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Full text of "Die Attischen Nächte des Aulus Gellius"

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DIE  ATTISCHEN 

NÄCHTE  DES 
AULUS  GELLIUS 


Aulus  Gellius,  Fritz  Weiss 


in 

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DIE 


ATTISCHEN  NÄCHTE 

DES 

AULU8  (xELLIUS 

ZUM  ERSTEN  MALE  VOLLSTÄNDIG  ÜBERSETZT  UND  MIT 
ANMERKUNGEN  VERSEHEN 

VON 

FRITZ  WEISS. 


ZWEITER  BAND. 

(IX. -XX.  BÜCH.) 


LEIPZIG, 

FUES'S  "VERLAG  (R.  BEISLAND). 

1876. 


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VA 


IX.  BUCH. 


* 


IX,  |f  L.  Schriftliche  Mittheilung  des  Q.  Claudius  Quadrigarius  im  19. 
Buche  seiner  „Jahrbücher"  in  Bezug  auf  den  Grund,  weshalb  jeder  auf- 
wärts entsendete  Wurf  (oder  Schuss)  richtiger  und  sicherer  bewirkt  werde 
und  (ein  solcher  Kichtungsstoss  leichter)  ausführbar  sei,  als  der  abwärts 

gesendete. 

IX,  1.  Cap.  1.  Bei  Gelegenheit,  wo  Q.  Claudius  (Qua- 
drigarius) uns  im  19.  Buche  seiner  „Jahrbücher"  eine  Be- 
schreibung lieferte,  wie  einerseits  eine  Stadt  vom  Proconsul 
Metellus  belagert,  andrerseits  durch  die  Einwohner  der  Stadt 
von  den  Mauern  herab  (tapfer)  vertheidigt  wurde,  drückt  er 
sich  wörtlich  also  aus :  „Unablässig  auf  beiden  Seiten  schössen 
die  Pfeilschützen  und  Schleuderer  höchst  wacker.  Aber  es 
ist  ein  Unterschied,  ob  ein  Pfeil  oder  ein  Stein  abwärts,  oder 
aufwärts  entsendet  wird,  denn  keins  von  den  beiden  Ge- 
schossen kann  abwärts  ganz  bestimmt  entsendet  werden, 
während  dies  aufwärts  bei  beiden  ausgezeichnet  geht.  Des- 
halb wurden  des  Metellus  Soldaten  (von  der  Stadt  aus)  weit 
weniger  verwundet  und,  was  besonders  von  grösster  Wichtig- 
keit war,  sie  hielten  durch  die  Schleuderer  die  Feinde  mit 
Leichtigkeit  von  der  Vertheidigung  der  Zinnen  fern."  2.  Ich 
bat  also  deshalb  den  Rhetor  Antonius  Julianus  darüber  um 
Auskunft,  warum  es,  nach  der  Angabe  des  Quadrigarius,  ge- 
boten sein  sollte,  dass  ein  Wurf  (oder  Schuss)  mit  mehr  Treff- 
fahigkeit  abgegeben  werde,  und  gerader  gehe,  wenn  man  einen 
Stein  oder  Pfeil  in  die  Höhe,  als  wenn  man  ihn  von  oben 


IX,  1,  2.    Ueber  Antonius  Julianus  s.  Gell.  I,  4,  1  NB. 

Gellius,  Attische  Nächte.   II.  1 


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(2) 


IX.  Buch,  1.  Gap.,  §  2  —  9 


herab  schleudre,  da  die  Schwungkraft  eine  raschere  und 
weniger  schwierige  von  oben  nach  unten  sein  müsse,  als  von 
unten  nach  oben.  3.  Julianus  fand  nun  die  Art  und  Weise 
meiner  Frage  ganz  in  der  Ordnung  und  erth eilte  folgende 
Antwort:  „Was  (Quadrigarius)  bezüglich  der  Pfeile  und  der 
Steine  behauptet  hat,  lässt  sich  im  Allgemeinen  fast  auf  jedes 
andere  (beliebige)  Wurfgesehoss  anwenden.  4.  Es  ist  nun 
aber,  wie  Du  (ganz  richtig)  bemerkt  hast,  jeder  Wurf  von 
oben  mit  weniger  Schwierigkeiten  verbunden,  wenn  dabei  nur 
die  Absicht  des  Werfens  und  nicht  auch  die  des  Treffens  in 
Frage  kommt.  5.  Aber  wenn  es  gilt,  das  Ziel  (zu  bemessen) 
und  den  Schwung  des  Wurfs  in  die  gehörige  Tragweite  zu 
bringen  und  ihm  die  gehörige  (Ziels-)  Richtung  zu  geben, 
dann  kann  bei  einem  Wurf  nach  der  Tiefe  das  berechnete 
Ziel  sehr  leicht  (durchkreuzt  und)  verfehlt  werden,  theils 
durch  die  beliebige  Schnellkraft  des  Zielenden,  theils  durch 
das  Gewicht  des  geworfenen  (im  Falle  begriffenen)  (ieschosses. 
6.  Gilt  es  nun  aber  einen  Wurf  nach  der  Höhe,  und  Du  rich- 
test Hand  und  Auge  nach  etwas,  um  es  nach  oben  zu  treffen, 
dann  wird  das  von  Dir  geschleuderte  Geschoss  dahin  gehen, 
wohin  es  die  von  Dir  abgegebene  Richtung  fortgeschleudert 
haben  wird."  7.  In  diesem  Sinne  ungefähr  unterhielt  sich 
Julianus  mit  mir  über  die  angegebene  Stelle  des  Q.  Claudius. 
8.  In  Betreff  der  von  Q.  Claudius  gebrauchten  Worte:  „a 
pinnis  hostis  defendebant  facillime",  d.  h.  „sie  hielten  die 
Feinde  mit  grösster  Leichtigkeit  von  der  Vertheidigung  der 
Zinnen  fern",  muss  ich  noch  die  Bemerkung  beifügen,  dass 
Claudius  den  Ausdruck  „defendebant,  sie  wehrten  ab"  nicht 
nach  dem  gewöhnlichen  Sprachgebrauch  verwendete,  sondern 
so  recht  eigentlich  ganz  echt  lateinisch.  9.  Denn  die  Wörter 
„defendere  und  offendere,  abwehren  und  angreifen"  haben  eine 
einander  ganz  entgegengesetzte  Bedeutung,  von  denen  das 
eine  Wort  „offendere"  ganz  gleichbedeutend  ist  mit  der  grie- 
chischen Redensart  hmodCov  tyeir,  d.  h.  losrennen,  anstürmen 
gegen  etwas,  der  andere  Ausdruck  aber  bedeutet  soviel  wie 
das  griechische  h.;coöCov  ttouiv,  d.  h.  abwehren,  vertreiben, 
in  welchem  Sinne  hier  also  „defendere"  von  Claudius  ge- 
braucht wird. 


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IX.  Buch,  2.  Cap.,  §  1  —  7. 


IX,  2,  L.  Mit  welcherlei  Ausdrücken  Herodes  Atticus  einem  Menschen 
eine  Rüge  ertheilte ,  welcher  durch  sein  angenommenes  (falsches)  Wesen 
und  Kleidung  sich  den  Namen  und  das  Aussehen  eines  Philosophen  frech 

anmasstc. 

IX,  2.  Cap.  1.  Herodes  Atticus,  ein  Mann,  der  die  Würde 
eines  Consuls  bekleidet  und  sieh  durch  sein  einnehmendes 
(gefälliges)  Wesen,  sowie  durch  seine  griechische  Beredtsam- 
keit  einen  bedeutenden  Kuf  erworben  hatte,  wurde  in  meiner 
Gegenwart  von  einem  Menschen  angegangen,  der  einen  (Philo- 
sophen-) Mantel,  langes  Haar  und  einen  bis  über  den  Bauch 
hinabreichenden  Bart  Trug  und  sich  eine  Geldgabe  zu  Brod 
erbettelte  (petit,  aes  si  d  dari  elg  aQTovg).  2.  Herodes  (da  ihm 
dieser  Mensch  völlig  unbekannt  war)  trug  ihn  (selbstverständ- 
lich), wer  er  wäre.  3.  Dieser  aber  antwortete  mit  Entrüstung 
im  Blick  und  im  Ton  der  Stimme,  dass  er  ein  Philosoph  sei 
und  fügte  noch  hinzu,  dass  er  sich  (höchlichst)  verwundern 
müsse,  warum  er  erst  für  nöthig  erachtet,  ihn  nach  etwas  zu 
fragen,  was  er  ihm  doch  gleich  habe  ansehen  müssen.  4.  „Ich 
sehe  Bart  und  Mantel  wohl,"  sagte  (der  stets  schlagfertige, 
witzige)  Herodes,  „aber  den  Philosophen  seh'  ich  (noch)  nicht. 
5.  Deshalb  bitte  ich  Dich,  mit  Deiner  (gütigen)  Erlaubniss, 
mir  (deutlicher)  zu  erklären,  an  welchen  Kennzeichen  wir 
nach  Deiner  Meinung  es  abnehmen  sollen,  um  Dich  sofort  für 
einen  Philosophen  zu  erkennen?"  6.  Unterdessen  erklärten 
Einige  aus  der  Gesellschaft  des  Herodes,  dass  dies  ein  ganz 
gewöhnlicher  Bummler  sei,  ein  Nichtsnutz,  ein  Stammgast 
alles  Kneipenauswurfs,  der,  wenn  er  das  Erbetene  nicht  er- 
halte, mit  niederträchtigen  Schimpfreden  loszuziehen  pflege. 
Da  sagte  Herodes:  Es  ist  ganz  gleichgültig,  wer  er  ist,  wir 
wollen  ihm  trotzdem  etwas  Geld  geben,  wir  gewissermassen 
als  Menschen,  wenn  auch  ihm,  gewissermassen  als  keinem 
Menschen  (d.  h.  damit  wir  doch  wenigstens  beweisen,  dass 
wir  auf  den  Namen  Menschen  Anspruch  machen  können,  wenn 
er  sich  auch  nicht  gerade  wie  ein  Mensch  benimmt).  7.  Darauf 


IX,  2,  L.  S.  Apulej.  Florid.  I,  7. 

IX,  2,  1.  Vergl.  Gell.  XIX,  12, 1;  Herodem-disserentem  audivi  Graeca 
oratione. 

IX,  2,  2.  Ueber  Herodes  s.  Gell.  I,  2,  1  NB. 


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IX.  Buch,  2.  Cap.,  §  7  —  11. 


Hess  ihm  Herodes  ein  (Geld-)  Geschenk  verabreichen  zu  Brod 
auf  30  Tage.  8.  Dann  wendete  er  sich  nach  uns  hin,  die  wir 
ihn  begleiteten  und  sagte:  Musonius  Hess  einem  solchen  Land- 
streicher und  aufgeblasenen  Afterphilosophen  1000  Pfennige 
einhändigen,  und  als  Mehrere  äusserten,  dass  er  ein  Dunst- 
macher, ein  (gemeiner)  schlechter,  schurkischer  Kerl  und 
solcher  Wohlthat  ganz  und  gar  nicht  würdig  sei,  soll  Musonius 
unter  Lächeln  gesagt  haben:  ai-iog  ovv  ixniv  agyrgiov  (d.  h. 
Ei  nun,  da  ist  er  ja  erst  recht  würdig  des  [unwürdigen,  ge- 
meinen] Geldes).  9.  Das  aber,  fuhr  er  fort,  verursacht  mir  vor 
Allem  Schinerz  und  Kummer,  dass  derartiges  unflätiges  und 
schändliches  Ungeziefer  den  heiligsten  Namen  (miss-)  braucht 
und  sich  Philosophen  nennen  lässt.  10.  Meine  Vorfahren, 
die  Athener,  setzten  durch  einen  öffentlichen  Beschluss  die 
heilige  Bestimmung  fest,  dass  die  Namen  der  beiden  helden- 
müthigen  Jünglinge,  des  Harmodius  und  des  Aristogiton, 
welche  zur  Wiedererlangung  der  Freiheit  (ihres  Vaterlandes) 
es  unternahmen,  den  Tyrannen  Hippias  [vielmehr  Hipparchus, 
cfr.  Gell.  XVII,  21,  7]  umzubringen,  niemals  Sklaven  beigelegt 
werden  durften,  weil  sie  es  für  Frevel  erachteten,  der  Freiheit 
des  Vaterlandes  geweihte  Namen  durch  irgend  welche  Ge- 
meinschaft mit  niederen  Sklaven  zu  beflecken  (und  zu  ent- 
heiligen). 11.  Warum  sollen  wir  nun  also  zugeben,  dass  der 
ehrwürdigste  Name  der  Philosophie  durch  die  geringste  Be- 
ziehung zu  solchem  schofeln  Gesindel  besudelt  werde?  So  ist 
mir  auch  ein  Beispiel  entgegengesetzter  Art  nicht  unbekannt 
geblieben,  wonach  die  Börner  die  Verordnung  erlassen  hatten, 
dass  die  Vornamen*)  einiger  Patricier,  die  sich  schwer 
gegen  den  Staat  vergangen  hatten  und  deshalb  zum  Tode 
verurtheilt  worden  waren,  nie  einem  Patricier  von  demselben 
Geschlechte  durften  beigelegt  werden,  damit  mit  ihnen  zu- 
gleich auch  ihr  Name  möchte  vertilgt  und  ausgelöscht  scheinen. 


