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Full text of "Die kirchliche baukunst des abendlandes;"

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Die  kirchliche  Baukunst  des 
Abendlandes:  Bd.  Der ... 


Georg  Dehio 


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This  volume  is  too  fragile  for  any  future  repair. 
Please  handle  with  great  care. 


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ERSTER  BAND 


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DIE 


KIRCHLICHE  BAUKUNST 

T4  i*  \ 


DES 


ABENDLANDES 


HISTORISCH  UND  SYSTEMATISCH  DARGESTELLT 

■ 

VON 

G.  DEHIO    und   G.  von  BEZOLD. 


ERSTER  BAND 


HIERZU  EIN  BILD  ER  ATLAS  VON  j6o  TAFELN 
IN  FÜNF  MAPPEN  ODER  DREI  BANDEN. 


STUTTGART  1892 
VERLAG  DER  J.  G.  COTTA'SCHEN  BUCHHANDLUNG 


NACH  FOIX;  KR. 


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Druck  der  Union  Deutsche  Vcrlatfsgescllschaft  in  Stuttgart. 


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Anstatt  des  Vorwortes. 


Da  ein  solches  für  den  Autor  naturgemäss  erst  Nachwort  sein 
kann,  wünschen  wir  wenigstens  über  einige  Punkte  in  Plan  und  Aus- 
fuhrung unseres  Werkes  dem  Leser  schon  jetzt  Auskunft  zu  geben. 

Es  ist  in  erster  Linie  von  wissenschaftlichem  Interesse  eingegeben. 
Doch  hoffen  wir  nicht  minder,  dass  es  gleichzeitig  auf  praktischem  Ge- 
biete als  fördernd  sich  erweisen  möge.  Angesichts  der  Stellung,  welche 
die  Baukunst  in  unserem  Jahrhundert  einnimmt,  ist  für  den  schaffenden 
Architekten  umfassende  historische  Bildung  eine  unerlässliche  Vor- 
bedingung, von  der  auch  die  grösste  persönliche  Begabung  nicht  dis- 
pensiert. Es  fehlt  ja  auch  keineswegs  an  der  Einsicht  in  diese  Notwendig- 
keit, wohl  aber  noch  immer  an  ausreichenden  Mitteln,  ihr  gerecht  zu 
werden.  Wohl  sind  Reisen  der  heutigen  Generation  erheblich  leichter 
gemacht,  aber  jedermann  weiss,  wieviel  selbst  dem  geübten  Beobachter 
bei  einmaliger  Betrachtung  entgeht,  wiewenig  selbst  in  einem  guten  Ge- 
dächtnis auf  die  Dauer  Raum  findet.  Nur  ganz  grosse  Bibliotheken  ge- 
statten wirklich  gründliche  und  immer  mühsame  und  zeitraubende  archi- 

^  tekturgeschichtliche  Studien.  Wieviel  solcher  Bibliotheken  giebt  es 
aber?  wieviel  Architekten  leben  in  ihrer  Nähe?  und  wie  vielen  von  den 
letzteren  gestatten  ihre  Tagesgeschäfte  häufigere  Benutzung?  In  der 
gleichen  misslichen  Lage  befinden  sich  alle  die  in  der  Provinz  zer- 
streuten Geistlichen,  Lehrer,  Beamten,  Kunst-  und  Geschichtsfreunde 

i.  jeglichen  Standes,  welche  durch  Amt  oder  persönliches  Interesse  be- 
rufen sind,  die  Baudenkmäler  ihres  Heimatkreises  zu  studieren,  für  ihre 

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IV 


Anstatt  des  Vorwortes. 


Erhaltung  zu  sorgen,  durch  Lokalforschungen  an  der  grossen  all- 
gemeinen Arbeit  der  Architekturgeschichte  teilzunehmen.  Eis  fehlt  hier 
durchweg  an  lebendiger  Anschauung  der  entfernteren  Denkmälerkreise, 
an  der  Möglichkeit  gründlicher  und  methodischer  Vergleichung.  End- 
lich denken  wir  an  die  immer  dringender  werdenden  Desiderate  des 
Unterrichtes  an  Fachschulen,  Akademien,  Universitäten.  Kein  Zweifel, 
es  besteht  offenbar  weit  über  die  Architektenkreise  hinaus  das  Bedürfnis 
nach  einem  neuen  architekturgeschichtlichen  Handbuch ;  aber  nicht  nach 
einem  in  der  Art  der  vorhandenen,  zum  Teil  vortrefflichen,  wie  die 
von  Kugler,  Lübke,  Ottc  u.  s.  w. ,  sondern  nach  einem  Werke,  das 
unmittelbar  an  die  Monumente  selbst  heranführt,  das  seinen  Schwer- 
punkt in  die  bildliche  Darstellung  legt,  durch  Reichhaltigkeit,  Kor- 
rektheit, planvolle  Anordnung  erheblich  mehr  zu  bieten  vermag,  als 
jene  oben  genannten. 

Wenn  wir  mit  einem  solchen  Versuche  hervorzutreten  wagen,  so 
bedarf  es  keiner  besonderen  Rechtfertigung,  dass  wir  uns  auf  einen 
Ausschnitt  aus  der  allgemeinen  Architekturgeschichte  eingeschränkt  und 
dass  wir  gerade  den  christlichen  Kirchenbau  des  Abendlandes  dafür 
ausgewählt  haben. 

Wir  werden  denselben  von  seinen  Anfängen  bis  zum  Erlöschen 
der  originalen  Produktionskraft  in  den  Ausläufern  der  Renaissance  zur 
Darstellung  bringen. 

Die  Einheitlichkeit  des  Stoffes  fordert  zu  möglichster  Einheitlich- 
keit der  Behandlung  auf.  Das  Gemeinschaftliche,  Dauernde,  Typische 
soll  vor  und  über  dem  Wandel  der  historischen  Stile  und  nationalen 
Besonderheiten  klar  hervortreten ;  aber  auch  ohne  Vernachlässigung  der 
letzteren.  Wir  wählten  deshalb  eine  streng  systematische  Vortrags- 
weise. Das  vorliegende  erste  Buch  —  die  christlich-antike  Baukunst  — 
lässt  das  Schema  der  Behandlung  genügend  erkennen ;  es  wird  mutatis 
mutandis  in  den  andern  stilistischen  Hauptgruppen  —  dem  Romanischen, 
dem  Gotischen,  der  Renaissance  —  sich  wiederholen. 

In  betreff  der  äusseren  Einrichtung  des  Werkes  haben  wir  uns 
bemüht,  es  dem  Zwecke  bequemer  Handbarkeit  thunlichst  anzupassen. 
Insbesondere  hoffen  wir,  dass  die  Trennung  der  Bildtafeln  und  des  Textes 
in  gesonderte  Bände,  ein  jeder  der  technisch  zulässigen  Minimalgrenze 
des  Formates  möglichst  nahe  kommend,  sich  als  zweckmässig  und  be- 
quem erweisen  werde.  Doch  ist  für  diese  Trennung  der  praktische  Beweg- 
grund nicht  der  einzige  und  nicht  der  wichtigste.   Sie  entspricht  unserer 


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Anstatt  des  Vorwortes. 


V 


oben  motivierten  Absicht,  dass  die  bildlichen  Darstellungen  nicht 
bloss  gelegentliche  Illustration  des  Textes,  sondern  der  eigentliche 
Körper  des  Werkes  sein  mögen.  Das  meiste,  worauf  es  ankommt, 
soll  der  Benutzer  direkt  aus  dem  Bilderatlas  ablesen  können.  Dem 
Texte  fällt  die  Aufgabe  zu,  die  weitere  Ausführung,  Verbindung 
und  Ergänzung  zu  geben.  Und  zwar  in  knapper,  übersichtlicher 
Fassung,  weshalb  wir  von  beschreibenden  und  geschichtlichen  Daten 
immer  nur  das  Nötigste  mitteilen.  In  strittigen  Fragen  bleibt  uns 
meist  nur  für  kurze  apodiktische  Urteile  Raum,  nur  in  wichtigeren 
Fällen  sind  kleine  untersuchende  Exkurse  eingeschoben.  Auch  die 
Litteratur-  und  Quellenangaben  können  nur  eine  Auswahl  des  Wichtig- 
sten geben,  wenn  nicht  der  Textband  zu  unerwünschtem  Umfang  an- 
schwellen soll. 

Weiter  ist  die  Trennung  in  Atlas  und  Text  auch  darin  nützlich, 
dass  der  objektive  Thatbestand  von  dem  unvermeidlich  mehr  oder 
minder  subjektiv  gefärbten  und  dem  Irrtum  unterworfenen  Raisonnement 
klar  geschieden  bleibt. 

In  Rücksicht  auf  den  systematisch-didaktischen  Zweck  sind  bei 
unserer  Wiedergabe  der  Monumente  häufig  die  Zusätze  späterer  Bau- 
epochen weggelassen,  Zerstörungen  ergänzt;  wobei  jedoch  in  allen 
irgend  erheblichen  Fällen  das  Verhältnis  der  Restauration  zum  aktuellen 
Zustand  genau  angegeben  ist ;  rein  hypothetische  Restaurationen  bringen 
wir  nur  selten  und  immer  unter  spezieller  Rechtfertigung. 

Ein  Hauptmoment  unseres  Programmes  ist  die  durch  das  ganze 
Werk  durchgeführte  Einheitlichkeit  des  Massstabes  (für  Grundrisse 
i  V*  nim  =  i  m ,  für  Schnitte  5  mm  =  1  m).  Weder  der  eminente 
Wert  dieses  Grundsatzes,  noch  die  aus  ihm  erwachsenden  Schwierig- 
keiten, namentlich  für  die  Anordnung  der  Tafeln,  bedürfen  besonderer 
Hervorhebung.  Wir  werden  davon  nur  in  seltenen  Fällen,  aus  zwingen- 
den technischen  Gründen,  Abweichungen  uns  erlauben,  und  zwar 
niemals  bei  Grundrissen,  nur  bei  Schnitten,  wie  z.  B.  auf  Tafel  18, 
52,  69.  Hiergegen  auch  für  das  Detail  an  einen  konstanten  Massstab 
sich  zu  binden  wäre  unausführbar  und  verhältnismässig  von  geringem 
Nutzen. 

Die  Veröffentlichung  des  Werkes  lieferungsweise  vorzunehmen, 
empfahl  sich  aus  vielen  Gründen ;  doch  scheint  uns  richtig,  die  einzelne 
Lieferung  nicht  zu  klein  sein  zu  lassen,  so  dass  ihrer  im  ganzen  nur 
vier  oder  fünf  werden  sollten.    Die  nächste,  welche  eine  Reise  durch 


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VI 


Anstatt  des  Vorwortes. 


Süd-,  Mittel-  und  Westfrankreich  und  längere  Bibliothekstudien  in  Paris 
zur  Voraussetzung  hat,  wird  in  etwa  zwei  Jahren  erfolgen,  die  weiteren 
in  kürzeren  Fristen.  Wir  veranschlagen  den  schliesslichen  Umfang  des 
Textes  auf  40 — 45  Bogen,  des  Atlas  auf  400 — 420  Tafeln.  Dieser 
Ansatz  ist  das  Resultat  zweier  sich  entgegenwirkender  Erwägungen: 
einerseits  soll  ja  das  Werk  handlich  bleiben  und  den  durch  seine  Ten- 
denz geforderten  mässigen  Ladenpreis  nicht  übersteigen,  anderseits  soll 
es  durch  Stoffreichtum  einen  durchgreifenden  Fortschritt  über  die  bis- 
her zur  Verfügung  stehenden  Handbücher  verwirklichen.  Wenn  wir 
vielleicht  dem  einen  zu  viel,  dem  andern  zu  wenig  zu  geben  scheinen 
werden,  so  bitten  wir  diesen  Kompromisscharakter  und  seine  Beding- 
ungen im  Auge  zu  behalten. 

Nach  dem  skizzierten  Plane  nun  wollen  wir  das  gesamte  bisher 
veröffentlichte,  über  eine  Unzahl  von  Sammelwerken,  Monographien  und 
Zeitschriften,  wie  man  weiss,  zerstreute  Material  durchsehen,  kritisch 
prüfen  und  sichten,  endlich  in  einer  streng  systematisch  geordneten 
Auswahl  reproduzieren.  Hierbei  gilt  uns  für  selbstverständlich,  dass 
es  mit  den  bibliothekarischen  Studien  nicht  genug  ist.  Die  einsichts- 
volle Liberalität  der  Verlagshandlung  hat  uns  instandgesetzt,  um- 
fassende Studienreisen  zu  unternehmen  und  so  die  Selbständigkeit 
unseres  Urteils  zu  sichern,  die  vorhandenen  Publikationen  zu  kontro- 
lieren  und  zu  berichtigen. 

Neben  dieser  kritisch-kompilatorischen  Thätigkeit,  die  allein  für 
sich  ein  starkes  Arbeitspensum  ist,  können  wir  erst  an  zweiter  Stelle 
als  unsere  Aufgabe  betrachten,  durch  Aufnahme  bisher  unedierter  Stücke 
und  durch  selbständige  historische  Forschungen  stofflich  Neues  bei- 
zubringen. Dass  wir  gleichwohl  nach  beiden  Seiten  nicht  müssig  gewesen 
sind,  zeigt  schon  diese  erste  Lieferung.  Was  wir  an  eigenen  Aufnahmen 
mitteilen,  ist  freilich  ungleichwertig  hinsichtlich  seiner  Exaktheit.  Können 
Reiseaufnahmen  naturgemäss  nur  selten  eine  volle  Genauigkeit  der 
Messung  erreichen,  so  liegt  die  Sache  noch  misslicher,  wenn  der  Reisende 
innerhalb  einer  knapp  bemessenen  Frist  einen  bestimmten  Kreis  von 
Monumenten  besuchen  muss,  wie  dies  unsere  Aufgabe  erheischte,  bei 
der  es  mehr  darauf  ankam,  das  einer  Gruppe  Gemeinsame,  als  die  Be- 
sonderheiten einzelner  Monumente  zu  erkennen.  In  nicht  wenigen  Fällen 
konnten  neben  dem  Grundrisse  auch  die  Höhen  im  ganzen  und  ein- 
zelnen gemessen  werden,  in  anderen  war  dies  nur  teilweise  möglich, 
in  einzelnen  mussten  wir  uns  mit  Schätzungen  begnügen.  Systeme 


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Anstatt  des  Vorwortes. 


VII 


und  Schnitte  sind  indes  fast  ausnahmslos  an  Ort  und  Stelle  nach  Mass- 
stab aufgetragen  und  dürften  durch  dieses  Verfahren  grobe  Irrtümer 
ausgeschlossen  sein. 

Mit  Freude  und  Dank  konstatieren  wir,  dass  der  bei  früherer  Ge- 
legenheit persönlich  oder  öffentlich  (s.  Deutsche  Bauzeitung  1882  Nr.  88) 
an  die  freiwillige  Mitarbeit  der  Fachgenossen  gerichtete  Appell 
uns  bereits  höchst  schätzenswerte  Beiträge  eingebracht  hat.  Um  so 
eher  dürfen  wir  es  wagen,  ihn  hier  zu  wiederholen.  Wir  werden  für 
Mitteilungen  jeglicher  Art  dankbar  sein  und  sind  uns  bewusst,  unsere 
Bitte  kühnlich  im  Namen  des  allgemeinen  Interesses  aussprechen  zu 
dürfen.  Wohl  ein  jeder  Architekt  kommt  von  Zeit  zu  Zeit  in  die  Lage, 
sei  es  in  seinem  Heimatkreise,  sei  es  auf  Reisen,  die  Denkmäler  nach 
dieser  oder  jener  Richtung  gründlicher,  als  bisher  geschehen,  zu  be- 
obachten eder  aufzunehmen.  Vieles  dieser  Art  liegt  fertig  aber  unver- 
wertet  in  Notizbüchern  und  Mappen  da,  vieles  könnte  ohne  zu  grosse 
Mühe  neu  beschafft  werden.  Es  bedarf  nur  eines  Mittelpunktes  zur 
Sammlung  und  passenden  Einordnung  dieser  —  vereinzelt  wertlosen  — 
Bruchstücke.  Möchte  es  unserem  Werke  glücken,  zu  einem  solchen 
Anziehungs-  und  Sammelpunkte  sich  zu  entwickeln! 

Als  vorteilhaft  für  unsere  Arbeit  von  vornherein  erachten  wir, 
dass  sie  auf  die  kombinierte  Thätigkeit  zweier,  eines  Historikers  und 
eines  Architekten,  aufgebaut  ist.  Alle  grösseren  Studienreisen  haben  wir 
gemeinschaftlich  ausgeführt  —  wie  denn  auf  einer  solchen  die  erste 
Idee  des  Unternehmers  zu  Tage  trat  —  und  werden  es  auch  künftig 
so  halten.  Es  hat  sich  uns  dabei  fortwährend  die  Erfahrung  bestätigt, 
wie  fruchtbar  die  Diskussion  vor  den  Monumenten  selbst  ist  und  wie- 
viel mehr  zwei  verbundene  als  zwei  vereinzelte  Beobachter  zu  sehen 
vermögen.  Ebenso  haben  wir  auch  während  der  nachfolgenden  Aus- 
arbeitung uns  in  fortlaufendem  Meinungsaustausch  erhalten.  In  der 
vorstehenden  Lieferung  ist  von  G.  v.  B.  Buch  I.,  Kap.  2,  der  letzte 
Abschnitt  in  Kap.  4  und  mehreres  in  Buch  IL,  Kap.  I.,  Abschnitt  2 
ausgeführt,  von  G.  D.  das  übrige.  Indes  hat  jeder  der  beiden  Heraus- 
geber die  Arbeit  seines  Kollegen  revidiert  und  ergänzt,  so  dass  die 
Arbeit  im  ganzen  eine  gemeinschaftliche  ist,  für  welche  wir  solidarisch 
einstehen. 

Der  Raumersparnis  halber  ist  die  Provenienz  der  Zeichnungen 
bloss  durch  kurze  Schlagwörter  angegeben,  ein  ausführliches  Quellen- 
verzeichnis in  alphabetischer  Ordnung  wird  zum  Beschluss  des  Ganzen 


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VIII  Anstatt  des  Vorwortes. 

folgen.  Das  gewissen  Nummern  beigefügte  Sternchen  bedeutet  Original- 
aufnahmen, von  uns  selbst  gefertigte  oder  von  befreundeter  Seite  uns 
zur  Verfügung  gestellte,  und  Bearbeitung  von  Photographien. 

Zu  bemerken  ist  noch,  dass  wir  von  den  Kapiteln  2  und  3  des 
zweiten  Buches  zwar  die  Zeichnungen  mitgeteilt,  aber  den  Text  für 
die  nächste  Lieferung  zurückgelegt  haben,  da  derselbe  besser  erst 
gleichzeitig  mit  den  folgenden  Abschnitten  seine  endgültige  Fassung 
erhalten  wird. 

KÖNIGSBERG  &  MÜNCHEN,  im  April  1884. 


Die  Herausgeber. 


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* 


Inhalt  des  ersten  Bandes. 


Krstes  Hiu  h 
DER  CHRISTLICH. AXTIKK  STIL. 

Seite 

Erstes  Kapitel.    Geschichtliche  Stellung    3 


Zweites  Kapitel.    Der  Zentralbau  .    is 

i.  Allgemeines    1  <) 

1.  Dig  pjnfnrhf  Rotunde  ,  .  ,  ,  ,  ,  ,  .  ,  ,  21 

3.  Ful^efürmeii  des  Nischenh.uie>    2(> 

4.  Kundbauten  mir  inneren  Portiken    3 i 

5-  Die  Heilige  Grabkirche  und  Verwandtes  35 

6.  Kreuzförmige  Anlagen    griechisches  Kreuz    43 

7.  S;<n  I.orcnr.j  in  Mailand    Exkurs  4«) 


Drittes  Kapitel.    Die  Basilika   62 

1.  Genesis     63 

2.  Anlage  im  allgemeinen   79 

3.  Der  «■rundj.lan   S7 

4-  Der  innere  Aufbau   100 


Viertes  Kapitel.    Aussetibau,  Dekoration  und  Konstruktion. 

1 .  Der  Aus-senbau     114 

2.  Detailfonnen  und  Dekoration   118 

3.  Konstruktion   126 


VI  Inhalt  des  ersten  Bandes. 

Zweites  Ruch. 
DER  ROMANISCHE  STIL. 
Krstes  Kapitel.  Grundlegung. 


1.  Allgemeine;.   143 

2.  Der  Zentralbau   152 

y  Die  kreuzförmige  Basilika    1^7 

4.  Doppelte  Chöre   1 67 

5.  Doppelte  Transscpte  .    *   174 

<>.  Die  Krypta   1  iv> 

7.  Der  innere  Aufbau   1S5 

Zweites  Kapitel.    Die  flachgedeckte  Basilika  in  Deutschland   201 

1.  Allgemeines   202 

2.  Der  Gruadrbü  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  _qü 

3.  Der  innere  Aufbau   212 


Drittes  Kapitel.     Die  ß achgedeckte  Basilika  in  Italien. 

1.  Allgemeines   223 

2.  Die  reine  Basilika  .  .  .  ,  .  .  ,  ,  .  :  .  ,  ,  .  ,  22h 

3.  Die  zentralisierende  Basilika   230 

4.  Der  innere  Aufbau   236 

Viertes  Kapitel.    Die  flachgedecktt  Basilika  in  Westeuropa. 

1.  Einleitung   244 

2.  Der  Grundriß  im  allgemeinen    254 

3.  Die  Choranlagen   264 

4.  Der  innere  Aufbau   273 

5.  Normandie  und  England   278 

Fünftes  Kapitel.    Der  Gewölbebau  in  seinen  Grundformen   295 

1.  Bogenform   299 

2.  Gewölbetechnik   30' 

3.  Gcwölbeformcu   3°2 

4.  Gewölbesysteme   310 

Sechstes  Kapitel.    Einschiffige  Säle  mit  Tonnengewölben   32' 


Siebentes  Kapitel.    Einschiffige  Säle  mit  Kuppeln. 

1.  Allgemeines  332 


Inhalt  des  ersten  Bande*.  VII 

2.  Die  aquitanischen  Kiijipelkirchen   334 

3.  Basiliken  mit  Klostergewölben  oder  Kuppeln  

Achtes  Kapitel.    Hallenkirchen  mit  Tonnengewölben. 

1.  F/mge.v.  hos-ige  Anlagen   35S 

2.  Anlagen  mit  Emporen   367 

Neuntes  Kapitel.    Basiliken  mit  Tonnengewölben  3S0 


Zehntes  Kapitel.     Die  krtuz^au  Ibte  Basilika   Westeuropas   105 

1.  Burgund,  Süd-  und  Westfrankrtieh,  Spanten,  Palästina  ....  40S 

2.  Normandie  und  England   415 

3.  I'icardi'-'  und  Isle  de  France.    Das  Werden  des  gotischen  Bau- 

systtms     417 

Elftes  Kapitel.    Der  Geioölbebau  in  Oberitalien  und  den  .Upenländern. 

1.  Allgemeines   435 

.;.  Im-,  System  und  dir  Denkmäler   .  4  ;o 

3.  Der  Grundriss   453 

Zwölftes  Kapitel.    Der  Gewölbebau  in  Deutsehland . 

1.  Gewölbte  Kleinarehitektur   457 

2.  Die  ersten  Gewölbebasiliken   460 

3.  Das  gebundene  System  des  12.  Jahrhundert-     460, 

4.  I  > t  l   LYl-erg.mgsvil    .     477 

5.  \\.\\\  ni.uvhrn  .                              .  .   ,  507 

Dreizehntes  Kapitel.     Die  Kirchen  ,h's  CistrrcienStrordctn  ,>'  7 


Vierzehntes  Kapitel.    Der  Zentralbau   54' 

1.  Italien   $42 

2.  Frankreich   54S 

3.  Deutschland   550 

4.  Tcmplerkirchen     554 

Fünfzehntes  Kapitel.    Der  Aussenbau. 

1.  Gruppierung  der  Baumxssen     5 58 

2.  Behandlung  der  Wand  flächen     ...    59Ö 

3.  Komposition  der  Schauseiten   00» 


VIII  Inhalt  des  ersten  Bandes. 

>f,lr 


1 . 

Allgemeines.    Polychrom!  e  

.    .  652 

2. 

....  659 

I  >«.-r  Sduft 

.    .  6t,o 

.     .         .  604 

Das  Kapitell  

....  667 

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Her  Pkil.-r  

.  6Su 

4- 

Die  Fenster  

....  694 

v 

Die  Thliren   

.    .    .    .  6q7 

Das  Register  folgt  im  zweiten  Bande. 


ERSTES  BUCH. 

DER  CHRISTLICH-ANTIKE  STIL. 


i 


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Erstes  Kapitel. 

Geschichtliche  Stellung. 


^VJott  ist  ein  Geist,  und  die  ihn  anbeten,  die  müssen  ihn  im 
Geist  und  in  der  Wahrheit  anbeten. «  »Er  wohnt  nicht  in  Tempeln,  die 
mit  Händen  gemacht  sind;  sein  wird  auch  nicht  von  Menschenhänden 
[gepflegt,  als  der  jemandes  bedürfe. c  »Wo  zwei  oder  drei  versammelt 
Jsind  in  meinem  Namen,  da  bin  ich  mitten  unter  ihnen.«  »Und  wenn 
[du  beten  willst,  so  gehe  in  dein  Kämmerlein  und  schliesse  die  Thür 
[hinter  dir  zu.«  —  Das  ist  die  Gesinnung  des  ältesten  Christentums. 

Aber  noch  sind  nicht  drei  Jahrhunderte  seit  dem  Kreuzestode  des 
[Stifters  dahingegangen,  und  das  römische  Reich,  vom  Nil  bis  an  den 
[Rhein,  vom  Euphrat  bis  an  die  Säulen  des  Herkules,  wird  erfüllt  von 
ungezählten  christlichen  Tempeln,  strahlend  in  allem  erreichbaren 
Glänze  von  Marmorsäulen,  Mosaikgemälden,  Goldschmuck,  Purpurseide ; 
Schauplätzen  umständlicher,  die  Wirkung  auf  die  Sinne  nicht  ver- 
schmähender gottesdienstlicher  Pompe;  die  weiten  Vorhöfe,  heiligen 
und  allerheiligsten  Räume  sorglich  geschieden  nach  streng  abgemessenen 
Ordnungen  der  Neophiten,  Büsser,  Gläubigen,  des  Laienstandes  und 
der  geweihten  Priesterschaft. 

Welch  ein  Kontrast  und  Umschwung! 

Diese  Religion,  die  in  bewusstestem  Gegensatz  zu  den  Religionen 
der  alten  Welt  in  ihrer  Gottesverehrung  ganz  geistig,  an  keine  sinn- 
lichen Symbole,  an  keine  auserwählten  heiligen  Oerter  gebunden  sein 


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4 


Erstes  Buch :  Der  christlich-antike  Stil. 


will;  die  nicht  Tempel  noch  Tempeldienst  kennt;  für  die  die  schönen 
Künste,  den  Völkern  der  Antike  eines  der  wichtigsten  Ausdrucksmittel 
ihres  Verhältnisses  zur  Gottheit,  so  viel  wie  nicht  vorhanden  sind;  in 
deren  ältesten  Urkunden  entfernt  keine,  und  wären  es  auch  nur  mittel- 
barste, Andeutungen  zu  einer  künftigen  Sakralarchitektur  zu  finden  sind, 

—  wie  ist  sie  dennoch  in  Besitz  einer  solchen  gelangt?  Wie  ist  über- 
haupt nur  eine  im  vollen  Verstände  christliche  Architektur  — 
als  welche  die  von  den  Christen  geübte  in  Anspruch  genommen  wird 

—  möglich?  und  was  kann,  was  soll  man  sich  bei  diesem  Worte 
denken  ? 

Das  Christentum  begann  seinen  geschichtlichen  Lauf  inmitten  einer 
uralten  festgegründeten  Kulturgemeinschaft.  Seinen  neuen  Wein  hatte 
es  in  alte  Schläuche  zu  füllen.  Es  bot  der  Welt  einen  neuen  Gottes- 
begriff und  eine  neue  Sittenlehre,  ein  allseitiges  System  menschlicher 
Bildung  brachte  es  von  sich  aus  nicht  mit.  Und  wie  hätten  die  An- 
gehörigen der  hellenistisch-römischen  Kultur,  indem  sie  sich  nach  und 
nach  der  christlichen  Heilslehre  zuwandten,  ihrer  ererbten,  schon  längst 
ausgereiften  und  abgeschlossenen  Bildung  sich  entäussern  können  ohne 
Selbstvernichtung?  Es  gehört  mit  zu  der  weltgeschichtlichen  Mission 
des  Christentums,  dass  es  wichtige  Bestandteile  der  antiken  Kultur, 
selbst  unter  mancherlei  Einbusse  der  Reinheit  seiner  eigenen  ursprüng- 
lichen Idee,  sich  aneignen,  weitertragen  und  zur  künftigen  Wiedergeburt 
aufbewahren  musste,  während  das  antike  Volkstum  selbst  ohne  Rettung 
seinem  doppelten  Verhängnis  erlag:  der  Alterung  und  dem  Absterben 
von  innen  —  der  Ueberflutung  von  aussen  durch  die  jungen  Mensch- 
heitsgenerationen der  Barbaren  Völker.  Ein  neues  Weltalter  bricht  an. 
Im  Abendlande,  in  dem  frischen.  Erdreich,  das  die  germanischen 
Völkerwogen  angeschwemmt  haben,  ein  langsames  Erwachen  der  alten 
Fruchtkeime  zu  neugeartetem  Leben.  Im  byzantinischen  Ostreich 
ein  Ueberrest  der  Antike,  der  stehen  bleibt  wie  ein  verdorrter  Baum, 
den  man  abzuhauen  vergessen. 

Bevor  aber  diese  Schicksale  sich  erfüllten,  stand  das  Christentuni 
mitten  drin  im  antiken  Leben  und  hatte  sich  damit  abzufinden.  Die 
innere  Geschichte  der  werdenden  Kirche  des  2.  und  3.  Jahrhunderts 
zeigt,  für  wieviel  Dinge  in  ihr  noch  Raum  war.  welche  die  nachkon- 
stantinische  Zeit  als  heidnisch  oder  häretisch  verdammte.  Sie  konnte 
fast  zu  einem  Staat  im  Staate  heranwachsen,  ein  Volk  im  Volke  bilden 


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Kapitel  I :  Geschichtliche  Stellung. 


5 


nimmermehr.  Im  praktischen  Leben  standen  doch  Christen  und  Heiden 
ohne  wesentlichen  Unterschied  nebeneinander,  oft  in  demselben  Hause 
und  derselben  Familie,  immer  unter  der  gleichen  Rechtsordnung,  der 
gleichen  Volkssitte,  der  gleichen  Sprache,  den  gleichen  Kulturbedürf- 
nissen. Was  wäre  aber  dem  antiken  Menschen  unentbehrlicher  und 
mehr  ein  Lebensbedürfnis  des  ganzen  Volkes  im  eigentlichsten  Ver- 
stände, als  die  Erheiterung  und  Veredelung  des  Daseins  durch  die 
Kunst?  Indem  das  Christentum  sich  zu  dem  Berufe  entschied,  das  in 
Juda  entsprungene  Heil  den  Heiden  zu  bringen,  musste  es  notwendig 
auch  zur  schönen  Kunst  irgendwie  Stellung  nehmen;  es  begegnet  ihr 
täglich,  auf  Schritt  und  Tritt;  seine  Gottesdienste  hält  es  in  den 
Häusern  der  Gemeindeglieder,  in  Räumen,  für  deren  Bildung  es  von 
sich  aus  kein  Gesetz  mitbringt,  deren  künstlerische  Form  und  Ausstat- 
tung es  belässt,  wie  es  sie  findet,  weil  sie  ihm  gleichgültig  und  be- 
deutungslos sind.  So  tritt  die  christliche  Religionsübung  wohl  schon 
frühe  in  Berührung  mit  der  Kunst,  aber  es  ist  eine  Berührung  wie 
zwischen  Wasser  und  Oel.  Kann  es  auf  die  Dauer  dabei  bleiben? 
Entweder  wird  die  Kunst  zu  einem  wahren  und  inneren  Anteil  an  der 
Religion  durchdringen  —  oder  sie  wird  überhaupt  wertlos  werden,  ver- 
kümmern, schwinden. 


Die  inneren  Voraussetzungen  des  früh-christlichen  Bauwesens  zu  ver- 
stehen, kann  nur  aus  dem  Ganzen  der  kunstgeschichtlichen  Betrach- 
tung gelingen ;  und  dies  um  so  unerlässlicher,  da  die  Reihe  der  Archi- 
tekturdenkmäler, wenigstens  für  uns,  mit  einer  weit  jüngeren  Generation 
erst  anfängt,  wie  die  Denkmäler  der  Malerei  und  Bildnerei.  Mit  welcher 
Ueberraschung  und  Verwunderung  sah  man  seit  der  Wiedereröffnung 
der  Katakomben  Roms  ein  Stück  aus  dem  Dasein  der  alten  Christen 
ans  Licht  gebracht,  das  ein  falscher  Pragmatismus  ganz  anders  sich 
zurecht  gelegt  hatte.  Zahlreiche  Reste  von  Malereien  hohen  Altertums, 
aus  dem  3.,  2.,  einigemal  vielleicht  sogar  noch  aus  dem  I.Jahrhundert 
sind  an  den  Wänden  und  Decken  dieser  unterirdischen  Begräbnisstätten 
erhalten  und  legen,  wiewohl  nur  halbwegs  Ersatz  für  das  über  der 
Erde  zu  Grunde  Gegangene,  doch  schon  für  sich  allein  ein  umfassendes 
Zeugnis  ab,  wie  unverkürzt  und  fest  im  Leben  des  christlichen  Alter- 
tums die  Kunst  die  Stellung  behauptet  hat,  die  ihr  im  Leben  der 
griechisch-römischen  Welt  einmal  gehörte.  Die  populäre  Gestalt  des 
Christentums  erzeigt  hierin  eine  Unbefangenheit,  von  welcher  auf  die 


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Erstes  Buch :  Der  christlich-antike  Stil. 


modernen  Ausleger  leider  selten  etwas  übergegangen  ist.  Viel  ver- 
kehrte Anstrengungen  des  Scharfsinns  wären  erspart  und  wechselseitige 
Missverständnisse  der  Forscher  vermieden  worden,  wäre  man  nicht  über 
die  einfache  Wahrheit,  dass  eine  von  Christen  geübte  Kunst  nicht 
schon  an  sich  auch  eine  christliche  Kunst  dem  Geiste  nach  zu 
sein  brauche,  in  blinder  Praokkupation  so  oft  hinweg  gegangen.  Es 
war  ein  grosser  Irrtum,  die  Katakomben  als  gottesdienstiiche  Versamm- 
lungsorte zu  nehmen,  und  wäre  es  auch  nur  für  zeitweiligen  Gebrauch ; 
sie  sind  Begräbnisorte,  nichts  als  Begräbnisorte.  Und  nicht  minder 
irrig  wähnte  man  in  ihrer  malerischen  Ausstattung  hieroglyphierte 
Dogmensysteme  und  gemalte  Predigten  vor  sich  zu  haben,  wo  es  sich 
in  Wahrheit  nur  um  ein  harmloses  Dekorationsspiel  handelt.  Der 
Bilderschmuck  dieser  engen  unterirdischen  Gänge  und  formlosen  Grab- 
zellen —  anspruchsloses  und  flüchtiges  Handwerksprodukt,  wie  es  von 
der  durchschnittlichen  Armut  der  Gemeindeglieder  eben  beschafft  werden 
konnte  —  ist  aus  demselben  Triebe  hervorgegangen,  der  in  den  Häusern 
Pompejis  kein  letztes  Stückchen  Wand  von  Bild  und  Farbe  unberührt 
und  unveredelt  Hess.  Man  missversteht  gänzlich  die  christliche  Sepul- 
kralkunst,  wenn  man  sie  von  der  gleichzeitigen  heidnischen  prinzipiell 
verschieden  denkt.  Die  eine  wie  die  andere  fasst  die  malerische  Aus- 
stattung der  Grabkammern  einfach  als  Dekoration,  als  heitere  Ver- 
hüllung ihrer  architektonischen  Armseligkeit.  Dem  dekorativen  Zwecke 
bleiben  die  Gegenstände,  teils  Ornament  teils  Einzelfiguren  oder  er- 
zählende Szenen,  untergeordnet,  wobei  jedoch  nicht  zu  verkennen  ist, 
dass  das  Interesse  an  den  letzteren  und  den  ihnen  unterstellten  sinn- 
bildlichen Beziehungen,  dem  reflektierenden  Zuge  der  Zeit  gehorchend, 
wachsende  Ausdehnung  gewinnt.  Wie  die  künstlerische  Methode,  so 
ist  auch  der  Inhalt  der  Darstellungen  —  Gedanken  über  Tod,  Schick- 
sal, Unsterblichkeit  —  der  gleiche  in  den  heidnischen  und  den  christ- 
lichen Gräbern.  Die  symbolisch  umgedeuteten  Typen  aus  der  antiken 
Götter-  und  Heldensage  werden  bei  den  Christen  gegen  parallele  Mo- 
mente aus  der  biblischen  Geschichte  ausgewechselt.  Indes  nicht  ein- 
mal durchgehend.  Die  Einheit  der  Volkssitte  und  der  Zusammenhang 
der  Handwerkstradition  bewähren  sich  so  mächtig,  dass  auch  direkt 
heidnische  Elemente  in  reichlicher  Menge  in  der  christlichen  Umgebung 
sich  behaupten.  Teils  um  ihrer  allgemeinen  sepulkralen  Bedeutung 
willen,  wie  die  bekannte  Orpheusgestalt,  wie  Eros  und  Psyche,  die 
Dioskuren ,  Genien  mit  gesenkter  Fackel ,  Nereiden  und  Sirenen ,  bac- 
chische  Szenen  oder  Embleme  (letztere  selbst  noch  an  einem  so  späten 


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Kapitel  I:  .Geschichtliche  Stellung. 


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Denkmal  wie  der  Grabkirche  der  Constantia  a.  354);  teils  reinhin  als 
inhaltsloser  Zierat,  wie  Athene,  Venus  u.  s.  w.  Es  ist  eine  ausge- 
prägt volkstümliche  und  laienhafte  Kunstübung.  So  gut  christliche 
Handwerker  für  ihre  heidnischen  Mitbürger  Kunstarbeiten  nach  Bestel- 
lung lieferten,  wohl  selbst  Idole  und  Amulette,  wie  wir  wissen,  so 
werden  gewiss  auch  heidnische  Arbeiter  oft  genug  für  Werke  christ- 
licher Bestimmung  in  Verwendung  genommen  sein.  Die  kirchlichen 
Oberen  sind  es  zufrieden,  wenn  nur  kein  heidnischer  Aberglaube  sich 
einmischt:  die  Kunst  in  positiver  Wirkung  den  kirchlichen  Zwecken 
dienstbar  zu  machen,  bleibt  den  ersten  Jahrhunderten  ein  fremder  Ge- 
danke. Zwischen  den  Extremen  des  griechisch-kunstfreudigen  Gnosti- 
zismus  und  des  semitisch-kunstscheuen  Montanismus  bewahrt  die  Praxis 
der  katholischen  Kirche  eine  neutrale  Mittelstellung.  Sie  nimmt  die 
Kunst  mit,  wie  so  manches  andere,  als  eine  gegebene  Lebensmacht, 
als  ein  unverfängliches  und  jedenfalls  unvermeidliches  Zugeständnis 
an  die  Volkssitte;  die  symbolisch-tendenziöse  Seite  derselben  ist  ihr 
wohl  selbst  willkommen;  an  das  eigenste  Wesen  jener  aber,  an  die 
Kraft,  das  Hohe  und  Heilige  in  unmittelbarer  Wirkung  dem  Gemüte 
nahe  zu  bringen,  wendet  sie  sich  nicht. 

Das  Bildwerk  der  Katakomben  zeigt  uns  den  Anteil  der  alten 
Christen  an  der  Kunstthätigkeit  ihrer  Zeit  nur  auf  einem  verhältnismässig 
kleinen  Abschnitt;  doch  so,  dass  über  ihr  prinzipielles  Verhalten  zur 
Kunst  überhaupt  kein  Zweifel  obwalten  kann.  In  diesem  Sinne  darf 
gesagt  werden,  die  Katakomben  brächten  Aufschlüsse  über  den  ältesten 
Zustand  auch  der  oberirdischen  kirchlichen  Architektur;  wovon 
wir  jedoch  die  Frage  nach  etwaniger  Einwirkung  jener  auf  diese  deut- 
lichst unterschieden  wissen  wollen.  Es  ist  schlechthin  unwahrschein- 
lich, dass  in  der  Architektur,  der  durch  technische  und  stilistische  • 
Gesetze  unter  allen  Künsten  am  strengsten  gebundenen,  jene  an  den 
Erzeugnissen  des  Pinsels  und  Meisseis  wahrgenommene  Abhängigkeit 
vom  gemeinen  Herkommen  in  geringerer  Stärke  sich  geäussert  oder 
gar  gefehlt  haben  sollte,  um  so  mehr,  da  das  Interesse  an  der  Sach- 
bedeutung des  Dargestellten,  das  in  der  Malerei  und  Skulptur  die  erste 
Anknüpfung  zwischen  Kunst  und  Kirche  abgab,  hier  vorweg  ausser 
Frage  blieb.  Ganz  gewiss  wäre  der  von  missverständlichem  Eifer  ein- 
gegebene moderne  Gedanke  einer  aus  der  allgemeinen  Kunstübung 
ausgeschiedenen  spezifisch-ch  ristlichen  Architektur  den  alten  griechi- 
schen und  römischen  Christen  ein  völlig  unverständliches  Ding  ge- 
blieben.   Wahrlich  ganz  andere  Dinge  als  Neugestaltung  der  Kunst 


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Erstes  Buch  .  Der  christlich  antike  Stil. 


lagen  der  Geistesbewegung  der  christlichen  Urzeit  am  Herzen.  Das 
Christentum  als  ein  Prinzip  von  schlechthin  universalistischem  Anspruch 
kann  sich  jeweilig  mit  den  verschiedenartigsten  Nationen  und  Kulturen 
verbinden,  folglich  auch  mit  ihren  Baustilen,  weshalb  es  uns  immer 
als  Willkür  und  Befangenheit  erschienen  ist,  wenn  wir  über  die  Christ- 
lichkeit oder  die  Nichtchristlichkeit  dieses  oder  jenes  Baustiles  zu 
Gericht  sitzen  sahen. 

An  dem  Ergebnis  der  obigen  Erwägungen  könnten  wir,  solange 
es  nur  um  jene  ältesten  Zeiten  sich  handelt,  in  denen  der  christliche 
Gottesdienst  nichts  als  ein  Stück  des  häuslichen  Lebens  war,  uns  allen- 
falls genügen  lassen.  Allein  es  trifft  noch  gar  nicht  den  eigentlich 
springenden  Punkt  des  Problemes:  das  Wann,  Wo,  Wie  der  Ent- 
stehung einer  von  der  Privatarchitektur  abgelösten  selbstzwecklichen 
und  selbstgestaltigen,  —  kurz,  einer  >  eigentlichen  c  Kirchenarchitektur. 

Wir  stellen  hier  als  offene  Frage  hin,  was  lange  Zeiten  hindurch 
für  eine  entschiedene  gegolten  hat  und  vielleicht  für  die  meisten  noch 
heute  gilt:  Der  Anfang  des  Kirchenbaues,  so  lautet  das  Axiom,  sei 
der  Sieg  des  Kirchentums  unter  Konstantin  d.  Gr.;  es  habe  keinen 
Kirchenbau  gegeben  bis  zu  diesem  Augenblick,  weil  es  keinen  gegeben 
haben  könne.  Das  Recht  zu  dieser  Folgerung  entnimmt  man  der 
traditionellen  Vorstellung,  dass  die  That  Konstantins  einer  so  voll- 
ständigen wie  plötzlichen  Umkehrung  des  Weltzustandes  von  der 
Wurzel  aus  gleichkomme.  Mag  man  immerhin  der  populären  Geschichts- 
auffassung, indem  sie  auf  einen  Moment  und  eine  Person  zusammen- 
drängt, was  ein  höchst  ausgedehnter  Komplex  geschichtlicher  Vor- 
gänge war,  das  Anrecht  auf  eine  Art  von  poetischer  Wahrheit  ein- 
räumen: dass  auch  Gelehrte,  die  auf  freie  und  nüchterne  Stellung 
Anspruch  erheben,  von  der  Legende  nicht  loszukommen  vermögen,  ist 
beklagenswert  und  unentschuldbar. 

Die  Unzulänglichkeit  in  der  Begründung  der  These  vom  konstantini- 
schen Ursprung  des  kirchlichen  Bautypus  blosszulegen  ist  leicht,  unend- 
lich mühsamer  ihre  Ersetzung  durch  ein  deutliches  positives  Bild.  Wenig 
Erfolg  wäre  zu  erwarten,  sähen  wir  uns  lediglich  auf  die  litterarischen 
Quellen  angewiesen;  gehaltreicher  und  zuverlässiger  ist,  was  die  Bau-  . 
monumente  unmittelbar  über  ihre  Vorgeschichte  aussagen,  in  einer 
Sprache  allerdings,  die  nicht  ohne  weiteres  verständlich  ist.  Die  Denk- 
mäler des  4.  Jahrhunderts,  vorgeblich  die  Erstlingsgeneration  des  Kirchen- 
baues überhaupt,  haben  in  der  That  nichts  an  sich  von  der  inneren 
Beweglichkeit,  dem  Suchen  und  Tasten  einer  eben  erst  ansetzenden 


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Kapitel  I:  Geschichtliche  Stellung. 


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Entwicklung ;  es  fehlen  die  Züge  persönlicher  Einwirkung,  individueller 
Charakterisierung ;  überall  Gleichförmigkeit,  eine  den  beschränkten  Vor- 
rat ihrer  Formen  nach  festem  Herkommen  ohne  Schwanken  verwaltende 
Typik,  die  auch  keine  Weiterentwicklung  vor  sich  hat,  sondern,  wie 
sie  uns  zuerst  entgegen  tritt,  so  ein  halbes  Jahrtausend  und  länger 
stationär  bleibt.  Will  man  nicht  für  die  konstantinisch-christliche  Bau- 
thätigkeit  eine  Stellung  ausserhalb  aller  sonst  bekannten  architektur- 
geschichtlichen Gesetze  fordern,  nicht  als  Erzeugnis  einer  einmaligen  ge- 
setzgeberischen Abmachung  oder  geradezu  einer  höheren  Inspiration  sie 
ansprechen :  so  folgt  unweigerlich  aus  ihrer  ganzen  Art,  dass  eine  durch 
die  Arbeit,  Erfahrung,  Gewöhnung  mehrerer  Generationen  bedingte 
Entwicklung  vorausgegangen  sein  muss.  Der  Mangel  an  direkten  Aus- 
sagen in  der  kirchlichen  Litteratur  ist  kein  Gegenargument,  er  bestätigt 
nur,  was  wir  oben  im  Verhältnis  zur  dekorativen  Kunst  konstatiert 
haben,  die  langdauernde  Indifferenz  der  leitenden  Kreise.  Das  meiste 
erwarten  wir  deshalb  von  dem  unmittelbaren  Selbstzeugnis  der  Monu- 
mente, immer  eingedenk  jedoch,  dass  auch  dieses  nur  aus  der  allgemein- 
geschichtlichen Situation  heraus  richtig  gedeutet  werden  kann. 

In  der  apostolischen  Zeit  versammelte  sich  die  Gemeinde  v.af 
otxoo;,  in  diesem  oder  jenem  Privathause,  je  nach  Ort  und  Gelegen- 
heit. Unvermeidlich  aber  mussten  das  Anwachsen  der  Kopfzahl  der 
Gemeinden  und  die  Anfänge  verfassungsmässiger  Ordnungen  und  fester 
Formen  des  Gottesdienstes  auch  ein  festeres  Verhältnis  zum  gottes- 
dienstlichen Lokale  nach  sich  ziehen.  Was  die  gottesdienstlichen  Ord- 
nungen betrifft,  so  ersehen  wir  durch  Justinus,  um  die  Mitte  des 
2.  Jahrhunderts,  dass  zu  dieser  Zeit  die  Agapen  aus  dem  Kreise  der 
eigentlichen  Kultushandlungen  bereits  ausgeschlossen  waren;  dass  die 
eucharistische  Feier,  von  jenen  getrennt,  mit  den  täglichen  Morgen- 
gottesdiensten sich  verband  ;  endlich  dass  ein  sonntäglicher  Hauptgottes- 
dienst die  Gesamtheit  der  Gläubigen  einer  Stadt  und  des  nächsten 
Landbezirkes  vereinigte  (*<ivTa>v  xata  frtfXsi«;  tj  afpoo^  (j.svövto>v  ix\  zb 
Vycb  lov^Xeoaic  ^verat).  Durch  die  Anfangsorganisation  der  Gemeinden 
—  Erweiterung  des  antiken  Patronatsinstitutes  zu  einer  die  gesamten 
sozialen  Verhältnisse  umfassenden  freiwillig  übernommenen  und  aner- 
kannten Thätigkeit  des  Schutzes  und  der  Vertretung  —  war  die  Frage 
nach  dem  Ort  der  gottesdienstlichen  Versammlungen  von  selbst  gelöst: 
es  war  der  Hauptraum  im  Hause  des  Patrons.    Für  die  Unter- 


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Erstes  Buch:  Der  chrisüich-antike  Stil. 


suchung  des  architektonischen  Urtypus  der  christlichen  Kultgebäude 
eine  Thatsache  von  höchster  Bedeutung,  die  uns  später  in  einem  eigenen 
Kapitel  noch  beschäftigen  wird.  Sie  ist  massgebend  für  das  i.  Jahr- 
hundert der  Kirche,  doch  auch  nicht  länger.  Die  in  der  Apologie  des 
Justinus  als  normal  vorausgesetzte  Ordnung  des  Gottesdienstes  ist  nicht 
mehr  denkbar  als  einfacher  Hausgottesdienst  im  Sinne  der  apostolischen 
Zeit:  notwendig  müssen  in  dieser  zweiten  Periode,  wenigstens  bei  den 
grösseren  Gemeinden,  bestimmte  Räumlichkeiten  für  den  gottesdienst- 
lichen Zweck  ausgesondert,  dem  Bereiche  des  profanen  Tageslebens 
entrückt,  nach  Bedarf  baulich  modifiziert  oder  zuweilen  wohl  auch 
schon  neu  hinzugebaut  worden  sein.  Es  sind  Gebäude,  die  den  äusseren 
Schein  von  Privatgebäuden  noch  aufrecht  halten,  jedoch  ihrer  Bestim- 
mung nach  bereits  nichts  anderes  als  Kirchen,  »eigentliche*  Kirchen.  — 
Mit  der  Fortbildung  des  Kultus  geht  die  Fortbildung  der  Verfassung 
Hand  in  Hand.  Es  gilt  als  ein  verlässiges  Resultat  der  neueren  For- 
schung, dass  um  den  Beginn  des  2.  Jahrhunderts  die  christlichen  Ge- 
meinden, damit  sie  dem  Staate  gegenüber  eine  gesicherte  Rechtsstellung 
erlangten,  die  Organisation  der  seit  Jahrhunderten  in  der  römischen 
Welt  eingebürgerten  Kultvereine  und  religiösen  Genossenschaften  sich 
aneigneten.  Wir  wissen,  dass  die  Christen  kraft  dieser  Rechtsaneignung 
eigenes  Korporationsvermögen,  eigene  Gerichtsgebäude,  eigene  Begräbnis- 
plätze besassen  —  warum  nicht  auch  kultliche  Versammlungshäuser 
als  Korporationsbesitz  f  Nichts  erhebliches  steht  dieser  Annahme  im 
Wege,  welche  die  natürliche  ist,  nachdem  einmal  eine  Gemeinde  einen 
gewissen  Umfang  überschritten  und  der  halb  patriarchalische,  halb 
kommunistische  Zustand  der  Frühzeit  einem  ausgebildeten  Genossen- 
schaftswesen nach  römischem  Recht  Platz  gemacht  hat.  In  den  apo- 
logetischen Schriften  ist  es  ein  immer  wiederkehrendes  Thema,  den 
Heiden  klar  zu  machen,  dass  der  christliche  Gottesdienst  deshalb  noch 
kein  Geheimdienst  sei,  weil  er  keine  Tempel  und  Altäre  habe.  »Welches 
Bild  sollen  wir  Gotte  machen  ?  Der  Mensch  selbst  ist  das  beste  Gottes- 
bild. Welchen  Tempel?  Die  ganze  Welt,  sein  Werk,  mag  ihn  nicht 
fassen.«  (Minucius  Felix.)  >Nicht  der  Ort  heiligt  den  Menschen,  sondern 
der  Mensch  den  Ort.«  (Apostol.  Konstit.)  Ist  aber  die  Entschiedenheit, 
mit  welcher  der  Anspruch  auf  privilegirte  Heiligkeit  und  monumentalen 
Kunstwert  für  die  christlichen  Versammlungshäuser  abgelehnt  wird, 
irgend  beweisend,  dass  dennoch  die  letzteren  nicht  bereits  in  allem 
Wesentlichen  das  gewesen  sind,  was  wir  eine  Kirche  nennen?  Wir 
meinen,  durch  solche  Aeusserungen  soll  lediglich  der  fundamentale 


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Kapitel  1 :  Geschichtliche  Stellung.  I  j 

Unterschied  im  Begriffe  der  heidnischen  und  der  christlichen  Kult- 
gebäude deklariert,  nicht  aber  die  Existenz  der  letzteren  geleugnet 
werden.  Bei  Schriftstellern  seit  dem  Ende  der  Antoninenzeit  treffen  wir 
die  Ausdrücke  »domus  dei«,  >domus  columbae«,  oder  schon  schlecht- 
hin »ecclesia«  in  einer  Weise  angewandt,  dass  kein  Missverständnis 
mehr  möglich  scheint.  Es  ist  kein  Widerspruch,  vielmehr  ein  charak- 
teristischer Reflex  der  Sachlage  im  2.  Jahrhundert,  wenn  in  dem  apo- 
logetischen Dialog  des  Minucius  Felix,  eines  Zeitgenossen  Mark  Aurels, 
der  heidnische  Interlokutor  zwar  die  alten  Anklagen  gegen  den  tempel- 
und  altarlosen  Dienst  der  Christen  wiederholt,  aber  zugleich  mit  Be- 
stürzung wahrnimmt,  »dass  diese  garstigen  Weihestätten  ruchloser 
Zusammenkünfte  schon  über  den  ganzen  Erdkreis  anwachsen. « 

Im  Gegensatz  zu  der  durch  den  überschwänglichen  Märtyrerkult 
der  späteren  Zeit  grossgezogenen  Ansicht  von  der  vorkonstantinischen 
Epoche,  als  wäre  sie  eine  ununterbrochene  Kette  von  Verfolgungen 
gewesen,  zeigen  die  echten  zeitgenössischen  Quellen,  christliche  wie 
heidnische,  litterarische  wie  monumentale,  ein  weit  weniger  düsteres 
Bild.  Im  Gesamteindruck  urteilen  ein  Origines,  Lactantius,  Eusebius, 
die  Zeit  bis  zur  Mitte  des  3.  Jahrhunderts  sei  für  die  Kirche  eine  Aera 
des  Friedens  gewesen.  Decius  ist  der  erste  Kaiser,  der  in  der  mäch- 
tigen Organisation  der  christlichen  Gesellschaft  eine  ernste  Gefahr  für 
den  Staat  erblickt  und  danach  handelt;  sein  Ziel  ist  ausgesprochener- 
massen  die  Vernichtung  der  Hierarchie  und  in  ihr  die  Vernichtung  des 
Christentums  überhaupt.  Allein  die  Kirche  geht  aus  dem  Kampfe  mit 
vermehrter  Kraft  hervor;  sie  fühlt  sich  Siegerin  und  ist  es;  so  dass 
die  neue  Verfolgung  durch  Diokletian,  die  allgemeinste  und  schreck- 
lichste, die  Entscheidung  nur  hat  beschleunigen  können.  —  Zwischen 
beiden  Verfolgungen  liegt  eine  vierzigjährige  Friedenszeit,  welche  Euse- 
bius mit  folgenden  Worten  schildert:  »Wer  beschreibt  die  unzählbaren 
Scharen,  die  täglich  dem  christlichen  Glauben  sich  zuwandten  ?  wer  die 
Menge  der  Kirchen  in  jeder  Stadt?  wer  das  Zusammenströmen  des 
Volkes  in  den  heiligen  Häusern?  Weshalb  man,  in  den  älteren  Kirchen- 
gebäuden sich  beengt  fühlend,  in  allen  Städten  weiträumige  neue  von 
Grund  aus  aufbaute.«  Es  sind  ebendieselben  Ausdrücke,  mit  denen 
nachher  von  Eusebius  Konstantins  Kirchenbauten  beschrieben  werden. 
Damit  vergleiche  man  die  generellen  Vorschriften  der  sogenannten 
apostolischen  Konstitutionen  (deren  älterer  Teil  noch  dem  3.  Jahrhundert 
zugehört),  und  als  Einzelbeispiel  die  Erzählung  des  Lactantius  von  der 
Niederreissung  der  Kirche  in  Nikomedien,  womit  Diokletian  die  Ver- 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


folgung  eröffnete.  Ferner  die  bekannte  Aussage  des  Optatus  von  Mileve, 
derzufolge  zu  Beginn  der  donatistischen  Bewegung  in  Rom,  d.  i.  noch 
vor  dem  Ende  der  diokletianischen  Verfolgung,  »40  und  mehr 
Basiliken«  in  den  Händen  der  katholischen  Partei  sich  befanden,  wäh- 
rend die  Ketzer  nur  »draussen  vor  der  Stadt  in  einem  Winkel  zwischen 
Hürden  <  ihre  Konventikel  halten  konnten.  Mag  noch  hinzugefügt 
werden,  dass  mit  hoher  Wahrscheinlichkeit  als  Vorsteher  dieser  Kirchen 
die  46  Presbyter  anzunehmen  sind,  welche  zufolge  einem  Briefe  des 
Bischofs  Cornelius  die  kirchliche  Organisation  der  Stadt  befasste ,  mit-  * 
hin  dass  schon  um  die  Mitte  des  3.  Jahrhunderts  diese  ansehnliche 
Ziffer  bestand.  Endlich  bestätigt  die  Notiz  des  Optatus,  was  aus  der 
Fassung  des  Friedens-  und  Restitutionsediktes  ohnedies  hervorgeht: 
dass  in  der  Verfolgung  die  Gotteshäuser  der  Christen  keineswegs  alle 
zerstört,  sondern  vielfach  nur  geschlossen  worden  sind  J).  So  zweifel- 
los wahr  ist  es,  dass  die  kirchliche  Bauthätigkeit  durch  den  Umschwung 
der  Weltgeschicke  unter  Konstantin  einen  mächtigen  Anstoss  empfangen 
hat,  so  hat  sie  einer  solchen  tabula  rasa  am  Schlüsse  der  Verfolgungs- 
zeit doch  mit  nichten  gegenübergestanden,  dass  sie  nötig  gehabt  hätte, 
mit  dem  neuen  Jahrhundert  völlig  von  neuem  zu  beginnen. 

Mit  wie  beflissenem  Eifer  hat  Eusebius  alle  Zeugnisse,  echte  und 
zweideutige,  zusammengetragen,  die  geeignet  scheinen,  die  Christlich- 
keit seines  Helden  vor  Welt  und  Nachwelt  in  helles  Licht  zu  setzen, 
den  ihm  verdankten  Triumph  der  Kirche  zu  feiern.  Wenn  es  sich  wirk- 
lich so  verhielte,  dass  in  dem  Kirchenbau  der  konstantinischen  Aera 
ein  Schöpfungsbau  im  eminenten  Sinne  in  die  Welt  träte :  hier  in  den 
Panegyriken  Eusebs  müsste  es  notwendig  seinen  Ausdruck  finden. 
Aber  nichts  davon.  Es  ist  viel  vom  v Wiederbeleben«,  vom  > Wieder- 
erstehen« aus  Befleckung  oder  Ruin  zu  grösserer  und  prächtigerer  Er- 
scheinung die  Rede,  —  keine  leiseste  Andeutung,  dass  etwas  der  Art 
nach  Neues  jetzt  erst  Dasein  und  Gestalt  gewonnen  habe.  Wir  meinen 
in  diesem  schweigsamen  Verhalten  der  kirchlichen  Schriftsteller  eine 
starke  indirekte  Bekräftigung  zu  finden  dessen,  was  wir  in  Bezug  auf 
die  Denkmäler  des  4.  Jahrhunderts  allein  aus  ihrem  architektonischen 
Charakter  oben  gefolgert  haben.    Sie  bezeichnen  nicht  den  Anfangs-, 


*)  Vgl.  noch  Optatus  I,  c.  14:  »post  persecutionem  apud  Cirtam  civitatem,  quia 
basilieat  necdum  fuerunt  restitutae,  in  domum  Urbani  Carisi  consederunt.*  Und  III,  c.  4: 
»cum  aliqui  in  basilicis  upeliri  coepissent  (etwa  im  Vorhof?)  .  .  .  nec  sepultura  in 
domo  Dei  exhiberi  concessa  est  — »  in  beiden  Fällen  unwidersprechlich  »eigentliche 
Kirchen«. 


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Kapitel  I:  Geschichtliche  Stellung. 


13 


sondern  den  Höhepunkt  in  der  längst  im  Gange  befindlichen  Entwick- 
lung des  christlich-antiken  Kirchenbaues.  Diese  Entwicklung  aber  ist 
keine  abgetrennt  für  sich  verlaufende.  Sie  ist  —  um  die  Summe  der 
nachfolgenden  Kapitel  vorwegzunehmen  —  lediglich  ein  Teil  der 
allgemeinen  Kunstbewegung  im  römischen  Reich,  den  Gesetzen 
und  Schicksalen  derselben  unlöslich  verbunden.  Das  durch  das  Christen- 
tum der  Baukunst  neu  zugebrachte  Inhaltsmotiv  hat  einen  neuen  Stil, 
solange  Kultur  und  Volkstum  der  Antike  noch  aufrecht  standen,  nicht 
hervorgebracht;  nur  eine  praktische  Modifikation  vorhandener  Typen. 

Die  grossen  Epochen  der  Kunstgeschichte  stehen  mit  denen  der 
Kulturgeschichte  in  bestimmtem  geistigem  Zusammenhange,  ohne  dass 
sie  chronologisch  sich  völlig  deckten.  Regelmässig  pflegt  die  Kultur 
der  Kunst  um  einige  Menschenalter,  zuweilen  selbst  um  Jahrhunderte 
voraus  zu  sein.  So  waren  die  weltherrschende  Kirche  des  Mittelalters 
und  die  scholastische  Organisation  der  Wissenschaften  früher  da,  als 
ihr  baukünstlerisches  Gegenbild,  die  Gotik;  so  machte  die  Gotik  der 
Renaissance  erst  Platz,  als  die  mittelaltrige  Weltanschauung  längst  von  der 
modernen  überwunden  war ;  so  ist  auch  die  frühchristliche  Architektur 
in  ihrer  Stellung  zwischen  den  Weltepochen  zu  beurteilen.  Wo  immer 
man  vom  Standpunkte  der  Universalgeschichte  die  Grenze  zwischen 
Altertum  und  Mittelalter  ziehen  mag :  stilgeschichtlich  ist  der  Zeitraum 
von  Konstantin  d.  Gr.  bis  auf  Karl  d.  Gr.  (für  manche  Länder  noch  darüber 
hinaus)  der  antiken  Baukunst  zuzuzählen.  Als  das  Schlusskapitel  ihrer 
Geschichte.  Eine  Zeit  des  Stillstandes  im  künstlerischen  Denken  von 
ähnlicher  Länge  kennen  wir  vorher  und  nachher  nur  noch  in  der  Ge- 
schichte der  Aegypter.  Der  von  der  christlich-antiken  Kunst  des  Abend- 
landes —  denn  immer  nur  dieses  haben  wir  bei  unserer  Be- 
trachtung im  Auge  —  umfasste  Komplex  von  Bauformen  ist  voll- 
ständig fixiert  in  der  grossartigen  Produktion  des  4.  Jahrhunderts.  Mit 
dieser  ihrer  ersten  Probe  als  Monumentalkunst  im  Grossen  erreicht 
die  christlich-antike  Bauweise  auch  schon  das  Ende  ihrer  inneren  Ent- 
wicklung; die  Lebenstage  des  alten  Reiches  sind  gezählt,  das  Jahr- 
hundert, das  mit  den  herrlichen  Triumphen  der  Kirche  begonnen  hatte, 
endet  im  Sturm  der  Völkerwanderung.  Keine  Veränderung  ist  seitdem 
wahrzunehmen  (beiläufige  und  nicht  in  die  Tiefe  gehende  Einflüsse  des 
Ostens  abgerechnet),  als  die  indes  auch  nur  langsam  zunehmende  Ver- 
armung und  Barbarisierung.    Diese  innere  Bewegungslosigkeit  macht 


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14 


Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


die  Zeitbestimmung  eines  Baues  oder  eines  Bauteiles  nach  stilistischen 
Merkmalen  zu  einer  überaus  unsicheren,  ja  oft  unmöglichen  —  eben 
deshalb  aber  auch  relativ  belanglosen  Sache.  Was  ein  Werk  des 
8.  oder  9.  Jahrhunderts  von  einem  solchen  des  4.  oder  5.  unterscheidet, 
ist  nicht  die  Auffassung,  sondern  die  grössere  oder  geringere  Tüchtig- 
keit der  Ausführung,  eine  Regel  von  freilich  auch  nur  ungefährer 
Gültigkeit.  Nicht  minder  merkwürdig  ist  das  zweite:  dass  so  gut  die 
grossen  nationalen  Besitzveränderungen  der  Wanderzeit  wie  der  bittere 
konfessionelle  Hader  der  Arianer  und  Orthodoxen  die  traditionelle 
Gestalt  des  Bauwesens  unberührt  lassen.  Die  Reiche  der  Goten,  Lango- 
barden, Franken  bilden  mit  Italien  und  der  Provinz  Afrika  baugeschicht- 
lich betrachtet  eine  ungestörte  Einheit.  Die  leichten  Differenzierungen 
des  Stils  bei  ihnen  hängen  von  Unterschieden  des  Materials,  des  Klimas, 
des  technischen  Vermögens  oder  älterer  Lokaltraditionen  ab,  nicht  von 
der  Nationalität.  Die  Welterneuerung  durch  den  Zutritt  der  germani- 
schen Völker  musste  auf  allen  Hauptgebieten  des  geistigen  Lebens 
sich  durchgebildet  und  vollendet  haben,  bevor  sie  sich  ihren  eigenen 
Baustil  schuf.  Deshalb  ist  der  Endtermin  für  die  christlich-antike 
Weise  ein  verschiedener  in  den  verschiedenen  Ländern.  Als  das  arith- 
metische Mittel  mag  man  etwa  das  Jahr  1000  annehmen. 

So  vollkommen  wahr  es  nun  ist,  dass  die  christliche  Kirche  nicht 
ein  einziges  neues  Baumotiv  von  sich  aus  hervorgebracht  sondern  nur 
unter  den  vorhandenen  ausgewählt  hat,  ebenso  gewiss  hat  ihr  Sieg 
doch  eine  tief  greifende  Verschiebung  in  der  Gesamterscheinung  der 
Bauthätigkeit  im  Gefolge:  dadurch,  dass  alle  verfügbaren  Interessen 
von  nun  ab  im  Kirchenbau  sich  konzentrieren.  Im  Gegensatz  zu  der 
vom  heidnischen  Rom  gepflegten  reichhaltigsten  Vielheit  der  Kom- 
positionstypen giebt  es  für  das  christliche  Rom  nur  eine  monumentale 
Bauaufgabe  schlechthin:  den  Kirchenbau;  und  wiederum  im  Kirchen- 
bau nur  eine  Normalform  schlechthin:  die  Basilika.  Das  Schema 
der  Basilika  •—  womit  wir  einen  Kardinalsatz  unseres  Systemes  aus- 
sprechen —  ist  unbedingt  das  massgebende  für  das  eigent- 
liche Kirchengebäude,  d.  i.  das  Versammlungshaus  der  Ge- 
meinde zu  den  regelmässigen  Gottesdiensten;  hingegen 
kreisförmige,  polygonale  oder  zentral  kombinierte  Pläne 
kommen  im  Abendlande  bloss  accessorisch  und  bloss  für 
einen  beschränkten  Kreis  von  Aufgaben,  für  Tauf- und  Grab- 
kirchen, in  Anwendung. 

In  Bezug  auf  diese  Sätze,  wie  nicht  verschwiegen  werden  soll, 


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Kapitel  I:  Geschichtliche  Stellung. 


'S 


haben  wir  die  herrschende  Meinung  wider  uns.  Wenn  oft  und  von 
hochgeschätzten  Forschern  ausgesprochen  ist,  dass  der  Baukunst  der 
ersten  christlichen  Jahrhunderte  >  eine  Kühnheit,  eine  Frische  der  Phan- 
tasie und  eine  jugendliche  Lust  an  Erfindungen  eigen  sei,  die  einen 
Beweis  von  der  anregenden  Kraft  gäbe,  welche  das  Christentum  auf 
die  Völker  ausübte«;  dass  sie  *  durch  einen  grossartigen  Aufschwung 
in  Bezug  auf  Konstruktion  und  Raumgliederung  die  Leistungen  des 
Römertums  verdunkelt  habe*;  und  gesteigerte  Bewunderung  hierfür 
angerufen  wird  durch  den  Hinweis  auf  den  gleichzeitigen  Verfall  der 
heidnischen  Antike:  so  können  wir  unsererseits  die  behauptete  Aus- 
nahmestellung der  christlichen  Baukunst  so  wenig  anerkennen,  dass  wir 
die  grosse  geschichtliche  Bedeutung,  die  ihr  ganz  gewiss  zukommt, 
vielmehr  in  einer  entgegengesetzten  Thatsache  finden,  in  der  Reduk- 
tion, nicht  in  der  Vermehrung  der  Mannigfaltigkeit  der  römischen 
Kompositionsformen *).  In  der  That  hängt  die  ganze  Differenz  der 
Auffassung  von  einer  nur  kleinen  Summe  von  Baudenkmälern ,  be- 
ziehungsweise Baumotiven  ab,  welche  die  anderen  als  christliche  Neu- 
schöpfungen in  Anspruch  nehmen,  während  wir  sie  älteren,  heidnischen 
Ursprunges  erachten.  Die  Rechtfertigung  unserer  Abweichung  gehört 
in  den  speziellen  Teil ;  hier  wollen  wir  nur  die  daraus  sich  ergebenden 
allgemeinen  Gesichtspunkte  noch  eine  Strecke  weiter  verfolgen. 

Die  Grundstimmung  der  architektonischen  Kunst  ist  zu  allen  Zeiten 
am  tiefsten  bedingt  gewesen  durch  die  jeweilige  Stellung  der  Religion 
innerhalb  des  geistigen  Gesamtlebens.  Es  hatten  die  alten  Griechen 
nur  einen  baulichen  Haupttypus,  weil  nur  eine  bauliche  Hauptauf- 
gabe gekannt :  den  Tempel.  Dann,  durch  die  grosse  innere  Wandelung, 
die  mit  dem  Aufgehen  des  Hellenentums  in  den  Hellenismus  eingeleitet 
wird,  wurde  jene  Einheit  in  Vielheit  aufgelöst.  Was  Alexandrien  be- 
gann, setzte  Rom  grossartigst  fort.  Neben  dem  Sakralbau  gelangten 
profane  Aufgaben  von  unabsehbarer  Mannigfaltigkeit  zu  breitester  Gel- 
tung ;  zentrale  und  kombinierte  Pläne  beschäftigten  lebhaft  die  Phantasie ; 
die  Wirkungen  der  Grossräumigkeit  wurden  mit  gewaltiger  Kühnheit 
und  nach  den  verschiedensten  konstruktiven  Systemen,  in  Verbindung 
mit  flacher  Bedeckung  wie  mit  Gewölben  und  Kuppeln,  durchgeprobt. 
Zu  alledem  hat  der  christliche  Geist  nichts  Neues  mehr  hinzugetragen. 
Die  grosse  Revolution,  die  er  hervorrief,   liegt  in  etwas  anderem. 


')  Vielheit  der  Kompositionsmotive  ist  Uberhaupt  nicht  ein  Kennzeichen  jugend- 
licher, sondern  alternder  Bauepochen:  Alexandria,  das  kaiserliche  Rom,  der  Barocco. 


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16 


Erstes  Bach  :  Der  christlich-antike  Stil. 


Darin,  wir  wiederholen  es,  dass  er  die  Vielheit  der  Bauaufgaben  wieder 
auf  eine  allbeherrschende  einige  zurückführt;  nicht  sowohl  durch  Um- 
wandelung  der  Kunstgesinnung  als  durch  Wiederherstellung  der  Religion 
als  zentrales  Lebensmotiv.  Er  setzte  damit  für  die  zukünftige  Baukunst 
des  Mittelalters  analoge  Vorbedingungen,  wie  die,  welche  über  den  An- 
fangen der  griechischen  gewaltet  hatten,  und  so  wurde  es  möglich, 
dass  auf  der  Höhe  des  Mittelalters,  aus  der  fortgesetzten  Konzentration 
aller  Baugedanken  auf  den  einen  sakralen  Zweck,  die  Gotik  geboren 
wurde:  zum  zweitenmal  ein  wahrer  organischer  Stil,  gleich  dem  griechi- 
schen Tempelstil. 

Die  Einwirkung  des  Christentums  auf  die  Baukunst  äusserte  sich 
jedoch  auf  sehr  verschiedene  Weise  im  Orient  und  im  Occident.  Nur 
auf  den  letzteren  bezieht  sich  unser  obiger  Satz  von  der  exklusiven 
Geltung  des  Basilikentypus.  Die  politische  Trennung  des  Kaiserreiches 
in  ein  östliches  und  westliches  war  nur  der  letzte  Ausdruck  einer  von 
innen  her  wirkenden  Auseinanderlösung,  die  lange  vorher  allgemach 
begonnen  hatte  al»  eine  unvermeidliche,  seitdem  die  zusammenhaltenden 
Mächte,  die  Energie  des  römischen  Staatsgedankens  und  der  Univer- 
salismus der  hellenistischen  Kultur,  zunehmender  Entkräftung  erlagen. 
Wie  aber  die  vom  Römerreich  umschlossene  Weltbildung,  die  grosse 
Arbeit  des  christlichen  Denkens  nicht  ausgenommen,  nach  ihrer  wesent- 
lichsten Substanz  griechisch  war:  so  bewährte  sie  gleichfalls  bei  den 
Griechen,  ob  auch  sichtlich  gealtert  und  degeneriert,  die  zähere  Lebens- 
dauer. Und  so  gewann  auch  in  der  Baukunst  die  griechisch-orientalische 
Kirche  ein  Herz  für  einen  Teil  der  antiken  Erbschaft,  welchem  die 
Kirche  des  Abendlandes  die  Aufnahme  so  gut  wie  ganz  versagte.  Wir 
meinen  den  Gewölbebau  in  Verbindung  mit  zentralen  Grundplänen. 
Auf  beides  hat  Griechenland  und  der  Orient,  wiewohl  auch  hier  die 
Basilika  die  ursprüngliche  Form  der  Gemeindekirche  war,  nicht  ver- 
zichten wollen  bei  Werken  von  höchster  monumentaler  Absicht.  Ein 
frühes  Beispiel  dieser  Richtung  sehen  wir  in  der  von  Eusebius  be- 
schriebenen Hauptkirche  zu  Antiochien,  ihren  glanzenden  Abschluss  in 
der  Hagia  Sophia  Kaiser  Justinians. 

Im  lateinischen  Westen  hat  auf  allen  Gebieten  der  Niedergang 
früher  begonnen  und  rascher  um  sich  gegriffen.  Das  Ende  des  dio- 
kletianischen Zeitalters  ist  für  Rom  und  Italien  das  Ende  der  grossen 
weltlichen  Baukunst.  Die  siegreiche  Kirche  während  des  folgenden 
Jahrhunderts  baut  viel,  aber  nicht  mehr  gross  im  Sinne  der  Vorzeit; 
mit  den  alten  Ausdrucksmitteln,  aber  nicht  mehr  in  der  alten,  sondern 


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Kapitel  I :  Geschichtliche  Stellung. 


17 


einer  völlig  veränderten  Grundstimmung.  Das  stolze  und  ruhige  Ver- 
trauen auf  die  Unerschütterlichkeit  des  bestehenden  Zustandes,  das  aus 
der  verschwenderischen  Solidität  der  Römerbauten  zu  uns  redet,  ist 
nun  in  sein  Gegenteil  umgeschlagen.  Die  altchristliche  Baukunst  ist 
die  Kunst  eines  aufs  äusserste  übermüdeten  Geschlechtes.  Sie  kargt 
und  vergeudet  zugleich.  Die  Beraubung  und  Zerstörung  der  Ahnen- 
werke ist  ihr  Leben.  Wie  es  möglich  ist,  dass  viele  Betrachter  hier 
Züge  von  »jugendlicher  Frische«  begrüssen  können,  würde  uns  unbe- 
greiflich bleiben,  hätten  nicht  Greisentum  und  Kindheit  eine  verhängnis- 
volle Aehnlichkeit.  Dass  aber  in  dieser  dem  Alter  erliegenden  Kunst 
von  der  ehemaligen  Grossheit  nicht  immer  noch  ein  ehrfurchtgebietender 
Anteil  fortlebe,  sind  wir  gewiss  die  letzten  in  Abrede  zu  stellen. 

.  .  Und  überdies  wäre  es  sehr  verfehlt,  den  Massstab  des  Urteils 
allein  dem  Vergleich  mit  dem  Vergangenen  zu  entnehmen.  Der  zu 
der  aufsteigenden  Linie  der  Jahrhunderte  sich  hinüberwendende  Blick 
erkennt  in  den  Denkmälern  der  christlichen  Frühzeit  zugleich  die  An- 
weisung auf  ein  grosses  Neue.  Noch  nicht  dieses  Neue  selbst ,  aber 
die  Vorbereitung  dazu.  Die  antike  Baukunst  als  Ganzes  dem  Mittel- 
alter zu  überliefern  lag  überhaupt  nicht  in  der  Macht  der  Kirche ;  hätte 
sie  es  vermocht,  so  wäre  die  Geschichte  um  die  grossen  Erscheinungen 
des  romanischen  und  gotischen  Stils  ärmer  geblieben.  Anstatt  dessen 
hat  das  zur  Lehrerin  des  sich  neu  gestaltenden  Abendlandes  berufene 
christliche  Rom  aus  der  Fülle  der  Baugedanken  seiner  Ahnen  nur  einen 
einzigen  aufbewahrt  und  weitergetragen:  d.  i.  den  als  einheitliche 
Innenperspektive  gedachten  Longitudinalbau.  Sie  hat  diesem  Ge- 
danken noch  keine  neue  Fassung  gegeben ,  wohl  aber  in  der  innigen 
Beziehung  zu  dem,  im  Altardienste  gipfelnden,  Kultus  ein  Lebensprinzip 
von  vielseitigster  Entwicklungsfähigkeit.  Der  Kirchenbau  des  abend- 
ländischen Mittelalters  bewegt  sich  strikte  auf  der  vorgezeichneten 
Linie:  er  ist  wesentlich  Geschichte  der  Basilika.  Der  Renaissance 
—  und  dürfen  wir  hinzufügen :  der  Gegenwart  ?  —  verblieb,  den  römi- 
schen Zentralbaugedanken  die  hohe  Stellung  wiederzugeben,  die 
ihnen  gebührt. 


2 


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Zweites  Kapitel. 


Der  Zentralbau. 


Litteratur.  —  ALLGEMEINES.  A\  Kahn :  Ueber  den  Ursprung  and  die  Entwicke- 
lung  des  christlichen  Zentral-  und  Kuppelbaues.  Leipzig  1866.  8°.  Ch.  Lucas:  Les 
eglises  circulaires  d'Angleterre  *.  Paris  1882.  40.  S.  A.  aus  den  Annales  de  la  societe 
centrale  des  Architects  I.  s^rie,  vol.  II.  1881  ;  enthält  eine  Uebersicht  und  kurze  Be- 
schreibung der  wichtigsten  antiken  und  christlichen  Zentralbauten.  Ueber  das  Wesen  des 
Z.-B.  sind  die  feinen  Bemerkungen  J.  Burckhardts :  Gesch.  d.  Renaissance  in  Italien*, 
Stuttg.  1878,  zu  vergleichen.  —  Aufnahmen.  C\  E.  Isabelle:  Les  ödifices  circulaires  et 
les  dömes.  Paris  1855.  2°.  Hübsch:  Die  altchristlichen  Kirchen  nach  den  Baudenk- 
malen und  Siteren  Beschreibungen.  Karlsruhe  1863.  20.  —  Für  Italien.  C.  E.  Isabtllt . 
Parallele  des  salles  rondes  en  Italic.  Paris  1831.  O.  Mothts :  Die  Baukunst  des  Mittel- 
alters in  Italien.  Jena  1884.  8°.  Bd.  I.  Oberitalien.  F.  Dartein:  Etüde  sur  l'archi- 
tecture  Lombarde.  Paris  1865  ff.  40  und  2°.  Rom.  Beschreibung  der  Stadt 
Rom  von  E.  Plattier,  C.  Bunsen  u.  a.  3  Bde.  Stuttgart  und  Tübingen  1829 — 42.  8°. 
Le  rovine  di  Roma.  Studj  del  Bramantino  (Bartolomeo  Suardi)  ed  Mongeri.  Milano 
1875.  40;  sehr  interessante  Grundrissaufnahmen  von  meist  nicht  mehr  bestehenden 
Zentralbauten.  F.  IHranesi .  La  villa  Adriana.  Ravenna.  A.  F.  v.  Quast:  Die  alt- 
christlichen Bauwerke  von  Ravenna  vom  V.  bis  IX.  Jahrhundert.  Berlin  1842.  2°. 
R.  Rahn:  Ravenna.  Leipzig  1869.  8°.  S.  A.  aus  Zahns  Jahrbüchern  f.  Kunstwissen- 
schaft. C.  Ricci-  Ravenna.  Ravenna  1878.  8°.  —  Konstantinopel.  Salzenberg .-  Die 
altchristlichen  Denkmale  von  Konstantinopel  vom  V.  bis  XII.  Jahrhundert.  Berlin  1854.  2°. 
Pulgher:  Les anciennes Iglises  byzantines  i Constantinople.  Vienne  1878.  2'.  -  Palaestina. 
De  Voguc:  Les  eglises  de  la  terre  sainte.  Paris  1860.  40,  auszüglich  in  Allg.  Bz.  1873. 
Syrien.  De  Voguc:  Syrie  centrale.  Paris  1865.  4".  —  Monographien:  Pantheon. 
F.  Adler:  Das  Pantheon  zu  Rom.  Berlin  187 1.  (Winckelmann  Programm).  Heilige 
Grabkirche.  Ausser  De  Voguc'  ist  zu  nennen:  Unger:  Die  Bauten  Konstantins  d.  Gr. 
am  hl.  Grabe.  1863.  S.  A.  aus  Benfeys Orient  und  Occident  Bd.  II.  Kelsendom.  De  Voguc. 
Le  Temple  de  Jerusalem.  Paris  1864.  20.  Ungcr  a.  a.  O.  Fergusson:  An  Essay  on 
the  ancient  topography  of  Jerusalem.  Sepp:  Die  Felsenkuppel,  eine  justinianische  Sophien- 
kirche. München  1882.  8°.  Trier:  ».  Wilmowsky:  Der  Dom  zu  Trier.  Trier  I874. 
4"  u  20.    S.  Lorenzo  in  Mailand.    P.  Rotta.    Milano  1882. 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


19 


1.  Allgemeines. 

Die  alexandrinische  und  weiterhin  die  römische  Baukunst  löst  den 
strengen  Organismus  des  hellenischen  Säulen-  und  Architravbaues  auf 
und  schaltet  frei  mit  den  überkommenen  Formen,  deren  symbolischer 
Bezug  ihrem  Bewusstsein  mehr  und  mehr  entschwindet.  Will  man 
diesen  Prozess  beklagen,  immerhin,  man  halte  sich  aber  gegenwärtig, 
dass  mit  dem  Parthenon  —  als  Repräsentanten  einer  Gattung  —  eine 
Entwicklungsreihe  abgeschlossen,  ein  absoluter  Höhepunkt  erreicht  ist, 
von  dem  die  Wege  naturgemäss  abwärts  fuhren,  und  man  wird  zugeben 
müssen,  dass  gleichzeitig  mit  dem  Abgehen  vom  streng  Organischen 
neue,  grossartige  architektonische  Probleme  aufgenommen  wurden, 
Probleme,  an  deren  Lösung  Jahrtausende  gearbeitet  haben,  ohne  sie 
völlig  zu  erschöpfen.  Unter  diesen  steht  die  Einführung  des  Gewölbes 
in  den  Hochbau  als  formbestimmenden  Elementes  für  den  oberen 
Raumabschluss  in  erster  Linie.  Sie  zieht  eine  völlige  Revolution  des 
Raumsinnes  nach  sich  und  verlegt  den  Schwerpunkt  der  künstlerischen 
Gestaltung  in  das  Innere  der  Gebäude.  Werden  vollends  wie  in  den 
römischen  Palästen  und  Thermen  mehrere  gewölbte  Räume  zusammen- 
gruppiert, so  ist  die  überwiegende  Bedeutung  des  Innenbaues  ent- 
schieden; ein  Kompositionsprinzip,  welches  in  der  letzten  Epoche  der 
antiken  Architektur,  der  christlichen,  zu  gänzlicher  Vernachlässigung 
des  Aeusseren  führt. 

Die  römische  Architektur  überwölbt  Räume  der  verschiedensten 
Gestalt,  und  wenn  sie  die  höchste  Form  des  Gewölbebaues,  den  Zen- 
tralbau, nur  nebenher  oder  als  gleichberechtigt  mit  anderen  Gestal- 
tungen behandelt,  so  nimmt  sie  doch  die  Ausbildung  seiner  verschiede- 
nen Grundmotive  mit  Energie  und  konstruktivem  wie  formalem  Geschick 
in  Angriff.  Der  altchristliche  Zentralbau  erscheint  als  die  unmittelbare 
Fortsetzung  des  heidnisch-antiken ;  an  ihm  lässt  sich  das  Verhältnis  der 
altchristlichen  Baukunst  überhaupt  zur  heidnisch-antiken  am  klarsten 
erkennen ;  unsere  Untersuchung  soll  deshalb ,  obgleich  seine  Bedeutung, 
nie  oben  angedeutet,  nur  eine  sekundäre  ist,  von  ihm  ihren  Ausgang 
nehmen. 

Das  Wesen  des  Zentralbaues  fordert  das  Dominieren  einer  verti- 
kalen Mittelaxe,  um  die  sich  der  Grundriss  eurhythmisch  gruppiert, 
Grundlage  können  also  neben  dem  Kreis  alle  regulären  Polygone  sein. 
Der  so  bestimmte  Begriff  erfährt  nun  sofort  gewisse  Einschränkungen 


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Erstes  Buch  :  Der  christlich-antike  Stil. 


wie  Erweiterungen.  Die  Seitenzahl  darf  nur  eine  beschränkte  sein, 
wenn  der  Eindruck  nicht  unklar  werden  soll.  Das  Bedürfnis  des  Auges 
nach  festen  Anhaltspunkten  verlangt,  dass  der  Grundriss  zu  zwei  auf- 
einander senkrechten  Axen  symmetrisch  ist,  ja  die  höchsten  Wirkungen 
sind  nur  da  zu  erzielen,  wo  beide  Axen  miteinander  vertauscht  werden 
können.  So  wären  also  Polygone  von  ungerader  Seitenzahl  auszu- 
scheiden und  würden  im  Sinne  der  letzten  Bestimmung  nur  solche  bei- 
behalten, deren  Seitenzahl  mit  4  teilbar  ist »).  Flachgedeckte  Zentral- 
bauten entbehren  der  höheren  Weihe.  Der  obere  Raumabschluss  muss 
dem  Grundriss  entsprechend  gerundet  sein. 

Sind  diese  beschränkenden  Forderungen  ästhetischer  Natur,  so 
ergeben  sich  die  Erweiterungen  aus  dem  Bedürfnisse  des  Systems, 
Gebäude  zu  klassifizieren,  in  welchen  zwar  das  zentrale  Element  vor- 
herrscht, aber  nicht  völlig  klar  zum  Ausdruck  gelangt.  Es  sind  ge- 
wissermassen  Trübungen  des  reinen  Formgedankens,  veranlasst  durch 
die  liturgische  Forderung  einer  Verhüllung  des  Allerheiligsten.  Man 
konnte  sich  nicht  entschliessen ,  den  Altar  in  die  Mitte  zu  stellen, 
sondern  brachte  ihn  in  einem  besonderen  Altarhause  (Apsis)  unter, 
welches  die  Eurhythmie  der  Anlage  unterbricht.  Endlich  kommen 
Verquickungen  des  Zentralbaues  mit  der  Basilika  vor  und  erlangen 
sogar  zeitweise  eine  grosse  Verbreitung.  Alle  diese  Anlagen  Verstössen 
.  gegen  das  Wesen  des  Zentralbaues  darin,  dass  sie  die  Richtungslosig- 
keit  aufheben  und  eine  Hauptrichtung  einfuhren.  Ersterer  Art  sind 
die  meisten  byzantinischen  Kirchen,  letzterer  die  rheinisch-romanischen 
Drei -Konchen -Kirchen,  die  Nachbildungen  der  (modernen)  Peters- 
kirche u.  a. 

Im  Abendlande  war  und  blieb  die  Basilika  die  ausschliessliche 
Form  der  Gemeindekirche.  Zu  enge  war  die  Gottesdienstordnung  mit 
dem  basilikalen  Grundrisse  verknüpft,  als  dass  sie  sofort  und  ohne 
Modifikationen  auf  Zentralbauten  hätte  übertragen  werden  können. 
Von  den  jetzt  als  Kirchen  verwendeten  frühchristlichen  Zentralbauten 
(soweit  sie  nicht  unter  byzantinischem  Einflüsse  entstanden  sind) 
lässt   sich  denn  auch  in  keinem  einzigen  Falle  die*  ursprüngliche 


')  Diese  letzten  Forderungen  lassen  sich  abstrakt  nicht  begründen,  denn  die  im 
Wesen  des  Zentralbaues  liegende  Richtungslosigkeit  ist  bei  ungerader  Seitenzahl  ebenso 
gewahrt  wie  bei  gerader,  sie  scheinen  vielmehr  in  den  perspektivischen  Gewohnheiten 
unsres  Auges  begründet  zu  sein.  Die  Praxis  nimmt  auf  diese  Forderung  nicht  immer 
Rücksicht,  es  kommen  fünfeckige  und  siebeneckige,  sogar  auch  dreieckige  Zentralbauten  vor, 
symbolische  Gründe  dürften  für  die  Wahl  solcher  Formen  entscheidend  gewesen  sein. 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


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Bestimmung  zur  Gemeindekirche  unzweifelhaft  nachweisen.  Die  An- 
wendung des  Zentralbaues  beschränkt  sich  auf  kirchliche  Nebenformen, 
Grab-  und  Denkmalskirchen  und  Baptisterien ;  erstere  im  Anschluss  an 
antike  Sitte,  letztere  einem  neuen  Bedürfnisse  entsprechend ;  in  beiden 
Anwendungen  mit  unmittelbarer  Verwendung  antiker  Motive.  Die  sym- 
bolischen Beziehungen,  welche  man  der  Form  und  den  einzelnen  Teilen 
dieser  Bauten  (vgl.  die  bekannten  Verse  des  Ambrosius)  untergelegt 
hat,  sind  architektonisch  völlig  bedeutungslos,  aus  den  üblichen  Formen 
abgeleitet  und,  von  Kleinigkeiten  abgesehen,  ohne  Einfluss  auf  deren 
Ausbildung.  Gänzliche  Entwicklungslosigkeit ,  ein  kümmerliches  Aus- 
leben ererbter  Motive  ist  das  Cliarakteristikum  des  christlich-antiken 
Zentralbaues  im  Abendlande.  Anders  im  Orient,  wo  sich  der  Kultus 
des  Zentralbaues  bemächtigt  und  ihn  seinen  Anforderungen  gemäss 
ausgestaltet;  eine  kurze,  glänzende  Entwicklungsreihe  erreicht  um  die 
Mitte  des  saec.  VI  in  der  Sophienkirche  Justinians  ihren  Höhepunkt  und 
zugleich  ihr  Ende;  eine  andere  Form  hat  in  Jerusalem  ihre  Heimat 
(hl.  Grab).  Wir  müssen  den  Haupttypen  der  byzantinischen  Baukunst 
wegen  des  Einflusses,  den  sie  zu  verschiedenen  Zeiten  auf  das  Abend- 
land geübt  hat,  im  folgenden  wenigstens  eine  kurze  Betrachtung  zu 
Teil  werden  lassen. 

Die  historische  Aufgabe  des  christlich-antiken  Zentralbaues  ist 
denn  auch  keine  formal-produktive,  sondern  eine  konstruktiv- 
konservative; er  ist  der  Träger  der  technischen  Traditionen  des  an- 
tiken Gewölbebaues  bis  zu  dem  Zeitpunkt,  wo  das  grosse  Problem  der 
mittelalterlichen  Architektur,  die  Ueberfuhrung  der  flachgedeckten  Basi- 
lika in  einen  organischen  Gewölbebau,  klar  erkannt  und  allseitig  in  An- 
griff genommen  wird.  Die  Basilika  trägt  die  befruchtenden  Keime  für 
diesen  Entwicklungsprozess  nicht  in  sich,  sie  werden  ihr  von  aussen 
zugeführt  und  sind  dem  Zentralbau  entnommen,  in  dem  sich  die  Uebung 
des  Wölbens  ununterbrochen  erhalten  hatte. 


2.  Die  einfache  Rotunde. 

Die  morphologische  Entwicklung  des  Tholos,  der  Kuppel  oder 
des  Klostergewölbes  auf  rundem,  beziehungsweise  polygonem  Unterbau, 
zu  reicheren  Formen  beginnt  mit  der  Gliederung  durch  Nischen 
in  den  Umfassungswänden.  In  dieser  Entwicklung  walten  bald  konstruk- 
tive, bald  ästhetische  Absichten  vor  und  können  in  der  Untersuchung 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


nicht  stets  auseinander  gehalten  werden,  da  das  gegenseitige  Bedingt- 
sein der  Teile  eines  Zentralbaues  einen  viel  engeren  Zusammenhang 
von  Konstruktion  und  Form  mit  sich  bringt,  als  dies  bei  anderen  An- 
lagen der  Fall  ist.  Der  Nischenbau,  eine  Anwendung  des  Haupt- 
prinzipes  der  römischen  Baukonstruktion  (vgl.  Kap.  IV,  Abschnitt  3),  hat 
zunächst  den  Zweck,  die  Mauermasse  zu  verringern  und  auf  ein  not- 
wendiges Minimum  zu  beschränken,  er  liefert  jedoch  sofort  ein  frucht- 
bares künstlerisches  Motiv.  Zumeist  sind  es  8  Nischen ;  bald  alle  gleich, 
bald  in  rhythmischem  Wechsel  von  rechteckiger  und  halbrunder  Grund- 
form, ermöglichen  sie  schon  sehr  ansprechende  Grundrissgestaltungen 
(z.  B.  Taf.  1,  Fig.  3).  Bereichert  wird  der  Eindruck  durch  die,  frei- 
lich nur  bei  ganz  grossen  Gebäuden  mögliche,  Anordnung  von  Säulen- 
stellungen in  den  Oeffnungen  der  Nischen  (Pantheon)  oder  durch  Säulen, 
welche  vor  die  Pfeiler  zwischen  den  Nischen  gestellt  werden.  Dies 
ist  in  äusserlich  dekorativer  Weise  geschehen  an  dem  Jupitertempel  zu 
Spalato,  in  engerem  Zusammenhang  mit  der  Konstruktion  an  mehreren 
Baptisterien.  Aber  auch  die  letzteren  Versuche  befriedigen  nicht:  wohl 
tragen  die  Säulen  zur  Belebung  bei,  allein  das  Auge  verlangt  für  den 
Schildbogen  der  Nische,  der  die  Obermauer  trägt,  ein  festeres  Auf- 
lager ;  die  Säule  erscheint  schwächlich,  nicht  an  sich,  sondern  weil  sie 
sich  nur  als  Ausschnitt  (Schwächung)  des  unmittelbar  hinter  ihr  be- 
findlichen Pfeilers  darstellt. 

Die  Nischen  reichen  auch  bei  ganz  eingebauten  Räumen  nie  höher 
als  bis  zum  Ansatz  der  Kuppel,  wie  überhaupt  die  römische  Baukunst 
die  Verschneidungen  verschiedener  Gewölbe  thunlichst  vermeidet,  und  es 
ist  somit  schon  von  Anfang  an  der  sogen,  basilikale  Querschnitt  (vgl.  unten 
Kap.  III  Abschnitt  2)  im  Zentralbau  latent.  Aber  in  dieser  unfertigen 
Gestalt  kommt  er  bei  den  antiken  Monumenten  (wenigstens  den  uns 
erhaltenen)  nur  im  Inneren  zur  Geltung,  während  das  Aeussere  als 
gerader  Cylinder  gestaltet  ist.  Die  christlichen  Monumente  zeigen  im 
Aeussercn  nach  oben  eine  Verjüngung:  sei  es  Ueberfuhrung  des  Qua- 
drates ins  Achteck,  sei  es  Zurücktreten  des  oberen  Oktogones  gegen 
das  untere.  Man  wird  indes  bei  der  Identität  der  Innenarchitektur 
den  Gegensatz  nicht  als  heidnisch  und  christlich,  sondern  als  Betonbau 
und  Backsteinbau  (Mauer  in  Verband)  zu  fassen  haben,  wobei  einer- 
seits festzuhalten  ist,  dass  in  früherer  Zeit  der  erstere,  in  späterer  der 
letztere  verbreiteter  war,  anderseits,  dass  der  höhere  Materialwert  des 
Backsteines,  wo  nicht  die  kirchliche  Bestimmung  das  Gebäude  schützte, 
zur  Zerstörung  und  andenveiten  Verwendung  reizte. 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


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Es  ist  endlich  der  Licht  Zuführung  zu  gedenken.  Die  Beleuch- 
tung durch  ein  mittleres  Oberlicht,  vollkommen  einheitlich  und  von 
herrlichster  Wirkung,  ist  aus  praktischen  Rücksichten  nicht  allgemein 
anwendbar,  weshalb  schon  frühe  (Minerva  medica)  Fenster  in  der  Ober- 
mauer vorkommen  und  bei  den  christlichen  Zentralbauten  ausschliess- 
liche Regel  werden. 

FRIGIDARIUM  DER  FORUMSTHERMEN  ZU  POMPEJI  (Taf.  1, 
Fig.  1).  Erbaut  in«den  ersten  Zeiten  der  römischen  Kolonie  (a.  80  bis 
60  v.  Chr.),  jetzige  Dekoration  nach  a.  63  n.  Chr.  Ein  kreisförmiger 
Raum,  quadratisch  ummauert,  wobei  die  Mauermasse  der  Ecken  durch 
Nischen  verringert  ist,  wird  von  einem  steil  ansteigenden  konischen 
Gewölbe  überdeckt.  Ursprünglich  auf  künstliche  Beleuchtung  angelegt. 
Architektonisch  wenig  entwickelt,  ist  dieser  kleine  Raum  in  Stuck  und 
Farbe  aufs  glücklichste  dekoriert  und  gewinnt  dadurch  den  anmutigen 
Reiz,  der  uns  an  den  Bauten  Pompejis  so  sehr  anspricht 

ACHTECKIGER  RAUM  IN  DEN  CARACALLA-THERMEN  ZU 
ROM  (Taf.  i,  Fig  2).  Die  südöstlich  vom  Hauptbau  vereinzelt  stehende 
Ruine  ist  in  mehrfacher  Hinsicht  interessant.  Das  Untergeschoss  — 
mit  Nischen,  welche  den  Diagonalaxen  entsprechend  in  der  Mauer- 
masse ausgespart  sind  (Fig.  2,  links),  das  Obergeschoss  mit  Fenstern 
nach  allen  Seiten,  welche  sich  jedoch  auf  den  Diagonalseiten  nur  nach 
Hohlräumen  in  der  Umfassung  öffnen  (Fig.  2,  rechts,  Blouet,  les  Thermes 
de  Caracalla  PI.  VII).  Das  runde  Kuppelgewölbe  setzt  über  Hänge- 
zwickeln an  (Taf.  39,  Fig.  8).  Ein  ähnlicher  Raum  im  flavischen 
Palast  auf  dem  Palatin  (Taf.  15,  Fig.  4). 

Oktogone  durch  8  Nischen  erweitert  finden  wir  im  Untergeschoss 
des  PALASTES  DES  AUGUSTUS  auf  dem  Palatin  (Taf.  1,  Fig.  3,  4)» 
die  rechteckigen  Nischen,  den  Hauptaxen  entsprechend,  wiederum 
durch  kleinere  Nischen  gegliedert,  sehr  schön  im  Grundriss,  etwas 
kleinlich  im  Aufbau.  Die  Lichtzuführung  durch  tief  angebrachtes  Seiten- 
licht und  ein  Opäon  im  Scheitel  des  Gewölbes  war  mangelhaft,  wie 
bei  vielen  antiken  Räumen.  Der  Palast  des  Augustus  in  dem  der- 
maligen Klostergute  der  Salesianerinnen  ist  jetzt  unzugänglich.  Aufn. 
bei  Guattani,  mon.  inediti,  1785. 

Vornehmlich  beliebt  war  das  Motiv  für  Grabmäler. 
TORRE  DE*  SCHIAVI  an  der  via  Praenestina  (Taf.  1,  Fig.  5), 
3  Miglien  vor  porta  maggiore  (saec.  III),  mit  einer  Vorhalle.  8  abwech- 
selnd rechteckige  und  halbrunde  Nischen  gliedern  das  Innere.  Be- 
leuchtung durch  Rundfenster  im  unteren  Teil  der  Kuppel.  In  Anlage 
und  Proportionen  dem  Pantheon  verwandt  Aehnliche  Bauten  nicht 
selten. 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Von  christlichen  Denkmälern  sind  zunächst  einige  KATAKOMBEN- 
KAPELLEN zu  nennen.  Wir  geben  ein  Beispiel  nach  Hübsch  (Taf.  i, 
Fig.  6).  Aehnliche  Räume  in  den  Prätextatus-Katakomben  bei  L.  Perret, 
les  catacombes  de  Rome  I,  pl.  36  ein  Sechseck  mit  unregelmässig 
rundlichen  Nischen;  pl.  39  ein  runder  Raum  mit  6  Kompartimenten. 
Diese  Anlagen  sind  indes,  was  schon  ihre  chronologische  Stellung 
beweist,  keineswegs  die  Anfänge  der  Entwicklungsreihe. 

Die  Grabkapelle  der  H.  PETRONILLA  und  die  BASILIKA  DES 
H.  ANDREAS  (Taf.  t8)  südlich  der  alten  Peterskirche  zu  Rom.  Erstere 
von  Stephan  II.  um  die  Mitte  des  saec.  VIII  erbaut,  sicher  jedoch  älterer 
Gründung  —  Mausoleum  der  Töchter  Stilichos.  Ganz  der  vorigen 
gleich  S.  Andreas,  Anfang  saec.  VI.  Es  waren  einfache  Rundbauten  mit 
8  rechteckigen  Nischen.  —  Beschreibung  der  Stadt  Rom  II,  1,  S.  95  ff. 

Das  BAPTISTERIUM  DER  ARIANER  IN  RAVENNA  (Taf.  1, 
Fig.  7)1  ein  Oktogon  mit  Nischen  auf  vier  Seiten  (jetzt  nur  eine  er- 
halten) von  einer  Kuppel  auf  kleinen  Hängezwickeln  überspannt. 
Bull,  crist.  1866. 

Die  LIEBFRAUENKAPELLE  AUF  DER  BURG  ZU  WURZ- 
BURG (Taf.  1,  Fig.  8).  A.  706  von  Bonifatius  zur  Kirche  geweiht,  viel- 
leicht ein  römisches  Grabmal.  Der  obere  Teil  romanisch  aus  dem 
Ende  des  XI.  Jahrhunderts  oder  noch  jünger.  Hierher  gehört  seiner 
ursprünglichen  Anlage  nach  auch  St.  Gereon  zu  Köln,  und  der  >alte 
Türmt  zu  Mettlach  (Taf.  41). 

BAPTISTERIUM  ZU  ZARA  (Taf.  1,  Fig.  9).  Sechseckig  mit  halb- 
runden Nischen.  Der  Dom,  mit  welchem  es  zusammenhängt,  ist  in 
der  zweiten  Hälfte  des  saec.  XIII  erbaut,  doch  ist  es  möglicherweise  älter. 
Ueber  die  Form  des  Aufbaues  nichts  näher  bekannt.  —  Eitelberger 
im  Jahrbuch  der  k.  k.  Central-Commission  V  (1861). 

Ein  ganz  einfaches  Sechseck  (Taf.  1,  Fig.  10)  das  Baptisterium  der 
Basilika  auf  den  colli  di  Sto.  Stefano  bei  Tivoli.  Einfach  acht- 
eckig das  beim  Dom  von  Parenzo  (Taf.  16,  Fig.  2). 

MADONNA  DELLA  TOSSE  bei  Tivoli  (Taf.  1,  Fig.  11),  ein 
Grabmal,  welches  von  einigen  dem  4.,  von  anderen  dem  7.  Jahr- 
hundert zugeschrieben  wird,  ein  zweigeschossiger  Saal,  das  Obergeschoss 
von  grossen,  in  Nischen  stehenden  Fenstern  durchbrochen. 

Diese  einfache  Form  der  Rotunde  kommt  bei  Baptisterien  vor 
solange  solche  überhaupt  gebräuchlich  sind.  Daneben  aber  finden 
sich  schon  in  der  heidnischen  Antike  reichere  Ausgestaltungen  des 
Motives. 

Der  JUPITERTEMPEL  ZU  SPALATO,  erbaut  von  Diokletian 
(Taf.  3,  Fig.  1,  2).    Oktogon  mit  umlaufender  Säulenhalle  und  einer 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


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von  Säulen  getragenen  Vorhalle.  Im  Innern  ist  vor  den  Pfeilern  eine 
zweigeschossige  Säulenstellung  mit  verkröpftem  Gebälke  angebracht, 
welche  indes  mit  der  Konstruktion  nicht  zusammenhängt.  Interessantes, 
wenn  auch  konstruktiv  geringwertiges  Gewölbe.  Krypta.  Adams, 
Ruins  of  the  palace  of  Diocletian  at  Spalato,  1764.  Cassas,  voyage 
pittoresque  de  l'Istrie  et  de  la  Dalmatie.  Eitelberger  im  Jahrbuch  der 
k.  k.  C.-C.  1861.  Ein  ähnlicher  Grundriss  (Taf.  3,  Fig.  3)  im  Skizzen- 
buche des  Bramantino. 

In  engeren  Zusammenhang  mit  dem  baulichen  Organismus  ist  die 
Säule  gebracht  bei  einigen  Baptisterien : 

BAPTISTERIUM  BEIM  DOM  ZU  NOVARA,  jetzt  einziger  Rest 
der  alten  Anlage  (Taf.  3,  Fig.  4,  Taf.  16,  Fig.  10).  Freistehende  an- 
tike Säulen  vor  den  Pfeilern  tragen  die  Schildbögen  der  Nischen,  über 
welchen  sich  die  Obermauer  erhebt.  Klostergewölbe  mit  Laterne.  — 
Vergl.  v.  Osten,  Die  Bauwerke  der  Lombardei  vom  7.  bis  zum  14. Jahr- 
hundert.   Darmst.  1847. 

BAPTISTERIUM  ZU  ALBEGNA  (Riviera  di  Ponente).  (Taf.  3, 
Fig.  5,  6.)  Dem  vorigen  sehr  ähnlich.  Dem  saec.  VIII  oder  IX  zu- 
geschrieben, wohl  älter.  —  E.  Mella  in  den  Atti  della  societa  di  archeo- 
logia  per  la  prov.  di  Torino,  vol.  IV,  p.  56  ff.,  Tav.  17. 

BAPTISTERIUM  DER  ORTHODOXEN  —  S.  GIOVANNI  IN 
FÖNTE  ZU  RA  VENN  A  (Taf.  3,  Fig.  7,  8).  Erbaut  und  ausgeschmückt 
von  Bischof  Neo  a.  430.  Achteck  mit  4  Nischen  und  2  Eingängen. 
Ausser  dem  den  vorigen  analog  behandelten  unteren  Geschoss  hat  hier 
auch  die  Obermauer  eine  reiche  Gliederung  durch  Blendarkaden,  3 
auf  jeder  Seite  (die  mittlere  ein  Fenster  umfassend),  von  einem  grösse- 
ren auf  Konsolen  ruhenden  Bogen  umschlossen,  welcher  in  die  Kuppel 
einschneidet.  Die  wohlerhaltene  Dekoration  in  Stuck  und  Mosaik  vergl. 
Taf.  37. 

GRABMAL  DES  THEODERICH  ZU  RAVENNA  (Taf.  3,  Fig.  9, 10). 
Durch  seine  vorzügliche  Quadertechnik  vor  anderen  Bauten  des  saec.  VI 
ausgezeichnet.  Zweigeschossig,  der  untere  Raum  kreuzförmig,  der  obere 
rund.  Das  Aeussere  zehneckig,  unten  mit  tiefen  Nischen,  oben  mit 
einem  (ehemals)  bedeckten  Umgange.  Technik  der  an  den  Bauten 
Diokletians  zu  Spalato  verwandt.  Das  Ganze  sicher  nach  einem  jetzt 
verschwundenen  römischen  Vorbilde  konzipiert.  Eingehend  beschrieben 
bei  Rahn,  Ravenna,  S.  38  ff. 

Wir  wenden  uns  nochmals  zur  Antike  zurück,  um  das  Motiv  in 
seiner  grossartigsten  Gestalt  zu  betrachten. 

Das  PANTHEON  ZU  ROM  (Taf.  1,  Taf.  2),  das  besterhaltene  antike 
Monument,  eine  der  grössten  Schöpfungen  aller  Zeiten.    Erbaut  von 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


M.  Agrippa,  a.  u.  729  vollendet.  Die  neuerdings  erfolgte  Freilegung  der 
Rückseite  hat  die  Frage,  ob  es  zu  den  Thermen  des  Agrippa  gehörte,  oder 
von  Anfang  an  zum  Tempel  bestimmt  war,  in  letzterem  Sinne  entschieden. 
Rotunde  mit  achtsäuliger  Vorhalle.  Das  Innere  durch  8  abwechselnd 
rechteckige  und  halbrunde  Nischen  gegliedert,  deren  bedeutende  Grösse 
eine  Säulenstellung  vor  der  Oeflhung  veranlasst  hat.  Die  Bögen  über 
dem  ersten  Gesimse  jetzt  geschlossen;  fraglich,  ob  sie  überhaupt  ein- 
mal offen  waren ').  —  Ist  die  Last  der  Kuppel  durch  die  Nischen  auf 
8  Pfeiler  übertragen,  so  sind  diese  nochmals  durch  Hohlräume  ge- 
gliedert und  die  tragende  Fläche  sehr  wesentlich  reduziert  (vergl. 
auch  Taf.  39,  Fig.  11).  Gussmauerwerk  mit  vorzüglicher  Backstein- 
verkleidung. —  Die  moderne,  ziemlich  fragwürdige  Dekoration  vermag 
den  unvergleichlichen  Zauber  des  Gebäudes  nicht  zu  zerstören.  Wohl 
der  bestbeleuchtete  Raum  der  Welt;  völlige  Einheit  des  Lichtes  durch 
ein  grosses  Opäon  im  Scheitel  des  Gewölbes. 

In  der  grossen  ROTUNDE  DER  CARACALLA-THERMEN  (Taf.  1, 
Fig.  13),  welche  grundlos  als  Laconicum  bezeichnet  worden,  ist  endlich 
die  Mauer  ganz  durchbrochen  und  ruht  die  Kuppel  auf  8  —  4  einfachen 
und  4  doppelten  —  Pfeilern. 

3.  Folge  formen  des  Nischenbaues. 

Das  Bestreben,  die  Mauermasse  möglichst  zu  verringern,  welches 
erst  dazu  geführt  hatte,  Nischen  aus  dem  Mauerring  auszuschneiden, 
welches  weiterhin  Veranlassung  gab  zu  der  reichen  inneren  Gliederung 
der  Umfassungsmauern  des  Pantheon  und  zur  gänzlichen  Durchbrechung 
derjenigen  der  grossen  Rotunde  der  Caracalla-Thermen ,  bedingt  end- 
lich das  Verlassen  der  Kreisform  am  Aeusseren  der  Rundbauten,  deren 
Umfang  der  inneren  Peripherie  der  Nischen  folgend  gegliedert  wird. 
Die  Nischen  sind  hier  äusserlich  angefügte  Nebenräume,  welche  den 
auf  Pfeilern  ruhenden  Mittelbau  umgeben.  Aber  auch  damit  begnügte 
man  sich  nicht.  Auch  die  Umfassungswand  der  Nischen  wurde  durch- 
brochen und  der  Blick  nach  ausserhalb  gelegenen  Nebenräumen  frei- 
gegeben.   Minerva  medica.  —  Damit  sind  Grundrisslösungen  an- 


•)  Die  Restauration  auf  Taf.  2  nach  F.  Adler  hat  so  grosse  künstlerische  Vorzüge, 
dass  wir  hier,  wo  das  Pantheon  nur  als  Repräsentant  eines  grossartigen  Nischenbaues  in 
Betracht  kommt,  von  der  archäologischen  Richtigkeit  oder  Unrichtigkeit  absehen  können. 
Fehlerhaft  ist  auf  alle  Fälle,  dass  die  Bogen  der  seitlichen  Nischen  über  einer  Attika 
ansetzen  und  so  viel  höher  werden,  als  die  der  Hauptkoncha  und  des  Einganges,  welche 
unmittelbar  Uber  dem  Gesimse  beginnen. 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


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gebahnt,  wie  wir  sie  bei  S.  Vitale  zu  Ravenna  und  anderen  byzan- 
tinischen Bauten  finden.  Freilich  fehlen  zwischen  den  beiden  genannten 
Beispielen  einige  Zwischenglieder,  weniger  im  Grundriss,  denn  von  der 
Durchbrechung  von  4  Nischen,  die  sich  nach  zwei  getrennten  Neben- 
räumen öffnen  —  Minerva  medica  —  ist  nurmehr  ein  Schritt  zur  Durch- 
brechung aller  und  zum  ringsum  geführten  Umgang  —  S.  Vitale  — , 
als  im  Aufbau.  Hier  waltet  ein  prinzipieller  Unterschied.  Der  Haupt- 
raum der  Minerva  medica  mit  seinen  Nischen  besteht  für  sich,  die 
wahrscheinlich  unbedeckten  Nebenräume,  wenn  sie  überhaupt  dem 
Hauptbau  gleichzeitig  waren,  sind  eine  äusserliche  Hinzufügung. 

Der  sogenannte  Tempel  der  MINERVA  MEDICA  auf  dem  Esquilin 
(Taf.  4  und  5).  Weder  seine  Bestimmung  noch  seine  Erbauungszeit  ist 
bekannt.  Die  Benennung  M.  m.  gründet  sich  auf  eine  Stelle  der 
Mirabilien,  ist  aber  ganz  unerwiesen.  Die  geringe  Technik,  die 
Mängel  der  Kuppelkonstruktion  und  grosse  Unregelmässigkeiten  des 
Grundrisses  weisen  den  Bau  dem  saec.  III  oder  IV  zu.  Die  Kuppel  ruht 
auf  10  Pfeilern,  welche,  unten  zwischen  Nischen  stehend,  oben  als 
Strebepfeiler  vor  die  Mauerfläche  vortreten.  Die  Ueberführung  vom 
Zehneck  in  den  Kreis  durch  Gewölbezwickel  vermittelt;  vgl.  Taf.  39, 
Fig.  3.  Die  Nischen,  äusserlich  angelehnt,  nicht  in  Verband  mit  dem 
Mittelbau,  können  kaum  eine  statische  Funktion  gehabt  haben.  Die 
Nebenräume  fast  ganz  verschwunden.  Die  Raumverhältnisse  sehr 
schön.  —  In  der  Camera  della  Segnatura  unter  Raphaels  »Parnass« 
am  Sockel  links  ist  ein  der  Minerva  medica  sehr  ähnlicher  Rundbau, 
wenn  nicht  diese  selbst  abgebildet.  Ein  anderes  interessantes  Beispiel 
bei  Piranesi,  Antichitä  di  Roma  II,  29. 

In  S.  Vitale  zu  Ravenna  ist  der  Hauptbau  mit  dem  Umgange  zu 
einem  konstruktiven  Organismus  zusammengezogen:  eine  Entwicklung, 
die  sich  im  Orient  vollzogen  zu  haben  scheint.  Die  byzantinische 
Kunst  verfolgt  das  Problem  in  d  e  r  Richtung  weiter,  dass  sie  den  poly- 
gonen  Mittelbau  in  einen  rechteckigen  Umgang  stellt.  Diese  Um- 
gestaltungen sind,  worauf  schon  im  Beginn  der  Kapitels  hingewiesen 
wurde,  durch  liturgische  Forderungen  begründet.  Insbesondere  bedingte 
die  Verhüllung  des  Altares  während  des  Gottesdienstes  besondere  Chor- 
räume, welche  die  innere  Einheit  des  Zentralbaues  stören.  In  S.  Vitale 
die  Apsis  mit  ihrem  Vorraum  einfach  in  den  Umgang  hineingestellt; 
Weiterbildung  in  S.  Sergius  und  Bacchus  zu  Konstantinopel,  end- 
lich in  der  Sophienkirche. 

Die  von  Konstantin  d.  Gr.  erbaute  KIRCHE  ZU  ANTIOCHIEN 
war  ein  Achteck,  ringsum  mit  Exedren  und  Nebenräumen  in  zwei  Ge- 


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Erstes  Buch.  Der  christlich-antike  Stil. 

schössen  umgeben.  Eusebius,  vita  Constantini  III,  50,  beschreibt  sie: 
.  .  .  (iaxpQt{  |iev  ££to9tv  t«p».(}öX<K<;  töv  «dtvxa  vewv  RepiXaßutv,  statu  3e  töv  suxr^piov 
otxov  itc  ötfx-fj^avov  trtäpa;  U'J/05,  ev  oxtaiäpou  piv  oovsstütvta  o^*f||Aatt,  olxotc.  $1 
nXsioo'.v,  e£s3pat<:  ts  ev  xoxXtp,  6itsp»j>tov  te  xai  xotofsltov  ^tupr^ixiuv  dicavTaxG$cv 
Rsptsatoi/t3ji.svov  .  .  . 

Die  Beschreibung  der  Kirche  zu  Antiochien  wird  illustriert  durch 
den  berühmten  ravennatischen  Zentralbau  S.  VITALE  (Taf.  4).  — 
A.  526  begonnen,-  a.  547  geweiht.  Nach  Anlage  und  Detail  völlig  byzan- 
tinisch. Die  Schiefstellung  der  Vorhalle  durch  den  alten  Strassenlauf 
veranlasst.  Der  Aufbau  zweigeschossig.  Ueber  die  Höhe  der  grossen 
Hauptbögen  ist  das  Oktogon  durch  kleine  Gewölbezwickel  in  den  Kreis 
übergeführt,  der  der  runden,  an  ihrem  Fusse  von  Fenstern  durch- 
brochenen Kuppel  zum  Auflager  dient.  —  Der  konstruktive  Organis- 
mus ist  mit  vielem  Scharfsinn  und  grosser  Folgerichtigkeit,  wenn  auch 
vielleicht  mit  übergrosser  Vorsicht  durchdacht.  Der  Druck  und  Schub 
der  aus  Hohlkörpern  konstruierten,  also  sehr  leichten,  und  stark  über- 
höhten Kuppel  ist  durch  die  Fensteröffnungen  auf  die  Pfeiler  konzen- 
triert, hinter  welchen  sich  Strebemauern  von  mehr  als  der  Breite  des 
Umganges,  oben  und  unten  von  Bögen  durchbrochen,  befinden  (Taf.  39, 
F>g-  1 3)-  Ueberdies  schützen  die  ihrerseits  von  den  Gewölben  des  Um- 
ganges widerlagerten  Halbkuppeln  der  Nischen  die  zwischen  den  Pfeilern 
gelegenen  Teile  der  Obermauer  vor  dem  Ausweichen.  —  Der  perspek- 
tivische Eindruck  (vgl.  die  Skizzen  Taf.  4,  Fig.  3,  4)  ist  reich,  doch 
nicht  von  allen  Punkten  aus  ganz  klar;  sehr  störend  für  die  Einheit 
des  sonst  so  konsequent  durchgeführten  zentralen  Gedankens  die  Unter- 
brechung des  Systems  durch  den  (an  sich  vortrefflich  behandelten) 
Chor.  Die  Verhältnisse  der  Nischen  und  des  Mittelbaues  im  Ganzen 
sind  auch  wohl  zu  hoch.  Sehr  glücklich  die  Lichtführung.  Von  der 
alten  Dekoration  hat  sich  der  Mosaikschmuck  der  Apsis,  auch  sonst 
noch  einige  Reste  erhalten.  Zopfig  leichtfertige  Kuppelmalerei  von 
1782.  Der  Fussboden  fast  um  1  m  aufgehöht.  Trotz  alledem  bleibt 
noch  ein  mächtiger  Eindruck.  —  Rahn,  Ravenna  S.  55  ff.,  C.  Ricci, 
Ravenna  S.  41  ff.,  mit  geometrisch  interessantem  Grundriss. 

SS.  SERGIUS  UND  BACCHUS  ZU  KONSTANTINOPEL  (Taf.  4, 
Fig.  s,  6).  Ungefähr  gleichzeitig  mit  S.  Vitale,  im  Beginn  der  Re- 
gierung Justinians  gegründet.  Das  Problem,  den  Zentralbau  zur  Ge- 
meindekirche brauchbar  zu  machen,  ist  nicht  ohne  Geschick  gelöst. 
Dadurch,  dass  die  Nischen  nur  auf  den  Diagonalseiten  des  inneren 
Oktogones  angebracht  sind ,  während  die  den  Hauptaxen  entsprechen- 
den Seiten  —  die  Chorseite  ausgenommen  —  durch  gerade  Säulen- 
stellungen von  den  Nebenräumen  getrennt  sind,  erhält  schon  der  Mittel- 
raum eine  dem  Quadrat  sich  annähernde  Grundgestalt,  und  ist  ein 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


29 


Wechsel  in  den  Aufbau  gebracht,  welcher  die  Unterbrechung  der 
Stockwerke  am  Chor  weniger  empfindlich  macht.  Es  ist  ferner  durch 
diese,  durch  die  Raumverhältnisse  mitbedingte,  Anordnung  die  Möglich- 
keit gewonnen,  den  Umgang,  der  durch  Nischen  auf  den  drei  Haupt- 
seiten unterbrochen  oder  doch  sehr  reduziert  worden  wäre,  bis  zum 
Chor  zusammenhängend  fortzuführen.  Kuppel  in  16  Rippen  auf  Ge- 
wölbezwickeln. Die  Säulenstellungen  zwischen  den  Pfeilern  haben 
unten  gerades  Gebälke,  oben  Bögen.  Dadurch  ist  eine  geringere  Höhe 
ermöglicht,  als  bei  S.  Vitale,  welches  durch  die  zu  grosse  Höhe  des 
Mittelbaues  beeinträchtigt  wird.  Im  allgemeinen  aber  steht  die  Kirche 
in  künstlerischer,  wie  in  struktiver  Hinsicht  weit  tiefer  als  S.  Vitale; 
es  ist  eben  ein  Kompromiss  zwischen  Longitudinalbau  und  Zentralbau, 
bei  welchem  wesentliche  Erfordernisse  auf  beiden  Seiten  geopfert  werden 
raussten.  Vgl.  den  Grundriss  der  Kirche  zu  Ezrah  in  Zentralsyrien, 
(Taf.  8,  Fig.  5). 

Wir  reihen  dieser  Gruppe  noch  das  Hauptwerk  der  byzantinischen 
Architektur  an,  die  SOPHIENKIRCHE  ZU  KONSTANTINOPEL 
(Taf.  6,  Fig.  1,  Taf.  39,  Fig.  14).  A.  532  begonnen,  schon  nach  fünf 
Jahren  vollendet;  bald  darauf  eingestürzt;  a.  558—563  zum  zweiten- 
male  aufgebaut.  Die  Baumeister  (Anthemius  von  Tralles  und  Isidorus 
von  Milet)  gingen  von  dem  Kompositionsmotive  von  S.  Sergius  und 
Bacchus  aus,  kombinierten  es  jedoch  in  sinnreichster  Weise  mit  dem 
der  grossen  römischen  Thermensäle,  so  dass  zwar  beide  Grundmotive 
noch  erkennbar  bleiben,  doch  aber  ein  wesentlich  neues  aus  ihrer  Ver- 
einigung hervorgegangen  ist.  Wir  stellen  als  Beispiel  eines  derartigen 
Saales  auf  Taf.  6,  Fig.  2  neben  den  Grundriss  der  Sophienkirche  den 
der  Konstantinsbasilika  zu  Rom.  Hier  wie  dort  eine  Teilung  des 
Grundrisses  in  9  Abteilungen  ;  hier  wie  dort  die  ganze  Last  auf  einzelne 
Pfeiler  übertragen,  bei  völliger  Funktionslosigkeit  der  Wände;  hier 
wie  dort  die  3  mittleren  Kompartiraente  zu  einem  einheitlichen  Haupt- 
raume  vereinigt,  während  die  Nebenräume  unter  sich  durch  Pfeiler  ge- 
trennt und  vom  Hauptraume  durch  Einstellen  von  Säulen  in  die 
grossen  Bögen  geschieden  sind1);  aber  hierein  reiner  Longitudinalbau, 
dort  ein  zentrales  Element  eingeführt  und  zum  Hauptmotiv  des  ganzen 
Bauwerkes  gemacht  und  deshalb  hier  die  einfachste  Lösung  —  der  ' 
Mittelraum  von  3  durch  je  2  Tonnen  gestützten  Kreuzgewölben  über- 
spannt, —  dort  eine  sehr  komplizierte  Lösung  —  eine  Mittelkuppel, 
gestützt  durch  ein  künstliches  System  von  Hilfskonstruktionen.  —  Ver- 
gleichen wir  anderseits  SS.  Sergius  und  Bacchus,  so  sind  die  südliche 
und  nördliche  Oktogonseite  bis  zur  Länge  des  Durchmessers  ausgedehnt, 


l)  Auch  bei  der  Konstantinsbasilika  sind  derartige  Säulenstellungen  anzunehmen. 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


so  dass  ein  mittleres  Quadrat  entsteht,  an  das  sich  zwei  Halbkreise,  ähn- 
lich dem  Hauptkreise  von  SS.  Sergius  und  Bacchus  behandelt,  anlehnen. 
Der  Hauptraum  ist  also  von  ausgesprochener  Längenausdehnung.  Immer- 
hin beherrscht  die  hier  zum  erstenmale  in  so  gewaltigen  Dimensionen 
über  einem  Grundquadrate  ausgeführte  Mittelkuppel  das  Ganze.  Diese 
Kuppel  ruht  auf  4  mächtigen  Pfeilern ,  welche  zwar  mehrfach  durch- 
brochen, doch  eine  kompakte  Widerlagsmasse  bilden  und  ausserdem 
so  verstärkt  sind,  dass  die  südlichen  und  nördlichen  Tragebögen  — 
Oeffnung  gegen  die  Seitenräume  —  nur  24  m  Spannweite,  gegen  31  m 
Spannung  der  östlichen  und  westlichen,  haben.  Diese  Tragebögen 
sind  nun  östlich  und  westlich  durch  angelehnte  Halbkuppeln  gestützt, 
welche  ihrerseits  wieder  durch  je  eine  Tonne  und  zwei  Halbkuppeln 
widerlagert  sind,  und  letztere  werden  in  zwei  Stockwerken  von  weiter 
sich  anschliessenden  Wölbungen  gesichert,  deren  Funktion  eine  analoge 
ist,  wie  die  der  Gewölbe  der  Umgänge  von  S.  Vitale  und  S.  Sergius 
und  Bacchus.  Südlich  und  nördlich  ist  die  Verstrebung  eine  andere, 
die  anschliessenden  Räume  sollten  hier  als  Nebenräume  behandelt, 
zweigeschossig  angelegt  werden;  Halbkuppeln  waren  somit  nicht  wohl 
anwendbar,  hätten  sich  auch  mit  der  Grundform  der  Pfeiler  nur  schwer 
vereinigen  lassen.  Zwischen  die  mächtigen  Strebepfeiler  sind  in  diesen 
Teilen  Tragebögen  von  nahezu  5  m  Tiefe  angebracht  und  ausserdem 
durch  die  Gewölbe  der  Seitenräume  eine  Verspannung  zwischen  den 
Strebepfeilern  bewerkstelligt  Betrachten  wir  das  ganze  System,  so 
zeigt  sich,  dass  trotz  aller  Vorsichtsmassregeln  gerade  die  Punkte,  auf 
welche  der  Schub  der  Kuppel  durch  die  Pendentifs  übergeleitet  wird  — 
in  der  Diagonalrichtung  des  Mittelquadrates  —  am  schwächsten  sind; 
derselbe  trifft  die  grossen  aussen  in  voller  Breite  bis  zum  Beginn  der 
Kuppel  emporgeführten  Strebepfeiler  nicht  in  der  Richtung  ihrer  Längen- 
axe,  sondern  schneidet  eben  noch  eine  Ecke.  Es  finden  denn  auch 
fortwährend  Verschiebungen  des  Systeraes  statt  und  das  Riesenwerk 
geht  langsam  aber  unaufhaltsam  seinem  Verfall  entgegen. 

Die  Entwicklungsreihe,  welche  wir  soeben  in  ihren  drei  Haupt- 
repräsentanten kennen  gelernt  haben,  erreicht  in  der  Sophienkirche  ihren 
Abschluss.  Sie  ist  ein  Werk  freiester  Individualität  eines  hochgenialen 
Künstlers.  Kein  Zweifel,  die  Aufgabe,  den  Longitudinalbau  mit  dem 
Zentralbau  einheitlich  zu  kombinieren,  ist,  soweit  sie  überhaupt  lösbar 
ist,  aufs  glänzendste  gelöst,  die  grossartigste  Raumentfaltung,  das  all- 
mähliche Ansteigen  und  Abnehmen  der  Höhe,  die  reiche  Gliederung 
der  Nebenräume,  alles  wohl  abgewogen;  die  Marmorinkrustation  mit 
ihren  kräftigen  doch  milden  Farben,  der  tiefe  Glanz  des  Mosaikschmuckes, 
alles  vereinigt  sich  zur  grossartigsten  Gesamtwirkung.  Freilich,  eine 
streng  architektonische  Betrachtung  stösst  auch  auf  manche  Schwächen, 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


31 


und  nicht  alles  ist  zu  einem  völlig  konsequenten  Organismus  zusammen- 
gewachsen; aber  einem  so  grenzenlös  genialen  Werke  gegenüber  ver- 
liert theoretisches  Raisonnement  sein  Recht,  hier  werden  die  Fehler 
selbst  zu  Vorzügen,  und  was  an  architektonischer  Konsequenz  ver- 
loren geht,  wird  an  malerischem  Reiz  gewonnen.  Die  Sophienkirche 
hat  in  der  byzantinischen  Architektur  nicht  Schule  gemacht,  sie  hat 
keine  Nachfolge,  noch  weniger  eine  Weiterbildung  der  Motive  hervor- 
gerufen, es  sind  ganz  andere,  viel  einfachere  Formen  (griechisches  Kreuz), 
welche  in  der  nachjustinianischen  Zeit  herrschend  wurden.  Erst  in 
mohammedanischer  Zeit  findet  sie  Nachahmung  in  den  grossen  Moscheen 
von  Konstantinopel  und  wird  bis  ins  17.  ja  ins  18.  Jahrhundert  als 
Vorbild  benützt. 


4.  Rundbauten  mit  inneren  Portiken. 

Der  Zentralbau,  dessen  auf  einem  Säulenkreise  ruhende  Kuppel 
von  einem  niedrigeren  Umgange  umgeben  ist,  wird  neuerdings  als 
Uebertragung  des  Basilikenschemas  auf  den  Zentralbau  er- 
klärt und  diese  Form  —  »die  runde  Basilika«  —  als  eigenstes  Produkt 
des  christlichen  Geistes  in  Anspruch  genommen.  Diese  Erklärung, 
welche  mit  der  Lehre  in  Zusammenhang  steht,  dass  der  drcischiffige, 
im  Mittelschiff  überhöhte  Querschnitt  das  einzige  Kriterium  für  den 
Begriff  Basilika  sei  (vgl.  Kap.  III  Abschnitt  2),  und  welche  wohl  an 
unseren  geometrischen  Querschnittzeichnungen  ausgedacht  worden  ist, 
hat  gewiss  den  Vorzug  der  Einfachheit,  ja  ginge  man  von  ihr  einen 
Schritt  weiter  und  sagte,  die  in  der  »runden  Basilika«  gewonnene  An- 
wendung des  Gewölbebaues  auf  den  basilikalen  Querschnitt  werde 
wieder  auf  die  »Iongitudinale  Basilika c  übertragen,  so  wäre  eines  der 
grössten  baugeschichtlichen  Probleme  gelöst. 

Einer  spekulativen  Kunstbetrachtung  mögen  derartige  Erklärungen 
gestattet  sein,  eine  auf  die  genetische  Entwicklung  der  baulichen 
Motive  gerichtete  Untersuchung  darf  sich  mit  ihnen  nicht  begnügen, 
denn  diese  Motive  entstehen  nicht  auf  so  abstraktem  Wege. 

Wir  haben  auch  hier  zu  fragen:  von  wo  hat  das  Motiv  seinen 
Ausgang  genommen ?  wann  und  wo  kommt  es  zuerst  vor?  Auch  die 
Anhänger  obiger  Definition,  welche  ja  eine  weitere  historische  Ablei- 
tung überflüssig  macht,  haben  das  Bedürfnis  einer  solchen  empfunden 
und  folgende  Entwickelungsreihe  aufgestellt:  Minerva  medica  —  Santa 
Costanza  —  San  Lorenzo  in  Mailand  —  San  Vitale  in  Ravenna  — 


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32 


Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Hagia  Sofia  in  Konstantinopel.  Diese  Reihe  hat  vorweg  den  Fehler, 
dass  sie  eine  Entwicklungsreihe  gar  nicht  ist,  und  dass  namentlich 
Santa  Costanza  ganz  aus  ihr  herausfällt.  Dieser  Bautypus  hat  mit  der 
Entwicklungsstufe ,  auf  welcher  die  einfache  Rotunde  in  der  Minerva 
medica  steht ,  keinen  Zusammenhang.  Die  Abzweigung  erfolgte  viel- 
mehr von  jenen  Formen,  welche  wir  in  den  Baptisterien  von  Novara, 
Albegna  etc.  (Taf.  3)  kennen  gelernt  haben.  In  diesen  ist  der  frag- 
liche Querschnitt  schon  vorgebildet:  indem  die  Säulen  weiter  von  der 
Wand  abrücken,  entsteht  der  Umgang.  Im  einzelnen  lässt  sich  der 
Prozess  nicht  mehr  verfolgen.  —  So  könnte  er  sich  freilich  auch,  erst 
einem  christlichen  Bedürfnisse  entsprechend,  an  dem  lateranischen 
Baptisterium  und  Santa  Constanza  vollzogen  haben.  —  Dem  aber 
stehen  zunächst  innere  Gründe  entgegen.  Wenn  christliche  Desiderate 
die  Form  hervorgerufen  haben ,  so  ist  es*  befremdend ,  dass  sie  keine 
grössere  Verbreitung  gefunden  hat,  und  dass  ihre  Entwicklung  in  den 
christlichen  Monumenten  eine  rückgängige  ist,  da  gerade  die  ältesten 
Beispiele  die  bedeutendsten  sind.  Das  Vorkommen  von  Rotunden  mit 
inneren  Portiken  in  der  antiken  Architektur  lässt  sich  jedoch  auch  direkt 
nachweisen. 

Zunächst  ist  das  MARNION  ZU  GAZA  nach  der  Beschreibung  in 
der  vita  S.  Porphyrii  (vgl.  Abschnitt  5)  als  ein  Beispiel  anzusehen,  dann 
findet  sich  in  der  VILLA  ADRIANA  (Canopus)  ein  wenigstens  zur 
Hälfte  mit  einem  Umgang  versehener  Monopteros  (Taf.  7,  Fig.  1),  der 
als  Vorstufe  gelten  könnte,  doch  wird  man  diesem  Gebäude,  das  doch 
nur  bedingt  zu  diesem  Kreise  gehört,  keine  grosse  Bedeutung  beilegen 
dürfen.  —  Von  höchster  Wichtigkeit  dagegen  ist  der  Grundriss  eines 
RUNDTEMPELS,  welcher  AN  DER  STRASSE  NACH  MARINO 
(via  Appia  nuova?)  gestanden  hatte  (Taf.  7,  Fig.  2)  und  welcher  in 
dem  Studienbuche  des  Bramantino  (Tav.  XLVII)  erhalten  ist.  Die 
Zeichnung  ist  sehr  exakt  und  sind  die  eingeschriebenen  Masse  in  guter 
Uebereinstimmung,  so  dass  nicht  zu  bezweifeln  ist,  dass  wir  es  mit  der 
Aufnahme  eines  zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  noch  bestehenden 
Denkmales  zu  thun  haben.  Nach  der  kurzen  Beschreibung,  welche 
Bramantino  seiner  Zeichnung  beigegeben  hat,  hatte  das  Gewölbe  ein 
mittleres  Opäon  —  era  deschopereto  tanto  quanto  era  lo  sachraficio  — 
und  Fenster  in  der  Umfassung.  Bramantino  teilt  auf  Blatt  49  seines 
Skizzenbuches  einen  ganz  ähnlichen  Rundtempel  mit,  welcher  in  der 
Nähe  der  Tiber  gestanden  hatte.  Es  sind  zwei  Säulenkreise  von  je 
12  Säulen,  in  regelmässigen  Abständen;  die  des  inneren  Kreises  zu  je 
zweien  auf  Postamenten,  die  des  äusseren  durch  Zwischenmauern  ver- 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau.  33 

bunden  mit  einer  Thüre,  über  der  Mitte  ein  Opäon.  Ferner  auf 
Blatt  55  ein  Rundtempel  am  Wege  nach  Vachano,  in  welchem  12  frei- 
stehende Pfeiler  mit  vorgelegten  Halbsäulen  den  Mittelraum  umgeben, 
oben  eine  äussere  Säulenstellung.  —  Als  antike  Bauwerke  gelten  ferner 
die  BAPTISTER1EN  zu  AIX  (Taf.  8,  Fig.  8)  und  zu  RIEZ'  (Taf.  8, 
Fig-  6»  7)  m  Südfrankreich,  bei  welchen  indes  weder  die  ursprüngliche 
Form,  noch  der  antike  Ursprung  völlig  sichergestellt  ist '). 

Die  angeführten  Beispiele  genügen  indes,  um  darzuthun,  dass  das 
Motiv  der  Antike  nicht  fremd  war. 

ROM:  DAS  LATERANISCHE  BAPTISTERIUM  (Taf.  7).  An- 
geblich eine  konstantinische  Gründung,  welche  von  Sixtus  III.  a.  432  bis 
440  mit  einem  inneren  Säulenkreise  und  daraufruhender  Kuppel  ver- 
sehen worden  sein  soll;  eine  Erklärung,  welche,  völlig  untechnisch, 
erfunden  ist,  um  eine  vage  Notiz  des  Papstbuches  zu  retten,  die 
nur  die  Absicht  hat,  die  Sage  von  der  Taufe  Konstantins  in  Rom  zu 
begründen,  dadurch,  dass  sie  die  Erbauung  des  Baptisteriums  mit 
diesem  Akte  in  Verbindung  setzt  und  in  demselben  ein  monumentales 
Zeugnis  für  den  Vollzug  der  Taufe  in  Rom  erkennt.  Nimmt  man  die 
Umfassungsmauern  als  Rest  des  konstantinischen  Baues  an,  so  kann 
dieser  wegen  der  geringen  Mauerdicke  nur  eine  Flachdecke  gehabt 
haben,  wäre  also  eine  in  jener  Frühzeit  ganz  isolierte  Erscheinung  und 
stünde  überdies  mit  dem  Aufwände  der  übrigen  konstantinischen 
Bauten  in  grellem  Widerspruch.  Auch  ergiebt  die  mit  Hilfe  eines 
Kupferstiches  von  Lafreri  aus  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts 
(Taf.  7,  Fig.  5)')  ausgeführte  Restauration  Rohault  de  Fleurys  (Taf.  7, 
Fig.  3,  4)  ein  durchaus  einheitliches  Gebäude,  das  dem  Charakter 
des  saec.  5  sehr  gut  entspricht.  Wir  erkennen  demgemäss  in  dem  Ge- 
bäude eine  Gründung  Sixtus  III.  Acht  Säulen,  von  horizontalem  Gebälke 
überspannt,  über  welchem  sich  Entlastungsbögen  öffnen,  tragen  die 
Obermauer  mit  der  Kuppel,  den  Säulenkreis  umschliesst  ein  gleich- 
falls achteckiger,  überwölbter  Umgang.  Jetzt  zwei  Säulenordnungen 
übereinander,  dann  ein  drittes  Geschoss  und  eine  (hölzerne)  Kuppel 
mit  Rundfenstern.  —  Papst  Hilarius  a.  461—467  fügte  dem  Oktogon 
einige  Anbauten  hinzu ;  zuerst  das  noch  bestehende  kreuzförmige  Ora- 
torium des  hl.  Johannes  Ev.,  dem  gegenüber  das  des  hl.  Johannes 


')  Vgl.  Isabelle  edif.  circ.  p.  77  ff. ,  welcher  annimmt ,  das  Baptisterium  zu  Riez 
sei  ein  antiker  Monopteros,  uro  welchen  in  christlicher  Zeit  der  Umgang  herumgebaut 
worden  wäre.    Sehr  fraglich. 

s)  Kohault  de  Fleury  :  Le  Latran,  p.  418,  weist  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit 
nach,  dass  der  Lafreri'schc  Kupferstich  den  Zustand  vor  der  Restauration  unter  Paul  III. 
wiedergiebt. 

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34 


Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Baptista,  ebenfalls  kreuzförmig l) ,  ferner  eines  zum  heiligen  Kreuz, 
freistehend,  auf  Fig.  4  rechts  sichtbar,  endlich  ein  dem  hl.  Stephanus 
Protomartyr  geweihtes.  Dieses  vermutlich  die  jetzt  Oratorio  di  S.  Ve- 
nanzio  genannte  Vorhalle.  —  Rohault  de  Fleury,  le  Latran  au  moyen 
äge.  Paris  1877.  2°  u-  8°- 

STA.  COSTANZA  an  der  via  Nomentana  bei  ROM  (Taf.  8,  Fig.  i,  2) 
das  Grabmal  der  Constantia,  der  Schwester  Konstantins  d.  Gr.,  und  anderer 
Mitglieder  der  kaiserlichen  Familie,  a.  1256  unter  Alexander  IV.  zur 
Kirche  geweiht.  Das  bedeutendste  Monument  der  Gruppe.  Die  Ge- 
samtanlage, namentlich  die  Zwölfzahl  der  Stützen  erinnert  an  die  von 
Bramantino  gezeichneten  antiken  Rundbauten.  Bei  den  grossen  Di- 
mensionen und  Mauerdicken  ist  der  Mittelraum  von  radial  gestellten 
Säulenpaaren  umgeben,  welche  oben  durch  ein  Gebälkstück  verbunden 
sind.  Ueber  dem  hohen,  von  zwölf  Fenstern  durchbrochenen  Tambour 
erhebt  sich  eine  Kuppel  aus  Gusswerk  (Taf.  39,  Fig.  4)  mit  einem 
mittleren  Opäon.  Die  kreisförmige  Umfassungsmauer  durch  Nischen 
zur  Aufnahme  der  Sarkophage  belebt.  Das  den  Umgang  Uberdeckende 
ringförmige  Tonnengewölbe  beginnt,  in  antiker  Weise,  erst  über  den 
Scheidebögen.  Das  Gebäude  war  früher  aussen  von  einem  überwölbten 
Portikus  umgeben,  unter  welchem  Treppen  nach  einem  Hypogäon 
führten.  Vor  dem  Eingange  eine  Vorhalle  ähnlich  der  des  lateranischen 
Baptisteriums.  Bemerkenswert  ist  die  Gruppierung  der  inneren  Arkaden, 
den  Hauptaxen  entsprechen  grössere  Bögen,  zwischen  welchen  je  zwei 
kleinere  stehen.  Wie  die  Komposition  und  Konstruktion,  so  war  auch 
die  ursprüngliche  Dekoration  von  Sta.  Costanza  dem  heidnisch  antiken 
Ideenkreise  entnommen.  In  der  Kuppel,  von  deren  Ausschmückung 
Ciampini,  vetera  monimenta,  Tom.  I,  Tab.  I,  eine  Abbildung  überliefert 
hat,  waren  Panther,  Karyatiden  u.  dgl.  mit  zwischenstehenden  Genre- 
szenen dargestellt,  Fig.  2,  und  ganz  entsprechend  ist  das  Tonnen- 
gewölbe des  Umganges  geschmückt.  —  Den  vor  dem  Gebäude  befind- 
lichen oblongen  Raum  halten  einige  für  einen  Zirkus  zur  Veranstaltung 
von  Leichenspielen,  andre  für  einen  Campo  Santo  aus  saec.  7,  was 
dahingestellt  bleiben  muss. 

STA.  MARIA  MAGGIORE  BEI  NOCERA  (Taf.  8,  Fig.  3,  4),  ein 
Baptisterium.  Ein  Sechzehneck,  bei  welchem  eine  Seite  übersprungen 
ist,  um  einen  freieren  Durchblick  nach  der  Apsis  zu  ermöglichen.  Die 
Wölbung  beginnt  sofort  über  den  Scheidebögen,  setzt  aber  unter  den 
Fenstern  ab  und  ist  von  da  mit  einem  kleineren  Radius  fortgeführt. 


')  In  unsrem  Grundrisse  unrichtig.  Das  Skizzenbuch  des  Bramantino  enthält  auf 
Taf.  30,  41,  43,  44  und  46  das  Baptisterium  mit  den  genannten  Oratorien,  jedes  auf 
einem  Blatt,  das  in  Rede  stehende  auf  Taf.  41. 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


35 


Von  den  Säulen  gehen  Bögen  nach  Pfeilern,  welche  von  der  Um- 
fassungsmauer nach  innen  vortreten.  Diese  Bögen  sind  bis  zum  Ab- 
sätze der  Kuppel  übermauert  und  bilden  eine  Art  Strebesystem,  ähn- 
lich dem  von  S.  Vitale  zu  Ravenna.  Die  Gewölbekappen  zwischen 
diesen  Bögen  schneiden  die  Obermauer  des  Mittelraumes  über  den 
Scheidebögen  —  vgl.  die  richtigere  Darstellung  Taf.  39,  Fig.  15.  — 
Vergleichen  wir  dieses  Gebäude  mit  Sta.  Costanza,  so  beschränkt  sich 
die  oft  hervorgehobene  Aehnlichkeit  auf  die  allgemeine  Grundriss- 
disposition und  die  radial  gestellten  Doppelsäulen.  Die  Form  des 
Aufbaues  und  die  Konstruktion  sind  wesentlich  verschieden,  so  dass 
von  einer  direkten  Nachahmung  kaum  gesprochen  werden  darf. 

EZRAH  IN  ZENTRALSYRIEN  (Taf.  8,  Fig.  5).  Laut  Inschrift 
a.  512  vollendet,  zwei  konzentrische  Achtecke  in  ein  Quadrat  ein- 
geschrieben, das  Innere  trägt  auf  Pfeilern  einen  Tambour  und  —  mittels 
Uebertragung  —  eine  runde  Kuppel.  Aehnlich  und  fast  gleichzeitig 
Bosrah. 

BRESCIA:  LA  ROTONDA  (Taf.  7,  Fig.  6).  Im  Anfang  des 
7.  Jahrhunderts  (612)  gegründet.  Sehr  einfacher  Pfeilerbau.  Das  Ge- 
wölbesystera  des  Umganges  analog  S.  Fedele  zu  Como  und  Aachen. 
Dartein  a.  a.  O.,  PI.  21,  22,  S.  45  ff.  Mothes,  B.  d.  M.  S.  244  ff.,  mit  gut 
restauriertem  Grundriss. 

5.  Die  heilige  Grabkirche  und  Verwandtes. 

Als  eine  besondere  Gruppe  der  Rotunden  mit  inneren  Umgängen 
müssen  die  von  Konstantin  und  Helena  in  Jerusalem  über  den  heiligen 
Orten  errichteten  Kirchen  und  ihre  unmittelbaren  Nachahmungen 
zusammengefasst  werden.  Geographisch  ausserhalb  des  von  uns  behan- 
delten Gebietes  gelegen,  sind  sie  wegen  des  Einflusses,  den  sie  fort- 
dauernd auf  den  abendländischen  Zentralbau  geübt  haben,  hier  aufzu- 
nehmen. 

Ihrer  Idee  und  ursprünglichen  Bestimmung  nach  sind  sie  keine 
Gemeinde-,  sondern  Denkmalkirchen,  und  gerade  die  ältesten  sind  als 
Temenoi  zu  betrachten,  welche  ein  besonderes  Heiligtum  umschliessen. 
Ein  oder  zwei  Portiken  umgeben  den  oben  offenen  Mittelraum,  in 
welchem  sich  der  heilige  Ort  (das  Grab,  der  Stein  mit  der  heiligen 
Fussspur  u.  dgl.)  befindet.  Es  ist  eine  für  das  Einzelgebet  oder  für 
besondere  Feierlichkeiten  bestimmte  Form ;  für  den  liturgischen  Gottes- 
dienst, dessen  Ritual  auf  ganz  andere  Raumdispositionen  berechnet  war, 
ist  sie  so  ungeeignet  als  möglich. 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Auch  hier  scheint  die  christliche  Architektur  einem  altorientalischen, 
oder  wenigstens  einem  in  der  Diadochenzeit  vorkommenden  Motive  sich 
angeschlossen  zu  haben.  Die  Beschreibung,  welche  Marcus,  der  Schüler 
des  Porphyrius,  in  der  Vita  seines  Lehrers  von  dem  MARNION,  dem 
Haupttempel  zu  GAZA,  giebt,  lässt  sich  unmittelbar  auf  die  Denk- 
malskirche in  Jerusalem  anwenden.  Sie  lautet,  Acta  SS.  Febr.  (27) 
Tom.  II,  p.  643  ff.:  Erat  enim  formae  rotundae,  circumdatum  duabus  porti- 
cibus  se  invicem  interius  subeuntibus;  ejus  vero  medium  erat  ad  emit- 
tendos  vapores  constitutum,  septentrionaleque  (?)  et  extensum  in  altum. 
Habebat  autera  quaedam  etiara  alia  (?),  quae  decebant  simulacra,  apta 
ad  execranda  illa  et  nefaria,  quae  fiebant  ab  idolatris  .  .  .  Die  weiter 
hin  folgende  Erzählung  der  im  Jahre  400  durch  Porphyrius  ausgeführten 
Zerstörung  des  Tempels  erregt  freilich  über  das  einzelne  einige  Zweifel, 
die  allgemeine  Disposition  aber,  zwei  kreisförmige  Portiken  mit  einem 
hypäthralen  Mittelraum  ist  mit  genügender  Deutlichkeit  zu  erkennen. 
K.  B.  Stark,  Gaza  und  die  philistäische  Küste,  S.  599;  Sepp,  Die  Felsen- 
kuppel, S.  46,  wo  zuerst  auf  die  Verwandtschaft  mit  den  Denkmals- 
kirchen in  Jerusalem  hingewiesen  ist. 

DIE  HEILIGE  GRABKIRCHE  ZU  JERUSALEM.  Gegründet  durch 
Konstantin  den  Grossen  a.  326  wurde  die  Kirche  zerstört  bei  der  Ein- 
nahme Jerusalems  durch  Chosroes  II.  von  Persien  a.  614.  Unmittelbar 
nach  dem  Abzüge  der  Perser  unternahm  der  Mönch  Modestus  den 
Wiederaufbau,  welchen  er  mit  Unterstützung  des  Patriarchen  von  Ale- 
xandria innerhalb  15  Jahren  vollendete.  Mehrfach  restauriert,  einmal 
aus  Beiträgen  Karls  des  Grossen,  wurde  der  Bau  des  Modestus  im 
Jahre  1010  auf  Befehl  Hakem  Biamr  Illahs,  Sultans  von  Aegypten,  zu- 
gleich mit  den  andern  Kirchen  Jerusalems  wieder  zerstört.  Doch  schon 
im  folgenden  Jahre  gestattete  Hakem  auf  Vermittelung  seiner  christ- 
lichen Mutter  die  Wiederherstellung,  an  der  sich  weiterhin  die  byzan- 
tinischen Kaiser  beteiligten.  A.  1099  wurde  Jerusalem  durch  die  Kreuz- 
fahrer erobert,  und  um  das  Jahr  1 130  an  die  Rotunde  das  noch  bestehende 
Langhaus  angebaut.  Dieser  Komplex  bestand  wenig  verändert  bis  zu 
einem  Brande  im  Jahre  1808.  Die  darauffolgende  Restauration  hat  die 
alte  Anlage  entstellt,  doch  nicht  so  unkenntlich  gemacht,  dass  sie  nicht 
mit  Hilfe  der  Aufnahmen  von  B.  Amico,  Trattato  delle  piante  .  .  .  dei 
sacri  edificii  di  Terra  santa,  Roma  1609,  und  C.  de  Bruyn.  reizen 
door  de  vermaardste  deelen  van  Klein  Asie,  Delft  1694,  Taf.  144, 
mit  genügender  Sicherheit  sich  restaurieren  Hesse.  —  Von  den  Bauten 
Konstantins  giebt  Eusebius,  vita  Constantini  III,  34  ff.,  eine  eingehende, 
aber  keineswegs  klare  Beschreibung.  An  eine  fünfschiffige  Basilika 
schloss  sich  westlich  ein  auf  drei  Seiten  von  Portiken  umgebener  Hof 
an,  an  dessen  Westseite  der  Rundbau  der  Anastasis  stand.    Die  An- 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


37 


gaben  des  Eusebius  sind  nicht  ausreichend,  um  auf  sie  eine  einiger- 
massen  zuverlässige  Restauration  der  allgemeinen  Anlage  zu  begrün- 
den. —  Modestus,  auf  geringe  Mittel  angewiesen,  beschränkte  sich 
auf  den  Wiederaufbau  der  Anastasis,  während  er  die  früher  von  der 
grossen  Basilika  umschlossenen  heiligen  Orte  (Golgatha  etc.)  mit  ge- 
trennten Kapellen  überbaute.  Mittelalterliche  Pilger  haben  uns  mehr- 
fach Notizen  über  die  Kirche  in  dieser  Periode  hinterlassen;  besonders 
wichtig  ist  die  von  Adamnanus  aufgezeichnete  Beschreibung  St.  Arculphs, 
Acta  SS.  O.  S.  B.  saec.  3,  Pars  II,  S.  505  ff.,  welche  von  einer 
rohen  Planskizze  begleitet  ist.  (Vgl.  Taf.  9,  Fig.  1,  Nebenfigur.)  Die 
Kirche  war  ein  Rundbau  mit  zwei  Umgängen,  je  vier  Thore  führten 
von  NO.  und  SO.  in  dieselbe,  drei  Altäre  standen  in  Apsiden  der 
Mittelmauer  (tria  quoque  altaria  in  tribus  locis  parietis  medit  artifice 
fabricatis),  12  Säulen  stützten  den  mittleren  Tambour,  welcher  mit  einem 
hölzernen  oben  offenen  Dache  (so  schon  die  konstantinische  Auastasis) 
bedeckt  war.  In  der  Mitte  unter  einem  Tugurium  das  heilige  Grab. 
Vergleichen  wir  den  Plan  und  Text  Arculphs  mit  der  Kirche,  wie  sie 
sich  später  gestaltet  hat,  so  sehen  wir  sofort  die  drei  vielleicht  schon 
von  dem  konstantinischen  Bau  herrührenden  Apsiden  und  das  mittlere 
Tugurium ;  so  weit  hat  die  allgemeine  Restauration  keine  Schwierigkeiten. 
Anders  liegt  die  Sache  hinsichtlich  des  zweiten  Umganges.  Text  und 
Zeichnung  stimmen  über  denselben  überein,  die  Konfiguration  des 
Terrains,  das  sich  an  der  Aussenseite  westlich  um  8— 9m  erhebt, 
schliesst  die  Möglichkeit  eines  solchen  Umganges  aus.  De  Vogue" 
nimmt  einen  halbrunden  äusseren  Portikus  an.  Eine  Analogie  würde 
S.  Fosca  auf  Torcello  bieten. 

Die  auf  die  zweite  Zerstörung  folgende  Gestalt  der  Kirche  (Taf.  9, 
Fig.  1  u.  2),  welche  durch  die  Bauten  der  Kreuzfahrer  nicht  wesent- 
lich alteriert  wurde,  schliesst  sich  der  früheren  an,  doch  wurde  die 
Rundung  des  Umganges  nicht  festgehalten  (vgl.  auf  dem  Grundriss  die 
schwarzen  Teile),  sondern  östlich  in  ein  gerades  Atrium  übergeführt, 
an  welches  sich  südlich  und  nördlich  kleine  Kapellen  und  später  der 
Bau  der  Kreuzfahrer  anschlössen.  Der  Umgang  war  zweigeschossig. 
Die  Gruppierung  ist  aus  dem  Schnitt  ersichtlich. 

DIE  HIMMELFAHRTSKIRCHE  AUF  DEM  OELBERGE  (Taf.  10, 
Fig.  1).  Gleichfals  eine  konstantinische  Gründung,  hat  sie  ähnliche 
Schicksale  gehabt,  wie  die  heilige  Grabkirche.  Jetzt  sind  nur  noch 
geringe  Reste  vorhanden.  —  Ihren  Zustand  im  saec.  8  lernen  wir  aus 
der  Beschreibung  und  Planskizze  Arculphs,  Acta  SS.  O.  S.  B.  saec.  3, 
Pars  II,  p.  509,  so  weit  kennen,  dass  eine  Restauration  des  Grundrisses 
versucht  werden  kann.  Arculph  beschreibt  sie:  In  toto  monte  Oliveti 
nullus  alius  locus  altior  esse  videtur  illo,  de  quo  Dominus  ad  caelos 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 

adscendisse  traditur.  Ubi  grandis  ecclesia  stat  rotunda,  ternas  per  cir- 
cuitum  cameratas  habens  porticus  desuper  tectas.  Cujus  videlicet  ro- 
tundae  ecclesiae  interior  domus  sine  tecto  et  sine  camara,  ad  caelum 
sub  aere  nudo  aperta  patet,  in  cujus  orientali  parte  altare  sub  angusto 
protectum  tecto  constructum  exstat.  ...  In  der  Mitte  befand  sich  unter 
freiem  Himmel  der  Fels,  von  dem  aus  der  Herr  gen  Himmel  gefahren 
ist  und  auf  welchem  seine  Fussspuren  zurückgeblieben  sind,  sowie  ein 
Altar  unter  einem  Ciborium.  Zwei  Umgänge  umgaben  den  Mittelraum, 
von  Osten  her  führten  drei  Thore  in  das  Innere. 

Wir  haben  bei  unserer  Restauration  eine  Gruppierung  von  Pfeilern 
und  Säulen  angenommen  analog  dem  Felsendome,  in  welchem  wir  eine 
Nachahmung  dieser  Kirche,  erbaut  über  der  Stelle,  von  der  aus  Moham- 
med seine  Reise  durch  die  Himmel  begonnen  hatte,  vermuten ;  ja  viel- 
leicht war  die  Himmelfahrtskirche  schon  ursprünglich  achteckig,  wenig- 
stens hat  die  Erneuerung  durch  die  Kreuzfahrer  diese  Form. 

DIE  MARIENKIRCHE  IM  THAL  JOSAPHAT,  in  der  die  heilige 
Jungfrau  zwischen  ihrem  Tode  und  ihrer  Himmelfahrt  ruhte.  Eine  sehr 
alte  Gründung,  erwähnt  im  Beginne  des  saec.  5.  Adamnanus  1.  c.  p.  507. 
Arculphus  sanctae  Mariae  ecclesiam  in  valle  Josaphat  frequentabat : 
cujus  dupliciter  fabricatae  inferior  pars  sub  lapideo  tabulato  mirabili 
rotunda  structura  est  fabricata  ...  in  superiore  igitur  aeque  rotunda 
ecclesia  Mariae,  quattuor  altaria  inesse  monstrantur.  .  .  .  Bernhardi 
monachi  Franci  itinerarium  DCCCLXX  Acta  SS.  O.  S.  B.,  saec.  3, 
P.  II,  525:  In  ipsa  quoque  villa  (Gethsemani)  in  valle  Josaphat  est 
ecclesia  S.  Mariae  rotunda,  ubi  est  sepulcrum  illius,  quod  supra  se 
tectum  non  habet,  pluviam  minime  patitur. 

DER  FELSENDOM  AUF  MORIAH  (MOSCHEE  OMARS,  KUB- 
BET  ES  SAKKRAH)  (Taf.  10,  Fig.  2,  3),  an  dem  Orte  des  salomo- 
nischen Tempels.  In  Erinnerung  an  die  Himmelsreise  Mohammeds  von 
Omar  a.  638  gestiftet.  Der  jetzt  bestehende  grossartige  Kuppelbau 
errichtet  unter  dem  zehnten  Kalifen  Abd  el  Melik  (a.  688—691).  Das 
Datum  ist  inschriftlich  beglaubigt.  A.  1099  kam  der  Felsendom  in  die 
Hände  der  Christen,  hier  wurde  der  Templer-Orden  gegründet  und  seine 
Mitglieder  zu  Hütern  des  Tempels  (Templum  Domini)  bestellt.  Der 
Tempel,  das  Symbol  des  Ordens,  wurde  typisch  für  die  Templerkirchen; 
dem  Volke  galt  er  als  der  Tempel  Salomons,  die  Vorstellungen  von 
dem  Tempel  des  heiligen  Grabes  gehen  auf  ihn  zurück,  von  ihm 
sind  die  gotischen  Zentralbauten  auf  den  Gemälden  der  flandrischen 
Maler  inspiriert,  und  noch  Raphael  stellt  im  »Sposalizioc  den  Tempel  als 
einen  Zentralbau  nach  dem  Vorbilde  des  Felsendomes  dar.  —  Die  Anlage 
des  Gebäudes  ist  eine  besonders  glückliche.  Der  Mittelraum  ist  kreis- 
förmig, aber  durch  4  starke  Pfeiler,  zwischen  welchen  je  3  Säulen  stehen, 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


39 


sind  2  aufeinander  senkrechte  Axen  markiert,  wodurch  nicht  allein  be- 
stimmte perspektivische  Richtungen,  sondern  auch  eine  angenehme  Grup- 
pierung der  Arkaden  gegeben  ist.  Der  erste  Umgang  ist  von  einem  Acht- 
eck umschlossen,  dessen  Ecken  wiederum  durch  Pfeiler  gekennzeichnet 
sind,  zwischen  welchen  je  2,  also  im  ganzen  16  Säulen  stehen,  den  zweiten 
Umgang  umschliesst  die  achteckige  Umfassungsmauer.  Die  Arkaden  des 
mittleren  Kreises  sind  sehr  schlank  (um  das  Verhältnis  klar  hervortreten 
zn  lassen  haben  wir  im  Schnitt  den  mittleren  Felsen  weggelassen);  die 
Säulen  und  Kapitelle  älteren  Monumenten  entnommen,  einige  mit  einem 
Kreuz  auf  der  Deckplatte;  die  Bögen,  jetzt  leicht  zugespitzt,  waren 
früher  halbkreisförmig  (De  Voguö,  Le  Temple  de  Jerusalem,  S.  94). 
16  Fenster  in  der  Obermauer  beleuchten  den  Mittelraum.  Die  Mauer- 
dekoration ist,  wie  die  ganze  Anlage,  byzantinisch,  nur  die  Holzkuppel, 
auf  einer  leichten  Zwerggalerie  sich  erhebend,  ist  in  Konstruktion  und 
Dekoration  arabisch.  Die  Arkaden  des  Umganges  sind  von  hölzernen 
Architraven  überspannt,  über  welchen  sich  Rundbögen  Öffnen,  ein  Motiv, 
das  von  der  byzantinischen  Architektur  in  die  des  Islam  übergeht 
(vgl.  auch  Taf.  7,  Fig.  4,  das  lateranische  Baptisterium).  Vier  Thore 
Öffnen  sich  nach  den  vier  Himmelsgegenden. 

Der  Felsendom  ist  nicht  nur  das  hervorragendste  Monument  dieser 
Gruppe,  sondern  er  zählt  unter  die  bedeutendsten  Baudenkmäler  aller 
Zeiten.  Hierüber  sind  alle  einig,  welche  ihn  aus  eigener  Anschauung 
kennen,  und  die  Aufnahmen  lassen  wenigstens  ahnen,  worin  seine 
Vorzüge  beruhen.  Reichtum  und  Klarheit  der  Komposition,  fein 
abgewogene  Proportionen,  eine  reiche,  trotz  stilistischer  Verschieden- 
heiten harmonische  Dekoration  bedingen  den  Eindruck  des  Gebäudes, 
welchem  an  perspektivischem  Reichtum  wenige  gleichkommen  mögen. 

Die  (im  engeren  Sinn)  architekturgeschichtliche  Würdigung  des 
Felsendomes  wird  von  den  um  seine  Entstehung  geführten  Kontro- 
versen nicht  eigentlich  betroffen.  Die  letzteren  haben  indessen  auch 
ein  prinzipielles  Interesse.  Zu  dem  ebenso  verbreiteten  wie  schädlichen 
Irrtum,  dass  ein  für  christliche  Kultzwecke  bestimmtes  Gebäude  not- 
wendig die  Merkmale  »christlichen  Geistes«  tragen  müsse,  kommt  hier 
ein  zweiter  analoger  in  Betreff  des  Islam  hinzu.  Wir  können  die  Ver- 
suche, den  Felsendom  als  »konstantinische  Anastasis«  oder  als  »eine 
justinianische  Sophienkirche«  u.  s.  w.  in  Anspruch  zu  nehmen,  keines- 
wegs für  geglückt  halten.  Die  richtige  und  ungezwungene  Lösung  der 
Frage  hat  schon  de  Vogue"  gegeben.  Der  Felsendom  ist  ein  byzan- 
tinischer Bau,  ausgeführt  von  byzantinischen  Meistern  für  einen  arabi- 
schen Kalifen,  und  die  Gründe,  die  er  a.  a.  O.  S.  82  beibringt,  sind  für 
jeden  Unbefangenen  völlig  überzeugend. 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Der  Typus  für  kirchliche  Denkmalsbauten  bleibt  also  in  Palästina 
jahrhundertelang  konstant.  Die  hohe  Verehrung,  welche  die  heiligen 
Stätten  genossen,  musste  Nachahmungen  veranlassen.  Das  heilige  Grab 
und  der  Felsendom  fanden  solche  nicht  selten  im  späteren  Mittelalter, 
und  es  wird  seines  Ortes  auf  dieselben  zurückzukommen  sein.  Aus 
frühchristlicher  Zeit  erfahren  wir  wenig  von  solchen,  noch  weniger  hat 
sich  erhalten. 

NICAEA.  Ueber  die  Kirche,  in  welcher  das  Nicäische  Konzil  ab- 
gehalten wurde,  erfahren  wir  —  vita  S.  Willebaldi,  Acta  SS.  O.  S.  B., 
saec.  3,  P.  II,  p.  379:  Et  inde  (Constantinopoli)  venit  ad  urbera 
Nicaenam,  ubi  olim  habebat  Caesar  Constantinus  synodum  ...  Et  illa 
ecclesia  sirailis  est  Uli  ecclesiae  in  monte  Oliveti,  ubi  Dominus  adscendit 
in  caelum.  Et  in  illa  ecclesia  erant  imagines  episcoporum  qui  erant  ibi 
in  synodo. 

SANTO  STEFANO  ROTONDO  auf  dem  Caelius  zu  ROM  (Taf.  11, 
Fig.  1  u.  2).  Ein  Rätsel  in  der  Baugeschichte  der  Stadt.  Analoga 
aus  frühchristlicher  Zeit  finden  sich  nicht  in  Rom.  Man  hat  deshalb  in 
dem  Gebäude  eine  antike  Gründung  erkennen  wollen  und  verschiedene 
Benennungen  in  Vorschlag  gebracht.  Seitdem  die  Topographen  der 
Renaissance  die  Stelle  der  Mirabilien:  Stefanus  rotundus  fuit  templum 
Fauni,  welche  den  sogen.  Vestatempel  (Santo  Stefano  alle  Carrozze)  bei 
Bocca  della  veritä  meint,  irrtümlich  auf  die  Kirche  auf  dem  Caelius 
bezogen  haben,  hat  sich  dieser  Irrtum  hartnäckig  behauptet.  Andere 
sehen  in  ihr  einen  Tempel  des  Claudius  nach  der  Notitia.  Endlich  gilt 
es,  namentlich  bei  französischen  Archäologen  für  einen  Raum  im  ma- 
cellum  grande  des  Nero,  wofür  gleichfalls  die  Regionenbeschreibung  und 
eine  Münze  (Agincourt,  Architektur,  Taf.  22)  angeführt  wird.  —  Bunsen 
hat  (Beschr.  d.  St.  Rom,  III,  1,  S.  496)  zuerst  den  altchristlichen  Ursprung 
bestimmt  behauptet,  und  seit  Hübsch  gilt  Santo  Stefano  rotondo  als  ein 
Hauptbeleg  für  die  grossartig  erfinderische  Phantasie  der  altchristlichen 
Architekten.  Wohl  ist  —  namentlich  von  Fergusson  a.  a.  O.  p.  1 10,  1 1 1  — 
die  Verwandtschaft  mit  den  Monumenten  Jerusalems  schon  früher  klar 
ausgesprochen  worden,  allein  diese  Thatsache  wurde  keineswegs  all- 
gemein anerkannt,  und  Rahn  a.  a.  O.  S.  55,  56,  lehnt  jeden  auswärtigen 
Einfluss  ab.  —  Ein  vergleichender  Blick  auf  die  Tafeln  9—11  lässt 
jedoch  die  Zugehörigkeit  zu  dieser  Gruppe  sofort  unzweifelhaft  er- 
kennen. —  Ueber  die  Einweihung  eine  kurze  Notiz  beim  Anastasius: 
hic  (Simplicius)  dedieavit  Basiiicam  Sti.  Stefani  in  Caelio  monte  —  ist 
alles,  was  über  die  Gründungszeit  überliefert  ist.  Mauertechnik  und 
Formbehandlung  widersprechen  dieser  Angabe  nicht  (Simplicius  war 
Papst  a.  467—483).    Es  ist  wenig,  was  wir  erfahren  und  an  dem 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


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Monumente  konstatieren  konnten,  genügt  aber,  um  darauf  eine  Ver- 
mutung zu  begründen,  welche  den  Bau  mit  dem  sinkenden  Hause  des 
grossen  Theodosius  in  Beziehung  setzt  und  in  ihm  das  letzte  von  west-' 
römischen  Imperatoren  unmittelbar  vor  dem  Sturze  des  Reiches  er- 
richtete Denkmal  erkennt.  Im  Jahre  421  hatte  sich  Theodosius  II. 
mit  der  athenischen  Philosophentochter  Athenais  vermählt.  Sie  war 
zuvor  zum  christlichen  Glauben  übergetreten  und  hatte  den  Namen 
Eudokia  angenommen.  Die  Taufe  fand  in  Konstantinopel  statt  in  der 
Kirche  des  Protomartyrs  Stephanos,  dem  sie  stets  eine  hohe  Verehrung 
bewahrte,  und  dem  sie  bei  ihrem  unfreiwilligen  zweiten  Aufenthalte  in 
Jerusalem  eine  Meile  vor  der  Stadt,  an  der  Stelle  wo  er  begraben  war, 
eine  prächtige  Kirche  errichtete  (De  Vogue",  e"gl.  d.  1.  terre  sainte,  p.  332). 
Ueber  die  Gestalt  der  frühe  zerstörten  Kirche  ist  uns  nichts  überliefert, 
doch  ist  ein  Rundbau  um  so  wahrscheinlicher,  als  die  Kirche  den 
gleichen  Zweck  hatte,  wie  die  andern  Denkmalskirchen  in  Jerusalem, 
und  überdies  zur  Grabkirche  der  Kaiserin  bestimmt  war,  in  der  sie 
denn  auch  nach  ihrem  a.  460  erfolgten  Tode  bestattet  wurde.  Neben  ihr 
wurde  etwa  zehn  Jahre  später  ihre  Enkelin  Eudokia  bestattet,  ihre  zweite 
Enkelin  Placidia  aber  vermählte  sich  in  Konstantinopel  mit  dem  vor- 
nehmen Römer  Olybrius,  der  nach  dem  Tode  des  Anthemius  unter 
Ricimer  zum  Imperator  des  Westreiches  erhoben  wurde  (a.  472).  Ihr,  die 
vielleicht  selbst  das  Grab  der  Grossmutter  besucht  und  die  heiligen 
Stätten  in  Jerusalem  gesehen,  sicher  aber  durch  ihre  Schwester  Be- 
ziehungen zu  der  heiligen  Stadt  hatte,  möchten  wir  die  Gründung  von 
Santo  Stefano  rotondo  zuschreiben,  das  dem  Protomartyr  gewidmet  ist, 
wie  die  Grabkirche  ihrer  Grossmutter  und  dessen  Form  bestimmt  nach 
Jerusalem  weist.  Noch  waren  damals,  mit  einer  Ausnahme  (Santa  Maria 
maggiore),  alle  grösseren  kirchlichen  Bauunternehmungen  nicht  von  den 
Päpsten,  sondern  von  den  Imperatoren  ausgegangen,  und  kurz  nach 
der  Plünderung  durch  die  Vandalen  mochten  jene  auch  zu  einem  so 
grossen  Unternehmen  nicht  in  der  Lage  sein.  Die  Vollendung  des 
Baues  hat  Placidia  aber  sicher  nicht  in  Rom  erlebt,  denn  schon  nach 
7  Monaten  starb  Olybrius,  und  sie  kehrte  nach  Byzanz  zurück.  —  Der 
Grundriss  von  Santo  Stefano  rotondo  besteht,  wie  bei  den  eben 
betrachteten  Monumenten  aus  einem  System  konzentrischer  Kreise  in 
Verbindung  mit  2  aufeinander  senkrechten  Hauptaxen.  Letztere  sind 
im  mittleren  Kreise  nicht  markiert;  derselbe  enthält  22  jonische  Säulen 
mit  geradem  Gebälke,  über  dem  sich  eine  sehr  hohe  Obermauer  erhebt. 
Von  dem  zweiten  Kreise  gehen,  den  Hauptaxen  entsprechend,  4  Kreuz- 
arme nach  der  Umfassungsmauer.  Vor  den  Kreuzarmen  stehen  je 
4  korinthische  durch  Bögen  verbundene  Säulen,  in  den  Zwischenräumen 
je  5  niedrigere  jonische  Säulen  gleichfalls  von  Bögen  überspannt.  Sämt- 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


liehe  Säulen  des  äusseren  Kreises  haben  Kämpferaufsätze.  Zwischen 
den  Kreuzarmen  erstreckten  sich  überwölbte  Vorräume,  von  denen  man 
in  schmale  Höfe  und  ins  Freie  gelangte.  Die  Kirche  wurde  von 
Johann  I.,  Felix  IV.  und  Hadrian  I.  reich  mit  Marmor  und  Mosaik 
geschmückt,  geriet  jedoch  in  der  Folgezeit  sehr  in  Verfall,  so  dass 
unter  Nikolaus  V.  eine  Restauration  nötig  wurde.  Das  Skizzenbuch 
des  Bramantino  enthält  auf  Blatt  39  eine  Zeichnung,  welche  als  »Santo 
Stefano  aretondo  primache  alfuse  aretifichato«  (Santo  Stefano  rotondo 
vor  der  Restauration)  bezeichnet  ist;  diese  Bezeichnung  ist  indes  irr- 
tümlich, das  Blatt  enthält  vielmehr  eine  Skizze  für  die  Restauration  — 
von  L.  B.  Alberti?  —  Nach  dieser  war  beabsichtigt,  den  zweiten  Säulen- 
kreis mit  einer  Mauer  mit  Pilastern  hinter  jeder  Säule  zu  umgeben  und 
in  den  vier  Hauptrichtungen  Eingänge  mit  Vorhallen  anzubringen.  Der 
Entwurf  ist  ganz  im  Geiste  der  Renaissance  gedacht,  zur  Ausführung 
ist  er  nicht  gelangt,  man  begnügte  sich  vielmehr  damit,  den  äusseren 
Säulenkreis,  mit  Ausnahme  einiger  zu  Kapellen  eingerichteten  Zwischen- 
räume, zu  vermauern.  —  Beschr.  d.  St.  Rom,  III,  1,  S.  496.  Isabelle, 
im  Text  p.  85  ff.,  eine  nicht  unwichtige  Bemerkung  über  die  ursprüng- 
liche Höhe  des  Tambours. 

S.  ANGELO  IN  PERUGIA  (Taf.  11,  Fig.  3,  4,  5),  wahrscheinlich 
aus  dem  6.  Jahrhundert,  eine  verkleinerte  Nachbildung  von  Santo 
Stefano  rotondo.  Hier  sind  die  Hauptaxen  schon  im  mittleren  Säulen- 
kreise angedeutet  durch  weitere  Bögen  und  grössere  Säulen,  welche  auf 
dem  Boden  ruhen,  während  die  zwischenstehenden  auf  Postamente 
gesetzt  sind.  In  der  Umfassungsmauer  sind  noch  Fragmente  des  zweiten 
Säulenkreises  zu  sehen,  desgleichen  bestehen  noch  Fundamente  der 
Kreuzarme  und  (nach  Isabelle)  der  Eingänge,  so  dass  eine  ideale  Re- 
konstruktion des  Grundrisses  versucht  werden  kann  (Fig.  4). 

S.  DONATO  ZU  ZARA  (Taf.  9,  Fig.  4,  5).  Angeblich  eine  Grün- 
dung des  heiligen  Donatus,  eines  Zeitgenossen  Karls  des  Grossen,  und 
früher  der  heiligen  Dreieinigkeit  geweiht.  Ein  enger  Raum  mit  unverhält- 
nissmässig  starken  Pfeilern  von  ungleicher  Breite  und  3  Apsiden,  die 
3  Arkaden  vor  diesen  auf  antiken  Säulen  ruhend.  Der  Umgang  hat 
2  Geschosse,  wovon  das  obere  durch  eine  aussen  angebrachte,  ihrer  An- 
lage nach  dem  Bau  gleichzeitige  Treppe  zugänglich  ist.  Das  Ganze,  in 
allem  Technischen  befangen  und  ängstlich,  hängt  in  seiner  Grundidee 
doch  mit  der  hl.  Grabkirche  zusammen  und  schliesst  sich  dieser  näher 
an  als  die  meisten  Kirchen,  welche  als  hl.  Grabkirchen  bezeichnet 
werden.  —  Eitelberger,  im  Jahrb.  d.  Centr.-Comm.  1861.  Neue  (für 
uns  leider  nicht  mehr  benutzbare)  Aufnahme  von  Hauser  in  Mitt.  d. 
Centr.-Comm.  1882. 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


43 


S.  MICHAEL  ZU  FULDA  (Taf.  9>  Fig.  4,  5).  A.  820—21  auf  dem 
nördlich  der  Klosterkirche  gelegenen  Begräbnisplatze  der  Ordensbrüder 
.von  Eigil  erbaut  Rotunde  mit  Umgang.  Der  innere  Mauercylinder  auf 
8  Säulen  mit  antikisierenden  Kapitellen  und  Kämpferaufsätzen  ruhend, 
war  ursprünglich  von  einer  Kuppel  Uberdeckt.  In  der  Mitte  stand  eine 
Nachbildung  des  Tuguriums  mit  dem  heiligen  Grabe.  —  Der  obere 
Umgang  (?)  und  das  Langhaus  aus  saec.  1 1 .  Die  hl.  Grabkirche  hat  nur 
ganz  allgemein  als  Vorbild  gedient.  —  v.  Dehn-Rotfelsen ,  Kurhess. 
Bdkm. 

Noch  weniger  schliesst  sich  die  S.  MAURITIUSKAPELLE  AM 
DOME  ZU  KONSTANZ  (Taf.  49,  Fig.  17),  welche  gleichfalls  ein 
heiliges  Grab  enthält,  jenem  Vorbilde  an;  ein  ganz  einfacher  Mauer- 
kreis, erbaut  von  Bischof  Konrad  (f  976),  im  saec.  15  gotisch  überwölbt. 

STA.  SOFIA  ZU  BENEVENT  (Taf.  9,  Fig.  3),  gestiftet  a.  774  von 
Arrichis,  einem  der  letzten  Langobardenherzoge,  neben  seinem  Palast. 
Rundbau,  an  den  sich  ein  rechteckiger  Fassadenbau  anschliesst,  ähn- 
lich dem  Atrium  der  hl.  Grabkirche;  6  antike  Säulen,  unregelmässig 
gestellt,  tragen  eine  modernisierte  Kuppel.  Der  zweite  Säulenkreis  ent- 
hält 10  Säulen.  —  H.  W.  Schulz,  Denkmäler  der  Kunst  des  M.-A.  in 
Unteritalien. 

Endlich  ist  hier  das  BAPTISTERIUM  ZU  PISA  zu  erwähnen,  in 
der  Gruppierung  von  Säulen  und  Pfeilern,  dem  zweigeschossigen  Um- 
gange und  der  konischen,  ehemals  oben  offenen  Kuppel  vielleicht  die 
strikteste  Nachbildung  der  hl.  Grabkirche,  deren  Motive  hier  mit  künst- 
lerischer Freiheit  zu  einem  neuen  selbständigen  Ganzen  umgebildet 
sind.  Erbaut  um  a.  11 53  von  Diotisalvi.  Der  Grundriss  (Taf.  9,  Fig.  6) 
zeigt  links  das  untere,  rechts  das  obere  Geschoss.  Eingehenderes  wird 
in  Buch  II  folgen.  —  Rohault  de  Fleury,  Monuments  de  Pise,  PI.  18 — 21. 

S.  SEPOLCRO  ZU  PISA,  gleichfalls  von  Diotisalvi,  ein  Achteck 
mit  Umgang,  steht  dem  Vorbilde  weit  ferner.  Rohault  a.  a.  O.  PI.  17. 

6.  Kreuzförmige  Anlagen  (griechisches  Kreuz). 

Dem  Sprachgebrauche  folgend  fassen  wir  in  diesem  Abschnitte 
zwei  Gebäudegruppen  zusammen,  welche  ganz  verschiedene  Ausgangs- 
punkte haben  und  bei  streng  konsequenter  Systematik  getrennt  zu 
behandeln  wären.  Die  erste,  runde  oder  quadratische  Räume  mit  4  den 
Hauptaxen  entsprechenden  Nischen  befassend,  ist  eine  Unterabteilung 
der  einfachen  Rotunde.  Wenn  diese  Form  von  heidnisch-antiken  Grund- 
motiven  ausgeht,  so  wird  doch  die  symbolische  Beziehung  auf  das 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Kreuz  des  Erlösers  Anlass  zur  weiteren  Ausbildung,  Verlängerung  der 
Kreuzarme  gegenüber  den  antiken  Vorbildern  und  selbständiges  Vor- 
treten derselben  nach  aussen.  Es  ist  die  Form,  welche  in  der  früh- 
christlichen Litteratur  im  vorzugsweisen  Sinne  als  kreuzförmig  be- 
zeichnet wird.  Eine  grosse  Verbreitung  hat  dieselbe  indes  nicht  gefunden, 
noch  auch  ist  aus  ihrer  Weiterentwicklung  die  kreuzförmige  romanische 
Basilika  hervorgegangen  (vgl.  Buch  II,  Kap.  I,  Abschnitt  3). 

Kreuzförmige  Anlagen  sind,  wie  im  Altertum,  vorzugsweise  für 
Grabkirchen  beliebt,  ohne  dass  ihre  Verwendung  für  andere  Zwecke 
ausgeschlossen  wäre. 

VILLA  ADRIAN  A,  drei  Räume  von  kreuzförmigem  Grundriss  (Taf.  12, 
Fig.  1)  zeigen  das  Vorkommen  des  Motives  im  antiken  Profanbau. 
Antike  Grabmäler  (b.  Canina:  La  prima  parte  della  Via  Appia,  Roma 
1853,  Tom.  II,  Tav.  II,  VI,  VII;  auch  sonst  publiziert)  verbinden  die 
Kreuzform  des  Inneren  mit  rundem  Aussenbau.  Analog  ist  im  unteren 
Geschosse  des  GRABMALS  THEODERICHS  ZU  RAVENNA  (Taf.  3, 
Fig.  9,  10)  der  innere  Raum  kreuzförmig,  das  Aeussere  polygon.  An 
der  KAPELLE  DES  ERZBISCHÖFLICHEN  PALASTES  ZU  RA- 
VENNA aus  saec.  5  (Taf.  12,  Fig.  2,  3)  ist  das  Aeussere  rechteckig, 
ebenso  in  der  CAPELLA  DI  S.  ZENONE  BEI  STA.  PRASSEDE 
ZU  ROM  (Taf.  16,  Fig.  1). 

Aehnlich,  aber  durch  Säulen  und  Gurtbögen  unter  der  Vierung  etwas 
reicher  gegliedert,  ist  die  CAPELLA  DI  S.  IPPOLITO  BEI  S.  LO- 
RENZO  IN  MAILAND  (Taf.  14,  Fig.  3.  Schnitt  bei  Hübsch,  PI.  XIV, 
Fig.  14).  Eine  Anzahl  ähnlicher  Kapellen  stand  auf  der  Nord-  und 
Westseite  der  alten  Peterskirche  (Taf.  18).  Ferner  zwei  Kapellen  neben 
dem  lateranischen  Baptisterium  (Taf.  7,  Fig.  3),  S.  Tiburtio  bei  Rom 
und  andere. 

Die  APOSTELKIRCHE  ZU  KONSTANTINOPEL,  welche  Kon- 
stantin d.  Gr.  als  Begräbnisstätte  für  sich  und  seine  Familie  erbaut 
hatte,  war  eine  grossartige  Anlage  von  der  Form  eines  griechischen 
Kreuzes,  über  deren  Einzelheiten  sich  jedoch  nichts  Genaueres  mehr 
ermitteln  lässt.  Ob  wir  in  S.  NAZARO  GRANDE  ZU  MAILAND 
eine  Nachbildung  dieser  Kirche  zu  erblicken  haben,  mag  dahingestellt 
bleiben,  ist  indes  nicht  ganz  unwahrscheinlich.  Die  Kirche  wurde 
a.  382  von  Ambrosius  in  Kreuzform  erbaut  (nach  einer  von  Landulph 
M.  G.  SS.  VIII,  p.  40,  mitgeteilten  Inschrift)  und  behielt  diese  Grund- 
form nach  einem  Neubau  von  a.  1075  De'*  Sie  war  ursprünglich 
den  Aposteln  geweiht  und  erhielt  erst  a.  396  den  Titel  des  hl.  Nazarius. 
In  dem  jetzigen  Gebäude  ist  nichts,  was  über  das  saec.  11  zurück- 
reichte. 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


45 


S.  NAZARIO  E  CELSO,  die  Grabkapelle  der  Galla  Placidia 
ZU  RAVENNA  (Taf.  12,  Fig.  4,  5),  stand  in  Zusammenhang  mit  der 
gleichfalls  kreuzförmigen,  nicht  mehr  bestehenden  Kirche  zum  heiligen 
Kreuz  (vgl.  den  Grundriss),  welche  vielleicht  eine  Nachbildung  der 
Apostelkirche  zu  Mailand  war  (H.  Graf,  opus  francigenum,  S.  93). 
Auch  das  erhaltene  Mausoleum  hat  im  Grundriss  grosse  Aehnlichkeit 
mit  der  Mailänder  Kirche.  Die  Kreuzarme  mit  Tonnen  überwölbt,  der 
Mittelraum  höher  geführt  und  mit  einer  auf  sehr  unschön  vorgekragten 
Tragebögen  ruhenden  Hängekuppel  überdeckt.  Die  musivische  Aus- 
schmückung dieses  in  formaler  Hinsicht  sehr  ärmlichen  Bauwerkes 
gehört  zum  Besten  jener  farbenprächtigen  Dekorationsweise,  und  ver- 
leiht bei  günstiger  Beleuchtung  dem  kleinen  Räume  einen  hohen 
Stimmungsreiz. 

Das  BAPTISTERIUM  ZU  VALENCE  (Dröme)  (Taf.  12,  Fig.  6), 
nur  im  Grundriss  erhalten.  Dagegen  vollständig  erhalten  ein  altchrist- 
liches BAPTISTERIUM  südlich  neben  STA.  GIUSTINA  ZU  PADUA. 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Kreuzförmig,  über  dem  quadratischen  Mittelraume  eine  achteckige 
Kuppel.    Der  Uebergang  zum  Achteck  durch  Trorapen  vermittelt. 


Bei  der  zweiten  Gruppe  der  als  kreuzförmig  bezeichneten  Räume 
wird  ein  rechteckiger  oder  quadratischer  Raum  durch  4  Stützen  in 
9  Felder  geteilt.  Als  Prototyp  dieser  Form  und  als  Ausgangspunkt 
für  die  Entwicklung  kann  das  Atrium  Tetrastylum  (Taf.  12,  Fig.  7) 
angesehen  werden.  Freilich  kann  dieselbe  auf  dieser  Stufe  noch  kaum 
als  Zentralbau  gelten,  wird  es  aber  in  der  Folge  dadurch,  dass  das 
mittlere  Feld  den  Aufbau  beherrscht  und  die  übrigen  je  nach  ihrer 
Lage  ihm  mehr  oder  weniger  untergeordnet  werden.  Ein  erster  Schritt 
ersetzt  die  weitgespannten  Architrave  ganz  oder  teilweise  durch  Bögen 
und  bringt  über  diesen  eine  Flachdecke  an.  Weiterhin  werden  die  über 
den  seitlichen  Intercolumnien  beibehaltenen  Architrave  (Taf.  13,  Fig.  1,  2), 
oder  die  Uebermauerung  entsprechender  Bögen  (Taf.  13  passim)  als 
Auflager  für  die  Tonnengewölbe  verwendet,  welche  die  den  4  Haupt- 
axen  entsprechenden  Felder  überdecken  und  ihrerseits  dem  den  Mittel- 
raum überdeckenden  Gewölbe  als  Widerlager  dienen.    Hier  kommen 

die  zentralen  Beziehungen  schon  sehr  klar  zum  Aus- 
druck. Endlich  entwickelt  sich  diejenige  Form, 
welche  als  Typus  der  späteren  byzantinischen 
Kirchen  die  weiteste  Verbreitung  gefunden  hat. 
Vier  sich  kreuzende  Tonnengewölbe,  über  ihrer 
Vierung  eine  Kuppel  auf  lichtbringendem  Cylinder, 
über  den  Eckfeldern  kleinere  Kuppeln  ohne  solchen. 
Auch  im  Abendlande  findet  die  Form  unter  direktem 
Einfluss  des  Ostreiches  Aufnahme,  und  führt  in 
Unteritalien  (Capri,  Gaeta  etc.)  zu  einem  wenig 
glücklichen  Kompromiss  mit  der  Basilika.  Dagegen 
ergreift  die  Renaissance  das  Motiv  mit  Vorliebe 
und  führt  es  durch  mannigfache  Modifikationen  zur 
höchsten  Vollendung:  Madonna  di  Campagna  zu  Piacenza,  Madonna  di 
Carignano  zu  Genua,  die  Pläne  Bramantes,  Peruzzis  und  Michel-Angelos 
zur  Peterskirche. 

Der  DOM  ZU  TRIER,  in  seiner  jetzigen  Gestalt  aus  der  successiven 
Arbeit  vieler  Jahrhunderte  hervorgegangen,  enthält  in  seinen  östlichen 
Teilen  eine  fast  vollständig  erhaltene  antike  Gerichtshalle  aus  der  Zeit 
Valentinians  I.,  um  a.  370  erbaut  und  etwa  50  Jahre  nach  der  Er- 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


47 


bauung  zur  Kirche  geweiht,  v.  Wilmowsky  hat  in  seiner  ausgezeichneten 
Monographie  Restaurationen  des  Gebäudes  in  seinen  verschiedenen 
Perioden  gegeben,  welche,  auf  die  eingehendsten  Untersuchungen  ge- 
gründet, grosse  Wahrscheinlichkeit  haben.  Das  antike  Gebäude  (Taf.  12, 
Fig.  8,  9),  ein  quadratischer  Raum  von  38  m  Seitenlänge,  war  durch 
4  monolithe  Säulen  in  9  Felder  geteilt.  Bei  den  gewaltigen  Abständen 
der  Stützen  raussten  die  Architrave  durch  Gurtbögen  ersetzt  werden, 
deren  Uebermauerung  den  Dachstuhl  und  die  Kassettendecken  trug. 
Das  Gebäude  ist  namentlich  in  struktiver  Hinsicht  äusserst  wichtig, 
als  Beleg  für  die  Kühnheit  der  römischen  Constructeure,  welche  der 
der  frühchristlichen  Baumeister  mindestens  gleichkam.  Der  Gegensatz, 
wir  können  es  nicht  genug  betonen,  beruht  nicht  in  heidnischen  oder 
christlichen  Bedürfnissen,  welchen  ein  Gebäude  zu  genügen  hat,  son- 
dern darin,  ob  es  in  geschichtetem,  oder  in  Gussmauerwerk  ausgeführt 
ist  In  ersterem  Falle  geht  auch  bei  heidnisch-antiken  Gebäuden  die 
Materialersparnis  bis  an  die  zulässige  Grenze ').  —  Ein  kleines  und  wie 
es  scheint  ganz  überwölbtes  Gebäude  von  ähnlicher  Anlage  aus  MARINO 
(Taf.  12,  Fig.gto),  im  Skizzenbuche  Bramantinos  Tav.  48,  ein  gleiches 
mit  äusserem  Portikus  ebenda  Tav.  52. 

MUSMIEH  (Phäna  in  Zentralsyrien).  PRÄTORIUM  (Taf.  13, 
Fig.  i ,  2).  Errichtet  unter  Marcus  Aurelius  und  Lucius  Verus  a.  160 
bis  169.  Mehrere  Inschriften  bezeugen  das  Alter.  Die  Konstruktion 
ist  später  verändert,  der  ursprünglichen  Anlage  gehören  die  Um- 
fassungsmauern und  die  Tribuna  mit  ihren  Nebenräumen  an,  die 
Tragebögen  scheinen  jünger,  doch  sicher  vor  dem  4.  Jahrhundert  er- 
neuert zu  sein,  in  welchem  das  Prätorium  zur  Kirche  geweiht  wurde.  — 
8  gekuppelte  Bögen  auf  4  Säulengruppen  ruhend  tragen  Tonnengewölbe 
aus  grossen  Steinplatten.  Der  quadratische  Mittelraum  war  von  einem 
Klostergewölbe  in  Gusswerk  (mit  Opäon?)  überdeckt  Wir  haben  in 
dem  interessanten  Bauwerke,  mit  Ausnahme  der  Ueberdeckung  des 
Mittelraumes,  das  vollständige  Modell  der  späteren  byzantinischen 
Kirchen  vor  uns.  Der  konstruktive  Gedanke,  ein  zentrales  Gewölbe 
durch  transversale  Tonnen  zu  stutzen,  ist  hier  (schon  im  2.  Jahrhundert) 
klar  ausgesprochen;  was  an  jenen  späteren  Bauten  neu  hinzukommt, 
ist  die  von  Gowölbezwickeln  getragene  Kuppel  auf  lichtbringendem 
Cylinder.  Es  kann  deshalb  auch  von  einer  Beschreibung  der  folgenden 
Monumente  abgesehen  werden. 


')  Die  Bedenken,  welche  Hübsch  S.  3  gegen  die  statische  Möglichkeit  quer  über 
das  Mittelschiff  gespannter  Gurtbögen  äussert ,  werden  schon  dadurch  widerlegt ,  dass 
diese  Bögen  jetzt  wirklich  vorhanden  sind  und  nicht  nur  eine  Flachdecke,  sondern  ein 
romanisches  Gewölbe  tragen. 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


KONSTANTINOPEL:  HAGIA  THEOTOKOS  (Taf.  13,  Fig.  3,  4) 
um  das  beginnende  10.  Jahrhundert  von  dem  Patrizier  Konstantinus 
gegründet.    Der  äussere  Narthex  eine  spätere  Zuthat. 

MAILAND:  S.  SATIRO  (Taf.  13,  Fig.  5,  6),  eine  byzantinische 
Kapelle  neben  Santa  Maria  presso  S.  Satiro,  fast  ganz  modernisiert. 
Erbauungszeit  unbekannt. 

VENEDIG:  S.  GIACOMETTO  DI  RIALTO  (Taf.  13,  Fig.  7), 
angeblich  um  a.  520  gegründet,  mit  verlängertem  Westarme,  die  Vierungs- 
kuppel nicht  erhalten,  auch  sonst  modifiziert. 

STILO  in  Unteritalien:  LA  CATTOLICA  (Taf.  13,  Fig.  8,  9).  Alle 
Kuppeln  auf  Tambours.  Eine  griechische  Inschrift  am  Portal  weist  auf 
byzantinischen  Ursprung. 

PALERMO:  LA  MARTORANA  (Taf.  13,  Fig.  10,  11),  a.  1143 
gegründet  und  bis  um  a.  1220  mit  griechischen  Mönchen  besetzt.  In 
allen  Details  normannisch.  Die  Kirche  wurde  später  verlängert.  Weitere 
Beispiele  bei  Rahn,  Kuppelbau  S.  101  ff. 

Ihrer  Komposition  nach  gehört  in  diese  Gruppe  auch  die  kleine 
Kirche  zu  GERMIGNY  DES  PRES  (Taf.  13,  Fig.  12)  aus  dem  be- 
ginnenden saec.  9,  mit  einem  flachgedeckten  Turme  über  dem  Mittel- 
raum.   (Vgl.  Taf.  41  und  Buch  II,  Kap.  1.) 

Eine  eigene  Stellung  nimmt  der  merkwürdige  Zentralbau  STA. 
FOSCA  auf  der  Insel  TORCELLO  bei  Venedig  ein  (Taf.  13,  Fig.  13,  14). 
Vielleicht  schon  im  saec.  9  erbaut,  im  saec.  11  erweitert.  Ein  grie- 
chisches Kreuz,  dessen  Arme  durch  Säulenstellungen  geteilt  sind,  so 
dass  die  Vierungsbögen  (wenn  der  Ausdruck  gestattet  ist)  nicht  die 
ganze  Breite  des  Mittelraumes  einnehmen.  Ueber  dem  Mittelraume 
ursprünglich  eine  Kuppel  auf  Gewölbezwickeln,  welche  in  eigentüm- 
licher Weise  durch  Nischen  unterbrochen  sind  (die  Schnitte  Fig.  14 
nach  Hübsch  und  Mothes,  namentlich  der  Diagonalschnitt  nicht  ganz 
richtig,  eine  eigene  Skizze  Taf.  39,  Fig.  9).  Der  Grund  dieser  Anord- 
nung dürfte  darin  zu  suchen  sein,  dass  der  Vierungsbögen  nicht  die 
ganze  Breite  des  Quadrates  einnimmt,  so  ist  zunächst  ein  unregel- 
mässiges Achteck  geschaffen  (unterer  Bogen)  und  von  dem  aus  eine 
zweite  Einziehung  begonnen,  welche  nach  dem  Grundkreise  der  Kuppel 
überführt.  In  statischer,  wie  künstlerischer  Beziehung  sehr  beachtens- 
wert. Die  Verlängerung  des  Chores  und  der  äussere  Portikus  jünger. 
(Vgl.  auch  Taf.  24,  Fig.  2.) 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


49 


7.  San  Lorenzo  in  Mailand. 

—  Exkurs.  — 

Noch  bleibt  ein  Monument  von  höchster  Bedeutung  zu  betrachten, 
welches  sich  passend  den  kreuzförmigen  Anlagen  anschliesst,  San 
Lorenzo  in  Mailand  (Taf.  14,  Fig.  3).  Dieser  Bau  hat  früher  für  einen 
zur  Kirche  geweihten  Palast  oder  Thermenraum  gegolten.  Nachdem 
zuerst  v.  Quast  (Ravenna,  S.  34)  einen  christlich-kirchlichen  Ursprung 
für  ihn  in  Anspruch  genommen  hatte,  hat  seinerzeit  über  diese  Frage 
eine  Diskussion  zwischen  Hübsch  und  Kugler  stattgefunden  (Deutsches 
Kunstblatt  1854,  S.  415,  442  ff.),  in  welcher  Hübsch  für  den  kirchlichen, 
Kugler  für  den  profanen  Ursprung  des  Gebäudes  eintrat.  In  seinem 
grossen  Werke  ist  Hübsch  nochmals  auf  die  Frage  zurückgekommen, 
welche  seitdem  in  Deutschland  als  durch  ihn  erledigt  gilt.  Neuerdings 
hat  Dartein  a.  a.  O.  S.  4  ff.  die  Kirche  dem  saec.  6  zugeschrieben. 
Eine  —  freilich  eine  sehr  gewichtige  —  Stimme  (Jac.  Burckhardt)  hält 
noch  an  dem  profanen  Ursprünge  fest. 

Wir  müssen  die  Frage  als  eine  offene  bezeichnen.  Zwingende 
Beweisgründe  für  die  eine  oder  andere  Meinung  sind  von  keiner  Seite 
beigebracht  worden.  Auch  wir  sind  dazu  nicht  in  der  Lage.  Wir 
haben  S.  Lorenzo  in  den  Jahren  1882  und  1883  zweimal  besucht  und 
sind,  soweit  es  Reisenden,  welche  ihre  Thätigkcit  nicht  auf  ein  einziges 
Studienobjekt  konzentrieren  können,  möglich  ist,  zu  einer  leidlich 
genauen  Kenntnis  des  merkwürdigen  Werkes  gelangt.  Wir  mussten 
uns  indes  überzeugen,  dass  gerade  die  entscheidenden  Fragen  nur 
durch  eine  sehr  eingehende  technische  Untersuchung  des  Gebäudes  in 
allen  Teilen,  Blosslegung  der  Fundamente,  Untersuchung  des  Vorhofes, 
teilweise  Entfernung  des  Putzes,  ja  der  Apsidengewölbe  etc.,  gelöst 
werden  könnten,  eine  Untersuchung,  zu  welcher  wir  weder  Zeit  noch 
Mittel  hatten.  Im  folgenden  sollen  die  Gründe  angegeben  werden, 
welche  uns  vorerst  verhindern,  der  herrschenden  Meinung  beizutreten ; 
die  Wichtigkeit  des  Monumentes  mag  die  über  das  sonst  für  dieses 
Buch  befolgte  Mass  hinausgehende  Ausführlichkeit  der  Behandlung 
entschuldigen. 

Mailand  war  nach  der  dioklctianischen  Reichsteilung  Residenz  des 
Augustus  Maximian  geworden;  seine  Bedeutung  steigerte  sich  mit  dem 
Sinken  Roms  mehr  und  mehr,  und  von  Valentinian  I.  (a.  366)  bis  auf 
Honorius  ist  es  die  erste  Stadt  in  der  westlichen  Hälfte  des  Reiches 
und  ständiger  Herrschersitz.  Noch  a.  402  residierte  Honorius  in  Mai- 
land, als  Alarich  in  Italien  einbrach.  Wohl  wurde  er  durch  Stilicho  zu- 
rückgeschlagen, aber  der  Kaiser  fühlte  sich  in  Mailand  nicht  mehr  sicher 
und  siedelte  nach  dem  festen  Ravenna  über,  dessen  Bedeutung  nunmehr 

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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


überwiegt.  Indessen  bleibt  die  Stadt  bis  zum  Einfall  der  Langobarden 
a.  569  blühend.  —  Von  Bauwerken  aus  der  Kaiserzeit  hat  sich  in 
Mailand  fast  nichts  erhalten.  Aber  gerade  vor  dem  Vorhofe  von 
S.  Lorenzo  steht  eine  antike  Kolonnade  von  16  Säulen,  deren  mittleres 
Intercolumnium,  weiter  als  die  übrigen,  mit  einem  Bogen  überspannt 
ist,  während  jene  gerades  Gebälke  haben.  Nach  einer  Notiz  von  a.  1560 
wird  sie  für  einen  Rest  der  Thermen  des  Maximian  gehalten  *).  Wie 
weit  diese  Nachricht  beglaubigt  ist,  wissen  wir  nicht.  Nach  ihrer 
Komposition  und  Formbehandlung  gehört  die  Halle  frühestens  der 
diokletianischen  Zeit  an,  kann  aber  auch  jünger  sein. 

Schon  in  den  ersten  Dezennien  des  4.  Jahrhundertes  bestand  in 
Mailand  eine  christliche  Gemeinde.  Einen  bedeutenden  Aufschwung 
nahm  die  Mailänder  Kirche  als  Ambrosius  Bischof  wurde  (a.  374 — 397). 
Ambrosius  hat  viele  Kirchen  gegründet  und  über  seine  wichtigsten 
ßauunternehmungen  sind  wir  unterrichtet,  S.  Lorenzo  wird  nicht  unter 
denselben  genannt.  Nach  dem  Catalogus  episcoporum  Mediolanensium 
aus  saec.  6  (M.  G.  SS.  VIII,  p.  101)  wurden  zwischen  a.  449  und 
a.  512  vier  Bischöfe  in  S.  Lorenzo  und  den  Kapellen  S.  Ippolito  und 
S.  Sisto  beigesetzt;  a.  1075  un<*  a.  11 19  litt  die  Kirche  durch  Brand; 
a.  1573  stürzte  die  Kuppel  ein  und  zog  auch  andere  Teile  mit  in  ihren 
Ruin,  so  dass  eine  umfassende  Restauration  nötig  wurde,  welche  Martino 
Bassi  zwischen  a.  1573 — 1591  ausführte. 

Wesentliche  Aufschlüsse  ergeben  sich  aus  der  allgemeinen  historischen 
Betrachtung  nicht.  Dass  an  der  Stelle  ein  grosses  antikes  Gebäude, 
sei  es  ein  kaiserlicher  Palast,  sei  es  eine  Thermenanlage,  stand,  ist 
zweifellos.  Es  ist  also  mit  Bestimmtheit  anzunehmen,  dass,  solange  die 
Kaiser  in  Mailand  residierten,  eine  Kirche  an  der  Stelle  nicht  erbaut 
wurde,  wie  ja  auch  von  einer  Laurentiuskirche  des  Ambrosius,  dem 
am  ehesten  ein  so  grossartiges  Unternehmen  zugeschrieben  werden 
dürfte,  nichts  bekannt  ist.  Wenn  es  ferner  auch  nicht  wahrscheinlich 
ist,  dass  sofort,  oder  bald  nach  Verlegung  der  Residenz  der  kaiserliche 
Bau  zerstört  und  an  seiner  Stelle  eine  Kirche  erbaut  wurde,  so  ist  dies 
doch  nicht  geradezu  unmöglich.  Ferner  ist  auch  die  von  Dartein  auf- 
gestellte Ansicht,  dass  zuerst  ein  Saal  des  antiken  Baues  geweiht  und 
im  saec.  6  durch  den,  wenigstens  im  Grundriss,  noch  bestehenden  Bau 
ersetzt  worden  sei,  nicht  sofort  abzuweisen. 

Wenden  wir  uns  nunmehr  dem  Monumente  selbst  zu  und  unter- 
suchen zunächst  das  Herkommen  des  Kompositionsmotives,  dann, 
soweit  es  möglich  ist,  den  ursprünglichen  Zustand  des  Gebäudes  selbst.  — 


')  Die  ziemlich  reichhaltige  Litteratur  über  diese  Kolonnade  ist  uns  nicht  zugäng- 
lich    Desgl.  kennen  wir  die  Topographie  Mailands  im  Altertum  nicht  näher. 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


Wir  erinnern  daran,  dass  dem  römischen  Altertum  der  Unterschied 
zwischen  bedeckten  und  unbedeckten  Innenräumen  ein  rliessender  ist. 
Schon  mehrfach  haben  wir  darauf  hingewiesen,  wie  das  halbbedeckte 
Atrium  (vgl.  S.  46  und  das  folgende  Kapitel)  den  Ausgangspunkt  für 
bedeckte  Räume  bildet.  Dass  die  forensische  Basilika  nach  Form  und 
Bestimmung  ein  bedecktes  Nebenforum  war,  ist  bekannt.  Ein  gleicher 
Ursprung  lässt  sich  auch  für  das  Grundrissmotiv  von  S.  Lorenzo  nach- 
weisen. Portiken,  welche  im  Halbkreis  ausgebogen  (auch  wohl  zwei- 
geschossig) einen  rechteckigen  Platz  umgeben,  finden  wir  bei  den 
Kaiserforen  in  Rom  (Augustusforum ,  Trajansforum).  Ein  sehr  klares 
Beispiel  in  der  VILLA  ADRIAN A  (Taf.  14,  Fig.  1)  in  der  Nähe  des 
Stadions.  Es  ist  ein  Tempelperibolos  und  war  niemals  auf  Ueber- 
deckung  angelegt,  allein  die  Horizontalperspektive,  die  Behandlung  der 
Ecken  u.  s.  w.  ist  gegeben.  —  Nun  wird  das  Motiv  auf  Innenräume 
übertragen.  In  einfacher  Form  im  KAISERPALAST  ZU  TRIER 
(Taf.  14,  Fig.  2)  (erbaut  von  Konstantin?),  ein  rechteckiger  Raum,  dem 
sich  auf  drei  Seiten  Konchen  mit  äusseren  Umgängen  vorlegen.  Das 
Motiv  ist  hier  sehr  vereinfacht,  denn  die  Umgänge  tragen  kaum  zur 
Raumwirkung  des  Inneren  bei.  Ferner  S.  MARIA  im  KAPITOL  zu 
Köln  (Taf.  14,  Fig.  4),  ca.  700  gegründet.  Die  Kirche  enthält  indes 
keine  Bauteile,  welche  über  das  11.  Jahrhundert  zurückreichten.  Dass 
der  Zeit  der  ersten  Gründung  die  Erfindung  einer  so  grossartigen  An- 
lage wie  des  Drci-Konchen-Chores  nicht  zugeschrieben  werden  darf,  ist 
nach  dem,  was  wir  von  der  sogenannten  merowingischen  Baukunst 
wissen,  ausser  Zweifel.  Aber  auch  dem  Kreise  romanischer  Kom- 
positionsideen liegt  eine  derartige  Grundrissgestaltung  fern  (die  Aehn- 
lichkeit  mit  Tournay  ist  nur  äusserlich).  Die  rheinischen  Drei-Konchen- 
Kirchen,  samt  und  sonders  jünger,  können  von  dem  Vorbilde  der 
Kapitolskirche  inspiriert  sein,  sind  aber  wesentlich  einfacher.  Der  Bau 
selbst  aber  leidet  an  inneren  Widersprüchen.  Wer  imstande  war,  diesen 
Grundriss  zu  erfinden,  der  begnügte  sich  nicht  mit  einem  so  unbedeuten- 
den Aufbau,  wie  wir  ihn  an  den  Kreuzkonchen  (die  Ostapsis  ist  er- 
neuert) sehen,  der  musste  vor  allem  die  Mittelkuppel,  auf  die  sich  alles 
konzentriert,  viel  mehr  zur  Geltung  bringen,  als  es  hier  geschehen  ist. 
Diese  kleine  Hängekuppel  ist  auf  drei  Seiten  von  je  2  Tonnen- 
gewölben widerlagert,  welche  noch  durch  die  Apsiden  weiter  verstrebt 
sind,  obwohl  gerade  nach  diesen  Axen  der  Seitenschub  ganz  gering 
ist.  Nach  den  Ecken  zu  steht  ein  System  von  4  Kreuzgewölben, 
welches  ebenfalls  eine  übertrieben  grosse  Strebemasse  bildet.  —  Nein, 
hier  müssen  tiefgreifende  Veränderungen  stattgefunden  haben.  Sollte 
hier,  wie  bei  S.  Lorenzo,  auf  alten  römischen  Fundamenten  immer 
wieder  neu  gebaut  worden  sein?  Diese,  schon  von  Otte  (G.  d.  deutsch. 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Bauk.  S.  37)  ausgesprochene  Vermutung  lässt  sich  freilich  nicht  beweisen, 
gewinnt  aber  an  Wahrscheinlichkeit,  wenn  wir  uns  erinnern,  dass  die 
Lokaltradition  an  diese  Stelle  das  Kapitol  der  Colonia  Agrippina  ver- 
legt, wie  denn  auch  in  der  Nähe  der  Kirche  antike  Baureste  gefunden 
worden  sind.  Nehmen  wir  an,  dem  sei  so,  und  suchen  wir  uns  den 
Hauptsaal  des  Kapitols  in  der  Idee  zu  rekonstruieren  (Taf.  14,  Fig.  5). 
Wir  haben  hierzu  nichts  weiter  nötig,  als  dass  wir  die  durch  Anfügung 
des  Langhauses  bedingten  heutigen  Vierungspfeiler  weglassen  und  den 
Raum  nach  Westen  symmetrisch  ergänzen.  Nun  ist  alles  in  schönster 
Harmonie,  Spannung  und  Verstrebung  der  Mittelkuppel  sind  in  richtiger 
Proportion  und  —  bei  etwas  komplizierterem  Organismus  —  welche 
frappante  Aehnlichkeit  mit  S.  Lorenzo !  —  Doch  das  ist  ein  Spiel  der 
Phantasie,  das  vielleicht  der  realen  Grundlage  nicht  ganz  entbehrt, 
vielleicht  sogar  das  Richtige  trifft,  dem  aber  doch  nur  eine  bedingte 
Beweiskraft  innewohnt.  Mit  der  Vergleichung  obiger  Beispiele  dürften 
wohl  einige  Anhaltspunkte  für  die  Herkunft  des  Motives  gewonnen  sein, 
der  Zusammenhang  seiner  Entwicklung  ist  damit  noch  nicht  klargelegt. 

Es  sind  anderseits  die  Kirchenbauten  zu  Antiochien,  Ravenna  und 
Konstantinopel  (Taf.  4 — 6)  zum  Vergleiche  heranzuziehen.  Gewisse 
Analogien  springen  sofort  in  die  Augen,  der  mittlere  Hauptraum  ist 
durch  Exedren  erweitert ,  deren  Mauern  in  Säulenstellungen  aufgelöst 
in  zwei  Geschossen  den  Blick  nach  den  Umgangen  frei  lassen.  Auch 
der  struktive  Apparat  hat  in  seinen  Grundideen  manches  Aehnliche.  Da- 
neben besteht  aber  eine  sehr  wesentliche  Differenz.  S.  Lorenzo  ist  ein 
reiner,  durchaus  konsequenter  Zentralbau,  bei  den  genannten  Kirchen 
ist  ausnahmslos  ein  besonderes  Altarhaus  vorhanden,  muss  vorhanden 
sein,  da  die  liturgischen  Vorschriften  bei  der  Wandelung  und  anderen 
Zeremonien  eine  Verhüllung  des  Altares  verlangten.  Die  Anlage  der 
Basilika  ist  im  ganzen  und  einzelnen  diesen  liturgischen  Erfordernissen 
conform,  der  Zentralbau  widerstreitet  ihnen,  und  die  ganze  Tendenz 
der  byzantinischen  Kunstentwicklung  ist  darauf  gerichtet,  ihn  in  gleicher 
Weise  umzubilden,  was  oben  (Abschnitt  2)  weiter  ausgeführt  ist;  sie 
geht  vom  Polygon  aus  und  kombiniert  es  mit  dem  Rechteck.  Diesen 
Anforderungen  genügt  S.  Lorenzo  in  keiner  Weise.  Und  auch  die  eben 
angeführten  Analogien  sind  nicht  so  wesentlich,  dass  sie  uns  zwängen, 
den  Bau  der  Gruppe  jener  byzantinischen  Kirchen  einzureihen,  es  be- 
stehen doch  auch  in  der  Idee  der  Komposition  erhebliche  Unterschiede. 

Noch  bleibt  die  Frage  zu  erörtern:  wie  weit  ist  in  dem  jetzigen 
Bau  die  alte  Form  beibehalten.  Hübsch  operiert  in  seinen  Ausführungen 
mit  einer  Restauration,  bei  der  er  grosses  Gewicht  darauf  legt,  dass  in 
den  unteren  Arkaden  ursprünglich  nur  2  Pfeiler  gestanden  haben  und 
dass  erst  Martino  Bassi  4  Stützen  in  jeder  Konche  angeordnet  habe. 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


53 


Ja,  prüfen  wir  die  Beweisführung  Hübschs  auf  ihren  Gedankengang,  so 
beruht  sie  im  Grunde  auf  folgendem  Zirkelschluss :  i)  Die  altchrist- 
liche Kunst  liebte  weitstehende  Stützen,  folglich  müssen  wir  den  Bau 
so  restaurieren,  dass  in  jeder  Konche  nur  2  Stützen  stehen,  also 
nicht  5  (wie  jetzt),  sondern  nur  3  Intercolumnien  vorhanden  sind. 
2)  Weil  S.  Lorenzo  so  grosse  Zwischenweiten  hatte,  ist  es  nicht  antik, 
sondern  christlich. <  Hübsch  stützt  sich  in  seinen  Ausführungen  viel- 
fach auf  die  Schriften  Bassis,  der  ihn  aber  gerade  in  diesem  wesent- 
lichen Punkte  widerlegt,  indem  er  sagt'):  »Poiche  (i  Signori)  dalla 
pianta  non  si  volevano  per  niun  modo  partire,  alcuno  de'  qtiali  fu  per 
empire,  ed  ornare  gli  angoli  verso  i  campanili,  per  dividere  i  semi- 
circoli  in  tre  campi  soli,  per  fare  un  vestibolo  di  colonnati  innanzi 
alla  porta;  ed  altri  per  lasciare  i  cinque  campi,  che  si  sono  eseguiti, 
per  aggiungere  le  lesene,  che  si  veggono  (Vorsprünge  der  Hauptpfeiler), 
per  fare  un  portico  innanzi  alle  porte,  com'  e  principiato,  e  finalmente 
per  fare  la  cupola  di  otto  faccie  eguali  .  .  .  .<  Die  Fünfteilung  wird 
auch  durch  eine  hochinteressante  Zeichnung  Lionardos,  welche  mit 
grosser  Wahrscheinlichkeit  auf  S.  Lorenzo  zu  beziehen  ist  (J.  P.  Richter, 
scritti  letterari  di  L.  d.  V.,  London  1883,  Vol.  II,  PI.  88,  1),  sowie 
massgebendst  durch  das  Monument  selbst 
bestätigt,  indem  in  der  Fortsetzung  der  vom 
Mittelpunkt  der  Konchen  nach  den  Säulen- 
axen  gezogenen  Radien  an  der  Aussenmauer 
Strebepfeiler  angebracht  sind.  Es  mögen  hier 
ringförmige  durch  Gurten  verstärkte  Tonnen- 
gewölbe bestanden  haben.  Wir  legen  indes 
auf  diese  engere  Teilung  nur  insofern  Ge- 
wicht, als  sie  beweist,  dass  in  diesem  Punkte 
der  Grundriss  nicht  verändert  wurde,  sie  ist 
für  uns  kein  Argument  gegen  den  christlichen 
Ursprung.  Bezüglich  dieser  Stützen  ist  noch 
zu  bemerken,  dass  in  der  östlichen  und  west- 
lichen Konche  Säulen  aus  saec.  16 ,  in  den  beiden  anderen  Pfeiler 
stehen,  welche  vielleicht  noch  von  der  ersten  Anlage,  wahrscheinlicher 
von  den  Umbauten  des  saec.  11  und  12  herstammen.  —  Die  8  Haupt- 
pfeiler sind  durch  M.  Bassi  verstärkt  und  durch  Bögen  in  beiden 
Geschossen  verbunden  worden  (a.  a.  O.  S.  98).  Es  ist  dadurch  im 
Grundrisse  das  Achteck  betont  worden.  Die  Zeichnungen  Lionardos 
zeigen,  dass  vor  dem  Umbau  der  Einblick  in  die  Ecken  des  Grund- 


')  Martino  Bassi.    Scritü  intorno  all'  insigne  tempto  di  S.  Lorenzo  maggiore  di 
Milano.    In:  »Dispareri  in  roateria  d'Architettura  etc.«   Ausg.  von  1771,  S.  96. 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


quadrates  völlig  frei  war.  Vor  der  Westfronte  nimmt  Hübsch  eine 
gewölbte  Vorhalle  an  (S.  22).  Die  Pilaster  und  Bögen,  welche  eine 
solche  vermuten  lassen,  sind  aber  nicht  altchristlich,  sondern  aus  dem 
16.  Jahrhundert,  was  auch  Bassi  bestätigt.  Die  Restauration  des  ur- 
sprünglichen Grundrisses  hat  also  keine  Schwierigkeiten.  Anders  ver- 
hält es  sich  mit  dem  Aufbau. 

Hier  ist  zunächst  zu  konstatieren,  dass  an  den  Umfassungs- 
mauern viel  mehr  romanisch  ist,  als  man  nach  der  Darstel- 
lung Hübschs  vermutete,  auch  im  Inneren  lassen  sich  an  den 
Pfeilern  der  Ostkoncha  romanische  Zusätze  (Dienste,  welche  auf  um- 
gekehrten Kapitellen  ruhen)  wahrnehmen.  Es  lässt  sich  deshalb  nur 
vermutungsweise  aussprechen,  dass  die  Arkadenteilung  des  oberen  Um- 
ganges die  gleiche  gewesen  sein  mag,  wie  unten,  und  dass  das  Quadrat 
durch  irgend  welche  Ueberkragung  (Trompen?)  in  ein  unregelmässiges 
Achteck  übergeführt  war,  das  die  eckige  mit  einem  Opäon  versehene 
Kuppel  trug.  Nach  der  romanischen  Erneuerung  dürfte  der  obere 
Umgang  triforienartig  behandelt  gewesen  sein,  wenigstens  spricht  dafür 
die  Skizze  Lionardos,  welche  freilich  auf  genaue  Einhaltung  der  Pro- 
portionen keinen  Anspruch  macht,  vielleicht  auch  die  Triforien  im 
Oktogone  des  Domes  von  Pavia,  dessen  Komposition  das  Studium  von 
S.  Lorenzo  voraussetzt  Die  Ueberführung  vom  Quadrat  zum  Achteck 
geschah  durch  übereinander  vorgekragte  Bögen  —  Bassi  S.  95 :  »era  .  .  . 
la  cupola  di  pietre  cotte  sostenuta  dagli  accennati  quattro  arconi,  e  negli 
angoli  da  molti  Archetti  l'uno  sopra  l'altro,  che  sporgevano  in  aria 
uno  piü  dell'  altro,  nel  modo  che  si  veggono  ancora  quelli  della  Chiesa 
di  S.  Ambrogio.«  Aehnlich  ibid.  S.  99.  —  Die  Kuppel  scheint  fenster- 
los gewesen  zu  sein  mit  einer  Laterne  im  Scheitel,  eine  Anordnung, 
die  auch  Bassi  ursprünglich  beibehalten  wollte  (a.  a.  O.  S.  105,  S.  109). 
Ueber  den  4  Ecken  des  Baues  erheben  sich  Türme,  deren  Vorhanden- 
sein im  S.  VIII  bezeugt  ist  in  einem  Gedichte  über  Mailand  (Muratori 
rer.  Ital.  SS.  Tom.  II,  Pars  II,  p.  989).  In  ihrem  jetzigen  Bestände  sind 
sie  zum  grössten  Teil  romanisch.  —  Noch  sei  erwähnt,  dass  die 
Orientierungsaxe  der  Kirche  genau  auf  die  Mitte  der  obenerwähnten 
Säulenhalle  trifft,  welche  54m  von  der  Fassade  der  Kirche  entfernt 
steht.  Was  lag  dazwischen?  —  An  die  Kirche  schliessen  sich  genau 
in  den  Axen  3  Kapellen,  S.  Sisto,  S.  Ippolito  und  S.  Aquilino  an,  alle 
drei  altchristlich.  Ueber  das  Technische  der  ältesten  Teile  lässt  sich 
nur  wenig  ermitteln.  Die  Umfassungsmauern  zeigen  ein  mittelgutes 
Backsteinwerk ;  bei  den  Hauptpfeilern  im  Inneren  wechselten  Schichten 
von  Haustein  und  Backstein  *)  Die  alten  Gewölbe  sind  nicht  erhalten. 

')  Eine  Datierung  wagen  wir  nicht.    Die  Kenntnis  der  antiken  und  frühchrist- 
lichen Technik  ist  noch  zu  unentwickelt,  um  aus  ihr,  namentlich  bei  mittelguten  Arbeiten, 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


55 


Das  System  der  Verstrebung  der  Kuppel  ist  sehr  entwickelt  und  hat 
an  erhaltenen  antiken  Monumenten  kein  Analogon. 

Das  in  obigem  beigebrachte  Material  zeigt  mehr  die  Schwierigkeit 
des  Problemes,  als  dass  es  seine  Lösung  fördert.  Immerhin  glauben 
wir  einige  Schlüsse  daraus  ziehen  zu  dürfen. 

Um  die  Mitte  des  5.  Jahrhundertes  bestanden  neben  der  Kirche 
S.  Lorenzo  die  Kapellen  des  hl.  Sixtus  und  des  hl.  Hippolytus.  Sie 
bestehen  noch,  und  neben  ihnen  eine  dritte,  S.  Aquiline  Alle  drei 
können  wohl  dem  saec.  5  angehören.  Sie  stehen  genau  in  den  Axen 
der  Kirche,  sind  also  sicher  jünger  als  diese,  es  müssten  denn,  wenn 
sie  älter  wären,  die  Hauptaxen  der  Kirche  genau  mit  denen  des  eventuell 
vor  ihrer  Erbauung  zur  Kirche  geweihten  Palastsaales  übereinstimmen, 
an  welchen  die  Kapellen  angebaut  waren.  Dadurch  wäre  aber  eine 
fast  vollständige  Uebereinstimmung  des  Grundrisses  der  Kirche  mit  dem 
jenes  Saales  bedingt,  und  es  wäre  nicht  abzusehen,  warum  überhaupt 
ein  Neubau  vorgenommen  wurde.  Ein  solcher  ist,  wie  oben  ausgeführt, 
auch  deshalb  nicht  wahrscheinlich,  weil  der  Palast,  oder  welche  Be- 
stimmung das  antike  Gebäude  gehabt  haben  mag,  sicher  bis  zur  Ueber- 
siedelung  des  Hofes  nach  Ravenna  nicht  baufällig  war.  Wäre  aber  — 
gleichviel  wann  —  die  Kirche  als  solche  auf  dem  Areal  des  antiken 
Gebäudes  errichtet  worden,  so  hätte  sich  doch  kein  Baumeister  die 
Mühe  genommen,  sie  in  ihren  Axen  genau  mit  den  Ruinen  jenes  Ge- 
bäudes —  der  Kolonnade  —  zu  orientieren.  Diese  Orientierung  spricht 
unzweideutig  für  den  Zusammenhang  beider.  Kommt  nun  eine  Vor- 
halle mit  einer  so  kolossalen  Säulenstellung  bei  Kirchen  niemals  vor, 
so  ist  sie  für  einen  Profanbau  ganz  wohl  denkbar  (vgl.  Spalato).  Es 
mag  sich  an  sie  etwa  ein  grosses  Atrium  wie  im  flavischen  Palast  mit 
seinen  Nebenräumen  und  am  Schluss  der  grosse  Hauptsaal  angeschlossen 
haben. 

Die  Form  der  Kirche  entspricht  den  frühchristlichen  Kultus- 
forderungen, wegen  Mangels  eines  Altarhauses,  nur  wenig.  Was  sie  mit 
byzantinischen  Kirchen  gemein  hat,  die  Erweiterung  des  Raumes  durch 
Exedren,  kommt  doch  auch  bei  Profanbauten  vor.  Das  Vorhandensein 
von  Türmen,  welche  übrigens  von  den  Treppentürmen  an  S.  Vitale 
recht  wesentlich  verschieden  sind,  ist  eher  eine  Instanz  gegen,  als  für 
den  kirchlichen  Ursprung.  Also  auch  die  Form  des  Gebäudes  weist 
mehr  auf  einen  profanen  Ursprung.  Konstruktion  und  Technik  endlich 
können  wohl  zu  Zeitbestimmungen  verwendet  werden,  entscheiden  aber 
nichts  über  die  Bestimmung  des  Gebäudes. 

sichere  Schlüsse  ziehen  zu  können.  Gilt  doch  selbst  der  in  bester  römischer  Ziegeltechnik 
ausgeführte  Palazzo  delle  Torri  in  Turin  vielen  noch  für  langobardisch  oder  gar  fränkisch, 
obwohl  Promis  schon  vor  Dezennien  den  antiken  Ursprung  zweifellos  nachgewiesen  hat. 


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Erstes  Buch :  Der  christlich-antike  Stil. 


Ist  dieses  profane  Gebäude  nun  der  diokletianischen  Zeit  zuzu- 
schreiben, ist  es  jünger?  Die  Frage  ist  bis  jetzt  noch  nicht  gestellt 
worden.  Wir  vermögen  auch  für  ihre  Beantwortung  nur  Fingerzeige 
zu  geben.  Hier  sind  technische  Kriterien  heranzuziehen.  Die  Mauer- 
technik besagt,  wie  bemerkt,  nichts,  es  kommt  hier  nicht  nur  der  Unter- 
schied zwischen  Gusstechnik  und  eigentlicher  Mauertechnik,  welche  zu 
jeder  Zeit  ganz  verschiedene  Massen  zur  Umschliessung  des  gleichen 
Raumvolumens  aufwenden,  sondern  auch  die  Verschiedenheit  pro- 
vinzieller Uebung,  welche  zweifellos  vorhanden  war,  in  Betracht.  Um 
so  mehr  fallen  die  konstruktiven  Ideen  in  die  Wagschale.  Sie  sprechen 
allerdings  für  eine  spätere  Zeit  als  das  beginnende  4.  Jahrhundert. 
Dagegen  scheint  uns  nichts  Wesentliches  gegen  die  Spätzeit  dieses 
Jahrhunderts  zu  sprechen,  im  Gegenteil,  die  Kaiser  Valentinian  und 
Theodosius  standen  in  naher  Beziehung  zu  Byzanz  und  dem  Osten, 
wo  der  Zentralbau  sich  einer  besonderen  Vorliebe  erfreute.  Das  un- 
entwickelte Motiv  der  Minerva  Medica  kommt  organisch  durchgebildet 
aus  dem  Osten  zurück  in  S.  Vitale.  Kann  sich  nicht  ein  gleicher  Ent- 
wicklungsprozess,  unserer  Wahrnehmung  verborgen  mit  den  unfertigen 
Motiven  der  Villa  Adriana  und  des  Kaiserpalastes  in  Trier,  im  Osten 
vollzogen  haben,  dessen  Resultat  uns  in  einem  occidentalen  Repräsen- 
tanten, dem  Palastsaale  in  Mailand  vorliegt?  Und  wären  damit  nicht 
auch  die  byzantinischen  Anklänge  erklärt? 

Wir  sind  uns  wohl  bewusst,  für  diese  unsere  Anschauung  einen 
vollen  Beweis  nicht  erbracht  zu  haben,  wir  zweifeln  aber  nicht,  dass 
es  einer  eingehenden  Forschung  gelingen  kann,  gelingen  wird,  die  Frage 
endgültig,  und  wir  glauben  in  unserem  Sinne,  zu  entscheiden.  Uns, 
deren  Aufgabe  in  diesem  Buche  nicht  in  der  Erforschung  einzelner 
Monumente  beschlossen  ist,  muss  es  genügen,  zu  solchen  Forschungen 
die  Anregung  zu  geben.  Wie  immer  die  Entscheidung  künftig  fallen  mag: 
das  muss  schon  heute  verlangt  werden,  dass  man  die  wahrhaft  kümmer- 
lichen Velleitäten  Hübschs  —  man  verzeihe  den  harten  Ausdruck  gegen 
einen  sonst  verdienstvollen  Verstorbenen  —  nicht  ferner  für  unumstöss- 
liche  Beweise  ausrufe. 

Und  sollte  es  nicht  gelingen,  sollten  die  Meinungen  immer  geteilt 
bleiben  —  eines  ist  es,  worin  wir  alle  einig  sind:  in  der  Wertschätzung 
der  künstlerischen  Bedeutung  des  unvergleichlichen  Raumes.  Ja  für- 
wahr, unter  den  höchsten  Erzeugnissen  unserer  Kunst  wird  S.  Lorenzo 
immer  eine  erste  Stelle  einnehmen.  In  spröden  Einzelformen,  ohne 
den  Reiz  harmonischer  Färbung,  stumpf  und  kalt  mutet  der  Raum  den 
eintretenden  Beschauer  an,  doch  je  mehr  er  sich  in  die  Betrachtung 
vertieft,  je  mehr  sich  ihm  in  der  Bewegung  (denn  der  Wechsel  des 
Augpunktes  ist  bei  Betrachtung  von  Architekturen  vom  höchsten  Be- 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


57 


lang)  das  Bild  belebt,  je  mehr  er  sich  der  reichen  und  doch  allent- 
halben klaren  Perspektive,  der  wohlerwogenen  Verhältnisse  bewusst 
wird,  desto  höher  steigt  die  Bewunderung,  die  Liebe.  Ks  ist  die  stille 
Grösse  vollendeter  Raumentfaltung,  welche  über  alle  Mängel  der  Aus- 
führung hinweg  ihren  sieghaften  Zauber  walten  lässt. 

Noch  wird  S.  Lorenzo  im  allgemeinen  nicht  ganz  nach  Gebühr 
gewürdigt.  Die  grossen  Meister  der  Renaissance,  deren  Hauptstreben 
ja  gleichfalls  auf  schöne  Raumbildung  gerichtet  war,  haben  seinen  Wert 
besser  erkannt  und  es  unablässig  studiert.  In  den  Werken  des  grossen 
Bramante,  des  grössten  Genius  im  Gebiete  des  Zentralbaues,  erkennen 
wir  dieses  Studium,  und  Lionardo  da  Vinci,  dessen  Thätigkeit  alles 
umfasste,  hat  auch  das  Problem,  Zentralbauten  nach  dem  Motive  von 
S.  Lorenzo  zu  komponieren,  mit  Eifer  verfolgt.  Es  wird  bei  Betrach- 
tung der  Renaissance  das  Kapitel,  welches  den  Einfluss  von  S.  Lorenzo 
auf  den  Zentralbau  des  Cinquecento  zu  untersuchen  hat.  eines  der 
lehrreichsten  werden. 

S.  FEÜELE  ZU  COMO  (Taf.  14,  Fig.  6).  Die  Kirche  soll  a.  914 
gegründet  sein,  ist  indes  vielfach  umgestaltet.  Der  Gründungszeit  können 
nur  die  beiden  Kreuzarme  und  die  Vierung  angehören,  das  Langhaus 
ist  jünger,  noch  mehr  die  Hauptapsis.  Die  östlichen  Teile  gelten  als 
Nachbildung  von  S.  Lorenzo,  doch  ist  die  Kopie,  wenn  wirklich  eine 
solche  beabsichtigt  war,  eine  sehr  freie.  Der  nach  Analogie  von 
S.  Lorenzo  und  St.  Maria  im  Kapitol  zu  Köln  gegebene  Restaurations- 
versuch auf  der  rechten  Seite  des  Grundrisses  ist  nicht  ganz  richtig. 
Die  zwischen  den  Konchen  nach  aussen  vorspringenden  Ecken  waren, 
wie  wir  uns  bei  erneuter  Untersuchung  (1883)  überzeugten,  nicht  vor- 
handen.  Wir  kommen,  Buch  II  Kap.  I,  auf  dieses  Monument  zurück. 

Cömeterialzellen  —  Tricorien. 

Gewisscrmassen  den  Zentralbauten  zuzuzählen  sind  die  kleinen 
Drei-Konchen-Kapellen  über  Cömetericn,  von  welchen  sich  zwei  auf  dem 
Areale  der  CALLIXT-KATAKOMBEN  erhalten  haben,  STA.  CECI- 
LIA  E  S.  SISTO  (Taf.  14,  Fig.  7)  und  STA.  SOTERE  (Fig.  8),  ferner 
eine  bei  STA.  SIMFOROSA  (Taf.  17). 

Zweck  und  Form  sind  den  antiken  cellac  memoriae  analog  (vgl.  Fig.  8), 
sie  dienten  zu  Leichen-  und  Gedächtnisfeierlichkeiten.  Die  heidnischen 
Grabmäler  hatten  häufig  zwei  Geschosse,  in  deren  unterem  die  Asche 
oder  die  Leiche  des  Verstorbenen  beigesetzt  wurde,  während  das  obere 
zu  den  erwähnten  Versammlungen  diente.  In  manchen  Fällen  war  auch 
ein  triclinium  funebre  zu  allgemeinem  Gebrauche  vorhanden  (Pompeji). 
—  Ebenso  dienten  die  christlichen  Tricorien  oder  anders  gestalteten 
Kapellen  als  eubicula  superiora  für  die  benachbarten  Hypogäen. 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Die  beiden  Zellen  sind  quadratische  Räume,  deren  Vorderseite  offen 
war '),  während  sich  den  drei  anderen  Seiten  halbkreisförmige  Apsiden 
anschlössen.  Die  Strebepfeiler  bei  Sta.  Cecilia  e  S.  Sisto  deuten  auf 
eine  Ueberwölbung  des  Mittelraumes;  auch  für  Sta.  Sotere  nimmt 
de  Rossi  eine  Kuppel  über  dem  Mittelraume  an.  Die  Erbauung  beider 
Zellen,  welche  schon  im  Altertum  wesentlich  verändert  wurden,  wird 
in  das  3.  Jahrhundert  gesetzt.  De  Rossi,  Roma  sotteranea  Tom.  III, 
Roma  1877,  s-  468—477.  Die  Form  dieser  Cömeterialzellen  findet 
für  Friedhofkapellen  eine  weite  Verbreitung.  Beispiele  sind :  SS.  COS- 
MEO  E  MATTEO  zu  GRAVEDONA  am  Comersee  (Taf.  14,  Fig.  10); 
das  Schiff  von  dem  einspringenden  Pfeiler  an  und  die  Chornische 
jünger.  Die  HEILIGKREUZKAPELLE  zu  MUNSTER  IN  GRAU- 
BÜNDEN (Taf.  14,  Fig.  11).  Auch  die  östlichen  Teile  und  die  Krypta 
der  Kirche  von  OBERZELL  auf  REICHENAU  gehören  diesem  Kreise 
an.  Im  südlichen  Bayern  eine  Friedhofkapelle  in  WEILHEIM  und 
eine  (mit  4  Konchen)  in  SCHLEHDORF  am  Kochelsee.  In  Südfrank- 
reich die  Kapelle  STE.  TRINITE  auf  SAINT  HONORAT  DE  LERINS, 
(Taf.  14,  Fig.  12),  welche  dem  saec.  10  zugeschrieben  wird. 


Beschreibung  der  Tafeln. 

Einfache  Rotunden, 

Tafel  1. 

1.  Pompeji:  Frigidarium  der  Forumsthermen.  —  saec.  1  a.  ehr.  —  Isabelle. 

2.  *Rom:  Oktogon  in  den  Ca raealla-  Thermen,  südwestlich  vom  Haupt- 
bau ;  links  unteres,  rechts  oberes  Geschoss.  —  saec.  3.  —  Bezold. 

3.  4.  Rom:  Palast  des  Augustus  auf  dem  Palatin.  Grundriss  d.  unt.  Ge- 
schosses, Schnitt. —  saec.  1  a.  ehr.  —  Guattani,  monumentiinediti  1785. 

5.  Rom:  Torre  de  Schiavi.  —  saec.  3.  —  Isabelle. 

6.  Rom:  Katakombenkapelle.  —  Hübsch. 

7.  Ravenna:  Baptisterium  der  Arianer.  —  saec.  6.  —  Lanciani  b. 
de  Rossi,  Bull,  crist.  1866. 

8.  *  VViirtburg:  Liebfrauenkapelle.  —  saec.  8?  —  Höfken. 

9.  Zara:  Baptisterium.  —  C.-Comm.,  Jahrb.  1861. 

10.  Colli diSto.  Stefano  b.  Tivoli.  Baptisterium.  —  Piranesi,  Villa  Adriana. 

11.  Tivoli:  Madonna  della  Tosse.    Links  unteres,  rechts  oberes  Ge- 
schoss. —  saec.  4?  —  Isabelle. 

12.  Rom:  Pantheon.   Grundriss  (unter  Hinweglassung  der  rückwärtigen 
Anbauten).  —  saec.  1  a.  ehr.  —  Isabelle. 


»)  Bei  Sta.  Sotere  ist  dies  zweifelhaft.    Möglicherweise  schloss  sich  schon  ursprüng- 
lich eine  Vorhalle  an. 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


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Tafel  i. 

13.  Rom:  Caracalla- Thermen ,  Rotunde.  —  saec.  3.  —  A.  Blouet,  Les 
thermes  de  Caracalla. 

Tafel  2. 

1.  Rom:  Pantheon.  Längenschnitt,  nach  der  Restauration  F.  Adlers 
im  Berliner  Winkelmann -Programm  1871. 

Tafel  3. 

1,  2.  Spalato:  Juppitertempel.  —  saec.  4.  —  Fig.  1,  nach  Eitelberger, 

Jahrb.  d.  C.-Comm.  1861,  giebt  den  jetzigen  Zustand.  Fig.  2,  Cassas, 

Voyage  pittoresque  dans  l'Istrie.    Paris  1802. 
3.  Rundbau  mit  innerer  Säulenstellung.  —  B.  Suardi:  Le  rovine  di  Roma. 
'  4.  Novara:  Baptister  tum.  —  saec.  5?  —  v.  Osten. 

5,  6.  Albegna  (Riviera  diponente):  Baptisterium.  —  E.  Mella  in:  Atti 

della  Societä  die  Archeologia  e  belle  arti  per  la  provincia  di  Torino 

Vol.  IV.  r88o. 

7,  8.  Ravenna :  S.  Giovanni  in  Fönte.  Baptisterium  der  Orthodoxen.  — 
saec.  5.  —  Grundr.  n.  Lanciani  in  de  Rossis  Bull,  crist.  1866, 
Schnitt  nach  Isabelle. 

9,  10.  * Ravenna:  Grabmal  Theoderichs.  —  saec.  6.  —  Isabelle,  Bezold. 

Folgeformen  des  Nischenbaues. 

Tafel  4. 

1.  Rom:  Minerva  medica.  Grundriss.  —  saee.  3.  —  Isabelle.  —  Schnitt 
Taf.  5. 

2.  Ravenna:  S.  Vitale.  Grundriss.  —  saec.  6.  —  Dartein,  Ricci.  — 
Schnitt  Taf.  5. 

3.  4.  *  Ravenna:  S.  Vitale.  Perspektivische  Durchblicke  aus  dem  unteren 
und  oberen  Umgang.  —  Skizzen  von  Bezold  und  Dehio. 

5,  6.  Konstantinopel:  SS.  Sergius  und  Bacchus.  —  saec.  6.  —  Pulgher. 
Tafel  5. 

1.  Rom:  Minerva  medica.    Schnitt.  —  Restauration.  —  Isabelle. 

2.  *  Ravenna:  S.  Vitale.  Längenschnitt  mit  restaurierter  Dekoration.  Die 
alte  Mosaikdekoration  nur  im  Chor  erhalten.  —  Bezold,  in  ein- 
zelnen Teilen  nach  Isabelle  ergänzt. 

Tafel  6. 

1.  Konstantinopel:  Sophienkirche.  Grundriss.  Obere  Hälfte:  Erdgeschoss; 
untere:  Obergeschoss.  —  saec.  6.  —  Salzenberg. 

2.  *Rom:  Konstantinsbasilika.   Grundriss.  —  saec.  4.  —  Bezold. 

Rundbauten  mit  inneren  Portiken. 

Tafel  7. 

1.  Villa  Adriana  (Canopus).  Kuppel  auf  Säulen  mit  halbrundem  Um- 
gang. —  Piranesi. 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Tafel  7. 

2.  Rundtempel  bei  Rom.  —  Bramantino. 

3 — 5.  Rom:  Lateranisehes  Baptisterium.  Grundriss  und  geometrischer 
Schnitt.  —  saec.  5.  —  Restauration  von  Robault  de  Fleury,  Le 
Latran  au  moyen  äge.  —  Perspektivischer  Schnitt  mit  Darstellung 
des  Zustandes  vor  dem  Umbau  unter  Paul  III.  Kupferstich  von 
A.  Lafreri  saec.  16. 

6.  Brescia:  La  Roionäa.    Grundriss.  —  saec.  7.  —  Dartein. 
Tafel  8. 

i,  2.  Rom:  Sta.  Costansa.  —  saec.  4.  —  Restauration  von  Isabelle, 
Kuppelmosaik  nach  Ciampini. 

3,  4.  Nocera:  Sta.  Maria  maggiore.  Baptisterium.  —  Isabelle,  Hübsch. 

5.  Ezrah.  —  saec.  6.  —  De  Vogud,  Syrie  centrale. 

6,  7.  Ries:  Baptisterium.  —  Isabelle. 
8.  Aix:  Baptisterium.  —  Isabelle. 

Heiliges  Grab  und  Verwandtes. 

Tafel  9. 

1,  2.  Jerusalem:  Heilige  Grabkirche.  Grundriss:  die  schwarzen  Teile 
bezeichnen  den  Zustand  nach  a.  1010,  die  schraffierten  die  Bauten 
der  Kreuzfahrer,  die  Nebenfigur  eine  Reproduktion  der  Planskizze 
Arculphs.  —  De  Vogue",  la  terre  sainte. 

3.  Benevent:  Sta.  Sophia.  —  H.  W.  Schulz. 

4,  5.  Fulda:  S.  Michael.  Nebenfigur:  Krypta.  —  saec.  9.  —  v.  Dehn- 
Rotfelser:  Baudenkmäler  in  Kurhessen. 

6.  Pisa:  Baptisterium.  Grundriss.  —  saec.  1 2.  —  Rohault  de  Fleury,  Pise. 
Tafel  10. 

1 .  Jerusalem :  Himmelfahrtskirche  auf  dem  Oelberg.  —  Ideale  Rekon- 
struktion nach  Arculph,  Acta  SS.  O.  S.  B.  saec.  III,  P.  II,  p.  509, 
und  De  VogutJ,  Terre  sainte. 

2,  3.  Jerusalem:  Der  Felsendom.  —  saec.  7.  —  De  Vogue\  le  Temple  de 
Jerusalem. 

4,  5.  Zara:  S.  Donato.  —  v.  Eitelberger  im  Jahrb.  d.  C.-Comm.  1861. 
Tafel  11. 

1,  2.  Rom:  Sto.  Stefano  rotondo.  —  saec.  5.  —  Hübsch. 
3—5.  Perugia:  St.  Angelo.  —  Fig.  3  u.  5  nach  Hübsch,  Fig.  4  Re- 
staurationsversuch. 

Kreuzförmige  Anlagert.  —  Griechisches  Kreuz. 

Tafel  12. 

1.  Villa  Adriana.  —  saec.  2.  —  Piranesi. 

2,  3.  Ravenna:  Hauskapelle  im  erzbischöflichen  Palast.  —  saec.  5.  — 
C.  Ricci. 


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Zweites  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


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Tafel  12. 

4,  5.  Ravenna:  S.  Kazario  e  O/so.  (Grabkirche  der  Galla  Placidia.)  — 
saec.  5.  —  Grundriss  nach  Lanciani  b.  de  Rossi,  Bull,  crist.  1866. 
Schnitt  nach  v.  Quast. 

6.  Valence:  Baptisterium.  —  Revoil. 

7.  Pompeji:  Atrium  tetraslylum  der  casa  del  Fauno.  —  Overbeck, 
Pompeji  *. 

8.  Tetrasty'er  Raum  aus  Marino.  —  Bramantino. 

9.  10.  Trier:  Dom.  Die  ursprüngliche  römische  Anlage.  —  saec.  4.  — 
v.  Wilmowsky. 

Tafel  13. 

1,  2.  Musmieh  (Syrien):  römisches  Prätorium.  —  saec.  2.  —  De  Vogue. 
3,  4.  Konstantinopel:  IJagia  Theotokos.  —  saec.  9—10.  — Salzenberg. 

5,  6.  Mailand:  S.  Saiiro.  —  Hübsch. 

7.  Venedig:  S.  Giatometto  di  Riallo.  —  saec.  6.  —  Hübsch. 

8,  9.  Stilo  (Unteritalien):  La  cattolica.  —  H.  W.  Schulz. 

10,   11.  Palermo:  La  Martoratta,  älteste  Teile.  —  saec.  12.  —  Gail- 

habaud,  Denkmäler. 
12.   Germigny  des  Pres.  —  saec.  9.  —  C.  Daly,  Revue  ge'ne'rale  de 

l'architecture ,  Vol.  VIII.    Eine  Darstellung  der  Restauration  b. 

A.  de  Baudot,  Eglises  de  bourgs  et  de  villages,  Vol  II. 

Typus  von  San  Lorenzo  in  Mailand. 

Tafel  14. 

1.  Villa  Adriana.    Peribolos  mit  3  Exedren.  —  saec.  2.  —  Piranesi. 

2.  Trier:  Kaiserpalast,  Saal.  —  saec.  4.  —  Ch.  VV.  Schmidt. 

3.  Mailand:  S.  Lorenzo.  —  saec.  4(?).  —  Dartein. 

4.  Köln:  Sta.  Maria  im  Kapitol.  —  saec.  11.  —  Boisseröe,  Frantzen. 

5.  Köln:  Saal  im  Kapitol.    Ideale  Rekonstruktion.  —  Bezold. 

6.  Como:  S.  Fedele.  Die  ältesten  Teile  schwarz.  —  saec.  10.  —  Der  Rekon- 
struktionsversuch rechts  ist  insofern  unrichtig,  als  ein  Vortreten  der 
Ecken  zwischen  den  Konchen  nicht  stattgefunden  hat.  —  Dartein. 

7.  Rom:  Sta.  Ceeilia  e  S.  Sisto.  Cömeterialzelle  über  den  Callixtkata- 
komben.  —  De  Rossi,  R.  sott.  III. 

8.  Ebenda:  Sta.  Sotere.  —  De  Rossi. 

9.  Rom:  Antiker  Rundbau  mit  3  Konchen.  —  Bramantino. 

10.  * Gravedona:  SS.  Cosmeo  e  Matteo.  —  Dehio. 

11.  Münster  in  Graubünden:  Heiligkreuzkapelle.  —  R.  Rahn,  Schweiz, 
S.  161. 

12.  Sainte  Triniti  auf  St.  Honorat  de  Urins.  —  Revoil. 


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Drittes  Kapitel. 

Die  Basilika. 


Litteratur.  —  Sarnelli :  Antica  Basilicografia.  Napoli  1686.  4°.  —  Ciampini: 
Vetera  Monimenta.  Roma  1690.  20.  —  Dtrselbe:  De  aediftciis  a  Constantino  Magno 
constructis.  Roma  1693.  2°.  —  Bimsen,  Guttensehn  und  Knapp:  Die  Basiliken  des 
christlichen  Roms.  Stuttgart  u.  München  1822  u.  1843.  40  u.  2°.  —  Canina :  Ricerche 
sull'  architettura  piü  propria  dei  tempj  cristiani.  Roma  1846.  2  °.  —  Kreuser :  Der 
christliche  Kirchenbau.  Bonn  1851.  8U.  —  v.  Quast :  Ueber  Form,  Einrichtung  und  Aus- 
schmückung der  ältesten  christlichen  Kirchen.  Berlin  1853.  40.  —  Hübsch:  Die  alt- 
christlichen Kirchen.  Karlsruhe  1863.  2  °.  —  Stockbauer:  Der  christliche  Kirchenbau  in 
den  ersten  sechs  Jahrhunderten.  Regensburg  1874.  8  °.  —  Augusti :  Denkwürdigkeilen 
aus  der  christlichen  Archäologie,  Bd.  XI,  1831.  —  X.  Kraus :  Real-Encyklopädie  der 
christlichen  Altertümer  1.  Freiburg  i.  B.  1882.  Lex.-8°.  —  Mothts :  Die  Baukunst  des 
Mittelalters  in  Italien.  Bd.  I.  1884.  8°.  —  Rohault  de  Pleurv:  La  messe  et  ses  monu- 
ments.  Paris  1882-83.  40. 

Zestermann :  Die  antiken  und  die  christlichen  Basiliken.  Leipzig  1847.  40.  — 
Irlichs:  Die  Apsis  der  alten  Basiliken.  Greifswald  1847.  8°.  -  J.  A.  Messmcr :  Ueber 
den  Ursprung ,  die  Entwicklung  und  Bedeutung  der  Basilika  in  der  christlichen  Bau- 
kunst. Leipzig  1854.  40.  —  Weingärtner:  Ursprung  und  Entwicklung  des  christlichen 
Kirchengebäudes.  Leipzig  1858.  8°.  —  J.  A.  Messmcr:  Ueber  den  Ursprung  der  christ- 
lichen Basilika  (v.  Quast  u.  Otte,  Zeitschr.  f.  christl.  Archäologie  II,  1859).  —  Mothes : 
Die  Basilikenform  bei  den  Christen  der  ersten  Jahrhunderte.  Leipzig  1865.  8°.  — 
J.  P.  Richter:  Der  Ursprung  der  abendländischen  Kirchengebäude.  Wien  1878.  8°.  — 
Dehio:  Die  Genesis  der  christlichen  Basilika  (Sitzungsberichte  der  hist.  Klasse  d.  k.  b.  Aka- 
demie der  Wissenschaften,  München  1882,  Bd.  II).  —  V.  Schallte:  Der  Ursprung  des 
christlichen  Kirchengebäudes  (Christliches  Kunstblatt  1882).  —  Reber:  Ueber  die  Urform 
der  römischen  Basilika  (Mitteilungen  der  k.  k.  Centr.-Comm.  1869).  —  Holtzinger  :  Die 
römische  Privatbasilika  (Repertorium  f.  Kunstwissenschaft  Hd  V,  1882).  —  Eine  Unter- 
suchung von  Konrad  Lange  über  denselben  Gegenstand  wird  demnächst  erscheinen. 

Wichtigere  Monographien:  Ueber  St.  Peter  im  Vatikan:  Fontana  1694.  Cancel- 
lieri  1786  Valentini  1845—55.  Letarouilly  1878-82.  —  Ueber  den  Lata  an .  Valentini 
1 832-  1834.  Rohault  de  Fleury  1877.  —  Ueber  Sta.  Maria  Maggiore:  de  Angelis  1621.  — 
Leber  S.  demente:  de  Rossi  wiederholt  im  Bulletino  Cristiano.  Mulooly  1873.  Roller 
1873.  —  Ueber  Sta.  Pudentiana:  de  Rossi,  Bull.  1864,  1867—69  —  Ueber  Sta.  Petro- 
nilla, de  Rossi,  Bull.  1874,  1875.  —  Ueber  Sta.  Simforosa:  Steevenson  in  Studj  in  Italia 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


63 


1878.  —  Ueber  die  /Jas.  Saeriana  in  Ntaptl:  de  Rossi,  Bull.  1880.  —  Utbtr  die  Basi- 
liken in  Porto:  de  Rossi  u.  Lanciani ,  Bull.  1866.  —  Ueber  S.  Agostino  in  Spoleto  : 
de  Rossi,  Bull.  1871.  —  Ueber  die  altchristliehen  Bauten  Ravennas:  v.  Quast  1842. 
Rahn  1869.  Lanciani  im  Bull.  Crist.  1866.  C.  Ricci  1878.  —  Ueber  den  Dom  von 
Parenzo;  Lohde  in  Erbkams  Ztsch.  f.  Bauwesen  1859.  —  Ueber  Tours ;  Quicherat  1869. 


1 .  Genesis. 

Für  die  Untersuchung  des  Ursprunges  der  in  der  christlich-antiken 
Basilika  typisierten  Bauform  kann  es  nur  einen  rationellen  Ausgangs- 
punkt geben :  die  Thatsache,  dass  während  des  ersten  Jahrhunderts  der 
Kirche,  in  etwas  bedingterem  Sinne  auch  noch  während  des  zweiten, 
die  Stätte  der  christlichen  Gottesdienste  das  Privat  haus  war.  (Vgl. 
oben  Kap.  I.)  In  Anpassung  an  die  gegebenen  räumlichen  Dispositionen 
des  griechisch-römischen  Wohnhauses  hat  der  gottesdienstliche  Ritus 
die  ersten  massgebenden  Stadien  seiner  Entwicklung  durchgemacht: 
so  muss  man  erwarten,  dass  auch  die  traditionelle  Normalform  des  gottes- 
dienstlichen Gebäudes,  d.  i.  die  Basilika,  auf  die  gleiche  Quelle  zurück- 
gehen werde.  Wir  schicken  der  Prüfung  dieser  Präsumption  eine  Schil- 
derung des  antiken  Wohnhauses  voraus. 

Es  ist  wichtig,  vorweg  festzustellen,  dass  der  Synkretismus  der 
Nationalkulturen,  der  die  Kaiserzeit  charakterisiert  und  für  die  Aus- 
breitung des  Christentums  so  fördersam  war,  auch  auf  die  Wohnsitten 
sich  erstreckte,  dass  ein  erheblicher  Unterschied  zwischen  griechischer 
und  italischer  Hausanlage  jetzt  nicht  mehr  existierte.  Gleichwohl 
handelt  es  sich  um  eine  so  gesetzmässig  fortschreitende  Entwicklung, 
dass  wir  noch  einen  Schritt  zurückgehen  und  die  nationalen  Formen 
zuerst  in  ihrer  gesonderten  Art  uns  vergegenwärtigen  müssen. 

Das  griechische  Haus  zerfällt  in  eine  Männer- und  eine  Frauen- 
wohnung. Wenigstens  von  der  letzteren  gewährt  Vitruvs  Beschreibung 
eine  für  unseren  Zweck  genügende  Darstellung  (danach  der  Rekon- 
struktionsversuch Taf.  15,  Fig.  1).  Der  Mittelpunkt  ist  das  Peristyl, 
ein  im  Inneren  von  drei  Seiten  mit  Säulenhallen  umgebener  Hof;  an 
der  vierten,  dem  Eingang  gegenüber,  ein  gedeckter,  gegen  die  Säulen- 
halle in  voller  Breite  offener  Ausbau,  die  Prostas ;  um  dieses  Zentrum  die 
übrigen  Gemächer  ohne  feste  Regel  gruppiert.  Von  den  reicheren  Kom- 
binationen des  vornehmen  Hauses  erhalten  wir  leider  keine  Nachricht. 

Im  Gegensatz  zu  der  lockeren  Kompositionsweise  des  griechischen 
Hauses  bildet  das  italische')  eine  feste  nach  bestimmtem  Plan  ge- 

')  Für  das  Folgende  stützen  wir  uns  insbesondere  auf  die  » Pompejanischen  Studien« 
von  Heinrich  Nissen  (1877) 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


gliederte  Einheit  und  besitzt  als  solche  ein  das  Ganze  überspannendes 
einziges  Dach.  In  dieser  dem  Bauernhause  noch  nahestehenden  Ge- 
stalt heisst  es  atrtum  testudinatum.  Seine  Entwicklungsgeschichte  dreht 
sich  um  die  Frage  der  Lichtführung,  worin  es  —  man  erlaube  diese 
Anticipation  —  in  gerader  Folge  in  die  Entwicklungsgeschichte  des 
christlichen  Kirchengebäudes  übergeht.  Der  dem  Ganzen  den  Namen 
gebende  Mittel-  und  Hauptraum  ist  das  Atrium  mit  dem  (der  griechischen 
Prostas  entsprechenden)  Tablinum.  In  ältester  Zeit,  als  auch  das 
städtische  Haus  noch  isoliert  stand,  war  das  Atrium  in  seinen  vorderen 
Teilen  allein  durch  die  weite  ThürörTnung  erhellt;  um  aber  auch  der 
Tiefe,  wo  der  Herd  stand  und  die  häuslichen  Arbeiten  der  Frauen 
ihren  Platz  hatten,  das  nötige  Licht  zuzuführen,  wurde  die  Reihe  der 
Seitengemächer  in  ihrem  letzten  Drittel  nicht  bis  zur  Rückwand  durch- 
geführt, sondern  durch  eine  in  die  Queraxe  gelegte  bis  an  die  seitliche 
Umfassungsmauer  reichende  und  somit  zur  Anlage  von  Fenstern  Ge- 
legenheit gebende  Erweiterung,  die  alac,  durchbrochen.  —  Die  nächst- 
folgende Entwicklungsphase  ist  bedingt  durch  die  Einführung  geschlos- 
sener Häuserinseln  mit  gemeinschaftlichen  Zwischenwänden  und  drängt 
zu  einem  neuen  Beleuchtungsverfahren,  der  Durchbrechung  des  Daches 
durch  ein  Oberlicht.  Der  Grundplan  des  Hauses  stellt  nunmehr  ein 
längliches  Viereck  dar,  das  aber  stets  seine  schmale  Seite  —  eine  Nach- 
wirkung des  alten  Giebelhauses  —  der  Strasse  zuwendet  und,  wenn 
irgend  möglich,  auch  für  den  Eingang,  trotz  der  die  Fronte  einnehmen- 
den Werkstätten  und  Kaufläden,  die  Mittelaxe  festhält.  In  der  auf 
dieser  Stufe  üblichen  Konstruktionsform  wird  das  Atrium  als  tuscanicum 
oder  cavum  eudium  bezeichnet.  Wie  ehedem,  so  wird  auch  jetzt  das 
Dach  desselben  von  zwei  quergelegten  Hauptbalken  getragen,  aber  es 
ist  kein  Giebeldach  mehr,  sondern  neigt  sich  von  allen  vier  Seiten  ein- 
wärts gegen  die  in  der  Mitte  angebrachte  Licht-,  Luft-  und  Regen- 
öffnung,  das  compluvium.  Man  erkennt,  dass  wegen  dieser  Konstruktion 
und  der  nach  wie  vor  aufrecht  erhaltenen  Einheit  mit  den  Alae  und  dem 
Tablinum  das  italische  Atrium  seine  Dimensionen  nicht  beliebig  zu- 
nehmen lassen  kann,  wie  das  griechische  Peristyl,  sondern  an  sehr 
bestimmte  Grenzen  gebunden  bleibt.  Die  von  den  steigenden  An- 
sprüchen an  Würde  und  Behagen  verlangte  Raumvermehrung  kann  also 
nur  durch  Anhängung  neuer  Bauteile  erreicht  werden:  etwa  eines 
zweiten  Atriums  neben  dem  alten,  oder  —  und  das  ist  das  Er- 
wünschteste —  eines  hinteren  luftigen  Säulenhofes  nach  griechischem 
Muster,  mit  einem  Blumen-  und  Rasenplatz  in  der  Mitte  und  Gesell- 
schafts- und  Speisezimmern  (triclinia)  an  den  Seiten.  Das  ist  in  dem 
i.  Jahrhundert  der  Kaiserzeit  die  Hausanlage  der  Reichen.  Die  Menge 
der  Kleinbürger  begnügt  sich  fort  und  fort  mit  dem  einfachen  Atrium, 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


65 


und  es  ist  schon  ein  Zeichen  von  behaglicher  GlUckslage,  wenn  dieses 
unverkürzt  bleiben  darf.  Bei  jenen  ist  das  Atrium  nur  mehr  der  Ort 
für  den  Verkehr  mit  der  Oeffentlichkeit,  bei  diesen  bleibt  es  Mittel- 
punkt der  Familiengeselligkeit.  Als  Beispiel  für  die  eine  und  für  die 
andere  Art  vergleiche  man  die  beigegebenen  Grundrisse  zweier  normal 
entwickelter  Häuser  in  Pompeji,  der  casa  di  Saüustio  und  der  casa  di 
Pansa  (Taf.  15,  Fig.  2,  9).  —  In  der  Grossstadt  Rom  konnte  die  geschil- 
derte Bauart  nur  in  den  wohlhabenden  Klassen  aufrecht  erhalten  bleiben, 
während  die  unbemittelte  Masse  in  vielstöckigen  Mietkasernen  sich 
zusammendrängte;  doch  haben  sich  unter  den  Fragmenten  des  römischen 
Stadtplanes  auch  von  jener  ein  paar  Beispiele  erhalten,  dem  pom- 
pejanischen  Atrientypus  wesentlich  entsprechend  (Fig.  5  a  =  Jordan, 
tab.  23.  fr.  173,  cf.  ibid.  tab.  36.  fr.  174b).  —  Noch  ist  auf  einige 
regelmässig  wiederkehrende  Züge  aufmerksam  zu  machen.  Zuvörderst 
erscheint  als  des  Atriums  notwendiger  Begleiter  das  Tablinum;  ur- 
sprünglich mit  geschlossener  Rückwand,  nach  vorn  aber  nur  durch 
Vorhänge  absperrbar.  Vor  alters  der  Standort  des  in  Kultus  und  Sitte 
geheiligten  ehelichen  Lagers  verblieb  das  Tablinum  bis  in  späteste  Zeit 
der  Ehrenplatz  des  Hauses,  Schatzkammer,  Archiv  und  Schauplatz 
feierlicher  Familienakte.  Mit  bemerkenswerter  Beharrlichkeit  werden 
ferner  auch  die  Alae  zu  beiden  Seiten  des  Eingangs  ins  Tablinum 
festgehalten,  nachdem  ihre  ursprüngliche  Funktion  (die  seitliche  Licht- 
zuführung) durch  die  Veränderung  der  Gesamtanlage  längst  in  Weg- 
fall gekommen  ist.  Ihre  Wände  zieren  in  den  Häusern  der  Nobilität 
die  wächsernen  Gesichtsmasken  der  Ahnen,  in  den  Häusern  neuer 
Familien  als  Ersatz  dafür  bronzene  oder  silberne  Medaillonporträte 
(clipeatae  imagitus)  von  Kaisern  oder  sonst  berühmten  Personen.  End- 
lich findet  sich  auf  typisch  feststehendem  Platze,  zwischen  Tablinum 
und  Impluvium,  ein  nach  Möglichkeit  reich  ornamentierter  Marmor- 
tisch —  der  aus  Gewöhnung  und  religiöser  Pietät  konservierte  Stell- 
vertreter des  alten  Herdes. 

Seit  den  letzten  Zeiten  der  Republik  tritt  mit  der  tuskanischen 
Atriumform  das  Säulenatrium  in  Konkurrenz,  entweder  in  tetrastyler 
oder  in  korinthischer  Anlage,  wie  Vitruv  sie  nennt.  Das  tetra style 
unterscheidet  sich  vom  tuskanischen  weiter  nicht,  als  durch  die  Ein- 
schiebung  von  4  Stützen  an  den  4  Ecken  des  Impluviums.  (Ueber  seine 
Weiterentwicklung  in  der  Monumentalarchitektur  vgl.  oben  Kap.  II, 
S.  46.)  Das  korinthische  acceptirt  einen  mehrsäuligen  Portikus 
und  bringt  damit  die  schweren  durchlaufenden  Deckbalken  in  Wegfall, 
während  die  an  Umfang  zunehmende  Area  nicht  mehr  durchaus  vom 
Wasserbecken  eingenommen  wird ,  sondern  einen  Rasenplatz  mit  um- 
laufenden Abzugskanälen  erhält.   Die  letztere  Anlage  ist,  wie  man  sieht, 

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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


eine  Verquickung  des  nationalen  Atriums  mit  dem  modischen  den  Griechen 
abgelernten  Pcristyl,  ebenso  dienlich,  die  erstere  Bauform  stattlicher  aus- 
zubilden, wie  die  letztere  bei  beschränkten  Raumverhältnissen  zu  ersetzen. 
Wir  geben  als  Beispiel  das  Haus  des  M.  Epidius  Rufus  zu  Pompeji,  Taf.  15, 
Fig.  8,  (bei  welchem  die  abnormale  Stellung  der  Alae  den  stattgehabten 
Erweiterungsumbau  zu  erkennen  giebt)  und  ein  Fragment  des  römischen 
Stadtplanes,  Taf.  15,  Fig.  5  b  =  Jordan  tab.  16.  fr.  109c.  Schon  an  den 
Häusern  von  Pompeji  kann  man  die  rasch  fortschreitende  Umwälzung  be- 
obachten, welche  die  Einbürgerung  der  Säule  im  italischen  Hausbau  her- 
vorrief. Denn  nicht  nur,  dass  dieselbe  um  ihrer  schönen  Erscheinung 
willen  reichlichste  Verwendung  fand,  sie  gab  auch  die  Möglichkeit,  ohne 
Verzicht  auf  den  altgewohnten  Grundplan,  zu  gesteigerten  Dimensionen 
und  neuen  Methoden  der  LichtfÜhrung  fortzuschreiten.  Es  ist  mit 
Bestimmtheit  anzunehmen ,  dass  in  der  Kaiserzeit ,  mithin  in  der  für 
unsere  Untersuchung  massgebenden  Epoche,  die  ansehnlicheren  Häuser 
ihr  Atrium  regelmässig  als  gesäultes  gebildet  haben.  —  Endlich  ist  in 
Erinnerung  zu  bringen,  dass  die  gedeckten  Nebenräume  durchweg  in 
kleinen  oder  kleinsten  Dimensionen  sich  hielten,  weshalb  selbst  in  vor- 
nehmen Bürgerhäusern  (ein  solches  war  z.  B.  das  sog.  Haus  des  Pansa 
in  Pompeji,  Taf.  15,  Fig.  9)  ein  zur  Aufnahme  grösserer  Versammlungen 
geschickter  Raum  ausser  dem  Atrium  oder  dem  Peristyl  nicht  zu 
finden  war. 

Nun  noch  ein  Wort  über  die  Häuser  der  Reichsten,  die  eigentlichen 
Paläste  nach  unserer  Sprechweise.  Im  Gegensatz  zu  der  Neigung  der 
bürgerlichen  Bauart,  an  Herkommen  und  Regel  beharrlich  sich  an- 
zuschliessen,  besteht  in  der  Palastarchitektur  Uebereinstimmung  nur  in 
den  allgemeinsten  Tendenzen  und  —  selbstverständlich  —  in  den  bau- 
lichen Grundelementen ;  in  Bezug  aber  auf  die  Kombination  derselben 
im  einzelnen  Falle  ist  Verschmähung  alles  Schematischen,  freiestes 
Walten  von  Phantasie  und  Laune  das  eigentlich  Bezeichnende,  und 
darum  ist  jeder  Versuch  zur  Rekonstruktion  eines  römischen  Normal- 
palastes Verkennung  des  Grundcharakters  dieser  Gattung.  Als  Fun- 
damentalzeugnis betrachtet  man  gewöhnlich  Vitruv  VI,  8:  nobüibus  vero 
qui  honores  magistratusque  gcrundo  praestare  debent  officia  civibus,  facienda 
sunt  vestibula  regalia  aJta,  atria  et  peristylia  amp/issima,  silvae  ambulationes- 
que  laxiores  ad  decorem  majestatis  perfectae,  praeter ea  biblicthecae  pinaco- 
thecae  basilieae  non  dissimili  modo  quam publicorum  operum  magnificentia 
comparatae,  quod  in  domibus  eorum  saepius  et  publica  consilia  et  privata 
judicia  arbitriaque  conficiuniur. 

Die  bisherigen  Versuche  zur  geschichtlichen  Ableitung  der  christ- 
lichen Kirchenbasilika  aus  vorgefundenen  Formen  der  römischen  Archi- 
tektur haben  zunächst  an  den  Namen  angeknüpft.    Leon  Battista 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


6/ 


Alberti,  der  grosse  Florentiner  Architekt  und  Humanist  des  15.  Jahr- 
hunderts, war  der  erste,  der  die  den  Zwecken  des  öffentlichen  Ver- 
kehrs und  der  Rechtsprechung  gewidmete,  meist  mit  dem  Forum  in 
Verbindung  stehende  römische  Basilika  als  Urbild  der  christlichen 
bezeichnete,  und  diese  Theorie  hat  allgemeine  Anerkennung  genossen 
bis  in  unsere  Zeit.  Durchschlagende  Widerlegung  widerfuhr  ihr  zuerst 
im  Jahre  1847  durch  Zestermann:  die  Ableitung  der  christlichen  Basilika 
aus  der  heidnisch-profanen  sei  geschichtlich  unhaltbar;  auch  formal 
beständen  zwischen  beiden  Gattungen  wesentliche  Differenzen;  die 
Kirchenbasilika  könne  nur  als  selbständiges,  und  zwar  in  der  kon- 
stantinischen Zeit  geschaffenes  Produkt  des  christlichen  Kultus  und 
Geistes  erklärt  werden.  Eine  grosse  Zahl  von  Archäologen  und  Archi- 
tekten —  darunter  der  Herausgeber  des  umfassendsten  Uber  die  altchrist- 
liche Architektur  bis  jetzt  erschienenen  Werkes,  H.  Hübsch  —  eigneten 
diese  Doktrin  sich  an ;  andere,  an  ihrer  Spitze  Weingärtner  und  Messmer, 
widersprachen  und  gaben  eine  neue  Erklärung,  welche  den  Kern  der 
gegenwärtig  in  Deutschland  herrschenden  Lehre  bildet.  Die  grund- 
legende Prämisse  bildet  der  unwiderleglich  richtige  Satz,  dass  die  An- 
fänge des  christlichen  Kirchenbaues  in  der  antiken  Privatarchitektur 
wurzeln.  Allein  man  beging  den  Fehler,  nicht  das  antike  Wohn- 
haus generell,  sondern  allein  das  vornehme  Haus,  den  Palast,  in 
Betracht  zu  ziehen.  Gleich  den  Vertretern  der  alten  Theorie  beherrscht 
von  der  Meinung,  dass  der  untrüglichste  Leitfaden  durch  die  Be- 
nennung gegeben  werde,  machte  man  zum  Fundamente  der  Unter- 
suchung das  Wort  basilica  in  der  oben  reproduzierten  Stelle  bei  Vitruv. 
Man  betrachtete  dadurch  als  erwiesen,  das  vornehme  römische  Haus 
habe  unter  seinen  Bestandteilen  regelmässig  einen  Saal  von  specifischer 
Gestalt  und  specifischer  Benennung  besessen,  eben  die  »Basilika«; 
weiter  sei  bekannt,  dass  zu  der  christlichen  Gemeinde  viele  Angehörige 
vornehmer  Familien  gehörten:  folglich  habe  die  Kirchenbasilika  ihren 
Ursprung  in  der  römischen  Palastbasilika. 

Auch  gegen  diese  Theorie,  so  grossen  Beifall  sie  sich  mehr  und 
mehr  erworben  hat,  erwachsen  entscheidende  Bedenken.  Da  wir  die- 
selben schon  einmal  ausführlich  zur  Sprache  gebracht  haben  (Sitzungs- 
berichte der  k.  b.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  München,  historische 
Klasse,  1882  Bd.  II,  Heft  3),  bemerken  wir  in  Kürze  folgendes.  — 
Es  ist  unstatthaft,  die  Worte  Vitruvs  als  normativ  für  die  römische 
Palastanlage  in  genere  zu  betrachten.  Das  Wort  Basilika  bezeichnet  im 
römischen  Sprachgebrauch  nicht  eine  bestimmt  umschriebene  architek- 
tonische Form,  sondern  zunächst  den  Zweck  einer  gewissen  Bau- 
gattung, dann  allgemein  etwa  so  viel  wie  unser  »Halle«  (vgl.  auch 
unten  Abschn.  2),  so  dass  aus  der  Bezeichnung  eines  Gebäudes  oder  Bau- 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 

teiles  als  »Basilika«  allein  schon  Schlüsse  auf  dessen  bauliche  Gestalt 
zu  ziehen  niemals  zulässig  ist.  Endlich  finden  sich  unter  den,  alles 
zusammengerechnet,  an  Zahl  und  Bedeutung  gewiss  nicht  unbeträcht- 
lichen Ueberresten  römischer  Palastbauten  nirgends  erkennbare  Spuren 
zugehöriger  Basiliken  —  wir  meinen  immer  Privatbasiliken  in  der 
vorausgesetzten  kirchenähnlichen  Gestalt  — ,  geschweige  denn,  dass 
solche  als  ständiges  Attribut  nachzuweisen  wären.  Die  grosse  Palast- 
architektur der  Kaiserzeit  ist  vorwaltend  Gewölbearchitektur 
und  bevorzugt  infolgedessen  für  die  einzelnen  gedeckten  Räume 
quadratische  oder  doch  nur  mässig  verlängerte  und  zentrisch  kom- 
binierte Grundpläne  (z.  B.  Taf.  15,  Fig.  4);  mithin  bleiben  die  am 
häufigsten  angewandten  und  am  meisten  charakteristischen  Formen  der 
Palastsäle  für  die  Ableitung  des  christlichen  Kirchengebäudes  von  vorn- 
herein ausser  Betracht.  Unter  den  Sälen  von  entschieden  oblonger 
Gestalt  ist  die  geläufigste  Anlage  die  einschiffige,  also  wiederum  eine 
nicht  basilikale;  bald  mit  flacher  Balkendecke  (z.  B.  Taf.  15,  Fig.  6), 
bald  nach  der  Tonne  überwölbt  Werden  Säulen  hinzugezogen,  so 
geschieht  es  in  der  Regel  mehr  um  der  Dekoration  als  um  der  Raum- 
teilung willen.  Als  monumentales  Hauptzeugnis  für  die  »Privatbasilika« 
wird  der  auf  Taf.  15,  Fig.  3  dargestellte  Raum  des  flavischen  Palastes 
auf  dem  Palatin  vorgeführt.  Wir  unseresteils  halten  jedoch  im  höchsten 
Grade  für  unwahrscheinlich,  dass  er  im  Aufbau  analog  der  christlichen 
Basilika  gestaltet  gewesen,  meinen  vielmehr  starke  Indizien  für  Ueber- 
wölbung  (vermutlich  als  Halbtonne  mit  Lichtöffnung  im  Scheitel)  wahr- 
zunehmen, wobei  dann  auch  die  Seitenräume  nicht  als  eigentliche  Schiffe, 
sondern  nur  als  Wandnischen  zu  betrachten  wären,  das  Ganze  über- 
einstimmend mit  dem  oecus  eorinthius  bei  Vitruv  VI,  5.  Bei  alledem 
finden  wir  ganz  glaublich,  dass  jezuweilen  (so  vielleicht  in  einem  Raum 
der  hadrianischen  Villa,  von  dem  der  Grundplan,  Taf.  15,  Fig.  6, 
erhalten)  auch  in  Palastsälen  laternenartige  Ueberhöhung  des  Mittel- 
raumes, also  ein  basilikales  Motiv,  zur  Anwendung  gekommen  ist.  Die 
Thatsache  bleibt  darum  ungeschmälert  bestehen,  dass  die  weitaus 
gebräuchlichsten  Saalformen  solche  sind,  die  von  dem  basilikalen 
Prinzip  sich  gründlich  unterscheiden. 

Offenbar  ist  für  die  Frage  nach  dem  Ursprung  der  christlichen 
Basilika  aus  der  etwaigen  Entdeckung  vereinzelt  hie  und  da  auftauchen 
der  Analogien  überhaupt  nichts  zu  gewinnen.  Bereits  im  konstantini- 
schen Zeitalter  tritt  sie  uns  als  fertige,  man  dürfte  fast  sagen  erstarrte, 
Bildung  entgegen;  es  wird  nicht  mehr  gesucht  und  gewählt;  es  scheint 
sich  längst  von  selbst  zu  verstehen,  welche  Formen  anzuwenden,  welche 
auszuschliessen  sind;  kurz,  alles  weist  auf  eine  Vorgeschichte  hin,  in 
der  die  bestimmenden  Einflüsse  in  immer  gleicher  Gestalt  wieder- 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


69 


gekehrt  sind.  Darum  vermöchten  wir  nur  eine  solche  Bauform,  in 
welcher,  sei*  es  fertig  sei  es  im  Keime,  die  ihre  Wesenheit  ausmachenden 
Züge  bereits  vorgebildet  sind,  als  ihre  wahre  Mutterform  anzuerkennen. 
Solche  essentielle  Merkmale  sind  aber:  der  oblonge,  durch  Freistützen 
in  ein  Hauptschiff  mit  begleitenden  Nebenschiffen  geteilte  Grundriss, 
und  der  das  Hauptschiff  zum  Zwecke  seitlicher  Oberlichter  Uberhöhende 
Querschnitt.  —  Unmöglich  könnte  gesagt  werden,  dass  die  Saal- 
architektur der  römischen  Paläste  diesen  Forderungen  Genüge  thäte; 
vielmehr,  wäre  die  christliche  Basilika  in  Wahrheit  eine  Tochter  jener 
gewesen,  sie  hätte  wesentlich  andere  Gestalt  annehmen  müssen,  als  in 
der  wir  sie  erblicken. 

Nun  nützt  aber  der  herrschenden  Lehre  ihre  These  von  der  Privat- 
basilika noch  gar  nichts  ohne  Hinzutritt  einer  zweiten  Voraussetzung : 
der,  dass  im  Durchschnitt  einer  jeden  Gemeinde  ebensoviel  Paläste 
(und  zwar  immer  solche  mit  Basilika)  zur  Verfügung  standen,  als  sie 
kirchliche  Versammlungslokale  nötig  hatte.  Sie  kann  indes  ebensowenig 
gutgeheissen  werden,  wie  die  erste.  Während  der  für  unsere  Frage 
entscheidenden  zwei  ersten  Jahrhunderte  hatte  das  Christentum  seine 
Angehörigen  ganz  Uberwiegend  in  den  mittleren  und  niederen  Regionen 
der  Gesellschaft.  An  dieser  Durchschnittsphysiognomie  ändert  der  Bei- 
tritt einzelner  vornehmer  Personen,  namentlich  Frauen,  wenig  oder 
nichts.  Es  sind  ihrer  im  Verhältnis  zur  Gesamtheit  doch  nur  wenige, 
ihrer  Hilfsbereitschaft  setzen  Rücksichten  auf  ihre  Familie  und  auf  den 
Staat  sehr  bestimmte  Grenzen,  und  man  kann  als  gewiss  ansehen,  dass 
eigentliche  Paläste  während  der  in  Rede  stehenden  Frühperiode  nur 
ausnahmsweise  dem  christlichen  Kultus  sich  öffnen  durften.  Uebertritte 
ganzer  Familien  der  römischen  Aristokratie  rechnet  die  Kirche  erst  von 
Kaiser  Kommodus  ab,  also  von  einer  Zeit,  wo  die  Ecclesia  feste  Ver- 
fassung und  Gottesdienstordnung,  selbständiges  Vermögen,  besoldete 
Beamte  und  (wie  Minucius  Felix  und  Tertullian  bezeugen)  auch  stän- 
dige Versammlungshäuser  bereits  besass.  Wenn  selbst  zwei  Menschen- 
alter nach  Konstantin  das  Christentum  in  den  vornehmen  Familien 
Roms  noch  nicht  Uber  die  Majorität  gebot,  wie  wäre  auch  nur  zu  denken, 
dass  die  schon  im  3.  Jahrhundert  in  Rom  vorhandenen  mehr  wie 
vierzig  Ecclesialbasiliken  (vgl.  S.  12)  ebensoviel  vornehmen  Palästen  an- 
gehört hätten?  Und  nun  gar  die  mittleren  und  kleineren  Provinzial- 
gemeinden!  Nein,  es  können  in  der  grossen  Masse  nur  Bürgerhäuser 
gewesen  sein,  in  denen  die  Christen  sich  versammelten,  und  in  den 
Bauverhältnissen  dieser  haben  wir  die  Entscheidung  zu  suchen.  Das 
ist  es,  worauf  die  Abwägung  der  verschiedenen  Möglichkeiten  immer 
zurückführt  und  worin  zugleich  für  die  weitere  Untersuchung  eine  Grund- 
lage von  der  oben  postulierten  Beschaffenheit  gewonnen  ist,  d.  i.  eine 


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Erstes  Buch  :  Der  chrotüch-antike  Stil. 


Summe  wesentlich  gleichartiger  Einzelprämissen,  dargestellt  durch  eine 
bestimmt  typisierte,  an  eine  feste  Tradition  und  Sitte  gebundene  Bau- 
gattung. 

Im  antiken  bürgerlichen  Hause,  nicht  ausgenommen  das  reiche 
und  stattliche,  gab  es  regelmässig  nur  einen  einzigen  geschlossenen 
Raum  von  ausreichendem  Umfange  für  eine  gottesdienstliche  Versamm- 
lung: das  ist  das  Atrium,  beziehungsweise  —  in  Ländern  griechischer 
Sitte  —  das  Peristyl.  Vergleichen  wir  den  Grundriss  des  Atriums, 
zumal  des  in  der  Kaiserzeit  am  meisten  gebräuchlichen  Säulenatriums, 
mit  jenem  der  Kirchenbasilika,  so  fallt,  trotz  der  hier  gewaltig  ange- 
wachsenen Dimensionen,  in  der  That  die  Uebereinstimmung  der  Raum- 
gestaltung ohne  weiteres  ins  Auge,  und  wir  erkennen  zugleich,  wie  die 
äussere  Anordnung  des  Gottesdienstes  in  der  antiken  häuslichen  Sitte 
ihre  Wurzel  hat.  Wir  bringen  in  Erinnerung,  dass  die  älteste  Organi- 
sation der  christlichen  Gemeinde  Familiengruppierung  war,  Anlehnung 
an  das  umfassende  Rechts-  und  Pietätsverhältnis,  das  in  der  antiken 
Welt  den  Fremdling,  der  kein  Bürgerrecht  am  Orte  besass,  oder  den 
Gastfreund  oder  den  Freigelassenen  mit  seinem  Schutzherrn  verband. 
Der  traditionelle  Ort  aber  für  den  Verkehr  des  Patrons  mit  den  Klienten 
wie  für  die  förmlichen  und  feierlichen  Vorgänge  des  häuslichen  Lebens 
überhaupt  war  das  Atrium.  Von  den  Teilen  des  Atriums  bedeutet  das 
Tab  Ii  n  um  den  Ehrenplatz  des  Hausherrn  —  im  Sinne  der  Gemeinde 
des  StAxovoc,  wie  die  paulinischen  Briefe  ihn  nennen :  —  es  deckt  sich, 
architektonisch  wie  zwecklich,  mit  dem  Priesterchor  der  entwickelten 
Kirchenbasilika;  auch  übersehe  man  nicht,  dass  es  nicht,  wie  die 
Apsis  der  Forumsbasilika,  ein  willkürlicher  und  entbehrlicher  Zusatz, 
sondern  zum  Begriff  des  Atriums  gehörender  unveräusserlicher  Bestand- 
teil ist.  -Sodann  in  dem  Querraum  vor  dem  Tablinum  haben  wir 
uns  die  Diakone  (im  Sinn  der  nachapostolischen  Zeit)  und  die  Dia- 
konissen und  Witwen  zu  denken,  von  denen  es  heisst,  dass  sie  in  der 
Versammlung  an  einem  besonderen  Platz  sassen,  unversch leiert,  um  ihr 
Amt  der  Rüge  zu  üben.  Es  ist  derselbe  Raum,  der  später  als  Limi- 
nare  oder  Solea,  auch  wohl  in  ein  Senatorium  und  Matronaeum  geteilt 
erscheint,  in  dem  die  Sitze  der  vornehmen  Magistratspersonen,  der 
Clerici  minores,  der  geweihten  Jungfrauen,  sich  befanden  und  wo  den 
Laien  die  Kommunion  erteilt  wurde.  Gerade  an  dieser  Stelle  nun, 
zwischen  Tablinum  und  Impluvium,  befand  sich  im  antiken  Hause  (oben 
S.  65)  regelmässig  ein  steinerner  Tisch.  Um  ihn,  als  den  Nachfahren 
des  geheiligten  Hausherdes,  schwebte  noch  immer  eine  Erinnerung 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


71 


religiöser  Weihe,  und  es  ist  uns  nicht  zweifelhaft,  dass  wiederum  sein 
Abkömmling  der  christliche  Altar  wurde.  Dass  die  ältesten,  sei  es 
real,  sei  es  im  Bilde,  uns  überlieferten  christlichen  Altäre  in  ihrer  Form 
den  pompejanischen  Atrientischen  so  ganz  gleichen,  ist  längst  aufge- 
fallen; noch  bedeutsamer  scheint  uns  die  Uebereinstimmung  des  tradi- 
tionell fixierten  Standortes.  (Nebenher  möge  auch  noch  eine  Kleinig- 
keit Beachtung  finden :  die  Medaillons  mit  Papst-  und  Bischofs- 
porträten als  Wanddekoration  der  Kirchen,  bei  deren  Anblick  es  nicht 
unerlaubt  sein  wird,  an  die  clipeatae  imagines  des  römischen  Atriums 
sich  erinnert  zu  fühlen.)  Dem  dreigeteilten  Säulencavaedium  entspricht 
das  Langhaus  der  christlichen  Basilika,  den  Alae  entspricht  deren 
Querschiff.  In  diesen  Analogien  würden  wir,  wenn  sie  einzeln  für 
sich  ständen,  wenig  Beweiskraft  finden ;  aber  in  dem  vorstehenden  festen 
Zusammenhange  scheinen  sie  uns  vollkommen  durchschlagend :  eine  ähn- 
liche Parallelkombination  —  wie  in  dem  Cavaedium ,  den  Alae ,  dem 
Tablinum  einer-,  dem  Langhaus,  dem  Querschiff,  der  Apsis  anderer- 
seits —  ist  sonst  im  ganzen  Bereiche  der  antiken  Architektur  nicht 
mehr  bekannt. 

Das  Querschiff  ist  derjenige  Teil  des  Kirchengebäudes,  der  den 
Erklärern  bisher  die  meiste  Beschwerde  gemacht  hat.  Entweder  ver- 
zichten sie  Uberhaupt  auf  eine  baugeschichtliche  Ableitung,  oder  sie 
helfen  sich  mit  Hypothesen,  denen  die  Ratlosigkeit  an  die  Stirne  ge- 
schrieben ist.  Um  nur  die  neuesten  zu  nennen:  J.  P.  Richter  erklärt 
das  QuerschifT  für  ein  ins  Riesengrosse  übertragenes  Arkosolium; 
F.  X.  Kraus  findet  es  in  den  Seitenapsiden  der  Cömeterialzellen  vor- 
gebildet; H.  Holtzinger  lässt  es  gelegentlich  des  konstantinischen  Um- 
baues der  sessorianischen  Basilika  erfunden  sein.  Ein  richtiges  Gefühl 
liegt  diesen  Versuchen  indes  zu  Grunde:  einmal  die  Abkehr  von  der 
früher  beliebten  symbolischen  Beziehung  auf  das  Kreuz  Christi ;  sodann 
die  Anerkennung,  dass  es  durch  kein  konstantes  Bedürfnis  des  Kultus 
gefordert,  auch  nicht  aus  der  konstruktiven  oder  formalen  Grundidee  der 
Basilika  als  solcher  heraus  entwickelt  sei,  sondern  nur  als  von  einem 
.fremden  Urbild  übernommene  atavistische  Form  betrachtet  werden  könne. 
Welche  historische  Bauform  hier  allein  in  Frage  zu  ziehen  sei,  kann  für  uns 
nicht  mehr  zweifelhaft  sein.  Die  Zurückfiihrung  des  Basilikenquerschiffes 
auf  die  Alae  des  italischen  Atrienschemas  löst  das  Rätsel  in  denkbar 
einfachster  Weise :  es  bedarf  keiner  hypothetischen  Zwischenglieder  — 
das  Querschiff  ist  da;  ist  fertig  da  als  Wiegengabe  einer  uralten 
italischen  Bauüberlieferung  an  das  werdende  christliche  Gotteshaus.  — 
Auch  kann  eine  Gegenprobe  angestellt  werden.    Sie  liegt  in  der 


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j2  Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 

Beobachtung,  dass  das  Querschiff  ausschliesslich  in  Rom  und  den  von 
Rom  beeinflussten  Landschaften  des  Occidents,  und  auch  hier  relativ 
selten,  sich  vorfindet,  hingegen  der  morgenländischen  Welt,  mit  Ein- 
schluss  Ravennas,  fremd  bleibt1).  Der  Grund  dieser  merkwürdigen 
Thatsache  wird  jetzt  offenbar :  es  sind  die  Alae  eben  ein  dem  griechischen 
Peristylhause  unbekanntes,  ein  spezifisch  dem  italischen  Hause  eigen- 
tümliches  Motiv,  dessen  Geltung  zwar  im  Laufe  der  Zeiten,  am  meisten 
durch  das  Eindringen  des  griechischen  Säulenbaues,  in  der  römischen 
Baupraxis  geschmälert,  aber  nie  ganz  beseitigt  worden  ist,  wie  mehrere 
Fragmente  des  in  den  Anfang  des  3.  Jahrhunderts  gehörenden  Stadt- 
planes beurkunden  (z.  B.  Fig.  4). 

Die  landläufige  Rede,  die  Konfiguration  des  christlichen  Kirchen- 
gebäudes sei  bestimmt  durch  den  Geist  und  das  Bedürfnis  des  christ- 
lichen Kultus,  ist  also  so  wenig  wahr,  dass  man  sie  vielmehr  umkehren 
muss  und  sagen:  der  christliche  Kultus  ist  nach  seiner  äusseren  Ein- 
richtung bestimmt  durch  die  vorgefundene  Konfiguration  des  antiken 
Hauses.  Was  die  christliche  Basilika  vom  griechischen  Tempel  so 
durchgreifend  unterscheidet:  dass  sie  lediglich  als  Innenarchitektur  ge- 
dacht ist ;  —  ferner  der  oblonge  Grundplan  mit  der  festen  Perspektiven 
Richtung  auf  das  Sanctuarium,  ja  selbst  alle  einzelnen  Züge  des  Grund- 
planes erweisen  sich  als  ein  Gegebenes:  QuerschifT  und  Chor  im  ita- 
lischen Cavaedium,  die  dreischiffige  Teilung  des  Langhauses  im  griechi- 
schen Peristyl  und  die  Verschmelzung  beider  im  spätrömischen  Säulen- 
atrium. —  So  weit,  in  Bezug  auf  den  Grundriss,  erachten  wir  durch 
unsere  Hypothese  die  geschichtliche  Ableitung  für  vollständig  und  exakt 
gelungen;  es  ist  aber  ein  zweites  Moment  da,  welches  derselben  noch 
harrt:  der  Querschnitt. 

Die  Ausbildung  des  Querschnittes  bezeichnet  die  zweite  Phase 
in  der  Entstehungsgeschichte  der  christlichen  Basilika.  Eingeleitet  wird 
dieselbe  damit,  dass  das  Haus  eines  Gcmeindemitgliedes  durch  Schenkung 
oder  sonstige  Vereinbarung  Eigentum  der  Ecclcsia  und  als  solches  zum 
ständigen  Lokal  des  Gottesdienstes  eingerichtet  wird.  Nun  können 
bauliche  Abänderungen  und  Zuthaten,  wofern  sich  ein  Bedürfnis  danach 
geltend  macht,  ihren  Anfang  nehmen.  Will  man,  was  auf  diese  Weise 
entsteht,  Hausbasilika  benennen,  so  wäre  nichts  dagegen  einzuwenden  \ 
doch  müsste  schärfstens  hervorgehoben  bleiben,  dass  es  etwas  von  der 


')  Die  Querschifte  der  Demetriuskirche  in  Thessalonich  und  der  Marienkirche  in 
Bethlehem  (Taf.  17,  Fig.  7)  gehören  einem  durchaus  anderen  Formgedanken  an,  wie  die 
römischen. 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika.  73 

Hausbasilika  in  dem  bisher  in  der  Litteratur  angewandten  Sinne  nach 
Ursprung  und  Art  wesentlich  verschiedenes  ist.    Als  die  wichtigste 
Aufgabe  der  jetzt  einsetzenden  Fortbildung  des  Atriums  erkennt  man 
die  vollständige  Ueberdachung  desselben.    Die  entwickelte  Kirchen- 
basilika hat  bekanntlich  eine  feste  Formel  dafür:   sie  überhöht  das 
Mittelschiff.   In  der  ausnahmslosen  Geltung,  in  der  dieses  System  schon 
im  4.  Jahrhundert  sich  vorfindet,  haben  wir  oben  ein  Anzeichen  zu  sehen 
geglaubt,  dass  auch  es  auf  einer  frühen  Entwicklungsstufe  sich  stabiliert 
haben  müsse.  Dies  wird  jetzt  durch  die  Einsicht,  dass  die  Kirchenbasilika 
vom  Atrium  ausgegangen  ist,  ganz  klar.    Weiter  erinnern  wir  an  den 
eingangs  (S.  64)  hervorgehobenen  unlöslichen  Zusammenhang,  in  dem 
die  Bedachungs-  mit  der  Beleuchtungsfrage  und  diese  mit  dem  Gesamt- 
grundriss  steht   Wollte  man  bei  unverändertem  Fortbestande  des  letz- 
teren, d.  h.  bei  der  ringsum  eingeschlossenen  Situation  des  Atriums, 
das  Kompluvialsystem  aufgeben,  so  gab  es,  wie  ohne  weiteres  ein- 
leuchtet, keine  Alternative  als  die  basilikale  Ueberhöhung.   So  ist  also 
auch  dieses  zweite  Hauptmerkmal  des  christlichen  Kirchengebäudes  eine 
aus  den  geschichtlich  gegebenen  Verhältnissen  des  bürgerlichen  Hauses 
mit  Notwendigkeit  abfolgende  Konsequenz,  ist  das  hoch  über  den 
Seitenräumen  schwebende  Dach  des  Hauptschiffes  der  Basilika  ein 
Erinnerungszeichen  an  den  Zustand,  da  dieses  noch  ein  offener  Hof- 
raum war. 

Ist  es  aber  bloss  ein  logischer  Zusammenhang?  Hat  diese  Kon- 
sequenz wirklich  nie  früher  sich  eingestellt,  als  durch  die  Versamm- 
lungen der  Christen?  Es  ist  wahr,  die  überwiegende  Mehrzahl  der 
Atrien  Pompejis  liegt  in  der  Mitte  dem  freien  Himmel  offen.  Aber 
Pompeji  ist  nicht  ohne  weiteres  und  in  allem  massgebend  für  ganz 
Italien,  die  Landstadt  nicht  für  die  Grossstadt,  das  1.  Jahrhundert  nicht 
für  die  folgenden.  Zudem  hat  durch  die  Verdrängung  der  tuskanischen 
Atrienform  und  die  damit  verbundene  Erweiterung  des  Compluviums 
die  Blossstellung  gegen  Käke  und  Regen  noch  immer  zugenommen. 
Wie  hat  man  in  dem  Durchschnittshause,  in  dem  ausser  dem  Atrium 
nichts  als  winzige  Zimmerchen  vorhanden  waren,  an  Wintertagen  über- 
haupt nur  existieren  können?  Ist  es  irgend  glaublich,  dass  ein  im 
Raffinement  des  leiblichen  Behagens  so  erfindungsreiches  Geschlecht, 
wie  das  der  Kaiserzeit,  in  diesem  einen  Punkte  über  einen  so  primi- 
tiven Zustand  nicht  hinausgekommen  sein  sollte?  Scheint  hiernach  die 
Folgerung  unausweichlich,  dass  im  kaiserlichen  Rom  die  Schliessung 
der  Atrien  eine  mindestens  häufige  Sache  gewesen  sei,  so  bedarf  es  für 
uns  keines  weiteren  Nachweises,  um  sagen  zu  dürfen,  dass  in  den 


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Erstes  Buch:  Der  chrisUich-anüke  Stil. 

meisten  Fällen  die  Ueberdachung  des  Compluviums  nur  in  Verbindung 
mit  Ueberhöhung  desselben  ausführbar  sein  konnte.  Ausser  diesen 
allgemeinen,  aber  wahrlich  nicht  leichtwiegenden,  Gründen  glauben  wir 
zu  gunsten  unserer  Vermutung  auch  noch  Vitruv  aufrufen  zu  sollen. 
Wir  glauben,  dass  er  in  seine  leider  sehr  wortkarge !)  Beschreibung  des 
atrium  displuviatum  (VI,  3)  den  von  uns  angenommenen  Fall  mit  ein- 
begriffen hat.  Displuviata  autem  sunt  in  quibus  deliquiae  arcam  sustinentes 
stillicidia  rciciunt.  Ueber  die  Deutung  dieses  Satzes  besteht  gegen- 
wärtig nur  eine  Meinung  (Reber,  Overbeck,  Nissen  u.  s.  w.):  man  denkt 
sich  das  displuviatum  nur  dadurch  vom  tuscanicum  unterschieden,  dass 
die  Dachflächen  nicht  einwärts,  sondern  mit  der  Neigung  nach  aussen 
gestellt  sind,  wieTaf.  15,  Fig.  16  veranschaulicht.  Wir  wollen  nun  keines- 
wegs sagen,  dass  diese  Erklärung  falsch  sei,  allein  wir  halten  sie  für  un- 
vollständig. Sie  berücksichtigt  nicht,  was  Vitruv  unmittelbar  hinzusetzt : 
hacc  hibernaculis  maxime  pracstant  ulilitatcs,  quod  compluvia  eorum  erecta 
twn  obstant  luminibus  tricliniorum.  Bevor  wir  an  die  Erläuterung  dieser 
Stelle  gehen,  müssen  wir  die  Frage  aufwerfen,  welche  Vorteile  denn 
eigentlich  das  displuviatum  (in  der  angenommenen  Gestalt)  gegenüber 
dem  tuscanicum  aufweisen  kann  ?  Es  ist  nur  der  einzige  da,  dass  das 
Impluvium  vom  Traufwasser  befreit  wird;  aber  es  wird  darum  doch 
nicht  entbehrlich  gemacht;  Kälte,  Wind,  Feuchtigkeit  werden  vom 
Binnenraum  nicht  besser  abgehalten.  Hingegen  treten  zwei  schwere 
Uebelstände  neu  hinzu:  der  eine,  den  schon  Vitruv  hervorhebt,  dass 
das  Traufwasser  durch  Röhren  abgeleitet  werden  muss,  die  in  den 
Wänden  stecken;  der  andere,  von  dem  aber  Vitruv  nichts  zu  wissen 
scheint,  dass  der  Dachstuhl  der  eindringenden  Feuchtigkeit  schutzlos 
preisgegeben  ist.  Dies  führt  auf  einen  Fehler  der  üblichen  Interpretation, 
nämlich  dass  sie  das  displuviatum  lediglich  mit  dem  tuscanicum,  nicht  aber 
auch  mit  dem  icstudinatum  in  Vergleich  setzt;  ferner  dass,  wie  gesagt, 
Vitruvs  Zusatzbemerkung  unbeachtet  bleibt.  In  der  letzteren  wird  vom 
displuviatum  ausgesagt :  einmal,  dass  es  für  Winterwohnungen  grosse  An- 
nehmlichkeit biete,  dann  dass  es  der  Beleuchtung  der  Seitengemächer 
(welche  eben  auf  Lichtzufuhr  aus  dem  Atrium  angewiesen  sind)  nicht 
im  Wege  stehe.  Offenbar  ist  durch  die  erstere  Eigenschaft  ein  Unter- 
schied gegenüber  dem  tuscanicum,  durch  die  zweite  ein  Unterschied 
gegenüber  dem  Icstudinatum  angegeben.  Nicht  minder  offenbar  aber 
kann  eine  Dachkonstruktion,  welche  beides  in  einem  gewährleistet  — 
Wetterschutz  und  Lichtfülle  —  unter  den  gegebenen  Verhältnissen  nicht 
gedacht  werden,  als  allein  in  Gestalt  einer  über  dem  Compluvium  an- 


')  Man  vergesse  nicht,  dass  Vitruvs  Text  von  Abbildungen  begleitet  war,  die  uns 
verloren  sind. 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


75 


gebrachten  Laterne.  Als  eine  solche  Laterne  wäre  also  die  von  den 
deiiquiae,  d.  i.  den  aufwärts  gerichteten  Dachsparren  getragene  arca 
Vitruvs  aufzufassen,  und  es  ist  vielleicht  nicht  bedeutungslos,  dass 
gerade  die  ältesten  römischen  Altartabernakel,  die  einen  Tempel  im 
kleinen  vorstellen,  eben  dieses  Motiv  aufweisen,  ja  dass  auch  für  sie 
der  Name  arca  im  Gebrauch  ist,  während  der  Name  xtßutpicv,  d.  i.  Becher, 
auf  die  in  der  morgenländischen  Kirche  vorherrschende  Kuppelbedeckung 
hinweist.  Weitere,  wie  mir  scheint,  nicht  verächtliche  Zeugnisse  für  die 
Bekanntschaft  mit  dieser  Einrichtung  geben  die  in  Afrika  gefundene 
Bronzelarape  in  Gestalt  einer  kleinen  Basilika  (Taf.  15,  Fig.  13)  und 
die  architektonischen  Hintergründe  mancher  altchristlichen  Mosaiken, 
besonders  reichlich  in  St.  Georg  zu  Thessalonich  (Texier  et  Pullan, 
Arch.  byz.  XXX— XXXIV,  daraus  unsere  Fig.  14). 

Der  in  Fig.  17  gegebene  Restaurationsversuch  nimmt  den  einfachsten 
Fall  an,  nämlich  dass  die  Hauptbalken  noch  in  derselben  Weise  an- 
geordnet sind,  wie  im  Tuscanicum.  Im  tetrastylen  oder  im  korinthischen 
Atrium  kann  die  Ausfahrung  natürlich  eine  viel  vollkommenere  werden, 
ja  es  ist  durch  sie  der  Gedanke  so  nahe  gelegt,  dass  es  förmlich  ver- 
wunderlich wäre,  ihn  nicht  aufgenommen  zu  sehen.    Weiter  lese  man 
nach,  was  Vitruv  in  einem  späteren  Kapitel  desselben  Buches  (VI,  6) 
Uber  Beleuchtungsverhältnisse  im  allgemeinen  sagt,  Uber  die  Schwierig- 
keiten, welche  für  dieselben  aus  der  überragenden  Höhe  der  Nachbar- 
häuser erwachsen,  über  die  Berechnung  des  Einfallswinkels  u.  s.  w., 
und  man  wird  finden,  dass  diese  Erwägungen  für  ein  Atrium  mit  Area 
sub  diu  gegenstandslos  sind,  vielmehr  nur  für  eine  Anlage  mit  seit- 
licher Lichtzuführung  Sinn  haben.    Dass  aber  eben  unter  den  von 
Vitruv  ins  Auge  gefassten,  in  städtischen  Häusern  regelmässig  wieder- 
kehrenden Bedingungen,  Seitenlichter  nur  bei  einem  in  der  angenomme- 
nen Weise  überhöhten  Querschnitte  durchführbar  sind,  dafür  bedarf  es 
nach  dem  Bishergesagten  keines  Wortes  mehr.    Ebenso  versteht  sich 
von  selbst,  dass  eine  solche  Anlage,  sobald  sie  gewisse  Dimensionen 
überschreitet,  die  dreischiffige  Teilung  mit  Freistützen  zur  notwendigen 
Konsequenz  hat.  —  Weiter  als  bis  zu  dieser  logischen  Beweisführung 
vermögen  wir  allerdings  nicht  vorzudringen,  denn  den  Augenscheins- 
beweis zu  erbringen  versagt  uns  der  Zustand  der  Monumente.  Allein 
es  giebt  doch  Wahrscheinlichkeiten,  welche  innerlich  so  stark  begründet 
sind,  dass  sie  nahezu  den  Wert  von  Thatsachen  erhalten.  Und  wenig- 
stens in  einem  Falle  liegt  ein  Baurest  vor,  welcher  eine  andere  Er- 
gänzung als  die  befürwortete  kaum  zulassen  möchte.    Das  ist  der  im 
Grundriss  die  Form  eines  korinthischen  Atriums  zeigende  kleine  Raum 
im  sog.  Palazzo  der  Villa  Adriana  (Taf.  15,  Fig.  6). 


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76 


Krstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Es  zeigt  sich,  dass  das  antike  Wohnhaus  —  wie  für  den  Grundriss, 
so  höchst  wahrscheinlich  auch  für  den  typischen  Querschnitt  der  christ- 
lichen Basilika  —  Vorbild  war.  Nicht  jedoch,  wie  dort,  einziges,  son- 
dern nur  nächstes  Vorbild.  Fensterlose  Räume  durch  Ueberhöhung 
der  Mittelpartie  zu  erleuchten,  war  ein  der  antiken  Architektur  seit 
ältester  Zeit  geläufiger  Kunstgriff :  wir  begegnen  ihm  in  den  hypostylen 
Sälen  der  ägyptischen  Tempel,  in  umfangreicher  Verwendung  im 
assyrischen  Palastbau;  er  war  den  Griechen  nicht  unbekannt  und  hat 
vielleicht  in  der  alexandrinischen  Baukunst  schon  eine  bedeutende  Rolle 
gespielt;  er  war  zweifellos  ein  Element  in  der  grossen  öffentlichen 
Architektur  der  römischen  Kaiserzeit,  und  zwar  vorzüglich  der  foren- 
sischen Basiliken.  So  wenig  diese  Baugattung  als  solche  einen 
allseitig  abgeschlossenen  Kanon  besass,  so  müssen  doch  gewisse  Grund- 
motive in  namhafter  Häufigkeit  in  ihr  wiedergekehrt  sein.  Dass  da- 
hin, Hand  in  Hand  mit  der  (durch  die  monumentalen  Ueberreste  sicher- 
gestellten) mehrschiffigen  Grundrissteilung,  auch  die  Ueberhöhung  des 
Mittelschiffes  gehört  habe,  ist  unsere  wohlerwogene  Ueberzeugung,  die 
wir  hier  nur  als  solche  aussprechen  können ,  da  ihre  nähere  Begrün- 
dung eine  allzu  weitläufige  Digression  verursachen  würde.  Wer  diese 
unsere  Meinung  teilt,  wird  mit  uns  auch  weiter  natürlich  und  unver- 
meidlich finden,  dass  die  werdende  Kirchenbasilika  von  dem  Augen- 
blicke ab,  da  sie  aus  der  Schale  des  Privathauses  heraus  einer  selb- 
ständigen monumentalen  Existenz  entgegenstrebte,  nach  ihren  Zwecken 
sich  angeeignet  und  ausgenützt  habe,  was  die  Gattung  der  forensischen 
Basilika  in  häufigen  Beispielen  bereits  gelöst  und  in  grösstem  Mass- 
stabe durchgeprobt  vorwies,  und  worauf  sie  selbst  durch  Tradition  und 
innere  Notwendigkeit  hingedrängt  wurde.  Es  kann  keine  unhistorischere 
Anschauung  geben,  als  die  den  christlichen  Kirchenbau  aus  dem  grossen 
Gange  der  gemein-römischen  Architekturgeschichte  wie  eine  autonome 
oder  gar  gegnerische  Macht  herausheben  möchte.  (Beiläufig  bemerkt: 
gründet  es  nicht  vielleicht  in  bewusstem  Wetteifer,  dass  die  beiden 
grossen  christlichen  Basiliken  S.  Peter  und  S.  Paul  mit  der  Julia 
und  Ulpia  bis  auf  geringe  Differenzen  in  der  Breite  des  Hauptschiffes 
übereinstimmen  ?) 

Der  Vorgang,  von  dem  wir  sprechen  und  der  in  allem  Einzelnen 
freilich  der  Beobachtung  sich  durchaus  entzieht,  führt  hinüber  in  die 
dritte  und  letzte  Phase  der  Entwicklungsgeschichte  des  altchrist- 
lichen Kirchengebäudes.  Hier  ist  dasselbe  nicht  mehr  oder  nur  noch 
ausnahmsweise  als  Umbau  eines  übernommenen  Privathauses  sondern 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


77 


als  selbständiger  Neubau,  nicht  mehr  als  Bedürfnisarchitektur  sondern  als 
getragen  von  monumentaler  Absicht  zu  denken.  Als  den  historischen  Zeit- 
raum, in  dem  dieses  sich  vollzog,  vermuten  wir  die  vierzigjährige  Toleranz- 
epoche zwischen  der  decischen  und  der  diokletianischen  Verfolgung 
(oben  S.  Ii).  Das  4.  Jahrhundert  steigerte  erheblich  die  Dimensionen, 
zuweilen  bis  zum  Kolossalen,  vermehrte  die  Pracht  der  Ausstattung, 
fixierte  manche  wohl  noch  schwankende  Einzelheiten :  ein  entscheidendes 
Moment  für  das  allgemeine  Kompositionsschema  hat  es  schwerlich  mehr 
hinzugebracht.  Was  dieser  dritten  Entwicklungsepoche  zu  thun  oblag, 
war  die  Anpassung  des  schon  unlöslich  mit  den  Gewohnheiten  des 
Kultus  verknüpften  Atrienschemas  an  die  jetzt  geforderten  grossen 
Raumabmessungen.  Während  Griechenland  und  der  Orient,  in  näherem 
Anschluss  an  die  öffentliche  Basilika,  die  doppelgeschossige  Anlage  der 
Seitenschiffe  bevorzugte,  entschieden  sich  die  lateinischen  Länder  für  die 
vielleicht  nicht  schönste  aber  einfachste,  den  Ursprungsverhältnissen  am 
nächsten  bleibende  Lösung :  über  den  Portiken,  mit  Verzicht  auf  Seiten- 
galerien, sogleich  die  lichtbringenden  Obermauern  aufsteigen  zu  lassen. 
Ob  etwa  auch  schon  die  Profanbasilika  zuweilen  dieses  System  nicht  ver- 
schmäht hatte,  muss  dahingestellt  bleiben.  —  Die  Grundrissdisposition 
blieb  währenddem  nahezu  unverrückt  so,  wie  sie  durch  die  ersten  An- 
fänge vorgezeichnet  war.  Als  wichtigen  Unterschied  im  Vergleich  mit 
der  forensischen  Basilika  pflegt  man  den  Wegfall  der  Säulenreihe  an 
der  abschliessenden  Schmalseite  des  Hauptschiffes  hervorzuheben.  Es 
kommt  darin  der  perspektivische  Charakter  der  Anlage  und  die  Be- 
deutung des  Altars  für  sie  zum  Ausdruck.  Indes  ist  auch  dieses 
Moment  schon  im  Privathause  gegeben.  Nach  Vitruv  bildet  es  die 
Regel  im  griechischen  Peristyl  (Taf.  15,  Fig.  1),  es  begegnet  nicht  minder 
an  römischen  Säulenatrien  der  Kaiserzeit  (Taf.  15,  Fig.  5  b,  6).  Dafür 
ist  einmal  ein  merkwürdiges  Beispiel  von  einer  christlichen  Basilika 
erhalten,  welche  nach  der  Weise  vieler  forensischen  den  Säulengang 
vor  der  Tribuna  vorbeifuhrt  (De  Voguö:  Syrie  centrale  pl.  19).  Als 
etwas  Selbstverständliches  vollzieht  sich  endlich  die  Umwandlung  der 
Priesterexedra  aus  der  rechtwinkeligen  Gestalt,  die  sie  im  Tablinum 
und  in  der  Prostas  gehabt  hatte,  in  die  hemicyklische :  d.  i.  in  das  der 
römischen  Architektur  geläufigste,  in  allen  Gebäudegattungen  ange- 
wendete Abschlussmotiv.  Uebrigens  begegnen  wir,  in  Afrika  und  im 
Orient  häufig,  im  Occident  hier  und  da,  noch  Apsiden,  welche  nach 
aussen  die  rechtwinkelige  Ummauerung  konservieren. 

Es  ist  eine  Stellung  ohnegleichen,  die  die  altchristliche  Basilika 


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7« 


Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


im  ganzen  der  Architekturgeschichte  einnimmt.  Keine  zweite  Bauform 
giebt  es,  in  welcher  so  viel  uralte  Traditionen  zusammenfliessen  und  so  viel 
Keime  unendlicher  neuer  Gestalten  verborgen  sind.  Nach  ihren  nächsten 
Antecedentien  eine  Weiterbildung  aus  der,  Atrium  und  Peristyl  ver- 
quickenden, spätrömischen  Halle,  umschliesst  sie  in  gewissem  Sinn  zu- 
gleich eine  Rückbildung  zu  dem  alten ,  unmittelbar  auf  dem  Bauern- 
haus beruhenden  Testudinat  -  Atrium.  Die  Einheit  des  Raumes,  in 
den  späteren  Stadien  des  antiken  Hauses  etwas  aufgelockert,  wird 
wieder  stärker  zur  Geltung  gebracht,  vor  allem  durch  die  Wiederher- 
stellung der  durchgehenden  Bedachung.  Nicht  minder  bedeutsam  ist 
die  veränderte  Gestalt  des  Daches,  die  Rückkehr  zur  ursprünglichen 
Giebelform.  Mit  der  Einführung  des  tuskanischen  Atriums  war  dem 
italischen  Hause  die  Fassade  verloren  gegangen  —  die  Rückkehr  zum 
Giebeldach  hilft  sie  wiedergewinnen.  Festgehalten  aber  wird  gleichwohl 
die  Errungenschaft  der  jüngsten  Jahrhunderte,  der  innere  Säulenbau, 
und  in  ihm  das  Mittel,  die  grössten  Binnenräume  vollkommen  gedeckt 
und  doch  wirksam  beleuchtet  zu  bilden. 

Es  ist  eine  ununterbrochene,  manches  Fremde  sich  anartende, 
im  wesentlichen  doch  nur  den  eingeborenen  Formungstrieb  entfaltende 
und  aus  sich  selbst  sich  fortzeugende  Stufenfolge  monumentaler  Gene- 
rationen: von  dem  altitalischen  Bauernhause  zu  den  gewaltigen  Basi- 
liken St.  Peters  und  St.  Pauls  —  und  von  diesen  weiter  zur  Kathedrale 
von  Rheims,  zum  Kölner  Dom. 

Zum  Schluss  sei  in  Kürze  zweier  abweichender  Doktrinen  Erwäh- 
nung gethan. 

Auf  einen  völlig  anderen  Boden,  wie  die  deutschen  Forscher,  stellten 
sich  der  Italiener  Pater  Marchi  und  der  Franzose  Martigny,  indem 
sie  als  Prototyp  der  Basilika  die  unterirdischen  Katakombenkrypten 
proklamierten.  Ihnen  folgte  F.  X.  Kraus,  zuerst  unbedingt,  dann  mit 
einer  Modifikation.  Seine  jetzige  Lehre  (Real-Encyklopädie  I,  119  ff.) 
ist:  die  Kirchenbasilika  sei  im  Zeitalter  Konstantins  entstanden  durch 
das  Zusammentreten  zweier  Faktoren,  der  Cömeterialzellen  sub  diu, 
und  der  Hausbasilika  (im  Sinne  Messmers),  beziehungsweise  der  forensen 
Basilika.  Typische  Beispiele  von  Cömeterialzellen  giebt  unsere  Taf.  14, 
Fig.  7,  8.  Kraus'  Versuch,  eine  Bauform,  deren  substantielle  Eigen- 
schaften die  Längenrichtung,  die  mehrschiffige  Teilung,  die  flache 
Holzdecke  sind,  aus  einer  zentral  disponierten,  ungeteilten,  gewölbten, 
also  aus  ihrem  geraden  Oppositum  genetisch  zu  erklären,  kann  nur 
damit  entschuldigt  werden,  dass  dem  gelehrten  Theologen  das  Ver- 
ständnis für  architektonische  Dinge  offenbar  fehlt.    Eine  Fortbildung 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


79 


der  Cömeterialzellen  im  Sinne  von  Kraus  hätte  zu  Anlagen  ungefähr 
wie  S.  Fedele  in  Como  oder  St.  Maria  im  Kapitol  zu  Köln  führen 
müssen.  Wie  viel  oder  wenig  Gewicht  es  hat,  »dass  die  Christen  des 
Altertums  basilica  und  coemeterium  geradezu  promiscue  brauchtenc, 
ergiebt  sich  aus  »Die  Genesis  etc.«  S.  313  und  unten  S.  84  ff. 

Erst  nach  Veröffentlichung  der  Abhandlung  »Die  Genesis  etat  lernten 
wir  die  Ansicht  von  Viktor  Schultze  kennen,  die  er  im  »Christ- 
lichen Kunstblatt«  von  Merz  und  Pfannschmidt  1882,  Augustheft,  kurz 
vorgetragen  hat.  Wir  freuen  uns  zu  sehen,  dass  wir  in  der  grundlegen- 
den Prämisse  Ubereinstimmen :  auch  Schultze  erkennt  die  Ableitung  aus 
dem  antiken  Bürgerhause  als  die  historisch  allein  begründete.  Im 
eigentlich  Architektonischen  aber  differieren  wir  mit  ihm.  Schultze  stellt 
sich  von  vornherein  auf  eine  zu  eng  genommene  Grundlage,  indem  er 
von  dem  irrtümlich  sogenannten  Normalhause  (Typus  der  Casa  di  Pansa 
in  Pompeji)  ausgeht.  Nach  ihm  entspräche  das  Atrium  dem  Vorhof, 
das  Peristyl  dem  Schiff  der  christlichen  Basilika.  (Aehnlich  der  Roman 
»Antinous«  von  George  Taylor.)  Architektonisch  betrachtet  ist  aber 
die  Analogie  gerade  die  umgekehrte.  In  der  angenommenen  Kom- 
bination bleibt  das  Peristyl  immer  offener  Hof,  während  die  Elemente 
zur  Deckenbildung  im  basilikalen  Sinne  doch  allein  im  Atrium  zu 
finden  sind ;  ebenso  auch  nur  hier  das  Vorbild  des  Querschiffes,  von  dem 
Schultze  sehr  mit  Unrecht  behauptet,  dass  den  älteren  Basiliken  es 
fehle  (s.  S.  Peter,  S.  Paul,  Sta.  Maria  Maggiore).  Die  Namensgleich- 
heit mit  dem  Atrium  (Vorhof)  der  entwickelten  Kirchenbasilika  ist  irrele- 
vant, da  der  Sachinhalt  des  Wortes  in  der  späten  Latinität  ein  völlig 
vager  geworden  und  die  Benennung  »Atrium«  keine  vorzugsweise, 
sondern  neben  vielen  anderen  im  Gebrauch  ist. 


2.  Anlage  im  allgemeinen. 

Die  Basilika  ist  im  abendländischen  Kunstgebietc  die  kirchliche 
Bauform  schlechthin  (vgl.  oben  S.  14).  Jedoch  nicht  etwa  infolge  eines 
eigentlich  sakralen  Vorurteils.  Bekanntlich  hat  die  christliche  Kirche 
keine  Scheu  empfunden,  Gebäude  heidnischen  Ursprunges  und  ver- 
schiedenster Kunstform  und  Bestimmung,  Tempel  wie  Profanbauten, 
nach  Gelegenheit  für  ihren  Gottesdienst  in  Gebrauch  zu  nehmen,  oder, 
wiewohl  nur  ganz  ausnahmsweise,  auch  bei  eigenen  Neubauten  einem 
anderen  als  dem  basilikalen  Schema  zu  folgen.  Die  Vorherrschaft  des 
basilikalen  Schemas  ist  begründet  in  den  eigentümlichen  Bedingungen 
der  vorkonstantinischen  Entwicklung.    Zu  Konstantins  Zeit  war  der 


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80  Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 

Kultus  in  die  Basilikenform  schon  so  fest  eingewöhnt,  dass  von  seiner 
Seite  keine  Aufforderung  zu  baulichen  Neuerungen  gegeben  wurde. 
Selbständige  künstlerische  Beweggründe  aber  kannte  diese  Zeit  nicht 
mehr.  Die  quantitativ  noch  höchst  grossartige  Bauthätigkeit  der  Kirche 
im  4.  und  5.  Jahrhundert  macht  es  nur  noch  fühlbarer,  dass  die  innere 
Triebkraft  der  antiken  Kunst  versiegt,  dass  sie  geistig  tot  ist.  Endlich 
sprach  für  das  unveränderte  Fortbauen  nach  der  herkömmlichen  Fassung 
deren  grosser  praktischer  Vorzug,  mit  unvergleichlich  geringerem  Auf- 
wände an  Material  und  Arbeitskraft  als  sonst  eine  der  bekannten  Kon- 
struktionsweisen die  grossen  Räume  herstellen  zu  können,  deren  man  be- 
durfte. So  hat  die  Kirche,  wenigstens  die  des  Abendlandes,  auch  nachdem 
die  letzten  äusseren  Schranken  gefallen  und  grosse  materielle  Mittel  in 
ihren  Dienst  gestellt  waren,  den  in  der  römischen  Architektur  angesammel- 
ten Reichtum  von  Konstruktion-  und  Kompositionsformen  unberührt 
liegen  lassen ;  nicht  einmal  der  in  der  Entwicklung  der  Basilikenidee  selber 
durch  Verbindung  mit  dem  Gewölbebau  vollzogene  Fortschritt,  von 
dem  im  Bau  des  Maxentius  in  Rom  ein  denkwürdiges  Zeugnis  auf- 
bewahrt ist  und  den  Byzanz  in  der  Hagia  Sofia  auf  eine  neue  Stufe 
weiterführt,  wird  von  ihr  betrachtet ;  sie  beharrt,  ablehnend  nach  allen 
übrigen  Seiten,  bei  der  einen  in  der  Frühzeit  gewonnenen  Fassung. 
Dem  germanischen  Mittelalter  blieb  es  zu  offenbaren  vorbehalten,  wie 
vielseitige  Entwicklungsmöglichkeiten  in  der  Basilika  noch  ruhten. 

Bevor  wir  der  detaillierten  Analyse  uns  zuwenden,  wollen  wir  in 
Kürze  die  Eigenschaften  schematisieren,  welche  an  der  abendländischen 
Basilika  als  wesentliche  erkennbar  werden : 

1)  IM  GRUNDRISS:  Rechteck  mit  starkem  Uebergewicht 
der  Längendimension,  parallel  dieser  Hauptaxe  durch  offene 
Säulenstellungen  geteilt  in  mehrere  Schiffe  von  ungerader 
Zahl,  das  Mittelschiff  in  seiner  Querausdehnung  die  seitlichen 
erheblich  übertreffend  und  an  der  abschliessenden  Schmal- 
seite in  einen  halbkreisförmigen  Ausbau  (Apsis)  endigend. 

2)  IM  QUERSCHNITT:  Ueberhöhung  des  Hauptschiffes, 
Lichtführung  durch  die  Obermauern  desselben,  flache  Holz- 
balkendecke. 

Zu  diesen  stets  und  ständig  wiederkehrenden  essentiellen  Mo- 
menten kommen  zwei  accidentelle ,  die  nach  Ermessen  den  ersteren 
hinzugefügt  oder  auch  weggelassen  werden: 

a)  Das  Querschiff,  ein  Sonderbesitz  des  abendländischen 
Kunstgebietes. 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


81 


b)  Die  doppelgeschossige  Anlage  (Galerie)  der 
Seitenschiffe,  ein  Motiv  griechisch-orientalischer  Uebung,  das  im 
Occident  spät  und  auch  nur  sporadisch  auftaucht. 

Hiernach  würden  vier  Arten  von  Basiliken  zu  unterscheiden  sein ; 
thatsächlich  jedoch  giebt  es  ihrer  nur  drei,  da  innerhalb  der  christlich- 
antiken Stilepoche  die  Zusatzmotive  a  und  b  sich  niemals  miteinander 
verbunden  zeigen,  d.  h.  Anlagen  m  i  t  Galerien  erscheinen  immer  ohne 
Querschiff1). 

Die  auf  eine  viel  grössere  Anzahl  von  Arten  hinauslaufenden  Klassi- 
fikationen von  Zestermann,  Messmer,  Hübsch,  Mothes,  Kraus  u.  a. 
können  wir  nicht  adoptieren,  denn  es  werden  in  ihnen  wesentliche  und 
nebensächliche  Unterscheidungsmomente  in  ungehöriger  Weise  parallel 
gesetzt.  Irreführend  in  hohem  Grade  ist  namentlich  die  von  Hübsch 
(p.  XXXII)  für  den  altchristlichen  Kirchenbau  aufgestellte  Tafel,  welche 
38  Arten  angiebt,  von  denen  24  auf  die  Basilika  entfallen.  Zu  dieser 
überraschenden  Vielzahl  gelangt  Hübsch  teils  infolge  des  oben  gerügten 
Fehlers,  teils  dadurch,  dass  er  nachträglich  erst  dem  kirchlichen  Zweck 
angeeignete  heidnische  Gebäude  für  originale  Kirchenbauten  ansieht, 
teils  indem  er  Mutationen  des  Mittelalters  und  zuweilen  selbst  der 
Renaissance  auf  die  frühchristliche  Zeit  zurückführt,  und  endlich  durch 
willkürliche  Restaurationen  aus  eigener  Phantasie  (so  die  Klassen  3,  4, 
7,  10,  11,  27—38).  —  Aus  dem  bunten  Durcheinander  der  Hübsch'schen 
Tabelle  heben  wir,  als  genauerer  Erörterung  bedürftig,  die  nachfolgen- 
den Querschnittschemata  heraus. 


ABC  D 


Das  Schema  B,  um  dieses  vorweg  zu  erledigen,  ist  unter  den  Monu- 
menten des  lateinischen  Gebietes  durch  gar  keine,  unter  denen  des 
griechischen  nur  durch  wenige  und  verdächtige  Beispiele  vertreten.  So 
die  jetzige  Moschee  Eski-Djouma  in  Saloniki  (Texier  et  Pullan 
tab.  43),  wo  der  Ansatz  der  Decke  dicht  über  dem  Bogen  der  Apsis 


')  Wo  beides  dennoch  verbunden,  wie  zu  Rom  in  S.  Pietro  in  vincoli  (an- 
geblich) und  SS.  Quatro  Coronati,  sind  die  Galerien  jüngere  Einschiebung. 

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Krstcs  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


ursprünglich  höhere  Oberraauern  vermuten  lässt.  Weiter  die  ehemalige 
Kirche  Hagios  Johannes  in  Konstantinopel  (Salzenberg  tab.  2), 
worüber  Hübsch  (S.  47,  Anm.  2)  richtig  bemerkt:  »Darin  kann  ich 
mit  Salzenberg  nicht  übereinstimmen,  dass  er  das  Mittelschiff  nicht 
höher  wie  die  Seitenschiffe  und  ohne  obere  Fenster  restauriert  hat; 
dafür  dürfte  schwerlich  auch  nur  ein  analoges  Beispiel  unter  allen  auf 
uns  gekommenen  altchristlichen  Basiliken  aufzuführen  sein.c  Dieses 
sein  durchaus  zutreffendes  Urteil  muss  Hübsch  jedoch  wieder  vergessen 
haben,  denn  er  restauriert  Santa  Croce  in  Jerusalemme  zu  Rom, 
ohne  dass  hier  positive  Anhaltspunkte  dafür  vorhanden  wären,  genau 
nach  der  bei  Salzen berg  getadelten  Weise. 

Ebensowenig  vermögen  wir  das  Schema  A  als  ein  von  der  alt- 
christlichen Kirchenarchitektur  rezipiertes  anzuerkennen.  Sämtliche 
Monumente,  an  denen  es  uns  entgegentritt,  sind  entweder  nachweislich 
oder  doch  höchst  wahrscheinlich  nicht  kirchlichen,  sondern  heidnisch- 
profanen Ursprunges,  und  mehrere  von  ihnen  erst  beim  Uebergang  in 
den  gottesdienstlichen  Gebrauch  durch  Einbau  eines  überhöhten  Mittel- 
schiffes in  echte  Basiliken  mutiert.  Für  beides  giebt  die  instruktivsten 
Beispiele  die  Stadt  Rom. 

SANT  ANDREA  IN  BARBARA  (Taf.  15,  Fig.  10).  Ein  Profan- 
bau mit  malerischen  Dekorationen  entschieden  heidnischen  Charakters, 
a.  317  von  Junius  Bassus  erbaut;  von  Papst  Siraplicius  (a.  468—483) 
zur  Kirche  geweiht;  im  18.  Jahrhundert  abgebrochen,  aber  durch  Zeich- 
nungen Giuliano  da  Sangallos  (de  Rossi,  Bull,  crist.  1871)  und  Ciam- 
pinis  (Vet.  Mon.  I)  überliefert.  — 

SANTA  PUDENZIANA.  Die  nicht  in  allen  Stücken  genügenden 
Aufnahmen  bei  Hübsch,  tab.  17,  18,  sind  leider  die  einzigen;  mehr- 
fach besprochen  von  de  Rossi  (Bull,  crist.  1864,  1867 — 69,  1875).  Uns 
ist  genauere  Untersuchung  verweigert  worden.  Schon  vor  Umwand- 
lung zur  Kirche  einschneidende  bauliche  Veränderungen,  zuletzt  über 
gewölbten  Substruktionen  ein  einschiffiger  Saalbau  ähnlich  dem  des 
Junius  Bassus.  Die  Umwandlung  zur  Kirche  wurde  genau  nach  dem 
herrschenden  basilikalen  Typus  vorgenommen,  d.  h.  es  wurden  Säulen- 
stellungen eingezogen,  darüber  feste  Wände  angeordnet  (nicht  etwa 
Galerien !)  und  von  der  Höhe  der  alten  Umfassungsmauer  eben  nur  so 
viel  abgebrochen  als  nötig,  um  den  Oberfenstern  des  neu  entstandenen 
Mittelschiffs  Licht  zu  bringen.  Die  Segmentform  der  Apsis  halte  ich 
(mit  Urlichs)  für  Resultat  dieser  dreischiffigen  Mutation,  nicht  für  ur- 
sprünglich, wie  Hübsch  will.  Nach  der  guten  Technik  der  Obermauern 
und  dem  Stil  der  Apsidenmosaik  zu  urteilen  muss  der  Umbau  noch  in 
saec.  4  fallen.  Die  bis  auf  den  h.  Petrus  hinaufsteigende  Gründungs- 
legende mag  ein  jeder  für  sich  beurteilen. 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


83 


SANTA  CROCE  IN  JERUSALEMME  (Taf.  15,  Fig.  12).  Die  näm- 
liche Aufgabe  unter  den  nämlichen  Vorbedingungen  wie  bei  der  Sta.  Pu- 
denziana,  d.  h.  Umbau  eines  heidnisch-profanen  Saalbaus  (»Sessoriumc) 
im  Sinne  einer  christlichen  Basilika.  Aber  mit  anderer,  geschickterer 
Lösung.  Anstatt,  wie  dort  geschehen,  die  Apsis  der  unvermeidlich  ge- 
ringer ausfallenden  Breite  des  Mittelschiffs  konform  zu  beschneiden,  ist 
sie  hier  in  ihrer  ursprünglichen  (so  meine  ich  trotz  Hübsch)  Breite 
belassen,  dafür  aber  zur  Unschädlichmachung  der  Massdinerenz  ein 
Querschiff  (von  aussen  nicht  sichtbar)  zwischengeschoben.  In  welcher 
Gestalt  der  Querschnitt  des  Langhauses  aus  dieser  Operation  hervorging, 
ist  wegen  der  Einwölbung  und  andrer  Umbauten  von  a.  1743  nicht  mehr 
zu  eruieren.  Im  Gegensatz  zu  der  nach  Schema  B.  gegebenen  Restauration 
von  Hübsch  halte  ich  für  das  relativ  wahrscheinlichste  eine  Anlage  ähn- 
lich der  in  Sta.  Pudenziana;  also 'prinzipiell  der  heute  sichtbaren  gleich- 
kommend, nur  mit  flacher  Decke  und  grösseren  Fenstern. 

