
Siebenbürgens, den Dom von Karlsburg (Taf. 168, 184), besprachen
wir oben.
Die Kolonistenarchitektur des nordöstlichen Tieflands bringt
den ernsten und strengen Sinn aus der westfälisch-niedersächsischen
Mutterkunst mit. Er verschärft sich noch auf dem neuen Boden. Denn
nicht nur in hartem , schonungslosem Kampfe einem unversöhnlichen
Feinde abgerungen, auch karg von Natur ist derselbe. Karg vor allem
auch an den Gaben, deren die Baukunst bedarf. Weit und breit be-
sassen diese Ebenen, alter Meeresboden, keinen gewachsenen Stein,
nur Findlingsblöcke von Granit. Aus solchen Hess sich cyklopisches
Mauerwerk schichten, aber sie zu regelmässigem Verbände herzurichten
oder gar ihnen freiere Einzelformen abzugewinnen, machte unendliche
Mühe. Die an der Weser und Elbe und ihren Nebenflüssen ge-
legenen Orte konnten sich Sandstein aus dem Oberlande auf Kähnen
zuführen lassen, wofür der Dom von Havelberg (1 131 — 70) und die
Klosterkirche Leitzkau (11 47 — 55) die am meisten nach Osten vor-
geschobenen Beispiele bieten. Andererseits findet sich an den Küsten-
orten der Nordsee zuweilen rheinischer Tuff verwendet. Umfassende
Bauthätigkeit wurde erst ermöglicht durch Einführung des Backstein-
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Zweites Buch Der romanische Stil.
baus ■). Die Technik desselben stammt aber nicht aus Westfalen
und Niedersachsen.
Die Kunst des Ziegelbrennens war vormals von den Romern in den
Rhein- und Donauländern reichlich gepflegt worden, dann mit der Zeit
in Vergessenheit geraten. Einhard, der durch seinen antiquarischen
Eifer bekannte Freund Karls des Grossen, bemühte sich, wie aus seinem
Briefwechsel zu ersehen, um ihre Wiederbelebung; doch anscheinend
ohne nennenswert damit durchzudringen; denn karolingischen Ziegeln
begegnen wir nur an den beiden von Einhard im Odenwald gebauten
Basiliken. Die Niederlande sind das einzige nordische Gebiet, von
dem mit einiger Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass der
Backsteinbau sich von der Karolingerzeit her ohne Unterbrechung, aber
freilich auch ohne bedeutendere Leistungen, erhalten hat. In Deutsch-
land, wo die für das Bauwesen tonangebenden Landschaften an natür-
lichen Steinlagern keinen Mangel litten, hörte er ganz auf. Die an früh-
romanischen rheinischen Kirchen, z. B. in S. Pantaleon in Köln (Taf. 60,
320), dem Haustein beigemischten Ziegeln, immer mit Sparsamkeit
und in dekorativer Absicht nur, sind zweifellos aus römischen Bauten
geraubt. Seine Wiederaufnahme nach ungefähr zweihundertjähriger
Pause erfolgte gleichzeitig im Süden und im Norden, auf der bayerisch-
schwäbischen Hochebene und im Tiefland zwischen Elbe und bal-
tischem Meer. Ob es im ersteren Gebiete spontane Wiederbelebung
alter Tradition war, oder — was wahrscheinlicher — lombardischer
Einfluss (vgl. S. 449), bedarf noch der Untersuchung. Eine nennens-
werte architektonische Entwickelung knüpfte sich hier keineswegs daran.
Erst auf dem zweiten, dem nordischen Schauplatz, trat eine solche ein,
ja es sollte auf diesem der Backsteinbau in der Folge zu einer wahren
baukünstlerischen Grossmacht heranwachsen. Jeder Gedanke an auto-
chthonen Ursprung ist hier ausgeschlossen. Von wannen also und auf
welchem Wege ist er dann eingewandert? Die Beobachtung der tech-
nischen Eigentümlichkeiten im Brande und Formate der Ziegeln lässt
die Antwort nicht im Zweifel: von Holland, im Gefolge der hollän-
dischen Kolonisten, die sich auf der ganzen Strecke von der Elb-
mündung und der holsteinischen Ostseeküste bis zu den böhmischen
Grenzgebirgen den westfälischen und sächsischen Einwanderern hinzu-
gesellten. Indes ist hiermit nur der Ursprung der Backsteinfabrikation,
nicht des Backsteinbaues als Kunstbau sicher gestellt. Vielmehr be
') v. Quast: Zur Charakteristik des älteren Ziegelbaus in der Mark Brandenburg,
im Deutschen Kunstbl. 1S50. — Adler: Mittelalterliche Hacksteinbauten d. preussischen
Staates. I. 1S62. — Nordhotf: Die früheste Backstein fabrikation in Norddeutschland.
Allgem. Zeitung 1883, Beil. Nr. 325. — Adler: Der Ursprung des Backsteinbaus in
den baltischen Ländern, 1884. — Gutes Kesumc bei Dohmc: Geschichte der deutschen
Baukunst, 1887.
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Zwölftes Kapitel: Der Gewölbebau in Deutschland.
503
gegnen gewisse Einzelformen — namentlich das sogenannte Trapez-
kapitell und der Fries aus sich durchschneidenden Bogen — , welche
weder in den Niederlanden, noch irgendwo in Deutschland ihresgleichen
haben, wohl aber ein ganzes altes Geschlecht von Geschwisterformen
in der Backsteinarchitektur der Lombardei : Formen von so spezifischer
Ausprägung, dass an selbständige zweite Zeugung nicht gedacht werden
kann. Somit ist für den Backsteinbau der germanisierten Slaven-
länder eine doppelte Quelle der Anregung anzunehmen : Holland und
Italien. An der Gültigkeit dieser Folgerung wäre nicht zu rütteln,
bliebe auch der Weg der üebertragung dunkel. Ein wie wir hoffen
nicht trügerisches Streiflicht wirft auf ihn indes die folgende merk-
würdige Konstellation von Personen und Verhältnissen.
Der Begründer der ältesten Holländerkolonien in der Altmark ist
der Magdeburger Domherr Hartwich, aus dem Grafenhause von Stade,
nachmals Erzbischof von Hamburg Bremen. Er besiedelte damit eine
Anzahl von Gütern, die er, seinem Familienerbe entnommen, im Jahre
1144 zur Ausstattung des von ihm gestifteten Prämonstratenserklosters
Jerichow hergab, und eben auf diesen Gütern befinden sich die ältesten
Backsteinkirchen der Gegend. Neben Hartwich wurde ein eifriger För-
derer der Kolonisation sein Freund, der Bischof Anselm von Havelberg,
dem Hartwich auch die Jurisdiktion über Jerichow anvertraute. Beide
Männer führten im Jahr 11 44 eine gemeinschaftliche Reise an den
päpstlichen Hof aus; Anselm ward 11 55 Erzbischof von Ravenna,
Hartwich weilte 1159 noch einmal in Italien, ausserdem wiederholt,
einmal als Flüchtling ein ganzes Jahr lang, im Magdeburgischen, also
in nächster Nähe seiner Stiftung. Wenn wir nun wissen, dass bald
nach Hartwichs Rückkehr von seiner ersten italienischen Reise das
Kloster, da der zuvor gewählte Ort als ungeeignet sich erwies, an den
heutigen verlegt wurde, womit selbstverständlich ein Neubau der Kirche
verbunden war; wenn wir weiter beachten, dass noch im selben Jahr-
zehnt (dem 6ten des Jahrhunderls) mehrere kleine Kirchen der Umgegend
als Backsteinbauten begonnen wurden: so drängt es sich uns auf, diese
Vorgänge miteinander in Verbindung zu setzen, und so ist für den
rätselhaften holländisch -italienischen Doppeleinfluss in jenen Bauten
eine gewiss plausibel zu nennende Erklärung gefunden. Die hollän-
dischen Kolonisten waren berufen, um Deiche zu bauen und Sumpfland
urbar zu machen; dass sie erfahrene Meister des Kirchenbaues mit
sich geführt hätten, ist ebenso unwahrscheinlich, wie das andere, dass
die an der Spitze stehenden Kirchenfürsten , Hartwich und Anselm,
Kirchen aus Backstein zu errichten befohlen hätten , ohne von der
Wirkung des neuen Materials durch den Augenschein Kenntnis zu
haben. Die letztere aber zu erwerben, bot Oberitalien die beste, ja
damals fast einzige Gelegenheit und man darf die Vermutung hinzu-
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5°4
Zweites Huch. Der romanische Stil.
fügen, dass Hartwich einen lombardischcn Werkführer mitgebracht oder
Anselm einen solchen ihm nachgeschickt haben werde '). Man würde in
der Frage klarer sehen, wäre das Alter der gegenwärtigen Jerichowlr
Klosterkirche (Taf. 51, 57) unbestritten. Ist es im Kerne noch der
zwischen 1149 und 1152 begonnene Krstlingsbau mit bloss teilweiser
Erneuerung im 13. Jahrhundert? oder ein einheitlicher Neubau nach
1200? Die Kontroverse2) hat sich auf technische Argumente zuge-
spitzt, welche nachzuprüfen wir nicht in der Lage waren. Gewiss
sprechen die allgemeinen Erwägungen für die ältere Zeitstellung. Dass
eine Prämonstratenserkirche das Hirsauer Schema wählte — wozu
nicht nur der Grundriss, sondern auch der ursprüngliche Mangel einer
Krypta und die in dieser Gegend sonst unbekannte Säulenform der
Stützen gehört — ist im 1 2. Jahrhundert wiederholt vorgekommen ; für
das 13. wäre es befremdlich. Sodann zugestanden die Möglichkeit,
dass zu Anfang die jetzige »Stadtkirche« einige Jahre lang von den
Mönchen benützt worden, bleibt es doch mehr wie unwahrscheinlich,
dass das begüterte und begünstigte Kloster länger als 50 Jahre mit
diesem kleinen einschiffigen Bau sich begnügt hätte und dann erst an
die Errichtung einer Kirche von normalen Verhältnissen aber unbegreif-
lich altertümlichem Plane herangetreten sei. Lässt man dagegen unsere
Hypothese von der Mitwirkung eines Lombarden oder sei es eines in
der Lombardei gebildeten Deutschen gelten, so liegt in der hoch-
stehenden technischen Durchbildung der Jerichower Kirche nichts mit
der angenommenen Entstehung in den 50er und 60er Jahren des
12. Jahrhunderts Unvereinbares. Wie immer es sich mit Jerichow ver-
halten mag — genug, die lombardisierenden Formen, auf die es hier
ankommt, finden sich auch anderweitig. Wir nennen von datierten
Beispielen: den gedoppelten Bogenfries an dem 1161 geweihten Chor
der Klosterkirche zu Diesdorf (nach Adler auch technisch mit Jerichow
nahe verwandt), das Trapezkapitell an den Vierungsbögen und in
dem 10 bis 15 Jahre jüngeren Schiff derselben Kirche; beides an der
bald nach 11 84 begonnenen Kirche zu Arendsee.
Der Backstein verdrängte noch vor Ablauf des 12. Jahrhunderts
die anderen Materialien, Holz, Sandstein, Granit — wenigstens bei
') Zuerst ausgeführt in unserer Inauguraldissertation, Uartwich von Stade, Göttingen
1872, S. 89 ff. Adlers fortgesetzte Weigerung, den Eiufluss Italiens anzuerkennen,
bleibt uns so lange unverständlich, als es Adler nicht gelingt, für die in Frage kom-
menden Formen niederländische Analogien nachzuweisen. Adlers neuerdings wiederholte
Vermutung , dass die erste Einführung der Holländer in die Altmark durch Anselm von
Havclberg bewirkt sei, wurde schon von Heinemann, Albrecht der Dar , Kap. 5,
Anra. S5 (S. 391) zurückgewiesen.
■) Zwischen F. Adler, der für das ältere, und K. Schäfer, der für das jüngere
Datum eintritt; s. Centraiblatt der Bauverwaltung 18S4, Nr. 16. 17. iS. 23. 43-49-
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Zwölftes Kapitel: Der Gewölbebau in Deutschland.
ansehnlichen Kirchen — vollständig. Nur der Granit-Ziegel-Mischbau,
dessen ältestes Beispiel die 1158 begonnene Kirche von Krewese
giebt, hielt sich daneben bis ins 13. Jahrhundert. Granit und Back-
stein, so verschieden in stofflicher Hinsicht sie sind, haben in tek-
tonischer manche Eigenschaften miteinander gemein. Beide fordern
zur Bildung grosser, ruhiger Flächen auf. Detaillierung ist über-
haupt nur im Backstein ausführbar und auch hier an wenige Kombi-
nationen gebunden, da man nach Möglichkeit mit gewöhnlichen Mauer-
steinen auszukommen, in der Herstellung von Formsteinen sich zu
beschränken bestrebt war. Geringe Ausladungen, Knappheit der Ge-
samterscheinung, das ist der Grundzug der Backsteinarchitektur. Da-
gegen machte es keine Schwierigkeiten, wenn ein brauchbarer Mörtel
hinzutrat, Gewölbedecken anzulegen, weshalb dieselben im Backstein-
gebiet verhältnismässig früh zur Herrschaft gelangten. Nachdem einige
kleinere Kirchen der Altmark (Seitenschiffe von Krewese in den 6ocr
Jahren, Hauptschiff von Diesdorf in den 70er Jahren (Taf. 176) darin
vorangegangen waren, erhoben sich, alles bisher im Backstein Versuchte
in Schatten stellend, die Dome von Lübeck und Ratzeburg. In ihnen
ist Geist und Willen des grossen Sachsenherzogs Heinrichs des Löwen
wiederzukennen. In demselben Jahre mit der Grundsteinlegung des
Lübecker Domes (1 173) hatte er die Hauptkirchc seiner Residenz
Braunschweig begonnen, den ersten durchgeführten Gewölbebau Alt-
sachsens. Der Lübecker Dom ist durch einen gotischen Umbau stark
verändert, der wohlerhaltene Ratzeburger gleicht in der Anlage genau
dem Braunschweiger (vgl. Taf. 176 mit 189): Mit diesem nun teilt der
Dom von Ratzeburg genau die gleiche Anlage (vgl. Taf. 176 u. 189):
gebundenes System strenger Ordnung, quadratische Pfeiler mit dünnen
Ecksäulchen, grätige Gewölbe. Er gilt mit Recht für die vollendetste
Leistung des romanischen Backsteingewölbebaus, wie die Kloster-
kirche von Jerichow den ersten Rang unter den Flachdeckbasiliken
dieser Gruppe einnimmt.
Dies also ist die älteste Geschichte des norddeutschen Backstein-
baus; durch ein merkwürdiges Zusammentreffen holländischer und
lombardischer Einflüsse um n 50 in der Altmark entsprungen, wandert
er die Elbe abwärts, erreicht noch vor dem Schluss des Jahrhunderts
in Holstein und Mecklenburg die Ostsee, wendet sich dann westwärts
an die untere Weser, um in Friesland mit seinem Ursprungsgebiet sich
zu berühren; nach Osten aber folgt er der deutschen Kolonisation
allenthalben als eines ihrer kenntlichsten Wahrzeichen. Bei weitem
die meisten und stattlichsten Kirchen stellte der Cistercienserorden ;
Bischofssitze gab es in dem dünn bevölkerten Lande wenig; als zum
Teil noch romanisch nennen wir die Dome von Brandenburg und von
Kammin. Die um die Mitte des 13. Jahrhunderts erbaute Klosterkirche
33
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Zweit« Buch: Der romanische Stil.
von Oliva bei Danzig bezeichnet in Deutschland den östlichsten Punkt,
den der Backsteinbau innerhalb der romanischen Epoche erreichte.
Schon früher war er im Gefolge der deutschen Missionäre, Ritter
und Kaufleute über die Ostsee gesetzt. In Riga, der Metropole Liv-
lands, erhob sich seit 12 15 der Backsteindom, dessen genau dem
Schema von Braunschweig, Ratzeburg (und vermutlich Lübeck) ent-
sprechender Chor und Querbau noch heute dasteht; das Langhaus ist
ein gotisch veränderter Uebergangsbau. —
Hier schliesscn wir denn noch das wenige an, was über Skan-
dinavien von unserem Standpunkt zu bemerken nötig ist. Skandina-
vien verhält sich hinsichtlich der Kunst ähnlich zu Mittel- und West-
europa, wie dieses ehedem zu Rom, mit dem Unterschiede jedoch,
dass es nicht einer sinkenden, sondern einer aufsteigenden Kunst
gegenüber stand. Die christliche Mission hatte ihre Thätigkeit im
9. Jahrhundert begonnen , eine gleichmässig durchgeführte kirchliche
Ordnung ist erst am Ende des 12. Jahrhunderts da. Die ersten Ge
schlechter des Kirchenbaus waren Holzbauten. Erhebliche Steinbauten
beginnen erst im 12. Jahrhundert, um dieselbe Zeit, in welcher die
nordische Kirche von der Oberhoheit der deutschen Metropole Ham-
burg-Bremen, nicht ohne langwierigen Kampf und vom englischen und
französischen Klerus unterstützt, sich frei machte. Diese Verhältnisse
spiegeln sich in der Bauweise wieder: die deutschen Einflüsse kreuzen
sich mit englisch-französischen. - Am stärksten zeigen sich die ersteren
in Dänemark. Schon mit dem Material war man hier, da der ein-
heimische Granit sich bei grösseren Bauten zu unfügsam zeigte, an
Deutschland gewiesen ; zwischen 1 130— 80 wurde öfters rheinischer Tuff*
angewendet, von 11 70 ab drang von Norddeutschland her der (fälsch-
lich für autochthon ausgegebene) Backstein ein. Ganz rheinischer Art
ist der nach einem Brande von n 76 in Andernacher Stein erbaute
stattliche Dom von Rihe (Taf. 166, 178), rheinisch wenigstens in den
Dekorationsmotiven die Kirche des erzbischöflichen Sitzes zu Lund.
Dagegen zeigt der bedeutendste romanische Bau Dänemarks, der 1101
begonnene Dom von Rokskild einen auf direkter Bekanntschaft mit
französischen Mustern (u. a. Tournay) beruhenden Uebergangsstil,
englisch- normannische Färbung die Klosterkirche zu Wester wig in
Jütland (Taf. 85). — Ganz in der letztgenannten Einflusssphäre liegt
Norwegen1), dessen halb romanisches, halb frühgotisches Hauptdenk-
') Ruprich Robert , Larchitecture Normande , stellt mit der Behauptung, dass
manche Züge der normannischen Kunst aus Norwegen stammen , das wahre Verhältnis
auf den Kopf. Wenn Ltibkc die kuppelartigen Kreuzgewölbe der Marienkirche zu
Bkri ;kn ausnahmsweise auf deutsche Vorbilder zurückführt , so ist uns auch hierin west-
licher Einfluss (Plantagenetstir wahrscheinlicher.
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Zwölftes Kapitel: Der C.ewölbebau in Deutschland.
507
mal der Dom von Drunthkim ist. — Auf die vielberufenen romanischen
Holzkirchen des Landes wollen wir nur im Vorübergehen hinweisen. —
In Schweden neigt sich das auf die Kordsee schauende Westgotaland
England zu, die Ostseeküste Deutschland. Am reichsten an roma-
nischen Denkmälern (zum Teil Hallenkirchen) ist die Insel Gotland,
auf dem Festlande haben nur die Cistercienser Bedeutendes geleistet.
Das Gesamtbild des deutschen Spätromanismus lässt darüber
keinen Zweifel, dass trotz der grossen Fruchtbarkeit seine innere,
gedankenzeugende Triebkraft erschlafft war. Die grossen Aufgaben,
welche die Zeit mit sich brachte, fanden keine, wenigstens keine die
Allgemeinheit mit sich fortreissende Förderung, und so musste not-
wendig geschehen, was geschah, nämlich dass die unvergleichlich
schneller und folgerichtiger vorwärtsgeschrittene französische Kunst
die deutsche plötzlich überflügelte und in ihre Gefolgschaft einzutreten
zwang. Das gilt aber nur von der grossen Masse. Derselben stehen,
vereinzelt leider nur, Bestrebungen von echter schöpferischer Initiative
gegenüber. Auf Werke wie die Dome von Magdeburg und von
Münster oder die Stiftskirchen von Limburg und von Werden ist das
oft gehörte Wort von der zersetzenden Wirkung der eindringenden
Gotik wahrlich nicht anwendbar. Sie, die an der äussersten Zeit-
grenze der Epoche entstanden, sind sicher ihre besten Leistungen,
sicher Zeugnisse neuer aufsteigender Kraft. Nur eine historisch und
ästhetisch falsche Beurteilung derjenigen Gotik, die nach 1250 in
Deutschland emporkam, kann verkennen, dass gerade vor dieser Zeit-
wende die deutsche Kunst in guten Stunden auf dem Wege war, eine
ungleich selbständigere Parallelschöpfung zur französischen Gotik her-
vorzubringen. Die Ursachen des Misslingens liegen nicht in der Kunst-
entwickelung als solcher; das Verhängnis war, dass volle Sammlung
und freudige Anspannung aller geistigen Hilfskräfte gefordert wurde
in einem Augenblick, da die Nation einer unheilvollen allgemeinen
Krisis entgegenging. Der Moment des Zusammenbruchs der könig-
lichen und kaiserlichen Gewalt und des Eintritts in das Interregnum
konnte nimmermehr die Geburtsstunde eines selbstgeschaffenen neuen
Stiles werden.
5. Hallenkirchen.
Ueber den Begriff der Hallenkirche haben wir S. 313 gesprochen.
Der alte Irrtum, dass diese Bauform innerhalb des romanischen Stils
eine Deutschland ausschliesslich eigene oder mindestens hier allein zu
häufiger Anwendung gebrachte sei, wird nach dem auf S. 358 ff. und
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508
Zweites Buch: Der romanische Stil.
450 ff. über Frankreich und Oberitalien mitgeteilten nicht länger
wiederholt werden dürfen. Wo immer selbständige und frühe Ver-
suche im Gewölbebau angestellt wurden, ist der Gedanke der Hallen-
anlage nirgends ausgeblieben. Aus der Frühzeit der deutsch-romani-
schen Kunst haben wir das Beispiel einer klar ausgebildeten , den
Gewölbebasiliken des Mittelrheins fast um ein Jahrhundert voraus-
gehenden Hallenanlage in S. Bartholomäus zu Paderborn bereits kennen
gelernt (S. 459) und es mag sein, dass hie und da noch einige Werke
mehr in dieser Art — seither verschwundene — gebaut worden sind.
Während aber die Lombardei und besonders das südliche und west-
liche Frankreich, bis die Mittel zur Wölbung der Basilika gefunden
wurden, sich der Hallenanlage reichlichst bedienten, hat gerade die
deutsche Baukunst auf deren systematische Ausnutzung lange Zeit
nicht eingehen wollen. Die einzige Landschaft Westfalen lernte,
immerhin spät, mit ihr sich befreunden. Es war das Eindringen des
Gewölbebaus vom Rhein her, das die in der Frühzeit hier wahr-
scheinlich etwas häufiger als anderswo geübte Form wieder in Er-
innerung brachte. Ausserdem ist der Gedanke nicht abzuweisen, dass
der aus manchen Anzeichen zu vermutende Verkehr mit Westfrank-
reich, besonders dem Anjou (vgl. S. 482) nicht ohne Einfluss hierauf
gewesen sein möchte; denn eben in jenen Gegenden war die ander-
weitig schon überall aufgegebene Hallenanlage bis in die Frühgotik
hinein lebendig geblieben. (Vgl. z. B. die Gewölbe Taf. 185, 1. 2
mit Taf. 109 oder die Pfeiler Taf. 314; ferner die sonst in Deutschland
fast unbekannte Kombination mit Tonnengewölben in den Seiten-
schiffen in Balve, Kirchlinde, Wallenhorst, Plettenberg, Taf. 169.)
Der Grundriss ist durchweg der einfachste. Drei Schiffe von
zwei, höchstens drei Jochen; selten ein Querschiff; der Chor in der
Regel platt geschlossen ; ihm entsprechend eine westliche Vorhalle,
über welcher sich turmartig die Glockenstube erhebt. — Im System
begegnen zwei Arten. Die eine gruppierend nach dem Vorbild des
gebundenen Basilikenschemas, mit Nachklängen von diesem her auch
im Querschnitt und in der Schmalheit der Abseiten. (Beispiele:
S. Servatius zu Münster, S. Jakobus zu Koesfeld. Marktkirche und
S. Nikolaus zu Lippstadt, Kirchen zu Billerbeck, Legden, Derne.
Bocke, Ostönnen, Langenhorst — sämtlich letztes Viertel 12. Jahr-
hunderts oder Anfang 13.) Die andere geht folgerichtiger vor:
sie hat durchlaufende Joche und giebt den Seitenschiffen eine grössere,
dem Mittelschiffsich nähernde Breite; mit Hilfe des Spitzbogens war
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Zwölftes Kapitel: Der Gewölbebau in Deutschland.
5oy
es dann nicht schwer, in allen Schiffen beinahe gleiche Scheitelhöhe
zu erreichen. Beispiele: Münsterkirche zu Herford, Stiftskirchen zu
Lippstadt, Barsinghausen, Methler, Warburg; am konsequentesten in
Berne; in interessanter Verquickung mit der ersten Art in S. Marien
zur Höhe in Soest — Taf. 169, 185, 186. Die Hallenkirchen West-
falens sind alle von kleiner oder massiger Dimension, die meisten in
einem sehr anspruchslosen, selbst bäuerischen Stil, keine an künst-
lerischer Bedeutung der auf gleicher Entwickelungsstufe stehenden
Hallenkirchen Westfrankreichs, der Kathedrale von Poitiers und ihren
Verwandten, auch nur von ferne sich nähernd.
Das einzige grossräumige Werk dieser Familie, der Dom von
Paderborn, ist in gotischer Zeit eingreifend verändert; vom herrlichen
frühgotischen Langhaus des Domes zu Minden bleibt dahingestellt, ob
es etwa schon romanisch projektiert war. — Westlich der Weser ist
die einzige Stadt Braunschweig hier zu nennen. Die Martinikirche, 1204
in Nachahmung des Domes, also als Basilika begonnen, wurde während
des Baus in die Hallenform übergeführt, woher die seltsame zweige-
schossige Anordnung der westlichen Pfeiler (Taf. 186); dieselbe dem
Dom verwandte Grundanlage und dieselbe Wandelung ebenda an der
Katharinen- und der Andreaskirche. Dagegen von Anfang an ein Hallen-
bau, c. a. 1180, durch die primitive Behandlung der Kreuzgewölbe inter-
essant, ist die Dorfkirche im benachbarten Melverode (Taf. 185, 186).
Ausserhalb des hiermit umschriebenen, also ziemlich engen Gebietes
gewährte die deutschromanische Baukunst der Hallenform äusserst selten
Anwendung, es wäre denn hie und da bei kleinen kapellenartigen Bauten.
Taf. 190 gibt eine Ansicht der jetzt auf den Frithof von Bonn ver-
setzten Kapelle der Deutschordenskommende zu Ramersdorf (ausführ-
lich publiziert bei Gailhabaud, L'architecture 1); die in Westfalen
schwer und nüchtern wirkende Anlage zeigt sich hier einer schlanken
durchsichtigen Raumbehandlung fähig, wie sie erst von der späteren
Gotik wieder aufgenommen wurde.
Vereinzelt steht die Benediktinerkirche Prüll bei Regensburg
(S. 185), nach B. Riehl (Repertorium f. Kunstwiss. XIV, S. 361 ff.), im
J. ii 10 geweiht, in welchem Falle sie eine der ältesten Gewölbekirchen
Bayerns wäre. Zu vergleichen die fünfschiffige, hallenmässige Chor-
partie in Kastel, einige Meilen nordwestlich; hier die burgundische
Anregung unzweifelhaft; bei Prüll könnte daneben auch lombardische
in Frage kommen. Wieder am wahrscheinlichsten burgundisch die
Cistercienserkirche Waldenbach (Riehl a. O.L Wo aber sind S. Peter
in Augsburg und die Templerkirche S. Leonhard in Regensburg
einzureihen :
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5io
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Nach dem Querschnittsprinzip der Hallenkirche Hesse sich ein
gegebener Raum in eine beliebige Anzahl von Schiffen zerlegen (wie in
den mohammedanischen Moscheen, oder, ein näherliegender Vergleich,
wie in den Krypten), der thatsächliche Gebrauch kennt aber bei
Kirchen — mit einer ganz seltenen Ausnahme — nur die Dreiteilung.
Die Ausnahme, die wir meinen, ist die Zweiteilung. Sie wäre,
namentlich bei kleineren Bauten, vielleicht häufiger in Anwendung
genommen , hätte nicht schon eine andere Gebäudegattung sie zur
Normalform erkoren, nämlich das Klosterrefektorium. Einige Beispiele
aus Westfalen, Böhmen, Graubündten haben wir auf Taf. i6q zusammen-
gestellt; etwas häufiger wird die Form doch erst in gotischer Zeit.
Dass auch einschiffige Gewölbekirchen vorkommen, bedarf
nicht erst der Erwähnung. Da es aber ohne Ausnahme geringfügige,
kleine Bauten sind, haben wir bei ihnen zu verweilen keinen Anlass'j
Beschreibung der Tafeln.
_ . , _ Grundrisse.
Tafel 164.
1. Trier: Dom. — Die schwarz angelegten Teile saec. 4 u. 6, die
kreuzweise schraffierten M. saec. 11, Gewölbe und Ostchor A. saec.
13. — v. WÜmowsky.
2. Main*: Dom. — Ostteile A. saec. 11, Langhaus E. saec. 11, west!.
QuerschifT und Chor nach 1200. — Schneider.
3. Speyer: Dom. — c. 1030—60, Vorhalle und Ostapsis saec. 12.—
Geier u. Görz. Hübsch.
4. Worms: Dom. — Westtürme A. saec. n, sonst 2. Hälfte saec. 12,
Westchor A. saec. 13. — Moller; Deutsche Bauzeitung.
Tafel 165.
1. Knechtsteden: Pramonstratenserkirche. — Beg. 1138. — Zeitschr.
f. Bauwesen.
2. Laach: Benediktiner-K. — Beg. 1112, Vorhalle A. saec. 12.
Geier u. Gorz.
') Wohl die grosste einschiffige Kirche des deutschen Baugebietes, zugleich aj-
dessen am weitesten nach Norden vorgeschobener Aussenposten denkwürdig , möchte di«
mit dem bischöflichen Schloss verbundene Domkirche zu Hapsal an der Küste von
Estland sein; drei spitzbogige Kreuzgewölbe über einem Rechteck von 36 X 11,5m im
Lichten; erbaut nach 1263; das Detail noch ganz romanisch. (Die Masse bei Nw*
mann: Gesch. der bildenden Künste in Liv-, Est- und Kurland p. t6 sind falsch.)
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Zwölftes Kapitel: Der Gewölbehau in Deutschland.
SU
3. Verdun: Dom. — saec. 12. Viollet-le-Duc. Zu klein.
4. Kloster rath: Stifts- K. — M. saec. 12. — Baudry, Organ 1859 und
eigene Messungen.
5. Brauweiler: Benedikthur- K. — saec. 11, umgebaut E. saec. 12. —
Zu gross. Zeitschr. d. hannöv. Architekten-Vereins.
6. Rosheim ; S. Peter-Paul. — E. saec. 12. — Lasius in AI Ige m.
Bauzeitung.
7. Enkenbach: Kloster-K. — 2. Hälfte saec. 12. — Gladbach.
8. * 'München- Gladbach: Kloster-K. S. Veit. — A. saec. 13, Chor 2. H.
saec. 13. — Bezold.
9. Worms: St. Martin. — saec. 12 u. 13. — Gladbach; Denk-
mäler in Hessen.
10. Schlettstadt : S. Fides. — E. saec. 12. — Kraus, Kunst und
Altertum in Elsass-Lothringen.
11. * Saint- DU: Kleinere Kirche (?). — saec. 12. — Bezold.
12. Sigolsheim. — E. saec. 12. — Kraus.
13. Gebweiler: Kloster-K. S. Leodegar. — Beg. 1162. — Archiv es
des mon. hist.
Tafel 166.
1. Köln: S. Aposteln. — A. saec. 12, Chor c. 1200, westl. Querschiflf
und Gewölbe des Langhauses 1219. — Boissere'e.
2. Köln: Gross-S.- Martin. — c. 1200. — Boissere'e.
3. *Bonn: Münster S. Cassius und Florentius. — Westchor A.saec. u,
Ostchor c. 1160, Kreuzarme und Langhaus nach 1208. — Tornow.
4. Köln: S. Kunibert. — A. saec. 13. — Boissere'e.
5. Reuss: S. Quirin. — Beg. 1209. — Boissere'e.
6. Roermond: Liebfrauen-K. — Beg. 12 18. — Bock- Tornow.
7. Ribe: Dom. — A. saec. 13. — Helms.
8. Sinzig: Pfarrkirche. — Beg. 1220. — Bock- Tornow.
q. Limburg a. d. Lahn: Stiftskirche S. Georg. — Beg. c. 12 10. —
H. Stier in Z. f. Bauwesen.
10. Münstermaifeld: S. Martin. — VVestbau saec. 11, Chor und Quer-
schiff 1225, Langhaus c. 1240. — Bock-Tornow.
11. Arnstein a. d. Lahn: Pr ämonstr atenser- K. — 2. Hälfte saec. 12,
Chor gotisch erweitert. — Bock-Tornow.
Tafel 167.
1. Osnabrück: Dom. — 1. Hälfte saec. 13, Chorumgang saec. 14. —
Hase.
2. Münster i. W.: Dom. — Beg. 1225. — Lübke.
3. * Naumburg: Dom. — Vor Mitte saec. 13, Westchor 1249, Ostchor
1308. — Memminger.
4. Eger: Nikolai- K. — A. s. 13. — Gruber.
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512
Zweites Buch : Der romanische Stil.
5. Bömberg: Dom. — Auf dem Plan des saec. ii gewölbmässig um-
gebaut c. 1230 — 37, Westchor 2. Hälfte saec. 13. — Förster.
6. Fritzlar: Stifts-K. S. Peter. — E. saec. 12 und A. saec. 13. —
v. Dehn-Rotfelser, Baudenkmäler in Kurhessen.
7. Arnstadt: Liebfrauen. — E. saec. 12, Ostbau A. saec. 14. —
H. Stier in D. Bauzeitung.
Tafel 168.
1. Wildeshausen: S. Alexander. — Beg. 1224. — Hase.
2. Goslar: Frankenberger K. S. Peter- Paul. — A. saec. 13. — M i t-
hoff, Archiv.
3. Braunschweig: Stifts- K. S. Blasius. — Beg. 1273. — Hase.
4. Diesdorf: Augustiner-K. — Beg. 11 57. — Adler.
5. Heiningen: Klcster-K. — saec. 11, Umbau saec. 12. — Hase.
6. Neuweiler: Stifts-K. S. Peter und Paul. — 1. Hälfte saec. 13, die
östlich anschliessende Kapelle saec. 11. — Archives des m. h.
7. Karlsburg: Dom. — Nach M. saec. 13. C.-Comm. Jahrb. III.
8. Wiener- Neustadt: S.Maria. — M. saec. 13. — Heider u. Eitel-
berger.
9. Ellwangen: Stifts-K. S. Veit. — 2. Hälfte saec. 12. — Schwarz.
\o. Sanct Jdk: Benediktiner- K. — Gegen Mitte saec. 13. — Heider
u. Eite lberger.
11. Zsambfck: Prämonstratenser-K. — Beg. 1258. — Heider u. Eitel-
berger.
12. Trebitsch: Benediktiner- K. — Mitte saec. 13. — Heider u. Eitel-
berger.
Tafel 169. Hallenkirchen.
1. Soest: Nikolaikapelle. — Gegen 1200. — Lübke.
2, 3. * Paspels und Berschins in Graubündten: Dorfkirchen. — Rahn.
4. Bechin in Böhmen. — A. saec. 13. — Grueber.
5. Melverode bei Braunschweig: Dorfkirche. — Nach 11 78. — Hase.
6. Methler; Ifarr-K. - 1. Hälfte saec. 13. — Nordhoff.
7. *Soest: S. Marien zur Höhe. — 1. H. saec. 13. — Memminger.
8. Kirchlinde. — 1. Hälfte saec. 13. — Lübke.
9. Balve. — 1. Hälfte saec. 13. — Liibke.
10. Berne. — 1. Hälfte saec. 13. — Hase.
11. *Bremen bei Werl. — saec. 11 u. 13. — Memminger.
12. Battenfeld. — Hess. Denkmäler.
13. Bocke. — saec. 12 — 13. — Lübke.
14. Wallenhorst. — saec. 12 — 13. — Hase.
15. * Ostönnen. — saec. 12 — 13. — Memminger.
16. * Prüll bei Regensburg: Karthause. — A. saec. 13. — Höfken.
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Zwölftes Kapitel: Der Gewölbebau in Deutschland. 513
17. '* Regensburg : Templer- K. S. Leonhard. — A. saec. 12. — Hofken.
18. Legden. — 1. Hälfte saec. 13. — Hase.
19. Billerbeck. — Beg. 1234. — Hase.
20. Langenlwrst : Nonnenkloster-K. — 1. Hälfte saec. 13. — Hase.
Tafel 170 Gewölkte Kleinarchitektur.
1. {Verden a. R.: Krypta. — saec. 9 u. ri. — Z. f. Bauwesen.
2. '* Regensburg : S. Emmeram, Westkrypta. — M. saec. 11. — Bezold.
3. 4. '* Regensburg : Stephanskapelle (»alter Dom*). — M. saec. 11. —
Bezold.
5, 6. Paderborn: Bartholomäuskapelle. — 1017. — Möllinger.
7, 8. Corvei: Kloster- K, Krdgeschoss des Westchors. — Um 1000. —
Möllinger.
9, 10. Helmstädt: Liudger ikapelle. — saec. 10 u. 11. — Nieders.
Bauhütte.
11. Helmstädt: Liudgerikloster, Krypta. — A. saec. 11. — Xieders.
Bauhütte.
12, 13. Quedlinburg: Wipcrti- * Krypta ( Kapelle). — saec. 10. — Hase.
14, 15, 16. Mainz: Erzbischöfliche Palastkapelle S. Gotthard. — 1135.
— Schneider.
1 7 . Neuweiler : Doppelkapelle. — saec. 11. — V i o 1 1 e t • 1 e - 1) u c.
18. Köln: S. Maria im Kapitol, Krypta. — saec. 11. — Boisserde.
19. Freiburg a.d. Unstrut: Schlosskapelle. — saec. 12 u. 13. — Puttrich.
20. Frei sing: Domkrypta. — Förster.
21. Landsberg: Schlosskapelle. — Puttrich.
22. Köln: S. Gereon, Krypta. — Westl. Teil saec. 11, östl. Teil saec.
12. — Boisseree.
_ , , Gkwolbehasiuken. Querschnitte.
Tafel 171.
1. * Saint- Dit: Kleinere Kirche. — 2. Hälfte saec. 12. — Bezold.
2. Worms: S. Martin. — saec. 12, Hauptgewölbe gegen M. saec. 13.
— Gladbach.
3. Mainz: Dom. — c. 1090- 1135, Gewölbe erneuert c. 1200 (infolge
Fehlers unserer Quelle der Gewölbekämpfer um fast 1 m zu niedrig)^
— Schneider.
4. * Saint- Die": Kathedrale. — 2. Hälfte saec. 12. — Bezold.
5. Speier: Dom. — Letztes V. saec. n, Gewölbe erneuert c. 11 70. —
Geier u. Görz.
6. Worms: Dom. — 2. Hälfte saec. 12. — Hess. Denkmäler.
7. Knechtsteden: Prämonstratenser-K. — Beg. 1138. — Z. f. Bauwesen.
8. Laach: Benediktiner- K. — 1. Hälfte saec. 12. — Geier u. Görz.
9. Ellwangen: Stifts- K. S. Veit. — 2. Hälfte saec. 12. — Schwarz.
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514 Zweites Buch . Der romanische Stil.
Tafel 172.
1. Heiningen: Nonnenkloster- K. — 2. Hälfte saec. 12 gewölbemässig
umgebaut. — Hase.
2. Goslar: Frankenberger-K. — c. 1200. — Hase.
3. Diesdorf: Augustiner-K. — 2. Hälfte saec. 12. — Adler.
4. Petersberg bei Halle: Augustiner- K. — Erneuert nach 1200. — Z.
f. christl. Archäologie, 2.
5. Sigolsheim. — F.. saec. 12. — Kraus.
6. Wildeshausen. — 2. V. saec. 13. — Hase.
SYSTEME die Zeitsl>estimmungen u. Quellen s. oben .
Tafel 173.
1. Mainz: Dorn, Langhaus. — 2. Speier: Dom. — 3. Horms: Dom.
Tafel 174.
1. Laach: Längenschnitt. — 2. Mainz: Dom, Westchor.
Tafel 175.
1. Köln: S. Mauritius. — Vor 1144. — Quast u. Otte. — 2. Laach.
3. * Kloster rath; Bezold. — 4. Battenfeld. — 5. FJlwangen. -
6. Knechtsteden.
Tafel 176.
1. Goslar: Kirche auf dem Frankenberge. — 2. Braunschweig: Stifts
kirche (Dom). — Hase. — 3. Heiningen. — 4. Diesdorf. -
5. Dortmund: Liebfrauen. — Lübke. — 6. Königslutter: Chor:
vor M. saec. 12. — Hase. — 7. Wildeshausen.
Schnute um» Systeme des Ueijergangsstii.s.
Tafel 177.
1. Andernach: S. Genovefa. — Nach 1206: — Boissertfe.
2, 3. Kibe: Dom. — A. saec. 13. — Helms.
4. ^Bacharach: S. I'cter. — 2. V. saec. 13. — Bezold.
5. Limburg a. L.: Sttfts-K. S. Georg. — c. 1210—40. — Stier in
Z. f. Bauwesen.
6. *Koermond: Liebfrauen. — 1. Hälfte saec. 13. — Bezold.
Tafel 178.
1. *Köln: S. Kunibert. — 1. V. saec. 13. — Hofflund.
2. Köln: Gross S.- Martin. — i.V. saec. 13. — Boisser«fe.
3. Heisterbach: Cistercienser-K — 1. V. saec. 13. — Boissere"e.
4. *Bonn: Münster. — i.V. saec. 13. — Tornow.
Tafel 179.
1. * Bamberg: Dom. — Vor 1236. — Forster.
2. * Naumburg: Dom. — Vor M. saec. 13. — Memminger.
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Zwölftes Kapitel: Der Gewölbebau in Deutschland.
515
3. Fritzlar: Stifts-K. — 1. Hälfte saec. 13. — v. Dehn - Rotfelscr.
4. Trebitsch; Kloster-K. — 2. V. saec. 13. — C.-Comm. Jahrb.
5. Freiburg i. B.: Münster. — 1. Hälfte saec. 13. — Moller.
6. *Strassburg : Münster. — 1 . Hälfte saec. 1 3 , Kuppel modern er-
neuert. — Baubtireau.
Tafel 180.
1. *Bonn: Münster, Teil des Langchors und Mittelschiffs. — 1. V.
saec. 13. — Martens.
2. *Koln: GrossS- Martin, Längenschnitt. — 1. Hälfte saec. 13 mit
Benutzung älterer Mauerteile. — Nagelschmidt.
3. ^Gelnhausen: Pfarr-K., Chor und Vierung. — 1. V. saec. 13. —
v. Schmidt.
4. *Köln: S. Kunibert, Längenschnitt. — A. saec. 13. — Höf fl und.
Tafel 181.
i, 2. *Sinzig: Pfarr-K. — 2. V. saec. 13. — Märtens.
3. * Roermond: Liebfrauen. — 1. Hälfte saec. 13. — Bezold.
4. ^Bacharach: S. Feter. — 2. V. saec. 13. — Bezold.
5. *Köln: S. Andreas. — 2. V. saec. 13. — Bezold.
Tafel 182.
1. * München-Gladbach: S. reit. — 1. Hälfte saec. 13. — Bezold.
2. Limburg: S. Georg. — 2. V. saec. 13. — Stier in Z. f. Bauwesen.
3. Köln: Kloster- K. Sion. — Beg. 1221. — Boisserde.
4. Werden a. d. Ruhr: Stifts-K. — 1257—75. — Z. f. Bauwesen.
5. * Gerresheim : Frauenstifts- K — 1. Hälfte saec. 13. — Bezold. —
Höhen bloss nach Schätzung.
6. jYeuss: S. Quirin. — 1. Hälfte saec. 13. — Boisscrde.
Tafel 183.
1. * Saint- Dü1: Kleinere Kirche. — 2. Hälfte saec. 12. — Bezold.
2. * Saint- DU: Kathedrale. — 2. Hälfte saec. 12. — Bezold.
3. *Schlettstadt: S. Fides. 2. Hälfte saec. 12. — Bezold.
4. Rosheim. — 2. Hälfte saec. 12. — Lasius in A 11g. Bauzeitung.
5. Horms: S. Martin. — saec. 12 u. 13. — Gladbach.
6. Gebweiler: S. Leodegar. — saec. 12 11. 13. — Archives.
7. Enkenbach: Prämonstratenser-K. — M. saec. 13. — Gladbach.
Tafel 184.
1. ^Osnabrück: Dom. — A. saec. 13, 1218 wesentlich vollendet. —
Bezold.
2. * Bamberg: Dom. — Vor 1236. — Holzinger.
3. Nürnberg: S. Sebald. — M. saec. 13. — Kallenbach, Chrono-
logie.
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5 iö Zweites ßueh; Der romanische Stil.
4. Fritzlar: Stifts-K. — 1. Hälfte saec. 13. — v. Dehn-Rotfclser.
5. '* Naumburg: Dom. — 2. V. saec. 13. — Memniinger.
6. Karlsburg: Dom. — 3. V. saec. 13. — C.-Comm.
_ _ , _ Hallenkirchen. Querschnitte.
Tafel 185.
(Die Zeitbestimmungen und Quellen bei Taf. 169.)
1. Methltr. — 2. Berne. — 3. *K.arthause Prüll. — 4. Bafre. —
5. Billerbeck. — 6. * Regensburg: S. Leonhard. — 7. Lippstadt:
Grosse Marienkirche. — 8. Melverode. — 9. Sotst: S. Maria zur Höhe.
_ , , mm Hallenkirchen. Langenschnitte.
Tafel 186.
1. Melverode. — 2. Lippstadt: Grosse Marienkirche. — 3. Munster:
5. Servatius. — 4. Braunschweig: S. Martin. — 5. Methler. —
6. Legden. — 7. Soest: S. Maria zur Höhe.
_ . , _ Perspektiven.
Tafel 187.
1. Roermond: Liebfrauen. — Tornow bei Bock.
2. * Arnstadt: Liebfrauen.
3. * Naumburg: Dom. — Photographie.
4. * Limburg: S. Georg. — Photographie.
Tafel 188.
1. Mainz: Dom. — (Vgl. die Bemerkung zu Taf. 171.)
2. Speier: Dom.
Tafel 189.
1. * Ratzeburg: Dom. — Photographie.
2. * Münster i. W.: Dom. — Bezold.
Tafel 190.
1. * Ramersdorf : Deutschordenskapelle (jetzt auf dem Frithof in Bonn).
2. V. saec. 13. — Tornow.
2. Laach: Vorhalle. — A. saec. 13. — Bock.
3. Konradsburg: Krypta. — c. 1200. — Puttrich.
4. Maastricht: Liebfrauen, Krypta. — 2. Hälfte saec. 12.— Tornow.
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Dreizehntes Kapitel.
Die Kirchen des Cistercienserordens.
LiTTKR.vi'L'R. Manrit/iie ; Annales Cisterciensium , Cöln 1640. — Jongelimts :
Notitia abbatiarum Ord. Cist. Colon. 1640. — Janauschek : Origines Cist. Vindob.
1877. — /*'. Feil in den Mittelalterl. Kunsldenkmälern des üesterr. Kaiserstaates. I. —
E. Sharpe: Cistcrcian Architecture. London 1875. — Arbois de Jubatnvilie : Etüde sur
l'£tat intlrieur des Abbayes Cist. au XII et au XIII s. Paris 1858. — L. Kostet»:
Trois abbayes de l'ordre de (Iteaux. Paris 1852. — A. Dion .- A propos de l'abbaye
de Notre-Dame des Vaux de Cernay. Tours 1890. — /•.. Sharpe : Architectural Parallels
of the principal Abbey Churches. London 1848. — R. Dahme: Die Kirchen des
Cistercienserordens in Deutschland. Leipzig 1869. ff. Litbke: Fünf Cistercienscr-
abteikirchen (Baudri s Organ für kirchliche Kunst 1853V R. Rahn . Die mittelalter-
lichen Kirchen des Cistercienserordens in der Schweiz. 1872. (Mitteil, der Antiquar.
Gesellsch. in Zürich, Bd. 18, H. 2) — A. /.. Frothmgham : Introduction of Gothik
Architecture into Italy by the French Cistcrcian monks. (Americ. Journ. of Archa-ol.
1890.) — C Dehto ; Zwei Cisterctenserkirchen. Ein Beitrag zur Geschichte der Anfange
des gotischen Stils. Jahrb. der Kun-tsamml. des preuss. Staates, Bd. XII, 1891.) —
MoNOi'.RArniKN . Ueber Pontigny von Chaillon de Barres, Paris 1844; über
Chiaravalle von Mich. Caffi, Milano 1844; Uber Fossanova von Paccasassi , Fenno
1882; Uber Maulbronn von Klunzinger 1861, von Paulus, Stuttgart 1888; Uber
Bebenhausen von denselben; Uber Heiligenkreuz von Hetder und Eitclberger I;
Uber Lilienfeld von SaeJten , Jahrb. der Central-Comm. 1857; über Colbatt , Zeitschrift
f. Bauwesen 1888.
In unserer bisherigen Darstellung fiel die nach inneren , sach-
lichen Momenten gewählte Einteilung mit der äusseren, den Grenzen
der Völker und Stämme folgenden freiwillig zusammen ; nunmehr aber
gelangen wir zu einer Stilgruppe, die sich keiner natürlichen Ordnung,
sondern einem über alle Länder des Occidents ausgebreiteten Mönchs-
orden anschliesst. Mit ihrer Tendenz als Weltstil macht sich die
Cistercienserbaukunst von einer Grundeigenschaft des romanischen Stiles
los und wird Vorbotin der gotischen Bauzustände.
Die Kirche des Mittelalters kannte grundsätzlich keinen Unter-
schied der Völker, nur den von Christen und NichtChristen. That-
sächlich ist aber der Individualismus der Landeskirchen niemals völlig
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
erstickt worden und insonderheit gehörte die Kunst zu den Gebieten,
auf denen sie sich, wir wissen in welchem Grade, unbehindert nach
eigener Art und Neigung bewegen durften. Das Nationalprinzip auch
hierin zu negieren , gleichförmige internationale Normen auch in der
Baukunst durchzuführen, war den mönchischen Reformorden, die man
überall als eifrigste Vorkämpfer des Unitarismus kennt, vorbehalten.
Den Anfang machte, zwar noch in ziemlich engen Grenzen sich
haltend, die Congregation von Cluny. Wir haben früher gesehen,
wie in Deutschland, Italien, der Normandie gewisse Eigentümlich-
keiten der allgemeinen Anlage in Erinnerung an das burgundische
Zentralkloster von dessen Anverwandten gern wiederholt wurden ;
eine strengere Verpflichtung dazu war doch nicht auferlegt, wie denn
die fraglichen Baueigentümlichkeiten zu den wesentlichen Zielen der
Congregation in keiner Beziehung standen.
Um so deutlicher tritt das in dem jüngeren Orden der Cister-
cienser hervor. Er ist der erste, der das Verhältnis zur Kunst nach
dem Masse seiner religiös-sittlichen Gesamtanschauung zur Erörterung
bringt, der feste Grundsätze für die Praxis aufstellt, der die Beob-
achtung derselben mit Strenge überwacht. Baugeschichtlich betrachtet
ist der Cistercienserstil ein Sprössling des burgundischen Provinzial-
stiles und somit der jüngere Bruder des cluniacensischen. In wichtigen
Zügen, namentlich im Grundplan, zum Teil auch in der Konstruktion,
tritt die Familienähnlichkeit sehr kenntlich hervor; aber der physio-
gnomische Ausdruck ist, wie der innewohnende Geist, ein anderer, ja
diametral entgegengesetzter. Man muss sich erinnern: in der Be-
kämpfung Clunys ist Cisteaux gross geworden; die alten Benediktiner,
ebenso die Männer von Cluny, so hiess es, seien in Hoffart und
Ueppigkeit versunken ; das Mönchtum müsse gereinigt, mit der so oft
umsonst ausgerufenen Forderung der Rückkehr zur alten Strenge und
Einfachheit müsse endlich ganzer Ernst gemacht werden. Wunderbar,
wie asketische Glut mit nüchterner Verständigkeit und thätigem Nütz-
lichkeitssinn im Cisterciensertum in eins verschmolzen. Die Losung
ist: Entsagung und Arbeit; und zwar harte körperliche Arbeit in der
reinen Urform als Landbau. Hinweg mit der Wissenschaft — sie ver-
weichlicht und verführt den Geist! Hinweg vor allem mit der Kunst!
Jene glänzende, von echtester Schönheitsbegeisterung getragene Archi-
tektur, die wir unter Führung Clunys seit dem Ende 1 1 . Jahrhunderts
in Burgund sich erheben sahen (Kap. IX), ist in den Augen der Cister-
cienser ein ganz und gar verwerflicher Prunk und Pomp, nicht minder
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Dreizehntes Kapitel: Die Kirchen des Cistercienserordens. 519
anstössig dem gesunden Menschenverstand wie dem asketischen Mönchs-
sinn. Was ihre eigenen Klosteranlagen betrifft, so sollen sie auch nur
scheinen, was sie sind: grosse Wirtschaftshöfe; und die Hauart ihrer
Kirchen soll einfach sein bis zur letzten innerhalb des Zweckmässigen
liegenden Grenze. Weitgehende Folgen in der Kunstgeschichte nach
sich ziehend, liegt dieser Gegensatz zwischen Cisteaux und Cluny doch
eigentlich, wie man sieht, gar nicht in der ästhetischen, sondern in der
moralisch-praktischen Sphäre. Und so werden bezeichnenderweise die
Vorschriften für das Bauwesen immer negativ formuliert : keine Türme,
keine Skulpturen, keine Glasmalereien, keine bunten Fussböden u. s. w.
Selbst die Namen »ecclesia«, »basilica« werden als zu hochtönend
zurückgewiesen: die Cistercienserkirche heisse nur »Oratorium«.
Merkwürdige Zeit und merkwürdiges Land, in denen so herbe
Gegensätze der Kunstgesinnung dicht nebeneinander gedeihen konnten.
Während aber das durch den grandiosen Neubau von Cluny unter
Abt Hugo dem Grossen gegebene Muster nicht weit über Burgund
hinaus wirkte (vgl. S. 390), war der baukünstlerische Einfluss von
Cisteaux bald im ganzen Abendlande zu verspüren. Wo immer Cister-
cienser auftraten, dahin brachten sie ihre Baugrundsätze mit. Die
Möglichkeit lag nahe, dass die Wirkung eine ähnliche wurde, wie die
des Calvinismus im 16. und 17. Jahrhundert. Keineswegs jedoch war
das der Fall. Selbst eine an sich so unkünstlerische, vielmehr anti-
künstlerische Grundstimmung wurde durch die übermächtige künst-
lerische Zeugungskraft des 12. und 13. Jahrhunderts befruchtet und
zu positiver Leistung stark gemacht. Ihr Losungswort »Entsagung
und Arbeite in die Sprache der Baukunst zu übersetzen, das war die
den Cisterciensern zugefallene Aufgabe, sie schufen den echtesten und
wahrhaftigsten Mönchsstil, den die Kunstgeschichte kennt.
Das Mutterkloster, das dem Orden den Namen gab, Cistercium
(Oteaux) wurde im Jahr 1098 von dem aus Cluny hervorgegangenen
Abt Robert gegründet. Die Anfänge versprachen nicht viel, und wahr-
scheinlich wäre, gleich so vielem anderen, auch diese Reformbewegung
in engen Grenzen stecken geblieben, hätte nicht rechtzeitig (in den
Orden eingetreten a. 11 13) eines der grössten religiösen Genies, von
denen die Geschichte des Mittelalters weiss, der H. Bernhard, sich in
ihren Dienst gestellt. Während des zweiten Viertels des W.Jahrhunderts
war er, Päpste stürzend oder schirmend , Königen seinen Willen auf-
zwingend, zum zweitenmal einen Kreuzzug ins heilige Land in Be-
wegung setzend, die erste geistige Grossmacht der Zeit, der Gegenstand
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
grenzenloser Bewunderung. Seine persönlichen Triumphe waren , wo
nicht die einzige, so doch die sichtbarste Triebkraft in der Ausbreitung
des Ordens, dem er angehorte und der vielerorten nach ihm den
Namen der Bernhardiner annahm. Fünfzig Jahre nach seiner Grün
dung zählte derselbe 500 Abteien in allen Ländern Europas, hundert
Jahre später mehr als 1800, wovon die meisten noch vor a. 1200 ge-
stiftet waren. Allein vom Kloster Claravallis, dem Bernhard als Abt
vorstand, sind zu dessen Lebzeiten 160 Tochter- und Enkelstiftungen
ausgegangen. Die vier unmittelbaren Töchter von Cistercium liegen
noch in dessen nächster Nachbarschaft, in den Grenzgebieten von
Niederburgund und der Champagne, und sind in den Jahren
11 13 — 15 gestiftet. Nach Westfrankreich drangen die ersten Kolo-
nien 11 19 (Cadouin"i vor; nach Deutschland 1123 (Alten-Kamp, Diöc.
Köln) und 1124 ^Lützel, Diöc. Basel); nach England 11 28 (Wawerley /.
nach Italien 1135 (Fossanova) und 1 136 (Chiaravalle) ; nach Portu-
gal 1140 (Taronca) ; nach Navarra und Castilien 1 1 41 und 1142
(Fitero, Monsalud, Sagramenia) ; nach Schweden 1143 (Alvastra und
Nydala).
Nur selten ubernahmen die Cistercienser 1 wie die Cluniacenser e>
gern gethan hatten) vorhandene Klöster zur Reform; es handelte sich
bei ihnen überwiegend um Neugründlingen. Dieselben erfolgten durch
Filiation. d. i. durch Aussendung von Kolonien, so dass die Gesamt
heit aller Cistercienserklöster sich in vier Linien nach den vier un-
mittelbaren Töchtern von Cistercium gruppiert; — es sind Firmitas
(La Fert£), Pontiniacum (Pontigny), Clara- Vallis (Clairvaux), Mori-
mundus (Morimond). Auf die Ausbildung baulicher Besonder-
heiten hat die Filiation indes keinen Einfluss geübt. — Die
monarchische Verfassung der Kongregation von Cluny wird aufgegeben,
die Oberaufsicht fuhrt das Archicönobium in Cemeinschaft mit den
v ier ältesten Töchtern ; jahrliche Visitationen und Generalkapitel der
Aebte halten die Einheit aufrecht. Für die Verbreitung gleichmas-
siger Grundsätze im Bauwesen ist die letztere Einrichtung sehr wich-
tig gewesen. Demnächst das den Cluniacensern entnommene Institut
der Conversen, d. h. von Halbmönchen, die namentlich zu den
groben Arbeiten verwendet wurden. An dem mit wunderbarer Ge-
schwindigkeit geförderten Neubau von Clairvaux (1135) arbeiteten teils
gedungene Handwerker, teils die Brüder selbst. Der H. Bernhard
schickte den Bruder Achard, Novizenmeister in Clairvaux, in viele
französische und deutsche Klöster, um ihre Bauten zu leiten, was mit
dem Verbote künstlerischer Thätigkeit insofern nicht in Widerspruch
stand, als Bernhard auch den Kirchenbau lediglich unter den Gesichts-
punkt der Handarbeit hinstellte. Beim Bau von Walkenried sind
21 Laienbrüder als Steinmetzen, Maurer, Zimmerleute unter Aufsicht
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Dreizehntes Kapitel: Die Kirchen des Cistercienserordens.
zweier Mönche thälig. Unter den ersten Insassen von Victring in Kärn-
then, die aus dem lothringischen Villars kamen, befanden sich »conversi
barbati diversis artibus peritU. Nimmt man zu solchen Beispielen die
Regel, dass Laien vom Kloster überhaupt thunlichst fern gehalten
werden sollten, so ergiebt sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Cister-
cienser ihre Bauten überwiegend mit eigenen Kräften ausführten (vgl.
umgekehrt: monachos vel conversos artifices ad operandum saecu-
laribus concedi non licet (Cap. gen. a. 1157. § 47).
Die Ordenskirchen der Friihzeit, mindestens bis in die dreissiger
Jahre, können durchweg nur sehr klein gewesen sein; denn die Zahl
der Brüder war mit dem Abt ursprünglich auf 13 limitiert, und den Laien
sollte das Betreten der Kirche durchaus versagt sein. Aber weder die
eine noch die andere Beschränkung konnte lange aufrecht erhalten
bleiben. Nur dem weiblichen Geschlecht blieben die Kirchenthüren
zu allen Zeiten verschlossen. Das Anwachsen der Klosterbevölkerung
zeigt die Verordnung von 11 34, wonach ein Kloster eine Tochter-
gründung erst vornehmen dürfe, wenn die Zahl der Brüder 60 zu über-
schreiten beginne. Indes war in einzelnen Fällen die Bevölkerung eine
viel grössere; so in Clairveaux beim Tode des H. Bernhard 700 Mönche,
dazu die Conversen. Die von uns auf Taf. 191 — 195 mitgeteilten
Grundrisse aus dem letzten Drittel des 12. und den beiden ersten des
13. Jahrhunderts zeigen meist sich ziemlich gleich bleibende und zwar
ansehnliche Dimensionen. Aus den Statuten der Generalkapitel heben
wir noch folgendes hervor:
(a. 1134.) In civitatibus, in castellis aut villis nulla nostra con-
struenda sunt coenobia, sed in locis a conversatione hominum semotis
{vgl. die häufigen Namenszusammensetzungen mit silva oder vallis). —
a. 11 57: Turres lapideae ad campanas non fiant, nec ligneae altitu-
dinis immoderatae, que ordinis dedeceant simplicitatem. — a. 1157:
Campanae ordinis nostris ita fiant, ut unus tantum pulset eas et nun-
quam duo simul. Non excedant pondus 500 librarum. — a. 1148:
Omnis varietas pavimentorum de ecclesiis nostris amoveatur. — a. 1134:
Sculpturae vel picturae in ecclesiis nostris seu in officinis aliquibus
monasterii ne fiant interdieimus : quia dum talibus intenditur, utilitas
bonae meditationis vel diseiplina religiosae gravitatis saepe negligitur;
cruces tarnen pictas, quae sunt ligneae, habemus. — a. 1251 : Picturae
et celaturae, quae deformant antiquam ordinis honestatem . . . . —
a. 11 34: Vitreae albae tamtum fiant sine crueibus et picturis. —
a. 1182: Vitreae picturae infra terminum duorum annorum emendentur.
Gleichsam wie der Commentar zu obigen Sätzen liest sich S. Bern-
hards Apologia ad Guilielmum Abbatem (Opera, ed. Antverp. 1616,
p; 882—994). »Woher kommt es, dass das Licht der Welt verfinstert
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Zweites Buch: Der romanische Stil
und das Salz der Erde dumm geworden ist? Vom hoffärtigen Wandel
der Mönche !^ Nachdem dies Thema vielseitigst erörtert worden, nimmt
der Redner zum Schluss noch die Kunst vor: »Doch dies alles ist ein
Geringes. Ich komme zu schwererem Missbrauch und zwar um so viel
schwererem, als er häufiger ist. Der Bethäuser masslose Höhe, ihre
übertriebene Länge, ihre unnütze Breite, ihr Aufwand an Steinmetz-
arbeit, ihre die Neugier reizenden und die Andacht störenden Malereien,
sie scheinen mir nicht anders zu sein, als die Gebräuche der alten
Juden. Mag sein, dass es in der Absicht geschieht, Gott damit zu
ehren: ich, ein Mönch, frage euch Mönche, was vorzeiten ein Heide
den Heiden vorhielt:
Sagt, ihr Priester, was thut im Heiligtume das Gold denn?
Ich aber rufe: Saget, ihr Armen! (denn nicht auf das Wort kommt
es an, sondern auf den Sinn); saget, wenn anders ihr wirklich Arme seid,
was thut im Heiligtume das Gold denn? Anders steht die Sache bei
den Bischöfen, anders bei den Mönchen. Wir wissen, dass jene den Wei-
sen wie den Unklugen gleich sehr verpflichtet sind, und die fleischlich
gesinnte Menge, da sie mit geistigen Mitteln es nicht vermögen, mit
materiellen zur Andacht zu stimmen sich bemühen. Doch wir, die wir
uns von der Menge losgemacht haben, die wir Pracht und Reiz der
Welt um Christi willen zurückgelassen haben, die wir alles dem Auge
Glänzende, dem Gerüche Süsse, dem Geschmacke Angenehme, dem
Gefühle Schmeichelnde, kurz alles was unsern Leib erquickt, für einen
Dreck erachten, damit wir Christum gewinnen: wodurch denn, frage
ich, sollen wir zur Andacht gestimmt werden? Was könnten wir mit
diesen Dingen erreichen wollen? Die Bewunderung der Thoren und
die Ergötzung der Einfältigen? Um offen zu sprechen: wollen wir uns
durch Habsucht leiten lassen und weniger nach dem Vorteil der Gläu-
bigen als nach ihren Gaben streben ? Denn Gold zieht Gold an ; je
grössere Reichtümer man irgendwo sieht, um so leichter giebt man
dorthin. Vor goldbedeckten Reliquien öffnen sich am bäldesten die
Beutel. Die prachtvolle Figur eines oder einer Heiligen wird gezeigt
und die Menschen halten sie für um so heiliger, je bunter sie ist: man
läuft herbei, sie zu küssen, man wird aufgefordert zu schenken und
man bewundert mehr die Pracht, als man die Heiligkeit verehrt. Von
den Decken hängen nicht Leuchter, sondern gewaltige Räder mit
Lichtern besteckt, von Edelsteinen funkelnd; an Stelle von Leuchtern
sehen wir wahre Kandelaberbäume aus schwerem Erz und mit wunder-
barer Kunst ciseliert und gleichfalls mit Edelsteinen überdeckt; und
so geht es fort. Was glaubt ihr, wozu das alles dient? zur Zerknirschung
der reuigen Herzen oder aber zu staunender Augenweide? — O vanitas
vanitatum, sed non vanior quam insanior! Die Kirche glänzt in ihren
Bauten und darbt in ihren Armen ; sie überzieht ihre Mauern mit Gold
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Dreizehntes Kapitel : Die Kirchen des Cistercienserordens.
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und lässt ihre Kinder nackend davongehen. Die Scherflein der Be-
dürftigen werden genommen, um den Reichen einen Augenschmaus zu
bereiten. Die Schaulustigen finden Ergötzung, die Elenden suchen
umsonst Erquickung. — Womit werden die Heiligenbilder auf den
musivischen Fussböden geehrt? Man spuckt einem Engel ins Gesicht
oder tritt einen Heiligen mit der Ferse. Wozu schmückt ihr, was ihr
notwendig beflecken müsst? Was soll das bei Armen, bei Mönchen,
bei Männern des Geistes? . . . Sodann in den Kreuzgängen, dicht vor
den Augen der lesenden und sinnenden Brüder, was soll da diese
lächerliche Ungeheuerlichkeit, dieser garstige Prunk und diese prunkende
Garstigkeit? Diese unreinen Affen? Diese wilden Löwen? Diese
monströsen Centauren? Diese Halbmenschen? Diese Tiger? Diese
kämpfenden Männer? Diese ins Horn stossenden Jäger? Du siehst
unter einem Kopfe mehrere Körper und umgekehrt auf einem Körper
mehrere Köpfe; du siehst einen Vierfüssler in eine Schlange auslaufen
und einen Fisch mit dem Haupte eines Säugetiers; hier eine Bestie,
die vorne Ross und hinten Ziege ist, dort eine, die vorne Hörner und
hinten Pferdefüsse hat. So vielerlei und wunderbares bietet sich dar,
dass es vergnüglicher scheint, in dem Marmorbildwerk als im Buche
zu lesen , und lieber den ganzen Tag hierüber als über das Gesetz
des Herrn zu grübeln. Bei Gott! habt ihr vor diesen Albernheiten
keine Scham, so habt wenigstens Scheu vor den Kosten !
Allgemeinhin von einem Cisterciensersti 1 zu sprechen, möchten
wir nicht empfehlen, da es zu Missverständnissen führen könnte; die
Kirchen des Ordens zeigen in den verschiedenen Ländern und Pro-
vinzen sehr verschiedene Bausysteme; dennoch unterscheiden sie sich
fast immer auf den ersten Blick von allen anderen, geben sich als
Kinder desselben Geistes zu erkennen. Um dieses Gemeinsame richtig
zu erfassen, muss man im Auge behalten, dass es seinen Ursprung
in der Kritik des Bestehenden hatte und deshalb zunächst allein in
einer Reihe von Negationen sich äusserte. In seinem wunderbar
schnellen Lauf durch die Länder hatte der Orden mit den vorgefun-
denen Arbeitskräften zu rechnen und schloss sich deshalb den ört-
lichen Bautypen an ; worauf er gleichwohl nicht verzichtete, war, die-
selben so zu vereinfachen und zurechtzuschneiden , wie es seinem
Sinne gemäss war. Die radikalste Massregel war die Abschaffung
der Türme; mit der Abschaffung der Krypten waren schon die
Cluniacenser und Hirsauer vorangegangen; vor allem wurden die
Gliederungen und Zierformen auf ein Wenigstes eingeschränkt. In-
zwischen trat im Mutterlande des Ordens die zweite Generation seiner
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
Bauten bereits mit positiven Merkmalen hervor. Von diesen rinden
die allgemeinste Nachahmung die mit dem Kultus zusammenhängenden :
die fortlaufende Reihe niedriger Kapellen um den Chor und an der
Ostseite des Querschiflfes ; die auffallend gestreckte Gestalt des Lang-
hauses (wegen der Teilung zwischen Mönchen und Laien); die niedrige
offene Vorhalle in der ganzen Breite der turmlosen Fassade. Weniger
allgemein, immerhin oft genug, um in die Bauentwickelung bedeutend
einzugreifen , wurde das in den burgundischen Zentralklöstern auf-
gekommene Gewölbe- und Pfeilersystem nachgebildet. Die über-
raschenden Uebereinstimmungen in manchen weit voneinander ent-
legenen Bauten können nur so erklärt werden, dass der Orden nicht
bloss seine Baumeister, sondern zuweilen ganze Handwerkerkolonien
von Ort zu Ort schickte. So entstand und befestigte sich der auch
in den wechselnden Formen der Anlage immer sich gleich bleibende
Geist der Behandlung : stolz demütig, vornehm kühl, reinlich, strenge,
alles bloss Gefällige verabscheuend. Die Feindschaft gegen die Zier-
formen klärte sich mit der Zeit dahin ab, dass man sich zwar auf möglichst
wenige beschränkte, diese wenigen aber nicht etwa roh, sondern in
knapper, keuscher Zeichnung mit besonderer Sorgfalt und Sauberkeit
ausführte, wodurch die gesuchte Einfachheit der Gesamterscheinung
erst rechten Nachdruck gewann. Der Gegensatz dieses Stiles der
Entsagung gegen die sonst den Spätromanismus beherrschende heitere
und phantasievolle Zierlust kann herber nicht gedacht werden.
Die Cistercienserkunst hatte aber auch noch eine andere Seite, auf
der sie sich den Bestrebungen der Zeit keineswegs feindlich, vielmehr
an der Spitze der fortschreitenden Bewegung zeigte. Ihre Forderung
der Sparsamkeit und Einfachheit ergänzte sich durch die andere der
Tüchtigkeit und Zweckmässigkeit im Technischen und Konstruktiven.
Während ihre nach Deutschland und Italien vordringenden Sendlinge
meistenteils noch die flache Holzdecke als Landesbrauch vorfanden,
war sie in ihrer burgundischen Heimat bei einem Systeme angelangt,
das in seinen Grundgedanken bereits als gotisch bezeichnet werden
muss. Es ist unabhängig vom nordfranzösischen erfunden, demselben
verwandt, aber nicht gleich. Noch früher als in diesem wird der
Spitzbogen, der ja der burgundischen Architektur längst vertraut war,
konsequent auf alle Teile des Gebäudes ausgedehnt; das Kreuzrippen-
gewölbe wird mit voller Einsicht behandelt; ein wohldurchdachtes
Strebesystem tritt hinzu; nur der freiliegende Strebebogen fehlt, und
die Abneigung gegen ihn bleibt eine cisterciensische Eigenheit. Die
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Dreizehntes Kapitel: Die Kirchen des Cistercienserordens.
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durchlaufende Travee mit oblongem Gewölbegrundriss, welche in der
nord französischen Gotik so viel später erst den Stützen Wechsel und
das sechsteilige Gewölbe verdrängten, gehört der burgundisch-cister-
ciensischen von Anfang an. Auch in allem übrigen wird der innere
Aufbau so einfach wie möglich gestaltet: keine Emporen, Triforien
oder Arkaturen, wie sie anderweitig im Uebergangsstil eine so wichtige
Rolle spielen; die Pfeiler nur unter den Scheidbögen mit Halbsäulen
besetzt, nach dem Mittelschiff zu glatt, so dass die die Quergurten
der Hauptgewölbe tragenden Dienste auf Kragsteinen ihr Lager finden
müssen. Dieses letztere, eigentlich untektonische Motiv kehrt gerade
an den klassischen Bauten des Ordens in allen Ländern mit grosser
Regelmässigkeit wieder, ja wird an den späteren selbst in dekorativ
spielender Weise gehäuft (z. B. in den Kreuzgängen, den Kapitelsälen
und Nebenkapellen von Maulbronn, Ebrach, Casamari, Fossanova).
Sonst wird in der Behandlung der Einzel formen in bemerkenswerter
Weise auf streng tektonischen Charakter gehalten. Die ältere Zeit
giebt anstatt aller Dekoration nur profilierte Glieder, die jüngere,
relativ laxe lässt bei reichlicherer Verwendung von Halbsäulen und
Runddiensten ein mageres Blattornament an den Kapitellen zu, wie-
wohl nicht selten die Kernform des Kelches ganz nackt stehen bleibt
(z. B. Heisterbach, Riddagshausen, Fontfroide, Val de Dios). Endlich
gehört zur Vollendung des cisterciensischen Kunstideals, im schärfsten
Gegensatz gegen die herrschende Sitte, die Farblosigkeit. Selbst die
Thürflügel strich man mitunter weiss an. Gemälde sollten von den
Altären verbannt, plastische Bildwerke einfarbig übertüncht, am liebsten
der ganze Bilderschmuck auf ein einziges Krucifix reduziert sein.
Ebenso wurden farbige Fensterverglasungen verpönt; ja es war schon
eine freiere Richtung, die sich erlaubte, die Bleieinfassungen in teppich-
artige Muster zu ordnen oder gar zu grau in grau ausgeführter Figuren-
malerei überzugehen. Die Fussböden sind musterlos mit einfachen
Fliessen zu belegen, die Grabsteine sollen ohne Reliefs bleiben u. s. w.
Freilich zeigt die häufige Wiederholung gerade dieser letzten Gruppe
von Verboten, wie schwer es auch korrekt Gesinnten wurde, gegen
den Stachel der färben- und formenfrohen Zeitstimmung zu locken.
Die cisterciensisch-burgundische Frühgotik, oder, wie sie viel-
leicht passender zu bezeichnen ist: Rudimentärgotik steht an Gedanken-
reichtum und Grösse der Anschauung hinter der nordfranzösischen
weit zurück; aber sie hat, und darin liegt ihre grosse geschichtliche
Bedeutung, früher als jene die Keime des neuen Bausystems über die
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
Grenzen Frankreichs hinausgetragen und dadurch der nach ihr kom-
menden Vollgotik wirksam den Weg bereitet. Ihre Entwickelung ging
über die schon bald nach der Mitte des 12. Jahrhunderts erreichte
Stufe nicht hinaus. In ihrem burgundischen Ursitz beugte sie sich
schon nach einem Menschenalter unter die stärkere nordfranzösische
Schwester; in Deutschland und Italien wurde sie noch bis gegen die
Mitte des folgenden Jahrhunderts nachgeahmt, selten ganz rein, ge-
wöhnlich mit den spätromanischen Lokalstilen vermischt. Um das
Jahr 1250 erreicht die klassische Epoche der Cistercienserarchitektur,
die mithin gerade ein Jahrhundert umfosst, ihr Ende. Die Bauthätig-
keit des Ordens, der jetzt das Maximum seiner Ausdehnung fast
erreicht hat, vermindert sich rasch und ihr stilistischer Sondercharakter
verliert sich im grossen Strome der entwickelten Gotik *).
FRANKREICH. Die französischen Cistercienserkirchen sind
im Vergleich zu den deutschen und englischen in der Litteratur
stiefmütterlich behandelt 2). Ein nicht zu ersetzender Schade ist die
Zerstörung der meisten gerade in der Heimatprovinz des Ordens. Um
so sorgfältiger ist zu berücksichtigen , was von Nachrichten über sie
noch zu erreichen ist. Vor allem lenkt sich die Aufmerksamkeit
Cisteaux und seinen vier unmittelbaren Töchtern zu, welche zusammen
die oberste Leitung des Ordens in Händen hatten. Ueber die ältesten
Kirchen dieser Klöster wissen wir, wenigstens auf direktem Wege,
nichts, da sie sämtlich noch im 12. Jahrhundert erneuert wurden. Aber
auch von den Bauten dieser zweiten Generation ist nur ein einziger,
der von Pontignv, übrig (Grundriss Taf. 191 nach Chaillon de Barres,
System und Querschnitt Taf. 346, nach unseren Aufnahmen zuerst
publiziert im Jahrbuch der Kunstsammlungen des preussischen Staates
Bd. XII, Fassade und Gesamtansicht Taf. 272, 274). Die Kirchen
') Wir schliessen hier eine kurze Nachricht Über die Kirchen der Prämonstra-
tenscr an. Dieser Orden, wenige Jahre nach dem von Cisterz gegründet, hat keinen
eigenen Typus ausgebildet , adoptiert aber zuweilen den Cisterciensergrundriss : so in
S. Martin in Laon, in Kominersdorf und wahrscheinlich auch vor dem gotischen Umbau
in Arnstein (Taf. 166); oder auf platten Hauptchor ohne Nebenchöre reduziert: Enken-
bach (Taf. 165), Ilbenstadt (Taf. 47 irrtümlich mit Apsis ergänzt).
2) Trotz vieler Zerstörungen, namentlich in der Revolution und unter dem Kaiser-
reich , scheint ihre Zahl noch immer gross zu sein. Der Graf Montalatnbert giebt an.