IX,  2,  8.  Ueber  Musonius  s.  Gell.  V,  1,  1  NB;  und  XVI,  1,  1  f.; 
desgl.  Teuffels  röm.  Lit.  294,  3. 

IX,  2,  10.  Hippias  nicht,  sondern  sein  Bruder  Hipparchos,  der 
Tyrann,  fiel  durch  die  Dolche  der  beiden  athenischen  Jünglinge  Harmodios 
und  Aristogiton.  Herod.  5,  55  etc.;  Thuc.  I,  20;  VI,  54  —  59;  Gell. 
XVU,  21,  7. 

IX,  2,  11.   *)  z.  B.  M.  Manlius  s.  Liv.  6,  20. 


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1 


IX.  Euch,  3.  Cap.,  §  1—5. 


(5) 


IX,  3,  L.    (Berufungs-)  Briet  des  Königs  Philippus,  in  Betreff  seines  neu- 
gebornen  Sohnes  Alexander,  an  den  Philosophen  Aristoteles. 

IX,  3.  Cap.  1.  Philippus,  des  Aniyntas  Sohn,  war  König 
von  Makedonien.  Durch  seine  Tapferkeit  und  sein  Feldherrn- 
talent, durch  seine  Unermüdlichkeit  und  Staatsklugheit  hatten 
die  Macedonier  ihre  Herrschaft  bedeutend  vergrössert  und 
bereichert  und  ihre  Macht  über  viele  Völker  und  Nationen 
auszudehnen  begonnen,  und  (in  Folge  dessen)  schilderte  De- 
mosthenes  in  seinen  berühmten  Vorträgen  und  Reden  laut 
und  öffentlich  die  Waffengewalt  dieses  (Königs)  als  höchst 
gefährlich  und  fürchterlich  für  ganz  Griechenland.  2.  Dieser 
Philipp,  obgleich  fast  während  seiner  ganzen  Lebenszeit  nur 
mit  Unternehmungen  des  Kriegs  beschäftigt  und  nur  auf  Siege 
(und  Eroberungen)  bedacht,  ward  trotzdem  (unter  dem  Ge- 
räusche der  Waffen)  der  edlen  Wissenschaft,  sowie  der  Neigung 
und  Vorliebe  für  höhere,  feinere  Bildung  nie  abhold,  dass 
sowohl  seine  Thaten,  wie  seine  Reden  hinlängliche  Beweise 
liefern  für  seine  Liebenswürdigkeit  und  Menschenfreundlichkeit. 
3.  Es  ist  sogar  eine  Briefsammlung  von  ihm  im  Umlauf,  voll 
von  Zierlichkeit,  Anmuth  und  Lebensklugheit,  wie  z.  B.  aucli 
jene  berühmten  Zeilen,  worin  er  dem  Philosophen  Aristoteles 
die  Geburt  seines  Lohnes  Alexander  anzeigt.  4.  Weil  dieser 
Brief  (beispielsweise)  als  Aufmunterung  zur  Verwendung  von 
Sorgfalt  und  zu  fleissiger  Achtsamkeit  bei  der  Erziehung  und 
dem  Unterricht  der  Kinder  dienen  kann,  so  schien  es  mir 
angemessen,  ihn  (zu  übersetzen  und)  niederzuschreiben,  um  ihn 
als  Mahnung  den  Aeltern  zu  Gemtithe  zu  führen.  5.  Der 
Sinn  lässt  sich  etwa  so  wiedergeben:  „Philippus  entbietet  dem 
Aristoteles  seinen  Gruss.  Erfahre  (hierdurch),  dass  mir  ein 
Sohn  geboren  ward.  Dafür  sage  ich  den  Göttern  meinen 
Dank,  nicht  (allein)  dass  er  mir  geboren  ward,  als  vielmehr 
auch  dafür,  dass  ein  gütiges  Geschick  ihn  bei  Deinen  Leb- 

IX,  3,  1.  Demosthenes  (vergl.  Gell.  I,  5, 1  NB.)  hielt  seine  berühmten 
philippischen  Reden,  um  die  Athener  zu  bewegen,  ihre  Kräfte 
mit  den  übrigen  Griechen  vereinigt  aufzubieten  zum  Widerstand  gegen  den 
macedonischen  König  Philipp,  welcher  allen  griechischen  Staaten,  nach 
Bezwingung  der  Illyrier  und  Eroberung  verschiedener  attischer  Städte,  den 
Umsturz  drohte.  • 


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(6) 


IX.  Buch,  3.  Cap.,  §  5.  »J.  —  4.  Cap.,  §  1—3. 


Zeiten  das  Licht  der  Welt  erblicken  Hess.  Denn  ich  hoffe, 
dass  er  unter  Deiner  Führung  und  Anleitung  dereinst  meiner 
und  der  Uebernahnie  der  ihm  bestimmten  Gewalt  würdig  er- 
funden wird."  6.  Des  Philippus  (eigene;  Worte  sind  (im  Grie- 
chischen mit  dieser  Uebersetzung)  gleichlautend. 

IX,  4,  Ij.  Ueber  ungeheuerliche;  Wunderdinge  l>ei  (fremden)  wilden  Völkern ; 
desgleichen  über  unheilvolle,  verderbenbringende  Behexungen;  endlich  noch 
von  Weibern,  die  plötzlich  in  Männer  verwandelt  worden. 

IX,  4.  Cap.  1.  Als  ich  bei  meiner  Rückkehr  aus  Grie- 
chenland nach  Italien  zu  Brundusium  anlangte  und  aus 
dem  Schiffe  ans  Land  gestiegen,  mich  ein  wenig  in  jenem 
berühmten  Hafenplatz  erging,  den  Q.  Enning  (wie  schon  hier 
bei  Gell.  VII  [VI],  (>.  0  bemerkt  wurde)  mit  einem  zwar 
etwas  seltneren,  aber  doch  höchst  passenden  Ausdruck  „prae- 
petem"  (d.  h.  den  sichern,  günstigen,  glücklichen)  genannt  hat, 
da  sah  ich  einige  Bündel  Büeherpackete  zum  Verkauf  aus- 
liegen. 2.  Sogleich  gehe  ich  begierig  auf  die  Bücher  zu. 
3.  Es  waren  lauter  griechische  Werke,  voll  von  Wundern  und 
Mährchen,  unerhörte,  unglaubliche  Geschichten,  deren  Ver- 


IX,  4,  1.  Vergl.  Gell.  II,  21,  1;  XV,  6,  1;  XJX,  1,  1.  12.  Die  Re- 
ferate liier  von  §  1—15  sind  Auszüge  aus  Plin.  H.  N.  VII,  2,  16-26. 

IX,  4,  1.  Brundusium  (jetzt  Brindisi),  Stadt  in  Calabrien,  an  einer 
kleinen  Bucht  des  adriatischen  Meeres  mit  trefflichem  Hafen.  Die  Römer 
nahmen  die  Stadt  245  v.  Chr.  weg  und  colonisirten  sie.  Hier  mündete 
die  appisehe  Strasse  aus,  von  wo  man  gewöhnlich  nach  Griechenland 
hinüberfuhr.  —  19  v.  Chr.  starb  hier  Vergilius  auf  seiner  Rückkehr  aus 
Griechenland. 

IX,  4,  8.  Aristeas,  aus  Proconnesus,  lebte  unter  der  Regierung  des 
Croesus,  ohngefähr  um  550  v.  Chr.,  unternahm  bedeutende  Reisen  zu  den 
Völkern  an  den  nördlichen  Gestaden  des  schwarzen  Meeres  bis  zum  Ural 
hin,  und  schrieb  darüber  ein  Gedicht:  tu  stgiuaaTTtict,  über  die  Arimaspen 
(§  6),  worin  Wahres  mit  Sagenhaftem  vermischt  war.  Nach  Herod.  IV,  VS 
hielten  seine  Landsleute  ihn  für  nicht  ganz  zuverlässig.  —  Is  ig  onus  von 
Nicaea,  griechischer  Geschichtsschreiber:  de  fabulis  rairaculis,  rebusque 
incredibilibus  et  inauditis.  —  Ktesias,  griechischer  Geschichtsschreiber 
und  Arzt,  Zeitgenosse  Xenophons,  geboren  zu  Knidos  in  Karien;  kam 
ohngefähr  416  v.  Chr.  an  den  persischen  Hof;  begleitete  als  Leibarzt  den 
Artaxerxes  Mnemon  auf  seinem  Feldzuge  gegen  Kyros ;  erwarb  sich  grosse 
Kenntnisse  über  die  Verhältnisse  Persiens  und  legte  sie  in  seinem,  aus 
23  Büchern  bestehenden  Werke  „77^0-/*«"  "betitelt,  nieder.   Dieses  Ge- 


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IX.  Buch,  4.  Cap.,  §  4.  5.  (7) 

fasser  alte  Schriftsteller  von  nicht  geringem  Ansehen,  z.  B. 
Aristeas  von  Proconnesus,  Isigonus  von  Nicaea,  Ktesias, 
Onesikritus,  Polystephanus  (Philostephanus)  und  Hegesias. 
4.  Allerdings  strotzten  diese  verlegenen  (Scarteken-)  Bücher 
von  langem  Moder  und  Schmutz  und  hatten  dem  Aeusseren 
und  Aussehen  nach  durchaus  nichts  Einladendes.  5.  Trotz- 
dem trat  ich  näher,  erkundigte  mich  nach  ihrem  Preis  und 
wurde  durch  die  wunderbare  und  unverhoffte  Billigkeit  be- 
wogen, die  meisten  Werke  um  ein  Spottgeld  an  mich  zu 
bringen.  In  den  zwei  darauf  folgenden  Nächten  (machte  ich 
mich  sofort  darüber  her  und)  las  sie  rasch  durch.  Beim 
Durchlesen  habe  ich  mir  Einiges  daraus  ausgewählt  und  einige 
bewundernswürdige  und  von  unseren  Schriftstellern  fast  ganz 
unberührt  gelassene  Bemerkungen  dieser  (meiner)  Aufsatz- 
sammlung einverleibt  ,  damit  keiner  meiner  (geneigten)  Leser 
bei  etwaiger  Erwähnung  derartiger  (Wunder-)  Dinge  gänzlich 
unerfahren  und  ununterrichtet   (arrjzooS)   erfunden  werden 


schichtswerk  war  reich  an  orientalisch  üppigen  Ausschmückungen  und  ar. 
weit  von  der  Wahrscheinlichkeit  ahschweifenden  Auswüchsen.  Die  alten 
Schriftsteller  haben  das  Werk  vielfach  benutzt,  werfen  ihm  aber  Mangel 
an  Wahrheit  vor.  Von  seinem  zweiten  Werke:  *Mixat  besitzen  wir,  wie 
von  dem  ersten,  nur  Bruchstücke,  meist  naturhistorischen  Inhalts.  — 
OnesikrTtos  (auch  Onesikrätes),  Schüler  des  Cynikers  Diogenes  und 
Begleiter  Alexanders  d.  Gr.  auf  seinem  Zuge  nach  Asien,  über  dessen 
Feldzug  er  ein  nicht  sehr  glaubwürdiges  Werk  verfasste.  S.  Lucian:  wie 
soll  man  Geschichte  schreiben,  40;  Plutarch.  Alex.  46;  auch  der  Geograph 
Strabo  nimmt  ihn  wegen  seiner  indischen  Wundergeschichten  scharf  mit. 
Polystephanus,  ein  Paradoxograph.  (Philostephanus  von  Cyrene, 
Schüler  und  Freund  des  Dichters  Kallimachus,  ein  geachteter  griechischer 
Geschichtsschreiber  zur  Zeit  der  Regierung  des  Königs  Ptolemaeus  II, 
Philadelphus.  Unter  Anderem  schrieb  er:  über  Erfindungen  (tt^qI  evQt]- 
ILutTtov),  dann  über  die  Städte  Asiens  u.  s.  w.  Doch  ist  nichts  von  ihm 
auf  uns  gekommen).  Hegesias  ist  entweder  der  Anhänger  der  von 
Aristipp  gestifteten  cyrenaischen  Schule,  welcher  das  Lebenselend  so  lebhaft 
zu  schildern  verstand,  dass  sich  viele  seiner  Schüler  (Hegesiaci)  das  Leben 
nahmen;  oder  der  um  300  v.  Chr.  lebende  Sophist  und  Rhetor  Hegesias 
aus  Magnesia,  welcher  wegen  des  hochtrabenden,  malenden,  s.  g.  asiatischen 
Stils,  den  er  (nach  Cic.  or.  67.  69)  an  Stelle  der  attischen  Beredtsamkeil 
einführte,  für  den  Urheber  des  schlechten  Geschmacks  in  der  Literatur 
gilt.  Er  hat  verschiedene  schwülstige  und  übertreibende  Darstellungen  von 
den  Thaten  Alexanders  d.  Gr.  geschrieben,  wie  aus  den  Fragmenten  beim 
Dionysius  von  Halicarnass  hervorgeht. 