SANT'  ADRIANO  AM  FORUM  ROMANUM.  Wahrscheinlich  die 
von  Konstantin  umgebaute  Kurie;  davon  noch  die  Fassade  mit  Resten 
antiker  Stuckdekoration;  die  Art  der  ersten  Einrichtung  als  Kirche  durch 
jüngere  Umbauten  unkenntlich  gemacht.  — 

SANTA  BALBINA  AUF  DEM  AVENTIN  (Taf.  15,  Fig.  11. 
Taf.  22,  Fig.  1).  Unter  den  auf  uns  gekommenen  Exemplaren  dieses 
Typus  das  am  reinsten  erhaltene.  Die  Weihung  durch  Papst  Gregor  I. 
wird  im  Papstbuch  in  der  nämlichen  Weise  berichtet  wie  die  von 
St.  Andrea  in  Barbara;  es  liegt  also  kein  Grund  vor,  daraus  (wie 
bisher  immer  geschehen)  die  Erbauung  durch  Gregor  zu  folgern. 
Vielmehr,  da  in  allen  sonst  bekannten  Exemplaren  dieser  Baufamilie 
(zu  den  oben  genannten  ist  noch  die  Kurie  in  Pompeji  und  die  Basi- 
lika in  Trier ')  hinzuzurechnen)  der  heidnisch-profane  Ursprung  sicher  ist, 
muss  er  auch  hier  präsumiert  werden.  Die  technischen  Qualitäten 
enthalten  kein  Hindernis,  die  Entstehung  bis  Anfang  saec.  4  hinauf- 
zurücken. Ganz  irrig  ist  die  Behauptung,  dass  ursprünglich  Seiten- 
schiffe dagewesen  wären;  die  Bögen  in  der  Mauer  des  Erdgeschosses 
sind  lediglich  Entlastungsbögen ,  ihre  Füllung  mit  dem  übrigen  Werk 

')  Der  in  betreff  der  Basilika  von  Trier  von  F.  X.  Kraus  in  der  ausgesucht  gehässigen 
Recension  der  »Genesis*  im  »Repertorium  für  Kunstwissenschaft*  VI,  388,  uns  gemachte 
Yurwurf  —  eine  Antwort  darauf  aufzunehmen  weigerte  sich  die  Redaktion  —  fällt  lediglich 
auf  ihn  selbst  zurück  K.  hat  die  Angaben  von  »H  Hetlner=,  auf  die  er  sich  beruft 
(gemeint  ist  voraussichtlich  ein  Aufsatz  von  F.  H  et  in  er  in  Picks  Monatsschr  f.  Gesch. 
Westdeutschlands  1880),  entweder  nicht  verstanden,  oder  nicht  mehr  im  Gedächtnis  ge- 
habt. Denn  dort  heisst  es  als  Schlussurteil  Uber  die  bei  den  Ausgrabungen  der  vierziger 
Jahre  gefundenen  Säulenfragmente:  »es  kann  sich  demnach  nur  eine  einstöckige  Galerie 
längs  den  Umfassungswänden  hingezogen  und  die  Decke  muss,  wie  sie  jetzt  restauriert 
ist.  ohne  Stutzen  den  ganzen  Raum  Uberspannt  haben t,  —  d.  i.  im  Sinne  des  Quer- 
schnittes »ein  ungeteilter  Saal»,  wie  wir  »Genesis»  S.  311  kurz  angegeben  hatten. 


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84 


Krstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


homogen  (Taf.  38,  Fig.  5) ;  der  obere  Teil  der  Apsis  im  Mittelalter  er- 
neuert; die  Nische,  in  welcher  jetzt  der  Bischofsthron,  hat  ihr  Gegen- 
stück nicht  bloss  in  Katakombenzellen,  sondern  auch  in  heidnischen 
Gebäuden,  wie  der  Kurie  zu  Pompeji  und  in  der  Villa  Adriana  (Taf.  15, 
Fig.  6). 

Hiernach  verbleiben  als  echte  Querschnittformen  der 
christlichen  Basilika  allein  die  Schemata  C.  und  D. 

ANMERKUNG  UEBER  DEN  TERMINUS  »BASILIKA«.  Ueber 
die  Sachbedeutung,  in  welcher  dieser  Name  zu  gebrauchen  sei,  besteht 
ein  festes  Uebereinkommen  noch  nicht.  Das  Gewöhnlichste  ist,  ihn 
historisch  zu  nehmen  und  seine  Anwendung  auf  die  antike  Stilepoche, 
inclusive  die  christlich-antike,  einzuschränken.  Viele  Fachschriftsteller, 
vorzüglich  in  Deutschland,  haben  jedoch  begonnen,  auch  romanische 
und  gotische  Kirchen  als  »Basiliken«  zu  bezeichnen,  insofern  in  ihnen 
entscheidende  Grundzüge  des  christlich-antiken  Kirchentypus  wieder- 
kehren. Dann  giebt  es  wieder  Autoren,  welche  die  Wesensbestimmung 
mit  Hintansetzung  des  Grundrisses  allein  aus  dem  Querschnitt  ableiten, 
so  dass  nach  ihnen  z.  B.  auch  die  karolingische  Palastkirche  zu  Aachen 
(Taf.  40)  eine  echte  Basilika  wäre.  Diese  Definition  ist  auf  folgende 
Weise  gewonnen :  man  stellt  eine  Anzahl  von  Monumenten  verschiedener 
Epochen,  die  in  den  zeitgenössischen  Quellen  als  Basiliken  benannt 
werden,  zusammen,  bringt  alle  Unterschiede  in  Abzug,  und  was  danach 
als  gemeinsamer  Rest  übrig  bleibt,  das  soll  die  wahre  Essenz  der  Ba- 
silika« sein.  Die  Prüfung  dieser  Methode  bis  auf  weiteres  zurück- 
legend, wollen  wir  vorerst  feststellen,  an  welche  Qualitäten  der 
betreffenden  Gebäude  die  Autoren  jedesmal  dachten,  wenn  sie  den 
Namen  Basilika  auf  sie  anwandten;  insbesondere  ob  im  gegebenen 
Fall  an  die  bauliche  Form,  oder  an  die  sachliche  Bestimmung, 
oder  vielleicht  an  beides  in  einem  gedacht  wird. 

Wort  wie  Sache  haben  die  Römer  von  den  Griechen,  voraussetzlich 
aus  der  alexandrinischen  Bauschule,  empfangen.  Dass  die  Basiliken 
der  republikanischen  Zeit  architektonisch  von  ziemlich  gleichartiger 
Beschaffenheit  gewesen  sind,  mag  wohl  sein,  wiewohl  Näheres  nicht 
mehr  festzustellen  ist:  —  gewiss  ist,  dass  in  der  Kaiserzeit  das  Wort 
eine  immer  mannigfaltigere  Verwendung  und  immer  unbestimmter 
werdende  Bedeutung  erhält,  Gebäude  von  verschiedenster  Gestalt  wie 
auch  verschiedenstem  Gebrauchszweck  zu  umfassen  bestimmt  ist.  Eine 
Reihe  von  Belegen  (die  indes  nichts  weniger  wie  vollständig  sein 
wollte)  haben  wir  in  den  Sitzungsberichten  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften zu  München,  1882,  Bd.  II,  Heft  3,  S.  310  ff.  zusammengestellt 
Mit  wünschenswertester  Sicherheit  geht  daraus  hervor,  dass  bei  den 
Römern  der  Kaiserzeit  Basilika  nicht  terminus  techmcus  für  eine  be- 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


85 


stimmt  umschriebene  architektonische  Form  gewesen  ist.  Anfäng- 
lich allein  und  nachher  noch  immer  im  vorzüglichen  Sinne  verstand 
man  darunter  die  mit  den  Fora  in  Verbindung  stehenden  grossen  ge- 
deckten Gerichts-  und  Verkehrshallen,  gleichsam  gedeckte  Nebenfora 
(mit  einander  verglichen  von  höchst  ungleichartigen  Kompositionstypen) ; 
in  diesem  Sinne  braucht  einmal  Cicero  die  charakteristische  Wendung, 
er  sei  in  seiner  Villa  so  von  den  Leuten  überlaufen,  dass  sie  keine 
Villa  mehr,  sondern  eine  Basilika  sei.  Spater  verallgemeinerte  sich  die 
Anwendung  auf  Gebäude  oder  Gebäudeteile  auch  von  anderweitiger 
Bestimmung,  z.  B.  Säulengänge  bei  Bädern,  Theatern,  Märkten,  Tempeln; 
weiter  Tempel  selbst,  jüdische  Synagogen,  Exerzierhäuser,  Reitschulen 
—  kurz  das  Wort  gewinnt  ebenso  vielseitige  Anwendbarkeit  und  archi- 
tektonisch unbestimmten  Gehalt  wie  unser  »Halle«  und  es  scheint  kaum 
irgend  eine  hallenartige  Anlage  zu  geben,  für  welche  nicht  diese  Be- 
zeichnung in  ihrer  bequemen  Dehnbarkeit  passend  befunden  würde.  — 
Den  ältesten  Beleg  für  > Basilika c  bei  einem  christlichen  Autor  giebt 
die  pseudojustinische  »Cohortatio  ad  Graecosc  (saec.  2  oder  3?),  vgl. 
A.  Harnack  in  der  »Zeitschr.  f.  Kirchengeschichte <  Bd.  VI,  p.  115  ff., 
wo  mit  diesem  Namen  eine  künstlich  erweiterte  Felshöhle,  in  welcher 
die  Einwohner  von  Cumä  ihre  Lokalheilige ,  die  Sibylle,  verehrten,  be- 
zeichnet wird.  Was  daraus  gefolgert  werden  muss,  ist  keineswegs,  wie 
Harnack  will,  dass  es  zur  Zeit  noch  keine  christlichen  Basiliken  (in 
unserem  Sinne)  gegeben  habe,  sondern  lediglich,  dass  auch  die  Christen 
einen  spezifischen  Sinn  mit  dem  Worte  nicht  verbanden.  Eben  sein 
nach  allen  Seiten  unbestimmter  Gehalt  machte  es  möglich ,  den  Ter- 
minus auch  auf  das  christliche  Gotteshaus  anzuwenden :  basüica  ecclesiae 
ist  nur  würdevollerer  Ausdruck  für  die  durchaus  promiscue  gebrauchten 
domus  eccksiae ,  olxoc  »xxXYjwxc;  schliesslich  sagte  man,  wo  ein  Miss- 
verständnis ausgeschlossen  schien,  schlechthin  basiliea.  Die  ersten  Bei- 
spiele dafür  sind  nachgewiesen  in  Schriften,  die  sich  auf  die  dio- 
kletianische Verfolgung  beziehen.  Den  Vätern  des  4.  Jahrhunderts  ist 
er  schon  sehr  geläufig,  doch  immer  in  Konkurrenz  mit  anderen.  Hier 
ein  paar  aus  Eusebius  ausgezogene  Beispiele:  otxoc  sxxXvjotac,  H.  eccl. 
VII  30,  VIII  13,  IX  9  —  ßoatXsto«  olxo«,  H.  eccl.  X  4  —  ßaatXixYj, 
vita  Const.  III  31,  32,  53  —  xupiaxvj,  Laud.  Const.  XVII.  Diese  Paral- 
lelen führen  uns  auf  die  Spur,  dass  sehr  frühe  schon  die  wortspielende 
Erklärung  aufgekommen  ist,  welche  Isidor  von  Sevilla  dahin  an- 
giebt:  nunc  autem  ideo  divina  templa  basilicae  nominantur,  quia 
regi  ibi  omnium,  Deo,  cultus  et  officia  offeruntur;  vgl.  Eusebius 
Laud.  Const.  XVII:  \%  «äxoo  ft<  toö  t»v  8Xa»v  xoptoo.  Mithin  wird  basiliea 
=  xoptorx-rj,  dominicum,  domus  dei,  domus  columbae.  Doch  erhält  es  sich 
nebenher  noch  immer  in  seiner  älteren,  weiteren  Bedeutung,  so  dass 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  StU. 


z.  6.  ein  Gebäudekomplex  auf  dem  Palatin  im  Mittelalter  >Basilica 
Jovis«  hiess.  Durchaus  irrig  ist  die  Annahme,  dass  unter  den  Kirchen- 
gebäuden die  basilicae  eine  bestimmt  abgegrenzte  Gattung  ausgemacht 
hätten,  sei  es  in  bezug  auf  ihre  Bauform,  sei  es  in  bezug  auf  ihre 
Bestimmung.  Bis  ins  4.  Jahrhundert  hinauf  sind  Beispiele  nachge- 
wiesen, dass  Kultgebäude  jeglicher  Form  und  Bestimmung,  von 
den  grossen  Gemeindekirchen  bis  hinab  zu  den  Grabkapellen  und 
Memorien  diesen  Namen  tragen.  Und  das  ganze  Mittelalter  hindurch 
heissen  so  ohne  Unterschied  alle  Kirchen,  auch  ausgesprochene  Zentral- 
bauten, wie  Sto.  Stefano  rotondo  in  Rom,  das  Oktogon  in  Aachen,  die 
Klosterkirche  zu  Germigny  des  Pres  (Taf.  41,  Fig.  11)  u.  s.  w.  und  ander- 
seits wieder  einschiffige  Saalbauten,  wie  St  Remigius  in  Ingelheim 
(Taf.  42 ,  Fig.  6).  Unhaltbar  ist  endlich  auch  die  von  Valesius  und 
Mabillon  für  saec.  6  und  7  angenommene  Unterscheidung,  dass  »basilicae 
=  Klosterkirche,  »ecclesia«  =  Kathedral-  und  Parochialkirche. 

Aus  alledem  ergiebt  sich,  dass  und  warum  eine  bautechnische 
Definition  der  Basilika  aus  den  alten  Quellen  abzuleiten  unmöglich  ist 
Wenn  die  moderne  wissenschaftliche  Terminologie  das  Wort  Uberhaupt 
verwenden  will,  muss  sie  sich  bewusst  bleiben,  dass  es  lediglich  in 
einem  von  ihr  selbst  gesetzten  konventionellen  Sinne  geschehen  kann, 
und  dass  ein  solcher  Gebrauch  nur  dann  nutzbringend  sein  wird,  wenn 
er  auf  eine  unzweideutig  klare  Definition  gegründet  und  allerseits  streng 
respektiert  wird.  Da  ein  solches  Uebereinkommen  leider  noch  nicht 
existiert,  vermögen  wir  einstweilen  nur  anzugeben,  was  wir  im  Verlaufe 
unserer  Darstellung  als  »basilikalc  verstehen  werden.  Auf  Grund  der 
im  vorstehenden  Abschnitt  ausgeführten  historisch-analytischen  Unter- 
suchung sind  die  wesentlichen  Eigenschaften  der  Basilika  diese: 
1)  Die  oblonge  Gestalt  und  das  ausgesprochene  Richtungs- 
moment des  Grundrisses.  2)  Die  mehrschiffige  Teilung. 
3)  Die  beherrschende  Stellung  des  Mittelschiffes,  ausgedrückt 
im  Grundriss  durch  grössere  Breite,  im  Querschnitt  durch 
Anlage  eines  Uberragenden  Obergeschosses.  (Mit  der  Ueber- 
höhung  ist  regelmässig  verbunden  die  Anlage  oberer  Seitenlichter.  Wir 
nehmen  diese  jedoch  in  die  Definition  deshalb  nicht  mit  auf,  weil  es 
wichtige  Baugruppen  giebt,  in  der  romanischen  Epoche  des  mittleren 
und  südlichen  Frankreich,  denen  aus  lediglich  technischen  Gründen 
die  Seitenlichter  des  Mittelschiffs  zwar  fehlen,  die  aber  in  allem  Uebrigen 
als  echte  Basiliken  sich  ausweisen  und  aus  deren  Reihe  deshalb  nicht 
ausgeschlossen  werden  dürfen.) 

Insofern  nun  das  definierte  Schema  nicht  auf  die  christlich-antike 
Epoche  des  Kirchenbaus  beschränkt  ist,  sondern  auch  in  der  romani- 
schen, gotischen  und  Renaissance-Epoche  mehr  oder  minder  reichliche 


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Drittes  Kapitel  .  Die  Basilika. 


«7 


Verwendung  findet,  darf  es  als  erlaubt  und  erspriesslich  gelten,  das 
Schlagwort  »Basilikac  auch  in  die  Terminologie  der  genannten  jüngeren 
Stile  einzuführen.  Der  Basilika  entgegengesetzt  ist  auf  der  einen  Seite 
die  ganze  Kategorie  der  Zentralbauten,  auf  der  anderen  Seite  unter 
den  Longitudinalbauten  die  ungeteilte  Saalanlage  und  die  Hallen- 
anlage, welche  letztere  zwar  gleich  der  Basilika  in  mehrere  Schiffe 
geteilt  ist,  eines  überragenden  Obergeschosses  im  Mittelschiff  jedoch 
entbehrt.  (Wir  wählen  diese  Definition,  weil  die  übliche  »gleiche 
Höhe  aller  Schiffe«  gegenüber  dem  Thatbestand  der  Monumente  zu  eng 
gefasst  ist. 


3.  Der  Grundplan. 

Betrachten  wir  zunächst  das  Kirchengebäude  im  Verhältnis  zu 
seiner  Umgebung.  —  Während  im  griechisch-orientalischen  Gebiet  die 
Neigung  früh  hervortritt,  es  von  seiner  profanen  Umgebung  abzusondern, 
ihm  eine  mehr  monumentale,  tempelähnliche  Erscheinung  zu  geben, 
bleibt  das  Kirchengebäude  in  Italien  eingeschlossen  mitten  in  das 
städtische  Häusergewirr,  in  der  Aussenansicht  also  grossenteils  verdeckt. 
Die  Entstehung  der  Basilika  aus  der  inneren  Halle  des  Privathauses 
wirkt  hierin  erkennbar  nach.  Es  ist  der  monumental  stilisierte  Aus- 
druck dieses  Verhältnisses,  dass  regelmässig  die  Fassade  der  eigentlichen 
Kirche  durch  einen  Vorhof  von  der  Strasse  getrennt  wird  *).  Die  Ge- 
wöhnung an  diesen  Bauteil  wurzelt  indes  nicht  bloss  in  formal  ent- 
wicklungsgeschichtlichen Momenten,  sondern  ebenso  in  solchen  der 
Disziplin,  des  Kultus,  der  Symbolik. 

Wir  müssen  uns  schon  hier  an  der  Schwelle  des  Tempels  ver- 
gegenwärtigen, was  im  weiteren  Verfolge  seiner  Disposition  Schritt  für 
Schritt  wiederbegegnen  wird :  die  dem  spät-antiken  Leben  eigentümliche 
Leidenschaft  für  Einspannung  der  Gesellschaft  in  einen  unendlich  viel- 
gliedrigen  Schematismus  von  Rangordnungen,  in  der  christlichen  Welt 
noch  gesteigert  durch  alttestamentalische  Erinnerungen  und  den  starken 
eigenen  hierarchischen  Zug  der  Kirche.  Alle  hierdurch  hervorgerufenen 
Unterscheidungen  —  von  Priesterstand  und  Laienstand,  von  Mann  und 
Weib,  von  Vornehm  und  Gering,  von  Gläubigen  und  Lehrlingen,  von 


*)  Der  für  diesen  u.  a.  vorkommende  Name  «Atrium«  (griechisch  at»).-r4,  spovao;) 
hat  jedoch  mit  dem  Atrium  des  altitaliscben  Hauses  nichts  gemein,  sondern  gründet  in 
der  verallgemeinerten  Bedeutung  des  Wortes  als  »atrium  publicum«,  mit  »basilica«  unter 
Umständen  sich  nahe  berührend. 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Gerechten  und  Sündern,  und  die  in  jeder  dieser  Klassen  sich  wieder- 
holenden Abstufungen  —  werden  mit  peinlichster  Sorge  und  Wert- 
schätzung in  die  Anordnungen  des  Gottesdienstes  eingetragen.  Diese 
Rücksicht  ist  unter  allen  die  wichtigste  bei  der  Detailausbildung  des 
überlieferten  Grundrisses.  Doch  stellt  sich  auch  das  unüberwindlich 
mächtige  formale  Einheitsmoment  der  basilikalen  Bauidee  immer  wieder 
als  heilsames  Gegengewicht  ein ,  so  dass  nur  die  Hauptabteilungen 
wirklich  architektonisch  charakterisiert  werden,  während  für  Herstellung 
der  Unterabteilungen  Schranken  und  verschiebbare  Vorhänge  ein  be- 
quemes Auskunftsmittel  geben. 

Die  Hauptabteilungen  sind :  das  Vorhaus,  das  Gemeindehaus,  das 
Priesterhaus. 

Das  Vorhaus  ist  der  Aufenthalt  der  Katechumenen ,  der  Pere- 
grinen,  der  Bettler,  der  Büsser.  (Der  Büsser  wiederum  giebt  es  eine 
Menge  von  Graden.  Nach  der  Vorschrift  des  hl.  Basilius  sollte  z.  B. 
ein  Mörder  vier  Jahre  unter  den  Weinenden,  fünf  Jahre  unter  den  Hören- 
den, sieben  Jahre  unter  den  Knieenden,  vier  Jahre  unter  den  Stehenden 
seinen  Platz  haben,  bis  er  nach  zwanzigjähriger  Busszeit  erst  die  Kirche 
selbst  betreten  durfte.)  Weiter  diente  das  Vorhaus  zu  Gerichtssitzungen 
und  sonstigen  nichtgottesdienstlichen  Versammlungen,  seit  dem  6.  Jahr- 
hundert auch  als  Begräbnisplatz.  Der  Flächenraum  des  Vorhauses  wird 
zum  grössten  Teil  von  dem  Atrium  eingenommen,  dessen  Gestalt  ein 
Viereck  ist,  meist  ein  gleichseitiges,  seltener  ein  längliches,  und  das  auf 
den  Innenseiten  von  Säulengängen  mit  einwärts  geneigten  Dächern  um- 
geben wird.  Schon  hier  beginnen  die  Gitter  und  Vorhänge  zur  Scheidung 
der  disziplinarischen  Stufen.  Die  offene  Area  ist  mit  bunten  Marmorplatten 
gepflastert  oder  mit  Blumen  und  Sträuchern  ausgeziert,  von  welchen 
letzteren  am  ehesten  der  seit  dem  9.  Jahrhundert  nachweisbare,  im  Mittel- 
alter viel  gebrauchte  Name  paradisus,  parvis  abzuleiten  sein  wird.  Das 
wichtige  Mittelstück  ist  der  Brunnen,  cantharus,  nymphaeum,  labrum, 
»Sinnbild  des  Reinigungsopfers «  (Eusebius),  an  welchem  die  Gläubigen, 
bevor  sie  das  Heiligtum  betreten,  Antlitz,  Hände  und  Füsse  abwaschen. 

Geöffnet  ist  das  Atrium  gegen  die  Kirche  in  so  viel  Thüren.  als 
letztere  Schiffe  hat,  gegen  das  Freie  in  einer  nach  aussen  ein  wenig 
vortretenden  Thor  halle,  vestibulumi  rcpdJtoXov,  welche  bei  ganz  gross- 
artigen Anlagen  dreiteilig,  in  der  Regel  indes  nur  einfach  ist  Bei 
Kirchen,  welche  Sitz  eines  Bischofs  sind,  wird  häufig  an  der  Stelle  des 
Vestibulums  die  Taufkapelle  angebaut,  in  welchem  Falle  der  Eingang 
an  eine  der  Langseiten  des  Vorhofs  verlegt  wird. 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


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Ein  weiterer  Anhang  des  Pronaos  ist  der  Narthex:  eine  zwi- 
schen die  Fassade  der  Kirche  und  die  Hofhallen  eingeschobene  be- 
sondere Binnen  Vorhalle,  nicht  viel  breiter  als  der  angrenzende  Portikus 
des  Atriums  (woher  wahrscheinlich  der  Name  =  Stab)  und  von  diesem 
durch  eine  Mauer  getrennt;  in  ritueller  Hinsicht  der  Standort  der 
Pilger,  der  Katechumenen  und  der  vorgeschrittenen  Büsserklassen. 

Der  eigentliche  Narthex  in  der  vorstehenden  Anordnung  ist  eine 
partikulare  Eigentümlichkeit  der  griechisch-orientalischen  Kirche,  welche 
überhaupt  den  pedantischen  Kastengeist  des  Zeitalters  am  höchsten  aus- 
bildet. Nicht  die  Sache,  aber  der  Name  wurde  später  auch  vom  Abend- 
lande adoptiert.  Hier  bedeutet  Narthex  entweder  den  an  die  Fassade 
angrenzenden  Flügel  des  Atriums  oder,  wenn  im  Innern  der  Kirche 
eine  Queremporc  vorhanden  ist,  die  darunter  befindliche  Halle.  Da 
es  sich  aber  in  beiden  Fällen  nicht  um  einen  selbständigen  Bauteil, 
sondern  um  eine  lediglich  für  den  Ritus  in  Betracht  kommende  Ab- 
teilung handelt,  wird  man  besser  thun,  den  Namen  Narthex  für  das 
Abendland  ungebraucht  zu  lassen. 

Gegen  Ende  des  Jahrtausends  kommen  bei  Neubauten  die  Vor- 
höfe im  grossen  und  ganzen  ausser  Gebrauch.  Selbst  in  Rom  hat  man 
die  meist  in  Verfall  geratenen  alten,  als  im  12.  Jahrhundert  eine  Periode 
umfassender  Restaurationsarbeiten  eröffnet  wurde,  ganz  selten  voll- 
ständig wieder  hergestellt,  begnügte  sich  vielmehr  regelmässig  mit  dem 
Aufbau  des  einzigen  unmittelbar  an  die  Fassade  angelehnten  Säulen- 
ganges. 

Tertullian :  nostrae  columbae  domus  simplex  in  tditis  Semper  et  apertis 
et  qd  lucem  —  wohl  mehr  ein  Wunsch,  als  Aussage  über  eine  allgemeine 
Thatsache.  Die  Kathedrale  von  Tyrus,  unter  Konstantin  erneuert,  er- 
hielt einen  freien  Umgang  (jcepißoXo;)  um  den  ganzen  Bau.  —  In  Rom 
ist  von  den  altchristlichen  Kirchen  der  innern  Stadt  noch  bis  auf  den 
heutigen  Tag  keine  einzige  ganz  freigelegt.  Selbst  wo  moderne  Strassen- 
regulierungen  wenigstens  für  den  Anblick  der  Fassade  Raum  geschafft 
haben,  sind  die  Langseiten  verbaut  geblieben.  Unverfälscht  vergegen- 
wärtigt die  ursprüngliche  Situation  Santa  Prassede  (Taf.  16,  Fig.  1). 

Atrien  werden  in  fast  allen  Baubeschreibungen  der  konstantinischen 
Epoche  ausdrücklich  erwähnt.  Vielfach  erkennt  man,  dass  sie  früher 
vorhanden  gewesen,  an  dem  Verhältnis  der  Fronte  zur  Strassenlinie; 
Beispiele  aus  Rom:  Sta.  Cecilia  in  Trastevere,  S.  Bartolomeo 
in  Isola,  S.  Alessio,  S.  Gregorio  Magno,  S.  Cosimato  u.  a. ; 
in  Ravenna  S.  Giovanni  Evangelista,  S.  Apollinare  nuovo.  — 
Von  frühchristlichen  Atrien  haben  in  Rom  nur  die  beiden  am  Lateran 


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Erstes  Buch :  Der  chrisüich-anüke  Stil. 


und  am  S.  Peter  bis  ins  spätere  Mittelalter  gedauert;  jenes  ging  im 
Brande  von  a.  1361  zu  Grunde,  dieses  wurde  unter  Leo  X.  abgebrochen. 
Heute  sichtbar:  S.  Martino  ai  Monti,  Sta.  Prassede,  beide  saec.  9; 
SS.  Quattro  Coronati,  eigentlich  Teil  des  Mittelschiffs  der  grösseren 
älteren  Kirche,  a.  im  wiederaufgebaut;  S.  demente,  a.  1108,  unter 
allen  am  besten  erhalten.  Ausserhalb  Roms,  in  allen  vier  Seiten  wohl- 
erhalten: Dom  von  Parenzo,  saec.  7;  S.  Ambrogio  zu  Mailand, 
saec.  9;  Dom  zu  Capua,  saec.  9;  Dom  zu  Salerno,  saec.  it. 

Einflügelige  Portiken  sind  in  Rom  nicht  vor  saec.  12  nach- 
zuweisen. Bei  SS.  Vincenzo  e  Anastasio  alle  tre  Fontana  laut 
Inschrift  a.  1140;  schwerlich  früher  S.Giorgio  i  n  Velabro  (gewöhn- 
lich saec.  9  angesetzt);  SS.  Giovanni  e  Paolo  gleichfalls  nicht  älter; 
S.  Lorenzo  f.  I.  m. ,  besonders  geräumig,  a.  1216 — 27;  S.  Lorenzo 
in  Lucina,  S.  Crisogono,  Sta.  Maria  maggiore  it.  a.  m.  sämtlich 
mit  geradem  Gebälk.  Ein  Unicum  die  Doppelloggia  an  der  Fassade 
von  S.  Sabba;  ein  zweites  Geschoss  besass  auch  die  Vorderseite  des 
lateranischen  Atriums,  vgl.  Münze  Papst  Nikolaus  IV.  bei  Rohault 
de  Fleury,  tab.  II. 

Geschlossene  Vorhallen  mit  halbrunder  Endigung  der  Schmal- 
seiten finden  sich  nur  an  Monumenten,  die  der  Antike  noch  nahe  stehen, 
meist  Zentralbauten:  Sta.  Costanza  (Taf.  8,  Fig.  1),  Baptisterium 
des  Lateran  (Taf.  7,  Fig.  3),  S.  Aquilino  bei  S.  Lorenzo  in  Mailand 
(Taf.  14,  Fig.  3),  vgl.  Minerva  medica,  Kaiserpalast  zu  Trier  etc.  — 
Einen  echten  Narthex  haben  S.  Apollinare  in  Classe,  Sta.  Maria  in 
Cosmedin  zu  Rom,  beide  byzantinisch  beeinflusst;  vielleicht  auch  Sto.  Ste- 
fano in  Via  Latina. 

Aeussere  Thorhalle:  dreiteilig  am  S.  Peter  (Abbildung  bei 
Letarouilly:  Le  Vatican)  und  Lateran  (Abbildung  bei  Rohault  de 
Fleury:  Le  Latran),  vgl.  Eusebs  Beschreibung  der  Basilika  zu  Tyrus. 
Einteilige  mehrfach  erhalten:  das  älteste  und  vollständigste  Beispiel, 
auch  nach  innen  vorspringend,  S.  Cosimato  in  Trastevere,  saec.  9? 
(Taf.  26,  Fig.  1);  mit  bloss  äusserem  Vorbau  Sta.  Prassede,  saec.  9; 
Sta.  Maria  in  Cosmedin,  Zeit  ungewiss,  modernisiert;  S.  demente, 
S.  Sabba,  beide  saec.  12;  zum  Teil  noch  mit  den  eisernen  Stangen 
und  Ringen  für  Vorhänge;  bei  S.  Cosimato  und  S.  Clemente  später 
aufgesetzte  Obergeschosse,  etwa  Wohnungen  des  Thürhüters. 

Verbindung  von  Atrium  und  Baptisterium:  am  besten  erhalten 
bei  den  Domen  von  Parenzo  und  Novara  (Taf.  16,  Fig.  2,  10); 
geringe  Spuren  inAquileja;  mittelalterlich  erneuert  Sto.  Stefano  in 
Bologna;  jenseits  der  Alpen  erhalten  am  Münster  zu  Essen  im 
Rheinland,  saec.  10,  später  umgebaut.  Auch  nach  Wegfall  des  Atriums 
disponierte  man  die  Baptisterien  gern  gegenüber  dem  Westportal  der 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


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Kathedralen:  Florenz,  Pisa;  ehemals  Mainz,  Regensburg.  Diese  Remi- 
niszenz halte  ich  für  den  wahren  Grund,  weshalb  Ghibertis  Ostthür 
»porta  del  paradisoc  heisst 

Einen  Cantharus  in  Gestalt  einer  Schale  auf  säulenartigem  Fuss 
zeigt  das  Mosaik  in  S.  Vitale  zu  Raven  na,  wejches  den  Kirchgang 
der  Kaiserin  Theodora  darstellt.  Im  Baptisterium  des  Laterans  waren 
die  symbolischen  Tiere  Lamm  und  Hirsch  als  wasserspeiende  Brunnen- 
figuren verwendet;  im  S.  Peter  aus  Erz;  mit  einem  Baldachin  über- 
deckt bei  S.  Demetrius  in  Thessalonica  (Texier  et  Pullan,  p.  138), 
auf  dem  Berge  Athos  (Lenoir  I,  33). 

ORIENTIERUNG.  Eine  mehr  liturgisch  als  architektonisch  wichtige, 
übrigens  erst  wenig  aufgehellte  Frage.  Alberdingk  Thijrn:  De  Heilige 
Linie.  Amsterd.  1858.  H.  Otte  in  d.  Zeitschr.  f.  ehr.  Archäologie  und 
Kunst  I,  32  f.  Handbuch  5,  S.  11  ff.  H.  Nissen  im  Rhein.  Museum 
f.  Philologie  N.  F.  XXIX,  369  f.  —  Eine  genaue  Statistik  liegt  nur  über  die 
Kirchen  der  Stadt  Rom  vor.  Dieselbe  zeigt  sämtliche  Striche  der  Wind- 
rose vertreten.  Wir  erblicken  darin  eine  Nachwirkung  des  Ursprunges  aus 
dem  Privathause.  Seitdem  man  aber  in  die  Lage  kam  auf  freiem  Terrain 
zu  bauen,  machte  sich  eine  gewisse  Regel  geltend,  nämlich  dass,  ent- 
sprechend der  Regel  des  antiken  Tempels,  die  west-östliche  Lage  der 
Baulinie  erstrebt  wurde.  Doch  findet  sich  dieselbe  fast  nie  genau  inne- 
gehalten, sondern  es  zeigen  sich  mehr  oder  minder  starke  Deklinationen. 
Die  Frage  ist,  ob  die  letzteren  lediglich  durch  zufällige,  meist  wohl 
topographische,  Umstände  veranlasst?  oder  ob  sie  mit  Absicht  herbei- 
geführt sind  im  Interesse  einer  spezielleren  Symbolik?  Für  dieses  zweite 
entscheidet  sich  Nissen.  Der  christliche  Kirchenbau,  behauptet  er, 
hätte  die  im  Sonnenkultus  gründenden  Orientierungsprinzipien  vom 
heidnischen  Tempelbau  herübergenommen.  An  einer  langen,  übrigens 
vielfach  unsicheren,  Reihe  von  Beispielen  sucht  er  den  Nachweis  zu 
führen,  dass  der  Sonnenaufgang  entweder  am  Hauptfeste  der  betreffen- 
den Kirche  (Jahrestag  des  Märtyrers  oder  der  Kirchweihe)  oder  an 
den  Jahrespunkten  (Wintersolstiz  =  Weihnacht,  Frühlingsäquinoctium 
=  Christi  Empfängnis  oder  Ostern)  für  die  Orientierung  massgebend 
gewesen  sei.  Eine  interessante,  doch  bei  weitem  nicht  genügend  be- 
gründete Hypothese.  Wichtiger  für  unsern  Standpunkt  ist  die  andere 
Beobachtung,  dass  die  alten  Basiliken  Roms  den  Altar  und  Apsis 
meistenteils  an  das  westliche  Ende,  hingegen  diejenigen  Ravennas 
schon  so,  wie  es  im  Mittelalter  die  allgemeine  Regel  war,  nämlich  an 
das  östliche  disponieren.  Die  Bedeutung  dieser  Umdrehung  ist  nicht 
völlig  klargestellt.  Sie  scheint  in  der  orientalischen  Kirche  aufge- 
kommen zu  sein.  Die  erste  in  Rom  nach  der  neuen  Regel  orientierte 
Apsis,  im  Neubau  von  S.  Paul,  ist  bemerkenswerter  Weise  von  der  in 


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Erst«  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Ravenna  residierenden  Kaiserin  Galla  Placidia  erbaut;  desgleichen 
S.  Pietro  in  vincoli  von  der  Kaiserin  Eudoxia.  Uebrigens  dauert 
die  Freiheit  der  Orientierung  noch  lange  fort,  z.  B.  Sta.  Prasscde. 
saec.  9.,  NNW.  Für  das  architektonische  hat  der  in  Rede  stehende 
Wechsel  nur  eine,  allerdings  wichtige  Folge:  die  unten  näher  zu  be- 
sprechende Einführung  befensterter  Apsiden  anstatt  der  alten  lichtlosen. 

Betreten  wir  nun  den  gottesdienstlichen  Versammlungsraum  selbst, 
so  zeigt  sich  in  dessen  Grundplan  als  Fundamentalgesetz  die  Teilung 
in  ein  Hauptschiff  mit  begleitenden  Nebenschiffen  (wie  im  vorigen  Ab- 
schnitt näher  begründet  wurde).  Dabei  ist  die  Zahl  der  Schiffe  immer 
ungerade,  gewöhnlich  3,  seltener  5,  und  es  übertrifft  das  Mittel- 
schiff die  Seitenschiffe  stets  durch  ein  in  die  Augen  fallendes  Mehr 
an  Breite. 

Die  von  Vitruv  für  die  römische  Profan basilika  angegebene  Ver- 
hältniszahl der  Schiffe  von  1  : 3  wird  auch  in  den  christlichen  der 
saec  4  und  5  ziemlich  genau  innegehalten.  Im  Laufe  der  Jahrhunderte 
nimmt  dann  die  relative  Breitendimension  des  Hauptschiffes  (in  Ra- 
venna früher  wie  in  Rom)  allmählich  ab,  schliesslich  bis  zum  Ver- 
hältnis von  1  :  2,  doch  nie  darüber  hinaus.  Wollte  man  eine  grössere 
Gesamtbreite  des  Hauses  erreichen  ohne  Aufopferung  der  genannten 
für  die  Basilikenform  wesentlichen  Verhältniszahlen  und  zugleich  ohne 
allzu  gewaltige  (wegen  der  Deckbalken  kostspielige)  Steigerung  der 
Mittelschiffsbreite,  so  wählte  man  die  fünfschiff  ige  Anlage;  bei 
welcher  indes  die  Einschränkung  immer  bestehen  blieb,  dass  auch 
je  zwei  Seitenschiffe  zusammengenommen,  um  einen  erkennbaren  Grad 
enger  sein  mussten  wie  das  Hauptschiff. 

Wie  im  Vorhaus,  so  und  noch  mehr  ist  auch  wieder  im  Lang- 
haus die  der  Hauptaxe  folgende  architektonische  Grundrissteilung  von 
einer  anderen,  der  durch  Ritus  und  Disziplin  bedingten,  rechtwinklig 
durchkreuzt,  welche  mit  ihrem  reichhaltigen  Apparate  von  Schranken, 
Gittern,  Vorhängen,  die  grosse  perspektivische  Wirkung  des  Innern, 
wie  sich  nicht  anders  denken  lässt,  empfindlich  beeinträchtigt.  Für 
die  Architektur  indes  kommt  nur  der  allgemeinere  Gegensatz  von  Ge- 
meindehaus und  Priesterhaus  in  Betracht.  Ersteres  wird  durch  das 
Langhaus  (oratorium  laicorum,  quadratunt  populi) ,  letzteres  durch 
den  halbrunden  Ausbau  des  Apsis  (auch  concha,  tribuna,  exedra)  dar- 
gestellt. Diese  Disposition,  so  klar  und  ausdrucksvoll  als  sie  ist,  leistete 
dem  Ritus  thatsächlich  doch  kein  völliges  Genüge.  Für  die  Rolle,  die 
der  Klerus  im  Leben  wie  im  Gottesdienste  beanspruchte,  wurde  die 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


93 


Apsis  alsbald  eine  zu  beschränkte  Bühne,  auch  unzureichend,  die  Rang- 
verhältnisse der  Kleriker  untereinander  gehörig  kennbar  zu  machen. 
Gleichwohl  hat  man  eine  entsprechende  Umgestaltung  und  Erweiterung 
des  Grundplanes,  dank  dem  bald  nach  Konstantin  eintretenden  Still- 
stande aller  architektonischen  Ideen,  nicht  mehr  unternommen  (erst  das 
germanische  Mittelalter  gelangte  dazu),  sondern  genügte  sich  fort  und 
fort  mit  dem  allzeit  hilfreich  zur  Hand  liegenden  Mittel  der  Schranken- 
abteilung, welche  nach  Bedürfnis  ins  Langhaus  vorgerückt  wurde,  also 
dass  ein,  architektonisch  betrachtet,  dem  Gemeindehaus  gehörender 
Raumteil  rituell  dem  Priesterhaus  hinzuwuchs  (s.  Taf.  27,  Fig.  2). 

Abweichungen  von  der  halbkreisförmigen  Gestalt  der  Apsis  kommen 
an  deren  Innenseite  nie,  wohl  aber  zuweilen  an  der  Aussenseite  vor: 
1)  Maskierung  durch  rechtwinklige  Ummauerung,  im  Abend- 
lande selten;  2)  Polygonal  gebrochene  Aussenwand,  eine  der 
Besonderheiten  •  Ravennas,  gleich  den  übrigen  aus  Byzanz  entlehnt. 
3)  Auflösung  der  Mauern  durch  Arkaden,  die  gegen  einen  äusse- 
ren Umgang  sich  öffnen.  Einziges  erhaltenes  Beispiel :  die  kürzlich  aus- 
gegrabene Basilika  Severiana  in  Neapel  mit  drei  Arkaden  auf  zwei 
Säulen,  saec.  5  (Abb.  Bull,  crist.  1880)  ;  de  Rossi  weist  nach,  dass  auch 
die  alte  Apsis  von  Sta.  Maria  maggiore  in  Rom  (gleichfalls  saec.  5) 
so  gestaltet  gewesen;  vgl.  die  derselben  Zeit  angehörige  Lampe  der 
Sammlung  Basilewski  (Taf.  15,  Fig.  13);  ein  sogar  zweigeschossiger 
Umgang  in  der  seltsamen  kleinen  Kirche  Sto.  Stefano  zu  Verona,  in 
jetziger  Gestalt  etwa  saec.  11. 

Leichter  zu  vermeiden  war  der  bezeichnete  innere  Widerspruch, 
wenn  zwischen  Langhaus  und  Apsis  noch  ein  Qu  er  schiff  sich  ein- 
schob. Man  sollte  meinen,  dass  demnach  dieser  Raumteil,  dessen  Ge- 
brauch bis  in  die  ersten  Anfänge  der  christlichen  Basilikenarchitektur 
Italiens  hinaufreicht,  ständig  und  überall  in  das  Programm  des  Basiliken- 
planes aufgenommen  worden  wäre.  Allein  dies  ist,  wenigstens  während 
der  antik-christlichen  Periode,  nicht  eingetreten.  Noch  in  den  grösseren 
römischen  Basiliken  des  4.  und  5.  Jahrhunderts  fehlt  es  fast  nie,  wo- 
hingegen gerade  in  jüngerer  Zeit  es  eher  entbehrlich  gefunden  wurde. 
Umgekehrt  die  Monumente  der  ravennatischen  Gruppe  ermangeln  seiner 
durchweg;  ohne  Zweifel  eine  Wirkung  der  Beziehungen  zum  griechi- 
schen Ostreich.  Wie  die  anderen  Landschaften  Italiens  sich  verhielten, 
ist  genauer  nicht  mehr  zu  bestimmen.  Den  arianischen  Westgoten  in 
Spanien  scheint  das  QuerschirT  unbekannt  gewesen  zu  sein,  hinwider 
im  fränkischen  Gallien  war  es  viel  im  Gebrauch,  worin  man  eine  Frucht 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


der  Verbindung  mit  dem  römischen  Stuhle  zu  erkennen  hat.  —  In 
betreff  der  Form  des  Querschiffes  ist  zu  unterscheiden,  ob  es  mit 
seinen  Enden  über  die  seitlichen  Fluchtlinien  des  Langhauses  vortritt 
oder  denselben  sich  anschliesst.  Der  erstere  Modus  ist  im  ganzen  der 
weniger  häufige,  jedoch  gerade  Roms  Hauptkirchen,  der  Lateran, 
S.  Peter,  S.  Paul,  weisen  ihn  auf,  und  dies  mag  die  Ursache  sein, 
dass  die  nordischen  Pilger  das  Motiv  gerade  in  dieser  Ausprägung  auf- 
fassten  und  der  heimischen  Bauweise  aneigneten;  für  die  Fortent- 
wicklung der  Kirche  im  Mittelalter  ein  folgenreiches  Präzedenz.  —  Eine 
feste  Regel  für  die  Breite  des  Querschiffes  besteht  noch  nicht;  man 
kann  nur  sagen,  dass  es  hinter  derjenigen  des  Hauptschiffes  im  Lang- 
hause beinahe  immer  zurückbleibt 

Die  Bezeichnung  >TranssepU  für  das  Querschiff  der  christlich- 
antiken Zeit  sollte  lieber  vermieden  werden,  weil  hier  noch  keine 
wirkliche  Durchschneidung  vorliegt  wie  im  kreuzförmigen  Grundnss 
des  Mittelalters.  —  Bei  S.  Paul  in  Rom  beträgt  die  Ausladung  nicht 
mehr  als  die  zweifache  Mauerstärke,  erheblicher  ist  sie  im  Lateran 
und  S.  Peter.  Dass  die  Breite  diejenige  des  Mittelschiffes  übertrifft, 
kommt  nur  einmal  vor,  bei  S.  Paul.  —  Querschiffe  in  Gallien: 
Saint-Denis  (Taf.  43,  Fig.  1),  Montmartre,  Ste.  Genevieve;  bei 
den  zwei  in  der  Chronik  Gregors  beschriebenen  Basiliken  zu  Tours 
ungewiss.  S.  Trophime  in  Arles  (nach  Hübsch  saec.  7)  sicher  erst 
mittelalterlich.  —  Um  des  Gegensatzes  willen  interessant  ist  ein  Seiten- 
blick auf  die  Marienkirche  in  Bethlehem  (Taf.  17,  Fig.  7);  dass  das 
Langhaus  noch  der  Bau  Konstantins  sei,  finden  wir  ganz  glaublich, 
der  Quer-  und  Chorbau  dagegen  kann  nicht  älter  als  justinianisch  sein ; 
es  ist  ein  an  die  alte  Basilika  angehängter  Zentralbau,  und  deragemäss 
das  Transsept  mit  seinen  Apsidenschlüssen  zu  beurteilen. 

Die  Anlagen  ohne  Querschiff  besitzen  zuweilen  eine  ideelle  An- 
deutung des  letzteren  in  dem  durch  Querstufen  hervorgehobenen  Chor- 
raum. Immer  durch  Stufen  ausgezeichnet  ist  die  Apsis,  doch  nicht 
durch  mehr  als  zwei  oder  drei.  Wo  die  Ueberhöhung  sich  beträcht- 
licher erzeigt,  ist  jüngere  Umgestaltung  anzunehmen.  Der  durch  die 
Stufen  vom  Gemeindehause  abgesonderte  Teil  heisst  Bema,  Tribunal 
(von  der  forensischen  Basilika  entlehnte  Ausdrücke)  oder  sanetuartum, 
sacrarium,  presbyUrium,  locus  inter  cancellos,  zb  äSotov  (weil  unzugäng- 
lich für  die  Laien)  u.  s.  w.  Im  Scheitelpunkte  der  Apsis  mit  der 
Stirn  gegen  die  Gemeinde  steht  die  Kathcdra  des  Bischofs;  ihr  zu 
beiden  Seiten,  an  den  Halbkreis  der  Wand  sich  anschliessend,  die 
Bänke  (subsellia)  der  Priester;  alles  der  Rangordnung  gerecht  durch 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


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Stufen  gehörig  gesondert ;  davor  —  mathematisch  das  Zentrum  des 
Apsidenzirkels,  symbolisch  das  der  ganzen  Kirche  —  der  Altar. 

Die  an  Gestalt  und  Dienst  des  Altars  sich  knüpfenden  mannig- 
faltigen und  diffizilen  Fragen  mögen  den  Theologen  verbleiben;  uns 
hat  nur  seine  Bedeutung  für.  die  bauliche  Komposition  näher  anzugehen. 
Nebenaltäre  mit  besonderem  Weihetitel  kommen  in  der  That  schon  in 
der  altchristlichen  Periode  vor,  auf  die  Architektur  hat  aber  nur  der 
eine  Hauptaltar  Einfluss.  Er  ist  der  perspektivische  Richtpunkt,  die 
Seele  und  der  Gebieter  der  ganzen  Anlage,  in  allen  Epochen  der 
kirchlichen  Baugeschichte  der  stärkste  Anwalt  für  das  longitudinale 
Kompositionsprinzip  gegenüber  den  rein  künstlerischen  Reizen  des 
Zentralbaues.  Der  Altar,  als  Vereinigungspunkt  zwischen  Priester- 
schaft und  Volk,  muss  mit  seiner  einen  Seite  jener,  mit  der  andern 
diesem  zugewandt  sein.  Darum  ist  sein  Platz  am  Rande  des  Bema: 
also,  wenn  ein  QuerschifT  vorhanden,  unter  dem  vorderen  Triumph- 
bogen desselben ;  wenn  ein  solches  fehlt,  unter  dem  Bogen  der  Apsis, 
vorbehaltlich  leichter  Schwankungen  innerhalb  dieser  Grenzen.  Sodann 
erhält  er  ausser  nochmaliger  Umschränkung  und  Stufenpodium  ein 
eigenes  Gehäuse,  gleichsam  ein  kleines  Tempclchcn  im  grossen.  Vier 
im  Quadrat  aufgestellte  Säulen  tragen  einen  Baldachin,  der  im  Occident 
als  Giebeldach  (gewöhnlich  noch  ein  zweites  Geschoss,  von  Zwerg- 
säulen vermittelt),  im  Orient  als  Kuppel  gebildet  ist  (woher  der  Name 
Ciborium,  xtßtbptov  =  Becher).  Höchster  Luxus  an  edlen  Steinen  und 
Metallen  drängt  sich  auf  diesem  Punkt  zusammen.  Endlich  fehlen  nicht 
Vorhänge,  so  für  das  Sanktuarium  als  Ganzes,  wie  für  den  Altar  und 
die  bischöfliche  Kathedra  jedes  im  besonderen,  um  in  gewissen  Mo- 
menten der  Zeremonien  die  Abschliessung  des  im  Mysterium  des 
Opfers  gegenwärtigen  Gottes  und  seines  Priesters  vom  profanen  Volke 
zu  vollenden  —  ein  Abbild  der  Scheidung,  wie  die  Kirchenväter  sagen, 
von  Himmel  und  Erde.  —  Unterhalb  des  Bema  und  des  Altars,  also 
schon  im  Mittelschiff  des  Langhauses,  ist  der  Standort  der  niederen 
Geistlichkeit;  weil  diese  den  Sängerchor  bilden,  wird  der  Name  Chor 
auch  auf  ihren  Platz  übertragen  (nachmals  im  Mittelalter  in  verschobener 
Bedeutung  synonym  für  Sanktuarium  oder  Apsis).  —  Die  den  Sänger- 
chor vom  Presbyterium  oder  auch  das  ganze  Priesterhaus  vom  Laien- 
haus trennenden  Schranken  erheben  sich  zuweilen  zu  einer  wirklichen 
Säulenstellung  mit  verbindendem  Architrav  ungefähr  vergleichbar  der 
Ikonostasis  der  griechischen  Kirche  und  dem  Lettner  des  Mittelalters, 
aber  mit  keinem  von  beiden  genau  sich  deckend. 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Zu  den  in  die  Augen  fallenden  Ausstattungsstücken  gehört  weiter 
der  Ambo  oder  Bema  im  engeren  Sinn  (beide  von  ßouva>,  avaßottvco, 
wegen  der  hinaufführenden  Treppe).  In  ältester  Zeit  hatte  der  Bischof 
von  seinem  Stuhl  aus  die  Versammlung  überschaut  und  zu  ihr  ge- 
sprochen. Seit  der  Mitte  des  3.  Jahrhunderts  findet  sich  eine  eigene 
Rednerbühne,  eben  der  Ambo.  Je  mehr  dann  die  Dimensionen  des 
Kirchengebäudes  anwuchsen  und  je  komplizierter  die  Ausstattung  des 
Sanktuariums  wurde,  um  so  weiter  musste  der  Ambo  gegen  das  Ge- 
meindehaus vorgerückt  werden.  Ausser  zur  Predigt  diente  er  zu  den 
liturgischen  Lesungen  (daher  lectorium,  analogiam ,  pulpitum),  welche 
je  nach  der  Würde  des  Gegenstandes  von  einer  höheren  oder  niederen 
Stufe  herab  vorgenommen  wurden.  Endlich  kam  er  in  der  Zweizahl 
in  Gebrauch,  der  eine  für  die  Evangelien,  der  andere  niedrigere  und 
weniger  geschmückte  für  die  Episteln;  jener,  vom  Altar  gerechnet, 
rechts,  dieser  links. 

Annähernd  vollständige  Gesamtbilder  altchristlicher  Choranlage 
sind  erhalten  im  Dom  von  Torcello,  in  S.  Clemente  zu  Rom  (zwar 
erst  saec.  12  ausgeführt,  aber  wohl  in  genauer  Reproduktion  älterer 
Muster),  frühmittelalterlich  im  Bauplan  von  S.  Gallen,  im  Dom  von 
Salerno,  in  S.  Pietro  in  Toscanella,  in  S.  Miniato,  vgl.  Taf.  16,  27, 
28,  42,  67,  69,  72.  Für  die  einzelnen  Stücke  der  Ausstattung  lassen  sich 
indes  viel  ältere  Beispiele,  wie  sie  hier  und  dort  zerstreut  sind,  anziehen.  — 
Zunächst  ist  nicht  zu  vergessen,  dass  in  S.  Clemente  die  Anordnung,  im 
Vergleiche  zu  den  grossen  Kathedralkirchen  und  deren  viel  komplizier- 
teren Zeremonien,  noch  einfach  zu  nennen  ist.  So  sind  z.  B.  die  dort 
einfachen  Priestersubsellien  sonst  häufig  in  mehreren  Reihen  amphi- 
theatralisch  angeordnet;  als  antike  Parallele  vgl.  das  sog.  Auditorium 
des  Mäcenas  auf  dem  Esquilin.  Zuweilen  ist  für  den  Bischofsstuhl 
eine  kleine  Nische  eingebaut  (Sta.  Balbina,  SS.  Nereo  e  Achilleo  zu 
Rom),  gleichfalls  schon  dem  antiken  Profanbau  geläufig.  Wie  bei  allen 
Gelegenheiten,  wo  es  besondere  Auszeichnung  gilt,  werden  zu  den 
Bischofsstühlen  am  liebsten  antike  Spolien  verwendet:  so  zeigt  die  in 
der  vatikanischen  Basilika  aufbewahrte  berühmte  Kathedra  des 
h.  Petrus  18  elfenbeinerne  Reliefplatten  mit  den  Thaten  des  Herkules 
und  den  Zeichen  des  Tierkreises.  Selbständige  Arbeiten  der  christ- 
lichen Epoche:  die  Kathedra  des  h.  Maximian  im  Dom  von  Ra- 
ven na,  Holz  mit  Elfenbeinverkleidung,  saec.  6.  Aus  Stein  und  in 
sehr  einfachen  Formen:  in  S.  Giovanni  Evangelista  zu  Raven  na,  in 
S.  Ambrogio  zu  Mailand,  in  den  Domen  von  Torcello,  Parenzo, 
Grado,  letzteres  Exemplar  mit  steinernem  Baldachin,  Taf.  29,  Fig.  6. 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


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In  Rom  nichts  vor  saec.  12,  wohl  die  beiden  ältesten  in  S.  Clemente 
und  S.  Cesareo. 

Die  Stellung  des  Altars')  ist  in  S.  Paul,  Sta.  Maria  mag- 
giore  und  in  der  Lateranskirche  unter  dem  Triumphbogen  des 
Querschiffes ;  abweichend,  d.  i.  in  der  Apsis  im  S.  Peter,  wo  der 
Grund  wahrscheinlich  der,  dass  man,  um  bis  an  die  Ruhestätte  des 
Apostels  zu  gelangen,  einen  Teil  des  vatikanischen  Hügels  schon  jetzt 
abgraben  musste  und  nicht  auch  noch  mit  dem  ganzen  Querschiff  hin- 
einrücken wollte.  —  In  betreff  der  Gestalt  des  Altars  beschränken  wir 
uns  auf  eine  kurze  Bemerkung.  Die  aus  altchristlicher  Zeit,  sei  es  real, 
sei  es  im  Bilde,  uns  überlieferten  Beispiele  sind  immer  als  Tisch 
charakterisiert,  in  einer  Form,  welche  sich  von  der  profanen  in  nichts 
unterscheidet :  eine  Tafel,  getragen  von  einem  mittleren  oder  vier  Eck. 
pfosten,  oder  auch  auf  zwei  breiteren  Füssen,  Taf.  27,  29.  Dagegen 
finden  wir  für  die  Theorie,  dass  neben  der  Tischform  eine  zweite,  die 
sog.  Sargform,  als  ebenso  alte  in  Gebrauch  gewesen,  keinen  ausreichen- 
den Beweis;  welches  ja  auch  eine  leere  Tautologie  wäre,  da  der  wahre 
Sarg  des  Märtyrers  unter  dem  Altar  in  der  Confessio  stand.  Bei  ein 
paar  Darstellungen  auf  Mosaiken,  z.  B.  im  orthodoxen  Baptisterium  zu 
Ravenna,  die  man  vielleicht  dafür  anrufen  möchte,  zeigt  näheres  Zu- 
sehen, dass  die  geschlossenen  Seitenwändc  von  einer  herabhängenden 
gewebten  Decke  herrühren.  Erst  die  jüngere  Sitte,  die  Reliquien  dem 
Altar  selbst  einzuverleiben,  kann  die  geschlossenen  Seitenwände,  d.  i.  die 
in  Rede  stehende  Sargform  (manchmal  antike  Badewannen)  erzeugt 
haben;  eine  Kombination  von  Reliquienschrein  und  Tisch  im  Bapti- 
sterium zu  Ravenna,  saec.  6?,  Taf.  29,  Fig.  1.  —  Ciborien  oft  auf 
Reliefs  und  Mosaiken  abgebildet,  schon  über  heidnischen  Altären. 
Eines  der  ältesten,  freilich  nur  fragmentarisch  erhaltenen  Exemplare 
wird  dasjenige  in  der  Unterkirche  S.  Clemente  mit  der  Weiheinschrift 
des  Mercurius  (a.  514—25)  sein;  sonst  die  römischen  alle  jünger,  doch 
wohl  mit  Wiederholung  alter  Muster.  —  Das  Ciborium  über  dem  Haupt- 
altar des  S.  Peter,  gestiftet  von  Papst  Leo  III.,  war  aus  vergoldetem 
Silber  im  Gewichte  von  27041/*  Pfund;  in  der  Laterankirche  von 
1227  Pfund.  —  Auch  die  ältesten  Ambonen  sind  nic  ht  in  Rom,  sondern 
in  Ravenna  zu  suchen:  in  Sto.  Spirito  und  St.  Apollinare  nuovo, 
saec.  6,  im  Dom  und  in  SS.  Giovanni  e  Paolo,  etwa  saec.  8;  weiteres 
in  Grado,  Parenzo,  Torcello  etc.  Charakteristisch  für  ihre  Gestalt 
ist  der  halbrunde  Ausbau  der  Brüstung,  an  den  römischen  Denkmälern 
(erst  mit  saec.  12  beginnend)  unterscheidende  Auszeichnung  des  Evan- 


')  Das  grosse  Werk  von  Rohault  de  Fleury  :  La  messe  et  ses  monuments ,  Paris 
1883,  ist  uns  leider  bis  zur  Drucklegung  noch  nicht  zu  Händen  gekommen. 

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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil 


gelienambo  vor  dem  rechtwinklig  gebrüsteten  Kpistelambo.  —  Die  Säule  n- 
ste  llung  vor  dem  Presbyterium  der  vatikanischen  Basilika  (Taf.  18, 
Fig.  28)  muss  in  hohes  Alter  hinaufreichen,  da  schon  Papst  Gregor  III.  eine 
zweite  Reihe  hinzufügte;  nach  dem  Volksglauben  Reliquien  aus  dem 
Tempel  von  Jerusalem,  unzähligemal  von  Malern  verwertet.  Eine  ähn- 
liche Halle,  von  20  Säulen,  erhielt  durch  Papst  Leo  III.  (a.  795—816) 
die  Paulsbasilika,  von  uns  im  Grundriss  (Taf.  17)  vermutungsweise  ein- 
gezeichnet. Im  Mittelschiff:  Bas.  Ursiciana  zu  Ravenna  (Taf.  17).  Er- 
haltene Exemplare:  im  Dom  von  Torcello  (Taf.  28),  Sta.  Maria  in  valle 
bei  Cividale  (Dartein).  Besonders  gegen  Ende  unserer  Epoche  scheint 
die  in  Rede  stehende  Anordnung  sehr  verbreitet  gewesen  zu  sein ;  über 
die  karolingische  Basilika  zu  Michelstadt  vgl.  unt.  Buch  II;  mehrmals 
in  frühromanischen  Kirchen  Spaniens,  vielleicht  direkte  Reminiszenz 
aus  der  Westgotenzeit  (Taf.  75,  Fig.  4,  5);  Ikonostasis  nach  griechischer 
Weise,  d.  h.  eine  förmliche  Scheidewand,  in  der  Kirche  des  mit  griechi- 
schen Mönchen  besetzten  Klosters  S.  Sabba  zu  Rom.  —  Den  massen- 
haften Gebrauch  gewebter  Vorhänge  bezeugen  reichlichst  sowohl  die 
bildlichen  wie  die  Schriftqucllen.  Hier  nur  ein  paar  Beispiele.  Gregor  IV. 
stiftete  für  S.  Paul  ein  mit  Darstellungen  der  Verkündigung  und  der  Ge- 
burt geschmücktes,  vermutlich  zweiteiliges,  Velum,  das,  vom  Triumph- 
bogen herabhängend,  das  Mittelschiff  in  ganzer  Breite  abzusperren 
vermochte;  ausserdem  24  kleinere  Cortinen  für  das  Presbyterium.  Am 
Altartabernakel  von  S.  demente  sind  eiserne  Tragestangen  und  Ringe 
noch  gegenwärtig  sichtbar;  desgl.  in  der  Portalhalle  von  Sta.  Maria 
in  Cosmedin. 

Auf  weitere  Details  einzugehen  ist  nicht  Sache  dieses  Werkes.  Wer 
sich  einen  Begriff  machen  will  von  dem  mit  der  Zeit  anwachsenden  Ge- 
dränge der  Ausstattungsgegenständc  in  manchen  besonders  ehrwürdigen 
Kirchen,  möge  den  Plan  des  alten  S.  Peter  bei  Fontana  nachsehen. 

Noch  haben  wir  einen  Bauteil  nicht  betrachtet,  der  unscheinbar, 
ja  dem  Anblick  fast  ganz  entzogen,  für  das  christliche  Gemüt  bedeu- 
tungsvoller war  als  jeder  andere:  wir  meinen  das  Märtyrergrab. 
Die  diokletianische  Verfolgung  mit  ihrer  ungeheuren  religiösen  Span- 
nung und  ihren  erschütternden  Kontrasten  von  Schwäche  und  Todes- 
enthusiasmus erzeugten  die  unbegrenzte  Verherrlichung  des  Leidens  und 
seiner  Helden,  welche  in  dem  Religionswesen  der  nächsten  Jahrhunderte 
einen  hervorstechenden  Charakterzug  bildet.  Nicht  bezeichnender  konnte 
das  neue  Weltalter  sich  introduzieren  als  durch  Einrichtung  der  gross- 
artigen Triumphalkirchen  über  den  Gräbern  der  vornehmsten  Glaubens- 
zeugen. Demnächst  aber  wollten  auch  die  im  Innern  der  Städte  entweder 


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Dritt«  Kapitel :  Die  Basilika. 


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schon  vorhandenen  oder  neu  errichteten  Kirchen  so  teuerwerten  Schatzes 
nicht  entbehren,  es  begannen  die  seitdem  eine  so  grosse  Rolle  spielen- 
den Uebertragungen  heiliger  Gebeine  (in  Rom  seit  den  Gotenkriegen 
häufig).  Wie  das  Leiden  des  Bekenners  Nachfolge  des  Leidens  Christi 
ist,  so  wird  sein  Grab  in  nächste  Beziehung  zu  dem  Altar  gesetzt, 
auf  dem  sich  das  Opfer  Christi  täglich  erneuert.  —  In  baulicher  Hin- 
sicht ergiebt  sich  am  einfachsten  diese  Anordnung,  dass  die  Flur  der 
Kirche  in  gleiche  Ebene  mit  der  Decke  der  Grabkammer  (confessio, 
f Martyrium,  memoria)  zu  liegen  kommt,  und  dass  genau  über  dem  letz- 
teren der  Altar  seine  Stelle  erhält.  In  der  Regel  freilich  konnte  dies 
nur  um  den  Preis  mühsamer  Abgrabung  und  Ebnung  des  Terrains  er- 
reicht werden.  Z.  B.  die  Tribuna  des  alten  S.  Peter  lag  in  einer 
förmlichen  Aushöhlung  des  vatikanischen  Hügels  und  man  begreift  die 
häufigen  Klagen  des  Papstbuches  über  Beschädigung  der  Mauern  durch 
Wasseransammlung.  In  S.  Lorenzo  f.  1.  m.  liegt  der  Fussboden  3  Meter 
unter  dem  gegenwärtigen  Niveau  und  lag  noch  ein  gut  Stück  tiefer 
unter  dem  ursprünglichen.  Aehnlich  der  Ostbau  von  Sant'  Agnese. 
Trotz  solcher  Anstrengungen  war  es  häufig  nicht  einmal  möglich,  in 
der  oben  angegebenen  Weise  an  das  Cubiculum  heranzukommen,  in 
welchem  Falle  man  zwischen  die  Decke  des  letzteren  und  das  Podium 
des  Altars  noch  einen  Hohlraum  (so  im  S.  Peter)  einschob;  Stufen 
führten  zu  ihm  hinab  (catastasis),  eine  vergitterte  OefTnung  im  Boden 
(umbelicus,  fenestrella)  zeigte  den  Sarg  und  vermittelte  den  mystischen 
Verkehr  der  Gläubigen  mit  demselben  \  auch  ein  eigener  Altar  befand 
sich  da,  dem  noch  höhere  Würde  zuerkannt  wurde,  wie  dem  Hochaltar. 
—  Einfacher  stellt  sich  die  Sache,  wenn  das  Grab  nicht  das  ursprüng- 
liche, sondern  für  transferierte  Gebeine  neu  hergerichtet  war.  Dann 
wird  keine  oder  nur  eine  geringe  Vertiefung  angenommen  und  man 
beschaut  die  Confessio  durch  ein  Fenster  in  ihrer  senkrechten  vorderen 
Wand  (Taf.  29,  F.  2).  Endlich  verzichtet  man  auf  die  Confessio  wohl 
auch  ganz  und  macht  den  Altar  selbst  zum  Behälter  der  heiligen  Reste, 
wählt  einen  antiken  Sarkophag,  eine  Badewanne  oder  dergleichen  dazu, 
kurz:  giebt  ihm  im  Laufe  des  Mittelalters  mehr  und  mehr  die  ge- 
schlossene sogenannte  Sargform.  Ist  hiermit  der  Weg  angedeutet,  auf 
welchem  die  Märtyrergruft  allmählich  aus  dem  Bestände  der  Kirchen- 
architektur ausscheidet  —  was  konsequent  vom  gotischen  Stil  durch- 
geführt ist  —  so  tritt  vorher  noch  eine  Epoche  ein,  in  der  es  vielmehr 
erweitert,  in  der  die  Confessio  zu  einer  selbständigen  Unterkirche,  zur 
Krypta ,  ausgebildet  wird.    Diese  Entwicklung  beginnt  zwar  schon  im 


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letzten  Abschnitt  unserer  Epoche,  ist  aber  vorzüglich  charakteristisch 
erst  für  die  romanische  und  soll  bei  dieser  zusammenhängend  ab- 
gehandelt werden. 


4.  Der  innere  Aufbau. 

Der  Stil  der  christlichen  Basilika  ist  ein  abgeleiteter,  und  zwar 
ein  abgeleiteter  in  zweiter  Ordnung.  Wer  mit  dem  Massstabe  der 
originalen  hellenischen  Kunst  an  diese  Spätlingsschöpfung  herantritt, 
wird  umsonst  suchen  nach  dem,  was  die  Seele  jener  gewesen  war, 
nach  dem  Anklang  an  das  lebendige  Kräftespiel  der  Natur,  nach  der 
sinnbildlichen  Erläuterung  des  Struktiven  durch  das  Formale;  er  wird 
Klage  führen,  dass  die  Freiheiten,  auf  die  ein  abgeleiteter  Stil  recht 
hat  und  von  denen  schon  die  römische  Baukunst  reichlichsten  Ge- 
brauch gemacht  hatte,  hier  zur  Anarchie  entartet  seien ;  dass  das  eigent- 
lich Architektonische  auf  das  materiell  notwendige  Minimum  ein- 
geschränkt sei,  während  die  Dekoration  in  unbefugter  Selbständigkeit 
und  Breite  ihr  Wesen  treibe.  Trotz  alledem  entbehrt  die  Basiliken- 
architektur mit  nichten  eines  ausgesprochenen  Kunstprinzipes.  Das, 
worin  sich  für  diesen  Stil  alles  Interesse  konzentriert,  ist  das  per- 
spektivische Bild  für  das  dem  Altar  zugewandte  Auge,  erzeugt  in 
erster  Linie  durch  den  Raumeindruck  im  ganzen,  akkompagniert 
und  zu  individueller  Stimmung  abgetönt  durch  die  Lichtfuhrung  und 
den  farbigen  Ueberzug  aller  Flächen.  In  diesen  Stücken  bewährt  das 
künstlerische  Bewusstsein  noch  volle  Lebensenergie.  In  ihnen  werden 
einfach -grosse  Wirkungen  von  höchstem  Werte  nicht  nur  gewollt, 
sondern  auch  erreicht  1).  Es  ist  dasselbe,  was  mit  umfassenderem 
Programme  die  römische  Baukunst  von  jeher  angestrebt  hatte;  hier 
freilich  höchst  einseitig  und  wenig  wählerisch  in  den  Mitteln  durchge- 
führt; denn  diese  Spätzeit  weiss  von  den  beschränkenden  Rücksichten, 
deren  die  älteren  Jahrhunderte  gegenüber  den  Griechen  noch  sich 
schuldig  gefühlt  hatten,  nichts  mehr.  Der  christliche  Basilikenstil  be- 
thätigt  sich  wesentlich  als  Raumkunst;  das  ist  seine  Stärke  und  ist 
seine  Schwäche. 


*)  Die  Macht  und  zugleich  die  Grenze  dessen ,  was  die  Raumkategorie  allein  für 
sich  in  der  Gesamtheit  des  architektonisch  Schönen  vermag,  ist  nirgends  besser  zu  stu- 
dieren als  in  dem  Neubau  der  Paulsbaiil ika ,  wo  die  echte  alte  Bauform  mit  moderner, 
stil-  und  stimmungswidriger  Dekoration  eine  Missehe  hat  eingehen  müssen. 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


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In  vollem  Missverhältnis  zu  den  grossen  Intentionen  der  Raum- 
bildung steht  die  Gleichgültigkeit  oder  Resignation  in  bezug  auf  Dauer- 
haftigkeit des  Materials,  die  geringe  persönliche  Freude  an  tüchtiger 
Werkleistung  als  solcher,  der  Mangel  —  um  es  kurz  zu  sagen  —  an 
Monumentalität  In  der  heidnisch-antiken  Monumentalarchitektur  war 
der  möglichste  Ausschluss  vergänglicher  Materialien,  also  auch  des 
Holzes,  aus  dem  konstruktiven  Gefuge  erste  Bedingung  der  monumen- 
talen Würde  gewesen :  die  griechischen  Säulenordnungen  sind  durch  die 
Steinbalkendecke  bedingt;  nur  in  dem  für  die  künstlerische  Intention 
des  Tempels  weniger  wichtigen  Innern  wurden  Holzbalken  zugelassen ; 
reichlicheren  Gebrauch  vom  Holze,  altitalischen  Gewohnheiten  folgend, 
machen  die  Römer,  wiewohl  ihre  eigentlichsten  Wünsche  doch  erst  im 
Gewölbebau  sich  verwirklichen.  Die  Decke  der  christlichen  Kirchen- 
basilika hingegen  ist  grundsätzlich  und  immer  aus  Holz.  Durch  ihre 
historischen  Anfange  an  die  leichte  Konstruktionsweise  des  Privatbaues 
gewöhnt,  kommt  sie  über  diese  nie  mehr  hinaus,  auch  nicht  nachdem 
sie  sich  zu  den  Dimensionen  und  den  idealen  Ansprüchen  des  Monu- 
mentalbaues erhoben  hat.  Die  Versuche  der  Profanarchitektur,  das  basili- 
kale  Plan-  und  Querschnittschema  mit  gewölbter  Decke  zu  kombinieren 
(wovon  in  der  sog.  Konstantinsbasilika  zu  Rom  ein  hochbedeutendes 
Zeugnis  erhalten  ist),  fanden  in  der  kirchlichen  Baukunst  des  Abend- 
landes keine  Nachfolge.  Gewiss  nicht  ist  diese  Ablehnung  Folge  tech- 
nischen Unvermögens.  Es  fehlte  lediglich  der  Wille.  Die  Zeit  war 
geistig  zu  erschöpft  und  bewegungsscheu,  die  Macht  der  Tradition 
bereits  zu  stark,  um  ein  neues,  wiewohl  nicht  unvorbereitetes  Problem 
noch  auf  die  Tagesordnung  zu  setzen.  Zudem  hätte  auf  die  durch 
die  Holzdecke  ermöglichte  bequeme,  flüchtige  und  aufwandlose  Be- 
handlungsweise  der  stützenden  Teile  Verzicht  geleistet  werden  müssen. 
In  hohem  Grade  desorganisierend  wirkte  dann  der  Brauch,  alles  for- 
mierte Detail,  von  der  Säule  bis  herab  zur  kleinsten  Konsole,  geplün- 
derten antiken  Gebäuden  zu  entlehnen.  Das  eigene  Werk  der  christ- 
lichen Architekten  ist  allein  der  Mauerkörper.  Bei  seiner  Herstellung 
wird  die  leichte  Behandlungsweise,  welche  die  geringe  Last  der  hölzer- 
nen Decke  und  die  treffliche  Bindekraft  des  Puzzulanmörtels  gestatteten, 
bis  aufs  äusserste  ausgebeutet.  Der  Backstein  ist  das  bestimmende 
Material.  Wo  er  zu  haben  ist  —  und  er  ist  es  an  allen  wichtigen 
Stätten  der  altchristlichen  Bauthätigkeit  —  wird  er  allein  angewendet, 
nicht  mehr  durch  Haustein  verkleidet  wie  in  der  guten  römischen  Zeit, 
sondern  offen  zu  Tage  tretend.  In  Rom  und  überhaupt  in  den  meisten 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Gegenden  Italiens  geht  die  glänzend-solide  Steintechnik  der  Vorzeit  auf 
lange  Zeit  hinaus  verloren,  während  die  Kargheit  und  Flüchtigkeit  in 
der  Behandlung  des  Backstein werkes ,  schon  im  3.  Jahrhundert  ein- 
geleitet, nun  fortgesetzt  zunimmt.  Welche  Einbusse  der  Dauerhaftig- 
keit daraus  erwachsen  musste,  versteht  sich  von  selbst,  mag  auch  die- 
selbe einigermassen  wieder  aufgewogen  werden  durch  die  Leichtigkeit, 
mit  der  Beschädigungen  ergänzt,  ja  durchgreifende  Umbauten  ohne 
Preisgebung  der  alten  Werkstücke  vorgenommen  werden  konnten.  Ein 
Vorzug,  welchen  man  jedoch  kaum  sehr  wird  preisen  wollen.  In  ihm 
liegt  eine  der  Ursachen,  weshalb  die  Bauthätigkeit  der  Stadt  Rom  aus 
dem  immer  sich  wiederholenden  Kreislauf  von  Verfall  und  Restauration 
nicht  mehr  herauskam,  während  des  ganzen  Mittelalters  von  jeglichem 
aktiven  Anteil  an  der  kirchlichen  Architekturentwicklung  des  Abend- 
landes sich  ausschloss. 

Mit  einem  Worte  wenigstens  muss  hier  der  abweichenden  und  in 
den  Augen  vieler  noch  immer  massgebenden  Doktrinen  von  Hübsch 
gedacht  werden.  Es  ist  zu  beklagen,  dass  das  grossartig  angelegte 
und  mit  dem  hingebenden  Fleisse  der  Begeisterung  durchgeführte  Werk 
dieses  gelehrten  Architekten  der  kunstgeschichtlichen  Forschung  un- 
verhältnissmässig  geringen  Nutzen  gebracht,  ja  vielfach  sie  desorientiert 
und  auf  Irrwege  geführt  hat.  Dass  Hübschs  allgemeine  Doktrin  von 
vorgefassten  Meinungen  beeinflusst  ist,  erkennt  man  bald;  leider  ist 
unter  dem  Bann  der  letzteren  auch  sein  fachmännischer  Blick  in  der 
Detailbeobachtung  getrübt,  sein  Urteil  oft  zu  unbegreiflichen  Willkür- 
lichkeiten verführt.  In  betreff  des  Ursprunges  des  christlichen  Kirchen- 
baues teilt  Hübsch  in  vollem  Umfange  die  Ansichten  von  Zestermann 
und  Kreuser,  d.  h.  betrachtet  ihn  als  ureigene  und  autonome  Schöpfung. 
Der  antiken  Baukunst  ist  die  christliche,  nach  Hübsch,  technisch  sowohl 
als  künstlerisch  in  mehreren  Stücken  Uberlegen;  und  ihr  Verhältnis 
zu  den  nachfolgenden  Epochen  bezeichnet  er  dahin,  »dass  während 
des  ganzen  Mittelalters  kaum  ein  neues  Motiv  für  den 
eigentlichen  Kirchenbau  weiter  erfunden  wurde  —  mit  Aus- 
nahme der  demselben  mehr  organisch  einverleibten  Stellung  der 
Glockentürme.c  U.  a.  soll  die  altchristliche  Baukunst  auch  schon 
vollkommen  durchgeführte  Gewölbebasiliken  besessen  haben.  Alle 
von  Hübsch  für  diese  Behauptung  angeführten  Belege  beruhen  ent- 
weder auf  evident  falscher  Datierung  oder  noch  häufiger  auf  aus  der 
Luft  gegriffener  Restauration.  Nur  einige  Fälle  eingewölbter  Seiten- 
schiffe (so  bei  St.  Agnese  f.  1.  m.,  Sta.  Croce  in  Jerusalemme,  S.  Pietro 
in  vincoli,  S.  Crocifisso  bei  Spoleto  etc.)  sind  so  beschaffen,  dass  der 
altchristliche  Ursprung  wenigstens  auf  den  ersten  Blick  noch  als  mög- 


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Drittes  Kapitel :  Die  Basilika. 


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lieh  erscheint.  Genaue  bautechnische  Untersuchung,  die  erst  nach 
Wegräuraung  des  Stuckes  möglich  wäre,  ist  noch  nicht  vorgenommen 
worden.  Doch  zeigt  schon  die  äussere  Form,  dass  hier  überall  j  üngere 
Einschiebsel  vorliegen.  Wann  dieselben  vorgenommen,  kann  nicht 
näher  bestimmt  werden,  da  sämtliche  in  Frage  kommenden  Monu- 
mente eine  ganze  Folge  von  Restaurationen  erlebt  haben;  man  kann 
nur  sagen,  dass  die  allgemeine  Präsumption  durchaus  erst  fürs  Mittel- 
alter spricht. 

Beginnen  wir  nun  die  analytische  Betrachtung  des  Systems. 

Die  Proportionen  des  Auf  baus  charakterisieren  sich,  verglichen  mit 
den  im  Mittelalter  üblichen,  durch  stärkere  Accentuirung  der  Breiten- 
dimension des  Hauptschiffes.  Und  zwar  nicht  bloss  im  Verhältnis  zur 
Breite  der  Seitenschiffe,  sondern  noch  auffälliger  im  Verhältnis  zur 
eigenen  Höhe.  Die  römischen  Basiliken  des  4.  bis  9.  Jahrhunderts 
zeigen  im  Vergleiche  der  beiden  Linien  einen  Höhenüberschuss  von 
l,%  oder  '9,  mitunter  sogar  noch  weniger,  und  niemals  mehr  wie  Y7 ; 
die  ravennatischen  dagegen  schon  im  6.  Jahrhundert  *:»  bis  */7.  Unter 
allen  Verhältniszahlen  ist  im  basilikalen  Schema  diese  die  für  den 
Raumeindruck  wichtigste,  wogegen  die  Höhendimension  der  Seiten- 
schiffe weniger  in  Betracht  kommt,  da  sie  mit  derjenigen  des  Mittel- 
schiffes niemals  gleichzeitig  vom  Betrachter  aufgefasst  wird.  Das  näm- 
liche gilt  vom  Querschiff.  In  der  Regel  ist  dessen  Höhe  jener  des 
Mittelschiffes  gleich,  zuweilen  auch  ein  wenig  geringer. 

Die  seitlichen  Wände  des  Hauptschiffes  sind  in  ihrer  untern  Hälfte 
behufs  Kommunikation  mit  den  Seitenschiffen  in  Freistützen  aufgelöst. 
In  solchem  Falle  hatte  die  römische  Architektur  der  älteren  Zeit  die 
Bedeutung  der  Stütze  als  Ersatz  der  Mauer  deutlich  hervortreten  lassen, 
indem  sie  ihr  Pfeilergestalt  gab.  Von  dieser  Regel  nun  sagt  sich  die 
christliche  Epoche  vollständig  los :  sie  verwendet  den  Pfeiler  bloss  aus- 
nahmsweise und  mit  deutlicher  Geringschätzung:  ihr  eigentliches  Aus- 
drucksmittel ist  stets  und  ständig  die  Säule.  Strenge  Stilisten  haben 
hierin  etwas  bemerkenswert  Unantikes  finden  wollen.  Man  sage  lieber,  und 
die  Kritik  trifft  dann  zu:  etwas  Ungriechisches.  Denn  es  ist  nicht  zu 
verkennen,  dass  hiermit  die  christliche  Architektur  nur  einer  Neigung 
freies  Spiel  Hess,  durch  welche  von  jeher  der  römische  Baugeist  vom 
griechischen  sich  unterschieden  hatte,  —  der  Neigung,  das  die  Struktur 
Bestimmende  mehr  im  materiellen  Bedürfnis  als  in  logischer  Strenge 
der  Formensymbolik  zu  suchen.  Was  fortgesetzt  zu  gunsten  der  Säule 
sprach,  ist  klar  genug :  die  lichtere  Durchsicht  in  die  Seitenschiffe,  das 


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Wohlgefallen  an  der  geschmückteren  Gestalt  und  dem  glänzenderen 
Material,  endlich  nicht  an  letzter  Stelle  die  Gelegenheit,  ohne  Mühe  und 
Kosten  aus  verödeten  heidnischen  Gebäuden  sie  herüberzunehmen. 

War  aber  einmal  der  funktionelle  Unterschied  von  Pfeiler  und 
Säule  verwischt,  so  that  die  christliche  Architektur  ganz  recht,  dass 
sie  nun  auch  ohne  Beschränkung  diese  die  Rechtsnachfolgerin  jener 
werden  Hess.  Dahin  gehört  obenan  die  Verbindung  der  Säule 
mit  dem  Bogen.  So  umvidersprechlich  es  richtig  ist,  dass  der  als 
Säule  gestaltete  Träger,  wenigstens  so  wie  die  antiken  Ordnungen  ihn 
ausgebildet  hatten,  auf  eine  horizontal  ausgebreitete  Last  hinweist:  so 
gewiss  ist  auf  der  andern  Seite,  dass  die  streng  genommen  unlogische 
Kombination  mit  der  aufsteigenden  Linie  des  Bogens  nicht  erst  durch 
den  christlichen  Kirchenbau  eingeführt  ist,  sondern  dass  dieser  ledig- 
lich einem  gegen  Ende  des  3.  Jahrhunderts  allgemein  werdenden  Um- 
schwünge des  Stilgefühls  sich  anschliesst.  (Bekanntestes  Beispiel: 
Diokletians  Palast  in  Spalato.)  Die  von  Bauteil  zu  Bauteil  fortschrei- 
tende Verdrängung  der  Geraden  und  des  rechten  Winkels  durch  die 
Bogenlinie  —  im  Grundriss  reichliche  Verwendung  halbrunder  Exedren, 
im  Aufbau  Bogenthüren,  Bogenfenster  etc.  —  ist  nur  ein  folgerichtiges 
Ergebnis  der  von  den  Römern  der  Gewölbekonstruktion  erteilten  Macht- 
stellung, welche  nun  auch  das  flachgcdcckte  System  in  ihre  Konse- 
quenzen hineinzieht.  An  Orten,  wo  in  grosser  Menge  Denkmäler  aus 
der  klassischen  Epoche  das  Auge  in  der  Gewöhnung  an  den  gerad- 
linigen Architravbau  erhielten,  blieb  dieser  eine  Zeitlang  noch  neben 
der  Archivolte  in  Ucbung,  in  andern  Gegenden  aber  siegte  die  letztere 
schnell.  So  ist  schon  in  Ravenna  der  Bogen  ausschliesslich  in  Geltung. 
In  Rom  haben  vielleicht  noch  die  meisten  Kirchen  des  4.  Jahrhunderts 
das  gerade  Gebälk  gehabt;  sporadisch  kommt  es  noch  bis  ins  9.  Jahr- 
hundert vor  und  wird  wieder  in  der  Restaurationsepoche  des  12.  und 
13.  geradezu  vorwaltend. 

Ueber  dem  mit  einem  Gesimse  abschliessenden  Kolonnadengeschoss 
erhebt  sich  die  Obermauer  ohne  jegliche  architektonische  Gliederung 
als  die  durch  die  Fenstereinschnitte  von  selbst  gegebene.  Was  man 
weiter  zu  ihrer  Belebung  noch  verlangte,  wurde  der  malerischen  Dekora- 
tion zu  thun  überlassen. 

Von  Pfeilerbasiliken  besinnen  wir  uns  in  Italien  nur  auf  zwei 
Beispiele:  Sta.  Sinforosa,  neun  Miglien  von  Rom  an  der  Via  Tiburtina, 
und  die  (ältere)  Basilika  des  H.  Felix  in  der  Beschreibung  des  Paulinus 
von  Nola;  S.  Vittore  in  Ravenna,  von  Hübsch  saec.  6  angesetzt, 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


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dürfte  mittelalterlich  sein.  Selbstverständlich  ist  die  Anwendung  des 
Pfeilers,  wenn  auch  auf  anspruchslosere  Bauten  beschränkt,  eine  häufigere 
gewesen.  Die  achteckigen  Pfeiler  in  SS.  Nereo  e  Achilleo  zu  Rom 
können  nicht  älter  sein  als  die  Restauration  des  saec.  13,  ja  vielleicht 
erst  saec.  16.  In  SS.  Vincenzo  e  Anastasio  alle  tre  Frotane 
gleichfalls  erst  aus  einem  (welchem?)  der  mehrfachen  mittelalterlichen 
Umbauten.  Wirkliche  Pfeiler  dagegen  in  den  im  Untergeschoss  offenen 
profanen  Basiliken  Sta.  Croce  und  St.  Andrea  in  Barbara  (vgl.  die 
Grundrisse  Taf.  15,  Fig.  10,  12).  —  Der  Wechsel  von  Pfeilern  und 
Säulen  ist  eine  seltene  und  consequenzlose  Erscheinung.  In  bewusstcr 
künstlerischer  Absicht  zuweilen  in  Griechenland :  frühes  Beispiel  S.  De- 
metrios  in  Thessalonica  (saec.  5—6)  wo  die  3X3  Säulen  jedesmal  von 
einem  Pfeiler  unterbrochen  werden.  Aehnlich  die  der  Schola  Graeca  ge- 
hörige Kirche  Sta.  Maria  in  Cosmedin  zu  Rom  (Taf.  16,  Fig.  9).  Die 
Unregelmässigkeit  der  Intervalle  bezeugt  nachträgliche  Mutation.  Hier 
dienen  die  Pfeiler  zur  Markierung  der  rituellen  Abteilungen  (Presby- 
terium  —  Sängerchor  —  Oratorium  Populi) ;  das  Gleiche  ist  der  Zweck 
des  einen  Pfeilers  in  S.  C lerne nte,  und  vermutlich  überall,  wo  diese 
Anlage  im  Mittelalter  sonst  noch  begegnet,  z.  B.  S.  Maria  fuoreivitas  in 
Lucca  (Taf.  67,  Fig.  4).  —  Eine  andere  Bedeutung  haben  die  oftgenannten 
Pfeiler  von  Sta.  Prassede  (Taf.  16,  Fig.  1  und  Taf.  45,  Fig.  1). 
Sie  sind  im  Grundriss  quer  gestellt  und  tragen  kräftige  Kragsteine, 
von  welchen  aas  Gurtbögen  sich  über  das  breite  Mittelschiff  spannen 
—  zweifellos  (wie  u.  a.  die  Stellung  der  jetzt  vermauerten ,  aber  von 
aussen  noch  erkennbaren  alten  Fenster  beweist)  später  eingebaute  Not- 
stützen ;  über  den  baugeschichtlichen  Zusammenhang  vgl.  Buch  II,  Kap.  1. 

Proportionen.  Die  Höhe  des  Architravs,  beziehungsweise  der 
Arkadenöffnungen  steht  zur  Gesamthöhe  des  Mittelschiffes  in  einem 
nur  wenig  schwankenden  Verhältnis.  Beispiele  aus  Rom:  Sta.  Maria 
maggiore  4,44  :  10;  Sta.  Sabina  4,5  :  10;  S.  Paolo  4,1  :  10;  aus 
Ravenna:  St.  Apollinare  nuovo  5,2:10;  St.  Apollinare  in  Classe 
4,3 :  10.  Zwischen  diesen  Zahlen  und  den  oben  S.  103  für  das  Ver- 
hältnis der  Gesamthöhe  zur  Breite  angegebenen  besteht,  wie  man 
sieht,  eine  feste  Korrespondenz.  —  Für  die  Interkolumnien  giebt  es 
einen  festen  Kanon  nicht  mehr.  In  den  älteren  Monumenten  bleibt  ihre 
Proportion  der  traditionellen  der  römischen  Baukunst  noch  ziemlich 
nah,  aber  je  mehr  der  Vorrat  verfügbarer  antiker  Säulen  zusammen- 
schmilzt, um  so  mehr  nehmen  die  Intervalle  zu,  und  relativ  gross  sind 
sie  von  Anfang  an  in  Ravenna,  wo  die  Säulen  neu  gearbeitet  wurden. 
Bei  fünfschiffigen  Anlagen  wurden  ohne  Anstoss  die  äusseren  Ko- 
lonnaden niedriger  angenommen:  S.  Peter,  S.  Paul;  in  der  La- 
teranskirche (saec.  9)  sind  nicht  einmal  die  Interkolumnien  der 


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lo6  Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 

äusseren  Reihen  denen  der  inneren  gleich  —  eine  erstaunliche  Stumpf- 
heit des  Symmetriegefuhls.  Weiter  wird  mit  der  Zeit  auch  die  Gleich- 
artigkeit der  Säulen  innerhalb  einer  und  derselben  Reihe  preisgegeben, 
zeigt  sich  regelloser  Wechsel  von  Säulen  nicht  nur  verschiedener 
Ordnung,  sondern  auch  verschiedener  Grösse  und  verschiedenen  Ma- 
teriales,  wird  von  den  zu  hohen  ein  Stück  abgeschlagen  oder  eingegraben, 
werden  die  zu  kurzen  auf  Sockel  gestellt  oder  mit  Kämpfern  ausgerüstet. 
Schliesslich  haben  die  Restauratoren  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  nach 
ihrer  Weise,  durch  Abmeisselung  oder  Stucküberzug,  die  Disharmonie 
wieder  gut  zu  machen  gesucht.  In  manchen  Kirchen,  z.  B.  Sta.  Maria 
in  Trastevere,  Sta.  Maria  in  Araceli,  sieht  man  noch  heute  ergötzliche 
Musterkarten  jener  naiven  Buntheit. 

Von  den  Basiliken  des  saec.  4,  soweit  sie  noch  relativ  unversehrt 
sind,  haben  über  den  Säulen  gerades  Gebälk:  Sta.  Maria  maggiore. 
S.  Lorenzo  f.  1.  m.  (im  Erdgeschoss) ,  S.  demente  Unterkirche  (?), 
S.  Pietro  in  Vaticano  (nur  im  Mittelschiff,  während  zwischen  den 
Seitenschiffen  Archivolten) ;  durchweg  Bogen  allein  die  ravennatisch 
beeinflusste  Paulskirche.  Ausserhalb  Roms  findet  sich  gerades  Gebälk 
gar  nicht,  in  Rom  noch  in  S.  Martino  ai  Monti  saec.  6,  Sta.  Prassede 
saec.  9.  Bemerkenswerte  Vorliebe  für  den  Architravbau  wieder  in  der 
Restaurationsepoche  saec.  12  und  13:  S.  Crisogono,  S.  Lorenzo 
Vorderkirche,  Sta.  Maria  in  Trastevere  und  in  den  sämtlichen  zahl- 
reichen Vorhallen  aus  dieser  Zeit.  Zur  Konstruktion  bemerken  wir  noch, 
dass  behufs  Verteilung  des  Druckes  über  den  Architraven  von  Säulen- 
axe  zu  Säulenaxe  Flachbögen  gesprengt  zu  sein  pflegen,  die  jedoch  durch 
die  Dekoration  dem  Anblick  verhehlt  werden.  Ein  Idiotismus  des 
Bischofsitzes  von  Narni  ist  die  Verwendung  dieser  Flachbögen  auf 
ihren  zwischenliegenden  Architrav;  Vorhalle  der  Pensola,  Hauptschiff 
des  Doms  (Taf.  71,  Fig.  1). 

Erschien  uns  schon  bei  Betrachtung  des  Grundrisses  als  Seele  und 
Beherrscher  des  Gebäudes  der  Altar,  so  klingt  dessen  Macht  noch  viel 
vernehmlicher  aus  dem  Aufbau  uns  entgegen.  Für  den  in  der  Mittel- 
axe des  Hauptschiffes  stehenden  Beschauer  deckt  sich  der  Altar  genau 
mit  dem  perspektivischen  Verschwindungspunkte  der  grossen  Horizontal- 
linien. Auf  seinen  Ort,  auch  wenn  er  selbst  hinter  Gittern  und  Tüchern 
verborgen  sein  sollte,  wird  der  Blick  mit  Notwendigkeit  hingelenkt 
Hier  ist  es,  wo  der  scheinbar  in  immer  kürzer  werdenden  Intervallen 
vorwärts  eilende  Rhythmus  der  Säulen  und  Bogen  stille  steht,  wo 
dieser  zweigeteilte  Bewegungsstrom  sich  gleichsam  aufstaut  und  empor- 
steigt, um  in  der  Halbkreislinie  der  Apsidenwölbung  sich  zu  vereinigen  — 
ein  Finale  von  unvergleichlich  einfacher,  ruhiger,  majestätischer  Wirkung. 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basüika. 


IO7 


Immer  erscheint  dem  Auge  das  Sanktuarium,  obgleich  nach  der  Grund- 
fläche berechnet  nur  ein  kleiner  Bruchteil  des  Ganzen,  als  der  be- 
herrschende Hauptaccent  des  Bildes. 

Ist  die  Tribuna  durch  ein  Querschiff  vom  Langhause  getrennt,  so 
wird  dem  Bogenmotiv  Vervielfältigung  zu  Teil,  d.  h.  die  mit  dem 
Langhaus  zusammenstossende  Wand  des  Querschiffs  wird  in  weiten 
Bögen  gegen  jenes  geöffnet,  ebenso  vielen  als  es  Schiffe  besitzt.  Den 
ins  Hauptschiff  fuhrenden  pflegt  man,  mit  einem  Terminus  von  an- 
scheinend erst  modernem  Ursprünge,  Triumphbogen  zu  nennen. 
Alles  Nähere  wird  aus  unsern  Abbildungen  genügend  ersichtlich. 

Von  der  Decke  wurde  bereits  gesagt,  dass  sie,  ausgenommen  das 
halbe  Kuppelgewölbe  der  Apsis,  durchaus  von  Holz  gezimmert  war. 
Und  zwar  war  beides  nebeneinander  im  Gebrauch:  die  Vertäfelung 
nach  Art  der  antiken  Kassettendecken  und  das  offene  Zutagetreten  der 
Dachrüstung.  Einige,  zwar  nicht  mehr  aus  altchristlicher  Zeit,  doch  aus 
dem  Mittelalter  erhaltene  Beispiele  liefern  den  Beweis,  dass  auch  die 
letztere  Form  einer  echten  künstlerischen  Behandlung  fähig  ist. 

Nicht  richtig  ist,  dass  in  den  älteren  christlichen  Jahrhunderten  allein 
die  Felderdecken  in  Uebung  gewesen  seien  und  erst  die  Armut  der 
späteren  Zeiten  ihrer  sich  entwöhnt  habe,  vielmehr  sind  offene  Dach- 
stühle zu  keiner  Zeit  bei  den  Römern  verschmäht  gewesen ;  s.  Vitruvs 
Basilika  zu  Fanum;  dann  die  Basilika  zu  Tyrus  und  die  älteste 
Peterskirche,  andererseits  hat  S.  Paul  noch  im  9.  Jahrhundert  eine 
neue  Lacunariendecke  erhalten ;  auf  eine  solche  weisen  vermutlich  auch 
das  mehrfach  vorkommende  Namensepitheton  »in  coelo  aureo«.  Haben 
nicht  vielleicht  einige  solcher  Decken  bis  ins  15.  Jahrhundert  sich  er- 
halten und  den  Renaissancekünstlern  zum  Muster  gedient? 

Als  eine  Gruppe  für  sich,  nicht  nur  durch  die  Bauform,  sondern 
auch  nach  ihrer  chronologischen  Begrenzung,  zeigen  sich  die  Basiliken- 
anlagen mit  Langseitsemporen.  Diese  der  forensischen  Basilika 
sehr  geläufige  Anordnung  ist  der  ecclesialen  ursprünglich  fremd.  Vom 
Occident  kann  dies  mit  Bestimmtheit  behauptet  werden ;  nicht  so  sicher 
vom  griechisch-orientalischen  Gebiet,  wiewohl  auch  hier,  nach  Ausweis 
der  syrischen  und  palästinensischen  Monumente  des  4.  und  5.  Jahr- 
hunderts die  eingeschossigen  Anlagen  die  gewöhnlichen  gewesen  zu 
sein  scheinen.  Im  Laufe  des  6.  Jahrhunderts  dagegen  werden  in  der 
Bausitte  der  griechischen  Kirche  die  Emporen  zur  Regel,  wohl  nicht 
allein  aber  am  stärksten  bedingt  durch  die  hier  mit  noch  grösserer 
Strenge  als  im  Abendlande  durchgeführte  Scheidung  der  Geschlechter. 


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Erstes  Buch :  Der  christlich-antike  Stil. 


Der  Bautypus  Ravennas,  sonst  so  vielfaltig  mit  griechischen  Ingre- 
dienzien durchsetzt,  hat  die  Emporen  jedoch  nicht  adoptiert.  Dagegen 
kam  für  Rom  eine  Periode ,  in  der  es  sich  damit  noch  befreunden 
lernte.  Sie  dauert,  einer  unzweideutig  byzantinisierenden  Richtung  der 
dekorativen  Künste  parallel  laufend,  vom  letzten  Viertel  des  6.  bis  ins 
erste  des  9.  Jahrhunderts;  d.  i.  gerade  so  lange  wie  die  mehr  durch 
die  Not  barbarischer  Angriffe  als  durch  eigne  Neigung  bestimmte  Ab- 
hängigkeit des  römischen  Stuhles  vom  Kaiserhofe  in  Byzanz. 

Das  früheste  datierte  Beispiel  und  wahrscheinlich  früheste  über- 
haupt giebt  S.  Loren  zo  f.  1.  m.f  erbaut  von  Papst  Pelagius  II.  (a.  578 — 90; 
nach  der  Besetzung  der  Stadt  durch  die  Griechen.  Das  Säulen-  und 
Architravmaterial  des  Erdgeschosses  sowie  der  Grundplan  werden  wohl 
noch  vom  Baue  Sixtus  III.  (a.  432 — 440)  herrühren;  die  Kämpferwürfel 
über  den  Säulen  der  Emporen  bezeugen  aber  ebenso  zweifellos  wie 
das  Triumphbogenraosaik  den  Einfluss  von  Byzanz.  Dann  folgt  Sant 
Agnese  f.  1.  m.  (635 — 38),  sehr  ähnlich  disponiert  und  gleichfalls  mit 
Kämpferwürfeln.  Die  harmonische  Eingliederung  des  neuen  Motives 
in  die  Gesamtproportionen  ist  in  beiden  Fällen  nicht  recht  geglückt: 
übel  namentlich  die  hohe  Mauerfläche  über  dem  Apsidenbogen.  Die 
erst  in  unserem  Jahrhundert  beseitigten  Langschiffemporen  in  Sta.  Ce- 
cilia  in  Trastevere  stammen  von  Papst  Paschalis  (a.  817 — 24);  von 
demselben  (?)  die  Querschiffemporen  in  Sta.  Prassede.  Weitere  teils 
ganz,  teils  in  Spuren  vorhandene  Emporen :  in  S.  Pietro  in  vincoli  (?) 
und  SS.  Quattro  Coronati  zu  Rom,  Sta.  Maria  maggiore  zu  Capua;  — 
in  betreff  deren  Datierung  hat  man  die  Wahl  zwischen  verschiedenen 
Restaurationsperioden  von  saec.  7 — 9. 

Schliesslich  ist  noch  der  zweite  grosse  Faktor  des  architektonisch 
Schönen,  die  Beleuchtung,  in  Betracht  zu  ziehen.  Die  altchristliche 
Architektur  ist  eine  in  hohem  Grade  dem  Licht  freundlich  gestimmte. 
In  bezug  auf  die  Verteilung  dieses  Elementes  aber  herrschen  nicht  un- 
beträchtlich verschiedene  Grundsätze  in  der  römischen  und  der  raven- 
natischen  Baugruppe.  Im  allgemeinen  gilt,  dass  die  römische  Basilika 
allein  die  Hochwände  des  Mittelschiffs  mit  Fenstern  versieht,  die  raven- 
natischc  ausserdem  noch  die  Seitenschiffe  und  die  Apsis.  In  der  ersteren 
Anlage  erkennen  wir  eine  Vererbungsform  aus  dem  Privathause  wieder 
und  unbestreitbar  giebt  sie  die  schönere  und  feierlichere  Wirkung ;  sie 
charakterisiert  nachdrücklicher  den  Raum  als  einen  geschlossenen,  sie 
sondert  ruhiger  voneinander  die  belichteten  und  beschatteten  Massen. 
Vielleicht  noch  fühlbarer  als  durch  die  dunkeln  Seitenschiffe  wird  der 
Unterschied  der  römischen  Basiliken  von  den  ravennatischen  durch  die 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


IO9 


dunkle  Apsis.  Die  Art,  wie  die  schimmernde  Pracht  des  Altartaber- 
nakels von  der  farbigen  und  goldenen  Dämmerung  der  Tribuna  sich 
abhebt,  mutet  uns  an,  wie  eine  Erinnerung  an  das  Götterbild  der 
Tempelcella,  —  die  polygone  Apsis  Ravennas  mit  ihrem  scharf  und 
streifig  einfallenden  Sonnenlicht  wie  die  frühe  Vorahnung  eines  gotischen 
Chors.  Indessen  darf  nicht  übersehen  werden,  dass  an  diesem  Unter- 
schiede das  ästhetische  Bewusstsein  keineswegs  alleinigen  Anteil  hat: 
er  entspringt  zuerst  aus  dem  liturgischen  Unterschiede,  dass  die  römi- 
schen Basiliken,  wenigstens  die  massgebenden  älteren,  immer  gegen 
Abend,  die  ravennatischen  gegen  Sonnenaufgang  orientiert  sind. 

Was  die  Axenstellung  der  Fenster  betrifft,  so  ist  Regel,  dass  auf 
jedes  Intercolumnium  des  Untergeschosses  ein  Fenster  in  die  Hochwand 
kommt Die  Zahl  der  Fenster  ist  also  eine  sehr  grosse,  und  zwar 
um  so  grösser,  je  höher  hinauf  die  Entstehungszeit  der  Kirche  reicht, 
weil  dies  gleichbedeutend  mit  der  grosseren  Dichtigkeit  der  Säulcn- 
stellung  ist. 

Die  Restaurationen  des  16.  bis  18.  Jahrhunderts  pflegten  von  den 
alten  Fenstern  die  Hälfte  oder  Zweidrittel  zuzumauern;  die  ursprüng- 
liche Beschaffenheit  häufig  noch  an  der  Aussenwand  zu  erkennen, 
z.  B.  Sta.  Maria  maggiore,  S.  Lorenzo  in  Lucina,  Sta.  Prassede.  Die 
Fensterlosigkeit  der  Seitenschiffe  ist  bezeichnenderweise  nicht  bloss 
den  Basiliken  der  Innenstadt  Rom,  sondern  auch  den  vor  den  Thoren 
liegenden,  wie  S.  Lorenzo  und  St'.  Agnese,  eigen.  Auch  die  Ab- 
bildungen der  Peterskirche  zeigen  an  dieser  Stelle  nur  wenige,  offen- 
bar erst  später  eingebrochene.  Eine  Ausnahme  machte  S.  Paul,  doch 
auch  nur  vielleicht;  die  vor  dem  letzten  Brande  sichtbaren  Seiten- 
schiffsfenster  waren  gotisch ;  immerhin  könnten  schon  ursprünglich  solche 
vorhanden  gewesen  sein,  da  ravennatisch-byzantinischer  Einfluss,  durch 
die  kaiserlichen  Bauherren  erklärlich,  auch  in  anderen  Stücken  hier 
wahrzunehmen  ist,  in  der  östlichen  Richtung  der  Apsis  und  der  Durch- 
führung der  Archi volten.  Hinwieder  giebt  es  auch  einige  ravennatische 
Kirchen,  die  infolge  ihrer  eingeschlossenen  Situation  fensterlos  geblieben 
sind.  —  Eine  ausnahmsweise  schon  Anfang  saec.  9  befensterte  römische 
Apsis  war  die  der  Lateranskirche;  in  Sta.  Maria  maggiore  und 
Sta.  Maria  in  Trastevere  erst  aus  dem  hohen  Mittelalter. 

Um  eine  richtige  Vorstellung  von  der  Totalwirkung  der  Beleuch- 
tung zu  gewinnen,  muss  schon  hier  die  Art  des  Fensterverschlusses  in 


')  Eine  Ausnahme  (ob  von  Anfang  an?)  macht  der  S  Peter,  wo  zufolge  einer 
Nachricht  des  9.  saec.  auf  jeder  Seite  elf  Fenster,  also  erst  nach  jedem  zweiten  Säulen- 
intervall;  allerdings  die  letzteren  hier  besonders  eng. 


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I  10 


Erat  es  Buch  :  Der  christlich-antike  Stil. 


Rücksicht  gezogen  werden.  Dass  der  Gebrauch  des  Glases  zu  diesem 
Zwecke  wie  dem  Altertum  so  auch  der  christlichen  Zeit  nicht  un- 
bekannt war,  kann  nach  häufigen  Erwähnungen  der  Schriftsteller  nicht 
bezweifelt  werden;  nicht  minder  aber  auch,  dass  derselbe  nur  ein  be- 
schränkter und  ein  Reservatrecht  des  höchsten  Luxus  gewesen.  Im 
allgemeinen  ist  die  Methode  der  Befensterung  in  den  südlichen  Ländern 
jetzt  und  bis  ins  hohe  Mittelalter  dieselbe  wie  im  ganzen  Altertum 
schon  von  Aegypterzeiten  her.  Dünne  Steintafeln  werden  in  die  Falze 
des  Gewändes  eingelassen  und  eine  Menge  kleiner  Bohrlöher  so  über 
sie  verteilt,  dass  einerseits  dem  Regen  das  Eindringen  verwehrt,  anderer- 
seits einem  genügenden  Quantum  von  Licht  es  gestattet  wird.  In 
Gegenden,  die  passenden  Steinmaterials  entbehrten,  kamen  analoge 
Holzgitter  zur  Verwendung. 

Vereinzelte  Ueberbleibsel  solcher  Verschlüsse  (transennae)  sind  noch 
in  allen  Mittelmeerländern  zu  finden.  Die  Datierung  ist  im  konkreten 
Falle  freilich  sehr  schwierig.  Am  gebräuchlichsten  scheinen  die  ein- 
fachen siebartigen  Muster  gewesen  zu  sein  (Taf.  31,  Fig.  13,  15),  seltener 
die  gitterähnlichen  (Fig.  12,  14);  mitunter,  wo  es  sich  um  kleinere  dem 
Auge  näherstehende  Oeflhungen  handelte,  kunstvollere  Dessins,  auch 
aus  Bronze.  Lediglich  als  Füllung  solcher  durchbrochener  Transennen 
haben  wir  uns  das  Glas  —  und  auch  so  nur  selten  —  verwendet  zu 
denken.  Sonst  mussten  transparente  Gipse  zum  Ersatz  dienen.  Die 
grosse  Masse  der  Fenster  aber  hat  einen  solchen  zweiten  Verschluss 
wohl  nie  erhalten.  Etwaniger  Belästigung  durch  Zugluft  (die  ohnedies 
nur  von  den  Seitenschiffen  her  zu  befürchten  war)  mochten  Teppiche 
abhelfen.  In  Torcello  sieht  man  noch  bewegliche  steinerne  Fensterläden. 

Keineswegs  ist  das  antike  und  frühmittelalterliche  Befensterungs- 
system  ein  unvollkommenes.  Wenigstens  nicht  für  die  Länder  des 
Südens.  Vermöge  der  durchdringenden  Kraft  der  südlichen  Sonne  war 
die  Beleuchtung  noch  immer  eine  reichliche,  aber  zugleich  in  einer 
Weise  sanft  gebrochen  und  verdämmert,  die  vielleicht  ebensosehr  vor 
der  brennenden  Pracht  der  mittelalterlichen  Glasgemälde  wie  gewiss 
vor  der  profanen  Helligkeit  der  farblosen  grossscheibigen  modernen 
Fenster  —  als  Faktor  der  architektonischen  Harmonie  beurteilt  —  den 
Vorzug  verdient.  Endlich  sei  zu  bemerken  erlaubt,  dass  die  heute  von 
den  meisten  Kircheninterieurs  unzertrennliche  spezifische  Dumpfheit  der 
Luft  den  altchristlichen,  dank  der  von  den  Transennen  besorgten  Ven- 
tilation, unbekannt  gewesen  sein  wird. 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


II! 


Beschreibung  der  Tafeln. 

Zur  Vorgeschichte  der  Basilika. 

Tafel  15. 

1.  Griechisches  Haus  nach  Vitruv.  Grundriss. 

2.  Pompeji:  Haus  des  Sallustius.    Grundriss.  —  Mazois. 

3.  * Rom,  Palatin:  Saal  im  Paläste  Domitians.  Grundriss.  —  Bezold. 

4.  Dasselbe:  Gesamtgruppe  in  kleinerem  Massstab.  —  Lanciani  und 
Visconti. 

5.  Zwei  Häuser  aus  dem  römischen  Stadtplan.  —  Jordan. 

6.  7.  *  Zwei Säle  aus  der  Villa  Hadrians  bei  Tivoli.  Grundriss.  —  Bezold. 

8.  Jbmpeji:  Haus  des  Epidius  Rufus.    Grundriss.  —  Fiorelli. 

9.  Pompeji:  Haus  des  Pansa.    Grundriss.  —  Mazois. 

10.  Rom:  Basilika  des  Junius  Bassus  (St\  Andrea  in  Barbara).  Grund- 
riss. —  Ciampini. 

11.  * Rom:  Sta.  Balbina.  Grundriss,  links  des  unteren,  rechts  des  oberen 
Geschosses.  —  Dehio. 

12.  Rom:  Sta.  Croce  in  Gerusalemme.  Grundriss.  —  Hübsch.  —  Das 
Schwarze  bezeichnet  die  antiken  Bauteile,  das  Schraffierte  den 
christlichen  Einbau;  rechts  der  gegenwärtige  Zustand  seit  dem  Um- 
bau von  a.  1743. 

13.  Bronze- Lampe ,  in  Afrika  gefunden.  —  Sammlung  Basilewsky  zu 
Paris.  —  De  Rossi,  Bull,  crist.  1866. 

14.  Architektur-Hintergrund  auf  einem  Mosaikbilde  in  S.  Georgios  zu  Thes- 
salonica.  —  Texier  et  Pullan. 

15.  *  Restaurierte  Ansicht  eines  Atrium  tuscanicum. 

16.  17.  *  Desgleichen  eines  Atrium  displuviatum. 

*,  ,    _  Grundrisse. 
Tafel  16. 

1.  Rom:  Sta.  Prassede.  —  saec.  9.  —  Bunsen,  Dehio. 

2.  Parenzo:  Kathedrale.  —  saec.  7.  —  Lohde  bei  Erbkam. 

3.  Rom:  S.  demente.  —  saec.  12.  —  Bunsen,  Hübsch. 

4.  Rom :  S.  Lorenzo fuori  le  mura.  —  Der  hintere  östliche  Teil  saec.  4  u.  6 ; 
die  Fundamente  der  alten  nach  Westen  gerichteten  Apsis  durch  zwei 
Striche  angedeutet;  die  Vorderkirche  saec.  12.  —  Bunsen,  Hübsch. 

5 .  Ravenna :  San  Martine (St\  Apollinare  nuovo).  —  saec.  6.  —  Hübsch, 
Bezold. 

6.  *  Ravenna:  Santy  Agata.  —  saec.  6.  —  Bezold. 

7.  *  Ravenna  :  Sto.  Spirito.  —  saec.  5— 6.  —  Auf  der  Südseite  Spuren 
einer  offenen  Säulenstellung.  —  Bezold,  Ricci. 

8.  Ravenna:  St\  Apollinare  in  Ciasse.  —  saec.  6.  —  Links  Grundriss 
der  Krypta.  —  Dartein. 


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I  12 


Erstes  Buch :  Der  christlich-antike  Stil. 


Tafel  16. 

9.  Rom:  Sta.  Maria  in  Cosmedin.  —  saec.  ?.  —  Bunsen,  Hübsch, 
Gailhabaud. 

10.  Novara:  Kathedrale.  —  Vier  Bauperioden:  Baptisterium  und  Vor- 
hof altchristlich,  Schiff  frühromanisch  flachgedeckt  (links,  restauriert), 
spätromanisch  eingewölbt  (rechts),  Querschiff  und  Chor  gotisch. 
Der  ganze  Bau  kürzlich  abgebrochen.  —  Osten. 
Tafel  17. 

1.  Rom:  Basilica  Ostiensis  (S.  Paolo  fuori  le  mura).  —  saec.  4,  5.  — 
Bunsen,  Hübsch. 

2.  Campagna  di  Roma:  Sfa.  Sinforosa.  —  Im  Osten  Cömeterialzelle, 
vorkonstantinisch ;  die  Basilika  saec.  4.  —  De  Rossi:  Bull,  crist. 

3.  Rom:  Sint*  Agnese  f.  /.  m.  —  saec.  7.  —  Bunsen,  Hübsch. 

4.  Rivenna:  Basilica  Ursiciana.  —  saec.  5.  —  Buonarotti. 

5.  Rom:  S.  Pietro  in  vincoli.  —  saec.  5.  —  Hübsch,  Dehio. 

6.  Rom:  S/a.  Maria  maggiore.  —  saec.  4.  —  Apsis  und  Vorhalle 
saec.  13.  —  Bunsen,  Ambonen  und  Altare  nach  de  Angelis. 

7.  Bethlehem:  Marienkirche.  —  saec.  4,  Ostbau  saec.  6.  —  De  Vogue\ 
Tafel  18. 

1,  2.  Rom:  Basilica  Vaticana  Sancti  IVtri.  —  saec.  4.  —  Anfang 
saec.  16  abgebrochen.  Die  schraffierten  Teile  Anbauten  aus  ver- 
schiedenen Jahrhunderten.  —  Zeichnungen  und  Masse  des  saec.  16 
gesammelt  von  Alfarani  (Handschrift  der  vatikanischen  Bibliothek); 
danach  Fontana,  Ciampini,  Bunsen  u.  a.  m.;  für  den  Grund- 
riss  zu  vergleichen  eine  Skizze  von  Bramante  bei  Geymüller:  Ent- 
würfe zum  S.  Peter.  Die  Angaben  über  den  Aufbau  nur  summarisch. 
Der  Lichtgaden  saec.  1 4  (?)  erneuert,  mit  gotischen  Fenstern  versehen 
(vgl.  Taf.  21,  Fig.  3)  und  erhöht;  auf  unserer  Zeichnung  im  ursprüng- 
lichen Sinne  vermutungsweise  restauriert  (vgl.  oben  S.  109  Anm.). 

Schnitte  und  Systeme. 

Tafel  19. 

1.  *  Rom:  Sta.  Maria  maggiore.  —  System  des  Hauptschiffes.  — 
saec.  4  und  5.  Von  der  Dekoration  alt:  der  Fries  und  die  recht- 
eckigen mosaikierten  Felder  darüber ;  das  übrige  jetzt  durch  Renais- 
sancedekoration verdrängt,  auch  jedes  zweite  Fenster  zugemauert. 
—  Dehio,  Photographie. 

2.  Dasselbe  im  Querschnitt.  —  Dehio,  Hübsch. 

3.  *Ravenna:  S.  Martina  (San?  Apollinare  nuovo).  —  saec.  6.  — 
Bezold,  Photographie. 

Tafel  20. 

1,  2.  Rom:  S.  Pietro  in  vincoli  (restauriert).  —  saec.  5.  —  Hübsch. 


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Drittes  Kapitel:  Die  Basilika. 


113 


Tafel  20. 

3,  4.  Ravenna:  San?  Apollinare  in  Ciasse.  —  saec.  6.  —  Hübsch.  — 
Der  Fussboden  gegenwärtig  um  12c  aufgeschüttet,  vgl.  das  Detail 
Taf.  31,  Fig.  2. 
Tafel  21. 

1.  Rom:  S.  Paolo  fuori  le  mura.  Querschnitt  mit  Perspektive.  — 
saec.  4,  5.  —  Bearbeitet  nach  den  geometrischen  Aufnahmen  von 
Hübsch  und  der  Ansicht  bei  Piranesi. 

2.  Rom:  S.  Loremo  fuori  le  mura.  Ansicht  der  Westfassade.  — 
saec.  13.  —  Nach  Photographie. 

3.  Rom:  S.  Pietro  in  Vatkano.  Querschnitt  durch  das  Atrium.  — 
saec.  4,  die  Fassade  saec.  13  restauriert.  —  Fontana. 

Tafel  22. 

1.  *Rom:  Sta.  Balbina.    Querschnitt  —  Dehio. 

2.  Rom:  S.  demente.  Teil  des  Längenschnittes.  —  Starke  Aufhöhung 
des  Terrains  durch  Ruinenschutt.  Zuunterst  altrömisches  Quader 
mauerwerk ;  darüber  christliche  Basilika  von  unbestimmtem,  wahr- 
scheinlich hohem  Alter;  zuletzt  der  aktuelle  Bau,  nach  der  Ver- 
wüstung Roms  durch  Robert  Guiscard  in  kleineren  Massen  wieder 
aufgebaut  a.  1099 — 11 18;  das  gegenwärtige  Strassenniveau  wiederum 
aufgehöht  um  c.  2  m.  —  De  Rossi,  Bull,  crist 

3.  Parenzo:  Kathedrale.  Querschnitt  durch  das  Atrium.  —  saec.  6, 
mit  späteren  Ueberarbeitungen.  —  Lohde  bei  Erbkam. 

4.  Thessalonica:  Hagios  Demetrios.  —  saec.  5—6.  —  Texier  et  Pullan. 

5.  Rom:  S.  Lorenzo  fuori  le  mura,  Ostbau.  Querschnitt.  —  saec.  6, 
Ende  ;  der  Einbau  aus  saec.  13  auf  unserer  Zeichnung  weggeräumt.  — 
Lenoir,  Hübsch,  Photographie. 

6.  Rom:  Sta.  Agnese  fuori  le  mura.  Querschnitt  mit  Perspektive.  — 
saec.  7.  —  Bearbeitet  nach  Bunsen,  Hübsch. 

Tafel  23. 

1.  *  Rom;  Sta.  Maria  maggiore.  Innenperspektive.  Vgl.  Grundriss 
Taf.  17,  Fig.  6,  Schnitte  Taf.  19,  Fig.  1,  2,  und  was  dort  über 
die  Wanddekoration  gesagt;  an  Stelle  des  gegenwärtigen  barocken 
Hochaltars  haben  wir  einen  stilgerechten  nach  S.  demente  ein- 
gezeichnet; die  durch  die  moderne  Restauration  gleichfalls  ent- 
fernten, bei  de  Angelis  abgebildeten  Nebenaltäre  und  Ambonen 
haben  wir  nicht  benutzt,  da  sie  nicht  die  ursprünglichen,  sondern 
aus  saec.  14;  dagegen  belicssen  wir  die  schöne  Reoaissancedecke 
(angeblich  von  Giuliano  da  Sangallo,  Ende  saec.  15),  welche  in 
der  Wirkung  von  der  ursprünglichen  nicht  allzuweit  sich  entfernen 
wird.  —  Bearbeitet  nach  Piranesi,  Bunsen,  und  Photographie. 


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I 


i 


Viertes  Kapitel. 

Aussenbau,  Dekoration  und  Konstruktion. 


i.  Der  Aussenbau. 

Die  frühchristliche  Kirchenarchitektur  behandelt  das  Aeussere  nach 
gleichen  Grundsätzen  in  basilikalen  wie  in  zentralen  Anlagen,  wobei 
die  erstere  Gattung  als  die  richtunggebende  sich  erweist.  Nirgends 
wird  die  veränderte  Grundstimmung  augenfälliger  wie  von  dieser  Seite. 
Die  christliche  Spätantike  belässt  dem  Aussenbau  —  gewisse  später  zu 
benennende  Zugeständnisse  abgerechnet  —  keinerlei  selbständige  Rechte 
mehr:  weder  in  dem  streng  organischen  Sinne  der  Griechen,  noch  in 
der  für  das  Auge  und  nach  Verhältnissen  frei  komponierenden  Weise  der 
Römer.  Sie  giebt  als  Aussenbau  den  zur  Umschliessung  des  Binnen- 
raumes materiell  notwendigen  Mauerkörper  und  nichts  darüber.  Ihr 
Prinzip  ist  also  rein  ein  negativ  bestimmtes;  bei  den  einfachen  und 
klaren  Verhältnissen  der  Basilika  noch  ohne  Verletzung  des  Auges, 
von  wahrhaft  kruder  Wirkung  aber  in  der  Ausdehnung  auf  den  ver- 
wickelten byzantinischen  Kuppel-  und  Gewölbebau  (Hagia  Sofia !).  Die 
Begründung  und  in  gewissem  Sinne  Rechtfertigung  dieser  Dürftigkeits- 
seite des  Stiles  haben  wir  ohne  Zweifel  in  der  Entwicklungsgeschichte 
der  Basilikalkirche  zu  suchen,  in  ihrem  Ursprünge  aus  dem  Privat- 
hause und  ihrer  an  vielen  Orten  gewohnheitsgemäss  festgehaltenen  ver- 
deckten Situation  (vgl.  oben  S.  87).  Wozu  an  Bauteile  Gliederung 
und  Schmuck  wenden,  die  doch  nicht  sichtbar  werden?  Der  einzige 
Ort,  an  dem  dergleichen  zur  Geltung  kommen  konnte,  war  die  dem 


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Viertes  Kapitel:  Aussen  bau,  Dekoration  und  Konstruktion.  115 

Vorhofe  zugewandte  Eingangsseite;  und  dieser  die  schmückende 
Ausstattung  zu  versagen,  lag  keineswegs  im  Geiste  der  Kirche,  ja  es 
wird  sogar  eine  nach  der  Weise  der  Zeit  höchst  aufwendige  Pracht  hier 
entwickelt. 

Der  für  die  Fassade  zu  wählende  Kontur  ergab  sich  aus  dem 
eingangs  genannten  Grundsatze  von  selbst :  er  hat  einfach  sich  zu 
decken  mit  dem  Querschnitt  des  Innern.  Hierin  ist  ein  Prinzip  ent- 
halten, dessen  hohe  Bedeutung  schon  hier  mit  Nachdruck  hervor- 
gehoben werden  mag,  obschon  während  der  altchristlichen  Epoche  zu 
seiner  Entfaltung  über  den  Keimzustand  hinaus  nichts  geschehen  ist. 
Eine  Schwierigkeit  lag  zunächst  in  dem  Zusammenstoss  der  Fassade 
mit  dem  Portikus  des  Vorhofs.  Indem  der  Portikus  nicht  in  die  Fas- 
sade hineingezogen  wurde,  wie  es  nachmals  das  Mittelalter  that  (z.  B. 
S.  Ambrogio  in  Mailand),  vielmehr  als  gesonderter  Bauteil  mit  eigenem 
Dach  verharrte,  kam  die  Fassade  (für  das  Auge)  um  ihren  Unterbau 
und  mithin  um  die  Grundlage  aller  naturgemässen  Entwicklung.  Die 
Disharmonie  zwischen  dem  feingliedrigen,  in  eine  Vielheit  kleiner  Ab- 
messungen geteilten  Säulengange  und  der  dahinter  unvermittelt  auf- 
steigenden schweren  Steinmauermasse  der  Kirche  blieb  unaufgelöst; 
ein  Versuch,  der  letzteren  eine  weitere  Gliederung  als  durch  die  ein- 
fachen rechtwinkligen  Fenstereinschnitte  zu  geben,  wurde  nicht  unter- 
nommen. Man  that  sich  genug  an  einer  blossen  Flächendekoration, 
überzog  die  Mauer  mit  Stuck,  oder  inkrustierte  sie  mit  Marmor,  oder 
gab  ihr  figürliche  Darstellung  in  Glasstiftmosaik. 

FrUhe  schon  scheint  selbst  das  Horizontalgesimse  unter  dem  Giebel- 
felde verschwunden  zu  sein.  (Bei  SS.  Cosraa  e  Damiano  in  Rom  aus 
antikem  Profanbau  herübergenommen.)  In  den  römischen  Restaurations- 
bauten des  12.  und  13.  Jahrhunderts  herrscht  ein  horizontal  schliessender 
Aufsatz  mit  geschweiftem  Profil,  der  den  Giebel  übersteigt  und  maskiert 
(Sta.  Maria  maggiore)  oder  ihn  durch  Abwalmung  beseitigt  (S.  Lo- 
renzo  f.).  Beiläufig  der  ägyptischen  Hohlkehle  vergleichbar,  ist  dies 
Glied  doch  viel  energieloser  und  schwerfälliger,  durch  kein  Zwischen- 
glied von  senkrechtem  Mauerteil  abgelöst,  lediglich  direkte  Ausbiegung 
des  letzteren  und  auch  von  der  figürlichen  Dekoration  als  fortlaufende 
Fläche  angenommen.  Betspiele:  S.  Peter  (Taf.  21,  Fig.  1),  S.  Paul 
(Piranesi);  die  deutlicher  friesartige  Behandlung  bei  S.  Lorenzo  (Taf.  21, 
Fig.  2)  modern.  —  An  der  Disharmonie  zwischen  Portikus  und  Hoch- 
fassade leiden  alle  Basiliken  Roms.  Ein  leiser  Versuch  zur  Abhilfe 
in  Parenzo  (Taf.  21,  Fig.  3),  wo  die  Zahl  der  Arkaden  auf  drei  reduziert 
und  die  mittlere  breiter  und  höher  angenommen  ist.  —  Reste  einer 


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Il6  Erstes  Bach:  Der  christlich-antike  Stil. 

in  Stuck  imitierten  Rustica,  übrigens  noch  von  der  profanen  Vergangen- 
heit des  Gebäudes  herrührend,  an  Sant'  Adriano  am  Forum  Roman  um. 
Fassadeninkrustationen  in  Marmor  sind  aus  unserer  Epoche  nicht  mehr 
erhalten.  Für  Mosaikierung  das  älteste  Beispiel  Parenzo  (7.  Jahrhundert 
oder  jünger);  die  römischen  Exemplare  (erhalten  bei  Sta.  Maria 
maggiore,  Sta.  Maria  in  Trastevere,  in  Abbildungen  weiterlebend 
S.  Pietio  in  Vaticano,  S.  Paolo  fuori)  erst  aus  saec.  12  und  13.  —  Ein 
Unikum  ist  die  Fassade  von  Sant'  Agostino  in  Crocifisso  bei  Spoleto, 
wo  eine  ganze  Pilasterstellung  und  reich  dekorierte  Thüren  und  Fenster 
aus  einem  antiken  Gebäude  herübergenommen;  nach  Hübsch  vorkon- 
stantinisch  (!),  nach  de  Rossi  im  5.  Jahrhundert  gegründet,  im  7.  er- 
neuert; nach  unserer  Ueberzeugung  (wegen  der  beträchtlichen  Ueber- 
höhung  des  Giebels  über  den  Dachfirst  entsprechend  dem  im  Mittel- 
alter in  Pisa,  Lucca  u.  s.  w.  herrschenden  System,  sowie  wegen  einiger 
zwischen  die  antiken  eingeschobenen  entschieden  erst  mittelalterlichen 
Details)  etwa  in  der  ersten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  noch  einmal 
stark  überarbeitet. 

Die  Erscheinung  aller  übrigen  Aussenteile  ist  bedingt  durch  das 
Backsteinmaterial.  Wenn  das  durch  das  ganze  Altertum  von 
Aegypten  und  Assyrerzeiten  bis  auf  und  über  Konstantin  nur  ganz 
selten  verleugnete  Prinzip,  im  Backsteinbau  nie  das  Material  als  solches 
sichtbar  werden  zu  lassen,  sondern  mit  Stuck  oder  Stein  es  zu  ver- 
kleiden, als  Prinzip  (wie  die  Fassadenbehandlung  zeigt)  auch  von  der 
christlichen  Architektur  noch  aufrecht  erhalten  wird,  so  nimmt  doch 
dieselbe  von  dieser  Verpflichtung  thatsächlich  umfänglichsten  Dispens. 
Eben  allein  die  Fassade  noch  wird  nach  der  oben  angegebenen  Weise 
mit  einer  Verkleidung  bedacht,  —  alle  übrigen  Teile,  die  Langseiten 
wie  die  Chorpartie  erscheinen  als  unverhehlter  Backsteinrohbau.  Diese 
Neuerung,  durch  Sparsamkeitsrücksichten  erstlich  veranlasst  und  von 
der  tödlichen  Entkräftung  des  antiken  Stilgefühls  in  freiem  Lauf  ge- 
lassen, kam  zu  ihrer  wahren  und  positiven  Bedeutung  gleichfalls  erst 
durch  die  im  Mittelalter  aus  ihr  gezogenen  Konsequenzen.  Die  alt- 
christliche Epoche  indessen  nahm  nur  einen  schwachen  Anlauf  zur 
Schaffung  eigener  Backsteinformen.  In  Rom  zumal  blieben  die  Mauern 
der  Langseiten  (wenige  Werke  ausgenommen)  immer  völlig  glatt  und 
kahl  bis  zu  dem  magern  Dachgesimse  hinauf.  Anfänge  plastisch- 
architektonischer Gliederung  melden  sich  dagegen  in  Ravenna,  welches, 
damals  erst  zur  Grossstadt  sich  erweiternd,  Gelegenheit  bot,  die  Kirchen 
öfters  freistehend  anzulegen.  Diese  sehr  einfache  Einteilung  besteht 
in  der  Umrahmung  je  eines  Fensters  durch  schwach  vorspringende  Blend- 


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Viertes  Kapitel:  Aussenbau,  Dekoration  und  Konstruktion. 


117 


arkaden,  wobei  die  zwischen  den  Fenstern  stehen  bleibenden  Mauer- 
streifen jedoch  nicht  als  Pilaster  charakterisiert  werden,  sondern  nach 
oben  wie  nach  unten  unmittelbar  ohne  Kopf-  und  Fussglied  verlaufen. 
(Vgl.  Taf.  24,  25.) 

Die  wenigen  Kirchen  Roms,  welche  Aehnliches  aufweisen,  reichen 
bemerkenswerterweise  in  oder  nahe  an  die  heidnische  Zeit  hinauf: 
Sta.  Balbina  (ursprünglich  ein  Profanbau,  vgl.  oben  S.  83  und  Taf.  38, 
Fig.  5),  Sta.  Pudentiana  (oben  S.  82  und  Taf.  25,  Fig.  5),  S.  Lorenzo 
in  Lucina,  —  Als  Zeuge  eines  weiteren  Fortschrittes  müsste  man  die 
Fassade  des  Domes  von  Torcello  nennen,  läge  nicht  die  Präsumtion 
vor,  dass  sie  erst  durch  mittelalterlichen  Umbau  ihre  jetzige  Gestalt 
(Taf.  24,  Fig.  1)  erhalten  habe. 

Eine  andere  Art  der  Dekoration,  hauptsächlich  in  Gallien,  am  Rhein 
und  in  der  Lombardei  beliebt,  eine  Fortsetzung  römischer  Ueber- 
lieferung,  entsteht,  wenn  der  Backstein  nicht  ausschliessliches  Material 
ist,  sondern  mit  gebrochenem  Stein  vermischt  zur  Verwendung  kommt. 
Schichten  von  kleinen  würfelförmig  behauenen  Steinen  in  dicke  Mörtel- 
betten eingelegt  (das  »petit  appareil«  der  französischen  Archäologen 
und  dessen  Abart,  das  >petit  appareil  allonge«)  wechseln  nach  gewissen 
Abständen  mit  dünneren  (ein-  bis  dreifachen)  Schichten  von  Ziegeln; 
auch  werden  die  letzteren  fischgrätenartig  gestellt,  oder  in  kompli- 
ziertere geometrische  Figuren  gebracht,  wohl  auch  zerstreute  Marmor- 
und  Porphyrbrocken  eingeflickt.  (Beispiele  bei  de  Caumont,  Abecc- 
daire.)  Sehr  häufig  und  an  dieser  Stelle  auch  dekorativ  sehr  an- 
gemessen, ist  der  gemischte  Verband  an  Fenstern,  Thüren  und  Arkaden 
(Taf.  31,  Fig.  4).  Das  merowingische  Gallien  darf  sich  überdies  rüh- 
men, um  Belebung  des  Aeusseren  durch  Pilaster  und  Fenstergiebel 
(bei  St.  Jean  in  Poitiers  [Gailhabaud  I.]  die  letzteren  abwechselnd 
im  Dreieck  und  im  Halbkreis,  wie  man  es  viel  an  spätantiken  Sarko- 
phagen sieht),  wenigstens  sich  Mühe  gegeben  zu  haben,  dergleichen 
um  diese  Zeit  in  Italien  nicht  mehr  geschah. 

Das  Aeussere  der  Zentralbauten  schliesst  sich  der  durch  die 
Basiliken  eingebürgerten  Behandlung  an.  Der  Effekt  natürlich  ist  ein 
reicherer,  dank  dem  gegliederteren  Grundriss  und  den  zuweilen  zu 
Hilfe  genommenen  Strebepfeilern.  Keine  Nachahmung  findet  die  byzan- 
tinische Sitte,  Kuppel  und  Gewölbe  unverdacht  zu  lassen ;  die  sphärische 
Kuppel  von  S.  Vitale  in  Ravenna  z.  B.  wird  von  einem  wenig  steilen 
achtseitigen  Zeitdach  überstiegen. 


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H8 


Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


2.  Detailformen  und  Dekoration. 

Die  christliche  Kirche  gelangte  zu  ganzer  Entfaltung  ihrer  Bau- 
kräfte erst  zu  einer  Zeit,  wo  der  geistige  Bankrott  der  antiken  Kunst 
schon  in  vollem  Gange  war.  Die  Gesinnung  aber,  welche  sie  von  ihrer 
Seite  für  die  Kunst  mitbrachte,  war  nicht  dazu  geschaffen,  dem  Ver- 
fall Einhalt  zu  thun,  noch  die  erlöschende  Kraft  durch  eine  neu  auf- 
strebende zu  ersetzen.  Die  christliche  Religion  vermochte  nun  einmal 
nicht  zu  verleugnen ,  dass  ihr  ursprünglicher  Ideengehalt  zur  Kunst 
schlechterdings  kein  Verhältnis  gehabt  hatte;  als  Dienerin  war  sie  ihr 
jetzt  höchst  willkommen  und  brauchbar,  als  gleichgeborene  Schwester 
sie  anzuerkennen ,  blieb  ihr  ein  fremder  Gedanke.  Und  darum  ver- 
mochte die  im  Namen  der  christlichen  Kirche  ausgeübte  Kunst  im 
höchsten  Sinne  eine  christliche  Kunst  auch  nicht  zu  sein. 

Ausserdem  lagen  im  Bereiche  der  Kunstentwicklung  an  und  für  sich 
Ursachen  genug  für  die  unaufhaltsame  Auflösung.  Das  erste  ist,  dass 
durch  die  von  den  Römern  an  die  Spitze  gestellten  Aufgaben,  die 
Binnenraumkunst  und  die  Gewölbekonstruktion,  das  ererbte  griechische 
Bausystem  bereits  zersprengt,  der  organische  Wert  der  Einzelform  auf 
einen  bloss  konventionellen  herabgesetzt  war.  Seitdem  sieht  die  immer 
materialistischer  werdende  Prunklust  keine  Schranke  mehr  vor  sich :  sie 
überbietet  sich  von  Leistung  zu  Leistung  in  der  willkürlichen  Häufung 
der  architektonischen  Glieder,  in  dem  Gedränge  plastischen  Schmuckes, 
in  der  Steigerung  derber  Licht-  und  Schattenkontraste.  Die  Ueber- 
anstrengung  des  Dekorationstriebes  entspringt  aber  aus  einer  inneren 
Schwäche,  und  so  musste  es  dahin  kommen,  dass  derselbe  plötzlich 
in  entgegengesetzte  Richtung  umsprang.  Dieser  Moment  fällt  mit  dem 
Siege  der  christlichen  Kirche  zusammen.  Dem  forcierten  Ueberreichtum 
plastischer  Gliederung,  in  dem  das  sinkende  Heidentum  sich  erging 
(so  noch  in  Diokletians  Palast  zu  Spalato),  setzt  der  christliche  Kirchen- 
bau, wie  von  einem  plötzlichen  Ekel  der  Uebersättigung  ergriffen,  in 
nicht  minder  übertreibender  Einseitigkeit  und  vielleicht  nicht  ohne  be- 
stimmte Absicht,  eine  ganz  und  völlig  unplastische  Ausdrucksweise 
entgegen.  Die  farbige  Mosaikierung  der  Flächen  wird  jetzt  der  vor- 
waltende Schmuck,  der  einzige,  an  dem  die  abgestumpften  Augen  noch 
Reiz  empfinden;  den  Wünschen  der  Kirche  überdies  höchst  genehm 
als  Darstellungsmittel  hieratischer  Symbole  und  Gestalten.  Dass  neben 
diesen  starken  farbigen  Effekten,  zumal  in  dem  gedämpften  und  zer- 


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Viertes  Kapitel:  Aussenbau,  Dekoration  und  Konstruktion. 


119 


streuten  Lichte  des  Kircheninnern ,  rein  architektonische  Profile  und 
feinerer  plastischer  Zierat  den  grössten  Teil  ihrer  Wirkung  eingebüsst 
hätten,  versteht  sich  ohnedies.  Ausserdem  hängt  die  unplastische  Rich- 
tung auch  mit  dem  gesamten  struktiven  System  der  altchristlichen 
Kirchenarchitektur  zusammen,  welche,  auf  möglichste  Materialersparnis 
abzielend,  die  Möglichkeit  so  reicher  plastischer  Wirkung,  wie  beim 
Gewölbebau,  ausschloss. 

Die  Feststellung  des  kirchlichen  Dekorationssystemes  erfolgt  in 
der  Zeit  zwischen  Konstantin  und  dem  Tode  Justinians,  zugleich  aber 
auch  seine  Differenzierung  in  eine  griechisch-orientalische  und  eine 
lateinisch-occidentale  Weise.  Voraussetzungen  und  allgemeine  Richtung 
beider  sind  die  gleichen ;  das  Formgefühl  im  engeren  Begriff  ist  ein 
unterschiedenes.  Auch  auf  diesem  Gebiet  zeichnet  sich  die  griechische 
Welt  durch  eine  gewisse  Aktivität  und  Selbstbestimmung  vor  der  in 
Quietismus  versinkenden  lateinischen  aus. 

Rom  und  Mittelitalien  gewöhnen  sich  so  sehr,  den  massigen  Bedarf 
an  formierten  Details  durch  Plünderung  antiker  Gebäude  zu  decken, 
dass  die  Steinmetzenpraxis  auf  mehrere  Jahrhunderte  fast  gänzlich  ab- 
stirbt; was  insofern  sein  Gutes  hat  und  dem  es  zu  danken  ist,  dass 
die  nach  dem  Jahre  1000  wiedererwachende  Kunstthätigkeit  in  diesen 
Gegenden  in  grosser  Menge  noch  Muster  aus  guter  Zeit  vor  Augen 
sah  und  an  ihnen  sich  schulen  konnte.  Nicht  in  demselben  Masse 
unerschöpflich  war  der  Vorrat  antiker  Ueberreste  in  den  Provinzen, 
wo  infolgedessen  eine  quantitativ  nicht  unerhebliche  Handwerksthätig- 
keit  noch  immer  im  Gange  blieb ;  zudem  fielen  dieselben  während  dieses 
Zeitraumes  in  die  Hände  der  germanischen  Eroberer,  mit  denen  sie 
neues  Blut  und  neue  Lebensordnungen  in  sich  aufnahmen;  endlich 
wurde  selbst  die  Einheit  der  Kirche  zerrissen  durch  den  zwischen  Ari- 
anern  und  Orthodoxen  entbrannten  Streit.  Das  Merkwürdige  ist,  dass 
von  alledem  das  künstlerische  Handwerk  so  gut  wie  nicht  alteriert 
wird.  Es  wachsen  sich  keine  landschaftlichen  Sonderstile  aus,  der  ein- 
gewurzelte uniforme  römische  Reichsstil  überdauert  allen  sonstigen  Um- 
sturz und  Auseinanderfall »).    Die  einzige  wahrnehmbare  Wandlung  ist 

')  Fremdartig  und  vereinzelt  das  sog.  Zangenornament  am  Mausoleum  König 
Theoderichs  in  Ravenna  (einigemal  auch  an  Produkten  des  Kunsthandwerks  :  »Rüstung 
des  Odoaker« ,  Goldvase  in  der  k.  k.  Schatzkammer  zu  Wien).  Dass  es  nicht,  wie  häufig 
angenommen ,  ein  missverstandenes  lesbysches  Kyma  ist ,  geht  schon  daraus  hervor ,  dass 
alle  anderen  antiken  Details  an  diesem  Denkmal  korrekt  im  Sinne  der  Zeit  behandelt 
sind.  Wo  nicht  erweislich ,  so  doch  aus  mehreren  Gründen  wahrscheinlich  liegt  hier 
ausnahmsweise  wirklich  ein  germanisches  Motiv  vor;  vgl.  Dehio  in  d.  Mitteilungen 
der  k.  k.  Central-Commission  1873,  v.  Bezold  in  Z.  f.  Baukunde  1879. 


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120 


Erstes  Buch:  Der  chretlich-antike  Stil. 


die  fortschreitende  Abnahme  im  Verständnis  der  unermüdlich  repro- 
duzierten alten  Vorbilder.  Bedenkt  man  aber,  wieweit  die  Ausartung 
schon  vor  dem  Eintritt  der  Völkerwanderung  gediehen  war  und  über 
einen  wie  langen  Zeitraum  doch  ihr  weiterer  Verlauf  sich  hindehnt,  so 
wird  man  eher  darüber  sich  verwundern,  dass  der  Zersetzungsprozess 
nicht  viel  schneller  und  radikaler  vor  sich  gegangen  ist. 

Währenddes  war,  wie  angedeutet,  im  Ostreich  ein  relativ  eigen- 
artiges System  auf  die  Bahn  gekommen.  Gewisse  verknöcherte  Re- 
miniszenzen der  national-griechischen  Weise  und  erneuerter  Zufluss 
altorientalischer  Elemente  traf  in  ihm  mit  dem  spätrömischen  Formalis- 
mus zusammen.  Das  Abendland,  während  es  den  byzantinischen 
Architekturformen  nur  beschränktesten  Eingang  gewährte,  hat  nicht 
ebenso  ablehnend  gegen  die  byzantinische  Dekorationsweise  sich  ver- 
halten. In  den  adriatischen  Küstenländern  Italiens  wurde  die  letztere 
die  vorwaltende ;  im  lombardischcn  Königreich,  ja  selbst  in  Rom  bildet 
sie  während  des  7.  bis  9.  Jahrhunderts  ein  starkes  Ingrediens ;  einzelne 
Motive  versendet  sie  bis  nach  Spanien  und  Gallien. 

DIE  SÄULE.  Von  ihr  vornehmlich  gilt  das  oben  über  die  Spo- 
liierung  antiker  Bauwerke  Gesagte.  Unter  den  Basiliken  Roms  hat 
allein  Sta.  Maria  maggiore,  und  auch  nur  vielleicht,  eigens  gearbeitete, 
nicht  entlehnte  Säulen.  Begreiflicherweise  walten  unkannellierte  Stämme 
vor,  oft  aus  prachtvollem  Materiale;  man  kann  an  ihnen  die  Be- 
obachtung machen,  dass  die  auf  dem  polierten  Körper  entstehenden 
vertikalen  Glanzlichtstreifen  eine  Art  Ersatz  der  Kannelierung  ergeben, 
indem  sie  in  freierer  malerischer  Weise  die  aufstrebende  Funktion  der 
Säule  gleichfalls  erläutern  und  verstärken  helfen.  —  Ravenna  war 
meist  in  der  Lage,  seine  Säulen  neu  beschaffen  zu  müssen.  Sie  sind 
sogleich  an  einem  starken  Defekt  des  Stilgefühls,  dem  Mangel  der 
Enthasis,  kenntlich.  Hübschs  Behauptung,  dass  sie  fertig  gearbeitet 
aus  den  Steinbrüchen  der  Propontis  importiert  seien,  wiederholen  wir 
unter  allem  Vorbehalt. 

Unter  den  Kapitellformen  ist  das  korinthische  und  komposite 
natürlich  am  reichlichsten  vertreten;  dem  dorischen  begegnen  wir  als 
durchgeführtem  nur  einmal  (Rom,  S.  Pietro  in  vincoli);  das  jonische 
wird  mit  richtigem  Takt  vornehmlich  in  Verbindung  mit  geradem  Ge- 
bälk angewandt  (S.  Maria  maggiore,  S.  Crisogono,  Vorderkirche  von 
S.  Lorenzo  fuori,  die  meisten  Vorhallen  aus  saec.  12  und  13).  —  Von 
den  Provinzen  bietet  Spanien  die  meisten  und  interessantesten  Beispiele. 
Während  es  in  Italien  im  einzelnen  Falle  nicht  selten  unmöglich  zu 
unterscheiden  ist,  ob  wir  spätantike  oder  mittelalterliche  Arbeit  vor 


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Viertes  Kapitel:  Aussenbau,  Dekoration  und  Konstruktion.  121 

uns  haben,  giebt  in  Spanien  der  Einfall  der  Araber  die  feste  Grenze 
der  Datierung.  Unter  der  Westgotenherrschaft  entwickelte  Spanien  eine 
reichere  Bauthätigkeit,  als  gleichzeitig  irgend  ein  Land  des  Occidents. 
Von  den  vielen  durch  ihre  Chronisten  aufgezählten  kirchlichen  Pracht- 
bauten ist  zwar  keiner  mehr  erhalten,  wohl  aber  zahlreiche  in  arabische 
Bauten  aufgenommene  Fragmente.  Die  »Monumentos  arquitectonicos 
de  Espana«  geben  Abbildungen  von  mehreren  Hunderten  derselben, 
wovon  wir  auf  Taf.  34  eine  Auswahl  zusammengestellt  haben.  Mit 
gemein-römischen  Typen  ohne  jegliche  Besonderheit  beginnend,  zeigt 
die  Reihe  gegen  Ende  schon  eine  leise  Ankündigung  mittelalterlich- 
romanischer Auffassung;  u.  a.  auch  darin,  dass  die  Monotonie  der 
späteren  Römerzeit  grosser  Mannigfaltigkeit  und  Individualität  Platz 
macht.  Das  Vorbild  ist  durchweg  in  der  korinthischen  und  kompositen 
Ordnung  zu  suchen,  die  Wiedergabe  sehr  häufig  eine  mehr  oder  minder 
abbreviierte  und  immer  eine  korrumpierte.  So  zeigt  die  Kernform  nicht 
mehr  den  geschwungenen  Kontur  des  echten  korinthischen  Kalathos, 
sondern  einen  abgestumpften  Kegel  mit  gerader  Begrenzungslinie.  Fast 
nie  mehr  ist  im  Blattwerk  wirklicher  Akanthus  zu  erkennen ;  am  öftesten 
begnügen  sich  die  Steinmetzen  damit,  den  allgemeinen  Umriss  eines 
Uberfallenden  Blattes  bloss  im  Rohen  zu  geben  (Beispiele  Fig.  4,  8, 
11,  13);  oder  sie  führen  auf  den  Flächen  desselben  Zacken  und  Ein- 
schnitte in  leblosen  Parallellinien  aus  (Fig.  2,  12,  17);  hier  und  da  ein- 
mal bricht  wohl  auch  ein  entschiedener  Naturalismus  durch  (Taf.  34, 
Fig.  16;  Taf.  33,  Fig.  4).  —  Gallien  zeigt  verwandte  Erscheinungen, 
nur  dass  in  der  späteren  Merowingerzeit  die  Barbarei  um  einige  Grade 
stärker  ist,  wie  bei  den  Westgoten.  —  Das  Langobardenreich 
schwankt  zwischen  west-  und  oströmischen  Vorbildern.  —  InRavenna 
haben  die  Werke  des  5.  und  beginnenden  6.  Jahrhunderts  noch  korinthi- 
sierende  Kapitelle,  so  S.  Apollinare  nuovo;  dagegen  S.  Vitale,  S.  Apol- 
linare  in  Classe  und  die  folgenden  rein  byzantinische.  Der  schon  an 
den  spanischen  und  gallischen  Arbeiten  hervortretende  Mangel  an  plasti- 
schem Lebensgefühl  wird  hier  bewusst  zum  Systeme  ausgebildet.  Vgl. 
z.  B.  den  Fortschritt  der  Verflachung  im  Blattwerk  von  Fig.  3  zu  Fig.  2 
auf  Taf.  32.  Die  eigenste  Natur  des  Byzantinismus  enthüllen  aber  erst 
Fig.  1,  4,  6.  Die  Ueberleitung  von  der  Kreisform  des  Säulendurch- 
schnittes zum  Quadrat  des  Bogenfusses  ist  auf  denkbar  primitivsten 
Ausdruck  gebracht  und  das  Flachornament,  das  sich  über  den  Kern 
ausbreitet,  nimmt  in  keiner  Weise  auf  die  statische  Funktion  des  letz- 
teren, den  Konflikt  zwischen  Stütze  und  Last,  Bezug;  zumal  das  bevor- 
zugte Umrahmungsmotiv  ist  das  denkbar  unangemessenste  an  dieser 
Stelle.  Ferner  erscheint  diese  Art  von  Kapitellen  regelmässig  in  Be- 
gleitung eines  massigen  Kämpferblockes  (schon  in  Sto.  Spirito  und 


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122 


Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


S.  Apollinare  nuovo).  Man  pflegt  denselben  als  abbreviierte  Hindeutung 
auf  den  der  Säule  eigentlich  zukommenden  Architrav  zu  erklären,  ver- 
gleichbar den  Verkröpfungsstücken  der  römischen  Gewölbebauten,  oder 
dem  Gebälkstück  über  den  gekuppelten  Säulen  von  Sta.  Costanza  (Taf.  8, 
Fig.  i).  Liegt  wirklich  diese  Absicht  der  ästhetischen  Vermittlung 
zwischen  Säule  und  Bogen  zu  Grunde  (und  nicht  etwa  bloss  der  Wunsch, 
an  der  Säulenhöhe  zu  sparen,  oder  durch  breiteres  Auflager  die  Ecken 
gegen  Abdrücken  zu  schützen),  so  ist  sie  gewiss  nicht  gar  klar  aus- 
gedrückt: denn  der  Kämpfer,  anstatt  mit  dem  Kapitell  entschieden  zu 
kontrastieren,  wiederholt  nur  dessen  von  Trapezflächen  umschriebene  Ge- 
stalt. Die  Zusammenwirkung  ist  schwerfällig  und  zugleich  matt,  ein 
Charakterzug,  der  überall  in  diesem  Stil,  z.  B.  den  Basen  (Taf.  31,  Fig.  2), 
sich  wiederholt,  durch  die  peinliche  und  mühsame  Feinarbeit  der  Aus- 
führung doppelt  fühlbar  gemacht  —  Die  Kämpferwürfel  sind  regel- 
mässige Attribute  der  oströmischen  und  ravennatischen  Bauten ,  in 
Rom  und  dem  übrigen  Italien  tauchen  sie  nur  sporadisch  auf.  In 
Rom  an  Kirchen,  deren  Baugeschichte  direkt  byzantinische  Beziehungen 
aufweist  —  Sto.  Stefano  rotondo,  St*  Agnese  f.,  S.  Lorenzo  f.  Ober- 
geschoss;  in  der  Basilica  Severiana  in  Neapel  will  de  Rossi,  Bull, 
crist.  1880,  p.  151  ff.  die  Kämpfer  als  unabhängig  von  Byzanz  und 
schon  dem  saec.  5  angehörig  betrachtet  wissen,  was  noch  bewiesen 
werden  müsste. 

ARCHITRAVE  UND  ARCHIVOLTEN.  Ueber  die  sehr  beschränkte 
Verwendung  des  geraden  Gebälkes  oben  S.  106.  Ein  Beispiel  grau- 
samer Gleichgültigkeit  in  der  Zusammenstellung  zerschlagener  antiker 
Gebälkstücke  von  verschiedenster  Ornamentation  im  ältesten  Teil  von 
S.  Lorenzo  f.  1.  m.;  was  hingegen  noch  im  5.  Jahrhundert  geleistet 
werden  konnte,  zeigt  S.  Maria  maggiore;  der  Mosaikfries  giebt 
wohlgezeichnete  farbige  Ranken  auf  Goldgrund.  —  Der  Archivolte 
hatte  die  römische  Architektur  die  Idee  des  nach  den  Erfordernissen 
des  Keilschnittes  gebogenen  Architraves  supponiert.  Diese  struktive 
Ausgangsidee  versteht  die  christliche  Epoche  nicht  mehr;  sie  geht  an- 
statt dessen  auf  ein  bloss  dekoratives  Umrahmungsmotiv  über,  dessen 
äussere  Glieder  nicht  auf  der  Kapitellplatte  Fuss  fassen,  sondern  schon 
bevor  sie  diese  erreicht  haben,  eckig  umbiegen  und  sie  horizontal 
begleiten  (Taf.  33,  Fig.  10).  Auf  die  Leibung  des  Bogens  kommt 
ein  farbiges  Stuck-  oder  Mosaikornament,  bald  als  Kassettenreihe, 
bald  nach  Analogie  von  Webe-  und  Stickmustern  charakterisiert  (Taf.  33, 
Fig.  2). 

FENSTER  UND  THÜREN.  Ueber  die  Anordnung  der  Fenster 
sowie  ihren  Verschluss  oben  S.  108.  Von  der  Form  ist  zu  bemerken, 
dass  der  Halbkreisschluss  bereits  unbedingt  die  Herrschaft  erlangt  hat. 


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Viertes  Kapitel:  Aussenbau,  Dekoration  und  Konstruktion. 


123 


Ein  neues  Motiv  ist  die  Teilung  der  Fensteröffnung  in  eine  Gruppe 
von  (zwei  oder  drei)  Bögen,  die  von  Zwischensäulchen  getragen  werden ; 
hauptsächlich  den  Glockentürmen  eigen,  ist  es  ebensowenig  wie  diese 
von  sicher  datierbarer  Entstehungszeit.  —  Umgekehrt  wie  mit  den 
Fenstern  verhält  es  sich  mit  den  Thüren;  sie  konservieren  durchaus 
den  wagrechten  Sturz  nach  antiker  Regel  und  sind  somit  der  letzte 
Posten,  auf  dem  der  sonst  Überall  verdrängte  Horizontalismus  sich  noch 
halten  darf.  Die  meisten  auf  uns  gekommenen  Thürrahmen  sind  aus 
Spolien  zusammengestellt,  was  nicht  der  unwichtigste  Grund  des  Be- 
harrens bei  der  antiken  Form  gewesen  sein  wird.  Selbständige  Ar- 
beiten auf  Taf.  26,  Fig.  4,  5.  —  Daneben  gewahren  wir,  nicht  in  Rom, 
sondern  auf  Provinzialboden ,  die  ersten  Ansätze  des  Ueberganges  zur 
mittelalterlichen  Bogen thiir.  Es  besassen  nämlich  auch  die  horizontal 
abschliessenden  Thüren  regelmässig  einen  Bogen  über  der  Oberschwelle, 
der  aber  bloss  eine  konstruktive  Hilfsform  (Entlastungsbogen)  und  dem 
Auge  verhehlt  war.  Zuerst  nun  beginnt  jene  auf  dem  gemischten  Ver- 
bände beruhende  Bauart  (oben  S.  117)  den  Entlastungsbogen  zu  demas- 
kieren, ihn  im  Interesse  ihrer  Flächendekoration  zu  verwerten  (Taf.  31, 
Fig.  4  und  anderes  bei  de  Caumont).  Dann  geschieht  ein  weiterer  Schritt : 
der  Entlastungsbogen  wird  zur  profilierten  Archivolte  (sog.  goldene  Pforte 
zu  Spalato);  und  schliesslich  springt  auch  das  Bogenfeld  als  Nische 
vertieft  zurück  (wofür  uns  nicht  früher  als  aus  saec.  8.  ein  Beispiel 
bekannt  ist,  Sta.  Maria  in  Valle  bei  Cividale  (Taf.  26.  Fig.  3). 

GESIMSE.  Sparsamst  verwendet  und  schwächlichst  von  Bildung. 
Zunächst  das  Gurtgesimse  über  den  Arkaden  des  Mittelschiffs  ist  zu 
einer  mageren  Leiste  zusammengeschrumpft.  Häufig,  namentlich  in 
späterer  Zeit,  lässt  man  selbst  dies  wenige  fallen  und  giebt  nur  ein  ge- 
maltes Band  oder  (besonders  charakteristisch)  eine  das  Konsolengesims 
in  perspektivischer  Zeichnung  imitierende  Intarsia  oder  Malerei.  Beispiele: 
Hagios  Demetrios  in  Thessalonica  (saec.  6?  Taf.  31,  Fig.  9),  Einhards 
Kirche  in  Michelstadt  (saec.  o).  Erst  die  im  12.  und  13.  Jahrhundert 
restaurierten  römischen  Basiliken  zeigen  wieder  kräftiger  ausladende 
Profile :  Sta.  Maria  in  Trastevere,  S.  Lorenzo  —  Vorderkirche.  Eher  zu 
rechtfertigen  ist  der  Mangel  eines  Deckengesimses,  da  hier  den 
Streckbalken  Konsolen  doch  wohl  nie  gefehlt  haben  werden.  Das 
Aeussere  kennt  nur  ein  einziges,  das  Dachgesims.  Am  relativ  reich- 
sten wird  es  an  der  Apsis  behandelt,  wo  zusammengelesene  antike 
Kragsteine  aushelfen.  Geringere  Aufmerksamkeit  schenkte  man  den 
Gesimsen  der  Langseiten :  ja  sie  fehlen  hier  wohl  auch  ganz :  doch  sind 
gerade  sie  wichtig  als  erster  Versuch,  aus  dem  Backstein  eigene  mate- 
rialgemässe  Formen  abzuleiten.  Das  im  antiken  Gesimsbegriff  liegende 
Mass  der  Ausladung  ist  selbstverständlich  erheblichst  reduziert,  die 


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124 


Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Absicht  eine  vornehmlich  malerische.  Feine  Horizontalbänder,  nicht 
dicker  als  die  Ziegelstarke,  wechseln  mit  tiefbeschatteten  Einsprüngen, 
welche  mit  prismatisch  beschlagenen  Steinchen,  den  Zahnen  einer  Säge 
vergleichbar,  ausgestellt  sind,  und  mit  diesen  einfachen  Mitteln  werden 
durch  Hilfe  der  stark  wirkenden  südlichen  Sonne  höchst  zierliche 
Muster  hervorgerufen  (Taf.  31,  Fig.  5—8).  Einem  andern  bemerkens- 
werten Motive  begegnen  wir  im  sog.  Bogen  fr  ies.  Es  ist  eine  Meta- 
morphose des  römischen  Konsolengesimses  kraft  jenes  durch  den  Ge- 
wölbebau entbundenen  Triebes,  der  bereits  an  Arkaden,  Fenstern  u.  s.  w. 
die  Kogenlinie  Über  die  Horizontale  hatte  siegen  lassen.  Dass  der  Bogen- 
fries  nicht  erst  eine  Erfindung  der  christlichen  Epoche  ist,  beweist  ein 
Grabmal  in  Pompeji  (Taf.  31,  Fig.  io),  eine  gemalte  Imitation  ebendaselbst 
(Zahn  II,  55),  die  Innendekoration  in  der  (heidnischen)  Basilika  des  Junius 
Bassus  (Taf.  31,  Fig.  11),  die  vielfältige  Verwendung  an  den  Bauwerken 
Zentralsyriens  (de  Vogue*)  ;  wenn  schon  es  ganz  ungewiss  bleibt,  wegen  der 
Seltenheit  unversehrter  Hochbauten,  in  welchem  Umfange  die  Antike  da- 
von Gebrauch  gemacht  hat.  In  der  Kirchenarchitektur  Italiens  begegnen 
wir  dem  Bogenfries  am  häufigsten  in  Ravenna;  frühestes  Beispiel  das 
orthodoxe  Baptisterium  a.  425.  Die  Bögen  pflegen  unmittelbar  aus  den 
Wandstreifen  hervorzuwachsen ,  auch  sind  sie  relativ  gross  (im  Unter- 
schied zum  Mittelalter),  nicht  mehr  wie  zwei  oder  drei  im  einzelnen 
Kompartimente.  Das  Motiv  steht  in  nächster  Analogie  zu  den  oben 
(S.  115,  117)  erwähnten  Blendarkaden;  es  bricht  und  vervielfältigt  gleich- 
sam die  letzteren,  um  sie  dem  Gesimse  enger  anzuschliessen. 

AUSSTATTUNGSSTÜCKE.  Bei  dem  grossen  und  fortdauernden 
Bedarf  an  Altären,  Tabernakeln,  Ambonen,  Transennen  und  Schranken 
aller  Art  bietet  diese  Gattung  dem  Handwerk  weitaus  den  wichtigsten 
Anlass  zu  selbständiger  Arbeitsleistung  und  uns  den  treuesten  Abdruck 
des  Dekorationsgeistes  der  Epoche.  Es  ist  derselbe  Geist,  der  in  dem 
steifen  Kleiderpomp  und  in  der  Leidenschaft  für  massenhafte  Verhängung 
der  Architektur  mit  Seidenstoffen  und  Goldbrokaten  sich  ausspricht. 
Die  bevorzugte  Textilkunst  diktiert  nun  ihre  Formen  durchaus  auch 
dem  Stein  und  Metall.  Ohne  Rücksicht  auf  struktive  Beziehungen  und 
Uebergänge  (vgl.  auch  oben  die  ravennatischen  Kapitelle)  wird  eine  jede 
Fläche  in  ein  Rahmenwerk  von  Leisten  und  Bändern  eingespannt  und 
die  Füllung  mit  Flachornamenten  überzogen.  Geflochtene  oder  ge- 
drehte Bänder,  Tressen  und  Schnüre,  verschlungene  Kreise,  dann 
Kreuze,  Sterne,  das  altorientalische  Vierblatt  und  Sechsblatt  spielen  als 
Einzeleleraente  eine  grosse  Rolle;  vieles  nimmt  sich  geradezu  aus  wie 
eine  Stickerei  auf  Stein.  Die  Ausführung  geschieht  in  flachem  Relief, 
sauber,  glatt,  zuweilen  bis  zum  Verwaschenen  —  eine  ganz  in  freud- 
loser Routine  aufgehende  Kleinmeisterei.  —  Vgl.  Taf.  29,  30,  35. 


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Viertes  Kapitel:  Aussenbau,  Dekoration  und  Konstruktion. 


I25 


MALERISCHE  DEKORATION.  In  nichts  erkennen  wir  die 
innersten  Neigungen  der  Epoche  so  ganz,  wie  in  der  unbedingten 
Parteinahme  für  die  Mosaikmalerei.  Diese  Gattung  war  durch  den 
Gewölbebau  grossgezogen  worden.  Zu  der  schweren  Massigkeit  der 
Thermen,  der  Kaiserpalaste,  ihren  monolithen  Kolossalsäulen,  ihren 
ungeheuren  gewölbten  Steindecken,  ihrem  reichlichen  Metallschmuck 
passte  gewiss  keine  Malerei  besser,  als  diese  nicht  die  Oberfläche  des 
Mauerkörpers  mit  einem  idealen  Gewände  verhüllende  sondern  selbst 
einen  Teil  von  ihm  bildende  Malweise.  In  die  Basilika  verpflanzt,  behält 
sie  doch  eigentlich  etwas  Fremdes  und  Unwahres:  neben  äusserster 
Sparsamkeit  der  Architektur  an  Material  und  Arbeitskraft  die  luxu- 
riöseste aller  malerischen  Vortragsmethoden,  auf  höchst  unmonumen- 
talem Baukörper  der  monumentalste  Schmuck.  —  Nachdem  die  Mosaik- 
dekoration alle  rein  architektonische  Gliederung  aus  der  Kirche  hinaus- 
gedrängt hatte,  wäre  sie,  bis  zu  einem  gewissen  Grade,  noch  immer 
imstande  gewesen,  jene  zu  ersetzen.  Das  Bewusstsein  dieser  Verpflich- 
tung, samt  der  Technik  aus  der  heidnischen  Zeit  ererbt,  hält,  wenn 
auch  nicht  mehr  sehr  mächtig,  bis  ins  6.  Jahrhundert  an;  von  da  ab 
wird  sie  kaum  noch  gekannt:  das  Gegenständliche  der  Darstellung,  die 
hieratische  Tendenz,  übertönt  alle  anderen  Beziehungen.  Diese  christ- 
lich-spätantike Polychromie  hat  letztlich  eine  der  griechischen  völlig 
entgegengesetzte  Wirkung.  Sie  ist  nicht,  wie  diese,  eine  Helferin  und 
Interpretin  der  Architektur,  sie  beginnt  ein  vom  baulichen  Organismus 
im  Prinzipe  abgelöstes,  selbstzweckliches  Dasein. 

Auf  die  wichtigsten  Denkmäler  können  wir  eben  nur  hindeuten.  — 
Die  Malereien  in  der  Taufkapelle  des  Lateran  (Nische  der  ehe- 
maligen Vorhalle)  und  in  der  Grabkirche  der  Constantia  (saec.  4) 
(Taf.  8,  Fig.  2)  zeigen  (oder  zeigten)  noch  überwiegend  ornamentale 
Motive,  Ranken-  und  Laubwerk  in  guter  Verteilung  im  Raum,  in  der 
Kuppel  Karyatiden.  Aber  schon  im  folgenden  Jahrhundert  hat  die 
historische  Erzählung  oder  das  isolierte  Heiligenbild  auf  Goldgrund  die 
Oberhand;  in  S.  Paolo  Fuori  (Taf.  21)  in  anspruchsloser  aber  doch 
im  ganzen  ihren  Zweck  erfüllender  Einfassung  zwischen  (gemalten)  Pi- 
lastern;  ähnlich  voraussetzlich  Sta.  Maria  maggiore  (Taf.  19);  da- 
gegen die  Einteilung  des  Triumphbogens  in  beiden  Kirchen,  zumal  der 
letzteren,  schon  sehr  übel  (saec.  5).  Vielleicht  auf  einer  älteren  Kom- 
position (zwar  nicht  aus  der  konstantinischen,  aber  etwa  aus  der 
jullinianischen  Bauperiode)  beruht  die  Arbeit  (oder  nur  Ueberarbeitung?) 
der  Kreuzfahrer  des  1 2.  Jahrhunderts  in  der  Marienkirche  zu  Beth- 
lehem (Taf.  36,  Fig.  1).  In  Ravenna  giebt  das  orthodoxe  Bap- 
tister ium  (a.  425)  eine  durchkomponierte  Scheinarchitektur,  als  Ganzes 
von  mässigem  Wert,  aber  mit  ornamentalen  Details  von  grosser  Schön- 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


heit  (Taf.  37).  Hingegen  in  S.  Apollinare  nuovo  (saec.  6  und  7) 
ist  von  architektonischer  Einteilung  nicht  mehr  die  Rede  (Taf.  19). 
Treffliche  Abwägung  von  Ornamentalem  und  Figürlichem  in  S.  Vitale 
(saec.  6);  leider  bloss  noch  im  Chor  erhalten;  auf  unserer  Zeichnung 
(Taf.  5,  Fig.  2)  das  übrige  mit  Benutzung  alter  Motive  ergänzt  Als 
umfänglicheres  Ensemble  haben  wir  noch  den  Chor  des  Domes  von 
Parenzo  aufgenommen  (Taf.  36,  Fig.  2);  die  Marmor-  und  Perlmutter- 
Intarsia  des  Erdgeschosses  (mit  antikem  Namen  >opus  sectile«,  vgl.  sonst 
Basilika  Junius  Bassus  bei  de  Rossi,  Bull.  187 1,  S.  Ambrogio  in  Mailand 
bei  Dartein)  und  die  Mosaiken  zwischen  den  Fenstern  vielleicht  noch 
saec.  7,  die  Dekoration  der  Halbkuppel  und  das  Ciborium  saec.  13.  — 
Sind  das  auch  nur  geringe  Ueberbleibsel  ehemals  massenhafter  Pracht, 
so  geben  sie  doch  einen  Begriff  von  dem  hohen  Stimmungswerte  der 
Mosaiken  und  ihrem  schwer  ins  Gewicht  fallenden  Anteil  an  der  er- 
strebten Gesamtharmonie  des  Architekturbildes.  Setzt  man  in  Gedanken 
dagegen  die  prahlerische,  bunte,  harte,  herzlose  Pracht  der  modernen 
Restauration  von  S.  Paolo,  so  wird  man  vollends  und  mit  Schmerzen 
inne,  dass  mit  der  originalen  Dekoration  die  Basiliken  Roms  die  Hälfte 
oder  mehr  ihres  Schönheitswertes  verloren  haben. 


3.  Konstruktion1). 

Hauptwerk:  A.  Choisy,  l'art  de  batir  chez  les  Romains.    Paris  1873.  2°. 

Das  Bestreben,  imponierende  Räume  nach  Möglichkeit  und  unbe- 
schadet der  Dauerhaftigkeit  rasch  und  billig  herzustellen,  beherrscht 
die  gesamte  Baukonstruktion  der  Römer.  Die  römische  Architektur 
verwendet  infolge  dieser  Tendenz  im  Hochbau  selten  volle  Quader- 
oder Backsteinmauern,  sondern  sie  zerlegt,  einer  altitalischen 
Tradition  folgend,  wo  immer  es  angeht,  jede  Mauer  in 
stützende  und  raumabschliessende  Teile,  von  welchen  erstere 
in  regelmässigem  Verband  ausgeführt  sind,  während  letztere  aus  einem 
geringeren  Mauerwerke  oder  einer  Gussmasse  bestehen  und  aussen  mit 
Retikulat  oder  Backstein  verkleidet  sind.  Diesem  Konstruktionsprin- 
zipe  begegnen  wir  schon  in  dem  sogenannten  Stein  fachwerk  der 
ältesten  Atrien  Pompejis,  welche  erbaut  sind,  lange  bevor  der  Kalk- 
mörtel in  Italien  bekannt  war;  nachdem  sich  dasselbe  den  Mauerbogen 


')  Eine  zusammenhängende  Geschichte  der  kirchlichen  Baukonstruktion,  zu  welcher 
überdies  genügendes  Material  nicht  vorliegt,  ist  nicht  in  der  Absicht  unseres  Buches 
gelegen.  Wir  ziehen  die  Konstruktion  nur  so  weit  in  Betracht,  als  durch  sie  die  archi- 
tektonische Komposition  bedingt  und  beeinflusst  ist. 


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Viertes  Kapitel.  Aussenbau,  Dekoration  und  Konstruktion. 


127 


und  den  unverwüstlichen  Puzzolanmörtel  dienstbar  gemacht  hat  und 
stilistisch  durchgebildet  ist,  beherrscht  es  die  gesamte  römische  Archi- 
tektur und  wirkt  fort  durch  das  ganze  Mittelalter  und  die  Renaissance. 

Das  Steinfachwerk  erscheint  als  eine  Uebertragung  aus  dem  Holz- 
bau, nicht  als  eine  dem  Steinbau  eignende  Konstruktionsweise.  Rahmen 
aus  grossen  Quadern  umschliessen  Felder  von  Incertum  aus  Bruch- 
stein in  Lehmbettung  (Taf.  38,  Fig.  1).  Pompeji.  Atrium  der 
Casa  della  Fontana  grande.  (Noch  im  Kolosseum  Pfeiler  aus 
Travertin,  deren  Verzahnungen  in  die  Peperinmauern  eingreifen  [Taf.  38, 
Fig.  2].  Weiter  oben  sind  diese  Pfeiler  durch  Backsteinbögen  verbunden 
und  ihre  Zwischenräume  mit  backsteinverkleidetem  Gussmauerwerk  ge- 
füllt.) Später,  als  der  Puzzolanmörtel  dem  Incertum  grössere  Konsistenz 


gewährte,  begnügte  man  sich,  die  Ecken  aus  Backstein  Tuffziegeln  oder 
Quadern  aufzubauen,  während  die  Mauern  im  übrigen  aus  einem  mit 
Reticulat  verkleideten  Incertum  bestanden  (Taf.  38,  Fig.  3,  Pompeji). 

Ein  weiterer  Schritt  ist  die  Teilung  der  Mauer  in  eine  Folge  von 
massiven,  von  Bögen  überspannten  Pfeilern,  deren  Zwischenräume  mit 
Incertum  oder  mit  dünneren  Backsteinmauern  geschlossen,  zuweilen 
auch  offen  sind.  Paris:  Thermen  (Taf.  38,  Fig.  4),  wo  indes  runde 
und  eckige  Nischen  abwechseln.  Rom:  Sta.  Baibin a  (Taf.  38,  Fig.  5), 
Bögen  in  einer  anscheinend  homogenen  Mauer. 

Die  christliche  Architektur  behält  das  System  bei ;  es  verliert  bei 
den  dünnen  Backsteinmauern  seine  konstruktive  Bedeutung,  wird  aber 
zum  dankbaren  und  vielverwendeten  Dekorationsmotive. 


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Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Rom:  Sta.  Pudenziana  (Taf.  38,  Fig.  6),  Obermauer  des  Mittel- 
schiffes. Ueber  den  Säulen  erheben  sich  schlanke  Backsteinpfeiler,  von 
Bögen  überspannt,  deren  Zwischenräume  mit  einer  dünneren  von  Fen- 
stern durchbrochenen  Mauer  geschlossen  sind.  —  Aehnlich  Ravenna: 
S.  Apollinare  inClasse  (Taf.  38,  Fig.  7),  Detail  von  der  Obermauer 
des  M.  Sch.,  vgl.  Taf.  24,  Fig.  2.  Ravenna:  S.  Giovanni  in  Fönte 
(Taf.  38,  Fig.  8),  schon  rein  dekorativ.  Ebenso  die  Kirche  zu  Bagna- 
c  a  v  a  1 1  o. 

Das  eben  beschriebene  Struktursystem  erlangt  eine  höhere  stili- 
stische Bedeutung,  wenn  es  mit  dem  Säulenbau  in  Verbindung  gesetzt 
wird.  Das  Motiv  der  Mauerbögen  auf  Pfeilern  mit  vorgesetzten  Säulen, 
Halbsäulen  oder  Pilastern  ist  im  höchsten  Sinne  monumental  und  hat 
der  Baukunst  neue  und  folgenreiche  Bahnen  erschlossen.  Schon  an 
sich,  indem  es  den  Säulenbau  aus  der  Gebundenheit  der  Säulen- 
ordnungen befreit,  ist  es  unendlicher  Variationen  fähig  und  für  den 
Aussenbau  der  römischen  Theater,  Amphitheater,  Thermen  und  Paläste 
allgemein  angewandt,  seine  historische  Bedeutung  beruht  aber  mehr 


Villa  Adriana  Hippodrom. 


auf  seiner  Verwendung  im  Innenbau  und  seiner  Kombination  mit  dem 
Gewölbe;  es  entstehen  die  kombinierten  Pfeiler,  der  Ausgangspunkt 
für  den  mittelalterlichen  Pfeiler-  und  Gewölbebau,  welche  sich,  nachdem 
das  Gewölbe  als  Rippengewölbe  in  organische  Verbindung  mit  den 
Stützen  gesetzt  ist,  in  jahrhundertelangem  Wcrdeprozess  zu  dem 
gotischen  Dienst-  und  Rippensystem  umbilden. 

Und  nachdem  dies  System  sich  ausgelebt,  greift  die  Renaissance 
wieder  auf  das  unveränderte  römische  Motiv  zurück,  das,  im  Profanbau 
für  Hallenhöfe  und  Fassaden  viel  verwandt,  schon  von  Brunelleschi  in 
den  Kirchenbau  eingeführt,  diesen  oft  in  sehr  grossartiger  Gestalt  bis 
zum  Ausgange  des  Barockstiles  beherrscht. 


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Viertes  Kapitel:  Aussenbau,  Dekoration  und  Konstruktion. 


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Aeltestes  bekanntes  Beispiel  das  Tabularium  in  Rom,  erbaut 
a.  u.  676  von  C.  Lutatius  Catulus.  Arena  zu  Ntmes  (Taf.  38,  Fig.  9) 
als  Repräsentant  der  Gattung.  Der  Hauptsaal  der  Caracalla-Thermen, 
der  der  Dioklet  iansthermen,  die  Konstantinsbasilika  u.  a. 
zeigen  das  Motiv  in  Verbindung  mit  Kreuzgewölben. 

Eine  andere  Konsequenz  des  gleichen  Konstruktionsprinzipes  ist 
der  Nischenbau,  bei  welchem  entweder  zwischen  den  Pfeilern  rechteckige 
oder  halbrunde  Nischen  in  der  Mauerdicke  ausgespart,  oder  Exedren 
aussen  an  die  Mauer  angelehnt  werden.  Die  römische  Architektur 
macht  von  dieser  Form  den  ausgedehntesten  Gebrauch.  Ihr  konstruk- 
tiver Zweck  ist  die  Verringerung  der  Mauermasse;  in  späteren  Bei- 
spielen dienen  die  Exedren  als  Streben;  die  formale  Bedeutung  der 
Nischen  ist  bei  Behandlung  des  Zentralbaues  (Kap.  II)  erörtert  worden. 
Hier  nur  noch  die  kurze  Bemerkung,  dass  die  Nischen,  welche  die 
Mauer  anmutig  und  wirkungsvoll  beleben,  nicht  als  eine  spielende  und 
zufällige,  sondern  als  eine  mit  dem  ganzen  römischen  Bausystem  im 
engsten  Zusammenhange  stehende  Dekoration  aufzufassen  sind.  Bei- 
spiele bieten  die  Tafeln  1—3,  auch  Taf.  38,  Fig.  4. 

.  Die  christliche  Baukunst  nimmt  auch  diese  Form  herüber,  sowohl 
die  in  der  Mauerdicke  ausgesparten,  als  die  aussen  angelehnten  Nischen. 
Erstere  sind  namentlich  an  den  frühromanischen  Bauten  am  Nieder- 
rhein, ferner  in  Regensburg  und  anderwärts  nicht  selten  (Taf.  42, 
Fig.  12,  14,  15);  doch  ist  die  struktive  Bedeutung  gering.  Anders  bei 
den  aussen  angelehnten  Nischen,  welche,  wie  in  der  antiken  Archi- 
tektur, bei  der  Minerva  medica  in  der  byzantinischen  als  zwi- 
schen den  Hauptstützen  stehende  kontinuierliche  Streben  gegen  den 
Schub  der  Kuppel  fungieren  (vgl.  Taf.  4  und  5). 

Die  römische  Architektur  kennt  folgende  Gewölbeformen:  das 
Tonnengewölbe,  das  Kreuzgewölbe  —  stets  als  Durchdringung 
zweier  Tonnengewölbe  aufgefasst  ,  das  Klostergewölbe  und  die 
Kuppel  über  runden  und  polygonen  Räumen.  —  Bei  Konstruktion 
der  Gewölbe  sind  die  gleichen  Grundsätze  wie  bei  der  der  Mauern 
wirksam,  allein  sie  führen  nicht  zu  einer  entsprechenden  stilistischen 
Durchbildung.  Das  Gewölbe  wird  entweder  —  wenn  der  Ausdruck 
gestattet  ist  —  als  eine  gebogene  Stroterendecke,  oder  als  glatte,  durch 
freie  malerische  Dekoration  belebte  Fläche  behandelt.  Gleichwohl 
sind  schon  in  der  römischen  Gewölbekonstruktion  die  Ele- 
mente latent  vorhanden,  welche  das  Mittelalter  zur  orga- 
nischen Gestaltung  seiner  Gewölbe  verwertet. 

9 


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Ijo  Erstes  Buch:  Der  christlich  antike  Stil. 

Gewölbe  in  Haustein  sind  in  Italien  selten.  Der  Backstein 
ist  das  Hauptmaterial  der  römischen  Lokalarchitektur,  und  wenn  auch 
Hausteingewölbe  nicht  ausgeschlossen  waren,  so  erklärt  die  leichte 
Wiederverwendbarkeit  des  Materiales  die  Seltenheit  ihrer  Erhaltung.  Im 
südlichen  Frankreich  und  im  mittleren  Syrien,  wo  vorwiegend  in  Haustein 
gebaut  wurde,  sind  auch  Hausteingewölbe  erhalten  und  geben  einen 
ausreichenden  Aufschluss  über  die  Konstruktionsprinzipien. 

TONNENGEWÖLBE.  Bei  geringer  Länge  —  Mauerbogen  — 
werden  zwei  oder  drei  Ringe  ohne  Verband  nebeneinander  gestellt  — 
Arena  zu  Arles  (Taf.  38,  Fig.  10),  de  Vogue",  Syrie  centrale  pl.  73. 
Bei  grösserer  Länge  wird  mit  kleinen  Steinen  ein  Verband  hergestellt, 
während  beim  Vorhandensein  grosser  Platten  in  gewissen  Abständen 
Gurtbögen  aufgestellt  werden,  welche  dem  eigentlichen  Gewölbe  als 
Lehrbögen  dienen.  —  Bai ns  de  Diane  zu  Ntmes  (Taf.  38,  Fig.  11); 
Prätorium  zu  Musmieh  (Taf.  13,  Fig.  1). 

Hier  sind  auch  die  Flachdecken  aus  Steinplatten,  welche  auf 
Gurtbögen  ruhen,  zu  erwähnen:  Arena  zu  Arles  (Taf.  38,  Fig.  1a) 
—  Basilika  zu  Chaqqa  in  Zentralsyrien  (Taf.  38,  Fig.  13)  — 
sowie  die  Gurtbögen  als  Träger  der  Dachbalken.  —  Weitere 
Beispiele  bei  de  Vogue",  Syrie  centrale. 

Ein  eigentümliches  System,  einen  langen  Raum  zu  überwölben, 
kommt  an  dem  äusseren  Umgange  der  Arena  zu  Arles  vor  (Taf.  38, 
Fig.  10),  der  mit  einer  Reihe  transversaler  Tonnen  überwölbt  ist.  Ein 
Baugedanke,  der  in  die  Anfänge  des  mittelalterlichen  Gewölbebaues 
übergeht. 

Kreuzgewölbe  und  Kuppeln  aus  Haustein  sind  selten  und 
weichen  in  ihrer  Konstruktion  nicht  von  den  noch  heute  gebräuchlichen 
Methoden  ab.    Choisy  a.  a.  O.  PI.  19.    Vogue",  Syrie  passim. 

Der  überwiegenden  Verbreitung  des  Backstein-Betonbaues 
entsprechend  sind  Gewölbe  aus  diesen  Materialien  am  häufigsten  und 
sind  gerade  sie  für  das  Studium  der  Konstruktion  besonders  lehrreich. 

Wie  die  Mauern  von  stärkeren  Pfeilern,  so  sind  die  Gewölbe  von 
Backsteinrippen  durchzogen,  deren  Zwischenräume  mit  Gusswerk  in 
horizontaler  Schichtung  gefüllt  sind.  Auch  für  die  Anwendung  dieses 
Systemes  ist  das  Prinzip  möglichster  Sparsamkeit  (der  Arbeit)  mass- 
gebend. Die  massigen  Gewölbe  hätten  zu  ihrer  Ausführung  äusserst 
starker  Lehrgerüste  bedurft,  welche  sehr  kostspielig  gewesen  wären. 
Es  war  zur  Vermeidung  dieses  Uebelstandes  ein  ebenso  einfacher  als 
sinnreicher  Ausweg,  die  Lehrbögen  in  das  Gewölbe  selbst  zu  verlegen. 
Denn  als  Lehrbögen,  welche  die  weiche  Gussmasse  bei  der  Ausführung 


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Viertes  Kapitel:  Aussenbau,  Dekoration  und  Konstruktion.  13  j 

zusammenhalten  und  deren  Druck  auf  die  Holzschalung  vermindern, 
sind  diese  Rippen  aufzufassen.  Nach  Erhärtung  der  Füllmasse  aber 
bilden  sie  mit  dieser  ein  homogenes  Ganze.  Dies  ist  wesentlich, 
denn  wenn  K  ei  Isteingewölbe  aus  einzelnen  Stücken  bestehen,  welche 
vermöge  ihrer  Form  und  äusserer  Widerstände  (Streben)  sich  durch 
gegenseitigen  Druck  in  ihrer  Lage  erhalten,  so  ist  die  Stabilität 
dieser  Wölbungen,  sobald  sie  erhärtet  sind,  hauptsächlich  auf  die 
Kohäsion  der  Masse  gegründet. 

TONNENGEWÖLBE.  Die  Art  und  Weise  der  Konstruktion  zeigen 
Taf.  38,  Fig.  14,  15:  Gewölbe  auf  dem  Palati n  zu  Rom.  Bei 
Fig.  14  —  den  Bauten  beim  Stadium  entnommen  —  sind  die  Rippen 
durch  horizontale  Bänder  aus  grösseren  Backsteinen  verbunden  und 
ist  auf  diese  Weise  ein  zusammenhängender  Rost  gebildet.  Fig.  15 
zeigt  erst  eine  Schalung  von  flachgelegten  Platten  und  darüber  getrennte 
Rippen.  Es  sind  hier  zwei  Systeme  vereinigt,  welche  auch  getrennt 
vorkommen. 

KREUZGEWÖLBE.  Bei  kleineren  Dimensionen  werden  nur  Dia- 
gonalrippen angeordnet  (Taf.  39,  Fig.  1  vom  Palatin);  bei  grösseren 
kommen  auch  transversale  Rippen  vor,  so  an  den  grossen  Kreuz- 
gewölben in  den  Diokletiansthermen  (Taf.  39,  Fig.  2)  und  der 
Konstantinsbasilika.  Von  den  beiden  Diagonalbögen  geht  immer 
der  eine  ungebrochen  durch  und  ist  der  andere  stumpf  gegen  ihn  gestossen. 

KUPPELN.  Die  Kugelform  macht  die  Ausführung  eines  zusam- 
menhängenden Rostes  beschwerlich,  meist  sind  einzelne  Rippen  ange- 
ordnet, so  bei  der  Kuppel  der  Minerva  medica  (Taf.  39,  Fig.  3), 
welche  über  Hängezwickeln  ansetzt.  Den  durch  Strebepfeiler  verstärk- 
ten Ecken  entsprechen  starke  Rippen,  zwischen  welchen  je  zwei 
schwächere  angebracht  sind.  Die  Konstruktionsidee  ist  jedoch  in  der 
Ausführung  bald  über  dem  Beginn  der  Wölbung  verlassen  und  ein 
weit  schwächeres  System  gewählt  worden.  Aehnlich  das  Gewölbe  von 
Sta.  Costanza  (Taf.  39,  Fig.  4). 

Von  dem  Organismus  der  Kuppel  des  Pantheon  hat  Piranesi 
gelegentlich  einer  Reparatur  unter  Benedikt  XIV.  eine  Zeichnung  ge- 
fertigt (Taf.  39,  Fig.  5).  Wie  bei  der  reichgegliederten  Umfassungs- 
mauer ist  auch  hier  alles  das  Produkt  der  reifsten  Ueberlegung.  Acht 
Meridianrippen  durchschneiden  die  Kuppel;  um  ihren  Druck  von  den 
Hohlräumen  der  Mauer  abzuleiten,  sind  sie  auf  sehr  starke  Entlasrungs- 
bögen- gestellt;  ihre  Zwischenräume  sind  durch  weitere  Bögen  geteilt. 
Das  ganze  System  stützt  sich  gegen  den  Ring  des  grossen  Opäons1). 

*)  Ueber  den  konstruktiven  Zweck  der  einzelnen  Teile  ist  die  ausgezeichnete  Klar- 
legung bei  Choisy  S.  85  ff.  zu  vergleichen. 


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1^2  Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 

Kleinere  Kuppeln  wurden  bloss  auf  Schalungen  von  flachgelegten 
Backsteinen  ausgeführt,  ohne  Zwischenrippen,  so  in  dem  O  k  t  o  g  o  n 
der  Caracalla-Therraen  südlich  vom  Hauptbau  (Taf.  39,  Fig.  8, 
vgl.  Taf.  1,  Fig.  2). 

Endlich  sind  auch  die  sogenannten  Topfgewölbe  zu  erwähnen, 
Spiralen  von  ineinander  gesteckten  Töpfen  in  Mörtel  gelegt.  Ein  Bei- 
spiel schon  in  der  Gräberstrasse  zu  Pompeji.  Ueber  Gebühr  berühmt 
die  Kuppel  von  S.  Vitale  zu  Raven  na  —  Isabelle,  e*dif.  circ. 
PI.  48.  —  Die  byzantinische  Baukonstruktion  scheint,  wie  in  den 
Mauern  den  reinen  Backsteinbau,  bei  Gewölben  die  vollständige  Maue- 
rung mit  konvergierenden  Fugen  dem  Gusswerk  vorgezogen  zu  haben. 

Die  älteren  römischen  Kuppeln  ruhen  alle  auf  rundem  Unterbau. 
Erst  spät  versucht  man,  eckige  Räume  mit  Kuppeln  zu  überwölben, 
wozu  mancherlei  Auskunftsmittel  ergriffen  werden. 

Das  einfachste  ist  die  Ueberkragung  der  Ecken  (Taf.  39,  Fig.  6), 
Kalybe  in  Chaqqa,  Zentralsyrien.  In  eigenthümlicher  Weise  ist 
der  vierseitige  Innenraum  des  Bogens  von  Lattaquieh,  Syrien 
(Taf.  39,  Fig.  7),  ins  Achteck  übergeführt  und  auf  das  weitausladende 
Gesimse  die  runde  Kuppel  gestellt.  Ob  die  Ueberführung  des  Qua- 
drates in  das  Achteck  durch  übereinander  vortretende  Bögen  wie  in 
S.  Ambrogio  zu  Mailand  schon  der  römischen  Gewölbetechnik 
angehört  und  wann  und  wo  sie  zuerst  vorkommt,  wissen  wir  nicht 
anzugeben.  Konische  Trompen  an  dem  Baptisterium  neben  Sta,  Giustina 
zu  Padua  (S.  45). 

Die  erwähnten  Hilfskonstruktionen  ermöglichen  nun  wohl  den  Ueber- 
gang  von  einem  Polygon  in  ein  anderes  mit  doppelter  Seitenzahl,  nicht 
aber  in  den  Kreis,  resp.  die  runde  Kuppel.  Hierfür  sind  bekanntlich 
zwei  Lösungen  möglich.  Entweder  wird  die  Kuppel  aus  dem  das 
Polygon  umschreibenden  Kreise  konstruiert,  in  welchem  Falle  die 
Polygonseiten  die  Kuppelfläche  in  Halbkreisen  schneiden,  oder  es  wird 
der  dem  Polygon  eingeschriebene  Kreis  zur  Grundlage  der  Kuppel 
gewählt,  wobei  Hilfskonstruktionen,  sogenannte  Hängezwickel  (Pen- 
dentifs)  nötig  werden,  sphärische  Dreiecke,  welche  entstehen,  wenn  die 
dem  Polygon  umgeschriebene  Kugel  über  den  Schildbögen  horizontal 
durchschnitten  wird.  Man  scheint  zunächst  mehrseitige  Polygone 
mit  runden  Kuppeln  überdeckt  zu  haben.  Hierbei  werden  die  Hänge- 
zwickel sehr  klein  und  es  ist  meist  schwierig,  ohne  Messungen  zu  unter- 
scheiden, welche  von  den  beiden  Konstruktionsarten  vorliegt.  Für 
erstere  ist  unseres  Wissens  das  Baptisterium  der  Orthodoxen 
zu  Ravenna  (S.  Giovanni  in  Fönte)  das  älteste  erhaltene  Beispiel. 
Hängezwickel  kannten  schon  die  Römer;  sie  kommen  vor  an  der 
Minerva  medica  (Taf.  39,  Fig.  3),  sowie  an  dem  mehrerwähnten 


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Viertes  Kapitel:  Aussenbau,  Dekoration  und  Konstruktion. 


133 


Oktogon  in  den  Caracalla-Thermen  zu  Rom  (Taf.  39,  Fig.  8), 
ein  Beispiel  über  quadratischen  Grundriss  giebt  Isabelle,  £dif.  circ. 
PI.  25,  Grabmal  an  der  via  Nomentana. 

Auch  die  byzantinische  Architektur  wendet  sie  anfänglich  sehr 
schüchtern  an.    S.  Vitale  zu  Raven  na  hat  —  nach  älteren  Zeich- 


nungen —  jetzt  alles  dick  verputzt  —  unklar  ausgesprochene  Hänge- 
zwickel, deren  untere  Spitze  durch  Trompen  abgeschnitten  ist.  Erst 
in  der  Sophienkirche  zu  Konstantinopel  (Taf.  39,  Fig.  14, 
Grundr.  Taf.  6,  Fig.  1)  ist  das  Grundquadrat  in  vollkommen  klarer 
Weise  in  den  Grundkreis  der  Kuppel  übergeführt.  Von  da  an  bleiben 
sie  der  byzantinischen  Kunst  geläufig  und  kommen  im  Abendlande  da 
vor,  wohin  sich  byzantinischer  Einfluss  erstreckt.  Die  Gewölbezwickel 
von  Sta.  Fosca  auf  Torcello  (Taf.  39,  Fig.  9)  durch  Nischen  unter- 
brochen; es  ist  zuerst  ein  Achteck  geschaffen  (erster  Bogen  in  senk- 
rechter Ebene),  dann  von  diesem  aus  der  Uebergang  zum  Grundkreise 
der  Kuppel  gewonnen. 


SICHERUNG  DER  WIDERLAGER,  STREBEN  l).  Das  römische 


Gussgewölbe  bildet  eine  homogene,  unverschiebliche  Masse  und  übt 
als  solche  keinen  Seitenschub  *)  auf  seine  Widerlager  aus ;  eine  weitere 
Sicherung  derselben,  wenn  nur  der  Querschnitt  gross  genug  war,  um 
dem  Druck  der  Gewölbelast  zu  widerstehen,  konnte  überflüssig  er- 
scheinen. Die  den  Seitenschub  aufhebenden  Molekularkräfte  treten 
jedoch  erst  mit  der  Erhärtung  der  Gussmasse  auf  und  sind  während 
der  Arbeit  und  des  Erhärtungsprozesses  Verschiebungen  und  Risse 
keineswegs  ausgeschlossen.  Es  wurden  deshalb  auch  Mauerverstärkungen 
angeordnet,  welche  besonders  beanspruchten  Punkten  Schutz  gewähren 
sollten.  Namentlich  ist  dies  der  Fall  bei  den  grossen  Kreuzgewölben 
der  Thermensäle,  bei  welchen  der  ganze  Druck  und  Schub  auf  einzelne 
Punkte  konzentriert  ist.  Es  lag  jedoch  nicht  im  Charakter  der  römi- 
schen Bauweise,  Hilfskonstruktionen  zu  errichten,  welche  nur  den  Zweck 


')  Der  Ausdruck  Streben,  Strebesystem  ist  vielleicht  an  dieser  Stelle  statisch  nicht 
ganz  korrekt,  mag  aber  in  Ermangelung  einer  anderen  Bezeichnung  hingehen. 

*)  Es  ist  zwar  der  Fall  nicht  ausgeschlossen,  dass  die  Molekularkräfte  der  erhärteten 
Masse  dem  Seitenschube  nicht  ganz  gleich  sind  und  noch  ein  schiefer  Druck  auf  das 
Widerlager  trifft.    Doch  kann  dieser  Fall  hier  ausser  Betracht  bleiben. 


G«wölbexwiclcel 


S.  Vitale. 


«34 


Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


hatten,  dem  Gewölbe  bis  zu  seiner  Erhärtung  als  Streben  zu  dienen; 
man  zog  dieselben  vielmehr  in  das  Innere  der  Gebäude  und  ver- 
wandte sie  als  Mittel  zur  Raumgliederung.  Die  den  Stützpunkten  der 
Kreuzgewölbe  vorgelegten  Wände  wurden  mit  Tonnengewölben  über- 
spannt und  es  entstanden  so  Nebenräume,  welche  die  grossen  Säle  aufs 
wirkungsvollste  gliedern  und  beleben  (Taf.  6,  Fig.  2,  und  Taf.  39, 
Fig.  10).  Damit  sind  die  jeweiligen  Dimensionen  der  Strebemauern 
weniger  von  ihrer  statischen  Beanspruchung,  als  von  künstlerischen 
Bedingungen  abhängig  geworden  und  es  werden  banale  Betrachtungen 
über  Materialverschwendung,  wie  sie  u.  a.  Viollet-le-Duc :  Entretiens 
sur  l'architecture  I,  p.  267,  anstellt,  gegenstandslos. 

Indes  sind  auch  äussere  Strebepfeiler  den  Römern  nicht  ganz 
fremd,  so  sind  die  Ecken  des  Oberbaues  der  Minerva  medica  mit 
kräftigen  Strebepfeilern  versehen,  auch  am  Prätorianerlager  kommen 
solche  vor  und  sie  gehen  gerade  in  die  romanische  Architektur  der 
Gegenden  über,  welche  die  antike  Bautradition  am  lebendigsten  be- 
wahren, Südfrankreich  und  die  Lombardei  *). 

Ausgedehnten  Gebrauch  von  dem  Strebeapparat  macht  die  byzan- 
tinische Baukunst.  Die  Kuppel  von  S.  Vitale  zu  Ravenna  (Taf.  39, 
Fig.  13)  wird  weit  weniger  durch  die  Nischen  und  die  Gewölbe  der 
Umgänge,  als  durch  die  hinter  den  Pfeilern  angebrachten  Strebe- 
mauern gestützt.  Verglichen  mit  dem  Pantheon  und  der  Minerva 
medica  (Taf.  39,  Fig.  11  u.  12,  Taf.  5,  Fig.  1)  ist  dieser  Apparat 
unverhältnissmässig  gross.  Freilich  dient  er  auch  hier  zur  Raum- 
gestaltung, widerlegt  aber  doch  die  oft  wiederholte  Phrase  von  der 
unerhörten  Kühnheit  der  altchristlichen  Konstrukteure.  Verwandt  mit 
S.  Vitale  ist  das  Strebesystem  von  Sta.  Maria  maggiore  zu 
Nocera  (Taf.  39,  Fig.  15,  vgl.  Taf.  8,  Fig.  3  u.  4).  Diese  Strebe- 
mauern bilden  den  Ausgangspunkt  für  die  Entwicklung  der  Strebe- 
bögen in  der  mittelalterlichen  Architektur.  Querschnitte  wie  der  von 
Saint  Etienne  zu  Caen  —  Chorrundung,  Noyon  —  Chorschluss  in 
seiner  ursprünglichen  Gestalt,  Saint  Germer  in  der  Pikardie  sind  prin- 
zipiell wenig  von  dem  von  S.  Vitale  verschieden. 

Wir  geben  zur  Vergleichung  noch  (Taf.  39,  Fig.  14)  einen  halben 
Querschnitt  der  Sophienkirche  zu  Konstantinopel. 

Die  hier  gegebene  Uebersicht  beschränkt  sich  fast  ausschliesslich 
auf  den  römischen  Gewölbebau.   Für  eine  Darstellung  seiner  Weiter- 

')  Gfinzlich  falsch  ist  es,  die  HalbsSulen  zwischen  zwei  Mauerbögen  (Taf.  38, 
Fig.  9)  als  Strebepfeiler  zu  betrachten. 


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Viertes  Kapitel:  Aussenbau,  Dekoration  und  Konstruktion. 


135 


bildung  fehlt  es  fast  vollständig  an  Material.  Bekanntlich  hat  zunächst 
Byzanz  das  Erbe  Roms  angetreten.  Die  Haupterrungenschaft  der  By- 
zantiner ist  die  konsequente  Ausbildung  der  Gewölbezwickel  (Pendentifs) 
und  deren  Anwendung  auf  Kuppeln  grössten  Massstabes.  Ferner  ver- 
mieden die  Römer  thunlichst  Verschneidungen  mehrerer  Gewölbe  (ausser 
dem  regulären  Kreuzgewölbe) ;  die  Byzantiner  hegten  diese  Scheu  nicht, 
wofür  S.  Vitale  reichliche  Beispiele  bietet.  Die  Bestimmung  der  Schnitt- 
linien war  indes  wohl  kaum  das  Werk  vorhergegangener  Ausmittelungen, 
und  Lehrbögen  für  die  Grate  wurden  nicht  angewendet,  sondern  es 
wurde  eben  ein  Gewölbe  eingeschalt  und  die  Stichkappen  von  den 
Schildbögen  aus  gegen  die  Verschalung  angeschiftet,  was  keineswegs 
immer  sehr  regelmässig  ausfiel. 

Im  Abendlande  sinkt  die  Wölbetechnik  rasch,  ohne  indes  je  ganz 
in  Vergessenheit  zu  geraten.  Namentlich  waren  die  Magistri  Comacini 
die  Erhalter  der  technischen  Traditionen.  —  Gussgewölbe  kennen  wir 
in  Deutschland  am  Westbau  von  Reichenau,  Mittelzell  und  anscheinend 
an  den  Treppen  im  Westbau  von  Werden  a.  R.  und  von  S.  Pantaleon 
zu  Köln.  —  Sonst  sind  die  ältesten  Krypten  —  soweit  uns  bekannt  — 
gewöhnlich  sehr  roh  in  Bruchstein  überwölbt. 

Bei  Beginn  der  Versuche,  die  Basilika  zu  überwölben,  kommen 
die  Rippen  der  römischen  Gewölbe  wieder  zur  Anwendung  —  Lom- 
bardei, Normandie  — ,  ebenso  die  transversalen  Tonnen  —  Rhein,  Süd- 
frankreich — ,  worauf  seines  Ortes  zurückzukommen  sein  wird. 


Beschreibung  der  Tafeln. 

Aussenbau. 

Tafel  24. 

1.  *  Torcello:  Kathedrale  Sta.  Maria  und  Sta.  Fosca.  Ansicht.  — 
saec.  9  und  11.  —  Turm  und  Westfassade  mittelalterlich.  —  Nach 
Photographie. 

2.  *Ravenna:  Sani*  Apollinare  in  Classe.  Ansicht.  —  saec.  6,  Turm 
jünger  (saec.  8?).  —  Nach  Photographie. 

Tafel  25. 

1.  Rom:  Sta.  Pudenziana.   Turmaufriss  in  1 :  200.  —  Nicht  vor  saec.  8. 

2.  *  Rom:  S.  Giorgio  in  Velabro.  Ansicht.  —  Vorhalle  saec.  12,  Turm 
älter.  —  Nach  Photographie. 

3.  Ravenna:  Baptist erium  der  Orthodoxen.  Detail  des  oberen  Mauer- 
abschlusses. —  saec.  5.  —  Hübsch. 


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136 


Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Tafel  25. 

4.  Ravenna:  S  Apollinare  in  Gasse.  Detail;  Fenster,  Lesene  und 
Dachgesims.  —  saec.  6.  —  Hübsch. 

5.  Rom:  Sta.  Pudenziana.  Fenster  der  Obermauer.  —  saec.  4?  — 
Hübsch. 

~.  «.  ,    _  Thüren. 
Tafel  26. 

1.  *  Rom:  S.  Cosimato.  Doppelthorhalle  des  Vorhofs.  Grundriss  und 
Längenschnitt.  —  saec.  9?  —  Dehio. 

2.  Rom:  S.  Sabba.    Thorhalle.  —  saec.  12.  —  Gailhabaud. 

3.  Cividale:  Sta.  Maria  in  valU.  Innere  Portaldekoration.  —  saec.  8.  — 
Dartein. 

4.  Parenzo:  Kathedrale.    Thürprofil.  —  saec.  7.  —  Lohde. 

5.  Rom:  Sta.  Prassede.  Portal  der  Kapelle  S.  Zeno.  —  saec.  9.  — 
Nesbitt. 

6.  Ravenna:  S.  Apollinare  in  Classe.  —  Thürprofil.  —  saec.  6.  — 
Hübsch. 

7  •  Rom :  Lateranisches  Baptister ium.  —  saec.  5.  —  RohaultdeFleury. 

Ausstattungsstucke. 

Tafel  27. 

1.  *  Ravenna:  S.  Apollinare  nuovo.  Ambo.  —  saec.  6.  —  Photo- 
graphie. 

2.  Rom:  S.  Cletnentc.  Choreinrichtung.  —  saec.  12;  die  skulpierten 
Cancellenplatten  grossenteils  saec.  9,  zum  Teil  vielleicht  noch 
älter.  Vgl.  Grundriss  Taf.  16,  Fig.  3,  Längenschnitt  Taf.  22, 
Fig.  2.  —  Bunsen,  Photographie. 

3.  *  Ravenna:  S.  Apollinare  in  Classe.  Nördliches  Seitenschiff.  Altar- 
tabernakel a.  807,  der  Altar  selbst  älter.  —  Photographie. 

Tafel  28. 

1.  Rom:  S.  Peter.  Chor;  vgl.  S.  98.  —  Nach  Raphaels  Fresko 
»Die  Schenkung  Konstantins«  in  den  vatikanischen  Stanzen.  Die 
Proportionen  nicht  richtig. 

2.  Torcello:  Kathedrale.  Chor.  —  saec.  7.  —  Nach  der  perspektivischen 
Skizze  von  Lenoir  und  den  Aufmessungen  von  Hübsch. 

Tafel  29. 

1.  Ravenna:  Baptisterium  der  Orthodoxen.  Altar.  —  saec.  5  oder  6.  — 
Rahn. 

2.  *  Rom:  S.  Giorgio  in  Velabro.  Confessio  und  Altar.  —  Die  im 
Cosmatenstil  erneuerten  Teile  auf  der  Zeichnung  nach  altchrist- 
lichen Mustern  ergänzt  —  Photographie. 

3.  Sta.  Maria  in  Casteüo  (Friaul).   Ambo.  —  saec.  8—9.  —  Dartein. 


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Viertes  Kapitel:  Aussenbau,  Dekoration  und  Konstruktion. 


»37 


Tafel  29. 

4.  Porto:  Fragment  eines  Altartabernakels.  —  saec.  9  Anfang.  — 
De  Rossi,  Bull,  crist. 

5.  Ravenna:  S.  Apollinare  in  Classe.  Gurtgesims  des  Mittelschiffs.  — 
saec.  6.  —  Hübsch. 

6.  Grado  (Istrien):  Kathedrale.  Patriarchenthron.  —  saec.  7—8.  — 
Oesterr.  Kunstdenkmale. 

7.  8.   Cividale:  Baptisterium.  Taufbrunnen.  —  saec.  7—8.  Dartein. 

9.  Avignon.    Fragment  eines  Frieses.  —  saec.  6—8.  —  Revoil. 

Tafel  30. 

1,  3.  Rom:  Lateran.    Fragmente  von  Chorschranken.  —  saec.  7—9. 

—  Rohault  de  Fleury. 

2.  *  Ravenna :  S.  Vitale.  Chorschranken  aus  Marmor  in  durchbrochener 
Arbeit.  —  saec.  6.  —  Photographie. 

4,  5.  *Rom:  Sta.  Maria  in  Trastevere.  Chorschranken  (jetzt  in  der 
Vorhalle).  —  saec.  8—9.  —  Dehio. 

6.  Aachen:  Palastkapelle  Karls  d.  Gr.  Schranken  aus  Bronze.  — 
saec.  9.  —  Gailhabaud. 

7.  Toledo:  Wandnische.  —  Westgotisch.  —  Mon.  Esp. 

8.  9.  Merida:  Wandarkatur.  —  Westgotisch.  —  Mon.  Esp. 

Gesimse  und  sonstige  Details. 

Tafel  31. 

1.  Aquileja:  Altarschranken.  —  saec.  7 — 8.  —  Oesterr.  Kunst- 
denkmale. 

2.  * Ravenna:  Säulenbasen. 

a)  S.  Apollinare  in  Classe,  durch  Auf  höhung  des  Fussbodens  der 
untere  Teil  jetzt  verdeckt. 

b)  S.  Vitale,  Galerie.  —  Beide  saec.  6.  —  Dehio. 

3.  Cividale:  vom  Altar  des  Pemmo.  —  saec.  8.  —  Dartein. 

4.  Vienne:  St.  Pierre.  Bogenfeld  über  einer  Thür,  gemischtes  Mauer- 
werk. —  Zufolge  A.  Ramd  im  Bulletin  du  comite"  des  travaux 
historiques  1882  p.  189  nicht  merowingisch,  wie  bisher  angenommen, 
sondern  erst  saec.  9  oder  10,  ist  dies  Stück  doch  ganz  im  Charakter 
älterer  Jahrhunderte  behandelt.  —  De  Caumont,  Abecddaire. 

5.  6,  7.  Ravenna\  S.  Vifale.  Dachgesimse.  —  saec.  6.  —  Hübsch. 

8.  Ravenna:  Grabkirche  der  Galla  Placidia.  Dachgesimse.  —  saec.  5. 
Hübsch. 

9.  Thessalonica :  Hag.  Demetrios.  Gurtgesims  des  Mittelschiffs,  Marmor- 
intarsia. —  saec.  6.  —  Texier  et  Pullan. 

10.  *  Pompeji:  Gräberstrasse.  Bogenfries  mit  Stuckdekoration.  —  saec.  1. 

—  Dehio  (Skizze). 


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13« 


Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 


Tafel  31. 

11.  Rom:  Basilika  des  Junius  Bassus.  Bogenfries.  —  saec.  4  Anfang.  — 
Giuliano  da  Sangallo,  Ciampini. 

Fenster. 

12.  Rom:  Sta.  Prassede.  —  Hübsch. 

l3>   lS-  Rom:  S.  Lorento  f.  I.  m.  —  Lenoir. 

14.  Grado  (Istricn).  —  Oesterr.  Kunstdenk  male. 

16.  Priesca  (Asturien),  —  Mon.  Esp. 

Kapitelle. 

a)  Ravenna  und  Oberitalien,    saec.  6—8. 

Tafel  32. 

1.  *.S.  Vitale.  —  Photographie. 
2    * S.  Apollinare  in  Classe.  —  Phot. 

3.  *S.  Vitale.  -  Phot. 

4.  •£  Vitale.  —  Phot. 

5.  *  Venedig:  S.  Marco.  -  Phot. 

6.  *S.  Vitale.  -  Phot. 

Tafel  33. 

1.  Ravenna:  S.  Apollinare  in  Classe.  Pfeiler  des  Triumphbogens. 
Am  unteren  Rande  ein  mit  Diamantschnitt  versehenes  Blatt  vom 
zweiten  Pfeiler.  —  saec.  6.  —  Rahn,  v.  Quast. 

2.  Faremo:  Kathedrale.  Pfeilergesims  und  Bogenleibung  mit  Stuck- 
dekoration. —  saec.  7.  —  Lohde  bei  Erbkam. 

3.  Parenzo:  Kathedrale.  Altartabernakel,  die  Säulen  älter  als  der 
Aufsatz,  vgl.  Taf.  36,  Fig.  2.  —  Lohde. 

4.  Mailand:  S.  Ambrogio.    Tribuna.  —  Dartein. 

5.  Ravenna:  S.  Vitale.  —  Gewerbehalle. 

6.  Parenzo:  Kathedrale.    Vorhof.  —  Lohde. 

7.  Pavia:  S.  Michele.  —  Dartein. 

8.  0.  Breseia:  Rotonda.    Cripta  di  S.  Filostrato.  —  Dartein. 
10.   Civate  (Friaul):  S.  Pietro.  —  Dartein. 

b)  Spanien  und  Gallien,    saec.  5—8. 

Tafel  34. 

1 .  Cordoba. 

2.  Cordoba. 

3.  Merida. 

4.  Toledo. 

5.  Cordoba. 


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Viertes  Kapitel:  Aussenbau,  Dekoration  und  Konstruktion. 


139 


Tafel  34. 

6.  Cordoba. 

7.  S.  Roman  de  Hornija. 

8.  *  Verona:  S.  Lorenzo.  —  Dehio. 

9.  10.  Provinz  Sevilla. 

11.  Cordoba. 

12.  Provinz  Cordoba. 

13.  Toledo. 

14.  Cordoba. 

15—17.  Provinz  Cordoba. 

Sämtliche  Figuren,  ausgenommen  Nr.  8,  nach  den  Monumentos 
arq.  de  Espana. 

Tafel  35. 

1 ,  3.  Paris :  Montmartre.  —  L  e  n  o  i  r :  Statistique  monumentale  de  Paris. 

2.  Jouarre:  Krypta.  —  Gailhabaud. 

4.  Merida.  —  Mon.  Esp. 

5.  *  Aachen:  Palastkapelle.  —  saec.  9.  —  Tornow. 

Füllungen. 

6.  Arles:  Museum.  —  Revoil. 

7.  Sevilla.  —  Mon.  Esp. 

8.  Civate:  S.  Pietro.    Bordüre  in  Stuck.  —  Dartein. 

9.  Como:  Unterkirche  von  S.  Abondio.  —  Boito. 

10.  Toledo.  —  Mon.  Esp. 

11.  Poitiers:  S.Jean.  —  De  Caumont. 

12.  Lyon:  S.  Jrenie.  —  De  Caumont. 

13.  Bordeaux:  S.  Seurin.  —  De  Caumont. 

Mosaik-Dekoration. 

Tafel  36. 

1.  Bethlehem:  Marienkirche.  —  Wanddekoration  in  Mosaik  saec.  12 
nach  älteren  Motiven,  Architektur  saec.  4.  —  De  Vogue\ 

2.  Parenzo:  Kathedrale.  —  Die  Marmorintarsien  des  Erdgeschosses 
und  die  Mosaiken  zwischen  den  Fenstern  sowie  die  Säulenstellungen 
wohl  noch  saec.  7,  Halbkuppel  und  Ciborienaufsatz  saec.  13.  — 
Lohde  bei  Erbkam. 

Tafel  37. 

1.  Ravenna:  S.  Giovanni  in  fönte.  —  saec.  5.  —  Nach  v.  Quast, 
Rahn,  Photographie. 


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I^O  Erstes  Buch:  Der  christlich-antike  Stil. 

Konstruktion. 

Tafel  38. 

1.  Steinfachwerk.    Pfeiler  aus  dem  Atrium  der  Casa  della  fontana 
grande  tu  Pompeji.  —  Bezold.  —  Mauer  nach  Fiorelli,  relazione. 

2.  Steinfach  werk.  Zwischenmauer  im  Kolosseum  tu  Rom.  —  Choisy, 
F>g.  97»  98  im  Text  S.  166. 

3.  Mauer  aus  Incertum  mit  Ecken  aus  TufFziegeln  und  Retikulat- 
verkleidung.    Pompeji.  —  Bezold. 

4.  Mauer  durch  Nischen  gegliedert,  aus  den  Thermen  von  Paris.  — 
Lenoir,  Statistique  monumentale  de  Paris  I,  pl.  3. 

5.  *Aeusseres  von  Sta.  Balbina  tu  Rom.  —  Dehio  &  Bezold. 

6.  Obermauer  von  Sta.  Pudemiana  su  Rom.  —  Hübsch,  PI.  VIII, 
Fig.  14,  15. 

7.  Obermauer  von  5.  Apollinare  in  Classe  tu  Ravenna.  —  Hübsch, 
PI.  XXIII,  Fig.  4. 

8.  Mauerbögen  an  S.  Giovanni  in  Fönte  tu  Ravenna.  —  Hübsch, 
PI.  XV,  Fig.  5. 

9.  System  der  Arena  zu  Ntmes.  —  Reynaud,  Traite*  de  Tarchitecture, 
AÜas  II. 

10.  Arena  tu  Arles.  Transversale  Tonnengewölbe  aus  einzelnen  Ringen 
ohne  Verband.  —  Choisy,  PI.  XVII,  1. 

11.  Tonnengewölbe  aus  Steinplatten  auf  Gurtbögen  in  den  Bat'ns  de 
Diane  zu  Nimes.  —  Choisy,  PI.  XVI,  1. 

12.  Flachdecke  aus  Steinplatten  auf  Gurtbögen  in  der  Arena  tu  Arles. 
—  Choisy,  PI.  XVI,  3. 

13.  Flachdecke  aus  Steinplatten  auf  Gurtbögen  in  der  Basilika  tu 
Chaqqa  in  Zentralsyrien.  —  De  Vogue",  Syrie  centrale. 

14.  Tonnengewölbe  in  Gusswerk  mit  kontinuierlichem  Backsteinrost 
Palaün  zu  Rom.  —  Choisy,  PI.  I. 

15.  Tonnengewölbe  in  Gusswerk,  mit  getrennten  Backsteinrippen  und 
Schalung  aus  Thonplatten.  —  Choisy,  PI.  VI. 

Tafel  39. 

1,  2.  Kreuzgewölbe  in  Gusswerk  vom  Palatin  und  aus  den  Diokletians- 
thermen tu  Rom.  —  Choisy,  PI.  VII  u.  IX. 

3.  Kuppel  der  sog.  Minerva  medica  tu  Rom.  Gusswerk.  UeberfÜhrung 
des  Zehneckes  in  den  Kreis  durch  Gewölbezwickel.  —  Choisy, 
PI.  XI. 

4.  Kuppel  von  Sta.  Costanta  des' Rom.  —  Isabelle,  ddif.  circ,  PI.  24. 

5.  Kuppel  des  Pantheon  nach  Piranesi.  —  Choisy,  S.  85. 

6 — 9.  UeberfÜhrung  von  Polygonen  in  den  Kreis: 

Fig.  6.  Ueberkragung  in  horizontalen  Schichten.  Kalybe  zu  Chaqqa 
in  Zentralsyrien.  —  De  Vogue*,  Syrie. 


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Viertes  Kapitel:  Aussenbau,  Dekoration  und  Konstruktion. 


141 


Tafel  39. 

6—9.  Ueberführung  von  Polygonen  in  den  Kreis: 

Fig.  7.  Ueberkragung  in  schräger  Fläche  mit  schieflaufenden  Stoss- 

fugen.    Bogen  zu  Lattaquich.  —  De  Vogue\  Syrie. 
Fig.  8.  Gewölbezwickel  in  dem  Oktogon  der  Caraealla-  Thermen.  — 

Bezold,  vgl.  auch  Fig.  3. 
Fig.  9.  Gewölbezwickel  in  Sta.  Fosca  auf  Torcello.  —  Bezold. 
1  o —  1 5.  Strebesysteme : 

Fig.  10.  Konstantinsbasilika  zu  Rom.  —  Reynaud,  Traite*  de 

l'architecture,  Atlas  II. 
Fig.  11.  Pantheon  tu  Rom   —  Isabelle,  ddif.  circ,  PI.  14,  15. 
Fig.  12.  Minerva  mediea  zu  Rom.  —  Isabelle,  PI.  23  bis  24. 
Fig.  13.  S.  Vitale  zu  Ravenna.  —  Isabelle,  PI.  48. 
Fig.  14.  Sophienkirche  zu  Konstantinopel.  —  Salzenberg,  Bl.  X. 
Fig.  15.  Sta.  Maria  maggiore  zu  Nocera.  —  Hübsch. 


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ZWEITES  BUCH. 

DER  ROMANISCHE  STIL. 


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■ 


Erstes  Kapitel. 

Grundlegung. 

I.  Allgemeines. 

Jene  eminente  Einheit  des  Stiles,  welche  die  Römerherrschaft,  so- 
weit sie  reichte,  dem  gesamten  Bauwesen  und  so  auch  den  Anfängen 
des  christlichen  Kirchenbaus  aufgeprägt  hatte,  ging  mit  dem  wunder- 
baren Staats-  und  Kulturorganismus,  in  dem  sie  ruhte,  unter,  und  etwas 
ihr  Gleichendes  wird  die  Welt  nicht  wiedersehen.  Uralt  Verbundenes, 
die  Ost-  und  die  Westhälfte  des  Mittelmecrgebietes,  trennte  sich,  Ur- 
fremdes, Antike  und  Germanentum,  trat  in  Zusammenwirkung. 

Seither  müssen  in  der  europäischen  Kunstgeschichte  diese  beiden 
Grundströmungen,  die  auf  allgemeingültige  Autorität  den  Anspruch 
erhebende  klassische  Ueberlieferung  und  der  individuelle  Selbstdar- 
stellungstrieb der  Nationen,  in  einem  Bette  Platz  finden;  bald  ist  jene, 
bald  ist  diese  die  stärkere  und  breitere;  ganz  durchdrungen  und  aus- 
geglichen haben  sie  sich  doch  bis  auf  den  heutigen  Tag  nicht.  Der 
germanische  Stamm  in  seiner  Jugenderscheinung  Hess  nicht  vermuten, 
dass  er  in  der  Geschichte  der  bildenden  Künste  einmal  noch  vollge- 
wichtig mitzählen  werde.  Unter  allen  von  der  Natur  den  Germanen 
mitgegebenen  seelischen  Kräften  ist  das  ästhetische  Auge  am  spätesten 
erwacht.  Sie  haben  eine  Sprache,  ein  Recht,  eine  Poesie,  einen  Re- 
ligionsmythus, welche  sie  zum  Höchsten  berufen  erscheinen  lassen,  und 
sind  noch  immer  ein  kunstloses  Volk,  kunstloser  als  viele  Völker  von 
unvergleichlich  niedrigerer  Anlage.    Die  Reiche  der  Goten,  Vandalen, 

10 


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146 


Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


Burgunden,  Langobarden  sind  entstanden  und  wieder  vergangen,  ohne 
zu  einem  eigenen  Blatt  in  der  Kunstgeschichte  Stoff  zu  geben,  höchstens 
zu  einer  Randbemerkung. 

Anders  wie  jene  vordere  Schlachtordnung  der  germanischen  In- 
vasion verhalten  sich  die  in  Mitteleuropa  zurückgebliebenen,  schliesslich 
im  Königtum  der  Franken  ihren  Vereinigungspunkt  findenden  Stämme. 
Langsamer  und  unbiegsamer  an  Geist  und  zögernder  in  der  Aneignung 
fremder  Gedanken,  beharrlicher  im  Festhalten,  gewichtiger  im  Durch- 
setzen der  eigenen  Art  sind  sie  es,  die  zum  erstenmal  aus  dem  bloss 
passiven  Verhalten  zur  antiken  Kunstüberlieferung  heraustreten.  Frei- 
lich waren  es  auch  nur  Bruchstücke  der  Antike,  die  sie  aufTassten: 
den  Franken  und  Deutschen  stellte  die  letztere  fast  nur  in  der  Gestalt 
sich  dar,  welche  sie  in  ihrer  letzten,  der  christlichen  Entwicklungs- 
phase angenommen  hatte,  und  auch  hiervon  übersahen  sie  nicht  das 
Ganze  —  nicht  die  oströmische,  allein  die  lateinische  Baukunst. 

Welche  Physiognomie  hätte  die  europäische  Geschichte  wohl  an- 
genommen, wenn  das  Germanentum  anstatt  der,  wie  man  weiss,  nach 
langer  Zögerung  vollzogenen  Verbindung  mit  der  Kirche  Roms  eine 
solche  mit  der  griechischen  eingegangen  wäre?  Von  der  Erwägung 
dieser  Möglichkeit  wird  nicht  minder  tief  als  der  Staats-  und  Kirchen- 
historiker der  Geschichtsschreiber  der  Kunst,  insbesondere  der  archi- 
tektonischen Kunst,  berührt.  Dies  ist  gewiss:  das  Bild  wäre  ein 
wesentlich  anderes  geworden,  als  das  wir  thatsächlich  erblicken. 

Merkwürdig  spät  ist  die  Kunsthistorie  hierüber  sich  klar  geworden. 
Es  ist  kurze  Zeit  erst  her,  dass  die  Kunstweise  unseres  Mittelalters  in 
der  Epoche  von  Karl  d.  Gr.  bis  zum  Auftreten  der  Gotik  noch  kurzweg 
als  »byzantinisch«  bezeichnet  wurde.  Jetzt  ist  man  über  das  Irrige  dieser 
Vorstellung,  zunächst  was  die  Baukunst  betrifft,  einig.  Für  die  Malerei 
und  Skulptur  hat  die  wissenschaftliche  Forschung  mit  der  Auseinander- 
setzung erst  begonnen,  doch  wird  auch  hier  die  lateinische  Basis  der  Ent- 
wicklung und  die  Selbständigkeit  ihres  Fortganges  mit  jedem  Schritte  ge- 
wisser. Damit  soll  indes  nicht  gesagt  werden,  dass  die  Scheidewand  eine 
so  dichte  gewesen  sei,  dass  nicht  mancher  Tropfen  byzantinischer,  ja 
ebensosehr  orientalischer  Weise  fort  und  fort  durchzusickern  vermochte. 
Der  reichliche  Handelsimport  von  Erzeugnissen  der  Kunstindustrie  des 
Ostens  unterhielt  einen  beständigen  und  nicht  wirkungslosen  Kontakt 
mit  jener  fremden  Formenwelt.  Zerstreute  Elemente  derselben  werden 
mit  jugendlicher  Neubegicr  aufgegriffen,  zuweilen  als  romantischer  Putz 
dem  eigenen  Wesen  angehängt,  in  der  Hauptsache  demselben  assimiliert. 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


147 


Und  diese  Anleihen  erstrecken  sich  allein  auf  die  Zierformen  der  Archi- 
tektur. Hingegen  die  Gesamtanlage  des  Kirchengebäudes  setzt  in 
gerader  Linie  die  von  der  altchristlich-occidentalen  Epoche  festgestellte 
Richtung  fort.  Mit  welchem  Namen  nun  soll  diese  nicht  byzantinische 
und  nicht  mehr  altchristliche  Baukunst  des  früheren  Mittelalters  be- 
zeichnet werden?  Es  ist  der  Name  »romanisch«  in  Vorschlag  gebracht 
M'orden,  und  es  scheint,  dass  er  sich  dauernd  einbürgern  will.  Die 
bei  seiner  Wahl  zu  Grunde  gelegte  Parallele  mit  der  Entstehung  der 
romanischen  Sprachen  aus  der  Wurzel  der  lateinischen  kann  freilich 
nur  sehr  im  allgemeinen  als  zutreffend  gelten.  Völliger  durchzuführen 
"wäre  der  Vergleich  mit  jener  in  den  nordischen  Klöstern  gepflegten 
mittellateinischen  Litteratur,  welche,  in  einem  aus  antikem  Stoff  und 
nach  antikem  Muster  geschnittenen  Gewände  einhergehend,  doch  ganz 
germanisch  nach  Gegenstand  und  Geist  ist. 

Allererst  aber  ist  die  Vorstellung  zu  verbannen,  als  wäre  die 
romanische  Kunst  in  vorzugsweisem  Sinne  Schöpfung  und  Eigentum 
der  romanisch  redenden  Völker:  in  Wahrheit  sind  es  die  Germanen, 
von  denen  der  zeugungskräftige  Impuls  ausgeht.  Es  sind  die  deutschen 
Lande  und  neben  ihnen  Nordfrankreich,  die  Normandie  und  England, 
Burgund  und  Lombardei,  diese  mit  germanischem  Blute  verjüngten,  mit 
germanischem  Geist  und  Wesen  allesamt,  wenn  auch  in  ungleichem 
Grade  durchsetzten  Gebiete,  in  welchen  der  romanische  Stil  seine 
früheste  Ausbildung  wie  seine  höchste  Blüte  und  in  ihm  die  Gesinnung 
des  Mittelalters  ihre  treueste  baukünstlerische  Interpretation  gefunden 
hat,  —  während  die  Völker  des  Südens,  vor  allem  der  Ausruhung  und 
Sammlung  bedürftig,  bei  der  Bauweise  der  ersten  christlichen  Jahr- 
hunderte lange  beharren  und  hernach,  da  sie  ihre  künstlerische  That- 
kraft  wiederfinden,  alsbald  der  Wiederbelebung  der  Antike  entgegen- 
streben. 

Der  romanische  Stil  führt  sich  nicht  ein  mit  einer  neuen  organi- 
schen Idee  von  beherrschender  zentraler  Gestaltungskraft  wie  etwa 
das  griechische  Säulenhaus  oder  das  gotische  Gewölbe-  und  Strebe- 
system. Die  romanische  Bauweise  ist  eine  Paraphrase  der  römischen, 
die  je  nach  dem  verschiedenen  Grade  der  Kenntnis  der  letzteren  und 
der  verschieden  starken  geistigen  Sonderart  der  beteiligten  Nationen 
und  Stämme,  dann  nach  den  wechselnden  und  ungleichmässig  be- 
wältigten äusseren  Bedingungen  der  Technik,  des  Materials,  des  Klimas 
zu  fast  unbegrenzter  Mannigfaltigkeit  variiert  wird.  Hieraus  erklärt  sich, 
dass  der  romanische  Stil  nicht  nur  eines  eigenen  Systemes,  sondern, 


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Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


das  Wort  streng  genommen,  des  Systemes  überhaupt  entbehrt.  Für 
jede  Sache,  die  er  ausdrücken  will,  hat  er  eine  Mehrheit  von  Formeln 
in  Bereitschaft;  kein  Stil  ist  so  reich  an  Synonymen;  man  kann  bei 
ihm  nie  einfach  sagen:  dies  und  das  ist  so,  ohne  hinzuzufügen:  oder 
so  und  noch  anders.  Unordnungen  in  der  Bauführung,  Verstösse  und 
Roheiten  aller  Art  sind  gewöhnlich,  selbst  bei  sonst  ausgezeichneten 
Werken.  Die  Symmetrie  in  ihrer  strengsten  Form  ist  ihm  geradezu 
unbehaglich  und  wird  deshalb  immer,  gelinder  oder  entschiedener,  ge- 
brochen. Unter  seinen  Produktionen  wird  man  seltener  als  unter  denen 
einer  andern  Epoche,  durchaus  Vollendetes,  seltener  aber  auch  gänzlich 
Reizloses,  Gleichgültiges,  Triviales  finden.  Die  proteusgleiche  Versabilität 
in  der  Gesamterscheinung  des  Stiles  bedeutet  jedoch  mit  nichten  Un- 
entschicdenheit  der  Intention  im  einzelnen  Werke.  Sehr  im  Gegenteil. 
Kein  anderer  Stil  weiss  das  Besondere  und  Charakteristische  so  präg- 
nant sich  aussprechen  zu  lassen,  kein  anderer  hat  so  wenig  Konven- 
tionelles, so  viel  Naivetät  und  unmittelbares  Lebensgefuhl.  Er  neigt 
dabei  sehr  entschieden  nach  dem  malerischen  Pole  hin  und  will  hier- 
nach in  jeder  einzelnen  Leistung  beurteilt  sein,  nicht  allein  nach 
seinen  architektonischen  Qualitäten.  Ja,  man  muss  sagen,  ein  nicht 
geringer  Teil  seiner  schönsten  und  kräftigsten  Wirkungen  liegt  gerade 
in  den  ästhetischen  Imponderabilien,  in  dem,  was  man  Haltung,  Stim- 
mung, Duft  nennt.  Oft  sind  es  diese  letzteren  allein,  wodurch  sich 
ein  romanisches  Denkmal  als  solches  zu  erkennen  giebt  und  aus  der 
Linie  der  christlich-antiken  heraustritt,  mit  denen  es  die  Grundzüge  des 
Systems,  den  Knochenbau  sozusagen,  in  vielen  Gegenden  unverändert 
teilt.  Auf  der  andern  Seite  wäre  das  Romanische  seiner  Natur  nach 
ebenso  befähigt  zum  Uebergange  in  die  Renaissance.  Sehe  die  Bau- 
kunst der  Gegenwart  zu,  ob  sie  nicht  aus  der  freien  Ausnutzung  und 
Umschmelzung  des  Romanischen  viel  grösseren  Gewinn  ziehen  wird, 
wie  aus  ihren  Anleihen  bei  der  Gotik,  zu  welcher  eben  wegen  ihres 
grössten  Vorzuges,  ihrer  in  strenger  Logik  durchgeführten  und  abge- 
schlossenen Systematik,  ein  wahrhaft  freies  Verhältnis  nie  zu  erreichen  ist. 

Die  Geschichte  des  romanischen  Stiles  zeigt  ihn  uns  als  einen 
ewig  werdenden.  Die  bei  der  Epochenteilung  anderer  Stile  geltenden 
Kategorien  des  Aufblühens,  der  Reife,  der  Zersetzung  finden  auf  ihn 
keine  Anwendung.  Wie  das  Gotische  ein  partiell  gesteigertes  Ro- 
manisch ist,  so  entwickelt  sich  das  Romanische  in  fliessendem  Ueber- 
gange aus  dem  Christlich-Antiken.  Und  dieser  Uebergang  hat  in  jedem 
Lande  und  in  jeder  Provinz  einen  andern  Anfangstermin,  anders  ver- 


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Erstes  Kapitel  :  Grundlegung. 


149 


teilte  Absätze  des  Verlaufes,  ja  —  was  das  Schwierigste  für  die  ge- 
schichtliche Darstellung  ist  —  überall  auch  andere  sachliche  Aus- 
gangspunkte. 

Die  landläufige  Chronologie,  die  den  Beginn  der  romanischen 
Epoche  in  runder  Zahl  auf  das  Jahr  1000  ansetzt,  ist  aus  unklarer 
Fragestellung  hervorgegangen.  Von  »Beginn«  kann,  wie  wir  sahen, 
nur  in  bedingtem  Sinne  die  Rede  sein,  dann  aber  muss  dessen  Termin 
um  zwei  Jahrhunderte  weiter  hinaufgerückt  werden.  Die  nächstfolgenden 
Abschnitte  werden  den  Nachweis  führen,  dass  schon  von  c.  a.  800  in 
der  fränkischen  Baukunst  gewisse  neue,  aus  dem  herkömmlichen  alt- 
christlichen Schematismus  merklich  heraustretende  Motive  auftauchen; 
und  zwar  durchweg  solche  Motive,  die  wir  in  dem  fertigen  System 
als  vorzüglich  charakteristisch  wiederfinden.  Es  sind  in  Kürze  diese: 
Erweiterung  des  Grundrisses  der  Basilika  zur  Gestalt  des 
lateinischen  Kreuzes;  doppelte  Chöre;  doppelte  Quer- 
schiffe; häufige  Ersetzung  der  Säule  durch  den  Pfeiler 
oder  alternierende  Kombination  beider  Stützengattungen; 
Krypten;  Glockentürme.  Wie  man  sieht,  betreffen  alle  diese 
Neuerungen  nur  die  eine  Baugattung  der  Basilika  und,  so  wichtig 
sie  sind ,  nur  die  Komposition  im  allgemeinen ;  hingegen  ist  eine  Re- 
form der  Konstruktions-  wie  der  Zierformen  nicht  angestrebt:  diese 
halten  sich  noch  ganz  im  Geleise  der  verfallenen  und  barbarisierten 
Spätantike.  Sehr  natürlich;  denn  eine  eigene  Formenwelt  brachten 
die  Germanen  nicht  mit,  und  um  die  römische  zur  romanischen  um- 
schaffen  zu  können,  mussten  Auge  und  Hand  zuvor  durch  die  Nach- 
ahmung der  ersteren  sich  durchgeschult  haben.  Es  kann  zuerst  nur  die 
dem  Verstände  fassliche  Seite  des  Bauwesens  sein,  worin  sich  ihr  Selbst- 
bewusstsein  zu  Reformen  befugt  und  aufgelegt  fühlt.  Ohne  Frage  sind 
aber  die  Zierformen  nicht  allein  massgebend  für  die  stilgeschichtliche 
Klassifizierung  einer  Epoche.  Rechnet  man  etwa  die  Produktionen  der 
primitiven  Gotik,  weil  sie  ihr  Detail  mit  den  gleichzeitigen  romanischen 
Werken  teilen,  darum  weniger  zur  Gotik?  Nicht  darauf  kommt  es  bei 
Beurteilung  einer  Epoche  an,  wieviel  sie  noch  vom  Alten  beibehalten, 
sondern  wieviel  sie  neue  Resultate  gewonnen  und  gesichert  hat. 

Mit  Karl  dem  Grossen  tritt  das  Germanentum  zum  erstenmal  als 
aufbauende  Macht  in  der  Weltgeschichte  auf.  Karl  hat  das  dem  un- 
geheuren Trümmersturz  des  römischen  Reiches  nachfolgende  Chaos 
bemeistert;  das  Abendland  als  eine  Welt  für  sich  gegen  Araber,  By- 
zantiner, Slawen  gesichert;  das  Leben  dieser  romanisch-germanischen 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Völkervereinigung  in  feste  staatliche  und  kirchliche  Ordnungen  ein- 
gebettet: auf  welches  Gebiet  man  sich  wende,  es  kann  kein  Zweifel 
sein,  dass  mit  Karl  ein  neues  Weltalter  anhebt,  das  Mittelalter  im 
eigentlichen  Sinne.  Und  wir  zweifeln  nicht,  dass  dieselbe  epoche- 
machende Stellung  auch  in  der  Kunstgeschichte  ihm  gehört.  Der  dem 
fränkisch-karolingischen  Bauwesen  innerhalb  der  allgemeinen  Entwicklung 
zukommende  Platz  ist  nicht  als  anhängendes  Schlusskapitel  in  der  Ge- 
schichte der  christlichen  Antike,  sondern  am  Eingang  in  die  Geschichte 
des  Romanismus 

Unsere  Bezeichnung  der  Anfänge  des  Romanismus  als  fränkisch 
gilt  nicht  dem  Gesamtreich,  sondern  recht  eigentlich  dem  fränkischen 
Stamm,  noch  genauer  gesagt:  den  austrasischen  Franken.  Hier,  irt 
den  Mosel-  und  Rheinlanden,  wo  die  Heimat  des  karolingischen  Ge- 
schlechtes war,  wo  Karl  am  liebsten  und  längsten  Wohnung  nahm  und 
wo  der  Schwerpunkt  der  Reichsregierung  lag,  ist  der  Herd  auch  der 
baugeschichtlichen  Bewegung,  von  der  wir  reden.  Das  wandernde 
Hoflager  des  grossen  Monarchen  war  der  Sammelplatz  der  besten 
Talente,  der  Brennpunkt  aller  Bildungsinteressen  der  Zeit.  Die  meisten 
Angehörigen  dieses  Kreises  waren  Geistliche  in  höheren  Stellungen, 
viele  von  ihnen  Vorsteher  der  grossen  Reichsabteien,  deren  Beruf  war,  in 
ihrem  engeren  Bezirk  die  Kulturbestrebungen  des  Hofes  zu  propagieren. 
Eine  innerhalb  dieses  Wechselverkehres  auftauchende  neue  Bauidee 
konnte  so  in  kurzer  Frist  an  entferntere  Orte  getragen  werden,  wovon 
der  berühmte  Bauriss  von  S.  Gallen  ein  redendes  Exempel  ist.  In 
diesen  Gegenden  standen  noch  Zeugen  der  römischen  Bauthätigkeit  in 
ausreichender  Menge,  um  für  vieles  einzelne  als  Muster  zu  dienen; 
aber  sie  wirkten  nicht  mehr  als  ganze,  ungebrochene  Tradition  und  es 
begreift  sich,  dass  gerade  hier  am  ehesten  zur  Antike  ein  freieres  Ver- 
hältnis gefunden  werden  konnte.    Daran  schlössen  sich  die  rechts- 


')  A.  de  Caumont  lässt  den  romanischen  Stil  —  irren  wir  nicht,  so  hat  er 
Uberhaupt  als  der  erste  den  Terminus  »romanisch«  in  unsere  Litteratur  eingeführt  — 
schon  mit  dem  5.  Jahrhundert  beginnen  und  seine  »ere  primitive«  bis  gegen  Ende  des 
10.  Jahrhunderts  sich  erstrecken ;  eine  mehr  auf  universalgeschichtliche  als  auf  kunst- 
geschichtliche Beobachtungen  sich  gründende  Einteilung.  Ganz  entgegengesetxt  verfocht 
Franz  Mertens  (Die  Baukunst  des  Mittelalters,  Berl.  1850)  mit  Eifer  den  Satz :  »Von 
den  Bauten  Karls  des  Grossen  bis  zum  wirklichen  Anfang  der  romanischen  Baukunst 
liegen  volle  dreihundert  Jahre«;  Kugler  und  Otte  setzen  den  Beginn  in  das  aus- 
gehende 10.  Jahrhundert,  Lübke  «etwa  von  a.  iooo«,  wfihrend  sie  die  karolingische 
Architektur  mit  der  altchristlichen  zusammenrangieren.  Näher  kommen  wir  mit  unserer  Auf- 
fassung Schnaase  und  am  nächsten  Springer  (im  Textbuch  zu  Seemanns  Bilderbogen), 
der  zwar  die  karolingische  Epoche  auch  noch  nicht  als  eigentlich  romanisch  gelten  lasst, 
aber  doch  von  ihr  den  Anfang  des  Mittelalters  im  kunstgeschichtlichen  Sinne  datiert. 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


151 


rheinischen  Lande,  jungfräulicher  Boden,  auf  dem  Kultur  und  Christen- 
tum eben  erst  ihre  Arbeit  ernstlich  begannen.  Dass  dem  Kirchenbau 
da  reichlich  zu  thun  gegeben  wurde,  versteht  sich  von  selbst,  ebenso 
wie  dass  seine  Anstalten  grossenteils  nur  auf  die  erste  Notdurft  be- 
rechnet waren  und  etwas  Provisorisches  an  sich  hatten.  Irrig  ist  es 
jedoch,  die  gesamte  Bauproduktion  des  9.  und  10.  Jahrhunderts  schlecht- 
hin als  s Dürftigkeitsbau < ,  als  des  * Denkmalbaus«  durchaus  entbehrend 
zu  charakterisieren.  In  Wahrheit  ist  unter  Karl  dem  Grossen  und 
seinen  nächsten  Nachfolgern  ein  energisches  Aufstreben  des  monu- 
mentalen Sinnes  zu  konstatieren,  wenn  auch  naturgemäss  nur  an  wenigen 
Orten  die  Mittel  zu  dessen  Befriedigung  ausreichten.  Sodann  hat  der 
Zerfall  der  karolingischen  Monarchie  die  Fortentwicklung  des  werdenden 
romanischen  Stiles  retardiert  und  seine  Einheit  gebrochen.  Aber  gleich- 
wie im  Staats-  und  Rechtsleben  der  abendländischen  Völker  allenthalben 
die  fränkischen  Grundlagen  sich  behaupteten,  so  gingen  auch  die  karo- 
lingischen Baubestrebungen  der  Welt  nicht  ganz  verloren.  Ihre  Fort- 
wirkung müssen  wir  von  nun  ab  in  den  einzelnen  Ländern  aufsuchen. 
Der  Verkehr  zwischen  denselben  ist  in  den  nächstfolgenden  Jahrhunderten 
ein  äusserst  schwacher.  Er  würde  für  die  Baukunst  kaum  in  Betracht 
kommen  ohne  das  Medium  der  Kirche.  Der  Kirche  ist  der  merk- 
würdige Erfolg  zu  danken,  dass  trotz  des  abgeschlossenen  Sonderlebens 
der  Völker,  über  deren  Baukreise  hinaus,  die  Architektur  im  Welt- 
zusammenhange blieb.  Aber  diese  einigende  Macht  der  Kirche  ist  nur 
eine  relative.  Die  Nationalkirchen  behaupten  noch  einen  besonderen 
Charakter  innerhalb  der  allgemeinen  römisch-katholischen,  und  so  be- 
hauptet auch  die  kirchliche  Baukunst  überall  ein  entschieden  nationales 
Gepräge.  Erst  als  das  System  der  grossen  universalistischen  Päpste 
von  Gregor  VII.  bis  auf  Innocenz  III.  den  Völkern  in  Fleisch  und 
Blut  übergegangen  ist,  vermag  ein  wahrhaft  katholischer  und  universaler 
Baustil  durchzudringen,  der  gotische. 

Wir  behandeln  in  diesem  Kapitel  den  Frühromanismus  des  9. 
und  10.  Jahrhunderts.  Obzwar  das  Geschlecht  der  Karolinger  nicht 
ganz  so  lange  ausdauert,  darf  die  Epoche  ihrer  Essenz  nach  doch  als 
karolingisch  bezeichnet  werden.  Mag  der  absolute  künstlerische  Wert 
ihrer  Bauleistungen  nur  ein  untergeordneter  sein:  der  entwicklungs- 
geschichtliche ist  sehr  hoch  anzuschlagen. 


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152 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


2.  Der  Zentralbau. 

Unter  den  wenigen  bis  auf  unsere  Tage  gekommenen  karolingischen 
Baureliquien  ist  die  Zahl  der  Zentralbauten  verhältnismässig  gross. 
Dieser  zufällige  Umstand  ist  es,  der  die  irrige  Lehre,  dass  die  karo- 
lingische  Baukunst  von  Byzanz  inspiriert  sei,  auf  die  Bahn  gebracht 
hat.  Berührung  mit  byzantinischer  Weise  findet  in  Wahrheit  nur  in  dem 
beschränkten  Masse  statt,  als  diese  in  Oberitalien  eingedrungen  war. 
Wenn  das  Wohlgefallen  des  Zeitalters  am  Zentralbau  um  einige  Grade 
lebhafter  gewesen  ist,  wie  einerseits  in  der  altchristlich-occidentalen 
Epoche,  anderseits  im  weiteren  Verlaufe  des  Mittelalters,  so  rührt 
dies  daher,  dass  ein  an  besonders  hervorragender  Stelle  ausgeführtes 
Werk  Kaiser  Karls  aus  besonderen  Gründen  diese  Form  empfing.  Wir 
meinen  die  Pfalzkirche  zu  Aachen.  Die  Wahl  der  zentralen  Anlage 
ist  hier  nicht  durch  das  Vorbild  byzantinischer  Hofkirchen  bedingt, 
sondern  durch  den  Umstand,  dass  diese  Kirche  dereinst  des  Kaisers 
Grab  aufnehmen  sollte.  Für  Grabkirchen  aber  war  auch  im  Abend- 
lande die  zentrale  Anlage  von  jeher  normal. 

Die  vielfachen  Nachahmungen  während  der  beiden  nächsten  Jahr- 
hunderte bezeugen  mehr  die  individuelle  Bewunderung  für  den  be- 
rühmten Kaiserbau,  als  ein  grundsätzliches  Hinüberneigen  zum  Zentral- 
bau als  solchem  ;  sie  geben  in  dem  Gesamtbilde  der  Baubestrebungen 
des  9.  und  10.  Jahrhunderts  einen  interessanten  Zug  ab,  jedoch  ent- 
fernt nicht  den  dominierenden. 

PAL  ASTKAPELLE  ZU  AACHEN  (Taf.  40,  Fig.  1—3),  erbaut 
a.  796— 804.  Die  Person  des  Baumeisters  im  eigentlichen  Sinne  ist 
nicht  mehr  festzustellen.  Einen  erheblichen ,  wenn  auch  vielleicht  nur 
ins  allgemeine  gehenden  Einfluss  hat  man  mit  aller  Wahrscheinlichkeit 
für  Einhard,  den  Staatsmann  und  Gelehrten,  den  Vitruvforscher  und 
vielseitig  geübten  Techniker,  den  »Beseleelc  der  karolingischen  Aka- 
demie, in  Anspruch  zu  nehmen.  Die  Bedeutung  des  Werkes  ist  nicht 
sowohl  im  Künstlerischen  als  im  Konstruktiven  zu  suchen.  Der  —  oder 
sagt  man  lieber,  die?  —  Meister  zeigen  umfassende  Bekanntschaft  mit 
den  technischen  Hilfsmitteln  des  römisch-altchristlichen  Gewölbebaues. 
Ohne  Frage  enthielten  damals  noch  die  linksrheinischen  Lande  eine 
weit  grössere  Zahl  mehr  oder  minder  wohlerhaltener  Gewölbe-  und 
Zentralbauten,  als  wir  heute  irgend  zu  bestimmen  imstande  sind,  und 
die  technischen  Traditionen  der  römischen  Baukunst,  welche  ja  gerade 
am  Niederrhein  weit  in  das  Mittelalter  sich  verfolgen  lassen,  flössen 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


153 


noch  reichlich.  Anderseits  sind  italienische  Studien  ergänzend  hinzu- 
getreten. S.  Vitale  in  Ravenna  hat  zweifellos  auf  die  Gesamtkonzeption 
mitbestimmend  eingewirkt,  die  Raumbehandlung  ist  eine  verwandte; 
der  struktive  Organismus  aber  ist  weit  einfacher  und  klarer  und  steht 
der  antiken  Konstruktionsweise  näher  als  das  komplizierte  Gewölbe- 
system jenes  byzantinischen  Zentralbaues ;  am  nächsten  gewissen  Monu- 
menten in  der  Lombardei. 

Der  Aachener  Bau  hat  die  zweifache  Bestimmung,  Grabkirche  und 
Palastkirche  zu  sein.  Durch  die  erstere  ist  zentrale  Plananlage,  durch 
die  zweite  das  Emporengeschoss  vorgeschrieben.  Ein  inneres  Oktogon 
von  einem  zweigeschossigen,  nach  aussen  sechzehneckigen  Umgange 
umschlossen.  Jenes  war  durch  niedere  Schranken,  deren  Spuren  noch 
sichtbar,  als  Chor  für  die  Geistlichkeit  eingerichtet.  Die  Empore,  für 
das  Laiengefolge  bestimmt,  erweitert  sich  auf  der  dem  Altar  gegenüber- 
liegenden Seite  zu  einem  Oratorium  für  den  Kaiser,  nach  aussen  in 
einer  Art  von  Loggia  sich  öffnend,  von  welcher  der  Kaiser  vielleicht 
an  Festtagen  dem  Volke  sich  zeigte. 

Die  Verdoppelung  der  Seitenzahl  an  der  Aussenmauer  des  Um- 
ganges hat  den  Zweck,  quadratische,  mit  regelmässigen  Kreuzgewölben 
zu  überspannende  Felder  zu  gewinnen.  Freilich  ergaben  sich  bei  diesem 
Verfahren  neben  den  quadratischen 
auch  dreieckige  Felder,  welche  indes 
ohne  Mühe  mitTonnen  oder  mitgrätigen 
Gewölben  überdeckt  werden  konnten, 
während  bei  Annahme  auch  eines  äusse- 
ren Achtecks  der  äussere  Schildbogen 
entweder  sehr  gedrückt,  oder  beträcht- 
lich höher  geworden  wäre  als  der  innere. 
Zudem  wurde  damit  eine  Verdoppelung 
der  Widerlagsmasse  erzielt,  indem  jedem 
inneren  Pfeiler  nun  je  zwei  statt  einer 
Strebemauer  sich  vorlegen. 

Im  oberen  Geschosse  sind  die  qua- 
dratischen Felder  mit  steil  ansteigenden 
Tonnen  überwölbt  und  ist  auf  diese 
Weise  nicht  nur  ein  freierer  Einblick 
auf  die  Deckenmosaiken,  sondern,  was 
wesentlicher,  eine  wirksamere  Wider- 
lagening  der  Obermauer  des  Mittel- 
raumes gewonnen,  da  der  Hebelarm,  unter  welchem  diese  von  dem 
Seitenschube  der  Kuppel  angegriffen  wird,  beträchtlich  kürzer  ist  als 
bei  horizontaler  Ueberwölbung.  Höchst  sinnreich  sind  sodann  mit  dem 


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Zweites  Buch;  Der  romanische  Stil. 


schrägen  Abfall  der  Gewölbaxe  flache  Wandnischen  in  Verbindung  ge- 
bracht, wie  der  beistehende  Grundriss  des  Einporgeschosses  (S.  153) 
verdeutlicht. 

Dieses  Gewölbesystem  gehört  dem  Kreise  der  römischen  Konstmk- 
tionsideen  an.  Transversale  Tonnen  als  Streben  für  grosse  Gewölbe 
(Taf.  39,  Fig.  10)  waren  verbreitet  und  haben  sich  gerade  am  Nieder- 
rhein lange  erhalten  —  Werden  a.  R.  saec.  9,  Maestricht:  Liebfrauen 
saec.  xi,  Herzogenrath  saec.  12.  Für  das  ganze  System  lässt  sich  ein 
bestimmtes  Vorbild  nicht  nachweisen,  dagegen  finden  wir,  dass  es  in 
der  Lombardei  bekannt  und  angewendet  war.  Die  Rotunde  zu 
Brescia  (Taf.  7)  hat  eine  gleiche  Teilung  des  eingeschossigen  Um- 
ganges; fast  identisch  mit  Aachen  sind  die  ältesten  Teile  —  die  Kreuz- 
arme  —  von  S.  Fedele  zu  Como  (Taf.  40,  Fig.  4,  5),  nur  sind  hier 
statt  Tonnen  steigende  Kreuzgewölbe  verwendet.  Die  Datierung  von 
S.  Fedele  ist  schwierig,  es  ist  Jünger  als  Aachen,  gehört  aber  nach 
seinen  einfachen  Profilen  noch  der  romanischen  Frühepoche  an  (914?). 
Vgl.  S.  57. 

Mit  aller  Gewissheit  ist  der  römische  Ursprung  bei  einem  anderen 
Baugliede  des  Aachener  Münsters  in  Anspruch  zu  nehmen.  Nämlich 
die  Oberraauern  des  Oktogones  werden  aussen  durch  je  zwei  kräftige 
Wandpfeiler  verstärkt,  in  der  Ausladung  stufenweise  abnehmend  und 
oben  in  korinthischen  Kapitellen  mit  halbierten  Pyramiden  als  Aufsatz 
endigend  (Taf.  40,  Fig.  2  rechts  oben).  (Strebepfeilerartig  abgestufte 
Pilaster  am  Aeusseren  der  Arena  zu  Nim  es,  Taf.  38,  Fig.  9.  Die 
Wandpfeiler  an  der  Fassade  von  S.  Zeno  zu  Verona  sind  ebenso 
behandelt.)  Es  sind  richtige  Strebepfeiler ;  ein  Kranzgesimse  tragen  sie 
nicht  und  haben  sie  nie  getragen,  ihre  Charakterisierung  als  Pilaster 
ist  also  sinnwidrig.  Hierbei  sei  bemerkt,  dass  der  Strebepfeiler  in 
Deutschland  keine  Aufnahme  gefunden  hat  bis  zum  Eintritt  der  Gotik  — 
in  Essen,  der  Nachbildung  Aachens,  korrekte  Pilaster  — ,  während  er 
der  westfränkischen  Architektur  jederzeit  geläufig  bleibt.  —  Die  Kuppel, 
in  acht  Kappen  gebrochen,  ist  in  59  Schichten  68  cm  dick  aufgemauert. 
Die  Technik  der  Umfassungsmauern  —  im  Unterbau  und  an  den 
Kanten  Quader,  sonst  solides  Bruchsteinmauerwerk. 

Ist  nun  in  dem  Aachener  Münster  die  technische  Tradition  des 
Altertums  noch  lebendig  und  wirksam,  so  ist  das  Verständnis  für  die 
antiken  Formsymbole  fast  völlig  erloschen.  In  den  mit  dem  Ganzen 
weder  in  struktivem  noch  in  formalem  Zusammenhange  stehenden  dop- 
pelten Säulenstellungen  hat  sich  —  durch  byzantinische  Vermittelung  ?  — 
ein  römisches  Motiv  erhalten,  sie  sind  die  einzige  architektonische  De- 
koration dieses  mit  einem  Minimum  von  plastischem  Detail  ausgeführten 
Pfeilerbaues.    Nach  dieser  Richtung  ist  der  Aachener  Kaiserbau  ein 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


155 


Repräsentant  des  Tiefstandes  der  christlichen  Architektur,  womit  ver- 
glichen die  besseren  Bauten  aus  der  zweiten  Hälfte  des  9.,  auch  die- 
jenigen des  10.  Jahrhunderts  —  Lorsch,  Essen  —  schon  einen  gewissen 
Fortschritt  des  Formensinnes  bekunden.  Und  doch,  selbst  in  der  nackt 
struktiven  Erscheinung,  in  welcher  er  heute,  von  der  alten  malerischen 
Bekleidung  völlig  entblösst,  dem  Beschauer  sich  darbietet,  noch  immer 
ein  wahrhaft  weihevoller  Raum,  eine  siegreiche  Probe  für  die  unver- 
lierbare Schönheit  des  Zentralsystemes !  —  Mertens  in  Försters  Bz. 
1840.  —  Dohme,  Kunst  und  Künstler  I. 

Als  unmittelbare  Kopien  nach  Aachen  kennen  wir  die  Kapellen  der 
kaiserlichen  Pfalzen  zu  NYM WEGEN  (Taf.  41,  Fig.  1,  2)  und  DUTEN- 
HOFEN. Jene  lässt  unter  den  Restaurationen  des  saec.  1 2  die  alte  An- 
lage noch  erkennen,  diese,  ein  Bau  Ludwigs  des  Frommen,  ist  ver- 
schwunden. Höchst  wahrscheinlich  besteht,  wenn  auch  die  Zwischen- 
glieder heute  fehlen,  ein  Zusammenhang  zwischen  diesen  karolingischen 
Pfalzkapellen  und  den  Schlosskapellen  des  späteren  Mittelalters, 
welche  gleichfalls  die  zentrale  Anlage,  sehr  vereinfacht  allerdings,  be- 
vorzugen. Hiervon,  wie  von  der  speziell  auf  Aachen  hinweisenden 
Gattung  der  Doppelkirchen,  später. 

Untergegangene  Nachbildungen :  Johanniskirche  zu  LÜTTICH  (a.  978), 
Walpurgiskirche  zu  GRONINGEN.  —  Erhaltene:  Kirche  zu  OTTMARS- 
HEIM im  Elsass  (Taf.  41,  Fig.  3,  4),  vergl.  Jakob  Burckhardt  in  den 
Baseler  Mittl.  II,  1833;  Adler,  Forschungen  II.  Merkwürdig  durch  das 
späte  Datum  (11.  Jahrhundert,  2.  Viertel),  wie  durch  den  engen  An- 
schluss  an  das  Original.  Die  einzige  wesentliche  Abweichung:  die  bei 
den  kleineren  Massverhältnissen  leichter  durchzuführende  Gleichheit  der 
Seitenzahl  des  äusseren  mit  dem  inneren  Polygon.  Die  Bestimmung  als 
Nonnenklosterkirche  und  das  dadurch  gegebene  Bedürfnis  einer  Empore 
ist  der  Sachgrund  zur  Wahl  des  Vorbildes.  Dessen  weitere  Differenzierun- 
gen sind  einerseits  in  den  Nonnenchören  zu  Essen  und  der  Kapitols- 
kirche  zu  Köln,  anderseits  in  den  Doppelkirchen  zu  verfolgen. 

Westchor  im  MÜNSTER  ZU  ESSEN  (Taf.  41,  Fig.  5,  6,  7)-  Das 
a.  874  gestiftete  Kloster  a.  947  abgebrannt.  Nach  diesem  Brande  noch 
im  saec.  10  wieder  aufgebaut.  Von  diesem  Bau  ist  der  Westchor  er- 
halten. Ein  halbes  Sechseck,  dessen  Durchmesser  halb  so  gross  ist 
als  der  des  Aachener  Münsters,  ist  in  einen  rechteckigen,  von  zwei 
Treppentürmen  flankierten  Turmbau  eingeschlossen  und  öffnet  sich  in 
einem  weiten,  von  Pi lästern  mit  korinthisierenden  Kapitellen  und 
Kämpferaufsätzen  getragenen  Rundbogen  gegen  das  Schiff.  Formal 
eine  strikte  Nachahmung  von  Aachen.  Runde  Hängekuppel  unmittelbar 
über  den  oberen  Arkaden.  Oberhalb  des  Chores  ist  der  Bau  ins  Achteck 
übergeführt.  —  v.  Quast  i.  d.  Z.  f.  christl.  Archäologie  u.  Kunst  I. 


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156  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

Westchor  von  S.MARIEN  IM  KAPITOL  ZU  KÖLN  (Taf.  41, 
Fig.  8,  vergl.  den  Grundriss  Taf.  14,  Fig.  4),  ein  rechteckig  vor  den 
westlichen  Turmbau  vortretender  Raum,  der  sich  in  zwei  Geschossen 
nach  dem  Mittelschiff  öffnet.  Der  untere  Bogen  in  drei  kleinere  Bögen 
geteilt,  welche  auf  Säulen  mit  Würfelkapitellen  ruhen;  der  obere  nach 
dem  Motive  von  Aachen  mit  dem  Unterschiede,  dass  die  seitlichen  Bögen 
nicht  gegen  die  Leibung  des  Hauptbogens  stossen,  sondern  auf  Halb- 
säulen ruhen.  Die  korinthisierenden  Kapitelle  mit  Kämpferaufsatz  ab- 
sichtlich archaisi  erend.  Erbaut  um  die  Mitte  des  saec.  11.  —  v.  Quast 
im  Jahrbuch  des  Vereins  von  Altertumsfreunden  im  Rheinland  XIII. 
S.  180  ff. 

DER  »ALTE  TURMc  ZU  METTLACH  (Taf.  41,  Fig.  7,  8).  Er- 
baut in  der  Regierungszeit  des  B.  Ekbert  von  Trier  (a.  975 — 993 ). 
Enthielt  das  Grab  des  Klosterstifters  St.  Liutwin  (f  a.  718).  Eine  um 
a.  1070  geschriebene  Quelle  sagt:  >.  .  .  et  Aquisgrani  Palatium 
mittens  et  exeode  similitudinem  sumens,  turrim  quae  adhuc  superest 
erexitc  Die  Nachahmung  ist  so  sehr  eine  abbreviierte ,  dass  wir  sie 
ohne  den  obigen  Hinweis  kaum  als  solche  erkennen  würden.  Grösser 
ist  die  Aehnlichkeit  mit  dem  Typus  von  S.  Gereon  in  Köln,  und  ist 
die  konkurrierende  Kenntnis  irgend  eines  in  diese  Familie  gehörenden 
Bauwerkes  vorauszusetzen.  Dreistöckiges  Oktogon;  unten  Nischen  in 
den  fast  3  m  dicken  Mauern;  darüber  ein  (ursprünglich  innerer)  Um- 
gang in  der  Mauerstärke  und  weiter  die  auf  ca.  '/«  ni  verjüngte 
Obermauer  mit  Fenstern  und  Balkendecke.  —  v.  Co  hausen  bei 
Erbkam  1871. 

GERMIGNY  DES  PRES  (De>  Loiret)  (Taf.  41,  Fig.  9,  10).  Kirche 
der  HH.  Ginevra  und  Germinus;  erbaut  a.  806  von  Theodulf,  Abt  von 
S.  Fleury,  nachmals  Bischof  von  Orleans,  einem  Angehörigen  der 
Akademie  Kaiser  Karls.  Vom  ursprünglichen  Bau  das  Wesentliche  bis 
vor  kurzem  erhalten  (1863  abgebrochen);  das  Fehlende  leicht  zu  er- 
gänzen. Ein  Chronist  des  10.  Jahrhunderts  nennt  sie  »basilicam  miri 
operis,  instar  videlicet  ejus  quae  Aquis  est  conditac  Eine  direkte 
Nachahmung  des  Aachener  Baues  ist  hier  noch  weniger  vorhanden  wie 
in  Mettlach.  Der  Vergleichspunkt  kann  nur  im  allgemeinsten  liegen: 
dem  zentralen  Grundplan  mit  überhöhtem,  lichtbringendem  Mittelraum. 
Vgl.  S.  48.  —  Parker  in  Archeologia  1857;  Merim^e  in  Dalys  Revue 
1849;  Bouet  im  bull.  mon.  1868.  De  Baudot,  Eglises  de  bourgs 
et  de  villages  II,  teilt  eine  ansprechende  Restauration  von  Lisch  mit. 

S.  MICHAEL  ZU  FULDA  (Taf.  41,  Fig.  11,  vergl.  Taf.  9),  Rund- 
kapelle auf  dem  Begräbnisplatz  der  Mönche,  erbaut  a.  820 — 22 ;  vergl. 
oben  S.  43  u.  v.  Dehn-Rotfelser,  Kurhess.  Bdkm. 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


»57 


3.   Die  kreuzförmige  Basilika. 

Hugo  Graf:  »Opus  francigenumc,  Stuttgart  1878. 

Es  giebt  ganz  und  gar  ein  unvollständiges  und  schiefes  Bild  von 
dem  Totalgehalte  der  karolingischen  Baubestrebungen,  wenn  es,  wie 
allzu  oft  geschehen  ist,  unter  dem  prävalierenden  Eindrucke  des  einen 
Monumentes,  der  Aachener  Palastkapelle,  als  der  vermeintlich  spre- 
chendsten Verkörperung  des  Bauideales  der  Epoche,  zustande  kommt. 
Urkunden  und  Geschichtsschreiber  bezeugen  die  grosse  Zahl  der  direkt 
oder  indirekt  durch  Karl  ins  Leben  gerufenen  Kirchenbauten  und  es 
unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  es  regelmässig,  d.  i.  bei  allen  Kathedral-, 
Pfarr-  und  Klosterkirchen  basilikale  Anlagen  waren,  wie  es  eben  die 
Sitte  des  Abendlandes  mit  sich  brachte.  Das  quantitative  Ueber- 
gewicht  der  Basilika  ist  aber  noch  nicht  die  Hauptsache.  Während 
das  geschichtliche  Verdienst  der  karolingischen  Zentralbauten  wesent- 
lich und  allein  ein  konservatives  ist,  wird  die  Basilika  das  Gebiet,  wo 
die  Epoche  über  das  Ueberlieferte  hinaus  selbständige  Schritte  wagt, 
den  Besitzstand  der  Architektur  erweitert.  Und  zwar  durch  Motive 
von  allerhöchster  Fruchtbarkeit  und  Tragweite.  Obenan  die  unter  den 
Händen  der  Franken  sich  vollziehende  Erweiterung  des  in  der  Bau- 
praxis eines  halben  Jahrtausends  unverändert  fortgeerbten  Basiliken- 
planes zur  Gestalt  des  lateinischen  Kreuzes.  Die  Geschichte  des 
romanischen  Stils  zeigt  die  allmähliche  Rezeption  dieses  fränkisch-karo- 
lingischen  Motives  im  gesamten  Abendlande;  es  behauptet  in  der  Go- 
tik den  ersten  Platz;  es  lebt  noch  fort  in  der  Renaissance. 

So  hoch  die  künstlerische  Bedeutung  der  Neuerung  anzuschlagen 
ist,  gaben  den  Anstoss  dazu  doch  nicht  eigentlich  ästhetische,  sondern 
praktische  gottesdienstliche  Desiderate.  In  der  altchristlichen  Basilika 
hatte  die  bauliche  Entwicklung  des  Priesterhauses  nicht  gleichen  Schritt 
gehalten  mit  dem  numerischen  Zuwachs  der  Priesterschaft.  Jetzt  unter- 
nahmen es  die  Franken,  über  diesen  Mangel  hinwegzukommen.  Es 
ist  bemerkenswert,  dass  die  Neuerung  von  den  grossen  Klöstern  aus- 
ging, deren  Frequenz  damals  enorm  anwuchs.  Fulda  z.  B.  hatte  schon 
unter  dem  zweiten  Abte  400  Mönche;  Centula  ihrer  300,  ungerechnet 
die  beim  Chordienst  verwendeten  Schüler.  Verwandte  Verhältnisse 
lagen  in  den  Kathedralkirchen  vor,  seitdem  die  der  Benediktiner  nach- 
gebildete Regel  Chrodegangs  von  Metz,  welche  die  gesamte  Geistlich- 
keit der  Bischofsstadt  zum  Zusammenleben  im  Münster  (monasterium) 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


und  Zusammenwirken  im  Chor  verband,  im  fränkischen  Reich  zur  all- 
gemeinen Durchführung  gelangte.  Die  also  gehäufte  Zahl  der  Geist- 
lichkeit, deren  zunehmende  aristokratische  Sonderung  vom  Volke,  welche 
man  besonders  den  neubekehrten  germanischen  Nationen  gegenüber 
hervorzukehren  für  gut  fand,  die  vermehrte  Umständlichkeit  und  Pracht 
der  Zeremonien,  —  alles  das  machte  die  Erweiterung  des  Chorraumes 
dringlicher  wie  je.  Diese  Erweiterung  in  der  Richtung  zu  suchen, 
wie  es  bisher  immer  geschehen  war  und  in  Italien  noch  fortgesetzt 
geschah,  d.  i.  durch  Vorschieben  der  Chorschranken  in  das  Haupt- 
schiff des  Gemeindehauses,  gaben  die  Franken  auf.  Sie  nahmen  die 
Erweiterung  nach  der  entgegengesetzten  Seite  des  Querhauses,  nach 
Osten,  an,  machten  den  Chor  zu  einem  besonderen  Bauteil,  den  sie 
zwischen  das  Querhaus  und  die  Apsis  einschoben :  —  das  ist  eben, 
nach  dem  uns  geläufigen,  von  jener  Zeit  übrigens  nicht  verwerteten, 
Vergleiche  die  Verwandelung  der  crux  conimissa  oder  des  Signum  Tau  in 
die  crux  immissa,  crux  capitata.  Klärlich  ist  dieses  die  einzig  logische 
und  wahrhaft  architektonische  Lösung. 

Ein  zweites  ist  die  Ortsveränderung  des  Altars.  Aus  dem  Quer- 
schiff wird  er  in  den  neugewonnenen  jenseitigen  Ostbau  hinausgerückt. 
Hiermit  erst  kommt  der  Altar,  wie  es  sich  gebührt,  zu  seinem  eigenen 
Altarhaus,  wird  das  Allerheiligste  bedeutsam  charakterisiert  und  heraus- 
gehoben. 

Wahrscheinlich  hat  dann  noch  ein  drittes  Moment  zu  diesem  Er- 
gebnis mitgewirkt,  d.  i.  die  Rücksicht  auf  die  um  diese  Zeit  in  den 
Ländern  des  Nordens  ein  notwendiges  Requisit  aller  grösseren  Kirchen 
werdende  Krypta.  Eine  solche  Krypta,  zu  einem  geräumigen  und  um 
der  Lichtführung  willen  zur  Hälfte  über  das  Niveau  des  Kirchenflures 
emporsteigenden  Oratorium  erweitert,  wie  man  sie  jetzt  verlangte ,  ist 
mit  dem  alten  T  förmigen  Chorschluss  nicht  wohl  in  Verbindung  zu 
bringen.  Der  Flächenraum  der  Apsis  wäre  ihr  zu  klein,  anderseits 
würde  die  eventuelle  Ausdehnung  über  den  Mittelraum  des  Querhauses 
die  räumliche  Wirkung  des  letzteren  empfindlich  beeinträchtigen  l). 
Durch  den  Fortschritt  zum  Grundplan  des  lateinischen  Kreuzes  aber 
sind  diese  Schwierigkeiten  beide  überwunden.  In  dieser  neuen  Kom- 
bination wird  die  Krypta  aus  einem  bedenklichen  zu  einem  wertvollen 
Baugliede;  wertvoll  nicht  bloss  um  ihrer  selbst  willen,  sondern  auch 


')  Wie  es  z,  B.  in  dem  noch  Tfbrmig  abschliessenden  Münster  zu  Strassburg 
wirklich  geschehen  ist. 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


J59 


flir  die  Oberkirche,  indem  sie  das  Sanktuarium  über  das  Niveau  des 
Gemeindehauses  emporhebt  als  eine  imposante  Bühne  für  den  Altar 
und  seine  Feier. 

Hiermit  erst  sind  die  durch  die  Ausbildung  des  Altarhauses  im 
Sinne  der  crux  capitata  gewonnenen  Vorteile  völlig  sichergestellt. 
Nun  mochte  es  immerhin  geschehen ,  wie  in  Kirchen  mit  besonders 
ausgedehntem  Chordienst  nicht  zu  vermeiden  war,  dass  die  Schranken 
des  Chores  wieder  nach  alter  Weise  in  das  Quer-  oder  selbst  das 
Langhaus  vorrückten:  ein  Blick  auf  den  Hochbau  genügte  zur  Auf- 
klärung der  einheitlichen  Kompositionsidee. 

Die  erste  Anregung  zu  der  geschilderten  Umgestaltung  der  Ba- 
silika haben  also  praktische  Motive  des  Gottesdienstes  gegeben.  Sehr 
bald  aber,  wie  es  scheint,  wurde  das  künstlerisch  Bedeutsame  und 
Entwicklungsfähige,  das  darin  liegt,  erkannt  und  verwertet. 

Während  in  der  Summe  der  altchristlichen  Basiliken  die  mit 
Querschiff  versehenen  einen  verschwindend  kleinen  Prozentsatz  aus- 
machen, so  ist  umgekehrt  für  die  nordisch-romanische  Basilika  der 
Besitz  des  Querschiffes  die  Regel,  der  Mangel  desselben  eine  nur  ge- 
wissen Provinzialstilen  eigene  Abweichung.  In  der  Kreuzbasilika  wird 
auch  die  Bedeutung  des  Querschiffes  innerhalb  des  Gesamtorganismus 
eine  andere.  Der  Rückblick  auf  die  durch  ein  Querschiff  ausgezeich- 
neten Basiliken  Roms  zeigt  dasselbe  überall  als  selbständigen  unge- 
teilten Raum,  welcher  dem  Langhaus  sich  entgegenstemmt  und  die  in 
dessen  Arkaden  ausgedrückte  Fortbewegung  zum  Stillstand  bringt. 
Diese  ausgesprochen  und  allein  kontrastierende  Bedeutung  verliert  es 
jetzt,  es  wird  in  den  Rhythmus  des  Ganzen  organisch  eingegliedert, 
gleichzeitig  denselben  bereichernd  und  strenger  einigend.  Mit  logischer 
Folgerichtigkeit  zieht  der  erste  Schritt  einen  zweiten  nach  sich:  Das 
bisher  willkürliche  und  schwankende  Verhältnis  der  Breitendimension 
des  Querschiffes  zu  derjenigen  des  Hauptschiffes  kann  nicht  länger 
geduldet  werden;  beide  Masse  müssen  einander  gleichgesetzt  werden; 
und  somit  gewinnt  die  Fläche  ihrer  Durchschneidung,  das  Kreuzes- 
mittel, eine  ein  für  allemal  feststehende,  vermöge  ihrer  Einfachheit 
leicht  fassliche  Konfiguration:  als  Quadrat.  Weiter  soll  dieses  auch 
im  Aufbau  nach  seiner  zentralen  Bedeutung  nachdrücklich  hervorge- 
hoben werden  und  wird  demgemäss  nach  allen  vier  Seiten  durch  Gurt- 
bögen markiert,  welche  Form  bis  dahin  nur  zur  Abgrenzung  von  Quer- 
schiff und  Hauptschiff  (als  sog.  Triumphbogen)  in  Verwendung  ge- 
kommen war.   Und  hatte  diese  Abgrenzung  bis  dahin  immer  noch  den 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Charakter  einer  Wand  gehabt,  wenn  auch  einer  von  weiten  Oeffnungen 
durchbrochenen,  so  verschwindet  jetzt  diese  Scheidewand  gänzlich,  die 
Träger  der  Gurtbögen  werden  zu  Pfeilern  mit  kreuzförmigem  Grundriss. 
Es  folgen  weitere  Konsequenzen.  Man  will  die  Vierung  nicht  nur  als 
Mittelpunkt,  sondern  auch  als  Gesetzgeberin  des  ganzen  Grundrisses 
betrachtet  wissen,  indem  man  die  in  ihr  enthaltenen  Masse  auch  den 
übrigen  Räumen  zur  Norm  giebt:  zuerst  wird  die  Fortsetzung  des 
Mittelschiffes  gegen  die  Apsis  congruent  der  Vierung  gemacht ;  dann 
geschieht  das  Gleiche  mit  den  beiden  Flügeln  des  Kreuzschiffes ;  schliess- 
lich darf  auch  das  Langschiff  sich  nicht  beliebig  entwickeln,  sondern 
nur  als  Summe  von  zwei,  drei  oder  mehr  der  im  Kreuzesmittel  ge- 
gebenen Einheiten. 

Unverkennbar  enthält  in  der  Kreuzbasilika  die  Behandlung  des 
Quer-  und  Altarhauses  eine  Annäherung  an  das  Kompositionsprinzip 
des  Zentralbaues.  Die  Hypothese  aber,  dass  diese  Um-  und  Fort- 
bildung der  Basilika  thatsächlich  vom  Zentralbau  ihren  Ausgang  ge- 
nommen habe,  entbehrt  gleich  sehr  der  äusseren  historischen,  wie  der 
inneren  architektonischen  Begründung.  Nächst  der  Befriedigung  der 
oben  bezeichneten  ritualen  Bedürfnisse  ist  das  Ziel,  worauf  am  meisten 
jene  Zeit  hinauswollte:  den  Kirchenbau  über  die  lockere,  unentschiedene 
Behandlungsweise  der  älteren  Jahrhunderte,  über  alle  Willkür  und  Miss- 
verständnisse hinauszuheben  durch  Fixierung  einer  leicht  verständlichen, 
in  der  Anwendung  untrüglichen,  alle  Einzelverhältnisse  durchdringenden 
und  sicherstellenden  Regel.  Die  Kreuzbasilika  bezeichnet,  verglichen 
mit  der  altchristlichen,  nicht  nur  einen  relativen  Fortschritt  —  insofern 
sie  die  besonderen  Anschauungen  und  Bedürfnisse  des  Mittelalters 
vollkommener  zum  Ausdruck  bringt  —  sie  ist  auch  an  und  für  sich, 
im  Sinne  des  Organischen,  eine  Form  höherer  Ordnung.  Es  ist  der 
von  innen  heraus  wirkende  Trieb  nach  entschiedener  Betonung  des 
Richtungsmomentes,  nach  straffer  Sammlung  und  Bindung,  welcher  sie 
zu  ideeller  Annäherung  an  den  Zentralbau  bringt ;  äusserlich  von  diesem 
abhängig  ist  sie  nicht. 

Die  frühesten  beglaubigten  Beispiele  von  Basilikenplänen  im  Sinne 
des  lateinischen  Kreuzes  begegnen  uns  in  der  Zeit  Karls  des  Grossen. 
Trügt  nicht  alles,  so  ist  dies  auch  die  Zeit  ihrer  Entstehung.  Für 
die  geschichtliche  Stellung  eines  derartigen  Typus  von  höchst  einfachem 
Grundgedanken  trägt  es  nichts  oder  wenig  aus,  ob  er  vielleicht  schon 
früher  hier  und  dort  einmal  versucht  worden;  wesentlich  ist  allein  die 
Frage,  wann  die  entschiedene  allgemeine  Teilnahme  für  ihn 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


161 


beginnt.  Denn  seine  massgebende  Gestalt  gewinnt  er  nie  durch 
einen  einzelnen,  sondern  durch  die  Arbeit  eines  ganzen  Geschlechtes. 

Oertlich  verteilen  sich  die  ältesten  uns  bekannten  Denkmäler 
dieser  Klasse  wie  folgt:  Fulda  c.  a.  800,  Köln  a.  814,  S.  Gallen  a. 
830,  Hersfeld  beg.  a.  831,  Werden  a.  R.  voll.  a.  870.  Nach  Aus- 
scheidung von  S.  Gallen,  dessen  Bauriss  von  auswärts  eingesandt  war, 
ist  also  das  früheste  Verbreitungsgebiet  ein  ganz  bestimmt  begrenztes : 
das  fränkische  Rheinland  mit  Hessen.  Wir  müssen  sie  als  die  Wiege 
der  Kreuzbasilika  betrachten.  Die  Probe  auf  die  Richtigkeit  dieser 
Annahme  giebt  die  weitere  Verbreitung  im  10.  und  11.  Jahrhundert. 
Da  findet  sich  das  lateinische  Kreuz  im  Gebiete  des  fränkischen  und 
sächsischen  Stammes  als  anerkannte  Normalform;  in  Alemannien  und 
Bayern  zeigt  es  sich  nur  sporadisch  zwischen  überwiegend  querschifflosen 
oder  T förmigen  Grundrissen;  im  westfränkischen  Reich  wie  in  Italien 
ist  es  bis  zur  Mitte  des  11.  Jahrhunderts  überhaupt  unbekannt. 

S.  GALLEN  (Taf.  42,  Fig.  2).  Von  dem  Bau  selbst,  begonnen 
a.  830,  ist  keine  Spur  mehr  übrig,  erhalten  aber  ist  uns  der  Bauriss: 
das  früheste,  absolut  sichere  Zeugnis  für  den  fraglichen  Typus.  Abt 
Gozbert  hatte  ihn  von  auswärts  sich  zusenden  lassen.  Nach  der  Person 
des  Autors  zu  raten  ist  aussichtslos.  Wir  haben  ihn  als  einen  jener 
hochgestellten  und  hochgebildeten  Geistlichen  in  der  Umgebung  des 
Kaisers  zu  denken,  welche  für  den  Baugeist  der  Zeit  hauptsächlich  be- 
stimmend waren.  Noch  Gozberts  zweiter  Nachfolger  in  der  Abtswürde 
liess  sich,  als  er  einige  bauliche  Neuerungen  vorhatte,  Hofbaumeister 
(»palatini  magistri«)  kommen.  Der  Bauriss  von  a.  830  kann  indes,  so 
wie  er  vorliegt,  nicht  ausgeführt  worden  sein,  da  er  auf  die  besonderen 
topographischen  Verhältnisse  des  S.  Galler  Klosterbezirkes  nicht  Rück- 
sicht nimmt;  er  will  nur  in  den  Grundzügen  skizzieren,  was  man  in 
den  leitenden  Kreisen  damals  für  mustergültig  hielt,  und  eben  dies 
macht  ihn  für  uns  so  wertvoll.  Zu  bedauern  bleibt,  dass  die  summa- 
rische, mehrfach  bloss  andeutende  Art  der  Darstellung  dem  heutigen 
Betrachter  einiges  unaufgeklärt  oder  zweifelhaft  lässt.  —  Bemerkenswert 
ist  die  mathematisch  abstrakte  Strenge  in  der  Durchführung  der  Kreuzes- 
gestalt. Nicht  nur,  dass  das  Kreuzesmittel  als  reines  Quadrat  formiert 
ist,  es  ist  auch  bereits  zur  durchgehenden  Masseinheit  genommen. 
Einerseits  die  Kreuzflügel  samt  dem  Altarhaus ,  anderseits  das  Haupt- 
schiff erweisen  sich  in  ihrem  Flächenraum  als  gleiche  Hälften,  eine 
jede  das  Produkt  aus  drei  Mittelquadraten.  Lehrreiche  Aufschlüsse 
giebt  sodann  die  Skizze  der  durch  die  Zwecke  des  Kultus  bedingten 
inneren  Einteilung.  Zunächst  fällt  auf,  dass  zwei  Chöre  vorhanden 
sind,  ein  östlicher  und  ihm  gegenüber  ein  westlicher.    Von  der  Be- 

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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


deutung  des  letzteren  handeln  wir  an  späterer  Stelle.  Der  Ostchor 
zerfällt  in  drei  durch  Ballustraden ,  nach  aussen  wie  unter  sich,  abge- 
sonderte Kompartimente :  i)  Apsis  und  Altarhaus  (»sancta  sanctorumc), 
durch  die  darunter  befindliche  Krypta  um  sieben  Stufen  überhöht,  an 
den  Wänden  ringsum  laufende  Bänke  für  die  Presbyter.  2)  Der  Sänger- 
chor, in  seiner  Ausdehnung  der  Vierung  entsprechend.  3)  Die  ersten 
Arkaden  des  Hauptschiffes  einnehmend  ein  während  des  Gottes- 
dienstes frei  bleibender  Zwischenraum,  der  den  Ambo  und  zwei  Lese- 
pulte enthält.  Diese  Räume  beziehen  sich  auf  den  Dienst  am  Haupt- 
altar; ausserdem  sind  noch  Uber  die  ganze  Kirche  Nebenaltäre  verteilt, 
jeder  mit  eigenen  Schranken  und  Gestühl;  in  der  Wahl  ihrer  Plätze 
kommt  eine  wahrscheinlich  sorgfältig  erwogene  Rangabstufung  der  be- 
treffenden Heiligen  zum  Ausdruck.  —  Hier  einige  von  den  erklärenden 
Beischriften  des  Risses:  A)  Exedra;  B)  Sancta  sanetorum;  a)  Altar 
S.  Pauli;  b)  Altar  S.  Mariae  et  S.  Galli;  c)  Altar  S.  Benedicti;  d)  S.  Co- 
lumbani;  e)  SS.  Philippi  et  Jacobi;  f)  S.  Andreae;  g)  S.  Salvatoris  et 
S.  Crucis;  h)  S.  Joannis  Bapt.  et  S.  Joan.Evang.;  i)  S.  Petri  ;  C)  Chorus 
psallentium;  k)  accessus  ad  confessionem ;  1)  in  cryptam  introitus  et 
exitus;  m)  analogia  ad  legendum;  n)  ambo;  o)  fons.    D)  Chorus. 

Der  Typus  der  fränkischen  Kreuzbasilika  tritt  uns  in  S.  Gallen  be- 
bereits  in  ganz  reifer  und  strenger  Durchbildung  entgegen.  Es  ist 
nicht  zu  denken,  dass  er  gleich  auf  den  ersten  Wurf  so  gelungen  sein 
sollte.  Und  vielleicht  ist  uns  aus  der  Reihe  der  Vorstufen  e  i  n  Denkmal 
noch  erhalten:  die  Klosterkirche  zu  HERSFELD  (Taf.  42,  Fig.  3). 
Der  älteste  Bau,  gewiss  nur  ein  Notbau,  begann  a.  768;  Monumental- 
bau a.  831 — 850;  a.  1038  Feuersbrunst;  die  Krypta  ist  schon  a.  1040 
von  neuem  geweiht  und  die  Herstellung  des  Hochbaues^  im  Chor  und 
Querhaus  wird,  nach  der  Verwandtschaft  der  Formen  zu  schliessen, 
bald  nachgefolgt  sein;  die  Vollendung  des  Westbaues  bis  a.  11 44  ver- 
zögert; seit  der  Brandlegung  durch  die  Franzosen  a.  1761  Ruine.  — 
Die  zunächst  nach  a.  1038  renovierten  Teile  zeigen,  verglichen  mit 
der  unter  der  gleichen  Oberleitung  (des  Abtes  Poppo  von  Stablo)  einige 
Jahre  vorher  erbauten  Klosterkirche  zu  Limburg  a.  d.  Hardt,  die  grösste 
Uebereinstimmung  der  Detailforraen ,  ja  sogar  genau  die  gleiche  Ge- 
samthöhe (vergl.  Taf.  55).  Um  so  auffälliger  ist  der  prinzipielle  Unter- 
schied in  den  Grundrissen.  Noch  mehr :  derjenige  von  Hersfeld  wider- 
spricht überhaupt  allen  im  entwickelten  deutschen  Romanismus  geltenden 
Regeln.  Während  in  Limburg  der  übliche  quadratische  Schematismus 
korrekt  befolgt  ist,  zeigt  in  Hersfeld  das  Querhaus  nicht  nur  eine  ab- 
norme Ausladung  der  Flügel,  sondern  es  ist  auch  schmäler  als  das 
Mittelschiff  und  es  fehlen  ihm  die  Schwibbogen  über  dem  Kreuzungsmittel. 
Diese  letzteren  Anomalien  treten  dadurch  noch  schärfer  ins  Licht,  dass  sie 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


an  dem  sonst  den  Hersfelder  Grundriss  kopierenden  Dom  zu  Würz- 
burg geflissentlich  vermieden  sind  (vergl.  Taf.  48,  Fig.  2  u.  3).  Alles 
dies  verliert  sogleich  sein  Verwunderliches,  ja  Unbegreifliches,  wenn 
man  annimmt,  dass  der  Brand  von  a.  1038  kein  vollständig  zer- 
störender gewesen  sei,  so  dass  der  Herstellungsbau  mindestens  in  der 
Ostpartie  die  alten  Fundamente  konserviert  habe').  Unterstützt  wird 
diese  Hypothese  durch  die  ungewöhnlich  schnell,  nämlich  schon  zwei 
Jahre  nach  dem  Brande  erfolgte  Wiedereinweihung  der  Krypta.  Ver- 
gleicht man  sodann  die  auf  Taf.  42  vereinigten  Grundrisse,  so  zeigt 
sich,  dass  der  von  Hersfeld  zwischen  dem  merowingischen  (Fig.  1)  und 
den  karolingischen  (Fig.  2  u.  4)  gerade  eine  mittlere  Entwicklungsstufe 
einnimmt,  und  dies  verleiht  ihm  ein  ganz  besonderes  Interesse. 

Vielleicht  ist  uns  in  Hersfeld  eine  ziemlich  genaue  Nachahmung 
erhalten  von  der  an  der  Spitze  der  Schule  stehenden  Klosterkirche  zu 
FULDA.  Unter  den  ostfränkischen  Klöstern  durch  den  Ruhm  seines 
Stifters,  Winfrid-Bonifacius,  das  angesehenste  und  am  stärksten  frequen- 
tierte. In  rascher  Folge  werden  Erweiterungsbauten  nötig :  die  Baulust 
der  Aebte  äussert  sich  aber  gleich  so  grossartig,  dass  die  Mönche  auf- 
sässig werden.  Fremden  Rates ,  wie  in  S.  Gallen ,  scheint  man  nicht 
bedurft  zu  haben ;  das  Kloster  zählt  unter  seinen  eigenen  Mönchen  bau- 
kundige Männer;  einige  von  ihnen  studieren  den  Vitruv,  zu  dessen 
Erläuterung  Elfenbeinmodelle  vorrätig  sind;  Einhard  ist  aus  dieser 
Schule  hervorgegangen  und  bleibt  in  Korrespondenz  mit  ihr.  Für  die 
Bauthätigkeit  im  fränkischen  Ostreich  scheint  Fulda  der  wichtigste 
Mittelpunkt  gewesen  zu  sein,  und  nicht  unwahrscheinlich  geht  der  Bau- 
riss  von  S.  Gallen  mindestens  indirekt  auf  diese  Quelle  zurück.  Von 
der  Fuldaer  Hauptkirche  ist  keine  eigentliche  Beschreibung  überliefert, 
nur  gelegentliche  kurze  Andeutungen,  weshalb  mehr  als  ein  ungefähres 
Bild  von  ihr  nicht  zu  gewinnen  ist.  Der  zweite  Abt,  Baugulf,  lässt 
durch  den  Mönch  Ratger  einen  Erweiterungsbau  beginnen,  welcher, 
wie  es  scheint,  auf  allmähliche  Ersetzung  der  alten  Teile  nach  einheit- 
lichem Plane  von  Anfang  an  berechnet  ist.  Unter  Baugulf  (a.  779—802) 


!)  Nach  der  lange  dauernden  unkritischen  Art,  die  Baugeschichte  des  Mittelalters 
zu  behandeln,  herrscht  jetzt  eine  hyperkritische.  Viel  zu  oft  werden  die  Nachrichten  der 
Chronisten  Aber  Brandschäden  so  genommen,  als  mussten  dieselben  jedesmal  die  Zer- 
nichtung des  Gebäudes  bis  auf  den  Grund  bedeuten.  Besonnenere  Kritik  wird  jeden 
einzelnen  Erneuerungsbau  darauf  zu  prüfen  haben,  wie  viel  er  etwa,  sei  es  real,  sei  es  in 
der  Idee,  von  seinem  Vorläufer  herübergenommen  hat.  Dass  der  Platz  eines  einmal  geweihten 
Altars  ungern  verlassen  wurde,  ist  bekannt,  und  darin  liegt  eine  gewisse  konservierende 
Rücksicht  auch  auf  die  Architektur.  Wir  werden  im  folgenden  noch  oft  auf  diese  unsere 
Ansicht  zurückkommen.  Hier  nennen  wir  als  Beispiel  nur  die  wahrscheinlich  gleichfalls 
von  Poppo  geleitete  Restauration  des  Strassburger  Münsters,  wo  unter  denselben 
Voraussetzungen,  wie  wir  sie  für  Hersfeld  vermuten,  der  altertümliche  Tförmige  Chor- 
schluss  beibehalten  ist. 


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164 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


wird  das  Querhaus  (transversa  domus)  vollendet  und  eine  Erweite- 
rung nach  Osten  vorgenommen:  also  lateinisches  Kreuz.  Von  Ratger 
als  dieser  zur  Abtwürde  aufrückte,  heisst  es  sodann:  >Occidentale  tem- 
plum  (Westchor)  mira  arte  et  immensa  magnitudine  altari  copulans, 
unam  facit  ecclesiam.c  Eigil  versieht  beide  Chöre  mit  Krypten  und 
vollendet  die  innere  Ausstattung;  a.  819  erfolgt  die  Einweihung.  Ein 
Brand  von  a.  937  macht  einen  Herstellungsbau  nötig,  der  jedoch  den 
älteren,  scheint  es,  genau  reproduziert.  Die  Grundform  des  lateinischen 
Kreuzes  tritt  in  der  Schilderung  bestimmt  hervor;  das  Langhaus  hat 
20  Säulen,  also  jederseits  11  Arkaden,  und  22  Oberfenster;  das  Quer- 
haus 18  Fenster.  —  Ueber  die  Baugeschichte  Gegenbauer  im  Fuldaer 
Gymnasialprogramm  1881.  —  Als  eine  Nachahmung  der  Fuldaer  Sal- 
vatorkirche  betrachtet  man  den  a.  814  begonnenen  Dom  zu  Köln;  die 
Nachrichten  sind  sehr  dunkel. 

WERDEN  A.  D.  RUHR  (Taf.  42,  Fig.  4).  In  dem  spätromanischen 
Umbau  sind  Reste  des  a.  875  geweihten  Stiftungsbaues  enthalten,  welche 
das  lateinische  Kreuz  des  Grundplans  sicher  stellen ;  ausführlicher  be- 
gründet unter  Abschnitt  7. 

MICHELSTADT  (Taf.  42,  Fig.  5,  Taf.  44,  Fig.  1)  und  SELIGEN- 
STADT. Die  an  diesen  beiden  Orten  im  Odenwald  von  Einhard  er- 
richteten Stiftskirchen  (die  erstere  vollendet  a.  827,  die  zweite  begonnen 

a.  828)  sind  in  erheblichen  Teilen  noch  erhalten.  Während  für  die 
oben  betrachteten  grossen  Abteikirchen  durchweg  das  lateinische  Kreuz 
massgebend  war,  beharrt  die  für  eine  nur  mässige  Zahl  von  Stiftsherren 
bestimmte  Michelstädter  Basilika  im  Kreise  der  älteren  Grundformen 
(in  Seligenstadt  gerade  die  Ostpartie  in  ihrer  ursprünglichen  Anlage 
nicht  mehr  erkennbar).  Der  Vorderchor  gegen  die  Querhausflügel  durch 
tief  herabsteigende  Bögen  abgegrenzt  —  eine  im  frühen  Mittelalter 
häufige  Anlage,  vgl.  Agliate  Taf.  44,  Fig.  2.  S.  Pietro  und  Sta.  Maria 
in  Toscanella  (Taf.  72  u.  Taf.  76);  S.  Vincenzo  alle  tre  fontane  bei 
Rom,  Abb.  bei  Bunsen  Bl.  12;  S.  Miguel  de  Escalada  (Taf.  75); 
S.  Ge"ne"roux,  Abb.  b.  Gailhabaud  I;  S.  Salvator  in  Aachen,  Abb. 

b.  Bock,  Rheinl.  III.  In  der  Richtung  des  Hauptschiffes  waren,  wie 
die  bis  zur  Höhe  der  Arkaden  hinaufreichenden  Mauerverzahnungen 
und  ein  quer  durch  das  Schiff  laufendes  Fundament  erkennen  lassen, 
die  Chorschranken  durch  eine  Kolonnade  gebildet,  ähnlich  den  auf 
S.  98  besprochenen.  (Den  gleichen  Zweck  hatten  vielleicht  die  a.  990 
dem  Kloster  Korvey  geschenkten  sechs  bronzenen  Säulen.)  —  Braden 
im  Archiv  f.  hessische  Gesch.  XIII.  Schäfer  in  Lützows  Z.  f.  bild. 
Kunst  IX.    Schneider  in  Nassauer  Annalen  XII,  XIII. 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


I65 


INGELHEIM :  S.  REMIGIUS  (Taf.  42,  Fig.  6).  Erbaut  von  Kaiser 
Otto  I.  Einschiffig,  flache  Balkendecke.  Eine  Anlage,  wie  man  sieht, 
die  sowohl  von  dem  durch  das  Aachener  festgestellten  Typus  der 
Palastkapellen  als  auch  von  demjenigen  der  Pfarrkirchen  prinzipiell 
abweicht;  vielleicht  aus  dem  zwischen  a.  768—774  ausgeführten  Bau 
Karls  d.  Gr.  herübergenommen  die  Ecktürme  zu  Seiten  der  Apsis  aus 
dem  Restaurationsbau  Kaiser  Friedrichs  I. ;  —  v.  Cohausen  in  »Ab- 
bildungen von  Mainzer  Altertümern«  Heft  5;  Wörnerim  Correspon- 
denzblatt  der  deutschen  Geschichtsvereine  1881.  —  Aehnliche  Grund- 
risse, indes  nur  bei  gewölbten  Decken,  zuweilen  im  westfränkischen 
Reich.  Viollet - le - Duc  V,  181 :  »Saint-Etienne  de  Beäugency 
(Ddp.  Loiret).  Eglise  fort  ancienne,  9.  ou  10.  siecle.  Nef  ötroite,  longue, 
sans  bas-cöte's.  Transsept  tres-prononce',  avec  chapelles  semi-circulaires 
orientees.  Votttes  en  berceau,  voütes  d'arSte  sur  le  centre  de  la  croise*e.« 

KOBLENZ:  S.  KASTOR  (Taf.  47,  Fig.  7).  Erbaut  von  Erzbischof 
Hetti  von  Trier,  Weihe  a.  836.  Wiederholcntliche  Brandbeschädigungen. 
Seit  Mitte  saec.  1 2  Erneuerung,  zuerst  des  Chores,  dann  durch  Erzbischof 
Johann  I.  (a.  11 90 — 12 12)  Transsept  und  Langhaus.  Das  flachgedeckte 
Mittelschiff  Ende  saec.  15  mit  Sterngewölben  versehen,  die  Mauer  des 
südlichen  Seitenschiffs  nach  aussen  verblendet.  —  Dr.  Lehfeldt  glaubt 
(nach  brieflicher  Mitteilung),  dass,  die  Gesamtdisposition  der  West- 
turmanlage und  einige  aussen  vermauerte  Architekturteile  desselben 
ausgenommen,  nichts  weiter  vom  Bau  des  saec.  9  übrig  sei.  Wir 
möchten  mehr  dafür  in  Anspruch  nehmen.  Uns  ist  höchst  auffällig, 
dass  zwar  der  Chor  und  die  Pfeilerstellung  des  Langhauses  dem  im 
entwickelten  deutsch-romanischen  Stil  üblichen  quadratischen  Schema- 
tismus folgen,  dagegen  der  Teil,  wo  derselbe  am  meisten  geboten  ist,  d.  i. 
das  Querhaus,  nicht.  Eine  solche  Anomalie  hätten  die  Baumeister  des 
saec.  12  bei  einem  totalen  Neubau  sich  nicht  zu  schulden  kommen 
lassen.  Ebenso  besitzt  das  Mittelschiff  eine  für  das  saec.  12  ganz  un- 
gewöhnliche Breite.  Wir  glauben ,  dass  man  zunächst  nur  auf  die 
Erneuerung  des  Chores  Bedacht  gehabt  hat  und  dass  deshalb  bei  der 
nachfolgenden  Restauration  des  Quer-  und  Langhauses  die  alten  Um- 
fassungsmauern (jedoch  nicht  auch  die  Pfeiler)  in  ihren  Grundlinien 
festgehalten  wurden.  Vergleicht  man  die  in  unserem  Grundriss  schwarz 
angelegten  Teile  mit  einem  anderen,  sicher  karolingischen  Monument, 
der  Einhardsbasilika  zu  Michelstadt  (Taf.  42,  Fig.  2),  so  zeigt  sich  ge- 
naueste Uebereinstimmung  der  Disposition.  Vielleicht  beruht  dieselbe 
nicht  bloss  auf  der  gleichen  Zeitstellung.  Es  ist  von  Einhard  ein  Brief 
erhalten  (Mon.  Germ.  II,  p.  603),  mit  dem  derselbe  dem  obengenannten 
Erzbischof  Hetti  Reliquien  übersendet,  welche  dieser  zur  Weihe  einer 
neuen  Basilika  sich  erbeten  hatte.   Unter  den  von  Hetti  erbauten 


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i66 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Kirchen  nimmt  aber  die  von  S.  Kastor  die  erste  Stelle  ein.  Die  Ver- 
mutung liegt  nicht  fern,  dass  Hetti  von  dem  baukundigen  Freunde 
schon  früher  auch  den  Plan  zu  seiner  Kirche  sich  habe  schicken  lassen. 
In  diesem  Zusammenhange  scheinen  die  auffallend  an  die  Aachener 
Palastkapelle  erinnernden  Flachnischen  der  Seitenschiffe  doppelt  be- 
achtenswert; vielleicht  ist  auch  dieses  Motiv  dem  karolingischen  Bau 
nachgebildet  —  Monographie  von  A.  J.  Richter,  3.  Auflage,  Koblenz 
1868;  F.  Bock  in  Rheinlands  Baudenkmale«. 

Die  hohe  baugeschichtliche  Bedeutung  des  Ueberganges  vom  T  för- 
migen zum  lateinischen  Kreuz  wurde  zuerst  von  Hugo  Graf  (>Opus 
francigenum«,  Stuttgart  1878)  erkannt  und  mit  Nachdruck  vertreten. 
Hierdurch  hat  Graf  sich  ein  nicht  geringes  Verdienst  erworben.  Seinen 
Einzelausführungen  vermögen  wir  aber  nicht  beizutreten.  Graf  be- 
hauptet die  Entstehung  des  lateinischen  Kreuzes  in  der  Weise,  dass 
einem  in  »reiner  Kreuzform c  (analog  S.  Nazaro  in  Mailand,  oben  S.  45} 
ausgeführten  Gebäude  nachträglich  eine  dreischiffige  Basilika  ange- 
hängt worden;  Ort  und  Zeit  der  Entstehung  verlegt  er  in  das  mero- 
wingische  Paris  des  6.  Jahrhunderts ;  die  massgebenden  Urbilder  sind 
ihm  die  Vincentiusbasilika  in  ihrer  präsumtiven  Erweiterung  durch 
Chilperich  a.  577  und  demnächst  die  Dionysiusbasilika  Dagoberts 
a.  628.  Um  zu  diesem  Ergebnis  zu  gelangen,  bedurfte  Graf  einer 
langen,  kunstvoll  geordneten  Reihe  von  Konjekturen,  deren  meist 
schwache  Begründung  anzufechten  leicht  wäre.  Wir  sind  dieser  Pflicht 
jedoch  enthoben,  da  der  Gegenbeweis  einfach  ad  oculos  demonstriert 
werden  kann.  Graf  hat  übersehen,  dass  in  Saint- Denis  an  dem  ent- 
scheidenden Ostbau  die  Fundamente  des  Dagobertischen  Baues 
noch  vorhanden  sind.  Viollet-le-Duc  IX,  228  hat  sie  abgebildet, 
danach  bei  uns  Taf.  42,  Fig.  1.  Dieser  Grundriss  sieht  nun  freilich 
ganz  anders  aus  als  das  Phantasiegebäude  Grafs :  es  zeigt  den  für  jene 
Zeit  normalen  TSchluss.  Weiter  hat  Graf  unbeachtet  gelassen,  dass 
bis  ins  n.  Jahrhundert  hinein  in  Paris  und  Nordfrankreich  überhaupt 
kein  einziges  Mal  der  Grundplan  des  lateinischen  Kreuzes  nachzuweisen 
ist,  wodurch  allein  schon  die  Behauptung,  diese  Gegenden  seien  die 
früheste  Heimat  der  in  Rede  stehenden  Form,  gerichtet  ist  (s.  dagegen 
z.  B.  die  Grundrisse  der  Ste.  Gönövieve  bei  Lenoir,  Statistique  mon. 
de  Paris  I,  von  S.  Remy  zu  Reims,  von  Vignory  etc.).  Nicht  minder 
widerstreben  der  Grafschen  Hypothese  alle  inneren  Gründe.  Hätte 
der  Zentralbau  den  Ausgangspunkt  gebildet,  so  müsste  er  notwendig 
den  Gewölbebau  im  Gefolge  gehabt  haben.  Wie  in  Wirklichkeit  eine 
aus  der  basilikalen  Erweiterung  eines  Zentralbaues  entstandene  Anlage 
aussieht,  lehren  Sta.  Maria  im  Kapitol  zu  Köln  oder  S.  Fedele  zu  Como. 


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Erstes  Kapitel :  Grundlegung. 


167 


4.  Doppelte  Chöre. 

Otte,  Handbuch  I,  55—58;  v.  Quast  in  Z.  f.  christl.  Arch.  I,  276  f.;  Kraatz  in 
Z.  d.  Harzvereins  X,  216  f.;  Holtzinger  in  »Beiträge  zur  Kunstgeschichte«  V. 

Verwandte  rituale  Desiderate,  wie  diejenigen,  welche  die  Er- 
weiterung des  Ostbaues  der  Basilika  zur  Gestalt  des  lateinischen  Kreuzes 
herbeiführten,  wirkten  umgestaltend  auch  auf  deren  westlichen  Gegen- 
pol. War  in  der  altchristlichen  Basilika  dieser  Teil  mit  grosser  Klar- 
heit als  Stirnseite  und  Introduktionsbau  charakterisiert,  so  greift  jetzt 
in  der  karolingischen  Zeit  eine  überraschende  und  radikale  Veränderung 
Platz.  Dieselbe  geht  vom  Innenraum  aus  und  besteht  darin,  dass  die 
Geistlichkeit  an  dieser  Stelle  einen  zweiten  Chor  räum  mit  Schranken 
und  Gestühl  sich  einrichtet.  Die  grossen  westlichen  Thüröffnungen  des 
Hauptschiffes  verschwinden  damit,  und  bald  macht  sich  der  neu  eta- 
blierte VVestchor  auch  darin  bemerklich,  dass  er  über  die  Abschluss- 
linie der  Seitenschiffe  nach  aussen  vorspringt,  gleichwie  der  Ostchor 
über  das  Transcpt,  und  schliesslich  bleiben  auch  die  Concha  und  die 
Krypta  nicht  aus,  so  dass  er  nun  ein  völlig  symmetrisches  Gegenstück 
zu  seinem  älteren  Bruder  abgiebt.  Dass  damit  der  Narthex  der  altchrist- 
lichen Basilika  ausfallen  muss,  ist  eine  selbstverständliche  Konsequenz; 
bald  folgt  als  weitere  die  Abschaffung  des  Vorhofes. 

Die  doppelchörigen  Anlagen  —  ein  paar  sporadische  und  unter 
sich  in  keinem  Zusammenhange  stehende  Fälle  aus  älterer  Zeit  ab- 
gerechnet —  sind  ein  fränkisch-karolingisches  Produkt,  und  zwar 
wiederum  ganz  vorzugsweise  der  östlichen  Reichshälfte.  Sic  haben 
sich  aber  nicht,  gleich  dem  Grundplan  des  lateinischen  Kreuzes,  von 
hier  aus  allmählich  dem  ganzen  Abendlande  mitgeteilt,  sondern  sind 
ein  fast  ausschliessliches  Eigentum  und  Abzeichen  des  deutsch-roma- 
nischen Stils  geblieben.  Vom  9.  bis  in  die  erste  Hälfte  des  12.  Jahr- 
hunderts ist  in  Deutschland  die  Doppelzahl  der  Chöre  nicht  nur  häufig, 
sondern  bei  grossen  Kirchen  geradezu  vorwaltend.  Seit  etwa  a.  1 1 50 
wird  sie  bei  neuen  Stiftungen  selten  und  bald  gar  nicht  mehr  ange- 
wandt ;  so  oft  wir  Westapsiden  in  spätromanischen  Bauformen  erblicken, 
müssen  sie  in  der  Regel  als  von  älteren  Gründungen  ihrer  Disposition 
nach  herübergenommen  gelten  *). 


>)  Anachronistische  Spätlinge  gotischen  Stiles  s.  bei  Otte  a.  a.  O.  p.  58. 


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168 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


In  der  Einführung  des  Westchores  haben  wir  nicht  etwa  einen 
Rest  des  Schwankens  über  die  Orientierung  zu  sehen  —  denn  die 
östliche  Richtung  des  Hauptaltars  stand  um  diese  Zeit  im  Norden 
durchaus  fest  — ,  auch  nicht,  wie  wohl  behauptet  worden,  eine  Ein- 
wirkung des  Zentralbaus;  die  allermeisten  Fälle  werden  auf  die  fol- 
genden häufig  koinzidierenden  Grundgedanken  zurückzuführen  sein. 

Die  kumulierte  Heiligenverehrung  forderte  in  jeder  grösseren 
Kirche  eine  Mehrheit  von  Altären.  Gegen  die  Ueberzahl  derselben 
sehen  schon  karolingische  Kapitularien  sich  gedrungen,  einzuschreiten, 
indes  erfolglos.  Der  Bauriss  von  S.  Gallen  giebt  ihrer  nicht  weniger 
wie  17  an.  Dies  hatte  bereits  früher  Anlass  gegeben,  der  Ostseite  des 
Querhauses  kleinere  Nebenapsiden  beizuordnen.  Allein  dem  hierar- 
chischen Zuge  der  Zeit  und  der  Gewissenhaftigkeit,  welche  für  be- 
sondere Wohlthaten  auch  besondere  Erkenntlichkeit  heischte,  entsprach 
es,  dass  man  aus  der  Schar  der  befreundeten  Heiligen  einen  kennt- 
lichst an  die  Spitze  zu  stellen  wünschte  und  deshalb  für  seinen  Altar 
nach  einem  Platze  suchte,  der  nur  mit  demjenigen  des  Hauptaltars, 
sonst  mit  keinem,  in  Vergleich  zu  bringen  wäre.  Ein  solcher  Platz 
nun  konnte  einzig  auf  der  Längenaxe  der  Kirche  zu  finden  sein. 
Hier,  in  dem  mittleren  Teile  derselben,  finden  wir  häufig  z.  B.  einen 
Altar  des  Salvators  oder  des  hl.  Kreuzes  erwähnt.  Allein  da  man  in 
der  Regel  in  der  glücklichen  Lage  war,  mit  dem  Namen  des  Titel- 
heiligen zugleich  seine  sterblichen  Reste  oder  Stücke  davon  verehren 
zu  können,  und  der  Kult  der  letzteren  ohne  Krypta  nicht  vollständig 
gewesen  wäre,  so  waren  jene  mittleren  Teile  nicht  zu  brauchen,  und 
man  musste  bis  an  das  noch  freie  Westende  der  Hauptaxe  hinaus- 
rücken.   Dies  ist  das  eine. 

Das  andere  ist  die  Unmöglichkeit  in  sehr  stark  bevölkerten 
Klöstern  die  Mönche  alle  in  dem  einen  Ostchor  unterzubringen;  also 
derselbe  Beweggrund,  welcher  um  dieselbe  Zeit  zur  kreuzförmigen  Aus- 
bildung des  Ostbaues  führte.  Es  ist  wichtig  zu  wissen,  dass  es  Kloster- 
kirchen sind,  von  denen  beide  Neuerungen  ausgehen.  Unverhehlbar 
ist  in  dieser  Konkurrenz  eines  östlichen  und  eines  westlichen  Chores 
eine  Abweichung  von  der  Grundidee  der  Basilika  gegeben,  welche  nicht 
wie  das  lateinische  Kreuz  eine  organische  Fortbildung,  sondern  im 
Gegenteil  etwas  Willkürliches,  wo  nicht  Widersinniges  an  sich  hat. 
Denn  die  natürliche  Reihenfolge  der  Räume  entlang  der  Hauptaxe  ist 
verwirrt,  die  bedeutsame  Gegenüberstellung  von  Portalbau  und  Altar- 
haus, Gemeindeschiff  und  Priesterchor  ist  aufgehoben,  ja  es  würde  das 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


169 


für  die  Basilika  so  wichtige  Richtungsmoment  ihr  ganz  verloren  gehen, 
wenn  nicht  die  gleichzeitige  Ausbildung  der  Kreuzesform  demselben 
von  anderer  Seite  her  nachhülfe. 

Aus  altchristlicher  Zeit  bietet  Afrika  zwei  Beispiele:  Basilika  zu 
Hermonthis  in  Aegypten  (Description  de  l'Egypte,  Architccture  I,  pl. 97), 
Basilika  zu  Castellum  Tingitanum  (Orleansville)  in  Mauretanien 
(Abb.  b.  Kugler,  Schnaase,  Otte  etc.).  Nur  von  der  letzteren  kennen  wir 
den  Beweggrund:  als  Bischof  Reparatus  a.  475  starb,  gab  man  der  a.  325 
erbauten  Kathedralkirche  als  ehrenvolle  Stätte  für  sein  Grab  einen  west- 
lichen Koncheneinbau.  (Ueber  die  afrikanische  Sitte,  in  Kirchen  zu  be- 
erdigen, vgl.  oben  S.  12,  Anmerkung).  Dies  Beispiel  zeigt,  »wie  nahe- 
liegend die  Erbauung  von  Westchören  war,  wo  es  sich  um  Verherrlichung 
eines  besonders  verehrten  Grabes  handelte,«  (v.  Quast)  und  steht  dadurch 
zwar  nicht  in  historischem,  wohl  aber  in  logischem  Zusammenhang  mit 
den  fränkischen  Westchören. 

CENTULA  (Saint-Riquier)  in  der  Normandie.  Grossartiger  Neubau 
a-  793—798  durch  Angilbert,  den  Schwiegersohn  Karls  des  Grossen. 
Es  galt  hier,  den  Stifter  des  Klosters,  den  hl.  Bekenner  und  Wunder- 
täter Richarius  (Riquier),  gebührlich  zu  Ehren  zu  bringen.  Die  alte 
Kirche  war  dem  Erlöser  und  seiner  jungfräulichen  Mutter  gewidmet 
gewesen.  An  Stelle  Mariens  wird  jetzt  Richarius  eingeschoben  und 
jene  durch  Errichtung  einer  eigenen  kleinen  Kirche  entschädigt.  Richa- 
rius erhält  seinen  Altar  gewohnterweise  über  der  Stelle,  wo  seine  irdi- 
schen Reste  ruhen;  da  dies  aber  im  Ostchor  ist  (vielleicht  in  einer 
schon  im  älteren  Bau  vorhandenen  Krypta),  so  muss  für  den  Haupt- 
altar des  Salvators  ein  Westchor  eintreten:  100  Mönche  und  34  Schüler 
erhalten  in  diesem,  100  Mönche  und  33  Schüler  in  jenem,  ebensoviel 
in  der  Mitte  des  Hauptschiffes  ihren  Platz,  und  sollen  zu  jeder  der 
kanonischen  Hören  gemeinschaftlich  ihren  Gesang  erheben,  in  gleich- 
mässig  verteiltem  Wechsel,  »qualiter  chorus  a  choro  invicem  non  gra- 
vetur;«  (das  Präscript  Angilberts  im  Chr.  Centulense  1.  II,  c.  31,  D'Achery 
Spicilegium  IV.  469). 

Wenn  auch  der  Westchor  von  Centula  der  älteste  uns  bekannte 
in  der  Reihe  der  fränkischen  ist,  so  braucht  er  keineswegs  der  älteste 
in  diesen  Gegenden  Uberhaupt  zu  sein.  In  AI  et  in  der  Bretagne  sind 
die  Ruinen  einer  doppelchörigen ,  querschiff  losen  Basilika  erhalten, 
welche  nicht  unwahrscheinlich  auf  Fundamenten  des  saec.  6  steht  (be- 
schrieben und  abgebildet  in  der  Revue  arch.  nouv.  se"rie  VII,  359).  In 
jedem  Fall  viel  zu  weit  gehen  Graf  und  Holtzinger,  wenn  sie  Fulda, 
S.  Gallen  u.  s.  w.  alle  direkt  auf  Centula  zurückführen.  Für  die  all- 
gemeine Betrachtung  wichtig  ist  allein  der  Umstand,  dass  die  fragliche 
Form  im  Ostfrankenreich  seit  a.  800  nicht  nur  bekannt,  sondern  gleich 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


auch  ungemein  verbreitet  ist,  während  im  Westfrankenreich  Centula 
isoliert  bleibt. 

In  DEUTSCHLAND  beginnt  die  Reihe  mit  der  Sal  vatorkirche 
zu  Fulda.  Hier  hatte  man  den  Sarg  des  im  Märtyrertode  dahin- 
gegangenen Stifters  Bonifacius,  des  grossen  Apostels,  ursprünglich  mitten 
in  der  Kirche  (in  der  Vierung?)  aufgestellt;  infolge  bald  zu  Tage  tre- 
tender Unzukömmlichkeiten  aber  erbaute  man  ihm  eine  eigene  west- 
liche Apsis  und  Krypta  (begonnen  ca.  a.  800,  geweiht  a.  819). 

In  S.  Gallen  wurde  das  doppelchörige  Schema,  ähnlich  wie  in 
Centula,  zu  einer  Art  gütlichen  Vergleiches  zwischen  den  konkurrieren- 
den Patronen  benützt.  Die  Klosterleute  vermochten  es  sich  nicht  zu 
versagen,  gelegentlich  des  Neubaues  von  a.  830  ihren  Gallus  an  den 
Ehren  des  Hauptaltares  mit  der  hl.  Jungfrau  partizipieren  zu  lassen. 
Dank  der  neu  aufgekommenen  Kreuzanlage  blieb  noch  Raum  in  der 
Koncha  für  einen  Altar  des  Apostels  Paulus,  des  Titelheiligen  der  vor- 
gängigen Klosterkirche,  während  Petrus,  dem  die  älteste  Kapelle  des 
Ortes  gewidmet  gewesen  war,  die  Westapsis  erhielt.  Die  Disposition 
der  Chorschranken  erinnert  sehr  an  die  Vorschriften  für  Centula. 

Im  Dom  zu  Brixen  war  die  Veranlassung  zur  Doppelzahl  der 
Chöre  die  Entstehung  dieses  Bischofssitzes  durch  Verlegung  aus  dem 
älteren  Säben  und  die  dadurch  gegebene  Doppelung  der  Titelheiligen. 
In  Reichenau  war  es  die  Erwerbung  des  Körpers  des  hl.  Markus. 
In  S.  Emmeram  zu  Regensburg  ein  grosser  Reliquienfund  auf 
dem  Marterberge.  In  Bremen  die  zunehmenden  Forderungen  des 
Marienkultus.  In  Hildesheim  bestimmte  B.  Bernward  die  westliche 
Krypta  der  von  ihm  erbauten  Michaeliskirche  zur  Ruhestätte  seiner 
eigenen  Gebeine,  umringt  von  den  Partikeln  von  66  heiligen  Körpern. 
In  Naumburg  wurde  der  noch  im  saec.  13  neuerbaute  Westchor  mit 
den  Standbildern  der  Stifter  und  Gönner  geschmückt  und  ihrem  An- 
denken hier  besondere  Messen  gelesen.  In  Laach  enthält  er  das 
prächtige  Grabmal  des  Stifters  Pfalzgrafen  Heinrich. 

In  bezug  auf  die  liturgische  Verwendung  bildeten  sich  nach  und 
nach  sehr  mannigfaltige  Lokalgewohnheiten  aus,  deren  einseitige  Her- 
vorhebung die  Frage  nach  der  ursprünglichen  Bedeutung  der  Doppel- 
chöre lange  Zeit  in  Verwirrung  gehalten  hat.  Der  häufigste  und  wich- 
tigste Fall  ist  die  Verwendung  der  Westchöre  als 

NONNENCHÖRE.  Der  Geist  der  abendländischen  Völker 
forderte  so  strenge  Sonderung  der  Geschlechter,  wie  der  griechische 
Ritus,  nicht.  Nur  für  geweihte  Jungfrauen  schien  es  nicht  ziemlich 
den  Augen  der  Laien  öffentlich  sich  auszusetzen.  Ein  sehr  geeigneter 
Platz  für  sie  fand  sich  im  Westchor,  wenn  man  demselben  eine 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


171 


Empore  einfugte.  Von  dort  mochten  sie,  selber  unsichtbar,  den  Haupt- 
altar bequem  überblicken  und  mit  ihrem  Gesang  in  den  Gottesdienst 
eingreifen.  Auch  Mannsklöster  haben  sich  nachmals  dieses  Motiv  an- 
geeignet und  die  ziemlich  abgeschlossenen  und  leicht  envärmbaren 
Emporen  als  WINTERCHÖRE  eingerichtet. 

Es  ist  ein  leidiges  Geschick,  dass  an  den  allermeisten  älteren  Kir- 
chen gerade  der  Westchor  durch  Restauration  oder  völlige  Erneuerung 
seine  ursprüngliche  Gestalt  eingebüsst  hat.  —  Die  erste  Gelegenheit, 
in  die  bauliche  Gestaltung  Einsicht  zu  gewinnen,  giebt  der  Riss  von 
S.  Gallen.    Der  Westchor  hat  hier  apsidiale  Gestalt;  die  Krypta, 
die  für  Fulda  und  Köln  bezeugt  wird,  fehlt;  vielleicht  weil  von  dem 
Titelheiligen  dieses  Chores,  St.  Peter,  umfangreichere  Reliquien  nicht 
vorhanden  waren.    Interessant  ist  die  konsequente  Ausdehnung  der 
Apsidenform  auf  dem  Vorhof,  aus  dessen  in  konzentrischem  Halbkreis 
angeordneter  Säulenhalle  die  Eingänge  in  die  Seitenschiffe  führen. 
Münster  zu  Essen  (Taf.  41):  Der  Nonnenchor  als  Halbpolygon 
(V2  Sechseck);  geistreiche  Verwertung  von  Motiven  aus  der  Aachener 
Palastkapelle;  nach  aussen  unter  geschickter  Benützung  der  Treppen- 
türme platt  geschlossen;  Vorhof  viereckig.   Der  Westbau  in  jetziger 
Gestalt  nach  Brand  von  a.  947 ;  seine  Disposition  etwa  aus  dem  Grün- 
dungsbau von  a.  874  herübergenommen  ?  Der  Vorhof  saec.  1 1  erneuert, 
die  alten  Mauerverzahnungen  noch  sichtbar,  an  seiner  Westseite  nach 
altchristlicher  Weise  ein  (gotisch  erneuertes)  Baptisterium.  —  Die  tra- 
ditionelle Ausstattung  der  Basilika  mit  einem  westlichen  Vorhof,  in  den 
Lebensgewohnheiten  des  Südens  und  seiner  volkreichen  Städte  begründet, 
kam  in  Deutschland  frühe  in  Abgang.   Ein  spätes  vereinzeltes  Beispiel 
giebt  das  in  einsamer  Waldlandschaft  gelegene  Kloster  Laach  (12.  Jahr- 
hundert, 1.  Hälfte),  wobei  jedoch  der  Gedanke  des  Kreuzganges  über- 
wogen haben  wird. 
Innerhalb  der  allgemeinen  Verbreitung  des  doppelchörigen  Systems 
sind  doch  bestimmte  Unterschiede  wahrzunehmen.    Nicht  überall  war 
man  unempfindlich  für  die  mit  ihm  verbundenen  Missstände,  welche 
dann  am  stärksten  hervortreten,  wenn  der  westliche  Chor  dem  östlichen 
völlig  konform  als  halbrunde  Koncha  gebildet  wird.    Ein  Mittel  zur 
Milderung  des  Uebels  ist  dieses,  dass  man  das  Halbrund  resp.  Halb- 
polygon des  Binnenraumes  nach  aussen  durch  platten  Abschluss  mas- 
kiert, so  in  Essen  und  Reichenau.    Oder  einfacher:  man  aeeeptiert 
die  rechtwinkelige  Form  auch  für  das  Innere.    Dies  ist  das  regel- 
mässige in  der  sächsischen  und  westfälischen  Schule.   Am  Rhein 
dagegen  und  in  Süddeutschland  behielt  man  an  der  apsidialen 
Fassung  überwiegendes  Gefallen. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


In  SACHSEN  bietet  aus  älterer  Zeit  S.  M  i  c  h  a  e  1  in  Hildes  heim 
das  einzige  Exemplar  eines  ursprünglich  wahrscheinlich  runden  West- 
chors. Erst  im  saec.  12,  wo  überhaupt  mehrfach  rheinische  und  süd- 
deutsche Einflüsse  bemerkbar  werden,  sind  die  Fälle  häufiger:  S.  Gode- 
hard in  Hildesheim,  Gernrode,  Drübeck.  In  Gernrode 
(Taf.  46  u.  47,  Fig.  1)  umfasste  ehedem  die  Empore  der  Stiftsdamen  das 
letzte  der  drei  MittelschifTsquadrate;  der  noch  bestehende  Gurtbogen 
giebt  die  Grenze  an ;  eine  Doppelarkade  führt  rechts  und  links  in  einen 
kleinen  Vorraum  und  von  diesem  einerseits  zu  den  Treppenaufgängen, 
anderseits  zu  den  ein  paar  Stufen  höher  liegenden  Emporen  der  Lang- 
seiten. Um  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  wurde  der  Nonnenchor  in  die 
Kreuzflügel  verlegt  und  die  Westwand  durchgebrochen,  um  einen 
apsidialen  Altarraum  nebst  Krypta  für  die  inzwischen  erworbenen  Ge- 
beine des  hl.  Metronus  herzustellen.  Vgl.  v.  Heinemann  in  Z.  d.  Harz- 
vereins X.  —  In  Drübeck  (Taf.  47,  Fig.  3,  gest.  um  880,  Hauptbau 
saec.  11,  1.  Hälfte)  zeigt  die  Westkoncha  gleichfalls  die  Bauformen  des 
saec.  12,  und  wir  dürfen  annehmen,  dass  ihren  Platz  vorher  eine  ähnliche 
Nonnenempore  eingenommen  hat  wie  in  Gernrode. 

Platt  geschlossene  Westchöre  ohne  Emporen:  Dome  zu  Münster, 
Paderborn,  Bremen. 

Platt  geschlossene  Nonnenchöre  sehr  häufig ;  als  Beispiele  aus  dem 
sächsischen  Gebiet  nennen  wir  noch:  Quedlinburg,  Moritzberg 
bei  Hildesheim,  Gandersheim,  Frose,  Hecklingen,  Stiftungen 
aus  dem  9.  und  10.  Jahrhundert. 

Eine  ungewöhnliche  Anordnung  bietet  die  Kirche  des  Nonnen- 
klosters S.  CACILIA  ZU  KÖLN  (Taf.  47,  Fig.  11  und  Taf.  60,  Fig.  5,  6); 
errichtet  von  Erzbischof  Bruno  10.  Jahrhundert  2.  Hälfte,  erneuert  12.  Jahr- 
hundert. Die  Empore  ist  hier  ganz  niedrig,  aber  sehr  ausgedehnt,  die 
Abseiten  mit  eingeschlossen.  Vom  Altar  kommend  steigt  man  aus  den 
Seitenschiffen  auf  je  5  Stufen  zur  Empore  hinauf,  während  aus  dem  Mittel- 
schiff 7  Stufen  zu  einer  halb  unterirdischen  fünfschiffigen  Halle  hinab- 
führen, und  aus  dieser  weitere  7  Stufen  in  die  Krypta,  beide  mit  sehr 
altertümlichen,  auf  die  Brunonische  Zeit  hinweisenden  Formen.  —  Hier- 
mit zu  vergleichen  ist  unseres  Wissens  nur  noch  die  Frauenstiftskirche 
S.  Peter  und  Paul  zu  Hadersleben  unweit  Halberstadt  (publiziert 
von  Hartmann  BD.  NS.  Bl.  54).  Die  Kombination  von  Empore  und 
Krypta  ist  ganz  ähnlich  und  umfasst  gleichfalls  die  volle  Hälfte  des 
Langhauses;  die  Ueberwölbung  der  Krypta  jetzt  io1/«  Fuss  über  dem 
Schiff,  früher  etwas  höher;  der  jüngere  Teil  saec.  12,  der  ältere  sehr 
wahrscheinlich  auf  den  Stiftungsbau  (a.  961),  also  in  dieselbe  Zeit  wie 
S.  Cäcilia  zu  Köln,  zurückgehend. 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


173 


Anordnung  der  Frauenchöre  in  den  Flügeln  des  Querschiffes: 
S.  PANTALEON  IN  KÖLN  (Taf.  43  u.  6o),  S.  MICHAEL  IN  HILDES- 
HEIM (Taf.  43  u.  59),  beide  mit  eigenen  Altarnischen. 

Wie  in  S.  Michael  Verbindung  eines  Mannsklosters  mit  kleinem 
Nonnenkonvent:  in  Huy seburg  bei  Halberstadt  und  den  thüringischen 
Paulinzelle,  Bürgelin,  Vessera,  alle  mit  westlichen  Emporen. 

Westemporen  für  Chorherren,  zum  Teil  als  Winterchöre  zu  be- 
trachten: Limburg  a.  d.  Hardt,  Hersfeld,  Ilbenstadt,  Ell- 
wangen, Dom  zu  Gurk,  S.  Jakob  in  Regensburg,  S.  Godehard 
in  Hildesheifh,  Königslutter,  Hamersleben  u.  s.  w. 

An  dieser  Stelle  auch  wohl  Logen  für  den  Kirchenpatron  oder 
sonst  ausgezeichnete  Personen:  das  Oratorium  des  Kaisers  in  Aachen, 
die  von  Einhard  in  einem  Briefe  erwähnte  Empore  in  seiner  Seligen- 
städter Basilika,  beide  mit  einem  eigenen  Altar. 

Es  ist  der  frühmittelalterlichen  Baukunst  nicht  weniger  wie  der 
altchristlichen  eigen,  dass  sie  fast  nur  für  den  inneren  Raum  Interesse 
hat.  Nur  an  diesen  ist  bei  Einführung  der  Doppelchöre  gedacht 
worden.  Unvermeidlich  aber  heften  sich  daran  erhebliche  Konse- 
quenzen auch  in  Ansehung  des  Aussenbaues.  Die  Doppelchöre  sind 
dafür  verantwortlich,  dass  dem  deutschen  Kirchenbau  der  wahre  Be- 
griff der  Fassade  bis  nahe  an  den  Schluss  der  romanischen  Epoche 
fremd  blieb.  Sie  veranlassen  auch  die  Veränderung  in  der  Disposition 
der  Eingänge.  Das  Mittelportal  fällt  unvermeidlich  weg.  Dass  man 
damit  nicht  notwendig  auch  auf  die  westliche  Lage  der  Seiteneingänge 
zu  verzichten  brauchte,  lehrte  schon  der  Bauplan  von  S.  Gallen. 
Gleichwohl  ist  es  häufig  geschehen.  In  Sachsen  ist  es  geradezu  Regelr 
die  Thüren  an  den  Langseiten  anzulegen.  Am  Rhein  und  in  Süd- 
deutschland hält  man  es  lieber  wie  in  S.  Gallen  (Essen,  Laach» 
Reichenau)  oder  disponiert  die  Thüren  umgekehrt  zu  beiden  Seiten 
der  Ostapsis  (Mainz,  Worms,  Bamberg). 