Uber 150 (wohl nicht in Frankreich allein) besucht zu haben; er ist in seiner grossen
Geschichte des Mönchtums bis zum Kapitel über die Cistercienser nicht mehr gekommen;
seine Notizen bei Darcel et Lassus, T Album de Villard d'Honnecourt und in Quast und
Ottes Zeitschrift I. sind dürftig. Anthyme Saint-Paul, Histoire monumentale de la France,
p. 79, nennt als die merkwürdigsten vieizig bei Namen, ohne sie zu beschreiben. Di*
an der Spitze unseres Kapitels angeführten Werke von Arlxiis de Joubainville und
Rostan kennen wir nur aus Citaten dritter.
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Dreizehntes Kapitel: Die Kirchen des Cistercienserordens.
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von Cisteaux und Clairvaux wurden im 18. Jahrhundert abgetragen.
Von der ersteren giebt es eine kleine alte Ktipferstichansicht (s. die
Figur S. 530 nach Viollet-le-Duc), den um die Mitte des 12. Jahr-
hunderts entstandenen zweiten Bau darstellend. Von Clairvaux, und
zwar dem 11 74 geweihten dritten Bau, ist vor dem Abbruch ein ge-
nauer Grundriss aufgenommen (Taf. 191 nach der Voyage arche'ologique
dans le de*p. de TA übe, Troyes 1837; leider ohne Massstab); auch
sollen noch Trümmer der ersten Travee des Langhauses bestehen.
Morimond wurde im Anfang dieses Jahrhunderts abgebrochen und ist
in der Geschichte des Klosters von Dubois (1852) nicht eben klar
beschrieben. Ueber La FertE sind uns keinerlei Nachrichten bekannt.
Zur Ergänzung leisten zwei Kirchen sekundären Ranges, noch aus der
ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, Fontenay in Burgund und Vaux-
de-Cernay im Norden von Paris, wichtige Dienste (beide Taf. 191).
Dies Material, so knapp es ist, gestattet doch den nicht bloss bau-
geschichtlich wichtigen Schluss, dass der Grundplan der Cistercienser-
kirchen in ihrem charakteristischen Teile, dem Ostbau, sich in
unmittelbarer Anknüpfung an den alt-cluniacensischen entwickelt hat.
Wie der neubegründete Orden in seinen Einrichtungen und Sitten pro-
grammmässig nur die alte Einfachheit der Benediktiner wiederherstellen
wollte, so nahm er in seinen Bauten die alte Choranlage von Cluny
in demselben Augenblicke auf, als dieser (im Neubau von 1082— 1 132)
sie zu Gunsten einer vom künstlerischen Standpunkte höher gearteten
fallen Hess (S. 273). In seiner Fortentwickelung bei den Cisterciensern
spaltete sich der Typus in die folgenden fünf, von uns nach ihrem
mutmasslichen Ursprungsort benannten Varianten. (Die beigesetzte
römische Ziffer besagt, der wievielte Bau gemeint sei.)
1. Schema Cisteaux I. Repräsentiert durch Vaux-de-Cernay;
allem Anscheine nach der Stiftungsbau von 1 128, mithin die älteste alle:
erhaltenen Cistercienserkirchen ; der platte Schluss des Hauptchors und die
starTelförmig zurücktretenden Nebenchöre wiederholen unverändert das
ältere Cluniacenserschema (vgl. S. 271 und Taf. 121, Fig. 1, 2). Dass hier-
für das Beispiel von Cisteaux (I. Bau) massgebend war, ist eine dringend
indizierte Vermutung (vgl. auch weiter unten das thüringische Burgelin).
2. Schema Clairvaux II. Vertreten durch Fontenay. Die Neben-
chöre sind des absidialen Schlusses beraubt und haben gleiche Länge
und gemeinschaftliche geradlinige Rückwand erhalten, konform dem
platten Abschluss des Hauptchors. Da dieses Schema schon vor Mittte
des Jahrhunderts im südlichen und westlichen Frankreich, wie auch
in den vom H. Bernhard in Italien gestifteten Klöstern wiederholt
wird, ist anzunehmen, dass es in einer der führenden Hauptabteien
vorgebildet war, und dies kann nicht wohl eine andere als Clairvaux
{II Bau von 1135) gewesen sein.
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Zweite« Buch : Der romanische Stil.
3. Schema Cisteaux II. Erweiterung des vorigen in der Weise,,
dass auch die Westseite der Kreuzflügel, sowie alle drei freiliegenden
Seiten des Hauptchors Kapellen erhalten ; s. die untenstehende Figur
S. 530. Analogien dafür begegnen in Deutschland und England mehr-
fach; wahrscheinlich hatte auch der Chor von Pontigny vor dem Um-
bau von c. a. 1180 diese Gestalt ; sodann gehört hierher die namenlose
Zeichnung im Skizzenbuch des Villard d'Honnecourt (unsere Taf. 191,
Fig. 8).
4. Schema Morimond II. Zufolge Dubois je zwei rechteckige
Kapellen an den Kreuzarmen und halbrunder Schluss des Mittelschiffs.
5. Schema Clairvaux III. Erweiterung des vorigen in An-
passung des Prinzipes von Cisteaux II an den halbrunden Schluss;
die Kapellen bilden trapezförmig verschobene Vierecke, welche poly-
gonal (neun Seiten eines regelmässigen Sechszehnecks) zusammen-
geordnet sind. Als Vorbild diente die Kathedrale von Langres (Taf. 12 1\
dessen Bischof a. 1 174 die Kirche von Clairvaux einweihte, nicht die
französischen Kathedralen, wie R. Dohme und alle folgenden deutschen
Autoren glauben. Wiederholt im Umbau von Pontigny c. a. 1180.
Der leitende Faden der Entwicklung liegt, wie man sieht, in der
zunehmenden Häufung der Kapellen. Welche besonderen rituellen
Vorschriften es waren, deren strenge Durchführung man damit be-
fördern wollte, ist nicht mit Sicherheit nachgewiesen (am wahrschein-
lichsten Privatmessen in dem S. 271 erläuterten Sinne). Man befand
sich darin in offenbarem Wetteifer mit den Cluniacenserkirchen (der
jüngeren, auf Burgund beschränkten Schule). Diese sind, was die Zahl
der Kapellen und mithin den Reichtum der Grundrissgliederung be-
trifft, überboten, und zwar durch eine architektonisch ungleich ein-
fachere Lösung. Denn verglichen mit dem aus S. Martin in Tours
stammenden und seit 1089 in die Cluniacenserarchitektur Burgunds
eingeführten Systeme des runden Umgangs mit ausstrahlenden Rund-
kapellen bedeutete das cisterciensische sicherlich eine ungemeine Er-
sparnis sowohl an Material wie an Arbeitskraft: die Wände sind
ausschliesslich geradlinig, die Gewölbe gehen allen schwierigeren Kom-
binationen aus dem Weg, ein einziges durchgehendes Pultdach deckt
eine ganze Reihe von ihnen und vereinfacht den Ablauf des Regen-
wassers; kurz es sind im Grunde keine wirklichen Kapellen — was
von dem polygonen Schema von Clairvaux gerade so gilt, wie von der
viereckigen von Cisteaux — sondern fortlaufende Niederschiffe, nur
dass sie durch Zwischenwände abgeteilt sind. Aber um so viel die
cisterciensische Anlage der cluniacensischen durch praktische Vorzüge
überlegen ist, um ebensoviel steht sie, nach künstlerischem Masse
gemessen, niedriger — worauf wir bei der Betrachtung des Aussenbaus
noch besonders zurückkommen werden.
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Dreizehntes Kapitel : Die Kirchen des Cistercienserordens.
529
Es ist nachgewiesen (durch R. Dohme), dass der Stammbaum eines
Cistercienserklosters auf die Wahl des speziellen Grundrissschemas
keinen Einfluss hatte; es war schon deshalb nicht möglich, weil, wie
unsere obige Darlegung zeigt, die Mutterklöster bei Umbauten nicht
selten selber das Schema wechselten. Wohl aber können wir nunmehr
feststellen, dass das Beispiel der fünf burgundischen Hauptklöster im
ganzen genommen für die gesamte Ordensarchitektur massgebend war,
da andere als die durch sie vorgebildeten Schemata — es wären denn
Rückfälle in die Lokalstile — nirgendwo mehr auftauchen. Am häu-
figsten wiederholt sich in allen
Ländern das Schema Clairvaux 1 1 ,
offenbar weil dies die Kirche
des H. Bernhard war.
Vermochten wir hinsichtlich
der Grundrissentwickelung die
Lücken der Denkmälerüberliefe-
rung durch Konjekturen von
guter Wahrscheinlichkeit auszu-
füllen, so bleibt hinsichtlich des
Systems leider allzuviel im Dun-
kel. Einen vor der Mitte des
12. Jahrhunderts sehr verbreite-
ten, vielleicht vorherrschenden
Typus lernen wir in FoNTBNAY
kennen (vgl. beistehende Figur).
Das Hauptschiff hat longitudi-
nales, die Seitenschiffe haben
transversale Tonnen-Gewölbe;
ausser den letzteren (A) dienen
noch besondere Strebebögen (B), die nach oben über das Dach nicht
vortreten, nach aussen durch Strebepfeiler (C) verstärkt werden, als
Widerlager der Hauptgewölbe. Alles Gewicht ist auf Dauerhaftig-
keit der Konstruktion gelegt und darin übertrifft das System das von
der jüngeren Schule von Cluny aufgebrachte basilikale sicher; ebenso
sicher aber bedeutet es einen künstlerischen Rückschritt durch die
Unfreiheit der Raumbildung und den Mangel direkter Beleuchtung des
Hauptschiffs. Im Aufbau wie im Grundriss Fontenay ganz ähnlich
sind die Cistercienserkirchen Hochburgunds, der jetzigen Westschweiz,
Bonmont, Hauterine und in der deutschen Schweiz Frinisberg
(Taf. 99, 143). Von hier bis zum System von Pontigny (Taf. 346) klafft
eine unausfüllbare Lücke. Pontigny hat rein basilikalen Aufbau und
Kreuzgewölbe. Das im Jahre 11 14 als zweite Tochter von Cisterz
gegründete Kloster führte wegen der auf mehr als ein halbes Hundert
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530
Zweites Buch: Der romanische Stil.
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J. I 1 <ftaJ
angewachsenen Zahl seiner Mönche um das Jahr 1150 einen Neubau
seiner Kirche aus. Es ist dieselbe, die wir heute vor uns sehen. Nur
noch einmal, kaum ein Menschenalter nach ihrer Vollendung, ist eine
Ueberarbeitung einzelner Teile vorgenommen , späterhin ist sie un-
berührt geblieben. Diese zweite Bauepoche gab der ursprünglich ganz
schlichten Westfassade
' : r - r ' 'J;^ |£3 • V O- durch Vorblendung von
Bogen und Säulen ein
etwas schmuckvollere*
Ansehen (Taf. 274); so-
dann erweiterte sie den
Chor. War derselbe ur-
sprünglich sicher platt
geschlossen, so wurde er
jetzt nach dem Muster
von Clairvaux III gestal-
tet. Die Weihe von Clair-
vaux fällt 11 74; offenbar
nicht sehr viel später
(etwa 1180) die Erweite-
rung des Chors von Pon-
tigny. Der stilistische
Abstand zwischen diesem
und dem Quer- und Lang-
haus ist gross genug, um
für die letztere die von
der Gallia christiana an-
gegebene Bauzeit >ca. a.
1 1 50c vollkommen glaub-
lich erscheinen zu lassen.
Man erkennt sogleich die
Wichtigkeit dieser chro-
nologischen Feststellung:
sie besagt, dass wenige Jahre nach dem Bau des Chors von Saint-Denis
und ersichtlich unabhängig die burgundischen Cistercienser ein System
verwendeten, das den frühgotischen Konstruktions- und Formgedanken
nicht minder klar ausspricht. In der Bildung der Gewölbe ist der
Fortschritt gegen die zwanzig Jahre ältere Vorhalle des benachbarten
Vezelay augenfällig; die Diagonalrippen, deren sporadisches Auftreten
in den verschiedensten Teilen Frankreichs wir seit dem Anfang des
Jahrhunderts beobachtet haben, kommen in Burgund hier unseres
Wissens zum erstenmal zur Verwendung; die Höhenentwickelung, wenn
sie auch im Vergleich zu Fontenay beträchtlich gewonnen hat, findet
)gle
Dreizehutes Kapitel: Die Kirchen des Cistercienserordens.
531
ihre Schranke darin, dass nach der Konstruktionsidee des Erbauers
die Kämpfer der Hauptgewölbe mit den unter den Dächern der Seiten-
schiffe verborgenen Strebebögen auf gleicher Höhenlinie zusammen-
treffen müssen ; echt cisterciensisch ist die Konsequenz, womit der Spitz-
bogen, vielleicht hier zum erstenmal, auf die Fenster ausgedehnt ist
{der Gedanke kam erst während der Bauführung, da die zuerst be-
gonnenen Teile, die Kapellen am QuerschifT, noch rundbogig sind, vgl.
Taf. 272). — Ob die Kirche von Pontigny der eigentliche Schöpfungs-
bau der Schule war, bleibe dahingestellt. Seine Einwirkungen können
wir jetzt nur ausserhalb Frankreichs studieren. Als unmittelbare Vor-
stufe hat vielleicht Cisteaux II. zu gelten (vgl. die beistehende Ab-
bildung nach dem von Viollet-le-Duc reproduzierten alten Kupferstich).
Das Langhaus hat sieben Joche, wie in Pontigny und dass dort ur-
sprünglich der Chor ebenso gestaltet gewesen sein rauss wie hier, be-
merkten wir schon. Auch die Aehnlichkeit des Aufbaus ist bedeutsam ;
dass nicht Tonnengewölbe, sondern Kreuzgewölbe vorhanden waren,
zeigt die Höhe des Daches im Vergleich zu den Fenstern; dass sie
weniger sicher ausgeführt waren, wie in Pontigny, vielleicht der Kreuz-
rippen noch entbehrten, beweist die augenscheinlich spätere Hinzufügung
einzelner Strebebögen. — Den beginnenden Einfluss der nordfranzösi-
schen Schule zeigt der Chor von Pontigny und zeigte vielleicht schon
Clairvaux III.
Die Cistercienserkirchen Süd- und Westfrankreichs schliessen sich
den landesüblichen Systemen an ; im Grundriss herrschen die Schemata
Clairvaux II und Morimond II. In Provence und Languedoc finden wir
tonnengewölbte Hallenanlagen: Thoronet, Silvacanne, Senanque,
Silvanes, Fontfroide (Taf. 118, 123, 125); in Aquitanien abwechselnd
Kuppeln, Tonnengewölbe, angevinische Kreuzgewölbe: Boschaud, La
Couronne, La Solterraine, Obazine (Taf. 128, 191, 196).
ITALIEN. Ueber die Cistercienserkirchen Italiens lagen bis jetzt
nur sehr unvollständige Mitteilungen vor; einige der wichtigsten publi
zieren wir hier zum erstenmal; weiteren Forschungen, wie sie erfreu-
licherweise der Amerikaner Frothingham in Aussicht stellt, bleibt sicher
noch eine reiche Nachlese. — S. Vincenzo alle Ire Fontane bei Rom,
Umbau einer alten Basilika, cisterciensisch nur der vom Ende des
11. Jahrhunderts datierende Chor (Taf. 192). — Chfaravalle bei Mai-
land (gegründet 1134); das inschriftliche Weihedatum 1221 kann sich
wohl nur auf eine namentlich die Ostseite betreffende Restauration
beziehen; das Langhaus (Taf. 160, 161) gehört offenbar noch ins ^.Jahr-
hundert und schliesst sich dem lombardischen System an. — Chiara-
valle bei Ancona (Taf. 191, 196) gegründet 11 72; die jetzige Kirche,
ausgeführt nicht gar viel später, eher vor als nach 1200; das Backstein-
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Zweites Buch: Der romanische Siil.
material und die Einzelformen weisen auf die Lombardei , die Kon-
struktion ist bereits frühgotisch im burgundischcisterciensischen Sinne;
anstatt des gebundenen Systems durchlaufende Traveen ; Arkaden und
Gewölbe spitzbogig, in Haupt- und Nebenschiffen Diagonalrippen von
primitiver Zeichnung; die hohen Strebemauern wieder lombardisch.
Sicher tritt in Chiavaralle das Rippengewölbe und der nordische Spitz-
bogen — wohl zu unterscheiden von dessen sporadischem Auftreten
von Sicilien her — zum erstenmal im östlichen Mittelitalien auf. Die-
selbe Bedeutung hat für Unteritalien die Cistercienserkirche Sta. Maria
d'Arbona (Taf. 192, 196). — Ganz rein endlich zeigt sich der bur-
gundischc Cistercienserstil in den im südlichen Kirchenstaat gelegenen
Schwesterkirchen von Fossanova und Casamarl Die erstere wurde
1 135 dem Orden angeschlossen; unter dem zweiten Abt Godefroid,
einem Licblingsschüler des H.Bernhard, gleich nach 11 79 Beginn des
Neubaus, desselben, den wir heute sehen; 1208 Weihe. Schon 1203 oder
wenig später war ein Teil der Bauleute, unter denen sich viele Franzosen
befunden haben müssen, nach Casamari übergesiedelt; das Weihejahr
der dortigen Kirche ist 12 17. Die fast adäquate Uebereinstimmung der
beiden Bauten untereinander und ihre nahe Verwandtschaft mit Pon-
tigny — wobei natürlich nicht ausgeschlossen ist, dass eine andere,
jetzt untergegangene Kirche Burgunds ihnen noch näher gestanden
haben könnte — wird durch unsere Abbildungen hinlänglich klar ge-
stellt. Zu bemerken ist in dem Lichtgaden und den Gewölben des
jüngeren Werkes eine leise Steigerung des gotischen Charaktere (Taf. 192,
196, 346, dazu Grundriss und Aussenansicht von Fossanova im Jahr-
buch der preuss. Kunstsammlungen, Bd. XII, S. 99, 101). Fossanova
und Casamari sind die ersten gotischen Kirchen auf italienischem Boden.
Ihre Einwirkung auf die weitere Entwickelung hätte bedeutend werden
müssen , wäre ihre Lage nicht zu einsam und abgelegen und die
rückwärts auf das Altertum gewandte Richtung der Baukunst in der
Stadt Rom ein unüberwindliches Hemmnis gewesen. Als eine direkte
Wiederholung des Typus von Fossanova wird die Cistercienserkirche
S. Martino al Cimino unweit Viterbo genannt; von einigen an-
deren ebendaher beeinflussten Bauten (Ferentino, Anagni) wollen wir
später sprechen.
SPANIEN stand mit dem Mutterlande des Ordens in keinem direk-
ten Kunstverkehr, es empfing in der Zeit des Uebergangsstils seine
Anregungen vielmehr aus Westfrankreich; woraus sich erklärt, dass
die typischen Züge der Cistercienserarchitektur hier schon merklich
abgeschwächt sind; vgl. auf Taf. 150, 192, 196 die Abbildungen von
Camprodon, Val de Dios, Veruela, Las Huelgas, letztere Kirche
schon ganz gotisch.
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Dreizehntes Kapitel : Die Kirchen des Cistercienserordens.
533
DEUTSCHLAND. Die erste Stiftung des Ordens in Deutschland
ist Campen bei Köln 1122; hundert Jahre später erfolgte ein Neubau
(Grundriss in Quast und Ottes Zeitschr. I, 138); einfaches Oblongum
ohne Querschirr und Kapellen, nur mit viereckig vortretendem Chor,
in den Winkeln jederseits ein kleines Türmchen. Will man in diesem
ungewöhnlich simplen Plan eine Wiederholung des ersten Baus anneh-
men, so würde dieser wieder vermutlich auf die Mutterkirche Morimond
in ihrer ersten, sonst nicht über-
lieferten, Gestalt hinweisen. Die
von Bischof Otto von Bamberg für
Benediktiner gegründete, noch im
Laufe des Baus 1132 den Cister-
ciensern übergebene und 11 50 ge-
weihte Kirche von Heilsbronn in
Franken besitzt einen normalen
Hirsauer Chor; ebenso und aus den
gleichen Gründen Dissibodenberg
a. d. Nahe (Ruine). Pforte bei
Naumburg (11 37 — 1140) und Ma-
kienthal bei Helmstädt (1138 bis
11 40) geben das erste Beispiel für
das Schema Clairvaux II (Pforte cv.r und Quc^chifr in Burgdin.
Taf. 194 mit gotisch erneuertem
Chor); es ist fortan das in Deutschland bei weitem gebräuchlichste,
während das Schema Morimond II sich nur zweimal, in Bronnbach
und Altenberg, nachweisen lässt. — Hier ist der Ort zu einer Ein-
schaltung über die schöne und stattliche (jetzt halb zerstörte) Kirche
von Burgelin in Thüringen. Die Kirche war mit Benediktinern be-
setzt; allein die Bauformen des ältesten Teils der Kirche, des 1142 bis
11 50 ausgeführten Chors und Querschiffs (vgl. die beistehende Figur)
weisen auf Zusammenhang mit den Cisterciensern. Die charakteristische
staffeiförmige Anordnung von je zwei Nebenchören ist in Deutschland
sonst ohne Beispiel; sie ist altcluniacensisch und wurde, wie oben
nachgewiesen, nachdem sie in Cluny fallen gelassen war, von den
ältesten Cistercienserkirchen aufgenommen (vgl. Vaux-de-Cernay, Taf. 191).
Wäre Burgelin 60 Jahre älter, so würden wir es ohne Zaudern direkt
auf Cluny zurückführen ; da aber Alt-Cluny seit mehr als einem halben
Jahrhundert nicht mehr existierte, auch keine der deutschen mit Cluny
in Verbindung stehenden Kirchen dies Planschema ohne Veränderungen
nachgebildet hat, so bleibt als Vorbild nur das Cistercienserschema in
seiner ältesten Gestalt übrig. In dieser frühen Zeit gleichfalls nur den
Cisterciensern bekannt, ist die Anordnung des westlichen Vierungs-
bogens auf Kragsteinen. Das Langhaus zeigt Formen der Hirsauer
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534
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Schule, was aber auch in der cisterciensischen Gründung Maulbronn
der Fall ist. Wie denn überhaupt beide Schulen sich in Deutschland
anfangs oft berühren (vgl. oben Heilsbronn und Dissibodenberg). Bei-
den gemeinsam ist z. B. die auch in Burgelin wohlerhaltene Begrenzung
des Mönchschors durch eine ins Langhaus vorgeschobene Bogenstellung
(S. Peter in Hirsau, S. Michael in Bamberg, S. Paul in Lavant —
Pontigny, Clairvaux, Casamari, Bronnbach, Maulbronn).
Was den Aufbau betrifft, so waren die deutschen Cistercienser-
kirchen bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts allgemein, in einzelnen
Fällen noch darüber hinaus, flachgedeckt: so Heilsbronn, Amelunxborn,
Maricnthal, Pforta, Hardehausen, Maulbronn (gew. 1178), Lehnin (beg.
1180), Wettingen (gew. 1256). Die ältesten Gewölbekirchen sind die
von Thennenbach im Breisgau (beg. 11 56) und Bronnbach bei Wert-
heim (beg. 1 1 57). Beide geben sich als Fremdlinge auf deutschem
Boden zu erkennen. Thennenbach hatte nach burgundischer Weise
Quertonnen über den Abseiten , wogegen die ursprüngliche Form der
HauptschifFsgewölbe nicht mehr ersichtlich ist. Bronnbach (Taf. 194, iq50
vermischt das burgundische System mit dem gebundenen deutschen; die
Strebepfeiler sind wahrscheinlich die ältesten auf deutschem
Boden. Wahrscheinlich gleichfalls auf burgundische Anregungen, sie
frei variierend, geht die als reine Hallenanlage erbaute Kirche Walder-
bach unweit Regensburg zurück, wohl noch saec. 12; durchgehend*
Kreuzgewölbe, im Mittelschiff mit abgekanteten Diagonalgurten; die
zwei östlichen Arkaden rundbogig, die vier westlichen spitzbogig, doch
in der Ausführung nicht nennenswert jünger. (B. Riehl im Repertorium
f. Kunstwiss. 1891, S. 365 f.) Kreuzgewölbe nach dem gebundenen
System begegnen zuerst in Eberbach im Rheingau (Chor gew. 117S.
Langhaus 1186) und Heiligf.nkreuz in Niederösterreich i^gew. 1187'.
Der Aufbau (Taf. 198, 199) unterscheidet sich von dem sonst in
Deutschland üblichen nur durch das bekannte Konsolenmotiv. Im
Gesamteindruck paart sich das Nüchterne mit dem Grossartigen zu
charaktervoller Wirkung.
In der Epoche des Uebergangsstils nimmt auch die Cistercienser-
architektur eine freiere Haltung ein , ohne an Ernst einzubüssen ; bis
zu wirklichem Reichtum versteigt sie sich nur in Nebengebäuden, wie
der Michaelskapelle in Ebrach (Taf. 200) und den berühmten Kreuz-
gängen zu Maulbronn, Heiligenkreuz, Lilienfeld. In der Planbildung
(Taf. 195) tritt mehrenorts das jüngere Schema von Cisteaux ein, mit
gewissen Abweichungen jedoch: Arnsburg in der Wetterau, Ebrach
bei Bamberg, Riddagshausen bei Braunschweig zeigen die fortlaufende
Klärung des Motivs, Walkeried am Harz (in den Ostteilen 1247 voll,
und Lilienfeld in Oesterreich (nach Mitte saec. 13) seine beginnende
Auflösung. Dem Schema Clairvaux III folgt allein Hetsterbach; die
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Dreizehntes Kapitel : Die Kirchen des Cistercienserordens. tj » c
Durchbrechung des Langhauses durch ein zweites Querschiff ist eine
originelle Zuthat, wahrscheinlich zur Bezeichnung des Punktes, wo der
Vorderchor ansetzte. Offenbar von Heisterbach beeinflusst ist die ausser-
halb des Ordens stehende Liebfrauenkirche zu Maastricht (Taf. 195,
Fig- 3)« Reiche Bauthätigkeit entfaltete der Orden in dieser Zeit in
den germanisierten Slavenländern des Ostens, jedoch mit mehr oder
minder Abschwächung des Typus. So sind z. B. zwei der ansehn-
lichsten Werke, Tischnowitz in Mähren und Dgbrilugk in der Nieder-
lausitz einfach zum normal-romanischen Kreuzgrundriss zurückgekehrt ').
S. Thomai a. d. Kyll.
Andererseits zeigt die Benediktinerkirche von Trebitsch (Taf. 179)
Konstruktionsformen — Kragsteingurten und Strebemauern — , die nur
cisterciensisch vermittelt sein können ; möglicherweise ebenso der Chor
der Petersberger Kirche bei Halle (Taf. 172). Sehr häufig wird der
gerade Chorschluss aufgegeben und eine Apsis, halbkreisförmig oder
polygon, hinzugefügt: Lehnin, Zinna, Colbatz, vielleicht auch Oliva
vor der gotischen Erweiterung. — Den inneren Aufbau der deutschen
Cistercienserkirchen von 1200 bis 1250 schildert unsere Tafel 199. Man
erkennt die fortschreitende Gotisierung, ihre Quelle jedoch, wie sehr
bemerkt zu werden verdient, ist nicht die viel weiter avancierte nord-
') Mit Unrecht wird ihnen Otterberg in der Pfalz zugezählt; das ehemalige
Vorhandensein von je drei Kapellen an den Kreuzarmen steht unzweifelhaft fest, s. Riehl,
Kunsthistorische Wanderungen, 239.
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Zweites Bush : Der romanische Stil.
französische, sondern die frühe burgundisch-champagnische Gotik: die
durch Pontigny vertretene Stufe wird nirgends überschritten, kaum
erreicht. Im Querschnitt von Heisterbach (Taf. 177) klingen sogar
ältere burgundische Konstruktionsformen (Taf. 141, 2. 6 und Taf. 149.
1) nach. Hätte Walkenried (beg. 1207) nicht sechsteilige Gewölbe
acceptiert, als diejenige Form, die am meisten an das traditionelle
gebundene System erinnert , so würde die Aehnlichkeit mit Pon-
tigny und Fossanova noch viel grösser sein. Die Frauenklöster des
Ordens sind zuweilen einschiffig; als Beispiel beistehend S. Thomas
a. d. Kyll.
In ENGLAND entfaltet sich die Baukunst des Ordens besonders
stattlich und selbstbewusst (Taf. 193, 197). Bereits im ersten Jahrzehnt
nach seiner Einwanderung (11 27) waren vierundzwanzig Abteien ge-
gründet. Die erhaltenen Denkmäler datieren sämtlich erst nach 11 50.
Zuerst herrschte der Grundplan Clairvatix II.: so in Kirkstall ybeg.
II 52), FURNESS (beg. II60), FOUNTAINS, BUILDWAS, ROCHE, RlEVALLX
(vor der gotischen Erweiterung). Der Plan Cisteaux II kommt nur
einmal vor, in Bvland, mit der für die späteren englischen Ordens-
kirchen typischen Abweichung, dass die Zwischenwände der Kapellen
wegfallen. Schliesslich tritt die durch Fig. 3 und 5 auf Taf. 193 ver-
anschaulichte Modifikation ein, in der sich der Cisterciensergrundriss
von dem sonst üblichen englisch normannischen (der ja, wie man sich
erinnert, aus der gleichen Wurzel, nämlich Cluny, hervorgegangen war
nicht mehr unterscheidet: Jervaulx, Rievaulx, Whitbv, Netlev,
Tintern, Howden, Selhv. — Im Aufbau unterscheiden sich die eng-
lischen Cistercienserkirchen von den festländischen in einem Haupt-
punkte: sie teilen die Hochschätzung des Gewölbebaus nicht, bleiben
grossenteils der nationalen Sparrendecke bis tief in die gotische Epoche
treu ; nur die Abseiten werden allerdings gewölbt, wobei auch hier die
typische Anordnung der Gurten auf Kragsteinen üblich ist (Taf. 197,
4. 5). Auch in England sind die Cistercienser die ersten, die den
Spitzbogen einführen ; doch hat derselbe, weil zu keinem konsequenten
Gewölbebau führend, nur formale Bedeutung. Die Einzelgliederung ist
durchweg reicher als auf dem Kontinent; der einfache Rundpfeiler
macht sehr bald einem komplizierten Gliederpfeiler Platz; dem ent-
sprechend die Archivolten; Belebung der Hochwände durch Triforien
wird nicht verschmäht. Unter diesen Umständen erhalten die Ordens-
bauten schon zu Anfang des 13. Jahrhunderts (vgl. als Beispiele Taf. 197,
6. 7) ein so entschieden gotisches Formengepräge, wie in keinem
anderen Lande, während sie umgekehrt auf die gotischen Konstruktions-
gedanken, die den Cislerciensem des Kontinents das Wichtigste sind,
nicht eingehen.
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Dreizehntes Kapitel : Die Kirchen des Cistercienserordens.
537
Um das Bild der Cistercienserarchitektur zu vollenden, nehmen
wir die Betrachtung des Aussenbaus gleich hier vorweg. Das Haupt-
merkmal desselben ist die Abwesenheit der Türme. Nirgends äussert
sich die Einseitigkeit der cisterciensischen Kunstanschauung herber
und gegen das Zeitbewusstsein oppositioneller, als in diesem Verbot.
Die langgestreckten, turmlosen Gebäude (Taf. 272) würden altchrist-
lichen Basiliken ähnlich sehen, wenn nicht die massive und sorgfältige
Mauertechnik und die auf Gewölbe im Innern hindeutenden Ver-
strebungen sie als Erzeugnisse einer kräftiger gesinnten Zeit verrieten.
Hier im Aussenbau treten auch die künstlerischen Mängel der Chor-
anlage unverhüllt hervor (Taf. 273); am nüchternsten und sprödesten
in der Wirkung bei rechteckigem Umgang; etwas milder, jedoch von
der ursprünglichen Schönheit des Motivs noch immer entfernt genug
bei der Halbkreisform. Die Enthaltsamkeit in Bezug auf die Türme
wird ganz strenge nur in Burgund, Nordfrankreich und Deutschland
durchgeführt. (Der hohe Dachreiter in Cisteaux und ein ähnlicher,
jetzt abgebrochener, in Pontigny sind spätgotische Zusätze.) In Süd-
und Westfrankreich, in Spanien und England tritt an Stelle des Dach-
reiters öfters schon ein ganz monumentaler Zentralturm ; und besonders
auffallend ist das in Italien: die Zentraltürme von Chiaravalle (Taf. 281),
Fossanova, Casamari gehören zu den anspruchsvollsten ihrer Art.
Das in Frankreich und Italien gewöhnlich (in Deutschland nur einmal,
in Maulbronn) der Fassade vorgebaute niedrige Paradies ist, wie
die meisten Planmotive der Cistercienser es sind, Reduktion der
cluniacensischen Vorform.
Wir finden nicht, dass die Cistercienser die Absicht verfolgt
hätten, über den Rahmen ihres Ordens hinaus um Nachahmung ihrer
Baugrundsätze zu werben. Bei dem hohen moralischen Ansehen aber,
das sie genossen, und bei der grossen Zahl und technischen Tüchtig-
keit der von ihnen aufgeführten Bauten konnten allgemeinere Wirkungen
nicht ausbleiben. Sicher nahmen sie unter den Mächten, die den
Uebergang vom Romanismus zur Gotik herbeiführten, einen wichtigen
Platz ein. Ihren positiven Beitrag zur Ausbildung des neuen Stils
wollen wir nicht überschätzen; um so stärker fällt ins Gewicht, was
sie zur Entwertung und Zerstörung des romanischen Bauideals gethan
haben ; der Gotik den Weg frei zu machen , das war die eigentliche
geschichtliche Sendung der cisterciensischen Bauthätigkeit.
35
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53«
Zweites Buch : Der romanische Stil.
Erklärung der Tafeln.
. , Grundrisse. Frankreich.
Tafel xgi.
1. Vaux-de-Cernay. — Um a. 1130. — Viollet-le-Duc.
2. Fontenay. — Vor 1150. — Viollet-le-Duc.
3. Clairvaux. — Voll. 1174. — Voyage archeologiques dans le
dcJp. de l'Aube.
4. Obazine. — Mitte saec. 12. — Viollet-le-Duc.
5. S. Nicolas-sous-Ribemont. — Bull. mon. 34.
6. La Couronne. — Um 1170. — Statistique monumentale du
de"p. Charente.
7. pontigny. — Um 11 50, Chor erweitert um 1180. — Chaillon
de Barres.
8. Aus dem Skizzenbuch des Villard de Honnecourt. — 2. Hälfte
saec. 12. — Darcel et Lassus.
Fig« 3» 6, 8 ohne Massstab.
_ _ , Jtalien, Spanien.
Tafel 192. r
1. *Casamari. — 1203 — 1217. — Dehio.
2. SS. Vincenzo et Anastasio alle tre Fontane bei Rom. — Chor
E. saec. 12. — Mothes.
3. Chiaravalle bei Mailand. — 2. Hälfte saec. 12. — Gruner.
4. *Chiaravalle bei Ancona. — E. saec. 12. — Bezold.
5. Veruela. — E. saec. 12. — Street.
6. Las Huelgas bei Burgos. — saec. 13. — Street.
7. Sta. Maria d'Arbona (Unteritalien). — A. saec. 13. — Schulz.
8. Val de Dios. — Monumentos arquitectonicos de Espafia.
9. Camprodon. — Monumentos etc.
_ r . England, Schweiz.
Tafel 193. 6 '
1. Fourness. — Beg. 1160. — Sharpe.
2. Roche. — 2. Hälfte saec. 12. — Sharpe.
3. Jervaulx. — 2. Hälfte saec. 12. — Sharpe.
4. Hauterive. — saec. 12. — Rahn.
5. Rievaulx. — saec. 12 und 13. — Sharpe.
6. Wettingen. — Mitte saec. 13. — Rahn.
7. Byland. — A. saec. 13. — Sharpe.
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Dreizehnte« Kapitel: Die Kirchen des Cistercienserordeus.
539
Tafel 194. Deutschland.
1. Maulbronn. — Gew. 11 78, Vorhalle saec. 13, Schiffe gewölbt
saec. 15. — Paulus.
2. »Bronnbach. — Beg. 1 157. — Bezold.
3. *Pforta. — Voll. 1140, Gewölbe saec. 13. — Memminger.
4. Eberbach. — Beg. 1156, gew. 1 186. — Geier u. Görz.
5. Heiligkreuz. — gew. 1 187. — Heider u. Eitelberger.
6. Loccum. — Beg. 1240. — B.-D. Niedersachsens.
Tafel 195.
1. Lilienfeld. — Beg. 1206. — v. Sacken.
2. Arnsburg. — Um 1215? — Gladbach.
3. *Maastricht, Liebfrauen. — saec. 13. — Cuypers.
4. Heisterbach. — 1202—33. — Boissere'e.
5. Walkenried. — Voll. 1297. — Quast u. Otte.
6. *Ebrach. — saec. 13. — Sharpe.
7. Riddagshausen. — Nach M. saec. 13. — Ahlburg.
, . _ Schnitte und Svstemk.
Tafel 196.
1. Camprodon. — Monumentos.
2. S. Maria dArbona. — P. W. Schulz.
3. *Casamari. — Dehio.
4. Obazine. — Viollet-le-Duc.
5. 6. ♦Chiaravalle bei Ancona. — Bezold.
Tafel 197.
1, 2. Fountains. — Sharpe.
3. Netley. — Sharpe.
4. Kirkstall. — Sharpe.
5. Whitby. — Sharpe.
6. Byland. — Sharpe.
7. Whitby. — Sharpe.
Tafel 198.
1, 2, 3. Eberbach. — Geier u. Görz.
4, 5. *Bronnbach. — Bezold.
Tafel 19g.
1. Heiligkreuz. — Heider u. Eitelberger.
2. Walkenried. — Quast u. Otte.
3. Maulbronn. — Paulus.
4. 5. Arnsburg. — Gladbach.
6. Heisterbach. — Boisserde.
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540 Zweites Huch: Der romanische Stil.
7. Otterberg. — Baudenkmäler der Pfalz.
8, 9. Riddagshausen. — Ahlburg.
10. Loccum. — B.-D. Niedersachsens.
Tafel 200.
1. *Ruine des Chores von Heisterbach. — Tornow.
2. Michaelskapelle in Ebrach. — Sharpe.
Ergänzungstafel 346.
i, 2. *Pontigny, System und QuerschifT. — Bezold.
3, 4. *Fossanova, System und Querschnitt. — Kristensen.
5. Colbatz, System. — Z. f. Bauwesen.
6. Marienstatt, System. — Görz.
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Vierzehntes Kapitel.
Der Zentralbau.
LlTTERATUR. — Allgemeines. Vgl. S. 18. Die oberitalienischen Baptisterien :
De Dartein, £tude sur l'architecture Lombarde. Paris 1865 ff. — Cremona: Spielberg
in Zeitschrift f. Bauwesen 1859. — Pisa: Rohault de Fleury, Les Monuments de Pise
au moyen-agc. Paris 1866. — Parma: Lopez, II Battistero di Parma. Parma 1864. —
Florenz und Cremona: J. Dürrn in Zeitschrift f. Bauwesen 1887. — Dijon : Dom.
Plancher, Histoire de Bourgogne, Tom. I, 1739, mit einer für ihre Zeit sehr merk-
würdigen stilkritischen Abhandlung. — E. Henzlmann in Mitth. der C.-Comm. 1868. —
Rundbauten in Deutschland : Otte, Handbuch der kirchlichen Kunstarchäologie I5. S. 21
bis 28. — Karner: Heider in den Mitth. der C.-Comm. I. 53. Lind, ebenda XII. 146.
— Schwarz- Rhe indorf : Simons, Die Doppelkirche zu Schwarz-Rheindorf, Bonn 1846.
Die Summe der auf uns gekommenen romanischen Zentralbauten
ist nicht klein ; gleichwohl könnten wir sie — mit wenigen Aus-
nahmen — uns wegdenken, ohne dass im Gesamtbilde des Stils eine
auffallende Lücke entstände. Es fehlt ihnen Entwicklung und Zu-
sammenhang, die Mehrzahl gibt nur Wiederholung christlich-antiker
Typen. Die namhaftesten Werke hat Italien geliefert. Im Norden
steht, was aus der gleichförmigen Masse bedeutsam hervorragt, ent-
weder auf römischen Grundmauern oder knüpft an die Denkmals-
kirchen des heiligen Landes an. Wollte man aber daraus den nahe-
liegend scheinenden Schluss ziehen, dass die romanische Baukunst
oder mindestens die für die allgemeine Entwicklung massgebenden
nordischen Schulen gegen die spezifischen Vorzüge zentraler Anlage
gleichgültig waren, so würde man sehr fehlgehen. Wir haben darauf
hinzuweisen Gelegenheit gehabt und werden es im Kapitel über den
Aussenbau vollends in hellem Lichte sehen, wie der Basilikenbau des
Mittelalters seine reiche grundgestaltende Entfaltung wesentlich der
Aufnahme zentralistischer Motive verdankt : — um nur an das Allge-
meinwerden des Querhauses, an die Erweiterung des Chores durch
konzentrischen Umgang und radiante Kapellen, an die verstärkte
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542
Zweites Buch . Der romanische Stil.
Betonung des Kreuzesmittels im inneren wie im äusseren Aufbau,
an die Kuppelkirchen, an die gruppierende Ordnung der Türme zu
erinnern. In alle dem lag in der That eine Verschmelzung der in
der frühchristlichen Architektur noch scharf getrennten Grundformen
des Longitudinal- und des Zentralbaus zu einer höheren Einheit,
welche die Ablenkung des künstlerischen Interesses vom reinen Zentral-
bau wohl begreiflich macht. Noch stärker aber wirkte dahin der
praktische Umstand, dass der Kultus, der ja schon in frühchristlicher
Zeit für den Zentralbau nur zu Nebenzwecken Verwendung gefunden
hatte, sich jetzt im Mittelalter seiner noch mehr entwöhnte. Gesonderte
Taufkapellen (Johanniskirchen) sind in der karolingisch-ottonischen
Epoche nicht nur für bischöfliche Kathedralen, sondern auch für
Stiftskirchen (Aachen, Fulda, Essen, Reichenau, S. Gereon in Köln,
S. Georg in Augsburg) häufig nachzuweisen; diesseits des Jahres 1000
scheinen aber Neugründungen dieser Art nicht mehr vorgekommen
zu sein; einzelne restaurierte man noch im späteren Mittelalter, die
meisten verschwanden. Nur in Italien hielt die kirchliche Sitte lange
an ihnen fest (z. B. in Pistoja Neubau im 14. Jahrhundert). Ebenso
wurden eigentliche Grabkirchen von dem einfacheren Sinne jetzt sel-
tener beansprucht; z. B. kein deutscher Kaiser der nachkarolingischen
Zeit hat sich eine solche errichtet, sie sorgten nur für eine Grabstätte
an ausgezeichneter Stelle, etwa in einer von ihnen gestifteten Kirche,
wie Heinrich II. in Bamberg, Lothar in Königslutter, die Salier in
Speier ; eher hielten die grossen Kirchenfürsten, wie Arnold von Köln,
Hartwich von Regensburg u. a. solcher Auszeichnung sich würdig.
Neu hinzukommende Klassen von Zentralbauten sind die Schloss-
kapellen, unter nachwirkendem Beispiel der Pfalz zu Aachen, und die
Kirchen der Templerordenskommenden nach dem Vorbilde des ver-
meintlichen Tempels Salomonis in Jerusalem *). Ausser für diese vier
Gattungen wurden zentrische Anlagen nur in Ausnahmsfallen von
individueller Bedingtheit gewählt und gewöhnlich trat dann die Form
auch nicht rein auf, sondern in Verquickung mit einem Langbau.
1. ITALIEN.
Die Zahl der erhaltenen romanischen Baptisterien ist, namentlich
in Oberitalien, eine sehr grosse. Aufzählungen bei Mothes a. a. O.
') Diese Bausitte gehurt vornehmlich Frankreich und England an ; in Deutsch»
land ist, ausser in Metz , keine einrige Templerkirche von zentraler Anlage sicher
nachgewiesen.
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Vierzehntes Kapitel: Der Zentralbau.
543
263 ff., 329 ff., 342 ff., freilich fast ausnahmslos mit falscher Datirung.
Die vorkommenden, meist sehr einfachen Typen sind von der alt-
christlichen Kunst herübergenommen, vgl. Buch I, Kap. 2, woselbst
auch schon Beispiele ihres Fortlebens in der romanischen Kunst nam-
haft gemacht wurden. Es sind einfache Rund- oder Polygonbauten
(wie in Agliate, Varese, Lenno u. s. w.), zuweilen durch Nischen in
der Mauerdicke gegliedert (wie in Albegna und Novara, Taf. 3.) —
In Agrate Conturbia ist die Umfassung kreisförmig und der Ueber-
gang ins Achteck des Oberbaues wird in einfachster Weise dadurch
gewonnen, dass acht vor die Mauerflucht vorspringende Pfeiler durch
Bögen verbunden sind, deren innere Begrenzung in senkrechten Ebenen
gelegen ist. Der Oberbau springt aussen gegen das untere Geschoss
zurück. Mella, welcher dieses Gebäude mit dem von Agliate veröffent-
licht hat, nimmt an, dass der untere Teil bis zu 0,50 m Höhe antik
ist, das übrige dem 11. Jahrhundert
angehört (Atti della societä d'archeo-
logia e belle arti per la provincia di
Torino, vol. III). — In anderen Fällen
springen drei oder vier Apsiden nach
aussen vor, Anlagen, welche an die alt- A«ratc Couturb«. Hiciu.
christlichen Cömeterialzellen (Taf. 14) erinnern: S. Gttsmeo in Gkavk-
üoka schon erwähnt (S. 58), ähnlich San Benedetto bei San Pietro
di Civate. — Das Baptisterium zu Biklla hat vier Apsiden; die Mauern
des Tambours werden im Innern über kleinen Hängezwickeln allmäh-
lich in die Rundung der Kuppel übergeführt. Das Aeussere des Tam-
bours ist eckig, doch sind die Seiten des Grundquadrates in der Weise
gebrochen, dass ein Achteck mit abwechselnd ungleichen Winkeln
entsteht. Der Bau wird in das 8. oder 9. Jahrhundert gesetzt (Mella,
Antico battistero della cathedrale di Biella. Turin 1873. Dartein,
S. 402, mit Zeichnungen im Texte). — Das Baptisterium in Gau iano.
ein unregelmässiger Vier-Conchen-Bau, hat im Obergeschoss einen Um-
gang, der sich auf jeder Seite mit zwei Fenstern gegen den Hauptraum
öffnet; sehr roh. Dartein, S. 411, setzt es in den Beginn des 11. Jahr-
hunderts. — Das Baptisterium in Arsago (Taf. 201, Fig. 1, 2) ist in
seinem unteren Geschoss ein Oktogon mit acht in der Mauerdicke aus-
gesparten Nischen; in den Ecken Halbsäulen,* welche bis zum Kämpfer
der Nischen reichen; über den Kämpfergesimsen kleine Säulchen,
welche ein Bogenfriesgesimse tragen (vgl. S. Ambrogio in Mailand
Taf. 161); im Obergeschoss ein Umgang mit acht Arkaden; kleine in
den Bogenzwickeln angebrachte Trompen leiten zum Sechzehneck des
Tambours über. Schon der geometrische Schnitt lässt erkennen, dass
das Innere trotz seiner einfachen Formbehandlung von malerischer
Wirkung ist. Die Analogien mit S. Ambrogio weisen den Bau dem
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544
Zweites Buch : Der romanische Stil.
ausgehenden 1 1. Jahrhundert zu. — In San' Tomaso ix Limine bei
Ai.menno (Taf. 201, Fig. 3, 4) sind beide Stockwerke mit Umgängen
versehen; unten ein ausgebauter Chor; die äussere Umfassung kreis-
förmig; der Mittelraum, unten achteckig, wird durch kleine in den
Bogenzwickeln angebrachte Trompen sofort in die Rundung überge-
führt. Die Formgebung ist im Untergeschoss schwerfällig, oben leichter.
Bemerkenswert die Kämpferaufsätze über den oberen Säulen, welche
wohl eher mit den entsprechenden Gliedern über den Zwischensäulen
von Schallfenstern oder schlanken Kreuzgangsäulchen als mit den byzan-
tinischen Kämpferaufsätzen in Vergleich zu setzen sind. Es scheinen
in dem Bau ältere Bruchstücke verwendet zu sein. Das Ganze ist aus
dem 1 1. Jahrhundert. — S. Sepolcro in Bologna (Taf. 201, Fig. 5, 6j,
ein altes Baptisterium im 12. Jahrhundert fast ganz neu gebaut und mit
einem Heiligen Grab versehen ; der obere Umgang nicht gewölbt. Am
Aeusseren interessante Flachdekoration Taf. 320. Dartein, S. 43S ff. —
Das Baptisterium zu Asu (Taf. 201, Fig. 7) mit eingeschossigem Umgang
und hohem Tambour, angeblich langobardisch, dürfte gleichfalls dem
12. Jahrhundert angehören. Hier mag auch das nicht zentral angelegte
Baptisterium Santa Maria del Tiglio in Gravedoka am Comersee
Erwähnung finden (Taf. 201, Fig. 8, 9). Eine tonnengewölbte Vor-
halle, über der sich ein Turm erhebt, führt in den rechteckigen
Raum, die beiden Langseiten sind durch je eine, die dem Ein-
gang gegenüberliegende Seite durch drei Apsiden belebt, von welchen
die mittlere wieder durch drei kleinere Nischen gegliedert ist. Ueber
den Apsiden auf der sehr starken Umfassungsmauer ein Gang, an
den Schmalseiten offen , an den Langseiten innerhalb Säulengalerien,
über welchen Quertonnen angeordnet sind. Offener Dachstuhl. Leb-
hafte und originelle Raumgliederung. Spätzeit des 12. Jahrhunderts.
Dartein, S. 364 ff.
Ausserhalb der Reihe dieser in kleinen oder mässigen Dimensionen
gehaltenen Bauten stehen dann die vier grossen Baptisterien zu Florenz,
Pisa, Cremona und Parma.
In jeder Hinsicht die erste Stelle gebührt dem zu Florenz (Taf. 202
203, 321). Das Geschichtliche liegt völlig im Dunkel. Noch immer
hat die Ansicht, dass der Bau in altchristliche Zeit zurückreiche, ein-
zelne Vertreter. Doch wird jetzt nach dem Vorgange Kuglers das
ausgehende s. 11. oder die erste Hälfte des s. 12 fast allgemein als die
Erbauungszeit angesehen (vgl. Kugler, Kunstgeschichte S. 432 ; Gesch.
der Bauk. II, S. 58, 59; Schnaase, G. d. b. K. IV8, S. 442, Note) und
wir schliessen uns dieser Ansicht als der am besten begründeten an.
Danach ist der Bau entstanden unter der antikisierenden Richtung,
welche damals die toskanische Architektur beherrschte. Eine andere
Streitfrage, nämlich die, ob das Gebäude früher Kathedrale war und
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Vierzehntes Kapitel: Der Zentralbau.
54S
erst ii 28 nach Uebertragung der Kathedralrechte auf die benachbarte
Kirche Sta. Reparata Baptisterium geworden sei (Richa, Notizie istoriche
delle chiese Fiorentine, Tom. VI, S. 7), ist gleichfalls nicht mit voller
Sicherheit zu entscheiden. Vielleicht war gerade der Neubau von
S. Giovanni Battista der Anlass zu dieser Uebertragung. — Der Bau
ist in seinem Kern homogen aus Macignoquadern ausgeführt und mit
Marmor verkleidet. Er ist ein Werk von ungewöhnlicher Selbständig-
keit der Komposition wie der Konstruktion. Das Kompositionsmotiv
ist dem Pantheon entnommen, aber den veränderten Verhältnissen aufs
glücklichste angepasst. Dem achteckigen Hauptraume von 25,6 m
Durchmesser ist westlich ein rechteckiges Altarhaus angebaut. Die
acht Eckpfeiler haben eine Stärke von 3,70 m, die Mauern nur 1,75 m.
Es entstehen dadurch im Inneren sieben Nischen , welchen , wie im
Pantheon , je zwei Säulen vorgesetzt sind. Ein Gesimse schliesst das
Erdgeschoss ab. Im zweiten Geschoss ist die Gliederung entsprechend.
An Stelle der Säulen stehen gemauerte, durch Quertonnen verbundene
Pfeiler. Diesen sind Pilaster vorgesetzt, welche ein Gesimse tragen,
den Oeflfnungen Doppelarkaden, eine dekorative Architektur, wenn man
will, doch in gutem Einklang mit dem baulichen Organismus und in
den Verhältnissen aufs beste gestimmt, von schöner und reicher Wir-
kung. Es folgt eine Attika und über dieser das achtseitige, spitzbogige
Klostergewölbe, dessen Bogenlänge etwa ein Fünftel des Kreises be-
trägt. Die Mosaikdekoration der Kuppel steht mit dem baulichen
Organismus in keinem Zusammenhang, zudem ist die Beleuchtung un-
zureichend und die Lichtführung, im Gegensatz zu der herrlichen des
Pantheons, schlecht. Trotz dieser Mängel ist der Innenraum einer der
schönsten der gesamten romanischen Baukunst. — Im Aeusseren
(Taf. 321) ist die Umfassungsmauer höher geführt und durch acht
stärkere Eck- und sechzehn schwächere Zwischensporen (letztere den
Säulen, beziehungsweise den Zwischenpfeilern des Unterbaues ent-
sprechend) mit der Kuppel verbunden. Diese Sporen sichern die nur
1 m dicke Kuppelschale vor dem Ausweichen und sind unter sich durch
Tonnengewölbe verbunden, auf welchen das Dach ruht. Das Aeussere
baut sich in drei Geschossen auf, deren Höhe der inneren Stockwerks-
teilung nicht entspricht, sondern frei nach den ansprechendsten Ver-
hältnissen bemessen ist. In dieser Hinsicht ist die Komposition sehr
bedeutend.
Die antikisierende Richtung der toskanisehen Kunst des 12. Jahr-
hunderts blieb zunächst ohne Folgen, aber der Geist, von dem die
innere Ausschmückung des Baptisteriums getragen ist, lebt in den
Dekoratoren der Frührenaissance wieder auf. Aehnlich verhält es sich
mit den konstruktiven Momenten. San Giovanni enthält, wie schon
Hübsch bemerkt, die Keime zu dem System der Doppelkuppeln, deren
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546
Zweites Iluch ; Der romanische Stil.
erste erst im 15. Jahrhundert zur Ausführung kommt, in Santa Maria
del Fiore.
Ein romanischer Bau allerdings schliesst sich dem Baptisterium
von Florenz nahe an, das von CREMOKA (Taf. 202). Es ist 1167 be-
gonnen. Die Motive der Composition, die konstruktiven Gedanken
sind von Florenz entlehnt, aber der Geist ist ein durchaus anderer.
Man möchte es eine freie Uebersetzung aus dem Toskanischen ins
Lombardische nennen. Das
Ganze ist in Backstein mit
Hausteindetails erbaut. Die
Säulen im Erdgeschoss durch
Bögen verbunden , darüber
zwei Galerien und eine spitz-
bogige Kuppel, welche in ihrer
Konstruktion der florentini-
schen nahe verwandt ist. Die
Haltung ist einfach und ernst,
die Raumwirkung bedeutend,
die Beleuchtung unzureichend.
Sehr eigenartig stellt sich
das Baptisterium zu Parma
Taf. 203) dar. Der Bau fällt
in die Spätzeit des 12. Jahr-
hunderts; 1 196 arbeitet Bene-
dikts Antelami, welcher viel-
fach mit Unrecht als der Bau-
meister angesehen wird, an
den Skulpturen der Fortale
Schnaase, G. d. b. K. VW,
S. 96, Note). Das Aeussere
ist achteckig, das Innere sechzehneckig. Auf den Hauptaxen im Erd-
geschoss drei Portale und die rechteckige Altarnische, die zwischen-
liegenden Seiten sind zu Flachnischen ausgebogen. In den Ecken
stehen Säulen, über welchen sich Dienste zum Ansatz des Kloster-
gewölbes erheben. Spitze Stichkappen schneiden in dieses ein, seinen
Kanten sind wulstförmige Rippen untergelegt. In dieses einigermassen
gotische System sind über dem Erdgeschoss zwei Galerien mit hori-
zontalen Architraven eingestellt. Aehnlich das System des Aeusseren
mit vier Galerien über hohem Untergeschoss. Das oberste Geschoss
mit spitzbogigen Blendarkaden ein späterer Zusatz. Im Inneren sind
die verschiedenen Elemente keineswegs in Einklang gebracht. Besser
wirkt das Aeussere, dem bei dem reichen Wechsel von Licht und
Schatten eine lebhafte Wirkung nicht abzusprechen ist.
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Vierzehntes Kapitel: Der Zentralbau.
547
Das Baptisterium zu Pisa nimmt wieder eine höhere Rangstellung
ein. Der Bau ist begonnen 1153 von Diotisalvi , welcher kurz zuvor
die Kirche Santo Spirito, gleichfalls einen Zentralbau, gebaut hatte.
Das Baptisterium ist ein Rundbau mit zweigeschossigem Umgang. Die
zwölf Arkaden sind zu je dreien gruppiert, jede Gruppe wird durch
Pfeiler begrenzt, die Zwischenstützen sind Säulen. Im Obergeschoss
ausschliesslich Pfeiler.
Ueber den Kapitellen
hohe Kämpferaufsätze.
Das hohe konische Ge-
wölbe war — nach Ro
hault de Fleury — ur-
sprünglich oben offen.
Das Aeussere ist in
seiner Stockwerkstei-
lung unabhängig vom
Innern. Eine hohe
Blendarkatur von 20
Bogen umgibt das Erd-
geschoss, darüber eine
kleinere Bogenstellung,
60 Bögen von freistehen-
den Säulen getragen.
Die folgenden Teile,
ein reicher Schmuck
von Wimbergen und
Fialen , stammen von
einem Umbau (wahr-
scheinlich von 1278).
Ob die Schutzkuppel, welche sich an das konische Gewölbe anlehnt,
wie Rohault de Fleury und Schnaase annehmen, erst im 15. Jahrhundert
hinzugefügt wurde, erscheint uns fraglich. Einen Restaurationsversuch
des ursprünglichen Zustandes zeigt die linke Hälfte unserer Figur.
Endlich gehört zu den signifikanten Leistungen der Epoche die
Erneuerung der a. 1103 eingestürzten Kuppel von S. Lorenzo in Mai-
land. Die ursprüngliche Gestalt derselben, wahrscheinlich eine Hall»-
kuppel über sphärischen Zwickeln, wiederherzustellen lag ausserhalb
der Gewohnheit und wohl auch des Könnens der lombardischen Archi-
tekten des 12. Jahrhunderts; sie wählten anstatt dessen die achtseitige
Walmkuppel und für die Ueberleitung aus dem Quadrat Trompen.
Vgl. die Monographie von F. Kohte, Zeitschrift f. Bauwesen 1890.
Was Unteritalien an romanischen Zentralbauten besitzt, ist von
untergeordneter Bedeutung. Das Baptisterium zu BRINDISI, achteckiger
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548
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Mittelraum mit Umgang und rechteckigem Chor — um 1200 erbaut —
ist Ruine. Das zu Monte S. Angki.o (Taf. 201) ist ein quadratischer
Raum mit einer Altarnische; die Wände durch säulengetragene Spitz-
bogen gegliedert ; darüber zwei Galerien in der Mauerdicke uud konische
Kuppel, welche schon über dem Erdgeschoss ansetzt; in den Ecken
kleine Trompen. Die Behandlung gemahnt an westfranzösische Bauten.
Der Bau dürfte gegen Ende des 12. Jahrhunderts entstanden sein.
2. FRANKREICH.
In Frankreich sind das ganze Mittelalter hindurch alle Bestrebungen
ausschliesslich auf die Ausbildung der Gewölbebasilika gerichtet. Die
Zahl der Zentralbauten ist verhältnismässig gering und die bedeutend-
sten unter ihnen gehören der Frühzeit des Stiles an. Es sind die
Rotunde von Saint Bdnigne zu Dijon und die Kirche von Charroux
im Poitou.
Die Kirche Saint Benigne zu Dijon ist im Jahre 1001 von Abt
Wilhelm begonnen (Chron. Divionense ed. Bougaud S. 139). Es war
eine Basilika mit Emporen , der sich östlich ein grosser Rundbau an-
schloss. Die Verbindung beider war dadurch bewerkstelligt, dass die
Umfassungsmauern der Apsis und des Rundbaues in Säulenstellungen
aufgelöst waren. Letzterer bestand aus einem hohen, oben offenen
Mittelraum, umgeben in zwei Geschossen von zwei, im dritten von
einem Umgang (Taf. 204), östlich schloss sich ein Chorraum, seitlich
Treppentürme an. Das unterste Geschoss entsprach in seiner Höhen-
lage der Krypta der Kirche, das zweite dem Altarhause, das dritte der
Empore, ersteres war dem heiligen Johannes Baptista, die folgenden
der Mutter Gottes beziehungsweise der heiligen Dreifaltigkeit geweiht.
In diesem letzten Geschoss stand der Altar so, »ut undecumque in-
gredientibus , ac ubicumque per ecclesiam consistentibus, sit perspi-
cuum«. Der höher gelegene Ostchor war dem heiligen Michael geweiht.
Das Grab des heiligen Benignus befand sich in der Krypta der Kirche
unter dem Hochaltar. Daneben besass die Kirche eine grosse Zahl
bedeutender Reliquien. Die sehr eigenartige Anlage verfolgte offenbar
den Zweck , die verschiedenen Heiligtümer in möglichst nahen Zu-
sammenhang zu bringen. Das Vorbild war die Kirche des Heiligen
Grabes. Die Wirkung muss sowohl von der Basilika aus als im In-
neren der Rotunde selbst eine bedeutende gewesen sein, wenn auch
der Mittelraum im Verhältnis zu seinem Durchmesser etwas hoch war.
Erhalten ist jetzt nur noch die Krypta der Rotunde nebst einem kleinen
Teil der westlich anstossenden Räume, das Grab des heiligen Benignus
enthaltend. Die Ausführung ist roh, die Raumwirkung eine gute. Die
Kirche wurde schon 1271 durch den Einsturz des Vierungsturmes
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Vierzehntes Kapitel: Der Zentralbau.
549
so beschädigt, dass ein gotischer Neubau an ihre Stelle trat. Die
Rotunde bestand bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.
In der Kirche von Charroix im Poitou war die Verbindung des
Langhauses mit der Rotunde einfacher bewerkstelligt (Taf. 204), das
Mittelschiff setzt sich bis zum Mittelraum der Rotunde fort und man
tritt von ihm aus unmittelbar in die Umgänge der letzteren. Erhalten
Saint Emilion, nach H. Stier.
ist nur der mittlere Teil (Taf. 204, Fig. 6). Der innere Umgang ging
durch zwei Geschosse und war mit einem ringförmigen Tonnengewölbe
bedeckt, das Dach schloss unter den Fenstern des Turmes an. Die
Formgebung weist auf die zweite Hälfte des 1 1. Jahrhunderts. Die An-
regung durch die Kirche des Heiligen Grabes auch hier unverkennbar.
Ein anderes Monument, welches den Titel des Vorbildes beibehal-
ten hat, Neuvy Saint SEpulcre (Taf. 205), steht demselben in formaler
Hinsicht weit ferner. Die Kirche ist gestiftet von Geoffroy, Vicomte
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550
Zweites Buch: Der romanische Stil.
von Bourges im Jahre 1045, ad formam sancti sepulcri Jerosolimitani.
Dieser Periode gehört nur das untere Geschoss an, das zweite ist um
11 20, der obere Abschluss erst durch Villet-le-Duc an Stelle eines
hölzernen Daches hinzugefügt. Die älteren Teile gehören dem Formen-
kreise von Saint Benoist s. Loire und Saint Genou an. Saint Michel
d'Entraigies in der Nähe von Angoul&me, ein achtseitiger Rundbau
mit Nischen, 1 137 erbaut, alles über dem Kapitell der oberen Pilaster
Befindliche eine Restauration von Abadie; doch weisen die Pilaster
darauf hin, dass schon ursprünglich ein Rippengewölbe vorhanden
war. Auch die achteckige Kapelle zu Montmorillon bei Poitiers hat
ein Rippengewölbe. Ueber die Kapelle zu Saint £mii.iox (Gironde)
fehlt es uns an Nachrichten ; das Aeussere gibt eine Skizze von Hubert
Stier. Die Formen weisen auf die zweite Hälfte saec. 12.
Im Süden gehört die kleine Kirche Sainte Croix zu Montmajol r
zu den frühesten Zeugnissen der provencalisch-romanischen Baukunst.
Sie ist 1016 von Abt Rambert erbaut (Mabillon, Ann. O. S. B. IV, 250,
vgl. S. 124), ein Quadrat mit vier Apsiden und Vorhalle. Rieux Mkriv-
ville (Taf. 205) in der Nähe von Carcassonne, 12. Jahrhundert. Der
Innenraum siebeneckig, die Umfassung vierzehneckig. Das Kloster-
gewölbe des Mittelraumes ist durch die Halbtonne des Umganges ver-
strebt, eine Uebertragung der Konstruktionsprinzipien der Hallenkirchen
auf den Rundbau.
In der Bretagne sind die Rundbauten zu Quimperle (Taf. 204) und
Lanleff zu nennen. Beide werden, wohl zu früh, ins 11. Jahrhundert
gesetzt (Schnaase IV, 546).
3. DEUTSCHLAND.
Die Nachwirkungen der Pfalzkirche in Aachen haben wir S. 155
besprochen. Möglicherweise könnte dahin auch die zu A. saec. 11
abgebrannte >ecclesia rotunda« in Magdeburg gehört haben. Die be-
trächtliche Zahl von kleinen Rund- und Polygonalbauten im südöstlichen
Deutschland wird, wie vieles andere in den Baueigentümlichkeiten
dieses Gebietes, auf italienische Beziehungen zurückzuführen sein. Es
waren Totenkapellen (Karner), meist aus einem kryptenartigen
unteren Räume (ossuarium) und der eigentlichen Kapelle bestehend.
Wir geben als Beispiele auf Taf. 206 die Karner zu Hartberg, Deutsch-
Aitenburg und Tui.i.n. Man zählt in Böhmen, Oesterreich und Steier-
mark sowie im östlichen Baiern über hundert derartige Kapellen. Ver-
zeichnis der wichtigsten bei Otte : Handbuch P, S. 30. Vgl. auch Mitth.
der Cent.-Commiss. I. 53 und XII, 146. Die Rundkapelle zu Steingaden
ist die Grabkapelle eines Weifen, gestorben 1 191 (Taf. 206), vier im
Quadrat zusammenstossende Flachnischen, zwischen denselben Dienste,
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Vierzehntes Kapitel: Der Zentralbau.
551
das gotische Gewölbe von 1521. Die Heiuge Kapelle zu Ai.tötting,
Achteck mit acht Nischen , hohem Tambour und Klostergewölbe ist,
nach den Formen des Portales zu schliessen, zu Anfang saec. 13 er-
baut, vermutlich bei Wiederherstellung des Klosters nach 1192. Eine
Kopie derselben aus späterer Zeit ist die
Schlosskapelle zu Gessenberg (Taf. 206). Ein
zierlicher Bau ist die Allerheiligen- (Georgs-)
Kapelle am Domkreuzgang zu R EGENSBURG
(Taf. 206), erbaut als Grabkapelle Bischof
Hartwichs (1 155— 11 59). Es ist ein Quadrat,
an das sich drei Apsiden anschliessen , oben
ins Achteck übergeführt. Das Aeussere Taf. 23 1 .
Einen viel höheren Rang als diese oft zier-
lichen und ansprechenden, aber mit wenigen
Ausnahmen ziemlich schematischen Rundkapel-
len nehmen einige rheinische Zentralbauten ein.
Aus dem 11, Jahrhundert ist die bedeutendste
die Nonnenklosterkirche zu Ottmarsheim im
Elsass, eine Replik der Aachener Pfalzkirchc.
Merkwürdigerweise nicht dem Muster Aachens,
sondern Anregungen anderen Ursprunges folgen
die erst in der staufischen Epoche
häufiger werdenden Zentralbauten des
Niederrheins. Die Doppelkapelle zu
Schwarz-Rheindorf gegenüber Bonn
(Taf. 208) ist von Erzbischof Arnold
von Wied erbaut und zu seiner Grab-
kapelle bestimmt, 1 151 begonnen. Das
Langhaus wurde 1175 angebaut. Die
Kapelle hatte ursprünglich annähernd
die Form eines griechischen Kreuzes,
doch war der westliche, und namentlich
der östliche Arm länger als die beiden
anderen. Dem östlichen ist eine Apsis
vorgelegt, während an den drei anderen
im Erdgeschoss solche in der Matierdicke ausgespart sind. Die Mauern
der Hauptapsis, sowie die der Kreuzarme, sind wieder durch kleine
Nischen gegliedert. Die Wölbungen sind Kreuzgewölbe und Halbkuppeln.
Im Obergeschoss sind die Mauern zurückgesetzt und nach aussen mit
einer Säulengalerie versehen. Der Mittelraum ist mit einem achtseitigen
Klostergewölbe bedeckt, zu dem der Uebergang durch Hängezwickel
gewonnen wird. Seitlich Kreuzgewölbe. Ueber dem Mittelraum ein
hoher Turm. Die Gruppierung des Aeusseren ist besonders glücklich.
Doppclkapcllc zu Schwarz-Rheindorf.
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552
Zweites Much : Der romanische Stil.
Man hat für Schwarz-Rheindorf byzantinische Einwirkungen angenom
men und es sind solche nicht geradezu abzuweisen, sie sind aber auch
nicht unbedingt erforderlich zur Erklärung der allerdings ungewöhn-
lichen Anlage. Das Gewölbesystem zeigt bei gewissen, durch die kreaz
förmige Anlage bedingten Uebereinstimmungen auch manche Ab
weichungen vom byzantinischen, namentlich ist es fraglich, ob denn
das Vorkommen von Hängezwickeln immer wieder unmittelbar auf
byzantinische Einflüsse zurückgeführt werden muss. Eine Wandgliede-
rung durch Nischen ist in der rheinischen und westfälischen Baukunst
des ii. und 1 2. Jahrhunderts nicht selten und es sind mit der unteren
Kapelle von Schwarz-Rheindorf Bauten wie die Ludgerikapelle zu
H ii UMSTADT (Taf. 170) oder die S. Ulrichskapelle zu Goslar (Taf. 208
in Beziehung zu setzen. Dann der Westbau von S. Georg zu Köln.
Der alten Säulenbasilika wurde im späten 1 2. Jahrhundert westlich ein
sehr eigenartiger Anbau hinzugefügt , ein quadratischer Raum , dessen
Wände sich in zwei Geschossen aufbauen. Das Erdgeschoss ist auf
drei Seiten — die vierte öffnet sich nach der Kirche — durch je drei
Nischen gegliedert, das Obergeschoss gehört schon der Wölbung an.
Vier Gurtbögen nehmen die Hängezwickel auf, welche eine flache
Kuppel tragen. Aber die Mauer hat hier nicht die gleiche Stärke wie
unten, sondern ist im Inneren abgesetzt, das sich in Bögen nach dem
Hauptraum öffnet. Die Ausstattung ist reich und die Formbildung
sehr sorgfältig.
Der Schlussepoche des rheinischen üebergangsstiles gehören die
Schlosskapellen zu Kobekk an der Mosel von 1218 (Taf. 209) und zu
Viakdhn nach 1220 (Taf. 209) an, desgleichen der Umbau des Poly
gones von S. Gereon zu Köln (Taf. 209 und 222). S. Gereon ist eine
der ältesten Kirchen von Köln, die unteren Teile des Westpolygones
werden dem 6. Jahrhundert zugeschrieben , der Choranbau , ein Werk
Erzbischof Annos 11069 geweiht) wurde unter Arnold von Wied
( 1 1 5 1 — 11 56) umgebaut, das Polygon erhielt in der Frühzeit des 13. Jahr
hunderts seine jetzige Gestalt, 1227 ist das Gewölbe vollendet. Im
■Ganzen in den Formen des Üebergangsstiles gehalten, zeigt der Bau
in der Gestaltung des Lichtgadens, sowie in der Anwendung des
Strebebogens direkte Einwirkungen der französischen Gotik und es
ist zuzugeben, dass dadurch die Stilcinhcit cinigermassen beeinträchtigt
wird ; gleichwohl ist derselbe der bedeutendste Zentralbau Deutschlands.
Wohl nimmt eine kleine Gruppe rheinischer Bauten eine Richtung,
welche noch Höheres ankündigt, aber dieses Höhere, die rein zentrale
Ausgestaltung des Motives, wird nicht erreicht, es wird nicht einmal
angestrebt. Wir meinen die grossen Dreiconchen-Kirchen S. Maria im
Kapitol, S. Aposteln u. a. Es sind, wenn man will, nichts anderes
als Basiliken, deren östliche Teile statt in der sonst üblichen Kreuz-
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Vierzehntes Kapitel: Der Zentralbau.
553
form in zentralem Sinne ausgestaltet sind. Aber der Schwerpunkt der
Komposition liegt so sehr in diesen östlichen Teilen, dass das Lang-
haus in künstlerischer Hinsicht — in praktischer stellt sich das Urteil
vielleicht anders — als müssige Zuthat, als Störung der Einheit der
Idee erscheint. Dieses Ueberwiegen des zentralen Elementes wird es
rechtfertigen, wenn wir an dieser Stelle nochmals auf diese Bauten
zurückkommen.
Der Prototyp ist S. Maria im Capitol zu Köln (Taf. 14, 207, 210).
Wir neigen uns, worauf mehrfach hingewiesen, der Ansicht zu, dass
hier, ähnlich wie in S. Gereon, eine sehr alte, vielleicht antike Anlage
erneuert wurde und dass dieselbe ursprünglich rein zentral war. Ein
strikter Beweis dieser Annahme ist nicht zu führen, Wahrscheinlichkeits-
gründe sprechen für sie. Es ist ein Kreuz mit drei kurzen Armen,
an welche sich Apsiden anschliessen. Die Umfassung derselben ist in
Säulenarkaden aufgelöst und sie sind von Umgängen umgeben. Die
Behandluug des oberen Geschosses ist etwas dürftig, reicher in der
spätromanisch erneuerten Hauptapsis. Die Raumwirkung leidet einiger-
massen dadurch, dass die Mitte nur wenig betont ist, aber die reiche
Mannigfaltigkeit der Bilder, die sich in stetem Wechsel dem Beschauer
bieten, ist unübertroffen im Gebiete der romanischen Kunst. In so
reicher Ausbildung wie hier kehrt das Motiv nicht wieder (nur in
Tournay ist Aehnliches versucht, Taf. 149), die Säulenumgänge werden
in der Folge weggelassen. Aber was die Anlage dadurch an Reichtum
verliert, gewinnt sie an Geschlossenheit In Gross-S.-Martin zu Köln
(Taf. 180) ist die Vierung noch dunkel, in den übrigen Beispielen wird
sie höher geführt und mit Fenstern versehen. Die Apsiden erhalten
eine mehr oder minder reiche Gliederung durch Nischen oder Säulen-
arkaden. Grossartig S. Aposteln zu Köln (Taf. 207) und S. Quirin
in Neuss (Taf. 182), reich und zierlich durchgebildet die Liebfrauen-
kirche zu Roermond (Taf. 181, 187).
In Niedersachsen und den nordöstlichen Teilen Deutschlands sind
Zentralbauten äusserst selten. Die kleine S. Ulrichskapelle zu Goslar
(Taf. 208) ist nicht streng in diesem Sinne durchgeführt. Auf dem Georgen-
berge ebenda wurden 1877 die Grundmauern einer merkwürdigen, 15 1 7
zerstörten Augustinerchorherrenkirche aufgedeckt. Der Bau bestand aus
zwei Teilen. Oestlich eine sehr kleine dreischiffige Kirche, der Mitte des
12. Jahrhunderts zugeschrieben. Diese Kirche wurde unter Heinrich V.
zu Anfang saec. 12 durch einen achteckigen Zentralbau erweitert. Es
scheint eine freie Nachbildung des Münsters zu Aachen gewesen zu
sein. Ueber die Form des Aufbaues lassen sich kaum begründete
Vermutungen aufstellen, selbst die Frage, ob der Bau gewölbt oder
flachgedeckt war, muss offen gelassen werden. Die Kirche auf dem
36
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
Harlungerberg bei Brandenburg ist 1722 abgebrochen worden. Zeich-
nungen und ein Modell sind erhalten und nach diesen ist der Bau
von Adler in den Backsteinbauwerken des preussischen Staates ver-
öffentlicht (bei uns Taf. 208). Es war ein Rechteck, welches durch
vier Pfeiler in neun Felder geteilt wurde Ueber den Eckfeldern er-
hoben sich Türme, den Kreuzarmen waren Apsiden vorgelegt, teilweise
waren Emporen angeordnet. Die Grundrissanlage ist die in der späteren
byzantinischen Architektur beliebte, allein die formale Behandlung ist
durchaus die landesübliche des Backsteinbaues. Teilweise ist schon
der Spitzbogen angewandt, was auf die Frühzeit des 13. Jahrhunderts
hindeutet ; die westliche Erweiterung nach 1440. Die Anlage ist eine
durchaus ungebräuchliche (die von Otte, Rom. Baukunst, S. 634, Note
angeführte Kirche zu Kallundborg auf Seeland ein Rundbau mit vier
Kreuzarmen). Schnaase V. 309 spricht sich gegen den von anderer
Seite vermuteten byzantinischen Einfluss aus. Sicher ist sowohl die
formale, als auch die konstruktive Behandlung durchaus nicht byzan-
tinisch; sehen wir aber, in wie freier Weise in anderen Fällen orien-
talische Vorbilder (das heilige Grab, der Felsendom u. u.) nachgebildet
wurden, so wird eine allgemeine Anregung durch irgend ein byzan-
tinisches Vorbild sich wohl zugeben lassen.
Verhältnismässig gross ist die Zahl der Rundbauten in den skan-
dinavischen Ländern, doch sind sie ausnahmslos von untergeordneter
Bedeutung. Die stattlichste scheint die Kirche zu Thorsager in Jütland
zu sein (Taf. 206). Näheres über diese Bauten bei Marryat: Jutland
and the Danish Isles, und: One year in Sweden. London 1862.
4. Templerkirchen.
Dass der Templerorden für seine Kirchen und Kapellen die
Zentralform bevorzugte, ist S. 542 erwähnt. Das ideelle Vorbild war
der Felsendom auf Moriah , in dem man den
Tempel Salomons erblickte. Allein die Nachbil-
dungen beschränken sich auf das Allgemeinste.
Höhere Bedeutung kommt kaum einem dieser
Bauten zu, ja nicht selten überraschen sie durch
geradezu rohe und ärmliche Erscheinung.