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IX.  Buch,  4.  Cap.,  §  G.  7. 


mochte.  6.  In  jenen  Werken  standen  also  folgende  (merk- 
würdige) Dinge  verzeichnet:  Jene  entferntesten  Völker,  die 
Scythen,  welche  tief  im  Norden  wohnen,  sollen  Menschenfleisch 
gemessen  und  vom  Genüsse  dieser  Nahrung  (förmlich)  ihr 
Lehen  fristen,  daher  sie  auch  (Anthropophagi ,  d.  h.)  Men- 
schenfresser genannt  werden.  So  soll  es  unter  demselben 
Himmelsstrich  auch  Wesen  geben,  die  mitten  auf  der  Stirn 
«nur;  ein  Auge  haben,  die  Arimaspi  genannt  werden  und 
gerade  so  aussehen,  wie  die  Cyclopen  nach  Beschreibung  der 
Dichter;  unter  derselben  Himmelsgegend  soll  es  ferner  noch 
Menschen  geben,  die  sich  durch  eine  ausserordentliche  Schnel- 
ligkeit im  Laufen  auszeichnen,  die  rückwärtsgekehrte  Fusssohlen 
haben,  nicht  wie  die  der  übrigen  Menschen  vorwärtsstrebende 
und  entgegengesetzt  schauende  (d.  h.  nicht  vorwärtsgekehrte 
oder  vorwärtsgehende);  ausserdem  fand  sich  ein  überlieferter 
Bericht  vor,  dass  in  einem  Lande,  am  Ende  der  Erde,  Albanien 
genannt,  menschliche  Geschöpfe  leben,  die  schon  in  ihrer 
Kindheit  grau  werden  und  bei  Nacht  mehr  und  besser  sehen, 
als  am  Tage;  auch  könne  als  ganz  gewiss  versichert  und  ge- 
glaubt werden,  dass  die  weit  über  den  Fluss  Borysthenes 
hinaus  (am  Nordpol)  wohnenden  Sarmaten  nur  aller  drei  Tage 
Speise  zu  sich  nehmen,  den  Tag  dazwischen  aber  immer  fasten. 
7.  Auch  fand  ich  in  jenem  Werke  eine  Nachricht  verzeichnet, 


IX,  4,  6.  Menschen  mit  Füssen  nach  hinten  gekehrt  S.  Plin.  VII, 
2,  3;  Augustin.  de  civit.  Dei  26,  8.  Die  Füsse  eines  Schnellläufers  von 
hinten  gesehen,  scheinen  verkehrt  zu  stehen. 

IX,  4,  6.    Im  Scythischen  hiess  eins  und  anov,  das  Auge 

(Herod.  4,  27.  32).  Daher  glaubt  Strabo  (I  p.  21,  C  =  40,  A),  vielleicht 
habe  Homer  seine  Cyclopen  nach  der  scythischen  Arimaspensage  gebildet. 
Aeschylus  (Prometh.  807)  erwähnt  die  Arimaspen  als  gute  Reiter. 

IX,  4,  6.  Savigny  röm.  Rcht.  IV,  p.  606.  Die  Sarmaten  wechselten 
also  ab  von  einem  Tage  zum  andern  mit  Essen  und  Fasten,  und  indem 
die  Speisetage  „tertii"  genannt  werden,  muss  der  jedem  vorhergehende 
Speisetag  mitgezählt  werden.  Ordinalzahlen  in  der  Bezeichnung  von  Zeit- 
räumen, wo  diese  als  Bezeichnung  angewendeten  Ordinalzahlen  so  zu  ver- 
stehen sind,  dass  der  Zeitraum,  wovon  die  Zählung  ausgeht  (wie  hier  der 
erste  Tag)  mitgezählt  wird;  cfr.  Gell.  XVII,  12,  2  quam  febrim  quartis 
diebus  recurrentem  laudavit,  d.  h.  das  aller  4  Tage  wiederkehrende,  und 
XVII,  12,  5  haec  biduo  medio  intervallata  febris,  das  Fieber,  welches 
zwei  Tage  aussetzt. 


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IX.  Buch,  4.  Cap.,  §  7  —  10. 


(9) 


die  ich  später  beim  Plinius  Secundus  im  7.  Buche  seiner 
Naturgeschichte  auch  wieder  (?)  las,  dass  es  in  Afrika  gewisse 
Stämme  von  Menschen  gäbe,  die  durch  ihre  Stimme  und 
Sprache  (Andere)  verhexen,  8.  wie  z.  B.  wenn  sie  zufällig 
schöne  Bäume,  ergiebigere  Saaten,  liebliche  Kinder,  herrliche 
Pferde,  fette,  gut  geweidete  und  gepflegte  Heerden  über  die 
Massen  lobten,  dann  stürbe  das  Alles  plötzlich  ab,  in  Folge 
einer  sonst  durch  keinen  weiteren  Grund  erklärliche  Ein- 
wirkung. In  denselben  Büchern  steht,  dass  auch  schon  eine 
verderbenbringende  Verhexung  durch  die  Augen  (und  durch 
den  Blick)  möglich  sei  und  es  wird  berichtet,  dass  es  unter 
den  Illyriern  Menschen  gebe,  die  durch  ihren  Blick  Alle 
tödten,  die  sie  längere  Zeit  scharf  und  zornig  anblicken,  und 
alle  solche  mit  so  bösem  und  schädlichem  Blicke  behaftete 
Männer  oder  Frauen  hätten  in  jedem  Auge  eine  doppelte 
Schliesse  (Pupille,  Augapfel).  9.  So  soll  es  auch  auf  Indiens 
Bergen  Menschen  geben,  die  Hundsköpfe  haben  und  bellen, 
und  die  sich  von  den  auf  der  Jagd  erlegten  Vögeln,  oder 
wilden  Thieren  ernähren;  auch  soll  es  in  den  äussersten  Ge- 
genden des  Morgenlandes  Wundermenschen  geben,  die  Mono- 
coli  (Einschenklige ,  Einfüssler)  genannt  werden  und  mit 
raschester  Behendigkeit  sprungweise  auf  einem  Beine  sich  fort- 
schnellen ;  auch  sollen  einige  ganz  ohne  Nacken  (und  Kopf)  sein 
und  die  Augen  an  den  Schultern  sitzen  haben.  10.  Aber  Eins 
übertrifft  selbst  noch  die  Möglichkeit  des  Wunderbaren,  das 


IX,  4,  7.  Gajus  Plinius  Secundus  (Major),  einer  der  gebildetsten 
und  vielseitigsten  Gelehrten  Roms,  verwaltete  unter  Vespasian  mehrere 
öffentliche  Aemter  im  Kriege  und  Frieden.   Als  Befehlshaber  der  Flotte 
von  Misenum  wollte  er  79  n.  Chr.  einen  Ausbruch  des  Vesuvs  in  der 
Nähe  beobachten  und  kam  dabei  um.   Noch  ist  seine  „Historia  naturalis", 
ein  umfangreiches  encyklopädisches  Werk  in  37  Büchern,  von  ihm  übrig. 
Sein  Schwestersohn  Gajus  Plinius  Secundus  (Minor),  geb.  62  n.  Chr. 
zu  Comum  im  transpadanischen  Gallien,  wurde  Praetor  und  später  Consul 
zu  Rom,  zuletzt  Proconsul  zu  Bithynien  und  Pontus  und  starb  110  n.  Chr. 
Von  ihm  ist  noch  eine  Sammlung  von  Briefen  in  10  Büchern  in  feiner 
Umgangssprache  vorhanden,  woselbst  lib.  VI,  16  sich  die  Beschreibung 
von  dem  traurigen  Ende  seines  Oheims  findet.    Weniger  anziehend  ist 
sein  ^anegyricus  auf  Trajan.  IX,  4,  7  (fascinatio).    S.  Plin.  VII,  2,  2, 
§  16.  18;  Plut.  Symp.  V,  7. 

IX,  4,  9.   Cfr.  Spartan.  vit.  Commodi  10. 


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(10) 


IX.  Buch,  4.  Cap.,  §  10—14. 


ist  die  Erzählung  derselben  Schriftsteller  über  einen  Menschen- 
schlag am  äussersten  Ende  Indiens,  die  am  Leibe  ganz  struppig 
seien  und  nach  Art  der  Vögel  Federn  bekämen,  die  keinerlei 
Speise  zu  sich  nähmen,  sondern  sich  nur  vom  Schlürfen  des 
Blumenduftes  ernährten  (den  sie  durch  die  Nase  einsögen;. 
Nicht  weit  von  diesen  sollen  auch  noch  die  Pygmäen  (eine 
Zwergart)  leben,  von  denen  die  längsten  nicht  grösser  seien 
als  2!/4  Fuss.  11.  Diese  und  viele  ähnliche  derartige  (wunder- 
bare) Nachrichten  waren  in  den  Werken  zu  lesen.  12.  Allein 
beim  Niederschreiben  dieser  Dinge  ergritt'  mich  doch  ein  ge- 
wisser Ekel  Uber  solch  unnützes,  überflüssiges  Geschreibsel, 
das  nicht  den  geringsten  Eintluss  äussert  in  Bezug  auf  Er- 
hebung und  Ergötzung  im  Lebensverkehr.  13.  Da  hier  aber 
der  Wunderdinge  so  viele  Platz  fanden,  wird  es  wohl  auch 
gestattet  sein,  noch  eines  (merkwürdigen)  Falles  zu  gedenken, 
von  dem  uns  ein  Mann,  der  zu  seiner  Lebenszeit  wegen  seines 
Geistes  und  seiner  Ehrenhaftigkeit  in  hohem  Ansehen  stand, 
Plinius  Secundus.  nämlich  im  7.  Buche  seiner  Naturgeschichte 
die  schriftliche  Versicherung  giebt,  ihn  nicht  nur  gehört  oder 
gelesen  zu  haben,  sondern  (selbst)  in  Erfahrung  gebracht  und 
sich  mit  eigenen  Augen  davon  überzeugt  zu  haben.  14.  Die 
weiter  unten  von  mir  angeführten  Worte  sind  seine  eigenen, 


IX,  4,  10.  Im  November  1873  hielt  der  Afrikareisende  Dr.  Georg 
Schweinfurth  einen  öffentlichen  Vortrag  über  die  Zwerg-Neger  Völker, 
die  er  im  Innern  Afrikas  gefunden.  Schon  Aristoteles  glaubte  an  die 
Pygmäen,  die  er  in  Aegypten  lebend  wähnte.  Dr.  Schweinfurth  erzählt, 
dass  diese  Leutchen  höchstens  lVi  Meter  lang  werden,  grosse  Barte  und 
kurzwolliges  Haar  haben  und  dass  ihre  Hautfarbe  der  der  Buschmänner 
gleiche.  Sie  gehen  einwärts  gebogen  und  haben  sehr  lange  Arme.  Ihre 
Augen  und  ihr  Minenspiel  sind  lebendig,  oft  feurig.  Sie  sollen  Elfenbein 
in  den  Handel  bringen  und  sich  trotz  ihrer  Kleinheit  und  ihrer  Miniatur- 
waffen recht  wohl  der  Elephanten  zu  bemächtigen  verstehen.  Als  Haus- 
thiere  besitzen  sie  nur  das  Huhn.  Dr.  Schweinfurth  hatte  einen  dieser 
kleinen  Neger  lange  Zeit  bei  sich,  dessen  einziger  Charakterzug  war,  dass 
er  gern  auf  Hunde  schoss.  Nur  einmal  sah  Dr.  Schweinfurth  eine  grössere 
Menge  beisammen  und  hielt  sie  für  Kinder;  später  aber,  als  er  erfahren, 
dass  es  Männer  und  Frauen  gewesen  und  er  sie  wieder  aufsnchte  und 
sehen  wollte,  waren  sie  bereits  weiter  nach  dem  tiefsten  Innern  Afrikas 
gezogen. 

IX,  4,  14.  Caeneus.  S.  Ovid.  Met.  12,  189.  459  u.  s.  f.;  507  u.  s.  f.; 
Hygin.  Fab.  14.   In  umgekehrtem  Verhältnisse  Vergil  Aen.  6,  44.Q.  Cae- 


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IX.  Buch,  4.  Cap.,  §  14— 1(>.  —  5.  Cap.,  §  1. 