War  der  Westchor  durch  eine  Empore  in  zwei  Geschosse  geteilt, 
so  lag  überdies  die  Möglichkeit  vor,  dem  Erdgeschoss,  indem  man  es 
als  Vorhalle  auffasste,  das  Mittelportal  zurückzugeben.  Ein  wichtiger 
Schritt  ist  hiermit  gethan,  die  Anknüpfung  an  die  Fassadenidee  wieder- 
gefunden. 

In  älterer  Zeit  hat  man  diese  Lösung  nur  selten  versucht.  Inter- 
essante Beispiele  aus  saec.  11:  Dom  zuHildesheim  (Taf.  47,  Fig.  6) 
und  Kapitolskirche  in  Köln  (Taf.  41);  aus  saec.  12:  Dom  zu 
Gurk  (Taf.  61)  und  Klosterkirche  zu  Hersfeld  (Taf.  48  u.  55);  die 


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j  74  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

letztere  besonders  merkwürdig  durch  die  Verbindung  eines  recht- 
winkeligen Unterbaues  mit  apsidialem  Hauptgeschoss. 

Alphabetische  Aufzählung  doppelchöriger  Kirchen  in  Deutschland 
bei  Otte,  Handbuch  I,  58;  wir  fügen  hinzu:  S.  Jakob  in  Bamberg 
(Taf.  48),  Abteikirche  in  Füssen  (mit  zwei  Krypten),  Augustinerkirche 
in  Schiffenberg  (Taf.  49).  Die  Kreuzkirche  in  Lüttich  und  S.  Ger- 
trud in  Nivelles  (Belgien)  wie  die  Kathedralen  von  Verdun  und 
Besangon  deutsch  beeinrlusst.  Im  eigentlichen  Frankreich  einziges  Bet- 
spiel die  Kathedrale  von  Nevers  (Viollet-le-Duc  I,  209,  Crosnier, 
Statistique  mon.  de  la  Nievre).  In  Italien  S.  Pietro  in  Grado  bei  Pisa, 
später  Einbau  des  saec.  13. 

5.    Doppelte  Transsepte. 

In  dieser  Gruppe  —  sie  ist  nicht  zahlreich,  aber  umschliesst 
Monumente  von  erster  Bedeutung  für  ihre  Zeit  —  wird  die  dem 
doppelchörigen  Systeme  zu  Grunde  liegende  Idee  zu  völliger  und  letzter 
Konsequenz  hinausgeführt.  Während  das  Langhaus  in  seiner  Haupt- 
dimension um  ein  Bedeutendes  reduziert  ist,  treten  die  Nebenaxen 
mit  Nachdruck  und  Selbständigkeit  hervor,  eine  Kontrastwirkung  er- 
zeugend, die  dem  altchristlichen  Typus  fremd  war;  dazu  akkom- 
pagnierend  und  verstärkend  ein  System  von  grösseren  und  kleineren 
Türmen,  kurz  eine  Metamorphose  der  alten  Basilika,  die  durchgreifender 
nicht  gedacht  werden  kann.  An  Stelle  des  dort  in  voller  Reinheit  und 
Schärfe  durchgeführten  Longitudinalprinzipes  ist  ein  Gruppenbau  ge- 
treten. Ein  Gruppenbau  jedoch,  in  welchem  anstatt  des  durch  das 
Wesen  des  christlichen  Gottesdienstes  geforderten  einen  zwei  Schwer- 
punkte da  sind,  also  eigentlich  keiner.  Eine  Zwitterform  ist  geschaffen, 
eine  Vermischung  des  Longitudinalbaues  und  des  Zentralbaues,  bei 
welcher  die  Idee  des  ersteren  verdunkelt  und  der  Springpunkt  des 
letzteren  doch  nicht  getroffen  wird.  Allerdings  steht  dieser  Einbusse 
an  architektonischer  Klarheit  und  Folgerichtigkeit  ein  ebenso  grosser 
Zuwachs  reichster  malerischer  Reize  gegenüber,  die  indes  wesentlich 
erst  dem  Aussenbau  zu  gute  kommen  und  erst  im  fortgeschrittenen 
Stil  sich  völlig  entfalten. 

S.  RICHARIUS  ZU  CENTULA  (Taf.  43,  Fig.  1).  Die  älteste  be- 
kannt gewordene  Anlage  mit  doppeltem  Querschiff.  Und  zwar  auf 
einem  geographischen  Gebiete,  dem  diese  Kompositionsweise  sonst 
fremd  ist.  Erbaut  a.  793 — 798,  vgl.  oben  S.  169.  Eine  alte  Abbildung, 
von  deren  Herkunft  und  Verbleib  wir  nichts  Näheres  erfahren  haben, 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


lebt  in  zwei  Kupferstichkopien  fort:  bei  P.  Petau,  De  Nithardo  illius- 
que  prosapia  a.  1612  (danach  Lenoir,  arch.  monast.  I,  27)  und  bei 
Mabillion,  Acta  SS.  s.  IV  pars  1.  a.  1673  (danach  unsere  Taf.  43, 
Fig.  1).  Auf  Einzelheiten  wird  man  in  keinem  Sinne  Gewicht  legen 
wollen,  da  Zuverlässigkeit  hier  von  vornherein  nicht  zu  erwarten  ist. 
Ausserdem  haben  selbstredend  spätere  Zusätze  stattgefunden,  als  welche 
man  sogleich  den  westlichen  (auf  der  Zeichnung  rechts  stehenden)  An- 
bau und  die  Bekrönung  der  Vierungstürme  erkennt.  Die  General- 
disposition aber  macht  durchaus  den  Eindruck  des  Authentischen:  es 
ist  nichts  darin,  das  nicht  mit  den  Angaben  der  Biographen  Angilberts 
bequem  zu  vereinbaren  wäre,  und  es  zeigen  sich  gewisse  spezifisch  früh- 
romanische  Merkmale,  welche  alle  etwaigen  Einwände  gegen  die  Glaub- 
würdigkeit der  Zeichnung  entkräften  •).  —  Zweifaches  Querschiff,  indes 
noch  nicht  Durchkreuzung  mit  dem  Mittelschiff.  Die  Apsiden  sind 
maskiert  zu  denken,  wie  die  westlichen  in  Essen  und  Reichenau  (Taf.  43, 
Fig.  7).  Die  Disposition  der  kleinen  Treppentürme  findet  eine  über- 
raschende Analogie  an  den  Querschifffronten  von  S.  Michael  in  Hildes- 
heim (Taf.  43).  Diese  Treppentürme  nebst  der  zweigeschossigen  Fenster- 
stellung weisen  auf  Emporen,  gleichfalls  wie  in  S.  Michael  und  in 
S.  Pantaleon  zu  Köln.  Schon  Hariulf,  der  Biograph  Angilberts,  spricht 
von  zwei  Türmen,  einem  östlichen  und  einem  westlichen,  welche  dieser 
gebaut  habe ;  er  meint  die  Vierungstürme,  die  kleinen  Treppentürmchen 
zählt  er  als  blosse  Anhängsel  jener  nicht  mit. 

Der  nächste  Repräsentant  dieser  Familie  ist  anderthalb  Jahrhundert 
jünger:  S.  PANTALEON  IN  KÖLN  (Taf.  43).  Bedeutendste  Bau- 
schöpfung des  grossen  Erzbischofs  Bruno,  Bruders  Kaiser  Ottos  I. ;  der- 
selbe a.  965  hier  begraben;  Einweihung  a.  980.  Das  Langhaus  saec. 
12  erneuert,  der  Chor  saec.  13.  Dem  Primärbau  gehören  mutmasslich 
einige  Teile  des  östlichen  Querschiffs,  sicher  der  Westbau  (soweit  über- 
haupt erhalten).  Die  Zweifel  Kuglers  (Gesch.  d.  BK.  II,  315):  *Die 
feine  Behandlung  der  Formen  scheint  auf  die  frühere  Zeit  des  elften 
Jahrhunderts  zu  deuten«  —  sind  unbegründet,  da  die  fraglichen  Profile 
aufs  genaueste  mit  den  gleichzeitigen  zu  Ingelheim  übereinstimmen. 

S.  MICHAEL  ZU  HILDESHEIM  (Taf.  43,  Fig.  2, 3  u.  Taf.  59,  Fig.  1). 
Der  Bauherr  (und  voraussetzlich  auch  Autor  des  Bauplanes)  war  der  in 
allen  Zweigen  der  Kunst  erfahrene  Bischof  Bernward ;  begonnen  a.  1001, 
vollendet  a.  1033;  nach  Brand  von  a.  1163  Obermauern  und  Chöre  er- 
neuert. Der  westliche  der  letzteren  (nach  a.  1 200)  hat  sich  wahrscheinlich 
der  Disposition  seines  Vorgängers  angeschlossen,  der  östliche  wurde 


')  Ohne  Berücksichtigung  dieser  Zeichnung  entworfen   und  ganz  verfehlt  der 
restaurierte  Grundriss  bei  Holtzinger  a.  a.  O.  S.  9. 


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176 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


verlängert.  Wie  er  ursprünglich  angelegt  war,  zeigt,  durch  die  auf- 
gedeckten Fundamente  erhärtet,  der  Grundriss  Taf.  43,  während  die 
spätere  Gestalt,  von  den  Restaurationen  des  12.  und  13.  Jahrhunderts 
bis  zum  Umbau  der  Seitenschiffe  im  15.,  in  dem  Modell  am  Grabmal 
des  Stifters  fortlebt  (darnach  Fig.  3). 

Hypothetisch  rechnen  wir  hierher  noch  den  DOM  ZU  MÜNSTER  I.W. 
Der  Baukörper  gehört  dem  saec.  13,  der  Grundriss  fällt  ganz  aus  der 
Linie  des  herrschenden  Stiles.  Seine  Verwandtschaft  mit  den  obigen 
frühromanischen  ist  evident.  Da  den  Bränden  von  a.  107 1  und  a.  1121 
die  Wiederherstellung  sehr  schnell  folgte,  ist  es  leicht  möglich,  dass 
dieselben  nicht  radikal  zerstörend  gewesen  sind.  Auch  soll  die  Unter- 
suchung das  Vorhandensein  alter  Fundamente  (ausgenommen  am  Ost- 
chor) bestätigt  haben.  Vielleicht  also  sehen  wir  noch  den  Plan  B.  Dodos 
(reg.  a.  967—993)  vor  uns.  Bedenken  dagegen  erregen  nur  etwa  die 
grossen  Dimensionen.  Ein  Restaurationsprojekt  geben  wir  auf  Taf.  43, 
Fig.  6. 

STA.  MARIA  ZU  MÜNSTER  (MITTELZELL)  AUF  REICHENAU 
(Taf.  43,  Fig.  7).  Erbaut  a.  813 — 816.  Von  dem  umfassenden  Er- 
weiterungsbau unter  Abt  Witigowo  (gew.  a.  991),  wahrscheinlich  einer 
reinen  Säulenbasilika,  stammen  die  heutigen  Seitenschiffsmauern ;  der 
Westbau  mit  dem  Markuschor  geweiht  a.  1048  unter  Abt  Berno.  Die 
Arkaden  und  Chorschranken  des  Mittelschiffes  1 2.  Jahrhundert,  2.  Hälfte, 
der  Ostbau  gotisch.  —  Adler,  Forschungen  I. 

Doppeltranssept  und  Doppelchor  haben  (oder  hatten?)  ferner  die 
Kathedralen'  von  Verdun  und  Besancon  (ViolleMe-Duc  I,  209, 
IX,  236).  Der  politische  und  zugleich  auch  kirchliche  Zusammenhang 
mit  Deutschland  erklärt  es ;  die  Zeit  der  entscheidenden  Anlage  haben 
wir  nicht  ermitteln  können. 

Eine  merkwürdige  Abart  der  obigen  Gruppe  sind  die  Anlagen 
mit  blossem  Westtranssept.  Diese  Anomalie  hat  nämlich  keinerlei 
Zusammenhang  mit  den  Orientierungsschwankungen  der  altchristlichen 
Vorzeit,  sie  erklärt  sich  vielmehr  aus  dem  neuerlichen  Schwanken 
ganz  anderer  Art,  das  von  den  Doppelchören  und  Doppeltranssepten 
herrührt.  An  zwei  wichtigen  Beispielen,  dem  Dom  zu  Mainz  und 
S.  Emmeram  zu  Regensburg,  haben  wir  Einsicht  in  den  baugcschicht- 
lichen  Vorgang,  der  beidemal  gleichartig  verläuft:  die  erste  Anlage  ist 
die  normale,  d.  i.  mit  blossem  inneren  und  zwar  östlichen  Chor;  in 
Rücksicht  auf  neu  hinzutretende  heilige  Reliquien  wird  ein  westlicher 
Chor  angefügt.  Nach  und  nach  erhält  im  Kultus  der  letztere  den 
Vorrang  und  um  dies  Verhältnis  entschieden  zu  markieren,  wird  bei 
nachfolgendem  Neubau  ihm  und  nur  ihm  das  Transsept  zugeordnet. 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


177 


Diese  historisch  gewordene  Besonderheit  wird  dann  typisch  für  die 
Schulnachbilder. 

DOM  ZU  MAINZ.  Neubau  durch  Erzbischof  Willigis  a.  978  bis 
1009;  nach  Brand  Herstellung  durch  Erzbischof  Bardo,  geweiht  a.  1036; 
saec.  12  wieder  Brand  u.  s.  w.  Es  ist  im  höchsten  Grade  wahrscheinlich, 
dass  schon  der  Willigis-Bardosche  Bau  des  östlichen  Transseptes  ent- 
behrt, ebenso  unwahrscheinlich  aber,  dass  er  überhaupt  kein  Transsept 
gehabt,  mithin  muss  in  ihm  der  aktuelle  Westbau,  nicht  in  den  Grund- 
linien aber  der  Sache  nach,  vorgebildet  gewesen  sein.  —  Der  Neubau 
des  DOMES  ZU  WORMS  ist  wenige  Jahre  jünger,  a.  996—1016; 
wegen  der  Uebereinstimmung  mit  Mainz  glauben  wir,  dass  die  Er- 
neuerung des  Baukörpers  a.  11 10  und  1 181  auch  hier  die  alte  Plan- 
disposition nicht  alteriert  hat. 

In  Mainz  wie  in  Worms  zeigt  sich  in  der  Behandlung  der  Östlichen 
Turmgruppe  —  breiter  Zentralturm  mit  flankierenden  schlanken  Rund- 
türmen —  die  Verwandtschaft  mit  der  Familie  der  Doppeltranssept- 
kirchen  noch  als  sehr  nahe.  Entfernter  ist  sie  in  der  schwäbisch- 
bayrischen Gruppe: 

DOM  ZU  AUGSBURG.  Neubau  seit  a.  994 ;  gegenwärtig  ein  Kon- 
glomerat aus  verschiedensten  Jahrhunderten,  aus  dem  jedoch  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  als  echter  Kern  der  auf  Taf.  50,  Fig.  5,  gegebene 
Grundriss  sich  herausschälen  lässt. 

S.  EMMERAM  ZU  REGENSBURG  (Taf.  50,  Fig.  1,  Taf.  53,  Fig.  2). 
Hohe  Blüte  des  Klosters  in  der  Zeit  des  Bischofs  S.  Wolfgang  a.  972—994. 
Aus  der  ältesten  Baugeschichte  einziges  bekanntes  Datum  die  Hinzu- 
fügung der  Westkrypta  a.  980;  die  noch  bestehende,  in.  ihrer  Anlage 
noch  altchristliche  Ostkrypta  muss  also  noch  älter  sein.    Nach  einem 
Brande  Erneuerung  und  Weihung  a.  1052.  Als  einzige  noch  bestehende 
Reste  aus  saec.  11  betrachtet  v.  Quast  die  Westkrypta  (Taf.  42,  Fig.  12) 
und  das  inschriftlich  von  Abt  Reginward  (a.  1049—64)  errichtete  nörd- 
liche Seitenportal  (Ansicht  folgt  später).   Die  von  uns  angestellte  Unter- 
suchung hat  jedoch  erwiesen,  dass  ausserdem  auch  noch  die  (jetzt  hinter 
der  Orgel  versteckten)  Kämpfer  des  grossen  westlichen  Triumphbogens 
echte  frühromanische  Formen  zeigen  (Details  der  Profile  später),  mit 
hoher  Wahrscheinlichkeit  also  der  ganze  Körper  des  Querschiffes  noch 
aus  dem  a.  1052  geweihten  Bau  erhalten  ist.    Ferner  bietet  die  Be- 
handlung der  Barockarchitektur  des  Langhauses  sichere  Anhaltspunkte, 
dass  in  den  Pfeilern  der  westlichen  Hälfte  desselben  der  romanische 
Kern  noch  erhalten  sein  muss,  und  setzt  man  deren  Axenabstände  in 
der  Richtung  auf  die  Ostkrypta  fort,  so  findet  man  genauen  Anschluss 
und  es  unterliegt  die  Herstellung  des  alten  Grundrisses,  wie  wir  ihn 
auf  Taf.  50,  Fig.  1  gegeben  haben,  keinen  Zweifeln.    Die  Frage  ist 

12 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


nur:  ist  dieser  Grundriss  für  den  Restaurationsbau  des  saec.  11  neu 
entworfen?  oder  hat  ihn  dieser  vielleicht  im  wesentlichen  unverändert 
von  seinem  Vorgänger  übernommen:  Zu  gunsten  der  letzteren  Even- 
tualität scheint  uns  ausser  Ostkrypta  auch  das  Doppelportal  des  Abtes 
Reginward  zu  sprechen,  dessen  gesonderte  Weihe-Inschrift  und  eigen- 
tümliche Disposition  am  ehesten  aus  der  Anfügung  an  schon  be- 
stehende Grundmauern  erklärt  wird.  Ferner  die  Thatsache,  dass  die 
bereits  a.  1010  vollendete  OBERMUNSTERKIRCHE  (Taf.  50,  Fig.  3) 
der  Anlage  von  S.  Emmeram  bei  kleineren  Dimensionen  konform  ist ; 
die  führende  Stellung  aber,  welche  das  Emmeramsstift  in  Regensburg 
einnahm,  ist  bekannt;  es  ist  nach  allen  baugeschichtlichen  Analogien 
nur  anzunehmen,  dass  der  Plan  von  S.  Emmeram  das  Original,  der 
des  Obermünsters  Kopie  sei,  mithin  der  erstere  über  a.  1010  zurück- 
reichen müsse. 

Endlich  vermuten  wir  auch  vom  DOM  ZU  BAMBERG,  dass  er 
durch  alle  späteren  Umbauten  hindurch  die  Plandisposition  des  Stif- 
tungsbaues a.  1004— 1012  wesentlich  bewahrt  habe.  Der  Umstand,  dass 
der  Stifter,  der  eben  zum  König  gewählte  Heinrich  IL,  bis  dahin  Herzog 
von  Bayern  gewesen  war,  erklärt  die  Aehnlichkeit  mit  dem  Regens- 
burger Typus  und  damit  zwanglos  die  durch  lokale  Ursachen  nicht 
erklärbare  westliche  Anordnung  des  Querschiffes.  Wiederholung  in 
S.  Jakob  ebendaselbst  (Taf.  48,  Fig.  4,  durch  Versehen  die 
Himmelsrichtung  verkehrt  gestellt). 

Die  nahe  zeitliche  Nachbarschaft  aller  dieser  Monumente  miteinander 
und  dann  ebenso  mit  den  meisten  aus  der  ersten  Gruppe  fallt  ins  Auge. 
Man  sieht:  es  gab  eine  Zeit  in  Deutschland,  wo  das  Planschema  des 
Doppelkreuzes,  schon  in  karolingischer  Zeit  hier  und  da  zur  Anwen- 
dung gebracht,  plötzlich  die  Bauphantasie  einer  unternehmungslustigen 
Generation  ganz  und  gar  einnahm  und  erfüllte.  Es  ist  die  Zeit  der 
beiden  letzten  Herrscher  aus  dem  sächsischen  Kaiserhause,  nicht  viel 
länger  als  ein  Menschenaltcr,  aber  genügend,  einer  Anzahl  der  wich- 
tigsten Bischofs-  und  Klosterkirchen  des  Reiches  dauernd  die  Gestalt 
zu  bestimmen.  Ueber  diesen  Kulminationspunkt  hinaus  verliert  sich 
schnell  der  merkwürdige  Enthusiasmus.  Bereits  die  grossen  Neugrün- 
dungen des  ersten  Saliers,  die  Klosterkirche  Limburg  a.  H.  und  der 
Dom  zu  Speicr,  wenden  sich  ausgesprochenermassen  zum  reinen 
Longitudinalbau  und  der  normalen  Orientierung  zurück. 

In  bloss  scheinbarer  Verwandtschaft  zu  der  hier  betrachteten ,  zeit- 
lich eng  begrenzten,  Familie  steht  eine  andere,  dem  spätromanischen 
Stil  vornehmlich  des  Niederrheins  angehörige,  für  welche  wir  als  Bei- 


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Erstes  Kapitel :  Grundlegung. 


spiel  S.  Aposteln  und  S.  Kunibert  in  Köln  und  S.  Quirin  in  Neuss 
anführen.  Diese  besitzen  zwar  auch  ein  zweites  Querschiff,  aber  es 
ist  nicht  Zubehör  eines  westlichen  Chors,  sondern  amplifizierte 
Eingangshalle,  mithin  Erzeugnis  eines  wesentlich  anderen  Form- 
gedankens. 

Wir  haben  das  Befremdliche  und  Inkonsequente,  das  in  der  Ver- 
doppelung des  Chores  liegt  und  vollends  in  der  Verdoppelung  des 
Kreuzschiffes,  wiederholt  hervorgehoben  und  lenken  die  Aufmerksam- 
keit noch  einmal  auf  diesen  Punkt.  Die  eigentümliche  Richtung  des 
Heiligenkultus  und  die  anderen  speziellen  Umstände,  auf  die  wir  oben 
hinwiesen,  erklären  vieles,  lange  nicht  alles.  Warum  hat  nur  das 
germanische  Mitteleuropa  Teil  daran,  nicht  die  romanischen  Provinzen 
Frankreichs,  nicht  Italien,  nicht  England?  Und  warum  auch  Deutsch- 
land nur  in  einem  bestimmten  Zeitabschnitt?  —  Vielleicht  kann  eine 
Erwägung  allgemeiner  Bedingungen  zu  weiteren  Aufschlüssen  führen. 

Wie  unermesslich  war  doch  der  Unterschied  der  Lebensverhält- 
nisse des  antiken  Südens,  in  welchem  die  Basilika  ihren  Heimatboden 
hatte,  und  des  germanischen  Nordens,  wohin  sie  mit  den  übrigen  kirch- 
lichen Institutionen  verpflanzt  wurde.  Dort  ein  von  alters  mit  Städten 
übersätes,  hier  ein  städtearmes,  ja  zum  grössten  Teil  städteleeres  Land; 
dort  die  erste  Aufgabe  des  Kirchengebäudes,  Raum  zu  schaffen  für  die 
Versammlung  grosser  Volksmassen,  hier  die  Kirchen  als  einsame  Zeugen 
der  Ehre  Gottes  in  die  Wildnis  hinausgesetzt;  dort  die  Gemeinde- 
kirche der  massgebende  Prototyp,  hier  die  Klosterkirche.  Deutsch- 
land unterscheidet  sich  von  den  romanischen  Ländern  sehr  auffallend 
durch  die  geringe  Zahl  seiner  über  ein  weites  schwachbevölkertes  Ge- 
biet zerstreuten  Bischofssitze;  städtisches  Leben  beginnt  an  denselben 
erst  seit  der  Mitte  des  1 1 .  Jahrhunderts  nach  und  nach  sich  zu  sam- 
meln; zur  Errichtung  irgend  bedeutender  Pfarrkirchen  fehlte  vollends 
die  Gelegenheit.  Daher  kommt  es,  dass  weitaus  die  Ueberzahl  aller 
ansehnlichen  Bauunternehmungen  des  9.,  10.  und  11.  Jahrhunderts 
Klosterbauten  sind.  In  den  Klöstern  zuerst  fand  sich  die  Konzen- 
tration materieller  und  geistiger  Hilfsmittel,  die  Müsse  und  Stimmung, 
vom  blossen  Bedürfnisbau  zu  freien  künstlerischen  Intentionen  sich  zu 
erheben.  Sie  blieben  die  Schulmittelpunkte  der  Architektur  bis  nahe 
an  das  Ende  der  romanischen  Epoche.  Dass  dieses  Verhältnis  für  die 
Richtung  und  Artung  auch  der  Bauformen  nicht  gleichgültig  sein 
konnte,  leuchtet  ein.  —  Die  Vorschriften  Angilberts  und  der  Bauriss 
von  S.  Gallen,  mit  seinem  übergrossen  Reichtum  von  Altären  und 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


absperrenden  Chorschranken,  zeigten  uns  sehr  schlagend,  wie  diese 
alten  Klosterkirchen  nichts  sein  wollten  als  Klosterkirchen  schlechthin,, 
Kirchen  für  die  Mönche  und  ihre  gottesdienstlichen  Begehungen;  an 
eine  Gemeinde  ist  nicht  gedacht,  und  gewiss  hätte  eine  zufällig  einmal 
zusammentreffende  grössere  Laienmenge  vergeblich  Platz  gesucht.  — 
Zu  alledem  ist  ein  Drittes,  Allgemeinstes  in  Rücksicht  zu  ziehen:  die 
objektive  Richtung  des  Kultus,  gemäss  deren  die  Priesterschaft  allein 
die  Heilsvermittelung  zu  besorgen,  Gott  und  den  Heiligen  zu  dienen  hat. 
Und  endlich  der  in  dieser  Epoche  noch  fast  völlige  Mangel  der  Predigt. 

Alles  trifft  darin  zusammen,  dass  der  christlich-antike  Basiliken- 
typus bei  seiner  Wanderung  über  die  Alpen  in  eine  Lebensluft  von 
wesentlich  anderer  Beschaffenheit  gerät,  in  welcher  er  die  für  seine 
Gestaltung  in  der  Heimat  entscheidend  gewesenen  sachlichen  Voraus- 
setzungen nicht  mehr  vorfindet.  Die  Trübungen,  Schwankungen,  Ab- 
irrungen, die  er  unter  den  Händen  der  fränkisch-deutschen  Bauleute 
erfährt,  erscheinen  in  diesem  Lichte  betrachtet  ganz  entschuldbar,  ja 
es  offenbart  sich  im  Irrtum  eine  Selbständigkeit  und  Energie  der  Auf- 
fassung, die  in  anderer  Richtung  zum  Trefflichsten  befähigte.  Auch 
ist  der  Irrtum  kein  dauernder  geworden.  Unter  dem  Einfluss  der  zu- 
nehmenden Volksdichtigkeit,  der  aufsteigenden  Kultur  und  des  regeren 
Verkehrs  mit  Italien  und  Frankreich  gelangten  auch  in  Deutschland 
die  Grundgedanken  der  Basilika  wieder  zu  ihrem  Recht. 


6.  Die  Krypta. 

Ausführlichste  Behandlung  bei  Rohault  de  Fleury:  La  messe  II,  Paris  1883;  reich- 
liche und  gute  Abbildungen,  das  Historische  unkritisch.    Vgl.  sonst  noch  Messmer  in 
Mittl.  d.  Centr.-Com.  IX;   Haas  in  Mittelalt.  K.-Denkm.  d.  Oest.  Kaiserstaates  II; 
Schneider  in  Nassauer  Annalen  XIII,  p.  127—130. 

Da  die  Krypta  auf  die  allgemeine  Erscheinung  des  Kirchen- 
gebäudes nur  bedingten  Einfluss,  bei  ihrer  architektonischen  Ge- 
staltung aber  Willkür  und  Zufall  grossen  Spielraum  hat,  beschränken 
wir  uns  im  folgenden  auf  die  Betrachtung  bloss  der  Haupttypen. 

Das  Institut  der  Krypta  reicht  bis  in  die  altchristliche  Epoche 
hinauf;  zu  einem  ständigen  Attribut  des  Kirchengebäudes  wird  sie  in- 
des erst  in  der  romanischen  Epoche,  um  nachmals  von  der  gotischen 
wieder  ausgeschieden  zu  werden  1). 

')  Vereinzelte  gotische  Krypten  aufgeführt  bei  Otte,  Handbuch  I,  55,  Viollet- 
Ie-Duc  IV,  459. 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


181 


Nach  dem  alten  Sprachgebrauche  hat  die  Bezeichnung  Krypta  ein 
sehr  ausgedehntes  Gebiet,  es  umfasst  namentlich  auch  die  von  uns  im 
ersten  Buch  geschilderten  Konfessionen  und  Martyrien.    Lediglich  im 
Interesse  einer  bestimmteren  Ausdrucksweise  versuchen  wir  beides  von- 
einander zu  scheiden  und  reservieren  das  Wort  Krypta  für  einen  enger 
geschlossenen  Kreis  von  Anlagen.  Danach  verstehen  wir  unter  Krypta 
die  Erweiterung  der  Confessio  zu  einem  halb  oder  ganz  unterirdischen 
keilerartigen  Oratorium.    Dasselbe  deckt  sich  im  Grundriss  mit  dem 
Altarhause  der  Kirche.    War  in  der  normal  angelegten  Confessio  die 
Grabkammer  unzugänglich,  und  wurde  hier  der  Verkehr  der  Gläubigen 
mit  den  heiligen  Gebeinen  nur  durch  ein  kleines  Fensterchen  in  der 
Decke  oder  der  Vorderwand  vermittelt,  so  soll  die  Disposition  der 
Krypta  die  Möglichkeit  geben,  geradezu  an  die  Tomba  heranzutreten. 
Es  ist  für  die  Krypta  wesentlich,  dass  sie  ihren  eigenen  Altar  und 
Altardienst  hat. 

In  dem  Fortgange  von  der  altchristlichen  Confessio  zu  der  ro- 
manischen Krypta  spiegelt  sich  die  wuchernde  Fortentwicklung  des 
Märtyrerkultus  nach  der  superstitiösen  und  sinnlich  vergröberten  Rich- 
tung hin.  Es  ist  begreiflich  und  ganz  entschuldbar,  dass  die  halb- 
barbarischen Germanen  Völker  den  meisten  Anteil  daran  hatten,  und 
bekannt,  welchen  Vorschub  dieser  Empfänglichkeit  ihrerseits  die  römische 
Kirche  leistete.  Ungezählte  Heerscharen  toter  Heiligen  zogen  während 
des  9.  und  10.  Jahrhunderts  über  die  Alpen  und  nahmen  Wohnung 
bei  den  neubekehrten  Völkern,  ohne  Zweifel  zur  weiteren  Ausbreitung 
und  Befestigung  des  Christentums  durch  den  Ruf  ihrer  Wunderkraft 
nicht  wenig  mithelfend.  Je  mühsamer  aber  der  Erwerb  so  kostbarer 
Besitztümer  war,  um  so  mehr  Raum  forderte  auch  äusserlich  ihre 
Verehrung. 

Die  Krypta  gehört  zu  den  charakteristischen  Sonderbesitztümern 
des  romanischen  Stiles.  Eine  weitere  Beschränkung  zeigt  sich  in  ihrer 
geographischen  Verbreitung.  Es  sind  nur  die  germanischen  Länder, 
in  denen  sie  als  ein  unbedingt  notwendiger  Bestandteil  eines  jeden 
grösseren  Kirchengebäudes  erachtet  wurde.  Hingegen  Italien  und  die 
übrigen  Mittelmeerländer  verwenden  sie  immer  nur  arbiträr. 

Ganz  im  ungewissen  liegt  die  Chronologie  der  Anfange  des  In- 
stituts. Denn  die  primitive  ringförmige  Art,  mit  welcher  die  italienische 
Bauweise  bis  ans  Ende  des  ersten  Jahrtausends  sich  begnügte,  entbehrt 
zu  sehr  der  bestimmten  stilistischen  Merkmale  und  ist  zu  leicht  einer 
bestehenden  älteren  Anlage  einzubauen.    Mit  einiger  Zuversicht  sind 


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182 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


ältere  als  dem  7.  Jahrhundert  angehörende  Krypten  nicht  zu  nennen, 
wodurch  keineswegs  ausgeschlossen  ist,  dass  sie  nicht  schon  100  oder 
200  Jahre  früher  vereinzelt  vorgekommen  sein  könnten.  Mit  mehr  Be- 
stimmtheit ist  zu  sagen,  in  welchem  Gebiet  der  Brauch  zuerst  ein  all- 
gemeinerer geworden,  nämlich  im  ravennatischen. 

Nach  den  Anknüpfungspunkten,  welche  die  antike  Bautradition 
darbot  —  Grab-  und  Memorialzellen,  Juppitertempel  zu  Spalato  u.  a.  m. 
—  müsste  man  meinen,  dass  die  christliche  Krypta  zuerst  im  Zentral- 
bau sich  entwickelt  habe.  Dies  ist  aber  nicht  der  Fall l).  Nicht  einmal 
bei  den  Grabkirchen.  Ihre  Entstehungsgeschichte  fuhrt  auf  die  Con- 
fessio  der  Basilika  zurück. 

Der  primitive  Typus  ist  dieser.  Ein  enger,  nicht  viel  mehr  als 
mannshoher  Gang,  bald  in  der  Tonne  überwölbt,  bald  nur  mit  Stein- 
platten gedeckt,  läuft  innerseits  an  der  Grundmauer  der  Tribuna  hin, 
von  welcher  aus  ein  gerader  Stollen  (in  der  Längenaxe  des  Gebäudes) 
auf  die  Grabkammer  hin  abzweigt.  Von  den  jedesmaligen  Terrain- 
verhältnissen hängt  es  ab,  ob  die  vertikale  Entwicklung  der  Krypta 
unter  dem  Kirchenflur  bleibt,  oder  dessen  Niveau  teilweise  übersteigt, 
in  welchem  letzteren  Falle  das  Sanktuarium  um  einige  Stufen  höher 
angelegt  wird,  als  es  sonst  üblich.  An  den  Mündungen  des  ring- 
förmigen Umganges,  von  der  Seite  her,  befinden  sich  die  Eingänge, 
im  Scheitel  der  Kurve  das  einzige  kleine  Fenster,  wenn  nicht  etwa  im 
Fussboden  des  Sanktuariums  noch  ein  Oberlicht  angebracht  ist.  —  Die 
hier  beschriebene  Disposition  ist  entstanden  in  Rücksicht  auf  schon  vor- 
handene Konfessionen,  wird  dann  aber  typisch  auch  für  neue  Anlagen. 

Willkürlich  und  aller  Wahrscheinlichkeit  zuwider  ist  die  von  vielen 
(z.  B.  kürzlich  von  Mothes)  noch  ins  saec.  4  gesetzte  Zeitbestimmung 
der  Krypten  bei  S.  Ambrogio  in  Mailand,  bei  den  Basiliken  von 
Nola  und  Fondi  u.  a.  m.  —  Eher  könnte  vielleicht  von  den  in 
RAVENNA  dem  saec.  5  zugeschriebenen  Exemplaren  —  Kathedrale, 
S.  Pietro  maggiore,  S.  Giovanni  Evang.,  Sta.  Agata  —  das  eine  oder 
andere  thatsächlich  so  alte  Bestandteile  bergen.  In  S.  Apollinare 
in  C lasse  kann  (nach  oberflächlicher  Untersuchung)  die  Gleichzeitigkeit 
der  Krypta  mit  der  Kirche  (a.  534  ff.)  nicht  strikte  behauptet,  doch 
auch  nicht  negiert  werden;  vielleicht  war  erst  die  Ueberführung  des 
Sarkophags  durch  Bischof  Maurus  (642—671)  der  Anlass  zu  ihrer  An- 


')  Die  Angabe  von  Mothes,  BK.  in  Italien  I,  132  u.  151,  dass  das  orthodoxe 
Baptisterium  in  Ravcnna  eine  Krypta  besitze,  ist  falsch;  anscheinend  Missverständnis 
einer  Notti  von  Rahn,  oder  Verwechselung  mit  der  erhaltenen  Krypta  der  Basilica  Ursiana. 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


•83 


läge;  auf  unserer  Zeichnung  (Taf.  16,  Fig.  8  oben  links)  ist  das  Fenster 
anzugeben  vergessen.  Die  Krypta  des  Domes  von  Torcello  nicht  un- 
wahrscheinlich noch  aus  der  ersten  Anlage  saec.  7,  verändert  saec.  11, 
liegt  in  dem  Hohlraum  unter  den  Priesterbänken  und  hat  eine  eigene 
kleine,  über  die  grosse  vortretende,  Apsis. 

In  ROM  nicht  vor  saec.  9  nachweisbar:  daher  SS.  Quattro  Co 
ronati  (Taf.  42,  Fig.  9),  Sta.  Cecilia,  Sta.  Prassede.  Das  Alter 
des  ringförmigen  Umganges  der  Confessio  Sti.  Petri  mit  Sicherheit 
nicht  zu  ermitteln.  Ausser  der  Reihe  stehen  die  Krypten  von  Sta.  Prisca, 
Sta.  Maria  in  Cosmedin,  S.  Martino  ai  Monti  u.  s.  w.,  die  aus 
Ueberbauung  älterer  Bauwerke  entstanden  sind. 

In  der  NORDISCHEN  Baukunst  der  Karolingerzeit  ist  der  ring- 
förmige Typus  im  Verschwinden  begriffen.  Bauriss  von  S.  Gallen 
(saec.  9).  Noch  wohlerhalten  in  Werden  a.  R.  (Taf.  42 ,  Fig.  4») 
saec.  9.  Ebenso  die  Ostkrypta  von  S.  Emmeram  in  Regensburg, 
welche  schon  bestanden  haben  muss,  als  a.  980  eine  Westkrypta  (nicht 
die  heutige)  hinzugefügt  wurde. 

Ein  zweiter  Typus  hat  seine  Ausbildung  in  den  Ländern  diesseits 
der  Alpen  gefunden  in  den  Jahrhunderten,  die  wir  als  Merowingerzeit 
zusammenzufassen  pflegen.  Es  sind  Komplexe  von  grösseren  und 
kleineren  Kammern,  durch  geradlinige  Korridore  verbunden,  ohne  ein 
bestimmtes  Schema  der  Anordnung  und  oft  höchst  unsymmetrisch. 
Man  könnte  sie  ins  Enge  zusammengezogene  Katakomben  nennen. 

In  den  Rhein-  und  Donauländern,  Britannien,  am  zahlreichsten  in 
Gallien.  Auch  hier  im  konkreten  Fall  die  Altersbestimmung  meist  un- 
sicher. Wir  beschränken  uns  auf  Namhaftmachung  weniger  Beispiele.  — 

6.  Jahrhundert:  S.  Medardus  in  Soissons  (Taf.  42,  Fig.  7).  — 

7.  Jahrhundert:  Jouarre,  publiziert  in  Archives  des  mon.  hist.,  u.  Gail- 
habaud,  Archt.  III;  S.  Mellon  bei  Rouen  ;  S.  Maixent  in  Poitiers; 
in  England  S.  Wilfridskrypta  der  Kathedrale  von  Ripon.  —  8.  Jahr- 
hundert: S.  Savinien  bei  Sens;  Echternach  (Taf.  42,  Fig.  11). 
9.  Jahrhundert  K.  auf  dem  Petersberge  bei  Fulda,  drei  parallele  Gänge 
durch  einen  vierten  verbunden.  —  Spätere  Nachzügler:  Dom  zu  Kon- 
stanz (Taf.  42,  Fig.  8)  a.  934?  oder  erst  1052?  Premontre  saec.  12. 

Interessant  durch  die  regelmässige  Kreuzesgestalt  des  Grundrisses 
die  Krypta  in  Michelstadt  (Taf.  42,  Fig.  5,  Taf.  45,  Fig.  1)  a.  827. 
Einigermassen  ähnlich  diejenige  der  Morizberger  Kirche  bei  Hildes- 
heim ca.  a.  1058  (BD.  Nieders.  Bl.  26). 

Die  Verschmelzung  dieser  beiden  primitiven  Arten  und  ihre  Fort- 
bildung zu  eigentlichen  Oratorien  von  regelmässiger  hallenartiger  Bau- 
form erfolgt  Hand  in  Hand  mit  der  Ausbildung  des  kreuzförmigen 


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I 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil 

romanischen  Grundrisses.    Der  im  Grundriss  dem  Chorquadrat  und  der 
Apsis  entsprechende  Raum  wird  nunmehr  als  einheitlicher,  bloss  durch 
Freistützen  gegliederter  behandelt.   Die  Schiffe  (meist  drei,  seltener  fünf 
haben  notwendig  gleiche  Höhe  und  wegen  der  gleichfalls  geforderten 
quadratischen  Grundform  der  Kreuzgewölbe  auch  gleiche  Breite  unter- 
einander,  es  entsteht  mithin  eine  schachbrettmässige  Einteilung  des 
Grundrisses,  deren  Fortsetzung  in  das  Halbrund  der  Apsis  freilich  oft 
zu  unschönen  Verschneidungen  führt.    In  bezug  auf  den  Eingang  be- 
steht zwischen  der  älteren  und  der  jüngeren  Epoche  der  Unterschied, 
dass  jene  ihn  noch  doppelt,  an  beiden  Seiten  des  zum  Chor  führenden 
Treppenaufganges,  diese  in  der  Mitte  desselben  anbringt. 

Die  Einbürgerung  der  Krypten  hat  nun  auch  für  die  Oberkirche 
wichtige  Folgen.  Dadurch  dass  die  Krypta  ihren  eigenen  Altar  em- 
pfängt, wird  der  früher  Regel  gewesene  direkte  räumliche  Zusammen- 
hang des  Hochaltars  mit  dem  Märtyrergrabe  gelöst,  die  Stellung  des 
ersteren  im  Oberchor  ist  deshalb  keine  fest  bestimmte  mehr,  regel- 
mässig weicht  er  bis  in  die  Apsis  zurück.  Ein  zweites  ist  die  beträcht- 
liche Hochlegung  des  Chores:  in  der  altchristlichen  Epoche  war  sie 
mit  ihren  nicht  mehr  wie  2  oder  3  Stufen  mehr  nur  eine  symbolische 
gewesen,  jetzt  aber  werden  io,  15  und  mehr  Stufen  erforderlich,  deren 
stattlicher  Aufbau  so  dem  architektonischen  Bilde  wie  dem  liturgischen 
Zeremoniell  einen  neuen  bedeutenden  Zug  hinzuträgt.  Ueber  den  Wangen 
des  Treppenaufganges  befinden  sich  die  Amboncn  (Taf.  64,  Fig.  1). 
Die  Verlegung  des  Krypteneinganges  in  die  Mitte  ergiebt  Doppeltreppen. 

FRANKREICH.  Die  Krypten  von  S.  Aign  an  und  S.  Avit  zu 
Orleans  (Abb.  Viollet-le-Duc  IV,  449);  nach  Mutmassung  dem  saec.  9 
oder  Anfang  saec.  10  zugeschrieben  ;  ungewiss.  Die  Ostpartie  der  Krypta 
unter  der  Kathedrale  zu  Chartres  a.  858. 

DEUTSCHLAND.  Für  karolingisch  gelten  Reste  einer  K.  zu  Unter- 
regenbach im  Jagstthale  (Württembg.  Vierteljahrshefte  1881).  Wohl- 
erhalten und  sicher  saec.  10  die  Ostkrypta  der  Stiftskirche  zu  Gernrode 
(Taf.  46)  durch  2  X  2  freistehende  Pfeiler  in  drei  Schiffe  geteilt,  nur  2  m 
hoch.  Gleichfalls  saec.  10  Teile  der  Westkrypta  von  Sta.  Cacilia  in 
Köln  (Taf.  60),  einiges  in  S.  Peter  und  Paul  zu  Hadmersleben 
(Abb.  BD.  Nieders.  II,  Bl.  54)  und  vielleicht  auch  die  Krypta  des 
Martinsmünsters  zu  Emmerich. 

ITALIEN  kennt  die  in  Rede  stehende  Gattung  fast  nicht,  sondern 
geht  unvermittelt  von  den  ringförmigen  Anlagen  zu  hoch-  und  weit- 
räumigen Unterkirchen  über,  jedoch  erst  nach  ca.  a.  1000.  Die  Krypta 
S.  Filo strato  beim  alten  Dom  in  Brescia,  von  Dartein  der  Lango- 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


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bardenzeit  zugeschrieben,  nach  Mothes  sogar  jedenfalls  vor  610*;  die 
»arianisch  figurierten <.  Kapitelle  beweisen  dafür  nichts,  die  Disposition 
hat  Analogien  nicht  vor  a.  1000. 

Französisch  ist  die  Verbindung  der  Hallenkrypta  mit  hemicyk- 
Iischem  Umgang. 

Grossartiges  Beispiel  bei  der  Kathedrale  von  Auxerrc  (von  Viollet- 
le-Duc  IV,  451  abgebildet  und  ins  saec.  9  gesetzt,  richtiger  als  Neu- 
bau seit  a.  1023  zu  betrachten. 
Eine  Uebergangsform  bieten  zuweilen  die  Schlosskapellen,  wenn 
durch  Raumbeschränkung  Hallenanlage  von  geringer  Höhe  geboten  ist. 
WIPERTIKRYPTA  BEI  QUEDLINBURG  (Taf.  58).  Kapelle  der 
ehemaligen  Pfalz  König  Heinrichs  I.  Die  Krypta  der  Stiftskirche  zu 
Quedlinburg  ist  gleichfalls  aus  einer  ehemaligen  Schlosskapelle  er- 
standen, vgl.  den  Restaurationsversuch  von  Hase  im  Ergänzungsheft 
d.  Z.  des  Harzvereines  1877  und  Z.  d.  hannov.  Arch.-  u.  Ing.-Ver.  1873. 
Aehnlichen  Grundriss  hat  auch  die  von  Wilhelm  dem  Eroberer  er- 
baute Kapelle  des  Towers  zu  London.   —  An  die  Quedlinburger 
Krypten  und  zugleich  an  diejenige  von  S.  Avit  zu  Orleans  erinnert  die 
S.  Magnus-Krypta  zu  Füssen  (Taf.  42,  Fig.  10).  —  Vgl.  auch  die  West- 
krypta von  S.  Emmeram  in  Regensburg  mit  der  Stephanskapelle 
ebenda  (Taf.  42,  Fig.  12  u.  13)  sowie  die  Lindgeri-Krypta  zu  Helm- 
stedt mit  der  Doppelkapelle  des  gleichen  Ortes  (Reiseskizzen  d.  Nieder- 
sächs.  Bauhütte  Bl.  5,  6). 

7.  Der  innere  Aufbau. 

Wie  wir  im  bisherigen  an  den  verschiedensten  Punkten  des  über- 
lieferten Grundrissschemas  der  Basilika,  frische  Triebkräfte  unter  den 
Händen  der  fränkischen  Bauleute  lebendig  werden  sahen,  so  erwächst 
die  Voraussicht,  dass  auch  das  System  des  inneren  Aufbaues  von  den 
Neuerungen  nicht  unberührt  geblieben  sein  werde.  Ueberaus  spärlich 
allerdings  ist  das  Material  zur  Behandlung  gerade  dieses  Gegenstandes  • 
uns  nur  erhalten,  indes  in  Zügen,  welche  mit  Bestimmtheit  auf  ein 
allgemeines  hindeuten. 

Die  erste  wichtige  Veränderung  betrifft  die  Form  der  Stützen. 
Die  in  der  christlich-antiken  Basilikenarchitektur  bestandene  unbedingte 
Vorherrschaft  der  Säule  hört  auf;  der  Pfeiler,  bis  dahin  nur  gleich- 
sam verschämt  zugelassen,  tritt  in  offene  und  erfolgreiche  Konkurrenz 
mit  jener.  Nicht  als  ob  es  der  karolingischen  Epoche  an  Respekt  vor 
der  Schönheit  und  Würde  der  antiken  Säule  gefehlt  hätte:  wohl  aber 


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Zweites  Buch  :  Der  romanische  Stil. 


mehr  und  mehr  an  der  bequemen  Gelegenheit  zu  ihrer  Beschaffung 
aus  antiken  Gebäuden,  welche  dem  Basilikenstil  der  lateinischen  Lander 
ein  so  festes  Gepräge  gab.  Auf  römisch-germanischem  Provinzialboden, 
am  Rhein,  in  Gallien  u.  s.  w.  wurden  römische  Zierfragmente  noch  in 
ziemlicher  Menge  gefunden  und  aufgebraucht,  ganze  Säulenstämme  hin- 
gegen nur  noch  selten.  Als  Schaustücke,  deren  Verehrung  die  alsbald 
an  sie  sich  heftenden  Sagenbildungen  bezeugen,  kommen  sie  vereinzelt 
in  rheinischen  und  selbst  sächsischen  Kirchen  vor  (Essen,  Hildesheim), 
aber  nur  ein  Karl  oder  Otto  konnten  es  sich  gestatten,  einmal  ganze 
Reihen  antiker  Säulen  aufzustellen  (Aachen,  Magdeburg),  die  von  Last- 
tieren über  die  Alpen  herbeigeführt  waren.  Trotzdem  blieb  das  eigent- 
liche Ideal  auch  der  nordischen  Baukunst  im  frühen  Mittelalter  der 
Säulenbau.  (Beispiele  karolingischer  Säulenbasiliken:  die  Klosterkirchen 
von  Fulda,  Hersfeld,  Höchst,  S.  Gallen,  Reichenau,  der  Dom  zu  Köln.) 
Dieser  Tradition  des  Südens  und  der  Antike  aber  ungeschmälert  und 
in  reinem  Sinne  treu  zu  bleiben,  erwies  sich  als  schwierig,  ja  un- 
möglich. Zwei  wichtige  Veränderungen  hatte  dies  im  Gefolge.  Die 
eine,  etwas  später  erst  eintretende,  ist,  dass  eine  von  der  antiken  Ueber- 
lieferung  abweichende  spezifisch  romanische  Säulcnform  sich  ausbildet; 
die  andere,  dass  man  häufig  sich  entschliesst,  der  Säule  ganz  zu  ent- 
sagen, ihr  eben  den  Pfeiler  zu  substituieren.  Neben  der  früher  be- 
sprochenen Umwandelung  des  Grundplanes  ist  dies,  die  Ebenbürtig- 
machung  des  Pfeilers,  der  wichtigste  Schritt,  den  die  fränkische  Bau- 
kunst ins  Mittelalter  hinein  gethan  hat,  ja  man  ahnt  schon,  dass  dem 
Pfeiler  die  Zukunft  der  nordischen  Architektur  gehören  wird. 

Die  Kunst  des  Ziegelbrennens  ist,  wo  nicht  verloren,  so  doch  in 
Verfall  geraten.  Man  sucht  im  Norden  umsonst  die  dünnen,  durch  einen 
vorzüglichen  Mörtel  gefestigten  Wände  der  italienischen  Säulenbasiliken : 
die  vorwaltende  Behandlungsweise  ist  opus  mixtum  und  noch  mehr  reines 
Bruchsteinwerk.  Mit  der  Unbehilflichkeit  des  Verbandes  nimmt  not- 
•  wendig  die  Dicke  und  Last  der  Mauern  zu,  in  umgekehrtem  Verhält- 
nis die  rückwirkende  Festigkeit  der  Stützen  ab.  Es  fehlen  in  den 
meisten  Landschaften  die  dem  Süden  geläufigen  Marmore  und  Granite 
und  überall  die  Arbeiter,  die  sie  zu  behandeln  gewusst  hätten;  Sand-  und 
Kalksteine  wiegen  vor;  und  selbst  die  Herbeischaffung  dieses  geringer- 
wertigen Materials  bringt  vielerorten  Transportschwierigkeiten  mit  sich, 
die  man  nicht  auf  sich  nehmen  darf  oder  mag.  Ueberschlägt  man 
dieses  alles,  so  setzt  es  eher  in  Verwunderung,  dass  im  romanischen 
Stil  die  Säule  doch  noch  so  viel  Terrain  behauptet  hat. 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


187 


Als  reine  Pfeilerbasiliken  bezeichnen  wir  diejenigen,  in  welchen 
der  Pfeiler  einfach  für  die  Säule  eintritt,  während  alles  übrige  unver- 
ändert bleibt. 

Aus  saec.  9  die  von  Einhard  erbauten  Basiliken  zu  MICHELSTADT 
und  SELIGENSTADT  (s.  oben  S.  164  u.  Taf.  44,  Fig.  1).  Die  aus 
grossen  Ziegeln  aufgemauerten  Pfeiler  schlank,  von  quadratischem 
Grundriss,  dicht  gestellt;  Basen-  und  Kämpfergesimse  mit  ihren  zier- 
lichen und  ausdrucksvollen  Profilen  »noch  vom  Lebenshauche  antiker 
Art  durchweht«.  An  dieser  Stelle  persönliches  Verdienst  des  um  seines 
Kunstverständnisses  willen  berühmten  Erbauers,  wird  dergleichen  nicht 
oft  wiedergekehrt  sein.  Wie  wahrhaft  barbarisch  nimmt  sich  daneben 
die  alte  Kathedrale,  das  sog.  BASSE -OEUVRE  von  BEAUVAIS 
(Taf.  44,  Fig.  3)  aus:  schwerfällig  proportionierte  Arkadenöffnungen, 
quadratische  und  achteckig  abgefaste  Pfeiler  regellos  wechselnd,  gänz- 
licher Mangel  an  plastischer  Detaillierung.  Lange  für  merowingisch 
gehalten,  in  Wahrheit  nicht  älter  als  a.  987—98;  vgl.  Rame  im  Bull, 
du  comite  des  travaux  historiques  1882,  p.  190.  In  der  Umgegend  noch 
mehrere  Landkirchen  von  nicht  geringerer  Roheit  aus  saec.  9  und  10; 
vgl.  Woillez,  Archäologie  de  l'ancien  Beauvoisis,  Paris  1856.  —  Das- 
selbe System  in  kultivierterer  Behandlung  in  S.MARTIN  ZU  ANGERS; 
nicht  saec.  9,  sondern  a.  saec.  11;  vgl.  Rame  a.  a.  O.  p.  188. 

Ein  drittes  und  für  die  frühromanische  Weise  vorzüglich  charakte- 
ristisches System  ist  das  der  wechselnden  Stützen.  Es  hat  ur- 
sprünglich nicht  den  Sinn  gehabt,  in  welchem  wir  es  hauptsächlich 
verwendet  sehen,  sondern  ist  hervorgegangen  aus  gewissen  nachher  auf 
halbem  Wege  erlahmten  Bestrebungen  der  Karolingerzeit  zur  Reform 
der  Deckenbildung,  und  zwar  der  Ersetzung  der  flachen  Holzdecke 
durch  die  gewölbte  Steindecke. 

Das  wichtigste  auf  uns  gekommene  Zeugnis  hiervon  giebt  die 
AMBROSIUSKIRCHE  ZU  MAILAND.  Die  Mailänder  Erzbischöfe, 
unter  denen  diese  Kirche  erbaut  wurde,  Angilbert  und  Ansbert,  sind 
wahrscheinlich  Franken  von  Geburt  und  mit  dem  königlichen  Hof  in 
regem  Verkehr.  Ohne  Zweifel  stehen  S.  Ambrogio  und  die  nächst- 
verwandten Monumente  der  Lombardei  der  nordischen  Bauweise  ebenso 
nahe,  wie  sie  von  dem  stationären  Basilikenstil  des  übrigen  Italiens 
sich  entfernen.  An  dem  gegenwärtigen  Bau  gewahrt  man  bei  unver- 
kennbarer Einheit  des  Planes  drei  Abschnitte  der  Ausführung,  vgl. 
unseren  Grundriss  auf  Taf.  45.  Völlig  sicher  datiert  ist  nur  die  Apsis, 
nämlich  auf  ante  a.  855.  Die  Erbauung  des  Atriums  wird  durch  Epi- 
taph des  Erzbischofs  Anspert  (a.  868—81)  für  diesen  in  Anspruch 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


genommen;  der  Augenschein  zeigt  eine  Restauration  in  Konstruktions- 
formen des  saec.  12  ohne  völlige  Beseitigung  der  älteren  Bestandteile. 
Ueber  das  Schiff  der  Kirche  endlich  ist  zu  bemerken,  dass  es,  wie 
gewisse  Unregelmässigkeiten  der  Stützenabstände  und  die  aufiallige 
Winkelabweichung  der  Hauptaxe  beweisen,  an  letzter  Stelle  zur  Aus- 
führung gekommen  ist,  als  einerseits  der  Chorbau,  anderseits  das 
Atrium  bereits  standen;  doch  darf  aus  der  Formenübereinstimmung 
mit  dem  letzteren  wohl  geschlossen  werden,  dass  es  nicht  gar  viel 
jünger  sein  wird.    Die  nächste  Frage  ist:   sind  die  Gewölbe  der 
Schiffe  mit  den  Mauern  und  Pfeilern  gleichzeitig?    Die  beiden  fran- 
zösischen Forscher,  welche  sich  zuletzt  damit  beschäftigt  haben,  be- 
jahen die  Frage,  ihre  Schlussurteile  sind  aber  weit  voneinander  ver- 
schieden.   D  arte  in  (Etüde  sur  l'Architecture  Lombarde,  Paris  1865) 
hält  den  Ursprung  der  Pfeiler  aus  saec.  9  für  gesichert  und  beansprucht 
deshalb  auch  die  Gewölbe  für  die  nämliche  Zeit.   Rame  (Bulletin  du 
comite  des  travaux  historiques  1882,  N.  2)  geht  umgekehrt  von  den 
Merkmalen  der  Gewölbekonstruktion  aus  und  sagt,  da  diese  unmög- 
lich vor  a.  1100  ausgeführt  sein  könne,  so  müsse  der  ganze  Aufbau 
der  Kirche  und  des  Atriums  zu  Anfang  saec.  12  erneuert  sein.  — 
Erschwerend  für  die  Beurteilung  ist  es,  dass  die  Gewölbe  des  Haupt- 
schiffes total  erneuert  sind  und  über  ihre  Vorgänger  eine  gründliche 
Untersuchung  nicht  vorliegt;  summarische  Abbildung  in  den  K.-D.  d. 
Oesterreich.  Kaiserstaates  V.  Immerhin  sind  Anhaltspunkte  genug  vor- 
handen, um  mit  Bestimmtheit  dem  Widerspruche  Rames  gegen  Dartein 
beizupflichten,  ja  wir  halten  mit  Kugler  II,  79,  dafür,  dass  die  frag- 
lichen Gewölbe  sogar  jünger  sind,  wie  diejenigen  in  S.  Michele  zu 
Pavia.    Nicht  teilen  können  wir  jedoch  die  Meinung  der  beiden  fran- 
zösischen Forscher,  dass  die  Altersbestimmung  der  Gewölbe  diejenige 
des  ganzen  Hochbaus  notwendig  involviere.  Man  betrachte  den  Quer- 
schnitt auf  Taf.  45.  Die  tief  ansetzenden  Gewölbe  des  Mittelschiffs,  welche 
die  selbständige  Beleuchtung  des  letzteren  sehr  zum  Nachteil  des  Ganzen 
unmöglich  machen ;  die  unzusammenhängende  Anordnung  ihrer  Kämpfer- 
linie im  Verhältnis  zu  derjenigen  der  Emporen;  die  abweichende  und 
zwar  viel  altertümlichere  Behandlung  der  Gewölbe  im  Untergeschoss  der 
Abseiten :  alles  dies  sind  Erscheinungen ,  die  mit  der  Annahme  eines 
völligen  Neubaues  im  12.  Jahrhundert  schwer  in  Einklang  zu  bringen 
sind,  hingegen  einem  auf  die  Einwölbung  der  oberen  Teile  abzielenden 
Restaurationsbau  ganz  angemessen  wären.    Wir  fügen  hinzu,  dass  die 
im  12.  Jahrhundert  genügend  reichhaltigen  Mailänder  Geschichtsquellen 
einen  Neubau  der  wichtigen  Ambrosiuskirche  zu  erwähnen  gewiss  nicht 
unterlassen  hätten.    Weiter  beachte  man  die  Unterschiede  in  den 
Detailformen  der  Pfeilerkapitelle :  neben  solchen,  die  das  Gepräge  des 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


189 


12.  oder  allenfalls  des  ausgehenden  1 1.  Jahrhunderts  tragen,  kommen, 
namentlich  im  Erdgeschoss  und  zum  Teil  auch  in  den  Emporen,  andere 
augenscheinlich  altertümlichere  vor,  die  denjenigen  von  S.  Celso  in 
derselben  Stadt  (saec.  10)  genau  entsprechen  und  die  schon  in  meh- 
reren deutschen  Bauten  der  Ottonenzeit,  z.  B.  in  Quedlinburg,  Nach- 
ahmung gefunden  haben.  Aehnliche  Unterschiede  wiederholen  sich 
im  Atrium.  Alles  dies  bestätigt,  dass  die  saec.  12  vorauszusetzen- 
den Restaurationsarbeiten  den  Aufbau  bis  zum  Gewölbeansatz  im 
wesentlichen  unverändert  gelassen  haben.  Und  ist  dem  so,  so  kann 
für  diesen  älteren  Teil  nur  die  karolingische  Zeit  in  Frage  kommen.  — 
Welcher  Art  ist  aber  dann  die  ursprüngliche  Deckenkonstruktion  ge- 
wesen? Der  nach  Quadraten  geordnete  Grundriss,  der  entsprechende 
Wechsel  stärkerer  und  schwächerer  Pfeiler,  die  wohlüberlegte  und 
vielfältige  Sicherung  des  Aufbaues  gegen  eine  zugleich  vertikale  und 
seitlich  schiebende  Last  u.  s.  w.  sind  Umstände,  die  in  der  That  als 
Vorbereitung  auf  Kreuzgewölbe  auch  im  Mittelschiff  anerkannt  werden 
müssen.  Keineswegs  aber  beweisen  sie,  dass  diese  Absicht  schon  in 
der  ersten  Bauperiode  auch  zur  Ausführung  gekommen. 

Stutzpunkte  zu  bestimmterer  Vermutung  giebt  eine  andere  Mailänder 
Kirche,  S.  CELSO.  Sie  ist  augenscheinlich  eine  verkleinerte  Kopie 
von  S.  Ambrogio.  Im  Jahre  1808  abgebrochen,  bestehen  von  ihr  heute 
noch  die  letzte  Travee  mit  der  Apsis,  Teile  der  seitlichen  Umfassungs- 
mauern, dekorative  Fragmente,  dazu  eine  beim  Abbruch  gefertigte  Auf- 
nahme des  Grundrisses  (Taf.  45).  S.  Celso  ist  so  gut  wie  gewiss  als 
ein  Werk  des  Erzbischofs  Landolf  (f  a.  998)  zu  betrachten.  Daher 
stammen  die  Pfeiler  und  die  mit  grätigen  Kreuzgewölben,  ähnlich 
denen  in  S.  Ambrogio,  gedeckten  Seitenschiffe;  eine  Restauration, 
etwa  Ende  saec.  11,  hat  leider  die  uns  erhaltene  Ostpartie  am  meisten 
betroffen;  endlich  hat  saec.  16  oder  17  das  Mittelschiff  ein  Tonnen- 
gewölbe erhalten.  Dieselben  Umstände,  welche  in  S.  Ambrogio  zu 
gunsten  ursprünglicher  Kreuzgewölbe  angeführt  werden ,  kehren  in  S. 
Celso  wieder.  Allein  ein  Blick  auf  die  Mauerhöhe,  die  durch  das  am 
östlichen  Abschluss  erhaltene  alte  Dachgesims  gesichert  ist,  belehrt, 
dass  für  derartige  Gewölbe  hier  kein  Raum  vorhanden  war,  woraus 
Dartein  die  unweigerlich  richtige  Folgerung  zieht:  also  muss  ursprüng- 
lich eine  flache  Balkendecke  dagewesen  sein.  Weiter  vermutet  Dartein 
sehr  plausibel,  dass  die  Hauptpfeiler  mit  ihren  Pilastem  die  Bestim- 
mung gehabt  haben  werden,  quer  über  das  Schiff  gesprengte  Gurtbögen 
zu  tragen,  wie  der  restaurierte  Aufriss  Taf.  45,  Fig.  2  annimmt.  Wir 
meinen  nun,  dass,  was  für  S.  Celso  als  wahrscheinlich  anerkannt  wird, 
ebenso  für  S.  Ambrogio,  das  anerkannte  Urbild  von  jenem,  Geltung 
haben  müsse.    Die  Wahrscheinlichkeit,  dass  S.  Ambrogio  gleichwohl 


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Zweit«  Buch:  Der  romanische  Stil. 


ursprünglich  auf  Kreuzgewölbe  angelegt  war,  bleibt  dabei  bestehen; 
allein  als  man  so  weit  war,  mit  den  letzteren  Ernst  raachen  zu  sollen, 
scheint  man  sich  dessen  doch  nicht  getraut  und  mit  dem  beschriebenen 
Kompromiss  sich  begnügt  zu  haben.  Auch  die  um  so  viel  erfahreneren 
Konstrukteure  des  12.  saec.  wagten  die  endliche  Ausführung  der  Ge- 
wölbe nur  so,  dass  sie  dieselben  tiefer  bis  an  die  Emporen  (als  Wider- 
lager) herabrückten  unter  Preisgebung  des  basilikalen  Lichtgadens. 
Die  von  uns  vorausgesetzte  Stützbogenkonstruktion  war  schon  der  römi- 
schen Baukunst  wohlbekannt,  vgl.  oben  S.  130.  So  umfassende  Ver- 
wendung, wie  in  den  Basiliken  Zentralsyriens,  wo  lokale  Verhält- 
nisse dazu  drängten,  hat  sie  allerdings  sonst  nicht  mehr  gefunden.  Die 
meisten  erhaltenen  Beispiele  des  Abendlandes  in  gewölbten  Zentral- 
bauten: Emporgeschoss  von  S.  Vitale  zu  Ravenna  (Taf.  4,  Taf.  5, 
Fig.  2);  Rundkirche  zu  Nocera  und  Baptisterien  zu  Aix  und  Riez 
(Taf.  8);  Pfalzkapelle  zu  Aachen  (Taf.  43),  S.  Fedele  zu  Corao,  ebenda  ; 
mit  flacher  Steinplattendecke  in  der  Arena  zu  Arles  (Taf.  38,  Fig.  12). 
Aeltester  Beleg  für  Verbindung  mit  flacher  Balkendecke  gleichfalls  ein 
Zentralbau,  der  Dom  zu  Trier  (Taf.  12).  Häufigere  Verwendung  für 
die  Basilika  scheint  aber  erst  im  saec.  9  zu  beginnen:  Vorhalle  von 
Sta.  Sabina  zu  Rom,  Mittelschiff  von  Sta.  Prassede,  ebenda  (Taf.  45, 
Fig.  1);  im  10.  und  n.  saec.  sodann  ist  diese  Konstruktion,  zumal  in 
Oberitalien,  ganz  geläufig:  Kathedralen  von  Modena  und  Novara, 
S.  Zeno  bei  Verona,  S.  Miniato  bei  Florenz  (Taf.  75,  76). 

Bestrebungen,  wie  die  an  S.  Ambrogio  wahrgenommenen,  pflegen 
nicht  isoliert  aufzutreten.  Auch  sonst  sind  einige  Anzeichen  vorhanden, 
dass  das  von  der  altchristlichen  Epoche  abgelehnte  Problem  der 
Gewölbebasilika  die  Köpfe  der  fränkisch-karolingischen  Bauleute  zu 
beschäftigen  begann.  Eine  vollständige  Umgestaltung  im  herkömmlichen 
System  des  Aufbaues  war  darin  unvermeidlich  inbegriffen.  Mit  diesem 
Gedanken  sich  zu  befreunden,  erleichterte  die  zunehmende  Gewöhnung  an 
den  Pfeiler,  vor  allem  aber  das  diese  Epoche  auszeichnende  lebhaftere 
Interesse  für  den  Zentralbau.  Ja,  man  muss  sagen,  dass  alle  die  durch- 
greifenden Neuerungen,  durch  welche  S.  Ambrogio  aus  den  Traditionen 
des  lateinischen  Basilikenstils  heraustritt  —  die  Eindeckung  der  Abseiten 
durch  Aneinanderreihen  quadratischer  Kreuzgewölbe  oder  transversaler 
Tonnen,  die  Emporen,  die  Strebepfeiler  —  nichts  anderes  sind  als  eine 
geistreich  variierte  Uebertragung  der  dem  Zentralbau  (vgl.  namentlich  die 
Aachener  Palastkapelle  und  ihre  Verwandten)  längst  geläufigen  Mittel  zur 
Widerlagerung  des  Hauptgewölbes  (oben  S.  133  f.)  auf  den  longitudinalen 
Grundplan.   Hier  sollte  das  Hauptgewölbe  aber  kein  einheitliches  sein, 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


19I 


sondern  ein  zusammengesetztes  analog  der  in  den  Seitenschiffen  vor- 
gebildeten Anordnung,  das  bezeugt  die  Zusammensetzung  des  Grund- 
risses aus  Quadraten  von  doppelt  so  grossem  Seitenmass.  Ob  dieser 
folgenschwere  Gedanke  hier  ganz  selbständig  gedacht,  ob  er  durch 
römische  Präzedenzien  angeregt  ist ,  lassen  wir  unentschieden  :  immer 
wird  um  seinetwillen,  trotzdem  er  nicht  zur  Ausfuhrung  kam,  S.  Am- 
brogio  zu  den  Denkwürdigkeiten  ersten  Ranges  in  der  Baugeschichte 
des  Mittelalters  gerechnet  werden  müssen.  Theoretisch  ist  hier  von 
einem  begabten  Kopf  des  9.  Jahrhunderts  gelöst,  was  in  die  allgemeine 
Praxis  erst  seit  dem  12.  Jahrhundert  übergegangen  ist.  Nichts  so  gar 
Erstaunliches  scheint  uns  diese  lange  Stockung  dicht  vor  dem  fast  er- 
reichten Ziele.  Das  ist  das  Schicksal  so  vieler  anderer  Errungen- 
schaften der  karolingischen  Kultur  auch  gewesen.  Wenn  also  die  Ver- 
suche, aus  deren  Reihe  S.  Ambrogio  gewiss  nur  ein  Bruchstück  dar- 
stellt, ihre  Hauptaufgabe,  d.  i.  die  Einwölbung  des  Mittelschiffs,  noch 
unerledigt  Hessen,  so  waren  durch  sie  doch  mehrere  Nebenprodukte 
zu  Tage  gefördert,  welche,  abgelöst  von  ihrer  ursprünglichen  Bedeutung 
und  in  das  System  der  flachgedeckten  Basilika  des  romanischen  Stils 
aufgenommen,  selbständig  fortlebten.  Das  sind  die  gewölbten  Ab- 
seiten, die  Langseitenemporen,  der  Stützen  Wechsel. 

Unsere  Aufmerksamkeit  gebührt  vor  allem  dem  letzteren  Motive, 
als  in  welchem  die  künstlerische  Eigenart  der  frühromanischen  Epoche 
besonders  bezeichnend  sich  ausspricht.  Wir  verstehen  unter  Stützen- 
wechsel eine  Anordnung,  welche  in  einer  und  derselben  Reihe  Stützen 
verschiedener  Formen  —  entweder  Pfeiler  und  Säulen,  oder  stärkere 
und  schwächere  Pfeiler,  quadratische  und  polygone,  einfache  und  kan- 
tonierte  —  nach  bestimmter  Regel  in  wiederkehrender  Folge  sich  ab- 
lösen lässt.  Man  hat  die  Meinung  ausgesprochen,  dass  der  Stützen- 
wechsel aus  den  Gewohnheiten  einer  primitiven,  Holz-  und  Steinmaterial 
mischenden  Bauweise  hervorgegangen  sei.  Das  Entscheidende  scheint 
uns  jedoch  in  dieser  Thatsache  zu  liegen:  die  ältesten  Beispiele 
des  Stützenwechsels  weisen  denselben  immer  in  Verbindung 
mit  Langseitenemporen,  fast  immer  mit  Ein  Wölbung  der  Seiten- 
schiffe auf  —  eine  Verbindung,  die  später  aber  vielfach  wieder  auf- 
gelöst wird  — ,  und  wir  betrachten  ihn  deshalb  als  ein  im  Ideenkreise 
des  Gewölbebaucs  entsprungenes  Motiv.  Die  Absicht,  allgemein  aus- 
gedrückt, ist,  die  Widerstandsfähigkeit  der  tragenden  Teile  zu  steigern 
ohne  erhebliche  Vermehrung  der  Mauermasse.  Schon  die  Römer 
hatten  dies  durch  Verteilung  des  Druckes  auf  einzelne  stärker  befestigte 


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192 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Punkte  zu  erreichen  gelehrt  (S.  128).  Die  Lisenen  der  ravennatischen 
Basiliken,  die  Strebepfeiler  der  Aachener  Pfalzkapelle  u.  s.  w,  bieten 
Beispiele  fortdauernder  Anwendung.  Die  überaus  fruchtbare  Eingebung 
der  karolingischcn  Baumeister  nun  ist  die  Aufnahme  dieses  Prinzipes  in 
die  Innenarchitektur. 

Wir  kommen  noch  einmal  auf  S.  AMBROGIO,  als  auf  das  voll- 
ständigste Paradigma,  zurück.  Die  Aufgabe  der  Teilung  der  Last  ist 
hier  in  vielseitigster  Weise  in  Angriff  genommen.  Zunächst  sind  je 
zwei  Gewölbjoche  der  Abseiten  als  einheitliche  Gruppe  gefasst  und 
bedarf  demgemäss  nur  je  die  zweite  Stütze  der  Verstärkung:  die  Binnen- 
pfeiler durch  Pilaster  und  Halbsäulen ,  die  Umfassungsmauern  durch 
massive  Streben.  Zweitens  werden  die  Obermauern  des  Mittelschiffs 
durch  die  Oeffnungen  der  Emporen  erleichtert,  zugleich  aber  wieder 
die  getrennten  Teile  durch  die  Scheidbögen  und  Quergurten  der  Seiten- 
schiffe wechselseitig  verbunden  und  abgestützt.  Drittens  schwingen 
sich  von  den  bis  über  die  Emporen  hinaufgeführten  Vorlagen  der 
Hauptpfeiler  quer  über  das  Mittelschiff  Freibögen,  gleichsam  Verviel- 
fältigungen des  Triumphbogens  der  altchristlichen  Anlagen,  welche  teils 
die  Dachrüstung  tragen  helfen,  teils  und  noch  mehr  eine  festere  gegen- 
seitige Beziehung  der  ganzen  Baumassen  herstellen  sollen.  Endlich 
beachte  man  die  deutliche  Entlehnnng  aus  der  Aussenarchitektur  in  den 
Dekorationsmotiven  des  Bogenfrieses  und  der  über  den  Zwischenpfeilern 
aufsteigenden  Halbsäulen. 

Wir  lassen  einige  der  gleichen  Epoche  angehörende  Monumente 
Nordfrankreichs  und  des  Rheinlands  folgen,  welche  mit  S.  Ambrogio 
in  eine  Familie  gehören,  obwohl  sie  den  Typus  in  weniger  entwickelter 
oder,  richtiger  gesagt,  reduzierter  Fassung  darstellen.  Unter  den  zur 
Abtei  FONTANELLA  (S.  Wandrille  unweit  Rouen)  gehörenden  Kirchen- 
gebäuden besass  eines  eine  Empore  (solarium).  Schnaase  III,  p.  539  er- 
innert daran,  dass  der  Abt  Ansegis  Vorsteher  der  Werkstätten  in  Aachen 
gewesen  war,  und  denkt  an  eine  der  dortigen  Pfalzkapelle  ähnliche 
Anlage.  Nicht  vielleicht  eher  Verwandtschaft  mit  S.  Ambrogio  zu 
Mailand?  —  Noch  von  einem  anderen  Genossen  des  karolingischen 
Hofes,  dem  berühmten  Alkuin,  wird  berichtet,  dass  er  in  seiner  Heimat 
YORK  eine  mit  ^solaria«  versehene  Kirche  erbaut  habe,  von  welcher 
Schnaase  III,  p.  525  mit  Recht  bemerkt,  dass  sie  wahrscheinlich  ein 
Langbau,  kein  Polygonbau  gewesen. 

WERDEN  AN  DER  RUHR  (Taf.  42,  Fig.  4).  In  dem  Bestände 
des  in  den  spätestromanischen  Formen  des  saec.  13  sich  präsentierenden 
Baues  sind  zwei  fremdartige,  wie  man  bald  erkennt,  hochaltertümliche 
Stücke  aufbewahrt:    die  innere  Krypta  mit  dem  Grabe  des  Stifters 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


i93 


S.  Liudger  (Taf.  42,  Fig.  4*)  und  die  beiden  unter  dem  jetzigen  West- 
turrn  befindlichen  Joche  des  Langhauses  (Taf.  44,  Fig.  6).  Von  Daten 
zur  älteren  Baugeschichte  ist  überliefert:  a.  875  Einweihung,  a.  1059 
Restauration  der  Krypta,  a.  11 19  Brand,  durch  welchen  die  Basilika 
»consumpta  vel  potius  deformatat.  Betrachten  wir  zuvörderst  die 
Krypta.  Sie  besteht  aus  zwei  gesonderten  Teilen ;  der  erste  normaler- 
weise unter  dem  Chor,  der  zweite  ein  östlich  darüber  hinaustretender 
halb  oberirdischer  und  mit  eigenem  Dach  versehener  Ausbau.  Die  An- 
lage zeigt  die  grösste  Aehnlichkeit  mit  der  Westkrypta  von  S.  Emme- 
ram zu  Regensburg  von  a.  1052  (vgl.  Fig.  12  und  Fig.  4»  auf  Taf.  42), 
wird  mithin,  wofür  auch  die  Detailformen  sprechen,  der  Restauration 
von  a.  1059  angehören  (die  Apsidiola  später  durchgebrochen).  Die  unter 
dem  Chor  befindliche  Partie  zeigt  dagegen  die  in  den  ältesten  Krypten 
Italiens  übliche,  in  Deutschland  nur  noch  im  Bauriss  von  S.  Gallen 
und  in  der  Ostkrypta  von  S.  Emmeram  bekannte  Anlage  mit  isolierter 
Grabkammer  und  ringförmigem  Umgange;  in  der  Grabkammer  ein 
auf  römische  Muster  hinweisender  Mosaikboden;  das  Tonnengewölbe 
des  Umganges  Gusswerk ;  alles  dieses  lässt  uns  nicht  im  Zweifel,  dass 
wir  hier  einen  Rest  von  dem  a.  875  geweihten  Bau  vor  uns  haben.  — 
Betrachten  wir  nun  die  vorerwähnten  zwei  Traveen  des  westlichen 
Langhauses  (in  unserem  Grundriss  schwarz  ausgeführt),  so  zeigen  sie 
im  Erdgeschoss  quadratische  Pfeiler  ohne  Fuss-  und  Kämpfergesims, 
ähnlich  denen  von  Beauvais ;  von  ihnen  zur  Umfassungsmauer  gesprengt 
breite  Gurtbögen  in  etwas  abgeflachtem  Halbkreis,  darüber  quer  ge- 
legte Tonnengewölbe ;  alles  von  grösster  Ungeschlachtheit  in  der  Aus- 
führung. Der  nämlichen  Bauzeit  scheint  auch  der  Treppenaufgang  zu 
den  Emporen  anzugehören,  dessen  Tonnengewölbe  ähnliche  Behand- 
lung zeigen  wie  die  des  Kryptenumganges.  Dagegen  sind  die  Kreuz- 
gewölbe des  Galeriegeschosses,  zwar  noch  rippenlos,  sichtlich  eine 
spätere  Einschiebung ;  die  Gestalt  ihrer  Oeflfnungen  gegen  das  Mittel- 
schiff zeigt  Taf.  44,  Fig.  6.  —  Gegenüber  der  herrschenden  Ansicht 
(v.  Quast,  Lötz,  Otte),  derzufolge  die  fraglichen  Bauteile  einem  Neubau 
nach  dem  Brande  von  a.  n  19  entstammen  sollen,  konstatieren  wir  zu- 
nächst, dass  die  Annahme  eines  totalen  Neubaues  keineswegs  durch  die 
bezügliche  Brandnachricht  (»consumpta  vel  potius  deformata«)  nötig 
gemacht  wird.  Unbedingt  schliesst  sodann  die  stilistische  Erscheinung 
die  behauptete  Entstehung  im  12.  saec.  aus,  weist  mit  Bestimmtheit  auf 
ein  viel  höheres  Alter.  Konstruktion  wie  Komposition  sind  mehreren 
nachstehend  beschriebenen  Werken  des  10.  saec.  ähnlich,  nur  noch 
um  einen  Grad  primitiver  wie  diese.  Von  formiertem  Detail  liegt 
nichts  vor  als  die  Kapitelle  der  vier  Zwischensäulchen  der  Galerie. 
Davon  eines  in  roh  korinthisierender,  die  drei  übrigen  in  höchst  eigen- 

13 


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iy4  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

tümlicher,  etwa  mit  Pilzen  vergleichbarer  Form,  wie  die  beistehende 
Skizze  zeigt. 

Diese  Pilzform  begegnet  sonst  an  deutschen  Monumenten  nur  noch 
dreimal  und  zwar  in  einem  eng  begrenzten  Zeitraum:  in  der  Wiperti- 

krypta  und  in  der  Schlosskapelle  Hein- 
richs I.  in  Quedlinburg  (saec.  10,  H.  i) 
und  vereinzelt  in  dem  Werden  be- 
nachbarten, übrigens  auf  höherer  Kunst- 
stufe stehenden  Münster  von  Essen  (Mitte 
saec.  10);  ausserdem  in  einigen  alten 
Kry  pten  Englands,  z.  B.  Canterbury,  Wells.  Erwägt  man,  dass  Werden 
eine  angelsächsische  Stiftung  ist,  dass  angelsächsische  und  schottische 
Mönche  in  den  niederrheinischen  Klöstern  des  saec.  8  bis  10  überall 
reichlich  vertreten  und  auch  bei  der  Begründung  des  Kirchenwesens 
in  Niedersachsen  thätige  Mitarbeiter  sind,  so  glauben  wir  eine  wohl- 
begründete Vermutung  auszusprechen,  wenn  wir  jene  Kapitelle  einer 
spezifisch  angelsächsischen  Uebung  zurechnen.  Fügen  wir  hinzu,  dass 
von  a.  n  19  bis  rückwärts  zu  a.  875,  dem  Jahre  der  ersten  Ein- 
weihung, von  einer  baulichen  Veränderung  nichts  bekannt  ist,  so  liegt 
in  der  That  kein  Grund  vor,  daran  zu  zweifeln,  dass  die  in  Rede 
stehenden  beiden  Westtraveen  gleich  wie  die  Krypta  noch  Reste  des 
Stiftungsbaus  sind.  In  dieser  Meinung  bestärkt  uns  noch  die  folgende 
Beobachtung.  Es  sind  für  den  Chor  und  die  Ostmauer  des  Transseptes 
die  Grundlinien  des  Primärbaues  durch  die  Krypta  festgestellt;  denkt 
man  sich  nun  alle  im  13.  Jahrhundert  formierten  Bauteile  bis  westlich 
zu  jenen  beiden  Traveen  weggeräumt,  und  setzt  dann  die  Pfeilerabstände 
der  letzteren  wieder  ostwärts  fort:  so  gewinnt  man  genauen  Anschluss 
an  die  gegenwärtigen  Vierungspfeiler;  mit  anderen  Worten:  es  wird 
durch  diese  Probe  der  planeinheitliche  Zusammenhang  mit  der  Krypta 
erwiesen  und  der  ursprüngliche  Grundriss  lässt  sich  mit  hoher  Wahr- 
scheinlichkeit so  restaurieren,  wie  es  die  linke  Hälfte  unserer  Zeichnung 
annimmt.  —  Problematisch  bleibt  die  Vorhalle  und  das  westlich  von 
ihr  liegende  Baufragment  mit  der  Flachnische,  welche  ihre  jetzige  Ge- 
stalt erst  durch  die  Restaurationen  des  saec.  12  und  13  erhalten  haben.  — 
Geck:  Die  Abteikirche  etc.  1856,  8.  —  Loh  de  und  Stüler  bei 
Erbkam  1857. 

Das  System  von  Werden  begegnet  uns  wieder  in  der  Klosterkirche 
von  MONTIERENDER  (Dep.  Haule-Marne)  (Taf.  44,  Fig.  5),  erbaut 
von  Abt  Adso  (reg.  a.  960—992),  Transsept  und  Chor  saec.  13.  Die 
rechtwinkelig  profilierten  Quergurten  der  Abseiten  sind  ursprünglich,  wahr- 
scheinlich trugen  sie  eine  flache  Balkendecke;  über  dem  Galeriegeschoss 
offener  Dachstuhl.    Vgl.  Archives  de  la  com.  des  monum.  hist.  t.  I. 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


*95 


Wir  schlicssen  hier  ein  Monument  derselben  Landschaft  an,  das 
zwar  nach  seiner  Entstehungszeit  Uber  unsere  Epoche  hinausliegt, 
jedoch  den  bisher  besprochenen  Familiencharakter  völlig  bewahrt : 
S.  REMY  IN  REIMS  (Taf.  46,  Fig.  4).  Von  Erzbischof  Hinkmar 
vollendet  und  geweiht  a.  852.  Nach  150  Jahren  wegen  Baufälligkeit 
abgebrochen  und  völlig  neugebaut  a.  1005—1049.  Jüngste  Bearbeitung 
der  Baugeschichte  von  Demaison  im  Bull,  des  travaux  hist.  1882, 
p.  219  ff.  Der  Bauzeit  zunächst  a.  1005  schreibt  D.  das  Erdgeschoss 
des  Langhauses  zu;  die  auf  dem  Archäologenkongress  von  1875  au** 
gestellte  Behauptung,  dass  noch  ein  grosser  Teil  vom  Bau  Hinkmars 
im  gegenwärtigen  erhalten  sei,  weist  er  auch  unseres  Erachtens  mit 
Recht  zurück;  dies  hindert  nicht,  dass  das  System,  wie  wir  meinen,  in 
den  Traditionen  des  9.  und  10.  Jahrhunderts  wurzelt.  Die  gegenwärtigen 
seltsamen  Bündelpfeiler  abgebildet  bei  Viollet-le-Duc  VII,  p.  155;  dass 
sie  aus  ursprünglich  viereckigen  im  saec.  12  ausgehauen,  bemerkt 
richtig  schon  Schnaase  IV,  p.  567  Anmerkung  2;  die  echte  Gestalt  aus 
dem  Umriss  der  Deckplatte  zu  entnehmen.  Die  Deckenformation  der 
Abseiten  giebt  unsere  Zeichnung  nach  der  wohlbegründeten  Restau- 
ration von  Viollet-le-Duo  IX,  p.  240.  Endlich  beachte  man  die  Ver- 
stärkung der  Mauern  durch  Strebepfeiler.  —  Wir  kommen  auf  das  be- 
deutende Denkmal  an  späterer  Stelle  zurück. 

DIE  MÜNSTERKIRCHE  ZU  ESSEX  (Taf.  40  ist  das  geistreichst 
komponierte  und  sorgfältigst  ausgeführte  rheinische  Bauwerk  des  saec.  10. 
Leider  die  alte  Anlage  bis  auf  den  Westchor  arg  verdunkelt  (vgl.  S.  171). 
An  der  Innenwand  der  Abseiten  eine  Blendarkatur  auf  verkröpften  Säulen, 
welche  nebst  einigen  anderen  Indizien  wahrscheinlich  machen ,  dass 
die  Abseiten  ein  Emporengeschoss  besassen,  vielleicht  auch,  dass  sie 
unten  gewölbt  waren,  vgl.  v.  Quast  in  der  Zeitschr.  f.  christl.  Archäo- 
logie I,  p.  6.  Beachtenswert  ist  im  Zusammenhang  mit  unserer  Ausfüh- 
rung auf  S.  190  (vgl.  auch  S.  192  über  Fontanella)  das  intime  Verhältnis 
des  Essener  Münsters  zum  Aachener  Zentralbau. 

STA.  URSULA  IN  KÖLN  (Taf.  46 ,  Fig.  3).  Erste  Bauzeit  unge- 
wiss; zu  a.  1003  ein  Einsturz,  unter  Erzbischof  Anno  (1056 — 75)  Re- 
stauration verzeichnet;  weitere  Nachbesserungen  im  saec.  12  dürften 
nicht  erheblich  gewesen  sein.  Die  Gruppierung  der  Galerieöffnungen 
hat  die  grösste  Aehnlichkeit  mit  dem  gleichen  Bauteil  des  zwischen 
a-  975  —  993  ausgeführten  üktogons  zu  Mettlach  (Taf.  44),  das  seiner- 
seits wieder  an  das  Aachener  anknüpft  ;  das  starr  korinthisierende  Säulen- 
kapitell in  der  Querem  po*re  kann  kaum  jünger  sein  wie  Anf.  saec.  11; 
ungewöhnlich  und  in  gewissem  Betracht  an  S.  Ambrogio  in  Mailand 
erinnernd  die  inneren  Lisenen  mit  Rundbogenfries.  Und  was  bedeuten 
die,  wie  sie  sich  jetzt  zeigen,  funktionslosen  Kämpfergesimse  der  Lisenen 


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t(5  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

in  der  Höhe  der  Fensterbank?  etwa  ehemalige  Gurtbögen,  auf  welche 
der  Einsturz  von  a.  1003  zu  beziehen  wäre?  Dies  alles  lässt  uns  als 
möglich,  ja  einigermassen  wahrscheinlich  ansehen,  dass  die  Ursulakirche 
ihr  allgemeines  Gepräge  aus  der  Zeit  vor  a.  1103  konserviert  hat. 

Eine  weitere  Entwicklungsstufe  repräsentieren  diejenigen  Anlagen, 
die  den  Stützenwechsel  nicht  bloss  im  Galeriegeschoss ,  sondern  auch 
zu  ebener  Erde  durchführen. 

Die  dahin  gehörenden  Mailänder  Kirchen  S.  AMBROGIO  und 
S.  CELSO  wurden  oben  besprochen. 

Diesseits  der  Alpen  ist  das  wichtigste  Beispiel  die  Stiftskirche  zu 
GERNRODE  am  Harz  (Taf.  46).  Nach  Abzug  der  Umbauten  des 
saec.  12  (vgl.  oben  S.  172)  ein  die  Kunstrichtung  des  saec.  10  vorzüg- 
lich rein  zur  Erscheinung  bringendes  Denkmal,  gegründet  a.  960,  voll- 
endet wohl  noch  vor  Schluss  des  Jahrhunderts.  Hier  auch  die  Zwischen- 
decke der  Abseiten  nur  aus  Holz.  —  Aehnlich  anscheinend  die  Kirche 
des  mit  G.  in  geistlicher  Verbindung  stehenden  Klosters  Frose,  vgl. 
den  Ausgrabungsbericht  von  Maurer,  Deutsche  B.-Z.  1884,  Nr.  24.  — 
Vgl.  auch  die  Wipertikrypta  in  Quedlinburg  (Taf.  58)  als  Beleg  für 
Kenntniss  des  Stützenwechscls  in  Sachsen  schon  zu  Anfang  saec.  10. 

S.  VINCENT  IN  SOIGNIES.  Von  diesem  interessanten  Monument 
ist  uns  leider  nichts  bekannt  als  die  ungenügende  Skizze  bei  Schayes, 
Hist.  de  l'archit.  en  Belgique  II  (wiederholt  bei  Kugler  und  Schnaase), 
ein  durch  die  Gefälligkeit  des  Herrn  Jules  Heibig  in  Lüttich  uns 
mitgeteilter  Bericht  des  Bull,  de  l'academie  de  St.  Thomas  et  de  St. 
Luc.  1869  und  ein  Aufsatz  von  Th.  Lejeune  in  d.  Revue  de  l'art  ehr. 
1865.  St.  Vincent  kommt  unter  allen  Exemplaren  dieser  Gruppe 
S.  Ambrogio  am  nächsten.  In  den  unteren  Arkaden  wechseln  schwere 
Säulen  mit  Pfeilern;  die  letzteren  haben  pilasterartige Vorlagen,  in  be- 
treff deren  (wegen  der  in  gotischer  Periode  eingeschobenen  Gewölbe) 
nicht  mehr  zu  erkennen  ist,  ob  sie  früher  Gurtbögen  oder  etwa  nur 
blinden  Wandbögen  zur  Stütze  bestimmt  waren.  Die  allgemeine  Bau- 
form entspricht  durchaus  der  Epoche  des  Wiederaufbaus  durch  Erz- 
bischof  Bruno  von  Köln  a.  965;  vollendet  wohl  erst  im  Laufe  des 
saec.  1 1 . 

VIGNORY,  Dep.  Haute-Marne  (Taf.  46).  Gemeinhin  für  ein  Werk 
des  saec.  10  ausgegeben.  Zufolge  dem  Nachweise  von  Rarae  im  Bull, 
des  traveaux  hist.  1882,  p.  193  in  Wahrheit  zwischen  1049 — 1052  ent- 
standen. Im  Erdgeschoss  erstreckt  sich  der  Stützenwechsel  bloss  auf 
die  östliche  Hälfte.  Die  Galerie  ist,  wie  der  Querschnitt  zeigt,  eine 
nur  scheinbare  —  ein  instruktiver  Beleg,  wie  sehr  diese  Form  in  die 
Gewohnheit  übergegangen  und  dem  Auge  erwünscht  geworden  war. 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung. 


197 


Die  monumentalen  Zeugnisse  über  den  Baugeist  des  9.,  10.  und  be- 
ginnenden 1  I.Jahrhunderts  ergeben  ein  zwar  höchst  unvollständiges,  doch 
mit  nichtcn,  was  die  Grundzüge  betrifft,  ein  undeutliches  Bild.  In  den 
Stiftungen  aus  der  ersten  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts  hat  noch  der  reine 
Säulenbau  den  Vorzug;  daneben  kommt  der  Pfeilerbau  auf  den  Plan;  end- 
lich, nach  der  Mitte  des  9.  Jahrhunderts,  taucht  als  drittes  der  Stützcn- 
wechsel  auf  und  zwar  immer  im  Verein  mit  Emporen.  In  Frankreich 
bleibt  in  den  folgenden  Jahrhunderten  dies  System  fortgesetzt  neben 
anderen  in  Uebung  in  seiner  ursprünglichen  konstruktiven  Bedeutung, 
entweder  schon  geradezu  in  Verbindung  mit  dem  Gewölbebau  oder 
doch  als  mahnende  Vorstufe  desselben.  In  Deutschland  dagegen  fasst 
man  es  rein  von  der  ästhetischen  Seite  auf;  es  führt  zu  Fortschritten 
in  der  Richtung  auf  den  Gewölbebau  nicht,  die  Emporen  kommen  dies- 
seits des  Jahres  1000  wieder  ausser  Gebrauch1),  der  Stützenwechsel 
aber  dauert  unabhängig  von  jenen  fort  (vergl.  Taf.  58).  Das  hohe 
Wohlgefallen  an  diesem  Motive  wurzelt  in  seinem  beziehungsreichen 
Einklang  mit  dem  Bildungsgesetze  des  strengen  deutsch-romanischen 
Grundrisses  (vergl.  Taf.  43,  Fig.  2).  Erst  im  Stützen  Wechsel  des 
Aufbaues  kommt  der  Umschwung  von  dem  christlich-antiken  zu  dem 
mittelalterlichen  Kompositionsprinzip,  das  wir  bereits  in  der  Krcuzes- 
gestalt  des  Grundrisses,  in  dessen  Zusammensetzung  aus  Quadraten, 
in  den  Doppelchören  und  Doppeltranssepten  in  thätigstem  Walten  ge- 
funden haben,  zur  Vollendung.  Es  ist  —  um  es  in  ein  kurzes  Schlag- 
wort zusammenzufassen  —  der  Gegensatz  der  Reihung  und  der  Grup- 
pierung, der  wieder  auf  die  kontrastierenden  Grundstimmungen  des 
Klassischen  und  des  Romantischen  zurückgeht2). 

Es  sei  dies  an  dem  Beispiel  der  Stifskirche  von  GERNRODE  näher 
erläutert.  Der  Längenschnitt  (Taf.  46)  zeigt,  abgerechnet  die  beiden 
Apsiden,  fünf  Kompartimente  von  gleicher  Grösse  aber  ungleicher  Be- 
handlung: zuerst  die  Querempore  (die  nach  S.  172  restauriert  zu  denken 
ist) ;  dann  das  durch  die  Pfeiler  in  zwei  symmetrische  Gruppen  ge- 
teilte Langhaus;  dann  den  weiten  und  hohen  Vierungsbogen  mit  dem 
Ausblick  ins  Transsept;  dann  die  ungeteilte  Mauermasse  des  Chores, 
nur  durch  eine  Fensterpyramide  belebt.  Im  Langhaus  wird  die  Tei- 
lung weiter  detailliert:  im  Erdgeschoss  einer  jeden  Gruppe  eine  Zwei- 


')  Bezeichnenderweise  ist  ihre  Wiederaufnahme  im  rheinischen  Spätromanismus 
durch  das  Vordringen  des  Gewölbebaues  bedingt. 

*)  Vgl.  die  geistvollen,  wiewohl  etwas  zu  sehr  systematisierenden  Erörterungen  von 
Schnaase  am  Schluss  des  3.  Bandes,  und  von  Semper,  der  Stil  I,  p.  XXIX. 


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Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


teilung;  in  der  Galerie  eine  Dreiteilung,  die  durch  Zwischensäulcn  noch 
einmal  verdoppelt  wird;  von  den  dadurch  für  jede  Hauptgruppe  der 
Galerie  resultierenden  fünf  Säulen  erhalten  die  zweite  und  vierte,  d.  i. 
die  Träger  der  Blendbügen,  stärkere  Durchmesser,  reichere  Kapitelle 
und  Basen.  In  höchst  ausdrucksvoller  Weise  wird  solchermassen  die 
strenge  Quadrateinteilung  des  Grundrisses  mit  dem  freien  Rhythmus 
in  der  Folge  der  Traveen  des  Hochbaues  in  Beziehung  gesetzt.  — 
Einfacher,  indes  noch  immer  wohl  erkennbar,  entwickelt  sich  das 
Prinzip  in  den  anderen  der  oben  zusammengestellten  Monumente:  in 
MONTIERENDER  haben  die  Teilungssäulchen  der  Galerie  abwechselnd 
runde  und  achteckige  Schäfte,  in  den  MAILÄNDER  Kirchen  ist  bei 
gleicher  Kernform  der  Stützen  das  Ornament  jedesmal  ein  anderes  u.s.w. 
Dagegen  halte  man  die  Längenschnitte  altchristlicher  Basiliken  auf 
Taf.  19. 

In  dem  einfachen  Säulenrhythmus  der  christlich -antiken  Basilika 
wie  des  heidnisch-antiken  I'cripteraltempels  sind  die  Glieder  und  Ab- 
schnitte der  Reihe  unter  sich  gleich  und  stehen  alle  in  dem  gleichen 
Grade  der  Unterordnung  unter  das  Ganze.  In  der  mittelalterlich- 
romanischen Kompositionsweise  dagegen  werden  ungleiche  Elemente 
zu  rhythmischen  Perioden  zusammengebunden  und  erst  in  dieser  zweiten 
Instanz,  in  der  Gleichheit  der  Wiederkehr  des  Verschiedenen,  giebt  das 
Einheitsgesetz  des  Gesamtorganismus  sich  zu  erkennen.  Wie  dieses 
schon  in  der  Entwicklung  der  einzelnen  Reihe  für  sich  zum  Bcwusst- 
sein  kommt,  so  bewährt  es  sich  mit  vermehrter  Deutlichkeit  in  der 
vergleichenden  Betrachtung  des  Gegenüberstehenden.  In  dem  per- 
spektivischen Ensemblebilde  und  der  genauen  symmetrischen  Rcsponsion 
in  welcher  hier  die  beiden  Seiten  des  Hauses  sich  darstellen,  wird  die 
in  jeder  einzelnen  derselben  gebrochen  erschienene  Einheit  wieder  her- 
gestellt, und  die  über  dem  Ganzen  waltende  Ordnung  tritt  um  so  über- 
zeugender hervor,  je  mehr  sie  für  den  ersten  Anblick  hinter  der  Mannig- 
faltigkeit und  eigenwilligen  Sonderart  der  Einzelgruppen  und  -Glieder 
sich  verbarg.  Dem  geschichtsphilosophisch  gerichteten  Betrachter  wollen 
wir  nicht  widersprechen,  wenn  er  hierin  das  Seitenstück  zu  bekannten 
Phänomenen  in  Kirche,  Staat  und  Gesellschaft  des  germanischen  Mittel- 
alters finden  mag. 


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Erstes  Kapitel:  Grundlegung 


199 


Beschreibung  der  Tafeln. 

Zentralbauten. 

Tafel  40. 

1,  *  Aachen:  Münsterkirche.  Die  schwarz  angelegten  Teile  geben  die 
karolingische  Palastk.apelle ,  die  schraffierten  die  Zubauten  des 
späten  Mittelalters.  —  Bäcker. 

2,  3.  Aachen:  Palastkapelle.  Schnitte.  Das  Altarhaus  ergänzt.  — 
Isabelle,  Dohme. 

4,  5.  Como:  S.  Fedele.  —  saec.  9  —  10.  —  Dartein. 

Tafel  41. 

1,  2.  *  Nymwegen:  Palastkapelle.  —  Grundriss  saec.  9,  Hochbau 
saec.  1 2  mit  Resten  des  Gründungsbaues.  —  B  e  z  o  1  d. 

3,  4.   Ottmarsheim:  Damenstiftskirche.  —  saec.  11  M.  —  Isabelle. 

5,  6,  7.  *  Essen:  Münsterkirche.  Nonnenchor.  —  saec.  10  E.  — 
-  Zindel. 

8.  Köln:  S.  Maria  im  Kapitol.  Nonnenchor.  —  saec.  11  M.  - 
Frantzen. 

9,  10.  Mettlach:  »Der  alte  Turm« .  —  saec.  10  E.  —  Erbkam  187 1. 
ii,  12.  Germigny  des  Pres :  Klosterkirche.  —  saec.  9  A.  —  Daly  1849. 
13.  Fulda:  S.  Michael,    Grundrisse  der  Kirche  und  der  Krypta.  — 

saec.  9  A.  —  v.  D ehn-Rot felser. 

Basiliken.  Grundrisse. 

Tafel  42. 

1.  Saint- Denis.  —  saec.  6.  —  Viollet-le-Duc. 

2.  *S.  Gallen:  Benediktinerkirche.  —  saec.  9  A.  —  Nach  den  dem 
Originalriss  eingeschriebenen  Massen. 

3.  Hersfeld:  Benediktinerkirche.  —  saec.  9  M.  u.  11.  —  Correspon- 
denzblatt. 

4.  *  Werden  a.  R.:  Benediktinerkirche.  Links  restauriert  im  Sinne  des 
saec.  9,  rechts  saec.  13.  —  Stüler,  ergänzt  durch  Lieber. 

5.  Michelstadt:  Stiftskirche.  —  saec.  9  A.  —  Nassauer  Annal.  XIII. 

6.  Ingelheim:  Palastkirche.  —  saec.  10  M.  —  Mainzer  Alter- 
tümer. 

Krypten. 

3a.  Hersfeld.  —  saec.  11. 

4*.  Werden  a.  R.  —  saec.  9  u.  11. 

7.  Soissons:  S.  Medardus:  —  saec.  6?  —  Taylor  et  Nodier. 

8.  Konstanz:  Dom.  —  saec.  n  A.  —  Schober. 


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200 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Krypten. 

Tafel  42. 

9.  *Rom:  SS.  Quattro  Coronati.  —  saec.  9  A.  —  K.  Lange. 

10.  *  Füssen:  S.  Mang.  —  saec  11  ?  —  Dehio. 

11.  Echternach.  —  saec.  7.  —  Rhein  1.  BD. 

12.  *  Regensburg:  S.  Emmeram.  —  saec.  11  M.  —  Bezold. 

13.  *  Regensburg :  S.  Stephanskapelle.  —  saec.  11.  —  Bezold. 

Anlagen  mit  Doppeltranssept. 

Tafel  43. 

1.  Centula.  —  saec.  8  E.  —  Mabillon  »ex  scripto  codicec. 

2.  Hildesheim :  S.  Michael.  —  saec.  11  A.  —  Niedersächs.  BD. 

3.  *  Dasselbe:  restaurierte  Ansicht.  —  Nach  Baumodell  u.  Photogr. 

4.  *  Köln:  S.  Pantaleon.  —  saec.  10,  12,  13.  —  Höfken,  Frantzen. 

5.  Dasselbe:  Ansicht.  —  Nach  Kupferstich  von  a.  1663. 

6.  *  Münster  i.  \V.:  Dom.  —  Restaurationsprojekt  des  Grundrisses. 

7.  Reichenau:  Münster  Sta.  Maria.  —  saec.  11.  —  Adler. 

System  des  Inneren. 

Tafel  44. 

1.  Michelstadt.  —  saec.  9  A.  —  Nassauer  Annalen  XIII. 

2.  Agliate.  —  saec.  9— 11?  —  Dar t ein. 

3.  Beauvais:  Basse- Oeuvre.  —  saec.  10.  —  Woillez. 

4.  Angers:  S.  Martin.  —  saec.  11.  —  Gaühabaud. 

5.  Montier-en-Der.  —  saec.  10 — 11.  —  Archives  m.  hist. 

6.  *  Herden  a.  R.  saec.  9,  11,  13.  —  Lieber. 
Tafel  45. 

1.  Rom:  Sta.  Prassede.  saec.  9.  —  Hübsch. 

2.  3.  Mailand:  S.  Celso.  —  saec.  10.  —  Dar t ein. 

4,  5,  6.  Mailand:  S.  Ambrogio.  —  saec.  9,  10,  13.  —  Dartein. 
Tafel  46. 

1,  2.    Vignory.  —  saec.  11.  —  Archives  m.  hist. 

3.  *  Köln:  Sta.  Ursula.  —  saec.  10?  12.  —  Bezold,  Frantzen. 

4.  *  Reims :  S.  Remy.  —  Restauriert  im  Sinne  des  saec.  11,  mit  Be- 
nutzung der  Aufnahmen  von  Gailhabaud  u.  Viollet-le-Duc. 

5.  Gernrode:  Damenstiftskische.  —  saec.  10,  12.  —  Zeit  sehr.  d. 
Harzvereins. 


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Zweites  Kapitel. 

Die  flachgedeckte  Basilika  in  Deutschland. 


Litteratur.  —  H.  Otte:  Handbuch  der  kirchlichen  Kunstarchäologie  des  deutschen 
Mittelalters.  5.  Aufl.,  bearb.  von  E.  Wernicke.  1884.  —  H.  Ottt:  Geschichte  der  roma- 
nischen Baukunst  in  Deutschland.  1874.  —  G.  Möller:  Denkmäler  der  deutschen  Bau* 
kunst,  2  Bde.,  1821  — 1836.  Bd.  3  von  E.  Gladbach,  1844  fr.  —  Chafuy:  L'AUemagne 
monumentale  et  pittoresque.  12  Livr.  1845—40.  —  G.  Kallenbach:  Die  Baukunst  des 
deutschen  Mittelalters,  chronologisch  dargestellt,  1847.  —  Derselbe:  Atlas  zu  obigem 
Werk,  1847.  —  E.  Farster:  Denkm.  der  deutschen  Baukunst,  12  Bde.,  1853 — 69.  — 
Jt.  Dehme :  Geschichte  der  deutschen  Baukunst,  1885  ff.  —  IV.  Lötz:  Kunsttopographie 
Deutschlands.  2  Bde.,  1862 — 63.  —  A.  Schultz:  Regesten  zur  Baugeschichte  der  Jahre 
800—1300.  (Repertorium  f.  Kunstwissenschaft,  II.  1879).  —  Inventare  der  Baudenkmäler 
sind  für  alle  deutschen  Staaten  und  Provinzen  in  Bearbeitung  genommen.  —  //.  Müller  : 
Karte  der  mittelalterlichen  Kirchenarchilektur  Deutschlands. 

Monographien.  —  1.  Sachsen,  Thüringen  und  die  nordöstlichen  Marken. 

—  /,.  Puttrich:  Denkm.  der  Baukunst  des  Mittelalters  in  Sachsen,  4  Bde.,  1835—52.  — 
H.  Mithoff:  Archiv  für  Niedersachsens  Kunstgeschichte,  1852 — 62.  —  Baudenkmäler 
Niedersachsens  im  Mittelalter,  redigiert  von  C.  W.  Hast,  3  Bde.,  1856  —  83.  —  Reise- 
skizzen der  niedersächsischen  Bauhütte,  1864.  —  v.  Quast:  Reiseberichte  in  der  Zeitschr. 
f.  christl.  Archäologie  und  Kunst.  —  Andrea:  Monumente  des  Mittelalters  im  sächsischen 
Erzgebirge.  —  //.  Stier:  Liebfrauenkirche  in  Arnstadt,  1883.  —  v.  Heinemann:  Gern- 
rode. Zeitschr.  d.  Harzvereins,  X.  —  Kratz;  Dom  zu  Hildesheim,  1840.  —  Heine: 
Quedlinburg.  Zeitschr.  d.  Harzvereins,  VIII.  —  H.  A.  Müller  :  Der  Dom  zu  Bremen, 
1861.  —  Pfeiffer  :  Mittelalterliche  Dorfkirchen  im  Herzogtum  Braunschweig.  Zeitschr.  f. 
Bauwesen,  1882.  —  A.  Essenwein  :  Norddeutschlands  Backsteinbau  im  Mittelalter,  1856. 

—  F.  Adler  -  Mittelalterliche  Backsteinbauten  des  preussischen  Staates,  1862  ff.  —  Mit- 
hoff: (Inventar)  der  Kunstdenkmäler  u.  Altertümer  im  Hannoverschen,  7  Bde.,  1871 
bis  1880.  —  Beschreibende  Darstellung  (Inventar)  der  Bau-  u.  Kunstdenkmäler  d.  Provinz 
Sachsen,  1879fr.  —  Desgl.  für  die  Provinz  Schleswig-Holstein,  herausgegeb.  von 
Haupt,  1885  ff.  —  Desgl.  für  die  Provinz  Brandenburg,  herausgegeb.  von  R.  Bergau. 

—  Desgl.  für  das  Königreich  Sachsen,  1882  ff.  —  2.  Westfalen.  —  YV.Lübke: 
Die  mittelalterl.  Kunst  in  \V.  Mit  Atlas.  1853.  —  A.  Orth  :  Die  roman.  Kirchen  im 
Fürstent.  Waldeck.  Zeitschr.  f.  B.,  1862.  —  Memminger:  Kunstdenkm.  des  Kreises  Soest, 
1881.  —  Inventar,  bearb.  von  Nordhoff,  1881  ff.  —  3.  Mittel-  und  Niederrhein.  — 
C/t.  IV.  Schmidt:  Haudenkm.  in  Trier  u.  Umgebung,  1839  —  41.  —  .S\  Jioisserie:  Denkm. 
der  Baukunst  am  Niederrhein,  1843.  —  Cfier  "•  Gort;  Denkm.  romanischer  Baukunst, 
1846.  —  v.  Quast:  Die  roman.  Dome  in  Mainz,  Worms  u.  Speier,  1853.  —  Kugler  ■. 
Rheinreise.    Kl.  Schriften  II.  —  F.  Bock:  Das  monumentale  Rheinland,  1866—69.  — 

«4 


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202 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Derselbe:  Rheinlands  Baudenkm.  des  Mittelalters,  3  Bde.,  1869  —  72.  —  F.  Schneider: 
Rheinhessens  kirchl.  Baudenkm.  Bonner  Jahrb.,  Bd.  21.  —  Derselbe:  Inventar  filr  den 
Regierungsbeiirk  Wiesbaden,  1880.  —  v.  Ftsenne:  Kunstdenkm.  des  Mittelalters  am  Nieder- 
rhein, 1880—86. —  Frantten :  Mittelallerl.  Kirchen  in  Köln,  Autographierte  Aufnahmen 
(Manuskript).  —  Prisac:  Sieben  alte  Landkirchen  im  Erzstifte  Köln.  Hornblatt  1854  — 
v.  Quast :  Münster  zu  Essen.  Zeitschr.  f.  A.  u.  K.  1.  —  Wiethase .  Brauweiler.  Zcitschr. 
d.  Arch.-Vereins  Hannover,  1878.  —  Raschdorf:  Knechtsteeden.  Zeitschr.  f.  B.  1874. 

—  //.  Stier:  Limburg  a.  L.  Daselbst  1874.  —  F.  Schneider  :  Dom  zu  Mainz,  1886.  — 
W.  Meier:  Dom  zu  Speier  (wird  erscheinen).  —  A.  Simons:  Schwarzrheindorf,  1848.  — 
v.  Wilmowski:  Dom  zu  Trier,  1874.  —  Stüter  u.  Lende:  Werden  a.  R.  Zeitschr.  f.  H. 
1857.  —  F.  Schneider:  S.  Paul  zu  Worms.  1881.  —  4.  Oberrhein,  Schweiz  und 
Schwaben.  —  (//.Schreiber):  Denkm.  deutscher  Baukunst  am  Oberrhein,  1825 — 28. — 
Schzoeighäuser  et  Gollbcry.  Antiquites  d'Alsace,  18:8.  —  A.  Woltmann:  Geschichte  der 
deutschen  K.  im  Elsass,  1876.  —  F.  Adler:  Frtihroman.  Baukunst  im  Elsass,  1879.  — 
/*'.  X.  Kraus:  Kunst  und  Altertum  in  Elsass- Lothringen,  2  Bde.,  1876  ff.  —  /'.  Adler  : 
Die  Klosterkirchen  auf  Reichenau,  1870.  —  Nettti'irt:  Die  kirchl.  Bauten  in  St.  Gallen, 
Reichenau,  Petershausen.  Wiener  Sitzungsber.  1884.  —  Schober:  Münster  in  Konstanz. 
Das  alte  Konstanz.  Jahrg.  I.  u.  II.  1881 — 82.  —  J.  Rahn:  Gesch.  der  bildenden  Künste 
in  der  Schweiz.  —  Füss/i:  Zürich,  1846.  —  Vögtli ,  Keller  u.  IVyss :  GrossmUnster  zu 
Zürich.  Mitteil.  d.  Antiquar.  Ges.  I.  II.  VIII.  —  F.  Eisenlohr :  Mittelalterl.  Baudenkm. 
im  südwestlichen  Deutschland,  1853  ff.  —  C.  Heideloff:  Die  Kunst  des  Mittelalters  in 
Schwaben,  1855 — 64.  Supplement  1858 — 72.  —  Leins:  Beitrag  u.  s.  w.  zum  Kirchenbau 
in  Württemberg,  1864.  —  //assler:  Kunstdenkm.  Württembergs,  1859 — 62.  —  v.Lorent: 
Denkm.  des  Mittelalters  in  Württemberg.  Photogr.  Aufnahmen,  1866 — 69.  —  Jahresh. 
des  Württemb.  Altert. -Vereins,  1844  ff.  —  G.  Thrän:  Deokm.  altdeutscher  Baukunst  in 
Schwaben,  1846.  —  Th.  Herber ger :  Dom  zu  Augsburg,  186t.  —  C.  Klunzingcr :  Belln- 
hausen, 1852.  —  E.  J.  Schwarz:  Ellwangen,  1882.  —  v.  Egle:  Hirschau  (Autograph. 
Aufnahmen  als  Manuskript).  —  Klunzingcr:  Maulbronn,  1861.  —  E.  Paulus:  Maul- 
bronn, 18S2.  —  5.  Franken  und  Hessen.  —  v.  Dehn- Rotf eiser:  Mittelalterl.  Bau- 
denkm. in  Kurhessen,  1862 — 65.  —  Inventar  für  die  Provinz  Hessen-Nassau,  bearbeitet 
von  v.  Dehn- Rotf  eiser,  W.  Lötz,  F.  Schneider.  1870 — 80.  —  v.  Stillfried:  Heilsbronn, 
1877.  —  6.  Bayern  und  Oesterreich.  —  J.  Sighart:  Gesch.  der  Künste  im  Königr. 
Baiern,  1862.  —  Derselbe  :  Dom  zu  Freising,  1852.  ~  J.  Popp  u.  IJiilau:  Architektur 
des  Mittelalters  in  Regensburg,  1834 — 39.  —  v.  Quast  :  Regensburg,  D.  Kunstbl.,  1852. 

—  v.  Walder  dorff:  Regensburg,  1869.  —  G.  //eider,  R.  v.  Eitelberger  u.  J.  Hieser : 
Mittelalterliche  Kunsdenkm.  des  österr.  Kaiserstaates,  2  Bde.,  1856  —  59.  —  {v. //eifert): 
Atlas  kirchl.  Kunstdenkm.  im  österr.  Kaiserstaat,  1873.  —  Jahrbuch  der  A*.  K.  Central- 
Commission  zur  Erforschung  u.  Erhaltung  der  Baudenkm.,  5  Bde.,  1856  ff.  —  Mitteil. 
derselben  C.-C.  30  Bde.,  1856  ff.  —  v.  Sachen  :  Kunst  u.  Altertum  in  Nieder-Oesterreich, 
1877.  —  Aufnahmen  der  Wiener  Bauhütte  (Manuskript).  —  B.Grueber  :  Die  Kunst  des 
Mittelalters  in  Böhmen,  4  Bde.,  1871—79. 

Weitere  Litteraturnachweise  in  W.  Lötz'  Kunsttopographie  und  H.  Ottes  Handbuch. 

1.  Allgemeines. 

Die  Geschichte  des  Mittelalters  lehrt  als  die  wahren  Erben  der 
Universalmacht  Karls  des  Grossen  nicht  die  deutschen  Kaiser,  sondern 
die  römischen  Päpste  erkennen.  Für  die  Baugeschichte  indes  hat 
dieser  Satz  keine  Geltung.  Es  bleibt  höchst  merkwürdig,  dass  Rom 
über  ein  so  wichtiges  Gebiet  des  kirchlichen  Lebens,  wie  die  kirch- 
liche Baukunst,  ein  Gebiet  auf  dem  es  bis  dahin  unbestritten  der 
Gesetzgeber  des  ganzen  Abendlandes  gewesen  war,  eben  damals  jeg- 
lichen Einfluss  verlor.  Es  wurde  eine  der  bedeutsamsten  Eigentümlich- 


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Zweites  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Deutschland.  203 

keiten  der  romanischen  Baukunst,  dass  sie  eines  Mittelpunktes,  wie 
sie  ihn  in  dem  kurzen  Momente  ihrer  ersten  Kristallisation  am  Hofe 
Karls  des  Grossen  besessen  hatte,  nachmals  dauernd  entbehrte. 

Das  Europa  des  hohen  Mittelalters  beruht  wesentlich  auf  den 
drei  aus  der  fränkischen  Monarchie  ausgesonderten  Völkergruppen: 
der  deutschen,  der  italienischen,  der  französischen.  Eben  diese  sind 
auch  die  Führer  der  abendländischen  Baukunst,  und  je  einer  von  ihnen 
ordnen  sich  die  an  der  Peripherie  liegenden  Länder  —  England, 
Spanien,  Dalmatien,  Ungarn,  Böhmen,  Skandinavien  —  unter,  die 
ihnen  dargebotenen  Bautypen  in  oft  interessanter  Weise  variierend, 
aber  keine  neuen  Typen  schaffend. 

Deutschland,  um  damit  zu  beginnen,  ist  den  anderen  in  bezug 
auf  Einheit  und  Stetigkeit  der  Entwickelung  bei  weitem  voraus.  Sonst 
immer  gewöhnt,  die  Deutsche  Geschichte  dieser  Zeit  in  einem  Geiste 
der  Absonderung  der  Stämme  und  in  deren  Widerstreit  gegen  die 
Reichsgewalt  sich  bewegen  zu  sehen,  werden  wir  durch  diese  That- 
sache  der  Kunstgeschichte  doppelt  überrascht.  Und  wir  meinen,  dass 
unsere  Könige  und  Kaiser  mehr  Verdienst  darum  haben,  als  ihnen 
gewöhnlich  zugestanden  wird.  Man  muss  sich,  um  dies  zu  verstehen, 
ihr  Verhältnis  zur  Kirche  vergegenwärtigen.  Die  hohen  Beamten  der 
Kirche  waren  zugleich  Beamte  des  Reiches.  Für  die  Könige  des 
sächsischen  und  fränkischen  Hauses  war  es  oberste  politische  Maxime, 
der  Bischöfe  sich  sicher  zu  stellen,  um  durch  sie  den  Partikularismus 
der  Fürsten  und  Stämme  zu  überwinden.  Die  Besetzung  der  Bistümer 
und  grossen  Abteien  ging  unmittelbar  vom  Könige  aus;  ein  grosser 
Teil  der  zu  diesen  Würden  Beförderten  waren  Männer,  die  in  jungen 
Jahren  ihre  Schule  in  der  königlichen  Kapelle  und  Kanzelei  durch- 
gemacht hatten  und  die  mit  dem  Hofe  in  stetem  Verkehr  blieben; 
in  diesem  Kreise  war  der  Gedanke  der  Reichseinheit  am  lebendigsten, 
er  war  von  nicht  zu  unterschätzender  Bedeutung  aber  auch  für  den 
Zusammenhang  der  Bildungsinteressen.  Die  Baulust  der  Könige  des 
sächsischen  und  fränkischen  Hauses  kam  fast  ausschliesslich  der  Kirche 
zu  gut;  erst  die  Staufer  gönnten  dem  weltlichen  Prunkbau  eine  Stelle. 
Ihren  ersten  Aufschwung  nahm  die  deutsche  Baukunst  unter  der  Pflege 
der  Ottonen  an  deren  Lieblingssitzen  am  Harz;  Ottos  I.  Bruder,  Erz- 
bischof  Bruno  von  Köln,  förderte  sie  am  Niederrhein  und  in  Lothringen ; 
Heinrich  II.  wurde  epochemachend  für  Regensburg  und  Bamberg; 
Konrad  II.  beschenkte  seinen  Heimatsgau  mit  den  grandiosen  Kirchen 
zu  Limburg  und  Speier;  Heinrich  III.  verlieh  dem  kleinen  Goslar 


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204  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

hohe  monumentale  Würde ;  Heinrich  IV.  wurde  nur  durch  sein  drang- 
volles Schicksal  verhindert,  den  Bauruhm  seines  Vaters  und  Gross- 
vaters zu  übertreffen.  Sehen  wir  uns  sodann  unter  den  Kennern  und 
Förderern  des  Bauwesens  im  hohen  Klerus  um,  so  waren  —  nur  um 
die  berühmtesten  zu  nennen  —  Bernward  von  Hildesheim,  Poppo 
von  Stablo,  Benno  von  Osnabrück,  Adalbert  von  Bremen,  Otto  von 
Bamberg,  zuvor  vertraute  Diener  ihrer  königlichen  Herren,  mehrfach 
von  ihnen  auch  geradezu  als  Bauintendanten  beschäftigt.  Männer 
dieser  Art  brachte  das  12.  Jahrhundert  nicht  mehr  hervor  —  der 
Investiturstreit  lag  dazwischen.  Und  eben  im  12.  Jahrhundert  trat 
auch  eine  Spaltung  im  System  der  deutschen  Baukunst  ein,  indem 
die  Rheinlande  sich  dem  Gewölbebau  zuwandten,  während  Sachsen, 
Bayern  und  Schwaben  an  der  Flachdecke  festhielten.  Dass  aber  eine 
lange  Epoche  der  Einheit  vorausging,  war  ein  Glück.  Denn  Deutsch- 
land hätte  eine  ähnliche  Zersplitterung  in  scharf  gesonderte  Provinzial- 
schulen,  wie  Frankreich  und  Italien  sie  durchmachten,  nicht  ertragen 
können:  die  Mehrzahl  der  deutschen  Landschaften  wären  in  primitiver 
Roheit  zurückgehalten  worden. 

Die  Einheit,  von  der  wir  sprechen,  ist  allerdings  nur  eine  relative. 
Sie  schloss  nicht  aus,  dass  jeder  Stamm  das  gemeinschaftliche  Ideal 
in  besonderer  Weise  ausprägte.  Drei  Hauptregionen  grenzen  sich  ab : 
der  Norden,  der  Westen,  der  Süden,  oder  —  nach  den  tonangebenden 
Stämmen  benannt  —  die  sächsische,  die  rheinfränkische,  die  aleman- 
nisch-bayrische; zwischen  ihnen  als  Uebergangstypen  im  Innern  die 
westfälische,  die  hessische,  die  mainfränkische,  an  der  Peripherie  die 
lothringisch-elsässische  und  die  Alpenregion.  Ausser  in  diesen  Grenz- 
gebieten ist  der  Einfluss  des  Auslandes  in  dieser  Epoche  noch  sehr 
gering,  geringer  als  in  irgend  einer  späteren  der  deutschen  Bau« 
geschichte. 

Die  letzten  Ausläufer  eines  auf  römischen  Traditionen  fussenden 
Bauhandwerks,  die  wir  unter  Karl  und  seinen  nächsten  Nachfolgern 
am  Rhein  noch  wahrnehmen  können,  sind  nach  der  Teilung  des 
Reiches  und  dem  allgemeinen  Wirrsal  unter  den  letzten  Karolingern 
entweder  unter  oder  in  die  kirchlichen  Werkstätten  übergegangen. 
Diese  letzteren  bildeten  —  da  dem  nationalen  Holzbau  Einfluss  auf 
die  Kirchenarchitektur  nicht  zugestanden  wurde  —  die  einzige  Schule 
einer  neuen  Maurer-  und  Steinmetzengewerkschaft,  die  sehr  langsam 
nur,  erst  gegen  Ende  der  romanischen  Epoche,  der  geistlichen  Lei- 
tung entwuchs.    Zwischen  Bauherren   und  Baumeistern  war  keine 


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Zweites  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Deutschland. 


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strenge  Grenze  gezogen.  Ist  auch  die  Zahl  der  Bischöfe  und  Aebte, 
die  gründlichere  Fachkenntnisse  besassen,  nie  sehr  gross  gewesen,  so 
war  ein  gewisses  allgemeines  Bauverständnis  doch  Gemeingut  des 
geistlichen  Standes  und  bei  den  technisch  durchweg  einfachen  Auf- 
gaben der  vor  der  Einführung  des  Gewölbebaus  liegenden  Zeit 
auch  nicht  schwer  zu  erwerben.  Die  Geistlichen  gaben  die  allge- 
meinen Bestimmungen  über  Formen  und  Maasse,  die  Ausführung 
lag  in  der  Hand  der  Laienhandwerker,  die  freilich  nicht  immer  die 
Kundigsten  waren  1).  Dieser  halbdilettantische  Betrieb  hatte  sehr 
viel  Mängel  im  Gefolge,  aber  auch  schwerwiegende  Vorzüge.  Er 
verschuldete  die  oft  sehr  grossen  und  auch  niemals  ganz  über- 
wundenen Nachlässigkeiten  und  Ungleichheiten  der  Abmessungen, 
die  trotz  durchschnittlich  übertriebener  Massigkeit  des  Mauerwerks 
häufig  vorkommenden  Senkungen  und  Einstürze,  die  späte  Ver- 
feinerung des  Mauerverbandes  u.  s.  w.  Andererseits  wäre  aber  ohne 
eine  so  weit  ausgebreitete  praktische  Teilnahme  am  Bauwesen-  eine 
so  gewaltige  Leistung  der  Volksphantasie,  wie  die  Erschaffung  der 
neuen  romanischen  Formensprache ,  niemals  möglich  geworden. 
Denn  die  Klöster  und  Domstifter,  wie  man  nicht  übersehen  darf, 
sammelten  ihre  Insassen  aus  allen  Ständen,  eine  Auslese  der  besten 
geistigen  Kräfte  der  Nation.  Diese  Kunst  ist,  sehr  im  Unterschiede 
von  der  frühchristlichen  wie  von  der  spätmittelalterlichen ,  fern  von 
Routine  und  leerer  Konvention.  So  einfach  und  gleichförmig  ihre 
Grundelemente  sind,  liegt  in  der  Behandlung  des  einzelnen  Werkes 
immer  persönliche  Bestimmtheit  und  seelische  Wärme,  und  man  hat 
das  Gefühl,  dass  der  Priester  wie  die  Gemeinde  sich  gleichmässig 
wohl  fühlten  in  diesen  schlichten  aber  weihevollen  Räumen. 

Nach  den  grundlegenden  Neuerungen  der  Karolingerzeit  ver- 
gingen drei  Jahrhunderte  bis  eine  ähnlich  tief  einschneidende  Wendung 
eintrat,  Waren  jene  vom  Grundriss  ausgegangen,  so  diese  von  der 
Decke.  Es  handelt  sich  um  das  Aufkommen  der  gewölbten  Stein- 
decke. So  scharf  die  hierdurch  gegebene  Grenzlinie,  systematisch 
betrachtet,  sich  abzeichnet,  so  allmählich  verläuft  sie  in  chronologischer 
Hinsicht.  Die  Neuerung,  zuerst  am  Rhein  auftauchend,  rückt  nur 
langsam  gegen  Osten  vor,  auch  entscheidet  sich  nirgends  gleich  eine 


')  Dem  Mangel  an  heimischen  Kräften  sachte  man  nach  Möglichkeit  durch  Heran- 
ziehung fremder  abzuhelfen.  Wandernde  Bauführer  häufig  genannt.  Zuweilen  ganze 
Arbeitergesellschaften  von  auswärts,  selbst  von  jenseits  der  deutschen  Grenzen,  aus  Gallien 
und  namentlich  der  Lombardei  angeworben.  Vgl.  Schneider  imCorrespondenzbl.  1876,  S.  79. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


ganze  Landschaft  für  sie,  sondern  es  gehen  längere  Zeit  Bauten  des 
alten  und  des  neuen  Systems  nebeneinander  her.  Wenn  am  Rhein 
die  Erstlinge  des  Gewölbebaus  um  1 100  auftreten,  so  ist  im  östlichen 
Sachsen  und  Bayern  noch  nach  1200  die  Flachdecke  bei  Neubauten 
nichts  Unerhörtes.  Solchermassen  ergibt  sich  für  das  letzte  Jahrhundert 
der  romanischen  Epoche  ein  der  früheren  geradezu  entgegengesetztes 
Bild :  nicht  mehr  Einheit,  sondern  Dualismus  der  Grundbestimmungen. 
Für  die  von  uns  zur  Richtschnur  genommene  Betrachtungsweise  folgt 
daraus,  dass  wir  die  Bauthätigkeit  des  12.  Jahrhunderts  nicht  mehr 
zusammenhängend,  sondern  nach  ihren  beiden  Hauptrichtungen  ge- 
trennt nur  zur  Darstellung  bringen  können. 

2.   Der  Grundriss. 

Einige  wichtige  Besonderheiten,  wie  die  Doppelchöre  und  Doppel- 
transfepte,  haben  wir  vorweg  im  ersten  Kapitel  behandelt.  Hier  soll  nur 
von  den  für  die  übrige  grosse  Masse  gültigen  Formen  die  Rede  sein. 

An  der  Spitze  ist,  als  die  für  Deutschland  am  meisten  bezeich- 
nende Grundrissform,  das  regelmässige  lateinische  Kreuz  zu  nennen.  Das 
Gestaltungsprinzip  war  schon  zu  Anfang  des  9.  Jahrhunderts  in  aller 
Klarheit  ausgesprochen  (vgl.  oben  S.  157  ff.).  Aber  dasselbe  fand 
nicht  in  allen  Landschaften  gleiches  Verständnis. 

Obenan  steht  Sachsen  in  konsequenter  Erfassung  und  unver- 
brüchlicher Anhänglichkeit.  Hierzu  kam  als  neues  Motiv  nur  die  An- 
lage von  je  einer  Nebenapsis  an  der  Ostseite  der  Kreuzarme.  Es  ist, 
als  ob  die  sächsischen  Bauleute  sich  verpflichtet  gefühlt  hätten,  den 
neuerlernten  Begriff  der  Regelmässigkeit  und  Symmetrie  mit  mathe- 
matischer Strenge  durchzuführen.  Dass  das  Kreuzungsquadrat  die 
Maasseinheit  bilden,  oder,  was  auf  dasselbe  hinauskommt,  dass  die 
Breite  des  Hauptschiffes  in  dessen  Länge  in  gerader  Zahl  aufgehen 
müsse,  steht  von  Anfang  an  fest.  Etwas  länger  dauert  die  Unter- 
werfung der  seitlichen  Teile  unter  diese  Regel.  Den  Kreuzarmen  des 
Querschiffes  etwas  weniger  als  das  volle  Quadrat  oder  den  Abseiten 
des  Langhauses  etwas  mehr  als  die  halbe  Breite  des  Mittelschiffs  zu 
geben  und  infolgedessen  geringes  Vorspringen  des  Querbaues  über 
die  Langseiten,  das  sind  Merkmale  der  Fruhzeit,  übrigens  auch  ausser- 
halb Sachsens. 

Beispiele:  Gernrode,  Quedlinburg,  S.  Kastor  in  Koblenz, 
S.Pantaleon  in  Köln,  Sta.  Maria  auf  Reichenau,  S.Emmeram  und 


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Zweites  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Deutschland. 


207 


Obermünster  in  Regensburg  —  sämtlich  aus  dem  letzten  Drittel  des 
10.  oder  dem  ersten  des  11.  saec.  In  S.  Michael  in  Hildesheim 
(Taf.  43.  59)  sind  die  Kreuzarme  ausnahmsweise  länger  wie  das  Mittel- 
quadrat und  mit  Emporen  abgeschlossen ,  wohl  nach  dem  Vorbilde 
der  Peterskirche  zu  Rom  (vgl.  auch  Sta.  Prassede  daselbst) ;  in  diesem 
Zusammenhang  hat  man  sodann  die  Trennungssäule  zwischen  dem 
Querhaus  und  den  Abseiten  des  Langhauses  als  Rudiment  fünfschiffiger 
Teilung  zu  betrachten ;  dasselbe  Motiv  in  Quedlinburg  und  Reichenau. 
In  S.  Pantaleon  in  Köln  (Taf.  60)  sind  die  Kreuzarme  kürzer,  dafür 
vollständig  mit  Emporen  überbaut;  Nischen  im  Obergeschoss  deuten 
hier  wie  in  S.  Michael  auf  ehemalige  Altäre,  deren  die  Klöster  infolge 
ihrer  komplizierten  Messgebräuche  nie  genug  haben  konnten.  —  Die 
Länge  des  Hauptschiffes  beträgt  im  10.  und  n.  saec.  zwei  oder  drei,  erst 
im  12.  saec.  vier  Breiten. 

Im  Rheinlande  ist  das  lateinische  Kreuz  gleichfalls  die  normale 
Form,  doch  kommen  hier  Abweichungen  von  der  strengen  Regel 
schon  häufiger  vor.    Hin  und  wieder  selbst  Wegfall  des  Querschiffs. 

In  der  unter  Leitung  Poppos  von  Stablo  entstandenen  Klosterkirche 
zu  Limburg  a.  H.  und  dem  vielfach  verwandt  behandelten  Dom  zu 
Speier  (Taf.  48)  kein  gerades  Aufgehen  der  Breite  in  die  Länge.  Im 
Dom  von  Würzburg,  einer  Nachahmung  von  Hersfeld,  ist  dies  zwar 
der  Fall,  aber  die  Stützen  fallen  nicht  mit  den  Ecken  der  Quadrate 
zusammen.  Ungewöhnlich  für  ihre  Zeit  (beg.  1030— 1040)  ist  an  diesen 
Bauten  die  gesteigerte  Längenausdehnung,  wie  sie  überhaupt  in  ihrem 
Flächenraum  alles  bisher  versuchte  weit  hinter  sich  lassen. 

Süddeutschland  bietet  ein  nicht  unwesentlich  verschiedenes 
Bild  dar.  Es  besteht  hier  weniger  Neigung  zu  strenger  Typenbildung ; 


die  Verhältniszahlen  sind  unentschieden,  die  Grundrisse  im  Vergleich 
zu  den  nord-  und  westdeutschen  reduziert,  oder  richtiger:  weniger 
entwickelt. 

Am  Oberrhein  ist  zwar  durchschnittlich  ein  Querhaus  vor- 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


handen,  aber  die  Quadrateinteilung  desselben  wird  lax  behandelt; 
nicht  selten  kommen  rechteckige  Chorschlüsse  vor. 

Elsässisch  ist  der  altertümliche  T förmige  Grundriss;  im  Strass- 
burger  Münster  noch  im  letzten,  spätromanischen  Umbau  beibehalten, 
ferner  S.  Stephan  daselbst,  Eschau,  Berg  hol  zzell  u.  s.  w. 

In  Schwaben  dieselbe  Neigung  zu  platten  Chorschlüssen,  ausser- 
dem durchweg  Unterdrückung  des  Querschifles. 

Eine  Ausnahme  von  der  letzteren  Regel  machen  die  beiden  (ein- 
zigen) bischöflichen  Kathedralkirchen  des  Landes,  zu  Konstanz  und 
Augsburg,  und  die  Klosterkirchen  der  Hirsauer  Regel.  Von  diesen  ab- 
gesehen kommen  grössere  Kirchen  überhaupt  nicht  vor.  Beispiele  von 
Chordispositionen  geben  die  vor-  und  beistehenden  Figuren ;  zu  bemerken 
ist  dabei,  dass  mitunter  über  dem  Chor  ein  Turm  zu  stehen  kommt;  in 


Brenz. 

anderen  Fällen  ein  einzelner  Westturm ;  in  Brenz  von  niederen  Treppen- 
türmen flankiert.  Einschiffige  Kirchen,  dergleichen  vereinzelt  auch  in 
anderen  Landschaften  vorkommen,  hier  besonders  häufig;  vgl.  die  Liste 
bei  Otte,  Handbuch  II,  114.  Als  Beispiel  geben  wir  die  Kirche  von 
Simmersfeld,  mit  queroblongem  Turm  über  dem  Chor  und  hufeisen- 
förmiger Apsis. 

In  Bayern  sind  die  Anlagen  nicht  minder  einfach  wie  in 
Schwaben,  die  Dimensionen  aber  stattlicher.  Das  Querschiff  kommt 
nur  in  einer  bestimmten  Baugruppe,  und  zwar  abnormal  als  westliches, 
vor;  sonst  fehlt  es  immer,  und  die  auf  gleicher  Linie  endigenden 
Schiffe  laufen  in  eine  Gruppe  von  drei  Apsiden  aus. 

Die  regulären  Kreuzbasiliken  in  Prüfening,  Biburg,  Windberg 
stehen  als  Zugehörige  zur  Hirsauer,  resp.  Prämenstratenser  Regel  ausser 
der  Linie.    Woher  aber  hat  S.  Peter  in  Straubing  die  Kreuzform? 


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Zweites  Kapitel:  Die  »lachgedeckte  Basilika  in  Deutschland. 


209 


Ueber  das  westliche  Querschiff  der  baugeschiehtlich  eng  zusammen- 
gehörigen Gruppe  der  Dome  zu  Augsburg  (994  —  1006),  S.  Emmeram 
zu  Regensburg  (1002— 1020),  Bamberg  (1004—1012),  Eichstätt 
(um  1021  —  1042),  vgl.  oben  S.  176—178.  Beispiele  normaler  bayrischer 
Anlagen:  Niedermünster  und  S.  Jakob  in  Regensburg,  Moosburg, 
Steingaden,  sämtlich  auf  Taf.  50;  ferner  Petersberg  bei  Dachau, 
Isen,  Ilmmünster,  Tierhaupten,  Abtei  S.  Zeno  und  Pfarrkirche  in 
Reichenhall,  endlich  der  stattliche  Dom  zu  Freising. 

Die  südöstlichen  Marken  folgen,  was  den  Gru ndriss  betrifft, 
der  bayrischen  Sitte.  Ihnen  schliesst  sich  Ungarn  an,  während  in 
Böhmen  fränkische  und  sächsische  Einflüsse  vorschlagen. 

Nun  ist  noch  ein  Typus  zu  beachten,  der  nicht  provinziell  be- 
grenzt, sondern  dessen  Träger  eine  neue  Ordensregel  ist.  Von  dem 
burgundischen  Kloster  Cluny  ging  im  11.  Jahrhundert  eine  Bewegung 
aus,  die,  auf  allgemeine  Reform  der  Kirche  hinzielend,  mit  der  Unter- 
werfung der  alten  Benediktinerklöster  unter  eine  strengere  Regel  begann. 

In  Deutschland  war  das  einflussreichste  Reformkloster  das  zu 
Hirsau  im  schwäbischen  Schwarzwald.  Die  von  dem  Abt  Wilhelm 
(1069 — 1091)  eingeführte  Regel  ist  nach  dem  Muster  jener  von  Cluny 
entworfen,  indes  ohne  einen  Verband  mit  dem  burgundischen  Kloster 
zu  begründen  und  ohne  die  von  Hirsau  aus  in  allen  Teilen  Deutsch- 
lands reformierten  oder  neuerrichteten  Klöster,  es  ist  von  mehr  als 
hundert  die  Rede,  zu  einer  gleich  fest  geordneten  Kongregation  wie 
die  cluniacensische  zusammenzuschliessen.  Gleichwohl  haben  die  bau- 
lichen Eigentümlichkeiten  des  Mutterklosters  eine  von  den  Töchtern 
zähe  festgehaltenen  Typus  erzeugt.  Dessen  Merkmale  sind:  das  la- 
teinische Kreuz  in  strenger  Ausbildung ;  Abseiten  neben  dem  grossen 
Chorquadrat,  von  letzterem  anfangs  durch  eine  geschlossene  Mauer, 
später  durch  Arkaden  geschieden ;  Wegfall  der  Krypta ;  an  der  West- 
front eine  Vorhalle  mit  Empore  zwischen  einem  Paar  von  Türmen. 
Von  allgemeiner  Bedeutung  ist  namentlich  das  letztere  Motiv,  weil 
es  zur  Durchbrechung  und  schlicsslichcn  Beseitigung  des  in  Deutsch- 
land bis  dahin  vorherrschenden  Systems  der  Westchöre  am  meisten 
beigetragen  hat.  Diesem  Hirsauer  Plan  folgt  eine  Reihe  der  ausge- 
zeichnetsten Kirchenbauten  aus  der  ersten  Hälfte  des  1 2.  Jahrhunderts. 

DIE  HIRSAUER  SCHULE.  Das  Mutterkloster  besass  zwei 
Kirchen.  Die  dem  H.  Aurelius  gewidmete  befand  sich  schon  im  Bau 
(seit  a.  1060),  als  1069  Wilhelm  zum  Abt  berufen  wurde.  Er  weihte 
sie  107 1.    Nicht  lange  danach  aber  forderte  der  gewaltige  Zudrang 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


von  Mönchen  und  Laienbrüdern  die  Errichtung  einer  zweiten  grossen 
Kirche,  die  gleich  der  von  Cluny  den  HH.  Peter  und  Paul  geweiht 
wurde.  Beide  liegen  jetzt  in  Trümmern.  Die  Gestalt  der  Aurelius- 
kirche  kann  noch  mit  aller  Sicherheit  rekonstruiert  werden  (Taf.  51.  56), 
die  der  Peter-Paulskirche  ist  in  einigen  Zügen  verwischt.  Die  allge- 
meine Anlage  teilt  diese  mit  jener,  nur  scheint  der  Chor  ohne  Apsis 
platt  zu  schliessen  und  zwischen  das  Schiff  und  die  Vorhalle  ist  ein, 
anscheinend  unbedecktes,  Atrium  eingeschaltet. 

Hier  ist  der  Irrtum  zu  beseitigen,  dass  Abt  Wilhelm  es  sei,  der 
die  cluniacensische  Anlage  in  Deutschland  zuerst  eingeführt  habe.  Sein 
erster  Verkehr  mit  Cluny  datiert  erst  von  a.  1077,  die  engere  Verbindung 
von  a.  1085  (Giesebrecht,  Kaiserzeit  III.  632),  während  es  nach  v.  Egles 
Untersuchungen  keinem  Zweifel  unterliegt,  dass  die  Aureliuskirche,  wie 
wir  sie  heute  sehen,  in  die  Bauzeit  1060 — 107 1  fällt.  Offenbar  hat  der 
Einfluss  des  mächtigen  burgundischen  Klosters  schon  früher  begonnen. 
Zuerst  im  Elsass.  Sehr  erkennbar  ist  er  z.  B.  an  den  älteren  Teilen 
der  Klosterkirche  zu  An  dl  au,  die  a.  1049  von  Papst  Leo  IX.  geweiht 
wurde.  Dieser  Papst  aus  dem  elsässischen  Geschlechte  der  Grafen 
von  Egisheim,  einer  der  eifrigsten  Vorkämpfer  der  cluniacensischen 
Reform  war  nun  Mitstifter  von  Hirsau,  Noch  etwas  weiter  zurück 
führt  ein  anderer  Freund  Clunys,  Abt  Poppo  von  Stablo,  und  die  unter 
seiner  Oberleitung  erbaute  Klosterkirche  Limburg  a.  H.  (seit  1030), 
deren  Vorhalle  und  platter  Chor  gleichfalls  nach  Cluny  weisen.  End- 
lich als  eine  Förderung  allgemeinerer  Art  die  a.  1032  von  Konrad  II. 
vollzogene  Vereinigung  der  burgundischen  Krone  mit  Deutschland1). 

Sowohl  in  Burgund  wie  in  Alemannien  (Schweiz,  Elsass,  Schwaben) 
ist  die  Neigung  zu  platten  Chorschlüssen  alt  und  verbreitet.  In  grösseren 
Klosterkirchen  wurde  das  Motiv  dahin  erweitert,  dass  dem  Chorquadrat 
beiderseits  enge  und  tiefe  Nebenchöre,  nach  Analogie  der  Abseiten 
des  Langhauses,  beigeordnet  wurden.  Wir  haben  sehr  triftige  Gründe 
(das  genauere  in  Kap.  IV)  zur  Annahme,  dass  die  im  Jahre  981  geweihte 
Kirche  von  Cluny  in  dieser  Weise  disponiert  war.  Ob  das  Motiv  zu- 
erst in  Cluny  erfunden  wurde,  ist  ungewiss  und  nicht  sehr  wahrschein- 
lich; um  so  sicherer,  dass  Cluny  den  wirksamsten  Anstoss  zu  seiner 
Verbreitung  gegeben  hat.  Südwestdeutschland  war  schon  durch  seine 
provinziellen  Gewohnheiten  darauf  vorbereitet,  so  dass  sich  selbst  ein 
ausserhalb  der  Kongregation  stehender  Bau,  wie  der  Dom  zu  Konstanz, 
anschloss.  In  den  elsässischen  Cluniacenserklöstern  Andlau  und  Mur- 
bach, dann  in  der  Peter-Paulskirche  zu  Hirsau  und  im  Tochterkloster 

')  Bei  dieser  Gelegenheit  sei  die  Frage  aufgeworfen  ,  ob  nicht  die  grossartige 
Unterkirche  in  Konrads  II.  Dom  ru  Speier,  die  Uber  die  Intentionen  deutscher  Krypten 
so  weit  hinausgreift ,  auf  ein  burgundisches  Vorbild ,  wir  denken  speziell  an  S.  Benigne 
in  Dijon,  zurückgehe? 


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Zweites  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Deutschland. 


211 


Schaffhausen  blieb  der  östliche  Abschluss  geradlinig.  Die  weiter 
ins  innere  Deutschland  vordringenden  Filialen  aber  vermochten  sich, 
so  getreu  sie  sonst  sich  an  das  Vorbild  hielten,  mit  dieser  etwas  kahlen 
Fassung  nicht  zu  befreunden ;  vielmehr  verliehen  sie,  womit  schon  die 
Aureliuskirche  vorangegangen  war,  dem  Chore  immer  eine  Apsis  und 
fast  immer  auch  den  Nebenchören  Nebenapsiden. 

Für  die  Hirsauer  Schule  typisch  und  gleichfalls  cluniacensisch  ist 
zweitens  der  Mangel  der  Krypta,  wodurch  die  Hirsauer  Kirchen  von 
ihrer  deutschen  Umgebung  auffallend  abstechen.  (In  der  Aureliuskirche, 
wohl  aus  Pietät,  eine  kleine  Grabkammer  noch  beibehalten.) 

Auf  dieselbe  Quelle  geht  drittens  das  Motiv  der  zweigeschossigen 
westlichen  Vorhalle  zwischen  Türmen  zurück.  Wir  kennen  davon  in 
Deutschland  nur  ein  Beispiel  ausserhalb  der  Einflusssphäre  von  Cluny : 
in  Corvey  an  der  Weser,  wo  die  Anlage  noch  auf  das  10.  saec.  zurück- 
geht. Sonst  herrschten  durchaus  die  westlichen  Chöre  vor.  Die  erste 
bemerkenswerte  Reaktion  gegen  sie  ging  von  Poppo  von  Stablo  aus 
(Limburg,  Speier) ;  die  zweite,  umfassendere  und  schliesslich  siegreiche 
von  der  Hirsauer  Schule.  Zur  vollen  Entfaltung  des  Motives  gehörte, 
nach  dem  Vorbilde  Clunys,  die  Einschaltung  eines  Atriums.  Ein  solches 
besass  die  Hirsauer  Peter-Paulskirche,  und  zwar,  wie  es  scheint,  unbe- 
deckt ;  bedeckt,  also  zu  einer  förmlichen  Vorkirche  ausgebildet,  Paulin- 
zella, Bürgelin,  Hamersleben,  (an  der  letzteren  Kirche  zwar  nicht  aus- 
geführt, doch,  nach  den  Ansätzen  zu  urteilen,  sicher  beabsichtigt).  Die 
meisten  Kirchen  der  Schule  begnügten  sich  jedoch,  nach  dem  Vorgange 
der  Aureliuskirche,  Andlaus,  Limburgs,  mit  einer  knapperen  Fassung: 
die  Türme  direkt  an  das  Kirchenschiff  angelehnt,  die  Vorhalle  nur  in 
der  Tiefe  einer  Turmseite  (vgl.  auch  das  Statut  von  Farfa  Mab.  ann. 
IV.  S.  20  f.).  Ausserdem  gehört  zum  vollständigen  System  noch  ein 
zweites  Turmpaar,  das  seinen  Platz  in  dem  Winkel  zwischen  Langhaus 
und  Transsept  erhält.  In  der  Aureliuskirche  kommt  es  noch  nicht  vor, 
das  Vorbild  wird  also  wohl  in  der  Peter-Paulskirche  zu  suchen  sein ;  im 
Grundriss  daran  erkenntlich,  dass  nach  lauter  Säulen  als  letzte  Stütze 
ein  Pfeiler  folgt  (vgl.  T.  51,  Fig.  2,  6,  8);  auch  in  Fig.  10  an  dieser  Stelle 
Gewölbansätze  erkennbar,  die  Ausführung  der  Türme  unterblieb  jedoch. 

Die  Hirsauer  Klöster  bilden  die  erste  eigentliche  »Schule«  in  der 
deutschen  Baugeschichte.  Förderlich  für  den  geschlossenen  Schul- 
charakter war,  ausser  der  strengen  Disziplin  überhaupt,  das  gleichfalls 
von  Cluny  entlehnte,  bis  dahin  in  Deutschland  unbekannte  Institut 
der  Konversen,  das  sind  Handwerker,  insbesondere  »fabri  lignarit  et 
ferrarii  latomi  quoque  et  muratores«  die,  ohne  ihren  Laiencharakter 
aufzugeben,  doch  mit  dem  Kloster  in  engerem  Zusammenhange  standen 
und  dem  Regiment  des  Abtes  unterworfen  waren.  Hirsau  soll  schon 
unter  Abt  Wilhelm  ihrer  50  besessen  haben.    Offenbar  pflegte,  wenn 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Hirsauer  Mönche  nach  auswärts  verpflanzt  wurden  —  unter  Abt  Wilhelm 
allein  sollen  nicht  weniger  als  130  Klöster  in  dieser  Weise  reformiert 
worden  sein  —  ein  Stamm  von  solchen  Konversen  ihnen  beigegeben 
zu  werden.  Die  Baupraxis  der  Hirsauer  war  eine  höchst  löbliche, 
namentlich  scheinen  sie  sich  um  die  Ausbreitung  des  feineren  Quader- 
verbandes Verdienste  erworben  zu  haben.  Ihr  Ansehen  war  so  gross, 
dass  auch  ausserhalb  der  Kongregation  stehende  Klöster,  wie  die 
Benediktiner  in  U.  L.  F.  zu  Halberstadt  und  zu  Königslutter,  die 
Augustiner  in  Hamersleben,  die  Prämonstratenser  in  Jerichow  in  der 
Altmark,  Windberg  in  Bayern,  Germerode  in  Hessen,  mehr  oder  minder 
vollständig  ihre  Baugewohnheiten  annehmen. 

Die  Hirsauer  Schule  ist  ferner  das  erste  Beispiel  umfassenderen 
Einflusses  der  französischen  auf  die  deutsche  Baukunst J).  Zu  bemerken 
ist,  dass  derselbe  noch  nicht  artistischer  Natur,  sondern  allein  durch 
Momente  des  Gottesdienstes  bedingt  ist. 

Das  12.  Jahrhundert  sah  zwei  neue  französische  Mönchsorden  in 
Deutschland  eindringen:  die  Prämonstratenser  und  die  Cister- 
cienser.  Die  ersteren  brachten  keine  ausgeprägten  Baugewohnheiten 
mit,  um  so  schärfer  umrissene  diese.  Da  fast  alle  Cistercienserkirchen 
schon  gewölbt  sind,  gehören  sie  an  eine  spätere  Stelle. 

3.  Der  innere  Aufbau. 

Das  Besondere  der  deutsch-romanischen  Basilika  im  Vergleich 
mit  der  frühchristlichen  zeigt  sich  mehr  im  Grundriss  als  im  Auf- 
bau und  an  diesem  mehr  in  der  Behandlung  als  in  der  allgemeinen 
Disposition.  Der  am  meisten  in  die  Augen  fallende  Unterschied  —  in 
betreff  der  Stützen  —  ist  eine  Hervorbringung  der  karolingischen  Zeit 
und  in  Kap.  I.  genauer  besprochen.  Nach  diesem  Merkmal  lassen  sich 
die  romanischen  Basiliken  Deutschlands  in  drei  Klassen  teilen:  reine 
Säulen-,  reine  Pfeiler-,  stützen  wechselnde  Basiliken  (Taf.  52). 

Die  Säulenbasilika  ist  die  verhältnismässig  seltenste,  jedoch 
die  in  gewissem  Sinne  vornehmste  Art.  Dem  sächsischen  Provinzialis- 
mus ist  sie  von  Haus  aus  fremd.  Am  Rhein,  wo  sie  in  der  karolingi- 
schen Zeit  noch  vorherrschte,  begegnet  sie  uns  in  spärlichen  Aus- 
nahmen ,  diese  aber  zum  Teil  von  grossartigster  Haltung.  So  gut 
wie  ganz  unbekannt  ist  sie  in  Bayern  und  Oesterreich.    Dagegen  im 

l)  Durchaus  isoliert  der  nach  mittelfranzosischen  Mustern  disponierte  Chor  von 
S.  Godehard  zu  Hüdesheim. 


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Zweites  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Deutschland. 


südwestlichen  Deutschland  hat  sie  dauerndes  Bürgerrecht  behauptet. 
Durch  die  Hirsauer  Schule,  der  sie  durch  deren  schwäbischen  Ur- 
sprung vertraut  ist,  erwächst  ihr  endlich  noch  im  12.  Jahrhundert  eine 
mächtige  Propaganda  auch  in  solchen  Landschaften,  in  welchen  sie, 
wie  in  Sachsen,  bis  dahin  unbekannt  gewesen  war. 

Die  grossartigsten  aller  deutschen  Säulenbasiliken  sind  die  zu  Lim- 
burg a.  H.  (ca.  1030  ff.)  und  Hersfeld  (a.  1041  ff.),  beide  Schöpfungen 
Poppos  von  Stablo  (Taf.  52 ,  55).  Ihnen  verwandt  und  gleichfalls 
grossartig  waren  die  jetzt  zerstörten  lothringischen  Abteikirchen 
zu  Stablo  und  S.  Trond.  Am  Niederrhein  nur  die  wenig  be- 
deutenden S.  Georg  in  Köln  und  S.Peter  in  Utrecht.  Im  Elsass: 
Neuweiler,  Mutzig,  Hattstadt,  Sulzmatt,  am  bedeutendsten 
S.  Georg  zu  Hagenau  (a.  1 149— 1 184).  In  Alemannien  und  Schwaben: 
Die  drei  Kirchen  auf  Reichenau  (Mittelzell  in  Pfeiler  umgewandelt), 
Stein  a.  Rh.,  Petershausen,  Schaffhausen,  Dom  zu  Konstanz 
(Taf.  56),  Schwarzach,  Alpirsbach  (Taf.  55),  S.  Peter-Paul  und 
S.  Aurelius  in  Hirsau  (Taf.  56),  Faurndau,  Neckartheilfingen, 
Oberstenfeld,  Brenz.  In  Franken:  Münch-Aurach  und  Hcils- 
bronn,  beide  Hirsauer  Filialen,  S.  Gilgen  bei  Komburg.  Ober-Zell 
bei  Würzburg,  S.  Jakob  in  Bamberg  (Taf.  57)  erbaut  von  dem  den 
Hirsauern  günstigen  Bischof  Otto.  In  Bayern  einzig  der  Westbau  der 
Schottenkirche  in  Regensburg.  Bemerkenswert  ist,  dass  in  Bayern 
und  Oesterreich  selbst  die  Hirsauer  Schule  sich  zu  Pfeilern  bequemt: 
Biburg,  Prüfening,  S.  Paul  im  Lavant.  In  Thüringen  führt  sie 
den  Säulenbau  mit  Pau linzeile  (a.  11 05  — 1119)  aufs  herrlichste  ein 
(Taf.  57);  eine  Ableitung  davon  ist  die  durch  harmonische  Raum- 
bildung und  sorgsamste  Ausführung  nicht  minder  ausgezeichnete  nieder- 
sächsische Kirche  zu  Hamer sieben  (a.  1112  ff.)  und  wieder  von  dieser 
Richenberg  bei  Goslar.  Noch  dem  saec.  11  gehört  die  kleine  Säulen- 
kirche auf  dem  Moritzberge  bei  Hildesheim,  vom  Schwaben  Benno; 
ihr  nachgebaut  die  Kirche  zu  Eldagsen.  Im  späteren  Verlaufe  des 
12.  Jahrhunderts  wird  die  Säule  in  Norddeutschland  sogar  ziemlich 
häufig:  Mannsfeld,  Neuenheerse,  Hardehausen  in  Westfalen, 
Philippsthal  in  Hessen,  Jerichow  in  der  Altmark  (Taf.  57). 

Endlich  nennen  wir  einige  Säulenkirchen  mit  schon  spitzbogigen 
Arkaden:  Oberstenfeld  und  Weinsberg  in  Schwaben,  Crailsheim 
in  Franken,  Merz  ig  a.  d.  Saar. 
Der  Stützen  Wechsel  ist  nach  seinem  konstruktiven  Ursprung 
wie  nach  seiner  ästhetischen  Bedeutung  oben  S.  191  gewürdigt  worden. 
Er  ist  kein  gemeindeutsches  Motiv,  sondern  auf  zwei  räumlich  nicht 
sehr  ausgedehnte  Gruppen  eingeschränkt.    Die  eine  in  Lothringen, 
die  andere  am  Harz. 


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2I4 


Zweites  Bach:  Der  romanische  Stil. 


In  Lothringen  offenbar  im  Zusammenhang  mit  Nordfrankreich. 
Dort  war  das  Stützenwechselsystem  sehr  verbreitet,  allerdings,  soviel 
uns  bekannt,  immer  in  Verbindung  gewölbter  Seitenschiffe  und  Em- 
poren. In  Lothringen  tritt  es  selbständig,  ohne  Emporen,  auf.  In 
edelster  Behandlung  in  der  berühmten  Abteikirche  S.  Willibrord  zu 
Echternach  (a.  1031  ff.);  davon  abhängig  Susteren  im  Limburgischen 
(Taf.  58);  ferner  S.  Ursmer  (Lobes)  und  Roth  a.  d.  Ur;  im  Elsass 
Surburg,  Lutenbach,  Hattstadt. 

In  Sachsen  ist  der  Ausgangspunkt  gleichfalls  das  dreigeschossige 
System.  Hauptbeispiel  aus  saec.  10  Gern  rode  (Taf.  46,  vgl.  S.  196). 
Gleiche  Anlagen  besassen  die  ursprünglichen  Anlagen  (saec.  10)  von 
Froose  und  Gandersheim;  ja  es  wäre  denkbar,  dass  auch  in 
S.  Michael  zu  Hildesheim  das  saec.  12  erneuerte  Mittelschiff  Emporen 
besessen  hat,  wie  die  Querschiffe  noch  jetzt.  Im  11.  saec.  finden 
wir  die  Emporen  schon  durchweg  unterdrückt:  Quedlinburg,  Huyse- 
burg,  Ilsenburg,  Drübeck,  Heiningen,  Goslar.  Aus  saec.  12 
Beispiele  auch  ausserhalb  des  Harzgebietes:  Bursfelde,  Wilhems- 
hausen  und  Amelunxborn  im  Wesergebiet,  Hecklingen  im 
Magdeburgischen,  Neumarktskirche  in  Merseburg,  S.  Nikolai  in 
Eisenach.  Aus  saec.  13  Wiebrechtshausen.  —  Vereinzelt  in  Mittel- 
deutschland: Reichenbach  und  Ziegenhain  in  Hessen,  S.  Burk- 
hard in  Würz  bürg;  nachweislich  durch  sächsische  Klosterbeziehungen 
Sekkau  in  Obersteiermark.  —  Kaum  noch  hierher  zu  rechnen,  weil 
eine  sehr  geschwächte  Aeusserung  des  rhythmischen  Gedankens,  der 
Wechsel  von  Säulen  mit  achteckigen  Pfeilern  wie  in  Weinsberg  und 
Chammünster,  oder  eine  unregelmässige  Unterbrechung  der  Säulenreihe 
durch  Pfeiler  wie  in  Rasdorf  bei  Fulda,  Petersberg  bei  Eisenhofen» 
Oberstenfeld,  S.  Nikolai  in  Reichenhall,  S.  Peter  in  Salzburg. 

Die  sächische  Gruppe  nimmt  in  bezug  auf  künstlerischen  Wert 
unstreitig  den  ersten  Platz  ein,  ja  diese  Bauten  gehören  zu  den  charakter- 
vollsten und  anmutigsten  des  deutsch-romanischen  Stils  überhaupt.  Die 
Vorliebe  für  den  Stützenwechsel  hängt  innig  mit  der  andern  sächsischen 
Neigung  für  strenge  Quadrateinteilung  des  Grundrisses  zusammen.  Die 
Pfeiler  markieren  jedesmal  die  Ecken  der  Quadrate;  die  Säulen  als 
Stützen  zweiter  Ordnung  können  flüssiger  behandelt  werden,  d.  h.  es 
können  ihrer  nach  Gefallen  je  1  oder  2  zwischen  die  Pfeiler  einge- 
schaltet werden.  Der  zweisäulige  Rhythmus  begegnet  zuerst  an  zwei 
wohl  nicht  ohne  Wechselwirkung  entstandenen  Bauten :  der  Stiftskirche 
zu  Quedlinburg  (a.  997  ff.)  und  S.  Michael  in  Hildesheim  (a.  1001  ff.). 
Zuweilen  wird  der  Gedanke  des  Gesamtwandfeldes  durch  einen  von 
Pfeiler  zu  Pfeiler  über  die  zwischenstehende  Säule  weg  gespannten 
Blendbogen  ausgedrückt. 


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Zweites  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Deutschland. 


215 


Die  Pfeilerbasilika,  als  die  kunstloseste,  ist  die  gemeinste  und 
verbreitetste  Form.  Typisch  ist  sie  an  den  eines  guten  und  bequem 
erreichbaren  Säulenmaterials  entbehrenden  Arten,  als  Nebenform  kommt 
sie  überall  vor.  Bedeutet  sie  in  ihrer  schlichteren  und  gröberen  Er- 
scheinung  einerseits  eine  Herabstimmung  der  künstlerischen  Intention, 
so  gestattet  sie  andererseits  eine  im  Säulenbau  nur  ausnahmsweise 
gewagte  Grossräumigkeit. 

Aus  der  grossen  Menge  vorhandener  Pfeilerbasiliken  heben  wir 
nur  die  wichtigsten  hervor.  Rheinlande:  Dom  zu  Speier,  gegr. 
von  Kaiser  Konrad  II.  um  a.  1030;  die  Wahl  der  Pfeiler  u.  a.  da- 
durch bedingt,  dass  die  Seitenschiffe  von  Anfang  an  auf  Gewölbe  be- 
rechnet waren,  während  das  Hauptschiff  eine  Flachdecke  erhalten 
sollte1);  die  grösste  bis  dahin  diesseits  der  Alpen  errichtete  Kirche; 
in  romanischer  Epoche  nur  von  einigen  englisch-normannischen  an 
Längenausdehnung,  an  Flächenraum  einzig  von  der  Abteikirche  zu 
Cluny  (saec.  12)  übertroffen;  in  Deutschland  sind  auch  unter  den 
gotischen  nur  zwei  grösser,  der  Dom  von  Köln  und  Ulm.  Von  den 
Domen  zu  Mainz  (978—1036),  Worms  (996 — 1016),  Strassburg 
(1015 — 1028)  ist  die  Art  der  Stützen  nicht  bekannt;  von  Heinrichs  II. 
Dom  zu  Bamberg  (1004 — 10 12)  ist  es  sicher,  dass  er  Pfeiler  besass, 
desgleichen  der  Dom  zu  Würzburg  (1042  ff),  wo  sie  in  der  Barock- 
umhüllung noch  vorhanden  sind.  Von  früh  auf  war  der  Pfeiler  hei- 
misch auf  der  schwabisch -bayrischen  Hochebene:  Dom  zu  Augsburg 
(994 — 1006),  S.  Emmeram  in  Regensburg  (1002 — 1020),  Obermünster 
daselbst  (1010— 1020),  und  er  blieb  die  alleingültige  Form  bis  ans 
Ende  der  romanischen  Epoche,  so  dass  weitere  Beispiele  aufzuzählen 
überflüssig  wäre.  Dasselbe  gilt  von  Oesterreich  und  Ungarn.  In 
Sachsen:  aus  saec.  11  Dome  zu  Bremen  und  Merseburg,  aus 
saec.  12  Klosterkirchen  U.  L.  F.  zu  Halberstadt,  Neuwerk  und 
Frankenberg  bei  Goslar,  zu  Königslutter,  Marienthal,  Mandels- 
loh, Breitenau.  In  Westfalen  ausschliesslich.  In  Obersachsen  und 
Thüringen  zierliche  Gliederpfeiler,  von  denen  an  späterer  Stelle  Ge- 
naueres: Wechselburg,  Bürgelin,  Petersberg  bei  Erfurt,  Ilbenstadt  in 
Hessen. 

Spitzbogige  Pfeilerarkaden  aus  Anfang  saec.  13  nicht  bloss  in  den 
entlegeneren  Gegenden,  sondern  auch  im  Westen  in  Gelnhausen 
(1230),  Rasdorf  bei  Fulda,  Brackenheim  und  Tiefenbronn  in 
Schwaben,  Memleben  und  Dippoldiswalde  in  Sachsen,  letztere 
Kirche  aus  dem  2.  oder  3.  Drittel  des  saec.  13. 

')  Wir  folgen  hier  vorerst  der  herrschenden  Ansicht,  ohne  uns  direkt  für  dieselbe 
in  entscheiden  und  behalten  uns  vor,  bei  Behandlung  des  Gewölbebaues  auf  diese  Frage 
z  u  rtl  c  k.  z  u  1c  o  im  m  cxi  • 


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216 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Emporen  über  den  Langseiten  erhalten  sich  nur  in  den  Rhein- 
landen über  die  Frühepoche  hinaus,  als  Ausnahmen  allerdings,  doch 
nicht  als  ganz  seltene. 

Werden  a.  d. Ruhr  saec.  9(?),  Essen  saec.  10,  S.Ursula  in  Köln 
und  And  lau  im  Elsass  saec.  n;  S.  Kastor  in  Koblenz,  S.  Johann 
in  Niederlahnstein,  S.  Lubentius  in  Dietkirchen  (Taf.  63),  Pfarr- 
kirche in  Heimersheim  (Taf.  62),  frühgotisch  eingewölbt  und  die 
Oberfenster  vermauert,  sämtlich  saec.  12.  Isoliert  und  nicht  in  Ein- 
klang mit  dem  System  die  Emporen  des  Doms  zu  Freising,  von 
welchen  es  zum  mindesten  sehr  fraglich  ist,  ob  sie  der  ersten  Anlage 
(a.  1 159  ff.)  angehören,  oder  nicht  vielmehr  den  Umbauten  des  saec.  17. 
Ohnegleichen  in  ihrer  Art  die  mit  Emporen  versehenen  Nebenchöre 
auf  der  Petersbergkirche  bei  Halle. 

An  die  Gliederung  der  Oberwand  werden,  da  die  Malerei  hier 
die  Herrschaft  hat,  sehr  geringe  Ansprüche  gestellt.  Ein  Gesims  über 
den  Arkaden  ist  in  der  Regel  alles,  oft  fehlt  selbst  dieses.  Unleugbar 
roh  in  ihrem  Mangel  an  Gliederung  wirken  die  grossen  Wandflächen 
der  Querhäuser. 

Senkrechte  Streifen  vom  Arkadengesims  auf  die  Kämpferplatten  der 
Stützen  herabreichend,  ein  von  der  Hirsauer  Schule  aufgebrachtes 
Motiv  (Taf.  57.  59).  Von  ungewöhnlich  feinem  Gefühl  zeugt  im  Chor 
und  Querschiff  zu  Limburg  a.  H.  die  Wandgliederung  durch  Pilaster 
und  Blendbögen  (Taf.  52).  Aehnliches  erstrebt  in  Sta.  Ursula  in  Köln 
und  S.  Kastor  in  Koblenz  (Taf.  63). 

In  betreff  der  allgemeinen  Proportionen  gestattet  sich  die 
romanische  Basilika  ungleich  mehr  Freiheit  und  Abwechselung,  als  die 
altchristliche.  Nicht  zuletzt  daraus  erklärt  sich  ihre  Fähigkeit  trotz 
der  Einfachheit  und  Gleichförmigkeit  des  Systems  mannigfaltige  indi- 
viduelle Nüancen  zu  erreichen.  Was  den  Querschnitt  betrifft,  so  kann 
man,  freilich  nur  ganz  im  allgemeinen,  sagen,  dass  mit  der  vorrücken- 
den Zeit  die  Höhendimension  stärker  betont  wird;  ferner  dass  eine 
gewisse  Korrespondenz  des  Querschnitts  mit  dem  System  beobachtet 
wird.  So  hat  Süddeutschland  bei  verhältnismässig  niedrigen  und 
breiten  Schiffen  auch  niedrige  und  weit  abstehende  Stützen,  wogegen 
Sachsen  und  Rheinland  in  beiden  Stücken  schlankere  Proportionen 
lieben. 

Hier  einige  Zahlenbeispiele  für  das  Verhältnis  der  (lichten)  Breite 
zur  Höhe  im  Mittelschiff.  —  Sta.  Maria  auf  Reichenau  10,5:12,7; 
S.  Emmeram  zu  Regensburg  13,0:^,5;  Hirsau  6,0:10,5;  Konstanz 
11,4:18,0;  Limburg  12:23;   Paulinzelle   7,8:17,6;    Liebfrauen  zu 


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Zweites  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Deutschland.  21  7 

Halberstadt  9,2:16.5;  S.Godehard  zu  Hildesheim  10,2:20,0;  S.  Ser- 
vaes  zu  Mastricht  10,5  :  22,2. 

Die  Flachdecken  des  Mittelalters  sind  mit  wenigen  Ausnahmen 
entweder  durch  jüngere  Nachahmungen  oder,  was  die  Regel  bildet,  durch 
Gewölbe  ersetzt.  Nach  gelegentlichen  Bemerkungen  der  Chronisten  und 
örtlichen  Spuren  zu  urteilen,  scheinen  in  Deutschland  Vertäfelungen  recht 
häufig,  vielleicht  sogar  häufiger  als  offene  Dachstühle  gewesen  zu  sein. 

Das  älteste  erhaltene  Beispiel  mit  figürlicher  Bemalung  zu  Zillis 
in  Graubündten;  Abb.  in  Mitteil.  d.  antiquar.  Ges.  zu  Zürich,  1872. 
Weltberühmt  die  a.  1186  ausgeführte  in  S.Michael  zu  Hildesheim 
mit  dem  Stammbaum  Christi  (in  Farbendruck  publiziert  von  Kratz 
1856).  Eine  Kassettendecke  mit  Stern-  oder  Kreuzmusterung  und 
vergoldeten  Knöpfen  aus  E.  saec.  io,  beschrieben  in  der  Chronik  von 
Petershausen,  vgl.  Neuwirt  in  Wiener  Sitzungsber.  1884,  p.  85. 

Die  Seitenschiffe  sind  im  allgemeinen  gleichfalls  mit  Holzdecken 
versehen.  Daneben  kommt,  lange  bevor  im  Hauptschiff  daran  gedacht 
wurde,  Ueberwölbung  vor.  Die  Priorität  hierin  hat  das  Rheinland. 
Man  pflegt  das  Aufkommen  der  Seitenschiffgewölbe  ins  11.  Jahrhundert 
zu  setzen;  nach  unserer  Ueberzeugung  waren  sie  schon  in  karolingi- 
scher  Zeit  bekannt  und  sind  im  Rheinlande  niemals  ganz  ausser  Ge- 
brauch gekommen. 

Den  Ausgangspunkt  bilden  die  Anlagen  mit  Emporen  nach  dem 
Vorbilde  des  Aachener  Zentralbaus.  In  Werden  a.  d.  Ruhr  noch  mit 
quergelegten  Tonnen,  sehr  früh,  mutmasslich  a.  875.  Später  regel- 
mässig Kreuzgewölbe.  So  sehr  wahrscheinlich  im  gotisch  umgebauten 
Münster  zu  Essen;  die  Reste  der  Seitenwände  zeigen  in  Nischen, 
Blendbögen  und  vorgekröpften  Säulen  eine  ganz  gewölbmässige  Gliede- 
rung (vgl.  den  Grundriss  Taf.  41).  Die  Flachnischen  in  S.  Kastor  zu 
Koblenz  sprechen  ebenfalls  für  Gewölbe  schon  vor  der  Erneuerung 
saec.  12.  Dann  aus  saec.  n  :  Dom  zu  Speier  beg.  c.  a.  1030;  Echter- 
nach a.  1031,  die  Gleichzeitigkeit  der  Gewölbe  allerdings  angezweifelt; 
S.Maria  im  Kapitol  zu  Köln  a.  1049.  Tonnengewölbe  mit  Stichkappen 
in  einigen  frühen  Backsteinkirchen  der  Mark:  Krewese,  Arendsee. 

Die  Beleuchtung  der  romanischen  Basiliken  ist  erheblich 
schwächer  als  die  der  altchristlichen.  Wieviel  an  dieser  Veränderung 
bewusste  ästhetische  Absicht  ist  und  wieviel  auf  technischen  Gründen 
beruht,  ist  kaum  ins  reine  zu  bringen.  Jedenfalls  sind  in  Deutsch- 
land die  Fenster  zahlreicher  und  breiter  als  gleichzeitig  in  Italien; 
Apsis  und  Seitenschiffe  sind  regelmässig  damit  versehen  (vgl.  dagegen 
S.  108).    Auch  bemühte  man  sich,  der  durch  die  Dicke  der  Mauern 

»5 


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218 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


drohenden  Beschränkung  des  Lichteinfalls  durch  Abschrägung  der 
Gewände  entgegenzuwirken.  Den  Verschluss  bildeten  Tücher  oder 
hölzerne  Läden.  Erst  nach  a.  iooo  begann  die  Verglasung  häufiger, 
aber  entfernt  noch  nicht  die  Regel  zu  werden.  Ja,  man  möchte  glauben, 
dass  die  im  Verlaufe  des  n.  bis  ins  1 2.  Jahrhundert  hinein  zunehmende 
Verengung  der  Fensteröffnungen  gerade  eine  Folge  des  zunehmen- 
den Gebrauches  der  Verglasung  gewesen  sei.  Nichts  Ungewöhnliches 
ist,  dass  die  Zahl  der  Fenster  und  der  Arkaden,  und  folglich  auch 
die  beiderseitigen  Axen,  nicht  übereinstimmen. 

Auch  die  im  Besitztum  von  Glasfenstern  befindlichen  Kirchen 
müssen  wir  uns  viel  dunkler  denken,  als  sie  sich  heute  zeigen.  Denn 
das  Glas  war  trübe,  meist  künstlich  gefärbt,  und  die  bleierne  Fassung 
nahm  viel  Licht  weg.  Unter  solchen  Umständen  muss  in  bedeutender 
Masse  Kerzen-  und  Lampenlicht  zur  Hilfe  genommen  worden  sein, 
namentlich  bei  winterlichen  Frühgottesdiensten,  worin  wir  die  Erklärung 
sehen,  dass  in  Deutschland  Brandschäden  so  unvergleichlich  häufiger 
wie  in  Italien  vorkommen,  sowie  dass  sie  besonders  oft  auf  Fest- 
tage fallen. 


Beschreibung  der  Tafeln. 

Grundrisse. 
Sachsen  und  Niederrhein. 

Tafel  47. 

1.  Gernrode:  Stiftskirche.  —  Beg.  a.  961.  —  Zeitschrift  d.  Harz- 
vereins, Bd.  10. 

2.  Quedlinburg:  Sti/ts-K.  —  a.  997.  —  Baudenkmäler  Nieder- 
Sachsens. 

3.  DrUbeck:  Nonnenkloster- K.  —  saec.  11.  —  B.-D.  Nieder-S. 

4.  Huyseburg:  Benedikt-K.  —  a.  11 10 — 1121.  —  Erbkam  IV. 

5.  Goslar:  „Dom"  Collegiat-K.  S.  Simon  und  Judas.  —  a.  1040— 1050. 
Mithoff. 

6.  Htldesheim:  Dom.  —  a.  1055-  106 1.  —  Mithoff. 

7.  *  Koblenz:  S.  Kastor.  —  Westbau  und  Umfassungsmauern  a.  836, 
Chor  M.  saec.  12,  Pfeiler  1190—1212.  —  Höffken. 

8.  *Susteren:  Benediktiner- K.  —  saec.  11.  —  Cuypers. 

9.  *Maestricht:  S.  Semaes.  —  saec.  12.  —  Cuypers. 

10.  * Niederlahnstein :  S.  Johann.  —  saec.  12.  —  Höffken. 

11.  Köln:  Sta.  Ursula.  —  a.  1155?  —  Frantzen. 

12.  ^Ilbenstadt:  Prämonstratenser-K.  —  a.  1123— 1159.  —  Höffken. 


Zweites  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Deutschland.  219 
Pfalz,  Hessen,  Main. 

Tafel  48. 

1.  Limburg  a.  d.  Hardt:  Benediktiner- K.  —  c.  a.  1030—  1042.  — 
Geier  11.  Görz. 

2.  Hersfeld:  Benediktiner- K.  —  a.  1040  ff.,  im  Chor-  und  Querbau 
vielleicht  mit  Benutzung  der  Grundmauern  des  saec.  9.  —  Cor- 
respondenzbl.,  Bd.  10. 

2».  Dasselbe:  Oberbau  der  Westapsis. 

3.  *  Würzburg:  Dom.  —  a.  1042  ff.  —  Höffken. 

4.  *  Bamberg:  S.  Jakob.  —  E.  saec.  11.  —  Richter  (durch  Versehen 
falsch  orientiert,  das  Transsept  liegt  in  Wahrheit  im  Westen). 

5.  Speier:  Dom.  —  c.  a.  1030  ff.  —  Geier  u.  Görz. 

6.  Speier:  Domkrypta.  —  gew.  a.  1039.  —  Geier  u.  Görz. 

Oberrhein. 

Tafel  49. 

1.  Schiffenberg:  Kloster-K.  —  saec.  12.  —  Hess.  Denkm. 

2.  Strassburg:  S.  Stephan.  —  E.  saec.  12.  —  Kraus. 

3.  Eschau:  Kloster- K.  —  saec.  11.  —  Adler. 

4.  * Stein  am  Mein:  Kloster- K.  —  saec.  11.  —  Bezold. 

5.  *  Würzburg:  S.Jakob.  —  gew.  a.  11 46.  —  Höffken. 

6.  Bergholzzell.  —  a.  1006  ff.  —  Adler. 

7.  ^Konstanz:  Dom.  —  a.  1052— 1068.  —  Schober,  Bezold. 

8.  * Schaffhausen :  Benediktiner- K.  —  a.  1052— 1064.  —  Bezold. 

9.  Alpirsbach:  Benediktiner- K.  —  a.  1095  ff.  —  Stillfried. 

Bayern  und  Oesterreich. 

Tafel  50. 

1.  *  Regensburg:  Benediktiner- K.  S.  Emmeram.  —  a.  1002  — 1020, 
Westbau  a.  1052.  —  Bezold. 

2.  *  Regensburg:  Niedermünster.  —  nach  a.  1152.  —  Bezold. 

3.  *Rcgensburg:  Obermünster.  —  gew.  a.  1010.  —  Bezold. 

4.  *  Moosburg:  Benediktiner- K.  —  a.  1171  ff.  —  Höffken. 

5.  *  Augsburg :  Dom.  c.  a.  994 — 1006.  —  Bezold. 

6.  Seckau:  Augustiner- K.  —  a.  1142  ff.  —  C.-Co mm.  Jahrb. 

7.  Regensburg:  Schotten-K.  S.  Jakob.  —  Chor  gew.  a.  im,  Schiffe 
a.  1 152  ff.  —  Popp  u.  Bünau. 

8.  * Steingaden:  Prämonstr atenser- K.  —  c.  a.  11 70.  —  Dehio. 

9.  Gurk:  Dom.  —  voll.  1194.  —  Oesterr.  Denkm. 

Hirsauer  Schule  und  Verwandtes. 

Taf.  51. 

1.  Halberstadt:  Kloster-K.  Liebfrauen.  —  a.  1 135  —  1 146,  Westbau  um 
a.  1005.  —  B.D.  Nieder-Sachsens. 


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220 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


2.  Schwarzach:  Benediktiner- K.  —  saec.  12.  —  Geier  u.  Görz. 

3.  Hildesheim:  Kloster-K.  S.  Godehard.  —  a.  1133  ff.  —  B.-D.  Nied  er- 
Sachsens. 

4.  Hirsau:  Benediktiner- K.  S.  Aurelius.  —  a.  1060— 1071.  —  v.  Egle. 

5.  »Prüfening:  Benediktiner- K.  —  a.  1109  ff.  —  Höffken. 

6.  * Paulimelle •:  Benediktiner-K.  —  a.  1 105— 11 19.  —  Brecht. 

7.  Breitenau:  Benediktiner- K.  —  voll.  a.  1142.  —  B.-D.  Nied.-S. 

8.  Hamersleben:  Augustiner-K.  —  a.  11 12  ff.;  eine  Vorhalle  wie  in 
Paulinzelle  war  beabsichtigt.  —  B.-D.  Nied.-S. 

9.  Jerichow:  Prämonstratenser-K.  —  saec.  12.  —  Adler. 
10.  Königslutter:  Stifts-K.  —  a.  11 35  ff.  —  B.-D.  Nied.-S. 

Langenschnitte. 

Tafel  52. 

r.  Limburg  a.  d.  Hardt.  —  c.  a.  1030— 1042.  —  Geier  u.  Görz. 

2.  Hildesheim:  S.  Godehard.  —  a.  1133  ff.  —  Kallenbach  u.  Schmitt. 

3.  *Moosburg.  —  a.  1171  ff.  —  Höffken. 

4.  »Ilbenstadt.  —  a.  1123 — 1159.  —  Höffken.    (Die  vom  Zeichner 
restaurierte  Apsis  zweifelhaft,  wahrscheinlich  platter  Chorschluss.) 

Querschnitte. 

Tafel  53. 

1.  Hildesheim:  S.  Michael.  —  Erdgeschoss  a.  1 001  ff,  Obermauer  E. 
saec.  12.  —  B.-D.  Nied.-S. 

2.  *  Regensburg:  S.  Emmeram.  —  a.  1002— 1020.  —  Bezold. 

3.  *  Regensburg:  Obermünster.  —  c.  a.  1010.  —  Bezold. 

4.  Reichenau:  Sta.  Maria.  —  Seitenschiffe  gew.  a.  991  ,  Querschiff 
a.  1048.  —  Hübsch. 

Tafel  54. 

1.  »Paulinzella  —  a.  1105— 11 19;  in  dem  Winkel  zwischen  Lang-  und 
Querhaus  befanden  sich  Türme,  deren  Verzahnung  noch  erkenn- 
bar. —  Brecht. 

2.  Hamersleben.  —  a.  11 12  ff.  —  v.  Quast. 

3.  *  Ilbenstadt.  —  a.  1123—1159.  —  Höffken. 

4.  *  Würzburg :  S.  Jakob.  —  a.  11 34 — 1146.  —  Höffken. 

5.  Regetisburg:  S.Jakob.  —  voll.  1184.  —  Popp  u.  Bünau. 

Saulensyste.me. 

Tafel  55. 

1.  Limburg  a.  H.  —  c.  a.  1030—1042.  —  Geier  u.  Görz. 

2.  Hersfeld.  —  a.  1040  ff.  —  Denkm.  d.  Berl.  Bauakademie. 

3.  Alpirsbach.  —  c.  a.  1100.  —  Still  fr ied. 


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Zweites  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Deutschland. 


221 


Tafel  56. 

1,  2.  *Konstanz:  Dom.  —  c.  1052— 1068.  —  Bezold. 

3.  *  Siein  a.  Rh.  —  E.  sacc.  11.— A.  saec.  12.  —  Bezold. 

4.  *  Schaff  hausen.  —  a.  1052— 1064.  —  Bezold. 

5.  6.  Hirsau:  S.  Aurelius.  —  a.  1060—1071.  —  v.  Egle. 

Tafel  57. 

1,  2.  *  Bamberg:  S.Jakob.  —  gew.  a.  1109.  —  Richter. 

3.  *Paulinzelle.  —  a.  1105— 11 19.  —  Brecht. 

4.  Hamer sieben.  —  a.  11 12  ff.  —  v.  Quast. 

5.  Jerichaiv.  —  saec.  12.  —  Adler. 

■ 

Stutzenwechsei,. 

Tafel  58. 

1,  2.  Quedlinburg:  Wipertikrypta.  —  saec.  10.  —  B.-D.  Nieder-S. 

3.  Ilsenburg.  —  voll.  a.  1077.  —  B.-ü.  Nieder-S. 

4.  Quedlinburg.  —  a.  997  —  1021,  erneuert  nach  a.  1070,  vom  ersten 
Bau  vielleicht  noch  die  Arkaden.  —  Erb  kam. 

5.  Echternach.  —  a.  1031  ff.  —  Bock. 

6.  Heitlingen.  —  E.  saec.  12.  —  Puttrich. 

7.  Huyseburg.  —  a.  11 10— 11 21.  —  Erbkam. 

8.  *Susteren.  —  saec.  11  —  Cuypers. 

Tafel  59. 

1.  Hildesheim  :  S.  Michael.  —  Querschiff  und  Langhausarkaden,  Krypta 
(mit  Ausnahme  des  Umganges)  a.  1001  ff..  Lichtgaden  nach  a.  1162, 
Chor  nach  a.  1200.  —  Gladbach. 

2.  *Hildesheim:  S.  Godehard.  —  voll.  a.  1172.  —  Bezold. 

3.  Maulbronn.  —  voll.  a.  1178.  —  Eisenlohr. 

4.  Seekau.  —  a.  1142  ff.  —  C.-Comm.  Jahrb. 

Pfeileksysteme. 

5.  Halberstadt:  Liebfrauen.  —  voll.  a.  n 46.  —  Chorschranken  c.  a. 
1200.  —  v.  Quast. 

Tafel  60. 

i,  2.  *Köln:  S.  Pantaleon.  —  c.  a.  960—980.  —  Höffken. 

3.  Fischbeck.  —  1.  H.  saec.  12.  —  B.-D.  Nieder-S. 

4.  Köln:  S.  Maria  im  Kapital.  —  voll.  a.  1049.  —  Frantzen. 

5.  Köln:  Sta.  Ursula.  —  a.  1 1 55 ?  —  Frantzen. 

Tafel  61. 

i,  2.  * Maestrich t:  S.  Servaes.  —  saec.  12.  —  Cuypers. 
3.  * Prüfening.  —  1.  H.  saec.  12.  —  Höffken. 


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1 


222  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

4.  Schiffenbcrg.  —  saec.  12.  —  Hess.  Den  km. 

5    5.  Paul  im  Lavant.  —  E.  saec.  12.  —  C.-Comm.  Jahrb. 

6.   Gurk:  Dom.  —  vor  a.  1194.  —  Oesterr.  Denkm. 

Anlagen  mit  Emporen. 

Tafel  62. 

1,  2.  * Niederlahnstein:  S.Johann.  —  saec.  12.  —  Höffken. 

3.  * Heimersheim.  —  E.  saec.  12.  —  Tornow. 

4,  5.  *  Koblenz:  S.  Kastor.  —  E.  saec.  12.  —  Höffken. 

Perspektiven. 

1.  'Dietkirchen.  —  saec.  12.  —  Tornow. 

2.  Köln:  Sta.  Ursula.  —  saec.  11  u.  12.  —  Tornow. 

Tafel  64. 

1.  *  Gernrode.  —  saec.  10.  —  Bezold. 

2.  *  Hildes  he  im:  S.  Michael.  —  saec.  11.  u.  12.  —  Bezold. 

Tafel  65. 

1.  * Hildesheim:  S.  Godehard.  —  Dehio. 

2.  *  Hildesheim :  S.  Michael.  —  Photographie. 


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Drittes  Kapitel. 

Die  flachgedeckte  Basilika  in  Italien 


I_ Itter ATl* R.  dAgincourt :  Histoire  de  l'art  par  les  monuments  ,  18:3  fF.  — 
Cordero:  Dell'  italiana  architettura  durante  la  dominazione  longobardica ,  18J9.  — 
//.  Gally  Knight:  The  ecclesiastical  archt.  of  Italy.  2  vols.  1842.  —  A,  Ricci :  Storia 
dell'  architettura  in  Italia,  3  Bde.,  1857.  —  C.  Iioito:  Archt.  del  medio  evo  in  Italia, 
18S0.  —  O.Motha:  Die  B  -K.  des  Mittelalters  in  Italien,  1884.  —  J.  Burtkhardf.  Der 
Cicerone.    5.  Aufl.  1884.  • 

Monographien.  —  G.  Kohattlt  de  FUury.  Pise  en  moyen-dge,  1862.  —  Guarda- 
ba.'st  :  Indice-guida  dei  monumenti  della  provincia  d'Umbria,  1872.  —  H.Schuh:  Denkm. 
der  Kunst  des  Mittelalters  in  Unteritalien,  1860.  —  de  Lttynes:  Recherches  sur  les  monu- 
ments des  Normands  daus  l'Italie  ml-ridionalc,  1844.  —  Htttorf  et'  Zanth  :  Archt.  mo- 
derne de  la  Sicilie,  1835.  —  Serradifalco  \  Del  duomo  di  Monreale  e  di  altre  chiese 
Sicule-Normanne,  1838.  —  Gravirta  :  II  duomo  di  Monreale,  1859.  —  Becker  u.  Forstet  : 
Kathedrale  zu  Palermo,  1866.  —  /•'.  Osten;  Die  Bauwerke  der  Lombardei  vom  7.— 14. 
Jahrhundert  o.  I.  —  /.  Darteits:  Etüde  *ur  l'architccture  lombarde,  l£66  ff.  —  v.  Eitel- 
berger  :  Denkm.  in  Dalmatien.   Jahrb.  der  Centr.-Comm.,  1861. 

1 .  Allgemeines. 

Italien  trat  in  die  romanische  Stilbewegung  erheblich  später  ein 
als  die  transalpinen  Lander.  Die  allgemeine  Verfassung  des  Landes 
erklärt  dies  Zurückbleiben  genügend.  Die  grossen  schöpferischen 
Impulse,  mit  denen  Karl  der  Grosse  das  Leben  der  nordischen  Völker 
erfüllte,  gingen  an  Italien  ohne  dauernde  Nachwirkung  vorüber.  Fäulnis 
der  Sitten,  wilde  Entfesselung  aller  selbstsüchtigen  Triebe,  Anarchie 
in  Kirche  und  Staat  waren  die  verderblichen  Uebel,  von  denen  es 
erst  in  der  nach  Papst  Gregor  VII.  benannten  Epoche  langsam  zu 
genesen  begann.  Keine  Frage  zwar,  dass  auch  in  dieser  dunkeln 
Zeit  Italien  in  allem,  was  man  unter  dem  Namen  der  materiellen 
Kultur  zusammenzufassen  pflegt  —  unzerstörbaren  Rückständen  der 
antiken  Zivilisation  —  dem  germanischen  Norden   überlegen  blieb. 


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224 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Ebensoviel  ärmer  als  jener  war  es  aber  an  frischen  aufstrebenden 
Kräften,  an  dem  Sauerteig  neuer  das  Volksbewusstsein  erregender 
Vorstellungen.  Dort  ein  täglicher  Eroberungskampf  um  die  Güter 
der  Humanität,  hier  ein  gedankenlos  bequemer  Besitz. 

Diese  an  der  Kultur  im  ganzen  sich  darbietenden  Beobachtungen 
wiederholen  sich  genau  im  einzelnen  in  der  Architekturgeschichte. 
Immer  ist  namentlich  das  im  Auge  zu  behalten:  während  im  Norden 
in  der  romanischen  Epoche  es  sich  allermeist  um  Neubauten  handelt, 
sei  es  Ersetzung  dürftiger  Erstlingsbauten  durch  würdigere  Monumental- 
werke, sei  es,  der  raschen  Zunahme  der  Bevölkerung  und  dem  Wachs- 
tum der  kirchlichen  Institute  nachgehend,  um  Neugründungen  auf 
jungfräulichem  Boden:  so  war  Italien  seit  Jahrhunderten  mit  Kirchen- 
gebäuden wohlversorgt,  und  die  Beweggründe,  die  im  späteren  Mittel- 
alter wieder  massenhaft  neue  Stiftungen  hervorbrachten  —  Steigerung 
des  kirchlichen  Sinnes,  Gründung  neuer  Orden,  Ruhmsinn  der  Kom- 
munen oder  einzelner  Reichen  — ,  spielten  noch  keine  grosse  Rolle 
in  der  vor  den  Kreuzzügen  liegenden  Epoche.  Im  grossen  und  ganzen 
ist  bis  dahin  die  Bauthätigkeit  sehr  viel  seltener  auf  neue  Unterneh- 
mungen, als  auf  das  Erhalten  und  Nachbessern  des  Vorhandenen 
gerichtet.  Nachlässigkeit  in  der  Ausfuhrung  dieser  Art  Arbeiten  oder 
erneute  Unfälle  durch  Feuersbrünste,  Erdbeben,  Krieg  Hessen  die 
Notwendigkeit  der  Restaurierung  oft  in  kurzen  Fristen  wiederkehren, 
und  so  war  die  Gestalt  vieler,  um  nicht  zu  sagen  der  meisten,  Ge- 
bäude fortwährend  gleichsam  im  Fluss  begriffen.  Die  Neigung,  alte 
Werkstücke  wiederzuverwenden,  lag  den  Italienern  vom  sinkenden 
Reiche  her  im  Blut.  Oft  waren  damit  Veränderungen  der  allgemeinen 
Anlage  verbunden,  ebenso  oft  aber  lag  das  Verhältnis  umgekehrt,  d.  h. 
die  allgemeinen  Bestimmungen  wurden  beibehalten  und  die  Einzel- 
heiten erneuert.  Welche  unendlichen  Schwierigkeiten  daraus  für  die 
geschichtliche  Einordnung  der  Monumente  erwachsen,  liegt  auf  der 
Hand.  In  der  That  steht  bis  zur  Höhe  des  Mittelalters,  wo  ein  festerer 
Zug  in  die  Entwickelung  kommt,  die  baugeschichtliche  Chronologie 
Italiens  auf  so  schwachen  Füssen,  wie  die  keines  anderen  Landes1). 

')  Anderer  Meinung  offenbar  ist  der  neueste  Bearbeiter  der  italienischen  I'.au- 
geschichte  im  Mittelalter,  Oskar  Mothes.  Er  hat  die  Zeitfolge  geradezu  zum  leitenden 
Prinzipe  der  ganzen  Anordnung  gemacht ,  so  zwar ,  dass  er  jedes  Gebäude  danach  in 
seine  Bestandteile  auseinanderlegt ,  um  sie  an  dem  durchlaufenden  annalistischen  Faden 
wieder  aufzureihen.  Die  überraschende  Sicherheit  in  der  Bestimmung  der  betreffenden 
Jahre  gewinnt  er  dadurch ,  dass  er  von  den  zufallig  erhaltenen  und  ihm  bekannt  gewor- 
denen Baunachrichten  so  viel  als  irgend  möglich  mit  dem  aktuellen  Gebäude  in  Ver- 
bindung bringt.    Die  auf  diese  Weise  gewonnene  chronologische  Reihe  sieht  natürlicher 


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Drittes  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Italien. 


225 


Ein  weiterer  Unterschied  zwischen  Deutschland  und  Italien  zeigt 
sich  in  der  Stellung,  welche  der  geistliche  Stand  dort  und  hier  zum 
Bauwesen  einnahm.  Dort  enthielt  er  ohne  Frage  eine  Auslese  der 
besten  Geister,  konzentrierte  sich  in  ihm  insbesondere  alles  von  der 
antiken  Ueberlieferung  abhängige  Wissen  und  Können  und  somit  ganz 
von  selbst  die  Leitung  des  Bauwesens;  hier  besass  er  aber  keinen 
solchen  natürlichen  Vorrang,  da  ein  gewisses  Mass  von  Bildung  dem 
Laienstande  nie  verloren  gegangen  war.  Von  der  oft  übertriebenen 
Baulust,  die  für  die  Bischöfe  und  Aebte  des  Nordens  in  dieser  Zeit 
charakteristisch  ist,  bemerkt  man  an  ihren  italienischen  Amtsbrüdern 
wenig.  Die  Baukunst  blieb  hier  eine  Laienkunst ;  es  galt  nicht,  neue 
Entdeckungen  darin  zu  machen,  sondern  die  alten  Ueberlieferungen  vor 
Verfall  zu  schützen;  anstatt  der  Begeisterung  Handwerkssinn,  anstatt 
des  stolzen  Bewusstseins,  den  Volksgenossen  niegesehene  Wunder- 
werke vorzuführen,  der  -beschämende  Vergleich  mit  der  grösseren  Vor- 
zeit. Zwar  kam  auch  für  Italien  die  Zeit  der  kirchlichen  Reform, 
aber  dieselbe  ist  für  die  Baukunst,  merkwürdig  genug,  ohne  Folgen 
geblieben,  wie  nicht  allein,  aber  am  deutlichsten,  daraus  erhellt,  dass 
der  Sitz  des  Papsttums  baugeschichtlich  den  letzten  Platz  in  Italien 
einnimmt.  Die  Reform  der  Baukunst  war  vielmehr  an  eine  andere, 
zwar  gleichzeitig  einsetzende,  jedoch  wesentlich  unabhängige,  ausser- 
kirchliche  Bewegung  gebunden:  an  den  wachsenden  Reichtum,  das 
aufstrebende  Selbstbewusstsein  der  Städte;  in  Süditalien  an  die  Be- 
gründung der  normannischen  Fürstentümer.  In  den  Städten  liegt 
alle  Kraft  des  vielgestaltigen  Lebens  der  werdenden  italienischen 
Nation  von  nun  ab  bis  zu  den  grossen  Umwälzungen  in  der  Renais- 
sanceepoche. Sind  im  nordisch-romanischen  Stil  die  Klosterkirchen, 
die  einsamen  Sitze  geistlich-aristokratischer  Gesellschaften,  die  ton- 
angebenden: so  im  italienisch-romanischen  die  städtischen  Kathedral- 
und  Pfarrkirchen  als  monumentaler  Ausdruck  des  Bürgersinns. 

Aus  dem  bisher  Gesagten  werden  die  folgenden  Grundthatsachen 
in  der  Geschichte  des  italienisch-romanischen  Stiles  verständlich:  erstens, 
dass  er  langsamer,  unmerklicher,  als  es  im  Norden  geschah,  vom  antik- 
christlichen Stil  sich  ablöst;  zweitens,  dass  das  veränderte  Bewusstsein, 


Stilentwickelung  so  unähnlich  wie  möglich,  sie  giebt  vielmehr  das  Bild  permanenter  Stil- 
konfusion. Es  ist  sehr  tu  bedauern,  dass  so  viel  Fleiss  mit  so  wenig  historischem  Sinn 
und  kritischem  Verständnis  zusammengetroffen  ist.  Von  des  Verfassers  Behauptungen  im 
einzelnen  können  wir  nur  hie  und  da  eine  Probe  geben.  Im  ganzen  bemerken  wir,  dass 
er  den  germanischen,  insbesondere  den  langobardischen  Einfluss  weit  Uberschätzt. 


226 


Zweites  Iluch:  Der  romanische  Stil. 


umgekehrt  wie  im  Norden,  nicht  zuerst  in  der  allgemeinen  Anlage 
des  Gebäudes,  sondern  zuerst  in  den  anhängenden  Ziergliedern  sich 
bekundet;  drittens,  dass  es  an  einheitlicher,  zielbewusster  Entwicke- 
lung  fehlt. 

Dazu  die  fortwährenden  Einwirkungen  des  Auslandes:  die  fried- 
lichen durch  die  handelsfrohen  Städte  herbeigeleiteten,  wie  die  feind- 
lichen durch  fremde  Eroberer  hereingetragenen.  Hatte  in  früherer 
Zeit  die  Ankunft  der  Goten  und  Langobarden  keine  unmittelbaren 
Folgen  gehabt,  weil  diese  Völker  von  Kunst  nichts  wussten,  so  haben 
jetzt  Griechen,  Araber,  Normannen,  Deutsche,  Franzosen  —  Orient 
und  Occident  — ,  ein  jeder  mit  einem  kenntlichen  nationalen  Zuge  in 
die  Architekturgeschichte  Italiens  sich  eingezeichnet.  In  diesem  Gegen- 
satz —  dem  wiederaufstrebenden  eigenen  Genius,  der  auf  nichts  an- 
deres als  die  Renaissance  der  antiken  Kunst  hinzielt,  und  der  ver- 
wirrenden Einwirkung  des  Fremden  —  bewegt*  sich  die  ganze  Bauweise 
Italiens  im  Mittelalter. 

In  der  romanischen  Epoche  kommen  die  folgenden  Hauptsysteme  in 
Betracht:  als  Grundstock  der  altüberlieferte  Basiliken  bau,  die  natio- 
nale und  den  Renaissancetendenzen  entgegenkommende  Bauform  ;  dann, 
im  Süden  und  an  der  Ostküste  bis  hinauf  nach  Venedig  eingebürgert, 
bald  rein,  bald  in  Fusion  mit  der  lateinischen  Basilika,  die  byzanti- 
nische Kuppelkirche;  endlich,  in  der  Lombardei,  schon  in  der  fränki- 
schen Epoche  versucht,  aber  erst  im  12.  Jahrhundert  fertig  ausgebildet, 
die  Gewölbekirche  mit  gebundenem  Grundriss.  Das  letztgenannte 
System  dringt  südlich  über  den  Appennin  nur  sporadisch  vor;  sonst 
herrscht  hier  die  hölzerne  Flachdecke  bis  in  die  Zeit  des  letzten  Hohen- 
staufenkaisers, um  dann  unmittelbar  dem  aus  Frankreich  eindringenden 
gotischen  Gewölbebau  den  Platz  zu  räumen. 


2.  Die  reine  Basilika. 

Wenn  es  von  ganz  Italien  gilt,  dass  es  nur  spät  und  zögernd  sich 
entschloss,  der  Veränderung  der  Zeiten  durch  Veränderung  der  Bauweise 
Rechnung  zu  tragen,  so  giebt  es  einen  Ort,  der  sich  dessen  überhaupt 
weigerte:  die  Stadt  Rom.  Das  traditionelle  System  hat  hier  wohl 
eines  Tages  zu  leben  aufgehört,  aber  es  hat  sich  nie  transformiert. 
Auf  die  verhältnismässig  regsame  Bauepoche  des  karolingischen  Jahr- 
hunderts, abschliessend  mit  dem  räumlich  grossartigen,  aber  von  tiefer 


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Drittes  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Italien. 


227 


Verwahrlosung  des  künstlerischen  Sinnes  Zeugnis  ablegenden  Neubau 
der  Latarankirche  unter  Sergius  III.,  folgte  ein  zweihundertjähriger, 
so  gut  wie  vollständiger  Stillstand.    Die  auffrischende  Thätigkeit  des 
12.  und   13.  Jahrhunderts  geht  in  Herstellungsarbeiten  auf,  die  zu- 
weilen allerdings  —  wie  bei  S.  Clemente,  Sta.  Maria  in  Trastevere, 
S.  Lorenzo  fuori  —  zu  förmlichen  Neubauten  werden.  Neubauten 
indes  nur  im  materiellen,  nicht  im  geistigen  Sinne;  denn  sie  unter- 
scheiden sich  von  denen  des  ersten  Jahrtausends  weder  im  Plan  noch 
in  der  Konstruktion,  höchstens  durch  leise  Verschiebungen  der  Pro- 
portion, wie  solche  im  Buch  I  besprochen.    Auf  die  letzten  Bauten 
dieser  in  unerschütterlicher  Selbstgenügsamkeit  beharrenden  Richtung 
—  sie   fallen  in  den  Pontifikat  Honorius'  III.,   12 16— 1227  —  folgt 
nach  fünfzigjähriger  Pause  die  erste  und  einzige  Kirche  des  gotischen 
Stils  in  Rom  —  Sta.  Maria  sopra  Minerva  — ,  dann  wieder  eine  breite, 
gähnende  Lücke  bis  zum  Eintritt  der  Renaissance.    Allerdings  wurde 
im  Jahrhundert  der  staufischen  Kaiser  auch  Rom  von  dem  schöpfe- 
rischen Hauch,  der  damals  allenthalben  im  Abendlande  die  Baukunst 
mächtig  durchwehte,  wenigstens  leise  gestreift.    Aber  die  hierdurch 
wachgerufene  Produktion  wagt  sich  nur  an  die  dekorative  Ausstattung 
des  Innern  der  Kirche,  wie  Fussböden,  Schranken,  Lesepulte,  Bischofs- 
stühle,  wenn  es  hoch  kommt,  an  architektonische  Accessorien  wie 
Vorhallen  und  Kreuzgänge.    Sie  dem  Gesamtbegriff  des  romanischen 
Stils  unterzuordnen  berechtigt  nichts  als  ihre  chronologische  Stellung: 
sonst  hat  sie  mit  ihm  weder  äussere  Fühlung  noch  innere  Verwandt- 
schaft; der  Geist,  der  in  ihnen  wohnt,  ist  der  einer  träumerisch  spie- 
lenden Versenkung  in  das  römische  Altertum,  einer  verfrühten  und 
wenig  energischen  Renaissance.    Rom,  so  meinen  wir,  zählt  in  der 
Geschichte  der  romanischen  Baukunst  nicht  mit 

Für  die  übrigen  Landschaften  Italiens  kam  nun  allerdings  der 
Tag,  wo  der  Basilikenbau  sich  zu  verjüngen  begann.  In  der  Lombardei 
ist  der  Ausgangspunkt  das  Streben  nach  festerer  Deckenkonstruktion, 
in  Toskana  die  Neubelebung  des  Aeusseren.  Der  Grundplan  dagegen 
bleibt  lange  Zeit  in  unentwickelten  Formen  gefesselt.  Bezeichnend 
ist  namentlich  die  indifferente  Behandlung  des  Querschiffes.  Bis 
über  das  Jahr  1000  hinaus  scheint  ausserhalb  Roms  das  Querschiff 
überhaupt  eine  ungewohnte  Sache  gewesen  zu  sein;  höchstens  dass 
es  in  verdunkelter  und  abgeschwächter  Gestalt  zuweilen  sich  zeigt. 
Es  ist  also  die  primitivste  Form  des  dreischiffigen  Longitudinalbaues, 
welche  die  Herrschaft  hat. 


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228 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Etwa  an  der  Grenze  des  u.  und  12.  Jahrhunderts  —  genauerer 
Datierung  versagen  sich  die  Monumente  —  beginnt  das  Verlangen 
nach  entschiedenerer  Gliederung  der  Baumassen  rege  zu  werden:  die 
Querschiffanlagen  kommen  in  Aufnahme.  In  Oberitalien  werden  sie 
als  Summe  von  drei  regelmässigen  Quadraten  gebildet,  übereinstim- 
mend mit  der  längst  bestehenden  Norm  des  deutsch-romanischen 
Grundrisses,  wenn  auch  kaum  unter  dessen  Einfluss1),  in  der  Haupt- 
sache vielmehr  bedingt  durch  den  endgültigen  Uebergang  zur  Kreuz- 
gewölbedecke 

In  Mittelitalien,  wo  konstruktive  Neuerungen  nicht  ins  Spiel 
kamen,  hielt  man  sich  an  das  Muster  der  grossen  alten  Basiliken 
Roms.  Jedoch  nicht  ohne  eine  bedeutsame  Modifikation,  welche 
darin  bestand ,  dass  das  Unbestimmte  in  der  Breitendimension  des 
Querschiffes  aufgegeben,  dieselbe  mit  jener  des  Hauptschiffes  gleich- 
gesetzt wurde.  So  entstand,  zwischen  Gurtbogen  eingespannt,  eine 
echte  romanische  Vierung;  die  Kreuzarme  liess  man  sehr  stark  aus- 
laden, etwa  jederseits  um  das  anderthalbfache  der  Vierungsseite,  und 
die  Tribüne  unmittelbar  sich  anschliessen ;  mithin  kein  wahres  lateini- 
sches, sondern  ein  Tförmiges  Kreuz. 

Querschifflos  sind  alle  flachgedeckten  oder  als  solche  ursprünglich 
gedachten  Basiliken  Oberitaliens;  um  nur  die  wichtigsten  zu  nennen: 
S.  Ambrogio  in  Mailand  (Taf.  45),  S.  Antonio  in  Piacenza,  Dome 
von  Novara  (Taf.  16)  und  Mode  na  (Taf.  66),  S.  Zeno  in  Verona 
(Taf.  66),  S.  Marco  in  Venedig  in  seiner  ursprünglichen  basilikalen 
Gestalt.  Dagegen  der  unter  einem  deutschen  Kirchenhirten  erbaute 
Dom  von  Aquileja  mit  stark  ausladendem,  in  Doppelarkaden  ähnlich 
S.  Michael  in  Hildesheim  abschliessenden  Querschiff,  vgl.  Mitt.  der  C- 
Comm.  1884.  In  Mittelitalien:  Die  wenigen  erhaltenen  Basiliken  von 
Florenz  (S.  Miniato,  SS.  Apostoli,  Taf.  66);  desgleichen  die  vonPistoja 
(Kathedrale,  mit  vielleicht  noch  vormittelalterlichem  Plan,  S.  Andrea 
und  S.  Bartolomeo,  saec.  12);  ferner  in  S.  Gimigniano,  Arezzo, 
Viterbo;  in  Pisa  die  vor  den  Dombau  fallenden  kleinen  Kirchen 
S.  Michele  1018  und  S.  Frediano  1007  und  die  benachbarten  S.  Cas- 
siano  und  S.  Pietro-a-Grado  (Taf.  66),  saec.  9,  mit  Veränderung  um 
1100  und  noch  späterem  Anbau  der  Wcstapsis;  in  Lucca  S.  Ales- 
s.indro,  vor  io5o(?),  und  die  berühmte  Kirche  S.  Frediano  (Taf.  67), 
deren  Baugeschichte  zu  weitläufigen  Diskussionen  der  italienischen 
Gelehrten  Anlass  gegeben  hat;  neuerdings  wiederholt  Mothes  (p.  94 


)  Gerade  in  Suddeutschland  ist  das  strenge  lateinische  Kreuz  ungewöhnlich. 


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Drittes  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Italien. 


229 


und  p.  260)  die  ältere  Behauptung,  dass  die  bestehende  Kirche  im 
wesentlichen  ihrer  Anlage  von  a.  570  sei,  dass  schon  dieser  Bau  fünf 
Schiffe  im  Langhaus,  ein  Querschiff  und  nach  Westen  liegende  Apsis 
gehabt  habe,  welche  erst  a.  1260  nach  Osten  verlegt  worden  sei;  Mothes, 
der  wegen  Unkenntnis  der  Schriften,  worin  dies  bewiesen  sein  soll, 
Schnaase,  Kugler  und  Burckhardt  tadelt,  ist  selber  in  Unkenntnis  ge- 
blieben, dass  Ausgrabungen  von  1844  und  1851  (die  Resultate  der 
darüber  gepflogenen  Verhandlungen  der  Akademie  zu  Lucca  bei  Ridolfi, 
Guida  di  Lucca  1877,  p.  1 10— 128)  die  ältere  Ansicht  völlig  umge- 
stossen  haben.  Danach  ist  die  ältere  Kirche  kürzer  und  enger  gewesen, 
dreischiffig  im  Langhaus  und  ohne  Querschiff,  während  der  jetzige 
Grundriss  von  einem  völligen  Neubau,  beg.  11 12,  gew.  1147,  herrührt; 
ferner  die  Zerlegung  der  äusseren  Seitenschiffe  in  Kapellen  (in  unserem 
Grundriss  weggelassen)  nicht  1112,  wie  Mothes  behauptet,  sondern 
urkundlich  aus  A.  saec.  15.  Wir  unsererseits  glauben  uns  nach  un- 
zweideutigen Anzeichen  an  der  Fassade  zu  der  Annahme  berechtigt, 
dass  die  äusseren  Seitenschiffe  auch  noch  nicht  in  den  Plan  von  a.  11 12 
einbegriffen  gewesen,  sondern  um  einiges  später  angefügt  seien,  wohl 
im  Wetteifer  mit  der  Kathedrale  von  Pisa.  —  In  Unteritalien  die 
Querschiffe  meist  fehlend  oder,  wenn  vorhanden,  über  die  Fluchtlinie 
des  Langhauses  nicht  vorspringend. 

Rudimentäre  oder  getrübte  Querschiffe  in  Agliate  (Taf.  44,  66), 
S.  Pietro  und  Sta.  Maria  in  Toskanella  (Taf.  66,  72),  vgl.  die  deutschen 
frühromanischen  Kirchen  in  Michelstadt,  S.  Salvator  in  Aachen,  Sta.  Ur- 
sula in  Köln;  eigentümlich  die  vollständige  Ueberbauung  der  Kreuz- 
flügel durch  Emporen  in  S.  Lorenzo  zu  Verona  (Hübsch,  Taf.). 

Entwickelte  Querschiffe  sind  in  Toskana  vorzüglich  der  Schule 
von  Lucca  eigen  (Taf.  67):  S.  Martino  a.  1070,  Sta.  Maria  fuorisportam, 
S.  Michele,  die  beiden  letzten  undatiert,  nach  ihrem  Stil  saec.  12, 
S.  Giovanni  mit  Inschrift  von  a.  1 187  (Ridolfi  p.  39);  nur  ein  so 
völliges  Missverstehen  der  geschichtlichen  Entwicklung,  wie  es  Mothes 
eigen  ist,  kann  in  diesen  Kirchen  die  Gründungsbauten  des  saec.  8 
wiedererkennen.  Aehnlich  den  Luccheser  Grundrissen  S.  Paolo  in  ripa 
zu  Pisa,  Umbau  aus  A.  saec.  13.  Isoliert  in  seiner  Region  der  Dom 
von  Fiesole;  dass  hier  das  Querschiff  mit  seinem  kuppelartigen  Ge- 
wölbe im  Mittelraum  und  Tonnengewölben  über  den  Kreuzarmen  der 
Bauzeit  von  a.  1028  angehöre,  scheint  recht  fraglich. 

Apsis.  In  Oberitalien  läuft  nicht  bloss  das  Mittelschiff,  sondern 
auch  jedes  Seitenschiff  in  eine  Apsis  aus,  wohl  unter  byzantinischem 
Einfluss,  wie  das  frühe  Beispiel  von  Parenzo  zeigt  (Taf.  16).  Die 
Nebenapsiden  oft  nur  Nischen  in  der  aussen  gerade  geführten  Mauer: 
Parenzo,  S.  Marco  in  Venedig,  S.  Abbondio  bei  Como  (Taf.  66). 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

Toskana,  auch  hierin  dem  altchristlichen  System  näher,  bleibt  bei  der 
einen  Apsis.  —  Als  Besonderheiten  bemerken  wir  noch  die  einigemal 
vorkommende  Anordnung  eines  engen  inneren  Säulenumganges:  Sta. Sofia 
in  Padua,  Sto.  Stefano  in  Verona,  S.  Giovanni  in  Arbe  in  Dalmatien 
(Taf.  68). 


3.   Die  zentralisierende  Basilika. 

Den  Preis  unter  den  romanischen  Bauschulen  Italiens  hat  sich 
unbestritten  die  toskanische  verdient.  Von  der  im  12.  und  ^.Jahr- 
hundert in  ihr  lebenden  Schaffenslust  gibt  die  erstaunliche  Menge 
romanischer  Kirchen,  die  noch  heute  in  den  damals  aufblühenden 
Städten  des  unteren  Arnobeckens  sich  zusammendrängt,  ein  impo- 
nierendes Zeugnis.  Sie  befand  sich  nicht  im  Widerspruch  mit  der 
Ueberlieferung ;  sie  bemühte  sich  nicht  um  neue  Erfindungen;  ihr 
klarer  und  massiger  Sinn  fand  die  alte  Form  der  Basilika  ausreichend, 
in  ihr  ein  neues  Leben  zu  bethätigen.  Der  Inhalt  desselben,  den 
am  kürzesten  das  Wort  »Vorschule  der  Renaissance c  bezeichnet,  wird 
uns  an  späterer  Stelle  ausführlich  beschäftigen.  Einmal  jedoch  trat 
sie  aus  dieser  Beschränkung  heraus  und  versuchte  eine  neue  Bauform 
höherer  Ordnung  zu  finden.  Das  war  in  der  Kathedrale  von  Pisa. 
Wenn  die  Toskaner  mit  stolzer  Liebe  auf  dieses  Denkmal,  als  den 
ehrwürdigen  Anfang  der  »gutenc  Baukunst,  seit  langem  zu  blicken 
gewöhnt  sind,  so  denken  sie  vornehmlich  an  die  neuerrungene  Formen- 
sprache, wodurch  die  Kathedrale  von  Pisa  weit  über  Toskana  hinaus 
reformatorisch  gewirkt  hat.  Von  ihrem  Plane  und  Aufbau  aber  findet 
man  im  eigenen  Lande  weder  Vorstufe  noch  Nachbildung:  sie  ist 
keine  Basilika  in  dem  hergebrachten  und  sonst  überall  beibehaltenen 
Sinne.  Das  im  ursprünglichen  Plane  mit  dem  Langhaus  gleichartig 
behandelte  und  auch  nach  den  später  beliebten  Veränderungen  noch 
immer  mächtige  Querhaus,  die  Apsiden  an  beiden  Enden  desselben, 
der  weit  vorspringende  Ostbau,  die  Kuppel  über  der  Vierung  —  das 
sind  Gedanken  des  Zentralbaues. 

Kathedrale  von  Pisa.  An  der  Fassade  ist  eine  lange  Reihe 
von  Inschrifttafeln  eingelassen,  wovon  aber  nur  ein  Teil  auf  die  Bau- 
geschichte sich  bezieht,  während  andere  von  anderen  denkwürdigen, 
meist  kriegerischen  Ereignissen  der  Stadtgeschichte  Bericht  geben.  Die 
oberflächlichen  oder  grillenhaft  willkürlichen  Deutungen  älterer  Ge- 
lehrten, welche  aus  ihnen  das  Jahr  1006  (1005)  oder  1016  als  Beginn 
des  Baus  entnehmen  wollten,  sind  u.  a.  von  Cicognara  (Storia  della  scul- 


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Drittes  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Rasilika  in  Italien. 


231 


tura  II.  1823  p.  80 — 8g)  mit  aller  Gründlichkeit  widerlegt.  In  der 
That  beurkunden  die  Inschriften  —  in  erster  Linie  die  grosse  25versige 
mit  »Anno  quo  XPS«  beginnende,  dann  noch  eine  andere,  die  Sedenz- 
zeit des  Bischofs  Wido  (1061— 1072)  angebende  —  so  unzweideutig 
und  widerspruchsfrei,  wie  nur  irgend  denkbar,  das  Jahr  1063  als  An- 
fang und  den  damals  erfochtenen  rühm-  und  beutereichen  Sieg  über 
die  Sarazenen  bei  Palermo  als  den  Anlass  des  grossen  Bauunternehmens. 
Alle  späteren  sind  denn  auch  unbedenklich  Cicognara  gefolgt,  bis 
neuestens  O.  Mothes,  und  durch  ihn  verführt  Lübke,  wieder  das 
Jahr  1005  hervorgeholt  haben,  wogegen  sie  für  das  Jahr  1063  nur  eine 
Verlängerung  nach  Westen  und  die  Erbauung  der  Fassade  zugestehen 
wollten.  Wir  halten  nicht  für  nötig,  ein  Wort  weiter  darüber  zu  ver- 
lieren. Die  besonderen  Quellen  wie  der  allgemeine  Gang  der  Stil- 
entwickelang  verbieten  schlechthin,  an  ein  früheres  Anfangsdatum  als 
1063  zu  denken.  Weiter  notieren  wir,  dass  1095  der  Bau  ins  Stocken 
geraten  war,  und  dass  1103  eine  erste,  11 18  eine  zweite  Weihung  er- 
folgte; die  letzte  Vollendung  mag  sich  noch  länger  hingezogen  haben. 


Man  hat  bemerkt,  dass  in  der  Komposition  der  Kathedrale  von 
Pisa  »in  seltsamer  Weise  Klarheit  und  Gefühl  des  reinsten  Adels  mit 
Unbekümmertheit  in  betreff  durchgebildeter  Harmonie,  selbst  mit  ab- 
sichtlich entgegenwirkender  Laune  sich  mischt«:  (Kugler).  In  der  That 
liegen  Inkongruenzen  vor,  die  aber  vollständig  begreiflich  werden, 
wenn  man  annimmt,  dass  während  der  mehr  als  50jährigen  Bauführung 
Veränderungen,  insbesondere  Erweiterungen  des  Planes  stattgefunden 


Pisa. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


haben.  Unsere  Vermutungen  über  die  mögliche  erste  Gestalt  desselben 
haben  wir  im  vorstehenden  Grundriss  zusammengefasst.  Die  nachher 
beliebten  Abweichungen  sind  als  aus  dem  Konflikt  zwischen  Zentral- 
bau und  Basilika  hervorgegangen  zu  erklären  —  einem  ähnlichen 
Kampfe,  wie  er  ein  halbes  Jahrtausend  später  in  der  Baugeschichte  der 
römischen  Peterskirche  sich  wiederholt  hat.  —  Rohault  de  Fleury  beob- 
achtete zuerst,  dass  in  der  Linie  des  fünften  (äusseren)  Pilasters,  von 
der  Fassade  her  gerechnet,  ein  deutlicher  Absatz  in  der  Bauführung 
(u.  a.  von  N.  nach  S.  durchlaufende  starke  Grundmauer)  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  daraufhinweist,  dass  das  Gebäude  westwärts  ursprüng- 
lich nur  so  weit  reichen  sollte.  Unbemerkt  ist  der  bedeutsame  Um- 
stand geblieben,  dass  somit  im  ersten  Plan  die  Länge  des  Gebäudes 
von  O.  nach  VV.  genau  dieselbe  war,  wie  von  N.  nach  S.  Ein 
eigentümlicher  Kompromiss  zwischen  griechischem  und  lateinischem 
Kreuz!  Im  Hinblick  auf  die  in  der  Längenrichtung  so  stark  betonte 
Gleichwertigkeit  der  beiden  Kreuzarme  können  wir  von  dem  Gedanken 
nicht  loskommen,  dass  auch  der  Breitenunterschied  ursprünglich  nicht  so 
stark  betont  war,  wie  er  schliesslich  es  geworden  ist;  m.  a.  W. :  wir 
halten  für  einigerraassen  wahrscheinlich,  dass  auch  das  Langhaus  nur 
dreischiffig  projektiert  war,  gegen  das  Querhaus  bloss  in  der  grösseren 
Breite  des  Mittelschiffs  mit  einem  leisen  Uebergewicht.  Diese  Hypothese 
empfiehlt  sich,  ausser  durch  ihre  innere  Logik,  auch  dadurch,  dass  erst 
durch  sie  mehrere  auffallende  Unregelmässigkeiten  verständlich  werden. 
Zuerst,  dass  gegen  Natur  und  Gewohnheiten  die  äusseren  Seitenschiffe 
(vgl.  Taf.  70)  breiter  sind  als  die  an  das  Mittelschiff  zunächstgrenzenden. 
Zweitens,  dass  das  Langhaus,  in  der  Aussenansicht  unangenehm  auf- 
fällig, höher  ist  als  das  Querhaus;  nicht  aus  Bizarrerie,  meinen  wir, 
sondern  weil  die  angenommene  Verdoppelung  der  Seitenschiffe  den 
Ansatz  der  Pultdächer  über  den  Emporen  beträchtlich  erhöhte,  wodurch 
wiederum  eine  Erhöhung  des  Lichtgadens  nötig  wurde;  ja,  man  hätte 
noch  weiter  in  die  Höhe  sich  ausdehnen  müssen,  wäre  nicht  vorsorglich 
das  Niveau  der  Emporen  im  Schiff  schon  niedriger  angenommen  worden 
wie  im  Ostbau  (vgl.  den  Längenschnitt  Taf.  69).  Hiermit  stimmt  die 
auf  stilistischen  Beobachtungen  fussende  Meinung  von  Burckhardt,  dass 
die  Galerie  im  Innern  zu  den  späteren  Baugedanken  gehöre.  Als 
weitere  Folge  vermuten  wir  die  an  sich  unschöne,  aber  für  die  unge- 
hemmte Raumwirkung  nötige  Ueberhöhung  und  Zuspitzung  des  Triumph- 
bogens. Endlich  muss  auch  die  Vierungskuppel  ein  späterer  Bau- 
gedanke sein.  Nur  so  wird  der  seltsame  ovale  Grundriss,  nur  so  die 
noch  seltsamere  Ueberbrückung  und  Absperrung  der  Kreuzarme  durch 
die  durchlaufenden  Emporen  verständlich.  Dass  für  tragfähige  Kuppel- 
pfeiler im  ersten  Grundriss  nicht  gesorgt  war,  liegt  auf  der  Hand;  sie 


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Drittes  Kapitel.  Die  llachgedeckte  Basilika  in  Italien.  233 

nachträglich  einzuschieben  hätte  den  aufs  schönste  vorbereiteten  per- 
spektivischen Effekt  im  Zusammentreffen  der  Lang-  und  Querschiffe 
man  übersehe  nicht  den  grossen  Fortschritt  in  diesem  Punkte  gegen 
S.  Paul  in  Rom)  zerstört  (wir  erinnern  uns  hierbei  an  S.  Sernin  in 
Toulouse,  wo  es  zum  Unglück  geschehen  ist).  So  hielt  man,  gewiss 
mit  Recht,  den  gewählten  Ausweg  für  das  kleinere  Uebel.  Und  ohne 
Zweifel  haben  sich  die  Erbauer  an  dem  neu  gewonnenen  perspektivischen 
Reiz  der  >geheimnisvoll-prächtigen<  Durchblicke  von  den  Enden  des 
Querschiffes  nicht  weniger  gefreut,  als  wir  es  heute  thun. 

Die  höchst  geniale  Neuschöpfung,  als  die  uns  die  Kathedrale  von 
Pisa  als  Ganzes  genommen  entgegentritt ,  dispensiert  nicht  von  der 
Frage,  aus  welcher  Quelle  die  in  ihr  verarbeiteten  Anregungen  ge- 
flossen seien.  Wir  sagten  oben :  aus  dem  Zentralbau,  und  können  jetzt 
bestimmter  sagen:  aus  dem  griechischen  Kreuz.  Dennoch  vermögen 
wir  nur  einen  mittelbaren  byzantinischen  Einfluss  anzuerkennen.  Mothes 
und  andere  haben  auf  die  Demetriuskirche  in  Thessalonika  hingewiesen : 
eine  durchaus  ungültige  Analogie,  da  dort  die  Kreuzflügel  nichts  wie 
angebaute  Sakristeien  sind,  die  nur  im  Erdgeschoss  durch  eine  Bogen- 
stellung  mit  dem  Schiff  kommunizieren.  Mit  mehr  Recht  könnte  an 
die  den  Pisanern  als  Vermittlern  des  Pilgerverkehrs  wohlbekannte 
Nativitätskirche  in  Bethlehem  (Taf.  17)  —  vielleicht  auch  an  die  gross- 
artige Anlage  zu  Kelat  Seman  —  gedacht  werden.  Sehr  wichtig  erscheint 
uns  aber,  dass  in  Italien  selbst,  an  der  Ostküste  und  im  ganzen  Süden, 
mit  dem  Pisa  in  lebhaftem  Verkehr  stand  und  wo  Reste  der  griechischen 
Herrschaft  bis  tief  ins  elfte  Jahrhundert  sich  erhielten,  Verquickungen 
zwischen  basilikalen  und  zentralen  Formen 
gäng  und  gäbe  waren.  Wir  heben  hier  zu- 
nächst eine  Gruppe  heraus,  welche  den  in 
Pisa  durchgeführten  Gedanken  noch  in 
weniger  entwickelter  Form  zeigt.  Den  Aus- 
gangspunkt bildet  der  Typus  mit  quadrati- 
schem Zentralraum,  kurzen  Kreuzarmen,  und 
ausfüllenden  kleinen  Eckquadraten  (Taf.  1 3).  Gaeta 
Durch  gleichmässige  Verlängerung  des  öst- 
lichen und  des  westlichen  Armes  entstand  eine  Kompromissform  zwischen 
Longitudinal-  und  Zentralbau,  von  der  in  den  kleinen  Kirchen  S.  Giuseppe 
in  Gaeta,  S.  Costanzo  auf  Capri,  SS.  Niccolo  e  Cataldo  in  Lecce 
Beispiele  erhalten  sind  (Grundriss  der  ersteren  S.  46,  Längenschnitt 
beistehend).  Eine  weitere  Amplifikation  zeigt  S.  Cyriaco  in  Ancona. 
Leider  kennen  wir  das  merkwürdige  Denkmal  nicht  aus  eigener 
Anschauung,  sondern  nur  aus  der  umstehend  (Fig.  a  u.  b)  reprodu- 
zierten, wahrscheinlich  recht  ungenauen  Skizze  von  d'Agincourt.  Das 

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Zweites  Buch.  Der  romanische  Stil. 


zentralistische  Element  ist  im  Grundriss  verstärkt,  aber  der  Aufbau  ist 
als  abendländische  Basilika  behandelt.  Leider  ist  nicht  ermittelt,  aus 
welcher  Zeit  die  erste  Anlage  stammt  (Baunachrichten  aus  saec.  ior); 
sollte  sie  wirklich  eine  Nachahmung  der  Kathedrale  von  Pisa  sein  — 


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was  gewöhnlich  behauptet  wird,  aber  keineswegs  ausgemacht  ist  —  so 
würde  sie  auf  dem  von  uns  angenommenen  ersten  Plan,  mit  dem  sie 
unter  allen  Umständen  nahe  verwandt  ist,  beruhen.  —  Diese  oder 
ähnliche  Bauten  muss  der  Meister  von  Pisa  gekannt  haben.  Sicher  war 
das  Problem  schon  vor  ihm  gestellt  und  wartete  nur  der  Gestaltung 
durch  ein  echtes  Genie. 

Eine  so  organische  Erweiterung  des  alten  Basilikenbaues,  wie 
in  der  Kathredrale  von  Pisa,  ist  im  Süden  Italiens  und  auf  der 
sizilischen  Insel  nicht  gelungen.  Gegenüber  den  von  Byzantinern, 
Arabern,  Normannen  herzugetragenen  fremden  Elementen  war  die 
einheimische  Kunst  nicht  stark  genug,  weder  sie  sich  zu  assimilieren, 
noch  auch  sie  auszustossen.  Die  Mischung  erzeugte  mehr  ein  Vielerlei 
als  wahren  Reichtum  und  stand  der  Gewinnung  fester  Zielpunkte,  wie 
sie  die  Toskaner  besassen,  im  Wege.  Das  blieb  die  Schwäche  dieser 
süditalischcn  Kunst,  die,  so  glanzvoll  und  mit  so  grossen  materiellen 
Mitteln  sie  auftrat,  doch  keine  von  den  treibenden  Kräften  der  grossen 
geschichtlichen  Strömung  gewesen  ist  und  deshalb  auf  unserm  Stand- 
punkte nur  sekundäres  Interesse  erregt. 

Sizilien.  Die  östliche  Gruppe  lässt  mehrmals,  z.  B.  an  den 
Kathedralen  von  'Proina,  Cefalu,  und  Messina,  in  der  Disposition 
des  QuersrhifTes  und  der  Nebenchöre  normannische  Nachklänge  er- 
kennen. Die  an  Denkmälern  reichere  westliche  mit  dem  Mittelpunkt 
Palermo  dagegen  knüpft  an  die  als  landesüblich  vorgefundene  griechische 
Zentralanlage  an.  Dieselbe  wird  jedoch  mit  der  lateinischen  Basilika 
nicht  sowohl  verschmolzen,  als  vielmehr  nur  rein  äusserlich  verkoppelt. 


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Drittes  Kapitel :  Die  flachgedeckte  Basilika  iu  Italien. 


235 


So  mit  geringen  Abweichungen  die  Palermitaner  Kirchen  S.  Giovanni 
de'  Leprosi,  Sto.  Spirito,  La  Maggione,  und  die  Capella  Palatina;  selbst 
die  berühmten  Kathedralen  von  Monreals  und  Palermo  erheben  sich 
nicht  über  diese  gedankenarme  Kompositionsweise.  Vielleicht  geschah 
es  im  Gefühle  dieses  Mangels  an  Homogenität,  dass  in  Monreale  die 
ursprünglich  sicher  beabsichtigte  Einwölbung  der  Osthälfte  unterblieb. 
In  der  Capella  Palatina  dagegen  sieht  man  nebeneinander:  Kuppel 
und  gespitzte  Tonnengewölbe  im  Querbau ,  Stalaktiten-Scheingewölbe 
im  Hauptschiff,  offene  Pultdächer  in  den  Seitenschiffen.  Rein  französisch 
ist  endlich  die  Anordnung  von  zwei  Westtünnen  mit  Vorhalle  an  den 
grossen  Domen  (Palermo,  Monreale,  Cefalu). 

UNTERITALIEN.  Hier  sind  die  eigentlich  byzantinischen  Anlagen 
wenig  zahlreich  vertreten,  während  in  allen  Landesteilen  reine  Basiliken 
in  Menge  vorkommen.  Die  bedeutendste  die  Kathedrale  von  Salerno, 
erbaut  von  Robert  Guiscard  seit  a.  1077;  im  Umbau  des  saec.  18 
^Pfeiler  und  Tonnengewölbe)  lässt  sich  die  ursprüngliche  Anlage  mit 
Sicherheit  erkennen,  es  sind  nämlich  je  zwei  Säulen,  ohne  ihren  Platz 
zu  ändern ,  in  die  Pfeilerecken  eingemauert  und  die  jedesmal  dritte 


Säule  ausgeschaltet  (vgl.  die  beistehende  Figur).  Das  QuerschifT  nach 
römischem  Muster ;  wegen  der  flachen  Kapellen  an  den  seitlichen  Lang- 
wänden (im  Grundriss  weggelassen)  wollen  wir  die  Möglichkeit  nicht 
durchaus  bestreiten,  dass  sie  noch  aus  der  alten  Anlage  sein  könnten 
(vgl.  unten  Bitonto) ;  interessant  das  noch  gut  erhaltene  Atrium  mit  Säulen 
aus  Pästum.  Weitere  Beispiele:  S.  Giovanni  in  Ravello,  Querschiff 
nicht  vorspringend;  S.  Angelo  in  Formis,  ohne  QuerschifT;  S.  Gre- 
gorio  in  Bari,  ohne  QuerschifT;  Kathedrale  von  Otranto,  Querschiff 
nicht  vorspringend;  ferner  in  den  Abruzzen  zwei  Kirchen  in  Moscufo, 
zwei  in  Alba  Fucese,  eine  in  Pianella  u.  s.  w.,  sämtlich  ohne 
QuerschifT. 

Zwischen  dem  byzantinischen  und  dem  lateinischen  Plan  werden 
nun  verschiedene  Kompromisse  eingegangen:  1)  in  dem  oben  an  den 
Beispielen  aus  Gaeta,  Capri,  Lecce  besprochenen  Modus  ;  2)  Anordnung 
von  fünf  Kuppeln  nach  der  Figur  des  lateinischen  Kreuzes,  mit  ge- 
wölbten Seitenschiffen  (vgl.  unten  Kap.  7);  3)  auf  Grundlage  des  Ba- 
silikenplanes byzantinisierende  Modifikation  der  Ostpartie,  insbesondere 
Aufnahme  einer  Vierungskuppel  in  Begleitung  von  meist  kurzen  Kreuz- 


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236 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


armen.  Die  letztere  Form  gewann  das  meiste  Ansehen.  —  Zunächst 
eine  stattliche  Kirchengruppe  in  der  Terra  di  Bari.  Zwei  regelmässig 
wiederkehrende  Eigentümlichkeiten  sind  kapellenartige  Nischen  entlang 
der  Seitenschiffe  und  Verdeckung  der  Apsiden  durch  eine  gerade,  bis 
zur  vollen  Höhe  des  Querhauses  aufsteigende  Abschlussmauer ;  der  für 
Sizilien  typische  Oblongraum  zwischen  Vierung  und  Hauptapsis  fehlt. 

Tonangebend  wurden  die  beiden  Kirchen  in 


Bari:  die  Kathedrale  (das  Innere  vielleicht 
noch  aus  der  Bauperiode  1034 — 1061)  und 
S.  Niccolo  (1085 — 1105);  fast  genaue  Nach- 
ahmungen davon  die  Kathedralen  von  Ruvo 
und  Bitonto  (s.  den  beistehenden  Grundriss). 
Nicht  überall  übrigens  ist  die  Kuppel  zur 
Ausführung  gekommen;  in  der  Kathedrale 
von  Trani  war  sie  wohl  nie  beabsichtigt. 
Ausser  der  Linie  steht  die  Kathedrale  von 
Troja  (Taf.  68)  mit  ihren  stark  vorspringen- 
den Kreuzarmen,  wohl  spätere  Anbauten.  Ein 
anderes,  oberitalienischen  Gewohnheiten  näher 
kommendes  System  an  der  Westküste:  da* 
Querschiff  aus  drei  Quadraten  zusammenge- 
setzt, das  mittlere  mit  einer  Kuppel,  die 
flankierenden  mit  je  einem  Kreuzgewölbe  ge- 


deckt; Caserta  vecchia  (Taf.  67),  Sta. 
Maria  del  Gradillo  zu  Ravello.  —  Um  das  Vielerlei  zu  vollenden, 
tauchen  saec.  13,  und  zwar  wohl  noch  vor  der  Zeit  der  Anjous,  in 
Acerenz a  (Taf.  68)  und  Venosa  zwei  nach  französischen,  jedoch 
nicht  gotischen,  sondern  noch  romanischen,  Vorbildern  disponierte 
Chöre  (Umgang  und  radiante  Apsidiolen)  auf,  bei  übrigens  noch  flach 
gedecktem  Quer-  und  Hauptschiff. 


4.  Der  Aufbau. 

Sieht  man  ab  von  dem  Schwibbogensystem  Oberitaliens  und 
dem  unorganischen  Nebeneinander  gewölbter  und  flachgedeckter 
Bauteile  in  Süditalien,  so  bleibt  die  Norm  für  die  Konstruktion  der 
Decke  und  ihrer  Stützen  durchweg  das  frühchristliche  System,  d.  i. 
die  einfach  auf  der  glatten  Mauer  aufsitzende  Balkendecke.  Sie  ist  jetzt 
auch  nur  noch  selten  vertäfelt,  sondern  zeigt  das  offene  Sparrenwerk. 

Einwölbung  der  Seitenschiffe,  wie  solche  in  Deutschland  und 
Frankreich  früh  beliebt  wurde,  bleibt  Ausnahme. 


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Drittes  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Italien. 


237 


Von  den  süditalischen  Vierungskuppeln  ist  zu  bemerken,  dass 
sie,  obgleich  byzantinisch  komponiert,  doch  in  der  Regel  nicht 
ebenso  konstruiert  sind,  d.  h.  nicht  auf  sphärischen  Zwickeln,  sondern 
auf  Trompen  ruhend. 

Lediglich  dekorative  Bedeutung  haben  die  von  den  Normannen 
auf  Sizilien  den  Arabern  abgesehenen  Stalaktitengewölbe. 

Was  die  Form  der  Stützen  betrifft,  so  ist  für  das  italienische 
Gefühl  bezeichnend,  dass  man  nur  die  Säule  für  anständig  hielt;  wo- 
gegen der  Pfeiler  immer  ein  Zeichen  von  Roheit  ist  (nur  in  einigen 
Gegenden  Unteritaliens,  namentlich  den  Abruzzen  wird  er  häufiger 
zugelassen).  Antike  Säulen  waren  natürlich  noch  immer  sehr  begehrt, 
wenn  auch  für  Neubauten  selten  mehr  zu  haben  (glänzende  Ausnahme 
die  Kathedrale  von  Pisa,  wo  sie  unter  grossen  Anstrengungen  übers 
Meer  herbeigebracht).  Andererseits  Hess  man  so  naive  Zusammen- 
Stoppelungen  verschiedenster  Formen  und  Grössen,  wie  z.  B.  in  S.  Pictro 
in  Toskanella  im  1 1.  Jahrhundert,  im  12.  Jahrhundert,  ausser  in  Rom, 
sich  schon  nicht  mehr  bieten.  So  lernte  man,  seit  Jahrhunderten 
eine  entwöhnte  Sache ,  wieder  neue  Säulen  arbeiten.  Neue  Formen 
kamen  dabei,  ausser  in  Oberitalien,  nicht  zum  Vorschein. 

Die  der  Antike  nachgebildeten  schlanken  Proportionen  der  Säulen 
werden  mit  ein  Grund  gewesen  sein ,  dass  die  Seitenschiffe  so  selten 
gewölbt  wurden  (die  heutigen  meist  aus  dem  späteren  Mittelalter  oder 
der  Renaissance).  Wo  das  dennoch  geschah,  sicherte  man  sich  zuweilen 
durch  Verdoppelung  der  Säulen:  S.  Niccolo  in  Bari,  Kathedrale  von 
Trani;  in  der  Kathedrale  von  Palermo  trägt  eine  Gruppe  von  vier 
arabisch  schlanken  Säulen  eine  gemeinschaftliche  Deckplatte.  (Vom 
sizilianischen  Spitzbogen  werden  wir  in  einem  späteren  Kapitel 
handeln.) 

Wesentlich  als  eine  für  die  Liturgie  in  Betracht  kommende  Cäsur 
ist  es  anzusehen,  wenn  die  Reihe  der  Säulen  einmal,  meist  genau  in 
der  Mitte,  von  einem  Pfeiler  unterbrochen  wird:  Bitonto,  Bari  (in 
mehreren  Kirchen),  S.  demente  in  Rom,  S.  Alessandro  und  Sta.  Maria 
fuoreivitas  (Taf.  67)  in  Lucca  u.  a.  m. 

Das  wichtigste  ist  der  Umschwung  im  Raumgefühl.  Im  ganzen 
gilt,  dass  die  Höhenentwicklung  im  Vergleich  zu  den  Gewohnheiten 
des  ersten  Jahrtausends,  verstärkt  wird;  im  einzelnen  finden  starke 
Schwankungen  statt.  Ferner  werden  die  Zwischenbreiten  der  Säulen 
erheblich  grösser,  die  sie  verbindenden  Bögen  höher,  und  folglich, 
was  trennend  zwischen  Haupt-  und  Nebenschiffen  liegt,  verringert. 


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I 


238  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

Die  freieste  und  edelste  Raumbehandlung  in  dem  angegebenen 
Sinne  in  der  Florentiner  Schule;  leider  sind  nur  zwei  Innenräume, 
.in  den  Kirchen  SS.  Apostoli  (Tat  72)  und  S.  Miniato  (Taf.  69),  erhatten  ; 
Mothes  sucht  die  Zeitangaben  Vasaris  —  für  jene  Karl  d.  Gr.,  für  diese 
Heinrich  II.  —  zu  retten,  während  sonst  allgemein  saec.  12  ange- 
nommen wird;  in  betreff  von  S.  Miniato  lehrt  allerdings  eine  Urkunde 
von  a.  1013,  dass  der  Neubau  damals  schon  begonnen  war  (vgl.  Reumont, 
Lorenzo  de  Medici  I,  38),  womit  aber  für  die  jetzige  Gestalt  des  Hoch- 
baues noch  nichts  entschieden  ist;  SS.  Apostoli  ist  vor  1100  nicht 
denkbar.  Verwandt  durch  die  Weite  der  Arkaden  der  Dom  von  Prato. 
Die  Schule  von  Lucca  (Taf.  71,  72)  betont  dagegen  die  Höhenentwick- 
lung des  Mittelschiffs  und  geht  darin  schon  an  die  äusserste  ohne 
Schädigung  der  Harmonie  statthafte  Grenze.  Arg  überschritten  wird  die- 
selbe inS.  Bartolommeo  und  S.Andrea  (Taf. 71)  zu  Pistoja,  E.  saec.  12, 
besonders  auffallend  gegen  die  Weiträumigkeit  der  alten  Kathedrale 
daselbst.  Sehr  hoch  auch  die  Kirchen  von  Viterbo,  S.  Giovanni, 
Sta.  Maria  Nuova  und  die  stattliche  Kathedrale,  um  a.  1100  (Taf.  71). 

In  Unteritalien  zuweilen  noch  ganz  antik  dichte  Säulenstellung;  so 
in  der  Kathedrale  von  Salerno  (Taf.  67),  so  selbst  noch  in  der  von 
Monreale,  E.  saec.  12  (Taf.  73). 

Einseitige  Steigerung  der  Höhenproportion,  wie  die  obigen  Bei- 
spiele lehren,  bestrafte  sich.  Die  Säule,  zumal  wenn  für  sie  die  antike 
Bildung  festgehalten  wird,  bleibt  eben  der  Massstab  aller  übrigen 
Verhältnisse,  und  zwar  ein  empfindlicher  und  wenig  elastischer  Mass- 
stab. Die  Säulen  entsprechend  mit  zu  steigern  wäre,  ungerechnet  die 
vermehrten  Kosten  und  technischen  Schwierigkeiten,  von  zweifelhaftem 
Schönheitswert  gewesen.  Hier  gab  es  nur  eine  befriedigende  Aus- 
gleichung: durch  Anlage  eines  Galeriegeschosses  über  den  Arkaden. 

Der  Meister  der  Kathedrale  von  Pisa,  dem  nach  den  Wünschen 
der  Zeit  die  Schaffung  eines  schlanken  Hochbaus  oblag,  bewies  auch 
hierin  seinen  hohen  Kunstverstand.  Als  Mittelglied  zwischen  der 
unteren  Kolonnade  und  der  Lichtgadenmauer  öffnet  sich  die  Galerie 
in  einem  Wechsel  von  Säulen  und  Pfeilern,  die  letzteren  >gleichsam 
Repräsentanten  der  Mauert,  luftig,  doch  ohne  dem  Eindruck  der  Festig- 
keit Eintrag  zu  thun.  Die  Ausdehnung  des  Motivs  auf  das  Querschiff 
erscheint  wie  selbstverständlich  und  ist  doch  ein  (für  Italien  wenigstens) 
ganz  neuer  Gedanke.  —  Das  System  von  Pisa  hat  in  Toskana  und 
überhaupt  in  Mittelitalien  keine  Wiederholung  gefunden.  Ob  als  solche 
die  im  13.  saec.  mit  Benützung  der  alten  umgebaute  Kathedrale  von 
Genua  (Taf.  70)  zu  gelten  habe,  lassen  wir  dahingestellt.  Dagegen 
bilden  die  Emporen  einen  regelmässigen  Bestandteil  in  den  Kirchen 


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Drittes  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Italien. 


239 


der  apulischen  Küstenstädte,  Bari,  Trani,  Barle tta  11.  s.  w.  Zweifel- 
los sind  sie  hier  durch  die  Griechen  eingebürgert  und  sehr  wahrschein- 
lich von  hier  nach  Pisa  weitergegeben.  Jede  Emporentravce  pflegt 
durch  zwei  Säulen  in  drei  Abschnitte  geteilt  zu  sein,  was  eine  etwas 
kleinliche  Wirkung  ergiebt.  So  ist  es  auch  an  dem  ältesten  Teil  (dem 
Chor)  der  Kathedrale  von  Pisa  wiederholt,  wogegen  das  Vorderschiff 
dort  die  glückliche  Aenderung  aufweist,  dass  bloss  eine  Teilungssäule 
angenommen  ist. 

Ein  weiteres  Hauptunterscheidungsmerkmal  der  romanischen 
Basiliken  ist,  neben  der  veränderten  Raumbehandlung  die  veränderte 
Beleuchtung.  Die  Zahl  der  Fenster  wird  erheblich  verringert,  ihre 
Gestalt  verschmälert;  damit  verschwindet  die  Lichtfülle  der  frühchrist- 
lichen Kirchen,  schlägt  oft  geradezu  in  Finsternis  um.  Offenbar  ist  in 
der  Technik  des  Fensterverschlusses  ein  Rückschritt  gegen  das  Altertum 
eingetreten,  namentlich  die  Mitwirkung  des  Glases  erheblich  reduziert. 
Ausserdem  liegt  aber  auch  eine  Veränderung  der  Stimmung  vor,  wie 
sie  im  Mittelalter  überall,  im  Süden  (Spanien,  Aquitanien,  Provence) 
noch  stärker  als  im  Norden,  wahrgenommen  wird,  vom  9.  bis  12.  Jahr- 
hundert zunehmend,  dann  seit  dem  13.  Jahrhundert  rasch  wieder 
zurückweichend. 

Im  älteren  toskanischen  Stil  Verengung  der  Oberfenster  zu  schiess- 
schartenartigen  Mauerschlitzen,  am  extremsten  nach  unserer  Erinnerung 
in  den  kleinen  Kirchen  von  Viterbo.  Herrlich  und  allem  überlegen 
die  Lichtstimmung  in  der  Kathedrale  von  Pisa:  nicht  hell,  eine  mässige 
nach  oben  lichter  werdende  Dämmerung. 

Die  Unterdrückung  fast  aller  architektonischen  Zierformen  im 
Innern  ist  von  der  frühchristlichen  auf  die  romanische  Basilika  über- 
gegangen, verschwunden  aber,  was  ihr  dort  zur  Entschuldigung  ge- 
dient hatte,  der  farbige  Mosaikenschmuck. 

Nur  in  Sizilien  erlebte  die  Kunst  des  Mosaiks  eine  glänzende  Renais- 
sance. Wesentlich  der  feierlichen  Pracht  ihrer  Dekoration  und  nicht 
ihren  sehr  anfechtbaren  architektonischen  Qualitäten  verdanken  die 
Interieurs  der  Capeila  Palatina  und  des  Doms  von  Monreale  die  von 
den  Besuchern  einstimmig  gepriesene  hinreissende  Wirkung.  Auf  dem 
Festlande  mosaizierte  man,  wenn  es  hoch  kam,  die  Halbkuppel  der 
Apsis,  die  grossen  kahlen  Mauerflächen  der  Schiffe  aber  mussten  sich 
mit  einfacher  Bemalung  begnügen  und  selbst  mit  dieser  wird  oft  ge- 
spart worden  sein.  Dafür  kommt  an  den  vornehmsten  Monumenten 
Toskanas  (S.  Miniato  bei  Florenz,  Kathedrale  von  Pisa)  eine  gleich- 
massig  durchgeführte  Bekleidung  mit  mehrfarbigem  Marmorgetäfel  in 


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240  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

Aufnahme:  einfache  geometrische  Muster  und  Streifen,  die  mit  ihren 
vorwaltenden  Horizontallinien  dem  Vertikalismus  der  Säulen  ein  er- 
wünschtes Gegengewicht  halten. 

Einen  ersten  Schritt  aus  dem  traditionellen  Basilikenbau  heraus 
bezeichnet  das  Schwibbogensystem.  Der  Zweck  ist  nicht  in 
erster  Linie  die  Unterstützung  der  Deckbalken,  vielmehr  die  festere 
gegenseitige  Verbindung  der  Hochmauern.  Nebenher  ist  dabei  viel- 
leicht auch  eine  Vorsichtsmassregel  gegen  Feuersgefahr  im  Spiele. 
Die  Quermauern  über  den  Schwibbogen  sind  nämlich  immer  als 
förmliche  Giebel  ausgebildet,  durch  welche  der  Dachraum  in  eine 
Folge  von  geschlossenen  Kompartimenten  zerlegt  wurde  und  die 
Flammen  leichter  isoliert  werden  konnten. 

Vereinzelt  in  ganz  Italien:  S.  Nicolo  in  Bari,  S.  Valentino  in 
Bitonto,  Sta.  Prassede  in  Rom,  S.  Cipriano  in  Spoleto,  in  edelster 
Ausbildung  in  S.  Miniato  bei  Florenz. 

Grössere  Verbreitung  fand  das  System  nur  in  Oberitalien,  und 
nur  hier  wurden  weitergehende  Folgerungen  für  die  Konstruktion 
daraus  gezogen;  vgl.  oben  S.  187  ff.  Durch  regelmässige  Durchfüh- 
rung des  Wechsels  von  Säulen  und  Pfeilern  kam  zugleich  eine  neue 
künstlerische  Auffassung  in  die  Komposition,  ein  zusammengesetzter 
Rhythmus,  der  dem  übrigen  Italien  fremd  ist  und  womit  die  lombar- 
dische Baukunst  mit  der  nordfranzösischen  und  deutschen  —  jedoch 
nicht  der  süddeutschen,  sondern  der  rheinischen  —  sich  auf  gleichem 
Wege  zeigt.  Ueber  die  karolingische  Wurzel  dieser  Erscheinung  siehe 
oben  Kapitel  I.  Abschnitt  7. 

Das  lombardische  Schwibbogensystem  tritt  zuerst  immer  in  Ver 
bindung  mit  Emporen  über  den  Abseiten  auf.  So  in  S.  Ambrogio  und 
S.  Celso  zu  Mailand  (Taf.  45),  im  mehrfach  mutierten,  jetzt  abge- 
tragenen, Dom  von  Novara  (Taf.  16,  74),  wahrscheinlich  auch  in  S.  Lo- 
renzo  in  Verona,  wo  das  jetzige  Tonnengewölbe  im  Mittelschiff  keines- 
falls ursprünglich.  Besonders  konsequent  in  der  Konstruktion  der  Dom 
von  Mode  na  (Taf.  66,  74);  die  Oeffnungen  über  den  grossen  Arkaden 
des  Mittelschiffs  erwecken  den  Anschein  von  Galerien,  haben  aber 
keine  solchen  hinter  sich,  sondern  nur  ein  doppeltes  System  von  Quer- 
bogenverbindungen ;  ungewöhnlich  stark  die  korrespondierenden  Quer- 
bögen des  Mittelschiffs,  die  noch  über  dem  Dach  als  Giebelwände 
emporragen;  die  im  12.  saec.  eingeschalteten  Gewölbe  (rechte  Hälfte 
der  Figur  auf  Taf.  74)  haben  das  geschilderte  Gurtbogensystem  unver- 
ändert als  Rahmen  benutzen  können ;  über  so  viel  konstruktiven  Sorgen 
ist  dann  allerdings  die  Schönheit  der  Verhältnisse  zu  kurz  gekommen. 


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Drittes  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Italien. 


24I 


Zuweilen  tritt  eine  Rückbildung  ein,  insofern  die  Emporen  ausgeschieden 
werden.  So  in  S.  Zeno  bei  Verona;  das  Innere  nicht  später  als 
A.  saec.  12  (vor  dem  a.  1123  beg.  Kreuzgang);  die  Schwibbogen  bei 
Anlage  der  hölzernen  gotischen  Gewölbe  zum  Teil  entfernt  (Taf.  74), 
in  unserer  Perspektive  (Taf.  77)  restauriert.  —  In  der  Behandlung  des 
Stützenwechsels  wie  auch  im  Aussenbau,  eine  Nachahmung  von  S.  Zeno, 
jedoch  auf  die  Emporen  zurückgreifend,  die  Kathedrale  von  Zara  in 
Dalmatien,  merkwürdig  spät  (a.  1247)  begonnen  (Taf.  68).  —  Einfacher 
Stützenwechsel  mehrfach  in  Verona  (S.  Giovanni  in  fönte,  S.  Giovanni 
in  valle,  S.  Pietro  in  castello)  jedoch  schwerlich  unter  deutschem  Ein- 
lluss,  wie  Schnaase  IV.,  434  vermutet,  sondern  Reduktion  aus  dem 
Schwibbogensystem. 

Ein  in  romanischer  Zeit  oft  sehr  in  die  Augen  fallender  Be- 
standteil der  Komposition  ist  die  Krypta.  Feste  Gewohnheiten  in 
betreff  ihrer,  wie  sie  im  Norden  bestanden,  haben  sich  jedoch  nicht 
ausgebildet;  den  Kirchen  mit  Krypta  stehen  ebensoviele  gegenüber, 
die  ihrer  entbehren.  Sie  verbirgt  sich  jetzt  nicht  mehr  in  der  Erde, 
sondern  bildet  den  geräumigen,  verhältnismässig  hohen,  gegen  das 
Schiff  in  Bogenstellungen  sich  eröffnenden  Unterbau  des  Chores 
(Beispiele  Taf.  74,  Fig.  5,  77,  Fig.  1,  2).  Uebergangsformen  aus  der 
altchristlichen  Confessio  sind  merkwürdigerweise  gerade  in  Italien  nicht 
vorhanden.  Toskana  macht  sich  am  frühesten  von  der  Krypta  los; 
die  Lombardei  ist  ihr  am  geneigtesten;  Unteritalien  besitzt,  in  der 
Kathedrale  von  Trani,  wo  sie  dem  ganzen  Flächenraum  der  Ober- 
kirche nachfolgt,  die  grösste  Krypta  der  Welt. 


Beschreibung  der  Tafeln. 

Tafel  66.  Gründr.sse. 

1.  Agliatt.  —  vor  a.  1000?  —  Dartein. 

2.  *  Verona:  S.  Giovanni  in  valle.  —  saec.  11?  —  Bezold 

3.  Conto:  S.  Abbondio.  —  gew.  a.  1095.  —  Dartein. 

4.  Modena:  Dom.  —  a.  1099  ff.  —  Osten. 

5.  * Florenz:  SS.  Apostoli.  —  saec.  12.  —  Bezold. 

6.  Verona:  S.  Zenone.  —  A.  saec.  12  —  C.-Com.  Mitteil. 
6  a.  Ebenda:  Krypta. 

7.  S.  Pietro  in  Grado  bei  Pisa.  —  saec.  9,  Westapsis  saec.  13.  — 
Rohault  de  Fleury. 


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242  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

8.  Vertemate.  —  a.  1086  ff.  —  Dartein. 

9.  *Toskanella:  S.  Pietro.  —  E.  saec.  11.  —  Dehio. 
10.    Conto:  S.  Jacopo.  —  saec.  12.  —  Dartein. 

Tafel  67. 

1.  Pisa:  S.  Paolo  in  ripa.  —  Umbau  A.  saec.  13.  —  Rohaul t. 

2.  *Lucca:  S.  Frediano.  —  a.  11 12— 1147,  Seitenschiffe  vermutlich 
jünger.  —  Bezold. 

3.  *Lueea:  S.  Muhde.  —  saec.  12.  —  Dehio. 

4.  *Lucca:  Sta.  Maria  fuorcivitas.  —  saec.  12.    -  Bezold. 

5.  Caserta  vecchia:  Kathedrale.  —  saec.  12.  —  Schulz. 

6.  Palermo:  Capeila  Pa'.atina.  —  saec.  12.  —  Gailhabaud. 

7.  Trani:  Kathedrale.  —  a.  1094  ff.  —  Schulz. 

8.  *Lucca:  S.  Giovanni.  —  saec.  12,  das  mit  dem  Querschiff  zusammen- 
hangende Baptisterium  bedeutend  älter,  die  Wölbung  gotisch.  — 
Bezold. 

9.  *Salerno:  Kathedrale.  —  a.  1077  ff.  —  Dehio. 
Tafel  68. 

1.  Pisa:  Kathedrale.  —  a.  1063  ff.,  mit  Erweiterung  um  a.  1100 
(vgl.  S.  231).  —  Rohault  de  Fleury. 

2.  S.  Pellino:  Kathedrale.  —  saec.  12?  -  Schulz. 

3.  Troja:  Kathedrale.  —  a.  1093  ff.  —  Schulz. 

4.  Aeerenza:  Kathedrale.  —  1.  H.  saec.  13.  —  Schulz. 

5.  Zara:  Kathedrale.  —  1247  ff.  —  C.-Com.  Jahrb.  1861. 

6.  Bannos:  S.  Juan.  —  saec.  12?  —  Monumentos  arquitectonicos 
de  Espana. 

7.  Arbe:  S.  Giovanni.  —  saec.  12.  —  C.-Com.  Jahrb.  1862. 

8.  S.  Miguel  de  Escalada.  —  saec.  12?  —  Mon.  Esp. 

9.  Monreale:  Kathedrale.  —  a.  1174—89.  —  Serrad i falco. 

Schnitte  und  Systeme. 
Tafel  69  Toskana  und  Mittelitalien. 

1.  Pisa:  Kathedrale.  —  a.  1063— 11 18.  —  Rohault. 

2.  Florenz:  S.  Miniato  al  monte.  —  saec.  12.  —  Gailhabaud. 

Tafel  70. 

1.  *Lucca:  S.  Frediano.  —  saec.  12.  —  Bezold. 

2.  Pisa:  Kathedrale.  —  Rohault. 

3.  Genua:  Kathedrale.  —  saec.  13.  —  Osten. 

Tafel  71. 

1.  *A<tr«/'.-  Kathedrale.  —  vor  a.  1000.  —  Dehio. 

2.  3.  *Viterbo:  Kathedrale.  —  c.  a.  11 00.  —  Dehio  (Skizze\ 


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Drittes  Kapitel :  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Italien. 


243 


4.  *Pistoja:  S.  Andrea.  —  saec.  12.  —  Dehio  (Skizze). 

5.  *Lucca;  Sta.  Maria  fuorävitas.  —  saec.  12.  —  Bezold. 

6.  7.  *Lucca:  S.  Michele.  —  saec.  12.  —  Bezold. 

Tafel  72. 

1.  *  Lutea:  S.  Frediano.  —  saec.  12.  —  Bezold. 

2,  3.  *Toskatuüa:  S.  Pietro.  —  E.  saec.  n,  Lichtgaden  ca.  1200.  — 

Dehio. 

4.  *  Toshanella:  Sta.  Maria.  —  saec.  12.  —  Dehio. 

5,  6.  * Florenz:  SS.  Aposioli.  —  saec.  12.  —  Bezold. 

_  _  ,  Süditalien. 
Tafel  73. 

1.  Monreale:  Kathedrale.  —  a.  1174—89.  —  Etudes  de  l'Ccole  des 
beaux-arts. 

2.  Caserta  vecchia.  —  saec  12.  —  Schulz. 

3.  Altamura.  —  a.  1220  ff.  —  Schulz. 

4.  Bari:  S.  Niccolo.  —  a.  1085— 1 105.  —  Schulz. 

5.  Trani:  Kathedrale.  —  a.  1094  ff.  —  Schulz. 

_.  .  ,  Lombardei. 
Tafel  74. 

1.  *  Verona:  S.  Giovanni  in  valle.  —  saec.  11?  —  Bezold. 

2.  Verona:  S.  Zenone  tnaggiore.  —  A  saec.  12.  —  C -Com.  Mitt. 

3.  4.  *Como:  S.  Abbondio.  —  saec.  11.  —  Dartein. 

5.  Modena:  Kathedrale.  —  saec  12.  —  Osten. 

6.  Novara:  Kathedrale.  —  saec.  11?  —  Osten. 

Tafel  75  Dalmatien  und  Spanien. 

x.  Arbe:  S.  Giovanni.  —  saec  12.  —  C.-Com.  Jahrb. 

2.  S.  Juan  de  Hannos.  —  saec.  12?  —  Mon.  Esp. 

3.  Trau:  Kathedrale.  —  nach  a.  1 185.  —  C.-Com.  Jahrb. 

4.  5.  S.  Miguel  de  Escalada.  —  saec  12.  —  Mon.  Esp. 

6.  Segovia:  S.  Millan.  —  saec.  12,  vielleicht  auf  Gewölbe  angelegt. 
Mon.  Esp. 

_  ,  ,    „  Perspektiven. 
Tafel  76. 

1.  Toshanella:  Sta.  Maria.  —  Gailhabaud. 

2.  Palermo:  Capella  Palatino.  —  Gailhabaud. 
Tafel  77. 

1.  * Florenz:  S.  Miniato.  —  Nach  Photographie. 

2.  * Verona:  S.  Zeno.  —  Bezold. 
Tafel  78. 

1.  *Pisa:  Kathedrale.  —  Nach  Photographie. 


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Viertes  Kapitel. 

Die  flachgedeckte  Basilika  in  Westeuropa 


LriTKRATl  R.  -  -  Willemin:  Monuments  francais  inedits.  2  vol.  Paris  1806.  2". — 
Whittington:  An  historical  survey  of  the  ecclesiaslical  antiquities  of  France,  2.  ed. 
London  181 1.  8°.  —  Alexandre  de  Labor  de:  Monuments  de  la  France.  2  vol.  20.  1816 
bis  1836.  —  Taylor,  Nodier  et  de  Cailleux .  Voyages  pittoresques  et  romanliques  dans 
l'ancienne  France.  19  vol.  2°.  1820 — 64.  —  Chapuy:  Cathedrales  francaises.  1826  —  31. 
4°.  —  Ramie  et  Chapuy  :  Moyen-äge  monumental.  3  vol.  2°.  1843.  —  Archives  de  la 
commission  des  monuments  historiques.  4  vol.  gr.  2°.  1855  —  72.  —  Anthyme  Saint- 
Paul :  Histoire  monumentale  de  la  France.  1883.  8°.  —  A.  de  Baudot  :  Eglises  de 
bouxgs  et  villages.  2  vol.  40.  1867.  —  A.  de  Caumont:  Histoire  sommaire  de  l'archi- 
tecture.  1838.  8".  —  Derselbe:  Ab£c6daire  d'archcologie.  5  6d.  Caen  1870.  8°.  — 
Batissier :  Elements  d'archeologie  nationale.  1843.  ,2°-  —  Viollet-le-Duc:  Dictionnaire 
raisonne  de  l'architecture  francaise  du  XI.  au  XVI.  siecle.  2  cd.  Paris  1875.  IO  vo'-  8°.  — 

TA.  Inlerslev:  Romanesque  and  pointed  archt.  in  France  London  1850.  8*.  — 
Quicherat:  De  l'architecture  romane.  (Revue  archeologique,  t.  VIII.  1851).  --  Derselbe: 
Fragment  d'un  cours  d'archcologie  (enthält  die  romanische  Baukunst  in  Frankreich),  in 
McHanges  d'archeologie  et  d  histoire.    Paris  1886.  8°. 

Fortlaufende  Jahrespublikationen :  Bulletin  monumental,  seit  1834.  —  Bulletin  des 
comites  historiques,  seit  1849  ~  Revue  arehMogique ,  seit  1844.  —  Congr'es  areheo- 
logiques  de  la  Franee,  seit  1834.  —  Revue  generale  de  farehitecture ,  publiee  par  Cesar 
Daly,  seit  1840. 


r.  Einleitung. 

Die  Denkmäler,  aus  denen  wir  unsere,  leider  höchst  unvollständig 
gebliebenen,  Vorstellungen  von  der  fränkischen  Baukunst  im  karolingi- 
schen  Jahrhundert  abzuleiten  versuchten,  fanden  sich  sämtlich  in 
Austrien,  in  den  Grenzen  des  späteren  deutschen  Reiches.  Auf  dem 
westfränkischen  Boden  dagegen  hat  sich  nur  ein  einziges  authentisches 
Karolingerwerk,  der  kleine  Zentralbau  von  Germigny-des-Pres  bis  in 


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Viertes  Kapitel :  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


245 


unsere  Tage  erhalten       Indes  bezeugen  Geschichtsschreiber  und  Ur- 
kunden, dass  auch  im  Westreich  unter  Karl  und  seinen  nächsten  Nach- 
folgern der  Kirchenbau  eine  sehr  lebhafte  Thätigkeit  entfaltet  hat,  und 
es  wurde  schon  ein  langes  Register  abgeben,  wenn  wir  auch  nur  die 
uns  mit  Namen  genannten  Gründungen  aufzählen  wollten  *).  In  welchem 
Umfange  in  ihnen  etwa  Versuche  zur  Umbildung  der  herkömmlichen 
Bauformen  schon  hervortraten,  lässt  sich  nicht  einmal  ahnen;  nur  so 
viel  ist  gewiss,  dass  es  daran  überhaupt  nicht  gefehlt  hat 3).  Dieser 
reichen  karolingischen  Bauproduktion  war  nur  ein  kurzes  Dasein  be- 
schieden.   Man  kennt  die  schreckliche  Bedeutung,  die  der  Name  der 
Normannen  in  der  Geschichte  dieser  Zeit  erlangte.  Die  Flüsse,  deren 
Mündungen  sie  in  Besitz  nahmen,  trugen  ihre  Schiffe  bis  tief  ins 
Innere  des  Landes:  die  Saone  führte  sie  nach  Amiens,  die  Seine 
vor  Paris,  die  Loire  bis  über  Orleans  hinaus,  die  Garonne  bis  vor 
Toulouse ;  das  Land  zwischen  den  Flüssen  ward  weit  und  breit  wüste 
gelegt.    Und  vielleicht  noch  gründlicher  betrieben  an  der  Küste  des 
Mittelmeeres  und  den  Ufern  der  Rhone  die  Sarazenen  das  Zerstörungs- 
werk.    Beide  waren  Feinde  des  christlichen  Glaubens.     Die  noch 
durchweg  nach  Basilikenart  konstruierten  Kirchengebäude  zu  vernichten 
machte  ihnen  leichte  Arbeit:  ein  Funke  genügte,  um  in  Eile  Dach 
und  Decke  in  einen  einzigen  Flammenherd  zu  verwandeln,  die  Säulen 
oder  Pfeiler  zerbarsten  in  der  Glut  und  die  von  ihnen  getragenen 
Mauern  stürzten  zusammen.  Was  den  heidnischen  Räubern  entgangen 
war,  ging  in  den  inneren  Unruhen  dieser  Zeit,  wo  ein  Krieg  aller 
gegen  alle  entbrannt  zu  sein  schien,  zu  Grunde  oder  wurde  ein  Opfer 
des  Baueifers  der   folgenden  Jahrhunderte.     So   findet   die  Armut 
Frankreichs  an  karolingischen  Denkmälern  —  eine  Thatsache,  in  die 
sich  die  französischen  Altertumsforscher  nach  langem  Sträuben  erst 
neuestens  zu  finden  beginnen4)  —  ihre  sehr  ausreichende  Erklärung. 
Zwar  giebt  es  eine  Anzahl  von  Bauten  aus  der  Zeit  der  ersten  Kape- 
tinger,  die  ihrem  Stil  nach  karolingisch  genannt  werden  können,  doch 
sind  es  durchweg  Werke  zweiten  oder  dritten  Ranges,  die  keinen 
Massstab  für  das  uns  verborgen  bleibende  Leben  der  grossen  Archi- 
tektur geben. 

')  1863  abgebrochen  und  durch  eine  Kopie  ersetzt. 

s)  Vgl.  A.  Saint-Paul,  Hist.  monumentale,  p.  73,  wo  aber  nur  Klosterkirchen 
aufgeführt  werden. 

')  Vgl.  oben  S.  169  und  174  Uber  die  Klosterkirche  zu  Centula. 

*)  A.  Rame  :  De  1  etat  de  nos  connaissances  sur  l'architecture  carlovingienne,  im 
Bulletin  des  travaux  historiques,  1882. 


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246 


Zweites  Buch  :  Der  romanische  Stil. 


Hier  ist  mit  einem  Worte  einer  in  der  neueren  Archäologie 
aufgekommenen  Fabel  Erwähnung  zu  thun.  Die  Erwartung  des  zum 
Jahre  1000  prophezeiten  Weltgerichts  habe  alle  Bauthätigkeit  gelähmt; 
als  aber  das  Jahr  1003  ins  Land  gekommen  sei,  ohne  das  Furchtbare 
zu  bringen,  da  habe  eine  neue  Freudigkeit  und  unwiderstehliche  Lust 
die  Völker  ergriffen,  ihre  alten  unansehnlichen  Gotteshäuser  nieder- 
zulegen und  die  Erde  mit  einem  glänzenden  Gewände  schönerer  Kirchen- 
gebäude als  die  alten  neu  zu  schmücken.  In  der  Glut  dieses  bc- 
geistcrungsvollen  Momentes  habe  sich  der  altchristliche  Baustil  zum 
romanischen  umgeschmolzen 1).  Diese  Combination  mag  ihr  Be- 
stechendes haben,  aber  vor  nüchterner  Betrachtung  der  Thatsachcn 
hält  sie  nicht  stand.  Einmal  kann  dem  Berichte  des  aufgeregten 
Mönchschronisten  von  Cluny2)  eine  so  grosse  und  allgemeine  Trag- 
weite keinesfalls  zugestanden  werden;  es  ist  nicht  richtig,  dass  alle 
Welt  damals  von  dem  chiliastischen  Wahn  fortgerissen  wurde,  die 
Kirche  selbst  bekämpfte  ihn  und  es  lässt  sich  eine  stattliche  Reihe 
von  Bauunternehmungen,  die  noch  im  letzten  Jahrzehnt  vor  dem  Mil- 
lesimum  in  Angriff  genommen  wurden ,  aufzählen.  Zum  anderen 
haben  wir  an  früherer  Stelle  ausgeführt,  dass  wesentliche  Grundzüge 
der  romanischen  Bauweise  viel  weiter,  bis  ins  9.  Jahrhundert,  hinauf- 
reichen. 

In  Wahrheit  erfolgte  die  Wiederaufnahme  der  Bauthätigkeit  im 
westfränkichen  Reich  weder  so  plötzlich  noch  so  spät.  Schon  nach 
dem  Vertrage  von  Saint-Clair  im  Jahre  911,  durch  den  die  unteren 
Seineufer  den  Normannen  zur  Ansiedelung  überlassen  wurden,  worauf 
ihre  Raubzüge  allmählich  zum  Stillstand  kamen,  begannen  Kirchen  und 
Klöster  in  Menge  sich  aus  der  Asche  wieder  zu  erheben.  In  der 
Kriegszeit  verborgene  oder  verloren  gegangene  Reliquien  wurden  jetzt, 
meist  unter  wunderbaren  Umständen  und  Zeichen,  wiedergefunden :  ein 
mächtiger  Anreiz  regelmässig  für  den  frommen  Sinn,  mit  Bauten  und 
Schenkungen  den  Heiligen  zu  ehren.  Dann  gegen  Ausgang  des 
Jahrhunderts  kamen  die  Pilgerfahrten  an  ferne  heilige  Orte,  nach 
Rom,  nach  S.  Jago  de  Compostella,  nach  Palästina  vor  allem,  in  leb- 
haften Schwung  und  trugen  durch  die  Heimkehrenden  reiche  Schätze 
neuer  Reliquien  dem  Vaterlande  ein.  Eine  Menge  von  Beispielen 
sind  überliefert,  dass  solche  Erwerbungen  zu  Kirchen-  und  Kloster- 

')  Dieser  Anschauung  huldigt  u.  a.  Quicherat,  Cours  d'Arch.  \i.  431.    Eine  sehr 
verständige  Bekämpfung,  deren  Argumente  wir  uns  aneignen,  bei  A.  Saint-Paul ,  p.  92  -  95. 
-    Rodulfus  Glaber,  Hislor.  Hb.  III.  cap.  4. 


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Viertes  Kapitel:  Die  nachgedeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


247 


gründungen  den  Anstoss  geben.  Nichts  ist  wahrscheinlicher,  als  dass 
diese  Wiederaufnahme  der  Bauthätigkeit  in  der  zweiten  Hälfte  des 
10.  Jahrhunderts,  ähnlich  wie  es  im  Deutschland  der  Ottonen  geschah, 
auch  in  Frankreich  neue  Baugedanken  gezeitigt  hat.  Leider  aber  muss 
die  besonnene  Forschung  wiederum  eingestehen,  dass  auch  von  dieser 
Denkmälergeneration  sehr  wenig  übrig  geblieben  ist.  Es  scheint,  dass 
eben  die  Eilfertigkeit,  mit  der  man  sich  zu  Neubauten  gedrängt  sah, 
eine  nachlässige  Baupraxis  auf  die  Bahn  brachte,  die  sich  bis  in  die 
ersten  Dezennien  des  folgenden  Jahrhunderts  erhielt.  Die  Geschichts- 
bücher sind  voll  von  Beispielen,  dass  in  diesem  Zeitraum  erbaute 
Kirchen  ohne  äussere  Veranlassung#.zusammenstürzen ,  manche  un- 
mittelbar nach  ihrer  Vollendung,  andere  nachdem  sie  einige  Menschen- 
alter ausgedauert 1). 

Um  die  Zeit  nun,  wo  das  über  der  frühromanischen  Baukunst 
des  Westfrankenreiches  —  viel  dichter  als  über  der  parallelen  Periode 
in  Deutschland  —  gelagerte  Dunkel  sich  zu  lichten  beginnt,  indem 
die  unmittelbaren  monumentalen  Zeugen  reichlicher  auftreten,  d.  i.  seit 
dem  I  I.Jahrhundert:  da  stehen  wir  überrascht  vor  der  Thatsache,  dass 
sich  eine  bis  in  die  Grundbedingungen  hinabreichende  Spaltung  der 
baulichen  Systeme  nicht  etwa  nur  vorbereitet,  sondern  schon  fertig 
vollzogen  hat.  Wir  sehen  ein  Frankreich,  das  sich  ausnahmslos  für 
die  gewölbte  Steindecke  erklärt  und  ihr  zuliebe  von  der  bis  dahin 
im  Abendlande  alleingültigen  Grundgestalt  des  Kirchengebäudes,  wir 
meinen  die  Basilika,  sich  vollständig  entfremdet  hat;  —  wir  sehen 
ein  anderes  Frankreich,  das  der  Basilika  treu  geblieben  ist,  eben  des- 
halb aber  auf  die  Vorzüge  der  Gewölbedecke  bis  auf  weiteres  Ver- 
zicht leistet.  Dieses  umfasst  das  Thal  der  Loire  von  Ncvcrs  abwärts 
und  alles  rechts  davon  liegende  Land;  jenes  die  übrige,  südliche  Hälfte 
des  alten  Galliens. 

Fordert  es  also  das  von  uns  angenommene  Einteilungsprinzip, 
dass  wir  uns  in  diesem  Kapitel  nur  mit  der  einen  Hälfte  des  monumen- 
talen Frankreich  beschäftigen,  so  haben  doch  die  zunächstfolgenden 
Präliminarbemerkungen  noch  beide  Teile  zugleich  im  Auge. 

Um  die  Erscheinungsformen,  die  der  romanische  Stil  im  westfränki- 
schen Reich  annahm,  nach  ihren  tieferen  Bedingungen  zu  verstehen, 
muss  man  sich  allem  voran  klar  machen,  dass  das  Frankreich,  an  das  wir 
heute  denken,  damals  in  keinem  Sinne  noch  existierte.    Weder  um- 


')  Vgl.  Quicherat  p.  434. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


schloss  das  Reich  eine  einheitliche  Nation,  noch  bildete  es  eine  andere 
als  nur  dem  Namen  nach  bestehende  Staatseinheit.  In  seinen  Besitz 
teilten  sich  ein  Dutzend  oder  mehr  grosser  Herren,  vom  König  nur 
durch  das  dünne  Band  der  persönlichen  Vasallentreue  abhängig,  um 
so  beschränkter  nach  unten  durch  die  eigenen  Lehensleute.  Die 
künstlichen  Fiktionen  des  Feudalrechtes  gestatteten  sogar,  dass  ganze 
Provinzen  an  fremde  Königreiche  fielen ;  mehrere  des  Südens  an  Aragon ; 
die  Normandie  und  später  der  ganze  weite  Westen  an  England.  End- 
lich die  Provence  und  das  jurensische  Burgund,  mit  den  altberühmten 
und  noch  immer  blühenden  Städten  Arles,  Vienne,  Lyon,  Genf,  Be- 
sancon,  im  10.  Jahrhundert  ein  selbständiges  Königreich,  wurde  im 
1 1.  Jahrhundert  mit  der  deutschen  Krone  verbunden. 

Die  Zerklüftung  der  staatlichen  Bildungen  hat  nichts  Unnatür- 
liches an  sich,  denn  eine  dreifache  Völkerschicht  lag  über  dem  galli- 
schen Boden.  Als  die  wichtigste  in  Sprache  und  Kultur  zeigte  sich 
wohl  die  mittlere,  romanische  Schicht.  Der  keltische  Untergrund 
war  aber  mit  nichten  völlig  zugedeckt,  vielerorten  brach  er  sogar  mit 
wahrer  Heftigkeit  jetzt  hervor.  Und  zuoberst  der  germanische  Zufluss 
ward  sobald  nicht  aufgesogen;  der  Name  der  Goten  selbst  trat  wieder 
hervor,  zwischen  Narbonne  und  den  Pyrenäen,  wie  im  Nordwesten 
die  Normannen  das  Germanentum  um  eine  neue  Schattierung  ver- 
stärkten. So  trafen  zwar  überall  dieselben  Grundbestandteile  zusammen, 
aber  das  Verhältnis  ihrer  Mischung  war  nirgends  das  gleiche.  In 
der  Selbständigkeit  der  grossen  Herrschaften  boten  sich  nun  gleichsam 
die  Gefässe  dar,  in  denen  die  mannigfaltigen  Völkerelemente  zu  neuen 
Stammes-Individualitäten  sich  ausgärten.  Die  Sprache  war  nicht 
mehr  die  lateinische,  noch  nicht  die  französische.  Eine  unübersehliche 
Menge  von  Mundarten  schoss  aus  dem  Boden.  Sehr  bald  indes 
machte  sich  in  den  höheren  Sphären  des  Verkehrs  das  Bedürfnis  nach 
einem  gemeingültigen  Ausdrucksmittel  fühlbar.  Zu  einheitlicher  Sprach- 
büdung  fehlten  aber  noch  die  Bedingungen.  Die  Volksdialekte  son- 
derten und  einigten  sich  in  zwei  Hauptidiomen,  der  langue  d'oe  und 
langue  d'oil,  oder,  wie  sie  in  der  Litteratur  genannt  werden,  der 
provencalischen  und  der  altfranzösischen  Sprache ;  ein  Gegensatz,  der 
in  tausendfältigen  Lebensäusserungen  ein  Echo  findet. 

Ueberaus  merkwürdig  nun  ist  die  Thatsache,  dass  die  Grenze 
zwischen  der  langue  d'oe  und  der  langue  d'oil  wesentlich  dieselbe  ist. 
wie  im  Kirchenbau  die  Grenze  zwischen  dem  gewölbten  und 
dem  flachgedeckten  System. 


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Viertes  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Hasilika  in  Westeuropa. 


249 


Wir  haben  bis  jetzt  die  Sondertendenzen  genannt,  denen  die 
Ahnen  der  heutigen  Franzosen  die  Fülle  und  Mannigfaltigkeit  ihrer 
mittelalterlichen  Kultur  verdanken.  Es  gab  aber  auch  verbindende 
Mächte  lange  bevor  das  Königtum  mit  Erfolg  an  die  Spitze  der  Ein- 
heitsbewegung sich  stellte.  Das  organisatorische  und  propagandisti- 
sche Talent  des  Volkes  feierte  frühe  Triumphe  in  den  beiden  grossen 
sozialen  Institutionen  des  Mönchtums  und  des  Rittertums.  Durch 
sie  hat  Frankreich  Europa  in  Gährung  gesetzt.  Beide  waren  die 
wichtigsten  Hebel  der  nationalen  Baukunst. 

Die  Idee  des  asketischen  Lebens  auf  Grund  klösterlicher  Gesell- 
schaftsverfassung fand  in  keiner  Bevölkerung  des  Abendlandes  einen 
fruchtbareren  Boden  wie  in  der  gallo-romanischen.  Fast  alle  grossen 
Bewegungen  in  der  Geschichte  des  Mönchtums  bis  ins  12.  Jahrhundert 
sind  von  Frankreich  ausgegangen.  Noch  bevor  der  H.  Benedikt  Monte- 
cassino  gründete,  legte  der  H.  Martin  den  Grund  zum  Münster  in 
Tours.  Es  blieb  unter  Merowingern  und  Karolingern  das  berühmteste 
Institut  dieser  Art,  wie  die  über  dem  Grabe  des  pannonischen  Kriegs- 
mannes errichtete  Kirche  das  oberste  Nationalheiligtum  des  christlichen 
Galliens.  Die  Pilger  strömten  hier  aus  den  entferntesten  Gegenden 
zusammen,  Kranke  belagerten  nach  Heilung  verlangend  jederzeit  das 
Grab  des  Heiligen,  Missethäter  oder  Schwache  fanden  hier  ein  unan- 
tastbares Asyl,  grosse  Reichtümer  häuften  sich  an.  Unter  Karl  dem 
Grossen  brachte  Alkuin  als  Abt  von  Sankt  Martin  der  Klosterschule 
den  Ruhm  der  ersten  Bildungsanstalt  des  Abendlandes.  Zu  den  Vor- 
zügen, auf  die  Hugo  Capet  sich  berufen  konnte,  als  er  nach  der 
Königskrone  griff,  rechnete  man  auch,  dass  er  wie  schon  sein  Vater 
und  Grossvater  im  Besitze  der  Martinsabtei  war.  —  Das  wachsende 
Ansehen  des  Mönchtums  erkennt  man  sodann  aus  der  im  8.  Jahr- 
hundert von  Bischof  Chrodegang  von  Metz  für  seine  Domgeistlichkeit 
eingeführten,  dem  klösterlichen  Leben  nachgebildeten  Regel.  Sie 
wurde  später  im  ganzen  fränkischen  Reich  obligatorisch  gemacht. 
Für  die  Architekt  Urgeschichte  hat  sie  die  wichtige  Folge,  dass  auch 
die  Kathedralkirchen  an  einer  ihrer  Langseiten,  meist  der  südlichen, 
mit  Wohnräumen  für  die  Domherren,  einen  Kreuzgang  in  der  Mitte, 
verbunden  wurden,  —  wohlbemerkt  eine  nur  diesseits  der  Alpen  ein- 
gebürgerte, den  italienischen  Kathedralen  aber,  es  wäre  denn,  dass 
nordische  Einflüsse  ins  Spiel  kämen,  fremde  Einrichtung.  —  Der  friedlose 
Weltzustand  während  und  nach  der  Zersetzung  der  karolingischen  Monar- 
chie richtete  Sinn  und  Zug  der  Menschen  immer  entschiedener  darauf, 

'7 


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Zweites  Buch.  Dir  rumänische  Stil. 


die  Macht  des  Monchtums  nicht  bloss  in  der  Kirche,  sondern  in  der 
Gesellschaft  überhaupt,  von  Stufe  zu  Stufe  zu  steigern.  Ihr  kräftigstes 
Organ  fand  diese  Richtung  im  burgundischen  Kloster  Cluny,  gestiftet 
im  Jahre  910.  Der  H.  Odo  stellte  als  Abt  (927—942)  die  Regel  fest, 
die  sich  nicht  begnügte,  die  alten  Vorschriften  Benedikts  herzustellen, 
sondern  sie  an  Strenge  überbot.  Kine  unglaubliche  Verehrung  wurde 
Cluny  entgegengebracht.  Hart  an  der  Grenze  des  deutschen  und 
französischen  Burgund  gelegen,  erstreckte  es  seinen  Einfluss  nach 
allen  Seiten.  Noch  vor  Ablauf  des  10.  Jahrhunderts  vereinigte  die 
Congregation  37  Klöster  in  Frankreich  und  Burgund  im  Gehorsam  unter 
dem  Abt  von  Cluny  ;  viele  italienische  wurden  nach  dem  Muster  von 
Cluny  reformiert,  durch  Wilhelm  von  Hirsau  drang  der  Geist  Clunys  über 
den  Rhein.  Die  Weltentsagung,  deren  Losung  hier  ausgegeben  wurde, 
war  aber  nur  eine  andere  Form  der  Weltbeherrschung.  Es  handelte 
sich  schon  langst  nicht  mehr  bloss  um  Reform  des  Mönchtums,  son- 
dern um  Reorganisation  der  abendländischen  Kirche  im  ganzen.  Nicht 
zu  viel  ist  es  gesagt,  dass  Cluny  die  erste  geistige  Macht  in  Europa 
während  des  M.  Jahrhunderts  darstellte.  Recht  eigentlich  Clunys 
Ideen  waren  es,  die  der  Mönch  Hildebrand,  als  Gregor  VII.  auf  den 
päpstlichen  Stuhl  gelangt,  zu  verwirklichen  trachtete. 

Ks  liegt  aber  in  der  Natur  des  Mönchtums,  dass  es  sich  in 
einem  beständigen  Kreislauf  von  Ueberspannung  und  Erschlaffung, 
von  Reform  und  Verfall  bewegte.  Kein  Orden  war  streng  genug,  es 
folgte  immer  noch  ein  strengerer.  So  mussten  auch  die  Cluniacenser 
es  sich  gefallen  lassen,  dass  während  sie  noch  ihre  höchsten  Triumphe 
feierten,  die  Anklage  auf  weltliche  Eitelkeit  gegen  sie  laut  wurde. 
Eine  Anzahl  neuer,  verschärfter  Regeln  trat  gegen  Ausgang  des 
1 1.  Jahrhunderts  hervor,  von  denen  wir  nur  die  von  Fontevrault, 
Grandmont,  Chartreuse  nennen  wollen,  da  die  übrigen  bloss  lokale 
Bedeutung  hatten.  Sie  wurden  alle  überflügelt  von  den  Prämon- 
stratensem  und  Cisterciensern,  in  denen  die  Religiosität  des  Zeitalters 
der  Kreuzzüge  ihren  eigensten  Ausdruck  fand  und  die  mit  erstaun- 
licher Schnelle  von  Frankreich  über  das  ganze  Abendland  sich  aus- 
breiteten. Ihre  Bedeutung  für  die  Architekturgeschichte  wird  uns 
noch  in  einem  eigenen  Kapitel  beschäftigen. 

Von  einem  mit  solchen  Gesinnungen  erfüllten,  mit  solchen 
Erfolgen  gekrönten  Mönchtum  sahen  sich  die  Bischöfe  und  der 
Weltklerus  überhaupt  in  Schatten  gestellt.  Eine  dauernde  Span- 
nung zwischen  beiden  Teilen  griff  Platz,  oft  zu  bitterer  Feindschaft 


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Vierte«  Kapitel :  Die  flaehgedeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


25I 


ausartend.  Die  Gunft  der  Laien  war  dabei  durchaus  auf  Seiten  der 
Mönche.  In  den  Bischöfen  sahen  die  Grossen  nur  ihre  Nebenbuhler, 
die  Kleinen  ihre  Bedrücker.  Was  das  Volk  von  der  Kirche  forderte, 
war  aber,  die  allgemeine  Sündenlast  durch  einen  Ueberschuss  an 
Heiligkeit  auszugleichen  *)  und  es  ermüdete  nicht,  seinen  Dank  durch 
neue  und  immer  neue  Schenkungen  auszudrücken. 

Ueberhaupt  ist  Frankreich  das  Land,  in  dem  die  Religiosität 
des  hohen  Mittelalters  ihre  Eigenart  am  schärfsten  zuspitzt.  So  in 
der  praktischen  Gestaltung  der  Hierarchie,  wie  in  der  theologischen 
Spekulation,  wie  auch  im  volkstümlichen  Glauben  und  Aberglauben. 
Nirgends  mehr  war  der  Heisshunger  nach  Wundern  so  stark,  die 
Verehrung  der  Reliquien  so  inbrünstig,  nirgends  vermochte  ein  re- 
ligiöser Impuls  im  Augenblick  eine  ganze  Bevölkerung  in  solchem 
Fieber  auflodern  zu  machen.  An  die  beiden  grössten  Bewegungen 
dieser  Art,  den  Gottesstillstand  und  den  ersten  Kreuzzug,  braucht  nur 
erinnert  zu  werden.  Aus  beiden  gedieh  dem  Bauwesen  unschätzbare 
Förderung,  wie  später  ein  anderer  Kreuzzug,  der  gegen  die  Albi- 
genser,  sein  Verderben  wurde. 

Die  ungeheueren  Menschenfluten ,  die  sich  in  den  Jahren  1096 
und  1097  von  Frankreich  ostwärts,  dem  Grabe  Christi  entgegenwälzten, 
wiederholten  nur  in  grösserem  Massstabe  ein  in  kleinerem  längst  ge- 
wohntes Schauspiel.  Die  Lust  an  Pilgerfahrten  war  bei  den  Franzosen 
bis  zur  Leidenschaft  entwickelt.  Naturgemäss  nur  ein  kleiner,  bevor- 
zugter Teil  konnte  ferne  Lande  aufsuchen.  Die  Masse  erfreute  sich 
der  heiligen  Stätten,  die  Frankreich  selbst  in  gar  nicht  geringer  Zahl 
besass.  Die  meisten  von  ihnen  waren  mit  Klosteranlagen  verbunden. 
Mehrere  der  ältesten  Klosterkirchen  standen  über  den  Gräbern  natio- 
naler Märtyrer  und  Bekenner,  der  Ruhm  anderer  gründete  sich  auf 
den  Erwerb  hochheiliger  Erinnerungsstücke  aus  der  Urzeit  des  Christen- 
tums. Bei  manchen  war  die  Bedeutung  eine  mehr  lokale,  wie  bei 
den  Kirchen  des  H.  Germanus  und  der  H.  Genoveva  in  Paris,  des 
H.  Remigius  in  Reims,  des  H.  Hilarius  und  der  H.  Radegunde  in 
Poitiers.  Andere  zogen  die  Kreise  ihrer  Verehrung  über  ganz  Frank- 
reich und  vereinigten  zu  ihren  Festen  unendliche  Pilgerzüge  aus  Nord 
und  Süd:  so  S.  Martin  in  Tours,  S.  Denis  bei  Paris,  Fecamp  in  der 
Normandie,  das  eine  Flasche  vom  heiligen  Blute  aufbewahrte;  Char- 

')  Die  Inschrift  auf  der  GrabSdicula  des  H.  Martin  schloss  mit  dem  Dystichun 
...  et  miserae  purgans  peccamina  vi  tat» 
occultet  meritis  crimina  nostra  suis. 


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252 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Slil. 


roux  im  Poitou,  von  Karl  dem  Grossen  mit  einer  beträchtlichen  Partikel 
des  Kreuzes  Christi  beschenkt;  Saint-Sernin  zu  Toulouse,  wo  die 
reichen  Grafen  des  Landes  die  Gebeine  von  sechs  Aposteln  und 
unzählbare  kleinere  Reliquien  angehäuft  hatten;  an  der  Grenze 
der  Bretagne  und  Normandie,  aus  Triebsand  und  Meeresbrandung 
wie  ein  Wunder  emporsteigend,  der  geheimnisvolle  Berg  des  Erzengels 
Michael.  Doch  waren  es  nicht  die  eigentlichen  Wallfahrtsklöster  allein, 
die  bedeutende  Besuchermassen  anzogen  —  für  den  Abt  von  Cluny 
z.  B.  war  es  eine,  fast  kann  man  sagen  alltägliche  Sache,  weit-  und- 
kirchen fürstliche  Personen  mit  grossem  Gefolge  zu  Gästen  zu  haben, 
er  speiste  ausserdem  im  Laufe  eines  Jahres  17000  arme  Wanderer  und 
Bettler.  Aehnliches  wird  von  der  grossen  Tochterpriorei  an  der 
mittleren  Loire,  der  Cella  Caritatis,  berichtet. 

Eindringlicher  aber  als  alles  Geschriebene  bezeugen  die  Macht  und 
den  Glanz  des  französischen  Mönchtunis  die  Bauten,  die  es  hinterlassen 
hat.  Wenn  unter  den  romanischen  Kirchen  Deutschlands  zwischen 
Kloster-  und  Kathedralkirchen  insofern  ein  Gleichgewicht  besteht,  als 
die  ersteren  zwar  an  Zahl,  die  letzteren  jedoch  an  Grösse  überwiegen; 
wenn  in  Italien  die  Kathedralen  in  jeder  Hinsicht  den  Vorrang  haben ; 
so  ist  in  Frankreich  das  Verhältnis  durchaus  das  umgekehrte.  Die 
Stimmung  dieser  Zeit,  die  sich  so  gern  in  Gegensätzen  bewegte,  ge- 
stattete nicht  nur,  sondern  forderte,  dass  im  Mönchtum  Armut  und 
Entsagung  des  einzelnen  Gliedes  in  um  so  vorleuchtenderem  Glänze 
der  Körperschaft,  wo  sie  als  Ganzes  sich  zeigte,  ihre  Antithese  fand. 
Keine  Frage,  diese  grossartige  äussere  Repräsentation,  zu  der  alle 
Künste  im  Verein  aufgerufen  wurden,  gehörte  mit  zu  den  Grundlagen 
ihrer  Macht  über  die  Gemüter.  Noch  waren  die  Städte  nicht  volk- 
reich, die  Körperschaften  nicht  kräftig  und  selbstbewusst  genug,  um 
daran  zu  denken,  im  Bau  gewaltiger  Kathedralen  sich  selber  Denk- 
mäler zu  setzen.  Kaum  eine  Bischofsstadt  gab  es,  in  der  nicht  die 
Kathedralkirche  von  einem  Kloster  innerhalb  derselben  Mauern  oder 
sicher  einem  aus  der  Nachbarschaft,  weitaus  überstrahlt  wurde1); 
wir  erinnern  beispielsweise  nur  an  S.  Remy  in  Reims,  S.  Martin  in 
Tours,  S.  Hilaire  in  Poitiers,  Notrc  Dame  du  Port  in  Clermont,  S.  Front 
in  Perigueux,  S.  Caprais  in  Agen,  S.  Sernin  in  Toulouse;  die  im 
Jahre  1089  begonnene  neue  Kirche  von  Cluny  gar  blieb  auf  lange 

')  Anthyine  Saint  Paul  1.  c.  91  bemerkt,  dass  die  Kathedrale  von  Chartres,  die 
einzige  in  Nordfrankreich,  die  mit  den  Abteikirchen  wetteifern  konnte,  ausnahmsweise 
Wallfahrtsort  war;  dasselbe  gilt  für  den  Süden  von  der  Kathedrale  Notre-Dame  zu  Puy 


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Viertes  Kapitel:  Die  llachgedeckte  HasUika  in  Westeuropa.  253 


Zeit  hinaus  die  grossräumigste  des  ganzen  Abendlandes.  Erst  im 
12.  Jahrhundert  tauchen  einige,  immerhin  wenige  Kathedralen  von 
ebenbürtigem  Range  auf:  in  Angouleme,  Angers,  Autun,  —  bis  dann 
nach  der  Mitte  des  Jahrhunderts  die  grosse  Zeit  dieser  bis  dahin  so 
merkwürdig  vernachlässigten  Klasse  anbricht.  Die  in  Chroniken  über- 
lieferten Namen  berühmter  Baumeister  des  1 1.  und  beginnenden  12.  Jahr 
hunderts  gehören  durchweg  Mönchen  an;  baukundige  Bischöfe,  wie 
sie  für  Deutschland  bezeichnend  sind,  begegnen  uns  nicht,  sie  wären 
denn  aus  Klöstern  hervorgegangen *) ,  ebensowenig  auch  Laienarchi-  • 
tekten,  deren  Ruhm  in  Italien  die  Bauinschriften  der  Dome  von  Pisa, 
Modena  u.  a.  verkünden. 

Die  Generation  des  ersten   Kreuzzuges  sah  die  Mehrzahl  der 
Meisterwerke  des  französisch  -  romanischen  Stils   im   Bau  begriffen, 
meistens  auf  so  grosse  Verhältnisse  angelegt,  dass  allerdings  erst 
spätere  Geschlechter  die  Vollendung  erlebten.   Die  alle  tiefsten  Kräfte 
der    Volksphantasie   entbindenden  Zeitereignisse,   der  Hinweis  des 
Unternehmungsgeistes  auf  das  Neue,  Grosse,  Ideale,  und  nicht  zuletzt 
der  plötzliche  Ueberfluss  an  materiellen  Hilfsmitteln,  den  Vermächt- 
nisse der  abziehenden   Kreuzfahrer   und   wetteifernde  Frömmigkeit 
der  Zurückbleibenden  der  Kirche  zuwandten,  dies  alles  vereinigte  sich 
zu  einem  Aufschwung  des  Baugeistes,  der  den  geschichtlichen  Be- 
trachter noch  heute  mit  freudig  nachempfindendem  Staunen  erfüllt. 
Die   Leistungen  dieser  Epoche  erhoben   die  französische  Baukunst 
zur  unbestreitbar  ersten   des  Abendlandes.    Während  in  Deutsch- 
land und  Italien  die  vorgeschrittensten  Schulen  mit  dem  Problem 
der    Ucberwölbung    noch    rangen,    hatte    Frankreich    nicht  eine, 
sondern  ein  halbes  Dutzend  Lösungen  dafür  gefunden.    Das  Ziel, 
dem   Gebäude   höchste    Dauerhaftigkeit,    Gediegenheit,  Würde  zu 
verleihen,  war  das  gemeinsame:  die  Wege,  auf  denen  es  erstrebt 
wurde,  in  jeder  Landschaft  andere.  Jedes  neue  grosse  Bauunternehmen 
brachte  eine  neue  konstruktive  und  ästhetische  Entdeckung.   Mit  den 
wechselnden  Grundbestimmungen  modifizierten  sich  die  einzelnen  Bau- 
glieder und  ihr  Schmuck.    Die  noch  lange  nicht  ausgeglichene  Mi- 
schung der  Stämme   und  ihr  verschiedenes  Verhältnis  zur  antiken 
Tradition  thaten  denn  noch  das  ihre,  um  jede  Landschaft  ihre  eigene 
Formensprache  entwickeln  zu  lassen.    Die  französische  Baukunst  des 
11.  und   12.  Jahrhunderts  mit  der  Vielheit  der  in  zeitlichem  Neben- 


1    Wie  Vulgrin  von  Mans  und  Gondulph  von  Kochester. 


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254 


/weites  liueh  ;  l>er  rumänische  Stil. 


einander  in  Blüte  stehenden  Stile  ist  ein  Phänomen,  dem  in  der 
Baugeschichte  aller  Zeiten  nichts  vergleichbar  ist. 

Die  Klassifikation  der  romanischen  Stilarten  hat  die  französischen 
Gelehrten  vielfältig  beschäftigt,  fast  ein  jeder  namhafte  Archäologe 
hat  sein  eigenes  System.  Arcisse  de  Caumont  z.  B.  statuiert  zehn 
Schulen,  Viollet-le-Duc  acht,  Anthyme  Saint-Paul  fünfzehn,  die  in 
sechs  Regionen  zusammengefasst  werden.  Für  unsere  Betrachtungs- 
weise steht  das  Einteilungsprinzip  ein  für  allemal  fest  und  demgemäss 
legen  wir  die  Denkmäler  zuoberst  in  die  zwei  eingangs  angedeuteten 
Hauptgruppen  auseinander:  Kirchen  mit  flacher  Holzdecke,  Kirchen 
mit  gewölbter  Steindecke. 

2.   Der  Grundriss  im  allgemeinen. 

SODFRANKREICH  ist  unter  allen  für  die  Geschichte  des  ro- 
manischen Stils  in  Betracht  kommenden  europäischen  Gebieten  das- 
jenige, das  die  wenigsten,  ja  eigentlich  so  gut  wie  keine  Ueberreste 
flachgedeckter  Basiliken  aufzuweisen  hat,  obgleich  nach  aller  Wahr- 
scheinlichkeit noch  in  der  karolingischen  Epoche  diese  Bauform  auch 
hier  die  normale  war.  Es  scheint,  dass  die  Zeit  der  normännischen 
und  sarazenischen  Verwüstungen,  die  so  erschreckende  und  umfassende 
Beweise  von  der  Widerstandsunfähigkeit  der  Basilika  in  Feuersgefahr 
erbrachte,  entschiedene  und  allgemeine  Abneigung  gegen  dieses 
System  zurückgelassen  hat.  Fühlte  man  sich  hier  doch  auch  viel 
weniger  wie  anderswo  daran  gebunden,  da  reichliche  Muster  römischer 
Konstruktionen  den  Uebergang  zum  Gewölbebau  beförderten.  Schon 
bei  den  Neubauten  des  späteren  10.  Jahrhunderts,  nach  Stillung  jener 
feindlichen  Ueberfalle,  dürfte  die  Basilikenform  mehr  oder  minder 
vollständig  ausser  Gebrauch  gesetzt  gewesen  sein ;  wo  nicht,  so  müssten 
sich  doch  mehr  Spuren  von  ihr  erhalten  haben. 

Einige  sporadisch  begegnende  Beispiele  flachgedeckter,  meist  ein- 
schiffiger kleiner  Kirchlein,  z.  B.  im  Thal  der  Ariege  (vgl.  J.  de  Lahou- 
des  im  Bull.  mon.  1877)  oder  in  der  Gironde  (Taf.  79,  84  Loupiae)  können 
nicht  in  Betracht  kommen,  zumal  manche  von  ihnen  offenbar  für  Ge- 
wölbe bestimmt  waren.  Die  einzige  uns  bekannt  gewordene  Basilika 
mit  Balkendecke  ist  S.  Aphrodise  zu  Bdziers  (Grundriss  Taf.  79, 
Krypta  Taf.  119),  eine  noch  ganz  der  altchristlichen  Tradition  ge- 
horchende Anlage;  die  Gallia  christiana  meldet  eine  Restauration  zu 
A.  saec.  10,  womit  die  Einzelformen  stimmen.  —  Wenn  die  gewöhn- 


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Viertes  Kapitel:  Die  (lacligedecku-  Uasilika  in  Westeuropa. 


?55 


liehe  Annahme  recht  hätte,  wäre  hier  noch  die  alte  Kirche  von  S.  Front 
zu  Ptfrigueux  (beg.  a.  984,  gew.  1047)  zu  nennen;  wir  halten  es  je- 
doch keineswegs  für  wahrscheinlich,  geschweige  denn  sicher,  dass 
dieselbe  auf  Flachdeckc  angelegt  gewesen.  Dagegen  weisen  auf  solche 
die  Arkaden  von  S.  Sauveur  in  Aix. 

SPANIEN.  Ein  Blick  auf  den  Zustand  der  christlichen  Königreiche 
in  den  nächsten  Jahrhunderten  nach  der  arabischen  Invasion  genügt, 
um  zu  verstehen,  dass  sie  ausser  stände  waren,  die  reiche  Bauthätig- 
keit  der  westgotischen  Epoche  fortzusetzen.  Die  Architektur  schrumpfte 
zu  einer  Lokalkunst  zusammen,  die  für  die  allgemeine  Baugeschichte 
niqht  mitzählt.    In  den  nördlichen  Provinzen  finden  sich  noch  einige 
frühromanische  Denkmäler  von  altertümlichem  und  originellem  Gepräge, 
über  deren  wirkliches  Alter  indes  noch  keine  zuverlässigen  Resultate 
gewonnen  sind.   Der  Aufschwung  der  spanischen  Architektur  datiert 
erst  vom   12.  Jahrhundert  und  wird  dem  engen  Anschluss  an  die 
mächtige  aquitanische  Nachbarschule  gedankt.  Schon  unter  den  ältesten 
Kirchen  des  Landes  finden  sich  einschiffige,  tonnengewölbte  Anlagen, 
ähnlich,  nur  von  kleineren  Dimensionen  wie  die  südfranzösischen. 
Daneben  hält  sich,  länger  als  im  Norden  der  Pyrenäen,  die  flach- 
gedeckte  Basilika.    Der  überlieferte  Grundriss  ist  auf  die  denkbar 
einfachste  Raumgliederung  reduziert:  ein  Rechteck  ohne  (Juerschiff. 
ohne  Apsis;  das  Sanktuarium,  in  einem  niedrigeren  Anbau  bestehend, 
der  aussen  geradlinig  geschlossen,  innen  in  drei  bald  rechtwinklige, 
bald  gerundete  Altarkapellen  abgeteilt  ist  ;  als  Andeutung  des  fehlen- 
den Querschififs  häufig  eine  quer  gestellte  Säulenreihe. 

S.  Adriano  in  Tuno;  Pfeiler  mit  oblongem  Grundriss.  ohne 
Sockel  und  ohne  Kämpfer.  S.  Juan  de  Hannos  und  S.  Miguel  de 
Escalada,  beide  Säulenbasiliken  mit  Hufeisenbogen,  also  arabisierend. 
(Taf.  68,  75}.  Ungleich  stattlicher  S.  Millan  in  Scgovia,  schon 
saec  12,  nach  dem  Grundriss  zu  urteilen  wohl  auf  Gewölbe  berechnet, 
die  aber  nicht  ausgeführt  worden  (Taf.  75). 

MITTELFRANKREICH.  Im  Becken  der  Loire  war  die  Balken- 
decke in  der  ersten  Hälfte  des  11.  Jahrhunderts  noch  allgemein  im 
Gebrauch.  Am  unteren  Laufe  des  Flusses  fällt  eine  Besonderheit  auf: 
die  teilweise  Zurückdrängung  der  Basiliken  durch  einschiffige  Saal- 
kirchen. Bei  sehr  kleinen  und  anspruchslosen  Bauten,  Oratorien, 
Landkirchen  u.  s.w.  ist  diese  vereinfachende  Abweichung  allenthalben, 
auch  in  Deutschland ,  nicht  ungewöhnlich.  Auffallend  aber  ist ,  was 
uns  in  der  Touraine,  in  Anjou  und  im  nördlichen  l'oitou  entgegen- 


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-56 


/.weites  Huch .  Der  romanische  Stil. 


tritt:  dass  sie  auch  bei  grösseren  und  im  Range  höher  stehenden 
Kirchen  zugelassen  wird.  Ja,  die  in  Rede  stehende  Anlage  scheint 
in  diesen  Gegenden  in  der  Epoche  zunächst  noch  den  normannischen 
Verwüstungen  bis  ins  11.  Jahrhundert  hinein  sogar  die  gewöhnliche 
gewesen  zu  sein,  so  dass  nur  die  vornehmsten  Kirchen  die  basilikale 
Anlage  bewahrten.  In  welchem  Umfange  sie  etwa  auch  im  Süden 
verbreitet  war,  lässt  sich  nicht  mehr  sagen.  Vielleicht  ist  aber  doch 
aus  dem  Umstände,  dass  der  Süden  beim  Uebergang  zum  Gewölbe- 
bau des  basilikalen  Systems  so  schnell  sich  entwöhnen  lernte,  ein 
Ruckschluss  gestattet. 

Als  typisches  Beispiel  geben  wir  auf  Taf.  79  u.  84  die  Kirche  der 
Priorei  Saint-Ge'ne'roux  im  nördlichen  Poitou.  Der  Grundriss  ein 
einfaches  Parallelogramm ;  kein  wirkliches  QuerschifT,  sondern  nur  eine 
innere  Abteilung  durch  eine  Quermatier,  die  von  drei  weiten  Bögen 
und  darüber  eine  Scheingalerie  durchbrochen  wird.  Krst  im  spateren 
Mittelalter  wurde  die  Decke  des  Schiffs  durch  eine  doppelte  Pfeiler- 
und Arkadenstellung  (auf  dem  Grundriss  Taf.  79  durch  Schraffierung 
angedeutet)  unterstützt.  Die  Kirche  galt  lange  Zeit  für  merowingisch 
oder  mindestens  karolingisch ;  jetzt  hat  man  aus  den  Detailformen  die 
Hinsicht  gewonnen ,  dass  sie  nicht  früher  als  saec.  10,  vielleicht  erst 
A.  saec.  1 1  erbaut  ist. 

Weitere  Beispiele  einschiffiger  Anlagen  geben  die  Kirchen  von 
Crayant  (Imire  et  Loire),  Savennikres  (Maine  et  Loire),  Vieux-Pont 
Calvados),  S.  Christophe  zu  Sukvres  (Loire  et  Cher),  S.  Mexme  zu 
Chinon,  Pkrusson  bei  Loches  und  Rivikres  (sämtlich  Indre  et  Loire). 
Der  Chor  ist  bei  den  meisten  platt  geschlossen;  in  Pörusson  und  Ri- 
vieres  gleich  S.  Gdndroux,  d.  i.  das  tonnengewölbte  Schiff  in  drei  halb- 
runde Nischen  auslaufend.  —  Ueber  diese  Gruppe  wiederholte  Ver- 
handlungen im  Bull,  mon.,  vergl.  namentlich  de  Cougny  in  Bd.  35 
passim;  derselbe  in  Congres  arch.  1871,  p.  130. 

Die  obigen  Bauten  sind  sämtlich  undatiert.  Manche  Merkmale 
sprechen  dafür,  dass  sie  in  das  Jahrhundert  nach  dem  Frieden  von 
Saint-Cieu  (912)  gehören.  Ausnahmsweise  genau  kennen  wir  die  Bau- 
daten der  Abteikirche  Beaui.ieu  bei  Loches.  Sie  wurde  a.  1008—1012 
vom  Grafen  Fulko  von  Anjou  erbaut  und  ist  die  grösste  in  der  Reihe. 
Die  Umfassungsmauern  sind  19  m  hoch,  durch  breite  flache  Streben 
verstärkt;  die  Fenster  breit  und  gross,  noch  an  gallo-römische  Tra- 
ditionen erinnernd ,  die  Breite  des  Schiffes  erreicht  die  bedeutende 
Ziffer  von  14,40  m.  Diese  Kühnheit  wird  schuld  gewesen  sein,  dass 
die  aus  Grabes  und  daquearia«  konstruierte  Decke  nicht  lange  nach 
ihrer  Vollendung  durch  einen  Orkan  zerstört  wurde.    Als  man  sich 


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Viertes  Kapitel:  Die  rlachgedeckle  Basilika  in  Westeuropa  257 

an  die  Restauration  machte  (voll.  a.  1052},  standen  diese  Gegenden 
bereits  im  Uebergang  zum  Gewölbebau;  das  früher  einheitliche  Schiff 
wurde  jetzt  mit  drei  parallelen  Tonnen  bedeckt,  die  Fenster  tiefer  gelegt 
und  verkleinert,  wie  die  beistehende  dem  Bull.  mon.  entlehnte  Abbildung 
der  Obermauer  deutlich  macht.    Vgl.  Bull.  mon.  t.  33,  p.  649  ff.  und 


Pe"rigueux  (de  Verneillh  p.  106),  die  Kirche  zu  Loupiae  (Taf.  84). 

Sehr  interessant  ist  es,  eine  Anlage  gleicher  Art  auch  am  entgegen- 
gesetzten Ende  Frankreichs  zu  finden ;  wir  meinen  S.  Pien-e  in  Viennb, 
gegr.  a.  920.  Auch  hier  Hess  sich  die  einheitliche  Decke  bei  einer 
Spannung  von  reichlich  14  m  nicht  dauernd  aufrecht  erhalten;  man 
erneuerte  zwar  die  Balkendecke,  unterstützte  sie  jedoch  durch  zwei- 
geschossig angeordnete  Pfeiler-  und  Arkadenstellungen,  welche  nunmehr 
den  Raum  in  drei  gleich  hohe  Schiffe  teilen.    Diese  inneren  Stützen 


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25S 


Zweites  Buch    I>er  romanische  Stil. 


tragen  die  Formen  des  vorgeschrittenen  romanischen  Stils,  während 
an  den  Umfassungsmauern  der  kleinere  Verband  im  Wechsel  mit  Ziegel- 
streifen auf  den  Gründungsbau  hinweist. 

Von  den  frühromanischen  Basiliken  des  Loiregebtetes  ist  wenig 
mehr  als  die  Namen  auf  uns  gekommen.  Es  befanden  sich  schon 
mehrere  bedeutende  Werke  darunter,  die  nicht  mit  Stillschweigen 
übergangen  werden  dürfen. 

Den  ersten  Platz  nahm  die  Abteikirche  von  S.  Martin  in  Tours 
ein.  Die  ehrwürdige  Basilika  des  5.  Jahrhunderts,  das  bedeutendste 
Bauwerk,  das  zwischen  dem  Untergang  des  romischen  Reiches  und 
Karl  dem  Grossen  im  Oecident  entstanden  war,  ging  im  Jahre  997 


vgl.  Congres  arch.  1871,  j».  250  fi'.  und  Bull.  mon.  1873,  P-  4°3 
Der  baulustigste  Fürst  seiner  Zeit  war  Graf  Fulko  Nerra  von  Anjou 
987  — 1040).  Die  Gewaltigkeit  seiner  Fortifikationsbauten  setzt  noch 
heute  in  Staunen.  Seine  Kirchenbauten  hatten  aber  durchweg  noch 
Holzdecken.  Beaulieu  bei  Loches  nannten  wir  schon.  Die  übrigen 
waren  Pfeilerbasiliken,  gegenwärtig  freilich  alle  mehr  oder  minder 
entstellt:  in  der  Stadt  Angers  S.  Martin  (Taf.  79,  84),  lange  fälschlich 
für  karolingisch  gehalten,  und  die  Abteikirche  Roncerav,  eingewolbt 
a.  11 15  (s.  die  obenstehende  Figur),  vgl.  Quicherat,  MeManges  ]>.  430. 
Revue  de  1' Anjou  I,  p.  166;  in  der  Grafschaft:  S.  Jean  zu  Langeois 
und  S.  Jean  zu  Chateaugontier.  vgl.  Congres  arch.  1871,  p.  160. 


durch  Feuersbrunst  zu  Grunde. 
Unverzüglich  wurde  ein  Neubau 
in  Angriff"  genommen  und  a.  1014 
vollendet.  Umbau  zum  Zwecke 
der  Einwolbung  seit  A.  saec.  12. 
In  den  Revolutionsjahren  abge- 
brochen. Von  dem  Bau  des  saec. 
1 1 ,  dessen  ausserordentliche  vor- 
bildliche Wirkung  wir  einerseits 
bis  in  die  Champagne,  anderer- 
seits bis  nach  Toulouse  verfolgen 
können,  sind  neuerdings  die  Fun- 
damente des  Chors  aufgedeckt.  — 
Stattliche  Basiliken  waren  ferner 
die  Kathedralen  von  Angers  (ge- 
weiht a.  1030)  und  Le  Mans  (a. 
1085—  1097);  von  beiden  bestehen 
noch  die  in  die  Umbauten  de* 
folgenden  Jahrhunderts  herüber- 
genommenen SeitenschifTsmauern. 


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Viertes  Kapitel    Die  ttechgedeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


2  59 


Weiter  stromaufwärts  im  Orlöannais  hat  sich  der  Gebrauch  der 
Flachdecke  länger  erhalten.  Die  NotreDame  in  BeaUGENCY  hat  mit 
Ausnahme  der  im  saec.  16  hinzugefügten  Gewölbe  das  Gepräge  des 


späten  saec.  1 1  treu  bewahrt.  —  In  Orleans  dagegen  ist  in  der  Kirche 
Saint  Aignan  von  dem  a.  1029  gew.  Bau  nur  die  Krypta  übrig,  die 
Oberkirche  gotisch  erneuert.  —  Das  grossartigste  Denkmal  dieser  Re- 
gion ist  die  Abteikirche  S.  Benoit-sür-Loirf.,  bei  Beginn  des  Baues 


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Zweites  Buch    Der  rumänische  Stil. 


a.  1062  wahrscheinlich  als  eine  im  Mittelschiffe  flachgedeckte  Säulen 
basilika  mit  tonnengewölbten  Seitenschiffen  geplant. 

Die  Kathedrale  S.  Cyr  von  Nevers  wurde  seit  a.  010  neu  gebaut, 
a.  1028  durchgreifend  restauriert.  Hiervon  hat  die  spätere  gotische 
Erneuerung  Transsept  und  Apsis  bestehen  lassen.  Dieselben  liegen 
merkwürdigerweise  nach  Westen.  Die  Dimensionen  sind  für  die  Ent- 
stehungszeit sehr  bedeutend,  indem  das  Transsept  40  m  in  der  Länge, 
13,20  m  in  der  Breite  hat.  Eigentümlich  sind  sodann  die  jederseits 
die  Kreuzflügel  von  der  Kreuzvierung  scheidenden  Doppelarkaden 
vgl.  die  vorstehende  Figur),  welche,  da  sie  nur  bis  zur  halben  Mauer- 
höhe hinaufreichen,  keine  konstruktive  Bedeutung  haben,  sondern  als 
liturgische  Markierung  zu  denken  sind.  Die  Anlage  eines  Westchors 
ist  bekanntlich  in  Frankreich  ebenso  ungewöhnlich,  wie  sie  in  Deutsch- 
land geläufig  war.    Sie  ist  hier  wie  anderwärts  in  einer  Mehrheit  von 


Lt  Marchc. 


Titelheiligen  begründet.  Die  Kirche  war  ursprünglich  dem  heil.  Ger- 
vasius geweiht.  Karl  der  Kahle,  welcher  eine  besondere  Verehrung 
gegen  S.  Cyrus  hegte,  schenkte  ihr  die  Reliquien  dieses  Heiligen  und 
erhob  ihn  zum  Titularheiligen  der  Kirche.  Ihm  war  der  Westchor 
geweiht  ;  Marten  e  voy.  litt.  I,  p.  47)  und  die  Anlage  der  westlichen 
Krypta  ist  auf  die  Schenkung  der  Reliquien  zurückzuführen.  Vielleicht 
ist  es  auch  diesem  Umstände  zu  danken,  dass  beim  gotischen  Umbau 
der  alte  Westchor  stehen  blieb.  Dass  die  Kirche  nicht  westlich  orien- 
tiert war,  sondern  von  jeher  einen  Ostchor  hatte,  wird  durch  die 
östlich  gerichteten  Apsidiolen  am  Westtranssept  unzweideutig  dargethan. 
Das  Beispiel  der  Kathedrale  blieb  nicht  ohne  Einfluss  auf  die  Umgebung. 
-Le  Nivernais«  p.  175  giebt  den  Grundriss  der  fast  ganz  zerstörten 
kleinen  Kirche  zu  La  Marche  doppelchörig ,  doch  ohne  Transsept. 
Die  a.  1063  in  Nevers  begonnene  Abteikirche  von  S.  Etienne  ist  be- 
reits ein  durchgebildeter  Gewölbebau. 


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Viertes  Kapitel :  Die  tlachgedeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


2ÖI 


Weiter  ostwärts  Burgund  hat  die  Kenntniss  des  Wölbens  früh 
entwickelt  und  besitzt  aus  der  vorangehenden  Epoche  jetzt  keine 
Ueberreste  mehr.  Die  von  Abt  Majolus  neugebaute  Abteikirche  von 
Cluny  war  aber  sicher  noch  eine  Flachdeckbasilika;  die  Menge  der 
auf  der  Durance  und  Rhone  herbeigeschifften  Marmorsäulen  wird 
gerühmt.  Nächst  S.  Martin  in  Tours  das  einflussreichste  architektonische 
Vorbild  in  Frankreich  und  über  Frankreich  hinaus,  worüber  das  Nähere 
im  nächsten  Abschnitt. 

NORDFRANKREICH  lässt  nicht  ahnen,  dass  es  noch  vor  Ab- 
lauf des  12.  Jahrhunderts  sich  an  die  Spitze  des  nationalen  Bau- 
wesens emporschwingen  werde.  Bis  zur  Mitte  des  Jahrhunderts  ist  es 
die  am  meisten  zurückgebliebene,  die  am  wenigsten  durch  eigentüm- 
liche Züge  ausgezeichnete  Region.    Auf  Grundlage  der  karolingischen 
Tradition  begegnen  sich,  mittelfranzösische,  normannische,  rheinische 
Einflüsse.  Die  grösseren  Abtei-  und  Kathedralkirchen  sind  mit  wenigen 
Ausnahmen  dem  Baueifer  der  frühgotischen  Epoche  gewichen,  doch 
haben  wir  guten  Grund  anzunehmen,  dass  sie  weder  räumlich  noch 
durch  künstlerischen  Gehalt  bedeutend  waren.  Die  Gattung  der  Dorf-. 
Pfarr-  und  kleineren  Klosterkirchen  dagegen  ist  noch  in  zahlreichen 
Beispielen  vertreten ;  in  ihr  blieb  die  Balkendecke  bis  in  die  Epoche 
der  friihgotischen  Kathedralen  hinein  im  Gebrauch :  durchweg  von 
schlichter  und  derber,   die  älteren  sogar  von  auffallend  roher  Be- 
handlung. 

Der  eine  Schulmittelpunkt  ist  in  Paris.  Die  im  saec.  11  erneuerten 
Abteikirchen  S.Germain-des-Pre"s  (um  a.  1014)  und  Ste.  Ge*n£vieve 
(a.  1068),  die  vornehmsten  der  Stadt,  zeigen  am  besten,  dass  man 
unter  den  ersten  Kapetingern  hier  seine  Ansprüche  nicht  gar  hoch  stellte. 
Vron  der  letzteren  sind  nur  die  Fundamente  und  vereinzelte  Trümmer 
aufgedeckt  (Abb.  bei  Lcnoir,  Statistiquc  monumentale  de  Paris),  von 
der  erstcren  sind  Langhaus  und  Transsept  in  den  friihgotischen  Umbau 
aufgenommen.  Das  Transsept  ist  nach  deutscher  Weise  aus  drei 
Quadraten  zusammengesetzt,  wie  es  auch  die  kleine  Prioreikirche 
Montmille  und  die  von  Epoy  bei  Reims  hat.  Sonst  entbehren  die 
kleineren  Kirchen  dieser  Gegenden  meist  des  Transseptes  oder  be- 
gnügen sich  mit  einer  Andeutung  nach  dem  uns  von  Deutschland  und 
Italien  her  bekannten  Verfahren  (vgl.  S.  164  u.  229),  dass  die  letzte 
Arkade  vor  dem  Sanktuarium  bedeutend  breiter  angelegt  wird;  Bei- 
spiele: S.  Brice  in  Chartres,  S.  Remy  l'Abbaye  im  Beauvaisis. 
Ausserdem  kommen  ganz  einfache  Räume  vor,  die  nicht  viel  anders 
wiegrosse  Scheunen  aussehen:  Abbeville,  Bailleval,  Bresles,  Her- 
mös.   Vgl.  T.if.  79.    Weitere  Beispiele  bei  Woillez  in  den  Monuments 


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262 


Zweites  Huch  :  Der  romanische  Stil. 


de  landen  Beauvaisis.  Paris  1839—49.  —  Als  Beispiele  von  flach- 
gedeckten Kirchen,  die  durch  Spitzbogenarkaden  auf  die  zweite  Hälfte 
des  saec.  12  hinweisen,  nennen  wir  aus  den  Departements  Oise  und 
Marne  die  zu  Maisons  sous  Vitoy-le-Francais,  Coudun,  Gudrande, 
Plailly,  Marolies,  endlich  selbst  zwei  Stadtkirchen:  S.  Martin  in 
Laon  (Abb.  bei  Viollet-le-Duc  VII,  p.  167)  und  S.Jacques  in  Reims, 
beide  indes  noch  vor  Schluss  des  Jahrhunderts  eingewölbt.  In  S.  M£ 
•lard  zu  Quesmy,  einer  kleinen  Säulenbasilika  von  zierlich  spätroma- 
nischer Durchbildung,  lässt  sich,  obgleich  sie  noch  keine  Spitzbogen 
hat,  der  Einfluss  der  frühgotischen  Kathedrale  des  unfern  gelegenen 
Xoyon  wohl  erkennen. 

Bedeutender  wie  die  Schule  von  Paris  zeigt  sich  die  von  Reims. 
Die  Kathedrale,  ein  Werk  der  grossen  Erzbischöfe  Ebbo  und  jenes 
Hinkmar,  der  Reims  zum  nordischen  Rom  zu  erheben  sich  zutraute, 
stand  bis  zum  Jahr  12 10.  Derselbe  Hinkmar  erbaute  eine  neue  Kirche 
über  dem  Grabe  des  H.  Remigius,  des  Täufers  König  Chlodwigs 

gew.  852).  Allein  nach  150  Jahren  zeigte  sie  sich  schon  baufällig  — 
wie  der  Chronist  sagt :  weil  die  häufigen  Einfälle  der  Barbaren  nicht 
gestattet  hatten,  die  Arbeit  mit  der  nötigen  Sorgfalt  auszuführen  — 
und  der  Abt  Airard,  von  Ehrgeiz  gespornt,  beschloss  anstatt  Aus- 
besserung einen  Neubau.  Erwähnen  wir  noch  rasch,  dass  im  n.  Jahr- 
hundert die  Stadt  noch  zwei  andere  Abteikirchen,  des  H.  Dionysius 
und  des  H.  Nichasius,  entstehen  sah.  Sie  werden  als  stattlich  ge- 
rühmt, doch  überragte  sie  und  überhaupt  alle  Kirchen  des  französischen 
Nordens  jene  des  H.  Remigius  um  Haupteslänge.  Ihre  Vollendung 
und  Weihe  durch  Papst  Leo  IX.  im  Jahre  1049  gab  dem  Mönche 
Anselm  Anlass,  die  Baugeschichte  aufzuzeichnen ,  die  ausführlichste 
ihrer  Art,  die  wir  aus  jener  Zeit  besitzen  (>Itinerarium  Leonis  papae< 
bei  Mabillon,  acta  SS.  saec.  ed.  Venet.  VI,  pars  I,  p.  625  ff.).  Dadurch 
werden  die  Behauptungen  ViolIet-le-Ducs,  dass  die  Kirche  dem  9.  und 
10.  saec.  angehöre  und  Leblans  (Congres  arch.  1875,  P-  234  ^-)>  dass 
das  vorhandene  wesentlich  das  Werk  Hinkmars  sei,  durchaus  hinfällig. 
Der  Chronist  sagt  sehr  bestimmt,  dass  Airard  a.  1005  einen  völligen 
Neubau  unternahm.  Sein  Nachfolger  Dietrich  jedoch,  der  es  für  un- 
möglich hielt,  das  Werk  in  dem  Sinne  wie  es  begonnen  war  zu  einem 
guten  Ende  zu  führen,  brach  es  grossenteils  wieder  ab  und  führte  es 
nach  einem  einfacheren  Plane  (Taciliore  struetura  sed  non  indecentiore), 
indes  mit  Beibehaltung  der  Fundamente,  weiter.  Was  Airards  Ab- 
sichten gewesen  sein  mögen,  ist  über  den  Grundriss  hinaus  nicht  mehr 
zu  erkennen.  Dass  ein  Schwanken  in  der  Bauführung  vorgekommen 
ist,  erkennt  man  indes  deutlich  in  der  Chorpartie  und  dem  Transsept 

Taf  119)  und  den  Abweichungen  des  Systems  in  Lang-  und  Querhaus 


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Viertes  Kapitel    Die  rlachgedeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


263 


(Taf.  86).  Von  spateren  Zuthaten  ist  die  wichtigste  die  (in  unserem 
Grundriss  nicht  angegebene)  frühgotische  Erweiterung  des  Sanktuariums 
Während  der  Aufbau  noch  befangene,  ja  einigermassen  rohe  Behand- 
lung zeigt,  scheint  die  Plandisposition  einem  schöpferischen  Geiste 
ersten  Ranges  entsprungen  zu  sein.  Die  reiche  Gliederung  der  Chor- 
partie, die  dreischiffige  Bildung  des  Querhauses,  die  fünfschiffige  des 
Langhauses,  das  sind  ebensoviel  ganz  neue,  kühne  bedeutende  Ge- 
danken, eine  notwendig  in  Staunen  versetzende  Erweiterung  der  Ueber- 
lieferung.  Ist  dieser  Plan  in  Reims  ersonnen?  Zunächst  für  den  Chor 
und  die  anstossende  Ostseite  des  Transseptes  ist  die  Frage  mit  Sicher- 
heit zu  verneinen.  Sie  weist  sich  klärlich  als  Kopie  des  wenige  Jahre 
zuvor  begonnenen  Martinsmunsters  in  Tours,  jener  berühmtesten 
und  ehrwürdigsten  Kirche  Galliens,  aus.  Die  Wendung  des  Chronisten, 
der  Abt  sei  durch  das  Beispiel  anderer  Kirchenhirten,  »qui  ecclesias 
suas  ex  vetustate  in  potiorem  statum  studuerunt  reforrnare  -,  zu  seinem 
Unternehmen  angereizt  worden,  und  habe  Männer,  »qui  architecturae 
periti  ferebantur*,  herbeigerufen,  erscheint  hierdurch  auf  einmal  in  hel- 
lerem Lichte.  Ein  Unterschied  besteht  nur  insofern,  als  in  Tours  die 
Chorrundung  mit  fünf,  in  Reims  mit  drei  Absidiolen  besetzt  ist.  Allein 
dieser  Teil  beruht  auf  einer  restaurierten  Zeichnung  Viollet-le-Ducs, 
von  der  wir  nicht  wissen,  auf  wie  sichere  Indizien  sie  sich  gründet. 
Um  so  bedeutsamer  bleibt,  dass  der  Durchmesser  der  Rundung  auf 
ein  Haar  das  gleiche  Maass  hat,  wie  in  Tours.  Dasselbe  gilt  von  der 
Länge  des  Transseptes,  wenn  man  den  jüngeren  südlichen  Kreuzarm 
dem  früher  ausgeführten  nördlichen  kongruent  denkt.  Den  Vergleich 
auf  direktem  Wege  weiter  zu  führen,  sind  wir  nicht  im  stände;  denn 
das  Münster  in  Tours  ist  im  saec.  12  einem  Umbau  unterworfen  worden. 
Trotzdem  ergiebt  sich  auch  für  die  übrigen  Hauptmaasse ,  nämlich 
Breite  des  Transseptes  und  Länge  des  Vorderschiffes  (wobei  zu  wissen 
nötig  ist,  dass  die  zwei  westlichsten  Joche  von  S.  Remy  jenseits 
der  Linie  a  — b  im  saec.  12  hinzugefügt  worden),  aufs  neue  genaue 
Gleichheit.  Zwei  wichtige  Schlüsse  ergeben  sich  daraus:  erstens,  dass 
der  Umbau  von  S.  Martin  im  saec.  12,  mit  Ausnahme  der  Chorerwei- 
terung, die  Grundlinien  des  Baus  von  997  —  1014  festgehalten  hat; 
zweitens,  dass  der  Bau  Airards  in  Reims  eine  buchstäbliche  Kopie 
davon  war. 