Der Tempel zu Paris, dem Hauptsitz des
Ordens im Occident, war ein Rundbau mit zwei-
geschossigem Umgang, sechs Arkaden trennten
den Hauptraum von diesem. An der Peripherie
war die Stützenzahl die doppelte, so dass drei-
eckige Gewölbekappen entstanden, ein ähnliches System wie im Chor-
umgang von Notre-Datne. Ein Restaurationsversuch bei Viollet-le-Duc
Cambridge.
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Vierzehntes Kapitel. Der Zentralbau
555
IX, S. 14 ff. Der Tempel zu Laos, ein einfaches Achteck mit Vorhalle
und Altarhaus. Klostergewölbe mit Rippen ; Taf. 205. Der zu Metz,
Nischen ausgebogen sind; östlich ein London,
kleiner Chorbau; zwischen den Nischen
stehen Dreiviertelssäulen; Klostergewölbe mit Rippen. Die Formbehand-
lung weist auf die Spätzeit des 12. Jahrhunderts, sie ist nicht vom Besten.
In England werden einige Rund-
bauten mit Säulenumgang gleichfalls den
Templern zugeschrieben. Die älteste ist
Holy Sepulchre zu Cambridge. Die
Formen sind schwerfällig und altertüm-
lich, allein das Gewölbesystem des Um-
ganges gestattet kaum , den Bau vor
Mitte saec. 12 zu setzen. Die Heilige
(»rabkirche zu Northampton , eine ver-
wandte Anlage, hat spitzbogige Arkaden
und im Umgang ein ringförmiges Halb-
tonnengewölbe. Das bedeutendste Bei-
spiel ist der Tempel zu London. Der
ältere Theil (geweiht 1 185) steht bereits unter dem Einfluss der
französischen Frühgotik, der Chorbau (geweiht 1240) ist im Stile der
englischen Frühgotik gehalten.
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££5 Zweites Buch: Der romanische Stil.
In Spanien ist die Templerkirche zu Segovia (geweiht 120«)
zu nennen.
Ob die Kapellen zu Kobern an der Mosel und zu Vianden
von den Templern erbaut seien, ist sehr fraglich.
Beschreibung der Tafeln.
Tafel 201.
1, 2. Arsago: Baptister tum. — saec. 11. — De D artein.
3, 4. 51 Totnaso in limine bei Bergamo. — saec. 11. — De Dartein.
5, 6. Bologna: S. Sepolcro. — saec. 12. — Osten.
7. Asti: Baptister tum. — saec. 12. — Osten.
8, 9. Gravedona: S. Maria del Tiglio. — saec. 12. — De Dartein.
10, 11. Monte S. Angelo. — saec. 12—13. — p- H. Schulz.
Tafel 202.
1, 2. Florens: Baptister ium. — saec. 12. — I sab eile.
3, 4. Cremona: Baptisterium. — Begonnen 11 67. — Zeitschrift C
Bauwesen 1859.
Tafel 203.
1, 2. Pisa: Baptisterium. — Begonnen 11 53. — RohaultdeFleury,
Pise au moyen-age.
3, 4. Parma: Baptisterium. — Ende saec. 12. — Isabelle.
Tafel 204.
1—3. Dijon: Saint Benigne. — Begonnen 1001. — Dom. Plancher,
Histoire de Borgogne I.
4, QuimperU: Sainte Croix. — saec. 12. — Kugler, Geschichte
d. Baukunst II.
5, 6. Charroux. — saec. 11. — Grundriss nach Lenoir. Ansicht
nach Photographie.
Tafel 205.
1, 2. Montmajour: Sainte Croix. — 10 16. — Revoil.
3, 4. Laon: Templerkirche, — saec. 12. — Viollet-le-Duc.
5. Saint Michel d 'Entraignes. — saec. 1 137. — Archive s.
7, 8. Neuvy: Saint SepuUre, — Unteres Stockwerk nach 1045, das
zweite um 1120. Kuppel 1855. — Archives.
6, 10. Rieux M/rinville. — saec. 12. — Revoil.
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<
Vierzehntes Kapitel: Der Zentralbau. 557
Tafel 206.
i, 2. * Gessenberg: Schlosskapelle. — saec. 11. — v. Herrmann.
3, 4. Köln: Westbau von S. Georg. — saec. 12, zweite Hälfte. —
Boisserde.
5, 6.* Regensburg: S. Georg. — saec. 12. — Bezold.
7. 8. Hartberg, Karner. — saec. 12. — Oester r. Atlas.
9. Deutsch- Altenburg: Karner. — saec. 12. — Oester r. Atlas.
10, 11. Tulln; Karner. — saec. 12. — Oesterr. Atlas.
12. * Steingaden: Friedhofkapelle. — saec. 12. — Dehio.
13. Krukenberg. — saec. 12. — Lübke.
14. Druggelte: Kapelle. — saec. 12. — Lübke.
15. 16. Thorsager. — saec. 12. — Marryat, Jutland.
Tafel 207.
1. Köln: S. Maria im Kapitol. — saec. 11. — Boissere*.
2. *Köln: S. Aposteln. — saec. 12. — Hofflund.
Tafel 208.
I, 2. Brandenburg: Kirche auf dem Har lunger berge. — Anf. saec. 13.
— Adler, Backsteinbauwerke.
3. Goslar : Kirche auf dem Georgenberge. — Oestlicher Teil saec. 11,
Octogon saec. 12. — Deutsche Bauzeitung, 1884.
4. 5. Schwarz- Rheindorf . — 1151 begonnen. Langhaus 1175. —
Simons.
6, 7. Goslar: S. Ulrichskapelle. — saec. 12. — Mithoff.
Tafel 209.
1, 2. Köln: S. Gereon. — Anf. saec. 13. — Boissere'e.
3, 4. Kobern: Schlosskapelle. — 1218. — King, Studybook.
5. 6. Vianden: Schlosskapelle. — Nach 1220. — Allgemeine Bau-
zeitung, 1868, 1869.
Tafel 2x0.
*Köln: S. Maria im Kapitol. — Photographie.
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Fünfzehntes Kapitel.
Der Aussenbau.
i. Gruppierung der Baumassen.
Der Moment, in dem der romanische Stil als ein eigener, von
einem neuen Geiste ergriffener aus dem christlich-antiken hervortritt,
macht sich in nichts so fühlbar, wie in dem veränderten Verhalten
des Aussenbaus , in der machtvoll sich erhebenden Freude an der
schönen und gewichtigen Behandlung gerade dieser Seite der Gesamt-
erscheinung. Mit einseitigem Nachdruck Aussenbau war der griechische
Tempel, mit ebenso einseitigem Nachdruck Innenbau die frühchrist-
liche Basilika gewesen : die romanische Kunst erstrebte Gleichgewicht
beider Seiten des Bauwerks. Und man muss ihr zugestehen , dass
sie dies vollkommener erreicht hat, als nach ihr sowohl die Gotik —
in der das allein vom Innenbau geforderte Strebewerk die äussere Er-
scheinung überwuchert, als auch die Renaissance — deren Gestaltungs-
vermögen im Kirchenbau über die Fassade selten hinauskommt.
Von vornherein ist der Unterschied der Umgebung von Be-
deutung: in der frühchristlichen Epoche der massgebende Sitz des
Bauwesens volkreiche Städte, in deren Häusermassen die allmählich
hinzukommenden Kirchen sich einzuschieben haben; in der roma-
nischen Kunst nördlich der Alpen anfangs Städte kaum vorhanden,
die einsam liegenden Klosterkirchen die tonangebenden. Das Ent-
scheidende aber ist doch der innere Umschwung, der frohere Sinn,
das jugendlichere Lebensgefühl der nunmehr die Führung habenden
Völker. Eine Epoche, in der das »orbis ruit das vorwaltende Gefühl
gewesen war, hatte ihren Bauwerken monumentalen Geist nicht ein-
flössen können. Erst Karl der Grosse, indem er die Volkskraft der
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
Germanen zu positiver Thätigkeit aufrief, indem er in der Kirche ein
niegekanntes Vertrauen in die Dauerhaftigkeit des Diesseits begründete,
gab der Baukunst diesen Geist, den Geist der Monumentalität,
zurück. Unter seinem Zeichen wurde der neue Stil geboren, dessen
die Welt bedurfte.
Die neue Behandlung des Aussenbaues macht sich zunächst mit
dem Detail erst wenig zu schaffen : ihr erstes Ziel, und während der
ganzen Dauer des romanischen Stils ihr wichtigstes, ist die Aus-
gestaltung des Baukörpers zur rhythmisch bewegten Gruppe.
Wir erkennen darin jenes gleichsam im Lebenszentrum des roma-
nischen Stils gelegene Prinzip wieder, das wir so oft schon und in
den verschiedenartigsten Aeusserungen beobachtet haben, an erster.
Stelle in der frühromanischen Umbildung des überlieferten Grund-
risses. Gaben hierzu auch Kultusgebräuche oder andere praktische
im Bereiche der inneren Raumgestaltung liegende Rücksichten den
ersten Anstoss, so traten doch — da man mit Kug aus der erreichten
Wirkung auf die Absicht schliessen darf — rein künstlerische Ge-
sichtspunkte alsbald hinzu. Mit den mannigfachen neuen reicheren
Chormotiven, der häufigen Verwendung des Querschiffes (welches, wie
man sich erinnere, in der frühchristlichen Epoche eine seltene Aus-
nahme gewesen war), vollends der Erweiterung zur doppelchörigen
und doppeltranseptialen Anlage — mit allem dem war das einfache
Bildungsgesetz der alten Basilika bereits überstiegen und stellte sich
eine energischere Gliederung des Aussenbaus ganz von selber ein.
Wir haben an die durchschlagende Wichtigkeit dieses Verhältnisses
hier indes nur erinnern wollen; auf die einzelnen Motive, nachdem
sie in den früheren Kapiteln ausführlich erörtert worden, zurückzu-
kommen, kann füglich entbehrt werden. Und so wenden wir uns
sogleich zu dem, was dem Aussenbau als solchem und ihm allein
angehört und worin der romanische Stil seine eigenartigsten Gedanken
ausspricht.
Der einfache Longitudinalbau der altchristlichen Basilika hatte
in den langgestreckten, ungebrochenen Horizontallinien des Dachwerks
seinen naturgemässen Abschluss nach oben empfangen ; die lebhaftere
Bewegung aber, die nun vom Grundriss aufsteigend in die Baumassen
gekommen ist, drängt über sie hinaus, strebt sie zu überwachsen.
Und dieser Ueberschuss der Kräfte erzeugt eine neue, zweite Ordnung
von Baugliedern, in der erst das Ganze seinen organischen Schluss
findet: die Türme und Kuppeln. Dieselben sind von der inneren
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560 Zweite« Buch . Der romanische Stil.
Raumgestaltung nicht gefordert, sie gehen in Zahl und Mass über
ihren Gebrauchszweck (als Glockenträger) weit hinaus; dennoch em-
pfinden wir sie nicht als etwas Willkürliches, sondern als den be-
stimmtesten und darum unentbehrlichen Ausdruck des das ganze
Gebäude durchdringenden Höhestrebens, als die verständlichste sinn-
bildliche Auflösung der gegenseitigen Spannung der Kräfte. In der
zeitlichen Entwicklung des Stiles wachsen dann auch die Dimensionen
der Türme in demselben Masse, wie die dieses Streben anzeigenden
Symbole erster Ordnung, als : Wandpfeiler, Halbsäulen, Gewölbedienste,
Arkaturen u. s. w., zahlreicher und dem Auge auffallender werden.
Ihre folgerichtigste Lösung würde die also gefasste Aufgabe in einem
über der Kreuzung der Schiffe sich erhebenden Zentralturm finden,
und in der That werden wir einem solchen sehr häufig begegnen.
Das für die Absichten des romanischen Stils bezeichnendste ist aber
doch nicht dieses, sondern die Anordnung einer über die verschiedenen
Teile des Gebäudes zerstreuten Mehrheit von Türmen. Wieder ist
es das Prinzip der gruppierenden Symmetrie, dem Genüge gethan
werden soll und nunmehr nach der vertikalen Entwicklung. Durch
die Türme wird der wagerechten Gliederung, zumal den starken Aus-
ladungen des Querschiffs als Gleichgewicht eine lotrechte Gliederung
gegenübergestellt, wird der bisher accentlose Verlauf des Gebäudes
kräftig rhythmisiert, wird — da über Anzahl und Stellung der Türme
dem Künstler freie Wahl zusteht — ein ganz neues Mittel individuali-
sierender Charakteristik gewonnen.
Die Kuppel wie der Turm sind nun zwar nicht erst vom ro-
manischen Stil erfunden; beide waren im Formenvorrat der altchrist-
lichen Baukunst schon vorhanden. Allein ihre Anwendung lag hier
ausserhalb der Basilikenarchitektur. Die Kuppel fungierte als oberes
Schlussglied der Zentralbauten; der Turm, wo er einer Kirche als
Begleiter gegeben wurde, war ein von dieser immer durch einen
grösseren oder kleineren Abstand getrenntes selbständiges Neben-
gebäude. Der neue Gedanke des romanischen Stils ist die organische
Vereinigung von Turm und Kuppel mit dem Körper der Basilika,
womit eine freie Vermittelung , wie man es wohl ausdrücken darf,
zwischen Longitudinal- und Zentralbau und also die folgerichtige
Weiterfuhrung einer schon im romanischen Grundriss wahrgenommenen
Tendenz vollzogen wird.
Die Kuppel behält auch nach der Aufnahme in den Longitu-
dinalbau ihre zentralisierende Funktion: sie ruht auf den Vierungs-
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau. 56 1
bögen über der Kreuzung des Lang- und Querhauses, als vertikales
Schlussglied der von Westen nach Osten fortschreitenden allgemeinen
Steigerung der Formen. Ursprünglich soll die Vierungskuppel mittelst
ihres von Fenstern durchbrochenen Tambours dem Innern konzen-
triertes Licht zuführen; um der grösseren Sicherheit willen wird je-
doch häufig eine gewölbte Zwischendecke eingezogen, so dass sie
allein für den Aussenbau Wert behält, und erst die konstruktiv
kühnere Spätzeit kehrt zur ursprünglichen Anlage zurück. Oberhalb
des Kirchendaches ist der Kuppelbau achteckig, oft auch viereckig,
nimmt überhaupt leicht turmähnliche, mehrgeschossige Gestalt an, so
dass dann passend der Name Zentralturm einsetzt. Gemäss der
in der Gesamterscheinung des Gebäudes ihr zugeteilten Rolle darf
die romanische Kuppel nicht wie die byzantinische in der Mehrzahl,
sondern nur einmal vorhanden sein, — es läge denn der Fall eines
doppelten Querschiffes vor.
Die Türme im engeren Sinne des Wortes sind ihrem Wesen
nach selbständige Zentralbauten von überwiegender Höhenentwicklung
bei verhältnismässig kleiner Grundfläche. Für den romanischen Stil
charakteristisch ist aber, wie bemerkt, ihre Verbindung mit dem
Rumpf der Kirche und zwar treten sie ursprünglich paarweise auf:
entweder zwei an der Stirnseite des Langhauses, oder je einer an
den zwei Stirnseiten des Querhauses, oder zwei zur Seite des Chores,
oder endlich mehrere dieser Fälle kombinierend. Verhältnismässig
frühe schon werden Türme und Kuppeln vergesellschaftet. Die jüngste
Erscheinung erst ist der Einzelturm an der Westfassade.
Anfänge der Vierungskuppeln. (Vgl. Quicherat, Fragment
d'un cours d'arche'ologie, p. 419 f., und Restitution de Saint* Martin de
Tours, p. 43 f.) — Man wird hier zuerst auf die Denkmalskirchen
des Heiligen Landes hinblicken, als in denen am frühesten basilikale
und zentrale Anlagen in Verbindung traten. Dass von diesen die in
Rede stehende Entwicklung der abendländischen Baukunst ausgegangen
sei, ist indes nicht nachzuweisen, vielmehr weist der Zustand, den
wir am Beginn der romanischen Epoche vorfinden , auf Ursprung am
räumlich entgegengesetzten, am westlichgallischen Ende der Christen-
heit. Die Vermutung heftet sich an die berühmte Martinsbasilika in
Tours, erbaut a. 470, von deren ungewöhnlicher, allerdings mit den
palästinensischen Denkmalskirchen prinzipiell verwandter Anlage oben
S. 267 die Rede war. Sulpicius Severus beginnt sein Verzeichnis der
(eine zusammenhängende Reihe bildenden) Inschriftverse im Innern
der Basilika mit der Rubrik Item primus in turre a parte orientis,
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562
Zweites Buch: Der romanische Stil.
wendet sich dann zu der linken Seite des Schiffs, hierauf zu dessen
rechter Seite und schliesst mit der Eingangswand. Der Zusammen-
hang lehrt, dass der in turre bezeichnete Raum innerhalb der
Kirche am Ostende lag, so dass es seine Inschriften waren, die dem
Eintretenden zuerst in die Augen fielen; zugleich aber musste er,
um den Namen turris zu verdienen, nach aussen über das Schiff
emporsteigen, also — nach Quicherats uns höchst plausibel erscheinen-
der Folgerung — einen Kuppelbau über dem Sanktuarium bilden.
So abnorm eine solche Anlage in einer Basilika erscheint, wird sie
durch die Besonderheiten des Grundrisses der Martinskirche leicht
verständlich. Die Gestaltung des Kuppelbaues im Einzelnen bleibt
ungewiss. Quicherats Restauration (s. unsere Textfigur, S. 267) hat in
dieser Hinsicht bloss den Werth einer ungefähren Vermutung. Mag nun
der Tambour rund (Quicherat) oder, nach unserer Meinung wahrschein-
licher, viereckie (wie in S. Nazario e Celso in Ravenna, oder in Ger-
migny des Pr6») gewesen sein, — dass er von Lichtern durchbrochen war,
scheint auch uns indizirt. Unsere oben begründete Hypothese, wonach
die Martinsbasilika in Tours durch eine Reihe nicht mehr nachweis-
barer Mittelstufen in der merovingischen Epoche hindurch auf das
romanische Motiv des Chorumgangs mit ausstrahlenden Kapellen hin-
geführt habe, ist durch die inzwischen angestellten Ausgrabungen zur
Gewissheit erhoben *). Um so eher wird eine ähnlich vorbildliche
Bedeutung dieser berühmtesten Kirche des alten Galliens auch für das
Motiv der Vierungskuppel glaublich. Sonst ist das Ende des S.Jahr-
hunderts die Zeit freilich nicht, in welcher man, wenigstens im Abend-
lande, kunstschöpferische Gedanken suchen dürfte; auch wollen wir
keineswegs dem Erbauer von S. Marlin einen solchen zuschreiben ;
vielmehr wurde hier lediglich zufällig und unbewusst ein Keim aus-
gestreut , den erst eine viel spätere Zeit wahrhaft befruchtete. Indes
können wir hier bestimmter, als hinsichtlich des Chormotives, auf
Mittelglieder hinweisen. In den Baunachrichten aus der Merovinger-
zeit, so spärlich sie sind, findet wiederholt die Verbindung einer
turris mit Basiliken Erwähnung und zwar in einer Weise, dass an
isolirte Glockentürme nach italienischer Art nicht gedacht werden
kann, sondern nur an eine ähnliche Anlage wie in S. Martin — tour-
lanterne — wie Quicherat sie zu nennen vorschlug So bei Gregor
von Tours, De Gloria martyrum c. 65 (ap. Migne, t. 71, p. 764): in
der Basilika des hl. Antolianus zu Clermost (vgl. die S. 270 vermuteten
frühen Baubeziehungen zwischen Clermont und Tours) wird super
altare eine turris errichtet, welche wegen der zu grossen Belastung
') Vgl. Chevalier, L« fouilles de S. Martin 1888 und Dehio in Jahrbuch der
k. preuss. Kunstsammlungen 1889, Heft 1.
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
der Pfeiler (offenbar der Vierung) einstürzt, durch Wunderhilfe des
Heiligen den Altar unverletzt lassend. So ferner die Verse des Venan-
tius Fortunatus 1. III. carm. 5 über die a. 570 erbaute Kirche zu
Naxtks (trotz der entgegenstehenden Deutung von Unger, Bonner Jahr-
bücher, Bd. 29, S. 26). Weniger deutlich Greg. Tur. 1. c. cap. 92. Den
weiteren Verlauf dieser Reihe, manches Licht auf sie zurückwerfend,
zeigt die Abteikirche zu Centula (SaintRiquier) vom Ende saec. 8.
Wir sind über sie doppelt unterrichtet: durch den Chronisten Hariulf
und die Zeichnung in einem alten Manuskript (vgl. oben S. 174 und
Taf. 43). Die Zeichnung ist von H. Graf als ein ziemlich modernes
Phantasiegebilde bezeichnet, von Quicherat gleich uns als authentisch
und wichtig anerkannt. In Uebereinstimmung mit den Angaben des
Chronisten zeigt sie zwei Vierungskuppeln, entsprechend den zwei
Querschiffen , von gleichartiger Behandlung : aus der Bedachung des
auffallenderweise runden Tambours (vielleicht Ungenauigkeit der Zeich-
nung) erhebt sich eine turmartig hohe, dreifach abgestufte Laterne,
vermutlich aus Holz konstruirt. Damit vergleiche man die von Viollet-
le-Duc III, 344, Nr. 2 mit Berufung auf eine uns unzugängliche Quelle
gegebene Nachricht über den 854 — 861 ausgeführten Erneuerungsbau
der Abteikirche St. Bertin in der Picard ie: >ie clocher itait tertnine" par
une eharpente contenant trois ttages de cloches, sans comp t er la flecke. «
Etwas Aehnliches glaubt Quicherat unter der struetura machinae bei
Greg. Tur. 1. c. cap. 92, wie der arx ascendens per arcus, welche aedis
acumen habet, bei Fortunatus verstehen zu sollen. In die eigentlich
romanische Baukunst wollen wir das Motiv vorerst nicht weiter ver-
folgen. Woher es dort zuerst und in weitester Verbreitung gerade im
westlichen Frankreich auftritt, ist nach dem Obigen klar. Im Gegensatz
dazu ist in der italischen Kunst der entsprechenden Jahrhunderte nichts
Aehnliches zu finden, weder in den Schriftquellen noch in den Monu-
menten '). Die analoge turmartige Ausbildung der östlichen Zentral-
kuppel im byzantinischen Stil muss, da sie nicht vor dem 10. Jahr-
hundert gefunden wird, ausser Vergleich bleiben.
Anfänge der Kirchtürme. (Weingärtner: System des christ-
lichen Turmbaus 1860; Unger: Zur Geschichte der Kirchtürme, in den
Bonner Jahrbüchern 1860; Otte: Glockenkundc, 2. A., 1884; G. B. de
Rossi: Campana . .. trovata presso Canino, im Bulletino di archeo-
logia cristiana 1887; ferner die einschlägigen Abschnitte in den Werken
von Schnaase, Kraus, Holtzinger, Essenwein, Rohault de Fleury u. s. w.)
Die Aufnahme der Türme in den Kirchenbau ist das Werk der in
!) Das einzige Beispiel , das dafür anzuführen wäre , die Vierungskuppel in
S. Agostuio in Spoleto, können wir nicht mit Hübsch und de Rossi für altchristlich,
sondern nur für mittelalterlich halten.
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Zweite«. Huch: Der romanische Stil.
jeder anderen Hinsicht unproduktiven dunkeln Zwischenepoche vom
Untergang des römischen Reichs bis auf Karl den Grossen. Alle
näheren Umstände aber sind ungewiss. Die Mutmassungen über die
Zeit des ersten Aufkommens schwanken um zwei bis drei Jahrhunderte.
G. B. de Rossi will in zwei Darstellungen der Stadt Jerusalem aus der
ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts den Beweis erblicken, dass damals
Türme schon ein gewohnter Zubehör der Basiliken waren. Die erste
von ihnen befindet sich auf dem unter Sixtus III. (432 — 440) ausge-
führten Mosaik des Triumphbogens von Sta. Maria Maggiore in Rom,
die andere auf der ungefähr gleichzeitigen Thür von Sta. Sabina (abge-
bildet bei Garucci, l'Arte cristiana, tav. 213. 500). Zu überzeugen oder
auch nur wahrscheinlich zu machen, dass die auf diesen abbreviirten,
Entferntes nahe zusammenrückenden Stadtbildern sichtbar werdenden
Türme als Kirchtürme gemeint seien , scheint uns unmöglich ; wir
glauben weit eher, in Betreff der ersten Darstellung sogar sicher, dass
sie Festungstürme vorstellen sollen '). Diesen mindestens zweideutigen
Zeugnissen *) steht nun die doppelte Thatsache gegenüber, dass unter
den erhaltenen Campanilen keiner mit einiger Probabilität dem 5., 6.
oder selbst 7. Jahrhundert zugeschrieben werden kann, dann dass die
Erwähnungen in Schriftquellen erst mit dem 8. Jahrhundert beginnen :
für das fränkische Kloster Fontaneila zu a. 734—38 (M. G. hist. SS. II.
284), für die Peterskirche in Rom zu a. 752 — 57 (de Rossi 1. c. 86).
Man wird ja über diesen Zeitpunkt um ein paar Menschenalter zurück-
gehen dürfen; mehr als so viel scheint uns, bis nicht neues Material
beigebracht wird, bedenklich.
Die Campanilen entwickeln sich, wie bemerkt, nicht mit, sondern
nach und neben den Basiliken ; etwas, was als Vorform für sie gelten
könnte, ist in der christlichen Architektur der ersten Jahrhunderte nicht
zu finden. Ueberhaupt ist der Turmbau dem Formengeist der griechisch-
römischen Kunst wenig verwandt; er spielt in ihr eine Rolle nur in
der Profanarchitektur (als Festungsturm, Leuchtturm u. s. w.) und auch
in dieser keine hervortretende. Dagegen sind der Bauphantasie des
Orients Türme oder turmähnliche Hochbauten , und zwar gerade mit
sakraler Bedeutung, von den ältesten Zeiten der Babylonier her ver-
traut bis herab auf die hellenistisch-römische Kunst der Grenzpro-
vinzen ') , die Feuertürme der Sassaniden , die buddhistischen Stupas,
') Die den altchristlichen Typus wiederholenden Stadtansichten im Trierer Codex
Egberti (saec. 10) und dem Aachener Codex Ottos III. zeigen sehr deutlich nur
Festungstürme.
*) Ebensowenig können wir de Rossi zustimmen , wenn er die oben S. 562 be-
sprochene turris der Basilika des H. Martin zu Tours im Gegensatz zu Quicherat für
einen isolierten Campanile erklärt; wäre sie das, so hätten bei den jüngsten Aus-
grabungen die Fundamente gefunden werden müssen.
') Vgl. de Vogti£ : Syric centrale pl. 17. 26. 65. 66. 72—74. 120—129. 130—136.
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau. 565
die islamitischen Minarets. Das früheste für das Auftreten der letz-
teren bekannte Datum ist das Jahr 705; ein Zusammentreffen der
Zeiten , das zu denken gibt. Ableitung der occidentalen Kirchtürme
von den islamitischen Minarets oder dieser von jenen ist natürlich
ausgeschlossen ; aber auch an völlige Spontaneität beider Erscheinungen
zu glauben , fallt schwer. Dagegen hätte die Voraussetzung einer
vom alten Orient ausgegangenen und nun nach dem Erlöschen der
griechisch-römisshen Kulturvorherrschaft verstärkt reagirenden gemein-
samen Grundbewegung nichts wider sich. Gerade im 6.-8. Jahrhundert
erreichte das lange vor dem Untergang des Imperiums schon erkenn-
bar gewesene Vordringen orientalischer Kultur- und Kunstelemente in
das Westreich seinen Höhepunkt. In diesem Sinne, als allgemeine
Anregung gefasst, scheint uns der Ursprung der Kirchtürme aus dem
Morgenland eine annehmbare Hypothese.
Im Einklang mit ihr steht die Gleichheit der sachlichen Bestim-
mung. Denn beide, die Minarets der Mohammedaner und die Campa-
nilen der Christen, sind dazu da, dass von ihrer Höhe, sei es durch
die menschliche Stimme , sei es durch die Stimme der Glocken , den
Gläubigen die Stunde des Gebets verkündet wird. Alle anderweitigen
Erklärungen der ursprünglichen Bestimmung (als Grabdenkmäler, oder
Toten leuchten, oder Verteidigungswerke) halten wir für verfehlt. Schon
die älteste Erwähnung der Kirchtürme gibt als Gewohnheit an, dass
sie Glocken tragen: Gesta abbatum Fontanellensium 1. c. uampanam
in turricula collocandam, ut moris est ecclesiarum, . . . pratetpiU. Der
Einwand, dass die Glocken der ältesten Zeiten zu klein und leicht
waren, um so aufwendige Bauten zu erklären, ist nicht stichhaltig.
Dasselbe Missverhältnis, wenn es das sein soll, haftet auch den Mina-
rets an. Beide aber, Glockentürme wie Minarets, sind ja nicht neu-
erfundene Baugebilde, sondern, wie wir glauben, aus älteren Vorbildern
abgeleitete, und bei ihrer Einführung war auch nicht der besondere
Zweck allein massgebend, vielmehr sicherlich ebensosehr das Gefallen
an ihrer architektonischen Erscheinung. Immer war es nur eine ver-
hältnismässig kleine Zahl von Kirchen , die sich dieser Auszeichnung
teilhaftig machten; die meisten begnügten sich mit einfacheren Vor-
richtungen, hölzernen Gerüsten neben der Kirche oder Dachreitern.
Die älteste bis jetzt nachgewiesene gegossene Glocke ist die kürzlich
in Canino in der Landschaft von Viterbo gefundene, besprochen und
abgebildet bei de Rossi 1. c. , der sie dem 8. oder 9. Jahrhundert zu-
schreibt; demnächst eine in Cordova vom Jahre 925.
Uebrigens wollen wir zu bemerken nicht unterlassen, dass die turmartige Ueberhöhung
von Nebenräumen der syrischen Kirchen des 5. und 6. Jahrhunderts doch etwas wesent-
liches anderes ist, als der altchristliche Campanile des Occidents.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
Die isolirten Carapanilen blieben die eigentliche Charaktergestalt
der südländischen Kirchenarchitektur bis in die Renaissance. Im ger-
manischen Norden sind sie bereits in der karolingisch-ottonischen
Epoche im Verschwinden begriffen. Ihre Gestalt und Bestimmung ging
so zu sagen durch Attraktion auf die bis dahin sehr unscheinbar ge-
wesenen Treppentürmchen über, in denen wir somit die eigentliche
Wurzel des romanisch-gotischen Turmbaus und die Erklärung der in
demselben die Regel ausmachenden Zweizahl zu erblicken haben. —
Bereits das Altertum pflegte die Treppen, deren kein grösseres Gebäude
schon um der Beaufsichtigung und Instandsetzung des Daches willen,
entbehren konnte, paarweise zu beiden Seiten des Haupteinganges an-
zuordnen. Im Pantheon , im grossen Rundsaal der Caracallathertnen
(Taf. i), in S. Lorenzo zu Mailand (Taf. 14) boten sich die Hohlräume
innerhalb der grossen Mauermasse von selbst dazu dar. Bei Kon-
struktion mit flacher Decke und folglich geringerer Mächtigkeit der
Mauern musste das Treppengehäuse aber schon nach aussen vorTücken;
so in dem den Kern des Domes von Trier bildenden Römerbau
(Taf. i2, Fig. 9), oder, durch Emporen veranlasst, in S. Vitale zu
Ravenna (Taf. 4), im alten Dom zu Brescia, in der Pfalzkirche zu
Aachen (Taf. 40). Die angezogenen Beispiele betreffen sämtlich Zentral-
bauten. An Basiliken sind Treppentürme nur in Syrien gefunden
worden; die abendländischen mit ihrem offenen Dachstuhl und der
Emporen ermangelnd, konnten ihrer leichter entbehren. Erst in der
nordisch-frühromanischen Baukunst, in welcher Emporenanlagen (vgl.
S. 191 — 197) bemerkenswerte Verbreitung fanden, trat ein fühlbares
Bedürfnis ein. In Centula (Taf. 43) stehen die Treppentütme auf der
Hauptachse des Gebäudes, je einer am östlichen und am westlichen
Ende; sie führten, vermuten wir, in den Raum über den Vierungskuppeln,
von wo aus die in der »machina« aufgehängten Glocken in Bewegung
gesetzt wurden, ausserdem aber auch in die in den Kreuzarmen zu
vermutenden Emporen. Klar ist diese Bestimmung in S. Michael in
Hildesheim (Taf. 43) und wahrscheinlich auch für das westliche Quer-
schiff des alten Doms zu Köln. Das Häufigste aber ist die Verbindung
mit einer Empore im Westbau. Beispiele alter Anlage in sonst zum
Teil stark überarbeiteten Kirchen: S. Pantaleon in Köln, S. Kastor in
Koblenz, Münster zu Essen, Stiftskirche zu Gernrode, diese noch vor
a. 1000; aus der nächstfolgenden Zeit: Münster in Bonn, Kapitols-
kirche in Köln, Limburg a. d. H., Mlksti rmaifeld. Ohne Verbindung
mit Emporen, also wohl nur als Beförderungsweg für die Baumaterialien
und später als Zugang zum Dach bezweckt: bei den Domen zu Worms
(westlich), zu Mainz (östlich), zu Merseburg (östlich), alle drei aus der
ersten Hälfte saec. 11.
Eine eigentümliche Zwischenform zwischen der altchristlich-südlichen
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Fünfzehntes Kapitel Der Aussenbau.
567
und der romanisch-nordischen Anlage findet sich auf dem Bauriss von
St. Gallen (Taf. 42). Es sind zwei Türme, die zwar nicht dem Haupt-
gebäude inkorporiert, aber auch nicht ganz isoliert sind, da sie mit
dem Atrium in Verbindung stehen. Die Zweizahl ist offenbar unter
dem Einfluss der Treppentürrae gewählt, zugleich erinnert sie durch
ihre Flankenstellung zum Haupteingange an die römische Form der
Festungsthore. Wir werden diesem Typus späterhin bei den Bauten
der Cluniacenser wieder begegnen.
Die Zusammenordnung von Zentral- und Treppentürmen war be-
reits der karolingischen Architektur bekannt, ja anscheinend einer
ihrer Lieblingsgedanken. Nur von dreien der grossen Basiliken dieser
Zeiten ahnen wir die äussere Gestalt, und alle drei weisen diesen Ge-
Der alte Dom von Köln (nach Eticnwein).
danken auf. Erstens die oben besprochene Klosterkirche CfiNTULA
(Taf. 43). Zweitens der im Laufe des 9. oder A. des 10. Jahrhunderts
ausgeführte Erneuerungsbau von S. Martin in Tours; nach den von
Chevalier a. a. O. S. 169 beigebrachten Münzen besass er ausser dem
Zentralturm zwei bereits stattliche an den Giebelseiten des QuerschifTs,
welche Anordnung in den weiteren Umbauten des 11. und 12. Jahr-
hunderts (Taf. 212, Fig. 7) beibehalten ist. Drittens der a. 814 von
Erzbischof Hildebold, dem vormaligen Kanzler Karls des Grossen, be-
gonnene Dom von Köln ; auf Grund einer Miniatur aus dem 11. Jahr-
hundert gibt Essenwein den beistehenden, in der Hauptsache durchaus
wahrscheinlichen Restaurationsversuch; die breiten Türme an den
Enden des westlichen Querschiffs erinnern an S. Martin, die »machinaec
auf den Zentraltürmen und die Oculusfenster wie der ganze Grundriss
an Centula; auch die bunte Wandinkrustation ist charakteristisch für
die Epoche.
Eine kontinuierliche Fortentwicklung war diesem vieltürmigen
System nicht vergönnt. Wir müssen vielmehr von nun ab die ein-
zelnen Länder für sich betrachten.
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568
Zweites Buch: Der romanische Stil.
DEUTSCHLAND.
Die im ersten und zweiten Kapitel dieses Buches der Planbildung
des frühromanischen Kirchenbaus gewidmeten Untersuchungen zeigten
darin bald nach dem Uebergang des Königtums vom sächsischen
auf das salische Haus eine Wende eintreten. Im Hinblick darauf
wird es geraten sein, auch für den vorliegenden Zweck die ottonische
Epoche abgesondert zu betrachten. Freilich ist hier die Möglich-
keit, vom äusseren Aufbau etwas Sicheres auszusagen, eine viel schma-
lere, als in Betreff des Grundplanes. Denn es sind fast immer nur
einzelne Teile unberührt von der Thätigkeit jüngerer Zeiten geblieben.
Ueber Bauten zweiten Ranges hinweggehend, wissen wir nur ein
einziges Denkmal dieser Epoche zu nennen, dessen Ursprungsgestalt
vollständig überliefert ist, die Michaelskirche in HILDESHEIM. Mit
doppeltem Chor und doppeltem Transsept angelegt, besass sie zwei
Vierungstürme und vier auf die Giebelseiten der Querschiffe verteilte
Treppentürmchen (Taf. 43). Also wesentlich noch dieselbe Anlage,
wie in dem zweihundert Jahre älteren Dom von Köln. Es ist nun
die Frage, ob wir S. Michael in Hildesheim als ebenso typisch für
die ottonische Periode, wie den Dom von Köln für die karolingische
ansehen sollen. War sie, wie wir früher dargelegt haben, hinsichtlich
des Grundrisses — wir ziehen immer nur Anlagen ersten Ranges in
Vergleich — zweifellos zu bejahen, so werden wir ein Gleiches vom
äusseren Aufbau mit Recht vermuten dürfen; selbstverständlich indes
nur als ideale Forderung; wie oft sie in Wirklichkeit erfüllt worden
ist, bleibt dahingestellt. Anders ausgedrückt : das ßauideal der Ottonen-
zeit war noch dasselbe, wie das der karolingischen. Die Anlage
eines zweifachen, öst- und westlichen Chores, hebt die Unterscheidung
zwischen dem der profanen Aussenwelt zugewendeten Anfang und
dem das Allerheiligste bergenden Schluss des Gebäudes auf, behandelt
beide Enden desselben gleichwertig. Nur folgerichtig bleibt es, den
Ausdruck dieses Gedankens nicht auf den Grundplan zu beschränken,
sondern ihn gleichermassen in der vertikalen Entfaltung, in der Grup-
pierung der Türme zu Worte kommen zu lassen. Allein nicht nur
dieser aus der Gesamtanlage entnommene Grund sprach dafür; man
vergesse nicht, dass der westliche Chorbau noch eine selbständige
Bedeutung für sich hatte, als Verehrungsstätte eines der Kirche wich-
tigen Heiligen oder Grabmal ihres Erbauers, mithin der Gedanke
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
569
einer kuppel- oder turmartigen Bekrönung schon durch die rituelle
Verwandtschaft mit den Denkmals- und Grabbauten nahe gelegt war.
So wird es, trotz der Spärlichkeit unmittelbarer Denkmäler-
zeugnisse, kein zu kühner Satz sein : dass bei doppelchörigen Kirchen
— und das will nichts anderes sagen, als bei allen grösseren — die
Zweizahl der Zentraltürme die normale war. Anderenfalls entbehrten
sie der Türme überhaupt oder hatten höchstens Treppentürmchen
von bescheidenem Effekt. Das erste war die Regel im Rheinlande
und mindestens nichts Seltenes in Westfalen und Sachsen, das andere
die Regel in Schwaben und Baiern.
Eigentliche Kuppeln kommen nicht vor, schon deshalb nicht,
weil die Vierungsbögen ihre Last nicht hätten aushalten können.
Ihre Stellvertreter, die Zentraltürme, haben hölzernes Dachwerk und
sind, im Grundriss der Vierung des Kreuzes oder einem Quadrat
des Mittelschiffs entsprechend, im Aufbau kaum so hoch als breit.
Zur Beleuchtung des Inneren sind sie schwerlich je verwertet, viel-
mehr dürfte das die Dächer überragende Fenstergeschoss, durch eine
Zwischendecke abgesondert, als Glockenstube gedient haben. Die
Treppentürmchen endeten gewöhnlich schon in gleicher Höhe mit
dem Hauptgesims des Schiffes l).
Beispiele. Die Stiftskirche in Gandersheim (gew. 1007) ist in
ihren oberen Teilen durch wiederholte Brände zerstört ; die nahe Ver-
wandtschaft des Grundrisses mit der gleichzeitig erbauten Michaels-
kirche zu Hildesheim legt die Vermutung auf ursprüngliche Zentral-
türme nahe. — Bei S. Pantaleon in Köln (geweiht a. 980) ist der
westliche Vierungsturm durch eine Ansicht aus dem 17. Jahrhundert
bezeugt; die Treppentürme im Kern noch aus der ersten Anlage
(Taf. 43). — Beim Münster zu Essen (2. H. saec. 10) der kunstvoll
disponierte, ausnahmsweise achteckige Westturm mit den Treppen-
türmchen verschmolzen (Taf. 213). — Frühromanische Gedanken in
spätromanisch vergrösserter Wiederholung fortlebend , glauben wir in
den reichen Turmgruppen der Dome von Worms und Mainz zu er-
kennen ; einzelne Teile rühren noch thatsächlich aus der ersten Bau-
periode (erstes Viertel saec. 11) her; in Worms der Unterbau der west-
lichen Treppentürme, in Mainz die östlichen, in ihrer Frontstellung zu
dem (nach Erweiterung der Langschiffe rudimentär erscheinenden) Quer-
schiffe an Hildesheim erinnernd und im Westbau von Laach wiederholt.
Die Hauptkirche des Klosters Reichenau ist wie die bisher be-
trachteten doppelchörig, auch mit westlichem Transsept versehen ; doch
>) So ursprünglich beim Münster zu Essen, wie bei S. Michael in Hildesheira.
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57Q
Zweites Buch : Der romanische Stil.
liegt hier der Zentralturm nicht über der Vierung, sondern über der
(behufs dessen viereckig ummauerten) Apsis, weshalb uns fraglich er-
scheint, ob ihm je ein Ostturm entsprochen hat. Von dem bedeutendsten
frühromanischen Bau Baierns, S. Emmeram in Regensbüeg, kann mit
Zuversicht behauptet werden, dass er inkorporierter Türme entbehrte;
der in Renaissanceformen ausgeführte isolierte Campanile ist vermut-
lich Ersatz für einen von Alters bestandenen. Sicher frühromanisch
5 1.
Aachen. Westbau.
ist derjenige beim Obermünster in derselben Stadt ; ebenso der auf
Frauenchiemsee. Die freistehenden Türme in Wessobrunn und Hohen-
wart a. Paar waren Glocken- und Wehrtürme zugleich. Also auch von
dieser Seite Bestätigung der früheren Wahrnehmung, dass die früh-
romanische Baukunst Baierns mehr mit der italienischen als mit der
fränkisch-karolingischen in Fühlung steht.
Bei einfacherem Grundplan vereinfacht sich auch die Turmgruppe.
Wir betrachten zunächst jene vorzüglich bei kleineren Stiftskirchen
bis ins 12. Jahrhundert häufige Modifikation der doppelchörigen An-
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aassenbau.
571
läge, bei welcher die westliche Exedra zweigeschossig geteilt ist. Auf
diesen Westbau fällt der Hauptaccent. Er erhält, den Giebel des
Mittelschiffs verdeckend, ein drittes als Glockenstube dienendes Ge-
schoss; die den Aufgang zu den Emporen enthaltenden Flanken-
türmchen werden entsprechend erhöht, der Ostbau dagegen bleibt
turmlos. In seiner weiteren Entwicklung spaltet sich dieser Typus
alternativ, — je nachdem die Treppengehäuse oder aber die mittlere
Glockenstube als Hauptmotiv genommen und turmmässig frei über
den anderen Teil hinausgeführt werden. Die erstere Anordnung ist
die gewöhnliche in Niedersachsen, die zweite in Westfalen und am
Niederrhein.
Das älteste Beispiel für die geschilderte Anlage des Westbaus
gibt nicht eine Basilika, sondern die zentrale Palastkirche zu Aachen
(vgl. mit der beistehenden Figur den Querschnitt Taf. 40) ; der Raum
über der kaiserlichen Loge enthielt die Glocken, die Rundtürme dienten
allein als Treppenbehälter. Wenn wir nun dieselbe Anordnung an den
frühromanischen Basiliken des Rheins und nicht minder Sachsens
typisch wiederfinden, so ist an unmittelbare Nachahmung Aachens sicher-
lich nicht zu denken ; nach aller Wahrscheinlichkeit wird sie schon
für die karolingischen Basiliken häufig acceptiert gewesen sein '). An
den ziemlich zahlreichen hier in Frage kommenden Denkmälern ist
leider fast immer nur der Unterbau im alten Zustande erhalten, so
dass in Betreff des oberen Abschlusses über ungefähre Vermutungen
nicht weit hinauszukommen ist. In Gernrode (Taf. 215, vgl. Grundriss
Taf. 47) gehören die Türme bis zur Oberkante des Arkadengeschosses
der ersten Bauzeit; wahrscheinlich folgte hier nur noch das Dach;
eine Oeffnung auf der inneren Seite des Nordturmes, die an dieser
Stelle nur als Thür, nicht als Fenster gedeutet werden kann, weist auf
eine über der Querempore schon ursprünglich vorhanden gewesene
Glockenstube; kurz, wir haben uns eine dem Aachener Westbau sehr
ähnliche Anlage zu denken. Von jüngeren Bauten vertritt diesen Typus
wenig verändert die Marienkirche in Magdeburg. Für das 1 1. Jahrhundert
scheint Corvei ein besonders einflussreiches Muster gewesen zu sein;
man erkennt es an der Stiftskirche von Gandersheim und den Domen
von Hildesheim und Osnabrück wieder; die Türme haben quadratischen
Grundriss angenommen und liegen mit dem den Westchor enthaltenden
Mittelbau in gleicher Fluchtlinie; zwischen ihnen das Glockenhaus; das
ganze offenbar höchst massig und schwerfällig. Seine abschliessende
Gestalt gewinnt der Typus im 12. Jahrhundert. Der mit einem nach Ost
•
') Nicht ganz ausgeschlossen ist, dass die RundtUrmchen an S. Kastor in Koblenz
Taf. 47 noch vom ersten Bau (E. saec. 9) hertlbergenommen sein könnten.
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572
Zweites Buch: Der romanische Stil.
und West abfallenden Satteldach gedeckte Zwischenbau überragt die
Firstlinie des Mittelschiffs um ein beträchtliches, für die freiliegende
Endigung der Türme bleibt nur ein kurzes Stück übrig ; der Unterbau
bildet eine zusammenhängende, ungegliederte Fläche. Die höchste
Veredelung, deren diese gar plumpe, von den Sachsen aber mit er-
staunlicher Zähigkeit festgehaltene Anordnung fähig war, zeigen die
Fassaden des Domes von Braunschweig, der Neuwerker Kirche in
Goslar (Taf. 215), der Klosterkirche
von Jerichow (Taf. 211), sämtlich
schon gegen oder nach 1200. Ver-
einzelt findet sie auch ausserhalb
Sachsens Nachahmung, z. B. in
Fritzlar und in Niederlothringen
in Maestricht (Taf. 217).
Der niederrheinisch- west-
fälische Typus hat seinen ältesten
Vertreter im Münster zu Essex
(Taf. 213). Die Anlage einerseits
mit Corvei, andererseits mit Aachen
verwandt; besonders sinnreich und
glücklich gedacht die Verwertung
des oktogonalen Oberbaus für das
Glockenhaus; der obere Abschluss
der Treppentürme auf unserer Ab-
bildung nach der ansprechenden
Restauration von G. Humann. Un-
mittelbar ahmt das Aachener Vor-
bild die Kapitolskirche in Köln
nach, insofern der Mittelbau im
Grundriss (Taf. 14) über die Türrae
vorspringt; das in jüngerer Zeit er-
neuerte Obergeschoss war wohl im-
mer vier-, nicht achtseitig. Aehnlich
ist die Grundrisskombination und war also wohl auch der primitive
Aufbau im Münster zu Bonn (saec. 11) und in S. Martin zu Muxster-
maifeld (2. Hälfte saec. 10?). — Ueber die westfälischen Domkirchen
drei Aufsätze von Nordhoff in den Bonner Jahrbüchern 1889—91. In
Paderborn hat der übrigens gotische Dom den 1009— 1036 erbauten
Westbau im Kerngemäuer bewahrt ; das Turmdach von 1558 (Taf. 214);
der untere 3 m dicke quadratische Mittelbau steigt zu einer sonst uner-
hörten Höhe empor, das Erdgeschoss wird ursprünglich als Chor gedient
haben. Der wenig später (1062—71) entstandene Dom von Minden
zeigt im Grundriss die nämliche Anlage, die aber im Aufbau etwa
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
573
ioo Jahre nachher beträchtliche Veränderungen erfahren hat. Der im
mittleren Abschnitt liegende Mauerbogen und die von dessen Anfängern
ausgehenden lotrechten Fugen sind am wahrscheinlichsten auf einen
ehemaligen Westchor mit Glockenhaus zu deuten, an dessen Stelle die
jetzige Vorhalle trat; gleichzeitig wurde der Anbau in seine gegenwärtige
Gestalt gebracht. Eine ähnliche Veränderung erkennt man am Dom
von Hildesheim. Die im Jahre 1839 abgebrochene Fassade (vgl. die
nebenstehende Figur) war der Mindener, wie sie jetzt ist, so ähnlich,
dass sie notwendig als deren Vorbild betrachtet werden müsste, falls
sie wirklich der Bauperiode unter Hezilo (beg. 1054) angehört. Diese
Fassade war aber nur einer älteren im Schema von Corvei gehaltenen
vorgeblendet; die zwei Türme sind davon im Grundriss noch erhalten,
angeblich auch bestimmte Indizien für eine Westapsis und einen Vor-
hof. Vermutungsweise stellen wir in diese Reihe auch den Dom von
Münster, dessen Westbau in den Grundmauern (Taf. 167) noch auf
die Bauepoche von 107 1 — 90 zurückgehen könnte. Die Fassaden von
Paderborn und Minden machen in ihrer wuchtigen Simplizität einen
starken Eindruck; bei geringeren Abmessungen aber sinkt das System
zu blosser Roheit und Unbeholfenheit herab, wie in Wunstorf und
Fischbeck (Taf. 211) oder am Dom von Havei.bf.rg (Adler, Backstein-
bauten).
Eine Reduktion des eben beschriebenen Typus ist der einfache
Westturm. Er ist im entwickelten romanischen Stil des Nieder-
rheins und Westfalens die bei weitem häufigste Erscheinung. Der
Turm liegt mit den Stirnwänden der Seitenschiffe nicht in gleicher
Fluchtlinie, sondern springt in der Breite des Mittelschiffs vor. Die
Herkunft aus dem Westchor klingt im Mangel einer Thür und in
der inneren Empore nach; die Proportionen sind meist breit und
niedrig; zuweilen sind die gesonderten Treppentürmchen beibehalten.
Für Westfalen vergleiche man die Grundrisse Taf. 167. Für den
bäuerischen Charakter der westfälischen Kunst ist diese Genügsamkeit
bezeichnend. Künstlerisch bedeutsamere Durchbildung fand das Motiv
am Niederrhein. (Zuweilen tritt zu dem dominierend bleibenden west-
lichen Einzelturm ein kleines östliches Paar hinzu — wovon später.)
Beispiele : S. Adalbert und S. Salvator in Aachen, S. Jakob und S. Ur-
sula in Köln, Klosterrat, Aldeneyk, Gladbach, Linz und mehrere
belgische Kirchen — am grossartigsten die Abteikirche Brauweiler,
die Apostelkirche in Köln (Taf. 211), beide mit niedrig flankierenden
Treppentürmchen, und besonders S. Patroklus in Soest (Taf. 214), ein
spätromanisches, mehr rheinisch als westfälisch geartetes Werk: das
Obergeschoss der Vorhalle diente als städtische Rüstkammer.
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
Alle bisher betrachteten Dispositionen stehen unter näherem
oder entfernterem Einfluss der Sitte des Doppelchors. Wohl erkennt
man die fortschreitend bevorzugende Heraushebung des Westbaus;
bis zu konsequenter Charakteristik desselben als Stirnbau kam es in
der obigen Entwicklungsreihe aber nicht. Ihr tritt eine andere gegen-
über, deren Voraussetzung ist, dass das westliche Ende der Kirche,
für den Altardienst nicht mehr in Anspruch genommen , ganz und
rein wieder Eingangsseite geworden ist. Als solche hat sie zwischen
der Welt und dem Heiligtum zu vermitteln , jene zum Eintritt in
dieses einzuladen, dieses vor feindlichem Angriff jener zu schützen.
Ausdruck der einen Verrichtung ist die nun wieder frei liegende, sei es
mit einem stattlichen Portal oder sei es, noch bezeichnender, mit einer
breiten Halle sich Öffnende, obenwärts mit dem Giebeldreieck ab-
schliessende Stirnwand des Mittelschiffs ; Ausdruck der andern Verrich-
tung die zu beiden Seiten sich erhebenden Türme — eine spontane
Erneuerung derselben Bauidee, welche die Pylonen der ägyptischen
Tempel und die Fassaden der syrischen Kirchen des 6. Jahrhunderts
geschaffen hatte. Diese neue Formel ist indes nicht in Deutschland
entstanden. Sie kommt hierher aus Cluny. Für die Rhein- und Main-
gegenden wird sie durch das Kloster Limburg, für Schwaben und Bayern
durch das Kloster Hirsau vermittelt. Einmal in die deutsche Baukunst
eingetreten, entwickelt sie sich dann in dieser selbständig weiter.
Limburg a. d. Hardt, gestiftet durch Kaiser Konrad II. 1025, die
drei Altäre der Krypta geweiht 1035, jetzt Ruine; sorgfältige Aufnahme
und Restauration in der Monographie von W. Manchot, Mannheim
1892; danach unsere Abbildung Taf. 48 (nach Geier und Görz) in
Einzelheiten richtig zu stellen. Der Westbau zerfiel analog den Schiffen
in drei Abteilungen; die mittlere bildete im Erdgeschoss eine nach
aussen in drei Bogenstellungen sich öffnende Halle; über ihr eine Em-
pore (etwa als kaiserliche Loge dienend; rechts und links davon die
viereckigen Türme, deren Erdgeschoss Vorhalle der Seitenschiffe war, so
dass die Treppenaufgänge zur Empore in besondere kleine Rundtürrae
verlegt waren ; in die mittlere Halle trat man jedoch nicht direkt ein,
sondern durch ein Atrium von gleicher Breite (die auf Taf. 48 nach
Geier und Görz angegebenen Seitenflügel irrig); es war zweifellos ge-
deckt, anscheinend mit einem Sparrendach , und in den Seitenmauern
von Bogenstellungen nach der Art eines Kreuzganges durchbrochen.
Für den oberen Abschluss der Fassade liegen keine Indizien vor, doch
kann es sich zwischen den Türmen nur um einen Giebel gehandelt
haben. Diese Anlage des Westbaus ist — soweit unser Wissen reicht,
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Fünfrehntes Kapitel: Der Aussenbau.
575
zum erstenmal auf deutschem Boden — die genaue Erfüllung der in
der Cluniacenserkongregation geltenden Bauvorscbrift : duae turres sint
in ipsius fronte statu tae et subter ipsas atrium , und selbst die Eigen-
tümlichkeit, dass mehrere Stufen zuerst ins Atrium, dann in die
Vorhalle und noch einmal in das Schiff der Kirche hinabführen, teilt
Limburg mit Cluny (s. unten). Diese Beeinflussung durch Cluny in
einem offenbar liturgisch für bedeutsam gehaltenen Teil der Kompo-
sition würde sich allein schon durch die geographische Lage hinläng-
lich erklären; wir wissen aber ausserdem, dass der Abt Poppo von
Stablo, dem der Kaiser die Leitung Limburgs in der Erbauungszeit
übergeben hatte, ein energischer Anwalt der cluniacensischen Richtung
war. (Die Einwendungen Manchots halten wir nicht für stichhaltig;
vgl. unsere Recension im Repertorium f. Kunstw. XV.) — Ein zweites
Kloster, das Poppo unterstellt war und gleichzeitig mit Limburg einen
Neubau erhielt, ist Echternach; leider aber ist gerade der Westbau
hier zerstört; dafür besteht noch die Tochterstiftung Echternachs am
Niederrhein, Susti-rn, und hier finden sich in der That die Doppel-
türme wieder in jener Gegend zum erstenmal (Taf. 215); ein zweites
Beispiel die abgebrochene, aber in Zeichnung (Otte, Baukunst, S. 280)
überlieferte Kirche Silgbirg, ausserdem auch im Chor mit deutlich
cluniacensischen Merkmalen.
Ein zweiter Faden führt nach Hessen. Der Bauherr von Limburg
war auch Erneuerer von Hbrsfku). Die nahe Verwandtschaft mit
Limburg im inneren Aufbau der Schiffe ist augenfällig. Der erst nach
Poppos Tode ausgeführte Westbau zeigt einen merkwürdigen Kom-
promiss des neuen Systems mit dem altgewohnten des Westchors.
Derselbe ist nämlich in zwei Geschosse geteilt, von denen das zu
ebener Erde viereckigen , das obere halbrunden Grundriss hat (Taf. 40
u. 55). Nur letzteres diente als Chor, das erstere dagegen bildete
eine tiefe, nach der Tonne überwölbte, in einem weiten Bogen sich
öffnende Vorhalle. Die Türme sind, ihrer späten Ausführungszeit ge-
mäss, hoch und schlank, doch sicher gleichzeitig mit den Schiffen
konzipiert.
Weniger sicher ist der vermutete Einfluss Poppos für den Dom von
Speier (Bau Konrads II und Heinrichs III). Seine gegenwärtige Gestalt
(Taf. 221) hat er im 12. Jahrhundert erhalten, unter dem Einfluss der
Nachbardome von Mainz und Worms. Da wir wissen, dass noch der Bau
Heinrichs IV. der Zentraltürme entbehrte, ist dieses um so sicherer für
') Wir tragen hier nach, dass Fisenne, Baudenkmäler am Niederrhein, dem Ost-
bau von Sustern ausser den Nebenchören noch kleinere Nebenapsiden am Querschiff
gibt (auf unserem nach Cuypers gezeichnetem Grundriss, Taf. 47, fehlen sie leider), so
dass eine überraschende Aehnlickheit mit den burgundischen Anlagen dieser Zeit
(Taf. 121) besteht.
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576
Zweites Buch: Der romanische Stil.
den Urbau anzunehmen. Es verbleiben für denselben als wahrschein-
lich vier Ecktürme, ein Paar im Westen, ein zweites im Osten. Das-
selbe dürfte in Echternach der Fall gewesen sein, welches gleichzeitig
und ebenfalls in Beziehung zu Poppo erbaut wurde; die Ausführung
der Türme ist hier zwar gotisch, aber ihre Stellung im Grundriss alter-
tümlich. Ferner findet sich diese bis dahin in Deutschland unbekannte
Disposition an dem a. 1042 begonnenen, noch im 11. Jahrhundert zu
Ende geführten Dom von WCrzburg, wo der Doppeleinfluss von Speier
und Hersfeld klar zu Tage liegt. Endlich schliessen wir vermutungs-
weise noch den Dom von Bamberg an, erbaut zu Ende des 11. Jahr-
hunderts durch Bischof Otto, dessen Anteil am Speierer Dom bekannt
ist ; die Erneuerung des 13. Jahrhunderts, durch welche er seine gegen-
wärtige Gestalt erhielt, hat anerkanntermassen den Grundriss, ja be-
trächtliche Teile des Hochbaus vom Werke Ottos beibehalten ; nicht
unwahrscheinlich also, dass auch die jetzt mit Würzburg und Speier
(Fassung des 11. Jahrhunderts) übereinstimmende Stellung der Türme
schon durch Ottos Bau gegeben war.
Bevor wir der Verbreitung der westlichen Fronttürme in Sud-
deutschland nachgehen, müssen wir festzustellen versuchen, was als
einheimische Art dort vorher gegolten hatte. In frühromanischer Zeit,
wie oben gezeigt, fand der Baugedanke der Turmgruppe nur schwachen
Widerhall. Noch im 12. Jahrhundert sind isolierte Türme nichts
seltenes und als deren Nachwirkung Einzeltürme, die zwar mit dem
Körper der Kirche zusammenhängen, aber in unsymmetrischer Stellung
zur Hauptachse (z. B. Taf. 231, Fig. 1). Die Inkorporierung der Türme
scheint erst um die Mitte des 11. Jahrhunderts allgemeiner geworden
zu sein. Sie geschah nach einer allem bisher von uns kennen gelernten
fremd gegenüberstehenden Idee. Die spezifisch süddeutsche Turmstellung
ist nämlich die östliche: entweder ein Einzelturm über dem Ende
des Mittelschiffs oder ein Turmpaar über den Enden der Seitenschiffe.
Sie sind allein und von Anfang an als Glockenträger zu verstehen;
steinerne Treppen sind nicht vorhanden ; also werden die Glocken
an einem ins Schiff hinabhängenden Strang geläutet sein. Man nehme
hinzu, dass diese Kirchen des Querschiffes gewöhnlich entbehren oder
dass dasselbe im Westen liegt, und man wird ermessen, wie sehr ihre
Gesamterscheinung vom norddeutschen Typus abweicht; vgl. Taf. 211,
Fig. 3-
Oestliche Einzeltürme, zum Teil direkt über dem platt schliessenden
Chor, finden sich in Nordschwaben bis in späte Zeit: Oberstenfeld.
Brackenheim, Schwaigern, Simmersfeld, Weinsberg (durch den Dom-
propst Benno, nachher Bischof von Osnabrück, nach Hildesheira ver-
pflanzt : Kirche auf dem Moritzberge). Für die Zweizahl der Osttürme
dürfte der Dom von Augsburg das älteste Beispiel (A. saec. 11) geben;
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
577
hier sind sie noch seitlings an die Niederschiffe angelehnt, ähnlich den
gleichzeitigen Teilen des Domes von Mainz, wie in den wenig jüngeren
des Domes von Merseburg (in Sachsen sonst durchaus fremd). Be-
reits Uber den Seitenschiffen, aus deren Schlussrand hervorwachsend,
in der Unterzeller Kirche auf Reichenau ; sicher nicht karolingisch. wie
Adler will, sondern jünger, wohl erst saec. n. Weitere Beispiele:
Murrhart in Schwaben, Altenstädt an der schwäbisch- bairischen
Grenze (Taf. 251), S. Jakob in Regensburg, der Dom von Eichstatt,
Kastel in der Oberpfalz, S. Jakob in Bamberg; in Unterfranken S. Jakob
in Würzburg, Oberzell, Münchsteinach, Neustadt a. M., Auro bei
Kissingen. Ferner sind Osttürme am ganzen Lauf des Rheins (und
auch in Nordfrankreich) bekannt, von der süddeutschen Anlage sich
dadurch jedoch unterscheidend, dass sie nicht allein für sich, sondern
immer als Teile einer mehrtürmigen Komposition auftreten. Ihre
eigentümliche Stellung im elsässischen Cluniacenserkloster Murbach
(Taf. 228) nicht an, sondern über dem Querschiff geht direkt auf
Cluny (die jüngere Kirche) zurück, vgl. Taf. 212.
Den entgegengesetzten Formgedanken spricht die Anlage von
zwei Westtürmen aus. Sie ist im 12. Jahrhundert ebenso häufig,
wie die oben beschriebenen , setzt aber später ein , erst mit dem
Ende des n. Jahrhunderts. Wie am Rhein ist sie auch hier eine
Begleiterscheinung der cluniacensischen Klosterreform. Im Elsass,
welches derselben zunächst offen lag, sind Beispiele aus dem 11. Jahr-
hundert nicht erhalten. Die typische Behandlung der elsasser Fassa-
den im 12. Jahrhundert — Westtürme mit zwischenliegender offener
Voihalle: Maursmünster, Odilienberg, Lautenbach, Schlettstadt —
lässt aber keinen Zweifel über ihre Herkunft. Für Schwaben und
Baiern übernahm die Mittlerrolle Hirsau. Dieses wie kein anderes
einflussreiche Kloster (vgl. S. 209—212) stellte durch seine zwei Kirchen
zwei Fassungen für die Anordnung der Türme, eine knappere und eine
vollere, auf. Die ältere und kleinere Aureliuskirche (Taf. 230) besitzt
zwei Westtürme, aber ohne die offene Vorhalle Limburgs und der
Elsässer Kirchen. Dagegen in S. Peter und Paul ist die Vorhalle nach
dem Muster von Cluny zu einer förmlichen Vorderkirche ') ausgebildet,
die sich in der vollen Breite des Schiffes zwischen diese und das
Turmpaar einschiebt und woraus sich für das ganze eine ungewöhnlich
gestreckte Form ergibt. Dies mag den Anlass gegeben haben, ein
zweites östliches Turmpaar einzuschieben. Ob auch hierfür das bur-
gundische Mutterkloster das Vorbild gegeben habe, ist eine unbeantwort-
') Nach Hager in Münch. Allg. Ztg. 1891, Beilage 297, ursprünglich (a. 1091)
ein offener Vorhof mit dreibogiger . von zwei Türmen flankierter Vorhalle ; erst im
12. Jahrhundert in basikale Vorderkirche verwandelt.
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57§
Zweites Buch: Der romanische Stil.
bare Frage ; näherliegend und ausreichend wäre die Erklärung aus dem
heimischen Formenkreise, wobei allerdings insofern eine Veränderung
eintritt, als die Türme nicht zu beiden Seiten des Chors, sondern in
die westlichen Winkel des QuerschifTs gestellt werden.
Ungeschmälert wurde der Typus von S. Peter und Paul zu
Hirsau nur in den thüringisch-sächsischen Bauten der Schule wieder-
gegeben: in Paulinzelle (Taf. 211), Burgelin, Lieberauen in Halbib-
stadt und (projektiert, aber nicht ausgeführt) in Hamerslebek. Der
genügsamere Sinn der Süddeutschen Hess Vereinfachungen eintreten,
sei es nun, dass man sich im Laufe des Baues erst zu ihnen verstand,
wie in Ellwakgex (Ta.(. 230), oder dass sie von Anfang an zum Plan
gehörten. Dabei trat die Alternative ein , entweder auf die West-
türme sich zu beschränken fz. B. in Heidenheim, Ahnhausen, Plank-
Stetten in Franken , S. Michael in Bamberg , Breitenau in Hessen ,
oder allein die Osttürme beizubehalten (z. B. Biburg, Pruferixg,
Reichenbach am Regen). — Ausserhalb der Kongregation, doch erkenn
bar unter ihrem Einfluss, zeigen sich Westtürme zuerst (1089) am Dom
von Konstanz, als Werk Bischof Gebhards III., eines ehemaligen Hir-
sauer Mönches. In Ostschwaben gehören Thierhauptex und Stein-
gaden' ^Taf. 231) schon tief ins 12. Jahrhundert. Ebenso in Baiern
und den Ostmarken nicht vor dieser Zeit ; Beispiele : Dome zu Freisixc
und Brixen, Klosterkirchen Niedermünster in Regensburg, Altötting,
Berchtesgaden, Seeon, Seckau, S. Paul im Lavaxt.
Die Summe der bisher geschilderten Bestrebungen zog der
Uebergangsstil. Er verdient daher seinen hergebrachten Namen
hinsichtlich des Aussenbaus am wenigsten. Denn von einem Ver-
langen, die überlieferten Grundlagen zu verlassen, oder gar von einer
positiv gotischen Tendenz — welche soviel bedeutet wie Verein-
fachung des Gruppenbaus — ist nichts zu spüren. Im Gegenteil, die
früh gewonnene Freude an lebensvollem Rhythmus der Massen, an
bewegter, abwechslungsreicher Silhouette bethätigt sich jetzt in der
Schlussepoche des Romanismus bewusster und energischer denn je.
Neue Motive treten nicht mehr auf. Das Bestreben ist, über die
vorhandenen möglichst frei zu schalten, sie möglichst individuell abzu-
schattieren, sie zu möglichst reichen Akkorden zu mischen. Die
provinziellen Schranken sind gefallen, wir sehen verschiedenartigstes
Örtlich nahe bei einander stehen, gleichartiges in weiten Entfernungen
auftauchen. Wenn auf den früheren Stufen des Stils die innere Raum-
gestaltung das erste und bestimmende war, so wirkt jetzt häufig
umgekehrt die erstrebte Aussenansicht auf den Grundplan ein. Die
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
579
langgestreckten Anlagen, in denen das 1 1. Jahrhundert sich ergangen
hatte, finden keine Nachahmung, weil sie die Türme zu weit aus-
einanderhalten, vielmehr werden im Interesse geschlossener, stufen-
weise aufsteigender Komposition die Vorderschiffe verkürzt, das Kreuz-
schiff machtvoll erweitert. Im Zusammenhang damit gelangt die in
der mittleren Zeit vernachlässigt gewesene Form der Kuppel und des
Zentralturmes wieder zu hoher Gunst. Kurz, die karolingischen,
zentrale und longitudinale Bauweise verschmelzenden Baugedanken
erleben eine Wiedergeburt auf höherer Stufe.
S Maria im Capitol in Köln, Oitbau.
Wir wenden den Blick zuerst auf die grossen mittelrheinischen
Dome. Sie erfuhren zu Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts
eine Erneuerung der Gewölbe, welche Gelegenheit man nicht unbenützt
vorübergehen liess, den Effekt des Aussenbaus nach dem Sinne der
Zeit zu steigern. Der Dom von Speier war in seiner ersten Gestalt,
wie man sich erinnert, ein ausgeprägter Langbau, wahrscheinlich mit
je einem Turmpaar an beiden Enden. Heinrich IV. gab ihm eine
östliche Vierungskuppel, die aber nach aussen wenig hervortrat; erst
die dritte Bauepoche erhöhte sie auf zwei Geschosse und fügte die
westliche Vierungskuppel über einem Querbau hinzu (Taf. 221). Um
dieselbe Zeit erhielt der Dom von Worms seine jetzige Gestalt (Taf. 227);
die Gruppierung wirke nur bei beträchtlich verkürzter Perspektive
ganz befriedigend. Die vollkommenste Lösung innerhalb dieses
Typus ist in Laach (Taf. 221) gefunden, wo das Langhaus eine relativ
geringere Ausdehnung hat und die Kuppeldächer die Flankentürme
überragen. Auch in Mainz ging man von der gleichwertigen Ausbildung
des Ost- und des Westbaus, die im Geiste der ersten Bauzeit (Anfang
des 12. Jahrhunderts) gelegen hatte, später ab und stellte dem östlichen
Zentralturm (Taf. 218), so mächtig er war, einen noch mächtigeren im
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5 So
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Westen gegenüber ;Täf. 219); die Flankentürme wurden dagegen zu
untergeordneten Trabanten. Der letztere Fall wird nun ein häufiger :
das Kuppelgehäuse tritt nicht mehr als breite und niedrige Masse zu
seinen schlanken Begleitern in derben
Kontrast, sondern es wird ihnen ange-
ähnelt, folglich turmartig hoch gebildet:
so in Bonx '), Gelnhausen, Neuweiler.
Gebweiler 11. a. Prägnanteste Gestalt
nimmt der Gedanke in denjenigen Kir-
chen an , die auf alles Turmwerk ausser
dem einen Zentralturm verzichten, oder
doch die Nebentürme zu blossen Andeu-
tungen herabdrücken. Beispiele dieser bis
dahin in Deutschland nicht bekannten
Anordnung kommen den ganzen Rhein
entlang zahlreich vor: in Rosheim, Hoch-
Atzesheim, S. Stephan in Strassburg,
Oi fexbach am Glan, Seebach, Sayn, Sin-
zig, Heimersheim, Gernsheim — durchweg
ziemlich kleine, aber anziehende Werke,
unter denen den Preis feinsten Kompo-
sitionsgefühles Sinzig (Taf. 225) davon-
trägt. Auch das Münster auf dem May-
feld ist hierher zu rechnen, da
der Zentralturm offenbar beabsich-
tigt war und erst vom gotischen
Fortsetzer aufgegeben wurde.
Breiter entfaltet sich das
zentralisierende Prinzip in der
von der Kapitolskirche zu Köln
ausgehenden Familie. Die Stamm
kirche selbst gibt die Idee noch
verhüllt, indem der Hochbau
nicht hält, was der Grundriss
verspricht. Man erkennt dann
den Geist des Jahrhunderts, in
dem sie entstand; der im Jahr 1049 geweihte Erneuerungsbau wollte
die überlieferte Zentralanlage zwar nicht ganz verdrängen, wohl aber
sie thunlichst der basilikalen annähern; so führte er die Obermauern
des Langschi fTes über die Vierung weg bis zur östlichen Kirche. Um-
Gro*»-S. -Martin in Köln, Ostbau.
') Oer Helm, wie ihn Taf. 226 zeigt, ist nicht der ursprüngliche, di
beträchtlich, wohl um mehr ah die Hälfte, niedriger.
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Fünfzehntes Kapitel : Der Aussenbau.
58l
gekehrt war den Nachahmungen aus der Zeit des Uebergangsstiles an
dem ungewohnten Grundriss nichts wichtiger, als der in ihm enthaltene
Anreiz zu prachtvoller Gruppenentfaltung im Sinne zentraler Aufgipfe-
lung. Den Anfang macht, bald nach der Mitte des 12. Jahrhunderts,
die Kirche von Schwarzrheindorf (S. 551), trotz ihrer kleinen Dimen-
sionen nach dem Masse damaligen Könnens eine kühne Konstruktion.
Ein höheres Ziel stecken sich die Kölner Kirchen S. Aposteln und
S. Martin. (Zum Vergleiche mit den perspektivischen Ansichten auf
Taf. 223 fügen wir hier in kleinem Massstabe die geometrische
hinzu.) Sie sind um die Wende des 12. zum 13. Jahrhundert, sicht-
S. Aposteln in Köln. Ostbau.
lieh im Wetteifer miteinander, erbaut, bei gleichem Grundgedanken
doch die Spitze der Lösung verschieden wendend. Beide waren
Mutationsbauten mit der Vorschrift, Teile eines älteren Langhauses
mit dem neuhinzukommenden Ostbau zu verschmelzen , und bei
beiden war durch topographische Verhältnisse (umfängliche Kloster-
anlagen auf der einen , Bürgerhäuser auf der anderen Langseite) ein
Gesamtüberblick ausgeschlossen. Konstruiert man denselben aus der
Kavalierperspektive, so ist das zustandekommende Bild nichts weniger
als harmonisch (Taf. 211, Fig. 2). Allein darauf brauchte es den Er-
bauern auch nicht anzukommen, sondern allein auf die Ostansicht,
welche sie als eine für sich allein bestehende zentralbaumässig be-
handelten. — Wir betrachten zuerst die Apostelkirche. Sie darf inso-
fern die vollkommenste der Kompositionen dieser Art heissen, als
alle Abstufungen des äusseren Aufbaus durch den Grundriss genau
motiviert sind. Den Kern bildet die Vierung mit den sich anschlies-
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
senden kurzen Kreuzarmen; treten die letzteren mit ihren Giebeln
kräftig hervor, so ist jene durch einen breiten achteckigen Kuppelturm
bezeichnet, dessen krönende Laterne die Bekanntschaft des Meisters
mit byzantinischen Bauten — er mochte sie auf einer Fahrt ins Heilige
Land gesehen haben — erweist. Das gleicharmige Kreuz des Mittel-
baus nun wird von Anbauten umringt, in denen in mehrfacher Ordnung
die Kreislinie herrscht. Besonders geistreich sind die schlanken Türme
aus den Winkeln des Kreuzes entwickelt, »gleichsam wie durch den
Druck der mächtigen Konchen hervorgetriebenc, und durch ihre Zwei-
zahl die Strenge der zentralistischen Symmetrie (welche die Vierzahl
gefordert hätte) anmutig durchbrechend. — War die Apostelkirche
ostwärts gegen einen freien Platz gelegen , so wurde S. Martin auch
nach dieser Seite, obgleich dem Rheinstrome nah, von dem Häuser-
gewirr der Uferstrasse bedrängt. Der Nachdruck wurde deshalb auf die
überragende Mittelpartie gelegt und diese so berechnet, dass sich die
günstigste Ansicht für die auf dem Strome Ankommenden ergiebt.
Die im Vergleich mit der Apostelkirche abstraktere Durchfuhrung
des Pyramidalgedankens gewinnt aus diesen Umständen ihre volle
Berechtigung.
Dass die altherkömmliche Form des westlichen Einzelturms in
dieser Epoche besonders stattliche Exemplare hervorbringt, haben wir
schon gesehen; speziell niederrheinisch ist die Verbindung mit einer
westlichen Querhalle, welcher der Turm entweder vorgelegt wird (Brau-
weiler, S. Aposteln in Köln) oder aus welcher er herauswächst (S. Mau-
ritius und S. Kunibert in Köln, S. Quirin in Neuss, Taf. 360); für ein
leichtes Gegengewicht sorgt ein Paar schlanker Osttürmchen. Oder:
es fällt auf die Ostturme ein stärkerer Accent, was in Verbindung mit
der Apsis eine wohlgefügte Gruppe ergibt; doch bleiben sie nur aus-
nahmsweise allein (Boppard, S. Gereon in Köln, Taf. 222), häufiger
tritt ein Mittelturm hinzu (Bonn, Knechtsteden) oder hält ein zweites
Paar am westlichen Ende das Gegengewicht (Andernach, Coblenz.
Arnstein, Taf. 224).
Rheinische Turmgruppierung dringt sodann , Hand in Hand mit
der Kleeblattstellung der Apsiden, in die Niederlande vor. In fast über-
trieben bewegtem Formenspiel an der Liebfrauenkirche in Rorrmond.
Noch grossartiger aufgetürmt die Kathedrale von Toirmay (Taf. 212);
im Ostbau das ausgeweitete Motiv von S. Martin in Köln; wegen der
grösseren Länge der Kreuzarme die vier Ecktürme vom Mittelturm
abgerückt; dann noch zwei Fronttürme; die gleiche Höhe der sämt-
lichen sieben Spitzen in der perspektivischen Verschiebung glücklich
aufgehoben. Den Einfluss dieses flandrischen Werkes auf mehrere der
wichtigsten frühgotischen Bauten in Frankreich haben wir S. 487 nach-
gewiesen. Nachdem das Motiv der sieben Türme in der Kathedrale
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Fünfzehntes Kapitel : Der Aussenbau.