(ii) 


aus  dem  benannten  Werke  entlehnten,  deren  Anführung 
wahrlich  nur  den  -Zweck  hat,  dass  jenes  allbekannte  (im 
Volksmund  lebende)  Mährlein  der  alten  Dichter  über  ein 
Mädchen  mit  Namen  Caenis,  später  nach  seiner  Verwandlung 
in  einen  Knaben.  Caeneus  genannt,  weder  widersinnig,  noch 
lächerlich  sei.  15.  Da  heisst  es:  „Dass  Weiber  in  Männer 
verwandelt  worden  sind,  ist  keine  Fabel.  Wir  finden  in  den 
Jahrbüchern  angemerkt,  dass  unter  dem  Consulate  des  P. 
Licinius  Crassus  und  des  Gajus  Cassius  Longinus  (583  u.  c.) 
zu  Casinum  aus  einer  Jungfrau  unter  den  Augen  ihrer  Aeltern 
ein  Knabe  geworden  und  auf  Anrathen  der  Wahrsager  auf 
eine  wüste  Insel  ausgesetzt  worden  sei.  Licinius  Mucianus 
erzählt,  er  habe  zu  Argos  einen  gewissen  Arescon  gesehen, 
der  früher  den  Namen  Arescusa  geführt  und  als  solche  sich 
sogar  verheirathet  habe;  bald  darauf  aber  sei  der  Bart  und 
die  Mannheit  bei  dieser  Person  zum  Vorschein  gekommen  und 
sie  habe  sich  eine  Frau  genommen.  Von  derselben  Beschaffen- 
heit will  er  auch  einen  Knaben  zu  Smyrna  gesehen  haben. 
Ich  selbst  habe  in  Afrika  den  Lucius  Cossitius.  einen  thvs- 
dritanischen  Bürger  gesehen,  der  an  seinem  Hochzeitstage  in 
einen  Mann  verwandelt  wurde  und  noch  lebte,  da  ich  dieses 
niederschrieb."  16.  Derselbe  Plinius  schreibt  in  demselben 
(angeführten)  Buche  wörtlich  weiter:  „Ks  giebt  Menschen,  die 
von  der  Geburt  an  beide  Geschlechter  an  sich  haben,  die 
man  Hermaphroditen  (Zwitter)  nennt;  sonst  führten  sie  den 
Namen  Androgyni  (Mannweiber)  und  sie  wurden  für  Wunder- 
bildungen (oder  Missgeburten)  angesehen,  müssen  jetzt  hin- 
gegen zur  Wollust  dienen. 


IX,  5,  L.    Verschiedene  Ansichten  der  hervorragendsten  Philosophen  über 
die  Art  und  das  Wesen  der  Wollust;  Ausspruch  des  Philosophen  Hicrocles, 
wodurch  er  die  Lehrsätze  Epicurs  einem  scharfen  Tadel  unterzog. 

IX,  5.  Cap.  1.  Ueber  die  Wollust  haben  die  alten  Philo- 
sophen verschiedene  Ansichten  (gefasst  und)  ausgesprochen. 

neus,  von  Elntus  gezeugt,  anfangs  Mädchen  mit  Namen  Caenis,  später 
in  einen  Knaben  verwandelt,  mit  Namen  Caeneus. 

IX,  4,  15  u.  16;  Plin.  H.  N.  VII,  III,  4,  86  und  VH,  4  §  34  u.  3C. 

IX,  5,  1.   S.  Diog.  Lacrt.  X,  3;  Cic.  Tusc.  III,  4;  de  fin.  I,  15;  II,  14; 


IX.  Buch,  5.  Cap.,  §2—5. 


2.  Epicur  setzt  das  höchste  Gut  in  die  Wollust  und  erklärt 
sie  als  „den  gleichmässig  (behaglichen)  ruhigen  Zustand  des 
Körpers,  octQ/.6g  evoiati^  /.aTaocr^ta^ .  3.  Antisthenes,  der 
Schüler  des  Socrates,  erklärt  sie  fürs  höchste  Uebel  und  sein 
Ausspruch  lautete:  Ich  möchte  lieber  vom  Wahnsinn  als  von 
der  Wollust  ergriffen  sein.  4.  Speusippus  und  die  ganze  alte 
Academie  behaupten,  dass  die  Wollust  und  der  Schmerz  zwei 
einander  ganz  entgegengesetzte  Uebel  seien  und  dass  nur  das 
zwischen  diesen  Beiden  in  der  Mitte  Stehende  gut  sei.  5. 
Zenos  Meinung  war,  dass  die  Wollust  etwas  ganz  Gleich- 


de  offic.  III,  33;  Senec.  de  benefic  IV,  2,  10  ff.;  de  vit.  beat;  Stob.  serm. 
XV.  XVII;  Porphyr,  von  der  Entbehrung  der  Fleischspeisen  I;  Athen 
VII,  5. 

IX,  5,  2.  Epicur us  von  Gargettus,  einem  Flecken  in  Attica,  geb. 
341  v.  Chr.,  Sohn  des  Neokles  aus  dem  Geschlechte  der  Philäiden,  Hess 
sich  nach  seinem  30.  Jahre  in  Athen  nieder,  wo  er  in  einem  von  ihm  an- 
gekauften Garten  mit  seinen  drei  Brüdern,  Aristobulus,  Chaeredemus  und 
Neokles  und  mit  den  zahlreich  ihm  zuströmenden  Schülern  sich  über 
philosophische  Gegenstände  zu  unterhalten  pflegte.  Kindliche  Verehrung 
seiner  Aeltern,  edle  Unterstützung  seiner  Brüder,  Milde  gegen  Untergebene 
und  allgemeine  Menschenliebe  charakterisirten  ihn.  Seine  Lehre  bildete 
den  Gegensatz  zu  der  stoischen.  Nach  ihm  war  der  Endzweck  des  Lebens 
behagliche  Ruhe  und  Genuss  ohne  Thätigkeit,  während  die  Stoiker  den 
Endzweck  des  Lebens  in  Unempfindlichkeit  gegen  Schmerz  und  Freude, 
also  auf  nur  andere  Weise  ebenfalls  Ruhe  des  Gemüthes  suchten.  S. 
Diog.  Laert  X,  1. 

IX,  5,  3.  Antisthenes  von  Athen,  Stifter  der  cynischen  Schule 
(die  Mutter  der  stoischen),  wurde  aus  einem  Anhänger  des  Gorgias  ein 
eifriger  Schüler  des  Socrates.  Die  cynische  Schule  bekam  ihren  Namen 
von  dem  Gymnasium  Cynosarges,  in  dem  Antisthenes  lehrte.  Von  der 
Uebertreibung  seiner  Grundsätze  durch  seine  Schüler  leitete  man  später 
die  Benennung  von  xvtor,  Hund  ab.  Ammonius,  ein  alter  Commentator 
des  Aristoteles,  sagt:  „Die  Cyniker  haben  ihren  Namen  von  der  Frei- 
müthigkeit  ihrer  Rede  und  von  ihrer  Wahrheitsliebe  erhalten;  denn  so 
wie  die  Hunde  instinctiv  etwas  Philosophisches  haben,  welches  sie  lehrt,, 
die  Personen  zu  unterscheiden,  die  Fremden  anzubellen  und  den  Haus- 
bewohnern zu  schmeicheln,  so  lieben  die  Cyniker  die  Tugend,  und  die- 
jenigen, die  sich  ihrer  befleissigen,  und  rügen  die  Thorheiten  und  Leiden- 
schaften der  Menschen,  wenn  sie  auch  auf  dem  Throne  sässen."  S.  Diog. 
Laert.  VI,  1,  4.  Der  berühmte  Diogenes  (Gell.  I,  2,  10  NB)  war  sein 
Schüler. 

IX,  5,  4.  Ueber  Speusippus  s.  Gell.  UI,  17,  3  NB;  Diog.  Laert. 
IV,  1,  4. 


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IX.  Buch,  5.  Cap.,  §5-8.-6.  Cap.,  §  1.  2.  (13) 


gültiges  (indifferens) ,  d.  h.  ein  Mittelding,  also  weder  etwas 
Gutes,  noch  etwas  Böses  sei  und  brauchte  dafür  den  Ausdruck 
„aöiayoQov" .  6.  Der  peripathetische  Weltweise  Critolaus  sagt, 
dass  die  Wollust  nicht  nur  etwas  Böses  sei,  sondern  auch  die 
eigentliche  Erzeugerin  vieler  anderen  Uebel,  der  Ungerechtig- 
keiten, des  Müssiggangs,  der  Vergesslichkeit  und  des  Mangels 
an  Thatkraft  sei.  7.  Plato  hat  sich  vor  allen  den  genannten 
Philosophen  verschiedentlich  und  mannigfach  über  die  Wollust 
ausgesprochen,  dass  es  fast  den  Anschein  gewinnt,  als  seien 
alle  vorher  von  mir  darüber  angeführten  Meinungen  dem 
(Weisheits-)  Bronnen  seiner  (philosophischen  Gespräche,  Dia- 
loge) Unterredungen  eutströmt,  denn  bei  ihm  findet  die  Ver- 
werthung  der  einen  oder  anderen  (dieser  seiner  Ansichten) 
demgemäss  statt,  wie  es  theils  das  Wesen  der  Wollust  in 
seiner  vielfachen  Erscheinung,  mit  sich  bringt,  theils  wie  es 
das  Verhältniss  der  Gesichtspunkte  verlangt,  die  er  berührt  und 
die  (Verschiedenheit  der  obwaltenden  Neben-)  Umstände,  denen 
er  Kechnung  tragen  will.  8.  So  oft  aber  des  Epicur  Erwähnung 
gethan  wurde,  hatte  unser  Taurus  stets  die  Worte  des  Hie- 
rokles,  jenes  tugendhaften  und  strengen  Mannes  im  Mund  und 
auf  den  Lippen:  Die  Wollust  zum  Lebenszweck  machen,  heisst 
Lustdirnensatzung,  (allein)  nicht  an  eine  Vorsehung  glauben, 
heisst  nicht  einmal  Lustdirnensatzung  {noqvr^  Soyfta). 

IX,  6,  L.  Wie  die  erste  Silbe  des  von  (seinem  Stammwort)  „ago"  hergeleiteten 
Frequentativum  rhythmisch  auszusprechen  s^i. 

IX,  6.  Cap.  1.  Von  dem  Zeitwort  „ago,  egi"  (ich  betreibe, 
habe  betrieben)  hat  man  die  Wortformen  „actito,  actitavi"  (ich 
betreibe  oft,  habe  oft  betrieben)  gebildet,  welche  die  Gramma- 
tiker Frequentativa  nennen.  2.  Da  habe  ich  nun  schon  oft 
hören  müssen,  wie  einige  durchaus  nicht  ungebildete  Männer 
diese  angeführten  Wörter  so  betonen,  dass  sie  die  erste  Silbe 

IX,  5,  5.    Cic.  Luculi.  s.  akademische  Untersuchungen  II,  43;  de 
finib.  III,  20;  Diog.  Laert.  VII,  1,  60;  Gell.  I,  2,  9  f.;  XII,  5. 
IX,  5,  6.   Ueber  Critolaus  s.  Gell.  VI  (VII),  14,  9  NB. 
IX,  5,  7.   Ueber  Plato  s.  Gell.  II,  8,  9. 

IX,  5,  8.  Hierokles,  stoischer  Philosoph  aus  Hyllarima  in  Karien. 
Stob.  8,  19-85,  21 ;  ed.  Meineke. 

IX,  6,  1.  Verba  frequentativa  sind  Zeitwörter,  welche  eine  oft  wieder- 
holte, oder  mit  Anstrengung  geschehene  Handlung  anzeigen. 


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(14)  IX.  Buch,  6.  Cap.,  §  2.  8.  -  7.  Cap.,  §  1.  2. 

kurz  aussprechen,  und  sie  geben  als  Grund  dafür  an,  weil  ja  in 
dem  Stammwort  „agou  die  erste  Silbe  auch  kurz  ausgesprochen 
werde.  3.  Da  in  den  Wörtern  edo  (ich  esse)  und  ungo  (icli 
salbe)  die  erste  Silbe  kurz  ausgesprochen  wird,  warum  hebt 
man  in  den  davon  abgeleiteten  Frequentativformen :  esito 
(ich  esse  oft)  und  unctito  (ich  salbe  oft)  die  erste  Silbe  als 
lang  hervor  und  spricht  hingegen  in  dem  von  seinem  Stamm- 
wort dico  abgeleiteten  (Frequentativum)  dictito  (ich  sage  oft) 
diese  Silbe  kurz  aus?  Es  müsste  nun  also  doch  die  erste 
Silbe  in  actito  und  actitavi  vielmehr  (auch)  lang  ausgesprochen 
werden;  weil  ja  doch  fast  alle  aus  dem  Participium  perfecti 
passivi  ihrer  Stammverben  abgeleiteten  Frequentativa  in  der 
ersten  Silbe  ebenso  (d.  h.  lang)  gebraucht  werden,  wie  z.  B. 
lego.  lectus  bildet  (das  Frequentativum  oder  Intensivum) 
lectito;  ungo,  unctus  bildet  unctito;  scribo,  scriptus  giebt 
scriptito;  moveo,  motus  bildet  motito;  pendeo,  pensus  hat 
pensito;  edo,  esus  hat  esito;  hingegen  spräche  man,  wie  ich 
schon  oben  bemerkte,  die  erste  Silbe  in  dem  von  dico,  dictus 
abgeleiteten  Frequentativum  dictito  (ausnahmsweise)  kurzaus; 
so  wieder  lang  in  gestito  (ich  vollbringe  oft)  von  gero,  gestus; 
vectito  (ich  fahre  oft)  von  veno,  vectus ;  raptito  (ich  entreisse 
oft)  von  rapio,  raptus;  captito  (ich  hasche  oft)  von  capio, 
captus;  factito  (ich  thue  oft)  von  facio,  factus.  So  ist  dem- 
nach die  erste  Silbe  in  actito  (unbedingt)  auch  lang  aus- 
zusprechen, weil  es  von  ago,  actus  (ganz  auf  eben  dieselbe 
Art)  abgeleitet  ist. 