Bedürfte  es  noch  einer  Stütze  der  obigen  Folgerung,  so  wird  sie 
durch  ein  drittes  Monument  gegeben:  S.  Sermn  in  Toulouse.  Der 
Vergleich  mit  S.  Remy  erweist  nicht  nur  Aehnlichkeit  der  Konfiguration, 
sondern  auch  Kongruenz  der  Hauptmaasse,  d.  i.  der  Längen  des  Trans- 
septes und  Langhauses  (letzteres  von  den  Vierungspfeilern  gemessen). 
Dagegen  bestehen  Verschiedenheiten  in  betreff  der  inneren  Einteilung 


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264 


Zweites  Buch    Der  romanische  Stil. 


der  Schiffe.  Es  ist  interessant,  auch  diese  näher  zu  betrachten.  S.  Sernin 
ist  junger  wie  S.  Remy.  Der  Chor  wurde  a.  1096  eingeweiht,  Trans- 
sept  und  Langhaus  im  nächsten  Jahrhundert  langsam  fortgeführt.  Mit- 
hin hatten  die  Erbauer  von  S.  Sernin  das  gemeinschaftliche  Muster 
schon  in  einem  veränderten  Zustande  vor  Augen:  nämlich  in  dem 
auf  Wölbung  berechneten  Umbau  seit  A.  saec.  12.  Dieser  Zustand  ist 
ganz  genau  kopiert:  man  erkennt  dieselben  Pfeilergrundrisse,  dieselben 
Gewölbespannungen ;  eine  leider  nur  flüchtige  Ansicht  von  S.  Martin, 
genommen  während  des  Abbruches  im  Jahre  1798,  zeigt  auch  dasselbe 
System  des  Aufbaus  (Abb.  im  Bull  mon.  1874,  p.  50).  Besitzen  wir 
nun  in  S.  Remy  eine  ebenso  genaue  Kopie  des  ersten,  flachgedeckten 
Zustande.*?  Ein  paar  bedeutsame  kleine  Umstände  machen  es  höchst 
wahrscheinlich.  Während  nämlich  der  Kopist  in  S.  Sernin  Länge  und 
Breite  der  Schiffe  präzis  wiedergiebt,  hat  er  sich  die  Pfeilerintervallen 
nicht  so  genau  gemerkt :  sie  sind  um  40  cm  enger  geraten  und  dadurch 
bei  gleicher  Gesamtlänge  12  Traveen  anstatt  der  11  des  Originales 
herausgekommen.  In  diesen  beiden  Punkten  nun  stimmt  S.  Remy 
auch  noch  mit  dem  zweiten  Zustande  von  S.  Martin  mit  staunens- 
werter Akkuratesse  überein.  Nichts  ist  da  wahrscheinlicher,  als  dass 
auch  die  Schiffweiten  ursprünglich  die  gleichen  waren.  Eine  Weite 
von  13,50  m  zu  überwölben,  schien  jedoch  zu  Anfang  des  saec.  12  mit 
Recht  ein  zu  kühnes  Wagestück  und  deshalb  rückte  man  die  Stützen 
enger  zusammen  und  zwar,  um  als  Grundlage  für  den  Zentralturm  ein 
reines  Quadrat  zu  gewinnen,  auf  das  unverändert  das  alte  bleibende 
Maass  des  Querhaus-Mittelschiffs.  Die  Winkelabweichungen  beim  An- 
schluss  an  die  Chorrundung  zeigen  deutlich,  dass  hier  eine  nachtrag- 
liche Verschiebung  vorliegt. 

Wir  haben  der  obigen  Untersuchung  einen  grösseren  Raum  ge- 
stattet, als  sonst  unsere  Gewohnheit  ist.  Das  Resultat  —  die  Resti- 
tution des  für  die  Entwicklungsgeschichte  des  Frühromanismus  in 
Frankreich  wichtigsten  Denkmals  —  schien  uns  dieses  Aufwandes 
wert  zu  sein. 

3.   Die  Choranlagen. 

Wie  in  Deutschland,  so  ist  auch  in  Frankreich  der  Chor  derjenige 
Teil  des  überlieferten  Basilikengrundrisses,  der  zuerst  und  am  kräf- 
tigsten vom  Umgestaltungstriebe  ergriffen  wird.  Während  aber  in 
deutsch-romanischem  Stil  der  an  dieser  Stelle  angeschlagene  Rhyth- 
mus alsbald  den  ganzen  Grundplan  durchdringt,  wird  im  französischen 
der  Chor  als  ein  für  sich  bestehendes  Motiv  behandelt.  Diese  Auf- 
fassung ist  weniger  organisch,  aber  sie  gestattet  eine  Mannigfaltigkeit 


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Viertes  Kapitel    Die  Hachgedeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


der  Lösungen,  die  in  Wirklichkeit  zu  einer  unübersehlichen  wird.  Wir 
wollen  uns  nur  mit  den  geläufigeren  Formen  beschäftigen. 

EINFACHE.  Der  Halbkreis  der  Apsis  schliesst  unmittelbar  an 
das  Transsept,  beziehungsweise  das  Hauptschiff  an :  Taf.  79,  Fig.  3, 
4,  5,  8.  Häufiger  wird  ein  viereckiger  Raumteil  in  der  Breite  der 
Apsis  —  man  könnte  ihn  Vorderchor  nennen  —  eingeschoben.  Die 
Aehnlichkeit  mit  dem  deutschromanischen  Kreuzgrundriss  ist  nur  eine 
scheinbare;  denn  dieser  Vorderchor  ist  nicht  das  durch  das  Trans- 
sept hindurchgedrungene  Hauptschiff,  sondern  niedriger  wie  dieses, 
gewölbt,  in  gleicher  Scheitelhöhe  mit  der  Apsis.  Beispiele  Taf.  79, 
Fig.  2,  6,  7,  15,  Taf.  84,  Fig.  3,  Taf.  85,  Fig.  3.  Zuweilen  hat  der 
Vorderchor  nur  sehr  geringe  Tiefe :  S.  Cyr  in  Nevers  S.  260. 

Rundchor  mit  Umgang  und  ausstrahlenden  Kapellen. 
In  den  grossen  Kirchen,  noch  mehr  den  Abtei-  als  den  Kathedral- 
kirchen, ging  die  erste  Forderung  an  vorzunehmende  Neuerungen  auf 
Erweiterung  des  Chores,  teils  um  einen  unabhängigen  und  passend 
gegliederten  Raum  für  die  Geistlichkeit,  teils  um  angemessene  Plätze 
für  eine  Mehrheit  von  Altären  zu  gewinnen.  Im  ostfränkischen  Reiche 
waren  diese  Desiderate  getrennt  behandelt  worden ;  das  eine  führte 
zur  Verlängerung  des  Mittelschiffs  über  das  Querschiff  hinaus,  das 
andere  zur  Anlage  des  Westchors.  Im  westfränkischen  Reich  suchte 
man  beide  gemeinschaftlich  zu  lösen,  eben  durch  die  in  Rede  stehende 
Disposition.  Lag  dort  der  Krystallisationspunkt  im  Kreuzesmittcl 
(der  Vierung),  so  hier  in  der  Apsis.  Die  Erweiterung  erfolgt  kon- 
zentrisch. Ein  ringförmiger  Umgang  setzt  sich  an,  durch  eine  Säulen- 
stellung vom  inneren  Halbkreis  abgegrenzt.  Der  letztere  enthält  den 
Hauptaltar  und  ihn  umgiebt  gleichsam  ein  Strahlenkranz  von  Neben- 
altären, in  halbrunden,  aus  dem  äusseren  Mauerring  in  radianten 
Stellungen  zum  Zentrum  hervortretenden  Nischen.  Noch  ausdrucks- 
voller gestaltet  sich  diese  Gruppierung,  wenn  der  innere  Halbkreis 
von  einem  Lichtgaden  überragt  wird.  Ist  ein  Transsept  vorhanden, 
so  wird  auch  dieses  an  der  Ostseite  seiner  Flügel  mit  Apsidiolen 
besetzt. 

In  der  That  hat  die  ganze  Baukunst  des  Mittelalters  kein  zweites 
Grundrissmotiv  mehr  von  so  glänzender  Schönheit  und  so  reicher 
Entwickelungsfähigkeit  —  zumal  für  die  Komposition  des  äusseren 
Aufbaus  —  hervorgebracht,  wie  das  eben  beschriebene.  Es  ist  der 
erste  selbständige  Gedanke  von  Bedeutung,  mit  dem  die  romanische 
Kunst  in  Frankreich  hervortritt,  und  bleibt  dann  ihr  immer  stolzer 

iS 


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266 


Zweites  Buch;  Der  romanische  Stil. 


heranwachsendes  Lieblingskind  j  ja ,  er  überdauert  den  romanischen 
Stil  selbst,  um  im  gotischen  seinen  aufs  höchste  gesteigerten  Aus- 
druck zu  finden.  Dabei  bleibt  das  Motiv  ein  spezifisch  französisches. 
Schon  die  provengalische,  wie  die  normannisch-englische  Schule  machen 
nur  sporadischen  Gebrauch  davon,  Deutschland  und  Italien  kennen 
es  nicht  *)  wohl  aber  Spanien,  das  baugeschichtlich  nur  eine  franzö- 
sische Provinz  ist. 

Die  Entstehung  des  Motives  liegt  nach  Zeit  und  Ursache  im 
Dunkel  verborgen  *).  Wir  geben  nachstehend  einen  Versuch,  dasselbe 
wenigstens  auf  einigen  Punkten  zu  erhellen.  —  Die  beiden  ältesten 
erhaltenen  Denkmalbeispiele  sind  die  Notre-Dame  de  la  Coüture 
in  Le  Mans  (Taf.  119,  Fig.  7  u.  7a)  und  S.  Martin  in  Tours.  An 
der  Coüture  unterscheidet  man  drei  Bauperioden:  die  jüngste,  ein 
Umbau  des  Schiffs  im  saec.  12,  vgl.  die  rechte  Hälfte  unserer  Zeich- 
nung; die  zweite,  eine  Erweiterung  des  Chors  unter  Abt  Gauzbert  (c. 
a.  990—1007);  die  älteste,  aus  saec.  9,  in  der  Krypta  (Fig.  7  a)  und 
den  untern  Mauerteilen  der  Schiffe  noch  erkennbar,  woraus  sich  die 
Restitution  auf  der  linken  Hälfte  der  Zeichnung  ergiebt  s),  vgl.  Congres 
arch.  1878. 

Da  in  der  992  oder  993  beginnenden  Bauperiode  zweierlei  zu 
unterscheiden  ist:  Ausbesserung  der  Schiffe  und  Neubau  des  Chors  — 
so  folgt  aus  der  Thatsache,  dass  a.  995  Bischof  Sigenfried  in  der 
Kirche  bestattet  wurde,  noch  keineswegs  die  andere,  dass  in  diesem 
Jahre  schon  der  neue  Chor  bestanden  habe ;  er  könnte  ganz  wohl  erst 
in  den  letzten  Jahren  Abt  Gauzberts  (f  a.  1007)  errichtet  sein.  Mit 
andern  Worten:  die  chronologische  Ueberlieferung  widerspricht  der 
Möglichkeit  nicht,  dass  die  Coüture  eine  Nachahmung  des  schon  997 
begonnenen  Martinsmünsters  gewesen  sei.  Und  diese  Möglichkeit  ist, 
wenn  wir  die  auf  S.  249  u.  263  dargelegte  hohe  Bedeutung  von  S.  Martin 
in  Erwägung  ziehen ,  ohne  Frage  die  überwiegend  wahrscheinlichere. 
Sie  empfängt  eine  spezielle  Unterstützung  in  der  Nachricht,  dass  Gauz- 
bert, als  er  nach  Le  Mans  berufen  wurde,  sich  bereits  als  Baumeister 
einen  Namen  gemacht  hatte:  vier  nicht  unbedeutende  Kirchen  waren 
unter  seiner  Leitung  entstanden  (vgl.  Rame*  im  Bulletin  du  comite"  des 
travaux  historiques  1882,  p.  191)  sämtlich   bei   oder   in  Tours. 


')  Ausnahmen    S.  Gudehani  in  Hildesheim  ,  S.  Trinita  in  Venaso ,  Kathedrale 
von  Acerenza. 

r<  7.ut  Kritik  der  Meinungen  von  Fergusson ,  Marimee,  Lenoir  vgl.  G.  v.  Be/o'.d 
in  Centralhlatt  der  Bauvcrwaltung  1886,  Nr.  15. 

*)  Beiläufig  bemerkt    eine  Überraschende  Aehnlichkeit  mit  dem  von  uns  ver- 
mutungsweise gleichfalls  dem  saec.  9  zugeschriebenen  Grundriss  von  Hersfeld.  Taf.  42. 


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Viertes  Kapitel  :  Die  rtachgedeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


267 


Ueber  allem  Zweifel  steht  sodann  die  vorbildliche  Einwirkung  des 
Martinsmünsters  bei  dem  drittältesten  der  erhaltenen  Beispiele,  bei 
S.  Remy  in  Reims,  vgl.  oben  S.  262. 

Die  weitere  Frage  ist  nun,  ob  «las  Motiv  bei  dem  Neubau  des 
Martinsmunsters  seit  997  als  ein  ganz  neues  auftrat,  oder  ob  es  schon 
durch  den  alten  Bau  des  Perpetuus  (von  a.  470)  irgendwie  prädisponiert 
war.  Von  dem  hohen,  ja  einzigen  Ruhm  dieser  Kirche,  so  als  Architektur- 
werk wie  als  Wallfahrtsziel,  haben  wir  früher  gesprochen.  Ihre  Anlage 
unterschied  sich  in  mehreren  Punkten  von  dem  altchristlichen  Normal- 
schema, vorab  in  betreff  der  Apsis.  Dieselbe  hatte  hier  nicht,  wie  es 
sonst  die  gewöhnliche  Bestimmung  war,  als  Presbyterium  zu  dienen, 
sondern  als  Martyrium,  als  Aufbewahrungsort  für  die  sterblichen  Reste 
des  Heiligen :  >Hic  (Perpetuus)  sub  mota  basilica,  quam  Briccius  epi- 
scopus  aedifieaverat  super  sanetum  Martinum,  aedineavit  aliam  amplio- 
rem  miro  opere,  in  cujus  absida  beatum  corpus  vcnerabilis  saneti 
transtulit«  ^Gregorii  Turonensis  Hist.  Franc.  X,  c.  31).  Diesem  Zwecke 
wurde  die  bauliche  Disposition  angepasst.   Der  dreifache  Sarg,  anstatt 


in  einer  Krypta  verborgen  zu  werden,  stand  auf  ebener  Erde,  im 
Zentrum  der  Apsis,  geschützt  durch  eine  Aedikula,  zu  der  eine  mit 
einem  Vorhang  versehene  Thür  führte.  In  der  Richtung  der  Füsse 
des  Heiligen,  d.  i.  gegen  Osten,  schloss  sich  an  die  Apsis  ein  »atriumc, 
von  welchem  aus  die  Besucher  das  Grab  in  der  Nähe  betrachten 
konnten.  J.  Quicherat  hat  in  seiner  bedeutenden  Abhandlung  »Resti- 
tution de  la  basilique  de  Saint-Martin  de  Tours«  (Revue  arche"ologique 
1869  und  1870,  wieder  abgedruckt  in  den  Mdanges  d'arche"ologie  et 
d'histoire  i886\  auf  Grund  sorgfältigster  und  scharfsinnigster  Erwägung 


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268 


Zweites  Buch    Der  romanische  Stil. 


aller  zerstreuten  Zeugnisse,  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass  das  fragliche 
»atriunu  nur  als  ein  ringförmiger  Umgang  um  die  in  Säulenstellungen 
sich  öffnende  Apsis  gedacht  werden  könne,  wie  die  beistehende  Zeich- 
nung anschaulich  macht.  Wir  wollen  Quicherats  Restitution  nicht  in 
allen  Stücken  vertreten ,  in  dem  genannten  Hauptpunkte  aber  kommt 
ihr  höchste  Wahrscheinlichkeit  zu.  Sie  findet  schwerwiegende  Unter- 
stützung in  den  inzwischen  von  G.  B.  de  Rossi  (Bulletino  cristiano 
1880,  p.  148  — 151)  nachgewiesenen  Analogien,  wonach  eine  ganze 
Anzahl  frühchristlicher  Kirchen  speziell  des  5.  und  6.  Jahrhunderts 
(S.  Maria  maggiore  und  SS.  Cosma  e  Damiano  in  Rom,  die  Basilika 
Severiana  in  Neapel,  die  Basilika  von  Prata  bei  Avellino,  die  Basilika 
zu  Tebessa  in  Afrika  etc.)  ihre  Apsiden  durch  Bogen-  und  Säulenstel- 
lungen gegen  einen  hinterwärts  liegenden,  meist  konzentrisch  angelegten 
Raum  öffneten.  Mit  Recht  meint  de  Rossi,  dass  diese  abnormale 
Disposition  in  den  genannten  Jahrhunderten  in  Italien,  Afrika  und 
Gallien  ziemlich  häufig  angewendet  worden  sein  muss.  Der  spezielle 
Zweck  wechselte;  in  S.  Maria  maggiore  z.  B.  wurde  der  Umgang  als 
Matronäum  benutzt.  In  Tours  dürften,  was  die  formale  Ausbildung 
betrifft,  die  zentrischen  Grab-  und  Denkmalskirchen  —  halbiert  genom- 
men —  vorbildlich  eingewirkt  haben,  und  in  diesem  beschränkten  Sinne 
sind  wir  ganz  geneigt,  der  Vermutung  Ch.  Lenormants,  der  das  Sank- 
tuarium von  S.  Martin  für  eine  Nachahmung  der  konstantinischen 
Anastasis  bei  der  H.  Grabkirche  zu  Jerusalem  erklärte,  beizutreten. 

Wahrscheinlich  viel  jüngeren  Ursprungs  ist  die  Evolution  der 
radianten  Kapellen.  Sie  sind  nicht  früher  nachzuweisen  als  im  Umbau 
von  S.  Martin  von  a.  997,  dessen  Fundamente  noch  erhalten  sind 
(Taf.  119).  Den  Keim  dazu  glauben  wir  indes  schon  im  Bau  des  Per- 
petuus  zu  erkennen.  Die  Sitte  der  Zeit  brachte  es  mit  sich,  dass  aus- 
gezeichnete Personen  geistlichen  oder  auch  weltlichen  Standes  unter 
einem  Dach  mit  dem  Heiligen  ihre  letzte  Ruhestätte  suchten.  Die 
Ehrenplätze  waren  die  in  seiner  Nähe,  im  »atriunu  der  Apsis,  und 
zwar  müssen  die  Sarkophage,  wenn  anders  sie  die  Zirkulation  nicht 
stören  sollten ,  in  Nischen  sub  arcu  aufgestellt  worden  sein  (wofür 
Quicherat  p.  63  auch  noch  bestimmte  Analogien  anführt).  Die  hier 
Bestatteten  erlangten  nun  mit  der  Zeit  selber  das  Ansehen  von  Heiligen, 
auch  an  ihren  Gräbern  geschahen  Mirakel,  ihre  Sarkophage  wurden 
zu  Altären.  —  Somit  wären  die  radianten  Kapellen  die  naturgemässe 
Fortbildung  dieser  ursprünglichen  Grabnischen.  Wann  das  geschah, 
ist  nicht  zu  sagen.  Vielleicht  erst  im  Neubau  von  997,  vielleicht 
schon  gelegentlich  einer  der  früheren  Restaurationen,  deren  das  Ge- 
bäude in  seinem  500jährigen  Bestände  mehrere  erfahren  hatte.  Nach- 
bildungen sind  mit  Sicherheit  jedenfalls  nicht  früher  als  seit  jenem 


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Viertes  Kapitel    Die  flachgedeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


269 


Neubau  nachzuweisen  ').  Derselbe  traf  in  den  fruchtbaren  Augenblick, 
wo  nach  einer  mehr  wie  hundertjährigen  Epoche  des  Darniederliegens 
eine  ausserordentliche  Thätigkeit  im  Kirchenbau  erwacht  war.  Solche 
Augenblicke  sind  erfahrungsmässig  die  günstigsten  für  die  Ausbreitung 
einer  zuerst  lokal  fixierten  Bauidee.  Das  hohe  Ansehen  des  Martins- 
münsters wie  die  Schönheit  des  Motives  an  sich  lassen  die  nun  an- 
hebenden vielfältigen  Nachahmungen  sehr  begreiflich  erscheinen.  Ganz 
besonders  aber  wurden  dieselben  durch  die  eben  in  diese  Zeit  fallende 
ausschweifende  Steigerung  der  Reliquienverehrung  und  des  Wallfahrts- 
wesens (S.  251)  befördert.  Waren  in  früherer  Zeit  die  heiligen  Gebeine 
in  Konfessionen  und  Krypten  verborgen ,  so  wurde  es  jetzt ,  zunächst 
in  Frankreich,  Sitte,  sie  in  der  Apsis  der  Oberkirche  an  besser  sicht- 
barem Platze  aufzustellen ;  mit  andern  Worten :  die  Anordnung,  die  in 
S.  Martin  als  eine  singulare  von  jeher  bestand,  wurde  jetzt  eine  häufig 
beliebte.  Ein,  wie  uns  scheint,  sehr  helles  Licht  über  diesen  Zusammen- 
hang 4)  verbreitet  die  Wahrnehmung,  dass  von  den  Denkmälern,  die  als 
die  nach  S.  Martin  ältesten  Beispiele  für  die  Anwendung  des  Chor- 
umgangs mit  Kapellenkranz  zu  nennen  sind,  die  meisten  zugleich  in 
der  Reihe  der  oben  (S.  251)  aufgeführten  vornehmsten  Wallfahrtsziele 
figurieren,  nämlich:  S.  Remy  in  Reims  (seit  a.  1005),  die  Kathedrale 

')  Als  ältestes  Beispiel  für  den  Umgang  mit  Kapellenkranz  pflegen  die  franzö- 
sischen Archäologen  nicl.t  S.  Martin  in  Tours,  sondern  die  Kathedrale  von  Le  Mans  zu 
nennen.  Dieselbe  ,  erbaut  seit  a.  834  ,  besass  zufolge  den  GesU  Alderici  ap.  Balu/e, 
Miscell.  1,  p.  81  :  »deambulatoria  in  cireuitu,  in  quibus  et  altaria  quinque.«  Die  Inter- 
pretation, dass  zu  diesen  fünf  Altären  ebensoviel  Apsidiolen  in  radianter  Stellung  gehört 
hätten,  scheint  uns  doch  recht  unsicher.  Thatsache  bleibt  jedenfalls,  dass  die  Ausbreitung 
des  Motivs  von  Tours  ausgeht,  und  zwar  erst  vom  Neubau  von  a.  997. 

*)  Die  oben  ausgeführte  Ursprungshyputhese  erhebt  nicht  den  Anspruch  einer 
allseitigen  Erklärung.  Ist  auch  der  Ausgangspunkt ,  wie  wir  Überzeugt  sind ,  richtig  er- 
kannt ,  so  bleiben  für  die  lange  Epoche  bis  in  den  Anfang  des  11  Jahrhunderts  die 
Zwischenmomente  und  mitwirkenden  Bedingungen  im  Dunkeln.  Der  Versuch  kann  nur 
nützlich  sein ,  den  Hergang  auch  von  anderer  Seite  her  zu  beleuchten.  Einen  solchen 
hat  G.  v.  Bezold  im  Centralblatt  der  Bau  Verwaltung  1886,  Nr.  15,  16  vorgelegt.  Ah 
das  sachliche  Agens  wird  hier  gleichfalls  der  Relif|uienkult ,  als  Grundlage  der  formalen 
Ausbildung  jedoch  die  Krypta  angenommen.  An  den  Beispielen  Taf.  119,  Fig.  1  —  5 
lässt  sich  eine  Entwickelung  aus  der  altchristlichen  Konfession  (Taf.  42,  Fig.  9)  verfolgen, 
darauf  hinauslaufend ,  dass  der  Umgang  immer  mehr  verbreitert  und  die  denselben  von 
der  Grabkammer  trennende  Wand  mit  Arkaden  durchbrochen  wurde,  welche  Anordnung 
der  vorüberziehenden  Menge  den  Sarkophag  bequem  zu  betrachten,  vielleicht  zu  berühren 
gestattete,  ohne  dass  sie  in  die  Kammer  selbst  eindringen  durfte.  Diese  Einrichtung 
nun,  meint  Bezold,  sei  hinterher  auf  den  Chor  der  Oberkirche  übertragen  worden.  Lo- 
gisch betrachtet  eine  sehr  ansprechende  Erklärung.  Aber  an  der  Hand  der  Denkmäler 
lässt  sie  sich  nicht  durchfuhren.  Es  giebt  keine  Krypten  dieser  Art ,  die  älter  wären 
als  die  entsprechenden  Dispositionen  der  Oberkirche  in  S.  Martin,  S.  Remy  u.  s.  w. 
Wohl  die  älteste  nachweisbare  (c.  a.  1020)  ist  d  e  zu  Montmajour;  aber  gerade  hier 
und  überhaupt  in  der  ganzen  Provence,  findet  Uebertragung  auf  die  Oberkirchc  nicht 
statt.  Dagegen  sind  S.  Martin  und  S.  Remy  ohne  Krypten,  und  die  aus  dem  Bau  des 
saec.  9  herübergenommene  Krypta  der  Cofltnre  zu  Le  Mans  (Fig.  7a)  hat  keinen  Um- 
gang, desgleichen  nicht  die  von  S.  Sernin.  In  vereinzelten  Fällen,  z.  B.  in  S.  Philibert 
zu  Tournus,  könnte  immerhin  der  Ausgangspunkt  in  der  Krypta  gewesen  sein. 


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270 


/.weites  Buch:  Der  rumänische  Stil 


von  Chartrcs  (a.  11 12),  Saint-Savin  (zwischen  r.  a.  1020 — 1030), 
S.  Hilaire  in  Poitiers  'geweiht  a.  1049);  wahrscheinlich  auch  die  Abtei- 
kirche zu  Fe*camp  in  der  Norraandie  (bald  nach  a.  1000);  endlich 
S.  Sernin  in  Toulouse.  Sehr  bald  gewann  dann  das  Motiv  typische 
Geltung  und  wurde  auch  bei  solchen  Kirchen  verwendet,  die  zu  den 
Wallfahrtskirchen  grossen  Stils  nicht  gehören,  wie  die  Coüture  in  Le 
Mans,  die  Kathedrale  von  Vannes  in  der  Bretagne  (erbaut  von  Bi- 
schof Judicael,  der  991—1037  regierte,  vgl.  Congres  arch.  1882, 
S.  Aignan  in  Orleans  (gew.  a.  1029). 

Ein  zweites  Zentrum  scheint  Clkrmont-Fkrrand  gewesen  zu 
sein.  Gelegentlich  seines  Berichtes  über  die  Einweihung  von  S.  Aignan 
in  Orldans  a.  1029  (aus  welcher  Epoche  die  Krypta  Taf.  119,  Fig.  2) 
bemerkt  der  Chronist,  die  Kirche  sei  gebaut  >in  similitudinem  S.  Ma- 
riae  etc.  SS.  Agricolae  et  Vitalis  in  Claramontc«.  Diese  Kirche,  die  Vor- 
gängerin der  jetzigen  Notre-Dame  du  Port,  mit  der  sie  oft  verwechselt 
wird,  die  aber  erst  aus  E.  saec.  11  stammt,  war  von  Bischof  Namatius  um 
a.  470,  also  genau  gleichzeitig  mit  dem  Bau  des  Perpetuus  in  Tours  er- 
baut, a.  870  erneuert,  im  folgenden  Jahrhundert  durch  die  Normannen 
beschädigt  und  wiederhergestellt.  Auch  hier  anscheinend  Nachahmung 
von  S.  Martin.  Denn  nach  der  obigen  Notiz  über  S.  Aignan  muss  die 
Existenz  eines  Deambulatoriums  unbedingt  angenommen  werden.  Das 
in  Clermont  aufgestellte  Muster  fand  in  der  Auvergne  so  allgemeint 
Nachahmung,  dass  hier  kaum  eine  Kirche  ohne  die  betreffende  Choranlage 
zu  finden  ist.  Bei  aller  Aehnlichkeit  im  allgemeinen  unterscheiden  sich 
der  auvergnatische  und  der  tourainische  Typus  doch  in  einem  Punkte 
grundsätzlich  voneinander:  bei  jenem  ist  die  Zahl  der  radianten  Ka- 
pellen immer  gerade,  meist  vier,  zuweilen  zwei  —  bei  diesem  immer 
ungerade,  fünf  oder  drei;  so  dass  dort  die  Hauptaxe  des  Gebäudes 
zwischen  zwei  Kapellen  auf  ein  Fenster  im  Umgange  trifft,  hier  mit 
der  Axe  der  mittleren  Kapelle  zusammenfällt.  Die  Ursache  der  letztern 
Disposition  glauben  wir  darin  zu  erkennen ,  dass  im  alten  Martins- 
münster  das  Grab  des  Perpetuus  in  der  Richtung  der  Füsse  des  Mar- 
tinus.  d.  h.  eben  in  der  Hauptaxe  des  Gebäudes,  angelegt  war.  — 
Wir  fassen  die  letzten  Erörterungen  mit  den  früheren  auf  S.  263  in 
folgender  Stammtafel  zusammen : 

S.  Martin  in  Tours: 

Hau  von  a.  470.               Neubau  a.  997—1014.  Inibau  c.  a.  1100. 

i                                             I   I 

SS.  Agricola  et  Vitalis      l.e  Mans,  Poitiers.  Reims,  Cluny  S.  Sernin  in  Toulouse. 

in  Clermont.  a.  1089 

■                                                                             |  S.  Jago  de  Conipo- 

Auvergne,  Nevers,  jltngerc  Stella. 

Orleans.  burgundische 

Schule. 


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Viertes  Kapitel :  Die  llachgcdeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


2JI 


Viereckige  Chöre  mit  Nebencuoren  1).  Diese  Formation 
ist  nicht  von  so  altem  Ursprung  und  auch  nicht  von  so  langer  Dauer, 
wie  der  Rundchor  mit  Umgang,  aber  in  einem  engeren  zeitlichen 
Rahmen,  nämlich  im  1 1.  und  in  der  ersten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts, 
hat  sie  grosse  Verbreitung  gefunden,  in  Frankreich  und  über  Frank- 
reich hinaus.    Der  Mittelpunkt  ist  Cluny. 

Diese  berühmte  Abtei  gehörte  nicht  in  die  Reihe  der  Wallfahrts- 
kirchen; Zwecke,  wie  sie  durch  das  Deambulatorium  der  Schule  von 
Tours  verfolgt  wurden,  lagen  hier  nicht  vor.  Dafür  war  die  Geistlich- 
keit sehr  zahlreich,  ihr  Raumbedürfnis  gross.  Seit  dem  9.  Jahrhundert 
bestand  die  Regel,  dass  jeder  Priester  täglich  die  Messe  lese;  zu  ver- 
meiden war  dabei,  dass  zwei  Priester  von  gleichem  Range  an  dem- 
selben Tage  denselben  Altar  benutzten;  ferner  sollten  diese  Privat- 
messen nach  der  missa  solemnis  und  niemals  zu  zweien  zugleich  ab- 
gehalten werden  a).  Erwägt  man  dazu,  dass  die  Mönche  zwar  nicht 
alle,  in  stark  bevölkerten  Klöstern  immerhin  viele,  die  Priesterweihe 
besassen ,  so  wird  die  mit  der  Jugendentwickelung  der  romanischen 
Baukunst  zusammenfallende,  in  erster  Linie  von  den  Klosterkirchen 
auf  die  Bahn  gebrachte  Vermehrung  der  Altäre  begreiflich.  Der  Bau- 
riss  von  St.  Gallen  zeigt  ihrer  nicht  weniger  als  17  auf  die  ganze  Kirche 
verteilt,  in  der  von  Alkuin  in  York  erbauten  Kirche  waren  es  sogar 
30.  Das  mochte  hingehen,  solange  das  Kloster  in  einsamer  Gegend 
lag  und  seine  Laiengemeinde  klein  war.  Wo  man  aber  mit  stärkerem 
Andrang  des  Volkes  zu  rechnen  hatte,  war  es  durchaus  nötig,  das 
Schiff  von  Altären  und  Schranken  zu  befreien  und  an  anderer  Stelle 
für  sie  Raum  zu  schaffen.  Frühe  Beispiele  konsequenter  Ausbildung 
auf  dieses  Ziel  hin  gewahren  wir  an  einigen  Kirchen  des  saec.  1 1  in  Bur- 
gund: Anzy-le-Duc  im  Herzogtum,  Paverne  und  Romaixmotier  im 
Königreich,  jetzt  zur  Schweiz  gehörig,  Taf.  118,  121.  Der  formbestim- 
mende Kern  ist  das  (nicht  immer  reine)  Chorquadrat,  das  in  seinem 
Verhältnis  zum  Querschiff  auf  frühe  geschichtliche  Beziehung  zur 
deutsch-romanischen  Kreuzbasilika  hinweist.  Neben  diesem  werden 
zwei  rechteckige  Kapellen  als  Nebenchöre  angelegt,  schmäler  und 
niedriger,  aber  von  gleicher  Tiefe,  so  dass  sie  gegen  Osten  mit  dem 
Hauptchor  eine  zusammenhängende  Abschlussmauer  bilden,  an  die 
sich  Apsiden  anlehnen;  dann  noch  je  eine  Apsis  an  den  Kreuzarmen, 
also  im  ganzen  fünf.  Wie  verbreitet  diese  Disposition  in  Burgund 
gewesen  sein  muss,  sieht  man  daraus,  dass  sie  noch  im  folgenden 


')  Vgl.  G.  v.  Bezold  im  Ceotralbtatt  der  Bau  Verwaltung  18S6.  Nr.  29. 
*)  Martene,  De  antiquis  ecclesiae  ritibus,  cd.  1763,  t.  II,  lib.  I.  cap.  3. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Jahrhundert,  trotz  der  durch  den  Rundchor  mit  Umgang  gemachten 
Konkurrenz,  sich  erhält:  reich  in  Chateau-Meillant,  einfacher  in 
Chateau-Poncat  und  Semur-en-Brionnais  ;  ja  im  Grunde  gehen  selbst 
die  grossen  Kathedralbauten  von  Al  ixn,  Lyon,  Vienne  auf  diesen 
Typus  zurück.  Bedeutsam  ist  nun,  dass  die  oben  genannten  drei  ältesten 
Kxemplare  der  Cluniacenserkongregation  angehören. 

Das  Mutterkloster  zu  Cluny  hat  drei  Kirchen  nacheinander  ent- 
stehen sehen ,  jede  folgende  grösser  und  prachtvoller  als  die  vorher- 
gehende: den  Stiftungsbau  von  a.  910,  die  schon  bedeutende  Säulen- 
basilika des  Majolus,  geweiht  a.  981,  die  kolossale  Gewölbekirche 
Hugos,  begonnen  a.  1089.  Der  für  uns  in  Frage  kommende  Bau  ist 
der  mittlere.  Wenn  schon  die  speziell  in  der  Choranlage  hervortretende 
Familienähnlichkeit  der  genannten  drei  burgundischen  Tochterkirchen 
eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  dafür  ergiebt,  dass  das  gemeinschaft- 
liche Formprinzip  der  Mutterkirche  entnommen  sei ,  so  steigert  sich 
dieselbe,  man  kann  sagen  zur  Gewissheit,  wenn  wir  sehen,  unter  welchen 
Voraussetzungen  eben  dieselbe  Form  in  zwei  entfernten  Stilregionen 
wieder  auftaucht. 

Das  eine  Mal  in  Deutschland,  in  den  auf  S.  209  f.  besprochenen 
Klöstern  der  Hirsauer  Regel.  Dieselbe  war,  wie  bekannt,  eine  Filiation 
von  Cluny,  und  die  unverbrüchliche  Gewissenhaftigkeit,  womit  gewisse 
Eigentümlichkeiten  des  Planes,  darunter  besonders  die  Chordisposition, 
stets  wiederholt  wurden,  bezeugt  deren  feste  Begründung  in  den  litur- 
gischen Gewohnheiten  der  Kongregation. 

Das  andere  Mal  in  der  Normandie.  Hier  wurde  die  Cluniacenser- 
regel  durch  den  berühmten  Abt  Wilhelm  eingeführt,  einen  geborenen 
Piemontesen,  der  in  früher  Jugend  mit  S.  Majolus  nach  Cluny  gekom- 
men war,  dann  dem  Kloster  S.  Benigne  in  Dijon  vorstand,  von  Herzog 
Richard  II.  in  die  Normandie  berufen  wurde  und  die  grosse  Abtei  von 
Fe"camp  bis  an  seinen  Tod  a.  1031  regierte.  Er  soll  in  seiner  neuen 
Heimat  über  40  Kirchen  und  Klöster  errichtet  haben.  Unter  den 
ältesten  Kirchen  des  Landes  ist  wenigstens  eine,  die  mit  aller  Sicher- 
heit als  Wilhelms  Werk  betrachtet  werden  kann:  die  des  Klosters 
Bernay.  Der  Grundriss  (Taf.  80)  zeigt  in  der  entscheidenden  Partie 
genaueste  Uebereinstimmung  mit  der  Aureliuskirche  zu  Hirsau.  Und 
ebenso  sorgfältig,  wie  in  den  Klosterkirchen  der  Hirsauer  Regel  wurde 
in  den  normannischen  die  in  Rede  stehende  Eigentümlichkeit  fest- 
gehalten. 

Diese  Uebereinstimmung  giebt  eine  Grundlage,  wie  sie  fester  kaum 
gedacht  werden  konnte,  für  die  Restitution  des  gemeinschaftlichen 
Vorbildes,  der  Kirche  des  Majolus  zu  Cluny,  und  sie  zeigt  zugleich, 
welches  Gewicht  die  oberste  Leitung  der  Kongregation ,  auch  hierin 


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Viertes  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


dem  in  ihr  waltenden  zentralistischen  und  internationalen  Geiste  treu, 
auf  die  Genauigkeit  der  Nachahmung  legte. 

Merkwürdig  nun,  dass  Cluny  selbst  von  dem  traditionellen  Ideale 
zuerst  abfiel.  Als  Abt  Hugo  der  Grosse  im  Jahre  1089  den  Bau  des 
Majolus  abbrach,  um  ihn  durch  einen  über  jedes  bekannte  Maass  hinaus- 
greifend grossartigen  Neubau  zu  ersetzen ,  da  adoptierte  er  für  den 
Chor  den  Typus  von  S.  Martin  in  Tours.  Wir  glauben,  dass  es  aus 
einer  rein  künstlerischen  Begeisterung  geschah,  der  wir  unsererseits 
durchaus  beipflichten.  Wie  eine  Art  Entschuldigung  klingt  es,  wenn 
verbreitet  wurde,  der  Baumeister  —  Mönch  Gauzo  —  habe  den  Plan  im 
Traume  von  einem  Engel  empfangen.  Das  hiermit  gegebene  Beispiel 
fand  Nachahmung  in  Paray-le-Moniai,  und  La-Charite,  wo  ein  älterer 
Chor,  dessen  mutmassliche  Gestalt  wir  Taf.  121,  Fig.  3,  vorführen, 
eigens  deshalb  abgebrochen  wurde.  Es  fehlte  aber  auch  nicht  an  Tad- 
lern. Der  feurigste  und  überzeugendste  war  der  H.  Bernhard.  Die 
grosse  Reaktion,  die  er  im  kirchlichen  Bauwesen  heraufführte  —  eine 
Reaktion  der  Einfachheit  gegen  die  Pracht  — ,  wird  uns  an  späterer 
Stelle  ausführlich  beschäftigen.  Eines  wollen  wir  aber  schon  hier  fest- 
stellen :  dass  Bernhard  seine  Forderung  der  Rückkehr  zur  Einfachheit 
der  Alten  ganz  wörtlich  verstand;  denn  der  bekannte  typische  Chor 
der  Cistercienserkirchen  ist  in  der  That  nichts  anderes  als  die  Erneue- 
rung des  alten  Cluniacenserchors  in  streng  rationellem  Sinne. 


4.  Der  innere  Aufbau. 

Wenn  wir  die  in  diesem  Kapitel  betrachtete  Baugruppe  durch 
das  Epitheton  »flachgedekt<  charakterisiert  haben,  so  ist  das  nicht 
ganz  unumschränkt  zu  verstehen.  Wir  haben  früher  einige  Anzeichen 
dafür  aufgeführt,  dass  schon  die  karolingische  Epoche  mit  dem  Ge- 
danken der  Ueberwölbung  der  Basilika  sich  zu  schaffen  gemacht  habe. 
Wir  sahen  weiter  die  grosse  Spaltung  in  der  westfränkischen  Archi- 
tektur eintreten,  derzufolge  der  Süden  auf  die  basilikale  Konformation, 
der  Norden  auf  die  Gewölbedecke  Verzicht  leistete.  Dieser  letztere 
Verzicht  war  jedoch  kein  unbedingter,  man  bezeichnet  ihn  genauer 
als  Kompromiss.  Zwei  Raumteile  wurden  nämlich  in  der  That  mit 
Gewölben  gedeckt:  der  Chor  und  die  Seitenschiffe,  die  mit  ihren  ge- 
ringen Abmessungen  und  wenig  durchbrochenen  Mauern  konstruktive 
Schwierigkeiten  nicht  boten.  Flachgedeckt  blieb  dagegen  das  Mittel- 
schiff und  damit  der  struktive  Organismus  des  Ganzen  tiefergreifenden 
Umwälzungen  nicht  weiter  ausgesetzt. 


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274  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

Zwei  bedeutende  Beispiele  aus  A.  saec.  11:  Abteikirche  Fe'camp 
t^Quicherat,  Mdlanges  p.  430)  und  S.  Remy  in  Reims,  zufolge  der 
ansprechenden  Vermutung  von  Viollet-le-Duc  I,  178  mit  quergelegten 
Tonnengewölben.  Kleinere  Kirchen  bleiben  lange  auch  in  den  Seiten- 
schiffen ungewölbt. 

Eine  Folge  des  Umsichgreifens  der  SeitenschirTsgewölbe  war  die 
fortschreitende  Verdrängung  der  Säule  durch  den  Pfeiler.  Mehrere 
bedeutende  Bauten  des  10.  Jahrhunderts,  wie  die  Kathedrale  von 
Auxerre,  die  Kathedrale  von  Sens,  die  Abteikirche  von  Lobbes,  zu- 
letzt noch  die  Kirche  des  Majolus  in  Cluny,  werden  als  Säulenkirchen 
genannt  (Quicherat  118  ff.)  :  vom  11.  saec.  ab  hören  wir  dergleichen 
nicht  mehr.  In  der  That  herrscht  unter  den  erhaltenen  Denkmälern 
durchaus  der  Pfeiler  vor. 

Die  Säule,  wo  sie  noch  auftritt,  weicht  vom  römischen  Vorbilde 
viel  weiter  ab,  als  z.  B.  die  deutsch-romanische :  die  Proportionen  zwi- 
schen Basis,  Kapitell  und  Stamm 
haben  sich  durchaus  verschoben, 
der  letztere  wird  aus  einzelnen 
Werkstücken  geschichtet,  bleibt 
ohne  Verjüngung  und  Schwel- 
lung, kurz,  es  ist  eher  ein  run- 
der Pfeiler,  als  eine  wirkliche 
Säule. 

Der  Pfeiler  hat  gleichfalls 
die  Tendenz,  neue  und  wech- 
selnde Formen  aufzusuchen. 
Ausser  dem  quadratischen 
Grundriss  kommen  oblonge  oder 
kreisförmige  vor;  die  Ecken  wer- 
den abgefast;  seitdem  es  Sitte 
wird,  die  Arkaden  durch  Ein- 
sprünge  abzustufen,  kommt  der 
kreuzförmige  Grundriss  auf;  zierlicher  ist  die  Ersetzung  der  recht- 
winkligen Vorlagen  durch  Halbsäulen.  Auch  wechseln  wohl  Pfeiler 
verschiedener  Formen  miteinander  ab. 

Beispiele  für  alle  diese  Fälle  auf  Taf.  84,  85,  dazu  die  beistehende 
Figur,  die  nach  Viollet-le-Duc  eine  Arkade  aus  Lons-le-Saulnier  saec.  12 
darstellt. 

Die  Fenster   sind  in  der  Frühzeit  grösser,  weiter  und  in  den 


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Viertes  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


275 


Gewänden  weniger  abgeschrägt,  als  man  es  in  Deutschland  und  Ita- 
lien sieht;  im  Laufe  des  11.  Jahrhunderts  verengern  sie  sich. 

Beispiele  der  ersten  Art:  Bassc-oeuvre  zu  Beauvais,  Beaulieu-les- 
Loches,  Cravant,  S.  Mexmes  zu  Chinon,  Rivieres. 

Ueber  das  System  ist,  da  so  wenig  grössere  Kirchen  übrig 
geblieben  sind,  auch  nur  wenig  zu  sagen.  Das  bemerkenswerteste  ist 
die  bedeutende  Stellung,  welche  das  dreigeschossige  System  errungen 
hat.  Zu  Haus  ist  es  vornehmlich  in  der  Champagne  mit  Ausläufern 
nach  Lothringen  und  Hennegau.  Aus  Franzien,  der  Picardie  und  dem 
Orleannais  sind  keine  Beispiele  davon  erhalten. 

Kathedrale  (Basseoeuvre)  zu  Beauvais,  Taf.  85,  erbaut  um  990. 
Die  Proportionen  der  Arkaden  und  der  weiten  Fensteröffnungen  er- 
innern an  gallo-römische  Traditionen;  die  Behandlung  von  äusserster 
Schlichtheit. 

S.  Germain-des-Prks  zu  Paris  (Abb.  Taf.  146,  149,  154).  Ro- 
manisch seiner  Substanz  nach  ist  nur  das  Langhaus,  der  Bau  des 
Morard  (990—1014)  in  einer  etwa  hundert  Jahre  jüngeren  Ueberarbei- 
tung,  die  namentlich  in  den  kantonierten  Theilen  erkennbar  wird; 
wohl  schon  ursprünglich  auf  Ueberwölbung  angelegt ;  in  den  Verhält- 


nissen ein  kräftiges  Breitenmaass  vorherrschend;  die  Gewölbe  er- 
neuert, der  an  der  Vorderseite  der  Pfeiler  emporlaufende  Runddienst 
angeblich  ein  Zusatz  des  17.  saec. 

S.  Remv  in  Reims,  Taf.  68,  vgl.  oben  S.  262.  Das  System  hat 
dreimal  gewechselt;  im  nördlichen  Kreuzarm,  dem  ältesten  Teil,  kurze 
derbe  Säulen  in  beiden  Geschossen ;  im  südlichen  Kreuzarm  quadratische 
Pfeiler  mit  flachen  Vorlagen ;  im  Schiff  sehr  eigentümliche  Bündel- 


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2;6 


Zweites  Buch:  L>er  romanische  Stil. 


pfeiler,  deren  Grundriss  wir  beifügen  (der  punktierte  Umriss  entspricht 
der  Gesimsplatte);  nach  Schnaase  sicher  aus  ursprünglich  vierekiger  Form 
herausgearbeitet,  vgl.  oben  S.  195.  Interessant  der  Wandel  im  Raum- 
gefühl ;  der  Lichtgaden  des  Langhauses  von  Anfang  an  höher  angenom- 
men, als  der  des  Querhauses;  das  genügte  aber  der  fortschreitenden 
Zeit  nicht,  und  so  wurde  das  Stück  mit  den  Okulusfenstern  hinzugefügt. 

Ableitungen  von  S.  Remy  sind  die  Klosterkirchen  Vignorv,  Som- 
mevoir,  Montier-en-Der  ;  das  der  letzteren  von  den  französischen 
Archäologen  beigelegte  Datum  992  ist  nicht  haltbar. 

Als  jüngstes  Glied  dieser  Reihe  wäre  die  Notre-Dame  in  Chä- 
lons  s.  M.  anzureihen,  wenn  M.  de  Dion  (Congres  archdol.  1875, 
p.  233  ff.)  mit  seiner  Behauptung  recht  hätte,  dass  das  Langhaus  in 
seiner  unteren  Partie  aus  der  Zeit  vor  dem  Brande  von  a.  1 157  stamme 
—  eine  Hypothese,  die,  soweit  Erinnerung  und  Abbildungen  eine 
Prüfung  gestatten,  uns  sehr  zweifelwürdig  erscheint. 

Den  genannten  Denkmälern  der  Champagne  verwandt  sind  die 
folgenden  des  Hennegau:  S.  Vincentius  zu  Zinik,  Soignies  (Grundriss 


beistehend,  System  Taf.  86).  Aus  der  Menge  der  östlich  und  südlich 
angebauten  Kapellen  und  Nebenräume  lässt  sich  mit  voller  Sicherheit 
der  sehr  einfache  und  altertümliche  Grundriss  herausschälen.  Dreischiffig 
mit  einfachem  Transsept  von  nahezu  drei  Quadraten,  der  rechteckige 
Chor  etwas  über  das  Quadrat  verlängert.  Die  Absicht  der  Wölbung,  im 
Untergeschoss  des  Schiffes  unverkennbar,  ist  bei  Höherführung  des  Baues 
aufgegeben  worden.  Die  Grundform  der  mächtigen  Pfeiler  wechselt  vom 
Arkadensimse  an,  sie  sind  in  den  oberen  Teilen  in  Backstein  vor  das 
Bruchsteinmauerwerk  vorgesetzt,  vielleicht  erst  bei  der  Einwölbung  im 
saec.  17  (Mitteilung  des  Doyen  Mr.  Francois,  jetzt  alles  dick  verputzt  und 
getüncht).   Die  Oberfenster  waren,  wie  am  Aeusseren  deutlich  zu  sehen, 


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Viertes  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


277 


in  annähernd  gleichen  Abständen  über  die  ganze  Länge  verteilt.  Von 
den  Gesimsen,  welche  wir  in  unserem  Restaurationsversuch  geben,  sind 
noch  einige  Reste  vorhanden.  Schon  in  romanischer  Zeit  fanden  Um- 
bauten und  Erweiterungen  statt.  Der  Chor  wurde  gewölbt  und  hierbei 
die  Anordnung  der  östlichen  Fenster  verändert,  um  halbrunde  Strebe- 
pfeiler anzubringen,  zwei  Kapellen  wurden  der  Ostseite  des  Transseptes 
angefügt,  endlich  schon  im  Uebergang  zur  Gotik  der  Westturm  erbaut. 
Als  wahrscheinlicher  Verlauf  der  Baugeschichte  ergiebt  sich:  Beginn 
des  Baues  a.  963  mit  Chor,  Transsept  und  unteren  Teilen  des  Schiffes, 
letzteres  mit  Unterbrechungen  weitergeführt  und  gleichzeitig  mit  der 
Wölbung  des  Chores  fertig  gestellt,  vielleicht  unter  Einfluss  von  S.  Remy 
zu  Reims,  mit  welchem  er  in  seinen  Abmessungen,  im  allgemeinen 
Raumeindruck  und  in  manchen  Einzelheiten  übereinstimmt.  Wir  wer- 
den im  Centralblatt  der  Bauverwaltung  etwas  eingehender  über  das 
interessante  Denkmal  berichten. 

Die  Kathedrale  von  Doornik  (Tournay),  Taf.  83,  86,  89.  Die 
bedeutendste  romanische  Kirche  im  jetzigen  Königreich  Belgien.  Von 
einem  älteren  a.  1066  geweihten  Bau  ist  anscheinend  nichts  erhalten; 
zu  a.  11 46  wird  des  im  Werke  begriffenen  Neubaus  gedacht,  welcher 
Epoche  die  Langschiffe,  die  hier  allein  in  Frage  kommen,  zuzuschreiben 
sind.  Erdgeschoss  und  Emporgeschoss  von  gleicher  Höhe,  in  den 
Maassen  der  Oeffnungen  wiederum  mit  S.  Remy  fast  kongruent,  in  der 
Behandlung  wesentlich  verschieden.  Die  sehr  starken  und  reich  ge- 
gliederten Pfeiler,  im  Erdgeschoss  mit  quadratischem  Kern  und  Halb- 
säulen, in  der  Empore  mit  achteckigem  Kern  und  Polygonalsäulen, 
wirken  schwerer,  als  mit  der  Flachdecke  verträglich  ist;  darüber  ein 
unverhältnismässig  hoher  Lichtgaden,  der  aussen  durch  eine  schöne 
normännische  Galerie  gegliedert  ist,  für  dessen  Innenseite  aber  nur  ein 
gedrücktes  Triforium  gefunden  wurde:  lauter  Fehler,  die  durch  die 
Enge  des  Querschnittes  noch  empfindlicher  werden ;  endlich  als  Material 
ein  rauh  bearbeiteter  schwarzer  Schieferstein.  Dies  alles  giebt  der  aufs 
Mächtige  und  Reiche  ausgehenden  Komposition  eine  Wendung  ins  Un- 
freie und  Düstere.  —  Renard,  Monographie  de  Notre-Dame  de  Tournay, 
1856.  Osten,  in  der  Wiener  B.-Ztg.  1845.  Kugler,  Kleine  Schriften  II. 

Die  Kathedrale  von  Kamerik  (Cambray),  zu  A.  saec.  19  abge- 
brochen. Ein  alter  Kupferstich  (reproduziert  bei  Kugler,  B.-K.  II,  356) 
lässt  ein  System  des  Langschiffes  erkennen,  das  dem  von  Doornik  sehr 
ähnlich  ist,  ja  —  falls  wir  den  noch  a.  1080  begonnenen  Bau  vor  uns 
hätten  —  als  das  Vorbild  von  jenem  anzusehen  wäre;  vgl.  Quicherat 
in  der  Revue  archdol.  X,  p.  80. 

Die  Normandie  wird  uns  in  einem  eigenen  Abschnitt  beschäftigen. 
Die  Bretagne  haben  wir  weder  selbst  besucht,  noch  kennen  wir  das 


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27S 


Zweites  liuch :  Der  romanische  Stil. 


Hauptwerk  von  Delamonnerayc.  Essai  sur  l'histoire  de  1  architecture 
religieuse  en  Bretagne,  Rennes  1849.  Nach  Citaten  daraus  zu  urteilen, 
giebt  es  hier  noch  mehrere  Kirchen  aus  dem  11.  und  12.  Jahrhundert 
(Loctudy,  Fouesnant,  Lochmariaker,  S.  Malaine  zu  Rennes,  Lochmaria 
zu  Quimper,  S.  Martin  zu  Lamballe  u.  s.  w.),  mit  Balkendecke  im 
Mittelschiff,  mit  Gewölben  in  den  Seitenschiffen. 


5.  Normandie  und  England. 

I  n  I  i  kau  k.  Hauptwerk  .  //.  Ruf>ri<h-Robtrt  I.  architecture  noimaude  aux  XI 
<"t  XII  siecle.  Paris  1S84.  2*.  Unvollendet  und  noch  ohne  Text.  -  Pugin:  Specimcns 
of  the  architecture  of  Normandy.  London  1874.  40.  —  //.  Gaily  Knight  An  archi- 
tectural tour  in  Nonnandy.  London  1841.  8U.  -  Artisst  dt  Caumont :  Statistiquc  monu- 
mentale du  Calvados,  5  vol.  Paris  1847—1867.  8°.  —  Zahlreiche  Aufsätze  von  dt  Cau- 
uiont,  Parker  und  Beuel  im  Bulletin  Monumental.  Separatabdruck  daraus  (Bd.  31  u.  53  1 : 
Honet:  Analyse  architecturale  de  l'abbaye  de  Saint-Etienne  de  Caen.  Caen  1868. 
Ruft  it/t- Robert :  L'eglise  de  Ste.  Trinite  et  l'eglise  St.  Etienne. 

'/.Britten:  Cathedrai  antiquities,  5  Ilde.  London.  Enthalt  Monographien  von  14 
englischen  Kathedralen.  —  Britton  :  The  architectural  antiquities  of  Great  Britain,  5  13de. 
London.  40.  ll'inkles:  Architectural  illustrations  of  the  Cathedrai  Churches  of  Eng- 
land and  Wales.  2  Bde.  8".  —  Monasticon  Anglitanum  (I)ugdale).  6  Bde.  2°.  — 
IV.  Billings:  The  baronial  and  ecclesiastical  architecture  of  Scotland.  4  Bde.  Lon- 
don 1848.  40. 

Potdt,  G.  I.  :  A  History  of  ecclesiastical  architecture  of  England.  London  1S48. 
S".  -  Riekman  :  An  attempt  to  discriminate  the  Styles  of  architecture  in  England.  Lon- 
don 181 7.  8°.  Bloxam  :  The  principles  of  gothic  architecture,  9.  Ausg.  London  1849. 
Deutsch  von  Hensulmann :  Die  mittelalterliche  Kirchenbaukunst  in  England  von  Bl.  8". 
Sharfe:  The  seven  periods  of  English  Architecture.    London  1851.  8°. 

Monographien.  Canterbury.  Willis,  the  architectural  history  of  Canterbury 
Cathedrai.  London  1845.  8°.  —  Saint-Albans :  Huckler,  A  history  of  the  abbey  church 
<>f  St.  Albans.  London,  1847.  8°.  -  Winthester  Willis,  the  architectural  history  of 
W.  Cath.  in  den  Proceedings  of  the  annual  meeting  of  the  archaeol.  Inst,  of  Great  Britain 
at  Winchester,  1845.  —  Carlisle:  R.  W.  Billings,  Architectural  illustrations  of  Carüsle 
cathedrai.  London  1S39.  40.  —  Durham:  R.W.  Billings,  Architectural  illustrations  and 
account  of  Durham  cathedrai.    London  1843.  40. 

- 

Die  Normannen,  diese  letzten  Nachzügler  der  grossen  germa- 
nischen Wanderung,  traten  in  die  westeuropäische  Völkergesellschaft 
als  ein  Sauerteig  ein,  der  diese  in  tiefe  Gärung  zu  setzen  bestimmt 
war.  Ihre  Bedeutung  für  Ereignisse  und  Institutionen  des  öffentlichen 
Lebens  ist  bekannt  genug.  Nicht  minder  merkwürdig  in  ihrer  Art 
sind  ihre  Einwirkungen  auf  das  Bauwesen  dieser  Gegenden.  Sie  zeigen 
sich  als  zweifache.  Zuerst  waren  es  ihre  Verwüstungen,  durch  welche 
die  Normannen  weit  und  breit  unter  den  alten  Denkmälern  gewaltig 
aufräumten,  den  Keimen  einer  neuen  Architektur  freie  Luft  machten, 
sie  zu  beschleunigtem  Wachstum  antrieben.  Hernach,  als  sie  zu  festen 


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Zweites  Kapitel:  Die  llachgeileckte  liasilika  in  Westeuropa. 


2/9 


Sitzen  kamen,  wechselten  sie  die  Rolle:  ihre  einst  im  Zerstören  be- 
währte Energie  warf  sich  aufs  Schaffen  und  Bauen. 

Die  normannisch-romanische  Baukunst  ist  ein  Setzling  vom 
Stamme  der  westfränkischen  Architektur,  der  dies  Verwandtschafts- 
verhältnis nicht  verleugnet,  aber  unabhängig  und  aus  eigenen  Kräften 
weiterwächst. 

Unter  Karl  dem  Grossen  hatten  die  nachmals  von  den  Nor- 
mannen besetzten  Gegenden  manche  bedeutende  Kirchenbauten  be- 
sessen, obenan  das  Kloster  Centula  (vgl.  S.  174).  Die  Wiederaufnahme 
höherer  Kunstthätigkeit  hängt  zusammen  mit  der  grossen  Kloster- 
reform nach  cluniacensischem  Muster,  die  unter  dem  Schutze  Herzog 
Richards  II.  der  berühmte  Wilhelm,  a.  1010 — 1031  Abt  von  Fecamp, 
durchführte,  und  durch  die,  im  Wetteifer  der  Barone  mit  dem  Herzog, 
nicht  weniger  als  vierzig  neue  Kirchen  und  Klöster  ins  Dasein  ge- 
rufen sein  sollen.  Wilhelm  war  Lombarde  von  Geburt,  und  es  wird 
zu  untersuchen  sein,  inwieweit  er  und  andere  Italiener,  die  nach 
ihm  kirchliche  Würden  in  der  Normandie  bekleideten ,  heimischen 
Gewohnheiten  hier  Eingang  verschufen.  Sehr  bestimmt  ausgeprägt 
ist  der  burgundisch-cluniacensische  Einfluss  in  der  typischen  Aus- 
bildung sowohl  der  Chorpartie  als  des  Westbaues  mit  seinen  Doppel- 
türmen. Der  innere  Aufbau  endlich  knüpft  an  die  in  der  karolingi- 
schen  Epoche  eingeschlagene  einheimische  Richtung  an. 

Zu  alle  dem  nun  brachten  die  Normannen  feststehende  eigene 
Bauformen  nicht  hinzu ,  wohl  aber  die  wertvollere  Mitgift  eines  echt 
monumental  gerichteten  Sinnes  und  kühner  Unternehmungslust.  Ver- 
möge dieser  Eigenschaften  zeigt  sich  schon  bald  nach  der  Mitte  des 
1  1.  Jahrhunderts  die  normännische  Schule  allen  übrigen  Nordfrank- 
reichs überlegen.  Um  gleich  die  Hauptsache  zu  nennen:  sie  ist  ent- 
schlossen, in  der  Ueberwölbungsfrage  nicht  wie  jene  auf  halbem  Wege 
stehen  zu  bleiben,  sondern  die  steinerne  Decke  im  ganzen  Gebäude 
/.ur  Herrschaft  zu  bringen;  und  zwar  ist  sie  über  die  Methode  von 
Anfang  an  nicht  im  Zweifel :  es  sollen  Kreuzgewölbe  sein  im  Haupt- 
schiff, wie  sie  in  den  Nebenschiffen  längst  in  Anwendung  kamen.  Die 
grossen  Bauschöpfungen  des  1 1 .  Jahrhunderts  haben  die  Aufgabe  zwar 
noch  nicht  bis  zur  Lösung  geführt ,  doch  in  allen  Stücken  sie  vor- 
bereitet. Und  so  vermag  an  der  Schwelle  des  folgenden  Jahrhunderts 
die  normännische  Schule  als  die  erste  das  Ziel  zu  erreichen,  das  das 
gemeinsame  aller  nordfranzösischen  Schulen  seit  langem  war. 

Derselbe  Geist  klarer,  fester,  gesammelter  Zielbewusstheit  nun 


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280 


Zweites  Buch    Der  romanische  Stil. 


durchdringt  die  normannischen  Bauten  bis  in  die  letzten  Teile.  Das 
lässige  und  reizende  Spiel  mit  dem  Irrationellen,  worin  sich  anderswo 
der  romanische  Stil  so  oft  gefällt,  hat  hier  keine  Stätte;  das  Typische 
ist  durchaus  stärker  als  das  Individuelle;  eine  straffe  Disziplin  und 
Konzentration  herrscht  in  dieser  Schule,  ein  Streben  nach  Folge- 
i  ichtigkeit  und  Regelmässigkeit,  das  im  ganzen  wie  selbst  in  manchen 
Einzelbestimmungen  an  die  Baurichtung  Niedersachsens  erinnert.  Im 
übrigen  sind  die  Charaktere  verschieden  genug.  Von  der  Bescheiden- 
heit, Feinheit,  gemütlichen  Wärme  der  sächsischen  Bauten  findet  man 
bei  den  normännischen  nichts;  diesen  glaubt  man  es  auf  den  ersten 
Blick,  dass  eine  hochfahrende,  sieges-  und  herrschaftsgewohnte  Militär- 
aristokratie sie  sich  zu  Denkmälern  gesetzt  hat.  Uebersichtlichkeit 
und  logische  Klarheit  im  Grundriss,  scharfe  Accentuierung  des  struk- 
tiven  Organismus  im  Aufbau ;  grossartige  Raum-  und  Massenentwicke- 
lung,  insbesondere  in  der  Höhenrichtung;  die  dekorativen  Zuthatcn 
in  der  älteren  Zeit  sparsam  aber  wirkungsvoll,  in  der  jüngeren  reich 
und  prunkend,  aber  immer  dem  struktiven  Gedanken  untergeordnet; 
tiefer  Ernst  der  baulichen  Grundstimmung:  das  sind  die  Züge,  aus 
denen  der  scharfumrissene  Familiencharakter  der  normännischen  Bau- 
kunst diesseits  wie  jenseits  des  Kanals  sich  zusammensetzt. 

Denn  mit  den  Normannen  eroberte  auch  ihre  Baukunst  die 
britische  Insel.  Dieser  schnelle  und  vollständige  künstlerische  Sieg 
erklärt  sich  nicht  bloss  aus  der  durchgreifenden  Normannisierung  des 
Kirchenregiments,  vielmehr  hat  allem  Anschein  nach  der  angelsäch- 
sische Kirchenbau  von  jeher  wesentliche  Grundzüge  mit  dem  der 
festländischen  Nachbargebiete  gemein  gehabt.  Die  wenigen  als  angel- 
sächsisch  anzusprechenden  Ueberreste  geben  allerdings  ein  abweichen- 
des Bild,  allein  es  sind  eben  nur  untergeordnete  Bauwerke,  aus  denen 
wir  wohl  einige  Aufschlüsse  über  das  Gebiet  der  Zierformen,  aber 
keine  über  die  allgemeine  Anlage  der  grossen  Kirchen  gewinnen. 
Um  so  wichtiger  sind  die  zahlreichen  und  ungewöhnlich  präzis  ge- 
fassten  schriftlichen  Zeugnisse,  von  denen  wir  einige  herzusetzen  nicht 
unterlassen  wollen. 

In  Canterhurv  hatte  Augustinus,  der  erste  römische  Missionar 
unter  den  Angelsachsen,  eine  Kirche  erbaut,  a.  590.  Sie  wurde  um  950 
durch  Bischof  Odo  erweitert.  Ueber  diesen  Bau  schreibt  Edmerus, 
Cantor  von  Canterbury,  welcher  mit  St.  Anselm  in  Rom  gewesen  war: 
-Erat  enim  ipsa  ecclesia  ....  Romanorum  opcre  facta,  et  ex  quadam 
parte  ad  imitationem  ecclesiae  beati  apostolorum  principis  Petri  .... 
ad  haec  altaria  nonnullis  gradibus  ascendebatur  a  choro  cantorum. 


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Viertes  Kapitel  .  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


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quaedam  cripta  quam  confessionem  Romani  vocant.  Subtus  erat  ad 
instar  confessionis  sancti  Petri  fabricata,  cujus  fornix  eo  in  altum  ten- 
debatur  ut  superiora  ejus  non  nisi  per  plures  gradus  possent  adiri.» 
(Ms.  of  Corpus  Christi  coli.,  citiert  bei  Willis,  Canterbury  p.  10). 

Bischof  Benedikt  baute  um  a.  670  ein  Kloster  zu  Ehren  des  Apostels 
Petrus  nahe  der  Mündung  des  Flusses  Were:  Wiremuth,  Wearmouth. 
Ein  Jahr  nach  der  Gründung  reiste  er  nach  Gallien,  »caementarios, 
qui  lapideam  sibi  ecclesiam  juxta  Romanorum,  quem  Semper  amabat 
morem  facerent,  postulavit,  accepit,  attulit.c 

Sein  Zeitgenosse,  der  Bischof  Wilfrid  von  York  baute  »in  Hrypis 
(Ripon)  basilicam  polito  lapide  a  fundamentis  in  terra  usque  ad  sum- 
mum  aedificatam,  variis  columnis  et  porticibus  sufTultam«;  und  die  zu 
Hexham  ,  von  welcher  uns  eine  eingehende  Beschreibung  aus  dem 
12.  saec.  erhalten  ist:  >Profunditatem  ipsius  ecclesiae  criptis  et  ora- 
toriis  subterraneis,  et  viarum  anfractibus,  inferius  cum  magna  industria 
fundavit.  Parietes  autem  quadratis  et  variis  et  bene  politis  co- 
lumpnis  suffultos,  et  tribus  tabulatis  distinctos  immensae  longitudinis 
et  altitudinis  erexit.  Ipsos  etiam  et  capitella  columpnarum  quibus 
sustentantur,  et  arcum  sanctuarii  historiis  et  imaginibus  et  variis  caela- 
tttrarum  figuris  ex  lapide  prominentibus  et  picturarum  et  colorum  grata 
varietate  mirabilique  decore  decoravit.  Ipsum  quoque  corpus  ecclesiae 
appenticiis  et  porticibus  undique  circumcinxit,  quae  miro  atque  inex- 
plicabili  artificio  per  parietes  et  cochleas  inferius  et  superius  distinxit. 
In  ipsis  vero  cochleis  et  super  ipsas,  ascensoria  ex  lapide  et  deambu- 
latoria,  et  varios  viarum  anfractus  modo  sursum,  modo  deorsum,  arti- 
ficiosissime  ita  machinari  fecit,  ut  innumera  hominum  multitudo  ibi 
existere  et  ipsum  corpus  ecclesiae  circumdare  possit,  cum  a  nemine 
tarnen  infra  in  ea  existentium  videri  queat  .  .  .  .«  (Richardus  Hagulstad. 
t.  c.  3.  citiert  bei  Britton  A.  A.  V.  122). 

Die  von  Wilfrid  erbaute  Kirche  S.  Peter  zu  York  hatte  741 
durch  Brand  gelitten.  Sie  wurde  von  Eanbald  und  Alkuin  wieder  auf- 
gebaut und  wird  von  letzterem  folgendermassen  beschrieben: 

»Haec  nimis  alta  domus  solidis  suffulta  columnis, 
Suppositae  quae  stant  curvatis  arcubus,  intus 
Emicat  egregiis  laquearibus  atque  fenestris, 
Pulchraque  porticibus  fulget  circumdata  multis 
Plurima  diversis  retinens  solaria  tectis 
Quae  triginta  tenet  variis  ornamentibus  aras.« 

Ueber  die  Erbauung  der  Abteikirche  zu  Ramsev  durch  Oswald, 
Bischof  von  Worcester  (saec.  10),  berichtet  die  Historia  Ramasiensis 
(Poole  S.  58,  Note  3): 

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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


»Exquisiti  condueuntur  artifices,  construendae  Basilicae  longitudo 
et  latitudo  commensuratur ,  fundamenta  alta  propter  uliginem  undi- 
que  vicinam  jaciuntur,  et  crebris  arietum  ictibus  insolidam  supponendo 
oneri  fortitudinem  fortius  contunduntur  ....  Domino  incrementum 
praestante  opus  indies  altius  consurgit.  Duae  quoque  turres  ipsis  tec- 
torum  culminibus  eminebant,  quarum  minor  versus  occidentem  in 
fronte  Basilicae  pulchrum  intrantibus  insulam  a  longe  spectaculum 
praebebat,  major  vero  in  quadrifidae  srrueturae  medio  coluranas  qua- 
tuor,  porrectis  de  ala  ad  alam  areubus  sibi  invicem  connexas,  ne  laxe 
defluerent,  deprimebat.t 

Es  ergeben  sich  aus  diesen  Notizen  nicht  unwichtige  Anhalts- 
punkte für  die  Beurteilung  der  angelsächsischen  Baukunst.  Der  Stutzen- 
wechsel (parietes  quadratis  et  variis  columpnis  suffulti  in  Ripon), 
Emporen  (ebenda  und  in  York)  und  Vierungstürme  (in  Ramsey)  sind 
Elemente,  welche  die  fränkisch-karolingische  Epoche  auf  die  Bahn 
gebracht  hatte  und  welche  dann  von  der  normannischen  Baukunst  in 
ein  festes  System  gebracht  wurden.  Sie  beweisen,  dass  schon  vor 
der  Eroberung  eine  der  normannischen  verwandte  Richtung  vorhanden 
war,  infolge  deren  der  neue  Stil  leichter  Eingang  und  allgemeine  Ver- 
breitung fand.  Die  englisch-normannische  Architektur  geht  gleichwohl 
nicht  unterschiedslos  in  derjenigen  der  Normandie  auf,  sie  bewahrt 
sich  vielmehr  so  manche  Besonderheiten,  welche  im  folgenden  nam- 
haft zu  machen  sind. 

DER  GRUNDRISS.  Die  auf  Taf.  80  vereinigten  Beispiele  zeigen 
die  strenge  Gleichförmigkeit  im  Plane  der  normannischen  Abteikirchen, 
welche  Gattung  alle  wichtigen  Bauten  des  1 1 .  Jahrhunderts  in  sich 
begreift.  Die  typischen  Merkmale  sind:  die  im  Sinne  des  regelmäs- 
sigen lateinischen  Kreuzes  gewählte  Disposition  des  Transseptes  und 
die  platt  schliessenden  Nebenchöre.  Von  wo  und  auf  welchem  Wege 
—  nämlich  aus  Burgund  durch  Abt  Wilhelm  —  die  letzteren  hier 
eingeführt  worden  sind,  ist  im  dritten  Abschnitt  berichtet.  Querschiff 
und  Hauptschiff  haben  stets  das  gleiche  Breitenmass.  Die  Einteilung 
des  Langhauses  folgt  dem  sogenannten  gebundenen  System,  d.  h. 
auf  je  zwei  Traveen  der  Seitenschiffe  kommt  eine  Doppeltravee  im 
Hauptschiff.  Es  ist  das  Kompositionsgesetz,  das  wir  von  Sachsen  und 
der  Lombardei  her  kennen.  Jedoch  bildet  die  normannische  Doppel- 
travee kein  reines  Quadrat,  wie  die  sächsische,  sondern  gleich  der 
lombardischen  ein  um  ein  kleines  Teil  verlängertes.  So  sind  auch 
die  Kreuzesarme  immer  ein  wenig  länger  als  das  rein  quadratische 


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Viertes  Kapitel.  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Westeuropa.  283 

Kreuzesmittel.  Eigentümlich  ist,  wie  des  Öfteren  ihre  vorspringenden 
Enden  durch  je  eine  Doppelarkade  gleichsam  als  Kapellen  abgesondert 
werden,  und  zwar  zweigeschossig,  mit  Wiederholung  der  Apsidiola  in 
der  Empore ;  vgl.  S.  Michael  in  Hildesheim,  Dom  von  Aquileja  u.  s.  w. 

Von  der  Abteikirche  von  Fe*camp  sind  uns  leider  Aufnahmen 
nicht  bekannt  geworden.  Zufolge  Inkersley  a.  O.  p.  151  soll  aus  der 
Zeit  vor  Ankunft  des  Abtes  Wilhelm  noch  ein  Theil  eines  Umganges 
mit  zwei  Kapellen  erhalten  sein :  das  wäre  also  das  oben  S.  265  f.  defi- 
nierte Schema  von  S.  Martin  in  Tours.  Bemerkenswerterweise  kommt 
dasselbe  an  keinem  späteren  Bauwerke  mehr  vor.  Schon  die  Abteikirche 
von  Bernay  (voll.  a.  1025),  bei  welcher  der  Einfluss  Wilhelms  gesichert 
ist  (vgl.  Gall.  Christ.  XI.  col.  830),  zeigt  das  Cluniacenserschema,  das 
von  nun  an  die  Alleinherrschaft  hat. 

Die  vollkommensten  Beispiele  normannischer  Bauweise  im  11.  saec. 
sind  die  Abteikirchen  S.  Vigor  zu  Cerisy,  S.  lttienne  zu  Caen,  die 
Kathedrale  von  Canterburv.  Keines  dieser  Werke  ist  unverändert 
auf  uns  gekommen  —  in  Cörisy  fehlen  die  westlichen  Joche,  in  Caen 
der  Chor,  in  Canterbury  ist  der  ursprüngliche  Zustand  nur  aus  den 
Grundmauern  zu  entnehmen  — ,  alle  drei  zusammen  geben  indes  ein 
vollständiges  Bild,  das  um  so  zuverlässiger  genannt  werden  darf,  als 
sie  von  nahezu  gleichen  Abmessungen  sind  und  in  den  erhaltenen 
Teilen  in  enger  Uebereinstimmung  stehen.  Die  nämliche  Chordispo- 
sition bei  zwei  anderen  Kirchen  in  Caen,  Ste.  Trinite'  und  S.  Nicolas. 

An  die  genannten  Hauptwerke  schliesst  sich  am  engsten  S.  Georges 
zu  Boscherville,  wahrscheinlich  erst  nach  a.  11 14  begonnen  und  vor 
a.  1157  vollendet.  Etwas  abweichend  in  der  aligemeinen  Haltung, 
ohne  Westtürme  und  mit  einfacherer  Behandlung  des  QuerschifTes,  die 
Kirche  des  Mont-Saint-Michel  ;  begonnen  nach  Brand  von  1022, 
vollendet  unter  Abt  Ranulf  (1058 — 85),  nach  neuem  Brande  im  Jahre 
11 12  mit  Benützung  der  alten  Pfeiler  in  einen  Gewölbebau  verwandelt. 

Als  Beispiel  der  Vereinfachung  des  Planes  für  die  Verhältnisse 
kleinerer  Kirchen  diene  die  von  Secqueville  (Taf.  79),  ein  Grundriss, 
den  man  ohne  Kenntniss  der  Herkunft  für  niedersächsisch  halten  würde. 

Verfolgen  wir  die  Weiterentwicklung  des  normannischen  Typus 
auf  englischem  Boden,  so  finden  sich  gerade  im  Grundplan  sehr 
belangreiche  Veränderungen.  Eine  feste  organische  Idee  taucht  aus 
denselben  jedoch  nicht  auf,  und  so  bleibt  der  englisch-normannische 
Kirchenbau  den  Schwankungen  des  freien  Ermessens  in  einem  Masse 
überlassen,  das  gegen  die  strenge  Gesetzlichkeit  des  festländischen 
auffallend  absticht  und  ihm  im  ganzen  nicht  zum  Vorteil  gereicht. 
Immerhin  lassen  sich  gewisse  Gemeinsamkeiten  erkennen.  Darunter 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


ist  die  wichtigste  die  Dehnung  der  Chorpartie  zu  einer  oft  exor- 
bitanten Länge.  Das  Beispiel  dazu  gab  schon  Erzbischof  Anselm  von 
Canterbury,  der  Nachfolger  Lanfrancs,  indem  er  den  kaum  vollendeten 
Chor  seiner  Kathedrale  wieder  abbrach  und  ihn  dermassen  verlängerte, 
dass  nun  das  Querschiff  genau  in  die  Mitte  des  Ganzen  fiel  (Taf.  80). 
Der  Beweggrund  ist  in  liturgischen,  ja  im  letzten  Grunde  in  kirchen- 
politischen Verhältnissen  zu  suchen.  Es  lag  in  der  Politik  der  nor- 
mannischen Sieger ,  den  einheimischen  Säkularklerus  möglichst  zu 
beschränken  und  einflusslos  zu  machen,  zu  welchem  Ende  man  den 
Kathedralgeistlichkeiten  eine  Klosterverfassung  gab.  Von  jenseits  des 
Kanals  herbeigerufene  Mönche  mussten  die  missliebige  Reform  durch- 
führen helfen.  Die  Kirchen  waren  solchermassen  zugleich  KJoster- 
und  Gemeindekirchen,  sie  bedurften  fiir  die  sehr  zahlreichen  Mönche 
ausgedehnte  Chöre,  aber  dieselben  durften  nicht,  wie  es  in  einer 
Klosterkirche  oft  geschah,  in  das  Schiff  vorgeschoben  werden,  sondern 
forderten  eine  bauliche  Erweiterung  nach  Osten.  Die  dreischiffige 
Anlage  für  den  Langchor  war  indiziert.  Die  Abschlussform  wechselt : 
bald  sind  es  drei  parallele  Absiden ;  häufiger,  zumal  wo  grosse  Krypten 
darunter  liegen,  ein  Rundhaupt  mit  Umgang;  meist  ohne  Kapellen; 
niemals  mit  regelmässiger  strahlenförmiger  Disposition  derselben ;  früh- 
zeitig kommt  auch  der  gradlinige  Chorschluss  vor,  der  nachmals  in 
der  gotischen  Epoche  sehr  beliebt  wurde.  —  Englisch  ist  der  Ge- 
schmack an  kolossalen  Krypten,  wovon  die  normännischen  Kirchen 
des  Festlandes,  wohl  unter  dem  Einfluss  Clunys,  nur  sparsam  Gebrauch 
machten.  —  Die  Transsepte  pflegen  sehr  weit  über  die  Flucht- 
linien des  Langbaus  vorzutreten.  Ausser  einschiffigen  und  dreischif- 
figen  kommen  auch  zweischiffige ,  mit  östlichem  Seitenschiff,  vor.  — 
Derselbe  Mangel  an  festen  Bestimmungen  wird  in  betreff  der  West- 
seite beobachtet.  Dabei  kommen  vielfach  Gestaltungen  zum  Vor- 
schein, die  von  den  festländischen  Gewohnheiten  abweichen.  Entweder 
fehlt  jede  Vorhalle  und  damit  auch  das  westliche  Turmpaar;  oder 
die  Vorhalle  wird  querschiffartig  vor  die  ganze  Breite  der  Front  ge- 
legt. Sind  Westtürme  vorhanden,  so  treten  sie  häufig  über  >die  Flucht 
der  Seitenschiffe  vor  oder  sind  auch  wohl  ganz  seitlich  disponiert  — 
wie  es  die  Normannenbauten  auf  Sizilien,  aber  niemals  diejenigen  des 
französischen  Festlandes  zeigen.  Für  kleinere  Kirchen  wird  die  säch- 
sische Anlage  mit  einem  Westturm  beibehalten. 

Eine  der  bezeichnendsten  Eigenheiten  der  englisch-normännischen 
Kirchen  ist  endlich  ihre  auch  im  Vorderschiff  unerhört  gestreckte 


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Viertes  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


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Gestalt.  Während  bei  festländischen  Bauten  die  Totallänge,  in  lichten 
Mittelschiffbreiten  berechnet,  sich  zwischen  6 — 8  hält,  so  ist  hier  an 
ganz  grossen  Kirchen  das  beliebteste  Mass  13 — 14. 

Belege  für  alles  Gesagte  auf  Taf.  81 — 83,  wo  wir  von  den  sehr 
zahlreichen  Normannenbauten  Englands  nur  einige  der  bezeichnendsten 
zusammengestellt  haben.  Ein  paar  Beispiele  kleinerer  Kirchen  auf 
Taf.  79. 

DER  INNERE  AUFBAU.  Die  kleineren  Kirchen  der  Norman- 
die  pflegen  sich  vor  dem  sonst  im  nördlichen  Frankreich  üblichen 
System  nur  hinsichtlich  der  Einzelbehandlung  zu  unterscheiden.  Die 
spezifischen  Ziele  der  Schule  kommen  erst  an  den  grossen  Abtei- 
kirchen zum  Vorschein.  Hier  ist  der  Aufbau  immer  dreigeschos- 
sig. Die  Abseiten  des  ersten  Geschosses  sind  mit  Kreuzgewölben 
überdeckt;  die  Emporen  haben  entweder  Balkendecken  oder  gleich- 
falb Gewölbe  (bald  Kreuzgewölbe,  bald  Halbtonnen  mit  starker  Unter- 
gurtung)  ;  und  zwar  findet  ein  gleichmässiger  Fortschritt  in  dieser 
Hinsicht  nicht  statt,  da  mehrere  frühe  Beispiele  schon  Gewölbe,  nicht 
wenige  spätere  Holzdecken  aufweisen.  Gegen  das  Mittelschiff  öffnen 
sich  die  Emporen  in  Bögen  von  gleicher  Weite  und  oft  auch  gleicher 
Höhe,  wie  die  unteren  Arkaden;  in  der  Regel  werden  dieselben  mit 
kleineren  Bogenstellungen  ausgesetzt,  zuweilen  bleiben  sie  auch  un- 
geteilt. In  der  Gestalt  der  Stützen  rindet  ein  regelmässiges  Alternieren 
statt:  zwischen  Pfeilern  und  Säulen,  oder  stärkeren  und  schwächeren 
Pfeilern ;  doch  nur  an  der  älteren  Baugeneration,  während  die  jüngere, 
was  sehr  bemerkt  zu  werden  verdient,  des  Stützen  wechseis  sich  ent- 
wöhnt. Ein  weiterer  Umstand  von  Wichtigkeit  liegt  in  den  ausser- 
ordentlich starken  Abmessungen  der  Pfeilerfläche  und  der  Mauerdicke, 
sowie  in  der  Verstärkung  der  Hochmauern  durch  Vorlagen,  die  vom 
Boden  bis  zur  Decke  hinaufreichen.  Diese  Anstalten  in  Verbindung 
mit  den  Gewölben  der  Emporen  weisen  unstreitig  auf  die  Absicht, 
die  Hochmauern  gegen  einen  nach  aussen  wirkenden  Druck  zu  sichern, 
d.  h.  die  Absicht,  das  Mittelschiff  zu  überwölben.  In  diesem 
Lichte  betrachtet,  versteht  man  auch  die  wahre  Bedeutung  der  oben 
konstatierten  gebundenen  Grundrissanlage.  Die  so  wohl  vorbereitete 
Absicht  ist  aber  schliesslich  — ■  man  findet  keine  andere  Erklärung, 
als  zu  sagen:  aus  Aengstlichkeit  —  unausgeführt  geblieben.  Schon 
die  Gestaltung  des  obersten  Geschosses  —  Durchbrechung  der  Mauer- 
dicke durch  einen  in  zierlichen  Bogenstellungen  gegen  das  Schiff  sich 


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Zweites  Buch.  Der  romanische  Stil. 


öffnenden  Gang  —  zeigt,  dass  der  Gedanke  der  Einwölbung  im  Laufe 
der  Bauführung  aufgegeben  war.  Er  beherrschte,  kann  man  sagen, 
die  normannische  Architektur  in  den  zwei  Dezennien  um  die  Mitte 
des  Ii.  Jahrhunderts;  dann  trat  Entmutigung  ein;  und  erst  mit  Be- 
ginn des  nächsten  Jahrhunderts  wurde  ein  zweiter,  endlich  zum  Ziele 
führender  Anlauf  gewagt. 

Uebrigens  haben  auch  die  Bauten  des  1 1 .  Jahrhunderts  nach- 
träglich allermeist  Gewölbe  erhalten  und  es  zeigte  sich,  dass  ihre 
Konstruktion  vollständig  vermögend  war,  solche  zu  tragen.  Aber 
auch  ästhetisch  war  die  Massregel  im  Recht.  Das  System  leidet, 
wenn  die  Wölbung  nicht  ausgeführt  wird,  an  einem  inneren  Wider- 
spruch. Wohl  ist  durch  die  ununterbrochen  vom  Fussboden  zur  Decke 
aufsteigenden  Dienste  eine  nachdrückliche  Gliederung  der  Mauer  ge- 
geben, welche  auch,  unangesehen  den  konstruktiven  Zweck,  einen  ge- 
wissen ästhetischen  Wert  hat;  allein  sie  verläuft  sich  zu  unvermittelt 
in  die  Flachdecke;  es  scheint  etwas  angekündigt  zu  werden,  was 
dann  nicht  kommt. 

Einen  anschaulichen  Beleg  für  das  letzterwähnte  Missverhältnis 
giebt  die  perspektivische  Ansicht  von  Peterborough  auf  Taf.  90. 
Viel  besser  wirkt  auf  der  nebenstehenden  Abbildung  von  Ce*risy  das 
Gurtbogensystera.  Wir  möchten  glauben,  dass  dasselbe  auch  sonst  in 
der  Normandie  ziemlich  häufig  zur  Anwendung  gekommen  ist,  wenn 
auch  in  den  meisten  Fällen  die  nachträgliche  Einwölbung  den  That- 
bestand  verdunkelt  hat.  (Ein  sicheres  Beispiel  Notre-Darae  du  Pre" 
zu  Le  Mans,  Taf.  86,  89).  Interessant  ist  diese  Erscheinung  auch  da- 
durch, dass  sie  die  Reihe  der  Aehnlichkeiten  mit  dem  lombardischen 
Bausystem  vervollständigt.  In  der  That  sind  die  in  der  Normandie 
ergriffenen  Vorbereitungsmittel  zum  Uebergang  auf  die  Gewölbebasilika 
von  den  zielverwandten  Bestrebungen  des  übrigen  Frankreichs  so  ver- 
schieden und  denen  der  Lombardei  in  den  Grundgedanken  so  ähnlich, 
dass  die  Möglichkeit  eines  Anstosses  von  dorther  in  ernste  Erwägung 
gezogen  werden  rauss.  Nicht  umsonst,  so  möchte  man  argumentieren, 
war  der  einflussreichste  Kirchenmann  der  Normandie  in  der  Zeit  Wil- 
helms des  Eroberers,  Lanfranc,  ein  Lombarde  von  Geburt.  Es  ist 
notorisch,  dass  derselbe  Landsleute  nach  sich  zog,  wir  erinnern  nur  an 
den  berühmten  Anselm,  und  es  können  darunter  ja  ganz  wohl  bau 
kundige  Männer  gewesen  sein.  Alles  freilich  nur  Vermutungen  I  Indes 
verträgt  sich  mit  ihnen  die  Thatsache  recht  gut,  dass  die  beregte 
Verwandtschaft  mit  der  lombardischen  Weise  gerade  die  um  die  Mitte 
des  Jahrhunderts  im  Bau  begriffenen  Werke  trifft,  während  bei  den 
späteren  die  Aehnlichkeit  verblasst.    Die  geschichtlichen  Zusammen- 


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Viertes  Kapitel:  Die  tlachgedeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


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hänge,  deren  Ahnung  uns  hier  aufgeht,  sind  merkwürdig  genug.  Denn 
es  sind  nicht  fremdartige ,  sondern  urverwandte  Formen ,  die  hier 
zusammentreffen.  Wir  haben  früher  (S.  190)  gesehen,  dass  das  lom- 
bardische gebundene  System  einem  fränkisch-karolingischen  Gedanken- 
kreise angehörte  und  dass  ein  wichtiges  Element  desselben,  der  Stützen- 
wechsel mit  Emporen,  im  nördlichen  Frankreich  ununterbrochen  fort- 
lebte. Indem  die  aufstrebende  normannische  Architektur  lombardische 
Baugedanken  zu  Hilfe  ruft,  greift  sie  nur  scheinbar  in  die  Ferne:  in 
Wahrheit  stellt  sie  den  Zusammenhang  zweier  ursprungsgleicher  Ent- 
wickelungsreihen  wieder  her. 

Dass  der  normannische  Grundriss  und  das  normannische  System 
des  Aufbaus  nicht  gemeinsam  konzipiert  sind,  lehrt  die  Abteikirche 
von  Bernay.  Das  charakteristische  Gepräge  der  Ost-  und  Querpartie  ist 
vollkommen  fertig,  dagegen  zeigt  das  Langhaus  noch  nicht  die  ge- 
bundene Einteilung.  Von  dem  Bilde,  das  Taf.  86  ti.  89  zeigen,  gehört 
nur  das  untere  Geschoss  bis  zum  Gurtgesims  der  ursprünglichen  Anlage 
(vollendet  a.  1025),  und  auch  diese  nicht  unverändert;  die  den  Pfeilern 
vorgelegten  Halbsäulen  sind  ein  jüngerer  Zusatz,  vgl.  die  Nebenfigur 
zum  Grundriss  Taf.  79;  die  Kuppelgewölbe  über  den  Seitenschiffen 
sogar  erst  modern.  Nach  Abzug  alles  dessen  erscheint  ein  System, 
das  demjenigen  von  S.  Martin  zu  Angers  oder  der  alten  Kathedrale 
von  Beauvais  (Taf.  84,  85)  ähnlich  sieht.  Vgl.  die  Untersuchungen  von 
Bouet  im  Bull.  mon.  t.  31. 

Das  älteste  Beispiel  des  vorzugsweise  so  zu  nennenden  normän- 
nischen  Systems  giebt  die  jetzt  in  Ruinen  liegende  Abteikirche  von 
Jumikges  (Taf.  86,  89).  Erbaut  a.  1040 — 1067.  Sehr  ausgeprägter 
Stützenwechsel.  Ob  Gewölbe-  oder  nur  Gurtbögen  beabsichtigt  waren, 
ist  ungewiss.  Das  Ganze  macht  einen  schwankenden  Eindruck,  es  fehlt 
der  schöpferische  Hauch.  In  vollem  Masse  ist  derselbe  vorhanden 
in  S.  Etienne  zu  Caen;  begonnen  zwischen  1063  und  1066,  geweiht 
a.  1077.  Auf  Gewölbdecke  angelegt,  mit  Flachdecke  vollendet,  zu 
Anfang  des  folgenden  Jahrhunderts  doch  in  Gewölbdecke  umgewan- 
delt. Die  Restitution  des  ersten  Zustandes  nach  Bouet  und  Ruprich- 
Robert  (Taf.  87  u.  89  links)  ist  für  uns  nicht  durchaus  überzeugend. 
Die  Gewölbe  der  Emporen  könnten  ganz  wohl  ursprünglich,  und  die 
Doppeitraveen  im  Lichtgaden  durch  Gurtbögen  eingerahmt  gewesen 
sein,  kurz  der  Zustand  von  a.  1077  könnte  im  wesentlichen  dem  Bilde 
entsprechen,  das  S.  Vigor  zu  Cerisy  darbietet.  Dieser  von  Herzog 
Robert  gegründete  Bau  wurde  von  Wilhelm  fortgesetzt,  »usquequo  ipse 
Monasterium  saneti  Stephani  .  .  .  aedificavit.c  Formen  und  Masse  des 
Grundrisses  sind  identisch;  also  wohl  in  S.  Etienne  von  S.  Vigor  ent- 
lehnt, dagegen  die  oberen  Geschosse  von  S.  Vigor  erst  nach  S.  Etienne 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


zur  Ausführung  gekommen.  —  Censy  zu  besuchen  hat  uns  die  Ge- 
legenheit gefehlt;  von  S.  Etienne  in  Caen  haben  wir  den  Eindruck 
empfangen,  dass  es  das  von  den  prunkvollen  Erzeugnissen  der  jüngeren 
Schule  nicht  überbotene  Meisterwerk  der  normannischen  Architektur 
und  überhaupt  dem  Besten  zuzuzählen  sei,  was  der  romanische  Stil 
irgendwo  hervorgebracht  hat. 

Die  ersten  Normannenbauten  in  England  schliessen  sich  eng  an 
die  festländischen  Vorbilder  an.  Indes  diese  letzteren  waren  gerade 
in  der  der  Eroberung  zunächst  folgenden  Zeit  an  der  Erreichbarkeit 
ihres  höchsten  Zieles,  der  vollständigen  Ueberwölbung,  irre  geworden. 
Was  aber  auf  dem  Festlande  nur  ein  vorübergehender  Verzicht  war, 
wurde  in  England  ein  dauernder.  Die  als  Vorstufen  der  Ueberwölbung 
bedeutsamen  Motive  des  normannischen  Systems  verkümmern  und 
schwinden :  so  die  Gewölbe  der  Emporen,  die  durchweg  der  Sparren- 
decke Platz  machen ;  so  der  Stützenwechsel,  von  dem  höchstens  einige 
unklare  Nachklänge  übrigbleiben  von  der  Anwendung  der  grossen 
Gurtbögen  im  Mittelschiff  findet  sich  keine  Spur;  nur  die  halbrunden 
Dienste  werden,  obgleich  sie  bei  der  reinen  Flachdecke  konstruktiv 
bedeutungslos  sind,  beibehalten;  ingleichen  die  unverhältnismässig 
mächtigen  Mauerdicken.  Erst  ganz  am  Ende  der  romanischen  Epoche 
treten  vereinzelt  gewölbte  Mittelschiffe  auf. 

Das  Hauptbeispiel  der  älteren  Periode  —  da  die  Kathedrale  von 
Canterbury  zu  E.  saec.  12.  gotisch  umgebaut  wurde  —  ist  das  Quer- 
schiff der  Kathedrale  von  Winchester,  begonnen  1079,  vollendet  1093 
(Taf.  81,  88);  ein  massig  strenger  Bau,  der  im  System  noch  mehr  an 
S.  Vigor  in  Cerisy  wie  an  S.  Etienne  in  Caen  erinnert.  Nahe  verwandt 
das  System  der  Kathedrale  von  Nor  wich  ,  begonnen  1096.  (Die  An- 
sicht Ruprich-Roberts,  dass  hier  sechsteilige  Kreuzgewölbe  beabsichtigt 
gewesen  seien,  können  wir  nicht  teilen.)  Wiederum  die  gleiche  Kom- 
position, doch  etwas  schlanker  in  den  Verhältnissen  und  zierlicher  in 
der  Behandlung,  hat  die  Kathedrale  von  Ely;  begonnen  von  Bischof 
Simeon,  einem  Bruder  des  Erbauers  der  Kathedrale  von  Winchester, 
vollendet  erst  a.  11 74  (Taf.  88,  89).  Endlich  in  reichster  Ausbildung 
die  Kathedrale  von  Peterborolgh,  der  Chor  vollendet  1140,  das  Lang- 
haus 1177—93  (das  System  des  letzteren  Taf.  88).  —  Ausser  der  Linie 


')  Dagegen  kommt  der  Stutzenwechsel  in  nachdrücklicher  Behandlung  zuweilen  an 
kleineren  Kirchen  ohne  Emporen  vor,  t..  R.  Taf.  85  S.  Peter  in  Northampton  und  die 
Kirche  zu  Vesterwig  auf  Jutland ,  die  in  den  Details  englischen  Einfluss  bekundet. 


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Viertes  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


289 


steht  mit  ihrer  ganz  schmucklosen  Behandlung  und  ihrer  selbst  in 
England  auffallenden  Massivität  die  Kirche  von  Saint-Albans;  schon 
vor  der  Eroberung  in  Vorbereitung  genommen,  unter  dem  Abte  Paul, 
einem  ehemaligen  Mönche  aus  Caen,  ausgeführt  und  a.  1115  geweiht. 
(Unser  Querschnitt,  Taf.  89,  nach  Buckler  stimmt  mit  dem  System 
Taf.  87  nach  Ruprich-Robert  insofern  nicht  überein,  als  letzterer  eine 
selbständig  beleuchtete  Empore  angiebt.) 

Neben  dem  bisher  betrachteten  unverändert  normannischen 
Systeme  besteht  ein  zweites,  bei  welchem  die  Scheidbögen  von  dicken 
Rundpfeilern  getragen  werden.  Da  dasselbe  in  der  Normandie,  mit 
Ausnahme  einiger  Denkmäler  von  untergeordneter  Bedeutung  nicht 
vorkommt,  darf  man  darin  vielleicht  ein  Fortleben  sächsischer  Ueber- 
lieferungen  erkennen.  Es  fehlt  der  Komposition  dieses  Systemes  die 
strenge  Konsequenz  des  normännischen. 

St.  Bodolph  zu  Colchester  (Ruine)  ein  in  Anbetracht  seiner 
späten  Erbauungszeit,  zu  Anfang  saec.  12.,  äusserst  roher  Bau  (Taf.  88). 
In  einfacher  Behandlung  finden  wir  das  System  in  der  Kathedrale  von 
Carlisle  (Taf.  87),  von  deren  romanischem  Schiff  noch  zwei  Arkaden 
stehen.  Sie  hat  im  Lichtgaden  das  normännische  Motiv  des  Lauf- 
ganges. Die  a.  1 138  begonnene  und  sehr  langsam  ausgeführte  Kathedrale 
S.  Magnus  zu  Kirkwall  auf  den  Orkneyinseln  hat  im  Schiff  einfache 
Rundpfeiler,  im  romanischen  Teile  des  Chores  (Taf.  86)  einen  Rund- 
pfeiler und  einen  eckigen  mit  halbrunder  Vorlage;  auf  Flachdecke 
angelegt,  in  später  Zeit  als  Gewölbebau  vollendet.  In  reicherer  Aus- 
bildung, mit  elegant  behandelten  Emporenbögen  finden  wir  das  System 
an  St.  Bartholomew  in  London,  West  Smithfield  (Taf.  87),  sowie 
an  der  Abteikirche  von  Malmsbury;  diese  schon  mit  spitzbogigen 
Arkaden.  Stevning  (Taf.  88)  ohne  Empore,  mit  reich  geschmückten 
Scheidbögen,  scheint  in  seinen  oberen  Theilen  modern  zu  sein.  In 
allen  diesen  Beispielen  fehlen  die  aufsteigenden  Dienste  des  eigent- 
lichen normännischen  Systems;  mit  Rundpfeilern  verquickt  zeigen 
sie  sich  im  Chor  von  Peterborough  und  in  der  Prioratskirche  von 
Binham.  Ein  glänzendes  Beispiel  aus  spätromanischer  Zeit  die  Abtei- 
kirche zu  Kelso  (Taf.  90).  Zuweilen  sind  die  Rundpfeiler  bei  enger 
Stellung  verhältnismässig  höher,  wodurch  das  Gepräge  des  Systems, 
im  allgemeinen  nicht  zu  seinem  Vorteil ,  wesentlich  verändert  wird. 
Hierher  gehört  das  Schiff  der  Kathedrale  zu  Glolcester  (Taf.  87) ; 
ähnlich  behandelt  ist  das  der  Kathedrale  zu  Hereford  und  der  Chor 
der  Abteikirche  zu  Tewksbury.  —  Bei  dieser  Anordnung  verliert  das 
Trifolium  an  Bedeutung  und  rückt  sehr  hoch  hinauf.  In  der  Kathe- 
drale von  Oxford  ist  das  System  der  höheren  Pfeiler  in  sehr  eigen- 


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290 


Zweites  buch:  Der  romanische  Stil. 


tumlicher  Weise  mit  dem  der  niedrigen  verquickt,  der  Scheidbogen 
tritt  etwas  über  der  halben  Höhe  des  Pfeilers  auf  Konsolen  aus  diesem 
heraus,  der  Pfeiler  aber  ist  höher  geführt  und  trägt  einen  Blendbogen, 
unter  welchem  das  Triforium  steht.  Die  Verbindung  befriedigt  in  keiner 
Weise.  Besser  geglückt  ist  der  Versuch  im  Chor  der  Abteikirche  zu 
Jedburoh  in  Schottland  (Taf.  90).  Die  Formbehandlung  ist  äusserst 
kräftig  und  der  Eindruck  ein  sehr  malerischer.  Höheren  architekto- 
nischen Anforderungen  genügt  das  System  freilich  nicht. 

Ein  drittes  System  ergiebt  sich  endlich  aus  der  Kombination  des 
Rundpfeilersystems  mit  dem  normännischen.  Als  Beispiel  die  Abtei- 
kirche zu  Waltham  (Taf.  87,  89).  Es  ist  Wechsel  ohne  festen  Rhyth- 
mus, da  die  an  der  gleichen  Stelle  des  Systems  wiederkehrenden  Stützen 
immer  eine  andere  Dekoration  erhalten. 

Die  Veränderungen,  die  in  England  mit  dem  normännischen 
Typus  vor  sich  gehen,  bedeuten  nichts  weniger  als  eine  organische 
Fortentwicklung  desselben.  Worauf  sie  hinauslaufen,  das  ist  eine 
höchst  einseitige  Steigerung  der  Raumentfaltung  und  Wendung  der 
ursprunglichen  herben  Einfachheit  zu  Pracht  und  Würde.  Die  Pfeiler 
erhalten  durch  vielfache  Einsprünge  und  Besetzung  mit  Halbsäulen 
eine  übermässig  zusammengesetzte  Gestalt.  Die  *  breiten  Leibungs- 
flächen der  Scheidbögen  werden  durch  mehrfache  Untergurtung  und 
Häufung  der  Profile  in  nicht  immer  klarer  Weise  belebt  (vgl.  z.  B. 
den  Fortschritt  in  der  Reihe  Winchester-Ely-Peterborough).  Während 
Kapitelle  und  Gesimse  schmucklos  bleiben,  werden  Bogenfelder  und 
Zwickel  mit  Mustern  von  Rauten,  Schuppen,  Flechtwerk  in  kräftigem 
Relief  überzogen ;  Zickzackstäbe  werden  auf  die  Bogenprofile  gesetzt , 
Spiralfurchen  in  weiten  Abständen  umziehen  die  Rundpfeiler  oder 
durchschneiden  sich  in  zwei  entgegengesetzten  Läufen,  rautenförmige 
Flächen  erzeugend;  wo  nur  immer  ein  schicklicher  Platz  sich  bietet, 
ist  mit  unsäglichem  Fleiss  Zierat  an  Zierat  gereiht  und  überall  sind 
es  dieselben  harten  geometrischen  Formen.  Dieser  strotzende  Reich- 
tum atmet  aber  keine  Heiterkeit,  starr  und  streng  wie  eine  eiserne 
Rüstung  umschliesst  er  den  Gliederbau,  dessen  Schwerfälligkeit  und 
Derbheit  er  nicht  vergessen  macht.  Man  gewahrt  darin  eine  Ueber- 
fülle  von  Kraft,  die  aber  gleichsam  von  ihrer  eigenen  Last  gedrückt, 
nicht  frei  sich  auszuleben  vermag.  Und  so  scheint  auch  die  Raum- 
entfaltung einer  inneren  Hemmung  zu  unterliegen.  Je  endloser  die 
Schiffe  sich  in  die  Längenrichtung  hindehnen,  um  so  entschiedener 
hat  man  den  Eindruck,  dass  sie  eng,  niedrig,  gepresst  seien;  die 
dichtgestellten  massigen  Pfeiler  verwehren  die  Durchsicht  in  die  Seiten- 


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Viertes  Kapitel:  Die  flachgedeckte  Basilika  in  Westeuropa. 


291 


schiffe,  und  folgt  der  Blick  dem  trotzigen,  starkgliedrigen  Stützen« 
gerüste  nach  oben,  so  findet  er  nichts  als  das  magere  Sparrenwerk 
der  Empore  und  die  leichte  Täfelung  der  Mitteldecke.  Es  ist,  als 
ob  der  kreissende  Berg  eine  Maus  geboren  habe. 


Beschreibung  der  Tafeln. 

Tafel  7g  Grundrisse. 

1.  Poitiers:  S.  Jean.  Gewöhnlich  als  Taufkapelle  erklärt,  nach  neuer- 
licher Vermutung  Eingangshalle  in  einen  Vorhof.  —  Vorkarolingisch. 
Archives  mon.  hist. 

2.  S.  Glniroux.  —  saec.  10.  Spätzeit,  die  schraffierten  Teile  jünger. 
—  Gailhabaud. 

3.  Angers:  Saint- Martin.  —  A.  saec.  11.  —  Gailhabaud.  (Auf  der 
Tafel  die  Unterschriften  von  2  u.  3  vertauscht.) 

4.  *Biziers:  S.  Aphrodise.  —  saec  10.  —  Bezold. 

5.  Remy  V Abbaye.  —  saec.  1 1  (?)  —  YVoillez. 

6.  Montmille.  —  saec.  n(?)  —  Woillez. 

7.  Morietwal.  —  saec.  n  u.  12.  —  Rame*e,  hist.  ge*n.  de  l'arch. 

8.  Epoy.  —  saec.  11  —  12.  —  Taylor  et  Nodier. 

9.  Loupiac.  —  saec.  12.  —  Archives  mon.  hist. 

10.  Bresles.  —  saec.  n(?)  —  Woillez. 

11.  Hermes.  —  saec.  1 1  (?)  —  Woillez. 

12.  Peel  Castle  (Insel  Man).  —  Gr  ose. 
l3-  tffhy-  —  saec.  12.  —  Britton. 

14.  Colchester:  S.  Rodolph.  —  saec.  12.  —  Britton. 

15.  Secqueville.  —  saec.  12.  -  Ruprich-Robert. 

16.  S.  Peter  zu  Northampton.  —  saec.  12.  --  Britton. 

Tafel  80. 

1.  Bernay.  —  Um  1024  im  Bau  begriffen.  —  Bull.  mon. 

2.  lioscherville :  S.  Georges.  —  Begonnen  a.  1050  (?)  —  Ruprich- 
Robert. 

3.  Cerisy  la  Foret:  S.  Vigor.  —  Begonnen  1030  (?)  —  Ruprich- 
Robert. 

4.  Canterbury:  Kathedrale.  —  E.  saec.  n.  —  Willis. 

5.  Caen:  Saint  Etienne  (abbaye  aux  Hommes).  —  Beg.  a.  1063.  — 
Pugin. 

6.  Mottt-Saint- Michel.  —  saec.  11.,  Chor  saec.  13.  —  Viollet-le-Duc. 


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2Q2  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

Tafel  81. 

1.  Saint  Albans.  —  Spätzeit  saec.  n,  geweiht  1116,  gotisch  erweitert* 
die  untere  Hälfte  des  Chores  giebt  eine  Restauration  des  ursprüng- 
lichen Zustandes.  —  Buckler. 

2.  Winchester:  Kathedrale.  —  Beg.  a.  1079.   Die  obere  Hälfte  restau 
riert,  der  Chor  nach  der  in  der  Krypta  gegebenen  Grundlage  ;  Chor 
gotisch.  —  Britton. 

3.  Peterborough :  Kathedrale.  —  Gegr.  11 17,  Vollendung  des  Chors 
1140,  Querschiff  1160,  Schiff  1177 — 93.  —  Britton. 

Tafel  8a. 

1.  Ely:  Kathedrale.  —  Voll.  11 74.  —  Ruprich-Robert. 

2.  Norwich.  —  Gegr.  1096,  ursprünglich  wohl  nicht  mit  sechsteiligen 
Gewölben,  sondern  flach  gedeckt.  —  Ruprich-Robert. 

3.  Dur  harn:  Kathedrale.  —  Mitte  saec.  12.  —  Billings. 

Tafel  83. 

1.  Tewksbury.  —  saec.  12.  —  Monasticon  anglicanum  (Dugdale). 

2.  Toumay:  Kathedrale.  —  1.  Hälfte  saec.  12.  —  Renaud. 

3.  Romsey.  —  saec.  12.  —  Britton. 

4.  Hereford:  Kathedrale.  —  Romanische  Teile  aus  saec.  12.  — 
Britton. 

5.  Kirkwall:  S.  Magnus.  —  Beg.  1137.  —  Worsaae. 

6.  Chichester:  Kathedrale.  —  Beg.  11 70;  nach  Bränden  11 14  u.  1186 
restauriert;  gotische  An-  und  Umbauten  zwischen  1282  u.  1385.  — 
Monasticon  angl. 


_  .  ,  _  Systeme. 
Tafel  84. 

1,  2.  Poitiers:  S.  Jean.  —  Archives  mon.  hist. 

2,  3.  St.  Giniroux.  —  c.  a.  1000.  —  Gailhabaud,  Arnauld. 
5,  6.  Loupiac.  —  saec.  12.  —  Archives  mon.  hist. 

7.  N.  Dame  sur  feau.  —  saec.  11  — 12.  —  Ruprich-Robert. 

8.  Angers:  S.  Martin.  —  1.  H.  saec.  11.  —  Gailhabaud. 

9.  Brixworth.  —  saec.  10  (?)  —  Britton. 

Tafel  85. 

1.  Beauvais:  Basse-oeuvre.  —  saec.  10.  —  Woillez. 

2.  Montmille.  —  saec.  11.  —  Woillez. 

3.  Tracy-le-val.  —  saec.  12.  —  De  Baudot. 

4.  *Beaugency:  N.  Dame.  —  2.  H.  saec.  11.  —  Dehio. 

5.  Pant-Audemer.  —  saec.  12.  —  Ruprich-Robert. 

6.  Northamptan:  S.  Peter.  —  saec.  12.  —  Britton. 

7.  Graville.  —  saec.  12.  —  Ruprich-Robert. 


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Viertes  Kapitel:  Die  flachgedeckle  Basilika  in  Westeuropa. 


293 


8.  Etretat.  —  saec.  11  — 12.  —  Ruprich-Robert. 

9.  Vestervig.  —  1 197  vollendet.  —  Nord.  Univ.  Tijdskrift,  1856. 
10.   Than.  —  saec.  12.  —  Ruprich-Robert. 

Tafel  86. 

1.  Moni ier-en- Der.  —  1.  H.  saec.  11.  —  Archives  mon.  hist. 

2.  Reims:  S.  Remy  (Querschiflf).  —  i.H.  saec.  11.  —  Leblan,  Dehio. 

3.  Bernay.  —  c.  a.  1024.  —  Ruprich-Robert. 

4.  Le  Mans:  N.-D.  du  Pri.  —  c.  a.  1100.  —  Viollet-le-Duc. 

5.  Vignory.  —  M.  saec.  11.  —  Archives  mon  hist. 

6.  Reims:  S.  Remy  (Langhaus).  —  Gailhabaud,  l'architecture  etc. 

7.  *Soignies  (Zinik):  S.  Vincent.  Links  der  jetzige  Zustand,  rechts 
Restauration.  —  saec.  10— 11.  —  Aufnahme  der  Schüler  des  Col- 
lege de  S.  Vincent  und  Skizzen  von  Bezold. 

8.  Tournay:  Kathedrale.  —  saec.  12.  —  Renard. 

9.  Jumieges.  —  saec.  11.  —  Ruprich-Robert. 

Tafel  87. 

1.  Saint  Albans.  —  saec.  11  — 12.  —  Ruprich-Robert. 

2.  Caen:  Saint  Etienne.  —  Nach  1063.  —  Restauriert  nach  Bouet, 
unter  Zugrundelegung  der  Aufnahme  von  Ruprich-Robert. 

3.  Boscherville :  S.  Georges.  —  saec.  ir.  —  Ruprich-Robert. 

4.  Cerisy:  S.  Vigor.  —  2.  H.  saec.  11.  —  Ruprich-Robert. 

6.  Moni- Saint- Michel.  —  saec.  11.  —  Ruprich-Robert. 

7.  Gloucester:  Kathedrale.  —  saec.  12.  —  Britton. 

8.  Carlisle:  Kathedrale.  —  saec.  12.  —  Billings. 

9.  London:  S.  Bartholomen^.  —  saec.  12.  —  Carter. 

10.  Waltham.  —  2.  H.  saec.  12.  —  Ruprich-Robert. 

Tafel  88. 

1.  Petcrborough  (Schiff).  —  saec.  12.  Spätzeit.  —  Ruprich-Robert. 

2.  Romsey  (Chor).  —  saec.  12.  —  Ruprich-Robert. 

3.  Winchester  (QuerschirT).  —  E.  saec.  n.  —  Ruprich-Robert. 

4.  Ely  (Schiff).  —  Vollendet  1174.  —  Ruprich-Robert. 

5.  Oxford.  —  Geweiht  1180.  —  Britton. 

6.  Steyning.  —  saec.  12.  —  Britton,  Arch.  aut. 

7.  Colchester:  S.  Bodolph.  —  saec.  12.  —  Britton,  Arch.  aut. 

8.  Bayeiix:  Kathedrale.  —  Nach  11 59.  —  Pugin. 

Querschnitte. 

Tafel  89. 

1.  Caen:  Saint  Etienne;  links  restauriert,  rechts  jetziger  Zustand.  — 
Ruprich-Robert. 

2.  Orisy.  Saint  Vigor.  —  Ruprich-Robert. 


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294 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


3.  Saint  Albans.  —  Buckler. 

4.  Ely:  Kathedrale.  —  Ruprich-Robert. 

5.  Bernay.  —  Ruprich-Robert. 

6.  Le  Afans:  N.-D.  du  Pri.  —  V iolIct-lc-Dur. 

7.  Waltham.  —  Ruprich-Robert. 

8.  Graville.  —  Ruprich-Robert. 

9.  Jumiiges.  —  Ruprich-Robert,  Gall.  christ. 
10.  Tournay.  —  Renard. 

_  _  ,  Perspektiven. 
Tafel  90. 

1.  Peterborough.  —  Nach  geometrischen  Aufnahmen. 

2.  Cirisy.  —  Nach  geometrischen  Aufnahmen. 

3.  Jedburgh.  —  Billings. 

4.  Kelso.  —  Billings. 


Fünftes  Kapitel. 

Der  Gewölbebau  in  seinen  Grundformen. 


Litteratur.  —  A.  Essetru<tht :  Die  Entwicklung  des  Pfeiler-  und  Gewölbe- 
systemes  in  der  kirchlichen  Baukunst  bis  zum  Schluss  des  XIII.  Jahrhunderts.  Jahrb.  der 
Centr.-Comm.,  1858.  —  //.  Leibnitz  :  Die  Organisation  der  Gewölbe  im  christlichen 
Kirchenbau,  1855.  —  Violtei'U-Duc :  D.  R.  Unter  den  verschiedenen  auf  den  Gegen- 
stand bezüglichen  Artikeln  sind  die  wichtigsten :  construction ,  coupole  und  voute.  — 
De*  selbe:  In  der  Revue  generale  de  l'architecture ,  Bd.  11.  —  Willis  :  In  den  Trans- 
actions  der  brit.  Arch.,  Ubersetzt  von  C.  Daly  im  4.  Bd.  der  Revue  glnlrale  de  l'archi- 
tecture, 1843.  --  Redtenbaehtr :  Leitfaden  zum  Studium  der  mittelalterlichen  Baukunst, 
1881.  —  Karl  Schäfer,  im  Zentralblatt  der  Bauverwaltung,  Bd.  V,  1885,  S.  300:  Der 
Spitzbogen  und  seine  Rolle  im  mittelalterlichen  Gewölbebau.  —  Mollinger:  Die  deutsch- 
romanische Architektur,  Lief,  l,  1886.  —  Hu^o  Graf:  Opus  Francigenum,  1878,  I,  Zur 
Geschichte  des  Strebebogens. 

Es  ist  im  innersten  Wesen  der  Baukunst  begründet,  dass  in  ihr 
das  Streben  nach  Schönheit  mit  dem  Streben  nach  Dauerhaftigkeit 
unlöslich  sich  verbindet.  Deshalb  sind  zu  allen  Zeiten  die  höchsten 
baukünstlerischen  Ideen  im  Gewände  der  reinen  Steinkonstruktion  auf- 
getreten. Hatte  die  beherrschende  Rolle,  welche  der  frühchristliche 
Kirchenbau  der  flachen  Holzdecke  zuteilte,  einen  relativen  Rückschritt 
bedeutet,  so  haben  alle  in  aufsteigender  Linie  sich  bewegenden  Be- 
strebungen des  Mittelalters  die  Gewinnung  der  Steindecke  zum  Ziel. 
Dass  diese  die  ästhetisch  höhere  Potenz  sei,  wurde  schon  von  der 
karolingischen  Epoche  anerkannt  und  ist  seither  nicht  mehr  aus  dem 
Bewusstsein  der  für  die  Architekturentwicklung  massgebenden  Völker 
des  Abendlandes  geschwunden.  Noch  stärker  und  gemeinverständlicher 
sprechen  für  die  Steindecke  ihre  materiellen  Vorzüge.  Sie  verhiess 
Sicherheit  vor  den  beiden  grossen  Feinden,  welche  die  holzgedeckte 
Basilika  unausgesetzt  bedrohten :  der  langsamen  aber  unwiderstehlichen 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Wirkung  der  Feuchtigkeit  und  der  Luft,  wie  der  plötzlichen  Wut  des 
Feuers.  Nicht  nur  jener,  sondern  auch  dieser  waren  die  Kirchen  der 
nordischen  Länder  in  ungleich  höherem  Masse  ausgesetzt,  als  die  der 
südlichen.  Ungerechnet  die  Kriegs-  und  Blitzesgefahr  führte  die  leichte, 
auf  vorwiegender  Benutzung  des  Holzmaterials  beruhende  Bauweise 
der  nordischen  Städte  in  rascher  Folge  Feuersbrünste  herbei,  von  denen 
nur  zu  leicht  die  Kirchen  mitergriffen  wurden;  dazu  im  Innern  der 
letzteren  die  wie  es  scheint  sehr  reichliche  Verwendung  von  Kerzen- 
und  Lampenlicht.  Es  ergiebt  eine  förmlich  erschreckende  Rechnung, 
wenn  man  aus  den  Chroniken  die  gewiss  recht  unvollständigen  Mel- 
dungen von  Brandschäden  zusammenzählen  will. 

Weshalb  nun  ist  die  thatsächliche  Aneignung  der  Steindecke  so 
langsam  und  zögernd  erfolgt?  ja,  weshalb  hat  eigentlich  erst  die  Gotik 
die  allgemeine  Zustimmung  findende  Lösung  gebracht?  Die  Gründe 
sind  zusammengesetzt.  Keineswegs  allein  oder  auch  nur  vorwiegend 
liegen  sie,  wie  man  es  oft  zu  erklären  beliebt  hat,  im  technischen 
Unvermögen  der  früheren  Zeit.  Eine  Reihe  bedeutender  Gewölbe- 
bauten —  man  bemerke:  durchweg  Zentralbauten,  wie  die  Palast- 
kirche zu  Aachen,  die  Hauptteile  von  S.  Marien  im  Kapitel  zu  Köln, 
die  Rotunde  von  S.  Benigne  in  Dijon,  das  Baptisterium  von  Florenz 
u.  a.  m.  —  bezeugt,  dass  die  Kunst  des  Wölbens  niemals  ganz  er- 
loschen war.  Freilich  nicht  allerorten  hat  sich  dies  technische  Können 
in  gleicher  Weise  lebendig  erhalten,  wie  in  Oberitalien,  wo  die  magistri 
tomacini  die  Ueberlieferungen  der  römischen  Bautechnik,  wenn  auch 
getrübt,  in  das  Mittelalter  hinüberführten,  oder  wie  in  Südfrankreich, 
wo  die  herrlichsten  antiken  Vorbilder  vor  aller  Augen  standen;  aber 
kleineren  Aufgaben,  wie  der  Einwölbung  von  Grabkapellen,  Krypten, 
Apsiden,  auch  wohl  der  Seitenschiffe  der  Kirchen,  war  man  überall 
gewachsen. 

Die  entscheidende  Schwierigkeit,  über  die  man  lange  Zeit  nicht 
hinaus  zu  kommen  vermochte,  liegt  nicht  in  der  Herstellung  der  Ge- 
wölbe als  solcher,  sondern  in  deren  Anwendung  auf  die  Konformation 
der  Basilika,  speziell  auf  das  Mittelschiff  derselben.  Denn  es  gehörte 
nicht  viel  Erfahrung  dazu,  um  zu  wissen,  dass  der  von  einem  Gewölbe 
ausgehende  Druck  mit  der  Höhe  der  Stütze  zunimmt;  wovon  die 
Ursache  die  ist,  dass  dieser  Druck  nicht  einer  senkrechten  Linie,  sondern 
einer  über  die  senkrechte  in  seitlicher  Richtung  mehr  oder  minder 
weit  hinausgreifenden  Kurve  folgt,  mithin  die  stützende  Mauer  als 
Hebelarm  in  Wirkung  tritt.  Die  Mittelschiffsmauer  war  aber  ohnedies 


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Fünftes  Kapitel :  Der  Gewölbebau  in  seinen  Grundfonnen. 


297 


schon  durch  die  Arkadendurchbrechungen  geschwächt  und  die  an- 
liegenden Seitenschiffe  beschränkten  die  Möglichkeit  der  Anbringung 
von  Verstärkungen  auf  ein  ganz  unzureichendes  Mass. 

Der  Konflikt  zwischen  den  konstruktiven  Forderungen  des  Ge- 
wölbebaus und  den  formalen  Grundbestimmungen  der  Basilika  war 
schon  einmal  in  der  Geschichte  des  christlichen  Kirchenbaus  brennend 
gewesen:  in  der  oströmischen  Kunst  des  6.  Jahrhunderts.  Auch  hier 
hatte  die  Basilika  bis  zu  diesem  Zeitpunkt  die  Vorherrschaft  gehabt: 
sie  wurde  nicht  sowohl  umgestaltet  als  vielmehr  vollständig  beseitigt 
und  an  ihre  Stelle  traten  Typen ,  die  aus  der  eigensten  Natur  des 
Gewölbebaues  abgeleitet  auf  wesentlich  andersartige  Grundformen  hin- 
führten. 

Vor  dieselbe  Alternative  sah  sich  das  Abendland  beim  Eintritt 
in  die  romanische  Epoche  gestellt.  Es  entschied  sich  in  ihr  in  um- 
gekehrtem Sinne,  wie  die  orientalische  Christenheit.  Für  die  jetzt 
massgebenden  germanischen  und  germano-romanischen  Stämme  hatte 
die  Basilika  die  Bedeutung  einer  heiligen  und  unantastbaren  Ueber- 
lieferung  gewonnen,  war  sie  die  Kirchenbauform  schlechthin.  Die 
vielversprechenden  Vorbereitungen  zur  gewölbgemassen  Weiterbildung 
der  Basilika,  die  wir  in  der  fränkischen  Architektur  des  9.  Jahrhunderts 
wahrzunehmen  glauben,  erlahmten,  da  seit  der  Spätzeit  dieses  Jahr- 
hunderts mit  dem  Hinschwinden  so  vieler  antiker  Kulturerinnerungen 
ein  tiefer  Niedergang  auch  des  Bauwesens  namentlich  nach  der  tech- 
nischen Seite  eintrat,  dem  erst  im  Laufe  des  1 1 .  Jahrhunderts  ein  neuer 
Aufschwung  folgte.  So  gewann  in  Deutschland  wie  in  Nordfrankreich 
und  England  die  Flachdeckbasilika  aufs  neue  Zeit  sich  zu  befestigen, 
gleichwie  in  Italien  das  an  den  Ostküsten  eindringende  byzantinische 
System  ihr  nur  wenig  Boden  abzugewinnen  vermochte.  Nur  die 
gallo  romanischen  Stämme  im  Westen  und  Süden  Frankreichs  sprangen 
von  der  durch  die  Tradition  der  Jahrhunderte  vorgezeichneten  Linie 
ab:  ihnen  wogen  die  praktischen  Vorteile  der  Gewölbekonstruktion 
schwerer:  sie  gaben  zu  gunsten  dieser  die  Formgedanken  der  Basilika 
vollständig  preis.  Sehr  verschiedenartige  Systeme  werden  nun  neben- 
und  nacheinander  versucht;  mit  der  Zeit  schliessen  sich  andere, 
geographisch  in  der  Mitte  liegende  Landschaften  Frankreichs  an  und 
lenken  den  Gewölbebau  auf  die  Bahn  der  Basilika  zurück;  die  Lom- 
bardei, die  Rheinlande,  die  Normandie  treten  mit  verwandten  Be- 
strebungen hervor.  Dabei  zeigte  sich,  dass  die  Wartezeit  nicht 
fruchtlos  verstrichen  war:  die  Modifikationen  der  romanischen  Basilika 

20 


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Zweites  Buch  .  Der  romanische  Stil. 


gegenüber  der  altchristlichen,  als:  der  gebundene  Grundriss  in  Deutsch- 
land und  Oberitalien,  die  zweigeschossige  Anlage  der  Abseiten  in 
Nordfrankreich,  vor  allem  die  Substituierung  der  Säule  durch  den 
Pfeiler  —  sind  ebensoviel  Annäherungen  an  die  Forderungen  des  Ge- 
wölbebaues. Wohl  haben  diese  verschiedenen  Schulen  eine  gewisse 
wechselseitige  Kenntnis  voneinander;  im  ganzen  aber  gehen  sie 
selbständig  vor,  erstreben  auf  sehr  verschiedenartigen  Wegen  das 
gemeinsame  Ziel;  ein  erstaunlicher  Reichtum  der  Formen  und  Systeme 
wird  hervorgebracht. 

Nicht  alle  Schulen  waren  zu  reifen  Ergebnissen  gelangt,  als  das 
jüngste  dieser  Systeme,  das  wir  das  gotische  zu  nennen  gewöhnt  sind, 
von  dem  Zentrum  der  damals  modernsten  internationalen  Bildung, 
von  Paris  aus,  seinen  Siegeslauf  durch  Europa  antrat  und  dem  ganzen 
Abendlande  wenigstens  scheinbar  ein  einiges,  ein  vollendetes  System 
des  Kirchenbaues  brachte.  Aber  diese  Einheit  war  teuer  erkauft. 
Achtlos  musste  die  Gotik  in  ihrer  grossartigen  Einseitigkeit  an  allen 
ihr  heterogenen  Bestrebungen  vorüber  gehen ;  sie  hat  dieselben  erstickt, 
ohne  dafür  vollen  Ersatz  zu  bringen;  denn  wahre  Gotik  ist  sie,  von 
einzelnen  glänzenden  Ausnahmen  abgesehen,  doch  nur  in  ihrem  Heimat- 
lande geblieben.  Die  romanische  Baukunst  aber  hat  sich  in  Formen 
versucht,  welche  an  rein  architektonisch-raumkünstlerischer  Bedeutung 
über  alles  hinausgehen,  was  die  Gotik  jemals  gewollt  und  gekannt 
hat.  Dass  sie  in  ihren  Bestrebungen  selten  zum  letzten  Ende  ge- 
langt ist,  ist  in  äusseren  Verhältnissen,  nicht  im  Wesen  der  einen 
oder  anderen  Bauweise  begründet.  Es  ist  vielleicht  ein  müssiges 
Unterfangen,  mit  Möglichkeiten  zu  rechnen,  welche  nicht  eingetreten 
sind,  zuweilen  aber  drängen  sich  solche  Fragen  auf,  und  wenn  die 
Bilanz  gezogen  werden  sollte,  ob  der  Baukunst  durch  den  raschen 
Sieg  der  Gotik  über  die  national  verschiedenen  romanischen  Bau- 
weisen Gewinn  oder  Verlust  erwachsen  sei,  so  ist  es  —  man  darf 
das  aussprechen,  ohne  gegen  die  hohe,  ja  einzige  Schönheit  vollendeter 
gotischer  Bauten  blind  zu  sein  —  mehr  als  fraglich,  ob  sie  zu  gunsten 
der  thatsächlich  eingetretenen  Entwicklung  ausfallen  würde. 

Wir    schicken   der   geschichtlichen    Darstellung   die  nötigsten 
technisch-konstruktiven  Erörterungen  voraus. 


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Fünftes  Kapitel :  Der  Gewölbebau  in  seinen  Grundformen. 


299 


1.  Bogenform. 

Die  Vorherrschaft  des  Gewölbebaues  in  der  späteren  römischen 
Architektur  hatte  zuwege  gebracht,  dass,  im  Gegensatz  zum  grie- 
chischen Kanon,  der  Bogen  die  normale  Form  der  Verbindung  zweier 
Freistützen  oder  der  Ueberspannung  einer  Maueröfthung  wurde.  In 
welchem  Umfang  die  christlich-antike  und  die  romanische  Architektur 
auch  in  ihren  vom  Gewölbebau  unabhängigen  Gattungen  dieser  An- 
schauung gehorchten,  braucht  hier  nicht  wiederholt  zu  werden. 

Die  normale  Bogenforni  des  romanischen  Stils  ist  der  Halbkreis. 

Er  erfährt  unter  Umständen  Modifikationen:  entweder  Ver- 
kürzung oder  Ueberhöhung.  Die  erstere  (Segmentbogen)  findet 
wenigstens  im  Kirchenbau  keine  Verwendung,  ausser  als  gelegentliches 
und  wenig  in  die  Augen  fallendes  Expediens  mancher  Gewölbe- 
konstruktionen. Ueberhöhung  entsteht  durch  Einschiebung  eines  senk- 
rechten Stückes  zwischen  den  virtuellen  Kämpferpunkt  und  den  tiefer- 
gelegten architektonisch  charakterisierten  Kämpfer.  Eine  mässige 
Ueberhöhung  ist  z.  B.  an  den  Hauptarkaden  des  Schiffs  sehr  gewöhn- 
lich und  bezweckt  die  für  den  tiefstehenden  Beschauer  entstehende 
optische  Verkürzung  auszugleichen.  Ein  höherer  Grad  wird  als  Stel- 
zung bezeichnet.  Die  romanische  Baukunst  macht  davon  viel  seltener 
Gebrauch  als  die  byzantinische;  hauptsächlich  nur  an  sehr  hoch  liegen- 
den Bauteilen,  wie  Zwerggalerien,  Turmfenstern  u.  s.  w.,  oder  an  den 
inneren  Bögen  der  Chorumgänge,  zur  Ausgleichung  des  Höhenunter- 
schiedes gegenüber  den  äusseren. 

Der  Hufeisenbogen  ist  arabischen  Ursprungs  und  findet  sich 
in  ausgeprägterer  Gestalt  nur  in  spanischen  Kirchen  (Taf.  75);  seit 
ca.  1 100  auch  in  Frankreich  und  Italien,  speziell  an  Portalen;  in 
Deutschland  erst  im  Uebergangsstil. 

Andere  Formen,  wie  der  Dreieckbogen  (franz.  arc  en  mitre) 
und  der  Kl eeblattbogen  kommen  nur  an  konstruktiv  indifferenten 
Teilen,  namentlich  Blendarkaturen,  auch  wohl  Fenstern  und  Türmen 
vor,  die  letztere  Form  gleichfalls  aus  dem  Orient  importiert. 

Endlich  der  Spitzbogen. 

Die  Irrtümer,  wenigstens  die  gröberen,  mit  denen  in  betreff  seiner 
die  Kunstgeschichte  bis  vor  kurzem  belastet  war,  dürfen  jetzt  als 
abgethan  gelten.  Die  Entdeckungen  der  letzten  Jahrzehnte  in  der 
Baugeschichte  des  alten  Orients  haben  gelehrt,  dass  der  Spitzbogen  so 
alt  ist,  wie  die  Kenntnis  des  Wölbens  überhaupt.    Er  bietet  sich  so 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


sehr  von  selbst  dar,  dass  man  weit  eher  zu  fragen  berechtigt  ist: 
warum  hat  man  hier  seiner  sich  enthalten?  als:  warum  hat  man  ihn 
dort  gebraucht?  Die  Frage  nach  der  Erfindung  des  Spitzbogens  hat 
somit  nur  Sinn,  wenn  sie  sich  auf  eine  bestimmte  Funktion  unter 
bestimmten  Verhältnissen  richtet,  und  so  genommen  kann  man  sagen, 
dass  sie  sich  im  Laufe  der  Geschichte  zum  öftern  wiederholt  hat. 
Spitzbogige  Gewölbe  aus  radianten  Steinen,  zum  Teil  schon  in  sorg- 
fältigster Keilformung  hergestellt,  haben  so  die  Aegypter  wie  die  Assyrer 
für  gewisse  Aufgaben  im  Gebrauch  gehabt,  vgl.  Perrot  et  Chipiez, 
Histoire  de  l'art  dans  l'antiquitd  I  Fig.  302,  II  Fig.  72.  Reichlichere 
Verwendung  findet  der  Spitzbogen  bei  den  Persern  seit  der  Zeit  der 
Arsaciden  und  ohne  Zweifel  haben  ihn  die  Griechen  und  Römer  ganz 
gut  gekannt,  nur  dass  sie  ihn  nicht  gebrauchen  wollten.  Als  abgeleitete 
Form  lebt  er  in  der  arabischen  Baukunst  fort;  er  ist  dort  nur  um 
seiner  linearen  Erscheinung  willen,  nur  fürs  Auge  da,  nicht  Glied 
eines  konstruktiven  Systems.  Lediglich  in  diesem  Sinne  geht  er  auf 
die  christliche  Architektur  Siciliens  über:  er  herrscht  an  Fenstern  und 
Arkaden,  an  letzteren  mit  starker  Stelzung  (Taf.  73,  76);  an  den  Ge- 
wölben ohne  tiefere  Konsequenz.  Vereinzelt  dringt  er  auch  nach 
Unteritalien,  ja  selbst  bis  nach  Toskana  (Dome  zu  Pisa  und  Ancona) 
vor.  Dass  die  gebrochenen  Gurtbogen  in  S.  Scolastica  zu  Subiaco  dem 
J.  981  angehören,  wäre,  wenn  beweisbar,  geschichtlich  gleichgültig. 

Unter  den  Kernlanden  der  abendländischen  Baukunst  ist  es  zuerst 
und  lange  Zeit  allein  Südfrankreich,  das  dem  Spitzbogen  in  seinem 
Formenschatz  eine  Stelle  giebt.  Die  herrschende  Meinung  sieht  auch 
hier  Entlehnung  von  den  Arabern.  Wir  können  jedoch  derselben, 
wenn  überhaupt  eine,  so  nur  ganz  untergeordnete  Bedeutung  zuschreiben. 
Der  Spitzbogen  tritt  hier  von  Anfang  an  in  einer  Art  auf,  für  die  die 
Araber  kein  Vorbild  geben:  an  anderen  Bauteilen,  in  anderer  Form, 
in  anderer  Funktion.  Der  südfranzösische  Spitzbogen  gehört  lange 
Zeit  allein  dem  Gewölbe  an.  Von  den  konstruktiven  Vortheilen,  die 
er  bot,  wird  weiter  unten  die  Rede  sein.  Aesthetisches  Wohlgefallen 
an  seiner  Form  war  ursprünglich  so  wenig  im  Spiel,  dass  man  unter 
dem  zugespitzten  Gewölbe  mndbogige  Gurte  anordnete,  was  nur  be- 
deuten kann,  dass  man  jene  Form  möglichst  wenig  bemerklich  werden 
lassen  wollte.  Ziemlich  bald  gewöhnte  man  sich  dann  allerdings  so 
weit  an  sie,  dass  man  auch  die  Gurte  gebrochen  bildete,  während  alle 
übrigen  am  Gebäude  vorkommenden  Bögen  die  Halbkreisform  noch 
lange  Zeit  bewahrten.  Der  die  Mehrzahl  der  südfranzösischen  Denk- 
mäler treffende  Mangel  einer  sicheren  Chronologie  gestattet  auf  die 
Frage  nach  dem  Zeitpunkte  des  ersten  Auftretens  nur  eine  ungefähre 
Antwort.  Da  wir  ihn  am  frühesten  und  allgemeinsten  an  den  ein- 
schiffigen Kirchen  mit  Tonnengewölben  beobachten,  wird  er  bei  Ein- 


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Fünftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  seinen  Grundformen. 


30I 


bürgerung  dieser  Gattung  ziemlich  bald  sich  eingestellt  haben,  also 
eher  etwas  jenseits  wie  diesseits  des  J.  1000  Erheblich  jünger  ist 
die  Uebertragung  der  Form  auf  die  Arkaden.  Uns  sind  dafür  früher  als 
aus  den  letzten  Decennien  des  n.  Jahrhunderts  keine  Beispiele  bekannt, 
diese  erstrecken  sich  aber  allerdings  schon  über  einen  weiten  Umkreis 
bis  nach  Burgund  und  an  die  Loire  (die  flachgedeckte  Kirche  Notre- 
Dame  zu  Beaugency.) 

2.  Gewölbetechnik. 

Der  romanische  Gewölbebau  entwickelt  sich,  ausgehend  von  der 
erlöschenden  Tradition  des  römischen  Altertums,  selbständig  weiter. 
Er  schliesst  sich  ihr  unmittelbar  an,  wo  so  herrliches  Material,  so 
treffliche  antike  Vorbilder  zur  Hand  waren  wie  im  südlichen  Frank- 
reich. Dort  finden  wir  schon  im  11.  Jahrhundert  Keilsteingewölbe  in 
mehr  oder  minder  regelmässigem  Fugenschnitt.  Gussgewölbe  kommen 
in  frühromanischcr  Zeit  in  Deutschland  zuweilen  vor  (S.  135)  und  werden 
sich  auch  in  Italien  und  Frankreich  finden.  Die  Ausführung  geschah 
nicht  in  der  Weise,  dass  einfach  ein  Grobmörtel  (Beton)  auf  die 
Schalung  gebracht  wurde,  sondern  es  wurden  die  Steine  mit  der  Hand 
in  die  aufgebrachte  Mörtelmasse  eingedrückt,  und  damit  schichten- 
weise zum  Gewölbeschluss  vorgegangen,  oder  die  Steine  auf  die 
Schalung  geschichtet  und  mit  flüssiger  Mörtelmasse  übergössen,  welche 
in  die  Fugen  eindrang  und  erhärtend  dem  Gewölbe  die  nötige  Festig- 
keit gab.  Ihrer  überwiegenden  Menge  nach  sind  die  romanischen 
Gewölbe  aus  Bruchstein,  oder  wenig  regelmässigen  Hausteinen  in 
reichlicher  Mörtelbettung  hergestellt. 

Byzantinische  Einflüsse  machen  sich  im  östlichen  Italien  und  in 
Aquitanien  fühlbar,  beziehen  sich  indes  mehr  auf  die  Form  als  auf 
die  Ausführung  der  Gewölbe. 

Der  von  mancher  Seite  behauptete  Einfluss  der  Quaderbauten 
Zentralsyriens  lässt  sich  nicht  erweisen,  ist  auch  an  sich  ganz  unwahr- 
scheinlich. Die  syrischen  Bauten  sind  in  römischer  Quadertechnik 
ausgeführt  und  was  an  ihnen  zu  lernen  war,  konnte  ebensogut  an  den 
südfranzösischen  Römerbauten  studiert  werden.  Die  Gewölbesysteme, 
für  welche  ihr  Einfluss  in  Anspruch  genommen  wird,  in  erster  Linie 
das  auvergnatische,  waren  zur  Zeit  des  ersten  Kreuzzuges  schon  voll- 
kommen ausgebildet,  und  die  Kirchenbauten,  an  welchen  ein  derartiger 
Einfluss  am  nächstliegendsten  wäre,  die  Bauten  der  Kreuzfahrer  i* 

:)  Ein  spitzes  Klostergewölbe  von  a.  1016  in  der  Kreuzkapelle  zu  Montmajour. 


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Zweites  Buch    Der  romanische  Stil. 

Jerusalem  lassen  ihn  nicht  erkennen.  Die  Hypothese  ist  zuerst  von 
de  Vogüe",  Syrie  centrale,  aufgestellt  worden.  Viollet-le-Duc  hat  sie 
sich  mit  wahrer  Begeisterung  angeeignet  und  in  den  späteren  Bänden 
des  D.  R.  vorgetragen,  wodurch  er  mit  dem  in  früheren  Bänden 
Gesagten  zuweilen  in  Widerspruch  gerät.  Zur  Kritik  der  Hypothese 
vgl.:  A.  Saint  Paul:  Viollet-le-Duc  p.  184  fr.,  Dehio:  Romanische  Re- 
naissance im  Jahrb.  d.  k.  pr.  Kunstsammlungen  1S86,  p.  135  ff. 


3.  Gewölbeformen. 

TONNENGEWÖLBE.  Das  einfache  halbkreisförmige  Tonnengewölbe 
ist  an  frühromanischen  Bauten  nicht  selten ,  gewöhnlich  ist  es  jedoch 
in  gewissen  Abständen  durch  Gurtbögen  verstärkt  (Taf.  91  Fig.  1), 
welche  dem  Gewölbe  gewissermassen  als  ständige  Lehrbögen  dienen. 
Im  Keilschnitt  gearbeitet  geben  sie  kleinen  Verschiebungen  nach  und 
sichern  selbst  in  diesem  Falle  noch  das  Gewölbe  vor  dem  Einsturz. 
Sehr  frühzeitig  (vgl.  oben)  kommt  eine  massige  Zuspitzung  der  Bogen- 
linie  zur  Anwendung.  Ein  solches  Gewölbe  übt  bei  gleicher  Spann- 
weite einen  geringeren  Seitenschub,  als  ein  aus  dem  Halbkreisbogen 


konstruiertes,  da  der  der  Horizontale  am  nächsten  kommende  Scheitel- 
abschnitt des  letzteren  wegfällt.  Ausser  diesem  Hauptvorteil  scheint 
noch  ein  zweiter  in  Rücksicht  gezogen  zu  sein.  Die  spitzbogigen 
Gewölbe  kommen  früher  und  allgemeiner  bei  einschiffigen  als  bei  mehr- 
schiffigen Anlagen  vor  und  es  war  dabei  Sitte,  sie  ohne  Dachgerüst 
zu  lassen,  vielmehr  den  Gewölberücken  so  weit  mit  Bruchsteinen  auf- 
zufüllen, dass  er  zwei  geneigte  Ebenen  bildete,  welche  die  Dachziegel 
unmittelbar  aufnahmen.  Die  beistehende  Figur  zeigt  nun,  dass  bei 
dieser  Formation  ein  rundbogiges  Gewölbe  zugleich  stärkere  Belastung 
des  Scheitels  und  schwächeres  Widerlager  ergäbe,  während  ein  spitz- 
bogiges  nach  beiden  Richtungen  zu  günstigeren  Verhältnissen  führt. 


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Fünftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  seinen  Grundformen. 


303 


Klostekgewülbe  und  Kuppel.  Aus  der  Durchdringung  zweier 
Tonnengewölbe  entsteht  einerseits  das  vierseitige  Klostergewölbe, 
anderseits  das  Kreuzgewölbe,  je  nachdem  die  innerhalb  der  Schnitt- 
linien liegenden  Teile  der  Gewölbeflächen,  oder  die  ausserhalb  der- 
selben liegenden  die  Gewölbeform  bestimmen.  Ersteres  findet  auf 
den  vier  Umfassungsmauern  des  zu  überwölbenden  Raumes  oder  auf 
vier  Gurtbögen  seine  kontinuierlichen  Widerlager,  letzteres  ruht  auf 
den  vier  Eckpunkten  der  Grundfigur. 

Das  vierseitige  Klostergewölbe  ist  selten,  dagegen  findet  das 
achtseitige  (Taf.  91  Fig.  2)  ausser  bei  Zentralbauten  noch  vielfach 
Anwendung  zur  Ueberwölbung  der  Vierung  von  Gebäuden,  welche 
im  übrigen  mit  Tonnen  oder  Kreuzgewölben  versehen  sind.  Um  in 
solchen  Fällen  die  Widerlagsflächen  zu  gewinnen,  sind  Hilfskonstruk- 
tionen erforderlich,  welche  entweder  aus  übereinander  vorspringenden 
Bögen  bestehen,  wie  in  San  Ambrogio  in  Mailand,  oder  als  sogenannte 
Trompen  gebildet  sind.  Die  Form  der  letzteren  ist  verschieden, 
meistens  sind  es  Kegelsegmente  oder  Nischen.  Oft  sind  sie  in  ziem- 
lich unregelmässiger  Weise,  offenbar  in  Bruchstein  und  Mörtel,  aus- 
geführt und  verputzt.  Im  Steinschnitt  erfordern  sie  wegen  der  stark 
konvergierenden  Fugen  eine  sehr  exakte  Bearbeitung,  bieten  indes 
keine  nennenswerten  Schwierigkeiten. 

Wir  schliessen  hier  die  sphärische  Kuppel  als  spezielle  Form 
des  Klostergewölbes  an.  Sie  hat  in  Anwendung  auf  die  Ueber- 
wölbung der  Basilika,  wie  einschiffiger  Kirchen  eine  allgemeine  Ver- 
breitung nicht  gefunden,  ist  jedoch  in  Unteritalien  und  namentlich  im 
westlichen  Frankreich  häufig  und  wird  dort  nicht  allein  über  der 
Vierung,  sondern  in  reihenweiser  Anordnung  zur  Ueberwölbung  ganzer 
Kirchen  angewandt.  Da  hier  quadratische  Felder  zu  überwölben 
waren,  musste  sie  auf  Hängezwickeln  (Pendentifs)  aufsetzen  (Taf.  91 
Fig.  3).  Die  Fläche  der  Hängezwickel  ist  bei  rundbogigen  Gurt-  und 
Schildbogen  rein  sphärisch  und  zwar  sind  die  Zwickel  Ausschnitte 
einer  Kugelfläche,  deren  Radius  gleich  der  halben  Diagonale  des 
Grundquadrates  ist.  Bei  spitzbogigen  Gurten  ist  dies  nicht  der  Fall, 
denn  die  Bogenlinien  liegen  ausserhalb  der  über  dem  Grundquadrat 
beschriebenen  Kugelfläche.  Hätte  man  die  Zwickel  in  gleicher  Weise 
wie  bei  rundbogigen  Gurtungen  gestaltet,  so  würde  sich  für  den  Kranz 
kein  Kreis,  sondern  ein  Viereck  mit  kreisbogigen  Seiten  ergeben  haben, 
da  alsdann  die  Zwickel  nicht  einer,  sondern  vier  sich  durchschneiden- 
den Kugelflächen  angehört  hätten.    Bei  korrekter  Ausführung  ist  die 


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304 


Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


Fläche,  aus  welcher  die  Pendentifs  ausgeschnitten  sind,  eine  dem  Elli- 
psoid  ähnliche  Figur,  d.  h.  die  Bogenlinien  der  Gurtungen  sind  Leit- 
linien, um  welche  eine  Folge  von  Kreisen  gelegt  wird.  Ein  Rotations- 
ellipsoid, wie  wohl  behauptet  wird,  ist  die  Fläche  gleichwohl  nicht, 
denn  sonst  müssten  die  Gurtungen  Ellipsen  sein.  Es  ist  klar,  dass 
die  romanischen  Baumeister  bei  Bildung  der  Hängezwickel  nicht  von 
der  Figur  des  Ellipsoides  oder  Paraboloides  ausgingen  und  die  Gurt- 
bögen in  dieses  einschneiden  Hessen,  so  dass  deren  Gestalt  durch  die 
der  Oberfläche  zweiter  Ordnung,  von  deren  geometrischen  Eigen- 
schaften sie  keinen  Begriff  haben  konnten,  bestimmt  wurde,  sondern 
dass  sie  ihre  Gurtbögen  ausführten  und  danach  die  Gestalt  der  Hänge- 
zwickel in  der  Weise  ermittelten,  dass  ein  kreisförmiger  Kranz  ge- 
wonnen wurde  *).  Auf  die  Anwendung  des  Spitzbogens  aber  wurde 
man  vermutlich  dadurch  geführt,  dass  bei  dieser  Form  der  Gurtungen 
die  oberen  Teile  der  Hängezwickel  eine  geringere  Neigung  erhielten 
als  bei  rundbogigen  Gurten.  Nicht  selten  sind  die  Hängezwickel  sehr 
unregelmässig  gestaltet  und  treten  nicht  weit  genug  vor,  um  eine 
kreisförmige  Widerlagslinie  zu  ergeben,  so  dass  die  Kuppeln  fast  die 
Form  von  vierseitigen  Klostergewölben  mit  abgerundeten  Ecken  haben. 
Es  rührt  dies  daher,  dass  die  Hängezwickel  der  älteren  Kuppeln  nicht 
in  einem  ihrer  Form  entsprechenden  Steinschnitt  mit  konischen,  sondern 
mit  horizontalen  Lagerfugen  ausgeführt  (ausgekragt)  sind.  Man  mochte 
Bedenken  tragen,  die  Auskragung  bis  zum  kreisförmigen  Kranze  heraus- 
zuführen und  begnügte  sich  mit  einer  Abrundung  der  Ecken.  Spätere 
Beispiele  haben  den  für  Kugelgewölbe  normalen  Steinschnitt.  Zu- 
weilen werden  die  Hängezwickel  nicht  als  Kugelgewölbe,  sondern  als 
Kreuzgewölbe  gestaltet,  welche  aus  der  Durchdringung  zweier  Kegel 
gebildet  sind.  Wir  werden  bei  Besprechung  der  Kreuzgewölbe  auf 
diese  Form  zurückkommen.  Desgleichen  auf  die  kuppeiförmigen 
Rippenge  wölbe,  welche  eine  Mittelstellung  zwischen  Kuppel  und  Kreuz- 
gewölbe einnehmen.  Die  Ausführung  der  Kuppel  in  regelmässig  be- 
arbeiteten Hausteinen  geschieht  aus  freier  Hand,  da  jede  Schichte, 
wenn  sie  geschlossen  ist,  sich  selbst  trägt.  Die  romanischen  Kuppeln 
sind  indes  ihrer  Mehrzahl  nach  nicht  aus  Hausteinen  hergestellt,  sondern 

')  Das  erstere  Verfahren  wurde  bei  der  Restauration  (Neubau)  von  S.  Front  zu 
Perigueux  befolgt  und  führte  dazu ,  dass  die  ursprünglich  spitzbogigen  Gurtbögen  be- 
seitigt und  durch  eine  annähernd  parabolische  Kurve  ersetzt  wurden.  Der  Spitzbogen  von 
S.  Front  war  nach  Verneilh,  Aren,  byz.  en  France,  ein  sehr  stumpfer  und  näherte  sich 
allerdings  der  Parabel,  war  aber,  darin  stimmen  alle  älteren  Beobachter  Uberein,  ein 
wirklicher  Spitzbogen. 


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Fünftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  seinen  Grundformen. 


30S 


ihre  Ausführung  geschah  in  Bruchstein  auf  Schalung,  ein  Verfahren, 
welches  oft  sehr  unregelmässige  Formen  ergab. 

Kreuzgewölbe.  Die  zweite  Gewölbeform,  welche  aus  der  Durch- 
dringung zweier  Ilalbcylinder  entsteht,  ist  das  Kreuzgewölbe.  Seine 
Scheitellinien  laufen  horizontal,  seine  Grate  bilden  Ellipsen,  deren  kleiner 
Durchmesser  gleich  der  Seite,  deren  grosser  gleich  der  Diagonale 
des  Grundquadrates  ist.  Die  untenstehende  Figur  A  zeigt  ein  solches 
Gewölbe  in  Grund  und  Aufriss,  Taf.  91  Fig.  4  in  isometrischer  Pro- 
jektion. Es  ist  die  Form  des  römischen  Kreuzgewölbes,  gewisser- 
massen  ein  fortlaufendes  Tonnengewölbe  mit  Stichkappen.  Es  kommt 


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in  früher  Zeit  an  Krypten  häufig  vor.  Auch  im  Hochbau  der  Kirchen 
hat  es  Anwendung  gefunden  und  ist  in  Niedersachsen  (Dom  von 
Braunschweig  u.  A.)  nicht  selten. 

Verbreiteter  ist  jedoch  eine  andere  Form,  welche  jedes  Gewölbe- 
feld durch  einen  Gurtbogen  vom  folgenden  trennt  (Taf.  91  Fig.  5). 
Bei  diesen  Gewölben  wird  die  horizontale  Richtung  der  Scheitel- 
linien sehr  bald  verlassen,  weniger  wegen  der  schwierigen  Ermittlung 
der  elliptischen  Gratlinien  —  diese  ist  gar  nicht  direkt  nötig,  weil 
eine  Tonne  eingeschalt  und  die  andere  daran  angeschiftet  werden 
kann  — ,  sondern  weil  die  oberen  Teile  des  Gewölbes  infolge  des 
grossen  Krümmungsradius  fast  horizontal  werden  und  nur  mässigen 
Widerstand  gegen  Durchbiegen  bieten.  Um  dem  abzuhelfen,  giebt  es 
verschiedene  Wege.  Entweder  lässt  man  die  cylindrischen  Kappen 
gegen  die  Mitte  ansteigen  (gerader  Stich),  Fig.  B,  wobei  die  Gratlinien 
elliptische  im  Scheitel  gebrochene  Kurven  werden,  oder  man  bildet 
den  oberen  Teil  des  Gewölbes  als  Teil  eines  Kugelgewölbes  (Fig.  C). 
Die  Form  entsteht,  wenn  die  Kappen  nicht  cylindrisch  sondern  konisch 
gestaltet  sind,  nach  der  Mitte  ansteigen  und  in  der  Kreislinie  E  E'  E" 


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306 


Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


die  Kugelfläche  tangieren.  Die  Gratlinien  verschwinden  bei  D'  und 
D"  in  der  Kugelfläche.  Würden  die  Mantellinien  des  Kegels  über 
die  Linie  E  E'  E"  hinaus  fortgesetzt,  so  würden  von  E  an  vertiefte 
Grate  entstehen.  Es  ist  dies  die  Form,  unter  welcher  das  Kreuz- 
gewölbe auch  als  Hängezwickel  anwendbar  ist.  Ein  dritter  Weg  ist 
der,  dass  man  die  Gratlinien  halbkreisförmig  bildet  (Fig.  D).  In  diesem 
Falle  wird  deren  Radius  gleich  der  halben  Diagonale  der  Grundfigur 
und  der  Scheitel  des  Gewölbes  steigt  damit  gleichfalls  nach  der  Mitte. 
Aber  es  ist  nicht  mehr  möglich,  die  Scheitellinien  der  Kappen  gerade 
zu  führen,  denn  sie  würden  (siehe  die  punktierte  Linie)  in  der  Nähe 
des  Scheitels  tiefer  zu  liegen  kommen  als  die  Gratbögen,  es  müssen 
vielmehr  die  Kappen  als  sphärische  Flächen  gebildet  werden  (Bogen- 
stich,  Busung).  Einige  weitere  weniger  wichtige  Formen  bei  Möl- 
linger  a.  a.  O.  S.  15. 

Die  romanischen  Kreuzgewölbe  wurden  zwar  gewöhnlich  über 
vollkommen  oder  doch  nahezu  quadratischem  Grundriss  ausgeführt, 
es  sind  indes  Gewölbe  über  rechteckigem  Grundriss  keineswegs  selten. 
Etwas  kompliziertere  Formen  ergeben  sich  bei  den  Chorumgängen. 
Diese  sind  entweder  mit  einem  fortlaufenden  ringförmigen  Tonnen- 
gewölbe, in  welches  von  den  Scheidbögen  aus  kegelförmige,  nach 
aussen  sich  erweiternde  Gewölbe  einschneiden,  oder  mit  einzelnen  trapez- 
förmigen, durch  Gurtbögen  getrennten  Kreuzgewölben  überdeckt.  Die 
Grundform  bringt  es  mit  sich,  dass  der  äussere  Schildbogen,  sofern 
beide  als  Halbkreise  gebildet  sind,  weit  höher  wird,  als  der  innere, 
dass  somit  der  Scheitel  nach  aussen  steigt.  Um  diesen  Uebelstand 
zu  vermeiden,  wurde  der  äussere  Bogen  gedrückt,  der  innere  über- 
höht.   Näheres  bei  Viollet-le-Duc,  D.  R.  IX,  490  ff. 

Die  frühromanischen  Kreuzgewölbe  schliessen  sich  seitlich  un- 
mittelbar an  die  Schildmauer  an,  später  werden,  den  Gurtbögen  ent- 
sprechend, besondere  Schildbögen  angebracht  und  so  die  Träger  der 
Wölbung  ganz  von  dem  Füllmauerwerk  getrennt.  Endlich  werden  auch 
unter  den  Graten  vortretende  Bögen  angebracht  (Rippen,  Gratgurte) 
(Taf.  91  Fig.  6).  Die  Veranlassung  zur  Anbringung  der  Rippen  mochte 
der  Umstand  geben,  dass  der  Verband  der  Gratbögen,  in  welchen  je  zwei 
Kappen  zusammentreffen,  nicht  ganz  einfach  herzustellen  ist  und  dass  sie 
bei  nicht  sehr  genauer  Ausführung  geringen  Halt  bieten.  Die  Rippen 
stehen  anfangs  mit  dem  Gewölbe  nicht  in  Verband,  bald  aber  greifen 
sie  in  das  Innere  der  Gewölbe  ein,  trennen  und  tragen  die  einzelnen 
Kappen  und  führen  zu  einer  vollständigen  Umwälzung  im  Gewölbebau. 


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Fünftes  Kapitel :  Der  Gewölbebau  in  seinen  Grundformen. 


307 


Die  einfachen  Kreuzgewölbe  mit  horizontalem  Scheitel  wurden 
stets  auf  Schalung  ausgeführt,  wobei  die  Richtung  der  Fugen  den 
Axen  der  Kappen  parallel  angenommen  wurde,  wie  bei  den  Tonnen- 
gewölben. Hierbei  wurde  es  mit  dem  Verbände  der  Gratbögen  keines- 
wegs immer  genau  genommen,  ja  zuweilen  stossen  die  Kappen  in  den 
Gratlinien  einfach  in  einer  Fuge  zusammen.  Die  ersten  Schichten 
wurden  in  horizontaler  Lagerung  und  Ueberkragung  ausgeführt  und 
erst  nach  einigen  Schichten  die  Wölbung  begonnen.  Auch  bei  den 
durch  Gurten  getrennten  Kreuzgewölben,  sowohl  ohne  als  mit  Busung, 
hielt  man  in  Frankreich  an  der  den  Axen  parallelen  Fugenrichtung 
fest,  während  man  in  Deutschland  und  England  die  Schichten  senk- 
recht zur  Gratlinie  anordnete,  auf  den  Schwalbenschwanz  wölbte,  wo- 
bei die  Ausführung  über  den  Wand-  und  Gratlehrbögen  ohne  Schalung 
aus  freier  Hand  möglich  ist.  Solange  aber  der  Bruchstein  das  Material 
war,  in  welchem  die  Gewölbe  ausgeführt  wurden,  musste  immer  auf 
Schalung  gewölbt  werden. 

Das  Rll'PENGEWöLBE.  Diese  Gewölbeform  tritt  ziemlich  gleich- 
zeitig in  verschiedenen  Gegenden  auf.  In  den  Mittelschiffen  ober- 
italienischer Kirchen  seit  dem  Ausgange  des  saec.  XI.  In  Frankreich 
sind  die  ältesten  bekannten  Beispiele:  der  Mittelraum  in  der  Zentral- 
kirche S.  Croix  zu  Quimperley,  die  Vorhalle  der  Abteikirche  zu  Moissac, 
die  Vorhalle  von  S.  Victor  in  Marseille;  sichere  Daten  für  sie  fehlen, 
nach  allgemeinen  Kennzeichen  ist  die  Zeit  etwas  vor  oder  nach  1100 
anzunehmen  (vgl.  Quicherat  1.  c.  501  f.);  dann  die  inschriftlich  a.  1 1 16 
begonnene  Krypta  der  Abteikirche  Saint-Gilles,  schon  viel  sicherer 
in  der  Ausführung  wie  jene.  Ausser  diesen  sporadischen  und  kon- 
sequenzlosen Beispielen  und  ausser  Zusammenhang  mit  ihnen  findet 
sich  eine  geschlossene  Gruppe  in  der  Ile-de- France.  Die  betreffenden 
Kirchen  sind  etwa  1 120 — 1 140  entstanden;  die  an  ihnen  zu  gewahrende 
Einheit  der  Methode  und  Geschicklichkeit  der  Ausführung  setzt  indes 
Vorstufen  voraus,  die  über  1120  noch  etwas  zurückgehen  mögen. 
Erst  in  dieser  Schule  wurden  die  wesentlichen  Vorteile  des  Rippen- 
gewölbes erkannt  und  bis  in  ihre  letzten  Konsequenzen  verfolgt.  Taf.  91 
Fig.  6  zeigt  ein  derartiges  Gewölbe.  Mehr  noch  als  beim  reinen  Kreuz- 
gewölbe ist  hier  die  Halbkreisform  der  Gratbögen  erwünscht,  um  die 
Keilsteine  derselben  alle  nach  einem  Mittelpunkt  bearbeiten  zu  können  und 
um  einfach  zu  konstruierende  Lehrbögen  zu  erhalten.  Damit  ist  natür- 
lich wieder  eine  Erhöhung  nach  der  Mitte  des  Gewölbes  verbunden  und 
die  Kappen  können  nicht  als  Cylinder-  oder  Kegelausschnitte  konstruiert 


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3o8 


Zweites  Much:  Der  romanische  Stil. 


werden,  sondern  erhalten,  wie  bei  den  einfachen  Kreuzgewölben,  eine 
sphärische  Krümmung  (Busen).  Zuweilen  begann  man  die  Kappen 
cylindrisch,  liess  jedoch  die  Mantellinie  nicht  nach  dem  Schlussstein 
laufen  sondern  steiler  ansteigen  und  bog  sie  dann  ab.  Die  Form  ist 
namentlich  am  Niederrhein  und  in  Niedersachsen  verbreitet. 

Auch  das  Rippengewölbe  wurde  anfangs  über  quadratischem 
Grundriss  ausgeführt  und  es  wurde  diese  Form  in  Italien  und  Deutsch- 
land lange  beibehalten.  In  Frankreich  ist  das  sechsteilige  Kreuz- 
gewölbe verbreiteter.  Es  tritt  zuerst  in  der  Normandie  auf  und  wir 
finden  hier  zuweilen  eine  eigentümliche  Zwischenform  zwischen  dem 
vierteiligen  und  dem  sechsteiligen  Gewölbe.  Das  Gewölbe  umfasst 
zwei  Wandfelder  und  es  geht  von  dem  mittleren  Pfeiler  eine  Rippe 
nach  dem  Gewölbescheitel,  sie  trägt  indes  keine  Kappen,  sondern  ist 
senkrecht  übermauert  und  es  wird  dadurch  die  seitliche  Kappe  in 
zwei  Teile  geteilt  (Taf.  151  Fig.  3).  Diese  Form  kommt  fast  aus- 
schliesslich bei  Gewölben  mit  horizontalen  Scheitellinien  und  elliptischen 
Rippen  vor  und  dürfte  den  Zweck  gehabt  haben,  die  elliptischen 
Gratbögen  im  Scheitel  zu  stützen;  sie  konnte  weder  in  konstruktiver, 
noch  in  ästhetischer  Hinsicht  befriedigen.  Man  machte  deshalb  statt 
einer  seitlichen  Kappe  deren  zwei,  welche  nach  dem  Scheitel  des 
Gewölbes  konvergieren  (Taf  91  Fig.  7).  Da  das  ganze  Gewölbe  einen 
annähernd  quadratischen  Grundriss  hat,  so  werden  die  Schildbögen 
nur  etwa  halb  so  weit  als  die  Gurtbögen  und,  soferne  sie  im  Rund- 
bogen ausgeführt  werden,  viel  niedriger  als  diese  und  die  Gratbögen; 
die  Kappen  steigen  nach  dem  Scheitel  sehr  steil  an  und  üben  einen 
nicht  unerheblichen  Druck  auf  die  Settenmauer  aus.  Der  gleiche  Uebel- 
stand  ergiebt  sich,  wenn  vierteilige  Kreuzgewölbe  mit  rundbogigen 
Schildbögen  über  oblongen  Rechtecken  ausgeführt  werden.  Diesem 
Uebelstande  kann  zwar  durch  parabolische  Schildbögen,  oder  dadurch, 
dass  man  dieselben  stelzt,  d.  h.  senkrecht  beginnen  lässt  und  erst  in 
einer  gewissen  Höhe  in  die  Rundung  überführt,  vermieden  werden, 
allein  beide  Formen  haben  ihre  ästhetischen  Nachteile  und  sind  nicht 
überall  anzuwenden.  Vollständige  Abhilfe  bietet  erst  die  Einführung 
des  Spitzbogens,  welcher  gestattet,  verschieden  weite  Oeffnungen  mit 
gleich  hohen  Bögen  zu  überspannen. 

Ein  wesentliches  Element  des  Rippengewölbes  ist  der  Schluss- 
stein. Die  Rippen  der  römischen  Gussgewölbe  (Taf.  39  Fig.  2)  sind 
in  der  Weise  konstruiert,  dass  die  eine  als  vollständiger  Bogen  durch- 
geführt ist,  an  welchen  die  andere  stumpf  angestossen  wird.  Ganz 


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Fünftes  Kapitel:  Der  (iewölbebau  in  seinen  Grundformen. 


ähnlich  verfuhr  man  in  der  romanischen  Epoche  bei  Einführung  der 
tragenden  Diagonalrippen.  Beispiele  bieten  die  Vorhalle  von  Moissac 
und  einige  spanische  Kirchen.  Dieses  Verfahren  ging  an  bei  quadra- 
tischen oder  bei  wenig  von  der  quadratischen  Grundform  abweichen- 
den Gewölben  ;  bei  rechteckigem  Grundriss  wurde  es  um  so  bedenk- 
licher, je  gestreckter  die  Grundform  war,  denn  es  war  ein  Gleiten  der 
Bogenstücke  an  dem  vollen  Bogen  nicht  ausgeschlossen.  Um  dem 
zu  begegnen,  wurde  ein  beiden  Diagonalbögen  angehöriger  Stein  in 
ihre  Durchdringung  eingefügt,  der  Schlussstein.  Der  Schlussstein 
gestattet  nicht  allein,  die  Diagonalen  von  Rechtecken  beliebiger  Grund- 
form zusammenzuführen,  sondern  er  ermöglicht  auch  die  Zusammen- 
führung einer  grösseren  Anzahl  von  Rippen  in  einem  beliebigen  Punkte 
des  Gewölbes.  "  Es  konnten  also  Räume  von  beliebiger  Grundform 
mittels  des  Rippengewölbes  überwölbt  werden,  was  namentlich  für  die 
Wölbung  der  Chorschlüsse,  der  Chorumgänge  und  Kapellen  von  Wert 
war,  und  es  war  damit  eine  Freiheit  gewonnen,  wie  sie  keine  andere 
Wölbungsart  gestattet.  Diese  Freiheit  der  Gewölbebildung  eröffnet 
um  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  der  Baukunst  neue  und  folgenreiche 
Bahnen;  sie  wird  die  Grundlage  einer  neuen  Stilrichtung,  der  gotischen. 

Noch  ist  eine  Form  des  Rippengewölbes  zu  erwähnen,  welche 
im  westlichen  Frankreich  und  in  ähnlicher  Weise  in  Westfalen  vor- 
kommt, das  kuppeiförmige  Rippengewölbe  (voüte  domicale).  Sie 
unterscheidet  sich  in  dem  Gerüste  ihrer  Gurte  und  Rippen  nicht  von 
der  in  Figur  D.  S.  305  dargestellten  Form  des  Kreuzgewölbes,  bei 
welcher  die  Diagonalbögen  Halbkreise  sind,  die  Kappen  aber  bilden 
nicht  gesonderte  Flächen,  sondern  gehören  alle  einer  Kugelfläche 
an.  Das  Gewölbe  ist  also  einerseits  ein  durch  Rippen  gegliedertes 
Kugelgewölbe,  anderseits  ein  Kreuz«Rippengewölbe,  dessen  Kappen 
die  Form  eines  Kugelgewölbes  haben.  Dies  die  geometrische  Grund- 
form, oft  aber  werden  die  Diagonalbögen  als  Ellipsen  oder  Spitz- 
bögen noch  höher  geführt,  so  dass  das  Gewölbe  eine  ellipsoidische 
Form  enthält.  Nicht  selten  werden  auch  im  Scheitel  der  Kappen 
Rippen  angebracht,  der  Schlussstein  mit  einem  Ring  umgeben  u.  dgl. 

Den  Grundzug  des  Rippengewölbes,  d.  i.  Verstärkung  der  Grat- 
bögen, hatten  schon  die  Römer  gekannt  und  bei  ihren  Gussgewölben 
angewandt,  wenn  auch  die  Verstärkung  hier  mehr  während  der  Aus- 
führung als  für  das  fertige  Gewölbe  von  Belang  war.  In  der  roma- 
nischen Kunst  bleibt  die  Rippe  lange  Zeit  eine  äusserliche  Stütze, 
welche  auf  die  Struktur  der  Gewölbe  keinen  Einfluss  hat.    Erst  im 


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Zweites  Buch.  Der  romanische  Stil. 


Ausgang  der  Epoche  wurden  die  Rippen  und  Gurten  das  selbständige 
tragende  Gerüste,  welches  für  sich  bestehend  die  Kappen  aufnahm. 
Letztere  konnten  nunmehr  in  geringerer  Stärke  ausgeführt  werden, 
als  dies  bei  den  Gewölben  ohne  Rippen  der  Fall  war.  Allein  der 
Uebergang  vollzog  sich  sehr  allmählich.  Solange  die  Kappen  in  Bruch- 
steinmauerwerk ausgeführt  wurden,  was  in  einigen  Gegenden  bis  ins 
saec.  XIII  geschah,  konnte  eine  ausgiebige  Erleichterung  nicht  statt- 
finden. Erst  die  Einführung  genau  bearbeiteter  Steine  und  damit 
eines  regelmässigen  Verbandes,  bei  welchem  nicht  mehr  die  Kohäsion 
des  Mörtels  sondern  die  Form  der  Steine  das  wesentliche  Moment 
für  die  Stabilität  des  Gewölbes  ist,  ermöglichte  die  volle  Ausnützung 
aller  Vorteile  des  Rippensystems.  Die  beiden  Arten  der  Ausführung 
mit  einer  der  Axe  der  Kappen  parallelen  oder  mit  einer  auf  die  Rippen 
senkrechten  Richtung  der  Fugen  kommen  hier  gleichwie  beim  Kreuz- 
gewölbe ohne  Rippen  zur  Anwendung.  In  Frankreich  ist  erstere 
herrschend  nicht  nur  für  die  Kreuzrippengewölbe  sondern  auch  für 
kuppelartige  Gewölbe  (Schiff  von  Angers,  Kathedrale  von  Poitiers), 
während  in  Deutschland  und  England  die  Wölbung  auf  den  Schwalben- 
schwanz die  übliche  ist.  Viollet-le-Duc  schreibt  der  ersteren  Wölbungs- 
art wesentliche  Vorzüge  zu.  Wir  sind  hinsichtlich  des  konstruktiven 
Wertes  derselben  nicht  dieser  Ansicht,  glauben  vielmehr,  dass  die 
Wölbung  auf  den  Schwalbenschwanz  nicht  nur  einfacher  (ohne 
Schalung)  auszuführen,  sondern  auch  leichter  den  verschiedensten 
Formen  der  Kappen  anzupassen  ist.  Aber  gerade  diese  Leichtigkeit, 
sich  allen  Formen  anzupassen,  führt  bald  auf  Abwege  und  während 
sich  die  gotischen  Konstrukteure  in  England  und  Deutschland  frühe 
in  den  Spielereien  der  Stern-,  Netz-  und  Fächergewölbe  gefielen,  hielt 
man  in  Frankreich  bis  zum  Ausgang  der  strengeren  Gotik  an  der 
monumentalen  Form  des  vierteiligen  Gewölbes  fest. 


4.   G  e  w  0 1  b  c  s  y  s  t  e  m  e. 

Die  nachfolgende  Klassifikation  gründet  sich  auf  die  Wechsel- 
wirkung der  zwei  ausschlaggebenden  Momente:  der  allgemeinen  Raum- 
disposition in  Grundriss  und  Aufbau,  und  der  speziellen  Form  der 
Gewölbdecke.  (Wo  bei  den  angezogenen  Figuren  nicht  anders  ver- 
merkt, ist  immer  Taf.  92  gemeint.) 

EINSCHIFFIG!:  KlKCHF.N.  Die  einfachste  Form  der  Ueberwöl- 
bung  eines  länglich  rechteckigen  Raumes  ist  das  Tonnengewölbe.  Es 


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Fünftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  seinen  Grundformen. 


311 


ist  hinsichtlich  der  Gliederung  der  Widerlagsmauern  indifferent, 
wenigstens  insofern,  als  es  durch  seine  Form  eine  solche  nicht  be- 
stimmt. Wohl  aber  lässt  sich  eine  Gliederung  der  Langmauern  aus 
statischen  Bedingungen  ableiten.  Ks  ist  nämlich  nicht  nötig,  dass  die 
Widerlagsmauern  ihrer  ganzen  Länge  nach  die  für  die  Stabilität  der 
Gewölbe  nötige  Stärke  besitzen,  sondern  es  kann  auch  eine  schwächere 
Mauer  ein  ausreichend  sicheres  Widerlager  bieten,  wenn  sie  nur  in 
gewissen  Abständen  Verstärkungen  hat,  welche  ausreichenden  Vor- 
sprung haben,  um  nicht  nur  dem  Seitenschube  der  unmittelbar  hinter 
ihnen  liegenden  Gewölbeteile  zu  begegnen,  sondern  auch  die  zwischen- 
liegenden Mauerstücke  vor  dem  Ausweichen  zu  schützen.  Die  Strebe- 
pfeiler treten  gewöhnlich  nicht  nur  nach  aussen,  sondern  auch  nach 
innen  vor  und  sind  auf  dieser  Seite  mit  einer  Halbsäulenvorlage  ver- 
sehen, welche  Verstärkung  sich,  wie  oben  erwähnt,  als  Gurtbogen  in 
das  Gewölbe  fortsetzt  (Taf.  91  Fig.  1).  Auch  die  zwischenliegenden 
Mauerteile  können  noch  durch  Blendarkaden  erleichtert  werden.  Ist 
der  Raum  mit  einer  Folge  von  Kuppeln  und  Kreuzgewölbe  bedeckt, 
so  bringen  diese  schon  durch  ihre  Grundform  die  Elemente  der 
Wand-  und  Raumgliederung  mit  sich.  Dieselbe  wird  dadurch  eine 
mehr  gebundene  —  es  entstehen  quadratische  oder  rechteckige  Felder — , 
ohne  sich  in  ihrer  formalen  Behandlung  wesentlich  von  der  bei  Tonnen- 
gewölben üblichen  zu  unterscheiden.  Ein  wesentlicher  Unterschied 
liegt  aber  darin,  dass  der  Kämpfer  nicht  eine  fortlaufende  wagrechte 
Linie  bildet,  sondern  dass  die  Widerlager  durch  einzelne  Pfeiler  ge- 
bildet werden.  Beide  Gewölbeformen  werden  von  vier  Bögen,  zwei 
Gurt-  und  zwei  Schildbögen  umrahmt,  erstere  quer  über  das  Schiff, 
letztere  in  der  Längenrichtung  von  Pfeiler  zu  Pfeiler  gespannt.  Die 
Pfeiler  treten  zunächst  nach  innen  vor  zur  Aufnahme  der  Gurt-  und 
Schildbögen.  Ist  der  innere  durch  formale  Rücksichten  bedingte  Vor- 
sprung nicht  ausreichend  zur  Aufhebung  des  Seitenschubes,  so  springen 
die  Pfeiler  auch  nach  aussen  als  Strebepfeiler  vor.  Dieses  Pfeiler- 
und Bogensystem  bildet  die  statische  Grundlage  der  Gewölbe.  Als 
Abschluss  gegen  aussen,  und  ohne  konstruktive  Funktion  sind  die 
Zwischenräume  der  Pfeiler  und  die  Schildbögen  mit  Mauern  ge- 
schlossen. Die  Fenster  können  in  der  Schildmauer  weit  über  die 
Gewölbekämpfer  hinaufgeführt  werden,  womit  wesentliche  Vorteile 
für  die  Lichtführung  ermöglicht  sind.  Voll  und  ganz  können  dieselben 
aber  nur  beim  Kreuzgewölbe  erreicht  werden,  die  Kuppel,  welche  sich 
über  einer  zweiten  horizontalen  Kämpferlinie,  dem  durch  die  Hänge- 


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312 


Zweites  Huch:  Der  romanische  Stil. 


zwickel  vermittelten  Kranze,  erhebt,  kann  von  den  Schildmauern  aus 
nur  unzureichend  erhellt  werden.  —  Es  versteht  sich,  dass  bei  diesen 
Systemen  die  Raumgliederung  eine  weit  entschiedenere  ist,  als  beim 
Tonnengewölbe.  Insonderheit  gilt  dies  von  der  Kuppel,  worauf  unten 
zurückzukommen  ist. 

Bei  Anlagen  mit  Tonnengewölben  über  kreuzförmigem  Grundriss 
tritt  an  der  Vierung  eine  Aenderung  des  Systemes  ein ;  entweder  wird 
sie  durch  ein  Kreuzgewölbe  bedeckt  (Taf.  96  Fig.  1),  oder  durch  ein 
Klostergewölbe  (Kuppel).  Kuppel-  und  Kreuzgewölbe  erfordern  über 
der  Vierung  keinen  Wechsel  des  Systems,  doch  ist  auch  bei  letzteren, 
namentlich  in  solchen  Fällen,  in  welchen  die  Vierung  zum  Zwecke 
selbständiger  Beleuchtung  höher  geführt  ist,  das  Klostergewölbe  — 
gewöhnlich  als  Vierungskuppel  bezeichnet  —  sehr  verbreitet. 

Die  Figuren  1—3  der  Taf.  92  veranschaulichen  an  den  Beispielen 
der  Kirche  von  Montmajour,  der  Kathedrale  von  Angouleme  und  der 
von  Angers  die  Querschnittsverhältnisse  einschiffiger  Kirchen.  Hierbei 
ist,  wie  auch  bei  den  folgenden  Beispielen,  der  Schnitt  links  durch  die 
Strebepfeiler,  rechts  durch  die  Bogenscheitel  genommen.  Bei  allen 
drei  Beispielen  ist  die  Tiefe  der  Strebepfeiler  ungefähr  gleich  der 
halben  Spannweite. 

Im  Anschluss  an  die  einschiffigen  Systeme  ist  eine  Gewölbe- 
kombination zu  erwähnen,  welche  gewissermassen  eine  Mittelform 
zwischen  einschiffigen  und  mehrschiffigen  Anlagen  bildet;  tonnen- 
gewölbte Kirchen,  welche  dadurch  eine  Erweiterung  erfahren,  dass 
die  Umfassungsmauer  an  das  äussere  Ende  der  sehr  tiefen  Strebe- 
pfeiler  geruckt  wird  (Fig.  4).  Es  entstehen  auf  diese  Weise  seitliche 
Kapellen ,  welche  mit  quer  gelegten  Tonnen  überwölbt  dem  Mittel- 
schiflfgewölbe  ein  sehr  sicheres  Widerlager  bieten.  Zuweilen  werden 
die  Strebewände  durchbrochen,  wodurch  sich  dieser  Typus  den  drei- 
schiffigen  Anlagen  noch  mehr  nähert.  Die  Form  ist  im  südlichen 
Frankreich  heimisch  und  geht  auf  römische  Tradition  zurück  (vgl. 
Taf.  39,  Fig.  10).  Durch  die  Cisterzienser  kommt  sie  nach  Deutsch- 
land und  der  Schweiz,  ohne  in  diesen  Ländern  Verbreitung  zu  finden. 
In  Westfalen  kommt  das  System  in  Verbindung  mit  dem  Kreuzgewölbe 
oder  der  Kuppel  im  Mittelschiffe  vor  (Fig.  21). 

Mehrschiffige  Kirchen.  Während  bei  einschiffigen  Anlagen 
das  Gleichgewicht  durch  ruhende  Massen  (Mauern  oder  Strebepfeiler) 
hergestellt  wird,  welche  dem  Seitenschub  der  Gewölbe  entgegenwirken, 
handelt  es  sich  bei  mehrschiffigen  Räumen  darum,  Gewölbe  von 


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Fünftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  seinen  Grundformen. 


verschiedener  Form  und  Spannweite  durch  ihren  gegenseitigen  Druck 
zu  einem  stabilen  Ganzen  zu  vereinigen.  Die  einfachste  und  sicherste 
Lösung  ist  die,  dass  man  den  drei  resp.  fünf  parallelen  Schiffen  gleiche 
oder  doch  annähernd  gleiche  Kämpferhöhe  giebt.  Bei  ungleicher 
Kämpferhöhe  (Basilika)  tragen  die  Seitenschiffsgewölbe  wohl  dazu  bei, 
die  Hochschiffsmauern  gegen  das  Umfallen  zu  schützen,  denn  der 
Seitenschub  der  Gewölbe  wirkt  um  so  kräftiger,  je  länger  der  Hebel- 
arm ist,  unter  welchem  er  auf  eine  Mauer  wirkt,  d.  h.  je  höher  diese 
freisteht,  aber  sie  sind  für  sich  allein  keine  ausreichende  Sicherung, 
es  müssen  vielmehr  die  HochschifTsmauern  und  mit  ihnen  die  Pfeiler, 
auf  welchen  sie  ruhen,  entsprechend  verstärkt  werden,  oder  es  sind 
irgend  welche  Verstrebungen  der  Obermauern  anzubringen. 

Die  erstere  Gattung  bezeichnen  wir  mit  dem  Namen  Hallen- 
kirche. Das  wesentliche  Moment  ist  die  direkte  Widerlagerung  des 
Mittelschiffsgewölbes  durch  die  Seitenschiffsgewölbe.  Die  Kämpfer 
brauchen  dabei  nicht  notwendig  in  gleicher  Höhe  zu  liegen;  aber  ihre 
Differenz  darf,  wenn  der  obengenannte  Zweck  nicht  verfehlt  werden 
soll,  niemals  so  gross  werden,  dass  zur  Anbringung  selbständiger 
Lichter  für  das  Mittelschiff  Raum  gefunden  werden  könnte.  Die  das 
Princip  am  reinsten  zu  erkennen  gebende,  auch  geschichtlich  genommen 
die  Urform,  ist  die  Anlage  mit  drei  parallelen  Tonnengewölben.  In 
dieser  Fassung  haben  schon  die  Römer  das  System  mehrfach  verwendet 
(Beispiel:  das  unter  dem  Namen  bains  de  Diane  bekannte  Nymphäum 
zu  Nimes,  Taf.  91,  Fig.  8),  und  so  ging  es  auf  den  romanischen 
Kirchenbau  im  Süden  und  Westen  von  Frankreich  über  (Fig.  5).  Da- 
neben erfahrt  es  verschiedentliche  Abänderungen.  Wichtiger  als  die 
Differenzierungen  des  Mittelschiffsgewölbes  —  ob  rund-  oder  spitz- 
bogig,  ob  ohne  oder  mit  Gurten  —  sind  diejenigen  der  Seitenschiff- 
gewölbe. Es  kommen  bei  letzteren  folgende  Fälle  vor:  1)  Quergestellte 
Tonnen.  2)  Longitudinale  Tonnen,  die  bis  zur  Kämpferlinie  der  Scheid- 
bogen herabrücken  und  gegen  diese  mit  Stichkappen  sich  öffnen. 
3)  Vollständige  Querdurchdringung,  d.  h.  Umwandlung  in  eine  Folge 
von  Kreuzgewölben;  dies  der  bei  weitem  häufigste  Fall,  der  zur  Folge 
hat,  dass  die  Kämpferlinie  des  Mittelschiffs  über  die  Scheitellinie  der 
Seitenschiffe  hinaufrückt  (Fig.  6,  7).  4)  Im  Gegensatze  zu  allen  diesen 
Formen,  welche  dem  Seitenschube  des  Mittelschiffgewölbes  durch 
ruhende  Massen  begegnen,  oder  bei  welchen  dech  nur  ein  Teil 
der  im  Gewölbe  auftretenden  Kräfte  zur  Aufhebung,  beziehungsweise 
zur  Ueberleitung  derselben  in  die  Richtung  der  Pfeiler  des  Mittel- 

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314  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

schiffes  verwendet  wird,  haben  wir  es  hier  mit  einer  Konstruktion  zu 
thun,  welche,  nur  durch  das  Anlehnen  an  das  Mittelschiff  im  Gleich- 
gewicht erhalten,  den  Seitenschub  des  Mittelschiffgewölbes  auf  seitlich 
gelegene  Stützen,  die  Umfassungsmauern  der  Seitenschiffe  überträgt. 
Eine  Unterbrechung  erleidet  das  System  der  Kräfteverteilung  an  den 
Gurtbogen,  welche  gewöhnlich  nicht  dem  Profile  der  Halbtonnen 
folgen,  sondern  in  vollem  Halbkreise  ausgeführt  sind.  Es  hat  diese  Ge- 
wölbekombination äusserlich  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit  den  Nischen, 
welche  bei  antiken  und  altchristlichen  Centraibauten  (Minerva  medica, 
S.  Vitale)  an  den  Hauptbau  angelehnt  sind.  Diese  Aehnlichkeit  ist 
jedoch  nur  eine  scheinbare,  denn  jene  Halbkuppeln  stehen  für  sich 
im  Gleichgewicht,  was  bei  den  Halbtonnen  nicht  der  Fall  ist.  Aus 
diesem  Grunde  ist  auch  die  mit  Bestimmtheit  überhaupt  nicht  zu 
lösende  Frage,  ober  der  Konstruktionsgedanke  der  Halbtonnen  von 
jenen  Centraibauten  inspiriert  sei,  eher  in  verneinendem  Sinne  zu  be- 
antworten. 5)  Kreuzgewölbe  in  allen  Schiffen,  auch  dem  Mittel- 
schiff (Fig.  9). 

In  betreff  der  Verbreitung  der  Hallenkirche  im  romanischen  Stil 
gibt  sich  die  deutsche  Kunstwissenschaft  noch  ganz  unzulänglichen 
oder  geradezu  falschen  Anschauungen  hin.  So  heisst  es  —  und  wird 
damit  die  herrschende  Ansicht  richtig  wiedergegeben  —  in  Ottes  Hand- 
buch der  kirchlichen  Kunstarchäologie  noch  in  der  letzten  Auflage 
(1883),  I,  68:  »Die  Hallenkirchen  gehören  Deutschland  fast  ausschliess- 
lich an  und  in  Westfalen  scheinen  (doch  kaum  vor  dem  13.  Jahrhundert) 
die  ersten  noch  romanischen  Versuche  damit  gemacht  worden  zu  sein  . 
Hier  ist  zunächst  übersehen,  dass  romanische  Hallenkirchen,  unabhängig 
von  den  westfälischen,  auch  in  Bayern  vorkommen.  Unvergleichlich 
bedeutender  aber  als  in  den  immer  nur  vereinzelten  deutsch-romanischen 
Repräsentanten  zeigt  sich  die  Hallenform  in  Frankreich,  wo  sie  schon 
vor  dem  Jahre  1000  auftritt  und  wo  sie  das  verbreitetste  aller  Gewolbe- 
systeme  wurde,  so  dass  noch  heute  ein  paar  hundert  Kirchen  dieser 
Art  existieren  mögen.  Mit  Rücksicht  auf  sie  haben  wir  die  übliche 
Definition  der  Hallenkirche  in  der  Weise  wie  oben  erweitert  (vgl. 
S.  87).  Die  Mehrzahl  der  französischen  Hallenkirchen  gehört  dem 
Systeme  mit  tonnengewölbtem  Mittelschiff  an,  erst  zum  Schluss  stellen 
sich  die  kreuzgewölbten  ein  (Fig.  9).  In  Deutschland  dagegen  bilden 
die  Kreuzgewölbe  die  Regel  (Fig.  10,  11). 

Das  Hallensystem  gestattet  keine  selbständige  Beleuchtung  des 
Mittelschiffes.    Zwar  wäre  in  vielen  Fällen  eine  solche  dadurch  zu 


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Fünftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  seinen  Grundformen. 


315 


erreichen  gewesen,  dass  man  das  Tonnengewölbe  des  Mittelschiffes 
mit  Stichkappen  versehen  und  in  den  Schildmauern  Fenster  angebracht 
hätte.  Zu  dieser  nachmals  der  Renaissancearchitektur  so  geläufigen 
Auskunft  verstand  man  sich  aber  nur  ungern  und  selten.  Die  Regel 
ist,  dass  die  selbständige  Mittelschiffsbeleuchtung  in  der  Anpassung 
an  den  unverkürzten  Querschnitt  der  Basilika  gesucht  wird.  Wollte 
man  hiebei  sicher  konstruieren,  so  ergaben  sich  unverhältnismässig 
starke  Pfeiler  bei  sehr  engen  Schiffen.  Das  System  kommt  in  dieser 
Weise  nur  in  wenigen  Beispielen  in  der  Provence  vor.  Die  jüngere, 
burgundische  Bauschule  befolgt  es  zwar  ebenfalls,  doch  nicht  ohne 
eingreifende  Modifikationen  (Fig.  13).  Die  Pfeiler  sind  verhältnis- 
mässig schwächer,  die  Seitenschiffe  statt  mit  Halbtonnen  mit  Kreuz- 
gewölben überdeckt.  Da  ausserdem  die  Seitenschiffe  statt  der  flachen 
Steindächer  Dächer  mit  hölzernem  Dachstuhl,  also  mit  steilerer  Nei- 
gung erhielten,  ergab  sich  ein  grösserer  Zwischenraum  zwischen  den 
Schildbögen  und  dem  Lichtgaden.  Infolgedessen  standen  die  Mittel- 
schiffsmauern auf  eine  beträchtliche  Höhe  ganz  frei  und  waren  auf  ihre 
ganze  Länge  dem  Seitenschube  des  weitgespannten  Gewölbes  ausgesetzt. 
Um  letzterem  zu  begegnen,  wurden  zwar  über  den  Arkadenpfeilern 
Strebepfeiler  angebracht,  allein  diese  fanden  nur  teilweise  auf  dem 
Pfeiler  eine  Unterstützung,  ruhten  mehr  auf  dem  Gurtbogen  der  Seiten- 
schiffe und  verfehlten  ihren  Zweck,  da  sie  jeder  Form  Veränderung  der 
auf  diese  Weise  sehr  ungleich  belasteten  Gurtbogen  nachgaben.  Die 
meisten  dieser  Gewölbe  mussten  denn  auch  nachträglich  durch  Strebe- 
bögen gesichert  werden. 

Konstruktiv  vollkommener  ist  das  nach  seinem  Heimatgebiet  so 
genannte  auvergnatische  Gewölbesystem  (Fig.  12).  Es  darf  je- 
doch, richtig  verstanden,  mit  dem  burgundischen  in  keine  Parallele 
gestellt  werden.  Es  ist  nicht,  wie  die  Ansicht  des  Mittelschiffs  aller- 
dings den  Schein  erweckt,  ein  basilikales,  sondern  lediglich  eine 
Hallenkirche  mit  zweigeschossigen  Abseiten.  Weder  ist  die  Hoch- 
mauer des  Mittelschiffs  freistehend,  noch  dessen  Beleuchtung  selb- 
ständig. Um  dem  Seitenschube  des  Mittelschiffgewölbes  zu  begegnen, 
sind  über  den  mit  Kreuzgewölben  überdeckten  Seitenschiffen  Emporen 
angebracht,  deren  halbe  Tonnengewölbe,  wie  bei  den  analog  kon- 
struierten Hallenkirchen,  denselben  auf  die  Umfassungsmauern  über- 
leiten. Auch  die  hinter  den  Pfeilern  stehenden,  von  rundbogigen 
Oeffnungen  durchbrochenen  Strebemauern  finden  sich  in  gleicher  Weise 
bei  den  Hallenkirchen.    Zuweilen  folgt  indes  die  Durchbrechung  der 


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316  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

Strebemauer  dem  Profil  der  Halbtonne.  Halbtonnen  sind  auch  zur 
Verstrebung  der  sehr  hoch  liegenden  Vierungskuppel  nach  Seite  der 
Kreuzarme  angeordnet;  die  Vermutung,  dass  das  ganze  System  von 
hier  seinen  Ausgang  genommen  habe,  entbehrt  aber  jeder  Begründung. 

Das  Kreuzgewölbe  und  das  Rippengewölbe  kommt,  auf  die 
Basilika  angewandt,  in  zwei  verschiedenen  Systemen  vor.  Das  erste 
und  verbreitetste  ist  das  sogenannte  gebundene  System  (Taf.  91, 
Fig.  9),  bei  welchem  sowohl  die  Gewölbe  des  Mittelschiffes,  wie  die 
der  Seitenschiffe  über  annähernd  cuadratischem  Grundriss  errichtet 

* 

sind.  Hieraus  ergeben  sich  bestimmte  Längen-  und  Breitenverhältnisse 
der  Joche.  Es  wird  nämlich  das  Mittelschiff  doppelt  so  breit  gemacht 
als  die  Seitenschiffe  und  jedem  Gewölbejoch  in  ersterem  entsprechen 
je  zwei  in  jedem  Seitenschiffe.  Beim  zweiten  System  ist  die  Zahl  der 
Joche  im  Mittelschiffe  die  gleiche  wie  in  den  Seitenschiffen,  was  bei 
der  grösseren  Breite  des  Mittelschiffes  eine  querrechteckige  Grund- 
form seiner  Gewölbejoche,  oder  eine  nach  der  Längenrichtung  der 
Kirche  gestreckte  der  Seitenschiffsgewölbe  bedingt.  (Beispiele:  einer- 
seits die  Abteikirchen  zu  Laach,  Vezelay,  Altenstadt,  andererseits 
der  Dom  zu  Münster,  die  Kirche  zu  Maderno  am  Gardasee  u.  a.) 
Eine  sehr  grosse  Verbreitung  hat  dieses  System  indes  nicht  gefunden, 
vielmehr  ist  das  gebundene  überall,  wo  Kreuzgewölbe  zur  Anwendung 
kamen,  das  normale.  Seine  ästhetischen  Konsequenzen  sind  S.  198 
dargelegt.  Es  bedingt,  wenn  auch  nicht  unumgänglich,  einen  Wechsel 
von  stärkeren  und  schwächeren  Pfeilern,  erstere  als  Stützen  der  Haupt- 
schiffsgewölbe zu  diesen  aufsteigend,  letztere  für  die  zwischen  jene 
fallenden  Gurte  der  Seitenschiffsgewölbe. 

Das  gebundene  System  herrscht  in  Oberitalien,  in  der  Schweiz,  im 
Elsass,  am  Rhein,  in  Niedersachsen  und  (soweit  die  wenigen  vorhan- 
denen Reste  einen  Schluss  gestatten)  in  den  vorgotischen  Gewölbe- 
bauten der  französischen  Domaine  royale. 

Verwandt  dem  gebundenen  und  von  ihm  ausgehend  ist  das 
System  der  sechsteiligen  Gewölbe.  Es  unterscheidet  sich  nur  da- 
durch von  ersterem,  dass  auch  der  Zwischenpfeiler  zum  Hauptschiff- 
gewölbe  aufsteigt,  um  die  Zwischenrippe  aufzunehmen.  Als  die  Heimat 
dieses  Systemes  ist  die  Normandie  zu  betrachten,  es  ist  das  normale 
Gewölbesystem  der  Frühgotik,  vereinzelt  scheint  es  in  Italien  beab- 
sichtigt gewesen  zu  sein,  ohne  zur  Ausfuhrung  zu  gelangen,  am  Rhein 
kommt  es  erst  im  saec.  XIII  unter  dem  Einflüsse  französisch-gotischer 
Ideen  vor. 


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Fünftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  seinen  Grundformen. 


317 


Bei  den  Kreuzgewölbesystemen  ist  die  Last  der  Gewölbe  auf 
einzelne  Punkte  konzentriert,  es  genügt  also,  wenn  diese  als  Stützen 
ausreichend  stark,  dass  die  Widerlager  unverschieblich  gemacht  werden. 
Für  die  Hochschiffsgewölbe  ist  der  Strebebogen  die  Konstruktions- 
form, welche  diesen  Zweck  mit  dem  geringsten  Aufwände  von  materiellen 
Mitteln  erreicht.  Dieses  einfachste  und  wirksamste  Hilfsmittel  wurde 
in  seinem  vollen  Werte  von  der  romanischen  Baukunst  nicht  erkannt, 
und  wenn  es  erkannt  worden  wäre,  muss  dahingestellt  bleiben,  ob  sie 
von  ihm  einen  ausgedehnten  Gel  rauch  gemacht  hätte.  Der  äusserlich 
zu  Tage  tretende  Strebebogen  steht  mit  dem  ganzen  Wesen  des  roma- 
nischen Aussenbaues,  welches  in  klarer  Scheidung  und  ruhig  har- 
monischer Gruppierung  der  Teile  besteht,  in  unlösbarem  Widerspruch. 
Sie  hätte  mit  einem  Hilfsmittel,  das  in  seltsamster  Weise  das  streng 
Rationelle  zur  Hervorbringung  eines  phantastisch  dekorativen  Ein- 
druckes benützt,  nichts  beginnen  können.  Man  half  sich  im  allgemeinen 
mit  anderen  Mitteln.    Das  erste  und  früheste  sind  die  Emporen. 

Wenn  solche  auch  schon  bei  der  flachgedeckten  Basilika  zuweilen 
vorkommen  (Unteritalien,  Normandie),  so  haben  sie  doch  eine  all- 
gemeinere Aufnahme  in  die  Komposition  der  abendländischen  Basilika 
erst  mit  der  Einführung  der  Wölbung  gefunden.  So  in  Oberitalien, 
in  der  Normandie,  in  der  Schule  von  Saint-Denis,  am  Niederrhein. 
Sehr  befangen,  einen  Verzicht  auf  die  selbständige  Beleuchtung  des 
Mittelschiffs  nach  sich  ziehend,  finden  wir  sie  in  S.  Ambrogio  in  Mai- 
land (Fig.  14),  die  Kämpfer  des  Hochschiffsgewölbes  stehen  hier  sogar 
tiefer  als  die  der  Emporengewölbe  und  gewaltige  Uebermauerungen 
der  Gurtbögen  bilden  die  Umrahmung  der  einzelnen  Gewölbefelder. 
Ein  weiteres  Beispiel,  gleichfalls  ohne  selbständige  Beleuchtung  des 
Mittelschiffes,  bietet  die  Vorhalle  von  Vezelay  (Fig.  15).  Auf  dies 
hochinteressante  Gebäude,  dessen  historische  Bedeutung  indes  nach 
dem  Vorgange  Viollet-le-Ducs  überschätzt  wird,  werden  wir  unten 
zurückkommen  (Kap.  X).  Das  System  der  ansteigenden  Kreuzgewölbe 
der  Emporen,  welche  in  ihrem  Ansätze  an  die  Mittelschiffsmauer  dem 
Umrisse  des  Gewölbes  im  Mittelschiffe  folgen,  ist  geistreich  gedacht, 
desgleichen  die  Bogenkonstruktion  zur  Aufnahme  der  Dächer.  Letz- 
tere hat  jedoch  mit  der  Sicherung  der  Gewölbe  nichts  zu  thun.  —  In 
den  meisten  Fällen  reichen  die  Emporengewölbe  nur  bis  zum  Fuss 
derjenigen  des  Mittelschiffes,  ja  nicht  einmal  so  hoch  (Fig.  16);  ihre 
Funktion  ist  nicht  ein  unmittelbares  Aufnehmen  des  Seitenschubes  der 
letzteren,  sondern  eine  Verkürzung  des  Hebelarmes,  unter  welchem 
dieser  auf  die  Obermauer  wirkt.  Der  Fuss  der  Gewölbe  konnte  durch 
eine  schräge  Uebermauemng  der  Gurtbögen  noch  mehr  gefestigt  werden. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


In  Saint-Etienne  in  Caen  sind  die  Emporen  mit  halben  Tonnengewölben 
überdeckt,  welche  in  gleicher  Höhe  mit  dem  Fuss  der  HochschifTs- 
gewölbe  an  die  sehr  starke  Obermauer  anschliessen.  Ein  liturgischer 
Zweck,  welcher  die  Emporen  zu  einem  wesentlichen  Bestandteile  der 
Kirchen  gemacht  hätte,  ist  uns  nicht  bekannt;  sie  haben  auch  nicht 
in  allen  Bauschulen,  welche  das  Kreuzgewölbe  anwandten,  Aufnahme 
gefunden.  So  fehlen  sie  vor  allem  an  unseren  grossen  rheinischen 
Domen.  Hier  ist  die  Sicherung  der  Gewölbe  einzig  durch  die  grosse 
Stärke  der  Mauern  gewonnen  (Fig.  25).  Die  Mehrzahl  der  kleineren 
deutsch-romanischen  Gewölbebasiliken  ist  nach  diesem  Systeme  gebaut 
(Fig.  20,  22,  24,  26).  Vereinzelt  die  halben  Kreuzgewölbe  in  den  Seiten- 
schiffen der  Cistcrcienserkirche  Bronnbach  (Fig.  23).  In  Italien  ist 
das  einfache  Hilfsmittel  eiserner  Zugstangen,  welche  je  zwei  gegenüber- 
liegende Pfeiler  verbinden,  zu  allen  Zeiten  in  Anwendung. 

Auch  der  Strebebogen  war  keineswegs  mehr  ganz  unbekannt, 
allein  er  trat  nicht  über  die  Dächer  der  Seitenschiffe  vor. 

Vereinzelte  Beispiele  finden  sich  an  verschiedenen  weit  voneinander 
entfernten  Bauten.  In  Frankreich  in  Beaulieu  (Correze)  Taf.  124,  in 
Sainte-Trinite"  zu  Caen  (Taf.  148),  in  Saint-Germer  (Fig.  18  u.  Taf.  148), 
in  England  in  der  Kathedrale  von  Durham  (Taf.  91,  Fig.  10  und 
Taf.  149),  in  Deutschland  in  Limburg  a.  L.  Endlich  ist  auch  ein 
romanischer  Bau  mit  hochliegenden  Strebebögen  vorhanden,  die  Kirche 
von  Saint-Aignan  (Fig.  19);  sie  soll  nach  den  Archives  de  la  comm. 
des  Mon.  hist.  a.  1080  begonnen  sein  und  gehört  in  ihrem  Aufbau 
sicher  keiner  spätem  Zeit  an  als  der  Mitte  saec.  12.  Und  selbst  die 
Frühgotik  betrachtet  den  Strebebogen  noch  nicht  als  ein  wesentliches 
Element  ihrer  Konstruktion.  Solange  sie  die  Emporen  mit  dem  darüber 
befindlichen  Triforiura  beibehielt,  solange  die  Oberfenster  nicht  über 
die  Gewölbekämpfer  herabreichten,  hatte  er  nicht  die  Bedeutung  wie 
im  entwickelten  gotischen  Stil  und  konnte  unter  Umständen  ganz  ver- 
mieden werden.  Das  nähere  hierüber  gehört  in  die  Betrachtung  der 
Gotik.  —  Viollet-le-Duc  D.  R.  I.  S.  20  ff.  leitet  den  Strebebogen  von  den 
Halbtonnen  der  auvergnatischen  Kirchen  ab,  Hugo  Graf,  a.  a.  O.  S.  24, 
schliesst  sich  dieser  Ansicht  an  und  sucht  weiterhin  die  Entstehung  des 
auvergnatischen  Systemes  historisch  zu  begründen.  Wir  werden  seines 
Ortes  auf  letztere  Frage  zurückkommen.  Hier  haben  wir  nur  die  angeb- 
liche Ableitung  des  Strebebogens  von  den  auvergnatischen  Bauten  kurz 
ins  Auge  zu  fassen.  Der  Hergang  soll  folgender  sein:  1.  Halbtonnen  als 
Stützen  des  Tonnengewölbes  im  Mittelschiff:  Auvergne,  N.-D.  du  Port ; 
2.  Halbtonnen  als  Stützen  von  Kreuzgewölben :  Normandie,  St.-Etienne 
zu  Caen;  3.  eine  fortlaufende  Verstrebung  ist  bei  Kreuzgewölben  nicht 
nötig,  daher  Beschränkung  derselben  auf  die  Pfeiler  d.  h.  Strebebogen : 


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Fünftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  seinen  Grundformen. 


319 


Isle  de  France,  Saint-Denis.  —  Diese  Entwicklungsreihe  wird  in  erster 
Linie  durch  die  monumentalen  Zeugnisse  widerlegt,  sie  ist  aber  auch 
an  sich  unwahrscheinlich  und  willkürlich  kombiniert.  Die  auvergnatische 
Bauschule  ist  in  ihrem  ganzen  Charakter,  wie  in  ihrer  lokalen  Ver- 
breitung und  ihren  Wirkungen  nach  aussen  eine  der  bestimmtest  be- 
grenzten ,  namentlich  hat  sie  nach  Norden  gar  keine  Wirkung  geübt. 
Die  Halbtonnen  von  St.-ßtienne  zu  Caen  sind  innerhalb  der  norman- 
nischen Schule  eine  ziemlich  isolirte  Erscheinung;  sind  sie  nicht  ein 
selbständiger,  keineswegs  bedeutender  Gedanke  des  Baumeisters,  welcher 
den  ehemals  flachgedeckten  Bau  zu  wölben  hatte,  so  mag  er  sein  Vor- 
bild in  den  westlichen  Gegenden  gesucht  haben,  wohin  mannigfache 
Beziehungen  bestanden. 

Was  nun  die  Verstrebung  hochliegender  Kreuzgewölbe  anlangt, 
so  sind  die  Vorstufen  derselben  in  der  Uebermauerung  der  Gurtbögen 
der  Seitenschiffe  zu  suchen,  denn  es  handelt  sich  einzig  darum, 
für  einzelne,  isolierte  Pfeiler  feste  Stützpunkte  zu  gewinnen. 
In  welcher  Weise  das  geschehen  ist,  zeigen  die  Figuren  14  ff.  unserer 
Tafel  92.  Diese  Strebemauern  mussten  in  den  Seitenschiffen,  und  wenn 
Emporen  vorhanden  waren,  auch  in  diesen  durchbrochen  werden. 
Derartige  Verstärkungen  der  Verstrebung  finden  sich  auch  bei  Tonnen- 
gewölben und  namentlich  bei  den  auvergnatischen  Kirchen.  Nun  ist  es 
auffallend,  dass  die  Bogenöffnungen  in  den  Strebemauern,  von  wenigen 
Ausnahmen  abgesehen,  niemals  mit  steigenden  Bögen  geschlossen 
sind.  Ueber  diesen  Bogenöffnungen,  über  den  Seitenschiff-,  resp. 
Emporengewölben  und  unter  dem  Dache  der  Seitenschiffe  finden  sich 
zum  Schutze  der  Kämpfer  des  Hochschiffsgewölbes  zuweilen  Ueber- 
mauerungen  mit  horizontaler  Schichtung  (Ellwangen,  Fig.  24),  zuweilen 
ansteigende  Bögen,  Strebebögen.  Dies  sind  die  Anfänge  dieses  wich- 
tigen Baugliedes.  Ein  bestimmter  Ort,  an  dem  sie  zuerst  aufgetreten 
und  von  dem  aus  sie  sich  weiter  verbreitet  hätten,  ist  bis  jetzt  nicht 
gefunden  worden  und  es  darf  nach  einem  solchen  überhaupt  nicht 
gesucht  werden.  Hier  und  dort  aus  unscheinbaren  Anfängen  gehen 
sie  hervor,  als  kleine  Hilfskonstruktionen,  welche  das  eine  Mal  recht 
wohl  ohne  äussere  Vorbilder  erfunden,  welche  ein  anderesmal  eben- 
sowohl durch  den  bekannten  und  verbreiteten  Strukturgedanken  der 
Halbtonnen  angeregt  sein  mögen.  Mehr  als  eine  allgemeine  Anregung 
aber  konnten  die  Halbtonnen  nicht  bieten  und  niemals  ist  anzunehmen, 
dass  man  bei  irgend  einer  grossen  Aufgabe,  etwa  bei  der  Kirche  von 
Saint-Denis,  von  den  hergebrachten  in  den  Strebemauern  (um  diesen 


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220  Zweites  Buch:  Der  rumänische  Stil. 

wenig  glücklichen  Ausdruck  beizubehalten)  gegebenen  Hilfsmitteln  ab- 
gesehen habe,  um  aus  den  Halbtonnen  von  N.  D.  du  Port  oder  der 
Abbaye-aux-hommes  zu  Cacn  einen  dünnen  Streifen  auszuschneiden 
und  als  Strebebogen  gegen  die  Pfeiler  des  Hochschiffes  zu  lehnen. 


Beschreibung  der  Tafeln. 

Tafel  91. 

Fig.  1.   Tonnengewölbe  mit  Gurtbogen. 

Fig.  2.    Achtseitiges  Klostergewölbe  (Montbron). 

Fig.  3.    Kuppel  auf  Hängezwickeln  (Roullet). 

Fig.  4.    Kreuzgewölbe  ohne  Gurtbogen  mit  horizontalem  Scheitel. 

Fig.  5.    Kreuzgewölbe  mit  Gurtbogen  und  Busung. 

Fig.  6.    Rippengewölbe  (Worms). 

Fig.  7.    Sechsteiliges  Rippengewölbe  (Limburg  a.  L.) 

Fig.  8.    Bains  de  Diane  zu  Nimes. 

Fig.  9.    Gebundenes  Gewölbesystem  (Rosheim). 

Fig.  10.    Strebebögen  (Durham). 

Taf.  92. 

Sechsundzwanzig  Querschnitte,  bei  denen  links  durch  die  Pfeiler,  rechts 
durch  die  Scheitel  der  Bögen  geschnitten  ist. 


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Sechstes  Kapitel. 

Einschiffige  Säle  mit  Tonnengewölben. 


I.ittkratir  (zugleich  zu  den  folgenden  Kapiteln  bis  IX).  Die  Frankreich  be- 
treffenden allgemeinen  Werke  s.  unter  Kap.  IV.  Die  folgende  Auswahl  des  wichtigeren 
aus  der  sehr  reichhaltigen  Speziallitteratur  ist  nach  Provinzen  geordnet. 

Miliin  .  Voyage  dans  les  dcpartements  du  midi  de  la  France.  5  vol.  8°.  1880.  — 
Merimee:  Notes  d'un  voyage  dans  le  midi  de  la  France.  12°.  1835.  —  Renouvier : 
Monuments  de  quelques  anciens  dioceses  du  Bas-Languedoc,  1835 — 41.  —  Revoil:  L'archi- 
tecture  roinane  du  midi  de  la  France.  3  vol.  2°.  1866 — 74.  —  D Everlange :  Hist.  de 
Saint-Gilles.  8°.  1884.  —  De  Lauri'ere:  Antiquitcs  de  la  ville  d'Arles.   8°.  1878. 

Memoire«  de  la  Societe  archeologique  de  Böziers.  18  vol.  8°.  —  Mcmoires  de  la 
Societe  archeologique  du  midi  de  la  France.  Toulouse.  12  vol.  8°.  —  Potlier:  Monu- 
ments historiques  de  Tarn-et-Garonne.  8°.  1877.  —  Devals:  Repertoire  archeologique  du 
departement  de  Tarn-ct-Garonne.  84.  1872.  —  Dumege:  Archäologie  pyreneenne.  3  vol. 
8°  u.  2°.  1861.  —  Crozes:  Repertoire  archeologique  du  Tarn.  40.  1865.  —  Gluck: 
Album  historique  du  Lot.  40.  1850.  —  Cauvet:  Etüde  historique  sur  l'abbaye  de  Font- 
froide.  1875.  —  Salvan:  Monographie  de  S.  Saturnin  a  Toulouse.  1854.  —  7 kolin: 
Etudes  sur  Tarch.  religieuse  de  l'Agenais.  8°.  1874.  —  Barrere:  Hist.  religieuse  et 
monumentale  du  diocese  d'Agen.  2  vol.  180.  1858.  —  Lagreu-Fossat :  Etudes  historiques 
sur  Moissac.  6  vol.  8°.  1870 — 75. 

Felix  de  Verneilh:  L'Architecture  byzantine  en  France.  40.  185  a.  —  Audierne: 
Le  Perigord  illustre.  8°.  1851.  —  Bulletin  de  la  Societe"  archeologique  et  historique  de 
la  Charente.  8".  1845  —  Miehon:  Statistique  monumentale  de  la  Charcnte.  40.  — 
Marvaud  :  Repertoire  archeologique  du  departement  de  la  Charente.  8°.  1862.  —  Musset : 
L'art  en  Saintonge  et  en  Aunis.  1879  ff.  —  L.  Drouyn  \  Types  de  l'architecture  du 
moyen-dge  dans  le  d<-p.  de  la  Gironde.  s.  a.  —  Rapport  de  la  commission  des  mon. 
hist.  de  la  Gironde.  8U.  1840—45.  —  Bordes:  Histoire  des  monuments  de  la  ville  de 
Bordeaux.  2  vol.  40.  s.  a.  —  Z.  Drouyn  :  Saint-Macaire  et  ses  monuments.   8°.  1861. 

Mlmoires  de  la  Socielö  des  antiquaires  de  l'Ouest.  8°.  1830  ff.  —  Tkirilet; 
Antiquitcs  et  monuments  du  Poitou.  2°.  1823.  —  Arnauld :  Monuments  religieux  etc.  du 
Poitou.  40.  s.  a.  —  Robuchou  et  Ledain  :  Paysages  et  monuments  du  Poitou.  2°.  1884  f. 
—  Fillon  et  Roekebrune:  Poitou  et  Vendee.  40.  1862.  —  Ledain  :  La  Gatine.  8".  — 
De  Wtsmes :  La  Vendee.  2°.  s.  a.  —  Arnauld:  Monuments  religieux  etc.  des  Deux- 
Sevres.  8°.  1876.  —  Auber :  Histoire  de  la  cathedrale  de  Poitiers.  8°.  s.a.  —  Brouilltt: 
Indicateur  archeologique  de  larrondissement  de  Civray.  40.  —  Mcrimee:  Notice  sur  les 
peintures  a  fresque  de  l'lglise  de  Saint-Savin.  2°.  1845.  —  Tripon:  Histoire  monumen- 
tale du  Limousin.  40.  1847.  —  Texier  :  Notice  historique  et  descriptive  sur  l'abbaye  de 
Solignac.  40.  1860. 

De  Wismes:  Le  Maine  et  TAnjou  historique  et  archeologique.  2  vol.  2,J.  s.  a.  — 


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ß22  Zweites  Buch.  Der  romanische  Stil. 

ßffttra's/:  Rechcrches  hist.  et  arch.  sur  les  tfglises  romanes  cn  Touraine.  8°.  1869.  — 
Derselbe:  La  Touraine,  histoire  et  monuments.  2°.  1855.  —  Lecoy  de  la  Marche:  S.  Martin 
de  Tours.  4".  1880.  -  Quicherat:  Restitution  de  la  basilique  de  S.  Martin  de  Tours. 
8°.  1869.  —  Bardel.  L'cglise  collegiale  du  chftteau  de  Loches.  12".  s.  a.  —  Reper- 
toire archcologique  de  l'Anjou.  S°.  1859  f.  —  Godard- Faultrier  :  L'Anjou  et  ses  monu- 
ments. 2".  1839.  —  l'orf.  Dictionnaire  historique  etc.  de  Maine  et  Loire.  3  vol.  8rt. 
1874— 7S.  —  Bodin:  Rechcrches  sur  la  ville  d' Angers  et  ses  monuments.  2  vol.  8°. 
1846.  —  Derselbe  :  Recherches  sur  la  ville  de  Saumur  et  ses  monuments.  2  vol.  8°.  1845. 

—  Mabille  et  Marchegay:  Chroniques  des  cgi i ses  d'Anjou.  8°.  1869.  —  D' Espinay  . 
Notices  archöologiqes  sur  les  monuments  d'Angers  et  de  Saumur.  2  vol.  8°.    1875 — 

—  E<touard:  Foutevrault  et  ses  monuments.  2  vol.  8°.  1875.  —  Memoire*  de  la  Societe 
archcologique  de  la  Loire-Inferieure.  20  vol.  8°.  —  Delamonneraye  :  Essai  sur  l'histoirc 
de  l'architecture  religieuse  en  Bretagne.  8°.  1849.  —  Buhot  de  Kersers :  Histoire  et 
statistique  monumentale  du  dep.  du  Cher.  8°.   1875  f. 

Repertoire  archi-ologiquc  du  depart.  du  Loiret.  8°.  —  Mcinoires  de  la  Societe 
archlologique  d'Orleannais.  18  vol.  8n.  —  Michel:  Monuments  religicux  etc.  du  (Idti- 
nais.  40.  1876  —  79.  —  Fournier  Album  archcologique  de  l'cglise  abbatiale  de  Saint - 
Henolt-sur-Loire.  4".  1851.  —  Rocher  .  Histoire  de  l'abbaye  de  S.  Benott  s.  L.  8°.  1865. 

—  De  Fetigny:  Histoire  archcologique  du  Vendomois.  8°.  1848.  —  Lc  Bas-Vendomois 
historique  et  monumental.  8°.  1879. 

Afichel  et  Wandet  :  L'ancienne  Auvergne  et  le  Velay.  4  vol.  2°.  1843 — 47.  — 
Merimee:  Notes  d'un  voyage  en  Auvergne.  8°.  1838.  —  Mallay:  Essai  sur  les  rglises 
romanes  du  d.'-part.  du  Puy-de-D6me.  —  Bouillet :  Statistique  monumentale  du  depart.  du 
Puy-dc-Dome.  8°  u.  40.   1846.  —  Allier  :  L'ancien  Bourbonnais.  3  vol.  20.  1833 — 3S. 

—  Lt  Nivernais;  Album  historique  etc.  2  vol.  40.  1838.  —  De  Scultraii;  Repertoire 
archcologique  du  ch'part.  de  la  Nievre.  8°.  1876.  —  Crosnier:  Monographie  de  la 
Cathi-drale  de  Nevers  s.  a. 

J^rain  :  Histoire  de  l'Abbaye  de  Cluny.  1845.  —  Cucherat:  Cluny  au  XI  siecle. 

—  Pinjon:  Cluny,  Notice  sur  la  ville  et  l'abbaye.  1883.  —  Verdier  :  Album  de  Cluny. 
1852.  —  Bard:  Statistique  generale  des  Basiliques  et  de  culte  dans  la  ville  de  Lyon. 
1842.  —  Bard:  Angiographie  de  l'insigne  basilique  de  N.-D.  de  Beaune.  —  Lefexvc- 
Pontalis:  Etüde  hist.  et  archeol.  sur  IVglise  de  Paray-le-Monial.  1886. 

Die  Fülle  der  innerhalb  des  romanischen  Stils  auftretenden  Ge- 
wölbesysteme sondert  sich  sehr  bestimmt  in  zwei  Richtungen:  die  eine 
geht  von  der  Basilika  aus,  deren  organische  Fortentwicklung  erstrebend  ; 
die  andere  umfasst  alle  ausserhalb  des  basilikalen  Formprinzips  sich 
ergehenden  Bestrebungen.  Jene  hat  ihre  Vertreter  in  allen  grossen 
Nationen  des  Abendlandes,  diese  ist  auf  die  Südhälfte,  des  alten 
Galliens  beschränkt.  Während  jene  langsam  und  stockend,  mit  grossen 
örtlichen  und  zeitlichen  Unterbrechungen  aus  dem  älteren  System  sich 
herausarbeitet,  siegt  diese  auf  einen  Schlag. 

Das  Vorbild  der  in  der  Provence  wie  in  Septimanien  und  dem 
südlichen  Aquitanien  noch  sehr  reichlich  vorhandenen  römischen 
Gewölbebauten  war  gewiss  nicht  ohne  Wirkung.  Indes  wohl  nicht 
von  so  umfassender  und  unmittelbarer,  wie  gewöhnlich  angenommen 
wird.  Die  Hauptsache  ist,  dass  hier  unter  der  kulturfreundlichen  Herr- 
schaft der  Westgoten  die  Ueberlieferung  der  römischen  Bautechnik 
sich  ungleich  vollkommener  erhalten  hatte.  Bis  ins  10.  Jahrhundert 
findet  sich  in  den  Geschichtsbüchern  zuweilen  die  Bemerkung,  ein 


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Sechstes  Kapitel  :  Einschiffige  Säle  mit  Tonnengewölben. 


Bau  sei  elevatione  Visigothica,  manu  Gothica  ausgeführt,  womit  ohne 
Frage  im  Gegensatz  zu  dem  üblichen  opus  Gallicum  (Verband  aus 
kleinen  Bruchsteinen  mit  starken  Mörtellagern,  oft  im  Fischgräten- 
muster) ein  besseres  Mauerwerk,  Quaderwerk  oder  verfeinerter  Bruch- 
stein verband  bezeichnet  werden  soll  In  welchem  Umfange  etwa 
schon  in  merowingischer  und  frühkarolingischer  Zeit  in  diesen  Gegen- 
den das  Gewölbe  im  Kirchenbau  Verwendung  gefunden  habe,  kann 
nicht  mehr  gesagt  werden.  Der  allgemeine  Abfall  von  der  holz- 
gedeckten Basilika  ist  ein  Ereignis,  von  dem  kein  Geschichtsbuch 
meldet,  dessen  nächste  monumentale  Zeugen  zum  grössten  Teil  unter- 
gegangen oder  wenigstens  unter  der  Menge  jüngerer  Nachfolger  nicht 
mehr  hcrauszuerkennen  sind.  Nach  aller  Wahrscheinlichkeit  fällt  der 
Umschwung  mit  dem  Eintritt  des  Friedens  nach  der  Epoche  der  nor- 
mannischen und  sarazenischen  Invasionen  zusammen,  als  gleichzeitig 
eine  grosse  Anzahl  neuer  Kirchen  aus  Trümmern  und  Asche  sich 
erhob.  Charakteristisch  ist,  dass  gerade  die  älteren  Generationen  des 
Gewölbebaus  alles  Holzwerk  vollständig  verbannen,  indem  sie  die  Dach- 
ziegel unmittelbar  auf  den  Gewölben  befestigen:  vor  dem  Feuer  war 
man  solchergestalt  sicher,  die  Feuchtigkeit  glaubte  man  unter  diesem 
Himmel  nicht  fürchten  zu  dürfen.  Die  Eile  der  Reform  macht  die 
Plötzlichkeit  und  Vollständigkeit  des  Bruches  mit  der  Tradition  ver- 
ständlich. Wir  haben  auf  die  grossen  Schwierigkeiten  der  Verbindung 
von  Gewölbdecken  mit  der  Basilikenform  oben  (S.  296)  hingewiesen. 
Eben  für  diese  boten  die  Römerbauten  und  die  an  gewölbten  Nutz- 
bauten mancherlei  Art  gewiss  noch  fortgeübten  Handwerksgewohnheiten, 
welche  die  Herstellung  auch  grösserer  gewölbter  Räume  an  sich  als 
kein  zu  schwieriges  Unternehmen  erscheinen  Hessen,  keine  Muster  dar. 
Anstatt  also  auf  die  Bahn  langwieriger  und  wenig  aussichtreicher  Ex- 
perimente sich  zu  begeben,  griff  man  zu  den  Formen,  welche  die 
heimische,  allerdings  ausserkirchliche  Tradition  als  die  nächstliegenden, 
entweder  unmittelbar  benutzbaren  oder  doch  nur  mässiger  Modifi- 
kationen bedürftigen,  entgegenbrachte.  Die  feste  Leitschnur,  welche 
anderwärts  die  Basilika  gab,  war  freilich  fallen  gelassen  und  so  bildete 
sich  kein  einheitlicher  neuer  Typus  des  Kirchenbaues  heraus,  sondern 
mehrere  Typen  teilten  sich  in  die  Herrschaft. 

Die  beiden  am  meisten  angewandten  waren  der  einschiffige  Saal 
und  die  dreischiffige  Halle,  beide  mit  Tonnengewölben  gedeckt. 


')  Vgl.  J.  Reimers  in  Lützows  Zeitschr.  f.  bild.  Kunst,  XXII,  20  f. 


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324 


Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


Die  erstere  Form,  als  die  einfachste,  dürfte  um  einiges  früher 
in  Gebrauch  genommen  worden  sein.  Sie  erstreckt  sich  geographisch 
über  die  Provence,  Septimanien,  Aquitanien  bis  nördlich  an  die  untere 
Loire.  Eine  fortschreitende  Entwicklung  bis  an  den  Schluss  der 
romanischen  Epoche  hat  sie  nur  im  Südosten  erlebt,  im  Westen  wurde 
sie  schon  vorher  durch  andere  Formationen  wo  nicht  ganz  verdrängt, 
so  doch  beschränkt. 

Die  Datierung  der  einzelnen  Denkmäler  liegt  zur  Zeit  noch  sehr 
im  argen.  Die  Untersuchungen  von  H.  Revoil  über  die  provencalische 
Baugeschichte  sind  in  hohem  Grade  unkritisch,  seine  Inanspruchnahme 
einer  Anzahl  zum  Teil  wichtiger  Denkmäler  für  das  9,  resp.  10  saec. 
durchaus  unhaltbar;  vgl.  Dehio  im  Jahrbuch  der  k.  preussischen  Kunst- 
sammlungen VII,  132  f.  Was  vor  dem  Ende  des  saec.  11  liegt,  ist 
fast  alles  im  Ungewissen.  Bis  dahin  hat  sich  auch,  ausser  in  den  Zier- 
formen, schwerlich  etwas  geltend  gemacht,  was  man  Entwicklung  nennen 
könnte.  Von  sicher  datierbaren  Monumenten  wüssten  wir  nur  die  der 
Abtei  Montmajour  bei  Arles  anzuführen.  Die  dortige  Begräbnis- 
kapelle, geweiht  a.  1016,  zeigt  ein  schon  tüchtiges  technisches  Können, 
aber  durch  ihre  Form  (gleicharmiges  Kreuz)  steht  sie  ausserhalb  der 
Linie.  Ihr  Erbauer,  der  Abt  Rambert,  begann  auch  einen  Neubau 
der  Hauptkirche;  davon  die  Krypta  (Taf.  119),  und  einige  Details 
der  Apsis;  die  Kirche  selbst  (Taf.  93,  96)  können  wir  nur  als  eine 
durchgreifende  Erneuerung  des  saec.  12  ansehen.  Ohne  Zweifel  älter, 
doch  nicht  ausser  der  Entwicklungsreihe  stehend,  ist  das  merkwürdige, 
in  die  Felswand  eingebaute  Oratorium  daselbst  (Taf.  95,  Fig.  8). 
Lediglich  vermutungsweise  möchten  wir  dem  ersten  oder  zweiten  Drittel 
des  saec.  1 1  noch  S.  Martin  dk  Londres  (Taf.  98)  zuschreiben.  Bei 
ganz  kleinen  oder  entlegenen  Bauten  kann  Einfachheit  und  selbst  Ro- 
heit der  Behandlung,  wie  bei  Ste.  Trinke"  auf  St.  Honorat  de  Le"rins, 
der  kleinen  Kirche  von  Molleges  (Taf.  95),  der  Burgkapelle  von  Thouzon 
noch  nicht  unbedingt  als  Beweis  entsprechend  hohen  Alters  angesehen 
werden.  Zuverlässigere  Einsicht  in  den  Entwicklungsgang  der  proven- 
calischen  Architektur  beginnt  erst  mit  dem  für  das  letzte  Dezennium 
des  saec.  u  gesicherten  Bau  der  Kathedralen  von  Avignon  und  Aix.  — 
Für  Aquitanien  hat  Auber  (Me"moires  des  antiquaires  de  l'Ouest,  1884, 
p.  160  f.)  nachgewiesen,  dass  die  Bauthätigkeit  zwischen  a.  950—1000 
eine  sehr  rege  gewesen  ist;  unter  den  uns  bekannt  gewordenen  Denk- 
mälern könnten  das  Schiff  von  Courcöme  und  der  Chor  von  Pl  vperoux 
(Taf.  94,  98)  möglicherweise  noch  dahin  gehören. 

GRUNDRISS.  Für  die  Südfranzosen  war  das  Tonnengewölbe,  da 
es  bei  den  römischen  Vorbildern,  wenn  Ueberdeckung  von  Langräumen 


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Sechstes  Kapitel:  Einschiffige  Säle  mit  Tonnengewölben. 


325 


in  Frage  kam,  durchaus  vorwaltete,  die  sozusagen  vorgeschriebene 
Gewölbeart,  wie  es  ohnedies  die  am  leichtesten  auszuführende  ist.  Die 
einschiffige  Raumdisposition  folgte  daraus  unmittelbar,  sie  ist  die  dem 
Tonnengewölbe  am  einfachsten  sich  anpassende  und  die  grösste  Sicher- 
heit gewährende.  Wir  halten  es  für  eine  Verkennung  der  Verhältnisse, 
wenn  man  sie  als  Weiterentwicklung  aus  irgend  einer  speziellen  Vor- 
form, z.  B.  den  einschiffigen  kleinen  Oratorien  oder  gar  den  kreuz- 
förmigen Grabkirchen  glaubt  erklären  zu  sollen.  Vielmehr  sind  ge- 
wisse durch  die  Liturgie  bedingte  Nachwirkungen  des  Basilikenplanes 
gar  nicht  zu  verkennen. 

Dahin  gehört  vor  allem  die  Anlage  eines  Querschiffes.  Im 
Westen  bildet  es  durchweg  die  Regel  (T.  94).  In  der  Provence  kommt 
es  in  mehr  oder  minder  reduzierter  Form,  als  kapellenartiger  Ausbau 
vor  (Taf.  93,  Fig.  1,  3,  6,  10,  Taf.  97,  Fig.  3).  Sonst  ist  wenigstens 
das  letzte  Joch  vor  der  Apsis  durch  eine  an  den  Triumphbogen  der 
Basilika  erinnernde  Anlage  als  zum  Chor  gehörig  ausgesondert  und 
durch  eine  abweichende  Deckenformation  (Klostergewölbe)  ausge- 
zeichnet (Taf.  93,  Fig.  5,  12,  13).  Eine  interessante,  sowohl  im  Osten 
wie  im  Westen  vorkommende  Sonderform  ergeben  die  abgerundeten 
Kreuzarme  l). 

Die  Apsiden  sind  in  der  Provence  häufig  polygonal  gebildet. 
Byzantinischen  Einfluss  darin  zu  erkennen  —  es  wäre  nicht  einzusehen, 
warum  derselbe  auf  das  vereinzelte  Motiv  sich  beschränkt  hätte  — , 
halten  wir  nicht  für  geboten.  Der  Anlass  ist  wohl  einfach  der,  dass 
es  bequemer  ist  die  Werkstücke,  namentlich  für  die  Gesimse,  in  der 
Geraden  als  in  der  Kurve  zuzuhauen.  Im  Westen  (in  der  Region  von 
Angouleme)  findet  sich  einigemal  Brechung  des  Halbkreises  durch 
einen  Kranz  von  Nischen  (Taf.  94,  Fig.  4,  Taf.  119,  Fig.  21). 

AUFBAU.  Ein  Blick  auf  die  Querschnitte  der  Taf.  95  —  97  zeigt 
den  im  Verhältnis  zum  umschlossenen  Raum  ganz  ungeheuren  Auf- 
wand an  Mauermasse.  Allerdings  forderte  die  Gewohnheit,  die  Ge- 
wölberücken auf  unmittelbare  Aufnahme  der  Dachplatten  einzurichten, 
starke  Wände;  doch  wird  hierin  über  das  wirkliche  Bedürfnis  weit 
hinausgegangen.  Erst  die  jüngere  Zeit  lernte  eine  an  Material  sparende 
und  zugleich  dem  Auge  angenehme  Gliederung  durchführen.  Das 
Bestimmende  für  sie  sind  die  mit  Ausnahme  einiger  der  ältesten 

')  A.  Saint-Paul  bei  Joanne,  Gascogne  et  Languedoc  p.  91  behauptet  von  dieser 
Anlage :  »On  en  connatt  une  vingtaine  d'cxemples  en  France.« 


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326 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Denkmäler  nie  fehlenden  Gurtbogen  der  Decke.  Diese  werden  von 
Wandvorlagen  aufgefangen,  zwischen  denen  wieder  Rückspriinge  flache 
vom  Bogen  überspannte  Nischen  bilden.  Auf  der  Aussenseite  ist  die 
Wand  an  den  Punkten,  wo  die  Gurtbögen  auf  sie  niederfallen,  durch 
Strebepfeiler  von  einfachster  Gestalt  verstärkt.  Das  Gurtbogenmotiv 
ist  den  Römerbauten  abgesehen  (vgl.  Taf.  38,  Fig.  10,  1 1),  doch  erst 
die  romanische  Kunst  hat  es  systematisch  durchgebildet.  Die  Ge- 
wölbe pflegen  in  den  Mittelmeerlandschaften  fast  ausnahmslos  spitz- 
bogig  zu  sein,  in  Aquitanien  häufiger  rundbogig.  Dieser  Unterschied 
steht  wohl  im  Zusammenhang  mit  dem  anderen,  dass  dort  die  Dach- 
platten direkt  auf  dem  Gewölbe  liegen,  hier  dagegen  selbständige 
hölzerne  Dachrüstungen  im  Gebrauch  blieben,  wie  oben  (S.  302)  des 
näheren  begründet.  Uebrigens  wird  die  Zuspitzung  des  Scheitels  dem 
Auge  in  Wirklichkeit  viel  weniger  fühlbar,  als  im  geometrischen  Riss, 
und  zuweilen  sucht  man  durch  Beibehaltung  des  ungebrochenen  Halb- 
kreises an  den  Gurten  über  die  abweichende  Form  des  Gewölbes 
vollends  hinwegzutäuschen.  Zu  bemerken  ist  der  zwischen  Aquitanien 
und  dem  Languedoc  einer-,  der  Provence  andererseits  waltende  Unter- 
schied in  betreff  der  Gestalt  der  Gurtträger.  Dort  regelmässig  Halb- 
säulen, hier  rechtwinklig  in  einem  oder  mehreren  Rücksprüngen  ab- 
setzende Pilaster.  Die  provengalische  Fassung  ist  also  die  schlichtere. 
Im  Schiff  entbehrt  sie  über  die  eben  beschriebene  Gliederung  hinaus 
jeglichen  weiteren  Schmuckes,  was  durch  den  Gegensatz  des  dem 
Aussenbau  mit  freigebiger  Hand  zugewendeten  Reichtums  an  plastischer 
Dekoration  besonders  auffällig  wirkt;  einesteils  wohl  eine  Folge  der 
antiken  Vorbilder  in  ihrem  damaligen  spoliierten  Zustande,  anderesteils 
verständige  Rücksicht  auf  die  spärliche  Beleuchtung  dieser  Kirchen. 
Nur  dem  heller  beleuchteten  Sanktuarium  sind  reichere  Kombinationen 
von  Ziergliedern  vorbehalten,  diese  dann  allerdings  von  auserlesen 
zarter  und  geschmackvoller  Behandlung. 

Solchermassen  würden  diese  Interieurs  in  ihrer  grossen  Schlicht- 
heit etwas  Dürftiges  und  Unentwickeltes  behalten,  wenn  nicht  ein  höchst 
lebendiges  Gefühl  für  Raumschönheit  sie  adelte.  Hierin  sind  die 
provengalischen  Bauten  dieser  Gattung  ihren  Geschwistern  im  Westen 
weit  überlegen.  Sie  verdanken  es  ihrem  näheren  Verhältnis  zur  Antike. 
In  bezug  auf  dieses  weist  die  Geschichte  der  Zierformen  auf  einen 
in  den  letzten  Dezennien  des  1 1.  Jahrhunderts  eintretenden  grossen 
Umschwung  hin.  Bis  dahin  war  die  Fortexistenz  antiker  Erinnerungen 
auch  in  diesen  Gegenden  nur  eine  dumpfe  Handwerkstradition  gewesen, 


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Sechstes  Kapitel:  Einschiffige  Säle  mit  Tonnengewölben. 


32/ 


nicht  etwas  unmittelbar  aus  den  Denkmälern  Erschautes:  jetzt  aber 
erwachte  lebendig  gefühlte  Ehrfurcht  vor  der  echten  Kunst  des  Alter- 
tums, deren  Zeugen  ja  überall  im  Lande  umherstanden,  und  damit  die 
ernstliche  Bemühung,  sie  zu  verstehen  und  etwas  von  ihrem  Geiste 
den  eigenen  Schöpfungen  zuzuführen.  Diese  erst  strenge,  dann  freier 
auftretende  Protorenaissance  —  deren  Entwicklung  nach  wenig  mehr 
als  hundertjährigem  Laufe  schon  unter  den  zernichtenden  Erschütte- 
rungen der  Albigenserkricgc  ihr  Ende  fand  —  war  nun  keineswegs 
eine  blosse  Dekorationskunst;  als  Schülerin  der  Antike  im  tieferen 
Sinne  bekundet  sie  sich  vor  allem  durch  ihre  Richtung  als  Raumkunst. 
Die  immer  reicheren  Planbildungen  und  effektvollen  Gruppierungen 
des  inneren  wie  des  äusseren  Aufbaues,  welche  die  Blüte  des  roma- 
nischen Stiles  in  den  Regionen  der  Mitte  und  des  Nordens  heraufführt, 
bleiben  der  Kunst  des  Südens  fremd.  Der  Fortschritt  des  Geschmackes 
äussert  sich  hier  als  Fortschritt  der  Einfachheit  in  der  allgemeinen 
Anlage.  Diese  Stimmung  findet  auch  in  dem  ihr  ursprünglich  nicht 
zugeneigten  Westen  vielfachen  Widerhall,  am  reinsten  aber  erklingt 
sie  in  der  Provence  und  Languedoc;  die  bis  in  den  Anfang  des  12.  Jahr- 
hunderts für  grössere  Kirchen  bevorzugte  dreischiffige  Halle  kommt 
im  weiteren  Verlaufe  des  Jahrhunderts  mit  wenigen  Ausnahmen 
(Cistercienserkirchen)  ausser  Gebrauch ;  die  Versuche  mit  der  Gewölbe- 
basilika finden  keine  Fortsetzung;  die  Gunst  gehört  mit  wachsender 
Entschiedenheit  dem  einschiffigen  Saal,  dessen  mächtig  einheitliches 
Raumbild  zu  weiten,  freien,  ruhevollen  Verhältnissen  ausgebildet  wird : 
dem  polaren  Gegensatz  zur  Kunst  des  Nordens,  die  eben  in  derselben 
Zeit  bei  dem  vielgliedrigen  gotischen  Höhenbau  anlangt.  —  Die  Ge- 
schlossenheit der  Raumwirkung  wird  noch  begünstigt  durch  die  Art 
der  Lichtfuhrung.  Im  Schiff  fehlen  die  Fenster  meistenteils  ganz, 
oder  sind  doch  nur  unscheinbar  und  unregelmässig  angebracht.  Das 
Hauptlicht  kommt  aus  den  Fenstern  der  Apsis  und  der  Kuppel, 
und  wo  diese  fehlen,  aus  einer  grossen  Oeffnung  in  der  westlichen 
Giebclwand. 

Soviel  wir  sehen,  ist  das  früheste  Denkmal  dieser  Richtung,  die 
im  letzten  Viertel  des  saec.  11  entstandene  Kathedrale  Notre-Dame-des- 
Domes  zu  Avignon,  durch  jüngere  Zuthaten  ziemlich  stark  entstellt. 
Gleicher  Grundplan  und  gleiches  System  (der  zweite  Rücksprung  der 
Gurtträger  von  der  Kämpferhöhe  der  Nischen  bis  zum  Hauptgesims 
von  eingelassenen  Ecksäulchen  durchbrochen)  in  der  Kirche  zu  Ca- 
vaillon;  das  überlieferte  Einweihungsjahr  1251  kann  höchstens  nur 


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Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


auf  das  Sanktuarium  bezogen  werden.    Derselben  Richtung  gehören 
ferner  die  kleineren  Kirchen  S.  Quinin  zu  Vaison,  S.  Restjtut, 
S.  Gabriel,  Notrt-Dame  la  Major  zu  Arles,  letztere  besonders  breit 
in  den  Verhältnissen.   Zum  Besten  gehört  die  Abteikirche  von  Moxt- 
majour;  vom  Schiff  nur  zwei  Jahr  ausgeführt;  ein  Minimum  an  Details; 
der  ganze  Wert  liegt  in  den  Verhältnissen,  die  eines  echten  antiken 
Werkes  würdig  wären ,    ernst  und   bedeutend.     Imposante  Raum- 
entfaltung in  der  Kathedrale  von  Orange;  die  überlieferte  Erbauungs- 
zeit 1085 — 11 26  können  wir  nur  für  den  sichtlich  älteren  Chor  gelten 
lassen;  das  Schiff  dürfte  aber  ein  Jahrhundert  jünger  sein').    Zu  den 
jüngsten  Werken  der  Schule,  E.  saec.  12  —  A.  saec.  13,  gehören  die 
Kirchen  von  Thor,  Maguelonne,  Ste.  Marthe  zu  Tarascon  (i  187.)  — 
Ein  Meisterwerk  edel  anmutiger  Behandlung  bei  kleinerem  Massstabe 
die  Kirche  der  Abtei  S.  Ruf  bei  Avignon.  —  Im  Languedoc:  die 
Kathedrale  von  Pons,  die  Kirchen  von  Castries,  Sausines,  Villem  agne, 
Serrabona,  S.  Jacques  in  Beziers. 

Das  Durchschnittsmass  der  Bauten  dieser  Gruppe  ist  klein  oder 
höchstens  mittelgross;  die  Wirkung  im  Verhältnis  dazu  bedeutend. 
Zum  Schluss  aber  wurde  einmal  ein  Schritt  ins  wahrhaft  Kolossale  ge- 
wagt, in  der  Kathedrale  von  Toulouse,  zu  Anfang  des  13.  saec.  vom 
Grafen  Raimund  VI.  begonnen.  Die  Wahl  dieses  ganz  einfachen 
Schemas  fällt  besonders  auf,  nachdem  in  der  ersten  Hälfte  des  voran- 
gehenden Jahrhunderts  die  tolosanische  Baukunst  in  der  Kirche 
S.  Sernin  bereits  eine  grossartige  Vorahnung  des  gotischen  Kathedralen- 
typus hingestellt  hatte.  Durch  den  Ausbruch  des  Ketzerkrieges  wurde 
der  Bau  unterbrochen,  dann  a.  1272  in  entwickelt  gotischen  Formen 
wieder  aufgenommen  in  einer  Weise,  dass  man  die  Absicht  deutlich 
erkennt,  das  Werk  der  Ketzer  vollkommen  zu  beseitigen;  aber  auch 
dieser  zweite  Bau  blieb  unvollendet.  Die  unbeschreiblich  bizarre  Kon- 
trastwirkung zwischen  dem  in  äusserster  Simplizität  massig  hingelagerten 
romanischen  Breitbau  und  dem  in  ausschweifender  Höhensteigerung  und 
Massenteilung  sich  verlierenden  gotischen  Chor  lässt  der  Grundriss 
auf  Taf.  94  nur  annähernd  ahnen. 

Sehr  bemerkenswert  sind  in  den  Werken  des  reifen  Stils  die  aus- 
gesucht einfachen  Zahlenverhältnisse  des  Querschnitts.  Z.  B.  in 
Maguelonne  und  Saintes-Maries  die  Höhe  bis  zum  Gewölbekämpfer 
genau  der  Breite  gleich.  In  Toulouse  (Taf.  97)  die  Kämpferhöhe  gleich 
der  halben,  die  Scheitelhöhe  gleich  der  ganzen  Breite ;  also  die  klassische 
Proportion  des  Pantheons  zu  Rom!  Hier  auf  den  Longitudinalbau  an- 
gewendet, jedoch  nicht  von  derselben  günstigen  Wirkung,  wie  dort  im 
Zentralbau.    In  Orange  ergibt  sich,  wenn  man  in  der  Querschnittfigur 

')  Die  saec.  14  oder  15  erneuerten  Gewölbe  wiederholen  die  alte  Form. 


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Sechstes  Kapitel:  Einschiffige  Süle  mit  Tonnengewölben. 


(Taf.  99)  den  Scheitelpunkt  des  Gurtbogens  im  Hauptgewölbe  mit  den 
in  den  Nischen  liegenden  Endpunkten  der  Grundlinie  verbindet,  genau 
ein  gleichseitiges  Dreieck,  was  unmöglich  ein  Spiel  des  Zufalls 
sein  kann. 

Die  hierher  gehörenden  Bauten  Aquitaniens,  denen  auch  die 
spanischen  anzureihen  sind,  stehen  im  ganzen  an  künstlerischem 
Wert  hinter  denen  der  Provence  zurück.  Von  den  Abweichungen  des 
Systems  war  oben  die  Rede.  Die  seitlichen  Fensteröffnungen  sind 
grösser.  Die  Proportionen  des  Querschnittes  beginnen  ängstlich  eng 
(Taf.  98,  Fig.  2),  werden  später  bequemer,  ohne  doch  zu  so  ausge- 
prägtem Weitbau  zu  führen ,  wie  in  der  Provence  und  Languedoc.  — 
Im  Gebiet  von  Agen  die  Kirche  von  Layrac,  a.  1063 — 1102  (Bull, 
monum.  1872,  p.  539);  ähnlich  die  kleineren  zu  Cuzorn,  Cocumont, 
Ste.  Lürade  (Congres  arch.  1874,  p.  160  f.).  Sehr  verbreitet  muss 
der  Typus  in  den  Landschaften  an  der  Gironde,  Dordogne  und  Cha- 
rente  gewesen  sein;  doch  erhielt  hier  seit  dem  saec.  12  das  Tonnen- 
gewölbe eine  starke  Konkurrenz  in  der  Reihung  von  Kuppeln  (s.  das 
nächste  Kapitel).  Die  vorhandenen  Denkmäler  durchweg  klein.  Bei- 
spiele (Taf.  94,  98,  99):  Petit-Palais;  Puyperoux;  Rioux-Martin ; 
Montbron;  Monthier;  Richemont;  Courcöme;  Femoux;  am  an- 
sehnlichsten in  der  Reihe  die  Kirche  zu  Montmoreau,  elegantes  Werk 
des  12.  saec.  Weiter  nördlich  viel  spärlicher.  Beispiele:  Fontaine- 
le-Comte  und  Genouville  im  Poitou;  BEnEvent  im  Limousin,  Arnac- 
Pompadouk  imQuercy;  Notre-Dame  de  Nantilly  zu  Saumur  im  Anjou 
von  E.  saec.  10  (Taf.  94);  S.  Etienne  zu  Beaugency  im  Orleannais, 
sehr  primitiv,  angeblich  E.  saec.  10;  ein  zierliches  Beispiel  aus  saec.  12 
zu  Cognat  im  Bourbonnais  (Taf.  97);  Bourc-Lastic  und  Larouet  in 
der  Auvergne. 

Die  Anlage  des  einschiffigen  Saales  erfahrt  eine  Amplifikation, 
wenn  die  in  der  Mauerdicke  ausgesparrten  Flachnischen  sich  zu  förm- 
lichen Kapellen  vertiefen,  die  Zwischenwände  übernehmen  dabei  die 
Rolle  der  Strebepfeiler.  Ihre  Durchbrechung  fuhrt  in  die  dreischiffige 
Anlage  hinüber. 

Diese  Variante  gehört  fast  ausschliesslich  der  Provence  und  Lan- 
guedoc. Aeltestes  Beispiel  in  der  Kathedrale  von  Avignon ;  dieser 
nahe  verwandt  die  von  Cavaillon ;  ferner  die  zu  Nimes ;  zu  Orange 
durch  vermehrte  Weite  der  Oeffnung  dem  allgemeinen  Raumcharakter 
glücklich  angepasst.  Die  fortschreitende  Entwicklung  zur  dreischiffigen 
Anlage  zeigen  Taf.  93,  Fig.  14  und  Taf.  99,  Fig.  4—6. 

Der  Typus  verändert  gänzlich  seinen  Gmndcharakter,  wenn  das 
einheitliche  Tonnengewölbe  durch  eine  Folge  von  Kreuzgewölben 

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330 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


ersetzt  wird.  Das  geschieht  jedoch  erst  am  Schluss  der  Epoche,  an 
der  Grenze  des  12.  und  13.  Jahrhunderts,  was  um  so  bemerkens- 
werter ist,  da  für  Aufgaben  anderer  Art  (Vorhalle  von  S.  Victor  in 
Marseille,  Krypta  von  S.  Gilles)  das  Kreuzgewölbe  mit  Diagonalrippen 
hier  schon  zu  Anfang  des  Jahrhunderts  bekannt  ist. 

Beispiele:  Le  Thor  in  der  Nähe  von  Avignon;  Kathedrale  von  Tou- 
louse, Ausgangspunkt  für  den  gotischen  Provinzialstil  des  Languedoc. 


Beschreibung  der  Tafeln. 

Grundrisse. 

Tafel  93. 

1.  Reddes,  saec.  12  (?)  —  Revoil. 

2.  .V.  Gabriel.  —  c.  a.  1100.  —  Revoil. 

3.  Vaison:  S.  Quenin.  —  c.  a.  1100.  —  Revoil. 

4.  S.  Martin  de- Londr es.  —  saec.  11.  —  Revoil. 

5.  Le  Thor:  S.  Marie  au  Lac.  —  E.  saec.  12.  —  Revoil. 

6.  Maguelonne.  —  saec.  12.  —  Revoil. 

7.  Villeneuve-les- Avignon.  —  saec.  12.  —  Revoil. 

8.  Molliges.  —  saec.  10— 11  fr)  —  Revoil. 

9.  Saintes- Maries.  —  saec.  12.  —  Revoil. 

10.  Montmajour.  —  saec.  11,  12.  —  Revoil. 

11.  S.  Macaire.  —  saec.  11,  12.  —  Bull.  mon. 

12.  Cavaillou.  —  E.  saec.  11.  ~  Revoil. 

13.  *Orange.  —  E.  saec.  12.  —  Bezold. 

14.  *Biziers:  S.Jacques.  —  saec.  11  —  12.  —  Dehio. 

Tafel  94. 

1.  Layrac.  —  E.  saec.  11.  —  Bull.  mon. 

2.  *Montinoreau.  —  saec.  12.  —  Dehio. 

3.  Saumur:  Not re- Dame  de  Nantilly.  —  E.  saec.  11.  —  Godard- 
Faultrier. 

4.  * Puyptroux.  —  Chor  c.  a.  1000,  Schiff  saec.  12.  —  Bezold. 

5.  S.  Jean  de  Val.  —  saec.  11  (?)  —  Taylor  et  Nodier. 

6.  Cognai.  —  saec.  12.  —  de  Baudot. 

7.  *Courcome.  —  Schiff  c.  a.  1000,  Chor  saec.  12.  —  Dehio. 

8.  Foix:  Kathedrale.  —  saec.  11  (?)  —  Bull.  mon. 

9.  Toulouse:  Kathedrale.  —  Schiff  Anfang,  Chor  Ende  saec.  13  — 
Taylor  et  Nodier. 


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Sechstes  Kapitel:  Einschiffige  Säle  mit  Tonnengewölben. 


33i 


10.  Lena:  Ermita  de  Sta.  Cristma.  —  Mon.  arqu.  de  Espart a. 

11.  Barcelona:  S.  Pedro  e  Pablo.  —  saec.  12.  —  Street. 

12.  Camprodon.  —  saec.  12.  —  Mon.  arq.  de  Esp. 

Tafel  95.  Systeme  und  Schnitte. 

1,  2.  S.  Gabriel.  —  c.  a.  1100.  —  Revoil. 

3.  Vaison:  S.  Quenin.  —  c.  a.  1000.  —  Revoil. 

4.  Urins:  Sie.  Triniti.  —  saec.  10 — 11.  —  Revoil. 

5.  Villeneuve-les-Avignons.  —  saec.  12.  —  Revoil. 

6.  Reddes.  —  saec.  12.  —  Revoil. 

7.  Molliges.  —  saec.  10 — 11.  —  Revoil. 

8.  Montmajour:  Oratorium  S.  Trophhnus.  —  Vor  a.  1000.  —  Revoil. 
Tafel  96. 

1,  2.  Montmajour:  Abteikirche.  —  Krypta  c.  a.  1020,  Oberbau  erneuert 

saec.  12.  —  Revoil,  Bezold. 
3,  4.  Saintes- Maries.  —  a.  1140  f.  —  Archives  mon.  hist. 

Tafel  97. 

1,  2.  Le  Thor:  Sie.  Marie  au  Iau.  —  E.  saec.  12.  —  Revoil  und 
Bezold. 

3.  Maguelonne.  —  2.  H.  saec.  12.  —  Revoil. 

4.  *  Toulouse:  Kathedrale.  —  A.  saec.  13.  —  Bezold  (Skizze). 

Tafel  98. 

1,  2.  *Courcbme.  —  c.  a.  1000,  mit  jüngerer  üeberarbeitung.  —  Dehio. 

3.  Layrae.  —  E.  saec.  11.  —  Bull.  mon. 

4.  S.  Martin-de-Londres.  —  saec.  n.  —  Revoil. 

5.  *Montmoreau  —  t.  H.  saec.  12.  —  Bezold. 

6.  Lena:  S.  Cristina.  —  Mon.  Esp. 

Tafel  99. 

1,  2.  Montbron.  —  saec.  12.  —  de  Baudot. 

3.  *  Orange:  Kathedrale.  —  2.  H.  saec.  12.  —  Bezold. 

4.  *Hauterive.  —  saec.  12.  —  Rahn. 

5.  Binivent-t Abbaye.  —  saec.  12.  —  Archives  mon.  hist.  (Skizze.) 

6.  *Botmont.  —  saec.  12.  —  Rahn. 


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Siebentes  Kapitel. 


Kuppelkirchen. 


Die  Kuppel  ist  eine  durchaus  zentralistische  Gewölbeform.  Sie 
hat  einen  exklusiven,  alle  Beziehungen  nach  aussen  abwehrenden 
Charakter.    Ihr  eigenstes  Gebiet  ist  der  Zentralbau.    In  der  Anwen- 
dung auf  die  Basilika  bleibt  sie  eine  vereinzelte  Erscheinung,  dagegen 
hat  sie  im  südlichen  Frankreich  für  einschiffige  Longitudinalbauten 
eine  grosse  Verbreitung  gefunden.    Und  selbst  in  dieser  ihrer  Natur 
nicht  völlig  entsprechenden  Anwendung  erscheint  sie  als  die  höchste 
und  vornehmste  Gewölbeform.  Das  ruhige  Schweben  der  Calotte  auf 
dem  durch  den  Zusammenschluss  der  Hängezwickel  gebildeten  Kranze 
hat,  wenn  anders  die  Abmessungen  nicht  zu  gering  sind,  immer 
etwas  überaus  Feierliches,  und  soll  ein  Raum  nicht  nur  im  System 
der  Wände,  sondern  auch  in  dem  der  Decke  in  bestimmtester  Weise 
gegliedert  werden,  so  kann  dies  nicht  ausdrucksvoller  geschehen,  als 
durch  eine  Reihe  von  Kuppeln.  Die  Kuppel  bildet  hierin  den  Gegen- 
satz zum  Tonnengewölbe.  Wie  dieses  der  sprechendste  Ausdruck  der 
Einheit  des  vielgegliederten  Raumes  ist,  so  jene  der  der  individuellen 
Selbständigkeit  der  einzelnen  Abteilungen. 

Wir  fassen  in  diesem  Kapitel  die  Kuppelbauten,  soweit  sie 
nicht  reine  Zentralbauten  sind,  zusammen  mit  den  Kirchen,  welche 
bei  gleicher  Gesamtanlage  mit  kuppeiförmigen  Kreuzgewölben  über- 
wölbt sind,  und  betrachten  zum  Schlüsse  die  wenigen  kuppelgewölbten 
Basiliken. 


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Siebentes  Kapitel:  Kuppelkirchen. 


333 


!.  S.  Marco  in  Venedig. 

An  die  Spitze  der  hier  zu  betrachtenden  Monumente  muss  der 
berühmte  venezianische  Zentralbau  gestellt  werden,  sowohl  weil  er 
innerhalb  der  italienischen  Architektur  eine  vereinzelte  Erscheinung 
ist,  als  auch  wegen  der  behaupteten  Vorbildlichkeit  für  S.  Front  zu 
Perigueux,  welche  eine  Nebeneinanderstellung  beider  wünschenswert 
macht. 

Der  Grundriss  der  Kirche  (Taf.  100  Fig.  i)  bildet  annähernd 
ein  griechisches  Kreuz,  doch  sind  die  fünf  Kuppeln  nicht  ganz  gleich 
weit  gespannt,  die  mittlere  und  die  westliche  sind  etwas  weiter  als 
die  übrigen.  Die  Differenz  ist  dadurch  entstanden,  dass  die  Gurt- 
bögen für  erstere  von  den  Kanten  der  Hauptpfeiler  ausgehen,  ja  sogar 
etwas  gegen  diese  zurückspringen,  während  jene  der  letzteren  auf 
vorgesetzten  Säulen  ruhen. 

Die  wichtigste  Eigentümlichkeit  des  Planes  besteht  in  der  Bil- 
dung der  Pfeiler  und  in  der  hierdurch  gegebenen  Raumgliederung. 
Es  sind  nämlich  nicht  kompakte  Massen,  sondern  Gruppen  von  Pfeilern, 
die  durch  Bögen  verbunden  sind.  Die  gegenseitigen  Abstände  der 
zu  einer  Gruppe  vereinigten  Pfeiler  sind  nahezu  gleich  der  halben 
Spannweite  der  Kuppeln.  Der  zwischen  ihnen  gelegene  Raum  ist 
mit  einer  kleinen  Kuppel  überwölbt.  Die  Anordnung  wiederholt  sich 
in  zwei  Geschossen.  Nun  sind  die  oberen  Binnenräume  der  Pfeiler 
gegenseitig  durch  schmale,  auf  Säulen  ruhende  Laufgänge  verbunden 
und  es  entstehen  auf  diese  Weise  scheinbare  Seitenschiffe,  scheinbar 
insofern,  als  sie  des  eigenen  Abschlusses  nach  oben  ermangeln.  Das 
Motiv  kommt  schon  in  römischen  Thermensälen  vor  und  wird  von 
der  byzantinischen  Baukunst  beibehalten.  Byzantinisch  ist  auch  die 
der  Eingangsseite  vorgelagerte,  hier  aber  auch  die  Nordseite  entlang 
geführte  Vorhalle  (Narthex),  wie  die  Chorgestaltung  mit  drei  Apsiden. 

Der  Aufbau  gestaltet  sich  in  seinen  Grundzügen  sehr  einfach. 
Die  gegenüberliegenden  Pfeiler  sind  durch  Tonnengewölbe  verbunden, 
welche  als  Gurtbogen  für  die  Aufnahme  der  Hängezwickel  und  weiter- 
hin der  an  ihrem  Fusse  in  byzantischer  Weise  von  Fenstern  durch- 
brochenen Kuppeln  dienen  (Taf.  103,  Fig.  1).  Im  Chor  und  Quer- 
schiff ist  die  Ausbildung  etwas  reicher,  es  sind  hier  Säulen  den  Pfeilern 
vorgesetzt  zur  Aufnahme  der  Gurtbögen  l).    Dieses  einfache  System 

')  Dieses  Motiv  findet  sich  wieder  in  der  Kathedrale  von  Le  Puy,  sowie  in  der 
kleinen  Kirche  von  Germigny-des-Pres. 


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334 


Zweites  Buch  .  Der  romanische  Stil. 


ist  nun  in  seinen  unteren  Teilen  mit  farbigem  Marmor,  in  den  oberen 
mit  Mosaiken  aufe  reichste  geschmückt.  Dazu  kommen  reiche  mit 
Statuen  gekrönte  Chorschranken  und  eine  verschwenderische  Aus- 
stattung mit  Kanzeln,  Tabernakeln,  Lampen  u.  s.  w.  Diese  dekorative 
Ausstattung  ist  für  den  künstlerischen  Eindruck  des  Gebäudes  be- 
stimmend geworden.  Licht  und  Farbe  herrschen  über  die  Form  und 
an  malerischem  Reiz  wird  dieser  Innenraum  immer  das  Höchste  bleiben, 
was  je  zustandegekommen  ist.  Nach  der  erschöpfenden  Würdigung  durch 
Jakob  Burckhardt  (im  »Cicerone«)  bleibt  uns  nichts  mehr  zu  sagen. 

War  eine  derartige  Wirkung  schon  in  der  Absicht  der  Erbauer 
gelegen?  Wir  wissen  es  nicht.  Die  Ausstattung  der  Kirche  ist  das 
allmähliche  Werk  der  Jahrhunderte  und  im  Aeusseren  wenigstens  war 
sie  ursprünglich  viel  einfacher.  Das  Innere  aber  dürfte  doch,  gleich 
anderen  byzantinischen  Bauten,  von  Anfang  an  auf  Marmor-  und  Mosaik- 
schmuck berechnet  gewesen  sein. 

Die  Geschichte  des  Baues  ist  keineswegs  ganz  aufgeklärt.  Eine 
vermutlich  im  saec.  IX  (a.  828  waren  die  Reliquien  des  hl.  Marcus 
nach  Venedig  gebracht  worden)  erbaute  Kirche  brannte  im  Jahr  976 
ab.  Der  hierauf  vom  Dogen  Orseolo  begonnene  Neubau  ist  jedoch 
nicht,  wie  man  bis  vor  kurzem  annahm,  mit  der  heutigen  Markuskirche 
identisch,  vielmehr  sind  nur  einzelne  Teile  von  ihm  (im  untenstehen- 
den Grundriss  schwarz  angelegt)  in  den  Umbau  des  folgenden  Jahr- 
hunderts aufgenommen.  Es  war  ein  dreischiffiger  Langbau  ohne  Quer- 
schiff,  unseres  Erachtens  indes  nicht,  wie  jetzt  behauptet  wird,  eine 
flachgedeckte  Basilika,  für  die  Form  und  Mauermasse  des  Ostbaues 
gar  nicht  passen,  sondern  ein  Gewölbebau,  etwa  nach  dem  Typus  der 
Irenenkirche  in  Konstantinopel.  Der  Umbau  nach  dem  Plane  des, 
übrigens  nicht  ganz  rein  durchgebildeten,  griechischen  Kreuzes  wurde 
um  1043  unter  dem  Dogen  Domenico  Contarini  begonnen;  dessen  Nach- 
folger Domenico  Selvo  (1071  — 1084)  verkleidete  die  Mauern  im  Inneren 
mit  griechischem  Marmor,  und  a.  1085  fand  die  Weihe  statt.  Das 
Aeussere  war  ein  massiger  Backsteinbau,  in  seiner  Gesamtanlage  byzan- 
tinisch, im  einzelnen  den  gleichzeitigen  Bauten  der  Lombardei  verwandt. 
Der  glänzende  Säulenschmuck  und  die  Marmorverkleidung  wurde  im 
Laufe  des  saec.  XII  unter  den  Dogen  Michiel,  Morosini  und  Enrico  Dan- 
dolo  zugefügt  (Boito,  Architettura  del  medio  evo  in  Italia  S.  310,  311). 

2.  Die  aquitanischen  Kuppelkirchen. 

Ihr  Stammgebiet,  in  welchem  sie  eine  geschlossene  Gruppe  bilden 
und  während  der  Blütezeit  des  romanischen  Stils  alle  anderen  Bau- 


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Siebentes  Kapitel :  Kuppelkirchen. 


335 


formen  zurückdrängen,  umfasst  die  Landschaften  PeVigord,  Angoumois 
und  Saintonge.  Ausserdem  nur  vereinzelte  Ausläufer:  nach  Norden 
Fontevrault,  nach  Osten  Solignac,  nach  Süden  Cahors  und  Agen. 
Unter  nordfranzösischem  (normannischem)  Einfluss  entwickelt  sich,  vor- 
nehmlich in  Anjou  und  Poitou  heimisch,  aus  der  Kuppel  die  eigen- 
tümliche Form  des  kuppeiförmigen  Kreuzgewölbes;  die  allgemeine 
Gestaltung  bleibt  dieselbe  wie  bei  den  eigentlichen  Kuppelkirchen, 
weshalb  wir  beide  Gruppen  gemeinsam  betrachten. 

Der  GRUNDRISS.  In  den  Gegenden,  in  welchen  die  Kuppel- 
kirchen  zu  Hause  sind,  kommt  vor  und  neben  ihnen  eine  zweite  Form 
vor,  der  einschiffige  Saal  mit  tonnengewölbter  Decke.  Es  ist  eine 
bemerkenswerte  Thatsache,  dass  beide  Typen  sich  nur  in  der  Art 
ihrer  Wölbung  unterscheiden,  während  sie  in  ihrer  formalen  Behand- 
lung, in  der  Fassadengestaltung  und  im  Grundplan  übereinstimmen; 
in  betreff  des  letzteren  natürlich  mit  dem  Unterschiede,  dass  das  Ver- 
hältnis der  Breite  zur  Länge  bei  den  tonnengewölbten  Kirchen  ein 
beliebiges,  bei  den  Kuppelkirchen  ein  an  die  Einteilung  in  Quadrate 
gebundenes  ist.  Vorwiegend  sind  es  lateinisch  kreuzförmige  Pläne 
mit  breit  ausladendem  Querschiff,  einer  Hauptapsis  und  zwei  Neben- 
apsiden, erstere  nicht  selten  mit  kleinen  Apsidiolen  umgeben.  Mit 
den  Grundrissen  auf  Taf.  101  vergleiche  man  Taf.  94  Fig.  1 — 7.  Am 
klarsten  ausgeprägt  ist  der  Typus  in  Solignac  und  Souillac,  weniger 
klar  in  Angou lerne,  wo  die  Kreuzarme  von  hohen  Türmen  überbaut 
sind.  S.  Maurice  zu  Angers  (Taf.  101)  ist  rein  kreuzförmig  ohne 
Nebenapsiden.  Diese  sind  vorhanden  an  S.  Caprais  zu  Agen 
(Taf.  10 1),  wo  indes  die  Kreuzarme  nur  wenig  über  die  Breite  des 
Schiffes  vortreten.  Fontevrault  hat  eine  von  den  übrigen  abweichende 
Choranlage,  ist  überhaupt  keine  einheitliche  Anlage.  Die  Durch- 
brechung der  Vierungspfeiler  im  unteren  Teil  kommt  zwar  mehrfach 
vor  —  Sainte  Radegonde  zu  Poitiers,  Ste.  Trinite  zu  Angers, 
St.  Ours  zu  Loches  (Taf.  102),  Fontevrault,  Puype>oux  und 
Saumur  (Taf. 94)  —  weist  aber  in  allen  Fällen  auf  Mutation.  —  Neben 
der  ausgeprägten  Kreuzform  finden  wir  Bauten,  bei  welchen  dieselbe 
nur  angedeutet  ist  —  St.  Avit  S^nieur,  Le  vieux  Mareuil  —  und 
endlich  solche  ohne  Querschiff  —  S.  Etienne  in  Pe'rigueux,  Cahors 
(Taf.  100),  Roullet  und  Gensac  (Taf.  ioi),  Ste.  Trinitd  zu  Angers 
und  Ste.  Radegonde  zu  Poitiers  (Taf.  102).  In  Tremolac  ist  die 
Choranlage  jünger.    Endlich  kommt,  hinsichtlich  der  Grundrissanlage 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


ausser  der  Reihe  stehend,  das  griechische  Kreuz  vor  an  S.  Front 
zu  Perigueux  (Taf.  100),  und  die  mehrschiffige  Anlage  an  dem 
eigentümlich  weiträumigen,  gegen  Westen  sich  erweiternden  Grund- 
riss  der  Kathedrale  zu  Poitiers  (Taf.  102). 

DER  AUFBAU.  Das  System  des  Aufbaues  ist  in  seinen  Grund- 
zügen stets  das  gleiche.  Jedes  von  einer  Kuppel  überdeckte  Quadrat 
wird  von  vier  kräftigen  Bögen  begrenzt,  welche  auf  entsprechend  starken 
Pfeilern  ruhen.  Diese  Bögen  bilden  das  struktive  Gerüste.  Sie  sind 
indes,  auch  wenn  sie  durch  Archivolten  als  ein  besonderer  Architektur- 
teil charakterisirt  sind ,  fast  immer  von  ihrer  Kante  an  in  die  Fläche 
der  Hängezwickel  übergeführt  (Taf  100 — 107).  Letztere  sind  oft  sehr 
unregelmässig  gestaltet  und  ergeben  keineswegs  immer  einen  kreis- 
förmigen Kranz  als  Auflager  der  Kuppel.  Es  hängt  diese  Unregel- 
mässigkeit mit  der  Konstruktionsweise  zusammen ;  sie  sind  nicht  selten 
bloss  ausgekragt,  statt  in  konvergierenden  Lagerfugen  ausgeführt.  Die 
Kuppel  springt  gegen  die  Hängezwickel  zurück,  zuweilen  so  weit,  dass 
man  auf  dem  Kranze  herumgehen  kann  (in  Souillac,  wo  das  Gesimse 
auf  Konsolen  ruht,  beträgt  der  Rücksprung  von  der  Gesimskante  fast 
1  m).  Der  Zweck  dieses  Rücksprunges  ist  der  eines  Auflagers  für 
die  Einrüstung,  auf  welcher  die  Kuppel  ausgeführt  wurde. 

Die  seitlichen  Umfassungsmauern  sind  in  ihrem  unteren  Teile 
durch  eine  auf  Pfeilern  oder  Säulen  ruhende  Blindbogenstellung  belebt, 
welche  einen  schmalen,  die  Pfeiler  durchbrechenden  Laufgang  trägt. 
Wenige  aber  mächtige  Fenster,  in  Gruppen  von  zwei  oder  drei  unter 
den  Schildbögen  angeordnet,  fuhren  dem  Inneren  ein  reichliches  und 
schön  verteiltes  Licht  zu,  wie  es  bei  keinem  anderen  System  auch 
nur  annähernd  erreicht  wird. 

Dieses  System  nun  bleibt  stets  das  gleiche,  keineswegs  aber  der 
mittels  desselben  hervorgerufene  Eindruck.  Die  hohe  Einfachheit 
und  Eindringlichkeit  der  beherrschenden  Hauptlinien  gestattet  durch 
Veränderung  der  Abmessungen  und  Verschiebung  der  Verhältnisse, 
selbst  dann  schon,  wenn  diese  nur  eine  mässige  ist,  höchst  mannig- 
faltige Modulation  des  Grundcharakters.  Als  Beispiele  die  folgenden 
Verhältniszahlen  zwischen  der  Kämpferhöhe  der  grossen  Bögen  und 
ihrer  Spannweite:  in  S.  Ktienne  zu  PeVigueux  1  :  1,75,  in  Solignac 
i:i,66,  in  Cahors  1:1,55,  in  Angoulcme  1:1,13,  m  Souillac  1:1,05, 
in  S.  Front  1  :  0,89. 

S.  JvriENNE  (alte  Kathedrale)  zu  Perigueux  (Taf.  100,  104),  ist 
nur  ein  Fragment.    Den  ursprünglichen  Grundriss  hat  man  sich  viel- 


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Siebentes  Kapitel:  Kuppelkirchen. 


337 


leicht  zu  denken,  wie  den  von  Cahors.  Vom  älteren  Bau  besteht  das 
westliche  Quadrat,  an  das  sich  ehemals  ein  Turm  anschloss.  Der  Ost- 
bau ist  in  der  zweiten  Hälfte  des  saec.  ia  durch  ein  zweites,  etwas 
grösseres,  ohne  Apsis  platt  schliessendes  Quadrat  ersetzt.  Die  Dimen- 
sionen bedeutend,  die  Wirkung  nicht  eben  harmonisch.  —  Abteikirche 
Solignac  unfern  Limoges  (Taf.  101,  105).  Trotz  später  Erbauung 
(a.  1 143  geweiht)  in  der  ganzen  Erscheinung  hoch  altertümlich.  Die 
Proportionen  identisch  mit  S.  F.tienne,  die  Dimensionen  geringer,  doch 
immer  noch  bedeutend  (Spannung  der  Kuppeln  10,90  m).  Infolge 
der  niedrigen  Pfeiler  erscheint  der  Raum  merkwürdig  in  die  Breite 
gedrängt;  schwerfallige  Grossartigkeit  wohnt  in  ihm;  es  ist,  als  ob  der 
urweltliche  Charakter  des  Granits,  aus  dem  das  Gebäude  in  mächtigen 
Blöcken  aufgeschichtet  ist,  als  Grundton  in  die  künstlerische  Stimmung 
übergegangen  sei.  —  Auf  fast  identischem  Grundplan,  jedoch  mit 
schlankerem  System,  Spitzbogen  auch  schon  in  der  Blendarkatur,  ist 
die  Abteikirche  zu  Souili.ac  (Taf.  104)  errichtet;  der  Eindruck  nicht 
mehr  wie  dort  einer  ungeheuren,  aber  gebundenen,  sondern  einer  frei- 
gewordenen, wenn  auch  in  strenger  Gemessenheit  wirkenden  Kraft.  — 
Höchst  merkwürdig  muss  die  (von  uns  nicht  besuchte,  vielfach  ent- 
stellte) Kathedrale  von  Cahors  (Taf.  104)  wirken;  nur  zwei  Kuppeln, 
diese  aber  mit  einer  Spannung  von  16  m.  —  Alle  übertrifft  S.  Front 
zu  PGrigueux  (Taf.  105,  115).  Es  gibt  auf  der  Welt  keinen  architek- 
tonischen Kaum,  der  diesem  an  abstrakter  Schönheit  gleichkäme.  Selbst 
im  Pantheon  des  Agrippa  ist  die  Dekoration  der  Wand-  und  Kuppel- 
nache  nicht  gleichgültig  für  die  beabsichtigte  Wirkung.  Hier  aber 
ist  absolute  Architektur  verzichtend  auf  jegliche  Mitwirkung  der  de- 
korativen Künste.  Ein  paar  unscheinbare  Pilasterkapitelle ,  das  Not- 
wendigste an  Gesimsen  zur  Auszeichnung  der  Kämpferlinien  —  das 
ist  das  ganze  Detail ;  auch  auf  Mitwirkung  der  Malerei  war  wohl  nie 
gerechnet.  Der  Erbauer  hat  sich  allein  auf  seine  Raumkunst  verlassen, 
auf  die  sich  selbst  genügende  Harmonie  reingestimmter  Verhältnisse. 
Man  kann  lange  in  diesem  unvergleichlichen  Räume  verweilen ,  ohne 
seiner  gänzlichen  Schmucklosigkeit  überhaupt  nur  bewusst  zu  werden ; 
als  Armut  empfindet  man  sie  nie,  nur  als  Notwendigkeit.  Diese  herbe 
Idealität  der  Kunstgesinnung  versetzt  in  um  so  höheres  Staunen,  als 
sie  mitten  aus  einer  sinnlich  naiven,  am  bunten  Schein  und  Schimmer, 
an  schrauckreicher  Mannigfaltigkeit  vor  allem  sich  freuenden  Zeit  zu 
ihrer  einsamen  Höhe  emporgestiegen  ist.  Der  unbekannte  Meister  von 
S.  Front  hat  auf  dem  weiten  Gebiete  der  Baukunst  nur  einen  eben- 
bürtigen Gesinnungsgenossen :  den  grossen  Bramante.  Auch  ihm  er- 
scheint die  architektonische  Idee  in  solcher  Reinheit,  dass  aller  Schmuck 
zu  müssigem  Beiwerk  wird  und  nur  so  viel  von  Kunstformen  zur  Ver- 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


wendung  kommt,  als  zum  irdischen  Kleide  der  Idee  unumgänglich 
nötig  ist.  —  S.  Front  ist  im  Unterschiede  zu  allen  andern  aquitanischen 
Kuppelkirchen  über  dem  griechischen  Kreuz  erbaut;  ob  dies  die  urprüng- 
liche  Idee  sei,  ist  nicht  sicher;  jedenfalls  ist  der  Bau  trotzdem  kein 
Zentralbau  im  eminenten  Sinne,  wir  meinen  das  nicht  so  sehr  wegen 
der  Verlängerung  des  Altarhauses,  als  weil  die  Zentralkuppel  eines 
höheren  Accentes  entbehrt,  den  Kuppeln  der  vier  Kreuzarme  gleich- 
wertig behandelt  ist.    Abweichend  ferner  von  allen  übrigen  Kirchen 
des  gleichen  Systems  ist  die  Querschnittsproportion ;  in  S.  Front  allein 
ist  das  Maass  der  Kämpferhöhe  grösser  als  das  der  Spannung,  und 
wird  der  Breitbau  also  zum  Hochbau.    Es  ist  nicht  zu  sagen,  einen 
wie  andern  Ausdruck  die  Kuppeln  damit  gewinnen,  wie  leicht,  wie 
schwebend  sie  wirken.    Abweichend  sind  endlich  auch  Gestalt  umi 
Maass  der  Pfeiler.    Die  Fenster  stehen  relativ  höher  als  irgendwo 
sonst;  eine  herrlich  abgewogene  Fülle  des  Lichtes  dringt  durch  sie  ein; 
aber  keine  prosaische  Tageshelle,  kein  träumerisches  Halbdunkel,  kein 
malerisches  Spiel  mit  Kontrasten,  sondern  gerade  so  viel  und  so  wenig, 
als  die  Raumwirkung  zu  ihrer  Unterstützung  bedarf.  Selbst  wenn  abends 
beim  Lichte  der  Lampen  die  Dimensionen  ins  Unermessliche  sich  aus- 
zuweiten scheinen,  trennen  sich  die  Massen  noch  ruhig  und  bestimmt 
wie  am  Tage.  Es  giebt  Kunstwerke,  deren  Wesen  kein  Bild,  geschweige 
denn  das  Wort  wiederzugeben  vermag.    Zu  diesen  gehört  S.  Front. 

Was  wir  an  S.  Front  als  weise  Mässigung  bewundern ,  erscheint 
an  anderen  perigordinischen  Bauten  als  Dürftigkeit.  Dieses  Gefühl 
müssen  auch  die  Erbauer  der  Kathedrale  von  Angoulemk  (Taf.  107 
gehabt  haben,  als  sie  in  richtiger  Einsicht  von  dem  einfachen  System 
des  westlichen  Joches  in  den  folgenden  zu  reicherer  architektonischer 
Behandlung  übergingen  und  den  Pfeilern,  wie  den  Pilastern  der  Um- 
fassungsmauern Säulen  vorlegten.  Die  starke  Hereinziehung  der  Pfeiler 
giebt  eine  äusserst  bestimmte  Gliederung  des  Raumes,  schmale  Tonnen 
schliessen  sich  den  Schildbögen  an,  ein  römisches  Motiv,  wie  denn  die 
ganze  Raumbehandlung  und  die  Gliederung  des  Schiffes  in  drei  grosse 
Abschnitte  eine  auffallende  Aehnlichkeit  mit  römischen  Thermensälen 
(S.  Maria  degli  Angeli)  hat.  Ausserordentlich  malerisch  ist  der  Blick 
in  die  den  Unterbau  der  Türme  bildenden  Kreuzarme.  Eine  intere^ 
sante  Besonderheit  gewährt  die  prachtvoll  durchgebildete  Vierungskuppel 
auf  reichlich  lichtbringendem  Tambour;  wohl  ein  späterer  Baugedanke. 
Der  Chor  anscheinend  fast  ganz,  aber  mit  Geschick  erneuert. 

Ausser  den  bisher  aufgeführten  Kathedral  und  Abteikirchen  grossen 
Maassstabes  giebt  es  noch  eine  ansehnliche  Zahl  kleinerer  Priorats-, 
Archipresbyteriats-  und  selbst  Parochialkirchen  mit  vollständig  durch 
geführten  Kuppelsystemen.    De  Verneilh  hat  im  Pdrigord  ihrer  15 


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Siebentes  Kapitel  Kuppelkirchen. 


339 


beschrieben,  glaubt  aber,  dass  die  Zahl  der  noch  vorhandenen  leicht 
30  erreichen  werde;  im  Angoumois  und  Saintonge  13;  int  Borde- 
lais nur  1.  Sie  schliessen  sich  in  der  allgemeinen  Anlage  den  tonnen- 
gewölbten einschiffigen  Sälen  an  und  haben  dieselben  speziell  im  Plri- 
gord  vollständig  verdrängt.  Die  Grundrisse  sind  in  die  Länge  gezogen, 
meist  ohne  Querschiff,  oft  mit  platt  schliessendem  Altarhaus;  die  Quer- 
schnitte im  Gegensatz  zu  den  grossen  Kirchen  gedrängt  (vgl.  z.  B. 
Taf.  106,  Fig.  2,  4).  In  der  perigordinischen  Schule  wird  die  schlichte 
Behandlungsweise  auch  auf  diese  kleineren  Bauten  übertragen,  wo  sie 
aber  nicht  mehr  als  grandiose  Strenge,  sondern  trocken  und  ärmlich 
wirkt.  Mehr  zu  loben  ist  die  in  der  Einflusssphäre  von  Angouleme 
erwachsene  gegliedertere  und  geschmücktere  Art.  In  den  Kirchen  von 
Roullet,  Gensac,  Bourg-Charente  haben  wir  äusserst  anziehende 
Beispiele  davon  kennen  gelernt.  Zu  den  wichtigeren  gehören  ferner: 
die  Kathedrale  von  Saintes  (sehr  verbaut),  S.  Liguaire  in  Cognac, 
die  Abteikirchen  von  Chastres  und  Pdyrat. 

S.  Caprais  in  Agen  (Taf.  102,  110)  schliesst  sich  im  Plane  des 
Ostbaues  an  die  Kathedrale  von  Angouleme  an,  mit  Weglassung  der 
Türme  und  Vervollkommnung  der  Chorpartie;  die  Vierungskuppel  ist 
wohl  nie  ausgeführt  worden;  an  ihre  Stelle  trat  ein  Kreuzgewölbe; 
das  Langhaus  gotisch.  Die  Raumwirkung,  namentlich  in  der  Apsis 
milde  Grossartigkeit  atmend,  lässt  noch  immer  erkennen,  dass  das 
Werk,  wenn  nach  dem  ersten  Plane  vollendet,  zum  edelsten  und  reich- 
sten der  ganzen  Gattung  gehört  haben  würde. 

Eine  fast  wörtliche  Abschrift  der  Kathedrale  von  Angoul&me  zeigt 
die  Abteikirche  von  Fontevrault  (Taf.  101,  106). 

Es  ist  uns  zweckmässig  erschienen,  bei  Betrachtung  der  aqitita- 
nischen  Kuppelkirchen  die  formale  und  die  geschichtliche  Frage  von- 
einander zu  trennen.  Denn  mit  der  letzteren  betreten  wir  ein  kontro- 
verses Gebiet. 

Felix  de  Verneilh,  der  auf  den  Titel  eines  Entdeckers  dieses  hoch- 
wichtigen Gebietes  der  Architekturgeschichte  gerechten  Anspruch  hat. 
glaubte  allerdings  auch  schon  dessen  geschichtliche  Stellung  mit  Sicher- 
heit umschreiben  zu  können.  Seine  in  dem  Buche  »L'Architecture 
byzantine  en  France,  Paris  1S5K,  vorgetragene  Lehre  ist  diese:  Die 
aquitanischen  Kuppelkirchen  sind  ihrem  Stil  und  Ursprung  nach  byzan- 
tinisch; ihrer  aller  Mutter  ist  S.  Front  in  Pe"rigueux,  erbaut  984  bis 
1047,  und  diese  wieder  ist  die  Tochter  von  S.  Marco  in  Venedig. 
Zwar  wurden  unmittelbar  nach  Veröffentlichung  dieser  Aufsehen  machen- 
den Thesen  starke  Einwendungen  gegen  sie  erhoben :  von  L.  Vitet  im 
Journal  des  Savants  1853  und  von  D.  Ramdc  im  Text  zu  Gailhabauds 
Denkmälern,  welchen  sich  Kugler  und  Schnaase  in  Deutschland  an- 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


schlössen.  In  der  französischen  Archäologie  indes  behielten  de  Ver- 
neilhs  Sätze  sozusagen  offizielle  Geltung.  Erst  ganz  neuerdings  hat 
man  wieder  gewagt,  an  ihnen  zu  rütteln ;  so  A.  Rame*  im  Bulletin  du 
comitt  des  travaux  historiques  1882,  p.  100  f.,  und  A.  Saint-Paul,  Histoire 
monumentale  de  la  France  1883.  Im  allgemeinen  auf  obige  für  uns 
durchaus  überzeugenden  Widerlegungen  verweisend,  brauchen  wir  nur 
das  Nötigste  herauszuheben. 

Wir  fragen  zuerst:  Was  ist  an  diesen  Bauten  byzantinisch? 

Zwei  Grundrisstypen  haben  wir  unter  den  aquitanischen  Kuppel- 
kirchen als  allgemeiner  verbreitet  kennen  gelernt,  einen  lateinisch  kreuz- 
förmigen und  einen  rein  longitudinalen,  querschififlosen.  Ersterer  ist 
der  im  südlichen  und  westlichen  Frankreich  allgemein  verbreitete,  und 
es  unterscheiden  sich  die  Kuppelkirchen  nur  darin  von  den  tonnen- 
gewölbten, dass  sie  stärkere  Hauptpfeiler  haben,  ein  Umstand,  der,  ein- 
fach durch  eine  konstruktive  Notwendigkeit  bedingt,  für  die  Stilfrage 
nicht  in  Betracht  kommt.  Der  zweite,  wie  es  scheint  ältere,  Typus 
kommt  allerdings  in  ähnlicher  Gestalt  an  byzantinischen  Bauten  vor 
(Irenenkirche  in  Konstantinopel),  ist  aber  so  einfach,  dass  diese  Aehn- 
lichkeit  nicht  viel  besagt.  Mithin  bleibt  nur  ein  einziger  Bau  —  S.  Front 
—  übrig,  der  um  seines  Grundplanes  willen  —  vorausgesetzt  immer, 
dass  das  griechische  Kreuz  hier  wirklich  ursprünglicher  Baugedanke  ist, 
was  nicht  feststeht  —  als  byzantinisch  bezeichnet  werden  könnte :  alle 
übrigen  sind  romanisch.  —  Aehnlich  verhält  es  sich  mit  dem  System 
des  Aufbaues.  Das  Gewölbesystem  (Kuppel  auf  Hängezwickeln)  ist 
allerdings  byzantinisch,  aber  nur  in  der  Form,  nicht  in  der  Konstruktion, 
die  sich  von  der  byzantinischen  wesentlich  unterscheidet.  Die  byzan- 
tinischen Hängezwickel  sind  stets  mit  konvergierenden  Fugen  als  Teile 
von  Kuppelflächen  gewölbt;  die  perigordinischen  sind  anfangs  nichts 
als  Auskragungen  mit  horizontalen  Lagerfugen.  Die  byzantinische 
Kunst  behält  bis  in  die  letzte  Zeit  den  Rundbogen  bei;  hier  herrscht 
von  Anfang  an  der  Spitzbogen.  Ferner  das  System  der  Mauergliederung 
unterscheidet  sich  nur  insoweit  von  dem  der  Tonnenkirchen ,  als  dies 
durch  die  andere  Bildung  der  Hauptpfeiler  und  das  Vorhandensein 
von  hohen  Schildbögen  bedingt  ist.  Es  liegt  jedenfalls  näher,  die 
Blendarkaden  am  unteren  Theile  der  Schildmauern  mit  dem  System 
der  tonnengewölbten  Kirchen  in  Zusammenhang  zu  denken,  als  in  ihnen 
ein  an  die  Mauer  geklebtes  Abbild  der  Säulenstellungen  von  S.  Marco 
oder  anderer  byzantinischen  Bauten  zu  erblicken.  Noch  enger  schliessen 
sich  die  Fassaden,  wo  solche  vorhanden,  den  romanischen  Fassaden 
des  Landes  an,  und  die  Einzelformen  zeigen  kaum  einen  Anklang  an 
byzantinische  Weise. 

Die  aquitanischen  Kuppelbauten  setzen  also  nicht  mehr  als  eine 
ganz  allgemeine  Kenntnis  der  byzantinischen  Kunst  voraus,  und  es 


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Siebentes  Kapitel:  Kuppelkirchen. 


34» 


stehen  dieser  manche  andere  französische  Bauten,  wie  die  ältesten  Teile 
der  Kathedrale  von  Le  Puy  oder  das  Kirchlein  von  Germigny,  weit 
näher.  Alle  zusammen  weisen  wohl  darauf  hin,  dass  in  diesen  Ländern 
in  frühromanischer  Zeit  ein  grösserer  byzantinischer  Einfluss,  wie  er 
auch  in  den  Zierformen  zu  erkennen  ist,  stattgefunden  hat.  Derselbe 
ist  indes  keineswegs  so  wichtig,  dass  wir  gezwungen  wären,  eine 
direkte  Uebermittelung  durch  griechische  Werkleute  oder  auch  (wie 
wohl  geschehen)  durch  Studienreisen  französischer  Meister  anzunehmen. 
Man  hat  auf  die  Handelsbeziehungen  zum  Orient  und  auf  das  venetia- 
nische  Emporium  zu  Limoges  hingewiesen.  Mit  Recht  insofern,  als 
sie  einen  Verkehr  zwischen  beiden  Ländern  beweisen,  mit  Unrecht, 
wenn  man  direkte  künstlerische  Beziehungen  daraus  abgeleitet  hat. 
Wichtiger  scheinen  uns  die  Pilgerfahrten,  welche  gerade  im  11.  Jahr- 
hundert die  grösste  Ausdehnung  annahmen,  und  vollends  die  aus  dem 
Kreuzzug  sich  ergebenden  Berührungen.  Orientalische  Kirchen  wurden 
besucht,  ihr  Bild  im  ganzen  blieb  im  Gedächtnis,  auf  ihr  Herstellungs- 
verfahren gab  man  wenig  acht.  Pilger  kamen  freilich  aus  ganz  Europa 
nach  dem  Orient,  —  warum  haben  die  Kuppeln  gerade  in  Aquitanien 
Aufnahme  gefunden  und  anderwärts  nicht? 

Fragen  dieser  Art  sind  immer  einigermassen  müssig.  Doch  wird 
manches  erklärt,  wenn  wir  antworten :  erstens,  weil  die  Fragen  des  Ge- 
wölbebaues Leuten  aus  Südfrankreich  überhaupt  näher  lagen  als  sonst 
irgend  welchen  Occidentalen ;  zweitens,  weil  hier  einschiffige  Anlagen, 
früher  flachgedeckte,  später  tonnengewölbte  durchaus  zur  Gewohnheit 
gehörten.  Für  grossräumige  Kirchen  dieser  Art  brachte  das  Tonnen- 
gewölbe aber  Unzuträglichkeiten  mit  sich.  Desgleichen  das  Kreuz- 
gewölbe, solange  es  nicht  als  Rippengewölbe  eine  höhere  technische 
Vollendung  erreicht  hatte.  Ueberdies  war  es  in  jenen  Gegenden  eine 
ebenso  fremdartige  Form  wie  die  Kuppel.  Diese  aber  war  gerade  zur 
Ueberdeckung  grosser  einschiffiger  Räume  eine  technisch  und  archi- 
tektonisch voll  befriedigende  Gewölbeform. 

Man  sieht,  es  ist  gar  nicht  nötig,  die  Vermittelung  durch  ein  spe- 
zielles einzelnes  Bauwerk  vorauszusetzen,  um  die  Aufnahme  der  Kuppel 
in  die  aquitanische  Architektur  begreiflich  zu  finden.  Die  von  de  Ver- 
neilh  behauptete  Einwirkung  von  S.  Marco  auf  S.  Front  hätte  nur  dann 
Bedeutung  für  die  Familie  der  Kuppelkirchen  im  ganzen,  wenn  auch 
die  zweite  Behauptung,  nämlich  dass  S.  Front  deren  Prototyp  sei,  fest- 
stünde. Nun  befand  sich  de  Verneilh  noch  in  dem  Irrtum,  S.  Marco 
in  seiner  gegenwärtigen  Kreuzesgestalt  für  ein  Werk  des  saec.  10  zu 
halten;  jetzt  wissen  wir,  durch  die  Forschungen  von  Selvatico  und 
Boito,  dass  die  Markuskirche  von  a.  976  ein  dreischiffiger  Langbau 
war  und  erst  nach  der  Mitte  des  saec.  1 1  kreuzförmig  umgebaut  wurde, 


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Zweites  iluch:  Der  romanische  Stil. 


und  damit  fällt  die  geschichtliche  Konstruktion  de  Verneilhs  in  sich 
zusammen.  Lassen  wir  S.  Front  einstweilen  ganz  aus  dem  Spiel  und 
halten  uns  an  die  sicher  datirten  Werke. 

Die  Kathedrale  von  Angoulöme  wurde  von  Bischof  Gudrard  de  Blaye 
(i  ioi  —  112g)  »a  primo  lapidec  neu  erbaut ;  seiner  Zeit  gehört  sicher  das 
erste  Joch  vom  Westen  an,  wieviel  von  den  folgenden  lassen  wir  dahin 
gestellt  sein.  Diesem  ältesten  Joch  nahe  verwandt  ist  das  System  der 
Kathedrale  von  Cahors,  geweiht  a.  11 19;  ferner  das  von  S.  Avit-Sdnieur, 
wo  laut  Inschrift  a.  1 1 1 7  die  Konsekration  eines  Altars  stattfand ;  end- 
lich der  ältere  Teil  von  S.  Etienne  in  Perigueux,  der  unter  allen  aqui- 
tanischen  Kuppelkirchen  den  altertümlichsten  Eindruck  macht ,  aber 
eben  wegen  der  genannten  Aehnlichkeit  sehr  weit  über  das  Jahr  1 100 
nicht  zurückgesetzt  werden  darf.  Die  Abteikirche  von  Solignac  wurde 
erst  a.  1143  geweiht,  ist  aber  gewiss  bedeutend  früher  begonnen,  doch 
auch  nicht  früher  als  im  Anfang  des  Jahrhunderts,  wohin  das  Ornament 
der  Konsolen  in  der  Blendarkatur  hinweist. 

Wie  steht  es  nun  mit  S.  Front?  Ein  Blick  auf  den  Grundriss 
(Taf.  110)  lehrt,  dass  unter  diesem  Namen  zwei  völlig  verschiedene 
Bauwerke  zusammengefasst  werden:  der  grosse  Zentralbau  und,  an 
diesen  westlich  anstossend,  die  Reste  einer  älteren,  stark  verbauten 
dreischifiigen  Kirche.  Von  Baunachrichten  haben  wir  zuerst  diese :  >Hic 
episcopus  (Froterius  a.  976—991)  magnum  monasterium  S.  Fr.  aedi- 
ncare  coepit.c  Nach  de  Verneilh  »infiniment  probable c  der  Baubeginn 
des  gegenwärtig  bestehenden  Kuppelbaues!  Diese  Zeitstellung  ist  aus 
hundert  Gründen ,  die  wir  nicht  zu  wiederholen  brauchen ,  ein  Ding 
der  Unmöglichkeit.  Der  Bau  des  Froterius  ist  vielmehr  die  alte  drei- 
schiffige  Kirche,  die  de  Verneilh  mit  nicht  stichhaltigen  Gründen  ins 
6.  Jahrhundert  hinaufrücken  wollte.  Doch  müssen  auch  mit  dieser 
mehrmals  Veränderungen  vorgenommen  sein,  weil  zu  a.  1047  und 
wieder  zu  1077  Weiheakte  verzeichnet  werden  Der  Grundriss  scheint 
wegen  der  geringen  Breite  des  Mittelschiffs  auf  eine  tonnengewölbte 
Hallenkirche  hinzudeuten ;  in  den  Seitenschiffen  sind  in  der  That  noch 
quergestellte  Tonnen  erhalten ;  dagegen  muss  das  Mittelschiff  mindestens 
zu  A.  saec.  12,  zufolge  der  gleich  zu  erwähnenden  Notiz,  doch  eine 
Holzdecke  gehabt  haben.  A.  1122  ein  zweifach  bezeugter  Brand: 
>. . .  atque  signa  in  clocario  igne  soluta  sunt  Erat  tunc  temporis  mo- 
nasterium ligneis  tabulis  coopertum  .  .  .  Monasterium  S.  Frontorius  com- 
bustum  .  .  .  cum  multis  hominibus  et  feminis.«  Schon  Kugler  hat 
richtig  bemerkt,  dass  einer  Glut,  die  stark  genug  war,  um  die  Glocken 
zu  schmelzen,  der  gegenwärtige  nichts  weniger  als  massiv  konstruierte 
Turm  unmöglich  hätte  widerstehen  können;  also  muss  die  von  de  Ver- 
neilh beobachtete  Schwärzung  in  dessen  Innerem  von  einem  späteren, 


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Siebentes  Kapitel:  Kuppelkirchen. 


343 


wohl  nicht  bedeutenden  Feuer  herrühren.  Ferner  bedeutet  »monaste- 
riumc  nicht  die  Klostergebäude,  mit  welcher  Uebersetzung  de  Verneilh 
sich  zu  helfen  suchte,  sondern  es  ist  da  nach  feststehendem  Sprach- 
gebrauch die  Kirche  selbst  gemeint,  gerade  wie  wir  im  Deutschen 
»Münster«  sagen,  selbst  von  nicht  klösterlichen  Kirchen;  auch  kann 
der  Umstand,  dass  Frauen  mit  verbrannt  wurden,  nur  für  die  Kirche, 
nicht  für  das  Kloster  in  Betracht  kommen.  Im  Hinblick  auf  diese 
Brandnachricht  sind  die  früher  genannten  französischen  und  deutschen 
Forscher  übereinstimmend  zum  Schluss  gekommen:  S.  Front  ist  nach 
1 122  erbaut. 

Allerdings  nur  ein  Wahrscheinlichkeitsschluss,  kein  Beweis.  Es 
Hesse  sich  z.  B.  sagen:  vielleicht  ist  der  Kuppelbau  dennoch  älter, 
zwar  gewiss  nicht  990  begonnen,  aber  etwa  mit  der  Weihe  von  a.  1077 
zusammenhängend ;  vielleicht  war  mit  der  alten  Basilika  der  Zentralbau 
in  der  Weise  in  Verbindung  gebracht,  wie  in  Charroux,  in  S.  Benigne 
zu  Dijon  und  vor  allen  in  den  Denkmalkirchen  des  heiligen  Landes. 
Eine  solche  Vermutung  hat  auf  den  ersten  Blick  sogar  etwas  Bestechen- 
des. Doch  folgen  ihr  alsbald  schwerwiegende  Bedenken.  Der  Zentral- 
bau müsste  die  Basilika  in  einem  Grade  überragt  und  erdrückt  haben, 
dass  der  Vergleich  mit  den  obengenannten  Werken  nicht  mehr  zutrifft. 
Wichtiger  noch :  der  westliche  Kreuzarm  greift  in  einer  Weise  unregel- 
mässig und  rücksichtslos  in  die  alte  Basilika  ein,  dass  bei  seiner  An- 
lage unmöglich  an  die  Erhaltung  und  Mitbenutzung  der  letzteren  für 
den  Gottesdienst  gedacht  worden  sein  kann.  Ebensowenig  aber  kann 
einfacher  Abbruch  ohne  Ersatz  in  der  Absicht  gelegen  haben;  den 
einmal  von  Kirchenmauern  umgebenen  geweihten  Grund  der  Profanie- 
rung preiszugeben,  wäre  durchaus  gegen  die  Sitte  gewesen.  Hatte  man 
also  Fortführung  des  Kuppelbaues  bis  zum  Westende  der  alten  Basilika 
im  Sinne?  Wir  glauben:  ja,  in  der  That.  Die  jetzige  Abschlusslinie 
des  westlichen  Kreuzarmes  ist  nur  scheinbar  mit  planloser  Willkür 
gezogen  —  sie  ist  es  nicht,  ganz  und  gar  nicht.  Denkt  man  sich  an 
den  westlichen  Kreuzarm  zwei  weitere  Quadrate  von  gleicher  Dimension 
angefügt,  so  würde  die  Innenkante  der  äussersten  Pfeiler  genau  die 
Innenkante  der  Stirnmauer  der  alten  Kirche  erreichen.  Diese  Kongruenz 
kann  keine  zufällige  sein ,  sie  muss  gleich  bei  der  ersten  Grundriss- 
absteckung des  Kuppelbaues  in  Rechnung  gezogen  worden  sein.  Damit 
tritt  S.Front  aus  der  isolierten  Stellung,  die  es  gegenwärtig 
in  der  aquitanischen  Familie  einnimmt,  heraus,  tritt  an  die 
Seite  von  Angouleme,  Solignac  etc.,  und  von  S.  Marco  kann  nicht  weiter 
die  Rede  sein.  Wahrscheinlich  hat  man  sich  in  die  Reduktion  des  für 
die  vorhandenen  Werke  allzu  grossartigen  Planes  schon  bald  nach  dem 
Baubeginn  gefügt.    Der  Turm  erhielt  seine  jetzige  Stellung  über  der 


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Zweites  Kuch:  Der  romanische  Stil 

östlichen  Hälfte  des  alten  Langhauses,  die  übrig  bleibende  westliche 
wurde  zu  einem  Nebenraum  eingerichtet,  der  heute  weder  Gestalt  noch 
Bestimmung  mehr  erkennen  lässt,  und  das  Hauptportal  wurde  in  den 
nördlichen  Kreuzarm  verlegt. 

Um  auf  die  chronologische  Frage  zurückzukommen,  so  wiederholen 
wir:  die  historischen  Texte  begründen  für  die  Annahme  des  Bauanfangs 
nach  ii 20  nur  Wahrscheinlichkeit,  nicht  Gewissheit.  Letztere  könnte 
nur  durch  das  übereinstimmende  Zeugnis  technischer  und  stilistischer 
Merkmale  gewonnen  werden.  Die  Möglichkeit,  die  Untersuchung  in 
dieser  Richtung  weiter  zu  führen,  ist  aber  heute  nur  noch  eine  be- 
schränkte. S.  Front  ist  seit  1865  einer  Restauration  unterzogen  worden, 
die  einem  Neubau  gleichkommt  und  alle  technischen  Kriterien  für  die 
Altersbestimmung  vernichtet  hat.  Es  bleibt  also  nur  das  Prüfungsmittel 
der  allgemeinen  Stilvergleichung  übrig.  Keineswegs  für  alle  Zeiten 
gilt,  dass  das  künstlerisch  vollkommenere  Werk  das  jüngere  sein  müsse. 
Für  die  Epoche  vom  Ende  des  saec.  11  ab  ist  aber  ein  geschwinder 
und  stetiger  Fortschritt  unbestreitbar.  Stellen  wir  S.  Front  den  unter 
sich  nahe  verwandten  Bauten  von  AngoulSme,  Cahors  und  der  Kathedrale 
S.  Etienne  in  Pdrigueux,  deren  Entstehungszeit  E.  saec.  1 1  —  A.  saec.  1 2  ist, 
gegenüber  und  vergleichen  sie  in  Bezug  auf  System  und  Raumwirkung, 
so  ist  es  gewisser,  als  es  durch  jeden  historischen  Text  werden  könnte, 
dass  jene  letztgenannte  Gruppe  nicht  jünger  als  S.  Front  sein  kann. 
Ein  vereinzelter  Rückschritt  ist  wohl  möglich,  nicht  aber  ein  allgemeiner, 
wie  er  andernfalls  hier  vorausgesetzt  werden  müsste.  Dasselbe  bezeugt 
die  Detailbildung.  Bewusstes  Studium  der  Antike,  wie  es  die  Profile 
und  Kapitelle  von  S.  Front  zu  erkennen  geben,  beginnt  am  frühesten 
in  der  Provence ,  nämlich  E.  saec.  11,  in  keinem  anderen  Teile  von 
Frankreich  vor  dem  zweiten  Viertel  saec.  12. 

Nach  alledem  dürfen  wir,  solange  nicht  ein  ganz  neues  Material 
zur  Beurteilung  der  Frage  zum  Vorschein  kommt,  ohne  Bedenken  sagen : 
S.  Front  ist  in  der  Reihe  der  grossen  aquitanischen  Kuppelkirchen  die 
jüngste,  geschichtlich  wie  künstlerisch  der  Gipfel.  Daraus  erklärt  sich 
auch,  weshalb  ausserhalb  des  Stammlandes  in  Fontevrault  und  Angers 
die  Kathedrale  von  AngouleW,  in  Solignac  die  alte  Kathedrale  von 
Pe"rigueux  zum  Vorbild  genommen  wurde,  —  nirgends  aber  S.  Front! 
Dessen  Vollendung  fiel  in  eine  Zeitströmung,  die  schon  zu  anderen 
Idealen  überging.  Die  Anfänge  der  aquitanischen  Kuppelbaukunst 
liegen  im  Dunkeln.  Keinesfalls  können  sie  sehr  tief  ins  1 1 .  Jahrhundert 
zurückreichen;  möglicherweise  sind  sie  erst  ein  Produkt  des  Kreuzzuges 
im  Zusammenwirken  der  im  heiligen  Lande  gewonnenen  Anschauungen 
und  der  in  der  Heimat  durch  Schenkungen  und  Vermächtnisse  gewaltig 
aufgeregten  Baulust. 


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Siebentes  Kapitel:  Kuppelkirchen. 


345 


Die  Verpflanzung  der  Kuppel  nach  Fontevrault  rief  in  der  dor- 
tigen Gegend  eine  förmliche  Revolution  hervor.  Sie  traf  die  Bau- 
kunst in  einem  Zustande  des  Schwankens  und  Suchens.  Die  Flach 
deckkonstruktion,  die  in  älterer  Zeit  teils  einschiffige,  teils  dreischiffii; 
basilikale  Anlagen  hervorgerufen  hatte,  war  längst  ein  überwundener 
Standpunkt;  auch  die  engen  und  finstern  Hallenkirchen  mit  Tonnen- 
gewölben genügten  nicht  mehr.  Wollte  man  sich  bei  vorgeschritteneren 
Schulen  Rates  erholen,  so  bot  auf  der  einen  Seite  die  Normandie  und 
noch  näher  S.  Martin  in  Tours  bereits  bedeutende  Muster  der  ge- 
wölbten Basilika,  auf  der  anderen  Seite  Aquitanien  den  einschiffigen 
Saal.  Es  ist  merkwürdig  genug,  dass  die  Wahl  zu  Gunsten  des  letz- 
teren ausfiel,  dass  der  Geschmack  sich  für  Einheitlichkeit  und  über- 
sichtliche Weite  der  Raumbildung  entschied.  Die  engere  Wahl  stand 
dann  zwischen  dem  Tonnengewölbe  und  der  Kuppel.  Die  Anwendung 
des  ersteren  in  der  Notre-Dame  zu  Saumur  blieb  vereinzelt,  die  Kuppel 
obsiegte.  Doch  wurde  sie  nur  ein  einziges  Mal  —  in  Fontevrault  — 
in  der  reinen  aquitanischen  Form  wiederholt.  Alsbald  trat  eine  Um- 
gestaltung ein,  in  der  die  geographische  Mittelstellung  dieser  Land- 
schaften prägnant  zum  Ausdruck  kommt.  Denn  die  fragliche  Um- 
gestaltung zielt  auf  Verschmelzung  mit  dem  aus  Nordfrankreich, 
zunächst  der  Normandie  her,  bekannten  Kreuzrippengewölbe. 

Die  Baugeschichte  von  Fontevrault  liegt  leider  nicht  klar.  Unsere 
summarische  Meinung  —  sie  zu  begründen  würde  zu  weitläufig  werden  — 


Fontevtault  i  Vierungskuppelj 


ist  diese.  Ersichtlich  liegt  ein  Wechsel  im  Plane  vor  (Taf.  101),  Chor 
und  Transept  ist  (u.  E.)  der  altere  Teil,  wahrscheinlich  1 1 1 9  geweiht; 
das  Langhaus,  das  ursprünglich  dreischiffig  werden  sollte,  der  jüngere. 
Doch  dürfte  der  Wechsel  in  einem  Zeitpunkte  eingetreten  sein,  als  die 
Wölbungen  des  Transeptes  noch  nicht  gelegt  waren.    Die  Vierungs- 

23 


Zweites  Buch  .  Der  romanische  Stil. 

kuppel  erhielt  eine  von  denen  des  Langhauses  abweichende,  anscheinend 
hier  zum  erstenmal  angewandte  Form.  Wie  man  aus  der  beistehenden 
Figur  ersieht,  ist  die  Sonderung  der  Konstruktion  in  Halbkugel  und 
Zwickel  aufgegeben  und  erscheint  die  Wölbung  viel  flacher.  Das  rührt 
daher,  dass  die  Kuppel  nicht  einem  in  das  Grundquadrat  eingeschriebenen, 
sondern  einem  umgeschriebenen  Kreise  entspricht,  mithin  das  Zentrum 
in  die  Tiefe  der  Bogenkämpfer  herabrückt,  die  Bogen  selbst  aber  in 
den  Kreis  einschneiden.  Dieser  Versuch  fand  einige  Nachahmung 
(S.  Laumer  in  Blois,  nach  1138,  Restauration  von  S.  Martin  in  Angers), 
konnte  aber  nicht  lange  befriedigen. 

Ein  fruchtbareres  Princip  ergab  sich  aus  der  Verschmelzung  mit 
dem  Rippengewölbe.  Ste.  Trinite  zu  Angers  (Taf.  102,  108)  zeigt, 
woher  es  im  Anjou  eingeführt  ist.  Das  erste  Joch  westlich  vom  Chor 
hat  ein  vierteiliges  Kreuzgewölbe  mit  senkrecht  übermauerter  Trans- 
versalrippe, die  folgenden  sechsteilige  Gewölbe:  beides  normannische 
Formen.  Ste.  Trinite"  ist  ein  Umbau  aus  einer  dreischiffigen  Anlage, 
voll  eigentümlicher  und  interessanter  Züge,  aber  noch  ohne  harmo- 
nische Wirkung.    In  S.  Pierre  in  Saumur  sind  die  ein  Doppelkreuz 

bildenden  Rippen  wohl  blosses 
Dekorationsmotiv,  die  Konstruktion 
steht  auf  der  Stufe  von  Fontevrault. 
—  Es  dauerte  aber  gar  nicht  lange, 
so  erstand  auf  dem  Grunde  dieser 
und  ähnlicher  Experimente  schon 
eine  reife  Meisterschöpfung  in  der 
mächtigen  Kathedrale  S.  Maurice 
zu  Angers  (Taf.  107,  108,  116). 
Ihre  Baugeschichte  ist  ungewöhn- 
lich gut  überliefert.  Zwischen  11 50 
und  1160  waren  die  Gewölbe  des 
Schiffes  vollendet;  11 70  wurden  die 
bis  dahin  mit  hölzernen  Verschlüssen  versehenen  Fenster  verglast  ;  1 178 
bis  1198  wurde  der  südliche,  erst  nach  1236  der  nördliche  Kreuzarm 
ausgeführt,  1274  ist  der  Chor  vollendet  (Congres  archeol.  45.  sess.).  Die 
langsame  Bauführung  hat  die  Einheit  des  Werkes  indes  nur  wenig  beein- 
trächtigt. Ohne  Belang  für  die  Gestaltung  ist  die  teilweise  Benützung 
der  Seitenschiffsmauer  einer  älteren  Basilika.  Der  streng  quadratische 
Grundriss  der  Joche  wie  überhaupt  die  Grundzüge  der  Komposition 
sind  aus  den  Kuppelkirchen  herübergenommen,  die  Selbständigkeit 
des  einzelnen  Joches  dagegen  weniger  stark  betont.  Die  Pfeiler  treten 
im  Inneren  weniger  vor  und  sind  in  nordfranzösischer  Weise  durch 
Rückspringe  und  Halbsäulen  gegliedert,  entsprechend  der  veränderten 


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Siebentes  Kapitel:  Kuppelkirchen. 


347 


Gestalt  des  Gewölbes;  dagegen  die  äusseren  Widerlager  (Strebepfeiler) 
verstärkt;  endlich  die  Quer-  und  Schildbögen,  welche  die  Last  des 
Gewölbes  nicht  mehr  allein  zu  tragen  haben,  sondern  sich  mit  den 
Diagonalgurten  darin  teilen,  bedeutend  schmäler,  die  Mauern  ungleich 
weniger  mächtig  gebildet.  Kurz,  das  Princip  der  Trennung  der  Kon- 
struktionsteile in  statisch  wirkende  und  in  statisch  indifferente,  bloss 
raumabschliessende,  ist  hier  schon  vollkommen  ebenso  klar  durch- 
geführt, aber  ästhetisch  in  ganz  anderem  Sinne  verwertet,  wie  nach- 
mals in  der  Gotik.  Der  Einfachheit  der  tektonischen  Komposition 
entspricht  gleiche  Einfachheit  in  der  Ausschmückung.  Man  muss  die 
überquellend  üppige  Pracht  der  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts 
in  derselben  Stadt  entstandenen  Bauten  des  Klosters  S.  Aubin  daneben 
halten,  um  die  hier  in  der  Kathedrale  eingetretene  Reaktion  zu  wür- 
digen. Der  Detailreiz  ist  nicht  so  rigoros  verschmäht  wie  in  S.  Front, 
aber  es  ist  ihm  doch  nur  ein  untergeordneter  Platz  eingeräumt.  Ein 
klarer  Verstand,  ein  heiterer  Ernst  wohnt  in  diesem  von  hellstem  Licht 
erfüllten  Räume,  das  Gegenteil  von  allem  Mystischen. 

Ein  Vergleich  mit  der  Kathedrale  von  Angoulöme,  liegt  nahe 
Die  von  Angers  bekundet  ein  reiferes  Können.  So  ist  in  Angouleme 
der  Höhenunterschied  zwischen  der  Blindbogenstellung  und  den  Haupt- 
kämpfern etwas  unentschieden,  was  hier  weit  besser  ist.  Im  ganzen 
aber  gleichen  sich  die  Vorzüge  und  Nachteile  beider  ziemlich  aus.  Die 
Konzentrierung  der  Last  des  Gewölbes  auf  vier  Punkte  und  die  Raum- 
gliederung ist  schon  in  Angouleme  gegeben  und  zwar  in  einer  Kraft 
und  Schönheit,  welche  Angers  nicht  erreicht,  wenn  es  auch  in  den 
Proportionen  besser  ist.  Die  Kuppel  auf  schwebendem  Kranze  ist  doch 
eine  höhere  Gewölbeform  als  das  Kreuzgewölbe,  namentlich  wenn  es 
kuppeiförmig  behandelt  ist.  Die  Kuppel  hat  den  Vorzug  der  klaren 
und  bestimmten  Scheidung  der  Joche,  wogegen  das  Kreuzgewölbe  eine 
grössere  Einheitlichkeit  der  Decke  und  eine  bessere  Beleuchtung  der- 
selben gewährleistet.  Es  nimmt  eine  Mittelstellung  zwischen  der  zen- 
tralistischen,  jedes  Joch  trennenden  Kuppel  und  dem  einigenden  Tonnen- 
gewölbe ein  und  teilt  die  logischen  Vorzüge,  die  charakteristischen 
Schwächen  aller  Mittelstellungen. 

Mit  grosser  Geschwindigkeit  breitet  sich  der  belebende  Einfluss 
der  Kathedrale  von  Angers  im  Norden  wie  im  Süden  der  Loire  aus. 
Sie  ist  das  Programm  werk  und  die  Basis  des  sogenannten  Planta- 
genetstils. Der  nicht  eben  glücklich  erfundene  ')  Name  will  sagen, 
dass  der  Sitz  desselben  in  den  Stammlanden  des  auf  den  königlichen 

')  Das  Folgende  Niederschrift  von  G.  B.  in  der  Kathedrale  zu  Angouleme  am 
2.  Mai  1885. 

*)  Vom  Archäologen  Godard-Faultrier. 


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34» 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Thron  von  England  erhobenen  Heinrich  Plantagenet  Grafen  von  Anjou 
und  seiner  Gemahlin  Eleonore,  Erbgräfin  von  Poitou,  lag.  Dieser  Stil 
ist  über  das  Romanische  hinausgewachsen,  aber  nicht  gotisch  nach  dem 
herkömmlichen  Begriff,  vielmehr  ein  ganz  selbständiger  Bruderstil  des 
frühgotischen  der  französischen  Königsdomäne,  auf  dem  Boden  der 
gleichen  konstruktiven  Grundgedanken  einem  wesentlich  verschiedenen 
künstlerischen  Ziele  nachgehend.  Mitten  auf  seinem  Wege  wurde  er  dann 
von  der  eindringenden  Pariser  Architektur  überrascht  und  in  seiner 
eigentümlichen  Fortentwicklung  gestört.  Wir  haben  hier  nur  seine  vor 
der  französischen  Invasion  liegenden  Leistungen  zu  betrachten. 

Im  genauen  Anschluss  an  das  System  von  Angers  bewegen  sich 
der  Umbau  des  Langhauses  von  Notrc-Dame  de  la  Cottture  zu  Le 
Mans  (Taf.  108,  119)  und  der  Kathedrale  von  Laval. 

Selbständiger  werden  die  neueren  Anregungen  im  Poitou  verar- 
beitet. Der  Mittelpunkt  ist  die  schon  1161,  also  unmittelbar  nach 
Vollendung  des  Schiffs  von  Angers  begonnene  und  im  Chorbau  rasch 
geförderte  Kathedrale  S.  Pierre  zu  Poitiers.  In  ihr  geht  das  kuppei- 
förmige Kreuzrippengewölbe  mit  der  altheimischen  Hallenanlage  eine 
der  glücklichsten  Vermählungen  ein  (worüber  des  näheren  im  folgen- 
den Kapitel). 

Gleichzeitig  und  offenbar  von  denselben  Bauleuten  wurde  der  Um- 
bau der  Ste.  Radegunde  (Taf.  102,  109)  ausgeführt;  hier  lag  eine 
Hallenkirche  in  den  engen  Proportionen  des  u.saec.  vor,  deren  drei 
Schiffe  nun,  um  dem  total  veränderten  Raumgefühl  zu  genügen,  nach 
dem  Muster  der  Bauten  von  Angers  in  ein  einziges  zusammengezogen 
wurden;  die  Gliederung  des  Gewölbes  schon  unvergleichlich  besser 
gelungen,  wie  in  Ste.  Trinke"  zu  Angers. 

Die  Vorzüge  der  Rippenkonstruktion  machten  sich  endlich  selbst 
in  dem  alten  Stammlande  des  Kuppelbaues  siegreich  geltend.  Sie 
finden  sich  als  Umbauform  in  der  Schlosskirche  von  Brantome  und 
der  Abteikirche  von  S.  Avit  (Taf.  101);  als  von  vornherein  beab- 
sichtigte über  der  Vierung  der  Hallenkirche  S.  Amant-de-Boixe  (ge- 
weiht 11 70);  zu  Brassac;  endlich  zu  einer  nach  allem  Anschein  durch 
die  Kathedrale  von  Poitiers  inspirierten,  jedoch  früher  vollendeten 
Hallenanlage  verwendet  in  der  bedeutenden  Cistercienserkirche  La 
Couronne  (jetzt  Ruine)  unweit  Angouleme,  erbaut  a.  11 71  — 1201. 

Wir  schliessen  mit  einem  Unikum,  das  zugleich  ein  Kuriosum  ist: 
Die  Kollegialkirche  S.  Ours  auf  dem  Schlossberge  von  Loches,  süd- 
lich von  Tours  (Taf.  102,  110).  Wieder  die  beliebte  Verwandlung 
einer  alten  dreischiffigen  in  eine  einschiffige  Kirche.  Der  Anordner, 
Prior  Thomas  Pactius  (f  1168),  kam  auf  den  sonderbaren  Einfall,  die 


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Siebentes  Kapitel :  Kuppelkirchen. 


349 


zwei  Joche  des  keineswegs  weiträumigen  Langhauses  nicht  mit  Gewölben 
irgend  welcher  bekannten  Art,  sondern  mit  achtseitigen  Spitzpyramiden 
nach  Art  der  hölzernen  Turmhelme  zu  bedecken.  Man  sieht  von 
unten  in  deren  offenen  Hohlraum  hinein ,  das  Auge  erreicht  aber  nie 
den  Gipfel,  weil  dieser  sich  in  undurchdringliche  Nacht  verliert.  Auch 
eine  Art,  dem  Seitenschub  vorzubeugen! 

Unter  allen  ausserbasilikalen  Gattungen  der  Gewölbebaues  ist 
die  aquitanische  Kuppelkirche  und  ihre  angevinische  Fortbildung  die 
künstlerisch  vornehmste.  S.  Front  in  Perigueux,  S.  Pierre  in  An- 
gouleme,  S.  Maurice  in  Angers,  S.  Pierre  in  Poitiers:  in  diesen  vier 
Namen  ist  das  Höchste  umfasst,  was  die  Baukunst  des  Mittelalters  im 
Westen  von  Frankreich  hervorgebracht  hat.  Von  gemeinsamem 
Grunde  sich  erhebend  bilden  sie  vier  ganz  selbständige  Gipfel.  Im 
weiten  Reiche  der  romanischen  Architektur  können  nicht  viele  Werke 
sich  mit  ihnen  messen,  keines  überragt  sie. 


3.  Basiliken  mit  Klostergewölben  oder  Kuppeln. 

Wir  kennen  deren  in  Frankreich  nur  zwei,  beide  zählen  zu  den 
merkwürdigsten  und  eigenartigsten  Werken  der  romanischen  Baukunst. 

NOTRE  DAME  DU  PUY  (Taf.  m,  112,  114,  115).  Auf  der 
Höhe  des  felsigen  Hügels,  welchem  die  Stadt  Le  Puy  angebaut  ist, 
erhebt  sich  die  Kathedrale,  überragt  von  dem  neuerdings  mit  dem 
Standbilde  der  N.-D.  de  la  France  gekrönten  rocher  de  Corneille.  Die 
Lage  lässt  sich  kaum  malerischer  denken  und  ihre  Vorteile  sind  aufs 
glücklichste  benützt.  Aus  den  engen,  steilen  Strassen  der  Stadt,  die  wie 
keine  zweite  das  mittelalterliche  Gepräge  bewahrt  hat,  führt  eine  breite 
Treppe  von  60  Stufen,  an  jene  andere  weltberühmte  von  Araceli  in 
Rom  erinnernd,  auf  die  Westfront  zu.  Sie  erreicht  damit  aber  noch 
dicht  die  Flurhöhe  der  Kirche,  sondern  erst  die  gewaltigen  Substruktions- 
hallen,  auf  denen  der  westliche  Teil  derselben  ruht.  Innerhalb  dieser 
setzt  sie  sich  in  42  Stufen  bis  unter  das  vierte  Joch  des  Schiffes  fort, 
teilt  sich  hier  in  zwei  Arme  und  erreicht  so  links  den  Kreuzgang, 
rechts  die  Kirche,  in  die  man  im  fünften  Joch  des  südlichen  Seiten- 
schiffs eintritt.  So  jetzt;  ehemals  liefen  die  Stufen  immerfott  in  ge- 
rader Linie  unter  dem  Mittelschiff  hin  und  mündeten  vor  der  Vierung. 
Idee  wie  Ausführung  dieser  einzigartigen  Anlage  sind  gleich  über- 
raschend und  imponierend.  —  Ausserdem  sind  zwei  Eingänge  an  der 
Ostseite  des  Querschiffes  angeordnet,  in  welcher  Richtung  das  Terrain 
weniger  steil  abfällt. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Die  Kirche  ist  eine  dreischiffige  Basilika  von  sechs  Jochen  im 
Vorderschiff,  die  Kreuzarme  springen  weit  vor  und  endigen  in  je  zwei 
kleinen  Kapellen,  die  drei  Chorkapellen  sind  geradlinig  abgeschlossen. 
Oestlich  schliesst  sich  ein  sehr  merkwürdiger  Glockenturm  an.  Vor 
dem  südöstlichen  Eingang  eine  schöne  spätromanische  Vorhalle. 

Der  Bau  ist  nicht  einheitlich,  man  kann  deutlich  drei  Epochen 
unterscheiden,  Lokalforscher  unterscheiden  deren  fünf  bis  sieben.  Der 
älteste  Teil  uinfasst  Chor,  Querschiff  und  zwei  Joche  des  Langhauses. 
Es  folgen  die  beiden  mittleren  und  endlich  die  zwei  westlichen  Joche 
des  Schiffes. 

Die  Betrachtung  des  Aufbaues  wird  diese  Teilung  bestätigen.  Die 
Vierung  erhebt  sich  auf  kräftigen,  sehr  eigentümlich  behandelten 
Pfeilern  von  T-förmiger  Grundform.  Die  Arme  des  T  sind  in  gewisser 
Höhe  ausgeschnitten  und  durch  Doppelsäulen  ersetzt,  welche  die  Gurt- 
bögen aufnehmen,  in  die  drei  Seiten  des  Fusses  und  in  das  Haupt 
des  T  sind  die  Säulen  eingelassen,  letztere  Uber  einer  kleinen  Nische 
(Querschnitt  links  Taf.  1 1 1).  Die  Doppelsäulen  sind  ein  byzantinisches 
Motiv,  sie  finden  sich  in  ähnlicher  Weise  wieder  an  der  kleinen  Kirche 
von  Germigny  des  Pres  (Taf.  41,  Fig.  12)  und  an  der  östlichen  Kuppel 
von  S.  Marco  in  Venedig.  Die  Bögen  sind  gleichfalls  in  byzantinischer 
Weise  stark  überhöht,  endlich  ist  auch  die  Formgebung  eine  roh  byzan- 
tinisierende.  —  Ueber  Trompen  und  kleinen  Konsolen  erhebt  sich 
eine  runde  Kuppel,  welche  sich  in  einem  weiten  Kranze  nach  einer 
reich  gegliederten  Laterne  öffnet.  Die  Kreuzarme  sind  mit  Tonnen- 
gewölben bedeckt,  ihr  äusserer  Teil  ist  zweigeschossig,  es  sind  ähnlich 
wie  an  normannischen  Bauten  Tribünen  eingebaut.  Diesem  Teil  gehören 
noch  die  beiden  östlichen  Joche  des  Langhauses  an. 

Was  wir  hier  zusammenfassen  ist  keineswegs  ganz  einheitlich.  Nach 
der  Ansicht  des  Mr.  Aymard,  archiviste  de  la  Haute-Loire,  sollen  die 
drei  Chöre  dem  saec.  4  und  5  angehören,  was  schon  durch  ihren 
platten  Schluss  unwahrscheinlich  gemacht  wird;  die  unteren  Teile  der 
Vierung  schreibt  Mr.  Aymard  dem  saec.  6  und  7,  die  Kreuzarm/  dem 
8.  die  höheren  Teile  dem  9  zu.  Sicher  ist  die  ganze  Anlage  hoch- 
altertümlich und  zweifellos  war  sie  von  Anfang  an  auf  Wölbung  an- 
gelegt, ihre  Datierung  ist  indes  in  Ermangelung  aller  näheren  Analogien 
eine  äusserst  schwierige.  Wir  glauben,  von  der  Vierungslaterne  ab- 
gesehen, keinen  sehr  weiten  Altersunterschied  zwischen  den  älteren 
und  jüngeren  Teilen  annehmen  zu  sollen  und  möchten  das  Ganze 
nicht  über  die  Frühzeit  saec.  n  zurückdatieren.  Auch  für  diese  Zeit 
bleibt  der  Bau  eine  sehr  achtenswerte  Leistung,  deren  Unbeholfenheit, 
ja  Roheit  des  Einzelnen  vollkommen  ausgeglichen  wird  durch  die 
bedeutende  Gesamtwirkung. 


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Siebentes  Kapitel :  Kuppelkirchen. 


351 


In  den  beiden  folgenden  Jochen  sind  die  Scheid-  und  Gurtbogen 
spitz  und  mit  gegliederten  Archivolten  geschmückt,  Uber  den  Scheid- 
bögen ein  sehr  eigentümliches  Triforium,  ein  reich  behandelter  Licht- 
gaden und  ein  achteckiges  Klostergewölbe.  Die  folgenden  Joche  mit 
rundbogigen  Scheidbögen  sind  in  entwickelteren  Formen  ausgeführt, 
schliessen  sich  aber  in  ihrer  Gesamtkonzeption  den  vorigen  nahe  an. 
Die  vier  Joche  der  Vorhalle  sind  den  entsprechenden  Teilen  der  Kirche 
gleichzeitig.  Die  beiden  mittleren  Joche  dürfen  vielleicht  noch  der 
Spätzeit  des  saec.  1 1  oder  dem  beginnenden  saec.  1 2  zugeschrieben 
werden,  die  westlichen  sind  nicht  vor  der  Mitte  saec.  12  denkbar, 
können  aber  auch  nicht  viel  später  sein.  Die  eigentümliche  Form  der 
Kuppeln  weist  auf  Burgund,  wo  wir  sie  in  Tournus  (Taf.  137),  S.  Martin 
d'Ainay  (Taf.  125)  und  danach  in  La  Boisse  zwischen  Genf  und  Lyon 
und  in  S.  Andre*  de  Bagl  wiederfinden. 

Auf  dass  Aeussere,  namentlich  auf  die  sehr  merkwürdige  Fassade 
und  den  reizenden  Kreuzgang  werden  wir  zurückkommen. 

Die  Innenwirkung  der  Kathedrale  von  Le  Puy  ist  namentlich  nach 
der  malerischen  Seite  eine  sehr  bedeutende.  Sie  vereinigt  die  Vorzüge, 
welche  die  Basilika  für  die  Lichtführung  gewährt,  mit  der  bestimmten 
und  kräftigen  Raumgliederung  der  Kuppelbauten,  hat  aber  vor  diesen 
den  Vorzug  des  hoch  einfallenden  Oberlichtes,  welches  in  Verbindung 
mit  den  tief  herabreichenden  Gurtbögen  einen  reichen  Wechsel  von 
Licht  und  Schatten  bewirkt.  In  historischer  Beziehung  zählt  sie  zu 
den  grössten  Merkwürdigkeiten.  Eine  eingehende  Untersuchung  und 
eine  genauere  Aufnahme,  als  wir  zu  bieten  imstande  sind,  ist  dringend 
zu  wünschen. 

S.  HILAIRE  ZU  POITIERS  (Taf.  114).  An  künstlerischem  Werte 
der  Kathedrale  von  Le  Puy  nachstehend,  reizt  S.  Hilaire  den  analy- 
sierenden Scharfsinn  des  Archäologen  vielleicht  in  noch  höherem  Masse. 
Leider  ist  von  dem  alten  Bau  nur  der  Chor,  das  Querschiff  und  etwa 
zwei  Joche  des  Schiffes  erhalten. 

Zur  Baugeschichte  ist  zu  bemerken,  dass  ein  Neubau  durch  Agnes 
von  England  (?),  Gräfin  von  Poitou  unter  Leitung  eines  sächsischen 
Meisters  Walter  von  Cooleland  begonnen  wurde.  Die  Weihe  fand 
a.  1049  statt  (Inkersley  S.  42).  In  der  Spätzeit  saec.  11  oder  im  Be- 
ginne saec.  12  wurde  die  Kirche  in  einen  Gewölbebau  umgewandelt, 
Man  darf  diesen  Umbau  vielleicht  mit  dem  Umstände  in  Verbindung 
bringen,  dass  die  Reliquien  des  heiligen  Hilarius  einmal  nach  Le  Puy 
geflüchtet  worden  waren,  woher  sie  im  saec.  1 1  zurück  gebracht  wurden. 
Mehr  als  eine  allgemeine  Anregung  hat  indes  Le  Puy  keinesfalls  ge- 
boten. Das  Gebäude,  in  der  Revolution  zum  grössten  Teil  zerstört, 
wurde  neuerdings,  um  eine  Kuppel  verkürzt,  wieder  aufgebaut. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Die  Kirche  ist  siebenschiffig  mit  zweischifhgem  Querhause  und 
Chor  mit  Umgang  und  vier  Kapellen.  Eine  genauere  Untersuchung 
der  alten  Teile  ergiebt  indes,  dass  sie  ursprünglich  nachgedeckt  und 
vermutlich  nur  dreischiffig  war.  Die  anlässlich  der  Ueberwölbung  vor- 
genommenen Aenderungen  sind  ziemlich  tiefgreifend  und  es  dürfte 
kaum  möglich  sein  ein  vollkommen  zuverlässiges  Bild  der  ursprüng- 
lichen Anlage  zu  gewinnen.  Im  System  wechselten  Säulen  und  Pfeiler; 
die  Bögen,  welche  je  ein  Doppeljoch  umfassen,  gehören  ebenso  wie 
die  Oberfenster  dem  Umbau  an.  Ein  altes  Fenster  hat  sich  in  dem 
ersten  Halbjoche  westlich  der  Vierung  erhalten.  Das  System  der 
wechselnden  Stützen,  welches  sonst  im  westlichen  Frankreich  nicht, 
wohl  aber  in  England  vorkommt,  spricht  dafür,  dass  wir  Reste  vom 
Bau  des  Walter  von  Cooleland  vor  uns  haben.  Die  älteren  Mauern 
sind  im  kleinen  Handquaderverband  ausgeführt,  während  die  jüngeren 
Teile  aus  grösseren  Werkstücken  hergestellt  sind. 