583
von Laon seine höchste Verherrlichung erlebt hat, kehrt es von hier
aus nach Deutschland zurück. Die Bedeutung von Laon für S. Georg
in Limburg a. L. ist von früher her (S. 496) in Erinnerung. Die von
dort mitgebrachten Anregungen sind mit genialer Freiheit reproduciert ;
wie trefflich passt die Verkleinerung der Querschiffstürme — sie waren
in Laon wie in Tournay mit denen der Hauptfront von gleicher Höhe
— 2U dem enger zusammengenommenen Grundriss und wie unver-
gleichlich schön ist die Umrisslinie, sind die Masse des Aufbaues zu
dem nicht sehr hohen, aber steilen Felsen ins Verhältnis gebracht,
hart an dessen Rand die Kirche sich herrschend hingestellt hat. Es wird
wenige Gebäude in der Welt geben, auf die mit so viel Recht Vasaris
Ausdruck »non murato, ma vcramente nato« Anwendung finden darf:
Gleichsam als ob der Genius des Ortes selbst am Werke mitgearbeitet
habe. Der feine Sinn für malerische Einordnung des Bauwerks in das
gegebene Landschafts- oder Städtebild ist einer der besten Ruhmestitel
des deutschen Uebergangsstiles, zumal des rheinischen; ein so voll-
endeter Zusammenklang von Kunst und Natur, wie in Limburg, ist
nirgends wieder erreicht '). Mit schmerzlichem Bedauern erfüllt es
uns, angesichts dessen, was die deutsche Kunst hier zu leisten ver-
mocht hat, dass zwei andere hervorragende Werke derselben Zeit, die
Dome von Halberstadt und von Magdeburg, nicht nach dem ersten
Entwurf zu Ende geführt wurden. Der Dom von Halberstadt zeigt in
der Fassade (dem einzigen noch romanischen Bauteil) so viel Anklänge
an den von Laon, dass man sich der Vermutung nicht entschlagen
kann, auch in der Gesamtdisposition wäre, gerade wie in Limburg,
eine freie Bearbeitung dieses Vorbildes beabsichtigt gewesen. Mit
Bestimmtheit nehmen wir dies für Magdeburg an. Die Art, wie hier
der romanische Unterbau der Osttürme mit den Querschi ffsfassaden
verschmolzen ist, lässt keine andere Deutung zu, als dass jederseits
noch ein zweiter Turm symmetrisch aufsteigen sollte; der Zentralturm
versteht sich dann beinahe von selbst, wie denn überdies eine Hin-
deutung auf ihn schon durch die Verstärkung der inneren Pfeiler an
dieser Stelle gegeben ist.
Gegenüber diesen im höchsten Schwung der romanischen Bau-
phantasie konzipierten Werken nimmt sich die Masse dessen, was sonst
ostwärts von den Rheinlanden geschaffen wurde, bescheiden aus. Sicher
die ausgezeichnetste Leistung, nicht hochgemut und kraftstrotzend, wie
die rheinischen Bauten, dafür voll harmonischer Feinheit im Ganzen
wie im reich geschmückten Einzelnen, ist der Dom von Bamberg
(Taf. 227); die Gruppierung der Türme geht nach unserer früher be-
') Die von uns Taf. 224 mitgeteilte Zeichnung Tornows ist leider etwas abstrakt
ausgefallen; malerische Ansichten sind indes so verbreitet, dass wir auf Beigabe einer
solchen füglich verzichten zu dürfen glaubten.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
gründeten Vermutung auf das Ende des 1 1 . Jahrhunderts zurück. Der
Naumburgkr Dom ahmt auch hierin den von Bamberg nach. In Süd-
deutschland überrascht der Dom von Salzburg (im 16. Jahrhundert
abgebrochen, aber aus Abbildungen bekannt, Jahrbuch der Central-
Coram. 1857) durch fünf Türme.
FRANKREICH.
Die bei Betrachtung des Innenbaus gewonnene Ansicht, dass
Frankreich in der romanischen Periode kein einheitliches Stilgebiet
war, wird sich im nachfolgenden vollends bestätigen. Die karolingische
Erbschaft, das Prinzip des gruppierenden Rhythmus der Massen, zeigt
in den verschiedenen Provinzen sehr ungleiche Lebenskraft, um so
stärkere, je mehr der Bevölkerung germanisches Blut zugemischt war.
um so geringere, je weniger sie davon besass.
PROVENCE UND AQUITANIEN. Hier herrschten, wie man
sich erinnert, einfache Säle und Hallenanlagen, beides gegen das in
Rede stehende Prinzip sich spröde verhaltende Formen. Die ersteren
erscheinen auch nach aussen als einfache Rechtecke, ohne vertikale
Gliederung, mit flach geneigten Dächern, bloss an der Chorseite etwas
lebhafter bewegt. Bei den Hallenkirchen pflegt das Mittelschiff durch
eine leichte Ueberhöhung hervorgehoben zu werden (Taf. 255, 252,
Fig. 1). Die Kuppelkirchen geben entweder jeder einzelnen Kuppel
ein besonderes, auf einem niedrigen Mauercylinder ruhendes Zeltdach
(Taf. 212, Fig. 4; 251, Fig. 1. 3), oder sie fassen die ganze Reihe
unter ein gemeinschaftliches Satteldach, wie bei den tonnengewölbten
Sälen, zusammen. Ohnedies fehlten die praktischen Momente, die im
Norden die Einverleibung von Türmen in die Kirche angezeigt sein
liessen: es gab keine Emporen, die zu besteigen, in der Provence
auch keine hölzernen Dächer, die zu beaufsichtigen gewesen wären.
Immer war es, wenn man dennoch das Dach zugänglich machen
wollte, bei der Mächtigkeit der Mauern ein leichtes, aus dieser eine
Wendeltreppe auszusparen (Taf. 93, Fig. 2. 5. 9. 10. 11. 12, Taf. 100,
Fig. 5. 6, Taf. 101, Fig. 1. 2. 9, Taf. 102, Fig. 6). Sollte die Treppe
geräumiger sein, so trat ihr Gehäuse auch wohl ein wenig über die
Mauerlinie vor, jedoch bezeichnender Weise ohne zu selbständiger
Turmbildung zu führen (Taf. 117, Fig. 3. 5. 6. 7. 11). Eher hätten
die Kirchen des Westens, die über den Gewölben noch hölzerne
Dächer anordneten, Anlass dazu gehabt; allein die Ecktürmchen auf
Taf. 249 und an zahlreichen ähnlichen Fassaden sind eigentlich nur
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
585
vcrgrösserte Strebepfeiler und ihre turmartige Bekrönung fallt wegen
deren geringer Höhe nur für die Fassade, nicht für die Gesamt-
gliederung ins Gewicht. Zur Aufhängung der Glocken begnügten sich
die kleineren Kirchen mit einem freistehenden gemauerten Glocken-
stuhl über dem Westgiebel ; die grösseren hatten isolierte Kampanilen,
oft von bedeutender Höhe, wovon aus dem 11. und selbst 12. Jahr-
hundert eine ziemliche Menge erhalten ist: z. B. bei der Kathedrale
von Uzes {jetzt in den Komplex späterer Umbauten einbezogen), bei
S. Trophime in Arles, bei der Kathedrale von Le Puy, S. Front in
PeYigueux, S. Leonard, Uzerches, Brantome.
Auf die Dauer indessen können auch die Südprovinzen auf
lebhaftere Bewegung des Aufbaus nicht ganz verzichten. Den An-
knüpfungspunkt gibt die kuppelförmige Ueberhöhung der Vierung,
beziehungsweise, bei querschiflflosen Anlagen, der letzten Gewölb-
abteilung vor dem Altarhause. Anfangs über den First des Schiffs
nur wenig vorragend, nimmt sie mit der Zeit, doch wohl kaum vor
Ende des 1 1. Jahrhunderts, die bedeutsamen Formen an, in denen sie
uns im entwickelten Stil entgegentritt und die einzige Anlageart bleibt,
worin in diesen Gegenden der inkorporierte Turmbau durchdringt.
Für den Westen dürfte das Beispiel von S. Martin in Tours von
Bedeutung gewesen sein (vgl. S. 561); im Osten sind die ältesten uns
bekannten (um oder nach a. 1000) die an der Kathedrale von Le Puy,
an S. Martin D'Ainay bei Lyon und S. Martin de Londres in
der Provence. Abwechslung besteht nur in der Form und Zahl der
Stockwerke. In der Provence blieb der achteckige Kuppelturm von
massiger Höhe die Regel. Beispiele: Notre-Dame in Avignon, Kathe-
drale von Cavaillon, S. Honorat in Arles, S. Marie au Lac in Le
Thor (Taf. 257). In Aquitanien dagegen bei meist engerem Quer-
schnitt des Mittelschiffs ein wirklicher mehrgeschossiger Turm; die
Form dreifach variiert: 1) das erste Geschoss kubisch, das zweite
cylindrisch, der Helm konisch — heimisch im Saintonge und Perigord
mit Ausläufern ins Poitou ; 2) das erste Geschoss kubisch, die folgenden
achtseitig — in der Auvergne und im Limousin mit Ausläufern nach
Toulouse und Poitou; 3) sämtliche Geschosse vierseitig, also dem
nordischen Turmtypus sich nähernd — Poitou. Rechnet man dazu
die in diesen Gegenden selbst bei kleinen Denkmälern häufige Anlage
ausstrahlender Chorkapellen, so gewinnt man das Bild eines überaus
mannigfaltig, aber immer klar sich ineinander schlingenden Doppel-
rhythmus der horizontalen und der vertikalen Bewegung — allerdings
unter einseitiger Bevorzugung der östlichen Standpunkte. Zu reichstem
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
plastischen Ausdruck steigert sich das System in der Auvergne : gleich
sam der künstlerische Wiederhall der edlen Naturformen dieses Berg
landes, Taf. 253, 254. (Die westlichen Turmpaare einzelner auvergna
tischer Kirchen sind jüngeren Ursprungs und verraten fremden Einfluss.»
Gebilde ganz anderer Art als die für die Südhälfte Frankreichs
typischen Zentraltürme, für sich betrachtet wie in ihrer Beziehung zum
Kirchengebäude im ganzen, sind die Frontaltürme. Sie sind von
Haus aus Festungstürme, das charakteristische Attribut der grossen
Abteien, die im kriegerischen Wirrsal der späteren Karolinger- und
der Kapetingerzeit sich in starke Burgen zu verwandeln genötigt
fanden. Die älteste Form ist nicht wie in Deutschland die des Turm-
paares, sondern die des Einzelturmes. Er hat den Verteidigern, wenn
die Aussenwerke genommen sind, als letzter Stützpunkt zu dienen,
den Eingang zur Kirche zu decken; er vereinigt in sich, was die
Türme über den Stadtthoren und die Donjons der Feudalburgen sind.
Das Erdgeschoss dient als Vorhalle für die Kirche, das zweite birgt
den Schatz und das Archiv, das dritte enthält die fortifikatorischcn
Vorkehrungen. In späterer Zeit tritt wohl der kriegerische Zweck in
die zweite Linie zurück, aber der einmal geschaffene Typus bleibt
bestehen ; er gefällt als trotziges Wahrzeichen der mit den weltlichen
Baronen wetteifernden klösterlichen Macht. Durch gewaltige Massivität
und kühne Höhe übertreffen diese Türme weitaus die ihrer Stellung
nach analogen der deutsch-romanischen Baukunst ; höchstens der eine
von S. Patroklus in Soest kann sich mit ihnen vergleichen. Beispiele
sind ziemlich zahlreich erhalten , aber leider durchweg an sonst ver-
stümmelten oder veränderten Kirchen, so dass wir das, worauf e>
uns hier am meisten ankommt, das Verhältnis des Turmes zur Ge-
samtgruppe, nirgends mehr aus der Anschauung beurteilen können,
ein recht harmonisches wird es kaum gewesen sein.
Beispiele: aus saec. 9. S. Germain des Pres in Paris, Erdgeschoss:
S. Martin in Tours, der tour Charlemagne genannte Turm am Nord
giebel des Transepts, dem ein gleicher am südlichen entsprach; ath
saec. 11 die Kirchen von Poissy und Creteil bei Paris, Ste. Rade-
gonde in und S. Savin bei Poitiers; diese alle mit geschlossene
Seitenwänden. Mit dreiseitig offener Halle: S. Porchaire in Poitiekv
Lesterps a. d. Charente (Taf. 360), Ebreuil im Bourbonnais, Saint
Aignan in der Touraine ').
') Ausserdem kommen vollständige Festungskirchen vor, bei denen Brust-
wehren und Machicoulis ringsumgefnhrt sind: Saintes-Maries an der Rhoncmündoi«;
Taf. 25S), S. Victor in Marseille, Abteikirchen von Simorre und Mois^ac; io-
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
Das System der westlichen Doppeltürme erhielt seine typi-
sche Ausbildung in den Klöstern BURGUNDS, mit dem Mittelpunkte
Cluny. Das Hauptaugenmerk war hier auf Geräumigkeit der Vorhalle
gerichtet. Sie ganz mit einem Einzelturm zu überdecken, wäre indes
eine Monstrosität, den Turm aus der Mittelachse zu verschieben, ein
unerträglicher Verstoss gegen die Symmetrie gewesen; so kam man
auf die Zweizahl der Türme und gab ihnen den Platz an der Vorder-
seite der Vorhalle in der Längsachse der Seitenschiffe.
Es ist die spontane Erneuerung desselben Formgedankens, der
vor Jahrtausenden in den Pylonen der ägyptischen Tempel seinen
Ausdruck gefunden hatte. Auch in der altchristlichen Kirchenarchitektur
war er schon einmal hervorgetreten; aber nicht in der des Abendlandes,
sondern in jener merkwürdigen syrischen Bauschule, die durch den
vordringenden Islam ein frühes Ende fand (de Vogüe', Syrie centrale,
T. 124, 132, 135). An Einwirkung von dieser Seite her ist selbstver-
ständlich nicht zu denken; eher vielleicht — da der Verteidigungszweck
auch hier ursprünglich mit hereingespielt haben wird — an eine Re-
miniscenz an römische Stadtthore, wie sie in anderer Form z. B. an
der Eingangshalle von Lorsch nicht zu verkennen ist. Einen ersten
Ansatz zu der hier in Rede stehenden Entwicklung finden wir bereits
auf dem Bauriss von S. Gallen (Taf. 42); man denke sich den dort
mit Rücksicht auf die Westapsis halbrund gezeichneten Vorhof in die
regelmässige Rechteckgestalt zurückgeführt und denke ihn anstatt offen
gedeckt, so ist das Schema von Cluny vollendet. Die Zwischenstufen
der Entwicklung bis ins n. Jahrhundert fehlen. Dafür tritt ein litte-
rarisches Zeugnis in die Lücke ein, der Ordo Farfensis , eine zwischen
den Jahren 1039— 1048 für das italienische Kloster Farfa niederge-
schriebene Redaktion der Regel von Cluny , in die auch eine voll-
ständige Bauordnung (die älteste überhaupt vorhandene) eingefügt ist »).
Der uns angehende Satz lautet: >Duae turres sint in ipsius fronte
statutae et subter ispas atrium, übt laici stare debent, ut non impediant
proeessionem7). Dieser Vorschrift gehorchten die Cluniacenserklöster
Westen La Souterraine; im Norden Nachklänge an der Fassade von S. Denis
(Taf. 271). Einziges Beispiel im deutschen Baugebiet das befestigte Westwerk von
Münstermaifeld (Abb. bei Bock, Rheinland); das Obergeschoss der Vorhalle von
S. Patroklus in Soest enthielt die städtische Waffenkammer.
*) Wiederholt abgedruckt, u. a. bei Mabillon, Ann. O. S. B. IV, 206; ausfuhr-
lich besprochen von J. Schlosser, Die abendländische Klosteranlage im frühen Mittel-
alter, Wien 1889.
*) Nicht ein zweiler Kaum hinter dem Atrium, wie Schlosser meint, sondern ein
Synonymon für dieses ist die Galiläa, nach Messmer, C.-Comm. 1861, 104, so genannt
mit Beziehung auf Matth. 28, 16 autem discipuli abierunt in Galiläam — das letzte
Ereignis in der Passion«geschichte und dcmgemäss die letzte Station der Processionen.
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
aller Länder, wodurch sie eines der wirkungsreichsten Fermente in der
abendländischen Baubewegung wurde. Den Einfluss auf Deutschland
haben wir bereits dargelegt. Die Ausführung Hess mehrere Fassungen zu.
Die knappste ist die, die wir im Elsass kennen lernten; die vollste die,
welche die Vorhalle in eine förmliche Vorkirche und zwar mit zwei-
geschossigem Aufbau, verwandelt. Vom letzteren Fall das älteste er-
haltene Beispiel gibt S. Philibert in Tournus, aus der ersten Hälfte de*
u. Jahrhunderts (Taf. 118, 137); von den Türmen befindet sich der
S. Benoist-sur-Loire.
südliche noch in der ursprünglichen, wenig entwickelten Gestalt (Taf. 260,
Fig. 1); man bemerke auch die Machicoulis des Zwischenbaues. Ferner
noch aus dem 1 1. Jahrhundert Rom ainmoutier und (halbzerstört) Sou-
vigny, beide vier Traveen tief. Aus der ersten Hälfte des 12. Jahr-
hunderts S. Madeleine zu Vezelay (Taf. 149, 150); vom Ende desselben
Jahrhunderts La Charite sur Loire (Ruine, die Grenze des Vorder-
schiffs wahrscheinlich auf der Linie C — D des Grundrisses Taf. 120).
Endlich aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts Cluny (Textfigur S. 400
und Taf. 212); viel älter als diese Vorhalle war, nach der auf Taf. 262
reproduzierten Zeichnung zu urteilen, die Fassade mit den zwei Tür-
men ; selbst für die Bauepoche unter Hugo dem Grossen scheinen sie
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
589
im Massstab zu klein, in den Formen zu altertümlich, so dass sie ganz
wohl noch auf den Bau des Majolus zurückgehen könnten. — Die An-
ordnung eines offenen Vorhofes, zu dem Stufen hinabführen (Taf. 1 20),
erregt deshalb Aufmerksamkeit, weil auch sie an Cluniacenserkirchen
des Auslands (in Deutschland Limburg a. H. und Kastel in Franken)
nachgeahmt worden ist. — Eine zweite Fassung repräsentiert Paray-
le-Monial; der Umbau des 12. Jahrhunderts hat die Vorhalle der
älteren (viel schmäleren Kirche) stehen lassen , wenn auch vielleicht
um eine Travee verkürzt; sie ist im Erdgeschoss nach drei Seiten offen
(Taf. 120, 138) und hat zwei schlanke Türme über den vorderen Eck-
feldern (Taf. 260). Dieselbe Disposition des Erdgeschosses, noch in der
vollständigen Fassung mit drei mal drei Jochen, zeigt das in der zweiten
Hälfte des 11. Jahrhunderts erbaute Erdgeschoss des Westwerks von
S. Bknoist-sur-Loire, so dass wir auch hier Doppeltürme als ursprüng-
liche Absicht vermuten ; wahrscheinlich war dieselbe aber zur Zeit des
um einige Jahrzehnte jüngeren Obergeschosses schon aufgegeben; wie
nunmehr der obere Abschluss sich gestalten sollte, bleibt rätselhaft.
(Grundriss Taf. 120, Längenschnitt beistehend, Aussenansicht der unteren
Halle Taf. 284; vollständig publiziert bei Gailhabaud, L'architecture I;
sehr unwahrscheinlich die Restauration von Viollet-le-Duc III. 339.)
Eine neue Epoche in der burgundischen Architektur datiert von
der Einführung des westfranzösischen Systems der ausstrahlenden
Chorkapellen und des Zentralturms. Der Schule von Cluny (d. i. der
jüngeren in dem S. 390 definierten Sinne) gehört der Ruhm, den reichen
Schönheitsgehalt dieses Motivs zu letzter und herrlichster Entfaltung
gebracht zu haben. Indem es mit dem traditionellen System der west-
lichen Doppeltürme in Verbindung tritt, wird die Einseitigkeit, die
der einen wie der anderen Kompositionsart bis dahin angehaftet hatte,
überwunden und damit Ostbau und Westbau ins Gleichgewicht ge-
bracht ; aber nicht ein absolutes Gleichgewicht, wie bei den deutschen
vier- oder sechstürmigen , aus dem doppelchörigen Grundriss abge-
leiteten Anlagen (Speier, Worms, Bamberg u. s. w.), sondern ein
relatives, innerhalb dessen die Eingangs- und die Altarseite jede nach
ihrer Besonderheit charakteristisch unterschieden wird : die eine durch
ihre symbolischen Thorwächter, das hochragende westliche Turmpaar
weithin sich ankündigend, die andere vom breiteren und reicher aus-
gegliederten Unterbau dem zentralen Gipfel des Einen Vierungsturms
zustrebend. Unter den zahlreichen Kombinationen des romanischen
Gruppenbaus ist diese die vollkommenste zu nennen, weil sie die
bauliche und gottesdienstliche Idee der Basilika unter allen am treue-
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
sten wiedergibt. Sie blieb denn auch nicht auf Burgund beschränkt,
sondern wurde im Spätromanismus Nordfrankreichs wie Deutschlands
vielfältig nachgebildet.
Von den burgundischen Denkmälern ist leider kein einziges in
Vollständigkeit erhalten. Die Kirchen von La Charit*: und Soüvigsv
sind zur Hälfte Ruinen, die von Beauke ist in den Oberteilen gotisch
umgebaut, die von Paray nicht einheitlich zu Ende gebracht (die herr-
liche Ostansicht Taf. 263); in Autun blieben die Türme, in Langres
die ganze Fassade unausgeführt. Cluny endlich ist, wie man weiss,
in der Revolutionszeit abgebrochen ; nach den erhaltenen, unter sich
nicht genau übereinstimmenden Abbildungen geben wir auf Taf. 212
einen Restaurationsversuch in isometrischer Projektion, von dem Richtig-
keit im einzelnen natürlich nicht erwartet werden kann.
Wie der Chorgrundriss, so geht auch die sonst weit und breit
beispiellose Anordnung je eines grossen Turmes über den Enden des
ersten Querschiffs unseres Ei achtens auf S. Martin in Tours zurück;
dazu kommen noch zwei Treppentürme und, der Zweizahl der Quer-
schifTe entsprechend, zwei Vierungstürme, so dass im ganzen acht Türme
gezählt werden : — die höchste irgendwo erreichte Ziffer (von den für
die Kathedrale von Chartres beabsichtigten neun Türmen sind nur
zwei zur Ausführung gelangt). — Dass sogleich und in derselben Land-
schaft ein schroffer Rückschlag eintrat, indem der H. Bernhard für
die Kirchen seines Ordens, des cisterciensischen , die völlige Turm-
losigkeit proklamierte, sahen wir schon in einem früheren Kapitel.
Der baugeschichtliche Zusammenhang führt uns demnächst, mit
einem geographischen Sprung, in die NORMANDIE. Sie bringt in
ihrem entwickelten Stil den Turmbau zu energischerer Ausbildung,
als irgend eine andere frankogallische Landschaft, und gibt ihm in
der Gesamterscheinung ihrer Kirchen eine so wichtige Stelle, dass die
Meinung nahe zu liegen schien, sie möchte einer althergebrachten
Neigung damit folgen. In Wahrheit trifft das nur teilweise zu. Zahl-
reiche Ueberbleibsel aus dem 11. und selbst noch dem 10. Jahrhundert
geben allerdings der Normandie den Anspruch ein vorzüglich turm-
reiches Land schon in dieser Zeit zu heissen ; aber es sind nur Einzel-
turme, die sich an beliebiger Stelle an die Seitenmauer des Langhauses
anlehnen, oder auch ein bis zwei Meter von demselben entfernt
stehen. Der wichtige Schritt der organischen Einverleibung in das
Kirchengebäude wurde erst um die Mitte des Ii. Jahrhunderts ge-
than. Die von den damals begonnenen grossen Abteikirchen auf-
gestellte neue Formel, die von nun ab die typische wurde, ist diese:
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
591
zwei starke und hochstrebende, in ihrer Wirkung durch schlanke
Spitzdächer noch gesteigerte Frontaltürme und ein dritter gleichfalls
als viereckiger Hochturm durchgeführter über der Kreuzung. Wie
man sieht : eine mit dem burgundischen wesentlich übereinstimmende
Gruppierung. Und da es gewiss ist, dass die Denkmäler, an denen
sie zuerst auftaucht, ihr Planschema nach dem Muster von Cluny (der
älteren Kirche) ausgebildet haben (S. 272, 283), so kann auch über
die Entstehung des normannischen Türmesystems kein Zweifel sein.
Die Legende, nach der das für die abendländische Baukunst des hohen
Mittelalters so bedeutend gewordene Motiv der westlichen Doppel-
türme eine normannische Erfindung sein soll, ist hiermit erledigt;
immer bleibt wahr, dass es bei den Normannen eine wichtige Ent-
wicklungsstufe durchgemacht hat.
Beispiele: die Abteikirchen von Jumieges, Cerisy (die Westteile
zerstört), St. Etienne und Sainte Trinite" in Caen; ihnen folgend die
Kathedralen von Baveux und Roukn; der ungeheure Nordwestturm
der letzteren wäre, wenn bis zur Helmspitze vollendet, der höchste
Turm des romanischen Stiles in Europa geworden. — Die mittleren
kleineren Kirchen begnügen sich auch im 12. Jahrhundert mit einem
einzigen Turm ; doch ist derselbe jetzt regelmässig dem Gebäude ein-
gegliedert, selten als Fassadenturm, in der Regel — und zwar auch
bei querschifflosen Anlagen — in östlicher Stellung zwischen Lang-
haus und Chor. Eine Mittelstufe zwischen der Compositionsart der
grossen und der kleinen Kirchen zeigt S. Georges de Boscherville
(Taf. 212, Fig. 3).
In ENGLAND erfährt der normannische Typus gerade hinsicht-
lich des Aussenbaus manche Umgestaltungen. Die Zahl der im Kern-
bau noch romanischen Kirchen — es sind vornehmlich Kathedralkirchen,
während die Abteikirchen seit dem 16. Jahrhundert grossenteils der
Zerstörung anheim gefallen sind — ist beträchtlich , doch gibt keine
derselben ein reines Bild, da die gotische Epoche, wenn sie keine
Neubauten vornehmen konnte, sich wenigstens in umfassender
Ueberarbeitung gefiel. Zunächst fallen zwei von den festländischen
Gewohnheiten abweichende Eigentümlichkeiten ins Auge : die un-
gemeine Längenausdehnung (Taf. 81—83), un<^ die Lage nicht im
Mittelpunkt der Städte, sondern an deren Peripherie, auf einem weit-
läufigen, von Mauern und Türmen eingeschlossenen Domfrieden. Das
eine wie das andere ist eine Eolge der von den normannischen Er-
oberern bei den Kathedralkirchen eingeführten Klosterverfassung,
durch welche die Domgeistlichkeit auf eine ungewöhnlich hohe Kopf-
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592
Zweites Buch: Der romanische Stil.
zahl gebracht wurde. Den Einfluss dieser durch politische Absichten
bedingten Einrichtung auf den Grundplan haben wir S. 284 besprochen.
Die räumliche Anordnung war in der Regel die, dass die vordere
Hälfte der Kirche frei blieb, während zu beiden Seiten des lang-
gestreckten Chores die Klostergebäude, meist mit einem ansehnlichen
Kapitelhause und einer besonderen Priorswohnung, und der bischöf-
liche Palast ihre Stelle fanden; alles Baulichkeiten, die durch Grösse
und Pracht die weltlichen Herrensitze weit übertrafen. In der Ring-
mauer des Domfriedens mehrere von Türmen überstiegene Thore
(Beispiel St. Edmundsbury, Taf. 267). Was die unmittelbar zur Kirche
gehörenden Türme betrifft, so war die grosse Dehnung des Grund-
risses der Gruppenbildung wenig günstig. Um so mehr suchte man
ein kräftiges vertikales Mittelmotiv zu gewinnen. In der That ist der
Zentralturm — viereckig, in mehreren Stockwerken in die Höhe ge-
baut, mit plattem Dache und vielleicht schon in romanischer Zeit,
wie später allgemein in gotischer, mit Zinnen bekränzt, alles in allem
mehr einem ungeschlachten Festungsdonjon als einem Kirchturm nach
festländischer Vorstellung ähnlich — die eigentliche Charaktergestalt
der grossen englischen Kirchen Die Ecken der weit vorspringenden
Kreuzarme und ebenso diejenigen der Westfassade wurden dagegen
nur durch ganz kleine Türmchen bezeichnet (Taf. 268, 360). Von
den erst am Schlüsse der Epoche eintretenden Bestrebungen zur
Gewinnung eines stattlicher wirkenden Westbaus sprechen wir im
3. Abschnitt.
Die REGION DER LOIRE und die mit ihr baugeschichtlich
zusammenhängende KÖNIGSDOMÄNE haben so ausgeprägte Typen
der Turmkomposition wie die bisher betrachteten Landschaften nicht
hervorgebracht.
Die drei bedeutendsten Bauten des 1 1. Jahrhunderts waren die
Abteikirchen S. Martin in Tours, S. Benoist unweit Orleans, S. Remy
in Reims. Die letztere scheint der Türme ganz entbehrt zu haben
(wie die alte Kathedrale von Beauvais), es wäre denn, dass an der
Westfront ein Einzelturm stand (wie in S. Germain des Pres), für die
Kirche von Tours dagegen bezeugen eine unter dem Boden der im
12. Jahrhundert umgebauten Kirche gefundene Medaille und eine aus
derselben Zeit stammende schriftliche Aufzeichnung (Chevalier: Le
') Welchen Wert man auf die Zentialtürme legte, geht auch daraus hervor, dass
man um ihretwillen die Beeinträchtigung der inneren Raumwirkung nicht scheute, welche,
«chon an sich eng, durch den kolossalen Pfeilerunterbau noch weiter verengt wurde, wie
die Grundrisse Taf. 81. i und 82. 2 erraten lassen.
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
593
fouilles de Saint-Martin , p. 109 f.) übereinstimmend, dass schon der
Bau vom Anfang des 1 1 . Jahrhunderts die fünf Türme besass, die in
der späteren Gestalt wiederkehren (vgl. unsere Restaurationsskizze
Taf. 112). Das eigentümlichste ist die Anordnung der zwei über den
Enden des Querschiffs. Die seltenen Fälle der Wiederholung dieses
Motives sind unbedenklich als direkte Nachahmungen der berühmten
Wallfahrtskirche von Tours anzusprechen : so in Cluny, so in Angou-
lesme (in unserer Zeichnung Taf. 112 der nicht zur Ausführung ge-
langte Südturm ergänzt; fraglich allerdings, ob eine so bedeutende
Höhe für beide in der ersten Absicht lag). Die Türme von S. Benoist
waren, falls unsere oben S. 588 in Betreff der Westfront ausgesprochene
Vermutung das richtige trifft, ebenfalls in der Fünfzahl beabsichtigt.
Das östliche Paar schliesst sich enge an den Chor und bildet mit
seinem nach innen geöffneten Unterbau ein Quasi-Transept : eine
Zwischenform also zwischen dem Typus von S. Martin und dem nörd-
lich der Loire sehr verbreiteten, der den Zentralturm weglässt und die
Chortürme, indem sie über dem letzten Joch der Seitenschiffe ihren
Platz erhalten , näher zusammenrückt. Beispiele für das letztere :
S. Germain in Paris, Morien val, Vezelay (eingestürzt), S. Etienne
in Auxerre (eingestürzt), S. Etienne (Kathedrale) und Nötre-Dame in
Chalons. Kleinere Kirchen begnügten sich mit einem einzelnen Chor-
turm, in unsymmetrischer Stellung, meist an der Südseite: Ste. Gene-
vieve in Paris, Tracy-le-Vai., Nesle, Rhuis und viele andere. Die
früher beliebten Einzeltürme in westlicher Frontstellung werden mit
dem 1 2. Jahrhundert seltener, wohl weil sie die Ausbildung der Fassade
störten. — Wenden wir uns nach der Touraine zurück, so finden wir
leider viele der wichtigsten Bauten aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhun-
derts, wie die Abteikirchen von Preuillv, Fontgombault, Deols, in
Trümmern liegen; es wird angegeben, dass sie mehrere Türme besassen,
leider nicht genau, wie viel und in welcher Stellung. Merkwürdiger-
weise wurden auch noch in dieser vorgerückten Zeit und bei reichen
Abteien bloss isolierte Campanilen errichtet, die dann in Grösse und
Schönheit Ersatz für die mangelnde Vielzahl suchten : so bei S. Aubin
in Angers, in Marmoutier bei Tours, Beaulieu bei Loches, S. Trinke*
in Vendöme. Ein Unikum ist S. Ours in Loches , wie im inneren
System (S. 348), so auch in der Aussenansicht: zwei gleich hohe
Türme über der westlichen Vorhalle und über der Vierung, zwischen
ihnen die zwei achtseitigen Pyramiden, die dem Mittelschiff anstatt
der Gewölbe dienen, nach aussen aber nicht anders wie Türme wirken :
also vier Türme in einer Linie.
Der Kirchenbau der Königsdomäne kam in der Turmkompo-
sition zu einem festen Prinzip erst kurz vor der Mitte des 12. Jahr-
hunderts. Nach dem Vorgange der Normandie und Burgunds konnte
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594 Zweites Buch: Der romanische Stil.
es nur das der westlichen Zwillingstürme sein; ob auch, wie dort,
Zentraltürme hinzutraten, lässt sich infolge Umbaus der einschlägigen
Denkmäler nicht mehr erkennen. An deren Spitze stehen die Abtei-
kirchen von S. Denis (beg. 1140) und die Kathedrale von Chartres
(beg. 1 165); ein wohlerhaltenes Beispiel kleineren Massstabes gibt S. La*
d'Esserent (nur ein Turm ausgeführt); auch die Kathedralen von Sen>
(beg. 1140) und Senlis (beg. 1155) gehören nach der Entstehungszeit
ihres Bauplans hierher. Ebenso treten in der Champagne jetzt zuerst
doppeltürmige Fassaden auf: Nötre-Dame in Chaloxs, S. Remy in
Reims. Und folgerichtig wäre die ganze Reihe der frühgotischen Bauten
sogleich hier anzuschliessen, da sie in der Gruppierung des Aeusseren
nichts grundsätzlich neues bringen ; ja , es ist ein im inneren Aufbau
schon ganz gotisches Werk, die Kathedrale von Laon, worin der
romanische Turmgedanke erst seinen höchsten Triumph erleben soll:
— aus naheliegenden Gründen sparen wir jedoch die eingehende Be-
trachtung dieser Denkmäler für das dritte Buch.
ITALIEN.
Italien hat sich die Gedankenwelt des romanischen Stiles nur
langsam und immer unvollständig zu eigen gemacht. Der neue Stii
wurde hier mehr als eine neue Dekorationsweise, denn als organische
Umgestaltung des ganzen Gebäudes aufgefasst. Das Verhältnis zum
Turmbau — um gleich auf den bezeichnendsten Punkt zu kommen —
war nach der negativen Seite dasselbe wie in Südfrankreich und noch
in gesteigertem Masse. Denn wo wir eingegliederten Türmen begegnen,
da bedeuten sie eine fremdländische Einströmung, die nationale An-
lage aber bleibt durchaus der isolierte Campanile.
Beispiele in grösserer Zahl beizubringen, wäre wegen ihrer Menge
unthunlich und überflüssig, wir wollen nur an einige der wichtigsten
erinnern : von Kathedralen an die zu Salerno , Trani , Toscanella,
Pisa, Lucca , Modena, Parma, Piacexza, Cremoka; von Kloster- und
Pfarrkirchen an S. Mimiato bei Florenz, S. Frediano in Lucca, S. Am
brogio in Mailand (der zweite Turm jünger), S. Zeno bei Verona,
S. Marco in Venedig. In welcher Himmelsrichtung und in welcher
Entfernung von der Kirche der Turm zu stehen kommt, liegt im freien
Ermessen. Die Entfernung kann, wofür S. Marco in Venedig ein all-
bekanntes Beispiel ist, beträchtlich sein ; gewöhnlich aber hält sie sich
in der Grenze weniger Meter oder verschwindet ganz, indem Turm- und
Kirchenmauer sich berühren. Die Gruppe, die der Campanile mit den
zunächst liegenden Teilen der Kirche eingeht, ist oft recht anziehend
im frei malerischen Sinne; einen architektonischen Massstab kann man,
weil die Einheit der Idee fehlt, an sie nicht anlegen.
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Fünfzehntes Kapitel : Der Aussenbau.
595
Vierungskuppeln mit schwach überhöhtem achteckigem Tam-
bour kommen zuerst in Unteritalien und Sizilien in allgemeineren Ge-
brauch; sie sind hier aber nicht aus einem freiwilligen organischen
Triebe hervorgegangen, sondern aus der Verquickung der lateinischen
Basilika mit dem byzantinischen Kuppelbau, vgl. o. S. 233—36 und
Taf. 239. Der Dom von Pisa, obgleich er ein stark zentralistisches
Element aufnahm, war ursprünglich kuppellos gedacht; hinterher aber
erweckte die mächtige Bewegung der Kreuzarme gegen den Mittelpunkt
das Gefühl, dass hier etwas fehle, dass mit der auf den abstrakten
Punkt reduzierten Durchschneidung der Dachfirste nicht genug gethan
sei. Dies Gebrechen durch Hinzuftigung einer Kuppel zu heilen, war
ein sehr richtiger Gedanke, seine Ausführung ist aber, zum Teil not-
gedrungen, schwächlich geraten. Im Übrigen bleibt der Architektur
Toskanas das Kuppelmotiv fremd. In der Lombardei kommt es zu-
sammen mit dem Gewölbebau auf die Bahn, und wird ähnlich behandelt,
wie in der burgundischen und rheinischen Architektur. Die Kathedrale
von Moden a hatte in ihrer ersten, flachgedeckten Gestalt noch keine
Kuppel, dagegen S. Ambrogio in Mailand wahrscheinlich schon im
1 1 . Jahrhundert (die jetzige zweigeschossige ca. 1 200 erneuert).
Noch niedrig, aber in den Aufbau der Ostansicht trefflich hinein-
komponiert die Kuppel von Parma (Taf. 245). Die Reihe schliesst
mit den hohen, nach innen lichtbringenden Prachtstücken von Piacenza,
Vercelli, Carfi, Chiaravalle (Taf. 281).
Zwillingstürme an der Westfront sind nur in Sizilien heimisch
geworden. Sie vorzüglich sind das normannische Element in dieser
aus so vielen Ingredienzien zusammengemischten Architektur. Die
Grundrissdisposilion, über die Fluchtlinie der Seitenschiffe vortretend,
erinnert aber mehr an den englischen Tochter- als den festländischen
Mutterstil; zwischen den Türmen eine offene Vorhalle. Die Reihe
eröffnet, gegen 1132, der Dom von Cefalu (Taf. 239); es folgen 1 169
und 1174 die Dome von Palermo und Moxreale (Taf. 168); in Pa-
lermo die Ausführung erst 14. Jahrhundert. In Unteritalien stehen
Acerenza und Llcera schon unter französisch-frühgotischem Einfluss,
während in Sessa die Türme zu blossen Glockenträgern zusammen-
geschrumpft sind. Weiter haben mehrere der grossen Kirchen Apuliens
Doppeltürme , doch in sehr eigentümlicher Umbildung des Motivs.
Ihr Platz ist nämlich im Osten; aber nicht, wie im gleichen Falle in
der transalpinen Architektur, als unmittelbare Begleiter des Chors,
sondern von diesem so weit abgerückt, dass ihr Unterbau die unmittelbare
Fortsetzung der Stirnwand des Querschiffes bildet (Taf. 239.3); cl»e
der Kunst des Nordens so willkommene Gelegenheit zu lebhafterer
Gliederung von unten auf wird hier vielmehr als ein Uebel empfunden
und darum an der Ostseite noch eine geradlinige Abschlussmauer ge
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
zogen, die keinen anderen Zweck hat, als die Vorsprünge der Türme
und der Apsis zu maskieren (Grundriss o. S. 236). Auf diese Weise
erhält die Chorseite ein Ansehen, wie es sonst der Eingangsseite ge-
geben wird (Taf. 238. 3).
Oberitalien verhielt sich, trotz des in manchen anderen Dingen
wahrzunehmenden künstlerischen Gedankenaustausches mit Burgund
und den Rheinlanden, gegen die westlichen Doppeltürme überwiegend
ablehnend. Die Fassade von S. Lorenzo in Verona mit ihren runden
Treppentürmen erinnert an sächsische Bauten der Ottonenzeit (die An-
nahme eines zwischen den Türmen und der Kirche gelegenen früher
offenen Atriums ist irrig). Bei S. Jacopo in Como (Taf. 66, 10) zeigt
der Westbau ebenso wie der Chor reinsten Cluniacensertypus. Bei
den Osttürmen von S. Abondio ebenda kann man zwischen bur-
gundischer und süddeutscher Herkunft schwanken. An der breiten
Fassade des Domes von Novara nehmen die Ecktürme nur eine unter-
geordnete Stellung ein.
2. Behandlung der Wandflächen.
Die ideelle Einheit des baulichen Kunstwerks kommt um so kräf-
tiger zum Bewusstsein, je reicher die von ihr zusammengefasste Vielheit
ist. So bedarf es nach der körperlichen Gliederung des Bauganzen noch
der spezialisierenden Gliederung der dasselbe umschliessenden Flächen;
es müssen darin die in den geometrischen und struktiven Verhält-
nissen des Kernbaus gleichsam noch schlummernden Formgedanken
zu grösserer Fülle und Anschaulichkeit sich entfalten, in einem freien
Spiele von Kunstsymbolen sich ausleben. Zwei Richtungen können
dabei eingeschlagen werden: entweder werden die umschliessenden
Wände als solche oder es wird der struktive Organismus den Einzel-
motiven zu Grunde gelegt. Im ersteren Fall entsteht eine flächenhaft-
malerische, im zweiten eine plastisch -architektonische Dekoration.
Fast immer wird beides miteinander verbunden sein , doch so , dass
alternativ das eine oder das andere das Uebergewicht hat. — Wir
betrachten zuerst die Flächendekoration.
Das ursprünglichste, einfachste, keinem Gebäude je fehlende
Mittel der Aussendekoration ist das Material und der Mauerver-
verband. Wie wichtige Voraussetzungen beide für die Struktur und
durch diese für die Gesamtkomposition sind, bleibt hier ausser Er-
örterung; beide wirken aber auch unmittelbar durch die Erscheinung
ihrer Oberfläche : das Material durch Textur und Farbe, der Verband
durch das die ganze Fläche überspinnende Liniennetz der Fugen.
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Fünfzehntes Kapitel : Der Aussenbau.
597
Die grössere oder geringere Mächtigkeit der Mauersteine, das Mehr
oder Minder von Genauigkeit in ihrem Behau und ihrer Lagerung; die
rauhe Bruchfläche z. B. der Tuffe und Konglomerate, die feinkörnige
der Sand- und Kalksteine, der glatte Schliff des Marmors; weiter der
Backstein mit seinem kräftigen Rot, die mild-warmen Farben des
Sandsteins, die kühlen graulichen und weissen des Kalksteins, die
düsteren der Schieferarten, der blendende, durch das Alter oft goldig
abgetönte Schimmer des Marmors — das sind ebensoviel Charakter-
unterschiede der Gesamterscheinung, oft nicht weniger ins Gewicht
fallend, als die Unterschiede der Formen ; und wenn ihre Mitwirkung
anfangs nur eine absichtslose war, so wurden sie auf den höheren Stufen
der Kunst sorgfältig in die allgemeine Ueberlegung einbezogen. Aber
freilich war in diesen Dingen Wunsch und Wille der Menschen nichts
weniger als unbeschränkt; die unvollkommenen Verkehrsmittel des
Mittelalters, in dessen früheren Zeiten auch die Unerfahrenheit hin-
sichtlich des technischen Wertes der verschiedenen Steinarten, be-
wirkten, dass man bei deren Auswahl mehr auf die Leichtigkeit der
Gewinnung und Herbeischaffung als auf die Güte sah; nur wo die
bequeme Wasserstrasse es gestattete, wurden auch aus grösserer Ent-
fernung Steine angeführt. Ungleich mehr also, als heute, ist das
Bauwerk von dem Boden, auf dem es — wie man in diesem Sinne
wohl sagen darf — gewachsen ist, abhängig. Der Ausbildung fester
Ueberlieferungen nach landschaftlich geschlossenen Stilgruppen war
das offenbar förderlich, aber es bewirkte freilich auch grosse Ungleich-
heiten in der Bauthätigkeit. Beim Backstein hiergegen Hilfe zu suchen,
ist innerhalb der romanischen Epoche nur in wenigen der durch die
Ungunst der Natur darauf hingewiesenen Landschaften ernstlich unter-
nommen. Im ganzen genommen ist der romanische Stil ebenso ent-
schieden Hausteinstil, wie der altchristliche Backsteinstil gewesen war ;
auf kräftig plastischen Ausdruck gerichtet der eine, flächenhaft deko-
rierend der andere.
Die Backsteintechnik, von den Römern in ihren gallischen und
germanischen Provinzen allenthalben, auch in den mit gutem Haustein
von der Natur gesegneten Gegenden, eingeführt, war dort im frühen
Mittelalter grossenteils in Vergessenheit geraten. Nur in Italien erhielt
sie sich ununterbrochen in Uebung. Doch ist auch hier im hohen
Mittelalter gegen das frühe die Veränderung zu bemerken, dass man
häufig den Backsteinkern, sei es an allen sichtbaren Wandflächen, sei
es auch nur an der Fassade, mit Haustein verblendete oder wenigstens
derart mit Haustein mischte, dass aus letzterem die Pfeiler, die Ecken,
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
die Fenster- und Thürgewände ausgeführt wurden. Einen ungemischten
und ganz konsequenten Backsteinbau sah die norddeutsche Tiefebene,
indes erst am Ausgang der romanischen Epoche, entstehen. — Weist
der Backstein auf direkten oder indirekten Zusammenhang mit alt-
römischer Kultur, so ist der Marmor natürliches Vorrecht des Südens.
Massiv in Marmor wurde allerdings im Mittelalter so wenig als in der
Römerzeit gebaut ; das edle Material blieb den selbständigen Gliedern
und der Verkleidung der Flächen vorbehalten. Den umfassendsten
Gebrauch von ihm machte das nördliche Toskana, wo auch die Erinnerung
an die antike Formenwelt sich am lebendigsten zeigte; demnächst die
westliche Lombardei mit der Spezialität des roten Tridentiner Marmors;
für einzelne ausgezeichnete Bauglieder wusste man aber auch an den
meisten anderen Orten Italiens dieses würdigste Material sich immer
zu beschaffen , und wäre es auch durch fortgesetzte Beraubung der
Ruinen des Altertums.
In Deutschland beginnt die stilistische Zweiteilung nach Backstein-
bau und Hausteinbau, wie wir S. 502 gesehen haben, nicht früher als in
der Stauferzeit, so dass sie zu voller Wirkung erst in der Gotik kommt.
Für die Baukunst des früheren Mittelalters war es ein Glück, das«
Deutschlands nationale Grenzen mit denen des Mittelgebirges und der
Ausläufer desselben annähernd zusammenfielen ; wo sie darüber hinaus
und ins alluviale Flachland eintraten, half die Flussschi ffahrt einiger-
massen nach, so dass Städte wie Köln uud Magdeburg ihre Baulust
nicht einzuschränken brauchten; weiter stromabwärts aber, in Holland,
Friesland und dem nördlichen Niedersachsen wurde der Materialmangel
schon empfindlich, weshalb selbst Bischofssitze von dem Range Ham-
burgs und Bremens in der Baukunst weit zurückblieben. Den Vorzug
gab man immer den weichen und halbweichen Gesteinen. Der Harz
und Thüringen boten in ihrem Sandstein ein dankbares Material für
sorgfältige und zierliche Detailausführung; die weicheren Steinarten des
Mittelrheins, Tuff, Trass, Trachit, Grauwacke, Schiefer, führten zu
derberer und deshalb mehr den Effekt im grossen aufsuchender Be-
handlung. Der Oberrhein hat schönen roten, Franken gelben Sand-
stein. Eine geringere Rolle spielen die hie und da zerstreuten Kalk-
arten. Granit wird ungern angewendet, nur wo man es muss, in der
Nähe des Fichtelgebirges und Böhmerwaldes, sowie in den Findlings-
blöcken der norddeutschen Tiefebene.
Das bei weitem bevorzugteste Land ist Frankreich. Leicht zu-
gängliche Lager von Kalken in ausgezeichneter Beschaffenheit, von
der weichen, erst an der Luft erhärtenden Kreide (z. B. bei Paris) bis
zu sehr festen Arten, überziehen den französischen Boden fast in allen
Richtungen. Nur im zentralen Berglande herrschen Tuffe, Laven und
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Fünfzehntes Kapitel : Der Aussenbau.
599
Granit ; letzterer auch in der Bretagne und der westlichen Normandie ;
und die Geschicklichkeit der Steinmetzen wusste selbst dieses sprödeste
Material tüchtig zu bemeistern (Beispiele : Solignac bei Limoges, Mont
Sain-Michel). Die einzige Landschaft, die zum Backstein zu greifen
genötigt war, ist die Ebene des Languedoc (Hauptbeispiel: S. Sernin
in Toulouse).
Vom Altertum her stehen sich zwei Prinzipien der Steinkon-
struktion gegenüber: das durchgehende Vollmauerwerk und das ge-
füllte Hohlmauerwerk. Das eine aus gleichartigen Werkstücken, in
Schichten, die durch die ganze Dicke der Mauer durchlaufen; das
andere mit einem Kern von weicherem und zwei Schalen oder Krusten
aus härterem Stoff. Bei ersterem hat Material und Fugenschnitt als
Dekorationsmittel nur sekundäre Bedeutung; bei diesem darf die
Kruste, weil sie bei der konstruktiven Aufgabe der Mauer nicht oder
nur in geringstem Masse mitzuwirken hat, in freiester Weise dem
ästhetischen Schein dienen. Das Bekleidungsprinzip hatte sich in
primitiver Form in den mit gebrannten Ziegeln oder Alabaster in*
krustierten Lehmwänden der Chaldäer und Assyrer gezeigt; es lebte
höchst vergeistigt bei den Griechen fort; es wurde von den Römern
mit grossartigem technischem Verstände, der Solidität mit Sparsamkeit
zu verschwistern wusste, in ihren gewölbten Massenbauten ausgenutzt,
bis endlich die alternde, von orientalischen Kulturelementen durch-
setzte Spätantike wieder auf die Stufe des asiatischen »Bekleidungs-
materialismus« zurücksank. So beruhte denn auch die Technik des
frühen Mittelalters ganz und gar auf der Füllmauerkonstruktion und
nur langsam und nie bis zur Ebenbürtigkeit mit den Arbeiten der
griechisch-römischen Glanzzeit erhob sich daneben das Vollmauerwerk.
Wir sprechen zunächst vom ersteren.
Nach dem geschilderten Prinzipe wurde in der christlich-antiken
Epoche wie im frühen Mittelalter selbst der bescheidene Backsteinbau
behandelt, d. h. das Mauermassiv wurde als Gusswerk und nur die
Aussenrlächen wurden aus gebrannten regelmässigen Formsteinen her-
gestellt. Da diese dünne Hülle ') wie bemerkt, an der konstruktiven
Leistung so gut wie keinen Anteil, sondern nur zum Schutz des Kernes
gegen Witterungseinflüsse zu dienen hat, kam man darauf, die wagrechte
Schichtung zu verlassen und, einem rein dekorativen Triebe folgend,
diagonale Fugensysteme einzurichten. Die schon in guter römischer
Zeit bekannt gewesenen Arten des Netzverbandes {opus reticulatutn)
') Die Römer nannten sie treffend Corium, was sowohl die Kinde der Bäume als
die Haut der Tiere bedeutet ; vgl. Quicherat, Melanges d archeologie, p. 366.
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
und des Fischgräten- oder Aehrenverbandes {opus spicatum) werden
jetzt immer beliebter; dazu kommen an gewissen Stellen noch andere
ganz spielende Lineamente, und um diese schärfer hervorzuheben,
werden kleine Stücke natürlichen Steines in wechselnden Farben bei
gemischt (ein bekanntes Beispiel der sogenannte Clarenturra in Köln
Abb. u. a. bei Essenwein im Handbuch der Architektur II. 3, 124; In-
krustation in regelmässigerer Musterung und verbunden mit feinen
plastischen Gliedern am Saint-Jean in Poitiers, Taf. 246). Nicht nur
in den transalpinen Ländern, auch in Italien war diese kindliche
Dekorationsweise gang und gäbe. Wir geben als Beispiel ein Stück
von der Ostmauer des Baptisteriums beim Kloster Sto. Stefano in
Bologna (Taf. 320); es dürfte dem 8. Jahrhundert angehören; aber
der mindestens zwei Jahrhunderte jüngere Kreuzgang daneben ist noch
ähnlich behandelt. Massvoller zeigt die Westfront von S. Ambrogio in
Mailand (etwa Mitte des 11. Jahrhunderts) einen Wechsel von je drei
Schichten in wagrechter Fugung und einer in Fischgrätenwerk. — In
Gallien, das mit gewachsenem Stein reichlich versehen war, drängte
dieser den Backstein mehr und mehr zurück, aber gleichwohl haftete
die backsteinmässige Behandlung des Mauerwerks fort und fort in der
Gewohnheit. Ausserdem ist zu berücksichtigen, dass in diesen bar-
barischen Zeiten weder die Strassen danach waren, grössere Steinblöcke
zu transportieren, noch die Gerüste und Maschinen, sie zu heben.
So hat in der Merovinger- und Karolingerzeit ein aus sehr kleinen
Stücken zusammengesetzter Verband durchaus die Oberhand (das petit
appareil der archäologischen Terminologie, wahrscheinlich identisch
mit dem opus constructum lapillis und opus gallicum der Quellen). Den
Kern des Mauerwerks bildet eine rohe Anhäufung von formlosen Bruch-
steinen, in reichlichen Mörtelguss eingebettet und nur mit einer dünnen
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
60 1
Schale von Werkstücken in regelmässigem Verbände verkleidet. Diese
letzteren sind (gerade wie die Verkleidungsziegel der Chaldäer)
keilförmig zugehauen, um desto besser mit der Gussmasse sich zu
verbinden; ihre Schauseite ist quadratisch mit einer Seitenfläche von
nur 8— 10 c; mit normal-geschichteten Abschnitten wechseln retikulate;
sodann werden nicht selten in unregelmässigen, meist recht grossen
Abständen schmale, 1 bis 3 Schichten fassende Bänder von Backsteinen ')
eingezogen; vgl. vorstehende Figur. Eine Abart des älteren (quadrati-
schen) Kleinverbandes ist der in der Karolingerzeit um sich greifende
verlängerte«. Immer sind die Fugen sehr breit, bei dunklem Material
mit weissem, bei hellem mit gefärbtem Mörtel ausgestrichen. Dazu
kommen für den Unterbau, die Mauerecken, die Thür- und Fenster-
rahmen Werkstücke von bedeutend grösserem Format. Dies alles zu-
sammengenommen ist nicht ohne einen gewissen malerischen Reiz von
freilich sehr urtümlich-barbarischer Färbung (Beispiele aus dem 10. Jahr-
hundert auf Taf. 246, Fig. 1, 4, 5; ferner in de Caumonts Aböc^daire
[5. A.] p. 108, 1 10, 1 12).
Am längsten, weit über das Jahr 1000 hinaus, erhielt sich der
Gebrauch der kleinen Materialien in den Westprovinzen; in der Nor-
mandie z. B. liebte man es, die ganzen Wände selbst grosser Kirchen,
wie z. B. der von Ctfrisy, in Fischgräten auszuführen ; bunterer Wechsel
war in Aquitanien zu Hause, wie Taf. 320, Fig. 2 zeigt; ja, so sehr
war diese ornamentale Verwertung der Fugen den Bauleuten des Westens
in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie dieselbe selbst nach dem
Uebergange zu grösseren Materialien noch festzuhalten sich bestrebten,
indem sie auf die Flächen der Quadersteine Scheinfugen einritzten
und mit rotem Kitt ausfüllten. Derartiges falsches Retikulat, z. B. in
S. Ge'ne'roux (Taf. 295) aus A. 11. Jahrhundert, aber auch noch am
Westgiebel und in den Bogenzwickeln der Seiten wände von Notre-Dame
zu Poitiers (Taf. 249, 277), am Turm von Cunault, an der Fassade
der Kathedrale von Lemans und vielen anderen Kirchen des ti. Jahr-
hunderts. Frei erfundene Fugenmuster, meist an Thürbogenfeldern
und am Giebel verwendet, in der Normandie (Taf. 320, Fig. 5, 6, 7).
Noch später, als die normannische Baukunst, besonders in England,
zu sehr reicher plastischer Gliederung der Fensterbögen und Blend-
arkaturen fortschritt, wurde auch das Flächenornament zum Relief
gesteigert; im Inneren Flecht- und Teppichmuster (Hauptbeispiel
Kathedrale von Bayeux Taf. 347), im Aeusseren Schuppen-, Zacken-,
Rauten- und Schachbrettmuster, wobei die vertieften Felder, um das
Licht voller aufzufangen, in schräger Ebene einspringen. Uebersetzung
l) Die Backsteine sind ungleich denen des späteren Mittelalters sehr flach, höch-
stens 5 c stark, dabei bis 40 und selbst 50 c lang, manchmal dreieckig.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
des Retikulats in vertieftes Kassettenwerk am Giebel von St. Etienne
in Beauvais (Viollet-le-Duc VII, 134).
Ein zweites Moment tritt ein mit der Zusammenstellung von
Materialien in verschiedener Farbe. Entweder wird nach lagerechten
Schichten gewechselt, wobei der Schein des Vollmauerwerks gewahrt
bleibt; oder es wird davon abgesehen und beliebig zugeschnittene
Tafeln werden zu teppichartigen Mustern kombiniert, was man im
engeren Sinne Inkrustation nennt.
Ein Hauptbeispiel aus der Uebergangszeit von der christlich-antiken
Epoche (nach R. Adamy zwischen 766 — 774) ist die Eingangshalle
des Klosters Lorsch , deren Wandflächen durchaus mit Schachbrett-
mustern aus rotem und weissem Sandstein überzogen sind (Taf. 213);
wahrscheinlich war die ganze Kirche, da sie in den Quellen ecclesia
varia genannt wird, in zwei Farben gehalten ; ähnlich zufolge der Ab-
bildung in einer Bilderhandschrift der alte Dom von Köln (Textfigur
S. 567), so dass wir in der karolingischen Zeit den polylithen Verband
als etwas gewöhnliches anzusehen haben. Die ottonische Epoche hält
hierin wie in anderen Dingen die karolingische Tradition aufrecht, so
S. Michael in Hildesheim (Taf. 43, 54, 64), S. Pantaleon in Köln
(Taf. 60). Späterhin geht in Deutschland die Polylithie auf ein be-
scheidenes Mass zurück, indem sie sich auf die Markierung der struktiv
bedeutsamen Teile, wie Fenster- und Thürbogen und Mauerecken, be-
schränkt, wofür die Beispiele bis ins 12. Jahrhundert häufig. Im rhei-
nischen Spätromanismus eingelegte Schieferplatten als Friese (Taf. 316}.
— Frankreich besitzt aus karolingischer Zeit bekanntlich nur wenige
Bauüberreste ; wir erwähnen hier das Kirchlein von Germigny-des
Pres wegen seiner Stuckinkrustation, S. Pierre in Vienne (Taf. 31),
S. Samson-sur Risle als Beispiele für Dekoration mit Terrakottaplatten.
Im 11. und 12. Jahrhundert herrscht eine ausgiebige Polylithie in der
Auvergne und im Velay; die Farben sind weiss, schwarz, dunkelgelb:
ein aus Kreisen und Sternen zusammengesetztes Band schmückt regel-
mässig an Stelle des Frieses die Apsis (Taf. 253, 254), Teppichmuster
andere Stellen, namentlich die Giebel (Taf. 320, Fig. 8); Schichten-
wechsel mit Teppichmustern kombiniert an der Kathedrale von Le Puy,
wo nicht nur die Fassade (Taf. 262), sondern auch die Seitenwände
in dieser Weise ausgestattet sind.
Das gelobte Land der Inkrustation ist aber Italien. Das Vorbild
der Antike, an welches technisch und formell unmittelbar angeknüpft
werden konnte, und die unerschöpften Marmorfundgruben luden gleich
sehr dazu ein. In Toskana meldet sich die Inkrustation gleichzeitig
mit der >Protorenaissance« gegen Ende des 11. Jahrhunderts. Die
Hauptmotive sind: wagrechtes Schichtwerk und umrahmendes Tafel-
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Fünfzehntes Kapitel : Der Aussenbau.
603
werk; jenes in der Schule von Pisa und Lucca, dieses in der floren-
tinischen herrschend. Sollte die mit dem Dombau von Pisa auf-
kommende lebensvolle und doch knappe Gliederung der Wandflächen
durch Pilaster, Halbsäulen und Blendbogen für das Auge an Wirkung nicht
verlieren, so galt es, mit dem Reizmittel der Farben Vielheit massvoll
umzugehen ; dass die Toskaner die richtige Grenze zu finden und ein-
zuhalten wussten (allerdings mit Ausnahmen 1 s. S. Giovanni fuorcivitas
in Pistoja) gereicht ihnen sehr zur Ehre. Eine wie zarte Gegenwirkung
liegt z. B. am Dom von Pisa in den feinen roten Horizontalstreifen,
die in gemessenen Abständen die aufsteigenden Linien der Pilaster
durchschneiden, ein Vorklang gleichsam auf das Dachgesims. Ein
Lieblingsmotiv der Schule, die übereck gestellten einspringenden Vier-
ecke unter den Blendbögen, mit bunter Füllung und mosaizierten
Rändern; ausserdem hin und wieder Mosaikschmuck an Archivolten
und Zwickeln (Taf. 286); in S. Michele in Lucca weisse Tierfiguren
auf schwarzem Grunde in Niellotechnik , wie sie sonst vornehmlich in
der Innendekoration , an Chorschranken u. s. w. Verwendung fand
(Taf. 321). Bei einfacherer architektonischer Gliederung, wie z. B.
am Chor von S. Frediano in Lucca und vielen kleineren Fassaden,
wird der Schichtenwechsel kräftiger betont. Das Motiv erstreckt
sich landeinwärts nach Pistoja und Prato, an der Küste nordwärts
bis Genua, südwärts bis in die Mareramen (Kathedrale von Massa
marittima). Die florentinische Inkrustation ist ihrem Wesen nach
steinernes Zimmerwerk; die Abbildungen auf Taf. 237 u. 321 überheben
uns eingehender Beschreibung. Will man die Wirkung sich richtig
vergegenwärtigen, so denke man immer an die Macht der südlichen
Sonne, welche die Farbenkontraste aufsaugt, die plastische Gliederung
auch wenn sie zart ist, hinreichend effektvoll macht. An der berühmten
Fassade von S. Miniato sind gerade die Inkrustationsmotive zum Teil
von Unbeholfenheit nicht frei; in meisterhafter Reife diejenigen am
Baptisterium. — Auch die Protorenaissance in Rom fasste, im Gegen-
satz zu den kahlen Backsteinmauern des frühen Mittelalters, neben den
reineren Zierformen und beinahe noch mehr als diese, das edle Material
als ein Hauptmerkmal der Kunst des Altertums auf, dem sie nach-
zueifern sich bemühte. Die Inkrustation wurde das unentbehrlichste
Kunstmittel der in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts und im 13.
blühenden Cosmatenschule; dadurch aber, dass sie nicht wie in Toskana
mit, sondern neben der Grossarchitektur sich entwickelte, vornehmlich
an dekorativen Ausstattungsstücken, als : Fussböden, Thürrahmen, Can-
cellen, Ambonen, Sängerbühnen und Bischofsthronen — behielt sie auch
dort, wo sie an eigentlich architektonischen Aufgaben, wie Atrien und
Kreuzgängen, sich zu erproben hatte, den kleinmusivischen Charakter bei.
Auf dem Grunde des weissesten Marmors farbige Ornamente in textilem
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
Charakter, aus Splittern gelben, grünen und roten Marmors, zu denen
später Glaspasten in Gold, Blau und Rot hinzutraten, zusammengesetzt;
selbst die Schafte der Zwergsäulen mit bunten musivischen Bändern
umwunden; das Ganze bei allem Gepräge jugendlich-zart und träumend-
spielerisch (Beispiele Taf. 283). — Der dritte Hauptsitz der Inkrustation,
von allen der luxuriöseste, war Palermo. Selbst die grossen Kathedralen
sollten hier über und über in Steinmosaik eingehüllt werden. Gegen-
wärtig ist das besterhaltene Stück die Chorseite des Domes von Monreale.
Der Stil ist. wie es in Sizilien nicht anders sein konnte, sehr gemischt ;
zum Teil sind struktive Motive, namentlich die sich durchschneidenden
Bogen der Normannen, ins Flache übersetzt. Die Chroniken und eine
päpstliche Bulle (von 1182) rühmen, dass ähnliches »a diebus antiquis«
von keinem Könige der Welt gemacht sei. »Und auch unsere Zeit-
genossen werden von dieser zugleich ernsten und doch wieder märchen-
haft phantastischen Pracht mächtig ergriffen. c — In Campanien und
Apulien spielt die Inkrustation eine geringere Rolle; wo sie beliebt
wird, folgt sie abwechselnd dem sizilianischen, römischen oder pisanischen
Stile. In Venedig ist der fortan so charakteristische Marmorprunk
ein Gewinn der Kreuzzüge. Die Markuskirche des saec. 1 1 zeigte
Backsteinwände von strenger, massiger Haltung; reicher, mit einigen
Byzantinismen, der Chor des Domes in Murano, aus saec. 12 (Taf. 2401.
Wenden wir uns nun zum Vollmauerwerk, so ist im vor-
liegenden Zusammenhange darüber wenig zu sagen. Es tritt zuerst
als rohes Bruchsteinwerk auf und vervollkommnet sich, langsam ge-
nug, in der Weise, dass die an der Schauseite liegende Reihe der
Steine sorgfältiger und in annähernd gleichem Format zurechtgehauen
wird. Das Beispiel einer für ihre Zeit (Ende des 10. Jahrhunderts)
besonders guten Technik dieser Art gibt Taf. 320, Fig. 3. Werden
die Werkstücke allmählich grösser, so tritt thatsächlich wieder eine
Scheidung von Schale und Kern und somit prinzipielle Annäherung
an das Füllmauerwerk ein 1). Dieser sogenannte * mittlere < Verband
ist vornehmlich in Frankreich ausgebildet, nach Deutschland kam er
durch die Cluniacenser und Cistercienser. Eine interessante Ueber-
gangsstufe von der frühmittelalterlichen Art zeigen die aus dem An-
fang des 11. Jahrhunderts stammenden Teile von S. Martin in Tours
(Taf. 320, Fig. 1): die Werkstücke haben erst geringe Längenausdeh-
nung, der Mörtel quillt zwischen den Fugen vor und ist zu breiten,
') Dies gilt nicht bloss von den Mauern , sondern selbst von den Pfeilern , so
r. B. S. Ambrogio in Mailand, Text-Fig. S. 442, und mit noch dünnerer Schale die
Zentraiturmpfeiler der Kathedrale von Peterborough , deren Abbildung auf der nächsten
Seite wir der Güte de^. Lordbischofs verdanken.
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau. 605
erhabenen Stegen zurechtgestrichen. An der Fassade von Hirsau
(Taf. 230, Fig. 2) sind die dem n. Jahrhundert entstammenden Teile
im Mittelverband, die im 13. Jahrhundert vermauerten im Grossverband.
Wirklich schöne und bewusste Quadertechnik kommt nur unter un-
mittelbarem Einfluss römischer Muster vor : Provence, Burgund, Tos-
kana. Doch wird sie nie eigentlich ornamental (Bossenquader nur an
Befestigungsbauten), wie im Altertum und in der Renaissance, aus-
Zcntralturmpfeiler der Kathedrale von Pcterborough.
gebildet. Je mehr im Spätromanismus und vollends in der Gotik die
plastisch-tektonische Gliederung die Hauptsache wurde, um so mehr
musste die Aufmerksamkeit vom einzelnen Werkstück abgelenkt wer-
den ; weshalb die neuerdings bei Restaurationen aufgekommene Sitte,
durch derbe weisse oder schwarze Fugenstriche die Mauertechnik als
solche grell hervorzuheben, eine sinnwidrige genannt werden muss. —
Von der zweiten Gruppe der Dekorationsmittel , der struktiv-
technischen, kann hier nur das allgemeinste gesagt werden. Sie be-
stehen teils in Durchbrechungen der Mauermasse: durch Thüren,
Fenster, Nischen, Galerien; teils in Verstärkungen der Mauer: durch
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
Pfeiler, Halbsäulen, Pilaster, Lisenen nebst den zu ihnen gehörigen
Bögen und Gesimsen, welche Verstärkungen entweder real wirkende
oder bloss symbolische oder beides zusammen sein können. Thören
und Fenster werden im romanischen Stil nach Zahl und Grösse allein
durch das Bedürfnis des Innenbaus bestimmt ; erscheinen sie für das
Aeussere zu klein und unwirksam, so erweitert man sie durch Ab-
schrägung der Mauern und umgibt sie mit einer Rahmenarchitektur;
Die Verstärkungen werden in der Frühzeit noch sehr sparsam ge-
geben; mit dem Aufkommen des Gewölbebaus treten sie, materiell
wie symbolisch, bedeutsamer hervor und erreichen ihre ganz kon-
sequente, obschon einseitige, Ausbildung erst in der Gotik.
3. Komposition der Schauseiten.
Vorbemerkung. Es fangt neuerdings an, Sitte zu werden, die
Begriffe Schauseite und Fassade einander gleichzusetzen und im
Gebrauche thunlichst das letztere Wort durch das erstere zu verdrängen,
was uns etymologisch unstatthaft und unseren ohnedies nicht reichen
Vorrat von gangbaren lerminis technicis ohne Not verkürzend zu sein
scheint. Eine Fassade (vom ital. faccia, Antlitz) hat ein Gebäude nur
bei ausgeprägtem Gegensatz eines Vorn und Hinten: Stirnseite wäre
dafür eine passende Uebertragung. Schauseite dagegen ist eine jede Seite,
die bestimmt ist, angeschaut zu werden, die eine in die künstlerische
Rechnung einbezogene selbständige Ansicht des Baukörpers gibt. Es
kann an einem Gebäude mehrere Schauseiten, aber nur eine Fassade
geben. Schauseite und Fassade fallen oft zusammen, doch nicht not-
wendig; wir werden gerade an romanischen Kirchen häufig den Fall
finden, dass nicht die Fassade, sondern eine der Langseiten oder der
Chor als Hauptschauseite behandelt ist; und auch den anderen (bei
doppelchörigen Anlagen), dass überhaupt keine Fassade vorhanden.
Das Kirchengebäude des Mittelalters, als Langbau mit ausge-
prägtem Richtungsmoment , fordert seiner ganzen Natur nach zu
ungleichwertiger Charakterisierung seiner verschiedenen Seiten auf. Die
beiden Schmalseiten sind als Eingangs- und Stirnseiten hier, als Chor-
und Schlussseite dort, die bedeutsameren, daher reicher zu schmückende,
stehen aber zu einander in gegensätzlichem Verhältnis; hinwider die
Langseiten verhalten sich zu den beiden anderen untergeordnet, unter
sich jedoch symmetrisch. Wir haben aber schon genugsam kennen
gelernt, dass die ursprüngliche Einseitigkeit des Richtungsmomentes
durch Einschiebung des QuerschirTes und durch Ausbildung mannig-
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
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facher zentralistischer Elemente mehr oder minder erhebliche Brechung
erfahren kann. Ferner macht sich fast in jedem konkreten Fall die
Kinwirkung der baulichen Umgebung geltend. Ist die Kirche, wie
es zumal in den alten Städten des Südens so oft geschieht, rings von
Profangebäuden eingeschlossen, so bleibt nur eine einzige Seite, in
der Regel wird es die Stirnseite des Langhauses sein, als Schauseite
übrig. Bei allen Klosterkirchen und vielen Kathedralen wird die eine
Langseite von den Gebäuden der Clausur eingenommen, während die
andere frei bleibt; dann kann diese zur Hauptschauseite gemacht
werden, wofür wir unter unzähligen Beispielen nur an Sankt Jakob in
Regensburg, S. Michael und S. Godehard in Hildesheim, den Dom
von Trient, die Kathedrale von Autun erinnern. Eben das liberale
Geltenlassen individueller Momente aller Art gegenüber der abstrakten
Regel, erhält die romanische Bauphantasie so wundervoll frisch und
beweglich und leiht ihren Werken die ungesuchte Originalität, die zu
ihren beneidenswertesten Vorzügen gehört. Für unsere Darstellung,
die das allgemeingültige aufzusuchen hat, entstehen daraus allerdings
beträchtliche Schwierigkeiten. In der Hauptsache werden wir uns auf
Heranziehung solcher Denkmäler beschränken, welche Stilbilder von
ausgeprägter Bestimmtheit geben und repräsentierend für ganze
Schulen sind.
ITALIEN »).
TOSKANA. Dieser Landschaft gebührt der Ruhm, noch lange
bevor sie dem italienischen Volk seine Literatursprache gab, in der
Sprache der Baukunst italienischem Empfinden die Zunge gelöst zu
haben. Der Aufschwung vollzog sich, soviel wir heute urteilen können,
ohne vorbereitende Stufen, vielmehr sogleich ganz klar und zielbewusst
mit genialer Intuition am Dombau zu PISA , einem Werke von so
feierlich hohem Monumentalsinn , wie die Kunstgeschichte ihrer nicht
viele kennt (Taf. 234, 235). Zum erstenmal, wenigstens in Italien,
ist hier mit der Einseitigkeit der altchristlichen Auffassung ganz ge-
') Hier unterliegt noch mehr als in anderen Ländern die Aussendekoration , ins-
besondere der Fassaden, grossen Schwierigkeiten in der Zeitbestimmung. Im Hinblick
auf ihre vom Mauerkern unabhängige technische Ausfuhrung müssen wir immer mit
der Möglichkeit rechnen , das« sie mehr oder minder später entstanden seien , als der
Innenbau ; selbst Inschriften (die in Italien häufiger vorkommen als anderswo) geben
nicht allemal ein unzweideutiges Zeugnis. Vor den fast immer zu weit zurückgreifenden
Datierungen in der jüngsten Geschichte der italienischen Baukunst von Oscar Mothes
wollen wir nur im allgemeinen gewarnt haben, da spezielle Auseinandersetzung mit ihnen
zu viel Raum kosten würde.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
brochen, ist das Gebäude auf einen weiten freien Platz gestellt, nach
allen Seiten der Betrachtung offen, in allen Teilen gleichmässig ge-
diegen und würdevoll durchgeführt; zum erstenmal auch seit der
römischen Zeit wieder sucht die Kunst den Aussenbau lebendig und
zugleich mit dem Innern harmonisch zu gliedern. Der älteren Bauzeit
(letzte Dezennien saec. 1 1) gehören das Querschiff und die Seiten-
schiffswände des Langhauses; im Erdgeschoss, auf einem wohlprofi-
lierten Sockel ansetzend, schlanke Pilaster, durch Bögen verbunden,
in der Abmessung der Abstände der Achsenteilung des Innern ant-
wortend; in den beiden folgenden Geschossen (Emporen der Seiten-
schiffe und Lichtgaden des Mittelschiffs) über den Pilastern gerades
Gebälk; über den knappen, strengen Formen liegt ein merkwürdig
jugendlicher Hauch. Die spätere, ins 12. Jahrhundert übergehende
Bauepoche — die Apsis, das Obergeschoss des Langhauses und, wohl
als letztausgeführter Teil, die Fassade — sucht eine vollere Ausdrucks-
weise, ohne doch mit den älteren Teilen in Disharmonie zu geraten:
die Pilaster durch Halbsäulen ersetzt, die Archivolten- und Gesims-
profile mit Eierstäben und Kymatien bereichert, für die Flächen mehr-
farbiges Steinmosaik stärker herangezogen ; der bedeutendste neue
Gedanke ist aber an der Fassade wie an der Hauptapsis die Auf-
lösung der Mauern in durchsichtige Galerien, die gewissermassen eine
zweite ideale Wand darstellen (vgl. auch den Längenschnitt Taf. 69).
Einzelnes, wie die an sich schwierige Lösung der Partie unterhalb der
Dachschrägen der Seitenschiffe, ist noch unbeholfen; das Motiv im
ganzen dient der majestätischen Breite der Fassade zu glänzender
Belebung.
Das Vorbild des Domes beherrschte die pisanische Architektur
durch zwei Jahrhunderte. Nur einmal freilich ist der Versuch gemacht,
im Umbau von S. PAOLO a Ripa (saec. 13) den ganzen Formen-
apparat des Domes in den kleineren Massstab hinüberzunehmen ; sonst
wurden immer Reduktionen vorgenommen, von denen S. Frediano
(Taf. 236, 3) ein anziehendes Beispiel gibt. Wir glauben nicht, dass
irgend eine der in diese Klasse gehörenden Fassaden dem Dom vor-
ausgegangen ist, womit es nicht im Widerspruch steht, dass der
Körper der Kirchen zuweilen älter ist, als dieser. Noch am Ende des
13. Jahrhunderts zeigt S. PlETRO IN VlNCOU den Kompositionstypus
völlig unverändert, nur in den Details die Spuren der jüngeren Zeit.
Die Schule von Lucca war der pisanischen von Haus aus
verwandt und geriet im 12. Jahrhundert ganz unter deren Herrschaft.
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Zunächst sind einige Bauten bemerkenswert, welche ohne älter zu
sein als der Dom von Pisa, doch eine unentwickeltere Stufe darstellen.
So besonders S. Frediano (a. 11 12 — 1 147). Was hier den äusseren
Eindruck über die Weise der früheren Jahrhunderte hinaushebt, ist
vornehmlich das sorgfältig und bedeutend behandelte Quaderwerk;
die Formen noch sehr einfach; die blinde Galerie an der Fassade
(Taf. 236), die lichte an der Apsis (Taf. 240) die einzigen stärkeren
Accente. Die Zeugen eines mit mehr Aufwand und Ehrgeiz als
innerer Kongenialität durchgeführten Wettstreites mit dem Dom von
Pisa sind S. MlCHELE und S. MARTINO ; gedrängter Reichtum des Zier-
werks in barock-phantastischen Formen, die der Antike ferner stehen
nicht nur als die pisanischen, sondern selbst als die älteren einhei-
mischen Werke; als Gesimse ein derber Wulst mit üppigem Blatt-
werk. S. Michele gibt für Toskana das erste, späterhin nur zu oft
wiederholte Beispiel einer lediglich der Wirkung zuliebe über ihre
natürliche Grenze, d. h. die Dächer des Langhauses, hinaus bedeutend
überhöhten Fassade, eine um so bedenklichere Täuschung, da die
Kirche auf einem freien Platze liegt; ernster ist die Dekoration der
Halbsäulen. Noch auffallender kontrastieren am Dom S. Martino die
»empfindungslos reiche c Fassade und die höchst gediegene Chor-
ansicht (Taf. 235, leider mit Wiederholung der störenden Renaissance-
kapellen). Beide Bauten aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts. An-
spruchsloser, aber immer noch schmuckvoll genug sind die zahlreichen
kleinen Kirchen Luccas, wofür S. Giusto (Taf. 236) als Beispiel diene. *
Weiter trat auch durch andere Städte Toskanas der pisanische Stil
seinen Rundgang an, wie es scheint nicht vor Mitte des 12. Jahr-
hunderts. Wir heben hervor: den Dom von PlSTOjA (von 11 66 oder
I202r), stattlich aber etwas trocken; den bereits gotisierenden von
MASSA Marittima ; die Stadtkirche S. Maria della Pieve von Arezzo
um 12 16, eine verkünstelte Ausartung des Stiles (Analyse bei
Schnaase, VII, 71).