IX,  7,  L.     lieber    das   Sichunulrehen   der   Blätter  am  Olivenbauin  zur 
Winter-  und  Sommer-Sonnenwende  und  über  das  Mitklingen  einiger  (nicht 
berührter)  Saiten  beim  Anschlag  anderer. 

IX,  7.  Cap.  1.  Es  ist  allenthalben  sowohl  schriftlich 
ausgesprochen,  als  auch  für  wahr  angenommen  worden,  dass 
die  Blätter  der  Olivenbäume  am  Tage  der  AVinter-  und 
Sommersonnenwende  sich  umwenden  und  der  Theil,  welcher 
an  den  Blättern  der  untere  und  verborgenere  war,  (zu  der- 
selben Zeit)  nun  oben  (aufgeschossen)  sich  entfaltet  und  un- 
seren Augen  und  der  Sonne  offen  gelegt  erscheint,  2.  eine 


IX,  7,  1.   Theophr.  Naturgesch.  der  Pflanzen  I,  16. 

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IX.  Buch,  7.  Cap.,  §  2.  3.  —  8.  Cap.,  §  1    3.  (15) 

Beobachtung,  die  auch  mir  selbst  bei  absichtlicher  (näherer) 
Untersuchung  mein*  als  einmal  fast  ganz  ebenso  vorgekommen 
ist.  3.  Was  man  sich  jedoch  erzählt  über  die  Saiten  (auf 
einem  Instrumente),  ist  weniger  bekannt,  aber  um  so  wunder- 
barer. Nach  der  Versicherung  vieler  gelehrter  Männer,  wie 
auch  besonders  des  Suetonius  Tranquillus  im  ersten  Buche 
seines  „kurzweiligen  Unterhaltungsstoffes  (ludicra  historia)", 
weiss  man  ganz  gewiss  und  ist  darüber  ganz  einig,  dass, 
wenn  man  zur  Zeit  der  Wintersonnenwende  einige  Saiten 
(auf  einem  Instrumente)  anschlägt,  andere  (die  gar  nicht  be- 
rührt wurden,  mit-)  tönen. 

IX,  6,  L.    Dass  es  nnumstösslich  wahr  sei,  dass  der,  welcher  viel  hat, 
auch  um  so  mehr  brauche;  ferner  kurzgelasster  feiner  Gedanke  des 
Philosophen  Favorin  über  diese  Ansicht. 

IX,  8.  Cap.  1.  Wahrlich,  ewig  wahr  wird  er  bleiben, 
der  auf  genaue  Beobachtung  und  auf  praktische  Erfahrung 
gestützte  Ausspruch  weiser  Männer,  dass  Einer  viel  bedarf, 
der  viel  hat  und  dass  ein  unersättliches  Bedürfniss  nicht  aus 
grossem  Mangel,  sondern  nur  aus  grossem  Uebertluss  ent- 
springe. 2.  Denn  viele  (neue)  Wünsche  werden  in  Dir  rege, 
wenn  Du  das  Bedürfniss  hast,  einen  grossen  Besitz  zu  be- 
haupten (oder  gar  noch  zu  vermehren).  3.  Jeder  also,  der 
viel  besitzt,  hat  (vielmehr)  eine  Verringerung  (seiner  Wünsche 
und  seiner  Besitzeslust),  nicht  aber  eine  Vergrösserung  (an- 
zustreben) nöthig,  wenn  es  (überhaupt)  in  seiner  Absicht  liegt, 
sich  vorzusehen  und  Sorge  zu  tragen*  dass  es  ihm  an  nichts 
mangeln,  oder  ihm  nichts  abgehen  soll,  und  er  muss  sich  be- 
streben, weniger  zu  besitzen,  um  desto  weniger  zu  vermissen. 


IX,  7,  3.  Suetonius  Tranquillus,  röm.  Geschichtsschreiber 
70 — 121  n.  Chr.,  zur  Zeit  des  Domitian,  Trajan  und  Hadrian,  stand  mit 
dem  jüngeren  Plinius  in  vielfacher  Verbindung.  Beschrieb  das  Leben  von 
Julius  Caesar  und  der  elf  ersten  Kaiser,  über  die  er  eine  Menge  der 
anziehendsten  und  lehrreichsten  Nachrichten  mittheilt.  Ausserdem  ver- 
fasste  er  vier  Bücher  von  berühmten  Römern,  Grammatikern,  Rhetorcn, 
Staatsmännern  und  Dichtern.    S.  Teuffels  röm.  Lit  Gesch.  342,  2. 

IX,  8,  1.  Vergl.  Gell.  XII,  2,  13  und  Plutarch:  über  Bezähmung  des 
Zorns  13,  wo  es  heisst:  wer  wenig  bedarf,  dem  schlagt  selten  etwas  fehl; 
Senec.  ep.  110,  16. 


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(16) 


IX.  Buch,  8.  Cap.,  §4.-9.  Cap..  §  1  —3. 


4.  Ich  erinnere  mich  (lebhaft),  dass  dieser  (herrliche)  Grund- 
satz von  Favorin  (eines  Tages)  unter  einem  Ungeheuern,  all- 
gemeinen Beifallssturm  schön  abgerundet  und  in  folgenden, 
ganz  kurzen  Worten  zusammengedrängt  (ausgesprochen)  wurde  : 
„Denn  wer  500  Kleider  bedarf,  für  den  ist  die  Möglichkeit 
nicht  ausgeschlossen,  dass  er  nicht  auch  noch  mehr  bedürfen 
sollte;  wenn  ich  nun  die  abrechne,  nach  denen  mein  Ver- 
langen steht,  von  denen,  die  ich  besitze,  fühle  ich  mich  be- 
friedigt mit  denen  (wenigen),  die  ich  brauche." 

IX,  9,  L.  Welche«  Verfahren  stattfinden  soll  in  Ansehung  einer  Ueber- 
setzung  von  Stellen,  die  ganz  echt  griechisch  gedacht  sind;  ferner  über 
einige  Verse  Homers,  die  Vergil  thcils  gut  und  passend,  theils  ungeschickt 

übersetzt  haben  soll. 

IX,  9.  Cap.  1.  Wenn  man  sich  die  Aufgabe  stellt,  aus 
griechischen  Dichterwerken  ausgezeichnete  Gedanken  zu  über- 
setzen oder  nachzubilden,  soll  unser  Bestreben  nicht  immer 
darauf  gerichtet  sein,  dass  wir  überhaupt  das  griechische 
Original  ganz  (kleinlich  und)  wörtlich  übertragen.  2.  Denn 
die  meisten  Stellen  verlieren  ihre  Anmuth  (und  natürliche 
Lieblichkeit),  wenn  man  sich  gleichsam  abquält  und  es  zu 
erzwingen  sucht,  sie  mit  aller  Gewalt  (wörtlich)  wiederzugeben 
(sie  also  eigentlich  nur  zu  übersetzen,  aber  nicht  zugleich 
auch  nachzudichten).  3.  Sehr  klug  und  überlegt  ist  daher 
Vergil  verfahren  bei  der  Nachbildung  von  Stellen  entweder 
aus  Homer,  oder  aus  Hesiod,  oder  aus  Apollonius,  oder  Far- 
thenius,  oder  Theocrit,^)der  endlich  noch  aus  einigen  andern 


IX,  9,  3.  Apollonios  von  Rhodos  genoss  den  Unterricht  des 
Callimachos,  verliess  aber  die  gelehrte,  gezwungene,  grossartig  prunkhafte 
Darstellungsweise  seines  Lehrers  und  betrat  die  von  Homer  gebahnte 
Strasse  der  Einfachheit,  was  ihm  den  Hass  seines  Lehrers  zuzog.  Er 
dichtete  das  Epos :  Argonautika.  Der  einflussreiche  Callimachos  bewirkte, 
dass  dies  Werk  durchfiel,  als  es  Apollonios  zu  Alexandrien  vorlas.  Aerger- 
lich  darüber  begab  er  sich  nach  Rhodos,  lehrte  daselbst  die  Rhetorik  und 
wurde  mit  dem  Bürgerrecht  beschenkt  Späterhin  kehrte  er  nach  Alexan- 
drien zurück,  um  unter  Ptolemaeus  V.  Epiphanes  (196  v.  Chr.)  den  durch 
Alter  geschwächten  Eratosthenes  in  der  Aufsicht  über  die  Bibliothek  zu 
ersetzen.  Ausserdem  schrieb  er  noch  xnaiti  (Gründung  von  mehreren 
Städten)  und  Epigramme,  die  besonders  gegen  Callimachos  gerichtet  waren. 

IX,  9,  3.   Cfr.  Gell.  XIII,  27,  1  f.;  Teuftels  röm.  Lit.  Gesch.  222,  2. 


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IX.  Buch,  9.  Cap.,  §3—8. 


(alten  Schriftstellern),  dass  er  einige  Satztheile  wegliess,  an- 
dere zum  Ausdruck  brachte.  4.  So  machten  wir  z.  B.  neulich 
erst  die  Bemerkung,  als  bei  Tische  gleichzeitig  die  beiden 
Hirtengedichte  des  Theocrit  sowohl,  wie  'des  Vergil  gelesen 
wurden,  dass  Vergil  einen  im  Griechischen  zwar  in  seiner 
Art  lieblichen  Gedanken  ausliess,  der  aber  (von  ihm)  entweder 
nicht  übersetzt  werden  sollte,  oder  nicht  übersetzt  werden 
konnte.  5.  Allein  der  Ersatz  für  die  ausgelassene  Stelle  (Idee) 
möchte  beinahe  noch  angenehmer  und  zierlicher  sein.  Bei 
Theocrit  (V,  88,  89)  heisst  es: 

BaXXn  xal  [tdXotOi  tov  ainoXov  d  KXfaoiartt 

T«?  alyag  naoiXüvra  xal  dd*v  ti  nonnvXiaZti,  d.  h. 

Mich  den  Geishirt  wirft  mit  Aepfeln  auch  Klearista, 

Treib'  ich  die  Heerden  vorbei  und  flüstert  mir  lieblichen  Gruss  zu. 

6.  (Bei  Vergil  Buc.  III,  64.  65  lautet  der  Gedanke:) 

Malo  me  Galatea  petit,  lascica  puella 

Et  fiigit  ad  salices  et  se  cupit  ante  videri,  d.  h. 

Aepfel  wirft  Galatea  nach  mir,  das  schelmische  Mägdlein 

Flieht  dann  in  Weidengesträuch  und  wünscht  zuvor  sich  gesehen. 

7.  Auch  eine  andere,  im  griechischen  (Original-)  Verse  höchst 
angenehme  Wendung  fanden  wir  an  einer  andern  Stelle  wohl- 
weislich (von  Vergil)  tibergangen.   Theocrit  (in,  3—5)  singt: 

Ti'tvq\  tuiv  tö  xaXöv  nttptlttfttvt)  ßtaxt  rag  atyag 
Kai  norl  rdv  xqdvav  uyt  TItvqv  xal  tov  tvoo/ar 
Tov  Aißvxov  xväxtova  (fvXaöato,  urj  tv  xoqv£ij,  d.  h. 

Tityros,  huldvoll  geliebet  von  uns,  Du  weide  die  Ziegen, 
Führe  sie  dann  zum  Quell,  o  Tityros,  doch  vor  dem  Geisbock 
Hüte  Dich,  vor  dem  Libyer  dort,  dem  weissen,  der  stösst  sonst. 

8.  Denn  wie  hätte  er  die  Stelle  wiedergeben  sollen :  to  /.albv 
7te(pila^itve  (o  Du,  das  so  huldvoll  geliebte  Wesen),  wahrlich 


IX,  9,  5.   Voss  singt: 
Kommt  die  schöne  Binderin  Euch  denn  gar  nicht  in  den  Sinn? 
Die  mich  wirft  mit  Haselnüssen  und  dann  schreit:  ich  will  Dich  küssen. 

IX,  9,  5.   thh'  ri  d.  h.  etwas  in  seiner  Art  einzig  Süsses. 

IX,  9,  7.  t6  xaXbv  TTHf.  Theocrit  verbindet  öfters  das  adverbialiter 
gebrauchte  Neutrum,  vorzüglich  von  den  Adjectivis  auf  -os,  mit  dem  Neu- 
trum des  Artikels. 