Nach  der  Ansicht  französischer  Archäologen  wären  in  dem  Ge- 
bäude einzelne  noch  ältere  Teile  erhalten.  Dies  kann  vielleicht  mit 
Recht  von  der  eigentümlich  zwischen  den  nördlichen  Kreuzarm  und 
das  Seitenschiff  eingeschobenen  Halle  behauptet  werden,  welche  an- 
scheinend ursprünglich  eine  zweigeschossige  offene  Vorhalle  war,  über 
der  sich  ein  Turm  erhob;  vgl.  über  diese  Fragen  de  Cougny  im  Bull, 
mon.  34  S.  149  ff.  Wir  können  den  Ausführungen  desselben  nicht  in 
allen  Stücken  beistimmen,  glauben  vielmehr,  dass  Reste,  welche  über 
das  saec.  1 1  zurückreichen,  in  dem  Gebäude  nicht  enthalten  sind.  Wir 
hatten  zu  einer  genaueren  Untersuchung  weder  Zeit  noch  Gelegenheit 
und  hielten  es  für  wichtiger,  eine  wenigstens  in  den  Hauptzügen  richtige 
zeichnerische  Darstellung  des  merkwürdigen  Gebäudes  zu  geben,  ohne 
welche  gerade  bei  einer  so  ungewöhnlichen  Anlage  auch  eine  ein- 
gehende Besprechung  nur  schwer  verständlich  sein  würde. 

Interessant  ist  die  Art  und  Weise,  in  welcher  der  Meister  des 
Umbaues  die  Ueberwölbung  der  sehr  weiten  flachgedeckten  Kirche 
ermöglicht  hat.  In  den  Seitenschiffen  erhielt  jedes  Doppeljoch  zwei 
parallele  quergestellte  Tonnen,  in  die  von  der  Mittelsäule  aus  je  zwei, 
von  den  grossen  Gurtbögen,  welche  tiefer  ansetzen  und  schon  dem 
älteren  Bau  anzugehören  scheinen,  je  eine  Stichkappe  einschneiden.  — 
Im  Mittelschiff  wurde  zunächst  eine  Verstärkung  der  Mauern  vorge- 
nommen und  zwar  in  recht  glücklicher  Weise  dadurch,  das  in  die  Ecken 
der  Pfeiler  zwei  schlanke  Säulchen  gestellt,  und  von  ihnen  aus  ein  die 
beiden  Bögen  jeden  Doppeljoches  umfassenden  Bogen  vor  die  Mauer 
vorgeblendet  wurde.  Aber  auch  so  war  die  Weite  immer  noch  zu  gross 
und  es  wurde  deshalb  den  Hauptpfeilern  entsprechend  eine  zweite 
Pfeilerreihe  aufgestellt,  wodurch  annähernd  quadratische  Felder  und 


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Siebentes  Kapitel:  Kuppelkirchen. 


353 


überdies  ein  sehr  sicheres  Widerlager  für  die  Kuppeln  gewonnen  wurde. 
Die  inneren  Pfeiler  (vgl.  den  Querschnitt  rechts)  sind  zweimal  mit  den 
Umfassungsmauern  verbunden  (vgl.  S.  Pierre  zu  Chauvigny  (Taf.  124) 
und  die  schmalen  Felder  mit  Kreuzgewölben  überdeckt.  Das  ganze 
System  verfehlt  nicht  eine  im  malerischen  Sinne  schöne  Wirkung. 

Das  zweite  mit  dem  Kuppelgewölbe  vertraute  Gebiet  des  Abend- 
landes war  bekanntlich  die  Ostküste  Italiens.  Wo  so  viel  Arten 
Kompromisse  zwischen  Basilika  und  Zentralbau  zustande  kamen,  konnte 
es  nicht  fehlen,  dass  auch  die  Ueberwölbung  eines  basilikalen  Mittel- 
schiffs mit  einer  Folge  von  Kuppeln  versucht  wurde.  Doch  ist  es 
nur  vereinzelt  geschehen  und  an  nicht  eben  bedeutenden  Gebäuden. 

S.  Sabino  zu  Canosa,  geweiht  a.  1101,  ziemlich  byzantinisch  be- 
handelt; über  die  Gewölbeform  der  Seitenschiffe  gibt  Schulz  leider 
nichts  an;  doch  wohl  Tonnengewölbe?  —  Dom  zu  Molfetta,  gleich- 
falls mit  Querseitenschiffen;  nur  die  Vierungskuppel  über  Pendentifs, 
die  des  Langhauses  über  Trompen;  die  Formen  rein  romanisch  und 
zwar  spät.  —  Kleinere  Anlagen  sind  S.  Maria  de  Martiri  bei  Molfetta 
und  S.  Maria  immaculata  in  Trani.  Quasts  Vermutung  aquitanischen 
Einflusses  scheint  uns  so  wenig,  wie  Schnaase,  wahrscheinlich.  Selbst 
die  Halbtonnen  in  Trani  können  nicht  dafür  angeführt  werden,  da  sie 
auch  sonst  in  dieser  Gegend  vorkommen. 

S.  Antonio  zu  Padua  (Taf.  100,  103).  Die  Kirche  ist  von  Essen- 
wein in  den  Mitth.  der  k.  k.  C.-Comm.  Bd.  VIII.  (1803)  S.  69  ff.  u. 
96  ff.  und  danach  von  Schnaase  G.  d.  C.-K.  VII.  S.  133  ff.  eingehend 
besprochen.  Unter  Hinweis  auf  das  dort  Gesagte  können  wir  uns 
um  so  kürzer  fassen,  als  das  in  diesem  grossen  Werke  Gewollte  nach 
keiner  Richtung  erreicht  ist.  Schon  ihre  allgemeine  stilistische  Stellung 
ist  eine  unklare,  zwischen  dem  romanischen  und  gotischen  Stile 
schwankende.  Sie  ist  kein  Uebergangsbau,  welcher  die  konstruktiven 
und  formalen  Errungenschaften  des  neuen  Stiles  selbständig  zur  Weiter- 
bildung der  heimischen  Weise  verwertet,  sondern  ein  Werk,  welchem 
bei  wesentlich  romanischer  Anlage  einige  gotische  Elemente  ohne  innere 
Notwendigkeit  beigegeben  sind.  Nur  der  Chor,  eine  Erweiterung  des 
ursprünglichen  Planes,  schliesst  sich  dem  gotischen  Schema  enger  an 
und  ist,  wenn  auch  nicht  im  besten  Einklang  mit  dem  Ganzen,  für 
sich  betrachtet  nicht  ohne  Verdienst. 

Die  Erbauer  wollten  den  benachbarten  Kuppelbau  von  S.  Marco, 
dessen  Einwirkung  unverkennbar  ist,  dadurch  übertreffen,  dass  sie  ihn 
um  ein  Joch  verlängerten  und  zur  Basilika  erweiterten.  Sie  entwarfen 
ihren  Grundriss  nach  dem  in  Oberitalien  üblichen  gebundenen  Ge- 
wölbesysterae, mit  zwei  Jochen  in  den  Seitenschiffen  auf  ein  Joch  im 


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Zweites  Buch-  Der  romanische  Stil. 


im  Mittelschiffe.  Die  Seitenschiffe  sind  jenseits  des  Querschiffes  fort- 
gesetzt und  umgeben  den  Chor  als  Umgang  mit  elf  Kapellen. 

In  Erinnerung  an  den  säulengetragenen  Laufgang  in  S.  Marco  ist 
auch  hier  ein  solcher  über  den  Scheidbögen  angebracht.    Er  steht 


S.  Maria  m  Trani.  S.  Sabino  xu  Cano*a. 


jedoch  nicht  frei,  sondern  ist  an  die  hohe  Schildmauer  angelehnt.  Im 
Mittelschiff  stark  überhöhte  Kuppeln  auf  Hängezwickeln,  in  den  Seiten- 


Dom  zu  Molfetla. 

schiffen  Kreuzgewölbe.  An  Stelle  der  Pfeilergruppen  und  der  sie  ver- 
bindenden Säulenreihen  von  S.  Marco  sind  stärkere  und  schwächere 
Pfeiler  getreten,  welche,  wenn  sie  auch  weit  schmälere  Gurtbögen  er- 
geben als  dort,  doch  den  malerischen  Durchblick  in  übelster  Weise 


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Siebentes  Kapitel :  Kuppelkirchen. 


3S5 


hemmen.  Das  Innere  imponiert  durch  seine  Grösse,  entbehrt  aber  des 
Reizes  wohlabgewogener  Verhältnisse  und  der  künstlerischen  Durch- 
bildung des  Organismus,  wie  der  Einzelformen.  Die  Kirche  ist  be- 
gonnen a.  1232,  der  Bau  geriet  indes  bald  ins  Stocken  und  wurde 
erst  nach  1256  rascher  gefördert,  a.  1307  war  er  in  der  Hauptsache 
vollendet. 


Beschreibung  der  Tafeln. 

Grundrisse. 

Tafel  100. 

1.  Venedig:  S.  Marco.  —  Zweite  Hälfte  saec.  ri.  —  Kreutz:  la  basi- 
lica  di  San  Marco. 

2.  Padua:  S.  Antonio.  —  saec.  13.  —  Essenwein  in  den  Mitt.  der 
k.  k.  C.-Comm.,  VIII.  1863. 

3.  Pirigueux:  S,  Etienne.  —  Westliche  Kuppel  c.  a.  n 00,  Östliche 
E.  saec.  12.    Aus  Versehen  verkehrt  gestellt.  —  De  Verneilh. 

4.  Perigueux:  S.  Front.  —  Die  schwarzen  Teile  geben  die  Kuppel- 
kirche (beg.  a.  11 20?),  die  doppelt  schraffierten  die  ältere  Kirche 
(c.  a.  990),  die  einfach  schraffierten  spätere  Zuthaten.  —  Bezold 
(für  den  Zentralbau),  De  Verneilh. 

5.  Cahors:  Kathedrale.  —  c.  a.  1100.  —  De  Verneilh. 

6.  5.  Jean  de  Cole.  —  Jünger  als  die  Klostergründung  a.  1086.  — 
De  Verneilh. 

Tafel  zoi. 

1.  *Solignac.  —  1143  geweiht.  —  Bezold. 

2.  Souillac.  —  saec.  12.  —  De  Verneilh. 

3.  S.  Avit  Sinieur.  —  Beginn  saec.  12.  Kuppeln  erneuert.  —  De  Ver- 
neilh. 

4.  Le  vieux  Mareuil.  —  saec.  12.  —  De  Verneilh. 

5.  Roullet.  —  saec.  12.  —  De  Baudot. 

6.  *Gensac.  —  saec.  12.  —  Dehio. 

7.  *Bourg  sur  Charente.  —  saec.  12.    -  Bezold. 

8.  *Tremolac.  —  Schiff  saec.  12  Frühzeit,  Chor  Ende  saec.  12.  — 
Bezold. 

9.  Angouleme:  Kathedrale.  —  Begonnen  zw.  1101  — 11 19.  —  Reynaud. 
10.  Fontevrault.  —  Chor  gew.  a.  11 19,  Schiff  jünger.  —  De  Verneilh. 

Tafel  102. 

1.  *  Angers:  Sainte  Triniti.  —  saec.  12,  Mitte.  Transept  und  Chor 
älter,  begonnen  angeblich  1092.  —  Dehio. 


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356  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

2.  Angers:  Kathedrale.  —  Schiff  ca.  1150,  südlicher  Kreuzarm  1175, 
Chor  saec.  13.  —  Reynaud,  Bezold. 

3.  *Loches;  S.  Ours.  —  Chor  saec.  n,  Schiff  c.  a.  1160,  Vorhalle 
E.  saec.  12.  —  Dehio. 

4.  *I\>itiers:  Sie.  Radegonde.  —  Chor  und  Vorhalle  saec.  11,  Schiff 
c.  c.  1 170.  —  Dehio. 

5.  Poitiers:  Kathedrale.  —  Begonnen   1 161 .  —  Viollet-le-Duc, 
Bezold. 

6.  *Agen:  S.  Caprais  (Kathedrale).  —  saec.  12  u.  13.  —  Bezold. 

_  _  ,  Schnitte. 
Tafel  103. 

1.  Venedig:  S.  Marco.  —  Reynaud. 

2.  Padua:  S.  Antonio.  —  Essenwein. 

Tafel  104. 

1.  Pirigueux:  S.  Etienne.  —  De  Verneilh. 

2.  *Souillac.  —  Bezold. 

3.  Cahors:  Kathedrale.  —  De  Verneilh. 

Tafel  105. 

1.  Pirigueux:  S.  Front.  —   Gailhabaud,  Monuments,  De  Ver- 
neilh und  eigene  Messungen. 

2.  *Solignac.  —  Bezold. 

Tafel  106. 

1,  2.  Roullet.  —  De  Baudot. 

3.  *Gensae.  —  Bezold. 

4.  *Tremolae.  —  Bezold. 

5.  Fontevrault.  —  De  Verneilh. 

6.  Angoulcme :  Querschnitt.  —  Reynaud. 

Tafel  107. 

1.  Angoulcme:  Kathedrale.  —  Reynaud. 

2.  Angers:  Kathedrale.  —  Aufnahme  des  Schiffes  und  Hauptmasse 
des  Chores:  Bezold;  Darstellung  des  letzteren  im  einzelnen  nach 
Reynaud. 

Tafel  108. 

1.  *  Angers:  Kathedrale.  Querschnitt.  —  Bezold. 

2,  3.  *  Angers:  Saint e  TriniU.  —  Bezold. 

4.  Le  Maus.  —  N.  D.  de  la  culture.  Viollet-le-Duc. 

Tafel  109. 

1.  *  Poitiers:  Ste.  Radegonde.  —  Bezold. 

2,  3.  *  Poitiers:  Kathedrale,  Chor.  —  Bezold. 


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i 


Sicbenes  Kapitel:  Kuppelkirchen. 


357 


Tafel  110. 

1.  *  Loches:  S.  Ours.  —  Bezold. 

2.  *Agen:  S.  Caprais.  —  Bezold. 

Tafel  in,  ii2. 

*Ze  Puy:  Notre  Dame.  —  Bezold.  —  Den  Namen  eines  ein- 
heimischen Architekten,  der  uns  die  Maasse  der  Vierungskuppel 
mitteilte,  haben  wir  leider  vergessen. 

Tafel  113. 

*Poitiers:  S.  Hilaire.  —  Schnitte  Bezold,  Grundriss  nach  einer 
älteren  Aufnahme,  veröffentlicht  von  Parker :  Archaeologia,  Bd.  34. 

Perspektivische  Ansichten. 

Tafel  114. 

1.  *Angouleme:  Kathedrale.  —  H.  Stier. 

2.  *Le  Puy:  Notre  Dame.  —  H.  Stier. 

3.  *Tournus:  S.  Phüibert.   Chorumgang.  —  H.  Stier. 

Tafel  115. 

1.  *Pcrigueux:  S.  Front.  —  Nach  geometrischer  Aufnahme  mit  Be- 
nützung einer  Skizze  von  Dehio. 

2.  Le  Puy:  Notre  Dame.  —  Nach  geometrischer  Aufnahme. 

Tafel  116. 

1.  * Angers:  Kathedrale.  —  Nach  geometrischer  Aufnahme. 

2.  *Poitiers:  Kathedrale.  Südliches  Seitenschiff.  —  Nach  Photographie. 


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Achtes  Kapitel. 

Hallenkirchen  mit  Tonnengewölbe. 


i.  Eingeschossige  Anlagen. 

Die  beiden  vorigen  Kapitel  haben  dargethan,  in  welchem 
Umfange  im  Süden  und  Westen  von  Frankreich  einschiffige  Pläne 
verbreitet  waren,  ja  man  darf  alles  in  allem  wohl  sagen,  dass  der 
besondere  Baugeist  dieser  Gegenden  in  dieser  Grundform  sich  am 
eigentümlichsten  und  grössten  zeigte.  Freilich  waren  ihr  lange  Zeit, 
was  die  Grössenverhältnisse  betrifft,  gewisse  nicht  zu  übersteigende 
Schranken  gesetzt.  Erst  die  vervollkommnete  Wölbekunst  des  12.  Jahr- 
hunderts vermochte,  und  zwar  nur  selten  noch  mit  der  alten  Form 
des  Tonnengewölbes,  in  der  Regel  erst  mit  Hilfe  der  Kuppel  und 
des  Kreuzgewölbes,  wahre  Grossräumigkeit  zu  erreichen.  Die  ältere 
Zeit  hingegen  griff  da,  wo  sie  Kirchen  von  grösserer  Grundfläche 
nötig  hatte,  zur  Zusammensetzung  der  Decke  aus  mehreren  parallelen 
Tonnengewölben.  Die  Römerbauten  des  Landes  gaben  das  Vorbild 
dazu.  Neu  und  fruchtbar  war  aber  der  Gedanke,  dieses  Deckensystem 
mit  dem  ererbten  Grundriss  der  Basilika  und  der  Raumteilung  durch 
Freistützen  in  Verbindung  zu  setzen. 

Die  ältesten  erhaltenen  Beispiele,  noch  aus  dem  10.  Jahrhundert, 
gehören  dem  Rhonethal  an.  Bald  verbreitete  sich  die  Form  über  die 
Küstenlandschaften  des  Mittelmeeres  und  bis  nach  Spanien.  Im  Westen 
ist  sie  nicht  lange  nach  a.  1000  sicher  bekannt  gewesen. 

Die  Hallenkirche  hat  unter  allen  Gattungen  des  französisch- 
romanischen Gewölbebaus  die  grösste  Zahl  von  Individuen  hervor- 
gebracht, wie  auch  die  grösste  räumliche  Verbreitung  gefunden.  Dank 


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Achtes  Kapitel:  Hallenkirchen  mit  Tonnengewölbe. 


3  59 


der  Festigkeit  ihrer  Bauart  und  der  in  den  betreffenden  Landschaften 
verhältnismässig  unerheblichen,  zum  Teil  selbst  ganz  schwachen  Bau- 
thätigkeit  der  nachromanischen  Epochen  ist  die  Zahl  der  bis  heute 
erhaltenen  Denkmäler  sehr  gross.  Eine  irgend  vollständige  Statistik 
ist  noch  nicht  geliefert.  Die  folgende  Uebersicht  des  Wichtigsten  wird 
also  nur  ein  annäherungsweise  richtiges  Bild  geben  können. 

In  Lyon:  S.  Martin  d'Ainay  und  S.  Irinee.  Im  Vivarais  die 
Kirche  von  Cruas.  In  Dauphine",  Provence  und  Bas-Languedoc 
mehrere  Kathedralen:  zu  Valence,  zu  Die*,  zu  Apt,  zu  Vaison,  zu 
Marseille,  zu  Nimes,  sämtlich  saec.  n  oder  frühes  saec.  12;  im  weite- 
ren Verlaufe  des  saec.  12  tritt  die  dreischiffige  Hallenanlage  zu  Gunsten 
der  einschiffigen  zurück,  nur  die  Cistercienser  bevorzugen  sie,  so  in 
Thoronet,  Silvacanne,  Senanque.  Vornehmlich  durch  diesen  Orden 
wird  sie  auch  in  Burgund  vertreten:  Fontenay,  Hauterive,  Bonmont. 
Im  südlichen  Languedoc:  S.  Nazaire  zu  Carcassonne,  Kirchen  zu 
Alet,  Espondilhan,  Quarante,  die  stattlichen  Abteikirchen  von  Eine  und 
Fontfroide  und  eine  wie  es  scheint  nicht  geringe  Anzahl  kleinerer 
Kirchen  im  Roussillon  und  in  den  Pyrenäen,  zum  Teil  von  altertüm- 
lichem Gepräge,  wie  Canigou,  Sabart.  Auf  diesem  Wege  eignete  sich 
auch  Spanien  die  Hallenkirchen  an:  Gerona,  Huesca,  Segovia.  Da- 
gegen besitzen  das  Toulousain  und  Albygez,  die  Uberhaupt  arm  an  ro- 
manischen Bauten  sind  —  eine  Folge  der  Zerstörungen  des  Ketzerkrieges 
—  nur  wenige  Beispiele.  Reicher  ist  das  Agenais:  Moirax,  Monsem- 
pron,  Mas.  Im  Pdrigord  und  Angoumois  teilte  sich  im  saec.  11  die 
Hallenkirche  mit  der  einschiffigen  tonnengewölbten,  und  wurde  im  12. 
durch  die  Kuppelkirchen  stark  zurückgedrängt,  wiewohl  nicht  beseitigt : 
Cadouin,  Bussiere-Badil,  Chateauneuf,  Aubeterre,  S.  Amand-de-Boixe 
sind  im  saec.  12  gebaut.  Ueberschreiten  wir  die  Charente,  so  finden 
wir  dagegen  die  Hallenkirche  bis  ans  Ende  der  romanischen  Epoche 
im  Uebergewichte.  So  im  Bas-Saintonge  und  Aunis  —  Beispiele: 
Saintes,  Aulnay,  Eschillais,  Surgeres  —  wie  andererseits  im  Limosin 
und  der  Marche  —  Beispiele:  Brives,  Beaulieu,  Tülle,  Uzerches,  Oba- 
zine,  Lesterps,  alte  Kathedrale  von  Limoges  (?),  Le  Dorat,  Be*ndvent, 
S.  Junien,  Chambon,  Chateau-Pon^at,  La  Souterraine.  Im  Poitou  und 
derVende"e  endlich  hat  sie  nahezu  die  Alleinherrschaft  —  Beispiele: 
Notre-Dame-la-Grande ,  Montierneuf,  S.  Radegonde  (älterer  Zustand), 
Kathedrale  S.  Pierre,  alle  vier  in  der  Stadt  Poitiers;  Chauvigny 
(2  Kirchen),  Melle  (2  Kirchen),  Parthenay  (2  Kirchen),  Airvault,  Nou- 
aille\  Villesalem,  Saint-Savin,  Airvault,  Champdeniers ,  S.  Jouinles- 
Marnes,  Civray,  Gencay,  Verrine-sur-Celle ,  Nieul-sur- Antise ,  Vouvent, 
Javarzay.  Nicht  im  gleichen  Masse  vorherrschend,  doch  noch  immer 
häufig  in  der  südlichen  Hälfte  des  unteren  Loirebeckens:  Cunault, 


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360 


Zweites  Buch.  Der  romanische  Sül. 


Beaulieu-les-Loches  (Umbau  aus  einschiffiger  flachgedeckter  Anlage), 
Preuilly.  Ferner  im  Berry,  Bourbonnais,  Nivernais:  La  Celle- 
Bruere,  Souvigny,  Bourbon-Archambault,  Ygrande,  Colombier,  L.i 
Marche,  S.  Rdvdrien,  Mars-sur-Allier.  Im  zentralfranzösischen  Berg- 
lande ist  die  eingeschossige  Hallenanlage  eine  Ausnahme,  weil  hier  die 
im  zweiten  Abschnitt  zu  behandelnde  Modifikation  vorherrscht. 

Der  GRUNDRISS  hat  nichts,  was  der  Hallenanlage  als  solcher 
zu  eigen  gehörte,  er  folgt  vielmehr  den  allgemeinen  Vorschriften  für 
dreischiffige  Kirchen.  Die  Abweichungen,  bei  denen  es  sich  natur- 
gemäss  hauptsächlich  um  die  Chorpartie  handelt,  gruppieren  sich  nach 
Landschaften. 

Der  Süden  bevorzugt,  wofern  nicht  spezielle  Ordensgewohn- 
heiten in  Frage  kommen,  sehr  einfache  Anlagen:  drei  parallele  Apsiden 
mit  oder  ohne  QuerschifT.  Die  Kathedrale  von  Valence  hat  ausnahms- 
weise den  Umgang  mit  ausstrahlenden  Kapellen,  wohl  auf  Grund  von 
Beziehungen  zur  jüngeren  burgundischen  Schule.  —  Die  West- 
provinzen verwenden  nebeneinander  zwei  Typen.  Erstens  ausge- 
bildete Kreuzform  mit  Apsidiolen  am  Transept.  (Beispiele :  Lusignan, 
Parthenay,  Civray,  Notre-Dame  de  Chauvigny,  Verrine-sur-Celle, 
Melle,  Chäteauneuf  u.  s.  w.,  also  hauptsächlich  im  Saintonge,  Poitou 
und  Vendee);  dazu  eine  Variante  mit  Nebenchören,  einigermassen 
an  den  älteren  Cluniacensertypus  erinnernd  (La  grande  Sauve  im 
Bordelais  und  S.  Amand-de-Boixe  im  Angoumois).  Zweitens  Um- 
gang mit  radianten  Kapellen,  teils  von  S.  Martin  in  Tours,  teils 
von  der  Auvergne  beeinflusst.  (Beispiele:  alle  grösseren  Kirchen  in 
Poitiers,  als  Notre-Dame  la  Grande,  S.  Hilaire,  Montierneuf,  S.  Rade- 
gonde  l);  S.  Pierre  in  Chauvigny,  Saint-Savin,  Le  Dorat,  Chambon, 
Benevent  u.  s.  w.) 

Als  Urform  der  Wölbung  sind  die  drei  parallelen  Tonnen  zu 
betrachten. 

Die  Klosterkirche  S.Martin  d'Ainay  bei  (jetzt  in)  Lyon  (Taf.  117, 
122,  125).  Ueberliefert  sind  zwei  Bauperioden:  Neubau  a.  954  f., 
Restauration  mit  Weihungen  a.  1106  u.  11 13,  womit  die  vorhandenen 
Unterschiede  der  Behandlung  in  gutem  Einklang  stehen.  Die  Restau- 
ration befasst  die  Hauptapsis,  die  Durchbrechung  der  Langmauern 
behufs  Anlage  äusserer  Seitenschiffe  (auf  unserem  Grundriss  weggelassen), 
die  Fenster  und  verschiedene  Stücke  der  Dekoration  —  der  Kernbau 


')  Merkwürdig  durch  die  Ableitung  aus  einem,  übrigens  unregclmässigen ,  Polygon; 
Taf.  10; ,  Fig.  4. 


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Achtes  Kapitel:  Hallenkirchen  mit  Tonnengewölbe. 


könnte  ganz  wohl  noch  aus  dem  saec.  10  sein.  Chor  und  Transsept 
erinnern  an  byzantinische  Disposition,  die  Anordnung  der  Vierungs- 
kuppel an  die  kaum  viel  jüngeren  ältesten  Teile  von  Le  Puy,  in 
manchem  Betracht  auch  an  den  karolingischen  Zentralbau  Germigny 
des  Pres.  Der  Aufbau  des  Schiffes  bleibt  den  gewohnten  Formen  der 
Basilikenarchitektur  noch  sehr  nahe.  Ausnahmsweise  hatte  man  antike 
Säulenstamme  zur  Verfügung,  und  zwar  sehr  starke,  granitene;  beson- 
ders mächtig  die  vier  unter  der  Kuppel.  Im  Vertrauen  auf  ihre  Trag- 
kraft wurden  die  Arkaden  weit  und  hoch  genommen.  Die  Vierungs- 
kuppel in  ihrer  gegenwärtigen  Gestalt  ist  wohl  jünger  als  saec.  io, 
eine  ähnliche  Vorkehrung  muss  indes  von  Anfang  an  dagewesen  sein. 

Die  sogenannte  Krypta  von  S.  Irenee  in  Lyon  (Taf.  122)  kennen 
wir  leider  nicht  vom  Augenschein,  nur  aus  den  Zeichnungen  von 
Hübsch.  Dessen  Datirung  auf  saec.  4  ist  ein  Unding.  Auch  die  her- 
kömmliche Bezeichnung  als  Krypta  scheint  uns  in  hohem  Grade  zweifel- 
würdig. So  der  langgestreckte  Grundriss,  wie  Form  und  Maasse  des 
Querschnitts  deuten  vielmehr  auf  eine  wirkliche  Kirche ;  die  annähernd 
der  gleichen  Zeit,  wie  S.  Martin  angehören  dürfte.  Die  Anlage  der 
Arkadenscheitel  in  ziemlicher  Tiefe  unter  den  Gewölbekämpfern  ist 
beiden  Bauten  vor  andern  eigen  und  zeigt  eine  frühe  Entwicklungs- 
stufe an. 

Der  wichtigste  Fortschritt  des  Systems  besteht  darin,  dass  die 
Arkadenscheitel  bis  dicht  unter  die  Kämpferlinie  der  Gewölbe  hinauf- 
geführt werden.    Nur  so  konnte  ein  freieres  Ineinander  der  Räume 


und,  was  noch  wichtiger  war,  eine  wo  nicht  genügende,  so  doch  er- 
trägliche Beleuchtung  des  Hauptschiffes  herbeigeführt  werden.  Ferner 
erhielten  die  Gewölbe  Gurten,  die  Arkaden  Rücksprünge,  beide  Träger 
in  Gestalt  von  Pilastern  oder  Halbsäulen  im  Verband  mit  dem  vier- 
eckigen Pfeilerkern. 

Die  gewöhnliche  Kombination  ist  die  beistehend  unter  a  gegebene  ; 
in  Poitiers  und  Umgegend  kommt  vielfach  die  Form  b  vor;  in  Moirax 

24 


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362 


Zweites  Buch  :  Der  romanische  Stil. 


achteckige  und  kreisrunde  Pfeilerkerne.  Säulen  sind  allein  in  der  Fruh- 
zeit  angewendet  worden  und  nur  in  wenigen  Beispielen  uns  bekannt 
geworden:  ausser  S.  Martin  d'Ainay  in  Canigou  in  den  Pyrenäen,  in 
Monsempron  an  der  Garonne,  in  Mars-sur- Allier.  Die  übermässig 
schlanken  Rundpfeiler  von  S.  Savin  im  Poitou  sind  ohnegleichen. 
Wechsel  von  runden  und  viereckigen  Pfeilern  in  Carcassonne  und 
dem  benachbarten  Alet.  Von  den  Besonderheiten  der  Cistercienser- 
bauten  später. 

Die  mannigfaltigen  Abweichungen  des  Gewölbesystems  von 
der  Urform  sind  auf  S.  313  beschrieben.  Sie  modifizieren  indes  den 
allgemeinen  Eindruck  in  viel  geringerem  Grade,  als  die  geometrischen 
Querschnittaufzeichnungen  (Taf.  122 — 124)  glauben  machen. 

Die  Halbtonnen  haben  die  allgemeinste  Verbreitung  in  der  Au- 
vergne  gefunden  und  sind  von  dort  ins  Nivernais,  Bourbonnais, 

Berry  und  Limosin  eingedrungen. 
Ausserdem  kommen  sie,  jedoch  noch 
nicht  an  den  ältesten  Denkmälern,  in 
Burgund  und  abwärts  im  ganzen 
Rhonegebiet  sehr  häufig  vor ;  ferner 
im  südwestlichen  Languedoc  und  in 
Spanien.  Im  Westen  nur  ausnahms- 
weise und  wohl  immer  unter  auverg- 
natischem  Einfluss  ').  Eine  eigen- 
tümliche Variante  zeigt  Taf.  123, 
Fig.  2,  vgl.  Taf.  134.  —  Die  querge- 
stellten Tonnen  sind  bei  den  Cister- 
cienserkirchen  des  Ostens  beliebt,  z.  B. 
Fontenay,  Hauterive,  Bonmont; 
im  Westen  nur  an  einigen  Bauten  der 
Frühzeit,  Kathedrale  von  Limoges, 
Ronceray  in  Angers.  —  Sonst  teilt 
sich  der  Westen  zwischen  vollen  Ton- 
nengewölben und  Kreuzgewölben,  so 
zwar,  dass  auf  die  ersteren  etwa  zwei 
Drittel,  auf  die  letzteren  ein  Drittel 
der  ausgeführten  Bauten  fällt.  Dass  die  Kreuzgewölbe  die  jüngeren 
wären,  kann  nicht  gesagt  werden.  Sie  kommen  z.  B.  schon  an  einer  der 
ältesten  Hallenkirchen  dieses  Gebietes,  der  Abteikirche  Saint- Savin 
(a.  1025  im  Bau  begriffen)  vor,  noch  in  sehr  primitiver  Gestalt;  in 


')  Nachweislich  z.  B.  in  Parthenay  und  Saint-Gemme.    Vgl.  Mcmoires  des  anti- 
quaires  de  l'Ouest  1884,  182  f. 


Marvsur-Allicr. 


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* 


Achtes  Kapitel :  Hallenkirchen  mit  Tonnengewölbe.  363 

S.  Hilaire  zu  Melle  wurden  die  ursprünglichen  Kreuzgewölbe  im 
saec.  12  durch  Tonnen  ersetzt.  Ein  umgekehrter  Wechsel  hat  viel- 
leicht in  S.  Pierre  zu  Chauvigny  stattgefunden.  Weitere  Beispiele 
für  Kreuzgewölbe:  Notre-Dame  in  Poitiers,  Notre-Dame  in  Chau- 
vigny, Vouvent,  Champdeniers,  Moirax;  für  Tonnengewölbe: 
S.  Pierre  in  Melle,  Airvault,  Aulnay,  Lesterps,  Javarzay, 
Lusignan,  Nouaillö,  N ieul -sur- Aubize,  S.  Amand-dc- Boixe. 


Canigou. 


Eine  seltsame  Zwitterform  in  Monsempron  (zwischen  Pe'rigueux  und 
Agen):  *les  arcs  longitudinaux  pe*netrent  dans  les  voütes  en  berceau 
des  bas-cotös  et  rdposcnt  sur  des  colonnes  monocylindriques,«  wohl  in 
der  Weise,  wie  wir  es  bei  überhöhtem  Mittelschiff  auf  Taf.  141,  Fig.  2 
und  6  finden. 

Die  Umfassungsmauern  sind  verhältnissmässig  viel  weniger 
mächtig,  wie  bei  den  einschiffigen  Kirchen.  Auch  die  Strebepfeiler 
treten  nur  wenig  vor;  in  der  Auvergne,  im  Poitou  und  Saintonge 
fehlen  sie  häufig  ganz;  durch  Blendbögen  verbundene  Pilaster,  ein 
schon  den  Römern  bekanntes  Motiv  (Taf.  38,  Fig.  4),  treten  an  ihre 
Stelle.    An  der  innern  Wandseite  nehmen  Halbsäulen,  den  Pfeiler- 


3<H 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


vorlagen  entsprechend,  die  Gurten  auf ;  nicht  selten  aber  werden  blosse 
Gesimse  dafür  genügend  befunden. 

Interessant  sind  die  hier  und  dort  in  Bogenform  auftretenden 
Strebekonstruktionen.  Bei  sehr  hohen  Pfeilern,  in  deren  halber  Höhe 
quer  durch  die  Seitenschiffe  gespannt,  also  gewissermassen  rudimentäre 
Emporen;  wir  fanden  dies  in  Poitiers  und  Umgegend:  S.  Hilaire 
(Taf.  113),  S.  Pierre  zu  Chauvigny  als  Verstärkung  des  Vierungspfeilers 
(Taf.  124),  als  Viertelkreisbogen  in  Nouaille*;  vereinzelt  im  Süden  zu 
Lescures  unweit  Alby  (Taf.  122).  Ueber  den  SeitenschifTsgewölben  in 
Notre-Dame  zu  Chauvigny  und  in  Beaulieu  (Taf.  124).  Aehnliche 
primitive  Strebebögen  kommen  sehr  wahrscheinlich  noch  mehrfach  vor 
(z.  B.  in  Figeac)  und  die  Lokalforscher  würden  sich  ein  Verdienst 
erwerben,  wenn  sie  die  Beispiele  sammeln  wollten.  Es  würde  sich 
dabei  zeigen,  dass  die  Erfindung  nicht  einer  einzelnen  besonders  er- 
leuchteten Bauschule  angehört,  sondern  gegen  die  Mitte  des  12.  Jahr- 
hunderts überall  sozusagen  in  der  Luft  lag. 

Der  besondere  Geist  der  an  der  Hallenkirche  beteiligten  Pro- 
vinzialschulen  spricht  sich  am  deutlichsten  im  Raumgefühl  aus.  Die 
hier  obwaltenden  Unterschiede  entsprechen  den  bei  Betrachtung  der 
einschiffigen  Säle  bereits  wahrgenommenen ,  d.  h.  das  Gefühl  der 
Mittelmeerlandschaften  ist  auf  Weiträumigkeit  gerichtet,  das  der  ozea- 
nischen macht  sich  nur  langsam  und  selten  vollständig  von  der  ur- 
sprünglichen Befangenheit  und  Enge  los.  Dort  wird  vor  allem  freie 
Entfaltung  des  Mittelschiffs  gegenüber  den  als  untergeordnete  ent- 
schieden gekennzeichneten  Abseiten  erstrebt;  hier  tritt  dieser  Unter- 
schied verhältnismässig  zurück.  Und  während  dort  bei  weiterer  Ar- 
kadenöffhung  die  Mitwirkung  der  Seitenschiffe  am  Zustandekommen 
des  Raumbildes  eine  stärkere  ist,  beschränkt  hier  die  dichtere  Pfeiler- 
stellung diesen  Ausblick  und  lässt  den  Mittelraum  noch  beklemmter 
erscheinen.  Die  Querschnittsproportion  ergiebt  regelmässig  mehr  als 
das  Doppelte,  zuweilen  fast  das  Dreifache  der  lichten  Weite  zur  Höhe; 
ein  Verhältnis,  das  zwar  auch  bei  basilikalen  Anlagen  vorkommt, 
aber  hier  beim  eingeschossigen  System  der  Hallenkirche  natürlich  eine 
ganz  andere  Wirkung  thut,  als  dort  beim  zwei-  oder  dreigeschossigen. 

Die  Belege  für  das  Gesagte  geben  die  Tafeln,  wo  auch  die  selbst- 
verständlich nicht  fehlenden  Gradunterschiede  ersichtlich  werden.  Auf 
einiges  machen  wir  noch  besonders  aufmerksam.  —  Das  System  der 
Kreuzgewölbe  in  den  Seitenschiffen  hat  neben  seinen  unleugbaren 
Vorzügen  —  bessere  Widerlagerung,  höhere  Stellung  der  Fenster, 
vollerer  Lichteinfall  ins  Mittelschiff  —  doch  überwiegende  Nachteile 


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Achtes  Kapitel:  Hallenkirchen  mit  Tonnengewölbe. 


365 


für  die  Raumbildung,  denn  es  fordert  im  Grundriss  quadratische  Joche, 
was  wieder  zu  unschöner  Verengung  der  Pfeilerabstände  oder  aber 
zu  unverhältnismässiger  Verbreiterung  der  Seitenschiffe  führt.  Das 
mag  der  Hauptgrund  sein,  weshalb  die  Provence  und  Languedoc  sich 
auf  Kreuzgewölbe  nicht  einlassen ;  vgl.  dagegen  das  System  von  Notre- 
Damela-Grande  in  Poitiers  (Taf.  126)  und  die  Querschnitte  von  Saint- 
Savin  und  Chauvigny  (Taf.  124).  Das  Schiff  von  Notre-Dame-la- 
Grande  gehört  erst  dem  Anfang  des  12.  saec.  an  und  weist  im  ein- 
zelnen schon  raffinierte  perspektivische  Künste  auf  —  konstantes 
Kleinerwerden  der  Axenabstände  vom  Eingang  gegen  den  Chor  — , 
dennoch  ist  die  Gesamtstimmung  eine  überaus  altertümliche,  unfreie, 
schwere.  Die  Schuld  liegt  gewiss  nicht  im  System  allein ,  denn  die- 
selben Befangenheiten  kehren  auch  bei  mit  vollen  oder  halben  Tonnen 
versehenen  Kirchen  der  westlichen  und  zentralen  Gegenden  (z.  B. 
Souvigny,  Taf.  118,  122,  Parthenay,  Taf.  123)  wieder,  während 
Moirax  (Taf.  122),  ein  südlich  der  Garonne  gelegener  Bau,  den  Be- 
weis liefert,  dass  auch  mit  Kreuzgewölben  eine  harmonische  Wirkung 
zu  erzielen  war.  Eine  merkwürdige  Ausnahme  durch  die  mächtige 
Weite  ihres  Hauptschiffes  bildet  die  zwischen  Limoges  und  Confolens 
gelegene  Abteikirche  Lesterps  (Taf.  118,  122),  worin  vielleicht  der 
Einfluss  des  Pdrigord  zu  erkennen  ist.  Mit  anderen  Mitteln  sucht  die 
wohl  erst  gegen  die  Mitte  des  saec.  12  erbaute  Kirche  S.  Nicolas  in 
Civray  (Taf.  117,  122,  126)  bequemere  Raumwirkung  zu  erreichen; 
auch  hier  wieder  eine  perspektivische  Künstelei. 

Die  den  Hallenkirchen  anhaftenden  Mängel  der  Raumbildung 
werden  noch  fühlbarer  durch  die  Mängel  der  Beleuchtung.  Es  ist 
eine  der  einfachsten  und  unumstösslichsten  Erfahrungen,  dass  ein  in 
helles  Licht  gesetzter  Bauteil  leichter,  ein  dunkel  bleibender  schwerer 
erscheint,  woraus  folgt,  dass  in  der  Richtung  von  unten  nach  oben  die 
Helligkeit  zunehmen  muss  —  wofern  man  nicht  oben  durch  andere 
Verteilung  eine  bestimmte  Wirkung  erzielen  will.  Wenn  es  als  ein 
besonderer  Vorzug  der  Basilika,  insbesondere  in  ihrer  ältesten  Gestalt 
(S.  108),  zu  rühmen  ist,  dass  sie  das  Licht  auf  das  Mittelschiff  und 
in  diesem  wieder  auf  den  oberen  Raumabschnitt  konzentriert,  so  liegt 
in  den  Hallenkirchen  das  genau  entgegengesetzte  Verhältnis  vor.  Das 
Quantum  des  eindringenden  Lichtes  ist  in  ihnen  ein  ganz  ausreichendes, 
aber  es  gelangt  nicht  zu  den  Stellen,  die  seine  Wirkung  zu  einer 
schönen  machen  würden.  Die  Pfeiler  zeigen  ihre  den  Fenstern  ab- 
gekehrte, dunkle  Seite  dem  Beschauer,  das  durch  die  tiefe  Lage  der 
Lichtquellen  geblendete  Auge  sieht  das  Dunkel  noch  dunkler,  und 
vor  allem  die  Gewölbe  geraten  in  tiefen  Schatten.    Diese  finstere 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Last  scheint  um  so  drückender,  je  dichter  die  Stützen  stehen,  je  ein- 
seitiger an  ihnen  die  Vertikallinien  vorwalten.  Wir  kennen  im  Bereiche 
des  abendländischen  Kirchenbaues  nichts,  was  so  unfrei  und  trübe, 
so  fremd,  ja  barbarisch  wirkte,  so  unbehaglich  ein  mühsames  und 
siegloses  Ringen  mit  der  Materie  ausdrückte,  wie  die  älteren  Hallen- 
kirchen der  französischen  Westprovinzen.  Es  wäre  falsch,  dies  allein 
auf  Unbeholfenheit  im  Technischen  zurückzufuhren;  wir  finden  eine 
verwandte  Stimmung  in  der  unheimlich-phantastischen,  spukhaften 
Tierornamentik  dieser  Gegenden  wieder:  offenbar  keltischer  Geist. 

Seit  dem  Anfang  des  12.  Jahrhunderts  weicht  überall  im  Süden 
die  Hallenkirche  zurück  und  räumt  der  einschiffigen,  vereinzelt  auch 
der  basilikalen  oder  basilikaähnlichen  Anlage  (S.  Gilles,  S.  Sernin) 
den  ersten  Platz  ein.  Nur  in  den  Westprovinzen  behauptet  sie  ihre 
Herrschaft  ungeschmälert  und  bis  über  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts 
ohne  nennenswerten  inneren  Fortschritt.  Die  ungeheure  Steigerung 
der  dekorativen  Pracht,  zumal  an  den  Fassaden,  kann  über  die  in 
dieser  Schule  eingetretene  Stagnation  nicht  täuschen.  Erfrischung 
brachte  ihr  erst  das  in  späterem  12.  Jahrhundert  ja  überall  in  Frank- 
reich zum  Siege  gelangende  Kreuzgewölbe.  Auf  zwei  Wegen  und 
in  zwei  Formen  drang  es  ein:  als  normales  Kreuzgewölbe  von  der 
mittleren,  als  kuppeiförmiges  von  der  unteren  Loire  aus  dem  Anjou  her. 

Taf.  128  zeigt  verschiedenartige  Versuche.  Ruffec  im  Thalgebiet 
des  Indre  hat  noch  rippenlose  Gewölbe;  das  System  ist  das  sog.  ge- 
bundene und  ermöglicht  dadurch  grössere  Breite  des  Mittelschiffs.  In 
Chambon  wurde  ein  tonnengewölbtes  Schiff  (s.  die  Nebenfigur)  in  den 
westlichen  Jochen  auf  Kreuzgewölbe  von  recht  ungeschickter  Haltung 
umgebaut  und  diese  Gelegenheit  zur  Anbringung  seitlicher  Oberlichter 
nicht  unbenutzt  gelassen.  In  La  Souterraine  hat  das  erste  unter 
dem  Westturm  befindliche  Joch  eine  perigordinische  Kuppel,  das  zweite 
Joch  ein  Tonnengewölbe ,  das  dritte  und  die  folgenden  achtrippige 
angevinische  Kreuzgewölbe;  auch  hier  unter  einigen  der  Schildbögen 
Fenster. 

Wird  in  diesen  den  nordöstlichen  Gebietsteilen  angehörigen  Bei- 
spielen die  Neigung  zum  Uehergang  in  die  Basilika  bemerklich ,  so 
zeigt  sich  das  Prinzip  der  Hallenkirche  noch  einmal  in  aller  Reinheit, 
aber  zugleich  in  einer  ganz  neuen,  grandiosen  Auffassung  in  der  Kathe- 
drale von  Poitiers  (vgl.  S.  348).  Begonnen  a.  1161  von  König  Hein- 
rich II.  von  England  und  seiner  Gemahlin  Eleonore,  der  Gräfin  des 
Landes;  Chor  und  Querschiff  in  rein  romanischen  Formen,  wahr- 
scheinlich schnell  gebaut,  da  schon  a.  1171  in  La  Couronne  eine  Nach- 


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Achtes  Kapitel:  Hallenkirchen  mit  Tonnengewölbe. 


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bildung  auftrat.  Der  heimischen  Tradition  ist  nur  das  Allgemeinste  der 
Grundidee  entlehnt;  Gewölbeform,  wie  Pfeiler-,  Wand-  und  Fenster- 
gliederung schliessen  sich  dem  in  der  Kathedrale  von  Angers  inau- 
gurierten Stile  an.  Von  der  Notre-Dame-la-Grande  derselben  Stadt  ist 
die  Kathedrale  nach  Jahren  gerechnet  kaum  durch  ein  Halbjahrhundert, 
in  der  künstlerischen  Denkweise  durch  eine  ganze  Welt  getrennt. 

Im  Grundriss  fällt  zunächst  die  Vereinfachung  des  Chores  auf, 
dann  das  Konvergieren  der  seitlichen  Fluchtlinien,  wohl  ein  perspekti- 
visches Raffinement,  dergleichen  in  dieser  Gegend  schon  in  älterer  Zeit 
bekannt  war  (S.  365);  ein  eigentliches  Transsept  ist  nicht  vorhanden, 
sondern  zwei  kapellenartige  Ausbauten,  die  vermutlich  Türme,  ähnlich 
wie  in  AngoulSme,  tragen  sollten.  Die  an  das  Quadrat  gebundene 
Grundform  des  Domikalgewölbes  bedingt  nahezu  gleiche  Abstände  der 
Stützen  in  der  Längs-  wie  in  der  Querrichtung.  Diese  Einteilung 
könnte  das  Vorurteil  erwecken,  dass  sie  nüchtern  wirke.  Unter  den 
Händen  eines  geringeren  Meisters  wäre  das  wohl  auch  die  Folge  ge- 
wesen. Hier  wird  aber  durch  die  Macht  der  Dimensionen  und  die 
wunderbar  glückliche  Wahl  der  Proportionen  der  Eindruck  einer  er- 
habenen Simplizität  hervorgerufen,  in  der  man  etwas  von  dem  Geiste 
des  Erbauers  von  S.  Front  in  PtJrigueux  wiederzufinden  meint.  —  Das 
Vorderschiff  wurde  nach  längerer  Pause  im  13.  Jahrhundert  gotisch 
weitergeführt,  mit  wenigen,  aber  nicht  glücklichen  Aenderungen  des 
Systems,  wohin  wir  vornehmlich  die  Höherlegung  der  Kämpfer  des 
Mittelschiffs  rechnen;  vgl.  die  Abbild,  bei  Viollet-le-Duc  II,  371  und 
IX,  254.  Die  Vermuthung  von  Schnaase  V,  148,  dass  man  anfänglich 
Anlegung  eines  Lichtgadens  beabsichtigt  habe,  können  wird  nicht  teilen. 

Kraft  des  Beispieles  der  Kathedrale  von  Poitiers  wurde  die  Form 
der  Hallenkirche,  die  sonst  wohl  dem  Untergang  geweiht  gewesen 
wäre,  in  Westfrankreich  in  die  gotische  Stilepoche  hinübergetragen, 
in  der  sie  noch  manches  anmutige,  kein  annähernd  so  gewaltiges 
Werk  hervorrief. 

2.  Anlagen  mit  Emporen. 

In  der  Mitte  der  westfränkischen  Lande  bestand  eine  Schule, 
die  eine  höchst  merkwürdige  Weiterbildung  der  Hallenkirche  voll- 
führte. Es  war  eine  Art  von  Kompromiss  mit  der  Basilika.  Das 
Wesentlichste  des  sehr  prägnant  charakterisierten  Typus  ist  der  zwei- 
geschossige Aufbau  der  Seitenschiffe:  über  dem  kreuzgewölbten  Erd- 
geschoss  ein  mit  Halbtonnen  gedecktes  Emporgeschoss,  das  sich  gegen 
das  Hauptschiff  in  fensterartig  gruppierten  Bogenstellungen  öffnet  und 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


mit  seinen  horizontal  übermauerten  Querbögen  dem  Seitenschub  des 
grossen  Mittelgewölbes  entgegenwirkt.  Offenbar  ist  diese  Anordnung 
von  dem  doppelten  Wunsche  eingegeben:  zum  ersten  ein  Raumbild  zu 
gewinnen,  das  dem  der  Basilika  ähnlich  sei,  zum  anderen  die  erprobten 
konstruktiven  Vorteile  der  Hallenkirche  festzuhalten.  Die  hier  ver- 
suchte Ueberwindung  des  grossen  Dilemmas  wäre  als  höchst  voll- 
kommene zu  preisen,  wenn  sie  eine  gleich  günstige  Lösung  für  die 
Lichtführung  gefunden  hätte.  Hierin  aber  blieb  ein  empfindlicher 
Mangel  bestehen :  die  Oberteile  des  Hauptschiffes  sind,  gerade  wie  in 
der  einfachen  Hallenkirche,  zu  schwach  erhellt  und  dadurch  bekommt 
der  Gesamteindruck  trotz  der  an  sich  guten,  oft  sehr  guten  Quer- 
schnittsverhältnisse etwas  merkwürdig  Unfreies  und  Gedrücktes. 

Immer  gehört  dieses  System  zu  den  geistreichsten  und  origi- 
nellsten Baugedanken  der  ganzen  romanischen  Epoche.  Um  so  be- 
dauerlicher, dass  seine  Geschichte  mehr  als  die  irgend  eines  anderen 
in  Rätsel  gehüllt  ist.  Wir  sehen  es  nicht  entstehen:  völlig  fertig 
tritt  es  uns  entgegen,  dauert  fast  wandellos  seine  Zeit  und  verschwindet. 
Nur  wo  es  auf  fremden  Boden  verpflanzt  wird,  erfährt  es  nennens- 
werte Umgestaltungen;  die  Vertreter  in  der  Heimatprovinz  sehen 
alle  aus  wie  Kopien  eines  einzigen  Urbildes.  Wo  dieses  sich  be- 
funden hat?  wann  es  entstanden  ist?  wir  wissen  davon  nichts.  Mög- 
licherweise ist  es  wirklich  ohne  stufenweise  Entwicklung,  ohne  andere 
Voraussetzungen  als  die  ganz  allgemeinen  des  Hallensystems  einer- 
seits, des  Basilikensystems  andererseits,  gleich  auf  den  ersten  genialen 
Wurf  fertig  so  hingestellt  worden,  wie  wir  es  kennen. 

Für  die  hier  angedeutete  Möglichkeit  ist  es  von  Bedeutung,  dass 
das  System  in  einem  genau  und  verhältnismässig  eng  begrenzten 
Bezirk  seine  Heimat,  in  dieser  aber  die  Alleinherrschaft  hat.  Das 
ist  die  Auvergne,  das  zentralfranzösische  Bergland  mit  den  oberen 
Flussläufen  der  Loire,  des  Allier  und  der  Dordogne. 

Die  Frage  nach  der  Entstehung  des  auvergnatischen  Systems  ist 
von  den  französischen  Archäologen  unseres  Wissens  noch  nicht  ein- 
gänglich erörtert  worden.  Ueber  die  Unhaltbarkeit  von  Viollet-le-Ducs 
Hypothese  der  Herkunft  aus  Syrien  vgl.  oben  S.  301  u.  302.  Ein  von 
H.  Graf  ungeachtet  unendlich  dürftiger  Kenntnis  der  einschlägigen 
Denkmälerkreise  gewagter  Versuch  rausste  zu  einem  völlig  schiefen  Er- 
gebnis führen.  Während  Graf  die  auvergnatischen  Halbtonnen  aus  der 
Provence  ableitet  —  jedoch  nicht  von  den  dortigen  Hallenkirchen,  von 
denen  er  nichts  weiss,  sondern  von  dem  kleinen  Zentralbau  bei  Mont- 
majour  —  sprechen  französische  Archäologen  (Memoires  des  Antiquaires 


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Achtes  Kapitel:  Hallenkirchen  mit  Tonnengewölbe. 


de  l'Ouest  1884  p.  182  f.)  die  umgekehrte  Vermutung  aus,  dass  die 
Halbtonne  aus  der  Auvergne  ins  Rhonethal  gewandert  sei. 

Ein  gewisser  allgemeiner  Zusammenhang  zwischen  der  Auvergne, 
dem  Forez  und  Velay  einerseits,  den  östlich  benachbarten  Gebieten  der 
Dauphine'e,  des  Lyonnais  und  Burgunds  andererseits  (in  welchen  Land- 
schaften die  Halbtonnen  früher  im  Gebrauch  zu  sein  scheinen,  wie 
weiter  südlich  in  Provence  und  Languedoc)  ist  auch  uns  wahrschein- 
lich, wenn  wir  auch  keine  Vermutung  haben,  welcher  Teil  hierbei  der 
gebende  und  welcher  der  nehmende  gewesen  sein  möchte.  Nicht  aus- 
geschlossen wäre  auch  eine  im  wesentlichen  selbständige  parallele  Ent- 
wicklung. Abgesehen  von  diesem  einen  Motiv  jedoch  gehört  die 
auvergnatische  Bauweise  ganz  entschieden  in  den  Verwandtschaftskreis 
der  westlichen  Schulen :  sie  teilt  mit  ihnen  den  Grundriss,  viele  Einzel- 
heiten des  Aufbaues,  die  bauliche  Grundstimmung. 

Zu  den  regelmässigen  Merkmalen  der  auvergnatischen  Kirchen 
gehört  der  Chor  mit  Umgang  und  ausstrahlenden  Kapellen.  Nach 
unserer  Vermutung  (S.  270)  durch  frühe  Beziehungen  zu  S.  Martin 
in  Tours  angeregt,  gelangte  das  Motiv  in  diesem  abgeschlossenen 
Berglande  zu  einer  so  unbedingten  Anerkennung,  wie  in  keiner  andern 
Provinz. 

Typisch  ist  ferner  die  sehr  eigenartige  Anlage  des  Querschiffs 
(Taf.  131,  Fig.  2  und  Taf.  132,  Fig.  3).  Es  setzt  sich  aus  fünf  Ab- 
teilungen von  ungleicher  Höhe  zusammen.  Die  vorspringenden  Kreuz- 
arme sind  mit  axialen  Tonnengewölben  bedeckt,  gewöhnlich  etwas 
niedriger  als  das  Hauptschiff.  Die  drei  mittleren  Kompartimente 
schliessen  sich  der  Teilung  des  Langhauses  an,  erheben  sich  aber  zu 
einer  auch  in  der  Aussenansicht  bedeutend  überragenden  Höhe.  Das 
achtseitige  Kiostergewölbe  der  Vierung  wird  seitlich  durch  Halb- 
tonnen wirksam  widerlagert,  während  in  der  Längsrichtung  westlich 
das  Tonnengewölbe  des  Vorderschiffes  an  die  Kämpferlinie  der  Kuppel 
nicht  ganz  hinanreicht,  östlich  das  Chorgewölbe  noch  tiefer  liegt,  so 
dass  eine  Fenstergruppe  in  dem  zwischenliegenden  Mauerstück  Platz 
findet.  Die  Vierungsbögen  setzen  in  gleicher  Höhe  an,  jedoch  weit 
tiefer  als  die  Gewölbe  des  Lang-  und  Querhauses.  Der  struktive 
Zweck  dieser  Anordnung  ist  offenbar  der,  den  Angriffspunkt  des  von 
den  Vierungsbögen  ausgehenden  Seitenschubes  möglichst  tief  herab- 
zusetzen. 

Das  System  des  Schiffes  zeigt  enge  und  hohe  Arkaden.  Die 
Gliederung  der  Pfeiler  geschieht  nach  derselben  Grundform,  wie  bei 
den  Hallenkirchen  des  Westens;  dadurch  jedoch,  dass  dem  Gewölbe 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


die  Gurtbögen  entweder  ganz  fehlen  (Clermont)  oder  dass  dieselben 
je  eine  Arkadenabteilung  überspringen,  entsteht  die  Abweichung,  dass 
die  Vorderseite  der  Pfeiler  glatt  bleibt,  beziehungsweise  glatte  und 
besetzte  Pfeiler  abwechseln.  Zu  bemerken  ist  ferner,  dass  das  Mittel- 
schiffsgewölbe unmittelbar  über  den  Emporenöffnungen  und  meist  ohne 
Gesimse  ansetzt.  An  der  Eingangsseite  pflegt  eine  Vorhalle  in  zwei 
Geschossen  angeordnet  zu  sein,  deren  oberes  jedoch  erheblich  tiefer 
liegt,  als  die  Emporgeschosse  der  Langseiten.  Sehr  merkwürdig  ist, 
dass  die  letzteren  keine  Treppenzugänge  haben,  also  von  der  Ge- 
meinde nicht  benutzt  gewesen  sein  können,  woraus  ihre  ausschliess- 
lich konstruktive  Bedeutung  klar  erhellt. 

Das  System  des  Vorderschiffes  setzt  sich  im  Chor  nicht  fort. 
Derselbe  hat  immer  den  Säulenumgang  —  gewöhnlich  mit  vier  Ka- 
pellen — ,  dessen  flaches  Steindach  eine  so  geringe  Neigung  hat,  dass 
die  Fenster  fast  unmittelbar  über  den  Scheidbögen  beginnen.  Das 
Gewölbe  des  Umganges  ist  ein  ringförmiges  Tonnengewölbe,  in  welches 
von  den  Scheid-  und  Schildbögen  Kappen  einstechen.  Die  Scheid- 
bögen sind  stark  überhöht,  um  für  die  Stichkappen  horizontale  Scheitel- 
linien zu  bekommen. 

Ueberblickcn  wir  die  Gesamtkomposition  der  auvergnatischen 
Kirchen,  so  ist  das  am  meisten  Auffallende  die  gewaltig  gesteigerte 
Höhe  der  Vierung.  Sie  befremdet,  wenn  man  den  Standpunkt  der 
Betrachtung  allein  im  Inneren  nimmt,  um  so  mehr,  als  sie  hier  fast 
gar  nicht  sich  geltend  zu  machen  vermag.  Sie  kommt  einzig  dem 
Aeusseren  zu  gute.  Für  dieses  als  Steigerung  und  Abschluss  des 
im  Chor  ansetzenden  Gruppenaufbaues  ist  sie  allerdings  vom  höchsten 
Werthe.  In  der  Ostansicht  auvergnatischer  Kirchen  sind  Wirkungen 
von  wahrhaft  vollendeter  Schönheit  mit  sicherer  Meisterschaft  be- 
rechnet und  erreicht.  Man  fühlt  im  Angesicht  der  freien  Höhen- 
lage der  meisten  dieser  Gebäude  die  Lust,  womit  die  künstlerische 
Phantasie  vor  allem  in  diese  Richtung  sich  locken  Hess.  Es  ist,  als 
ob  der  Genius  der  edelgeformten  Berge  des  Landes  an  diesen  herr- 
lichen Gruppen  mitgebaut  habe.  Allein,  indem  alle  Gedanken  auf 
dies  eine  gerichtet  waren,  kam  anderes  zu  kurz.  Vorab  der  Innen- 
raum. Der  Hauptmangel,  der  einer  ausreichenden  Beleuchtung  des 
Mittelschiffes,  ist  schon  eingangs  berührt.  Das  Lastende  des  grossen, 
dunkeln  Tonnengewölbes  wird  gesteigert  durch  die  geringe  Gliederung 
der  Mauer,  die  enge  Pfeilerstellung,  die  schmalen  und  hohen  Ver- 
hältnisse  des  Querschnittes,    welche  auch   das   schöne  Motiv  des 


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Achtes  Kapitel:  Hallenkirchen  mit  Tonnengewölbe.  ^yj 

Säulenumganges  im  Chor  nicht  zur  Geltung  kommen  lassen.  Alle 
diese  Momente  aber  wirken  nach  einer  Richtung  und  bringen  dem- 
gemäss  eine  sehr  bestimmte  künstlerische  Wirkung  hervor,  welche  frei- 
lich für  uns  etwas  Fremdartiges  hat.  Es  ist  derselbe  Grundakkord,  wie 
in  den  Hallenkirchen  des  Westens,  trotz  der  Verschiedenheit  des 
Stützensystemes  und  eben  durch  sie  in  seiner  durchdringenden  Eigen- 
art besonders  fühlbar,  und  wir  dürfen  die  früher  ausgesprochene  Ver- 
mutung, dass  etwas  spezifisch  Keltisches  —  ist  ja  doch  die  Auvergne 
neben  den  Westprovinzen  der  am  meisten  keltisch  gebliebene  Teil 
von  Frankreich  —  hierin  zum  Vorschein  komme,  mit  gesteigertem 
Vertrauen  wiederholen. 

Die  schöne  Perspektive,  die  Bruno  Specht  nach  unseren  Angaben 
von  S.  Sernin  zu  Toulouse  gezeichnet  hat  (Taf.  133,  Fig.  i),  bringt 
die  Stimmung  dieser  auvergnatischen  Bauten  in  sehr  zutreffender 
Weise  zum  Ausdruck,  während  die  von  S.  Nectaire  (Taf.  133,  Fig.  2), 
nach  Michel  (L'ancienne  Auvergne)  kopiert,  der  malerischen  Wirkung 
zuliebe  zu  pikante  Lichteffekte  giebt. 

Bei  der  Gleichartigkeit  der  auvergnatischen  Bauten  genügt  die 
Besprechung  einer  kleineren  Auswahl. 

NOTRE-DAME-DU-PORT  ZU   ClERMONT-FeRRAND  (Taf.  I  1 9,  I30,  131, 

132).  Manches  trifft  zusammen,  um  in  dieser  alten  und  berühmten 
Kirche  der  Landeshauptstadt  auch  im  baugeschichtlichen  Sinne  die 
Mutter  der  ganzen  Familie  zu  vermuten.  Allerdings  könnte  das  nicht 
der  heute  bestehende  Bau  sein.  Denn  dieser  ist,  nach  dem  Charakter 
der  Einzelformen  zu  urteilen,  keinesfalls  lange  vor  a.  noo  begonnen 
und  sicherlich  erst  nach  dieser  Epoche  vollendet.  Inwieweit  ist  er  durch 
Altes  bedingt?  Der  Stiftungsbau  wurde  a.  470  errichtet,  gleichzeitig 
mit  S.  Martin  in  Tours  und  vielleicht  auch  in  baulicher  Verwandt- 
schaft. Dass  dieser  nicht  unverändert  bis  E.  saec.  11  bestanden  hat, 
ist  gewiss.  Wir  erfahren  von  Beschädigung  durch  die  Normannen.  Die 
dadurch  nötig  gemachten  Arbeiten  des  Bischofs  Sigonius  werden,  da 
sie  nur  fünf  Jahre  erforderten  (863—868),  Reparaturen  gewesen  sein, 
kein  Neubau.  Kommt  unserer  Kirche  wirklich  die  vermutete,  vor- 
bildliche Wirkung  zu,  so  kann  diese  nur  von  einem  nach  dem  9.  saec. 
anzunehmden  Neubau  ausgegangen  sein.  Mindestens  der  Chorgrund- 
riss  hatte  in  den  zwanziger  Jahren  des  11.  saec.  schon  dieselbe  Ge- 
stalt, wie  heute.  Denn  um  diese  Zeit  wurde  er  von  S.  Aignan  in 
Orleans  zum  Muster  genommen  (vgl.  S.  270).  Dergleichen  Nach- 
ahmungen pflegen  sich  aber  nicht  an  ein  älteres  Werk,  sondern  an 
ein  die  neuesten  Fortschritte  der  Kunst  darbietendes  Vorbild  anzu- 
lehnen.  Auch  die  bei  dieser  Gelegenheit  wahrzunehmende  Veränderung 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


im  Titel  (die  H.  Maria  tritt  an  die  Spitze  und  verdrängt  die  HH.  Agri- 
cola  und  Vitalis)  würde  zu  einem  Neubau,  etwa  in  der  baulustigen  Zeit 
um  a.  iooo,  wohl  passen.  Hätten  wir  dann  die  Thätigkeit  zu  A.  saec.  12 
nur  als  einen  Umbau  aufzufassen,  so  fände  der  jetzt  so  auffallende 
Antagonismus  zwischen  dem  Aeussern  und  dem  Innern  —  dort  vir- 
tuose Beherrschung  aller  Kunstmittel,  hier  altertümliche  Befangenheit 
—  eine  befriedigende  Erklärung.    Sehr  zu  bemerken  ist  weiter,  dass 
die  charakteristische   Anordnung  der  Vierungsbögen    ihre  nächsten 
Analogien  gerade  in  Werken  der  frühromanischen  Epoche  findet : 
S.  Martin  d'Ainay  aus  E.  saec.  10  (Taf.  122),  S.  Philibert  zu  Tournus 
A.  saec.  n  (Taf.  137)  und  andere  Bauten  Burgunds,  also  derselben 
Schule  angehörig,  mit  der  die  auvergnatische  die  Halbtonnen  gemein 
hat;  endlich  ein  noch  früheres  Vorbild  Germigny  des  Pres  oberhalb 
Orldans  (Taf.  41  Fig.  12). 

S.  Paul  zu  Issoire  (Taf.  119,  130,  131).  Die  Formbehandlung 
dieselbe  wie  in  Clermont,  System  und  Raumbildung  erheblich  fort- 
geschrittener; namentlich  der  Querschnitt  frei  und  schön,  wenn  auch 
durch  die  unvermeidlichen  Mängel  der  Lichtführung  in  der  Wirkung 
geschmälert. 

Ferner:  Orcival;  Ennezat;  S.  Saturnin,  mit  Umgang  aber  ohne 
Kapellen;  Cournon;  ausnahmsweise  mit  Säulen,  derb  und  schlicht, 
S.  Nectaire  (Taf.  133)  und  Chauviat;  S.  Amable  in  Riom,  gleichfalls 
eine  Ausnahme  für  die  Auvergne,  mit  Spitzbögen  und  Arkaden. 

Zum  Schluss  giebt  auch  das  auvergnatische  System,  jedoch  später 
als  irgend  ein  anderes,  der  Hinneigung  zum  Kreuzgewölbe  nach:  in 
S.  Julien  zu  Brioude  (Taf.  119,  Fig.  19),  entstanden  im  Uebergang 
vom  12.  zum  13.  saec. 

Ausserhalb  der  Auvergne  ist  das  in  Rede  stehende  System  nur 
durch  wenige,  aber  grossartige  Denkmäler  vertreten.  Obenan  S.  Sernin 
(Saturninus)  zu  Toulouse,  eine  gewaltige  fünfschifnge  Anlage  mit 
dreischiffigem  Querschiff  (Taf.  119.).  Die  Abweichungen  des  Aufbaus 
(Taf.  132)  von  dem  auvergnatischen  sind  nicht  unerheblich:  durch- 
laufende Halbsäulen  und  Gurtbögen  bei  jedem  Pfeiler;  üeffnung  der 
Emporen  in  der  gleichen  Breite  mit  den  darunter  befindlichen  Schiffs- 
arkaden;  kräftiges  Kämpfergesimse;  keine  Höherführung  der  Vierung. 
Der  Querschnitt  (Taf.  130)  zeigt  den  struktiven  Gedanken  des  Systems 
besonders  klar  und  folgerichtig  entwickelt.  Er  widerlegt  sehr  bestimmt 
die  von  uns  mit  andern  Gründen  schon  S.  318  bekämpfte  Behauptung, 
dass  das  auvergnatische  System  die  Vorstufe  des  gotischen  Strebebogens 
bilde.  Etwas  Gedankenverwandtes  liegt  allerdings  vor,  aber  es  liegt 
nicht  in  den  Halbtonnen  (ViolletleDucs  >arc  boutant  continu«)  son- 
dern in  dem  doppelten  System  von  Strebewänden  —  über  den  Gurt- 
bögen der  Emporen  wie  über  denjenigen  der  äusseren  Seitenschiffe  — 


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Achtes  Kapitel:  Hallenkirchen  mit  Tonnengewölbe. 


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wodurch  der  Seitenschub  des  Mittelschiffsgewölbes  in  der  That  in  einer 
dem  gotischen  Strebesystem  ganz  analogen  Weise  paralysiert  wird  — 
Saint-Sernin  gilt  mit  Recht  für  eines  der  Hauptwerke  der  romanischen 
Baukunst.  Dies  darf  behauptet  werden,  man  mag  im  ganzen  und 
einzelnen  noch  so  viel  daran  zu  tadeln  finden.  Und  es  ist  nicht 
wenig,  was  einem  vollkommen  harmonischen  Eindruck  im  Wege 
steht.  —  Viollet-le-Duc  (D.  R.  VII.  S.  537  ff.)  widmet  den  Proportionen 
von  Saint  Sernin  eine  eingehende  Untersuchung,  auf  welche  wir  ver- 
weisen können.  Allein  diese  Proportionen  mögen  geometrisch  noch 
so  korrekt  sein,  perspektivisch  erscheint  das  untere  Geschoss  zu  hoch. 
Die  Doppelarkade  der  Empore  ist  ausserordentlich  schön ,  aber  das 
Gewölbe  setzt  zu  nahe  über  ihrem  Scheitel  an.  Die  Pfeilerbildung 
ist  spröde  und  trocken  und  bei  der  Enge  der  Bögen  und  der  relativ 
grossen  Pfeilerstärke  ist  der  perspektivische  Durchblick  durch  die  fünf 
Schiffe  nach  allen  Seiten  gehemmt.  Man  fühlt  sich  an  römische 
Substruktionen  gemahnt.  —  Der  Uebelstand,  dass  durch  die  grosse 
Verstärkung  der  Vierungspfeiler  der  Blick  nach  dem  Chor  fast  ganz 
verloren  geht,  fällt  nicht  dem  ersten  Erbauer  zur  Last,  sie  wurden 
im  saec.  13  bei  Höherführung  des  Turmes  verstärkt.  Indes  ist  der 
Chorschluss  auch  an  sich  betrachtet  nicht  durchaus  geglückt.  Sehr 
schön  und  edel  präsentieren  sich  die  dreischiffigen  Kreuzarme.  S.  Sernin 
teilt  naturgemäss  die  Mängel  des  Systems  hinsichtlich  der  Lichtführung. 
Kommt  gegen  die  Mittagsstunde  durch  die  Fenster  der  Emporen  reich- 
licheres Licht  herein  und  umspielt  die  zierlichen  Säulen  der  oberen 
Doppelbögen ,  so  entstehen  gleichwohl  reizende  Lichteffekte.  Aber 
alle  diese  Mängel  vermögen  nicht,  den  hohen  Ernst  des  gewaltigen 
Innenraumes  zu  vernichten,  ja  vielmehr  ist  derselbe  gerade  durch  die 
mangelhafte  Beleuchtung,  durch  das  zerstreute  Licht  in  dem  nirgends 
direkt  beleuchteten  Hauptschiffe  mit  bedingt.  —  Die  Abteikirche  von 
Conques  (Taf.  119,  130,  132)  hat  bei  dreischiffiger  Anlage  grosse  Aehn- 
lichkeit  mit  S.  Sernin,  ist  indes  weniger  harmonisch  durchgebildet.  Der 
Querschnitt  ist  ausserordentlich  eng  und  hoch,  das  Schiff  kurz,  die 
Raumwirkung  —  wir  kennen  die  Kirche  aus  eigener  Anschauung  nicht 
—  kann  keine  sehr  günstige  sein.  Angeblich  zwischen  a.  1030  — 1060 
erbaut,  was  wegen  der  augenscheinlichen  Nachahmung  von  S.  Sernin 
(Chor  geweiht  a.  1096,  Schiff  saec.  12)  nicht  richtig  sein  kann. 

Man  ist  gewöhnt,  die  beiden  obengenannten  Denkmäler  wegen  der 
Uebereinstimmung  des  Gewölbesystemes  der  auvergnatischen  Schule 
zuzurechnen.  Ein  solcher  Zusammenhang,  wenn  er  überhaupt  bestanden 

')  Während  des  Druckes  kommt  uns  J.  Reimers  Abhandlung :  Das  auvergnatische 
Halbtonnensystcm  und  der  Strebebogen  (Zeitschr.  f.  bild.  Kunst  1887,  Heft  5,  6}  in 
die  Hand,  worin  die  Aufstellungen  Violett-le-Ducs  und  Grafs  im  einzelnen  nicht  frei  von 
Irrtümern,  im  ganzen  recht  treffend  widerlegt  wurden. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


hat,  kann  indes  nur  von  sekundärer  Bedeutung  gewesen  sein.  Wir  haben 
an  früherer  Stelle  (S.  264)  den  Grundriss  von  S.  Sern  in  als  Kopie, 
bis  in  die  Einzelheiten  der  Pfeilerform  genaue  Kopie  von  S.  Martin 
in  Tours  nachgewiesen.  Allein  schon  darin  liegt  die  Notwendigkeit, 
dass  auch  das  System  des  Aufbaues  mehr  oder  minder  ähnlich  gewesen 
sein  muss.  Eine  leider  nur  flüchtige  Ansicht  von  S.  Martin  aus  dem 
J.  1798  (Abb.  in  Bull.  mon.  1874  p.  50)  weist  diese  Aehnlichkeit  und 
damit  alle  die  oben  namhaft  gemachten  Abweichungen  vom  auvergna- 
tischen  Typus  in  der  That  auf.  Allerdings  zeigt  S.  Martin  noch  ein 
wichtiges  Plus :  eine  von  Fenstern  durchbrochene  Hochmauer  über  den 
Emporen  1  Hier  ist  zu  berücksichtigen,  dass  der  Bau  in  Tours,  obgleich 
das  Vorbild  jenes  in  Toulouse,  erst  später  als  dieser  seine  letzte  Voll- 
endung erhielt.  Zwei  erhebliche  Brandschäden,  zu  1122  und  1 175, 
werden  gemeldet.  Abschluss  der  Arbeiten  erst  im  13.  saec.  Zweier- 
lei ist  also  möglich:  entweder  der  Lichtgaden  von  S.  Martin  ist  ein 
Zusatz  dieser  Spätzeit,  und  dann  giebt  S.  Sernin  auch  in  diesem 
Punkte  die  ursprüngliche  Absicht  des  Vorbildes  genau  wieder;  oder 
der  Lichtgaden  war  wirklich  vom  Anfang  an  projektiert,  dann  haben 
sich  die  Erbauer  von  Sernin  aus  Vorsicht  eine  Abweichung  gestattet 
und  die  ihnen  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ganz  wohl  bekannte 
auvergnatische  Konstruktionsart  bevorzugt. 

Der  in  Rede  stehende  Typus  hat  in  Südfrankreich  keine  weitere 
Nachahmung  gefunden.  Wohl  aber  finden  wir  ein  in  allen  Stücken 
sehr  ähnliches  Gebäude  in  der  berühmten  spanischen  Wallfahrtskirche 
S.  Jaco  de  Compostella  (Grundriss  Taf.  119).  Sie  gilt  allgemein  für 
eine  genaue  Wiederholung  von  S.  Sernin  in  Toulouse.  Nach  unseren 
obigen  Ausführungen  Hesse  sich  ebensogut  denken,  dass  sie  direkt  nach 
S.  Martin  kopiert  wäre,  der  französischen  Wallfahrtskirche  par  excellence. 

Ungefähr  gleichzeitig  mit  diesen  Bauten  entsteht  nordöstlich  der 
Auvergne  ein  Werk,  welches  bei  allgemeinem  Anschlüsse  an  das  auverg- 
natische System  darin  über  dasselbe  hinausgeht,  dass  es  dem  Mittel- 
schiffe seine  selbständige  Beleuchtung  wiedergiebt,  S.  Etienne  zu 
Neyers.  Gegründet  a.  1063,  geweiht  a.  1099,  eines  der  bestdadierten, 
auch  homogensten  Werke.  Der  Querschnitt  des  Mittelschiffes  (Taf.  130) 
ist  im  Verhältnis  nicht  höher  als  bei  den  anderen  auvergnatischen 
Kirchen,  es  musste  also,  um  Raum  für  Oberfenster  zu  gewinnen,  das 
Verhältnis  der  unteren  Arkaden  ein  niedrigeres  werden  (Taf.  131). 
In  der  Empore  Doppelarkaden;  darüber  die  Oberfenster;  die  Halb- 
säulen steigen  ohne  Pilasterunterlage  an  der  Mittelschiffsmauer  zum 
Gewölbe  auf,  was  keinen  ganz  günstigen  Eindruck  macht.  Sonst  ist 
das  System  gut  gegliedert.  Im  Chor  ein  niedriges  Triforium,  eines 
der  ältesten. 


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Achtes  Kapitel:  Hallenkirchen  mit  Tonnengewölbe. 


375 


Wenn  S.  Etienne  in  Nevers  eine  Erweiterung  des  auvergnatischen 
Systems  in  der  Richtung  auf  die  Basilika  bedeutet,  so  lernen  wir  von 
dem  hier  gewonnenen  Punkte  aus  eine  Vereinfachung  in  der  Kirche  des 
einsamen  Bergklosters  Chätel-Montagne  im  Bourbonnais  kennen 
(Taf.  132).  Das  Zwischengewölbe  der  Empore  ist  hier  nämlich  ausge- 
fallen (Fig.  5),  gleichwohl  aber  sind  deren  Bogenöffnungen  im  System 
(Fig.  4)  beibehalten.  Aehnlichen  Querschnitt  erkennt  man  an  der  in 
unserem  Jahrhundert  zum  grössten  Teil  zerstörten  Kirche  S.  Sauveur 
in  Nevers. 


Beschreibung  der  Tafeln. 

Grundrisse. 

Da  die  Planbildungen  der  tonnengewölbten  Hallenkirchen  und  lonnengewölbten  Basiliken  nicht  prinzipiel 
verschieden  sind,  haben  wir  die  ru  Kap.  8  und  Kap.  9  gehörenden  Risse  vereinigt. 

Tafel  117. 

1.  *Lyon:  S.  Martin  (TAinay.  —  saec.  10?  —  Bezold. 

2.  Vaison:  Kathedrale.  —  saec.  it.  —  Revoil. 

3.  S.  Guilhem-en-disert.  —  saec.  ir.  —  Revoil. 

4.  Arles:  S.  Trophime.  —  saec.  n  — 12.  —  Revoil. 

5.  S.  Paut-trois-Chäteaux.  —  saec.  12.  —  Archives  mon.  hist. 

6.  *Moirax.  —  E.  saec.  11.  —  Dehio. 

7.  *Civray:  S.  Nicolas.  —  saec.  12.  —  Bezold. 

8.  *Parthenay~le-vieux.  —  saec.  12.  —  Dehio. 

9.  *La  Garde- Adhemar.  —  saec.  12.  —  Bezold. 

10.  Saint-Savin.  —  saec.  11.  —  Me'rime'e. 

11.  *Poitiers:  Notrc-Dame-la-Grande.  —  saec.  11 — 12.  —  Dehio. 

12.  Carcassonne :  S.  Nazaire.  —  saec.  n.  —  Archives. 

13.  Getifay:  S.  Maurice.  —  saec.  11  —  12.  —  Parker. 

Tafel  118. 

1.  Huesca:  S.Pedro.  —  saec.  12.  —  Street. 

2.  Trau:  S.Martin.  —  saec.  11  — 12.  —  C.-Comm. 

3.  Val  de  Dios:  S.  Salvador.  —  saec.  11  — 12.  —  Mon.  Esp. 

4.  Leon:  S.  Isidoro.  —  saec.  12.  —  Street. 

5.  ChäteaU'Poncat.    —  saec.  12.  —  De  Baudot. 

6.  *Souvigny.  —  saec.  11,  erweitert  saec.  12.  —  Bezold. 

7.  Lesterps.  —  saec.  12.  —  Viollet-le-Duc. 

8.  Romain-motier.  —  saec.  11.  —  Rahn. 

9.  Tournus:  S.  Philibert.  —  saec.  11.  —  Archives  mon.  hist. 
io.  Fontfroide.  —  saec.  12.  —  Taylor  et  Nodier. 


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376 


Zweites  Bach:  Der  romanische  Stil. 


11.  Senanque.  —  saec.  12.  —  Revoil. 

12.  *Hauterive.  —  saec.  12.  —  Rahn. 

13.  Silvaeanne.  —  saec.  12.  —  Revoil. 

Tafel  119. 

1.  Bester $:  S.  Aphrodite,  Krypta.  —  saec,  10?  —  Bull.  mon. 

2.  Orlians:  S.  Aignan,  Krypta.  —  gew.  a.  1029.  —  Bull.  mon. 

3.  Auxerre:  S.  Etienne,  Krypta.  —  Gegr.  a.  102 1.  —  Viollet-le- Duc. 

4.  Tournus:  S.  Philibert,  Krypta.  —  saec.  11.  —  Archive s. 

5.  Monttnajour,  Krypta.  —  c.  a.  1020.  —  Revoil. 

6.  Saintes:  S.  Eutrope,  Krypta.  —  saec.  12.  —  Viollet-le-Duc. 

7.  Le  Mans:  JV.-D.-de-la-culture.  —  Links  Restitution  saec.  9,  rechts 
Chor  c.  a.  1000,  Schiff  2.  H.  saec.  12.  —  Congres  arch. 

7»  Dasselbe:  Krypta.  —  Rohault  de  Fleury. 

8.  Tours:  S.  Martin.  —  Chorgrundriss  von  a.  997.  —  Bull.  mon. 

9.  *  Tours:  S.  Martin.  —  saec.  12.  —  Nach  Photographie  einer  Auf- 
nahme aus  der  Zeit  des  Abbruchs  um  1790. 

10.  Reims:  S.  Remy.  —  saec.  11.  —  Viollet-le-Duc,  King. 

11.  Vigncry.  —  saec.  n.  —  Archives  mon.  hist. 

12.  Toulouse:  S.  Sernin.  —  E.  saec.  11.  —  Archives. 

13.  S.  Jago  de  Compostella.  —  saec.  12.  —  Street. 

14.  Nevers:  S.  Etienne.  —  E.  saec.  11.  —  Bulletin  Nivernais. 

15.  Clermont-Ferrand:  N.-D.-du-Port.  —  saec.  11.  —  Gailhabaud. 

16.  */ssoire:  S.  Paul.  —  saec.  12.  —  Bezold.  —  Der  westliche  Vor- 
bau nicht  ganz  richtig. 

17.  Figeac:  S.  Sauveur.  —  saec.  12.  —  Bull.  mon. 

18.  Conques.  —  saec.  11  — 12.  —  Taylor  et  Nodier. 

19.  Brioude:  S.  Julien.  —  saec.  12.  —  Mallay. 

20.  Saint-Aignan  (Krypta).  —  saec.  12.  —  Archives. 

21.  Montbron.  —  saec.  11  -12.  —  De  Baudot. 

22.  Ar nac~ Pompadour.  —  saec.  12.  —  De  Baudot. 

Tafel  120. 

1.  Cluny.  —  a.  1098,  Vorhalle  a.  1 187,  Türme  saec.  11.  —  Mabil- 
lon,  Lenoir,  Penjon. 

2.  *La  Charite"- sur- Loire.  —  saec.  11  u.  12.  —  Bezold. 

3.  Paray-k'Monial.  —  1.  H.  saec.  12.  —  Archives. 

4.  Beaune.  —  1.  H.  saec.  12.  —  Archives. 

5.  *S.  Benoit-sur- Loire.  —  Chor,  Querschiff  und  Vorhalle  2.  Hälfte 
saec.  n,  Schiff  saec.  12.  —  Bezold. 

Tafel  121. 

1.  Payerne.  —  saec.  11.  —  Rahn. 

2.  * Anzy-le-Duc.  —  saec.  11.  —  Dehio. 


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Achtes  Kapitel:  Hallenkirchen  mit  Tonnengewölbe. 


377 


3.  *La  Charite",  Chor  des  saec.  11  restauriert.  —  Bezold. 

4.  *Chateau-Meillant.  —  saec.  11 — 12.  —  Archives  (Skizze). 

5.  Chäteauneuf-en-Brionnais.  —  saec.  12.  —  De  Baudot. 

6.  *Semur-en-Brionnais.  —  saec.  12.  —  Bezold. 

7.  Bris- Sie.  Marie.  —  saec.  12.  —  De  Baudot. 

8.  *Langres:  Kathedrale.  —  2.  H.  saec.  12.  —  Bezold. 

9.  Autun:  Kathedrale.  —  1.  H.  saec.  12.  —  Viollet-le-Duc. 

10.  Vierine:  Kathedrale.  —  saec.  12  u.  13.  —  Rey. 

11.  Lyon:  Kathedrale.  —  saec.  12  u.  13.  —  Be'gule. 

EINGESCHOSSIGE  HALLENKIRCHEN. 
Querschnitte. 
a)  Mit  vollen  Tonnen  in  den  Seitenschiffen. 

Tafel  122. 

1.  Lyon:  sog.  Krypta  S.Jrenie.  —  saec.  10?  —  Hübsch. 

2.  Lerins:  S.  Honorat.  —  saec.  10?  —  Revoil. 

3.  *Lyon:  S.Marlin  d Ainay.  —  saec.  10,  überarbeitet  saec.  12.  — 
Bezold. 

4.  Careassonne :  S.  Nazaire.  —  2.  H.  saec.  11.  —  Archives. 

5.  *Lesterps.  —  saec.  10— 11.  —  Archives  (Skizze). 

6.  *Civray.  —  saec.  12.  —  Bezold. 

7.  *  Lescures.  —  saec.  12.  —  Bezold. 

8.  *Souvijrny.  —  Rechts  saec.  11 ,   links  Erweiterung  saec.  12.  — 
Bezold. 

b)  Mit  Halbtonnen  in  den  Seitenschiffen. 

Tafel  123. 

1.  *Parthenay-vieux.  —  saec.  12.  —  Dehio. 

2.  Silvaeanne.  —  2.  H.  saec.  12.  —  Revoil. 

3.  Chätfau-Poncat,  Chor.  —  saec.  12.  —  De  Baudot. 

4.  Lirins.  —  saec.  11  — 12.  —  Revoil. 

5.  *Grandson.  —  saec.  11.  —  Rahn. 

6.  Preuilly.  —  saec.  12.  —  Bull.  mon. 

7.  Fontfroide.  —  E.  saec.  12.  —  Taylor  et  Nodier. 

c)  Mit  Kreuzgewölben  in  den  Seitenschiffen. 

Tafel  124. 

1.  *Saint-Savin.  —  saec.  11.  —  Bezold.  Me"rime"e. 

2.  *Poitiers:  Notre-Dame-la- Grande.  —  A.  saec.  12.  —  Bezold. 

3.  *Chauvigny:  S.Pierre.'—  saec.  12.  —  Bezold. 

4.  *Chauvigny:  Notre-Dame.  —  saec.  12.  —  Dehio. 

5.  *Moirax.  —  E.  saec.  11.  —  Bezold. 

6.  *Beaulieu  (Correze).  —  saec.  12.  —  Archives  (Skizze). 

25 


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37» 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


LANGENSCHNITTE. 

Tafel  125. 

1.  *Lyon:  S.  Afartin  d'Ainay.  —  Bezold. 

2.  Lirins.  —  Revoil. 

3.  Chäteau-Pon(at.  —  De  Baudot. 

4.  Silvacanne.  —  Revoil. 

Tafel  126. 

1.  *Poitiers:  Notre-Dame-la-Grande.  —  Bezold. 

2.  *Civray:  S.  Nicolas.  —  Bezold. 

Tafel  127. 

1.  * 'Saint- Savin.  —  Bezold,  Mdrime"e. 

2.  Carcassonnt:  S.  Nazaire.  —  Archive s. 

3.  *Chauvigny:  Notre-Dame.  —  Dehio. 

4.  Fontfroide.  —  Taylor  et  Nodier. 

5.  *Moirax.  —  Bezold. 

Uebergang  zum  Kreuzgewölbe. 

Tafel  128. 

1,  2.  La  Souterraine.  —  2.  H.  saec.  12.  —  Archives. 

3.  *Chambon.  —  saec.  11  u.  12.  —  Archives  (Skizze). 

4,  5.  *Ruffec.  —  saec.  12.  —  Archives  (Skizze). 

Perspektiven. 

Tafel  129. 

1.  * Binivent-V Abbaye .  —  saec.  12.  —  Photographie. 

2.  *Saint-Savin.  —  saec.  11  u.  12.  —  Dehio. 


HALLENKIRCHEN  MIT  EMPOREN. 
Querschnitte. 

Tafel  130. 

1.  *Clermoni:  Notrc- Damc-du-Port .  —  saec.  11— 12.  —  Bezold. 

2.  *Issoire:  S.  Paul.  —  saec.  12.  —  Bezold. 

3.  *Nevers:  S.  Etiennc.  —  saec.  11.  —  Bezold. 

4.  Conqucs.  —  saec.  n.  Spätzeit.  —  Taylor  et  Nodier. 

5.  Toulouse:  S.Sernin.  —  saec.  11  —  12.  —  Archives  des  mon.  hist. 

Langenschnitte. 

Tafel  131. 

1.  *Issoire:  S.  Paul.  —  Bezold. 

2.  Clcrmont-Ferrand:  Notre-Dame-du-Port.  —  Gailhabaud. 

3.  *Nevers:  S.  EJienne.  —  H.  Stier,  Bezold. 


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Achtes  Kapitel:  Hallenkirchen  mit  Tonnengewölbe.  37g 

Tafel  132. 

1.  Conqius.  —  Taylor  et  Nodier. 

2.  Toulouse:  S.  Sertun.  —  Archives  des  mon.  hist. 

3.  Clermont-Ferrand :  Notre-Dame-du-Pbrt.  —  Gailhabaud. 

4.  5.  Chätel-Montagne.  System  und  Querschnitt.  —  saec.  11  — 12.  — 
Viollet-le-Duc. 

Innenansichten. 

Tafel  133. 

1.  *  Toulouse:  S.  Sernin.  —  Bruno  Specht  nach  geometrischen  Auf- 
nahmen. 

2.  S.  Nectaire.  —  Michel,  L'ancienne  Auvergne. 


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Neuntes  Kapitel. 

Die  tonnengewölbte  Basilika. 


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Die  romanische  Baukunst  der  Süd-  und  Westprovinzen  des  alten 
Galliens,  wie  sie  in  den  vorigen  Kapiteln  dargestellt  worden,  war  im 
1 1.  Jahrhundert  unstreitig  die  vorgeschrittenste  des  Abendlandes,  inso- 
fern sie  erreicht  hatte,  was  allen  andern  nur  als  ein  fernes  Ideal  vor- 
schwebte: den  durchgeführten  Gewölbebau.  Im  1 2.  Jahrhundert  sodann 
hat  sie  nicht  nur  der  Formenphantasie  des  Zeitalters  eine  unvergleich- 
lich glanzvolle  und  blühende  Sprache  geliehen ,  sondern  auch  eine 
Anzahl  von  Bauwerken  geschaffen,  die  mit  strengstem  architektoni- 
schem Masse  gemessen  dem  Besten,  was  der  christliche  Kirchenbau 
irgendwann  erreicht  hat,  zuzurechnen  sind.  Auf  die  gemein-euro- 
päische Entwicklung  aber  hat  sie  keinen  nennenswerthen  Einfluss 
gewonnen.  Ihr  kommt,  von  diesem  Standpunkte  aus  beurteilt,  nur 
die  Bedeutung  einer  Episode  zu.  Nicht  ohne  eine  Art  tragischen 
Mitgefühls  können  wir  den  machtvollen,  stolzen  Strom  dieser  Bau- 
kunst, unmittelbar  nachdem  er  die  Schwelle  des  13.  Jahrhunderts  er 
reicht  hat.  im  Sande  der  Unbedeutendheit  und  Unfruchtbarkeit  sich 
verlieren  sehen.  Die  äusseren  Schicksale  der  Länder  —  es  sei  nur  an 
die  Albigenserkriege  einerseits,  die  Kriege  zwischen  der  englischen 
und  französischen  Krone  andererseits  erinnert  —  erklären  vieles, 
nicht  alles.  Das  Verhängnis  liegt  schon  in  der  von  ihnen  einge- 
schlagenen baukünstlerischen  Richtung  als  solcher.  Es  musstc  die 
Zeit  kommen,  wo  es  sich  bestrafte,  dass  sie  von  der  Grundüber- 
lieferung des  christlichen  Altertums  sich  eigenwillig  getrennt  hatten, 
während  das  ganze  übrige  Abendland  unbeirrt  dieser  nachzuleben  fort- 


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Neuntes  Kapitel :  Die  tonnengewölbte  Basilika. 


381 


fuhr  —  der  Ueberlieferung  der  Basilika.  Und  diese  Zeit  war  da,  sobald 
es  irgendwo  einer  anderen  Schule  gelang,  die  Idee  der  Basilika  in 
die  Formenwelt  des  Gewölbebaues  überzuführen.  Das  war  keine 
unabhängige  Frage  des  Geschmacks,  ein  unermessliches  geschicht- 
liches Vorurteil  trieb  auf  das  eine  Ziel  hin.  War  es  erreicht,  so 
musste  die  Vielheit  der  romanischen  Bauweisen  aufhören ,  war  die 
Stunde  des  europäischen  Einheitsstils  gekommen.  Die  siegende 
Formel  ist,  wie  man  weiss,  an  der  Seine  gefunden  worden.  Ihrer 
Feststellung  ging  aber  eine  lange  Reihe  von  Bemühungen  voraus  — 
in  der  Lombardei,  in  Burgund,  in  der  Normandie,  in  den  deutschen 
Rheinlanden  —  die  keineswegs  bloss  als  Vorstufen  der  Gotik,  sondern 
um  ihrer  selbst  willen  Beachtung  und  Schätzung  verdienen. 

Der  vereinzelten  Versuche,  das  Mittelschiff  basilikaler  Anlagen 
mit  einer  Reihe  von  Kuppeln  einzuwölben,  haben  wir  schon  gedacht 
(S.  349),  folgereich  sind  allein  die  auf  dem  Tonnengewölbe  oder  dem 
Kreuzgewölbe  beruhenden  Systeme. 

Das  Hauptland  der  tonnengewölbten  Basilika  ist  Burgund,  unter 
partieller  Mitbeteiligung  einerseits  der  Rhonelandschaften,  andererseits 
des  mittleren  Loiregebietes. 

Wir  unterscheiden  hier  in  genetischer  Hinsicht  zwei  Arten: 
eine,  die  von  der  gewölbten  Hallenkirche,  eine  andere,  die  von  der 
Basilika  mit  flacher  Holzdecke  ausgeht. 

Zu  der  ersteren  gehören  die  am  Schluss  des  vorigen  Kapitels 
besprochenen  Ausläufer  der  auvergnatischen  Schule  zu  Nevers  und 
Chätel-Montagne.  Dann  eine  etwas  zahlreichere  Gruppe  in  der  Pro- 
vence und  dem  Nieder-Languedoc  (Taf.  134).  —  Das  älteste  uns 
bekannte  Beispiel  bietet  S.  Guilhem-en-desert,  in  einem  Thal  der  Süd- 
Cevennen;  zwar  gewiss  nicht  aus  saec.  9,  wie  Revoil  annimmt,  sondern, 
nach  Ausweis  der  Zierglieder  saec.  11,  vielleicht  noch  aus  der  ersten 
Hälfte.  Die  Kathedrale  von  Vaison  ;  nach  ihrem  Querschnitt  eigentlich 
eine  Hallenkirche,  denn  die  Fenster  verfügen  nicht  über  eine  selb- 
ständige Obermauer,  sondern  schneiden  mittelst  Stichkappen  in  das 
Gewölbe  ein,  in  der  Weise,  dass  sie  über  dem  Kämpfergesimse  stehen. 
Im  Süden  fand  dieses  Verfahren  unsers  Wissens  keine  Nachahmung. 

S.  Trophime  in  Arles,  S.  Paul-trois-Chateaux  und  La  Garde- 
Adhemar  —  alle  drei  ohne  anwendbare  geschichtliche  Daten,  doch  wohl 
nicht  jünger  als  Anfang  bis  Mitte  saec.  12  —  zeigen  ausgebildeten  basili- 
kalen  Querschnitt,  zugleich  aber  auch  die  Mühe,  in  die  veränderten 
Konstruktionsbedingungen  sich  hineinzufinden.  Selbst  bei  der  mässigen 
Spannweite,  über  die  man  sich  nicht  hinauswagte,  glaubte  man  dem  hoch- 


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Zweites  Buch-  Der  romanische  Stil. 


liegenden  Tonnengewölbe  —  zumal  von  der  provengalischen  Gewohn- 
heit, dasselbe  mit  dem  Dach  in  eins  zusammenzuziehen,  nicht  abge- 
wichen wurde  —  die  stärksten  Widerlager  geben  zu  müssen.     Das  Ver- 
hältnis der  Pfeilerstärke  zur  lichten  Schiffsweite  in  diesen  Bauten  ist 
ohne  Beispiel  (1:2,10;  1:2;  1:1,8),  und  vollends  die  Seitenschiffe 
schrumpfen  zu  schmalen  Gängen  zusammen.    Zu  der  Enge  des  Quer- 
schnitts steht  die  bequeme  Weite  des  Arkadensystems  im  Widerspruch; 
doch  hat  sie  ihren  guten  Grund,  nämlich  in  der  Rücksicht  auf  die 
perspektivische  Ansicht:  es  sollte  trotz  der  enormen  Pfeilerstärke  der 
Blick  in  die  Seitenschiffe  offen  bleiben,  und  in  der  That  ist  dadurch  ein 
in  Betracht  der  vielen  Hindernisse  noch  immer  günstig  zu  nennender 
Raumeindruck  erzielt.   Eine  andere,  gewiss  weniger  willkommene  Folge 
war  die  bedeutende  Steigerung  der  Höhe,  die  nicht  durch  den  struktiven 
Aufbau  des  Querschnitts  als  solchen,  sondern  eben  durch  die  Weite  der 
Arkaden  bedingt  wurde.  Am  glücklichsten  hat  sich  mit  diesen  Schwierig- 
keiten der  Erbauer  von  S.  Paul-trois-Chäteaux  abgefunden;  der  ganz 
mit  antikem  Schönheitsgefühl  gesättigten  Wanddekoration  dieses  aus- 
gezeichneten Bauwerks  werden  wir  noch  ausführlicher  gedenken;  zu 
bemerken  ist  auch,  dass  überall,  selbst  im  Gewölbe,  vom  Spitzbogen 
auf  den  Rundbogen  zurückgegangen  ist. 

Waren  in  S.  Guilhem  die  Seitenschiffe  noch  mit  vollen  Tonnen- 
gewölben bedeckt,  so  zeigen  die  späteren  Beispiele  allgemein  an  dieser 
Stelle  die  steigenden  Halbtonnen,  die  wir  schon  aus  den  Hallen- 
kirchen dieser  Gegenden  kennen.  Sie  boten  den  Vorteil,  dass  mit 
ihnen  die  landesübliche  Verschmelzung  der  Gewölbedecke  mit  dem 
Dach  sich  ungleich  geschickter  und  mit  weniger  Materialverbrauch 
ausführen  Hess,  ferner  dass  sie  die  Scheidbögen  höher  zu  führen  er- 
laubten ;  von  einem  Vorzugswert  für  die  Verstrebung  des  Mittelschiffs- 
gewölbes, worin  von  manchen  der  Grund  für  ihre  Einführung  gesucht 
wird,  kann  bei  den  Basiliken  am  wenigsten  die  Rede  sein. 

Einen  isolirten,  leider  nicht  mehr  sicher  festzustellenden  Platz  in 
der  Baugeschichte  der  Provence  nimmt  die  Klosterkirche  von  Saint- 
Gilles  ein.  Wir  ahnen  in  ihr  einen  der  herrlichsten  Gedanken  des 
12.  Jahrhunderts,  ohne  ihn  enträtseln  zu  können.  Der  laut  Inschrift 
in  der  Krypte  a.  11 16  begonnene  Bau  war  beim  Ausbruch  der  Ketzer- 
verfolgung noch  unvollendet;  erst  seit  1261  legte  ein  recht  mittelmäs- 
siger  nordfranzösischer  Meister  die  Gewölbe  des  Hauptschiffs  (der 
interessante  Kontrakt  besprochen  von  Quicherat,  Me'langes  176  ff.}- 
Papst  Julius  II.,  der  einst  als  Kardinal-Erzbischof  von  Avignon  sich 
S.  Gilles  hatte  schenken  lassen,  plante  die  Vollendung  der  Fassade  und 
des  Chores  um  dieselbe  Zeit  als  er  den  Neubau  des  St.  Peter  beschloss; 
die  schwere  Verstümmelung,  die  wir  heute  sehen,  datiert  von  den  Partei- 
kämpfen unter  Ludwig  XIII.  und  von  1793.  —  Vom  Schiff  der  Kirche 


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Neuntes  Kapitel:  Die  tonnengewölbte  Basilika. 


333 


wurden  die  ersten  fünf  Joche  im  Jahre  1650  notdürftig  zum  Gottesdienste 
wieder  eingerichtet.  Die  Pfeiler  sind  zwar  noch  die  ursprünglichen, 
aber,  wie  man  an  dem  einzigen  unverändert  erhaltenen  Joch  des  nörd- 
lichen Seitenschiffs  (jetzt  als  Sakristei  verwendet)  erkennt,  um  2,15  m 
niedriger  gemacht  (vielleicht  schon  1261)  und  mit  garstigen  Barock- 
gewölben versehen.  Die  vorzüglich  behandelten  alten  Kapitelle  wurden 
wieder  verwendet.  Der  im  Schutte  des  Chores  aufgefundene  Schluss- 
stein ist  kein  Beweis  für  Kreuzgewölbe  im  Mittelschiff.  Die  Pfeiler- 
form deutet  für  das  Mittelschiff  im  Gegenteil  eher  auf  Tonnengewölbe. 
Weiter  lässt  sich  über  das  System  —  ob  Basilika  oder  Hallenanlage  — 
nichts  Begründetes  mutmassen.  —  Transept  und  Chor  liegen  jetzt  als 
Ruinen  unter  freiem  Himmel.  Im  Grundriss  zeigen  sie  eine  Verjüngung 
von  West  nach  Ost  von  27  m  auf  24,5  m,  dergleichen  hie  und  da 
übrigens  auch  sonst,  z.  B.  an  der  Kathedrale  von  Poitiers,  vorkommt. 
In  den  Pfeilermassen  links  vom  Eingang  in  das  Deambulatorium  des 
Chores  sieht  man  noch  den  Anfang  einer  Wendeltreppe,  ein  mit  Recht 
berühmtes  Meisterwerk  des  Steinschnittes.  Leider  ist  nicht  mehr  zu 
entscheiden,  ob  sie  zu  einer  etwa  vorhanden  gewesenen  Empore,  oder 
zu  einem  Turm  führte. 

Das  Gebäude  selbst  gibt  also  nur  ungenügende  Anhaltspunkte  zu 
seiner  Wiederherstellung  in  Gedanken.  Einige  nicht  ganz  verwerfliche 
Mutmassungen  lassen  sich  aber  an  die  Person  des  Bauherrn  knüpfen. 
Dieser  ist  Graf  Raimund  IV.  von  Toulouse,  einer  der  Führer  des 
ersten  Kreuzzuges  und  ein  so  ergebener  Verehrer  des  H.  Aegidius 
und  seines  Klosters,  dass  er  nur  >Graf  von  Saint-Gilles«  genannt  werden 
wollte.  Es  ist  wichtig,  sich  zu  erinnern,  dass  Graf  Raimund  noch 
eine  andere  Kirche  von  erstem  Rang  erbaut  hat:  S.  Sernin  in  Tou- 
louse. Unverkennbar  teilt  S.  Gilles  einige  Züge  mit  S.  Sernin  und 
zwar  —  was  besondere  Beachtung  verdient  —  solche  Züge,  die  der 
Baukunst  der  Provence  und  des  Nieder-Languedoc  sonst  fremd  sind. 
Dahin  gehört  vor  allem  der  Chor  mit  Umgang  und  ausstrahlenden 
Kapellen,  dahin  die  quadratischen  Pfeiler  mit  Vorlage  von  Zweidrittel- 
säulen an  jeder  Seite.  In  diesen  Analogien  liegt  wohl  ein  Anknüpfungs- 
punkt für  die  Vermutung,  dass  dieselben  auch  noch  auf  andere  Mo- 
mente, z.  B.  das  Konstruktionssystem  sich  erstreckt  haben  könnten, 
aber  auch  nicht  mehr.  Nicht  zu  vergessen  bleibe,  dass  S.  Gilles  um 
25  Jahre  jünger  ist  als  S.  Sernin,  25  in  dem  schnellen  Fortschritt  der 
Baukunst  jener  Zeit  schwer  wiegende  Jahre.  Und  offenbar  war  der 
Meister  von  S.  Gilles  einer  der  Protagonisten  in  diesem  Fortschritt. 
Die  Kreuzrippengewölbe  der  Krypta  gehören  zu  den  ältesten,  die  wir 
überhaupt  kennen.  Auch  in  dem  nahen  Zusammenrücken  der  Chor- 
kapellen und  ihren  massigen  Zwischenpfeilern  klingt  schon  ein  wich- 
tiger Gedanke  der  primitiven  Gotik  an.   Die  Ueberreste  von  S.  Gilles, 


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3«4 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


so  kläglich  zusammengeschmolzen  als  sie  sind,  bezeugen  doch,  dass 
es  die  grossartigste  Leistung  der  provencalischen  Kunst  —  welcher  der 

Bau  durch  seine  Forraenbehand- 
lung  durchaus  angehört  —  ge- 
wesen ist,  die  hier  unterging. 
Wir  denken  bei  diesem  Urteil 
nicht  in  erster  Linie  an  die  be- 
rühmte Fassade,  deren  architek- 
tonischer Wert  kein  ganz  unan- 
tastbarer ist.  Im  Chor  aber  ge- 
wahren wir  die  Spuren  einer 
Grösse  der  Auffassung,  eines 
Adels  der  Formengebung ,  die 
einem  dem  italienischen  Cinque- 
cento verwandten  Sinn  zeigen 
und  die  sympathische  Bewunde- 
rung eines  Kenners  wie  Papst 
Julius  II.  vollauf  rechtfertigen ; 
dazu  eine  nirgends  in  der  Welt 
überbotene  Schönheit  und  fast 
mathematische  Genauigkeit  des 
Quaderverbandes. 

Die  Versuche  der  Pro- 
vengalen mit  der  Gewölbe- 
basilika wurden,  wie  man  sieht, 
nur  vereinzelt  angestellt  und 
führten  zu  keinen  nennens- 
werten Fortschritten.  Schon 
vor  Mitte  des  12.  Jahrhunderts 
hörten  sie  ganz  auf.  Um  die- 
selbe Zeit  sahen  wir  auch  die 
Hallenkirche  in  den  Hinter- 
grund zurücktreten,  so  dass  die 
einschiffige  Anlage  fast  allein 
auf  dem  Plane  blieb.  Das 
Interesse  der  provencalischen 
Kunst  war  offenbar  mehr  auf 
Grundriis  von  s.  ciii«.  innere  Vervollkommnung  der 

von  alters  geübten  als  auf  Gewinnung  neuer  Kompositionstypen 
gerichtet. 

Zu  dieser  Ruhe  steht  in  ausgesprochenem  Gegensatze  die  Reg- 


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Neuntes  Kapitel:  Die  tonnengewölbte  Basilika. 


385 


samkeit  in  der  durch  mannigfache  verwandtschaftliche  Beziehungen 
mit  der  Provence  verbundenen  Architektur  von  Burgund,  der  wir 
uns  nun  zuwenden  wollen.  Wohl  sind  einige  der  Hauptwerke  dieser 
mächtigen  Schule  untergegangen;  immerhin  ist  genug  enthalten,  um 
ihren  Entwicklungsgang  in  den  wesentlichen  Zügen  uns  vergegen- 
wärtigen zu  können. 

Der  Beginn  einer  höher  gearteten  Baukunst  in  Burgund  fällt  zu- 
sammen mit  dem  mächtigen  Aufschwünge,  den  die  a.  910  gegründete 
Abtei  Cluxy  unter  den  Aebten  Odo,  Maiolus  und  Odilo  nahm.  Die 
zweite  Kirche  des  Klosters  wurde  im  Jahre  981  geweiht.  Der  Grund- 
riss  ist  bereits  (S.  27 1)  besprochen.  Ueber  den  inneren  Aufbau  wissen 
wir  nichts  Näheres;  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  war  es  eine  flach- 
gedeckte  Basilika. 

Unter  Maiolus  war  der  Lombarde  Wilhelm  aus  Jvrea  nach  Cluny 
gekommen ,  welcher  als  Abt  von  S.  Benigne  zu  Dijon  um  das  Jahr 
1000  einen  Neubau  seiner  Klosterkirche  unternahm.  Der  Bau  fand 
die  höchste  Bewunderung  der  Zeitgenossen  und  ist  im  Chronicon 
Divonense  eingehend  beschrieben:  eine  grosse  Säulenbasilika,  an 
welche  sich  östlich  ein  gewaltiger  Rundbau  anschloss.  Einen  Restau- 
rationsversuch nach  dieser  Beschreibung  giebt  Henszelmann  in  C- 
Comm.  Mitth.  1868,  S.  LXV  ff.).  Von  letzterem  ist  das  Untergeschoss 
(Krypta)  erhalten,  Aufnahmen  des  Ganzen  finden  sich  in  Dom.  Planchers 
Hi&toire  de  Bouryogne.  Die  Kirche  wurde  a.  1271  durch  den  Einsturz 
des  Vierungsturmes  beschädigt  und  gegen  Ende  des  saec.  13 ,  durch 
einen  gotischen  Neubau  ersetzt. 

Wilhelm  soll  auch  an  dem  Bau  der  Abteikirche  S.  Philibert  zu 
Tournus  (Trenchorium)  mitgewirkt  haben  ').  Das  ausgedehnte  Ge- 
bäude (Taf.  137)  zeigt  verschiedene  Verfahrungsweisen  zur  Ueber- 
wölbung  eines  dreischiffigen  Raumes.  Im  unteren  Geschosse  der 
Vorhalle  hat  das  Mittelschiff  Kreuzgewölbe  zwischen  Gurtbogen  mit 
horizontalen  Scheitellinien,  die  Seitenschiffe  quergestellte  Tonnen,  das 
Obergeschoss  hat  die  Anordnung  der  provencalischen  Basiliken,  ein 
tonnengewölbtes  Mittelschiff  und  Seitenschiffe  mit  Halbtonnen.  Im 
Schiff  des  Kirche  ist  gewissermassen  das  System  des  Untergeschosses 
der  Vorhalle  umgekehrt.  Es  hat  im  Mittelschiffe  quergestellte  Tonnen, 
in  den  Seitenschiffen  Kreuzgewölbe,  welche  gegen  die  Hochschiffs- 
mauer ansteigen.  Im  Chor  bedeckte  ein  longitudinales  Tonnengewölbe 
das  Mittelschiff,  die  Seitenschiffe  haben  schlichte  Kreuzgewölbe.  End- 
lich eine  Vierungskuppel,  welche  nach  Art  derjenigen  von  S.  Martin 
d'Ainay  zu  Lyon  und  der  westlichen  Kuppeln  von  Le  Puy  angeordnet 

>)  Wir  wissen  nicht,  woher  Schnaase  IV,  S.  510  diese  Notiz  hat. 


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386 


Zweites  Buch.  Der  romanische  Stil. 


ist.  Das  Gewölbesystem  des  Mittelschiffes  ist  eine  interessante  und  ganz 
vereinzelte  Erscheinung.  War  im  Mittelschiffe  ein  fortlaufendes  Tonnen- 
gewölbe beabsichtigt  und  hat  man  es  aus  statischen  Rücksichten,  oder 
einer  besseren  Beleuchtung  zuliebe  mit  querstehenden  Tonnen  ersetzt, 
oder  wollte  man  eine  Hallenkirche  bauen,  worauf  die  tiefstehenden  Gurt- 
bogen weisen?  Es  sind  das  Fragen,  welche  sich  aufdrängen,  ohne  dass 
sie  beantwortet  werden  können.  Auf  alle  Fälle  hat  der  Erbauer  seine 
Aufgabe  nach  der  struktiven  Seite  in  origineller  Weise  und  mit  Ge- 
schick gelöst.  Das  formale  Können  allerdings  hält  damit  nicht  gleichen 
Schritt.  Zwar  die  Raumwirkung  ist  nicht  ungünstig  und  könnte  durch 
eine  etwas  bessere  Färbung,  als  die  gegenwärtige,  noch  gehoben  werden. 
Die  Gurtbogen  und  die  hellbeleuchteten  Flächen  der  Tonnen  geben 
eine  sehr  bestimmte  Raumgliederung  *).  Die  plastische  Einzelgestaltung 
aber  ist  —  wenigstens  in  Vorhalle  und  Schiff  —  von  der  äussersten 
Bescheidenheit.  In  jeder  Hinsicht  besser  ist  der  Chor.  —  Die  technische 
und  formale  Analyse  des  Baues  zeigt,  dass  er  von  Westen  begonnen 
und  successive  nach  Osten  fortgeführt  wurde,  doch  können  die  Alters- 
unterschiede nicht  eben  gross  sein.  —  Seiner  Grundanlage  nach  ver- 
wandt mit  dem  Chor  von  S.  Philibert  ist  der  von  Vignory,  einer 
Dependenz  von  Saint  Benigne,  erbaut  nach  a.  1052  (Taf.  137). 

Noch  einige  andere  Monumente  dieser  Frühzeit  sind  ganz  oder  teil- 
weise erhalten.  Im  südlichen  Burgund:  Chor  und  Querschiff  von  Anzy 
le  duc  (Taf.  121,  136),  eine  höchst  einfache  Anlage;  die  Apsis,  an 
die  sich  östlich  noch  eine  kleine  Nische  anschliesst,  im  Inneren  mit 
Lisenen  und  Bogenfries  dekoriert.  In  der  Westschweiz:  Romainmotier 
(Taf.  118,  136);  das  Kloster  kam  im  saec.  10  an  Cluny  und  Abt 
Odilo  führte  einen  Neubau  aus,  welcher  a.  1026  schon  als  vollendet 
bezeichnet  wird;  die  zweigeschossige  Vorhalle  ist  mit  Kreuzgewölben 
überdeckt;  das  Mittelschiff  war  flachgedeckt  (jetzt  gotische  Gewölbe), 
die  Seitenschiffe  haben  Tonnengewölbe,  in  welche  die  Scheidbögen 
und  die  Fenster  einschneiden;  auch  in  den  Armen  des  Querschiffes 
Tonnengewölbe  auf  kräftig  vortretenden  Wandbögen.  Rahn,  Mittl.  d. 
ant.  Ges.  in  Zürich.  Bd.  XVII.  —  Payerne,  gleichfalls  eine  Clunia- 
censerkirche  aus  saec.  11  (Taf.  121,  136),  hat  im  Mittelschiff  ein 
Tonnengewölbe  mit  Gurten,  in  welches  die  Oberfenster  einschneiden, 
in  den  Seitenschiffen  Kreuzgewölbe  mit  Bogenstich;  die  Kreuzarme 
gleichfalls  mit  Kreuzgewölben  überspannt,  das  der  Vierung  jünger. 

Die  letztgenannten  Bauten  stehen  in  formaler  Hinsicht  fast  noch 
tiefer  als  die  älteren  Teile  von  S.  Philibert  zu  Tournus,  doch  ist  eine 
gewisse  Verwandtschaft  mit  diesem  Monumente  nicht  zu  verkennen. 
Hier  wie  dort  ist  das  konstruktive  Können  dem  formalen  vorausgeeilt, 

')  In  Le  Puy  freilich  ist  mit  ähnlichen  Mitteln  unendlich  mehr  erreicht. 


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Neuntes  Kapitel:  Die  tonnengewölbte  Basilika. 


387 


aber  ein  Abschluss  ist  in  keiner  Weise  erreicht.  Vergleichen  wir  die 
burgundische  Baukunst  des  saec.  1 1  mit  der  gleichzeitigen  des  Westens 
oder  gar  des  Südens  von  Frankreich,  oder  anderseits  mit  der  der  Rhein- 
lande (Limburg  a.  H.f  Dom  zu  Mainz,  S.  Marien  im  Capitol  etc.),  so 
muss  sie  als  zurückgeblieben  bezeichnet  werden.  Cluny  konnte  sein 
Grundrissschema  nach  Deutschland  abgeben  (S.  309),  weiter  vermochte 
es  nichts  zu  bieten. 

Abseits  steht  die  Kirche  der  Abtei  Fleury,  auch  genannt  S.  BenoTt- 
sur-Loire  (Taf.  120,  142).  Hier  kommt  nur  der  a.  1062  begonnene 
Chorbau  in  Betracht.  Er  zerfällt  in  zwei  deutlich  geschiedene  Teile: 
den  ungewöhnlich  lang  gestreckten,  dreischiffigen  Vorderchor,  und 
den  über  einer  Krypte  stehenden,  mit  Umgang  und  Kapellen  aus- 
gestatteten Hauptchor.  Der  letztere  Teil  war  ohne  Zweifel  von 
Anfang  an  auf  Gewölbe  angelegt,  ebenso  die  tonnengewölbten  Seiten- 
schiffe des  Vorderchors;  das  Hauptschiff  des  letzteren  hat  dagegen 
ganz  das  Ansehen,  als  wäre  es  auf  eine  Balkendecke 
berechnet  gewesen,  die  etwa  nach  dem  Brande  von 
a.  1095  durch  das  gegenwärtige  Tonnengewölbe  er- 
setzt wäre;  sollte  es  dennoch  ursprünglich  sein, 
so  wäre  es  ein  naives  Wagestück,  wie  nur  eine  des 
Wölbens  unkundige  Landschaft  es  hervorzubringen 
vermochte.  Die  dem  Gurtbogen  entsprechenden 
Strebebögen  sind  modern. 

Eine  zweifellos  vom  Anfang  an  gewölbgemäss 
gedachte  Nachahmung  ist  S.  Genou  im  Berry 
(Taf.  142  und  beistehende  Figur),  wovon  nur  Chor 
und  Querschiff  erhalten. 

Der  entscheidende  Umschwung  knüpft  sich  an  den  im  Jahre  1088 
beschlossenen  Neubau  der  Kirche  von  Clüny.  Nach  einem  Jahrhundert 
des  Kampfes  an  der  Spitze  der  Kirchenreform  sah  sich  dieses  Kloster 
damals  auf  der  Höhe  seiner  Erfolge,  in  einer  Stellung  ohnegleichen. 
Das  Zeitalter,  das  nach  Gregor  VII.  genannt  wird,  sollte  mit  noch 
grösserem  Rechte  das  Zeitalter  Clunys  genannt  werden.  Denn  nur, 
weil  er  der  grosseste  Cluniacenser  war,  wurde  Gregor  der  grosseste 
Papst.  Und  eben  im  Jahre  1088  bestieg  ein  zweiter  gewaltiger  Sohn 
Clunys  als  Urban  IL  den  Thron  des  Apostelfürsten,  um  die  Früchte 
der  Thaten  Gregors  einzuernten.  Die  Wahl  dieses  Momentes  für  den 
Neubau  von  Cluny  ist  bedeutsam;  noch  bedeutsamer  ein  anderer  bis 
jetzt  unbeachtet  gebliebener  Umstand:  Die  neue  Kirche  erhielt 
genau  die  gleiche  Länge1)  wie  die  Peterskirche   in  Rom, 


')  Nach  Abzug  des  Umganges. 


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388  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

wodurch  sie  die  grösste  der  abendländischen  Christenheit  neben 
dieser  wurde.    Eine  Symbolik,  die  keiner  Erklärung  bedarf. 

A.  1095  fand  die  Weihe  des  Chores  durch  Urban  II.  statt  und 
im  Jahre  1131  die  Weihe  der  vollendeten  Kirche  durch  Innocenz  IL; 
a.  1798  wurde  sie  als  Nationaleigenthum  dem  Verkaufe  unterstellt,  aber 
erst  181 1  (!)  abgebrochen.    Ihre  Zerstörung  ist  ein  schwerer  Verlust 
für  die  Baugeschichte.  —  Als  Baumeister  werden  zwei  Mönche  von 
Cluny  genannt:   Gauzo,  früherer  Abt  von  Beaune,  und  Hezüo,  der 
von  Lüttich  gekommen  war;  Abt  Hugo  selbst  nahm  thätigen  Anteil. 
—  Beschreibungen  und  Pläne  der  Kirche  sind  erhalten.    Von  dem 
Gebäude  selbst  steht  noch  ein  Teil  des  südlichen  Armes  des  grossen 
Querschiffes ;  eine  Skizze  hiervon  verdanken  wir  gütiger  Mitteilung  des 
Hrn.  Prof.  Rahn  in  Zürich  (Taf.  138,  Fig.  1).    Der  Grundriss  (Taf.  120) 
zeigt  anderen  Bauten    des  saec.   11   gegenüber  keine  wesentlichen 
Neuerungen  (vgl.  S.  272).    Die  fünfschiffige  Anlage,  der  Chorumgang 
und  das  doppelte   Querschiff  waren  auch  anderwärts  schon  vorge- 
kommen.   Die  Vorhalle  ist  eine  Eigentümlichkeit  des  Ordens  und 
eignete  schon  der  älteren  Kirche.    Dagegen  ist  der  Aufbau  eigen- 
tümlich und  neu  und  weist  hinsichtlich  der  künstlerischen  Durchbildung 
einen  ganz  erstaunlichen  Fortschritt    auf    gegenüber  den  früheren 
Leistungen  der  burgundischen  Schule.    Nach  den  bestehenden  Resten 
und  den  Beschreibungen  kann  eine  Restauration  des  Systemes  ver- 
sucht werden  (Taf.  138,  Fig.  2).    Unsere  Skizze  macht  natürlich  auf 
Genauigkeit  der  Abmessungen,  der  Verhältnisse  und  Einzelheiten  keinen 
Anspruch,  wird  aber  die  Grundlinien  im  wesentlichen  richtig  wieder- 
geben.   Jedes  Schiff  hatte  über  dem  Dachansatze  des  folgenden  seine 
eigenen  Fenster.  Das  Mittelschiff  war  mit  einem  Tonnengewölbe  über- 
deckt, das  erste  Paar  der  Seitenschiffe  mit  Kreuzgewölben,  das  zweite 
(äussere)  mit  quergestellten  Tonnen  (?)  oder  Kreuzgewölben.  Die  Pfeiler 
setzten  sich  in  ihrem  unteren  Theile  aus  einem  kreuzförmigen  Kerne 
mit  Pilastervorlage  nach  Seite  des  Mittelschiffes  und  Halbsäulenvor- 
lagen  nach  den  drei  anderen  Seiten  zusammen.    Ueber  dem  Pilaster 
folgte,  bis  zum  Triforium  reichend,  ein  Bündel  von  drei  kleinen  Säulen, 
dann  eine  rechtwinkelige  Vorlage  mit  Halbsäule  als  Stütze  des  Gurt- 
bogens.   Die  Bildung  des  Triforiums  und  des  Lichtgadens  ergiebt  sich 
aus  den  Resten  des  Querschiffs.  Das  Hochschiff  hatte  in  jedem  Joche 
drei  Fenster  (nach  der  Ansicht  bei  Mabillon,  Ann.  5.,  235);  die  über- 
grosse Höhe  der  Scheidebögen  des  Mittelschiffs  ist  durch  die  fünf- 
schiffige Anlage  bedingt. 

Der  Bau  der  Gauzo  und  Hezilo  in  Cluny  ist  einer  der  seltenen, 
auf  welche  die  Bezeichnung  >  Schöpfungsbau c  im  eminenten  Sinne 
passt.  Eine  Höhe,  an  deren  Fuss  der  Entwicklungsgang  jahrhunderte- 


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Neuntes  Kapitel:  Die  tonnengewölbte  Basilika.  389 

lang  stehen  geblieben  war,  an  welcher  die  einen  langsam  empor- 
klommen, welche  die  andern  zu  umgehen  vorzogen,  ist  hier  gleich- 
sam mit  Sturm  genommen.  Den  schöpferischen  Wert  der  Leistung 
verkleinert  es  mit  nichten,  dass  nur  im  Aufbau,  nicht  auch  im  Grund- 
plan die  neuen  Gedanken  hervortreten.  Denn  eben  darin  lag  ja  die 
besondere  Aufgabe:  dass  in  dem  neuzuschaffenden  struktiven  Organis- 
mus die  alte  historische,  unter  der  Herrschaft  der  Flachdecke  ausge- 
staltete Kompositionsidee  in  voller  Kraft  und  Reinheit  fortleben  sollte. 
Die  späteren  Siege  der  Gotik  sind  in  Cluny  schon  zur  Hälfte  ge- 
wonnen. Man  darf  in  gewissem  Sinne  sagen:  zu  früh.  Der  welt- 
bürgerliche Zug,  der  hundert  Jahre  später  die  Völker  und  Stämme 
des  Abendlandes  einander  naher  führte,  war  kaum  erst  im  Erwachen ; 
insonderheit  auf  dem  Gebiete  der  Baukunst  fühlten  sich  die  ein- 
zelnen Provinzialschulcn  noch  ganz  autonom  und  waren  eine  jede 
voll  eigener  nach  Auslebung  verlangender  Gedanken. 

Der  unmittelbare  Einfluss  Clunys  blieb  deshalb  zunächst  auf 
das  Herzogtum  Burgund  und  dessen  nächste  Grenzregionen  be- 
schränkt. Er  war  ein  unbedingter  auch  nur  hinsichtlich  des  Auf- 
baues. Hinsichtlich  des  Grundrisses  dagegen  sind  es  nur  die  grossen 
Abteikirchen,  die  auch  hierin  Cluny  sich  anschliessen  (Taf.  120); 
die  Kathedral-  und  Pfarrkirchen  befolgen  ihren  besonderen  Typus 
(Taf.  121),  der  durch  einfachere  Anlage  des  Chores  und  Wegfall  der 
Vorhalle  bezeichnet  ist  *). 

Der  Name  Bauschule  von  Cluny  wird  von  den  französischen 
Archäologen  häutig  angewendet,  aber  in  schwankender  Weise.  Viollet- 
le-Duc  z.  B.  braucht  ihn  synonym  mit  »Schule  von  Burgund*  .  A.  Saint- 
Paul  stellt  die  Existenz  einer  eigenen  Schule  von  Cluny  ganz  in  Ab- 
rede (»A  travers  les  monuments  historiques.*  Bull.  raon.  43,  p.  144). 
Zur  Klarheit  ist  hier  nur  zu  gelangen,  wenn  man  zwischen  der  zweiten 
und  der  dritten  Kirche  von  Cluny  (Bau  des  Maiolus  —  Bau  Hugos) 
scharf  unterscheidet.  Beide  waren  einflussreiche  Muster,  aber  in  ganz 
verschiedener  Richtung  wirkende. 

Der  Bau  des  Maiolus  entwickelte  aus  lokalburgundischen  Elementen 
erstens  ein  eigentümliches  Chorschema,  das  wir  S.  270  —  73  erörtert 
haben;  zweitens  das  Motiv  einer  westlichen  Vorhalle  (»Galiläa«:)  mit 
zwei  Türmen,  welche  bald  als  offenes  Atrium,  bald  als  gedeckte  Vor- 
kirche, bald  in  reduzierter  Gestalt  als  Zwischenhalle  zwischen  den 

7)  Die  Kathedrale  von  Autun  macht  nur  scheinbar  eine  Ausnahme.  Die  Vorhalle 
ist  hier  ein  späterer  Zusatz,  veranlasst  durch  die  Menge  der  Aussatzkranken ,  die  bei 
S.  Lazarus,  dem  Titelheiligen,  Hilfe  suchten. 


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I 


Zweites  Ruch.  Der  romanische  Stil. 

Türmen  auftritt.  Diese  baulichen  Eigentümlichkeiten  kehren  wieder, 
soweit  der  Einfluss  der  Kongregation  reicht,  bis  in  die  Normandie 
einerseits,  Italien  und  Deutschland  andererseits  (S.  272).  Ausser 
den  Denkmälern  selbst  besitzen  wir  das  Zeugnis  des  Statuts  von 
Farfa,  welches  mittelitalienische  Kloster  a.  998  die  Reform  von  Cluny 
annahm.  Es  heisst  daselbst  (Mabillon,  ann.  O.  S.  B.  IV.,  p.  207): 
iduae  turres  sint  in  ipsius  (ecclesiae)  fronte  statuta,  et  subter  ipsas 
a  tri  um  ubi  laici  stare  debent,  ut  non  impediant  processionem  (sc. 
monachorum)t.  Es  ist  eine  spezifische  Ordensvorschrift,  die  allein 
die  Grundrissanordnung  ins  Auge  fasst,  hingegen  der  Behandlung  des 
Aufbaus  in  jeder  Hinsicht  Freiheit  lässt.  Von  einem  cluniacensischen 
Schultypus  in  dem  umfassenden  Sinne,  wie  nachmals  der  cistercien- 
sische  es  war,  kann  also  die  Rede  nicht  sein. 

Ganz  anders  verhält  es  sich  mit  dem  uns  in  diesem  Kapitel  be- 
schäftigenden Neubau  des  Abtes  Hugo.  Er  fällt  in  eine  Zeit,  wo  der 
Reichtum  des  Klosters  auf  dem  Gipfel  steht,  der  internationale  mo- 
ralische Einfluss  aber  im  Sinken  begriffen  ist.  Seine  Wirkung  ist 
extensiv  geringer,  intensiv  grösser,  als  die  des  älteren  Baus.  Er  be- 
einflusst  entfernter  gelegene  Ordensbauten  nicht  mehr,  wohl  aber  wird 
er  —  was  der  ältere  Bau  nicht  war  —  der  künstlerische  Mittelpunkt 
der  mächtig  aufstrebenden  Architektur  in  seinem  burgundischen  Heimat- 
lande. In  diesem  engeren  Kreise  beherrscht  er  nicht  bloss  die  Bauten 
der  Kongregation,  sondern  den  Kirchenbau  überhaupt.  Die  Erbauer 
gerade  der  burgundischen  Hauptwerke  des  12.  Jahrhunderts  suchen  ihr 
Verdienst  nicht  in  von  Cluny  abweichenden  neuen  Erfindungen,  sondern 
allein  in  leisen  Verschiebungen  der  Proportionen,  in  vollendeterer  Ein- 
zeldurchbildung. Insofern  also  der  vorbildliche  Einfluss  dieser  dritten 
Kirche  von  Cluny  sich  nicht  auf  den  Orden  beschränkte,  andererseits 
aber  über  das  Herzogtum  Burgund  nicht  hinausreicht,  wird  man  die 
Bezeichnung  Schule  von  Cluny  besser  vermeiden  und  nur  von  einer 
jüngeren  burgundischen  Schule  reden,  für  deren  Haupt  zu  gelten 
Cluny  allerdings  vollen  Anspruch  hat. 

Ist  das  Anfangsdatum  dieser  Schule  also  scharf  bestimmt,  so  nicht 
das  Ende.  Ihr  letztes  grosses  Werk,  in  der  zweiten  Hälfte  des  saec.  12 
entstanden,  die  Kathedrale  von  Langres,  zeigt  schon  den  zersetzenden 
Einfluss  der  Gotik,  andererseits  dauern  romanische  Einzelmotive  bis  ins 
13.  Jahrhundert.  Zur  genaueren  Zeitbestimmung  der  der  Blütezeit  ange- 
hörenden Denkmäler  fehlen  die  Daten  oder  sind  uns  wenigstens  nicht 
zugänglich  geworden.  —  Paray-le-Monial  (Taf.  120,  138,  140,  144),  ein 
Priorat  von  Cluny,  wohl  erst  gegen  Mitte  saec.  1 2 ;  die  abnorme  Kürze 
des  Vorderschiffs  erklärt  sich  daraus,  dass  man  die  (im  ersten  Entwurf 
sicher  fortgedachte)  Vorhalle  des  älteren  Baus  stehen  Hess.  —  Cella 
Caritatis  (La  Charite  sur  Loire)  Taf.  121,  138,  gleichfalls  Priorat  von 


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Neuntes  Kapitel:  Die  tonnengewölbte  Basilika. 


391 


Cluny.  Die  Abschnitte  der  Baugeschichte  sind  schwer  auseinanderzu- 
legen. Wir  erfahren  von  einem  Neubau  seit  a.  1055,  dann  von  Bautätig- 
keit des  Abtes  Hugo  von  Cluny,  die  mit  einer  Weihe  a.  1107  abschloss. 
Ein  Bruch  des  Systems  am  zweiten  Pfeiler  des  Chores  weist  auf  einen 
ursprünglich  anders,  voraussetzlich  noch  nach  der  älteren  Kirche  von 
Cluny  gestalteten  Grundriss  (Restaurationsversuch  Taf.  121,  Fig.  3). 
Dem  älteren  System  gehörte  noch  das  Querschi  ff  an ;  der  Spitzbogen 
kommt  noch  nicht  vor,  die  grossen  Blendbögen  des  zweiten  Geschosses 
sind  vermauerte  Fenster,  die  Pfeilervorlagen  und  der  Lichtgaden  jün- 
gere Zusätze;  man  möchte  beinahe  Reste  einer  Flachdeckbasilika  zu 
erkennen  glauben  —  was  für  die  Bauepoche  1055— 1 107  in  dieser 
Gegend  auch  nichts  Unwahrscheinliches  hätte.  Erst  der  Umbau,  nach 
den  schon  der  Entartung  sich  nähernden  Formen  zu  urteilen  nicht  vor 
dem  Ende  des  saec.  12,  schloss  die  Kirche  dem  burgundischen  Stile  an. 
Nach  schweren  Verwüstungen  in  den  Hugenottenkriegen  wurde  das 
Vorderschiff  nur  bis  zur  Linie  A— B  wieder  hergestellt;  westlich  davon 
bildet  das  Mittelschiff  jetzt  einen  Hof,  während  sich  in  die  Seitenschiffe 
Wohnhäuser  eingenistet  haben.  Ein  Teil  der  westlichen  Joche  wird 
nach  aller  Wahrscheinlichkeit  eine  Vorhalle  gebildet  haben,  deren  Grenze 
indes  wegen  spätgotischer  Eingriffe  nicht  mehr  festzustellen  ist. 

Kathedrale  S.  Lazare  zu  Autun  (Taf.  121,  139,  140,  143).  Bau- 
beginn unbekannt,  Weihe  a.  1147,  die  der  ursprünglichen  Bauidee 
fremde  Vorhalle  beg.  a.  11 78.  Mit  Hilfe  vertieften  Studiums  der 
Antike  ist  das  System  von  Cluny  noch  einmal  durchgearbeitet  und 
so  das  Meisterwerk  der  burgundischen  Architektur  geschaffen.  Bis 
auf  den  gotisch  erneuerten  Chor  (derjenige  unserer  Abbildung  nach 
der  Restauration  von  Viollet-le-Duc)  und  die  gotischen  Kapellenreihen 
an  den  Seitenschiffen  der  Eindruck  ganz  einheitlich.  Der  Beachtung 
der  praktischen  Architekten  dringendst  zu  empfehlen.  —  Notre-Dame 
zu  Beaune  (Taf.  120,  138,  140),  eine  dem  Bischofssitz  von  Autun  unter- 
stellte Kollegiatkirche,  wiederholt  das  System  der  dortigen  Kathedrale 
in  vergröberter  Ausdrucksweise.  —  Die  Kathedralen  von  Vienne  und 
Lyon  sind  nach  ihren  Grundrissen  (Taf.  121)  mit  der  von  Autun  nahe 
verwandt;  die  letztere  zeigt  nur  in  den  Nebenchören  romanische  For- 
men und  geht  dann  in  gotische  über;  die  erstere  (Taf.  138)  ist  roma- 
nisch bis  zum  Arkadengesims,  die  Anordnung  des  Pilasters  weniger 
antik  gedacht,  wie  in  Autun. 

Das  in  den  älteren  burgundischen  Bauten  kaum  erst  angedeutete 
struktive  System  ist  in  der  jüngeren  zu  voller  Klarheit  entwickelt. 
Das  Beispiel  der  Cluniacenserkirche  Saint  Etienne  zu  Nevers,  in  welcher 
das  auvergnatische  System  zu  selbständiger  Beleuchtung  des  Mittel- 
schiffes fortschritt,  dürfte  nicht  ohne  Einfluss  gewesen  sein.   Allein  für 


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392 


Zweites  Huch :  Der  romanische  Stil. 


die  Ausgestaltung  waren  künstlerische  Gesichtspunkte  in  höherem  Masse 
bestimmend,  als  die  Rücksicht  auf  eine  sehr  rationelle  Konstruktion. 
Das  Tonnengewölbe  des  Mittelschiffes  übt  einen  gewaltigen  Seitenschub. 
Derselbe  wird  in  den  auvergnatischen  Kirchen  durch  die  Halbtonnen 
und  übermauernden  Querbögen  der  Emporen  aufgenommen  und  auf- 
gehoben, in  den  proven^alischen  Basiliken  ist  wenigstens  durch  die 
starken  Pfeiler  in  jedem  Joche  ein  genügender  Halt  geschaffen,  die  Ober- 
mauer ist  niedrig  und  der  Hebelarm,  unter  welchem  der  Seitenschub 
des  Gewölbes  auf  sie  wirkt,  ein  kurzer.  Anders  hier.  Die  Masse 
der  Pfeiler  ist  im  Verhältnis  zur  Spannweite  eine  viel  geringere,  sie 
stehen  auf  eine  grössere  Höhe  frei  und  gehen  ausserdem  nicht  in 
gleicher  Stärke  durch,  sondern  die  äusseren  Strebepfeiler  ruhen  zum 
Teil  auf  den  Gurtbögen  der  Seitenschiffe.  Jede  Formänderung  dieser 
Gurtbögen  müsste  also  eine  Bewegung  des  Hochschiffsgewölbes  mit 
sich  bringen.  Mit  Ausnahme  von  Paray-lc-Monial  mussten  denn 
auch  alle  grösseren  burgundischen  Gewölbe  nachträglich  durch  Strebe- 
bögen gesichert  werden.  Zu  betonen  ist  jedoch,  dass  die  struktiven 
Schwächen  des  Systemes  auch  ohne  Zuhilfenahme  von  Strebebögen, 
welche  dem  ganzen  Charakter  dieser  Bauweise  widersprechen,  hätten 
überwunden  werden  können. 

Aber  den  struktiven  Mängeln  des  Systems  stehen  künstlerische 
Vorzüge  höchster  Art  gegenüber,  und  es  ist  kein  Zweifel,  dass  ohne 
den  Mut,  mit  jenen  sich  zu  vertragen,  diese  nie  erreicht  worden  wären. 
Sehr  ungleich  ihrer  Vorgängerin  im  Ii.,  wie  ihrer  Nachfolgerin  im 
13.  Jahrhundert,  die  beide,  wennschon  auf  weit  auseinanderliegcnden 
Stufen,  die  konstruktive  Rechnung  in  der  Vordergrund  stellten,  war 
die  burgundische  Architektur  der  ersten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts 
in  einem  reinen  künstlerischen  Enthusiasmus  entflammt,  der  sich 
durch  Bedenken  von  jener  Seite  nicht  aufhalten  lassen  wollte.  Freilich 
blieb  ihr  die  Erfahrung  nicht  ganz  erspart,  dass  eben  diese  Gering- 
schätzung wieder  zu  einer  Fessel  wurde  und  zu  den  letzten  Stufen 
künstlerischer  Freiheit  ihr  den  Weg  vertrat.  Immer  ist  auch  schon 
das,  was  sie  erreicht  hat,  bewunderungswürdig. 

Dass  die  Kunstgeschichtsschreibung  das  volle  Mass  der  ver- 
dienten Anerkennung,  wie  uns  scheint,  ihr  noch  vorenthalten  hat,  liegt 
vielleicht  am  meisten  daran,  dass  die  burgundische  Baukunst  in 
keine  der  herkömmlichen  stilgeschichtlichen  Kategorien  recht  passen 
will.  Nach  ihrer  Zeitstellung  der  romannischen  Epoche  angehörend 
enthält  sie  doch  vieles,  was  auf  die  Gotik  und  anderes,  was  auf  die 


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Neuntes  Kapitel :  Die  tonnengewölbte  Basilika. 


393 


Renaissance  hinweist.  Elemente,  die  nachher  in  zwei  gegensätzliche 
Richtungen  sich  trennten,  liegen  in  ihr  noch  gebunden  nebeneinander, 
so  zwar,  dass  man  von  Abstossung,  von  Trennungsbedürfnis  nichts 
wahrnimmt.  Für  diejenigen,  welche  in  der  Aufhebung  des  Gegensatzes 
von  Gotik  und  Renaissance  das  grosse  Problem  der  modernen  Bau- 
kunst erblicken,  muss  der  burgundische  Stil  ein  überaus  lehrreiches 
Studium  und  gewiss  mehr  unmittelbar  Nachahmungswertes  bieten, 
als  etwa  die  Vermengung  von  Gotik  und  Renaissance  in  der  ausser- 
italienischen  Kunst  des  16.  Jahrhundertes. 

Für  das  Gewölbesystem  besteht  eine  feste  Formel :  Kreuz- 
gewölbe, und  zwar  rippenlose,  in  den  Seitenschiffen,  Tonnengewölbe 
mit  Quergurten  im  Hauptschiff.    Die  ersteren  haben  den  Vorzug  vor 
den  provengalischen  Halbtonnen,  dass  sie  grössere  Breitenausdehnung, 
vor  den  Volltonnen,  dass  sie  im  Verhältnis  zu  den  Scheidbogen  tiefere 
Lage  ihres  Scheitels  und  folglich  auch  tieferen  Anschluss  der  Dächer 
an  die  Hochmauer  gestatten,  kurz  freiere  Bewegung  der  Kompo- 
sition.   Das  Tonnengewölbe  des  Hauptschiffes  dagegen  legt  vermöge 
seiner  spröden  struktiven  Natur  auch  der  Komposition  mancherlei 
Hemmungen  auf,  aber  es  besitzt  formale  Eigenschaften,  durch  die 
es  den  burgundischen  Meistern  unlöslich  ans  Herz  gewachsen  war. 
Auch  uns  erscheint  das  Tonnengewölbe  verglichen  mit  der  Folge 
von  Kreuzgewölben  unbedingt  als  die  dem  Wesen  des  basilikalen 
Langbaus  adäquatere  Form.    Es  spricht  die  Einheit  des  Raumes 
mäehtiger  aus,  vertritt  das  Richtungsmoment   mit  grösserer  Ent- 
schiedenheit; die  Gliederung  durch  Quergurten  allein  wirkt  unver- 
gleichlich ruhiger,   als  die  zumal  im  perspektivischen  Bilde  immer 
unklaren  Ueberkreuzverbindungen   der   Gotik,   und  veranschaulicht 
doch  mit  aller  Bestimmtheit  den  Wechselbezug  zwischen  Decke  und 
Pfeilern. 

Auch  in  einem  anderen  wichtigen  Stücke,  im  System  der  Stützen, 
hat  der  burgundische  Typus  vor  den  Kreuzgewölbe-Basiliken  Ita- 
liens, Deutschlands,  Nordfrankreichs,  die  sich  ganz  überwiegend  auf 
den  gebundenen  Grundriss  angewiesen  sahen .  die  nähere  Verwandt- 
schaft mit  der  ursprünglichen  Idee  der  Basilika  voraus,  denn  mit  dieser 
steht  die  einfache  Reihung  gleicher  Elemente  in  reinerem  Einklang  als 
der  gruppierende  Rhythmus;  hat  sie  ferner  voraus  die  Freiheit  in 
der  Bestimmung  der  Stützenintervalle,  eine  Freiheit,  die  sonst  erst 
die  Gotik  brachte.   Besonders  zu  beglückwünschen  ist  das  burgundische 

System  wegen  der  Einführung  des  als  Blindgalerie  gestalteten  Zwischen- 

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Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 

geschosses  zwischen  Scheidbögen  und  Lichtgaden;  auch  dies  ein 
protogotisches  Motiv,  der  Vorläufer  des  Triforiums. 

Die  meisten  romanischen  Gewölbesysteme  sonst  —  das  lom- 
bardische ,  auvergnatische ,  normannische ,  auch  noch  das  französisch  - 
frühgotische  —  hielten  zur  Sicherung  des  Hauptgewölbes  an  dieser 
Stelle  ein  wirkliches  Emporgeschoss  für  notwendig ;  indem  sich  die 
Burgunder  dieses  konstruktiven  Hilfsmittels  begaben  und  dafür  die 
bloss  blinde  Galerie  einsetzten,  gewannen  sie  ein  Bauglied,  das  ver- 
möge seiner  elastischen  (eben  weil  struktiv  indifferenten)  Natur  ihrem 
auf  die  Schönheit  der  geometrischen  Verhältnisse  und  auf  Ruhe  der 
Massenwirkung  vornehmlich   gerichteten  Sinn   aufs  dienlichste  ent- 
gegenkam.   Sie  gewannen  hiermit  einen  mit  voller  künstlerischer 
Freiheit  gestimmten  Dreiklang  des  Aufbaus,  dessen  reich  belebte  und 
zugleich  durchsichtig  klare,  mit  echt  architektonischen  Mitteln  durch- 
geführte Behandlung  ebenso  weit  entfernt  von  der  gotischen  Flächen- 
negation wie  von  dem  altchristlichen  und  frühromanischen  Flächen- 
überfluss  ist.   Den  Formenapparat  hierzu  leitet  die  burgundische  Kunst 
aus  der  römischen  Antike  ab ;  jedoch  mehr  im  ganzen  als  im  einzelnen, 
mehr  nachempfindend  als  eigentlich  nachahmend.    An  Kapitellen, 
Gesimsen  und  anderen  Ziergliedern  ist  die  unmittelbare  Wiederholung 
antiker  Muster  zwar  nicht  ausgeschlossen,  aber  ungleich  seltener  als 
in  der  provencalischen  Schwesterkunst  und  immer  zum  grösseren 
Teile  gemischt  mit  frei  romanischen  Erfindungen. 

Immer  stimmt  jedes  entlehnte  Motiv  (z.  B.  das  der  Attika  4es 
römischen  Stadtthors  zu  Autun  in  seiner  Uebertragung  auf  das  Trifo- 
rium  der  dortigen  Kathedrale)  so  trefflich  zu  seinem  Ort,  dass  es  nicht 
besser  dazu  hätte  neu  erfunden  werden  können.  In  der  senkrechten 
Gliederung  wurden  anfangs  (Cluny,  Paray)  antike  Pilaster  und  roma- 
nische Runddienste  und  Ziersäulchen  noch  einigermassen  willkürlich 
gemischt,  später  an  den  reifen  Werken  (Autun,  Langres)  aber  herrscht 
der  Pilaster  fast  ausschliesslich.  Er  ist  regelmässig  durch  kräftige, 
tiefgefurchte  Kannelierung  belebt.  Das  grössere  oder  geringere  Ver- 
ständnis für  seine  Natur  erkennt  man  daraus,  wie  oft  und  an  welchen 
Stellen  er  durch  Horizontalgesimse  abgeteilt  ist.  Die  sparsame 
Verwendung,  bei  den  strengsten  Vertretern  der  Schule  (Autun)  die 
Ausschliessung,  aller  aus  kreisförmigem  Durchschnitt  abgeleiteten  Ver- 
tikalglieder verleiht  dem  burgundischen  Bautypus  einen  Zug,  den  er 
allein  mit  dem  provengalischen  teilt,  durch  den  er  von  allen  andern 
romanischen  Typen  sich  unterscheidet.  Die  Säule,  selbst  wenn  sie  als 


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Neuntes  Kapitel    Die  tonnengewölbte  Kasilika. 


395 


Halbsäule  der  Mauer  verbunden  ist,  behält  durch  ihre  exklusive,  auf  den 
in  ihr  selbst  liegenden  Mittelpunkt  weisende  Gestalt  immer  einen  be- 
deutenden Rest  von  Unabhängigkeit;  Pfeiler  und  Pilaster  dagegen 
sind  mit  der  Mauer  gleichen  Geschlechtes,  ihre  Flächen  haben  die 
gleiche  Richtung ;  eine  vornehmlich  aus  ihnen  komponierte  Gliederung, 
auch  wenn  sie  so  reich  zusammengesetzt  ist  und  mit  so  kräftigem 
Relief  heraustritt,  wie  in  der  burgundischen  Behandlung,  behält  im 
Eindruck  eine  nähere  Beziehung  zur  Mauer.  Dieses,  der  ungebrochene 
Masse  neindruck,  ist  es  ganz  besonders,  worin  viel  tiefer  und  ent- 
scheidender als  in  der  vereinzelten  Nachahmung  von  Zierformen  die 
der  römischen  Antike  verwandte,  der  nordfranzösischen  Gotik  abge- 
kehrte Stimmung  beruht.  Denn  so  ähnlich  Grundriss,  Querschnitt 
und  Gliederbau  in  ihrer  allgemeinen  Anordnung  dem  gotischen  Bau- 
system schon  sind,  so  waltet  doch  prinzipielle  Verschiedenheit  in  der 
Beziehung  zwischen  den  Gewölben  einerseits,  den  Pfeilern  und  Mauern 
andererseits;  der  Gliederbau  hat  sich  von  den  raumabschliessenden 
Massen  noch  nicht  zu  selbständigem  Leben  abgetrennt,  er  verkündet 
seine  struktive  Leistung  noch  nicht  mit  so  lauter  Stimme,  man  em- 
pfindet ihn  mehr  als  Symbol  der  treibenden  Kräfte,  denn  als  deren 
unmittelbaren  Träger.  Andererseits,  mit  der  Verwendung  der  antiken 
Glieder  in  der  italienischen  Renaissance  verglichen,  ist  das  burgun- 
dische System  weniger  Scheinorganismus,  weniger  bloss  konventio- 
nelle Hülle. 

Ein  mit  der  antikisierenden  Haltung  der  burgundischen  Kunst 
unverträgliches  Element  wird  man  vielleicht  in  der  Verwendung  des 
Spitzbogens,  einen  inneren  Widerspruch  überhaupt  in  dem  Neben- 
einander desselben  mit  dem  Rundbogen  blosslegen  wollen.  Dagegen 
ist  zu  erinnern,  dass  wir  den  Spitzbogen  fast  niemals  unbefangen, 
sondern  als  wesentlich  mit  der  Gotik,  dem  polaren  Gegensatze  der 
Antike,  verbunden  denken;  eine  in  dieser  Allgemeinheit  keineswegs 
richtige  Anschauung.  Der  Bogen  ist  dem  strengen  Formsystem  der 
antiken  Baukunst  überhaupt  fremd;  lässt  man  ihn  zu,  so  ist  kein 
Grund,  ihn  allein  als  Rundbogen  zuzulassen.  Ohne  Zweifel  wohnt 
dem  Spitzbogen  reichere  Modulationsfähigkeit  inne  und  bei  nicht  zu 
steiler  Bildung  ergibt  er  im  Nebeneinander  mit  frei  behandelten  antiken 
Formen  keineswegs  eine  Dissonanz.  Die  gemischte  Anwendung  von 
Rund-  und  Spitzbogen  ist,  wie  die  vorigen  Kapitel  gezeigt  haben, 
allen  romanischen  Schulen  im  Süden  der  Loire  eigen.  Als  ein  Vor- 
zug der  burgundischen  darf  die  Festhaltung  eines  ganz  bestimmten 


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396 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Systemcs  der  Mischung  gelten:  spitz  sind  alle  mit  dem  struktiven 
Gerüste  in  näherem  Zusammenhange  stehenden,  stark  in  Anspruch 
genommenen  Bögen,  rund  alle  struktiv  untergeordneten,  insbesondere 
alle  bloss  dekorativen  z.  B.  am  Triforium. 

Zuzugestehen  ist  eine  gewisse  Inkonsequenz  in  betreff  des  Chores 
in  den  Fällen,  wo  derselbe  mit  Umgang  versehen  ist  (getadelt  von 
Viollet-le-Duc  I,  p.  230).  Dann  treten  nämlich  in  der  Rundung  Säulen 
an  Stelle  der  Pfeiler  ein,  auch  die  Höhenteilung  ändert  sich.  Allein 
dieser  Bauteil  nimmt  in  mehrerem  Betracht  eine  Ausnahmestellung 
ein.  Das  Motiv  an  sich  ist  ein  in  hohem  Grade  schönes,  es  wird 
in  Burgund  so  trefflich  behandelt,  wie  in  keiner  andern  Schule  und 
es  hat  als  Abschluss  der  Innenperspektive  die  Wirkung,  das  Schiff 
weiter  erscheinen  zu  lassen,  als  es  in  Wahrheit  ist. 

In  letzterer  Hinsicht  waren  durch  das  hochliegende  Tonnen- 
gewölbe schwer  zu  überwindende  Schranken  gesetzt.  Für  das  Raum- 
gefühl der  Burgunder  ist  aber  bezeichnend,  dass  sie  die  fortschreitende 
Beherrschung  der  Konstruktion  von  Bau  zu  Bau,  wie  die  Reihe  Paray- 
Autun-Langres  (Taf.  140)  darlegt,  zur  Steigerung  des  Breiten  Verhält- 
nisses verwerteten.  Schlechthin  rühmenswert  ist  die  feine  harmonische 
Anpassung  der  Längen-  und  Höhenteilung  des  Systems  zum  jedes- 
maligen Querschnitt. 

Folgende  Tabelle  veranschaulicht  an  vier  Hauptbeispielen  die 

wichtigsten  Proportionen:  „  „         A  T 

0  1  Beaune.    Paray.    Autun.  Langre-. 

Achsenweite  des  Mittelschiffes  zu  Achsen- 
weite der  Joche   1:1,3  1 :  i»3     1:2  i:a 

Lichte  Weite  des  Mittelschiffes  von  Mauer 

zu  Mauer  zu  lichter  Höhe   .    .    .    .1:2,6  1:2,7     >  :  2,4    1  :  «»9 

System.  Achsenweite  der  Joche  zu 

Kämpferhöhe  1:2,4  1:2,45   1:3  1:2,26 

Für  die  Höhenteilung  des  Systemes  ergeben  sich  folgende  Werte: 


Beaune 
Paray 
Autun 
Langres 


Gesimse  unter  dem  Triforium  geteilt. 


oberer  Teil .  unterer  Teil : 

ganze  Höhe 

1 

1,62 

2,62 

1 

I.62 

1  : 

2;oS 

1 

1,48 

1 

2,02 

3,02 

I 

i,5° 

2,35 

3.35 

1 

1,42 

zum  Gewölbekämpfer  durch  das 

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Neuntes  Kapitel :  Die  tonnengewölbte  Basilika. 


397 


Während  Autun  und  Langres  im  Grundrissverhältnis  genau  über- 
einstimmen, unterscheiden  sie  sich  in  den  Höhenproportionen  und 
steht  Autun  den  beiden  ersten  Gebäuden  wesentlich  näher.  Es  ist 
dies  eine  Folge  des  verschiedenen  Gewölbesystemes.  Die  Anwendung 
des  Tonnengewölbes,  welches  erst  über  dem  Lichlgaden  ansetzen  kann, 
bedingt  eine  grosse  relative  Höhe,  welche  hier  im  Durchschnitt  2  *,'»  mal 
grösser  ist  als  die  lichte  Weite,  wogegen  sie  bei  Anwendung  des  Kreuz- 
gewölbes (in  Langres)  auf  1,9  der  lichten  Weite  fällt.  Neben  diesen 
Hauptproportionen  ist  das  Verhältnis  der  Pfeilerdicke  zur  lichten 
Bogenöffnung  für  den  Raum  eindruckbestimmend,  dieses  ist  bei  Beaune 
und  Paray  grösser  als  1 : 2,  bei  Autun  und  Langres  etwas  kleiner. 

Diese  relativ  geringen  Unterschiede  genügen,  um  trotz  der  grossen 
Uebereinstimmung  in  der  Konzeption  der  Systeme  doch  jedem  der 
genannten  Gebäude  seinen  ganz  bestimmten,  individuellen  Charakter 
zu  sichern. 

Das  Bausystem  der  Burgunder,  wir  wiederholen  es,  war  nach 
der  konstruktiven  Seite  nichts  weniger  als  ein  vollkommenes.  Aber 
durch  verwegenes  Sichhinwegsetzen  über  Schwierigkeiten,  denen  alle 
andern  bis  dahin  ausgewichen  waren,  und  eine  erstaunliche  form- 
bildende und  formbeherrschende  Kraft  gelang  ihnen  ein  herrliches 
Ganzes.  Einen  schwachen  Punkt  jedoch  gibt  es  darin,  der  unüber- 
wunden blieb.  Das  ist  die  Lichtführung.  Die  Rücksicht  auf  die 
Sicherheit  des  Tonnengewölbes  gestattet  nicht,  trotz  der  Zuhilfe- 
nahme der  Gurtbögen  und  Strebepfeiler,  irgend  zahlreiche  und  breite 
Fensterdurchbrechungen ;  Steigerung  des  Höhenmasses  der  Fenster 
wäre  hier  wieder  gleichbedeutend  mit  Erhöhung  des  Schiffes  über- 
haupt gewesen  und  eben  dieses  wollte  man,  wie  wir  uns  erst  über- 
zeugten, vermeiden.  Die  mangelnde  Helligkeit  wird  zur  Zeit  der 
Begründung  des  Stiles  noch  nicht  sehr  empfunden  sein,  weil  sie 
damals  eine  allen  Systemen  gemeine  war;  seit  der  Mitte  des  12.  Jahr- 
hunderts geht  aber  durch  die  Baukunst  aller  Länder  ein  Ruf  nach 
mehr  Licht. 

Unter  den  mancherlei  Vorzügen  nun,  die  dem  Kreuzgewölbe  im 
Wettstreit  mit  dem  Tonnengewölbe  zur  Seite  standen ,  war  die 
günstigere  Beschaffenheit  für  Stellung  und  Grösse  der  Fenster  immer 
ein  besonders  dankbar  begrüsster.  Vornehmlich  durch  dieses  Moment, 
glauben  wir,  wurde  auch  der  Erbauer  der  Kathedrale  von  Langres 
dafür  gewonnen,  das  Tonnengewölbe  zu  opfern,  zum  erstenmal  das 
Kreuzgewölbe  anzunehmen.  Wunderbar  geschwind  fiel  nach  der  Preis- 
gebung dieses  einen  Elementes  das  ganze  System  auseinander.  Und 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


so  endete  die  burgundische  Schule  genau  an  dem  Punkte,  wo  wir  alle 
andern  romanischen  Schulen  Süd-  und  Mittelfrankreichs  schon  enden 
sahen.  Mit  einer  Regel mässigkeit,  die  einem  unabwendbaren  Schicksal 
gleichsieht,  dringt  überall  das  Kreuzgewölbe  ein,  aber  nicht  um  in 
das  vorgefundene  ältere  System  ein  höheres  Moment  der  Entwicklung 
zu  bringen,  sondern  um  es  zu  zersprengen,  niederzuwerfen,  die  Bahn 
freizumachen  für  die  Gotik. 

Die  Kathedrale  Saint-Mammi^s  zu  Langres  (Taf.  121,  139,  140, 
144).  Ueber  die  Erbauungszeit  besitzen  wir  gar  keine  Nachrichten. 
Von  den  heimischen  Archäologen  wird  sie  in  die  ersten  Jahre  des 
saec.  11  und  an  den  Anfang  der  Entwicklung  der  burgundischen 
Baukunst  gestellt.  Dies  ist  einfach  unmöglich.  Auch  für  die  ältesten 
Teile  wäre  die  früheste  denkbare  Entstehungszeit  die  Mitte  des 
saec.  12.  Sie  umfassen  den  Chor  und  die  angrenzenden  Teile  de> 
Querschiffes  bis  auf  ein  Drittel  der  Kapellen.  Diese  Teile  sind  in 
antikisierenden  Formen  reich  dekoriert.  Das  von  einem  prachtvollen 
Rankenornament  begleitete  Arkadengesims  hört  in  den  Kapellen  am 
Transsept  plötzlich  auf  und  es  treten  die  Profile  ein,  welche  im  Vor- 
derschiff durchgeführt  sind.  Damit  ist  eine  bestimmte  lokale  Ab- 
grenzung der  beiden  Bauperioden  gegeben.  Im  Chor  ist  die  formale 
Behandlung  durchaus  antiken  Vorbildern  entnommen,  speziell  dem  noch 
heute  bestehenden  römischen  Stadtthor;  die  Ausführung,  mit  sicherer 
Berechnung  der  dekorativen  Wirkung,  zeigt  einen  Anflug  von  Weichlich 
keit.  Das  Schiff  hat  bereits  frühgotische  Formen  in  strenger  Behand- 
lung und  steht  entschieden  unter  französischem  Einfluss. 

Im  Jahre  1144  predigte  Bernhard  von  Clairvaux  in  der  Kathedrale 
von  Langres.  Dieses  Datum  könnte  sich,  wenn  überhaupt  der  jetzige 
Bau  in  Frage  käme,  nur  auf  den  Chor  beziehen.  Die  Behandlung  der 
Kapitelle  und  Archivolten  der  Thüre  zur  Sakristei  stimmt  aufs  ge- 
naueste mit  der  des  Westportales  von  S.  Philibert  in  Dijon  überein, 
aber  auch  dieses  ist  nicht  datiert.  Dieselben  Werkstatttypen ,  doch 
schon  etwas  mehr  in  der  Richtung  auf  das  Frühgotische  entwickelt, 
finden  wir  in  der  a.  1 187  begonnenen  Vorhalle  von  Autun  wieder. 

Wie  der  Habitus  der  Formen,  so  weist  in  noch  bestimmterer  Weise 
auf  die  Spätzeit  des  saec.  12  die  Analyse  der  Konstruktion.  Schon 
die  Grundform  des  Chorumganges  ist  nicht  früh.  Alle  burgundisch- 
romanischen  und  ebenso  alle  frühest  gotischen  Chorschlüsse  bauen 
sich  auf  halbkreisförmiger  Grundlage  auf:  der  von  LangTes  ist  polygon. 
Noch  mehr  trägt  der  Aufbau  den  Charakter  des  Ueberganges,  und 
zwar  nicht  des  aktiven  Ueberganges,  welcher  selbständig  und  auf 
eigenem  Wege  der  Gotik  zustrebt  als  Weiterentwicklung  etwa  jenes 
früher  namhaft  gemachten  protogotischen  Elementes,  sondern  des  jus- 


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Neuntes  Kapitel:  Die  tun nenge wölbte  Basilika. 


399 


siven,  welcher  die  Ergebnisse  der  französischen  Schule  verwertet,  ohne 
das  Wesen  der  heimischen  Bauweise  aufzugeben.  Es  ist  eine  den 
rheinischen  Uebergangsbauten  analoge  Erscheinung,  welche  freilich 
hier,  wo  der  Zauberhauch  der  neuen  Kunstweise  unmittelbar  anflutete, 
fast  ohne  Folge  blieb,  denn  schon  im  Anfange  des  saec.  13  hält  die  Gotik 
in  voller  Rüstung  ihren  Einzug  in  Burgund  und  der  östlichen  Cham- 
pagne und  führt  einen  vollständigen  Bruch  mit  der  künstlerischen 
Vergangenheit  herbei. 

Wir  finden  im  Chorumgange  von  Langres  Kreuz- Rippengewölbe 
über  trapezförmigem  Grundriss,  aber  der  Spitzbogen  ist  nicht  dazu 
verwendet,  den  Schildbögen  gleiche  Höhe  zu  geben,  sondern  die  Ge- 
wölbe steigen  nach  aussen.    Die  Diagonalbögen  sind  halbkreisförmig, 
aber  weil  sie  über  trapezförmigem  Grundrisse  stehen,  schneiden  sie  sich 
nicht  in  der  Mitte  und  der  Schlussstein  steht  nicht  im  höchsten  Punkte 
des  Gewölbes.    Der  Meister  kannte  also  das  Rippengewölbe  und  den 
Spitzbogen  vom  Hörensagen ,  vielleicht  auch  aus  eigener  flüchtiger 
Anschauung,  wusste  aber  seine  Vorteile  nicht  auszunützen.  —  Noch 
seltsamer  ist  die  Wölbung  des  Hochchores.    Das  erste  Joch  nach 
der  Vierung  zeigt  ein  normales  Kreuz-Rippengewölbe,  die  Rundung 
aber  ist  nicht  mit  einem  solchen,  sondern  mit  einer  Halbkuppel 
überdeckt,  in  welche  die  Fenster  etwas  einschneiden.  Ganz  ohne  Bei- 
spiel aber  ist  die  Verbindung  der  Halbkuppel  mit  dem  ausgebildeten 
Strebesysteme,  das  nicht  etwa  erst  später  hinzugefügt  ist,  sondern  schon 
der  ersten  Anlage  angehört.   Nun  ist  einerseits  klar,  dass  der  zu  Tage 
tretende  Strebebogen  nicht  als  Stütze  einer  Kuppel  erfunden  sein  kann, 
andererseits  spielt  er,  wie  weiterhin  zu  zeigen  sein  wird,  auch  bei  den 
frühesten  gotischen  Bauten  noch  keine  grosse  Rolle.    Es  hat  also 
hier  ein  fortgeschrittenerer  gotischer  Bau  (Kathedrale  von  Sens?)  zum 
Vorbild  gedient,  was  ebenso  wie  die  Detailform  des  Vorderschiffs  auf 
das  letzte  Drittel  des  Jahrhunderts  hinweist. 

Man  sieht:  der  Meister  von  Langres  verschliesst  sich  nicht  gegen 
den  Wert  der  in  der  französischen  Schule  aufgekommenen  konstruk- 
tiven Neuerungen,  aber  im  Herzen  seiner  Kunst  bleibt  er  ein  ganzer 
Burgunder.    Ueberall  zeigt  sich,  wie  sehr  er  bemüht  ist,  jenen  nur 
die  Rolle  eines  äusseren  Hilfsapparates  zuzugestehen,  dagegen  den 
Grundcharakter  seiner  heimischen  Art  unangetastet  zu  lassen.  Dahin 
gehört  die  ungewöhnlich  hohe  Seitenzahl  des  Chorpolygons  (9  Seiten 
des  Sechzehnecks),  wodurch  eine  dem  Halbkreis  sehr  nahe  bleibende 
Wirkung  erzeugt  und  zugleich  (ausser  den  konstruktiven  Vorteilen)  eine 
reinere  Form  der  die  Säulen  verbindenden  Bögen  gewonnen  wird; 
terner  die  Halbkuppelform  des  Gewölbes  ;  ferner  das  sich  am  nächsten 
an  die  Kathedrale  von  Autun  anschliessende  System  (nur  im  ersten 
Joch  zunächst  dem  Rundhaupt  im  ursprünglichen  Sinne  ausgeführt, 


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400 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


im  Schiff  in  reduzierten,  von  der  Antike  sich  entfernenden  Formen); 
ganz  besonders  aber  die  eigentümliche  Behandlung  der  Kreuzgewölbe 
mit  ihrem  in  der  Querrichtung  bogenförmig  ansteigenden  Scheitel, 


Cluny:  Vorhalle.    (Nach  Viollet-Ie-Duc.) 


den  breiten  eckigen  Quergurten  und  den  daneben  möglichst  unter- 
geordnet behandelten  Kreuzrippen  und  Runddiensten,  womit  der  per- 
spektivische Eindruck  dem  des  Tonnengewölbes  wirklich  einigermassen 
angenähert,  der  Mangel  einer  fortlaufenden  horizontalen  Abschluss- 
linie des  Systems  allerdings  nicht  vergessen  gemacht  wird.   Die  hohe 


Neuntes  Kapitel:  Die  tunnengewölbte  Basilika. 


40I 


Einfalt  und  Einheitlichkeit  des  Vorbildes  von  Autun  ist  zwar  nicht  er- 
reicht worden  und  konnte  es  nicht;  dafür  ist  die  Lichtführung  eine  weit 
überlegene  und  ist  die  grössere  Freiheit  der  Querschnittbildung  für  die 
Raumentfaltung  aufs  herrlichste  ausgenützt.  Nach  diesen  beiden  Rich- 
tungen bezeichnet  die  Kathedrale  von  Langres  den  Höhepunkt  der 
burgundischen  Baukunst.  Doktrinären  Puristen  überlassen  wir  gern, 
die  begangenen  Inkonsequenzen  zu  bemäkeln,  und  bekennen  dafür  in 
diesem  viel  zu  wenig  bekannten  Gebäude  eine  spezifische  Schönheit 
der  Verhältnisse  und  des  Raumes  gefunden  zu  haben,  wie  sie  nur  in 
wenigen  romanischen  Kirchen,  in  keiner  gotischen,  sondern  erst  wieder 
in  der  italienischen  Renaissance  erreicht  worden  ist. 


Thil-Chitel.  (Dehio.) 


In  der  Kathedrale  von  Langres  ist  die  burgundisch- romanische 
Bauweise  über  ihre  Grenzen  schon  hinausgeführt,  nur  die  höchste  künst- 
lerische Kraft  konnte  ihr  das  widersprechende  Gewölbesystem  zueinigen. 
Einen  ähnlichen  Versuch  machte  um  das  Jahr  1220  Abt  Roland  von 
Cluny  mit  der  Erbauung  der  grossartigen  Vorkirche  zum  Bau  Hugos. 
Dieselbe  hält  in  ihrem  Untergeschoss  noch  das  System  der  kannelierten 
Pilaster  fest,  der  Oberbau  aber  schliesst  sich  noch  enger  dem  gotischen 
Systeme  an  als  die  Kathedrale  von  Langres.  Es  ist  die  letzte  grosse 
Leistung  der  burgundisch-romanischen  Kunst,  sie  schliesst  ihren  Lauf 
an  demselben  Denkmale,  von  dem  sie  ausgegangen. 

In  der  Uebertragung  auf  Kirchen  von  kleineren  Abmessungen 
erfahrt  das  burgundische  System  Vereinfachungen,  oft  von  sehr 
glücklicher  Art. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Durch  feine  Anmut  und  gemässigten  Reichtum  der  Erscheinung 
überaus  liebenswürdig  ist  die  Schlosskirche  der  Barone  von  Semur-en- 
Brionnais  (Taf.  121,  141).  In  derselben  Landschaft  die  Cluniacenser- 
priorei  Charlieu;  deren  heute  allein  übrige  Vorhalle  zeigt  die  bur- 
gundische Dekorationskunst  in  konzentrierter  Pracht.  Westwärts  verfolgt 
man  den  burgundischen  Einfluss,  jedoch  erst  im  späteren  12.  Jahrhundert, 
bis  ins  Bourbonnais ;  die  Kirche  von  Souvigny,  eine  der  ältesten  und 
angesehensten  Töchter  von  Cluny,  erweist  sich  in  ihren  dem  saec.  1 1 
angehörenden  Teilen  (Taf.  122)  architektonisch  von  Cluny  unabhängig; 
erst  der  Erweiterungsbau  des  saec.  12  ist  burgundisch  (das  Taf.  141 
abgebildete  Seitenschiff  für  dieses  Verhältnis  allerdings  weniger  cha- 
rakteristisch als  andere  Teile) ;  dieselbe  Bauhütte  errichtete  die  benach- 
barte Kirche  von  S.  Menoux,  von  der  leider  nur  Transsept  und  Chor 
(T.  143)  unberührt  geblieben  sind. 

Einige  kleinere  Kirchen  interessieren  durch  die  mittelst  Stichkappen 
in  das  Tonnengewölbe  einschneidende  Anlage  der  Fenster.  Man  sieht, 
dass  die  Burgunder  dies  bequeme  Verfahren  wohl  im  Auge  behielten ; 
ihre  Abneigung,  bei  Werken  von  Rang  es  anzuwenden,  ist  um  so 
bemerkenswerter;  wieviel  weniger  heikel  ist  darin  der  Renaissance- 
und  Barockstil !  Eine  sehr  hübsche  Lösung  in  Chateauneuf  im  Brionnais 
(Taf.  141),  eine  gröbere  in  Thil-Chatel  zwischen  Dijon  und  Langres. 


Beschreibung  der  Tafeln. 

Provence  und  Languedoc. 
Querschnitte. 

Tafel  134. 

1.  Vaison:  Kathedrale.  —  Anfang  saec.  12.  —  Revoil. 

2.  Val  de  Dios  (Spanien):  S.  Salvador.  —  Mon.  Esp. 

3.  Trau  (Dalmatien)  S.  Marlin.  —  Jahrb.  C.-Comm. 
t        4.  S.  Guilhem-en-de'sert.  —  saec.  u(?)  —  Revoil. 

5.  S.  Paul-trois-chäteaux.  —  saec.  12.  —  Archives  des  mon.  hist. 

6.  * Arles:  S.  Trophime.  —  saec.  11 — 12.  —  Bezold. 

7.  *La  Garde  Adhimar.  —  saec.  i2(?)  —  Bezold. 

_  r  .  Langenschnitte. 
Tafel  135. 

1.  *La  Garde  Adhe'mar.  —  Bezold. 

2.  *  Arles:  S.  Trophime.  —  Bezold. 


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Neuntes  Kapitel:  Die  tonnengewölbte  Basilika. 


403 


3.  5.  Paul-trois-chtiteaux.  —  Archives  des  mon.  hist. 

4.  Leon  (Spanien)  S.  Isidoro.  —  Angeblich  saec.  11,  wohl  später.  — 
Mon.  Esp. 

Burgund.    Aeltere  Schule. 

Tafel  136. 

1.  *Ansy-te-Duc  (Querschiff).  —  saec.  11.  —  Bezold. 

2.  3.  Romainmoticr.  (Schnitt  durch  das  Querschiff  und  System  des 
Langhauses,  letzteres  ursprünglich  flach  gedeckt.)  —  Vollendet  1026. 
Rahn  in  den  Mitt.  der  ant.  Ges.  in  Zürich,  XVII. 

4,  5,  6.  Payerne.  (Schnitt  durch  das  Querschiff,  Querschnitt  und 
System  des  Langhauses.)  —  saec.  11.  —  Rahn  a.  a.  O. 

Tafel  137. 

1,  2,  3.  Tournus:  S.  Philibert.  (Längenschnitt  durch  den  Chor  und 
einen  Teil  des  Langhauses,  Querschnitt  des  letzteren,  Querschnitt 
der  Vorhalle).  —  Erste  Hälfte  saec.  11.  —  Archives  des  mon. 
histor. 

4.    Vignory  (Chor).  —  saec.  11.  —  Archives  des  mon.  hist. 

Burgund.  Jüngere  Schule. 

Tafel  138. 

1,  2.  *Guny.  (Die  erhaltenen  Teile  des  südlichen  Querschiffes.  System 
des  Langhauses,  rekonstruiert.)  —  1089  begonnen.  —  1.  Skizze  von 
Rahn,  2.  Bezold. 

3.  *Vienne:  Kathedrale.  —  saec.  12.  —  Skizze  von  Bezold,  die 
oberen  (gotischen)  Teile  nach  Rey. 

4.  Beaune:  Notrc-Damc.  —  saec.  12.  —  Archives  des  mon.  hist. 

5.  6.  *La  Chariti-sur- Loire.  —  Schnitt  durch  das  Querschiff,  System 
des  Chores.  Die  unteren  Teile  des  Querschiffes  saec.  12,  sonst 
saec.  12.  —  Bezold,  Dehio. 

7.  Paray-le-Monial.  —  saec.  12.  —  Archives  des  mon.  hist. 

Tafel  139. 

1.  Autun:  Kathedrale.  —  saec.  12,  um  1148  geweiht.  Vorhalle  nach 
1 187.  —  Viollet-le-Duc  in  Daly's  Revue. 

2.  *Langres:  Kathedrale.  —  saec.  12,  letztes  Drittel.  —  Bezold. 

Tafel  140. 

1.  Autun:  Kathedrale.    Querschnitt.  —  Viollet-le-Duc. 

2.  Paray-le-Monial.    Querschnitt.  —  Archives  des  mon.  hist. 

3.  Beaune.    Querschnitt.  —  Archives  des  mon.  hist. 

4.  *Langres.    Querschnitt.  —  Bezold. 


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404 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Tafel  141. 

1,  2.  Chäteauneuf  (Saöne  et  Loire).  —  saec.  12.  —  De  Baudot. 

3.  *Semur-en-Brionnais.  —  saec.  12.  —  Bezold. 

4,  5.  Bois-Sainte- Marie.  —  saec.  12.  —  De  Baudot. 

6.  *Rouy.  —  saec.  12.  —  Archives  des  mon.  bist.  (Skizze.) 

7.  *Souvigny.    System  der  Seitenschiffe.  —  saec.  12.  —  Dehio. 

Tafel  142. 

1,  2.  *  Saint  Benoit-sur- Loire.  —  1062  begonnen.  —  Bezold. 

3,  4.  Saint  Genau.  —  saec.  11.  Ende      —  Archives  des  mon.  hist. 

Tafel  143. 

1.  *Autun:  Kathedrale.  —  Nach  den  geometrischen  Aufnahmen  in 
Perspektive  gesetzt. 

2.  !i,Saint  Xfenoux.  —  saec.  12.  —  Photographie. 

Tafel  144. 

1.  * Langres:  Kathedrale.  —  Nach  den  geometrischen  Aufnahmen. 

2.  *Paray-le-Monial.  —  Nach  den  geometrischen  Aufnahmen. 


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Zehntes  Kapitel. 

Die  kreuzgewölbte  Basilika  Westeuropas. 


Wenn  die  römische  Baukunst  und  nachmals  wieder  die  Renais- 
sance ihr  Formgefühl  am  meisten  durch  das  Tonnengewölbe  be- 
friedigt fand,  wenn  die  Byzantiner  die  beherrschende  Rolle  der 
Kuppel  zuwiesen:  so  übt  auf  die  Entwicklung  des  abendländischen 
Kirchenbaus  im  Mittelalter  das  Kreuzgewölbe  alles  in  allem  die 
grösste  Macht  aus,  ja  es  wird  hier  erst  offenbar,  was  alles  mit  dieser 
Form  sich  ausrichten  lässt.  Im  Mittelalter  verhalten  sich  Tonnen - 
und  Kuppelgewölbe  zum  Kreuzgewölbe  gleichsam  wie  heterodoxe 
und  häretische  Sekten  zur  Einen  rechtgläubigen  Kirche.  Ihre  Ge- 
schichte, wie  wir  sie  in  den  vorigen  Kapiteln  kennen  gelernt  haben, 
führt  deshalb  unweigerlich  immer  zu  demselben  Endergebnis:  dem 
Unterliegen  unter  das  Kreuzgewölbe.  Der  allgemeinste  Grund  für 
die  Uebermacht  des  letzteren  ist  offenbar  der,  dass  es  sich  dem 
basilikalen  Gestaltungsprinzip  struktiv  am  vollkommensten  anpasst.  Die 
Vorherrschaft  der  Basilika  zieht  die  Vorherrschaft  des  Kreuzgewölbes 
unmittelbar  nach  sich.  Denn  was  immer  der  besondere  Schönheits- 
wert des  tonnengewölbten  Hauptschiffs  sein  mochte,  er  konnte  nicht 
standhalten  vor  den  zwei  grossen  Tugenden  des  Kreuzgewölbes,  in- 
sonderheit des  Kreuzrippengewölbes,  welche  diese  sind.  Erstens  ge- 
stattet es,  dank  der  Unterbrechung  der  Kämpferlinie  durch  die  Schild- 
bögen, die  Fenster  höher  zu  führen,  als  irgend  ein  anderes  System, 
bis  nahe  an  den  Gewölbescheitel  selbst;  es  ist  somit  das  einzige 
System,  das  einem  der  wesentlichsten  unter  den  Charakteren  der  Ba- 
silika, dem  hoch  einfallenden  Seitenlicht,  volle  Entfaltung  gewährt. 


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Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


Zweitens  und  aus  dem  gleichen  Grunde  gestattet  es  den  Angriffspunkt 
des  Seitenschubes  tiefer  herabzurücken,  als  es  bei  Tonnengewölben 
oder  Kuppeln  möglich  ist,  und  eröffnet  somit  einen  freieren  Spielraum 
für  die  Gestaltung  des  Querschnittes. 

Das  sind  Vorzüge,  deren  man  sich  schon  lange  bewusst  war, 
ehe  man  zu  ihrer  vollen  Ausnutzung  den  Entschluss  fand.  Wir  haben 
früher  (S.  187 — 191)  auf  gewisse  Erscheinungen  in  der  karolingischen 
Architektur  hingewiesen,  die  darauf  gedeutet  werden  könnten,  dass 
bereits  damals  der  Gedanke  der  Kreuzgewölbebasilika  in  Sicht  kam. 
Bestimmter  tritt  er  im  11.  Jahrhundert,  in  dessen  erstem  Drittel  ein 
neues  Regen  und  Treiben  in  der  mitteleuropäischen  Baukunst  anhob, 
wieder  hervor.  Eine  Anzahl  mächtiger  Basiliken  wächst  aus  dem 
Boden,  welche  die  Seitenschiffe  mit  einer  Folge  von  Kreuzgewölben 
eindecken  und  unverkennbar  die  Absicht  zeigen,  für  das  Hauptschiff 
ein  Gleiches  zu  thun.  Hierzu  aber  erweisen  sich  Mut  und  Geschick 
doch  zu  klein,  und  erst  im  Uebergang  vom  11.  zum  12.  Jahrhundert 
gelangt  die  im  Prinzipe  längst  festgestellte  Lösung  zur  Ausführung. 
Die  beteiligten  Länder  sind  die  nämlichen,  die  einst  der  vor- 
zugsweise Schauplatz  der  fränkisch -karolingischen  Baubewegung  ge- 
wesen waren:  Oberitalien,  die  deutsche  Schweiz,  die  Rheinlande  und 
Nordfrankreich. 

Wir  stellen  in  unserer  Betrachtung  Frankreich  voran,  nicht  weil 
hier  die  Entwicklung  am  frühesten  begonnen  hätte,  sondern  weil  sie 
hier  am  frühesten  sich  vollendete.  Jene  auf  S.  248  bezeichnete,  im 
ganzen  mit  dem  Laufe  der  Loire  zusammenfallende  Grenze,  die  in 
frühromanischer  Zeit  den  basilikalen  Flachdeckenbau  vom  ausser- 
basilikalen  Gewölbebau  schied,  dauerte  im  12.  Jahrhundert  in  unver- 
wischter  Schärfe  als  Grenze  zwischen  dem  Kreuzgewölbe  einerseits, 
dem  Tonnen-  und  Kuppelgewölbe  andererseits  fort.  Geschlossene 
Bauschulen,  wie  in  Deutschland  die  rheinische  oder  die  westfälische, 
haben  sich  in  Frankreich  aus  der  Adoptierung  des  Kreuzgewölbes 
zwar  nicht  ergeben.  Die  normännische,  eine  der  geschlossensten,  die 
überhaupt  bestanden  haben,  war  schon  vor  dem  Uebergang  zur 
Wölbung  fertig  und  erleidet  durch  diesen,  da  sie  ihn  von  jeher  er- 
strebt hatte ,  keine  Veränderung.  In  der  Isle  de  France  und  Picardie 
ist  der  Abschluss  der  auf  die  Gewölbe  gerichteten  Bestrebungen  zu- 
gleich der  Anfang  der  Gotik.  Die  Champagne,  welche  im  11.  Jahr- 
hundert bedeutende  Werke  hatte  entstehen  lassen,  ist  in  der  ersten 
Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  wenig  thätig  und  erhebt  sich  erst  in  der 


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Zehntes  Kapitel :  Die  kreuzgewölbte  Basilika  Westeuropas. 


407 


zweiten  Hälfte  desselben  zu  ansehnlicheren  Leistungen,  die  aber  schon 
der  primitiv-gotischen  Schule  von  Saint-Denis  angehören.  In  Burgund 
wie  in  Süd-  und  Westfrankreich  bleibt  die  Kreuzgewölbebasilika  zwar 
nicht  gänzlich  unbekannt,  doch  sind  es  nur  sporadische  Erscheinungen 
ohne  lebhafteren  Zusammenhang  untereinander  oder  mit  den  nord- 
französischen Schulen.  Ihnen  stehen  am  nächsten  einige  Monumente 
Spaniens  und  Palästinas. 

Bevor  wir  in  die  Betrachtung  dieser  Gruppen  eintreten ,  seien 
einige  allgemeine  Bemerkungen  vorausgeschickt. 

Der  formale  Charakter  des  Kreuzgewölbes  zeigt  sich  je  nach  seiner 
Behandlung  als  ein  so  verschiedener,  dass  eine  generelle  Charakteristik 
kaum  gegeben  werden  kann.  Das  einfache  Kreuzgewölbe  ist  eine 
sehr  nüchterne  Form.  Sind  die  einzelnen  Felder  durch  kräftige  Gurte 
getrennt,  so  sind  letztere  für  den  Eindruck  bestimmend  und  es  können 
gute  Wirkungen  erzielt  werden.  Das  Rippengewölbe  ist  nicht  allein 
in  konstruktiver,  sondern  auch  in  ästhetischer  Hinsicht  die  voll- 
kommenere Form;  das  Spiel  der  Kräfte  im  Gewölbe  ist  durch  den 
Verlauf  der  Gurte  und  Rippen  klar  zum  Ausdruck  gebracht.  Aber 
es  ist  eine  sorgfaltige  Abwägung  der  Gliederung  nötig,  wenn  die- 
selbe nicht  zum  ausdruckslosen  Schematismus  erstarren  soll.  Die 
formale  Charakteristik  bewegt  sich  zwischen  den  zwei  Polen  des 
kuppeiförmigen  Kreuzgewölbes  und  des  Tonnengewölbes  mit  Stich- 
kappen. Ersteres  betont  die  Scheidung,  also  die  Selbständigkeit  der 
Joche,  letzteres  die  Einheit  der  Decke  und  somit  des  Raumes;  für 
jenes  bestimmen  die  Gurtbögen  die  Gliederung  und  ihnen  müssen 
die  Diagonalbögen  untergeordnet  werden,  für  die  Gliederung  dieses 
sind  im  Gegenteil  die  Diagonalrippen  massgebend,  die  Scheitellinie 
wird  horizontal  geführt  und  durch  eine  fortlaufende  Rippe  hervor- 
gehoben, eine  Form,  die  im  romanischen  Stil  noch  kaum  vorkommt, 
am  vollkommensten  ausgebildet  in  der  englischen  Gotik  ist.  Für  erstere 
Form  ist  eine  gewisse  Grösse  der  Gewölbefelder  ein  wesentliches 
Erfordernis.  Das  quadratische  und  das  sechsteilige  Rippengewölbe 
schlagen  einen  gewaltigen  Rhythmus  an,  der,  in  der  Gliederung  der 
Wand  entsprechend  fortgesetzt,  eine  bedeutende  Wirkung  hervorbringt. 
Die  querrechteckigen  Gewölbefelder  über  den  einzelnen  Jochen  aber 
erscheinen  um  so  mehr  kleinlich  und  unruhig,  je  mehr  im  Laufe  der 
Entwicklung  der  Unterschied  zwischen  der  Form  der  Gurten  und 
Rippen  schwindet.  Das  gebundene  Gewölbesystem  ist  nicht  allein 
in  Deutschland  und  Italien  das  herrschende,  es  ist  auch  in  Frankreich 


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Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


verbreitet.  Freilich  sind  die  erhaltenen  Denkmäler  nicht  sehr  zahl- 
reich, sie  reichen  aber  aus,  um  darzuthun,  dass  es  vorkam,  und  dann 
ist  auch  das  System  der  sechsteiligen  Gewölbe  nichts  anderes,  als 
eine  Weiterbildung  der  gebundenen.  Fast  ausnahmslos  tritt  das  Ge- 
wölbe als  Rippengewölbe  auf,  wenigstens  für  die  Mittelschiffswölbung, 
und  daraus  erklärt  sich,  dass  das  gebundene  System  frühe  verlassen 
wird,  denn  das  Rippengewölbe  erleichtert  die  Wölbung  rechteckiger 
Gewölbefelder. 

i.  Burgund,  Süd-  und  Westfrankreich,  Spanien, 

Palästina. 

Unter  den  Denkmälern,  welche  hier  in  Betracht  kommen,  gebührt 
der  Abteikirche  zu  Vezelav  die  erste  Stelle  (Taf.  145,  149,  150);  sie 
gehört  nach  ihrer  Formbehandlung  der  burgundischen  Schule  an,  von 
der  sie  sich  aber  durch  ihre  Gesamtanlage,  ihre  Verhältnisse  und  ihr 
Gewölbesystem  auf  das  bestimmteste  unterscheidet.  Wir  wissen  nicht 
anzugeben,  woher  das  System  genommen  ist;  cluniacensisch,  wie  wohl 
behauptet  worden,  ist  es  nicht.  Nach  dem  Text  der  Archives  de  la 
comm.  des  mon.  hist.  wäre  die  Kirche  im  saec.  11  erbaut  und  a.  1104 
geweiht.  Wäre  dem  so,  so  gehörte  sie  zu  den  Versuchen,  welche  der 
Ausbildung  der  jüngeren  burgundischen  Schule  (seit  a.  1089)  voraus- 
gingen. Allein  die  ganze  formale  Behandlung  weist  auch  den  ältesten 
Teil,  das  Schiff,  unzweifelhaft  dem  saec.  12  zu1).  Wir  haben  auch 
die  bestimmte  Nachricht  von  einem  grossen  Brandunglück  im  Jahre 
1120,  bei  welchem  über  1000  Menschen  umkamen,  und  wenn  sich  an 
dem  Gebäude  keine  Brandspuren  finden,  so  ist  daraus  nicht  zu  schlies 
sen,  dass  es  ganz  verschont  blieb,  sondern  im  Gegenteil,  dass  es  ganz 
zerstört  und  durch  einen  vollständigen  Neubau  ersetzt  wurde.  Die 
Kirche  ist  ganz  als  Gewölbebau  gedacht  und  anscheinend  in  bewusstem 
Gegensatze  zu  dem  durch  das  burgundische  Tonnengewölbesystem  be- 
dingten grossen  Höhen  Verhältnis  ist  ein  thunlichst  niedriger  Quer- 
schnitt angestrebt.  Schon  die  untere  Bogenstcllung  ist  ungewöhnlich 
niedrig,  die  Kämpferhöhe  beträgt  wenig  mehr  als  den  lichten  Pfeiler- 
abstand; auf  das  Triforium  ist  ganz  verzichtet;  es  ist  endlich  das 
Kreuzgewölbe  auch  im  Mittelschiff  angewandt  und  dessen  Kämpfer  bis 
an  den  unteren  Rand  der  Fenster  herabgerückt ").    Die  Pfeilerbilduni: 

')  Die  Krypta  könnte  ältere  Reste  enthalten,  kommt  jedoch  an  dieser  Stelle  nicM 
in  Betracht. 

'-')  Die  Querschnittsverhältnisse  bleiben  gleichwohl  ungewöhnlich,  es  sind  mehr 
<!ie  einer  flachgedeckten  Basilika  als  eines  Gewölbebaues.  Sollte  bei  dem  Neubau  die 
Grundrissanordnung  der  Kirche  des  saec.  1 1  beibehalten  worden  sein 5    Der  Text  der 


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Zehntes  Kapitel:  Die  kreiugewülbte  Basilika  Westeuropas. 


409 


ist  burgundisch,  einem  kreuzförmigen  Kern  legen  sich  vier  Halbsäulen 
vor.  Für  die  Aufnahme  der  Schildbögen  sind  über  dem  Gurtgesimse 
kannelierte  Pilaster  aufgesetzt.  Die  Beschreibung,  welche  die  Archives 
de  la  corara.  des  mon.  hist.  von  den  Gewölben  geben,  ist,  wie  auch  die 
Ausführungen  Schnaases,  Gesch.  d.  bild.  Kunst  4  *,  S.  514,  nicht  ganz 
zutreffend.  Die  Gurtbögen  sind  sehr  merklich  gedrückt  und  noch  weniger 
haben  die  Gratbögen  Halbkreisform.  Die  Gewölbe  haben  nur  wenig 
Stich  und  von  einer  > Verselbständigung  der  Grate«  ist  so  wenig  die 
Rede,  dass  sie  nach  dem  Scheitel  zu  vielmehr  ganz  verschwinden. 


Anry-le  Duc  (Dehio.) 

Das  in  diesen  Gegenden  ungewöhnliche  System  findet  in  den  an- 
gedeuteten konstruktiven  Erwägungen  und  in  einer  allgemeinen  Kennt- 
nis auswärtiger  Kreuzgewölbebauten  seine  Erklärung.  Eine  allgemei- 
nere Verbreitung  hat  es  nicht  gefunden.  —  Das  System  von  Anzy-le- 
Duc  im  Brionnais  (Grundriss  Taf.  121)  hat  bei  grösserer  Einfachheit 

Archives  de  la  comm.  des  mon.  hist.  erwähnt  nur,  dass  an  dem  Gebäude  keine  Brand 
spuren  sichtbar  sind,  fraglich  bleibt  es,  ob  nicht  im  Mauerwerk  ältere  und  jüngere  Teile 
7.u  unterscheiden  sind.  Uns  war  zur  Untersuchung  dieser  Frage  keine  Gelegenheit  ge- 
boten. Aber  wenn  auch  Reste  des  älteren  Gebäudes  in  dem  bestehenden  erhalten  sein 
sollten,  so  dürfte  daraus  doch  keineswegs  geschlossen  werden,  dass  wir  eine  ursprünglich 
nachgedeckte  und  nachträglich  gewölbte  Basilika  vor  uns  haben. 

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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


die  Grundzüge  mit  Vezelay  gemein.  —  S.  Ladre  zu  Avallon  ist  fort- 
geschrittener.   Weitere  Betspiele  sind  uns  nicht  bekannt. 

Eine  neue  und  höchst  merkwürdige  Stufe  des  Konstruktionssystems 
zeigt  sich  in  der  bald  nach  Vollendung  des  Schiffes  erbauten  (a.  1132) 
Vorhalle  zu  Vezelay  (Taf.  149,  150).  Hier,  wie  im  Schiff,  sucht 
der  Erbauer  eine  zu  grosse  Gewölbehöhe  zu  vermeiden  und  da  er  über 
den  Seitenschiffen  Emporen  anzubringen  hat,  giebt  er  die  selbständig 
seitliche  Beleuchtung  des  Mittelschiffes  preis.  Er  konnte  dies  ohne 
Bedenken  thun,  denn  bei  der  geringen  Länge  des  Raumes  wurde  eine 
genügende  Erleuchtung  von  der  Fassade  her  möglich.  Das  Mittelschiff 
hat  steil  ansteigende,  fast  kuppeiförmige  Kreuzgewölbe,  in  den  beiden 
ersten  Jochen  ohne  Rippen,  im  letzten  mit  solchen,  welche  indes  keine 
struktive  Bedeutung  haben ,  sondern  nur  als  Schmuck  über  die  Grate 
gelegt  sind.  Die  Gewölbe  sind  zwischen  ein  kräftiges  Gurtbogen- 
system  eingespannt.  Da  aber  ein  so  steil  ansteigendes  Gewölbe  die 
Last  nicht  einfach  auf  die  vier  Hauptstützpunkte  konzentriert,  sondern 
auch  in  der  Linie  der  Gurt-  und  Schildbögen  einen  Schub  ausübt, 
steigen  die  Gewölbe  der  Emporen  so  gegen  das  Mittelschiff  an ,  dass 
ihr  innerer  Ansatz  genau  dem  des  Hochschiffgewölbes  folgt.  Die  über 
dem  Gewölbe  gelegenen,  zur  Aufnahme  der  Dachkonstruktion  be- 
stimmten Mauern  und  Bögen  tragen  zur  Festigkeit  der  Verspannung 
bei,  ohne  dass  sie  als  Strebewerk  bezeichnet  werden  dürften.  —  Auch 
dieser  Bau  ist  seiner  historischen  Bedeutung  nach  weit  überschätzt 
worden.  Viollet-le-Duc  (D.  R.  IV.  31  ff.)  bezeichnet  ihn  als  eine  Haupt- 
vorstufe des  gotischen  Bausysteines.  Dies  ist  nicht  richtig,  er  gehört 
vielmehr  gar  nicht  zu  diesen  Vorstufen.  Bei  diesen  geht  das  Bestreben 
dahin,  die  Last  und  den  Druck  auf  einzelne  Punkte  zu  vereinigen  und 
diese  unverschieblich,  die  abschliessende  Mauer  aber  vom  Gewölbe 
ganz  unabhängig  zu  machen.  Hier  dagegen  haben  wir  nur  einen  aller- 
dings geistreichen  und  selbständigen  Versuch  zur  Weiterbildung  der 
Kreuzgewölbe  ohne  tragende  Rippen,  und  anstatt  vom  Schub  der 
Gewölbe  frei  zu  sein,  werden  die  Mauern  nach  dem  ganzen  Umfang 
des  Gewölbes  durch  das  Emporgewölbe  gestützt.  Will  jemand  in  diesem 
System  eine  Uebertragung  des  auvergnatischen  auf  einen  Kreuzgewölbe- 
bau erblicken,  so  wollen  wir  dem  nicht  widersprechen,  um  so  weniger, 
als  auch  die  Oeffnungen  der  Emporen  gegen  das  Schiff  ähnlich  be- 
handelt sind  wie  dort,  es  kann  aber  ebensowohl  das  ganze  System  die 
freie  Erfindung  eines  begabten  Konstrukteurs  sein.  Nachahmung  hat  es 
kaum  gefunden.  —  Das  Schiff  der  Kirche  von  Vezelay  hat  bei  grossen 
Schönheiten  im  einzelnen  im  ganzen  etwas  Unbefriedigendes,  es  er- 
mangelt des  Reizes  der  Stimmung,  welcher  bei  romanischen  Bauten 
von  so  hoher  Wichtigkeit  ist.  Die  allzu  saubere  Restauration  mag 
hierzu  das  Ihrige  beitragen.    Dagegen  ist  der  Blick  von  der  Vorhalle 


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Zehntes  Kapitel    Die  kreutgewölbte  Basilika  Westeuropas.  41  r 


durch  die  geöffneten  Thore  nach  der  Kirche  von  wahrhaft  berauschen- 
der Schönheit  und  einer  der  gewaltigsten  Architektureindrücke,  die 
man  haben  kann. 
Die  in  der  Schule  des  Anjou  und  Poitou  gewonnenen  Ergeb- 
nisse finden  in  einigen,  wenig  zahlreichen  Monumenten  Anwendung 
auf  die  Basilika.  Die  stilistische  Behandlung  bleibt  die  angevinische.  Die 
Gewölbefelder  des  Mittelschiffes  erhalten  über  annähernd  quadratischem 
Grundriss  kuppeiförmige  Kreuz-Rippengewölbe,  die  Seitenschiffe  wer- 
den mit  einfachen  Kreuzgewölben  überwölbt. 

Saint  Aignan  (Taf.  145,  149,  150)  in  der  Nähe  von  Blois.  Die 
Kirche  soll  nach  einer  Zerstörung  durch  Fulco  Nerra  (1030)  im  Laufe 
des  saec.  11  erbaut  sein.  Dieser  Periode  gehört  der  Chor  und  das 
nicht  über  die  Seitenschiffe  vortretende  Transsept  an.  Der  Chor  hat 
in  seiner  allgemeinen  Anlage  (abgesehen  von  der  Zahl  der  Kapellen), 
wie  im  System  des  Aufbaues  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit  dem  öst- 
lichen Theil  des  Chores  von  S.  Benoit-sur-Loire  (Taf.  142).  Im  Hochschiff 
ein  Tonnengewölbe,  in  den  Seitenschiffen  Kreuzgewölbe  ohne  Gurtbögen. 
Das  Langhaus  hat  bei  einfachen  Kreuzgewölben  in  den  Abseiten  im 
Mittelschiff  ein  Kreuzrippengewölbe  und  ein  vollkommen  ausgebildetes 
Strebesystem  (Taf.  149,  Fig.  6).  Die  Gewölbeform,  die  Pfeilerbildung 
und  das  Detail  weisen  mehr  auf  eine  Herkunft  aus  den  westlichen 
Provinzen  (Anjou),  als  aus  Franzien.  Ob  dagegen  das  Strebesystem, 
zweifellos  eines  der  ältesten,  der  Schule  von  Franzien  entnommen  ist, 
müssen  wir  dahingestellt  sein  lassen.  —  Verwandt,  doch  reicher 
(Triforium)  und  grossartiger  in  der  Anlage  sind  die  romanischen  Teile 
von  S.  Laumer  zu  Blois  (Chor  und  Querschiff),  begonnen  a.  1138.  — 
Das  bedeutendste  Denkmal  der  Gruppe  ist  die  Kathedrale  von  Le  Mans 
(Taf.  145,  155).  Erhalten  ist  nur  das  Schiff,  fünf  Joche  im  gebundenen 
Gewölbesystem,  mit  einem  Wechsel  von  kräftig  gegliederten  Pfeilern 
und  Säulen.  Das  System  ist  in  drei  Geschossen  überaus  schön  und 
klar  aufgebaut.  Diese  Leistung  ist  um  so  bemerkenswerter,  als  wir 
auch  hier  keinen  Neubau,  sondern  nur  den  Umbau  eines  älteren  Ge- 
bäudes vor  uns  haben.  Die  Grundlage  bildet  der  zwischen  den  Jahren 
1097 — 11 25  ausgeführte  Bau  des  Bischofs  Hildebert,  welcher  in  den 
Jahren  1 134  und  1136  durch  Brand  gelitten  hatte.  An  einem  Vierungs- 
pfeiler findet  sich  das  Datum  1145  und  die  Weihe  fand  a.  11 58  statt. 
Die  Scheidbögen  lassen  noch  erkennen,  dass  sie  früher  im  Rundbogen 
geschlossen  waren,  doch  schon  das  Triforium  dürfte  der  jüngeren  Bau- 
periode angehören.  —  Vgl.  Bull.  mon.  1863  p.  867,  1864  p.  185, 
1873  p.  403  ff. 

Leider  haben  diese  Monumente  in  Frankreich  keine  Nachfolge 
gefunden.  Die  Entwickelung  der  angevinischen  Bauschule  wurde  unter- 


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4I2 


Zweites  Buch:  Der  rumänische  Stil. 


brochen  durch  die  unruhigen  und  unsicheren  Verhältnisse,  unter 
welchen  jene  Landschaften  in  den  letzten  Dezennien  des  12.  Jahr- 
hunderts zu  leiden  hatten;  dagegen  hat  sie  nach  aussen  gewirkt. 

Die  spanischen  Gewölbebauten,  soweit  wir  sie  früher  betrachtet 
haben,  schlössen  sich  südfranzösischen  Vorbildern  mehr  oder  minder 
genau  an.  Für  Kreuzgewölbebauten  jedoch  bot  Südfrankreich  keine 
unmittelbaren  Vorbilder;  es  ist  die  Schule  von  Anjou,  welche  hier 
befruchtend  eingewirkt  hat.  Eine  unbedingte  Nachahmung  fand  jedoch 
nicht  statt,  die  spanische  Baukunst  erweist  vielmehr  in  der  kreuz- 
gewölbten Basilika  höhere  Selbständigkeit  und  es  entstehen  Werke, 
welche  in  ihrer  einfach  grossen  Behandlung  nicht  allein  einen  Höhe- 
punkt der  spanischen  Baukunst  bezeichnen,  sondern  innerhalb  des 
romanischen  Baustiles  im  allgemeinen  einen  ehrenvollen  Platz  ein- 
nehmen. Wir  kennen  dieselben  leider  nicht  aus  eigener  Anschauung, 
und  was  bisher  an  Abbildungen  und  Aufnahmen  veröffentlicht  ist, 
ermöglicht  keine  ins  einzelne  gehende  Würdigung. 

Im  zweiten  Viertel  des  12.  Jahrhunderts  beginnend  und  bis 
ins  13.  Jahrhundert  hinabreichend  bekundet  diese  interessante 
Monumentenreihe  langes  und  zähes  Festhalten  an  der  romanischen 
Bauweise. 

Die  Eigentümlichkeiten  des  Grundrisses  (Taf.  147)  sind  da- 
durch bedingt,  dass  der  Chor  vom  Sanktuarium  getrennt  und  in  das 
Mittelschiff  verlegt  ist,  w.  hrend  die  Kreuzarme  und  die  Seitenschiffe 
zum  Aufenthalt  der  Gemeinde  bestimmt  sind.  Dementsprechend  er- 
hält das  Sanktuarium  nicht  die  ausgedehnte  und  glänzende  Entfaltung 
wie  in  Frankreich,  es  besteht  aus  drei  Apsiden,  welche  gewöhnlich  um 
ein  kurzes  Joch  über  das  Transsept  hinausgerückt  sind.  Dieses  erhält 
eine  bedeutende  Länge,  wogegen  das  Schiff  in  den  meisten  Fällen  nur 
kurz  ist.  Die  Zahl  der  Joche  ist  im  Mittelschiff  und  in  den  Abseiten 
die  gleiche,  in  beiden  ist  das  angevinische  (kuppeiförmige)  Kreuzrippen- 
gewölbe die  herrschende,  wenn  auch  nicht  die  ausschliessliche,  Ge- 
wölbeform. Bei  der  immerhin  grossen  Spannweite  fällt  der  geringe 
Vorsprung  der  Strebepfeiler  auf.  Der  Grundriss  der  Pfeiler  ist  kreuz- 
förmig mit  Dreiviertelssäulchen  in  den  Ecken  und  je  zwei  Halbsäulen- 
vorlagen  auf  jeder  Seite.  In  allen  struktiv  stärker  beanspruchten  Bögen 
herrscht  der  Spitzbogen,  wogegen  die  Fenster  im  Rundbogen  ge 
schlössen  sind.  Die  Gurt-  und  Scheidbögen  sind  einfach  rechteckig 
profiliert  (Taf.  150,  Fig.  3),  die  Rippen  mit  Rundstäben  an  den  Ecken, 
an  der  Vorderfläche  zuweilen  mit  Sternen  oder  Diamantfacetten  ge- 
schmückt. Der  Aufbau  des  Systemes  ist  sehr  einfach.  Die  sehr  flachen 
Dächer  der  Seitenschiffe  gestatten,  die  Fenster  und  damit  den  Gewölbe- 


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Zehntes  Kapitel:  Die  kreiugewölbte  Basilika  Westeuropas. 


413 


kämpfer  bis  nahe  über  den  Scheitel  der  Scheidbögen  herabzurücken. 
Triforien  haben  in  diesem  System  kaum  Raum  und  kommen  nur  ganz 
ausnahmsweise  vor  (S.  Vicente  zu  Avila).  In  bewusstem  Gegen- 
satze zu  dieser  Einfachheit  der  ganzen  Anlage  werden  die  Vierungs- 
laternen im  Inneren  wie  im  Aeusseren  als  glänzende  Prunkstücke 
überaus  reich  und  zierlich  herausgehoben. 

Das  älteste  unter  den  hierher  gehörigen  Werken  ist  die  Alte 
Kathedrale  zu  Salamanca  (Taf.  147,  150),  begonnen  a.  11 20.  Die 
Gewölbe  nach  Mon.  Esp.  mit  geradem  Stich;  nach  Street  die  west- 
lichen Kuppeln  mit  konzentrischen  Fugen  und  untergelegten  Rippen, 
die  östlichen  kuppeiförmige  Kreuzrippengewölbe.  Die  sicher  jüngere 
Vierungslaterne  (Abb.  bei  Street,  S.80  und  danach  bei  Lübke,  G.d.  Arch. 
I,  651,  sowie  in  Mon.  Esp.)  ist  das  glänzendste  Beispiel  der  Gattung. 
Sie  erhebt  sich  auf  Hängezwickeln  und  ist  in  zwei  Geschossen  reich 
mit  Säulchen  und  Bögen  geschmückt,  welche  teils  blind,  teils  als 
Fenster  behandelt  sind;  Rippenkuppel  mit  16  Rippen.  —  Aehnlich  aber 
einfacher  im  Detail  ist  die  Kathedrale  von  Zamora,  a.  11 74  vollendet; 
auch  hier  kuppeiförmige  Kreuzgewölbe;  Chor  erneuert.  —  Es  folgt  eine 
Gruppe  von  drei  unter  sich  näher  verwandten  Monumenten,  die  Kirche 
S.  Maria  zu  Tudela  1 135 — 11 88,  die  Kathedrale  von  Tarragona 
beg.  1 131  und  die  von  Lerida  1203  —  78.  Diese  drei  Monumente  sind 
die  bedeutendsten  unter  den  spanischen  Kreuzgewölbebauten.  Hohe 
Einfachheit,  Kühnheit  der  Konzeption,  solideste  Konstruktion,  liebe- 
volle Durchbildung  der  Einzelformen  zeichnen  sie  aus.  Die  Grund- 
risse auf  Taf.  147;  weitere  Aufnahmen  fehlen;  eine  schöne  Skizze  der 
Kathedrale  von  Tarragona  bei  Ewerbeck,  Reiseskizzen  Bl.  12.  — 
S.  Maria  zu  Val  de  Dios,  Taf.  150,  im  System  noch  rundbogig;  zweifel- 
los auf  Gewölbe  angelegt,  doch  scheinen  die  zur  Ausführung  gekom- 
menen der  ursprünglichen  Absicht  nicht  zu  entsprechen. 

Im  südlichen  Frankreich  sind  uns  grössere  Kreuzgewölbe- 
basiliken nicht  bekannt.  Dagegen  zeigen  die  Bauten  der  Kreuz- 
fahrer zu  Jerusalem,  zumeist  kleine  kreuzgewölbte  Basiliken,  der 
provengalischen  Bauschule  verwandte  Merkmale. 

Das  bedeutendste  unter  diesen  Monumenten  ist  der  Erweiterungs- 
bau, welcher  sich  östlich  an  die  Grabkirche  des  Erlösers  an- 
schliesst  und  die  früher  getrennten  Heiligtümer  in  einem  Räume  vereinigt. 
Er  gestaltet  sich  als  Transsept  und  Chor  einer  französischen  Kirche 
(Taf.  9,  Fig.  1,  die  schraffierten  Teile).  Der  südliche  Flügel  des  Trans- 
septes  und  das  gerade  Joch  des  Chores  mit  Emporen.  Die  Chorrundung 
öffnet  sich  in  spitzbogigen ,  auf  schlanken  Doppelsäulchen  ruhenden 
Arkaden  nach  dem  Umgang,  der  Lichtgaden  mit  einer  zierlichen, 
einen  schmalen  Laufgang  bildenden  Arkatur,  eine  Anordnung,  welche 


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Zweites  Buch.  Der  romanische  Stil. 


ganz  ähnlich  in  Heisterbach  wiederkehrt,  für  welche  uns  aber  ein 
französisches  Vorbild  nicht  bekannt  ist1).  Die  Kirche  ist  am  15.  Juli 
11 49  geweiht,  wohl  vor  ihrer  gänzlichen  Vollendung.  —  Die  übrigen 
Kirchen  der  Kreuzfahrer  in  Jerusalem  sind  weit  einfacher;  kleine  drei- 
schiffige  Pfeilerbasiliken,  das  Querschiflf  nicht  über  die  Flucht  der 


Jerusalem.  Kirche  der  hl.  Müller  Anna,    (de  Voguc.l 


Seitenschiffe  vortretend,  drei  Apsiden.  In  ihrer  stilistischen  Behandlung 
schliessen  sie  sich  den  provengalischen  Monumenten  an.  Die  Pfeiler 
sind  in  rechtwinkeligen  Rücksprüngen  gegliedert,  das  Detail  auf  das 
Unumgängliche  beschränkt.  Nur  die  Wölbungsart  ist  eine  andere :  die 
drei  Schiffe  mit  einfachen  Kreuzgewölben,  die  Arme  der  QuerschirTe 

M  Am  ehesten  könnte  der  Chorumgang  von  S.  Gilles  herangezogen  werden,  der 
gleichfalls  Doppelsäulen  und  ähnliche  Pfeilcrgrundrisse  aufweist  Beide  Bauten  sind  un- 
gefähr gleichzeitig.  Auch  bestanden  vielfache  Beziehungen  zwischen  S.  Gilles  und 
Jerusalem.  S.  Gilles  war  ein  Haupteinschiffungsplatz  für  die  Reise  nach  Jerusalem.  Die 
Johanniter  errichteten  dort  schon  a.  II  12  ihre  erste  Niederlassung  im  Abendlande.  Da 
aber  vom  Chor  von  S.  Gilles  nur  der  Grundriss  bekannt  ist,  können  sichere  Schlüsse 
nicht  gezogen  werden. 


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Zehntes  Kapitel :  Die  kreuzgewölbte  Basilika  Westeuropas. 


415 


mit  querstehenden  Tonnen,  die  Vierung  mit  einer  Kuppel  auf  Hänge- 
zwickeln. Orientalischer  Einfluss  macht  sich  höchstens  in  den  sehr 
flachen  Dächern  geltend.  Als  typisches  Beispiel  geben  wir  die  Kirche 
der  hl.  Mutter  Anna  (Grundriss  Taf.  147,  System  nebenstehend)  aus 
der  ersten  Hälfte  saec.  12. 

2.  Normandie  und  England. 

Die  normannische  Bauschule  ist  S.  278  ff.  eingehend  besprochen. 
Sie  geht  von  Anfang  an  zielbewusst  auf  die  Ueberwölbung  der  Ba- 
silika mittels  des  Kreuzgewölbes  nach  dem  gebundenen  System  aus, 
auf  welchen  Umstand  schon  bei  Behandlung  der  flachgedeckten  Kir- 
chen so  weit  Rücksicht  genommen  werden  musste,  dass  an  dieser 
Stelle  nur  mehr  einige  kurze  Bemerkungen  nachzutragen  sind. 

Die  Baubestrebungen  des  11.  Jahrhunderts  hatten  bis  unmittel- 
bar an  die  Wölbung  der  Mittelschiffe  herangeführt,  vor  der  Aus- 
fuhrung war  man  noch  zurückgeschreckt.  Es  gibt  in  der  Normandie 
und  in  England  kein  grösseres  Mittelschiffsgewölbe,  das  mit  Sicherheit 
dem  saec.  1 1  zugeschrieben  werden  darf,  einige  Chorgewölbe  können 
dagegen  wohl  der  Spätzeit  des  Jahrhundertes  angehören. 

In  erster  Linie  ist  hier  die  zur  Abbaye-aux-hommes  gehörige 
Pfarrkirche  S.  Nicolas- des -Champs  zu  Caen  zu  nennen.  Dieselbe 
war  im  Jahre  1083  bereits  vollendet.  Das  Schiff  war  bis  im  saec.  15 
flachgedeckt  und  dieser  Umstand  dürfte  dafür  sprechen,  dass  die  Wöl- 
bung des  Chores  (Taf.  151)  der  Erbauungszeit  zuzuschreiben  ist  und 
nicht  erst  dem  saec.  12,  da  in  diesem  Falle  gewiss  das  Langhaus  in 
gleicher  Weise  gewölbt  worden  wäre.  —  Nahe  verwandt  ist  der  Chor 
von  S.  Georges  zu  Boscherville,  der  gleichfalls  ein  einfaches  Kreuz- 
gewölbe hat,  während  das  Schiff  im  Laufe  des  saec.  12  Kreuzrippenge- 
wölbe erhielt;  das  flachgedeckte  System  (Taf.  87)  in  den  Einzelheiten 
entwickelter  als  in  S.  Nicolas  zu  Caen.  —  Wieder  fortgeschrittener  Ste. 
Trinite  zu  Caen.  Von  dem  Stiftungsbau  der  Königin  Mathilde  (a.  1066) 
sind  nur  geringe  Reste  erhalten.  Das  System  des  Querschiffes  Taf.  151, 
Fig.  7,  hat  mit  dem  ebengenannten  grosse  Aehnlichkeit  und  darf  als 
ungefähr  gleichzeitig  angesehen  werden.  Im  Schiff  (Fig.  6  und  Taf.  155) 
gewinnen  wir  den  Eindruck,  als  ob  eine  Flachdecke  beabsichtigt  ge- 
wesen sei;  die  Pfeiler  sind  nämlich  alle  gleich,  erst  im  Triforium  setzen 
die  Dienste  für  die  Diagonalrippen  an,  sind  aber  keine  spätere  Zuthat, 
sondern,  wie  die  Teilung  des  Triforiums  beweist,  mit  diesem  gleich- 
zeitig. Hier  finden  wir  nun  zum  erstenmale  die  S.  308  besprochene 
Zwischenform  zwischen  dem  vierteiligen  und  dem  sechsteiligen  Rippen- 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


gewölbe.  Bemerkenswert  ist  das  Vorhandensein  von  Strebebögen  unter 
dem  Dache  der  Seitenschiffe  (Taf.  148).  Als  Beispiele  des  reichen  Stiles 
des  späteren  saec.  12  seien  die  Kirchen  von  Üuistrehaxi  (Taf.  151), 
Berniers  s.  Mer  und  der  Chor  von  S.  Gahriel  (Taf.  151)  genannt.  — 
Nun  wurde  auch  die  Abijaye-aux-Hommes  (S.  Etienne)  zu  Caent  ge- 
wölbt. Ob  die  Emporen  erst  bei  dieser  Gelegenheit  ihre  Halbtonnen 
erhielten,  bleibt  fraglich.  Das  Mittelschiff  erhielt  sechsteilige  Kreuz- 
gewölbe (Taf.  151  und  Taf.  89,  Fig.  1  rechts)  und  damit  erst  die  von 
Anfang  beabsichtigte  Form.  Nur  der  Uebergang  der  Pilastervorlagen 
an  den  Hauptpfeilern  in  Runddienste  lässt  die  Umgestaltung  ahnen. 
Auch  nach  dieser  ist  die  Gesamterscheinung  durchaus  einheitlich 
geblieben.  Das  rechteckige  Kreuzrippengewölbc ,  welches  wir  schon 
im  Querschiff  von  Ste.  Trinite"  zu  Caen  gefunden  haben,  ist  auch  an- 
gewandt bei  Einwölbung  des  Schiffes  von  S.  Georoes  zu  Boscher- 
ville  und  in  der  Kirche  des  Mont-S.  Michel  (Taf.  155),  erbaut  nach 
Brand  a.  11 12,  wahrscheinlich  unter  Abt  Bernhard  (1 131  —  1 149*»,  doch 
ist  auch  hier  die  Wölbung  eine  jüngere  Zuthat. 

In  England  ist  eine  einzige  unter  den  grossen  Kathedralen  in 
romanische  Formen  gewölbt,  die  Kathedrale  von  Durham  (Taf.  149, 
151,  Grundriss  Taf.  82).  Der  Bau  wurde  a.  1093  begonnen,  Chor  und 
Querschiff  waren  (ohne  Gewölbe)  im  Jahre  1099,  das  Schiff  1128  voll- 
endet. Obgleich  erst  nach  langer  Pause  (a.  1233  ff.  im  Schiff,  a.  12S9 
im  Chor)  ausgeführt,  war  die  Ueberwölbung  zweifellos  von  Anfang  an 
beabsichtigt.  Darauf  weist  nicht  allein  das  ganze  System  weit  ent- 
schiedener hin  als  das  anderer  englischer  Kirchen,  es  sind  auch  direkte 
Beweise  dafür  vorhanden.  Die  Strebebögen  des  Schiffes  sind  nämlich 
nicht  erst  bei  Ausführung  der  Hochschiffsgewölbe  errichtet,  sondern 
gehören  der  ersten  Bauperiode  (vor  11 28)  an  (Billings,  Durham  cathedral 
S.  5)  und  Ansätze  von  Gewölberippen,  welche  später  bei  der  wirklichen 
Einwölbung  nicht  benützt  wurden,  sind  über  den  Pfeilern  des  Schiffes 
sichtbar.  Diese  beabsichtigten  Gewölbe  waren  sechsteilig  oder  quadratisch 
angelegt,  ausgeführt  sind  oblonge  Kieuzrippengewölbe,  welche  im  Schiff 
auf  Consolen ,  im  Chor  auf  Säulenbündeln  aufsitzen.  Bemerkenswert 
sind  beide  durch  das  Festhalten  der  normännischen  Formen  zu  einer 
Zeit,  wo  das  sogenannte  early  English,  der  frühgotische  Stil  Eng- 
lands, schon  allgemein  verbreitet  war.  Die  Abmessungen  des  Gebäudes 
sind  ungewöhnlich  gross.  —  St.  Cross  in  Hampshire  (Taf.  148)  zeigt 
die  reichste  spätromanische  Behandlungsweise. 

Mit  der  Einwölbung  der  Mittelschiffe  erreicht  die  normannische 
Bauschule  ihren  Abschluss.  Sie  hält  ihre  formale  und  konstruktive 
Eigenart  in  immer  reicherer  Ausbildung  das  ganze  12.  Jahrhun- 
dert hindurch  fest.    Dieses  Verhalten  und  die  Thatsache,  dass  sehr 


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Zehnt«  Kapitel:  Die  kreuzgewölbte  Basilika  Westeuropas. 


417 


viele  normannische  Kirchen  erst  nachträglich  eingewölbt  wurden, 
hat  zu  der  Ansicht  geführt,  die  sämtlichen  Mittelschiffsgewölbe  der 
Normandie  seien  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  in 
Nachahmung  der  Errungenschaften  der  Schule  von  Franzien  ent- 
standen. Eine  unbefangene  Vergleichung  der  beiden  Gewölbesystcine 
zeigt  klärlich  das  Unhaltbare  dieser  Anschauung.  Das  in  der  Früh- 
gotik ausschliesslich  angewandte  Mittelschiffsgewölbe  ist  das  sechs- 
teilige,  welches  allerdings  auch  in  der  Normandie  (S.  Ktienne  zu 
Cacn),  dort  aber  in  weniger  entwickelter  Form,  mit  elliptischen 
Diagonalrippen  vorkommt;  verbreiteter  ist  jedoch  in  der  Normandie 
die  Gewölbeform,  welche  wir  an  Ste.  Trinite  zu  Caen  kennen  gelernt 
haben,  das  vierteilige  Rippengewölbe  mit  senkrecht  übermauerter 
Zwischenrippe,  und  dass  dieses  keine  Nachahmung  des  französischen 
sechsteiligen  Gewölbes  sein  kann,  steht  ausser  Frage,  es  erscheint 
vielmehr  als  eine  Vorstufe  des  sechsteiligen  Gewölbes  (sehr  deutlich 
in  Ste.  Trinite'  zu  Angers  S.  346).  In  Franzien  dagegen  kommt  es 
gar  nicht  vor.  Wohl  aber  sind  die  letzten  Vorstufen  des  gotischen 
Systemes  (S.  Germer  und  der  Westbau  von  S.  Denis)  in  formaler 
Hinsicht  so  sehr  von  der  Normandie  beeinflusst,  dass  nicht  anzu- 
nehmen ist,  dieses  Abhängigkeitsverhältnis  habe  sich  nur  auf  das 
Formale  beschränkt  und  sei  im  Konstruktiven  sofort  in  das  Gegen- 
teil umgeschlagen.  Dann  erfolgt  in  der  Schule  des  Anjou  die  Umge- 
staltung der  Kuppel  zum  kuppeiförmigen  Kreuzgewölbe  in  Fontevrault, 
Saumur  und  Ste.  Trinite'  zu  Angers  unter  normännischem  Rinfluss  ent- 
schieden vor  Festsetzung  des  gotischen  Systemes.  Endlich  durften  wir 
oben  auf  historische  Daten  und  Analogien  gestützt  wenigstens  einige 
Chorgewölbe  der  Frühzeit  saec.  12  zuweisen.  Und  man  wird  demnach 
an  der  Priorität  oder  wenigstens  der  Unabhängigkeit  der  Normandie 
gegenüber  der  Schule  von  Franzien  festhalten  dürfen. 

3.  Picardie  und  Isle  de  France.  —  Das  Werden  des 

gotischen  Bausystems. 

Das  11.  Jahrhundert  hatte  im  Mittelpunkte  der  französischen 
Monarchie  wenige  Denkmäler  von  Bedeutung  hinterlassen,  es  hatte 
deren  auch  wenige  hervorgebracht.  Die  erhaltenen  Ueberreste  stehen 
unter  sich  in  keinem  näheren  Zusammenhange,  eine  feste  Schultra- 
dition hatte  sich  nicht  herausgebildet.  Bedeutender  konzipiert  ist 
nur  die  an  der  Südgrenze  der  Königl.  Domäne  liegende  Klosterkirche 
von  S.  Benoit  s.  Loire  (Taf.  142).    Was  sonst  in  Orleans,  Paris, 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Beauvais  gebaut  wurde  (Kap.  IV)  steht  weit  zurück  hinter  den  Kirchen 
von  Cerisy  und  Caen,  der  alten  Kathedrale  von  Le-Mans  und 
S.  Remy  zu  Reims. 

Frühestens  im  zweiten  Dezennium  des  12.  Jahrhunderts  be- 
ginnen die  Versuche,  die  Basilika  zu  überwölben  und  damit  selb 
ständigere  Regungen,  anfänglich  ein  noch  unruhiges  Suchen  und  Ver- 
suchen an  allen  Teilen  des  Kirchengebäudes. 

Die  grosse  Leistung  der  Bauschule  von  Franzien  besteht 
nicht  darin,  dass  sie  schon  vom  Anfang  des  11.  Jahrhunderts  oder 
noch  früher  anderen  Schulen  voraus  wäre,  sondern  im  Gegenteil  darin, 
dass  sie  in  der  kurzen  Zeit  von  zwanzig  bis  dreissig  Jahren  nicht  nur 
das  Versäumte  einholte,  sondern  ein  ganz  neues  Bausystem  aufstellte, 
welches  in  kurzer  Zeit  das  ganze  Abendland  sich  dienstbar  machen  sollte. 
Soweit  ihre  Werke  noch  in  den  Grenzen  des  Romanischen  bleiben, 
sind  sie  weder  durch  Grösse  noch  durch  Schönheit  sonderlich  hervor- 
ragend.  Das  hohe  Interesse,  das  diesen  gleichwohl  zukommt,  gründet 
sich  nicht  sowohl  auf  das  was  sie  sind,  als  auf  das  was  sie  ankündigen: 
den  Umschwung  zur  Gotik.    Die  Behauptung,  die  Pariser  Schule  habe 
in  der  Frühzeit  des  12.  Jahrhunderts  gegenüber  der  burgundischen 
einen  Vorsprung  von  20 — 30  Jahren  (Viollet-le-Duc),  ist  also  so  wenig 
begründet,  dass  umgekehrt  behauptet  werden  muss  die  rasche  und 
energische  Lösung  der  Aufgabe  beruht  eben  in  der  Voraussetzung>- 
losigkeit,  in  der  Freiheit  von  traditionellen  Fesseln,  mit  einem  Worte 
darin,  dass  im  ersten  Viertel  des  Jahrhunderts  eine  Pariser  Schule 
überhaupt  noch  nicht  bestand. 

Das  Gebiet,  auf  welchem  die  Schöpfung  des  gotischen  Baustiles, 
eine  der  grössten  und  folgereichsten  Thaten  der  gesamten  Bauge- 
schichte, vollbracht  wird,  umfasst  die  Landschaften  Isle  de  France 
und  die  südliche  Picardie  (die  Gegend  von  Beauvais). 

Wir  stossen  zunächst  im  Grundriss  auf  verschiedene  Neuerungen. 
Neben  der  Choranlage  mit  drei  Apsiden,  welche  wir  an  der  noch  rein 
romanischen  Ostpartie  von  S.  Loup-de-Naud,  an  der  Abteikirche  von 
Montmartre,  sowie  am  Chor  der  kleinen,  keineswegs  frühen  Kirche 
S.  Juuen-le-Pauvre  zu  Paris  finden,  kommt  an  kleinen  Kirchen  die 
einfache  Apsis,  zuweilen  rund,  zuweilen  vieleckig  (Taf.  145,  Fig.  4; 
146,  Fig.  5,  6)  vor.  Daneben  gelangt  der  Chorumgang  in  Aufnahme. 
Er  war  in  Orleans  (S.  Aignan),  in  Saint-Benoit,  in  Le  Mans,  in  Reims 
bereits  im  11.  Jahrhundert  in  Anwendung,  in  dem  hier  in  Rede 
stehenden  Gebiete  kennen  wir  keinen  vor  11 20— 11 30.    F.r  tritt  aber 


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Zehntes  Kapitel  :  Die  kreuzgewölbte  Uasilika  Westeuropas. 


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hier  sofort  in  anderer  Gestalt  auf,  als  an  den  ebengenannten  und  an 
allen  übrigen  romanischen  Monumenten:  entweder  ganz  ohne  Ka- 
pellen, so  in  Poissy  (Taf.  146,  Fig.  4)  und  später  in  Notre-Dame  zu 
Paris,  oder  mit  einem  ununterbrochenen  Kapellenkranze,  so  in 
S.  Germer,  in  S.  Maclou  zu  Pontoise,  in  S.  Germaindes-Pres  zu 
Paris  (Taf.  146,  Fig.  7,  8,  10)  oder  auch  mit  doppeltem  Umgang, 
d.  h.  mit  tiefen  Kapellen,  deren  Seitenmauern  durchbrochen  sind,  so 
in  S.  Martin-des-Champs  zu  Paris  und  S.  Denis  (Taf.  146,  Fig.  3,  9). 

Der  wesentliche  Unterschied  dieser  Chorgrundrisse  von  allen 
früheren  besteht  darin,  dass  sie  von  der  Form  und  Struktur  der 
Gewölbe  bedingt  sind,  d.  h.  dass  bei  ihrer  Konzeption  sofort  auch 
die  günstigste  Form  der  Wölbung  ins  Auge  gefasst  ist,  während  in 
anderen  Bauschulen  umgekehrt  das  Gewölbe  der  Grundform  angepasst 
wurde.  Und  nicht  nur  die  Wölbung  des  Umganges  und  der  Kapellen, 
sondern  auch  die  Widerlagerung  der  Gewölbe  des  Hochchores  wirkt 
auf  die  Grundrissgestaltung  bestimmend  ein.  Gerade  dem  letzteren 
Moment  kommt  ein  sehr  wesentlicher  Einfluss  zu  insofern,  als  die 
mächtig  vorspringenden  Strebepfeiler  den  ununterbrochenen  Kapellen- 
kranz zur  nothwendigen  Folge  haben. 

Die  fast  ausschliesslich  zur  Anwendung  kommende  Gewölbeform 
ist  das  Rippengewölbe,  welches  in  der  Frühzeit  saec.  12.  in  der  Nor- 
mandie  zur  Ausbildung  gelangt  war.  Die  Gewölbe  der  Picardie 
unterscheiden  sich  darin  von  den  Hauptschiffgewölben  der  meisten 
normannischen  Kirchen,  dass  sie  stets  oblong  sind  und  nur  ein  Joch 
umfassen.  Sechsteilige  Gewölbe  sind  uns  in  dieser  Gegend  nicht 
bekannt.  Allein  das  rechteckige  einfache  Kreuzrippengewölbe  war 
auch  in  der  Normandie  keineswegs  unbekannt  (Querschiff  von  St. 
Trinitc  zu  Caen).  In  ihrer  formalen  Behandlung  schliessen  sich  die 
Monumente  der  südlichen  Picardie  den  normannischen  nahe  an. 

In  der  Isle  de  France  dagegen  scheint  anfänglich  das  ge- 
bundene Gewölbesystem  vorherrschend  gewesen  zu  sein,  auf  welches 
der  den  flachgedeckten  Basiliken  dieser  Gegenden  geläufige  Stützen- 
wechsel hinwies. 

Erhalten  ist  wenig.    In  den  westlichen  Jochen  von  S.  Loup-de- 
Xaud  ')  findet  ein  Wechsel  von  Pfeilern  und  Säulen  statt.  Die  Seiten- 

')  S.  Lour-  war  ein  dem  Kloster  S.  Pierre-le-Vik  zu  Skns  unterstelltes  Priorat. 
Die  Kirche  ist  in  ihrem  östlichen  Teil  (Taf.  146,  Fig.  1)  rein  romanisch,  vielleicht  das 
nördlichste  Beispiel  einer  Kirche  mit  tonnengewölbtem  Mittelschiff  und  Vierungskuppel. 
Ob  das  westlich  an  die  Vierung  anstehende  Joch  schon  anfänglich  ein  Kreuzgewölbe 
hatte,  scheint  uns  fraglich.    Die  beiden  westlichen  Doppeljoche  haben,  wie  im  Text 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


schiffe  haben  einfache  Kreuzgewölbe,  das  Mittelschiff  Rippengewölbe 
von  quadratischer  Grundform,  welche  annähernd  klippelförmig  sind. 
Die  Oberfenster  jetzt  vermauert  aber  noch  sichtbar.  Die  Pfeilerform 
weist  auf  die  ausgeführten  Rippengewölbe.  Der  Spitzbogen  kommt 
noch  nicht  vor.  Ein  ähnlicher  Stützenwechsel  in  Notre-Dame  zu 
Etampks,  gotisch  überarbeitet. 

Diese  Bauten  verharren  noch  ganz  innerhalb  des  romanischen 
Systems  und  verwenden  einfach  Motive,  welche  anderwärts  ausgebildet 
waren.    Die  Ankündigung  künftiger  Selbständigkeit  finden  wir  zuerst 
in  der  Kollegiatkirche  zu  Poissy  bei  Paris  (Taf.  146,  154).   Freilich  ist 
der  Bau  vielfach  umgestaltet,  aber  die  ursprüngliche  Anlage  lässt  sich 
doch  noch  mit  annähernder  Sicherheit  erkennen.  Schon  der  Grundriss 
ist  ungewöhnlich.    Die  Kirche  hat  kein  regelrechtes  Querschiff,  die 
Seitenschiffe  sind  als  Umgang  ohne  Kapellen  um  den  Chor  fortgesetzt, 
an  das  erste  Joch  des  Umganges  schliesst  sich  auf  jeder  Seite  eine 
östlich  mit  einer  Apsis  geschlossene  Kapelle  an,  eine  Anordnung, 
welche  das  Querschiff  einigermassen  ersetzt.    Im  Aufbau  lässt  sich 
das  ursprüngliche  System  des  Hochschiffes  noch  im  ersten  Joch  vor 
dem  Chorschluss  erkennen.    Die  Teilung  in  drei  Geschosse  entspricht 
den  normannischen  Monumenten.  Die  Pfeiler  sind  sehr  reich  gegliedert 
und  deuten  auf  Kreuzrippengewölbe  über  jedem  einzelnen  Joche,  auch 
wenn  die  bestehenden  Gewölbe  erneuert  sein  sollten.   Die  Scheidbögen 
des  Chores  ruhen  auf  Rundpfeilern,  die  oberen  Teile  sind  erneuert. 
Interessant  sind  nun  vor  allem  die  Gewölbe  des  Chorumganges  und 
der  seitlichen  Apsiden.    Da  der  Chorschluss  nur   fünf  Arkadenöff- 
nungen  umfasst,  deren  Teilung  ungefähr  fünf  Seiten  des  Achtecks  ent- 
spricht, erweitern  sich  diese  nach  aussen  unter  einem  sehr  grossen 
Winkel  und  es  wäre  demnach  der  äussere  Schildbogen  viel  höher 
geworden  als  der  innere  und  als  die  Gurtbögen ;  um  dem  zu  begegnen, 
ist  der  Ansatz  der  Schildbögen  tiefer  gelegt,  als  der  der  übrigen 
(Taf.  1 53,  Fig.  6) ;  trotzdem  steigen  die  Gewölbe  nach  aussen  an.  In 
den  Seitenkapcllen  dagegen  finden  wir  bereits  Rippen  angewandt, 
zwischen  welche  sich  steil  im  Bogenstich  ansteigende  Kappen  ein- 
spannen.   Die  Gewölbe  von  Poissy  bekunden  in  ihrer  Form  ein  selb- 
ständiges, wenn  gleich  noch  keineswegs  ganz  zielbewusstes  Suchen 
nach  einer  Lösung  für  unregelmässig  gestaltete  Kreuzgewölbe.  Die 
fortdauernde  Beschäftigung  mit  dieser  Aufgabe  bis  zu  ihrer  endlichen 
Lösung  ist  einer  der  wesentlichen  Faktoren  in  der  Genesis  des  goti- 

bemerkt,  Kreuzrippengewölbe.  Vorhalle  mit  interessanten  Skulpturen  aus  der  Legende 
des  hl.  Lupus.  Beide  Teile  des  Schiffes  sind  in  gleicher  Technik,  Bruchsteinmauerwerk, 
ausgeführt ,  können  aber  nicht  als  gleichzeitig  angesehen  werden.  Der  Chor  dürfte  der 
Friihzeit,  die  westlichen  Joclie  der  Mitte  sacc.  12  angehören.  liibl.  de  1  ccole  des  Chartes  2, 
S.  244  ff.    Bull.  mon.  43,  S.  123  IT. 


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r  Zehntes  Kapitel:  Die  kreuzgewölbte  Basilika  Westeuropas.  421 


sehen  Bausystemes.  Auch  in  technischer  Hinsicht  wird  in  Poissy  ein 
Fortschritt  bemerkbar,  indem  die  Ausführung  der  Gewölbe  in  Mörtel- 
bau verlassen  und  ein  der  Gewölbeform  angepasster  Steinschnitt  — 
kleine  Quader,  deren  Lagerfugen  den  Gewölbeachsen  parallel  laufen  — 
angewandt  ist.  —  Die  hier  besprochenen  Teile  der  Kirche  von  Poissy 
durften  um  a.  1 130  — 1 135  entstanden  sein,  der  Hochchor  ist  nach  u6o 
erneuert,  die  vorderen  Teile  des  Schiffes  und  der  Vierungsturm  sind 
in  ihrer  jetzigen  Gestalt  um  1200  vollendet.  Wir  geben  in  unserem 
Grundriss  die  Ausscheidung  der  Bauperioden  nach  den  Archives  des 
Mon.  hist. ,  halten  dieselbe  aber  nicht  für  ganz  richtig.  —  Mit  dem 
System  von  Poissy  vergleiche  man  das  von  S.  Etienne  zu  Beauvais 
Taf.  152,  Fig.  4.  Beide  Monumente  scheinen  annähernd  gleichzeitig 
zu  sein. 

Ihnen  schliesst  sich,  in  seinen  Einzelformen  den  Bauten  der  Pi- 
cardie  verwandt,  der  Chor  von  S.  Martin-dks-champs  zu  Paris  an. 
Eine  falsche  Datirung,  vielleicht  auch  das  Unbefriedigende  der  Lösung, 
ist  bislang  einer  richtigen  Würdigung  der  hohen  historischen  Bedeu- 
tung dieses  merkwürdigen  Gebäudes  im  Wege  gestanden.  Es  hat 
(Taf.  146,  154)  im  Chor  einen  doppelten  Umgang,  flache  Kapellen  und 
eine  tiefe  Mittelkapelle  von  kleeblattförmigem  Grundriss.  Das  Lang- 
haus ist  einschiffig  und  flachgedeckt,  es  kommt  hier  nicht  in  Betracht. 
—  Ueber  die  Erbauung  einer  Kirche  bei  S.  Martin  haben  wir  nur 
eine  Nachricht,  nämlich  die,  dass  sie  a.  1067  geweiht  sei.  Man  hat 
sie  auf  den  bestehenden  Chorbau  bezogen  und  die  Gewölbe  als  eine 
im  saec.  12  ausgeführte  Erneuerung  betrachtet.  Eine  kritische  Be- 
trachtung zeigt  sofort  das  Unhaltbare  dieser  Ansicht.  Schon  die  An- 
lage im  ganzen  muss  Zweifel  hervorrufen.  Das  Motiv  des  doppelten 
Chorumganges,  so  unklar  und  unfertig  es  hier  noch  auftritt,  ist  in  der 
Mitte  des  1 1.  Jahrhundertes  kaum  denkbar.  Noch  entschiedener  spre- 
chen Struktur  und  Einzelformen  für  eine  spätere  Erbauung.  —  An  dem 
Grundriss  fällt  zunächst  die  eigentümliche  Unregelmässigkeit  der  Pfeiler- 
stellung auf.  Nicht  nur  ist  das  mittlere  Joch  viel  weiter  als  die  seit- 
lichen, sondern  die  Pfeiler  des  äusseren  Umganges  entsprechen  weder 
nach  ihrer  Zahl,  noch  nach  ihrer  Stellung  zum  Mittelpunkte  des  Chores 
denjenigen  des  inneren.  Die  Absicht  mit  dieser  Unregelmässigkeit  ist 
augenscheinlich  die,  den  Abstand  der  Pfeiler  im  äusseren  und  inneren 
Umgang  möglichst  gleich  zu  machen,  um  für  die  beiderseitigen  Schild- 
bögen eine  gleiche  Höhe  zu  gewinnen.  Was  in  Poissy  durch  ver- 
schiedene Kämpferhöhen  angestrebt  ist,  wird  hier  also  durch  die 
Pfeilerstellung  zu  erreichen  gesucht.  Das  mittlere  Joch  ist  von  nahezu 
rechteckigem  Grundriss;  ihm  schliesst  sich  zu  beiden  Seiten  ein  drei- 
eckiges Gewölbefeld  an,  die  zwei  folgenden  haben  die  Form  von  Paral- 
lelogrammen,  der  sie  trennende  Gurtbogen  steht  radial,  dann  wieder 


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422 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Dreiecke  und  endlich  unregelraässige  Felder.  Die  Gewölbe  sind,  mit 
Ausnahme  des  mittleren,  Kreuzgewölbe,  deren  Grate  nach  oben  in  der 
Gewölbefläche  verschwinden.  Der  zweite  Umgang  ist  sehr  eng  und 
es  schliessen  sich  ihm  die  flachen  Kapellen  unmittelbar  an.  Die  Grund- 
form der  einzelnen  Abteilungen  ist  hier  fast  noch  unregelmässiger  als 
im  ersten  Umgang.  Die  Gewölbe  umfassen  zugleich  den  Umgang  und 
die  Kapellen,  es  sind  Kreuzgewölbe  von  ziemlich  nachlässiger  Ge- 
staltung. Dem  mittleren  Joche  des  ersten  Umganges  schliesst  sich  die 
oben  erwähnte  kleeblattförmige  Kapelle  an.  In  diesen  Teilen  sind 
ausschliesslich  Rippengewölbe  angewandt,  Kreuzgewölbe  im  ersten 
Umgang,  im  folgenden,  wie  in  der  Kapelle  ein  Gewölbe,  welches 
teilweise  als  Kreuzgewölbe,  teilweise  als  Klostergewölbe  und  Kuppel 
mit  Rippen  behandelt  ist *).  Die  Gewölbe  des  Hochchores  scheinen 
später  ausgeführt  zu  sein,  überhaupt  dürfte  zwischen  der  Ausführung 
dieses  oberen  Teiles  und  der  des  unteren  eine  Unterbrechung  des 
Baues  stattgefunden  haben.  Dass  aber  die  Dienste  für  die  Schildbögen 
des  Hochchores  ein  späterer  Zusatz  seien,  scheint  uns  nach  dem  Grnnd- 
riss  der  Pfeiler  nicht  wahrscheinlich. 

Wir  finden  also  am  Chor  von  S.  Martin-des-Champs  sehr  verschie- 
dene Gewölbeformen  nebeneinander  und  man  könnte,  wenn  man  eine 
vollständige  Erneuerung  aller  Gewölbe  nicht  zulassen  will,  versucht  sein, 
aus  dieser  Verschiedenheit  wenigstens  auf  eine  teilweise  Erneuerung 
zu  schliessen.  Allein  auch  dieser  Schluss  entbehrt  der  nötigen  Unter- 
lagen. Einfache  Kreuzgewölbe  und  Kreuzrippengewölbe  kommen  nicht 
selten  nebeneinander  an  Bauten  vor,  über  deren  einheitliche  Ausführung 
kein  Zweifel  besteht.  Die  Pfeilergestaltung  aber  mit  ihrer  reichen 
Gliederung  weist  auf  das  bestimmteste  auf  die  bestehende  Gewölbe- 
anordnung hin.  Nun  sind  die  Profile  der  Rippen ,  soweit  solche  vor- 
kommen, zweifellos  die  der  Frühzeit  saec.  12,  auch  der  vielfach  an 
diesem  Bau  angewandte  Spitzbogen  kommt  in  Isle  de  France  im 
saec.  11  noch  nicht  vor.  Endlich  ist  die  Form  der  Fenster,  der 
Kapitelle,  der  Basen  und  aller  anderen  Einzelheiten  so,  dass  an  eine 
Erbauung  im  saec.  1 1  nicht  gedacht  werden  kann.  Nachdem  also 
alle  Formen  ebenso  wie  die  Gesamtanlage  auf  die  Frühzeit  des 
12.  Jahrhundertes  weisen,  wird  man  das  Datum  1067  für  die  Weihe 
des  bestehenden  Gebäudes  ganz  fallen  lassen  müssen.  —  Kann  der 
Chor  von  S.Martin  nicht  in  saec.  11,  so  kann  er  andererseits  nicht  nach 
c.  a.  1150  entstanden  sein.  Damals  war  der  Chor  von  S.  Denis  voll- 
endet, der  von  S.  Germain-des-Pre's  im  Bau,  beides  bedeutende  Bauunter- 
nehmungen ,  von  welchen  jeder  Baumeister  in  Paris  Kenntnis  haben 

')  Die  Zeichnung  Taf.  154  nach  Lenoir,  Statistique  monumental  de  la  ville 
de  Paris.  Nach  unseren  N'otiren  ist  auch  das  Gewölbe  des  zweiten  Umganges  ein  reines 
Kreuzrippengewölbe. 


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Zehntes  Kapitel:  Die  kreuzgewulbte  Basilika  Westeuropas. 


423 


musste,  beides  Werke,  in  welchen  die  unmittelbare  Anlehnung  an  die 
Normandie  oder  Picardie  überwunden  und  die  Pariser  Bauschule  zu 
voller  Selbständigkeit  gediehen  ist.  Ihnen  gegenüber  erscheint  S.  Martin- 
des-Champs  als  eine  recht  unfertige  Vorstufe.  Mehr  als  irgend  ein 
anderes  Gebäude  bekundet  dieser  Chor  das  Suchen  und  Streben  nach 
einer  Lösung  für  die  Ueberwölbung  der  unregelmässigen  Gewölbe- 
felder der  Chorumgänge.  Gefunden  ist  diese  Lösung  hier  noch  nicht. 
(Vgl.  Eugene  Lefevre-Pontalis  in  der  Bibl.  de  l'ecole  des  chartes  1886.) 

Wenn  wir  in  S.  Martin- des- Champs  noch  allenthalben  ein  un- 
sicheres Suchen  wahrnehmen,  so  führt  uns  die  Abteikirche  von  S. 
Germer  bei  Beauvais  (Taf.  146,  148,  152)  unmittelbar  an  das  gotische 
Bausystem  heran,  welches  hier  in  seinen  wesentlichen  Grundzügen  bereits 
festgestellt  ist.  Das  Datum  auch  dieses  Gebäudes  ist  nicht  überliefert. 
F.  de  Verneilh  schreibt  ihm  nach  der  »histoire  e"crite<  das  Datum  1132 
zu  (Le  premier  des  monuments  gothiques.  Didron,  Ann.  arch.  23, 
S.  121),  gibt  aber  eine  nähere  Quelle  nicht  an.  Die  Datierung  ist  in- 
des nach  allen  stilistischen  Merkmalen  als  für  den  Baubeginn  zutref- 
fend anzuerkennen.  —  Die  Kirche  ist  eine  dreischiffige  Pfeilerbasilika, 
die  Querschiffanlage  die  normännische,  ohne  die  Tribünen  in  den 
Kreuzarmen;  jenseits  des  Transseptes  folgt  noch  ein  Joch  und  dann 
der  Chorschluss  mit  Umgang  und  Kapellenkranz.  Das  letztere  Motiv 
ist  hier  zum  erstenmale  ganz  regelmässig  aus  dem  reinen  Halbkreis 
konstruiert,  welcher  in  fünf  gleiche  Teile  geteilt  ist.  Die  Stützen  der 
leicht  gespitzten  Scheidbögen  sind  gegliederte  Pfeiler.  Jedem  Schild- 
bogen entspricht  jenseits  des  Umganges  eine  auf  gleicher  Achse  stehende 
flache  Kapelle.  Es  ist  also  die  Umfassungsmauer  in  lauter  Pfeiler 
aufgelöst,  welche  als  Strebepfeiler  zwischen  den  Kapellen  vortreten. 
Die  Schlusskapelle  ist  im  saec.  13  durch  eine  überaus  prächtige 
gotische  Marienkapelle  ersetzt  worden,  ein  Seitenstück  zu  der  Sainte 
Chapelle- du- Palais  zu  Paris.  —  Wie  der  Grundriss,  so  ist  auch  der 
Aufbau  in  streng  logischer  Konsequenz  durchgeführt.  Die  Rippen- 
gewölbe des  Umganges  haben  nicht  mehr  in  der  geraden  Diagonale 
durchgeführte  Rippen,  sondern  der  Schlussstein  ist  nach  der  Mitte  der 
Gewölbefelder  verlegt,  wodurch  eine  wesentlich  bessere  Teilung  dieser 
Gewölbe  erzielt  wird.  Wie  bei  den  grossen  normännischen  Kirchen 
sind  über  den  Seitenschiffen  Emporen  angeordnet,  welche  sich  hier 
als  oberer  Umgang  auch  um  den  Chor  fortsetzen.  Die  Gewölbe  der- 
selben sind  einfache  Kreuzgewölbe  ohne  Rippen.  Die  Emporen  öffnen 
sich  nach  dem  Mittelschiff  in  rundbogigen  Doppelarkaden  von  ähn- 
licher Behandlung,  wie  die  Triforien  von  St.  Etienne  zu  Beauvais  und 
von  Poissy.  Nun  folgt  über  diesen  Emporen  noch  eine  hohe,  von 
eigentümlichen,  rechteckigen  Oeffnungen  durchbrochene  Obermauer. 
Sie  ist  durch  ein  weit  ausladendes,  einen  Laufgang  bildendes  Konsolen- 


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424 


Zweites  buch  :  Der  rumänische  Stil. 


gesimse  gegen  den  Lichtgaden  abgeschlossen.  Ueber  diesem  Gesimse 
setzen  kleine  Säulchen  als  Träger  der  Schildbögen,  und  in  gleicher 
Höhe  die  Gewölberippen  auf.  Das  Merkwürdigste  ist  die  Behandlung 
des  Strebesystems,  welches  hier  zum  erstenmale  in  fertiger  Gestalt  auf- 
tritt. Zu  der  Verstrebung  der  Obermauern  durch  die  Gewölbe  der 
Seitenschiffe  und  Emporen  kommt  noch  eine  solche  durch  Strebebögen, 
welche  unter  dem  Dach  der  Seitenschiffe  nach  der  Hochschiffsmauer 
geführt  sind.  Und  zwar  setzen  sie  nicht  schon  in  Kämpferhöhe  an, 
sondern  sind  noch  um  1,20  m  höher  geführt,  so  dass  die  Fortsetzung 
ihrer  Oberkante  ungefähr  Tangente  an  die  äussere  Leibung  der  Gurt- 
bügen ist.  Die  Fenster  beginnen  wegen  der  steileren  Neigung  der 
Seitenschiffdächer  nicht  unmittelbar  über  dem  Kämpfergesimse.  —  In 
seiner  formalen  Behandlung  beharrt  das  System  von  S.  Germer  trotz 
der  teilweisen  Einführung  des  Spitzbogens  noch  ganz  innerhalb  des 
romanischen  Stiles  und  zwar  in  nahem  Anschluss  an  die  normän 
nische  Schule. 

Ungefähr  gleichzeitig  oder  wenig  später  als  S.  Germer  ist  S.  Maclol 
zu  Pontoise.  Erhalten  sind  nur  die  unteren  Teile  des  Chores  und 
das  Querschiff  (Taf.  146,  Fig.  6;  153,  Fig.  3).  Die  Grundrissanordnung 
ist  ähnlich  wie  bei  S.  Germer,  doch  schliesst  sich  die  Chorrundung 
dem  Transscpt  unmittelbar  an.  An  Stelle  der  Pfeiler  sind  kräftige 
Säulen  getreten,  die  Kapellen  haben  nur  je  zwei  Fenster.  Die  Anord- 
nung der  Gewölbe  ist  unbeholfen.  Die  Gewölbe  des  Umganges  und 
der  Kapellen  sind  zusammengezogen,  so  dass  fünfteilige  Rippengewölbe 
entstehen.  Die  Rippen  sind  über  dem  Umgang  gerade,  d.  h.  von  einem 
Pfeiler  zu  dem  diagonal  gegenüberliegenden  in  einer  vertikalen  Ebene 
durchgeführt,  wodurch  der  Schlussstein  sehr  nahe  an  die  innere  Mauer 
gerückt  wird,  aber  der  Schlussstein  liegt  nicht  —  wie  beispielsweise  in 
Langres  (Taf.  139)  —  jenseits  des  Bogenscheitels,  d.  h.  tiefer  als  dieser, 
sondern  er  bildet  den  höchsten  Punkt  des  Gewölbes.  Nach  diesem 
Schlussstein  ist  nun  in  sehr  unschöner  Weise  eine  Rippe  von  der  Mitte 
der  Kapelle  geführt.  Die  ursprünglichen  Gewölbe,  erhalten  in  der  ersten 
Kapelle  nördlich,  wo  auch  eines  der  alten  Fenster  vermauert,  aber 
unversehrt  zu  sehen  ist,  gingen  ohne  Schildbogen  in  die  Mauer  über. 

Das  Bild,  das  wir  aus  der  Betrachtung  der  vier  genannten 
Kirchen,  Poissy,  S.  Martin-des-Champs  zu  Paris,  S.  Germer 
und  S.  Maclou  zu  Pontoise,  der  aktiven  Träger  der  Bewegung, 
gewonnen  haben,  wird  vervollständigt  durch  einzelne  kleinere  Monu- 
mente. Sie  nehmen  an  der  Förderung  keinen  thätigen  Anteil,  sondern 
sind  sämtlich  im  Laufe  des  12.  saec,  zum  Teil  sehr  spät,  in  Nach- 
ahmung jener  entstanden. 


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Zehntes  Kapitel:  Die  kreurgewölbte  Basilika  Westeuropas. 


S.  Loup-de-Naud,  bei  Longueville  westlich  von  Provins,  ist  schon 
genannt.  In  Provins  selbst  ist  eine  Kirche  in  der  unteren  Stadt 
(S.  Ayoul?)  zu  nennen:  im  Langhaus  sehr  niedrige  kantonierte  Rund- 
pfeiler; die  Scheidbögen  rund;  darüber  ein  wohlgebildetes,  gleich- 
falls rundbogiges  Triforitim;  von  den  Kapitellen  der  Pfeiler  steigen 
drei  Dienste  an  der  Obermauer  auf;  in  den  Seitenschiffen  Kreuzrippen- 
gewölbe, die  Hochschiffsgewölbe  nicht  ausgeführt.  —  S.  Quiriace 
ebenda  in  der  oberen  Stadt,  begonnen  a.  1160  schon  gotisch.  —  In 
Paris  ist  die  Abtei  Montmartre  im  Jahre  1 133  von  Ludwig  dem 
Dicken  gegründet.  Der  Bau  der  Kirche,  einer  kleinen  dreischiffigen 
Basilika,  ist  im  wesentlichen  noch  der  Stiftungsbau,  welcher  a.  1147 
geweiht  wurde.  Sonderbarerweise  im  Mittelschiff  gewölbt,  in  den  Seiten- 
schiffen flachgedeckt.  Aufnahmen  bei  Lenoir,  Statistique  T.  1.  —  Das 
Schiff  von  S.  Germain-des-Pres  (Taf.  146,  149,  154)  ist  ein  Umbau 
des  Morard'schen  Baues  aus  der  ersten  Hälfte  saec.  12.  Die  Absicht 
der  Wölbung  unverkennbar,  doch  sind  die  Gewölbe  der  Seitenschiffe 
erneuert  und  die  des  Hochschiffes  erst  a.  1644  an  Stelle  eines  offenen 
Dachstuhles  getreten.  —  Auch  der  interessante  Chor  der  kleinen  Kirche 
S.  Julien-le-Pauvre  auf  dem  linken  Seineufer  (Taf.  146,  149,  153) 
mit  unzweifelhaften  Merkmalen  der  Spätzeit  saec.  12  gehört  seiner 
Gcsamthaltung  nach  zu  den  Uebergangsbauten. 

Der  elegante  kleine  Chor  von  Mareil-slr-Mauldre  (Taf.  146,  153) 
hat  über  der  Vierung  ein  Kreuzrippengewölbe,  im  Chorschluss  ein 
Klostergewölbe  auf  Rippen.  Die  Höhe  der  Fenster  ist  dadurch  fast 
auf  den  Gewölbekämpfer  herabgedrückt;  vgl.  die  Mittelkapelle  von 
S.  Martin-des-Champs  (Taf.  154).  Diese  Gewölbeform  fand  mehrfach 
Anwendung  bei  Templerkirchen:  z.B.  in  Paris,  Laon,  Metz  (Viollet- 
le-Duc,  D.  R.  IX.  S.  12  ff.). 

Die  Kirchen  der  südlichen  Picardie  (Beauvoisis)  halten  an  der 
normannischen  Formbehandlung  fest.  Einfach  und  früh  Bury  und  Cam- 
bronne, reicher  die  schöne  Kirche  von  Creil  (alle  auf  Taf.  141,  148, 
152),  ferner  Villers  S.  Paul,  Hadricourt,  S.  Urcel  bei  Laon  u.  a. 

Wir  stehen  an  der  Grenze  des  romanischen  und  gotischen  Stiles, 
wenn  überhaupt  in  einer  Schule,  welche  von  Anfang  an  mit  Not- 
wendigkeit auf  letzteren  hinfuhrt  und  welche  innerhalb  des  ersteren 
zu  keinem  abschliessenden  Ergebnis  gelangt  ist,  von  einer  Grenze 
die  Rede  sein  kann.  Die  Summe  aller  vorhergegangenen  Bestre- 
bungen wird  gezogen  in  dem  Bau  der  Abteikirche  von  S.  DENIS 
durch  Abt  Suger. 

Suger  begann  seine  Bauunternehmungen,  über  welche  er  ausführ- 
liche,  etwas  ruhmredige  aber  im  wesentlichen  zuverlässige  Berichte 

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426 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


(Duchesne,  Scr.  IV,  S.  343  ff.  und  Fdlibien,  Histoire  de  l'abbaye  royale 
de  S.  Denis.  Paris  1706.  Pieces  justificatives  p.  CLXXXI  ff.)  hinterlassen 
hat,  mit  dem  Bau  einer  zwischen  zwei  Türmen  gelegenen  zweige- 
schossigen Vorhalle  an  der  Westseite  der  Kirche.    Dieselbe  ist  mit 
Ausnahme  des  nördlichen  Turmes  erhalten;  sie  interessiert  uns  von 
konstruktiver  Seite  nur  insoweit,  als  sie  zeigt,  dass  die  Erbauer  das 
Kreuzrippengewölbe  noch  keineswegs  mit  voller  Freiheit  anzuwenden 
wussten.    Die  Anwendung  kuppeiförmiger  Kreuzgewölbe  mochte  man 
wegen  der  aus  ihrer  Konstruktionshöhe  sich  ergebenden  Beschränkung 
des  Obergeschosses  zu  vermeiden  wünschen  und  es  wurde  aus  diesem 
Grunde  der  Kämpfer  der  Diagonalrippen  tiefer  herabgerückt,  als  der 
der  Schildbögen  (Taf.  153,  Fig.  7).    Nach  Vollendung  dieses  Teiles 
a.  1140  begann  Suger  den  Neubau  des  Chores,  welcher  in  der  kurzen 
Zeit  von  vier  Jahren,  1140  — 1144,  vollendet  wurde  ;  ihm  folgte  mit  Bei- 
behaltung der  älteren  Umfassungsmauern  der  Neubau  des  Langhauses. 
Diesem  grossartigen  Werke  ist  seit  mehr  als  vierzig  Jahren  der  Ruhmes- 
titel des  ersten  gotischen  Gebäudes  zuerkannt  und  die  Kunst- 
geschichte operiert  mit  ihm ,  wie  mit  einer  bekannten  Grösse.  Sehen 
wir  aber  näher  zu,  so  zeigt  sich,  dass  es  bisher  fast  eine  Unbekannte 
geblieben  ist,  denn  schon  im  Jahre  1231  wurde  ein  abermaliger  Neu- 
bau nötig  und  von  Sugers  Werk  ist  nur  die  Krypta  und  der  untere 
Teil  des  Chores  erhalten  geblieben  und  auch  an  ihnen  hat  die  Restau- 
ration den  ursprünglichen  Charakter  teilweise  verwischt. 

Der  Chor  von  S.  Denis  ist  fünfschiffig  und  hat  einen  doppelten 
Säulcnumgang.  Der  Grundriss  der  Kapellen  umfasst  keinen  vollen 
Halbkreis,  die  Rundung  des  Chorhauptes  dagegen  etwas  mehr  als  einen 
solchen  und  ist  im  äusseren  Umfang  in  sieben  gleiche  Teile  geteilt, 
so  dass  sieben  Kapellen  entstehen.  Für  die  Wölbungen  ist  der  Spitz- 
bogen konsequent  angewandt  und  damit  die  Scheitelhöhe  der  ver- 
schiedenen Bögen  dem  Ermessen  des  Baumeisters  anheimgestellt. 
Taf.  153,  Fig.  5  veranschaulicht,  in  welcher  Weise  dies  geschehen  ist. 
Im  ersten  Umgang  liegt  der  Schlussstein  der  vierteiligen  Gewölbe  in 
der  Mitte  der  Gewölbefelder,  wie  dies  schon  in  S.  Germer  der  Fall 
war.  Die  Gewölbe  des  zweiten  Umganges  sind  mit  denen  der  Kapellen 
zusammengezogen.  Der  Grundriss  der  letzteren  ist  so  konstruiert,  dass 
die  Fortsetzung  der  Innenseite  ihrer  segmentförmigen  Umfassungs- 
mauern zum  vollen  Kreis  die  Kämpferplatte  der  Säulen  im  zweiten 
Umgang  berührt.  Ueber  diesem  Kreis  ist  ein  fünfteiliges  Rippenge- 
wölbe errichtet,  dessen  Schlussstein  über  dem  Mittelpunkte  gelegen  ist, 
womit  für  die  fünf  in  ihm  zusammenstossenden  Rippen  eine  gleiche 
Länge  gewonnen  ist.  (Ganz  gleich  lang  sind  sie  nicht,  weil  die  Kämp- 
fer in  den  Kapellen  etwas  tiefer  liegen.)  Die  Archivolten  der  Fenster 
bilden  zugleich  die  Schildbügen  der  Gewölbe.    Wie  in  S.  Germer  und 


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Zehntes  Kapitel:  Die  kreuzgewölbte  Basilika  Westearopas. 


Pontoise  tritt  zwischen  je  zwei  Kapellen  ein  Strebepfeiler  vor.  Ein- 
gehende Analyse  dieser  Gewölbe  bei  Viollet-le-Duc  D.  R.  IX.  S.  503  ff. 
Die  volle  Freiheit  der  Gewölbekonstruktion  ist  hier  erreicht,  das  System 
ist,  von  geringfügigen  Nebenumstanden  abgesehen,  fertig. 

Mit  dem  Gesagten  ist  erschöpft,  was  sich  an  dem  Bau  unmittelbar 
beobachten  lässt.  Im  Grunde  ist  es  doch  nicht  viel;  über  das  System 
des  Aufbaues,  über  die  Hochschiffsgewölbe  und  deren  Verstrebung 
sagt  er  uns  nichts.  Nun  gestattet  ja  die  hohe  Vollendung  der  erhal- 
tenen Teile  gegenüber  früheren  Bauten  den  Schluss,  dass  auch  der 
Hochbau  entsprechend  fortgeschrittener  gewesen,  dass  also  die  Be- 
nennung der  Kirche  als  »erstes  gotisches  Denkmal«  gerechtfertigt  sein 
werde.  Allein  die  wissenschaftliche  Forschung  wird  sich  hierbei  doch 
nicht  ganz  beruhigen,  sondern  nach  Mitteln  suchen,  die  fehlenden  Be- 
stimmungsstücke, selbstverständlich  nicht  in  ihren  Einzelheiten,  wohl 
aber  in  ihren  Hauptumrissen  zu  rekonstruieren.  Und  diese  Mittel  sind 
allerdings  vorhanden,  denn  die  Kirche  von  S.  Denis  hat  sofort  Schule 
gemacht.  Die  Bauten,  welche  bei  dieser  Untersuchung  in  Betracht 
kommen,  sind:  Die  Kathedrale  von  Noyon,  nach  11 50,  die  von  Laon, 
begonnen  zwischen  1 155  und  1 174;  dann  zwei  Monumente,  welche  vieles 
Gemeinsame  haben,  der  Chor  von  S.  Remy  zu  Reims  zwischen  1164  und 
1181  und  der  von  N.-D.  zu  Chalons  s.  M.,  geweiht  1183;  die  Kirche 
zu  Mouzon  (Ardennes),  einige  Dezennien  jünger  als  die  genannten; 
Notre-Dame  zu  Paris,  Chor  begonnen  11 63  (das  System  selbstän- 
diger und  entwickelter  als  bei  den  vorigen),  endlich  der  Chor  der 
Abbaye-alx-hommes  (S.  Etiennc)  zu  Caen,  der,  in  seiner  Höhen- 
theilung durch  das  romanische  Langhaus  bedingt,  für  das  innere  System 
nicht  herangezogen  werden  darf,  für  das  Strebesystem  dagegen  wichtige 
Aufschlüsse  gewährt. 

Bei  den  genannten  Bauten  ist  das  sechsteilige  Kreuzrippengewölbe 
die  normale  Gewölbeform  für  das  Langhaus,  während  für  die  geraden 
Joche  des  Chores  eine  feste  Regel  nicht  besteht  und  der  Chorschluss 
ein  vielteiliges  Rippengewöbe  hat,  dessen  Kappenzahl  von  der  Zahl 
der  unteren  Bogenöffnungen  abhängig  ist.  Jeder  Gurtbogen,  jede  Ge- 
wölberippe und  jeder  Schildbogen  erhält  zu  seiner  Unterstützung  ein 
schlankes,  durch  Ringe  mit  der  Wand  verbundenes  Säulchen  (Dienst). 
Nun  treffen  beim  sechsteiligen  Gewölbe  (vgl.  Taf.  153,  Fig.  4a)  auf 
den  Hauptpfeilern  je  fünf  Bögen,  ein  Gurtbogen,  zwei  Schildbögen  und 
zwei  Rippen  zusammen ,  auf  den  Zwischenpfcilern  je  drei.  In  Noyon 
sind  die  Dienste  der  Hauptpfeiler  ganz  herabgeführt,  die  der  Zwischen- 
pfeiler ruhen  auf  dem  Kapitell  einer  Säule  und  es  entsteht  auf  diese 
Weise  ein  Wechsel  von  gegliederten  Pfeilern  und  Säulen.  Es  ist  dies 
offenbar  die  beste  und  ausdrucksvollste  Gruppierung,  in  den  meisten 
Fällen  aber  sind  die  Pfeiler  gleich  und  als  einfache  Rundpfeiler  ge- 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

staltet ,  auf  deren  Kapitellen  die  Dienste  aufsetzen.  Im  Chorschluss 
fast  ausnahmslos  Rundpfeiler.  Die  Fenster  reichen  niemals  über  den 
Gewölbekämpfer  herab.  Die  Schildbögen  müssen  deshalb  stark  ge- 
stelzt werden  und  es  folgt  daraus,  dass  die  Rippen,  namentlich  die 
Zwischenrippen  der  sechsteiligen  Gewölbe  und  die  des  Chorschlusses 
bis  zu  einer  gewissen  Höhe  senkrecht  übermauert  werden  müssen,  so 
dass  die  Gewölbekappe  nicht  unmittelbar  über  dem  Kämpfer  beginnt. 
Das  System  ist  stets  viergeschossig.  Ueber  den  Seitenschiffen  folgt 
eine  Empore,  welche  sich  gewöhnlich  in  zwei  von  einem  grösseren 
Blendbogen  umfassten  Arkaden  gegen  das  Hauptschiff  öffnet.  Die  der 
Dachneigung  entsprechende  Mauerfläche  zwischen  Empore  und  Licht- 
gaden wird  immer  durch  ein  Triforium  belebt.  Es  ist  durchaus  missver- 
ständlich, wenn  dieses  Triforium  über  der  Empore  als  > Pleonasmus« 
bezeichnet  wird.  Ist  ein  Triforium,  bis  es  in  der  entwickelten  Gotik 
als  untere  Fortsetzung  der  Fenster  aufgefasst  wird,  niemals  etwas 
anderes,  als  eine  Belebung  der  durch  die  Dachneigung  der  Seitenschiffe 
bedingten  toten  Mauerfläche,  so  ist  die  Empore  ein  zum  Aufenthalte 
von  Menschen  bestimmter  Raum,  welcher  zugleich  einen  konstruktiven 
Zweck  hat.  Die  Vierteilung  des  Systemes  findet  sich  an  allen  ge- 
nannten Bauten  mit  Ausnahme  von  S.  Etienne  zu  Caen,  sie  ist  ferner, 
wenngleich  unentwickelt,  schon  in  S.  Germer  vorhanden  und  darf  des- 
halb mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  auch  für  S.  Denis  in  Anspruch 
genommen  werden.  Hierbei  ist  anzunehmen,  dass  an  Stelle  der  un- 
schönen rechteckigen  Oeffnungen  von  S.  Germer  das  schöne  Motiv 
des  Triforiums  eingeführt  war.  Unentschieden  muss  bleiben,  ob  im 
Langhause  ein  Wechsel  von  Pfeilern  und  Säulen  stattfand  oder  ob 
ausschliesslich  Rundpfeiler  angewandt  waren.  Zur  Veranschaulichung 
des  Gesagten  geben  wir  auf  Taf.  153,  Fig.  4  das  System  des  Lang- 
hauses von  Noyon,  bei  welchem  a  die  ursprünglichen  sechsteiligen, 
b  die  jetzigen  Gewölbe  darstellt. 

Grössere  Schwierigkeit  bietet  die  Frage,  in  welchem  Stadium  der 
Entwicklung  das  Strebesystem  an  der  Kirche  von  S.  Denis  ge- 
standen hat,  denn  nur  wenige  Beispiele  aus  der  Frühzeit  des  gotischen 
Stiles  sind  unverändert  auf  uns  gekommen.  Gerade  diese  Frage 
aber  ist  von  besonderer  Wichtigkeit  und  darf,  wenn  sie  auch  eine 
abschliessende  Lösung  nicht  finden  kann,  nicht  umgangen  werden. 
In  einer  Schrift,  welche  den  Anspruch  erhebt,  die  »Geschichte  des 
Strebebogens«  nachzuweisen  (Hugo  Graf,  Opus  francigenum  S.  15) 
lesen  wir:  >Der  französische  Ursprung  des  Strebebogens  erscheint  nun 
freilich  dadurch  sicher  gestellt,  dass  ....  die  von  11 40  an  neuerbaute 
Abteikirche  von  S.  Denis  bei  Paris  bereits  ein  ausgebildetes  Strebe- 
bogensystem aufweist.  Da  dieses  indessen  hier  schon  in  technisch 
weit  geförderter  Gestalt  erscheint«  u.  s.  w.    Leider  giebt  der  gelehrte 


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9 

Zehntes  Kapitel :  Die  kreuigewolbte  Basilika  Westeuropas. 


Autor  nicht  an,  aus  welcher  Quelle  er  diese  interessante  Kenntnis 
geschöpft  hat,  und  so  sind  wir  denn  darauf  angewiesen,  aus  der  Ver- 
gleichung  der  obengenannten  Monumente  Schlüsse  zu  ziehen.  Die 
Pfeiler,  welche  die  Last  und  den  Schub  der  Hochschiffsgewölbe  aufzu- 
nehmen haben,  werden  gegen  letzteren  in  allen  Fallen  zunächst  durch 
die  Gurtbögen  der  Seitenschiffe  und  Emporen  gesichert.  Dadurch  wird 
nun  wohl  der  Hebelarm  für  die  Einwirkung  des  Seitenschubes  ver- 
ringert, allein  der  Kämpfer  der  Hochschiffswölbungen  liegt  immer  noch 
höher  als  der  Scheitel  der  Emporengewölbe  und  die  geringe  Mauerdicke 
macht  deshalb  weitere  Vorkehrungen  nothwendig.  In  S.  Germer  sind 
deshalb  Strebebögen  angeordnet,  welche  den  Seitenschub  auf  die  Strebe- 
pfeiler überführen.    Letztere  haben  im  Langhause  nur  geringen  Vor- 


S.  Gertner,  Chor.  Cnen :  S.  Etienne,  Chor. 


sprung,  am  Chor  treten  sie  nach  unten  stufenförmig  vor.  Die  bei- 
den folgenden  Figuren  veranschaulichen  die  Strebesysteme  der  Chöre 
von  S.  Etienne  zu  Caen  und  der  Kathedrale  von  Xoyon.  Ersterer 
gehört  zu  den  frühesten  gotischen  Hauten  der  Normandie  ,  ist  aber 
nicht  vor  Ende  saec.  12.  erbaut;  er  kommt  in  der  Grundrissanlage 
der  Rundung  S.  Denis  am  nächsten  f vgl.  Taf.  80,  Fig.  5).  Hier  geht, 
ähnlich  wie  in  S.  Germer,  eine  Verstrebung  (Strebebogen  oder  Sporn) 
von  der  Aussenmauer  der  Empore  nach  dem  Fuss  der  Hochschiffs- 
gewölbe. Es  findet  aber  noch  eine  weitere  Verstrebung  statt,  indem  der 
zwischen  den  Kapellen  vortretende  Strebepfeiler  selbständig  höher  ge- 
führt und  durch  einen  Strebebogen  mit  der  Umfassungsmauer  der 
Emporen  in  Verbindung  gesetzt  ist.  In  Novon  ist  die  Anordnung 
der  unteren  Theile  analog,  und  haben  wir  vermutungsweise  eine  gleiche 
Anordnung  für  den  Oberbau,  welcher  irn  vorigen  Jahrhundert  mit 


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430 


Zweites  Buch  :  Der  romauische  Stil. 


Strebemauern  von  der  punktiert  angedeuteten  Form  versehen  wurde, 
anzunehmen.  Diese  Strebemauern  haben  alle  Spuren  des  früheren 
Zustandes  verwischt,  doch  ist  es  nach  der  Gestalt  der  unteren  Strebe- 


Noyon,  Chor. 


L,ion,  Schiff. 


pfeiler  unzweifelhaft,  dass  ein  freiliegender  Strebebogen,  der  die  Ober- 
mauer im  Angriffspunkte  des  Gewölbeschubes  gestützt  hätte,  nicht 
vorhanden  war.  Dieser  ersten  Entwicklungsstufe  folgt  schon  im  Lang- 
hause von  Noyon  (Ende  saec.  12)  der  frei- 
liegende Strebebogen,  der  die  Hochschiffs- 
mauer ungefähr  an  der  Stelle  des  stärksten 
Angriffes  des  Seitenschubes  trifft.  Das  Strebe- 
system von  Noyon  ist  nicht  ganz  unverändert 
geblieben,  dagegen  dürfte  das  etwa  gleich- 
zeitige der  Kathedrale  von  Laon  (Langhaus"! 
noch  das  ursprüngliche  sein,  lieber  den  Gurt- 
bögen der  Emporen  sind  Strebemauern,  von 
einem  kleinen  ansteigenden  Bogen  durch- 
brochen zum  Gewölbekämpfer  geführt,  dar- 
über ein  freiliegender  Strebebogen  zum  An- 
griffspunkte des  Seitenschubes.  Aehnlich  aber 
noch  etwas  komplicierter  sind  die  Strebe- 
systeme der  Chöre  von  S.  Rcmy  zu  Reims 
und  Notre-Dame  zu  Chälons.  Es  ist  die  Anordnung  der  Chöre  von 
Caen  und  Noyon,  vermehrt  um  einen  hochliegenden  Strebebogen. 

Soll  nun  aus  den  besprochenen  Monumenten  ein  Schluss  auf 
S.  Denis  gezogen  werden,  so  ergiebt  sich  für  das  Strebesystem  des 


ChAlonj,  N. -Dirne. 


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Zehntes  Kapitel :  Die  kreuzgewölbte  Basilika  Westeuropas. 


43» 


Chores  mit  hoher  Wahrscheinlichkeit  eine  ähnliche  Anordnung  wie  in 
Caen  und  Noyon,  nicht  nur  weil  dieselben  eine  primitivere  Entwicklungs- 
stufe aufweisen,  sondern  auch  weil  die  am  äusseren  Ende  der  Strebe- 
pfeiler von  S.  Denis  angebrachten  schlanken  Säulen  mit  einem  so 
hohen  Aufbau  wie  in  Reims  und  Chälons  nicht  vereinbar  wären. 
Uebcr  das  Strebesystem  des  Langhauses  lässt  sich  keine  begründete 
Vermutung  aufstellen. 

Mit  diesen  Ausführungen,  auch  wenn  sie  für  die  Kirche  von  S.Denis 
im  Einzelnen  nicht  völlig  das  richtige  treffen  sollten,  ist  das  gotische 
Bausystem,  wie  es  zuerst  in  fertiger  Gestalt  auftritt,  charakterisirt.  Zwei 
Grundprinzipien  treten  schon  hier  mit  aller  Bestimmtheit  hervor:  die 
Konzentrierung  der  Kräfte  auf  einzelne  Punkte  unter  Zuhilfenahme  eines 
künstlichen  Kräftesystemes  und,  hieraus  folgend,  eine  vollständigere 
Trennung  der  stützenden  von  den  raumabschliessenden  Teilen,  als  sie 
irgend  ein  anderes  Bausystem  kennt.  Die  folgerichtige,  bis  in  die 
letzten  und  kleinsten  Teile  des  Bauganzen  verfolgte  Durchbildung  dieser 
Gedanken  führt  alsbald  auch  zur  Umgestaltung  der  Kunstformen  und 
so  entsteht  ein  selbständiger  neuer  Stil,  der  gotische. 


Beschreibung  der  Tafeln. 

Tafel  145.  Grundrisse. 

1.  Saint- Aignan.  —  Chor  Ende  saec.  11.   Schiff  erste  Hälfte  saec.  12. 

—  Archives  des  mon,  hist. 

2.  Le  A/ans:  Kathedrale.  —  Chor  restaurirt  Mitte  saec.  12.  —  Viol- 
let-le-Duc,  Bull.  mon. 

3.  La  Souterraine.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  —  Archivesdes  mon.  hist. 

4.  Creil.  —  saec.  12.  —  VVoillez. 

5.  Bury.  —  saec.  12.    -  Woi'lez. 

6.  Beauvais :  S.  Ktienne.  —  Schiff  saec.  12,  Chor  saec.  15.  —  Woillcz. 

7.  Caen:  S.  TrinitL  —  1.  Hälfte  saec.  12.  —  Pugin. 

8.  Ouistreham.  --  saec.  12.  —  Rupr ich- Robert. 

9.  Vezelay.  —  Schiff  nach  11 20,  Vorhalle  nach  1132,  Chor  saec.  13. 

—  Archives  des  mon.  hist. 

Tafel  146. 

1.  *S.  Loup  de  Naud.  —  1.  Hälfte  saec.  12.  —  Bezold. 

2.  Paris:  S.Julien  le  Pauvre.  —  E.  saec.  12.  —  Lenoir.  —  Statist, 
monumentale  de  Paris. 

3.  Paris:  S.  Martin  des  Champs.  —  1.  Hälfte  saec.  12.  —  Lenoir, 
Statistique. 


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432  Zweites  Buch    Der  romanische  Stil. 

4.  Poissy.  —  Westturm  saec.  11.  Untere  Teile  des  Chores  und  Ka- 
pellen um  1135,  Hochchor  um  1160,  Schiff  Ende  saec.  12.  - 
Archives  des  mon.  hist. 

5.  Mar  eil  sur  Mauldre.  —  saec.  12.  —  De  Baudot. 

6.  *Pontoise:  S.  Maclou.  —  1.  Hälfte  saec.  12.  —  Bezold. 

7.  Vetheuil:  Chor.  —  saec.  12.  —  Archives  des  mon.  hist. 

8.  S.Denis:  Vorhalle  1137 — 1140,  Chor  1140 — 1144,  Schiff  nach  1144. 
Es  ist  hier  eine  vollständige  Restauration  vom  Grundriss  des  Suger- 
schen  Baues  nach  Massgabe  der  bei  Viollet-leDuc,  D.  R.  IX,  S.  228 
mitgeteilten  Ausgrabungen  der  Fundamente  versucht.  —  Viollet- 
le-Duc  D.  R.  IX.,  Revue  arch<?ol. 

9.  Paris:  S.  Germain  des  Pres.  —  Schiff  saec.  11,  im  saec.  12  um- 
gebaut; Chor  nach  1103.  —  Lenoir,  Statistique. 

Tafel  147. 

1.  Veruela:  Abteikirehe.  —  1171  vollendet.  —  Street. 

2.  Salamanca:  Kathedral  vieja.  —  n 20  begonnen.  —  Street. 

3.  Avila:  S.  Vicente.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  —  Street. 

4.  Jerusalem:  S.  Anna.  —  saec.  12.  —  De  Vogüd,  terre  sainte. 

5.  Lerida:  Kathedrale.  —  1203  — 1278.  —  Street. 

6.  Tarragona:  Kathedrale.  —  1131  begonnen.  —  Street. 

Querschnitte. 

Tafel  148. 

1.  Caen:  S.  Triniti.  —  1.  Hälfte  saec.  12.  —  Pugin. 

2.  S.  Cross  (Hampshire).  —  saec.  12.  —  Britton,  Arch.  ant. 

4.  Creil.  —  saec.  12.  —  Woillez. 

5.  ßeauvais:  St.  Etienne.  —  saec.  12.  —  Woillez. 

6.  Bury.  —  saec.  12.  —  Woillez. 

7.  S.  Germer.  —  Nach  1132.  —  V iollet-le-Duc,  Archives  des 
mon.  hist.  In  dem  Querschnitt  der  Emporen,  welchen  Viollet-le- 
Duc, D.  R.  IX,  S.  278  giebt,  und  nach  welchem  der  unsrige  bear- 
beitet ist,  sind  die  Strebepfeiler  weggelassen,  ein  Fehler,  der  leider 
auch  in  unsere  Zeichnung  übergegangen  ist. 

Tafel  149. 

1.  Durham:  Kathedrale.  —  Schiff  1128  vollendet  ohne  Gewölbe. 
Diese  1233.  —  Billings. 

2.  Doomift:  Quer  schiff,  —  saec.  12.  —  Renard. 

3.  Vezelay:  Vorhalle.  —  Um  1140.  —  Archives  des  mon.  hist. 

4.  Vezelay:  Schiff.  —  Nach  1120.  —  Archives  des  mon.  hist. 

5.  *S.  Loup  de  Naud.  —  1.  Hälfte  saec.  12.  —  Bezold. 

6.  S.  Aignan.  —  saec.  12.  —  Archives  des  mon.  hist. 


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Zehntes  Kapitel:  Die  kreuzgewölbte  Basilika  Westeuropas. 


433 


7.  Paris:  S.Julien  le  Pauvre.  —  Spätzeit  saec.  12.  —  Lenoir,  S ta- 
tist ique. 

8.  Paris:  S.  Gcrmain  des  Pres.    Schiff.  —  saec  11  u.  12,  Gewölbe 
nach  1644.  —  Lenoir,  Statistique. 

Längenschnitte  und  Systeme. 

Tafel  150. 

1.  Vezelay.    Vorhalle  und  Schiff.  —  saec.  12.   —  Archives  des 
mon.  hist. 

2.  S.  Aignan.  —  saec.  11  u.  12.  —  Archives  des  mon.  hist. 

3.  Salamanca:  Alte  Kathedrale.  —  Beg.  n 20.  —  Mon.  Esp. 

4.  Val  de  Bios:  S.  Maria.  —  Vollendet  12 18.  —  Mon.  Esp. 

Tafel  151. 

1.  Caen:  S.  J&ienne  (Abbaye  aux  hommes).  —   saec.  11,  Gewölbe 
saec.  12.  —  Ruprich-Robert. 

2.  Durham:  Kathedrale.    Chor  1093— 1099,  Gewölbe  1289.  —  Bil- 
lings. 

3.  Ouisireham.  —  saec.  12.  —  Ruprich-Robert. 

4.  6'.  Gabriel  (Normandie).  —  saec.  12.  —  Ruprich-Robert. 

5.  Caen:  S.  Nicolas.  —  Vollendet  1183.  —  Pugin. 

6.  7.   Caen:  S.  Triniti  (Abbaye  aux  dames)  Schiff  und  Querschiff. 
—  saec.  12.  —  Ruprich-Robert. 

Tafel  152. 

1.  Creil.  —  saec.  12.  —  VVoillez. 

2.  Cambronne.  —  saec.  12.  —  Woillez. 

3.  Bury.  —  saec.  12.  -—  Woillez. 

4.  Beauvais:  S.  Etienne.  —  saec.  12.  —  Woillez. 

5.  S.  Germer.  —  saec.  12.  —  Archives  des  mon.  hist. 

Tafel  153. 

1.  *S.  Loup  de  Xaud.  —  1.  Hälfte  saec.  12.  —  Bezold. 

2.  Mar  eil  s.  Mauldre.  —  saec.  12.  —  De  Baudot. 

3.  *Pontoise:  S.  Maelou.  —  1.  Hälfte  saec.  12.  —  Bezold. 

4.  Noyon:  Kathedrale.  —  Nach  11 50.  —  I>.  Ramöe. 

5.  S.  Denis.    Chor.  —  1140—1144.  —  Viollet-le-Duc. 

6.  Poissy.    Gewölbe  des  Chorumganges.  —  Viollet-le-Duc. 

7.  Paris:  S.  Julien  le  Pauvre.  —  Spätzeit  saec.  12.  —  Lenoir,  Sta- 
tistique. 

8.  *S.  Denis:  Vorhalle.  -  Bezold. 
Tafel  154. 

1 .  Paris :  S.  Martin  des  Champs.  —  Um  1 1 30  —  1 1 40.  —  Lenoir, 
Statistique. 


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434 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


2.  Poissy.  —  saec.  12  —  13.  —  Archives  des  raon.  hist. 

3.  Paris:  S.  Germain  des  Pres.  —   Schiff  saec.  11  u.  12;  Gewölbe 
nach  1644;  Chor  nach  1103.  —  Lenoir,  Statistique. 

Tafel  155. 

1.  *Mont-S.  Michel.  —  saec.  12.  —  Photographie. 

2.  *Le  Maris:  Kathedrale.  —  Mitte  saec.  12.  —  H.  Stier. 

3.  *Cae;i:  S.  Triniti.  —  saec.  12.  —  H.  Stier. 


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Elftes  Kapitel. 


Der  Gewölbebau  in  Oberitalien  und  den 

Alpenländern. 


Littkratxr.  —  Die  Werke  allgemeinen  Inhaltes  sind  schon  zu  Kap.  III.  auf- 
geführt. Dazu:  Reynaud .  Traitö  de  l'architecture.  31-  £d.  Paris  1870.  —  ClcrictUi ; 
Ricerche  sull'  architettura  lombarda.  Milano  1869.  —  Mongeri :  L'arte  in  Milano.  Mi- 
lano  1872. 

Monographien.  —  Dartein:  Etüde  sur  l'architecture  Lombarde ,  Paris  1866. 
behandelt  fast  alle  wichtigeren  Hauten,  namentlich  S.  Ambrogio  zu  Mailand  und  S.Michele 
zu  Pavia  in  eingehenden  Monographien  mit  vortrefflichen  Aufnahmen.  —  l'eber  S.  Ambrogio 
zu  Mailand  vgl.  noch:  Ä\  v.  Eittlberger  im  2.  Band  der  mittelalterlichen  Kunstdenkmale 
des  österreichischen  Kaiserstaates.  Stuttgart  1860.  —  J\  Kotta :  Sülle  sette  antiche 
basiliche  di  Milano  1881.  —  M.  Caf/i:  Sulla  chiesa  di  S.  Eustorgio.  184t.  —  Messori 
Ronca^lia  ■  La  Cattedralc  di  Modena.  Modena  1878.  —  Odorici :  La  Cattedrale  di  Parma. 
Milano  1864.  —  Carlo  Jelt  Acqua :  Dell  insigne  reale  Hasilica  di  San  Michele  maggiore 
in  Pavia.    Pavia  1875.    2  P>de. 

I.  Allgemeines.    Zur  Chronologie. 

Wenn  der  Anteil  Italiens  am  romanischen  Gewölbebau  geschildert 
werden  soll,  so  ist  nur  an  einen  kleinen  Teil  der  Halbinsel,  nur  an 
die  oberitalienische  Ebene,  genauer  die  Lombardei  und  Emilia,  dabei 
zu  denken.  Vieles  traf  zusammen,  diese  Landschaften  dem  übrigen 
Italien  gegenüber  eine  Sonderstellung  einnehmen  zu  lassen.  Die  Ober- 
herrschaft der  Franken  und  später  der  Deutschen  fasste  hier  festeren 
Fuss,  als  weiter  nach  Süden;  desgleichen  gab  der  Handelsverkehr 
stets  lebhafte  Beziehungen  über  die  Alpen,  während  die  Entfernung 
von  der  Ostküste  gross  genug  war,  um  den  entlang  dieser  überall 
mächtigen  byzantinischen  Kultureinfluss  zu  dämpfen.  Früh  tritt  in 
den  Kirchenanlagen  der  Lombardei  das  Bestreben  nach  einer  festeren 
Deckenbildung,  als  die  herkömmliche  Basilikenarchitektur  sie  darbot, 
hervor  (S.  240).  Früh  meldet  sich  in  der  Einzelbildung  ein  spezifisch 
romanisches  Formgefühl,  während  im  Süden  des  Apennin  die  Wieder- 


436 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


belebung  des  künstlerischen  Geistes  als  Auffrischung  der  antiken 
Ueberlieferung  sich  äussert.  Ihrer  Gesamterscheinung  nach  steht  die 
lombardische  Architektur  durchaus  der  deutschen,  beziehungsweise  der 
provenzalisch-burgundischcn  naher,  als  der  des  übrigen  Italiens.  Und 
wie  die  Anregungen  —  wir  denken  weniger  an  speziell  technische, 
als  an  allgemein  geistige  —  aus  dem  Wechselverkehr  mit  Mitteleuropa 
kamen,  so  gingen  auch  die  Wirkungen  hauptsächlich  dorthin  zurück. 
Die  deutschen  und  österreichischen  Alpenländer  zeigen  sie  in  breiter 
Einströmung,  in  einzelnen  Erscheinungen  sind  sie  den  ganzen  Rhein 
entlang  zu  bemerken. 

Um  nun  gleich  die  Hauptmerkmale  des  lombardischen  Gewölbe- 
baus zu  bezeichnen ,  so  sind  sie  diese.  Zum  Tonnengewölbe  wird 
kein  Verhältnis  gewonnen;  Ausgangspunkt  aller  Lösungen  ist  allein 
das  Kreuzgewölbe.  Der  Haupttypus  ist  der  basilikalc  Aufbau  auf 
gebundenem  Grundriss,  d.  h.  mit  je  zwei  quadratischen  Gewölbejochen 
in  den  Seitenschiffen  auf  eines  im  Mittelschiff.  Daneben  zwei  Se- 
kundärtypen: Hallenanlagen  und  Basiliken  mit  gleicher  Jochzahl  in 
Haupt-  und  Seitenschiffen. 

Die  Denkmäler,  falls  nicht  etwa  in  ihrer  Reihe  wichtige  Zwischen- 
glieder fehlen  —  welches  anzunehmen  kein  Grund  vorliegt  —  bezeugen, 
dass  der  lombardische  Gewölbebau  seine  Hauptgedanken  sehr  schnell 
zur  Reife  gebracht  hat  1).  Dieses  geschehen,  blieb  er  bis  zum  Aus- 
gang der  romanischen  Periode  fast  stationär.  Und  wie  die  Struktur- 
systeme, so  lässt  auch  die  formale  Behandlung  nur  eine  sehr  geringe 
Weiterbildung  wahrnehmen.  Kommen  an  einem  Denkmal  nebeneinan- 
der unreifere  und  entwickeltere  Formen  vor,  so  darf  das  nicht  immer 
als  Zeichen  von  stattgehabtem  Umbau  oder  teilweiser  Wiederverwen- 
dung älterer  Werkstücke  in  Bauten  späterer  Zeit  gedeutet  werden, 
es  muss  ebenso  oft  auf  die  bessere  oder  geringere  Ausbildung  gleich- 
zeitig arbeitender  Steinmetzen  zurückgeführt  werden  (sehr  deutlich 
z.  B.  in  der  Krypta  des  Domes  zu  Modena).  Zieht  man  hierzu  noch 
die  beiden  anderen  Umstände  in  Betracht,  dass  gerade  in  den 
entscheidenden  Fällen  unzweideutige  historische  Nachrichten  mangeln 
und  dass  nach  der  teils  ganz  wegräumenden  ,  teils  bis  zur  Unkennt- 
lichkeit entstellenden  Thätigkeit  der  Renaissance-  und  Barockzeit  die 

'}  Unsere  früher  (S.  187  ff.)  Uber  S.  Ambrogio  zu  Mailand  und  das  Schwib- 
bogensystem ausgesprochene  Ansicht  hat  sicli  nach  erneuter  Untersuchung  als  unzutreffend 
erwiesen.  Das  Schwibbogensystem,  obwohl  aus  dein  gleichen  Wunsche,  dem  Aufbau  der 
Basilika  grössere  struktive  Konsistenz  zu  geben,  hervorgegangen,  kann  als  zielstrebige 
Vorbereitung  auf  die  Üewolbebasilika  doch  nicht  gelten. 


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Elftes  Kapitel :  Der  Gewölbebau  in  Oberitalien  und  den  Alpenländern. 


Zahl  der  erhaltenen  Denkmäler  nur  noch  eine  kleine  ist  *),  so  erhellt, 
dass  die  genauere  Zeitbestimmung  der  einzelnen  Werke  höchlichst 
erschwert  wird.  An  der  Möglichkeit  einer  näherungsweise  richtigen 
geschichtlichen  Beurteilung  der  Bewegung  im  ganzen  braucht  darum 
nicht  verzweifelt  zu  werden. 

Der  von  der  Renaissance  begründete,  bis  in  unser  Jahrhundert 
aufrecht  erhaltene  Glaube,  dass  die  romanischen  Bauten  Oberitaliens 
ein  Werk  der  langobardischen  Einwanderer  und  im  6.  bis  8.  Jahr- 
hundert entstanden  seien,  wurde  durch  die  Untersuchungen  von  Hein- 
rich Leo  und  Cordero  (beide  1829)  schwer  erschüttert,  ja,  wie  es  mehr 
und  mehr  schien,  definitiv  beseitigt.    Wenigstens  unter  den  deutschen 
Forschern  hatte  sich  seither  das  Uebereinkommen  ausgebildet,  den 
fraglichen  Baustil  erst  dem  hohen  Mittelalter  zuzuteilen.     Aber  in 
neuester  Zeit  ist  eine  rückläufige  Bewegung  eingetreten.     Wenn  die 
Italiener  der  Renaissance  die  Ehre  ihrer  Nation  zu  retten  suchten, 
indem  sie  die  ihrem  ästhetischen  Bewusstsein  abstossend  erscheinende 
mittelalterliche  Architektur  den  deutschen  Barbaren  zur  Last  legten, 
so  finden  Deutsche  unserer  Tage  eine  Befriedigung  ihres  nationalen 
Hochgefühls  in  der  Rückkehr  zu  ebenderselben  Vorstellung  (neuestens 
namentlich   Mothes  und  Lübke).     Es  muss   ihr  vom  Standpunkte 
nüchterner  Geschichtswissenschaft    mit    allem   Nachdruck  entgegen- 
getreten   werden.    Sie   häuft  die  stärksten   historischen  Anomalien. 
Die   Langobarden    im   6.   bis   8.  Jahrhundert  hätten   eine  formen- 
schöpferische Kraft  besessen ,  welche  den  übrigen  germanischen  Völ- 
kern  und   dem  ganzen   Weltalter  überhaupt  fremd  ist;  und  diese 
Kraft  wäre  erloschen  gerade    zu    dem   Zeitpunkte,   wo   sie  sonst 
überall  in  Nord  und  Süd  sich  zu  regen  begann.    Denn  was  an  Fort- 
schritten  von   dieser   vermeintlichen  Langobardenkunst  zu   der  des 
hohen  Mittelalters  übrig  bleibt,   ist  verschwindend  wenig   im  Ver- 
gleich  zu    dem  Abstände,    der  jene  von    der   Spätantike  trennt. 
Prüfen  wir  dann  die  Einzelbeweise  für  diese  ungeheuerlichen  Sätze, 
so  zerfliessen  sie  unter  der  Hand  in  nichts.    Die  Baunachrichten  der 
Chronisten  beweisen  nur  —  was  sich  von  selbst  versteht  — ,  dass 
auch  unter  der  Langobardenherrschaft  zu  bauen  fortgefahren  wurde, 
sie  besagen  nichts,  wie  gebaut  wurde.    Die  langobardischen  Gesetze 
kann  als  Beweise  »hoch  entwickelter  architektonischer  Thätigkeit«  nur 
jemand  anführen,  der  sie  nicht  verstanden  hat.  Die  Titel  144  und  145 
des  Edictus  Kothari  (Mon.  Germ.  LL.  IV  p.  33),  welche  allein  hierher 
bezogen  werden  könnten,  handeln  nur  von  der  Haftbarkeit  für  Körper- 
beschädigung bei  Bauausführungen.    Sodann  das  im  Anhange  zu  den 

')  Wie  arm  an  romanischen  Denkmälern  ist  z.  B.  Mailand,   die  bei  weitem 
wichtigste  und  von  alters  führende  Stadt  der  Lombardei,  im  Vergleich  zu  unserem  Köln. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Edikten  Liutprands  erhaltene  mcmoratorium  de  merccdes  magistrum  com- 
macinorum  (M.  G.  LL.  176)  ist  kein  Bestandteil  der  langobardischen 
Gesetze,  ist  überhaupt  kein  Gesetz;  es  ist  lediglich  eine  Lohntabelle, 
wahrscheinlich  für  öffentliche  Bauausführungen.    Sollte  aus  den  darin 
angeführten  Arbeiten  ein  Schluss  auf  den  Stand  der  Baukunst  bei  den 
Langobarden  im  8.  Jahrhundert  gezogen  werden,  so  müsste  er  sehr  un- 
günstig ausfallen,  denn  es  sind  nur  die  einfachsten  Arbeiten,  Pflastern, 
Mauern,  Tünchen,  Dachdecken  u.  dergl.  angeführt.    Die  Ableitung 
des  Namens  commacini  (so,  mit  doppeltem  m  die  richtige  Schreibung', 
ob  vom  Comcrsee ,  ob  von  macina ,  also  gleichen  Stammes  mit  fran- 
zösisch, macon  —  wir  neigen  dem  letztern  zu  — ,  ist  hier  gleichgültig. 
Klar  ist,  dass  unter  den  commacini  Bauhandwerker  im  weitesten  Be- 
griffe verstanden  wurden.    Sie  waren  ein  Rest  der  antiken  collegia  opi- 
ficum ,  welche  bei  gewissen  Immunitäten  nur  beschränkte  politische 
Rechte  besassen.    Um  so  weniger  ist  anzunehmen,  dass  freie  Lango- 
barden in  diese  Korporation  eingetreten  seien.  Dass  die  commacini  »dem 
germanischen  Element  Rechnung  getragen  und  Eingang  verschafft  haben 
(Mothes  237),  ist  ein  grundloser  Einfall.   Im  hohen  Mittelalter  aber  war 
die  Vermischung  der  Langobarden  mit  den  älteren  Bewohnern  des  Landes 
vollzogen,  und  es  entzieht  sich  durchaus  der  Berechnung,  wieviel  etwa 
in  der  Baukunst  auf  Fortleben  des  germanischen  Geistes  zu  setzen  sei. 
Was  die  lombardischc  Baukunst  mit  der  mitteleuropäischen  in  Fühlung 
hält,  ist  doch  wohl  am  meisten  der  wechselseitige  Verkehr. 

Ernsterer  Erwägung  wert  ist  die  Anschauung  französischer  und 
italienischer  Forscher  (Reynaud,  Dartein,  Clericetti),  wonach  der  ent- 
scheidende Aufschwung ,  insbesondere  die  ersten  grossen  Leistungen 
im  Gewölbebau,  ins  9.  und  10.  Jahrhundert  fallen.  Wir  selbst  neigten 
früher,  mit  gewissen  Beschränkungen,  ihr  zu  (S.  187  ff.),  müssen  sie 
aber  nach  erneuter  eingehender  Prüfung  nun  für  irrig  erklären.  Die 
wenigen  Monumente,  welche  mit  einiger  Sicherheit  dem  6.  bis  10.  Jahr- 
hundert zugeschrieben  werden  dürfen,  sind  teils  Zentralbauten,  teils 
flachgedeckte  Basiliken;  dass  das  an  jenen  als  tüchtig  sich  erweisende 
technische  Können  schon  auf  basilikale  Anlagen  angewandt  wäre,  davon 
findet  sich  hier  ebenso  wenig,  wie  irgendwo  anders  eine  Spur.  Die 
Dekorationsformen  zeigen  fortschreitendes  Zurücktreten  der  antiken 
Erinnerung  und  gleichzeitig  fortschreitenden  Verfall  des  Formensinns 
überhaupt.  Als  Beispiel,  wie  tief  derselbe  sinken  konnte,  verweisen 
wir  auf  die  wahrscheinlich  aus  der  Gründungszeit  (a.  903)  herstammen- 
den, sicher  nicht  älteren,  Details  der  Krypta  von  S.  Savino  in  Piacenza. 

Weiter  kommen  für  die  Zeitbegrenzung  gewisse  indirekte,  aber 
darum  nicht  weniger  triftige  Schlüsse  in  Betracht.  Bekanntlich  haben  die 
geistlichen  Bauherren  Deutschlands  Italien  häufig  besucht  und  wurden 
anderseits  nicht  selten  lombardische  Handwerker  in  Deutschland  zu 


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Elftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Oberitalien  und  den  Alpenländern. 


grösseren  Bauausführungen  angeworben  '),  wie  denn  auch  einzelne  Nach- 
ahmungen italienischer  Motive  sowohl  durch  die  Chronisten  (Dom  zu 
Bremen,  Klosterrat)  als  durch  die  Denkmäler  selbst  bezeugt  werden; 
hätte  die  Lombardei  im  10.  und  1 1.  Jahrhundert  fertige  Vorbilder  der 
Gewölbebasilika  dargeboten,  so  wären  sie  gewiss  nicht  ohne  Einfluss 
auf  Deutschland  geblieben.  Dasselbe  zeigt  in  anderer  Richtung  der 
Vergleich  mit  der  Provence;  die  Formbehandlung  des  dortigen  Früh- 
romanismus deutet,  bis  gegen  Ende  des  n.  Jahrhunderts  die  eigen- 
tümliche Renaissancebewegung  eintrat,  unverkennbar  auf  Verkehr  mit 
der  Lombardei  2),  die  gleichzeitigen  Gewölbesysteme  aber  sind  ganz 
unlombardisch.  Ebenso  Burgund.  Hier  reichen  die  ersten  Versuche 
im  basilikalen  Gewölbebau  bis  in  den  Anfang  des  n.  Jahrhunderts 
zurück;  an  ihnen  war  sogar  ein  Oberitaliener,  Wilhelm  von  Ivrea,  in 
hervorragender  Weise  beteiligt  (S.  385);  aber  wir  finden  hier  ganz 
andere,  weniger  befriedigende  Gewölbekombinationen,  als  das  ge- 
bundene Kreuzgewölbesystem  und  die  organische  Pfeilergliederung  der 
Lombardei.  Wären  diese  damals  schon  fertig  vorgelegen,  so  wäre 
ein  so  unsicheres  Schwanken  und  Suchen,  wie  bei  S.  Philibert  in 
Tournus,  einem  Bau,  welcher  in  manchen  Einzelheiten  an  lombardische 
Weise  gemahnt,  nicht  mehr  möglich  gewesen. 

Aus  alledem  folgt  übereinstimmend,  dass  die  Lombardei  min- 
destens bis  in  den  Anfang  des  1 1.  Jahrhunderts  eine  gewölbte  Gross- 
architektur nicht  besessen  haben  kann.  Hier  nun  treten  die  ältesten 
einschlägigen  Bauten  in  Mailand  und  Pavia,  den  offenbaren  Mittel- 
punkten der  Bewegung,  ein.  Ihr  Stilcharakter  ist  mit  der  zweiten  Hälfte 
des  1 1.  Jahrhunderts  am  ehesten  vereinbar.  Aber  noch  in  der  Frühzeit 
des  folgenden  Jahrhunderts  bezeugen  die  Dome  von  Modena  und 
Ferrara,  wie  S.  Zeno  bei  Verona,  dass  die  hölzerne  Flachdecke  selbst 
bei  Werken  von  Rang  noch  keineswegs  gegen  den  monumentalen 
Anstand  verstiess,  woraus  man  schliessen  darf,  dass  um  jene  Zeit  die 
Gewölbebasilika  noch  keine  allgemein  verbreitete,  also  wohl  relativ 
junge  Errungenschaft  war.  Anderseits  wird  sie  schon  vor  der  Mitte 
des  12.  Jahrhunderts  ausserhalb  Italiens  (Zürich,  Klosterneuburg) 
nachgeahmt. 

Die  Einzelbetrachtung  wird  das  Ergebnis  dieser  allgemeinen 
Erwägungen  erfreulich  bestätigen :  die  Zeit  der  Grundlegung  des  lom- 
bardischen Gewölbesystems,  dürfen  wir  annehmen,  ist  das  11.  Jahr- 
hundert und  zwar  eher  dessen  zweite  als  erste  Hälfte. 

')  Schneider  im  Korresp.-Bl.  1876,  Nr.  10. 

'•')  Dehio  im  Jahrbuch  der  K.  preuss.  Kunstsammlungen  1886,  p.  133. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


2.  Das  System  und  die  Denkmäler. 

Das  Programm  der  lombardischen  Bauschule,  die  Ueberwölbung 
der  Basilika  mittels  Kreuzgewölben  von  quadratischem  Grundriss,  wurde 
Eingangs  charakterisiert.  Die  Lösung  ist  aber  nicht  auf  geradem 
Wege  erreicht  worden.  Die  Denkmäler,  die  wir  als  die  ältesten  unter 
den  vorhandenen  anzusehen  Grund  haben ,  zeigen ,  dass  man ,  wenn 
auch  vielleicht  nicht  von  Anfang  an,  so  doch  während  der  Baufuhrung 
von  der  Anlage  einer  freistehenden  Obermauer  für  das  Mittelschiff 
Abstand  nahm  und  sich  mit  einer  Form  begnügte,  die  dem  Begriff 
der  Hallenkirche  im  weiteren  Sinne  unterzuordnen  ist.  Und  diese 
Denkmäler  befinden  sich  an  dem  Orte,  dem  wir  in  baulicher  Hinsicht 
das  beste  Vermögen  zutrauen  dürfen,  in  Mailand. 

Die  Aufgabe  ist  erstmals  bestimmt  gestellt  und  innerhalb  der  eben 
bezeichneten  Grenzen  gelöst  in  SANT  AMBROGIO  (Taf.  45 ,  Fig.  4, 
158,  Fig.  1,  161,  Fig.  1).  Das  ganze  System  des  Aufbaues  wird  von 
dem  Gedanken  der  Anordnung  und  Sicherung  der  Gewölbe  beherrscht. 
Die  grossen  Gewölbe  des  Mittelschiffes  sind  mit  halbkreisförmigen  Dia- 
gonalrippen (rechteckigen  Querschnittes)  versehen,  haben  also  Kuppel- 
form (S.  309);  auch  die  Gewölbe  der  Seitenschiffe  steigen  gegen  den 
Scheitel  an  und  ihre  Gratlinien  verschwinden  gegen  oben  in  der  Ge- 
wölbefläche. Die  Pfeiler  sind  der  Struktur  der  Gewölbe  und  der  auf- 
zunehmenden Bogen  entsprechend  organisiert,  vollkommener  die  Haupt- 
pfeiler, weniger  streng  die  Zwischenpfeiler.  Das  Prinzip  ist,  an  den 
Hauptpfeilern  jedem  Vorsprung  der  Bogen,  sowie  jedem  Gewölbegrat, 
resp.  Rippe,  einen  Vorsprung  des  Pfeilers  entsprechen  zu  lassen.  — 
Bei  der  kuppclförmigen  Gestalt  der  grossen  Gewölbe  konzentriert  sich 
der  Gewölbeschub  nicht  einzig  auf  die  Pfeiler,  sondern  er  äussert 
seine  Wirkung  im  ganzen  Umfange  des  Schildbogens  und  zwar  nächst 
den  Pfeilern  am  stärksten  im  Scheitel  des  letztern.  Da  die  Obermauer 
nicht  die  zur  Paralysirung  dieses  Schubes  erforderliche  Stärke  hat. 
wurden  besondere  Vorkehrungen  nötig.  Diese  bestehen  in  erster  Linie 
darin,  dass  man  die  Obermauer  nicht  freistehend  aufführte,  sondern 
die  Seitenschiffe  mit  einer  Empore  versah,  welche  bei  niedrigeren 
Höhenverhältnissen  die  Disposition  der  Seitenschiffe  wiederholt  und 
sich  wie  diese  in  grossen  Bogen  gegen  das  Mittelschiff  öffnet.  Durch 
diese  Anlage  ist  eine  Verstärkung  der  Widerlager  auf  die  ganze  Aus- 
dehnung der  Hochschiffsmauer  erreicht.  Entsprechend  der  Kräfte- 
verteilung in  den  grossen  Gewölben  sind  dann  noch  weitere  Ver- 
stärkungen angebracht.  Den  am  meisten  beanspruchten  Hauptpfeilern 
legen  sich  seitlich  in  zwei  Geschossen  die  Gurtbögen  der  Seitenschiffe, 


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Elftes  Kapitel  .  Der  Gewölbebau  in  Oberitalien  und  den  Alpenlandern. 


resp.  Emporen ,  vor  und  die  letzteren  sind  überdies  mit  Mauersporen 
übermauert,  welche  auch  über  den  Gurtbogen  des  Mittelschiffes  fort- 
gesetzt sind  (Taf.  92,  Fig.  14).  Sporen  gleicher  Art  über  den  Zwischen- 
pfeilern der  Emporen  sichern  die  Scheitel  der  Schild  bogen  des  Haupt- 
schiffs. Durch  das  System  der  doppelten  Gurtbogen  mit  ihren  Ueber- 
mauerungen  wird  ein  Teil  der  in  den  Gewölben  auftretenden  Kräfte 
in  die  Richtung  der  Pfeiler,  der  andere  auf  die  Umfassungsmauern  der 
Seitenschiffe,  welche  den  Gurtungen  entsprechend  durch  stärkere  und 
schwächere  Strebepfeiler  gegliedert  sind,  übergeführt.  Im  Hinblick 
auf  die  letzteren  konnten  die  Umfassungsmauern  selbst  sehr  dünn 
gehalten  werden.  —  Das  Struktursystem  erreicht  seinen  Zweck  voll- 
ständig, es  bedingte  aber  eine  sehr  tiefe  Lage  für  die  Kämpfer  der 
Mittelschiffsgewölbe  und  damit  Verzicht  auf  selbständige,  seitliche  Be- 
leuchtung des  Mittelschiffes.  S.  Ambrogio  ist  mithin  keine  Basilika, 
sondern  eine  Art  Hallenkirche  und  also  das  Ziel,  eben  die  Wölbung 
der  Basilika,  nicht  ganz  erreicht;  innerhalb  der  eben  angedeuteten 
Beschränkung  aber  ist  die  Aufgabe  mit  vieler  Umsicht  gelöst. 

Die  als  Klostergewölbe  behandelte  Kuppel  über  dem  vierten  Joche 
ist  in  ihrer  jetzigen  Gestalt,  namentlich  dem  eleganten  äusseren  Aufbau, 
von  ca.  a.  1200,  doch  war  dieses  Joch  schon  ursprünglich  mit  einem 
(turmartigen?)  Aufbau  versehen.  Hingegen  mit  dem  Langhause  gleich- 
zeitig ist  die  merkwürdige  zweigeschossige  Vorhalle,  welche  sich  der  West- 
seite vorlegt.  Das  Erdgeschoss  ist  mit  Kreuzrippengewölben,  das  obere, 
welches,  der  Dachneigung  folgend,  nach  der  Mitte  ansteigt,  in  den 
seitlichen  Jochen  mit  einfachen  Kreuzgewölben,  im  mittleren  mit  einem 
Tonnengewölbe  überdeckt  (Taf.  161,  Fig.  1).  Zur  Sicherung  gegen 
den  Gewölbeschub  sind  eiserne  Zugstangen  angebracht.  Das  Ober- 
geschoss  öffnet  sich  nach  aussen  in  fünf  grossen,  nach  der  Kirche  in 
drei  etwas  kleineren  Bogenstellungen,  durch  welche  im  Zusammenwirken 
mit  der  Kuppel  dem  Innern  ein  nicht  eben  reichliches,  aber  aus- 
reichendes Licht  zugeführt  wird.  Der  Innenraum  hat  infolge  der  tiefen 
Lage  der  Hochschiffsgewölbe  etwas  Gedrücktes. 

Wir  haben  S.  188  ff.  die  Ansicht  ausgesprochen,  die  Gewölbe  des 
Mittelschiffes  von  S.  Ambrogio  möchten  dem  übrigen  Bau  nicht  gleich- 
zeitig sein.  Ein  eingehenderes  Studium  des  sehr  konsequenten  Struktur- 
systemes,  sowie  erneute  Untersuchung  des  Monumentes  lassen  uns  diese 
Ansicht  jetzt  nicht  mehr  festhalten.  Bei  den  Bauten  mit  Gurtbogen, 
auf  deren  Analogie  S.  190  verwiesen  ist,  finden  wir  bei  vielfachen 
Anklängen  doch  auch  sehr  wesentliche  Unterschiede.  Was  zunächst 
S.Celso  in  Mailand  betrifft,  so  ist  die  Uebereinstimmung  mit  S.  Ambrogio 
allerdings  eine  grosse,  keineswegs  aber  eine  vollständige,  und  mehr 
eine  formale,  als  eine  struktive.    Indem  man  hier  von  den  Emporen 

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Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


absah,  war  man  während  der  Ausführung  genötigt,  auch  die  Mittel- 
schiffsgewölbe aufzugeben  und  zum  offenen  Dachstuhl  auf  Gurtbogen 
zurückzukehren.  In  S.  Miniato  bei  Florenz  und  S.  Zeno  zu  Verona 
weist  die  Bildung  der  Pfeiler  darauf  hin,  dass  niemals  Gewölbe  be- 
absichtigt waren.  Auch  die  Kathedrale  zu  Modena  war  nur  auf  ein 
Gurtbogensystem  ohne  Gewölbe  angelegt.  In  S.  Ambrogio  dagegen 
ist  in  den  Pfeilern  das  ganze  Gewölbesystem,  Gurtbogen,  Schildbogen 
und  Rippen  vorgebildet  und  es  stehen  die  einzelnen  Vorsprünge 
in  Verband),  so  dass  die  ursprüngliche  Absicht  zweifellos  auf  Rippen- 
gewölbe im  Mittelschiff  gerichtet  war.  Ist  damit  nun  freilich  die  Mög- 


Tieferlegung  der  Kämpfer  entfernt  wurde.  Bestimmte  Anhaltspunkte  zur 
Beantwortung  dieser  Frage  bietet  zunächst  die  Fassade.  Die  Durch- 
brechung derselben  durch  ungewöhnlich  grosse  Fenster  erklärt  sich  nur 
aus  der  Absicht,  den  sonst  mangelhaft  beleuchteten  Innenraum  aus- 
reichend zu  erhellen.  Wäre  ein  höher  geführter  Lichtgaden  vorhanden 
gewesen,  so  würde  sich  der  Giebel  der  Fassade  nicht  dem  Querschnitt 
angeschlossen  haben,  sondern  er  wäre  niedriger  gewesen,  als  das 
Mittelschiff.  Ferner  beweist  die  Höhenlage  der  Trompen,  welche  zum 
Achteck  der  Kuppel  über  dem  vierten  Joche  überführen  und  welche  der 
Erbauungszeit  angehören,  dass  die  Gurtbogen  niemals  eine  höhere 
Lage  gehabt  haben  können.  Alle  diese  Momente  weisen  darauf  hin, 
dass  ein  Lichtgaden  niemals  vorhanden  und  dass  der  Bau  schon  ur- 
sprünglich gewölbt  war. 

Dieses  Ergebnis  stellt  uns  wieder  vor  die  Frage  der  Erbauungszeit 
des  ganzen  Gebäudes.    Die  Gründe,  welche  verbieten,  das  System  vor 


Pfeiler  von  S.  Ambrogio.  (Dartcin.) 


lichkeit,  dass  diese  vielleicht 
erst  später  zur  Ausführung  ge- 
langten, nicht  von  vornherein 
ausgeschlossen ,  so  kommen 
doch  noch  weitere  Momente 
hinzu,  welche  für  die  Gleich- 
zeitigkeit der  Gewölbe  mit  dem 
übrigen  Bau  sprechen.  Hätte 
man  bei  einer  ersten  Bau- 
periode auf  die  beabsichtigte 
Wölbung  verzichtet,  so  würde 
man  dafür  zweifellos  einen 
Lichtgaden  eingeführt  haben. 
Es  wird  sich  also  fragen ,  ob 
nicht  etwa  ein  solcher  vorhan- 
den war  und  bei  Ausführung 
der  Wölbung  und  einer  damit 
in  Zusammenhang  stehenden 


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Elftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Oberitalien  und  den  Alpenländern.  443 

Anfang  saec.  11  zu  setzen,  sind  eingangs  erörtert.  Auch  das  De- 
tail gestattet  keine  frühere  Datierung.  Die  untere  Grenze  sodann 
ergibt  sich  aus  dem  Vergleich  mit  S.  Michele  zu  Pavia.  An  dieser 
Kirche  ist  nicht  nur  das  System  fortgeschrittener,  sondern  auch  das 
Detail  steht  bei  aller  Roheit  der  Ausführung  auf  einer  höheren  Ent- 
wicklungsstufe. S.  Michele  muss  dem  beginnenden  12.  Jahrhundert 
zugeschrieben  werden.  Wir  sind  also  für  die  Datierung  von  S.  Am- 
brogio  auf  das  1 1 .  Jahrhundert  beschränkt,  innerhalb  dieses  Zeitraumes 
aber  fehlen  die  Anhaltspunkte  zu  einer  genaueren  Altersbestimmung 
und  wir  können  nur  vermutungsweise  aussprechen,  dass  es  eher  in 
dessen  zweiter,  als  erster  Hälfte  entstanden  sein  wird  '). 

Das  System  von  S.  Ambrogio  weicht  so  sehr  vom  Aufbau  der 
altchristlichen  Säulenbasilika  ab,  dass  die  Frage  nach  seiner  Herkunft 
sich  unabweisbar  aufdrängt.  Ist  es  von  auswärts  eingeführt?  ist  es  eine 
lombardische  Erfindung?  und  wenn  letzteres,  woher  sind  die  Kon- 
struktionsmotive genommen?  Sucht  man  nach  auswärtigen  Einflüssen, 
so  können  für  solche  nur  Südfrankreich  und  Burgund  (Cluny)  in  Frage 
kommen.  In  beiden  Ländern  haben  die  ältesten  Bauten  (S.  Guilhem 
du  de'sert,  Puysalicon,  Tournus)  mit  den  lombardischen  einige  Ana- 
logien formaler  Art;  die  Gewölbesysteme,  welche  sie  anstreben  und 
auch  erreichen,  sind  dagegen  ganz  andere  und  beruhen  auf  der  Kora- 
bination von  Tonnengewölben,  oder  von  Tonnen-  im  Mittelschiff  und 
Kreuzgewölben  in  den  Seitenschiffen.  Auch  die  formalen  Analogien 
verschwinden  mit  dem  Vordringen  der  romanischen  Renaissance  in 
Burgund  und  Südfrankreich.  Erst  aus  der  Spätzeit  der  romanischen 
Epoche  besitzt  Piemont  einige  Kirchen,  welche  entschieden  unter  süd- 
französischem Einfluss  stehen.  Von  Deutschland  konnten  konstruktive 
Anregungen  im  11.  Jahrhundert  noch  nicht  ausgehen.  So  müssen  wir 
das  System  als  ein  autochthones  ansehen.  Seine  struktiven  Grund- 
gedanken aber  sind  nichts  anderes,  als  Uebertragungen  aus  dem 
Zentralbau.  Italien  hat  im  Zentralbau  die  Gewölbetechnik  das  ganze 
Mittelalter  hindurch  auf  einer  achtenswerten  Höhe  erhalten.  Man  war 
zu  jeder  Zeit  der  Lösung  bedeutender  Aufgaben  gewachsen.  Im  11.  und 
im  beginnenden  12.  Jahrhundert  entstanden  das  Baptisterium  zu  Florenz, 
S.  Nazaro  Grande  zu  Mailand,  der  Umbau  von  S.  Marco  zu  Venedig, 
die  Erneuerung  der  Kuppel  von  S.  Lorenzo  und  vielleicht  früher  als 
alle  diese  wurde  die  grosse  Rotunde  von  Saint  Benigne  zu  Dijon  von 
einem  Lombarden,  dem  Abte  Wilhelm,  ausgeführt.  Die  gleichen  kon- 
struktiven Hilfsmittel  wie  an  S.  Ambrogio,  —  gewölbte  Seitenräume 
mit  Emporen,  an  den  Pfeilern  verstärkt  durch  durchbrochene  Strebe- 

')  Mit  der  Kirche  ist  das  Atrium  nahezu  gleichzeitig.  Wir  wollen  ,  obwohl  der 
Wortlaut  des  Epitaphs  nicht  dazu  zwingt,  nicht  bestreiten,  dass  Anspert  ein  Atrium  an 
S.  Ambrogio  erbaut  habe;  das  bestehende  ist  zweifellos  nicht  sein  Werk. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

III 

mauern,  Uebermauerung  der  letzteren  mit  ansteigenden  Mauersporen  — 
rinden  wir  auch  an  den  grösseren  und  reicher  ausgebildeten  Zentral- 
bauten.   Man  vergleiche  den  Querschnitt  von  S.  Ambrogio  Taf.  92, 
Fig.  14  mit  dem  von  S.  Vitale  Taf.  39,  Fig.  13,  oder  S.  Fedele  zu 
Como  Taf.  40,  Fig.  5.  —  Emporen  waren  schon  an  den  Basiliken  des 
frühen  Mittelalters  nicht  selten,  es  handelte  sich  also  hauptsächlich 
darum,  für  die  quadratischen  oder  rechteckigen  Abteilungen  des  Mittel- 
schiffes eine  geeignete  Gewölbeform  zu  finden.    Die  Kuppel,  wie  sie 
bei  runden  oder  polygonen  Zentralbauten  leicht  auszuführen  war,  ver- 
langte über  quadratischem  Grundriss  Hilfskonstruktionen,  welche  sich 
dem  übrigen  System  nur  schlecht  einordnen  Hessen;  das  Kreuzgewölbe 
nach  römischer  Art  ergab  eine  zu  grosse  Last,  um  sich  einem  Pfeiler- 
system anpassen  zu  lassen ,  welches  einen  möglichst  freien  Blick  in 
die  Seitenschiffe  ermöglichen  sollte,  es  war  zudem  in  so  grossen  Di- 
mensionen längst  ausser  Gebrauch.    Man  griff  also  zu  der  sehr  ent- 
sprechenden Form  des  kuppeiförmigen  Rippengewölbes.   Dasselbe  ist, 
so  wie  es  in  S.  Ambrogio  ausgeführt  ist,   eine  Hängekuppel  mit 
untergelegten  (mit  dem  Gewölbe  nicht  in  Verband  stehenden)  Rippen. 
Form  und  Ausführung  der  Gewölbe  weist  also  ebenso  wie  der  Strebe- 
apparat auf  die  Herkunft  aus  dem  Zentralbau.    Neu  ist  nur  die  Ver- 
stärkung durch  Diagonalrippen,  welche  nebenbei  den  Zweck  gehabt 
haben  mögen ,  die  Ausführung  zu  erleichtern.    Aber  auch  dieser  Ge- 
danke ist  in  den  römischen  Kreuzgewölben  schon  vorgebildet,  wenn- 
gleich sie  in  letzteren ,  entsprechend  der  verschiedenen  technischen 
Herstellungsweise,  in  der  Gewölbefläche  liegen  (S.  130). 

So  sinnreich  das  Struktursystem  von  S.  Ambrogio  gedacht  ist, 
es  repräsentiert  eine  Entwicklungsstufe,  auf  welcher  man  nicht  be- 
harren konnte.  Das  Ziel,  die  Wölbung  der  Basilika,  war  mit  dem 
grossen  Aufwände  struktiver  Hilfsmittel  doch  nicht  erreicht  worden. 
Wollte  man  auf  die  eigene  Beleuchtung  des  Mittelschiffes  ein  für 
allemal  verzichten,  so  konnte  man  die  Wölbung  mit  geringerem  kon- 
struktivem Aufwände  durchführen.  Die  Entwickelung  geht  daher  zu- 
nächst in  zwei  Richtungen  auseinander:  die  eine  führt  zur  Gewölbe- 
basilika mit  Emporen,  die  andere  zur  Hallenkirche.  —  Vom  System  von 
S.  Ambrogio  bis  zur  Gewölbebasilika  mit  Emporen  war  nur  ein 
einziger  Schritt  (vgl.  die  Querschnitte  Taf.  158,  Fig.  2,  Taf.  159,  Fig.  I): 
Höherlegung  der  Kämpfer  der  Hauptschiffgewölbe  bei  entsprechender 
Weiterbildung  des  Strebesystems.  Auch  die  letztere  erfolgt  nach  der 
schon  in  S.  Ambrogio  angegebenen  Idee,  d.  i.  durch  Strebemauern, 
welche  jetzt  über  die  Seitenschiffsdächer  in  einer  diesen  parallelen 
Neigung  hinausgeführt  werden.  Sie  leisten  genau  denselben  Dienst,  wie 


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Elftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Oberitalien  und  den  Alpenländern.  445 

die  ein  halbes  Jahrhundert  später  ausgebildeten  Strebebogen  der  franzö- 
sischen Gotik,  wirken  aber  in  der  Aussenansicht  weniger  störend  als  diese 
—  wenigstens  bei  der  in  Italien  üblichen  geringen  Ueberhöhung  der 
Sargwand  des  Mittelschiffs  über  das  Dach  des  Seitenschiffs  — ,  weshalb 
denn  die  italienische  Baukunst  auch  weiterhin,  sowohl  in  der  gotischen 
wie  in  der  Renaissanceepoche,  diese  Art  der  Verstrebung  keineswegs 
aufgegeben,  vielmehr  ihr  vor  dem  nordischen  Strebebogen  in  der  Regel 
den  Vorzug  gegeben  hat.  —  Was  die  lombardisch-romanische  Hallen- 
kirche betrifft,  so  gelangt  sie  allerdings  nicht  bis  zu  vollkommen 
reiner  Ausprägung  ihres  Gattungsbegriffs,  d.  h.  zu  der  in  allen  Schiffen 
gleichen  Höhenlage  der  Gewölbekämpfer ;  aber  das  Mass,  um  welches 
diejenigen  des  Mittelschiffes  höher  liegen,  ist  immer  klein  genug,  um 
seitliche  Oberlichter  auszuschliessen.    Die  Emporen  dagegen  werden 
aufgegeben ,  desgleichen  das  gebundene  System  und  an  Stelle  der 
quadratischen  Joche  im  Mittelschiff  treten  querrechteckige.  Die  Monu- 
mente dieser  Gruppe  kommen  an  künstlerischem  Werte  den  grossen 
Gewölbebasiliken  nicht  gleich,  ihre  entwickelungsgeschichtliche  Be- 
deutung aber  ist  keine  geringe.    Denn  sie  führen  in  ihrer  weiteren 
Fortbildung  wieder  zur  Basilika  zurück  und  zwar  zur  Basilika  ohne 
Emporen.   Wir  finden  unter  diesen  kleineren  Bauten  solche,  welche 
das  gebundene  System  unter  Abänderung  der  kuppelförmigcn  Gewölbe 
in  Kreuzgewölbe  mit  vollständig  oder  nahezu  horizontal  verlaufenden 
Scheitellinien  beibehalten,  daneben  solche,  bei  welchen  die  Zahl  der 
Joche  im  Mittelschiff  und  Seitenschiffen  die  gleiche   ist.  Dieselben 
befolgen  entweder  die  bei  den  Hallenkirchen  übliche  Disposition  mit 
querrechteckigen  Jochen  der  Mittelschiffe  und  quadratischen  in  den 
Seitenschiffen ,  oder  sie  haben  im  Mittelschiff  quadratische  Joche, 
während  die  Gewölbe  der  Seitenschiffe  eine  in  der  Längenrichtung 
gestreckte  Form  erhalten.  Es  ist  letzteres  das  System,  welches  nach- 
mals in  den  grossen  gotischen  Bauten :  S.  Maria  del  Fiore  zu  Florenz, 
S.  Petronio  zu  Bologna,  im  Dom  von  Como  und  in  der  Certosa  bei 
Pavia  seine  höchste  Entfaltung  findet.    Vorzüglich  charakteristisch  für 
diesen  Typus,  und  zwar  gleichfalls  bis  in  die  gotische  Epoche  hinein, 
ist  die  dem  Prinzip  der  Hallenkirche  verwandte  Neigung,  die  Seiten- 
schiffe sehr  hoch  zu  führen,  bis  zu  einer  relativ  geringen  Differenz 
mit  dem  Hauptschiff. 

Wie  sich  die  verschiedenen  Formen  zeitlich  zu  einander  verhalten, 
wie  sie  sich  gegenseitig  beeinflusst  haben,  wird  sich  mit  voller  Sicher- 
heit nicht  mehr  nachweisen  lassen.    Manches  spricht  dafür,  dass  an- 


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Zweites  Buch;  Der  romanische  Stil. 


fangs  die  Hallenform  vorgeherrscht  hat  Die  Monumente,  welche  hier 
in  Frage  kommen,  gehören  nach  ihrer  mangelhaften  Pfeilerbildung 
und  ihrem  Detail  sicher  zu  den  ältesten  lombardischen  Gewölbebauten. 
Auch  das  lombardische  Fassadensystem  scheint  sich  an  der  Hallen- 
kirche ausgebildet  zu  haben,  welcher  es  vollkommen  entspricht, 
wahrend  es  für  die  Basilika  keine  innere  Berechtigung  hat. 