Kaum viel später als in Pisa erwachte das neue Kunstgefühl
in Florenz. Die verwandte Grundstimmung äussert sich in einer
Nuance, die in noch höherem Grade die von Jakob Burckhardt ein-
geführte Bezeichnung »Protorenaissance« verdient. Leider ist die Zahl
der erhaltenen Denkmäler dieser Gruppe klein, wie auch ihr räum-
licher Umkreis beschränkt war. Ein sicheres Datum, das Jahr 1093
als Bauanfang, trägt allein die Kathedrale von EMPOLI; jedoch nur
die Fassade und von dieser wieder nur das Erdgeschoss ist unver-
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
ändert geblieben. Sie gleicht so genau der berühmten Fassade von
S. Miniato AL MONTE bei Florenz, dass wir ohne Aufenthalt zu dieser
übergehen dürfen (Taf. 237). Im allgemeinen ist zu sagen, dass hier,
verglichen mit dem pisanischen Typus, die Komposition der altchrist-
lichen, zugleich aber die Formgebung noch um einen merklichen Grad
der römischen Kunst näher steht. Man beachte vorweg das stärkere
Walten der wagerechten Linie und den mehr koordinierenden Rhyth-
mus der Gliederung. Die Zahl der Blendarkaden des Erdgeschosses,
in der pisanischen Schule regelmässig sieben, ist hier fünf, wodurch
die Massverhältnisse weiter und gelassener werden. Ein zweiter Unter-
schied ist, dass die drei Eingangsthüren nicht pyramidal gruppiert
sind, sondern an Form und Grösse einander gleich, mithin mit ihren
in gleichem Niveau liegenden Oberschwellen bereits die durchlaufenden
Horizontalen präludieren. Und um das Gleichmass noch zu verstärken,
ist auch den beiden thürfreien Arkaden Wiederholung des Rahmen-
inotivs mit einer an die Thürflügel anklingenden Füllung gegeben.
Die Teilung der Geschosse markiert ein breites, mehrgliedriges Fries-
band. Das Obergeschoss mit seinen kannelierten Pilastern, dem feinen
Zahnschnitt des Gesimses und der Tabernakelumrahmung des Mittel-
schiffs dürfte einem bestimmten antiken Gebäude nachgebildet sein.
Das Motiv ist an sich passend ausgewählt, leidet aber an der In-
kongruenz mit der Achsenteilung des Erdgeschosses. Erkennbare
Schwierigkeiten machten auch hier, wie in Pisa, die Dreiecke unter
den Dachschrägen der Seitenschiffe; Schwierigkeiten, die nachmals
der Renaissance noch lebhaftere Sorgen machen sollten, während die
nordische Kunst — dank ihrem Turmmotiv — von ihnen nichts
wusste. Missraten sind, wie nicht näher ausgeführt zu werden braucht,
an mehr als einer Stelle die Inkrustationsmuster. Was unsere Zeich-
nung nicht hinlänglich erkennen lässt, ist dagegen die grosse auf die
plastischen Glieder gewandte Sorgfalt; die Archivolten und Gesimse,
auf den Schmuck der Blätterwellen und Eierstäbe verzichtend, geben
die blossen Profile in zarter, ja überzarter Zeichnung. Sicher gibt
es in der zeitgenössischen Baukunst in und ausser Italien genialere
Werke ; was uns bei der Betrachtung von S. Miniato, beinahe möchten
wir sagen mit Rührung erfüllt, ist der Ernst, womit den Spuren eines
in den Trümmern der Vergangenheit erkannten hohen Ideals treu
und lauter nachgestrebt ist. Man muss sich historisch klar machen,
welch ein inneres Erwachen dazu nötig war, diese Art von Schönheit
überhaupt nur wieder zu empfinden. Gewiss, von Korrektheit irgend
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
611
welcher Art ist S. Miniato weit entfernt; nicht minder gewiss ist aber,
dass so feine und ruhige Anmut, soviel Ernst in der Heiterkeit da-
mals an keinem zweiten Punkte des Abendlandes zu finden waren.
Es ist wie ein erster Morgenhauch aus einer grossen Zukunft herüber-
wehend. — Die Entstehungszeit von S. Miniato ist nicht überliefert.
Die Jahreszahl 1207 im Fussbodenmosaik bezieht sich nur auf diesen,
wie Schnaase richtig bemerkt hat, nicht auf die Kirche im ganzen;
für die Fassade im besonderen ist der einzige Anhaltspunkt, die ihr
so nahe stehende von Empoli, welche wie wir sahen, 1093 begonnen
wurde. Dass die letztere um einiges roher in der Ausführung ist,
beweist nicht notwenig ihr höheres Alter; die Möglichkeit ist somit
zuzugeben, dass die Fassade von S. Miniato noch vor Ende des
11. Jahrhunderts entstanden sein könnte, wie auch andererseits für
die Mutmassung ein ziemlicher Spielraum ins 12. Jahrhundert hinein
offen bleibt.
S. Miniato war nur ein und nicht einmal der vornehmste unter
vielen Kirchenbauten ; die florentinischen Geschichtsquellen zählen ihrer
für das 11. und 12. Jahrhundert mehr als ein Dutzend; fast nichts
ist davon übrig. Besonders bedauern wir die Zerstörung der im in-
neren System so fein empfundenen Kirche Sta. Apostoli. Sonst sind
nur noch die Fassadenfragmente von S. Jacopo in Borgo und von
der Badia unterhalb Fiesole zu nennen. Ihre grosse Aehnlichkeit mit
S. Miniato macht im Verein mit der Kirche von Empoli wahrschein-
lich, dass auch die florentinische Baukunst dieser Epoche gleich der
pisanisch-lucchesischen sich auf einen einzigen Haupttypus der Aussen-
dekoration beschränkt haben wird. Lediglich eine Uebertragung des-
selben auf den Zentralbau bietet das Baptisterium (Taf. 321). Das
einfache Achteck kommt in seiner Massengliederung über eine ziemlich
schwerfällige Haltung nicht hinaus, aber die Rhythmisierung der ein-
zelnen Seiten für sich genommen ist vortrefflich, man beachte auch
hier den erstrebten Einklang mit dem inneren System ; alles ist reifer
und entschiedener, wie in S. Miniato, was uns in der Ansicht be-
stärkt, dass der letztere Bau sehr tief ins 12. Jahrhundert nicht
hinabreichen könne.
Oberitalien. Wenn gegen Ende des 11. Jahrhunderts die
Toskaner sich als Enkelsöhne der Antike wiederfanden, so brachte in
Oberitalien die um dieselbe Zeit (vgl. die Einleitung zu Kap. XI)
einsetzende neue Kunstbewegung vielmehr die barbarischen — kel-
tischen und germanischen — Volksbestandteile an die Oberfläche und
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
zur lange zurückgehaltenen Aussprache ihres eigenen Formgefühls.
Die Angleichung an den nordischen Stilcharakter ergab sich für diese
Gegenden ebenso aus einer natürlichen Hinneigung, wie aus der
grösseren Lebhaftigkeit des Verkehrs, so dass man sagen kann, die
Apenninen seien in der romanischen Epoche stilgeschichtlich eine
stärkere Scheidewand gewesen, als die Alpen. Andererseits wirkte
die festgehaltene Gewohnheit des an einen relativ engen Formenkreis
von Natur gebundenen Backsteinbaus als konservative Kraft. So ist
ein Hauptelement der lombardischen Aussendekoration, die Lisene und
der Bogenfries, ein christlich-antikes Erbstück und verleugnet auch in
der Uebertragung auf den Haustein nicht seine Backsteinherkunft.
S. Ambrogio in Mailand.
Sicher ist die Lombardei der Ausgangspunkt, von dem aus der Bogen-
fries sich in Mitteleuropa verbreitet hat. Dasselbe gilt von einem
zweiten signifikanten Motiv, der Zwerggalerie. Sie zeigt sich zuerst
an den Apsiden, denen sie auch immer als vorzüglich charakteristisch
verbunden bleibt. Wohl Reminiscenzen aus dem Zentralbau werden es
gewesen sein, die dahin führten, den obersten , von der inneren Halb-
kuppel nicht mehr senkrecht belasteten Teil der Apsidenmauer in
Strebepfeiler aufzulösen ; so an S. Ambrogio in Mailand vielleicht bis ins
9. saec. hinaufreichend, an S. Sofia in Padua und S. Guilhem en Desert
(Provence) etwa aus der Frühzeit des 1 1 . Später verwandelten sich die
Strebepfeiler in freistehende Säulchen , wodurch nicht nur ein Motiv
von grossem dekorativem Reiz gewonnen, sondern auch die Stärke der
unteren Mauerteile unmittelbar anschaulich gemacht wurde. Schliess-
lich wurde die Zwerggalerie auch an den (frühzeitig gewölbten) Seiten-
schiffen und am Frontgiebel zum Ausdruck der unbelasteten Mauer-
endigung. Ein drittes ist die im Vergleich zum toskanischen Stil viel
bedeutsamere Hervorhebung der Portale, mindestens des Mittelportals;
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
613
es geschah durch Anlage eines auf zwei Säulen ruhenden monumen-
talen Schutzdaches, über dem sich häufig noch eine gleichfalls be-
deckte Loggia erhob (so, ausser an den auf Taf. 242 — 244 abgebildeten
Fassaden, an den Domen von Verona, Ferrara, Cremona). Endlich
ein viertes zuerst in der Lombardei charakteristisch ausgebildetes
Motiv sind die grossen Rundfenster an den Frontwänden. In der
Komposition der Fassaden grenzen sich zwei Typen scharf gegen-
einander ab : der eine im mittleren Teil der Poebene, der Lombardei
im engeren Sinne, der andere tiefer ostwärts heimisch. Die erst-
genannte Gruppe, noch immer eine Anzahl stattlicher und stileinheit-
licher Fassadenbilder enthaltend, beginnt mit S. Ambrogio in Mailand
(Taf. 241). Das innere System ist, wie man sich erinnert, das der
Hallenkirche und dem entsprechend dehnt sich der Giebel ohne ab-
zusetzen vom First bis zu den Seitenmauern in der ganzen Frontbreite
aus. Was dadurch an Belebung des Hauptumrisses verloren geht,
findet an anderer Stelle Ersatz durch die wirkungsvolle Verbindung
mit den Pfeilerhallen des Vorhofs; dass deren östlicher Flügel nicht
an die Fassade angelehnt ist, sondern in sie aufgenommen ist, ist
ein wertvoller Fortschritt gegen die altchristliche Kompositionsweise;
ein nicht minder glücklicher Gedanke war die Wiederholung der offenen
Bogenstellung im Obergeschoss mit wohlgeratener Variierung der
Pfeilergliederung ; die perspektivische Ansicht vom Eingang in den Hof
ist altertümlich würdevoll und bedeutend. In der weiteren Entwicklung
der lombardischen Architektur geschah nun das verwunderliche, dass
die Fassaden (Taf. 243, 244) fortfuhren, Hallenanlagen mit gleich
hohen Schiffen zu versprechen, während doch in Wahrheit das innere
System zum basilikalen Aufbau fortgeschritten war, d. h. die breite
absatzlose Giebelwand wurde ohne innere Nötigung beibehalten und
so ragen ihre seitlichen Teile weit über die Dächer hinauf in die freie
Luft. Warum diese Fiktion? Dass das einzige Beispiel von S. Am-
brogio eine so weitgehende atavistische Wirkung geübt haben könnte,
ist schwer zu glauben ; so drängt sich uns die (auch von J. Burckhardt
gehegte) Vermutung auf, es müsse in der Jugendzeit des lombardischen
Gewölbebaus die Hallenanlage verbreiteter gewesen sein , als sich
heute aus den Denkmälern unmittelbar erkennen lässt (vgl. S. 445
und 451). Ein glücklicher Einfluss ist es nicht. Hätte noch den
Lombarden des 12. Jahrhunderts ein ähnliches Ziel harmonischer
Proportionskunst vorgeschwebt , wie nachmals der Renaissance ! In
der That aber war gerade nach dieser Seite hin ihre Gestaltungskraft
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Zweites Buch . Der romanische Stil.
schwach und sie tasteten auf den grossen eintönigen Flächen ihrer
Fassaden ziemlich prinziplos umher. Durchgreifende grosse Motive,
wie in S. Ambrogio, sucht man umsonst wieder. Was kann es ge-
dankenloseres geben, als die Verteilung der Fenster an S. MlCHELE in
Pavia; und wie kindlich barbarisch ist gar der mühselige Reichtum
der skulpierten Horizontalbänder und der Teppichmuster an den
Wandpfeilern, wodurch vergeblich in die weite Oede Leben zu bringen
versucht wird ; erst das wohl in jüngerer Zeit hinzugekommene Galerie-
motiv am Giebel rettet einigermassen den Gesamteindruck. Dabei
verstanden dieselben Bauleute, wie ihnen nicht vergessen werden soll,
einen wirklich bedeutenden Innenraum zu schaffen. Nur geringe Fort-
schritte zeigen S. Giovanni in Borgo und S. Pietro in Ciel d'oro ebenda;
wäre an letzterer Fassade der, wie es scheint beabsichtigt gewesene
Vorhof zur Ausführung gekommen , so hätte die Wirkung sich wesent-
lich verbessern können. Die Fassade der Kathedrale von Parma (wohl
nach M. saec. 12) hat bei reifer Bildung der Einzelheiten doch ein
merkwürdig starres Aussehen ; der Grund liegt in der genauen Gleich-
setzung der Höhen- und Breitenachse und dem völligen Verzicht auf
eine Andeutung der inneren Dreiteilung. In PlACENZA ist beides
wieder aufgegeben, aber über eine gewisse Willkürlichkeit und Un-
entschiedenheit kommt auch hier die Komposition nicht hinaus ; allein
die sehr ansehnlichen Dimensionen sichern dieser Fassade eine immer-
hin nicht unbedeutende Wirkung. — Die Seitenansichten wurden in
der Lombardei fast immer vernachlässigt und blieben versteckt ; dafür
gibt es mehrere schöne Choransichten; die beste in der Dekoration
ist die von Sta. Maria maggiore in Bergamo.
Der nicht eben im guten Sinn originelle Fassadentypus der
Lombardei — er wirkte selbst in die gotische Epoche noch kenntlich
hinein — folgte aus dem eigentümlichen Entwicklungsgange des
Gewölbesystems in dieser Schule. Jenseits der Minciolinie, wo das
Gewölbe beträchtlich später die Herrschaft antrat, wurde die basilikale
Fassade bewahrt und auf dieser Grundlage, die in der vorigen Gruppe
so sehr zu vermissende rhythmische Empfindung zu besonderer Fein-
heit ausgebildet. Die für die Schule ebenfalls bezeichnende Neigung
zum Schlanken und Strebenden — entgegengesetzt dem vorwaltenden
Horizontalismus der Toskaner — finden wir zuerst an Sta. Sofia zu
Padua (umgebaut 1123); Halbsäulen, in einen Rundbogenfries aus-
laufend, steigen ohne Unterbrechung vom Sockel bis zum Giebel auf ;
das Rundfenster an der Stirnwand des Mittelschiffs, übrigens noch
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
6.5
klein, dürfte das früheste nachweisbare sein. Dieselben Elemente,
gesteigert und veredelt, kehren an der Klosterkirche S. Zeno bei
Verona wieder. Die Fassade ist ein 1138 vollendeter Zubau. Durch
ihre ebenso mass- wie lebensvolle Rhythmik ist sie eine der allerbesten
nicht bloss in Oberitalien. Die Einteilung des Innern ist klar vorge-
deutet, dabei mit wohlverstandener Feinheit; man vergegenwärtige
sich, wie viel die Proportionen an Wohllaut verlieren würden, wenn
z. B. die Zwerggalerie höher läge, oder wenn sie verdoppelt wäre,
wie in Parma. Wie vortrefflich sind dann Portalbau und Radfenster
zu einander ins Verhältnis gesetzt. Durch kundige Behandlung des
schönen Marmormaterials gewinnen die plastischen Glieder Feinheit
und Kraft der Wirkung zugleich, die Gesimse zumal sind von der
Nachahmung der Backsteinformen freier als irgendwo in der Lombardei.
Den Langseiten hat man den gleichen Reichtum der Fries- und Gesims-
bildung, wie der Fassade, zugestanden (Taf. 318); ausserdem erhalten
sie Schichtenwechsel von Marmor und Backstein und damit eine an
dieser Stelle wohlangebrachte Verstärkung des Horizontalmomentes.
Ein zweites bedeutendes Werk derselben Epoche war in Verona der
Dom; von dem gotischen Umbau unberührt ist nur die Chorseite
(Taf. 240), in ihrer schlichten Grossartigkeit für die noble Baugesin-
nung der Veroneser ein ehrenvolles Zeugnis. — Der von S. Zeno
verwandt, vielleicht etwas älteren Ursprungs aber am Ende des ^.Jahr-
hunderts überarbeitet (besonders Portalbau und Rose), ist die Fassade
des Doms von MODENA. An vornehmer Grazie erreicht sie jene nicht,
bleibt aber auch in ihrem strengeren, starkknochigen Habitus ein tüch-
tiges, namentlich rhythmisch lebensvolles Werk. Mit Rücksicht auf
den Marktplatz, gegen den sie sich öffnet, ist ausserdem noch die
südliche Langseite als vollgültige Schauseite ausgebildet; das System
des Erdgeschosses der Fassade wird an den Seitenschiffen fortgeführt;
die Aufteilung der Zwerggalerie in grössere Perioden bewahrt sie vor
Eintönigkeit ; dann schneiden noch zwei stärkere Accente ein, im vor-
deren Abschnitt ein Prachtportal mit Vorhalle und Loggia, im hinteren
ein Giebelaufsatz als Vertreter des bei der ersten Anlage noch feh-
lenden Querschiffs ; die malerische Gruppenwirkung vollendet sich
durch den Glockenturm an der Nordseite des Chors (Taf. 245). —
Ebenso ist wesentlich auf die Seitenansicht der Dom von TklENT an-
gelegt ; auch hier die fortlaufende Galerie. — Der Dom von Ferkara
war in dem a. 1135 begonnenen Umbau als Wiederholung des mo-
deneser in vergrössertem Massstabe und verfeinerten Formen gedacht ;
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
leider verdirbt der ioo Jahre später hinzugefügte reich aber ungeschickt
komponierte Oberbau die Wirkung, die eine sehr schöne hätte werden
können. — Als hübsches Beispiel für die Behandlung einer kleinen
Kirche geben wir auf Taf. 241 die Fassade von Maderno am Gardasee.
Die damals noch unverschmolzenen Gegensätze in der Bevölke-
rung Italiens haben in der toskanischen und der lombardischen Schule
zwei Stilbilder von energischer Charakterbestimmtheit hervorgebracht.
Was sich in den andern Teilen der Halbinsel vorfindet, ist entweder
Flickarbeit aus verschiedenen Zeitepochen oder, wenn zeiteinheitlich,
Mischlingswerk in stilistischer Hinsicht. Wir dürfen mithin von aus-
führlicherer Betrachtung absehen. — Lombardische Einflüsse dringen,
der Richtung der Via Emilia folgend, an der Ostküste in die Marken
und bis Apulien. S. Ciriaco in Ancona hat ausser seiner Lage auf
der ßergeshöhe über dem Golf nichts Ausgezeichnetes als den effekt-
vollen lombardischen Portalbau. In der reichen und baulustigen, aber
stilistisch unproduktiven Terra di Bari (Taf. 238, 239) weisen die
Bogenfriese und Lisenen, die Rosenfenster, sowie die Portal- und
Fensterdekorationen auf lombardische Anregung; auch der Mangel
der Horizontalglieder an den Fassaden ist unsüdlich. Ein anderes
nordisches Element, die Türme, stammt von den Normannen Siziliens,
aber um das überkommene Fassadenbild nicht zu stören, werden die
Türme an die Chorseite verwiesen, worüber wir S. 595,6 näher gehandelt
haben. Dass gelegentlich auch in der Aussenarchitektur byzantinische
Nachklänge sich fortpflanzen (z. B. in Lecce, Taf. 239), kann nicht
wunder nehmen. Französisch -gotische Einflüsse drangen frühzeitig
ein, ohne jedoch eine allgemeine Umwälzung hervorzurufen ; so konnte
noch 1335 eine Fassade wie die des Domes von Bitetto (Taf. 240)
begonnen werden. Und um das bunte Stilgewebe dieser Gegenden
noch bunter zu machen, wurden selbst toskanische Fäden aufgenom-
men. Merkwürdigerweise geschah das aber nicht in den Hafenstädten,
wo die Pisaner feste Niederlassungen hatten, sondern tiefer landein-
wärts. Der Dom von TROJA (Hauptbauzeit 1 107 — 1 1 14) schliesst sich
in der Wandbekleidung des Erdgeschosses so enge an das Vorbild
des Pisaner Domes an, dass man geradezu auf Mitwirkung pisanischer
Werkleute schliessen muss ; das nach längerer Pause fortgeführte
Obergeschoss zeigt aber diese Verbindung abgebrochen, denn mit
seiner überaus prächtigen Fensterrose, auf übrigens ungegliederter
Wandfläche, lenkt es in die landläufige Bauweise ein. In der Zwischen-
zeit aber hatte Troja für die toskanische Dekorationsweise Schule
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
617
gemacht: in Siponto, Monte S. Angelo, Foggia, selbst jenseits der
Berge in Benevent tritt sie uns entgegen. Dann sei noch der Kathe-
drale von Zaka in Dalmatien (Weihe 1285) Erwähnung gethan, an
welcher toskanische und oberitalische Elemente mit Glück verschmolzen
sind (Abb. im Jahrb. der Wiener C.-Comm. 1861); recht missverständlich
zeigen sich die letzteren an der Fassade von S. Maria in Piazza in
Ancona. — Demgegenüber fällt es auf, dass an der Westküste der
Einfluss Pisas sich gar nicht weit, soviel uns bekannt nicht über
Massa Marittima hinaus erstreckt. In CoKNETO (Sta. Maria in Castello,
vgl. S. 453, und Sta. Annunziata) und Toscanella (Sta. Maria und
S. Pietro, Taf. 237) durchkreuzen sich über der Grundlage der latei-
nischen Lokaltradition lombardische, römisch-toskanische und sogar
französische Einflüsse. Endlich Campanien (Gaeta, Caserta, Amalfi,
Ravello, Salerno) wird unter der staufischen Herrschaft in die Sphäre
sizilianisch-maurischer Dekoration hineingezogen, während im Süden
des Kirchenstaates, wie wir früher gesehen haben, schon zu Ende
des 12. Jahrhunderts die burgundisch-cisterciensische Frühgotik Fuss
fasst. Die stilistische Anarchie kann nicht ärger gedacht werden;
und doch schwebt über allen diesen so disparaten Mischlingswerken
ein eigenartiger, anmutsvoller Geist, den man nicht wohl anders
nennen kann als: italienisch.
DEUTSCHLAND.
Zwischen Deutschland und Italien haben in der jüngeren Zeit
des romanischen Stils manche Wechselwirkungen stattgefunden ; Italien
näherte sich der germanischen Auffassung in der Anordnung der
Massen, Deutschland umgekehrt zeigte sich auf dem Felde der Einzel-
behandlung gelehrig ; im ganzen genommen überwiegt beim Vergleiche
doch immer der Eindruck tiefer Gegensätzlichkeit. Tritt in Italien
stätig wieder die Neigung hervor, die Wirkung auf eine einzelne
Schauseite, normaler Weise die Fassade, zu konzentrieren, so fehlt
dem deutsch-romanischen Stil — die jüngste Entwicklungsstufe immer
ausgenommen — der Begriff der Schauseite überhaupt, insofern alle
Seiten vermöge der Gleichartigkeit der Detaillierung den gleichen
Anspruch hätten, so zu heissen. Diese Gleichheit besteht nun aber
wesentlich in der Beschränkung des Details, ja oft im völligen Ver-
zicht auf dasselbe. Will man dies aus dem von Natur ärmeren
Formensinn der Germanen und dem langsam überwundenen Unver-
mögen des Handwerks erklären, so nennt man keine falschen Gründe,
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6l8 Zweites Buch: Der romanische Stil.
aber allerdings nur in zweiter Linie stehende. Vielmehr erinnere man
sich, dass der Schwerpunkt des deutschen Bauideals anderswo lagt
im Massenrhythmus. Vor allem dies Hauptinteresse rein sich aus-
wirken zu lassen, gebot ein gesundes Gefühl für künstlerische Oeko-
nomie. Es ist lehrreich zu sehen, z. B. aus der frühkarolingischen
Vorhalle von Lorsch (Taf. 213), wie damals auch den Deutschen noch
die halborientalische Bekleidungspracht der spätrömischen Kunst als
würdigstes Ziel vorschwebte; als aber der nationale Baugeist zum
Bewusstsein seiner selbst kam, schlug die Stimmung in das Gegenteil
um. Zwei Jahrhunderte vergingen, bis diese Einseitigkeit sich milderte.
Und selbst die, in ganz anderem Sinne freilich als die karolingische.
wiederum prachtliebend gewordene staufische Kunst achtete gegenüber
dem bewegten Reichtum der Silhouette in Giebeln, Kuppeln und
Türmen die innere Gliederung doch nur als Wirkungen zweiten
Ranges. Weiche fast noch völlige Dekorationslosigkeit selbst noch
im 12. Jahrhundert in Sachsen und Bayern an den Kirchen wohl-
begüterter Klöster vorkommen durfte, dafür verweisen wir anstatt
vieler auf das Beispiel von Steingaden und U. L. Frauen in Halber-
stadt (Taf. 216, 231). Die Regel ist sie um diese Zeit allerdings
nicht mehr. — Wir wollen zunächst die Elemente, aus denen die
Aussendekoration sich zusammensetzte, beschreiben.
Der typische Ausdruck für die wagrechte Gliederung ist der Bogen-
fries, für die senkrechte die Lisene — Formen, deren Anfänge schon
in der altchristlichen Baukunst gegeben waren (S. 124), und die aus
Italien eingeführt, aber für die deutsch-romanische Kunst besonders
bezeichnend geworden sind. Das älteste nachweisbare Beispiel des
Bogen frieses würde der VVestbau von S. Pantaleon in Köln geben,
wofern feststände was wir doch nur als Möglichkeit betrachten
können — dass derselbe der mit dem Jahr 980 abschliessenden Bau-
periode angehört. Es folgen: Limburg an der Hardt und Sta. Maria
auf Reichenau, beide nicht lange vor M. saec. 11. In der zweiten
Hälfte dieses Jahrhunderts ist das Motiv in Westdeutschland als ein-
gebürgert zu betrachten. Aelter im Gebrauch als die ihrer Natur nach
mit dem Bogenfries zusammengehörigen Lisenen sind die pilasterartigen
Mauerstreifen,, die im Unterschied zu jenen ein Fuss- und Kopfstück
haben; meist von einfachster Gestalt: so in Gernrode und am West-
bau von S. Castor in Kohlenz (beide saec. 10.); an den Osttürmen de>
Mainzer Domes (A. saec. 11); oder mit korinthisierenden Kapitellen:
Kssen (E. saec. io\ Dom zu Trier (M. saec. 11), Taf. 213, 215, 21S;
klassisches Beispiel für das 12. Jahrhundert; die Abteikirche Laach.
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
619
Taf. 220. An feste Proportionen sind weder Lisenen noch Pilaster
gebunden: man führt sie so hoch, als die Abstände der wagerechten
Glieder es fordern. — Bezeichnenderweise hatte auf das geschilderte
Dekorationssystem die Einführung des Gewölbebaus keinen Einfluss.
Die Strebepfeiler, die in der französisch-romanischen Baukunst von
Anfang an nicht nur struktiv, sondern auch dekorativ eine so grosse
Rolle spielten, blieben der deutschen bis nahe ans Ende fremd, wie
denn überhaupt kein Versuch gemacht wurde, das mechanische Ver-
halten der Wand zur Gewölbedecke durch besondere Kunstsymbole
auszudrücken. Etwas anderes ist es mit dem mittelbaren Einfluss des
Gewölbes. Die lebhaftere Bewegung, die dasselbe in die Linien des
Innenbaus brachte, wird allerdings nicht ohne Anteil gewesen sein bei
der Erweckung ähnlicher Regungen im Aussenbau. Daher sind es
die mittel- und niederrheinischen Schulen, die auch hierin den anderen
vorangehen und auf Bereicherung des Formenapparates sinnen. So
wird eine nie ganz erloschen gewesene römische Reminiscenz, die
Wandarkade, vom 1 2. Jahrhundert ab häufig in Verwendung genom-
men; ferner kommen Halbsäulen in Gebrauch; endlich als glücklichster
Zuwachs die Zwergarkatur und Zwerggalerie. Dass die letztere
aus Italien kommt, kann nicht wohl zweifelhaft sein. Sie begegnet
zum erstenmal ') an der auch in anderen Stücken italienische Beziehungen
kundgebenden Kirche von Schwarzrheindorf (a. 1 1 50), hier noch nicht
auf das Altarhaus beschränkt, sondern die Dächer der Abseiten in ganzer
Ausdehnung begleitend, wie in Oberitalien oft (Fig. S. 551 und Schnitt
Taf. 208). Am Dom von Speif.r (Taf. 171, 220) ist die Galerie beim
Umbau des späteren 12. Jahrhunderts hinzugekommen und dient dazu,
die durch die veränderte Konstruktion der Gewölbe (S. 464) nötig
gewordene Ueberhöhung der Sargmauern sowohl im faktischen Gewicht
als für das Auge zu erleichtern; eine an tonnengewölbte burgundische
Kirchen (z. B. Autun) erinnernde Anordnung, wennschon die formale
Behandlung auch hier an lombardische Muster anknüpft. Im nieder-
rheinischen Uebergangsstil ist die Zwerggalerie ein spezifisches Attribut
der Apsis. Die Säulchen sind gewöhnlich nach der Tiefe hin verdoppelt
und unterhalb der Galerie läuft der sogenannte Plattenfries, ein Gürtel
von vertieften, häufig mit schwarzen Schiefertafeln ausgelegten Viereck-
feldern (Taf. 316. 7). Eine vereinzelte Erscheinung ist die Säulenver-
bindung durch gerades Gebälk in Pfaffenschwabenheim (Taf. 229).
Die über der Apsis sichtbar werdende Giebelwand des Langchors wird
am Niederrhein gern mit einer Gruppe von Nischen versehen, in deren
weicheren Schattenübergängen die lebhaften Kontraste der Zwerg-
') Die 1 5 Jahre ältere Galerie an der I >oppelkapelle des Mainzer Domes ist keine
eigentliche Zwerggalerie, da sie ein selbständiges Gcschoss vertritt.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
galeric angemessen ausklingen ; auch hierfür gibt Schwarzrheindorf
das früheste Beispiel, wie denn der Gedanke — Erleichterung der
Mauermasse über dem Gewölbeansatz — dem der Zwerggalerie zu
Grunde liegenden verwandt ist; andere Beispiele Taf. 218. 2, 223. 1,
225. 1. Die Arkaturen am Lichtgaden des Mittelschiffs der Dome von
Osnabrück und Münster möchten auf englische oder nordwest-
französische Beziehungen zurückgehen, wie wir solche auch schon in
andern Eigentümlichkeiten des westfälischen Uebergangsstils wahr-
nehmen zu dürfen geglaubt haben. — Alle oben besprochenen Glieder
sind im Vor- und Rücksprung von derber Ausladung, in ihrer sehr
einfachen Profilierung auf scharfes Nebeneinander von Lichtern und
Schatten berechnet. Der Grundcharakter des romanischen Stils als
Massenbau wird durch sie nicht aufgehoben, denn die Lisenen, Pilaster,
Halbsäulen und Blendbogen wollen nicht etwa als ein für sich be-
stehendes Gerüst die tragende und stützende Verrichtung der Mauer
thatsächlich an sich reissen, sondern nur kräftige Sinnbilder derselben
sein. —
Nach dem, was wir im ersten Abschnitt dieses Kapitels über
die allgemeinen Kompositionsverhältnisse gesagt haben, braucht nicht
mehr dargelegt zu werden, dass und weshalb die deutsch- romanischen
Kirchen zu einem privilegierten Fassadenbau erst auf ihrer letzten
Entwicklungsstufe gelangten. Der Grund lag, wie wir sahen, in der
grossen Verbreitung der doppelchörigen Anlagen. Auch wenn der
Westchor, wie es häufig ist, hinter einer geradlinigen Frontmauer
verborgen bleibt, verhindert er doch die Anlage eines Mittelportals
und eines grösseren zentralen Fenstermotivs. Daher die seltsam un-
entwickelten, wenn man will, nur scheinbaren Fassaden, von denen
unsere Tafeln Beispiele in hinreichender Menge geben. Der Haupt-
eingang liegt dann an einer der Langseiten und wird häufig durch
eine Vorhalle oder mindestens eine vorspringende Umrahmung be-
deutsam ausgezeichnet (Beispiele: die Dome von Worms, Bamberg,
Bonn, Münster, Lübeck, Ratzeburg, die Stiftskirchen von Freiberg,
Königslutter, Gelnhausen, S. Emmeram und S. Jakob in RegensburgV
Den meisten Schmuck erhält regelmässig die Apsis. In denjenigen
Fällen doppelchöriger Anlage , wo die Apsis sich an einen Querbau
anlehnt, entsteht die Möglichkeit, diese Seite zugleich als Eingangs-
seite zu charakterisieren, was immer eine bedeutende Wirkung macht
(so an den Domen von Mainz und Trier und der Abteikirche von
Laach Taf. 218, 221). Oft ist aber auch bei Kirchen mit einfachem
Chor die Ostseite erklärter Massen die Schauseite (die kölnischen
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
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Kirchen S. Maria im Kapitol, S. Aposteln, Gross-S. -Martin, in U. L. F.
in Halberstadt, in Gelnhausen u. a. m.).
Allein auch nach dem allmählichen Verschwinden der Doppel-
chöre blieb die deutsche Baukunst in der Ausbildung der Fassade
noch immer lässig, gerade so wie die lombardische am Fassadentypus
der Hallenkirche über deren Dasein hinaus festhielt Es bedurfte hier
fremdländischer Anregung. Die früheste Quelle derselben war, wie
wir oben (S. 573) gesehen haben, Cluny, der erste Bau der neuen
Richtung Limburg a. H.
Um Wiederholungen zu ersparen, verweisen wir auf das, was im
ersten Abschnitt dieses Kapitels über die Ausbreitung des Motivs der
westlichen Doppeltürme ausgeführt ist. Denn ihnen hauptsächlich fällt
die Repräsentation des Fassadengedankens zu. Das Kompositions-
problem lautet nunmehr: wie soll das Verhältnis der Türme als relativ
selbständiger Körper zu der Stirnwand des Langhauses ausgedrückt
werden? Um die mit grosser Folgerichtigkeit sich vollziehende Ent-
wicklung richtig zu würdigen, blicke man auf das (erst in der Gotik
erreichte) Endresultat : es ist die Selbständigmachung der Türme von
der Basis auf und dadurch die Einschränkung der eigentlichen Fassade
auf den dem Mittelschiff entsprechenden Wandabschnitt. Je weiter
dagegen in der Zeit zurück, um so entschiedener werden der Unter-
bau der Türme und die Stirnwand des Mittelschiffs als unterschiedslos
einheitliche Fläche behandelt. Um den langsamen Fortgang von dem
einen Prinzip zum andern sich zu vergegenwärtigen, betrachte man
nacheinander die folgenden Tafeln und Figuren: 215. 4 — 230. 2 —
228. 1 — 224. 1 — 215. 3 — 215. 2 — 224. 2 — 229. 3 — 232.
3. 4. Anfangs in ganzer Breite durchgehende Stockwerke mit aus-
schliesslich wagrechten Teilungslinien ; später Einmischung senkrechter
Glieder als Vorklang auf die Türme und Vermehrung derselben mit
jedem höheren Stockwerk; zuletzt Zerlegung der Komposition in drei
senkrechte Abschnitte. Die Vergleichung der auf Taf. 224 zusammen-
gestellten Fassaden von Andernach und Limburg ist besonders lehr-
reich: ein geringer Zeitunterschied nur trennt sie; der allgemeine
Umriss ist bei beiden derselbe; ebenso die Zahl und relative Höhe
der Stockwerke ; wesentlich verschieden aber ist die innere Gliederung
und damit auch der Gesammteindruck : Andernach zeigt sich romanisch-
konservativ, Limburg gotisierend-progressistisch.
In der Schlussepoche des romanischen Stils ist auch in Deutsch-
land der Gedanke, dass der westlichen Stirnseite in vorzugsweisem
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Zweites Buch. Der romanische Stil.
Sinne die Rolle der Schauseite zukommt, zu allgemeiner Geltung
gelangt und die Doppeltürme sind als bevorzugtes Ausdrucksmittel
durchgedrungen. Die westlichen Doppeltürme sind in Deutschland zu
keiner Zeit so verbreitet wie im 13. Jahrhundert, wo sie selbst an Land-
kirchen nichts Unerhörtes sind und nichts ist irriger, als wenn man
sie als ein vorzugsweises gotisches Motiv bezeichnet ; im Gegenteil, sie
werden in der entwickelten deutschen Gotik wieder relativ seltener.
Mit einer einzigen Lösung sich zu begnügen wäre allerdings gegen
den Geist der Epoche gewesen, und so sehen wir im Uebergangsstil
auch noch andere Fassadentypen sich bemerkbar machen.
Von Anlagen des Westbaus mit einfachem Turm kommen die
jenigen, bei denen der Turm nach drei Seiten frei vortritt — und das
ist der gewöhnliche Fall — hier zwar nicht in Betracht, weil in ihnen
die Fassade durch den Turm ganz unterdrückt wird (Beispiel Taf. 21 1.2}.
Vielfach wurde das jetzt als ein Uebel empfunden; man liess darum
den Westbau zu einer querschilTartigen Halle sich verbreiten und ers?
von der Dachlinie ab den Einzelturm als Aufsatz sich entwickeln.
Das Thema ist mit besonderem Interesse von der kölnischen Schule
bearbeitet worden: S. Mauritius, S. Ursula, S. Columba, S. Andreas,
S. Kunibert — leider alle mehr oder minder deformiert. Das Haupt -
und Prachtstück dieser Gruppe ist S. Quirin in Neuss (Grundstein
legung a. 1209); das Erdgeschoss war noch in einfacherer Absich:
begonnen, darüber beginnt eine sehr reiche Dekoration, die leicht zur
Ueberfüllung geworden wäre, wenn nicht die vortrefflich gedachte
Gruppierung sie zu schöner Klarheit zurückführte; höchst geistvoll i>!
namentlich die Dreiteilung des Innern zum Ausdruck gebracht; der
Turm geht in gotische Formen über und war ursprünglich wohl weit
weniger hoch beabsichtigt (Taf. 360). Dem gleichen Typus folgte in
grösseren Abmessungen und wahrscheinlich mit nicht geringerem Glänze
der Ausstattung S. Matthias bei Trier; die Fassade ist bis zur Un-
kenntlichkeit durch eine Restauration der Barockzeit entstellt, der Turm
hat unter barockem Ornament die romanische Komposition bewahrt
(Taf. 281). Seltener ist die Anlage am Oberrhein; wir nennen als
Beispiele S. Thomas in Strassburg, S. Paul in Worms (Taf. 220)
Turmlose Fassaden mit rein basilikaler Silhouette gehören zu den
Ausnahmen, wenn auch nicht zu den ganz seltenen. Taf. 225 gibt
zwei Beispiele, Sinzig und Heimersheim; ein anderes ist die Kirche
von Rosheim im Elsass, wo ohne Grund italienischer Einfluss ange-
nommen wird; dagegen ist ein solcher in Altenstadt in Bayern und
noch ausgeprägter in Klostkrneuburg (Taf. 232) allerdings vorhanden.
Ferner gehören hierher aus bekannten Gründen alle Cistercienserkirchen
(Beispiele Taf. 274).
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
623
FRANKREICH.
Die zweifelnde Frage, ob denn die auf dem Boden des heutigen
Frankreich thätigen Bauschulen des romanischen Stils überhaupt als
eine Einheit gefasst und geschildert werden könnten, scheint auf dem
Gebiete, auf dem wir eben stehen, berechtigter als irgendwo. An-
haltende Betrachtung bringt uns aber doch ein gewisses Etwas zu
Bewusstsein, das ihnen allen gemeinsam ist und das am leichtesten
negativ, d. h. als Unterscheidendes gegenüber dem Stilcharakter
Deutschlands und Italiens erfasst wird. Dies Etwas liegt freilich am
meisten in den mit Worten nicht zu umschreibenden und selbst in
der Abbildung nur unvollkommen wiederzugebenden Imponderabilien.
Immerhin ist es nicht ohne Bedeutung zu sehen , dass in aller Ver-
schiedenheit der Kompositionsideen gewisse formale Elemente häufig,
fast regelmässig wiederkehren ; so die Strebepfeiler als Mittel der
vertikalen, die durchlaufenden Gesimse in der Kämpferlinic der Fenster
als Mittel der horizontalen Wandgliederung, die ausgiebig verwendeten
blinden Arkaturen, die Ausstellung der Fenstergewände mit Säulchen,
die weite Oeffnung und glänzende Dekorierung der Portale — alles
Dinge, die in Frankreich früher ausgebildet waren als in den Nachbar-
ländern und zum Teil französisches Sondergut geblieben sind. Allge-
mein ausgedrückt: der französische Baugeist hat — ohne indes die
vom romanischen Stilgefühl unzertrennliche Fülle und Wucht der
Massen zu schmälern — dem begleitenden Gliederapparat, in welchem
die statischen Verhältnisse sinnbildlich in dynamische Leistungen um-
gesetzt werden, eine vorzüglich wichtige Rolle zugeteilt, eine Tendenz,
in welcher merklich schon etwas von Gotik vorausklingt.
Einige Beispiele aus dem 10. Jahrhundert und der ersten Hälfte
des 11. sind auf Taf. 246 zusammengestellt. Sie zeigen den spezifisch
romanischen Charakter noch sehr unentwickelt, auch noch keine
stärkeren Unterschiede der Provinzialstile, wohl aber die Ueberlegen-
heit des Südens in der technischen Durchbildung. Die Fassade von
S. Aphrodise in Beziers erinnert an gleichzeitige Bauten in Pisa und
Lucca. Sehr eigentümlich ist die Westfront von S. Front in PErigieux;
unsere Zeichnung nach der nicht in allen Stücken gesicherten Restau-
ration von de Vcrneilh; die Entstehungszeit am füglichsten mit der
zu a. 1047 berichteten Weihe in Verbindung zu setzen; die streng
antikisierende Attika dürfte ein Zusatz des 1 2. Jahrhunderts sein, wäh-
rend die Dekoration der Vorhalle und des Mittelschiffgiebels einer
Epoche entspricht, welche antike Zierglieder im einzelnen mit Aengst-
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
lichkeit nachahmte, für antike Kompositionen aber noch kein Ver-
ständnis hatte.
Wir betrachten nun nacheinander die einzelnen Schulen in der
Epoche des entwickelten Stiles.
PROVENCE (einschliesslich Dauphine und Niederlanguedoc).
Auf dem Namen der Provence ruht ein romantisch-farbiger Glanz, in
dessen Mittelpunkt Leben und Dichtung der ritterlichen Sängerschar
der Troubadours steht. Weniger weltkundig, aber nicht weniger merk-
würdig ist, was die namenlosen Baukünstler des zwischen Frankreich
und Italien ein mittleres Drittes bildenden Landes vollbrachten. In
ihren zeitlichen Grenzen fallen die provencalische Dichtung und die
provencalische Baukunst genau zusammen. Beide erwachen mit dem
Ende des n. Jahrhunderts und die eine wie die andere empfangt den
Todesstoss in den Schrecken der Ketzerkriege des 13. Obgleich
sie unzweifelhaft durch dieselben Kräfte ins Leben gerufen sind, fallt
es doch schwer, das einigende Band zwischen ihnen aufzudecken.
Denn, wenn die provencalische Dichtung für uns der Inbegriff des
Romantischen ist, die erste, die den Bann der lateinischen Kirchen-
sprache bricht, die Volkssprache zur Kunstsprache erhebt: so ist das
Ziel der provencalischen Baukunst eine klassische Renaissance, Wieder-
herstellung der griechisch-römischen Formensprache. Diese Hinneigung
in einem Volke, das griechische Einwanderer zu seinen Ahnen zählte,
das dann vollständiger romanisiert war, als irgend ein ausseritalisches,
und reiner sein Blut in der grossen Mischung der Wanderzeit erhalten
hatte als z. B. die Bewohner der Poebene, das durch Klima und
Lebensgewohnheiten immer ein südliches blieb, das wohlerhaltene
Denkmäler aus der Glanzzeit der römischen Kunst noch in Fülle
vor Augen hatte, — sie ist an sich höchst begreiflich. Zu ihrer
richtigen Beurteilung gehört aber noch das andere, dass sie nicht
etwa aus einer ununterbrochenen Ueberlieferung hervorgegangen war:
Sie ist eine bewusste Renaissancebewegung. Von ihr unterscheidet
sich die Zeit des 10. und 11. Jahrhunderts aufs bestimmteste, in
welcher nichts davon zu entdecken ist, dass in der Provence ein vol-
leres Nachleben in der Antike sich erhalten hätte, als in den Nachbar-
landschaften Galliens oder Italiens l), es wäre denn in rein technischen
Dingen. Die auszeichnende baugeschichtliche That der Provengalen
') Gegen die irrigen, aus einer falschen Chronologie der Denkmäler hervorge-
gangenen Anschauungen von Revoil und Viollet-le-Duc s. meine Ausführungen im Jahr
buch der k. preuss. Kunstsammlungen, 1S86, Heft 3.
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
62 5
in der Frühzeit ist, dass sie allen anderen Schulen voran ihren Kirchen-
bau in einen reinen Steinbau verwandelten. In dieser Aufgabe blieben
ihre Bestrebungen längere Zeit gefesselt. Während die übermassig
starken Umfassungsmauern im Innern eine einfache, doch ausdrucks-
volle Nischen- und Pilastergliederung erhielten, verharrte das Aeussere
in primitivster Formenarmut, werden die kahlen Wandflächen durch
nichts als die schmalen Fenstereinschnitte und die ganz schlichten
Strebepfeiler unterbrochen ; kein Sockel ; vom Kranzgesimse eben nur
eine Andeutung; einzig das schon beinahe glänzend behandelte Gross-
quaderwerk rettet vor dem Eindruck finsterer Rohheit. Diese Opfe-
rung der Aussenansicht ist so wenig ein romanisches, wie ein antikes,
sie ist ein altchristliches Prinzip.
Zwerggaleric an der Apsis von S.
So zeigen auch die wenigen etwas eingehender gegliederten und
geschmückten Denkmäler eine Fortentwicklung altchristlicher Formen
sehr ähnlich der in Oberitalien sich vollziehenden und vermutlich nicht
ohne Einfluss von dieser Seite '): Lisenen, Bogenfriese, derbe steile Ge-
simse mit der Sägezahnverzierung. (Beispiele : S. Martin de Londres,
Taf. 257, S. Guilhem de Desert, S. Pierre zu Maguelonne, S. Pierre
zu Reddes, der Campanile von Puisalicon, die älteren Teile des
Turmes von S. Trophime in Arles, Taf. 276; einmal, an der Apsis
von S. Guilhem, eine ganz frühlombardisch aussehende Zwerggalerie).
•) Sonderbarerweise denkt Viollet-le-Duc an rheinische Einflüsse; die allerdings
in manchen Einzelheiten vorhandenen Anklänge erklären sich ganz natürlich aus der
Gemeinsamkeit der lombardischen Quelle.
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626
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Die Ausdehnung dieses Stieles rhoneaufwärts bezeugt der Westbau und
Zentralturm von S. Philibert in Tournüs, Taf. 260. Wo an Ziersäulchen
oder Gesimsen antikisierendes Detail auftritt, folgt es lediglich der in
Südeuropa damals konventionellen Auffassung (Taf. 236, 1 — 4).
Jahrhundertelang waren also auch die Provencalen an der
reineren Schönheit der klassischen Kunst, mit deren Ueberresten ihr
Land so reich beschenkt war, blind vorübergegangen. Es scheint
ihnen plötzlich wie Schuppen von den Augen gefallen zu sein. Die
ersten Zeugen des Umschwungs sind die Portalbauten an den Kathe-
dralen von Aix und Avignon (Taf. 285), deren Entstehungszeit in
den 90er Jahren des 11. Jahrhunderts gut beglaubigt ist1). Die nun
beginnende, das 12. Jahrhundert und die ersten Jahrzehnte des 13.
beherrschende provengalische Renaissance ist ein Seitenstück zu der
zeitgenössischen toskanisch-römischen , nur erfasste sie das Wesen
der alten Baukunst tiefer und war in der Nachschöpfung konsequenter.
Die genannten frühesten uns bekannten Versuche der neuen Richtung
sind noch ängstlich genaue und fast bis zur Täuschung geglückte
Abschriften bestimmter römischer Vorbilder aus nicht mehr der besten
Zeit. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts hat sich der Geschmack
geläutert, die arachaistische Strenge gemildert; der antike Formen-
schatz wird als ein Ganzes betrachtet, mit dem man wie mit seinem
Eigentum schaltet; neben den frei und sicher wiedergegebenen
kannelierten Säulen und Pilastern, den Zahnschnitten, Eierstäben,
Perlschnüren, Mäandern, dem wohlgebildeten Akanthuslaub treten
selbständig stilisierte Blattformen und in zunehmender Fülle phan-
tastische Tier- und Menschengestalten hervor, mit den andern mit
einer reizenden Willkür verbunden, die uns doch sagt, dass wir
Werken des blühenden Mittelalters gegenüber stehen. Eine strengere
Einheit des Formenwesens wird in der provengalischen Protorenais-
sance nicht erreicht, kaum erstrebt; wohl aber Einheit der Stimmung;
und diese lässt auch die mittelalterlichen Elemente in ihr »in einer
breiten, heiteren, bequemen Weise auftreten, die sich von dem Cha-
rakter der nordischen Bauten sehr auffallend unterscheidet? (Schnaase
Es hätte in der That seltsam zugehen müssen, wenn die provencalische
Kunst, im Besitz so glänzender Mittel und mit dem Auftrage, einem
sinnlich-heiteren Volke zu gefallen, nicht auch der allgemeinen Zier-
') A. Kamee im Bulletin du comitc des travaux historiques 18S2, p. 195. —
Mcrimce dachte an die Zeit der Westgotenherrschaft , ein verzeilicherer Irrtum , als Re-
voils Inanspruchnahme für die Karolingerzeit.
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
627
lust des Jahrhunderts ihren Tribut gezahlt hätte. Immer aber leistete
der den Südländern eingeborene Sinn für Simplizität ein starkes
Gegengewicht. Auch die Kirchen des 12. Jahrhunderts bleiben im
ganzen genommen einfach in ihrer äusseren Erscheinung. Der Schmuck
wird auf einzelne bedeutende Stellen gesammelt, namentlich die Por-
tale und Kranzgesimse, die mit den ruhigen Wandflächen und mässig
bewegten Hauptumrissen zu einer höchst diskreten Wirkung zu-
sammenklingen. Diese Oekonomie ist von wesentlich anderer Art,
als die in Italien so häufige, in der die Pracht der Schauseite der
übrigen Dürftigkeit unvermittelt gegenübersteht; sie vergisst nie die
Harmonie des Ganzen.
Freilich sind gleichmässig gut konservierte Denkmäler nur spär-
lich vorhanden. Unter ihnen eines der vorzüglichsten ist die Kirche
Ste. Marie au Lac in Le Thor vom Ende des 12. Jahrhunderts; im
kleinen Massstab unserer Zeichnung (Taf. 257) kommt die knappe
Anmut der Formen, die Feinheit der Meisselarbeit leider kaum zur
Geltung. Einen besseren Begriff wird man von der Apsis der Kathe-
drale von Cavaillon gewinnen (Taf. 258, vgl. die Details Taf. 296
und 339). Kannelierte Pilaster mit geradem Gebälk hat die Apsis von
S. Jean de Moustier in Arles. Am meisten bezeichnend für das pro-
vencalische Stilgefühl ist die der Antike sich nahe anschliessende
Bildung des Hauptgesimses: ausladende, breit schattende Platte mit
Sima und Konsölchen, alles mit skulpiertem Ornament überzogen, das
bei der nur massigen Höhe der Gebäude seine Wirkung nicht verliert;
Beispiele auf Taf. 338. Figurenfriese unter dem Kranzgesims finden
sich an den Kathedralen von Vaison, Cavaillon, Nimes. Bei reicherer
Zusammensetzung der Profile bleiben die Flächen glatt und oft sind
gerade diese freieren Schöpfungen von bewunderungswürdig feiner
plastischer Bewegung. Manche kleine und schlichte Bauten wie z. B. das
Kirchlein S. Ruf bei Avignon erhalten dadurch einen überraschenden
Stempel von Vornehmheit (Taf. 316). Einen eigentümlichen Schmuck
bilden die Firstkämme der Dächer (Taf. 318), dem Zweck nach mit
den Firstziegeln der antiken Tempel übereinstimmend (Schutz der an
dieser Stelle mit einer offenen Fuge zusammentreffenden Dachplatten),
wie denn auch Nachahmung von Stirnziegeln in rein dekorativer Ab-
sicht vorkommt (Taf. 336, 7). Der Aufbau der Seitenwäude wird von
den unvermeidlichen Strebepfeilern beherrscht. Der in S. Paul-trois-
chäteaux gemachte Versuch, sie durch eine Pilasterordnung — in
überraschend reinem Stil — zu ersetzen, steht unseres Wissens ver-
einzelt da (Taf. 337).
Fragen wir nun nach dem wichtigsten , dem System der Fas-
saden, so ist es leider wenig, was uns die Denkmäler darüber aus-
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628
Zweites Buch: Der romanische Stil.
sagen; sie sind grossenteils entweder unvollendet geblieben oder ver-
stümmelt. Bei den die Ueberzahl bildenden einschiffigen , selten
grossräumigen Anlagen verbot die Schmalheit der Stirnwand zusammen-
gesetztere Kompositionen von selbst; ein hohes reichgeschmücktes
Portal, zuweilen noch von einer Nische oder einem von Säulen ge-
tragenen Blendbogen umrahmt, darüber ein kleines Oculusfenster.
scheinen in der Regel genügt zu haben; im übrigen blieb die Wand
ungegliedert. Grössere Ansprüche stellen die dreischiffigen Anlagen.
In S. Paul-trois-chäteaux, wo nur die Mittelpartie des Erd-
geschosses zur Ausführung kam, erkennt man als Vorbild einen römi
sehen Triumphbogen ; wenn vollendet, wäre vielleicht etwas Aehnliches
hier entstanden, wie 300 Jahre später in S. Francesco zu Rimini durch
L. B. Alberti. — Absichten höchster Art treten in Saint-Gii.les her-
vor, dem grossartigsten Unternehmen des 12. Jahrhunderts (vgl. S. 382"'.
Auch hier ist nur das Erdgeschoss ausgeführt, dieses glücklicherweise
vollständig (Taf. 259X Die Idee ist: drei Portale sollen zu einem ge-
schlossenen Ganzen zusammenkomponiert werden. Eine über die ganze
Breite der Front sich hinziehende Säulenstellung ist angenommen,
deren Gebälk auch über den Thüren als Sturz fortläuft. Auffallend in
der sonst so klar gedachten Komposition ist der plötzliche Bruch des
Fries- und Gesimssystems an der Grenze der Mittel- und Seitenpartie :
so auffallend, dass er nur unter Voraussetzung eines Wechsels im
Bauplan und wohl auch der Bauleitung — vielleicht im Zusammenhang
mit dem Verzicht auf die Ausführung des Obergeschosses — begreif
lieh wird. Diese Unebenheiten abgerechnet, ist die Fassade von Saint-
Gilles die vorzüglichste Leistung der romanischen Protorenaissance
und kann sich in ihrem eigentümlichen Wert selbst neben den be-
rühmten Prachtfassaden des italienischen Quattrocento wohl behaupten.
Im Gedanken der Verbindung der Portale mit einem Säulen portikus
liegt eine allgemeine Aehnlichkeit mit S. Miniato in Florenz; die Auf-
fassung im besonderen ist allerdings eine charakteristisch verschiedene.
Bei S. Miniato treten die Glieder nur in schwachem Relief aus der
Fläche heraus; bei S. Gilles findet hingegen eine starke Bewegung
vor- und rückspringender Teile statt, die Säulen stehen ganz frei und
nötigen das Gebälk zu weiter Ausladung, die Portale bilden tiefe
Nischen. Die Formen der Antike sind zu einer ganz neuen malerischen
Wirkung umgestimmt und empfangen durch diese den vollen Reiz de>
Ursprünglichen, Naiven. Am tiefsten bekundet sich der Gewinn aus
dem Umgang mit der klassischen Kunst in der Sicherheit, womit der
überschwengliche Reichtum des Zierrats so geordnet ist, dass alle
Unruhe dem Gesamtbilde fern bleibt. Erreicht ist das zunächst durch
den klaren und kräftigen Rhythmus der architektonischen Einteilung.
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
629
dann durch die Abstufung des plastischen Ausdrucks durch alle Arten
des Reliefs bis zur freien Statue , endlich und vor allem durch die
Sonderung in grosse Licht- und Schattenmassen , welche vermöge der
nach antiker Weise rechtwinkligen Schneidung der Flächen viel be-
stimmter begrenzt sind, als es bei den schräge abgestuften Thürge-
wänden des nordisch-romanischen und des gotischen Stils möglich
wird. Ein Unterbau von zwölf Stufen hebt das Ganze in den für die
Betrachtung günstigsten Gesichtswinkel. Ausserdem bieten sich (was
unsere Zeichnung nicht unmittelbar veranschaulichen kann), dem auf
der obersten, zur Plattform erweiterten Stufe sich bewegenden Betrachter
in der schrägen Ansicht Einzelbilder von pikantestem malerischem
Reiz. — Ist auch der Kirchenbau von Saint-Gilles laut Inschrift 11 16
begonnen, so fällt es schwer, die Fassade viel vor der Mitte des Jahr-
hunderts entstanden zu denken. Sie fand alsbald, aber frühestens 1152,
wahrscheinlich um einige Jahre später, eine nur in Kleinigkeiten ab-
weichende Nachahmung an S. Trophime in Arles (oft abgebildet, 11.
a. bei Viollet-le-Duc VII, 418, am eingehendsten bei Revoil). Hier ist
sie als Vorsatzstück vor der übrigens kahlen Frontwand behandelt,
nach oben mit einem Giebel abgedeckt. Die Reproduktion ist aber
keine vollständige, sondern begreift nur das Mittelstück mit den an-
schliessenden Säulenreihen; für uns Bestärkung in der oben ausge-
sprochenen Vermutung, dass die Seitenportale in Saint-Gilles nur einiges
später entstanden seien, als der Mittelbau. — Zu vergleichen ist noch
das Fassaden frag ment von Saint-Püns (Taf. 25^)» Idee von Saint-
Gilles ist hier vereinfacht und, zugleich vermittelalterlicht.
Im Tiefland der GARONNE ist ein bestimmt ausgeprägtes
System des Ausscnbaues heute nicht mehr nachzuweisen. Schon die
Albigenserkriege haben vieles beschädigt oder zerstört, anderes und
darunter bedeutendes, wie die Kathedrale von Toulouse und Agen
während des Baus in Stockung gebracht.
Noch erkennbar ist die Neigung zu grossen, mit Skulpturen über-
ladenen Portalen, die z. B. von den Abteikirchen von Moissac und
Conques den einzigen Schmuck ausmachen; selbst kleine und im
übrigen bescheidene Kirchen, wie die von Lescures unweit Alby zeigt
(Taf. 289), haben sich diesen Luxus gestattet. Mehrfach kommt ein
Mischbau aus Ziegel und Haustein vor, dessen Behandlung aus der
auf Taf. 255 abgebildeten Chorseite von S. Sernin in Toulouse er-
sichtlich wird; die Langseiten sind einfacher gehalten, die Fassade
unvollendet.
Um so grösser ist die Summe einheitlich durchgeführter und von
späteren Zeiten unberührt gelassener Aussenarchitekturen in AQUI-
TANIEN. Die auf Taf. 247 — 250 mitgeteilten Beispiele sind nur ein
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630
Zweites Buch : Der romanische Stil.
kleiner Bruchteil davon ; zur Charakteristik reichen sie aus. Auch
diese Gegenden hatten sich der Basilika vollständig entfremdet. Für
die Fassaden ergibt sich aus den üblichen Querschnitten (Taf. 98, 106.
122 — 124) als Hauptumriss ein einfaches Rechteck; bei einschiffigen
Sälen mit vorwaltender Höhenausdehnung; bei Hallenkirchen mit
vorwaltender Breite. Aber nicht immer thaten die im Querschnitt
gegebenen Masse und Verhältnisse der Kompositionsabsicht Genüge,
was zu einer sonst nur in Italien vorkommenden, in der provenca-
lischen Kunstregion trotz ähnlicher Vorbedingungen nicht zu be-
merkenden Auskunft führte : der kulissenartigen Ueberhöhung der
Giebelwand. Sie fehlt an keinem der auf unsern Tafeln vorgeführten
Beispiele und ist z. B. in Poitiers und Civray (Taf. 249) sehr erheb-
lich. Nicht selten gab man sogar das bekrönende Giebeldreieck auf.
um mit einer wagrechten Linie zu schliessen. Wird schon hierdurch
an der Auffassung der Fassade als eines selbständigen Schaustückes
kein Zweifel gelassen, so geschieht es noch mehr durch die Teilung
im einzelnen, die von dem in der äusseren Seitenansicht wohlerkenn-
baren Aufbau des Schiffes gänzlich absieht. Regelmässig sind mehrere
Geschosse von blinden Galerien übereinander gestellt, mit scharf ge-
zogenen horizontalen Teilungslinien, selten mit Hinzuziehung ver-
mittelnder Vertikalen (wie mit trefflicher Wirkung in Roulet, Petit-
Palais und besonders an der Kathedrale von Angoulesme). Weiter
ist bezeichnend die Häufung struktiver Glieder im Dienste der Deko-
ration, das gerade Gegenteil von der südfranzösischen Simplicität.
Eckige Formen, also Pilaster und Wandpfeiler, werden nach Kräften
vermieden und an ihre Stelle treten Halb- und Dreiviertelsäulen mit
gedrungenen Stämmen ein, wie z. B. in Civray und Poitiers die mit
Türmchen bekrönten Eckverstrebungen als Säulenbündel behandelt
sind. Der Charakter des Ornamentes ist reich, üppig, quellend; zu
dem aus der Antike abgeleiteten und in diesem Sinne umgestalteten
Blattwerk kommen gedrängte Massen von Menschen, Bestien, fabel-
haften Ungeheuern, in denen der den nordischen Völkern in dieser
Zeit gemeinsame Hang zum Phantastischen so ungebändigt, man
möchte sagen spukhaft sich äussert, wie nirgend sonst mehr; alles in
einem Vortrag, der die kleinkunstmässige , an Elfenbeinschnitzereien
oder getriebener Goldblecharbeit erzogene Formenanschauung un-
bedenklich in den monumentalen Massstab hinübernimmt und manche
Kirchen fassade nicht anders als die Schauseite eines vergrösserten
Reliquienkastens erscheinen lässt.
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
63 >
An kleinen Bauten, wie die meisten es sind, insbesondere an den
der Siidhälfte des Gebiets ') angehörenden , paart sich mit den ge-
schilderten Eigenschaft eine anziehende, naive Anmut; je mehr aber
der Massstab wächst, um so greller tritt die Unzulänglichkeit des archi-
tektonischen Stilgefühls hervor. Fassaden, wie die von Nötre-Dame-
la-Grande in Poitiers und S. Nicolas in Civray machen in ihrem
uferlosen Reichtum einen unbeschreiblich fremdartigen, geheimnisvoll
dunkeln und dumpfen Eindruck, als wären sie Ueberbleibsel aus ur-
alter Märchenzeit ; wiewohl sie in Wahrheit auf der Höhe des 12. Jahr-
hunderts entstanden sind. Wir irren wohl nicht, wenn wir in diesen
Produkten ein Aufwogen des altkeltischen Volksgeistes zu erkennen
glauben, wie uns umgekehrt die Kunst der Provengalen einen leben-
digen Nachhall gräko-italischer Geistesheiterkeit und Mässigung em-
pfinden liess.
Die erste Reaktion gegen die geschilderte Richtung ging von
der Schule des PERIGORD aus. Der auf das Einfach-Grosse ge-
richtete Sinn, den wir in den Binnenräumen ihrer Kuppelkirchen kennen
gelernt haben, verbannte auch aus der Aussenarchitektur jedes leichtere
Formenspiel. In dieser Gesinnung bestärkten die in Perigueux noch
vorhandenen Römerbauten, deren Einfluss wir schon im 11. Jahrhun-
dert kennen gelernt haben.
Der Neubau von S. Front und die Kathedrale St. Etienne zeigen
als Belebung der Flächen, soweit sie überhaupt gesucht wird , allein ge-
wichtigste Strukturglieder und eine knappe Dekoration der gruppenweise
zusammentretenden Fenster. Man fühlt sich an die männlich schlichte
Haltung römischer Festungs- und Nutzbauten erinnert. Welcher Ernst
auch bei der Absicht auf reichere Wirkung bewahrt blieb, gibt der
merkwürdige Glockenturm von S. Front zu erkennen. Indessen ist
dieser Stil nicht dem System der Kuppelkirche als solchem inhärierend;
denn dessen Ausläufer an der unteren Charente gehen zu der dort
heimischen üppigen Behandlungswei.se über (Kathedrale von Angou-
lesme u. s. w.), während diejenige des Limousin ins Schwere und
Schwülstige fällt (Solignac, Souillac u. s. w.).
Eine zweite Reaktion nach dem Einfachen bringt der aus dem Anjou
kommende Plantagenetstil. Sein grossartigstes Denkmal im Poitou, die
Kathedrale der Landeshauptstadt, obgleich nur eben ein Menschenalter
jünger als die Fassade von Notre-Dame-la-Grande, verkündet einen
vollständigen Umschlag des Geschmackes. Die Fassade zwar ist erst
') Hier im Saintonge liegen sämtliche auf Taf. 247 und 248 abgebildeten Denk-
mäler ; in derselben Gegend besitzen ähnliche Fassaden : Esnandes, Eschaudes, Ecoyeux,
Eschebrune, La Rouleric, Kcnioux, Brizambourg, Cognac, Chateauneuf, Surgirres, Saint-
Savinien, Saint-Porchaire, Sainies.
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632
Zweites Buch: Der roraanische Stil.
in vorgerückter gotischer Zeit erbaut, die Ostseite dagegen (von der
wir keine Abbildung mitteilen zu können bedauern), ist durch grandiose
Einfachheit bei entwickeltem Sinn für harmonisch proportionierte
Flächenteilung höchst ausgezeichnet.
Ueber das Bergland der AUVERGNE und des Velay ist im
gegenwärtigen Zusammenhange wenig zu sagen. Die Einzelformen
sind denen der Westprovinzen verwandt, etwas derber und rauher,
die allgemeine Wirkung gleichwohl verschieden; denn der plastische
Gruppencharakter der Anlage forderte einesteils Zurückhaltung der
Einzelgliederung, andernteils gleichmässige Verteilung derselben. Re-
lativ am meisten geschmückt — wie wir S. 601 ausgeführt haben, mit
Zuhilfenahme farbiger Inkrustation — ist die Chorseite, auf welcher
auch in der Massengruppierung der Nachdruck liegt. Ein oft wieder-
kehrendes, ansprechendes Motiv ist die Arkatur als oberer Abschluss
der Seitenmauer (Taf. 253, 3), dem zweigeschossigen inneren Aufbau
antwortend.
Die einzige namhafte Fassade gehört der Kathedrale von Le Puy
und diese unterliegt ganz ungewöhnlichen Bedingungen (vgl. Taf. 262
mit 1 1 2 und der Beschreibung S. 349). Die durch die Treppenanlage
motivierten drei hohen Bogenöffnungen des ersten Geschosses wirken
feierlich und gross. Der damit aufgenommene Höhenrhythmus wird
aber in den folgenden nicht kräftig genug weiterentwickelt, wenn auch
die freistehenden Seitengiebel wohl in dem Gefühle dieses Bedürfnisses
erfunden sind. Inkrustation und plastische Gliederung sind gut zu
einander gestimmt.
Wir wenden uns nun von den occitanischen Provinzen in die
nördlichen und gelangen damit wieder ins Gebiet der rein basilikalen
Anlagen. Die hervorstechendsten stilistischen Charakterbilder geben
einerseits Burgund, andererseits die Normandie. Beide nehmen durch
die klare Beziehung und das harmonische Gleichgewicht, worin sie
Struktur und Dekoration, Massengruppierung und Flächengliederung
zu setzen verstehen, einen hohen Rang ein.
BURGUND. In der Wandgliederung des 1 1 . Jahrhunderts spiel-
ten, wie aus dem bedeutendsten erhaltenen Bau dieser Zeit, S. Philibert
in TüURNUS (Taf. 260) zu ersehen ist, Lisenen und Kleinbogen die
wichtigste Rolle und erhielten sich noch an kleineren stilistisch zurück-
gebliebenen Bauten bis in das 12. Jahrhundert. Unter dem Einfluss
der jüngeren Schule von Cluny weicht dieses Formensystem einem
neuen, aus nordisch-romanischen und provengalisch-antikisierenden Ele-
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau. 63^
menten zusammengeschmolzenen (gutes Beispiel der Thorbau in Cluny,
Taf. 262). Die vom H. Bernhard so hart getadelte und von seinem
Orden, dem cisterciensischen, praktisch bekämpfte Pracht der Bauten
dieser Schule ist in Wahrheit keine masslose und in hohem Grade
von Würde und ruhigem Kraftgefühl erfüllt. Das System des äusseren
Aufbaus lernen wir am besten an der Kathedrale von Autün kennen
(Taf. 264 ; ganz ähnlich waren oder sind Cluny, La Charite und wahr-
scheinlich noch manche andere). Der Hauptschmuck ist die schöne,
der Antike nachgebildete Arkatur, die wir schon im Innern kennen
gelernt haben; denselben Platz im System, wie dort, hat sie hier
indes nur an der QuerschirTsfront ; im Langhause dient sie, nicht
weniger passend, als oberer Abschluss, als Belebung und Erleichterung
der durch die Bedachung des Tonnengewölbes bedingten Mauerüber-
höhung über den Oberfenstern. .Von den Fassaden der grossen
burgundischen Kirchen gilt dasselbe, wie von den prove n galischen :
entweder sind sie infolge innerer und äusserer Schwierigkeiten un-
vollendet geblieben, oder sie sind der Impietät jüngerer Zeiten zum
Opfer gefallen.
Die Neubauten in Cluny und Paray-le-Monial begnügten sich
merkwürdigerweise mit ihren alten Fronten aus dem xi. Jahrhundert
(Taf. 260, 262), La Charite und Beaune sind spätgotisch verstümmelt,
Langres hat zum Ersatz für die ursprünglich unausgeführt gebliebene
eine Barockfassade erhalten ; so kommen für uns nur Autun und Veze-
lay in Betracht, und auch diese geben kein homogenes Ganzes. In
Autun gab man den Ausbau der oberen Teile auf, insofern nicht mit
Unrecht, als sie sich mit der inzwischen hinzugekommenen gewaltigen
Vorhalle doch nicht hätten in Einklang setzen lassen. Für sich ge-
nommen ist diese Halle mit ihren drei wohlproportionierten Oeffnungen,
dem inneren Stufenbau, der malerisch beleuchteten Perspektive und dem
Schlusspunkte des kolossalen Prachtportals eines der majestätischesten
Architekturbilder nicht aus dem Mittelalter allein (Taf. 284). Vezei.ay
(Taf. 263) ist im Formencharakter von der Schule von Cluny unab-
hängig, die Komposition ist aber in den allgemeinen Zügen dieselbe,
wie die für Autun vorauszusetzenden (die auf unserer Zeichnung
weiss gelassenen Teile sind gotisch umgearbeitet, der nördliche Turm
ist ergänzt), der Schwerpunkt der Fassade liegt in der Gruppe der drei
Portale, in Vezelay und Autun wie in Saint-Gilles und dessen Ver-
wandten. Bei der nur ungefähren Kenntnis der Ausführungszeit der
fraglichen Bauteile müssen wir uns zu konstatieren begnügen, dass das
Problem die provencalischen und burgundischen Architekten gleich-
zeitig beschäftigt hat. Die burgundische Lösung wurde dann unmittel-
4«
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634
Zweites Buch: Der romanische Stil.
bar vorbildlich für die nordfranzösisch-gotische Schule. Das Neue ist
nicht die Dreizahl der Portale an sich — denn sie war in allen Zeiten,
wiewohl nicht oft, vorgekommen — sondern die Steigerung der Masse
und die Zusammenschiebung zu einer geschlossenen Gruppe, wodurch
sie die Beherrscher der ganzen Komposition werden. Das Mittelportal
übt durch seine weitere Oeflfnung und reichere Ausstattung eine kräftig
zentralisierende Wirkung aus, die Zuspitzung der Gruppe zu einem
flachen Dreieck präludiert auf die Giebelbekrönung des Ganzen. — Die
kleineren Stifts- und Pfarrkirchen pflegen der Fronttürme zu entbehren.
Als Beispiel der einfacheren Art diene Chateauneuf (Taf. 261). Doch
kommen auch in dieser Gattung höchst prächtige Portalbauten vor,
wie in S. Ladre in Avallok (dreifach), S. Philibert in Dijox. Tosnerre,
Semur-ex-Brioxnais, Charliel'.
Im Lyonnais erfährt der burgundische Stil eine Nüancierung durch
manche eigentümliche Züge, auf unserer Taf. 261 vertreten durch
S. Martix o'Aixay in der Vorstadt von Lyon und S. Pail de Varax.
NORMANDIE. Entgegengesetzt den Schulen der Provence und
Burgunds, mit denen des Poitou und Saintonge übereinstimmend, be-
hält der normannische Stil selbst noch auf seiner Höhe einen Anflug
des Barbarischen. Im einzelnen betrachtet, äussert sich dasselbe aber
sehr anders dort bei dem kelto-romanischen , hier bei dem durch
eine zwiefache Einwanderung germanisierten Stamme. War dort der
Formengeist üppig und excentrisch, so ist er hier streng und spröde ;
modelte er dort alles ins rundliche und quellende, so hier alles ins
eckige, spitzige, ftraffe; arbeitete er dort gleichsam in weichem Ton,
so hier gleichsam in Eichenholz und Eisen. Die Erinnerung an die
Antike ist in so weite Form gerückt, wie sonst in keiner Region des
Abendlandes. Das vegetabilische Element fehlt der Ornamentation
nahezu ganz. Wie im germanischen Altertum herrschen geometrische
und nebenher der Tierwelt entlehnte Formen; die letzteren noch
immer in einer fratzenhaften Stilisierung, die ersteren zum Teil als
Weiterbildung der althergebrachten Band-, Flecht- und Webern uster,
zum Teil in neuen selbständigen Erfindungen, für die namentlich die
Metalltechnik vorbildlich wurde. Es sind die hier nicht näher zu
beschreibenden Zickzacke, Zinnen, Rauten, Schuppen, Schachbrett-
muster, Spitzzähne, Sterne, Nagelköpfe, Rosetten, Kreisverschlingungen,
für die man sich auf Taf. 291 und 347 die Beispiele zusammensuchen
mag. Der Spitzbogen, in den süd- und mittelfranzösischen Provinzen
schon im 11. Jahrhundert mit dem Rundbogen promiscue gebraucht,
bleibt der Normandie bis zum Eintritt in die Gotik unbekannt.
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Fünfzehntes Kapitel : Der Aussenbau.
635
Bei Betrachtung des Systems der Langseiten muss man sich
die relativ lange Dauer des hölzernen Deckensystems in der nor-
mannischen Architektur gegenwärtig halten. Hier nun macht sich
die regelmässige Anwesenheit eines Gliedes, das sonst nur im Gefolge
der Gewölbedecke gesehen wird, auffallend bemerklich: des Strebe-
pfeilers. Er ist ersichtlich eine Lehnform. Aus Quadern gefügt mag
er in älterer Zeit bestimmt gewesen sein, das oft recht nachlässige
Bruchsteinwerk der Mauern zu versteifen; im entwickelten Stil hatte
er wesentlich nur formale Bedeutung. Von dem echten Strebepfeiler
der gewölbebauenden Provinzen unterscheidet sich der normannische
durch seine erheblich geringere Ausladung — der Vorsprung beträgt
regelmässig nur so viel , als der des Dachgesimses — bei grösserer
Breite. Er ist also, in anderer Form, der Sache nach dasselbe,
wie die mitteleuropäische Lisene (Dekoration mit Ecksäulchen in
Ste. Trinke in Caen, S. Georges de Boscherville, S. Gabriel u. a. m. ;
vier Fälle von Fenstern im Pfeiler bei Ruprich-Robert p. 72 , welche
Seltsamkeit übrigens nicht ganz singulär ist, vgl. z. B. S. Georg in
Regensburg, Taf. 231). Eine Hauptzierde der normannischen Kirchen,
die den kleineren unter ihnen fast noch seltener fehlt, als den grossen,
ist die Bekleidung der Sargwände des Hochschiffs mit einer die
Fenster in sich schliessenden Arkatur. — Die Fassaden unterscheiden
sich , je nachdem es sich um vornehme Abtei- und Kathedralkirchen
oder um Kirchen zweiten Ranges handelt, dadurch, dass jene mit
Doppeltürmen ausgestattet sind, diese turmlos bleiben.
Die Beispiele der letzteren Art auf Taf. 207 gehören dem 12. Jahr-
hundert an. Die grossen Fassaden des n. Jahrhunderts, Jumieges und
S. Etiexxe in Caex, machen in ihrer Strenge einen fast drohenden,
sicher in hohem Grade imponierenden Eindruck; die von Stk. Trixite
in Caen ist, wie es scheint, durch jüngere Ueberarbeitung , etwa ge-
legentlich der Einwölbung der Schiffe prächtiger geworden, doch immer
noch ernst genug. Der dreigeschossige Aufbau folgt aus dem inneren
System. Die Pfeilervorlagen sollen nicht nur materiell die Türme
sichern , sondern auch das Auge auf sie vorbereiten ; eine rechte or-
ganische Eingliederung ist aber noch nicht gelungen (Taf. 266, 270).
Uebertragung des normannischen Fassadensystems in die Formen
des angevinischen Uebergangsstils zeigt die Kathedrale von Axgers
(Taf. 270), eine von südlicher Simplicität und südlichem Proportions-
gefühl berührte, vorzüglich edel und keusch durchgeführte Komposition ;
Entstehungszeit etwa 1 150— 11 70.
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636
Zweites Buch: Der romanische Stil.
NORDFRANKREICH. Der eklektisch verallgemeinernde Stil
dieser Gegenden hat manches treffliche kleinere Werk der Aussen-
architektur geschaffen, ein wirklich bedeutendes zum erstenmal in der
Abteikirche von Saint-Denis.