Gell i äs.  Attische  Nftchte.   U.  2 


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(18) 


IX.  Buch,  9.  Cap.,  §8  —  12. 


unübersetzbare  Worte,  aber  von  einer  gewissen  ursprünglichen 
Lieblichkeit?  9.  Diese  Stelle  Hess  er  also  weg,  das  Uebrige 
aber  hat  er  ganz  artig  nachgedichtet,  mit  Ausnahme  eines 
Ausdrucks,  da  er  für  die  Bezeichnung  des  Bocks  das  Wort 
„caper"  setzte,  während  Theocrit  dafür  den  Ausdruck  ivoQtfö 
(von  oezig,  d.  h.  Hode,  also  Einer  dem  Hoden  sind)  brauchte. 
10.  Nach  Angabe  des  M.  Varro  versteht  man  vornehmlich 
unter  dem  lateinischen  Ausdruck  „caper"  den  entmannten 
(gerissenen)  Bock.  11.  (Die  von  Vergil  Buc.  IX,  23.  24.  25 
nachgeahmte  Stelle  lautet:) 

Tityre,  dum  redeo,  brevis  est  via,  pasce  capellas 
Et  potum  pastas  age,  Tityre,  et  inter  agendum 
Occursare  capro,  cornu  ferit  ille,  caveto,  d.  h. 

Tityrus,  kurz  ist  der  Weg  und  ich  spute  mich,  weide  die  Ziegen, 
Treibe  sie  dann  zur  Tränk',  o  Tityrus;  und  wenn  Du  treibest, 
Hüte  Dich,  jenem  Bock,  er  stösst  mit  dem  Horn,  zu  begegnen. 

12.  Und  da  ich  nun  eben  von  der  Uebertragung  bemerkens- 
werther  (poetischer)  Gedanken  spreche,  fällt  mir  gerade  eine 
Mittheilung  ein,  die  ich  den  Schülern  des  Valerius  Probus 
verdanke,  jenes  gelehrten  Mannes,  jenes  feinen  Kunstkenners 
und  Kritikers  alter  Schriftstücke,  der  oft  geäussert  habe,  dass 
dem  Vergil  keine  aus  Homer  entlehnte  Stelle  bei  der  Wieder- 
gabe so  sehr  missglückt  sei,  als  die  Nachahmung  jener  höchst 
reizenden  Verse,  worin  Homer  eine  Schilderung  der  Nausikaa 
liefert  (Odyss.  VI,  12  etc.): 

So  wie  Artemis  herrlich  einherzieht,  froh  des  Geschosses 

lieber  Taygetos'  Höh'n  und  das  Waldgebirg  Erymanthos 

Und  sich  ergötzt,  Waldeber  und  hurtige  Hirsche  zu  jagen; 

Sie  nun  zugleich  und  Nymphen,  des  Aegyserschütterers  Töchter, 

Ländliche  hüpfen  in  Reih'n;  und  herzlich  freute  sich  Leto  (yiyn&t  äi 

Vor  ob  Allen  ragt  sie  an  Haupt  und  herrlichem  Antlitz; 
Leicht  auch  wird  sie  im  Haufen  erkannt;  schön  aber  sind  Alle: 
(Also  erschien' vor  den  Mädchen  an  Heiz  die  erhabene  Jungfrau.) 


IX,  9,  12.  Valerius  Probus  hat  ohngefähr  bis  zum  Jahre  88  n.  Chr. 
gelebt,  und  Gellius  noch  persönliche  Schüler  des  Probus  gehört.  S.  Teuffels 
röm.  Lit.  Gesch.  295,  2  u.  3.  Yergl.  Gell.  I,  15,  18;  in,  1,  5;  IV,  7,  1; 
VI  (VII),  7,  3;  IX,  9,  12;  XIII,  21  (20),  1.  Vergl.  meine  Einleitung 
Bd.  I,  S.  VIII. 


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IX.  Buch,  9.  Cap.,  §  13—15. 


(19) 


13.  (Bei  seiner  Schilderung  der  Diclo  hat  Vergil  [Aen.  I,  408 

etc.]  diese  Stelle  Homers  folgendennassen  verwerthet:) 

Wie  an  Eurotas'  Gestad'  und  auf  luftigen  Höhen  des  Cynthus, 
Tanzende  Reihen  Diana  beseelt,  sie  umdrängen  zu  tausend 
Hier  Oreaden  und  dort,  wildschwärmende;  ihr  an  der  Schulter 
Hängt  das  Geschoss  und  im  Gange  die  Göttinnen  all'  überragt  sie; 
Innige  Wonnen  durchzucken  heimlich  die  Brust  der  Latona  (pertemptant 


(So  war  Dido  zu  schau'n,  so  wandelte  sie  durch  die  Männer 

Freudig  einher,  antreibend  den  Bau  und  die  künftige  Herrschaft  [instans 


14.  Vor  Allem  (so  sagten  sie)  sollte  Probus  zuerst  bemerkens- 
werth  gefunden  haben,  dass  beim  Homer  die  jungfräuliche 
Nausikaa  zwar,  voll  Lust  und  Scherz  unter  ihren  jugend- 
lichen Gespielinnen  in  einsamen  Gegenden  (weilend),  sehr 
richtig  und  passend  verglichen  wird  mit  der  Göttin  Diana, 
die  auf  den  Höhen  der  Gebirge  mitten  unter  ländlichen 
Nymphen  das  Waidwerk  treibt,  Vergil  dagegen  einen  keines- 
wegs entsprechenden  Vergleich  (bei  Nachahmung  dieser  Stelle) 
zu  Stande  gebracht  habe,  weil  er  die  Dido  mitten  in  dem 
Gedränge  der  Stadt  (mitten  in  der  Strassen  quetschender 
Enge),  wandelnd  unter  ihren  tyrischen  Häuptlingen,  nach 
Aussehen  und  Gang  Ehrfurcht  gebietend,  (durch  Anordnungen) 
betreibend  den  Bau,  wie  er  sich  ausdrückt,  und  (befördernd) 
die  künftige  Grösse  des  Reiches  (instans  operi  regnisque  fu- 
turis);  denn  diese  Stelle  enthalte  nichts  von  irgend  einer 
Aehnlichkeit,  welche  (auch  nur  im  Geringsten)  mit  der  (herr- 
lichen) homerischen  Beschreibung  von  den  Jagdvergnügungen 
der  Diana  zusammenstimme.  15.  Ferner  bei  der  Stelle,  wo 
Homer  eine  so  ganz  anständige  und  passende  Beschreibung 
von  dem  ergötzlichen  Waid  werk  der  Diana  liefert,  lässt  Vergil, 
obgleich  er  kein  Wort  von  der  Jagdlust  der  Diana  erwähnt, 
die  Diana  nur  den  Köcher  auf  der  Schulter  tragen ,  als  sei 
es  eine  Last  und  Bürde;  ferner  sagten  sie,  habe  Probus  sich 
auch  heftig  über  Vergil  verwundert,  dass,  obwohl  die  Leto 
beim  Homer  ihren  echten  und  innersten  Freudenjubel  aus- 
jubelt, im  Tiefinnersten  des  Herzens  und  der  Seele  ent- 
spriessend,  —  wenn  nämlich  die  Worte:  ytyrj&e  ös  xe  ygzva 
ylt<va>  (herzlich  freute  sich  Leto)  nichts  anderes  heissen 
sollen,  —  Vergil  aber  bei  der  Absicht  diese  Stellen  nach- 


gaudia  pectus): 


operi  regnisque  futuris]). 


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(20)  IX.  Buch,  9.  Cap.,  §  15.  16.  —  10.  Cap.,  §  1. 


zuahmen,  (nichts  weiter,  als)  nur  eine  Schilderung  geliefert 
habe  von  schwachen,  oberflächlichen,  zurückhaltenden  und 
kaum  aus  dem  Herzinnem  hervorlugenden  Empfindungen  von 
Freude,  denn  er  wisse  nicht,  was  man  sonst  dem  Ausdruck 
„pertemptant"  (sie  durchzucken,  durchbeben,  durchströmen) 
noch  für  eine  andere  Bedeutung  geben  soll.  16.  Ausser  allen 
diesen  angeführten  Bemerkungen  schien  es  dem  Probus.  dass 
Vergil  auch  besonders  noch  die  Krone  der  ganzen  (homeri- 
schen) Stelle  übersehen  habe,  weil  er  sich  nur  (knapp  und) 
nothdürftig  an  den  Sinn  des  homerischen  Verses  gehalten  hat : 

'PtTa  J*  itoiyvb'iii]  niktrai,  xtdai  dV  rt  Ttüoat,  d.  h. 

Leicht  auch  wird  sie  (im  Haufen)  erkannt;  schön  aber  sind  Alle, 

da  ja  niemals  ein  grösseres  und  vollständigeres  Lob  der 
Schönheit  gespendet  werden  konnte,  als  dadurch,  dass  er 
sagte,  sie  zeichne  sich  unter  allen  den  Schönen  (und  Holden, 
als  die  Schönste  und  Holdeste)  aus  und  sie  allein  werde 
(deshalb)  aus  Allen  leicht  herausgefunden  (trotzdem  dass  Alle 
schön  waren).; 

IX,  10,  L.  Wie  Annaeus  Cornutus  durch  seinen  unflätigen  und  widerlichen 
Tadel  die  Verse  Vergils  verunglimpfte,  worin  der  Dichter  züchtig  und  mit 
viel  Geschick  das  (eheliche)  Beisammenliegen  der  Venus  mit  Vulcan 

erwähnt. 

IX,  10.  Cap.  1.  Der  Dichter  Annian  und  viele  andere 
seiner  Zunftgenossen  mit  ihm  priesen  ausserordentlich  und 
fortwährend  jene  Verse  Vergils,  in  denen  er,  bei  seiner  Be- 
schreibung und  Darlegung  der  Umarmung  und  Vereinigung 
des  Vulcan  mit  der  Venus,  nach  dem  Rechte  ehelicher  Ver- 
bindung, den  ganzen  Vorgang,  welchen  ein  natürliches  Gefühl 
des  Anstandes  unsern  Blicken  zu  entziehen  gebietet,  durch 


IX,  10,  L.  L.  Annaeus  Cornutus,  geh.  zu  Leptis  in  Afrika 
(20  n.  Chr.),  verfasste  einen  Commentar  über  Vergil.  Er  war  Grammatiker 
und  Rhetor  und  schrieb  bald  lateinisch,  bald  griechisch.  Lateinisch 
waren  seine  libri  de  figuris  sententiarura  (§  5),  wovon  sich  Fragmente  bei 
Macrob.  V,  19  finden.  Er  hing  der  stoischen  Philosophie  an,  war  sehr 
freimüthig  und  deshalb  dem  Nero  unangenehm  und  von  ihm  verbannt; 
auch  Freund  und  Rathgeber  des  Dichters  Persius.  Man  hat  noch  ein 
Werk  von  ihm:  neo)  rfjg  rüv  Oeuiv  (fvotug,  über  das  Wesen  der  Götter. 


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IX.  Buch,  10.  Cap.,  §  1—6.  (21) 

eine  schamhafte  (verblümte  Wort-)  Umschreibung  verschleiert 
hat.   2.  Er  schrieb  nämlich  so  (Verg.  Aen.  VIII,  404  etc.): 

Ea  verba  locutus 
Optatos  dedit  amplexus  placidumque  petivit 
Conjugis  infusus  gremio  per  membra  soporem,  d.  b. 

Sobald  er  die  Worte  geredet, 
Stillt'  er  den  Wunsch  der  Umarmung  und  froh  an  den  Busen  der  Gattin 
Angeschmieget  erstrebt  er  der  Glieder  süsse  Betäubung. 

3.  Die  Ansicht  der  Obengenannten  war  nun  aber,  dass  es 
weniger  schwierig  sei,  bei  Beschreibung  eines  ähnlichen  Vor- 
habens (noch  passendere)  Ausdrücke  zu  gebrauchen,  welche 
diesen  Vorgang  durch  ein,  oder  das  andere  kurze  und  zarte 
Merkmal  deutlicher  bezeichneten,  wie  z.  B.  Homer  sich  aus- 
gedrückt hätte:  (Odyss.  XI,  244  Ivae  dt  ;raQ&€vh]v  Zoni^v, 
d.  h.  löste  ihr)  den  jungfräulichen  Gürtel  und  (Odyss.  XXIII, 
296:  Xt/.TQoio  üeöt.ibv  i'xoiro,  d.  h.  kehrten  Beide)  zu  des 
Lagers  Bund,  dann  (Odyss.  XI,  245 :  Ivtlioat  Üebg  (pilotr^Jia 
igya,  d.  h.  der  Gott-Gatte  vollendete)  das  Werk  der  Liebe 
(und  endlich  Uiad.  III,  448 : 

Tio  fjtlv  uQy  h  TnfjToTai  xaTtvvttafrtv  A^foran»',  d.  h. 
Und  so  ruhten  sie  Beide  in  schöndurchbrochnem  Gestelle). 