BASILIKKN  MIT  EMPOREN.     Ihrer  Bedeutung  nach  stehen 
diese  unter  den  lombardischen  Gewölbebauten  in  erster  Linie.  Der 
Bau,  an  welchem  man  den  ersten  Schritt  über  S.  Ambrogio  hinaus 
that,  scheint  S.  Michei.e  zu  Pavia  gewesen  zu  sein.    Die  Kirche  hat 
im  System  des  Langhauses  (Taf.  158,  161)  die  grösste  Aehnlichkeit 
mit  S.  Ambrogio,  der  wesentliche  Unterschied  besteht  nur  in  der  höheren 
Lage  des  Hauptgewölbes.    Allein  man  hatte  auf  die  Sicherung  dieser 
letzteren  nicht  genügend  Bedacht  genommen  und  sie  mussten  Ende 
saec.  15  erneuert  werden.    (Das  System  in  seiner  jetzigen  Gestalt  bei 
Reynaud,  Traite*  de  l'architecture  II.  pl.  34,  35.)    Die  Ansätze  der  alten 
Gewölbe  sind  über  den  jetzigen,  die  Oberfenster  auch  am  äusseren 
noch  sichtbar.    Auffallend  ist  das  völlig  andere  System  des  Quer- 
schi fies :   die  Wände   durch  schlanke  Blendarkaden  gegliedert,  über 
diesen  ein  leichtes  Kämpfergesimse,  welches  ein  Tonnengewölbe  auf- 
nimmt.   Die  Vierung  mit  einem  achtseitigen  Klostergewölbe  bedeckt. 
Unter   der   Halbkuppel   der  Apsis    ähnliche   Wandarkaden   wie  im 
Querschiflf.    Das  Motiv  ist  sonst  der  lombardischen  Innenarchitektur 
fremd,  auch  die  Mehrzahl  der  Seitenkapellen  ist  nicht  lombardisch. 
Ein  Blick  vom  Langhause  nach  dem  QuersehifF  erinnert  lebhaft  an 
frühe  cluniacensische  Anlagen  (z.  B.  La  Charit^).    Dürfen  wir  hier  clu- 
niacensischen  Einfluss  erkennen?  Wir  möchten  die  Frage  zum  mindesten 
nicht  verneinen,  darf  doch  das  Vorkommen  des  gleichen  Motives  an 
der  Kirche  zu  Limburg  a.  H.  ebenfalls  mit  gewisser  Wahrscheinlichkeit 
auf  Burgund  zurückgeführt  werden.   Leider  sind  wir  über  die  Verhält- 
nisse des  Klerus  von  S.  Michcle  nur  mangelhaft  unterrichtet.  Von 
einem  anderen  Kloster  Pavias,  S.  Pietro  in  ciel  d'oro,  sind  frühe  Be- 
ziehungen zu  Cluny  bekannt.     Könnte  für  S.  Michele  ein  gleiches 
angenommen  werden,  so  müsste  die  Kirche  wenigstens  an  ihren  öst- 
lichen Teilen  vor  a.  1089  (Neubau  von  Cluny)  begonnen  sein.  Ein 
anderer  Anhaltspunkt  für  die  Datierung  ist,  dass  die  im  Detail  mit 
S.  Michele  nahe  verwandte  Kirche   S.  Pietro  in  ciel  d'oro  a.  1132 
vollendet,  die  ganz  nach  S  Michele  kopierte  zu  Klosterneuburg  a.  11 14 
bis  1136  erbaut  ist.    Anderseits  gestattet  das  Detail  nicht,  über  die 
letzten  Dezennien  saec.  1 1  zurückzugreifen. 

Man  hat,  am  eingehendsten  Reynaud  a.  a.  O.  II.  S.  603,  an  dem 
Gebäude  auf  Grund  des  Vorkommens  verschiedener  Baumaterialien 


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Elftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Oberitalien  und  den  Alpenländern. 


(Kalkstein,  Sandstein  und  Backstein)  verschiedene  Bauperioden  zu 
konstatieren  gesucht,  allein  die  Art,  wie  diese  Materialien  nebeneinander 
verwendet  sind,  spricht  für  eine  einheitliche  Bauführung,  nur  der  äus- 
sere Aufbau  der  Vierungskuppel  und  einige  geringfügige  Reparaturen 
an  den  obersten  Teilen  der  Mauern  gehören  späterer  Zeit  an. 

S.  Michele  ist  der  Bau,  an  welchem  sich  der  Geist  der  lombar- 
dischen Architektur  am  reinsten  und  entschiedensten  ausspricht.  Die 
Kirche  hat  einen  ungewöhnlich  bestimmten  künstlerischen  Charakter 
und  übertrifft  in  dieser  Hinsicht  den  im  ganzen  wohl  höher  stehenden 
Dom  zu  Parma.  Die  Verhältnisse  haben  gegen  S.  Ambrogio  durch 
die  Ueberhöhung  der  Sargmauer  sehr  gewonnen,  die  Gliederung  ist 
kräftig,  ein  altertümlich  strenger  Ernst  waltet  in  dem  Räume.  Das 
Dekorationssystem  steht  in  innigem  Zusammenhange  mit  der  Kon- 
struktion, die  Wandflächen  sind  in  Backstein  (unverputzt),  die  tragenden 
Glieder  und  die  Gesimse  in  Haustein  ausgeführt.  Das  Detail  flüchtig, 
ja  teilweise  roh,  aber  niemals  kleinlich,  ist  von  trefflichster  dekorativer 
Wirkung.    Neuerlich  von  Carlo  und  Siro  dell  Acqua  gut  restauriert. 

—  Verwandt  und  nach  Ausweis  des  Details  ungefähr  gleichzeitig  mit 
S.  Michele  war  unter  den  Kirchen  Pavias  noch  S.Giovanni  in  Borgo; 
i  8  i  i  abgebrochen  (Grundriss  Tat"  156,  Fig.  5). 

Der  Dom  zu  Parma  (Taf.  159,  Fig.  1,  Taf.  162,  Fig.  2).  Nach 
vernichtendem  Brande  a.  1058  begann  Bischof  Cadalus  einen  Neubau, 
der  a.  1074  als  fast  vollendet  bezeichnet  wird,  aber  erst  a.  1106  die 
Schlussweihe  erhielt;  ein  Erdbeben  a.  11 17  machte  durchgreifende 
Erneuerung  nötig,  die  sich  bis  ins  13.  saec.  fortzog.  Wahrscheinlich 
noch  jener  ersten  Epoche  gehören  Chor  und  Querschiff  in  ihren  unteren 
Teilen  an.  Das  Langhaus,  dessen  Mittelschiff  breiter  ist  als  die  Vierung, 
ist  völliger  Neubau  des  saec.  12.  Es  umfasst  sieben  Joche,  in  den 
sechs  westlichen  mit  Wechsel  stärkerer  und  schwächerer  Pfeiler.  Mit  die- 
ser Pfeilerbildung  steht  das  Gewölbesystem  (rechteckige  Kreuzgewölbe) 
nicht  in  Einklang,  der  Wechsel  des  Planes  hat  indes  im  Laufe  einer 
nicht  allzulangen  Bauausführung  stattgefunden.  Man  möchte  nach  der 
Anordnung  von  drei  Vorsprüngen  über  dem  Haupt-  und  einem  über 
den  Zwischenpfeilern  sechsteiligen  Kreuzgewölbe  als  beabsichtigt  ver- 
muten; allein  diese  Form  kommt  in  der  lombardisch- romanischen 
Architektur  sonst  nicht  vor  ;  wahrscheinlicher  sollte  der  Dienst  vor  den 
Zwischenpfeilern  nur  bis  zum  Gurtgesimse  geführt  werden,  dann  wäre 
das  ursprünglich  beabsichtigte  Gewölbesystem  das  gleiche  gebundene 
wie  in  S.  Michele  zu  Pavia  u.  s.  w.  gewesen  —  Die  Kathedrale  von 
Parma  ist  alles  in  allem  das  vollendetste  Werk  der  lombardisch-roma- 

')  Die  vier  Bogenöffnungen  der  Emporen  dürften  ursprünglich  von  einem  grosseren 
Blendbogen  umschlossen  gewesen  sein,  welcher  im  saec.  16  beseitigt  wurde,  um  Raum 
für  die  Gemälde  zu  gewinnen. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


nischen  Baukunst.  Die  kleinen  Inkonsequenzen  der  Ausführung,  wie 
das  trockene  Detail  vermögen  die  grossartige  und  harmonische  Gesamt- 
wirkung nicht  wesentlich  zu  beeinträchtigen.  System  und  Querschnitt 
sind  hoch  und  schlank  und  von  schönsten  Verhältnissen;  äusserst 
imposant  die  grosse  Treppe,  welche  vom  Mittelschiff  zum  erhöhten 
QuerschifT  und  Chor  führt. 

Eine  verkleinerte  Kopie  von  Parma  ist  die  Kirche  von  Borgo 
S.  Donnino  (Taf.  162).  Die  oberen  Teile  erheblich  jünger  als  die 
unteren  (Knospenkapitelle);  die  Emporen  nicht  gewölbt;  die  Hochschi ffs- 
gewölbe  durch  hohe  Strebemauern  verstrebt. 

Die  beiden  letztgenannten  Monumente  sind  in  ihrem  System  teil- 
weise von  der  Kathedrale  von  Moden a  (Taf.  162)  abhängig  ,).  Dieser 
a.  1099  begonnene  Bau  war  ursprünglich  flachgedeckt  (vgl.  S.  240). 
Die  Fenster  des  Mittelschiffes  werden  teilweise  von  den  Gewölben 
überschnitten,  stehen  aber  in  der  Mitte  der  Blendbogen,  welche  jetzt 
nur  noch  zur  Hälfte  sichtbar  sind.    Noch  deutlicher  ist  das  Gleiche 


des  Mittelschiffes  deren  zwei  in  den  Seitenschiffen ,  während  aussen 
der  gleiche  Raum  in  drei  Arkaden  getheilt  ist  (vgl.  den  Grundriss 
Taf.  66).  Man  hat  sich  über  diese  Inkonsequenz  gewundert,  dieselbe 
war  aber  ursprünglich  gar  nicht  vorhanden,  sondern  es  waren,  wie  über 
einigen  der  grossen  Altäre  noch  zu  sehen,  auch  im  Inneren  drei  Blend- 
arkaden, welche  jetzt  in  sehr  unschöner  Weise  vom  Gewölbe  durch- 
schnitten werden  (s.  die  obenstehende  Figur).  Die  Wölbung  dürfte  im 
Laufe  des  13.  Jahrhunderts  ausgeführt  worden  sein,  wenigstens  sind  die 
Gewölbe  des  östlichsten  Joches  (Chor)  und  der  querschiffartige  Giebel- 
aufbau über  dem  südlichen  Seitenschiffe  aus  dieser  Zeit  (Knospenkapitelie). 

Das  System  der  Gewölbebasilika  mit  Emporen  finden  wir  auch 
nördlich  der  Alpen  in  einer  Weise,  welche  mit  den  prinzipiell  verwandten 
Anlagen  am  Niederrhein  ausser  Zusammenhang  steht  und  auf  unmittelbare 
Uebertragung  aus  der  Lombardei  weist.  —  Grossmlnster  in  Zürich 
(Taf.  158,  161);  begonnen  a.  11 04,  in  sehr  langsamer  Ausführung  erst 
1289  vollendet.  Die  Anlage  des  Langhauses  ganz  lombardisch,  die  Aus- 

')  Der  Dom  von  Modena  war  früher  im  Inneren  verputzt  ,  während  jetzt  die 
Backsteinmauern  wieder  sichtbar  sind.  Bei  dieser  Restauration  wurde  auch  der  in  unserer 
Zeichnung  noch  angegebene  Kreuzbogenfries  entfernt. 


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Elftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Oheritalien  und  den  Alpenländern. 


fiihrung  roh.  Vielleicht  nur  noch  indirekt  zeigt  sich  der  lombardische 
Einfluss  in  dem  nach  a.  1185  begonnenen  Munster  zu  Basel  (Taf. 
158,  161);  er  ist  unverkennbar  im  Aufbau  des  Langhauses  und  in  manchen 
Details  (Galluspforte),  die  Choranlage  dagegen  hat  nichts  Italienisches  ; 
das  a.  1258  erneuerte  Gewölbe  hatte  schon  anfänglich  spitzbogige  Gurt- 
und  Schildbogen.  —  Eine  zweite  Gruppe  scheint  ihren  Mittelpunkt  in 
Salzburg  gehabt  zu  haben.  Es  ist  zunächst  ein  äusserst  merkwürdiges 
Gebäude  zu  erwähnen,  die  Kirche  zu  Klosterneuburg  bei  Wien 
(Taf.  163  a).  Die  Baugeschichte  ist  gut  überliefert.  Markgraf  Leo- 
pold IV.  von  Oesterreich  hatte  1106  eine  fromme  Stiftung  gemacht 
und  11 14  den  Grundstein  zu  einer  grossartigen  Kirche  gelegt,  welche 
den  Chorherren  von  S.  Augustin  übergeben  wurde.  Die  Kirche  war 
11 36  vollendet  und  wurde  am  29.  September  geweiht.  Probst  Bernhard 
(1630 — 1634)  unterzog  die  Kirche  einer  tiefgreifenden  Umgestaltung, 
bei  welcher  indes  die  grossen  Gewölbe  des  Mittelschiffes  erhalten 
blieben.  Auch  sonst  blieb  so  viel  vom  Alten  bestehen ,  dass  Ober- 
baurat Frhr.  v.  Schmidt,  dessen  Güte  wir  die  Zeichnungen  verdanken, 
eine  in  allen  wesentlichen  Stücken  vollkommen  zuverlässige  Rekon- 
struktion machen  konnte.  Das  System  des  Langhauses  war  eine  un- 
mittelbare Kopie  von  S.  Michele  zu  Pavia,  auch  Detail  und  Technik 
lombardisch.  —  Der  a.  1181  begonnene  alte  Dom  zu  Salzburg,  aus 
alten  Abbildungen  nur  mangelhaft  bekannt,  war  ein  Gewölbebau  mit 
zweigeschossigen  Abseiten.  C.  C.  Mitth.  1887,  S.  LXXXI.  —  Die  Pfarr- 
kirche zu  Reichenhall  (Taf.  163  a),  begonnen  1181,  ist  leider  durch 
eine  Restauration  und  Erweiterung  für  die  Untersuchung  fast  verloren, 
doch  lässt  sich  noch  konstatieren ,  dass  die  Kirche  von  Anfang  an 
gewölbt  war  und  wenigstens  im  östlichen  Joch  Emporen  hatte  (diese 
gewölbt);  ob  die  flachgedeckten  Emporen  der  folgenden  Traveen  ur- 
sprünglich sind,  müssen  wir  dahingestellt  sein  lassen;  v.  Herrmann, 
welcher  die  Kirche  vor  dem  Umbau  untersucht  hat,  bestreitet  es.  — 
Die  alte  Pfarrkirche,  jetzt  Franziskanerkirche  zu  Salzburg,  hatte 
anscheinend  eine  ähnliche  Anlage,  ist  indes  gerade  an  den  Hochmauern 
des  Langhauses  umgestaltet  und  bedarf  näherer  Untersuchung.  —  Von 
Salzburg  aus  scheinen  sich  dann  durch  die  Beziehungen  Erzbischof 
Konrads  zu  den  Augustinern  und  zu  Kaiser  Lothar  vereinzelt  lom- 
bardische Einflüsse  bis  nach  Norddeutschland  geltend  gemacht  zu  haben. 
Wir  nehmen  solche  an  den  Kirchen  zu  Klosterrath  und  Königslutter 
wahr,  zunächst  und  zweifellos  in  manchen  Einzelheiten,  vielleicht  auch 
in  der  Anlage  auf  Gewölbe.  Beide  gehören  zu  den  frühesten  Gewölbe- 
bauten der  betreffenden  Gegenden. 

Nur  noch  in  lockerem  Zusammenhange  mit  dem  bisher  betrachteten 
System  stehen  die  Kathedralen  von  Piacenza  und  Cremona.  Die 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

erstere  (Taf.  156,  162)  wurde  begonnen  a.  1122  und  war  a.   11 58 
teilweise  so  weit  gefördert,  dass  sie  in  Benutzung  genommen  werden 
konnte;  vollendet  erst  im  13.  saec.    Sie  ist  die  grossräumigste  aller 
lombardisch-romanischen  Kirchen,  ebenso  reich  an  grossen  Schönheiten 
wie  an  unerträglichen  Disharmonien.   Die  allgemeine  Idee  ist  dem  Dom 
von  Pisa  entlehnt  mit  Anpassung  auf  die  Gewölbekonstruktion.  Viel- 
leicht aber  war  schon  der  erste  Meister  über  die  Lösung  nicht  bis  in 
alle  Konsequenzen  sich  klar;  den  Nachfolgern  gebricht  es  nicht  an 
bedeutenden  Gedanken ,  aber  sie  verderben  dieselben  der  eine  dem 
andern.   Das  Querhaus  ist  der  ältere  Teil  und  könnte  wohl  bis  a.  11 58 
vollendet  gewesen  sein;  die  Gewölbe  ohne  Rippen;  eine  Hallenanlage 
von  drei  gleich  breiten  und  gleich  hohen  Schiffen ;  nur  an  den  beiden 
Enden  sinken  in  der  letzten  Travee  die  Seitenschiffe  zur  halben  Hohe 
herab,  so  dass  das  System  hier  basilikal  wird;  das  Ganze  von  eigen- 
artiger und  grandioser  Wirkung.    Zu  einem  wahren  Unglück  wird  das 
Schwanken  der  Bauführung  in  der  Kreuzung,  da  das  Querhaus  zwar 
höher  als  die  Seitenschiffe  des  Langhauses,  aber  niedriger  als  dessen 
Mittelschiff  ist  (vgl.  Fig.  6  u.  7  auf  Taf.  162).    Dann  die  Disposition 
der  Kuppel,  welche  nicht  wie  in  Pisa  auf  alle  drei,  sondern  nur  auf 
zwei  Schiffe  des  Querhauses  sich  bezieht ;  für  sich  betrachtet  ein  hohes 
Lob  verdienendes  Prachtstück,  passt  sie  an  dieser  Stelle  wie  die  Faust 
aufs  Auge.   Wenden  wir  uns  dann  zum  Langhause  (Fig.  6),  so  zeigen 
die  Scheidebogen  dieselbe  Höhe,  die  Rundpfeiler  dieselben  Masse  und 
Formen  wie  in  den  basilikalen  Schlusstraveen  des  Querhauses.  War 
ursprünglich  das  System  des  Langhauses  ganz  übereinstimmend  gedacht? 
Sicher  sollte  es  nicht  das  gebundene,  sondern  sollten  die  Pfeiler  unter 
sich  gleich,  die  Gewölbe  querrechteckig  sein.    Endlich  der  den  Ober- 
bau ausführende  Meister  des  13.  saec.  war  schon  ganz  mit  franzö- 
sischer Frühgotik  erfüllt;  die  Vermittelung  seiner  sechsteiligen  Gewölbe 
mit  den  alten  Rundpfeilern  konnte  nicht  übler  geraten;  kleinlich  und 
müssig  ist  das  Galeriemotiv.    Vermöchte  man  über  die  leider  so  zahl- 
reichen abstossenden  Einzelheiten  hinwegzusehen,  so  würde  die  Kathe- 
drale von  Piacenza  vermöge  ihrer  Gross-  und  Wohlräumigkeit  als  eines 
der  besten  mittelalterlichen  Bauwerke  Oberitaliens  erscheinen.  —  Die 
Kathedrale  von  Cremona  (Taf.  157,  162)  ist  erbaut  a.  1 107— 1 190. 
Auf  das  gebundene  System  angelegt,  endet  der  Bau  mit  schmalen 
Rechteckgewölben.    Die  unter  dem  Einfluss  von  Piacenza  hinzugefügten 
Kretizflügel  vermeiden  zwar  den  hässlichen  Einschnitt  in  das  Haupt- 
schiff, bleiben  aber  deshalb  auch  nur  isolierte  Anhängsel  ohne  Wert 
für  den  Gesamteindruck. 

HALLENKIRCHEN.  Nur  wenige  Beispiele  sind  von  dieser  wahr- 
scheinlich gar  nicht  selten  verwendeten  Anlage  erhalten.    In  Mailand 


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Elftes  Kapitel:  Der  Gewolbebau  in  Oberitalien  und  den  AHenländern.  4^1 


zwei  mit  S.  Ambrogio  ungefähr  gleichzeitige,  oder  wenig  jüngere; 
die  eine,  S.  Kustorgio,  ist  leider  durch  spätere  Umbauten  und  neue 
Restaurationen  so  vielfach  verändert,  dass  sich  die  ursprüngliche  Ge- 
stalt kaum  mehr  feststellen  lässt.  Die  Kirche  hat  ziemlich  grosse 
Dimensionen,  in  der  Längenrichtung  umfasst  sie  acht  Gewölbejoche. 


Mailand    S.  EttStorfftO.    (D:«rt<-ii>.  Boold.] 


ä 

\/r 

Am  geringsten  sind  die  Veränderungen  an  den  drei  westlichen  Jochen 
(s.  die  nebenstehende  Fig.),  doch  sind  auch  in  diesen  gerade  die  Mittel- 
schi ff  sge  wölbe  zweifellos  nicht  mehr  die  alten.  Der  Höhenunterschied 
der  Kämpfer  in  Mittelschiff  und  Seitenschiffen  ist  ein  ziemlich  grosser, 
doch  nicht  so  gross,  dass  über  dem  Dachansatze  der  Seitenschiffe 
Raum  für  Oberfenster  da  wäre;  es  geht  vielmehr  ein  einheitliches  Dach 
über  alle  drei  St  hiffe.   In  den  vier  folgenden  Jochen  ist  die  Kämpfer- 


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Zweites  liuch:  Der  romanische  Stil. 


höhe  in  den  Seitenschiffen  ebenso  hoch  wie  im  Mittelschiff,  eine  in 
der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  vorgenommene  Aenderung. 
bei  welcher  altes  Detail  wieder  verwendet  wurde.  —  S.  Babila,  kleiner, 
roher  und  gleichfalls  stark  mutiert,  die  Hallenanlage  aber  zweifellos 
ursprünglich.  —  Das  gleiche  System  findet  sich  an  einer  Kirche  zu 
Vekcelm,  an  der  Vorhalle  von  S.  Eufemia  zu  Piacenza  u.  a.  Auch 
das  oben  beschriebene  mächtige  Querhaus  des  Domes  von  Piacenza 
ist  eine  Hallenanlage  und  zwar  in  reinster  Fassung.  —  Möglicherweise 
sind  die  wenigen  romanischen  Hallenanlagen  Süddeutschlands  aus  lom- 
bardischer Anregung  hervorgegangen.  Diejenigen  in  Piemont  weisen 
mit  ihren  Tonnen  und  Halbtonnen,  sowie  in  manchen  Einzelheiten 
auf  die  Provence.  Ein  interessantes  Beispiel  bietet  die  beistehend 
abgebildete  Kirche  Sta.  Fede  zu  Cavacnolo. 

BASILIKEN  OHNE  EMPOREN.  Auch  für  die  Basilika  glaubte 
man  bei  kleineren  Abmessungen  der  Emporen  entraten  zu  können. 
Derartige  Bauten  nach  dem  gebundeneu  System  sind  nicht  selten. 
Ausgezeichnet  durch  herrliches  Detail  aus  der  Spätzeit  saec.  12  S.  Sa- 
vino  zu  Piacenza  (Taf.  163  a),  S.  Pietro  e  Paolo  in  dem  merkwürdigen 
Kirchenkomplex  von  S10.  Stefano  zu  Bologna  (Taf.  159,  162),  klein 
und  unbedeutend.  Chiaravalle  bei  Mailand  ein  Cistercienserbau 
(Taf.  160,  161),  von  ungewöhnlich  breiten  Verhältnissen,  1221  geweiht, 
sicher  schon  im  Laufe  des  saec.  12  erbaut,  wenn  auch  nicht  der 
Gründungsbau  von  1135.  Ferner  lassen  das  gleiche  System  unter  der 
Umhüllung  mit  Renaissanceformen  erkennen  :  Sta.Eufemia  zu  Piacenza, 
S.  Giorgio  al  Palazzo  zu  Mailand  u.  a. 

Unter  den  Bauten,  welche  das  gebundene  System  verlassen  und 
nach  Art  der  Hallenkirchen  querrechteckige  Joche  im  Mittelschiff  haben, 
ist  S.  Pietro  in  ciel  d'oro  zu  Pavia  (Taf.  160,  163)  einer  der  ältesten; 
1132  geweiht,  die  Gewölbe  des  Mittelschiffes  jünger.  Zu  bedeutenden 
Dimensionen  steigert  sich  das  System  im  Dom  zu  Trient  (Taf.  159, 
163),  nach  1212  von  Magister  Adam  aus  Arognio  und  seinen  Nach- 
kommen erbaut,  im  Querschnitt  dem  Hallenprinzip  sich  nähernd;  ferner 
in  der  Kirche  zu  Inichen  (Taf.  163,  Fig.  2)  in  Tirol  und  in  trefflicher 
Ausbildung  zu  Altenstädt  bei  Schongau  in  Bayern  (Taf.  159,  163); 
in  beiden  letzteren  sämtliche  Gewölbe  ohne  Rippen. 

Beispiele  des  Systeme*  mit  quadratischen  Jochen  im  Mittelschiff 
und  länglich-rechteckigen  in  den  Seitenschiffen  bieten:  S.  Theodoro 
zu  Pavia  (Taf.  160),  durch  Verstärkung  der  Pfeiler  sehr  verunstaltet. 
Maderno  am  Gardasee  (Taf.  159,  163);  die  Gewölbe  des  Mittelschiffes 
in  ihrer  jetzigen  Gestalt  von  1575,  die  Vierungskuppel,  auf  dem  Aus- 
schnitt eines  Kreuzgewölbes  ruhend,  sowie  die  Gewölbe  der  Seiten- 


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Elftes  Kapitel  :  Der  Gewölbebau  in  Uberitalien  und  den  Alpenländern. 


schiffe  alt;  die  Kirche  wird  trotz  ihres  sehr  altertümlichen  Details  nicht 
vor  saec.  12  gesetzt  werden  dürfen. 

Im  Süden  des  Apennins  ist  uns  nur  ein  Beispiel  lombardischer 
Wölbungsart  bekannt:  die  Kirche  Sta.  Maria  in  Castello  zu  Corneto, 
begonnen  a.  1121;  sie  zeigt  das  gebundene  System  ohne  Emporen  in 


Sta.  Fcdc  *u  Cavagnolo.  (l)artcin.j 


reiner  Ausprägung;  fünf  Quadrate  im  Hauptschiff  auf  zehn  in  den 
Nebenschiffen;  kein  Querhaus.  Die  Nachbarstädte  Toscanella  und 
Viterbo  besassen  lombardische  Kolonien. 

3.  Der  Grundriss. 

In  der  lombardischen  Architektur  ist  von  einem  belebenden 
Einfluss  des  Gewölbes  auf  die  Planbildung  kaum  etwas  zu  spüren. 
Er  macht  sich  lediglich  in  der  Abmessung  der  Pfeilerabstände  geltend 
—  und  auch  hier  nicht  zwingend ,  da  selbst  im  gebundenen  System 


454  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

auf  genau  quadratische  Grundform  der  Joche  wenig  achtgegeben 
wurde.  Gewöhnlich,  zumal  bei  kleineren  Anlagen,  wurde  der  alther- 
gebrachte ganz  einfache  querschiflflose  Typus  beibehalten  (Taf.  157, 
F'g-  1 — 3)-  Eine  leichte  Veränderung  trat  ein,  wenn  über  dem  Chor, 
wie  es  oft  geschah,  eine  Kuppel  beliebt  wurde;  das  bedingte  auch 
für  die  anliegenden  Abteilungen  des  Seitenschiffs  ein  abweichend  ge- 
staltetes, meist  höher  ansetzendes  Gewölbe,  wodurch  dann  wohl  eine 
Art  von  Querschiff  entstand,  jedoch  immer  unter  Vermeidung  seit- 
lichen Vorspringens  (Taf.  156,  Fig.  5,  Taf.  157,  Fig.  4,  6,  7). 

Bedeutendere  Abweichungen    von   dieser   einförmigen  Durch- 
schnittsgestalt weisen  immer  auf  fremde  Anregung. 

In  der  Kathedrale  von  Piacenza  (Taf.  156)  ist  die  zu  Pisa  etwas 
unüberlegt  nachgeahmt;  welche  Schwierigkeiten  daraus  für  das  Gewölbe- 
system erwuchsen,  wurde  oben  ausgeführt.  Die  Kreuzarme  der  Kathe- 
drale von  Cremona  (Taf.  157)  dagegen  sind  ein  unorganisches  An- 
hängsel, mehr  als  hundert  Jahre  jünger  als  das  Langhaus.  Nachahmung 
des  Pisaner  Domes  will  man  gewöhnlich  auch  in  Parma  (Taf.  156) 
erkennen.  Durchaus  ein  Irrtum.  Schon  wegen  der  Chronologie :  Chor 
und  Querhaus  zu  Parma  sehr  wahrscheinlich  von  1058,  Pisa  1063.  Das 
einzige  Motiv,  worin  Aehnlichkeit  besteht,  die  Apsiden  an  den  Stirn- 
seiten des  Querhauses,  ist  keineswegs  allein  oder  auch  nur  zuerst  in 
Pisa  vorgebildet.  Die  strenge  Quadrateinteilung  im  Chor  und  Querhaus 
des  Domes  von  Parma  ist  ein  der  italienischen  Baukunst  bis  dahin  fremd 
gebliebener  Formgedanke,  er  weist  sehr  entschieden  auf  Deutschland 
hin,  ja  noch  bestimmter:  die  hohe  Treppe  hinaufschreitend  und  in 
diesen  Räumen  sich  umschauend,  wird  man  unwillkürlich  und  stark 
an  den  Dom  von  Speier  erinnert.  Der  Erbauer,  Bischof  Cadalus,  war 
einer  der  treuesten  Anhänger  und  Ratgeber  der  Kaiser  Heinrich  III.  und 
Heinrich  IV.;  im  Jahre  1061  wurde  er  auf  der  Synode  von  Basel  unter 
dem  Namen  Honorius  II.  zum  Gegenpapst  ausgerufen ;  dass  er  in  dieser 
Form,  durch  Nachahmung  der  Lieblingsschöpfung  des  salischen  Kaiser- 
hauses, diesem  seine  Huldigung  dargebracht  habe,  ist  unter  solchen  Um- 
ständen ganz  begreiflich.  —  Beim  Dom  von  Trient  (Taf.  156),  dem 
einzigen,  der  sonst  noch  dies  deutsche  Motiv  kennt,  mag  man  zweifeln, 
ob  es  direkt  aus  Deutschland  oder  nicht  eher  von  Parma  herstammt. 

Als  auffallend  muss  man  bezeichnen,  dass  trotz  früher  und  leb- 
hafter Beziehung  der  Lombardei  zu  Cluny,  cluniacensische  Grundriss- 
motive so  selten  sind.  Am  vollständigsten,  im  Chor  wie  in  der  von 
zwei  Türmen  flankierten  Vorhalle,  treten  sie  in  S.  Jacopo  zu  Como 
(Taf.  66)  auf;  rudimentär  in  S.  Abbondio  ebenda  (Taf.  66)  und  in 
S.  Michele  zu  Pavia  (Taf.  156).   Der  Grundriss  der  Cluniacenserkirche 


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Elftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Oberitalien  und  den  Alpenländern. 


zu  Vertemate  (Taf.  66)  ist,  gewiss  nicht  zufällig,  fast  identisch  mit 
dem  von  Stfmur-en-Brionnois  (Taf.  121).  Cluniacensische  Vorhallen: 
S.  Abbondio  in  Como,  Badia  in  Sesto  Calende,  S.  Lorenzo  in  Chia- 
venna,  S.  Pietro  in  Pavia  (beabsichtigt,  aber  nicht  ausgeführt).  Nach- 
richten über  die  übrigen  Cluniacenserkirchen  Italiens  fehlen. 


Beschreibung  der  Tafeln. 

_  .  ,      „  Grundrisse. 
Tafel  156. 

1.  Pavia:  S.  Miehele.  —  Um  a.  1100.  —  De  Dartein. 

2.  Parma:  Kathedrale.  —  Chor  und  QuerschifT  nach  1058,  Langhaus 
nach  1 1 1 7.  —  De  Dartein. 

3.  Trient:  Dom.  —  Beg.  1212.  —  Oesterr.  Kunstdenkmale  I. 

4.  Padua:  Sta.  Sofia.  —  Langhaus  nach  a.  1100,  der  äussere  Halb- 
kreis des  Chors  älter  (?  saec.  6).  —  De  Dartein. 

5.  Pavia:  S.  Giovanni  in  Borgo.  —  saec.  12,  erste  Hälfte.  —  De 
Dartein. 

6.  Piacenza:  Kathedrale.  —  Beg.  1122.  —  Osten. 

7.  Zürich:  Grossmünster.  —  1 104— 1289.  —  Mitth.  der  antiquar. 
Ges.  zu  Zürich,  Bd.  I. 

8.  *Basel:  Münster.  —  Beg.  1185.  —  Kantonsbaumeister  Reese  in 
Basel. 

Tafel  157. 

1.  Casale  Monferrato:  S.  Evasio.  —  Osten. 

2.  Cremona:  Kathedrale.  —  Langhaus  saec.  12,  Querhaus  saec. 13.  — 
Oesterr.  Kunstdenkmale. 

3.  Bologna:  S.  Pietro  e  Paolo.  —  Osten. 

4.  *  Mader  no.  —  saec.  12.  —  Bezold. 

5.  * Altenstadt:  S.  Michael.  —  saec.  12 — 13.  —  Volk. 

6.  Pavia:  S.  Theodoro.  —  saec.  12.  —  De  Dartein. 

7.  Pavia:  S.  Pietro  in  ciel (foro.  —  Vollendet  1132.  —  De  Dartein. 

8.  Chur:  Dom.  —  Chorbau  1178—1208.  —  Mitth.  der  antiquar. 
Ges.  Zürich,  Bd.  XI. 

9.  Inichen:  —  saec.  13.  —  C.-Comm.  Mitth.,  III. 

Tafel  158.  Querschnitte. 

1.  Mailand:  S.  Ambrogio.  —  De  Dartein. 

2.  Pavia:  S.  Miehele.  —  De  Dartein. 

3.  *  Zürich:  Grossmünster.  —  Bezold. 

4.  * Basel:  Münster.  —  Bezold. 


456 


Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


Tafel  159. 

1.  Parma:  Kathedrale.  —  De  Dartein. 

2.  Trient:  Dom.  —  Oesterr.  Kunstdenkmale. 

3.  Bologna:  S.  Pietro  e  Paolo.  —  Osten. 

4.  *  Altenstadt:  S.  Michael.  —  Volk,  Bezold. 

5.  *  Mader  no.  —  Bezold. 

Tafel  160. 

1.  Pavia:  S.  Pietro  in  ciel  doro.  —  De  Dartein. 

2.  Pavia:  S.  Theodor o.  —  De  Dartein. 

3.  Chiaravalie  bei  Mailand.  —  saec.  12,  2.  Hälfte.  —  Gruner. 

4.  Trau:  Dom.  —  Nach  1185.  —  Jahrb.  C.-Comm.,  V. 

_         ,  Systeme. 
Tafel  161. 

1.  Mailand:  S.  Ambrogio.  —  De  Dartein. 

2.  Pavia:  S.  Michele.  —  De  Dartein. 

3.  *  Zürich:  Grossmnnster.  —  Bezold. 

4.  Chiaravalie.  —  Gruner. 

5.  * Basel:  Munster.  —  Bezold. 

Tafel  162. 

1.  *Borgo  S.  Donnino.  —  saec.  12  —  13.  —  Bezold. 

2.  Parma:  Kathedrale.  —  Osten. 

3.  *Modena:  Kathedrale  (vor  der  Restauration).  —  saec.  12.  —  Be- 
zold. 

4.  Bologna:  S.  Pietro  e  Paolo.  —  Osten. 

5.  Cremona:  Kathedrale.  —  Oesterr.  Kunstdenkmale. 

6.  *Piacenza:  Kathedrale  (Langhaus),  Skizze,  bei  welcher  die  Höhen 
nicht  gemessen  sind.  —  saec.  12  11.  13.  —  Bezold. 

7.  Piacenza:  Kathedrale  (Querhaus).  —  Osten. 

Tafel  163. 

1.  *Maderno.  —  Bezold. 

2.  Inichen.  —  Mitth.  d.  C.-Comm.,  III. 

3.  Pavia:  S.  Pietro  in  ciel  doro.  —  De  Dartein. 

4.  Trient:  Dom.  —  Oesterr.  Kunstdenkmale. 

5.  • Altenstädt:  S.  Michael.  —  Bezold. 

Tafel  163.. 

1,  2.  * Piacenza:  S.  Savino.  —  saec.  12.  Ende.  —  Bezold. 
3,  4.  *  Klosterneuburg.  —  1106— 1 176.  —  Frhr.  v.  Schmidt. 
5,  6.  *Reiihcnhall:  Pfarrkirche.  —  Beg.  1 181.  —  Bezold. 


Zwölftes  Kapitel. 

Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 

Litteratur:  siehe  Kap.  2. 

I.  Gewölbte  Kleinarchitektur. 

Soviel  Jahrhunderte  das  hohe  Mittelalter  von  jener  Zeit  trennten, 
da  der  römische  Grenzwall  Germanien  in  ein  beherrschtes  und  ein  freies 
geschieden  hatte :  der  längst  gebrochene  und  überstiegene  blieb  als  un- 
sichtbare Teilungslinie  der  Kultur  doch  fort  und  fort  bestehen.  Auch 
im  Bauwesen  erkennt  man  sie  alsbald.  Am  deutlichsten  an  dem  grund- 
verschiedenen Verhalten  zur  Steinkonstruktion.  Im  Norden  und  Osten 
bekundet  sich  der  Steinbau  bis  ins  hohe  Mittelalter  deutlich  als  ein 
Stück  Kolonistenkultur;  er  gedeiht  allein  im  Schutze  der  Kirche  und 
unter  steter  Zuhilfenahme  fremder  Baukräfte;  er  beschränkt  sich  auf 
das  notwendigste.  Fehlte  es  dem  Sachsenvolke  nicht  an  kunstschöpfe- 
rischer Kraft  überhaupt,  ja  besass  es  davon  ein  so  reichliches  Teil, 
dass  es  der  Flachdeckbasilika  die  edelste,  die  für  den  deutschen 
Baugeist  klassische  Ausprägung  zu  geben  verstand:  die  Wiege  der 
Gewölbebasilika  konnte  allein  im  Rheinlande  stehen.  Nur  hier 
und  etwa  noch  in  einigen  alten  Donaustädten  war  der  Steinbau  boden- 
heimisch und  aus  eigenem  Samen  sich  fortpflanzend.  Gewölbtes 
Deckenwerk  wird  von  der  Karolingerzeit  ab  ununterbrochen,  zwar 
nach  Verwendung  und  Grössenmass  beschränkt  nur,  aber  innerhalb 
dieser  Grenzen  nicht  seltener  und  kaum  schlechter  als  etwa  in  Nord- 
frankreich oder  Oberitalien  zur  Ausführung  gebracht.  Doch  schon  vor 
Mitte  des  1 1 .  Jahrhunderts  zeigen  die  zentral  disponierten  Kirchen  zu 
Ottmarsheim  und  S.  Maria  im  Kapitol  zu  Köln,  dass  die  VVölbekunst, 

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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


wenn  auch  noch  nicht  neue  Kombinationen  ersinnen ,  so  doch  im 
Anschluss  an  überlieferte  Muster  bedeutende  Aufgaben  technisch  be- 
wältigen konnte.  Um  dieselbe  Zeit  wurde  auch  bei  Basilikalkirchen 
die  vereinzelt  wohl  schon  früher  geübte  Einwölbung  der  Seitenschiffe 
häufiger.  Kam  dann  endlich  am  Schlüsse  des  Jahrhunderts  die 
schwierigste  Aufgabe,  die  Wölbung  des  Hauptschiffs,  in  Angriff,  so 
durften  sich  die  Deutschen  aus  eigenen  Kräften  daran  wagen,  nicht  als 
Schüler  ihrer  westlichen  oder  südlichen  Nachbarn,  sondern  mit  diesen 
in  gleicher  Linie  als  Erben  römischer  Ueberlieferung. 

Bei  weitem  den  am  häufigsten  wiederkehrenden  Anlass  zur  Aus 
führung  gewölbten  Deckenwerkes  geben  in  der  frühromanischen  Epoche 
die  KRYPTEN.    Ihr  Normaltypus  zeigt  sich  schon  im  10  Jahrhundert 
festgestellt  (S.  184).    Fortentwicklung  fand  nur  in  dem  Sinne  statt, 
dass  die  Grundfläche  sich  vergrösserte  (in  der  grössten  Krypta  Deutsch- 
lands, beim  Dom  zu  Speier,  bis  auf  ca.  827  qm).  Vermehrte  Schwierig- 
keiten erwuchsen  daraus  nicht,  da  man  nur  die  Zahl  der  Gewölbefelder, 
nicht  deren  Abmessungen  erhöhte.  Je  nach  Bedürfnis  wurde  die  Breite 
des  Chorquadrates  in  der  Oberkirche  hier  unten  in  drei,  vier  oder 
selbst  fünf  Schiffe  zerlegt.   Gerade  der  spätere  Romanismus  fand  hier 
an  der  Schaffung  eines  dichten  Säulenwaldes  ein  phantastisches  Wohl- 
gefallen. Räume,  wie  die  Krypta  zu  Freising  (Taf.  170)  oder  gar  die 
>hundertsäulige«   zu  Gurk  (Taf.  50)  gemahnen  im  kleinen  an  die 
Moscheen  des  Orients  und  könnten  wirklich,  wie  manche  andere  bau- 
liche Einzelheiten  des  Spätromanismus,  Kreuzfahrererinnerung  sein.  — 
Das  Tonnengewölbe,  welches  die  Frühzeit  noch  kannte,  verschwindet 
bald  und  es  regiert  allein  das,  fast  immer  streng  quadratische,  Kreuz- 
gewölbe; seit  dem  11.  Jahrhundert  (Limburg,  Kapitolskirche  in  Köln) 
öfters,  doch  keineswegs  in  der  Regel,  mit  Begrenzung  der  Felder 
durch  breite,  vorspringende  Gurten.  —  Die  in  allen  Schiffen  der  Krypta 
gleiche  Höhe  der  Gewölbe  liess  Schwierigkeiten  der  Widerlagerung 
nicht  aufkommen.    Nur  scheinbar  deutet  auf  solche  die  den  Römern 
nachgeahmte  Nischengliederung  der  Wände  (Taf.  170,  Fig.  1,  2,  11,  12); 
dass  an  die  ursprüngliche  struktive  Bedeutung  dieses  Motivcs  nicht 
gedacht  wurde,  beweist  sein  frühes  und  folgeloses  Verschwinden  (um 
Mitte  sacc.  11).  Andererseits  wird  dies  Nischenwerk  auch  von  den  Ba- 
siliken zur  Gliederung  der  Seitenschiffswände  aufgenommen:  mit  halb- 
kreisförmigem Grundriss  im  Münster  zu  Essen,  in  der  Luciuskirche  zu 
Werden  '),  mit  segmentförmigem  in  S.  Kastor  zu  Koblenz. 

Die  Bauerscheinung  der  Krypta  beherrschte  so  sehr  die  Vorstellung, 
dass  auch  alle  über  der  Erde  mit  gewölbtem  Deckenwerk  ausgeführten 

')  Mitteilung  von  Herrn  G.  Humann. 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Guwölbebau  in  Deutschland. 


459 


Bauteile  oder  selbständigen  Bauten  (sofern  sie  nicht  solchen  Gattungen 
angehörten,  für  welche  nach  feststehendem  Herkommen  zentrale  An- 
ordnung gefordert  war,  wie  z.  B.  für  die  Taufkapellen),  einfach  dem 
Typus  der  Krypten  folgten.  Es  sind  deshalb  die  ältesten  Gewölbe- 
kirchen  Deutschlands  Hallenkirchen.  Doch  mochte  am  meisten  das 
fremdartige  dieser  Form  dahin  wirken,  dass  man  sie  nur  für  kleine 
kapellenartige  Gebäude  zuliess.  —  Unter  den  wenigen  erhaltenen 
Stücken  dieser  Art  das  älteste  ist  das  Erdgeschoss  des  zweistöckigen 
Westchors  der  Abteikirche  zu  Cürvei  (Taf.  170,  Fig.  7,  8);  vermutlich 
ein  Werk  des  Abtes  Thankmar  (f  1001);  die  vier  (verkürzten)  Mittel- 
säulen aus  dem  Bau  des  9.  Jahrhunderts  herübergenommen.  Der  fünf- 
schiffig  geteilte  Raum  gleicht  durchaus  einer  gewöhnlichen  Krypta, 
ausser  in  der  etwas  grösseren  relativen  Höhe ;  der  Oberchor  war  flach 
gedeckt  (vgl.  Nordhoff:  Corvei  und  die  westfälisch-sächsische  Früh- 
architektur, im  Repertorium  f.  Kunstwissenschaft  1888,  S.  147—165).  — 
Schon  eine  vollkommene  und  selbständige  Hallenkirche  ist  die  Bar- 
tholomäuskapelle in  Paderborn,  erbaut  a.  1017  (Taf.  170,  Fig.  5,  6); 
Kuppelgewölbe,  welche  durch  in  Stuck  ausgeführte  Gratansätze  Kreuz- 
gewölbe imitieren;  wahrscheinlich  gewählt,  weil  man  wegen  der 
oblongen  Grundform  wirkliche  Kreuzkappen  für  unausführbar  hielt. 
In  der  rätselhaften  Nachricht  des  Chronisten,  die  Kapelle  sei  per  grac- 
cos  operarios  erbaut,  dürfte  graecos  Corruptel  sein  (etwa  für  gnaros}). 
—  Die  Stephanskapelle,  der  sog.  »alte  Dome,  in  Regensburg  (Fig.  3, 
4)  und  die  Liudgerikapelle  in  Helmstadt  (Fig.  9,  10)  bilden  einschif- 
fige Rechtecke,  aber  das  Nischenwerk  der  Wände  zeigt  deutlich  den 
Zusammenhang  mit  den  Krypten  an  ebendenselben  Orten  (Fig.  2,  11). 

SCHLOSSKAPELLEN.  Der  ältere,  von  dem  Zentralbau  in  Aachen 
abstammende  Typus  (S.  155)  weicht  im  Laufe  des  11.  Jahrhunderts 
einem  anderen,  der  seine  abschliessende  Ausgestaltung  in  den  sog. 
»Doppelkapellen«  findet.  Die  gemeiniglich  behauptete  Entwicklung 
des  letzteren  Typus  aus  dem  ersteren  (so  noch  S.  155)  will  uns  bei 
näherer  Betrachtung  wenig  einleuchten.  Vielmehr  sind  Grundriss  und 
System  der  Doppelkapellen  durchaus  nach  Analogie  der  Krypten  be- 
handelt (Fig.  15,  16,  19,  21);  der  Grund  für  die  zweigeschossige  Tei- 
lung ist  der,  dass  diese  Kapellen  nicht  isoliert  standen,  sondern  dem 
Hauptbau  eingegliedert  wurden.  Da  nun  die  herrschaftlichen  Wohn- 
räume nicht  zu  ebener  Erde,  sondern  im  zweiten  Geschoss  sich  be- 
fanden, so  musste  die  Kapelle  in  die  gleiche  F'lächenhöhe  mit  diesen 
kommen.  Zuweilen  legte  man  sie  in  die  Türme  unmittelbar  über  der 
Torhalle  (Gelnhausen,  Trifels,  Münzenberg  u.  s.  w.).  Viel  gewöhnlicher 
war  aber,  dass  der  unter  dem  Oratorium  befindliche  Raum  des  Erd- 
geschosses zur  Gruft  eingerichtet  wurde,  wobei  häufig,  doch  keineswegs 


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Zweites  Buch  :  Der  romanische  Stil. 


immer,  eine  Oeffnung  in  der  Zwischendecke  beide  Raumteile  verband 
(Fig.  19,  21).  Die  Spätzeit  Hess  das  Hauptgeschoss  gern  in  konzen- 
trierter Pracht  erglänzen,  wofür  Freiburg  a.  d.  Unstrut  und  Land- 
herg  a.  d.  Saale  die  bekanntesten  Beispiele  sind.  Doppelkapellen 
kamen  auch  bei  Bischofspalästen  und  selbst  bei  Klöstern  vor.  So 
die  Gothardskapelle  {Capella  curtis)  an  der  Nordseite  des  Domes  zu 
Mainz;  im  Untergeschoss  wurde  der  Erbauer,  Erzbischof  Adelbert 
(I  a.  1 1 37)  begraben  (Fig.  14 — 16).  Ferner:  Liudgerikapelle  beim 
Kloster  zu  Helmstedt  (Fig.  9,  10);  Obergeschoss  2.  Hälfte  saec.  11, 
Untergeschoss  älter.  Abweichend  durch  das  basilikale  Obergeschoss 
beim  Kloster  S.  Peter  und  Paul  zu  Neuweiler  (Fig.  17),  aus  2.  Hälfte 
saec.  11.  —  Litteratur  und  Einzelheiten  bei  Otte,  Handbuch  5  I,  25 — 28. 

2.  Die  ersten  Gewölbebasiiiken. 

Die  im  vorigen  Abschnitt  betrachteten  Verwendungen  des  Ge- 
wölbes für  sekundäre  Zwecke  können  als  Vorbereitung  auf  die  Gewölbe- 
basilika nur  in  beschränktem  Sinne  gelten,  ja  es  scheint,  dass  zwischen 
jenen  und  diesen  mittlere  Stufen  überhaupt  nicht  vorhanden  gewesen 
sind.  Die  Gewölbebasilika  tritt  ganz  plötzlich  und  sogleich  in  den 
grössten  Dimensionen  hervor;  die  Erstlinge  des  neuen  Baugeschlechtes, 
die  Dome  von  Speier  und  Mainz,  sind  in  Gewaltigkeit  der  Raumver- 
hältnisse in  der  deutsch-romanischen  Baukunst  nicht  wieder  erreicht. 
Diese  merkwürdige  Erscheinung  zu  erklären,  reichen  innere  Motive  der 
kunstgeschichtlichen  Entwicklung  als  solcher  nicht  aus;  allgemeinere 
geschichtliche  Kräfte  müssen  hier  den  Hebel  angesetzt  haben. 

In  der  unendlich  vielgliedrigen  Bewegung  der  romanischen  Archi- 
tektur bildet  das  Problem  der  Gewölbebasilika  ohne  Frage  die  stärkste 
Componente.  Es  sind  die  Anwohner  der  drei  grossen  von  den  Alpen 
ausstrahlenden  Ströme  Mitteleuropas,  der  Rhone,  des  Po,  des  Rheins, 
die  sich  in  das  Verdienst  der  Lösung  teilen.  Nach  mannigfachen 
unzulänglichen  Vorversuchen  liefern  zuerst  die  Burgunder  in  der  im 
Jahre  1088  begonnenen,  im  Jahre  1095  in  ihren  östlichen  Teilen  voll- 
endeten und  geweihten  neuen  Kirche  zu  Cluny  den  Beweis,  dass  eine 
Gewölbebasilika  grössten  Masses  zu  den  möglichen  Dingen  gehöre.  Um 
dieselbe  Zeit  oder  nur  ganz  wenig  später  wird  von  den  Lombarden 
der  wichtige  Schritt  ausgeführt,  der  von  S.  Ambrogio  in  Mailand  zu 
S.  Michele  in  Pavia  fuhrt.  Und  parallel  mit  diesen  geschieht  die  Ein- 
wölbung  der  Dome  von  Speier  und  Mainz. 

Jede  dieser  Schulen  findet  die  Lösung  selbständig  und  anders. 
Und  dennoch  bei  allen  drei  die  überraschende  Gleichzeitigkeit  im 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 


Eintritt  der  langbegehrten  Entscheidung!  Unmöglich  kann  sie  eine 
zufällige  sein,  notwendig  niuss  ihr  ein  Gemeinsames  zu  Grunde  liegen, 
welches  wir  aber  nicht  in  besonderen  Schulbeziehungen  der  Bauleute, 
sondern  in  gleichartigen  Grundbedingungen  des  allgemeinen  Wollens 
und  Fühlens  zu  suchen  haben. 

Gewiss  war  es  nicht  gleichgültig,  dass  der  Wendepunkt  im 
Kirchenbauwesen ,  von  dem  wir  sprechen,  mit  einer  grossen  Krisis 
der  Weltgeschichte  zusammenfiel.  Der  Entschluss,  von  der  flach- 
gedeckten  zur  gewölbten  Basilika  überzugehen,  ist  das  baukünstlerische 
Bekenntnis  jener  Generation,  müssen  wir  uns  erinnern,  welcher  den 
Siegeskampf  der  geistlichen  gegen  die  weltliche  Gewalt  in  tieferregter 
Mitleidenschaft  durchlebte,  welche  zu  der  neuen  Völkerwanderung 
ans  heilige  Grab  sich  aufmachte.  Die  Machtfülle  der  Kirche  erfuhr 
eine  Steigerung,  wie  noch  nie  zuvor,  —  real,  und  noch  höher 
in  der  Vorstellung  der  Völker.  Wie  sollte  dies  nicht  als  mächtiger 
Impuls  auf  den  kirchlichen  Denkmalbau  einwirken?  Wir  haben  ihn 
schon  in  der  Geschichte  der  west-  und  süd französischen  Architektur 
vor  und  mit  dem  ersten  Kreuzzug  eintreten  sehen  (S.  253,  344);  am 
wenigsten  die  zentraleuropäischen  Gebiete  konnten  sich  ihm  entziehen. 

Eine  derartige  Bewegung,  so  weit  und  breit  der  Boden  für  sie 
vorbereitet  ist,  muss  aber  notwendig  an  einem  bestimmten  Orte  zuerst 
hervortreten.  Und  wir  glauben  diesmal  den  Finger  auf  ihn  legen  zu 
können:  kein  anderer  kann  es  gewesen  sein  alsCluny.  Der  chrono- 
logische Vorsprung  Clunys,  ob  er  auch  nur  kurz  ist,  ist  gesichert. 
Und  dass  eben  von  hier  der  entscheidende  Anstoss  kommen  musste, 
war  durch  die  ganze  Weltlage  gleichsam  vorherbestimmt.  Man  weiss, 
wie  dieses  burgundische  Kloster,  das  sich  das  zweite  Rom  nannte, 
viel  mehr  als  Rom  das  wahre  Herz  der  grossen,  damals  auf  der  Höhe 
des  Triumphes  anlangenden  Kirchenreform  war.  Hundertc  und  hunderte 
vornehmer  Kleriker  und  Laien  von  fern  und  nah  gingen  hier  aus  und 
ein.  Was  in  Cluny  geschah,  geschah  vor  den  Augen  der  ganzen 
Welt.  Es  bedarf  keines  speciellen  Nachweises,  dass  die  Erbauer  der 
grossen  rheinischen  Gewölbedome  von  dem  Neubau  in  Cluny  Kunde 
hatten,  und  wir  möchten  glauben,  dass  sie  ohne  diesen  Vorgang  den 
Mut  zu  ihrem  eigenen  Werk  nicht  gefunden  hätten.  Aber  es  war 
nur  ein  allgemeiner,  moralischer  Ansporn :  die  technischen  grossen 
Fragen  lösten  die  Deutschen  in  vollkommener  Selbständigkeit.  Nicht 
nur  gegenüber  Burgund,  wo  dies  ohne  weiteres  ersichtlich  ist,  sondern 
auch,  wo  mit  Unrecht  das  Gegenteil  häufig  behauptet  wird,  gegen- 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


über  der  Lombardei.  Der  rheinische  Gewölbebau  teilt  mit  dem  lom- 
bardischen, dass  er  sich  ausschliesslich  auf  der  Grundlage  des  Kreuz- 
gewölbes bewegt,  und  hieraus  entwickeln  sich  gewisse  Aehnlichkeiten. 
Jedoch  erst  mit  der  Zeit;  gerade  in  den  Anfangen,  in  den  vor  a.  1 100 
begonnenen  Bauten,  werden  hüben  und  drüben  gründlich  verschiedene 
Konstruktionsgedanken  verfolgt.  Es  genügt,  anstatt  aller  Erörterungen, 
den  Domen  von  Mainz  und  Speier,  S.  Ambrogio  in  Mailand  und 
S.  Michele  in  Pavia  gegenüberzustellen. 

Keine  Hindeutung,  wie  gesagt,  liegt  vor,  dass  den  Domen  von 
Speier  und  Mainz  ältere  Gewölbebasiliken,  am  wenigsten  solche  von 
irgend  ansehnlichen  Dimensionen,  vorausgegangen  wären.    Von  jener 
schwerfälligen  Vorsorglichkeit  der  Lombarden,  welche  die  hochliegen- 
den Teile  des  Mittelschiffs  nur  nach  und  nach  sich  freier  entwickeln 
liess  und  nicht  früher,  als  bis  für  einen  umständlichen  Strebeapparat 
gesorgt  war,  war  hier  nicht  die  Rede;  man  legte  die  Mittelschiffs- 
gewölbe  nicht  anders  an,  als  man  es  bei  denen  der  Seitenschiffe 
schon  gewohnt  war,  und  vertraute  im  übrigen  auf  die  Widerstands- 
kraft der  in  grosser  Mächtigkeit  ausgeführten  Mauern  und  Pfeiler. 
Es  liegt  eine  naive  Unerschrockenheit  hierin,  die  ohne  Verzug,  dass 
wir  so  sagen,  den  Stier  bei  den  Hörnern  fasst.    Nur  ein  an  das 
ausserordentliche  gewöhnter,  persönlicher  Wille,  ahnen  wir,  kann  diese 
beiden  frühesten  Gewölbebasiliken  ins  Dasein  gerufen  haben.  Und 
jetzt,  wo  ihre  Geschichte  sich  aufzuhellen  beginnt,  wissen  wir  auch, 
dass  es  bei  beiden  der  Wille  eines  und  desselben  hochgesinnten  und 
geistreichen  Mannes  war:  Kaiser  Heinrichs  IV.    Deutschland  besitzt 
kein  Denkmal  von  höherer  geschichtlicher  Weihe,  als  dies  rheinische 
Geschwisterpaar,  mag  man   sie  nun  vom  besonderen  kunstgeschicht- 
lichen Standpunkte  betrachten,  mag  man  Zeit  und  Personen  bedenken, 
die  an  ihnen  schufen. 

DOM  ZU  SPEIER  (Taf.  48,  171,  173,  188).  Die  bisherigen  viel- 
fach kontroversen  Verhandlungen  über  die  Baugeschichte  sind  am  be- 
quemsten bei  Otte,  Geschichte  der  romanischen  Baukunst  S.  222 — 27, 
335 — 38  "nd  Schnaase  IV,  S.  377 — 83  nachzulesen.  In  den  letzten 
Jahren  hat  Herr  Wilhelm  Meyer  eine  eindringende  bautechnische 
und  geschichtliche  Untersuchung  vorgenommen,  deren  in  kurzer  Ueber- 
sicht  uns  gütigst  mitgeteilte  (noch  nicht  veröffentlichte)  Resultate  dem 
Folgenden  zu  Gründe  gelegt  sind. 

I.  Periode:  Beginn  durch  Kaiser  Konrad  II.  c.  a.  1030,  Abschluss 
durch  Kaiser  Heinrich  III.  c.  a.  1060.    Das  Mittelschiff  sicher  flach 


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Zwölftes  Kapitel :  Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 


gedeckt;  die  Seitenschiffe  in  gleicher  Weise  beabsichtigt,  aber  vielleicht 
noch  während  des  Baues  eingewölbt. 

II.  Periode:  Umfassender,  einem  Neubau  nahekommender  Umbau 
durch  Kaiser  Heinrich  IV.,  begonnen  c.  a.  1080,  vollendet  c.  a.  1100. 
Den  ersten  Anstoss  gab  die  Senkung  des  vom  Rheinstrom  unterspülten 
Chores;  die  Schutzarbeiten  wurden  dem  Bischof  Benno  von  Osnabrück, 
dem  berühmtesten  Bautechniker  seiner  Zeit  unterstellt.  Im  Jahre  1097 
erhielt  die  Oberleitung  der  kaiserliche  Kanzler  Otto;  von  ihm  scheint 
die  Erneuerung  des  Langhausoberbaues  herzurühren.  Das  Jahr  der 
Weihe  ist  nicht  überliefert,  aber  wir  dürfen  mit  Sicherheit  Otto  (der 
a.  11 03  den  bischöflichen  Stuhl  von  Bamberg  bestieg)  und  Kaiser 
Heinrich  IV.  (f  11 06)  als  Vollender  betrachten.  Der  Dom  stand  jetzt 
als  ein  vollständig  verwandelter,  in  allen  Teilen  gewölbter  da.  Was 
hat,  fragen  wir,  Heinrich  IV.  bewogen,  das  Werk  des  Grossvaters  und 
Vaters,  ein  Menschenalter  kaum  nach  seiner  Vollendung,  so  durch- 
greifend umzugestalten,  dass  es  so  gut  wie  ein  neues  wurde?  Praktische 
Gründe  allein  gewiss  nicht;  die  Gefährdung  durch  den  Strom  betraf 
nur  die  Ostpartie;  von  Beschädigung  des  Langhauses,  etwa  durch  Feuer, 
wird  nichts  bekannt;  wir  werden  also  kaum  fehlgehen,  wenn  wir  als 
entscheidenden  Beweggrund  den  ästhetischen  annehmen.  Heinrich  be- 
schloss  den  Gewölbebau,  als  den  höchsten  Ausdruck  des  Monumentalen, 
und  der  Gedanke  ist  verlockend,  dass  er  damit  gleichsam  ein  Trutz- 
Cluny  habe  hinstellen  wollen.  Welchen  Eindruck  er  mit  seinem  Werke 
in  der  That  hervorrief,  bezeugen  die  bewundernden  Stimmen  der  in 
dergleichen  Dinge  sonst  so  schweigsamen  Chronisten. 

In  den  Bau  Heinrichs  IV.  war  von  dem  der  ersten  Periode  ausser 
der  Grtindrissdisposition  kaum  viel  mehr  als  Teile  der  seitlichen  Um- 
fassungsmauern und  vielleicht,  nicht  sicher,  die  Krypta  herübergenommen. 
Vom  jetzigen  Bestände  gehört  Heinrich  IV.  folgendes:  die  Gewölbe- 
träger und  Gewölbe  der  Seitenschiffe  (soweit  nicht  im  18.  saec.  er- 
neuert); die  Mittclschiffspfeiler  ausschliesslich  der  Verstärkungen  der 
jetzigen  Hauptpfeiler;  die  Hochwände  des  Mittelschiffs  bis  zum  Lauf- 
gang; der  östliche  Kuppelturm  bis  zur  gleichen  Höhe;  geringe  Reste 
des  Querhauses  und  Chorquadrates. 

III.  Periode:  Weitere  Senkungen  in  der  Ostpartie,  unzulängliche 
Bildung  der  Gewölbe  im  Hauptschiff  und  in  letzter  Linie  Brandschäden 
(vermutlich  a.  1159)  machten  einen  zweiten,  in  der  Hauptsache  c.  a. 
1200  abschliessenden  Umbau  nötig.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
hatten  im  Bau  der  2.  Periode  alle  Pfeiler  gleiche  Stärke  und  Gestalt; 
der  neuerliche  Umbau  nun  verstärkte  die  den  Hauptschiffgewölben 
entsprechenden  Pfeiler  durch  doppelte  Vorlagen,  während  die  bloss 
für  die  Seitenschiffsgewölbe  in  Betracht  kommenden  Zwischenpfeiler 
ihre  schwächere  alte  Gestalt  behielten.    Ferner  können  die  Gewölbe 


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Zweites  Huch :  Der  romanische  Stil. 


Heinrichs  IV.  nur  geringen  oder  gar  keinen  Stich  gehabt  haben;  jetzt 
bildete  man  an  Stelle  der  flachelleptischen,  halbkreisförmige  Diagonal- 
gräte, wodurch  wieder  Erhöhung  der  Sargwände  nötig  ward;  man 
löste  sie,  teils  zur  Belebung  der  Aussenansicht  willen,  teils  zur  Er- 
leichterung der  Mauerlast  in  einen  Laufgang  auf.  Fast  ganz  erneuert, 
wenn  auch  wohl  ziemlich  genau  nach  dem  alten  Raumbilde,  wurde 
der  Quer-  und  Chorbau;  neu  dürfte  nur  die  reichliche  Fensterdurch- 
brechung der  Apsis  sein.  Ferner  ist  ein  neu  hinzutretendes  Motiv  die 
quere  Ueberhöhung  der  Vorhalle  und  deren  Ausstattung  mit  Zentral  - 
und  Flankentürmen,  entsprechend  den  älteren  des  Ostbaues. 

Im  weiteren  Verlaufe  des  Mittelalters  scheinen  tiefer  eingreifende 
Arbeiten  nicht  mehr  vorgenommen  zu  sein.  Aus  der  Neuzeit  notieren 
wir:  a.  1689  Sprengungsversuch  durch  die  Truppen  Ludwigs  XIV., 
wegen  zu  schwacher  Ladung  der  Mine  nur  halb  geglückt;  bei  der 
Okkupation  durch  die  französische  Revolutionsarmee  erneuerter  Befehl 
zur  Zerstörung  nach  dem  Muster  von  S.  Martin  in  Tours,  S.  Gilles« 
Cluny  u.  s.  w.;  durch  Napoleon  sistiert.  Restaurationen  von  1772 — 84, 
und  1820—58,  zuletzt  unter  der  unglücklichen  Hand  Heinrich  Hubschs. 

DOM  ZU  MAINZ  (Taf.  164,  173,  174,  179,  188).  Die  lange  Zeit 
schwankende  Forschung  über  seine  Geschichte  ist  durch  die  Mono- 
graphie Fr.  Schneiders  (Berlin  1886),  die  beste,  die  wir  über  ein 
deutsches  Denkmal  besitzen,  zum  Abschluss  gebracht.  —  I.  Periode: 
Flachdcckbasilika  a.  778—1056,  vgl.  S.  177.  —  II.  Periode:  Brand 
a.  10S1;  Wiederaufbau  etwa  seit  dem  letzten  Dezennium  des  Jahrhunderts 
mit  Hilfe  des  dem  Klerus  und  der  Bürgerschaft  um  ihrer  Treue  willen 
dankbaren  Kaisers  Heinrich  IV.  Die  unmittelbar  nach  dem  Tode  des 
Kaisers  (a.  1106)  verfasste  Lebensbeschreibung  desselben  (Mon.  Germ. 
SS.  XII,  270)  klagt:  t()  Mainz,  welche  Zierde  hast  du  verloren,  da 
dir  der  kunstreiche  VV  iederher stel ler  deines  Münsters  entrissen 
ist!  Hätte  er  erlebt,  an  dein  Münster,  das  er  begonnen  hatte,  noch 
die  letzte  Hand  zu  legen ,  so  würde  dieses  wahrlich  mit  dem  von 
Speier  wetteifern,  das  er  von  Grund  aus  erneuert,  dessen  Baumassen 
und  Ausschmückung  er  fertig  hingestellt  hat,  so  dass  es  über  alle  Werke 
der  alten  Könige  des  Lobes  und  der  Bewunderung  wert  ist.«  Die 
Vollendung  liess  indes  nicht  mehr  lange  auf  sich  warten;  sie  wurde, 
nach  einem  unanfechtbaren  Zeugnis,  herbeigeführt  durch  Erzbischof 
Adalbert  I.,  also  längstens  bis  a.  1137,  dessen  Todesjahr.  Gründ- 
lichste historische  und  technische  Untersuchungen  haben  gegen  die 
Zweifel  der  älteren  Forscher  jetzt  als  sicher  festgestellt:  dass  der  ganze 
Aufbau  des  Mittelschiffs,  wie  wir  ihn  heute  sehen,  die  Pfeiler  mit  ihren 
Halbsäulen  und  die  Obermauern  mit  ihren  Fenstern  aus  einheitlicher, 
ununterbrochener  Ballführung  hervorgegangen  ist;  dass  er  der  Epoche 


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Zwölftes  Kapitel :  Der  Ciewölbebau  in  Deutschland. 


465 


um  a.  1100  entstammt;  dass  er  Gewölbe,  allerdings  nicht  die  heutigen, 
getragen  hat.  Die  nähere  Beschaffenheit  dieser  Gewölbe  lässt  sich 
nicht  mehr  nachweisen;  jedenfalls  waren  sie  so  wenig  als  die  von  Speier 
befähigt,  starken  Angriffen,  wie  Erdbeben  und  Brände  nach  Mitte  saec.  12, 
sie  herbeiführten,  zu  widerstehen:  sie  wurden  kurz  vor  a.  1200  durch 
die  bis  heute  bestehenden  ersetzt.  Es  sind  nicht  mehr  grätige  Gewölbe, 
wie  noch  die  in  den  60er  Jahren  ausgeführten  zu  Speicr,  sondern  bereits 
Rippengewolbe  mit  leicht  spitzbogigem  Quergurt.  —  III.  Periode:  c. 
a.  1200— 1243,  Hinzufügung  des  westlichen  Querhauses  mit  dem  gran- 
diosen Martinschor;  nach  der  ansprechenden  Vermutung  Schneiders 
an  Stelle  der  uralten  Martinskirche,  des  ältesten  Domes. 

Die  Dome  von  Mainz  und  Speier  stehen  sich  in  ihrer  gewölb- 
mässigen  Umgestaltung  nach  Zeit  und  Umständen  so  nahe,  dass  man 
sie  als  Zwillingsgeburt  ansehen  darf.  Der  Speierer  kann  noch  nicht 
vollendet  gewesen  sein,  als  der  gemeinsame  kaiserliche  Bauherr  den 
Mainzer  in  Angriff  nehmen  hiess.  Der  allgemeine  Baugedanke  ist  bei 
beiden  derselbe;  beide  zeigen  auch,  dass  das  kühne  Wollen  dem  Wissen 
vorausgeeilt  war.  Kür  die  Widerlagerung  der  voraussetzlich  sehr  schwer 
konstruierten  Gewölbe  hatte  man  kein  anderes  Mittel  bereit  als  ge- 
waltige Dicke  (2  m)  der  Mauern,  welche  wieder  die  Pfeiler  stark  be- 
lasteten und  sie  unverhältnismässig  dicht  aneinander  zu  rücken  nötigten, 
während  die  Hilfsleistung  der  vorgelegten  Halbsäulen  nur  wenig  er- 
giebig war.  Dagegen  hatte  für  die  ästhetische  Seite  der  Aufgabe  — 
wir  fassen  zunächst  Spei  er  ins  Auge  —  der  kaiserliche  Baumeister 
fr  Otto),  ein  volles  Gefühl.  Es  war  ihm  klar,  dass  das  gewohnte 
System  der  Basilika  eine  Umgestaltung  erfahren  müsse,  weil  allein  schon 
das  Auge  bei  gewölbtem  Deckenwerk  andersartige  Organisation  des 
Aufbaues,  als  bei  der  Flachdecke  fordert.  Und  so  erfasste  er  mit 
genialem  Blick  als  leitende  Idee  die  Verselbständigung  der  Pfeiler. 
Nach  der  konstruktiven  Seite  erst  unvollständig  verwertet,  ist  sie  nach 
der  formalen  mit  löblicher  Klarheit  ausgesprochen  ').  Indem  über  den 
Arkaden  die  Wand  als  Blendnische  zurückspringt,  steigen  die  Pfeiler 
mit  ihren  Vorlagen  ununterbrochen ,  selbst  über  das  Gurtgesimse  weg, 
bis  zur  Kämpferlinie  der  Gewölbe  auf.  Man  muss  sich  hierbei  das 
ursprüngliche  System  vergegenwärtigen,  wo  noch  alle  Pfeiler  gleich- 
wertig behandelt  waren;  der  durch  die  derben  Verstärkungen  der  Folge- 
zeit herbeigeführte  Wechsel  ist  formell  nichts  weniger  als  eine  Ver- 
besserung. Auch  die  Flachdeckbasiliken  Deutschlands  hatten  um  jene 
Zeit  eine  sehr  schlanke  Querschnittsproportion  erreicht,  im  Durchschnitt 


')  Vielleicht  hatte  schon  der  Hau  Konrads  II.  und  Heinrichs  III.  Flachnischen 
ähnlich  denen  im  Chor  und  Querhaus  von  Limburg  a.  H.,  wo  sie  wieder  durch  Cluny 
vermittelt  sein  durften. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


dieselbe  von  1:2,  die  sich  (immer  die  ursprüngliche  Höhe  voraus- 
gesetzt) in  den  Domen  von  Speier  und  Mainz  findet aber  hier  erst 
erfasst  der  Vertikalismus  auch  die  Linearkomposition  des  Systems  und 
leiht  der  Idee  des  vorwaltenden  Hochbaus  eine  ebenso  einfache,  wie 
eindringliche  Sprache.  —  Unverkennbar,  wie  auch  die  chronologischen 
Momente  bestätigen,  ist  der  Speierer  Bau  der  Schöpfungsbau,  dagegen 
der  Mainzer,  dem  wir  uns  nun  zuwenden  wollen,  nicht  sowohl  die 
unvollkommene  Vorstufe  (wie  man  bisher  annahm),  sondern  die  nicht 
vollkommen  verstandene  Nachahmung.  Er  ist  in  seinei  Haltung  alter- 
tümlicher, ungelenkiger.  Die  dem  Speierer  Meister  schon  aufgegangene 
Erkenntnis,  dass  beim  Kreuzgewölbe  die  zwischen  den  Pfeilern  liegenden 
Wände  ohne  Gefahr  für  die  Stabilität  schwächer  gebildet  werden  dürfen, 
ist  dem  Mainzer  noch  verborgen.  Er  hält  es  deshalb  für  vorteilhaft, 
die  Blendnischen  nur  wenig  tief  zurückspringen  zu  lassen  (vgl.  Taf.  171, 
Fig.  3  mit  Fig.  5)  und  schon  unterhalb  der  Fenster  sie  zu  schliessen 
(Taf.  173).  Andererseits  glaubt  er  die  Zwischenpfeiler  ohne  die  (kon- 
struktiv in  der  That  entbehrliche,  ästhetisch  aber  wertvolle)  Halbsäulen- 
vorlage  lassen  zu  dürfen.  Endlich  sind  die  Pfeiler  noch  dichter  ge- 
stellt als  in  Speier. 

Die  Dome  von  Speier  und  Mainz  bezeichnen  einen  Wendepunkt 
in  der  deutschen  Baugeschichte.  Pflegt  gemeinhin  ein  Neues  dieser  Art 
unscheinbar  und  halbbewusst  nur  seine  ersten  Aeusserungen  zu  thun,  so 
tritt  es  hier  sogleich  mit  aller  Macht  hervor.  Und  etwas  von  der  hohen 
Stimmung,  welche  die  Erbauer  erfüllt  haben  muss,  spricht  noch  heute 
zu  uns  mit  geheimnisvoller  Gewalt  aus  diesen  wahrhaft  königlichen 
Bauten,  die,  ob  auch  im  einzelnen  noch  vielfach  unbeholfen  und  rauh, 
im  ganzen  doch  so  echte  Monumentalität  atmen,  die  von  keinem  Werke 
des  jüngeren  verfeinerten  Stiles  wieder  erreicht  wird.  Leider  sind  die 
in  den  späteren  Jahrhunderten  vorgenommenen  Veränderungen  ebenso- 
viel Verdunkelungen  der  ursprünglichen  schlichten  Hoheit.  In  Speier 
ist  es  zumal  die  moderne  Ausmalung,  die  mit  ihrer  süsslich  asketischen 
Formen-  und  Farbenhaltung  eine  widrige  Gegenwirkung  erzeugt,  wahrend 
in  Mainz  wohl  am  meisten  die  gotische  Durchbrechung  und  Erweite- 
rung der  Seitenschiffe,  welche  durch  ihren  Lichtüberfluss  das  Mittel- 
schiff, namentlich  in  seinen  oberen  Teilen,  düster  und  schwer  erscheinen 
lässt,  schadet. 

Nächst  diesen  beiden  gehört  unter  den  Erstlingen  des  deutsch- 
romanischen Gewölbebaus  der  vornehmste  Platz  der  Abteikirche  zu 
LAACH  tTaf.  165,  171,  174).    Begonnen  a.  1093,  fast  gleichzeitig  also 

')  Durch  einen  aus  unserer  Quelle  Übernommenen  und  vergrösserten  Fehler  ist 
der  Querschnitt  von  Mainz,  Taf.  17 1  u.  188,  zu  niedrig  geraten;  wir  werden  zum 
Schhtss  eine  berichtigte  Zeichnung  nachtragen. 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 


467 


mit  den  Dornen  von  Speier  und  Mainz,  aber  erst  a.  1x56  mit  dem 
Westchor  vollendet.  Das  Langhaus,  das  uns  hier  am  meisten  interessiert, 
zeigt,  dass  es  von  Grund  aus  auf  gewölbtes  Deckenwerk  angelegt  war; 
leider  bleibt  unentscheidbar,  ob  der  Plan  der  Gründungsepoche,  oder 
erst  der  Wiederaufnahme  der  Arbeiten  (11 12)  angehört  (vgl.  auch  unten 
S.  473).  Das  System  ist  von  dem  in  Speier  und  Mainz  befolgten  grund- 
sätzlich verschieden:  kommen  dort  auf  ein  Joch  im  Mittelschiff  zwei 
Joche  in  den  Seitenschiffen,  so  ist  hier  Zahl  und  Breite  der  Joche  im 
einen  wie  im  anderen  die  gleiche;  und  hat  dort  jede  Mittelschiffs- 
abteilung zwei  Fenster,  jede  seitliche  eines,  so  ist  hier  das  Verhältnis 
das  umgekehrte.  Nicht  minder  bedeutsam  sind  die  Abweichungen  in 
der  Grundform  der  Gewölbe;  sie  war  dort  überall  quadratisch  und  ist 
hier  überall  rechteckig:  querrechteckig  im  Hauptschiffe,  axial  in  den 
Seitenschiffen.  Infolge  dessen  musste  man  die  sonst  die  Regel  bildende 
vollkommene  Halbkreisform  der  Gewölbebögen  verlassen  und  die  einen 
soviel  erniedrigen,  die  anderen  soviel  überhöhen,  bis  die  gleiche  Scheitel- 
höhe gewonnen  war.  (Die  Querbögen  des  Mittelschiffs  haben  nicht, 
wie  der  Zeichner  auf  Taf.  171,  Fig.  8  angibt,  die  Form  eines  regel- 
massigen aber  unvollkommenen  Halbkreises,  sondern  folgen  einer  un- 
reinen Korbbogenlinie.)  Dieser  Kompromiss  ist  unbefriedigend  genug 
und  wird  mit  ein  Grund  sein,  weshalb  das  Laacher  Gewölbesystem  in 
der  deutsch -romanischen  Kunst  keine  Nachahmung  fand.  Nächste 
Analogie  hat  es  in  der  Abteikirche  zu  Vezelay;  da  beide  der  Cluniacenser- 
kongregation  angehören,  könnte  an  Einfluss  von  dort  gedacht  werden, 
wären  nur  nicht  die  betreffenden  Bauteile  zu  Laach  leichtlich  älter,  als 
das  Schiff  von  Vezelay. 

Wir  wollen  nun  noch  durch  eine  knappe  Uebersicht  der  wichtigsten 
Denkmäler  die,  langsam  genug,  von  Westen  nach  Osten  fortschreitende 
Verbreitung  des  Gewölbebaus  bis  zum  Jahre  1200  veranschaulichen; 
selbstverständlich  sind  die  erhaltenen  Denkmäler  nichts  weniger  als 
vollzählig  und  gerade  von  den  ersten  Versuchen  werden  voraussichtlich 
recht  viele  früher  oder  später  beseitigt  sein. 

Mittelrhein.  Der  nächste  bedeutende  Gewölbebau  nach  den 
Domen  von  Mainz  und  Speier  ist  selbst  in  dieser  Gegend  mehr  als 
ein  halbes  Jahrhundert  jünger:  die  Cistercienserabteikirche  Eberbach, 
beg.  c.  a.  1150  —  56.  Dagegen  waren  die  Kirchen  von  Johannisberg 
(1106—30),  Mittelheim  (um  1140),  Lorsch  (1144—52)  noch  flachgedeckt. 
Das  gewölbte  Langhaus  des  Domes  von  Worms  folgt  erst  c.  a.  1171 
bis  1 181.  —  Im  Elsass  sind  S.  Georg  in  Hagenau,  Maienhamsweiler, 
Murbach  u.  a.  m.  Beispiele  fortdauernder  Anwendung  der  Holzdecken 
bis  Mitte  saec.  12.  Dass  im  Elsass  schon  vor  dieser  Zeitgrenze  auch 
einzeln  gewölbte  Kirchen  ausgeführt  sein  werden,  kann  als  wahrschein- 


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468 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


lieh  vermutet,  aber  nicht  mit  sicheren  Daten  belegt  werden1}.  Das 
Niedermünster  an  Üdilieniierg  (Ruine)  a.  1160—80;  wohl  nic  ht  viel 
jünger  die  Kirchen  zu  Rosheim  und  Schleti stadt;  Kreuzung  mittel 
rheinischer  und  nordfranzösischer  Kintlüsse.  —  Das  badische  Ufer  dc- 
Oberrheins  besitzt  nichts  hierher  gehöriges.  —  Niederrhein.    In  Kols 
S.  Mauritius,  kurz  vor  a.   1144  vollendet.    Kloster  Knecht sieden. 
a.  1138  vielleicht  noch  in  Absicht  auf  ein  flachgedecktes  Hauptschiff 
begonnen,  a.  1151   im  Plan  gewölbemässig  geändert.  Klosterrath, 
Landhaus  mutmasslich  um  1143.  Daneben  fortlaufend  Flachdeckbauten: 
Kloster  Rommersdorf  um  1 1 35 ;  S.  Kastor  in  Koblenz  erneuert  nach 
1150;  selbst  die  einem  Bau  von  1152  —  73  mutmasslich  angehörenden 
Arkaden  im  Langhaus  von  GrossS.  Martin  zu  Köln  weisen  auf  eine  mir 
in  den  Abseiten  gewölbte,  im  Hauptschiff  flach  projektierte  Anlage. 
Ausserdem  viele  kleine  Flachdeckbauten  im  inneren  Lande  bis  in  d  e 
letzte  Zeit  des  12.  saec.    Die  bedeutende  Klosterkirche  zu  Brauweiler 
(Ende  saec.  12)  macht  im  Grundriss  (Taf.  165)  den  Eindruck  einer  ge- 
wölbemässigen  Anlage;  dennoch  wird  gelegentlich  der  15 14  eingebrachten 
gotischen  Gewölbe  ausdrücklich  angemerkt,  dass  sie  an  Stelle  einer 
hölzernen  Decke  traten  und  hiermit  stimmt  die  Behandlung  der  Ober- 
mauer (Bock,  Rheinland  II.  9,  S.  121.  —  Westfalen  gehört  zu  den 
entschiedenst  gewolbefreundlichen  Landschaften.    Kleinere  Gewölbe- 
bauten  der  Frühzeit  wurden  schon  erwähnt  (Corvei,  Paderborn).  Auch 
mit  der  Einwolbung  der  Seitenschiffe  hat  man  hier  frühzeitig  begonnen: 
Kloster  Abdinghof  bei  Paderborn,  S.  Patroklus  in  Soest.    Die  Reihe 
der  bedeutenderen  Flachdeckanlagen  schliesst  um  1130:  Kappenberg. 
Freckenhorst.    Was  seit  der  Mitte  des  Jahrhunderts  an  Kirchen  neu 
entstand  wird  meistens  schon  gewölbt  gewesen  sein.   Darauf  weist  die 
verhältnismässig  sehr  grosse  Menge  der  noch  erhaltenen,  durchweg  nur 
kleinen  oder  mittelgrossen  Bauten  von  primitiver  aber  konsequent  ge- 
wölbemässiger  Haltung:   Kappel,  Brenken,  Berghausen,  Husten, 
Lügde  u.  s.  w.    Ferner  der  Eifer,  mit  dem  man  fast  sämtliche  vor- 
handenen Flachdeckbasiliken  des  Landes  jetzt  in  gewölbte  umbaute.  — 
In  Niedersachsen  wurden  S.  Godehard  in  Hildesheim  (seit  1133) 
und  die  Abteikirche  zu  Königslutter  (seit  1135)  in  der  Absicht  auf 
vollständige  Durchführung  der  Gewölbe  begonnen,  jene  nach  mittel- 
französischem,   diese   nach  lombardischem   Vorbild  unter  Aufnahme 
des  Hirsauer  Grundrissschemas  für  den  Chor;  allein  nur  der  letztere, 
resp.  das  (Querhaus  kamen  in  dieser  Weise  zur  Ausführung;  beim  Lang- 
haus angelangt,  wandte  man  sich  zur  heimischen  Gewohnheit  der  Holz- 

1  Die  Behauptung  F.  Adlers  (*  1- 'rühromanische  Baukunst  im  Flsass«  in  Zcitschr. 
f.  B.tuw.  1878,  p.  560',  dass  schon  die  a.  9S7  90  erbaute  Klosterkirche  zu  Sehz  »aus 
triftigen  Gründen  als  Cluniacenser-Gew  olhebau anzusprechen  sei,  entbehrt  der  Begründung. 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 


469 


decke  zurück.  Erst  in  dem  grossen  Herzog  Heinrich  dem  Löwen 
erstand  wieder  ein  energischer  Förderer  des  Steingewölbes:  obenan  in 
den  Domen  zu  Braunschwkig  und  Lübeck,  beide  gegründet  a.  1 1 73. 
Eine  etwas  jüngere  Nachahmung  der  Dom  von  Ratzeburg.  Sonst 
haben  wir  bis  zum  Schluss  des  Jahrhunderts  von  keinem  bedeutenden 
Gewölbeneubau  Kunde;  wohl  aber  von  Umbauten,  wie  in  Gandersheim, 
Heiningen,  Ilsenburg,  Drübeck,  Wunstorf,  Dom  zu  Goslar  u.  s.  w.  Dann 
einige  kleinere  Ziegelbauten  in  der  Mark :  Arekdsee,  Diesdorf.  — 
Obersachsen,  Thüringen,  H  essen,  Franken  zeigen  sich,  einige 
später  zu  betrachtende  Cistercienserkirchen  ausgenommen,  der  Neuerung 
unzugänglich.  Auch  Schwaben,  Baiern  und  Oesterreich  wölben 
höchstens  die  Seitenschiffe.  Die  wenigen  vollständig  gewölbten  Kirchen 
stehen  ausserhalb  des  Provinzialstiles;  so  Ellwangen  unter  rheinischem, 
Heiligenkreuz  unter  cisterciensischem,  Altenstadt,  Klosterneuburg  u.  s.  w. 
unter  lombardischem  Einfluss. 

Das  Facit  ist:  vom  Ende  des  10.  bis  zur  Mitte  des  12.  Jahr- 
hunderts ist  der  Gewölbebau  in  Deutschland  nur  eine  vereinzelte, 
allerdings  durch  Werke  ersten  Ranges  vertretene  Erscheinung;  von 
c.  a.  1 1  50  bis  1200  erlangt  er  auf  der  ganzen  Linie  des  Rheines  und 
in  Westfalen  die  Vorherrschaft;  darüber  hinaus  erst  mit  dem  13.  Jahr- 
hundert. 

3.  Das  gebundene  System  des  12.  Jahrhunderts. 

In  allen  Ländern,  in  denen  wir  bis  dahin  den  Gewölbebau  be- 
trachteten, hatte  seine  Aufnahme  als  ein  gründlich  umwälzendes  Er- 
eignis gewirkt;  war  irgendwo  an  hervorragender  Stelle  das  Muster 
creirt,  so  machte  es  schnell  Schule,  so  verwandelte  sich  die  Erschei- 
nung des  Kirchengebäudes  im  ganzen  wie  im  einzelnen.  Nicht  so  in 
Deutschland.  Dem  grossartigen  Anlauf  unter  Kaiser  Heinrich  IV. 
entsprach  die  weitere  Entwickelung  wenig.  Langsam,  wie  wir  sahen, 
griff  die  Neuerung  um  sich,  noch  langsamer  lebte  man  sich  in  ihre 
inneren  Bedingungen  ein.  Die  Deutschen  des  12.  Jahrhunderts  fassten 
das  Gewölbe  nicht  als  organischen  Keim  eines  neuzuschaffenden  Ge- 
bäudes, sondern  ihr  Hauptbestreben  ging  darauf,  auch  mit  ihm  und 
trotz  ihm  die  überlieferten  Bauformen,  soviel  als  möglich,  zu  bewahren. 

So  kam  man  geraume  Zeit  über  eine  bloss  äusserliche  Anpassung 
nicht  hinaus,  und  so  blieb  in  einer  im  Vergleich  zu  Frankreich  oder 
Oberitalien  unerhört  langen  Dauer  die  flachgedeckte  Basilika  neben 
der  gewölbten  als  gleichberechtigte  Bauart  fortbestehen.  Ueberdies 
sind  die  Gewölbeausfuhrungen  des   12.  Jahrhunderts  zum  grösseren 


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470 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Teil  blosse  Umbauten  aus  flachgedeckten  Kirchen,   bald  so,  dass 
Fundamente  und  innere  Einteilung  des  Grundrisses  von  einem  älteren 
Bau  unverändert  herübergenommen,  Pfeiler  und  Mauern  aber  erneuert 
werden,  bald  so,  dass  während  der  Ausführung  selbst  die  Absicht  in 
Betreff  der  Decke  wechselt,  bald  endlich  so,  dass  auch  der  ganze 
Hochbau  erhalten  und  nur  an  gewissen  Stellen  verstärkt  wird.  Diesen 
Zwittergebilden  gegenüber  sind  die  von  Anfang  an  gewölbemässig 
gedachten  reinen  Neubauten  durchaus  in  der  Minderheit.    Dass  eine 
klare  Scheidung  der  Formen,  eine  energische  Vertiefung  in  die  vom 
Gewölbebau  dargebotenen  Möglichkeiten  bei  solchem  Verhältnis  nur 
langsam  vorangedieh,  kann  nicht  Wunder  nehmen.    Auch  nachdem 
er  endlich  seiner  Mittel  Meister  geworden  war,   blieb  der  deutsch- 
romanische Gewölbebau  auf  ein  enges  Programm  beschränkt. 

Am  Anfang  der  Entwickelung  zwar  standen  sich  zwei  Bausysteme 
gegenüber:  das  der  einfachen  und  das  der  gruppierenden  Travee;  jenes 
durch  die  Klosterkirche  zu  Laach,  dieses  durch  die  Dome  von  Speier 
und  Mainz  vertreten.    Allein  es  kam  nicht  einmal  zu  einem  Wettstreit 
zwischen  ihnen.    Die  einfache  Travee  fand  keine  Nachfolge      erst  in 
viel  späterer  Zeit,  in  der  inzwischen  von  der  französischen  Gotik  ihr 
gegebenen  Gestalt,  wurde  sie  in  Deutschland  wieder  aufgenommen. 
Vorerst  im  romanischen  Stil  gewann  das  gruppierende  System  die 
ausschliessliche  Herrschaft.     Es   gewann   sie,   weil   es   unter  allen 
innerhalb  des  Kreuzgewölbes  möglichen  Systemen  in  den  gegebenen 
Entwickelungsgang   der   deutschen   Baukunst    am    leichtesten  sich 
einfügte,   als   sein  logisches  Produkt   mit  Notwendigkeit   aus  ihm 
her  vor  wuchs. 

Es  liegt  in  der  Natur  des  primitiven  rundbogigen  Kreuzgewölbes 
(vgl.  S.  316),  dass  seine  Grundform  ein  Quadrat  ist,  mithin  dass  ein 
mit  einer  Reihe  von  Kreuzgewölben  zu  überdeckender  Raum  sich  im 
Grundriss  als  eine  Reihe  von  Quadraten  darstellt.  Es  liegt  weiter 
in  der  Natur  der  Basilika,  dass  das  Mittelschiff  um  ein  erheb- 
liches breiter  ist,  als  die  Seitenschiffe.  Sollen  diese  beiden  Forde 
rungen  miteinander  in  Verbindung  treten,  so  kann  dies  nur  so  ge- 
schehen, dass  das  Grundmass  der  Seitenschiffsquadratc  genau  gleich 
der  Hälfte  jenes  der  Hauptschitfsquadrate,  ihre  Zahl  somit  die  doppelte 
ist,  infolge  dessen  jede  Gewölbabteilung  des  Hauptschiffs  mit  je  zwei 

')  Anscheinend  beabsichtigt  in  der  Abteikirche  S.  Mathias  bei  Trier  (a.  1 127—48), 
doch  kam  im  Mittelschiff  nur  Flachdecke  zur  Ausführung.  Die  Kirche  von  Altenstadt 
in  Kaiern  gehört  in  die  oberitalicnische  Einflusssphäre,  s.  S.  449. 


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Zwölftes  Kapitel :  Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 


471 


I*aar  Gewölbabteilungen  der  Seitenschiffe  eine  Gruppe,  ein  »Doppel- 
joch« bildet.    Dies  ist,  was  man  das  »gebundene  System«  nennt. 

Man  kann  die  deutsche  Bauentwickelung  nicht  völliger  misskennen, 
als  wenn  man  das  gebundene  System  als  lombardisch  bezeichnet.  In 
cier  Lombardei  ist  es  erst  als  Folge  des  Gewölbes  aufgetreten,  in 
Deutschland  aber  war  es  schon  lange  vor  dem  Gewölbe  da;  die  karo- 
lingische  Zeit  bereits  hatte  den  quadratischen  Schematismus  im  Keime 
vorgebildet  (S.  Gallen),  im  Frühromanismus  hatte  er  als  einer  der 
eigenst  deutschen  Baugedanken  zunehmende  Verbreitung  gefunden 
(S.  206)  —  nicht  aus  irgend  welcher  konstruktiven  Notwendigkeit, 
sondern  aus  blossem  Wohlgefallen  an  streng  regelmässigen  Massver- 
hältnissen; jetzt  wurde  er  unter  dem  zwingenden  Einfluss  der  Decken- 
gewölbe auf  den  Grundplan  zur  gemeinverbindlichen  Regel  erhoben. 

Eine  zweite  Begleiterscheinung  des  gebundenen  Systems  ist  der 
Stützenwechsel.  Er  ist  darin  begründet,  dass  in  den  Doppeljochen 
von  den  Stützen  immer  nur  eine  um  die  andere  den  Haupt-  und 
Nebenschiffsgewölben  zugleich,  die  dazwischenliegenden  den  Neben- 
schiffsgewölben allein  zum  Widerlager  dienen.  Allein  auch  der 
Stützenwechsel  ist  nicht  erst  durch  den  Gewölbebau  hervorgerufen, 
nur  allgemeiner  durch  ihn  in  Gebrauch  gebracht. 

Solchermassen  erklärt  sich  die  Eingangs  hervorgehobene  Ano- 
malie, dass  in  Deutschland  die  Einführung  der  Gewölbe  eine  tief- 
greifende Umgestaltung  der  Gesamterscheinung  des  Bauwesens,  wie 
überall  in  den  anderen  Ländern,  zunächst  noch  nicht  hervorrief.  Sie 
vollendete  mehr  bestehende  Richtungen,  als  dass  sie  zu  neuen  Ge- 
danken anregte.  Sie  trug  mehr  praktischen  als  ästhetischen  Bedürf- 
nissen Rechnung. 

DIE  GEWOELBE.  Die  primitive  Fassung  des  Kreuzgewölbes, 
in  welcher  es  als  rechtwinklige  Durchdringung  zweier  Tonnengewölbe 
erscheint,  ist  ausser  an  den  quadratischen  Grundriss  auch  an  die  wage- 
rechte Lage  der  Scheitellinien  gebunden.  Formell  den  römischen 
Kreuzgewölben  nachgebildet,  besass  sie  doch  nicht  deren  Leistungs- 
fähigkeit, teils  weil  ihre  technische  Herstellung  eine  weniger  voll- 
kommene, teils  und  vornehmlich,  weil  ihre  Stellung  im  baulichen 
Organismus  eine  andere  war.  Der  erste  Schritt  aus  der  primitiven 
Gebundenheit  heraus  geschah  mit  dem  sog.  Steigen  oder  Stechen- 
lassen, welches  darin  besteht,  dass  der  Durchscheidungspunkt  der 
Gratbögen  höher  als  die  Scheitel  der  Stirnbögen  gelegt  wird.  Zwei 


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Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


Vorteile  wurden  hiermit  erreicht:  es  war  um  Vieles  leichter  geworden, 
Räume  zu  überwölben,  welche  in  der  Grundfläche  vom  genauen  Quadrat 
gegen   das   Oblongum   abwichen  —  eine  namentlich   beim  Umbau 
flachgedeckter  Kirchen  öfters  sich  einstellende  Forderung  — ,  es  er- 
hielten die  Grate  eine  steilere,  mithin  statisch  günstigere  Bogcnlinie. 
Indes  schritt  man  nur  langsam  von  geringerer  zu  stärkerer  Steigung 
vor;   der   für  die  technische  Ausführung  vorteilhafteste  Grad  wird 
erreicht,  wenn  die  Diagonalen  (die  bei  wagerechtem  Scheitel  flach- 
elliptisch  gebildet  waren  i  volle  Halbkreisgestalt  erhalten.    Diese  schwer- 
lich ohne  Kenntnis  französischer  Vorbilder  zu  Stande  gekommene  Ver- 
besserung wurde  im  3.  Viertel  des  12.  Jahrhunderts  eingeführt.  Etwa 
gleichzeitig  ersetzte  man  den  geraden  Stich  (S.  305,  Fig.  B)  durch 
den  sphärische  Kappen  ergebenden  bogenförmigen  (S.  305,  Fig.  D 
Während  diese  Reformen  im  Rheinlande  sich  anbahnten,  beharrte  man 
in  Sachsen  bis  ans  Ende  des  12.  Jahrhunderts,  in  einzelnen  Fällen 
noch  länger,  beim  wagerechten  Scheitel,  ja  man  fiel  selbst  in  die 
ganz  primitive  Fassung  zurück,  dass  man  die  Joch  um  Joch  trennenden 
Gurtbögen,  die  am  Rhein  nie  fehlten,  fortliess  —  was  sich  in  der 
Reihe  wie  ein   fortlaufendes  Tonnengewölbe  mit  Stichkappen  aus- 
nimmt.   Bei  steigenden  Gewölben  machen  sich  die  geringeren  Grade 
der  Scheitelüberhöhung  dem  Auge  des  unten  im  Schiff  stehenden 
Betrachters  noch  kaum  fühlbar;  erst  stärkerer  Stich  erzeugt  eine  wohl- 
gefällige Bewegung  der  Linien  und  erhöht,  der  Erscheinungsweise  des 
Kuppelgewölbes  sich  nähernd,  die  selbständige  Bedeutung  des  Joches.  — 
Alles  das  waren  Verbesserungen  von  technisch  nicht  geringem  Wert, 
aber  sie  schufen  doch  keine  neuen  Grundlagen  für  die  Komposition 
im  ganzen.    Diese  brachte  erst  das  Rippengewölbe,  mit  dessen  Auf- 
nahme wir  den  romanischen  Stil  in  seine  letzte  Epoche  eintreten 
sehen  werden. 

Beispiele.  Von  wagerechtem  Scheitel:  S.  Gothard  in  Mainz 
(Taf.  170),  S.  Mauritius  in  Köln  (Taf.  175)»  I'etersberger  Kirche  bei 
Halle  fl'af.  172),  Frankenberger  Kirche  bei  Goslar,  Kloster  Heiningkn. 
Dom  zu  Braunschweig  (sämtlich  Taf.  176).  —  Von  geradem  Stich: 
Untergeschoss  der  Doppelkapelle  zu  Xeuweiler  (Taf.  170.  im  Mittel- 
schiff, wegen  der  oblongen  Grundform,  wahrend  die  quadratischen 
Gewölbe  der  Seitenschiffe  wagerechten  Scheitel  haben;  Langhaus  zu 
Laach,  Klos ti  rrat,  Battenfeld  r sämtlich  Taf.  175),  Chor  zu  Konio- 
lütter  (Taf.  176),  Abtei  Frerüach  (Taf.  198X  —  Frühe  Beispiele  von 
bogenförmigem  Stich:  Chor  und  QuerschifT  zu  Laach  (Taf.  1741,  Schiff 
zu  Knechtsteden  (Taf.  175}.  Erwitte  bei  Lippstadt,  Langchor  von 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 


473 


S.  Gereon  zu  Köln.  In  Verbindung  mit  halbkreisförmigen  Graten 
kommt  er  aufs  Mittelschiff  angewandt  vielleicht  zuerst  im  Umbau  des 
Si'EiEKEK  Doms  vor;  3.  Viertel  des  12.  Jahrhunderts.  Noch  älter  ist 
diese  Gratformation  in  der  Krypta  zu  Laach;  doch  können  wir  die 
gewöhnliche  Meinung  nicht  teilen,  dass  diese  der  frühest  ausgeführte 
Teil  des  Gebäudes  sei  (nach  Bock  kurz  vor  Ende  saec.  11);  die  Gewölbe 
sind  hier,  wie  im  Chorquadrat  und  Querschiff,  entschieden  entwickelter, 
als  im  Langhaus.  —  Endlich  wollen  wir  nicht  unerwähnt  lassen,  dass 
am  Niederrhein  und  in  Westfalen  auch  eigentliche  Kuppelgewölbe 
vorkommen:  Querschiff  zu  Knechtsteden,  Mittelschiff  von  S.  Marien 
zu  Dortmund  (Taf.  176),  Kirchunde;  mit  Gratansätzen  zwischen 
Stirn-  und  Schildbogen  in  der  einschiffigen  Kirche  zu  Idensen  in  West- 
falen und  im  Mittelschiff  von  Kloster  Akendsee  in  der  Mark. 

DAS  SYSTEM.    Die  beherrschende  Idee  im  deutsch-romanischen 
System  ist  der  Stützenwechsel.    Er  folgt  aus  der  Anlage  nach  Doppel- 
jochen zwar  nicht  mit  unbedingter  Notwendigkeit  —  in  Spcier,  wie 
wir  sahen,  war  er  ursprünglich  nicht  vorhanden  —  aber  er  ist  ohne 
Frage  der  am  meisten  logische  Ausdruck  der  gegebenen  Druckver- 
hältnisse.  Was  die  Form  der  Stützen  betrifft,  so  kann  der  Forderung 
organischen  Zusammenhanges  zwischen  ihnen  und  der  Gewölbedecke 
allein  der  gegliederte  Pfeiler  vollkommen  Genüge  thun.    Allein  die 
deutsch-romanische  Kunst,  welcher  die  gruppenmässige  Zusammen- 
ordnung  kontrastierender  Glieder  immer  ein  Lieblingsprincip  war, 
mochte  auf  den  Wechsel  der  Pfeiler  mit  Säulen  nicht  so  bald  ver- 
zichten. Statisch  genügte  die  Säule  ihrer  Aufgabe  als  blosser  Zwischen- 
stütze, deren  Beziehung  zum  Gewölbe,  weil  dies  nur  das  Seitenschiffs- 
gewölbe war,   in  der  Hauptansicht  kaum  bemerkt  wurde;  sie  bot 
ferner  den  Vorzug,  vermöge  ihres  kreisförmigen  Durchschnittes  den 
Ausblick  in  die  Nebenräume  weniger,  als  ein  Pfeiler  es  gethan  hatte, 
zu  beschranken.    Gleichwohl  ergaben  sich  beim  Wechsel  von  Pfeilern 
und  Säulen  Anstösse,   welche  bei  der  Flachdeckbasilika  unbekannt 
gewesen  waren,  hauptsächlich  durch  die  vermehrte  Stärke  der  Pfeiler, 
wie  durch  das  ununterbrochene  Aufsteigen  ihrer  Vorlagen  bis  zum 
Hauptgewölbc,  auch  wohl  noch  durch  den  MissgrifT,  dass  man  die 
Säulen  zu  verjüngen  fortfuhr  (z.  B.  Knechtsteden  Taf.  175).  Zwar 
wäre  die  harmonische  Auflösung   dieser   allzu   schroff  gewordenen 
Kontraste  auch  im  Gewölbebau  noch  möglich  gewesen  —  durch  pas- 
sende, namentlich  auch  horizontale,  Gliederung  der  Hauptpfeiler  — , 
gelungen  aber  ist  sie  in  Deutschland  nirgends,  ausser  in  einigen 

3' 


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474 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Deutsches  mit  Französischem  glücklich  mischenden  Kirchen  am  linken 
Ufer  des  Oberrheins  (Taf.  183,  Fig.  2,  4,  7).  Im  Laufe  der  zweiten 
Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  verschwand  denn  auch  die  Säule  als 
freistehende  ganz,  jedoch  nur  um  in  der  Form  eingegliederter  Halb- 
säulen einen  kräftigen  Nachwuchs  zu  hinterlassen. 

Wir  wenden  uns  den  reinen  Pfeilerbauten  zu.  Die  Aufgabe 
angemessener  Umgestaltung  der  Pfeiler  konnte  befriedigende  Losung 
naturgemäss  nur  im  engsten  Zusammenhang  mit  der  anderen  Aufgabe, 
der  Gliederung  der  Obermauer,  finden.  Dies  hatte  gleich  der  Meister  des 
Speierer  Domes  vollauf  erkannt  und  einen  grossartigen  Rhythmus  ebenso 
logisch  klar  in  seiner  symbolischen  Beziehung  auf  das  Struktive,  wie 
schön  in  der  linearen  Proportion  angeschlagen.  Es  ist  nun  wahrlich 
zum  Erstaunen,  wie  wenig  Nachfolge  er  fand.  Nur  in  drei  Gebäuden 
ist  sie  zu  bemerken:  im  Dom  zu  Mainz,  den  wir  bereits  erörterten, 
dann  im  Dom  zu  Worms  und  in  der  von  diesem  abhängigen  Stifts- 
kirche zu  Ellwangen.  Die  beiden  letzteren  reichen  schon  in  den 
Uebergangsstil  hinüber;  ihnen  ist  gemeinsam,  dass  siezwischen  Fenstern 
und  Arkaden  ein  Zwischengcschoss  von  Blendnischen  einschalten,  das 
man  wohl  als  abgeschwächten  Nachklang  französischer  Triforien  auf- 
zufassen hat  (in  Ellwangen  einige  der  Nischen  wirklich  gegen  den 
Dachraum  der  Abseiten  geöffnet,  s.  Taf.  171,  Fig.  9). 

Der  Dom  zu  Worms  .  Taf.  164,  171,  173)  wurde  unter  Beibehaltung 
des  Grundplanes  von  Bischof  Burkhard  11000—1025)  unter  Bischof 
Konrad  II  (1171  —  1192)  vollständig  erneuert,  bis  auf  die  aus  dem  alten 
Bau  herübergenommenen  Westtürme.  Im  Jahr  der  Weihe  1181  war  das 
Langhaus  indes  wohl  noch  nicht  vollendet  und  der  über  die  Grund- 
linien der  Burkhardschen  Anlage  hinausgreifende  Westchor  entstand 
erst  im  13.  Jahrhundert.  Das  Langhaus  zeigt  im  System  mehrfachen 
Wechsel:  auf  der  Nordseite  beginnen  die  grossen  Blenden  wie  in  Speier 
über  den  Arkadenkämpfern,  auf  der  Südseite  (Taf.  173)  erst  über  dem 
Gurtgesimse;  ausserdem  treten  hier  die  erwähnten  triforienartigen  kleinen 
Nischen  hinzu,  die  aber  in  jedem  Joch  anders  kombiniert  werden.  Die 
Gewölbrippen  waren  unseres  Erachtens  anfanglich  noch  nicht  vorge- 
sehen;  ihre  Ausführung  wohl  erst  nach  a.  1881.  —  Vgl.  Kunstdenk- 
inaler  im  Grossherzogtum  Hessen  1887. 

St.  Veit  zu  Eli.waxoen  (Taf.  t68,  171,  175).  F.J.Schwarz,  der 
Verfasser  einer  Monographie  (Stuttgart  1882)  über  diese  mit  der  Kon- 
gregation von  Cluny  in  Verbindung  stehende  Stiftskirche  behauptet 
S.  18,  dass  sie  ganz  ausgesprochen  den  Charakter  der  burgundischen 
Kirchenbauten  an  der  Stirn  trage«  und  nimmt  S.  27  insbesondere  die 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 


475 


Gewölbe  (die  er  übrigens  fälschlich  Kuppelgewölbe  nennt),  als  >ganz 
südfranzösisch  oder  burgundisclu  in  Anspruch.  Diese  Sätze  zeugen 
von  solcher  Unkenntnis  der  verglichenen  Objekte,  dass  sie  nicht  einmal 
diskussionsfähig  sind.  Das  einzige,  was  wirklich  burgundisch  an  dem 
Gebäude  ist,  hat  der  Verfasser  dagegen  nicht  erkannt,  nämlich  den 
durch  Hirsau  vermittelten  Chorgrundriss.  Ferner  glaubt  er  an  die 
wesentliche  Vollendung  in  den  Jahren  1 100—1124;  »"ch  dieses  ganz 
und  gar  ein  Ding  der  Unmöglichkeit.  Uns  scheint,  bei  Mangel  sonstiger 
Analogien,  das  Vorbild  nur  im  YVormser  Dom  gesucht  werden  zu  können. 
Die  Formen  sind  künstlerisch  roher,  konstruktiv  reifer:  vgl.  die  Streben 
unter  den  ScitenschirTsdächcrn  und  die  Dienste  der  Rippen. 

Die  grosse  Masse  schlug  einen  anderen  Weg  ein.  Sie  blieb 
hinsichtlich  der  vertikalen  Gliederung  der  Obermauer  beim  nackten 
Bedürfnis  stehen.  Das  in  Speier  so  glücklich  aufgenommene  Princip 
der  senkrechten  Zwischenteilung  der  Schildwand  durch  einen  über 
dem  Zwischenpfeiler  entspringenden  Pilaster  fand  keine  Nachahmung. 
Unterstützte  es  dort  durch  seine  optische  Wirkung  aufs  löblichste 
den  Charakter  des  Hochbaus,  so  lassen  hier  die  leeren,  mehr 
breiten  als  hohen  Wandflächen  zwischen  der  Fensterbank  und  den 
Arkaden  den  Aufbau  niedriger  erscheinen,  als  er  ist  (Beispiele  auf 
Taf.  i?5,  176).  Nicht  minder  empfindlich  ist  die  Dürftigkeit  der 
wagerechten  Teilung.  Ein  unbedeutendes  Gurtgesims,  das  sich  aber 
niemals  um  den  Hauptpfeilcr  herumzieht1),  ist  alles  und  oft  fehlt 
auch  dies  wenige.  Um  der  Bedeutung  dieses  Mangels  ganz  inne 
zu  werden ,  betrachte  man  zum  Vergleich  eine  burgundische  Kirche, 
etwa  die  Kathedrale  von  Autun  (Taf.  139)  oder  die  Abteikirche 
von  Vezelay  (Taf.  150),  wo  die  Gesimse  zwei  oder  selbst  dreimal 
um  die  Pfeilervorlagen  gekröpft  werden.  —  Besser  gelang  die  verti- 
kale Pfeilergliederung.  Von  der  richtigen  Erwägung  ausgehend,  dass 
an  einem  viereckigen  Pfeiler  die  Ecken  für  die  Widerlagerung  we- 
niger in  Anspruch  genommen  werden ,  als  die  den  Mittelaxen 
näher  liegenden  Teile,  kam  man  auf  den  kreuzförmigen  Durchschnitt, 
welcher  statisch  mehr  leistet  als  ein  viereckiger  Pfeiler  von  gleichem 
Volumen  und  überdies  bessere  Durchblicke  gewährt.  In  einfachster 
Fassung  zeigt  diese  Form  S.  Mauritius  in  Köln  (Taf.  175.  F'ig.  1); 
später  komplicierte  man  sie  durch  Vermehrung  der  Vorsprünge,  die 
teils  Pilaster-  teils  Halbsäulenform  erhielten.    Die  Zwischenpfeiler  bc- 

l)  Die  seltenen  Ausnahmen,  wie  im  Dom  zu  Worms  und  einigemal  im  Elsass, 
weisen  auf  Kenntnis  französischer  Hauweise. 


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476 


Zweites  Buch.  Der  romanische  Stil. 


Hess  man  lange  Zeit  in  schlichter,  ungegliederter  Vierecksgestalt.  Die 
fortschreitende  Kunst  empfand  indes  diesen  Gegensatz  als  einen  zu 
harten  und  vermittelte  ihn  durch  Halbsäulen  (Taf.  176,  Fig.  4,  5).  Einfach 
und  zierlich  ist  das  (schon  in  der  Flachdeckbasilika  vorgebildete^  Motiv 
der  Ecksäulchen  im  sächsischen  Provinzialismus  (Taf.  176,  Fig.  1,  2).  — 
Die  Axenabstände  der  Stützen  haben  nach  dem  Gesetz  des  gebundenen 
Grundrisses  ein  konstantes  Mass,  nämlich  die  Hälfte  der  MittelschifFs- 
weite,  sehr  ungleich  aber  ist  die  Stärke  der  Pfeiler ')  und  im  um- 
gekehrten Verhältnis  die  Weite  der  Arkaden. 

Die  QuerschifTsverhältnisse  sind,  wenn  man  die  Höhe  bis  zum 
Gewölbcscheitel  rechnet,  ungefähr  dieselben,  wie  sie  sich  für  die  Flach- 
deckbasiliken  festgestellt  hatten.  Da  jedoch  die  Unterkante  der  Gurt- 
bögen mehr  oder  minder  tiefer  liegt,  namentlich  bei  steigenden  Gewölben, 
und  noch  viel  tiefer  die  den  Kindruck  mitbedingende  Kampferlinie, 
so  erscheinen  sie  um  ein  gutes  Teil  niedriger.  Ueberhaupt  erhellt 
aus  allem  bisherigen  zur  Genüge,  dass  der  Gewölbebau  auf  der  Stufe, 
die  er  im  12.  Jahrhundert  einnahm,  als  Raumkunst  wenig  zu  leisten 
vermochte,  viel  weniger  als  vor  und  neben  ihm  die  Flachdeckbasilika. 

Endlich  ist  noch  eine  höchst  auffallende  Unterlassung  anzumerken  : 
die,  dass  die  Deutschen  niemals-)  auf  den  Gedanken  kommen,  die 
Widerlagsmauern  durch  Streben  an  der  Aussenscite,  wie  sie  in  Frank- 
reich allgemein  im  Gebrauch  waren,  zu  verstärken.  Sie  wären  hier 
statisch  wichtiger  gewesen,  als  die  Pilastervorlagen  an  der  inneren 
Wandfläche  und  es  hätten  die  gegen  die  Seitenschiffe  gerichteten  Vor- 
sprünge der  Hauptpfeilcr  ihnen  ein  genügendes  Unterlagcr  dargeboten. 
Damit  wäre  zugleich  eine  wesentliche  Erleichterung  der  gesamten 
Mauermasse  ermöglicht  gewesen.  Dass  von  all  diesen  Vorteilen  kein 
Gebrauch  gemacht  wurde,  beweist,  dass  die  Deutschen  des  12.  Jahr- 
hunderts von  den  in  einem  Gewölbebau  auftretenden  Kräften  und 
deren  Verlauf  keine  klare  Vorstellung  hatten. 

Vergleichen  wir,  um  die  Summe  zu  ziehen,  den  Gewölbebau 
des  12.  Jahrhunderts  mit  den  beiden  Entwickelungsstufen  der  deutschen 
Baukunst,  zwischen  denen  er  zeitlich  in  der  Mitte  steht,  so  können 
wir  uns  des  Eindrucks  seiner  künstlerischen  Inferiorität  —  die  beiden 
Kaiserdome  immer  ausgenommen  —  nicht  entschlagen.  Er  ist  gleich 


')  Nach  Mölünger  2—2'/..   Teile,  in  Westfalen  bis  zu  3 '; j  Teilen  ilcr  als  10  an- 
genommenen Mitlelschiffsweile. 

-)  Fig.  2  u.  7  auf  Taf.  171  kommen,  als  dem  späten  Uebergangsstil  angehörend, 
hier  nicht  in  Betracht. 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewolbebau  in  Deutschland. 


477 


weit  entfernt  von  dem  anmutsvollen  Ernst  der  Flachdeckbasiliken,  wie 
von  der  reichen  frohen  Pracht  der  Hauten  des  Ucbergangsstils :  sein 
Charakter  ist  Schwerfälligkeit,  Rauhheit,  Nüchternheit.  Das  gebundene 
System,  dem  man  sich  mit  so  abschliessender  Einseitigkeit  ergab, 
hatte  zwar  den  Anschluss  an  das  Ueberlieferte  bequem  gemacht,  aber 
diese  Bequemlichkeit  war  zur  unheilvollen  Fessel  geworden.  Erst 
ganz  am  Schluss  des  12.  Jahrhunderts,  als  er  anfing  Elemente  der 
inzwischen  in  Frankreich  begründeten  Gotik  in  sich  aufzunehmen, 
gewann  der  deutsch  -  romanische  Stil  wieder  Bewegungsfreiheit  und 
Gedankenreichtum. 

» 

4.  Der  Uebergangsstil. 

Der  Name  Uebergangsstil  —  unter  welchem  man  herkömmlicher 
Weise  die  deutsche  Baukunst  der  späteren  Hohenstaufenzeit,  vom 
Tode  Friedrich  Barbarossas  bis  zum  Ausgang  Friedrichs  II.  versteht  — 
verdankt  seine  Entstehung  der  falschen  Deutung  einer  an  sich  richtig 
wahrgenommenen  Thatsache.  Richtig  ist,  dass  in  ihm  zu  dem  roma- 
nischen bereits  gotische  Stilbestandteile  mehr  oder  minder  reichlich 
hinzutreten ;  falsch  ist,  dass  diese  Erscheinung  aus  einem  inneren  Ent- 
wicklungsbestreben hervorgegangen  sei,  dass  der  Uebergangsstil  zu 
derjenigen  Gotik,  die  seit  1250  in  Deutschland  herrschend  wurde,  als 
organische  Vorstufe  sich  verhalte.  Ist  also  die  Bezeichnung  schlecht 
gewählt  —  i spätromanisch*  hatte  anstatt  dessen  genügt  —  so  ist  es 
doch  nicht  gelungen,  sie  auszumerzen,  und  uns  will  scheinen,  dass 
man  sie  ohne  sonderlichen  Schaden  weiterführen  dürfe,  wofern  nur 
richtig  erfasst  wird,  was  inhaltlich  unter  ihr  zu  verstehen  sei. 

Was  wir  Uebergangsstil  nennen,  ist  also  in  Wahrheit  kein  Ueber- 
gangs-,  vielmehr  ein  Mischstil,  in  welchem  das  gotische  Element  von 
aussen  hinzugetragen,  aus  der  zeitlich  parallel  laufenden,  sachlich  weit 
vorausgeeilten  französischen  Baukunst  entlehnt  ist.  Allein  dieses  fest- 
zustellen genügt  noch  nicht:  als  Wesentliches  kommt  die  beschrankende 
Bedingung  hinzu,  dass  die  gotischen  Elemente  immer  nur  gesondert 
auftreten,  niemals  ein  zusammenhängendes  System,  in  welchem  erst 
sie  zu  wirklich  »gotischen«  werden  würden,  eingehen.  Dies  ist  es, 
was  den  Uebergangsstil  von  dem  rein  romanischen  einerseits,  von 
dem  wirklich  gotischen  andererseits  unterscheidet.  Dass  er  darum 
>als  ein  eigener,  wenn  auch  nicht  konsequent  durchgebildeter  Stil 
betrachtet  werden  müsse«  (Schnaase),  können  wir  nicht  zugeben,  eben- 
sowenig als  wir  eine  nochmalige  Scheidung  in   > romanischen  Ueber- 


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47  S 


Zweites  Much:  Der  romanische  Stil. 


gangsstil«  und  »gotischen  Uebergangsstil  c  (Lötz)  für  erspriesslich  oder 
auch  nur  durchführbar  erachten.  Der  deutsche  Uebergangsstil  ist 
romanisch  in  seinem  innersten  Lebensgesetz.  Ja  die  Art.  in  welcher 
er  seine  französisch-gotischen  Anleihen  verwendet,  bringt  erst  recht 
an  den  Tag,  wie  sehr  und  ganz  er  romanisch  geblieben  ist.  Denn 
ihn  treibt  zu  diesen  Anleihen  nicht  etwa  geheime  Sehnsucht  nach 
dem  gleichen  Ziele,  sondern  der  Wunsch  nur,  seinen  Formenvorrat 
im  einzelnen  zu  bereichern,  zu  erfrischen,  um  im  ganzen  desto  freier 
und  breiter  nach  seiner  eigenen  Art  sich  auszuleben.  Mögen  immerhin 
die  drei  Grundelemente  des  gotischen  Systems,  Rippengewölbe,  Spitz- 
bogen ,  Strebewerk,  in  den  deutschen  Uebergangsstil  aufgenommen 
sein:  sie  hören  dadurch,  dass  sie  aus  der  logischen  Verbindung,  in 
welche  die  französische  Schule  sie  gesetzt  hatte,  hier  ausgelöst  sind, 
doch  wieder  auf,  x  gotisch  *  zu  sein;  ja  sie  können  eine  der  romani- 
schen Formenwclt  fremde  Erscheinung  nur  vom  Standpunkte  der  bis- 
herigen deutschen  Entwickclung  genannt  werden ;  den  meisten  Schulen 
Frankreichs,  der  aquitanischen,  proven^alischen,  burgundischen  waren 
sie  schon  in  der  frühromanischen  Epoche  bekannt  gewesen.  Mit  ihrer 
Aufnahme  thaten  die  Deutschen  dasselbe  wie  die  Nordfranzosen  — 
und  doch  wieder  etwas  ganz  anderes,  weil  sie  andere  Folgerungen 
daraus  zogen.  Diese  Anleihe  allein,  gesetzt,  jede  weitere  Verbindung 
mit  Frankreich  wäre  danach  abgebrochen  worden,  hätte  nimmermehr 
genügt,  in  der  deutschen  Baukunst  die  Wendung  zur  Gotik  zu  voll- 
bringen. Dazu  bedurfte  es  einer  zweiten  Einströmung  des  französischen 
Baugeistes.  Dieser  zweiten  ergaben  sich,  ein  halbes  Jahrhundert  später, 
die  Deutschen  bedingungslos;  in  der  vorangehenden,  der  hier  für  uns 
in  Rede  stehenden  Epoche  aber  verhielten  sie  sich  zur  fremdem  Gabe 
prüfend ,  sondernd ,  wählend ,  im  Trachten  nach  ihrem  eigenen  Ziele 
unbeirrt.  So  war  denn  keineswegs  in  der  Mischung  der  Stilelemente 
das  romanische  etwa  der  passive,  das  gotische  der  aktive  Teil, 
vielmehr  jenes  der  geistig  herrschende,  dieses  das  dienende. 

Indem  die  deutsche  Baukunst  seit  dem  Ende  des  12.  Jahrhunderts 
aus  ihrer  strengen  nationalen  Abgeschlossenheit  heraustrat,  gehorchte 
sie  nur  einem  auf  allen  Gebieten  in  Wirkung  tretenden  weltbürger- 
lichen Zuge.  Die  Kreuzzüge  und  die  an  diese  sich  anschliessenden 
Bewegungen  hatten  die  Völker  einander  näher  gebracht,  zugleich  aber 
auch  die  in  jedem  derselben  schlummernden  besonderen  Kräfte  erweckt 
und  in  Fluss  gesetzt.  Die  lebhafteste  Initiative  in  dem,  was  damals 
moderner  Geist  war,  wird  niemand  den  Franzosen  streitig  machen. 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 


479 


Ihr  Einfluss  auf  Deutschland  wird  seit  der  Mitte  des  12.  Jahrhunderts 
immer  deutlicher  fühlbar.  Während  die  altberühmten  heimischen  Kloster- 
schulen, durch  die  an  den  Investiturstreit  sich  anschliessenden  Kämpfe 
schwer  betroffen,  veröden,  zieht  die  aufstrebende  Jugend  nach  Paris,  um 
durch  die  neue.  Religion  und  Vernunft,  Kirchenväter  und  Aristoteles 
zu  höherer  Einheit  verschmelzende  Wissenschaft  der  Scholastik  sich 
erleuchten  zu  lassen;  die  von  den  neuen  in  Frankreich  entstandenen 
Mönchsorden  der  Prämonstratenser  und  Cistercienser  ausgehende  prak- 
tisch-sittliche Bewegung  pflanzt  sich  mit  beispiellosem  Erfolge  nach 
Deutschland  fort;  deutsche  Reformer  und  Denker,  wie  der  heilige  Norbert, 
Hugo  von  St.  Viktor,  später  Albert  der  Grosse  finden  die  wirksamsten 
Ansatzpunkte  ihrer  Thätigkeit  in  Frankreich.  Nun  wollen  auch  die 
weltlichen  Herren,  ihrer  bäurischen  Schlichtheit  sich  schämend,  nicht 
zurückbleiben  und  gehen  bei  ihren  französischen  Standesgenossen  in 
ritterlichem  Brauch  und  höfischem  guten  Ton,  in  Tracht  und  Waffen- 
fuhrung  in  die  Lehre;  ja  selbst  die  erwachende  deutsche  Dichtung 
verlässt  alsbald  die  volkstümliche  Weise,  um  durch  Aneignung  franzö- 
sischer Stoffe,  durch  Nachbildung  französischer  Formen  ihr  Publikum 
erst  ganz  zu  befriedigen.  Und  die  Baukunst?  Es  wäre  sicher  nicht 
wider  den  Zusammenhang  der  Dinge  gewesen,  hätte  sie  schon  jetzt 
dem  romanischen  Stil  den  Abschied  gegeben,  dem  gotischen  die 
Herrschaft  eingeräumt.  Das  ist,  wie  wir  sahen,  nicht  geschehen.  Das 
gotische  Element  spielt  keine  wichtigere  Rolle  im  deutschen  Ueber- 
gangsstil,  als  das  französische  Lehnwort  in  der  Sprache  der  höfischen 
Dichter.  Ja,  bemessen  wir  den  französischen  Einfluss  nach  seinem 
Totalgewicht,  so  hat  ihm  die  Baukunst  zweifellos  ungleich  weniger 
nachgegeben,  als  die  Dichtkunst.  Wir  wollen  die  sehr  zusammen- 
gesetzten Gründe  dieser  Erscheinung  hier  nicht  untersuchen.  Von 
Belang  war  neben  anderem  gewiss  dieses,  dass,  je  höhere  Ansprüche 
das  vervollkommnete  Bauwesen  an  das  technische  Wissen  und  Können 
stellte,  um  so  mehr  der  früher  massgebende  Anteil  der  vornehmen 
geistlichen  Bauherren  zurücktrat,  und  die  Bauleute  selbst,  Laien  mit- 
hin, die  Seele  des  Werkes  wurden.  In  diesen  Kreisen  wurde  schon 
jetzt  fleissig  Wanderschaft  nach  Frankreich  geübt,  aber  das  Vorur- 
teil für  das  Ausländisch -modische  gewann  naturgemäss  —  denn 
das  eigentliche  Volk  ist  immer  konservativ  —  in  ihnen  bei  weitem 
nicht  die  Macht,  wie  vergleichsweise  in  der  ritterlichen  Dichterzunft 
oder  bei  den  gelehrten  Theologen.  Es  ist  ein  allgemeines  Gesetz, 
dass  die  bildende  Kunst  einen  neuen  Gehalt  des  geistigen  Lebens 


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Zweites  Buch  :  Der  romanische  Stil. 


erst  aufnimmt,  wenn  er  seit  längerer  Zeit  in  der  Litteratur  verarbeitet 
und  dem  allgemeinen  Bewusstsein  assimiliert  ist.  Die  Geister  zweier 
Weltalter,  des  scheidenden  hohen  und  des  aufsteigenden  späten  Mittel- 
alters, begegnen  sich  im  Anfang  des  13.  Jahrhunderts.  Volkstümlich 
kraftvoll,  romantisch  ungebunden,  in  heiter  blühender  Pracht  lebt  in 
der  Baukunst  jenes  sich  aus;  hingegen  die  Formenkorrektheit  der 
höfischen  Dichter,  die  dialektischen  Künste  der  Scholastiker  weisen 
auf  Strömungen,  die  erst  in  der  Gotik  ihr  baugeschichtliches  Seiten- 
stück finden  werden. 

Aber  noch  ein  anderer,  ein  unseliger  Widerspruch  geht  durch 
diese  Epoche  der  deutschen  Geschichte.  Es  stehen  sich  gegenüber: 
unerschöpfliches  Aufsteigen  der  gesellschaftlichen  und  wirtschaftlichen 
Kräfte  —  völlige  Zerrüttung,  völliges  Versagen  der  staatlichen  Ein- 
richtungen. Gedeihlicher  Wohlstand  bei  Rittern  und  Bauern,  im  Auf- 
blühen der  Städte  und  mit  ihnen  des  Handels  und  der  Gewerbe  eine 
neue,  bis  dahin  kaum  bemerklich  gewesene  Kraft;  dazu  noch  ein 
Ueberschuss  an  Säften,  mächtig  genug,  um  weite  Strecken  des  Ostens 
unaufhaltsam  zu  überfluten,  mit  deutschem  Leben,  abendländischer 
Kultur  zu  erfüllen:  aber  die  oberste  Rcichsgewalt  eben  in  dieser 
Zeit  endgültig  zerstört,  die  öffentliche  Ordnung  rettungslos  ins  Chaos 
versunken.  In  tausend  kleine  Rinnsale  von  nun  ab  zerspalten  fliesst 
der  Strom  des  nationalen  Lebens  weiter,  herrlichste  Kräfte  ergebnislos 
aufzehrend.  — 

Keine  Epoche  des  deutschen  Mittelalters,  auch  keine  spätere 
mehr,  hat  eine  so  grosse  Masse  von  Werken,  und  darunter  so  häufig 
künstlerisch  wertvolle,  hervorgerufen:  dennoch  müssen  wir  sagen,  ist 
der  Uebergangsstil  zu  voller  Entfaltung  seines  Könnens  nicht  gelangt. 
Die  grössten  Bauherren  der  vorigen  Zeiten,  die  Bischöfe,  jetzt  völliger 
denn  je  von  ihrer  fürstlichen  Stellung  absorbiert,  zeigen  bei  weitem 
nicht  mehr  den  Baueifer  von  ehemals ;  bei  den  Kaisern  des  staufischen 
Hauses  sucht  man  grossartige  Förderung  des  Kirchenbaues ,  wie  bei 
den  Ottonen  und  Saliern,  umsonst.  Daher  wurden  in  dieser  Zeit  die 
deutschen  Dome  —  im  auffallenden  Gegensatz  zu  den  Ländern  der 
Krone  Frankreich ,  die  damals  ihre  Kathedralen  sämtlich  von  Grund 
auf  neu  erbauten  —  meist  nur  in  einzelnen  Teilen  hergestellt  oder 
erweitert  (Mainz,  Worms,  Speier,  Trier,  Strassburg);  selbst  bei  um- 
fassenderer Erneuerung  konservierte  man  aus  Sparsamkeit  den  alten 
Unterbau  (Bamberg.  Naumburg,  Münster,  Osnabrück);  völlige  Neu- 
bauten wurden  nur  im  Nordosten  in  Angriff  genommen  und  gerade 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 


die  grossartigsten  gerieten  mitten  im  Werke  in  Stockung  (Magdeburg, 
Halberstadt,  Lübeck).  Noch  weniger  Unternehmungslust  regte  sich 
in  den  grossen  alten  Rcichsabteien.  Alle  Spcndelust  der  Laienwelt 
konzentrierte  sich  auf  die  modernen  Orden  der  Prämonstratenser  und 
Cistercienser,  deren  Bauweise  jedoch  vielfach  abweichende  Züge  aufzeigt 
und  deshalb  in  einem  eigenen  Kapitel  besprochen  werden  soll.  Dafür 
trat  eine  neue  Gattung,  die  bis  dahin  in  bescheidenen  Grenzen  sich 
zurückgehalten  hatte,  wetteifernd  auf  den  Plan :  die  Pfarrkirchen  der 
aufblühenden  Städte  und  die  kleinen  Stiftskirchen,  wofern  sie  an 
wohlhabenden  Bürgerschaften  oder  fürstlichen  Herren  eine  Stütze 
fanden ;  gerade  unter  diesen  hat  der  Ucbergangsstil  viele  seiner  be- 
zeichnendsten und  reizvollsten  Werke  geschaffen. 

Man  sieht,  woran  es  der  deutschen  Baukunst  dieser  Epoche 
gebrach:  Aufgaben  höchsten  monumentalen  Ranges  traten  an  sie  zu 
selten  heran  und  noch  seltener  wurde  ihnen  ungestörte  Durchführung 
gegönnt.  Ks  tauchten  wohl  neue  Gedanken  auf,  darunter  bedeutende 
und  fruchtbare,  aber  sie  blieben  vereinzelt ,  gelangten  nicht  zu  folge- 
richtiger Durch-  und  Ausarbeitung.  Die  Masse  der  Uebergangsbauten 
hielt  an  den  bis  zu  Ende  des  12.  Jahrhunderts  entwickelten  Grund- 
motiven ,  insbesondere  an  dem  System  und  der  Raumbildung  des 
Inneren  fest.  Sie  bequemer,  flüssiger,  harmonischer  durchzubilden 
war  die  Aufgabe.  Mit  voller  Energie  erfasst,  hätte  dies  zur  Sprengung 
des  überlieferten  gebundenen  Gewölbesystems  führen  müssen.  Aber 
man  gelangte  dahin  erst,  als  es  für  die  Entwickehing  im  ganzen  zu 
spat  war.  Desto  unbeschränkter  und  froher  erging  sich  die  Erfindungs- 
lust  nach  der  Seite  der  dekorativ-malerischen  Erscheinung.  Nur  war 
auch  hier  wieder  der  Innenraum  der  weniger  dankbare  Boden.  Und 
so  ist  es  schliesslich  der  Aussen  bau,  dem  die  ganze  Liebe  des 
Kunstschaffens  der  Epoche  zugehört  und  worin  sie  erst  zeigt,  was  sie 
vermag;  wir  werden  ohne  Zaudern  bekennen:  herrliches. 

DIE  GEWOELBE.  Der  prinzipiell  wichtigste  Fortschritt  in  ihrer 
Bildung  ist  die  Einführung  der  selbständig  gemauerten  Diagonal- 
rippen. Ohne  Zweifel  ist  dies  System  den  Franzosen  abgelernt. 
In  Betreff  der  Zeit  seiner  Aufnahme  fehlen  genaue  Daten ;  allgemeinere 
Verbreitung  hat  es  vor  dem  Schlussdezennium  des  12.  Jahrhunderts 
sicher  nicht  gefunden,  also  mehr  wie  50  Jahre  später  als  in  Frank- 
reich. Und  wie  es  bei  dergleichen  Entlehnungen  nicht  selten  geschieht: 


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4»2 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


die  Vorteile,  die  sie  darbot,  wurden  bei  weitem  nicht  vollständig  aus- 
genutzt.   Ja,  es  war  das  überhaupt  nicht  möglich,  solange  nicht  die 
grossquadratische  Gewölbeanlage  durch  schmalrechteckige  oder  min- 
destens   sechstcilige  ersetzt  wurde.     Die   Gewölbekappen,    statt  in 
korrektem  Steinschnitt  vielfach  noch  aus  unregelmässig  geformten 
Steinen  in  reichlicher  Mörtelbettung  ausgeführt,  blieben  noch  immer 
sehr  schwer  und   die  Mauern ,   keineswegs   stets   mit  entlastendem 
Schildbogen  versorgt,  verloren  wenig  an  Dicke.    In  Westfalen  ist  es 
sogar  das  Gewöhnliche,  dass  die  Rippen  an  das  fertige  Gewölbe  ge- 
fügt werden,  also  ein  blosses  Dekorationsglied  sind.    Oft  wurde  aber 
nicht  einmal  dieser  Schein  aufrecht  erhalten,  vielmehr  zeigten  sich  die 
Gewölbe  nach  alter  Weise  mit  scharfen  Gräten  noch  im  zweiten  und 
dritten  Jahrzehnt    des    13.  Jahrhunderts    (Heisterbach,  Naumburg. 
St.  Martin  in  Braunschweig  und  öfters  in  Westfalen).  Andererseits 
hingegen  beliebte  man  Verdoppelung  der  Rippen,  indem  zu  den  vier 
übereck  gestellten   vier  an  den   Scheiteln   der  Kappen  angeordnet 
wurden  —  wiederum  lediglich  eine  Gliederung  fürs  Auge.  (Beispiele: 
Osnabrück,  Münster,  Legden,  Querschiff  zu  Minden,  Sinzig,  Roermond; 
am  seltsamsten  in  Boppard,  wo  ein  spitzbogiges  Tonnengewölbe  mit 
Gruppen  von  je  acht  von  einem  Mittelpunkt  ausstrahlenden  Rippen 
besetzt  ist.)    Derselben  dekorativen  Tendenz  entspringen  endlich  die 
phantastischen,  tief  herabhängenden  Schlusssteine,  auch  sie  eine  Eigen- 
tümlichkeit der  rheinisch-westfälischen  Schule  (Bacharach,  Roermond, 
Legden,  Billerbeck). 

Etwa  gleichzeitig  mit  den  Diagonalrippen,  in  Sachsen  und  West- 
falen noch  vor  diesen,  hielt  der  Spitzbogen  seinen  Einzug1).  Ra- 
tionelle Verwertung  desselben  hätte  dahin  führen  sollen,  die  Scheitel 
der  Quer-  und  Schildbögen,  welche  im  bisherigen  System  bedeutend 
tiefer  als  der  Kreuzungspunkt  der  Gräte  lagen,  mit  diesem  in  gleiche 
Höhe  zu  rücken.  Anstatt  dessen  hat  der  Uebergangsstil  häufig  den 
Scheitelstich  noch  gesteigert.  Der  formale  Effekt  kommt  dem  fran- 
zösischen Domikalgewölbe  sehr  nahe.  Zumal  einige  westfälische 
Bauten,  wie  der  Dom  zu  Osnabrück  und  besonders  der  zu  Münster, 
das  Querschiff  zu  Minden,  von  kleineren  Kirchen  die  einschiffige  zu 
Zwischenahn .  erinnern  direkt  an  die  Bauten  des  Anjou  und  Poitou , 

')  '/..  B.  im  Braunschweiger  Dom  gehören  die  sjutzbogigen  Gratgewölbe  sicher 
der  ersten,  1173  beginnenden  Üauzeit  ;  ;ds  a.  1 1 95  der  Blitz  die  Türme  in  Brand 
steckte,  muss  nach  dem  Zusammenhang  des  Berichtes  die  Wölbung  des  Schiffe*  vollendet 
gewestn  sein. 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 


483 


ja,  mehr  noch ,  selbst  die  oben  erwähnten  Scheitelrippen  haben  sie 
mit  diesen  gemein  (vgl.  T.  189,  2  mit  T.  108,  109);  schwerlich  ein 
blosser  Zufall,  da  auch  andere  Motive  (wie  die  Fenster  im  Querhaus 
zu  Münster,  der  Chor  zu  Osnabrück,  ebenda  im  Langhaus  die  äus- 
sere Dekoration  des  Lichtgadens,  auf  Verkehr  der  nieder- rheinisch- 
westfälischen Schule  mit  der  angevinischen  und  normannischen 
hinweisen  l).  In  konstruktiver  Hinsicht  hatte  die  starke  Scheitel- 
stechung  den  Nachteil,  dass  die  Schildmauern  wegen  des  in  ganzer 
Ausdehnung  gegen  sie  gerichteten  Seitendruckes  sehr  massiv  gehalten 
werden  mussten ;  ästhetisch  jedoch  wirkt  sie,  zumal  bei  Einteilung 
des  Gebäudes  in  wenige,  aber  grosse  Kompartimente,  vorteilhaft. 
Offenbar  war  die  Vorliebe  für  Kompositionen  letzterer  Art  mit  ein 
Grund,  weshalb  die  in  der  nordfranzösischen  Schule  so  bald  erreichte 
annähernd  wagerechte  Lage  der  Gewölbescheitel  vom  deutschen  Ueber- 
gangsstil  erst  ganz  gegen  sein  Ende  rezipiert  wurde  (Bamberg,  Naum- 
burg, Nürnberg ;  früher  im  Südwesten :  Gebweiler,  Enkenbach  südlicher 
Kreuzarm  des  Strassburger  Münsters  im  Gegensatz  zu  dem  etwas 
älteren  nördlichen  Taf.  179). 

Das  eben  geschilderte  Verhältnis  zum  Rippengewölbc  und  zum 
Spitzbogen  lässt  begreifen ,  dass  die  deutsche  Uebergangsarchitektur 
dem  dritten  Grundelemente  des  französischen  Systems,  dem  Strebe- 
bogen, erst  recht  mit  Zurückhaltung  begegnete.  Er  konnte  mit  Fug 
als  entbehrlich  gelten,  da  man  ja  die  Folgerungen,  um  derenwillen  er 
den  Franzosen  so  wertvoll  wurde,  gar  nicht  zu  ziehen  gesonnen  war. 
Seine  Erscheinung  ist  den  Deutschen  offenbar  anstössig  gewesen.  Und 
in  dieser  Abneigung  wurden  sie  noch  bestärkt  durch  die  als  erste 
Vermittlerin  gotischer  Konstruktionsgedanken  so  einflussreiche  cister- 
ciensische  Bauschule,  welche,  wie  wir  später  sehen  werden,  mit  dem 
offenen  Strebebogen  gleichfalls  nichts  zu  schaffen  haben  wollte.  — 
So  mächtig  nun  auch  die  Schildwände  in  Deutschland  noch  immer 
gebildet  wurden:  dieses  drang  doch  mehr  und  mehr  durch, 
dass  einige  Verstrebung  nicht  zu  entbehren  sei.  Der  durchgreifende 
Unterschied  zwischen  der  deutschen  und  der  französischen  Lösung 
ist  hierin  der,  dass  diese  nur  einzelne  Punkte,  jene  aber  die  Mauer 
in  ihrem  ganzen  Verlaufe  verstrebte  (durch  Emporen).  Infolgedessen 
hat  der  Uebergangsstil  selbst  die  einfachste  (in  Frankreich  schon  in 

')  Hiernach  wäre  sogar  ganz  möglich,  dass  das  System  von  Kirch  linde,  Kuppel- 
gewölbe von  schmalen  Tonnen  flankiert  (Taf.  169,  Fig.  8)  mindestens  indirekt  von  der 
Schule  des  I'erigord  abstammte. 


484 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


frühromanischer  Zeit  stark  verwertete)  Form  der  intersecierenden  Ver- 
strebung, den  Strebepfeiler,  die  längste  Zeit  noch  ausser  Anwendung 
gelassen1).  Der  deutsche  Konstruktionsgedanke  geht  wesentlich  darauf, 
den  Mauerabschnitt  von  den  Kämpfern  der  Hauptgewölbe  bis  zu  der 
durch  die  Seitenschitfsgewölbe  gesicherten  Linie  thunlichst  kurz  zu 
halten.  Schon  die  dem  12.  Jahrhundert  angehörigen  Schnitte  auf 
Taf.  171,  noch  mehr  diejenigen  auf  Taf.  172  geben  dies  zu  erkennen. 
Misslich  blieb  dabei  die  Beschränkung  der  Höhenentwickelung.  Sollte 
diese  gesteigert,  der  wagerechten  Gliederung  des  Systems  mehr  Frei- 
heit und  Abwechselung  geliehen  werden,  so  bot  sich  als  schicklichstes 
Hilfsmittel  die  Anbringung  von  Emporen  über  den  Seitenschiffen. 
Dies  ist  das  Lieblingsmotiv  der  rheinischen  Uebergangsbauten.  Dass 
das  Vorbild  der  Lombardei,  welche  gerade  damals  die  Emporen  fallen 
Hess,  nennenswert  mitgewirkt  habe,  glauben  wir  nicht;  ebensowenig, 
dass  französischer  Einfluss  im  Spiele  sei;  die  bis  in  die  Karolinger- 
zeit hinaufreichende  und  nie  ganz  unterbrochene  eigene  Tradition 
des  Rheinlandcs  ist  Erklärung  genug. 

Auf  die  Dauer  indes  konnten  die  deutschen  Bauleute  der  Ein- 
sicht in  den  Nutzen  besonderer  Verstrebung  der  Anfallspunkte  der 
Gewölbe  sich  nicht  verschliessen.  Höchst  merkwürdig  bleibt,  dass 
sie  dabei  dem  bereits  völlig  entwickelten  französischen  System  nach 
wie  vor  am  liebsten  aus  dem  Wege  gingen.  Annehmbarer  erschien 
die  Strebe mauer  nach  lombardischem  und  cisterciensischem  Vorbild, 
allerdings  auch  diese  oft  unter  dem  Dach  der  Abseiten  verborgen, 
wie  in  Ellwangen,  Basel,  Trebitsch,  Petersberg  bei  Halle;  höher  ge- 
führt und  deshalb  offen  am  alten  Dom  zu  Salzburg,  in  Naumburg, 
Roermond.  Daneben  vereinzelt  der  wirkliche  Strebebogen.  Unter 
dem  Dach:  in  Limburg.  Bacharach  (?),  Güls  bei  Koblenz;  offen  am 
Dekagon  von  S.  Gereon  zu  Köln  a.  1227;  ungefähr  gleichzeitig  an 
der  Kapitolskirche  ebenda  und  am  Münster  in  Bonn,  um  etliche  Jahre 
jünger  in  Limburg  a.  L. 

Ein  ganz  originelles  Konstruktionssystem,  man  möchte  sagen,  von 
eigensinniger  Selbständigkeit  gegenüber  dem  französisch -gotischen, 
zeigt  die  Abteikirche  Heistkrhach.  Sie  gehört  dem  Cistercienserorden. 
wird  aber  am  füglichsten  schon  hier  zu  besprechen  sein.  Der  Bau, 
bald  nach  1202  begonnen,  war  a.  1227  im  wesentlichen  fertig;  a.  1S10 
von  der  französischen  Regierung  abgebrochen  bis  auf  den  Chor;  das 

>)  Früheste  Heispiele  die  Seitenschiffe  von  Cistercienserkirchen :  Bronnbach, 
S.  Thomas  a.  (!.  Kyll,  jene  c.  1170  —  80,  diese  noch  spater. 


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Zwullte*  Kapitel:  Der  (iewölbcbau  in  Deutschland. 

übrige  nur  aus  den  von  Boisseree  veröffentlichten  Zeichnungen  bekannt 
(Taf.  195,  199,  200,  177,  272,  273^.  An  der  Behandlung  der  Gewölbe  ist 
zunächst  auffallend,  dass  sie  den  Spitzbogen  fast  ganz  vermeiden ;  ferner 
dass  sie  die  um  diese  Zeit  am  Rhein  sonst  allgemein  gebräuchlichen 
Diagonalrippen  abweisen :  dennoch  sind  ihnen  Formen  gegeben  — 
oblonger  Grundriss  im  Mittelschiff  und  eine  höchst  komplizierte  In- 
einanderschiebung von  Kappen,  sieben  in  jeder  Abteilung,  der  Ab- 
seiten —  welche  recht  eigentlich  ein  Produkt  des  gotischen  Rippen- 
systems genannt  werden  müssen.  Also  unter  altertUmelnder  Verklei- 
dung modernste  Errungenschaften.  Kbenso  ist  ein  Strebesystem  in 
Anwendung  gebracht,  welches  von  genauer  Kenntnis  der  struktiven 
Bedingungen  zeugt,  aber  die  Lösung  auf  ganz  eigenartigem  Wege  sucht. 
Zunächst  sind  die  Abseiten  sehr  hoch  geführt;  die  Arkadenscheitel 
treffen  nahe  an  die  Kämpferlinie  der  Mittelschiffsgewölbe ,  so  dass 
etwas  Aehnliches  geleistet  wird,  wie  sonst  mit  der  Anordnung  von  Em- 
poren;  dabei  ermöglicht  aber  doch  die  sinnreiche  Teilung  der  an  der 
Seite  der  Umfassungsmauer  liegenden  Kappen  (vgl.  Grundriß  Taf.  1951 
dieser  Mauer  eine  massige,  für  den  äusseren  Aufbau  nicht  störende 
Hohe  zu  belassen.  Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  sodann  die  Mauer- 
gliederung gemäss  dem  Querschnitt  (Taf.  177).  Man  bemerkt  eine 
Teilung  in  zwei  Geschosse:  in  dem  unteren  ausgesparte  Nischen  nach 
altrömischer,  im  Rheinlande  nie  ganz  vergessener  Weise  (vgl.  Essen, 
S.  Kastor  in  Koblenz,  die  Ostpartien  der  Kölner  Kirchen  S.  Aposteln, 
S.  Martin  u.  s.  w.);  im  oberen  derselbe  Wechsel  von  Ausbuchtungen 
und  Vorsprüngen,  nur  dass  dieselben  sich  nach  aussen  wenden.  Das 
Ganze  ein  wohldurchdachtes  und  höchst  wirksames,  wenn  auch  dem 
Auge  sich  verbergendes  Strebesystem.  Dasselbe  vollendet  sich  in 
Strebemauern,  welche  an  der  Mittelschiffswand  bis  über  die  Gewölbe- 
anfänge aufsteigen,  nach  aussen  mit  der  Neigung  der  Seitenschiffs- 
dächer fast  zusammenfallen,  nach  unten  mit  tlen  Quergurten  der  Seiten- 
schiffe eins  sind,  —  alles  in  allem  also  nichts  anderes,  als  latente 
Strebebögen.  Nicht  ganz  so  vollkommen  gelang  die  Absicht  im 
Chor,  denn  hier  nötigte  die  tiefere  Lage  der  Fenster  zu  einer  flachen 
Dachneigung  über  dem  Umgang,  so  dass  die  Streben  nicht  mehr  völlig 
maskiert  werden  konnten  (Taf.  199,  273).  Die  Gewölbe  des  Mittelschiffs 
sind  ohne  Rippen ,  mit  starkem  bogenförmigem  Stich.  Ohne  Frage 
bildet  der  Bau  von  Heisterbach  eine  der  merkwürdigsten  Episoden  in 
der  Geschichte  des  deutschen  Uebergangsstiles.  Es  ist  als  ob  der 
Meister,  mit  dem  Wesen  der  gotischen  Konstruktion  vollkommen  ver- 
traut, den  Nachweis  habe  liefern  wollen,  wie  man  dieselbe  unge- 
schmälert sich  zu  Nutze  machen  und  doch  deren  Auswüchse  —  als 
welche  er  das  offene  Strebewerk  ansah  —  vermeiden  könne.  Das 
Experiment  fand  keine  Nachfolge. 


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486 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


GRUNDRISS   UND   RAUMBILDUNG.    Grundsatzliche  Neue- 
rungen treten  in  Betreff  dieser  beiden  nicht  hervor;  selbst  die  gegen 
Ende  der  Epoche  häufig  werdenden  polygonen  Chöre  kann  man  dahin 
nicht  rechnen,  da  sie  wenigstens  für  die  Innenansicht  kein  wesentlich 
verändertes  Bild  ergeben.    Wohl  aber  sind  die  Gestaltungsmöglich- 
keiten zahlreicher  geworden  und  variiert  sich  das  individuelle  Bau- 
gefühl in  zunehmender  Mannigfaltigkeit.  Am  ehesten  lassen  die  nieder- 
rheinische und  die  westfälische  Schule,  die  beiden  fruchtbarsten  der 
Epoche,  den  Untergrund  eines  gemeingültigen  Ideales  erkennen.  Die 
langgestreckten   Anlagen   des   n.  und  12.  Jahrhunderts  machen  ge- 
drungenen ,   bis  zu  einem   gewissen  Grade  zentralisierenden  Planen 
Platz.   Das  Mittelschiff  wird  auf  drei,  selbst  zwei  Quadrate  beschränkt 
am  häufigsten  wird  es  damit  in  seiner  Längenausdehnung  dem  Ouer- 
schiffe  gleichgesetzt  (Taf.  165,  Fig.  6,  13;  Taf.  168,  Fig.  1,  2,  4,  6 
7,  9),  ja  zuweilen  sogar  kürzer  gelassen  (Taf.  165,  Fig.  7;  Taf.  166, 
Fig.  8.  10,  11).   Die  hierin  eingeschlagene  Richtung  gehorcht  zunächst 
wohl  der  Rücksicht  auf  den  Aussenbau,  für  welchen  Geschlossenheit 
der  Gruppe,  in  einem  Zentralturm  gipfelnd,   vorzüglich  gewünscht 
wurde,   sie  ist  aber  naturgemäss  von  der  zentralisierenden,   auf  das 
übersichtlich   Weite  und  Freie    ausgehenden    Raumbehandlung  de» 
Innern   untrennbar.    Die  folgerichtigste  und  schönste  Entwickelung 
tritt  ein,  wenn  das  Vierungsgewölbe  sich  öffnet,  dem  Aufblick  in  den 
Turm,  dem  Herabströmen  reichlicher  Lichtwellcn  freie  Bahn  macht 
und  so  den  Raummittelpunkt  auch  zum  Lichtmittclpunkt  —  anderen- 
falls ist  gerade  er  der  dunkelste  Teil  —  erhebt.    Mit  das  früheste 
Beispiel  für  diese  Anordnung  wird  die  Apostelkirche  in  Köln  sein, 
während  S.  Martin  ebendaselbst  eine  geschlossene  Vierung  hat;  dk 
offene  begegnet  weiter  in  Neuss,  Roermond,  Limburg.  Gelnhausen. 
Mainz,  Offenbach  am  Glan  in  mannigfach  abgestufter,  jedesmal  herr- 
licher Wirkung.    In  Westfalen ,   Sachsen ,  am  Oberrhein  bleiben  die 
Zentraltürme  für  die  Innenwirkung  unverwertet:   Osnabrück.  Königs- 
lutter, S.  Godehard  in  Hildesheim,  Freiburg  i.  B.,  Gebweiler,  Schlett- 
stadt  (eine  Ausnahme  das  Strassburger  Münster). 

Noch  entschiedener  äussert  sich  das  zentralisierende  Prinzip  in) 
Grundplan  der  sogenannten  Dreikonchenkirchen.  Die  Stamm- 
mutter dieser  Familie  ist  S.  Makia  im  Kapitol  zu  Köln  (Taf.  r4  • 
Die  ganz  ungewöhnliche  Grundform  dieser  Kirche  verdankt  einem 
Zufall  ihre  Entstehung.  Es  bestand  hier  mutmasslich  ein  in  die  Urzeit 
der  Stadt  hinaufreichender,  spätestens  im  8.  Jahrhundert  zur  Kirche 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewoibebau  in  Deutschland. 


487 


eingerichteter  Zentralbau,  welchen  Erzbischof  Hermann  II.  vor  Mitte 
des  12,  Jahrhunderts  auf  den  alten  Fundamenten  erneuerte,  jedoch,  da 
der  zentrale  Plan  den  gottesdienstlichen  Gewohnheiten  der  Zeit  ganz 
zuwiderlief,  unter  Hinzufugung  eines  basilikalen  Langhauses  im  Westen. 
Aber  auch  in  dieser  Anpassung  erschien  der  Bau  noch  zu  fremdartig, 
im  Grundriss  wie  in  den  breiträumigen  Verhältnissen,  um  zur  Nach- 
ahmung zu  reizen.   Eine  freilich  nur  ins  allgemeine  gehende  Verwandt- 
schaft der  Anlage  zeigt   hundert  Jahre  später  die  Kathedrale  von 
DoOKNYK  (Tournay)  im  Hennegau  (Grundriss  Taf.  83,  Aufbau  des  Quer- 
schiffs  Taf.  149).  Dass  der  Gedanke  des  halbkreisförmigen  Schlusses  der 
Kreuzarme,  wie  er  hier  auftritt,  selbständig  gefasst  sei,  in  Anknüpfung 
lediglich  an  das  französisch  romanische  Motiv  des  Chorumganges,  ist 
nicht  schlechthin  ausgeschlossen;   wahrscheinlicher  dünkt  uns  doch, 
dass  die  Erinnerung  an  die  berühmte  Kölner  Kirche  massgebend  hinein- 
gespielt habe;  denn  zu  ganz  neuen,  voraussctzungsloscn  Erfindungen 
hatte  die  Baukunst  des  Mittelalters  wenig  Neigung.    Von  Doornyk 
wird  dann  das  Motiv  an  die  rasch  nacheinander  entstandenen  Kathe- 
dralen von  Cambray   (Grundriss  bei  Darcel  et  Lassus,   l'Album  de 
Villard  d'Honnccourt  pl.  67),  Noyon,  Soissons  weitergegeben.   In  Köln 
selbst  erzeugte  erst  der  Uebergangsstil  aus  dem  Planmotiv  der  alten 
Kapitolskirche  einen  neuen,  freilich  reichlichen  Nachwuchs,  und  man 
könnte  glauben ,  dass  erst  der  Vorgang  jener  belgisch-französischen 
Kirchen  dazu  den  Anftoss  gegeben  habe,  wäre  nicht  die  künstlerische 
Absicht  eine  beträchtlich  verschiedene  hier  und  dort.    Den  Reigen 
eröffnen  gleichzeitig  —  wir  können  nur  ungefähr  sagen:   im  letzten 
Viertel  des  12.  Jahrhunderts —  S.  Apostkln  und  Gross-S.-Maktin 
(Taf.  166).    In  keiner  von  beiden  Kirchen,  wie  man  gestehen  muss, 
ist  die  Verschmelzung  der  longitudiualen  mit  der  zentralen  Anlage 
tadelfrei  gelungen  l);  allerdings  galt  es  auch  hier  beidemal,  ältere  Bau- 
reste in  die  neue  Komposition  aufzunehmen,  nur  dass,  umgekehrt  wie 
in  der  Kapitolskirche,  das  Langhaus  der  gegebene  Teil  war.  Was 
den  Erbauern  am  meisten  am  Herzen  lag,  war  auch  nicht  diese  Seite 
des  Problemes,  sondern  die  Gewinnung  einer  malerisch  wirksamen 
Aussenansicht  für  den  Standpunkt  im  Osten.    Um  dessenwillen  wurde 
das  Motiv  mit  gerechtem  Beifall  begrüsst:  es  folgten  in  Köln  selbst 

1  >  Dieses  Problem  hat  300  Jahre  später  Lionardo  da  Vinci  lebhaft  beschäftigt, 
woran  wir  hier  erinnern ,  weil  sein  Ausgangspunkt,  der  Zentralbau  S.  I.orenzo  in  Mai- 
land, der  Kölner  Kapitolskirche  nahe  verwandt  ist;  s.  die  Skizzen  bei  J.  P.  Richter; 
The  literary  Works  of  L.  V.  pl.  95—97 


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488 


Zweites  Huch  :  Der  romanische  Stil. 


S.  Andreas  und  der  Umbau  von  S.  Panteleon,  in  Neuss  S.  Quirin, 
in  Roermond  U.  L.  Frauen ;  halbrunde  Abschlüsse  des  Querhauses 
erhielt  auch  das  Münster  zu  Bonn  und  die  kleine  Kirche  zu  Pletten- 
berg in  Westfalen.  Ueberall  ist  die  innere  Raumgliederung  im  Ver- 
hältnis zur  Kapitolskircho  bedeutend  vereinfacht  durch  Abstossung 
der  (in  der  belgisch-französischen  Gruppe  beibehaltenen)  Säulenum- 
gänge ;  ferner  sind  die  Kxedren  näher  an  das  zentrale  Quadrat  heran- 
gezogen. Es  mochte  hierzu  teils  die  an  der  Kapitolskirche  gemachte 
Erfahrung,  dass  die  vom  Saulemimgang  getragenen  Obermauern  dem 
Gewölbeschub  ungenügend  widerstanden  hatten,  raten,  teils  und  viel- 
leicht noch  mehr  die  Rücksicht  auf  die  Silhouette  des  Aussenbaues. 
Das  Innere  verzichtet  zwar  auf  die  perspektivischen  Reize  der  Kapitols- 
kirche, erreicht  aber  als  einheitliches  Raumgebildc  ein  hohes  Mass 
von  Schönheit.  Denselben  Gedanken  in  eigenartiger  Variante  gibt 
der  nach  a.  1 200  entstandene  Westchor  am  Mainzer  Dom :  an  Ma- 
jestät und  Wohllaut  des  Raumes  unübertroffen.  —  In  der  Entwicklung 
der  deutsch  -  romanischen  Haukunst  zu  freierer  Raumschönheit  hin 
nehmen  die  Dreikonchenkirchen  einen  wichtigen  Platz  ein. 

Und  zum  Glück  zog  die  Bewegung  auch  noch  anderes  in  ihren 
Bereich.  Wir  kommen  hiermit  zu  einem  Punkt,  an  welchem  deutlich 
wird,  wie  verschieden  doch  die  hier  von  der  spätromanisch-deutschen 
und  dort  von  der  frühgotisch-französischen  Kunst  verfolgten  Ziele 
sind.  Beide  gehen  vom  gebundenen  Gewölbesystem  aus,  beide  suchen 
über  es  hinauszukommen:  die  Gotik,  indem  sie  schmale  Gewölbe- 
felder und  dichte  Reihung  der  Stützen  einführt,  in  zunehmender  Sub- 
ordination der  Abteilungen  gegenüber  dem  Raumganzen;  die  deutsche 
Schule,  indem  sie  die  Stützen  immer  weiter  auseinanderrückt  und  somit 
die  selbständige  Bedeutung  der  Einzelabteilungen  steigert.  Diese  relative 
Selbständigkeit  kennzeichnet  sich  schon  in  der  oben  geschilderten  Plan- 
anlage, wie  in  der  kuppelähnlichen  Ausbildung  der  grossen  Gewölbe, 
Noch  stärker  wird  sie  betont  in  der  zwar  seltenen,  aber  an  einigen  hoch- 
bedeutenden Gebäuden  auftretenden  Anordnung,  die  wir  nunmehr  näher 
ins  Auge  fassen  müssen.  Die  Zwischenpfeiler,  das  ist  das  Wesen  der 
Sache,  werden  ausgeschaltet,  so  dass  die  grossen  Mittelschiffsjoche  in  voller 
Weite,  in  einer  einzigen  mächtigen  Arkade  gegen  die  Abseiten  sich  öffnen. 
Ein  System,  das  dem  der  einheitlichen  französischen  Traven  grund- 
sätzlich verwandt,  im  Erfolg  aber  darin  wesentlich  wieder  verschieden 
ist,  dass  nicht  wie  bei  jenen  die  kleinen  Quadrate  der  Seitenschiffe, 
sondern  die  grossen  des  Mittelschiffs  die  Basis  der  Einteilung  abgeben. 


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Zwölftes  Kapitel.  Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 


489 


Einen  ersten  Schritt  in  dieser  Richtung  gewahrten  wir  in  Hf.ister- 
v.ach;  die  Abteilungen  des  Mittelschiffs  sind  zwar  nicht  Quadrate,  aber 
doch  sehr  breite  Rechtecke,  und  die  ihnen  entsprechenden  Seitenschiffs- 
abteilungen  lassen  durch  die  Gliederung  des  Gewölbes  und  der  Wand 
die  Erinnerung  an  das  gebundene  System  noch  nachklingen.  —  Ent- 
schiedener ist  der  Gedanke  im  Langhaus  fyes  Domes  von  Magdeburg 
durchgeführt.  Die  Arkaden  des  Erdgeschosses  gehören  in  die  gleiche 
Bauepoche  mit  dem  1234  geweihten  Chor,  während  die  Obermauern 
nach  längerer  Pause  in  entwickelt  gotischem  System  ausgeführt  wur- 
den.   Hier  nun  sind  für  das  Mittelschiff  volle  Quadrate  angenommen; 


l_4_^_i_^_.:-^—  ■ 

Magdeburg. 

in  den  rechteckigen  Abteilungen  der  Seitenschiffe  senkt  sich  vom 
Gewölbescheitel  eine  Zwischenrippe  gegen  die  Umfassungsmauer,  so 
dass  man  auch  hier  noch  von  einem  rudimentären  üoppeljoch  reden 
darf;  in  welcher  Weise  die  Wölbung  des  Mittelschiffs  beabsichtigt  war 
(etwa  scchsteilig?)  ist  nicht  mehr  zu  bestimmen.  —  Einheitlicher,  weil 
noch  in  romanischer  Zeit  zu  Ende  geführt,  wirkt  der  Dom  zu  Münster 
i.  W.  Er  wurde  seit  a.  1225  einem  tiefgreifenden  Umbau  unterzogen, 
wobei  der  doppelquerschiffigc  Plan,  im  Westtranssept  und  Langhaus 
auch  die  Untermauern,  aus  dem  älteren  Gebäude  herübergenommen 
sind.  Dem  Chor  sind,  wie  in  Magdeburg,  fünf  Seiten  des  Zehnecks 
zu  Grunde  gelegt,  mit  Umgang  aber  ohne  Kapellen  (Taf.  167).  Und 
wieder  wie  in  Magdeburg  entbehrt  das  System  des  nur  aus  zwei  Jochen 
bestehenden  Langhauses  der  Zwischenstützen ,  mögen  solche  auch  ur- 
sprünglich vielleicht  beabsichtigt  gewesen  sein.  Die  kuppeiförmigen 
Gewölbe  und  die  grandiose  Raumbildung  erinnern  auffallend  an  die 
Kathedrale  von  Angers  (vgl.  Taf.  116  mit  189).  —  Eine  verwandte  Raum- 
bildungstendenz lebt  im  ganzen  westfälischen  Uebergangsstil,  nur  dass 
sie  nicht  so  völlig  entwickelt  heraustritt,  da  einesteils,  wie  z.  B.  im 

32 


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490 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Dom  von  Osnabrück,  die  Zwischenstützen  nicht  überwunden  werden, 
andernteils  zum  Hallensystem  übergegangen  wird. 

Die  Dome  von  Münster  und  Magdeburg  sind  merkwürdig  als  gross- 
artige Ansätze  einer  neuen,  eigenartigen  Entwickelung,  die  aber  alsbald 
(seit  der  Mitte  des  Jahrhunderts)  von  dem  übermächtig  werdenden  franzo- 
sischen Einfiuss  durchbrochen  und  auf  den  entgegengesetzten  Weg  gelenkt 
werden  sollte.  Nur  in  einigen  wenigen  romanisch  begonnenen,  gotisch 
fortgesetzten  Bauten  klingt  der  angeschlagene  Grundton  nach :  so  in  dem 
mächtigen  Weitraum  des  Domes  von  Minden;  so  in  dem  als  Hallenkirche 
umgebauten  Dom  von  LÜBECK,  wovon  wir  beistehend  eine  Achse  des 


i  i  ;  i  i  i  •  i  i  i  i  1 

Lübeck. 

Grundrisses  mitteilen;  so  in  der  Kirche  von  Münsterm ufeld  (Taf.  i66\ 
deren  durch  höchst  harmonische  Verhältnisse  ausgezeichneter  Chor-  und 
Querbau  noch  romanisch  ist,  während  das  Langhaus  sich  zwar  gotisch  in 
den  Formen  aber  ganz  ungotisch  in  der  Breite  der  Proportionen  darstellt. 

Das  Höchste  von  Weiträumigkeit,  allerdings  unter  exceptionelkn 
Bedingungen,  leistet  der  Dom  zu  Trier.  Den  Kern  bildet  der  auf 
S.  46  besprochene  römische  Profanbau  (Taf.  12);  im  11.  Jahrhundert 
wurden  die  vier  mächtigen  Mittelsäulen  pfeilermässig  ummauert  und 
die  im  Grundriss  Taf.  164  sichtbare  westliche  Verlängerung  hinzu- 
gefügt; Erzbischof  Hillin  (1152—69)  begann  einen  gewölbmässigen 
Umbau,  Erzbischof  Johannes  (1 170— 121 2)  vollendete  ihn.  Die  polygone 
mit  einem  Rippengewölbe  geschlossene  Ostapsis  dürfte  die  früheste 
ihrer  Art  in  Deutschland  sein.  Die  Fenster  des  Obergadens  öffnen  sich 
nicht  direkt  gegen  das  freie,  sondern  gegen  einen  ziemlich  schwach 
beleuchteten  Laufgang. 

Die  obigen  Beispiele  zeigen,  dass  die  im  Spätromanismus  so  be- 
merkenswert hervortretende  Weiträumigkeitstendenz  auf  die  nieder- 
deutschen Bauschulen  beschränkt  blieb.  Zur  Vervollständigung  diene 
die  folgende  vergleichende  Tabelle  über  die  Hauptproportionen  des 


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Trier. 


Mittelschiffes.  Man  wird  finden,  dass  meist  sehr  einfache  Verhältnis- 
zahlen gewählt  sind.  Als  Grundzahl  nehmen  wir  die  lichte  Weite  an 
und  messen  sie  von  Mauer  zu  Mauer,  ohne  Rücksicht  auf  die  Vorlagen. 
Wenn  dieselbe  in  die  Länge  nicht  in  gerader  Zahl  aufgeht,  sondern 
noch  ein  überschüssiger  Bruchteil  sich  zeigt,  so  fällt  dieser  auf  die  die 
Joche  trennenden  Gurte.  Anderweitig  bei  der  Division  übrig  bleibende 
Reste  erklären  sich  aus  ungenauer  Abmessung.  Von  den  in  Klammern 
beigesetzten  Buchstaben  bedeutet  (E)  dass  Emporen,  (T)  dass  Triforien 
vorhanden  sind. 


Lichte 
Weite 

Länge 
bis  zum 

Beginn 

der 
Vierung 

Höhe 
des 
Arkaden- 
gesimses 

Höbe 
der 
Gewölbe- 
kämpfe  r 

Höhe 
der 
Schild- 
bögen 

Höhe 
der 
Gewölbe- 
scheitel 

Worms  (T)  

I 

4,6 

I 

1,6 

2,1 

2,3 

Ellwangen  (T)  .... 

1 

3.3 

o.9 

M 

«»9 

Köln,  S.  Martin  (T)  .  . 

I 

3 

i 

1.6 

2 

2,4 

Limburg  (E  und  T)  .  . 

I 

3.2 

0,85 

2 

2,6 

2,8 

Bacharach  (E  und  T)  . 

I 

2 

0,85 

2 

2,25 

2,4 

Roermond  (E)  .... 

I 

2 

o,7 

»»33 

2 

2 

I 

3.2 

1 

i,33 

"»9 

2 

I 

0,8 

»»5 

1,8 

2 

Köln,  S.  Andreas  T) 

I 

2,5 

1 

1.3 

2 

2,1 

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492 


Zweites  Uuch :  Der  romanische  Stil. 


Lichte 
Weite 

Lange 
Iii»  zum 
Beginn 

der 
Viel  utig 

Höhe 
de* 

•      1  1  

Arkaden 

Hohe 
der 
Gcwolbc- 
kampfer 

Hohe 

der 
Schild  • 
bogen 

H-.he 
der 
Oe»'c4b» 
•chtitel 

Sinzig  (E)  

I 

2,3 

0,6 

I 

1,65 

1-7 

Münstermaifeld     .    .  . 

I 

2,2 

«•>5 

,s 

1.9 

I 

2,4 

0,95 

1,8 

Osnabrück  

I 

3,5 

0,95 

i,45 

1.8; 

I 

4,3 

0,85 

«,4 

1.8 

Wildeshausen  .... 

I 

2,6 

0,65 

1,2 

»,4 

1 

5,4 

1 

1,2 

2 

2 

1 

4,25 

1 

1,2 

1,75 

i.S 

DAS  SYSTEM  DES  AUFBAUES  ist  zu  betrachten  einmal  für 
sich  allein  nach  seinem  planimetrischen  Lineament,  dann  in  seinem 
Verhältnis  zum  Querschnitt,  d.  i.  als  Faktor  der  räumlichen  Gesamt- 
erscheinung. Die  senkrechte  Teilung  wird  durch  das  gebundene  System, 
da  der  Abstand  von  Hauptpfeiler  zu  Hauptpfeiler  gleich  der  lichten 
Weite  des  Schiffes  sein  muss ein  für  allemal  festgelegt,  so  dass  die 
individuelle  Charakterisierung  vornehmlich  durch  die  wagerechten  Ab- 
schnitte und  die  plastische  Behandlung  der  Glieder  geführt  wird. 

Die  für  den  Geist  des  Uebergangsstiles  nach  dieser  Richtung 
bezeichnendsten  Gestaltungen  finden  sich  in  der  niederrheinischen 
Schule,  welche  wir  deshalb  in  der  Betrachtung  voranstellen.  Zu- 
nächst fallt  die  häufige  Verwendung  der  Emporen  ins  Auge.  Von 
ihrer  konstruktiven  Bedeutung  haben  wir  oben  gesprochen.  Sie  waren 
aber  nicht  minder  willkommen  als  belebendes  Element  im  geometri- 
schen Aufriss.  Derselbe  baut  sich  demnach  dreischossig  auf.  Das 
meist  mit  grossem  Nachdruck  herausgekehrte  Prinzip  der  Behand- 
lung ist  die  Steigerung  von  einfachen  und  massigen  Formen  in 
den  unteren  Teilen  zu  bewegteren  und  leichteren  in  den  oberen.  So 
zierlustig  sie  sonst  ist,  bildet  die  rheinische  Architektur  bis  in  die 
späteste  Zeit  die  Zwischenpfeiler  des  Erdgeschosses  mit  ungegliedert 
quadratischem  Durchschnitt  und  ganz  schlichten  Basen  und  Deck- 
platten.   Die  Hauptpfeiler  erhalten  einfache  flache  Vorlagen,  etwa 

')  Kleine  Ungenauigkeiten  kommen  natürlich  häufig  vor.  Beabsichtigt  ist  dagegen, 
was  sich  in  S.  Quirin  in  Neuss  zeigt:  successives  Engerwerden  der  Joche  von  Westen 
nach  Osten.  Es  ist  ein  perspektivischer  Kunstgriff,  wie  denn  überhaupt  dieses  merk- 
würdige l'.ebäude  ungewöhnliche  RauinschÖnheit  mit  willkürlichen  Einzelheiten  in  ein« 
Weise  verbindet,  die  an  die  Harockarchiteklur  des  ^.Jahrhunderts  erinnert. 


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Zwölftos  Kapitel  :  Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 


493 


von  feinen  Runddiensten  begleitet,  und  gehen  in  dieser  Form  eher 
ein  harmonischeres  Verhältnis  mit  den  Zwischenpfeilern  ein,  als  in  der 
zum  Schluss  der  Epoche  unter  französischem  Einfluss  sich  zeigenden 
reicheren  Kombination  von  Rundgliedern  (Limburg,  Bacharach,  Roer- 
mond ,  S.  Andreas  in  Köln).  Die  Oeffnungen  der  Emporen  haben 
die  gleiche  Weite  mit  denen  des  Erdgeschosses,  sind  aber  fast  immer 
durch  Zwischensäulchen  zwei  oder  dreimal  geteilt,  durch  Ecksäulchen, 
Rücksprünge,  Blendbögen  weiter  vermannigfaltigt. 

Im  weiteren  Verlauf  indes  wurde  von  den  Emporen  nicht  selten 
Abstand  genommen,  wie  sie  denn  für  den  Gebrauch  der  Gemeinde 
—  man  sieht  das  an  den  engen  Treppenaufgängen  —  immer  nur 
wenig  in  Betracht  gekommen  sein  können.  Dann  trat  an  ihre  Stelle 
ein  Zwischengeschoss  von  rein  dekorativer  Bedeutung.  Es  machte, 
an  kein  bestimmtes  Höhenmass  gebunden,  die  Komposition  elastischer, 
gestattete  insbesondere  die  Arkaden  des  Erdgeschosses  höher  hinauf- 
zuführen. Die  Form  ist  entweder  die  des  französischen  Triforiums, 
d.  i.  einer  aus  der  Mauerdicke  ausgesparten  Galerie,  oder  häufiger 
einer  blossen  Blindarkatur  (Beispiele  für  beides  Taf.  180 — 182). 

Der  Lichtgaden  ist  nicht  mehr,  wie  unter  der  Herrschaft  der 
flachen  Decke,  eine  fortlaufende  Wandfläche,  sondern  zerfallt  in  eine 
Folge  gesonderter  Bogenfelder.  Damit  tritt  auch  Form  und  An- 
ordnung der  Fenster  unter  neue  Bedingungen.  Mannigfaltigste  Ver- 
suche werden  angestellt.  Namentlich  die  Kölner  Schule  ist  durch  die 
bizarre  Phantastik  ihrer  Erfindungen  (von  denen  Taf.  182,  Fig.  3  und  6 
eine  Vorstellung  gibt)  übel  berufen.  Und  doch  wird  man  auch  in  den 
anstössigsten  einen  gesunden  Grundgedanken  nicht  verkennen,  nämlich 
den,  dass  das  Fenster  als  Mittel  des  Bogen feldes  der  Form  desselben 
sich  anzunähern  habe.  Die  einfachste  und  glücklichste  Lösung  in  dieser 
Richtung  ist  die  Kreisform,  sei  es,  dass  sie  glatt  auftritt  (Chor  im 
Bonner  Münster),  sei  es  ausgezackt  (S.  Martin  und  S.  Kunibert  in 
Köln,  Gerresheim,  Werden).  Schliesslich  fand  man,  dass  doch  auch 
die  herkömmliche  Form  der  Fenster  der  Einfügung  in  den  Schild- 
bogen nicht  widerstrebe,  wenn  man  sie  nur  paarweise  oder  zu  dreien 
in  pyramidale  Gruppen  zusammenordnete.  In  einfacher  Nebeneinander- 
stellung: Taf.  181,  5;  183,  7;  199,  9.  In  reicherer  dekorativer  Wirkung 
durch  triforienartig  vorgesetzte  Säulchen :  Taf.  177,4;  180,  I  ;  189,  2; 
181,  3.  Sehr  zu  bemerken  ist,  dass  inmitten  alles  Suchens  nach  neuen 
Fensterformen  der  Spitzbogen  fast  ausnahmslos  verschmäht  wurde, 
er,  an  den  man  an  Gewölben  und  Arkaden  schon  vollkommen  ge- 


494 


Zweites  Huch:  Der  romanische  Siil. 


wohnt  war;  das  erste  und  bis  zur  Mitte  des  Jahrhunderts  einzige 
Beispiel  konsequenter  Anwendung  gibt  der  Dom  von  Magdeburg 
{1208 — 1237),  am  Rhein  kommt  er  aber  nur  ganz  vereinzelt  vor. 

Löbliche  Fortschritte  zeigen  sich  hinsichtlich  der  Verteilung 
des  Lichtes.  Während  in  den  älteren  Zeiten  Zahl  und  Grösse  der 
Fenster  in  beiden  Geschossen  gleich  war,  geht  jetzt  das  Bestreben 
darauf,  den  Hochteilen  des  Mittelschiffs  verstärkte  Beleuchtung  zu- 
zuwenden, dagegen  die  Seitenschiffe  in  tieferer  Dämmerung  zu  lassen ; 
hier  sind  die  Oculus-  und  Fächerfenster  sehr  am  Platz  (Taf.  180, 
Fig.  1,  2,  4;  Taf.  182,  Fig.  1,  3,  5,  6).  Man  erkennt,  wie  die  oben 
erwähnte  Steigerung  der  Formen  von  unten  nach  oben  durch  dieses 
Beleuchtungsverhältnis  wirksamst  unterstützt  wird. 

Eine  eigenartige  Aufgabe  hinsichtlich  der  Wandgliederung  stellten 
die  Dreikonchenkirchen.  Das  Vorbild,  die  Kapitolskirche.  war 
nicht  unmittelbar  zu  benutzen,  weil  der  dortige  Säulenumgang  beim 
jüngeren  Geschlecht  in  Wegfall  kam.  In  Annäherung  an  das  System 
des  Langhauses  wurde  ein  zweites  galerieartiges  Geschoss  angelegt, 
allerdings  mit  geringer  Tiefe,  aber  perspektivisch  -  malerisch  von 
grossem  Reiz;  die  massige  Mauer  des  Erdgeschosses  beleben  Nischen 

(Taf.   ISO,  2;   182,  6;  207,  2). 

Ueberschauen  wir  alle  diese  Momente,  so  zeigt  das  System  des 
Uebergangsstiles,  verglichen  mit  dem  des  12.  Jahrhunderts,  einen  be- 
trächtlichen Fortschritt  in  der  Belebung  und  Durchbrechung  der 
Mauerflächen,  ja  man  wird  nicht  leugnen  können,  dass  zuweilen  darin 
ein  unruhiges  Zuviel  eintritt.  Keineswegs  aber  wird  dem  Eindruck 
gedrungener  Massigkeit,  wuchtiger  struktiver  Kraft  dadurch  Abbruch 
gethan.  Denn  jede  Durchbrechung  legt  dem  Auge  wieder  eine  breite 
Ouerschnittfläche  bloss,  welche  die  Stärke  der  Mauern  erst  recht  zum 
Bewusstsein  bringt.  Mit  der  gelassenen  Weite  der  Raumbildung  steht 
dieser  Charakter  des  Gliederbaues  in  vollkommenem  Einklang.  Und 
beides  zusammen  erzeugt  den  spezifisch  romanischen  Grundakkord 
auch  solcher  Werke,  welche  mit  gotischen  Einzelmotiven  schon  reich- 
lich durchsetzt  sind. 

Unter  den  bedeutenderen  Werken  des  Uebergangsstiles  sind  die- 
jenigen drei,  welche  am  meisten  Gotisches,  also  Französisches  in  sich 
aufgenommen  haben,  die  Dome  von  Magdeburg  und  Halberstadt  und 
die  Stiftskirche  zu  Limburg  a.  d.  Lahn;  dennoch  wird  man  gerade 
ihnen  am  wenigsten  eine  energische  Originalität  hinsichtlich  der  Ge- 
samtauffassung streitig  machen.  S.  Moiiz  zu  Magdeburg  wurde  a.  1234, 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  1  >eutschlan<l 


495 


S.  Georg  in  Limburg  a.  1235  dem  Gottesdienst  übergeben,  beide  nach 
ungefähr  aojähriger  Bauzeit ;  sie  streifen  also  hinsichtlich  der  Zeit  ihrer 


(  hör  des  Dome«  /u  Magdeburg. 


Entstehung  bereits  nahe  an  die  ersten  wirklich  gotischen  Kirchen 
Deutschlands,  die  Liebfrauenkirche  in  Trier  (beg.  a.  1227)  und  die 
Elisabethkirche  in  Marburg  ^beg.  a.  12351.    Während  aber  diese  an 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


den  jüngsten  Stand  der  französischen  Baukunst  anknüpfen,  greifen  jene 
auf  Vorbilder  zurück,  die  ein  halbes  Jahrhundert  älter  sind,  und  be 
zeichnendenveise  auf  solche,  die,  wenn  auch  gotisch  in  der  Konstruk 
tion,  in  der  Formengebung  mehr  als  andere  von  romanischem  Geiste 
beibehalten  haben.  Der  Magdeburger  Meister  machte  seine  Studien  in 
der  oberen  Champagne  (Chälons,  Montierender»,  der  Limburger  in 
Laon.  —  S.  Mokiz  in  Magdeburg  wurde  nach  dem  Brande  von  1207, 
und  zwar  wohl  erst  mehrere  Jahre  nach  ihm,  begonnen;  mit  der  Weihe 
von  1234  schliesst  die  erste  Bauepoche  ab.  Damals  waren  Erdgeschoss 
und  Emporen  {■> Bischofsgang  ~)  des  Chors  und  die  unteren  Teile  des 
Querschiffs,  die  ersten  Arkaden  des  Langhauses,  einschliesslich  der 
Seitenschiffsgewölbe,  vollendet.    Die  Wiederaufnahme  der  Arbeit,  nun 
in  entwickelt  gotischem  Stil,  erfolgte  erst  a.  1274.   Der  Grundriss  de- 
Chores, Umgang  mit  fünf  Kapellen,  ist  rein  französisch;  das  Quer- 
schiff  folgt  dem  herkömmlichen  deutschen  Schema  der  drei  Quadrate; 
die  originelle  Anlage  des  Langhauses  haben  wir  oben  S.  489  gewürdigt. 
Der  Spitzbogen  ist  an  allen  Teilen  konsequent  durchgeführt,  aber  in 
einer  in  Deutschlands  Gotik  nicht  mehr  vorkommenden  primitiven 
Gestalt.   Die  Strebepfeiler  des  oberen  Umganges  gehören  wohl  erst  der 
mit  1274  beginnenden  Bauepoche  an,  offene  Strebebögen  waren  sicher 
nie  beabsichtigt.    Und  so  hat  auch  der  Gliederorganismus  des  Inneren 
ein  unfranzösisches  Gepräge,  im  Umgang  gedrungene  Pfeiler  anstatt 
der  Säulen,  alle  Formen  von  wuchtiger  Schwere,  im  Gesamtbild  bei 
aller  feierlicher  Würde  ein  Hang  zum  Malerischen.   Wäre  der  Magde- 
burger Dom  im  Sinne  des  ersten  Meisters  vollendet  worden,  ihm  hatte 
ein  namhafter  Einfluss  auf  die  Entwicklung  der  norddeutschen  Baukunst 
nicht  fehlen  können.  —  Am  Dom  von  Hai.rerstadt  ist  es  umgekehrt 
allein  die  Westlassade  und  die  Vorhalle,  die  in  der  ersten  Hälfte  des 
13.  Jahrhunderts  zur  Ausführung  kamen;  französische,  namentlich  der 
Kathedrale  von  Laon  entlehnte  Motive  sind  mit  rheinischen  und  säch- 
sischen verschmolzen,  zugleich  weisen  gewisse  Details  auf  ein  nahes 
Verhältnis  zur  Bauhütte  von  Magdeburg.    Die  Schiffe  gehen  bekannt- 
lich in  entwickelt  gotische  Formen  über.  —  Kam  in  Magdeburg  und 
Halberstadt  eine  höchst  bemerkenswerte  und  vielversprechende  Wen 
dung  der  deutschen  Bauentwickclung  vorzeitig  zum  Stillstand,  so  ist 
S.  Georg  in  Limburg  ohne  Unterbrechung  zu  Ende  gefithrt.  Während 
aber  in  Magtieburg  von  Anfang  an  der  französische  Plan  vorgeschrieben 
war,  im  Fortgang  jetloch  das  Werk  sich  mehr  und  mehr  verdeutschte, 
ist  umgekehrt  in  Limburg  der  Grundriss  (Taf.  166)  rein  deutsch  und 
erst  der  Aufbau  (Taf.  178,  182,  1S7)  französierend.    Doch  ist  diese 
Zwieschlächtigkeit  des  Ursprunges  vollkommen  überwunden,  ein  Werk 
von  energischer  künstlerischer  Charaktereinheit  geschaffen.    Das  fran- 
zösische Vorbild  ist  die  Kathedrale  von  Laon  (nicht  Noyon ,  wie  all- 


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Zwölftes  Kapitel :  Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 


497 


gemein  behauptet  wird).  Legt  man  die  Aufrisse  der  beiderseitigen 
Systeme  übereinander,  so  zeigen  sie  sich  vom  Arkadengesims  aufwärts 
so  gut  wie  kongruent;  kein  Zweifel,  dass  der  Meister  von  Limburg 
nicht  etwa  bloss  die  Erinnerung  oder  eine  Skizze  des  Urbildes,  son- 
dern eine  in  allen  Massen  genaue  Zeichnung  heimgebracht  hatte.  Wenn 
der  Eindruck  doch  ein  ganz  anderer  ist,  so  liegt  das  am  Erdgeschoss, 
welches  in  Limburg  ein  gut  Teil  niedriger  und  in  den  herkömmlichen 
rheinischen  Formen,  also  in  stark  accentuirtem  Gegensatz  der  Haupt- 
und  Nebenstutzen  begonnen  war.  Uebereinstimmend  ist  ferner  das 
Strebesystem  (vgl.  die  Textfigur  S.  430),  nur  dass  bei  dem  so  viel  kürzeren 
Schiffe  von  Limburg  auf  jeder  Seite  bloss  ein  einziger  Bogen  nötig 
wurde.  Die  Doppeltürme  an  den  Stirnseiten  des  Querhauses  waren 
dem  ersten  Plan  fremd,  sie  stammen  ebenfalls  aus  Laon.  Ein  dem 
Limburger  Meister  eigentümlicher  und  herrlicher  Gedanke  ist  die  un- 
unterbrochene Durchführung  des  Langhaussysternes  auch  in  den  Kreuz- 
armen. Hohe  Bewunderung  weckt  die  perspektivische  Kunst,  welche 
der  beschränkten  Grundfläche  den  Schein  der  Grossräumigkeit  abzu- 
gewinnen verstanden  hat.  Die  ziemlich  schwere  und  grobe  Bildung 
der  Einzelglieder  und  der  an  einem  Werke  des  Uebergangsstils  auf- 
fallende Mangel  an  eigentlicher  Dekoration  beeinträchtigt  nicht,  hebt 
vielmehr  noch  die  glühende  und  strenge  Feierlichkeit,  die  tlas  Ganze 
atmet  und  mit  der  wir  nichts  anderes  zu  vergleichen  wissen.  Eine 
künstlerische  Nachkommenschaft  war  S.  Georg  in  Limburg  ebenso- 
wenig wie  dem  Dome  von  Magdeburg  beschieden  ').  Höchstens  die 
Abteikirche  zu  Werden  a.  d.  Ruhr  könnte  man  dahin  rechnen 
(Taf.  182).  Sie  ist  das  letzte  und  sicher  eines  der  edelsten  Werke  des 
romanischen  Stils  im  Rheinlande.  Begonnen  a.  1257,  neun  Jahre  nach 
der  Grundsteinlegung  des  Kölner  Domes,  ging  der  Bau  bis  1275  fort  ohne 
aus  seiner  romanischen  Grundstimmung  im  mindesten  herauszufallen. 

Die  mittel-  und  süddeutschen  Schulen  erregen  im  gegenwärtigen 
Zusammenhange  weniger  Interesse.  Im  ganzen  ist  zu  sagen,  dass  der 
Geist  der  neuen  Zeit  sich  hauptsächlich  in  der  Behandlung  und  in 
den  Einzelformen  geltend  machte;  hätten  wir  hier  von  Kapellen,  Re- 
fektorien, Kreuzgängen,  Vorhallen,  Portalen  zu  reden,  so  böte  sich 
eine  Fülle  der  anziehendsten  und  originellsten  Objekte.  Jedoch  die 
grossen  Fragen  der  Raum-  und  Systembildung  wurden  nicht  selbständig 
weitergefördert,  oft  genug  gar  nicht  berührt.    War  doch  ohnehin  für 

')  Als  Nebenerzeugnis  haben  wir  die  reizende  kleine  S.  Teterskirclie  in  Uauiaracic 
(Taf.  181)  anzusehen,  wie  gcwis«e  Einzelheiten  klar  bekunden;  das  System  ist  den 
kleineren  Dimensionen  entsprechend  vereinfacht,  die  Kumulation  der  Emporen  mit  dein 
Triforium  indes  beibehalten.    Auch  die  Querschnittsproportion  ist  die  gleiche,  vgl.  S  491. 


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49» 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


die  ganze  östliche  Hälfte  der  Gewölbebau  als  solcher  erst  eine  junge 
Errungenschaft.  Das  gebundene  System  herrschte  vor.  Reichere 
Kombinationen  des  Aufbaues,  wie  sie  die  Rheinlande  mit  Emporen 
und  Triforien  erzielten,  kamen  äusserst  selten  zu  stände. 

Am  Oberrhein  ist  auch  in  dieser  Zeit  die  Bauthätigkeit  lebhaft 
genug.  In  Worms  wird  der  Dom  vollendet  und  neben  ihm  und  unter 
seinem  Einfluss  S.  Martin,  1265,  und  S.  Paul  umgebaut  1261.  Ver- 
wandter Richtung  die  Benediktinerkirchen  Seebach  und  Frankenthal; 
ausserdem  mehrere  Cistercienscrkirchen.  —  Im  Elsass  ist  von  franzö- 
sischem Einfluss,  was  die  Gestaltung  im  ganzen  betrifft,  auffallend 
wenig  zu  merken.  Die  Kirchen  von  Altdorf,  Alspach  ,  Schlett- 
stadt,  Sigolshkim,  Gehweilkr  Taf.  165,  183)  sind  von  rein  roma- 
nischem, meist  schwerfälligem  Habitus;  in  gleicher  Weise  beginnen  die 
ostlichen  Teile  der  stattlichen  Stiftskirche  zu  Nelweiler,  um  im  W 
unvermittelt  in  frühgotische  Form  uberzuspringen.  Von  grossen  Ab- 
sichten zeugt  der  Umbau  des  Strassburger  Münsters  (Taf.  179);  nur 
der  Chor  und  das  stark  ausladende  Querschi  ff,  vielleicht  den  älteren 
Grundriss  wiederholend,  gehören  in  diese  Zeit;  die  mächtige  Weite 
des  Raumes  notigte  zur  Teilung  in  zwei  Schiffe;  die  Wirkung  ist 
grandios,  wiewohl  nicht  ganz  frei.  —  Am  rechten  Rheinufer  ist  ausser 
dem  Münster  von  Freihurc.  ein  bedeutender  Bau  nicht  zu  nennen; 
es  gedieh  nur  bis  zum  QuerschirT  (Taf.  1  79).  Das  der  Entstehungszeit 
nach  hierher  gehörige  Münster  in  Basel  wurde  wegen  seines  Zusammen- 
hangs mit  der  lombardischen  Kunst  oben  S.  449  besprochen.  Ein 
Ausläufer  der  rheinischen  Schule  mainaufwärts  ist  die  Pfarrkirche  von 
Gelnhausen  (Taf.  180);  das  Langhaus  ist  als  schlichte  Flachdeck- 
basilika, wiewohl  bereits  mit  spitzbogigen  Arkaden  ausgeführt  ;  in  desto 
modischerem  und  glänzenderem  Gewände  —  vielleicht  einer  Spende 
des  Kaiserhauses,  das  nahe  dabei  seinen  Palast  hatte,  zu  danken  — 
treten  Querschiff  und  Chor  auf;  der  Nachdruck  liegt  auf  der  reich 
bewegten  äusseren  Gruppe;  das  Innere  ist,  wie  einer  Pfarrkirche  ziem- 
lich, von  einfachem  Plan,  nur  die  graziös  spielende  Pracht  der  Deko- 
ration aus  den  Grenzen  des  Gewöhnlichen  allerdings  weit  hinaustretend. 
Der  Rundbogen  als  zu  ernst  ist  verbannt  ;  Kleeblattbögen  und  mit  Pässen 
besetzte  Kreise  geben  den  Ton  an;  die  Hauptfenster  im  Chor  leise 
gespitzt.  Sehr  ähnlich  der  Chor  zu  Seligenstadt  im  Odenwald,  um 
a.  1200  der  alten  karolingischen  Basilika  hinzugefügt. 

Weiter  aufwärts  in  Ostfranken  begegnen  wir,  da  die  stattliche 
Abteikirche  Ebrach  als  Cistercienserbau  uns  an  anderer  Stelle  zu  be- 
schäftigen hat,  keinem  bedeutenderen  Werke  bis  zum  Dom  von 
Bamberg.  Wenn  dieser  als  vollkommenstes  Muster  deutschromani- 
scher Kunst  gepriesen  wird,  so  hat  man  vornehmlich  die  wundervolle 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewulbebau  in  Deutschland. 


499 


Aussenarchitektur  im  Auge ;  das  Innere  tritt  nicht  nur  durch  die  ein- 
fachere Behandlung  hinter  jene  zurück,  es  steht  auch  in  seinen  all- 
gemeinen baukünstlerischen  Eigenschaften  nicht  auf  gleicher  Höhe  mit 
den  besten  rheinischen  und  niederdeutschen  Leistungen.  Langhaus  und 
Ostchor  des  gegenwärtigen  Baues  waren  a.  1237  vollendet;  Westchor, 
Querschiff,  Türme  sind  jünger;  noch  a.  1274  wird  am  Dom  gearbeitet. 
In  den  zuerst  genannten  Partien  sind  teilweise  noch  die  Mauern  des 
Anfang  12.  Jahrhunderts  ausgeführten  Herstellungsbaus  von  Bischof  Otto 
erhalten  ')  und  der  Grundplan  ist  höchst  wahrscheinlich  noch  derselbe, 
den  Kaiser  Heinrich  II.  gezogen  hatte.  Durch  das  Bestreben  nach 
schlankerer  Haltung  des  Systems  sind  die  Pfeilermassen  im  Verhältnis  zu 
den  Oeffnungen  zu  stark,  die  Hochwände  leer  geworden ;  die  Zeichnung 
der  Spitzbogen  an  Arkaden,  Schild-  und  Quergurten  ist  wenig  anmutig; 
der  Raum  entbehrt  der  freieren  Schönheit.  Die  jüngste  Bauepoche, 
bezeugt  durch  einen  a.  1274  erteilten  Ablass,  steht  unter  der  Herrschaft 
französischer  Einflüsse.  Für  die  Skulpturwerke  des  Ostchors  haben  wir 
sie  im  Jahrbuch  der  Kunstsammlungen  des  preussischen  Staates  Bd.  XI. 
nachgewiesen;  damals  wurden  die  in  ihren  unteren  Stockwerken  noch 
den  östlichen  analog  begonnenen  Westtürme  nach  dem  Muster  der 
Kathedrale  von  Laon  weitergeführt;  ja,  es  muss,  wie  das  Modell  in 
der  Hand  der  Kaiserin  Kunigunde  am  Nord-Ost-Portal  verrät,  eine 
Zeitlang  die  Absicht  bestanden  haben,  dem  Westchor  einen  gotischen 
Kapellenkranz  zu  geben,  wie  es  scheint  in  speziellem  Anschluss  an 
die  Kathedrale  von  Reims,  wohin  auch  die  Skulpturen  weisen.  — 
Sichtlich  unter  dem  Einfluss  des  Bamberger  Doms  steht  der  von  Naum- 
burg. Bei  etwas  kleineren  Abmessungen  sind  die  Proportionen  im 
Querschnitt  fast  die  gleichen;  im  System,  nicht  zu  ihrem  Nachteil, 
um  einiges  breiter.  Im  östlichen  Doppeljoch  ist  der  Zwischenpfeiler 
mit  Bamberg  übereinstimmend  gebildet  (Taf.  184);  weiter  nach  Westen 
treten  Halbsäulenvorlagen  hinzu  (Taf.  1871),  wie  denn  überhaupt  die 
Gliederungen  ausdrucksvoller,  die  Ornamente  reicher  sind.  Ueberliefert 
ist  ein  Weiheakt  zu  1242.  —  Aus  der  Bambergisch-Naumburgischen 
Schule  sind  dann  die  Bauleute  hervorgegangen,  welche,  den  Kolonisten 
sich  anschliessend,  den  Dom  zu  K  \Ri.sm  rg  in  Siebenbürgen  errichteten 
(Taf.  160,  184).  —  Des  Vergleiches  halber  verweisen  wir  noch  auf  den 
Dom  zu  Osnabrück  (Taf.  167,  184).  Bei  aller  Aehnlichkeit  mit  den 
zuletzt  besprochenen  mitteldeutschen  Bauten  gewinnt  sein  System  durch 
die  wuchtige  Behandlung  der  Hauptstützen,  die  grossen  verbindenden 

1  Wegen  des  Anteils,  den  Otto  als  Kanzler  Heinrichs  IV.  am  Bau  des  Speierer 
Doms  genommen  "hat,  ist  es  besonders  zu  bedauern,  dass  über  die  Konstruktion,  in 
welcher  er  den  Dom  von  Hamberg  ausführte ,  Sicheres  nicht  mehr  sich  ermitteln  lässt. 
Riehl,  Kunsthistorischi- Wanderungen  durch  Bayern,  S.  150,  glaubt  unzweideutige  Spuren 
einer  flachen  Decke  gefunden  zu  haben. 


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Zweites  Buch  :  Der  romanische  Stil. 


Blendbogen,  die  gruppierende  Anordnung  der  Fenster,  die  tiefere 
Kämpferlage,  das  kuppelartige  Ansteigen  der  Gewölbe  ganz  betracht- 
liche Vorzüge:  alles  in  allem  das  Charaktervollste  und  Bestkomponierte, 
was  im  gebundenen  System  gelungen  ist. 

Im  Süden  des  Mains  gedieh  dem  romanischen  Stil  ein  langes  aber 
nicht  eben  thatkräftiges  Leben.  Das  Hauptwerk  Mittelfrankens, 
S.  Sebald  in  Nürnberg  (im  Schiff  1265,  im  Westchor  gar  erst  1274 
geweiht),  ist  trotz  der  Aneignung  der  schmalen  französischen  Trave*e  und 
des  Triforitims  und  trotz  reichlichen  Ornamentes  (dieses  im  rheinischen 
Charakter)  eine  schwere,  unfreudige  Komposition  geblieben.  — 
Schwaben  und  Bayern  zeigen  ihren  Anteil  an  den  Zeitbestrebungen 
nur  im  Dekorativen.  Erst  die  im  späteren  13.  Jahrhundert  erbaute 
Ulrichskirche  in  Rkgensfjurg  bekundet  den  Eintritt  neuer  Probleme 
unter  unmittelbar  französischem  Einfluss.  —  Reicher  und  grossartiger 
gestaltet  sich  die  Bauthätigkeit  Oesterreichs.  Im  12.  Jahrhundert  ist 
sie  lombardisch  (so  noch  in  dem  nach  1182  begonnenen  Dom  von 
Salzburg),  im  13.  rheinisch  becinrlusst.  Am  glänzendsten  thut  sich  die 
Hauptstadt  der  Babenberger,  Wien,  hervor:  seit  1258  Neubau  der  Pfarr- 
kirche S.  Stephan  (wovon  nur  der  Unterbau  der  Westfassade  erhalten'; 
S.  Michael  1276—88;  Liebfrauenkirche  in  Wiener-Neustadt  bis  1270. 
So  reift  hier  im  Osten  der  romanische  Stil  zu  voller  Entfaltung  erst 
zu  einer  Zeit,  da  er  am  Rhein  zu  existieren  aufgehört  hat.  Ueppiger 
Dekorationstrieb  bei  schwachein  Interesse  für  das  eigentlich  Architek- 
tonische machen  seinen  Charakter  aus.  Die  in  letzterer  Hinsicht  eine 
löbliche  Ausnahme  bildenden  Cistercienserkirchen  stehen  ausserhalb 
des  Provinzialstiles. 

Verlor  die  romanische  Kunst  je  weiter  nach  Osten  um  so  mehr 
an  innerer  schöpferischer  Kraft,  so  wurde  ihrer  äusseren  Verbreitung, 
wie  man  weiss,  gerade  in  dieser  Richtung  das  weiteste  Feld  geöffnet. 
Reichliche  Verdoppelung  ihres  Herrschaftsgebietes  —  wenn  man  die 
Rechnung  nach  Quadratmeilen  hier  gelten  lassen  will  —  verdankt  sie 
dem  gewaltigen  Hinausströmen  der  deutschen  Volkskraft  während  der 
zweiten  Hälfte  des  12.,  der  ersten  des  1 3.  Jahrhunderts.  Obgleich  auf 
einen  bis  dahin  völlig  kunstfremden  Boden  verpflanzt  und  obgleich 
ausschliesslich  in  den  Händen  der  deutschen  Einwanderer  liegend,  ver- 
änderte sie  doch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  den  Charakter,  den  sie 
in  der  Heimat  gehabt  hatte.  Derselbe  wurde  ein  ganz  verschiedener 
in  der  südöstlichen,  Böhmen,  Ungarn,  Siebenbürgen  umfassenden 
Gruppe  einerseits,  im  nordöstlichen  Tieflandc  andererseits:  in  jener 
bei  einfacher  Anlage,  schwerfälligem  Aufbau  verschwenderisch  prunk- 


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Zwölftes  Kapitel :  Der  Gewolbcbau  in  Deutschland. 


501 


lustig  in  der  Dekoration,  nicht  immer  frei  von  barbarischem  Bei- 
geschmack; in  diesem  vornehmlich  auf  technische  Tüchtigkeit  ge- 
richtet, klar,  schlicht,  streng  in  der  Gesamterscheinung. 

Böhmen  und  Mähren  besassen  eine  nicht  ganz  unbedeutende, 
wenn  auch  rohe  Baukunst  schon  im  12.  Jahrhundert;  sie  tritt  ganz  in 
Schatten  gegen  den  imposanten  Aufwand  im  13.  Von  Entwickelung  der 
einen  Epoche  aus  der  anderen  ist  kaum  die  Rede,  vielmehr  erscheinen 
die  gotisierende  Uebergangsformen  unvermittelt  und  verhältnismässig 
früh ,  wie  es  bei  diesem  wesentlich  mit  eingewanderten  Kräften  ar- 
beitenden Kunstbetrieb  nicht  wundernehmen  kann.  Der  Löwenanteil 
in  der  Gunst  der  baulustigen  Grossen  fiel  den  Cisterciensern  zu. 
Ausserhalb  ihres  Kreises  ist  die  Kirche  des  Benediktinerklosters  Trk- 
bitsch  (ungefähr  1230—45)  das  ansehnlichste  und  eines  der  ältesten 
Denkmäler  im  Uebergangsstil;  der  Grundriss  (Taf.  168)  nach  süd- 
deutscher Art  ohne  Querschiff,  mit  drei  parallelen  Apsiden;  der  lang- 
gestreckte Binnenchor  mit  achtseitigen  Klostergewölben  gedeckt;  ähn- 
liche waren  wohl  auch  im  Schiff  beabsichtigt,  machten  aber  einem 
seltsam  komplizierten  Rippengewölbe  (aus  dem  sechsteiligen  französi- 
schen entwickelt)  Platz;  das  viereckige  Rippenwerk  überaus  derb;  unter 
dem  Chor  eine  weitläufige  Krypta  (Taf.  179).  Stattliche  Pfarrkirchen 
in  Eger,  Iglau,  Kollin  u.  s.  w.  —  Den  west-ungarischen  Typus 
veranschaulichen  die  Grundrisse  von  Zsamheck  und  S.  Jak  (Taf.  168); 
auch  hier  schon  kein  gebundenes  System  mehr.  Das  Hauptwerk 
Siebenbürgens,  den  Dom  von  Karlsburg  (Taf.  168,  184),  besprachen 
wir  oben. 

Die  Kolonistenarchitektur  des  nordöstlichen  Tieflands  bringt 
den  ernsten  und  strengen  Sinn  aus  der  westfälisch-niedersächsischen 
Mutterkunst  mit.  Er  verschärft  sich  noch  auf  dem  neuen  Boden.  Denn 
nicht  nur  in  hartem ,  schonungslosem  Kampfe  einem  unversöhnlichen 
Feinde  abgerungen,  auch  karg  von  Natur  ist  derselbe.  Karg  vor  allem 
auch  an  den  Gaben,  deren  die  Baukunst  bedarf.  Weit  und  breit  be- 
sassen diese  Ebenen,  alter  Meeresboden,  keinen  gewachsenen  Stein, 
nur  Findlingsblöcke  von  Granit.  Aus  solchen  Hess  sich  cyklopisches 
Mauerwerk  schichten,  aber  sie  zu  regelmässigem  Verbände  herzurichten 
oder  gar  ihnen  freiere  Einzelformen  abzugewinnen,  machte  unendliche 
Mühe.  Die  an  der  Weser  und  Elbe  und  ihren  Nebenflüssen  ge- 
legenen Orte  konnten  sich  Sandstein  aus  dem  Oberlande  auf  Kähnen 
zuführen  lassen,  wofür  der  Dom  von  Havelberg  (1 131  — 70)  und  die 
Klosterkirche  Leitzkau  (11 47  —  55)  die  am  meisten  nach  Osten  vor- 
geschobenen Beispiele  bieten.  Andererseits  findet  sich  an  den  Küsten- 
orten  der  Nordsee  zuweilen  rheinischer  Tuff  verwendet.  Umfassende 
Bauthätigkeit  wurde  erst  ermöglicht  durch  Einführung  des  Backstein- 


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502 


Zweites  Buch    Der  romanische  Stil. 


baus  ■).  Die  Technik  desselben  stammt  aber  nicht  aus  Westfalen 
und  Niedersachsen. 

Die  Kunst  des  Ziegelbrennens  war  vormals  von  den  Romern  in  den 
Rhein-  und  Donauländern  reichlich  gepflegt  worden,  dann  mit  der  Zeit 
in  Vergessenheit  geraten.    Einhard,  der  durch  seinen  antiquarischen 
Eifer  bekannte  Freund  Karls  des  Grossen,  bemühte  sich,  wie  aus  seinem 
Briefwechsel  zu  ersehen,  um  ihre  Wiederbelebung;  doch  anscheinend 
ohne  nennenswert  damit  durchzudringen;  denn  karolingischen  Ziegeln 
begegnen  wir  nur  an  den  beiden  von  Einhard  im  Odenwald  gebauten 
Basiliken.    Die  Niederlande  sind  das  einzige  nordische  Gebiet,  von 
dem  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  angenommen  werden  kann,  dass  der 
Backsteinbau  sich  von  der  Karolingerzeit  her  ohne  Unterbrechung,  aber 
freilich  auch  ohne  bedeutendere  Leistungen,  erhalten  hat.  In  Deutsch- 
land, wo  die  für  das  Bauwesen  tonangebenden  Landschaften  an  natür- 
lichen Steinlagern  keinen  Mangel  litten,  hörte  er  ganz  auf.   Die  an  früh- 
romanischen  rheinischen  Kirchen,  z.  B.  in  S.  Pantaleon  in  Köln  (Taf.  60, 
320),  dem  Haustein  beigemischten  Ziegeln,  immer  mit  Sparsamkeit 
und  in  dekorativer  Absicht  nur,  sind  zweifellos  aus  römischen  Bauten 
geraubt.    Seine  Wiederaufnahme  nach   ungefähr  zweihundertjähriger 
Pause  erfolgte  gleichzeitig  im  Süden  und  im  Norden,  auf  der  bayerisch- 
schwäbischen Hochebene  und  im  Tiefland  zwischen  Elbe  und  bal- 
tischem Meer.    Ob  es  im  ersteren  Gebiete  spontane  Wiederbelebung 
alter  Tradition  war,  oder  —  was  wahrscheinlicher  —  lombardischer 
Einfluss  (vgl.  S.  449),  bedarf  noch  der  Untersuchung.    Eine  nennens- 
werte architektonische  Entwickelung  knüpfte  sich  hier  keineswegs  daran. 
Erst  auf  dem  zweiten,  dem  nordischen  Schauplatz,  trat  eine  solche  ein, 
ja  es  sollte  auf  diesem  der  Backsteinbau  in  der  Folge  zu  einer  wahren 
baukünstlerischen  Grossmacht  heranwachsen.  Jeder  Gedanke  an  auto- 
chthonen  Ursprung  ist  hier  ausgeschlossen.   Von  wannen  also  und  auf 
welchem  Wege  ist  er  dann  eingewandert?   Die  Beobachtung  der  tech- 
nischen Eigentümlichkeiten  im  Brande  und  Formate  der  Ziegeln  lässt 
die  Antwort  nicht  im  Zweifel:  von  Holland,  im  Gefolge  der  hollän- 
dischen Kolonisten,  die  sich  auf  der  ganzen  Strecke  von  der  Elb- 
mündung und  der  holsteinischen  Ostseeküste  bis  zu  den  böhmischen 
Grenzgebirgen  den  westfälischen  und  sächsischen  Einwanderern  hinzu- 
gesellten. Indes  ist  hiermit  nur  der  Ursprung  der  Backsteinfabrikation, 
nicht  des  Backsteinbaues  als  Kunstbau  sicher  gestellt.    Vielmehr  be 


')  v.  Quast:  Zur  Charakteristik  des  älteren  Ziegelbaus  in  der  Mark  Brandenburg, 
im  Deutschen  Kunstbl.  1S50.  —  Adler:  Mittelalterliche  Hacksteinbauten  d.  preussischen 
Staates.  I.  1S62.  —  Nordhotf:  Die  früheste  Backstein fabrikation  in  Norddeutschland. 
Allgem.  Zeitung  1883,  Beil.  Nr.  325.  —  Adler:  Der  Ursprung  des  Backsteinbaus  in 
den  baltischen  Ländern,  1884.  —  Gutes  Kesumc  bei  Dohmc:  Geschichte  der  deutschen 
Baukunst,  1887. 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 


503 


gegnen  gewisse  Einzelformen  —  namentlich  das  sogenannte  Trapez- 
kapitell und  der  Fries  aus  sich  durchschneidenden  Bogen  — ,  welche 
weder  in  den  Niederlanden,  noch  irgendwo  in  Deutschland  ihresgleichen 
haben,  wohl  aber  ein  ganzes  altes  Geschlecht  von  Geschwisterformen 
in  der  Backsteinarchitektur  der  Lombardei :  Formen  von  so  spezifischer 
Ausprägung,  dass  an  selbständige  zweite  Zeugung  nicht  gedacht  werden 
kann.  Somit  ist  für  den  Backsteinbau  der  germanisierten  Slaven- 
länder  eine  doppelte  Quelle  der  Anregung  anzunehmen :  Holland  und 
Italien.  An  der  Gültigkeit  dieser  Folgerung  wäre  nicht  zu  rütteln, 
bliebe  auch  der  Weg  der  üebertragung  dunkel.  Ein  wie  wir  hoffen 
nicht  trügerisches  Streiflicht  wirft  auf  ihn  indes  die  folgende  merk- 
würdige Konstellation  von  Personen  und  Verhältnissen. 

Der  Begründer  der  ältesten  Holländerkolonien  in  der  Altmark  ist 
der  Magdeburger  Domherr  Hartwich,  aus  dem  Grafenhause  von  Stade, 
nachmals  Erzbischof  von  Hamburg  Bremen.  Er  besiedelte  damit  eine 
Anzahl  von  Gütern,  die  er,  seinem  Familienerbe  entnommen,  im  Jahre 
1144  zur  Ausstattung  des  von  ihm  gestifteten  Prämonstratenserklosters 
Jerichow  hergab,  und  eben  auf  diesen  Gütern  befinden  sich  die  ältesten 
Backsteinkirchen  der  Gegend.  Neben  Hartwich  wurde  ein  eifriger  För- 
derer der  Kolonisation  sein  Freund,  der  Bischof  Anselm  von  Havelberg, 
dem  Hartwich  auch  die  Jurisdiktion  über  Jerichow  anvertraute.  Beide 
Männer  führten  im  Jahr  11 44  eine  gemeinschaftliche  Reise  an  den 
päpstlichen  Hof  aus;  Anselm  ward  11 55  Erzbischof  von  Ravenna, 
Hartwich  weilte  1159  noch  einmal  in  Italien,  ausserdem  wiederholt, 
einmal  als  Flüchtling  ein  ganzes  Jahr  lang,  im  Magdeburgischen,  also 
in  nächster  Nähe  seiner  Stiftung.  Wenn  wir  nun  wissen,  dass  bald 
nach  Hartwichs  Rückkehr  von  seiner  ersten  italienischen  Reise  das 
Kloster,  da  der  zuvor  gewählte  Ort  als  ungeeignet  sich  erwies,  an  den 
heutigen  verlegt  wurde,  womit  selbstverständlich  ein  Neubau  der  Kirche 
verbunden  war;  wenn  wir  weiter  beachten,  dass  noch  im  selben  Jahr- 
zehnt (dem  6ten  des  Jahrhunderls)  mehrere  kleine  Kirchen  der  Umgegend 
als  Backsteinbauten  begonnen  wurden:  so  drängt  es  sich  uns  auf,  diese 
Vorgänge  miteinander  in  Verbindung  zu  setzen,  und  so  ist  für  den 
rätselhaften  holländisch -italienischen  Doppeleinfluss  in  jenen  Bauten 
eine  gewiss  plausibel  zu  nennende  Erklärung  gefunden.  Die  hollän- 
dischen Kolonisten  waren  berufen,  um  Deiche  zu  bauen  und  Sumpfland 
urbar  zu  machen;  dass  sie  erfahrene  Meister  des  Kirchenbaues  mit 
sich  geführt  hätten,  ist  ebenso  unwahrscheinlich,  wie  das  andere,  dass 
die  an  der  Spitze  stehenden  Kirchenfürsten ,  Hartwich  und  Anselm, 
Kirchen  aus  Backstein  zu  errichten  befohlen  hätten ,  ohne  von  der 
Wirkung  des  neuen  Materials  durch  den  Augenschein  Kenntnis  zu 
haben.  Die  letztere  aber  zu  erwerben,  bot  Oberitalien  die  beste,  ja 
damals  fast  einzige  Gelegenheit  und  man  darf  die  Vermutung  hinzu- 


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5°4 


Zweites  Huch.  Der  romanische  Stil. 


fügen,  dass  Hartwich  einen  lombardischcn  Werkführer  mitgebracht  oder 
Anselm  einen  solchen  ihm  nachgeschickt  haben  werde  ').   Man  würde  in 
der  Frage  klarer  sehen,  wäre  das  Alter  der  gegenwärtigen  Jerichowlr 
Klosterkirche  (Taf.  51,  57)  unbestritten.    Ist  es  im  Kerne  noch  der 
zwischen  1149  und  1152  begonnene  Krstlingsbau  mit  bloss  teilweiser 
Erneuerung  im  13.  Jahrhundert?  oder  ein  einheitlicher  Neubau  nach 
1200?    Die  Kontroverse2)  hat  sich  auf  technische  Argumente  zuge- 
spitzt, welche  nachzuprüfen  wir  nicht  in  der  Lage  waren.  Gewiss 
sprechen  die  allgemeinen  Erwägungen  für  die  ältere  Zeitstellung.  Dass 
eine  Prämonstratenserkirche  das  Hirsauer  Schema  wählte  —  wozu 
nicht  nur  der  Grundriss,  sondern  auch  der  ursprüngliche  Mangel  einer 
Krypta  und  die  in  dieser  Gegend  sonst  unbekannte  Säulenform  der 
Stützen  gehört  —  ist  im  1 2.  Jahrhundert  wiederholt  vorgekommen  ;  für 
das  13.  wäre  es  befremdlich.    Sodann  zugestanden  die  Möglichkeit, 
dass  zu  Anfang  die  jetzige  »Stadtkirche«  einige  Jahre  lang  von  den 
Mönchen  benützt  worden,  bleibt  es  doch  mehr  wie  unwahrscheinlich, 
dass  das  begüterte  und  begünstigte  Kloster  länger  als  50  Jahre  mit 
diesem  kleinen  einschiffigen  Bau  sich  begnügt  hätte  und  dann  erst  an 
die  Errichtung  einer  Kirche  von  normalen  Verhältnissen  aber  unbegreif- 
lich altertümlichem  Plane  herangetreten  sei.   Lässt  man  dagegen  unsere 
Hypothese  von  der  Mitwirkung  eines  Lombarden  oder  sei  es  eines  in 
der  Lombardei  gebildeten  Deutschen  gelten,  so  liegt  in  der  hoch- 
stehenden technischen  Durchbildung  der  Jerichower  Kirche  nichts  mit 
der  angenommenen  Entstehung  in  den  50er  und  60er  Jahren  des 
12.  Jahrhunderts  Unvereinbares.   Wie  immer  es  sich  mit  Jerichow  ver- 
halten mag  —  genug,  die  lombardisierenden  Formen,  auf  die  es  hier 
ankommt,  finden  sich  auch  anderweitig.    Wir  nennen  von  datierten 
Beispielen:  den  gedoppelten  Bogenfries  an  dem  1161  geweihten  Chor 
der  Klosterkirche  zu  Diesdorf  (nach  Adler  auch  technisch  mit  Jerichow 
nahe  verwandt),  das  Trapezkapitell  an  den  Vierungsbögen  und  in 
dem  10  bis  15  Jahre  jüngeren  Schiff  derselben  Kirche;  beides  an  der 
bald  nach  11 84  begonnenen  Kirche  zu  Arendsee. 

Der  Backstein  verdrängte  noch  vor  Ablauf  des  12.  Jahrhunderts 
die  anderen  Materialien,  Holz,  Sandstein,  Granit  —  wenigstens  bei 


')  Zuerst  ausgeführt  in  unserer  Inauguraldissertation,  Uartwich  von  Stade,  Göttingen 
1872,  S.  89  ff.  Adlers  fortgesetzte  Weigerung,  den  Eiufluss  Italiens  anzuerkennen, 
bleibt  uns  so  lange  unverständlich,  als  es  Adler  nicht  gelingt,  für  die  in  Frage  kom- 
menden Formen  niederländische  Analogien  nachzuweisen.  Adlers  neuerdings  wiederholte 
Vermutung ,  dass  die  erste  Einführung  der  Holländer  in  die  Altmark  durch  Anselm  von 
Havclberg  bewirkt  sei,  wurde  schon  von  Heinemann,  Albrecht  der  Dar ,  Kap.  5, 
Anra.  S5  (S.  391)  zurückgewiesen. 

■)  Zwischen  F.  Adler,  der  für  das  ältere,  und  K.  Schäfer,  der  für  das  jüngere 
Datum  eintritt;   s.  Centraiblatt  der  Bauverwaltung  18S4,  Nr.  16.  17.  iS.  23.  43-49- 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 


ansehnlichen  Kirchen  —  vollständig.  Nur  der  Granit-Ziegel-Mischbau, 
dessen  ältestes  Beispiel  die  1158  begonnene  Kirche  von  Krewese 
giebt,  hielt  sich  daneben  bis  ins  13.  Jahrhundert.    Granit  und  Back- 
stein, so  verschieden  in  stofflicher  Hinsicht  sie  sind,  haben  in  tek- 
tonischer  manche  Eigenschaften  miteinander  gemein.    Beide  fordern 
zur  Bildung  grosser,   ruhiger  Flächen  auf.    Detaillierung   ist  über- 
haupt nur  im  Backstein  ausführbar  und  auch  hier  an  wenige  Kombi- 
nationen gebunden,  da  man  nach  Möglichkeit  mit  gewöhnlichen  Mauer- 
steinen auszukommen,  in  der  Herstellung  von  Formsteinen  sich  zu 
beschränken  bestrebt  war.    Geringe  Ausladungen,  Knappheit  der  Ge- 
samterscheinung, das  ist  der  Grundzug  der  Backsteinarchitektur.  Da- 
gegen machte  es  keine  Schwierigkeiten,  wenn  ein  brauchbarer  Mörtel 
hinzutrat,  Gewölbedecken  anzulegen,  weshalb  dieselben  im  Backstein- 
gebiet verhältnismässig  früh  zur  Herrschaft  gelangten.   Nachdem  einige 
kleinere  Kirchen  der  Altmark  (Seitenschiffe  von  Krewese  in  den  6ocr 
Jahren,  Hauptschiff  von  Diesdorf  in  den  70er  Jahren  (Taf.  176)  darin 
vorangegangen  waren,  erhoben  sich,  alles  bisher  im  Backstein  Versuchte 
in  Schatten  stellend,  die  Dome  von  Lübeck  und  Ratzeburg.  In  ihnen 
ist  Geist  und  Willen  des  grossen  Sachsenherzogs  Heinrichs  des  Löwen 
wiederzukennen.    In  demselben  Jahre  mit  der  Grundsteinlegung  des 
Lübecker  Domes  (1 173)  hatte  er  die  Hauptkirchc  seiner  Residenz 
Braunschweig  begonnen,  den  ersten  durchgeführten  Gewölbebau  Alt- 
sachsens.  Der  Lübecker  Dom  ist  durch  einen  gotischen  Umbau  stark 
verändert,  der  wohlerhaltene  Ratzeburger  gleicht  in  der  Anlage  genau 
dem  Braunschweiger  (vgl.  Taf.  176  mit  189):  Mit  diesem  nun  teilt  der 
Dom  von  Ratzeburg  genau  die  gleiche  Anlage  (vgl.  Taf.  176  u.  189): 
gebundenes  System  strenger  Ordnung,  quadratische  Pfeiler  mit  dünnen 
Ecksäulchen,  grätige  Gewölbe.    Er  gilt  mit  Recht  für  die  vollendetste 
Leistung  des   romanischen   Backsteingewölbebaus,   wie  die  Kloster- 
kirche von  Jerichow  den  ersten  Rang  unter  den  Flachdeckbasiliken 
dieser  Gruppe  einnimmt. 

Dies  also  ist  die  älteste  Geschichte  des  norddeutschen  Backstein- 
baus; durch  ein  merkwürdiges  Zusammentreffen  holländischer  und 
lombardischer  Einflüsse  um  n  50  in  der  Altmark  entsprungen,  wandert 
er  die  Elbe  abwärts,  erreicht  noch  vor  dem  Schluss  des  Jahrhunderts 
in  Holstein  und  Mecklenburg  die  Ostsee,  wendet  sich  dann  westwärts 
an  die  untere  Weser,  um  in  Friesland  mit  seinem  Ursprungsgebiet  sich 
zu  berühren;  nach  Osten  aber  folgt  er  der  deutschen  Kolonisation 
allenthalben  als  eines  ihrer  kenntlichsten  Wahrzeichen.  Bei  weitem 
die  meisten  und  stattlichsten  Kirchen  stellte  der  Cistercienserorden ; 
Bischofssitze  gab  es  in  dem  dünn  bevölkerten  Lande  wenig;  als  zum 
Teil  noch  romanisch  nennen  wir  die  Dome  von  Brandenburg  und  von 
Kammin.   Die  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  erbaute  Klosterkirche 

33 


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506 


Zweit«  Buch:  Der  romanische  Stil. 


von  Oliva  bei  Danzig  bezeichnet  in  Deutschland  den  östlichsten  Punkt, 
den  der  Backsteinbau  innerhalb  der  romanischen  Epoche  erreichte. 

Schon  früher  war  er  im  Gefolge  der  deutschen  Missionäre,  Ritter 
und  Kaufleute  über  die  Ostsee  gesetzt.  In  Riga,  der  Metropole  Liv- 
lands,  erhob  sich  seit  12 15  der  Backsteindom,  dessen  genau  dem 
Schema  von  Braunschweig,  Ratzeburg  (und  vermutlich  Lübeck)  ent- 
sprechender Chor  und  Querbau  noch  heute  dasteht;  das  Langhaus  ist 
ein  gotisch  veränderter  Uebergangsbau.  — 

Hier  schliesscn  wir  denn  noch  das  wenige  an,  was  über  Skan- 
dinavien von  unserem  Standpunkt  zu  bemerken  nötig  ist.  Skandina- 
vien verhält  sich  hinsichtlich  der  Kunst  ähnlich  zu  Mittel-  und  West- 
europa, wie  dieses  ehedem  zu  Rom,  mit  dem  Unterschiede  jedoch, 
dass  es  nicht  einer  sinkenden,  sondern  einer  aufsteigenden  Kunst 
gegenüber  stand.    Die  christliche  Mission  hatte  ihre  Thätigkeit  im 
9.  Jahrhundert  begonnen ,  eine  gleichmässig  durchgeführte  kirchliche 
Ordnung  ist  erst  am  Ende  des  12.  Jahrhunderts  da.    Die  ersten  Ge 
schlechter  des  Kirchenbaus  waren  Holzbauten.  Erhebliche  Steinbauten 
beginnen  erst  im  12.  Jahrhundert,  um  dieselbe  Zeit,  in  welcher  die 
nordische  Kirche  von  der  Oberhoheit  der  deutschen  Metropole  Ham- 
burg-Bremen, nicht  ohne  langwierigen  Kampf  und  vom  englischen  und 
französischen  Klerus  unterstützt,  sich  frei  machte.    Diese  Verhältnisse 
spiegeln  sich  in  der  Bauweise  wieder:  die  deutschen  Einflüsse  kreuzen 
sich  mit  englisch-französischen.  -  Am  stärksten  zeigen  sich  die  ersteren 
in  Dänemark.    Schon  mit  dem  Material  war  man  hier,  da  der  ein- 
heimische Granit  sich  bei  grösseren  Bauten  zu  unfügsam  zeigte,  an 
Deutschland  gewiesen  ;  zwischen  1 130— 80  wurde  öfters  rheinischer  Tuff* 
angewendet,  von  11 70  ab  drang  von  Norddeutschland  her  der  (fälsch- 
lich für  autochthon  ausgegebene)  Backstein  ein.   Ganz  rheinischer  Art 
ist  der  nach  einem  Brande  von  n  76  in  Andernacher  Stein  erbaute 
stattliche  Dom  von  Rihe  (Taf.  166,  178),  rheinisch  wenigstens  in  den 
Dekorationsmotiven  die  Kirche  des  erzbischöflichen  Sitzes  zu  Lund. 
Dagegen  zeigt  der  bedeutendste  romanische  Bau  Dänemarks,  der  1101 
begonnene  Dom  von  Rokskild  einen  auf  direkter  Bekanntschaft  mit 
französischen   Mustern    (u.  a.  Tournay)   beruhenden  Uebergangsstil, 
englisch- normannische  Färbung  die  Klosterkirche  zu  Wester wig  in 
Jütland  (Taf.  85).  —  Ganz  in  der  letztgenannten  Einflusssphäre  liegt 
Norwegen1),  dessen  halb  romanisches,  halb  frühgotisches  Hauptdenk- 


')  Ruprich  Robert ,  Larchitecture  Normande ,  stellt  mit  der  Behauptung,  dass 
manche  Züge  der  normannischen  Kunst  aus  Norwegen  stammen ,  das  wahre  Verhältnis 
auf  den  Kopf.  Wenn  Ltibkc  die  kuppelartigen  Kreuzgewölbe  der  Marienkirche  zu 
Bkri ;kn  ausnahmsweise  auf  deutsche  Vorbilder  zurückführt ,  so  ist  uns  auch  hierin  west- 
licher Einfluss  (Plantagenetstir  wahrscheinlicher. 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  C.ewölbebau  in  Deutschland. 


507 


mal  der  Dom  von  Drunthkim  ist.  —  Auf  die  vielberufenen  romanischen 
Holzkirchen  des  Landes  wollen  wir  nur  im  Vorübergehen  hinweisen.  — 
In  Schweden  neigt  sich  das  auf  die  Kordsee  schauende  Westgotaland 
England  zu,  die  Ostseeküste  Deutschland.  Am  reichsten  an  roma- 
nischen Denkmälern  (zum  Teil  Hallenkirchen)  ist  die  Insel  Gotland, 
auf  dem  Festlande  haben  nur  die  Cistercienser  Bedeutendes  geleistet. 

Das  Gesamtbild  des  deutschen  Spätromanismus  lässt  darüber 
keinen  Zweifel,  dass  trotz  der  grossen  Fruchtbarkeit  seine  innere, 
gedankenzeugende  Triebkraft  erschlafft  war.  Die  grossen  Aufgaben, 
welche  die  Zeit  mit  sich  brachte,  fanden  keine,  wenigstens  keine  die 
Allgemeinheit  mit  sich  fortreissende  Förderung,  und  so  musste  not- 
wendig geschehen,  was  geschah,  nämlich  dass  die  unvergleichlich 
schneller  und  folgerichtiger  vorwärtsgeschrittene  französische  Kunst 
die  deutsche  plötzlich  überflügelte  und  in  ihre  Gefolgschaft  einzutreten 
zwang.  Das  gilt  aber  nur  von  der  grossen  Masse.  Derselben  stehen, 
vereinzelt  leider  nur,  Bestrebungen  von  echter  schöpferischer  Initiative 
gegenüber.  Auf  Werke  wie  die  Dome  von  Magdeburg  und  von 
Münster  oder  die  Stiftskirchen  von  Limburg  und  von  Werden  ist  das 
oft  gehörte  Wort  von  der  zersetzenden  Wirkung  der  eindringenden 
Gotik  wahrlich  nicht  anwendbar.  Sie,  die  an  der  äussersten  Zeit- 
grenze der  Epoche  entstanden,  sind  sicher  ihre  besten  Leistungen, 
sicher  Zeugnisse  neuer  aufsteigender  Kraft.  Nur  eine  historisch  und 
ästhetisch  falsche  Beurteilung  derjenigen  Gotik,  die  nach  1250  in 
Deutschland  emporkam,  kann  verkennen,  dass  gerade  vor  dieser  Zeit- 
wende die  deutsche  Kunst  in  guten  Stunden  auf  dem  Wege  war,  eine 
ungleich  selbständigere  Parallelschöpfung  zur  französischen  Gotik  her- 
vorzubringen. Die  Ursachen  des  Misslingens  liegen  nicht  in  der  Kunst- 
entwickelung als  solcher;  das  Verhängnis  war,  dass  volle  Sammlung 
und  freudige  Anspannung  aller  geistigen  Hilfskräfte  gefordert  wurde 
in  einem  Augenblick,  da  die  Nation  einer  unheilvollen  allgemeinen 
Krisis  entgegenging.  Der  Moment  des  Zusammenbruchs  der  könig- 
lichen und  kaiserlichen  Gewalt  und  des  Eintritts  in  das  Interregnum 
konnte  nimmermehr  die  Geburtsstunde  eines  selbstgeschaffenen  neuen 
Stiles  werden. 

5.  Hallenkirchen. 

Ueber  den  Begriff  der  Hallenkirche  haben  wir  S.  313  gesprochen. 
Der  alte  Irrtum,  dass  diese  Bauform  innerhalb  des  romanischen  Stils 
eine  Deutschland  ausschliesslich  eigene  oder  mindestens  hier  allein  zu 
häufiger  Anwendung  gebrachte  sei,  wird  nach  dem  auf  S.  358  ff.  und 


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508 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


450  ff.  über  Frankreich  und  Oberitalien  mitgeteilten  nicht  länger 
wiederholt  werden  dürfen.  Wo  immer  selbständige  und  frühe  Ver- 
suche im  Gewölbebau  angestellt  wurden,  ist  der  Gedanke  der  Hallen- 
anlage nirgends  ausgeblieben.  Aus  der  Frühzeit  der  deutsch-romani- 
schen Kunst  haben  wir  das  Beispiel  einer  klar  ausgebildeten ,  den 
Gewölbebasiliken  des  Mittelrheins  fast  um  ein  Jahrhundert  voraus- 
gehenden Hallenanlage  in  S.  Bartholomäus  zu  Paderborn  bereits  kennen 
gelernt  (S.  459)  und  es  mag  sein,  dass  hie  und  da  noch  einige  Werke 
mehr  in  dieser  Art  —  seither  verschwundene  —  gebaut  worden  sind. 
Während  aber  die  Lombardei  und  besonders  das  südliche  und  west- 
liche Frankreich,  bis  die  Mittel  zur  Wölbung  der  Basilika  gefunden 
wurden,  sich  der  Hallenanlage  reichlichst  bedienten,  hat  gerade  die 
deutsche  Baukunst  auf  deren  systematische  Ausnutzung  lange  Zeit 
nicht  eingehen  wollen.  Die  einzige  Landschaft  Westfalen  lernte, 
immerhin  spät,  mit  ihr  sich  befreunden.  Es  war  das  Eindringen  des 
Gewölbebaus  vom  Rhein  her,  das  die  in  der  Frühzeit  hier  wahr- 
scheinlich etwas  häufiger  als  anderswo  geübte  Form  wieder  in  Er- 
innerung brachte.  Ausserdem  ist  der  Gedanke  nicht  abzuweisen,  dass 
der  aus  manchen  Anzeichen  zu  vermutende  Verkehr  mit  Westfrank- 
reich, besonders  dem  Anjou  (vgl.  S.  482)  nicht  ohne  Einfluss  hierauf 
gewesen  sein  möchte;  denn  eben  in  jenen  Gegenden  war  die  ander- 
weitig schon  überall  aufgegebene  Hallenanlage  bis  in  die  Frühgotik 
hinein  lebendig  geblieben.  (Vgl.  z.  B.  die  Gewölbe  Taf.  185,  1.  2 
mit  Taf.  109  oder  die  Pfeiler  Taf.  314;  ferner  die  sonst  in  Deutschland 
fast  unbekannte  Kombination  mit  Tonnengewölben  in  den  Seiten- 
schiffen in  Balve,   Kirchlinde,   Wallenhorst,  Plettenberg,  Taf.  169.) 

Der  Grundriss  ist  durchweg  der  einfachste.  Drei  Schiffe  von 
zwei,  höchstens  drei  Jochen;  selten  ein  Querschiff;  der  Chor  in  der 
Regel  platt  geschlossen ;  ihm  entsprechend  eine  westliche  Vorhalle, 
über  welcher  sich  turmartig  die  Glockenstube  erhebt.  —  Im  System 
begegnen  zwei  Arten.  Die  eine  gruppierend  nach  dem  Vorbild  des 
gebundenen  Basilikenschemas,  mit  Nachklängen  von  diesem  her  auch 
im  Querschnitt  und  in  der  Schmalheit  der  Abseiten.  (Beispiele: 
S.  Servatius  zu  Münster,  S.  Jakobus  zu  Koesfeld.  Marktkirche  und 
S.  Nikolaus  zu  Lippstadt,  Kirchen  zu  Billerbeck,  Legden,  Derne. 
Bocke,  Ostönnen,  Langenhorst  —  sämtlich  letztes  Viertel  12.  Jahr- 
hunderts oder  Anfang  13.)  Die  andere  geht  folgerichtiger  vor: 
sie  hat  durchlaufende  Joche  und  giebt  den  Seitenschiffen  eine  grössere, 
dem  Mittelschiffsich  nähernde  Breite;  mit  Hilfe  des  Spitzbogens  war 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 


5oy 


es  dann  nicht  schwer,  in  allen  Schiffen  beinahe  gleiche  Scheitelhöhe 
zu  erreichen.  Beispiele:  Münsterkirche  zu  Herford,  Stiftskirchen  zu 
Lippstadt,  Barsinghausen,  Methler,  Warburg;  am  konsequentesten  in 
Berne;  in  interessanter  Verquickung  mit  der  ersten  Art  in  S.  Marien 
zur  Höhe  in  Soest  —  Taf.  169,  185,  186.  Die  Hallenkirchen  West- 
falens  sind  alle  von  kleiner  oder  massiger  Dimension,  die  meisten  in 
einem  sehr  anspruchslosen,  selbst  bäuerischen  Stil,  keine  an  künst- 
lerischer Bedeutung  der  auf  gleicher  Entwickelungsstufe  stehenden 
Hallenkirchen  Westfrankreichs,  der  Kathedrale  von  Poitiers  und  ihren 
Verwandten,  auch  nur  von  ferne  sich  nähernd. 

Das  einzige  grossräumige  Werk  dieser  Familie,  der  Dom  von 
Paderborn,  ist  in  gotischer  Zeit  eingreifend  verändert;  vom  herrlichen 
frühgotischen  Langhaus  des  Domes  zu  Minden  bleibt  dahingestellt,  ob 
es  etwa  schon  romanisch  projektiert  war.  —  Westlich  der  Weser  ist 
die  einzige  Stadt  Braunschweig  hier  zu  nennen.  Die  Martinikirche,  1204 
in  Nachahmung  des  Domes,  also  als  Basilika  begonnen,  wurde  während 
des  Baus  in  die  Hallenform  übergeführt,  woher  die  seltsame  zweige- 
schossige Anordnung  der  westlichen  Pfeiler  (Taf.  186);  dieselbe  dem 
Dom  verwandte  Grundanlage  und  dieselbe  Wandelung  ebenda  an  der 
Katharinen-  und  der  Andreaskirche.  Dagegen  von  Anfang  an  ein  Hallen- 
bau, c.  a.  1180,  durch  die  primitive  Behandlung  der  Kreuzgewölbe  inter- 
essant, ist  die  Dorfkirche  im  benachbarten  Melverode  (Taf.  185,  186). 

Ausserhalb  des  hiermit  umschriebenen,  also  ziemlich  engen  Gebietes 
gewährte  die  deutschromanische  Baukunst  der  Hallenform  äusserst  selten 
Anwendung,  es  wäre  denn  hie  und  da  bei  kleinen  kapellenartigen  Bauten. 
Taf.  190  gibt  eine  Ansicht  der  jetzt  auf  den  Frithof  von  Bonn  ver- 
setzten Kapelle  der  Deutschordenskommende  zu  Ramersdorf  (ausführ- 
lich publiziert  bei  Gailhabaud,  L'architecture  1);  die  in  Westfalen 
schwer  und  nüchtern  wirkende  Anlage  zeigt  sich  hier  einer  schlanken 
durchsichtigen  Raumbehandlung  fähig,  wie  sie  erst  von  der  späteren 
Gotik  wieder  aufgenommen  wurde. 

Vereinzelt  steht  die  Benediktinerkirche  Prüll  bei  Regensburg 
(S.  185),  nach  B.  Riehl  (Repertorium  f.  Kunstwiss.  XIV,  S.  361  ff.),  im 
J.  ii  10  geweiht,  in  welchem  Falle  sie  eine  der  ältesten  Gewölbekirchen 
Bayerns  wäre.  Zu  vergleichen  die  fünfschiffige,  hallenmässige  Chor- 
partie in  Kastel,  einige  Meilen  nordwestlich;  hier  die  burgundische 
Anregung  unzweifelhaft;  bei  Prüll  könnte  daneben  auch  lombardische 
in  Frage  kommen.  Wieder  am  wahrscheinlichsten  burgundisch  die 
Cistercienserkirche  Waldenbach  (Riehl  a.  O.L  Wo  aber  sind  S.  Peter 
in  Augsburg  und  die  Templerkirche  S.  Leonhard  in  Regensburg 
einzureihen : 


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5io 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Nach  dem  Querschnittsprinzip  der  Hallenkirche  Hesse  sich  ein 
gegebener  Raum  in  eine  beliebige  Anzahl  von  Schiffen  zerlegen  (wie  in 
den  mohammedanischen  Moscheen,  oder,  ein  näherliegender  Vergleich, 
wie  in  den  Krypten),  der  thatsächliche  Gebrauch  kennt  aber  bei 
Kirchen  —  mit  einer  ganz  seltenen  Ausnahme  —  nur  die  Dreiteilung. 
Die  Ausnahme,  die  wir  meinen,  ist  die  Zweiteilung.  Sie  wäre, 
namentlich  bei  kleineren  Bauten,  vielleicht  häufiger  in  Anwendung 
genommen ,  hätte  nicht  schon  eine  andere  Gebäudegattung  sie  zur 
Normalform  erkoren,  nämlich  das  Klosterrefektorium.  Einige  Beispiele 
aus  Westfalen,  Böhmen,  Graubündten  haben  wir  auf  Taf.  i6q  zusammen- 
gestellt; etwas  häufiger  wird  die  Form  doch  erst  in  gotischer  Zeit. 

Dass  auch  einschiffige  Gewölbekirchen  vorkommen,  bedarf 
nicht  erst  der  Erwähnung.  Da  es  aber  ohne  Ausnahme  geringfügige, 
kleine  Bauten  sind,  haben  wir  bei  ihnen  zu  verweilen  keinen  Anlass'j 


Beschreibung  der  Tafeln. 

_  .  ,    _  Grundrisse. 
Tafel  164. 

1.  Trier:  Dom.  —  Die  schwarz  angelegten  Teile  saec.  4  u.  6,  die 
kreuzweise  schraffierten  M.  saec.  11,  Gewölbe  und  Ostchor  A.  saec. 
13.  —  v.  WÜmowsky. 

2.  Main*:  Dom.  —  Ostteile  A.  saec.  11,  Langhaus  E.  saec.  11,  west!. 
QuerschifT  und  Chor  nach  1200.  —  Schneider. 

3.  Speyer:  Dom.  —  c.  1030—60,  Vorhalle  und  Ostapsis  saec.  12.— 
Geier  u.  Görz.  Hübsch. 

4.  Worms:  Dom.  —  Westtürme  A.  saec.  n,  sonst  2.  Hälfte  saec.  12, 
Westchor  A.  saec.  13.  —  Moller;  Deutsche  Bauzeitung. 

Tafel  165. 

1.  Knechtsteden:  Pramonstratenserkirche.  —  Beg.  1138.  —  Zeitschr. 
f.  Bauwesen. 

2.  Laach:  Benediktiner-K.  —  Beg.  1112,  Vorhalle  A.  saec.  12. 
Geier  u.  Gorz. 


')  Wohl  die  grosste  einschiffige  Kirche  des  deutschen  Baugebietes,  zugleich  aj- 
dessen  am  weitesten  nach  Norden  vorgeschobener  Aussenposten  denkwürdig ,  möchte  di« 
mit  dem  bischöflichen  Schloss  verbundene  Domkirche  zu  Hapsal  an  der  Küste  von 
Estland  sein;  drei  spitzbogige  Kreuzgewölbe  über  einem  Rechteck  von  36  X  11,5m  im 
Lichten;  erbaut  nach  1263;  das  Detail  noch  ganz  romanisch.  (Die  Masse  bei  Nw* 
mann:  Gesch.  der  bildenden  Künste  in  Liv-,  Est-  und  Kurland  p.  t6  sind  falsch.) 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewölbehau  in  Deutschland. 


SU 


3.  Verdun:  Dom.  —  saec.  12.  Viollet-le-Duc.    Zu  klein. 

4.  Kloster  rath:  Stifts- K.  —  M.  saec.  12.  —  Baudry,  Organ  1859  und 
eigene  Messungen. 

5.  Brauweiler:  Benedikthur- K.  —  saec.  11,  umgebaut  E.  saec.  12.  — 
Zu  gross.    Zeitschr.  d.  hannöv.  Architekten-Vereins. 

6.  Rosheim  ;  S.  Peter-Paul.  —  E.  saec.  12.  —  Lasius  in  AI  Ige  m. 
Bauzeitung. 

7.  Enkenbach:  Kloster-K.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  —  Gladbach. 

8.  * 'München- Gladbach:  Kloster-K.  S.  Veit.  —  A.  saec.  13,  Chor  2.  H. 
saec.  13.  —  Bezold. 

9.  Worms:  St.  Martin.  —  saec.  12  u.  13.  —  Gladbach;  Denk- 
mäler in  Hessen. 

10.  Schlettstadt :  S.  Fides.  —  E.  saec.  12.  —  Kraus,  Kunst  und 
Altertum  in  Elsass-Lothringen. 

11.  *  Saint- DU:  Kleinere  Kirche  (?).  —  saec.  12.  —  Bezold. 

12.  Sigolsheim.  —  E.  saec.  12.  —  Kraus. 

13.  Gebweiler:  Kloster-K.  S.  Leodegar.  —   Beg.  1162.   —  Archiv  es 
des  mon.  hist. 

Tafel  166. 

1.  Köln:  S.  Aposteln.  —  A.  saec.  12,  Chor  c.  1200,  westl.  Querschiflf 
und  Gewölbe  des  Langhauses  1219.  —  Boissere'e. 

2.  Köln:  Gross-S.- Martin.  —  c.  1200.  —  Boissere'e. 

3.  *Bonn:  Münster  S.  Cassius  und  Florentius.  —  Westchor  A.saec.  u, 
Ostchor  c.  1160,  Kreuzarme  und  Langhaus  nach  1208.  —  Tornow. 

4.  Köln:  S.  Kunibert.  —  A.  saec.  13.  —  Boissere'e. 

5.  Reuss:  S.  Quirin.  —  Beg.  1209.  —  Boissere'e. 

6.  Roermond:  Liebfrauen-K.  —  Beg.  12 18.  —  Bock- Tornow. 

7.  Ribe:  Dom.  —  A.  saec.  13.  —  Helms. 

8.  Sinzig:  Pfarrkirche.  —  Beg.  1220.  —  Bock- Tornow. 

q.  Limburg  a.  d.  Lahn:  Stiftskirche  S.  Georg.  —  Beg.  c.  12 10.  — 
H.  Stier  in  Z.  f.  Bauwesen. 

10.  Münstermaifeld:  S.  Martin.  —  VVestbau  saec.  11,  Chor  und  Quer- 
schiff 1225,  Langhaus  c.  1240.  —  Bock-Tornow. 

11.  Arnstein  a.  d.  Lahn:  Pr ämonstr atenser- K.  —  2.  Hälfte  saec.  12, 
Chor  gotisch  erweitert.  —  Bock-Tornow. 

Tafel  167. 

1.  Osnabrück:  Dom.  —   1.  Hälfte  saec.  13,  Chorumgang  saec.  14.  — 
Hase. 

2.  Münster  i.  W.:  Dom.  —  Beg.  1225.  —  Lübke. 

3.  *  Naumburg:  Dom.  —  Vor  Mitte  saec.  13,  Westchor  1249,  Ostchor 
1308.  —  Memminger. 

4.  Eger:  Nikolai- K.  —  A.  s.  13.  —  Gruber. 


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512 


Zweites  Buch  :  Der  romanische  Stil. 


5.  Bömberg:  Dom.  —  Auf  dem  Plan  des  saec.  ii  gewölbmässig  um- 
gebaut c.  1230  —  37,  Westchor  2.  Hälfte  saec.  13.  —  Förster. 

6.  Fritzlar:  Stifts-K.  S.  Peter.  —  E.  saec.  12  und  A.  saec.  13.  — 
v.  Dehn-Rotfelser,  Baudenkmäler  in  Kurhessen. 

7.  Arnstadt:  Liebfrauen.  —  E.  saec.  12,  Ostbau  A.  saec.  14.  — 
H.  Stier  in  D.  Bauzeitung. 

Tafel  168. 

1.  Wildeshausen:  S.  Alexander.  —  Beg.  1224.  —  Hase. 

2.  Goslar:  Frankenberger  K.  S.  Peter- Paul.  —  A.  saec.  13.  —  M  i  t- 
hoff,  Archiv. 

3.  Braunschweig:  Stifts- K.  S.  Blasius.  —  Beg.  1273.  —  Hase. 

4.  Diesdorf:  Augustiner-K.  —  Beg.  11 57.  —  Adler. 

5.  Heiningen:  Klcster-K.  —  saec.  11,  Umbau  saec.  12.  —  Hase. 

6.  Neuweiler:  Stifts-K.  S.  Peter  und  Paul.  —  1.  Hälfte  saec.  13,  die 
östlich  anschliessende  Kapelle  saec.  11.  —  Archives  des  m.  h. 

7.  Karlsburg:  Dom.  —  Nach  M.  saec.  13.  C.-Comm.  Jahrb.  III. 

8.  Wiener- Neustadt:  S.Maria.  —  M.  saec.  13.  —  Heider  u.  Eitel- 
berger. 

9.  Ellwangen:  Stifts-K.  S.  Veit.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  —  Schwarz. 
\o.  Sanct  Jdk:  Benediktiner- K.  —  Gegen  Mitte  saec.  13.  —  Heider 

u.  Eite lberger. 

11.  Zsambfck:  Prämonstratenser-K.  —  Beg.  1258.  —  Heider  u.  Eitel- 
berger. 

12.  Trebitsch:  Benediktiner- K.  —  Mitte  saec.  13.  —  Heider  u.  Eitel- 
berger. 

Tafel  169.  Hallenkirchen. 

1.  Soest:  Nikolaikapelle.  —  Gegen  1200.  —  Lübke. 

2,  3.  *  Paspels  und  Berschins  in  Graubündten:  Dorfkirchen.  —  Rahn. 

4.  Bechin  in  Böhmen.  —  A.  saec.  13.  —  Grueber. 

5.  Melverode  bei  Braunschweig:  Dorfkirche.  — Nach  11 78.  —  Hase. 

6.  Methler;  Ifarr-K.  -  1.  Hälfte  saec.  13.  —  Nordhoff. 

7.  *Soest:  S.  Marien  zur  Höhe.  —  1.  H.  saec.  13.  —  Memminger. 

8.  Kirchlinde.  —  1.  Hälfte  saec.  13.  —  Lübke. 

9.  Balve.  —  1.  Hälfte  saec.  13.  —  Liibke. 

10.  Berne.  —  1.  Hälfte  saec.  13.  —  Hase. 

11.  *Bremen  bei  Werl.  —  saec.  11  u.  13.  —  Memminger. 

12.  Battenfeld.  —  Hess.  Denkmäler. 

13.  Bocke.  —  saec.  12  — 13.  —  Lübke. 

14.  Wallenhorst.  —  saec.  12  — 13.  —  Hase. 

15.  *  Ostönnen.  —  saec.  12  —  13.  —  Memminger. 

16.  * Prüll  bei  Regensburg:  Karthause.  —  A.  saec.  13.  —  Höfken. 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Deutschland.  513 

17.  '*  Regensburg :  Templer- K.  S.  Leonhard.  —  A.  saec.  12.  —  Hofken. 

18.  Legden.  —  1.  Hälfte  saec.  13.  —  Hase. 

19.  Billerbeck.  —  Beg.  1234.  —  Hase. 

20.  Langenlwrst :  Nonnenkloster-K.  —  1.  Hälfte  saec.  13.  —  Hase. 

Tafel  170  Gewölkte  Kleinarchitektur. 

1.  {Verden  a.  R.:  Krypta.  —  saec.  9  u.  ri.  —  Z.  f.  Bauwesen. 

2.  '*  Regensburg :  S.  Emmeram,  Westkrypta.  —  M.  saec.  11.  —  Bezold. 

3.  4.  '*  Regensburg :  Stephanskapelle  (»alter  Dom*).  —  M.  saec.  11.  — 
Bezold. 

5,  6.  Paderborn:  Bartholomäuskapelle.  —  1017.  —  Möllinger. 
7,  8.  Corvei:  Kloster- K,  Krdgeschoss  des  Westchors.  —  Um  1000.  — 
Möllinger. 

9,  10.  Helmstädt:  Liudger ikapelle.  —  saec.  10  u.  11.   —  Nieders. 
Bauhütte. 

11.  Helmstädt:  Liudgerikloster,  Krypta.  —  A.  saec.  11.  —  Xieders. 
Bauhütte. 

12,  13.  Quedlinburg:  Wipcrti- *  Krypta  (  Kapelle). —  saec.  10.  —  Hase. 
14,  15,  16.  Mainz:  Erzbischöfliche  Palastkapelle  S.  Gotthard.  —  1135. 

—  Schneider. 

1 7 .  Neuweiler :  Doppelkapelle.  —  saec.  11.  —  V  i  o  1 1  e  t  •  1  e  - 1)  u  c. 

18.  Köln:  S.  Maria  im  Kapitol,  Krypta.  —  saec.  11.  —  Boisserde. 

19.  Freiburg  a.d.  Unstrut:  Schlosskapelle.  —  saec.  12  u.  13.  —  Puttrich. 

20.  Frei  sing:  Domkrypta.  —  Förster. 

21.  Landsberg:  Schlosskapelle.  —  Puttrich. 

22.  Köln:  S.  Gereon,  Krypta.  —  Westl.  Teil  saec.  11,  östl.  Teil  saec. 
12.  —  Boisseree. 

_  ,  ,  Gkwolbehasiuken.  Querschnitte. 

Tafel  171. 

1.  *  Saint- Dit:  Kleinere  Kirche.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  —  Bezold. 

2.  Worms:  S.  Martin.  —  saec.  12,  Hauptgewölbe  gegen  M.  saec.  13. 

—  Gladbach. 

3.  Mainz:  Dom.  —  c.  1090-  1135,  Gewölbe  erneuert  c.  1200  (infolge 
Fehlers  unserer  Quelle  der  Gewölbekämpfer  um  fast  1  m  zu  niedrig)^ 

—  Schneider. 

4.  * Saint- Die":  Kathedrale.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  —  Bezold. 

5.  Speier:  Dom.  —  Letztes  V.  saec.  n,  Gewölbe  erneuert  c.  11 70.  — 
Geier  u.  Görz. 

6.  Worms:  Dom.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  —  Hess.  Denkmäler. 

7.  Knechtsteden:  Prämonstratenser-K.  —  Beg.  1138.  —  Z.  f.  Bauwesen. 

8.  Laach:  Benediktiner- K.  —  1.  Hälfte  saec.  12.  —  Geier  u.  Görz. 

9.  Ellwangen:  Stifts- K.  S.  Veit.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  —  Schwarz. 


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514  Zweites  Buch  .  Der  romanische  Stil. 

Tafel  172. 

1.  Heiningen:  Nonnenkloster- K.  —  2.  Hälfte  saec.  12  gewölbemässig 
umgebaut.  —  Hase. 

2.  Goslar:  Frankenberger-K.  —  c.  1200.  —  Hase. 

3.  Diesdorf:  Augustiner-K.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  —  Adler. 

4.  Petersberg  bei  Halle:  Augustiner- K.  —  Erneuert  nach  1200.  —  Z. 
f.  christl.  Archäologie,  2. 

5.  Sigolsheim.  —  F..  saec.  12.  —  Kraus. 

6.  Wildeshausen.  —  2.  V.  saec.  13.  —  Hase. 

SYSTEME    die  Zeitsl>estimmungen  u.  Quellen  s.  oben  . 

Tafel  173. 

1.  Mainz:  Dorn,  Langhaus.  —  2.  Speier:  Dom.  —  3.  Horms:  Dom. 
Tafel  174. 

1.  Laach:  Längenschnitt.  —  2.  Mainz:  Dom,  Westchor. 
Tafel  175. 

1.  Köln:  S.  Mauritius.  —  Vor  1144.  —  Quast  u.  Otte.  —  2.  Laach. 
3.  * Kloster rath;  Bezold.  —  4.  Battenfeld.  —  5.  FJlwangen.  - 
6.  Knechtsteden. 

Tafel  176. 

1.   Goslar:  Kirche  auf  dem  Frankenberge.  —  2.  Braunschweig:  Stifts 
kirche  (Dom).  —  Hase.   —   3.  Heiningen.   —    4.  Diesdorf.  - 
5.  Dortmund:  Liebfrauen.  —  Lübke.  —  6.  Königslutter:  Chor: 
vor  M.  saec.  12.  —  Hase.  —  7.  Wildeshausen. 

Schnute  um»  Systeme  des  Ueijergangsstii.s. 

Tafel  177. 

1.  Andernach:  S.  Genovefa.  —  Nach  1206:  —  Boissertfe. 

2,  3.  Kibe:  Dom.  —  A.  saec.  13.  —  Helms. 

4.  ^Bacharach:  S.  I'cter.  —  2.  V.  saec.  13.  —  Bezold. 

5.  Limburg  a.  L.:  Sttfts-K.  S.  Georg.  —  c.  1210—40.  —  Stier  in 
Z.  f.  Bauwesen. 

6.  *Koermond:  Liebfrauen.  —  1.  Hälfte  saec.  13.  —  Bezold. 

Tafel  178. 

1.  *Köln:  S.  Kunibert.  —  1.  V.  saec.  13.  —  Hofflund. 

2.  Köln:  Gross S.- Martin.  —  i.V.  saec.  13.  —  Boisser«fe. 

3.  Heisterbach:  Cistercienser-K  —  1.  V.  saec.  13.  —  Boissere"e. 

4.  *Bonn:  Münster.  —  i.V.  saec.  13.  —  Tornow. 

Tafel  179. 

1.  *  Bamberg:  Dom.  —  Vor  1236.  —  Forster. 

2.  * Naumburg:  Dom.  —  Vor  M.  saec.  13.  —  Memminger. 


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Zwölftes  Kapitel:  Der  Gewölbebau  in  Deutschland. 


515 


3.  Fritzlar:  Stifts-K.  —  1.  Hälfte  saec.  13.  —  v.  Dehn  -  Rotfelscr. 

4.  Trebitsch;  Kloster-K.  —  2.  V.  saec.  13.  —  C.-Comm.  Jahrb. 

5.  Freiburg  i.  B.:  Münster.  —  1.  Hälfte  saec.  13.  —  Moller. 

6.  *Strassburg :  Münster.  —  1 .  Hälfte  saec.  1 3 ,  Kuppel  modern  er- 
neuert. —  Baubtireau. 

Tafel  180. 

1.  *Bonn:  Münster,  Teil  des  Langchors  und  Mittelschiffs.  —    1.  V. 
saec.  13.  —  Martens. 

2.  *Koln:  GrossS- Martin,  Längenschnitt.  —  1.  Hälfte  saec.  13  mit 
Benutzung  älterer  Mauerteile.  —  Nagelschmidt. 

3.  ^Gelnhausen:  Pfarr-K.,  Chor  und  Vierung.  —  1.  V.  saec.  13.  — 
v.  Schmidt. 

4.  *Köln:  S.  Kunibert,  Längenschnitt.  —  A.  saec.  13.  —  Höf fl und. 
Tafel  181. 

i,  2.  *Sinzig:  Pfarr-K.  —  2.  V.  saec.  13.  —  Märtens. 

3.  * Roermond:  Liebfrauen.  —  1.  Hälfte  saec.  13.  —  Bezold. 

4.  ^Bacharach:  S.  Feter.  —  2.  V.  saec.  13.  —  Bezold. 

5.  *Köln:  S.  Andreas.  —  2.  V.  saec.  13.  —  Bezold. 

Tafel  182. 

1.  *  München-Gladbach:  S.  reit.  —  1.  Hälfte  saec.  13.  —  Bezold. 

2.  Limburg:  S.  Georg.  —  2.  V.  saec.  13.  —  Stier  in  Z.  f.  Bauwesen. 

3.  Köln:  Kloster- K.  Sion.  —  Beg.  1221.  —  Boisserde. 

4.  Werden  a.  d.  Ruhr:  Stifts-K.  —  1257—75.  —  Z.  f.  Bauwesen. 

5.  *  Gerresheim  :  Frauenstifts- K  —  1.  Hälfte  saec.  13.  —  Bezold.  — 
Höhen  bloss  nach  Schätzung. 

6.  jYeuss:  S.  Quirin.  —  1.  Hälfte  saec.  13.  —  Boisscrde. 

Tafel  183. 

1.  *  Saint- Dü1:  Kleinere  Kirche.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  —  Bezold. 

2.  *  Saint- DU:  Kathedrale.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  —  Bezold. 

3.  *Schlettstadt:  S.  Fides.       2.  Hälfte  saec.  12.  —  Bezold. 

4.  Rosheim.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  —  Lasius  in  A  11g.  Bauzeitung. 

5.  Horms:  S.  Martin.  —  saec.  12  u.  13.  —  Gladbach. 

6.  Gebweiler:  S.  Leodegar.  —  saec.  12  11.  13.  —  Archives. 

7.  Enkenbach:  Prämonstratenser-K.  —  M.  saec.  13.  —  Gladbach. 

Tafel  184. 

1.  ^Osnabrück:  Dom.  —  A.  saec.  13,  1218  wesentlich  vollendet.  — 
Bezold. 

2.  *  Bamberg:  Dom.  —  Vor  1236.  —  Holzinger. 

3.  Nürnberg:  S.  Sebald.  —  M.  saec.  13.  —  Kallenbach,  Chrono- 
logie. 


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5  iö  Zweites  ßueh;  Der  romanische  Stil. 

4.  Fritzlar:  Stifts-K.  —  1.  Hälfte  saec.  13.  —  v.  Dehn-Rotfclser. 

5.  '*  Naumburg:  Dom.  —  2.  V.  saec.  13.  —  Memniinger. 

6.  Karlsburg:  Dom.  —  3.  V.  saec.  13.  —  C.-Comm. 

_  _  ,    _  Hallenkirchen.  Querschnitte. 

Tafel  185. 

(Die  Zeitbestimmungen  und  Quellen  bei  Taf.  169.) 
1.  Methltr.  —   2.  Berne.   —  3.  *K.arthause  Prüll.  —  4.  Bafre.  — 
5.  Billerbeck.   —   6.  * Regensburg:  S.  Leonhard.    —    7.  Lippstadt: 
Grosse  Marienkirche.  —  8.  Melverode.  —  9.  Sotst:  S.  Maria  zur  Höhe. 

_  ,  ,    mm  Hallenkirchen.  Langenschnitte. 

Tafel  186. 

1.  Melverode.  —  2.  Lippstadt:  Grosse  Marienkirche.  —  3.  Munster: 

5.  Servatius.  —  4.  Braunschweig:  S.  Martin.   —   5.  Methler.  — 

6.  Legden.  —  7.  Soest:  S.  Maria  zur  Höhe. 

_  .  ,    _  Perspektiven. 
Tafel  187. 

1.  Roermond:  Liebfrauen.  —  Tornow  bei  Bock. 

2.  * Arnstadt:  Liebfrauen. 

3.  *  Naumburg:  Dom.  —  Photographie. 

4.  *  Limburg:  S.  Georg.  —  Photographie. 

Tafel  188. 

1.  Mainz:  Dom.  —  (Vgl.  die  Bemerkung  zu  Taf.  171.) 

2.  Speier:  Dom. 

Tafel  189. 

1.  * Ratzeburg:  Dom.  —  Photographie. 

2.  *  Münster  i.  W.:  Dom.  —  Bezold. 

Tafel  190. 

1.  *  Ramersdorf :  Deutschordenskapelle  (jetzt  auf  dem  Frithof  in  Bonn). 
2.  V.  saec.  13.  —  Tornow. 

2.  Laach:  Vorhalle.  —  A.  saec.  13.  —  Bock. 

3.  Konradsburg:  Krypta.  —  c.  1200.  —  Puttrich. 

4.  Maastricht:  Liebfrauen,  Krypta.  —  2.  Hälfte  saec.  12.—  Tornow. 


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Dreizehntes  Kapitel. 

Die  Kirchen  des  Cistercienserordens. 


LiTTKR.vi'L'R.  Manrit/iie ;  Annales  Cisterciensium  ,  Cöln  1640.  —  Jongelimts : 
Notitia  abbatiarum  Ord.  Cist.  Colon.  1640.  —  Janauschek :  Origines  Cist.  Vindob. 
1877.  —  /*'.  Feil  in  den  Mittelalterl.  Kunsldenkmälern  des  üesterr.  Kaiserstaates.  I.  — 
E.  Sharpe:  Cistcrcian  Architecture.  London  1875.  —  Arbois  de  Jubatnvilie :  Etüde  sur 
l'£tat  intlrieur  des  Abbayes  Cist.  au  XII  et  au  XIII  s.  Paris  1858.  —  L.  Kostet»: 
Trois  abbayes  de  l'ordre  de  (Iteaux.  Paris  1852.  —  A.  Dion .-  A  propos  de  l'abbaye 
de  Notre-Dame  des  Vaux  de  Cernay.  Tours  1890.  —  /•..  Sharpe :  Architectural  Parallels 
of  the  principal  Abbey  Churches.  London  1848.  —  R.  Dahme:  Die  Kirchen  des 
Cistercienserordens   in  Deutschland.    Leipzig  1869.  ff.  Litbke:  Fünf  Cistercienscr- 

abteikirchen  (Baudri  s  Organ  für  kirchliche  Kunst  1853V  R.  Rahn .  Die  mittelalter- 
lichen Kirchen  des  Cistercienserordens  in  der  Schweiz.  1872.  (Mitteil,  der  Antiquar. 
Gesellsch.  in  Zürich,  Bd.  18,  H.  2)  —  A.  /..  Frothmgham  :  Introduction  of  Gothik 
Architecture  into  Italy  by  the  French  Cistcrcian  monks.  (Americ.  Journ.  of  Archa-ol. 
1890.)  —  C  Dehto ;  Zwei  Cisterctenserkirchen.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Anfange 
des  gotischen  Stils.     Jahrb.  der  Kun-tsamml.  des  preuss.  Staates,  Bd.  XII,  1891.)  — 

MoNOi'.RArniKN .  Ueber  Pontigny  von  Chaillon  de  Barres,  Paris  1844;  über 
Chiaravalle  von  Mich.  Caffi,  Milano  1844;  Uber  Fossanova  von  Paccasassi ,  Fenno 
1882;  Uber  Maulbronn  von  Klunzinger  1861,  von  Paulus,  Stuttgart  1888;  Uber 
Bebenhausen  von  denselben;  Uber  Heiligenkreuz  von  Hetder  und  Eitclberger  I; 
Uber  Lilienfeld  von  SaeJten ,  Jahrb.  der  Central-Comm.  1857;  über  Colbatt ,  Zeitschrift 
f.  Bauwesen  1888. 

In  unserer  bisherigen  Darstellung  fiel  die  nach  inneren ,  sach- 
lichen Momenten  gewählte  Einteilung  mit  der  äusseren,  den  Grenzen 
der  Völker  und  Stämme  folgenden  freiwillig  zusammen ;  nunmehr  aber 
gelangen  wir  zu  einer  Stilgruppe,  die  sich  keiner  natürlichen  Ordnung, 
sondern  einem  über  alle  Länder  des  Occidents  ausgebreiteten  Mönchs- 
orden anschliesst.  Mit  ihrer  Tendenz  als  Weltstil  macht  sich  die 
Cistercienserbaukunst  von  einer  Grundeigenschaft  des  romanischen  Stiles 
los  und  wird  Vorbotin  der  gotischen  Bauzustände. 

Die  Kirche  des  Mittelalters  kannte  grundsätzlich  keinen  Unter- 
schied der  Völker,  nur  den  von  Christen  und  NichtChristen.  That- 
sächlich  ist  aber  der  Individualismus  der  Landeskirchen  niemals  völlig 


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Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


erstickt  worden  und  insonderheit  gehörte  die  Kunst  zu  den  Gebieten, 
auf  denen  sie  sich,  wir  wissen  in  welchem  Grade,  unbehindert  nach 
eigener  Art  und  Neigung  bewegen  durften.  Das  Nationalprinzip  auch 
hierin  zu  negieren ,  gleichförmige  internationale  Normen  auch  in  der 
Baukunst  durchzuführen,  war  den  mönchischen  Reformorden,  die  man 
überall  als  eifrigste  Vorkämpfer  des  Unitarismus  kennt,  vorbehalten. 
Den  Anfang  machte,  zwar  noch  in  ziemlich  engen  Grenzen  sich 
haltend,  die  Congregation  von  Cluny.  Wir  haben  früher  gesehen, 
wie  in  Deutschland,  Italien,  der  Normandie  gewisse  Eigentümlich- 
keiten der  allgemeinen  Anlage  in  Erinnerung  an  das  burgundische 
Zentralkloster  von  dessen  Anverwandten  gern  wiederholt  wurden ; 
eine  strengere  Verpflichtung  dazu  war  doch  nicht  auferlegt,  wie  denn 
die  fraglichen  Baueigentümlichkeiten  zu  den  wesentlichen  Zielen  der 
Congregation  in  keiner  Beziehung  standen. 

Um  so  deutlicher  tritt  das  in  dem  jüngeren  Orden  der  Cister- 
cienser  hervor.  Er  ist  der  erste,  der  das  Verhältnis  zur  Kunst  nach 
dem  Masse  seiner  religiös-sittlichen  Gesamtanschauung  zur  Erörterung 
bringt,  der  feste  Grundsätze  für  die  Praxis  aufstellt,  der  die  Beob- 
achtung derselben  mit  Strenge  überwacht.  Baugeschichtlich  betrachtet 
ist  der  Cistercienserstil  ein  Sprössling  des  burgundischen  Provinzial- 
stiles  und  somit  der  jüngere  Bruder  des  cluniacensischen.  In  wichtigen 
Zügen,  namentlich  im  Grundplan,  zum  Teil  auch  in  der  Konstruktion, 
tritt  die  Familienähnlichkeit  sehr  kenntlich  hervor;  aber  der  physio- 
gnomische  Ausdruck  ist,  wie  der  innewohnende  Geist,  ein  anderer,  ja 
diametral  entgegengesetzter.  Man  muss  sich  erinnern:  in  der  Be- 
kämpfung Clunys  ist  Cisteaux  gross  geworden;  die  alten  Benediktiner, 
ebenso  die  Männer  von  Cluny,  so  hiess  es,  seien  in  Hoffart  und 
Ueppigkeit  versunken ;  das  Mönchtum  müsse  gereinigt,  mit  der  so  oft 
umsonst  ausgerufenen  Forderung  der  Rückkehr  zur  alten  Strenge  und 
Einfachheit  müsse  endlich  ganzer  Ernst  gemacht  werden.  Wunderbar, 
wie  asketische  Glut  mit  nüchterner  Verständigkeit  und  thätigem  Nütz- 
lichkeitssinn im  Cisterciensertum  in  eins  verschmolzen.  Die  Losung 
ist:  Entsagung  und  Arbeit;  und  zwar  harte  körperliche  Arbeit  in  der 
reinen  Urform  als  Landbau.  Hinweg  mit  der  Wissenschaft  —  sie  ver- 
weichlicht und  verführt  den  Geist!  Hinweg  vor  allem  mit  der  Kunst! 
Jene  glänzende,  von  echtester  Schönheitsbegeisterung  getragene  Archi- 
tektur, die  wir  unter  Führung  Clunys  seit  dem  Ende  1 1 .  Jahrhunderts 
in  Burgund  sich  erheben  sahen  (Kap.  IX),  ist  in  den  Augen  der  Cister- 
cienser  ein  ganz  und  gar  verwerflicher  Prunk  und  Pomp,  nicht  minder 


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Dreizehntes  Kapitel:  Die  Kirchen  des  Cistercienserordens.  519 

anstössig  dem  gesunden  Menschenverstand  wie  dem  asketischen  Mönchs- 
sinn. Was  ihre  eigenen  Klosteranlagen  betrifft,  so  sollen  sie  auch  nur 
scheinen,  was  sie  sind:  grosse  Wirtschaftshöfe;  und  die  Hauart  ihrer 
Kirchen  soll  einfach  sein  bis  zur  letzten  innerhalb  des  Zweckmässigen 
liegenden  Grenze.  Weitgehende  Folgen  in  der  Kunstgeschichte  nach 
sich  ziehend,  liegt  dieser  Gegensatz  zwischen  Cisteaux  und  Cluny  doch 
eigentlich,  wie  man  sieht,  gar  nicht  in  der  ästhetischen,  sondern  in  der 
moralisch-praktischen  Sphäre.  Und  so  werden  bezeichnenderweise  die 
Vorschriften  für  das  Bauwesen  immer  negativ  formuliert :  keine  Türme, 
keine  Skulpturen,  keine  Glasmalereien,  keine  bunten  Fussböden  u.  s.  w. 
Selbst  die  Namen  »ecclesia«,  »basilica«  werden  als  zu  hochtönend 
zurückgewiesen:  die  Cistercienserkirche  heisse  nur  »Oratorium«. 

Merkwürdige  Zeit  und  merkwürdiges  Land,  in  denen  so  herbe 
Gegensätze  der  Kunstgesinnung  dicht  nebeneinander  gedeihen  konnten. 
Während  aber  das  durch  den  grandiosen  Neubau  von  Cluny  unter 
Abt  Hugo  dem  Grossen  gegebene  Muster  nicht  weit  über  Burgund 
hinaus  wirkte  (vgl.  S.  390),  war  der  baukünstlerische  Einfluss  von 
Cisteaux  bald  im  ganzen  Abendlande  zu  verspüren.  Wo  immer  Cister- 
cienser  auftraten,  dahin  brachten  sie  ihre  Baugrundsätze  mit.  Die 
Möglichkeit  lag  nahe,  dass  die  Wirkung  eine  ähnliche  wurde,  wie  die 
des  Calvinismus  im  16.  und  17.  Jahrhundert.  Keineswegs  jedoch  war 
das  der  Fall.  Selbst  eine  an  sich  so  unkünstlerische,  vielmehr  anti- 
künstlerische Grundstimmung  wurde  durch  die  übermächtige  künst- 
lerische Zeugungskraft  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  befruchtet  und 
zu  positiver  Leistung  stark  gemacht.  Ihr  Losungswort  »Entsagung 
und  Arbeite  in  die  Sprache  der  Baukunst  zu  übersetzen,  das  war  die 
den  Cisterciensern  zugefallene  Aufgabe,  sie  schufen  den  echtesten  und 
wahrhaftigsten  Mönchsstil,  den  die  Kunstgeschichte  kennt. 

Das  Mutterkloster,  das  dem  Orden  den  Namen  gab,  Cistercium 
(Oteaux)  wurde  im  Jahr  1098  von  dem  aus  Cluny  hervorgegangenen 
Abt  Robert  gegründet.  Die  Anfänge  versprachen  nicht  viel,  und  wahr- 
scheinlich wäre,  gleich  so  vielem  anderen,  auch  diese  Reformbewegung 
in  engen  Grenzen  stecken  geblieben,  hätte  nicht  rechtzeitig  (in  den 
Orden  eingetreten  a.  11 13)  eines  der  grössten  religiösen  Genies,  von 
denen  die  Geschichte  des  Mittelalters  weiss,  der  H.  Bernhard,  sich  in 
ihren  Dienst  gestellt.  Während  des  zweiten  Viertels  des  W.Jahrhunderts 
war  er,  Päpste  stürzend  oder  schirmend ,  Königen  seinen  Willen  auf- 
zwingend, zum  zweitenmal  einen  Kreuzzug  ins  heilige  Land  in  Be- 
wegung setzend,  die  erste  geistige  Grossmacht  der  Zeit,  der  Gegenstand 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


grenzenloser  Bewunderung.  Seine  persönlichen  Triumphe  waren ,  wo 
nicht  die  einzige,  so  doch  die  sichtbarste  Triebkraft  in  der  Ausbreitung 
des  Ordens,  dem  er  angehorte  und  der  vielerorten  nach  ihm  den 
Namen  der  Bernhardiner  annahm.  Fünfzig  Jahre  nach  seiner  Grün 
dung  zählte  derselbe  500  Abteien  in  allen  Ländern  Europas,  hundert 
Jahre  später  mehr  als  1800,  wovon  die  meisten  noch  vor  a.  1200  ge- 
stiftet waren.  Allein  vom  Kloster  Claravallis,  dem  Bernhard  als  Abt 
vorstand,  sind  zu  dessen  Lebzeiten  160  Tochter-  und  Enkelstiftungen 
ausgegangen.  Die  vier  unmittelbaren  Töchter  von  Cistercium  liegen 
noch  in  dessen  nächster  Nachbarschaft,  in  den  Grenzgebieten  von 
Niederburgund  und  der  Champagne,  und  sind  in  den  Jahren 
11 13 — 15  gestiftet.  Nach  Westfrankreich  drangen  die  ersten  Kolo- 
nien 11 19  (Cadouin"i  vor;  nach  Deutschland  1123  (Alten-Kamp,  Diöc. 
Köln)  und  1124  ^Lützel,  Diöc.  Basel);  nach  England  11 28  (Wawerley /. 
nach  Italien  1135  (Fossanova)  und  1 136  (Chiaravalle) ;  nach  Portu- 
gal 1140  (Taronca) ;  nach  Navarra  und  Castilien  1 1 41  und  1142 
(Fitero,  Monsalud,  Sagramenia) ;  nach  Schweden  1143  (Alvastra  und 
Nydala). 

Nur  selten  ubernahmen  die  Cistercienser  1  wie  die  Cluniacenser  e> 
gern  gethan  hatten)  vorhandene  Klöster  zur  Reform;  es  handelte  sich 
bei  ihnen  überwiegend  um  Neugründlingen.  Dieselben  erfolgten  durch 
Filiation.  d.  i.  durch  Aussendung  von  Kolonien,  so  dass  die  Gesamt 
heit  aller  Cistercienserklöster  sich  in  vier  Linien  nach  den  vier  un- 
mittelbaren Töchtern  von  Cistercium  gruppiert;  —  es  sind  Firmitas 
(La  Fert£),  Pontiniacum  (Pontigny),  Clara- Vallis  (Clairvaux),  Mori- 
mundus  (Morimond).  Auf  die  Ausbildung  baulicher  Besonder- 
heiten hat  die  Filiation  indes  keinen  Einfluss  geübt.  —  Die 
monarchische  Verfassung  der  Kongregation  von  Cluny  wird  aufgegeben, 
die  Oberaufsicht  fuhrt  das  Archicönobium  in  Cemeinschaft  mit  den 
v  ier  ältesten  Töchtern ;  jahrliche  Visitationen  und  Generalkapitel  der 
Aebte  halten  die  Einheit  aufrecht.  Für  die  Verbreitung  gleichmas- 
siger Grundsätze  im  Bauwesen  ist  die  letztere  Einrichtung  sehr  wich- 
tig gewesen.  Demnächst  das  den  Cluniacensern  entnommene  Institut 
der  Conversen,  d.  h.  von  Halbmönchen,  die  namentlich  zu  den 
groben  Arbeiten  verwendet  wurden.  An  dem  mit  wunderbarer  Ge- 
schwindigkeit geförderten  Neubau  von  Clairvaux  (1135)  arbeiteten  teils 
gedungene  Handwerker,  teils  die  Brüder  selbst.  Der  H.  Bernhard 
schickte  den  Bruder  Achard,  Novizenmeister  in  Clairvaux,  in  viele 
französische  und  deutsche  Klöster,  um  ihre  Bauten  zu  leiten,  was  mit 
dem  Verbote  künstlerischer  Thätigkeit  insofern  nicht  in  Widerspruch 
stand,  als  Bernhard  auch  den  Kirchenbau  lediglich  unter  den  Gesichts- 
punkt der  Handarbeit  hinstellte.  Beim  Bau  von  Walkenried  sind 
21  Laienbrüder  als  Steinmetzen,  Maurer,  Zimmerleute  unter  Aufsicht 


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Dreizehntes  Kapitel:  Die  Kirchen  des  Cistercienserordens. 


zweier  Mönche  thälig.  Unter  den  ersten  Insassen  von  Victring  in  Kärn- 
then,  die  aus  dem  lothringischen  Villars  kamen,  befanden  sich  »conversi 
barbati  diversis  artibus  peritU.  Nimmt  man  zu  solchen  Beispielen  die 
Regel,  dass  Laien  vom  Kloster  überhaupt  thunlichst  fern  gehalten 
werden  sollten,  so  ergiebt  sich  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  die  Cister- 
cienser  ihre  Bauten  überwiegend  mit  eigenen  Kräften  ausführten  (vgl. 
umgekehrt:  monachos  vel  conversos  artifices  ad  operandum  saecu- 
laribus  concedi  non  licet  (Cap.  gen.  a.  1157.  §  47). 

Die  Ordenskirchen  der  Friihzeit,  mindestens  bis  in  die  dreissiger 
Jahre,  können  durchweg  nur  sehr  klein  gewesen  sein;  denn  die  Zahl 
der  Brüder  war  mit  dem  Abt  ursprünglich  auf  13  limitiert,  und  den  Laien 
sollte  das  Betreten  der  Kirche  durchaus  versagt  sein.  Aber  weder  die 
eine  noch  die  andere  Beschränkung  konnte  lange  aufrecht  erhalten 
bleiben.  Nur  dem  weiblichen  Geschlecht  blieben  die  Kirchenthüren 
zu  allen  Zeiten  verschlossen.  Das  Anwachsen  der  Klosterbevölkerung 
zeigt  die  Verordnung  von  11 34,  wonach  ein  Kloster  eine  Tochter- 
gründung  erst  vornehmen  dürfe,  wenn  die  Zahl  der  Brüder  60  zu  über- 
schreiten beginne.  Indes  war  in  einzelnen  Fällen  die  Bevölkerung  eine 
viel  grössere;  so  in  Clairveaux  beim  Tode  des  H.  Bernhard  700  Mönche, 
dazu  die  Conversen.  Die  von  uns  auf  Taf.  191  — 195  mitgeteilten 
Grundrisse  aus  dem  letzten  Drittel  des  12.  und  den  beiden  ersten  des 
13.  Jahrhunderts  zeigen  meist  sich  ziemlich  gleich  bleibende  und  zwar 
ansehnliche  Dimensionen.  Aus  den  Statuten  der  Generalkapitel  heben 
wir  noch  folgendes  hervor: 

(a.  1134.)  In  civitatibus,  in  castellis  aut  villis  nulla  nostra  con- 
struenda  sunt  coenobia,  sed  in  locis  a  conversatione  hominum  semotis 
{vgl.  die  häufigen  Namenszusammensetzungen  mit  silva  oder  vallis).  — 
a.  11 57:  Turres  lapideae  ad  campanas  non  fiant,  nec  ligneae  altitu- 
dinis  immoderatae,  que  ordinis  dedeceant  simplicitatem.  —  a.  1157: 
Campanae  ordinis  nostris  ita  fiant,  ut  unus  tantum  pulset  eas  et  nun- 
quam  duo  simul.  Non  excedant  pondus  500  librarum.  —  a.  1148: 
Omnis  varietas  pavimentorum  de  ecclesiis  nostris  amoveatur.  —  a.  1134: 
Sculpturae  vel  picturae  in  ecclesiis  nostris  seu  in  officinis  aliquibus 
monasterii  ne  fiant  interdieimus :  quia  dum  talibus  intenditur,  utilitas 
bonae  meditationis  vel  diseiplina  religiosae  gravitatis  saepe  negligitur; 
cruces  tarnen  pictas,  quae  sunt  ligneae,  habemus.  —  a.  1251  :  Picturae 
et  celaturae,  quae  deformant  antiquam  ordinis  honestatem  .  .  .  .  — 
a.  11 34:  Vitreae  albae  tamtum  fiant  sine  crueibus  et  picturis.  — 
a.  1182:  Vitreae  picturae  infra  terminum  duorum  annorum  emendentur. 

Gleichsam  wie  der  Commentar  zu  obigen  Sätzen  liest  sich  S.  Bern- 
hards Apologia  ad  Guilielmum  Abbatem  (Opera,  ed.  Antverp.  1616, 
p;  882—994).    »Woher  kommt  es,  dass  das  Licht  der  Welt  verfinstert 

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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil 


und  das  Salz  der  Erde  dumm  geworden  ist?  Vom  hoffärtigen  Wandel 
der  Mönche  !^  Nachdem  dies  Thema  vielseitigst  erörtert  worden,  nimmt 
der  Redner  zum  Schluss  noch  die  Kunst  vor:  »Doch  dies  alles  ist  ein 
Geringes.  Ich  komme  zu  schwererem  Missbrauch  und  zwar  um  so  viel 
schwererem,  als  er  häufiger  ist.  Der  Bethäuser  masslose  Höhe,  ihre 
übertriebene  Länge,  ihre  unnütze  Breite,  ihr  Aufwand  an  Steinmetz- 
arbeit, ihre  die  Neugier  reizenden  und  die  Andacht  störenden  Malereien, 
sie  scheinen  mir  nicht  anders  zu  sein,  als  die  Gebräuche  der  alten 
Juden.  Mag  sein,  dass  es  in  der  Absicht  geschieht,  Gott  damit  zu 
ehren:  ich,  ein  Mönch,  frage  euch  Mönche,  was  vorzeiten  ein  Heide 
den  Heiden  vorhielt: 

Sagt,  ihr  Priester,  was  thut  im  Heiligtume  das  Gold  denn? 

Ich  aber  rufe:  Saget,  ihr  Armen!  (denn  nicht  auf  das  Wort  kommt 
es  an,  sondern  auf  den  Sinn);  saget,  wenn  anders  ihr  wirklich  Arme  seid, 
was  thut  im  Heiligtume  das  Gold  denn?  Anders  steht  die  Sache  bei 
den  Bischöfen,  anders  bei  den  Mönchen.  Wir  wissen,  dass  jene  den  Wei- 
sen wie  den  Unklugen  gleich  sehr  verpflichtet  sind,  und  die  fleischlich 
gesinnte  Menge,  da  sie  mit  geistigen  Mitteln  es  nicht  vermögen,  mit 
materiellen  zur  Andacht  zu  stimmen  sich  bemühen.  Doch  wir,  die  wir 
uns  von  der  Menge  losgemacht  haben,  die  wir  Pracht  und  Reiz  der 
Welt  um  Christi  willen  zurückgelassen  haben,  die  wir  alles  dem  Auge 
Glänzende,  dem  Gerüche  Süsse,  dem  Geschmacke  Angenehme,  dem 
Gefühle  Schmeichelnde,  kurz  alles  was  unsern  Leib  erquickt,  für  einen 
Dreck  erachten,  damit  wir  Christum  gewinnen:  wodurch  denn,  frage 
ich,  sollen  wir  zur  Andacht  gestimmt  werden?  Was  könnten  wir  mit 
diesen  Dingen  erreichen  wollen?  Die  Bewunderung  der  Thoren  und 
die  Ergötzung  der  Einfältigen?  Um  offen  zu  sprechen:  wollen  wir  uns 
durch  Habsucht  leiten  lassen  und  weniger  nach  dem  Vorteil  der  Gläu- 
bigen als  nach  ihren  Gaben  streben  ?  Denn  Gold  zieht  Gold  an ;  je 
grössere  Reichtümer  man  irgendwo  sieht,  um  so  leichter  giebt  man 
dorthin.  Vor  goldbedeckten  Reliquien  öffnen  sich  am  bäldesten  die 
Beutel.  Die  prachtvolle  Figur  eines  oder  einer  Heiligen  wird  gezeigt 
und  die  Menschen  halten  sie  für  um  so  heiliger,  je  bunter  sie  ist:  man 
läuft  herbei,  sie  zu  küssen,  man  wird  aufgefordert  zu  schenken  und 
man  bewundert  mehr  die  Pracht,  als  man  die  Heiligkeit  verehrt.  Von 
den  Decken  hängen  nicht  Leuchter,  sondern  gewaltige  Räder  mit 
Lichtern  besteckt,  von  Edelsteinen  funkelnd;  an  Stelle  von  Leuchtern 
sehen  wir  wahre  Kandelaberbäume  aus  schwerem  Erz  und  mit  wunder- 
barer Kunst  ciseliert  und  gleichfalls  mit  Edelsteinen  überdeckt;  und 
so  geht  es  fort.  Was  glaubt  ihr,  wozu  das  alles  dient?  zur  Zerknirschung 
der  reuigen  Herzen  oder  aber  zu  staunender  Augenweide?  —  O  vanitas 
vanitatum,  sed  non  vanior  quam  insanior!  Die  Kirche  glänzt  in  ihren 
Bauten  und  darbt  in  ihren  Armen ;  sie  überzieht  ihre  Mauern  mit  Gold 


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Dreizehntes  Kapitel :  Die  Kirchen  des  Cistercienserordens. 


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und  lässt  ihre  Kinder  nackend  davongehen.  Die  Scherflein  der  Be- 
dürftigen werden  genommen,  um  den  Reichen  einen  Augenschmaus  zu 
bereiten.  Die  Schaulustigen  finden  Ergötzung,  die  Elenden  suchen 
umsonst  Erquickung.  —  Womit  werden  die  Heiligenbilder  auf  den 
musivischen  Fussböden  geehrt?  Man  spuckt  einem  Engel  ins  Gesicht 
oder  tritt  einen  Heiligen  mit  der  Ferse.  Wozu  schmückt  ihr,  was  ihr 
notwendig  beflecken  müsst?  Was  soll  das  bei  Armen,  bei  Mönchen, 
bei  Männern  des  Geistes?  .  .  .  Sodann  in  den  Kreuzgängen,  dicht  vor 
den  Augen  der  lesenden  und  sinnenden  Brüder,  was  soll  da  diese 
lächerliche  Ungeheuerlichkeit,  dieser  garstige  Prunk  und  diese  prunkende 
Garstigkeit?  Diese  unreinen  Affen?  Diese  wilden  Löwen?  Diese 
monströsen  Centauren?  Diese  Halbmenschen?  Diese  Tiger?  Diese 
kämpfenden  Männer?  Diese  ins  Horn  stossenden  Jäger?  Du  siehst 
unter  einem  Kopfe  mehrere  Körper  und  umgekehrt  auf  einem  Körper 
mehrere  Köpfe;  du  siehst  einen  Vierfüssler  in  eine  Schlange  auslaufen 
und  einen  Fisch  mit  dem  Haupte  eines  Säugetiers;  hier  eine  Bestie, 
die  vorne  Ross  und  hinten  Ziege  ist,  dort  eine,  die  vorne  Hörner  und 
hinten  Pferdefüsse  hat.  So  vielerlei  und  wunderbares  bietet  sich  dar, 
dass  es  vergnüglicher  scheint,  in  dem  Marmorbildwerk  als  im  Buche 
zu  lesen ,  und  lieber  den  ganzen  Tag  hierüber  als  über  das  Gesetz 
des  Herrn  zu  grübeln.  Bei  Gott!  habt  ihr  vor  diesen  Albernheiten 
keine  Scham,  so  habt  wenigstens  Scheu  vor  den  Kosten  ! 

Allgemeinhin  von  einem  Cisterciensersti  1  zu  sprechen,  möchten 
wir  nicht  empfehlen,  da  es  zu  Missverständnissen  führen  könnte;  die 
Kirchen  des  Ordens  zeigen  in  den  verschiedenen  Ländern  und  Pro- 
vinzen sehr  verschiedene  Bausysteme;  dennoch  unterscheiden  sie  sich 
fast  immer  auf  den  ersten  Blick  von  allen  anderen,  geben  sich  als 
Kinder  desselben  Geistes  zu  erkennen.  Um  dieses  Gemeinsame  richtig 
zu  erfassen,  muss  man  im  Auge  behalten,  dass  es  seinen  Ursprung 
in  der  Kritik  des  Bestehenden  hatte  und  deshalb  zunächst  allein  in 
einer  Reihe  von  Negationen  sich  äusserte.  In  seinem  wunderbar 
schnellen  Lauf  durch  die  Länder  hatte  der  Orden  mit  den  vorgefun- 
denen Arbeitskräften  zu  rechnen  und  schloss  sich  deshalb  den  ört- 
lichen Bautypen  an ;  worauf  er  gleichwohl  nicht  verzichtete,  war,  die- 
selben so  zu  vereinfachen  und  zurechtzuschneiden ,  wie  es  seinem 
Sinne  gemäss  war.  Die  radikalste  Massregel  war  die  Abschaffung 
der  Türme;  mit  der  Abschaffung  der  Krypten  waren  schon  die 
Cluniacenser  und  Hirsauer  vorangegangen;  vor  allem  wurden  die 
Gliederungen  und  Zierformen  auf  ein  Wenigstes  eingeschränkt.  In- 
zwischen trat  im  Mutterlande  des  Ordens  die  zweite  Generation  seiner 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Bauten  bereits  mit  positiven  Merkmalen  hervor.  Von  diesen  rinden 
die  allgemeinste  Nachahmung  die  mit  dem  Kultus  zusammenhängenden  : 
die  fortlaufende  Reihe  niedriger  Kapellen  um  den  Chor  und  an  der 
Ostseite  des  Querschiflfes ;  die  auffallend  gestreckte  Gestalt  des  Lang- 
hauses (wegen  der  Teilung  zwischen  Mönchen  und  Laien);  die  niedrige 
offene  Vorhalle  in  der  ganzen  Breite  der  turmlosen  Fassade.  Weniger 
allgemein,  immerhin  oft  genug,  um  in  die  Bauentwickelung  bedeutend 
einzugreifen ,  wurde  das  in  den  burgundischen  Zentralklöstern  auf- 
gekommene Gewölbe-  und  Pfeilersystem  nachgebildet.  Die  über- 
raschenden Uebereinstimmungen  in  manchen  weit  voneinander  ent- 
legenen Bauten  können  nur  so  erklärt  werden,  dass  der  Orden  nicht 
bloss  seine  Baumeister,  sondern  zuweilen  ganze  Handwerkerkolonien 
von  Ort  zu  Ort  schickte.  So  entstand  und  befestigte  sich  der  auch 
in  den  wechselnden  Formen  der  Anlage  immer  sich  gleich  bleibende 
Geist  der  Behandlung :  stolz  demütig,  vornehm  kühl,  reinlich,  strenge, 
alles  bloss  Gefällige  verabscheuend.  Die  Feindschaft  gegen  die  Zier- 
formen klärte  sich  mit  der  Zeit  dahin  ab,  dass  man  sich  zwar  auf  möglichst 
wenige  beschränkte,  diese  wenigen  aber  nicht  etwa  roh,  sondern  in 
knapper,  keuscher  Zeichnung  mit  besonderer  Sorgfalt  und  Sauberkeit 
ausführte,  wodurch  die  gesuchte  Einfachheit  der  Gesamterscheinung 
erst  rechten  Nachdruck  gewann.  Der  Gegensatz  dieses  Stiles  der 
Entsagung  gegen  die  sonst  den  Spätromanismus  beherrschende  heitere 
und  phantasievolle  Zierlust  kann  herber  nicht  gedacht  werden. 

Die  Cistercienserkunst  hatte  aber  auch  noch  eine  andere  Seite,  auf 
der  sie  sich  den  Bestrebungen  der  Zeit  keineswegs  feindlich,  vielmehr 
an  der  Spitze  der  fortschreitenden  Bewegung  zeigte.  Ihre  Forderung 
der  Sparsamkeit  und  Einfachheit  ergänzte  sich  durch  die  andere  der 
Tüchtigkeit  und  Zweckmässigkeit  im  Technischen  und  Konstruktiven. 
Während  ihre  nach  Deutschland  und  Italien  vordringenden  Sendlinge 
meistenteils  noch  die  flache  Holzdecke  als  Landesbrauch  vorfanden, 
war  sie  in  ihrer  burgundischen  Heimat  bei  einem  Systeme  angelangt, 
das  in  seinen  Grundgedanken  bereits  als  gotisch  bezeichnet  werden 
muss.  Es  ist  unabhängig  vom  nordfranzösischen  erfunden,  demselben 
verwandt,  aber  nicht  gleich.  Noch  früher  als  in  diesem  wird  der 
Spitzbogen,  der  ja  der  burgundischen  Architektur  längst  vertraut  war, 
konsequent  auf  alle  Teile  des  Gebäudes  ausgedehnt;  das  Kreuzrippen- 
gewölbe wird  mit  voller  Einsicht  behandelt;  ein  wohldurchdachtes 
Strebesystem  tritt  hinzu;  nur  der  freiliegende  Strebebogen  fehlt,  und 
die  Abneigung  gegen  ihn  bleibt  eine  cisterciensische  Eigenheit.  Die 


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Dreizehntes  Kapitel:  Die  Kirchen  des  Cistercienserordens. 


525 


durchlaufende  Travee  mit  oblongem  Gewölbegrundriss,  welche  in  der 
nord  französischen  Gotik  so  viel  später  erst  den  Stützen  Wechsel  und 
das  sechsteilige  Gewölbe  verdrängten,  gehört  der  burgundisch-cister- 
ciensischen  von  Anfang  an.  Auch  in  allem  übrigen  wird  der  innere 
Aufbau  so  einfach  wie  möglich  gestaltet:  keine  Emporen,  Triforien 
oder  Arkaturen,  wie  sie  anderweitig  im  Uebergangsstil  eine  so  wichtige 
Rolle  spielen;  die  Pfeiler  nur  unter  den  Scheidbögen  mit  Halbsäulen 
besetzt,  nach  dem  Mittelschiff  zu  glatt,  so  dass  die  die  Quergurten 
der  Hauptgewölbe  tragenden  Dienste  auf  Kragsteinen  ihr  Lager  finden 
müssen.  Dieses  letztere,  eigentlich  untektonische  Motiv  kehrt  gerade 
an  den  klassischen  Bauten  des  Ordens  in  allen  Ländern  mit  grosser 
Regelmässigkeit  wieder,  ja  wird  an  den  späteren  selbst  in  dekorativ 
spielender  Weise  gehäuft  (z.  B.  in  den  Kreuzgängen,  den  Kapitelsälen 
und  Nebenkapellen  von  Maulbronn,  Ebrach,  Casamari,  Fossanova). 
Sonst  wird  in  der  Behandlung  der  Einzel  formen  in  bemerkenswerter 
Weise  auf  streng  tektonischen  Charakter  gehalten.  Die  ältere  Zeit 
giebt  anstatt  aller  Dekoration  nur  profilierte  Glieder,  die  jüngere, 
relativ  laxe  lässt  bei  reichlicherer  Verwendung  von  Halbsäulen  und 
Runddiensten  ein  mageres  Blattornament  an  den  Kapitellen  zu,  wie- 
wohl nicht  selten  die  Kernform  des  Kelches  ganz  nackt  stehen  bleibt 
(z.  B.  Heisterbach,  Riddagshausen,  Fontfroide,  Val  de  Dios).  Endlich 
gehört  zur  Vollendung  des  cisterciensischen  Kunstideals,  im  schärfsten 
Gegensatz  gegen  die  herrschende  Sitte,  die  Farblosigkeit.  Selbst  die 
Thürflügel  strich  man  mitunter  weiss  an.  Gemälde  sollten  von  den 
Altären  verbannt,  plastische  Bildwerke  einfarbig  übertüncht,  am  liebsten 
der  ganze  Bilderschmuck  auf  ein  einziges  Krucifix  reduziert  sein. 
Ebenso  wurden  farbige  Fensterverglasungen  verpönt;  ja  es  war  schon 
eine  freiere  Richtung,  die  sich  erlaubte,  die  Bleieinfassungen  in  teppich- 
artige Muster  zu  ordnen  oder  gar  zu  grau  in  grau  ausgeführter  Figuren- 
malerei überzugehen.  Die  Fussböden  sind  musterlos  mit  einfachen 
Fliessen  zu  belegen,  die  Grabsteine  sollen  ohne  Reliefs  bleiben  u.  s.  w. 
Freilich  zeigt  die  häufige  Wiederholung  gerade  dieser  letzten  Gruppe 
von  Verboten,  wie  schwer  es  auch  korrekt  Gesinnten  wurde,  gegen 
den  Stachel  der  färben-  und  formenfrohen  Zeitstimmung  zu  locken. 

Die  cisterciensisch-burgundische  Frühgotik,  oder,  wie  sie  viel- 
leicht passender  zu  bezeichnen  ist:  Rudimentärgotik  steht  an  Gedanken- 
reichtum und  Grösse  der  Anschauung  hinter  der  nordfranzösischen 
weit  zurück;  aber  sie  hat,  und  darin  liegt  ihre  grosse  geschichtliche 
Bedeutung,  früher  als  jene  die  Keime  des  neuen  Bausystems  über  die 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Grenzen  Frankreichs  hinausgetragen  und  dadurch  der  nach  ihr  kom- 
menden Vollgotik  wirksam  den  Weg  bereitet.  Ihre  Entwickelung  ging 
über  die  schon  bald  nach  der  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  erreichte 
Stufe  nicht  hinaus.  In  ihrem  burgundischen  Ursitz  beugte  sie  sich 
schon  nach  einem  Menschenalter  unter  die  stärkere  nordfranzösische 
Schwester;  in  Deutschland  und  Italien  wurde  sie  noch  bis  gegen  die 
Mitte  des  folgenden  Jahrhunderts  nachgeahmt,  selten  ganz  rein,  ge- 
wöhnlich mit  den  spätromanischen  Lokalstilen  vermischt.  Um  das 
Jahr  1250  erreicht  die  klassische  Epoche  der  Cistercienserarchitektur, 
die  mithin  gerade  ein  Jahrhundert  umfosst,  ihr  Ende.  Die  Bauthätig- 
keit  des  Ordens,  der  jetzt  das  Maximum  seiner  Ausdehnung  fast 
erreicht  hat,  vermindert  sich  rasch  und  ihr  stilistischer  Sondercharakter 
verliert  sich  im  grossen  Strome  der  entwickelten  Gotik  *). 

FRANKREICH.  Die  französischen  Cistercienserkirchen  sind 
im  Vergleich  zu  den  deutschen  und  englischen  in  der  Litteratur 
stiefmütterlich  behandelt 2).  Ein  nicht  zu  ersetzender  Schade  ist  die 
Zerstörung  der  meisten  gerade  in  der  Heimatprovinz  des  Ordens.  Um 
so  sorgfältiger  ist  zu  berücksichtigen ,  was  von  Nachrichten  über  sie 
noch  zu  erreichen  ist.  Vor  allem  lenkt  sich  die  Aufmerksamkeit 
Cisteaux  und  seinen  vier  unmittelbaren  Töchtern  zu,  welche  zusammen 
die  oberste  Leitung  des  Ordens  in  Händen  hatten.  Ueber  die  ältesten 
Kirchen  dieser  Klöster  wissen  wir,  wenigstens  auf  direktem  Wege, 
nichts,  da  sie  sämtlich  noch  im  12.  Jahrhundert  erneuert  wurden.  Aber 
auch  von  den  Bauten  dieser  zweiten  Generation  ist  nur  ein  einziger, 
der  von  Pontignv,  übrig  (Grundriss  Taf.  191  nach  Chaillon  de  Barres, 
System  und  Querschnitt  Taf.  346,  nach  unseren  Aufnahmen  zuerst 
publiziert  im  Jahrbuch  der  Kunstsammlungen  des  preussischen  Staates 
Bd.  XII,  Fassade  und  Gesamtansicht  Taf.  272,  274).    Die  Kirchen 


')  Wir  schliessen  hier  eine  kurze  Nachricht  Über  die  Kirchen  der  Prämonstra- 
tenscr  an.  Dieser  Orden,  wenige  Jahre  nach  dem  von  Cisterz  gegründet,  hat  keinen 
eigenen  Typus  ausgebildet ,  adoptiert  aber  zuweilen  den  Cisterciensergrundriss :  so  in 
S.  Martin  in  Laon,  in  Kominersdorf  und  wahrscheinlich  auch  vor  dem  gotischen  Umbau 
in  Arnstein  (Taf.  166);  oder  auf  platten  Hauptchor  ohne  Nebenchöre  reduziert:  Enken- 
bach (Taf.  165),  Ilbenstadt  (Taf.  47  irrtümlich  mit  Apsis  ergänzt). 

2)  Trotz  vieler  Zerstörungen,  namentlich  in  der  Revolution  und  unter  dem  Kaiser- 
reich ,  scheint  ihre  Zahl  noch  immer  gross  zu  sein.  Der  Graf  Montalatnbert  giebt  an. 
Uber  150  (wohl  nicht  in  Frankreich  allein)  besucht  zu  haben;  er  ist  in  seiner  grossen 
Geschichte  des  Mönchtums  bis  zum  Kapitel  über  die  Cistercienser  nicht  mehr  gekommen; 
seine  Notizen  bei  Darcel  et  Lassus,  T Album  de  Villard  d'Honnecourt  und  in  Quast  und 
Ottes  Zeitschrift  I.  sind  dürftig.  Anthyme  Saint-Paul,  Histoire  monumentale  de  la  France, 
p.  79,  nennt  als  die  merkwürdigsten  vieizig  bei  Namen,  ohne  sie  zu  beschreiben.  Di* 
an  der  Spitze  unseres  Kapitels  angeführten  Werke  von  Arlxiis  de  Joubainville  und 
Rostan  kennen  wir  nur  aus  Citaten  dritter. 


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Dreizehntes  Kapitel:  Die  Kirchen  des  Cistercienserordens. 


527 


von  Cisteaux  und  Clairvaux  wurden  im  18.  Jahrhundert  abgetragen. 
Von  der  ersteren  giebt  es  eine  kleine  alte  Ktipferstichansicht  (s.  die 
Figur  S.  530  nach  Viollet-le-Duc),  den  um  die  Mitte  des  12.  Jahr- 
hunderts entstandenen  zweiten  Bau  darstellend.  Von  Clairvaux,  und 
zwar  dem  11 74  geweihten  dritten  Bau,  ist  vor  dem  Abbruch  ein  ge- 
nauer Grundriss  aufgenommen  (Taf.  191  nach  der  Voyage  arche'ologique 
dans  le  de*p.  de  TA  übe,  Troyes  1837;  leider  ohne  Massstab);  auch 
sollen  noch  Trümmer  der  ersten  Travee  des  Langhauses  bestehen. 
Morimond  wurde  im  Anfang  dieses  Jahrhunderts  abgebrochen  und  ist 
in  der  Geschichte  des  Klosters  von  Dubois  (1852)  nicht  eben  klar 
beschrieben.  Ueber  La  FertE  sind  uns  keinerlei  Nachrichten  bekannt. 
Zur  Ergänzung  leisten  zwei  Kirchen  sekundären  Ranges,  noch  aus  der 
ersten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts,  Fontenay  in  Burgund  und  Vaux- 
de-Cernay  im  Norden  von  Paris,  wichtige  Dienste  (beide  Taf.  191). 

Dies  Material,  so  knapp  es  ist,  gestattet  doch  den  nicht  bloss  bau- 
geschichtlich wichtigen  Schluss,  dass  der  Grundplan  der  Cistercienser- 
kirchen  in  ihrem  charakteristischen  Teile,  dem  Ostbau,  sich  in 
unmittelbarer  Anknüpfung  an  den  alt-cluniacensischen  entwickelt  hat. 
Wie  der  neubegründete  Orden  in  seinen  Einrichtungen  und  Sitten  pro- 
grammmässig  nur  die  alte  Einfachheit  der  Benediktiner  wiederherstellen 
wollte,  so  nahm  er  in  seinen  Bauten  die  alte  Choranlage  von  Cluny 
in  demselben  Augenblicke  auf,  als  dieser  (im  Neubau  von  1082—  1 132) 
sie  zu  Gunsten  einer  vom  künstlerischen  Standpunkte  höher  gearteten 
fallen  Hess  (S.  273).  In  seiner  Fortentwickelung  bei  den  Cisterciensern 
spaltete  sich  der  Typus  in  die  folgenden  fünf,  von  uns  nach  ihrem 
mutmasslichen  Ursprungsort  benannten  Varianten.  (Die  beigesetzte 
römische  Ziffer  besagt,  der  wievielte  Bau  gemeint  sei.) 

1.  Schema  Cisteaux  I.  Repräsentiert  durch  Vaux-de-Cernay; 
allem  Anscheine  nach  der  Stiftungsbau  von  1 128,  mithin  die  älteste  alle: 
erhaltenen  Cistercienserkirchen ;  der  platte  Schluss  des  Hauptchors  und  die 
starTelförmig  zurücktretenden  Nebenchöre  wiederholen  unverändert  das 
ältere  Cluniacenserschema  (vgl.  S.  271  und  Taf.  121,  Fig.  1,  2).  Dass  hier- 
für das  Beispiel  von  Cisteaux  (I.  Bau)  massgebend  war,  ist  eine  dringend 
indizierte  Vermutung  (vgl.  auch  weiter  unten  das  thüringische  Burgelin). 

2.  Schema  Clairvaux  II.  Vertreten  durch  Fontenay.  Die  Neben- 
chöre sind  des  absidialen  Schlusses  beraubt  und  haben  gleiche  Länge 
und  gemeinschaftliche  geradlinige  Rückwand  erhalten,  konform  dem 
platten  Abschluss  des  Hauptchors.  Da  dieses  Schema  schon  vor  Mittte 
des  Jahrhunderts  im  südlichen  und  westlichen  Frankreich,  wie  auch 
in  den  vom  H.  Bernhard  in  Italien  gestifteten  Klöstern  wiederholt 
wird,  ist  anzunehmen,  dass  es  in  einer  der  führenden  Hauptabteien 
vorgebildet  war,  und  dies  kann  nicht  wohl  eine  andere  als  Clairvaux 
{II  Bau  von  1135)  gewesen  sein. 


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Zweite«  Buch :  Der  romanische  Stil. 


3.  Schema  Cisteaux  II.  Erweiterung  des  vorigen  in  der  Weise,, 
dass  auch  die  Westseite  der  Kreuzflügel,  sowie  alle  drei  freiliegenden 
Seiten  des  Hauptchors  Kapellen  erhalten ;  s.  die  untenstehende  Figur 
S.  530.  Analogien  dafür  begegnen  in  Deutschland  und  England  mehr- 
fach; wahrscheinlich  hatte  auch  der  Chor  von  Pontigny  vor  dem  Um- 
bau von  c.  a.  1180  diese  Gestalt  ;  sodann  gehört  hierher  die  namenlose 
Zeichnung  im  Skizzenbuch  des  Villard  d'Honnecourt  (unsere  Taf.  191, 
Fig.  8). 

4.  Schema  Morimond  II.  Zufolge  Dubois  je  zwei  rechteckige 
Kapellen  an  den  Kreuzarmen  und  halbrunder  Schluss  des  Mittelschiffs. 

5.  Schema  Clairvaux  III.  Erweiterung  des  vorigen  in  An- 
passung des  Prinzipes  von  Cisteaux  II  an  den  halbrunden  Schluss; 
die  Kapellen  bilden  trapezförmig  verschobene  Vierecke,  welche  poly- 
gonal (neun  Seiten  eines  regelmässigen  Sechszehnecks)  zusammen- 
geordnet sind.  Als  Vorbild  diente  die  Kathedrale  von  Langres  (Taf.  12 1\ 
dessen  Bischof  a.  1 174  die  Kirche  von  Clairvaux  einweihte,  nicht  die 
französischen  Kathedralen,  wie  R.  Dohme  und  alle  folgenden  deutschen 
Autoren  glauben.    Wiederholt  im  Umbau  von  Pontigny  c.  a.  1180. 

Der  leitende  Faden  der  Entwicklung  liegt,  wie  man  sieht,  in  der 
zunehmenden  Häufung  der  Kapellen.  Welche  besonderen  rituellen 
Vorschriften  es  waren,  deren  strenge  Durchführung  man  damit  be- 
fördern wollte,  ist  nicht  mit  Sicherheit  nachgewiesen  (am  wahrschein- 
lichsten Privatmessen  in  dem  S.  271  erläuterten  Sinne).  Man  befand 
sich  darin  in  offenbarem  Wetteifer  mit  den  Cluniacenserkirchen  (der 
jüngeren,  auf  Burgund  beschränkten  Schule).  Diese  sind,  was  die  Zahl 
der  Kapellen  und  mithin  den  Reichtum  der  Grundrissgliederung  be- 
trifft, überboten,  und  zwar  durch  eine  architektonisch  ungleich  ein- 
fachere Lösung.  Denn  verglichen  mit  dem  aus  S.  Martin  in  Tours 
stammenden  und  seit  1089  in  die  Cluniacenserarchitektur  Burgunds 
eingeführten  Systeme  des  runden  Umgangs  mit  ausstrahlenden  Rund- 
kapellen bedeutete  das  cisterciensische  sicherlich  eine  ungemeine  Er- 
sparnis sowohl  an  Material  wie  an  Arbeitskraft:  die  Wände  sind 
ausschliesslich  geradlinig,  die  Gewölbe  gehen  allen  schwierigeren  Kom- 
binationen aus  dem  Weg,  ein  einziges  durchgehendes  Pultdach  deckt 
eine  ganze  Reihe  von  ihnen  und  vereinfacht  den  Ablauf  des  Regen- 
wassers; kurz  es  sind  im  Grunde  keine  wirklichen  Kapellen  —  was 
von  dem  polygonen  Schema  von  Clairvaux  gerade  so  gilt,  wie  von  der 
viereckigen  von  Cisteaux  —  sondern  fortlaufende  Niederschiffe,  nur 
dass  sie  durch  Zwischenwände  abgeteilt  sind.  Aber  um  so  viel  die 
cisterciensische  Anlage  der  cluniacensischen  durch  praktische  Vorzüge 
überlegen  ist,  um  ebensoviel  steht  sie,  nach  künstlerischem  Masse 
gemessen,  niedriger  —  worauf  wir  bei  der  Betrachtung  des  Aussenbaus 
noch  besonders  zurückkommen  werden. 


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Dreizehntes  Kapitel :  Die  Kirchen  des  Cistercienserordens. 


529 


Es  ist  nachgewiesen  (durch  R.  Dohme),  dass  der  Stammbaum  eines 
Cistercienserklosters  auf  die  Wahl  des  speziellen  Grundrissschemas 
keinen  Einfluss  hatte;  es  war  schon  deshalb  nicht  möglich,  weil,  wie 
unsere  obige  Darlegung  zeigt,  die  Mutterklöster  bei  Umbauten  nicht 
selten  selber  das  Schema  wechselten.  Wohl  aber  können  wir  nunmehr 
feststellen,  dass  das  Beispiel  der  fünf  burgundischen  Hauptklöster  im 
ganzen  genommen  für  die  gesamte  Ordensarchitektur  massgebend  war, 
da  andere  als  die  durch  sie  vorgebildeten  Schemata  —  es  wären  denn 
Rückfälle  in  die  Lokalstile  —  nirgendwo  mehr  auftauchen.  Am  häu- 
figsten wiederholt  sich  in  allen 
Ländern  das  Schema  Clairvaux  1 1 , 
offenbar  weil  dies  die  Kirche 
des  H.  Bernhard  war. 

Vermochten  wir  hinsichtlich 
der  Grundrissentwickelung  die 
Lücken  der  Denkmälerüberliefe- 
rung durch  Konjekturen  von 
guter  Wahrscheinlichkeit  auszu- 
füllen, so  bleibt  hinsichtlich  des 
Systems  leider  allzuviel  im  Dun- 
kel. Einen  vor  der  Mitte  des 
12.  Jahrhunderts  sehr  verbreite- 
ten, vielleicht  vorherrschenden 
Typus  lernen  wir  in  FoNTBNAY 
kennen  (vgl.  beistehende  Figur). 
Das  Hauptschiff  hat  longitudi- 
nales,  die  Seitenschiffe  haben 
transversale  Tonnen-Gewölbe; 
ausser  den  letzteren  (A)  dienen 
noch  besondere  Strebebögen  (B),  die  nach  oben  über  das  Dach  nicht 
vortreten,  nach  aussen  durch  Strebepfeiler  (C)  verstärkt  werden,  als 
Widerlager  der  Hauptgewölbe.  Alles  Gewicht  ist  auf  Dauerhaftig- 
keit der  Konstruktion  gelegt  und  darin  übertrifft  das  System  das  von 
der  jüngeren  Schule  von  Cluny  aufgebrachte  basilikale  sicher;  ebenso 
sicher  aber  bedeutet  es  einen  künstlerischen  Rückschritt  durch  die 
Unfreiheit  der  Raumbildung  und  den  Mangel  direkter  Beleuchtung  des 
Hauptschiffs.  Im  Aufbau  wie  im  Grundriss  Fontenay  ganz  ähnlich 
sind  die  Cistercienserkirchen  Hochburgunds,  der  jetzigen  Westschweiz, 
Bonmont,  Hauterine  und  in  der  deutschen  Schweiz  Frinisberg 
(Taf.  99,  143).  Von  hier  bis  zum  System  von  Pontigny  (Taf.  346)  klafft 
eine  unausfüllbare  Lücke.  Pontigny  hat  rein  basilikalen  Aufbau  und 
Kreuzgewölbe.  Das  im  Jahre  11 14  als  zweite  Tochter  von  Cisterz 
gegründete  Kloster  führte  wegen  der  auf  mehr  als  ein  halbes  Hundert 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


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J.  I    1  <ftaJ 


angewachsenen  Zahl  seiner  Mönche  um  das  Jahr  1150  einen  Neubau 
seiner  Kirche  aus.  Es  ist  dieselbe,  die  wir  heute  vor  uns  sehen.  Nur 
noch  einmal,  kaum  ein  Menschenalter  nach  ihrer  Vollendung,  ist  eine 
Ueberarbeitung  einzelner  Teile  vorgenommen ,  späterhin  ist  sie  un- 
berührt geblieben.  Diese  zweite  Bauepoche  gab  der  ursprünglich  ganz 

schlichten  Westfassade 
' : r - r '  'J;^ |£3  •       V  O-  durch  Vorblendung  von 

Bogen  und  Säulen  ein 
etwas  schmuckvollere* 
Ansehen  (Taf.  274);  so- 
dann erweiterte  sie  den 
Chor.  War  derselbe  ur- 
sprünglich sicher  platt 
geschlossen,  so  wurde  er 
jetzt  nach  dem  Muster 
von  Clairvaux  III  gestal- 
tet. Die  Weihe  von  Clair- 
vaux fällt  11 74;  offenbar 
nicht  sehr  viel  später 
(etwa  1180)  die  Erweite- 
rung des  Chors  von  Pon- 
tigny.  Der  stilistische 
Abstand  zwischen  diesem 
und  dem  Quer-  und  Lang- 
haus ist  gross  genug,  um 
für  die  letztere  die  von 
der  Gallia  christiana  an- 
gegebene Bauzeit  >ca.  a. 
1 1 50c  vollkommen  glaub- 
lich erscheinen  zu  lassen. 
Man  erkennt  sogleich  die 
Wichtigkeit  dieser  chro- 
nologischen Feststellung: 
sie  besagt,  dass  wenige  Jahre  nach  dem  Bau  des  Chors  von  Saint-Denis 
und  ersichtlich  unabhängig  die  burgundischen  Cistercienser  ein  System 
verwendeten,  das  den  frühgotischen  Konstruktions-  und  Formgedanken 
nicht  minder  klar  ausspricht.  In  der  Bildung  der  Gewölbe  ist  der 
Fortschritt  gegen  die  zwanzig  Jahre  ältere  Vorhalle  des  benachbarten 
Vezelay  augenfällig;  die  Diagonalrippen,  deren  sporadisches  Auftreten 
in  den  verschiedensten  Teilen  Frankreichs  wir  seit  dem  Anfang  des 
Jahrhunderts  beobachtet  haben,  kommen  in  Burgund  hier  unseres 
Wissens  zum  erstenmal  zur  Verwendung;  die  Höhenentwickelung,  wenn 
sie  auch  im  Vergleich  zu  Fontenay  beträchtlich  gewonnen  hat,  findet 


)gle 


Dreizehutes  Kapitel:  Die  Kirchen  des  Cistercienserordens. 


531 


ihre  Schranke  darin,  dass  nach  der  Konstruktionsidee  des  Erbauers 
die  Kämpfer  der  Hauptgewölbe  mit  den  unter  den  Dächern  der  Seiten- 
schiffe verborgenen  Strebebögen  auf  gleicher  Höhenlinie  zusammen- 
treffen müssen ;  echt  cisterciensisch  ist  die  Konsequenz,  womit  der  Spitz- 
bogen, vielleicht  hier  zum  erstenmal,  auf  die  Fenster  ausgedehnt  ist 
{der  Gedanke  kam  erst  während  der  Bauführung,  da  die  zuerst  be- 
gonnenen Teile,  die  Kapellen  am  QuerschifT,  noch  rundbogig  sind,  vgl. 
Taf.  272).  —  Ob  die  Kirche  von  Pontigny  der  eigentliche  Schöpfungs- 
bau der  Schule  war,  bleibe  dahingestellt.  Seine  Einwirkungen  können 
wir  jetzt  nur  ausserhalb  Frankreichs  studieren.  Als  unmittelbare  Vor- 
stufe hat  vielleicht  Cisteaux  II.  zu  gelten  (vgl.  die  beistehende  Ab- 
bildung nach  dem  von  Viollet-le-Duc  reproduzierten  alten  Kupferstich). 
Das  Langhaus  hat  sieben  Joche,  wie  in  Pontigny  und  dass  dort  ur- 
sprünglich der  Chor  ebenso  gestaltet  gewesen  sein  rauss  wie  hier,  be- 
merkten wir  schon.  Auch  die  Aehnlichkeit  des  Aufbaus  ist  bedeutsam ; 
dass  nicht  Tonnengewölbe,  sondern  Kreuzgewölbe  vorhanden  waren, 
zeigt  die  Höhe  des  Daches  im  Vergleich  zu  den  Fenstern;  dass  sie 
weniger  sicher  ausgeführt  waren,  wie  in  Pontigny,  vielleicht  der  Kreuz- 
rippen noch  entbehrten,  beweist  die  augenscheinlich  spätere  Hinzufügung 
einzelner  Strebebögen.  —  Den  beginnenden  Einfluss  der  nordfranzösi- 
schen Schule  zeigt  der  Chor  von  Pontigny  und  zeigte  vielleicht  schon 
Clairvaux  III. 

Die  Cistercienserkirchen  Süd-  und  Westfrankreichs  schliessen  sich 
den  landesüblichen  Systemen  an ;  im  Grundriss  herrschen  die  Schemata 
Clairvaux  II  und  Morimond  II.  In  Provence  und  Languedoc  finden  wir 
tonnengewölbte  Hallenanlagen:  Thoronet,  Silvacanne,  Senanque, 
Silvanes,  Fontfroide  (Taf.  118,  123,  125);  in  Aquitanien  abwechselnd 
Kuppeln,  Tonnengewölbe,  angevinische  Kreuzgewölbe:  Boschaud,  La 
Couronne,  La  Solterraine,  Obazine  (Taf.  128,  191,  196). 

ITALIEN.  Ueber  die  Cistercienserkirchen  Italiens  lagen  bis  jetzt 
nur  sehr  unvollständige  Mitteilungen  vor;  einige  der  wichtigsten  publi 
zieren  wir  hier  zum  erstenmal;  weiteren  Forschungen,  wie  sie  erfreu- 
licherweise der  Amerikaner  Frothingham  in  Aussicht  stellt,  bleibt  sicher 
noch  eine  reiche  Nachlese.  —  S.  Vincenzo  alle  Ire  Fontane  bei  Rom, 
Umbau  einer  alten  Basilika,  cisterciensisch  nur  der  vom  Ende  des 
11.  Jahrhunderts  datierende  Chor  (Taf.  192).  —  Chfaravalle  bei  Mai- 
land (gegründet  1134);  das  inschriftliche  Weihedatum  1221  kann  sich 
wohl  nur  auf  eine  namentlich  die  Ostseite  betreffende  Restauration 
beziehen;  das  Langhaus  (Taf.  160,  161)  gehört  offenbar  noch  ins  ^.Jahr- 
hundert und  schliesst  sich  dem  lombardischen  System  an.  —  Chiara- 
valle  bei  Ancona  (Taf.  191,  196)  gegründet  11 72;  die  jetzige  Kirche, 
ausgeführt  nicht  gar  viel  später,  eher  vor  als  nach  1200;  das  Backstein- 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Siil. 


material  und  die  Einzelformen  weisen  auf  die  Lombardei ,  die  Kon- 
struktion ist  bereits  frühgotisch  im  burgundischcisterciensischen  Sinne; 
anstatt  des  gebundenen  Systems  durchlaufende  Traveen ;  Arkaden  und 
Gewölbe  spitzbogig,  in  Haupt-  und  Nebenschiffen  Diagonalrippen  von 
primitiver  Zeichnung;  die  hohen  Strebemauern  wieder  lombardisch. 
Sicher  tritt  in  Chiavaralle  das  Rippengewölbe  und  der  nordische  Spitz- 
bogen —  wohl  zu  unterscheiden  von  dessen  sporadischem  Auftreten 
von  Sicilien  her  —  zum  erstenmal  im  östlichen  Mittelitalien  auf.  Die- 
selbe Bedeutung  hat  für  Unteritalien  die  Cistercienserkirche  Sta.  Maria 
d'Arbona  (Taf.  192,  196).  —  Ganz  rein  endlich  zeigt  sich  der  bur- 
gundischc  Cistercienserstil  in  den  im  südlichen  Kirchenstaat  gelegenen 
Schwesterkirchen  von  Fossanova  und  Casamarl    Die  erstere  wurde 
1 135  dem  Orden  angeschlossen;  unter  dem  zweiten  Abt  Godefroid, 
einem  Licblingsschüler  des  H.Bernhard,  gleich  nach  11 79  Beginn  des 
Neubaus,  desselben,  den  wir  heute  sehen;  1208  Weihe.  Schon  1203  oder 
wenig  später  war  ein  Teil  der  Bauleute,  unter  denen  sich  viele  Franzosen 
befunden  haben  müssen,  nach  Casamari  übergesiedelt;  das  Weihejahr 
der  dortigen  Kirche  ist  12 17.  Die  fast  adäquate  Uebereinstimmung  der 
beiden  Bauten  untereinander  und  ihre  nahe  Verwandtschaft  mit  Pon- 
tigny  —  wobei  natürlich  nicht  ausgeschlossen  ist,  dass  eine  andere, 
jetzt  untergegangene  Kirche  Burgunds  ihnen  noch  näher  gestanden 
haben  könnte  —  wird  durch  unsere  Abbildungen  hinlänglich  klar  ge- 
stellt.   Zu  bemerken  ist  in  dem  Lichtgaden  und  den  Gewölben  des 
jüngeren  Werkes  eine  leise  Steigerung  des  gotischen  Charaktere  (Taf.  192, 
196,  346,  dazu  Grundriss  und  Aussenansicht  von  Fossanova  im  Jahr- 
buch der  preuss.  Kunstsammlungen,  Bd.  XII,  S.  99,  101).  Fossanova 
und  Casamari  sind  die  ersten  gotischen  Kirchen  auf  italienischem  Boden. 
Ihre  Einwirkung  auf  die  weitere  Entwickelung  hätte  bedeutend  werden 
müssen ,  wäre  ihre  Lage  nicht  zu  einsam  und  abgelegen  und  die 
rückwärts  auf  das  Altertum  gewandte  Richtung  der  Baukunst  in  der 
Stadt  Rom  ein  unüberwindliches  Hemmnis  gewesen.  Als  eine  direkte 
Wiederholung  des  Typus  von  Fossanova  wird  die  Cistercienserkirche 
S.  Martino  al  Cimino  unweit  Viterbo  genannt;  von  einigen  an- 
deren ebendaher  beeinflussten  Bauten  (Ferentino,  Anagni)  wollen  wir 
später  sprechen. 

SPANIEN  stand  mit  dem  Mutterlande  des  Ordens  in  keinem  direk- 
ten Kunstverkehr,  es  empfing  in  der  Zeit  des  Uebergangsstils  seine 
Anregungen  vielmehr  aus  Westfrankreich;  woraus  sich  erklärt,  dass 
die  typischen  Züge  der  Cistercienserarchitektur  hier  schon  merklich 
abgeschwächt  sind;  vgl.  auf  Taf.  150,  192,  196  die  Abbildungen  von 
Camprodon,  Val  de  Dios,  Veruela,  Las  Huelgas,  letztere  Kirche 
schon  ganz  gotisch. 


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Dreizehntes  Kapitel :  Die  Kirchen  des  Cistercienserordens. 


533 


DEUTSCHLAND.  Die  erste  Stiftung  des  Ordens  in  Deutschland 
ist  Campen  bei  Köln  1122;  hundert  Jahre  später  erfolgte  ein  Neubau 
(Grundriss  in  Quast  und  Ottes  Zeitschr.  I,  138);  einfaches  Oblongum 
ohne  Querschirr  und  Kapellen,  nur  mit  viereckig  vortretendem  Chor, 
in  den  Winkeln  jederseits  ein  kleines  Türmchen.  Will  man  in  diesem 
ungewöhnlich  simplen  Plan  eine  Wiederholung  des  ersten  Baus  anneh- 
men, so  würde  dieser  wieder  vermutlich  auf  die  Mutterkirche  Morimond 
in  ihrer  ersten,  sonst  nicht  über- 
lieferten, Gestalt  hinweisen.  Die 
von  Bischof  Otto  von  Bamberg  für 
Benediktiner  gegründete,  noch  im 
Laufe  des  Baus  1132  den  Cister- 
ciensern  übergebene  und  11 50  ge- 
weihte Kirche  von  Heilsbronn  in 
Franken  besitzt  einen  normalen 
Hirsauer  Chor;  ebenso  und  aus  den 
gleichen  Gründen  Dissibodenberg 
a.  d.  Nahe  (Ruine).  Pforte  bei 
Naumburg  (11 37 — 1140)  und  Ma- 
kienthal  bei  Helmstädt  (1138  bis 
11 40)  geben  das  erste  Beispiel  für 
das  Schema  Clairvaux  II  (Pforte  cv.r  und  Quc^chifr  in  Burgdin. 

Taf.  194  mit  gotisch  erneuertem 

Chor);  es  ist  fortan  das  in  Deutschland  bei  weitem  gebräuchlichste, 
während  das  Schema  Morimond  II  sich  nur  zweimal,  in  Bronnbach 
und  Altenberg,  nachweisen  lässt.  —  Hier  ist  der  Ort  zu  einer  Ein- 
schaltung über  die  schöne  und  stattliche  (jetzt  halb  zerstörte)  Kirche 
von  Burgelin  in  Thüringen.  Die  Kirche  war  mit  Benediktinern  be- 
setzt; allein  die  Bauformen  des  ältesten  Teils  der  Kirche,  des  1142  bis 
11 50  ausgeführten  Chors  und  Querschiffs  (vgl.  die  beistehende  Figur) 
weisen  auf  Zusammenhang  mit  den  Cisterciensern.  Die  charakteristische 
staffeiförmige  Anordnung  von  je  zwei  Nebenchören  ist  in  Deutschland 
sonst  ohne  Beispiel;  sie  ist  altcluniacensisch  und  wurde,  wie  oben 
nachgewiesen,  nachdem  sie  in  Cluny  fallen  gelassen  war,  von  den 
ältesten  Cistercienserkirchen  aufgenommen  (vgl.  Vaux-de-Cernay,  Taf.  191). 
Wäre  Burgelin  60  Jahre  älter,  so  würden  wir  es  ohne  Zaudern  direkt 
auf  Cluny  zurückführen ;  da  aber  Alt-Cluny  seit  mehr  als  einem  halben 
Jahrhundert  nicht  mehr  existierte,  auch  keine  der  deutschen  mit  Cluny 
in  Verbindung  stehenden  Kirchen  dies  Planschema  ohne  Veränderungen 
nachgebildet  hat,  so  bleibt  als  Vorbild  nur  das  Cistercienserschema  in 
seiner  ältesten  Gestalt  übrig.  In  dieser  frühen  Zeit  gleichfalls  nur  den 
Cisterciensern  bekannt,  ist  die  Anordnung  des  westlichen  Vierungs- 
bogens auf  Kragsteinen.    Das  Langhaus  zeigt  Formen  der  Hirsauer 


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534 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Schule,  was  aber  auch  in  der  cisterciensischen  Gründung  Maulbronn 
der  Fall  ist.  Wie  denn  überhaupt  beide  Schulen  sich  in  Deutschland 
anfangs  oft  berühren  (vgl.  oben  Heilsbronn  und  Dissibodenberg).  Bei- 
den gemeinsam  ist  z.  B.  die  auch  in  Burgelin  wohlerhaltene  Begrenzung 
des  Mönchschors  durch  eine  ins  Langhaus  vorgeschobene  Bogenstellung 
(S.  Peter  in  Hirsau,  S.  Michael  in  Bamberg,  S.  Paul  in  Lavant  — 
Pontigny,  Clairvaux,  Casamari,  Bronnbach,  Maulbronn). 

Was  den  Aufbau  betrifft,  so  waren  die  deutschen  Cistercienser- 
kirchen  bis  zur  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  allgemein,  in  einzelnen 
Fällen  noch  darüber  hinaus,  flachgedeckt:  so  Heilsbronn,  Amelunxborn, 
Maricnthal,  Pforta,  Hardehausen,  Maulbronn  (gew.  1178),  Lehnin  (beg. 
1180),  Wettingen  (gew.  1256).  Die  ältesten  Gewölbekirchen  sind  die 
von  Thennenbach  im  Breisgau  (beg.  11 56)  und  Bronnbach  bei  Wert- 
heim (beg.  1 1 57).  Beide  geben  sich  als  Fremdlinge  auf  deutschem 
Boden  zu  erkennen.  Thennenbach  hatte  nach  burgundischer  Weise 
Quertonnen  über  den  Abseiten ,  wogegen  die  ursprüngliche  Form  der 
HauptschifFsgewölbe  nicht  mehr  ersichtlich  ist.  Bronnbach  (Taf.  194,  iq50 
vermischt  das  burgundische  System  mit  dem  gebundenen  deutschen;  die 
Strebepfeiler  sind  wahrscheinlich  die  ältesten  auf  deutschem 
Boden.  Wahrscheinlich  gleichfalls  auf  burgundische  Anregungen,  sie 
frei  variierend,  geht  die  als  reine  Hallenanlage  erbaute  Kirche  Walder- 
bach unweit  Regensburg  zurück,  wohl  noch  saec.  12;  durchgehend* 
Kreuzgewölbe,  im  Mittelschiff  mit  abgekanteten  Diagonalgurten;  die 
zwei  östlichen  Arkaden  rundbogig,  die  vier  westlichen  spitzbogig,  doch 
in  der  Ausführung  nicht  nennenswert  jünger.  (B.  Riehl  im  Repertorium 
f.  Kunstwiss.  1891,  S.  365  f.)  Kreuzgewölbe  nach  dem  gebundenen 
System  begegnen  zuerst  in  Eberbach  im  Rheingau  (Chor  gew.  117S. 
Langhaus  1186)  und  Heiligf.nkreuz  in  Niederösterreich  i^gew.  1187'. 
Der  Aufbau  (Taf.  198,  199)  unterscheidet  sich  von  dem  sonst  in 
Deutschland  üblichen  nur  durch  das  bekannte  Konsolenmotiv.  Im 
Gesamteindruck  paart  sich  das  Nüchterne  mit  dem  Grossartigen  zu 
charaktervoller  Wirkung. 