Die Fassade des Abtes Suger ist mit Ausschluss der etwas jüngeren
Türme (von denen der nördliche nicht mehr vorhanden ist), als erster
Teil des Neubaus in raschem Zuge 1 137 — 1 140 ausgeführt. Eine Pro-
vinzialtradition lässt sich für sie nicht nachweisen; vielmehr ist uns
deutlich, dass sie aus der Synthese des burgundischen und des
normannischen Typus hervorgegangen ist, worauf nicht nur die allge-
meine Disposition, sondern auch die Zierformen hinweisen; nur auf
dem Wege über Burgund können die Kapitellformen des Chors und
die Akanthusranken am Portal hierher gekommen sein, wie das Flach-
ornament an gewissen Teilen der Fassade nur aus der Normandie.
Auffallend ist die zwischen Mittelbau und Seitenteilen bestehende Un-
gleichheit in der Höhenlage der korrespondierenden Stockwerke. Die
Absicht war einmal die relative Selbständigkeit der Türme von unten
auf ins Licht zu setzen , dann einen lebhafteren Rhythmus durchzu-
führen nach dem schon in Vezelay beobachteten Prinzip der pyrami-
dalen Gruppierung der Oeffnungen. Das oberste Geschoss schliesst
mit einem Rosenfenster (das in unserer Zeichnung noch darüber sicht-
bar werdende zweite gehört dem um die Tiefe der Vorhalle zurück-
tretenden Hauptschiffgiebel des 13. Jahrhunderts). Es ist ein feiner Zug.
dass nur in den Seitenabteilungen eine, übrigens nur leise, Brechung
der Bögen eintritt, während den Portalen und Fenstern des Mittelbaus
die reine Kreislinie gehört, als die am meisten zentralisierende. Die
Rose ist eine der ersten ihrer Art, die wir in Frankreich kennen lernen.
Kleine Oculusfenster waren nach Bedarf, d. i. wo Raumbeschränkung
darauf hinwies, hin und wieder schon längst angewendet worden ; hier
aber handelt es sich um die Aufstellung als spezifisches Giebelmotiv
und dann um die bedeutende Grösse des Durchmessers (in S. Denis
fast 4 m im Lichten). Auf welchem Wege das in der Lombardei ent-
standene Rosenfenster nach Nordfrankreich gewandert sei (etwa über
den Oberrhein?) bleibt verborgen, und nicht minder merkwürdig ist,
dass es verhältnismässig lange auf die nordfranzösische Schule be-
schränkt blieb. Möglicherweise etwas älter als in S. Denis ist es an
S. Etienne in Beauvais und Notre-Dame in CIialons, wenig jünger an
S.Martin in Laon, der Kathedrale von Senlis, Notre-Dame in Etampes;
in Burgund wie in der Normandie wird es erst im vorgerückten 13. Jahr-
hundert aufgenommen. Die geschichtliche Bedeutung der Fassade von
Saint-Denis ist eine ähnliche wie die des berühmten Chores : zerstreute
Bestrebungen des letzten Menschenalters der romanischen Kunst werden
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
637
in eine klare Schlussformel zusammengefasst und darin die Grundlinien
gezogen, denen die gotische Entwicklung folgt. — Von kleineren Fas-
saden sind die bemerkenswertesten die von S. Leu d'Esserkkt und
von Notre-Dame in Chaloxs (Taf. 271). An der ersteren, einer Clunia-
censerkirche , war anscheinend eine niedrige Vorhalle, etwa wie in
Saint-Urcel (Taf. 360) beabsichtigt; die auf c. 1125 angesetzte Ent-
stehungszeit dürfte zu früh gegriffen sein. An der zweiten gehören
nur die Türme (mit Ausschluss des letzten Geschosses) der um 11 50
zu ßnde gehenden Bauepoche, die Mittelpartie ist nach einem Brande
frühgotisch um 1170 erneuert mit Höherlegung des Giebels.
ENGLAND.
Die englische Kirchenbaukunst gelangt unter der Normannen-
herrschaft zu einer Prachtentfaltung, wie wenige Schulen des Fest-
landes. Dieselbe ist aber nicht sowohl ein Ausfluss überschäumender
Phantasie, als des Bestrebens nach imponierender Schaustellung, ver-
ständig überlegend selbst in Momenten der grössten Verschwendung,
auffallend entfernt von der Wärme und Behaglichkeit, die den ro-
manischen Stil auf dem Festlande meist so anheimelnd durchdringt.
Nicht auf Hervorhebung einzelner Teile ging sie aus — sowohl
die Fassade als der Chor, die von den übrigen romanischen Schulen
bevorzugten Schauseiten, boten in der englischen Anlage wenig Fläche
dar — vielmehr auf gleichmässig prächtige Umhüllung des ganzen
Baukörpers. Mit Seitenansichten, wie sie die Kathedralen von Canter-
bury, Norwich, Peterborough, Ely darbieten (Taf. 269), können sich
unter den grossen Bauten des Kontinents selbst die burgundischen
in Bezug auf gediegene Splendidität nicht messen, höchstens der Dom
von Pisa und (der Absicht nach) die sicilischen Normannenbauten;
um so beklagenswerter ist die Entstellung durch die spätgotische
Erweiterung eines grossen Teils ihrer Fenster. Das dekorative System
wird in niedrige Streifen geordnet, vier oder fünf übereinander, wobei
sich das Arkaturmotiv wie immer sehr dankbar erweist ; wohlüberlegt
ist die Nüancierung in der Bildung der zahlreichen Zwischengesimse.
Die wagerechten, mit dem Erdboden gleichlaufenden Linien fallen
ungewöhnlich stark ins Gewicht, übereinstimmend mit der lang-
gestreckten Gestaltung und dem schwachen Höhestreben des ganzen
Gebäudes. Die Gesamterscheinung ist um einiges heiterer, als die
des Innern (S. 290), aber an sich noch immer geharnischt und gravi-
tätisch genug.
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Kathedrale von Ely, Hinteransicht de» Weitbaus.
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
639
Ueber den Fassadenbau sind wir nur lückenhaft unterrichtet, da
selbst die im Innern verschont gebliebenen normannischen Schiffe
grossenteils gotische Aussenfronten erhalten haben. Dass und warum
das festländisch-normannische System der Doppeltürme in England
wenig Nachfolge fand, haben wir oben S. 590 ausgeführt. Dafür
kamen andere Ideen auf die Bahn, die durch Kraft und Originalität
der Auffassung in hohem Grade unsere Aufmerksamkeit fesseln. Das
Gemeinsame ist, dass als Träger der Fassadenkomposition nicht die
Stirnwand der Schiffe, sondern ein viel breiterer Baukörper, eine
eigens um der Fassade willen geschaffene Querhalle angenommen
wird. Wenn auch von einiger Gewaltsamkeit nicht freizusprechen,
hat diese Lösung doch immer mehr architektonische Wahrheit, als
die kulissenartige Fassadenerweiterung der Aquitanier, Lombarden,
Toskaner.
Taf. 268 zeigt den rechten Flügel dieses Bauteils an der Kathedrale
von Ely; der linke ist abgebrochen, das Mittelstück durch eine hohe
frühgotische Vorhalle verdeckt. Mit Hilfe des Grundrisses (Taf. 82)
und der Ansicht (oben S. 638 und Taf. 268) gewinnt man von der
ursprünglichen Bauidee eine hinlängliche Vorstellung; es war eine vor-
waltende Breitkomposition mit starker Betonung der wagrechten Teilungs-
linien, konform dem Charakter des Langhauses. Die Wirkung ist trotz
der Ueberladung mit Einzelheiten weniger unruhig, als die Zeichnung
erwarten lässt. Denn nicht allzu lange bleibt der Blick an ihnen haften :
er wird von der mächtigen Bewegung der Turmgruppe emporgezogen
und in staunende Erregung versetzt. Als sie noch unversehrt stand,
hatte diese Fassade in der Verbindung von Kühnheit und Pracht ihres-
gleichen nicht im Abendlande ; ob sie aber die geeignete Vorbereitung
auf ein Gotteshaus ist und nicht eher einen Sitz irdischer Herrscher-
majestät anzukündigen scheint, ist fraglich. Die Entstehungszeit liegt
zwischen 1174 (Vollendung der Schiffe) und 1184 (Beginn der Vor-
halle). — In einen völlig anderen Gedankenkreis versetzt uns die
Kathedrale von Lincoln. Die beistehende Skizze gibt allein den nor-
mannischen Bau unter Weglassung der gotischen Bekrönung und Flügel-
erweiterung; die einzige Restauration, die wir uns erlaubt haben, be-
trifft die Fenster. Die Fassade von Lincoln ist mindestens ein halbes
Jahrhundert älter als die von Ely. Doch nicht darin allein ist ihre
grosse Schlichtheit begründet. Jedes Mehr an Zierformen würde die
ins Grosse gehende Wirkung stören. Man kann sich nichts Wuchtigeres
denken, als diese fünf in streng pyramidaler Ordnung aufsteigenden,
in die gigantische Mauermasse tief einschneidenden Nischen. Wir
fühlen uns unwillkürlich wie von altrömischem Geiste berührt, ohne
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
dass wir bestimmte Analogien zu nennen vermöchten ; hatte vielleicht
das römische Kastell, dessen Trümmer auf dem Domberge noch sicht-
bar sind, irgendwie die Anregung gegeben? — Ausserordentlich, wie
c ' 1 > 10
K.uhcdralc von Lincoln, Westbau.
das Fassadenmotiv von Lincoln uns erscheint, stand es doch nicht
allein da. Wir können, was bei der geringen Zahl der zum Vergleiche
übrig gebliebenen Denkmäler ins Gewicht fällt, zwei Variationen des-
selben Gedankens nachweisen: in reduzierter Gestalt aber auch so
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
64I
noch immer grossartig in Tewkesbury (Taf. 360), in gotische Formen
übergeführt, doch wahrscheinlich schon im romanischen Plane vor-
gesehen in Peterborough (Buch III).
Diese wenigen Beispiele normannischer Fassaden lassen uns ahnen,
dass der Neuerungssucht der gotischen Jahrhunderte viel Bedeutendes
zum Opfer gefallen sein muss. Bei den Fassaden kleiner Kirchen,
unter denen die von Iffley und Castle-Risixg (Taf. 267) den meisten
Ruf haben , brauchen wir nicht zu verweilen , da sie wesentlich nur
durch die Einzelformen interessant sind.
Beschreibung der Tafeln1).
Gesamtansichten in der Kavalierperspektive.
Tafel an.
1. Fischbeck: Klosterkirche (Nord-Ost). — 2. Köln: S. Aposteln (Süd-
West). — 3. Regensburg; Schottenkirche S. Jakob (Nord-Ost), —
4. Paulinzellc: Klosterkirche (Nord-Ost). — 5. Jeric/iotv: Kloster-
kirche (Nord- West). — 6. Köln : S. Mauritius (Nord-Ost).
Tafel 212.
1. Tournay: Kathedrale (Ost). — 2. Ouny: Abteikirche (Nord-Ost).
— 3. Boscherville: S. Georges (West). — 4. Cahors : Kathedrale
(Nord). — 5. Conques: Abteikirche (West). — 6. Angouleme: Kathe-
drale (West). — 7. Tours: Abteikirche S. Martin (Nord-Ost).
Ansichten in geometrischem Auiriss und ix normaler Perspektive.
Tafel 213. Deutschland.
1. Lorsch: Eingangshalle des Vorhofs. — 2. Hälfte saec. 8. —
Essenwein.
2. Reichenau: Münster Sta. Maria. Westfront und westliches Quer-
schiff. — 1. Hälfte saec. n. Adler.
3. Essen: Nonnenstiftskirche, Westchor. — c. a. 1000. — Humann.
') Die Einheit des Massstahes in dieser Abteilung aufrecht tu erhalten, war nicht
mehr möglich, wenn nicht Wichtigeres, besonders die Deutlichkeit der Formen, geopfert
werden sollte. Am häufigsten sind die Massstäbe i : 200 (wie bei Darstellung der inneren
Systeme) und 1 1400 gewählt; wo der Raum es gestattete, ein grösserer. Die Dimen-
sionen der perspektivisch dargestellten Gebäude vergegenwärtige man sich mit Hilfe der
Grundrisse und Systeme.
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6^2 Zweites Buch: Der romanische Stil.
Tafel 214.
1. Minden: Dom, Westfront. — c. 1060—70; Obergeschoss c. 1120—40.
— B.-D. Niedersachsens.
2. Soest: S. Patroklus. — c. 1200. — Lübke.
3. Piaderborn: Dom. — c. 1009 — 1036. — Liibke.
Tafel 215.
1. Gernrode: Stiftskirche, Querschnitt und Westfront (ca. '.too). —
E. saec. 10, Apsis und Obergeschoss des Glockenhauses und der
Türme saec. 12. — Z. f. Bauwesen.
2. Goslar: Klosterkirche Neuwerk, Westfront. — A. saec. 13. —
Mithoff.
3. Braunschweig : Dom, Westfront, mit Weglassung des gotischen
Aufsatzes über den Mittelbau (*/»0o). — E. saec. 12. und A. saec.
13. — B.-D. Niedersachsens.
4. Susteren: Klosterkirche, Westfront ('/too). — 2. Hälfte saec. 11 —
Fisenne.
Tafel 216.
1. * Königslutter: Stiftskirche, Ostansicht. — 1. Hälfte saec. 12. —
Skizze von Dehio.
2. * Halberstadt : Liebfrauenkirche, Ostansicht. — 1. Hälfte saec. 12.
— Konstruiert nach B.-D. Niedersachsens.
Tafel 217.
1. *Maestricht: S. Servaes, Ostansicht ('/«oo). — saec. 12. — Cuypers.
2. *Lippstadt: Grosse Marienkirche, Querschi ffsfassade (V200). — E.
saec. 12. — Memminger.
3. * Maestricht : Liebfrauenkirche, Südwestansicht. — saec. 11—13.
— Tornow.
Tafel 218.
1. Trier: Dom, Westseite (ca. Vm) — saec. 11. — Gailhabaud,
Denkmäler.
2. Mainz: Dom, Ostseite (V»«©). — Flankentürme mit Ausschluss des
Obergeschosses A. saec. 11, das übrige E. saec. 12, der Mittelturm
modern ergänzt. — Schneider.
Tafel 219.
1. Mainz: Dom, Südansicht das des westlichen Querschiffs und Chors
(\joo). — Schneider.
Tafel 220.
1. Laach: Klosterkirche, Ostansicht ('/aoo). — Um Mitte saec. 12. —
Geier u. Görz.
2. Laach: Klosterkirche, östlicher Teil der Nordseite (Vson).
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-
Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau. 643
3. Speier: Dom, östlicher Teil der Nordseite (V-co). — E. saec. n,
überarbeitet saec. 12. — Hübsch.
Tafel 221.
1. Speier: Dom, Südostansicht. — King.
2. Laach: Klosterkirche, Nordwestansicht. — Bock.
Tafel 222.
1. +Köln: S. Gereon, Nordostansicht. — Chor und Turm nach M.
saec. 12, Polygon A. saec. 13. — Hofflund.
2. Koblenz: S. Kastor, Südostansicht. — Chor und Türme 2. Hälfte
saec. 12. — Tornow.
Tafel 223.
1. *Köln: S. Aposteln, Ostansicht. — Um 1200. — Photographie.
2. *Koln: Gross S. Martin, Ostansicht. — Um 1200. — Bezold.
Tafel 224.
1. Andernach: Pfarrkirche, Südwestansicht. — A. saec. 13. — Bock.
2. Limburg a. L.: Stiftskirche S. Georg. — 2. Viertel saec. 13. —
Tornow.
Tafel 225.
1. Andernach: Pfarrkirche, Ostansicht. — Der nördliche Turm viel-
leicht noch E. saec. 11, das übrige A. saec. 13. — Bock.
2. Sinzig: Pfarrkirche, Ostansicht. — Um 1220. — Tornow.
3. Münster' Maifeld: — Chor um 1225. — Tornow.
4. * Heimersheim: Pfarrkirche, Westansicht. — 2. Viertel saec. 13. —
Tornow.
Tafel 226.
1. *Bonn: Münsterkirche. — Chor und Türme um und nach Mitte
saec. 12, Querschi ff und Langhaus beg. 1208 und 1221 noch nicht
vollendet; der Helm des Zentralturms ursprünglich niedriger. —
Tornow.
2. *Bonn: Kreuzgang am Münster. — Um 1150. — Tornow.
►
Tafel 227.
1. Worms: Dom, Westchor. — 1. Viertel saec. 13. — Dollinger.
2. Bamberg: Dom, Südostansicht. — Chor geweiht 1237, letztes Ge-
schoss der Türme, wie die Westtürme um 1270. — King.
Tafel 228.
1. * Maursmünster : Klosterkirche, Westansicht. — Photographie.
2. *Murbach: Klosterkirche, Ostansicht. — Photographie.
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644 Zweites Buch : Der romanische Stil.
Tafel 229.
1. Horms: S. Paul, Westansicht (*/••«»). — Gegen Mitte saec. 13. —
King.
2. Pfaffenschwabenheim: Stiftskirche. — 2. Hälfte saec. 13. — Glad-
bach.
3. Gehweiler: S. Leodegar, Westfront (','»«)• — Um 1200? — Aren,
des monuments historiques.
4. Neuwetler: S. Adelphi, Westfront. — c. 1200? — Photographie.
Tafel 230.
1. Hirsau: Klosterkirche, S. Aurelius, Nordseite (\ioo). — Um 1070.
v. Egle.
2. Dasselbe, Westseite.
3; Ellwangen: Klosterkirche S. Veit, Ostansicht. — K. saec. 12. —
Schwarz.
Tafel 231.
1. * Ilmmünster: Klosterkirche, Ostansicht. — saec. 12., Turmbekro-
nung gotisch. — Holzinger.
2. * 'Regensburg : S. Georg. — Um 1162. — Bezold.
3. * Palsweis: Dorfkirche. — Bezold.
4. * Steingaden: Klosterkirche, Nordansicht. — 2. Hälfte saec. 12. —
Bezold.
5. * Altenstadt: Klosterkirche, Ostansicht. — ? 2. Hälfte saec. 12. —
Bezold.
Tafel 232.
1. * Klosterneuburg : Westansicht (',300). — 1. Hälfte saec. 12. —
v. Schmidt.
2. Trebitsch: Klosterkirche. — saec. 13. — Heider u. Eitelberge r.
3. S. Jdk: Klosterkirche, Westfront. — 2. Hälfte saec. 13. — Heider
u. Eitelberger.
4. Zsambek: Klosterkirche, Westfront. — 2. Hälfte saec. 13. — Heider
u. Eitelberger.
Tafel 233.
1. *Strassburg: Münster, Südliche Querschiffsfront. — Photographie.
2. * Magdeburg: Dom, Choransicht. — Photographie.
Tafel 234. Italien-
1. Pisa: Kathedrale, Südwestansicht. — Photographie.
Tafel 235.
1. *Pisa: Kathedrale, Südostansicht. — Photographie.
2. *Lucca: Kathedrale, Ostansicht. — A. saec. 13, teilweise erneuert
saec. 14, Eckkapellen saec. 16. — Photographie.
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
645
Tafel 236.
1. *Lucca: S. Frediano, Fassade ('/«so). — Bezold und Photo-
graphie.
2. *Lucca: S. Michele, Fassade (l,s8o). — Bezold und Photo-
graphie.
3. Pisa: S. Frediano, Fassade (ljibo). — Rohault de Fleury.
4. *Lucca: S. Giusto, Fassade diso). — Bezold und Photographie.
Tafel 237.
1. San Miniato; Fassade ('170). — Photographie.
2. *Toscanella; S. Pietro, Fassade ('Jus). — Etwa E. saec. 12. —
Dehio und Photographie.
Tafel 238.
1. Ruvo: Kathedrale, Fassade (Vno). — Schulz.
2. Bitctto: Kathedrale, Fassade ('.'mo). — Schulz.
3. Molfetta: Kathedrale, Choransicht. — Schulz.
Tafel 239.
1. Cefalh: Kathedrale, Westansicht. — Serradi falco.
2. Monreale: Kathedrale, Teil der Choransicht. — Boito.
3. Bari; Kathedrale, Nordansicht {lj*oo). — Schulz.
4. Lecce: Kathedrale, Ostansicht (Vi 40). — Schulz.
Tafel 240.
1. *Lucca: S. Frediano, Choransicht. — Bezold.
2. * Verona: Kathedrale, Choransicht. — Bezold.
3. *Murano: S. Donato, Choransicht. — Photographie.
Tafel 241.
1. Mailand: S. Ambrogio, Fassade und Schnitt durch den Vorhof
(V'aoo). — saec. 11. — Dartein.
2. *Maderno: Pfarrkirche, Fassade (''no). — Gegen E. saec. 12. —
Bezold.
3. Conto: S. Abondio, Choransicht ('lioo). — saec. 11. — Dartein.
Tafel 242.
1. Modena: Kathedrale, Fassade (li?oo). — Osten.
2. Verona: S. Zeno, Fassade (l/too). — Centr.-Comm.
Tafel 243.
1. Pavia: S. Michele, Fassade (Vion). — Dartein.
2. Piacenza: Kathedrale, Fassade ('«oo). — Osten.
Tafel 244.
1. Pavia: S. Pietro, Fassade (»/»»o). — Dartein.
2. Parma: Kathedrale, Fassade C>o). — Dartein.
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646
Zweites Buch : Der romanische Stil.
Tafel 245.
1. *Modena: Kathedrale, Südostansicht. — Bezold.
2. * Parma: Kathedrale, Südostansicht. - Bezold.
Frankreich.
Tafel 246. a> Frübzeit-
1. Beauvais: Fassade der alten Kathedrale. — E. saec. 10. — Woillez.
2. Pfrigueux: S. Front, Fassade. — Etwa M. saec. 11. — Restau-
ration von de Verneilh.
3. B/siers: S. Aphrodise, Fassade. — Etwa 1. Hälfte saec. 11. —
Skizze von Bezold.
4. Cravant, Seitenansicht. — saec. 10. — Bulletin monumental.
5. Saint-Giniroux , Ostansicht. — saec. 10. — Gailhabaud.
6. Poitiers: S. Jean, Seitenansicht. — Merovingisch r — Archives
mon. hist.
Tafel 247. b) A(*uitanien-
1. Loupiac , Fassade (Vus). — saec. 12. — Archives mon. hist.
2. *Gensac, Fassade C'uo). — saec. 12. — Bezold.
3. * Bourg-Charcnte , Fassade ('[k«). — saec. 12. — Bezold.
4. Afontbron, Choransicht (Vi so). — saec. 12. — Baudot.
5. Roullet, Fassade C'm). — saec. 12. — Baudot.
Tafel 248.
1. * Petit- Palais , Fassade. — saec. 12. — Photographie.
2. * Esehillais > Fassade. — saec. 12. — Photographie.
Tafel 249.
1. * Poitiers: Notre-Dame-la-Grande , Fassade (Vus). — Um Mitte
saec. 12. — Bezold und Photographie.
2. *Gvray: S. Nicolas, Fassade (Vus). — Um M. saec. 12. — Be-
zold und Photographie.
Tafel 250.
1. *Aulnay, Südostansicht. — saec. 12. — Photographie.
2. * Melle: S. Pierre, Südwestansicht. — saec. 12. — Photographie.
Tafel 251.
r. *Pirigueux: S. Etienne, Choransicht (','fv>). — 1. Hälfte saec. 12.
— Dehio.
2. *Solignac: Klosterkirche, Teil der Seitenansicht ( Vit 0). — 1. Hälfte
saec. 12. — Dehio.
3. Pcrigueux: S. Front, Südansicht. — 2. Viertel saec. 12, die Kup-
peln ergänzt. — de Verneilh.
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau. 647
c) Limousin und Auvergne.
Tafel 252.
1. *Lc Dorat, Nordwestansicht. — Etwa gegen Mitte saec. 12. —
Photographie.
2, 3. Chatel- Montagne , Fassade und Teil der Südansicht. — 1. Hälfte
saec. 12. — Viollet-le- Duc und Photographie.
Tafel 253.
r. *S. Saturnin, Choransicht. — saec. 11. — Photographie.
2. *Saint-Nectaire, Nordostansicht. — saec. 11. — Photographie.
3. *Orciva/, Südansicht. — saec. 13. — Photographie.
Tafel 254.
1. ftsoire: S. Paul; 2. Brionde; S. Julien, Choransichten nach Michel.
Tafel 255 ^ Lan£uedoc unc* Nordspanien.
1. Toulouse: S. Sernin, Choransicht (' 200). — 1. Hälfte saec. 12. —
Arch. mon. hist.
Tafel 256.
1. *Alby: S. Salvi. — saec. 12 u. 13. — Stier.
2. *Segovia: S. Millan, Südwestansicht. — saec. 12. — Photo-
graphie.
3. *Toro: Kathedrale, Südostansicht. — A. saec. 13. Photo-
graphie.
_ _ e) Niederlanguedoc und Provence.
latei 257.
1. Saint- Mar tin-äe-Londres, Südansicht ( '/i 27 ). — saec. 11. — Revoil.
2. Le Thor: Ste. Marie au Lac, Südansicht C'.«,,). — Um 1200. —
Revoil.
Tafel 258.
1. Cavaillon: Kathedrale, Apsis (' <.«). — 2. Hälfte saec. 12. — Revoil.
2. Saintes-Maries : Klosterkirche, östliche Hälfte der Südansicht ( 6o).
— saec. 12. — Revoil.
3. Saint-Pbns: Kathedrale, Erdgeschoss der Fassade (So). — Etwa
M. saec. 12. — Revoil.
Tafel 259.
1. Saint-Gilles : Klosterkirche, Erdgeschoss der Fassade. — Etwa
2. Viertel saec. 12. — Archives, Revoil, Photographie.
Tafel 260 ^ Burgund und Nachbarlandschaften.
1. *Tournus: Klosterkirche S. Philibert, Westbau. — A. saec. n. —
Photographie.
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648
Zweites Buch: Der romanische Stil.
2. Paray-U-Monial: Klosterkirche, Fassade. — saec. n, Nordturm
saec. 12. — Archives.
3. *Tournus: S. Philibert, Choransicht. — M. saec. u, Obergeschoß
des Turmes saec. 12. — Stier.
Tafel 261.
1. *Lyon: S. Martin d'Ainay, Fassade (ca. Sin). — saec. 12.
Photographie.
2. Chateauncuf, Fassade ('1*50). — saec. 12. — Baudot.
3. *S. Paul-de-Varax , Erdgeschoss der Fassade. — saec. 12. -
Photographie.
Tafel 262.
1. *I.t Puy: Kathedrale, Fassade ('|*oo). — M. oder 2. Hälfte saec.
12. — Bezold und Photographie.
2. Cluny: Abteikirche, Doppelchor und Westansicht (abgebrochen . -
du Sommerard nach älterer Zeichnung.
Tafel 263.
1. *Veulay> Westfassade. Die gotisch erneuerten Teile weggelassen,
A Südostturm (';»<><>). — 2. Viertel saec. 12. — Photographie.
2. * Paray-U-Monial, Choransicht. — saec. 12. — Bezold.
Tafel 264.
1. Chauvigny: Notre-Dame, Apsis, — 1. Hälfte saec. 12. — Viollet
le-Duc.
2. Cosru, Apsis. — 1. Hälfte saec. 12. — Viollet-le-Duc.
3. *Nevers: S. Etienne, Teil der Nordseite ('V«). — 1. Hälfte saec.
12. — Dehio.
4. *Autun: Kathedrale, Teil der Nordseite Cjno). — 1. Hälfte saec
12. — • Bezold.
Tafel 265 ^ Normandie und England.
1. *Stqueville, Südansicht. — 1. Hälfte saec. 12. — Photographic.
2. Caen: Ste. Trinite' (Abbaye-aux-Dames), Südansicht — E. saec. 11
und 1. Hälfte saec. 12. — Ruprich-Robert.
Tafel 266.
1. *Caen: Ste. Trinitd, Westansicht. — Letztes Viertel saec. 11, Mittel
partie und Turm 1. Hälfte saec. 12, Bekrönung der Türme saec. 18
— Photographie.
2. * Boscherville : S. Georges, Südostansicht. — 1. Hälfte saec. 12. —
Photographie.
Tafel 267.
1. Kelso, Nordfassade des Transsepts ('Jus). — Um 1160. — Rup-
rich-Robert.
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649
2. Ouistreham, Fassade ('j'iis). — Um 1140. — Ruprich-Robert.
3. CastU~Rising, Fassade P/ns)« — saec. 12. — Ruprich-Robert.
4. Bieville, Fassade ('/>>*)• — 1. Hälfte saec. 12. — Ruprich-Robert.
5. St. Edmundsbury: Klosterkirche, Thor und Turm der Umfassungs-
mauer (Vi»»). — Um 1140. — Ruprich-Robert.
Tafel 268.
1. Norwich: Kathedrale, Nordfassade des Querschiffs ('/iss). — A.
saec. 12. — Britton.
2. Ely: Kathedrale, rechter Flügel des Westbaus ('ins). — Letztes
Viertel saec. 12. — Ruprich-Robert.
Tafel 269.
1. Caen: S. Etienne, System des Langhauses. — 2. Winchester: Kathe-
drale, desgl. — 3. Norwich: Kathedrale, desgl. — 4. Ely: Kathe-
• drale, desgl. — Massstab '|i>- — Britton, Ruprich-Robert.
Tafel 270. n) Nordframösiche Fassaden.
1. Caen: Männerabtei S. Etienne ('/aoo). — Letztes Viertel saec. 11,
Ausführung der Türme bis ins 12. — Ruprich-Robert.
2. * Angers: Kathedrale (\mo). — Nach M. saec. 12.— Photographie.
Tafel 271.
1. Saint-Dcnis ('/«>o). — 1 137— 1140. — Rev. gdndrale de l'arch.
und Photographie.
2. Saint- Leu d'Esserent (Vano). — Etwa 2. Viertel saec. 12. — King.
3. CJtälons s. Marne: Notre-Dame (Vjoo). — M. saec. 12, Mittelpartie
um 1170 erneuert. — Centraiblatt der Bauverwaltung.
Tafel 272. ClSTERCIKKSERKIRCHEK.
1. *Pontigny, Südansicht. — 1150 fr. Der Chor um 1170. — Photo-
graphie.
2. ^Helsterbach, Nordwestansicht. — 1. Viertel saec. 13. — Bois-
sere"e, Tornow.
Tafel 273.
1. * .Heisterbach, Ostansicht. — Tornow.
2. Riddagshausen, Nordostansicht. — Nach M. saec. 13. — Ahlburg.
Tafel 274.
1. *Pmtigny, Fassade ('/son). — n 50, überarbeitet um 11 70. —
Bezold, Photographie.
2. Silvacanne, Fassade (V»oo). — M. saec. 12. — Revoil.
3. Lehnin, Fassade. — Adler, teilweise restauriert.
4. Maulbronn, Fassade, mit Weglassung der Vorhalle. — Um 11 70.
— Paulus.
3. Kirkstall, Fassade. — 2. Hälfte saec. 12. — Sharp e.
42
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650
Zweites Buch : Der romanische Stil.
Kirchtürme.
Tafel 275- a)
1. Pomposa. — Centralblatt der Bauverwaltung.
2. *Modcna. — Photographie.
3. Pisa, der »schiefe Turm«, vgl. Taf. 234. — Rohault de Fleury.
4. Mailand: S. Gottardo (mit Weglassung des Unterbaus). — A.
saec. 13. — Gruner.
— r . „ Ä b) Frankreich.
Tafel 276. '
1. *Cruas, Vierungsturm. — saec. 12. — Photographie.
2. *Vientte: S. Pierre, westlicher Frontturm. — saec. 12. — Photo-
graphie.
3. * Arles: S. Trophime, Turm und Kreuzgang. — saec. 11, Ober-
geschoss saec. 12. — Dehio.
4. Avignon: Kathedrale, Vierungsturm. — A. saec. 12. — Revoil.
5. Arles: St. Honorat, Vierungsturm. — Um M. saec. 12. — Revoil
Tafel 277.
1. *Feniouxr (etwa Sso): — saec. 12. — Photographie.
2. *Poitiers: Notre-Dame-la-Grande (Soo). — 1. Hälfte saec. 12. —
Bezold und Photographie.
3. *Bassac, (etwa ,fi.-.o). — saec. 12. — Photographie.
4. Ptrigueux: S. Front (' jon), vgl. Taf. — 2. Viertel saec. 12. -
Verneilh.
Tafel 278.
1. Ver, isolierter Turm (i;iso). — E. saec. 11. — Ruprich-Robert.
2. Le Puy: Kathedrale, isolierter Turm C'ito). — saec. 11 r -
Viollet-le-Duc.
3. Nesle: Turm an der Südseite des Chors (','100). — 1. H. saec. 1:.
— Baudot.
4. Auxerre: S. Germain, Einzelturm C/aso). — Gegen M. saec. 12. -
Viollet-le-Duc.
5. Auxerre: S. Eusebe (','iso). — Um 1160. — Viollet-le-Duc.
Tafel 279.
1. * Beaulieu-les- Loches , Seitenturm ('/»o). — 1. Viertel saec. 12. -
Bezold u. Dehio.
2. Vendbme: Ste. Trinite", Einzelturm (' «oo). — 2. Viertel saec. 12. -
Viollet-le-Duc.
3. Chartres: Kathedrale, nördlicher Fassadenturm (a/««0). — 2. Viertel
saec. 12. — Viollet-le-Duc.
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau.
65I
Tafel 280.
c) Deutschland.
1. Schaff hausen: Münster, Einzelturm neben dem Chor. — A. saec.
12? — Rahn.
2. Bamberg: Dom, einer der Westtürme. — Um 1270. — Rins.
3. Muhlhausen i. Th.: S. Blasien. — Puttrich.
4. * Brügge: S. Sauveur, Westturm. — Skizze von Bezold.
Tafel 281. d) Verschiedenes.
1. *La Chariti-sur- Loire, nördlicher Fassadenturm. — E. saec. 12. —
Photographie.
2. Trier: S. Matthias, Westturm. — A. saec. 13, erneuert saec. 18*.
Photographie.
3. Salamanca; Kathedrale, Zentralturm. — 2. Hälfte saec. 12. —
Monumentos.
4. Chiaravallc, Zentralturm. — saec. 12—13. — Gruner.
Tafel 282.
Kreuzgänge und Vorhallen.
1. Frigolet. — saec. 12. — Revoil.
2. Aix. — saec. 12. — Revoil.
3. *Bonn. — Um 11 50. — Tornow.
Tafel 283.
1. Civita Castcllana. — Boito.
2. Fontfroide. — A. saec. 13. — Viollet-le-Duc.
3. Rom: Lateran. — A- saec. 13. — Rohault de Fleury.
4. Maulbronn. — Etwa 2. Viertel saec. 13. — Paulus.
Tafel 284.
1. * Saint- Benoit-s-L. — Um a. 1100. — Photographie.
2. *Autun. — Nach Mitte saec. 12. — Bezold.
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Sechzehntes Kapitel.
Einzelglieder und Dekoration
Die ornamentale Formenlehre des romanischen Stils mit gleich-
massiger systematischer Vollständigkeit vorzutragen, liegt nicht im
Plane unsrer Arbeit. Ein solcher Versuch, wenn anders er frucht-
bringend durchgeführt werden sollte, würde alsbald über die Grenzen
der Baukunst hinausführen: er müsste auf die Gesamtheit der tech-
nischen Künste , von denen kaum eine ganz ohne Einfluss auf das
Bauornament gewesen ist, ausgedehnt werden. Gleichwohl fordert
auch in einer speziellen Geschichte der kirchlichen Baukunst das
ornamentale Gebiet seine verhältnismässige Berücksichtigung. Die zur
Betrachtung vorgeführten Denkmäler würden nur halb verständlich,
das Geheimnis ihres innern Lebens würde unerschlossen bleiben ohne
einen Blick auf diese letzte Belebung, dies c spielende Ausatmen > der
architektonischen Grundform.
Mehr noch als in den andern Abschnitten unsres Werkes haben
wir hier den Schwerpunkt der Darstellung in das Bild gelegt, wobei
wir einem zweifachen Einteilungsgrunde gefolgt sind. Der erste, syste-
matische Teil ist nach den funktionellen Gattungen, der zweite nach
den landschaftlichen Stilabwandlungen geordnet; dann noch einen
dritten, die Entwicklung nach der Zeitfolge veranschaulichenden, an-
zuschliessen , verbot die Rücksicht auf die ohnedies schon stark an-
geschwollene Zahl der Tafeln.
i. Allgemeines. Polychromie.
Die Grenzen zwischen struktiven und dekorativen Gliedern sind
in keinem Stil streng gezogen. Im romanischen sehen wir die mit
der Zeit stark zunehmende Neigung, die ersteren den letzteren zu
substituieren, und 2war nicht nur in der Absicht, ein reicheres
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Sechzehntes Kapitel: Einrelglieder und Dekoration.
653
Formenspiel und malerische Abwechslung von Lichtern und Schatten
herbeizuführen, sondern ebenso sehr, um für die Phantasie den ästhe-
tisch wertvollen Schein struktiver Kraftleistung zu erhöhen. In diesem
Sinne finden vornehmlich Säulen und Bogen jeden Grades, sei es als
freistehende Begleiter einer Wand, sei es mit dieser als Halbsäulen
und Blendbogen verschmolzen, jene reichliche Verwendung, die wir
besonders an der Aussenarchitektur kennen gelernt haben.
Zweitens gibt der entwickelte Stil jedem einzelnen Gliede eine
vollere ornamentale Begleitung. Das Ornament ist entweder auf die
Fläche gemalt oder plastisch ausgemeisselt. Im Verhältnis dieser
beiden Darstellungsmittel zu einander findet dieselbe Entwicklung
statt, die das antike Bauornament durchlaufen hatte, d. h. das bloss
im Umriss gezeichnete und durch wechselnde Farben gegliederte Orna-
ment wird mehr und mehr durch das körperhaft skulpierte ersetzt.
Keineswegs aber wird durch diese Wandlung die Farbe ganz be-
seitigt. Das romanische Dekorationssystem bleibt ein polychromes
jederzeit: in dem Umfange, dass auch die Werke der statuarischen
Plastik und selbst einzelne Teile des Aussenbaues einen farbigen
Ueberzug erhalten. Zahlreiche polychrome Fragmente lassen über
das Prinzip im allgemeinen nicht im Zweifel; aber um von den feineren
Nüancen, von dem Verhältnis der bunten Teile zu dem einfarbigen
Grunde, von dem Zusammenklang von Form und Farbe, kurz von
der künstlerischen Gesamtharmonie ein mit dem , was gewollt war,
sich deckendes Bild wiederherzustellen, dazu sind die erhaltenen Spuren
viel zu sehr von den Einflüssen der Zeit verändert. Alle modernen
Restaurationen, auch die • archäologisch treuen < , fallen unvermeid-
licherweise stark ins Subjektive. Am meisten leiden unter dem Ver-
lust ihres ursprünglichen Farbenkleides die Denkmäler der früh-
romanischen Zeit. Denn für sie war dasselbe mehr als ein bloss
anhängender Schmuck, war es erst die Vollendung der architektonisch-
rhythmischen Idee. Die Unbeholfenheit der Malerkunst jener Zeit
gegenüber frei -malerischen Aufgaben ist bekannt; ein feines und
sicheres Gefühl aber hatte sie sich bewahrt für das, was sie der
Architektur als Gehilfin zu sein hätte, ja sie hat in ihrer rein deko-
rativen Haltung vor der Wandmalerei der reifen Kunstepochen etwas
Unersetzliches voraus. Zuerst und vornehmlich legt sie ihre Hand an
die Stellen, an denen das innere Leben des Bauwerks sich natur-
gemäss stärker hervordrängt: die Säulen und Pfeiler, die Laibungen
und Stirnseiten der Archivolten, die Gewände der Fenster ; ferner ver-
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654
Zweites Buch: Der romanische Stil.
i
mittclt sie für das Auge durch ein System lot- und wagerechter
Ornamentstreifen die Arkaden mit der Oberwand, die Oberwand mit
der Decke; wie weit dann noch die dazwischen liegenden Flächen
ausgefüllt wurden, hing von den Mitteln ab, über die man im einzelnen
Fall verfugte. Es ist uns doch sehr fraglich, ob man so umfassende
historische Kompositionen, wie sie z. B. in Reichenau und Braun-
schweig wieder aufgedeckt und für manche andere seither zerstörte
Kirche durch die Chronisten überliefert sind, als etwas ganz Gewöhn-
liches annehmen dürfe; häufiger, so möchten wir nach Massgabe
sonstiger Spuren glauben, begnügte man sich für die Langschiffe
mit einer einfacheren ornamentalen Malerei und zeichnete durch figür-
liche Darstellungen und somit durch vollere Farben Wirkungen nur
einzelne Teile des Gebäudes aus, den Chor vornehmlich, dann die
Nonnenemporen u. dergl. Kapellen und kleinere Kirchen wurden
natürlich öfter ganz und gar ausgemalt. Als das am schwersten Ent-
behrliche galten die Deckenmalereien ; ihrer wird in den Schriftquellen
am häufigsten Erwähnung gethan. Ebenso verzichteten auf die farbige
Ausstattung des Fussbodens — die von kunstvollen Mosaikdarstellungen
biblischer und allegorischer Cyklen bis herab zur einfachen Pflasterung
mit farbigen Platten die verschiedensten Formen annahm — nur ganz
arme Kirchen. Die antiken Gattungen des opus vermiculatum und
opus alexandrinum waren hierfür Vorbilder, Italiener Lehrmeister, bis
im 12. Jahrhundert der Norden seine eigene Technik und seinen
eigenen Stil fand.
Ferner wurde ins System der allgemeinen Polychromie die
Fensterverglasung hereingezogen. Die Glasmalerei im weiteren Be-
griff ist so alt als der Gebrauch des Fensterglases überhaupt. Farb-
loses Glas herzustellen war schon den Römern schwierig gewesen,
dem Mittelalter war es unerreichbar. Aus dieser Not machte man
eine Tugend. Die farbigen Trübungen, die der Zufall hervorrief,
wurden geregelt, durch mineralische Zusätze zum Teil die Farbe noch
gesteigert und damit das Material zur Zusammenstellung musivischer
Muster gewonnen. Glasmalereien in diesem einfachen Sinne wahr-
scheinlich sind es, von denen Venantius Fortunatus und Gregor von
Tours im 6. Jahrhundert sprechen. Figürliche Darstellungen sind für
das 9. Jahrhundert in Zürich und Münster i. W. als wahrscheinlich,
für das 10. Jahrhundert in Reims unzweideutig überliefert. Gegen
das Jahr 1000 wurden in Tegernsee die Tücher, mit denen die Fenster-
öffnungen der Kirche bis dahin verhängt gewesen waren, per discoloria
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration
655
picturarum vitra ersetzt — ein sicherlich nicht alleinstehender Vor-
gang. Als einen Hinweis auf zunehmende Verbreitung des Glases
deuten wir die im Laufe des 1 1. Jahrhunderts zu beobachtende Ver-
engung der Fensteröffnungen. Die ältesten erhaltenen Denkmäler der
Glasmalerei datieren aus den mittleren Dezennien des 12. Jahrhunderts:
sie stehen technisch wie stilistisch bereits sehr hoch, sind in der
Färbung voll Kraft und Harmonie, in der Komposition von be-
wunderungswürdigem Verstand für die dekorative Seite der Aufgabe
und darin von keinem späteren Jahrhundert übertroffen. Wie die Er-
reichung solcher Vollkommenheit nicht denkbar ist ohne generationen-
lange Uebung, so lässt — neben anderen hier nicht zu nennenden
Zeugnissen — das im Jahre 1 1 54 im Cistercienserorden gegen die
farbige Ausstattung der Fenster ergangene und später oft wiederholte
Verbot keinen Zweifel an der weit vorgeschrittenen Verbreitung dieses
Brauches im 12. Jahrhundert. Eine andere Frage aber ist die nach
dem Umfange der Verwendung: Waren alle Fenster des Kirchen-
gebäudes und waren alle mit vollem Farbenschmuck begabt? Oder
waren es nur einzelne durch ihre Stellung bevorzugte? Wir halten
das letztere für das wahrscheinliche. Es kann kein Zufall sein, dass
die dem 12. Jahrhundert (in Deutschland auch noch die dem Anfang
des 13.) entstammenden Exemplare immer der Chornische oder den
Chorkapellen, zuweilen auch der Westfassade angehören, niemals den
Schiffen. Die Fälle sind zahlreich genug, um in ihnen die Regel zu
erkennen, eine Regel, auf die uns noch andere Erwägungen hinführen.
Eine praktische: die für die Gesamtheit der Fenster durchgeführte
völlige Ausmalung, wie sie die Gotik später zum Prinzip erhob, hätte
den Schiffen zuviel Licht genommen. Eine ästhetische: die trans-
parente Pracht der Glasfarbe wäre mit den erdigen, stumpfen Tönen
der Wandmalerei in einen unerträglichen Konflikt geraten. Bei Be-
schränkung aber auf die beiden Endpunkte der Innenperspektive, wo
das Auge unter allen Umständen durch ein starkes direktes Licht aus
den Fenstern getroffen wird, gab die Glasmalerei einen schönen
Steigerungsmoment im Farbenkonzert, wirkte sie wie ein funkelnder
Edelstein im Mittelpunkte eines Ziergerätes.
Vergegenwärtigt man sich das hier in seinen Grundzügen dar-
gelegte polychrome System, dazu die mannigfaltigen liturgischen Aus-
stattungs- und festlichen Dekorationsstücke, als: Altäre, Kanzeln,
Chorstühle, Taufbecken, Teppiche und Draperien, alles unter Ein-
wirkung eines farbigen, durch Hinzutritt von Kerzen und Lampen
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656
Zweites Buch: Der romanische Stil,
noch malerischer abgestimmten Schillerlichtes — so gewinnen wir von
der künstlerischen Erscheinung der romanischen Kirchen auch schon
in der Frühzeit eine ungleich günstigere Vorstellung; so kahl, un-
fertig, gleichförmig, der individuellen Stimmung entbehrend, wie sie
heute in ihrer Blosse sich darstellen, sind sie nie gewesen.
Einige spezielle Bemerkungen über die Wandmalerei seien hinzu,
gefügt. Sie besass keinen ursprünglichen und in sich selbst begrenzten
Stil, sie war Surrogat für andere in kostbareren und dauerhafteren
Materialien ausgeführte Dekorationsarten. Demgemäss lassen sich
innerhalb der Wandmalerei unterscheiden : ein Mosaikenstil, ein Teppich-
stil, ein Inkrustationsstil — Nüancen, die zwar in der elastischen
Technik der farbigen Tünche ineinander übergehen können, aber
niemals ganz ihren Ursprung verleugnen. Bezeichnend ist, dass auf
das echte Material kein grundsätzlicher Verzicht geleistet wird. Säulen
in buntem Marmor oder Porphyr oder Basalt oder sonstigem edleren
Gestein sind immer höher geschätzt worden, als bloss bemalte. Die
Glasstiftmosaik blieb den nordischen Ländern unerreichbar und wurde
auch in Italien in dem vollen Umfange wie in der altchristlichen und
byzantinischen Kunst jetzt nur in Sicilien und Venedig ausgeübt; im
römischen Gebiet beschränkte sie sich auf Apsiden, Triumphbogen.
Fassaden; schon in Toskana und vollends in Oberitalien war sie ein
nichts weniger als häufiger Luxus. Dafür liebt die toskanische Schule
auch im Innenbau die Inkrustation mit Marmoren in mehreren Farben ;
in Oberitalien wird Backstein mit Kalkstein zusammengestellt; in
Deutschland, am häufigsten im n. Jahrhundert, Sandstein von zwei
Farben. Hierdurch wird bezeugt, dass einseitige Vorliebe für grelle
Farbenwirkung (deren sich die modernen Restauratoren so oft schuldig
machen) nicht bestand. Vielmehr dürfen wir auch der bloss gemalten
Dekoration zutrauen, dass sie, dem Prinzip des Teppichstils ent-
sprechend, die zwar ungebrochenen Farben doch so verteilt haben
wird, dass sich die Kontraste in einen milden Gesamtton auflösten.
Die Voraussetzungen veränderten sich mit dem Uebergang zum
Gewölbebau. Er machte die grossen zusammenhängenden Wand-
flächen verschwinden, führte eine eigentlich architektonische Gliederung
mit vorwaltender Höhenrichtung ein; gleichzeitig trat an die Stelle
des flächenhaften das skulpierte Ornament. Da wurde die Aufgabe
des Malers eine andere, beschränktere und vielfach schwierigere. Vor
allem durfte die Deutlichkeit der plastischen Form keinen Abbruch
erfahren, welches indessen leicht eintreten konnte, wenn die im diffusen
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
657
Licht der Binnenräume nur massig wirksame Modellierung durch die
stärkeren Farbenkontraste übertönt und gleichsam aufgesogen wurde.
Wir bekennen, dass wir uns ein Gebäude wie etwa die Kathedrale
von Autun oder den Dom von Limburg vollständig übermalt nicht
denken können, und meinen deshalb, dass die Dekorationsmalerei des
Spätromanismus, wenn sie auch ihre Palette für bestimmte Zwecke
bereicherte, doch nicht mehr so umfassend in Anspruch genommen
wurde, jedenfalls nicht mehr so unentbehrlich war, wie in den vor-
angehenden Zeiten, in denen die Raumverhältnisse durchschnittlich
kleiner, die rein architektonischen Ausdrucksmittel unentwickelter
waren. Doch ist das nur eine Meinung; zu einer sicheren und all-
gemein gültigen Ansicht zu gelangen ist gerade für den Uebergangs-
stil überaus schwierig.
Im Zusammenhang mit dem obigen mögen noch einige Be-
merkungen über Stil und Behandlung des Ornaments folgen.
Sehen wir ab von der Gruppe der aus einer primitiven Holz-
und Metalltechnik an die Steinmetzen übergegangenen Formen, so
ist die überwiegende Masse der romanischen Ornamente aus der Antike
abgeleitet. Das war nach der ganzen geschichtlichen Lage ebenso
selbstverständlich wie der Gebrauch der lateinischen Sprache in der
kirchlichen Liturgie und Litteratur. Zuerst die karolingische Hofkunst
bemerkte den Abstand zwischen der nachgerade unsäglich verarmten,
verflachten, verzerrten Ueberlieferung des Handwerks und dem, was
die antiken Ruinen lehrten. Sie gab sich redliche Mühe, durch das
Studium der letzteren zu reinerer Formenanschauung zurückzugelangen.
Aber diese Quelle floss dem germanischen Norden allzu spärlich. In
der That, nur der kleinste Teil dessen, was von antiken Grundformen
in der romanischen Bauornamentik wieder auftauchte, ist von Bau-
werk zu Bauwerk unmittelbar übergegangen: die bei weitem einfluss-
reichste Vermittlerrolle fiel den technischen und dekorativen Künsten
zu , der Weberei und Stickerei , der Elfenbeinschnitzerei und Gold-
schmiedarbeit, der Wand- und Buchmalerei. Ein selbständiger Akt
stilistischer Uebersetzung war nötig, um aus dieser Sphäre wieder in die
plastisch-architektonische zu gelangen. Der Prozess war langsam und
umständlich, aber er brachte den unermesslichen Vorteil, dass er der
selbständigen Thätigkeit des nordischen Formgeistes Raum schaffte.
Diese seine Herkunft gibt das romanische Bauornament, zumal auf
der frühen und mittleren Entwicklungsstufe, deutlich zu erkennen: es
bleibt auch in der plastischen Ausführung noch immer flächenhaft,
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658
Zweites Bach : Der romanische Stil.
teppichartig gedacht, und zwar nicht bloss in den nach ihrem ersten
Ursprung textilen, sondern auch in den vegetabilischen Motiven. Nach-
dem die Zeichnung aufgetragen ist, wird der Grund soweit vertieft,
als nötig, um den Umriss in Wirkung zu setzen. Die Modellierung
erfolgt in einfachen, scharfkantig sich gegeneinander absetzenden
Flächen. Hatte die antike Baukunst lebendige formsymbolische Be-
ziehungen zwischen dem Ornament und der struktiven Bedeutung des
geschmückten Gliedes auszudrücken gestrebt, so fallen diese im ro-
manischen Stil weg. Die Kymatien und freien Endigungen z. B. ver-
schwinden, es herrschen die laufenden Bänder und die Füllungsmotive.
Das Pflanzenornament, ohne Kenntnis des Naturvorbildes von der
Antike übernommen, ist zu einem rein konventionellen Apparat ge-
worden, einer ihr eigenes Leben für sich weiterführenden Formenwelt
Die Grenzen gegen das textile wie gegen das animalische Ornament
sind denn auch nur fliessende; Stengel und Ranken verwandeln sich
unversehens in gestickte Bänder, Blattrippen werden mit Schnüren
von Perlen und Edelsteinen ausgeziert, aus Blattkelchen schauen
Menschenköpfe hervor, Tierleiber setzen sich in einen Schweif von
Blättern fort: ein wundersames Zusammenwirken von phantastischer
Laune in der Mischung der Gegenstände, strenger Stilisierung der
Form und nicht zuletzt auch Unbeholfenheit der Hand.
Indessen drängte die Entwicklung nach freierer plastischer
Durchbildung. Zwei Quellen der Erfrischung boten sich dar: die
Antike, d. h. die mit offenem Sinn angeschauten Denkmäler selbst,
nicht die schemenhaft verblasste Ueberlieferung — und die Natur,
d. h. die heimische Pflanzenwelt, aus welcher die Gesetze der orga-
nischen Form am nächsten zu lernen waren. Der Spätromanismus
entschied sich nun nicht ausschliessend für die eine und die andere,
sondern wandte sich, wo ihm beide offen standen, an beide zugleich.
Einige Schulen des Südens, besonders die provencalische , gelangten
zu überraschend lebendiger Auffassung des Akanthusblattes ; Burgund
und Nordfrankreich zogen, die ersten auf dieser Bahn, die heimische
Flora zu Rat, ahmten aber unmittelbar daneben auch den Akanthus
wieder nach *) ; Deutschland hält am älteren Stile fest , gibt seinen
Formen aber. Dank der französischen Anregung, mehr Fülle und
^ Besonders lehrreich ist die Abteilcirche von St. Denis in den aus Sugers Zeit
erhaltenen Bauteilen : der Füllung Taf. 345. 5 korrespondiert auf der anderen Seite eine
ganz antike Akanthusranke ; im Chor Akanthuskapitelle (z. B. Viollet-le-Duc VIII, 217),
in der Krypta Uebergang zum Naturalismus Taf. 345. 6.
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
659
Saft. Ausführlichere Nachweise für dieses alles wird der nächste Ab-
schnitt über die Säule bringen.
2. Die Säule.
Die Säule nimmt ihre Stelle in der romanischen Baukunst kraft
ihres historischen Erbrechtes ein. Unabhängige Ueberlegung hätte
anstatt dessen von Anfang an dahin führen müssen, die das Mittel-
schiff begrenzenden und zu der Hochwand in naher struktiver wie
formaler Beziehung stehenden Freistützen als Pfeiler zu gestalten, und
so haben wir in der That die Anerkennung des Pfeilers als gleich-
berechtigte zweite Stützenform unter den frühesten Regungen des sich
selbständig konstituierenden romanischen Stils kennen gelernt. Der
Sieg des Gewölbebaus entschied dann den Sieg des Pfeilers auf der
ganzen Linie. Dennoch bewahrte der romanische Stil darüber hinaus
der Säule eine entschiedene Hochschätzung um des Adels ihrer Er-
scheinung willen : als mit dem Pfeiler verbundene Halbsäule, als Stütze
leichterer Lasten, wie z. B. an Triforien oder Kreuzgangshallen und
als reines Zierglied an Portalen , Fenstern , Arkaturen blieb sie in
reichlicher Verwendung bis ans Ende der Epoche. Erst die entwickelte
Gotik gab ihr so gut wie ganz den Abschied.
Die Säule hatte durch die Griechen eine Gestalt empfangen, in
der das Wechselverhältnis von Stütze und Last aufs zarteste abgewogen,
aufs empfindungsvollste sinnbildlich ausgedrückt war. In einen ver-
änderten baulichen Organismus verpflanzt wurden diese feinen Be-
ziehungen grossenteils bedeutungslos. Sie waren es schon in der
spätrömischen Kunst geworden, ohne aber dass diese die geistige
Kraft besessen hätte, entsprechende Formveränderungen durchzuführen.
Diese Kraft nun sprudelte im romanischen Stil mit frischer Ursprüng-
lichkeit und sorgloser Naivetät hervor. Man vergegenwärtige sich zu-
nächst die veränderten Vorbedingungen: die Säulen nehmen als Last
nicht mehr wagerechte Steinbalken, sondern eine hohe, durch Bogen
ihr vermittelte Mauer auf; sie stehen nicht in dichter Reihe, sondern
in verhältnismässig stark vergrösserten Abständen ; sie wechseln häufig
mit Pfeilern. Demgemäss ist erstens die ihnen aufgetragene materielle
Kraftleistung eine vermehrte und haben sie sich zweitens auch dem
Auge ungleich mehr als abgeschlossene Einzelwesen darzustellen. Aus
dem einen folgt, dass alle Proportionen gegen die Antike gedrungener,
Kapitell und Basis im Verhältnis zum Schaft höher werden; aus dem
andern entwickelt sich die der Antike noch entschiedener entgegen-
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66o
Zweites Buch : Der romanische Stil.
gesetzte Regel, dass die Säulen einer und derselben Reihe nur in der
tektonischen Grundform gleich, im Ornament Stück um Stück ungleich
gebildet werden1). Die Unterschiede, sowohl die der Proportion ab
die der Ornamentation , sind bis ins Unendliche variabel. Es gibt
keinen Modulus und auch keine Ordnungen im Sinne der Antike, d. h.
keine bestimmten Formen, die unter bestimmten Verhältnissen allein
massgebend wären: alles wird vielmehr mit vollkommener Freiheit
dem Gesamtcharakter des einzelnen Bauwerks gemäss jedesmal von
frischem bestimmt. Eine so reiche Skala des individualisierenden
Ausdrucks, wie hier in dem romanischen Stil, hatte dem griechisch-
römischen entfernt nicht zur Verfügung gestanden, am wenigsten in
seiner Spätzeit.
DER SCHAFT. Die ganz harten, aber schwer zu bearbeitenden
Steinarten, wie Granit, Syenit, Porphyr, einst bei den Römern so
gesucht, wurden jetzt, selbst wo sie nahe zur Hand waren, gemieden,
es wäre denn, dass man sie aus römischen Ruinen sich aneignen
konnte (im Norden natürlich ein seltener Fall; die im Chör des 1208
begonnenen Domes von Magdeburg, Abb. S. 495, wiederverwendeten
Säulenstämme aus Verde antico u. s. w. sind wahrscheinlich für den
Bau Kaiser Ottos I. aus Italien gebracht). Basalt, in dem schon die
Natur selbst die Säulenform vorgebildet hat, bedurfte nur geringer
Ueberarbeitung, um die dünnen, orgelpfeifenähnlichen Schafte zu geben,
mit denen der Uebergangsstil stärkere Stützkörper zu besetzen liebt;
so am Niederrhein (von hier auch exportiert, z. B. nach Lübeck, an
das Prachtportal des Domes, Taf. 294) und besonders massenhaft im
englischen Uebergangsstil. Doch sind dies und ähnliches nur Neben-
erscheinungen. Die Regel ist, dass die Säulen aus demselben Material
gefertigt werden, wie die Mauern. In der technischen Herstellung
gibt es zwei Unterschiede von durchgreifender Wichtigkeit: entweder
ist der Schaft aus einem einzigen Block zurechtgehauen oder er ist in
Werkstücken von gewöhnlicher Schichthöhe aufgemauert. Das letztere
war in Frankreich und England allgemein Sitte, in Italien nicht
l) In dem heutigen, farblosen Zustande tritt dies Prinzip allerdings nicht immer
klar hervor. Es ist indes nicht zu bezweifeln, dass z. B. glatte Würfelkapitelle mit
Hilfe der Bemalung ebenso stark variiert worden sind , wie regelmässig die skulpierten
(ygl. 2. B. gegeneinander die unter gleicher Bauleitung ausgeführten Klosterkircben
Paulinzelle und Hamersleben). Noch augenfälliger wurden die Unterschiede, wenn der
Schaft der Säule mitbemalt war, wofür S. Savin bei Poitiers (Taf. 127. 1) ein wohl-
erhaltenes Beispiel gibt.
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration. 66 1
ungewöhnlich; selbst Backsteinsäulen kommen hier vor. Die deutsche
Baukunst versteht sich äusserst selten dazu, monolithe Schafte er-
schienen ihr die einzig würdige Form. Die mauermässige Herstellung
führte immer zu einem im Verhältnis zur Höhe sehr starken Durch-
messer (Taf. 297. 1. 2), mit dem die normalen Kapitelle und Basen-
formen nicht mehr zu vereinigen waren und woraus sich eine Ueber-
gangsform nach dem Pfeiler hin entwickelt, die man nicht unpassend
als Rundpfeiler bezeichnet. Sie ist besonders im englisch-normannischen
Stile gäng und gäbe. — Die monolithen Säulen mit ihrer grösseren
rückwirkenden Festigkeit
gestatten viel schlankere
Haltung, so dass diese für
die deutschen Schulen im
Gegensatz zu den franko -
gallischen bezeichnend
sind. Auch sind es allein
die ersteren, welche die
Verjüngung, und zwar
als das regelmässige, ken-
nen (Taf. 297. 3. 4. 6 — 8).
Aber die Schwellung1),
sowie Anlauf und Ab-
lauf*) sind der romani-
schen Säule verloren ge-
gangen. — In Frankreich
wurden monolithe Schafte
erst im 12. Jahrhundert
häufiger; wir finden sie im Rundchor der burgundischen und, mit Pfeilern
wechselnd, in den Schiffen nordfranzösischer Kirchen bis in die Früh-
gotik hinein. Hier sind sie aber unseres Wissens ausnahmslos unver-
jüngt. — Ein signifikantes Motiv des Spätromanismus (und der Früh-
gotik) ist die Umgürtung der Säulenmitte mit einem scharf profilierten,
oft auch mit Blattwerk oder Diamantschnitt verzierten Ring. Er gehört
den Wandsäulen und Säulenbündeln, die nicht monolith, aber auch nicht
bündig gemauert, vielmehr aus zwei oder drei langen dünnen Cylin-
') In gleichmäßiger Durchführung nur ein einzigesmal , im Dom von Konstanz,
bekannt, zum Teil in den Reichenauer Kirchen, in Knechtsteden , in der Vorhalle von
Burgelin. Häufiger an den Teilungssäulchen gekuppelter Fenster.
2) Hie und da in Mittelitalien und der Provence.
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662
Zweites Buch: Der romanische Stil.
dem zusammengesetzt sind, wo dann der Ring als Zungenstein in die
Mauer eingreift und die Schaftstücke vor Verschiebung schützt. Die
beistehende Figur veranschaulicht die Konstruktion ; vergl. die Systeme
Taf. 180. 3, 182. 3. 4 und besonders 200. 2. Dasselbe Mittel diente,
um freistehende Säulen von sehr grossen Dimensionen aus zwei Stücken
zusammenzusetzen, wie im Querschiff des Strassburger Münsters
(Taf. 179), im Refektorium zu Maulbronn (Taf. 297. 9), in der Kapelle
von Ramersdorf (Taf. 190. 1). Zweifellos waren es aber nicht kon-
struktive Rücksichten allein, sondern auch das sehr begründete formale
Bedürfnis nach Teilung und Verstärkung der sonst überschlanken,
rohrstengelähnlichen Schafte was den Spätromanismus zu so reich-
licher, gelegentlich allerdings manieriert übertreibender Verwendung
des Schaftringes führte.
Die Kannelierung ist, mit wenigen später zu nennenden Aus-
nahmen, dem Mittelalter fremd. An ihre Stelle tritt Schmückung der
Schafte rein im Sinne der Bekleidungsdekoration und in farbig zeich-
nender Ausführung. Die leider nur dürftigen Spuren1) lassen zwei
Systeme erkennen. Entweder wurde bunter Marmor nachgeahmt
— aber nicht naturalistisch, sondern mit stilisierender Regelung der
Wellen- und Flammenlinien — oder die Muster wurden gewebten
Stoffen entlehnt, sei es nun, dass diese als eine vollständige Um-
hüllung gedacht waren (wie es noch heute in Italien an Festtagen
Sitte ist), sei es, dass sie als Spiralbänder den Schaft umschlangen.
Wenn zuweilen schon im Stein selber farbige Abwechslung gesucht
wird (z. B. in S. Michael in Hildesheim die Schafte in rotem, die
Basen und Kapitelle in weissem, die Kämpferaufsätze wieder in rotem
Sandstein; ein gleiches in S. Jakob in Bamberg), so weist das doch
wohl darauf, dass nicht immer der ganze Grund übermalt war, sondern
dass er nur eine farbige Zeichnung erhielt. Eine Eigentümlichkeit
des englisch-normannischen Stils ist es, die Umrisse der Zickzack- und
Spiralbänder in vertieften Furchen mit dem Meissel vorzuarbeiten.
Die allgemeine Entwicklung ging indes dahin, wie wir im
vorigen Abschnitt schon bemerkten und in der Geschichte des Kapi-
tells es weiter sehen werden, die Bemalung durchs Relief zu ersetzen.
Dies erstreckt sich auch auf die Behandlung des Schaftes , doch mit
sehr bestimmter Begrenzung und Unterscheidung. Ein anderes sind
*) Einige weitere, allerdings nicht ohne weiteres zu generalisierende Auskunft
geben die Bilderhandschriften, besonders die Kanonestafeln mit ihrer Säulen- und Bogen-
umrahmung.
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Sechtehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
663
die freistehenden, lasttragenden grossen Säulen der Schiffe, ein anderes
die materiell wenig oder gar nicht in Anspruch genommenen kleinen
Säulen an Portalen und Fenstern, Galerien und Arkaturen, Kreuz-
gängen und Vorhallen. Während die ersteren im Fortschritt strengerer
tektonischer Auffassung selbst ihren malerischen Schmuck, wie wir
glauben, einschränken lernten, durfte in der zweiten Familie die Lust
an spielender Umrankung des Kerns sich um so bunter und prächtiger
ausleben. Auf Taf. 299 haben wir eine Auswahl von Schaftdekora-
tionen dieser Art zusammengestellt. Ein unendlicher Fleiss gibt sich
darin kund, der aber nichts mit der Routine des Arbeitssklaven zu
thun hat; nie eine mechanische Wiederholung, immer neue und neue
Gestaltung mit unerschöpflichem Behagen, das jedes einzelne dieser
Stücke zu einer persönlichen Leistung stempelt. Die textilen Muster
sind in der Ueberzahl: in Fig. 1—5 mannigfach gefältelte und ge-
kniffene Stoffe, in 6—9 Umwindung mit gestickten oder ausgezackten
Bändern, in 10, 11, 15 Flechtwerk, Schnüre und Riemen, in 13, 16
Damastmuster, in 12, 14 Besteck mit Blättern und Ranken. Am
üppigsten floriert diese Manier in Frankreich; doch auch in Deutsch-
land wird sie am Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts
fleissig nachgeahmt; für England sind Schuppenmuster, an Panzer-
hemden erinnernd, bezeichnend (298. 4); in Italien wird an einigen
Orten, wie Pisa, Lucca, Palermo im Anschluss an die Spätantike der
ganze Schaft mit Akanthusranken umsponnen (Taf. 286. 2, 326, 5).
Hier taucht dann auch die Kannellierung auf, doch immer nur als
eine Form neben vielen ; am seltensten mit normalen , senkrechten
Furchen (Provence, Fassade und Chor von S. Remy in Reims, Krypta
in Richenberg, goldene Pforte in ryreiberg, ein einzelner Rundpfeiler
in der Kathedrale von Durham), häufiger in spiralischer Drehung
(Taf. 297. 5) oder in Brechung der Linien (Krypten an S. Gereon
in Köln und in der Kathedrale von Canterbury (Taf. 298. 5).
Allein oft war, was eben beschrieben wurde, dem dekorativen
Triebe noch nicht genügend und es wurde selbst die tektonische
Grundform des Schaftes einem phantastischen Spiel überliefert. Das
spätantike Rokoko (besonders einflussreich die nach der Sage aus
dem Tempel von Jerusalem verpflanzten Säulen an den Presbyteriums-
schranken der Peterskirche in Rom Taf. 28) gab das Vorbild zu den
schraubenförmig gedrehten Säulen, die besonders in der Cosmaten-
schule nicht nur häufig, sondern sogar häufiger sind, als die geraden.
Wie es scheint, eine selbständige Erfindung des Mittelalters, ist die
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664
Zweites Buch: Der romanische Stil.
um ihre Zwischenaxe gewundene Zwillingssäule: eine Tändelei, der
man nicht gram sein kann, wenn sie mit soviel Grazie auftritt, wie
in den Kreuzgängen der Laterans- und der Paulskirche (Taf. 298. 2. 3).
Mit richtigem Gefühl wird nicht die letztere Form (deren gleichsam
vegetabilische Elastizität damit nur beschwert worden wäre), sondern
nur die erstere zum Gegenstand der prachtvollen Ueberkleidung mit
Glasstiftmosaik gemacht, welche den zarten, traumhaften Reiz dieser
von der Ausdrucksweise nordischer Phantastik unendlich weit ent-
fernten Werke vollenden hilft. — Eine Spielerei bedenklicherer Art
sind die Knotensäulen (Fig. 298. 10. 11): zwei, vier oder mehr
gekuppelte Schafte werden in der Mitte um und um verschlungen,
als wären sie weiche Taue, während der untere und obere Teil wieder
geradlinig und fest erscheint. Einmal (im Dom von Würzburg) finden
wir die Inschrift »Jachin und Boozc und damit eine Anspielung auf den
salomonischen Tempel (1 Kön. 7, 21 und Jerem. 52, 21); ob wir darin
den Ursprung der seltsamen Form erkennen sollen, ist doch zweifel-
haft; wahrscheinlich ist sie nur der realistisch-barocke Ausdruck für
enges Verbundensein. Knotensäulen finden sich am häufigsten an den
Portalen Oberitaliens; in Lucca an Zwerggalerien als Markierung der
Ecken; in Deutschland an gekuppelten Fenstern; in Frankreich und
England scheinen sie unbekannt zu sein. — Auf der Höhe phantasti-
scher Laune stehen die Bestiensäulen, gleichsam verzerrte Gegen-
bilder der griechischen Karyatiden, deren Schafte über und über bedeckt
sind mit Greifen, Drachen, Krokodilen, im Kampfe mit Menschen »zu
scheusslichen Klumpen geballett. Beispiele: Souillac in Westfrankreich
(Taf. 333), Krypta des Domes zu Freising und befremdlicherweise
auch Lucca, Zwerggalerien von S. Michele und S. Martino; schon
diese Zusammenstellung mit sicher dem 1 2. Jahrhundert angehörenden
ausserdeutschen Denkmälern beweist die Unnahbarkeit der Behaup-
tung, dass die vielberufene Freisinger Säule aus einem Bau der
fränkischen Zeit herübergenommen sei und Momente aus dem alt-
germanischen Mythus zum Gegenstand habe.
DIE BASIS. Der romanische Stil kennt nur eine einzige Normal-
form der Säulenbasis, die von der Spätantike ihm überlieferte sogen,
attische. Aber diese ist in den Einzelheiten nicht stereotyp, wie sie
es bei den Römern geworden war, sondern zeigt sich zu mannigfaltiger
Modulation befähigt. Man betrachte zunächst die auf Taf. 300 zu-
sammengestellten Entwicklungsreihen. Die frühromanische Basis
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
665
(Fig. 1 — 3) ist in allen Ländern starr und unnachgiebig; sehr hoch
im Verhältnis zum Durchmesser; im Profil so steil, dass zwischen dem
unteren und oberen Pfühl wenig oder kein Unterschied der Ausladung
ist. Die Veränderung gegenüber der antiken Auffassung lässt sich so
ausdrücken, dass nach der letzteren die Basis als Vermittlerin zwischen
dem Schaft und dem Fussboden an den Eigenschaften beider gleichen
Anteil nahm, während sie im romanischen Stil einseitig auf die Säule
bezogen wird: — insofern auch mit grösserem Rechte, als sie ja
regelmässig durch eine viereckige Sockelplatte über den Fussboden
emporgehoben ist. Auf der andern Seite ist die freie Uebergangslinie
zum Schaft, der sogen. Anlauf, verloren gegangen; eine gewisse
Erinnerung an ihn lebt indes noch fort, wenn auf den oberen Torus
ein Plättchen oder ihrer zwei zu liegen kommen (Fig. 2, 4, 5, 7 d— f);
in jüngerer Zeit stellt sich wohl auch das richtige Profil des Anlaufs
wieder ein, doch wird derselbe missverständlich nicht als Zubehör des
Schaftes, sondern als Teil der Basis angesehen (Taf. 300. 6q, 301. 18).
Die technische Ausführung pflegt in der Frühzeit sehr roh zu sein,
so dass z. B. das Torusprofil nicht als Halbkreis, sondern als unreine,
abgeplattete Kurve gezeichnet wird (Fig. 6 a— e). In Frankreich ist
diese krude Behandlung geradezu die Regel, während Deutschland sich
grösserer Korrektheit befleissigt. — Die mittelromanische Basis.
Sie wird flacher, im Profil schwungvoller (300. 5, 301. 16. 17), es ist
unverkennbar, dass der Blick sich auf gute antike Muster zu richten
beginnt. Besonders die burgundische Schule gab sich darum Mühe
und wirkte durch den Einfluss Clunys auch auf die Nachbar-
provinzen. Hieraus dürfte sich die ungewöhnlich reine Basenform in
Limburg a. H. erklären (Fig. 7 c) und nicht minder die zwar abnorme,
aber doch sichtlich von antiker Empfindung berührte in Echternach
(Taf. 301, 3). Nun wird auch die viel- und feingliedrige jonische
Basis nachgeahmt : in Saint-Benoist noch mit Rückfall in frühromanische
Steilheit (6 k— m), in St. Etienne zu Nevers mit scharfkantigen Riem-
chen (6 g), freier und weicher im Rhonethal (6 o, p); in der toskanisch-
römischen Protorenaissance gehört sie zum festen Bestand (7 k— m, 299. 3)
und von hier ist sie mit einigen anderen antikisierenden Details auf
unbekanntem Wege in die Apsis des Domes von Speier gekommen
(6 i). — Wieder einen anderen, höchst elastisch belebten Charakter
hat die spätromanische Basis (Fig. 8 — 13). Ein fortlaufender Zug
geht durch alle drei Glieder hindurch, in freien Kurven mit steter
Krümmungsänderung, gleichsam stählern biegsam und federkräftig der
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
Last zugleich nachgebend und ihr entgegenwirkend, im unteren Pfühl
über den Rand des Sockels hinausgedrängt, in der Kehle tief ein-
knickend und dann aufschnellend, um erst im oberen Pfühl zu der
festeren Gestalt des Halbkreises zurückzukehren. Freilich kommen
alle diese Feinheiten nur in der genauen Seitenansicht zu voller Gel-
tung; wenn aber, wie gewöhnlich, die Basis betrachtlich tiefer liegt,
als das Auge des Betrachters, so erscheint sie leicht flach und
schwächlich, ein Uebel, das auch durch die geschärften Licht- und
Schattenkontraste (man beachte namentlich die Abschrägung des
Teilungsplättchens zwischen der Kehle und dem oberen Pfühl) nicht
aufgehoben wird.
Abweichungen von der normalen Zusammensetzung der Basis
sind überaus häufig, doch wohnt ihnen keine systematische Tendenz
inne, kein Bestreben nach Bildung neuer Typen, sondern es sind nur
Aeusserungen individueller Willkür. In Fig. i — 3 auf Taf. 301 haben
wir Beispiele von Vermehrung der Glieder; viel häufiger ist ihre Re-
duktion (Taf. 297. 5, 298. 4. 5. 7), ja in der Normandie und England
ist die rudimentäre Einschrumpfung des attischen Schemas förmlich
die Regel.
Dekoration der Basis (Taf. 302). Fig. 9, 11 , 12 c, d, e
und 13 zeigen am Torus gedrehtes Tau, Flechtwerk, Blätterkranz,
Perlenschnur, also Motive, die einem verwandten Gedanken entsprungen
sind, wie die Dekoration der antiken jonischen Basis, dem Gedanken
der Zusammenschnürung als Symbol der Gegenwirkung gegen die
peripherisch auseinandertreibende Last. Ausserdem gibt es eine
Klasse von Ornamenten, die zacken- oder franzenartig als herab-
hängende Endigungen des den Schaft umhüllenden Gewebes gedacht
werden (Fig. 12 a, b). Wir gewinnen daraus eine Vorstellung, welcher
Art die gemalten Muster gewesen sein werden; in plastischer Ueber-
tragung sind sie nicht eben häufig.
Grösste Verbreitung fand aber im entwickelten romanischen Stil
und ist ein ihm durchaus eigentümlicher Zuwachs die Eckverbindung.
Je mehr im Laufe der Entwicklung die relative Höhe der Plinthe an-
wuchs und je häufiger dem eigentlichen Säulenfuss noch ein Sockel
hinzugegeben wurde (Taf. 297. 9. io), um so empfindlicher wurde die
vom Pfühl freigelassene wagerechte Fläche der Platte in dieser Ent-
fernung vom Erdboden als störende Unterbrechung des allgemeinen
Höhestrebens wahrgenommen; auch mochte man häufige Bestossung
der Ecken erfahren haben. Hier tritt nun das in Rede stehende
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
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Zierglied ein, das von den vier Ecken der Plinthe her mit ansteigen-
dem Profil dem unteren Pfühl zustrebt in der Richtung auf dessen
Zentrum. In der ältesten, noch unvollkommenen Fassung ist es ein
Klötzchen oder Knollen oder in phantastischer Umbildung ein Tier-
kopf oder ganzes Tier (Taf. 301. 5 — 10), alsbald tritt aber eine mehr
organische Verbindung ein, bald so, dass das Glied als ein Auswuchs
des Pfühls, bald so, dass es als Uebergreifen der Platte gedeutet wird.
Die letztere Fassung, Eckkappe könnte man sie nennen, gehörte der
Hirsauer Schule und verbreitete sich im 12. Jahrhundert namentlich
in Norddeutschland (Taf. 297. 3. 4, 30 1. 12 und auf der beistehenden
Textfigur b); die erstere (ursprünglich sporenartig gestaltete) führt zu
dem schönen Motive des geschmeidig niederfliessenden , am freien
Ende sich aufrollenden Eckbiattes , das eine der am meisten in die
Augen fallenden Charakterformen der französischen Frühgotik wie des
deutschen Uebergangsstils wurde (Taf. 300. 9. 12, 301. 4. 18, 302.