4.  (und  sie  sprachen  es  ganz  offen  aus)  in  so  vielen  und  so 
deutlichen,  aber  doch  durchaus  nicht  unkeuschen,  sondern 
einfachen  und  ehrbaren  Ausdrücken  habe  wirklich  kein  Anderer 
(als  Homer)  jemals  jenes  heilige  Geheimniss  züchtiger  (Gatten-) 
Vereinigung  erwähnt.  5.  Annaeus  Cornutus  jedoch,  ein  wahr- 
lich in  mancher  andern  Hinsicht  nicht  unwissender,  noch 
urtheilsunfähiger  Mensch,  hat  im  2.  Buche  seines  „über  ver- 
blümte Redensarten  (de  figuris  sententiarum)"  verfassten 
Werkes  sich  herausgenommen,  die  allgemeine  grosse  An- 
erkennung für  das  Zartgefühl  (Vergils  in  Zweifel  zu  ziehen 
und)  durch  seine  allzuabgeschmackte  und  widerliche  Bekritte- 
lung zu  verunglimpfen.  6.  Denn  obgleich  er  (im  Ganzen)  die 
bildliche  Darstellung  lobend  anerkennt  und  zugegeben  hatte, 
dass  die  Verse  (Vergils)  mit  vieler  Umsicht  verfasst  seien, 
bezeichnete  er  (nichtsdestoweniger)  das  Wort  „membra 
(Glieder)"  als  einen  sehr  unbedachten  und  unpassenden 
Ausdruck. 


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(22) 


IX.  Buch,  11.  Cap.,  §  1  —  7. 


IX,  11,  L.    Ueber  den  Valerius  Corvinus  und  weshalb  er  „Corvinus"  hiess. 

IX,  11.  Cap.  1.  Kein  einziger  der  angesehenen  Schrift- 
steller weicht  in  der  (gewöhnlichen)  Annahme  bezüglich  des 
Marcus  Valerius  ab,  dass  er,  wegen  der  von  einem  Raben 
(corvus)  ihm  geleisteten  Hülfe  und  Vertheidigung ,  den  Bei- 
namen „Corvinus"  bekommen  habe.  2.  Der  höchst  wunderbare 
Hergang  wird  nach  zuverlässigem  Zeugniss  in  den  „Jahr- 
büchern" folgendennassen  erwähnt:  3.  Ein  der  bezeichneten 
Familie  entsprossener,  junger  Mann  schwingt  sich  unter  dem 
Consulate  des  L.  Furius  und  des  Claudius  Appius  bis  zur  Stelle 
eines  Kriegsobersten  (in  der  römischen  Armee)  empor.  4.  Zur 
selbigen  Zeit  nun  hielt  ein  grosses  mächtiges  gallisches  Heer 
den  pomptinischen  Acker  besetzt,  und  obgleich  die  Consuln 
wegen  der  grossen  und  überlegenen  Anzahl  von  Feinden  be- 
sorgt waren,  so  wurden  trotzdem  nach  ihren  Anordnungen  die 
Schlachtreihen  aufgestellt.  5.  Unterdessen  trat  der  Anführer 
der  Gallier  hervor,  eine  unermesslich  hohe  Riesengestalt,  mit 
Waffen  von  Gold  blitzend,  mit  grossen  Schritten  einher- 
schreitend,  den  Pfeil  mit  der  Hand  hin-  und  herschwingend, 
mit  Geringschätzung  und  Stolz  umherblickend,  Alles  ver- 
achtend, fordert  er  Jeden  auf,  heranzukommen  und  sich  zu 
messen,  wenn  Einer  aus  dem  römischen  Heere  mit  ihm  zu 
kämpfen  sich  getraue.  6.  Da  alle  Uebrigen  zwischen  Furcht 
und  Scham  unschlüssig  bleiben,  tritt  der  Kriegsoberste  Va- 
lerius hervor  und  erwirkt  sich  vorher  von  den  Consuln  die 
Erlaubniss,  mit  dem  Gallier,  mit  diesem  so  schrecklichen  Gross- 
maul,  kämpfen  zu  dürfen,  dann  geht  er  mit  Unerschrockenheit 
und  Besonnenheit  (zum  Angriff)  vor.  Sie  gehen  aufeinander 
los,  nehmen  die  nöthige  (Auslage  und)  Kampfesstellung  und 
waren  eben  schon  im  Begriff  handgemein  zu  werden.  7.  Da 
legt  sich  auf  einmal  gleichsam  eine  unbekannte  göttliche 
Macht  ins  Mittel.  Ein  Rabe  kommt  plötzlich  unversehens 
herangeflogen  und  setzt  sich  auf  die  Helmraupe  des  Kriegs- 
obersten und  beginnt  von  da  gegen  des  Gegners  Gesicht  und 


IX,  11,  1.   Vergl.  Val.  Max.  VIII,  15,  5. 

IX,  11,  7.  S.  Liv.  VII,  26;  Florus  I,  13,  12;  Aurel.  Victor.  29,  1\ 
Orosius  HI,  6;  Cic.  de  offic.  III,  31. 


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I 

IX.  Buch,  11.  Cap.,  §  7  — 10.  —  12.  Cap.,  §  h  2.  (23) 

Augen  einen  Kampf,  kreischte  und  lärmte  und  zerfleischte 
ihm  mit  den  Klauen  die  Hände  und  benimmt  ihm  mit  dem 
Flügelschlag  den  freien  Blick,  und  nachdem  er  hinlänglich 
seine  Wuth  (an  dem  Gallier)  ausgelassen  hatte,  flog  er  auf 
die  Helmraupe  des  Kriegsobersten  zurück.  8.  So  trug  der 
Kriegsoberste,  gestützt  auf  seine  eigene  Tapferkeit  und  zu- 
gleich durch  den  Beistand  des  Vogels  vertheidigt,  über  den 
unbändig  übermüthigen,  feindlichen  Anführer  den  Sieg  davon 
und  gab  ihm  Angesichts  beider  Heere  den  Tod;  und  aus  die- 
sem Grunde  erhielt  jener  den  Beinamen  „Corvinus".  9.  Dieser 
Vorfall  ereignete  sich  im  Jahre  405  nach  Roms  Erbauung. 
10.  Der  erhabene  Augustus  Hess  auf  seinem,  von  ihm  erbauten 
neuen  Marktplatz  diesem  Corvinus  ein  Standbild  errichten. 
Auf  dem  Haupte  dieses  Standbildes  befindet  sich  das  Abbild 
eines  Raben  (angebracht),  als  Erinnerungszeichen  des  von  uns 
erzählten  Vorfalls  und  Kampfes. 

IX,  12,  L.  Ueber  (einige)  Wörter,  welche  in  doppelter,  entgegengesetzter 
und  zurückwirkender  (reciproca,  d.  h.  bald  activer,  bald  passiver)  Bedeutung 

gebraucht  werden 

IX,  12.  Cap.  1.  Gerade  so,  wie  es  möglich  ist,  das  Wort 
„formidolosus"  in  dem  Sinne  zu  sagen,  theils  von  Einem,  der 
sich  fürchtet,  theils  der  gefürchtet  wird  (also:  sich  grausend, 
scheu,  oder  furchtbar,  grausenhaft);  sowie  ferner  das  Wort 
„invidiosus"  von  Einem,  der  neidisch  ist  (beneidet),  wie  von 
Einem,  der  beneidet  wird;  ferner  „suspiciosus"  von  Dem,  der 
Verdacht  hegt  (argwöhnisch  ist)  und  von  dem,  der  Verdacht 
erregt  (verdächtig  ist);  dann  „ambitiosus"  von  Einem,  der 
sich  bewirbt  (ehrgeizig  ist),  wie  von  Einem,  bei  dem  man  sich 
bewirbt  (der  gesucht  ist) ;  ebenso  auch  „gratiosus",  von  Einem, 
der  Gunst  erweist  (der  gefällig  ist),  als  von  einem,  der  Gunst 
geniesst  (der  beliebt  ist);  endlich  „laboriosus"  von  Einem, 
der  sich  Mühe  giebt  (arbeitsam  ist)  und  von  dem,  was  Mühe 
bereitet  (mühsam  ist)  und  wie  noch  viele  andere  ähnliche 
Wörter  in  doppelter  Bedeutung  gesagt  werden:  ebenso  lässt 
auch  das  Wort  „infestus"  einen  zweifachen  Sinn  zu.  2.  Denn 
Derjenige  wird  „infestus"  genannt,  der  Jemandem  etwas  Böses 
anthut  (feindselig  ist),  und  im  entgegengesetzten  Falle  wird 
auch  der  „infestus"  genannt,  dem  von  anderer  Seite  her  ein 


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(24) 


IX.  Buch,  12.  Cap.,  §  3—7. 


Uebel  droht  (d.  h.  einer,  der  beunruhigt  ist).  3.  Allein  in 
dem  von  mir  zuerst  angegebenen  (activen)  Sinne  wendet  man 
das  Wort  vielfach  an,  dass  ein  Feind,  oder  ein  Gegner 
„infestus"  (feindselig,  aufsässig,  gefährlich)  genannt  wird  und 
es  bedarf  deshalb  wahrlich  nicht  erst  des  Nachweises  durch 
Beispiele.  4.  In  der  anderen  Bedeutung  aber  ist  das  Wort 
unbekannter  und  oft  schwer  verständlich.  Denn  wer  aus  der 
Menge  dürfte  wohl  so  ohne  weiteres  Bedenken  sich  des  Aus- 
drucks „infestus'4  (in  passiver  Bedeutung)  bedient  haben  zur  Be- 
zeichnung Desjenigen,  dem  ein  Anderer  aufsässig  und  feindselig 
ist  (d.  h.  der  sich  von  einem  Andern  bedroht,  gefährdet  und 
angefeindet  sieht)'?  Allein  nicht  nur  viele  alte  Schriftsteller 
haben  so  gesprochen,  sondern  auch  M.  TuUius  (Cicero)  hat  in 
seiner  für  den  Cn.  Plancius  verfassten  Rede  (cap.  1,  1)  sich 
desWTortes  „infestus*'  in  dieser  (passiven)  Bedeutung  bedient. 
5.  Da  sagt  er:  „Ich  müsste  Betrübniss,  ihr  Richter,  und  bittern 
Schmerz  empfinden,  wenn  (ich  denken  sollte,  dass)  das  Glück 
dieses  Mannes  gerade  deshalb  um  so  mehr  gefährdet  werden 
könnte  (si  hujus  salus  ob  eam  ipsam  causam  esset  infestior), 
nur  weil  er  durch  sein  Wohlwollen,  seinen  Schutz  und  seine 
Fürsorge  mein  Heil  und  Leben  gesichert  hatte."  6.  Ich  suchte 
mich  also  über  die  Abstammung  dieses  Wortes  und  über  seine 
Bedeutung  zu  unterrichten  und  fand  in  den  Erklärungs- 
schriften des  Nigidius  folgende  darauf  bezügliche  Stelle  vor: 
„Das  Wort  „infestus"  ist  ein  von  „festinare"  hergenommener 
Ausdruck;  denn,  sagt  er  weiter,  ein  solcher,  der  dem  Andern 
hart  zusetzt  und  sich  beeilt  ihn  zu  bedrängen  und  sich  eifrig 
bemüht,  ihn  (schnell  und  unversehens)  zu  überwältigen;  oder 
im  entgegengesetzten  Falle  ein  Solcher,  der  von  irgend  einer 
Gefahr,  oder  vor  Verderben  (zu  entfliehen)  sich  beeilt,  ein 
solcher  wird  in  beiden  Fällen  mit  dem  WTort  infestus  be- 
zeichnet, von  den  noch  bevorstehenden,  drohenden  Ränken 
(und  Gefahren),  die  ein  Solcher  an  einem  Andern  ausüben  will, 
oder  von  einem  Andern  erdulden  soll."  7.  Damit  man  aber 
von  den  oben  von  mir  angeführten  WTörtern  suspiciosus  und 
„formidolosus"  in  ihrer  weniger  gebräuchlichen  (passiven)  Be- 
deutung ein  Beispiel  nicht  vermisse,  führe  ich  von  „suspicio- 
sus" eine  Stelle  an,  die  bei  M.  Cato  in  seiner  Schrift  „über 
das  Florafest"  steht  und  so  lautet:  „Allein  man  erachtete  es 


IX.  Buch,  12.  Cap.,  §7—12. 


durchaus  nicht  für  billig  gegen  einen  freigeborenen  Mann 
Gewalt  anzuwenden,  selbst  wenn  er  berüchtigt  und  verdächtig 
(suspiciosus)  war,  ausgenommen  wenn  (ihm  konnte  nach- 
gewiesen werden,  dass)  er  mit  seinem  Leibe  Öffentlich  (durch 
schimpflichen  Erwerb)  sich  Geld  zu  verdienen  suchte,  oder 
sich  gar  wohl  selbst  einem  Bordellwirth  vermiethet  hatte." 
8.  An  dieser  Stelle  braucht  Cato  das  Wort  „suspiciosus"  in  der 
(passiven)  Bedeutung  für  „suspectus"  (verdächtig),  uicht  active 
für  „suspicans"  (Verdacht  habend,  argwöhnisch).  9.  Das  Wort 
„formidolosus"  wendet  Sallust  aber  in  seinem  Catilina  (7,  5) 
in  dem  Sinne  von  furchtbar  (d.  h.  von  Einem  der  gefürchtet 
wird,  oder  vor  dem  man  sich  fürchten  muss)  also  an :  „Daher 
war  solchen  Männern  keine  Arbeit  ungewohnt,  kein  Ort  un- 
wegsam oder  unübersteiglich,  kein  bewaffneter  Feind  furcht- 
bar (formidolosus)".  10.  So  gebraucht  auch  C.  Calvus  in 
seinen  Gedichten  das  Wort  „laboriosus"  nicht,  wie  es  im  ge- 
wöhnlichen Leben  der  Fall  ist,  in  dem  Sinne  für  Einen,  der 
sich  Mühe  giebt,  sondern  zur  Bezeichnung  dessen,  was  mit 
Mühe  verknüpft  ist,  er  sagt: 

„Durum  rus  fugit  et  laboriosum,  d.  h. 