In  der  Epoche  des  Uebergangsstils  nimmt  auch  die  Cistercienser- 
architektur  eine  freiere  Haltung  ein ,  ohne  an  Ernst  einzubüssen ;  bis 
zu  wirklichem  Reichtum  versteigt  sie  sich  nur  in  Nebengebäuden,  wie 
der  Michaelskapelle  in  Ebrach  (Taf.  200)  und  den  berühmten  Kreuz- 
gängen zu  Maulbronn,  Heiligenkreuz,  Lilienfeld.  In  der  Planbildung 
(Taf.  195)  tritt  mehrenorts  das  jüngere  Schema  von  Cisteaux  ein,  mit 
gewissen  Abweichungen  jedoch:  Arnsburg  in  der  Wetterau,  Ebrach 
bei  Bamberg,  Riddagshausen  bei  Braunschweig  zeigen  die  fortlaufende 
Klärung  des  Motivs,  Walkeried  am  Harz  (in  den  Ostteilen  1247  voll, 
und  Lilienfeld  in  Oesterreich  (nach  Mitte  saec.  13)  seine  beginnende 
Auflösung.   Dem  Schema  Clairvaux  III  folgt  allein  Hetsterbach;  die 


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Dreizehntes  Kapitel :  Die  Kirchen  des  Cistercienserordens.  tj  »  c 

Durchbrechung  des  Langhauses  durch  ein  zweites  Querschiff  ist  eine 
originelle  Zuthat,  wahrscheinlich  zur  Bezeichnung  des  Punktes,  wo  der 
Vorderchor  ansetzte.  Offenbar  von  Heisterbach  beeinflusst  ist  die  ausser- 
halb des  Ordens  stehende  Liebfrauenkirche  zu  Maastricht  (Taf.  195, 
Fig-  3)«  Reiche  Bauthätigkeit  entfaltete  der  Orden  in  dieser  Zeit  in 
den  germanisierten  Slavenländern  des  Ostens,  jedoch  mit  mehr  oder 
minder  Abschwächung  des  Typus.  So  sind  z.  B.  zwei  der  ansehn- 
lichsten Werke,  Tischnowitz  in  Mähren  und  Dgbrilugk  in  der  Nieder- 
lausitz einfach  zum  normal-romanischen  Kreuzgrundriss  zurückgekehrt '). 


S.  Thomai  a.  d.  Kyll. 


Andererseits  zeigt  die  Benediktinerkirche  von  Trebitsch  (Taf.  179) 
Konstruktionsformen  —  Kragsteingurten  und  Strebemauern  — ,  die  nur 
cisterciensisch  vermittelt  sein  können ;  möglicherweise  ebenso  der  Chor 
der  Petersberger  Kirche  bei  Halle  (Taf.  172).  Sehr  häufig  wird  der 
gerade  Chorschluss  aufgegeben  und  eine  Apsis,  halbkreisförmig  oder 
polygon,  hinzugefügt:  Lehnin,  Zinna,  Colbatz,  vielleicht  auch  Oliva 
vor  der  gotischen  Erweiterung.  —  Den  inneren  Aufbau  der  deutschen 
Cistercienserkirchen  von  1200  bis  1250  schildert  unsere  Tafel  199.  Man 
erkennt  die  fortschreitende  Gotisierung,  ihre  Quelle  jedoch,  wie  sehr 
bemerkt  zu  werden  verdient,  ist  nicht  die  viel  weiter  avancierte  nord- 

')  Mit  Unrecht  wird  ihnen  Otterberg  in  der  Pfalz  zugezählt;  das  ehemalige 
Vorhandensein  von  je  drei  Kapellen  an  den  Kreuzarmen  steht  unzweifelhaft  fest,  s.  Riehl, 
Kunsthistorische  Wanderungen,  239. 


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Zweites  Bush  :  Der  romanische  Stil. 


französische,  sondern  die  frühe  burgundisch-champagnische  Gotik:  die 
durch  Pontigny  vertretene  Stufe  wird  nirgends  überschritten,  kaum 
erreicht.  Im  Querschnitt  von  Heisterbach  (Taf.  177)  klingen  sogar 
ältere  burgundische  Konstruktionsformen  (Taf.  141,  2.  6  und  Taf.  149. 
1)  nach.  Hätte  Walkenried  (beg.  1207)  nicht  sechsteilige  Gewölbe 
acceptiert,  als  diejenige  Form,  die  am  meisten  an  das  traditionelle 
gebundene  System  erinnert ,  so  würde  die  Aehnlichkeit  mit  Pon- 
tigny und  Fossanova  noch  viel  grösser  sein.  Die  Frauenklöster  des 
Ordens  sind  zuweilen  einschiffig;  als  Beispiel  beistehend  S.  Thomas 
a.  d.  Kyll. 

In  ENGLAND  entfaltet  sich  die  Baukunst  des  Ordens  besonders 
stattlich  und  selbstbewusst  (Taf.  193,  197).  Bereits  im  ersten  Jahrzehnt 
nach  seiner  Einwanderung  (11 27)  waren  vierundzwanzig  Abteien  ge- 
gründet. Die  erhaltenen  Denkmäler  datieren  sämtlich  erst  nach  11 50. 
Zuerst  herrschte  der  Grundplan  Clairvatix  II.:  so  in  Kirkstall  ybeg. 

II  52),  FURNESS  (beg.  II60),  FOUNTAINS,  BUILDWAS,  ROCHE,  RlEVALLX 

(vor  der  gotischen  Erweiterung).  Der  Plan  Cisteaux  II  kommt  nur 
einmal  vor,  in  Bvland,  mit  der  für  die  späteren  englischen  Ordens- 
kirchen typischen  Abweichung,  dass  die  Zwischenwände  der  Kapellen 
wegfallen.  Schliesslich  tritt  die  durch  Fig.  3  und  5  auf  Taf.  193  ver- 
anschaulichte Modifikation  ein,  in  der  sich  der  Cisterciensergrundriss 
von  dem  sonst  üblichen  englisch  normannischen  (der  ja,  wie  man  sich 
erinnert,  aus  der  gleichen  Wurzel,  nämlich  Cluny,  hervorgegangen  war 
nicht  mehr  unterscheidet:  Jervaulx,  Rievaulx,  Whitbv,  Netlev, 
Tintern,  Howden,  Selhv.  —  Im  Aufbau  unterscheiden  sich  die  eng- 
lischen Cistercienserkirchen  von  den  festländischen  in  einem  Haupt- 
punkte: sie  teilen  die  Hochschätzung  des  Gewölbebaus  nicht,  bleiben 
grossenteils  der  nationalen  Sparrendecke  bis  tief  in  die  gotische  Epoche 
treu ;  nur  die  Abseiten  werden  allerdings  gewölbt,  wobei  auch  hier  die 
typische  Anordnung  der  Gurten  auf  Kragsteinen  üblich  ist  (Taf.  197, 
4.  5).  Auch  in  England  sind  die  Cistercienser  die  ersten,  die  den 
Spitzbogen  einführen ;  doch  hat  derselbe,  weil  zu  keinem  konsequenten 
Gewölbebau  führend,  nur  formale  Bedeutung.  Die  Einzelgliederung  ist 
durchweg  reicher  als  auf  dem  Kontinent;  der  einfache  Rundpfeiler 
macht  sehr  bald  einem  komplizierten  Gliederpfeiler  Platz;  dem  ent- 
sprechend die  Archivolten;  Belebung  der  Hochwände  durch  Triforien 
wird  nicht  verschmäht.  Unter  diesen  Umständen  erhalten  die  Ordens- 
bauten schon  zu  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  (vgl.  als  Beispiele  Taf.  197, 
6.  7)  ein  so  entschieden  gotisches  Formengepräge,  wie  in  keinem 
anderen  Lande,  während  sie  umgekehrt  auf  die  gotischen  Konstruktions- 
gedanken, die  den  Cislerciensem  des  Kontinents  das  Wichtigste  sind, 
nicht  eingehen. 


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Dreizehntes  Kapitel  :  Die  Kirchen  des  Cistercienserordens. 


537 


Um  das  Bild  der  Cistercienserarchitektur  zu  vollenden,  nehmen 
wir  die  Betrachtung  des  Aussenbaus  gleich  hier  vorweg.  Das  Haupt- 
merkmal desselben  ist  die  Abwesenheit  der  Türme.  Nirgends  äussert 
sich  die  Einseitigkeit  der  cisterciensischen  Kunstanschauung  herber 
und  gegen  das  Zeitbewusstsein  oppositioneller,  als  in  diesem  Verbot. 
Die  langgestreckten,  turmlosen  Gebäude  (Taf.  272)  würden  altchrist- 
lichen Basiliken  ähnlich  sehen,  wenn  nicht  die  massive  und  sorgfältige 
Mauertechnik  und  die  auf  Gewölbe  im  Innern  hindeutenden  Ver- 
strebungen sie  als  Erzeugnisse  einer  kräftiger  gesinnten  Zeit  verrieten. 
Hier  im  Aussenbau  treten  auch  die  künstlerischen  Mängel  der  Chor- 
anlage unverhüllt  hervor  (Taf.  273);  am  nüchternsten  und  sprödesten 
in  der  Wirkung  bei  rechteckigem  Umgang;  etwas  milder,  jedoch  von 
der  ursprünglichen  Schönheit  des  Motivs  noch  immer  entfernt  genug 
bei  der  Halbkreisform.  Die  Enthaltsamkeit  in  Bezug  auf  die  Türme 
wird  ganz  strenge  nur  in  Burgund,  Nordfrankreich  und  Deutschland 
durchgeführt.  (Der  hohe  Dachreiter  in  Cisteaux  und  ein  ähnlicher, 
jetzt  abgebrochener,  in  Pontigny  sind  spätgotische  Zusätze.)  In  Süd- 
und  Westfrankreich,  in  Spanien  und  England  tritt  an  Stelle  des  Dach- 
reiters öfters  schon  ein  ganz  monumentaler  Zentralturm ;  und  besonders 
auffallend  ist  das  in  Italien:  die  Zentraltürme  von  Chiaravalle  (Taf.  281), 
Fossanova,  Casamari  gehören  zu  den  anspruchsvollsten  ihrer  Art. 
Das  in  Frankreich  und  Italien  gewöhnlich  (in  Deutschland  nur  einmal, 
in  Maulbronn)  der  Fassade  vorgebaute  niedrige  Paradies  ist,  wie 
die  meisten  Planmotive  der  Cistercienser  es  sind,  Reduktion  der 
cluniacensischen  Vorform. 

Wir  finden  nicht,  dass  die  Cistercienser  die  Absicht  verfolgt 
hätten,  über  den  Rahmen  ihres  Ordens  hinaus  um  Nachahmung  ihrer 
Baugrundsätze  zu  werben.  Bei  dem  hohen  moralischen  Ansehen  aber, 
das  sie  genossen,  und  bei  der  grossen  Zahl  und  technischen  Tüchtig- 
keit der  von  ihnen  aufgeführten  Bauten  konnten  allgemeinere  Wirkungen 
nicht  ausbleiben.  Sicher  nahmen  sie  unter  den  Mächten,  die  den 
Uebergang  vom  Romanismus  zur  Gotik  herbeiführten,  einen  wichtigen 
Platz  ein.  Ihren  positiven  Beitrag  zur  Ausbildung  des  neuen  Stils 
wollen  wir  nicht  überschätzen;  um  so  stärker  fällt  ins  Gewicht,  was 
sie  zur  Entwertung  und  Zerstörung  des  romanischen  Bauideals  gethan 
haben ;  der  Gotik  den  Weg  frei  zu  machen ,  das  war  die  eigentliche 
geschichtliche  Sendung  der  cisterciensischen  Bauthätigkeit. 


35 


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53« 


Zweites  Buch  :  Der  romanische  Stil. 


Erklärung  der  Tafeln. 


.  ,  Grundrisse.  Frankreich. 

Tafel  xgi. 

1.  Vaux-de-Cernay.  —  Um  a.  1130.  —  Viollet-le-Duc. 

2.  Fontenay.  —  Vor  1150.  —  Viollet-le-Duc. 

3.  Clairvaux.  —  Voll.  1174.  —  Voyage  archeologiques  dans  le 
dcJp.  de  l'Aube. 

4.  Obazine.  —  Mitte  saec.  12.  —  Viollet-le-Duc. 

5.  S.  Nicolas-sous-Ribemont.  —  Bull.  mon.  34. 

6.  La  Couronne.  —  Um  1170.  —  Statistique  monumentale  du 
de"p.  Charente. 

7.  pontigny.  —  Um  11 50,  Chor  erweitert  um  1180.  —  Chaillon 
de  Barres. 

8.  Aus  dem  Skizzenbuch  des  Villard  de  Honnecourt.  —   2.  Hälfte 
saec.  12.  —  Darcel  et  Lassus. 

Fig«  3»  6,  8  ohne  Massstab. 

_  _  ,  Jtalien,  Spanien. 

Tafel  192.  r 

1.  *Casamari.  —  1203 — 1217.  —  Dehio. 

2.  SS.  Vincenzo  et  Anastasio  alle  tre  Fontane  bei  Rom.   —  Chor 
E.  saec.  12.  —  Mothes. 

3.  Chiaravalle  bei  Mailand.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  —  Gruner. 

4.  *Chiaravalle  bei  Ancona.  —  E.  saec.  12.  —  Bezold. 

5.  Veruela.  —  E.  saec.  12.  —  Street. 

6.  Las  Huelgas  bei  Burgos.  —  saec.  13.  —  Street. 

7.  Sta.  Maria  d'Arbona  (Unteritalien).  —  A.  saec.  13.  —  Schulz. 

8.  Val  de  Dios.  —  Monumentos  arquitectonicos  de  Espafia. 

9.  Camprodon.  —  Monumentos  etc. 

_  r  .  England,  Schweiz. 

Tafel  193.  6  ' 

1.  Fourness.  —  Beg.  1160.  —  Sharpe. 

2.  Roche.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  —  Sharpe. 

3.  Jervaulx.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  —  Sharpe. 

4.  Hauterive.  —  saec.  12.  —  Rahn. 

5.  Rievaulx.  —  saec.  12  und  13.  —  Sharpe. 

6.  Wettingen.  —  Mitte  saec.  13.  —  Rahn. 

7.  Byland.  —  A.  saec.  13.  —  Sharpe. 


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Dreizehnte«  Kapitel:  Die  Kirchen  des  Cistercienserordeus. 


539 


Tafel  194.  Deutschland. 

1.  Maulbronn.  —  Gew.  11 78,  Vorhalle  saec.  13,  Schiffe  gewölbt 
saec.  15.  —  Paulus. 

2.  »Bronnbach.  —  Beg.  1 157.  —  Bezold. 

3.  *Pforta.  —  Voll.  1140,  Gewölbe  saec.  13.  —  Memminger. 

4.  Eberbach.  —  Beg.  1156,  gew.  1 186.  —  Geier  u.  Görz. 

5.  Heiligkreuz.  —  gew.  1 187.  —  Heider  u.  Eitelberger. 

6.  Loccum.  —  Beg.  1240.  —  B.-D.  Niedersachsens. 

Tafel  195. 

1.  Lilienfeld.  —  Beg.  1206.  —  v.  Sacken. 

2.  Arnsburg.  —  Um  1215?  —  Gladbach. 

3.  *Maastricht,  Liebfrauen.  —  saec.  13.  —  Cuypers. 

4.  Heisterbach.  —  1202—33.  —  Boissere'e. 

5.  Walkenried.  —  Voll.  1297.  —  Quast  u.  Otte. 

6.  *Ebrach.  —  saec.  13.  —  Sharpe. 

7.  Riddagshausen.  —  Nach  M.  saec.  13.  —  Ahlburg. 

,  .      _  Schnitte  und  Svstemk. 

Tafel  196. 

1.  Camprodon.  —  Monumentos. 

2.  S.  Maria  dArbona.  —  P.  W.  Schulz. 

3.  *Casamari.  —  Dehio. 

4.  Obazine.  —  Viollet-le-Duc. 

5.  6.  ♦Chiaravalle  bei  Ancona.  —  Bezold. 

Tafel  197. 

1,  2.  Fountains.  —  Sharpe. 

3.  Netley.  —  Sharpe. 

4.  Kirkstall.  —  Sharpe. 

5.  Whitby.  —  Sharpe. 

6.  Byland.  —  Sharpe. 

7.  Whitby.  —  Sharpe. 

Tafel  198. 

1,  2,  3.  Eberbach.  —  Geier  u.  Görz. 
4,  5.  *Bronnbach.  —  Bezold. 

Tafel  19g. 

1.  Heiligkreuz.  —  Heider  u.  Eitelberger. 

2.  Walkenried.  —  Quast  u.  Otte. 

3.  Maulbronn.  —  Paulus. 

4.  5.  Arnsburg.  —  Gladbach. 
6.  Heisterbach.  —  Boisserde. 


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540  Zweites  Huch:  Der  romanische  Stil. 

7.  Otterberg.  —  Baudenkmäler  der  Pfalz. 

8,  9.  Riddagshausen.  —  Ahlburg. 

10.  Loccum.  —  B.-D.  Niedersachsens. 

Tafel  200. 

1.  *Ruine  des  Chores  von  Heisterbach.  —  Tornow. 

2.  Michaelskapelle  in  Ebrach.  —  Sharpe. 


Ergänzungstafel  346. 

i,  2.  *Pontigny,  System  und  QuerschifT.  —  Bezold. 

3,  4.  *Fossanova,  System  und  Querschnitt.  —  Kristensen. 

5.  Colbatz,  System.  —  Z.  f.  Bauwesen. 

6.  Marienstatt,  System.  —  Görz. 


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Vierzehntes  Kapitel. 

Der  Zentralbau. 


LlTTERATUR.  —  Allgemeines.  Vgl.  S.  18.  Die  oberitalienischen  Baptisterien : 
De  Dartein,  £tude  sur  l'architecture  Lombarde.  Paris  1865  ff.  —  Cremona:  Spielberg 
in  Zeitschrift  f.  Bauwesen  1859.  —  Pisa:  Rohault  de  Fleury,  Les  Monuments  de  Pise 
au  moyen-agc.  Paris  1866.  —  Parma:  Lopez,  II  Battistero  di  Parma.  Parma  1864.  — 
Florenz  und  Cremona:  J.  Dürrn  in  Zeitschrift  f.  Bauwesen  1887.  —  Dijon :  Dom. 
Plancher,  Histoire  de  Bourgogne,  Tom.  I,  1739,  mit  einer  für  ihre  Zeit  sehr  merk- 
würdigen stilkritischen  Abhandlung.  —  E.  Henzlmann  in  Mitth.  der  C.-Comm.  1868.  — 
Rundbauten  in  Deutschland :  Otte,  Handbuch  der  kirchlichen  Kunstarchäologie  I5.  S.  21 
bis  28.  —  Karner:  Heider  in  den  Mitth.  der  C.-Comm.  I.  53.  Lind,  ebenda  XII.  146. 
—  Schwarz- Rhe indorf :  Simons,  Die  Doppelkirche  zu  Schwarz-Rheindorf,  Bonn  1846. 

Die  Summe  der  auf  uns  gekommenen  romanischen  Zentralbauten 
ist  nicht  klein ;  gleichwohl  könnten  wir  sie  —  mit  wenigen  Aus- 
nahmen —  uns  wegdenken,  ohne  dass  im  Gesamtbilde  des  Stils  eine 
auffallende  Lücke  entstände.  Es  fehlt  ihnen  Entwicklung  und  Zu- 
sammenhang, die  Mehrzahl  gibt  nur  Wiederholung  christlich-antiker 
Typen.  Die  namhaftesten  Werke  hat  Italien  geliefert.  Im  Norden 
steht,  was  aus  der  gleichförmigen  Masse  bedeutsam  hervorragt,  ent- 
weder auf  römischen  Grundmauern  oder  knüpft  an  die  Denkmals- 
kirchen des  heiligen  Landes  an.  Wollte  man  aber  daraus  den  nahe- 
liegend scheinenden  Schluss  ziehen,  dass  die  romanische  Baukunst 
oder  mindestens  die  für  die  allgemeine  Entwicklung  massgebenden 
nordischen  Schulen  gegen  die  spezifischen  Vorzüge  zentraler  Anlage 
gleichgültig  waren,  so  würde  man  sehr  fehlgehen.  Wir  haben  darauf 
hinzuweisen  Gelegenheit  gehabt  und  werden  es  im  Kapitel  über  den 
Aussenbau  vollends  in  hellem  Lichte  sehen,  wie  der  Basilikenbau  des 
Mittelalters  seine  reiche  grundgestaltende  Entfaltung  wesentlich  der 
Aufnahme  zentralistischer  Motive  verdankt :  —  um  nur  an  das  Allge- 
meinwerden des  Querhauses,  an  die  Erweiterung  des  Chores  durch 
konzentrischen  Umgang  und   radiante  Kapellen,  an  die  verstärkte 


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542 


Zweites  Buch .  Der  romanische  Stil. 


Betonung  des  Kreuzesmittels  im  inneren  wie  im  äusseren  Aufbau, 
an  die  Kuppelkirchen,  an  die  gruppierende  Ordnung  der  Türme  zu 
erinnern.  In  alle  dem  lag  in  der  That  eine  Verschmelzung  der  in 
der  frühchristlichen  Architektur  noch  scharf  getrennten  Grundformen 
des  Longitudinal-  und  des  Zentralbaus  zu  einer  höheren  Einheit, 
welche  die  Ablenkung  des  künstlerischen  Interesses  vom  reinen  Zentral- 
bau wohl  begreiflich  macht.  Noch  stärker  aber  wirkte  dahin  der 
praktische  Umstand,  dass  der  Kultus,  der  ja  schon  in  frühchristlicher 
Zeit  für  den  Zentralbau  nur  zu  Nebenzwecken  Verwendung  gefunden 
hatte,  sich  jetzt  im  Mittelalter  seiner  noch  mehr  entwöhnte.  Gesonderte 
Taufkapellen  (Johanniskirchen)  sind  in  der  karolingisch-ottonischen 
Epoche  nicht  nur  für  bischöfliche  Kathedralen,  sondern  auch  für 
Stiftskirchen  (Aachen,  Fulda,  Essen,  Reichenau,  S.  Gereon  in  Köln, 
S.  Georg  in  Augsburg)  häufig  nachzuweisen;  diesseits  des  Jahres  1000 
scheinen  aber  Neugründungen  dieser  Art  nicht  mehr  vorgekommen 
zu  sein;  einzelne  restaurierte  man  noch  im  späteren  Mittelalter,  die 
meisten  verschwanden.  Nur  in  Italien  hielt  die  kirchliche  Sitte  lange 
an  ihnen  fest  (z.  B.  in  Pistoja  Neubau  im  14.  Jahrhundert).  Ebenso 
wurden  eigentliche  Grabkirchen  von  dem  einfacheren  Sinne  jetzt  sel- 
tener beansprucht;  z.  B.  kein  deutscher  Kaiser  der  nachkarolingischen 
Zeit  hat  sich  eine  solche  errichtet,  sie  sorgten  nur  für  eine  Grabstätte 
an  ausgezeichneter  Stelle,  etwa  in  einer  von  ihnen  gestifteten  Kirche, 
wie  Heinrich  II.  in  Bamberg,  Lothar  in  Königslutter,  die  Salier  in 
Speier ;  eher  hielten  die  grossen  Kirchenfürsten,  wie  Arnold  von  Köln, 
Hartwich  von  Regensburg  u.  a.  solcher  Auszeichnung  sich  würdig. 
Neu  hinzukommende  Klassen  von  Zentralbauten  sind  die  Schloss- 
kapellen, unter  nachwirkendem  Beispiel  der  Pfalz  zu  Aachen,  und  die 
Kirchen  der  Templerordenskommenden  nach  dem  Vorbilde  des  ver- 
meintlichen Tempels  Salomonis  in  Jerusalem  *).  Ausser  für  diese  vier 
Gattungen  wurden  zentrische  Anlagen  nur  in  Ausnahmsfallen  von 
individueller  Bedingtheit  gewählt  und  gewöhnlich  trat  dann  die  Form 
auch  nicht  rein  auf,  sondern  in  Verquickung  mit  einem  Langbau. 

1.  ITALIEN. 

Die  Zahl  der  erhaltenen  romanischen  Baptisterien  ist,  namentlich 
in  Oberitalien,  eine  sehr  grosse.    Aufzählungen  bei  Mothes  a.  a.  O. 

')  Diese  Bausitte  gehurt  vornehmlich  Frankreich  und  England  an ;  in  Deutsch» 
land  ist,  ausser  in  Metz ,  keine  einrige  Templerkirche  von  zentraler  Anlage  sicher 
nachgewiesen. 


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Vierzehntes  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


543 


263  ff.,  329  ff.,  342  ff.,  freilich  fast  ausnahmslos  mit  falscher  Datirung. 
Die  vorkommenden,  meist  sehr  einfachen  Typen  sind  von  der  alt- 
christlichen Kunst  herübergenommen,  vgl.  Buch  I,  Kap.  2,  woselbst 
auch  schon  Beispiele  ihres  Fortlebens  in  der  romanischen  Kunst  nam- 
haft gemacht  wurden.  Es  sind  einfache  Rund-  oder  Polygonbauten 
(wie  in  Agliate,  Varese,  Lenno  u.  s.  w.),  zuweilen  durch  Nischen  in 
der  Mauerdicke  gegliedert  (wie  in  Albegna  und  Novara,  Taf.  3.)  — 
In  Agrate  Conturbia  ist  die  Umfassung  kreisförmig  und  der  Ueber- 
gang  ins  Achteck  des  Oberbaues  wird  in  einfachster  Weise  dadurch 
gewonnen,  dass  acht  vor  die  Mauerflucht  vorspringende  Pfeiler  durch 
Bögen  verbunden  sind,  deren  innere  Begrenzung  in  senkrechten  Ebenen 
gelegen  ist.  Der  Oberbau  springt  aussen  gegen  das  untere  Geschoss 
zurück.  Mella,  welcher  dieses  Gebäude  mit  dem  von  Agliate  veröffent- 
licht hat,  nimmt  an,  dass  der  untere  Teil  bis  zu  0,50  m  Höhe  antik 
ist,  das  übrige  dem  11.  Jahrhundert 
angehört  (Atti  della  societä  d'archeo- 
logia  e  belle  arti  per  la  provincia  di 
Torino,  vol.  III).  —  In  anderen  Fällen 
springen  drei  oder  vier  Apsiden  nach 
aussen  vor,  Anlagen,  welche  an  die  alt-  A«ratc  Couturb«.  Hiciu. 
christlichen  Cömeterialzellen  (Taf.  14)  erinnern:  S.  Gttsmeo  in  Gkavk- 
üoka  schon  erwähnt  (S.  58),  ähnlich  San  Benedetto  bei  San  Pietro 
di  Civate.  —  Das  Baptisterium  zu  Biklla  hat  vier  Apsiden;  die  Mauern 
des  Tambours  werden  im  Innern  über  kleinen  Hängezwickeln  allmäh- 
lich in  die  Rundung  der  Kuppel  übergeführt.  Das  Aeussere  des  Tam- 
bours ist  eckig,  doch  sind  die  Seiten  des  Grundquadrates  in  der  Weise 
gebrochen,  dass  ein  Achteck  mit  abwechselnd  ungleichen  Winkeln 
entsteht.  Der  Bau  wird  in  das  8.  oder  9.  Jahrhundert  gesetzt  (Mella, 
Antico  battistero  della  cathedrale  di  Biella.  Turin  1873.  Dartein, 
S.  402,  mit  Zeichnungen  im  Texte).  —  Das  Baptisterium  in  Gau  iano. 
ein  unregelmässiger  Vier-Conchen-Bau,  hat  im  Obergeschoss  einen  Um- 
gang, der  sich  auf  jeder  Seite  mit  zwei  Fenstern  gegen  den  Hauptraum 
öffnet;  sehr  roh.  Dartein,  S.  411,  setzt  es  in  den  Beginn  des  11.  Jahr- 
hunderts. —  Das  Baptisterium  in  Arsago  (Taf.  201,  Fig.  1,  2)  ist  in 
seinem  unteren  Geschoss  ein  Oktogon  mit  acht  in  der  Mauerdicke  aus- 
gesparten Nischen;  in  den  Ecken  Halbsäulen,*  welche  bis  zum  Kämpfer 
der  Nischen  reichen;  über  den  Kämpfergesimsen  kleine  Säulchen, 
welche  ein  Bogenfriesgesimse  tragen  (vgl.  S.  Ambrogio  in  Mailand 
Taf.  161);  im  Obergeschoss  ein  Umgang  mit  acht  Arkaden;  kleine  in 
den  Bogenzwickeln  angebrachte  Trompen  leiten  zum  Sechzehneck  des 
Tambours  über.  Schon  der  geometrische  Schnitt  lässt  erkennen,  dass 
das  Innere  trotz  seiner  einfachen  Formbehandlung  von  malerischer 
Wirkung  ist.    Die  Analogien  mit  S.  Ambrogio  weisen  den  Bau  dem 


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544 


Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


ausgehenden  1 1.  Jahrhundert  zu.  —  In  San'  Tomaso  ix  Limine  bei 
Ai.menno  (Taf.  201,  Fig.  3,  4)  sind  beide  Stockwerke  mit  Umgängen 
versehen;  unten  ein  ausgebauter  Chor;  die  äussere  Umfassung  kreis- 
förmig; der  Mittelraum,  unten  achteckig,  wird  durch  kleine  in  den 
Bogenzwickeln  angebrachte  Trompen  sofort  in  die  Rundung  überge- 
führt. Die  Formgebung  ist  im  Untergeschoss  schwerfällig,  oben  leichter. 
Bemerkenswert  die  Kämpferaufsätze  über  den  oberen  Säulen,  welche 
wohl  eher  mit  den  entsprechenden  Gliedern  über  den  Zwischensäulen 
von  Schallfenstern  oder  schlanken  Kreuzgangsäulchen  als  mit  den  byzan- 
tinischen Kämpferaufsätzen  in  Vergleich  zu  setzen  sind.  Es  scheinen 
in  dem  Bau  ältere  Bruchstücke  verwendet  zu  sein.  Das  Ganze  ist  aus 
dem  1 1.  Jahrhundert.  —  S.  Sepolcro  in  Bologna  (Taf.  201,  Fig.  5,  6j, 
ein  altes  Baptisterium  im  12.  Jahrhundert  fast  ganz  neu  gebaut  und  mit 
einem  Heiligen  Grab  versehen ;  der  obere  Umgang  nicht  gewölbt.  Am 
Aeusseren  interessante  Flachdekoration  Taf.  320.  Dartein,  S.  43S  ff.  — 
Das  Baptisterium  zu  Asu  (Taf.  201,  Fig.  7)  mit  eingeschossigem  Umgang 
und  hohem  Tambour,  angeblich  langobardisch,  dürfte  gleichfalls  dem 
12.  Jahrhundert  angehören.  Hier  mag  auch  das  nicht  zentral  angelegte 
Baptisterium  Santa  Maria  del  Tiglio  in  Gravedoka  am  Comersee 
Erwähnung  finden  (Taf.  201,  Fig.  8,  9).  Eine  tonnengewölbte  Vor- 
halle, über  der  sich  ein  Turm  erhebt,  führt  in  den  rechteckigen 
Raum,  die  beiden  Langseiten  sind  durch  je  eine,  die  dem  Ein- 
gang gegenüberliegende  Seite  durch  drei  Apsiden  belebt,  von  welchen 
die  mittlere  wieder  durch  drei  kleinere  Nischen  gegliedert  ist.  Ueber 
den  Apsiden  auf  der  sehr  starken  Umfassungsmauer  ein  Gang,  an 
den  Schmalseiten  offen ,  an  den  Langseiten  innerhalb  Säulengalerien, 
über  welchen  Quertonnen  angeordnet  sind.  Offener  Dachstuhl.  Leb- 
hafte und  originelle  Raumgliederung.  Spätzeit  des  12.  Jahrhunderts. 
Dartein,  S.  364  ff. 

Ausserhalb  der  Reihe  dieser  in  kleinen  oder  mässigen  Dimensionen 
gehaltenen  Bauten  stehen  dann  die  vier  grossen  Baptisterien  zu  Florenz, 
Pisa,  Cremona  und  Parma. 

In  jeder  Hinsicht  die  erste  Stelle  gebührt  dem  zu  Florenz  (Taf.  202 
203,  321).  Das  Geschichtliche  liegt  völlig  im  Dunkel.  Noch  immer 
hat  die  Ansicht,  dass  der  Bau  in  altchristliche  Zeit  zurückreiche,  ein- 
zelne Vertreter.  Doch  wird  jetzt  nach  dem  Vorgange  Kuglers  das 
ausgehende  s.  11.  oder  die  erste  Hälfte  des  s.  12  fast  allgemein  als  die 
Erbauungszeit  angesehen  (vgl.  Kugler,  Kunstgeschichte  S.  432 ;  Gesch. 
der  Bauk.  II,  S.  58,  59;  Schnaase,  G.  d.  b.  K.  IV8,  S.  442,  Note)  und 
wir  schliessen  uns  dieser  Ansicht  als  der  am  besten  begründeten  an. 
Danach  ist  der  Bau  entstanden  unter  der  antikisierenden  Richtung, 
welche  damals  die  toskanische  Architektur  beherrschte.  Eine  andere 
Streitfrage,  nämlich  die,  ob  das  Gebäude  früher  Kathedrale  war  und 


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Vierzehntes  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


54S 


erst  ii  28  nach  Uebertragung  der  Kathedralrechte  auf  die  benachbarte 
Kirche  Sta.  Reparata  Baptisterium  geworden  sei  (Richa,  Notizie  istoriche 
delle  chiese  Fiorentine,  Tom.  VI,  S.  7),  ist  gleichfalls  nicht  mit  voller 
Sicherheit  zu  entscheiden.  Vielleicht  war  gerade  der  Neubau  von 
S.  Giovanni  Battista  der  Anlass  zu  dieser  Uebertragung.  —  Der  Bau 
ist  in  seinem  Kern  homogen  aus  Macignoquadern  ausgeführt  und  mit 
Marmor  verkleidet.  Er  ist  ein  Werk  von  ungewöhnlicher  Selbständig- 
keit der  Komposition  wie  der  Konstruktion.  Das  Kompositionsmotiv 
ist  dem  Pantheon  entnommen,  aber  den  veränderten  Verhältnissen  aufs 
glücklichste  angepasst.  Dem  achteckigen  Hauptraume  von  25,6  m 
Durchmesser  ist  westlich  ein  rechteckiges  Altarhaus  angebaut.  Die 
acht  Eckpfeiler  haben  eine  Stärke  von  3,70  m,  die  Mauern  nur  1,75  m. 
Es  entstehen  dadurch  im  Inneren  sieben  Nischen ,  welchen ,  wie  im 
Pantheon ,  je  zwei  Säulen  vorgesetzt  sind.  Ein  Gesimse  schliesst  das 
Erdgeschoss  ab.  Im  zweiten  Geschoss  ist  die  Gliederung  entsprechend. 
An  Stelle  der  Säulen  stehen  gemauerte,  durch  Quertonnen  verbundene 
Pfeiler.  Diesen  sind  Pilaster  vorgesetzt,  welche  ein  Gesimse  tragen, 
den  Oeflfnungen  Doppelarkaden,  eine  dekorative  Architektur,  wenn  man 
will,  doch  in  gutem  Einklang  mit  dem  baulichen  Organismus  und  in 
den  Verhältnissen  aufs  beste  gestimmt,  von  schöner  und  reicher  Wir- 
kung. Es  folgt  eine  Attika  und  über  dieser  das  achtseitige,  spitzbogige 
Klostergewölbe,  dessen  Bogenlänge  etwa  ein  Fünftel  des  Kreises  be- 
trägt. Die  Mosaikdekoration  der  Kuppel  steht  mit  dem  baulichen 
Organismus  in  keinem  Zusammenhang,  zudem  ist  die  Beleuchtung  un- 
zureichend und  die  Lichtführung,  im  Gegensatz  zu  der  herrlichen  des 
Pantheons,  schlecht.  Trotz  dieser  Mängel  ist  der  Innenraum  einer  der 
schönsten  der  gesamten  romanischen  Baukunst.  —  Im  Aeusseren 
(Taf.  321)  ist  die  Umfassungsmauer  höher  geführt  und  durch  acht 
stärkere  Eck-  und  sechzehn  schwächere  Zwischensporen  (letztere  den 
Säulen,  beziehungsweise  den  Zwischenpfeilern  des  Unterbaues  ent- 
sprechend) mit  der  Kuppel  verbunden.  Diese  Sporen  sichern  die  nur 
1  m  dicke  Kuppelschale  vor  dem  Ausweichen  und  sind  unter  sich  durch 
Tonnengewölbe  verbunden,  auf  welchen  das  Dach  ruht.  Das  Aeussere 
baut  sich  in  drei  Geschossen  auf,  deren  Höhe  der  inneren  Stockwerks- 
teilung nicht  entspricht,  sondern  frei  nach  den  ansprechendsten  Ver- 
hältnissen bemessen  ist.  In  dieser  Hinsicht  ist  die  Komposition  sehr 
bedeutend. 

Die  antikisierende  Richtung  der  toskanisehen  Kunst  des  12.  Jahr- 
hunderts blieb  zunächst  ohne  Folgen,  aber  der  Geist,  von  dem  die 
innere  Ausschmückung  des  Baptisteriums  getragen  ist,  lebt  in  den 
Dekoratoren  der  Frührenaissance  wieder  auf.  Aehnlich  verhält  es  sich 
mit  den  konstruktiven  Momenten.  San  Giovanni  enthält,  wie  schon 
Hübsch  bemerkt,  die  Keime  zu  dem  System  der  Doppelkuppeln,  deren 


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546 


Zweites  Iluch ;  Der  romanische  Stil. 


erste  erst  im  15.  Jahrhundert  zur  Ausführung  kommt,  in  Santa  Maria 
del  Fiore. 

Ein  romanischer  Bau  allerdings  schliesst  sich  dem  Baptisterium 
von  Florenz  nahe  an,  das  von  CREMOKA  (Taf.  202).  Es  ist  1167  be- 
gonnen. Die  Motive  der  Composition,  die  konstruktiven  Gedanken 
sind  von  Florenz  entlehnt,  aber  der  Geist  ist  ein  durchaus  anderer. 
Man  möchte  es  eine  freie  Uebersetzung  aus  dem  Toskanischen  ins 

Lombardische  nennen.  Das 
Ganze  ist  in  Backstein  mit 
Hausteindetails  erbaut.  Die 
Säulen  im  Erdgeschoss  durch 
Bögen  verbunden ,  darüber 
zwei  Galerien  und  eine  spitz- 
bogige  Kuppel,  welche  in  ihrer 
Konstruktion  der  florentini- 
schen  nahe  verwandt  ist.  Die 
Haltung  ist  einfach  und  ernst, 
die  Raumwirkung  bedeutend, 
die  Beleuchtung  unzureichend. 

Sehr  eigenartig  stellt  sich 
das  Baptisterium  zu  Parma 
Taf.  203)  dar.  Der  Bau  fällt 
in  die  Spätzeit  des  12.  Jahr- 
hunderts; 1 196  arbeitet  Bene- 
dikts Antelami,  welcher  viel- 
fach mit  Unrecht  als  der  Bau- 
meister angesehen  wird,  an 
den  Skulpturen  der  Fortale 
Schnaase,  G.  d.  b.  K.  VW, 
S.  96,  Note).  Das  Aeussere 
ist  achteckig,  das  Innere  sechzehneckig.  Auf  den  Hauptaxen  im  Erd- 
geschoss drei  Portale  und  die  rechteckige  Altarnische,  die  zwischen- 
liegenden Seiten  sind  zu  Flachnischen  ausgebogen.  In  den  Ecken 
stehen  Säulen,  über  welchen  sich  Dienste  zum  Ansatz  des  Kloster- 
gewölbes erheben.  Spitze  Stichkappen  schneiden  in  dieses  ein,  seinen 
Kanten  sind  wulstförmige  Rippen  untergelegt.  In  dieses  einigermassen 
gotische  System  sind  über  dem  Erdgeschoss  zwei  Galerien  mit  hori- 
zontalen Architraven  eingestellt.  Aehnlich  das  System  des  Aeusseren 
mit  vier  Galerien  über  hohem  Untergeschoss.  Das  oberste  Geschoss 
mit  spitzbogigen  Blendarkaden  ein  späterer  Zusatz.  Im  Inneren  sind 
die  verschiedenen  Elemente  keineswegs  in  Einklang  gebracht.  Besser 
wirkt  das  Aeussere,  dem  bei  dem  reichen  Wechsel  von  Licht  und 
Schatten  eine  lebhafte  Wirkung  nicht  abzusprechen  ist. 


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Vierzehntes  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


547 


Das  Baptisterium  zu  Pisa  nimmt  wieder  eine  höhere  Rangstellung 
ein.  Der  Bau  ist  begonnen  1153  von  Diotisalvi ,  welcher  kurz  zuvor 
die  Kirche  Santo  Spirito,  gleichfalls  einen  Zentralbau,  gebaut  hatte. 
Das  Baptisterium  ist  ein  Rundbau  mit  zweigeschossigem  Umgang.  Die 
zwölf  Arkaden  sind  zu  je  dreien  gruppiert,  jede  Gruppe  wird  durch 
Pfeiler  begrenzt,  die  Zwischenstützen  sind  Säulen.  Im  Obergeschoss 
ausschliesslich  Pfeiler. 
Ueber  den  Kapitellen 
hohe  Kämpferaufsätze. 
Das  hohe  konische  Ge- 
wölbe war  —  nach  Ro 
hault  de  Fleury  —  ur- 
sprünglich oben  offen. 
Das  Aeussere  ist  in 
seiner  Stockwerkstei- 
lung unabhängig  vom 
Innern.  Eine  hohe 
Blendarkatur  von  20 
Bogen  umgibt  das  Erd- 
geschoss,  darüber  eine 
kleinere  Bogenstellung, 
60  Bögen  von  freistehen- 
den Säulen  getragen. 
Die  folgenden  Teile, 
ein  reicher  Schmuck 
von  Wimbergen  und 
Fialen ,  stammen  von 
einem  Umbau  (wahr- 
scheinlich von  1278). 
Ob  die  Schutzkuppel,  welche  sich  an  das  konische  Gewölbe  anlehnt, 
wie  Rohault  de  Fleury  und  Schnaase  annehmen,  erst  im  15.  Jahrhundert 
hinzugefügt  wurde,  erscheint  uns  fraglich.  Einen  Restaurationsversuch 
des  ursprünglichen  Zustandes  zeigt  die  linke  Hälfte  unserer  Figur. 

Endlich  gehört  zu  den  signifikanten  Leistungen  der  Epoche  die 
Erneuerung  der  a.  1103  eingestürzten  Kuppel  von  S.  Lorenzo  in  Mai- 
land. Die  ursprüngliche  Gestalt  derselben,  wahrscheinlich  eine  Hall»- 
kuppel  über  sphärischen  Zwickeln,  wiederherzustellen  lag  ausserhalb 
der  Gewohnheit  und  wohl  auch  des  Könnens  der  lombardischen  Archi- 
tekten des  12.  Jahrhunderts;  sie  wählten  anstatt  dessen  die  achtseitige 
Walmkuppel  und  für  die  Ueberleitung  aus  dem  Quadrat  Trompen. 
Vgl.  die  Monographie  von  F.  Kohte,  Zeitschrift  f.  Bauwesen  1890. 

Was  Unteritalien  an  romanischen  Zentralbauten  besitzt,  ist  von 
untergeordneter  Bedeutung.    Das  Baptisterium  zu  BRINDISI,  achteckiger 


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548 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Mittelraum  mit  Umgang  und  rechteckigem  Chor  —  um  1200  erbaut  — 
ist  Ruine.  Das  zu  Monte  S.  Angki.o  (Taf.  201)  ist  ein  quadratischer 
Raum  mit  einer  Altarnische;  die  Wände  durch  säulengetragene  Spitz- 
bogen gegliedert ;  darüber  zwei  Galerien  in  der  Mauerdicke  uud  konische 
Kuppel,  welche  schon  über  dem  Erdgeschoss  ansetzt;  in  den  Ecken 
kleine  Trompen.  Die  Behandlung  gemahnt  an  westfranzösische  Bauten. 
Der  Bau  dürfte  gegen  Ende  des  12.  Jahrhunderts  entstanden  sein. 

2.  FRANKREICH. 

In  Frankreich  sind  das  ganze  Mittelalter  hindurch  alle  Bestrebungen 
ausschliesslich  auf  die  Ausbildung  der  Gewölbebasilika  gerichtet.  Die 
Zahl  der  Zentralbauten  ist  verhältnismässig  gering  und  die  bedeutend- 
sten unter  ihnen  gehören  der  Frühzeit  des  Stiles  an.  Es  sind  die 
Rotunde  von  Saint  Bdnigne  zu  Dijon  und  die  Kirche  von  Charroux 
im  Poitou. 

Die  Kirche  Saint  Benigne  zu  Dijon  ist  im  Jahre  1001  von  Abt 
Wilhelm  begonnen  (Chron.  Divionense  ed.  Bougaud  S.  139).  Es  war 
eine  Basilika  mit  Emporen ,  der  sich  östlich  ein  grosser  Rundbau  an- 
schloss.  Die  Verbindung  beider  war  dadurch  bewerkstelligt,  dass  die 
Umfassungsmauern  der  Apsis  und  des  Rundbaues  in  Säulenstellungen 
aufgelöst  waren.  Letzterer  bestand  aus  einem  hohen,  oben  offenen 
Mittelraum,  umgeben  in  zwei  Geschossen  von  zwei,  im  dritten  von 
einem  Umgang  (Taf.  204),  östlich  schloss  sich  ein  Chorraum,  seitlich 
Treppentürme  an.  Das  unterste  Geschoss  entsprach  in  seiner  Höhen- 
lage der  Krypta  der  Kirche,  das  zweite  dem  Altarhause,  das  dritte  der 
Empore,  ersteres  war  dem  heiligen  Johannes  Baptista,  die  folgenden 
der  Mutter  Gottes  beziehungsweise  der  heiligen  Dreifaltigkeit  geweiht. 
In  diesem  letzten  Geschoss  stand  der  Altar  so,  »ut  undecumque  in- 
gredientibus ,  ac  ubicumque  per  ecclesiam  consistentibus,  sit  perspi- 
cuum«.  Der  höher  gelegene  Ostchor  war  dem  heiligen  Michael  geweiht. 
Das  Grab  des  heiligen  Benignus  befand  sich  in  der  Krypta  der  Kirche 
unter  dem  Hochaltar.  Daneben  besass  die  Kirche  eine  grosse  Zahl 
bedeutender  Reliquien.  Die  sehr  eigenartige  Anlage  verfolgte  offenbar 
den  Zweck ,  die  verschiedenen  Heiligtümer  in  möglichst  nahen  Zu- 
sammenhang zu  bringen.  Das  Vorbild  war  die  Kirche  des  Heiligen 
Grabes.  Die  Wirkung  muss  sowohl  von  der  Basilika  aus  als  im  In- 
neren der  Rotunde  selbst  eine  bedeutende  gewesen  sein,  wenn  auch 
der  Mittelraum  im  Verhältnis  zu  seinem  Durchmesser  etwas  hoch  war. 
Erhalten  ist  jetzt  nur  noch  die  Krypta  der  Rotunde  nebst  einem  kleinen 
Teil  der  westlich  anstossenden  Räume,  das  Grab  des  heiligen  Benignus 
enthaltend.  Die  Ausführung  ist  roh,  die  Raumwirkung  eine  gute.  Die 
Kirche  wurde  schon   1271  durch  den  Einsturz  des  Vierungsturmes 


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Vierzehntes  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


549 


so  beschädigt,  dass  ein  gotischer  Neubau  an  ihre  Stelle  trat.  Die 
Rotunde  bestand  bis  zum  Ende  des  18.  Jahrhunderts. 

In  der  Kirche  von  Charroix  im  Poitou  war  die  Verbindung  des 
Langhauses  mit  der  Rotunde  einfacher  bewerkstelligt  (Taf.  204),  das 
Mittelschiff  setzt  sich  bis  zum  Mittelraum  der  Rotunde  fort  und  man 
tritt  von  ihm  aus  unmittelbar  in  die  Umgänge  der  letzteren.  Erhalten 


Saint  Emilion,  nach  H.  Stier. 


ist  nur  der  mittlere  Teil  (Taf.  204,  Fig.  6).  Der  innere  Umgang  ging 
durch  zwei  Geschosse  und  war  mit  einem  ringförmigen  Tonnengewölbe 
bedeckt,  das  Dach  schloss  unter  den  Fenstern  des  Turmes  an.  Die 
Formgebung  weist  auf  die  zweite  Hälfte  des  1 1.  Jahrhunderts.  Die  An- 
regung durch  die  Kirche  des  Heiligen  Grabes  auch  hier  unverkennbar. 

Ein  anderes  Monument,  welches  den  Titel  des  Vorbildes  beibehal- 
ten hat,  Neuvy  Saint  SEpulcre  (Taf.  205),  steht  demselben  in  formaler 
Hinsicht  weit  ferner.    Die  Kirche  ist  gestiftet  von  Geoffroy,  Vicomte 


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550 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


von  Bourges  im  Jahre  1045,  ad  formam  sancti  sepulcri  Jerosolimitani. 
Dieser  Periode  gehört  nur  das  untere  Geschoss  an,  das  zweite  ist  um 
11 20,  der  obere  Abschluss  erst  durch  Villet-le-Duc  an  Stelle  eines 
hölzernen  Daches  hinzugefügt.  Die  älteren  Teile  gehören  dem  Formen- 
kreise von  Saint  Benoist  s.  Loire  und  Saint  Genou  an.  Saint  Michel 
d'Entraigies  in  der  Nähe  von  Angoul&me,  ein  achtseitiger  Rundbau 
mit  Nischen,  1 137  erbaut,  alles  über  dem  Kapitell  der  oberen  Pilaster 
Befindliche  eine  Restauration  von  Abadie;  doch  weisen  die  Pilaster 
darauf  hin,  dass  schon  ursprünglich  ein  Rippengewölbe  vorhanden 
war.  Auch  die  achteckige  Kapelle  zu  Montmorillon  bei  Poitiers  hat 
ein  Rippengewölbe.  Ueber  die  Kapelle  zu  Saint  £mii.iox  (Gironde) 
fehlt  es  uns  an  Nachrichten ;  das  Aeussere  gibt  eine  Skizze  von  Hubert 
Stier.    Die  Formen  weisen  auf  die  zweite  Hälfte  saec.  12. 

Im  Süden  gehört  die  kleine  Kirche  Sainte  Croix  zu  Montmajol  r 
zu  den  frühesten  Zeugnissen  der  provencalisch-romanischen  Baukunst. 
Sie  ist  1016  von  Abt  Rambert  erbaut  (Mabillon,  Ann.  O.  S.  B.  IV,  250, 
vgl.  S.  124),  ein  Quadrat  mit  vier  Apsiden  und  Vorhalle.  Rieux  Mkriv- 
ville  (Taf.  205)  in  der  Nähe  von  Carcassonne,  12.  Jahrhundert.  Der 
Innenraum  siebeneckig,  die  Umfassung  vierzehneckig.  Das  Kloster- 
gewölbe des  Mittelraumes  ist  durch  die  Halbtonne  des  Umganges  ver- 
strebt, eine  Uebertragung  der  Konstruktionsprinzipien  der  Hallenkirchen 
auf  den  Rundbau. 

In  der  Bretagne  sind  die  Rundbauten  zu  Quimperle  (Taf.  204)  und 
Lanleff  zu  nennen.  Beide  werden,  wohl  zu  früh,  ins  11.  Jahrhundert 
gesetzt  (Schnaase  IV,  546). 

3.  DEUTSCHLAND. 

Die  Nachwirkungen  der  Pfalzkirche  in  Aachen  haben  wir  S.  155 
besprochen.  Möglicherweise  könnte  dahin  auch  die  zu  A.  saec.  11 
abgebrannte  >ecclesia  rotunda«  in  Magdeburg  gehört  haben.  Die  be- 
trächtliche Zahl  von  kleinen  Rund-  und  Polygonalbauten  im  südöstlichen 
Deutschland  wird,  wie  vieles  andere  in  den  Baueigentümlichkeiten 
dieses  Gebietes,  auf  italienische  Beziehungen  zurückzuführen  sein.  Es 
waren  Totenkapellen  (Karner),  meist  aus  einem  kryptenartigen 
unteren  Räume  (ossuarium)  und  der  eigentlichen  Kapelle  bestehend. 
Wir  geben  als  Beispiele  auf  Taf.  206  die  Karner  zu  Hartberg,  Deutsch- 
Aitenburg  und  Tui.i.n.  Man  zählt  in  Böhmen,  Oesterreich  und  Steier- 
mark sowie  im  östlichen  Baiern  über  hundert  derartige  Kapellen.  Ver- 
zeichnis der  wichtigsten  bei  Otte  :  Handbuch  P,  S.  30.  Vgl.  auch  Mitth. 
der  Cent.-Commiss.  I.  53  und  XII,  146.  Die  Rundkapelle  zu  Steingaden 
ist  die  Grabkapelle  eines  Weifen,  gestorben  1 191  (Taf.  206),  vier  im 
Quadrat  zusammenstossende  Flachnischen,  zwischen  denselben  Dienste, 


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Vierzehntes  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


551 


das  gotische  Gewölbe  von  1521.  Die  Heiuge  Kapelle  zu  Ai.tötting, 
Achteck  mit  acht  Nischen ,  hohem  Tambour  und  Klostergewölbe  ist, 
nach  den  Formen  des  Portales  zu  schliessen,  zu  Anfang  saec.  13  er- 
baut, vermutlich  bei  Wiederherstellung  des  Klosters  nach  1192.  Eine 
Kopie  derselben  aus  späterer  Zeit  ist  die 
Schlosskapelle  zu  Gessenberg  (Taf.  206).  Ein 
zierlicher  Bau  ist  die  Allerheiligen-  (Georgs-) 
Kapelle  am  Domkreuzgang  zu  R  EGENSBURG 
(Taf.  206),  erbaut  als  Grabkapelle  Bischof 
Hartwichs  (1 155— 11 59).  Es  ist  ein  Quadrat, 
an  das  sich  drei  Apsiden  anschliessen ,  oben 
ins  Achteck  übergeführt.  Das  Aeussere  Taf.  23 1 . 

Einen  viel  höheren  Rang  als  diese  oft  zier- 
lichen und  ansprechenden,  aber  mit  wenigen 
Ausnahmen  ziemlich  schematischen  Rundkapel- 
len nehmen  einige  rheinische  Zentralbauten  ein. 
Aus  dem  11,  Jahrhundert  ist  die  bedeutendste 
die  Nonnenklosterkirche  zu  Ottmarsheim  im 
Elsass,  eine  Replik  der  Aachener  Pfalzkirchc. 
Merkwürdigerweise  nicht  dem  Muster  Aachens, 
sondern  Anregungen  anderen  Ursprunges  folgen 
die  erst  in  der  staufischen  Epoche 
häufiger  werdenden  Zentralbauten  des 
Niederrheins.  Die  Doppelkapelle  zu 
Schwarz-Rheindorf  gegenüber  Bonn 
(Taf.  208)  ist  von  Erzbischof  Arnold 
von  Wied  erbaut  und  zu  seiner  Grab- 
kapelle bestimmt,  1 151  begonnen.  Das 
Langhaus  wurde  1175  angebaut.  Die 
Kapelle  hatte  ursprünglich  annähernd 
die  Form  eines  griechischen  Kreuzes, 
doch  war  der  westliche,  und  namentlich 
der  östliche  Arm  länger  als  die  beiden 
anderen.  Dem  östlichen  ist  eine  Apsis 
vorgelegt,  während  an  den  drei  anderen 
im  Erdgeschoss  solche  in  der  Matierdicke  ausgespart  sind.  Die  Mauern 
der  Hauptapsis,  sowie  die  der  Kreuzarme,  sind  wieder  durch  kleine 
Nischen  gegliedert.  Die  Wölbungen  sind  Kreuzgewölbe  und  Halbkuppeln. 
Im  Obergeschoss  sind  die  Mauern  zurückgesetzt  und  nach  aussen  mit 
einer  Säulengalerie  versehen.  Der  Mittelraum  ist  mit  einem  achtseitigen 
Klostergewölbe  bedeckt,  zu  dem  der  Uebergang  durch  Hängezwickel 
gewonnen  wird.  Seitlich  Kreuzgewölbe.  Ueber  dem  Mittelraum  ein 
hoher  Turm.   Die  Gruppierung  des  Aeusseren  ist  besonders  glücklich. 


Doppclkapcllc  zu  Schwarz-Rheindorf. 


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552 


Zweites  Much :  Der  romanische  Stil. 


Man  hat  für  Schwarz-Rheindorf  byzantinische  Einwirkungen  angenom 
men  und  es  sind  solche  nicht  geradezu  abzuweisen,  sie  sind  aber  auch 
nicht  unbedingt  erforderlich  zur  Erklärung  der  allerdings  ungewöhn- 
lichen Anlage.  Das  Gewölbesystem  zeigt  bei  gewissen,  durch  die  kreaz 
förmige  Anlage  bedingten  Uebereinstimmungen  auch  manche  Ab 
weichungen  vom  byzantinischen,  namentlich  ist  es  fraglich,  ob  denn 
das  Vorkommen  von  Hängezwickeln  immer  wieder  unmittelbar  auf 
byzantinische  Einflüsse  zurückgeführt  werden  muss.  Eine  Wandgliede- 
rung durch  Nischen  ist  in  der  rheinischen  und  westfälischen  Baukunst 
des  ii.  und  1 2.  Jahrhunderts  nicht  selten  und  es  sind  mit  der  unteren 
Kapelle  von  Schwarz-Rheindorf  Bauten  wie  die  Ludgerikapelle  zu 
H  ii  UMSTADT  (Taf.  170)  oder  die  S.  Ulrichskapelle  zu  Goslar  (Taf.  208 
in  Beziehung  zu  setzen.  Dann  der  Westbau  von  S.  Georg  zu  Köln. 
Der  alten  Säulenbasilika  wurde  im  späten  1 2.  Jahrhundert  westlich  ein 
sehr  eigenartiger  Anbau  hinzugefügt ,  ein  quadratischer  Raum ,  dessen 
Wände  sich  in  zwei  Geschossen  aufbauen.  Das  Erdgeschoss  ist  auf 
drei  Seiten  —  die  vierte  öffnet  sich  nach  der  Kirche  —  durch  je  drei 
Nischen  gegliedert,  das  Obergeschoss  gehört  schon  der  Wölbung  an. 
Vier  Gurtbögen  nehmen  die  Hängezwickel  auf,  welche  eine  flache 
Kuppel  tragen.  Aber  die  Mauer  hat  hier  nicht  die  gleiche  Stärke  wie 
unten,  sondern  ist  im  Inneren  abgesetzt,  das  sich  in  Bögen  nach  dem 
Hauptraum  öffnet.  Die  Ausstattung  ist  reich  und  die  Formbildung 
sehr  sorgfältig. 

Der  Schlussepoche  des  rheinischen  üebergangsstiles  gehören  die 
Schlosskapellen  zu  Kobekk  an  der  Mosel  von  1218  (Taf.  209)  und  zu 
Viakdhn  nach  1220  (Taf.  209)  an,  desgleichen  der  Umbau  des  Poly 
gones  von  S.  Gereon  zu  Köln  (Taf.  209  und  222).  S.  Gereon  ist  eine 
der  ältesten  Kirchen  von  Köln,  die  unteren  Teile  des  Westpolygones 
werden  dem  6.  Jahrhundert  zugeschrieben ,  der  Choranbau ,  ein  Werk 
Erzbischof  Annos  11069  geweiht)  wurde  unter  Arnold  von  Wied 
( 1 1 5 1  — 11 56)  umgebaut,  das  Polygon  erhielt  in  der  Frühzeit  des  13. Jahr 
hunderts  seine  jetzige  Gestalt,  1227  ist  das  Gewölbe  vollendet.  Im 
■Ganzen  in  den  Formen  des  Üebergangsstiles  gehalten,  zeigt  der  Bau 
in  der  Gestaltung  des  Lichtgadens,  sowie  in  der  Anwendung  des 
Strebebogens  direkte  Einwirkungen  der  französischen  Gotik  und  es 
ist  zuzugeben,  dass  dadurch  die  Stilcinhcit  cinigermassen  beeinträchtigt 
wird  ;  gleichwohl  ist  derselbe  der  bedeutendste  Zentralbau  Deutschlands. 

Wohl  nimmt  eine  kleine  Gruppe  rheinischer  Bauten  eine  Richtung, 
welche  noch  Höheres  ankündigt,  aber  dieses  Höhere,  die  rein  zentrale 
Ausgestaltung  des  Motives,  wird  nicht  erreicht,  es  wird  nicht  einmal 
angestrebt.  Wir  meinen  die  grossen  Dreiconchen-Kirchen  S.  Maria  im 
Kapitol,  S.  Aposteln  u.  a.  Es  sind,  wenn  man  will,  nichts  anderes 
als  Basiliken,  deren  östliche  Teile  statt  in  der  sonst  üblichen  Kreuz- 


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Vierzehntes  Kapitel:  Der  Zentralbau. 


553 


form  in  zentralem  Sinne  ausgestaltet  sind.  Aber  der  Schwerpunkt  der 
Komposition  liegt  so  sehr  in  diesen  östlichen  Teilen,  dass  das  Lang- 
haus in  künstlerischer  Hinsicht  —  in  praktischer  stellt  sich  das  Urteil 
vielleicht  anders  —  als  müssige  Zuthat,  als  Störung  der  Einheit  der 
Idee  erscheint.  Dieses  Ueberwiegen  des  zentralen  Elementes  wird  es 
rechtfertigen,  wenn  wir  an  dieser  Stelle  nochmals  auf  diese  Bauten 
zurückkommen. 

Der  Prototyp  ist  S.  Maria  im  Capitol  zu  Köln  (Taf.  14,  207,  210). 
Wir  neigen  uns,  worauf  mehrfach  hingewiesen,  der  Ansicht  zu,  dass 
hier,  ähnlich  wie  in  S.  Gereon,  eine  sehr  alte,  vielleicht  antike  Anlage 
erneuert  wurde  und  dass  dieselbe  ursprünglich  rein  zentral  war.  Ein 
strikter  Beweis  dieser  Annahme  ist  nicht  zu  führen,  Wahrscheinlichkeits- 
gründe sprechen  für  sie.  Es  ist  ein  Kreuz  mit  drei  kurzen  Armen, 
an  welche  sich  Apsiden  anschliessen.  Die  Umfassung  derselben  ist  in 
Säulenarkaden  aufgelöst  und  sie  sind  von  Umgängen  umgeben.  Die 
Behandluug  des  oberen  Geschosses  ist  etwas  dürftig,  reicher  in  der 
spätromanisch  erneuerten  Hauptapsis.  Die  Raumwirkung  leidet  einiger- 
massen  dadurch,  dass  die  Mitte  nur  wenig  betont  ist,  aber  die  reiche 
Mannigfaltigkeit  der  Bilder,  die  sich  in  stetem  Wechsel  dem  Beschauer 
bieten,  ist  unübertroffen  im  Gebiete  der  romanischen  Kunst.  In  so 
reicher  Ausbildung  wie  hier  kehrt  das  Motiv  nicht  wieder  (nur  in 
Tournay  ist  Aehnliches  versucht,  Taf.  149),  die  Säulenumgänge  werden 
in  der  Folge  weggelassen.  Aber  was  die  Anlage  dadurch  an  Reichtum 
verliert,  gewinnt  sie  an  Geschlossenheit  In  Gross-S.-Martin  zu  Köln 
(Taf.  180)  ist  die  Vierung  noch  dunkel,  in  den  übrigen  Beispielen  wird 
sie  höher  geführt  und  mit  Fenstern  versehen.  Die  Apsiden  erhalten 
eine  mehr  oder  minder  reiche  Gliederung  durch  Nischen  oder  Säulen- 
arkaden. Grossartig  S.  Aposteln  zu  Köln  (Taf.  207)  und  S.  Quirin 
in  Neuss  (Taf.  182),  reich  und  zierlich  durchgebildet  die  Liebfrauen- 
kirche zu  Roermond  (Taf.  181,  187). 

In  Niedersachsen  und  den  nordöstlichen  Teilen  Deutschlands  sind 
Zentralbauten  äusserst  selten.  Die  kleine  S.  Ulrichskapelle  zu  Goslar 
(Taf.  208)  ist  nicht  streng  in  diesem  Sinne  durchgeführt.  Auf  dem  Georgen- 
berge ebenda  wurden  1877  die  Grundmauern  einer  merkwürdigen,  15 1 7 
zerstörten  Augustinerchorherrenkirche  aufgedeckt.  Der  Bau  bestand  aus 
zwei  Teilen.  Oestlich  eine  sehr  kleine  dreischiffige  Kirche,  der  Mitte  des 
12.  Jahrhunderts  zugeschrieben.  Diese  Kirche  wurde  unter  Heinrich  V. 
zu  Anfang  saec.  12  durch  einen  achteckigen  Zentralbau  erweitert.  Es 
scheint  eine  freie  Nachbildung  des  Münsters  zu  Aachen  gewesen  zu 
sein.  Ueber  die  Form  des  Aufbaues  lassen  sich  kaum  begründete 
Vermutungen  aufstellen,  selbst  die  Frage,  ob  der  Bau  gewölbt  oder 
flachgedeckt  war,  muss  offen  gelassen  werden.    Die  Kirche  auf  dem 

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Zweites  Buch  :  Der  romanische  Stil. 


Harlungerberg  bei  Brandenburg  ist  1722  abgebrochen  worden.  Zeich- 
nungen und  ein  Modell  sind  erhalten  und  nach  diesen  ist  der  Bau 
von  Adler  in  den  Backsteinbauwerken  des  preussischen  Staates  ver- 
öffentlicht (bei  uns  Taf.  208).  Es  war  ein  Rechteck,  welches  durch 
vier  Pfeiler  in  neun  Felder  geteilt  wurde  Ueber  den  Eckfeldern  er- 
hoben sich  Türme,  den  Kreuzarmen  waren  Apsiden  vorgelegt,  teilweise 
waren  Emporen  angeordnet.  Die  Grundrissanlage  ist  die  in  der  späteren 
byzantinischen  Architektur  beliebte,  allein  die  formale  Behandlung  ist 
durchaus  die  landesübliche  des  Backsteinbaues.  Teilweise  ist  schon 
der  Spitzbogen  angewandt,  was  auf  die  Frühzeit  des  13.  Jahrhunderts 
hindeutet  ;  die  westliche  Erweiterung  nach  1440.  Die  Anlage  ist  eine 
durchaus  ungebräuchliche  (die  von  Otte,  Rom.  Baukunst,  S.  634,  Note 
angeführte  Kirche  zu  Kallundborg  auf  Seeland  ein  Rundbau  mit  vier 
Kreuzarmen).  Schnaase  V.  309  spricht  sich  gegen  den  von  anderer 
Seite  vermuteten  byzantinischen  Einfluss  aus.  Sicher  ist  sowohl  die 
formale,  als  auch  die  konstruktive  Behandlung  durchaus  nicht  byzan- 
tinisch; sehen  wir  aber,  in  wie  freier  Weise  in  anderen  Fällen  orien- 
talische Vorbilder  (das  heilige  Grab,  der  Felsendom  u.  u.)  nachgebildet 
wurden,  so  wird  eine  allgemeine  Anregung  durch  irgend  ein  byzan- 
tinisches Vorbild  sich  wohl  zugeben  lassen. 

Verhältnismässig  gross  ist  die  Zahl  der  Rundbauten  in  den  skan- 
dinavischen Ländern,  doch  sind  sie  ausnahmslos  von  untergeordneter 
Bedeutung.  Die  stattlichste  scheint  die  Kirche  zu  Thorsager  in  Jütland 
zu  sein  (Taf.  206).  Näheres  über  diese  Bauten  bei  Marryat:  Jutland 
and  the  Danish  Isles,  und:  One  year  in  Sweden.  London  1862. 


4.  Templerkirchen. 

Dass  der  Templerorden  für  seine  Kirchen  und  Kapellen  die 
Zentralform  bevorzugte,  ist  S.  542  erwähnt.    Das  ideelle  Vorbild  war 

der  Felsendom  auf  Moriah ,  in  dem  man  den 
Tempel  Salomons  erblickte.  Allein  die  Nachbil- 
dungen beschränken  sich  auf  das  Allgemeinste. 
Höhere  Bedeutung  kommt  kaum  einem  dieser 
Bauten  zu,  ja  nicht  selten  überraschen  sie  durch 
geradezu  rohe  und  ärmliche  Erscheinung. 

Der  Tempel  zu  Paris,  dem  Hauptsitz  des 
Ordens  im  Occident,  war  ein  Rundbau  mit  zwei- 
geschossigem Umgang,  sechs  Arkaden  trennten 
den  Hauptraum  von  diesem.  An  der  Peripherie 
war  die  Stützenzahl  die  doppelte,  so  dass  drei- 
eckige Gewölbekappen  entstanden,  ein  ähnliches  System  wie  im  Chor- 
umgang von  Notre-Datne.   Ein  Restaurationsversuch  bei  Viollet-le-Duc 


Cambridge. 


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Vierzehntes  Kapitel.  Der  Zentralbau 


555 


IX,  S.  14  ff.  Der  Tempel  zu  Laos,  ein  einfaches  Achteck  mit  Vorhalle 
und  Altarhaus.    Klostergewölbe  mit  Rippen ;  Taf.  205.    Der  zu  Metz, 


Nischen  ausgebogen  sind;  östlich  ein  London, 
kleiner  Chorbau;  zwischen  den  Nischen 


stehen  Dreiviertelssäulen;  Klostergewölbe  mit  Rippen.  Die  Formbehand- 
lung weist  auf  die  Spätzeit  des  12.  Jahrhunderts,  sie  ist  nicht  vom  Besten. 

In  England  werden  einige  Rund- 
bauten mit  Säulenumgang  gleichfalls  den 
Templern  zugeschrieben.  Die  älteste  ist 
Holy  Sepulchre  zu  Cambridge.  Die 
Formen  sind  schwerfällig  und  altertüm- 
lich, allein  das  Gewölbesystem  des  Um- 
ganges gestattet  kaum ,  den  Bau  vor 
Mitte  saec.  12  zu  setzen.  Die  Heilige 
(»rabkirche  zu  Northampton ,  eine  ver- 
wandte Anlage,  hat  spitzbogige  Arkaden 
und  im  Umgang  ein  ringförmiges  Halb- 
tonnengewölbe. Das  bedeutendste  Bei- 
spiel ist  der  Tempel  zu  London.  Der 
ältere  Theil  (geweiht  1 185)  steht  bereits  unter  dem  Einfluss  der 
französischen  Frühgotik,  der  Chorbau  (geweiht  1240)  ist  im  Stile  der 
englischen  Frühgotik  gehalten. 


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££5  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

In  Spanien  ist  die  Templerkirche  zu  Segovia  (geweiht  120«) 
zu  nennen. 

Ob  die  Kapellen  zu  Kobern  an  der  Mosel  und  zu  Vianden 
von  den  Templern  erbaut  seien,  ist  sehr  fraglich. 


Beschreibung  der  Tafeln. 

Tafel  201. 

1,  2.  Arsago:  Baptister  tum.  —  saec.  11.  —  De  D  artein. 

3,  4.  51  Totnaso  in  limine  bei  Bergamo.  —  saec.  11.  —  De  Dartein. 

5,  6.  Bologna:  S.  Sepolcro.  —  saec.  12.  —  Osten. 

7.  Asti:  Baptister  tum.  —  saec.  12.  —  Osten. 

8,  9.   Gravedona:  S.  Maria  del  Tiglio.  —  saec.  12.  —  De  Dartein. 
10,  11.  Monte  S.  Angelo.  —  saec.  12—13.  —  p-  H.  Schulz. 

Tafel  202. 

1,  2.  Florens:  Baptister  ium.  —  saec.  12.  —  I  sab  eile. 
3,  4.   Cremona:  Baptisterium.  —  Begonnen  11 67.  —  Zeitschrift  C 
Bauwesen  1859. 

Tafel  203. 

1,  2.  Pisa:  Baptisterium.  —  Begonnen  11 53.  —  RohaultdeFleury, 
Pise  au  moyen-age. 

3,  4.  Parma:  Baptisterium.  —  Ende  saec.  12.  —  Isabelle. 

Tafel  204. 

1—3.  Dijon:  Saint  Benigne. —  Begonnen  1001.  —  Dom.  Plancher, 
Histoire  de  Borgogne  I. 

4,  QuimperU:  Sainte  Croix.  —  saec.  12.  —  Kugler,  Geschichte 
d.  Baukunst  II. 

5,  6.   Charroux.  —  saec.  11.  —  Grundriss  nach  Lenoir.  Ansicht 
nach  Photographie. 

Tafel  205. 

1,  2.  Montmajour:  Sainte  Croix.  —  10 16.  —  Revoil. 

3,  4.  Laon:  Templerkirche,  —  saec.  12.  —  Viollet-le-Duc. 

5.  Saint  Michel  d 'Entraignes.  —  saec.  1 137.  —  Archive s. 

7,  8.  Neuvy:  Saint  SepuUre,  —  Unteres  Stockwerk  nach  1045,  das 
zweite  um  1120.    Kuppel  1855.  —  Archives. 

6,  10.  Rieux  M/rinville.  —  saec.  12.  —  Revoil. 


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< 


Vierzehntes  Kapitel:  Der  Zentralbau.  557 

Tafel  206. 

i,  2.  *  Gessenberg:  Schlosskapelle.  —  saec.  11.  —  v.  Herrmann. 
3,  4.  Köln:   Westbau  von  S.  Georg.  —  saec.  12,  zweite  Hälfte.  — 
Boisserde. 

5,  6.*  Regensburg:  S.  Georg.  —  saec.  12.  —  Bezold. 

7.  8.  Hartberg,  Karner.  —  saec.  12.  —  Oester r.  Atlas. 
9.  Deutsch- Altenburg:  Karner.  —  saec.  12.  —  Oester r.  Atlas. 
10,  11.   Tulln;  Karner.  —  saec.  12.  —  Oesterr.  Atlas. 

12.  *  Steingaden:  Friedhofkapelle.  —  saec.  12.  —  Dehio. 

13.  Krukenberg.  —  saec.  12.  —  Lübke. 

14.  Druggelte:  Kapelle.  —  saec.  12.  —  Lübke. 

15.  16.   Thorsager.  —  saec.  12.  —  Marryat,  Jutland. 

Tafel  207. 

1.  Köln:  S.  Maria  im  Kapitol.  —  saec.  11.  —  Boissere*. 

2.  *Köln:  S.  Aposteln.  —  saec.  12.  —  Hofflund. 

Tafel  208. 

I,  2.  Brandenburg:  Kirche  auf  dem  Har  lunger  berge.  —  Anf.  saec.  13. 
—  Adler,  Backsteinbauwerke. 

3.  Goslar  :  Kirche  auf  dem  Georgenberge.  —  Oestlicher  Teil  saec.  11, 
Octogon  saec.  12.  —  Deutsche  Bauzeitung,  1884. 

4.  5.  Schwarz- Rheindorf .  —   1151  begonnen.    Langhaus   1175.  — 
Simons. 

6,  7.    Goslar:  S.  Ulrichskapelle.  —  saec.  12.  —  Mithoff. 
Tafel  209. 

1,  2.  Köln:  S.  Gereon.  —  Anf.  saec.  13.  —  Boissere'e. 

3,  4.  Kobern:  Schlosskapelle.  —  1218.  —  King,  Studybook. 

5.  6.    Vianden:  Schlosskapelle.  —  Nach  1220.  —  Allgemeine  Bau- 
zeitung, 1868,  1869. 

Tafel  2x0. 

*Köln:  S.  Maria  im  Kapitol.  —  Photographie. 


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Fünfzehntes  Kapitel. 

Der  Aussenbau. 


i.  Gruppierung  der  Baumassen. 

Der  Moment,  in  dem  der  romanische  Stil  als  ein  eigener,  von 
einem  neuen  Geiste  ergriffener  aus  dem  christlich-antiken  hervortritt, 
macht  sich  in  nichts  so  fühlbar,  wie  in  dem  veränderten  Verhalten 
des  Aussenbaus ,  in  der  machtvoll  sich  erhebenden  Freude  an  der 
schönen  und  gewichtigen  Behandlung  gerade  dieser  Seite  der  Gesamt- 
erscheinung. Mit  einseitigem  Nachdruck  Aussenbau  war  der  griechische 
Tempel,  mit  ebenso  einseitigem  Nachdruck  Innenbau  die  frühchrist- 
liche Basilika  gewesen :  die  romanische  Kunst  erstrebte  Gleichgewicht 
beider  Seiten  des  Bauwerks.  Und  man  muss  ihr  zugestehen ,  dass 
sie  dies  vollkommener  erreicht  hat,  als  nach  ihr  sowohl  die  Gotik  — 
in  der  das  allein  vom  Innenbau  geforderte  Strebewerk  die  äussere  Er- 
scheinung überwuchert,  als  auch  die  Renaissance  —  deren  Gestaltungs- 
vermögen im  Kirchenbau  über  die  Fassade  selten  hinauskommt. 

Von  vornherein  ist  der  Unterschied  der  Umgebung  von  Be- 
deutung: in  der  frühchristlichen  Epoche  der  massgebende  Sitz  des 
Bauwesens  volkreiche  Städte,  in  deren  Häusermassen  die  allmählich 
hinzukommenden  Kirchen  sich  einzuschieben  haben;  in  der  roma- 
nischen Kunst  nördlich  der  Alpen  anfangs  Städte  kaum  vorhanden, 
die  einsam  liegenden  Klosterkirchen  die  tonangebenden.  Das  Ent- 
scheidende aber  ist  doch  der  innere  Umschwung,  der  frohere  Sinn, 
das  jugendlichere  Lebensgefühl  der  nunmehr  die  Führung  habenden 
Völker.  Eine  Epoche,  in  der  das  »orbis  ruit  das  vorwaltende  Gefühl 
gewesen  war,  hatte  ihren  Bauwerken  monumentalen  Geist  nicht  ein- 
flössen können.    Erst  Karl  der  Grosse,  indem  er  die  Volkskraft  der 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


Germanen  zu  positiver  Thätigkeit  aufrief,  indem  er  in  der  Kirche  ein 
niegekanntes  Vertrauen  in  die  Dauerhaftigkeit  des  Diesseits  begründete, 
gab  der  Baukunst  diesen  Geist,  den  Geist  der  Monumentalität, 
zurück.  Unter  seinem  Zeichen  wurde  der  neue  Stil  geboren,  dessen 
die  Welt  bedurfte. 

Die  neue  Behandlung  des  Aussenbaues  macht  sich  zunächst  mit 
dem  Detail  erst  wenig  zu  schaffen :  ihr  erstes  Ziel,  und  während  der 
ganzen  Dauer  des  romanischen  Stils  ihr  wichtigstes,  ist  die  Aus- 
gestaltung des  Baukörpers  zur  rhythmisch  bewegten  Gruppe. 
Wir  erkennen  darin  jenes  gleichsam  im  Lebenszentrum  des  roma- 
nischen Stils  gelegene  Prinzip  wieder,  das  wir  so  oft  schon  und  in 
den  verschiedenartigsten  Aeusserungen  beobachtet  haben,  an  erster. 
Stelle  in  der  frühromanischen  Umbildung  des  überlieferten  Grund- 
risses. Gaben  hierzu  auch  Kultusgebräuche  oder  andere  praktische 
im  Bereiche  der  inneren  Raumgestaltung  liegende  Rücksichten  den 
ersten  Anstoss,  so  traten  doch  —  da  man  mit  Kug  aus  der  erreichten 
Wirkung  auf  die  Absicht  schliessen  darf  —  rein  künstlerische  Ge- 
sichtspunkte alsbald  hinzu.  Mit  den  mannigfachen  neuen  reicheren 
Chormotiven,  der  häufigen  Verwendung  des  Querschiffes  (welches,  wie 
man  sich  erinnere,  in  der  frühchristlichen  Epoche  eine  seltene  Aus- 
nahme gewesen  war),  vollends  der  Erweiterung  zur  doppelchörigen 
und  doppeltranseptialen  Anlage  —  mit  allem  dem  war  das  einfache 
Bildungsgesetz  der  alten  Basilika  bereits  überstiegen  und  stellte  sich 
eine  energischere  Gliederung  des  Aussenbaus  ganz  von  selber  ein. 
Wir  haben  an  die  durchschlagende  Wichtigkeit  dieses  Verhältnisses 
hier  indes  nur  erinnern  wollen;  auf  die  einzelnen  Motive,  nachdem 
sie  in  den  früheren  Kapiteln  ausführlich  erörtert  worden,  zurückzu- 
kommen, kann  füglich  entbehrt  werden.  Und  so  wenden  wir  uns 
sogleich  zu  dem,  was  dem  Aussenbau  als  solchem  und  ihm  allein 
angehört  und  worin  der  romanische  Stil  seine  eigenartigsten  Gedanken 
ausspricht. 

Der  einfache  Longitudinalbau  der  altchristlichen  Basilika  hatte 
in  den  langgestreckten,  ungebrochenen  Horizontallinien  des  Dachwerks 
seinen  naturgemässen  Abschluss  nach  oben  empfangen ;  die  lebhaftere 
Bewegung  aber,  die  nun  vom  Grundriss  aufsteigend  in  die  Baumassen 
gekommen  ist,  drängt  über  sie  hinaus,  strebt  sie  zu  überwachsen. 
Und  dieser  Ueberschuss  der  Kräfte  erzeugt  eine  neue,  zweite  Ordnung 
von  Baugliedern,  in  der  erst  das  Ganze  seinen  organischen  Schluss 
findet:  die  Türme  und  Kuppeln.    Dieselben  sind  von  der  inneren 


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560  Zweite«  Buch .  Der  romanische  Stil. 

Raumgestaltung  nicht  gefordert,  sie  gehen  in  Zahl  und  Mass  über 
ihren  Gebrauchszweck  (als  Glockenträger)  weit  hinaus;  dennoch  em- 
pfinden wir  sie  nicht  als  etwas  Willkürliches,  sondern  als  den  be- 
stimmtesten und  darum  unentbehrlichen  Ausdruck  des  das  ganze 
Gebäude  durchdringenden  Höhestrebens,  als  die  verständlichste  sinn- 
bildliche Auflösung  der  gegenseitigen  Spannung  der  Kräfte.  In  der 
zeitlichen  Entwicklung  des  Stiles  wachsen  dann  auch  die  Dimensionen 
der  Türme  in  demselben  Masse,  wie  die  dieses  Streben  anzeigenden 
Symbole  erster  Ordnung,  als :  Wandpfeiler,  Halbsäulen,  Gewölbedienste, 
Arkaturen  u.  s.  w.,  zahlreicher  und  dem  Auge  auffallender  werden. 
Ihre  folgerichtigste  Lösung  würde  die  also  gefasste  Aufgabe  in  einem 
über  der  Kreuzung  der  Schiffe  sich  erhebenden  Zentralturm  finden, 
und  in  der  That  werden  wir  einem  solchen  sehr  häufig  begegnen. 
Das  für  die  Absichten  des  romanischen  Stils  bezeichnendste  ist  aber 
doch  nicht  dieses,  sondern  die  Anordnung  einer  über  die  verschiedenen 
Teile  des  Gebäudes  zerstreuten  Mehrheit  von  Türmen.  Wieder  ist 
es  das  Prinzip  der  gruppierenden  Symmetrie,  dem  Genüge  gethan 
werden  soll  und  nunmehr  nach  der  vertikalen  Entwicklung.  Durch 
die  Türme  wird  der  wagerechten  Gliederung,  zumal  den  starken  Aus- 
ladungen des  Querschiffs  als  Gleichgewicht  eine  lotrechte  Gliederung 
gegenübergestellt,  wird  der  bisher  accentlose  Verlauf  des  Gebäudes 
kräftig  rhythmisiert,  wird  —  da  über  Anzahl  und  Stellung  der  Türme 
dem  Künstler  freie  Wahl  zusteht  —  ein  ganz  neues  Mittel  individuali- 
sierender Charakteristik  gewonnen. 

Die  Kuppel  wie  der  Turm  sind  nun  zwar  nicht  erst  vom  ro- 
manischen Stil  erfunden;  beide  waren  im  Formenvorrat  der  altchrist- 
lichen Baukunst  schon  vorhanden.  Allein  ihre  Anwendung  lag  hier 
ausserhalb  der  Basilikenarchitektur.  Die  Kuppel  fungierte  als  oberes 
Schlussglied  der  Zentralbauten;  der  Turm,  wo  er  einer  Kirche  als 
Begleiter  gegeben  wurde,  war  ein  von  dieser  immer  durch  einen 
grösseren  oder  kleineren  Abstand  getrenntes  selbständiges  Neben- 
gebäude. Der  neue  Gedanke  des  romanischen  Stils  ist  die  organische 
Vereinigung  von  Turm  und  Kuppel  mit  dem  Körper  der  Basilika, 
womit  eine  freie  Vermittelung ,  wie  man  es  wohl  ausdrücken  darf, 
zwischen  Longitudinal-  und  Zentralbau  und  also  die  folgerichtige 
Weiterfuhrung  einer  schon  im  romanischen  Grundriss  wahrgenommenen 
Tendenz  vollzogen  wird. 

Die  Kuppel  behält  auch  nach  der  Aufnahme  in  den  Longitu- 
dinalbau  ihre  zentralisierende  Funktion:  sie  ruht  auf  den  Vierungs- 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau.  56 1 

bögen  über  der  Kreuzung  des  Lang-  und  Querhauses,  als  vertikales 
Schlussglied  der  von  Westen  nach  Osten  fortschreitenden  allgemeinen 
Steigerung  der  Formen.  Ursprünglich  soll  die  Vierungskuppel  mittelst 
ihres  von  Fenstern  durchbrochenen  Tambours  dem  Innern  konzen- 
triertes Licht  zuführen;  um  der  grösseren  Sicherheit  willen  wird  je- 
doch häufig  eine  gewölbte  Zwischendecke  eingezogen,  so  dass  sie 
allein  für  den  Aussenbau  Wert  behält,  und  erst  die  konstruktiv 
kühnere  Spätzeit  kehrt  zur  ursprünglichen  Anlage  zurück.  Oberhalb 
des  Kirchendaches  ist  der  Kuppelbau  achteckig,  oft  auch  viereckig, 
nimmt  überhaupt  leicht  turmähnliche,  mehrgeschossige  Gestalt  an,  so 
dass  dann  passend  der  Name  Zentralturm  einsetzt.  Gemäss  der 
in  der  Gesamterscheinung  des  Gebäudes  ihr  zugeteilten  Rolle  darf 
die  romanische  Kuppel  nicht  wie  die  byzantinische  in  der  Mehrzahl, 
sondern  nur  einmal  vorhanden  sein,  —  es  läge  denn  der  Fall  eines 
doppelten  Querschiffes  vor. 

Die  Türme  im  engeren  Sinne  des  Wortes  sind  ihrem  Wesen 
nach  selbständige  Zentralbauten  von  überwiegender  Höhenentwicklung 
bei  verhältnismässig  kleiner  Grundfläche.  Für  den  romanischen  Stil 
charakteristisch  ist  aber,  wie  bemerkt,  ihre  Verbindung  mit  dem 
Rumpf  der  Kirche  und  zwar  treten  sie  ursprünglich  paarweise  auf: 
entweder  zwei  an  der  Stirnseite  des  Langhauses,  oder  je  einer  an 
den  zwei  Stirnseiten  des  Querhauses,  oder  zwei  zur  Seite  des  Chores, 
oder  endlich  mehrere  dieser  Fälle  kombinierend.  Verhältnismässig 
frühe  schon  werden  Türme  und  Kuppeln  vergesellschaftet.  Die  jüngste 
Erscheinung  erst  ist  der  Einzelturm  an  der  Westfassade. 

Anfänge  der  Vierungskuppeln.  (Vgl.  Quicherat,  Fragment 
d'un  cours  d'arche'ologie,  p.  419  f.,  und  Restitution  de  Saint* Martin  de 
Tours,  p.  43  f.)  —  Man  wird  hier  zuerst  auf  die  Denkmalskirchen 
des  Heiligen  Landes  hinblicken,  als  in  denen  am  frühesten  basilikale 
und  zentrale  Anlagen  in  Verbindung  traten.  Dass  von  diesen  die  in 
Rede  stehende  Entwicklung  der  abendländischen  Baukunst  ausgegangen 
sei,  ist  indes  nicht  nachzuweisen,  vielmehr  weist  der  Zustand,  den 
wir  am  Beginn  der  romanischen  Epoche  vorfinden ,  auf  Ursprung  am 
räumlich  entgegengesetzten,  am  westlichgallischen  Ende  der  Christen- 
heit. Die  Vermutung  heftet  sich  an  die  berühmte  Martinsbasilika  in 
Tours,  erbaut  a.  470,  von  deren  ungewöhnlicher,  allerdings  mit  den 
palästinensischen  Denkmalskirchen  prinzipiell  verwandter  Anlage  oben 
S.  267  die  Rede  war.  Sulpicius  Severus  beginnt  sein  Verzeichnis  der 
(eine  zusammenhängende  Reihe  bildenden)  Inschriftverse  im  Innern 
der  Basilika  mit  der  Rubrik  Item  primus  in  turre  a  parte  orientis, 


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562 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


wendet  sich  dann  zu  der  linken  Seite  des  Schiffs,  hierauf  zu  dessen 
rechter  Seite  und  schliesst  mit  der  Eingangswand.    Der  Zusammen- 
hang lehrt,   dass  der  in  turre  bezeichnete  Raum  innerhalb  der 
Kirche  am  Ostende  lag,  so  dass  es  seine  Inschriften  waren,  die  dem 
Eintretenden  zuerst  in  die  Augen  fielen;  zugleich  aber  musste  er, 
um  den  Namen  turris  zu  verdienen,  nach  aussen  über  das  Schiff 
emporsteigen,  also  —  nach  Quicherats  uns  höchst  plausibel  erscheinen- 
der Folgerung  —  einen  Kuppelbau  über  dem  Sanktuarium  bilden. 
So  abnorm  eine  solche  Anlage  in  einer  Basilika  erscheint,  wird  sie 
durch  die  Besonderheiten  des  Grundrisses  der  Martinskirche  leicht 
verständlich.    Die  Gestaltung  des  Kuppelbaues  im  Einzelnen  bleibt 
ungewiss.  Quicherats  Restauration  (s.  unsere  Textfigur,  S.  267)  hat  in 
dieser  Hinsicht  bloss  den  Werth  einer  ungefähren  Vermutung.  Mag  nun 
der  Tambour  rund  (Quicherat)  oder,  nach  unserer  Meinung  wahrschein- 
licher, viereckie  (wie  in  S.  Nazario  e  Celso  in  Ravenna,  oder  in  Ger- 
migny  des  Pr6»)  gewesen  sein,  —  dass  er  von  Lichtern  durchbrochen  war, 
scheint  auch  uns  indizirt.  Unsere  oben  begründete  Hypothese,  wonach 
die  Martinsbasilika  in  Tours  durch  eine  Reihe  nicht  mehr  nachweis- 
barer Mittelstufen  in  der  merovingischen  Epoche  hindurch  auf  das 
romanische  Motiv  des  Chorumgangs  mit  ausstrahlenden  Kapellen  hin- 
geführt habe,  ist  durch  die  inzwischen  angestellten  Ausgrabungen  zur 
Gewissheit  erhoben  *).    Um  so  eher  wird  eine  ähnlich  vorbildliche 
Bedeutung  dieser  berühmtesten  Kirche  des  alten  Galliens  auch  für  das 
Motiv  der  Vierungskuppel  glaublich.    Sonst  ist  das  Ende  des  S.Jahr- 
hunderts die  Zeit  freilich  nicht,  in  welcher  man,  wenigstens  im  Abend- 
lande, kunstschöpferische  Gedanken  suchen  dürfte;  auch  wollen  wir 
keineswegs  dem  Erbauer  von  S.  Marlin  einen  solchen  zuschreiben ; 
vielmehr  wurde  hier  lediglich  zufällig  und  unbewusst  ein  Keim  aus- 
gestreut ,  den  erst  eine  viel  spätere  Zeit  wahrhaft  befruchtete.  Indes 
können  wir  hier  bestimmter,  als  hinsichtlich  des  Chormotives,  auf 
Mittelglieder  hinweisen.    In  den  Baunachrichten  aus  der  Merovinger- 
zeit,  so  spärlich  sie  sind,  findet  wiederholt  die  Verbindung  einer 
turris  mit  Basiliken  Erwähnung  und  zwar  in  einer  Weise,  dass  an 
isolirte  Glockentürme  nach  italienischer  Art  nicht   gedacht  werden 
kann,  sondern  nur  an  eine  ähnliche  Anlage  wie  in  S.  Martin  —  tour- 
lanterne  —  wie  Quicherat  sie  zu  nennen  vorschlug    So  bei  Gregor 
von  Tours,  De  Gloria  martyrum  c.  65  (ap.  Migne,  t.  71,  p.  764):  in 
der  Basilika  des  hl.  Antolianus  zu  Clermost  (vgl.  die  S.  270  vermuteten 
frühen  Baubeziehungen   zwischen  Clermont  und  Tours)  wird  super 
altare  eine  turris  errichtet,  welche  wegen  der  zu  grossen  Belastung 


')  Vgl.  Chevalier,  L«  fouilles  de  S.  Martin  1888  und   Dehio  in  Jahrbuch  der 
k.  preuss.  Kunstsammlungen  1889,  Heft  1. 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


der  Pfeiler  (offenbar  der  Vierung)  einstürzt,  durch  Wunderhilfe  des 
Heiligen  den  Altar  unverletzt  lassend.  So  ferner  die  Verse  des  Venan- 
tius  Fortunatus  1.  III.  carm.  5  über  die  a.  570  erbaute  Kirche  zu 
Naxtks  (trotz  der  entgegenstehenden  Deutung  von  Unger,  Bonner  Jahr- 
bücher, Bd.  29,  S.  26).  Weniger  deutlich  Greg.  Tur.  1.  c.  cap.  92.  Den 
weiteren  Verlauf  dieser  Reihe,  manches  Licht  auf  sie  zurückwerfend, 
zeigt  die  Abteikirche  zu  Centula  (SaintRiquier)  vom  Ende  saec.  8. 
Wir  sind  über  sie  doppelt  unterrichtet:  durch  den  Chronisten  Hariulf 
und  die  Zeichnung  in  einem  alten  Manuskript  (vgl.  oben  S.  174  und 
Taf.  43).  Die  Zeichnung  ist  von  H.  Graf  als  ein  ziemlich  modernes 
Phantasiegebilde  bezeichnet,  von  Quicherat  gleich  uns  als  authentisch 
und  wichtig  anerkannt.  In  Uebereinstimmung  mit  den  Angaben  des 
Chronisten  zeigt  sie  zwei  Vierungskuppeln,  entsprechend  den  zwei 
Querschiffen ,  von  gleichartiger  Behandlung :  aus  der  Bedachung  des 
auffallenderweise  runden  Tambours  (vielleicht  Ungenauigkeit  der  Zeich- 
nung) erhebt  sich  eine  turmartig  hohe,  dreifach  abgestufte  Laterne, 
vermutlich  aus  Holz  konstruirt.  Damit  vergleiche  man  die  von  Viollet- 
le-Duc  III,  344,  Nr.  2  mit  Berufung  auf  eine  uns  unzugängliche  Quelle 
gegebene  Nachricht  über  den  854 — 861  ausgeführten  Erneuerungsbau 
der  Abteikirche  St.  Bertin  in  der  Picard ie:  >ie  clocher  itait  tertnine"  par 
une  eharpente  contenant  trois  ttages  de  cloches,  sans  comp t er  la  flecke. « 
Etwas  Aehnliches  glaubt  Quicherat  unter  der  struetura  machinae  bei 
Greg.  Tur.  1.  c.  cap.  92,  wie  der  arx  ascendens  per  arcus,  welche  aedis 
acumen  habet,  bei  Fortunatus  verstehen  zu  sollen.  In  die  eigentlich 
romanische  Baukunst  wollen  wir  das  Motiv  vorerst  nicht  weiter  ver- 
folgen. Woher  es  dort  zuerst  und  in  weitester  Verbreitung  gerade  im 
westlichen  Frankreich  auftritt,  ist  nach  dem  Obigen  klar.  Im  Gegensatz 
dazu  ist  in  der  italischen  Kunst  der  entsprechenden  Jahrhunderte  nichts 
Aehnliches  zu  finden,  weder  in  den  Schriftquellen  noch  in  den  Monu- 
menten ').  Die  analoge  turmartige  Ausbildung  der  östlichen  Zentral- 
kuppel im  byzantinischen  Stil  muss,  da  sie  nicht  vor  dem  10.  Jahr- 
hundert gefunden  wird,  ausser  Vergleich  bleiben. 

Anfänge  der  Kirchtürme.  (Weingärtner:  System  des  christ- 
lichen Turmbaus  1860;  Unger:  Zur  Geschichte  der  Kirchtürme,  in  den 
Bonner  Jahrbüchern  1860;  Otte:  Glockenkundc,  2.  A.,  1884;  G.  B.  de 
Rossi:  Campana  .  ..  trovata  presso  Canino,  im  Bulletino  di  archeo- 
logia  cristiana  1887;  ferner  die  einschlägigen  Abschnitte  in  den  Werken 
von  Schnaase,  Kraus,  Holtzinger,  Essenwein,  Rohault  de  Fleury  u.  s.  w.) 
Die  Aufnahme  der  Türme  in  den  Kirchenbau  ist  das  Werk  der  in 


!)  Das  einzige  Beispiel ,  das  dafür  anzuführen  wäre ,  die  Vierungskuppel  in 
S.  Agostuio  in  Spoleto,  können  wir  nicht  mit  Hübsch  und  de  Rossi  für  altchristlich, 
sondern  nur  für  mittelalterlich  halten. 


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564 


Zweite«.  Huch:  Der  romanische  Stil. 


jeder  anderen  Hinsicht  unproduktiven  dunkeln  Zwischenepoche  vom 
Untergang  des  römischen  Reichs  bis  auf  Karl  den  Grossen.  Alle 
näheren  Umstände  aber  sind  ungewiss.  Die  Mutmassungen  über  die 
Zeit  des  ersten  Aufkommens  schwanken  um  zwei  bis  drei  Jahrhunderte. 
G.  B.  de  Rossi  will  in  zwei  Darstellungen  der  Stadt  Jerusalem  aus  der 
ersten  Hälfte  des  5.  Jahrhunderts  den  Beweis  erblicken,  dass  damals 
Türme  schon  ein  gewohnter  Zubehör  der  Basiliken  waren.  Die  erste 
von  ihnen  befindet  sich  auf  dem  unter  Sixtus  III.  (432  —  440)  ausge- 
führten Mosaik  des  Triumphbogens  von  Sta.  Maria  Maggiore  in  Rom, 
die  andere  auf  der  ungefähr  gleichzeitigen  Thür  von  Sta.  Sabina  (abge- 
bildet bei  Garucci,  l'Arte  cristiana,  tav.  213.  500).  Zu  überzeugen  oder 
auch  nur  wahrscheinlich  zu  machen,  dass  die  auf  diesen  abbreviirten, 
Entferntes  nahe  zusammenrückenden  Stadtbildern  sichtbar  werdenden 
Türme  als  Kirchtürme  gemeint  seien ,  scheint  uns  unmöglich ;  wir 
glauben  weit  eher,  in  Betreff  der  ersten  Darstellung  sogar  sicher,  dass 
sie  Festungstürme  vorstellen  sollen  ').  Diesen  mindestens  zweideutigen 
Zeugnissen  *)  steht  nun  die  doppelte  Thatsache  gegenüber,  dass  unter 
den  erhaltenen  Campanilen  keiner  mit  einiger  Probabilität  dem  5.,  6. 
oder  selbst  7.  Jahrhundert  zugeschrieben  werden  kann,  dann  dass  die 
Erwähnungen  in  Schriftquellen  erst  mit  dem  8.  Jahrhundert  beginnen : 
für  das  fränkische  Kloster  Fontaneila  zu  a.  734—38  (M.  G.  hist.  SS.  II. 
284),  für  die  Peterskirche  in  Rom  zu  a.  752  —  57  (de  Rossi  1.  c.  86). 
Man  wird  ja  über  diesen  Zeitpunkt  um  ein  paar  Menschenalter  zurück- 
gehen dürfen;  mehr  als  so  viel  scheint  uns,  bis  nicht  neues  Material 
beigebracht  wird,  bedenklich. 

Die  Campanilen  entwickeln  sich,  wie  bemerkt,  nicht  mit,  sondern 
nach  und  neben  den  Basiliken  ;  etwas,  was  als  Vorform  für  sie  gelten 
könnte,  ist  in  der  christlichen  Architektur  der  ersten  Jahrhunderte  nicht 
zu  finden.  Ueberhaupt  ist  der  Turmbau  dem  Formengeist  der  griechisch- 
römischen  Kunst  wenig  verwandt;  er  spielt  in  ihr  eine  Rolle  nur  in 
der  Profanarchitektur  (als  Festungsturm,  Leuchtturm  u.  s.  w.)  und  auch 
in  dieser  keine  hervortretende.  Dagegen  sind  der  Bauphantasie  des 
Orients  Türme  oder  turmähnliche  Hochbauten ,  und  zwar  gerade  mit 
sakraler  Bedeutung,  von  den  ältesten  Zeiten  der  Babylonier  her  ver- 
traut bis  herab  auf  die  hellenistisch-römische  Kunst  der  Grenzpro- 
vinzen ') ,  die  Feuertürme  der  Sassaniden ,  die  buddhistischen  Stupas, 

')  Die  den  altchristlichen  Typus  wiederholenden  Stadtansichten  im  Trierer  Codex 
Egberti  (saec.  10)  und  dem  Aachener  Codex  Ottos  III.  zeigen  sehr  deutlich  nur 
Festungstürme. 

*)  Ebensowenig  können  wir  de  Rossi  zustimmen ,  wenn  er  die  oben  S.  562  be- 
sprochene turris  der  Basilika  des  H.  Martin  zu  Tours  im  Gegensatz  zu  Quicherat  für 
einen  isolierten  Campanile  erklärt;  wäre  sie  das,  so  hätten  bei  den  jüngsten  Aus- 
grabungen die  Fundamente  gefunden  werden  müssen. 

')  Vgl.  de  Vogti£ :  Syric  centrale  pl.  17.  26.  65.  66.  72—74.  120—129.  130—136. 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau.  565 

die  islamitischen  Minarets.  Das  früheste  für  das  Auftreten  der  letz- 
teren bekannte  Datum  ist  das  Jahr  705;  ein  Zusammentreffen  der 
Zeiten ,  das  zu  denken  gibt.  Ableitung  der  occidentalen  Kirchtürme 
von  den  islamitischen  Minarets  oder  dieser  von  jenen  ist  natürlich 
ausgeschlossen ;  aber  auch  an  völlige  Spontaneität  beider  Erscheinungen 
zu  glauben ,  fallt  schwer.  Dagegen  hätte  die  Voraussetzung  einer 
vom  alten  Orient  ausgegangenen  und  nun  nach  dem  Erlöschen  der 
griechisch-römisshen  Kulturvorherrschaft  verstärkt  reagirenden  gemein- 
samen Grundbewegung  nichts  wider  sich.  Gerade  im  6.-8.  Jahrhundert 
erreichte  das  lange  vor  dem  Untergang  des  Imperiums  schon  erkenn- 
bar gewesene  Vordringen  orientalischer  Kultur-  und  Kunstelemente  in 
das  Westreich  seinen  Höhepunkt.  In  diesem  Sinne,  als  allgemeine 
Anregung  gefasst,  scheint  uns  der  Ursprung  der  Kirchtürme  aus  dem 
Morgenland  eine  annehmbare  Hypothese. 

Im  Einklang  mit  ihr  steht  die  Gleichheit  der  sachlichen  Bestim- 
mung. Denn  beide,  die  Minarets  der  Mohammedaner  und  die  Campa- 
nilen  der  Christen,  sind  dazu  da,  dass  von  ihrer  Höhe,  sei  es  durch 
die  menschliche  Stimme ,  sei  es  durch  die  Stimme  der  Glocken ,  den 
Gläubigen  die  Stunde  des  Gebets  verkündet  wird.  Alle  anderweitigen 
Erklärungen  der  ursprünglichen  Bestimmung  (als  Grabdenkmäler,  oder 
Toten  leuchten,  oder  Verteidigungswerke)  halten  wir  für  verfehlt.  Schon 
die  älteste  Erwähnung  der  Kirchtürme  gibt  als  Gewohnheit  an,  dass 
sie  Glocken  tragen:  Gesta  abbatum  Fontanellensium  1.  c.  uampanam 
in  turricula  collocandam,  ut  moris  est  ecclesiarum,  .  .  .  pratetpiU.  Der 
Einwand,  dass  die  Glocken  der  ältesten  Zeiten  zu  klein  und  leicht 
waren,  um  so  aufwendige  Bauten  zu  erklären,  ist  nicht  stichhaltig. 
Dasselbe  Missverhältnis,  wenn  es  das  sein  soll,  haftet  auch  den  Mina- 
rets an.  Beide  aber,  Glockentürme  wie  Minarets,  sind  ja  nicht  neu- 
erfundene Baugebilde,  sondern,  wie  wir  glauben,  aus  älteren  Vorbildern 
abgeleitete,  und  bei  ihrer  Einführung  war  auch  nicht  der  besondere 
Zweck  allein  massgebend,  vielmehr  sicherlich  ebensosehr  das  Gefallen 
an  ihrer  architektonischen  Erscheinung.  Immer  war  es  nur  eine  ver- 
hältnismässig kleine  Zahl  von  Kirchen ,  die  sich  dieser  Auszeichnung 
teilhaftig  machten;  die  meisten  begnügten  sich  mit  einfacheren  Vor- 
richtungen, hölzernen  Gerüsten  neben  der  Kirche  oder  Dachreitern. 
Die  älteste  bis  jetzt  nachgewiesene  gegossene  Glocke  ist  die  kürzlich 
in  Canino  in  der  Landschaft  von  Viterbo  gefundene,  besprochen  und 
abgebildet  bei  de  Rossi  1.  c. ,  der  sie  dem  8.  oder  9.  Jahrhundert  zu- 
schreibt; demnächst  eine  in  Cordova  vom  Jahre  925. 


Uebrigens  wollen  wir  zu  bemerken  nicht  unterlassen,  dass  die  turmartige  Ueberhöhung 
von  Nebenräumen  der  syrischen  Kirchen  des  5.  und  6.  Jahrhunderts  doch  etwas  wesent- 
liches anderes  ist,  als  der  altchristliche  Campanile  des  Occidents. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Die  isolirten  Carapanilen  blieben  die  eigentliche  Charaktergestalt 
der  südländischen  Kirchenarchitektur  bis  in  die  Renaissance.   Im  ger- 
manischen Norden  sind  sie   bereits  in  der  karolingisch-ottonischen 
Epoche  im  Verschwinden  begriffen.   Ihre  Gestalt  und  Bestimmung  ging 
so  zu  sagen  durch  Attraktion  auf  die  bis  dahin  sehr  unscheinbar  ge- 
wesenen Treppentürmchen  über,  in  denen  wir  somit  die  eigentliche 
Wurzel  des  romanisch-gotischen  Turmbaus  und  die  Erklärung  der  in 
demselben  die  Regel  ausmachenden  Zweizahl  zu  erblicken  haben.  — 
Bereits  das  Altertum  pflegte  die  Treppen,  deren  kein  grösseres  Gebäude 
schon  um  der  Beaufsichtigung  und  Instandsetzung  des  Daches  willen, 
entbehren  konnte,  paarweise  zu  beiden  Seiten  des  Haupteinganges  an- 
zuordnen.   Im  Pantheon ,  im  grossen  Rundsaal  der  Caracallathertnen 
(Taf.  i),  in  S.  Lorenzo  zu  Mailand  (Taf.  14)  boten  sich  die  Hohlräume 
innerhalb  der  grossen  Mauermasse  von  selbst  dazu  dar.    Bei  Kon- 
struktion mit  flacher  Decke  und  folglich  geringerer  Mächtigkeit  der 
Mauern  musste  das  Treppengehäuse  aber  schon  nach  aussen  vorTücken; 
so  in  dem  den  Kern  des  Domes  von  Trier  bildenden  Römerbau 
(Taf.  i2,  Fig.  9),  oder,  durch  Emporen  veranlasst,  in  S.  Vitale  zu 
Ravenna  (Taf.  4),  im  alten  Dom  zu  Brescia,  in  der  Pfalzkirche  zu 
Aachen  (Taf.  40).  Die  angezogenen  Beispiele  betreffen  sämtlich  Zentral- 
bauten.   An  Basiliken  sind  Treppentürme  nur  in  Syrien  gefunden 
worden;  die  abendländischen  mit  ihrem  offenen  Dachstuhl  und  der 
Emporen  ermangelnd,  konnten  ihrer  leichter  entbehren.    Erst  in  der 
nordisch-frühromanischen  Baukunst,  in  welcher  Emporenanlagen  (vgl. 
S.  191  —  197)  bemerkenswerte  Verbreitung  fanden,  trat  ein  fühlbares 
Bedürfnis  ein.   In  Centula  (Taf.  43)  stehen  die  Treppentütme  auf  der 
Hauptachse  des  Gebäudes,  je  einer  am  östlichen  und  am  westlichen 
Ende;  sie  führten,  vermuten  wir,  in  den  Raum  über  den  Vierungskuppeln, 
von  wo  aus  die  in  der  »machina«  aufgehängten  Glocken  in  Bewegung 
gesetzt  wurden,  ausserdem  aber  auch  in  die  in  den  Kreuzarmen  zu 
vermutenden  Emporen.    Klar  ist  diese  Bestimmung  in  S.  Michael  in 
Hildesheim  (Taf.  43)  und  wahrscheinlich  auch  für  das  westliche  Quer- 
schiff  des  alten  Doms  zu  Köln.  Das  Häufigste  aber  ist  die  Verbindung 
mit  einer  Empore  im  Westbau.    Beispiele  alter  Anlage  in  sonst  zum 
Teil  stark  überarbeiteten  Kirchen:  S.  Pantaleon  in  Köln,  S.  Kastor  in 
Koblenz,  Münster  zu  Essen,  Stiftskirche  zu  Gernrode,  diese  noch  vor 
a.  1000;  aus  der  nächstfolgenden  Zeit:  Münster  in  Bonn,  Kapitols- 
kirche  in  Köln,  Limburg  a.  d.  H.,  Mlksti  rmaifeld.    Ohne  Verbindung 
mit  Emporen,  also  wohl  nur  als  Beförderungsweg  für  die  Baumaterialien 
und  später  als  Zugang  zum  Dach  bezweckt:  bei  den  Domen  zu  Worms 
(westlich),  zu  Mainz  (östlich),  zu  Merseburg  (östlich),  alle  drei  aus  der 
ersten  Hälfte  saec.  11. 

Eine  eigentümliche  Zwischenform  zwischen  der  altchristlich-südlichen 


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Fünfzehntes  Kapitel    Der  Aussenbau. 


567 


und  der  romanisch-nordischen  Anlage  findet  sich  auf  dem  Bauriss  von 
St.  Gallen  (Taf.  42).  Es  sind  zwei  Türme,  die  zwar  nicht  dem  Haupt- 
gebäude inkorporiert,  aber  auch  nicht  ganz  isoliert  sind,  da  sie  mit 
dem  Atrium  in  Verbindung  stehen.  Die  Zweizahl  ist  offenbar  unter 
dem  Einfluss  der  Treppentürrae  gewählt,  zugleich  erinnert  sie  durch 
ihre  Flankenstellung  zum  Haupteingange  an  die  römische  Form  der 
Festungsthore.  Wir  werden  diesem  Typus  späterhin  bei  den  Bauten 
der  Cluniacenser  wieder  begegnen. 

Die  Zusammenordnung  von  Zentral-  und  Treppentürmen  war  be- 
reits der  karolingischen  Architektur  bekannt,  ja  anscheinend  einer 
ihrer  Lieblingsgedanken.  Nur  von  dreien  der  grossen  Basiliken  dieser 
Zeiten  ahnen  wir  die  äussere  Gestalt,  und  alle  drei  weisen  diesen  Ge- 


Der  alte  Dom  von  Köln  (nach  Eticnwein). 


danken  auf.  Erstens  die  oben  besprochene  Klosterkirche  CfiNTULA 
(Taf.  43).  Zweitens  der  im  Laufe  des  9.  oder  A.  des  10.  Jahrhunderts 
ausgeführte  Erneuerungsbau  von  S.  Martin  in  Tours;  nach  den  von 
Chevalier  a.  a.  O.  S.  169  beigebrachten  Münzen  besass  er  ausser  dem 
Zentralturm  zwei  bereits  stattliche  an  den  Giebelseiten  des  QuerschifTs, 
welche  Anordnung  in  den  weiteren  Umbauten  des  11.  und  12.  Jahr- 
hunderts (Taf.  212,  Fig.  7)  beibehalten  ist.  Drittens  der  a.  814  von 
Erzbischof  Hildebold,  dem  vormaligen  Kanzler  Karls  des  Grossen,  be- 
gonnene Dom  von  Köln  ;  auf  Grund  einer  Miniatur  aus  dem  11.  Jahr- 
hundert gibt  Essenwein  den  beistehenden,  in  der  Hauptsache  durchaus 
wahrscheinlichen  Restaurationsversuch;  die  breiten  Türme  an  den 
Enden  des  westlichen  Querschiffs  erinnern  an  S.  Martin,  die  »machinaec 
auf  den  Zentraltürmen  und  die  Oculusfenster  wie  der  ganze  Grundriss 
an  Centula;  auch  die  bunte  Wandinkrustation  ist  charakteristisch  für 
die  Epoche. 

Eine  kontinuierliche  Fortentwicklung  war  diesem  vieltürmigen 
System  nicht  vergönnt.  Wir  müssen  vielmehr  von  nun  ab  die  ein- 
zelnen Länder  für  sich  betrachten. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


DEUTSCHLAND. 

Die  im  ersten  und  zweiten  Kapitel  dieses  Buches  der  Planbildung 
des  frühromanischen  Kirchenbaus  gewidmeten  Untersuchungen  zeigten 
darin  bald  nach  dem  Uebergang  des  Königtums  vom  sächsischen 
auf  das  salische  Haus  eine  Wende  eintreten.  Im  Hinblick  darauf 
wird  es  geraten  sein,  auch  für  den  vorliegenden  Zweck  die  ottonische 
Epoche  abgesondert  zu  betrachten.  Freilich  ist  hier  die  Möglich- 
keit, vom  äusseren  Aufbau  etwas  Sicheres  auszusagen,  eine  viel  schma- 
lere, als  in  Betreff  des  Grundplanes.  Denn  es  sind  fast  immer  nur 
einzelne  Teile  unberührt  von  der  Thätigkeit  jüngerer  Zeiten  geblieben. 
Ueber  Bauten  zweiten  Ranges  hinweggehend,  wissen  wir  nur  ein 
einziges  Denkmal  dieser  Epoche  zu  nennen,  dessen  Ursprungsgestalt 
vollständig  überliefert  ist,  die  Michaelskirche  in  HILDESHEIM.  Mit 
doppeltem  Chor  und  doppeltem  Transsept  angelegt,  besass  sie  zwei 
Vierungstürme  und  vier  auf  die  Giebelseiten  der  Querschiffe  verteilte 
Treppentürmchen  (Taf.  43).  Also  wesentlich  noch  dieselbe  Anlage, 
wie  in  dem  zweihundert  Jahre  älteren  Dom  von  Köln.  Es  ist  nun 
die  Frage,  ob  wir  S.  Michael  in  Hildesheim  als  ebenso  typisch  für 
die  ottonische  Periode,  wie  den  Dom  von  Köln  für  die  karolingische 
ansehen  sollen.  War  sie,  wie  wir  früher  dargelegt  haben,  hinsichtlich 
des  Grundrisses  —  wir  ziehen  immer  nur  Anlagen  ersten  Ranges  in 
Vergleich  —  zweifellos  zu  bejahen,  so  werden  wir  ein  Gleiches  vom 
äusseren  Aufbau  mit  Recht  vermuten  dürfen;  selbstverständlich  indes 
nur  als  ideale  Forderung;  wie  oft  sie  in  Wirklichkeit  erfüllt  worden 
ist,  bleibt  dahingestellt.  Anders  ausgedrückt :  das  ßauideal  der  Ottonen- 
zeit  war  noch  dasselbe,  wie  das  der  karolingischen.  Die  Anlage 
eines  zweifachen,  öst-  und  westlichen  Chores,  hebt  die  Unterscheidung 
zwischen  dem  der  profanen  Aussenwelt  zugewendeten  Anfang  und 
dem  das  Allerheiligste  bergenden  Schluss  des  Gebäudes  auf,  behandelt 
beide  Enden  desselben  gleichwertig.  Nur  folgerichtig  bleibt  es,  den 
Ausdruck  dieses  Gedankens  nicht  auf  den  Grundplan  zu  beschränken, 
sondern  ihn  gleichermassen  in  der  vertikalen  Entfaltung,  in  der  Grup- 
pierung der  Türme  zu  Worte  kommen  zu  lassen.  Allein  nicht  nur 
dieser  aus  der  Gesamtanlage  entnommene  Grund  sprach  dafür;  man 
vergesse  nicht,  dass  der  westliche  Chorbau  noch  eine  selbständige 
Bedeutung  für  sich  hatte,  als  Verehrungsstätte  eines  der  Kirche  wich- 
tigen Heiligen  oder  Grabmal  ihres  Erbauers,   mithin  der  Gedanke 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


569 


einer  kuppel-  oder  turmartigen  Bekrönung  schon  durch  die  rituelle 
Verwandtschaft  mit  den  Denkmals-  und  Grabbauten  nahe  gelegt  war. 

So  wird  es,  trotz  der  Spärlichkeit  unmittelbarer  Denkmäler- 
zeugnisse, kein  zu  kühner  Satz  sein :  dass  bei  doppelchörigen  Kirchen 
—  und  das  will  nichts  anderes  sagen,  als  bei  allen  grösseren  —  die 
Zweizahl  der  Zentraltürme  die  normale  war.  Anderenfalls  entbehrten 
sie  der  Türme  überhaupt  oder  hatten  höchstens  Treppentürmchen 
von  bescheidenem  Effekt.  Das  erste  war  die  Regel  im  Rheinlande 
und  mindestens  nichts  Seltenes  in  Westfalen  und  Sachsen,  das  andere 
die  Regel  in  Schwaben  und  Baiern. 

Eigentliche  Kuppeln  kommen  nicht  vor,  schon  deshalb  nicht, 
weil  die  Vierungsbögen  ihre  Last  nicht  hätten  aushalten  können. 
Ihre  Stellvertreter,  die  Zentraltürme,  haben  hölzernes  Dachwerk  und 
sind,  im  Grundriss  der  Vierung  des  Kreuzes  oder  einem  Quadrat 
des  Mittelschiffs  entsprechend,  im  Aufbau  kaum  so  hoch  als  breit. 
Zur  Beleuchtung  des  Inneren  sind  sie  schwerlich  je  verwertet,  viel- 
mehr dürfte  das  die  Dächer  überragende  Fenstergeschoss,  durch  eine 
Zwischendecke  abgesondert,  als  Glockenstube  gedient  haben.  Die 
Treppentürmchen  endeten  gewöhnlich  schon  in  gleicher  Höhe  mit 
dem  Hauptgesims  des  Schiffes  l). 

Beispiele.  Die  Stiftskirche  in  Gandersheim  (gew.  1007)  ist  in 
ihren  oberen  Teilen  durch  wiederholte  Brände  zerstört ;  die  nahe  Ver- 
wandtschaft des  Grundrisses  mit  der  gleichzeitig  erbauten  Michaels- 
kirche zu  Hildesheim  legt  die  Vermutung  auf  ursprüngliche  Zentral- 
türme nahe.  —  Bei  S.  Pantaleon  in  Köln  (geweiht  a.  980)  ist  der 
westliche  Vierungsturm  durch  eine  Ansicht  aus  dem  17.  Jahrhundert 
bezeugt;  die  Treppentürme  im  Kern  noch  aus  der  ersten  Anlage 
(Taf.  43).  —  Beim  Münster  zu  Essen  (2.  H.  saec.  10)  der  kunstvoll 
disponierte,  ausnahmsweise  achteckige  Westturm  mit  den  Treppen- 
türmchen verschmolzen  (Taf.  213).  —  Frühromanische  Gedanken  in 
spätromanisch  vergrösserter  Wiederholung  fortlebend ,  glauben  wir  in 
den  reichen  Turmgruppen  der  Dome  von  Worms  und  Mainz  zu  er- 
kennen ;  einzelne  Teile  rühren  noch  thatsächlich  aus  der  ersten  Bau- 
periode (erstes  Viertel  saec.  11)  her;  in  Worms  der  Unterbau  der  west- 
lichen Treppentürme,  in  Mainz  die  östlichen,  in  ihrer  Frontstellung  zu 
dem  (nach  Erweiterung  der  Langschiffe  rudimentär  erscheinenden)  Quer- 
schiffe an  Hildesheim  erinnernd  und  im  Westbau  von  Laach  wiederholt. 

Die  Hauptkirche  des  Klosters  Reichenau  ist  wie  die  bisher  be- 
trachteten doppelchörig,  auch  mit  westlichem  Transsept  versehen ;  doch 

>)  So  ursprünglich  beim  Münster  zu  Essen,  wie  bei  S.  Michael  in  Hildesheira. 

37 


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57Q 


Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


liegt  hier  der  Zentralturm  nicht  über  der  Vierung,  sondern  über  der 
(behufs  dessen  viereckig  ummauerten)  Apsis,  weshalb  uns  fraglich  er- 
scheint, ob  ihm  je  ein  Ostturm  entsprochen  hat.  Von  dem  bedeutendsten 
frühromanischen  Bau  Baierns,  S.  Emmeram  in  Regensbüeg,  kann  mit 
Zuversicht  behauptet  werden,  dass  er  inkorporierter  Türme  entbehrte; 
der  in  Renaissanceformen  ausgeführte  isolierte  Campanile  ist  vermut- 
lich Ersatz  für  einen  von  Alters  bestandenen.    Sicher  frühromanisch 


 5  1. 

Aachen.  Westbau. 


ist  derjenige  beim  Obermünster  in  derselben  Stadt ;  ebenso  der  auf 
Frauenchiemsee.  Die  freistehenden  Türme  in  Wessobrunn  und  Hohen- 
wart a.  Paar  waren  Glocken-  und  Wehrtürme  zugleich.  Also  auch  von 
dieser  Seite  Bestätigung  der  früheren  Wahrnehmung,  dass  die  früh- 
romanische  Baukunst  Baierns  mehr  mit  der  italienischen  als  mit  der 
fränkisch-karolingischen  in  Fühlung  steht. 

Bei  einfacherem  Grundplan  vereinfacht  sich  auch  die  Turmgruppe. 
Wir  betrachten  zunächst  jene  vorzüglich  bei  kleineren  Stiftskirchen 
bis  ins  12.  Jahrhundert  häufige  Modifikation  der  doppelchörigen  An- 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aassenbau. 


571 


läge,  bei  welcher  die  westliche  Exedra  zweigeschossig  geteilt  ist.  Auf 
diesen  Westbau  fällt  der  Hauptaccent.  Er  erhält,  den  Giebel  des 
Mittelschiffs  verdeckend,  ein  drittes  als  Glockenstube  dienendes  Ge- 
schoss;  die  den  Aufgang  zu  den  Emporen  enthaltenden  Flanken- 
türmchen  werden  entsprechend  erhöht,  der  Ostbau  dagegen  bleibt 
turmlos.  In  seiner  weiteren  Entwicklung  spaltet  sich  dieser  Typus 
alternativ,  —  je  nachdem  die  Treppengehäuse  oder  aber  die  mittlere 
Glockenstube  als  Hauptmotiv  genommen  und  turmmässig  frei  über 
den  anderen  Teil  hinausgeführt  werden.  Die  erstere  Anordnung  ist 
die  gewöhnliche  in  Niedersachsen,  die  zweite  in  Westfalen  und  am 
Niederrhein. 

Das  älteste  Beispiel  für  die  geschilderte  Anlage  des  Westbaus 
gibt  nicht  eine  Basilika,  sondern  die  zentrale  Palastkirche  zu  Aachen 
(vgl.  mit  der  beistehenden  Figur  den  Querschnitt  Taf.  40) ;  der  Raum 
über  der  kaiserlichen  Loge  enthielt  die  Glocken,  die  Rundtürme  dienten 
allein  als  Treppenbehälter.  Wenn  wir  nun  dieselbe  Anordnung  an  den 
frühromanischen  Basiliken  des  Rheins  und  nicht  minder  Sachsens 
typisch  wiederfinden,  so  ist  an  unmittelbare  Nachahmung  Aachens  sicher- 
lich nicht  zu  denken  ;  nach  aller  Wahrscheinlichkeit  wird  sie  schon 
für  die  karolingischen  Basiliken  häufig  acceptiert  gewesen  sein  ').  An 
den  ziemlich  zahlreichen  hier  in  Frage  kommenden  Denkmälern  ist 
leider  fast  immer  nur  der  Unterbau  im  alten  Zustande  erhalten,  so 
dass  in  Betreff  des  oberen  Abschlusses  über  ungefähre  Vermutungen 
nicht  weit  hinauszukommen  ist.  In  Gernrode  (Taf.  215,  vgl.  Grundriss 
Taf.  47)  gehören  die  Türme  bis  zur  Oberkante  des  Arkadengeschosses 
der  ersten  Bauzeit;  wahrscheinlich  folgte  hier  nur  noch  das  Dach; 
eine  Oeffnung  auf  der  inneren  Seite  des  Nordturmes,  die  an  dieser 
Stelle  nur  als  Thür,  nicht  als  Fenster  gedeutet  werden  kann,  weist  auf 
eine  über  der  Querempore  schon  ursprünglich  vorhanden  gewesene 
Glockenstube;  kurz,  wir  haben  uns  eine  dem  Aachener  Westbau  sehr 
ähnliche  Anlage  zu  denken.  Von  jüngeren  Bauten  vertritt  diesen  Typus 
wenig  verändert  die  Marienkirche  in  Magdeburg.  Für  das  1 1.  Jahrhundert 
scheint  Corvei  ein  besonders  einflussreiches  Muster  gewesen  zu  sein; 
man  erkennt  es  an  der  Stiftskirche  von  Gandersheim  und  den  Domen 
von  Hildesheim  und  Osnabrück  wieder;  die  Türme  haben  quadratischen 
Grundriss  angenommen  und  liegen  mit  dem  den  Westchor  enthaltenden 
Mittelbau  in  gleicher  Fluchtlinie;  zwischen  ihnen  das  Glockenhaus;  das 
ganze  offenbar  höchst  massig  und  schwerfällig.  Seine  abschliessende 
Gestalt  gewinnt  der  Typus  im  12.  Jahrhundert.  Der  mit  einem  nach  Ost 

• 

')  Nicht  ganz  ausgeschlossen  ist,  dass  die  RundtUrmchen  an  S.  Kastor  in  Koblenz 
Taf.  47  noch  vom  ersten  Bau  (E.  saec.  9)  hertlbergenommen  sein  könnten. 


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572 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


und  West  abfallenden  Satteldach  gedeckte  Zwischenbau  überragt  die 
Firstlinie  des  Mittelschiffs  um  ein  beträchtliches,  für  die  freiliegende 
Endigung  der  Türme  bleibt  nur  ein  kurzes  Stück  übrig ;  der  Unterbau 
bildet  eine  zusammenhängende,  ungegliederte  Fläche.  Die  höchste 
Veredelung,  deren  diese  gar  plumpe,  von  den  Sachsen  aber  mit  er- 
staunlicher Zähigkeit  festgehaltene  Anordnung  fähig  war,  zeigen  die 
Fassaden  des  Domes  von  Braunschweig,  der  Neuwerker  Kirche  in 

Goslar  (Taf.  215),  der  Klosterkirche 
von  Jerichow  (Taf.  211),  sämtlich 
schon  gegen  oder  nach  1200.  Ver- 
einzelt findet  sie  auch  ausserhalb 
Sachsens  Nachahmung,  z.  B.  in 
Fritzlar  und  in  Niederlothringen 
in  Maestricht  (Taf.  217). 

Der  niederrheinisch- west- 
fälische Typus  hat  seinen  ältesten 
Vertreter  im  Münster  zu  Essex 
(Taf.  213).  Die  Anlage  einerseits 
mit  Corvei,  andererseits  mit  Aachen 
verwandt;  besonders  sinnreich  und 
glücklich  gedacht  die  Verwertung 
des  oktogonalen  Oberbaus  für  das 
Glockenhaus;  der  obere  Abschluss 
der  Treppentürme  auf  unserer  Ab- 
bildung nach  der  ansprechenden 
Restauration  von  G.  Humann.  Un- 
mittelbar ahmt  das  Aachener  Vor- 
bild die  Kapitolskirche  in  Köln 
nach,  insofern  der  Mittelbau  im 
Grundriss  (Taf.  14)  über  die  Türrae 
vorspringt;  das  in  jüngerer  Zeit  er- 
neuerte Obergeschoss  war  wohl  im- 
mer vier-,  nicht  achtseitig.  Aehnlich 
ist  die  Grundrisskombination  und  war  also  wohl  auch  der  primitive 
Aufbau  im  Münster  zu  Bonn  (saec.  11)  und  in  S.  Martin  zu  Muxster- 
maifeld  (2.  Hälfte  saec.  10?).  —  Ueber  die  westfälischen  Domkirchen 
drei  Aufsätze  von  Nordhoff  in  den  Bonner  Jahrbüchern  1889—91.  In 
Paderborn  hat  der  übrigens  gotische  Dom  den  1009— 1036  erbauten 
Westbau  im  Kerngemäuer  bewahrt  ;  das  Turmdach  von  1558  (Taf.  214); 
der  untere  3  m  dicke  quadratische  Mittelbau  steigt  zu  einer  sonst  uner- 
hörten Höhe  empor,  das  Erdgeschoss  wird  ursprünglich  als  Chor  gedient 
haben.  Der  wenig  später  (1062—71)  entstandene  Dom  von  Minden 
zeigt  im  Grundriss  die  nämliche  Anlage,  die  aber  im  Aufbau  etwa 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


573 


ioo  Jahre  nachher  beträchtliche  Veränderungen  erfahren  hat.  Der  im 
mittleren  Abschnitt  liegende  Mauerbogen  und  die  von  dessen  Anfängern 
ausgehenden  lotrechten  Fugen  sind  am  wahrscheinlichsten  auf  einen 
ehemaligen  Westchor  mit  Glockenhaus  zu  deuten,  an  dessen  Stelle  die 
jetzige  Vorhalle  trat;  gleichzeitig  wurde  der  Anbau  in  seine  gegenwärtige 
Gestalt  gebracht.  Eine  ähnliche  Veränderung  erkennt  man  am  Dom 
von  Hildesheim.  Die  im  Jahre  1839  abgebrochene  Fassade  (vgl.  die 
nebenstehende  Figur)  war  der  Mindener,  wie  sie  jetzt  ist,  so  ähnlich, 
dass  sie  notwendig  als  deren  Vorbild  betrachtet  werden  müsste,  falls 
sie  wirklich  der  Bauperiode  unter  Hezilo  (beg.  1054)  angehört.  Diese 
Fassade  war  aber  nur  einer  älteren  im  Schema  von  Corvei  gehaltenen 
vorgeblendet;  die  zwei  Türme  sind  davon  im  Grundriss  noch  erhalten, 
angeblich  auch  bestimmte  Indizien  für  eine  Westapsis  und  einen  Vor- 
hof. Vermutungsweise  stellen  wir  in  diese  Reihe  auch  den  Dom  von 
Münster,  dessen  Westbau  in  den  Grundmauern  (Taf.  167)  noch  auf 
die  Bauepoche  von  107 1 — 90  zurückgehen  könnte.  Die  Fassaden  von 
Paderborn  und  Minden  machen  in  ihrer  wuchtigen  Simplizität  einen 
starken  Eindruck;  bei  geringeren  Abmessungen  aber  sinkt  das  System 
zu  blosser  Roheit  und  Unbeholfenheit  herab,  wie  in  Wunstorf  und 
Fischbeck  (Taf.  211)  oder  am  Dom  von  Havei.bf.rg  (Adler,  Backstein- 
bauten). 

Eine  Reduktion  des  eben  beschriebenen  Typus  ist  der  einfache 
Westturm.  Er  ist  im  entwickelten  romanischen  Stil  des  Nieder- 
rheins und  Westfalens  die  bei  weitem  häufigste  Erscheinung.  Der 
Turm  liegt  mit  den  Stirnwänden  der  Seitenschiffe  nicht  in  gleicher 
Fluchtlinie,  sondern  springt  in  der  Breite  des  Mittelschiffs  vor.  Die 
Herkunft  aus  dem  Westchor  klingt  im  Mangel  einer  Thür  und  in 
der  inneren  Empore  nach;  die  Proportionen  sind  meist  breit  und 
niedrig;  zuweilen  sind  die  gesonderten  Treppentürmchen  beibehalten. 

Für  Westfalen  vergleiche  man  die  Grundrisse  Taf.  167.  Für  den 
bäuerischen  Charakter  der  westfälischen  Kunst  ist  diese  Genügsamkeit 
bezeichnend.  Künstlerisch  bedeutsamere  Durchbildung  fand  das  Motiv 
am  Niederrhein.  (Zuweilen  tritt  zu  dem  dominierend  bleibenden  west- 
lichen Einzelturm  ein  kleines  östliches  Paar  hinzu  —  wovon  später.) 
Beispiele :  S.  Adalbert  und  S.  Salvator  in  Aachen,  S.  Jakob  und  S.  Ur- 
sula in  Köln,  Klosterrat,  Aldeneyk,  Gladbach,  Linz  und  mehrere 
belgische  Kirchen  —  am  grossartigsten  die  Abteikirche  Brauweiler, 
die  Apostelkirche  in  Köln  (Taf.  211),  beide  mit  niedrig  flankierenden 
Treppentürmchen,  und  besonders  S.  Patroklus  in  Soest  (Taf.  214),  ein 
spätromanisches,  mehr  rheinisch  als  westfälisch  geartetes  Werk:  das 
Obergeschoss  der  Vorhalle  diente  als  städtische  Rüstkammer. 


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574 


Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


Alle  bisher  betrachteten  Dispositionen  stehen  unter  näherem 
oder  entfernterem  Einfluss  der  Sitte  des  Doppelchors.  Wohl  erkennt 
man  die  fortschreitend  bevorzugende  Heraushebung  des  Westbaus; 
bis  zu  konsequenter  Charakteristik  desselben  als  Stirnbau  kam  es  in 
der  obigen  Entwicklungsreihe  aber  nicht.  Ihr  tritt  eine  andere  gegen- 
über, deren  Voraussetzung  ist,  dass  das  westliche  Ende  der  Kirche, 
für  den  Altardienst  nicht  mehr  in  Anspruch  genommen ,  ganz  und 
rein  wieder  Eingangsseite  geworden  ist.  Als  solche  hat  sie  zwischen 
der  Welt  und  dem  Heiligtum  zu  vermitteln ,  jene  zum  Eintritt  in 
dieses  einzuladen,  dieses  vor  feindlichem  Angriff  jener  zu  schützen. 
Ausdruck  der  einen  Verrichtung  ist  die  nun  wieder  frei  liegende,  sei  es 
mit  einem  stattlichen  Portal  oder  sei  es,  noch  bezeichnender,  mit  einer 
breiten  Halle  sich  Öffnende,  obenwärts  mit  dem  Giebeldreieck  ab- 
schliessende Stirnwand  des  Mittelschiffs ;  Ausdruck  der  andern  Verrich- 
tung die  zu  beiden  Seiten  sich  erhebenden  Türme  —  eine  spontane 
Erneuerung  derselben  Bauidee,  welche  die  Pylonen  der  ägyptischen 
Tempel  und  die  Fassaden  der  syrischen  Kirchen  des  6.  Jahrhunderts 
geschaffen  hatte.  Diese  neue  Formel  ist  indes  nicht  in  Deutschland 
entstanden.  Sie  kommt  hierher  aus  Cluny.  Für  die  Rhein-  und  Main- 
gegenden wird  sie  durch  das  Kloster  Limburg,  für  Schwaben  und  Bayern 
durch  das  Kloster  Hirsau  vermittelt.  Einmal  in  die  deutsche  Baukunst 
eingetreten,  entwickelt  sie  sich  dann  in  dieser  selbständig  weiter. 

Limburg  a.  d.  Hardt,  gestiftet  durch  Kaiser  Konrad  II.  1025,  die 
drei  Altäre  der  Krypta  geweiht  1035,  jetzt  Ruine;  sorgfältige  Aufnahme 
und  Restauration  in  der  Monographie  von  W.  Manchot,  Mannheim 
1892;  danach  unsere  Abbildung  Taf.  48  (nach  Geier  und  Görz)  in 
Einzelheiten  richtig  zu  stellen.  Der  Westbau  zerfiel  analog  den  Schiffen 
in  drei  Abteilungen;  die  mittlere  bildete  im  Erdgeschoss  eine  nach 
aussen  in  drei  Bogenstellungen  sich  öffnende  Halle;  über  ihr  eine  Em- 
pore (etwa  als  kaiserliche  Loge  dienend;  rechts  und  links  davon  die 
viereckigen  Türme,  deren  Erdgeschoss  Vorhalle  der  Seitenschiffe  war,  so 
dass  die  Treppenaufgänge  zur  Empore  in  besondere  kleine  Rundtürrae 
verlegt  waren ;  in  die  mittlere  Halle  trat  man  jedoch  nicht  direkt  ein, 
sondern  durch  ein  Atrium  von  gleicher  Breite  (die  auf  Taf.  48  nach 
Geier  und  Görz  angegebenen  Seitenflügel  irrig);  es  war  zweifellos  ge- 
deckt, anscheinend  mit  einem  Sparrendach ,  und  in  den  Seitenmauern 
von  Bogenstellungen  nach  der  Art  eines  Kreuzganges  durchbrochen. 
Für  den  oberen  Abschluss  der  Fassade  liegen  keine  Indizien  vor,  doch 
kann  es  sich  zwischen  den  Türmen  nur  um  einen  Giebel  gehandelt 
haben.  Diese  Anlage  des  Westbaus  ist  —  soweit  unser  Wissen  reicht, 


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Fünfrehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


575 


zum  erstenmal  auf  deutschem  Boden  —  die  genaue  Erfüllung  der  in 
der  Cluniacenserkongregation  geltenden  Bauvorscbrift :  duae  turres  sint 
in  ipsius  fronte  statu  tae  et  subter  ipsas  atrium ,  und  selbst  die  Eigen- 
tümlichkeit, dass  mehrere  Stufen  zuerst  ins  Atrium,  dann  in  die 
Vorhalle  und  noch  einmal  in  das  Schiff  der  Kirche  hinabführen,  teilt 
Limburg  mit  Cluny  (s.  unten).  Diese  Beeinflussung  durch  Cluny  in 
einem  offenbar  liturgisch  für  bedeutsam  gehaltenen  Teil  der  Kompo- 
sition würde  sich  allein  schon  durch  die  geographische  Lage  hinläng- 
lich erklären;  wir  wissen  aber  ausserdem,  dass  der  Abt  Poppo  von 
Stablo,  dem  der  Kaiser  die  Leitung  Limburgs  in  der  Erbauungszeit 
übergeben  hatte,  ein  energischer  Anwalt  der  cluniacensischen  Richtung 
war.  (Die  Einwendungen  Manchots  halten  wir  nicht  für  stichhaltig; 
vgl.  unsere  Recension  im  Repertorium  f.  Kunstw.  XV.)  —  Ein  zweites 
Kloster,  das  Poppo  unterstellt  war  und  gleichzeitig  mit  Limburg  einen 
Neubau  erhielt,  ist  Echternach;  leider  aber  ist  gerade  der  Westbau 
hier  zerstört;  dafür  besteht  noch  die  Tochterstiftung  Echternachs  am 
Niederrhein,  Susti-rn,  und  hier  finden  sich  in  der  That  die  Doppel- 
türme wieder  in  jener  Gegend  zum  erstenmal  (Taf.  215);  ein  zweites 
Beispiel  die  abgebrochene,  aber  in  Zeichnung  (Otte,  Baukunst,  S.  280) 
überlieferte  Kirche  Silgbirg,  ausserdem  auch  im  Chor  mit  deutlich 
cluniacensischen  Merkmalen. 

Ein  zweiter  Faden  führt  nach  Hessen.  Der  Bauherr  von  Limburg 
war  auch  Erneuerer  von  Hbrsfku).  Die  nahe  Verwandtschaft  mit 
Limburg  im  inneren  Aufbau  der  Schiffe  ist  augenfällig.  Der  erst  nach 
Poppos  Tode  ausgeführte  Westbau  zeigt  einen  merkwürdigen  Kom- 
promiss  des  neuen  Systems  mit  dem  altgewohnten  des  Westchors. 
Derselbe  ist  nämlich  in  zwei  Geschosse  geteilt,  von  denen  das  zu 
ebener  Erde  viereckigen ,  das  obere  halbrunden  Grundriss  hat  (Taf.  40 
u.  55).  Nur  letzteres  diente  als  Chor,  das  erstere  dagegen  bildete 
eine  tiefe,  nach  der  Tonne  überwölbte,  in  einem  weiten  Bogen  sich 
öffnende  Vorhalle.  Die  Türme  sind,  ihrer  späten  Ausführungszeit  ge- 
mäss, hoch  und  schlank,  doch  sicher  gleichzeitig  mit  den  Schiffen 
konzipiert. 

Weniger  sicher  ist  der  vermutete  Einfluss  Poppos  für  den  Dom  von 
Speier  (Bau  Konrads  II  und  Heinrichs  III).  Seine  gegenwärtige  Gestalt 
(Taf.  221)  hat  er  im  12.  Jahrhundert  erhalten,  unter  dem  Einfluss  der 
Nachbardome  von  Mainz  und  Worms.  Da  wir  wissen,  dass  noch  der  Bau 
Heinrichs  IV.  der  Zentraltürme  entbehrte,  ist  dieses  um  so  sicherer  für 


')  Wir  tragen  hier  nach,  dass  Fisenne,  Baudenkmäler  am  Niederrhein,  dem  Ost- 
bau von  Sustern  ausser  den  Nebenchören  noch  kleinere  Nebenapsiden  am  Querschiff 
gibt  (auf  unserem  nach  Cuypers  gezeichnetem  Grundriss,  Taf.  47,  fehlen  sie  leider),  so 
dass  eine  überraschende  Aehnlickheit  mit  den  burgundischen  Anlagen  dieser  Zeit 
(Taf.  121)  besteht. 


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576 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


den  Urbau  anzunehmen.  Es  verbleiben  für  denselben  als  wahrschein- 
lich vier  Ecktürme,  ein  Paar  im  Westen,  ein  zweites  im  Osten.  Das- 
selbe dürfte  in  Echternach  der  Fall  gewesen  sein,  welches  gleichzeitig 
und  ebenfalls  in  Beziehung  zu  Poppo  erbaut  wurde;  die  Ausführung 
der  Türme  ist  hier  zwar  gotisch,  aber  ihre  Stellung  im  Grundriss  alter- 
tümlich. Ferner  findet  sich  diese  bis  dahin  in  Deutschland  unbekannte 
Disposition  an  dem  a.  1042  begonnenen,  noch  im  11.  Jahrhundert  zu 
Ende  geführten  Dom  von  WCrzburg,  wo  der  Doppeleinfluss  von  Speier 
und  Hersfeld  klar  zu  Tage  liegt.  Endlich  schliessen  wir  vermutungs- 
weise noch  den  Dom  von  Bamberg  an,  erbaut  zu  Ende  des  11.  Jahr- 
hunderts durch  Bischof  Otto,  dessen  Anteil  am  Speierer  Dom  bekannt 
ist ;  die  Erneuerung  des  13.  Jahrhunderts,  durch  welche  er  seine  gegen- 
wärtige Gestalt  erhielt,  hat  anerkanntermassen  den  Grundriss,  ja  be- 
trächtliche Teile  des  Hochbaus  vom  Werke  Ottos  beibehalten ;  nicht 
unwahrscheinlich  also,  dass  auch  die  jetzt  mit  Würzburg  und  Speier 
(Fassung  des  11.  Jahrhunderts)  übereinstimmende  Stellung  der  Türme 
schon  durch  Ottos  Bau  gegeben  war. 

Bevor  wir  der  Verbreitung  der  westlichen  Fronttürme  in  Sud- 
deutschland nachgehen,  müssen  wir  festzustellen  versuchen,  was  als 
einheimische  Art  dort  vorher  gegolten  hatte.  In  frühromanischer  Zeit, 
wie  oben  gezeigt,  fand  der  Baugedanke  der  Turmgruppe  nur  schwachen 
Widerhall.  Noch  im  12.  Jahrhundert  sind  isolierte  Türme  nichts 
seltenes  und  als  deren  Nachwirkung  Einzeltürme,  die  zwar  mit  dem 
Körper  der  Kirche  zusammenhängen,  aber  in  unsymmetrischer  Stellung 
zur  Hauptachse  (z.  B.  Taf.  231,  Fig.  1).  Die  Inkorporierung  der  Türme 
scheint  erst  um  die  Mitte  des  11.  Jahrhunderts  allgemeiner  geworden 
zu  sein.  Sie  geschah  nach  einer  allem  bisher  von  uns  kennen  gelernten 
fremd  gegenüberstehenden  Idee.  Die  spezifisch  süddeutsche  Turmstellung 
ist  nämlich  die  östliche:  entweder  ein  Einzelturm  über  dem  Ende 
des  Mittelschiffs  oder  ein  Turmpaar  über  den  Enden  der  Seitenschiffe. 
Sie  sind  allein  und  von  Anfang  an  als  Glockenträger  zu  verstehen; 
steinerne  Treppen  sind  nicht  vorhanden ;  also  werden  die  Glocken 
an  einem  ins  Schiff  hinabhängenden  Strang  geläutet  sein.  Man  nehme 
hinzu,  dass  diese  Kirchen  des  Querschiffes  gewöhnlich  entbehren  oder 
dass  dasselbe  im  Westen  liegt,  und  man  wird  ermessen,  wie  sehr  ihre 
Gesamterscheinung  vom  norddeutschen  Typus  abweicht;  vgl.  Taf.  211, 
Fig.  3- 

Oestliche  Einzeltürme,  zum  Teil  direkt  über  dem  platt  schliessenden 
Chor,  finden  sich  in  Nordschwaben  bis  in  späte  Zeit:  Oberstenfeld. 
Brackenheim,  Schwaigern,  Simmersfeld,  Weinsberg  (durch  den  Dom- 
propst Benno,  nachher  Bischof  von  Osnabrück,  nach  Hildesheira  ver- 
pflanzt :  Kirche  auf  dem  Moritzberge).  Für  die  Zweizahl  der  Osttürme 
dürfte  der  Dom  von  Augsburg  das  älteste  Beispiel  (A.  saec.  11)  geben; 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


577 


hier  sind  sie  noch  seitlings  an  die  Niederschiffe  angelehnt,  ähnlich  den 
gleichzeitigen  Teilen  des  Domes  von  Mainz,  wie  in  den  wenig  jüngeren 
des  Domes  von  Merseburg  (in  Sachsen  sonst  durchaus  fremd).  Be- 
reits Uber  den  Seitenschiffen,  aus  deren  Schlussrand  hervorwachsend, 
in  der  Unterzeller  Kirche  auf  Reichenau  ;  sicher  nicht  karolingisch.  wie 
Adler  will,  sondern  jünger,  wohl  erst  saec.  n.  Weitere  Beispiele: 
Murrhart  in  Schwaben,  Altenstädt  an  der  schwäbisch- bairischen 
Grenze  (Taf.  251),  S.  Jakob  in  Regensburg,  der  Dom  von  Eichstatt, 
Kastel  in  der  Oberpfalz,  S.  Jakob  in  Bamberg;  in  Unterfranken  S.  Jakob 
in  Würzburg,  Oberzell,  Münchsteinach,  Neustadt  a.  M.,  Auro  bei 
Kissingen.  Ferner  sind  Osttürme  am  ganzen  Lauf  des  Rheins  (und 
auch  in  Nordfrankreich)  bekannt,  von  der  süddeutschen  Anlage  sich 
dadurch  jedoch  unterscheidend,  dass  sie  nicht  allein  für  sich,  sondern 
immer  als  Teile  einer  mehrtürmigen  Komposition  auftreten.  Ihre 
eigentümliche  Stellung  im  elsässischen  Cluniacenserkloster  Murbach 
(Taf.  228)  nicht  an,  sondern  über  dem  Querschiff  geht  direkt  auf 
Cluny  (die  jüngere  Kirche)  zurück,  vgl.  Taf.  212. 

Den  entgegengesetzten  Formgedanken  spricht  die  Anlage  von 
zwei  Westtürmen  aus.  Sie  ist  im  12.  Jahrhundert  ebenso  häufig, 
wie  die  oben  beschriebenen ,  setzt  aber  später  ein ,  erst  mit  dem 
Ende  des  n.  Jahrhunderts.  Wie  am  Rhein  ist  sie  auch  hier  eine 
Begleiterscheinung  der  cluniacensischen  Klosterreform.  Im  Elsass, 
welches  derselben  zunächst  offen  lag,  sind  Beispiele  aus  dem  11.  Jahr- 
hundert nicht  erhalten.  Die  typische  Behandlung  der  elsasser  Fassa- 
den im  12.  Jahrhundert  —  Westtürme  mit  zwischenliegender  offener 
Voihalle:  Maursmünster,  Odilienberg,  Lautenbach,  Schlettstadt  — 
lässt  aber  keinen  Zweifel  über  ihre  Herkunft.  Für  Schwaben  und 
Baiern  übernahm  die  Mittlerrolle  Hirsau.  Dieses  wie  kein  anderes 
einflussreiche  Kloster  (vgl.  S.  209—212)  stellte  durch  seine  zwei  Kirchen 
zwei  Fassungen  für  die  Anordnung  der  Türme,  eine  knappere  und  eine 
vollere,  auf.  Die  ältere  und  kleinere  Aureliuskirche  (Taf.  230)  besitzt 
zwei  Westtürme,  aber  ohne  die  offene  Vorhalle  Limburgs  und  der 
Elsässer  Kirchen.  Dagegen  in  S.  Peter  und  Paul  ist  die  Vorhalle  nach 
dem  Muster  von  Cluny  zu  einer  förmlichen  Vorderkirche ')  ausgebildet, 
die  sich  in  der  vollen  Breite  des  Schiffes  zwischen  diese  und  das 
Turmpaar  einschiebt  und  woraus  sich  für  das  ganze  eine  ungewöhnlich 
gestreckte  Form  ergibt.  Dies  mag  den  Anlass  gegeben  haben,  ein 
zweites  östliches  Turmpaar  einzuschieben.  Ob  auch  hierfür  das  bur- 
gundische Mutterkloster  das  Vorbild  gegeben  habe,  ist  eine  unbeantwort- 


')  Nach  Hager  in  Münch.  Allg.  Ztg.  1891,  Beilage  297,  ursprünglich  (a.  1091) 
ein  offener  Vorhof  mit  dreibogiger .  von  zwei  Türmen  flankierter  Vorhalle ;  erst  im 
12.  Jahrhundert  in  basikale  Vorderkirche  verwandelt. 


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57§ 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


bare  Frage ;  näherliegend  und  ausreichend  wäre  die  Erklärung  aus  dem 
heimischen  Formenkreise,  wobei  allerdings  insofern  eine  Veränderung 
eintritt,  als  die  Türme  nicht  zu  beiden  Seiten  des  Chors,  sondern  in 
die  westlichen  Winkel  des  QuerschifTs  gestellt  werden. 

Ungeschmälert  wurde  der  Typus  von  S.  Peter  und  Paul  zu 
Hirsau  nur  in  den  thüringisch-sächsischen  Bauten  der  Schule  wieder- 
gegeben: in  Paulinzelle  (Taf.  211),  Burgelin,  Lieberauen  in  Halbib- 
stadt  und  (projektiert,  aber  nicht  ausgeführt)  in  Hamerslebek.  Der 
genügsamere  Sinn  der  Süddeutschen  Hess  Vereinfachungen  eintreten, 
sei  es  nun,  dass  man  sich  im  Laufe  des  Baues  erst  zu  ihnen  verstand, 
wie  in  Ellwakgex  (Ta.(.  230),  oder  dass  sie  von  Anfang  an  zum  Plan 
gehörten.  Dabei  trat  die  Alternative  ein ,  entweder  auf  die  West- 
türme sich  zu  beschränken  fz.  B.  in  Heidenheim,  Ahnhausen,  Plank- 
Stetten  in  Franken ,  S.  Michael  in  Bamberg  ,  Breitenau  in  Hessen  , 
oder  allein  die  Osttürme  beizubehalten  (z.  B.  Biburg,  Pruferixg, 
Reichenbach  am  Regen).  —  Ausserhalb  der  Kongregation,  doch  erkenn 
bar  unter  ihrem  Einfluss,  zeigen  sich  Westtürme  zuerst  (1089)  am  Dom 
von  Konstanz,  als  Werk  Bischof  Gebhards  III.,  eines  ehemaligen  Hir- 
sauer Mönches.  In  Ostschwaben  gehören  Thierhauptex  und  Stein- 
gaden' ^Taf.  231)  schon  tief  ins  12.  Jahrhundert.  Ebenso  in  Baiern 
und  den  Ostmarken  nicht  vor  dieser  Zeit ;  Beispiele  :  Dome  zu  Freisixc 
und  Brixen,  Klosterkirchen  Niedermünster  in  Regensburg,  Altötting, 
Berchtesgaden,  Seeon,  Seckau,  S.  Paul  im  Lavaxt. 

Die  Summe  der  bisher  geschilderten  Bestrebungen  zog  der 
Uebergangsstil.  Er  verdient  daher  seinen  hergebrachten  Namen 
hinsichtlich  des  Aussenbaus  am  wenigsten.  Denn  von  einem  Ver- 
langen, die  überlieferten  Grundlagen  zu  verlassen,  oder  gar  von  einer 
positiv  gotischen  Tendenz  —  welche  soviel  bedeutet  wie  Verein- 
fachung des  Gruppenbaus  —  ist  nichts  zu  spüren.  Im  Gegenteil,  die 
früh  gewonnene  Freude  an  lebensvollem  Rhythmus  der  Massen,  an 
bewegter,  abwechslungsreicher  Silhouette  bethätigt  sich  jetzt  in  der 
Schlussepoche  des  Romanismus  bewusster  und  energischer  denn  je. 
Neue  Motive  treten  nicht  mehr  auf.  Das  Bestreben  ist,  über  die 
vorhandenen  möglichst  frei  zu  schalten,  sie  möglichst  individuell  abzu- 
schattieren, sie  zu  möglichst  reichen  Akkorden  zu  mischen.  Die 
provinziellen  Schranken  sind  gefallen,  wir  sehen  verschiedenartigstes 
Örtlich  nahe  bei  einander  stehen,  gleichartiges  in  weiten  Entfernungen 
auftauchen.  Wenn  auf  den  früheren  Stufen  des  Stils  die  innere  Raum- 
gestaltung das  erste  und  bestimmende  war,  so  wirkt  jetzt  häufig 
umgekehrt  die  erstrebte  Aussenansicht  auf  den  Grundplan  ein.  Die 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


579 


langgestreckten  Anlagen,  in  denen  das  1 1.  Jahrhundert  sich  ergangen 
hatte,  finden  keine  Nachahmung,  weil  sie  die  Türme  zu  weit  aus- 
einanderhalten, vielmehr  werden  im  Interesse  geschlossener,  stufen- 
weise aufsteigender  Komposition  die  Vorderschiffe  verkürzt,  das  Kreuz- 
schiff  machtvoll  erweitert.  Im  Zusammenhang  damit  gelangt  die  in 
der  mittleren  Zeit  vernachlässigt  gewesene  Form  der  Kuppel  und  des 
Zentralturmes  wieder  zu  hoher  Gunst.  Kurz,  die  karolingischen, 
zentrale  und  longitudinale  Bauweise  verschmelzenden  Baugedanken 
erleben  eine  Wiedergeburt  auf  höherer  Stufe. 


S   Maria  im  Capitol  in  Köln,  Oitbau. 


Wir  wenden  den  Blick  zuerst  auf  die  grossen  mittelrheinischen 
Dome.  Sie  erfuhren  zu  Ende  des  12.  und  Anfang  des  13.  Jahrhunderts 
eine  Erneuerung  der  Gewölbe,  welche  Gelegenheit  man  nicht  unbenützt 
vorübergehen  liess,  den  Effekt  des  Aussenbaus  nach  dem  Sinne  der 
Zeit  zu  steigern.  Der  Dom  von  Speier  war  in  seiner  ersten  Gestalt, 
wie  man  sich  erinnert,  ein  ausgeprägter  Langbau,  wahrscheinlich  mit 
je  einem  Turmpaar  an  beiden  Enden.  Heinrich  IV.  gab  ihm  eine 
östliche  Vierungskuppel,  die  aber  nach  aussen  wenig  hervortrat;  erst 
die  dritte  Bauepoche  erhöhte  sie  auf  zwei  Geschosse  und  fügte  die 
westliche  Vierungskuppel  über  einem  Querbau  hinzu  (Taf.  221).  Um 
dieselbe  Zeit  erhielt  der  Dom  von  Worms  seine  jetzige  Gestalt  (Taf.  227); 
die  Gruppierung  wirke  nur  bei  beträchtlich  verkürzter  Perspektive 
ganz  befriedigend.  Die  vollkommenste  Lösung  innerhalb  dieses 
Typus  ist  in  Laach  (Taf.  221)  gefunden,  wo  das  Langhaus  eine  relativ 
geringere  Ausdehnung  hat  und  die  Kuppeldächer  die  Flankentürme 
überragen.  Auch  in  Mainz  ging  man  von  der  gleichwertigen  Ausbildung 
des  Ost-  und  des  Westbaus,  die  im  Geiste  der  ersten  Bauzeit  (Anfang 
des  12.  Jahrhunderts)  gelegen  hatte,  später  ab  und  stellte  dem  östlichen 
Zentralturm  (Taf.  218),  so  mächtig  er  war,  einen  noch  mächtigeren  im 


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5  So 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Westen  gegenüber  ;Täf.  219);  die  Flankentürme  wurden  dagegen  zu 
untergeordneten  Trabanten.  Der  letztere  Fall  wird  nun  ein  häufiger : 
das  Kuppelgehäuse  tritt  nicht  mehr  als  breite  und  niedrige  Masse  zu 

seinen  schlanken  Begleitern  in  derben 
Kontrast,  sondern  es  wird  ihnen  ange- 
ähnelt, folglich  turmartig  hoch  gebildet: 
so  in  Bonx  '),  Gelnhausen,  Neuweiler. 
Gebweiler  11.  a.  Prägnanteste  Gestalt 
nimmt  der  Gedanke  in  denjenigen  Kir- 
chen an ,  die  auf  alles  Turmwerk  ausser 
dem  einen  Zentralturm  verzichten,  oder 
doch  die  Nebentürme  zu  blossen  Andeu- 
tungen herabdrücken.  Beispiele  dieser  bis 
dahin  in  Deutschland  nicht  bekannten 
Anordnung  kommen  den  ganzen  Rhein 
entlang  zahlreich  vor:  in  Rosheim,  Hoch- 
Atzesheim,  S.  Stephan  in  Strassburg, 
Oi fexbach  am  Glan,  Seebach,  Sayn,  Sin- 
zig, Heimersheim,  Gernsheim  —  durchweg 
ziemlich  kleine,  aber  anziehende  Werke, 
unter  denen  den  Preis  feinsten  Kompo- 
sitionsgefühles Sinzig  (Taf.  225)  davon- 
trägt. Auch  das  Münster  auf  dem  May- 
feld  ist  hierher  zu  rechnen,  da 
der  Zentralturm  offenbar  beabsich- 
tigt war  und  erst  vom  gotischen 
Fortsetzer  aufgegeben  wurde. 

Breiter  entfaltet  sich  das 
zentralisierende  Prinzip  in  der 
von  der  Kapitolskirche  zu  Köln 
ausgehenden  Familie.  Die  Stamm 
kirche  selbst  gibt  die  Idee  noch 
verhüllt,  indem  der  Hochbau 
nicht  hält,  was  der  Grundriss 
verspricht.  Man  erkennt  dann 
den  Geist  des  Jahrhunderts,  in 
dem  sie  entstand;  der  im  Jahr  1049  geweihte  Erneuerungsbau  wollte 
die  überlieferte  Zentralanlage  zwar  nicht  ganz  verdrängen,  wohl  aber 
sie  thunlichst  der  basilikalen  annähern;  so  führte  er  die  Obermauern 
des  Langschi fTes  über  die  Vierung  weg  bis  zur  östlichen  Kirche.  Um- 


Gro*»-S. -Martin  in  Köln,  Ostbau. 


')   Oer  Helm,  wie  ihn  Taf.  226  zeigt,  ist  nicht  der  ursprüngliche,  di 
beträchtlich,  wohl  um  mehr  ah  die  Hälfte,  niedriger. 


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Fünfzehntes  Kapitel  :  Der  Aussenbau. 


58l 


gekehrt  war  den  Nachahmungen  aus  der  Zeit  des  Uebergangsstiles  an 
dem  ungewohnten  Grundriss  nichts  wichtiger,  als  der  in  ihm  enthaltene 
Anreiz  zu  prachtvoller  Gruppenentfaltung  im  Sinne  zentraler  Aufgipfe- 
lung.  Den  Anfang  macht,  bald  nach  der  Mitte  des  12.  Jahrhunderts, 
die  Kirche  von  Schwarzrheindorf  (S.  551),  trotz  ihrer  kleinen  Dimen- 
sionen nach  dem  Masse  damaligen  Könnens  eine  kühne  Konstruktion. 
Ein  höheres  Ziel  stecken  sich  die  Kölner  Kirchen  S.  Aposteln  und 
S.  Martin.  (Zum  Vergleiche  mit  den  perspektivischen  Ansichten  auf 
Taf.  223  fügen  wir  hier  in  kleinem  Massstabe  die  geometrische 
hinzu.)    Sie  sind  um  die  Wende  des  12.  zum  13.  Jahrhundert,  sicht- 


S.  Aposteln  in  Köln.  Ostbau. 


lieh  im  Wetteifer  miteinander,  erbaut,  bei  gleichem  Grundgedanken 
doch  die  Spitze  der  Lösung  verschieden  wendend.  Beide  waren 
Mutationsbauten  mit  der  Vorschrift,  Teile  eines  älteren  Langhauses 
mit  dem  neuhinzukommenden  Ostbau  zu  verschmelzen ,  und  bei 
beiden  war  durch  topographische  Verhältnisse  (umfängliche  Kloster- 
anlagen auf  der  einen ,  Bürgerhäuser  auf  der  anderen  Langseite)  ein 
Gesamtüberblick  ausgeschlossen.  Konstruiert  man  denselben  aus  der 
Kavalierperspektive,  so  ist  das  zustandekommende  Bild  nichts  weniger 
als  harmonisch  (Taf.  211,  Fig.  2).  Allein  darauf  brauchte  es  den  Er- 
bauern auch  nicht  anzukommen,  sondern  allein  auf  die  Ostansicht, 
welche  sie  als  eine  für  sich  allein  bestehende  zentralbaumässig  be- 
handelten. —  Wir  betrachten  zuerst  die  Apostelkirche.  Sie  darf  inso- 
fern die  vollkommenste  der  Kompositionen  dieser  Art  heissen,  als 
alle  Abstufungen  des  äusseren  Aufbaus  durch  den  Grundriss  genau 
motiviert  sind.    Den  Kern  bildet  die  Vierung  mit  den  sich  anschlies- 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


senden  kurzen  Kreuzarmen;  treten  die  letzteren  mit  ihren  Giebeln 
kräftig  hervor,  so  ist  jene  durch  einen  breiten  achteckigen  Kuppelturm 
bezeichnet,  dessen  krönende  Laterne  die  Bekanntschaft  des  Meisters 
mit  byzantinischen  Bauten  —  er  mochte  sie  auf  einer  Fahrt  ins  Heilige 
Land  gesehen  haben  —  erweist.  Das  gleicharmige  Kreuz  des  Mittel- 
baus nun  wird  von  Anbauten  umringt,  in  denen  in  mehrfacher  Ordnung 
die  Kreislinie  herrscht.  Besonders  geistreich  sind  die  schlanken  Türme 
aus  den  Winkeln  des  Kreuzes  entwickelt,  »gleichsam  wie  durch  den 
Druck  der  mächtigen  Konchen  hervorgetriebenc,  und  durch  ihre  Zwei- 
zahl die  Strenge  der  zentralistischen  Symmetrie  (welche  die  Vierzahl 
gefordert  hätte)  anmutig  durchbrechend.  —  War  die  Apostelkirche 
ostwärts  gegen  einen  freien  Platz  gelegen ,  so  wurde  S.  Martin  auch 
nach  dieser  Seite,  obgleich  dem  Rheinstrome  nah,  von  dem  Häuser- 
gewirr der  Uferstrasse  bedrängt.  Der  Nachdruck  wurde  deshalb  auf  die 
überragende  Mittelpartie  gelegt  und  diese  so  berechnet,  dass  sich  die 
günstigste  Ansicht  für  die  auf  dem  Strome  Ankommenden  ergiebt. 
Die  im  Vergleich  mit  der  Apostelkirche  abstraktere  Durchfuhrung 
des  Pyramidalgedankens  gewinnt  aus  diesen  Umständen  ihre  volle 
Berechtigung. 

Dass  die  altherkömmliche  Form  des  westlichen  Einzelturms  in 
dieser  Epoche  besonders  stattliche  Exemplare  hervorbringt,  haben  wir 
schon  gesehen;  speziell  niederrheinisch  ist  die  Verbindung  mit  einer 
westlichen  Querhalle,  welcher  der  Turm  entweder  vorgelegt  wird  (Brau- 
weiler, S.  Aposteln  in  Köln)  oder  aus  welcher  er  herauswächst  (S.  Mau- 
ritius und  S.  Kunibert  in  Köln,  S.  Quirin  in  Neuss,  Taf.  360);  für  ein 
leichtes  Gegengewicht  sorgt  ein  Paar  schlanker  Osttürmchen.  Oder: 
es  fällt  auf  die  Ostturme  ein  stärkerer  Accent,  was  in  Verbindung  mit 
der  Apsis  eine  wohlgefügte  Gruppe  ergibt;  doch  bleiben  sie  nur  aus- 
nahmsweise allein  (Boppard,  S.  Gereon  in  Köln,  Taf.  222),  häufiger 
tritt  ein  Mittelturm  hinzu  (Bonn,  Knechtsteden)  oder  hält  ein  zweites 
Paar  am  westlichen  Ende  das  Gegengewicht  (Andernach,  Coblenz. 
Arnstein,  Taf.  224). 

Rheinische  Turmgruppierung  dringt  sodann ,  Hand  in  Hand  mit 
der  Kleeblattstellung  der  Apsiden,  in  die  Niederlande  vor.  In  fast  über- 
trieben bewegtem  Formenspiel  an  der  Liebfrauenkirche  in  Rorrmond. 
Noch  grossartiger  aufgetürmt  die  Kathedrale  von  Toirmay  (Taf.  212); 
im  Ostbau  das  ausgeweitete  Motiv  von  S.  Martin  in  Köln;  wegen  der 
grösseren  Länge  der  Kreuzarme  die  vier  Ecktürme  vom  Mittelturm 
abgerückt;  dann  noch  zwei  Fronttürme;  die  gleiche  Höhe  der  sämt- 
lichen sieben  Spitzen  in  der  perspektivischen  Verschiebung  glücklich 
aufgehoben.  Den  Einfluss  dieses  flandrischen  Werkes  auf  mehrere  der 
wichtigsten  frühgotischen  Bauten  in  Frankreich  haben  wir  S.  487  nach- 
gewiesen.   Nachdem  das  Motiv  der  sieben  Türme  in  der  Kathedrale 


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Fünfzehntes  Kapitel  :  Der  Aussenbau. 


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von  Laon  seine  höchste  Verherrlichung  erlebt  hat,  kehrt  es  von  hier 
aus  nach  Deutschland  zurück.  Die  Bedeutung  von  Laon  für  S.  Georg 
in  Limburg  a.  L.  ist  von  früher  her  (S.  496)  in  Erinnerung.  Die  von 
dort  mitgebrachten  Anregungen  sind  mit  genialer  Freiheit  reproduciert ; 
wie  trefflich  passt  die  Verkleinerung  der  Querschiffstürme  —  sie  waren 
in  Laon  wie  in  Tournay  mit  denen  der  Hauptfront  von  gleicher  Höhe 
—  2U  dem  enger  zusammengenommenen  Grundriss  und  wie  unver- 
gleichlich schön  ist  die  Umrisslinie,  sind  die  Masse  des  Aufbaues  zu 
dem  nicht  sehr  hohen,  aber  steilen  Felsen  ins  Verhältnis  gebracht, 
hart  an  dessen  Rand  die  Kirche  sich  herrschend  hingestellt  hat.  Es  wird 
wenige  Gebäude  in  der  Welt  geben,  auf  die  mit  so  viel  Recht  Vasaris 
Ausdruck  »non  murato,  ma  vcramente  nato«  Anwendung  finden  darf: 
Gleichsam  als  ob  der  Genius  des  Ortes  selbst  am  Werke  mitgearbeitet 
habe.  Der  feine  Sinn  für  malerische  Einordnung  des  Bauwerks  in  das 
gegebene  Landschafts-  oder  Städtebild  ist  einer  der  besten  Ruhmestitel 
des  deutschen  Uebergangsstiles,  zumal  des  rheinischen;  ein  so  voll- 
endeter Zusammenklang  von  Kunst  und  Natur,  wie  in  Limburg,  ist 
nirgends  wieder  erreicht  ').  Mit  schmerzlichem  Bedauern  erfüllt  es 
uns,  angesichts  dessen,  was  die  deutsche  Kunst  hier  zu  leisten  ver- 
mocht hat,  dass  zwei  andere  hervorragende  Werke  derselben  Zeit,  die 
Dome  von  Halberstadt  und  von  Magdeburg,  nicht  nach  dem  ersten 
Entwurf  zu  Ende  geführt  wurden.  Der  Dom  von  Halberstadt  zeigt  in 
der  Fassade  (dem  einzigen  noch  romanischen  Bauteil)  so  viel  Anklänge 
an  den  von  Laon,  dass  man  sich  der  Vermutung  nicht  entschlagen 
kann,  auch  in  der  Gesamtdisposition  wäre,  gerade  wie  in  Limburg, 
eine  freie  Bearbeitung  dieses  Vorbildes  beabsichtigt  gewesen.  Mit 
Bestimmtheit  nehmen  wir  dies  für  Magdeburg  an.  Die  Art,  wie  hier 
der  romanische  Unterbau  der  Osttürme  mit  den  Querschi ffsfassaden 
verschmolzen  ist,  lässt  keine  andere  Deutung  zu,  als  dass  jederseits 
noch  ein  zweiter  Turm  symmetrisch  aufsteigen  sollte;  der  Zentralturm 
versteht  sich  dann  beinahe  von  selbst,  wie  denn  überdies  eine  Hin- 
deutung auf  ihn  schon  durch  die  Verstärkung  der  inneren  Pfeiler  an 
dieser  Stelle  gegeben  ist. 

Gegenüber  diesen  im  höchsten  Schwung  der  romanischen  Bau- 
phantasie konzipierten  Werken  nimmt  sich  die  Masse  dessen,  was  sonst 
ostwärts  von  den  Rheinlanden  geschaffen  wurde,  bescheiden  aus.  Sicher 
die  ausgezeichnetste  Leistung,  nicht  hochgemut  und  kraftstrotzend,  wie 
die  rheinischen  Bauten,  dafür  voll  harmonischer  Feinheit  im  Ganzen 
wie  im  reich  geschmückten  Einzelnen,  ist  der  Dom  von  Bamberg 
(Taf.  227);  die  Gruppierung  der  Türme  geht  nach  unserer  früher  be- 

')  Die  von  uns  Taf.  224  mitgeteilte  Zeichnung  Tornows  ist  leider  etwas  abstrakt 
ausgefallen;  malerische  Ansichten  sind  indes  so  verbreitet,  dass  wir  auf  Beigabe  einer 
solchen  füglich  verzichten  zu  dürfen  glaubten. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

gründeten  Vermutung  auf  das  Ende  des  1 1 .  Jahrhunderts  zurück.  Der 
Naumburgkr  Dom  ahmt  auch  hierin  den  von  Bamberg  nach.  In  Süd- 
deutschland überrascht  der  Dom  von  Salzburg  (im  16.  Jahrhundert 
abgebrochen,  aber  aus  Abbildungen  bekannt,  Jahrbuch  der  Central- 
Coram.  1857)  durch  fünf  Türme. 

FRANKREICH. 

Die  bei  Betrachtung  des  Innenbaus  gewonnene  Ansicht,  dass 
Frankreich  in  der  romanischen  Periode  kein  einheitliches  Stilgebiet 
war,  wird  sich  im  nachfolgenden  vollends  bestätigen.  Die  karolingische 
Erbschaft,  das  Prinzip  des  gruppierenden  Rhythmus  der  Massen,  zeigt 
in  den  verschiedenen  Provinzen  sehr  ungleiche  Lebenskraft,  um  so 
stärkere,  je  mehr  der  Bevölkerung  germanisches  Blut  zugemischt  war. 
um  so  geringere,  je  weniger  sie  davon  besass. 

PROVENCE  UND  AQUITANIEN.  Hier  herrschten,  wie  man 
sich  erinnert,  einfache  Säle  und  Hallenanlagen,  beides  gegen  das  in 
Rede  stehende  Prinzip  sich  spröde  verhaltende  Formen.  Die  ersteren 
erscheinen  auch  nach  aussen  als  einfache  Rechtecke,  ohne  vertikale 
Gliederung,  mit  flach  geneigten  Dächern,  bloss  an  der  Chorseite  etwas 
lebhafter  bewegt.  Bei  den  Hallenkirchen  pflegt  das  Mittelschiff  durch 
eine  leichte  Ueberhöhung  hervorgehoben  zu  werden  (Taf.  255,  252, 
Fig.  1).  Die  Kuppelkirchen  geben  entweder  jeder  einzelnen  Kuppel 
ein  besonderes,  auf  einem  niedrigen  Mauercylinder  ruhendes  Zeltdach 
(Taf.  212,  Fig.  4;  251,  Fig.  1.  3),  oder  sie  fassen  die  ganze  Reihe 
unter  ein  gemeinschaftliches  Satteldach,  wie  bei  den  tonnengewölbten 
Sälen,  zusammen.  Ohnedies  fehlten  die  praktischen  Momente,  die  im 
Norden  die  Einverleibung  von  Türmen  in  die  Kirche  angezeigt  sein 
liessen:  es  gab  keine  Emporen,  die  zu  besteigen,  in  der  Provence 
auch  keine  hölzernen  Dächer,  die  zu  beaufsichtigen  gewesen  wären. 
Immer  war  es,  wenn  man  dennoch  das  Dach  zugänglich  machen 
wollte,  bei  der  Mächtigkeit  der  Mauern  ein  leichtes,  aus  dieser  eine 
Wendeltreppe  auszusparen  (Taf.  93,  Fig.  2.  5.  9.  10.  11.  12,  Taf.  100, 
Fig.  5.  6,  Taf.  101,  Fig.  1.  2.  9,  Taf.  102,  Fig.  6).  Sollte  die  Treppe 
geräumiger  sein,  so  trat  ihr  Gehäuse  auch  wohl  ein  wenig  über  die 
Mauerlinie  vor,  jedoch  bezeichnender  Weise  ohne  zu  selbständiger 
Turmbildung  zu  führen  (Taf.  117,  Fig.  3.  5.  6.  7.  11).  Eher  hätten 
die  Kirchen  des  Westens,  die  über  den  Gewölben  noch  hölzerne 
Dächer  anordneten,  Anlass  dazu  gehabt;  allein  die  Ecktürmchen  auf 
Taf.  249  und  an  zahlreichen  ähnlichen  Fassaden  sind  eigentlich  nur 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


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vcrgrösserte  Strebepfeiler  und  ihre  turmartige  Bekrönung  fallt  wegen 
deren  geringer  Höhe  nur  für  die  Fassade,  nicht  für  die  Gesamt- 
gliederung ins  Gewicht.  Zur  Aufhängung  der  Glocken  begnügten  sich 
die  kleineren  Kirchen  mit  einem  freistehenden  gemauerten  Glocken- 
stuhl über  dem  Westgiebel ;  die  grösseren  hatten  isolierte  Kampanilen, 
oft  von  bedeutender  Höhe,  wovon  aus  dem  11.  und  selbst  12.  Jahr- 
hundert eine  ziemliche  Menge  erhalten  ist:  z.  B.  bei  der  Kathedrale 
von  Uzes  {jetzt  in  den  Komplex  späterer  Umbauten  einbezogen),  bei 
S.  Trophime  in  Arles,  bei  der  Kathedrale  von  Le  Puy,  S.  Front  in 
PeYigueux,  S.  Leonard,  Uzerches,  Brantome. 

Auf  die  Dauer  indessen  können  auch  die  Südprovinzen  auf 
lebhaftere  Bewegung  des  Aufbaus  nicht  ganz  verzichten.  Den  An- 
knüpfungspunkt gibt  die  kuppelförmige  Ueberhöhung  der  Vierung, 
beziehungsweise,  bei  querschiflflosen  Anlagen,  der  letzten  Gewölb- 
abteilung vor  dem  Altarhause.  Anfangs  über  den  First  des  Schiffs 
nur  wenig  vorragend,  nimmt  sie  mit  der  Zeit,  doch  wohl  kaum  vor 
Ende  des  1 1.  Jahrhunderts,  die  bedeutsamen  Formen  an,  in  denen  sie 
uns  im  entwickelten  Stil  entgegentritt  und  die  einzige  Anlageart  bleibt, 
worin  in  diesen  Gegenden  der  inkorporierte  Turmbau  durchdringt. 

Für  den  Westen  dürfte  das  Beispiel  von  S.  Martin  in  Tours  von 
Bedeutung  gewesen  sein  (vgl.  S.  561);  im  Osten  sind  die  ältesten  uns 
bekannten  (um  oder  nach  a.  1000)  die  an  der  Kathedrale  von  Le  Puy, 
an  S.  Martin  D'Ainay  bei  Lyon  und  S.  Martin  de  Londres  in 
der  Provence.  Abwechslung  besteht  nur  in  der  Form  und  Zahl  der 
Stockwerke.  In  der  Provence  blieb  der  achteckige  Kuppelturm  von 
massiger  Höhe  die  Regel.  Beispiele:  Notre-Dame  in  Avignon,  Kathe- 
drale von  Cavaillon,  S.  Honorat  in  Arles,  S.  Marie  au  Lac  in  Le 
Thor  (Taf.  257).  In  Aquitanien  dagegen  bei  meist  engerem  Quer- 
schnitt des  Mittelschiffs  ein  wirklicher  mehrgeschossiger  Turm;  die 
Form  dreifach  variiert:  1)  das  erste  Geschoss  kubisch,  das  zweite 
cylindrisch,  der  Helm  konisch  —  heimisch  im  Saintonge  und  Perigord 
mit  Ausläufern  ins  Poitou ;  2)  das  erste  Geschoss  kubisch,  die  folgenden 
achtseitig  —  in  der  Auvergne  und  im  Limousin  mit  Ausläufern  nach 
Toulouse  und  Poitou;  3)  sämtliche  Geschosse  vierseitig,  also  dem 
nordischen  Turmtypus  sich  nähernd  —  Poitou.  Rechnet  man  dazu 
die  in  diesen  Gegenden  selbst  bei  kleinen  Denkmälern  häufige  Anlage 
ausstrahlender  Chorkapellen,  so  gewinnt  man  das  Bild  eines  überaus 
mannigfaltig,  aber  immer  klar  sich  ineinander  schlingenden  Doppel- 
rhythmus der  horizontalen  und  der  vertikalen  Bewegung  —  allerdings 
unter  einseitiger  Bevorzugung  der  östlichen  Standpunkte.   Zu  reichstem 

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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


plastischen  Ausdruck  steigert  sich  das  System  in  der  Auvergne :  gleich 
sam  der  künstlerische  Wiederhall  der  edlen  Naturformen  dieses  Berg 
landes,  Taf.  253,  254.  (Die  westlichen  Turmpaare  einzelner  auvergna 
tischer  Kirchen  sind  jüngeren  Ursprungs  und  verraten  fremden  Einfluss.» 

Gebilde  ganz  anderer  Art  als  die  für  die  Südhälfte  Frankreichs 
typischen  Zentraltürme,  für  sich  betrachtet  wie  in  ihrer  Beziehung  zum 
Kirchengebäude  im  ganzen,  sind  die  Frontaltürme.    Sie  sind  von 
Haus  aus  Festungstürme,  das  charakteristische  Attribut  der  grossen 
Abteien,  die  im  kriegerischen  Wirrsal  der  späteren  Karolinger-  und 
der  Kapetingerzeit  sich  in  starke  Burgen  zu  verwandeln  genötigt 
fanden.  Die  älteste  Form  ist  nicht  wie  in  Deutschland  die  des  Turm- 
paares, sondern  die  des  Einzelturmes.  Er  hat  den  Verteidigern,  wenn 
die  Aussenwerke  genommen  sind,  als  letzter  Stützpunkt  zu  dienen, 
den  Eingang  zur  Kirche  zu  decken;  er  vereinigt  in  sich,  was  die 
Türme  über  den  Stadtthoren  und  die  Donjons  der  Feudalburgen  sind. 
Das  Erdgeschoss  dient  als  Vorhalle  für  die  Kirche,  das  zweite  birgt 
den  Schatz  und  das  Archiv,  das  dritte  enthält  die  fortifikatorischcn 
Vorkehrungen.  In  späterer  Zeit  tritt  wohl  der  kriegerische  Zweck  in 
die  zweite  Linie  zurück,  aber  der  einmal  geschaffene  Typus  bleibt 
bestehen ;  er  gefällt  als  trotziges  Wahrzeichen  der  mit  den  weltlichen 
Baronen  wetteifernden  klösterlichen  Macht.  Durch  gewaltige  Massivität 
und  kühne  Höhe  übertreffen  diese  Türme  weitaus  die  ihrer  Stellung 
nach  analogen  der  deutsch-romanischen  Baukunst ;  höchstens  der  eine 
von  S.  Patroklus  in  Soest  kann  sich  mit  ihnen  vergleichen.  Beispiele 
sind  ziemlich  zahlreich  erhalten ,  aber  leider  durchweg  an  sonst  ver- 
stümmelten oder  veränderten  Kirchen,  so  dass  wir  das,  worauf  e> 
uns  hier  am  meisten  ankommt,  das  Verhältnis  des  Turmes  zur  Ge- 
samtgruppe,  nirgends  mehr  aus  der  Anschauung  beurteilen  können, 
ein  recht  harmonisches  wird  es  kaum  gewesen  sein. 

Beispiele:  aus  saec.  9.  S.  Germain  des  Pres  in  Paris,  Erdgeschoss: 
S.  Martin  in  Tours,  der  tour  Charlemagne  genannte  Turm  am  Nord 
giebel  des  Transepts,  dem  ein  gleicher  am  südlichen  entsprach;  ath 
saec.  11  die  Kirchen  von  Poissy  und  Creteil  bei  Paris,  Ste.  Rade- 
gonde  in  und  S.  Savin  bei  Poitiers;  diese  alle  mit  geschlossene 
Seitenwänden.  Mit  dreiseitig  offener  Halle:  S.  Porchaire  in  Poitiekv 
Lesterps  a.  d.  Charente  (Taf.  360),  Ebreuil  im  Bourbonnais,  Saint 
Aignan  in  der  Touraine  '). 

')  Ausserdem  kommen  vollständige  Festungskirchen  vor,  bei  denen  Brust- 
wehren und  Machicoulis  ringsumgefnhrt  sind:   Saintes-Maries  an  der  Rhoncmündoi«; 
Taf.  25S),  S.  Victor  in  Marseille,  Abteikirchen  von  Simorre  und  Mois^ac;  io- 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


Das  System  der  westlichen  Doppeltürme  erhielt  seine  typi- 
sche Ausbildung  in  den  Klöstern  BURGUNDS,  mit  dem  Mittelpunkte 
Cluny.  Das  Hauptaugenmerk  war  hier  auf  Geräumigkeit  der  Vorhalle 
gerichtet.  Sie  ganz  mit  einem  Einzelturm  zu  überdecken,  wäre  indes 
eine  Monstrosität,  den  Turm  aus  der  Mittelachse  zu  verschieben,  ein 
unerträglicher  Verstoss  gegen  die  Symmetrie  gewesen;  so  kam  man 
auf  die  Zweizahl  der  Türme  und  gab  ihnen  den  Platz  an  der  Vorder- 
seite der  Vorhalle  in  der  Längsachse  der  Seitenschiffe. 

Es  ist  die  spontane  Erneuerung  desselben  Formgedankens,  der 
vor  Jahrtausenden  in  den  Pylonen  der  ägyptischen  Tempel  seinen 
Ausdruck  gefunden  hatte.  Auch  in  der  altchristlichen  Kirchenarchitektur 
war  er  schon  einmal  hervorgetreten;  aber  nicht  in  der  des  Abendlandes, 
sondern  in  jener  merkwürdigen  syrischen  Bauschule,  die  durch  den 
vordringenden  Islam  ein  frühes  Ende  fand  (de  Vogüe',  Syrie  centrale, 
T.  124,  132,  135).  An  Einwirkung  von  dieser  Seite  her  ist  selbstver- 
ständlich nicht  zu  denken;  eher  vielleicht  —  da  der  Verteidigungszweck 
auch  hier  ursprünglich  mit  hereingespielt  haben  wird  —  an  eine  Re- 
miniscenz  an  römische  Stadtthore,  wie  sie  in  anderer  Form  z.  B.  an 
der  Eingangshalle  von  Lorsch  nicht  zu  verkennen  ist.  Einen  ersten 
Ansatz  zu  der  hier  in  Rede  stehenden  Entwicklung  finden  wir  bereits 
auf  dem  Bauriss  von  S.  Gallen  (Taf.  42);  man  denke  sich  den  dort 
mit  Rücksicht  auf  die  Westapsis  halbrund  gezeichneten  Vorhof  in  die 
regelmässige  Rechteckgestalt  zurückgeführt  und  denke  ihn  anstatt  offen 
gedeckt,  so  ist  das  Schema  von  Cluny  vollendet.  Die  Zwischenstufen 
der  Entwicklung  bis  ins  n.  Jahrhundert  fehlen.  Dafür  tritt  ein  litte- 
rarisches Zeugnis  in  die  Lücke  ein,  der  Ordo  Farfensis ,  eine  zwischen 
den  Jahren  1039— 1048  für  das  italienische  Kloster  Farfa  niederge- 
schriebene Redaktion  der  Regel  von  Cluny ,  in  die  auch  eine  voll- 
ständige Bauordnung  (die  älteste  überhaupt  vorhandene)  eingefügt  ist »). 
Der  uns  angehende  Satz  lautet:  >Duae  turres  sint  in  ipsius  fronte 
statutae  et  subter  ispas  atrium,  übt  laici  stare  debent,  ut  non  impediant 
proeessionem7).    Dieser  Vorschrift  gehorchten  die  Cluniacenserklöster 


Westen  La  Souterraine;  im  Norden  Nachklänge  an  der  Fassade  von  S.  Denis 
(Taf.  271).  Einziges  Beispiel  im  deutschen  Baugebiet  das  befestigte  Westwerk  von 
Münstermaifeld  (Abb.  bei  Bock,  Rheinland);  das  Obergeschoss  der  Vorhalle  von 
S.  Patroklus  in  Soest  enthielt  die  städtische  Waffenkammer. 

*)  Wiederholt  abgedruckt,  u.  a.  bei  Mabillon,  Ann.  O.  S.  B.  IV,  206;  ausfuhr- 
lich besprochen  von  J.  Schlosser,  Die  abendländische  Klosteranlage  im  frühen  Mittel- 
alter, Wien  1889. 

*)  Nicht  ein  zweiler  Kaum  hinter  dem  Atrium,  wie  Schlosser  meint,  sondern  ein 
Synonymon  für  dieses  ist  die  Galiläa,  nach  Messmer,  C.-Comm.  1861,  104,  so  genannt 
mit  Beziehung  auf  Matth.  28,  16  autem  discipuli  abierunt  in  Galiläam  —  das  letzte 
Ereignis  in  der  Passion«geschichte  und  dcmgemäss  die  letzte  Station  der  Processionen. 


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Zweites  Buch  :  Der  romanische  Stil. 


aller  Länder,  wodurch  sie  eines  der  wirkungsreichsten  Fermente  in  der 
abendländischen  Baubewegung  wurde.  Den  Einfluss  auf  Deutschland 
haben  wir  bereits  dargelegt.  Die  Ausführung  Hess  mehrere  Fassungen  zu. 
Die  knappste  ist  die,  die  wir  im  Elsass  kennen  lernten;  die  vollste  die, 
welche  die  Vorhalle  in  eine  förmliche  Vorkirche  und  zwar  mit  zwei- 
geschossigem Aufbau,  verwandelt.  Vom  letzteren  Fall  das  älteste  er- 
haltene Beispiel  gibt  S.  Philibert  in  Tournus,  aus  der  ersten  Hälfte  de* 
u.  Jahrhunderts  (Taf.  118,  137);  von  den  Türmen  befindet  sich  der 


S.  Benoist-sur-Loire. 


südliche  noch  in  der  ursprünglichen,  wenig  entwickelten  Gestalt  (Taf.  260, 
Fig.  1);  man  bemerke  auch  die  Machicoulis  des  Zwischenbaues.  Ferner 
noch  aus  dem  1 1.  Jahrhundert  Rom  ainmoutier  und  (halbzerstört)  Sou- 
vigny,  beide  vier  Traveen  tief.  Aus  der  ersten  Hälfte  des  12.  Jahr- 
hunderts S.  Madeleine  zu  Vezelay  (Taf.  149,  150);  vom  Ende  desselben 
Jahrhunderts  La  Charite  sur  Loire  (Ruine,  die  Grenze  des  Vorder- 
schiffs wahrscheinlich  auf  der  Linie  C  —  D  des  Grundrisses  Taf.  120). 
Endlich  aus  dem  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  Cluny  (Textfigur  S.  400 
und  Taf.  212);  viel  älter  als  diese  Vorhalle  war,  nach  der  auf  Taf.  262 
reproduzierten  Zeichnung  zu  urteilen,  die  Fassade  mit  den  zwei  Tür- 
men ;  selbst  für  die  Bauepoche  unter  Hugo  dem  Grossen  scheinen  sie 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


589 


im  Massstab  zu  klein,  in  den  Formen  zu  altertümlich,  so  dass  sie  ganz 
wohl  noch  auf  den  Bau  des  Majolus  zurückgehen  könnten.  —  Die  An- 
ordnung eines  offenen  Vorhofes,  zu  dem  Stufen  hinabführen  (Taf.  1 20), 
erregt  deshalb  Aufmerksamkeit,  weil  auch  sie  an  Cluniacenserkirchen 
des  Auslands  (in  Deutschland  Limburg  a.  H.  und  Kastel  in  Franken) 
nachgeahmt  worden  ist.  —  Eine  zweite  Fassung  repräsentiert  Paray- 
le-Monial;  der  Umbau  des  12.  Jahrhunderts  hat  die  Vorhalle  der 
älteren  (viel  schmäleren  Kirche)  stehen  lassen ,  wenn  auch  vielleicht 
um  eine  Travee  verkürzt;  sie  ist  im  Erdgeschoss  nach  drei  Seiten  offen 
(Taf.  120,  138)  und  hat  zwei  schlanke  Türme  über  den  vorderen  Eck- 
feldern (Taf.  260).  Dieselbe  Disposition  des  Erdgeschosses,  noch  in  der 
vollständigen  Fassung  mit  drei  mal  drei  Jochen,  zeigt  das  in  der  zweiten 
Hälfte  des  11.  Jahrhunderts  erbaute  Erdgeschoss  des  Westwerks  von 
S.  Bknoist-sur-Loire,  so  dass  wir  auch  hier  Doppeltürme  als  ursprüng- 
liche Absicht  vermuten  ;  wahrscheinlich  war  dieselbe  aber  zur  Zeit  des 
um  einige  Jahrzehnte  jüngeren  Obergeschosses  schon  aufgegeben;  wie 
nunmehr  der  obere  Abschluss  sich  gestalten  sollte,  bleibt  rätselhaft. 
(Grundriss  Taf.  120,  Längenschnitt  beistehend,  Aussenansicht  der  unteren 
Halle  Taf.  284;  vollständig  publiziert  bei  Gailhabaud,  L'architecture  I; 
sehr  unwahrscheinlich  die  Restauration  von  Viollet-le-Duc  III.  339.) 

Eine  neue  Epoche  in  der  burgundischen  Architektur  datiert  von 
der  Einführung  des  westfranzösischen  Systems  der  ausstrahlenden 
Chorkapellen  und  des  Zentralturms.  Der  Schule  von  Cluny  (d.  i.  der 
jüngeren  in  dem  S.  390  definierten  Sinne)  gehört  der  Ruhm,  den  reichen 
Schönheitsgehalt  dieses  Motivs  zu  letzter  und  herrlichster  Entfaltung 
gebracht  zu  haben.  Indem  es  mit  dem  traditionellen  System  der  west- 
lichen Doppeltürme  in  Verbindung  tritt,  wird  die  Einseitigkeit,  die 
der  einen  wie  der  anderen  Kompositionsart  bis  dahin  angehaftet  hatte, 
überwunden  und  damit  Ostbau  und  Westbau  ins  Gleichgewicht  ge- 
bracht ;  aber  nicht  ein  absolutes  Gleichgewicht,  wie  bei  den  deutschen 
vier-  oder  sechstürmigen ,  aus  dem  doppelchörigen  Grundriss  abge- 
leiteten Anlagen  (Speier,  Worms,  Bamberg  u.  s.  w.),  sondern  ein 
relatives,  innerhalb  dessen  die  Eingangs-  und  die  Altarseite  jede  nach 
ihrer  Besonderheit  charakteristisch  unterschieden  wird :  die  eine  durch 
ihre  symbolischen  Thorwächter,  das  hochragende  westliche  Turmpaar 
weithin  sich  ankündigend,  die  andere  vom  breiteren  und  reicher  aus- 
gegliederten Unterbau  dem  zentralen  Gipfel  des  Einen  Vierungsturms 
zustrebend.  Unter  den  zahlreichen  Kombinationen  des  romanischen 
Gruppenbaus  ist  diese  die  vollkommenste  zu  nennen,  weil  sie  die 
bauliche  und  gottesdienstliche  Idee  der  Basilika  unter  allen  am  treue- 


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590 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


sten  wiedergibt.  Sie  blieb  denn  auch  nicht  auf  Burgund  beschränkt, 
sondern  wurde  im  Spätromanismus  Nordfrankreichs  wie  Deutschlands 
vielfältig  nachgebildet. 

Von  den  burgundischen  Denkmälern  ist  leider  kein  einziges  in 
Vollständigkeit  erhalten.  Die  Kirchen  von  La  Charit*:  und  Soüvigsv 
sind  zur  Hälfte  Ruinen,  die  von  Beauke  ist  in  den  Oberteilen  gotisch 
umgebaut,  die  von  Paray  nicht  einheitlich  zu  Ende  gebracht  (die  herr- 
liche Ostansicht  Taf.  263);  in  Autun  blieben  die  Türme,  in  Langres 
die  ganze  Fassade  unausgeführt.  Cluny  endlich  ist,  wie  man  weiss, 
in  der  Revolutionszeit  abgebrochen ;  nach  den  erhaltenen,  unter  sich 
nicht  genau  übereinstimmenden  Abbildungen  geben  wir  auf  Taf.  212 
einen  Restaurationsversuch  in  isometrischer  Projektion,  von  dem  Richtig- 
keit im  einzelnen  natürlich  nicht  erwartet  werden  kann. 

Wie  der  Chorgrundriss,  so  geht  auch  die  sonst  weit  und  breit 
beispiellose  Anordnung  je  eines  grossen  Turmes  über  den  Enden  des 
ersten  Querschiffs  unseres  Ei  achtens  auf  S.  Martin  in  Tours  zurück; 
dazu  kommen  noch  zwei  Treppentürme  und,  der  Zweizahl  der  Quer- 
schifTe  entsprechend,  zwei  Vierungstürme,  so  dass  im  ganzen  acht  Türme 
gezählt  werden :  —  die  höchste  irgendwo  erreichte  Ziffer  (von  den  für 
die  Kathedrale  von  Chartres  beabsichtigten  neun  Türmen  sind  nur 
zwei  zur  Ausführung  gelangt).  —  Dass  sogleich  und  in  derselben  Land- 
schaft ein  schroffer  Rückschlag  eintrat,  indem  der  H.  Bernhard  für 
die  Kirchen  seines  Ordens,  des  cisterciensischen ,  die  völlige  Turm- 
losigkeit  proklamierte,  sahen  wir  schon  in  einem  früheren  Kapitel. 

Der  baugeschichtliche  Zusammenhang  führt  uns  demnächst,  mit 
einem  geographischen  Sprung,  in  die  NORMANDIE.  Sie  bringt  in 
ihrem  entwickelten  Stil  den  Turmbau  zu  energischerer  Ausbildung, 
als  irgend  eine  andere  frankogallische  Landschaft,  und  gibt  ihm  in 
der  Gesamterscheinung  ihrer  Kirchen  eine  so  wichtige  Stelle,  dass  die 
Meinung  nahe  zu  liegen  schien,  sie  möchte  einer  althergebrachten 
Neigung  damit  folgen.  In  Wahrheit  trifft  das  nur  teilweise  zu.  Zahl- 
reiche Ueberbleibsel  aus  dem  11.  und  selbst  noch  dem  10.  Jahrhundert 
geben  allerdings  der  Normandie  den  Anspruch  ein  vorzüglich  turm- 
reiches Land  schon  in  dieser  Zeit  zu  heissen ;  aber  es  sind  nur  Einzel- 
turme, die  sich  an  beliebiger  Stelle  an  die  Seitenmauer  des  Langhauses 
anlehnen,  oder  auch  ein  bis  zwei  Meter  von  demselben  entfernt 
stehen.  Der  wichtige  Schritt  der  organischen  Einverleibung  in  das 
Kirchengebäude  wurde  erst  um  die  Mitte  des  Ii.  Jahrhunderts  ge- 
than.  Die  von  den  damals  begonnenen  grossen  Abteikirchen  auf- 
gestellte neue  Formel,  die  von  nun  ab  die  typische  wurde,  ist  diese: 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


591 


zwei  starke  und  hochstrebende,  in  ihrer  Wirkung  durch  schlanke 
Spitzdächer  noch  gesteigerte  Frontaltürme  und  ein  dritter  gleichfalls 
als  viereckiger  Hochturm  durchgeführter  über  der  Kreuzung.  Wie 
man  sieht  :  eine  mit  dem  burgundischen  wesentlich  übereinstimmende 
Gruppierung.  Und  da  es  gewiss  ist,  dass  die  Denkmäler,  an  denen 
sie  zuerst  auftaucht,  ihr  Planschema  nach  dem  Muster  von  Cluny  (der 
älteren  Kirche)  ausgebildet  haben  (S.  272,  283),  so  kann  auch  über 
die  Entstehung  des  normannischen  Türmesystems  kein  Zweifel  sein. 
Die  Legende,  nach  der  das  für  die  abendländische  Baukunst  des  hohen 
Mittelalters  so  bedeutend  gewordene  Motiv  der  westlichen  Doppel- 
türme eine  normannische  Erfindung  sein  soll,  ist  hiermit  erledigt; 
immer  bleibt  wahr,  dass  es  bei  den  Normannen  eine  wichtige  Ent- 
wicklungsstufe durchgemacht  hat. 

Beispiele:  die  Abteikirchen  von  Jumieges,  Cerisy  (die  Westteile 
zerstört),  St.  Etienne  und  Sainte  Trinite"  in  Caen;  ihnen  folgend  die 
Kathedralen  von  Baveux  und  Roukn;  der  ungeheure  Nordwestturm 
der  letzteren  wäre,  wenn  bis  zur  Helmspitze  vollendet,  der  höchste 
Turm  des  romanischen  Stiles  in  Europa  geworden.  —  Die  mittleren 
kleineren  Kirchen  begnügen  sich  auch  im  12.  Jahrhundert  mit  einem 
einzigen  Turm ;  doch  ist  derselbe  jetzt  regelmässig  dem  Gebäude  ein- 
gegliedert, selten  als  Fassadenturm,  in  der  Regel  —  und  zwar  auch 
bei  querschifflosen  Anlagen  —  in  östlicher  Stellung  zwischen  Lang- 
haus und  Chor.  Eine  Mittelstufe  zwischen  der  Compositionsart  der 
grossen  und  der  kleinen  Kirchen  zeigt  S.  Georges  de  Boscherville 
(Taf.  212,  Fig.  3). 

In  ENGLAND  erfährt  der  normannische  Typus  gerade  hinsicht- 
lich des  Aussenbaus  manche  Umgestaltungen.  Die  Zahl  der  im  Kern- 
bau noch  romanischen  Kirchen  —  es  sind  vornehmlich  Kathedralkirchen, 
während  die  Abteikirchen  seit  dem  16.  Jahrhundert  grossenteils  der 
Zerstörung  anheim  gefallen  sind  —  ist  beträchtlich ,  doch  gibt  keine 
derselben  ein  reines  Bild,  da  die  gotische  Epoche,  wenn  sie  keine 
Neubauten  vornehmen  konnte,  sich  wenigstens  in  umfassender 
Ueberarbeitung  gefiel.  Zunächst  fallen  zwei  von  den  festländischen 
Gewohnheiten  abweichende  Eigentümlichkeiten  ins  Auge :  die  un- 
gemeine Längenausdehnung  (Taf.  81—83),  un<^  die  Lage  nicht  im 
Mittelpunkt  der  Städte,  sondern  an  deren  Peripherie,  auf  einem  weit- 
läufigen, von  Mauern  und  Türmen  eingeschlossenen  Domfrieden.  Das 
eine  wie  das  andere  ist  eine  Eolge  der  von  den  normannischen  Er- 
oberern bei  den  Kathedralkirchen  eingeführten  Klosterverfassung, 
durch  welche  die  Domgeistlichkeit  auf  eine  ungewöhnlich  hohe  Kopf- 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


zahl  gebracht  wurde.   Den  Einfluss  dieser  durch  politische  Absichten 
bedingten  Einrichtung  auf  den  Grundplan  haben  wir  S.  284  besprochen. 
Die  räumliche  Anordnung  war  in  der  Regel  die,  dass  die  vordere 
Hälfte  der  Kirche  frei  blieb,  während  zu  beiden  Seiten  des  lang- 
gestreckten Chores  die  Klostergebäude,  meist  mit  einem  ansehnlichen 
Kapitelhause  und  einer  besonderen  Priorswohnung,  und  der  bischöf- 
liche Palast  ihre  Stelle  fanden;  alles  Baulichkeiten,  die  durch  Grösse 
und  Pracht  die  weltlichen  Herrensitze  weit  übertrafen.    In  der  Ring- 
mauer des  Domfriedens  mehrere  von  Türmen  überstiegene  Thore 
(Beispiel  St.  Edmundsbury,  Taf.  267).   Was  die  unmittelbar  zur  Kirche 
gehörenden  Türme  betrifft,  so  war  die  grosse  Dehnung  des  Grund- 
risses der  Gruppenbildung  wenig  günstig.    Um  so  mehr  suchte  man 
ein  kräftiges  vertikales  Mittelmotiv  zu  gewinnen.    In  der  That  ist  der 
Zentralturm  —  viereckig,  in  mehreren  Stockwerken  in  die  Höhe  ge- 
baut, mit  plattem  Dache  und  vielleicht  schon  in  romanischer  Zeit, 
wie  später  allgemein  in  gotischer,  mit  Zinnen  bekränzt,  alles  in  allem 
mehr  einem  ungeschlachten  Festungsdonjon  als  einem  Kirchturm  nach 
festländischer  Vorstellung  ähnlich  —  die  eigentliche  Charaktergestalt 
der  grossen  englischen  Kirchen      Die  Ecken  der  weit  vorspringenden 
Kreuzarme  und  ebenso  diejenigen  der  Westfassade  wurden  dagegen 
nur  durch  ganz  kleine  Türmchen  bezeichnet  (Taf.  268,  360).  Von 
den  erst  am  Schlüsse  der  Epoche  eintretenden  Bestrebungen  zur 
Gewinnung  eines  stattlicher  wirkenden  Westbaus  sprechen  wir  im 
3.  Abschnitt. 

Die  REGION  DER  LOIRE  und  die  mit  ihr  baugeschichtlich 
zusammenhängende  KÖNIGSDOMÄNE  haben  so  ausgeprägte  Typen 
der  Turmkomposition  wie  die  bisher  betrachteten  Landschaften  nicht 
hervorgebracht. 

Die  drei  bedeutendsten  Bauten  des  1 1.  Jahrhunderts  waren  die 
Abteikirchen  S.  Martin  in  Tours,  S.  Benoist  unweit  Orleans,  S.  Remy 
in  Reims.  Die  letztere  scheint  der  Türme  ganz  entbehrt  zu  haben 
(wie  die  alte  Kathedrale  von  Beauvais),  es  wäre  denn,  dass  an  der 
Westfront  ein  Einzelturm  stand  (wie  in  S.  Germain  des  Pres),  für  die 
Kirche  von  Tours  dagegen  bezeugen  eine  unter  dem  Boden  der  im 
12.  Jahrhundert  umgebauten  Kirche  gefundene  Medaille  und  eine  aus 
derselben  Zeit  stammende  schriftliche  Aufzeichnung  (Chevalier:  Le 

')  Welchen  Wert  man  auf  die  Zentialtürme  legte,  geht  auch  daraus  hervor,  dass 
man  um  ihretwillen  die  Beeinträchtigung  der  inneren  Raumwirkung  nicht  scheute,  welche, 
«chon  an  sich  eng,  durch  den  kolossalen  Pfeilerunterbau  noch  weiter  verengt  wurde,  wie 
die  Grundrisse  Taf.  81.  i  und  82.  2  erraten  lassen. 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


593 


fouilles  de  Saint-Martin ,  p.  109  f.)  übereinstimmend,  dass  schon  der 
Bau  vom  Anfang  des  1 1 .  Jahrhunderts  die  fünf  Türme  besass,  die  in 
der  späteren  Gestalt  wiederkehren  (vgl.  unsere  Restaurationsskizze 
Taf.  112).  Das  eigentümlichste  ist  die  Anordnung  der  zwei  über  den 
Enden  des  Querschiffs.  Die  seltenen  Fälle  der  Wiederholung  dieses 
Motives  sind  unbedenklich  als  direkte  Nachahmungen  der  berühmten 
Wallfahrtskirche  von  Tours  anzusprechen :  so  in  Cluny,  so  in  Angou- 
lesme  (in  unserer  Zeichnung  Taf.  112  der  nicht  zur  Ausführung  ge- 
langte Südturm  ergänzt;  fraglich  allerdings,  ob  eine  so  bedeutende 
Höhe  für  beide  in  der  ersten  Absicht  lag).  Die  Türme  von  S.  Benoist 
waren,  falls  unsere  oben  S.  588  in  Betreff  der  Westfront  ausgesprochene 
Vermutung  das  richtige  trifft,  ebenfalls  in  der  Fünfzahl  beabsichtigt. 
Das  östliche  Paar  schliesst  sich  enge  an  den  Chor  und  bildet  mit 
seinem  nach  innen  geöffneten  Unterbau  ein  Quasi-Transept :  eine 
Zwischenform  also  zwischen  dem  Typus  von  S.  Martin  und  dem  nörd- 
lich der  Loire  sehr  verbreiteten,  der  den  Zentralturm  weglässt  und  die 
Chortürme,  indem  sie  über  dem  letzten  Joch  der  Seitenschiffe  ihren 
Platz  erhalten ,  näher  zusammenrückt.  Beispiele  für  das  letztere : 
S.  Germain  in  Paris,  Morien val,  Vezelay  (eingestürzt),  S.  Etienne 
in  Auxerre  (eingestürzt),  S.  Etienne  (Kathedrale)  und  Nötre-Dame  in 
Chalons.  Kleinere  Kirchen  begnügten  sich  mit  einem  einzelnen  Chor- 
turm, in  unsymmetrischer  Stellung,  meist  an  der  Südseite:  Ste.  Gene- 
vieve  in  Paris,  Tracy-le-Vai.,  Nesle,  Rhuis  und  viele  andere.  Die 
früher  beliebten  Einzeltürme  in  westlicher  Frontstellung  werden  mit 
dem  1 2.  Jahrhundert  seltener,  wohl  weil  sie  die  Ausbildung  der  Fassade 
störten.  —  Wenden  wir  uns  nach  der  Touraine  zurück,  so  finden  wir 
leider  viele  der  wichtigsten  Bauten  aus  der  ersten  Hälfte  des  12.  Jahrhun- 
derts, wie  die  Abteikirchen  von  Preuillv,  Fontgombault,  Deols,  in 
Trümmern  liegen;  es  wird  angegeben,  dass  sie  mehrere  Türme  besassen, 
leider  nicht  genau,  wie  viel  und  in  welcher  Stellung.  Merkwürdiger- 
weise wurden  auch  noch  in  dieser  vorgerückten  Zeit  und  bei  reichen 
Abteien  bloss  isolierte  Campanilen  errichtet,  die  dann  in  Grösse  und 
Schönheit  Ersatz  für  die  mangelnde  Vielzahl  suchten :  so  bei  S.  Aubin 
in  Angers,  in  Marmoutier  bei  Tours,  Beaulieu  bei  Loches,  S.  Trinke* 
in  Vendöme.  Ein  Unikum  ist  S.  Ours  in  Loches  ,  wie  im  inneren 
System  (S.  348),  so  auch  in  der  Aussenansicht:  zwei  gleich  hohe 
Türme  über  der  westlichen  Vorhalle  und  über  der  Vierung,  zwischen 
ihnen  die  zwei  achtseitigen  Pyramiden,  die  dem  Mittelschiff  anstatt 
der  Gewölbe  dienen,  nach  aussen  aber  nicht  anders  wie  Türme  wirken : 
also  vier  Türme  in  einer  Linie. 

Der  Kirchenbau  der  Königsdomäne  kam  in  der  Turmkompo- 
sition zu  einem  festen  Prinzip  erst  kurz  vor  der  Mitte  des  12.  Jahr- 
hunderts.   Nach  dem  Vorgange  der  Normandie  und  Burgunds  konnte 


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594  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

es  nur  das  der  westlichen  Zwillingstürme  sein;  ob  auch,  wie  dort, 
Zentraltürme  hinzutraten,  lässt  sich  infolge  Umbaus  der  einschlägigen 
Denkmäler  nicht  mehr  erkennen.  An  deren  Spitze  stehen  die  Abtei- 
kirchen von  S.  Denis  (beg.  1140)  und  die  Kathedrale  von  Chartres 
(beg.  1 165);  ein  wohlerhaltenes  Beispiel  kleineren  Massstabes  gibt  S.  La* 
d'Esserent  (nur  ein  Turm  ausgeführt);  auch  die  Kathedralen  von  Sen> 
(beg.  1140)  und  Senlis  (beg.  1155)  gehören  nach  der  Entstehungszeit 
ihres  Bauplans  hierher.  Ebenso  treten  in  der  Champagne  jetzt  zuerst 
doppeltürmige  Fassaden  auf:  Nötre-Dame  in  Chaloxs,  S.  Remy  in 
Reims.  Und  folgerichtig  wäre  die  ganze  Reihe  der  frühgotischen  Bauten 
sogleich  hier  anzuschliessen,  da  sie  in  der  Gruppierung  des  Aeusseren 
nichts  grundsätzlich  neues  bringen ;  ja ,  es  ist  ein  im  inneren  Aufbau 
schon  ganz  gotisches  Werk,  die  Kathedrale  von  Laon,  worin  der 
romanische  Turmgedanke  erst  seinen  höchsten  Triumph  erleben  soll: 
—  aus  naheliegenden  Gründen  sparen  wir  jedoch  die  eingehende  Be- 
trachtung dieser  Denkmäler  für  das  dritte  Buch. 

ITALIEN. 

Italien  hat  sich  die  Gedankenwelt  des  romanischen  Stiles  nur 
langsam  und  immer  unvollständig  zu  eigen  gemacht.  Der  neue  Stii 
wurde  hier  mehr  als  eine  neue  Dekorationsweise,  denn  als  organische 
Umgestaltung  des  ganzen  Gebäudes  aufgefasst.  Das  Verhältnis  zum 
Turmbau  —  um  gleich  auf  den  bezeichnendsten  Punkt  zu  kommen  — 
war  nach  der  negativen  Seite  dasselbe  wie  in  Südfrankreich  und  noch 
in  gesteigertem  Masse.  Denn  wo  wir  eingegliederten  Türmen  begegnen, 
da  bedeuten  sie  eine  fremdländische  Einströmung,  die  nationale  An- 
lage aber  bleibt  durchaus  der  isolierte  Campanile. 

Beispiele  in  grösserer  Zahl  beizubringen,  wäre  wegen  ihrer  Menge 
unthunlich  und  überflüssig,  wir  wollen  nur  an  einige  der  wichtigsten 
erinnern :  von  Kathedralen  an  die  zu  Salerno  ,  Trani  ,  Toscanella, 
Pisa,  Lucca  ,  Modena,  Parma,  Piacexza,  Cremoka;  von  Kloster-  und 
Pfarrkirchen  an  S.  Mimiato  bei  Florenz,  S.  Frediano  in  Lucca,  S.  Am 
brogio  in  Mailand  (der  zweite  Turm  jünger),  S.  Zeno  bei  Verona, 
S.  Marco  in  Venedig.  In  welcher  Himmelsrichtung  und  in  welcher 
Entfernung  von  der  Kirche  der  Turm  zu  stehen  kommt,  liegt  im  freien 
Ermessen.  Die  Entfernung  kann,  wofür  S.  Marco  in  Venedig  ein  all- 
bekanntes Beispiel  ist,  beträchtlich  sein ;  gewöhnlich  aber  hält  sie  sich 
in  der  Grenze  weniger  Meter  oder  verschwindet  ganz,  indem  Turm-  und 
Kirchenmauer  sich  berühren.  Die  Gruppe,  die  der  Campanile  mit  den 
zunächst  liegenden  Teilen  der  Kirche  eingeht,  ist  oft  recht  anziehend 
im  frei  malerischen  Sinne;  einen  architektonischen  Massstab  kann  man, 
weil  die  Einheit  der  Idee  fehlt,  an  sie  nicht  anlegen. 


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Fünfzehntes  Kapitel :  Der  Aussenbau. 


595 


Vierungskuppeln  mit  schwach  überhöhtem  achteckigem  Tam- 
bour kommen  zuerst  in  Unteritalien  und  Sizilien  in  allgemeineren  Ge- 
brauch; sie  sind  hier  aber  nicht  aus  einem  freiwilligen  organischen 
Triebe  hervorgegangen,  sondern  aus  der  Verquickung  der  lateinischen 
Basilika  mit  dem  byzantinischen  Kuppelbau,  vgl.  o.  S.  233—36  und 
Taf.  239.  Der  Dom  von  Pisa,  obgleich  er  ein  stark  zentralistisches 
Element  aufnahm,  war  ursprünglich  kuppellos  gedacht;  hinterher  aber 
erweckte  die  mächtige  Bewegung  der  Kreuzarme  gegen  den  Mittelpunkt 
das  Gefühl,  dass  hier  etwas  fehle,  dass  mit  der  auf  den  abstrakten 
Punkt  reduzierten  Durchschneidung  der  Dachfirste  nicht  genug  gethan 
sei.  Dies  Gebrechen  durch  Hinzuftigung  einer  Kuppel  zu  heilen,  war 
ein  sehr  richtiger  Gedanke,  seine  Ausführung  ist  aber,  zum  Teil  not- 
gedrungen, schwächlich  geraten.  Im  Übrigen  bleibt  der  Architektur 
Toskanas  das  Kuppelmotiv  fremd.  In  der  Lombardei  kommt  es  zu- 
sammen mit  dem  Gewölbebau  auf  die  Bahn,  und  wird  ähnlich  behandelt, 
wie  in  der  burgundischen  und  rheinischen  Architektur.  Die  Kathedrale 
von  Moden a  hatte  in  ihrer  ersten,  flachgedeckten  Gestalt  noch  keine 
Kuppel,  dagegen  S.  Ambrogio  in  Mailand  wahrscheinlich  schon  im 
1 1 .  Jahrhundert  (die  jetzige  zweigeschossige  ca.  1 200  erneuert). 

Noch  niedrig,  aber  in  den  Aufbau  der  Ostansicht  trefflich  hinein- 
komponiert die  Kuppel  von  Parma  (Taf.  245).  Die  Reihe  schliesst 
mit  den  hohen,  nach  innen  lichtbringenden  Prachtstücken  von  Piacenza, 
Vercelli,  Carfi,  Chiaravalle  (Taf.  281). 

Zwillingstürme  an  der  Westfront  sind  nur  in  Sizilien  heimisch 
geworden.  Sie  vorzüglich  sind  das  normannische  Element  in  dieser 
aus  so  vielen  Ingredienzien  zusammengemischten  Architektur.  Die 
Grundrissdisposilion,  über  die  Fluchtlinie  der  Seitenschiffe  vortretend, 
erinnert  aber  mehr  an  den  englischen  Tochter-  als  den  festländischen 
Mutterstil;  zwischen  den  Türmen  eine  offene  Vorhalle.  Die  Reihe 
eröffnet,  gegen  1132,  der  Dom  von  Cefalu  (Taf.  239);  es  folgen  1 169 
und  1174  die  Dome  von  Palermo  und  Moxreale  (Taf.  168);  in  Pa- 
lermo die  Ausführung  erst  14.  Jahrhundert.  In  Unteritalien  stehen 
Acerenza  und  Llcera  schon  unter  französisch-frühgotischem  Einfluss, 
während  in  Sessa  die  Türme  zu  blossen  Glockenträgern  zusammen- 
geschrumpft sind.  Weiter  haben  mehrere  der  grossen  Kirchen  Apuliens 
Doppeltürme ,  doch  in  sehr  eigentümlicher  Umbildung  des  Motivs. 
Ihr  Platz  ist  nämlich  im  Osten;  aber  nicht,  wie  im  gleichen  Falle  in 
der  transalpinen  Architektur,  als  unmittelbare  Begleiter  des  Chors, 
sondern  von  diesem  so  weit  abgerückt,  dass  ihr  Unterbau  die  unmittelbare 
Fortsetzung  der  Stirnwand  des  Querschiffes  bildet  (Taf.  239.3);  cl»e 
der  Kunst  des  Nordens  so  willkommene  Gelegenheit  zu  lebhafterer 
Gliederung  von  unten  auf  wird  hier  vielmehr  als  ein  Uebel  empfunden 
und  darum  an  der  Ostseite  noch  eine  geradlinige  Abschlussmauer  ge 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


zogen,  die  keinen  anderen  Zweck  hat,  als  die  Vorsprünge  der  Türme 
und  der  Apsis  zu  maskieren  (Grundriss  o.  S.  236).  Auf  diese  Weise 
erhält  die  Chorseite  ein  Ansehen,  wie  es  sonst  der  Eingangsseite  ge- 
geben wird  (Taf.  238.  3). 

Oberitalien  verhielt  sich,  trotz  des  in  manchen  anderen  Dingen 
wahrzunehmenden  künstlerischen  Gedankenaustausches  mit  Burgund 
und  den  Rheinlanden,  gegen  die  westlichen  Doppeltürme  überwiegend 
ablehnend.  Die  Fassade  von  S.  Lorenzo  in  Verona  mit  ihren  runden 
Treppentürmen  erinnert  an  sächsische  Bauten  der  Ottonenzeit  (die  An- 
nahme eines  zwischen  den  Türmen  und  der  Kirche  gelegenen  früher 
offenen  Atriums  ist  irrig).  Bei  S.  Jacopo  in  Como  (Taf.  66,  10)  zeigt 
der  Westbau  ebenso  wie  der  Chor  reinsten  Cluniacensertypus.  Bei 
den  Osttürmen  von  S.  Abondio  ebenda  kann  man  zwischen  bur- 
gundischer und  süddeutscher  Herkunft  schwanken.  An  der  breiten 
Fassade  des  Domes  von  Novara  nehmen  die  Ecktürme  nur  eine  unter- 
geordnete Stellung  ein. 

2.  Behandlung  der  Wandflächen. 

Die  ideelle  Einheit  des  baulichen  Kunstwerks  kommt  um  so  kräf- 
tiger zum  Bewusstsein,  je  reicher  die  von  ihr  zusammengefasste  Vielheit 
ist.  So  bedarf  es  nach  der  körperlichen  Gliederung  des  Bauganzen  noch 
der  spezialisierenden  Gliederung  der  dasselbe  umschliessenden  Flächen; 
es  müssen  darin  die  in  den  geometrischen  und  struktiven  Verhält- 
nissen des  Kernbaus  gleichsam  noch  schlummernden  Formgedanken 
zu  grösserer  Fülle  und  Anschaulichkeit  sich  entfalten,  in  einem  freien 
Spiele  von  Kunstsymbolen  sich  ausleben.  Zwei  Richtungen  können 
dabei  eingeschlagen  werden:  entweder  werden  die  umschliessenden 
Wände  als  solche  oder  es  wird  der  struktive  Organismus  den  Einzel- 
motiven zu  Grunde  gelegt.  Im  ersteren  Fall  entsteht  eine  flächenhaft- 
malerische,  im  zweiten  eine  plastisch -architektonische  Dekoration. 
Fast  immer  wird  beides  miteinander  verbunden  sein ,  doch  so ,  dass 
alternativ  das  eine  oder  das  andere  das  Uebergewicht  hat.  —  Wir 
betrachten  zuerst  die  Flächendekoration. 

Das  ursprünglichste,  einfachste,  keinem  Gebäude  je  fehlende 
Mittel  der  Aussendekoration  ist  das  Material  und  der  Mauerver- 
verband. Wie  wichtige  Voraussetzungen  beide  für  die  Struktur  und 
durch  diese  für  die  Gesamtkomposition  sind,  bleibt  hier  ausser  Er- 
örterung; beide  wirken  aber  auch  unmittelbar  durch  die  Erscheinung 
ihrer  Oberfläche :  das  Material  durch  Textur  und  Farbe,  der  Verband 
durch  das  die  ganze  Fläche  überspinnende  Liniennetz  der  Fugen. 


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Fünfzehntes  Kapitel :  Der  Aussenbau. 


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Die  grössere  oder  geringere  Mächtigkeit  der  Mauersteine,  das  Mehr 
oder  Minder  von  Genauigkeit  in  ihrem  Behau  und  ihrer  Lagerung;  die 
rauhe  Bruchfläche  z.  B.  der  Tuffe  und  Konglomerate,  die  feinkörnige 
der  Sand-  und  Kalksteine,  der  glatte  Schliff  des  Marmors;  weiter  der 
Backstein  mit  seinem  kräftigen  Rot,  die  mild-warmen  Farben  des 
Sandsteins,  die  kühlen  graulichen  und  weissen  des  Kalksteins,  die 
düsteren  der  Schieferarten,  der  blendende,  durch  das  Alter  oft  goldig 
abgetönte  Schimmer  des  Marmors  —  das  sind  ebensoviel  Charakter- 
unterschiede der  Gesamterscheinung,  oft  nicht  weniger  ins  Gewicht 
fallend,  als  die  Unterschiede  der  Formen ;  und  wenn  ihre  Mitwirkung 
anfangs  nur  eine  absichtslose  war,  so  wurden  sie  auf  den  höheren  Stufen 
der  Kunst  sorgfältig  in  die  allgemeine  Ueberlegung  einbezogen.  Aber 
freilich  war  in  diesen  Dingen  Wunsch  und  Wille  der  Menschen  nichts 
weniger  als  unbeschränkt;  die  unvollkommenen  Verkehrsmittel  des 
Mittelalters,  in  dessen  früheren  Zeiten  auch  die  Unerfahrenheit  hin- 
sichtlich des  technischen  Wertes  der  verschiedenen  Steinarten,  be- 
wirkten, dass  man  bei  deren  Auswahl  mehr  auf  die  Leichtigkeit  der 
Gewinnung  und  Herbeischaffung  als  auf  die  Güte  sah;  nur  wo  die 
bequeme  Wasserstrasse  es  gestattete,  wurden  auch  aus  grösserer  Ent- 
fernung Steine  angeführt.  Ungleich  mehr  also,  als  heute,  ist  das 
Bauwerk  von  dem  Boden,  auf  dem  es  —  wie  man  in  diesem  Sinne 
wohl  sagen  darf  —  gewachsen  ist,  abhängig.  Der  Ausbildung  fester 
Ueberlieferungen  nach  landschaftlich  geschlossenen  Stilgruppen  war 
das  offenbar  förderlich,  aber  es  bewirkte  freilich  auch  grosse  Ungleich- 
heiten in  der  Bauthätigkeit.  Beim  Backstein  hiergegen  Hilfe  zu  suchen, 
ist  innerhalb  der  romanischen  Epoche  nur  in  wenigen  der  durch  die 
Ungunst  der  Natur  darauf  hingewiesenen  Landschaften  ernstlich  unter- 
nommen. Im  ganzen  genommen  ist  der  romanische  Stil  ebenso  ent- 
schieden Hausteinstil,  wie  der  altchristliche  Backsteinstil  gewesen  war ; 
auf  kräftig  plastischen  Ausdruck  gerichtet  der  eine,  flächenhaft  deko- 
rierend der  andere. 

Die  Backsteintechnik,  von  den  Römern  in  ihren  gallischen  und 
germanischen  Provinzen  allenthalben,  auch  in  den  mit  gutem  Haustein 
von  der  Natur  gesegneten  Gegenden,  eingeführt,  war  dort  im  frühen 
Mittelalter  grossenteils  in  Vergessenheit  geraten.  Nur  in  Italien  erhielt 
sie  sich  ununterbrochen  in  Uebung.  Doch  ist  auch  hier  im  hohen 
Mittelalter  gegen  das  frühe  die  Veränderung  zu  bemerken,  dass  man 
häufig  den  Backsteinkern,  sei  es  an  allen  sichtbaren  Wandflächen,  sei 
es  auch  nur  an  der  Fassade,  mit  Haustein  verblendete  oder  wenigstens 
derart  mit  Haustein  mischte,  dass  aus  letzterem  die  Pfeiler,  die  Ecken, 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


die  Fenster-  und  Thürgewände  ausgeführt  wurden.  Einen  ungemischten 
und  ganz  konsequenten  Backsteinbau  sah  die  norddeutsche  Tiefebene, 
indes  erst  am  Ausgang  der  romanischen  Epoche,  entstehen.  —  Weist 
der  Backstein  auf  direkten  oder  indirekten  Zusammenhang  mit  alt- 
römischer  Kultur,  so  ist  der  Marmor  natürliches  Vorrecht  des  Südens. 
Massiv  in  Marmor  wurde  allerdings  im  Mittelalter  so  wenig  als  in  der 
Römerzeit  gebaut  ;  das  edle  Material  blieb  den  selbständigen  Gliedern 
und  der  Verkleidung  der  Flächen  vorbehalten.  Den  umfassendsten 
Gebrauch  von  ihm  machte  das  nördliche  Toskana,  wo  auch  die  Erinnerung 
an  die  antike  Formenwelt  sich  am  lebendigsten  zeigte;  demnächst  die 
westliche  Lombardei  mit  der  Spezialität  des  roten  Tridentiner  Marmors; 
für  einzelne  ausgezeichnete  Bauglieder  wusste  man  aber  auch  an  den 
meisten  anderen  Orten  Italiens  dieses  würdigste  Material  sich  immer 
zu  beschaffen ,  und  wäre  es  auch  durch  fortgesetzte  Beraubung  der 
Ruinen  des  Altertums. 

In  Deutschland  beginnt  die  stilistische  Zweiteilung  nach  Backstein- 
bau und  Hausteinbau,  wie  wir  S.  502  gesehen  haben,  nicht  früher  als  in 
der  Stauferzeit,  so  dass  sie  zu  voller  Wirkung  erst  in  der  Gotik  kommt. 
Für  die  Baukunst  des  früheren  Mittelalters  war  es  ein  Glück,  das« 
Deutschlands  nationale  Grenzen  mit  denen  des  Mittelgebirges  und  der 
Ausläufer  desselben  annähernd  zusammenfielen ;  wo  sie  darüber  hinaus 
und  ins  alluviale  Flachland  eintraten,  half  die  Flussschi ffahrt  einiger- 
massen  nach,  so  dass  Städte  wie  Köln  uud  Magdeburg  ihre  Baulust 
nicht  einzuschränken  brauchten;  weiter  stromabwärts  aber,  in  Holland, 
Friesland  und  dem  nördlichen  Niedersachsen  wurde  der  Materialmangel 
schon  empfindlich,  weshalb  selbst  Bischofssitze  von  dem  Range  Ham- 
burgs und  Bremens  in  der  Baukunst  weit  zurückblieben.  Den  Vorzug 
gab  man  immer  den  weichen  und  halbweichen  Gesteinen.  Der  Harz 
und  Thüringen  boten  in  ihrem  Sandstein  ein  dankbares  Material  für 
sorgfältige  und  zierliche  Detailausführung;  die  weicheren  Steinarten  des 
Mittelrheins,  Tuff,  Trass,  Trachit,  Grauwacke,  Schiefer,  führten  zu 
derberer  und  deshalb  mehr  den  Effekt  im  grossen  aufsuchender  Be- 
handlung. Der  Oberrhein  hat  schönen  roten,  Franken  gelben  Sand- 
stein. Eine  geringere  Rolle  spielen  die  hie  und  da  zerstreuten  Kalk- 
arten.  Granit  wird  ungern  angewendet,  nur  wo  man  es  muss,  in  der 
Nähe  des  Fichtelgebirges  und  Böhmerwaldes,  sowie  in  den  Findlings- 
blöcken der  norddeutschen  Tiefebene. 

Das  bei  weitem  bevorzugteste  Land  ist  Frankreich.  Leicht  zu- 
gängliche Lager  von  Kalken  in  ausgezeichneter  Beschaffenheit,  von 
der  weichen,  erst  an  der  Luft  erhärtenden  Kreide  (z.  B.  bei  Paris)  bis 
zu  sehr  festen  Arten,  überziehen  den  französischen  Boden  fast  in  allen 
Richtungen.    Nur  im  zentralen  Berglande  herrschen  Tuffe,  Laven  und 


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Fünfzehntes  Kapitel :  Der  Aussenbau. 


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Granit ;  letzterer  auch  in  der  Bretagne  und  der  westlichen  Normandie ; 
und  die  Geschicklichkeit  der  Steinmetzen  wusste  selbst  dieses  sprödeste 
Material  tüchtig  zu  bemeistern  (Beispiele :  Solignac  bei  Limoges,  Mont 
Sain-Michel).  Die  einzige  Landschaft,  die  zum  Backstein  zu  greifen 
genötigt  war,  ist  die  Ebene  des  Languedoc  (Hauptbeispiel:  S.  Sernin 
in  Toulouse). 

Vom  Altertum  her  stehen  sich  zwei  Prinzipien  der  Steinkon- 
struktion gegenüber:  das  durchgehende  Vollmauerwerk  und  das  ge- 
füllte Hohlmauerwerk.  Das  eine  aus  gleichartigen  Werkstücken,  in 
Schichten,  die  durch  die  ganze  Dicke  der  Mauer  durchlaufen;  das 
andere  mit  einem  Kern  von  weicherem  und  zwei  Schalen  oder  Krusten 
aus  härterem  Stoff.  Bei  ersterem  hat  Material  und  Fugenschnitt  als 
Dekorationsmittel  nur  sekundäre  Bedeutung;  bei  diesem  darf  die 
Kruste,  weil  sie  bei  der  konstruktiven  Aufgabe  der  Mauer  nicht  oder 
nur  in  geringstem  Masse  mitzuwirken  hat,  in  freiester  Weise  dem 
ästhetischen  Schein  dienen.  Das  Bekleidungsprinzip  hatte  sich  in 
primitiver  Form  in  den  mit  gebrannten  Ziegeln  oder  Alabaster  in* 
krustierten  Lehmwänden  der  Chaldäer  und  Assyrer  gezeigt;  es  lebte 
höchst  vergeistigt  bei  den  Griechen  fort;  es  wurde  von  den  Römern 
mit  grossartigem  technischem  Verstände,  der  Solidität  mit  Sparsamkeit 
zu  verschwistern  wusste,  in  ihren  gewölbten  Massenbauten  ausgenutzt, 
bis  endlich  die  alternde,  von  orientalischen  Kulturelementen  durch- 
setzte Spätantike  wieder  auf  die  Stufe  des  asiatischen  »Bekleidungs- 
materialismus« zurücksank.  So  beruhte  denn  auch  die  Technik  des 
frühen  Mittelalters  ganz  und  gar  auf  der  Füllmauerkonstruktion  und 
nur  langsam  und  nie  bis  zur  Ebenbürtigkeit  mit  den  Arbeiten  der 
griechisch-römischen  Glanzzeit  erhob  sich  daneben  das  Vollmauerwerk. 
Wir  sprechen  zunächst  vom  ersteren. 

Nach  dem  geschilderten  Prinzipe  wurde  in  der  christlich-antiken 
Epoche  wie  im  frühen  Mittelalter  selbst  der  bescheidene  Backsteinbau 
behandelt,  d.  h.  das  Mauermassiv  wurde  als  Gusswerk  und  nur  die 
Aussenrlächen  wurden  aus  gebrannten  regelmässigen  Formsteinen  her- 
gestellt. Da  diese  dünne  Hülle  ')  wie  bemerkt,  an  der  konstruktiven 
Leistung  so  gut  wie  keinen  Anteil,  sondern  nur  zum  Schutz  des  Kernes 
gegen  Witterungseinflüsse  zu  dienen  hat,  kam  man  darauf,  die  wagrechte 
Schichtung  zu  verlassen  und,  einem  rein  dekorativen  Triebe  folgend, 
diagonale  Fugensysteme  einzurichten.  Die  schon  in  guter  römischer 
Zeit  bekannt  gewesenen  Arten  des  Netzverbandes  {opus  reticulatutn) 

')  Die  Römer  nannten  sie  treffend  Corium,  was  sowohl  die  Kinde  der  Bäume  als 
die  Haut  der  Tiere  bedeutet  ;  vgl.  Quicherat,  Melanges  d  archeologie,  p.  366. 


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Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


und  des  Fischgräten-  oder  Aehrenverbandes  {opus  spicatum)  werden 
jetzt  immer  beliebter;  dazu  kommen  an  gewissen  Stellen  noch  andere 
ganz  spielende  Lineamente,  und  um  diese  schärfer  hervorzuheben, 
werden  kleine  Stücke  natürlichen  Steines  in  wechselnden  Farben  bei 
gemischt  (ein  bekanntes  Beispiel  der  sogenannte  Clarenturra  in  Köln 
Abb.  u.  a.  bei  Essenwein  im  Handbuch  der  Architektur  II.  3,  124;  In- 
krustation in  regelmässigerer  Musterung  und  verbunden  mit  feinen 
plastischen  Gliedern  am  Saint-Jean  in  Poitiers,  Taf.  246).  Nicht  nur 
in  den  transalpinen  Ländern,  auch  in  Italien  war  diese  kindliche 
Dekorationsweise  gang  und  gäbe.  Wir  geben  als  Beispiel  ein  Stück 
von  der  Ostmauer  des  Baptisteriums  beim  Kloster  Sto.  Stefano  in 
Bologna  (Taf.  320);  es  dürfte  dem  8.  Jahrhundert  angehören;  aber 


der  mindestens  zwei  Jahrhunderte  jüngere  Kreuzgang  daneben  ist  noch 
ähnlich  behandelt.  Massvoller  zeigt  die  Westfront  von  S.  Ambrogio  in 
Mailand  (etwa  Mitte  des  11.  Jahrhunderts)  einen  Wechsel  von  je  drei 
Schichten  in  wagrechter  Fugung  und  einer  in  Fischgrätenwerk.  —  In 
Gallien,  das  mit  gewachsenem  Stein  reichlich  versehen  war,  drängte 
dieser  den  Backstein  mehr  und  mehr  zurück,  aber  gleichwohl  haftete 
die  backsteinmässige  Behandlung  des  Mauerwerks  fort  und  fort  in  der 
Gewohnheit.  Ausserdem  ist  zu  berücksichtigen,  dass  in  diesen  bar- 
barischen Zeiten  weder  die  Strassen  danach  waren,  grössere  Steinblöcke 
zu  transportieren,  noch  die  Gerüste  und  Maschinen,  sie  zu  heben. 
So  hat  in  der  Merovinger-  und  Karolingerzeit  ein  aus  sehr  kleinen 
Stücken  zusammengesetzter  Verband  durchaus  die  Oberhand  (das  petit 
appareil  der  archäologischen  Terminologie,  wahrscheinlich  identisch 
mit  dem  opus  constructum  lapillis  und  opus  gallicum  der  Quellen).  Den 
Kern  des  Mauerwerks  bildet  eine  rohe  Anhäufung  von  formlosen  Bruch- 
steinen, in  reichlichen  Mörtelguss  eingebettet  und  nur  mit  einer  dünnen 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


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Schale  von  Werkstücken  in  regelmässigem  Verbände  verkleidet.  Diese 
letzteren  sind  (gerade  wie  die  Verkleidungsziegel  der  Chaldäer) 
keilförmig  zugehauen,  um  desto  besser  mit  der  Gussmasse  sich  zu 
verbinden;  ihre  Schauseite  ist  quadratisch  mit  einer  Seitenfläche  von 
nur  8— 10  c;  mit  normal-geschichteten  Abschnitten  wechseln  retikulate; 
sodann  werden  nicht  selten  in  unregelmässigen,  meist  recht  grossen 
Abständen  schmale,  1  bis  3  Schichten  fassende  Bänder  von  Backsteinen  ') 
eingezogen;  vgl.  vorstehende  Figur.  Eine  Abart  des  älteren  (quadrati- 
schen) Kleinverbandes  ist  der  in  der  Karolingerzeit  um  sich  greifende 
verlängerte«.  Immer  sind  die  Fugen  sehr  breit,  bei  dunklem  Material 
mit  weissem,  bei  hellem  mit  gefärbtem  Mörtel  ausgestrichen.  Dazu 
kommen  für  den  Unterbau,  die  Mauerecken,  die  Thür-  und  Fenster- 
rahmen Werkstücke  von  bedeutend  grösserem  Format.  Dies  alles  zu- 
sammengenommen ist  nicht  ohne  einen  gewissen  malerischen  Reiz  von 
freilich  sehr  urtümlich-barbarischer  Färbung  (Beispiele  aus  dem  10.  Jahr- 
hundert auf  Taf.  246,  Fig.  1,  4,  5;  ferner  in  de  Caumonts  Aböc^daire 
[5.  A.]  p.  108,  1 10,  1 12). 

Am  längsten,  weit  über  das  Jahr  1000  hinaus,  erhielt  sich  der 
Gebrauch  der  kleinen  Materialien  in  den  Westprovinzen;  in  der  Nor- 
mandie  z.  B.  liebte  man  es,  die  ganzen  Wände  selbst  grosser  Kirchen, 
wie  z.  B.  der  von  Ctfrisy,  in  Fischgräten  auszuführen ;  bunterer  Wechsel 
war  in  Aquitanien  zu  Hause,  wie  Taf.  320,  Fig.  2  zeigt;  ja,  so  sehr 
war  diese  ornamentale  Verwertung  der  Fugen  den  Bauleuten  des  Westens 
in  Fleisch  und  Blut  übergegangen,  dass  sie  dieselbe  selbst  nach  dem 
Uebergange  zu  grösseren  Materialien  noch  festzuhalten  sich  bestrebten, 
indem  sie  auf  die  Flächen  der  Quadersteine  Scheinfugen  einritzten 
und  mit  rotem  Kitt  ausfüllten.  Derartiges  falsches  Retikulat,  z.  B.  in 
S.  Ge'ne'roux  (Taf.  295)  aus  A.  11.  Jahrhundert,  aber  auch  noch  am 
Westgiebel  und  in  den  Bogenzwickeln  der  Seiten  wände  von  Notre-Dame 
zu  Poitiers  (Taf.  249,  277),  am  Turm  von  Cunault,  an  der  Fassade 
der  Kathedrale  von  Lemans  und  vielen  anderen  Kirchen  des  ti.  Jahr- 
hunderts. Frei  erfundene  Fugenmuster,  meist  an  Thürbogenfeldern 
und  am  Giebel  verwendet,  in  der  Normandie  (Taf.  320,  Fig.  5,  6,  7). 
Noch  später,  als  die  normannische  Baukunst,  besonders  in  England, 
zu  sehr  reicher  plastischer  Gliederung  der  Fensterbögen  und  Blend- 
arkaturen  fortschritt,  wurde  auch  das  Flächenornament  zum  Relief 
gesteigert;  im  Inneren  Flecht-  und  Teppichmuster  (Hauptbeispiel 
Kathedrale  von  Bayeux  Taf.  347),  im  Aeusseren  Schuppen-,  Zacken-, 
Rauten-  und  Schachbrettmuster,  wobei  die  vertieften  Felder,  um  das 
Licht  voller  aufzufangen,  in  schräger  Ebene  einspringen.  Uebersetzung 


l)  Die  Backsteine  sind  ungleich  denen  des  späteren  Mittelalters  sehr  flach,  höch- 
stens 5  c  stark,  dabei  bis  40  und  selbst  50  c  lang,  manchmal  dreieckig. 

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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


des  Retikulats  in  vertieftes  Kassettenwerk  am  Giebel  von  St.  Etienne 
in  Beauvais  (Viollet-le-Duc  VII,  134). 

Ein  zweites  Moment  tritt  ein  mit  der  Zusammenstellung  von 
Materialien  in  verschiedener  Farbe.  Entweder  wird  nach  lagerechten 
Schichten  gewechselt,  wobei  der  Schein  des  Vollmauerwerks  gewahrt 
bleibt;  oder  es  wird  davon  abgesehen  und  beliebig  zugeschnittene 
Tafeln  werden  zu  teppichartigen  Mustern  kombiniert,  was  man  im 
engeren  Sinne  Inkrustation  nennt. 

Ein  Hauptbeispiel  aus  der  Uebergangszeit  von  der  christlich-antiken 
Epoche  (nach  R.  Adamy  zwischen  766 — 774)  ist  die  Eingangshalle 
des  Klosters  Lorsch ,  deren  Wandflächen  durchaus  mit  Schachbrett- 
mustern aus  rotem  und  weissem  Sandstein  überzogen  sind  (Taf.  213); 
wahrscheinlich  war  die  ganze  Kirche,  da  sie  in  den  Quellen  ecclesia 
varia  genannt  wird,  in  zwei  Farben  gehalten ;  ähnlich  zufolge  der  Ab- 
bildung in  einer  Bilderhandschrift  der  alte  Dom  von  Köln  (Textfigur 
S.  567),  so  dass  wir  in  der  karolingischen  Zeit  den  polylithen  Verband 
als  etwas  gewöhnliches  anzusehen  haben.  Die  ottonische  Epoche  hält 
hierin  wie  in  anderen  Dingen  die  karolingische  Tradition  aufrecht,  so 
S.  Michael  in  Hildesheim  (Taf.  43,  54,  64),  S.  Pantaleon  in  Köln 
(Taf.  60).  Späterhin  geht  in  Deutschland  die  Polylithie  auf  ein  be- 
scheidenes Mass  zurück,  indem  sie  sich  auf  die  Markierung  der  struktiv 
bedeutsamen  Teile,  wie  Fenster-  und  Thürbogen  und  Mauerecken,  be- 
schränkt, wofür  die  Beispiele  bis  ins  12.  Jahrhundert  häufig.  Im  rhei- 
nischen Spätromanismus  eingelegte  Schieferplatten  als  Friese  (Taf.  316}. 
—  Frankreich  besitzt  aus  karolingischer  Zeit  bekanntlich  nur  wenige 
Bauüberreste ;  wir  erwähnen  hier  das  Kirchlein  von  Germigny-des 
Pres  wegen  seiner  Stuckinkrustation,  S.  Pierre  in  Vienne  (Taf.  31), 
S.  Samson-sur  Risle  als  Beispiele  für  Dekoration  mit  Terrakottaplatten. 
Im  11.  und  12.  Jahrhundert  herrscht  eine  ausgiebige  Polylithie  in  der 
Auvergne  und  im  Velay;  die  Farben  sind  weiss,  schwarz,  dunkelgelb: 
ein  aus  Kreisen  und  Sternen  zusammengesetztes  Band  schmückt  regel- 
mässig an  Stelle  des  Frieses  die  Apsis  (Taf.  253,  254),  Teppichmuster 
andere  Stellen,  namentlich  die  Giebel  (Taf.  320,  Fig.  8);  Schichten- 
wechsel mit  Teppichmustern  kombiniert  an  der  Kathedrale  von  Le  Puy, 
wo  nicht  nur  die  Fassade  (Taf.  262),  sondern  auch  die  Seitenwände 
in  dieser  Weise  ausgestattet  sind. 

Das  gelobte  Land  der  Inkrustation  ist  aber  Italien.  Das  Vorbild 
der  Antike,  an  welches  technisch  und  formell  unmittelbar  angeknüpft 
werden  konnte,  und  die  unerschöpften  Marmorfundgruben  luden  gleich 
sehr  dazu  ein.  In  Toskana  meldet  sich  die  Inkrustation  gleichzeitig 
mit  der  >Protorenaissance«  gegen  Ende  des  11.  Jahrhunderts.  Die 
Hauptmotive  sind:  wagrechtes  Schichtwerk  und  umrahmendes  Tafel- 


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Fünfzehntes  Kapitel  :  Der  Aussenbau. 


603 


werk;  jenes  in  der  Schule  von  Pisa  und  Lucca,  dieses  in  der  floren- 
tinischen  herrschend.  Sollte  die  mit  dem  Dombau  von  Pisa  auf- 
kommende lebensvolle  und  doch  knappe  Gliederung  der  Wandflächen 
durch  Pilaster,  Halbsäulen  und  Blendbogen  für  das  Auge  an  Wirkung  nicht 
verlieren,  so  galt  es,  mit  dem  Reizmittel  der  Farben  Vielheit  massvoll 
umzugehen ;  dass  die  Toskaner  die  richtige  Grenze  zu  finden  und  ein- 
zuhalten wussten  (allerdings  mit  Ausnahmen  1  s.  S.  Giovanni  fuorcivitas 
in  Pistoja)  gereicht  ihnen  sehr  zur  Ehre.  Eine  wie  zarte  Gegenwirkung 
liegt  z.  B.  am  Dom  von  Pisa  in  den  feinen  roten  Horizontalstreifen, 
die  in  gemessenen  Abständen  die  aufsteigenden  Linien  der  Pilaster 
durchschneiden,  ein  Vorklang  gleichsam  auf  das  Dachgesims.  Ein 
Lieblingsmotiv  der  Schule,  die  übereck  gestellten  einspringenden  Vier- 
ecke unter  den  Blendbögen,  mit  bunter  Füllung  und  mosaizierten 
Rändern;  ausserdem  hin  und  wieder  Mosaikschmuck  an  Archivolten 
und  Zwickeln  (Taf.  286);  in  S.  Michele  in  Lucca  weisse  Tierfiguren 
auf  schwarzem  Grunde  in  Niellotechnik ,  wie  sie  sonst  vornehmlich  in 
der  Innendekoration ,  an  Chorschranken  u.  s.  w.  Verwendung  fand 
(Taf.  321).  Bei  einfacherer  architektonischer  Gliederung,  wie  z.  B. 
am  Chor  von  S.  Frediano  in  Lucca  und  vielen  kleineren  Fassaden, 
wird  der  Schichtenwechsel  kräftiger  betont.  Das  Motiv  erstreckt 
sich  landeinwärts  nach  Pistoja  und  Prato,  an  der  Küste  nordwärts 
bis  Genua,  südwärts  bis  in  die  Mareramen  (Kathedrale  von  Massa 
marittima).  Die  florentinische  Inkrustation  ist  ihrem  Wesen  nach 
steinernes  Zimmerwerk;  die  Abbildungen  auf  Taf.  237  u.  321  überheben 
uns  eingehender  Beschreibung.  Will  man  die  Wirkung  sich  richtig 
vergegenwärtigen,  so  denke  man  immer  an  die  Macht  der  südlichen 
Sonne,  welche  die  Farbenkontraste  aufsaugt,  die  plastische  Gliederung 
auch  wenn  sie  zart  ist,  hinreichend  effektvoll  macht.  An  der  berühmten 
Fassade  von  S.  Miniato  sind  gerade  die  Inkrustationsmotive  zum  Teil 
von  Unbeholfenheit  nicht  frei;  in  meisterhafter  Reife  diejenigen  am 
Baptisterium.  —  Auch  die  Protorenaissance  in  Rom  fasste,  im  Gegen- 
satz zu  den  kahlen  Backsteinmauern  des  frühen  Mittelalters,  neben  den 
reineren  Zierformen  und  beinahe  noch  mehr  als  diese,  das  edle  Material 
als  ein  Hauptmerkmal  der  Kunst  des  Altertums  auf,  dem  sie  nach- 
zueifern sich  bemühte.  Die  Inkrustation  wurde  das  unentbehrlichste 
Kunstmittel  der  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  und  im  13. 
blühenden  Cosmatenschule;  dadurch  aber,  dass  sie  nicht  wie  in  Toskana 
mit,  sondern  neben  der  Grossarchitektur  sich  entwickelte,  vornehmlich 
an  dekorativen  Ausstattungsstücken,  als :  Fussböden,  Thürrahmen,  Can- 
cellen,  Ambonen,  Sängerbühnen  und  Bischofsthronen  —  behielt  sie  auch 
dort,  wo  sie  an  eigentlich  architektonischen  Aufgaben,  wie  Atrien  und 
Kreuzgängen,  sich  zu  erproben  hatte,  den  kleinmusivischen  Charakter  bei. 
Auf  dem  Grunde  des  weissesten  Marmors  farbige  Ornamente  in  textilem 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Charakter,  aus  Splittern  gelben,  grünen  und  roten  Marmors,  zu  denen 
später  Glaspasten  in  Gold,  Blau  und  Rot  hinzutraten,  zusammengesetzt; 
selbst  die  Schafte  der  Zwergsäulen  mit  bunten  musivischen  Bändern 
umwunden;  das  Ganze  bei  allem  Gepräge  jugendlich-zart  und  träumend- 
spielerisch  (Beispiele  Taf.  283).  —  Der  dritte  Hauptsitz  der  Inkrustation, 
von  allen  der  luxuriöseste,  war  Palermo.  Selbst  die  grossen  Kathedralen 
sollten  hier  über  und  über  in  Steinmosaik  eingehüllt  werden.  Gegen- 
wärtig ist  das  besterhaltene  Stück  die  Chorseite  des  Domes  von  Monreale. 
Der  Stil  ist.  wie  es  in  Sizilien  nicht  anders  sein  konnte,  sehr  gemischt ; 
zum  Teil  sind  struktive  Motive,  namentlich  die  sich  durchschneidenden 
Bogen  der  Normannen,  ins  Flache  übersetzt.  Die  Chroniken  und  eine 
päpstliche  Bulle  (von  1182)  rühmen,  dass  ähnliches  »a  diebus  antiquis« 
von  keinem  Könige  der  Welt  gemacht  sei.  »Und  auch  unsere  Zeit- 
genossen werden  von  dieser  zugleich  ernsten  und  doch  wieder  märchen- 
haft phantastischen  Pracht  mächtig  ergriffen. c  —  In  Campanien  und 
Apulien  spielt  die  Inkrustation  eine  geringere  Rolle;  wo  sie  beliebt 
wird,  folgt  sie  abwechselnd  dem  sizilianischen,  römischen  oder  pisanischen 
Stile.  In  Venedig  ist  der  fortan  so  charakteristische  Marmorprunk 
ein  Gewinn  der  Kreuzzüge.  Die  Markuskirche  des  saec.  1 1  zeigte 
Backsteinwände  von  strenger,  massiger  Haltung;  reicher,  mit  einigen 
Byzantinismen,  der  Chor  des  Domes  in  Murano,  aus  saec.  12  (Taf.  2401. 

Wenden  wir  uns  nun  zum  Vollmauerwerk,  so  ist  im  vor- 
liegenden Zusammenhange  darüber  wenig  zu  sagen.  Es  tritt  zuerst 
als  rohes  Bruchsteinwerk  auf  und  vervollkommnet  sich,  langsam  ge- 
nug, in  der  Weise,  dass  die  an  der  Schauseite  liegende  Reihe  der 
Steine  sorgfältiger  und  in  annähernd  gleichem  Format  zurechtgehauen 
wird.  Das  Beispiel  einer  für  ihre  Zeit  (Ende  des  10.  Jahrhunderts) 
besonders  guten  Technik  dieser  Art  gibt  Taf.  320,  Fig.  3.  Werden 
die  Werkstücke  allmählich  grösser,  so  tritt  thatsächlich  wieder  eine 
Scheidung  von  Schale  und  Kern  und  somit  prinzipielle  Annäherung 
an  das  Füllmauerwerk  ein  1).  Dieser  sogenannte  *  mittlere  <  Verband 
ist  vornehmlich  in  Frankreich  ausgebildet,  nach  Deutschland  kam  er 
durch  die  Cluniacenser  und  Cistercienser.  Eine  interessante  Ueber- 
gangsstufe  von  der  frühmittelalterlichen  Art  zeigen  die  aus  dem  An- 
fang des  11.  Jahrhunderts  stammenden  Teile  von  S.  Martin  in  Tours 
(Taf.  320,  Fig.  1):  die  Werkstücke  haben  erst  geringe  Längenausdeh- 
nung, der  Mörtel  quillt  zwischen  den  Fugen  vor  und  ist  zu  breiten, 

')  Dies  gilt  nicht  bloss  von  den  Mauern ,  sondern  selbst  von  den  Pfeilern ,  so 
r.  B.  S.  Ambrogio  in  Mailand,  Text-Fig.  S.  442,  und  mit  noch  dünnerer  Schale  die 
Zentraiturmpfeiler  der  Kathedrale  von  Peterborough ,  deren  Abbildung  auf  der  nächsten 
Seite  wir  der  Güte  de^.  Lordbischofs  verdanken. 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau.  605 

erhabenen  Stegen  zurechtgestrichen.  An  der  Fassade  von  Hirsau 
(Taf.  230,  Fig.  2)  sind  die  dem  n.  Jahrhundert  entstammenden  Teile 
im  Mittelverband,  die  im  13.  Jahrhundert  vermauerten  im  Grossverband. 
Wirklich  schöne  und  bewusste  Quadertechnik  kommt  nur  unter  un- 
mittelbarem  Einfluss  römischer  Muster  vor  :  Provence,  Burgund,  Tos- 
kana. Doch  wird  sie  nie  eigentlich  ornamental  (Bossenquader  nur  an 
Befestigungsbauten),  wie  im  Altertum  und  in  der  Renaissance,  aus- 


Zcntralturmpfeiler  der  Kathedrale  von  Pcterborough. 


gebildet.  Je  mehr  im  Spätromanismus  und  vollends  in  der  Gotik  die 
plastisch-tektonische  Gliederung  die  Hauptsache  wurde,  um  so  mehr 
musste  die  Aufmerksamkeit  vom  einzelnen  Werkstück  abgelenkt  wer- 
den ;  weshalb  die  neuerdings  bei  Restaurationen  aufgekommene  Sitte, 
durch  derbe  weisse  oder  schwarze  Fugenstriche  die  Mauertechnik  als 
solche  grell  hervorzuheben,  eine  sinnwidrige  genannt  werden  muss.  — 
Von  der  zweiten  Gruppe  der  Dekorationsmittel ,  der  struktiv- 
technischen,  kann  hier  nur  das  allgemeinste  gesagt  werden.  Sie  be- 
stehen teils  in  Durchbrechungen  der  Mauermasse:  durch  Thüren, 
Fenster,  Nischen,  Galerien;  teils  in  Verstärkungen  der  Mauer:  durch 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Pfeiler,  Halbsäulen,  Pilaster,  Lisenen  nebst  den  zu  ihnen  gehörigen 
Bögen  und  Gesimsen,  welche  Verstärkungen  entweder  real  wirkende 
oder  bloss  symbolische  oder  beides  zusammen  sein  können.  Thören 
und  Fenster  werden  im  romanischen  Stil  nach  Zahl  und  Grösse  allein 
durch  das  Bedürfnis  des  Innenbaus  bestimmt  ;  erscheinen  sie  für  das 
Aeussere  zu  klein  und  unwirksam,  so  erweitert  man  sie  durch  Ab- 
schrägung der  Mauern  und  umgibt  sie  mit  einer  Rahmenarchitektur; 
Die  Verstärkungen  werden  in  der  Frühzeit  noch  sehr  sparsam  ge- 
geben; mit  dem  Aufkommen  des  Gewölbebaus  treten  sie,  materiell 
wie  symbolisch,  bedeutsamer  hervor  und  erreichen  ihre  ganz  kon- 
sequente, obschon  einseitige,  Ausbildung  erst  in  der  Gotik. 

3.   Komposition  der  Schauseiten. 

Vorbemerkung.  Es  fangt  neuerdings  an,  Sitte  zu  werden,  die 
Begriffe  Schauseite  und  Fassade  einander  gleichzusetzen  und  im 
Gebrauche  thunlichst  das  letztere  Wort  durch  das  erstere  zu  verdrängen, 
was  uns  etymologisch  unstatthaft  und  unseren  ohnedies  nicht  reichen 
Vorrat  von  gangbaren  lerminis  technicis  ohne  Not  verkürzend  zu  sein 
scheint.  Eine  Fassade  (vom  ital.  faccia,  Antlitz)  hat  ein  Gebäude  nur 
bei  ausgeprägtem  Gegensatz  eines  Vorn  und  Hinten:  Stirnseite  wäre 
dafür  eine  passende  Uebertragung.  Schauseite  dagegen  ist  eine  jede  Seite, 
die  bestimmt  ist,  angeschaut  zu  werden,  die  eine  in  die  künstlerische 
Rechnung  einbezogene  selbständige  Ansicht  des  Baukörpers  gibt.  Es 
kann  an  einem  Gebäude  mehrere  Schauseiten,  aber  nur  eine  Fassade 
geben.  Schauseite  und  Fassade  fallen  oft  zusammen,  doch  nicht  not- 
wendig; wir  werden  gerade  an  romanischen  Kirchen  häufig  den  Fall 
finden,  dass  nicht  die  Fassade,  sondern  eine  der  Langseiten  oder  der 
Chor  als  Hauptschauseite  behandelt  ist;  und  auch  den  anderen  (bei 
doppelchörigen  Anlagen),  dass  überhaupt  keine  Fassade  vorhanden. 

Das  Kirchengebäude  des  Mittelalters,  als  Langbau  mit  ausge- 
prägtem Richtungsmoment ,  fordert  seiner  ganzen  Natur  nach  zu 
ungleichwertiger  Charakterisierung  seiner  verschiedenen  Seiten  auf.  Die 
beiden  Schmalseiten  sind  als  Eingangs-  und  Stirnseiten  hier,  als  Chor- 
und  Schlussseite  dort,  die  bedeutsameren,  daher  reicher  zu  schmückende, 
stehen  aber  zu  einander  in  gegensätzlichem  Verhältnis;  hinwider  die 
Langseiten  verhalten  sich  zu  den  beiden  anderen  untergeordnet,  unter 
sich  jedoch  symmetrisch.  Wir  haben  aber  schon  genugsam  kennen 
gelernt,  dass  die  ursprüngliche  Einseitigkeit  des  Richtungsmomentes 
durch  Einschiebung  des  QuerschirTes  und  durch  Ausbildung  mannig- 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


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facher  zentralistischer  Elemente  mehr  oder  minder  erhebliche  Brechung 
erfahren  kann.    Ferner  macht  sich  fast  in  jedem  konkreten  Fall  die 
Kinwirkung  der  baulichen  Umgebung  geltend.    Ist  die  Kirche,  wie 
es  zumal  in  den  alten  Städten  des  Südens  so  oft  geschieht,  rings  von 
Profangebäuden  eingeschlossen,  so  bleibt  nur  eine  einzige  Seite,  in 
der  Regel  wird  es  die  Stirnseite  des  Langhauses  sein,  als  Schauseite 
übrig.   Bei  allen  Klosterkirchen  und  vielen  Kathedralen  wird  die  eine 
Langseite  von  den  Gebäuden  der  Clausur  eingenommen,  während  die 
andere  frei  bleibt;  dann  kann  diese  zur  Hauptschauseite  gemacht 
werden,  wofür  wir  unter  unzähligen  Beispielen  nur  an  Sankt  Jakob  in 
Regensburg,  S.  Michael  und  S.  Godehard  in  Hildesheim,  den  Dom 
von  Trient,  die  Kathedrale  von  Autun  erinnern.    Eben  das  liberale 
Geltenlassen  individueller  Momente  aller  Art  gegenüber  der  abstrakten 
Regel,  erhält  die  romanische  Bauphantasie  so  wundervoll  frisch  und 
beweglich  und  leiht  ihren  Werken  die  ungesuchte  Originalität,  die  zu 
ihren  beneidenswertesten  Vorzügen  gehört.    Für  unsere  Darstellung, 
die  das  allgemeingültige  aufzusuchen  hat,  entstehen  daraus  allerdings 
beträchtliche  Schwierigkeiten.   In  der  Hauptsache  werden  wir  uns  auf 
Heranziehung  solcher  Denkmäler  beschränken,  welche  Stilbilder  von 
ausgeprägter  Bestimmtheit  geben    und    repräsentierend    für  ganze 
Schulen  sind. 

ITALIEN  »). 

TOSKANA.  Dieser  Landschaft  gebührt  der  Ruhm,  noch  lange 
bevor  sie  dem  italienischen  Volk  seine  Literatursprache  gab,  in  der 
Sprache  der  Baukunst  italienischem  Empfinden  die  Zunge  gelöst  zu 
haben.  Der  Aufschwung  vollzog  sich,  soviel  wir  heute  urteilen  können, 
ohne  vorbereitende  Stufen,  vielmehr  sogleich  ganz  klar  und  zielbewusst 
mit  genialer  Intuition  am  Dombau  zu  PISA ,  einem  Werke  von  so 
feierlich  hohem  Monumentalsinn ,  wie  die  Kunstgeschichte  ihrer  nicht 
viele  kennt  (Taf.  234,  235).  Zum  erstenmal,  wenigstens  in  Italien, 
ist  hier  mit  der  Einseitigkeit  der  altchristlichen  Auffassung  ganz  ge- 

')  Hier  unterliegt  noch  mehr  als  in  anderen  Ländern  die  Aussendekoration ,  ins- 
besondere der  Fassaden,  grossen  Schwierigkeiten  in  der  Zeitbestimmung.  Im  Hinblick 
auf  ihre  vom  Mauerkern  unabhängige  technische  Ausfuhrung  müssen  wir  immer  mit 
der  Möglichkeit  rechnen ,  das«  sie  mehr  oder  minder  später  entstanden  seien ,  als  der 
Innenbau ;  selbst  Inschriften  (die  in  Italien  häufiger  vorkommen  als  anderswo)  geben 
nicht  allemal  ein  unzweideutiges  Zeugnis.  Vor  den  fast  immer  zu  weit  zurückgreifenden 
Datierungen  in  der  jüngsten  Geschichte  der  italienischen  Baukunst  von  Oscar  Mothes 
wollen  wir  nur  im  allgemeinen  gewarnt  haben,  da  spezielle  Auseinandersetzung  mit  ihnen 
zu  viel  Raum  kosten  würde. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


brochen,  ist  das  Gebäude  auf  einen  weiten  freien  Platz  gestellt,  nach 
allen  Seiten  der  Betrachtung  offen,  in  allen  Teilen  gleichmässig  ge- 
diegen und  würdevoll  durchgeführt;  zum  erstenmal  auch  seit  der 
römischen  Zeit  wieder  sucht  die  Kunst  den  Aussenbau  lebendig  und 
zugleich  mit  dem  Innern  harmonisch  zu  gliedern.  Der  älteren  Bauzeit 
(letzte  Dezennien  saec.  1 1)  gehören  das  Querschiff  und  die  Seiten- 
schiffswände  des  Langhauses;  im  Erdgeschoss,  auf  einem  wohlprofi- 
lierten Sockel  ansetzend,  schlanke  Pilaster,  durch  Bögen  verbunden, 
in  der  Abmessung  der  Abstände  der  Achsenteilung  des  Innern  ant- 
wortend; in  den  beiden  folgenden  Geschossen  (Emporen  der  Seiten- 
schiffe und  Lichtgaden  des  Mittelschiffs)  über  den  Pilastern  gerades 
Gebälk;  über  den  knappen,  strengen  Formen  liegt  ein  merkwürdig 
jugendlicher  Hauch.  Die  spätere,  ins  12.  Jahrhundert  übergehende 
Bauepoche  —  die  Apsis,  das  Obergeschoss  des  Langhauses  und,  wohl 
als  letztausgeführter  Teil,  die  Fassade  —  sucht  eine  vollere  Ausdrucks- 
weise, ohne  doch  mit  den  älteren  Teilen  in  Disharmonie  zu  geraten: 
die  Pilaster  durch  Halbsäulen  ersetzt,  die  Archivolten-  und  Gesims- 
profile  mit  Eierstäben  und  Kymatien  bereichert,  für  die  Flächen  mehr- 
farbiges Steinmosaik  stärker  herangezogen ;  der  bedeutendste  neue 
Gedanke  ist  aber  an  der  Fassade  wie  an  der  Hauptapsis  die  Auf- 
lösung der  Mauern  in  durchsichtige  Galerien,  die  gewissermassen  eine 
zweite  ideale  Wand  darstellen  (vgl.  auch  den  Längenschnitt  Taf.  69). 
Einzelnes,  wie  die  an  sich  schwierige  Lösung  der  Partie  unterhalb  der 
Dachschrägen  der  Seitenschiffe,  ist  noch  unbeholfen;  das  Motiv  im 
ganzen  dient  der  majestätischen  Breite  der  Fassade  zu  glänzender 
Belebung. 

Das  Vorbild  des  Domes  beherrschte  die  pisanische  Architektur 
durch  zwei  Jahrhunderte.  Nur  einmal  freilich  ist  der  Versuch  gemacht, 
im  Umbau  von  S.  PAOLO  a  Ripa  (saec.  13)  den  ganzen  Formen- 
apparat des  Domes  in  den  kleineren  Massstab  hinüberzunehmen ;  sonst 
wurden  immer  Reduktionen  vorgenommen,  von  denen  S.  Frediano 
(Taf.  236,  3)  ein  anziehendes  Beispiel  gibt.  Wir  glauben  nicht,  dass 
irgend  eine  der  in  diese  Klasse  gehörenden  Fassaden  dem  Dom  vor- 
ausgegangen ist,  womit  es  nicht  im  Widerspruch  steht,  dass  der 
Körper  der  Kirchen  zuweilen  älter  ist,  als  dieser.  Noch  am  Ende  des 
13.  Jahrhunderts  zeigt  S.  PlETRO  IN  VlNCOU  den  Kompositionstypus 
völlig  unverändert,  nur  in  den  Details  die  Spuren  der  jüngeren  Zeit. 

Die  Schule  von  Lucca  war  der  pisanischen  von  Haus  aus 
verwandt  und  geriet  im  12.  Jahrhundert  ganz  unter  deren  Herrschaft. 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


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Zunächst  sind  einige  Bauten  bemerkenswert,  welche  ohne  älter  zu 
sein  als  der  Dom  von  Pisa,  doch  eine  unentwickeltere  Stufe  darstellen. 
So  besonders  S.  Frediano  (a.  11 12  —  1 147).  Was  hier  den  äusseren 
Eindruck  über  die  Weise  der  früheren  Jahrhunderte  hinaushebt,  ist 
vornehmlich  das  sorgfältig  und  bedeutend  behandelte  Quaderwerk; 
die  Formen  noch  sehr  einfach;  die  blinde  Galerie  an  der  Fassade 
(Taf.  236),  die  lichte  an  der  Apsis  (Taf.  240)  die  einzigen  stärkeren 
Accente.  Die  Zeugen  eines  mit  mehr  Aufwand  und  Ehrgeiz  als 
innerer  Kongenialität  durchgeführten  Wettstreites  mit  dem  Dom  von 
Pisa  sind  S.  MlCHELE  und  S.  MARTINO ;  gedrängter  Reichtum  des  Zier- 
werks in  barock-phantastischen  Formen,  die  der  Antike  ferner  stehen 
nicht  nur  als  die  pisanischen,  sondern  selbst  als  die  älteren  einhei- 
mischen Werke;  als  Gesimse  ein  derber  Wulst  mit  üppigem  Blatt- 
werk. S.  Michele  gibt  für  Toskana  das  erste,  späterhin  nur  zu  oft 
wiederholte  Beispiel  einer  lediglich  der  Wirkung  zuliebe  über  ihre 
natürliche  Grenze,  d.  h.  die  Dächer  des  Langhauses,  hinaus  bedeutend 
überhöhten  Fassade,  eine  um  so  bedenklichere  Täuschung,  da  die 
Kirche  auf  einem  freien  Platze  liegt;  ernster  ist  die  Dekoration  der 
Halbsäulen.  Noch  auffallender  kontrastieren  am  Dom  S.  Martino  die 
»empfindungslos  reiche c  Fassade  und  die  höchst  gediegene  Chor- 
ansicht (Taf.  235,  leider  mit  Wiederholung  der  störenden  Renaissance- 
kapellen). Beide  Bauten  aus  dem  Anfang  des  13.  Jahrhunderts.  An- 
spruchsloser, aber  immer  noch  schmuckvoll  genug  sind  die  zahlreichen 
kleinen  Kirchen  Luccas,  wofür  S.  Giusto  (Taf.  236)  als  Beispiel  diene.  * 
Weiter  trat  auch  durch  andere  Städte  Toskanas  der  pisanische  Stil 
seinen  Rundgang  an,  wie  es  scheint  nicht  vor  Mitte  des  12.  Jahr- 
hunderts. Wir  heben  hervor:  den  Dom  von  PlSTOjA  (von  11 66  oder 
I202r),  stattlich  aber  etwas  trocken;  den  bereits  gotisierenden  von 
MASSA  Marittima  ;  die  Stadtkirche  S.  Maria  della  Pieve  von  Arezzo 
um  12 16,  eine  verkünstelte  Ausartung  des  Stiles  (Analyse  bei 
Schnaase,  VII,  71). 

Kaum  viel  später  als  in  Pisa  erwachte  das  neue  Kunstgefühl 
in  Florenz.  Die  verwandte  Grundstimmung  äussert  sich  in  einer 
Nuance,  die  in  noch  höherem  Grade  die  von  Jakob  Burckhardt  ein- 
geführte Bezeichnung  »Protorenaissance«  verdient.  Leider  ist  die  Zahl 
der  erhaltenen  Denkmäler  dieser  Gruppe  klein,  wie  auch  ihr  räum- 
licher Umkreis  beschränkt  war.  Ein  sicheres  Datum,  das  Jahr  1093 
als  Bauanfang,  trägt  allein  die  Kathedrale  von  EMPOLI;  jedoch  nur 
die  Fassade  und  von  dieser  wieder  nur  das  Erdgeschoss  ist  unver- 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


ändert  geblieben.  Sie  gleicht  so  genau  der  berühmten  Fassade  von 
S.  Miniato  AL  MONTE  bei  Florenz,  dass  wir  ohne  Aufenthalt  zu  dieser 
übergehen  dürfen  (Taf.  237).  Im  allgemeinen  ist  zu  sagen,  dass  hier, 
verglichen  mit  dem  pisanischen  Typus,  die  Komposition  der  altchrist- 
lichen, zugleich  aber  die  Formgebung  noch  um  einen  merklichen  Grad 
der  römischen  Kunst  näher  steht.  Man  beachte  vorweg  das  stärkere 
Walten  der  wagerechten  Linie  und  den  mehr  koordinierenden  Rhyth- 
mus der  Gliederung.  Die  Zahl  der  Blendarkaden  des  Erdgeschosses, 
in  der  pisanischen  Schule  regelmässig  sieben,  ist  hier  fünf,  wodurch 
die  Massverhältnisse  weiter  und  gelassener  werden.  Ein  zweiter  Unter- 
schied ist,  dass  die  drei  Eingangsthüren  nicht  pyramidal  gruppiert 
sind,  sondern  an  Form  und  Grösse  einander  gleich,  mithin  mit  ihren 
in  gleichem  Niveau  liegenden  Oberschwellen  bereits  die  durchlaufenden 
Horizontalen  präludieren.  Und  um  das  Gleichmass  noch  zu  verstärken, 
ist  auch  den  beiden  thürfreien  Arkaden  Wiederholung  des  Rahmen- 
inotivs  mit  einer  an  die  Thürflügel  anklingenden  Füllung  gegeben. 
Die  Teilung  der  Geschosse  markiert  ein  breites,  mehrgliedriges  Fries- 
band. Das  Obergeschoss  mit  seinen  kannelierten  Pilastern,  dem  feinen 
Zahnschnitt  des  Gesimses  und  der  Tabernakelumrahmung  des  Mittel- 
schiffs dürfte  einem  bestimmten  antiken  Gebäude  nachgebildet  sein. 
Das  Motiv  ist  an  sich  passend  ausgewählt,  leidet  aber  an  der  In- 
kongruenz mit  der  Achsenteilung  des  Erdgeschosses.  Erkennbare 
Schwierigkeiten  machten  auch  hier,  wie  in  Pisa,  die  Dreiecke  unter 
den  Dachschrägen  der  Seitenschiffe;  Schwierigkeiten,  die  nachmals 
der  Renaissance  noch  lebhaftere  Sorgen  machen  sollten,  während  die 
nordische  Kunst  —  dank  ihrem  Turmmotiv  —  von  ihnen  nichts 
wusste.  Missraten  sind,  wie  nicht  näher  ausgeführt  zu  werden  braucht, 
an  mehr  als  einer  Stelle  die  Inkrustationsmuster.  Was  unsere  Zeich- 
nung nicht  hinlänglich  erkennen  lässt,  ist  dagegen  die  grosse  auf  die 
plastischen  Glieder  gewandte  Sorgfalt;  die  Archivolten  und  Gesimse, 
auf  den  Schmuck  der  Blätterwellen  und  Eierstäbe  verzichtend,  geben 
die  blossen  Profile  in  zarter,  ja  überzarter  Zeichnung.  Sicher  gibt 
es  in  der  zeitgenössischen  Baukunst  in  und  ausser  Italien  genialere 
Werke ;  was  uns  bei  der  Betrachtung  von  S.  Miniato,  beinahe  möchten 
wir  sagen  mit  Rührung  erfüllt,  ist  der  Ernst,  womit  den  Spuren  eines 
in  den  Trümmern  der  Vergangenheit  erkannten  hohen  Ideals  treu 
und  lauter  nachgestrebt  ist.  Man  muss  sich  historisch  klar  machen, 
welch  ein  inneres  Erwachen  dazu  nötig  war,  diese  Art  von  Schönheit 
überhaupt  nur  wieder  zu  empfinden.   Gewiss,  von  Korrektheit  irgend 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


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welcher  Art  ist  S.  Miniato  weit  entfernt;  nicht  minder  gewiss  ist  aber, 
dass  so  feine  und  ruhige  Anmut,  soviel  Ernst  in  der  Heiterkeit  da- 
mals an  keinem  zweiten  Punkte  des  Abendlandes  zu  finden  waren. 
Es  ist  wie  ein  erster  Morgenhauch  aus  einer  grossen  Zukunft  herüber- 
wehend. —  Die  Entstehungszeit  von  S.  Miniato  ist  nicht  überliefert. 
Die  Jahreszahl  1207  im  Fussbodenmosaik  bezieht  sich  nur  auf  diesen, 
wie  Schnaase  richtig  bemerkt  hat,  nicht  auf  die  Kirche  im  ganzen; 
für  die  Fassade  im  besonderen  ist  der  einzige  Anhaltspunkt,  die  ihr 
so  nahe  stehende  von  Empoli,  welche  wie  wir  sahen,  1093  begonnen 
wurde.  Dass  die  letztere  um  einiges  roher  in  der  Ausführung  ist, 
beweist  nicht  notwenig  ihr  höheres  Alter;  die  Möglichkeit  ist  somit 
zuzugeben,  dass  die  Fassade  von  S.  Miniato  noch  vor  Ende  des 
11.  Jahrhunderts  entstanden  sein  könnte,  wie  auch  andererseits  für 
die  Mutmassung  ein  ziemlicher  Spielraum  ins  12.  Jahrhundert  hinein 
offen  bleibt. 

S.  Miniato  war  nur  ein  und  nicht  einmal  der  vornehmste  unter 
vielen  Kirchenbauten ;  die  florentinischen  Geschichtsquellen  zählen  ihrer 
für  das  11.  und  12.  Jahrhundert  mehr  als  ein  Dutzend;  fast  nichts 
ist  davon  übrig.  Besonders  bedauern  wir  die  Zerstörung  der  im  in- 
neren System  so  fein  empfundenen  Kirche  Sta.  Apostoli.  Sonst  sind 
nur  noch  die  Fassadenfragmente  von  S.  Jacopo  in  Borgo  und  von 
der  Badia  unterhalb  Fiesole  zu  nennen.  Ihre  grosse  Aehnlichkeit  mit 
S.  Miniato  macht  im  Verein  mit  der  Kirche  von  Empoli  wahrschein- 
lich, dass  auch  die  florentinische  Baukunst  dieser  Epoche  gleich  der 
pisanisch-lucchesischen  sich  auf  einen  einzigen  Haupttypus  der  Aussen- 
dekoration  beschränkt  haben  wird.  Lediglich  eine  Uebertragung  des- 
selben auf  den  Zentralbau  bietet  das  Baptisterium  (Taf.  321).  Das 
einfache  Achteck  kommt  in  seiner  Massengliederung  über  eine  ziemlich 
schwerfällige  Haltung  nicht  hinaus,  aber  die  Rhythmisierung  der  ein- 
zelnen Seiten  für  sich  genommen  ist  vortrefflich,  man  beachte  auch 
hier  den  erstrebten  Einklang  mit  dem  inneren  System ;  alles  ist  reifer 
und  entschiedener,  wie  in  S.  Miniato,  was  uns  in  der  Ansicht  be- 
stärkt, dass  der  letztere  Bau  sehr  tief  ins  12.  Jahrhundert  nicht 
hinabreichen  könne. 

Oberitalien.  Wenn  gegen  Ende  des  11.  Jahrhunderts  die 
Toskaner  sich  als  Enkelsöhne  der  Antike  wiederfanden,  so  brachte  in 
Oberitalien  die  um  dieselbe  Zeit  (vgl.  die  Einleitung  zu  Kap.  XI) 
einsetzende  neue  Kunstbewegung  vielmehr  die  barbarischen  —  kel- 
tischen und  germanischen  —  Volksbestandteile  an  die  Oberfläche  und 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


zur  lange  zurückgehaltenen  Aussprache  ihres  eigenen  Formgefühls. 
Die  Angleichung  an  den  nordischen  Stilcharakter  ergab  sich  für  diese 
Gegenden  ebenso  aus  einer  natürlichen  Hinneigung,  wie  aus  der 
grösseren  Lebhaftigkeit  des  Verkehrs,  so  dass  man  sagen  kann,  die 
Apenninen  seien  in  der  romanischen  Epoche  stilgeschichtlich  eine 
stärkere  Scheidewand  gewesen,  als  die  Alpen.  Andererseits  wirkte 
die  festgehaltene  Gewohnheit  des  an  einen  relativ  engen  Formenkreis 
von  Natur  gebundenen  Backsteinbaus  als  konservative  Kraft.  So  ist 
ein  Hauptelement  der  lombardischen  Aussendekoration,  die  Lisene  und 
der  Bogenfries,  ein  christlich-antikes  Erbstück  und  verleugnet  auch  in 
der  Uebertragung  auf  den  Haustein  nicht  seine  Backsteinherkunft. 


S.  Ambrogio  in  Mailand. 


Sicher  ist  die  Lombardei  der  Ausgangspunkt,  von  dem  aus  der  Bogen- 
fries sich  in  Mitteleuropa  verbreitet  hat.  Dasselbe  gilt  von  einem 
zweiten  signifikanten  Motiv,  der  Zwerggalerie.  Sie  zeigt  sich  zuerst 
an  den  Apsiden,  denen  sie  auch  immer  als  vorzüglich  charakteristisch 
verbunden  bleibt.  Wohl  Reminiscenzen  aus  dem  Zentralbau  werden  es 
gewesen  sein,  die  dahin  führten,  den  obersten ,  von  der  inneren  Halb- 
kuppel nicht  mehr  senkrecht  belasteten  Teil  der  Apsidenmauer  in 
Strebepfeiler  aufzulösen ;  so  an  S.  Ambrogio  in  Mailand  vielleicht  bis  ins 
9.  saec.  hinaufreichend,  an  S.  Sofia  in  Padua  und  S.  Guilhem  en  Desert 
(Provence)  etwa  aus  der  Frühzeit  des  1 1 .  Später  verwandelten  sich  die 
Strebepfeiler  in  freistehende  Säulchen ,  wodurch  nicht  nur  ein  Motiv 
von  grossem  dekorativem  Reiz  gewonnen,  sondern  auch  die  Stärke  der 
unteren  Mauerteile  unmittelbar  anschaulich  gemacht  wurde.  Schliess- 
lich wurde  die  Zwerggalerie  auch  an  den  (frühzeitig  gewölbten)  Seiten- 
schiffen und  am  Frontgiebel  zum  Ausdruck  der  unbelasteten  Mauer- 
endigung.  Ein  drittes  ist  die  im  Vergleich  zum  toskanischen  Stil  viel 
bedeutsamere  Hervorhebung  der  Portale,  mindestens  des  Mittelportals; 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


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es  geschah  durch  Anlage  eines  auf  zwei  Säulen  ruhenden  monumen- 
talen Schutzdaches,  über  dem  sich  häufig  noch  eine  gleichfalls  be- 
deckte Loggia  erhob  (so,  ausser  an  den  auf  Taf.  242 — 244  abgebildeten 
Fassaden,  an  den  Domen  von  Verona,  Ferrara,  Cremona).  Endlich 
ein  viertes  zuerst  in  der  Lombardei  charakteristisch  ausgebildetes 
Motiv  sind  die  grossen  Rundfenster  an  den  Frontwänden.  In  der 
Komposition  der  Fassaden  grenzen  sich  zwei  Typen  scharf  gegen- 
einander ab :  der  eine  im  mittleren  Teil  der  Poebene,  der  Lombardei 
im  engeren  Sinne,  der  andere  tiefer  ostwärts  heimisch.  Die  erst- 
genannte Gruppe,  noch  immer  eine  Anzahl  stattlicher  und  stileinheit- 
licher Fassadenbilder  enthaltend,  beginnt  mit  S.  Ambrogio  in  Mailand 
(Taf.  241).  Das  innere  System  ist,  wie  man  sich  erinnert,  das  der 
Hallenkirche  und  dem  entsprechend  dehnt  sich  der  Giebel  ohne  ab- 
zusetzen vom  First  bis  zu  den  Seitenmauern  in  der  ganzen  Frontbreite 
aus.  Was  dadurch  an  Belebung  des  Hauptumrisses  verloren  geht, 
findet  an  anderer  Stelle  Ersatz  durch  die  wirkungsvolle  Verbindung 
mit  den  Pfeilerhallen  des  Vorhofs;  dass  deren  östlicher  Flügel  nicht 
an  die  Fassade  angelehnt  ist,  sondern  in  sie  aufgenommen  ist,  ist 
ein  wertvoller  Fortschritt  gegen  die  altchristliche  Kompositionsweise; 
ein  nicht  minder  glücklicher  Gedanke  war  die  Wiederholung  der  offenen 
Bogenstellung  im  Obergeschoss  mit  wohlgeratener  Variierung  der 
Pfeilergliederung ;  die  perspektivische  Ansicht  vom  Eingang  in  den  Hof 
ist  altertümlich  würdevoll  und  bedeutend.  In  der  weiteren  Entwicklung 
der  lombardischen  Architektur  geschah  nun  das  verwunderliche,  dass 
die  Fassaden  (Taf.  243,  244)  fortfuhren,  Hallenanlagen  mit  gleich 
hohen  Schiffen  zu  versprechen,  während  doch  in  Wahrheit  das  innere 
System  zum  basilikalen  Aufbau  fortgeschritten  war,  d.  h.  die  breite 
absatzlose  Giebelwand  wurde  ohne  innere  Nötigung  beibehalten  und 
so  ragen  ihre  seitlichen  Teile  weit  über  die  Dächer  hinauf  in  die  freie 
Luft.  Warum  diese  Fiktion?  Dass  das  einzige  Beispiel  von  S.  Am- 
brogio eine  so  weitgehende  atavistische  Wirkung  geübt  haben  könnte, 
ist  schwer  zu  glauben  ;  so  drängt  sich  uns  die  (auch  von  J.  Burckhardt 
gehegte)  Vermutung  auf,  es  müsse  in  der  Jugendzeit  des  lombardischen 
Gewölbebaus  die  Hallenanlage  verbreiteter  gewesen  sein ,  als  sich 
heute  aus  den  Denkmälern  unmittelbar  erkennen  lässt  (vgl.  S.  445 
und  451).  Ein  glücklicher  Einfluss  ist  es  nicht.  Hätte  noch  den 
Lombarden  des  12.  Jahrhunderts  ein  ähnliches  Ziel  harmonischer 
Proportionskunst  vorgeschwebt ,  wie  nachmals  der  Renaissance !  In 
der  That  aber  war  gerade  nach  dieser  Seite  hin  ihre  Gestaltungskraft 


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Zweites  Buch .  Der  romanische  Stil. 


schwach  und  sie  tasteten  auf  den  grossen  eintönigen  Flächen  ihrer 
Fassaden  ziemlich  prinziplos  umher.  Durchgreifende  grosse  Motive, 
wie  in  S.  Ambrogio,  sucht  man  umsonst  wieder.  Was  kann  es  ge- 
dankenloseres geben,  als  die  Verteilung  der  Fenster  an  S.  MlCHELE  in 
Pavia;  und  wie  kindlich  barbarisch  ist  gar  der  mühselige  Reichtum 
der  skulpierten  Horizontalbänder  und  der  Teppichmuster  an  den 
Wandpfeilern,  wodurch  vergeblich  in  die  weite  Oede  Leben  zu  bringen 
versucht  wird ;  erst  das  wohl  in  jüngerer  Zeit  hinzugekommene  Galerie- 
motiv am  Giebel  rettet  einigermassen  den  Gesamteindruck.  Dabei 
verstanden  dieselben  Bauleute,  wie  ihnen  nicht  vergessen  werden  soll, 
einen  wirklich  bedeutenden  Innenraum  zu  schaffen.  Nur  geringe  Fort- 
schritte  zeigen  S.  Giovanni  in  Borgo  und  S.  Pietro  in  Ciel  d'oro  ebenda; 
wäre  an  letzterer  Fassade  der,  wie  es  scheint  beabsichtigt  gewesene 
Vorhof  zur  Ausführung  gekommen ,  so  hätte  die  Wirkung  sich  wesent- 
lich verbessern  können.  Die  Fassade  der  Kathedrale  von  Parma  (wohl 
nach  M.  saec.  12)  hat  bei  reifer  Bildung  der  Einzelheiten  doch  ein 
merkwürdig  starres  Aussehen ;  der  Grund  liegt  in  der  genauen  Gleich- 
setzung der  Höhen-  und  Breitenachse  und  dem  völligen  Verzicht  auf 
eine  Andeutung  der  inneren  Dreiteilung.  In  PlACENZA  ist  beides 
wieder  aufgegeben,  aber  über  eine  gewisse  Willkürlichkeit  und  Un- 
entschiedenheit  kommt  auch  hier  die  Komposition  nicht  hinaus  ;  allein 
die  sehr  ansehnlichen  Dimensionen  sichern  dieser  Fassade  eine  immer- 
hin nicht  unbedeutende  Wirkung.  —  Die  Seitenansichten  wurden  in 
der  Lombardei  fast  immer  vernachlässigt  und  blieben  versteckt ;  dafür 
gibt  es  mehrere  schöne  Choransichten;  die  beste  in  der  Dekoration 
ist  die  von  Sta.  Maria  maggiore  in  Bergamo. 

Der  nicht  eben  im  guten  Sinn  originelle  Fassadentypus  der 
Lombardei  —  er  wirkte  selbst  in  die  gotische  Epoche  noch  kenntlich 
hinein  —  folgte  aus  dem  eigentümlichen  Entwicklungsgange  des 
Gewölbesystems  in  dieser  Schule.  Jenseits  der  Minciolinie,  wo  das 
Gewölbe  beträchtlich  später  die  Herrschaft  antrat,  wurde  die  basilikale 
Fassade  bewahrt  und  auf  dieser  Grundlage,  die  in  der  vorigen  Gruppe 
so  sehr  zu  vermissende  rhythmische  Empfindung  zu  besonderer  Fein- 
heit ausgebildet.  Die  für  die  Schule  ebenfalls  bezeichnende  Neigung 
zum  Schlanken  und  Strebenden  —  entgegengesetzt  dem  vorwaltenden 
Horizontalismus  der  Toskaner  —  finden  wir  zuerst  an  Sta.  Sofia  zu 
Padua  (umgebaut  1123);  Halbsäulen,  in  einen  Rundbogenfries  aus- 
laufend, steigen  ohne  Unterbrechung  vom  Sockel  bis  zum  Giebel  auf ; 
das  Rundfenster  an  der  Stirnwand  des  Mittelschiffs,  übrigens  noch 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


6.5 


klein,  dürfte  das  früheste  nachweisbare  sein.  Dieselben  Elemente, 
gesteigert  und  veredelt,  kehren  an  der  Klosterkirche  S.  Zeno  bei 
Verona  wieder.  Die  Fassade  ist  ein  1138  vollendeter  Zubau.  Durch 
ihre  ebenso  mass-  wie  lebensvolle  Rhythmik  ist  sie  eine  der  allerbesten 
nicht  bloss  in  Oberitalien.  Die  Einteilung  des  Innern  ist  klar  vorge- 
deutet, dabei  mit  wohlverstandener  Feinheit;  man  vergegenwärtige 
sich,  wie  viel  die  Proportionen  an  Wohllaut  verlieren  würden,  wenn 
z.  B.  die  Zwerggalerie  höher  läge,  oder  wenn  sie  verdoppelt  wäre, 
wie  in  Parma.  Wie  vortrefflich  sind  dann  Portalbau  und  Radfenster 
zu  einander  ins  Verhältnis  gesetzt.  Durch  kundige  Behandlung  des 
schönen  Marmormaterials  gewinnen  die  plastischen  Glieder  Feinheit 
und  Kraft  der  Wirkung  zugleich,  die  Gesimse  zumal  sind  von  der 
Nachahmung  der  Backsteinformen  freier  als  irgendwo  in  der  Lombardei. 
Den  Langseiten  hat  man  den  gleichen  Reichtum  der  Fries-  und  Gesims- 
bildung, wie  der  Fassade,  zugestanden  (Taf.  318);  ausserdem  erhalten 
sie  Schichtenwechsel  von  Marmor  und  Backstein  und  damit  eine  an 
dieser  Stelle  wohlangebrachte  Verstärkung  des  Horizontalmomentes. 
Ein  zweites  bedeutendes  Werk  derselben  Epoche  war  in  Verona  der 
Dom;  von  dem  gotischen  Umbau  unberührt  ist  nur  die  Chorseite 
(Taf.  240),  in  ihrer  schlichten  Grossartigkeit  für  die  noble  Baugesin- 
nung der  Veroneser  ein  ehrenvolles  Zeugnis.  —  Der  von  S.  Zeno 
verwandt,  vielleicht  etwas  älteren  Ursprungs  aber  am  Ende  des  ^.Jahr- 
hunderts überarbeitet  (besonders  Portalbau  und  Rose),  ist  die  Fassade 
des  Doms  von  MODENA.  An  vornehmer  Grazie  erreicht  sie  jene  nicht, 
bleibt  aber  auch  in  ihrem  strengeren,  starkknochigen  Habitus  ein  tüch- 
tiges, namentlich  rhythmisch  lebensvolles  Werk.  Mit  Rücksicht  auf 
den  Marktplatz,  gegen  den  sie  sich  öffnet,  ist  ausserdem  noch  die 
südliche  Langseite  als  vollgültige  Schauseite  ausgebildet;  das  System 
des  Erdgeschosses  der  Fassade  wird  an  den  Seitenschiffen  fortgeführt; 
die  Aufteilung  der  Zwerggalerie  in  grössere  Perioden  bewahrt  sie  vor 
Eintönigkeit ;  dann  schneiden  noch  zwei  stärkere  Accente  ein,  im  vor- 
deren Abschnitt  ein  Prachtportal  mit  Vorhalle  und  Loggia,  im  hinteren 
ein  Giebelaufsatz  als  Vertreter  des  bei  der  ersten  Anlage  noch  feh- 
lenden  Querschiffs ;  die  malerische  Gruppenwirkung  vollendet  sich 
durch  den  Glockenturm  an  der  Nordseite  des  Chors  (Taf.  245).  — 
Ebenso  ist  wesentlich  auf  die  Seitenansicht  der  Dom  von  TklENT  an- 
gelegt ;  auch  hier  die  fortlaufende  Galerie.  —  Der  Dom  von  Ferkara 
war  in  dem  a.  1135  begonnenen  Umbau  als  Wiederholung  des  mo- 
deneser  in  vergrössertem  Massstabe  und  verfeinerten  Formen  gedacht ; 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


leider  verdirbt  der  ioo  Jahre  später  hinzugefügte  reich  aber  ungeschickt 
komponierte  Oberbau  die  Wirkung,  die  eine  sehr  schöne  hätte  werden 
können.  —  Als  hübsches  Beispiel  für  die  Behandlung  einer  kleinen 
Kirche  geben  wir  auf  Taf.  241  die  Fassade  von  Maderno  am  Gardasee. 

Die  damals  noch  unverschmolzenen  Gegensätze  in  der  Bevölke- 
rung Italiens  haben  in  der  toskanischen  und  der  lombardischen  Schule 
zwei  Stilbilder  von  energischer  Charakterbestimmtheit  hervorgebracht. 
Was  sich  in  den  andern  Teilen  der  Halbinsel  vorfindet,  ist  entweder 
Flickarbeit  aus  verschiedenen  Zeitepochen  oder,  wenn  zeiteinheitlich, 
Mischlingswerk  in  stilistischer  Hinsicht.    Wir  dürfen  mithin  von  aus- 
führlicherer Betrachtung  absehen.  —  Lombardische  Einflüsse  dringen, 
der  Richtung  der  Via  Emilia  folgend,  an  der  Ostküste  in  die  Marken 
und  bis  Apulien.    S.  Ciriaco  in  Ancona  hat  ausser  seiner  Lage  auf 
der  ßergeshöhe  über  dem  Golf  nichts  Ausgezeichnetes  als  den  effekt- 
vollen lombardischen  Portalbau.  In  der  reichen  und  baulustigen,  aber 
stilistisch  unproduktiven  Terra  di  Bari  (Taf.  238,  239)  weisen  die 
Bogenfriese  und  Lisenen,  die  Rosenfenster,  sowie  die  Portal-  und 
Fensterdekorationen  auf  lombardische  Anregung;  auch  der  Mangel 
der  Horizontalglieder  an  den  Fassaden  ist  unsüdlich.    Ein  anderes 
nordisches  Element,  die  Türme,  stammt  von  den  Normannen  Siziliens, 
aber  um  das  überkommene  Fassadenbild  nicht  zu  stören,  werden  die 
Türme  an  die  Chorseite  verwiesen,  worüber  wir  S.  595,6  näher  gehandelt 
haben.  Dass  gelegentlich  auch  in  der  Aussenarchitektur  byzantinische 
Nachklänge  sich  fortpflanzen  (z.  B.  in  Lecce,  Taf.  239),  kann  nicht 
wunder  nehmen.    Französisch -gotische  Einflüsse  drangen  frühzeitig 
ein,  ohne  jedoch  eine  allgemeine  Umwälzung  hervorzurufen  ;  so  konnte 
noch  1335  eine  Fassade  wie  die  des  Domes  von  Bitetto  (Taf.  240) 
begonnen  werden.    Und  um  das  bunte  Stilgewebe  dieser  Gegenden 
noch  bunter  zu  machen,  wurden  selbst  toskanische  Fäden  aufgenom- 
men. Merkwürdigerweise  geschah  das  aber  nicht  in  den  Hafenstädten, 
wo  die  Pisaner  feste  Niederlassungen  hatten,  sondern  tiefer  landein- 
wärts.  Der  Dom  von  TROJA  (Hauptbauzeit  1 107  —  1 1 14)  schliesst  sich 
in  der  Wandbekleidung  des  Erdgeschosses  so  enge  an  das  Vorbild 
des  Pisaner  Domes  an,  dass  man  geradezu  auf  Mitwirkung  pisanischer 
Werkleute  schliessen  muss ;  das  nach  längerer  Pause  fortgeführte 
Obergeschoss  zeigt  aber  diese  Verbindung  abgebrochen,  denn  mit 
seiner  überaus  prächtigen  Fensterrose,  auf  übrigens  ungegliederter 
Wandfläche,  lenkt  es  in  die  landläufige  Bauweise  ein.    In  der  Zwischen- 
zeit aber  hatte  Troja  für  die  toskanische  Dekorationsweise  Schule 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


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gemacht:  in  Siponto,  Monte  S.  Angelo,  Foggia,  selbst  jenseits  der 
Berge  in  Benevent  tritt  sie  uns  entgegen.  Dann  sei  noch  der  Kathe- 
drale von  Zaka  in  Dalmatien  (Weihe  1285)  Erwähnung  gethan,  an 
welcher  toskanische  und  oberitalische  Elemente  mit  Glück  verschmolzen 
sind  (Abb.  im  Jahrb.  der  Wiener  C.-Comm.  1861);  recht  missverständlich 
zeigen  sich  die  letzteren  an  der  Fassade  von  S.  Maria  in  Piazza  in 
Ancona.  —  Demgegenüber  fällt  es  auf,  dass  an  der  Westküste  der 
Einfluss  Pisas  sich  gar  nicht  weit,  soviel  uns  bekannt  nicht  über 
Massa  Marittima  hinaus  erstreckt.  In  CoKNETO  (Sta.  Maria  in  Castello, 
vgl.  S.  453,  und  Sta.  Annunziata)  und  Toscanella  (Sta.  Maria  und 
S.  Pietro,  Taf.  237)  durchkreuzen  sich  über  der  Grundlage  der  latei- 
nischen Lokaltradition  lombardische,  römisch-toskanische  und  sogar 
französische  Einflüsse.  Endlich  Campanien  (Gaeta,  Caserta,  Amalfi, 
Ravello,  Salerno)  wird  unter  der  staufischen  Herrschaft  in  die  Sphäre 
sizilianisch-maurischer  Dekoration  hineingezogen,  während  im  Süden 
des  Kirchenstaates,  wie  wir  früher  gesehen  haben,  schon  zu  Ende 
des  12.  Jahrhunderts  die  burgundisch-cisterciensische  Frühgotik  Fuss 
fasst.  Die  stilistische  Anarchie  kann  nicht  ärger  gedacht  werden; 
und  doch  schwebt  über  allen  diesen  so  disparaten  Mischlingswerken 
ein  eigenartiger,  anmutsvoller  Geist,  den  man  nicht  wohl  anders 
nennen  kann  als:  italienisch. 

DEUTSCHLAND. 

Zwischen  Deutschland  und  Italien  haben  in  der  jüngeren  Zeit 
des  romanischen  Stils  manche  Wechselwirkungen  stattgefunden ;  Italien 
näherte  sich  der  germanischen  Auffassung  in  der  Anordnung  der 
Massen,  Deutschland  umgekehrt  zeigte  sich  auf  dem  Felde  der  Einzel- 
behandlung gelehrig ;  im  ganzen  genommen  überwiegt  beim  Vergleiche 
doch  immer  der  Eindruck  tiefer  Gegensätzlichkeit.  Tritt  in  Italien 
stätig  wieder  die  Neigung  hervor,  die  Wirkung  auf  eine  einzelne 
Schauseite,  normaler  Weise  die  Fassade,  zu  konzentrieren,  so  fehlt 
dem  deutsch-romanischen  Stil  —  die  jüngste  Entwicklungsstufe  immer 
ausgenommen  —  der  Begriff  der  Schauseite  überhaupt,  insofern  alle 
Seiten  vermöge  der  Gleichartigkeit  der  Detaillierung  den  gleichen 
Anspruch  hätten,  so  zu  heissen.  Diese  Gleichheit  besteht  nun  aber 
wesentlich  in  der  Beschränkung  des  Details,  ja  oft  im  völligen  Ver- 
zicht auf  dasselbe.  Will  man  dies  aus  dem  von  Natur  ärmeren 
Formensinn  der  Germanen  und  dem  langsam  überwundenen  Unver- 
mögen des  Handwerks  erklären,  so  nennt  man  keine  falschen  Gründe, 

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6l8  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

aber  allerdings  nur  in  zweiter  Linie  stehende.  Vielmehr  erinnere  man 
sich,  dass  der  Schwerpunkt  des  deutschen  Bauideals  anderswo  lagt 
im  Massenrhythmus.  Vor  allem  dies  Hauptinteresse  rein  sich  aus- 
wirken zu  lassen,  gebot  ein  gesundes  Gefühl  für  künstlerische  Oeko- 
nomie.  Es  ist  lehrreich  zu  sehen,  z.  B.  aus  der  frühkarolingischen 
Vorhalle  von  Lorsch  (Taf.  213),  wie  damals  auch  den  Deutschen  noch 
die  halborientalische  Bekleidungspracht  der  spätrömischen  Kunst  als 
würdigstes  Ziel  vorschwebte;  als  aber  der  nationale  Baugeist  zum 
Bewusstsein  seiner  selbst  kam,  schlug  die  Stimmung  in  das  Gegenteil 
um.  Zwei  Jahrhunderte  vergingen,  bis  diese  Einseitigkeit  sich  milderte. 
Und  selbst  die,  in  ganz  anderem  Sinne  freilich  als  die  karolingische. 
wiederum  prachtliebend  gewordene  staufische  Kunst  achtete  gegenüber 
dem  bewegten  Reichtum  der  Silhouette  in  Giebeln,  Kuppeln  und 
Türmen  die  innere  Gliederung  doch  nur  als  Wirkungen  zweiten 
Ranges.  Weiche  fast  noch  völlige  Dekorationslosigkeit  selbst  noch 
im  12.  Jahrhundert  in  Sachsen  und  Bayern  an  den  Kirchen  wohl- 
begüterter Klöster  vorkommen  durfte,  dafür  verweisen  wir  anstatt 
vieler  auf  das  Beispiel  von  Steingaden  und  U.  L.  Frauen  in  Halber- 
stadt (Taf.  216,  231).  Die  Regel  ist  sie  um  diese  Zeit  allerdings 
nicht  mehr.  —  Wir  wollen  zunächst  die  Elemente,  aus  denen  die 
Aussendekoration  sich  zusammensetzte,  beschreiben. 

Der  typische  Ausdruck  für  die  wagrechte  Gliederung  ist  der  Bogen- 
fries,  für  die  senkrechte  die  Lisene  —  Formen,  deren  Anfänge  schon 
in  der  altchristlichen  Baukunst  gegeben  waren  (S.  124),  und  die  aus 
Italien  eingeführt,  aber  für  die  deutsch-romanische  Kunst  besonders 
bezeichnend  geworden  sind.  Das  älteste  nachweisbare  Beispiel  des 
Bogen frieses  würde  der  VVestbau  von  S.  Pantaleon  in  Köln  geben, 
wofern  feststände  was  wir  doch  nur  als  Möglichkeit  betrachten 
können  —  dass  derselbe  der  mit  dem  Jahr  980  abschliessenden  Bau- 
periode angehört.  Es  folgen:  Limburg  an  der  Hardt  und  Sta.  Maria 
auf  Reichenau,  beide  nicht  lange  vor  M.  saec.  11.  In  der  zweiten 
Hälfte  dieses  Jahrhunderts  ist  das  Motiv  in  Westdeutschland  als  ein- 
gebürgert zu  betrachten.  Aelter  im  Gebrauch  als  die  ihrer  Natur  nach 
mit  dem  Bogenfries  zusammengehörigen  Lisenen  sind  die  pilasterartigen 
Mauerstreifen,, die  im  Unterschied  zu  jenen  ein  Fuss-  und  Kopfstück 
haben;  meist  von  einfachster  Gestalt:  so  in  Gernrode  und  am  West- 
bau von  S.  Castor  in  Kohlenz  (beide  saec.  10.);  an  den  Osttürmen  de> 
Mainzer  Domes  (A.  saec.  11);  oder  mit  korinthisierenden  Kapitellen: 
Kssen  (E.  saec.  io\  Dom  zu  Trier  (M.  saec.  11),  Taf.  213,  215,  21S; 
klassisches  Beispiel  für  das  12.  Jahrhundert;  die  Abteikirche  Laach. 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


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Taf.  220.    An  feste  Proportionen  sind  weder  Lisenen  noch  Pilaster 
gebunden:  man  führt  sie  so  hoch,  als  die  Abstände  der  wagerechten 
Glieder  es  fordern.  —  Bezeichnenderweise  hatte  auf  das  geschilderte 
Dekorationssystem  die  Einführung  des  Gewölbebaus  keinen  Einfluss. 
Die  Strebepfeiler,  die  in  der  französisch-romanischen  Baukunst  von 
Anfang  an  nicht  nur  struktiv,  sondern  auch  dekorativ  eine  so  grosse 
Rolle  spielten,  blieben  der  deutschen  bis  nahe  ans  Ende  fremd,  wie 
denn  überhaupt  kein  Versuch  gemacht  wurde,  das  mechanische  Ver- 
halten der  Wand  zur  Gewölbedecke  durch  besondere  Kunstsymbole 
auszudrücken.    Etwas  anderes  ist  es  mit  dem  mittelbaren  Einfluss  des 
Gewölbes.    Die  lebhaftere  Bewegung,  die  dasselbe  in  die  Linien  des 
Innenbaus  brachte,  wird  allerdings  nicht  ohne  Anteil  gewesen  sein  bei 
der  Erweckung  ähnlicher  Regungen  im  Aussenbau.    Daher  sind  es 
die  mittel-  und  niederrheinischen  Schulen,  die  auch  hierin  den  anderen 
vorangehen  und  auf  Bereicherung  des  Formenapparates  sinnen.  So 
wird  eine  nie  ganz  erloschen  gewesene  römische  Reminiscenz,  die 
Wandarkade,  vom  1 2.  Jahrhundert  ab  häufig  in  Verwendung  genom- 
men; ferner  kommen  Halbsäulen  in  Gebrauch;  endlich  als  glücklichster 
Zuwachs  die  Zwergarkatur  und  Zwerggalerie.    Dass  die  letztere 
aus  Italien  kommt,  kann  nicht  wohl  zweifelhaft  sein.    Sie  begegnet 
zum  erstenmal  ')  an  der  auch  in  anderen  Stücken  italienische  Beziehungen 
kundgebenden  Kirche  von  Schwarzrheindorf  (a.  1 1 50),  hier  noch  nicht 
auf  das  Altarhaus  beschränkt,  sondern  die  Dächer  der  Abseiten  in  ganzer 
Ausdehnung  begleitend,  wie  in  Oberitalien  oft  (Fig.  S.  551  und  Schnitt 
Taf.  208).    Am  Dom  von  Speif.r  (Taf.  171,  220)  ist  die  Galerie  beim 
Umbau  des  späteren  12.  Jahrhunderts  hinzugekommen  und  dient  dazu, 
die  durch  die  veränderte  Konstruktion  der  Gewölbe  (S.  464)  nötig 
gewordene  Ueberhöhung  der  Sargmauern  sowohl  im  faktischen  Gewicht 
als  für  das  Auge  zu  erleichtern;  eine  an  tonnengewölbte  burgundische 
Kirchen  (z.  B.  Autun)  erinnernde  Anordnung,  wennschon  die  formale 
Behandlung  auch  hier  an  lombardische  Muster  anknüpft.    Im  nieder- 
rheinischen Uebergangsstil  ist  die  Zwerggalerie  ein  spezifisches  Attribut 
der  Apsis.   Die  Säulchen  sind  gewöhnlich  nach  der  Tiefe  hin  verdoppelt 
und  unterhalb  der  Galerie  läuft  der  sogenannte  Plattenfries,  ein  Gürtel 
von  vertieften,  häufig  mit  schwarzen  Schiefertafeln  ausgelegten  Viereck- 
feldern (Taf.  316.  7).    Eine  vereinzelte  Erscheinung  ist  die  Säulenver- 
bindung durch  gerades  Gebälk  in  Pfaffenschwabenheim  (Taf.  229). 
Die  über  der  Apsis  sichtbar  werdende  Giebelwand  des  Langchors  wird 
am  Niederrhein  gern  mit  einer  Gruppe  von  Nischen  versehen,  in  deren 
weicheren  Schattenübergängen  die   lebhaften  Kontraste  der  Zwerg- 


')  Die  1 5  Jahre  ältere  Galerie  an  der  I  >oppelkapelle  des  Mainzer  Domes  ist  keine 
eigentliche  Zwerggalerie,  da  sie  ein  selbständiges  Gcschoss  vertritt. 


620 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


galeric  angemessen  ausklingen ;  auch  hierfür  gibt  Schwarzrheindorf 
das  früheste  Beispiel,  wie  denn  der  Gedanke  —  Erleichterung  der 
Mauermasse  über  dem  Gewölbeansatz  —  dem  der  Zwerggalerie  zu 
Grunde  liegenden  verwandt  ist;  andere  Beispiele  Taf.  218.  2,  223.  1, 
225.  1.  Die  Arkaturen  am  Lichtgaden  des  Mittelschiffs  der  Dome  von 
Osnabrück  und  Münster  möchten  auf  englische  oder  nordwest- 
französische Beziehungen  zurückgehen,  wie  wir  solche  auch  schon  in 
andern  Eigentümlichkeiten  des  westfälischen  Uebergangsstils  wahr- 
nehmen zu  dürfen  geglaubt  haben.  —  Alle  oben  besprochenen  Glieder 
sind  im  Vor-  und  Rücksprung  von  derber  Ausladung,  in  ihrer  sehr 
einfachen  Profilierung  auf  scharfes  Nebeneinander  von  Lichtern  und 
Schatten  berechnet.  Der  Grundcharakter  des  romanischen  Stils  als 
Massenbau  wird  durch  sie  nicht  aufgehoben,  denn  die  Lisenen,  Pilaster, 
Halbsäulen  und  Blendbogen  wollen  nicht  etwa  als  ein  für  sich  be- 
stehendes Gerüst  die  tragende  und  stützende  Verrichtung  der  Mauer 
thatsächlich  an  sich  reissen,  sondern  nur  kräftige  Sinnbilder  derselben 
sein.  — 

Nach  dem,  was  wir  im  ersten  Abschnitt  dieses  Kapitels  über 
die  allgemeinen  Kompositionsverhältnisse  gesagt  haben,  braucht  nicht 
mehr  dargelegt  zu  werden,  dass  und  weshalb  die  deutsch- romanischen 
Kirchen  zu  einem  privilegierten  Fassadenbau  erst  auf  ihrer  letzten 
Entwicklungsstufe  gelangten.  Der  Grund  lag,  wie  wir  sahen,  in  der 
grossen  Verbreitung  der  doppelchörigen  Anlagen.  Auch  wenn  der 
Westchor,  wie  es  häufig  ist,  hinter  einer  geradlinigen  Frontmauer 
verborgen  bleibt,  verhindert  er  doch  die  Anlage  eines  Mittelportals 
und  eines  grösseren  zentralen  Fenstermotivs.  Daher  die  seltsam  un- 
entwickelten, wenn  man  will,  nur  scheinbaren  Fassaden,  von  denen 
unsere  Tafeln  Beispiele  in  hinreichender  Menge  geben.  Der  Haupt- 
eingang liegt  dann  an  einer  der  Langseiten  und  wird  häufig  durch 
eine  Vorhalle  oder  mindestens  eine  vorspringende  Umrahmung  be- 
deutsam ausgezeichnet  (Beispiele:  die  Dome  von  Worms,  Bamberg, 
Bonn,  Münster,  Lübeck,  Ratzeburg,  die  Stiftskirchen  von  Freiberg, 
Königslutter,  Gelnhausen,  S.  Emmeram  und  S.  Jakob  in  RegensburgV 
Den  meisten  Schmuck  erhält  regelmässig  die  Apsis.  In  denjenigen 
Fällen  doppelchöriger  Anlage ,  wo  die  Apsis  sich  an  einen  Querbau 
anlehnt,  entsteht  die  Möglichkeit,  diese  Seite  zugleich  als  Eingangs- 
seite zu  charakterisieren,  was  immer  eine  bedeutende  Wirkung  macht 
(so  an  den  Domen  von  Mainz  und  Trier  und  der  Abteikirche  von 
Laach  Taf.  218,  221).  Oft  ist  aber  auch  bei  Kirchen  mit  einfachem 
Chor  die  Ostseite  erklärter  Massen  die  Schauseite  (die  kölnischen 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


621 


Kirchen  S.  Maria  im  Kapitol,  S.  Aposteln,  Gross-S. -Martin,  in  U.  L.  F. 
in  Halberstadt,  in  Gelnhausen  u.  a.  m.). 

Allein  auch  nach  dem  allmählichen  Verschwinden  der  Doppel- 
chöre blieb  die  deutsche  Baukunst  in  der  Ausbildung  der  Fassade 
noch  immer  lässig,  gerade  so  wie  die  lombardische  am  Fassadentypus 
der  Hallenkirche  über  deren  Dasein  hinaus  festhielt  Es  bedurfte  hier 
fremdländischer  Anregung.  Die  früheste  Quelle  derselben  war,  wie 
wir  oben  (S.  573)  gesehen  haben,  Cluny,  der  erste  Bau  der  neuen 
Richtung  Limburg  a.  H. 

Um  Wiederholungen  zu  ersparen,  verweisen  wir  auf  das,  was  im 
ersten  Abschnitt  dieses  Kapitels  über  die  Ausbreitung  des  Motivs  der 
westlichen  Doppeltürme  ausgeführt  ist.  Denn  ihnen  hauptsächlich  fällt 
die  Repräsentation  des  Fassadengedankens  zu.  Das  Kompositions- 
problem lautet  nunmehr:  wie  soll  das  Verhältnis  der  Türme  als  relativ 
selbständiger  Körper  zu  der  Stirnwand  des  Langhauses  ausgedrückt 
werden?  Um  die  mit  grosser  Folgerichtigkeit  sich  vollziehende  Ent- 
wicklung richtig  zu  würdigen,  blicke  man  auf  das  (erst  in  der  Gotik 
erreichte)  Endresultat :  es  ist  die  Selbständigmachung  der  Türme  von 
der  Basis  auf  und  dadurch  die  Einschränkung  der  eigentlichen  Fassade 
auf  den  dem  Mittelschiff  entsprechenden  Wandabschnitt.  Je  weiter 
dagegen  in  der  Zeit  zurück,  um  so  entschiedener  werden  der  Unter- 
bau der  Türme  und  die  Stirnwand  des  Mittelschiffs  als  unterschiedslos 
einheitliche  Fläche  behandelt.  Um  den  langsamen  Fortgang  von  dem 
einen  Prinzip  zum  andern  sich  zu  vergegenwärtigen,  betrachte  man 
nacheinander  die  folgenden  Tafeln  und  Figuren:  215.  4  —  230.  2  — 
228.  1  —  224.  1  —  215.  3  —  215.  2  —  224.  2  —  229.  3  —  232. 
3.  4.  Anfangs  in  ganzer  Breite  durchgehende  Stockwerke  mit  aus- 
schliesslich wagrechten  Teilungslinien ;  später  Einmischung  senkrechter 
Glieder  als  Vorklang  auf  die  Türme  und  Vermehrung  derselben  mit 
jedem  höheren  Stockwerk;  zuletzt  Zerlegung  der  Komposition  in  drei 
senkrechte  Abschnitte.  Die  Vergleichung  der  auf  Taf.  224  zusammen- 
gestellten Fassaden  von  Andernach  und  Limburg  ist  besonders  lehr- 
reich: ein  geringer  Zeitunterschied  nur  trennt  sie;  der  allgemeine 
Umriss  ist  bei  beiden  derselbe;  ebenso  die  Zahl  und  relative  Höhe 
der  Stockwerke  ;  wesentlich  verschieden  aber  ist  die  innere  Gliederung 
und  damit  auch  der  Gesammteindruck :  Andernach  zeigt  sich  romanisch- 
konservativ,  Limburg  gotisierend-progressistisch. 

In  der  Schlussepoche  des  romanischen  Stils  ist  auch  in  Deutsch- 
land der  Gedanke,  dass  der  westlichen  Stirnseite  in  vorzugsweisem 


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Zweites  Buch.  Der  romanische  Stil. 


Sinne  die  Rolle  der  Schauseite  zukommt,  zu  allgemeiner  Geltung 
gelangt  und  die  Doppeltürme  sind  als  bevorzugtes  Ausdrucksmittel 
durchgedrungen.  Die  westlichen  Doppeltürme  sind  in  Deutschland  zu 
keiner  Zeit  so  verbreitet  wie  im  13.  Jahrhundert,  wo  sie  selbst  an  Land- 
kirchen nichts  Unerhörtes  sind  und  nichts  ist  irriger,  als  wenn  man 
sie  als  ein  vorzugsweises  gotisches  Motiv  bezeichnet ;  im  Gegenteil,  sie 
werden  in  der  entwickelten  deutschen  Gotik  wieder  relativ  seltener. 

Mit  einer  einzigen  Lösung  sich  zu  begnügen  wäre  allerdings  gegen 
den  Geist  der  Epoche  gewesen,  und  so  sehen  wir  im  Uebergangsstil 
auch  noch  andere  Fassadentypen  sich  bemerkbar  machen. 

Von  Anlagen  des  Westbaus  mit  einfachem  Turm  kommen  die 
jenigen,  bei  denen  der  Turm  nach  drei  Seiten  frei  vortritt  —  und  das 
ist  der  gewöhnliche  Fall  —  hier  zwar  nicht  in  Betracht,  weil  in  ihnen 
die  Fassade  durch  den  Turm  ganz  unterdrückt  wird  (Beispiel  Taf.  21 1.2}. 
Vielfach  wurde  das  jetzt  als  ein  Uebel  empfunden;  man  liess  darum 
den  Westbau  zu  einer  querschilTartigen  Halle  sich  verbreiten  und  ers? 
von  der  Dachlinie  ab  den  Einzelturm  als  Aufsatz  sich  entwickeln. 

Das  Thema  ist  mit  besonderem  Interesse  von  der  kölnischen  Schule 
bearbeitet  worden:  S.  Mauritius,  S.  Ursula,  S.  Columba,  S.  Andreas, 
S.  Kunibert  —  leider  alle  mehr  oder  minder  deformiert.  Das  Haupt  - 
und  Prachtstück  dieser  Gruppe  ist  S.  Quirin  in  Neuss  (Grundstein 
legung  a.  1209);  das  Erdgeschoss  war  noch  in  einfacherer  Absich: 
begonnen,  darüber  beginnt  eine  sehr  reiche  Dekoration,  die  leicht  zur 
Ueberfüllung  geworden  wäre,  wenn  nicht  die  vortrefflich  gedachte 
Gruppierung  sie  zu  schöner  Klarheit  zurückführte;  höchst  geistvoll  i>! 
namentlich  die  Dreiteilung  des  Innern  zum  Ausdruck  gebracht;  der 
Turm  geht  in  gotische  Formen  über  und  war  ursprünglich  wohl  weit 
weniger  hoch  beabsichtigt  (Taf.  360).  Dem  gleichen  Typus  folgte  in 
grösseren  Abmessungen  und  wahrscheinlich  mit  nicht  geringerem  Glänze 
der  Ausstattung  S.  Matthias  bei  Trier;  die  Fassade  ist  bis  zur  Un- 
kenntlichkeit durch  eine  Restauration  der  Barockzeit  entstellt,  der  Turm 
hat  unter  barockem  Ornament  die  romanische  Komposition  bewahrt 
(Taf.  281).  Seltener  ist  die  Anlage  am  Oberrhein;  wir  nennen  als 
Beispiele  S.  Thomas  in  Strassburg,  S.  Paul  in  Worms  (Taf.  220) 
Turmlose  Fassaden  mit  rein  basilikaler  Silhouette  gehören  zu  den 
Ausnahmen,  wenn  auch  nicht  zu  den  ganz  seltenen.  Taf.  225  gibt 
zwei  Beispiele,  Sinzig  und  Heimersheim;  ein  anderes  ist  die  Kirche 
von  Rosheim  im  Elsass,  wo  ohne  Grund  italienischer  Einfluss  ange- 
nommen wird;  dagegen  ist  ein  solcher  in  Altenstadt  in  Bayern  und 
noch  ausgeprägter  in  Klostkrneuburg  (Taf.  232)  allerdings  vorhanden. 
Ferner  gehören  hierher  aus  bekannten  Gründen  alle  Cistercienserkirchen 
(Beispiele  Taf.  274). 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


623 


FRANKREICH. 

Die  zweifelnde  Frage,  ob  denn  die  auf  dem  Boden  des  heutigen 
Frankreich  thätigen  Bauschulen  des  romanischen  Stils  überhaupt  als 
eine  Einheit  gefasst  und  geschildert  werden  könnten,  scheint  auf  dem 
Gebiete,  auf  dem  wir  eben  stehen,  berechtigter  als  irgendwo.  An- 
haltende Betrachtung  bringt  uns  aber  doch  ein  gewisses  Etwas  zu 
Bewusstsein,  das  ihnen  allen  gemeinsam  ist  und  das  am  leichtesten 
negativ,  d.  h.  als  Unterscheidendes  gegenüber  dem  Stilcharakter 
Deutschlands  und  Italiens  erfasst  wird.  Dies  Etwas  liegt  freilich  am 
meisten  in  den  mit  Worten  nicht  zu  umschreibenden  und  selbst  in 
der  Abbildung  nur  unvollkommen  wiederzugebenden  Imponderabilien. 
Immerhin  ist  es  nicht  ohne  Bedeutung  zu  sehen ,  dass  in  aller  Ver- 
schiedenheit der  Kompositionsideen  gewisse  formale  Elemente  häufig, 
fast  regelmässig  wiederkehren ;  so  die  Strebepfeiler  als  Mittel  der 
vertikalen,  die  durchlaufenden  Gesimse  in  der  Kämpferlinic  der  Fenster 
als  Mittel  der  horizontalen  Wandgliederung,  die  ausgiebig  verwendeten 
blinden  Arkaturen,  die  Ausstellung  der  Fenstergewände  mit  Säulchen, 
die  weite  Oeffnung  und  glänzende  Dekorierung  der  Portale  —  alles 
Dinge,  die  in  Frankreich  früher  ausgebildet  waren  als  in  den  Nachbar- 
ländern und  zum  Teil  französisches  Sondergut  geblieben  sind.  Allge- 
mein ausgedrückt:  der  französische  Baugeist  hat  —  ohne  indes  die 
vom  romanischen  Stilgefühl  unzertrennliche  Fülle  und  Wucht  der 
Massen  zu  schmälern  —  dem  begleitenden  Gliederapparat,  in  welchem 
die  statischen  Verhältnisse  sinnbildlich  in  dynamische  Leistungen  um- 
gesetzt werden,  eine  vorzüglich  wichtige  Rolle  zugeteilt,  eine  Tendenz, 
in  welcher  merklich  schon  etwas  von  Gotik  vorausklingt. 

Einige  Beispiele  aus  dem  10.  Jahrhundert  und  der  ersten  Hälfte 
des  11.  sind  auf  Taf.  246  zusammengestellt.  Sie  zeigen  den  spezifisch 
romanischen  Charakter  noch  sehr  unentwickelt,  auch  noch  keine 
stärkeren  Unterschiede  der  Provinzialstile,  wohl  aber  die  Ueberlegen- 
heit  des  Südens  in  der  technischen  Durchbildung.  Die  Fassade  von 
S.  Aphrodise  in  Beziers  erinnert  an  gleichzeitige  Bauten  in  Pisa  und 
Lucca.  Sehr  eigentümlich  ist  die  Westfront  von  S.  Front  in  PErigieux; 
unsere  Zeichnung  nach  der  nicht  in  allen  Stücken  gesicherten  Restau- 
ration von  de  Vcrneilh;  die  Entstehungszeit  am  füglichsten  mit  der 
zu  a.  1047  berichteten  Weihe  in  Verbindung  zu  setzen;  die  streng 
antikisierende  Attika  dürfte  ein  Zusatz  des  1 2.  Jahrhunderts  sein,  wäh- 
rend die  Dekoration  der  Vorhalle  und  des  Mittelschiffgiebels  einer 
Epoche  entspricht,  welche  antike  Zierglieder  im  einzelnen  mit  Aengst- 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


lichkeit  nachahmte,  für  antike  Kompositionen  aber  noch  kein  Ver- 
ständnis hatte. 

Wir  betrachten  nun  nacheinander  die  einzelnen  Schulen  in  der 
Epoche  des  entwickelten  Stiles. 

PROVENCE  (einschliesslich  Dauphine  und  Niederlanguedoc). 
Auf  dem  Namen  der  Provence  ruht  ein  romantisch-farbiger  Glanz,  in 
dessen  Mittelpunkt  Leben  und  Dichtung  der  ritterlichen  Sängerschar 
der  Troubadours  steht.  Weniger  weltkundig,  aber  nicht  weniger  merk- 
würdig ist,  was  die  namenlosen  Baukünstler  des  zwischen  Frankreich 
und  Italien  ein  mittleres  Drittes  bildenden  Landes  vollbrachten.  In 
ihren  zeitlichen  Grenzen  fallen  die  provencalische  Dichtung  und  die 
provencalische  Baukunst  genau  zusammen.  Beide  erwachen  mit  dem 
Ende  des  n.  Jahrhunderts  und  die  eine  wie  die  andere  empfangt  den 
Todesstoss  in  den  Schrecken  der  Ketzerkriege  des  13.  Obgleich 
sie  unzweifelhaft  durch  dieselben  Kräfte  ins  Leben  gerufen  sind,  fallt 
es  doch  schwer,  das  einigende  Band  zwischen  ihnen  aufzudecken. 
Denn,  wenn  die  provencalische  Dichtung  für  uns  der  Inbegriff  des 
Romantischen  ist,  die  erste,  die  den  Bann  der  lateinischen  Kirchen- 
sprache bricht,  die  Volkssprache  zur  Kunstsprache  erhebt:  so  ist  das 
Ziel  der  provencalischen  Baukunst  eine  klassische  Renaissance,  Wieder- 
herstellung der  griechisch-römischen  Formensprache.  Diese  Hinneigung 
in  einem  Volke,  das  griechische  Einwanderer  zu  seinen  Ahnen  zählte, 
das  dann  vollständiger  romanisiert  war,  als  irgend  ein  ausseritalisches, 
und  reiner  sein  Blut  in  der  grossen  Mischung  der  Wanderzeit  erhalten 
hatte  als  z.  B.  die  Bewohner  der  Poebene,  das  durch  Klima  und 
Lebensgewohnheiten  immer  ein  südliches  blieb,  das  wohlerhaltene 
Denkmäler  aus  der  Glanzzeit  der  römischen  Kunst  noch  in  Fülle 
vor  Augen  hatte,  —  sie  ist  an  sich  höchst  begreiflich.  Zu  ihrer 
richtigen  Beurteilung  gehört  aber  noch  das  andere,  dass  sie  nicht 
etwa  aus  einer  ununterbrochenen  Ueberlieferung  hervorgegangen  war: 
Sie  ist  eine  bewusste  Renaissancebewegung.  Von  ihr  unterscheidet 
sich  die  Zeit  des  10.  und  11.  Jahrhunderts  aufs  bestimmteste,  in 
welcher  nichts  davon  zu  entdecken  ist,  dass  in  der  Provence  ein  vol- 
leres Nachleben  in  der  Antike  sich  erhalten  hätte,  als  in  den  Nachbar- 
landschaften Galliens  oder  Italiens  l),  es  wäre  denn  in  rein  technischen 
Dingen.    Die  auszeichnende  baugeschichtliche  That  der  Provengalen 

')  Gegen  die  irrigen,  aus  einer  falschen  Chronologie  der  Denkmäler  hervorge- 
gangenen Anschauungen  von  Revoil  und  Viollet-le-Duc  s.  meine  Ausführungen  im  Jahr 
buch  der  k.  preuss.  Kunstsammlungen,  1S86,  Heft  3. 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


62  5 


in  der  Frühzeit  ist,  dass  sie  allen  anderen  Schulen  voran  ihren  Kirchen- 
bau in  einen  reinen  Steinbau  verwandelten.  In  dieser  Aufgabe  blieben 
ihre  Bestrebungen  längere  Zeit  gefesselt.  Während  die  übermassig 
starken  Umfassungsmauern  im  Innern  eine  einfache,  doch  ausdrucks- 
volle Nischen-  und  Pilastergliederung  erhielten,  verharrte  das  Aeussere 
in  primitivster  Formenarmut,  werden  die  kahlen  Wandflächen  durch 
nichts  als  die  schmalen  Fenstereinschnitte  und  die  ganz  schlichten 
Strebepfeiler  unterbrochen ;  kein  Sockel ;  vom  Kranzgesimse  eben  nur 
eine  Andeutung;  einzig  das  schon  beinahe  glänzend  behandelte  Gross- 
quaderwerk rettet  vor  dem  Eindruck  finsterer  Rohheit.  Diese  Opfe- 
rung der  Aussenansicht  ist  so  wenig  ein  romanisches,  wie  ein  antikes, 
sie  ist  ein  altchristliches  Prinzip. 


Zwerggaleric  an  der  Apsis  von  S. 

So  zeigen  auch  die  wenigen  etwas  eingehender  gegliederten  und 
geschmückten  Denkmäler  eine  Fortentwicklung  altchristlicher  Formen 
sehr  ähnlich  der  in  Oberitalien  sich  vollziehenden  und  vermutlich  nicht 
ohne  Einfluss  von  dieser  Seite  '):  Lisenen,  Bogenfriese,  derbe  steile  Ge- 
simse mit  der  Sägezahnverzierung.  (Beispiele :  S.  Martin  de  Londres, 
Taf.  257,  S.  Guilhem  de  Desert,  S.  Pierre  zu  Maguelonne,  S.  Pierre 
zu  Reddes,  der  Campanile  von  Puisalicon,  die  älteren  Teile  des 
Turmes  von  S.  Trophime  in  Arles,  Taf.  276;  einmal,  an  der  Apsis 
von  S.  Guilhem,  eine  ganz  frühlombardisch  aussehende  Zwerggalerie). 


•)  Sonderbarerweise  denkt  Viollet-le-Duc  an  rheinische  Einflüsse;  die  allerdings 
in  manchen  Einzelheiten  vorhandenen  Anklänge  erklären  sich  ganz  natürlich  aus  der 
Gemeinsamkeit  der  lombardischen  Quelle. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Die  Ausdehnung  dieses  Stieles  rhoneaufwärts  bezeugt  der  Westbau  und 
Zentralturm  von  S.  Philibert  in  Tournüs,  Taf.  260.  Wo  an  Ziersäulchen 
oder  Gesimsen  antikisierendes  Detail  auftritt,  folgt  es  lediglich  der  in 
Südeuropa  damals  konventionellen  Auffassung  (Taf.  236,  1 — 4). 

Jahrhundertelang  waren  also  auch  die  Provencalen  an  der 
reineren  Schönheit  der  klassischen  Kunst,  mit  deren  Ueberresten  ihr 
Land  so  reich  beschenkt  war,  blind  vorübergegangen.  Es  scheint 
ihnen  plötzlich  wie  Schuppen  von  den  Augen  gefallen  zu  sein.  Die 
ersten  Zeugen  des  Umschwungs  sind  die  Portalbauten  an  den  Kathe- 
dralen von  Aix  und  Avignon  (Taf.  285),  deren  Entstehungszeit  in 
den  90er  Jahren  des  11.  Jahrhunderts  gut  beglaubigt  ist1).  Die  nun 
beginnende,  das  12.  Jahrhundert  und  die  ersten  Jahrzehnte  des  13. 
beherrschende  provengalische  Renaissance  ist  ein  Seitenstück  zu  der 
zeitgenössischen  toskanisch-römischen ,  nur  erfasste  sie  das  Wesen 
der  alten  Baukunst  tiefer  und  war  in  der  Nachschöpfung  konsequenter. 
Die  genannten  frühesten  uns  bekannten  Versuche  der  neuen  Richtung 
sind  noch  ängstlich  genaue  und  fast  bis  zur  Täuschung  geglückte 
Abschriften  bestimmter  römischer  Vorbilder  aus  nicht  mehr  der  besten 
Zeit.  Um  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  hat  sich  der  Geschmack 
geläutert,  die  arachaistische  Strenge  gemildert;  der  antike  Formen- 
schatz wird  als  ein  Ganzes  betrachtet,  mit  dem  man  wie  mit  seinem 
Eigentum  schaltet;  neben  den  frei  und  sicher  wiedergegebenen 
kannelierten  Säulen  und  Pilastern,  den  Zahnschnitten,  Eierstäben, 
Perlschnüren,  Mäandern,  dem  wohlgebildeten  Akanthuslaub  treten 
selbständig  stilisierte  Blattformen  und  in  zunehmender  Fülle  phan- 
tastische Tier-  und  Menschengestalten  hervor,  mit  den  andern  mit 
einer  reizenden  Willkür  verbunden,  die  uns  doch  sagt,  dass  wir 
Werken  des  blühenden  Mittelalters  gegenüber  stehen.  Eine  strengere 
Einheit  des  Formenwesens  wird  in  der  provengalischen  Protorenais- 
sance  nicht  erreicht,  kaum  erstrebt;  wohl  aber  Einheit  der  Stimmung; 
und  diese  lässt  auch  die  mittelalterlichen  Elemente  in  ihr  »in  einer 
breiten,  heiteren,  bequemen  Weise  auftreten,  die  sich  von  dem  Cha- 
rakter der  nordischen  Bauten  sehr  auffallend  unterscheidet?  (Schnaase 
Es  hätte  in  der  That  seltsam  zugehen  müssen,  wenn  die  provencalische 
Kunst,  im  Besitz  so  glänzender  Mittel  und  mit  dem  Auftrage,  einem 
sinnlich-heiteren  Volke  zu  gefallen,  nicht  auch  der  allgemeinen  Zier- 

')  A.  Kamee  im  Bulletin  du  comitc  des  travaux  historiques  18S2,  p.  195.  — 
Mcrimce  dachte  an  die  Zeit  der  Westgotenherrschaft ,  ein  verzeilicherer  Irrtum ,  als  Re- 
voils  Inanspruchnahme  für  die  Karolingerzeit. 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


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lust  des  Jahrhunderts  ihren  Tribut  gezahlt  hätte.  Immer  aber  leistete 
der  den  Südländern  eingeborene  Sinn  für  Simplizität  ein  starkes 
Gegengewicht.  Auch  die  Kirchen  des  12.  Jahrhunderts  bleiben  im 
ganzen  genommen  einfach  in  ihrer  äusseren  Erscheinung.  Der  Schmuck 
wird  auf  einzelne  bedeutende  Stellen  gesammelt,  namentlich  die  Por- 
tale und  Kranzgesimse,  die  mit  den  ruhigen  Wandflächen  und  mässig 
bewegten  Hauptumrissen  zu  einer  höchst  diskreten  Wirkung  zu- 
sammenklingen. Diese  Oekonomie  ist  von  wesentlich  anderer  Art, 
als  die  in  Italien  so  häufige,  in  der  die  Pracht  der  Schauseite  der 
übrigen  Dürftigkeit  unvermittelt  gegenübersteht;  sie  vergisst  nie  die 
Harmonie  des  Ganzen. 