1—7). Eine Nebenform, an lederartigen Ueberhang erinnernd, zeigt
Taf. 30I-.I3- 14-
Der Ursprung der Eckzier ist in der Lombardei zu suchen; hier wie
in Süddeutschland (Reichenau) wird sie anfangs gelegentlich auch auf
das Kapitell angewendet; ihre vollkommene Gestalt empfing sie erst im
Norden. In Deutschland ist das Langhaus der Klosterkirche Hersfeld
das älteste nachzuweisende Beispiel, wofern dieser Bauteil, wie nicht
unwahrscheinlich, von Abt Poppo (a. 1040 ff.) herrührt oder doch nur
wenig jünger ist. In Konstanz 1054 — 1089, Schaffhausen um 1090, in
Alpirsbach um 1100, in Paulinzelle um n 10, alles Bauten der Hirsauer
Schule. In Burgund, auf welches die Vermutung hierdurch gelenkt
werden könnte, haben wir das Motiv in so früher Zeit nur einmal, in
der Krypta von S. Bdnigne in Dijon , gefunden ; sonst in keinem
Teile Frankreichs vor dem 12. Jahrhundert (Viollet-le-Duc, II, 133 nennt
den Anfang des n. Jahrhunderts, bleibt aber den Beweis schuldig).
Ganz irregulär ist die Gestaltung der Basis als umgestürztes
Kapitell (Taf. 298. 6), an Zwerggalerien und Fenstersäulchen nicht
ganz selten.
•
DAS KAPITELL. Die sinkende römische Kunst hatte der
Säule, indem sie sie zur Trägerin von Bogen machte, eine neue Auf-
gabe zugeteilt, aber sie hatte nicht daran gedacht, entsprechend dem
veränderten Verhältnis von Stütze und Last auch dasjenige Glied,
in welchem der Konflikt derselben am sichtlichsten zum Austrag
kommt, das Kapitell, neu zu gestalten. Den ersten Versuch in dieser
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
Richtung stellten die Byzantiner an. Ihr Pyramidenkapitell bringt die
nunmehrige Funktion des Säulenhauptes als Kämpfer eines Bogen-
oder Gewölbeanfangers wo nicht schön so doch verständlich und
zweckmässig zum Ausdruck. Indessen die romanische Kunst eignete
sich, ausser in ihrem schmalen östlichen Grenzgebiet, diese byzanti-
nische Form nicht an , sie machte sich aus eigenen Kräften an die
auch von ihr als unvermeidlich empfundene Neugestaltung.
Freilich, eine einheitliche Lösung kam nicht zu stände und war
nach der Entstehungsart des romanischen Stils nicht möglich. Auch
weiterhin meldete sich kein Bedürfnis nach Konzentration in wenige,
festumgrenzte Normaltypen, wie sie die Antike in ihren drei Ord-
nungen besessen hatte. Vielmehr schuf sich der individualistische
Trieb der Germanen ein Feld, auf dem er ganz frei schaltete und
eine unerschöpfliche und unübersehbare Mannigfaltigkeit der Formen
aufspriessen liess. Eine Klassifikation dafür finden zu wollen, in der
alles und jedes rein aufginge, wäre verlorene Mühe. Beschränken wir
uns (wie wir es schon bei der Basis gethan haben) auf die in ver-
breiteter Masse vorkommenden Erscheinungen, so sondert sich das
scheinbare Chaos in zwei Hauptgruppen. Wir bezeichnen sie als
Blätterkelch-Kapitelle und als tektonische Kapitelle. Die
erste Klasse nimmt den Gedanken des korinthischen Kapitells auf,
umkränzt also den von der Kreisfläche des Schaftes zur viereckigen
Deckplatte mit konkavem Profil sich erweiternden Kern mit aufrecht-
stehenden, an der Spitze überfallenden Pflanzenblättern als Symbolen
der aufsteigenden Tendenz der Säule im Momente des Zusammen-
treffens mit der niederwärts drängenden Last (Taf. 303 — 308). Die
zweite Klasse macht unmittelbar den Kern selbst in seiner struktiven
Zweckform zum ästhetischen Motiv (Taf. 309— 312). Diese, die ohne
historische Anknüpfung ihr Ziel selbständig sucht und findet, kann
man nach den an ihrer Produktion vorzugsweise beteiligten Land-
schaften auch die germanische, jene die romanische Klasse im
engeren Sinne nennen.
Das BLÄTTERKELCHKAPITELL macht drei Stadien durch.
Das erste umfasst die unmittelbar aus dem sinkenden Altertum sich
fortpflanzende Ueberlieferung; was sich hier an Veränderungen zeigt,
ist Verwilderung, nicht Folge eines etwaigen neugewonnenen Prinzips.
Das zweite gehört in die an verschiedenen Orten von uns schon
besprochene Protorenaissancebewegung. Das dritte äussert sich als be-
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Sechzehntes Kapitel : Einzelgliedcr und Dekoration.
669
wusste Umbildung des korinthischen Urbildes, indem es dessen all-
gemeine Anlage zwar beibehält, aber das konventionelle Akanthuslaub
durch nordische Pflanzencharaktere ersetzt.
Das erste Stadium hat die längste Dauer naturgemäss in den
südeuropäischen Landschaften. Auf fränkisch-deutschem Boden
gab die Karolingerzeit sich alle Mühe und nicht ganz erfolglos, eine
reinere Formenanschauung zu begründen; Beispiele davon in Aachen,
Fulda, Lorsch, Ingelheim, Nymwegen, Unterregenbach, Höchst,
Helmstädt (sämtlich saec. 9). Wie es möglich war, im traditionslosen
deutschen Barbarenlande immerhin so viel zu erreichen, als hier erreicht
wurde, dafür gibt uns einen Anhalt beispielsweise die Notiz, dass der
baukundige Abt Eigil von Fulda eine Schachtel mit Säulenmodellen aus
Elfenbein besessen habe. Diese Art der Ueberlieferung erklärt viele
Schwächen und Missverständnisse der Ausführung im monumentalen
Massstabe. Ja, manchmal mögen die Mönche sogar keine andere
Stütze des Gedächtnisses gehabt haben, als Bilderhandschriften (be-
sonders die Kanonestafeln). Noch die Ottonische Epoche suchte
dieselbe Linie einzuhalten, aber je mehr jetzt die Landschaften im
Osten des Rheins im Bauwesen mitthätig hervortraten, um so mehr
verflüchtigt sich die Kenntnis von der Antike zu einem unbestimmten
Hörensagen; man sehe Taf. 348. Solchen Missbildungen gegenüber
begreift man, dass Kaiser Otto I. bei seiner Lieblingsstiftung, dem
Dom von Magdeburg, es vorzog Säulen aus Italien (Ravenna oder
dessen Umgebung) kommen zu lassen, deren Marmorkapitelle im Neu-
bau des 1 3. Jahrhunderts zum Teil als Basen Wiederverwendung gefunden
haben, zum andern Teil in Sandstein getreu nachgeformt sind. Für
diese antiquarischen Bemühungen bezeichnend ist es, dass sie sich nicht
ganz selten an die Nachahmung des (in Gallien und Italien gänzlich in
Vergessenheit geratenen) jonischen Kapitells machten. Beispiele : Lorsch,
Essen, Quedlinburg, Osnabrück, Gandersheim, St. Gallen, Reichenau
(einiges auf Taf. 303, anderes auf Taf. 348). Der letzte bedeutende
Bau, an dem die antikisierenden Formen, beides, jonische wie ko-
rinthische, noch die Vorherrschaft haben, ist das Münster zu Essen
vom Ende des 10. Jahrhunderts; in den ersten Dezennien des 11. hat
in St. Michael zu Hildesheim bereits eine kräftige neue Formenwelt
aus der tektonischen Klasse das Feld gewonnen und um 1050 er-
löschen in Deutschland die antikisierenden Reminiscenzen allenthalben.
Frankreich. Hier handelte es sich nicht um eine mühsame und
schliesslich doch nicht dauerhafte Aneignung, wie in Deutschland,
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670
Zweites Buch: Der romanische Stil.
sondern um wirkliches Fortleben von einem Steinmetzengeschlecht
zum andern. Um a. iooo sind die Kapitelle im Kreuzgang der Kathe-
drale von Le Puy entstanden (Taf. 340. 2), die den drei bis vier Jahr-
hunderte älteren in der Krypta von Jouarre (Taf. 35) noch sehr ähn-
lich sehen. Ein bis gegen a. 1050 vielfach wiederholtes Modell zeigt
Taf. 303. 7, ein anderes Taf. 332. 1. An kleineren Säulen erhielt
das Kapitell einen einfachen Blätterkranz, Taf 303. 14, 336. 1. 2.
Aeusserste Venvahrlosung in der Reduktion auf Flachdarstellung
Taf. 340. 1, 332. 1, 336. 3. 4. Man muss sich erinnern, dass im
französischen Bausysteme freistehende Säulen selten waren; aber nur
solche erhalten den Sinn für die struktive Logik der Glieder lebendig;
bei vorherrschenden Halb- und Dreiviertelsäulen wird das Kapitell
leicht zu einem abhängigen Dekorationsstück. Ueberall ist denn auch
die reine Korbform des Kernes aufgegeben und schon in diesem
selbst, nicht erst im Abakus, der Uebergang vom Rund zum Viereck
vollzogen. Was aber auch in den stärksten Entstellungen nicht ver-
loren geht, das ist die Erinnerung an die Eckranken und die Mittel-
blumen (Taf. 305. 1—3, 332. 1, 333. 1, 335. 5, 347. 2). Mit dem
12. Jahrhundert werden Abakus und Kalathos wieder reiner gebildet
und bestimmt voneinander gesondert, während das Blattwerk die
letzte Aehnlichkeit mit dem Akanthus abstreift und in frei stilisierende
Phantasieformen übergeht (Taf. 305. 5. 7—9, 329. 1. 2, 331. 3, 332.
2. 6, 333. 2, 335. 4. 5). So herrscht in dem letzten Viertel des 11.
und den beiden ersten des 12. Jahrhunderts eine fröhliche Anarchie,
die wohl durch die Beweglichkeit und Ursprünglichkeit der Erfindungs-
kraft in Erstaunen setzt, nicht selten auch durch wahren Geschmack
erfreut, aber doch auf die Dauer kein haltbarer Zustand war und gegen
die es zum Glück an der Kraft zu heilsamer Reaktion nicht fehlte,
der Weg, den diese einschlug, war teils der des Klassizismus, teils der
des Naturalismus, womit zugleich der Unterschied südlicher und nor-
discher Auffassung in schärfere Ausprägung trat.
Die denkwürdige Erscheinung einer Renaissancebewegung im
romanischen Stil, kurz vor und zum Teil noch neben den Anfangen
der Gotik, hat uns schon im Kapitel über den Aussenbau (S. 609 und
626) beschäftigt. Was die Kapitellformen betrifft, so kommen allein
die korinthischen und kompositen in Frage; Nachbildungen des
römisch-dorischen, wie am Portal von Sant' Antonio Abbate in Rom
und im Chorumgang von St. Etienne in Nevers (Taf. 303. 2. 4) stehen
vereinzelt da. Am konsequentesten in der Parteinahme ist Toskana.
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
67I
Am Dom von Pisa (Taf. 304. 5, 326. 3; die Kapitelle des Innern
leider mit modernem Gipsüberzug) mutet der schiefe Ueberfall der
mageren, scharfgezeichneten Blätter noch halb byzantinisch an; sehr
korrekt, doch trocken, sind die Kapitelle an den jüngeren Teilen
des Domes, an den Portalen des Baptisteriums und Campaniles, und
besonders gewissenhaft im Baptisterium von Florenz; willkürlicher in
Lucca (Taf. 326. 6), Viterbo (Taf. 305. 4) u. s. w. — Die Provence
dagegen verhält sich zu den spezifisch mittelalterlichen Formen nie
ganz ablehnend, wenn auch für den Totaleindruck die antiken be-
stimmend sind. Nicht selten werden die Modelle mit voller Genauig-
keit abgeschrieben (z. B. an den Portalen von Aix und Avignon,
Taf. 285), häufiger ist aber eine etwas freiere Behandlung von treff-
licher Empfindung für malerisch breiten Effekt (Taf. 304. 6, 336. 6.
8, 342. 2. 5). — Von Toskana schritt die klassizistische Propaganda
nach Oberitalien, von der Provence nach Burgund und weiter vor.
Aber es wurde ihr hier keine normative, nur eine arbiträre Geltung
eingeräumt. Mit streng gebildeten korinthischen Kapitellen wechseln
regelmässig nach echt mittelalterlicher Kontrastmethode frei stilisierte,
in Frankreich auch schon naturalistische. Taf. 324. 1. 2 zeigt zwei
Kapitelle an den grossen Säulen des Langhauses im Dom von Modena
(A. 12. Jahrhundert), die man nicht sowohl der Antike nachgeschrieben
als nachempfunden nennen muss und deren präzise und elegante Zeich-
nung gegen die vielleicht nur um ein Menschenalter älteren Formen
der Krypta (Fig. 4) merkwürdig absticht. In anderer Richtung in-
teressant ist die um die Mitte des 12. Jahrhunderts ausgeführte Krypta
der Kathedrale von Piacenza; in ihr haben die Steinmetzen es ver-
standen das Akanthusthema so mannigfach zu variieren, dass jede der
nach mehr als einem halben Hundert zählenden Säulen ihre eigene
Spielart aufweist (Fig. 6—8). Als Erzeugnisse italienischer Arbeiter
mutmasslich haben wir auch die Kompositkapitelle in der Afrakapelle
des Speierer Domes anzusprechen (Taf. 304. 1); wo sonst in Deutsch-
land um diese Zeit noch antike Reminiscenzen auftauchen, wie in
Hildesheim, Drübeck oder Wunstorf (Taf. 349), zeigen sie sich in
höchst wunderlicher Trübung. — Die interessantesten Erscheinungen
unter allen, welche das auf die Antike zurückgewendete Studium her-
vorrief, bietet Burgund und das nördliche Frankreich. Einiges Material
an römischen Originalmodellen fehlte auch diesen Gegenden nicht;
Stücke von guter Arbeit können nur selten darunter gewesen sein.
Erstaunlich aber, wieviel aus diesen zerstreuten Spuren das 12. Jahr-
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
hundert herauszulesen verstand! Man betrachte, wie in der den Zeit-
raum von 1090 — 1130 umfassenden Reihe: Saint- Benoit (Taf. 344,
Paray-le-Monial (Taf. 304), Vezelay (Taf. 304, 341), Langres (Taf. 342),
die konventionelle Formel sich allmählich mit Leben erfüllt, wie jeder
einzelne Künstler sich seine persönliche und ganz konkrete Vorstellung
davon bildet, was die Natur des (in Wirklichkeit unbekannten) Akan-
thuslaubes sei. Der in Vezelay das Kapitell Taf. 304. 2 fertigte, war
bei aller Strenge der Auffassung sicher mehr als ein Kopist und den
anderen neben ihm arbeitenden (Taf. 341. 3) möchte man einen
Romantiker im Klassizismus nennen. Vollends an den kleineren Kapi-
tellen der Kreuzgänge, Triforien, Portalen u. s. w. löst sich die regel-
rechte Anordnung auf und der Akanthus gewinnt freien Wuchs und
neuen reizenden Schwung (Taf. 339. 1. 4. 6). — In Nordfrankreich hatte
die antikisierende Flutwelle ihren höchsten Stand zwischen 11 40 und
1160. Bemerkenswerterweise zeigen sich gerade diejenigen Bauten
von ihr am stärksten berührt, die im Uebergang zum gotischen Kon-
struktionssystem die Tührende Rolle haben : Chor und Nordportal von
Saint-Denis (Viollet-le-Duc VIII, 217), Chor von S. Germain-des-Pres
(Taf. 344), Chor von S. Laumer in Blois (Taf. 304. 3), sämtlich aus
dem Anfang der 40er Jahre; Langhaus und Portal der Kathedrale
von Le Mans (Taf. 334. 5 und 305. 7) um 1150; Arkatur am Chor
der Kathedrale zu Sens (Viollet-le-Duc VIII, 2 1 9), S. Julien le Pauvre
zu Paris (Taf. 346. 5), die ältesten Stücke im Chor der Kathedrale
von Paris (Taf. 344. 7), die Säulen an den Strebesystemen von
S. Remy in Reims und Notre-Dame in Chälons — Bauten, die sich
bis in die 70er Jahre erstrecken.
Dieselbe Zeit nun, dieselbe Schule und grossenteils dieselben
Bauwerke sind es, in denen der Naturalismus seine ersten Schritte
versuchte (Taf. 306, 345, 346. 6—8). Dieses Nebeneinander aus der
Arbeitsgemeinschaft von geistig trägen und von rührig vorwärtsstreben-
den Werkleuten zu erklären, wie Viollet-le-Duc es thut, halten wir
nicht für zutreffend. War doch diesen Gegenden die bewusste An-
knüpfung an die Antike ebenso sehr etwas Neues wie die Anknüpfung
an die heimische Flora. Beides sind nur verschiedene Wege des
Suchens nach einem neuen System und ihre Abweichung bewegt sich,
wie sehr zu beachten ist, auf einem genau begrenzten Gebiete: -dem
der Detailbildung des Blattwerks. Dagegen der Bau des Kapitells in
seiner Totalität und die Anordnung des Blattschmuckes im Verhältnis
zum Kern bleiben in beiden Richtungen dieselben. Auf die Frage,
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
673
ob die in Rede stehenden Formen noch romanisch seien und nicht
vielmehr schon gotisch, antworten wir deshalb ohne Zögern: sie sind
noch romanisch. Nicht das macht das Wesen aus, ob die Grundform
der Blätter der südlichen oder ob sie der nördlichen Pflanzenwelt ent-
nommen ist, sondern was ihre tektonische Funktion ist. Diese ist
aber von der des wahren gotischen Kapitells, d. h. der des 13. und
14. Jahrhunderts, grundsätzlich verschieden, der des antiken Blätter-
kapitells grundsätzlich verwandt. Das gotische System, in konsequenter
Verfolgung seines Grundgedankens, d. i. der augenfälligen Trennung
in struktiv wirkende und in bloss raumabschliessende oder bloss de-
korierende Teile, fordert, dass der für die Struktur thatsächlich allein
Bedeutung habende Kern dem Auge blossgelegt werde, während in
betreff des Blattwerks kein Zweifel übrig bleiben darf, dass dasselbe nicht
die Sache selbst sei, sondern nur ein äusserlich und lose angehefteter
Schmuck ; wogegen beim korinthischen Kapitell und seinen Ableitungen
es die Blätter selbst sind, die, wenn auch nur sinnbildlich, die Last
aufnehmen und mit ihrer organischen Kraft ihr entgegenwirken. Nach
diesem Kriterium beurteilt, kommt der durch Taf. 306 repräsentierte
Typus, obwohl frühgotischen Denkmälern angehörend und obwohl
naturalistisch in der Zeichnung des Blattwerks, dem wahren Begriff
des korinthischen Kalathos ungleich näher als irgend ein Akanthus-
kapitell des 10'. und 11. Jahrhunderts. Er ist eine parallele, nicht
eine kontrastierende Erscheinung zu dem, wie wir oben gesehen haben,
von derselben Schule und in derselben Zeit gepflegten antikisierenden
Typus. Es war eben die erwachende Erkenntnis von der organischen
Bedeutung des Akanthusschmuckes , die zum Vergleiche mit den im
Bereiche der Erfahrung liegenden Naturformen aufforderte. Keineswegs
ein neues Kapitell von Grund aus wollte die naturalistische Wendung
schaffen, nur eine frischer belebte Ornamentation. Die Analogie zu
dem allgemeinen Formengeist der Frühgotik liegt in der Tendenz
auf Einfachheit, Festigkeit, Elasticität. Dem entsprechend werden
fette, von Saft schwellende Blattformen mit geschlossenem (nicht ge-
zacktem) Umriss aufgesucht, wie die Natur sie besonders in den auf
feuchtem Wald- und Wiesenboden und am Rande von Bächen und
Weihern heimischen Pflanzenarten vorgebildet hat; Arum, Iris, Aqui-
legia, Plantago u. a. sind wohl zu erkennen, obschon die Bildhauer
nicht realistisch imitierend (wie die konsequente Gotik), sondern typisch
stilisierend verfahren und einen Reiz darin finden, in der Natur ge-
trennte Erscheinungen willkürlich zusammenzubringen. Ganz möglich
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
übrigens, dass selbst zu dieser Richtung die
erste Anregung von der Antike kam; denn
schon diese kannte neben dem Akanthus-
blatt eine vereinfachte, schilfähnliche Form;
die Aehnlichkeit des beistehend skizzierten
Pilasterkapitells aus dem sogenannten Audi-
torium des Mäcenas in Rom mit gewissen
französischen Formen des 12. Jahrhunderts
ist schlagend, vgl. auch Taf. 303. 8. 15.
Besonders sprechend als Ausdruck gedrängter Lebenskraft er-
schien ein bestimmter Entwicklungszustand gedachter Pflanzen, näm-
lich der kurz vor ihrer vollen Entfaltung, wo an der Spitze des
Stengels die Blätter noch zu einer kugelförmigen Knospe zusammen-
gerollt sind und unter deren Schwere der vom Safte weiche Stengel
sich überbeugt. In dieser Erscheinung fand man den Ersatz für die
anfangs noch beibehaltene korinthische Eckvolute (Taf. 305. 11,
346. 5. 8) und so entstand jener für das letzte Viertel des 12. Jahr-
hunderts vorzüglich charakterische Typus, den wir Knospenkapitell
zu nennen uns gewöhnt haben. Den ersten Ansatz dazu zeigt Taf. 306.3.
307. 4, die reife Form 308. 2. 7. 10. Die grosse Verbreitung des
Knospenkapitells in der französischen Frühgotik (und fast noch mehr
in dem unter ihrem Einfluss stehenden Uebergangsstil Deutschlands
und Italiens) ist nicht als blosse Frage des ornamentalen Geschmacks
zu beurteilen, sie ist ebensosehr in den allgemeinen Strukturverhält-
nissen begründet. Die Frühgotik befand sich, was die Behandlung
der Säule betrifft, im doppelten Gegensatz sowohl gegen die ent-
wickelte Gotik, welche die eigentliche Säule überhaupt nicht mehr
kannte, wie gegen die romanischen Systeme, in welchen (wir sprechen
von Frankreich) die Halbsäule durchaus vorgeherrscht hatte, ein für
die allgemeine Konfiguration des Kapitells im 11. und 12. Jahrhundert
sehr wesentlicher Umstand. Die Frühgotik wies nicht bloss im Chor
(durch Einführung des Deambulatoriums) sondern auch in den Schiffen
der Säule in der reinen monocylindrischen Gestalt aufs neue eine
grosse Rolle zu, und auch dort, wo sie in dekorativer Absicht Säulen
mit Pfeilern oder Mauern verband, behandelte sie dieselben gleich-
falls als Vollcylinder, nicht als eingebundene Halbcylinder. Für die
romanischen Säulen der älteren Zeit war es Regel gewesen, dass der
Grundriss des Bogenanfangers zu dem oberen Horizontalschnitt des
Kapitells sich verhielt wie das umgeschriebene Quadrat zum Kreise.
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Sechzehutes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
675
so dass die Deckplatte nur wenig auslud. Jetzt aber hatten auf der
Deckplatte (vgl. die beistehende Figur nach Viollet-le-Duc) noch
weiterhin Platz zu finden: die Scheidbogenanfänger BB, ein Trans-
versal- und zwei Diagonalbogen der Seitenschiffsgewölbe CDD, die
Basen der zum Hauptgewölbe
aufsteigenden Dienste E. Zur
Vermittlung zwischen Stütze
und Last bedurfte es nun-
mehr einer ungleich weiter
ausschwingenden , zugleich
aber mit dem Kern fest zu-
sammenhängenden und breit
ansetzenden Eckverbindung
— analog dem veränderten
Formencharakter der Basen
dieser Zeit. Sodann ist in
Betracht zu ziehen, dass die
Bauart dieser Epoche an
Emporen, Triforien, Gewölbekämpfern eine Menge kleiner Kapitelle
in hoher Lage anwendet; für diese alle war die Knospenform mit
ihrem scharfen Schlagschatten und ihrer dadurch auch für den ent-
fernten Standpunkt nicht verschwindenden Deutlichkeit besonders
günstig. Ueberhaupt kann vermöge seiner schmiegsamen Natur das
Knospenkapitell sehr verschiedenen Grundverhältnissen sich anpassen.
Anders liegen dieselben bei den schwer belasteten grossen Säulen der
Schiffe, anders bei den kleineren der Emporen und Triforien. Bei den
letztern werden die Ausläufer degagierter, die Kelche höher, der Kontrast
zwischen der Schlankheit des Säulenschaftes und der Breite des Bogen-
an fangers verschärft. Sind die Blätter in zwei Ordnungen übereinander
gestellt, so steht die untere zu den Stirnseiten des Kapitells normal, die
obere übereck. Der Knospenträger ist häufig durch ein untergelegtes Blatt
geschmückt, oder er spaltet sich an der Spitze und rollt sich zu einer
Doppelknospe zusammen, oder es durchbricht der alte phantastische
Zug den naturalistischen und verwandelt die Knospe in einen Menschen-
oder Bestienkopf. — Das Knospenkapitell ist die letzte im mittel-
alterlichen Gewölbesystem mögliche Entwicklungsform des uralten
Blätterkelchkapitells. Die nächste Stufe schon führte zum Aufgeben der
reinen Säulenform überhaupt, zu ihrer Umwandlung in den kantonierten
Rundpfeilcr und brachte damit auch für das Kapitell neue Bedingungen.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
In Deutschland ist das Blätterkelchkapitell eine abgeschlossene
Erscheinung des Uebergangsstils. Die klassizistische Richtung findet
hier keine Stätte und die naturalistische ist keine ursprüngliche, sondern
eine aus der französischen Fassung abgeleitete, vielfach mit der älteren
stilisierenden Anschauung in Kompromiss tretende. Zwei für die
französische Fassung bezeichnende Momente, der scharf absetzende
obere Kelchrand und darüber der korinthische Abakus fehlen; anstatt
dessen hält sich die Kernform in einem fliessenden Uebergang vom
Kelch zum Würfel. Die Behandlung des Blattwerks ist zwar nicht
mehr die alte, bloss zeichnende, aber auch noch nicht eine rein
plastische, sondern ein Mittelding zwischen beiden, dergestalt dass
die Ausladungen der Blätter dem Profil des Sternes in ungefähr gleich-
bleibendem Abstände folgen (Taf. 307. 1. 3. 8, 350, 351, 354). Ganz
gewöhnlich wird noch die Mittelrippe mit Perlschnüren und Diamant-
schnitt ausgeziert, was die Franzosen meistens aufgegeben hatten.
Das Prinzip der Anordnung ist dieses: an jeder Stirnseite steigen,
meist sich durchkreuzend, zwei Paare von Stengeln auf, von denen
das eine, stärkere den Ecken, das andere, schwächere der Mitte sich
zuwendet; oder umgekehrt, wenn das mittlere Paar das stärkere ist,
vollzieht es an den Ecken eine halbe Kreisdrehung und breitet sich
nach seiner Vereinigung mit dem korrespondierenden Zweige der an-
stossenden Seitenfläche fingerartig aus in der Weise, dass ein Teil
der Zweige herabfällt, ein anderer wieder aufsteigend in der Mitte
sich mit dem Wurzelnachbar begegnet. In der klaren Durchführung
dieses verwickelten Gewebes, dem schwungvollen Wurf der Zweige,
dem schwebenden Gleichgewicht der Massen äussert sich oft ein be-
wunderungswürdiges Kompositionsgefuhl. — Das Knospenkapitell
scheint zuerst durch die Cistercienser in Deutschland eingeführt zu
sein. Seine grösste Verbreitung hat es zwischen 1220 und 1250, also
in einer Zeit, wo es vom französischen Geschmack schon aufgegeben
war. — Uebrigens hat der von Frankreich eingedrungene Naturalismus
den ^unnatürlichen« Stil nirgends ganz verdrängt, am wenigsten in
den vom Rhein entfernteren Landschaften, wofür ein bemerkenswertes
Beispiel die prachtvollen Kapitelle des (im System stark französisch
beeinflussten) Domes von Magdeburg geben (Taf. 352).
Im Gegensatz zu der ununterbrochen im Fluss begriffenen und
tausendfältig sich variierenden Entwicklung des Blätterkelchkapitells kon-
zentrierte sich die andere Gruppe, die wir die TEKTONISCHE nennen
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
6/7
wollen, frühzeitig in einer Hauptgestalt von klassischer Geltung: dem
Würfelkapitell. Für die historische Betrachtung sind aber auch die,
obschon unvollkommeneren, Parallellösungen nicht gleichgültig. Das
erste Auftreten der tektonischen Kapitelle reicht über die romanische
Epoche zurück; sie sind zunächst nichts anderes als ein Behelf der
Bequemlichkeit oder Ratlosigkeit, ein Zeichen des Sinkens der Kunst
(es genüge die Erinnerung an die Halbsäulenknäufe der Porta nigra
in Trier). Die Zunahme der Bauthätigkeit auf germanischem Boden
seit Karl dem Grossen brachte für die Einzelbildung, wie wir gesehen
haben, um so fühlbarere Schwierigkeiten, je ernster es mit der Ver-
pflichtung auf den Kanon der Antike genommen wurde. Immer
häufiger musstc der Fall werden, dass beim besten Willen brauchbare
Modelle oder zur Nachbildung geeignete Werkleute nicht zu finden
waren. Die dabei sich einstellenden Missbildungen haben auch bei
den Zeitgenossen schwerlich Gefallen erregt. Sollte man nicht lieber
an technisch einfacheren Formen die eigene Gestaltungskraft er-
proben?
Einem rationell gebildeten Kapitell liegt unter den Umständen,
mit denen die romanische Baukunst zu thun hat, zweierlei zu er-
füllen ob: erstens hat es durch seine Ausladung über dem Schafte
eine erweiterte Fläche für die Aufnahme des Bogenfusses zu schaffen;
zweitens hat es aus der Kreisform des Säulenquerschnittes in den
viereckigen Backengrundriss überzuleiten. Drei geometrische Körper
kommen hierbei als Grundformen vornehmlich in Betracht: die Pyra-
mide, der Kegel, der Würfel. Und mit allen dreien hat die romanische
Baukunst es thatsächlich versucht.
Die vierseitige Pyramide, umgekehrt und unten abgestutzt, ist
das Kapitell der Byzantiner (Taf. 32. 33). Sie ist unter den drei in
Frage stehenden Formen schon deshalb die am wenigsten befriedigende,
weil ihr unteres Lager dem Säulenschnitt nicht konform ist; durch
Abrundung der Kanten konnte wohl diese Ungehörigkeit abgeschwächt
werden, aber der Formcharakter im ganzen wurde noch unorganischer,
flauer, plumper. Im Abendlande war das Pyramidenkapitell im frühen
Mittelalter ziemlich viel im Gebrauch, aber nur mit einer einigermassen
verbessernden Modifikation, nämlich kantiger Abfasung der Ecken in der
Weise, dass sich ein schmales mit der Spitze nach oben gerichtetes
Dreieck ergab; so wurde für die Lagerfläche zwar noch immer kein
Kreis, aber wenigstens ein Achteck gewonnen. Zuweilen wird die
Abfasung leicht einwärts gekrümmt, in Erinnerung an das Kalathos-
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6;8
Zweites Buch: Der romanische Stil.
profil, wodurch die frontalen Trapeze geschwungene Seitenlinien er-
halten. Frühestes Beispiel: der Umgang am Grabmal des Theoderich
in Ravenna. Aus Deutschland: Emporen zu Gernrode (Taf. 308),
Krypten zu Reichenau, Augsburg, Füssen, Salzburg, Fünfkirchen in
Ungarn, Bergholzzell im Elsass u. a. m.; über den Anfang des 1 1. Jahr-
hunderts hinaus kaum nachweisbar. Häufiger in
Mittel- und Südfrankreich und in Spanien (Taf. 309.
9, 312. 11, 328. 6). In der Auvergne und den an-
grenzenden Landschaften auch die reine Pyramiden-
form, doch nur als Träger plastischen, meist figur-
lichen Ornaments (Taf. 335. 1. 2. 4).
Umgekehrt stellen sich Vorteile und Nachteile
bei dem abgestumpften Kegel; es ist der obere
Abschluss, der Schwierigkeiten macht. Der Hori-
zontalschnitt des Kegels könnte sich zum Quadrat
des Bogen fusses entweder als eingeschriebener oder
als umgeschriebener Kreis verhalten. Das erstere
ist aus naheliegenden Gründen nie versucht worden;
das zweite hat zur Folge, dass die über das Quadrat
hinausfallenden Teile des Kegels durch senkrechte
Schnitte abgetragen werden müssen. Struktiv
zweckmässiger, ist indes auch diese Lösung ästhetisch nicht befrie-
digend: die Hyperbeln, durch welche die frontalen Schilder begrenzt
werden, sind zu wenig einfache Linien, als dass das Bauornament
sich mit ihnen befreunden könnte, und andererseits
eignet dem Profil des Kegels eine nicht geringere Starr-
heit, als dem der Pyramide. Begreiflich genug also,
dass das nackte Kegelkapitell nur eine vorübergehende
Erscheinung blieb; Beispiele: die ältesten Teile von
S. Remy in Reims Taf. 310. 5 ; schon etwas abweichend
von der reinen mathematischen Form in der Krypta
des Domes zu Modena Taf. 310. 4 und 322. 3. Dagegen als Kernform
für plastische Dekoration, sowohl vegetabilischer als figürlicher Art,
fand es zumal in den französischen Bauschulen weiteste Anwendung,
ja es wurde hier die normale Form, bis das 12. Jahrhundert wieder
den lebendigeren kelchförmigen Kern in seine Rechte einsetzte.
Die Beschneidung des Kegelkapitells hatte im Vergleich zum
pyramidalen ein wichtiges neues Moment zu Tage gefördert : die senk-
rechte Lage der frontalen Schnittflächen. Dieselben werden dadurch
Grabmal
König Theodench*.
Krypta zu F&uen.
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
679
dem Säulenstamm richtungsgleich und erscheinen im Querschnitt als
unmittelbare Vorbereitung auf den Bogenfuss. Der gleiche Vorzug
in noch entschiedenerer Haltung ist dem Würfelkapitell eigen.
Die archäologische Terminologie begreift unter diesem Namen im
vorzugsweisen Sinne die aus der Durchdringung des Würfels mit der
Halbkugel entstehenden Formen. Indessen kennt die romanische
Baukunst auch andere Arten der Ueberleitung vom Würfel zum
Cylinder. Das den auf Taf. 309. 4. 10. 1 1 gegebenen Befspielen
Gemeinsame ist die Abtragung der unteren Ecken des Prismas durch
einen einwärts geschwungenen, ein sphärisches Dreieck ergebenden
Schnitt, ähnlich wie wir es bei gewissen Pyramidenkapitellen wahr-
genommen haben. Ungleich vollkommener, ja vollkommen schlechthin
unter den gegebenen Verhältnissen ist die Ueberleitung mittelst Kugel-
ausschnittes. Das romanische Würfelkugel-Kapitell aus dem Dorischen
der Antike abzuleiten, ist heute allgemein aufgegeben. Dagegen darf
man wohl sagen, an seiner Ausbildung sei das Bestreben beteiligt
gewesen, die Mängel des geschichtlich überlieferten korinthischen
Kalathos — Mängel vom Standpunkte des romanischen Bausystems —
aufzuheben. Die Kurve des Kalathos lässt dem Kapitell zu wenig
Körper, schwächt seine Tragkraft ebenso für das Auge, wie für die
materielle Wirkung ; sie steht zur Kreislinie des Bogens in ungünstigem
Verhältnis, indem sie dieser ähnlich und doch nicht gleich ist; >s\e
disharmoniert, wie die Sekunde in der Musik«. Und allerdings führte
dies gegensätzliche Bestreben, wenn auch unbewusst, auf einen dem
Dorismus grundverwandten Formgedanken. Das korinthische Kalathos-
kapitell bekrönt eine Säule von schlankem Bau und trägt ein ver-
hältnismässig leichtes Gebälk; das dorische Echinuskapitell wie das
romanische Würfelkapitell deuten auf eine viel stärkere Spannung
zwischen Strebekraft und Schwerkraft. Der Konflikt nimmt auf beiden
Seiten den entgegengesetzten Verlauf: im Kalathos zuerst müheloses
Aufsteigen, dann elastisches Nachgeben unter der Last; im Echinus-
und im Würfelkapitell zuerst mühevoller Widerstand, dann siegreiches
Ueberwinden. Was die beiden letzteren im besonderen wieder unter-
scheidet, ist die Form der Last: dort wagerechtes Gebälk, hier eine
durch Halbkreisbogen vermittelte Hochmauer; dementsprechend dort
die Doppelbeziehung zu Stütze und Last durch zwei gesonderte
Glieder (Echinus und Abakus) ausgedrückt, Glieder von überwiegend
wagerechter Ausdehnung; hier durch Verschmelzung des Runden und
des Eckigen in einen einzigen Körper von annäherndem Gleichgewicht
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Zweites Buch . Der romanische Stil.
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der Höhe und Breite, ein Sinnbild konzentrierter Widerstandskraft.
Wie die vier senkrechten Seitenschilder ein Vorklang auf die Mauer
sind, so sind die dem Kreise entnommenen Linien und Flächen ein
Vorklang auf die Archivolte; beide zusammen »stellen eine Art
Wellenlinie, ein Steigen und Sinken dar, die kurze ausladende Kurve
des Kapitells gibt gleichsam den Anlauf zu der weiten rad förmigen
Schwingung des Bogens t. In der diagonalen Ansicht überwiegt der
Kugelanteil, in der frontalen Ansicht überwiegt der Würfelanteil und
dazwischen liegen unendliche Uebergänge, das perspektivische Bild
einer Säulenreihe mit glücklichster Mannig-
faltigkeit begabend. Ohne Uebertreibung
darf man sagen, dass der romanische Stil
in seinem Würfelkapitell eine dem dorischen
künstlerisch ebenbürtige Leistung hingestellt
hat. Eben sein eminent tektonischer Cha-
rakter ist aber auch der Grund für seine
begrenzte Anwendungsfähigkeit. Schon die
ersten Einwirkungen der Gotik setzten es
mit Recht ausser Gebrauch.
Die beistehende Figur zeigt die mathe-
matische Konstruktion des Würfelkapitells.
In so abstrakter Strenge findet es sich in
Wirklichkeit kaum. Das Verfahren bei der
Ausführung war wohl dieses: zuerst wurde
nach dem Masse des Bogenfusses der Würfel oder richtiger würfel-
ähnliche Quaderblock hergestellt; dann auf seiner unteren Fläche
der Säulendurchschnitt, auf den vier senkrechten Seiten Halbkreise
aufgetragen; endlich die unteren Ecken und die von ihnen aufstei-
genden Kanten rundlich abgearbeitet, wobei man es keineswegs auf
Festhaltung eines Kugelzentrums oder überhaupt nur Herstellung
regelmässiger Kugelabschnitte ankommen Hess, sondern sich mit kugel-
ähnlichen Krümmungen begnügte. Zuweilen zeigen sich Einschnürungen
in diagonaler Richtung, durch welche die Vorstellung von einem ela-
stischen Polster noch sinnfälliger wird (Taf. 311. 3. 7). Das Verhältnis
von Höhe und Breite ist beweglich, so dass die Seitenschilder nicht
immer einen reinen Halbkreis, sondern auch einen verkürzten oder
aber überhöhten darstellen (Taf. 311. 4 gegen 5- und 8), und ebenso
beweglich ist, infolge des schwankenden Verhältnisses von Säulen
durchmesser zu Würfelseite, der Grad der Ausladung. Mit diesen
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration. 08 1
einfachen Mitteln wird eine nicht geringe Modulation im individuellen
Ausdruck erreicht. Aber natürlich kommen die Unterschiede dieser
Art nur im Vergleich verschiedener Gebäude oder mindestens ver-
schiedener Gebäudeteile in Betracht; innerhalb einer und derselben
oder zweier korrespondierenden Säulenreihen müssen die körperlichen
Grundverhältnisse gleich bleiben, wenn nicht unerträgliche Verworren-
heit eintreten soll. Wollte man hier noch weitere Variierung und
Rhythmisierung, wie es allerdings als Regel anzunehmen ist, so waren
diese der gemalten Dekoration aufgetragen. Dass sich dieselbe nur
sehr selten erhalten hat, kann nicht Wunder nehmen (einiges abge-
bildet bei Rupprich-Robert , Architecture normande pl. 166, 167, wo-
nach unsere Taf. 312. 8; ein anderes Beispiel bei Viollet-le-Duc II, 507).
Das Prinzip unterliegt dennoch keinem Zweifel, denn es lebt in der
skulpierten Dekoration fort. Am besten gerät die Verteilung des
Ornaments, wenn sie streng aus der tektonischen Grundform heraus
entwickelt wird, wie in Taf. 312. 1. 4. 5—7. Aber keineswegs immer
wurde das eingehalten. Es kam ebenso häufig vor, dass die Grenze
zwischen dem Kugel- und dem Würfelabschnitt ausser Acht gelassen
und beide als einheitliche Ornamentationsfläche behandelt wurden
(Taf. 297. 6, 312. 3).
Das Würfelkapitell mit seinem von aller antiken Ueberlieferung
unabhängigen Formencharakter als Abkömmling eines urgermanischen
Holzbaues anzusprechen hat für viele etwas Verlockendes gehabt. Wir
unsererseits halten diese Hypothese nicht für begründet und sind auch
durch die neueste, sehr gründliche Verteidigung durch G. Humann
(Bonner Jahrbücher, 98. Heft 1888) nicht für sie gewonnen. Gegen
die ältere Ansicht von einem zwischen Säulenschaft und Gebälk ein-
geschobenen Klotz war triftig erinnert worden (u. a. von R. Dohme),
dass sie im Holzbau konstruktionswidrig sei, dass etwaige Kopf-
verzierungen hier gerade aus einem Stück gearbeitet sein müssten ; die
Holzarchitektur kenne kein wahres Kapitell, sie ersetze es durch den
Unterzugsbalken. Diese Einwände erkennt Humann an. Seine Ab-
leitung geht vom Ständerbalken aus, bei dessen Verwandlung in die
Rundsäule die Enden , oben und unten , ihre vierseitige Gestalt be-
halten hätten. Die formale Analogie geben wir zu, aber nicht die
konstruktive. Dem Würfelkapitell der Steinsäule ist gerade wesentlich,
dass es ein vom Schafte unabhängiger, ein über ihn ausladender
Zwischenkörper ist. Humanns Hypothese könnte nur dann ins Ge-
wicht fallen, wenn es unmöglich wäre, das Würfelkapitell aus der
Steinkonstruktion allein zu erklären. Nun haben wir aber im Obigen
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
nachgewiesen (was Humann übersieht), dass das Würfelkapitell, so-
weit es historisch zu verfolgen ist, neben und mit rein und un-
zweifelhaft steinmässigen Formen, dem pyramidalen und dem
konischen Kapitell, auftritt, dass mannigfache Uebergänge zwischen
ihnen vorkommen, dass es in seiner reinen Gestalt jünger ist als jene,
kurz dass es nur einen unter mehreren parallelen Lösungsversuchen
darstellt. Wäre das Würfelkapitell eine im Holzbau so leicht, beinahe
unvermeidlich sich einstellende Form, so hätte es im Holzbau selb-
ständig weiterleben, ja von Zeit zu Zeit immer wieder spontan neu-
geschaffen werden müssen — was nicht der Fall ist ; so müsste weiter
seine Gestalt auf eine wagerechte Last, auf einen Architrav, hinweisen
— was wiederum nicht der Fall ist. Denn das haben wir ja als seinen
spezifischen Vorzug erkannt, dass es dem Bogen, mithin einer nur
dem Steinbau gehörenden Verbindung, gemässer ist als irgend eine
Kapitellform sonst l).
Die Denkmälerüberlieferung zeigt nichts davon, dass sich das
Würfelkapitell etwa von einem bestimmten Zentralgebiet aus verbreitet
hätte; es hat durchaus den Anschein, dass es an verschiedenen Orten
spontan entsprungen ist. Und in der That ist die Erfindung als
solche so einfach, dass sie in jedem Augenblick überall gemacht wer-
den konnte, wo man aus irgend einem Grunde die Fühlung mit der
klassischen Tradition verloren oder aufgegeben hatte. Wichtig ist
allein, dass das künstlerisch Bedeutsame der neuen Form lebendig
empfunden und dass ihr im Gesamtorganismus der richtige Platz an-
gewiesen wurde. In diesem Sinne ist das Würfelkapitell allerdings
als eine germanische Schöpfung in Anspruch zu nehmen; aber nicht
als eine Schöpfung der Urzeit, sondern als eine der für den roma-
nischen Stil grundlegenden Epoche am Ende des ersten Jahrtausends
nach Christo.
H. Hübsch, Die altchristlichen Kirchen, pl. XXXI, Fig. 4—7
zeichnet die »Cisterne der tausend Säulen e in Konstantinopel mit
regelrechten Würfelkapitellen, die man, von ihrem Orte gelöst, ohne
Bedenken zu erregen, für deutsche Arbeit des 11. oder 12. Jahrhun-
derts ausgeben könnte. Die Datierung auf das 4. Jahrhundert ist will-
kürlich, wie so viele Datierungen von Hübsch ; ebenso ist nach andern
Leistungen von Hübsch der Argwohn nicht unbegründet, dass die
l) Lehrreich sind gewisse Fenster- und EmporensäuJchen in englischen Kirchen,
vou denen wir eine auf Taf. 298, Fig. 9 abgebildet haben. Schaft und Basis sind hier
unzweifelhaft der 1 lolztechnik genau nachgebildet ; das Kapitell macht aber nicht den
Eindruck, als wäre es mit dem Schaft aus einem Stück gearbeitet, wie es sich für eine
ursprüngliche holzgemässe Form gehören würde. Die hölzernen Würfelkapitelle nor-
wegischer Kirchen sind nicht autochtun. sondern anerkannterweise aus Mitteleuropa ab-
geleitet, müssen also ausser Rechnung bleiben.
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
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Zeichnung über die Wirklichkeit hinaus der Normalbildung angenähert
sei. Soviel Glauben müssen wir aber Hübsch doch schenken, dass es
sich um wirkliche Würfelkapitelle und an einem altbyzantinischen
Bauwerk handle. Andre Beispiele haben wir in den uns zur Ver-
fügung stehenden Publikationen nicht gefunden. Einen interessanten
Vergleich bietet aber die genau als umgestürztes Würfelkapitell ge-
bildete steinerne Basis einer Holzsäule an einem modernen Hause auf
Cypern bei Perrot et Chipiez, Histoire de l'art dans l'antiquite* III,
P- 373» worin die Verfasser mit Recht einen sehr alten Typus erkennen.
Im Abendlande steht im Rufe, die ältesten Würfelkapitelle zu be-
sitzen, die Lombardei. Die allgemeine Wahrscheinlichkeit spricht
ohne Frage dafür, dass man in diesem an mannigfache Arten und
Abarten pyramidaler und konischer Kapitelle gewöhnten Gebiete früh
auch auf die Würfelform geraten sein werde; ob sich aber bei dem
unsicheren Zustande der lorabardischen Bauchronologic bestimmte
Exemplare mit Sicherheit auf die Zeit vor a. 1000 fixieren lassen
könnten , ist uns sehr zweifelhaft. (Dartein erklärt für die ältesten,
angeblich saec. 8, die von Aurona.) Bezeichnend sind die vielfältigen
Schwankungen der Bildung; es kommen ausser den halbkreisförmigen
Seitenschildern spitzbogige, trapezförmige, nach dem Karniesprofil ge-
schwungene vor (Taf. 310. 1—5); oder die Schilder sind nicht senkrecht,
sondern schräg gestellt, oder der gerundete Teil ist eiförmig, trichter-
förmig, muldenförmig (wie am Chor von Murano Taf. 240); in der
Krypta von San Leone sehr niedrig, mit weiter Ausladung und dop-
peltem Halsring, offenbar an die toskanische Säule anklingend. Reine
Bildungen im Sinne der nordischen Fassung treten vor E. saec. 11
kaum auf und bleiben gegenüber den korinthisierenden oder ganz
phantastischen Formen stets in der Minderzahl.
Wäre das Würfel kapitell nach Deutschland von der Lombardei
eingewandert, so hätte es sich zuerst in Süddeutschland zeigen müssen.
Allein es hat hier weder so frühe noch je so allgemeine Verbreitung
gefunden , wie am Rhein und in Sachsen. Zwar bis auf die Karo-
lingerzeit es zurückzuführen, wie Humann will, scheint uns nach Lage
der Denkmälerzeugnisse nicht gestattet. Er nennt als Belege die
Kirche zu Germigny-sur- Loire und die Pfalzkapelle in Nymwegen.
Der erstere Bau ist im Laufe der Zeiten wiederholt restauriert gewesen
und seit 1863 abgebrochen, also unkontrolierbar ; da Würfelkapitelle
vor- und nachher in dieser Gegend unbekannt sind, glauben wir an
einen Irrtum, sei es auf Seiten Humanns, sei es auf seiten seiner (un-
genannten) Quelle. Für Nymwegen hat zuerst Hermann in den Bonner
Jahrbüchern Heft 77 S. 101 die Würfelkapitelle an den Teilungssäulen
der Empore für den ursprünglichen Bau in Anspruch genommen; in
betreff des Bauteils im ganzen mag das richtig sein ; es beweist aber
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$4 Zweites Buch : Der romanische Stil.
nicht, dass nicht die Säulen oder mindestens ihre Kapitelle bei der
Restauration des 12. Jahrhunderts, wohin die Formbehandlung sehr
wohl passen würde, ausgewechselt worden. Um ein annähernd sicher
datiertes Beispiel zu finden, müssen wir um mehr als ein Jahrhundert
hinabsteigen, bis auf den Westbau des Münsters zu Essen (Taf. 311. 8).
Allen übrigen Bauüberresten des' 10. Jahrhunderts ist das Würfel-
kapitell fremd, ein der Hypothese des Ursprungs aus dem Holzbau
sicherlich wenig günstiger Umstand. Dagegen weist ein Teil dieser
primitiv-romanischen Bauten eine andre Kapitellform auf, bei der die
Herübernahme aus der Holztechnik, speziell der Technik der Dreh-
bank, allerdings mehr wie wahrscheinlich ist: es ist das die in Qued-
linburg, Werden und wieder in Essen zu findende Verbindung eines
unteren flachen Kelches mit einer oberen Scheibe oder abgeplatteten
Halbkugel (Taf. 304. 4). Diesseits des Jahres 1000 verschwindet dieses
pilzförmige Kapitell, wie man es etwa nennen mag, vor dem Würfel-
kapitell : offenbar doch nur deshalb , weil man in diesem eine dem
Steinbau gemässere Form gefunden hatte. — Das erste Gebäude von
Rang, von dem wir wissen, dass es das Würfelkapitell nicht mehr
bloss versuchsweise, sondern gleichmässig an allen Bauteilen durchge-
• führt hat, ist S. Michael zu Hildesheim (Taf. 311. 3 und 348. 7). Sehr
bemerkenswert ist, dass gerade ein Mann wie Bischof Bernward, der
in Italien aufmerksam gereist war und von der Antike mehr verstand
als wahrscheinlich irgend einer seiner Landsleute, hier der leitende
Bauherr war; ihm hätte es keine Mühe gemacht, sich leidlich guter
korinthischer Modelle zu versichern; wenn er nun doch zum Würfel-
kapitell griff, so muss es in der wohlerwogenen Meinung geschehen
sein, dass sich dieses zu der neu sich entwickelnden heimischen Archi-
tektur besser schicke. Nicht anders dachte der einflussreichste Bau-
intendant im zweiten Viertel des Jahrhunderts, Poppo von Stablo ; auch
ihm war die Baukunst Italiens und Burgunds wohl bekannt ; er gab
den Säulen seiner Kirche zu Limburg attische Basen von so rein an-
tiker Haltung, wie sie in Deutschland noch nicht gesehen waren ; aber
für die Kapitelle wählte er die Würfelform. Und ebenso geschah es,
um noch zwei der bedeutendsten Bauten aus den vierziger Jahren zu
nennen, in der Klosterkirche Hersfeld und in S. Maria im Kapitol in
Köln. (Dagegen ist z. B. den ältesten Teilen der Dome von Mainz und
Trier, Taf. 218, das Würfelkapitell noch fremd, und an S. Pantaleon
in Köln ist es erst unfertig angedeutet.) — Alles erwogen, glauben
wir, dass die uns vorliegenden Denkmäler, so lückenhaft ihre Reihe
ist, doch in der Hauptsache von der Entwickelung des Würfelkapitells
ein richtiges Bild geben. Wäre es ein Eindringling aus der niedern
Sphäre des Holzbaues, so müsste es sich zuerst an den geringeren und
von den Kulturzentren entfernteren Bauten, etwa vom Schlage der
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
685
Kirche von Gernrode, zeigen, so wäre die Fortdauer schwankender,
noch halb in der Pyramidalgestalt steckengebliebener, also mit der
Ableitung im Sinne Humanns unvereinbarer Bildungen im ersten Drittel
des 11. Jahrhunderts, wie in den Krypten von Quedlinburg, Merse-
burg, Zeitz eine unerklärliche Erscheinung; in Wahrheit aber, wie wir
eben gesehen haben , sind, es in der künstlerischen Kultur sehr hoch-
stehende Bauten , in denen sich der Formgedanke zur Klarheit ab-
krystallisiert. Das Einfache ist nicht immer das Ursprüngliche.
Frankreich zeigt im Kreise der tektonischen Kapitellformen ein
buntes Durcheinander, aus dem sich ein so prägnanter Charakter, wie
das deutsche Würfelkapitell, nicht abklären wollte. Annäherungen an
das letztere sind auf den Nordosten (Reims, Soissons, Chdlons, Vassy
— Taf. 310 und Viollet-le-Duc II) beschränkt und offenbar aus dem
Rheinlande eingewandert, während im Süden Formen wie Taf. 310. 8
auf die Lombardei hindeuten.
Erst in England wieder gelangt das Würfelkapitell zu typischer
Geltung. Ob es von den Angelsachsen ganz selbständig ausgebildet
oder ob es durch frühe festländische Anregungen befördert sei, diese
Frage wird sich schwerlich entscheiden lassen. Sicher ist nur, dass
nicht die Normannen es waren , die es eingeführt haben ; denn dem
älteren, festländischen Zweige ihrer Architektur war es so gut wie
fremd Das normannische System, auf dessen massige Pfeilersäulen
es nicht anwendbar war, hat seinen Gebrauch eher beschränkt; wo
aber an andern Stellen , in Emporen , Krypten , Kreuzgängen , Arka-
turen u. s. w. die Säule ihre normale Gestalt beibehielt , da blieben
auch die Würfelknäufe in höchster Beliebtheit. Die Konstruktion geht
teils von der Halbkugel aus und kommt dann der deutschen Fassung
ganz nahe (Taf. 298. 5. 9, 310. 14, 312. 1), teils und wohl noch häufiger
vom Kegel, genauer gesagt von vier ineinander geschobenen Kegeln,
so dass in den Diagonalen scharf einschneidende Falten entstehen
(wie es Taf. 88. 3 trotz des kleinen Massstabes der Zeichnung erkennen
lässt; vgl. die deutsche Spielart Taf. 311. 3).
Nun haben wir noch einige Abarten und Komplikationen zu be-
trachten. Gerade England war in ihrer Hervorbringung fruchtbar. Zu-
nächst ein sehr häufiger Fall ist die Zerlegung der Seitenflächen in zwei
Halbkreisschilder (Taf. 310. 12). Wird die Teilung in derselben Weise
') Dieser Umstand allein, von anderen zu schweigen, genügt, um die Hypothese
Ruprich-Robert (L'architecture normande, p. 175) hinfällig zu machen, derzufolge das
Würfelkapitell seine Urheimat in Skandinavien gehabt habe und von hier aus erst in die
Bauschulen Mitteleuropas eingewandert sein soll. Der wahre Verhalt ist der umgekehrte.
Was wir von altskandinavischer Baukunst kennen, geht Uber das 12. Jahrhundert nicht
hinaus und ist, selbst mit Einschluss der bekannten Holzkirchen, eine Umformung der
romanischen Formen Deutschlands , Frankreichs und Englands ; vgl. das Holzkapitell
Taf. 312. 5.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
fortgesetzt und dadurch die Zahl der Halbkreise vermehrt, aber ihr
Radius verringert, so entsteht die unter dem Namen des Pfeifen- oder
Faltenkapitells bekannte Form (Taf. 310. 13. 15. 16); sie ist von
England in die festländische Normandie eingedrungen und kommt ver-
sprengt auch in Deutschland vor (Dome zu Minden und Braunschweig,
U. L. F. in Halberstadt, Petronell und Deutsch Altenburg in Oester
reich, Schottenkirche zu Regensburg Taf. 3. 5. 7; die aus vier Wür-
feln zusammengesetzte Form mit sehr englischem Gepräge in den
Krypten von U. L. F. in Maastricht T. 190 und S. Veit in Gladbach).
Für die schweren Rund- oder Bündelpfeiler der englisch normannischen
Kirchen erwies sich das Pfeifenkapitell in der Dehnbarkeit seiner Pro-
portionen recht bequem, aber an Bestimmtheit des organischen Cha-
rakters fehlt es ihm ebenso, wie dem Gruppenkapitell Taf. 310. 11. —
In Deutschland ist die Zahl der Abarten kleiner und sie sind auf
wenige Schulen lokalisiert. Der vierteilige Würfel (Taf. 312. 2) ist eine
Charakterfigur des Elsass; ausserdem unsres Wissens nur in den oben-
genannten niederrheinischen Kirchen vorkommend. Das achtseitige
Prisma (Taf. 311. 10) gehört der Schule des Bodensees '). Endlich das
sogenannte Trapezkapitell (Taf. 311. 13. 14) ist ein Attribut des Back-
steinbaus und kam mit diesem, wie wir glauben , aus der Lombardei.
Hier finden sich in Ziegelstein gemauert wohl auch normale Würfel-
kapitelle (Pavia, Piacenza), doch hat in diesem Kleinmaterial jede
stärkere Ausladung, zumal wenn sie als Kragstein dient, ihr sehr miss-
liches. Man nahm deshalb die Seite des Würfels nicht grösser an,
als den Durchmesser des Schaftes und fand es bequemer, die Seiten-
schilder geradlinig zu begrenzen, so dass Dreiecke oder, mit Abstutzung
der nach unten gekehrten Spitze, Trapeze entstanden. Ein sehr frühes
Beispiel, vielleicht noch etwas vor und jedenfalls nicht weit nach dem
Jahre 1000, in gemischtem Material ausgeführt, zeigt die Kirche S. Lo-
renzo in Verona (Taf. 310. 5). An den romanischen Backsteinbauten
Norddeutschlands (Jerichow , Arendsee , Schönhausen , Ratzeburg,
Lehnin u. s. w.) begegnet es uns fast regelmässig. — Wieder eine
andre Abart oder richtiger Nebenform ist die Verbindung von Würfel
und Kelch (Taf. 312. 10). Sie kommt nur in reich dekorierter Fassung
vor und ist zeitlich durch den Uebergangsstil begrenzt. Wegen der
Achnlichkeit mit gewissen Kapitellformen der mohammedanischen Bau-
kunst wird sie als ein Erwerb der Kreuzfahrer angesehen.
') Es kommt dann noch einmal an einem weit entlegenen Orte , am Dom von
Goslar vor (Abb. bei MithofT, Archiv III, 1 — 3). Uns erscheint dadurch die Ver-
mutung nahe gelegt, dass der durch seine Kenntnisse im Baufach berühmte Benno, nach-
mals Bischof von Osnabrück, an diesem Werke beteiligt gewesen; er war Schwabe von
Geburt, in der Schule von Reichenau erzogen, und um die Zeit, als am Dom zu Goslar
gebaut wurde, daselbst Erzpriester und königlicher Amtmann.
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Sechzehntes Kapitel : Einzelglieder und Dekoration.
687
DIE FIGURENKAPITELLE, in ihren Anfängen bis ins sinkende
Altertum zurückreichend , erwerben sich in der romanischen Bau-
ornamentik einen breiten Platz. Dennoch können wir sie nicht als
eine selbständige Klasse, auf gleicher Linie mit den beiden oben be-
handelten stehend . ansehen , denn ihre Eigentümlichkeit liegt allein
im Ornament. Wir versuchen folgende Arten zu unterscheiden.
Die erste mischt die Menschen- oder Tierfiguren oder Halb-
figuren mit dem regelmässig disponierten Blattwerk, ist also eine
Spielart des korinthisierenden Kapitells (Taf. 344. 4; freier 345. 1,
354. 1 — 3. 9. 10). — Die zweite
gibt schon den figürlichen Bestand-
teilen das Uebergewicht , ordnet
es aber so an, dass die Haupt-
linien den gleichen Verlauf mit
den vom Blätterkapitell her ge-
wohnten nehmen. So z. B. bei
dem schönen Kapitell aus dem
Chor von Saint-Gilles (Taf. 337. 1)
hat der Kopf der Engel die Stelle
der Stirnblume, nehmen die Flü-
gel die Richtung der Eckranken.
Gewöhnlicher ist die Disposition,
dass die Köpfe unter die Ecken
des Abakus zu stehen kommen;
bei freistehenden Säulen nach der
Diagonale gerichtet und manch-
mal zwei Rümpfe in einen gemeinschaftlichen Kopf vereinigend
(Taf. 325. 6. 7, 333. 2, 334. 6); bei Halbsäulen frontal (Taf. 335.
3. 337- 2)- — Die dritte Art schliesst sich eng den Umrissen des
Würfelkapitells an (Taf. 349. 4). — Die vierte, die historiierten
Kapitelle im engeren Sinne umfassend, sieht von allen tektonischen
Beziehungen in der Anordnung der Figuren ab und stellt das gegen-
ständliche Interesse an die Spitze; eine zusammenhängende Bilder-
folge, z. B. aus der Genesis oder aus dem Leben Jesu, wird in der
Weise entwickelt, dass jede Seite des Kapitells eine besondere Scene
erhält, und am nächsten Kapitell der Faden der Erzählung weitergeführt
wird (Taf. 338. 2, 344. 1. 3). An strengere Responsion der Flächen
untereinander kann nicht mehr gedacht werden, ja nicht einmal inner-
halb der einzelnen Flächen wird die Symmetrie der Komposition auf-
Ani.ir.c.
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638 Zweites Buch: Der romanische Stil.
recht gehalten (vergl. beistehendes Kapitell aus dem Kloster Aniane).
Die einzige Regel, die festgehalten wird, ist die, dass die Ausladungen
der plastischen Form über eine dem Kern parallel laufende Ebene
nicht hinausgreifen dürfen; eher noch gibt man den Figuren eine
naturwidrige Biegung, wie den Greifen auf Taf. 335, Fig. 2, oder
lässt einzelne Körperteile verkümmern, wie bei den Kentauren ebenda
Fig. 3. Ausserdem ist zu bemerken, dass es sich meistens um die
Kapitelle eingebundener, selten nur um die freistehender Säulen
handelt, wodurch die Verstösse gegen die natürlichen Stilgesetze um
einiges weniger empfindlich werden. Die Schulen, die dieser üppigen
Dekorationsweise vornehmlich ergeben sind, sind die auvergnatische
und burgundische, in zweiter Linie die der Provence, des Languedoc
und der Lombardei, während das übrige Italien und Deutschland ihr
wenig Zugang gewähren. Von den zornigen Strafreden des H. Bern-
hard und der dadurch hervorgerufenen erfolgreichen Opposition haben
wir oben S. 523 gehandelt.
Die KAMPFERPLATTEN sind ein Zubehör des romanischen
Kapitells, das keiner Art desselben fehlen darf1); ist das hin und
wieder dennoch der Fall, so fällt das ungehörige des Mangels so-
gleich in die Augen. Man hat die Kämpferplatte nicht als Amplifi-
kation des Abakus, überhaupt nicht als Teil des Kapitells anzusehen,
sondern als ein selbständiges Zwischenglied zwischen ihm und den
Bogenan fangern. Der Abakus wird deshalb auch nicht verdrängt; die
französische Kunst hält an der korinthischen Form desselben bis ans
Ende des 12. Jahrhunderts fest (Beispiele anstatt vieler Taf. 344\
während in Deutschland eine schlichte Plinthe für genügend befunden
wurde. Die Kämpferplatte formiert sich in zwei Gliedern : das untere
ausladend, durchschnittlich in einem Winkel von 45 °, das obere mit
senkrechten Seitenflächen; das untere dekoriert, das obere glatt. Die
Dekoration besteht entweder in einem laufenden Ornamente, das in
älterer Zeit malerisch, in jüngerer plastisch ausgeführt wird, oder in
Simswerk. (Für beides geben unsere Abbildungen so zahlreiche Bei-
spiele, dass wir von Beschreibung absehen dürfen.) Das Grössen-
verhältnis ist nach echt romanischer Weise keiner Regel unterworfen,
sondern wechselt je nach dem Bedürfnis der individuellen Charakteristik ;
die Mächtigkeit übersteigt nicht selten die Hälfte der Kapitellhöhe und
') Auf unseren Tafeln sind sie häufig der Raumersparnis halber nicht mitgeieichnet,
ohsohon das Original sie besitzt ; oder es wurde bei Restaurationen von ihrer Erneuerung
abgesehen.
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
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geht kaum über ein Viertel derselben zurück; dementsprechend das
relative Mass der Ausladung. — Die ältesten Kämpfer erinnern noch
zuweilen an die byzantinischen (Taf. 303. 7); häufiger jedoch war
das Vorbild das verkröpfte Gebälk römischer Gewölbebauten, das nun
auf freistehende Säulen übertragen wurde (gerade wie es in der Früh-
renaissance; Beispiele Taf. 311. 2. 3, 348. 5 — 8). — Der Zweck ist
zunächst ein technischer: Schutz gegen Abbröckeln der Ecken unter
dem Druck der Mauer, Ausgleichung unregelmässiger Abmessungen
des Bogenfusses; dann ein ästhetischer: Gewinnung einer kräftigen
Horizontalcäsur, die nirgends besser hinpasst, als hier an den Punkt,
wo die Umschwingung des Bogens sich vom senkrechten Verlauf der
Stütze absetzt. Wo mit kleinen Säulchen eine unverhältnismässig
starke Mauer zusammentrifft, in Kreuzgängen, Zwerggalerien und an
den Schallöffnungen der Türme, erweitert sich die Kämpferplatte in
der Weise, wie es Taf. 353. 6 und 349. 8 anzeigen.
3. Der Pfeiler.
Von der Stellung und Verrichtung des Pfeilers im romanischen
Konstruktionssystem haben wir nicht mehr zu sprechen, nur von seinen
formalen Eigenschaften. In ersterer Hinsicht der Säule nahe stehend,
ist er in letzterer ein Verwandter der Mauer: das, was nach Durch-
brechung der Mauer durch die Bogenöffnungen als notwendige Stütze
übrig bleibt; also nicht Freistütze von Haus aus, nicht ein abge-
schlossen in sich selbst ruhendes Gebilde. Der Pfeiler ist schicht-
weise aus Quadern aufgemauert *) , in gleicher Stärke mit der Sarg-
mauer, die er trägt. Er ist einseitig im Querschnitt. Er hat die-
selben Fuss- und Kopfglieder, d. i. Gesimse, wie die Mauer auch.
Das sind die einfachen Bestimmungen, welche die Römer dem Pfeiler
gegeben hatten und welche wir unverändert an den karolingischen
Bauten wiederfinden (z. B. in Michelstadt und Seligenstadt, beistehend
Fig. 1 , 2). Durchblättert man die in unserem Atlas zahlreich mit-
geteilten Grundrisse und Systeme flachgedeckter romanischer Basiliken,
so wird man finden, dass sowohl rechteckige als quadratische Pfeiler-
durchschnitte vorkommen, die letzteren jedoch weitaus bevorzugt werden.
Der Grund ist der, dass sie die Eigenschaft des Pfeilers als Freistütze
in praktischer wie in ästhetischer Hinsicht ungleich vollkommener aus-
sprechen; in praktischer, weil sie Verkehr und Durchsicht aus dem
') Bei etwas grösseren Dimensionen in Füllmauerwerk, vgl. die Figuren S. 442
und 605.
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
Haupt- ins Nebenschiff am wenigsten behindern; in ästhetischer, weil
sie die am festesten in sich geschlossene Form ergeben. Durch
einseitige Steigerung dieser Momente entsteht der Rundpfeiler; von
ihm reden wir zum Schluss.
Für die Anordnung des Pfeilergesimses kommen zwei Fälle in
Betracht: entweder werden damit bloss die zwei unter den Bogen be-
findlichen Seiten des Pfeilers begabt — oder es wird an vier Seiten
ringsum geführt (auch fehlt wohl an einigen Bauten der Frühzeit, z. B.
Taf. 44. 3. 6, das Gesimse überhaupt). Die erstere Fassung (Taf. 44. 1 . 5
ist die den Römern abgelernte und erhält sich als niederrheinische
Eigentümlichkeit bis in die späteste Zeit (Taf. 182, 1 — 5). Die zweite
ist die für den romanischen Stil normale. In der Einzelausbildung
gibt es eine ganze Stufenleiter von der einfachen Platte mit Schminge
— diese immer mit bemaltem Ornament zu denken, in jüngerer Zeit
skulpiert — bis zu reichen Zusammensetzungen. Die Elemente für
letztere sind: der Rundstab, die Hohlkehle, der Rinnleisten (im 10.
und 1 1. Jahrhundert von besonders steiler Haltung), letzterer bald
normal, bald verkehrt; als Zwischenglied immer ein dünnes, recht-
winklig profiliertes Plättchen. In der Frühzeit suchen wenigstens die
vornehmeren Bauten ihre Auszeichnung in der Häufung jener Glieder:
später ist ein beliebtes Schema das der attischen Basis, nur in umge-
kehrter Reihenfolge der Elemente (man vergleiche z. B. in der Lieb-
frauenkirche zu Halberstadt unter Fig. 9 das ursprüngliche, unter Fig. 10
das später durch Stucküberzug hergestellte Profil). Unter den deutschen
Schulen steht die sächsische, unter den gallischen die burgundische,
was die an die Gesimsbildung gewendete Sorgfalt betrifft, obenan.
Die Beispiele für das oben Ausgeführte wolle man sich auf unsren
Tafeln zusammensuchen , wobei auch die Deckplatten der Säulenkapi-
telle, weil dem gleichen Prinzip folgend, nicht übersehen werden dürfen.
Zur Ergänzung geben wir auf S. 691 die Details aus folgenden Bauten
1. Michelstadt a. 827; 2. Seligenstadt a. 828; 3. Ingelheim, nach M.
saec. 10; 4. Hersfeld a. 1040; 5. Köln, Apostclkirche , E. saec. 12;
6. Boppard, A. saec. 13; 7. Mainz, S. Gothard, A. saec. 12; 8. Qued-
linburg, saec. 1 1 ; 9. Halberstadt, Liebfrauen, M. saec. 12; 10. Ebenda.
Stucküberzug, A. saec. 13; n. Mandelsloh, saec. 12; 12. Regensburg,
Portal an S. Emmeram, M. saec. 11; 13. Regensburg, Empore von
S. Stephan, M. saec. 11.
Wenn im allgemeinen der Gebrauch des glatten Pfeilers mit
dem der hölzernen Flachdecke zusammenfällt, so ist der gegliederte
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Sechzehntes Kapitel: Eimelglieder und Dekoration.
691
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
Pfeiler eine Folgeform der Gewölbekonstruktion. Aber es gibt Aus-
nahmen nach beiden Seiten. Glatte Pfeiler sind am Niederrhein und
in anderen Gegenden bei den Cisterciensern eine sehr gewöhnliche
Erscheinung bis ins 13. Jahrhundert und gegliederte Pfeiler rinden sich
schon zu Zeiten und an Orten, wo von Einwirkung des Gewölbe-
baues noch nicht die Rede sein kann. Es handelt sich um Motive,
die ihrer Natur nach mehr der Bearbeitung des Holzes als der des
Steines geläufig sind. Das einfachste derselben ist die Abfasung der
Ecken. Beispiele: Taf. 84. 8, 85. 1, Textfiguren S. 274 und beistehend
A. 119. Einen Wechsel komplizierterer Profile zeigt Taf. 313, Fig. 7, 8.
Wieder andere, ebenfalls an die Holztechnik gemahnende Formen
haben die Pfeiler in den frühromanischen Krypten von Merseburg,
Verden, Emmerich, Essen (Abb. bei Otte, Deutsche Baukunst S. 187,
201 und unsere Taf. 313, Fig. 9). Dass wir sie gerade in Krypten
finden, ist schwerlich ein Zufall ; für die grossen Pfeiler der Oberkirche
hätten sich diese spielenden Motive nicht geziemt; hier mussten ein-
fachere und dem Charakter des Steines besser Rechnung tragende
Bildungen eintreten. Der eine, im sächsischen Provinzialismus sehr
gefällig ausgebildete und auch in den Gewölbebau hinübergenommene
Typus besteht darin, dass die ausgekehlten vier Kanten des quadra-
tischen Pfeilers mit ebenso viel schlanken Säulchen gefüllt werden:
Taf. 58, 6. 3, 313. 3. Der andere lässt an den Arkadenseiten des
Pfeilers je eine Halbsäule aus der Fläche vorspringen, während die
dem Mittel- und Seitenschiff zugewandte Seite glatt bleibt : Taf. 59. 3,
61. 5, 85. 5. 3, 313. 4. Beide Arten kombiniert in Taf. 313. 1.
2. 5. 6. Die reichste Gliederung innerhalb des Flachdeckbaues findet
sich in England; sie kommt aber an dieser Stelle nicht in Frage,
da das romanische System ursprünglich mit dem Gedanken an Ge-
wölbe entworfen war.
Erst unter dem Einfluss der thatsächlich durchgeführten Gewölbe-
konstruktion tritt die Pfeilergliederung aus dem dekorativen Gebiet
heraus und gewinnt struktiv-organische Bedeutung. Unsere Abbildungen
zu den Kapiteln 8 — 14 geben ein reichliches Anschauungsmaterial,
das die Umschreibung mit Worten überflüssig macht. Hier sei nur
auf die leitenden Gesichtspunkte aufmerksam gemacht. Die Aufgabe
war, allgemein ausgedrückt, die, einerseits den Pfeiler mit den Ge-
wölbeträgern in Beziehung zu setzen, andererseits ihm den Charakter
eines in sich selbständigen Gebildes zu lassen. Noch sehr primitiv ist
sie im älteren deutschen System (Mainz, Speier u. s. w.) gelöst, in
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
C>93
dem nur diejenigen Seiten des Pfeilers Vorlagen erhalten , welche
direkt einem Gewölbegurt entsprechen, die andern aber — die unter
den Scheidbogen befindlichen immer, an den Zwischenpfeilern des
gebundenen Systems auch die gegen das Mittelschiff gerichteten in der
Regel — glatt bleiben. Hier stehen sich der eigentliche Pfeiler und
seine Vorlagen noch spröde gegenüber. Sollte der Eindruck des von
aussen her hinzugekommenen überwunden werden, so mussten die
Vorlagen nach allen vier Seiten des Pfeilers polysymmetrisch sich aus-
breiten. Der kreuzförmige Grundriss gibt dafür das einfachste Schema
(Taf. 314), dasselbe kann
sich dann durch eine zweite
Ordnung von Vorlagen er-
weitern, die bald als Pilaster
(Fig. 3), bald als Halbsau-
len (Fig. 2 a) gestaltet sind ;
oder es werden bei stärkerer
Ausladung der Kreuzesarme
in dem Winkel Dreiviertel-
säulen eingeschoben (Fig.
2 b) ; oder es werden diese
beiden Anordnungen kom-
biniert (Fig. 5 — 7). Der
Charakter schattiert sich
mannigfaltig ab, je nach-
dem die geraden Flächen
des Kernes mehr hervor-
treten oder mehr die Rundglieder. Weitere Unterschiede ergeben
sich aus der Anlage des Deckgesimses. Am gewöhnlichsten wird
dasselbe auf der Mittelschiffsseite vom Gewölbeträger durchschnitten;
schöner, wiewohl seltener, ist es, wenn das Deckgesimse ringsum
geführt und damit der untere Abschnitt des Dienstes enger an den
Pfeiler geknüpft wird (beste Beispiele in Burgund). Für die Pro-
portionen gibt es keine allgemeine Regeln; zu beachten ist, dass als
Faktoren des Eindrucks nicht nur das Verhältnis des Durchmessers
zur Höhe, sondern auch das Verhältnis dieser beiden zur Weite der
ArkadenöfFnung in Frage kommen.
Der Rundpfeiler entfernt sich von der, wie wir oben gesehen
haben, in der Natur der Gattung begründeten Verwandtschaft mit der
Mauer am weitesten. Was ihn gleichwohl immer hindert, mit der
Carcawonne.
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694
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Säule zusammenzufassen , sind die verschiedenen Proportionen , und
ist noch mehr die verschiedene Auffassung der Fuss- und Kopfglieder ;
diese bewahren den gesimsartigen Charakter. (Eine merkwürdige Ver-
wendung der Konsole in der Kathedrale von Carcassonne zeigt die
beistehende Figur.) Rundpfeiler sind in Frankreich und Oberitalien
nicht gerade selten, doch immer eine Abweichung von der Regel;
dagegen gang und gäbe im englisch-normannischen Stil. Auch die
Rundpfeiler können zu Gliederpfeilern erweitert werden. Dem kreuz-
förmigen Pfeiler analog die Durchdringung von vier Kreisen, ziemlich
häufig in den Hallenkirchen Westfrankreichs, s. S. 361, Fig. 6; die
aus den Segmenten von abwechselnd grossen und kleineren Kreisen
zusammengesetzten Pfeiler von S. Remy in Reims (S. 275) sind für
Frankreich singulär, etwas häufiger in England, z.B. Taf. 313. 10 ;
noch bezeichnender die Fassungen Taf. 314. 5. 6 b.
4. Die Fenster.
In Bezug auf relative Grösse, Verhältnis von Höhe und Breite,
Verteilung auf der Wandfläche, Art des Verschlusses machen die
Fenster im romanischen Kirchenbau mannigfaltige (an früheren Stellen
schon besprochene) Abwandlungen durch; unveränderlich und aus-
nahmefrei ist die Halbkreisform des oberen Abschlusses. Sie war be-
reits im altchristlichen Stil zur Regel durchgedrungen. Das spezifisch-
mittelalterliche Moment liegt im Ausschnitt der Gewände. Derselbe
ist verschrägt, d. h. er schneidet die Wandfläche nicht, wie es die
antike und auch noch altchristliche Regel gewesen war, im rechten,
sondern in einem stumpfen Winkel. Diese Anordnung ist ein Ab-
kommen zwischen den auf möglichst geringe Durchbrechung der Mauern
hindrängenden technischen Gewohnheiten und der Lichtarmut des
nordischen Himmels. Man betrachte die Querschnitte Taf. 295. 1
und 8: — in dem einen Fall ist die Mauer viermal, in dem anderen
dreimal so dick, als die Oeffnung im Lichten weit ist; es ist klar,
dass diese Fenster, hätten sie rechtwinkligen Ausschnitt erhalten, so
gut wie wirkungslos hätten bleiben müssen, wogegen durch die Ab-
schrägung der Spielraum des Lichtes ganz beträchtlich vergrössert.