Freilich  sind  gleichmässig  gut  konservierte  Denkmäler  nur  spär- 
lich vorhanden.  Unter  ihnen  eines  der  vorzüglichsten  ist  die  Kirche 
Ste.  Marie  au  Lac  in  Le  Thor  vom  Ende  des  12.  Jahrhunderts;  im 
kleinen  Massstab  unserer  Zeichnung  (Taf.  257)  kommt  die  knappe 
Anmut  der  Formen,  die  Feinheit  der  Meisselarbeit  leider  kaum  zur 
Geltung.  Einen  besseren  Begriff  wird  man  von  der  Apsis  der  Kathe- 
drale von  Cavaillon  gewinnen  (Taf.  258,  vgl.  die  Details  Taf.  296 
und  339).  Kannelierte  Pilaster  mit  geradem  Gebälk  hat  die  Apsis  von 
S.  Jean  de  Moustier  in  Arles.  Am  meisten  bezeichnend  für  das  pro- 
vencalische  Stilgefühl  ist  die  der  Antike  sich  nahe  anschliessende 
Bildung  des  Hauptgesimses:  ausladende,  breit  schattende  Platte  mit 
Sima  und  Konsölchen,  alles  mit  skulpiertem  Ornament  überzogen,  das 
bei  der  nur  massigen  Höhe  der  Gebäude  seine  Wirkung  nicht  verliert; 
Beispiele  auf  Taf.  338.  Figurenfriese  unter  dem  Kranzgesims  finden 
sich  an  den  Kathedralen  von  Vaison,  Cavaillon,  Nimes.  Bei  reicherer 
Zusammensetzung  der  Profile  bleiben  die  Flächen  glatt  und  oft  sind 
gerade  diese  freieren  Schöpfungen  von  bewunderungswürdig  feiner 
plastischer  Bewegung.  Manche  kleine  und  schlichte  Bauten  wie  z.  B.  das 
Kirchlein  S.  Ruf  bei  Avignon  erhalten  dadurch  einen  überraschenden 
Stempel  von  Vornehmheit  (Taf.  316).  Einen  eigentümlichen  Schmuck 
bilden  die  Firstkämme  der  Dächer  (Taf.  318),  dem  Zweck  nach  mit 
den  Firstziegeln  der  antiken  Tempel  übereinstimmend  (Schutz  der  an 
dieser  Stelle  mit  einer  offenen  Fuge  zusammentreffenden  Dachplatten), 
wie  denn  auch  Nachahmung  von  Stirnziegeln  in  rein  dekorativer  Ab- 
sicht vorkommt  (Taf.  336,  7).  Der  Aufbau  der  Seitenwäude  wird  von 
den  unvermeidlichen  Strebepfeilern  beherrscht.  Der  in  S.  Paul-trois- 
chäteaux  gemachte  Versuch,  sie  durch  eine  Pilasterordnung  —  in 
überraschend  reinem  Stil  —  zu  ersetzen,  steht  unseres  Wissens  ver- 
einzelt da  (Taf.  337). 
Fragen  wir  nun  nach  dem  wichtigsten ,  dem  System  der  Fas- 
saden, so  ist  es  leider  wenig,  was  uns  die  Denkmäler  darüber  aus- 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


sagen;  sie  sind  grossenteils  entweder  unvollendet  geblieben  oder  ver- 
stümmelt. Bei  den  die  Ueberzahl  bildenden  einschiffigen ,  selten 
grossräumigen  Anlagen  verbot  die  Schmalheit  der  Stirnwand  zusammen- 
gesetztere Kompositionen  von  selbst;  ein  hohes  reichgeschmücktes 
Portal,  zuweilen  noch  von  einer  Nische  oder  einem  von  Säulen  ge- 
tragenen Blendbogen  umrahmt,  darüber  ein  kleines  Oculusfenster. 
scheinen  in  der  Regel  genügt  zu  haben;  im  übrigen  blieb  die  Wand 
ungegliedert.    Grössere  Ansprüche  stellen  die  dreischiffigen  Anlagen. 

In  S.  Paul-trois-chäteaux,  wo  nur  die  Mittelpartie  des  Erd- 
geschosses zur  Ausführung  kam,  erkennt  man  als  Vorbild  einen  römi 
sehen  Triumphbogen ;  wenn  vollendet,  wäre  vielleicht  etwas  Aehnliches 
hier  entstanden,  wie  300  Jahre  später  in  S.  Francesco  zu  Rimini  durch 
L.  B.  Alberti.  —  Absichten  höchster  Art  treten  in  Saint-Gii.les  her- 
vor, dem  grossartigsten  Unternehmen  des  12.  Jahrhunderts  (vgl.  S.  382"'. 
Auch  hier  ist  nur  das  Erdgeschoss  ausgeführt,  dieses  glücklicherweise 
vollständig  (Taf.  259X  Die  Idee  ist:  drei  Portale  sollen  zu  einem  ge- 
schlossenen Ganzen  zusammenkomponiert  werden.  Eine  über  die  ganze 
Breite  der  Front  sich  hinziehende  Säulenstellung  ist  angenommen, 
deren  Gebälk  auch  über  den  Thüren  als  Sturz  fortläuft.  Auffallend  in 
der  sonst  so  klar  gedachten  Komposition  ist  der  plötzliche  Bruch  des 
Fries-  und  Gesimssystems  an  der  Grenze  der  Mittel-  und  Seitenpartie : 
so  auffallend,  dass  er  nur  unter  Voraussetzung  eines  Wechsels  im 
Bauplan  und  wohl  auch  der  Bauleitung  —  vielleicht  im  Zusammenhang 
mit  dem  Verzicht  auf  die  Ausführung  des  Obergeschosses  —  begreif 
lieh  wird.  Diese  Unebenheiten  abgerechnet,  ist  die  Fassade  von  Saint- 
Gilles  die  vorzüglichste  Leistung  der  romanischen  Protorenaissance 
und  kann  sich  in  ihrem  eigentümlichen  Wert  selbst  neben  den  be- 
rühmten Prachtfassaden  des  italienischen  Quattrocento  wohl  behaupten. 
Im  Gedanken  der  Verbindung  der  Portale  mit  einem  Säulen portikus 
liegt  eine  allgemeine  Aehnlichkeit  mit  S.  Miniato  in  Florenz;  die  Auf- 
fassung im  besonderen  ist  allerdings  eine  charakteristisch  verschiedene. 
Bei  S.  Miniato  treten  die  Glieder  nur  in  schwachem  Relief  aus  der 
Fläche  heraus;  bei  S.  Gilles  findet  hingegen  eine  starke  Bewegung 
vor-  und  rückspringender  Teile  statt,  die  Säulen  stehen  ganz  frei  und 
nötigen  das  Gebälk  zu  weiter  Ausladung,  die  Portale  bilden  tiefe 
Nischen.  Die  Formen  der  Antike  sind  zu  einer  ganz  neuen  malerischen 
Wirkung  umgestimmt  und  empfangen  durch  diese  den  vollen  Reiz  de> 
Ursprünglichen,  Naiven.  Am  tiefsten  bekundet  sich  der  Gewinn  aus 
dem  Umgang  mit  der  klassischen  Kunst  in  der  Sicherheit,  womit  der 
überschwengliche  Reichtum  des  Zierrats  so  geordnet  ist,  dass  alle 
Unruhe  dem  Gesamtbilde  fern  bleibt.  Erreicht  ist  das  zunächst  durch 
den  klaren  und  kräftigen  Rhythmus  der  architektonischen  Einteilung. 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


629 


dann  durch  die  Abstufung  des  plastischen  Ausdrucks  durch  alle  Arten 
des  Reliefs  bis  zur  freien  Statue ,  endlich  und  vor  allem  durch  die 
Sonderung  in  grosse  Licht-  und  Schattenmassen ,  welche  vermöge  der 
nach  antiker  Weise  rechtwinkligen  Schneidung  der  Flächen  viel  be- 
stimmter begrenzt  sind,  als  es  bei  den  schräge  abgestuften  Thürge- 
wänden des  nordisch-romanischen  und  des  gotischen  Stils  möglich 
wird.   Ein  Unterbau  von  zwölf  Stufen  hebt  das  Ganze  in  den  für  die 
Betrachtung  günstigsten  Gesichtswinkel.    Ausserdem  bieten  sich  (was 
unsere  Zeichnung  nicht  unmittelbar  veranschaulichen  kann),  dem  auf 
der  obersten,  zur  Plattform  erweiterten  Stufe  sich  bewegenden  Betrachter 
in  der  schrägen  Ansicht  Einzelbilder  von  pikantestem  malerischem 
Reiz.  —  Ist  auch  der  Kirchenbau  von  Saint-Gilles  laut  Inschrift  11 16 
begonnen,  so  fällt  es  schwer,  die  Fassade  viel  vor  der  Mitte  des  Jahr- 
hunderts entstanden  zu  denken.  Sie  fand  alsbald,  aber  frühestens  1152, 
wahrscheinlich  um  einige  Jahre  später,  eine  nur  in  Kleinigkeiten  ab- 
weichende Nachahmung  an  S.  Trophime  in  Arles  (oft  abgebildet,  11. 
a.  bei  Viollet-le-Duc  VII,  418,  am  eingehendsten  bei  Revoil).  Hier  ist 
sie  als  Vorsatzstück  vor  der  übrigens  kahlen  Frontwand  behandelt, 
nach  oben  mit  einem  Giebel  abgedeckt.    Die  Reproduktion  ist  aber 
keine  vollständige,  sondern  begreift  nur  das  Mittelstück  mit  den  an- 
schliessenden Säulenreihen;  für  uns  Bestärkung  in  der  oben  ausge- 
sprochenen Vermutung,  dass  die  Seitenportale  in  Saint-Gilles  nur  einiges 
später  entstanden  seien,  als  der  Mittelbau.  —  Zu  vergleichen  ist  noch 
das  Fassaden  frag  ment  von  Saint-Püns  (Taf.  25^)»        Idee  von  Saint- 
Gilles  ist  hier  vereinfacht  und,  zugleich  vermittelalterlicht. 
Im  Tiefland  der  GARONNE  ist  ein  bestimmt  ausgeprägtes 
System  des  Ausscnbaues  heute  nicht  mehr  nachzuweisen.   Schon  die 
Albigenserkriege  haben  vieles  beschädigt  oder  zerstört,  anderes  und 
darunter  bedeutendes,  wie  die  Kathedrale  von  Toulouse  und  Agen 
während  des  Baus  in  Stockung  gebracht. 

Noch  erkennbar  ist  die  Neigung  zu  grossen,  mit  Skulpturen  über- 
ladenen Portalen,  die  z.  B.  von  den  Abteikirchen  von  Moissac  und 
Conques  den  einzigen  Schmuck  ausmachen;  selbst  kleine  und  im 
übrigen  bescheidene  Kirchen,  wie  die  von  Lescures  unweit  Alby  zeigt 
(Taf.  289),  haben  sich  diesen  Luxus  gestattet.  Mehrfach  kommt  ein 
Mischbau  aus  Ziegel  und  Haustein  vor,  dessen  Behandlung  aus  der 
auf  Taf.  255  abgebildeten  Chorseite  von  S.  Sernin  in  Toulouse  er- 
sichtlich wird;  die  Langseiten  sind  einfacher  gehalten,  die  Fassade 
unvollendet. 

Um  so  grösser  ist  die  Summe  einheitlich  durchgeführter  und  von 
späteren  Zeiten  unberührt  gelassener  Aussenarchitekturen  in  AQUI- 
TANIEN.  Die  auf  Taf.  247  —  250  mitgeteilten  Beispiele  sind  nur  ein 


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Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


kleiner  Bruchteil  davon ;   zur  Charakteristik  reichen  sie  aus.  Auch 
diese  Gegenden  hatten  sich  der  Basilika  vollständig  entfremdet.  Für 
die  Fassaden  ergibt  sich  aus  den  üblichen  Querschnitten  (Taf.  98,  106. 
122 — 124)  als  Hauptumriss  ein  einfaches  Rechteck;  bei  einschiffigen 
Sälen   mit  vorwaltender  Höhenausdehnung;    bei  Hallenkirchen  mit 
vorwaltender  Breite.    Aber  nicht  immer  thaten  die  im  Querschnitt 
gegebenen  Masse  und  Verhältnisse  der  Kompositionsabsicht  Genüge, 
was  zu  einer  sonst  nur  in  Italien  vorkommenden,  in  der  provenca- 
lischen  Kunstregion  trotz  ähnlicher  Vorbedingungen   nicht  zu  be- 
merkenden Auskunft  führte :    der  kulissenartigen   Ueberhöhung  der 
Giebelwand.  Sie  fehlt  an  keinem  der  auf  unsern  Tafeln  vorgeführten 
Beispiele  und  ist  z.  B.  in  Poitiers  und  Civray  (Taf.  249)  sehr  erheb- 
lich.  Nicht  selten  gab  man  sogar  das  bekrönende  Giebeldreieck  auf. 
um  mit  einer  wagrechten  Linie  zu  schliessen.    Wird  schon  hierdurch 
an  der  Auffassung  der  Fassade  als  eines  selbständigen  Schaustückes 
kein  Zweifel  gelassen,  so  geschieht  es  noch  mehr  durch  die  Teilung 
im  einzelnen,  die  von  dem  in  der  äusseren  Seitenansicht  wohlerkenn- 
baren Aufbau  des  Schiffes  gänzlich  absieht.  Regelmässig  sind  mehrere 
Geschosse  von  blinden  Galerien  übereinander  gestellt,  mit  scharf  ge- 
zogenen horizontalen  Teilungslinien,  selten  mit  Hinzuziehung  ver- 
mittelnder Vertikalen  (wie  mit  trefflicher  Wirkung  in  Roulet,  Petit- 
Palais  und  besonders  an  der  Kathedrale  von  Angoulesme).  Weiter 
ist  bezeichnend  die  Häufung  struktiver  Glieder  im  Dienste  der  Deko- 
ration,  das  gerade  Gegenteil  von  der  südfranzösischen  Simplicität. 
Eckige  Formen,  also  Pilaster  und  Wandpfeiler,  werden  nach  Kräften 
vermieden  und  an  ihre  Stelle  treten  Halb-  und  Dreiviertelsäulen  mit 
gedrungenen  Stämmen  ein,  wie  z.  B.  in  Civray  und  Poitiers  die  mit 
Türmchen  bekrönten  Eckverstrebungen  als  Säulenbündel  behandelt 
sind.    Der  Charakter  des  Ornamentes  ist  reich,  üppig,  quellend;  zu 
dem  aus  der  Antike  abgeleiteten  und  in  diesem  Sinne  umgestalteten 
Blattwerk  kommen  gedrängte  Massen  von  Menschen,  Bestien,  fabel- 
haften Ungeheuern,  in  denen  der  den  nordischen  Völkern  in  dieser 
Zeit  gemeinsame  Hang  zum  Phantastischen  so   ungebändigt,  man 
möchte  sagen  spukhaft  sich  äussert,  wie  nirgend  sonst  mehr;  alles  in 
einem  Vortrag,  der  die  kleinkunstmässige ,  an  Elfenbeinschnitzereien 
oder    getriebener  Goldblecharbeit   erzogene  Formenanschauung  un- 
bedenklich in  den  monumentalen  Massstab  hinübernimmt  und  manche 
Kirchen fassade  nicht  anders  als  die  Schauseite  eines  vergrösserten 
Reliquienkastens  erscheinen  lässt. 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


63  > 


An  kleinen  Bauten,  wie  die  meisten  es  sind,  insbesondere  an  den 
der  Siidhälfte  des  Gebiets  ')  angehörenden ,  paart  sich  mit  den  ge- 
schilderten Eigenschaft  eine  anziehende,  naive  Anmut;  je  mehr  aber 
der  Massstab  wächst,  um  so  greller  tritt  die  Unzulänglichkeit  des  archi- 
tektonischen Stilgefühls  hervor.  Fassaden,  wie  die  von  Nötre-Dame- 
la-Grande  in  Poitiers  und  S.  Nicolas  in  Civray  machen  in  ihrem 
uferlosen  Reichtum  einen  unbeschreiblich  fremdartigen,  geheimnisvoll 
dunkeln  und  dumpfen  Eindruck,  als  wären  sie  Ueberbleibsel  aus  ur- 
alter Märchenzeit  ;  wiewohl  sie  in  Wahrheit  auf  der  Höhe  des  12.  Jahr- 
hunderts entstanden  sind.  Wir  irren  wohl  nicht,  wenn  wir  in  diesen 
Produkten  ein  Aufwogen  des  altkeltischen  Volksgeistes  zu  erkennen 
glauben,  wie  uns  umgekehrt  die  Kunst  der  Provengalen  einen  leben- 
digen Nachhall  gräko-italischer  Geistesheiterkeit  und  Mässigung  em- 
pfinden liess. 

Die  erste  Reaktion  gegen  die  geschilderte  Richtung  ging  von 
der  Schule  des  PERIGORD  aus.  Der  auf  das  Einfach-Grosse  ge- 
richtete Sinn,  den  wir  in  den  Binnenräumen  ihrer  Kuppelkirchen  kennen 
gelernt  haben,  verbannte  auch  aus  der  Aussenarchitektur  jedes  leichtere 
Formenspiel.  In  dieser  Gesinnung  bestärkten  die  in  Perigueux  noch 
vorhandenen  Römerbauten,  deren  Einfluss  wir  schon  im  11.  Jahrhun- 
dert kennen  gelernt  haben. 

Der  Neubau  von  S.  Front  und  die  Kathedrale  St.  Etienne  zeigen 
als  Belebung  der  Flächen,  soweit  sie  überhaupt  gesucht  wird ,  allein  ge- 
wichtigste Strukturglieder  und  eine  knappe  Dekoration  der  gruppenweise 
zusammentretenden  Fenster.  Man  fühlt  sich  an  die  männlich  schlichte 
Haltung  römischer  Festungs-  und  Nutzbauten  erinnert.  Welcher  Ernst 
auch  bei  der  Absicht  auf  reichere  Wirkung  bewahrt  blieb,  gibt  der 
merkwürdige  Glockenturm  von  S.  Front  zu  erkennen.  Indessen  ist 
dieser  Stil  nicht  dem  System  der  Kuppelkirche  als  solchem  inhärierend; 
denn  dessen  Ausläufer  an  der  unteren  Charente  gehen  zu  der  dort 
heimischen  üppigen  Behandlungswei.se  über  (Kathedrale  von  Angou- 
lesme  u.  s.  w.),  während  diejenige  des  Limousin  ins  Schwere  und 
Schwülstige  fällt  (Solignac,  Souillac  u.  s.  w.). 

Eine  zweite  Reaktion  nach  dem  Einfachen  bringt  der  aus  dem  Anjou 
kommende  Plantagenetstil.  Sein  grossartigstes  Denkmal  im  Poitou,  die 
Kathedrale  der  Landeshauptstadt,  obgleich  nur  eben  ein  Menschenalter 
jünger  als  die  Fassade  von  Notre-Dame-la-Grande,  verkündet  einen 
vollständigen  Umschlag  des  Geschmackes.    Die  Fassade  zwar  ist  erst 


')  Hier  im  Saintonge  liegen  sämtliche  auf  Taf.  247  und  248  abgebildeten  Denk- 
mäler ;  in  derselben  Gegend  besitzen  ähnliche  Fassaden :  Esnandes,  Eschaudes,  Ecoyeux, 
Eschebrune,  La  Rouleric,  Kcnioux,  Brizambourg,  Cognac,  Chateauneuf,  Surgirres,  Saint- 
Savinien,  Saint-Porchaire,  Sainies. 


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632 


Zweites  Buch:  Der  roraanische  Stil. 


in  vorgerückter  gotischer  Zeit  erbaut,  die  Ostseite  dagegen  (von  der 
wir  keine  Abbildung  mitteilen  zu  können  bedauern),  ist  durch  grandiose 
Einfachheit  bei  entwickeltem  Sinn  für  harmonisch  proportionierte 
Flächenteilung  höchst  ausgezeichnet. 

Ueber  das  Bergland  der  AUVERGNE  und  des  Velay  ist  im 
gegenwärtigen  Zusammenhange  wenig  zu  sagen.  Die  Einzelformen 
sind  denen  der  Westprovinzen  verwandt,  etwas  derber  und  rauher, 
die  allgemeine  Wirkung  gleichwohl  verschieden;  denn  der  plastische 
Gruppencharakter  der  Anlage  forderte  einesteils  Zurückhaltung  der 
Einzelgliederung,  andernteils  gleichmässige  Verteilung  derselben.  Re- 
lativ am  meisten  geschmückt  —  wie  wir  S.  601  ausgeführt  haben,  mit 
Zuhilfenahme  farbiger  Inkrustation  —  ist  die  Chorseite,  auf  welcher 
auch  in  der  Massengruppierung  der  Nachdruck  liegt.  Ein  oft  wieder- 
kehrendes, ansprechendes  Motiv  ist  die  Arkatur  als  oberer  Abschluss 
der  Seitenmauer  (Taf.  253,  3),  dem  zweigeschossigen  inneren  Aufbau 
antwortend. 

Die  einzige  namhafte  Fassade  gehört  der  Kathedrale  von  Le  Puy 
und  diese  unterliegt  ganz  ungewöhnlichen  Bedingungen  (vgl.  Taf.  262 
mit  1 1 2  und  der  Beschreibung  S.  349).  Die  durch  die  Treppenanlage 
motivierten  drei  hohen  Bogenöffnungen  des  ersten  Geschosses  wirken 
feierlich  und  gross.  Der  damit  aufgenommene  Höhenrhythmus  wird 
aber  in  den  folgenden  nicht  kräftig  genug  weiterentwickelt,  wenn  auch 
die  freistehenden  Seitengiebel  wohl  in  dem  Gefühle  dieses  Bedürfnisses 
erfunden  sind.  Inkrustation  und  plastische  Gliederung  sind  gut  zu 
einander  gestimmt. 

Wir  wenden  uns  nun  von  den  occitanischen  Provinzen  in  die 
nördlichen  und  gelangen  damit  wieder  ins  Gebiet  der  rein  basilikalen 
Anlagen.  Die  hervorstechendsten  stilistischen  Charakterbilder  geben 
einerseits  Burgund,  andererseits  die  Normandie.  Beide  nehmen  durch 
die  klare  Beziehung  und  das  harmonische  Gleichgewicht,  worin  sie 
Struktur  und  Dekoration,  Massengruppierung  und  Flächengliederung 
zu  setzen  verstehen,  einen  hohen  Rang  ein. 

BURGUND.  In  der  Wandgliederung  des  1 1 .  Jahrhunderts  spiel- 
ten, wie  aus  dem  bedeutendsten  erhaltenen  Bau  dieser  Zeit,  S.  Philibert 
in  TüURNUS  (Taf.  260)  zu  ersehen  ist,  Lisenen  und  Kleinbogen  die 
wichtigste  Rolle  und  erhielten  sich  noch  an  kleineren  stilistisch  zurück- 
gebliebenen Bauten  bis  in  das  12.  Jahrhundert.  Unter  dem  Einfluss 
der  jüngeren  Schule  von  Cluny  weicht  dieses  Formensystem  einem 
neuen,  aus  nordisch-romanischen  und  provengalisch-antikisierenden  Ele- 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau.  63^ 

menten  zusammengeschmolzenen  (gutes  Beispiel  der  Thorbau  in  Cluny, 
Taf.  262).  Die  vom  H.  Bernhard  so  hart  getadelte  und  von  seinem 
Orden,  dem  cisterciensischen,  praktisch  bekämpfte  Pracht  der  Bauten 
dieser  Schule  ist  in  Wahrheit  keine  masslose  und  in  hohem  Grade 
von  Würde  und  ruhigem  Kraftgefühl  erfüllt.  Das  System  des  äusseren 
Aufbaus  lernen  wir  am  besten  an  der  Kathedrale  von  Autün  kennen 
(Taf.  264 ;  ganz  ähnlich  waren  oder  sind  Cluny,  La  Charite  und  wahr- 
scheinlich noch  manche  andere).  Der  Hauptschmuck  ist  die  schöne, 
der  Antike  nachgebildete  Arkatur,  die  wir  schon  im  Innern  kennen 
gelernt  haben;  denselben  Platz  im  System,  wie  dort,  hat  sie  hier 
indes  nur  an  der  QuerschirTsfront ;  im  Langhause  dient  sie,  nicht 
weniger  passend,  als  oberer  Abschluss,  als  Belebung  und  Erleichterung 
der  durch  die  Bedachung  des  Tonnengewölbes  bedingten  Mauerüber- 
höhung über  den  Oberfenstern.  .Von  den  Fassaden  der  grossen 
burgundischen  Kirchen  gilt  dasselbe,  wie  von  den  prove n galischen : 
entweder  sind  sie  infolge  innerer  und  äusserer  Schwierigkeiten  un- 
vollendet geblieben,  oder  sie  sind  der  Impietät  jüngerer  Zeiten  zum 
Opfer  gefallen. 

Die  Neubauten  in  Cluny  und  Paray-le-Monial  begnügten  sich 
merkwürdigerweise  mit  ihren  alten  Fronten  aus  dem  xi.  Jahrhundert 
(Taf.  260,  262),  La  Charite  und  Beaune  sind  spätgotisch  verstümmelt, 
Langres  hat  zum  Ersatz  für  die  ursprünglich  unausgeführt  gebliebene 
eine  Barockfassade  erhalten ;  so  kommen  für  uns  nur  Autun  und  Veze- 
lay  in  Betracht,  und  auch  diese  geben  kein  homogenes  Ganzes.  In 
Autun  gab  man  den  Ausbau  der  oberen  Teile  auf,  insofern  nicht  mit 
Unrecht,  als  sie  sich  mit  der  inzwischen  hinzugekommenen  gewaltigen 
Vorhalle  doch  nicht  hätten  in  Einklang  setzen  lassen.  Für  sich  ge- 
nommen ist  diese  Halle  mit  ihren  drei  wohlproportionierten  Oeffnungen, 
dem  inneren  Stufenbau,  der  malerisch  beleuchteten  Perspektive  und  dem 
Schlusspunkte  des  kolossalen  Prachtportals  eines  der  majestätischesten 
Architekturbilder  nicht  aus  dem  Mittelalter  allein  (Taf.  284).  Vezei.ay 
(Taf.  263)  ist  im  Formencharakter  von  der  Schule  von  Cluny  unab- 
hängig, die  Komposition  ist  aber  in  den  allgemeinen  Zügen  dieselbe, 
wie  die  für  Autun  vorauszusetzenden  (die  auf  unserer  Zeichnung 
weiss  gelassenen  Teile  sind  gotisch  umgearbeitet,  der  nördliche  Turm 
ist  ergänzt),  der  Schwerpunkt  der  Fassade  liegt  in  der  Gruppe  der  drei 
Portale,  in  Vezelay  und  Autun  wie  in  Saint-Gilles  und  dessen  Ver- 
wandten. Bei  der  nur  ungefähren  Kenntnis  der  Ausführungszeit  der 
fraglichen  Bauteile  müssen  wir  uns  zu  konstatieren  begnügen,  dass  das 
Problem  die  provencalischen  und  burgundischen  Architekten  gleich- 
zeitig beschäftigt  hat.  Die  burgundische  Lösung  wurde  dann  unmittel- 

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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


bar  vorbildlich  für  die  nordfranzösisch-gotische  Schule.  Das  Neue  ist 
nicht  die  Dreizahl  der  Portale  an  sich  —  denn  sie  war  in  allen  Zeiten, 
wiewohl  nicht  oft,  vorgekommen  —  sondern  die  Steigerung  der  Masse 
und  die  Zusammenschiebung  zu  einer  geschlossenen  Gruppe,  wodurch 
sie  die  Beherrscher  der  ganzen  Komposition  werden.  Das  Mittelportal 
übt  durch  seine  weitere  Oeflfnung  und  reichere  Ausstattung  eine  kräftig 
zentralisierende  Wirkung  aus,  die  Zuspitzung  der  Gruppe  zu  einem 
flachen  Dreieck  präludiert  auf  die  Giebelbekrönung  des  Ganzen.  —  Die 
kleineren  Stifts-  und  Pfarrkirchen  pflegen  der  Fronttürme  zu  entbehren. 
Als  Beispiel  der  einfacheren  Art  diene  Chateauneuf  (Taf.  261).  Doch 
kommen  auch  in  dieser  Gattung  höchst  prächtige  Portalbauten  vor, 
wie  in  S.  Ladre  in  Avallok  (dreifach),  S.  Philibert  in  Dijox.  Tosnerre, 
Semur-ex-Brioxnais,  Charliel'. 

Im  Lyonnais  erfährt  der  burgundische  Stil  eine  Nüancierung  durch 
manche  eigentümliche  Züge,  auf  unserer  Taf.  261  vertreten  durch 
S.  Martix  o'Aixay  in  der  Vorstadt  von  Lyon  und  S.  Pail  de  Varax. 

NORMANDIE.  Entgegengesetzt  den  Schulen  der  Provence  und 
Burgunds,  mit  denen  des  Poitou  und  Saintonge  übereinstimmend,  be- 
hält der  normannische  Stil  selbst  noch  auf  seiner  Höhe  einen  Anflug 
des  Barbarischen.  Im  einzelnen  betrachtet,  äussert  sich  dasselbe  aber 
sehr  anders  dort  bei  dem  kelto-romanischen ,  hier  bei  dem  durch 
eine  zwiefache  Einwanderung  germanisierten  Stamme.  War  dort  der 
Formengeist  üppig  und  excentrisch,  so  ist  er  hier  streng  und  spröde ; 
modelte  er  dort  alles  ins  rundliche  und  quellende,  so  hier  alles  ins 
eckige,  spitzige,  ftraffe;  arbeitete  er  dort  gleichsam  in  weichem  Ton, 
so  hier  gleichsam  in  Eichenholz  und  Eisen.  Die  Erinnerung  an  die 
Antike  ist  in  so  weite  Form  gerückt,  wie  sonst  in  keiner  Region  des 
Abendlandes.  Das  vegetabilische  Element  fehlt  der  Ornamentation 
nahezu  ganz.  Wie  im  germanischen  Altertum  herrschen  geometrische 
und  nebenher  der  Tierwelt  entlehnte  Formen;  die  letzteren  noch 
immer  in  einer  fratzenhaften  Stilisierung,  die  ersteren  zum  Teil  als 
Weiterbildung  der  althergebrachten  Band-,  Flecht-  und  Webern uster, 
zum  Teil  in  neuen  selbständigen  Erfindungen,  für  die  namentlich  die 
Metalltechnik  vorbildlich  wurde.  Es  sind  die  hier  nicht  näher  zu 
beschreibenden  Zickzacke,  Zinnen,  Rauten,  Schuppen,  Schachbrett- 
muster, Spitzzähne,  Sterne,  Nagelköpfe,  Rosetten,  Kreisverschlingungen, 
für  die  man  sich  auf  Taf.  291  und  347  die  Beispiele  zusammensuchen 
mag.  Der  Spitzbogen,  in  den  süd-  und  mittelfranzösischen  Provinzen 
schon  im  11.  Jahrhundert  mit  dem  Rundbogen  promiscue  gebraucht, 
bleibt  der  Normandie  bis  zum  Eintritt  in  die  Gotik  unbekannt. 


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Fünfzehntes  Kapitel  :  Der  Aussenbau. 


635 


Bei  Betrachtung  des  Systems  der  Langseiten  muss  man  sich 
die  relativ  lange  Dauer  des  hölzernen  Deckensystems  in  der  nor- 
mannischen Architektur  gegenwärtig  halten.  Hier  nun  macht  sich 
die  regelmässige  Anwesenheit  eines  Gliedes,  das  sonst  nur  im  Gefolge 
der  Gewölbedecke  gesehen  wird,  auffallend  bemerklich:  des  Strebe- 
pfeilers. Er  ist  ersichtlich  eine  Lehnform.  Aus  Quadern  gefügt  mag 
er  in  älterer  Zeit  bestimmt  gewesen  sein,  das  oft  recht  nachlässige 
Bruchsteinwerk  der  Mauern  zu  versteifen;  im  entwickelten  Stil  hatte 
er  wesentlich  nur  formale  Bedeutung.  Von  dem  echten  Strebepfeiler 
der  gewölbebauenden  Provinzen  unterscheidet  sich  der  normannische 
durch  seine  erheblich  geringere  Ausladung  —  der  Vorsprung  beträgt 
regelmässig  nur  so  viel ,  als  der  des  Dachgesimses  —  bei  grösserer 
Breite.  Er  ist  also,  in  anderer  Form,  der  Sache  nach  dasselbe, 
wie  die  mitteleuropäische  Lisene  (Dekoration  mit  Ecksäulchen  in 
Ste.  Trinke  in  Caen,  S.  Georges  de  Boscherville,  S.  Gabriel  u.  a.  m. ; 
vier  Fälle  von  Fenstern  im  Pfeiler  bei  Ruprich-Robert  p.  72 ,  welche 
Seltsamkeit  übrigens  nicht  ganz  singulär  ist,  vgl.  z.  B.  S.  Georg  in 
Regensburg,  Taf.  231).  Eine  Hauptzierde  der  normannischen  Kirchen, 
die  den  kleineren  unter  ihnen  fast  noch  seltener  fehlt,  als  den  grossen, 
ist  die  Bekleidung  der  Sargwände  des  Hochschiffs  mit  einer  die 
Fenster  in  sich  schliessenden  Arkatur.  —  Die  Fassaden  unterscheiden 
sich ,  je  nachdem  es  sich  um  vornehme  Abtei-  und  Kathedralkirchen 
oder  um  Kirchen  zweiten  Ranges  handelt,  dadurch,  dass  jene  mit 
Doppeltürmen  ausgestattet  sind,  diese  turmlos  bleiben. 

Die  Beispiele  der  letzteren  Art  auf  Taf.  207  gehören  dem  12.  Jahr- 
hundert an.  Die  grossen  Fassaden  des  n.  Jahrhunderts,  Jumieges  und 
S.  Etiexxe  in  Caex,  machen  in  ihrer  Strenge  einen  fast  drohenden, 
sicher  in  hohem  Grade  imponierenden  Eindruck;  die  von  Stk.  Trixite 
in  Caen  ist,  wie  es  scheint,  durch  jüngere  Ueberarbeitung ,  etwa  ge- 
legentlich der  Einwölbung  der  Schiffe  prächtiger  geworden,  doch  immer 
noch  ernst  genug.  Der  dreigeschossige  Aufbau  folgt  aus  dem  inneren 
System.  Die  Pfeilervorlagen  sollen  nicht  nur  materiell  die  Türme 
sichern ,  sondern  auch  das  Auge  auf  sie  vorbereiten ;  eine  rechte  or- 
ganische Eingliederung  ist  aber  noch  nicht  gelungen  (Taf.  266,  270). 

Uebertragung  des  normannischen  Fassadensystems  in  die  Formen 
des  angevinischen  Uebergangsstils  zeigt  die  Kathedrale  von  Axgers 
(Taf.  270),  eine  von  südlicher  Simplicität  und  südlichem  Proportions- 
gefühl berührte,  vorzüglich  edel  und  keusch  durchgeführte  Komposition ; 
Entstehungszeit  etwa  1 150— 11 70. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


NORDFRANKREICH.  Der  eklektisch  verallgemeinernde  Stil 
dieser  Gegenden  hat  manches  treffliche  kleinere  Werk  der  Aussen- 
architektur  geschaffen,  ein  wirklich  bedeutendes  zum  erstenmal  in  der 
Abteikirche  von  Saint-Denis. 

Die  Fassade  des  Abtes  Suger  ist  mit  Ausschluss  der  etwas  jüngeren 
Türme  (von  denen  der  nördliche  nicht  mehr  vorhanden  ist),  als  erster 
Teil  des  Neubaus  in  raschem  Zuge  1 137  —  1 140  ausgeführt.  Eine  Pro- 
vinzialtradition  lässt  sich  für  sie  nicht  nachweisen;  vielmehr  ist  uns 
deutlich,  dass  sie  aus  der  Synthese  des  burgundischen  und  des 
normannischen  Typus  hervorgegangen  ist,  worauf  nicht  nur  die  allge- 
meine Disposition,  sondern  auch  die  Zierformen  hinweisen;  nur  auf 
dem  Wege  über  Burgund  können  die  Kapitellformen  des  Chors  und 
die  Akanthusranken  am  Portal  hierher  gekommen  sein,  wie  das  Flach- 
ornament an  gewissen  Teilen  der  Fassade  nur  aus  der  Normandie. 
Auffallend  ist  die  zwischen  Mittelbau  und  Seitenteilen  bestehende  Un- 
gleichheit in  der  Höhenlage  der  korrespondierenden  Stockwerke.  Die 
Absicht  war  einmal  die  relative  Selbständigkeit  der  Türme  von  unten 
auf  ins  Licht  zu  setzen ,  dann  einen  lebhafteren  Rhythmus  durchzu- 
führen nach  dem  schon  in  Vezelay  beobachteten  Prinzip  der  pyrami- 
dalen Gruppierung  der  Oeffnungen.  Das  oberste  Geschoss  schliesst 
mit  einem  Rosenfenster  (das  in  unserer  Zeichnung  noch  darüber  sicht- 
bar werdende  zweite  gehört  dem  um  die  Tiefe  der  Vorhalle  zurück- 
tretenden Hauptschiffgiebel  des  13.  Jahrhunderts).  Es  ist  ein  feiner  Zug. 
dass  nur  in  den  Seitenabteilungen  eine,  übrigens  nur  leise,  Brechung 
der  Bögen  eintritt,  während  den  Portalen  und  Fenstern  des  Mittelbaus 
die  reine  Kreislinie  gehört,  als  die  am  meisten  zentralisierende.  Die 
Rose  ist  eine  der  ersten  ihrer  Art,  die  wir  in  Frankreich  kennen  lernen. 
Kleine  Oculusfenster  waren  nach  Bedarf,  d.  i.  wo  Raumbeschränkung 
darauf  hinwies,  hin  und  wieder  schon  längst  angewendet  worden ;  hier 
aber  handelt  es  sich  um  die  Aufstellung  als  spezifisches  Giebelmotiv 
und  dann  um  die  bedeutende  Grösse  des  Durchmessers  (in  S.  Denis 
fast  4  m  im  Lichten).  Auf  welchem  Wege  das  in  der  Lombardei  ent- 
standene Rosenfenster  nach  Nordfrankreich  gewandert  sei  (etwa  über 
den  Oberrhein?)  bleibt  verborgen,  und  nicht  minder  merkwürdig  ist, 
dass  es  verhältnismässig  lange  auf  die  nordfranzösische  Schule  be- 
schränkt blieb.  Möglicherweise  etwas  älter  als  in  S.  Denis  ist  es  an 
S.  Etienne  in  Beauvais  und  Notre-Dame  in  CIialons,  wenig  jünger  an 
S.Martin  in  Laon,  der  Kathedrale  von  Senlis,  Notre-Dame  in  Etampes; 
in  Burgund  wie  in  der  Normandie  wird  es  erst  im  vorgerückten  13.  Jahr- 
hundert aufgenommen.  Die  geschichtliche  Bedeutung  der  Fassade  von 
Saint-Denis  ist  eine  ähnliche  wie  die  des  berühmten  Chores :  zerstreute 
Bestrebungen  des  letzten  Menschenalters  der  romanischen  Kunst  werden 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


637 


in  eine  klare  Schlussformel  zusammengefasst  und  darin  die  Grundlinien 
gezogen,  denen  die  gotische  Entwicklung  folgt.  —  Von  kleineren  Fas- 
saden sind  die  bemerkenswertesten  die  von  S.  Leu  d'Esserkkt  und 
von  Notre-Dame  in  Chaloxs  (Taf.  271).  An  der  ersteren,  einer  Clunia- 
censerkirche ,  war  anscheinend  eine  niedrige  Vorhalle,  etwa  wie  in 
Saint-Urcel  (Taf.  360)  beabsichtigt;  die  auf  c.  1125  angesetzte  Ent- 
stehungszeit dürfte  zu  früh  gegriffen  sein.  An  der  zweiten  gehören 
nur  die  Türme  (mit  Ausschluss  des  letzten  Geschosses)  der  um  11 50 
zu  ßnde  gehenden  Bauepoche,  die  Mittelpartie  ist  nach  einem  Brande 
frühgotisch  um  1170  erneuert  mit  Höherlegung  des  Giebels. 

ENGLAND. 

Die  englische  Kirchenbaukunst  gelangt  unter  der  Normannen- 
herrschaft zu  einer  Prachtentfaltung,  wie  wenige  Schulen  des  Fest- 
landes. Dieselbe  ist  aber  nicht  sowohl  ein  Ausfluss  überschäumender 
Phantasie,  als  des  Bestrebens  nach  imponierender  Schaustellung,  ver- 
ständig überlegend  selbst  in  Momenten  der  grössten  Verschwendung, 
auffallend  entfernt  von  der  Wärme  und  Behaglichkeit,  die  den  ro- 
manischen Stil  auf  dem  Festlande  meist  so  anheimelnd  durchdringt. 

Nicht  auf  Hervorhebung  einzelner  Teile  ging  sie  aus  —  sowohl 
die  Fassade  als  der  Chor,  die  von  den  übrigen  romanischen  Schulen 
bevorzugten  Schauseiten,  boten  in  der  englischen  Anlage  wenig  Fläche 
dar  —  vielmehr  auf  gleichmässig  prächtige  Umhüllung  des  ganzen 
Baukörpers.  Mit  Seitenansichten,  wie  sie  die  Kathedralen  von  Canter- 
bury,  Norwich,  Peterborough,  Ely  darbieten  (Taf.  269),  können  sich 
unter  den  grossen  Bauten  des  Kontinents  selbst  die  burgundischen 
in  Bezug  auf  gediegene  Splendidität  nicht  messen,  höchstens  der  Dom 
von  Pisa  und  (der  Absicht  nach)  die  sicilischen  Normannenbauten; 
um  so  beklagenswerter  ist  die  Entstellung  durch  die  spätgotische 
Erweiterung  eines  grossen  Teils  ihrer  Fenster.  Das  dekorative  System 
wird  in  niedrige  Streifen  geordnet,  vier  oder  fünf  übereinander,  wobei 
sich  das  Arkaturmotiv  wie  immer  sehr  dankbar  erweist ;  wohlüberlegt 
ist  die  Nüancierung  in  der  Bildung  der  zahlreichen  Zwischengesimse. 
Die  wagerechten,  mit  dem  Erdboden  gleichlaufenden  Linien  fallen 
ungewöhnlich  stark  ins  Gewicht,  übereinstimmend  mit  der  lang- 
gestreckten Gestaltung  und  dem  schwachen  Höhestreben  des  ganzen 
Gebäudes.  Die  Gesamterscheinung  ist  um  einiges  heiterer,  als  die 
des  Innern  (S.  290),  aber  an  sich  noch  immer  geharnischt  und  gravi- 
tätisch genug. 


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Kathedrale  von  Ely,  Hinteransicht  de»  Weitbaus. 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


639 


Ueber  den  Fassadenbau  sind  wir  nur  lückenhaft  unterrichtet,  da 
selbst  die  im  Innern  verschont  gebliebenen  normannischen  Schiffe 
grossenteils  gotische  Aussenfronten  erhalten  haben.  Dass  und  warum 
das  festländisch-normannische  System  der  Doppeltürme  in  England 
wenig  Nachfolge  fand,  haben  wir  oben  S.  590  ausgeführt.  Dafür 
kamen  andere  Ideen  auf  die  Bahn,  die  durch  Kraft  und  Originalität 
der  Auffassung  in  hohem  Grade  unsere  Aufmerksamkeit  fesseln.  Das 
Gemeinsame  ist,  dass  als  Träger  der  Fassadenkomposition  nicht  die 
Stirnwand  der  Schiffe,  sondern  ein  viel  breiterer  Baukörper,  eine 
eigens  um  der  Fassade  willen  geschaffene  Querhalle  angenommen 
wird.  Wenn  auch  von  einiger  Gewaltsamkeit  nicht  freizusprechen, 
hat  diese  Lösung  doch  immer  mehr  architektonische  Wahrheit,  als 
die  kulissenartige  Fassadenerweiterung  der  Aquitanier,  Lombarden, 
Toskaner. 

Taf.  268  zeigt  den  rechten  Flügel  dieses  Bauteils  an  der  Kathedrale 
von  Ely;  der  linke  ist  abgebrochen,  das  Mittelstück  durch  eine  hohe 
frühgotische  Vorhalle  verdeckt.  Mit  Hilfe  des  Grundrisses  (Taf.  82) 
und  der  Ansicht  (oben  S.  638  und  Taf.  268)  gewinnt  man  von  der 
ursprünglichen  Bauidee  eine  hinlängliche  Vorstellung;  es  war  eine  vor- 
waltende Breitkomposition  mit  starker  Betonung  der  wagrechten  Teilungs- 
linien, konform  dem  Charakter  des  Langhauses.  Die  Wirkung  ist  trotz 
der  Ueberladung  mit  Einzelheiten  weniger  unruhig,  als  die  Zeichnung 
erwarten  lässt.  Denn  nicht  allzu  lange  bleibt  der  Blick  an  ihnen  haften : 
er  wird  von  der  mächtigen  Bewegung  der  Turmgruppe  emporgezogen 
und  in  staunende  Erregung  versetzt.  Als  sie  noch  unversehrt  stand, 
hatte  diese  Fassade  in  der  Verbindung  von  Kühnheit  und  Pracht  ihres- 
gleichen nicht  im  Abendlande ;  ob  sie  aber  die  geeignete  Vorbereitung 
auf  ein  Gotteshaus  ist  und  nicht  eher  einen  Sitz  irdischer  Herrscher- 
majestät anzukündigen  scheint,  ist  fraglich.  Die  Entstehungszeit  liegt 
zwischen  1174  (Vollendung  der  Schiffe)  und  1184  (Beginn  der  Vor- 
halle). —  In  einen  völlig  anderen  Gedankenkreis  versetzt  uns  die 
Kathedrale  von  Lincoln.  Die  beistehende  Skizze  gibt  allein  den  nor- 
mannischen Bau  unter  Weglassung  der  gotischen  Bekrönung  und  Flügel- 
erweiterung; die  einzige  Restauration,  die  wir  uns  erlaubt  haben,  be- 
trifft die  Fenster.  Die  Fassade  von  Lincoln  ist  mindestens  ein  halbes 
Jahrhundert  älter  als  die  von  Ely.  Doch  nicht  darin  allein  ist  ihre 
grosse  Schlichtheit  begründet.  Jedes  Mehr  an  Zierformen  würde  die 
ins  Grosse  gehende  Wirkung  stören.  Man  kann  sich  nichts  Wuchtigeres 
denken,  als  diese  fünf  in  streng  pyramidaler  Ordnung  aufsteigenden, 
in  die  gigantische  Mauermasse  tief  einschneidenden  Nischen.  Wir 
fühlen  uns  unwillkürlich  wie  von  altrömischem  Geiste  berührt,  ohne 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


dass  wir  bestimmte  Analogien  zu  nennen  vermöchten ;  hatte  vielleicht 
das  römische  Kastell,  dessen  Trümmer  auf  dem  Domberge  noch  sicht- 
bar sind,  irgendwie  die  Anregung  gegeben?  —  Ausserordentlich,  wie 


c  '  1  >  10 

K.uhcdralc  von  Lincoln,  Westbau. 


das  Fassadenmotiv  von  Lincoln  uns  erscheint,  stand  es  doch  nicht 
allein  da.  Wir  können,  was  bei  der  geringen  Zahl  der  zum  Vergleiche 
übrig  gebliebenen  Denkmäler  ins  Gewicht  fällt,  zwei  Variationen  des- 
selben Gedankens  nachweisen:  in  reduzierter  Gestalt  aber  auch  so 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


64I 


noch  immer  grossartig  in  Tewkesbury  (Taf.  360),  in  gotische  Formen 
übergeführt,  doch  wahrscheinlich  schon  im  romanischen  Plane  vor- 
gesehen in  Peterborough  (Buch  III). 

Diese  wenigen  Beispiele  normannischer  Fassaden  lassen  uns  ahnen, 
dass  der  Neuerungssucht  der  gotischen  Jahrhunderte  viel  Bedeutendes 
zum  Opfer  gefallen  sein  muss.  Bei  den  Fassaden  kleiner  Kirchen, 
unter  denen  die  von  Iffley  und  Castle-Risixg  (Taf.  267)  den  meisten 
Ruf  haben ,  brauchen  wir  nicht  zu  verweilen ,  da  sie  wesentlich  nur 
durch  die  Einzelformen  interessant  sind. 


Beschreibung  der  Tafeln1). 

Gesamtansichten  in  der  Kavalierperspektive. 

Tafel  an. 

1.  Fischbeck:  Klosterkirche  (Nord-Ost).  —  2.  Köln:  S.  Aposteln  (Süd- 
West).  —  3.  Regensburg;  Schottenkirche  S.  Jakob  (Nord-Ost),  — 
4.  Paulinzellc:  Klosterkirche  (Nord-Ost).  —  5.  Jeric/iotv:  Kloster- 
kirche (Nord- West).  —  6.  Köln :  S.  Mauritius  (Nord-Ost). 

Tafel  212. 

1.  Tournay:  Kathedrale  (Ost).  —  2.  Ouny:  Abteikirche  (Nord-Ost). 
—  3.  Boscherville:  S.  Georges  (West).  —  4.  Cahors :  Kathedrale 
(Nord).  —  5.  Conques:  Abteikirche  (West).  —  6.  Angouleme:  Kathe- 
drale (West).  —  7.  Tours:  Abteikirche  S.  Martin  (Nord-Ost). 

Ansichten  in  geometrischem  Auiriss  und  ix  normaler  Perspektive. 

Tafel  213.  Deutschland. 

1.  Lorsch:  Eingangshalle  des  Vorhofs.  —  2.  Hälfte  saec.  8.  — 
Essenwein. 

2.  Reichenau:  Münster  Sta.  Maria.  Westfront  und  westliches  Quer- 
schiff. —   1.  Hälfte  saec.  n.  Adler. 

3.  Essen:  Nonnenstiftskirche,  Westchor.  —  c.  a.  1000.  —  Humann. 

')  Die  Einheit  des  Massstahes  in  dieser  Abteilung  aufrecht  tu  erhalten,  war  nicht 
mehr  möglich,  wenn  nicht  Wichtigeres,  besonders  die  Deutlichkeit  der  Formen,  geopfert 
werden  sollte.  Am  häufigsten  sind  die  Massstäbe  i  :  200  (wie  bei  Darstellung  der  inneren 
Systeme)  und  1  1400  gewählt;  wo  der  Raum  es  gestattete,  ein  grösserer.  Die  Dimen- 
sionen der  perspektivisch  dargestellten  Gebäude  vergegenwärtige  man  sich  mit  Hilfe  der 
Grundrisse  und  Systeme. 


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6^2  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

Tafel  214. 

1.  Minden:  Dom,  Westfront.  —  c.  1060—70;  Obergeschoss  c.  1120—40. 

—  B.-D.  Niedersachsens. 

2.  Soest:  S.  Patroklus.  —  c.  1200.  —  Lübke. 

3.  Piaderborn:  Dom.  —  c.  1009  — 1036.  —  Liibke. 

Tafel  215. 

1.  Gernrode:  Stiftskirche,  Querschnitt  und  Westfront  (ca.  '.too).  — 
E.  saec.  10,  Apsis  und  Obergeschoss  des  Glockenhauses  und  der 
Türme  saec.  12.  —  Z.  f.  Bauwesen. 

2.  Goslar:  Klosterkirche  Neuwerk,  Westfront.  —  A.  saec.  13.  — 
Mithoff. 

3.  Braunschweig :  Dom,  Westfront,  mit  Weglassung  des  gotischen 
Aufsatzes  über  den  Mittelbau  (*/»0o).  —  E.  saec.  12.  und  A.  saec. 
13.  —  B.-D.  Niedersachsens. 

4.  Susteren:  Klosterkirche,  Westfront  ('/too).  —  2.  Hälfte  saec.  11  — 
Fisenne. 

Tafel  216. 

1.  * Königslutter:  Stiftskirche,  Ostansicht.  —  1.  Hälfte  saec.  12.  — 
Skizze  von  Dehio. 

2.  *  Halberstadt :  Liebfrauenkirche,  Ostansicht.  —  1.  Hälfte  saec.  12. 

—  Konstruiert  nach  B.-D.  Niedersachsens. 

Tafel  217. 

1.  *Maestricht:  S.  Servaes,  Ostansicht  ('/«oo).  —  saec.  12.  —  Cuypers. 

2.  *Lippstadt:  Grosse  Marienkirche,  Querschi ffsfassade  (V200).  —  E. 
saec.  12.  —  Memminger. 

3.  * Maestricht :  Liebfrauenkirche,  Südwestansicht.   —  saec.  11—13. 

—  Tornow. 

Tafel  218. 

1.  Trier:  Dom,  Westseite  (ca.  Vm)  —  saec.  11.  —  Gailhabaud, 
Denkmäler. 

2.  Mainz:  Dom,  Ostseite  (V»«©).  —  Flankentürme  mit  Ausschluss  des 
Obergeschosses  A.  saec.  11,  das  übrige  E.  saec.  12,  der  Mittelturm 
modern  ergänzt.  —  Schneider. 

Tafel  219. 

1.  Mainz:  Dom,  Südansicht  das  des  westlichen  Querschiffs  und  Chors 
(\joo).  —  Schneider. 

Tafel  220. 

1.  Laach:  Klosterkirche,  Ostansicht  ('/aoo).  —  Um  Mitte  saec.  12.  — 
Geier  u.  Görz. 

2.  Laach:  Klosterkirche,  östlicher  Teil  der  Nordseite  (Vson). 


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- 


Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau.  643 

3.  Speier:  Dom,  östlicher  Teil  der  Nordseite  (V-co).  —  E.  saec.  n, 
überarbeitet  saec.  12.  —  Hübsch. 

Tafel  221. 

1.  Speier:  Dom,  Südostansicht.  —  King. 

2.  Laach:  Klosterkirche,  Nordwestansicht.  —  Bock. 

Tafel  222. 

1.  +Köln:  S.  Gereon,  Nordostansicht.  —  Chor  und  Turm  nach  M. 
saec.  12,  Polygon  A.  saec.  13.  —  Hofflund. 

2.  Koblenz:  S.  Kastor,  Südostansicht.  —  Chor  und  Türme  2.  Hälfte 
saec.  12.  —  Tornow. 

Tafel  223. 

1.  *Köln:  S.  Aposteln,  Ostansicht.  —  Um  1200.  —  Photographie. 

2.  *Koln:  Gross  S.  Martin,  Ostansicht.  —  Um  1200.  —  Bezold. 

Tafel  224. 

1.  Andernach:  Pfarrkirche,  Südwestansicht.  —  A.  saec.  13.  —  Bock. 

2.  Limburg  a.  L.:  Stiftskirche  S.  Georg.  —  2.  Viertel  saec.  13.  — 
Tornow. 

Tafel  225. 

1.  Andernach:  Pfarrkirche,  Ostansicht.  —  Der  nördliche  Turm  viel- 
leicht noch  E.  saec.  11,  das  übrige  A.  saec.  13.  —  Bock. 

2.  Sinzig:  Pfarrkirche,  Ostansicht.  —  Um  1220.  —  Tornow. 

3.  Münster' Maifeld:  —  Chor  um  1225.  —  Tornow. 

4.  *  Heimersheim:  Pfarrkirche,  Westansicht.  —  2.  Viertel  saec.  13.  — 
Tornow. 

Tafel  226. 

1.  *Bonn:  Münsterkirche.  —  Chor  und  Türme  um  und  nach  Mitte 
saec.  12,  Querschi  ff  und  Langhaus  beg.  1208  und  1221  noch  nicht 
vollendet;  der  Helm  des  Zentralturms  ursprünglich  niedriger.  — 
Tornow. 

2.  *Bonn:  Kreuzgang  am  Münster.  —  Um  1150.  —  Tornow. 

► 

Tafel  227. 

1.  Worms:  Dom,  Westchor.  —  1.  Viertel  saec.  13.  —  Dollinger. 

2.  Bamberg:  Dom,  Südostansicht.  —  Chor  geweiht  1237,  letztes  Ge- 
schoss  der  Türme,  wie  die  Westtürme  um  1270.  —  King. 

Tafel  228. 

1.  * Maursmünster :  Klosterkirche,  Westansicht.  —  Photographie. 

2.  *Murbach:  Klosterkirche,  Ostansicht.  —  Photographie. 


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644  Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 

Tafel  229. 

1.  Horms:  S.  Paul,  Westansicht  (*/••«»).  —  Gegen  Mitte  saec.  13.  — 
King. 

2.  Pfaffenschwabenheim:  Stiftskirche.  —  2.  Hälfte  saec.  13.  —  Glad- 
bach. 

3.  Gehweiler:  S.  Leodegar,  Westfront  (','»«)•  —  Um  1200?  —  Aren, 
des  monuments  historiques. 

4.  Neuwetler:  S.  Adelphi,  Westfront.  —  c.  1200?  —  Photographie. 

Tafel  230. 

1.  Hirsau:  Klosterkirche,  S.  Aurelius,  Nordseite  (\ioo).  —  Um  1070. 
v.  Egle. 

2.  Dasselbe,  Westseite. 

3;  Ellwangen:  Klosterkirche  S.  Veit,  Ostansicht.  —  K.  saec.  12.  — 
Schwarz. 
Tafel  231. 

1.  *  Ilmmünster:  Klosterkirche,  Ostansicht.  —  saec.  12.,  Turmbekro- 
nung  gotisch.  —  Holzinger. 

2.  * 'Regensburg :  S.  Georg.  —  Um  1162.  —  Bezold. 

3.  *  Palsweis:  Dorfkirche.  —  Bezold. 

4.  *  Steingaden:  Klosterkirche,  Nordansicht.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  — 
Bezold. 

5.  *  Altenstadt:  Klosterkirche,  Ostansicht.  —  ?  2.  Hälfte  saec.  12.  — 
Bezold. 

Tafel  232. 

1.  *  Klosterneuburg :  Westansicht  (',300).  —   1.  Hälfte  saec.   12.  — 
v.  Schmidt. 

2.  Trebitsch:  Klosterkirche.  —  saec.  13.  —  Heider  u.  Eitelberge r. 

3.  S.  Jdk:  Klosterkirche,  Westfront.  —  2.  Hälfte  saec.  13.  —  Heider 
u.  Eitelberger. 

4.  Zsambek:  Klosterkirche,  Westfront.  —  2.  Hälfte  saec.  13.  —  Heider 
u.  Eitelberger. 

Tafel  233. 

1.  *Strassburg:  Münster,  Südliche  Querschiffsfront.  —  Photographie. 

2.  * Magdeburg:  Dom,  Choransicht.  —  Photographie. 

Tafel  234.  Italien- 

1.  Pisa:  Kathedrale,  Südwestansicht.  —  Photographie. 

Tafel  235. 

1.  *Pisa:  Kathedrale,  Südostansicht.  —  Photographie. 

2.  *Lucca:  Kathedrale,  Ostansicht.  —  A.  saec.  13,  teilweise  erneuert 
saec.  14,  Eckkapellen  saec.  16.  —  Photographie. 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


645 


Tafel  236. 

1.  *Lucca:  S.  Frediano,  Fassade  ('/«so).    —    Bezold  und  Photo- 
graphie. 

2.  *Lucca:  S.  Michele,  Fassade  (l,s8o).  —  Bezold  und  Photo- 
graphie. 

3.  Pisa:  S.  Frediano,  Fassade  (ljibo).  —  Rohault  de  Fleury. 

4.  *Lucca:  S.  Giusto,  Fassade  diso).  —  Bezold  und  Photographie. 

Tafel  237. 

1.  San  Miniato;  Fassade  ('170).  —  Photographie. 

2.  *Toscanella;  S.  Pietro,  Fassade  ('Jus).  —  Etwa  E.  saec.  12.  — 
Dehio  und  Photographie. 

Tafel  238. 

1.  Ruvo:  Kathedrale,  Fassade  (Vno).  —  Schulz. 

2.  Bitctto:  Kathedrale,  Fassade  ('.'mo).  —  Schulz. 

3.  Molfetta:  Kathedrale,  Choransicht.  —  Schulz. 

Tafel  239. 

1.  Cefalh:  Kathedrale,  Westansicht.  —  Serradi falco. 

2.  Monreale:  Kathedrale,  Teil  der  Choransicht.  —  Boito. 

3.  Bari;  Kathedrale,  Nordansicht  {lj*oo).  —  Schulz. 

4.  Lecce:  Kathedrale,  Ostansicht  (Vi 40).  —  Schulz. 

Tafel  240. 

1.  *Lucca:  S.  Frediano,  Choransicht.  —  Bezold. 

2.  * Verona:  Kathedrale,  Choransicht.  —  Bezold. 

3.  *Murano:  S.  Donato,  Choransicht.  —  Photographie. 

Tafel  241. 

1.  Mailand:  S.  Ambrogio,  Fassade  und  Schnitt  durch  den  Vorhof 
(V'aoo).  —  saec.  11.  —  Dartein. 

2.  *Maderno:  Pfarrkirche,  Fassade  (''no).  —  Gegen  E.  saec.  12.  — 
Bezold. 

3.  Conto:  S.  Abondio,  Choransicht  ('lioo).  —  saec.  11.  —  Dartein. 
Tafel  242. 

1.  Modena:  Kathedrale,  Fassade  (li?oo).  —  Osten. 

2.  Verona:  S.  Zeno,  Fassade  (l/too).  —  Centr.-Comm. 

Tafel  243. 

1.  Pavia:  S.  Michele,  Fassade  (Vion).  —  Dartein. 

2.  Piacenza:  Kathedrale,  Fassade  ('«oo).  —  Osten. 

Tafel  244. 

1.  Pavia:  S.  Pietro,  Fassade  (»/»»o).  —  Dartein. 

2.  Parma:  Kathedrale,  Fassade  C>o).  —  Dartein. 


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646 


Zweites  Buch  :  Der  romanische  Stil. 


Tafel  245. 

1.  *Modena:  Kathedrale,  Südostansicht.  —  Bezold. 

2.  * Parma:  Kathedrale,  Südostansicht.  -  Bezold. 

Frankreich. 

Tafel  246.  a>  Frübzeit- 

1.  Beauvais:  Fassade  der  alten  Kathedrale.  —  E.  saec.  10.  —  Woillez. 

2.  Pfrigueux:  S.  Front,  Fassade.  —  Etwa  M.  saec.  11.  —  Restau- 
ration von  de  Verneilh. 

3.  B/siers:  S.  Aphrodise,  Fassade.  —  Etwa  1.  Hälfte  saec.  11.  — 
Skizze  von  Bezold. 

4.  Cravant,  Seitenansicht.  —  saec.  10.  —  Bulletin  monumental. 

5.  Saint-Giniroux ,  Ostansicht.  —  saec.  10.  —  Gailhabaud. 

6.  Poitiers:  S.  Jean,  Seitenansicht.  —  Merovingisch  r  —  Archives 
mon.  hist. 

Tafel  247.  b)  A(*uitanien- 

1.  Loupiac ,  Fassade  (Vus).  —  saec.  12.  —  Archives  mon.  hist. 

2.  *Gensac,  Fassade  C'uo).  —  saec.  12.  —  Bezold. 

3.  * Bourg-Charcnte ,  Fassade  ('[k«).  —  saec.  12.  —  Bezold. 

4.  Afontbron,  Choransicht  (Vi so).  —  saec.  12.  —  Baudot. 

5.  Roullet,  Fassade  C'm).  —  saec.  12.  —  Baudot. 

Tafel  248. 

1.  * Petit- Palais ,  Fassade.  —  saec.  12.  —  Photographie. 

2.  *  Esehillais  >  Fassade.  —  saec.  12.  —  Photographie. 

Tafel  249. 

1.  *  Poitiers:  Notre-Dame-la-Grande ,  Fassade  (Vus).  —   Um  Mitte 
saec.  12.  —  Bezold  und  Photographie. 

2.  *Gvray:  S.  Nicolas,  Fassade  (Vus).  —  Um  M.  saec.  12.  —  Be- 
zold und  Photographie. 

Tafel  250. 

1.  *Aulnay,  Südostansicht.  —  saec.  12.  —  Photographie. 

2.  *  Melle:  S.  Pierre,  Südwestansicht.  —  saec.  12.  —  Photographie. 

Tafel  251. 

r.  *Pirigueux:  S.  Etienne,  Choransicht  (','fv>).  —  1.  Hälfte  saec.  12. 
—  Dehio. 

2.  *Solignac:  Klosterkirche,  Teil  der  Seitenansicht  (  Vit 0).  —  1.  Hälfte 
saec.  12.  —  Dehio. 

3.  Pcrigueux:  S.  Front,  Südansicht.  —  2.  Viertel  saec.  12,  die  Kup- 
peln ergänzt.  —  de  Verneilh. 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau.  647 
c)  Limousin  und  Auvergne. 

Tafel  252. 

1.  *Lc  Dorat,  Nordwestansicht.  —  Etwa  gegen  Mitte  saec.  12.  — 
Photographie. 

2,  3.  Chatel- Montagne ,  Fassade  und  Teil  der  Südansicht.  —  1.  Hälfte 
saec.  12.  —  Viollet-le- Duc  und  Photographie. 

Tafel  253. 

r.  *S.  Saturnin,  Choransicht.  —  saec.  11.  —  Photographie. 

2.  *Saint-Nectaire,  Nordostansicht.  —  saec.  11.  —  Photographie. 

3.  *Orciva/,  Südansicht.  —  saec.  13.  —  Photographie. 

Tafel  254. 

1.  ftsoire:  S.  Paul;  2.  Brionde;  S.  Julien,  Choransichten  nach  Michel. 

Tafel  255  ^  Lan£uedoc  unc*  Nordspanien. 

1.    Toulouse:  S.  Sernin,  Choransicht  ('  200).  —  1.  Hälfte  saec.  12.  — 
Arch.  mon.  hist. 

Tafel  256. 

1.  *Alby:  S.  Salvi.  —  saec.  12  u.  13.  —  Stier. 

2.  *Segovia:  S.  Millan,   Südwestansicht.  —  saec.   12.   —  Photo- 
graphie. 

3.  *Toro:  Kathedrale,  Südostansicht.  —   A.  saec.  13.  Photo- 
graphie. 

_  _  e)  Niederlanguedoc  und  Provence. 

latei  257. 

1.  Saint- Mar tin-äe-Londres,  Südansicht  ( '/i 27 ).  — saec.  11.  —  Revoil. 

2.  Le  Thor:  Ste.  Marie  au  Lac,  Südansicht  C'.«,,).  —  Um  1200.  — 
Revoil. 

Tafel  258. 

1.  Cavaillon:  Kathedrale,  Apsis  ('  <.«).  —  2.  Hälfte  saec.  12.  —  Revoil. 

2.  Saintes-Maries :  Klosterkirche,  östliche  Hälfte  der  Südansicht  ( 6o). 
—  saec.  12.  —  Revoil. 

3.  Saint-Pbns:  Kathedrale,  Erdgeschoss  der  Fassade  (So).  —  Etwa 
M.  saec.  12.  —  Revoil. 

Tafel  259. 

1.  Saint-Gilles :  Klosterkirche,  Erdgeschoss  der  Fassade.  —  Etwa 
2.  Viertel  saec.  12.  —  Archives,  Revoil,  Photographie. 

Tafel  260  ^  Burgund  und  Nachbarlandschaften. 

1.  *Tournus:  Klosterkirche  S.  Philibert,  Westbau.  —  A.  saec.  n.  — 
Photographie. 


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648 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


2.  Paray-U-Monial:  Klosterkirche,  Fassade.  —  saec.  n,  Nordturm 
saec.  12.  —  Archives. 

3.  *Tournus:  S.  Philibert,  Choransicht.  —  M.  saec.  u,  Obergeschoß 
des  Turmes  saec.  12.  —  Stier. 

Tafel  261. 

1.  *Lyon:  S.  Martin  d'Ainay,  Fassade  (ca.  Sin).  —  saec.  12. 
Photographie. 

2.  Chateauncuf,  Fassade  ('1*50).  —  saec.  12.  —  Baudot. 

3.  *S.  Paul-de-Varax ,  Erdgeschoss  der  Fassade.   —    saec.  12.  - 
Photographie. 

Tafel  262. 

1.  *I.t  Puy:  Kathedrale,  Fassade  ('|*oo).  —  M.  oder  2.  Hälfte  saec. 
12.  —  Bezold  und  Photographie. 

2.  Cluny:  Abteikirche,  Doppelchor  und  Westansicht  (abgebrochen  .  - 
du  Sommerard  nach  älterer  Zeichnung. 

Tafel  263. 

1.  *Veulay>  Westfassade.    Die  gotisch  erneuerten  Teile  weggelassen, 
A  Südostturm  (';»<><>).  —  2.  Viertel  saec.  12.  —  Photographie. 

2.  *  Paray-U-Monial,  Choransicht.  —  saec.  12.  —  Bezold. 

Tafel  264. 

1.  Chauvigny:  Notre-Dame,  Apsis,  —  1.  Hälfte  saec.  12.  —  Viollet 
le-Duc. 

2.  Cosru,  Apsis.  —  1.  Hälfte  saec.  12.  —  Viollet-le-Duc. 

3.  *Nevers:  S.  Etienne,  Teil  der  Nordseite  ('V«).  —  1.  Hälfte  saec. 
12.  —  Dehio. 

4.  *Autun:  Kathedrale,  Teil  der  Nordseite  Cjno).  —  1.  Hälfte  saec 
12.  — •  Bezold. 

Tafel  265  ^  Normandie  und  England. 

1.  *Stqueville,  Südansicht.  —  1.  Hälfte  saec.  12.  —  Photographic. 

2.  Caen:  Ste.  Trinite'  (Abbaye-aux-Dames),  Südansicht  —  E.  saec.  11 
und  1.  Hälfte  saec.  12.  —  Ruprich-Robert. 

Tafel  266. 

1.  *Caen:  Ste.  Trinitd,  Westansicht.  —  Letztes  Viertel  saec.  11,  Mittel 
partie  und  Turm  1.  Hälfte  saec.  12,  Bekrönung  der  Türme  saec.  18 
—  Photographie. 

2.  * Boscherville :  S.  Georges,  Südostansicht.  —  1.  Hälfte  saec.  12.  — 
Photographie. 

Tafel  267. 

1.  Kelso,  Nordfassade  des  Transsepts  ('Jus).  —  Um  1160.  —  Rup- 
rich-Robert. 


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649 


2.  Ouistreham,  Fassade  ('j'iis).  —  Um  1140.  —  Ruprich-Robert. 

3.  CastU~Rising,  Fassade  P/ns)«  —  saec.  12.  —  Ruprich-Robert. 

4.  Bieville,  Fassade  ('/>>*)•  —  1.  Hälfte  saec.  12.  —  Ruprich-Robert. 

5.  St.  Edmundsbury:  Klosterkirche,  Thor  und  Turm  der  Umfassungs- 
mauer (Vi»»).  —  Um  1140.  —  Ruprich-Robert. 

Tafel  268. 

1.  Norwich:  Kathedrale,  Nordfassade  des  Querschiffs  ('/iss).  —  A. 
saec.  12.  —  Britton. 

2.  Ely:  Kathedrale,  rechter  Flügel  des  Westbaus  ('ins).  —  Letztes 
Viertel  saec.  12.  —  Ruprich-Robert. 

Tafel  269. 

1.  Caen:  S.  Etienne,  System  des  Langhauses.  —  2.  Winchester:  Kathe- 
drale, desgl.  —  3.  Norwich:  Kathedrale,  desgl.  —  4.  Ely:  Kathe- 
•  drale,  desgl.  —  Massstab  '|i>-  —  Britton,  Ruprich-Robert. 

Tafel  270.  n)  Nordframösiche  Fassaden. 

1.  Caen:  Männerabtei  S.  Etienne  ('/aoo).  —  Letztes  Viertel  saec.  11, 
Ausführung  der  Türme  bis  ins  12.  —  Ruprich-Robert. 

2.  *  Angers:  Kathedrale  (\mo).  —  Nach  M.  saec.  12.—  Photographie. 

Tafel  271. 

1.  Saint-Dcnis  ('/«>o).  —  1 137— 1140.  —  Rev.  gdndrale  de  l'arch. 
und  Photographie. 

2.  Saint- Leu  d'Esserent  (Vano).  —  Etwa  2.  Viertel  saec.  12.  —  King. 

3.  CJtälons  s.  Marne:  Notre-Dame  (Vjoo).  —  M.  saec.  12,  Mittelpartie 
um  1170  erneuert.  —  Centraiblatt  der  Bauverwaltung. 

Tafel   272.  ClSTERCIKKSERKIRCHEK. 

1.  *Pontigny,  Südansicht.  —  1150  fr.   Der  Chor  um  1170.  —  Photo- 
graphie. 

2.  ^Helsterbach,  Nordwestansicht.  —  1.  Viertel  saec.  13.   —  Bois- 
sere"e,  Tornow. 

Tafel  273. 

1.  * .Heisterbach,  Ostansicht.  —  Tornow. 

2.  Riddagshausen,  Nordostansicht.  —  Nach  M.  saec.  13.  —  Ahlburg. 
Tafel  274. 

1.  *Pmtigny,  Fassade  ('/son).  —   n 50,  überarbeitet  um  11 70.  — 
Bezold,  Photographie. 

2.  Silvacanne,  Fassade  (V»oo).  —  M.  saec.  12.  —  Revoil. 

3.  Lehnin,  Fassade.  —  Adler,  teilweise  restauriert. 

4.  Maulbronn,  Fassade,  mit  Weglassung  der  Vorhalle.  —  Um  11 70. 
—  Paulus. 

3.  Kirkstall,  Fassade.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  —  Sharp e. 

42 


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650 


Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


Kirchtürme. 

Tafel  275-  a) 

1.  Pomposa.  —  Centralblatt  der  Bauverwaltung. 

2.  *Modcna.  —  Photographie. 

3.  Pisa,  der  »schiefe  Turm«,  vgl.  Taf.  234.  —  Rohault  de  Fleury. 

4.  Mailand:    S.  Gottardo  (mit  Weglassung  des  Unterbaus).  —  A. 
saec.  13.  —  Gruner. 

—  r  .  „  Ä  b)  Frankreich. 

Tafel  276.  ' 

1.  *Cruas,  Vierungsturm.  —  saec.  12.  —  Photographie. 

2.  *Vientte:  S.  Pierre,  westlicher  Frontturm.  —  saec.  12.  —  Photo- 
graphie. 

3.  * Arles:  S.  Trophime,  Turm  und  Kreuzgang.  —  saec.  11,  Ober- 
geschoss  saec.  12.  —  Dehio. 

4.  Avignon:  Kathedrale,  Vierungsturm.  —  A.  saec.  12.  —  Revoil. 

5.  Arles:  St.  Honorat,  Vierungsturm.  —  Um  M.  saec.  12.  —  Revoil 

Tafel  277. 

1.  *Feniouxr  (etwa  Sso):  —  saec.  12.  —  Photographie. 

2.  *Poitiers:  Notre-Dame-la-Grande  (Soo).  —  1.  Hälfte  saec.  12.  — 
Bezold  und  Photographie. 

3.  *Bassac,  (etwa  ,fi.-.o).  —  saec.  12.  —  Photographie. 

4.  Ptrigueux:  S.  Front  ('  jon),  vgl.  Taf.  —  2.  Viertel  saec.  12.  - 
Verneilh. 

Tafel  278. 

1.  Ver,  isolierter  Turm  (i;iso).  —  E.  saec.  11.  —  Ruprich-Robert. 

2.  Le  Puy:   Kathedrale,   isolierter  Turm  C'ito).    —   saec.  11  r  - 
Viollet-le-Duc. 

3.  Nesle:  Turm  an  der  Südseite  des  Chors  (','100).  —  1.  H.  saec.  1:. 
—  Baudot. 

4.  Auxerre:  S.  Germain,  Einzelturm  C/aso).  —  Gegen  M.  saec.  12.  - 
Viollet-le-Duc. 

5.  Auxerre:  S.  Eusebe  (','iso).  —  Um  1160.  —  Viollet-le-Duc. 

Tafel  279. 

1.  * Beaulieu-les- Loches ,  Seitenturm  ('/»o).  —  1.  Viertel  saec.  12.  - 
Bezold  u.  Dehio. 

2.  Vendbme:  Ste.  Trinite",  Einzelturm  ('  «oo).  —  2.  Viertel  saec.  12. - 
Viollet-le-Duc. 

3.  Chartres:  Kathedrale,  nördlicher  Fassadenturm  (a/««0).  —  2.  Viertel 
saec.  12.  —  Viollet-le-Duc. 


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Fünfzehntes  Kapitel:  Der  Aussenbau. 


65I 


Tafel  280. 


c)  Deutschland. 


1.  Schaff  hausen:  Münster,  Einzelturm  neben  dem  Chor.  —  A.  saec. 
12?  —  Rahn. 

2.  Bamberg:  Dom,  einer  der  Westtürme.  —  Um  1270.  —  Rins. 

3.  Muhlhausen  i.  Th.:  S.  Blasien.  —  Puttrich. 

4.  *  Brügge:  S.  Sauveur,  Westturm.  —  Skizze  von  Bezold. 

Tafel  281.  d)  Verschiedenes. 

1.  *La  Chariti-sur- Loire,  nördlicher  Fassadenturm.  —  E.  saec.  12.  — 
Photographie. 

2.  Trier:  S.  Matthias,  Westturm.  —  A.  saec.  13,  erneuert  saec.  18*. 
Photographie. 

3.  Salamanca;  Kathedrale,  Zentralturm.  —  2.  Hälfte  saec.  12.  — 
Monumentos. 

4.  Chiaravallc,  Zentralturm.  —  saec.  12—13.  —  Gruner. 


Tafel  282. 


Kreuzgänge  und  Vorhallen. 


1.  Frigolet.  —  saec.  12.  —  Revoil. 

2.  Aix.  —  saec.  12.  —  Revoil. 

3.  *Bonn.  —  Um  11 50.  —  Tornow. 


Tafel  283. 


1.  Civita  Castcllana.  —  Boito. 

2.  Fontfroide.  —  A.  saec.  13.  —  Viollet-le-Duc. 

3.  Rom:  Lateran.  —  A-  saec.  13.  —  Rohault  de  Fleury. 

4.  Maulbronn.  —  Etwa  2.  Viertel  saec.  13.  —  Paulus. 


Tafel  284. 


1.  *  Saint- Benoit-s-L.  —  Um  a.  1100.  —  Photographie. 

2.  *Autun.  —  Nach  Mitte  saec.  12.  —  Bezold. 


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Sechzehntes  Kapitel. 

Einzelglieder  und  Dekoration 


Die  ornamentale  Formenlehre  des  romanischen  Stils  mit  gleich- 
massiger  systematischer  Vollständigkeit  vorzutragen,  liegt  nicht  im 
Plane  unsrer  Arbeit.  Ein  solcher  Versuch,  wenn  anders  er  frucht- 
bringend durchgeführt  werden  sollte,  würde  alsbald  über  die  Grenzen 
der  Baukunst  hinausführen:  er  müsste  auf  die  Gesamtheit  der  tech- 
nischen Künste ,  von  denen  kaum  eine  ganz  ohne  Einfluss  auf  das 
Bauornament  gewesen  ist,  ausgedehnt  werden.  Gleichwohl  fordert 
auch  in  einer  speziellen  Geschichte  der  kirchlichen  Baukunst  das 
ornamentale  Gebiet  seine  verhältnismässige  Berücksichtigung.  Die  zur 
Betrachtung  vorgeführten  Denkmäler  würden  nur  halb  verständlich, 
das  Geheimnis  ihres  innern  Lebens  würde  unerschlossen  bleiben  ohne 
einen  Blick  auf  diese  letzte  Belebung,  dies  c spielende  Ausatmen >  der 
architektonischen  Grundform. 

Mehr  noch  als  in  den  andern  Abschnitten  unsres  Werkes  haben 
wir  hier  den  Schwerpunkt  der  Darstellung  in  das  Bild  gelegt,  wobei 
wir  einem  zweifachen  Einteilungsgrunde  gefolgt  sind.  Der  erste,  syste- 
matische Teil  ist  nach  den  funktionellen  Gattungen,  der  zweite  nach 
den  landschaftlichen  Stilabwandlungen  geordnet;  dann  noch  einen 
dritten,  die  Entwicklung  nach  der  Zeitfolge  veranschaulichenden,  an- 
zuschliessen ,  verbot  die  Rücksicht  auf  die  ohnedies  schon  stark  an- 
geschwollene Zahl  der  Tafeln. 

i.  Allgemeines.  Polychromie. 

Die  Grenzen  zwischen  struktiven  und  dekorativen  Gliedern  sind 
in  keinem  Stil  streng  gezogen.  Im  romanischen  sehen  wir  die  mit 
der  Zeit  stark  zunehmende  Neigung,  die  ersteren  den  letzteren  zu 
substituieren,   und  2war  nicht  nur  in  der  Absicht,  ein  reicheres 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einrelglieder  und  Dekoration. 


653 


Formenspiel  und  malerische  Abwechslung  von  Lichtern  und  Schatten 
herbeizuführen,  sondern  ebenso  sehr,  um  für  die  Phantasie  den  ästhe- 
tisch wertvollen  Schein  struktiver  Kraftleistung  zu  erhöhen.  In  diesem 
Sinne  finden  vornehmlich  Säulen  und  Bogen  jeden  Grades,  sei  es  als 
freistehende  Begleiter  einer  Wand,  sei  es  mit  dieser  als  Halbsäulen 
und  Blendbogen  verschmolzen,  jene  reichliche  Verwendung,  die  wir 
besonders  an  der  Aussenarchitektur  kennen  gelernt  haben. 

Zweitens  gibt  der  entwickelte  Stil  jedem  einzelnen  Gliede  eine 
vollere  ornamentale  Begleitung.  Das  Ornament  ist  entweder  auf  die 
Fläche  gemalt  oder  plastisch  ausgemeisselt.  Im  Verhältnis  dieser 
beiden  Darstellungsmittel  zu  einander  findet  dieselbe  Entwicklung 
statt,  die  das  antike  Bauornament  durchlaufen  hatte,  d.  h.  das  bloss 
im  Umriss  gezeichnete  und  durch  wechselnde  Farben  gegliederte  Orna- 
ment wird  mehr  und  mehr  durch  das  körperhaft  skulpierte  ersetzt. 
Keineswegs  aber  wird  durch  diese  Wandlung  die  Farbe  ganz  be- 
seitigt. Das  romanische  Dekorationssystem  bleibt  ein  polychromes 
jederzeit:  in  dem  Umfange,  dass  auch  die  Werke  der  statuarischen 
Plastik  und  selbst  einzelne  Teile  des  Aussenbaues  einen  farbigen 
Ueberzug  erhalten.  Zahlreiche  polychrome  Fragmente  lassen  über 
das  Prinzip  im  allgemeinen  nicht  im  Zweifel;  aber  um  von  den  feineren 
Nüancen,  von  dem  Verhältnis  der  bunten  Teile  zu  dem  einfarbigen 
Grunde,  von  dem  Zusammenklang  von  Form  und  Farbe,  kurz  von 
der  künstlerischen  Gesamtharmonie  ein  mit  dem ,  was  gewollt  war, 
sich  deckendes  Bild  wiederherzustellen,  dazu  sind  die  erhaltenen  Spuren 
viel  zu  sehr  von  den  Einflüssen  der  Zeit  verändert.  Alle  modernen 
Restaurationen,  auch  die  •  archäologisch  treuen < ,  fallen  unvermeid- 
licherweise stark  ins  Subjektive.  Am  meisten  leiden  unter  dem  Ver- 
lust ihres  ursprünglichen  Farbenkleides  die  Denkmäler  der  früh- 
romanischen Zeit.  Denn  für  sie  war  dasselbe  mehr  als  ein  bloss 
anhängender  Schmuck,  war  es  erst  die  Vollendung  der  architektonisch- 
rhythmischen Idee.  Die  Unbeholfenheit  der  Malerkunst  jener  Zeit 
gegenüber  frei -malerischen  Aufgaben  ist  bekannt;  ein  feines  und 
sicheres  Gefühl  aber  hatte  sie  sich  bewahrt  für  das,  was  sie  der 
Architektur  als  Gehilfin  zu  sein  hätte,  ja  sie  hat  in  ihrer  rein  deko- 
rativen Haltung  vor  der  Wandmalerei  der  reifen  Kunstepochen  etwas 
Unersetzliches  voraus.  Zuerst  und  vornehmlich  legt  sie  ihre  Hand  an 
die  Stellen,  an  denen  das  innere  Leben  des  Bauwerks  sich  natur- 
gemäss  stärker  hervordrängt:  die  Säulen  und  Pfeiler,  die  Laibungen 
und  Stirnseiten  der  Archivolten,  die  Gewände  der  Fenster ;  ferner  ver- 


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654 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


i 


mittclt  sie  für  das  Auge  durch  ein  System  lot-  und  wagerechter 
Ornamentstreifen  die  Arkaden  mit  der  Oberwand,  die  Oberwand  mit 
der  Decke;  wie  weit  dann  noch  die  dazwischen  liegenden  Flächen 
ausgefüllt  wurden,  hing  von  den  Mitteln  ab,  über  die  man  im  einzelnen 
Fall  verfugte.  Es  ist  uns  doch  sehr  fraglich,  ob  man  so  umfassende 
historische  Kompositionen,  wie  sie  z.  B.  in  Reichenau  und  Braun- 
schweig wieder  aufgedeckt  und  für  manche  andere  seither  zerstörte 
Kirche  durch  die  Chronisten  überliefert  sind,  als  etwas  ganz  Gewöhn- 
liches annehmen  dürfe;  häufiger,  so  möchten  wir  nach  Massgabe 
sonstiger  Spuren  glauben,  begnügte  man  sich  für  die  Langschiffe 
mit  einer  einfacheren  ornamentalen  Malerei  und  zeichnete  durch  figür- 
liche Darstellungen  und  somit  durch  vollere  Farben  Wirkungen  nur 
einzelne  Teile  des  Gebäudes  aus,  den  Chor  vornehmlich,  dann  die 
Nonnenemporen  u.  dergl.  Kapellen  und  kleinere  Kirchen  wurden 
natürlich  öfter  ganz  und  gar  ausgemalt.  Als  das  am  schwersten  Ent- 
behrliche galten  die  Deckenmalereien ;  ihrer  wird  in  den  Schriftquellen 
am  häufigsten  Erwähnung  gethan.  Ebenso  verzichteten  auf  die  farbige 
Ausstattung  des  Fussbodens  —  die  von  kunstvollen  Mosaikdarstellungen 
biblischer  und  allegorischer  Cyklen  bis  herab  zur  einfachen  Pflasterung 
mit  farbigen  Platten  die  verschiedensten  Formen  annahm  —  nur  ganz 
arme  Kirchen.  Die  antiken  Gattungen  des  opus  vermiculatum  und 
opus  alexandrinum  waren  hierfür  Vorbilder,  Italiener  Lehrmeister,  bis 
im  12.  Jahrhundert  der  Norden  seine  eigene  Technik  und  seinen 
eigenen  Stil  fand. 

Ferner  wurde  ins  System  der  allgemeinen  Polychromie  die 
Fensterverglasung  hereingezogen.  Die  Glasmalerei  im  weiteren  Be- 
griff ist  so  alt  als  der  Gebrauch  des  Fensterglases  überhaupt.  Farb- 
loses Glas  herzustellen  war  schon  den  Römern  schwierig  gewesen, 
dem  Mittelalter  war  es  unerreichbar.  Aus  dieser  Not  machte  man 
eine  Tugend.  Die  farbigen  Trübungen,  die  der  Zufall  hervorrief, 
wurden  geregelt,  durch  mineralische  Zusätze  zum  Teil  die  Farbe  noch 
gesteigert  und  damit  das  Material  zur  Zusammenstellung  musivischer 
Muster  gewonnen.  Glasmalereien  in  diesem  einfachen  Sinne  wahr- 
scheinlich sind  es,  von  denen  Venantius  Fortunatus  und  Gregor  von 
Tours  im  6.  Jahrhundert  sprechen.  Figürliche  Darstellungen  sind  für 
das  9.  Jahrhundert  in  Zürich  und  Münster  i.  W.  als  wahrscheinlich, 
für  das  10.  Jahrhundert  in  Reims  unzweideutig  überliefert.  Gegen 
das  Jahr  1000  wurden  in  Tegernsee  die  Tücher,  mit  denen  die  Fenster- 
öffnungen der  Kirche  bis  dahin  verhängt  gewesen  waren,  per  discoloria 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration 


655 


picturarum  vitra  ersetzt  —  ein  sicherlich  nicht  alleinstehender  Vor- 
gang. Als  einen  Hinweis  auf  zunehmende  Verbreitung  des  Glases 
deuten  wir  die  im  Laufe  des  1 1.  Jahrhunderts  zu  beobachtende  Ver- 
engung der  Fensteröffnungen.  Die  ältesten  erhaltenen  Denkmäler  der 
Glasmalerei  datieren  aus  den  mittleren  Dezennien  des  12.  Jahrhunderts: 
sie  stehen  technisch  wie  stilistisch  bereits  sehr  hoch,  sind  in  der 
Färbung  voll  Kraft  und  Harmonie,  in  der  Komposition  von  be- 
wunderungswürdigem Verstand  für  die  dekorative  Seite  der  Aufgabe 
und  darin  von  keinem  späteren  Jahrhundert  übertroffen.  Wie  die  Er- 
reichung solcher  Vollkommenheit  nicht  denkbar  ist  ohne  generationen- 
lange Uebung,  so  lässt  —  neben  anderen  hier  nicht  zu  nennenden 
Zeugnissen  —  das  im  Jahre  1 1 54  im  Cistercienserorden  gegen  die 
farbige  Ausstattung  der  Fenster  ergangene  und  später  oft  wiederholte 
Verbot  keinen  Zweifel  an  der  weit  vorgeschrittenen  Verbreitung  dieses 
Brauches  im  12.  Jahrhundert.  Eine  andere  Frage  aber  ist  die  nach 
dem  Umfange  der  Verwendung:  Waren  alle  Fenster  des  Kirchen- 
gebäudes und  waren  alle  mit  vollem  Farbenschmuck  begabt?  Oder 
waren  es  nur  einzelne  durch  ihre  Stellung  bevorzugte?  Wir  halten 
das  letztere  für  das  wahrscheinliche.  Es  kann  kein  Zufall  sein,  dass 
die  dem  12.  Jahrhundert  (in  Deutschland  auch  noch  die  dem  Anfang 
des  13.)  entstammenden  Exemplare  immer  der  Chornische  oder  den 
Chorkapellen,  zuweilen  auch  der  Westfassade  angehören,  niemals  den 
Schiffen.  Die  Fälle  sind  zahlreich  genug,  um  in  ihnen  die  Regel  zu 
erkennen,  eine  Regel,  auf  die  uns  noch  andere  Erwägungen  hinführen. 
Eine  praktische:  die  für  die  Gesamtheit  der  Fenster  durchgeführte 
völlige  Ausmalung,  wie  sie  die  Gotik  später  zum  Prinzip  erhob,  hätte 
den  Schiffen  zuviel  Licht  genommen.  Eine  ästhetische:  die  trans- 
parente Pracht  der  Glasfarbe  wäre  mit  den  erdigen,  stumpfen  Tönen 
der  Wandmalerei  in  einen  unerträglichen  Konflikt  geraten.  Bei  Be- 
schränkung aber  auf  die  beiden  Endpunkte  der  Innenperspektive,  wo 
das  Auge  unter  allen  Umständen  durch  ein  starkes  direktes  Licht  aus 
den  Fenstern  getroffen  wird,  gab  die  Glasmalerei  einen  schönen 
Steigerungsmoment  im  Farbenkonzert,  wirkte  sie  wie  ein  funkelnder 
Edelstein  im  Mittelpunkte  eines  Ziergerätes. 

Vergegenwärtigt  man  sich  das  hier  in  seinen  Grundzügen  dar- 
gelegte polychrome  System,  dazu  die  mannigfaltigen  liturgischen  Aus- 
stattungs-  und  festlichen  Dekorationsstücke,  als:  Altäre,  Kanzeln, 
Chorstühle,  Taufbecken,  Teppiche  und  Draperien,  alles  unter  Ein- 
wirkung eines  farbigen,  durch  Hinzutritt  von  Kerzen  und  Lampen 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil, 


noch  malerischer  abgestimmten  Schillerlichtes  —  so  gewinnen  wir  von 
der  künstlerischen  Erscheinung  der  romanischen  Kirchen  auch  schon 
in  der  Frühzeit  eine  ungleich  günstigere  Vorstellung;  so  kahl,  un- 
fertig, gleichförmig,  der  individuellen  Stimmung  entbehrend,  wie  sie 
heute  in  ihrer  Blosse  sich  darstellen,  sind  sie  nie  gewesen. 

Einige  spezielle  Bemerkungen  über  die  Wandmalerei  seien  hinzu, 
gefügt.  Sie  besass  keinen  ursprünglichen  und  in  sich  selbst  begrenzten 
Stil,  sie  war  Surrogat  für  andere  in  kostbareren  und  dauerhafteren 
Materialien  ausgeführte  Dekorationsarten.  Demgemäss  lassen  sich 
innerhalb  der  Wandmalerei  unterscheiden :  ein  Mosaikenstil,  ein  Teppich- 
stil, ein  Inkrustationsstil  —  Nüancen,  die  zwar  in  der  elastischen 
Technik  der  farbigen  Tünche  ineinander  übergehen  können,  aber 
niemals  ganz  ihren  Ursprung  verleugnen.  Bezeichnend  ist,  dass  auf 
das  echte  Material  kein  grundsätzlicher  Verzicht  geleistet  wird.  Säulen 
in  buntem  Marmor  oder  Porphyr  oder  Basalt  oder  sonstigem  edleren 
Gestein  sind  immer  höher  geschätzt  worden,  als  bloss  bemalte.  Die 
Glasstiftmosaik  blieb  den  nordischen  Ländern  unerreichbar  und  wurde 
auch  in  Italien  in  dem  vollen  Umfange  wie  in  der  altchristlichen  und 
byzantinischen  Kunst  jetzt  nur  in  Sicilien  und  Venedig  ausgeübt;  im 
römischen  Gebiet  beschränkte  sie  sich  auf  Apsiden,  Triumphbogen. 
Fassaden;  schon  in  Toskana  und  vollends  in  Oberitalien  war  sie  ein 
nichts  weniger  als  häufiger  Luxus.  Dafür  liebt  die  toskanische  Schule 
auch  im  Innenbau  die  Inkrustation  mit  Marmoren  in  mehreren  Farben ; 
in  Oberitalien  wird  Backstein  mit  Kalkstein  zusammengestellt;  in 
Deutschland,  am  häufigsten  im  n.  Jahrhundert,  Sandstein  von  zwei 
Farben.  Hierdurch  wird  bezeugt,  dass  einseitige  Vorliebe  für  grelle 
Farbenwirkung  (deren  sich  die  modernen  Restauratoren  so  oft  schuldig 
machen)  nicht  bestand.  Vielmehr  dürfen  wir  auch  der  bloss  gemalten 
Dekoration  zutrauen,  dass  sie,  dem  Prinzip  des  Teppichstils  ent- 
sprechend, die  zwar  ungebrochenen  Farben  doch  so  verteilt  haben 
wird,  dass  sich  die  Kontraste  in  einen  milden  Gesamtton  auflösten. 

Die  Voraussetzungen  veränderten  sich  mit  dem  Uebergang  zum 
Gewölbebau.  Er  machte  die  grossen  zusammenhängenden  Wand- 
flächen verschwinden,  führte  eine  eigentlich  architektonische  Gliederung 
mit  vorwaltender  Höhenrichtung  ein;  gleichzeitig  trat  an  die  Stelle 
des  flächenhaften  das  skulpierte  Ornament.  Da  wurde  die  Aufgabe 
des  Malers  eine  andere,  beschränktere  und  vielfach  schwierigere.  Vor 
allem  durfte  die  Deutlichkeit  der  plastischen  Form  keinen  Abbruch 
erfahren,  welches  indessen  leicht  eintreten  konnte,  wenn  die  im  diffusen 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


657 


Licht  der  Binnenräume  nur  massig  wirksame  Modellierung  durch  die 
stärkeren  Farbenkontraste  übertönt  und  gleichsam  aufgesogen  wurde. 
Wir  bekennen,  dass  wir  uns  ein  Gebäude  wie  etwa  die  Kathedrale 
von  Autun  oder  den  Dom  von  Limburg  vollständig  übermalt  nicht 
denken  können,  und  meinen  deshalb,  dass  die  Dekorationsmalerei  des 
Spätromanismus,  wenn  sie  auch  ihre  Palette  für  bestimmte  Zwecke 
bereicherte,  doch  nicht  mehr  so  umfassend  in  Anspruch  genommen 
wurde,  jedenfalls  nicht  mehr  so  unentbehrlich  war,  wie  in  den  vor- 
angehenden Zeiten,  in  denen  die  Raumverhältnisse  durchschnittlich 
kleiner,  die  rein  architektonischen  Ausdrucksmittel  unentwickelter 
waren.  Doch  ist  das  nur  eine  Meinung;  zu  einer  sicheren  und  all- 
gemein gültigen  Ansicht  zu  gelangen  ist  gerade  für  den  Uebergangs- 
stil  überaus  schwierig. 

Im  Zusammenhang  mit  dem  obigen  mögen  noch  einige  Be- 
merkungen über  Stil  und  Behandlung  des  Ornaments  folgen. 

Sehen  wir  ab  von  der  Gruppe  der  aus  einer  primitiven  Holz- 
und  Metalltechnik  an  die  Steinmetzen  übergegangenen  Formen,  so 
ist  die  überwiegende  Masse  der  romanischen  Ornamente  aus  der  Antike 
abgeleitet.  Das  war  nach  der  ganzen  geschichtlichen  Lage  ebenso 
selbstverständlich  wie  der  Gebrauch  der  lateinischen  Sprache  in  der 
kirchlichen  Liturgie  und  Litteratur.  Zuerst  die  karolingische  Hofkunst 
bemerkte  den  Abstand  zwischen  der  nachgerade  unsäglich  verarmten, 
verflachten,  verzerrten  Ueberlieferung  des  Handwerks  und  dem,  was 
die  antiken  Ruinen  lehrten.  Sie  gab  sich  redliche  Mühe,  durch  das 
Studium  der  letzteren  zu  reinerer  Formenanschauung  zurückzugelangen. 
Aber  diese  Quelle  floss  dem  germanischen  Norden  allzu  spärlich.  In 
der  That,  nur  der  kleinste  Teil  dessen,  was  von  antiken  Grundformen 
in  der  romanischen  Bauornamentik  wieder  auftauchte,  ist  von  Bau- 
werk zu  Bauwerk  unmittelbar  übergegangen:  die  bei  weitem  einfluss- 
reichste Vermittlerrolle  fiel  den  technischen  und  dekorativen  Künsten 
zu ,  der  Weberei  und  Stickerei ,  der  Elfenbeinschnitzerei  und  Gold- 
schmiedarbeit,  der  Wand-  und  Buchmalerei.  Ein  selbständiger  Akt 
stilistischer  Uebersetzung  war  nötig,  um  aus  dieser  Sphäre  wieder  in  die 
plastisch-architektonische  zu  gelangen.  Der  Prozess  war  langsam  und 
umständlich,  aber  er  brachte  den  unermesslichen  Vorteil,  dass  er  der 
selbständigen  Thätigkeit  des  nordischen  Formgeistes  Raum  schaffte. 
Diese  seine  Herkunft  gibt  das  romanische  Bauornament,  zumal  auf 
der  frühen  und  mittleren  Entwicklungsstufe,  deutlich  zu  erkennen:  es 
bleibt  auch  in  der  plastischen  Ausführung  noch  immer  flächenhaft, 


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Zweites  Bach :  Der  romanische  Stil. 


teppichartig  gedacht,  und  zwar  nicht  bloss  in  den  nach  ihrem  ersten 
Ursprung  textilen,  sondern  auch  in  den  vegetabilischen  Motiven.  Nach- 
dem die  Zeichnung  aufgetragen  ist,  wird  der  Grund  soweit  vertieft, 
als  nötig,  um  den  Umriss  in  Wirkung  zu  setzen.  Die  Modellierung 
erfolgt  in  einfachen,  scharfkantig  sich  gegeneinander  absetzenden 
Flächen.  Hatte  die  antike  Baukunst  lebendige  formsymbolische  Be- 
ziehungen zwischen  dem  Ornament  und  der  struktiven  Bedeutung  des 
geschmückten  Gliedes  auszudrücken  gestrebt,  so  fallen  diese  im  ro- 
manischen Stil  weg.  Die  Kymatien  und  freien  Endigungen  z.  B.  ver- 
schwinden, es  herrschen  die  laufenden  Bänder  und  die  Füllungsmotive. 
Das  Pflanzenornament,  ohne  Kenntnis  des  Naturvorbildes  von  der 
Antike  übernommen,  ist  zu  einem  rein  konventionellen  Apparat  ge- 
worden, einer  ihr  eigenes  Leben  für  sich  weiterführenden  Formenwelt 
Die  Grenzen  gegen  das  textile  wie  gegen  das  animalische  Ornament 
sind  denn  auch  nur  fliessende;  Stengel  und  Ranken  verwandeln  sich 
unversehens  in  gestickte  Bänder,  Blattrippen  werden  mit  Schnüren 
von  Perlen  und  Edelsteinen  ausgeziert,  aus  Blattkelchen  schauen 
Menschenköpfe  hervor,  Tierleiber  setzen  sich  in  einen  Schweif  von 
Blättern  fort:  ein  wundersames  Zusammenwirken  von  phantastischer 
Laune  in  der  Mischung  der  Gegenstände,  strenger  Stilisierung  der 
Form  und  nicht  zuletzt  auch  Unbeholfenheit  der  Hand. 

Indessen  drängte  die  Entwicklung  nach  freierer  plastischer 
Durchbildung.  Zwei  Quellen  der  Erfrischung  boten  sich  dar:  die 
Antike,  d.  h.  die  mit  offenem  Sinn  angeschauten  Denkmäler  selbst, 
nicht  die  schemenhaft  verblasste  Ueberlieferung  —  und  die  Natur, 
d.  h.  die  heimische  Pflanzenwelt,  aus  welcher  die  Gesetze  der  orga- 
nischen Form  am  nächsten  zu  lernen  waren.  Der  Spätromanismus 
entschied  sich  nun  nicht  ausschliessend  für  die  eine  und  die  andere, 
sondern  wandte  sich,  wo  ihm  beide  offen  standen,  an  beide  zugleich. 
Einige  Schulen  des  Südens,  besonders  die  provencalische ,  gelangten 
zu  überraschend  lebendiger  Auffassung  des  Akanthusblattes ;  Burgund 
und  Nordfrankreich  zogen,  die  ersten  auf  dieser  Bahn,  die  heimische 
Flora  zu  Rat,  ahmten  aber  unmittelbar  daneben  auch  den  Akanthus 
wieder  nach  *) ;  Deutschland  hält  am  älteren  Stile  fest ,  gibt  seinen 
Formen  aber.  Dank  der  französischen  Anregung,  mehr  Fülle  und 


^  Besonders  lehrreich  ist  die  Abteilcirche  von  St.  Denis  in  den  aus  Sugers  Zeit 
erhaltenen  Bauteilen :  der  Füllung  Taf.  345.  5  korrespondiert  auf  der  anderen  Seite  eine 
ganz  antike  Akanthusranke ;  im  Chor  Akanthuskapitelle  (z.  B.  Viollet-le-Duc  VIII,  217), 
in  der  Krypta  Uebergang  zum  Naturalismus  Taf.  345.  6. 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


659 


Saft.  Ausführlichere  Nachweise  für  dieses  alles  wird  der  nächste  Ab- 
schnitt über  die  Säule  bringen. 

2.  Die  Säule. 

Die  Säule  nimmt  ihre  Stelle  in  der  romanischen  Baukunst  kraft 
ihres  historischen  Erbrechtes  ein.  Unabhängige  Ueberlegung  hätte 
anstatt  dessen  von  Anfang  an  dahin  führen  müssen,  die  das  Mittel- 
schiff begrenzenden  und  zu  der  Hochwand  in  naher  struktiver  wie 
formaler  Beziehung  stehenden  Freistützen  als  Pfeiler  zu  gestalten,  und 
so  haben  wir  in  der  That  die  Anerkennung  des  Pfeilers  als  gleich- 
berechtigte zweite  Stützenform  unter  den  frühesten  Regungen  des  sich 
selbständig  konstituierenden  romanischen  Stils  kennen  gelernt.  Der 
Sieg  des  Gewölbebaus  entschied  dann  den  Sieg  des  Pfeilers  auf  der 
ganzen  Linie.  Dennoch  bewahrte  der  romanische  Stil  darüber  hinaus 
der  Säule  eine  entschiedene  Hochschätzung  um  des  Adels  ihrer  Er- 
scheinung willen :  als  mit  dem  Pfeiler  verbundene  Halbsäule,  als  Stütze 
leichterer  Lasten,  wie  z.  B.  an  Triforien  oder  Kreuzgangshallen  und 
als  reines  Zierglied  an  Portalen ,  Fenstern ,  Arkaturen  blieb  sie  in 
reichlicher  Verwendung  bis  ans  Ende  der  Epoche.  Erst  die  entwickelte 
Gotik  gab  ihr  so  gut  wie  ganz  den  Abschied. 

Die  Säule  hatte  durch  die  Griechen  eine  Gestalt  empfangen,  in 
der  das  Wechselverhältnis  von  Stütze  und  Last  aufs  zarteste  abgewogen, 
aufs  empfindungsvollste  sinnbildlich  ausgedrückt  war.  In  einen  ver- 
änderten baulichen  Organismus  verpflanzt  wurden  diese  feinen  Be- 
ziehungen grossenteils  bedeutungslos.  Sie  waren  es  schon  in  der 
spätrömischen  Kunst  geworden,  ohne  aber  dass  diese  die  geistige 
Kraft  besessen  hätte,  entsprechende  Formveränderungen  durchzuführen. 
Diese  Kraft  nun  sprudelte  im  romanischen  Stil  mit  frischer  Ursprüng- 
lichkeit und  sorgloser  Naivetät  hervor.  Man  vergegenwärtige  sich  zu- 
nächst die  veränderten  Vorbedingungen:  die  Säulen  nehmen  als  Last 
nicht  mehr  wagerechte  Steinbalken,  sondern  eine  hohe,  durch  Bogen 
ihr  vermittelte  Mauer  auf;  sie  stehen  nicht  in  dichter  Reihe,  sondern 
in  verhältnismässig  stark  vergrösserten  Abständen ;  sie  wechseln  häufig 
mit  Pfeilern.  Demgemäss  ist  erstens  die  ihnen  aufgetragene  materielle 
Kraftleistung  eine  vermehrte  und  haben  sie  sich  zweitens  auch  dem 
Auge  ungleich  mehr  als  abgeschlossene  Einzelwesen  darzustellen.  Aus 
dem  einen  folgt,  dass  alle  Proportionen  gegen  die  Antike  gedrungener, 
Kapitell  und  Basis  im  Verhältnis  zum  Schaft  höher  werden;  aus  dem 
andern  entwickelt  sich  die  der  Antike  noch  entschiedener  entgegen- 


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66o 


Zweites  Buch  :  Der  romanische  Stil. 


gesetzte  Regel,  dass  die  Säulen  einer  und  derselben  Reihe  nur  in  der 
tektonischen  Grundform  gleich,  im  Ornament  Stück  um  Stück  ungleich 
gebildet  werden1).  Die  Unterschiede,  sowohl  die  der  Proportion  ab 
die  der  Ornamentation ,  sind  bis  ins  Unendliche  variabel.  Es  gibt 
keinen  Modulus  und  auch  keine  Ordnungen  im  Sinne  der  Antike,  d.  h. 
keine  bestimmten  Formen,  die  unter  bestimmten  Verhältnissen  allein 
massgebend  wären:  alles  wird  vielmehr  mit  vollkommener  Freiheit 
dem  Gesamtcharakter  des  einzelnen  Bauwerks  gemäss  jedesmal  von 
frischem  bestimmt.  Eine  so  reiche  Skala  des  individualisierenden 
Ausdrucks,  wie  hier  in  dem  romanischen  Stil,  hatte  dem  griechisch- 
römischen entfernt  nicht  zur  Verfügung  gestanden,  am  wenigsten  in 
seiner  Spätzeit. 

DER  SCHAFT.  Die  ganz  harten,  aber  schwer  zu  bearbeitenden 
Steinarten,  wie  Granit,  Syenit,  Porphyr,  einst  bei  den  Römern  so 
gesucht,  wurden  jetzt,  selbst  wo  sie  nahe  zur  Hand  waren,  gemieden, 
es  wäre  denn,  dass  man  sie  aus  römischen  Ruinen  sich  aneignen 
konnte  (im  Norden  natürlich  ein  seltener  Fall;  die  im  Chör  des  1208 
begonnenen  Domes  von  Magdeburg,  Abb.  S.  495,  wiederverwendeten 
Säulenstämme  aus  Verde  antico  u.  s.  w.  sind  wahrscheinlich  für  den 
Bau  Kaiser  Ottos  I.  aus  Italien  gebracht).  Basalt,  in  dem  schon  die 
Natur  selbst  die  Säulenform  vorgebildet  hat,  bedurfte  nur  geringer 
Ueberarbeitung,  um  die  dünnen,  orgelpfeifenähnlichen  Schafte  zu  geben, 
mit  denen  der  Uebergangsstil  stärkere  Stützkörper  zu  besetzen  liebt; 
so  am  Niederrhein  (von  hier  auch  exportiert,  z.  B.  nach  Lübeck,  an 
das  Prachtportal  des  Domes,  Taf.  294)  und  besonders  massenhaft  im 
englischen  Uebergangsstil.  Doch  sind  dies  und  ähnliches  nur  Neben- 
erscheinungen. Die  Regel  ist,  dass  die  Säulen  aus  demselben  Material 
gefertigt  werden,  wie  die  Mauern.  In  der  technischen  Herstellung 
gibt  es  zwei  Unterschiede  von  durchgreifender  Wichtigkeit:  entweder 
ist  der  Schaft  aus  einem  einzigen  Block  zurechtgehauen  oder  er  ist  in 
Werkstücken  von  gewöhnlicher  Schichthöhe  aufgemauert.  Das  letztere 
war  in  Frankreich  und  England  allgemein  Sitte,   in  Italien  nicht 


l)  In  dem  heutigen,  farblosen  Zustande  tritt  dies  Prinzip  allerdings  nicht  immer 
klar  hervor.  Es  ist  indes  nicht  zu  bezweifeln,  dass  z.  B.  glatte  Würfelkapitelle  mit 
Hilfe  der  Bemalung  ebenso  stark  variiert  worden  sind ,  wie  regelmässig  die  skulpierten 
(ygl.  2.  B.  gegeneinander  die  unter  gleicher  Bauleitung  ausgeführten  Klosterkircben 
Paulinzelle  und  Hamersleben).  Noch  augenfälliger  wurden  die  Unterschiede,  wenn  der 
Schaft  der  Säule  mitbemalt  war,  wofür  S.  Savin  bei  Poitiers  (Taf.  127.  1)  ein  wohl- 
erhaltenes  Beispiel  gibt. 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration.  66 1 

ungewöhnlich;  selbst  Backsteinsäulen  kommen  hier  vor.  Die  deutsche 
Baukunst  versteht  sich  äusserst  selten  dazu,  monolithe  Schafte  er- 
schienen ihr  die  einzig  würdige  Form.  Die  mauermässige  Herstellung 
führte  immer  zu  einem  im  Verhältnis  zur  Höhe  sehr  starken  Durch- 
messer (Taf.  297.  1.  2),  mit  dem  die  normalen  Kapitelle  und  Basen- 
formen nicht  mehr  zu  vereinigen  waren  und  woraus  sich  eine  Ueber- 
gangsform  nach  dem  Pfeiler  hin  entwickelt,  die  man  nicht  unpassend 
als  Rundpfeiler  bezeichnet.  Sie  ist  besonders  im  englisch-normannischen 
Stile  gäng  und  gäbe.  —  Die  monolithen  Säulen  mit  ihrer  grösseren 
rückwirkenden  Festigkeit 
gestatten  viel  schlankere 
Haltung,  so  dass  diese  für 
die  deutschen  Schulen  im 
Gegensatz  zu  den  franko  - 
gallischen  bezeichnend 
sind.  Auch  sind  es  allein 
die  ersteren,  welche  die 
Verjüngung,  und  zwar 
als  das  regelmässige,  ken- 
nen (Taf.  297.  3.  4.  6 — 8). 
Aber  die  Schwellung1), 
sowie  Anlauf  und  Ab- 
lauf*) sind  der  romani- 
schen Säule  verloren  ge- 
gangen. —  In  Frankreich 
wurden  monolithe  Schafte 
erst  im  12.  Jahrhundert 
häufiger;  wir  finden  sie  im  Rundchor  der  burgundischen  und,  mit  Pfeilern 
wechselnd,  in  den  Schiffen  nordfranzösischer  Kirchen  bis  in  die  Früh- 
gotik hinein.  Hier  sind  sie  aber  unseres  Wissens  ausnahmslos  unver- 
jüngt.  —  Ein  signifikantes  Motiv  des  Spätromanismus  (und  der  Früh- 
gotik) ist  die  Umgürtung  der  Säulenmitte  mit  einem  scharf  profilierten, 
oft  auch  mit  Blattwerk  oder  Diamantschnitt  verzierten  Ring.  Er  gehört 
den  Wandsäulen  und  Säulenbündeln,  die  nicht  monolith,  aber  auch  nicht 
bündig  gemauert,  vielmehr  aus  zwei  oder  drei  langen  dünnen  Cylin- 


')  In  gleichmäßiger  Durchführung  nur  ein  einzigesmal ,  im  Dom  von  Konstanz, 
bekannt,  zum  Teil  in  den  Reichenauer  Kirchen,  in  Knechtsteden  ,  in  der  Vorhalle  von 
Burgelin.    Häufiger  an  den  Teilungssäulchen  gekuppelter  Fenster. 

2)  Hie  und  da  in  Mittelitalien  und  der  Provence. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


dem  zusammengesetzt  sind,  wo  dann  der  Ring  als  Zungenstein  in  die 
Mauer  eingreift  und  die  Schaftstücke  vor  Verschiebung  schützt.  Die 
beistehende  Figur  veranschaulicht  die  Konstruktion ;  vergl.  die  Systeme 
Taf.  180.  3,  182.  3.  4  und  besonders  200.  2.  Dasselbe  Mittel  diente, 
um  freistehende  Säulen  von  sehr  grossen  Dimensionen  aus  zwei  Stücken 
zusammenzusetzen,  wie  im  Querschiff  des  Strassburger  Münsters 
(Taf.  179),  im  Refektorium  zu  Maulbronn  (Taf.  297.  9),  in  der  Kapelle 
von  Ramersdorf  (Taf.  190.  1).  Zweifellos  waren  es  aber  nicht  kon- 
struktive Rücksichten  allein,  sondern  auch  das  sehr  begründete  formale 
Bedürfnis  nach  Teilung  und  Verstärkung  der  sonst  überschlanken, 
rohrstengelähnlichen  Schafte  was  den  Spätromanismus  zu  so  reich- 
licher, gelegentlich  allerdings  manieriert  übertreibender  Verwendung 
des  Schaftringes  führte. 

Die  Kannelierung  ist,  mit  wenigen  später  zu  nennenden  Aus- 
nahmen, dem  Mittelalter  fremd.  An  ihre  Stelle  tritt  Schmückung  der 
Schafte  rein  im  Sinne  der  Bekleidungsdekoration  und  in  farbig  zeich- 
nender Ausführung.  Die  leider  nur  dürftigen  Spuren1)  lassen  zwei 
Systeme  erkennen.  Entweder  wurde  bunter  Marmor  nachgeahmt 
—  aber  nicht  naturalistisch,  sondern  mit  stilisierender  Regelung  der 
Wellen-  und  Flammenlinien  —  oder  die  Muster  wurden  gewebten 
Stoffen  entlehnt,  sei  es  nun,  dass  diese  als  eine  vollständige  Um- 
hüllung gedacht  waren  (wie  es  noch  heute  in  Italien  an  Festtagen 
Sitte  ist),  sei  es,  dass  sie  als  Spiralbänder  den  Schaft  umschlangen. 
Wenn  zuweilen  schon  im  Stein  selber  farbige  Abwechslung  gesucht 
wird  (z.  B.  in  S.  Michael  in  Hildesheim  die  Schafte  in  rotem,  die 
Basen  und  Kapitelle  in  weissem,  die  Kämpferaufsätze  wieder  in  rotem 
Sandstein;  ein  gleiches  in  S.  Jakob  in  Bamberg),  so  weist  das  doch 
wohl  darauf,  dass  nicht  immer  der  ganze  Grund  übermalt  war,  sondern 
dass  er  nur  eine  farbige  Zeichnung  erhielt.  Eine  Eigentümlichkeit 
des  englisch-normannischen  Stils  ist  es,  die  Umrisse  der  Zickzack-  und 
Spiralbänder  in  vertieften  Furchen  mit  dem  Meissel  vorzuarbeiten. 

Die  allgemeine  Entwicklung  ging  indes  dahin,  wie  wir  im 
vorigen  Abschnitt  schon  bemerkten  und  in  der  Geschichte  des  Kapi- 
tells es  weiter  sehen  werden,  die  Bemalung  durchs  Relief  zu  ersetzen. 
Dies  erstreckt  sich  auch  auf  die  Behandlung  des  Schaftes ,  doch  mit 
sehr  bestimmter  Begrenzung  und  Unterscheidung.    Ein  anderes  sind 

*)  Einige  weitere,  allerdings  nicht  ohne  weiteres  zu  generalisierende  Auskunft 
geben  die  Bilderhandschriften,  besonders  die  Kanonestafeln  mit  ihrer  Säulen-  und  Bogen- 
umrahmung. 


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Sechtehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


663 


die  freistehenden,  lasttragenden  grossen  Säulen  der  Schiffe,  ein  anderes 
die  materiell  wenig  oder  gar  nicht  in  Anspruch  genommenen  kleinen 
Säulen  an  Portalen  und  Fenstern,  Galerien  und  Arkaturen,  Kreuz- 
gängen und  Vorhallen.  Während  die  ersteren  im  Fortschritt  strengerer 
tektonischer  Auffassung  selbst  ihren  malerischen  Schmuck,  wie  wir 
glauben,  einschränken  lernten,  durfte  in  der  zweiten  Familie  die  Lust 
an  spielender  Umrankung  des  Kerns  sich  um  so  bunter  und  prächtiger 
ausleben.  Auf  Taf.  299  haben  wir  eine  Auswahl  von  Schaftdekora- 
tionen dieser  Art  zusammengestellt.  Ein  unendlicher  Fleiss  gibt  sich 
darin  kund,  der  aber  nichts  mit  der  Routine  des  Arbeitssklaven  zu 
thun  hat;  nie  eine  mechanische  Wiederholung,  immer  neue  und  neue 
Gestaltung  mit  unerschöpflichem  Behagen,  das  jedes  einzelne  dieser 
Stücke  zu  einer  persönlichen  Leistung  stempelt.  Die  textilen  Muster 
sind  in  der  Ueberzahl:  in  Fig.  1—5  mannigfach  gefältelte  und  ge- 
kniffene Stoffe,  in  6—9  Umwindung  mit  gestickten  oder  ausgezackten 
Bändern,  in  10,  11,  15  Flechtwerk,  Schnüre  und  Riemen,  in  13,  16 
Damastmuster,  in  12,  14  Besteck  mit  Blättern  und  Ranken.  Am 
üppigsten  floriert  diese  Manier  in  Frankreich;  doch  auch  in  Deutsch- 
land wird  sie  am  Ende  des  12.  und  Anfang  des  13.  Jahrhunderts 
fleissig  nachgeahmt;  für  England  sind  Schuppenmuster,  an  Panzer- 
hemden erinnernd,  bezeichnend  (298.  4);  in  Italien  wird  an  einigen 
Orten,  wie  Pisa,  Lucca,  Palermo  im  Anschluss  an  die  Spätantike  der 
ganze  Schaft  mit  Akanthusranken  umsponnen  (Taf.  286.  2,  326,  5). 
Hier  taucht  dann  auch  die  Kannellierung  auf,  doch  immer  nur  als 
eine  Form  neben  vielen ;  am  seltensten  mit  normalen ,  senkrechten 
Furchen  (Provence,  Fassade  und  Chor  von  S.  Remy  in  Reims,  Krypta 
in  Richenberg,  goldene  Pforte  in  ryreiberg,  ein  einzelner  Rundpfeiler 
in  der  Kathedrale  von  Durham),  häufiger  in  spiralischer  Drehung 
(Taf.  297.  5)  oder  in  Brechung  der  Linien  (Krypten  an  S.  Gereon 
in  Köln  und  in  der  Kathedrale  von  Canterbury  (Taf.  298.  5). 

Allein  oft  war,  was  eben  beschrieben  wurde,  dem  dekorativen 
Triebe  noch  nicht  genügend  und  es  wurde  selbst  die  tektonische 
Grundform  des  Schaftes  einem  phantastischen  Spiel  überliefert.  Das 
spätantike  Rokoko  (besonders  einflussreich  die  nach  der  Sage  aus 
dem  Tempel  von  Jerusalem  verpflanzten  Säulen  an  den  Presbyteriums- 
schranken  der  Peterskirche  in  Rom  Taf.  28)  gab  das  Vorbild  zu  den 
schraubenförmig  gedrehten  Säulen,  die  besonders  in  der  Cosmaten- 
schule  nicht  nur  häufig,  sondern  sogar  häufiger  sind,  als  die  geraden. 
Wie  es  scheint,  eine  selbständige  Erfindung  des  Mittelalters,  ist  die 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


um  ihre  Zwischenaxe  gewundene  Zwillingssäule:  eine  Tändelei,  der 
man  nicht  gram  sein  kann,  wenn  sie  mit  soviel  Grazie  auftritt,  wie 
in  den  Kreuzgängen  der  Laterans-  und  der  Paulskirche  (Taf.  298.  2.  3). 
Mit  richtigem  Gefühl  wird  nicht  die  letztere  Form  (deren  gleichsam 
vegetabilische  Elastizität  damit  nur  beschwert  worden  wäre),  sondern 
nur  die  erstere  zum  Gegenstand  der  prachtvollen  Ueberkleidung  mit 
Glasstiftmosaik  gemacht,  welche  den  zarten,  traumhaften  Reiz  dieser 
von  der  Ausdrucksweise  nordischer  Phantastik  unendlich  weit  ent- 
fernten Werke  vollenden  hilft.  —  Eine  Spielerei  bedenklicherer  Art 
sind  die  Knotensäulen  (Fig.  298.  10.  11):  zwei,  vier  oder  mehr 
gekuppelte  Schafte  werden  in  der  Mitte  um  und  um  verschlungen, 
als  wären  sie  weiche  Taue,  während  der  untere  und  obere  Teil  wieder 
geradlinig  und  fest  erscheint.  Einmal  (im  Dom  von  Würzburg)  finden 
wir  die  Inschrift  »Jachin  und  Boozc  und  damit  eine  Anspielung  auf  den 
salomonischen  Tempel  (1  Kön.  7,  21  und  Jerem.  52,  21);  ob  wir  darin 
den  Ursprung  der  seltsamen  Form  erkennen  sollen,  ist  doch  zweifel- 
haft; wahrscheinlich  ist  sie  nur  der  realistisch-barocke  Ausdruck  für 
enges  Verbundensein.  Knotensäulen  finden  sich  am  häufigsten  an  den 
Portalen  Oberitaliens;  in  Lucca  an  Zwerggalerien  als  Markierung  der 
Ecken;  in  Deutschland  an  gekuppelten  Fenstern;  in  Frankreich  und 
England  scheinen  sie  unbekannt  zu  sein.  —  Auf  der  Höhe  phantasti- 
scher Laune  stehen  die  Bestiensäulen,  gleichsam  verzerrte  Gegen- 
bilder der  griechischen  Karyatiden,  deren  Schafte  über  und  über  bedeckt 
sind  mit  Greifen,  Drachen,  Krokodilen,  im  Kampfe  mit  Menschen  »zu 
scheusslichen  Klumpen  geballett.  Beispiele:  Souillac  in  Westfrankreich 
(Taf.  333),  Krypta  des  Domes  zu  Freising  und  befremdlicherweise 
auch  Lucca,  Zwerggalerien  von  S.  Michele  und  S.  Martino;  schon 
diese  Zusammenstellung  mit  sicher  dem  1 2.  Jahrhundert  angehörenden 
ausserdeutschen  Denkmälern  beweist  die  Unnahbarkeit  der  Behaup- 
tung, dass  die  vielberufene  Freisinger  Säule  aus  einem  Bau  der 
fränkischen  Zeit  herübergenommen  sei  und  Momente  aus  dem  alt- 
germanischen Mythus  zum  Gegenstand  habe. 

DIE  BASIS.  Der  romanische  Stil  kennt  nur  eine  einzige  Normal- 
form der  Säulenbasis,  die  von  der  Spätantike  ihm  überlieferte  sogen, 
attische.  Aber  diese  ist  in  den  Einzelheiten  nicht  stereotyp,  wie  sie 
es  bei  den  Römern  geworden  war,  sondern  zeigt  sich  zu  mannigfaltiger 
Modulation  befähigt.  Man  betrachte  zunächst  die  auf  Taf.  300  zu- 
sammengestellten Entwicklungsreihen.    Die  frühromanische  Basis 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


665 


(Fig.  1 — 3)  ist  in  allen  Ländern  starr  und  unnachgiebig;  sehr  hoch 
im  Verhältnis  zum  Durchmesser;  im  Profil  so  steil,  dass  zwischen  dem 
unteren  und  oberen  Pfühl  wenig  oder  kein  Unterschied  der  Ausladung 
ist.  Die  Veränderung  gegenüber  der  antiken  Auffassung  lässt  sich  so 
ausdrücken,  dass  nach  der  letzteren  die  Basis  als  Vermittlerin  zwischen 
dem  Schaft  und  dem  Fussboden  an  den  Eigenschaften  beider  gleichen 
Anteil  nahm,  während  sie  im  romanischen  Stil  einseitig  auf  die  Säule 
bezogen  wird:  —  insofern  auch  mit  grösserem  Rechte,  als  sie  ja 
regelmässig  durch  eine  viereckige  Sockelplatte  über  den  Fussboden 
emporgehoben  ist.  Auf  der  andern  Seite  ist  die  freie  Uebergangslinie 
zum  Schaft,  der  sogen.  Anlauf,  verloren  gegangen;  eine  gewisse 
Erinnerung  an  ihn  lebt  indes  noch  fort,  wenn  auf  den  oberen  Torus 
ein  Plättchen  oder  ihrer  zwei  zu  liegen  kommen  (Fig.  2,  4,  5,  7  d— f); 
in  jüngerer  Zeit  stellt  sich  wohl  auch  das  richtige  Profil  des  Anlaufs 
wieder  ein,  doch  wird  derselbe  missverständlich  nicht  als  Zubehör  des 
Schaftes,  sondern  als  Teil  der  Basis  angesehen  (Taf.  300.  6q,  301.  18). 
Die  technische  Ausführung  pflegt  in  der  Frühzeit  sehr  roh  zu  sein, 
so  dass  z.  B.  das  Torusprofil  nicht  als  Halbkreis,  sondern  als  unreine, 
abgeplattete  Kurve  gezeichnet  wird  (Fig.  6  a— e).  In  Frankreich  ist 
diese  krude  Behandlung  geradezu  die  Regel,  während  Deutschland  sich 
grösserer  Korrektheit  befleissigt.  —  Die  mittelromanische  Basis. 
Sie  wird  flacher,  im  Profil  schwungvoller  (300.  5,  301.  16.  17),  es  ist 
unverkennbar,  dass  der  Blick  sich  auf  gute  antike  Muster  zu  richten 
beginnt.  Besonders  die  burgundische  Schule  gab  sich  darum  Mühe 
und  wirkte  durch  den  Einfluss  Clunys  auch  auf  die  Nachbar- 
provinzen. Hieraus  dürfte  sich  die  ungewöhnlich  reine  Basenform  in 
Limburg  a.  H.  erklären  (Fig.  7  c)  und  nicht  minder  die  zwar  abnorme, 
aber  doch  sichtlich  von  antiker  Empfindung  berührte  in  Echternach 
(Taf.  301,  3).  Nun  wird  auch  die  viel-  und  feingliedrige  jonische 
Basis  nachgeahmt :  in  Saint-Benoist  noch  mit  Rückfall  in  frühromanische 
Steilheit  (6  k— m),  in  St.  Etienne  zu  Nevers  mit  scharfkantigen  Riem- 
chen (6  g),  freier  und  weicher  im  Rhonethal  (6  o,  p);  in  der  toskanisch- 
römischen  Protorenaissance  gehört  sie  zum  festen  Bestand  (7  k— m,  299.  3) 
und  von  hier  ist  sie  mit  einigen  anderen  antikisierenden  Details  auf 
unbekanntem  Wege  in  die  Apsis  des  Domes  von  Speier  gekommen 
(6  i).  —  Wieder  einen  anderen,  höchst  elastisch  belebten  Charakter 
hat  die  spätromanische  Basis  (Fig.  8 — 13).  Ein  fortlaufender  Zug 
geht  durch  alle  drei  Glieder  hindurch,  in  freien  Kurven  mit  steter 
Krümmungsänderung,  gleichsam  stählern  biegsam  und  federkräftig  der 

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Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


Last  zugleich  nachgebend  und  ihr  entgegenwirkend,  im  unteren  Pfühl 
über  den  Rand  des  Sockels  hinausgedrängt,  in  der  Kehle  tief  ein- 
knickend und  dann  aufschnellend,  um  erst  im  oberen  Pfühl  zu  der 
festeren  Gestalt  des  Halbkreises  zurückzukehren.  Freilich  kommen 
alle  diese  Feinheiten  nur  in  der  genauen  Seitenansicht  zu  voller  Gel- 
tung; wenn  aber,  wie  gewöhnlich,  die  Basis  betrachtlich  tiefer  liegt, 
als  das  Auge  des  Betrachters,  so  erscheint  sie  leicht  flach  und 
schwächlich,  ein  Uebel,  das  auch  durch  die  geschärften  Licht-  und 
Schattenkontraste  (man  beachte  namentlich  die  Abschrägung  des 
Teilungsplättchens  zwischen  der  Kehle  und  dem  oberen  Pfühl)  nicht 
aufgehoben  wird. 

Abweichungen  von  der  normalen  Zusammensetzung  der  Basis 
sind  überaus  häufig,  doch  wohnt  ihnen  keine  systematische  Tendenz 
inne,  kein  Bestreben  nach  Bildung  neuer  Typen,  sondern  es  sind  nur 
Aeusserungen  individueller  Willkür.  In  Fig.  i — 3  auf  Taf.  301  haben 
wir  Beispiele  von  Vermehrung  der  Glieder;  viel  häufiger  ist  ihre  Re- 
duktion (Taf.  297.  5,  298.  4.  5.  7),  ja  in  der  Normandie  und  England 
ist  die  rudimentäre  Einschrumpfung  des  attischen  Schemas  förmlich 
die  Regel. 

Dekoration  der  Basis  (Taf.  302).  Fig.  9,  11 ,  12  c,  d,  e 
und  13  zeigen  am  Torus  gedrehtes  Tau,  Flechtwerk,  Blätterkranz, 
Perlenschnur,  also  Motive,  die  einem  verwandten  Gedanken  entsprungen 
sind,  wie  die  Dekoration  der  antiken  jonischen  Basis,  dem  Gedanken 
der  Zusammenschnürung  als  Symbol  der  Gegenwirkung  gegen  die 
peripherisch  auseinandertreibende  Last.  Ausserdem  gibt  es  eine 
Klasse  von  Ornamenten,  die  zacken-  oder  franzenartig  als  herab- 
hängende Endigungen  des  den  Schaft  umhüllenden  Gewebes  gedacht 
werden  (Fig.  12  a,  b).  Wir  gewinnen  daraus  eine  Vorstellung,  welcher 
Art  die  gemalten  Muster  gewesen  sein  werden;  in  plastischer  Ueber- 
tragung  sind  sie  nicht  eben  häufig. 

Grösste  Verbreitung  fand  aber  im  entwickelten  romanischen  Stil 
und  ist  ein  ihm  durchaus  eigentümlicher  Zuwachs  die  Eckverbindung. 
Je  mehr  im  Laufe  der  Entwicklung  die  relative  Höhe  der  Plinthe  an- 
wuchs und  je  häufiger  dem  eigentlichen  Säulenfuss  noch  ein  Sockel 
hinzugegeben  wurde  (Taf.  297.  9.  io),  um  so  empfindlicher  wurde  die 
vom  Pfühl  freigelassene  wagerechte  Fläche  der  Platte  in  dieser  Ent- 
fernung vom  Erdboden  als  störende  Unterbrechung  des  allgemeinen 
Höhestrebens  wahrgenommen;  auch  mochte  man  häufige  Bestossung 
der  Ecken  erfahren  haben.    Hier  tritt  nun  das  in  Rede  stehende 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


667 


Zierglied  ein,  das  von  den  vier  Ecken  der  Plinthe  her  mit  ansteigen- 
dem Profil  dem  unteren  Pfühl  zustrebt  in  der  Richtung  auf  dessen 
Zentrum.  In  der  ältesten,  noch  unvollkommenen  Fassung  ist  es  ein 
Klötzchen  oder  Knollen  oder  in  phantastischer  Umbildung  ein  Tier- 
kopf oder  ganzes  Tier  (Taf.  301.  5 — 10),  alsbald  tritt  aber  eine  mehr 
organische  Verbindung  ein,  bald  so,  dass  das  Glied  als  ein  Auswuchs 
des  Pfühls,  bald  so,  dass  es  als  Uebergreifen  der  Platte  gedeutet  wird. 
Die  letztere  Fassung,  Eckkappe  könnte  man  sie  nennen,  gehörte  der 
Hirsauer  Schule  und  verbreitete  sich  im  12.  Jahrhundert  namentlich 
in  Norddeutschland  (Taf.  297.  3.  4,  30 1.  12  und  auf  der  beistehenden 
Textfigur  b);  die  erstere  (ursprünglich  sporenartig  gestaltete)  führt  zu 
dem  schönen  Motive  des  geschmeidig  niederfliessenden ,  am  freien 
Ende  sich  aufrollenden  Eckbiattes ,  das  eine  der  am  meisten  in  die 
Augen  fallenden  Charakterformen  der  französischen  Frühgotik  wie  des 
deutschen  Uebergangsstils  wurde  (Taf.  300.  9.  12,  301.  4.  18,  302. 
1—7).    Eine  Nebenform,  an  lederartigen  Ueberhang  erinnernd,  zeigt 

Taf.  30I-.I3-  14- 

Der  Ursprung  der  Eckzier  ist  in  der  Lombardei  zu  suchen;  hier  wie 
in  Süddeutschland  (Reichenau)  wird  sie  anfangs  gelegentlich  auch  auf 
das  Kapitell  angewendet;  ihre  vollkommene  Gestalt  empfing  sie  erst  im 
Norden.  In  Deutschland  ist  das  Langhaus  der  Klosterkirche  Hersfeld 
das  älteste  nachzuweisende  Beispiel,  wofern  dieser  Bauteil,  wie  nicht 
unwahrscheinlich,  von  Abt  Poppo  (a.  1040  ff.)  herrührt  oder  doch  nur 
wenig  jünger  ist.  In  Konstanz  1054 — 1089,  Schaffhausen  um  1090,  in 
Alpirsbach  um  1100,  in  Paulinzelle  um  n  10,  alles  Bauten  der  Hirsauer 
Schule.  In  Burgund,  auf  welches  die  Vermutung  hierdurch  gelenkt 
werden  könnte,  haben  wir  das  Motiv  in  so  früher  Zeit  nur  einmal,  in 
der  Krypta  von  S.  Bdnigne  in  Dijon ,  gefunden ;  sonst  in  keinem 
Teile  Frankreichs  vor  dem  12.  Jahrhundert  (Viollet-le-Duc,  II,  133  nennt 
den  Anfang  des  n.  Jahrhunderts,  bleibt  aber  den  Beweis  schuldig). 

Ganz  irregulär  ist  die  Gestaltung  der  Basis  als  umgestürztes 
Kapitell  (Taf.  298.  6),  an  Zwerggalerien  und  Fenstersäulchen  nicht 
ganz  selten. 

• 

DAS  KAPITELL.  Die  sinkende  römische  Kunst  hatte  der 
Säule,  indem  sie  sie  zur  Trägerin  von  Bogen  machte,  eine  neue  Auf- 
gabe zugeteilt,  aber  sie  hatte  nicht  daran  gedacht,  entsprechend  dem 
veränderten  Verhältnis  von  Stütze  und  Last  auch  dasjenige  Glied, 
in  welchem  der  Konflikt  derselben  am  sichtlichsten  zum  Austrag 
kommt,  das  Kapitell,  neu  zu  gestalten.  Den  ersten  Versuch  in  dieser 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Richtung  stellten  die  Byzantiner  an.  Ihr  Pyramidenkapitell  bringt  die 
nunmehrige  Funktion  des  Säulenhauptes  als  Kämpfer  eines  Bogen- 
oder  Gewölbeanfangers  wo  nicht  schön  so  doch  verständlich  und 
zweckmässig  zum  Ausdruck.  Indessen  die  romanische  Kunst  eignete 
sich,  ausser  in  ihrem  schmalen  östlichen  Grenzgebiet,  diese  byzanti- 
nische Form  nicht  an ,  sie  machte  sich  aus  eigenen  Kräften  an  die 
auch  von  ihr  als  unvermeidlich  empfundene  Neugestaltung. 

Freilich,  eine  einheitliche  Lösung  kam  nicht  zu  stände  und  war 
nach  der  Entstehungsart  des  romanischen  Stils  nicht  möglich.  Auch 
weiterhin  meldete  sich  kein  Bedürfnis  nach  Konzentration  in  wenige, 
festumgrenzte  Normaltypen,  wie  sie  die  Antike  in  ihren  drei  Ord- 
nungen besessen  hatte.  Vielmehr  schuf  sich  der  individualistische 
Trieb  der  Germanen  ein  Feld,  auf  dem  er  ganz  frei  schaltete  und 
eine  unerschöpfliche  und  unübersehbare  Mannigfaltigkeit  der  Formen 
aufspriessen  liess.  Eine  Klassifikation  dafür  finden  zu  wollen,  in  der 
alles  und  jedes  rein  aufginge,  wäre  verlorene  Mühe.  Beschränken  wir 
uns  (wie  wir  es  schon  bei  der  Basis  gethan  haben)  auf  die  in  ver- 
breiteter Masse  vorkommenden  Erscheinungen,  so  sondert  sich  das 
scheinbare  Chaos  in  zwei  Hauptgruppen.  Wir  bezeichnen  sie  als 
Blätterkelch-Kapitelle  und  als  tektonische  Kapitelle.  Die 
erste  Klasse  nimmt  den  Gedanken  des  korinthischen  Kapitells  auf, 
umkränzt  also  den  von  der  Kreisfläche  des  Schaftes  zur  viereckigen 
Deckplatte  mit  konkavem  Profil  sich  erweiternden  Kern  mit  aufrecht- 
stehenden,  an  der  Spitze  überfallenden  Pflanzenblättern  als  Symbolen 
der  aufsteigenden  Tendenz  der  Säule  im  Momente  des  Zusammen- 
treffens mit  der  niederwärts  drängenden  Last  (Taf.  303  —  308).  Die 
zweite  Klasse  macht  unmittelbar  den  Kern  selbst  in  seiner  struktiven 
Zweckform  zum  ästhetischen  Motiv  (Taf.  309— 312).  Diese,  die  ohne 
historische  Anknüpfung  ihr  Ziel  selbständig  sucht  und  findet,  kann 
man  nach  den  an  ihrer  Produktion  vorzugsweise  beteiligten  Land- 
schaften auch  die  germanische,  jene  die  romanische  Klasse  im 
engeren  Sinne  nennen. 

Das  BLÄTTERKELCHKAPITELL  macht  drei  Stadien  durch. 
Das  erste  umfasst  die  unmittelbar  aus  dem  sinkenden  Altertum  sich 
fortpflanzende  Ueberlieferung;  was  sich  hier  an  Veränderungen  zeigt, 
ist  Verwilderung,  nicht  Folge  eines  etwaigen  neugewonnenen  Prinzips. 
Das  zweite  gehört  in  die  an  verschiedenen  Orten  von  uns  schon 
besprochene  Protorenaissancebewegung.  Das  dritte  äussert  sich  als  be- 


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Sechzehntes  Kapitel  :  Einzelgliedcr  und  Dekoration. 


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wusste  Umbildung  des  korinthischen  Urbildes,  indem  es  dessen  all- 
gemeine Anlage  zwar  beibehält,  aber  das  konventionelle  Akanthuslaub 
durch  nordische  Pflanzencharaktere  ersetzt. 

Das  erste  Stadium  hat  die  längste  Dauer  naturgemäss  in  den 
südeuropäischen  Landschaften.  Auf  fränkisch-deutschem  Boden 
gab  die  Karolingerzeit  sich  alle  Mühe  und  nicht  ganz  erfolglos,  eine 
reinere  Formenanschauung  zu  begründen;  Beispiele  davon  in  Aachen, 
Fulda,  Lorsch,  Ingelheim,  Nymwegen,  Unterregenbach,  Höchst, 
Helmstädt  (sämtlich  saec.  9).  Wie  es  möglich  war,  im  traditionslosen 
deutschen  Barbarenlande  immerhin  so  viel  zu  erreichen,  als  hier  erreicht 
wurde,  dafür  gibt  uns  einen  Anhalt  beispielsweise  die  Notiz,  dass  der 
baukundige  Abt  Eigil  von  Fulda  eine  Schachtel  mit  Säulenmodellen  aus 
Elfenbein  besessen  habe.  Diese  Art  der  Ueberlieferung  erklärt  viele 
Schwächen  und  Missverständnisse  der  Ausführung  im  monumentalen 
Massstabe.  Ja,  manchmal  mögen  die  Mönche  sogar  keine  andere 
Stütze  des  Gedächtnisses  gehabt  haben,  als  Bilderhandschriften  (be- 
sonders die  Kanonestafeln).  Noch  die  Ottonische  Epoche  suchte 
dieselbe  Linie  einzuhalten,  aber  je  mehr  jetzt  die  Landschaften  im 
Osten  des  Rheins  im  Bauwesen  mitthätig  hervortraten,  um  so  mehr 
verflüchtigt  sich  die  Kenntnis  von  der  Antike  zu  einem  unbestimmten 
Hörensagen;  man  sehe  Taf.  348.  Solchen  Missbildungen  gegenüber 
begreift  man,  dass  Kaiser  Otto  I.  bei  seiner  Lieblingsstiftung,  dem 
Dom  von  Magdeburg,  es  vorzog  Säulen  aus  Italien  (Ravenna  oder 
dessen  Umgebung)  kommen  zu  lassen,  deren  Marmorkapitelle  im  Neu- 
bau des  1 3.  Jahrhunderts  zum  Teil  als  Basen  Wiederverwendung  gefunden 
haben,  zum  andern  Teil  in  Sandstein  getreu  nachgeformt  sind.  Für 
diese  antiquarischen  Bemühungen  bezeichnend  ist  es,  dass  sie  sich  nicht 
ganz  selten  an  die  Nachahmung  des  (in  Gallien  und  Italien  gänzlich  in 
Vergessenheit  geratenen)  jonischen  Kapitells  machten.  Beispiele :  Lorsch, 
Essen,  Quedlinburg,  Osnabrück,  Gandersheim,  St.  Gallen,  Reichenau 
(einiges  auf  Taf.  303,  anderes  auf  Taf.  348).  Der  letzte  bedeutende 
Bau,  an  dem  die  antikisierenden  Formen,  beides,  jonische  wie  ko- 
rinthische, noch  die  Vorherrschaft  haben,  ist  das  Münster  zu  Essen 
vom  Ende  des  10.  Jahrhunderts;  in  den  ersten  Dezennien  des  11.  hat 
in  St.  Michael  zu  Hildesheim  bereits  eine  kräftige  neue  Formenwelt 
aus  der  tektonischen  Klasse  das  Feld  gewonnen  und  um  1050  er- 
löschen in  Deutschland  die  antikisierenden  Reminiscenzen  allenthalben. 

Frankreich.  Hier  handelte  es  sich  nicht  um  eine  mühsame  und 
schliesslich  doch  nicht  dauerhafte  Aneignung,  wie  in  Deutschland, 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


sondern  um  wirkliches  Fortleben  von  einem  Steinmetzengeschlecht 
zum  andern.  Um  a.  iooo  sind  die  Kapitelle  im  Kreuzgang  der  Kathe- 
drale von  Le  Puy  entstanden  (Taf.  340.  2),  die  den  drei  bis  vier  Jahr- 
hunderte älteren  in  der  Krypta  von  Jouarre  (Taf.  35)  noch  sehr  ähn- 
lich sehen.  Ein  bis  gegen  a.  1050  vielfach  wiederholtes  Modell  zeigt 
Taf.  303.  7,  ein  anderes  Taf.  332.  1.  An  kleineren  Säulen  erhielt 
das  Kapitell  einen  einfachen  Blätterkranz,  Taf  303.  14,  336.  1.  2. 
Aeusserste  Venvahrlosung  in  der  Reduktion  auf  Flachdarstellung 
Taf.  340.  1,  332.  1,  336.  3.  4.  Man  muss  sich  erinnern,  dass  im 
französischen  Bausysteme  freistehende  Säulen  selten  waren;  aber  nur 
solche  erhalten  den  Sinn  für  die  struktive  Logik  der  Glieder  lebendig; 
bei  vorherrschenden  Halb-  und  Dreiviertelsäulen  wird  das  Kapitell 
leicht  zu  einem  abhängigen  Dekorationsstück.  Ueberall  ist  denn  auch 
die  reine  Korbform  des  Kernes  aufgegeben  und  schon  in  diesem 
selbst,  nicht  erst  im  Abakus,  der  Uebergang  vom  Rund  zum  Viereck 
vollzogen.  Was  aber  auch  in  den  stärksten  Entstellungen  nicht  ver- 
loren geht,  das  ist  die  Erinnerung  an  die  Eckranken  und  die  Mittel- 
blumen (Taf.  305.  1—3,  332.  1,  333.  1,  335.  5,  347.  2).  Mit  dem 
12.  Jahrhundert  werden  Abakus  und  Kalathos  wieder  reiner  gebildet 
und  bestimmt  voneinander  gesondert,  während  das  Blattwerk  die 
letzte  Aehnlichkeit  mit  dem  Akanthus  abstreift  und  in  frei  stilisierende 
Phantasieformen  übergeht  (Taf.  305.  5.  7—9,  329.  1.  2,  331.  3,  332. 
2.  6,  333.  2,  335.  4.  5).  So  herrscht  in  dem  letzten  Viertel  des  11. 
und  den  beiden  ersten  des  12.  Jahrhunderts  eine  fröhliche  Anarchie, 
die  wohl  durch  die  Beweglichkeit  und  Ursprünglichkeit  der  Erfindungs- 
kraft in  Erstaunen  setzt,  nicht  selten  auch  durch  wahren  Geschmack 
erfreut,  aber  doch  auf  die  Dauer  kein  haltbarer  Zustand  war  und  gegen 
die  es  zum  Glück  an  der  Kraft  zu  heilsamer  Reaktion  nicht  fehlte, 
der  Weg,  den  diese  einschlug,  war  teils  der  des  Klassizismus,  teils  der 
des  Naturalismus,  womit  zugleich  der  Unterschied  südlicher  und  nor- 
discher Auffassung  in  schärfere  Ausprägung  trat. 

Die  denkwürdige  Erscheinung  einer  Renaissancebewegung  im 
romanischen  Stil,  kurz  vor  und  zum  Teil  noch  neben  den  Anfangen 
der  Gotik,  hat  uns  schon  im  Kapitel  über  den  Aussenbau  (S.  609  und 
626)  beschäftigt.  Was  die  Kapitellformen  betrifft,  so  kommen  allein 
die  korinthischen  und  kompositen  in  Frage;  Nachbildungen  des 
römisch-dorischen,  wie  am  Portal  von  Sant'  Antonio  Abbate  in  Rom 
und  im  Chorumgang  von  St.  Etienne  in  Nevers  (Taf.  303.  2.  4)  stehen 
vereinzelt  da.    Am  konsequentesten  in  der  Parteinahme  ist  Toskana. 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


67I 


Am  Dom  von  Pisa  (Taf.  304.  5,  326.  3;  die  Kapitelle  des  Innern 
leider  mit  modernem  Gipsüberzug)  mutet  der  schiefe  Ueberfall  der 
mageren,  scharfgezeichneten  Blätter  noch  halb  byzantinisch  an;  sehr 
korrekt,  doch  trocken,  sind  die  Kapitelle  an  den  jüngeren  Teilen 
des  Domes,  an  den  Portalen  des  Baptisteriums  und  Campaniles,  und 
besonders  gewissenhaft  im  Baptisterium  von  Florenz;  willkürlicher  in 
Lucca  (Taf.  326.  6),  Viterbo  (Taf.  305.  4)  u.  s.  w.  —  Die  Provence 
dagegen  verhält  sich  zu  den  spezifisch  mittelalterlichen  Formen  nie 
ganz  ablehnend,  wenn  auch  für  den  Totaleindruck  die  antiken  be- 
stimmend sind.  Nicht  selten  werden  die  Modelle  mit  voller  Genauig- 
keit abgeschrieben  (z.  B.  an  den  Portalen  von  Aix  und  Avignon, 
Taf.  285),  häufiger  ist  aber  eine  etwas  freiere  Behandlung  von  treff- 
licher Empfindung  für  malerisch  breiten  Effekt  (Taf.  304.  6,  336.  6. 
8,  342.  2.  5).  —  Von  Toskana  schritt  die  klassizistische  Propaganda 
nach  Oberitalien,  von  der  Provence  nach  Burgund  und  weiter  vor. 
Aber  es  wurde  ihr  hier  keine  normative,  nur  eine  arbiträre  Geltung 
eingeräumt.  Mit  streng  gebildeten  korinthischen  Kapitellen  wechseln 
regelmässig  nach  echt  mittelalterlicher  Kontrastmethode  frei  stilisierte, 
in  Frankreich  auch  schon  naturalistische.  Taf.  324.  1.  2  zeigt  zwei 
Kapitelle  an  den  grossen  Säulen  des  Langhauses  im  Dom  von  Modena 
(A.  12.  Jahrhundert),  die  man  nicht  sowohl  der  Antike  nachgeschrieben 
als  nachempfunden  nennen  muss  und  deren  präzise  und  elegante  Zeich- 
nung gegen  die  vielleicht  nur  um  ein  Menschenalter  älteren  Formen 
der  Krypta  (Fig.  4)  merkwürdig  absticht.  In  anderer  Richtung  in- 
teressant ist  die  um  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  ausgeführte  Krypta 
der  Kathedrale  von  Piacenza;  in  ihr  haben  die  Steinmetzen  es  ver- 
standen das  Akanthusthema  so  mannigfach  zu  variieren,  dass  jede  der 
nach  mehr  als  einem  halben  Hundert  zählenden  Säulen  ihre  eigene 
Spielart  aufweist  (Fig.  6—8).  Als  Erzeugnisse  italienischer  Arbeiter 
mutmasslich  haben  wir  auch  die  Kompositkapitelle  in  der  Afrakapelle 
des  Speierer  Domes  anzusprechen  (Taf.  304.  1);  wo  sonst  in  Deutsch- 
land um  diese  Zeit  noch  antike  Reminiscenzen  auftauchen,  wie  in 
Hildesheim,  Drübeck  oder  Wunstorf  (Taf.  349),  zeigen  sie  sich  in 
höchst  wunderlicher  Trübung.  —  Die  interessantesten  Erscheinungen 
unter  allen,  welche  das  auf  die  Antike  zurückgewendete  Studium  her- 
vorrief, bietet  Burgund  und  das  nördliche  Frankreich.  Einiges  Material 
an  römischen  Originalmodellen  fehlte  auch  diesen  Gegenden  nicht; 
Stücke  von  guter  Arbeit  können  nur  selten  darunter  gewesen  sein. 
Erstaunlich  aber,  wieviel  aus  diesen  zerstreuten  Spuren  das  12.  Jahr- 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


hundert  herauszulesen  verstand!  Man  betrachte,  wie  in  der  den  Zeit- 
raum von  1090 — 1130  umfassenden  Reihe:  Saint- Benoit  (Taf.  344, 
Paray-le-Monial  (Taf.  304),  Vezelay  (Taf.  304,  341),  Langres  (Taf.  342), 
die  konventionelle  Formel  sich  allmählich  mit  Leben  erfüllt,  wie  jeder 
einzelne  Künstler  sich  seine  persönliche  und  ganz  konkrete  Vorstellung 
davon  bildet,  was  die  Natur  des  (in  Wirklichkeit  unbekannten)  Akan- 
thuslaubes  sei.  Der  in  Vezelay  das  Kapitell  Taf.  304.  2  fertigte,  war 
bei  aller  Strenge  der  Auffassung  sicher  mehr  als  ein  Kopist  und  den 
anderen  neben  ihm  arbeitenden  (Taf.  341.  3)  möchte  man  einen 
Romantiker  im  Klassizismus  nennen.  Vollends  an  den  kleineren  Kapi- 
tellen der  Kreuzgänge,  Triforien,  Portalen  u.  s.  w.  löst  sich  die  regel- 
rechte Anordnung  auf  und  der  Akanthus  gewinnt  freien  Wuchs  und 
neuen  reizenden  Schwung  (Taf.  339.  1.  4.  6).  —  In  Nordfrankreich  hatte 
die  antikisierende  Flutwelle  ihren  höchsten  Stand  zwischen  11 40  und 
1160.  Bemerkenswerterweise  zeigen  sich  gerade  diejenigen  Bauten 
von  ihr  am  stärksten  berührt,  die  im  Uebergang  zum  gotischen  Kon- 
struktionssystem die  Tührende  Rolle  haben :  Chor  und  Nordportal  von 
Saint-Denis  (Viollet-le-Duc  VIII,  217),  Chor  von  S.  Germain-des-Pres 
(Taf.  344),  Chor  von  S.  Laumer  in  Blois  (Taf.  304.  3),  sämtlich  aus 
dem  Anfang  der  40er  Jahre;  Langhaus  und  Portal  der  Kathedrale 
von  Le  Mans  (Taf.  334.  5  und  305.  7)  um  1150;  Arkatur  am  Chor 
der  Kathedrale  zu  Sens  (Viollet-le-Duc  VIII,  2 1 9),  S.  Julien  le  Pauvre 
zu  Paris  (Taf.  346.  5),  die  ältesten  Stücke  im  Chor  der  Kathedrale 
von  Paris  (Taf.  344.  7),  die  Säulen  an  den  Strebesystemen  von 
S.  Remy  in  Reims  und  Notre-Dame  in  Chälons  —  Bauten,  die  sich 
bis  in  die  70er  Jahre  erstrecken. 

Dieselbe  Zeit  nun,  dieselbe  Schule  und  grossenteils  dieselben 
Bauwerke  sind  es,  in  denen  der  Naturalismus  seine  ersten  Schritte 
versuchte  (Taf.  306,  345,  346.  6—8).  Dieses  Nebeneinander  aus  der 
Arbeitsgemeinschaft  von  geistig  trägen  und  von  rührig  vorwärtsstreben- 
den Werkleuten  zu  erklären,  wie  Viollet-le-Duc  es  thut,  halten  wir 
nicht  für  zutreffend.  War  doch  diesen  Gegenden  die  bewusste  An- 
knüpfung an  die  Antike  ebenso  sehr  etwas  Neues  wie  die  Anknüpfung 
an  die  heimische  Flora.  Beides  sind  nur  verschiedene  Wege  des 
Suchens  nach  einem  neuen  System  und  ihre  Abweichung  bewegt  sich, 
wie  sehr  zu  beachten  ist,  auf  einem  genau  begrenzten  Gebiete:  -dem 
der  Detailbildung  des  Blattwerks.  Dagegen  der  Bau  des  Kapitells  in 
seiner  Totalität  und  die  Anordnung  des  Blattschmuckes  im  Verhältnis 
zum  Kern  bleiben  in  beiden  Richtungen  dieselben.    Auf  die  Frage, 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


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ob  die  in  Rede  stehenden  Formen  noch  romanisch  seien  und  nicht 
vielmehr  schon  gotisch,  antworten  wir  deshalb  ohne  Zögern:  sie  sind 
noch  romanisch.  Nicht  das  macht  das  Wesen  aus,  ob  die  Grundform 
der  Blätter  der  südlichen  oder  ob  sie  der  nördlichen  Pflanzenwelt  ent- 
nommen ist,  sondern  was  ihre  tektonische  Funktion  ist.  Diese  ist 
aber  von  der  des  wahren  gotischen  Kapitells,  d.  h.  der  des  13.  und 
14.  Jahrhunderts,  grundsätzlich  verschieden,  der  des  antiken  Blätter- 
kapitells grundsätzlich  verwandt.  Das  gotische  System,  in  konsequenter 
Verfolgung  seines  Grundgedankens,  d.  i.  der  augenfälligen  Trennung 
in  struktiv  wirkende  und  in  bloss  raumabschliessende  oder  bloss  de- 
korierende Teile,  fordert,  dass  der  für  die  Struktur  thatsächlich  allein 
Bedeutung  habende  Kern  dem  Auge  blossgelegt  werde,  während  in 
betreff  des  Blattwerks  kein  Zweifel  übrig  bleiben  darf,  dass  dasselbe  nicht 
die  Sache  selbst  sei,  sondern  nur  ein  äusserlich  und  lose  angehefteter 
Schmuck ;  wogegen  beim  korinthischen  Kapitell  und  seinen  Ableitungen 
es  die  Blätter  selbst  sind,  die,  wenn  auch  nur  sinnbildlich,  die  Last 
aufnehmen  und  mit  ihrer  organischen  Kraft  ihr  entgegenwirken.  Nach 
diesem  Kriterium  beurteilt,  kommt  der  durch  Taf.  306  repräsentierte 
Typus,  obwohl  frühgotischen  Denkmälern  angehörend  und  obwohl 
naturalistisch  in  der  Zeichnung  des  Blattwerks,  dem  wahren  Begriff 
des  korinthischen  Kalathos  ungleich  näher  als  irgend  ein  Akanthus- 
kapitell  des  10'.  und  11.  Jahrhunderts.  Er  ist  eine  parallele,  nicht 
eine  kontrastierende  Erscheinung  zu  dem,  wie  wir  oben  gesehen  haben, 
von  derselben  Schule  und  in  derselben  Zeit  gepflegten  antikisierenden 
Typus.  Es  war  eben  die  erwachende  Erkenntnis  von  der  organischen 
Bedeutung  des  Akanthusschmuckes ,  die  zum  Vergleiche  mit  den  im 
Bereiche  der  Erfahrung  liegenden  Naturformen  aufforderte.  Keineswegs 
ein  neues  Kapitell  von  Grund  aus  wollte  die  naturalistische  Wendung 
schaffen,  nur  eine  frischer  belebte  Ornamentation.  Die  Analogie  zu 
dem  allgemeinen  Formengeist  der  Frühgotik  liegt  in  der  Tendenz 
auf  Einfachheit,  Festigkeit,  Elasticität.  Dem  entsprechend  werden 
fette,  von  Saft  schwellende  Blattformen  mit  geschlossenem  (nicht  ge- 
zacktem) Umriss  aufgesucht,  wie  die  Natur  sie  besonders  in  den  auf 
feuchtem  Wald-  und  Wiesenboden  und  am  Rande  von  Bächen  und 
Weihern  heimischen  Pflanzenarten  vorgebildet  hat;  Arum,  Iris,  Aqui- 
legia,  Plantago  u.  a.  sind  wohl  zu  erkennen,  obschon  die  Bildhauer 
nicht  realistisch  imitierend  (wie  die  konsequente  Gotik),  sondern  typisch 
stilisierend  verfahren  und  einen  Reiz  darin  finden,  in  der  Natur  ge- 
trennte Erscheinungen  willkürlich  zusammenzubringen.   Ganz  möglich 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


übrigens,  dass  selbst  zu  dieser  Richtung  die 
erste  Anregung  von  der  Antike  kam;  denn 
schon  diese  kannte  neben  dem  Akanthus- 
blatt  eine  vereinfachte,  schilfähnliche  Form; 
die  Aehnlichkeit  des  beistehend  skizzierten 
Pilasterkapitells  aus  dem  sogenannten  Audi- 
torium des  Mäcenas  in  Rom  mit  gewissen 
französischen  Formen  des  12.  Jahrhunderts 
ist  schlagend,  vgl.  auch  Taf.  303.  8.  15. 

Besonders  sprechend  als  Ausdruck  gedrängter  Lebenskraft  er- 
schien  ein  bestimmter  Entwicklungszustand  gedachter  Pflanzen,  näm- 
lich der  kurz  vor  ihrer  vollen  Entfaltung,  wo  an  der  Spitze  des 
Stengels  die  Blätter  noch  zu  einer  kugelförmigen  Knospe  zusammen- 
gerollt sind  und  unter  deren  Schwere  der  vom  Safte  weiche  Stengel 
sich  überbeugt.  In  dieser  Erscheinung  fand  man  den  Ersatz  für  die 
anfangs  noch  beibehaltene  korinthische  Eckvolute  (Taf.  305.  11, 
346.  5.  8)  und  so  entstand  jener  für  das  letzte  Viertel  des  12.  Jahr- 
hunderts vorzüglich  charakterische  Typus,  den  wir  Knospenkapitell 
zu  nennen  uns  gewöhnt  haben.  Den  ersten  Ansatz  dazu  zeigt  Taf.  306.3. 
307.  4,  die  reife  Form  308.  2.  7.  10.  Die  grosse  Verbreitung  des 
Knospenkapitells  in  der  französischen  Frühgotik  (und  fast  noch  mehr 
in  dem  unter  ihrem  Einfluss  stehenden  Uebergangsstil  Deutschlands 
und  Italiens)  ist  nicht  als  blosse  Frage  des  ornamentalen  Geschmacks 
zu  beurteilen,  sie  ist  ebensosehr  in  den  allgemeinen  Strukturverhält- 
nissen begründet.  Die  Frühgotik  befand  sich,  was  die  Behandlung 
der  Säule  betrifft,  im  doppelten  Gegensatz  sowohl  gegen  die  ent- 
wickelte Gotik,  welche  die  eigentliche  Säule  überhaupt  nicht  mehr 
kannte,  wie  gegen  die  romanischen  Systeme,  in  welchen  (wir  sprechen 
von  Frankreich)  die  Halbsäule  durchaus  vorgeherrscht  hatte,  ein  für 
die  allgemeine  Konfiguration  des  Kapitells  im  11.  und  12.  Jahrhundert 
sehr  wesentlicher  Umstand.  Die  Frühgotik  wies  nicht  bloss  im  Chor 
(durch  Einführung  des  Deambulatoriums)  sondern  auch  in  den  Schiffen 
der  Säule  in  der  reinen  monocylindrischen  Gestalt  aufs  neue  eine 
grosse  Rolle  zu,  und  auch  dort,  wo  sie  in  dekorativer  Absicht  Säulen 
mit  Pfeilern  oder  Mauern  verband,  behandelte  sie  dieselben  gleich- 
falls als  Vollcylinder,  nicht  als  eingebundene  Halbcylinder.  Für  die 
romanischen  Säulen  der  älteren  Zeit  war  es  Regel  gewesen,  dass  der 
Grundriss  des  Bogenanfangers  zu  dem  oberen  Horizontalschnitt  des 
Kapitells  sich  verhielt  wie  das  umgeschriebene  Quadrat  zum  Kreise. 


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Sechzehutes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


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so  dass  die  Deckplatte  nur  wenig  auslud.  Jetzt  aber  hatten  auf  der 
Deckplatte  (vgl.  die  beistehende  Figur  nach  Viollet-le-Duc)  noch 
weiterhin  Platz  zu  finden:  die  Scheidbogenanfänger  BB,  ein  Trans- 
versal- und  zwei  Diagonalbogen  der  Seitenschiffsgewölbe  CDD,  die 
Basen  der  zum  Hauptgewölbe 
aufsteigenden  Dienste  E.  Zur 
Vermittlung  zwischen  Stütze 
und  Last  bedurfte  es  nun- 
mehr einer  ungleich  weiter 
ausschwingenden ,  zugleich 
aber  mit  dem  Kern  fest  zu- 
sammenhängenden und  breit 
ansetzenden  Eckverbindung 
—  analog  dem  veränderten 
Formencharakter  der  Basen 
dieser  Zeit.  Sodann  ist  in 
Betracht  zu  ziehen,  dass  die 
Bauart    dieser    Epoche  an 

Emporen,  Triforien,  Gewölbekämpfern  eine  Menge  kleiner  Kapitelle 
in  hoher  Lage  anwendet;  für  diese  alle  war  die  Knospenform  mit 
ihrem  scharfen  Schlagschatten  und  ihrer  dadurch  auch  für  den  ent- 
fernten Standpunkt  nicht  verschwindenden  Deutlichkeit  besonders 
günstig.  Ueberhaupt  kann  vermöge  seiner  schmiegsamen  Natur  das 
Knospenkapitell  sehr  verschiedenen  Grundverhältnissen  sich  anpassen. 
Anders  liegen  dieselben  bei  den  schwer  belasteten  grossen  Säulen  der 
Schiffe,  anders  bei  den  kleineren  der  Emporen  und  Triforien.  Bei  den 
letztern  werden  die  Ausläufer  degagierter,  die  Kelche  höher,  der  Kontrast 
zwischen  der  Schlankheit  des  Säulenschaftes  und  der  Breite  des  Bogen- 
an fangers  verschärft.  Sind  die  Blätter  in  zwei  Ordnungen  übereinander 
gestellt,  so  steht  die  untere  zu  den  Stirnseiten  des  Kapitells  normal,  die 
obere  übereck.  Der  Knospenträger  ist  häufig  durch  ein  untergelegtes  Blatt 
geschmückt,  oder  er  spaltet  sich  an  der  Spitze  und  rollt  sich  zu  einer 
Doppelknospe  zusammen,  oder  es  durchbricht  der  alte  phantastische 
Zug  den  naturalistischen  und  verwandelt  die  Knospe  in  einen  Menschen- 
oder Bestienkopf.  —  Das  Knospenkapitell  ist  die  letzte  im  mittel- 
alterlichen Gewölbesystem  mögliche  Entwicklungsform  des  uralten 
Blätterkelchkapitells.  Die  nächste  Stufe  schon  führte  zum  Aufgeben  der 
reinen  Säulenform  überhaupt,  zu  ihrer  Umwandlung  in  den  kantonierten 
Rundpfeilcr  und  brachte  damit  auch  für  das  Kapitell  neue  Bedingungen. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


In  Deutschland  ist  das  Blätterkelchkapitell  eine  abgeschlossene 
Erscheinung  des  Uebergangsstils.    Die  klassizistische  Richtung  findet 
hier  keine  Stätte  und  die  naturalistische  ist  keine  ursprüngliche,  sondern 
eine  aus  der  französischen  Fassung  abgeleitete,  vielfach  mit  der  älteren 
stilisierenden  Anschauung  in  Kompromiss  tretende.    Zwei  für  die 
französische  Fassung  bezeichnende  Momente,  der  scharf  absetzende 
obere  Kelchrand  und  darüber  der  korinthische  Abakus  fehlen;  anstatt 
dessen  hält  sich  die  Kernform  in  einem  fliessenden  Uebergang  vom 
Kelch  zum  Würfel.    Die  Behandlung  des  Blattwerks  ist  zwar  nicht 
mehr  die  alte,  bloss  zeichnende,  aber  auch  noch  nicht  eine  rein 
plastische,  sondern  ein  Mittelding  zwischen  beiden,  dergestalt  dass 
die  Ausladungen  der  Blätter  dem  Profil  des  Sternes  in  ungefähr  gleich- 
bleibendem Abstände  folgen  (Taf.  307.  1.  3.  8,  350,  351,  354).  Ganz 
gewöhnlich  wird  noch  die  Mittelrippe  mit  Perlschnüren  und  Diamant- 
schnitt  ausgeziert,  was  die  Franzosen  meistens  aufgegeben  hatten. 
Das  Prinzip  der  Anordnung  ist  dieses:  an  jeder  Stirnseite  steigen, 
meist  sich  durchkreuzend,  zwei  Paare  von  Stengeln  auf,  von  denen 
das  eine,  stärkere  den  Ecken,  das  andere,  schwächere  der  Mitte  sich 
zuwendet;  oder  umgekehrt,  wenn  das  mittlere  Paar  das  stärkere  ist, 
vollzieht  es  an  den  Ecken  eine  halbe  Kreisdrehung  und  breitet  sich 
nach  seiner  Vereinigung  mit  dem  korrespondierenden  Zweige  der  an- 
stossenden  Seitenfläche  fingerartig  aus  in  der  Weise,  dass  ein  Teil 
der  Zweige  herabfällt,  ein  anderer  wieder  aufsteigend  in  der  Mitte 
sich  mit  dem  Wurzelnachbar  begegnet.    In  der  klaren  Durchführung 
dieses  verwickelten  Gewebes,  dem  schwungvollen  Wurf  der  Zweige, 
dem  schwebenden  Gleichgewicht  der  Massen  äussert  sich  oft  ein  be- 
wunderungswürdiges  Kompositionsgefuhl.    —   Das  Knospenkapitell 
scheint  zuerst  durch  die  Cistercienser  in  Deutschland  eingeführt  zu 
sein.  Seine  grösste  Verbreitung  hat  es  zwischen  1220  und  1250,  also 
in  einer  Zeit,  wo  es  vom  französischen  Geschmack  schon  aufgegeben 
war.  —  Uebrigens  hat  der  von  Frankreich  eingedrungene  Naturalismus 
den  ^unnatürlichen«  Stil  nirgends  ganz  verdrängt,  am  wenigsten  in 
den  vom  Rhein  entfernteren  Landschaften,  wofür  ein  bemerkenswertes 
Beispiel  die  prachtvollen  Kapitelle  des  (im  System  stark  französisch 
beeinflussten)  Domes  von  Magdeburg  geben  (Taf.  352). 

Im  Gegensatz  zu  der  ununterbrochen  im  Fluss  begriffenen  und 
tausendfältig  sich  variierenden  Entwicklung  des  Blätterkelchkapitells  kon- 
zentrierte sich  die  andere  Gruppe,  die  wir  die  TEKTONISCHE  nennen 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


6/7 


wollen,  frühzeitig  in  einer  Hauptgestalt  von  klassischer  Geltung:  dem 
Würfelkapitell.  Für  die  historische  Betrachtung  sind  aber  auch  die, 
obschon  unvollkommeneren,  Parallellösungen  nicht  gleichgültig.  Das 
erste  Auftreten  der  tektonischen  Kapitelle  reicht  über  die  romanische 
Epoche  zurück;  sie  sind  zunächst  nichts  anderes  als  ein  Behelf  der 
Bequemlichkeit  oder  Ratlosigkeit,  ein  Zeichen  des  Sinkens  der  Kunst 
(es  genüge  die  Erinnerung  an  die  Halbsäulenknäufe  der  Porta  nigra 
in  Trier).  Die  Zunahme  der  Bauthätigkeit  auf  germanischem  Boden 
seit  Karl  dem  Grossen  brachte  für  die  Einzelbildung,  wie  wir  gesehen 
haben,  um  so  fühlbarere  Schwierigkeiten,  je  ernster  es  mit  der  Ver- 
pflichtung auf  den  Kanon  der  Antike  genommen  wurde.  Immer 
häufiger  musstc  der  Fall  werden,  dass  beim  besten  Willen  brauchbare 
Modelle  oder  zur  Nachbildung  geeignete  Werkleute  nicht  zu  finden 
waren.  Die  dabei  sich  einstellenden  Missbildungen  haben  auch  bei 
den  Zeitgenossen  schwerlich  Gefallen  erregt.  Sollte  man  nicht  lieber 
an  technisch  einfacheren  Formen  die  eigene  Gestaltungskraft  er- 
proben? 

Einem  rationell  gebildeten  Kapitell  liegt  unter  den  Umständen, 
mit  denen  die  romanische  Baukunst  zu  thun  hat,  zweierlei  zu  er- 
füllen ob:  erstens  hat  es  durch  seine  Ausladung  über  dem  Schafte 
eine  erweiterte  Fläche  für  die  Aufnahme  des  Bogenfusses  zu  schaffen; 
zweitens  hat  es  aus  der  Kreisform  des  Säulenquerschnittes  in  den 
viereckigen  Backengrundriss  überzuleiten.  Drei  geometrische  Körper 
kommen  hierbei  als  Grundformen  vornehmlich  in  Betracht:  die  Pyra- 
mide, der  Kegel,  der  Würfel.  Und  mit  allen  dreien  hat  die  romanische 
Baukunst  es  thatsächlich  versucht. 

Die  vierseitige  Pyramide,  umgekehrt  und  unten  abgestutzt,  ist 
das  Kapitell  der  Byzantiner  (Taf.  32.  33).  Sie  ist  unter  den  drei  in 
Frage  stehenden  Formen  schon  deshalb  die  am  wenigsten  befriedigende, 
weil  ihr  unteres  Lager  dem  Säulenschnitt  nicht  konform  ist;  durch 
Abrundung  der  Kanten  konnte  wohl  diese  Ungehörigkeit  abgeschwächt 
werden,  aber  der  Formcharakter  im  ganzen  wurde  noch  unorganischer, 
flauer,  plumper.  Im  Abendlande  war  das  Pyramidenkapitell  im  frühen 
Mittelalter  ziemlich  viel  im  Gebrauch,  aber  nur  mit  einer  einigermassen 
verbessernden  Modifikation,  nämlich  kantiger  Abfasung  der  Ecken  in  der 
Weise,  dass  sich  ein  schmales  mit  der  Spitze  nach  oben  gerichtetes 
Dreieck  ergab;  so  wurde  für  die  Lagerfläche  zwar  noch  immer  kein 
Kreis,  aber  wenigstens  ein  Achteck  gewonnen.  Zuweilen  wird  die 
Abfasung  leicht  einwärts  gekrümmt,  in  Erinnerung  an  das  Kalathos- 


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6;8 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


profil,  wodurch  die  frontalen  Trapeze  geschwungene  Seitenlinien  er- 
halten. Frühestes  Beispiel:  der  Umgang  am  Grabmal  des  Theoderich 
in  Ravenna.  Aus  Deutschland:  Emporen  zu  Gernrode  (Taf.  308), 
Krypten  zu  Reichenau,  Augsburg,  Füssen,  Salzburg,  Fünfkirchen  in 
Ungarn,  Bergholzzell  im  Elsass  u.  a.  m.;  über  den  Anfang  des  1 1.  Jahr- 
hunderts hinaus  kaum  nachweisbar.  Häufiger  in 
Mittel-  und  Südfrankreich  und  in  Spanien  (Taf.  309. 
9,  312.  11,  328.  6).  In  der  Auvergne  und  den  an- 
grenzenden Landschaften  auch  die  reine  Pyramiden- 
form, doch  nur  als  Träger  plastischen,  meist  figur- 
lichen Ornaments  (Taf.  335.  1.  2.  4). 

Umgekehrt  stellen  sich  Vorteile  und  Nachteile 
bei  dem  abgestumpften  Kegel;  es  ist  der  obere 
Abschluss,  der  Schwierigkeiten  macht.  Der  Hori- 
zontalschnitt  des  Kegels  könnte  sich  zum  Quadrat 
des  Bogen fusses  entweder  als  eingeschriebener  oder 
als  umgeschriebener  Kreis  verhalten.  Das  erstere 
ist  aus  naheliegenden  Gründen  nie  versucht  worden; 
das  zweite  hat  zur  Folge,  dass  die  über  das  Quadrat 
hinausfallenden  Teile  des  Kegels  durch  senkrechte 
Schnitte  abgetragen  werden  müssen.  Struktiv 
zweckmässiger,  ist  indes  auch  diese  Lösung  ästhetisch  nicht  befrie- 
digend: die  Hyperbeln,  durch  welche  die  frontalen  Schilder  begrenzt 
werden,  sind  zu  wenig  einfache  Linien,  als  dass  das  Bauornament 
sich  mit  ihnen  befreunden  könnte,  und  andererseits 
eignet  dem  Profil  des  Kegels  eine  nicht  geringere  Starr- 
heit, als  dem  der  Pyramide.  Begreiflich  genug  also, 
dass  das  nackte  Kegelkapitell  nur  eine  vorübergehende 
Erscheinung  blieb;  Beispiele:  die  ältesten  Teile  von 
S.  Remy  in  Reims  Taf.  310.  5 ;  schon  etwas  abweichend 
von  der  reinen  mathematischen  Form  in  der  Krypta 
des  Domes  zu  Modena  Taf.  310.  4  und  322.  3.  Dagegen  als  Kernform 
für  plastische  Dekoration,  sowohl  vegetabilischer  als  figürlicher  Art, 
fand  es  zumal  in  den  französischen  Bauschulen  weiteste  Anwendung, 
ja  es  wurde  hier  die  normale  Form,  bis  das  12.  Jahrhundert  wieder 
den  lebendigeren  kelchförmigen  Kern  in  seine  Rechte  einsetzte. 

Die  Beschneidung  des  Kegelkapitells  hatte  im  Vergleich  zum 
pyramidalen  ein  wichtiges  neues  Moment  zu  Tage  gefördert :  die  senk- 
rechte Lage  der  frontalen  Schnittflächen.    Dieselben  werden  dadurch 


Grabmal 
König  Theodench*. 


Krypta  zu  F&uen. 


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I 

Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


679 


dem  Säulenstamm  richtungsgleich  und  erscheinen  im  Querschnitt  als 
unmittelbare  Vorbereitung  auf  den  Bogenfuss.  Der  gleiche  Vorzug 
in  noch  entschiedenerer  Haltung  ist  dem  Würfelkapitell  eigen. 
Die  archäologische  Terminologie  begreift  unter  diesem  Namen  im 
vorzugsweisen  Sinne  die  aus  der  Durchdringung  des  Würfels  mit  der 
Halbkugel  entstehenden  Formen.  Indessen  kennt  die  romanische 
Baukunst  auch  andere  Arten  der  Ueberleitung  vom  Würfel  zum 
Cylinder.  Das  den  auf  Taf.  309.  4.  10.  1 1  gegebenen  Befspielen 
Gemeinsame  ist  die  Abtragung  der  unteren  Ecken  des  Prismas  durch 
einen  einwärts  geschwungenen,  ein  sphärisches  Dreieck  ergebenden 
Schnitt,  ähnlich  wie  wir  es  bei  gewissen  Pyramidenkapitellen  wahr- 
genommen haben.  Ungleich  vollkommener,  ja  vollkommen  schlechthin 
unter  den  gegebenen  Verhältnissen  ist  die  Ueberleitung  mittelst  Kugel- 
ausschnittes. Das  romanische  Würfelkugel-Kapitell  aus  dem  Dorischen 
der  Antike  abzuleiten,  ist  heute  allgemein  aufgegeben.  Dagegen  darf 
man  wohl  sagen,  an  seiner  Ausbildung  sei  das  Bestreben  beteiligt 
gewesen,  die  Mängel  des  geschichtlich  überlieferten  korinthischen 
Kalathos  —  Mängel  vom  Standpunkte  des  romanischen  Bausystems  — 
aufzuheben.  Die  Kurve  des  Kalathos  lässt  dem  Kapitell  zu  wenig 
Körper,  schwächt  seine  Tragkraft  ebenso  für  das  Auge,  wie  für  die 
materielle  Wirkung ;  sie  steht  zur  Kreislinie  des  Bogens  in  ungünstigem 
Verhältnis,  indem  sie  dieser  ähnlich  und  doch  nicht  gleich  ist;  >s\e 
disharmoniert,  wie  die  Sekunde  in  der  Musik«.  Und  allerdings  führte 
dies  gegensätzliche  Bestreben,  wenn  auch  unbewusst,  auf  einen  dem 
Dorismus  grundverwandten  Formgedanken.  Das  korinthische  Kalathos- 
kapitell  bekrönt  eine  Säule  von  schlankem  Bau  und  trägt  ein  ver- 
hältnismässig leichtes  Gebälk;  das  dorische  Echinuskapitell  wie  das 
romanische  Würfelkapitell  deuten  auf  eine  viel  stärkere  Spannung 
zwischen  Strebekraft  und  Schwerkraft.  Der  Konflikt  nimmt  auf  beiden 
Seiten  den  entgegengesetzten  Verlauf:  im  Kalathos  zuerst  müheloses 
Aufsteigen,  dann  elastisches  Nachgeben  unter  der  Last;  im  Echinus- 
und  im  Würfelkapitell  zuerst  mühevoller  Widerstand,  dann  siegreiches 
Ueberwinden.  Was  die  beiden  letzteren  im  besonderen  wieder  unter- 
scheidet, ist  die  Form  der  Last:  dort  wagerechtes  Gebälk,  hier  eine 
durch  Halbkreisbogen  vermittelte  Hochmauer;  dementsprechend  dort 
die  Doppelbeziehung  zu  Stütze  und  Last  durch  zwei  gesonderte 
Glieder  (Echinus  und  Abakus)  ausgedrückt,  Glieder  von  überwiegend 
wagerechter  Ausdehnung;  hier  durch  Verschmelzung  des  Runden  und 
des  Eckigen  in  einen  einzigen  Körper  von  annäherndem  Gleichgewicht 


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Zweites  Buch  .  Der  romanische  Stil. 





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der  Höhe  und  Breite,  ein  Sinnbild  konzentrierter  Widerstandskraft. 
Wie  die  vier  senkrechten  Seitenschilder  ein  Vorklang  auf  die  Mauer 
sind,  so  sind  die  dem  Kreise  entnommenen  Linien  und  Flächen  ein 
Vorklang  auf  die  Archivolte;  beide  zusammen  »stellen  eine  Art 
Wellenlinie,  ein  Steigen  und  Sinken  dar,  die  kurze  ausladende  Kurve 
des  Kapitells  gibt  gleichsam  den  Anlauf  zu  der  weiten  rad förmigen 
Schwingung  des  Bogens t.  In  der  diagonalen  Ansicht  überwiegt  der 
Kugelanteil,  in  der  frontalen  Ansicht  überwiegt  der  Würfelanteil  und 
dazwischen  liegen  unendliche  Uebergänge,  das  perspektivische  Bild 

  einer  Säulenreihe  mit  glücklichster  Mannig- 

faltigkeit  begabend.  Ohne  Uebertreibung 
darf  man  sagen,  dass  der  romanische  Stil 
in  seinem  Würfelkapitell  eine  dem  dorischen 
künstlerisch  ebenbürtige  Leistung  hingestellt 
hat.  Eben  sein  eminent  tektonischer  Cha- 
rakter ist  aber  auch  der  Grund  für  seine 
begrenzte  Anwendungsfähigkeit.  Schon  die 
ersten  Einwirkungen  der  Gotik  setzten  es 
mit  Recht  ausser  Gebrauch. 

Die  beistehende  Figur  zeigt  die  mathe- 
matische Konstruktion  des  Würfelkapitells. 
In  so  abstrakter  Strenge  findet  es  sich  in 
Wirklichkeit  kaum.  Das  Verfahren  bei  der 
Ausführung  war  wohl  dieses:  zuerst  wurde 
nach  dem  Masse  des  Bogenfusses  der  Würfel  oder  richtiger  würfel- 
ähnliche Quaderblock  hergestellt;  dann  auf  seiner  unteren  Fläche 
der  Säulendurchschnitt,  auf  den  vier  senkrechten  Seiten  Halbkreise 
aufgetragen;  endlich  die  unteren  Ecken  und  die  von  ihnen  aufstei- 
genden Kanten  rundlich  abgearbeitet,  wobei  man  es  keineswegs  auf 
Festhaltung  eines  Kugelzentrums  oder  überhaupt  nur  Herstellung 
regelmässiger  Kugelabschnitte  ankommen  Hess,  sondern  sich  mit  kugel- 
ähnlichen Krümmungen  begnügte.  Zuweilen  zeigen  sich  Einschnürungen 
in  diagonaler  Richtung,  durch  welche  die  Vorstellung  von  einem  ela- 
stischen Polster  noch  sinnfälliger  wird  (Taf.  311.  3.  7).  Das  Verhältnis 
von  Höhe  und  Breite  ist  beweglich,  so  dass  die  Seitenschilder  nicht 
immer  einen  reinen  Halbkreis,  sondern  auch  einen  verkürzten  oder 
aber  überhöhten  darstellen  (Taf.  311.  4  gegen  5-  und  8),  und  ebenso 
beweglich  ist,  infolge  des  schwankenden  Verhältnisses  von  Säulen 
durchmesser  zu  Würfelseite,  der  Grad  der  Ausladung.    Mit  diesen 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration.  08 1 

einfachen  Mitteln  wird  eine  nicht  geringe  Modulation  im  individuellen 
Ausdruck  erreicht.  Aber  natürlich  kommen  die  Unterschiede  dieser 
Art  nur  im  Vergleich  verschiedener  Gebäude  oder  mindestens  ver- 
schiedener Gebäudeteile  in  Betracht;  innerhalb  einer  und  derselben 
oder  zweier  korrespondierenden  Säulenreihen  müssen  die  körperlichen 
Grundverhältnisse  gleich  bleiben,  wenn  nicht  unerträgliche  Verworren- 
heit eintreten  soll.  Wollte  man  hier  noch  weitere  Variierung  und 
Rhythmisierung,  wie  es  allerdings  als  Regel  anzunehmen  ist,  so  waren 
diese  der  gemalten  Dekoration  aufgetragen.  Dass  sich  dieselbe  nur 
sehr  selten  erhalten  hat,  kann  nicht  Wunder  nehmen  (einiges  abge- 
bildet bei  Rupprich-Robert ,  Architecture  normande  pl.  166,  167,  wo- 
nach unsere  Taf.  312.  8;  ein  anderes  Beispiel  bei  Viollet-le-Duc  II,  507). 
Das  Prinzip  unterliegt  dennoch  keinem  Zweifel,  denn  es  lebt  in  der 
skulpierten  Dekoration  fort.  Am  besten  gerät  die  Verteilung  des 
Ornaments,  wenn  sie  streng  aus  der  tektonischen  Grundform  heraus 
entwickelt  wird,  wie  in  Taf.  312.  1.  4.  5—7.  Aber  keineswegs  immer 
wurde  das  eingehalten.  Es  kam  ebenso  häufig  vor,  dass  die  Grenze 
zwischen  dem  Kugel-  und  dem  Würfelabschnitt  ausser  Acht  gelassen 
und  beide  als  einheitliche  Ornamentationsfläche  behandelt  wurden 
(Taf.  297.  6,  312.  3). 

Das  Würfelkapitell  mit  seinem  von  aller  antiken  Ueberlieferung 
unabhängigen  Formencharakter  als  Abkömmling  eines  urgermanischen 
Holzbaues  anzusprechen  hat  für  viele  etwas  Verlockendes  gehabt.  Wir 
unsererseits  halten  diese  Hypothese  nicht  für  begründet  und  sind  auch 
durch  die  neueste,  sehr  gründliche  Verteidigung  durch  G.  Humann 
(Bonner  Jahrbücher,  98.  Heft  1888)  nicht  für  sie  gewonnen.  Gegen 
die  ältere  Ansicht  von  einem  zwischen  Säulenschaft  und  Gebälk  ein- 
geschobenen Klotz  war  triftig  erinnert  worden  (u.  a.  von  R.  Dohme), 
dass  sie  im  Holzbau  konstruktionswidrig  sei,  dass  etwaige  Kopf- 
verzierungen hier  gerade  aus  einem  Stück  gearbeitet  sein  müssten ;  die 
Holzarchitektur  kenne  kein  wahres  Kapitell,  sie  ersetze  es  durch  den 
Unterzugsbalken.  Diese  Einwände  erkennt  Humann  an.  Seine  Ab- 
leitung geht  vom  Ständerbalken  aus,  bei  dessen  Verwandlung  in  die 
Rundsäule  die  Enden ,  oben  und  unten ,  ihre  vierseitige  Gestalt  be- 
halten hätten.  Die  formale  Analogie  geben  wir  zu,  aber  nicht  die 
konstruktive.  Dem  Würfelkapitell  der  Steinsäule  ist  gerade  wesentlich, 
dass  es  ein  vom  Schafte  unabhängiger,  ein  über  ihn  ausladender 
Zwischenkörper  ist.  Humanns  Hypothese  könnte  nur  dann  ins  Ge- 
wicht fallen,  wenn  es  unmöglich  wäre,  das  Würfelkapitell  aus  der 
Steinkonstruktion  allein  zu  erklären.    Nun  haben  wir  aber  im  Obigen 

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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


nachgewiesen  (was  Humann  übersieht),  dass  das  Würfelkapitell,  so- 
weit es  historisch  zu  verfolgen  ist,  neben  und  mit  rein  und  un- 
zweifelhaft steinmässigen  Formen,  dem  pyramidalen  und  dem 
konischen  Kapitell,  auftritt,  dass  mannigfache  Uebergänge  zwischen 
ihnen  vorkommen,  dass  es  in  seiner  reinen  Gestalt  jünger  ist  als  jene, 
kurz  dass  es  nur  einen  unter  mehreren  parallelen  Lösungsversuchen 
darstellt.  Wäre  das  Würfelkapitell  eine  im  Holzbau  so  leicht,  beinahe 
unvermeidlich  sich  einstellende  Form,  so  hätte  es  im  Holzbau  selb- 
ständig weiterleben,  ja  von  Zeit  zu  Zeit  immer  wieder  spontan  neu- 
geschaffen werden  müssen  —  was  nicht  der  Fall  ist ;  so  müsste  weiter 
seine  Gestalt  auf  eine  wagerechte  Last,  auf  einen  Architrav,  hinweisen 
—  was  wiederum  nicht  der  Fall  ist.  Denn  das  haben  wir  ja  als  seinen 
spezifischen  Vorzug  erkannt,  dass  es  dem  Bogen,  mithin  einer  nur 
dem  Steinbau  gehörenden  Verbindung,  gemässer  ist  als  irgend  eine 
Kapitellform  sonst l). 

Die  Denkmälerüberlieferung  zeigt  nichts  davon,  dass  sich  das 
Würfelkapitell  etwa  von  einem  bestimmten  Zentralgebiet  aus  verbreitet 
hätte;  es  hat  durchaus  den  Anschein,  dass  es  an  verschiedenen  Orten 
spontan  entsprungen  ist.  Und  in  der  That  ist  die  Erfindung  als 
solche  so  einfach,  dass  sie  in  jedem  Augenblick  überall  gemacht  wer- 
den konnte,  wo  man  aus  irgend  einem  Grunde  die  Fühlung  mit  der 
klassischen  Tradition  verloren  oder  aufgegeben  hatte.  Wichtig  ist 
allein,  dass  das  künstlerisch  Bedeutsame  der  neuen  Form  lebendig 
empfunden  und  dass  ihr  im  Gesamtorganismus  der  richtige  Platz  an- 
gewiesen wurde.  In  diesem  Sinne  ist  das  Würfelkapitell  allerdings 
als  eine  germanische  Schöpfung  in  Anspruch  zu  nehmen;  aber  nicht 
als  eine  Schöpfung  der  Urzeit,  sondern  als  eine  der  für  den  roma- 
nischen Stil  grundlegenden  Epoche  am  Ende  des  ersten  Jahrtausends 
nach  Christo. 

H.  Hübsch,  Die  altchristlichen  Kirchen,  pl.  XXXI,  Fig.  4—7 
zeichnet  die  »Cisterne  der  tausend  Säulen e  in  Konstantinopel  mit 
regelrechten  Würfelkapitellen,  die  man,  von  ihrem  Orte  gelöst,  ohne 
Bedenken  zu  erregen,  für  deutsche  Arbeit  des  11.  oder  12.  Jahrhun- 
derts ausgeben  könnte.  Die  Datierung  auf  das  4.  Jahrhundert  ist  will- 
kürlich, wie  so  viele  Datierungen  von  Hübsch ;  ebenso  ist  nach  andern 
Leistungen  von  Hübsch  der  Argwohn  nicht  unbegründet,  dass  die 


l)  Lehrreich  sind  gewisse  Fenster-  und  EmporensäuJchen  in  englischen  Kirchen, 
vou  denen  wir  eine  auf  Taf.  298,  Fig.  9  abgebildet  haben.  Schaft  und  Basis  sind  hier 
unzweifelhaft  der  1  lolztechnik  genau  nachgebildet ;  das  Kapitell  macht  aber  nicht  den 
Eindruck,  als  wäre  es  mit  dem  Schaft  aus  einem  Stück  gearbeitet,  wie  es  sich  für  eine 
ursprüngliche  holzgemässe  Form  gehören  würde.  Die  hölzernen  Würfelkapitelle  nor- 
wegischer Kirchen  sind  nicht  autochtun.  sondern  anerkannterweise  aus  Mitteleuropa  ab- 
geleitet, müssen  also  ausser  Rechnung  bleiben. 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


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Zeichnung  über  die  Wirklichkeit  hinaus  der  Normalbildung  angenähert 
sei.  Soviel  Glauben  müssen  wir  aber  Hübsch  doch  schenken,  dass  es 
sich  um  wirkliche  Würfelkapitelle  und  an  einem  altbyzantinischen 
Bauwerk  handle.  Andre  Beispiele  haben  wir  in  den  uns  zur  Ver- 
fügung stehenden  Publikationen  nicht  gefunden.  Einen  interessanten 
Vergleich  bietet  aber  die  genau  als  umgestürztes  Würfelkapitell  ge- 
bildete steinerne  Basis  einer  Holzsäule  an  einem  modernen  Hause  auf 
Cypern  bei  Perrot  et  Chipiez,  Histoire  de  l'art  dans  l'antiquite*  III, 
P-  373»  worin  die  Verfasser  mit  Recht  einen  sehr  alten  Typus  erkennen. 

Im  Abendlande  steht  im  Rufe,  die  ältesten  Würfelkapitelle  zu  be- 
sitzen, die  Lombardei.  Die  allgemeine  Wahrscheinlichkeit  spricht 
ohne  Frage  dafür,  dass  man  in  diesem  an  mannigfache  Arten  und 
Abarten  pyramidaler  und  konischer  Kapitelle  gewöhnten  Gebiete  früh 
auch  auf  die  Würfelform  geraten  sein  werde;  ob  sich  aber  bei  dem 
unsicheren  Zustande  der  lorabardischen  Bauchronologic  bestimmte 
Exemplare  mit  Sicherheit  auf  die  Zeit  vor  a.  1000  fixieren  lassen 
könnten ,  ist  uns  sehr  zweifelhaft.  (Dartein  erklärt  für  die  ältesten, 
angeblich  saec.  8,  die  von  Aurona.)  Bezeichnend  sind  die  vielfältigen 
Schwankungen  der  Bildung;  es  kommen  ausser  den  halbkreisförmigen 
Seitenschildern  spitzbogige,  trapezförmige,  nach  dem  Karniesprofil  ge- 
schwungene vor  (Taf.  310.  1—5);  oder  die  Schilder  sind  nicht  senkrecht, 
sondern  schräg  gestellt,  oder  der  gerundete  Teil  ist  eiförmig,  trichter- 
förmig, muldenförmig  (wie  am  Chor  von  Murano  Taf.  240);  in  der 
Krypta  von  San  Leone  sehr  niedrig,  mit  weiter  Ausladung  und  dop- 
peltem Halsring,  offenbar  an  die  toskanische  Säule  anklingend.  Reine 
Bildungen  im  Sinne  der  nordischen  Fassung  treten  vor  E.  saec.  11 
kaum  auf  und  bleiben  gegenüber  den  korinthisierenden  oder  ganz 
phantastischen  Formen  stets  in  der  Minderzahl. 

Wäre  das  Würfel kapitell  nach  Deutschland  von  der  Lombardei 
eingewandert,  so  hätte  es  sich  zuerst  in  Süddeutschland  zeigen  müssen. 
Allein  es  hat  hier  weder  so  frühe  noch  je  so  allgemeine  Verbreitung 
gefunden ,  wie  am  Rhein  und  in  Sachsen.  Zwar  bis  auf  die  Karo- 
lingerzeit es  zurückzuführen,  wie  Humann  will,  scheint  uns  nach  Lage 
der  Denkmälerzeugnisse  nicht  gestattet.  Er  nennt  als  Belege  die 
Kirche  zu  Germigny-sur- Loire  und  die  Pfalzkapelle  in  Nymwegen. 
Der  erstere  Bau  ist  im  Laufe  der  Zeiten  wiederholt  restauriert  gewesen 
und  seit  1863  abgebrochen,  also  unkontrolierbar ;  da  Würfelkapitelle 
vor-  und  nachher  in  dieser  Gegend  unbekannt  sind,  glauben  wir  an 
einen  Irrtum,  sei  es  auf  Seiten  Humanns,  sei  es  auf  seiten  seiner  (un- 
genannten) Quelle.  Für  Nymwegen  hat  zuerst  Hermann  in  den  Bonner 
Jahrbüchern  Heft  77  S.  101  die  Würfelkapitelle  an  den  Teilungssäulen 
der  Empore  für  den  ursprünglichen  Bau  in  Anspruch  genommen;  in 
betreff  des  Bauteils  im  ganzen  mag  das  richtig  sein ;  es  beweist  aber 


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$4  Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 

nicht,  dass  nicht  die  Säulen  oder  mindestens  ihre  Kapitelle  bei  der 
Restauration  des  12.  Jahrhunderts,  wohin  die  Formbehandlung  sehr 
wohl  passen  würde,  ausgewechselt  worden.  Um  ein  annähernd  sicher 
datiertes  Beispiel  zu  finden,  müssen  wir  um  mehr  als  ein  Jahrhundert 
hinabsteigen,  bis  auf  den  Westbau  des  Münsters  zu  Essen  (Taf.  311.  8). 
Allen  übrigen  Bauüberresten  des'  10.  Jahrhunderts  ist  das  Würfel- 
kapitell fremd,  ein  der  Hypothese  des  Ursprungs  aus  dem  Holzbau 
sicherlich  wenig  günstiger  Umstand.  Dagegen  weist  ein  Teil  dieser 
primitiv-romanischen  Bauten  eine  andre  Kapitellform  auf,  bei  der  die 
Herübernahme  aus  der  Holztechnik,  speziell  der  Technik  der  Dreh- 
bank, allerdings  mehr  wie  wahrscheinlich  ist:  es  ist  das  die  in  Qued- 
linburg, Werden  und  wieder  in  Essen  zu  findende  Verbindung  eines 
unteren  flachen  Kelches  mit  einer  oberen  Scheibe  oder  abgeplatteten 
Halbkugel  (Taf.  304.  4).  Diesseits  des  Jahres  1000  verschwindet  dieses 
pilzförmige  Kapitell,  wie  man  es  etwa  nennen  mag,  vor  dem  Würfel- 
kapitell :  offenbar  doch  nur  deshalb ,  weil  man  in  diesem  eine  dem 
Steinbau  gemässere  Form  gefunden  hatte.  —  Das  erste  Gebäude  von 
Rang,  von  dem  wir  wissen,  dass  es  das  Würfelkapitell  nicht  mehr 
bloss  versuchsweise,  sondern  gleichmässig  an  allen  Bauteilen  durchge- 
•  führt  hat,  ist  S.  Michael  zu  Hildesheim  (Taf.  311.  3  und  348.  7).  Sehr 
bemerkenswert  ist,  dass  gerade  ein  Mann  wie  Bischof  Bernward,  der 
in  Italien  aufmerksam  gereist  war  und  von  der  Antike  mehr  verstand 
als  wahrscheinlich  irgend  einer  seiner  Landsleute,  hier  der  leitende 
Bauherr  war;  ihm  hätte  es  keine  Mühe  gemacht,  sich  leidlich  guter 
korinthischer  Modelle  zu  versichern;  wenn  er  nun  doch  zum  Würfel- 
kapitell griff,  so  muss  es  in  der  wohlerwogenen  Meinung  geschehen 
sein,  dass  sich  dieses  zu  der  neu  sich  entwickelnden  heimischen  Archi- 
tektur besser  schicke.  Nicht  anders  dachte  der  einflussreichste  Bau- 
intendant im  zweiten  Viertel  des  Jahrhunderts,  Poppo  von  Stablo ;  auch 
ihm  war  die  Baukunst  Italiens  und  Burgunds  wohl  bekannt ;  er  gab 
den  Säulen  seiner  Kirche  zu  Limburg  attische  Basen  von  so  rein  an- 
tiker Haltung,  wie  sie  in  Deutschland  noch  nicht  gesehen  waren ;  aber 
für  die  Kapitelle  wählte  er  die  Würfelform.  Und  ebenso  geschah  es, 
um  noch  zwei  der  bedeutendsten  Bauten  aus  den  vierziger  Jahren  zu 
nennen,  in  der  Klosterkirche  Hersfeld  und  in  S.  Maria  im  Kapitol  in 
Köln.  (Dagegen  ist  z.  B.  den  ältesten  Teilen  der  Dome  von  Mainz  und 
Trier,  Taf.  218,  das  Würfelkapitell  noch  fremd,  und  an  S.  Pantaleon 
in  Köln  ist  es  erst  unfertig  angedeutet.)  —  Alles  erwogen,  glauben 
wir,  dass  die  uns  vorliegenden  Denkmäler,  so  lückenhaft  ihre  Reihe 
ist,  doch  in  der  Hauptsache  von  der  Entwickelung  des  Würfelkapitells 
ein  richtiges  Bild  geben.  Wäre  es  ein  Eindringling  aus  der  niedern 
Sphäre  des  Holzbaues,  so  müsste  es  sich  zuerst  an  den  geringeren  und 
von  den  Kulturzentren  entfernteren  Bauten,  etwa  vom  Schlage  der 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


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Kirche  von  Gernrode,  zeigen,  so  wäre  die  Fortdauer  schwankender, 
noch  halb  in  der  Pyramidalgestalt  steckengebliebener,  also  mit  der 
Ableitung  im  Sinne  Humanns  unvereinbarer  Bildungen  im  ersten  Drittel 
des  11.  Jahrhunderts,  wie  in  den  Krypten  von  Quedlinburg,  Merse- 
burg, Zeitz  eine  unerklärliche  Erscheinung;  in  Wahrheit  aber,  wie  wir 
eben  gesehen  haben ,  sind,  es  in  der  künstlerischen  Kultur  sehr  hoch- 
stehende Bauten ,  in  denen  sich  der  Formgedanke  zur  Klarheit  ab- 
krystallisiert.    Das  Einfache  ist  nicht  immer  das  Ursprüngliche. 

Frankreich  zeigt  im  Kreise  der  tektonischen  Kapitellformen  ein 
buntes  Durcheinander,  aus  dem  sich  ein  so  prägnanter  Charakter,  wie 
das  deutsche  Würfelkapitell,  nicht  abklären  wollte.  Annäherungen  an 
das  letztere  sind  auf  den  Nordosten  (Reims,  Soissons,  Chdlons,  Vassy 
—  Taf.  310  und  Viollet-le-Duc  II)  beschränkt  und  offenbar  aus  dem 
Rheinlande  eingewandert,  während  im  Süden  Formen  wie  Taf.  310.  8 
auf  die  Lombardei  hindeuten. 

Erst  in  England  wieder  gelangt  das  Würfelkapitell  zu  typischer 
Geltung.  Ob  es  von  den  Angelsachsen  ganz  selbständig  ausgebildet 
oder  ob  es  durch  frühe  festländische  Anregungen  befördert  sei,  diese 
Frage  wird  sich  schwerlich  entscheiden  lassen.  Sicher  ist  nur,  dass 
nicht  die  Normannen  es  waren ,  die  es  eingeführt  haben ;  denn  dem 
älteren,  festländischen  Zweige  ihrer  Architektur  war  es  so  gut  wie 
fremd  Das  normannische  System,  auf  dessen  massige  Pfeilersäulen 
es  nicht  anwendbar  war,  hat  seinen  Gebrauch  eher  beschränkt;  wo 
aber  an  andern  Stellen ,  in  Emporen ,  Krypten ,  Kreuzgängen ,  Arka- 
turen  u.  s.  w.  die  Säule  ihre  normale  Gestalt  beibehielt ,  da  blieben 
auch  die  Würfelknäufe  in  höchster  Beliebtheit.  Die  Konstruktion  geht 
teils  von  der  Halbkugel  aus  und  kommt  dann  der  deutschen  Fassung 
ganz  nahe  (Taf.  298.  5.  9,  310.  14,  312.  1),  teils  und  wohl  noch  häufiger 
vom  Kegel,  genauer  gesagt  von  vier  ineinander  geschobenen  Kegeln, 
so  dass  in  den  Diagonalen  scharf  einschneidende  Falten  entstehen 
(wie  es  Taf.  88.  3  trotz  des  kleinen  Massstabes  der  Zeichnung  erkennen 
lässt;  vgl.  die  deutsche  Spielart  Taf.  311.  3). 

Nun  haben  wir  noch  einige  Abarten  und  Komplikationen  zu  be- 
trachten. Gerade  England  war  in  ihrer  Hervorbringung  fruchtbar.  Zu- 
nächst ein  sehr  häufiger  Fall  ist  die  Zerlegung  der  Seitenflächen  in  zwei 
Halbkreisschilder  (Taf.  310.  12).  Wird  die  Teilung  in  derselben  Weise 

')  Dieser  Umstand  allein,  von  anderen  zu  schweigen,  genügt,  um  die  Hypothese 
Ruprich-Robert  (L'architecture  normande,  p.  175)  hinfällig  zu  machen,  derzufolge  das 
Würfelkapitell  seine  Urheimat  in  Skandinavien  gehabt  habe  und  von  hier  aus  erst  in  die 
Bauschulen  Mitteleuropas  eingewandert  sein  soll.  Der  wahre  Verhalt  ist  der  umgekehrte. 
Was  wir  von  altskandinavischer  Baukunst  kennen,  geht  Uber  das  12.  Jahrhundert  nicht 
hinaus  und  ist,  selbst  mit  Einschluss  der  bekannten  Holzkirchen,  eine  Umformung  der 
romanischen  Formen  Deutschlands ,  Frankreichs  und  Englands ;  vgl.  das  Holzkapitell 
Taf.  312.  5. 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


fortgesetzt  und  dadurch  die  Zahl  der  Halbkreise  vermehrt,  aber  ihr 
Radius  verringert,  so  entsteht  die  unter  dem  Namen  des  Pfeifen-  oder 
Faltenkapitells  bekannte  Form  (Taf.  310.  13.  15.  16);  sie  ist  von 
England  in  die  festländische  Normandie  eingedrungen  und  kommt  ver- 
sprengt auch  in  Deutschland  vor  (Dome  zu  Minden  und  Braunschweig, 
U.  L.  F.  in  Halberstadt,  Petronell  und  Deutsch  Altenburg  in  Oester 
reich,  Schottenkirche  zu  Regensburg  Taf.  3.  5.  7;  die  aus  vier  Wür- 
feln zusammengesetzte  Form  mit  sehr  englischem  Gepräge  in  den 
Krypten  von  U.  L.  F.  in  Maastricht  T.  190  und  S.  Veit  in  Gladbach). 
Für  die  schweren  Rund-  oder  Bündelpfeiler  der  englisch  normannischen 
Kirchen  erwies  sich  das  Pfeifenkapitell  in  der  Dehnbarkeit  seiner  Pro- 
portionen recht  bequem,  aber  an  Bestimmtheit  des  organischen  Cha- 
rakters fehlt  es  ihm  ebenso,  wie  dem  Gruppenkapitell  Taf.  310.  11.  — 
In  Deutschland  ist  die  Zahl  der  Abarten  kleiner  und  sie  sind  auf 
wenige  Schulen  lokalisiert.  Der  vierteilige  Würfel  (Taf.  312.  2)  ist  eine 
Charakterfigur  des  Elsass;  ausserdem  unsres  Wissens  nur  in  den  oben- 
genannten niederrheinischen  Kirchen  vorkommend.  Das  achtseitige 
Prisma  (Taf.  311.  10)  gehört  der  Schule  des  Bodensees ').  Endlich  das 
sogenannte  Trapezkapitell  (Taf.  311.  13.  14)  ist  ein  Attribut  des  Back- 
steinbaus und  kam  mit  diesem,  wie  wir  glauben ,  aus  der  Lombardei. 
Hier  finden  sich  in  Ziegelstein  gemauert  wohl  auch  normale  Würfel- 
kapitelle (Pavia,  Piacenza),  doch  hat  in  diesem  Kleinmaterial  jede 
stärkere  Ausladung,  zumal  wenn  sie  als  Kragstein  dient,  ihr  sehr  miss- 
liches. Man  nahm  deshalb  die  Seite  des  Würfels  nicht  grösser  an, 
als  den  Durchmesser  des  Schaftes  und  fand  es  bequemer,  die  Seiten- 
schilder geradlinig  zu  begrenzen,  so  dass  Dreiecke  oder,  mit  Abstutzung 
der  nach  unten  gekehrten  Spitze,  Trapeze  entstanden.  Ein  sehr  frühes 
Beispiel,  vielleicht  noch  etwas  vor  und  jedenfalls  nicht  weit  nach  dem 
Jahre  1000,  in  gemischtem  Material  ausgeführt,  zeigt  die  Kirche  S.  Lo- 
renzo  in  Verona  (Taf.  310.  5).  An  den  romanischen  Backsteinbauten 
Norddeutschlands  (Jerichow  ,  Arendsee  ,  Schönhausen  ,  Ratzeburg, 
Lehnin  u.  s.  w.)  begegnet  es  uns  fast  regelmässig.  —  Wieder  eine 
andre  Abart  oder  richtiger  Nebenform  ist  die  Verbindung  von  Würfel 
und  Kelch  (Taf.  312.  10).  Sie  kommt  nur  in  reich  dekorierter  Fassung 
vor  und  ist  zeitlich  durch  den  Uebergangsstil  begrenzt.  Wegen  der 
Achnlichkeit  mit  gewissen  Kapitellformen  der  mohammedanischen  Bau- 
kunst wird  sie  als  ein  Erwerb  der  Kreuzfahrer  angesehen. 


')  Es  kommt  dann  noch  einmal  an  einem  weit  entlegenen  Orte ,  am  Dom  von 
Goslar  vor  (Abb.  bei  MithofT,  Archiv  III,  1  —  3).  Uns  erscheint  dadurch  die  Ver- 
mutung nahe  gelegt,  dass  der  durch  seine  Kenntnisse  im  Baufach  berühmte  Benno,  nach- 
mals Bischof  von  Osnabrück,  an  diesem  Werke  beteiligt  gewesen;  er  war  Schwabe  von 
Geburt,  in  der  Schule  von  Reichenau  erzogen,  und  um  die  Zeit,  als  am  Dom  zu  Goslar 
gebaut  wurde,  daselbst  Erzpriester  und  königlicher  Amtmann. 


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Sechzehntes  Kapitel  :  Einzelglieder  und  Dekoration. 


687 


DIE  FIGURENKAPITELLE,  in  ihren  Anfängen  bis  ins  sinkende 
Altertum  zurückreichend ,  erwerben  sich  in  der  romanischen  Bau- 
ornamentik einen  breiten  Platz.  Dennoch  können  wir  sie  nicht  als 
eine  selbständige  Klasse,  auf  gleicher  Linie  mit  den  beiden  oben  be- 
handelten stehend .  ansehen ,  denn  ihre  Eigentümlichkeit  liegt  allein 
im  Ornament.    Wir  versuchen  folgende  Arten  zu  unterscheiden. 

Die  erste  mischt  die  Menschen-  oder  Tierfiguren  oder  Halb- 
figuren mit  dem  regelmässig  disponierten  Blattwerk,  ist  also  eine 
Spielart  des  korinthisierenden  Kapitells  (Taf.  344.  4;  freier  345.  1, 
354.  1 — 3.  9.  10).  —  Die  zweite 
gibt  schon  den  figürlichen  Bestand- 
teilen das  Uebergewicht ,  ordnet 
es  aber  so  an,  dass  die  Haupt- 
linien den  gleichen  Verlauf  mit 
den  vom  Blätterkapitell  her  ge- 
wohnten nehmen.  So  z.  B.  bei 
dem  schönen  Kapitell  aus  dem 
Chor  von  Saint-Gilles  (Taf.  337.  1) 
hat  der  Kopf  der  Engel  die  Stelle 
der  Stirnblume,  nehmen  die  Flü- 
gel die  Richtung  der  Eckranken. 
Gewöhnlicher  ist  die  Disposition, 
dass  die  Köpfe  unter  die  Ecken 
des  Abakus  zu  stehen  kommen; 
bei  freistehenden  Säulen  nach  der 
Diagonale  gerichtet  und  manch- 
mal zwei  Rümpfe  in  einen  gemeinschaftlichen  Kopf  vereinigend 
(Taf.  325.  6.  7,  333.  2,  334.  6);  bei  Halbsäulen  frontal  (Taf.  335. 
3.  337-  2)-  —  Die  dritte  Art  schliesst  sich  eng  den  Umrissen  des 
Würfelkapitells  an  (Taf.  349.  4).  —  Die  vierte,  die  historiierten 
Kapitelle  im  engeren  Sinne  umfassend,  sieht  von  allen  tektonischen 
Beziehungen  in  der  Anordnung  der  Figuren  ab  und  stellt  das  gegen- 
ständliche Interesse  an  die  Spitze;  eine  zusammenhängende  Bilder- 
folge, z.  B.  aus  der  Genesis  oder  aus  dem  Leben  Jesu,  wird  in  der 
Weise  entwickelt,  dass  jede  Seite  des  Kapitells  eine  besondere  Scene 
erhält,  und  am  nächsten  Kapitell  der  Faden  der  Erzählung  weitergeführt 
wird  (Taf.  338.  2,  344.  1.  3).  An  strengere  Responsion  der  Flächen 
untereinander  kann  nicht  mehr  gedacht  werden,  ja  nicht  einmal  inner- 
halb der  einzelnen  Flächen  wird  die  Symmetrie  der  Komposition  auf- 


Ani.ir.c. 


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638  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

recht  gehalten  (vergl.  beistehendes  Kapitell  aus  dem  Kloster  Aniane). 
Die  einzige  Regel,  die  festgehalten  wird,  ist  die,  dass  die  Ausladungen 
der  plastischen  Form  über  eine  dem  Kern  parallel  laufende  Ebene 
nicht  hinausgreifen  dürfen;  eher  noch  gibt  man  den  Figuren  eine 
naturwidrige  Biegung,  wie  den  Greifen  auf  Taf.  335,  Fig.  2,  oder 
lässt  einzelne  Körperteile  verkümmern,  wie  bei  den  Kentauren  ebenda 
Fig.  3.  Ausserdem  ist  zu  bemerken,  dass  es  sich  meistens  um  die 
Kapitelle  eingebundener,  selten  nur  um  die  freistehender  Säulen 
handelt,  wodurch  die  Verstösse  gegen  die  natürlichen  Stilgesetze  um 
einiges  weniger  empfindlich  werden.  Die  Schulen,  die  dieser  üppigen 
Dekorationsweise  vornehmlich  ergeben  sind,  sind  die  auvergnatische 
und  burgundische,  in  zweiter  Linie  die  der  Provence,  des  Languedoc 
und  der  Lombardei,  während  das  übrige  Italien  und  Deutschland  ihr 
wenig  Zugang  gewähren.  Von  den  zornigen  Strafreden  des  H.  Bern- 
hard und  der  dadurch  hervorgerufenen  erfolgreichen  Opposition  haben 
wir  oben  S.  523  gehandelt. 

Die  KAMPFERPLATTEN  sind  ein  Zubehör  des  romanischen 
Kapitells,  das  keiner  Art  desselben  fehlen  darf1);  ist  das  hin  und 
wieder  dennoch  der  Fall,  so  fällt  das  ungehörige  des  Mangels  so- 
gleich in  die  Augen.  Man  hat  die  Kämpferplatte  nicht  als  Amplifi- 
kation  des  Abakus,  überhaupt  nicht  als  Teil  des  Kapitells  anzusehen, 
sondern  als  ein  selbständiges  Zwischenglied  zwischen  ihm  und  den 
Bogenan fangern.  Der  Abakus  wird  deshalb  auch  nicht  verdrängt;  die 
französische  Kunst  hält  an  der  korinthischen  Form  desselben  bis  ans 
Ende  des  12.  Jahrhunderts  fest  (Beispiele  anstatt  vieler  Taf.  344\ 
während  in  Deutschland  eine  schlichte  Plinthe  für  genügend  befunden 
wurde.  Die  Kämpferplatte  formiert  sich  in  zwei  Gliedern :  das  untere 
ausladend,  durchschnittlich  in  einem  Winkel  von  45  °,  das  obere  mit 
senkrechten  Seitenflächen;  das  untere  dekoriert,  das  obere  glatt.  Die 
Dekoration  besteht  entweder  in  einem  laufenden  Ornamente,  das  in 
älterer  Zeit  malerisch,  in  jüngerer  plastisch  ausgeführt  wird,  oder  in 
Simswerk.  (Für  beides  geben  unsere  Abbildungen  so  zahlreiche  Bei- 
spiele, dass  wir  von  Beschreibung  absehen  dürfen.)  Das  Grössen- 
verhältnis  ist  nach  echt  romanischer  Weise  keiner  Regel  unterworfen, 
sondern  wechselt  je  nach  dem  Bedürfnis  der  individuellen  Charakteristik ; 
die  Mächtigkeit  übersteigt  nicht  selten  die  Hälfte  der  Kapitellhöhe  und 

')  Auf  unseren  Tafeln  sind  sie  häufig  der  Raumersparnis  halber  nicht  mitgeieichnet, 
ohsohon  das  Original  sie  besitzt  ;  oder  es  wurde  bei  Restaurationen  von  ihrer  Erneuerung 

abgesehen. 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


689 


geht  kaum  über  ein  Viertel  derselben  zurück;  dementsprechend  das 
relative  Mass  der  Ausladung.  —  Die  ältesten  Kämpfer  erinnern  noch 
zuweilen  an  die  byzantinischen  (Taf.  303.  7);  häufiger  jedoch  war 
das  Vorbild  das  verkröpfte  Gebälk  römischer  Gewölbebauten,  das  nun 
auf  freistehende  Säulen  übertragen  wurde  (gerade  wie  es  in  der  Früh- 
renaissance; Beispiele  Taf.  311.  2.  3,  348.  5  —  8).  —  Der  Zweck  ist 
zunächst  ein  technischer:  Schutz  gegen  Abbröckeln  der  Ecken  unter 
dem  Druck  der  Mauer,  Ausgleichung  unregelmässiger  Abmessungen 
des  Bogenfusses;  dann  ein  ästhetischer:  Gewinnung  einer  kräftigen 
Horizontalcäsur,  die  nirgends  besser  hinpasst,  als  hier  an  den  Punkt, 
wo  die  Umschwingung  des  Bogens  sich  vom  senkrechten  Verlauf  der 
Stütze  absetzt.  Wo  mit  kleinen  Säulchen  eine  unverhältnismässig 
starke  Mauer  zusammentrifft,  in  Kreuzgängen,  Zwerggalerien  und  an 
den  Schallöffnungen  der  Türme,  erweitert  sich  die  Kämpferplatte  in 
der  Weise,  wie  es  Taf.  353.  6  und  349.  8  anzeigen. 

3.  Der  Pfeiler. 

Von  der  Stellung  und  Verrichtung  des  Pfeilers  im  romanischen 
Konstruktionssystem  haben  wir  nicht  mehr  zu  sprechen,  nur  von  seinen 
formalen  Eigenschaften.  In  ersterer  Hinsicht  der  Säule  nahe  stehend, 
ist  er  in  letzterer  ein  Verwandter  der  Mauer:  das,  was  nach  Durch- 
brechung der  Mauer  durch  die  Bogenöffnungen  als  notwendige  Stütze 
übrig  bleibt;  also  nicht  Freistütze  von  Haus  aus,  nicht  ein  abge- 
schlossen in  sich  selbst  ruhendes  Gebilde.  Der  Pfeiler  ist  schicht- 
weise aus  Quadern  aufgemauert *) ,  in  gleicher  Stärke  mit  der  Sarg- 
mauer, die  er  trägt.  Er  ist  einseitig  im  Querschnitt.  Er  hat  die- 
selben Fuss-  und  Kopfglieder,  d.  i.  Gesimse,  wie  die  Mauer  auch. 
Das  sind  die  einfachen  Bestimmungen,  welche  die  Römer  dem  Pfeiler 
gegeben  hatten  und  welche  wir  unverändert  an  den  karolingischen 
Bauten  wiederfinden  (z.  B.  in  Michelstadt  und  Seligenstadt,  beistehend 
Fig.  1 ,  2).  Durchblättert  man  die  in  unserem  Atlas  zahlreich  mit- 
geteilten Grundrisse  und  Systeme  flachgedeckter  romanischer  Basiliken, 
so  wird  man  finden,  dass  sowohl  rechteckige  als  quadratische  Pfeiler- 
durchschnitte vorkommen,  die  letzteren  jedoch  weitaus  bevorzugt  werden. 
Der  Grund  ist  der,  dass  sie  die  Eigenschaft  des  Pfeilers  als  Freistütze 
in  praktischer  wie  in  ästhetischer  Hinsicht  ungleich  vollkommener  aus- 
sprechen; in  praktischer,  weil  sie  Verkehr  und  Durchsicht  aus  dem 

')  Bei  etwas  grösseren  Dimensionen  in  Füllmauerwerk,  vgl.  die  Figuren  S.  442 
und  605. 


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690 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Haupt-  ins  Nebenschiff  am  wenigsten  behindern;  in  ästhetischer,  weil 
sie  die  am  festesten  in  sich  geschlossene  Form  ergeben.  Durch 
einseitige  Steigerung  dieser  Momente  entsteht  der  Rundpfeiler;  von 
ihm  reden  wir  zum  Schluss. 

Für  die  Anordnung  des  Pfeilergesimses  kommen  zwei  Fälle  in 
Betracht:  entweder  werden  damit  bloss  die  zwei  unter  den  Bogen  be- 
findlichen Seiten  des  Pfeilers  begabt  —  oder  es  wird  an  vier  Seiten 
ringsum  geführt  (auch  fehlt  wohl  an  einigen  Bauten  der  Frühzeit,  z.  B. 
Taf.  44.  3.  6,  das  Gesimse  überhaupt).  Die  erstere  Fassung  (Taf.  44.  1 .  5 
ist  die  den  Römern  abgelernte  und  erhält  sich  als  niederrheinische 
Eigentümlichkeit  bis  in  die  späteste  Zeit  (Taf.  182,  1  —  5).  Die  zweite 
ist  die  für  den  romanischen  Stil  normale.  In  der  Einzelausbildung 
gibt  es  eine  ganze  Stufenleiter  von  der  einfachen  Platte  mit  Schminge 
—  diese  immer  mit  bemaltem  Ornament  zu  denken,  in  jüngerer  Zeit 
skulpiert  —  bis  zu  reichen  Zusammensetzungen.  Die  Elemente  für 
letztere  sind:  der  Rundstab,  die  Hohlkehle,  der  Rinnleisten  (im  10. 
und  1 1.  Jahrhundert  von  besonders  steiler  Haltung),  letzterer  bald 
normal,  bald  verkehrt;  als  Zwischenglied  immer  ein  dünnes,  recht- 
winklig profiliertes  Plättchen.  In  der  Frühzeit  suchen  wenigstens  die 
vornehmeren  Bauten  ihre  Auszeichnung  in  der  Häufung  jener  Glieder: 
später  ist  ein  beliebtes  Schema  das  der  attischen  Basis,  nur  in  umge- 
kehrter Reihenfolge  der  Elemente  (man  vergleiche  z.  B.  in  der  Lieb- 
frauenkirche zu  Halberstadt  unter  Fig.  9  das  ursprüngliche,  unter  Fig.  10 
das  später  durch  Stucküberzug  hergestellte  Profil).  Unter  den  deutschen 
Schulen  steht  die  sächsische,  unter  den  gallischen  die  burgundische, 
was  die  an  die  Gesimsbildung  gewendete  Sorgfalt  betrifft,  obenan. 

Die  Beispiele  für  das  oben  Ausgeführte  wolle  man  sich  auf  unsren 
Tafeln  zusammensuchen ,  wobei  auch  die  Deckplatten  der  Säulenkapi- 
telle, weil  dem  gleichen  Prinzip  folgend,  nicht  übersehen  werden  dürfen. 
Zur  Ergänzung  geben  wir  auf  S.  691  die  Details  aus  folgenden  Bauten 
1.  Michelstadt  a.  827;  2.  Seligenstadt  a.  828;  3.  Ingelheim,  nach  M. 
saec.  10;  4.  Hersfeld  a.  1040;  5.  Köln,  Apostclkirche ,  E.  saec.  12; 
6.  Boppard,  A.  saec.  13;  7.  Mainz,  S.  Gothard,  A.  saec.  12;  8.  Qued- 
linburg, saec.  1 1 ;  9.  Halberstadt,  Liebfrauen,  M.  saec.  12;  10.  Ebenda. 
Stucküberzug,  A.  saec.  13;  n.  Mandelsloh,  saec.  12;  12.  Regensburg, 
Portal  an  S.  Emmeram,  M.  saec.  11;  13.  Regensburg,  Empore  von 
S.  Stephan,  M.  saec.  11. 

Wenn  im  allgemeinen  der  Gebrauch  des  glatten  Pfeilers  mit 
dem  der  hölzernen  Flachdecke  zusammenfällt,  so  ist  der  gegliederte 


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Sechzehntes  Kapitel:  Eimelglieder  und  Dekoration. 


691 


692 


Zweites  Buch  :  Der  romanische  Stil. 


Pfeiler  eine  Folgeform  der  Gewölbekonstruktion.  Aber  es  gibt  Aus- 
nahmen nach  beiden  Seiten.  Glatte  Pfeiler  sind  am  Niederrhein  und 
in  anderen  Gegenden  bei  den  Cisterciensern  eine  sehr  gewöhnliche 
Erscheinung  bis  ins  13.  Jahrhundert  und  gegliederte  Pfeiler  rinden  sich 
schon  zu  Zeiten  und  an  Orten,  wo  von  Einwirkung  des  Gewölbe- 
baues noch  nicht  die  Rede  sein  kann.  Es  handelt  sich  um  Motive, 
die  ihrer  Natur  nach  mehr  der  Bearbeitung  des  Holzes  als  der  des 
Steines  geläufig  sind.  Das  einfachste  derselben  ist  die  Abfasung  der 
Ecken.  Beispiele:  Taf.  84.  8,  85.  1,  Textfiguren  S.  274  und  beistehend 
A.  119.  Einen  Wechsel  komplizierterer  Profile  zeigt  Taf.  313,  Fig.  7,  8. 
Wieder  andere,  ebenfalls  an  die  Holztechnik  gemahnende  Formen 
haben  die  Pfeiler  in  den  frühromanischen  Krypten  von  Merseburg, 
Verden,  Emmerich,  Essen  (Abb.  bei  Otte,  Deutsche  Baukunst  S.  187, 
201  und  unsere  Taf.  313,  Fig.  9).  Dass  wir  sie  gerade  in  Krypten 
finden,  ist  schwerlich  ein  Zufall ;  für  die  grossen  Pfeiler  der  Oberkirche 
hätten  sich  diese  spielenden  Motive  nicht  geziemt;  hier  mussten  ein- 
fachere und  dem  Charakter  des  Steines  besser  Rechnung  tragende 
Bildungen  eintreten.  Der  eine,  im  sächsischen  Provinzialismus  sehr 
gefällig  ausgebildete  und  auch  in  den  Gewölbebau  hinübergenommene 
Typus  besteht  darin,  dass  die  ausgekehlten  vier  Kanten  des  quadra- 
tischen Pfeilers  mit  ebenso  viel  schlanken  Säulchen  gefüllt  werden: 
Taf.  58,  6.  3,  313.  3.  Der  andere  lässt  an  den  Arkadenseiten  des 
Pfeilers  je  eine  Halbsäule  aus  der  Fläche  vorspringen,  während  die 
dem  Mittel-  und  Seitenschiff  zugewandte  Seite  glatt  bleibt :  Taf.  59.  3, 
61.  5,  85.  5.  3,  313.  4.  Beide  Arten  kombiniert  in  Taf.  313.  1. 
2.  5.  6.  Die  reichste  Gliederung  innerhalb  des  Flachdeckbaues  findet 
sich  in  England;  sie  kommt  aber  an  dieser  Stelle  nicht  in  Frage, 
da  das  romanische  System  ursprünglich  mit  dem  Gedanken  an  Ge- 
wölbe entworfen  war. 

Erst  unter  dem  Einfluss  der  thatsächlich  durchgeführten  Gewölbe- 
konstruktion tritt  die  Pfeilergliederung  aus  dem  dekorativen  Gebiet 
heraus  und  gewinnt  struktiv-organische  Bedeutung.  Unsere  Abbildungen 
zu  den  Kapiteln  8  — 14  geben  ein  reichliches  Anschauungsmaterial, 
das  die  Umschreibung  mit  Worten  überflüssig  macht.  Hier  sei  nur 
auf  die  leitenden  Gesichtspunkte  aufmerksam  gemacht.  Die  Aufgabe 
war,  allgemein  ausgedrückt,  die,  einerseits  den  Pfeiler  mit  den  Ge- 
wölbeträgern in  Beziehung  zu  setzen,  andererseits  ihm  den  Charakter 
eines  in  sich  selbständigen  Gebildes  zu  lassen.  Noch  sehr  primitiv  ist 
sie  im  älteren  deutschen  System  (Mainz,  Speier  u.  s.  w.)  gelöst,  in 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


C>93 


dem  nur  diejenigen  Seiten  des  Pfeilers  Vorlagen  erhalten ,  welche 
direkt  einem  Gewölbegurt  entsprechen,  die  andern  aber  —  die  unter 
den  Scheidbogen  befindlichen  immer,  an  den  Zwischenpfeilern  des 
gebundenen  Systems  auch  die  gegen  das  Mittelschiff  gerichteten  in  der 
Regel  —  glatt  bleiben.  Hier  stehen  sich  der  eigentliche  Pfeiler  und 
seine  Vorlagen  noch  spröde  gegenüber.  Sollte  der  Eindruck  des  von 
aussen  her  hinzugekommenen  überwunden  werden,  so  mussten  die 
Vorlagen  nach  allen  vier  Seiten  des  Pfeilers  polysymmetrisch  sich  aus- 
breiten. Der  kreuzförmige  Grundriss  gibt  dafür  das  einfachste  Schema 
(Taf.  314),  dasselbe  kann 
sich  dann  durch  eine  zweite 
Ordnung  von  Vorlagen  er- 
weitern, die  bald  als  Pilaster 
(Fig.  3),  bald  als  Halbsau- 
len (Fig.  2  a)  gestaltet  sind ; 
oder  es  werden  bei  stärkerer 
Ausladung  der  Kreuzesarme 
in  dem  Winkel  Dreiviertel- 
säulen eingeschoben  (Fig. 
2  b) ;  oder  es  werden  diese 
beiden  Anordnungen  kom- 
biniert (Fig.  5  —  7).  Der 
Charakter  schattiert  sich 
mannigfaltig  ab,  je  nach- 
dem die  geraden  Flächen 
des  Kernes  mehr  hervor- 
treten oder  mehr  die  Rundglieder.  Weitere  Unterschiede  ergeben 
sich  aus  der  Anlage  des  Deckgesimses.  Am  gewöhnlichsten  wird 
dasselbe  auf  der  Mittelschiffsseite  vom  Gewölbeträger  durchschnitten; 
schöner,  wiewohl  seltener,  ist  es,  wenn  das  Deckgesimse  ringsum 
geführt  und  damit  der  untere  Abschnitt  des  Dienstes  enger  an  den 
Pfeiler  geknüpft  wird  (beste  Beispiele  in  Burgund).  Für  die  Pro- 
portionen gibt  es  keine  allgemeine  Regeln;  zu  beachten  ist,  dass  als 
Faktoren  des  Eindrucks  nicht  nur  das  Verhältnis  des  Durchmessers 
zur  Höhe,  sondern  auch  das  Verhältnis  dieser  beiden  zur  Weite  der 
ArkadenöfFnung  in  Frage  kommen. 

Der  Rundpfeiler  entfernt  sich  von  der,  wie  wir  oben  gesehen 
haben,  in  der  Natur  der  Gattung  begründeten  Verwandtschaft  mit  der 
Mauer  am  weitesten.    Was  ihn  gleichwohl  immer  hindert,  mit  der 


Carcawonne. 


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694 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Säule  zusammenzufassen ,  sind  die  verschiedenen  Proportionen ,  und 
ist  noch  mehr  die  verschiedene  Auffassung  der  Fuss-  und  Kopfglieder ; 
diese  bewahren  den  gesimsartigen  Charakter.  (Eine  merkwürdige  Ver- 
wendung der  Konsole  in  der  Kathedrale  von  Carcassonne  zeigt  die 
beistehende  Figur.)  Rundpfeiler  sind  in  Frankreich  und  Oberitalien 
nicht  gerade  selten,  doch  immer  eine  Abweichung  von  der  Regel; 
dagegen  gang  und  gäbe  im  englisch-normannischen  Stil.  Auch  die 
Rundpfeiler  können  zu  Gliederpfeilern  erweitert  werden.  Dem  kreuz- 
förmigen Pfeiler  analog  die  Durchdringung  von  vier  Kreisen,  ziemlich 
häufig  in  den  Hallenkirchen  Westfrankreichs,  s.  S.  361,  Fig.  6;  die 
aus  den  Segmenten  von  abwechselnd  grossen  und  kleineren  Kreisen 
zusammengesetzten  Pfeiler  von  S.  Remy  in  Reims  (S.  275)  sind  für 
Frankreich  singulär,  etwas  häufiger  in  England,  z.B.  Taf.  313.  10 ; 
noch  bezeichnender  die  Fassungen  Taf.  314.  5.  6  b. 

4.  Die  Fenster. 

In  Bezug  auf  relative  Grösse,  Verhältnis  von  Höhe  und  Breite, 
Verteilung  auf  der  Wandfläche,  Art  des  Verschlusses  machen  die 
Fenster  im  romanischen  Kirchenbau  mannigfaltige  (an  früheren  Stellen 
schon  besprochene)  Abwandlungen  durch;  unveränderlich  und  aus- 
nahmefrei ist  die  Halbkreisform  des  oberen  Abschlusses.  Sie  war  be- 
reits im  altchristlichen  Stil  zur  Regel  durchgedrungen.  Das  spezifisch- 
mittelalterliche Moment  liegt  im  Ausschnitt  der  Gewände.  Derselbe 
ist  verschrägt,  d.  h.  er  schneidet  die  Wandfläche  nicht,  wie  es  die 
antike  und  auch  noch  altchristliche  Regel  gewesen  war,  im  rechten, 
sondern  in  einem  stumpfen  Winkel.  Diese  Anordnung  ist  ein  Ab- 
kommen zwischen  den  auf  möglichst  geringe  Durchbrechung  der  Mauern 
hindrängenden  technischen  Gewohnheiten  und  der  Lichtarmut  des 
nordischen  Himmels.  Man  betrachte  die  Querschnitte  Taf.  295.  1 
und  8:  —  in  dem  einen  Fall  ist  die  Mauer  viermal,  in  dem  anderen 
dreimal  so  dick,  als  die  Oeffnung  im  Lichten  weit  ist;  es  ist  klar, 
dass  diese  Fenster,  hätten  sie  rechtwinkligen  Ausschnitt  erhalten,  so 
gut  wie  wirkungslos  hätten  bleiben  müssen,  wogegen  durch  die  Ab- 
schrägung der  Spielraum  des  Lichtes  ganz  beträchtlich  vergrössert. 

Zwei  Arten  der  Verschrägung  waren  im  Gebrauch:  die  eine 
doppelseitig,  nach  innen  und  nach  aussen  sich  erweiternd,  so  dass 
der  engste  Teil  des  Durchbruchs  sich  in  der  Mitte  der  Mauerdicke 
befindet  (Taf.  295.  1);  die  andere  nur  nach  innen  sich  erweiternd, 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


wodurch  der  äusseren  Ansicht  wenigstens  der  Schein  des  rechtwinkligen 
.Ausschnittes  bewahrt  wird  (Taf.  295.  3).  Beide  Arten  sind  durch 
feste  geographische  Grenzen  geschieden  und  dulden  innerhalb  ihres 
Gebietes  fast  keine  Ausnahmen.  Die  erstere  hat  Deutschland  nebst 
Oberitalien  und  Burgund  im  Besitz,  die  zweite  das  übrige  Italien  und 
Gallien  (Nordfrankreich  schwankt),  sowie  Spanien  und  England. 

Diese  Unterschiede  bilden  auch  die  Grundlage  für  die  mannig- 
faltigen Arten  dekorativer  Ausstattung.  In  der  Lombardei  und  in 
Deutschland,  zunächst  am  Rhein,  wurde  es  im  12.  Jahrhundert  be- 
liebt, an  der  Apsis  oder  sonst  an  einzelnen  auszuzeichnenden  Stellen 
(sehr  selten,  wie  am  Dom  von  Worms,  in  der  ganzen  Folge  der 
Langhausfenster)  der  Aussenschräge,  die  für  gewöhnlich  glatt  war,  ein 
bewegtes,  aus  Rundstäben,  Hohlkehlen  und  Plättchen  zusammen- 
gesetztes Profil  zu  geben  (Taf.  295.  4.  5);  natürlich  mit  Ausschluss 
der  Sohlbank,  die  in  ihrer  Eigenschaft  als  Wasserschräge  glatt  bleiben 
musste  —  in  charakteristischem  Unterschied  von  der  gewöhnlich  all- 
seitig gleich  profilierten  Fensterumrahmung  der  Antike.  Verhältnis- 
mässig leicht  ist  die  Ausführung  in  der  Backsteintechnik,  welche  denn 
auch  dieser  Aufforderung  gern  nachgibt  (Taf.  296.  1).  Ein  zweites, 
mit  dem  obigen  nach  Wunsch  verschmelzbares  Motiv  ist  das  flache 
Rahmenwerk;  heimisch  in  der  Lombardei  und  Süddeutschland;  Bei- 
spiele Taf.  296.  2,  324.  5 ;  ein  besonders  prächtiges  an  der  Apsis  der 
Walderichskapelle  zu  Murrhardt  (Abb.  bei  Dohme,  Gesch.  d.  deutschen 
Baukunst  S.  152).  Streng  nach  antikem  Muster  profiliert  und  in  ein 
vollständiges  Tabernakel  eingeordnet  an  der  Fassade  von  S.  Miniato 
und  dem  Baptisterium  von  Florenz  (Taf.  321).  Dasselbe  Motiv  ins 
romanische  umgedeutet  am  Dom  von  Speier  (Taf.  295.  5).  —  Die 
andere  Kategorie,  in  Frankreich  heimisch,  entwickelt  die  Dekoration 
aus  der  Konstruktion :  sie  trennt  den  Bogenabschnitt  von  dem  senk- 
rechten Gewände  und  behandelt  jenen  als  Archivolte,  dieses  als  Pfeiler. 
So  schon  durch  die  blosse  Lagerung  und  den  Farbenwechsel  der 
Steine  in  Taf.  295.  3;  mit  hinzutretendem  Kämpfergesims  ebenda  2; 
mit  reichem  Flachornament  Taf.  328.  3;  von  derselben  einfachen  An- 
lage, wenn  auch  höchst  verfeinerter  Kunst  Taf.  296.  4.  —  Da  nun 
aber  im  Laufe  des  11.  Jahrhunderts  wie  allenthalben  so  auch  in 
Frankreich  die  Fenster  immer  schmächtiger  wurden,  so  büssten  sie 
um  ebenso  viel  an  Wert  für  die  Wandgliederung  ein.  Um  diesen 
Verlust  einzuholen ,  wurde  das  Fenster  durch  eine  Flachnische  vor- 
bereitet, die  jede  erwünschte  Grösse  annehmen  konnte  und  das  eigent- 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  StiJ. 


liehe  Ausdrucksmittel  der  Dekoration  ward,  hinter  dem  das  Fenster 
selbst  schmucklos  verschwand.  Der  Formenapparat  ist  derselbe  an- 
mutig-kräftige, der  sich  an  den  Portalen  ausgebildet  hatte,  dank  dem 
Schattenschlag  des  Mauerrücksprunges  auch  auf  grössere  Entfernung 
noch  von  energischer  Wirkung.  Beispiele  Taf.  295.  8,  296.  3.  5,  330.  5. 

Für  besondere  Zwecke  verfugte  der  romanische  Stil  noch  über 
Fenster  von  abweichender  Grundform.  Wir  nennen  zuerst  die  ge- 
kuppelten Fenster,  die  in  der  Mitte  durch  ein  Säulchen  geteilt  sind 
und  oberwärts  mit  einem  Doppelbogen  schliessen.  Das  Motiv  ist  sehr 
alt,  es  kommt  schon  an  ravennatischen  Bauten  des  6.  Jahrhunderts 
(S.  Vitale,  Palast  Theoderichs)  vor.  Im  Norden  der  Alpen:  Apsis 
von  S.  Georg  auf  Reichenau,  Ostwand  von  S.  Göneroux  (Taf.  246 
und  295.  2);  allgemeiner  im  Gebrauch  nur  an  solchen  Räumen,  deren 
Oeffnungen  nicht  verschliessbar  sein  sollten,  wie  an  den  Glockenstuben 
der  Westfassaden  (Taf.  213  —  15)  und  ganz  besonders  an  den  Ober- 
geschossen der  Türme.  Hier  konnte  die  Teilung  eine  drei-  und  mehr- 
fache sein.  Für  direkt  in  das  Kirchenschiff  führende  Fenster  ist  nur 
in  Italien  Kuppelung  im  Gebrauch  und  zwar  auch  nur  an  den  Fas- 
saden (Taf.  236—39,  243). 

Als  schönes  und  sprechendes  Fassadenmotiv  haben  wir  sodann 
die  Rundfenster  kennen  gelernt  (S.  613).  Sie  sind  die  Ursprungs- 
stätte eines  ganz  neuen  Dekorationsprinzipes,  desselben,  das  im  goti- 
schen Stil  als  Stab-  und  Masswerk  die  umfassendste  Anwendung  finden 
sollte.  Diese  weiten  Oeffnungen  bedurften  ebenso  aus  ästhetischen 
Rücksichten  einer  inneren  Gliederung,  wie  aus  technischen  Rücksichten 
eines  Stützapparates  für  Blei  und  Glas.  Man  wählte  auch  hier  Klein- 
bogenstellungen ,  deren  Säulchen  aber,  wofern  der  Sinn  des  Motivs 
nicht  vernichtet  werden  sollte,  radiante  Stellung  und  ihre  Basis  in 
einem  zweiten  konzentrischen  Kreise  erhalten  mussten.  So  ergab  sich 
ganz  von  selbst  die  Form  des  Rades;  an  mehreren  Orten  (Verona, 
Basel,  Beauvais)  wird  damit  die  in  der  Malerei  längst  bekannte  sym- 
bolische Vorstellung  vom  Glücksrade  geistreich  in  Verbindung  ge- 
bracht. Eine  einfachere,  an  sich  uralte,  aber  in  Anwendung  auf  die 
grossen  Rundfenster  anscheinend  jüngere,  nicht  wie  die  Radform  von 
Italien,  sondern  von  Nordfrankreich  ausgegangene  Art  der  Füllung  ist 
die  mit  durchbrochenen  Platten  (Taf.  296.  6). 

Auf  die  phantastischen  Spielereien,  wegen  deren  der  nieder- 
rheinische Uebergangsstil  berufen  ist,  brauchen  wir  nicht  mehr  zurück- 
zukommen (vergl.  S.  493). 


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Sechzehntes  Kapitel :  Einzelgliedcr  und  Dekoration. 


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5.  Die  Thüren. 

Die  Geschichte  des  Aussenbaus  hat  uns  bereits  den  allgemeinen 
Begriff  gegeben,  zu  welcher  Bedeutung  in  der  künstlerischen  Gesamt- 
ordnung des  Gebäudes  der  fortschreitende  romanische  Stil  die  Thür 
erhob;  einer  Bedeutung,  die  sie  in  ähnlichem  Masse  weder  im  antiken 
Tempel  noch  in  der  altchristlichcn  Basilika  besessen  hatte.  Im  antiken 
Tempel  war  sie,  obgleich  relativ  und  oft  auch  absolut  grösser  als  in 
der  romanischen  Kirche,  durch  den  Säulenportikus  nicht  bloss  im  figür- 
lichen Sinne  in  Schatten  gestellt  worden;  ebenso  in  der  altchristlichen 
Basilika  durch  das  Atrium.  Der  romanische  Stil  aber  erhebt  das  Portal 
zum  konzentrierten  Ausdruck  der  Fassadenidee  im  ganzen.  In  diesem 
Satz  sind  die  Grundlinien  seiner  Geschichte  enthalten.  Die  Schulen, 
in  deren  Hand  die  Förderung  der  Fassadenkomposition  lag,  sind  auch 
die  massgebenden  für  die  Entwicklung  der  Portale.  Aber  selbstver- 
ständlich: soviel  zeitliche  und  örtliche  Stilnüancen  überhaupt,  soviel 
Unterschiede  in  ihrer  Behandlung.  Man  könnte  allein  aus  ihnen  eine 
ziemlich  lückenlose  Beispielsammlung  für  die  romanische  Ornament- 
lehre zusammenstellen.  Doch  ist  es  nicht  dieses,  nicht  die  Verästelung 
nach  dem  Besonderen  hin,  auf  die  es  uns  hier  ankommt.  Das  wich- 
tigste ist  uns  die  Feststellung  der  Grundphänomene.  Hierbei  nun 
ergeben  sich  drei  Paare  alternativer  Gestaltung: 

1.  Das  Gewände  ist  entweder  rechtwinklig  oder  verschrägt. 

2.  Der  Abschluss  ist  entweder  wagerecht  oder  bogenförmig. 

3.  Die  Umrahmung  springt  entweder  über  die  Fläche  der  Mauer 
vor  oder  sie  vertieft  sich  nischenartig. 

Das  für  die  Gesamtgestaltung  wichtigste,  weil  die  anderen  zum  Teil 
mit  bedingende  Moment  ist  das  erste.  Es  zeigt  sich  klar  ausgeprägt 
bereits  im  Grundriss.  Die  Gegensätze  sind  dieselben,  wie  man  be- 
merkt, die  auch  an  den  Fenstern  vorkommen;  und  wie  bei  diesen 
verteilen  sich  die  Arten  im  ganzen  so,  dass  der  rechtwinklige  Ein- 
schnitt durchschnittlich  den  südlichen,  der  schräge  den  nördlichen 
Ländern  eigen  ist,  jener  aus  der  antiken  Ueberlieferung  stammend, 
dieser  die  eigentlich  mittelalterliche  Form. 

Die  Verschrägung  hat  es  zunächst  auf  ein  praktisches  Ziel,  Ver- 
minderung des  Gedränges  der  ein-  und  ausströmenden  Kirchenbesucher, 
abgesehen.  Sie  wird  zur  Notwendigkeit,  sobald  die  Dicke  der  Front- 
mauer ein  gewisses  Mass  übersteigt,  und  dieses  war  von  jeher  im 
Norden  grösser  als  im  Süden  und  nahm  unter  dem  Einfluss  des  Ge- 

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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


wölbebaus  weiter  zu.  Im  Dom  von  Speier  z.  B.  verhält  sich  die  Thür- 
öffnung zur  Mauerdicke  in  runder  Summe  wie  i  :  2,  im  Dom  von 
Mainz  wie  l  :  1,3,  ähnlich  in  Laach,  Limburg  u.  a.  m.  Es  ist  klar, 
dass  bei  mangelnder  Verschrägung  die  Thür  zu  einem  ebenso  un- 
bequemen wie  unschönen  Engpass  hätte  werden  müssen.  Die  Frage 
war  nur,  ob  die  Erweiterung  mehr  nach  innen  oder  mehr  nach  aussen 
sich  kehren  sollte,  oder,  anders  ausgedrückt,  ob  die  die  Thürflügel  auf- 
nehmende engste  Partie  näher  der  äusseren  oder  näher  der  inneren 
Fläche  der  Mauer  liegen  sollte.  Im  letztern  Falle  bildet  die  Thür 
den  Hintergrund  einer  nischenartigen  Höhlung  ünd  dies  ist  es,  wofür 
die  nordische  Baukunst  sich  entschied,  es  ist  klar,  in  welcher  künst- 
lerischen Absicht.  In  hohem  Grade  eignet  diesem  konzentrisch  sich 
erweiternden  Motiv  der  Eindruck  des  Einladenden,  gleichsam  wie  ein 
Trichter  Einschlürfenden.  Und  wie  imponierend  drängt  sich  dem 
Auge  die  Mächtigkeit  der  Mauerstärke  auf,  wie  kräftige  Beleuchtungs- 
kontraste ergeben  sich  für  die  entgegengesetzten  Seiten,  wie  statt- 
lich breitet  sich  das  ganze  aus  bei  verhältnismässig  geringem  Mauer- 
durchbruch. Aehnlich  wie  bei  den  Fenstern  ist  der  Winkel  der  Ab- 
schrägung auf  ein  leicht  fassliches  Verhältnis,  d.  i.  auf  45 0  gebracht; 
aber  es  wird  niemals  eine  glatte  Fläche  gebildet,  sondern  dieselbe 
wird  in  eine  Folge  von  rechtwinkligen  Einsprüngen  aufgelöst;  ein 
gleiches  geschieht  mit  der  Bogenlaibung;  sind  dann  noch  Säulen  und 
Rundstäbe  in  die  Winkel  eingestellt,  so  kommt  der  reichste  Eindruck 
zur  Vollendung,  so  wird  das  Portal  gleichsam  zum  Hohlspiegel,  der 
das  verjüngte  Abbild  der  Innenperspektive  mit  ihren  Pfeilern,  Säulen 
und  Arkaden  nach  aussen  wirft.  Das  ist,  im  allgemeinen  Umrisse,  die 
Entwicklung  des  romanischen  Portals  von  der  Zweckform  zur  Kunst- 
form. Zum  Schluss  gewinnt  die  letztere  ihr  selbständiges  Recht  und 
so  kommt  es  wohl  vor,  dass  der  Baumeister  in  der  Umgebung  der 
Thür  die  Mauer  über  das  an  sich  notwendige  Mass  noch  verstärkt, 
um  eine  grössere  Zahl  von  Pfeilerecken  und  Ziersäulen  zu  gewinnen ; 
ein  Fall,  der  namentlich  dann  eintritt,  wenn  eine  der  an  sich  schwächeren 
Langseitswände  mit  einem  Hauptportal  begabt  werden  soll  (Beispiele 
auf  den  Grundrisstafeln  156.  7,  165.  1,  167.  5,  168.  8.  12,  211.  3  . 

Der  sehr  grossen  Zahl  wohlerhaltener  spätromanischer  Portale 
steht  nur  eine  kleine  aus  der  frühen  und  mittleren  Zeit  gegenüber, 
weshalb  wir  gerade  über  die  Anfangsstadien  der  Entwicklung  zu  we- 
nig wissen.  Nicht  zu  bezweifeln  ist  indes  die  Priorität  Frankreichs. 
Cravant  (Taf.  246.  4)  gibt  ein  Beispiel  für  einfachen  Rücksprung  aus 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


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dem  Anfang  des  1 1.  Jahrhunderts,  S.  Martin  de  Londres  (Taf.  257)  für 
eingeschobenen  Rundstab.    Ausgebildete  Säulenportale  sind  bis  zum 
Schluss  des  Jahrhunderts  mit  Sicherheit  nicht  namhaft  zu  machen  (z.  B. 
die  Exemplare  von  S.  Eticnne  in  Nevers  und  S.  Etienne  in  Caen  gehören 
nur  dubitativ  hierher),  doch  wird  man  im  allgemeinen  bis  auf  diese 
Zeit  zurückgehen  dürfen,  da  ein  Menschenalter  später  das  Motiv  durch 
zahlreiche  Beispiele  von  voller  Reife  bezeugt  ist.   Was  Deutschland 
betrifft ,  so  bekennen  wir,  eine  bestimmte  Zeitangabe  noch  weniger 
wagen  zu  können.    Das  11.  Jahrhundert  jedenfalls  kommt  noch  nicht 
in  Frage.    Hier  finden  sich  durchweg  noch  sehr  einfache  Anlagen  mit 
rechtwinkligen  Pfosten,  wagerechter  Oberschweile  und  einem  schlichten 
Entlastungsbogen  darüber.   Interessant  ist  bei  S.  Emmeram  in  Regens- 
burg die  Nischenbildung  mit  Kreissegmenten  im  Grundriss  (Taf.  292.  7). 
Zu  den  ältesten  datierbaren  Beispielen  der  ausgeprägt  treppenmässigen 
Gliederung  dürfte  das  Westportal  zu  Paulinzelle  gehören,  welches  gleich- 
zeitig mit  der  1168  beg.  Vorhalle  ausgeführt  wurde;  wohl  noch  etwas 
älter  und  noch  sehr  einfach  diejenige  am  südlichen  Kreuzarm  von 
Königslutter  und  S.  Godehard  in  Hildesheim.    Gehen  wir  dann  bis 
ans  Ende  des  Jahrhunderts  vor,  so  bezeichnen  beispielsweise  die  um 
1190  ausgeführten  Ostportale  des  Mainzer  Domes  (Taf.  218)  das  Maxi- 
mum der  um  diese  Zeit  üblichen  Prachtentfaltung;  ein  immerhin  be- 
scheidenes Mass  verglichen  mit  dem ,  was  in  Frankreich  schon  zwei 
Menschenaltcr  früher  geleistet  wurde.   Eine  um  so  reichere  Nachblüte 
brachte  dann  das  13.  Jahrhundert. 
Der  obere  Abschluss  zerfällt  in  Bogen  (Archivolte)  und  Bogen - 
feld  (Lünette,  Tympanum).   Die  Archivolte  war  noch  im  Frühromanis- 
mus lediglich  Entlastungsbogen,  mit  seinen  Anfangern  auf  den  Enden 
der  Oberschweile  ruhend.    Das  Tympanum  konnte  als  Nische  ein 
wenig  zurücktreten,  wie  in  Taf.  277.  1,  284.  1;  es  konnte  aber  auch 
in  gleicher  Ebene  bleiben,  wie  in  292.  7,  287.  2.  Einiger  Schmuck,  sei 
es  als  teppichartige  Inkrustation,  sei  es  als  Bemalung  und  schliesslich 
als  Flachrelief,  wird  selten  gefehlt  haben  (Taf.  291).    Von  der  Ober- 
schwelle ist  zu  bemerken,  dass  sie  zuweilen  nach  der  Mitte  hin  durch 
giebelartigen  Anstieg  verstärkt  wird  (230.  1,290.4);  auch  kommen,  in 
Gegenden  mit  antiker  Tradition,  scheitrechte  Bogen  vor  (284.  1).  Im 
Gegensatze  nun  zu  dieser  frühromanischen  Auffassung  ist  das  ent- 
wickelte romanische  Portal  eine  offene  Arkade,  oder  vielmehr  eine 
Gruppe  von  mehreren  aneinander   geschobenen,  konzentrisch  sich 
verengenden  Arkaden.    Ob  dann  der  innerste  Bogen  mit  einer  stei- 
nernen Tafel,  eben  dem  Tympanum,  gefüllt  wird,  oder  ob  er  offen 
bleibt,  ist  mehr  eine  Frage  der  Dekoration  als  der  Konstruktion. 


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yoo  Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 

Das  Tympanum  ruht  auf  einem  wagerechten  Sturz,  der  Sturz  auf 
Pfosten,  die  aber  in  der  Regel  in  das  System  der  umrahmenden  Pfeiler 
und  Säulen  nicht  einbezogen  sind,  vielmehr  sich  als  ganz  schlichter, 
unprofilierter  Mauerdurchbruch ,  zuweilen  mit  konsolenartiger  Aus- 
kragung, darstellen  (Taf.  286.  2,  292.  3.  4,  293.  1.  2). 

Südfrankreich  und  Burgund  sind  die  ersten,  die  der  ThüröfTnung 
eine  bisher  unerhörte  Breite  gaben,  z.  B.  in  Autun  und  Yezelay  um 
ein  Fünftel  grösser  als  die  Höhe  bis  zum  Sturz.  Die  Absicht  ist,  für 
das  Tympanum  eine  möglichst  grosse  Ausdehnung  zu  gewinnen,  und 
diese  wieder  wurde  begehrt  als  Grundlage  weitläufiger  figürlicher  Relief- 
kompositionen (Hauptbeispiele:  Autun,  Vezelay,  S.  Trophime  in  Arles, 
S.  Gilles,  Conques,  Moissac,  Beaulieu).  Eine  notwendige  Folge  war 
die  Unterstützung  der  Oberschwelle  durch  einen  freistehenden  Mittel- 
pfosten (wofür  die  Franzosen  einen  eigenen  Namen  haben:  Trumeaul. 
Auf  uns  moderne  Betrachter  übt  der  mahnende,  drohende  Inhalt  dieser 
meist  dem  jüngsten  Gericht  gewidmeten  Portalskulpturen  nicht  mehr 
die  unmittelbar  erschütternde  Wirkung  wie  auf  die  Menschen  de* 
Mittelalters;  die  Energie  des  künstlerischen  Eindruckes,  in  dem  sich 
grosse  Pracht  und  feierliche  Strenge  vereinigen,  ist  noch  immer  be- 
zwingend; mit  einem  Anblick,  wie  z.  B.  in  Vezelay  aus  der  Vorhalle 
durch  die  geöffneten  drei  Portale  abwärts  die  weite  Perspektive  des 
Innern  kann  in  Bezug  auf  Stärke  des  Eindruckes  wenig  auf  der  Weit 
sich  messen. 

Ferner  sind  Südfrankreich  und  Burgund  die  ersten,  die  die  Frei- 
statue zum  Schmuck  der  Portalgewände  heranziehen.  Die  Anordnung 
in  Saint-Gilles  (übereinstimmend  S.  Trophime)  zeigt  Taf.  259.  Lockerer 
ist  die  architektonische  Eingliederung  der  gleichfalls  kolossalen  Ge- 
stalten in  Moissac  und  Conques.  In  Autun  und  Vezelay  wird  mit 
schöner  Wirkung  zum  Träger  einer  Figurengruppe  der  Mittelpfosten 
gewählt.  Von  Burgund  pflanzt  sich  die  Anregung  in  die  Nord-  und 
Westprovinzen  fort;  hier  sind  die  Portale  schmäler,  ohne  Trunieau, 
dafür  mit  breiterem,  säulenreicherem  Gewände;  an  dieses  nun  werden 
die  Statuen  angegliedert.  Die  verhältnismässige  Bewegungsfreiheit, 
die  sie  am  Mittelpfostcn  noch  genossen  hatten ,  geht  ihnen  hier  ver- 
loren; sie  sind  an  der  Rückseite  mit  der  Säule  zusammengewachsen, 
werden  selbst  säulenartig  starr  und  gestreckt,  mehr  den  Pfeilerstatuen 
der  Aegypter  als  den  Karyatiden  der  Griechen  sinnverwandt.  Alles 
in  allem  ist  es  weder  architektonisch  noch  plastisch  ein  glückliches 
Motiv  und  geradezu  verhängnisvoll  wurde,  dass  es  gerade  im  Heimat- 


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Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


lande  der  Gotik  entstehen  musste,  auf  die  es  dann  zu  umfassendster 
Verwendung  überging. 

Die  ältesten,  noch  rein  romanischen  Beispiele  an  den  Kathedralen 
von  Chartres,  Bourges,  le  Mans  und  in  Saint-Denis,  sämtlich  um  oder 
bald  nach  1150.    Brillante  Nachahmung  (vgl.  die  S.  4x2  namhaft  ge- 
machten Beziehungen  zur  Schule  des  Anjou)  in  S.  Jago  di  Compo- 
stella  mit  der  Vollendungsinschrift  von  1188  (beg.  wahrscheinlich  schon 
11 68)  und  S.  Vincente  in  Avila  (Taf.  288).    In  England  bleibt  die 
figürliche  Plastik  von  den  Portalen  nahezu  ganz  ausgeschlossen,  in 
Deutschland  wird  in  betreff  ihrer  wenigstens  grosse  Zurückhaltung 
geübt.    Bis  in  den  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  sind  es  allein  die 
Lünettenfelder,  die  in  Betracht  kommen;  sie  sind  durchweg  viel  kleiner 
als  in  Frankreich,  die  auf  ihnen  Platz  findenden  Kompositionen  ein- 
facher, das  Relief  flacher;  gewöhnlich  nur  eine  einzige  Hauptfigur, 
Christus  als  Weltenrichter,  etwa  noch  von  zwei  Engeln  oder  Heiligen 
begleitet  (Taf.  293.  2);  oder  bloss  das  apokalyptische  Lamm.    Die  sel- 
tenen Beispiele  figurenreicher  Darstellungen,  wie  in  Strassburg,  Bam- 
berg, Freiberg  stehen  schon  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  nahe. 
Häufiger  überhaupt  als  der  historische  Schmuck  ist  der  rein  ornamen- 
tale (Beispiele  Taf. 350.  352.  356).  Wo  Statuen  am  Gewände  vorkommen, 
verrät  sich  die  Bekanntschaft  mit  der  entwickelten  französischen  Gotik, 
dabei  wird  aber  in  der  allgemeinen  Anlage  der  romanische  Typus  mit 
Beharrlichkeit  festgehalten;  so  an  der  übrigens  ganz  gotischen  Lieb- 
frauenkirche in  Trier,  so  an  der  goldenen  Pforte  in  Freiberg  (aus  einem 
untergegangenen  Gebäude  des  13.  Jahrhunderts  auf  eines  des  15.  Jahr- 
hunderts übertragen).    Das  letztere  wird  mit  Recht  als  das  schönste 
romanische  Portal  Deutschlands  gepriesen.    Wir  stehen  aber  nicht  an 
hinzuzufügen,  dass  in  Bezug  auf  Reinheit  des  architektonischen  Ein- 
drucks auch  alle  gotischen  hinter  ihm  zurückbleiben;  der  figürliche 
Schmuck  und  die  architektonischen  Linien  stehen  sich  nicht,  wie  dort 
immer,  gegenseitig  im  Wege;  die  reich  bewegte  Pracht  bleibt  wunder- 
voll milde  und  klar  in  der  Wirkung;  wie  man  hier  noch  nach  einer 
Steigerung  durch  Farbe  und  Gold  Verlangen  tragen  konnte,  bleibt 
schwer  vorstellbar. 

Der  ganze  dem  romanischen  Stil  zur  Verfügung  stehende  Reich- 
tum ornamentaler  Gestaltungsmöglichkeiten  wird  angerufen,  wo  es 
sich  um  Detaillierung  der  Archivolten  handelt.  Die  auf  unseren  Tafeln 
zerstreuten  Beispiele  (man  vergleiche  auch  die  Abbildungen  zum 
15.  Kapitel)  geben  einen  Begriff  davon;  auf  weniges  wollen  wir  be- 
sonders aufmerksam  machen.  —  Das  Grundschema  der  Gliederung 
bilden  die  abgetreppten  Rückspringe.    Diese  dürfen  durch  das  hin- 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


703 


zutretende  Ornament  oder  die  eingelegten  Rundstäbe  nie  ganz  ver- 
mischt werden.  (In  dieser  Hinsicht  musterhaft  Taf.  289.  2.)  Das 
Ornament  ist  entweder  als  laufendes  Band,  also  der  Richtung  des 
Kreisumschwunges  folgend,  oder  aufrechtstehend,  also  den  Radien 
entsprechend,  disponiert.  Das  erstere  Prinzip  kommt  am  meisten  zur 
Erscheinung,  wenn  anstatt  jeden  Zierates  bloss  glatte  Simsprofile  ge- 
wählt werden.  Das  ist,  um  die  Uebersicht  mit  Frankreich  zu  beginnen, 
vornehmlich  in  der  provengalischen  Schule  der  Fall  (Hauptbeispiel 
Saint-Gilles  Taf.  254);  höchstens  tritt  noch  ein  flaches,  antiken  Ge- 
simsen entlehntes  Ornament,  Mäander,  Eierstab  u.  s.  w.  hinzu  (z.  B.  in 
Le  Thor,  Taf.  315.  6).  Den  Gegenpol  bildet  das  normannische 
System  mit  einseitiger  Verschärfung  des  Ausstrahlungsgedankens 
(Taf.  291).  Schwankend  zwischen  beiden  Grundsätzen  verhalten  sich 
die  Pflanzen-  und  Tierornamente  üppig  mischenden  aquitani sehen 
Schulen.  Durch  sie  zuerst  wird  auch  die  menschliche  Gestalt  in  die 
Archivolte  aufgenommen,  und  zwar  nicht  bloss  in  radianter  Stellung 
(Taf.  333.  5),  sondern  frühzeitig,  lange  vor  der  Gotik,  auch  in  peri- 
pherischer (Beispiele:  S.  Aubin  in  Angers,  Parthenay-vieux,  Eschillais, 
Civray,  Saintes,  Taf.  248,  249,  333.  6).  Am  feinsten  ist  die  Wirkung, 
wenn  glatte  Stabe  und  Kehlen  mit  ornamentierten  Teilen  wechseln, 
ein  System,  das  um  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  in  allen  französischen 
Schulen  Verbreitung  findet  (Taf.  289,  329,  330)  und  auch  für  den 
deutschen  Uebergangsstil  bestimmend  ist. 

Wir  haben  nun  noch  die  Entwicklung  des  Portals  in  Italien,  wo 
sich  der  rechtwinklige  Durchbruch  durch  die  ganze  romanische  Epoche 
erhielt,  nachzuholen.  Die  vorwaltenden  Typen  sind  (wie  bei  den  Fas- 
saden) der  toskanische  und  der  lombardische.  Die  wichtigen  unter  den 
toskanischen  Fassaden  haben  als  Hauptmotiv  des  Erdgeschosses  die 
Wandarkatur.  Dadurch  ist  die  Portaldekoration  in  enge  Grenzen  ge- 
wiesen. In  der  florentinischen  Schule  (Taf.  237.  1)  besteht  sie  lediglich 
in  einem  an  Pfosten  und  Oberschwelle  gleichmässig  durchgeführten 
Rahmenprofil.  In  der  pisanisch-lucchesischen  (Taf.  236,  286,  287)  sind 
die  Pfosten  nach  Analogie  antiker  Anten  behandelt,  ohne  Basis,  doch 
meist  mit  reichem  korinthischem  Kapitell;  der  Sturz  erhält  eine  Fül- 
lung von  Akanthusranken ,  in  jüngerer  Zeit  figürliche  Darstellungen; 
darüber  ein  mehr  oder  minder  reich  dekoriertes  Gesims;  der  Ent- 
lastungsbogen  regelmässig  überhöht  und  am  Kämpfer  wiederum  mit 
Gesimsen  versehen.  Dieser  Typus  fand  auch  in  Unteritalien  Aufnahme, 


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704 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


wo  gern  auch  die  Schauseite  der  Pfosten  ornamentiert  wird  (Taf.  327:. 
Seit  dem  Ende  des  1 2.  Jahrhunderts  zeigt  sich  mehrfach  das  nordische 
Säulenportal;  im  Beispiel  von  S.  Giovanni  in  Lucca  (Taf.  287.  3)  mit 
dem  älteren  heimischen  Typus  verschmolzen,  anderweitig,  z.  B.  an  den 
Kirchen  von  Toscanella  und  Corneto,  in  Rom  an  S.  Antonio  Abbate, 
den  nordischen  Vorbildern  nahe  kommend.  In  Sicilicn  zuweilen,  z.  B. 
in  Ccfalü,  normannischer  Zickzack.  —  Die  Portale  Oberitaliens  zeigen 
sich  verhältnismässig  früh  (vgl.  S.  Michele  in  Pavia,  Taf.  243)  mit  dem 
nordischen  Gliederungsprinzip  vertraut ;  ihnen  eigentümlich  sind  die 
Schutzdächer  oder  Baldachine  auf  freistehenden,  von  Löwen  getragenen 
Säulen  (Taf.  242 — 44).  Die  Pfosten  sind  mit  einer  Fülle,  oft  Ueber 
fülle,  zierlich  skulpiertcn  Reliefs  bedeckt,  und  zuweilen  sind  noch  die 
anstossenden  Wandflächen  mit  Relieftafeln  ausgelegt;  Hauptbeispiele 
S.  Zeno  bei  Verona  und  S.  Pictro  in  Spoleto  (unter  lombardischer 
Einwirkung  die  Kapelle  von  Schloss  Tirol  und  das  berühmte  Portal 
der  Schottenkirche  in  Regensburg;  die  Löwen  mehrfach  in  den  deut- 
schen Alpenländcrn,  dann  mit  einem  weiten  geographischen  Sprunge 
in  Königslutter  und  Nikolausberg  bei  Göttingen). 

Vollständige  Baldachine  kommen  ausserhalb  Italiens  nicht  vor. 
Wohl  aber  wird  im  Interesse  vollerer  Archivoltengliederung  ein  Mauer- 
vorsprung angelegt  mit  giebelförmigem  Abschluss :  z.  B.  Taf.  220.  3. 
229.  1,  233.  3  und  sonst  noch  oft  im  Uebergangsstil.  Noch  häufiger 
aber  erhält,  vornehmlich  in  Deutschland,  diese  Mauerverstärkung  die 
Form  eines  rechteckigen  Rahmens  von  der  Stärke  des  Sockels  und  mit 
gleichem  Profile  in  diesen  übergeführt:  Taf.  230.  1,  274.  4,  292.  3. 

6.  Gesimse  und  Sockel. 

Zu  den  Aufgaben,  die  der  romanische  Stil  zu  lösen  vorfand,  ge- 
hörte auch  die  Neuordnung  des  Gesimswesens.  Es  war  in  den  langen  ah- 
christlichen  Jahrhunderten  vollkommen  verkümmert.  Wiederanknüpfung 
an  die  Antike  wurde  nur  in  den  wenigen  Schulen  versucht,  die  wir 
unter  dem  Begriffe  der  Protorenaissance  zusammengefasst  haben  und 
von  denen  hier  nicht  weiter  die  Rede  sein  soll.  WTas  sich  in  den 
Ländern  diesseits  der  Alpen  von  antiken  Bauten  erhalten  hatte,  bot 
in  seinem  immer  beschädigten  Zustande  gerade  über  diese  wichtigen 
Bauglieder  wenig  Auskunft.  Und  vor  allem :  die  tektonischen  Voraus- 
setzungen waren  wesentlich  andere.  Das  griechisch-römische  Gesimse 
hatte  seine  charakteristische  Form  im  Säulen-  und  Gebälkbau  empfangen 


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Sechzehntes  Kapitel :  Einzelglieder  und  Dekoration. 


705 


und  bezog  sich  auf  ein  Dach  von  flacher  Neigung.  Das  romanische 
Gesimse  ist  Mauerbekrönung  und  das  Dach,  dem  es  zur  Stütze  dient, 
ist  ein  stark  ansteigendes;  schwache  Ausladung  und  steiles  Profil 
ist  das  ihm  naturgemäss  zukommende.  Ein  festes  Massverhältnis  zur 
Mauerhöhe  wird  nicht  beobachtet ;  im  allgemeinen  haben  die  grös- 
seren Gebäude  die  relativ  kleineren  Gesimse. 

Dem  Frühromanismus  genügt  eine  schlichte  Platte  mit  abge- 
schrägter Unterkante  (z.  B.  230.  I,  246.  4.  5,  320.  3).  Allmählich  tritt 
eine  zusammengesetztere  Gliederung  ein :  Rundstäbe,  Kehlen,  Karniese, 
Platten  und  Plättchen  werden  beliebig  kombiniert,  nur  muss  immer 
jedes  höhere  Glied  über  das  untere  vorspringen  (Taf.  316.  1  —  5).  Die 
Gewohnheit ,  mit  kleinen  Werkstücken  zu  arbeiten ,  macht  dann  bei 
jeder  auch  nur  etwas  stärkeren  Ausladung  die  Unterstützung  durch 
Kragsteine  notwendig.  Zwei  Konstruktionsarten  sind  dabei  im  Ge- 
brauch: entweder  ruht  die  Gesimsplatte  unmittelbar  auf  den  Krag- 
steinen (Taf.  317.  1  —  5),  oder  es  wird  eine  Vermittelung  durch  kleine 
Bogen  herbeigeführt.  Die  letztere  Art  ist,  wie  früher  nachgewiesen, 
eine  Lehn  form  aus  der  Backsteintechnik,  sie  hat  in  der  Uebcrtragung 
auf  den  Haustein  nur  dekorative ,  keine  konstruktive  Bedeutung  (wie 
die  Fugenlage  in  Fig.  12  und  15  zeigt);  die  erste  ist  hausteingemäss 
von  Haus  aus.  Jene,  unter  dem  nicht  ganz  korrekt  gebildeten  Namen 
Bogen fri es  bekannt,  hat  die  allgemeinste  Verbreitung  in  Oberitalien 
und  Deutschland  gefunden;  in  älterer  Zeit  kommt  sie  dann  noch  in 
der  Provence  und  Burgund  vor,  in  jüngerer  an  der  ganzen  Ostküste 
Italiens,  in  Nordfrankreich  und  England  ;  vereinzelt  in  Westfrankreich 
und  Spanien  (doch  nur  an  Fassaden  und  Apsiden,  nie  am  Langhaus; 
in  der  jüngeren  burgundischen  Schule  nur  im  Inneren,  eine  sonst  un- 
bekannte Verwendung).  Diese,  das  sogenannte  Kon  solcngesims, 
ist  die  normale  Form  in  ganz  Frankreich  und  den  von  Frankreich 
abhängigen  Schulrichtungen  Englands  und  Spaniens;  ferner  in  Mittel- 
italien; in  Deutschland  nur  unter  besonderen  Verhältnissen,  besonders 
über  Zwerggalerien. 

Der  Fries  als  selbständiges  Glied  ist  dem  romanischen  System 
fremd.  Doch  kann  man  der  allgemeinen  Wirkung  nach  sowohl  die 
Konsolenreihen  als  die  Kleinbogenstellungen  damit  in  Vergleich  ziehen. 
Verstärkt  wird  die  Aehnlichkeit,  wenn  die  von  den  Vorkragungen 
eingeschlossenen  Mauerfelder  eine  fortlaufende  Dekoration  erhalten 
(wie  Taf.  317.  4.  5  und  318.  2).  Die  Konsolen  sind  zwar  schwerlich 
aus  direkter  Umbildung  von  Sparrenköpfen  hervorgegangen,  vielmehr 


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Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


eine  mit  selbständigem  Sinne  verw  ertete  Reminiscenz  aus  der  Antike; 
die  Analogie  mit  der  Holzarchitektur  muss  sich  aber  doch  aufgedrängt 
haben,  da  deren  Formen  in  die  Detaillierung  vielfältig  hineinspielen 
(Taf.  317.  1.  2.  4.  5.  8;  besonders  häufig,  für  die  Auvcrgnc  und  die 
angrenzenden  Gebiete  geradezu  typisch,  das  Motiv  318.  2).  Auch 
das  an  dieser  Stelle  in  Frankreich  und  England  früh  und  überaus 
häufig  verwendete,  später  auch  nach  Deutschland  (Taf.  317.  14,  318.  7 
übergegangene  Ziermotiv  des  gebrochenen  Stabes  (Billets)  deutet  auf 
Herkunft  aus  der  Holztechnik ,  wie  andererseits  der  für  Oberitalien 
und  Deutschland  nicht  minder  charakteristische  Sägefries  (317.  10.  II. 
!3-  J5»  318.  3)  ersichtlich  aus  dem  Backsteinbau  herübergenommen 
ist.  Der  Bogcnfries  wird  lange  Zeit  ganz  einfach,  aber  auch  so  durch 
die  scharfe  Begrenzung  der  Schlagschatten  sehr  wirksam,  gebildet; 
das  spätere  12.  und  13.  Jahrhundert  dann  verfeinert  und  vermannig 
faltigt  ihn  durch  Profilierung  der  Kanten  und  Brechung  der  Bogen- 
linien,  gelegentlich  schon  mit  übertriebenem  Raffinement.  Der  Back- 
steintechnik blieb  dieses  versagt;  dafür  gewann  sie,  indem  sie  die 
Bögen  sich  durchkreuzen  Hess,  ein  lebhaftes  Formenspiel ,  das  durch 
weissen  Verputz  des  Mauergrundes  noch  gehoben  werden  konnte 
(Taf.  244). 

Kin  eigentliches  Gesimse  hat  nur  statt,  wo  die  Mauer  endigt 
und  Abdeckung  begehrt ;  doch  kann  nach  Analogie  die  Gesimsform 
auch  innerhalb  des  Mauerverlaufs  zur  Bezeichnung  wagrechter  Ab- 
schnitte benutzt  werden:  —  Gurtgesims,  Zwischengesims.  Es  ist  ein 
Hauptunterschied  zwischen  dem  deutschen  und  dem  französischen 
Romanismiis,  dass  jener  von  den  Gurtgesimsen  spärlichen,  dieser 
reichlichen  Gebrauch  macht.  So  hat  z.  B.  die  QuerschifTsfassade  der 
Kathedrale  von  Autun  (Taf.  264),  obgleich  der  innere  Raum  ungeteilt 
ist,  nicht  weniger  als  sechs  Gurtgesimse.  Und  wenn  in  Deutschland 
überhaupt  nur  die  Fassaden  (und  hin  und  wieder  die  Apsiden)  in 
Frage  kommen,  so  erstrecken  sich  in  Frankreich  die  Gurtgesimse  auch 
auf  die  Langschiftswände.  Vor  allem  in  dem  bekanntlich  häufigen 
Falle  des  Vorhandenseins  von  Emporen;  dann  nicht  selten  als  Ifc- 
gleitung  der  Fensterbank  (Taf.  250.  I,  251.  2);  endlich,  eine  frühe 
und  sehr  verbreitete  Verwendung,  zur  Bezeichnung  der  Kämpferlinie 
der  Fensterbogen  (Taf.  246.  4.  5,  250.  1.2,  253,  254,  255  u.  s.  w.i; 
ganz  besonders  ausgebildet  im  englisch  normannischen  Stil  (Taf.  269). 
—  Die  Gurtgesimse  sind  aus  ähnlichen  Gliedern,  nur  einfacher,  zu- 
sammengesetzt, wie  das  Hauptgesims.    Die  freiliegende  obere  Flache 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration.  joj 

wird  leicht  abwärts  geneigt,  als  Wasserschlag  für  den  Innenbau  kommt 
nur  das  Gurtgesims  über  den  Arkaden,  in  Frankreich  ausserdem  noch 
die  Sohlbank  der  Scitenschiffsfenster  und  bei  Tonnengewölben  deren 
Kämpferlinic  in  Betracht.  Im  letzteren  Falle  tritt  die  ausladende  Ge- 
simsform rein  hervor,  im  ersteren  ist  die  Hauptsache  die  mehr  fries- 
artige Ornamentation. 

Das  Gegenstück  des  Gesimses  ist  der  Sockel,  die  leicht  vor- 
springende Sohle  der  Mauer.  Der  Uebergang  zur  Wand  vollzieht  sich 
in  Gliedern,  die  einem  umgekehrten  Gesimse  ähnlich  sind  (Taf.  316. 
II  — 15).  Unbedingt  gefordert  wurde  der  Sockel  selbst  nicht  im  ent- 
wickelten Stil.  Am  reichsten  fällt  er  an  der  Apsis  aus.  Von  der 
Fortführung  seiner  Profile  als  Thürumrahmung  haben  wir  oben  (S.  704) 
gesprochen. 


Beschreibung  der  Tafeln. 


Erklärung  der  abgekürzten  Quellennachweise. 

A  —  Adams:  Recueil  de  sculpture  gothique,  1860. 

B  =  Originalaufnahme  von  G.  v.  Bezold. 

Bdt  =  Baudot:  La  sculpture  frangaise.  1S80. 

Bss  =  Boisserle :  Denkmale  der  Baukunst  am  Niederrhein,  1843. 

CC    =  Jahrbuch   und  Mitteilungen  der  k.  k.  Central-Commbsion  zur   Erhaltung  der 

Denkmäler,  1856  ff. 
Cm  =  Caumont :  Bulletin  monumental,  1834  ff. 
CM  =  Cahier  et  Martin:  Nouveaux  m£  langes  d' Archäologie,  1S75. 
D  =  Originalaufnahme  von  Dehio. 

Dt  =  Dartein:  Etüde  sur  l'architecture  Lombarde,  1S66. 
Ew  =  Ewerbeck,  Reiseskizzen. 

G  '-  Gailhabaud:  L'architecture  du  V.  au  XVI.  siede  et  les  arts  qui  en  dependent.  1851. 

GH  =  Gewerbehalle,  1862  ff. 

II  =  Originalaufnahme  von  Hofflund. 

Kl  —  Klingenberg,  Bauornamente  des  Mittelalters,  1SS2. 

L  =  I.enoir :  Statistique  de  la  ville  de  Paris. 

NS  =  Die  mittelalterlichen  Baudenkmäler  Niedersachsens,  redigiert  vonC.  W.  Hase,  1S56  ff. 

NS  Rsc  =  Reiseskizzen  der  Niedersächsischen  Bauhütte,  1S64. 

O  —  Osten,  Die  Bauwerke  der  Lombardei  vom  VII.— XIV.  Jahrhundert  o.  J. 

P  =  Paulus ,  Die  Kunst-  und  Altertumsdenkmale  im  Königreich  Württemberg ,  1 889  ff. 

Ph  =  Photographie. 

Rdt  =  Redtenbacher :  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Architektur  des  Mittelalters,  1872. 

RF  =  Rohault  de  Fleury :  Pise  au  moyen-age,  1862. 

Rl  =  Revoil :  L'architecture  romane  au  midi  de  la  France.  1S66 — 74. 

RR  =  Ruprich-Robert :  L'architecture  normande  1S84--1890. 

Sh       Sharpe :  Architectural  Parallels  of  the  principal  Abbey  Churches,  1848. 

Sch  -    Schulz:  Denkmäler  der  Kunst  des  Mittelalters  in  Unteritalien,  1860. 


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708 


Zweites  Bach:  Der  romanische  Stil. 


ERSTER  TEIL.    ORDNUNG  NACH  GEGENSTÄNDEN. 

Portale. 

Tafel  285.  a  Provence 

1.  Avignon,  Nötre-Dame  des  Doms  (Rl),  E.  saec.  n.  —  2.  Aix, 
S.  Sauveur  (Ph).  —  E.  saec.  11. 

Tafel  286.  b)  Iulicn- 

1.  Troja,  Kathedrale  (Sch),  a.  11 19.  —  2.  Pisa,  Baptisterium  (Rfi, 
2.  H.  saec.  12. 

Tafel  287. 

1.  Pisa,  Querschiff  des  Domes  vPh),  letztes  Viertel  saec.  11.  — 
2.  *Spoleto,  S.  Pietro,  Seitenthür  der  Westfront  (D),  saec.  12.  —  3.  Lucca, 
S.  Giovanni  (Ph),  letztes  Viertel  saec.  12. 

Tafel  288.  c)  Frankreich- 

1.  Taraseon,  Ste.  Marthe  (Rl),  2.  Hälfte  saec.  12.  —  2.  Avila, 
S.  Vincente  (Mon.  Esp.),  2.  Hälfte  saec.  12. 

Tafel  289. 

1.  Sfmur-en-Brionnais ,  Nordseite  der  Schlosskirche  (Ph),  gegen 
M.  saec.  12.  —  2.  *  Lescures,  unweit  Alby,  Westseite  der  Schlosskirche 
(Ph),  saec.  12. 

Tafel  290. 

1.  ^Auvergne  (Ph),  etwa  A.  saec.  12.  —  2.  * Chateautuuf  im  Sain- 
tonge  (Ph),  1.  Hälfte  saec.  12.  —  3.  *Le  Puy.  S.  Michel  (Ph\  saec.  12. 

—  4.  Clermont,  N6tre-Dame  du  Port,  Sudseite  (Ph),  E.  saec.  11.  — 

5.  *Dijon,  S.  Philibert  (Ph),  2.  Hälfte  saec.  12. 

Tafel  291  ^  Normandie  und  England. 

1.  Nonvich  (RR),  um  11 00.   —    2.  Anthie  (RR),  A.  saec.  12. 

—  3.  Serquigny  (RR),  saec.  12.  —  4.  Cheux  (RR),  A.  saec.  12. 

Tafel  292.  e)  Deutschland. 

1.  Ingelheim  (Cohausen),  2.  Hälfte  saec.  10.  —  2.  Avolsheim  (Adler), 
saec.  11.  —  3.  Moringen  (NS),  2.  Hälfte  saec.  12.  —  4.  Hullein  (CO, 
A.  saec.  13.  —  5.  *  Würzburg,  S.  Burchard  (Höflfken) ,  E.  saec.  12.  — 

6.  *  Altenstadt  (Volk),  E.  saec.  12.  —  7.  *  Regensburg,  S.  Emmeram, 
Querschiff  (B  l,  a.  1050.  —  8.  Würzburg,  Dom  (Rdt),  1.  Hälfte  saec.  13. 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration.  jtq9 

Tafel  293. 

1.  Laach,  Eingang  in  den  Vorhof  (Geier  u.  Görz).  —  2.  Ander- 
nach, Seitenschiff  (Ph).  —  3.  Bonn,  Münster  (Tornow).  —  4.  Lilienfeld 
(Heideloff),  sämtlich  A.  saec.  13. 

Tafel  294. 

1.  Lübeck,  Dom,  in  der  nördlichen  Vorhalle  (Z.  f.  Bauwesen), 
um  1266.  —  2.  Trebitsch,  in  der  nördlichen  Vorhalle  (CC),  nach  M. 
saec.  13. 

Tafel  295.  Fenster. 

1.  Hadmersleben  <NS),  A.  saec.  12.  —  2.  Saint-GdnSroux  (G),  um 
a.  1000.  —  3.  Savennieres  (G),  um  a.  1000.  —  4.  *  Worms,  Dom  (H. 
v.  Schmidt),  2.  Hälfte  saec.  12.  —  5.  Speier,  Dom  (Rdt),  saec.  12.  — 

6.  Saint-Gt'ntroux  (Cm),  um  a.  1000.  —  7.  Chiaravalle,  Turm  (Gruner), 
A.  saec.  13.  —  8.  Saint-Gmtcst  (RR),  saec.  12. 

Tafel  296. 

1.  Crema,  Detail  des  Gewändes  (Gruner),  A.  saec.  13.  —  2.  Maurs- 
münster  (G),  saec.  12.  —  3.  *Civrar,  Apsis  (D),  M.  saec.  13.  —  4.  Ca- 
va il  Ion  .  Apsis  (Rh,  M.  saec.  12.  —  5.  *Semur,  Langseite  (B),  gegen 
M.  saec.  12. 

Radfenster. 

6.  Gelnhausen,  Querschiff  (Rdt),  —  7.  Mainz,  Querschiff  (Rdt), 

—  8.  Freiburg  i.  B..  Querschiff  (Rdt),  —  sämtlich  A.  saec.  13. 

Tafel  297.  Säulen  in  Kirchenschiffen. 

1.  -'Reims,  S.  Remy,  Querschiff  (D),  1.  Hälfte  saec.  11.  —  2.  *Beau- 
gency,  Schiff  (D),  M.  saec.  11.  —  3.  *Burgclin,  Vorhalle  (Dl,  E.  saec. 
12.  —  4.  *  Frese,  Schiff  (D),  saec.  12.  —  5.  Lund,  Krypta  (Holms), 
saec.  12.  —  6.  Hildesheim,  S.Godehard,  Schiff  (NS),  gegen  M.  saec.  12. 

—  7.  * raulinzcllc,  Schiff  (Brecht  ),  t.  Hälfte  saec.  12.  —  8.  Köln,  S.  Maria 
im  Kapitol,  Chor  (Frantzen).  M.  saec.  11.  —  9.  Maulbronn,  Refectorium 
(P),  A.  saec.  13.  —  10.  *Laon,  Kathedrale,  Querschiff  iB) ,  nach  1070. 

—  Sämtlich  im  Massstab  1  t0. 

Saulchen  in  Kreuzgangen,  Emporen,  Kuppelfenstekn. 
Tafel  298. 

1.  '^Magdeburg,  Liebfrauen-Kreuzgang  (D),  saec.  12.  —  2.  Rom, 
Kreuzgang  des  Lateran  (Hohault  de  Fleury),  A.  saec.  13.  —  3.  *Rom, 
Kreuzgang  bei  S.  Paolo  <D),  A.  saec.  13.  —  4,  5.  Canterbury,  Krypta 
(RR),  saec.  12.  —  6.  S.  Gtntroux,  von  einem  Fenster  (G),  um  1000.  — 

7.  Coblenz,  S.  Castor  (Tornow),  saec.  9—10.  —  8.  Chaucelade  bei 
Pengueux  (D),  saec.  12.  —  q.  S.  Albans.  Empore  (RR),  A.  saec.  12  — 


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7io 


Zweites  Buch  :  Der  romanische  Stil. 


I 


io.  Würzburg,  Dom,  aus  einer  ehemaligen  Vorhalle  (Rdt),  E.  saec.  12  bis 
A.  saec.  13.  —  12.  *  Goslar,  Dom,  Vorhalle  (Dl.  —  13.  *  Magdeburg, 
Domkreuzgang  (D). 

Dekorierte  Sauienschafte,  meist  von  Portalen. 
Tafel  299. 

i.*Chartres,  Kathedrale  (Di.  —  2.  S.  Denis  (Kl».  —  3.  *Bourges 
I D).  —  4.  '^Paray-le-Monial  (Di.  —  5.  *Sc'mur-en-Brionnais  (D).  — 
6.  Chartres  (A ).  —  7.  S.Denis  (Kl).  —  8.  * Le-l'hor  (D).  —  9.  *Autun 
(D).  -  10.  Toumus  (VID).  -  11.  (VID).  —  12.  *Avigncn,  Mu- 

seum, möglicherweise  antik  (D).  —  13.  S.Denis  (Kl).  —  14.  * Autun 
iD).  —  15.  Villaviciosa  (Mon.  Esp.j.  —  16.  "Königslutter  (Di. 

Tafel  300.  Basen. 

1.  5.  Denis,  Krypta  (VID),  saec.  9.  —  2.  Quedlinburg,  Schloss- 
kirche (XS),  E.  saec.  10.  —  3.  *Dijon,  S.  Benigne,  Krypta  (D),  A. 
saec.  11.  —  4.  *  Toulouse,  S.  Sernin  (D),  A.  saec.  12.  —  5.  * Hersfeld. 
SchirT  (D),  M.  saec.  n.  —  6.  a)  Ebreuil  (VID),  saec.  11;  b)  * 'iVevers, 
Kathedrale  (Di,  2.  V.  saec.  n;  c)  *Poitiers,  S.  Hilaire  (D),  saec.  11; 
dj  *Poitiers,  Ste.  Radegonde,  Vorhalle  (D),  saec.  11;  e)  *Issoire  ( D), 
A.  saec.  12 ;  f)  Toulouse,  S.  Sernin  (D),  A.  saec.  1 2  ;  g)  *Nevers,  S.  Etienne 
(D),  E.  saec.  11;  h)  Fresne-Camilly  (RR),  saec.  12;  i— m)  *S.  Binoist 
s.  Loire,  Vorhalle  (G),  um  1100;  n,  o)  *S.  Gilles,  Chor  (D),  1.  Hälfte 
saec.  12;  p)  *  Henne,  Kathedrale  (D),  M.  saec.  12;  <j)  S.  Paul-trois- 
Chäteaux  (Rl),  saec.  12.  —  7.  a,b,c)  Quedlinburg,  Krypta  (NS);  d  »  Köln, 
S.  Maria  (D),  M.  saec.  1 1  ;  e)  Limburg  a.  H.  (Geier),  E.  V.  saec.  11; 
f)  *  Speier  VD),  E.  saec.  11;  g)  *  Mainz  (D;,  M.  saec.  12;  h)  *  Horms 
(D),  E.  saec.  12;  i)  * Speier,  Apsis  (D),  E.  saec.  12;  k.  I)  Dom 

(D)  ,  E.  saec.  ti ;  m)  *A*;w,  S.  Antonio  Abbate  (D),  saec.  12;  n)  *Regens- 
burg,  Westkrypta  von  S.Emmeram  (D),  saec.  12;  o)  Freising,  Krypta 
(Förster),  saec.  12;  p)  * Bamberg,  S.  Jacob  (D),  A.  saec.  12.  —  8.  Maul- 
bronn, Kreuzgang  (P),  1  Hälfte  saec.  13.  —  —  9.  Paris,  Nötre-Dame, 
Chor  (VID),  nach  11 60.  —  10.  Heiligenkreuz,  Kreuzgang  (Rdt),  1.  Hälfte 
saec.  13.  —  11.  a)  Hirzenach  (Rdt),  1.  Hälfte  saec.  13;  b)  Regensburg, 
S.  Ulrich  (Rdt),  nach  M.  saec.  13;  c,  d)  ebenda  Kreuzgang  bei  S.  Em- 
meram (Rdt),  nach  M.  saec.  13. 

Tafel  301. 

I.  Grandmoni  (Rl),  saec.  12.  —  2.  Freising,  Krypta  (Förster), 
M.  saec.  12.  —  3.  Echternach,  Schiff  (Schmidt),  2.  V.  saec.  11.  — 
4.  Montreal  (VID),  E.  saec.  12.  —  5.  a)  Normandie  (Cm);  b)  Laach 

(E)  ,  saec.  12.  —  6,  7.  *Schwarzrheindorf  (H) ,  nach  M.  saec.  12.  — 
8.  *  Mailand,  S.  Ambrogio,  Vorhalle  (D>,  E.  saec.  11.  —  9.* Altenstadt, 
Portal  (1>),  E.  saec.  12.  —  10.  *ßasel,  Münster  (D>,  E.  saec.  12.  — 


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Sechzehntes  Kapitel :  Einzelglieder  und  Dekoration.  -  i  i 

n.  a)  Aalum,  in  Dänemark  (Holms);  b)  Nevers  (Cm).  —  12.  Gern- 
rode,  Kreuzgang  (Kl),  saec.  12.  —  13.  Kreuzgang  (Rh,  saec.  12.  — 
14.  Schlettstadt  (V1D),  saec.  12.  —  15.  Aix  (Rl),  saec.  12.  —  16.  *  Kon- 
stanz^ Dom  (B),  E.  saec.  11.  —  17.  Hamersleben,  Schiff  (XS),  M.  saec.  12. 

—  18.  * Klosterrath  (D),  saec.  12. 

Tafel  302. 

1.  Osnabrück,  Dom  (NS),  1.  Hälfte  saec.  13.  —  2.  Lippstadt  (Ew), 
M.  saec.  13.  —  3.  Eger,  Schlosskapelle  (CC),  E.  saec.  12.  —  4.  Veze- 
lay,  Chor  (V1D),  E.  saec.  12.  —  5.  Mainz,  Dom  (Kl),  A.  saec.  13.  — 
6.  *Langrcs,  Chor  (D),  nach  M.  saec.  12.  —  7.  Paris,  S.  Martin  (KU 
M.  saec.  12.  —  8.  *Scmur  (D),  M.  saec.  12.-9.  Hamersleben,  Chor 
schranken  (NS),  2.  Hälfte  saec.  12.  —  10.  *Lyon,  S.  Martin  d'Ainay 
(D),  saec.  12.  —  u.  Wartburg  (Puttrich),  c.  a.  1200.  —  12.  a)  Nor- 
mandie  (Cm);  b)  *Vezelay  (D);  c.  d)  Regensburg,  Portal  der  Schotten- 
kirche (Rdt);  e)  *Bourg  (D).  —  13.  *LcPuy,  Kreuzgang  (D),  saec.  12. 

Kapitelle. 

Tafel  303.  -\  Antikisierende. 

1.  S.  Gallen,  Krypta  (Rahn),  saec.  9.  —  2.  *  .Vcvers ,  S.  Etienne, 
Chorumgang  ( D),  E.  saec.  11.  —  3.  Osnabrück,  Turmfenster  (Nordhoff), 
aus  einem  älteren  Bau,  etwa  saec.  11.  -  4.  *Rom,  S.  Antonio  Abbate, 
Portal  (D),  E.  saec.  12.  —  5.  *Granville,  Schiff  (Ph),  saec.  12.  — 
6.  Gandersheim,  Säule  der  Vorhalle  (NS),  um  a.  1000.  —  7.  * 'Nevers, 
Westchor  der  Kathedrale  (D) ,  E.  V.  saec.  11.  —  8.  Höchst,  Schiff 
(Bu.  Gl.),  vor  M.  saec.  9.  —  9,  10.  *Nymwegen,  Pfalzkapelle  (B),  saec.  9. 
11.  Drübeck  (NS),  saec.  11,  Deckplatte  saec.  12.  —  14.  Germigny-des- 
Prcs  (Cm),  A.  saec.  9.  —  12,  13.  Essen,  Westchor  (Humann),  um 
a.  1000.  —  14.  Trier.  Dom,  vom  Westbau,  M.  saec.  11. 

Tafel  304. 

1.  Speier,  S.  Afrakapelle  beim  Dom  (Kl),  saec.  12.  —  2.  *Veze- 
lay,  Wandsäule  (Ph),  2.  V.  saec.  12.  —  3.  *Blois,  S.  Laumcr,  Chor 
(Ph),  M.  saec.  12.  —  4.  * Paray-lc-Monial,  Pilaster  (B),  1.  Hälfte  saec.  1 2. 

—  5.  Pisa,  Kathedrale  ^RF),  E.  saec.  11.  —  6.  *Arles,  Kreuzgang  von 
S.  Trophime  (D),  saec.  12. 

Tafel  305.  hj  Frei  k°rintn'sicrcmlc- 

1.  '"Poitiers,  S.  Hilaire  (D),  saec.  11.  —  2,  3.  *Saint-Benoist  sur 
Loire,  Chor  (Ph),  E.  saec.  11.  —  4.  *Viterbo,  S.  Maria  nuova  (D), 
saec.  12.  —  ^.  *Fontgombault,  Portal  (Archives).  —  6.  Wunstorf,  Schiff 
(NS),  nach  M.  saec.  12.  —  7.  *Le  Mans,  Kathedrale,  Halbsäule  im 
Schiff  (D),  M.  saec.  12.  —  8.  Le  Mans,  Museum  (Cm).  —  9.  * Rivüres 


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;i2 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


,<v-  (Archives),  E.  saec.  11:  —  ro.  *  Reims,  S.  Remy,  Chor  (B),  um  117c. 
ii.  Taris,  Montmartre  (L),  nach  M.  saec.  12. 

c;  BIättcrk.ipi:elle  mit  beginnendem  Natur.ilismu«. 

Tafel  306. 

1,  2.  *  Laueres,  Schiri"  der  Kathedrale  (B),  um  1170.  —  3.  Vetelay, 
Kapitelsaal  (V1D),  um  1160.  —  4.  *Laon.  Bischöfliche  Kapelle  B  , 
vor  1170.  —  5.  Paris,  Chor  der  Kathedrale  (V1D; ,  1163 — 1 1 7 7.  — 
6.  Paris.  S.  Julien-le-pamre  (L),  nach  M.  saec.  12. 

Tafel  307. 

i.Mainz.  Dom,  Seitenschiff  (Schneider^,  E.  saec.  12.  —  2.  l'cuian 
(A),  2.  V.  saec.  12.  —  3.  Naumburg,  Krypta,  2.  V.  saec.  13.  4.  Paris. 
Notre-Dame,  Empore  des  Chors  (A),  c.  11 75.  —  5.  Laon,  Kathedrale. 
Empore  des  Querschiffs  (A\  c.  11 75.  —  6.  Trier,  Dom  iG\  um  1200. 
—  7.  Chälons  s.M.,  Empore  des  Chors  VA\  c.  11 75.  —  8.  Gelnhausen. 
Chor  (Ew),  A.  saec.  13.  —  9.  Aschajfenburg .  Kreuzgang  Ungewitter. 
saec.  13.  —  Bamberg,  Dom,  Arkatur  am  Querhaus  :GH) ,  nach  M. 
saec.  13. 

Tafel  308.  d)  ^P^P^11- 

1.  Aschaffenburg ,  Kreuzgang  (GH  ),  saec.  13.  —  2.  Xoyon.  Schirl 
der  Kathedrale  (Ranufe),  3.  V.  saec.  12.  —  3.  * Bacharach,  S.  Peter 
(D),  2.  Y.  saec.  13.  —  4.  Tischnowitz,  Wandsäulchen  (CC).  2.  Hälfte 
saec.  13.  —  5.  *  Bamberg,  Arkatur  im  Westchor  <D\  um  1170.  — 
6.  ""S/rassburg,  Kathedrale  (D),  saec.  13.  —  7.  Laon,  Kreuzgang  der 
Kathedrale  (King),  um  1200.  —  8.  Heiligenkreuz,  Kreuzgang  ^CC  , 
saec.  13.  —  9.  *Preiberg,  Goldene  Pforte  (D>,  M.  saec.  13.  —  10.  S.  Leu- 
dEsserent,  Chor  (A).  E.  saec.  12.  —  n.  *Gisamari.  Kapitelsaa!  (Dl, 
E.  saec.  12. 

_  Tektox ische  Kapitelle. 

Tafel  309. 

j.  *S.  Benoit  s.  L.  (Ph),  E.  saec.  11.  —  2.  *S.  Miniato,  Krypta 
(Bj,  saec.  11.  —  3.  Quedlinburg,  Wipertikrypta  (NS).  saec.  10.  — 
4.  London,  Kapelle  des  Towers,  E.  saec.  11.  —  5.  *j\Ter>ers,  S.  Etienne. 
Halbsäule  im  Schiff  (D),  E.  saec.  11.  —  6.  Vernon  i.  d.  Xormandie 
(RR),  saec.  12.  —  7.  *Gcrnrodc,  Empore  (D).  E.  saec.  10.  —  8.  Ton- 
ques  i  d.  Normandie  (KR),  saec.  11.  —  o.  S.  Martin  de  Londres,  i.  d. 
Provence,  Halbsäule  im  Schiff  (Rl),  saec.  11.  —  10.  Bologna,  S.  Stefano 
(O),  saec.  12.  —  11.  *S.  Gimignano  (Ph),  saec.  11: 

Tafel  310. 

1.  Bologna,  S.  Stefano  (RRj,  saec.  12.  —  2.  Como,  S.  Abondio  <l)n. 
saec.  11.  —  3.  Asti  (Osten)  saec.  11:  —  4.  *  Mode  na,  Domkrypta  iPi. 
2.  Hälfte  saec.  11.  —   5.  ''  Verona,  S.  Lorenzo,  Halbsäule  der  Empore 

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Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration. 


713 


(D),  saec.  10— 11.  —  6,7.  *  Reims,  S.  Remy  (D),  A.  saec.  11.  — 
8.  Thoronet,  Fensterteilungssäulchen  (Rl),  saec.  12.  —  9.  Chälons  s.  M., 
S.  Jean  (RR),  saec.  11.  —  10.  Nonvich,  Kathedrale,  Rundpfeiler  im 
Schiff  Britton),  A.  saec.  12.  —  11.  Dumferline  (RR),  saec.  12.  — 
12.  *  Winchester,  Kreuzgang  (D),  A.  saec.  12.  —  13.  Tilly  (RRj,  saec.  12. 
14.  Lastingham  (RR),  saec.  11.  —  15.  Kirkstall  ^Sh),  2.  Hälfte  saec.  12. 
—  16.  Etretat  (RR),  saec.  12. 

Tafel  3x1. 

1.  Köln,  S.  Georg  (Frantzen),  saec.  11.  —  2.  a)  Corvey  (Lübke), 
A.  sae  n;  b)  *Esscn,  Arkatur  im  Seitenschiff  (D),  A.  saec.  11.  — 
3.  Hit  -s/ieim,  S.  Michael  (NS),  A.  saec.  11.  —  4.  Ilsenburg  (NS), 
um  10  x  —  5.  Quedlinburg,  Unterkirche  (NS),  saec.  n.  —  6.  *  Paulin- 
teile,  S  tiff  ^Brecht),  A.  saec.  12.  —  7.  ^Bamberg,  S.  Jacob  (Richter), 
A.  sae«  12.  —  8.  Essen,  Westbau  (Huraann),  um  a.  1000.  —  9.  Arns- 
burg, Lalbsäule  (Gl),  A.  saec.  13.  —  10.  Konstanz,  Schiff  (Kraus),  E. 
saec.  11.  —  11.  Ilsenburg  (NS),  saec.  12.  —  12.  Augsburg,  Domkrypta 
(Herberger),  saec.  11.  —  13.  Jerichow,  Schiff  (Adler;,  2.  Hälfte  saec.  12. 
14.  Lehnin  (Adler),  A.  saec.  13. 

Tafel  312. 

1.  Canterbury,  Krypta  (RR),  2.  Hälfte  saec.  12.  —  2.  Rosheim, 
Schiff  (V1D),  saec.  12.  —  3.  Jumieges  (RR),  saec.  12.  —  4.  Hamers- 
leben,  Schiff  (NS),  M.  saec.  12.  —  5.  Urnes,  norwegische  Holzkirche 
(RR),  saec.  12 — 13.  —  6,  7.  *Bonn,  Kreuzgang  (H),  M.  saec.  12.  — 
8.  Boeherville,  bemaltes  Kapitell  (RR).  —  9,  10.  *  Regensburg,  Schotten- 
kirche, von  den  Chorschranken  (D),  saec.  12.  —  11.  *Souvigny,  Halb- 
säule im  Schiff  (D),  2.  Hälfte  saec.  11. 

Tafel  313.  Pfeiler. 

1,  2.  *Burgelin,  Schiff  (D),  2.  Hälfte  saec.  12.  —  3.  Hadmersleben 
(NS),  saec.  12.  —  4.  Memmleben,  Schiff  (Baudenkmäler  der  Provinz 
Sachsen),  i.  Hälfte  saec.  13.  —  5.  Erfurt,  Schiff  der  Petersberger  Kirche 
(Stud.  Berl.),  nach  M.  saec.  12.  —  6.  Baulinzelle,  Vorhalle  (Stud.  Berl.), 
nach  M.  saec.  12.  —  7,  8.  Magdeburg,  Schiff  der  Liebfrauenkirche 
(Hartmann),  um  1130.  —  9.  Essen,  Krypta  (Humann),  a.  1050.  — 
10.  Kirkstall  (Sh),  E.  saec.  12.  —  11.  Nonvieh  (RR),  A.  saec.  12.  — 
12.  Inichen  (CC),  saec.  12. 

Tafel  314. 

1.  Trier,  S.Matthias,  Schiff  (Schmidt),  2.  V.  saec.  12.  —  2.  Barma, 
Kathedrale,  Schiff  (Ol,  1.  Hälfte  saec.  12.  —  3.  *Autun,  Kathedrale, 
Schiff  (D),  1.  Hälfte  saec.  12.  —  4.  Köln,  Kreuzgang  bei  S.  Gereon, 
abgebrochen  (Bss).  —  5.  Beterborough,  Schiff  (RR).  —  6.  Ely,  Haupt- 
und  Zwischenpfeiler  im  Schiff  (RR).  —  7.  *Boitiers,  Kathedrale  (D), 

46 


714 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


um  ii 70.  —  8.  a)  Paderborn,  Dom,  Schiff  (Gruber),  2.  V.  saec.  13; 
b)  Berne  (NS),  2.  V.  saec.  13. 

Tafel  315.  Archivolten. 

1.  Bayeux,  Kathedrale,  Schiff  (Pngin),  E.  saec.  12.  —  2.  Kirk- 
stall,  Schiff  (Sh),  E.  saec.  12.  —  3.  Foniains,  Schiff  (Sh>.  E.  saec.  12. 
—  4.  Ouistreham,  Schiff  (RR),  M.  saec.  12.  —  5.  Saint- Gabriel,  Schiff 
(RR),  saec.  12.  —  6.  Le  T/ior,  Portal  (Rl),  E.  saec.  12.  —  7.  Apt, 
Altar  (Rl),  saec.  12.  —  8.  Montmajour,  Kreuzgang  (Rl),  saec.  12.  — 

9.  Saint-Gilles,  Krypta  (Rl),  A.  saec.  12.  —  10.  Arles,  Kreuzgang  bei 
S.  Trophine  (Rl),  A.  saec.  12. 

Tafel  316.  Kranzgesimse. 

I,  2,  3.  Avignon,  S.  Ruf  (Rl),  M.  saec.  12.  —  4.  Ellwangen 
(Schwarz),  2.  Hälfte  saec.  12.  —  5.  *  Freiburg  a.  L\,  Chor  der  Stadt- 
kirche (D),  um  1200. 

Akkaturen. 

6.  *Lyon,  Nebenchor  der  Kathedrale  (B),  2.  Hälfte  saec.  12.  — 
7.  Köln,  S.  Maria  im  Kapitol,  Zwerggalerie  des  Chors  (Frantzen),  uro 
a.  1200.  —  8.  *ßasel,  Münster  vom  äussern  Chorumgang  (B),  etwa 
1200.  —  9.  *£a  Chariti ,  Trifolium  des  Schiffs  (B),  E.  saec.  12.  — 

10.  Canterbury,  Kathedrale,  vom  Aeussern  des  östlichen  Querschiffs 
(Britton),  gegen  1180. 

Sockel. 

II.  *Lueea,  S.  Michele,  Seitenschiff  (D),  saec.  11.  —  12.  *Frei- 
bürg  a.  ('.,  Stadtkirche  (  D),  um  1200.  —  13.  *Köln,  S.  Aposteln,  Chor 
(D),  um  1200.  —  14.  Bonn  (Rdt),  A.  saec.  13.  —  15.  Hirzenach  (Rdt), 
saec.  13. 

~  f  .      „  Kranz-  und  Gl  rtgesimse. 

Tafel  317. 

1.  Morienval  (RR).  —  2.  */ssoire  (B).  —  3.  *La  Chariti  (B>.  — 
4.  Noves  (RR).  -  5.  Vezelay,  Seitenschiff  (V1D).  —  6.  .Speier  <G).  - 
7.  ^(RR).  —  8,  9.  Colombiers,  Turm  (RR).  —  10.  Tr ebitsch  iCC).  — 

11.  Como,  S.  Abondio  (Dt).  —  12.  Magdeburg,  Chor  des  Domes  (Cle- 
mens). —  13.  Schöngrabern  (CC).  —  14.  *  Trier*  S.  Simon  (D).  - 
15.  S.  Jack  (CC).  —  16.  Bacharach  (Rdt).  —  17.  Königslutter,  Chor 
(NS).  —  18.  Saint-Gcrmer  \  Archives). 

Tafel  318. 

1.  Vezelay,  Hochschiff  (V1D).  —  2.  Verona,  S.  Zeno  (CO.  — 
3.  Clermont,  Notre-Dame  du  Port,  Apsis  (V1D). 


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Sechzehntes  Kapitel:  Einielglieder  und  Dekoration.  715 

Firstbalustraden. 

4.  Clermont,  Notre-Dame  (V1D).  —  5.  Arles,  S.  Trophime  (Rl). 

CONSOLEN. 

6.  Montreal  (V1D).  —  7.  *  Schwarzrheindorf  (H). 

Giebelkreuze. 

8.  Caen,  St.  Etienne  (RR  ).  —  10.  Limburg  a.  L.  (Rdt).  —  11.  Arles, 

5.  Trophime  (Rl). 

Dekorierte  Gurtgesimse  und  Pfeiler-Deckplatten. 
Tafel  319. 

1,  2.  * Angers,  Kreuzgang  bei  St.  Aubin  (D).  —  3,  4.  *  Angers, 
Ste.  Trinis  (D).  —  5,  7.  Fontevrault  (CM).  —  6,  8.  Toulouse,  Museum 
(CM).  —  9,  10.  Ellwangen  (Schwarz).  —  11.  Manzenberg  (GH).  — 
12.  * Angers,  Ste.  Trinite  (D).  —  13.  *Moissac,  Kreuzgang  (D).  — 
14.  *  Paris,  Notre-Dame  (Ph). 

Mauerverband  und  Inkrustation. 

Tafel  320. 

1.  a)  *  Bologna,  S.  Stefano  (D),  saec.  9 — 10;  b)  Tours,  Apsis  von 
S.  Martin  (D),  A.  sacc.  11.  —  2.  *S.  Jouin-les-Märnes ,  Teil  der  Fas- 
sade (Ph),  i.Hälfte  saec.  12.  —  3.  *Köln,  S.  Pantaleon,  Querschiflf 
(Höffken),  gegen  a.  1000.  —  4.  Le  Puy,  Kreuzgang  (V1D),  saec.  12. 
—  5,  6,  7.  Giebelvertäfelung  normannischer  Kirchen  (RR),  saec.  12.  — 
8.  Clermont,  Notre-Dame,  Querschiff-Giebel  (G),  etwa  A.  saec.  12. 

Tafel  321. 

1.  Palermo,  Dom  (Ecole  des  B.-Arts),  2.  Hälfte  saec.  12.  —  2.  Rom, 
Fries  im  Kreuzgang  des  Lateran  (Rohault  de  Fleury),  A.  saec.  13.  — 
3.  Venedig,  S.  Marco,  Vorhalle  (Hessemer),  saec.  13  (?).  —  4.  * Florenz, 
Aufriss  einer  Seite  des  Baptisteriums  (Ph),  A.  saec.  12.  —  5.  *&  Afiniato, 
Niello  vom  Fussboden  (Ph),  a.  1207.  —  6.  Salerno,  Dom,  von  den 
Altarschranken  (Zahn).  —  7.  Monreale  (Zahn).  —  8.  Florenz,  Baptiste- 
rium  (Hessemer). 


ZWEITER  TEIL.    ORDNUNG  NACH  LANDSCHAFTEN. 

Italien. 

Tafel  322.  a)  Lombardei  und  Emilia. 

1,  2.  *Piacenza,  Krypta  von  S.  Savino  (D),  A.  saec.  10.  —  3.  *Mo- 
denn,  Domkrypta  (D);  1099 — 1106;  oder  von  einem  älteren  Bau:  — 
4  — 11.  Mailand,  S.  Ambrogio  (Dt),  mutmasslich  2.  Hälfte  saec.  11. 
(Fig.  6  und  10  von  der  unteren  Pfeilerstellung  des  Mittelschiffs,  7  und 


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7 16 


Zweites  Buch :  Der  romanische  Stil. 


1 1  von  der  Empore,  4  aus  dem  Seitenschiff,  8  und  q  aus  dem  Xarthex, 
5  aus  dem  Atrium).  —  12*  Bonate,  Sta.  Giulia  (Dt),  saec  ll 

Tafel  323- 

i_.  Mailand,  S.  Celso  (Dt),  saec.  ll  —  2,  Mailand,  S.  Ambrogio, 
untere  Pfeilerstellung  im  Mittelschiff  (Dt).  —  3.  Conto,  S.  Abondio, 
Fenster  der  Apsis  (Dt),  saec.  i_2_  —  4,  5.  Pavia,  S.  Pietro  in  ciel 
d'oro  (Dt),  A.  saec.  i_2-  —  6,  Pavia,  S.  Michele  (  Dt),  gegen  noo. 

Tafel  324. 

i.  Modtna,  Dom,  die  grossen  Säulen  im  Schiff  (Ch),  etwa  M. 
saec.  i_2i  —  3.  * Ebenda,  Krypta  (B),  A.  saec.  ll  —  4.  *  Ebenda,  Thür- 
pfosten für  Cluny  (B),  um  1200.  —  5.  *  Parma,  Domkrypta  (B),  E. 
saec.  —  6 — 8.  *Piacenza,  Domkrypta  (D),  etwa  E.  saec.  — 
q.  *Genua,  Kreuzgang  beim  Dom  (B),  A.  saec.  13. 

_  r  ,  l>)  Venetien,  Marken,  Umbrien. 

Tafel  325.  ; 

L.  *Ancona,  S.  Ciriaco,  Krypta  (D),  saec.  o  r  —  i.  *Sj>oleto,  Dom, 
Thürpfostenfüllung  (D),  A.  saec.  —  3.  *Spoleto,  Museum  (Ph).  — 
4.  *  Verona,  Oratorium  von  S.  Zeno  (B),  saec.  i_l?  —  ^  *  Verona,  Fries 
am  Dom  (B).  —  6^2.  *  Verona,  Hauptschiff  von  S.  Zeno  (Ph),  2*  V. 
saec.  ll 

_  ,  .       m  c  Toskana. 

Tafel  326. 

1 — 4.  Pisa,  Dom,  Details  (Rt).  —  5.  Lutea,  Dom,  Pfeilerdeko- 
ration in  der  Vorhalle  (GH),  A.  saec.  rj.  —  <L  *Lucca,  S.  Michele 
(B),  saec.  ll 

Tafel  222,  d''  Unteritalien. 

L  Altamur a  (Sch),  2_  V.  saec.  13.  —  2*  Bari,  von  der  Kuppel 
der  Kathedrale  (Sch),  saec.  12I  —  3.  Molfetta  (Sch).  saec.  12 — 13. 
4.  '"SaJerno ,  Kathedrale,  Thürpfosten  (D),  a.  1099.  —  5.  *Paveüo, 
Giovanni,  Thürpfosten  (D),  saec.  Li!  —  6.  *  Ebenda,  Säule  vom 
Ambo  (D),  saec.  12I  —  8,  Ebenda,  von  der  ehernen  Thür  der  Kathedrale 
(Sh),  a.  11 74.  —  9.  Ebenda,  vom  Ambo  der  Kathedrale  (Sh),  a.  1272. 
—    10.  Galalina  (Sh),  saec.  12—13.  —  ll,  Altamura  (Sh),  saec.  13. 

Tafel  328,  Spanien. 

1 — 8.  Von  Bauten  des  saec.  ll 

Tafel  32Q. 

1  — iL  Von  Bauten  des  saec.  L2— 13. 

Tafel  33Q. 

1  —  Cl  Von  Bauten  des  saec.  i_2 —  1 3. 


Monumentos 
arquitectonicos  de 
Espafia. 


Sechzehntes  Kapitel :  Einzelglieder  und  Dekoration.  7  1 7 

Frankreich. 
Tafel  331  a)  Tou,0U5aniscne  Schule. 

1,  2.  *Toulouse,  Museum,  Pfeilerdeckplatten  (D),  1.  Hälfte  saec.  12. 

—  3,  4.  *Moissac,  S.  Pierre,  Kapitelle  der  Vorhalle  (*B  u.  V1D), 
1.  Hälfte  saec.  12.  —  5—8.  *Ebenda,  Kreuzgang  (B  u.  D),  a.  1100  bis 
1108.  —  Stilistisch  gehört  hierher  auch  Taf.  338.  3.  4. 

Tafel  332.  I'oitevinische  Schule. 

1.  * Saint-Savin ,  Chor  (B),  1.  Hälfte  saec.  n.  —  2.  *Poiticrs, 
Notre-Dame,  Chor  (B),  A.  saec.  12.  —  3.  *Civray,  Apsis  (D),  2.  V. 
saec.  12.  —  4.  Ftnioux,  Portal  (Bdt),  1.  Hälfte  saec.  12.  —  5.  5.  Amand, 
Nischendekoration  von  der  Fassade  (Bdt),  1.  Hälfte  saec.  12.  — 
6.  Saintes ,  Krypta  von  S.  Eutrope  (Bdt),  saec.  12.  —  7.  *Chauvigny, 
S.  Pierre,  Console  (D),  saec.  12.  —  8.  *Nouailli,  nach  Abguss  im 
Museum  von  Poitiers  (D),  saec.  12. 

Tafel  333. 

1 — 3.  *  Poitiers,  Moustiers  neuf,  Arkatur  im  Chorumgang  (D),  etwa 
A.  saec.  12.  —  4.  *Civray,  Detail  von  der  Fassadendekoration  (D), 
i.Hälfte  saec.  12.  —  5.  *Aulnay,  Portalarchivolte  (Sh).  —  6.  *Saintes, 
desgleichen  (Ph).  —  7.  *Parthenay,  Nischenumrahmung  von  der  Fas- 
sade (D),  1.  Hälfte  saec.  12.  —  8.  *Souillac,  Wandpfeiler  im  Innern 
(D),  saec.  12.  —  9,  10.  *  Poitiers,  Details  von  der  Fassade  (D),  saec.  12. 

Tafel  334  c-  •^nßev'n'ficne  Schule. 

1,  2.  *  Angers,  Kreuzgang  von  S.  Aubin,  jetzt  Präfektur,  Ecksäulen 
der  Pfeiler  (D).  —  3.  *  Desgleichen  (B),  1.  Hälfte  saec.  12.  —  4.  *Le 
Alans,  Notre-Dame  de  la  Coüture  (B),  1.  Hälfte  saec.  11.  —  5.  Le 
Mans,  Kathedrale,  von  den  Säulen  des  Mittelschiffs  (Bdt),  M.  saec.  12. 

—  6.  *  Saint- Aignan,  Wandsäule  (Ph),  M.  saec.  12. 

Tafel  335  d)  Auvergnatische  Schule. 

1.  *JVevers,  Museum  (D).  —  2.  *Clermont,  Museum  (D).  —  3,  5.  *Is- 
soire  (B),  i.Hälfte  saec.  12.  —  4.  *Souvigny  (B),  M.  saec.  12,  stilistisch 
von  Burgund  beeinflusst.  —  6.  *Brioude,  nach  Abguss  im  Museum  zu 
Le  Puy  (D),  2.  Hälfte  saec.  12. 

Tafel  336  e)  P1"0^"0^^06  Schule. 

1,  2.  Montmajour,  Oratorium  des  S.  Trophime  (Rl),  etwa  um 
a.  1000.  —  3,  4.  S.  Guilhem-en-disert  (Rl),  1.  Hälfte  bis  M.  saec.  11.  — 
5.  Saint-Gilles,  von  der  Fassade  (Rl),  um  M.  saec.  12.  —  7.  Bitiers, 
Ste.  Madelaine  (Rl),  A.  saec.  12.  —  6,  8.  Saint-Gabriel  bei  Tarascon 
(Rl),  etwa  M.  saec.  12. 


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7i8 


Zweites  Buch:  Der  romanische  Stil. 


Tafel  337. 

1.  *Sain/-Gilles,  Chor  (B),  gegen  M.  saec.  12.  —  2.  *  Arles,  Mu- 
seum (B).  —  3.  Saint- Paul-trois-Chäteaux ,  Gliederung  der  Obermauer 
des  Mittelschiffs  (Rl),  1.  Hälfte  saec.  12.  —  4.  Ebenda,  Archivolte  des 
Portals  (Rl),  saec.  12.  —  6.  Nimes,  Kathedrale,  Fries  an  der  Fassade 
(Rl),  saec.  12.  —  7.  Aix,  Kreuzgang  (Rl),  saec.  12. 

Tafel  338. 

1.  Vaison,  Kreuzgang  (Rl),  etwa  2.  Hälfte  saec.  12.  —  3,  4.  Rieux- 
Mtrinville,  Fenster  und  Füllung  (Rl),  gehört  stilistisch  zu  Taf.  331.  — 
7.  Arles,  S.  Trophime,  Untersicht  der  Oberschwelle  des  Portals  (Rl), 
nach  M.  saec.  12.  —  8.  Aix,  Pfeiler  aus  dem  Kreuzgange  (Rl),  saec.  12. 

Tafel  339. 

1.  *Avignon,  Museum  (B).  —  2.  * Arles,  Kreuzgang  von  S.  Tro- 
phime (B),  saec.  12.-3.  *Cavaillon,  Apsis  der  Kathedrale  (B),  etwa 
M.  saec.  12.  —  4.  *Le  Puy,  Kreuzgang  (D),  2.  Hälfte  saec.  12.  — 

5.  *Le  Puy,  Wandsäulen  im  Schiff  (Ph),  1.  Hälfte  saec.  12.  —  6.  *  Arles, 
Museum  (Bdt). 

Tafel  340.  f)  Burgundische  Schule. 

1.  *Le  Puy,  Halbsäule  im  Vierungsraum  (D).  —  2.  *  Ebenda,  Kreuz- 
gang (D).  —  3.  *  Ebenda,  Querschiff  (D) ;  Entstehungszeit,  wie  bei  r 
und  2,  um  oder  bald  nach  a.  1000.  —  4.  Dijon,  Krypta  von  S.  Bdnigne 
(V1D),  a.  100 1.  —  5.  *Tournus,  Vierung  (B),  1.  Hälfte  saec.  11.  — 

6,  7.  *Anzy-le-Duc  (D),  1.  Hälfte  saec.  11. 

Tafel  341. 

1.  *Autun,  Schiff  (B),  1.  Hälfte  saec.  12.  —  2.  *Beaune,  Schiff 
(B),  1.  Hälfte  saec.  12.  —  3.  *Vezelay,  Vorhalle  (Ph),  bald  nach  1130. 
—  4.  *Saint-Mlnoux  (D),  etwa  M.  saec.  12.  —  5.  *Souvigny  (D),  etwa 
M.  saec.  12. 

Tafel  342. 

1.  * Langres,  von  der  Thür  der  Sakristei  (D).  —  2.  * Ebenda,  von 
den  grossen  Säulen  des  Chorumgangs  (D).  —  3,  4.  *£benda,  Triforium 
(D  u.  V1D);  Entstehungszeit,  wie  bei  1  und  2,  etwa  3.  V.  saec.  12. — 
5.  *Autun,  aus  der  Vorhalle  (D),  a.  1 187. 

Tafel  343.  ß)  F'anzösisch-champagnische  Schule. 

1  —  3.  Vignory ,  aus  der  Empore  (Archives),  M.  saec.  11.  — 
4—10.  Paris,  Stc.  Ge*n£vieve,  Deckplatten  und  Kapitelle  (L),  E.  saec.  1 1. 

Tafel  344. 

1—3.  Saint-Benoit-sur-L.,  Vorhalle  (G),  um  1000.  —  4,  5.  Paris, 
Chorumgang  von  S.  Germain  des  Pres  (L),  vor  1103.  —  6,  7.  * Parts, 
Chor  der  Notre-Dame  (L),  um  11 70. 


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I 


Sechzehntes  Kapitel:  Einzelglieder  und  Dekoration.  7^9 

Tafel  345. 

1,  2.  Chälons-sur- Marne,  Notre-Dame,  Vorhalle  (A),  um  11 60.  — 
3.  Ebenda,  Schlussstein  im  Chorumgang  (A),  um  11 70.  —  4.  Ebenda, 
Einfassung  vom  Radfenster  des  QucrschifTs  (A),  um  1170.  —  $.*Saint- 
Denis,  Portal  (Ph),  M.  saec.  12.  —  6.  *  Ebenda,  Krypta  (D),  1 140— 1 144. 
—  7.  *  Paris,  S.  Martin  des  Champs  (Ph),  vor  M.  saec.  12. 

Tafel  346. 

1,  2.  *Senlis,  Chor  der  Kathedrale  (B  u.  V1D),  a.  1 155  — 1160.  — 

3.  *  Paris,  Chor  von  Notre-Dame  (A),  um  1170.  —  4.  Chartres,  vom 
alten  Turm  der  Kathedrale  (A),  M.  saec.  12.  —  5,  6.  *  Paris,  S.Julien 
le  Pauvre  (D  u.  A),  um  1170.  —  7.  *  Saint- Germer,  Schiff  (B),  um 
1 130— 1 140.  —  8.  Paris,  Empore  des  Chors  von  Notre-Dame  (Kl), 
um  11 70. 

Tafel  347  ^  ^"rmann'scne  Schule. 

1.  Bayeux,  Kathedrale,  Dekoration  der  grossen  Arkaden  im  Schiff 
(RR).  —  2.  Gassicourt  (RR).  —  3,  7.  Caen,  Ste.  Trinitö  (Pugin).  — 

4.  .5».  Gabriel,  Gurtgesims  (RR).  —  5.  Than,  Dekoration  der  Über- 
mauer (RR).  —  6.  Bayeux,  Turm  (Pugin). 

Deutschland. 
Tafel  348.  *)  Sachsen. 

1.  Quedlinburg,  Wipertikrypta,  Pfeilerchcn  im  Altarraum  (NS), 
1.  Hälfte  saec.  10.  —  2.  ^Ebenda,  Krypta  der  Schlosskirche  (D),  E. 
saec.  10?  —  3,  4.  Gandersheim  (NS),  A.  saec.  12?  —  5.  * Gernrode, 
Empore  (D).  —  6.  *  Ebenda,  Schiff  (Bj,  2.  Hälfte  saec.  10.  —  7.  * Hildes- 
heim, S.  Michael  (NS),  nach  a.  1000.  —  8.  *  Hildesheim,  Dom,  Frag- 
ment in  der  Krypta  (B),  wohl  vom  Bau  Hezilos  1055— 1061.  — 
9,  10.  Quedlinburg,  Schlosskirche  (NS),  E.  saec.  11. 

Tafel  349. 

1,  7.  Wunstorf  (NS),  um  M.  saec.  12.  —  2,  3.  Drübeck  (NS),  2.  Hälfte 
saec.  ii.  —  4—6.  Hildesheim,  S.  Michael,  Schiff  (Gl),  um  1164.  — 
8.  * Magdeburg,  Liebfrauenkirche  (D),  saec.  12.  —  9,  10.  Gandersheim, 
aus  der  Stephani-  und  Marienkapelle  (NS),  saec.  12. 

Tafel  350. 

1.  Riehenberg,  Krypta  (NS),  2.  Hälfte  saec.  12.  —  1,2.  Hamers- 
leben,  Schiff  (NS),  um  M.  saec.  12.  —  4.  Wunstorf.  Thürlünette  (NS), 
M.  saec.  12.  —  5,  6.  Ilsenburg  (NS),  saec.  12.  —  7.  Königslutter,  Halle 
beim  Kreuzgang  (NSRsc),  A.  saec.  13. 

Tafel  351. 

1.  Helmstädt ,  Marienberger  Kirche  (NS,  Rsc),  A.  saec.  13.  — 


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720 


Zweites  Buch  :  Der  romanische  Stil. 


2,  3.  * Königslutter,  IJalle  beim  Kreuzgang  (B),  A.  saec.  13.  —  4.  * Halber- 
stadt, Liebfrauen,  Stuckfries  von  den  Chorschranken  (B),  A.  saec.  13. 

Tafel  352. 

1.  Merseburg,  Tympanum,  jetzt  auf  einem  Kirchhof  ( HeidelorT i, 
etwa  M.  saec.  13.  —  2.  Legden  (NS),  2.  Hälfte  saec.  13.  —  4—7  *Magde- 
burg,  Details  vom  Domchor  (Ph),  2.  V.  saec.  13. 

Tafel  353.  b)  Xiederrhein- 

1.  Köln,  S.  Pantaleon,  Kreuzgang  (Bss),  um  a.  1200.  —  2-5.  *Bonn, 
Kreuzgang  (H),  M.  saec.  12.  —  6— n.  * Sckwartrhcindorf  (H),  nach  M. 
saec.  12.  —  13.  *  Klosterrath,  Schiff  (B),  M.  saec.  12. 

Tafel  354. 

1  —3.  Knechtsteden  (Z.  f.  Bauwesen),  um  a.  1200.  —  4.  Köln,  S.  Panta- 
leon (Bss),  um  1200.  —  5.  Köln,  Kreuzgang  von  S.  Gereon,  jetzt  ab- 
gebrochen (Bss).  —  6  *Köln,  Kreuzgang  von  S.  Maria  im  Kapitol 
(Frantzen).  —  7 ,  8.  *Köln,  Gross-S.-Martin  (H),  A.  saec.  13.  — 
9— 11.  *Köln,  Vorhalle  von  S.  Andreas  (H),  A.  saec.  13. 

Tafel- 355  C'  M'tte^r^ein  und  Main. 

1.  Bonn,  Münster  (GH).  —  2 — 5.  Gelnhausen,  Kaiserpalast  (Gl), 
E.  saec.  12.  —  6.  Wurzburg,  Fundstück  (GH).  —  7.  Aschaffenburg, 
vom  Portal  (GH),  1.  Hälfte  saec.  13. 

Tafel  356.  d)  Schwaben. 

1.  *  Konstanz,  Domkrypta  (B),  1015:  —  2.  Schwäbisch- Hall,  Thur- 
lünette  (GH),  saec.  12.  —  3.  Hirsau,  S.  Aurclius  (Lorent),  1054—1070. 
—  4.  Murrhardt  (P).  —  5.  Comburg  (P),  saec.  12  —  13.  —  6-  Faurndau, 
(Thrän),  2.  V.  saec.  13.  —  7.  Denkendorf  (Lorent),  saec.  12.  —  8.  Maul- 
bronn, Refektorium  (P),  saec.  13.  —  9.  Alpirsbach  (Stillfried),  A.  saec.  12. 

Tafel  357-  e)  Baicrn' 

1—3.  * Regensburg,  Chorschranken  der  Schottenkirche  (Dehio,  HorT- 
ken),  etwa  E.  saec.  12.  —  4.  *  Ebenda,  Thür  von  S.  Stephan  (D), 
saec.  12.  —  7,  8.  Ebenda,  Dom  und  Kreuzgang  von  S.  Emmeram 
(Sieghart),  letztes  V.  saec.  13.  —  6.  *  Reichenhall ,  Portal  von  S.  Zeno 
(B),  saec.  13.  —  9,  10.  *  Altenstadt  (Volk),  2.  Hälfte  saec.  12. 

Tafel  358.  0  0esterreich- 

1—9.-  Nach  den  Publikationen  der  Central  Commission. 


Ende  des  ersten  Kandes. 


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