Zwei Arten der Verschrägung waren im Gebrauch: die eine
doppelseitig, nach innen und nach aussen sich erweiternd, so dass
der engste Teil des Durchbruchs sich in der Mitte der Mauerdicke
befindet (Taf. 295. 1); die andere nur nach innen sich erweiternd,
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
wodurch der äusseren Ansicht wenigstens der Schein des rechtwinkligen
.Ausschnittes bewahrt wird (Taf. 295. 3). Beide Arten sind durch
feste geographische Grenzen geschieden und dulden innerhalb ihres
Gebietes fast keine Ausnahmen. Die erstere hat Deutschland nebst
Oberitalien und Burgund im Besitz, die zweite das übrige Italien und
Gallien (Nordfrankreich schwankt), sowie Spanien und England.
Diese Unterschiede bilden auch die Grundlage für die mannig-
faltigen Arten dekorativer Ausstattung. In der Lombardei und in
Deutschland, zunächst am Rhein, wurde es im 12. Jahrhundert be-
liebt, an der Apsis oder sonst an einzelnen auszuzeichnenden Stellen
(sehr selten, wie am Dom von Worms, in der ganzen Folge der
Langhausfenster) der Aussenschräge, die für gewöhnlich glatt war, ein
bewegtes, aus Rundstäben, Hohlkehlen und Plättchen zusammen-
gesetztes Profil zu geben (Taf. 295. 4. 5); natürlich mit Ausschluss
der Sohlbank, die in ihrer Eigenschaft als Wasserschräge glatt bleiben
musste — in charakteristischem Unterschied von der gewöhnlich all-
seitig gleich profilierten Fensterumrahmung der Antike. Verhältnis-
mässig leicht ist die Ausführung in der Backsteintechnik, welche denn
auch dieser Aufforderung gern nachgibt (Taf. 296. 1). Ein zweites,
mit dem obigen nach Wunsch verschmelzbares Motiv ist das flache
Rahmenwerk; heimisch in der Lombardei und Süddeutschland; Bei-
spiele Taf. 296. 2, 324. 5 ; ein besonders prächtiges an der Apsis der
Walderichskapelle zu Murrhardt (Abb. bei Dohme, Gesch. d. deutschen
Baukunst S. 152). Streng nach antikem Muster profiliert und in ein
vollständiges Tabernakel eingeordnet an der Fassade von S. Miniato
und dem Baptisterium von Florenz (Taf. 321). Dasselbe Motiv ins
romanische umgedeutet am Dom von Speier (Taf. 295. 5). — Die
andere Kategorie, in Frankreich heimisch, entwickelt die Dekoration
aus der Konstruktion : sie trennt den Bogenabschnitt von dem senk-
rechten Gewände und behandelt jenen als Archivolte, dieses als Pfeiler.
So schon durch die blosse Lagerung und den Farbenwechsel der
Steine in Taf. 295. 3; mit hinzutretendem Kämpfergesims ebenda 2;
mit reichem Flachornament Taf. 328. 3; von derselben einfachen An-
lage, wenn auch höchst verfeinerter Kunst Taf. 296. 4. — Da nun
aber im Laufe des 11. Jahrhunderts wie allenthalben so auch in
Frankreich die Fenster immer schmächtiger wurden, so büssten sie
um ebenso viel an Wert für die Wandgliederung ein. Um diesen
Verlust einzuholen , wurde das Fenster durch eine Flachnische vor-
bereitet, die jede erwünschte Grösse annehmen konnte und das eigent-
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Zweites Buch: Der romanische StiJ.
liehe Ausdrucksmittel der Dekoration ward, hinter dem das Fenster
selbst schmucklos verschwand. Der Formenapparat ist derselbe an-
mutig-kräftige, der sich an den Portalen ausgebildet hatte, dank dem
Schattenschlag des Mauerrücksprunges auch auf grössere Entfernung
noch von energischer Wirkung. Beispiele Taf. 295. 8, 296. 3. 5, 330. 5.
Für besondere Zwecke verfugte der romanische Stil noch über
Fenster von abweichender Grundform. Wir nennen zuerst die ge-
kuppelten Fenster, die in der Mitte durch ein Säulchen geteilt sind
und oberwärts mit einem Doppelbogen schliessen. Das Motiv ist sehr
alt, es kommt schon an ravennatischen Bauten des 6. Jahrhunderts
(S. Vitale, Palast Theoderichs) vor. Im Norden der Alpen: Apsis
von S. Georg auf Reichenau, Ostwand von S. Göneroux (Taf. 246
und 295. 2); allgemeiner im Gebrauch nur an solchen Räumen, deren
Oeffnungen nicht verschliessbar sein sollten, wie an den Glockenstuben
der Westfassaden (Taf. 213 — 15) und ganz besonders an den Ober-
geschossen der Türme. Hier konnte die Teilung eine drei- und mehr-
fache sein. Für direkt in das Kirchenschiff führende Fenster ist nur
in Italien Kuppelung im Gebrauch und zwar auch nur an den Fas-
saden (Taf. 236—39, 243).
Als schönes und sprechendes Fassadenmotiv haben wir sodann
die Rundfenster kennen gelernt (S. 613). Sie sind die Ursprungs-
stätte eines ganz neuen Dekorationsprinzipes, desselben, das im goti-
schen Stil als Stab- und Masswerk die umfassendste Anwendung finden
sollte. Diese weiten Oeffnungen bedurften ebenso aus ästhetischen
Rücksichten einer inneren Gliederung, wie aus technischen Rücksichten
eines Stützapparates für Blei und Glas. Man wählte auch hier Klein-
bogenstellungen , deren Säulchen aber, wofern der Sinn des Motivs
nicht vernichtet werden sollte, radiante Stellung und ihre Basis in
einem zweiten konzentrischen Kreise erhalten mussten. So ergab sich
ganz von selbst die Form des Rades; an mehreren Orten (Verona,
Basel, Beauvais) wird damit die in der Malerei längst bekannte sym-
bolische Vorstellung vom Glücksrade geistreich in Verbindung ge-
bracht. Eine einfachere, an sich uralte, aber in Anwendung auf die
grossen Rundfenster anscheinend jüngere, nicht wie die Radform von
Italien, sondern von Nordfrankreich ausgegangene Art der Füllung ist
die mit durchbrochenen Platten (Taf. 296. 6).
Auf die phantastischen Spielereien, wegen deren der nieder-
rheinische Uebergangsstil berufen ist, brauchen wir nicht mehr zurück-
zukommen (vergl. S. 493).
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Sechzehntes Kapitel : Einzelgliedcr und Dekoration.
697
5. Die Thüren.
Die Geschichte des Aussenbaus hat uns bereits den allgemeinen
Begriff gegeben, zu welcher Bedeutung in der künstlerischen Gesamt-
ordnung des Gebäudes der fortschreitende romanische Stil die Thür
erhob; einer Bedeutung, die sie in ähnlichem Masse weder im antiken
Tempel noch in der altchristlichcn Basilika besessen hatte. Im antiken
Tempel war sie, obgleich relativ und oft auch absolut grösser als in
der romanischen Kirche, durch den Säulenportikus nicht bloss im figür-
lichen Sinne in Schatten gestellt worden; ebenso in der altchristlichen
Basilika durch das Atrium. Der romanische Stil aber erhebt das Portal
zum konzentrierten Ausdruck der Fassadenidee im ganzen. In diesem
Satz sind die Grundlinien seiner Geschichte enthalten. Die Schulen,
in deren Hand die Förderung der Fassadenkomposition lag, sind auch
die massgebenden für die Entwicklung der Portale. Aber selbstver-
ständlich: soviel zeitliche und örtliche Stilnüancen überhaupt, soviel
Unterschiede in ihrer Behandlung. Man könnte allein aus ihnen eine
ziemlich lückenlose Beispielsammlung für die romanische Ornament-
lehre zusammenstellen. Doch ist es nicht dieses, nicht die Verästelung
nach dem Besonderen hin, auf die es uns hier ankommt. Das wich-
tigste ist uns die Feststellung der Grundphänomene. Hierbei nun
ergeben sich drei Paare alternativer Gestaltung:
1. Das Gewände ist entweder rechtwinklig oder verschrägt.
2. Der Abschluss ist entweder wagerecht oder bogenförmig.
3. Die Umrahmung springt entweder über die Fläche der Mauer
vor oder sie vertieft sich nischenartig.
Das für die Gesamtgestaltung wichtigste, weil die anderen zum Teil
mit bedingende Moment ist das erste. Es zeigt sich klar ausgeprägt
bereits im Grundriss. Die Gegensätze sind dieselben, wie man be-
merkt, die auch an den Fenstern vorkommen; und wie bei diesen
verteilen sich die Arten im ganzen so, dass der rechtwinklige Ein-
schnitt durchschnittlich den südlichen, der schräge den nördlichen
Ländern eigen ist, jener aus der antiken Ueberlieferung stammend,
dieser die eigentlich mittelalterliche Form.
Die Verschrägung hat es zunächst auf ein praktisches Ziel, Ver-
minderung des Gedränges der ein- und ausströmenden Kirchenbesucher,
abgesehen. Sie wird zur Notwendigkeit, sobald die Dicke der Front-
mauer ein gewisses Mass übersteigt, und dieses war von jeher im
Norden grösser als im Süden und nahm unter dem Einfluss des Ge-
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
wölbebaus weiter zu. Im Dom von Speier z. B. verhält sich die Thür-
öffnung zur Mauerdicke in runder Summe wie i : 2, im Dom von
Mainz wie l : 1,3, ähnlich in Laach, Limburg u. a. m. Es ist klar,
dass bei mangelnder Verschrägung die Thür zu einem ebenso un-
bequemen wie unschönen Engpass hätte werden müssen. Die Frage
war nur, ob die Erweiterung mehr nach innen oder mehr nach aussen
sich kehren sollte, oder, anders ausgedrückt, ob die die Thürflügel auf-
nehmende engste Partie näher der äusseren oder näher der inneren
Fläche der Mauer liegen sollte. Im letztern Falle bildet die Thür
den Hintergrund einer nischenartigen Höhlung ünd dies ist es, wofür
die nordische Baukunst sich entschied, es ist klar, in welcher künst-
lerischen Absicht. In hohem Grade eignet diesem konzentrisch sich
erweiternden Motiv der Eindruck des Einladenden, gleichsam wie ein
Trichter Einschlürfenden. Und wie imponierend drängt sich dem
Auge die Mächtigkeit der Mauerstärke auf, wie kräftige Beleuchtungs-
kontraste ergeben sich für die entgegengesetzten Seiten, wie statt-
lich breitet sich das ganze aus bei verhältnismässig geringem Mauer-
durchbruch. Aehnlich wie bei den Fenstern ist der Winkel der Ab-
schrägung auf ein leicht fassliches Verhältnis, d. i. auf 45 0 gebracht;
aber es wird niemals eine glatte Fläche gebildet, sondern dieselbe
wird in eine Folge von rechtwinkligen Einsprüngen aufgelöst; ein
gleiches geschieht mit der Bogenlaibung; sind dann noch Säulen und
Rundstäbe in die Winkel eingestellt, so kommt der reichste Eindruck
zur Vollendung, so wird das Portal gleichsam zum Hohlspiegel, der
das verjüngte Abbild der Innenperspektive mit ihren Pfeilern, Säulen
und Arkaden nach aussen wirft. Das ist, im allgemeinen Umrisse, die
Entwicklung des romanischen Portals von der Zweckform zur Kunst-
form. Zum Schluss gewinnt die letztere ihr selbständiges Recht und
so kommt es wohl vor, dass der Baumeister in der Umgebung der
Thür die Mauer über das an sich notwendige Mass noch verstärkt,
um eine grössere Zahl von Pfeilerecken und Ziersäulen zu gewinnen ;
ein Fall, der namentlich dann eintritt, wenn eine der an sich schwächeren
Langseitswände mit einem Hauptportal begabt werden soll (Beispiele
auf den Grundrisstafeln 156. 7, 165. 1, 167. 5, 168. 8. 12, 211. 3 .
Der sehr grossen Zahl wohlerhaltener spätromanischer Portale
steht nur eine kleine aus der frühen und mittleren Zeit gegenüber,
weshalb wir gerade über die Anfangsstadien der Entwicklung zu we-
nig wissen. Nicht zu bezweifeln ist indes die Priorität Frankreichs.
Cravant (Taf. 246. 4) gibt ein Beispiel für einfachen Rücksprung aus
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
699
dem Anfang des 1 1. Jahrhunderts, S. Martin de Londres (Taf. 257) für
eingeschobenen Rundstab. Ausgebildete Säulenportale sind bis zum
Schluss des Jahrhunderts mit Sicherheit nicht namhaft zu machen (z. B.
die Exemplare von S. Eticnne in Nevers und S. Etienne in Caen gehören
nur dubitativ hierher), doch wird man im allgemeinen bis auf diese
Zeit zurückgehen dürfen, da ein Menschenalter später das Motiv durch
zahlreiche Beispiele von voller Reife bezeugt ist. Was Deutschland
betrifft , so bekennen wir, eine bestimmte Zeitangabe noch weniger
wagen zu können. Das 11. Jahrhundert jedenfalls kommt noch nicht
in Frage. Hier finden sich durchweg noch sehr einfache Anlagen mit
rechtwinkligen Pfosten, wagerechter Oberschweile und einem schlichten
Entlastungsbogen darüber. Interessant ist bei S. Emmeram in Regens-
burg die Nischenbildung mit Kreissegmenten im Grundriss (Taf. 292. 7).
Zu den ältesten datierbaren Beispielen der ausgeprägt treppenmässigen
Gliederung dürfte das Westportal zu Paulinzelle gehören, welches gleich-
zeitig mit der 1168 beg. Vorhalle ausgeführt wurde; wohl noch etwas
älter und noch sehr einfach diejenige am südlichen Kreuzarm von
Königslutter und S. Godehard in Hildesheim. Gehen wir dann bis
ans Ende des Jahrhunderts vor, so bezeichnen beispielsweise die um
1190 ausgeführten Ostportale des Mainzer Domes (Taf. 218) das Maxi-
mum der um diese Zeit üblichen Prachtentfaltung; ein immerhin be-
scheidenes Mass verglichen mit dem , was in Frankreich schon zwei
Menschenaltcr früher geleistet wurde. Eine um so reichere Nachblüte
brachte dann das 13. Jahrhundert.
Der obere Abschluss zerfällt in Bogen (Archivolte) und Bogen -
feld (Lünette, Tympanum). Die Archivolte war noch im Frühromanis-
mus lediglich Entlastungsbogen, mit seinen Anfangern auf den Enden
der Oberschweile ruhend. Das Tympanum konnte als Nische ein
wenig zurücktreten, wie in Taf. 277. 1, 284. 1; es konnte aber auch
in gleicher Ebene bleiben, wie in 292. 7, 287. 2. Einiger Schmuck, sei
es als teppichartige Inkrustation, sei es als Bemalung und schliesslich
als Flachrelief, wird selten gefehlt haben (Taf. 291). Von der Ober-
schwelle ist zu bemerken, dass sie zuweilen nach der Mitte hin durch
giebelartigen Anstieg verstärkt wird (230. 1,290.4); auch kommen, in
Gegenden mit antiker Tradition, scheitrechte Bogen vor (284. 1). Im
Gegensatze nun zu dieser frühromanischen Auffassung ist das ent-
wickelte romanische Portal eine offene Arkade, oder vielmehr eine
Gruppe von mehreren aneinander geschobenen, konzentrisch sich
verengenden Arkaden. Ob dann der innerste Bogen mit einer stei-
nernen Tafel, eben dem Tympanum, gefüllt wird, oder ob er offen
bleibt, ist mehr eine Frage der Dekoration als der Konstruktion.
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yoo Zweites Buch: Der romanische Stil.
Das Tympanum ruht auf einem wagerechten Sturz, der Sturz auf
Pfosten, die aber in der Regel in das System der umrahmenden Pfeiler
und Säulen nicht einbezogen sind, vielmehr sich als ganz schlichter,
unprofilierter Mauerdurchbruch , zuweilen mit konsolenartiger Aus-
kragung, darstellen (Taf. 286. 2, 292. 3. 4, 293. 1. 2).
Südfrankreich und Burgund sind die ersten, die der ThüröfTnung
eine bisher unerhörte Breite gaben, z. B. in Autun und Yezelay um
ein Fünftel grösser als die Höhe bis zum Sturz. Die Absicht ist, für
das Tympanum eine möglichst grosse Ausdehnung zu gewinnen, und
diese wieder wurde begehrt als Grundlage weitläufiger figürlicher Relief-
kompositionen (Hauptbeispiele: Autun, Vezelay, S. Trophime in Arles,
S. Gilles, Conques, Moissac, Beaulieu). Eine notwendige Folge war
die Unterstützung der Oberschwelle durch einen freistehenden Mittel-
pfosten (wofür die Franzosen einen eigenen Namen haben: Trumeaul.
Auf uns moderne Betrachter übt der mahnende, drohende Inhalt dieser
meist dem jüngsten Gericht gewidmeten Portalskulpturen nicht mehr
die unmittelbar erschütternde Wirkung wie auf die Menschen de*
Mittelalters; die Energie des künstlerischen Eindruckes, in dem sich
grosse Pracht und feierliche Strenge vereinigen, ist noch immer be-
zwingend; mit einem Anblick, wie z. B. in Vezelay aus der Vorhalle
durch die geöffneten drei Portale abwärts die weite Perspektive des
Innern kann in Bezug auf Stärke des Eindruckes wenig auf der Weit
sich messen.
Ferner sind Südfrankreich und Burgund die ersten, die die Frei-
statue zum Schmuck der Portalgewände heranziehen. Die Anordnung
in Saint-Gilles (übereinstimmend S. Trophime) zeigt Taf. 259. Lockerer
ist die architektonische Eingliederung der gleichfalls kolossalen Ge-
stalten in Moissac und Conques. In Autun und Vezelay wird mit
schöner Wirkung zum Träger einer Figurengruppe der Mittelpfosten
gewählt. Von Burgund pflanzt sich die Anregung in die Nord- und
Westprovinzen fort; hier sind die Portale schmäler, ohne Trunieau,
dafür mit breiterem, säulenreicherem Gewände; an dieses nun werden
die Statuen angegliedert. Die verhältnismässige Bewegungsfreiheit,
die sie am Mittelpfostcn noch genossen hatten , geht ihnen hier ver-
loren; sie sind an der Rückseite mit der Säule zusammengewachsen,
werden selbst säulenartig starr und gestreckt, mehr den Pfeilerstatuen
der Aegypter als den Karyatiden der Griechen sinnverwandt. Alles
in allem ist es weder architektonisch noch plastisch ein glückliches
Motiv und geradezu verhängnisvoll wurde, dass es gerade im Heimat-
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
lande der Gotik entstehen musste, auf die es dann zu umfassendster
Verwendung überging.
Die ältesten, noch rein romanischen Beispiele an den Kathedralen
von Chartres, Bourges, le Mans und in Saint-Denis, sämtlich um oder
bald nach 1150. Brillante Nachahmung (vgl. die S. 4x2 namhaft ge-
machten Beziehungen zur Schule des Anjou) in S. Jago di Compo-
stella mit der Vollendungsinschrift von 1188 (beg. wahrscheinlich schon
11 68) und S. Vincente in Avila (Taf. 288). In England bleibt die
figürliche Plastik von den Portalen nahezu ganz ausgeschlossen, in
Deutschland wird in betreff ihrer wenigstens grosse Zurückhaltung
geübt. Bis in den Anfang des 13. Jahrhunderts sind es allein die
Lünettenfelder, die in Betracht kommen; sie sind durchweg viel kleiner
als in Frankreich, die auf ihnen Platz findenden Kompositionen ein-
facher, das Relief flacher; gewöhnlich nur eine einzige Hauptfigur,
Christus als Weltenrichter, etwa noch von zwei Engeln oder Heiligen
begleitet (Taf. 293. 2); oder bloss das apokalyptische Lamm. Die sel-
tenen Beispiele figurenreicher Darstellungen, wie in Strassburg, Bam-
berg, Freiberg stehen schon der Mitte des 13. Jahrhunderts nahe.
Häufiger überhaupt als der historische Schmuck ist der rein ornamen-
tale (Beispiele Taf. 350. 352. 356). Wo Statuen am Gewände vorkommen,
verrät sich die Bekanntschaft mit der entwickelten französischen Gotik,
dabei wird aber in der allgemeinen Anlage der romanische Typus mit
Beharrlichkeit festgehalten; so an der übrigens ganz gotischen Lieb-
frauenkirche in Trier, so an der goldenen Pforte in Freiberg (aus einem
untergegangenen Gebäude des 13. Jahrhunderts auf eines des 15. Jahr-
hunderts übertragen). Das letztere wird mit Recht als das schönste
romanische Portal Deutschlands gepriesen. Wir stehen aber nicht an
hinzuzufügen, dass in Bezug auf Reinheit des architektonischen Ein-
drucks auch alle gotischen hinter ihm zurückbleiben; der figürliche
Schmuck und die architektonischen Linien stehen sich nicht, wie dort
immer, gegenseitig im Wege; die reich bewegte Pracht bleibt wunder-
voll milde und klar in der Wirkung; wie man hier noch nach einer
Steigerung durch Farbe und Gold Verlangen tragen konnte, bleibt
schwer vorstellbar.
Der ganze dem romanischen Stil zur Verfügung stehende Reich-
tum ornamentaler Gestaltungsmöglichkeiten wird angerufen, wo es
sich um Detaillierung der Archivolten handelt. Die auf unseren Tafeln
zerstreuten Beispiele (man vergleiche auch die Abbildungen zum
15. Kapitel) geben einen Begriff davon; auf weniges wollen wir be-
sonders aufmerksam machen. — Das Grundschema der Gliederung
bilden die abgetreppten Rückspringe. Diese dürfen durch das hin-
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
703
zutretende Ornament oder die eingelegten Rundstäbe nie ganz ver-
mischt werden. (In dieser Hinsicht musterhaft Taf. 289. 2.) Das
Ornament ist entweder als laufendes Band, also der Richtung des
Kreisumschwunges folgend, oder aufrechtstehend, also den Radien
entsprechend, disponiert. Das erstere Prinzip kommt am meisten zur
Erscheinung, wenn anstatt jeden Zierates bloss glatte Simsprofile ge-
wählt werden. Das ist, um die Uebersicht mit Frankreich zu beginnen,
vornehmlich in der provengalischen Schule der Fall (Hauptbeispiel
Saint-Gilles Taf. 254); höchstens tritt noch ein flaches, antiken Ge-
simsen entlehntes Ornament, Mäander, Eierstab u. s. w. hinzu (z. B. in
Le Thor, Taf. 315. 6). Den Gegenpol bildet das normannische
System mit einseitiger Verschärfung des Ausstrahlungsgedankens
(Taf. 291). Schwankend zwischen beiden Grundsätzen verhalten sich
die Pflanzen- und Tierornamente üppig mischenden aquitani sehen
Schulen. Durch sie zuerst wird auch die menschliche Gestalt in die
Archivolte aufgenommen, und zwar nicht bloss in radianter Stellung
(Taf. 333. 5), sondern frühzeitig, lange vor der Gotik, auch in peri-
pherischer (Beispiele: S. Aubin in Angers, Parthenay-vieux, Eschillais,
Civray, Saintes, Taf. 248, 249, 333. 6). Am feinsten ist die Wirkung,
wenn glatte Stabe und Kehlen mit ornamentierten Teilen wechseln,
ein System, das um die Mitte des 12. Jahrhunderts in allen französischen
Schulen Verbreitung findet (Taf. 289, 329, 330) und auch für den
deutschen Uebergangsstil bestimmend ist.
Wir haben nun noch die Entwicklung des Portals in Italien, wo
sich der rechtwinklige Durchbruch durch die ganze romanische Epoche
erhielt, nachzuholen. Die vorwaltenden Typen sind (wie bei den Fas-
saden) der toskanische und der lombardische. Die wichtigen unter den
toskanischen Fassaden haben als Hauptmotiv des Erdgeschosses die
Wandarkatur. Dadurch ist die Portaldekoration in enge Grenzen ge-
wiesen. In der florentinischen Schule (Taf. 237. 1) besteht sie lediglich
in einem an Pfosten und Oberschwelle gleichmässig durchgeführten
Rahmenprofil. In der pisanisch-lucchesischen (Taf. 236, 286, 287) sind
die Pfosten nach Analogie antiker Anten behandelt, ohne Basis, doch
meist mit reichem korinthischem Kapitell; der Sturz erhält eine Fül-
lung von Akanthusranken , in jüngerer Zeit figürliche Darstellungen;
darüber ein mehr oder minder reich dekoriertes Gesims; der Ent-
lastungsbogen regelmässig überhöht und am Kämpfer wiederum mit
Gesimsen versehen. Dieser Typus fand auch in Unteritalien Aufnahme,
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704
Zweites Buch: Der romanische Stil.
wo gern auch die Schauseite der Pfosten ornamentiert wird (Taf. 327:.
Seit dem Ende des 1 2. Jahrhunderts zeigt sich mehrfach das nordische
Säulenportal; im Beispiel von S. Giovanni in Lucca (Taf. 287. 3) mit
dem älteren heimischen Typus verschmolzen, anderweitig, z. B. an den
Kirchen von Toscanella und Corneto, in Rom an S. Antonio Abbate,
den nordischen Vorbildern nahe kommend. In Sicilicn zuweilen, z. B.
in Ccfalü, normannischer Zickzack. — Die Portale Oberitaliens zeigen
sich verhältnismässig früh (vgl. S. Michele in Pavia, Taf. 243) mit dem
nordischen Gliederungsprinzip vertraut ; ihnen eigentümlich sind die
Schutzdächer oder Baldachine auf freistehenden, von Löwen getragenen
Säulen (Taf. 242 — 44). Die Pfosten sind mit einer Fülle, oft Ueber
fülle, zierlich skulpiertcn Reliefs bedeckt, und zuweilen sind noch die
anstossenden Wandflächen mit Relieftafeln ausgelegt; Hauptbeispiele
S. Zeno bei Verona und S. Pictro in Spoleto (unter lombardischer
Einwirkung die Kapelle von Schloss Tirol und das berühmte Portal
der Schottenkirche in Regensburg; die Löwen mehrfach in den deut-
schen Alpenländcrn, dann mit einem weiten geographischen Sprunge
in Königslutter und Nikolausberg bei Göttingen).
Vollständige Baldachine kommen ausserhalb Italiens nicht vor.
Wohl aber wird im Interesse vollerer Archivoltengliederung ein Mauer-
vorsprung angelegt mit giebelförmigem Abschluss : z. B. Taf. 220. 3.
229. 1, 233. 3 und sonst noch oft im Uebergangsstil. Noch häufiger
aber erhält, vornehmlich in Deutschland, diese Mauerverstärkung die
Form eines rechteckigen Rahmens von der Stärke des Sockels und mit
gleichem Profile in diesen übergeführt: Taf. 230. 1, 274. 4, 292. 3.
6. Gesimse und Sockel.
Zu den Aufgaben, die der romanische Stil zu lösen vorfand, ge-
hörte auch die Neuordnung des Gesimswesens. Es war in den langen ah-
christlichen Jahrhunderten vollkommen verkümmert. Wiederanknüpfung
an die Antike wurde nur in den wenigen Schulen versucht, die wir
unter dem Begriffe der Protorenaissance zusammengefasst haben und
von denen hier nicht weiter die Rede sein soll. WTas sich in den
Ländern diesseits der Alpen von antiken Bauten erhalten hatte, bot
in seinem immer beschädigten Zustande gerade über diese wichtigen
Bauglieder wenig Auskunft. Und vor allem : die tektonischen Voraus-
setzungen waren wesentlich andere. Das griechisch-römische Gesimse
hatte seine charakteristische Form im Säulen- und Gebälkbau empfangen
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Sechzehntes Kapitel : Einzelglieder und Dekoration.
705
und bezog sich auf ein Dach von flacher Neigung. Das romanische
Gesimse ist Mauerbekrönung und das Dach, dem es zur Stütze dient,
ist ein stark ansteigendes; schwache Ausladung und steiles Profil
ist das ihm naturgemäss zukommende. Ein festes Massverhältnis zur
Mauerhöhe wird nicht beobachtet ; im allgemeinen haben die grös-
seren Gebäude die relativ kleineren Gesimse.
Dem Frühromanismus genügt eine schlichte Platte mit abge-
schrägter Unterkante (z. B. 230. I, 246. 4. 5, 320. 3). Allmählich tritt
eine zusammengesetztere Gliederung ein : Rundstäbe, Kehlen, Karniese,
Platten und Plättchen werden beliebig kombiniert, nur muss immer
jedes höhere Glied über das untere vorspringen (Taf. 316. 1 — 5). Die
Gewohnheit , mit kleinen Werkstücken zu arbeiten , macht dann bei
jeder auch nur etwas stärkeren Ausladung die Unterstützung durch
Kragsteine notwendig. Zwei Konstruktionsarten sind dabei im Ge-
brauch: entweder ruht die Gesimsplatte unmittelbar auf den Krag-
steinen (Taf. 317. 1 — 5), oder es wird eine Vermittelung durch kleine
Bogen herbeigeführt. Die letztere Art ist, wie früher nachgewiesen,
eine Lehn form aus der Backsteintechnik, sie hat in der Uebcrtragung
auf den Haustein nur dekorative , keine konstruktive Bedeutung (wie
die Fugenlage in Fig. 12 und 15 zeigt); die erste ist hausteingemäss
von Haus aus. Jene, unter dem nicht ganz korrekt gebildeten Namen
Bogen fri es bekannt, hat die allgemeinste Verbreitung in Oberitalien
und Deutschland gefunden; in älterer Zeit kommt sie dann noch in
der Provence und Burgund vor, in jüngerer an der ganzen Ostküste
Italiens, in Nordfrankreich und England ; vereinzelt in Westfrankreich
und Spanien (doch nur an Fassaden und Apsiden, nie am Langhaus;
in der jüngeren burgundischen Schule nur im Inneren, eine sonst un-
bekannte Verwendung). Diese, das sogenannte Kon solcngesims,
ist die normale Form in ganz Frankreich und den von Frankreich
abhängigen Schulrichtungen Englands und Spaniens; ferner in Mittel-
italien; in Deutschland nur unter besonderen Verhältnissen, besonders
über Zwerggalerien.
Der Fries als selbständiges Glied ist dem romanischen System
fremd. Doch kann man der allgemeinen Wirkung nach sowohl die
Konsolenreihen als die Kleinbogenstellungen damit in Vergleich ziehen.
Verstärkt wird die Aehnlichkeit, wenn die von den Vorkragungen
eingeschlossenen Mauerfelder eine fortlaufende Dekoration erhalten
(wie Taf. 317. 4. 5 und 318. 2). Die Konsolen sind zwar schwerlich
aus direkter Umbildung von Sparrenköpfen hervorgegangen, vielmehr
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
eine mit selbständigem Sinne verw ertete Reminiscenz aus der Antike;
die Analogie mit der Holzarchitektur muss sich aber doch aufgedrängt
haben, da deren Formen in die Detaillierung vielfältig hineinspielen
(Taf. 317. 1. 2. 4. 5. 8; besonders häufig, für die Auvcrgnc und die
angrenzenden Gebiete geradezu typisch, das Motiv 318. 2). Auch
das an dieser Stelle in Frankreich und England früh und überaus
häufig verwendete, später auch nach Deutschland (Taf. 317. 14, 318. 7
übergegangene Ziermotiv des gebrochenen Stabes (Billets) deutet auf
Herkunft aus der Holztechnik , wie andererseits der für Oberitalien
und Deutschland nicht minder charakteristische Sägefries (317. 10. II.
!3- J5» 318. 3) ersichtlich aus dem Backsteinbau herübergenommen
ist. Der Bogcnfries wird lange Zeit ganz einfach, aber auch so durch
die scharfe Begrenzung der Schlagschatten sehr wirksam, gebildet;
das spätere 12. und 13. Jahrhundert dann verfeinert und vermannig
faltigt ihn durch Profilierung der Kanten und Brechung der Bogen-
linien, gelegentlich schon mit übertriebenem Raffinement. Der Back-
steintechnik blieb dieses versagt; dafür gewann sie, indem sie die
Bögen sich durchkreuzen Hess, ein lebhaftes Formenspiel , das durch
weissen Verputz des Mauergrundes noch gehoben werden konnte
(Taf. 244).
Kin eigentliches Gesimse hat nur statt, wo die Mauer endigt
und Abdeckung begehrt ; doch kann nach Analogie die Gesimsform
auch innerhalb des Mauerverlaufs zur Bezeichnung wagrechter Ab-
schnitte benutzt werden: — Gurtgesims, Zwischengesims. Es ist ein
Hauptunterschied zwischen dem deutschen und dem französischen
Romanismiis, dass jener von den Gurtgesimsen spärlichen, dieser
reichlichen Gebrauch macht. So hat z. B. die QuerschifTsfassade der
Kathedrale von Autun (Taf. 264), obgleich der innere Raum ungeteilt
ist, nicht weniger als sechs Gurtgesimse. Und wenn in Deutschland
überhaupt nur die Fassaden (und hin und wieder die Apsiden) in
Frage kommen, so erstrecken sich in Frankreich die Gurtgesimse auch
auf die Langschiftswände. Vor allem in dem bekanntlich häufigen
Falle des Vorhandenseins von Emporen; dann nicht selten als Ifc-
gleitung der Fensterbank (Taf. 250. I, 251. 2); endlich, eine frühe
und sehr verbreitete Verwendung, zur Bezeichnung der Kämpferlinie
der Fensterbogen (Taf. 246. 4. 5, 250. 1.2, 253, 254, 255 u. s. w.i;
ganz besonders ausgebildet im englisch normannischen Stil (Taf. 269).
— Die Gurtgesimse sind aus ähnlichen Gliedern, nur einfacher, zu-
sammengesetzt, wie das Hauptgesims. Die freiliegende obere Flache
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration. joj
wird leicht abwärts geneigt, als Wasserschlag für den Innenbau kommt
nur das Gurtgesims über den Arkaden, in Frankreich ausserdem noch
die Sohlbank der Scitenschiffsfenster und bei Tonnengewölben deren
Kämpferlinic in Betracht. Im letzteren Falle tritt die ausladende Ge-
simsform rein hervor, im ersteren ist die Hauptsache die mehr fries-
artige Ornamentation.
Das Gegenstück des Gesimses ist der Sockel, die leicht vor-
springende Sohle der Mauer. Der Uebergang zur Wand vollzieht sich
in Gliedern, die einem umgekehrten Gesimse ähnlich sind (Taf. 316.
II — 15). Unbedingt gefordert wurde der Sockel selbst nicht im ent-
wickelten Stil. Am reichsten fällt er an der Apsis aus. Von der
Fortführung seiner Profile als Thürumrahmung haben wir oben (S. 704)
gesprochen.
Beschreibung der Tafeln.
Erklärung der abgekürzten Quellennachweise.
A — Adams: Recueil de sculpture gothique, 1860.
B = Originalaufnahme von G. v. Bezold.
Bdt = Baudot: La sculpture frangaise. 1S80.
Bss = Boisserle : Denkmale der Baukunst am Niederrhein, 1843.
CC = Jahrbuch und Mitteilungen der k. k. Central-Commbsion zur Erhaltung der
Denkmäler, 1856 ff.
Cm = Caumont : Bulletin monumental, 1834 ff.
CM = Cahier et Martin: Nouveaux m£ langes d' Archäologie, 1S75.
D = Originalaufnahme von Dehio.
Dt = Dartein: Etüde sur l'architecture Lombarde, 1S66.
Ew = Ewerbeck, Reiseskizzen.
G '- Gailhabaud: L'architecture du V. au XVI. siede et les arts qui en dependent. 1851.
GH = Gewerbehalle, 1862 ff.
II = Originalaufnahme von Hofflund.
Kl — Klingenberg, Bauornamente des Mittelalters, 1SS2.
L = I.enoir : Statistique de la ville de Paris.
NS = Die mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens, redigiert vonC. W. Hase, 1S56 ff.
NS Rsc = Reiseskizzen der Niedersächsischen Bauhütte, 1S64.
O — Osten, Die Bauwerke der Lombardei vom VII.— XIV. Jahrhundert o. J.
P = Paulus , Die Kunst- und Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg , 1 889 ff.
Ph = Photographie.
Rdt = Redtenbacher : Beiträge zur Kenntnis der Architektur des Mittelalters, 1872.
RF = Rohault de Fleury : Pise au moyen-age, 1862.
Rl = Revoil : L'architecture romane au midi de la France. 1S66 — 74.
RR = Ruprich-Robert : L'architecture normande 1S84--1890.
Sh Sharpe : Architectural Parallels of the principal Abbey Churches, 1848.
Sch - Schulz: Denkmäler der Kunst des Mittelalters in Unteritalien, 1860.
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708
Zweites Bach: Der romanische Stil.
ERSTER TEIL. ORDNUNG NACH GEGENSTÄNDEN.
Portale.
Tafel 285. a Provence
1. Avignon, Nötre-Dame des Doms (Rl), E. saec. n. — 2. Aix,
S. Sauveur (Ph). — E. saec. 11.
Tafel 286. b) Iulicn-
1. Troja, Kathedrale (Sch), a. 11 19. — 2. Pisa, Baptisterium (Rfi,
2. H. saec. 12.
Tafel 287.
1. Pisa, Querschiff des Domes vPh), letztes Viertel saec. 11. —
2. *Spoleto, S. Pietro, Seitenthür der Westfront (D), saec. 12. — 3. Lucca,
S. Giovanni (Ph), letztes Viertel saec. 12.
Tafel 288. c) Frankreich-
1. Taraseon, Ste. Marthe (Rl), 2. Hälfte saec. 12. — 2. Avila,
S. Vincente (Mon. Esp.), 2. Hälfte saec. 12.
Tafel 289.
1. Sfmur-en-Brionnais , Nordseite der Schlosskirche (Ph), gegen
M. saec. 12. — 2. * Lescures, unweit Alby, Westseite der Schlosskirche
(Ph), saec. 12.
Tafel 290.
1. ^Auvergne (Ph), etwa A. saec. 12. — 2. * Chateautuuf im Sain-
tonge (Ph), 1. Hälfte saec. 12. — 3. *Le Puy. S. Michel (Ph\ saec. 12.
— 4. Clermont, N6tre-Dame du Port, Sudseite (Ph), E. saec. 11. —
5. *Dijon, S. Philibert (Ph), 2. Hälfte saec. 12.
Tafel 291 ^ Normandie und England.
1. Nonvich (RR), um 11 00. — 2. Anthie (RR), A. saec. 12.
— 3. Serquigny (RR), saec. 12. — 4. Cheux (RR), A. saec. 12.
Tafel 292. e) Deutschland.
1. Ingelheim (Cohausen), 2. Hälfte saec. 10. — 2. Avolsheim (Adler),
saec. 11. — 3. Moringen (NS), 2. Hälfte saec. 12. — 4. Hullein (CO,
A. saec. 13. — 5. * Würzburg, S. Burchard (Höflfken) , E. saec. 12. —
6. * Altenstadt (Volk), E. saec. 12. — 7. * Regensburg, S. Emmeram,
Querschiff (B l, a. 1050. — 8. Würzburg, Dom (Rdt), 1. Hälfte saec. 13.
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration. jtq9
Tafel 293.
1. Laach, Eingang in den Vorhof (Geier u. Görz). — 2. Ander-
nach, Seitenschiff (Ph). — 3. Bonn, Münster (Tornow). — 4. Lilienfeld
(Heideloff), sämtlich A. saec. 13.
Tafel 294.
1. Lübeck, Dom, in der nördlichen Vorhalle (Z. f. Bauwesen),
um 1266. — 2. Trebitsch, in der nördlichen Vorhalle (CC), nach M.
saec. 13.
Tafel 295. Fenster.
1. Hadmersleben <NS), A. saec. 12. — 2. Saint-GdnSroux (G), um
a. 1000. — 3. Savennieres (G), um a. 1000. — 4. * Worms, Dom (H.
v. Schmidt), 2. Hälfte saec. 12. — 5. Speier, Dom (Rdt), saec. 12. —
6. Saint-Gt'ntroux (Cm), um a. 1000. — 7. Chiaravalle, Turm (Gruner),
A. saec. 13. — 8. Saint-Gmtcst (RR), saec. 12.
Tafel 296.
1. Crema, Detail des Gewändes (Gruner), A. saec. 13. — 2. Maurs-
münster (G), saec. 12. — 3. *Civrar, Apsis (D), M. saec. 13. — 4. Ca-
va il Ion . Apsis (Rh, M. saec. 12. — 5. *Semur, Langseite (B), gegen
M. saec. 12.
Radfenster.
6. Gelnhausen, Querschiff (Rdt), — 7. Mainz, Querschiff (Rdt),
— 8. Freiburg i. B.. Querschiff (Rdt), — sämtlich A. saec. 13.
Tafel 297. Säulen in Kirchenschiffen.
1. -'Reims, S. Remy, Querschiff (D), 1. Hälfte saec. 11. — 2. *Beau-
gency, Schiff (D), M. saec. 11. — 3. *Burgclin, Vorhalle (Dl, E. saec.
12. — 4. * Frese, Schiff (D), saec. 12. — 5. Lund, Krypta (Holms),
saec. 12. — 6. Hildesheim, S.Godehard, Schiff (NS), gegen M. saec. 12.
— 7. * raulinzcllc, Schiff (Brecht ), t. Hälfte saec. 12. — 8. Köln, S. Maria
im Kapitol, Chor (Frantzen). M. saec. 11. — 9. Maulbronn, Refectorium
(P), A. saec. 13. — 10. *Laon, Kathedrale, Querschiff iB) , nach 1070.
— Sämtlich im Massstab 1 t0.
Saulchen in Kreuzgangen, Emporen, Kuppelfenstekn.
Tafel 298.
1. '^Magdeburg, Liebfrauen-Kreuzgang (D), saec. 12. — 2. Rom,
Kreuzgang des Lateran (Hohault de Fleury), A. saec. 13. — 3. *Rom,
Kreuzgang bei S. Paolo <D), A. saec. 13. — 4, 5. Canterbury, Krypta
(RR), saec. 12. — 6. S. Gtntroux, von einem Fenster (G), um 1000. —
7. Coblenz, S. Castor (Tornow), saec. 9—10. — 8. Chaucelade bei
Pengueux (D), saec. 12. — q. S. Albans. Empore (RR), A. saec. 12 —
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7io
Zweites Buch : Der romanische Stil.
I
io. Würzburg, Dom, aus einer ehemaligen Vorhalle (Rdt), E. saec. 12 bis
A. saec. 13. — 12. * Goslar, Dom, Vorhalle (Dl. — 13. * Magdeburg,
Domkreuzgang (D).
Dekorierte Sauienschafte, meist von Portalen.
Tafel 299.
i.*Chartres, Kathedrale (Di. — 2. S. Denis (Kl». — 3. *Bourges
I D). — 4. '^Paray-le-Monial (Di. — 5. *Sc'mur-en-Brionnais (D). —
6. Chartres (A ). — 7. S.Denis (Kl). — 8. * Le-l'hor (D). — 9. *Autun
(D). - 10. Toumus (VID). - 11. (VID). — 12. *Avigncn, Mu-
seum, möglicherweise antik (D). — 13. S.Denis (Kl). — 14. * Autun
iD). — 15. Villaviciosa (Mon. Esp.j. — 16. "Königslutter (Di.
Tafel 300. Basen.
1. 5. Denis, Krypta (VID), saec. 9. — 2. Quedlinburg, Schloss-
kirche (XS), E. saec. 10. — 3. *Dijon, S. Benigne, Krypta (D), A.
saec. 11. — 4. * Toulouse, S. Sernin (D), A. saec. 12. — 5. * Hersfeld.
SchirT (D), M. saec. n. — 6. a) Ebreuil (VID), saec. 11; b) * 'iVevers,
Kathedrale (Di, 2. V. saec. n; c) *Poitiers, S. Hilaire (D), saec. 11;
dj *Poitiers, Ste. Radegonde, Vorhalle (D), saec. 11; e) *Issoire ( D),
A. saec. 12 ; f) Toulouse, S. Sernin (D), A. saec. 1 2 ; g) *Nevers, S. Etienne
(D), E. saec. 11; h) Fresne-Camilly (RR), saec. 12; i— m) *S. Binoist
s. Loire, Vorhalle (G), um 1100; n, o) *S. Gilles, Chor (D), 1. Hälfte
saec. 12; p) * Henne, Kathedrale (D), M. saec. 12; <j) S. Paul-trois-
Chäteaux (Rl), saec. 12. — 7. a,b,c) Quedlinburg, Krypta (NS); d » Köln,
S. Maria (D), M. saec. 1 1 ; e) Limburg a. H. (Geier), E. V. saec. 11;
f) * Speier VD), E. saec. 11; g) * Mainz (D;, M. saec. 12; h) * Horms
(D), E. saec. 12; i) * Speier, Apsis (D), E. saec. 12; k. I) Dom
(D) , E. saec. ti ; m) *A*;w, S. Antonio Abbate (D), saec. 12; n) *Regens-
burg, Westkrypta von S.Emmeram (D), saec. 12; o) Freising, Krypta
(Förster), saec. 12; p) * Bamberg, S. Jacob (D), A. saec. 12. — 8. Maul-
bronn, Kreuzgang (P), 1 Hälfte saec. 13. — — 9. Paris, Nötre-Dame,
Chor (VID), nach 11 60. — 10. Heiligenkreuz, Kreuzgang (Rdt), 1. Hälfte
saec. 13. — 11. a) Hirzenach (Rdt), 1. Hälfte saec. 13; b) Regensburg,
S. Ulrich (Rdt), nach M. saec. 13; c, d) ebenda Kreuzgang bei S. Em-
meram (Rdt), nach M. saec. 13.
Tafel 301.
I. Grandmoni (Rl), saec. 12. — 2. Freising, Krypta (Förster),
M. saec. 12. — 3. Echternach, Schiff (Schmidt), 2. V. saec. 11. —
4. Montreal (VID), E. saec. 12. — 5. a) Normandie (Cm); b) Laach
(E) , saec. 12. — 6, 7. *Schwarzrheindorf (H) , nach M. saec. 12. —
8. * Mailand, S. Ambrogio, Vorhalle (D>, E. saec. 11. — 9.* Altenstadt,
Portal (1>), E. saec. 12. — 10. *ßasel, Münster (D>, E. saec. 12. —
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Sechzehntes Kapitel : Einzelglieder und Dekoration. - i i
n. a) Aalum, in Dänemark (Holms); b) Nevers (Cm). — 12. Gern-
rode, Kreuzgang (Kl), saec. 12. — 13. Kreuzgang (Rh, saec. 12. —
14. Schlettstadt (V1D), saec. 12. — 15. Aix (Rl), saec. 12. — 16. * Kon-
stanz^ Dom (B), E. saec. 11. — 17. Hamersleben, Schiff (XS), M. saec. 12.
— 18. * Klosterrath (D), saec. 12.
Tafel 302.
1. Osnabrück, Dom (NS), 1. Hälfte saec. 13. — 2. Lippstadt (Ew),
M. saec. 13. — 3. Eger, Schlosskapelle (CC), E. saec. 12. — 4. Veze-
lay, Chor (V1D), E. saec. 12. — 5. Mainz, Dom (Kl), A. saec. 13. —
6. *Langrcs, Chor (D), nach M. saec. 12. — 7. Paris, S. Martin (KU
M. saec. 12. — 8. *Scmur (D), M. saec. 12.-9. Hamersleben, Chor
schranken (NS), 2. Hälfte saec. 12. — 10. *Lyon, S. Martin d'Ainay
(D), saec. 12. — u. Wartburg (Puttrich), c. a. 1200. — 12. a) Nor-
mandie (Cm); b) *Vezelay (D); c. d) Regensburg, Portal der Schotten-
kirche (Rdt); e) *Bourg (D). — 13. *LcPuy, Kreuzgang (D), saec. 12.
Kapitelle.
Tafel 303. -\ Antikisierende.
1. S. Gallen, Krypta (Rahn), saec. 9. — 2. * .Vcvers , S. Etienne,
Chorumgang ( D), E. saec. 11. — 3. Osnabrück, Turmfenster (Nordhoff),
aus einem älteren Bau, etwa saec. 11. - 4. *Rom, S. Antonio Abbate,
Portal (D), E. saec. 12. — 5. *Granville, Schiff (Ph), saec. 12. —
6. Gandersheim, Säule der Vorhalle (NS), um a. 1000. — 7. * 'Nevers,
Westchor der Kathedrale (D) , E. V. saec. 11. — 8. Höchst, Schiff
(Bu. Gl.), vor M. saec. 9. — 9, 10. *Nymwegen, Pfalzkapelle (B), saec. 9.
11. Drübeck (NS), saec. 11, Deckplatte saec. 12. — 14. Germigny-des-
Prcs (Cm), A. saec. 9. — 12, 13. Essen, Westchor (Humann), um
a. 1000. — 14. Trier. Dom, vom Westbau, M. saec. 11.
Tafel 304.
1. Speier, S. Afrakapelle beim Dom (Kl), saec. 12. — 2. *Veze-
lay, Wandsäule (Ph), 2. V. saec. 12. — 3. *Blois, S. Laumcr, Chor
(Ph), M. saec. 12. — 4. * Paray-lc-Monial, Pilaster (B), 1. Hälfte saec. 1 2.
— 5. Pisa, Kathedrale ^RF), E. saec. 11. — 6. *Arles, Kreuzgang von
S. Trophime (D), saec. 12.
Tafel 305. hj Frei k°rintn'sicrcmlc-
1. '"Poitiers, S. Hilaire (D), saec. 11. — 2, 3. *Saint-Benoist sur
Loire, Chor (Ph), E. saec. 11. — 4. *Viterbo, S. Maria nuova (D),
saec. 12. — ^. *Fontgombault, Portal (Archives). — 6. Wunstorf, Schiff
(NS), nach M. saec. 12. — 7. *Le Mans, Kathedrale, Halbsäule im
Schiff (D), M. saec. 12. — 8. Le Mans, Museum (Cm). — 9. * Rivüres
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Zweites Buch: Der romanische Stil.
,<v- (Archives), E. saec. 11: — ro. * Reims, S. Remy, Chor (B), um 117c.
ii. Taris, Montmartre (L), nach M. saec. 12.
c; BIättcrk.ipi:elle mit beginnendem Natur.ilismu«.
Tafel 306.
1, 2. * Laueres, Schiri" der Kathedrale (B), um 1170. — 3. Vetelay,
Kapitelsaal (V1D), um 1160. — 4. *Laon. Bischöfliche Kapelle B ,
vor 1170. — 5. Paris, Chor der Kathedrale (V1D; , 1163 — 1 1 7 7. —
6. Paris. S. Julien-le-pamre (L), nach M. saec. 12.
Tafel 307.
i.Mainz. Dom, Seitenschiff (Schneider^, E. saec. 12. — 2. l'cuian
(A), 2. V. saec. 12. — 3. Naumburg, Krypta, 2. V. saec. 13. 4. Paris.
Notre-Dame, Empore des Chors (A), c. 11 75. — 5. Laon, Kathedrale.
Empore des Querschiffs (A\ c. 11 75. — 6. Trier, Dom iG\ um 1200.
— 7. Chälons s.M., Empore des Chors VA\ c. 11 75. — 8. Gelnhausen.
Chor (Ew), A. saec. 13. — 9. Aschajfenburg . Kreuzgang Ungewitter.
saec. 13. — Bamberg, Dom, Arkatur am Querhaus :GH) , nach M.
saec. 13.
Tafel 308. d) ^P^P^11-
1. Aschaffenburg , Kreuzgang (GH ), saec. 13. — 2. Xoyon. Schirl
der Kathedrale (Ranufe), 3. V. saec. 12. — 3. * Bacharach, S. Peter
(D), 2. Y. saec. 13. — 4. Tischnowitz, Wandsäulchen (CC). 2. Hälfte
saec. 13. — 5. * Bamberg, Arkatur im Westchor <D\ um 1170. —
6. ""S/rassburg, Kathedrale (D), saec. 13. — 7. Laon, Kreuzgang der
Kathedrale (King), um 1200. — 8. Heiligenkreuz, Kreuzgang ^CC ,
saec. 13. — 9. *Preiberg, Goldene Pforte (D>, M. saec. 13. — 10. S. Leu-
dEsserent, Chor (A). E. saec. 12. — n. *Gisamari. Kapitelsaa! (Dl,
E. saec. 12.
_ Tektox ische Kapitelle.
Tafel 309.
j. *S. Benoit s. L. (Ph), E. saec. 11. — 2. *S. Miniato, Krypta
(Bj, saec. 11. — 3. Quedlinburg, Wipertikrypta (NS). saec. 10. —
4. London, Kapelle des Towers, E. saec. 11. — 5. *j\Ter>ers, S. Etienne.
Halbsäule im Schiff (D), E. saec. 11. — 6. Vernon i. d. Xormandie
(RR), saec. 12. — 7. *Gcrnrodc, Empore (D). E. saec. 10. — 8. Ton-
ques i d. Normandie (KR), saec. 11. — o. S. Martin de Londres, i. d.
Provence, Halbsäule im Schiff (Rl), saec. 11. — 10. Bologna, S. Stefano
(O), saec. 12. — 11. *S. Gimignano (Ph), saec. 11:
Tafel 310.
1. Bologna, S. Stefano (RRj, saec. 12. — 2. Como, S. Abondio <l)n.
saec. 11. — 3. Asti (Osten) saec. 11: — 4. * Mode na, Domkrypta iPi.
2. Hälfte saec. 11. — 5. '' Verona, S. Lorenzo, Halbsäule der Empore
/
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Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration.
713
(D), saec. 10— 11. — 6,7. * Reims, S. Remy (D), A. saec. 11. —
8. Thoronet, Fensterteilungssäulchen (Rl), saec. 12. — 9. Chälons s. M.,
S. Jean (RR), saec. 11. — 10. Nonvich, Kathedrale, Rundpfeiler im
Schiff Britton), A. saec. 12. — 11. Dumferline (RR), saec. 12. —
12. * Winchester, Kreuzgang (D), A. saec. 12. — 13. Tilly (RRj, saec. 12.
14. Lastingham (RR), saec. 11. — 15. Kirkstall ^Sh), 2. Hälfte saec. 12.
— 16. Etretat (RR), saec. 12.
Tafel 3x1.
1. Köln, S. Georg (Frantzen), saec. 11. — 2. a) Corvey (Lübke),
A. sae n; b) *Esscn, Arkatur im Seitenschiff (D), A. saec. 11. —
3. Hit -s/ieim, S. Michael (NS), A. saec. 11. — 4. Ilsenburg (NS),
um 10 x — 5. Quedlinburg, Unterkirche (NS), saec. n. — 6. * Paulin-
teile, S tiff ^Brecht), A. saec. 12. — 7. ^Bamberg, S. Jacob (Richter),
A. sae« 12. — 8. Essen, Westbau (Huraann), um a. 1000. — 9. Arns-
burg, Lalbsäule (Gl), A. saec. 13. — 10. Konstanz, Schiff (Kraus), E.
saec. 11. — 11. Ilsenburg (NS), saec. 12. — 12. Augsburg, Domkrypta
(Herberger), saec. 11. — 13. Jerichow, Schiff (Adler;, 2. Hälfte saec. 12.
14. Lehnin (Adler), A. saec. 13.
Tafel 312.
1. Canterbury, Krypta (RR), 2. Hälfte saec. 12. — 2. Rosheim,
Schiff (V1D), saec. 12. — 3. Jumieges (RR), saec. 12. — 4. Hamers-
leben, Schiff (NS), M. saec. 12. — 5. Urnes, norwegische Holzkirche
(RR), saec. 12 — 13. — 6, 7. *Bonn, Kreuzgang (H), M. saec. 12. —
8. Boeherville, bemaltes Kapitell (RR). — 9, 10. * Regensburg, Schotten-
kirche, von den Chorschranken (D), saec. 12. — 11. *Souvigny, Halb-
säule im Schiff (D), 2. Hälfte saec. 11.
Tafel 313. Pfeiler.
1, 2. *Burgelin, Schiff (D), 2. Hälfte saec. 12. — 3. Hadmersleben
(NS), saec. 12. — 4. Memmleben, Schiff (Baudenkmäler der Provinz
Sachsen), i. Hälfte saec. 13. — 5. Erfurt, Schiff der Petersberger Kirche
(Stud. Berl.), nach M. saec. 12. — 6. Baulinzelle, Vorhalle (Stud. Berl.),
nach M. saec. 12. — 7, 8. Magdeburg, Schiff der Liebfrauenkirche
(Hartmann), um 1130. — 9. Essen, Krypta (Humann), a. 1050. —
10. Kirkstall (Sh), E. saec. 12. — 11. Nonvieh (RR), A. saec. 12. —
12. Inichen (CC), saec. 12.
Tafel 314.
1. Trier, S.Matthias, Schiff (Schmidt), 2. V. saec. 12. — 2. Barma,
Kathedrale, Schiff (Ol, 1. Hälfte saec. 12. — 3. *Autun, Kathedrale,
Schiff (D), 1. Hälfte saec. 12. — 4. Köln, Kreuzgang bei S. Gereon,
abgebrochen (Bss). — 5. Beterborough, Schiff (RR). — 6. Ely, Haupt-
und Zwischenpfeiler im Schiff (RR). — 7. *Boitiers, Kathedrale (D),
46
714
Zweites Buch: Der romanische Stil.
um ii 70. — 8. a) Paderborn, Dom, Schiff (Gruber), 2. V. saec. 13;
b) Berne (NS), 2. V. saec. 13.
Tafel 315. Archivolten.
1. Bayeux, Kathedrale, Schiff (Pngin), E. saec. 12. — 2. Kirk-
stall, Schiff (Sh), E. saec. 12. — 3. Foniains, Schiff (Sh>. E. saec. 12.
— 4. Ouistreham, Schiff (RR), M. saec. 12. — 5. Saint- Gabriel, Schiff
(RR), saec. 12. — 6. Le T/ior, Portal (Rl), E. saec. 12. — 7. Apt,
Altar (Rl), saec. 12. — 8. Montmajour, Kreuzgang (Rl), saec. 12. —
9. Saint-Gilles, Krypta (Rl), A. saec. 12. — 10. Arles, Kreuzgang bei
S. Trophine (Rl), A. saec. 12.
Tafel 316. Kranzgesimse.
I, 2, 3. Avignon, S. Ruf (Rl), M. saec. 12. — 4. Ellwangen
(Schwarz), 2. Hälfte saec. 12. — 5. * Freiburg a. L\, Chor der Stadt-
kirche (D), um 1200.
Akkaturen.
6. *Lyon, Nebenchor der Kathedrale (B), 2. Hälfte saec. 12. —
7. Köln, S. Maria im Kapitol, Zwerggalerie des Chors (Frantzen), uro
a. 1200. — 8. *ßasel, Münster vom äussern Chorumgang (B), etwa
1200. — 9. *£a Chariti , Trifolium des Schiffs (B), E. saec. 12. —
10. Canterbury, Kathedrale, vom Aeussern des östlichen Querschiffs
(Britton), gegen 1180.
Sockel.
II. *Lueea, S. Michele, Seitenschiff (D), saec. 11. — 12. *Frei-
bürg a. ('., Stadtkirche ( D), um 1200. — 13. *Köln, S. Aposteln, Chor
(D), um 1200. — 14. Bonn (Rdt), A. saec. 13. — 15. Hirzenach (Rdt),
saec. 13.
~ f . „ Kranz- und Gl rtgesimse.
Tafel 317.
1. Morienval (RR). — 2. */ssoire (B). — 3. *La Chariti (B>. —
4. Noves (RR). - 5. Vezelay, Seitenschiff (V1D). — 6. .Speier <G). -
7. ^(RR). — 8, 9. Colombiers, Turm (RR). — 10. Tr ebitsch iCC). —
11. Como, S. Abondio (Dt). — 12. Magdeburg, Chor des Domes (Cle-
mens). — 13. Schöngrabern (CC). — 14. * Trier* S. Simon (D). -
15. S. Jack (CC). — 16. Bacharach (Rdt). — 17. Königslutter, Chor
(NS). — 18. Saint-Gcrmer \ Archives).
Tafel 318.
1. Vezelay, Hochschiff (V1D). — 2. Verona, S. Zeno (CO. —
3. Clermont, Notre-Dame du Port, Apsis (V1D).
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Sechzehntes Kapitel: Einielglieder und Dekoration. 715
Firstbalustraden.
4. Clermont, Notre-Dame (V1D). — 5. Arles, S. Trophime (Rl).
CONSOLEN.
6. Montreal (V1D). — 7. * Schwarzrheindorf (H).
Giebelkreuze.
8. Caen, St. Etienne (RR ). — 10. Limburg a. L. (Rdt). — 11. Arles,
5. Trophime (Rl).
Dekorierte Gurtgesimse und Pfeiler-Deckplatten.
Tafel 319.
1, 2. * Angers, Kreuzgang bei St. Aubin (D). — 3, 4. * Angers,
Ste. Trinis (D). — 5, 7. Fontevrault (CM). — 6, 8. Toulouse, Museum
(CM). — 9, 10. Ellwangen (Schwarz). — 11. Manzenberg (GH). —
12. * Angers, Ste. Trinite (D). — 13. *Moissac, Kreuzgang (D). —
14. * Paris, Notre-Dame (Ph).
Mauerverband und Inkrustation.
Tafel 320.
1. a) * Bologna, S. Stefano (D), saec. 9 — 10; b) Tours, Apsis von
S. Martin (D), A. sacc. 11. — 2. *S. Jouin-les-Märnes , Teil der Fas-
sade (Ph), i.Hälfte saec. 12. — 3. *Köln, S. Pantaleon, Querschiflf
(Höffken), gegen a. 1000. — 4. Le Puy, Kreuzgang (V1D), saec. 12.
— 5, 6, 7. Giebelvertäfelung normannischer Kirchen (RR), saec. 12. —
8. Clermont, Notre-Dame, Querschiff-Giebel (G), etwa A. saec. 12.
Tafel 321.
1. Palermo, Dom (Ecole des B.-Arts), 2. Hälfte saec. 12. — 2. Rom,
Fries im Kreuzgang des Lateran (Rohault de Fleury), A. saec. 13. —
3. Venedig, S. Marco, Vorhalle (Hessemer), saec. 13 (?). — 4. * Florenz,
Aufriss einer Seite des Baptisteriums (Ph), A. saec. 12. — 5. *& Afiniato,
Niello vom Fussboden (Ph), a. 1207. — 6. Salerno, Dom, von den
Altarschranken (Zahn). — 7. Monreale (Zahn). — 8. Florenz, Baptiste-
rium (Hessemer).
ZWEITER TEIL. ORDNUNG NACH LANDSCHAFTEN.
Italien.
Tafel 322. a) Lombardei und Emilia.
1, 2. *Piacenza, Krypta von S. Savino (D), A. saec. 10. — 3. *Mo-
denn, Domkrypta (D); 1099 — 1106; oder von einem älteren Bau: —
4 — 11. Mailand, S. Ambrogio (Dt), mutmasslich 2. Hälfte saec. 11.
(Fig. 6 und 10 von der unteren Pfeilerstellung des Mittelschiffs, 7 und
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7 16
Zweites Buch : Der romanische Stil.
1 1 von der Empore, 4 aus dem Seitenschiff, 8 und q aus dem Xarthex,
5 aus dem Atrium). — 12* Bonate, Sta. Giulia (Dt), saec ll
Tafel 323-
i_. Mailand, S. Celso (Dt), saec. ll — 2, Mailand, S. Ambrogio,
untere Pfeilerstellung im Mittelschiff (Dt). — 3. Conto, S. Abondio,
Fenster der Apsis (Dt), saec. i_2_ — 4, 5. Pavia, S. Pietro in ciel
d'oro (Dt), A. saec. i_2- — 6, Pavia, S. Michele ( Dt), gegen noo.
Tafel 324.
i. Modtna, Dom, die grossen Säulen im Schiff (Ch), etwa M.
saec. i_2i — 3. * Ebenda, Krypta (B), A. saec. ll — 4. * Ebenda, Thür-
pfosten für Cluny (B), um 1200. — 5. * Parma, Domkrypta (B), E.
saec. — 6 — 8. *Piacenza, Domkrypta (D), etwa E. saec. —
q. *Genua, Kreuzgang beim Dom (B), A. saec. 13.
_ r , l>) Venetien, Marken, Umbrien.
Tafel 325. ;
L. *Ancona, S. Ciriaco, Krypta (D), saec. o r — i. *Sj>oleto, Dom,
Thürpfostenfüllung (D), A. saec. — 3. *Spoleto, Museum (Ph). —
4. * Verona, Oratorium von S. Zeno (B), saec. i_l? — ^ * Verona, Fries
am Dom (B). — 6^2. * Verona, Hauptschiff von S. Zeno (Ph), 2* V.
saec. ll
_ , . m c Toskana.
Tafel 326.
1 — 4. Pisa, Dom, Details (Rt). — 5. Lutea, Dom, Pfeilerdeko-
ration in der Vorhalle (GH), A. saec. rj. — <L *Lucca, S. Michele
(B), saec. ll
Tafel 222, d'' Unteritalien.
L Altamur a (Sch), 2_ V. saec. 13. — 2* Bari, von der Kuppel
der Kathedrale (Sch), saec. 12I — 3. Molfetta (Sch). saec. 12 — 13.
4. '"SaJerno , Kathedrale, Thürpfosten (D), a. 1099. — 5. *Paveüo,
Giovanni, Thürpfosten (D), saec. Li! — 6. * Ebenda, Säule vom
Ambo (D), saec. 12I — 8, Ebenda, von der ehernen Thür der Kathedrale
(Sh), a. 11 74. — 9. Ebenda, vom Ambo der Kathedrale (Sh), a. 1272.
— 10. Galalina (Sh), saec. 12—13. — ll, Altamura (Sh), saec. 13.
Tafel 328, Spanien.
1 — 8. Von Bauten des saec. ll
Tafel 32Q.
1 — iL Von Bauten des saec. L2— 13.
Tafel 33Q.
1 — Cl Von Bauten des saec. i_2 — 1 3.
Monumentos
arquitectonicos de
Espafia.
Sechzehntes Kapitel : Einzelglieder und Dekoration. 7 1 7
Frankreich.
Tafel 331 a) Tou,0U5aniscne Schule.
1, 2. *Toulouse, Museum, Pfeilerdeckplatten (D), 1. Hälfte saec. 12.
— 3, 4. *Moissac, S. Pierre, Kapitelle der Vorhalle (*B u. V1D),
1. Hälfte saec. 12. — 5—8. *Ebenda, Kreuzgang (B u. D), a. 1100 bis
1108. — Stilistisch gehört hierher auch Taf. 338. 3. 4.
Tafel 332. I'oitevinische Schule.
1. * Saint-Savin , Chor (B), 1. Hälfte saec. n. — 2. *Poiticrs,
Notre-Dame, Chor (B), A. saec. 12. — 3. *Civray, Apsis (D), 2. V.
saec. 12. — 4. Ftnioux, Portal (Bdt), 1. Hälfte saec. 12. — 5. 5. Amand,
Nischendekoration von der Fassade (Bdt), 1. Hälfte saec. 12. —
6. Saintes , Krypta von S. Eutrope (Bdt), saec. 12. — 7. *Chauvigny,
S. Pierre, Console (D), saec. 12. — 8. *Nouailli, nach Abguss im
Museum von Poitiers (D), saec. 12.
Tafel 333.
1 — 3. * Poitiers, Moustiers neuf, Arkatur im Chorumgang (D), etwa
A. saec. 12. — 4. *Civray, Detail von der Fassadendekoration (D),
i.Hälfte saec. 12. — 5. *Aulnay, Portalarchivolte (Sh). — 6. *Saintes,
desgleichen (Ph). — 7. *Parthenay, Nischenumrahmung von der Fas-
sade (D), 1. Hälfte saec. 12. — 8. *Souillac, Wandpfeiler im Innern
(D), saec. 12. — 9, 10. * Poitiers, Details von der Fassade (D), saec. 12.
Tafel 334 c- •^nßev'n'ficne Schule.
1, 2. * Angers, Kreuzgang von S. Aubin, jetzt Präfektur, Ecksäulen
der Pfeiler (D). — 3. * Desgleichen (B), 1. Hälfte saec. 12. — 4. *Le
Alans, Notre-Dame de la Coüture (B), 1. Hälfte saec. 11. — 5. Le
Mans, Kathedrale, von den Säulen des Mittelschiffs (Bdt), M. saec. 12.
— 6. * Saint- Aignan, Wandsäule (Ph), M. saec. 12.
Tafel 335 d) Auvergnatische Schule.
1. *JVevers, Museum (D). — 2. *Clermont, Museum (D). — 3, 5. *Is-
soire (B), i.Hälfte saec. 12. — 4. *Souvigny (B), M. saec. 12, stilistisch
von Burgund beeinflusst. — 6. *Brioude, nach Abguss im Museum zu
Le Puy (D), 2. Hälfte saec. 12.
Tafel 336 e) P1"0^"0^^06 Schule.
1, 2. Montmajour, Oratorium des S. Trophime (Rl), etwa um
a. 1000. — 3, 4. S. Guilhem-en-disert (Rl), 1. Hälfte bis M. saec. 11. —
5. Saint-Gilles, von der Fassade (Rl), um M. saec. 12. — 7. Bitiers,
Ste. Madelaine (Rl), A. saec. 12. — 6, 8. Saint-Gabriel bei Tarascon
(Rl), etwa M. saec. 12.
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7i8
Zweites Buch: Der romanische Stil.
Tafel 337.
1. *Sain/-Gilles, Chor (B), gegen M. saec. 12. — 2. * Arles, Mu-
seum (B). — 3. Saint- Paul-trois-Chäteaux , Gliederung der Obermauer
des Mittelschiffs (Rl), 1. Hälfte saec. 12. — 4. Ebenda, Archivolte des
Portals (Rl), saec. 12. — 6. Nimes, Kathedrale, Fries an der Fassade
(Rl), saec. 12. — 7. Aix, Kreuzgang (Rl), saec. 12.
Tafel 338.
1. Vaison, Kreuzgang (Rl), etwa 2. Hälfte saec. 12. — 3, 4. Rieux-
Mtrinville, Fenster und Füllung (Rl), gehört stilistisch zu Taf. 331. —
7. Arles, S. Trophime, Untersicht der Oberschwelle des Portals (Rl),
nach M. saec. 12. — 8. Aix, Pfeiler aus dem Kreuzgange (Rl), saec. 12.
Tafel 339.
1. *Avignon, Museum (B). — 2. * Arles, Kreuzgang von S. Tro-
phime (B), saec. 12.-3. *Cavaillon, Apsis der Kathedrale (B), etwa
M. saec. 12. — 4. *Le Puy, Kreuzgang (D), 2. Hälfte saec. 12. —
5. *Le Puy, Wandsäulen im Schiff (Ph), 1. Hälfte saec. 12. — 6. * Arles,
Museum (Bdt).
Tafel 340. f) Burgundische Schule.
1. *Le Puy, Halbsäule im Vierungsraum (D). — 2. * Ebenda, Kreuz-
gang (D). — 3. * Ebenda, Querschiff (D) ; Entstehungszeit, wie bei r
und 2, um oder bald nach a. 1000. — 4. Dijon, Krypta von S. Bdnigne
(V1D), a. 100 1. — 5. *Tournus, Vierung (B), 1. Hälfte saec. 11. —
6, 7. *Anzy-le-Duc (D), 1. Hälfte saec. 11.
Tafel 341.
1. *Autun, Schiff (B), 1. Hälfte saec. 12. — 2. *Beaune, Schiff
(B), 1. Hälfte saec. 12. — 3. *Vezelay, Vorhalle (Ph), bald nach 1130.
— 4. *Saint-Mlnoux (D), etwa M. saec. 12. — 5. *Souvigny (D), etwa
M. saec. 12.
Tafel 342.
1. * Langres, von der Thür der Sakristei (D). — 2. * Ebenda, von
den grossen Säulen des Chorumgangs (D). — 3, 4. *£benda, Triforium
(D u. V1D); Entstehungszeit, wie bei 1 und 2, etwa 3. V. saec. 12. —
5. *Autun, aus der Vorhalle (D), a. 1 187.
Tafel 343. ß) F'anzösisch-champagnische Schule.
1 — 3. Vignory , aus der Empore (Archives), M. saec. 11. —
4—10. Paris, Stc. Ge*n£vieve, Deckplatten und Kapitelle (L), E. saec. 1 1.
Tafel 344.
1—3. Saint-Benoit-sur-L., Vorhalle (G), um 1000. — 4, 5. Paris,
Chorumgang von S. Germain des Pres (L), vor 1103. — 6, 7. * Parts,
Chor der Notre-Dame (L), um 11 70.
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I
Sechzehntes Kapitel: Einzelglieder und Dekoration. 7^9
Tafel 345.
1, 2. Chälons-sur- Marne, Notre-Dame, Vorhalle (A), um 11 60. —
3. Ebenda, Schlussstein im Chorumgang (A), um 11 70. — 4. Ebenda,
Einfassung vom Radfenster des QucrschifTs (A), um 1170. — $.*Saint-
Denis, Portal (Ph), M. saec. 12. — 6. * Ebenda, Krypta (D), 1 140— 1 144.
— 7. * Paris, S. Martin des Champs (Ph), vor M. saec. 12.
Tafel 346.
1, 2. *Senlis, Chor der Kathedrale (B u. V1D), a. 1 155 — 1160. —
3. * Paris, Chor von Notre-Dame (A), um 1170. — 4. Chartres, vom
alten Turm der Kathedrale (A), M. saec. 12. — 5, 6. * Paris, S.Julien
le Pauvre (D u. A), um 1170. — 7. * Saint- Germer, Schiff (B), um
1 130— 1 140. — 8. Paris, Empore des Chors von Notre-Dame (Kl),
um 11 70.
Tafel 347 ^ ^"rmann'scne Schule.
1. Bayeux, Kathedrale, Dekoration der grossen Arkaden im Schiff
(RR). — 2. Gassicourt (RR). — 3, 7. Caen, Ste. Trinitö (Pugin). —
4. .5». Gabriel, Gurtgesims (RR). — 5. Than, Dekoration der Über-
mauer (RR). — 6. Bayeux, Turm (Pugin).
Deutschland.
Tafel 348. *) Sachsen.
1. Quedlinburg, Wipertikrypta, Pfeilerchcn im Altarraum (NS),
1. Hälfte saec. 10. — 2. ^Ebenda, Krypta der Schlosskirche (D), E.
saec. 10? — 3, 4. Gandersheim (NS), A. saec. 12? — 5. * Gernrode,
Empore (D). — 6. * Ebenda, Schiff (Bj, 2. Hälfte saec. 10. — 7. * Hildes-
heim, S. Michael (NS), nach a. 1000. — 8. * Hildesheim, Dom, Frag-
ment in der Krypta (B), wohl vom Bau Hezilos 1055— 1061. —
9, 10. Quedlinburg, Schlosskirche (NS), E. saec. 11.
Tafel 349.
1, 7. Wunstorf (NS), um M. saec. 12. — 2, 3. Drübeck (NS), 2. Hälfte
saec. ii. — 4—6. Hildesheim, S. Michael, Schiff (Gl), um 1164. —
8. * Magdeburg, Liebfrauenkirche (D), saec. 12. — 9, 10. Gandersheim,
aus der Stephani- und Marienkapelle (NS), saec. 12.
Tafel 350.
1. Riehenberg, Krypta (NS), 2. Hälfte saec. 12. — 1,2. Hamers-
leben, Schiff (NS), um M. saec. 12. — 4. Wunstorf. Thürlünette (NS),
M. saec. 12. — 5, 6. Ilsenburg (NS), saec. 12. — 7. Königslutter, Halle
beim Kreuzgang (NSRsc), A. saec. 13.
Tafel 351.
1. Helmstädt , Marienberger Kirche (NS, Rsc), A. saec. 13. —
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Zweites Buch : Der romanische Stil.
2, 3. * Königslutter, IJalle beim Kreuzgang (B), A. saec. 13. — 4. * Halber-
stadt, Liebfrauen, Stuckfries von den Chorschranken (B), A. saec. 13.
Tafel 352.
1. Merseburg, Tympanum, jetzt auf einem Kirchhof ( HeidelorT i,
etwa M. saec. 13. — 2. Legden (NS), 2. Hälfte saec. 13. — 4—7 *Magde-
burg, Details vom Domchor (Ph), 2. V. saec. 13.
Tafel 353. b) Xiederrhein-
1. Köln, S. Pantaleon, Kreuzgang (Bss), um a. 1200. — 2-5. *Bonn,
Kreuzgang (H), M. saec. 12. — 6— n. * Sckwartrhcindorf (H), nach M.
saec. 12. — 13. * Klosterrath, Schiff (B), M. saec. 12.
Tafel 354.
1 —3. Knechtsteden (Z. f. Bauwesen), um a. 1200. — 4. Köln, S. Panta-
leon (Bss), um 1200. — 5. Köln, Kreuzgang von S. Gereon, jetzt ab-
gebrochen (Bss). — 6 *Köln, Kreuzgang von S. Maria im Kapitol
(Frantzen). — 7 , 8. *Köln, Gross-S.-Martin (H), A. saec. 13. —
9— 11. *Köln, Vorhalle von S. Andreas (H), A. saec. 13.
Tafel- 355 C' M'tte^r^ein und Main.
1. Bonn, Münster (GH). — 2 — 5. Gelnhausen, Kaiserpalast (Gl),
E. saec. 12. — 6. Wurzburg, Fundstück (GH). — 7. Aschaffenburg,
vom Portal (GH), 1. Hälfte saec. 13.
Tafel 356. d) Schwaben.
1. * Konstanz, Domkrypta (B), 1015: — 2. Schwäbisch- Hall, Thur-
lünette (GH), saec. 12. — 3. Hirsau, S. Aurclius (Lorent), 1054—1070.
— 4. Murrhardt (P). — 5. Comburg (P), saec. 12 — 13. — 6- Faurndau,
(Thrän), 2. V. saec. 13. — 7. Denkendorf (Lorent), saec. 12. — 8. Maul-
bronn, Refektorium (P), saec. 13. — 9. Alpirsbach (Stillfried), A. saec. 12.
Tafel 357- e) Baicrn'
1—3. * Regensburg, Chorschranken der Schottenkirche (Dehio, HorT-
ken), etwa E. saec. 12. — 4. * Ebenda, Thür von S. Stephan (D),
saec. 12. — 7, 8. Ebenda, Dom und Kreuzgang von S. Emmeram
(Sieghart), letztes V. saec. 13. — 6. * Reichenhall , Portal von S. Zeno
(B), saec. 13. — 9, 10. * Altenstadt (Volk), 2. Hälfte saec. 12.
Tafel 358. 0 0esterreich-
1—9.- Nach den Publikationen der Central Commission.
Ende des ersten Kandes.
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