Er  flieht  das  Land  (leben)  als  beschwerlich  und  mühsaniu 

(d.  h.  weil  es  ihm  harte  Anstrengung  und  Mühe  auferlegt). 

11.  In  ähnlicher  Bedeutung  ist  auch  (das  Wort  „somniculosus") 
vom  Laberius  (com.  86)  in  seinen  „Schwestern"  gebraucht, 
da  heisst  es: 

„Ecastor  mustum  somniculosum,  d.  h. 

Beim  Kastor,  ach  über  diesen  schlafbringenden  Most  (-Wein)." 

12.  Und  bei  Cinna  in  seinen  Gedichten : 

„Somniculo8am  ut  Poenus  aspidem  Psyllus,  d.  h. 

Wie  der  phönizische  Psyllus  den  schlafbringenden  (tödtlichen)  Speer4- 


IX,  12,  10.  C.  Licinius  Macer  Calvus,  mit  doppeltem  Zunamen, 
Verfasser  von  Epigrammen  und  von  Liebesgedichten,  der  jedoch  als  Redner 
seine  Dichtungen  in  Schatten  stellte.  Gell.  XIX,  9,  7.  Vergl.  Bernhard}* 
R.  L.  101.  487:  Gell.  VI  (VII),  3,  40  NB.  S.  Teuffels  Gesch.  der  röm. 
Lit.  210,  5. 

IX,  12,  12.  C.  Helvius  Cinna,  war  Freund  Catulls,  treuer  Anhänger 
des  Caesar  und  Dichter;  besonders  namhafter  Darsteller  griechischer 
Mythen ,  schrieb  ein  dunkles  und  mühsam  gelehrtes  Epos :  Smyrna  und 


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(26) 


IX.  Buch,  12.  Cap.,  §  12  —  17. 


(vielleicht  zu  ergänzen:  durch  seine  Kunst  unschädlich  zu 
machen  und  die  Wunden  davon  zu  heilen  verstand).  13.  Ebenso 
können  auch  „metus4,  und  „injuria"  in  doppelter  Bedeutung 
(activ  und  passiv,  d.  h.  subjectiv  und  objectiv)  gesagt  werden ; 
denn  „metus  hostium"  kann  ganz  richtig  als  Bezeichnung  gelten 
für  Feinde,  die  sich  fürchten  (also:  die  Furcht  der  Feinde), 
sowie  von  solchen,  die  gefürchtet  werden  (also:  die  Furcht 
vor  den  Feinden.  14.  So  hat  Sallust  im  L  Buche  seiner  „Ge- 
schichte" den  Ausdruck  „metus  Pompeji"  nicht  in  dem  Sinne 
von  „die  Furcht  des  Pompejus"  gesagt,  wie  es  gebräuchlicher 
ist,  d.  h.  dass  sich  also  Pompejus  fürchtete,  sondern  dass  er 
gefürchtet  wurde,  also:  die  Furcht  vor  ihm.  Die  Worte 
Sallust's  lauten:  „Dieser  Krieg  war  angethan,  Furcht  vor  dem 
Sieger  Pompejus  einzuflössen,  der  den  Hiempsal  wieder  in 
sein  Reich  einsetzte."  15.  Ebenso  an  einer  andern  Stelle: 
„Nach  Beseitigung  der  Furcht  vor  einer  Gefahr  von  punischer 
Seite  (remoto  metu  Punico)  hatte  man  vollkommen  Zeit  genug 
gegenseitigen  Neid  und  Missgunst  gründlich  auszubilden." 

16.  Ebenso  brauchen  wir  das  Wort  „injuriae"  (Ungerechtig- 
keiten) sowohl  in  Bezug  auf  solche,  die  darunter  zu  leiden 
haben,  als  auf  solche,  die  dergleichen  begehen,  und  man  kann 
Beispiele  der  betreffenden  Ausdrucksweisen  leicht  finden. 

17.  Auch  jener  bekannte  Satz  von  Vergil  (Aen.  II,  435)  ent- 
hält einen  ähnlichen,  der  besprochenen  doppelseitigen  Aus- 
legung fähigen  Ausdruck,  da  heisst  es: 

Et  vulnere  tardus  Ulixi,  d.  h. 

(Pelias)  gelähmt  durch  eine  Wunde  von  Ulixes, 

da  er  hier  die  Wunde  meinte,,  nicht  die  Ulixes  (vom  Pelias) 
empfangen  hatte,  sondern  die  (ihm  Ulixes,  beigebracht  hatte. 


Gedichte,  lyrische  Kleinigkeiten  und  Epigramme,  nach  Gellius  (XIX,  9,  7) 
illepida.  Der  erotische  Inhalt  berührt  bei  Ovid.  trist  II,  435.  S.  Bernh. 
R.  L.  79  und  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  210,  3;  Gell.  XIX,  13,  5. 

IX,  12,  17.  Ulixi  der  Genitiv  schon  V,  1,  6.  Die  Personennamen 
auf  es  haben  bisweilen  im  Genitiv  i  statt  is,  z.  B.  IV,  11,  4  Aristoteli, 
Achilli,  Isocrati  etc.  Diese  Abkürzung  kann  mit  der  des  Genitivs  ei  statt 
eis  in  der  fünften  Deel,  verglichen  werden,  z.  B.  fides  Gen.  fide-i  (statt 
fideis),  also  Ulixi  (=  Ulixis).  Vergl.  IX,  14;  Euripidi  I,  15, 17;  VI  (VII), 
16,  L.,  6.  7;  XIII,  19  (18),  2  u.  3;  XV,  20,  1;  Sophocli  XII,  11,  ü;  XIII, 
19  (18),  L.;  Mithridati  XV,  1,  6;  XVII,  16,  L. 


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IX.  Buch,  12.  Cap.,  §  18-  22.  -  13.  Cap.,  §  1  —  5.  (27) 

■ 

18.  So  wird  mit  dein  Ausdruck  „nescius"  ebensowohl  Einer 
bezeichnet,  von  dem  man  keine  Kenntniss  hat  (d.  h.  der  nicht 
gekannt  ist),  als  auch  einer,  der  keine  Kenntniss  (von  Etwas) 
hat  (d.  h.  der  unwissend  ist).  19.  Allein  in  Betreff  der  Be- 
zeichnung von  Einem,  der  unwissend  ist,  ist  der  Gebrauch 
dieses  Wortes  kein  seltener,  seltener  aber  wird  es  von  dem 
gebraucht,  was  nicht  bekannt  ist.  20.  Ebenso  wendet  man  das 
Wort  „ignarus"  in  doppelter  (activer  wie  passiver)  Bedeutung 
an,  nicht  allein  von  Einem,  der  nichts  kennt  (also  unwissend, 
unerfahren  ist),  als  auch  von  Einem,  von  dem  Niemand  was 
weiss  (der  nicht  gekannt,  also  fremd  ist).  21.  So  Plautus  in 
seinem  „Schiffbruch"  (Rudens  I,  5,  17  [275]): 

Quae  in  locis  nesciis  nescia  spe  sumus,  d.  h. 

Die  wir  am  fremden  Ort  fremd  aller  Hoffnung  stehen. 

22.  Sallust  (Jug.  93,  3) :  „Wie  es  menschliches  Verlangen  mit 
sich  bringt,  sich  an  dem  (fremden)  unbekannten  Orte  um- 
zusehen (ignara  visendi)."   Endlich  Vergil  (Aen.  X,  706): 

Ignarum  Laurens  habet  ora  Mimanta,  d.  h. 

Die  Küste  von  Laurentum  deckt  den  unbekannten  Mimas. 

IX,  13,  L.    Wörtliche  Erzählung  aas  dem   Geschichtswerke  des  Claudius 
Quadrigarius,  worin  des  Manlius  Torquatos,  eines  edlen  Jünglings  Kampf 
geschildert  wird,  wozu  ihn  ein  feindlicher  Gallier  herausforderte. 

IX,  13.  Cap.  1.  Titus  Manlius  war  ein  Mann  von  vor- 
nehmer Abkunft  und  vor  Allem  von  edler  Gesinnung.  2.  Dieser 
Manlius  erhielt  den  Beinamen  Torquatus.  3.  Die  Veranlassung 
zu  diesem  Beinamen  hat,  wie  ich  erfuhr,  der  aus  einer  gol- 
denen Halskette  bestehende  Beuteschmuck  gegeben,  den  er 
einem  von  ihm  erlegten  Feinde  abgenommen  und  stets  (zur 
Erinnerung  an  diese  That  und  diesen  Sieg)  trug.  4.  Allein 
wer  dieser  Feind  war,  welcher  Abstammung,  von  welcher 
grausenerregenden  Itiesenhaftigkeit,  ferner  wie  weit  dieser 
(Feind)  im  Uebermuth  bei  der  Herausforderung  ging,  endlich 
durch  welche  (sonderbare)  Kampfart  die  Entscheidung  erfolgte, 
von  dem  Allen  findet  sich  eine  höchst  natürliche  und  äusserst 
klare  Beschreibung  bei  Quadrigarius  Claudius  im  1.  Buche 
seiner  Jahrbücher,  gehalten  im  Tone  der  altbiedern  Ausdrucks- 
weise mit  schlichter  und  ungeschminkter  Lieblichkeit.  5.  Der 
Philosoph  Favorin  versichert,  dass,  als  er  diese  Stelle  in  dem 


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<28) 


IX.  Buch,  13.  Cap.,  §5—14. 


betreffenden  Werke  las,  ihm  das  Herz  nicht  weniger  durch 
«türmische  Erregungen  und  Eindrücke  innerlich  sei  erschüttert 
und  gerührt  worden  (als  wie  es  kaum  mehr  hätte  der  Fall 
sein  können),  wenn  er  diesem  Kampfe  mit  eigenen  Augen 
zugesehen.  6.  Ich  lasse  des  Quadrigarius  Claudius  eigene 
Worte  folgen,  worin  dieser  Kampf  geschildert  wird:  7.  „Da 
trat  nun  mittlerweile  ein  Gallier  hervor,  der  ganz  bloss  (d.  h. 
unbepanzert)  war  und  ausser  seinem  Schild  und  seinen  zwei 
Degen  mit  einer  Halskette  und  Armbändern  geschmückt  war, 
ein  Held,  der  durch  seine  Körperstärke,  durch  seine  gewaltige 
Grösse,  durch  sein  jugendliches  Aussehen  und  zugleich  (wie 
es  schien)  durch  seinen  Heldenmuth  allen  Andern  vorstrebte. 
S.  Als  die  Schlacht  am  heftigsten  entbrannt  war,  und  man 
auf  beiden  Seiten  mit  höchstem  Ungestüm  kämpfte,  gab  dieser 
(Riese)  mit  beiden  Händen  ein  Zeichen,  den  Kampf  ruhen  zu 
lassen.  9.  Es  erfolgte  ein  Stillstand  des  Kampfes.  10.  Nach- 
dem auch  lautlose  Stille  eingetreten,  ruft  er  mit  gewaltiger 
Stimme,  dass,  wenn  P^iner  Lust  verspüre,  es  mit  ihm  im 
Einzelkampfe  aufzunehmen,  er  nur  hervortreten  solle.  11. 
Niemand  wagte  sich  an  ihn  heran  (propter  magnitudinem  at- 
que  immanitatem  facies,  d.  h.)  wegen  seiner  Riesengrösse 
und  der  Ungeheuerlichkeit  seines  Aussehens.  12.  Darauf 
verzieht  der  Gallier  das  Gesicht  zu  höhnischem,  spöttischem 
Lächeln  und  streckt  die  Zunge  heraus.  13.  Diese  Frechheit 
bewegt  sofort  das  Schamgefühl  eines  Römers  von  hoher  Ab- 
kunft, des  Titus  Manlius,  tief  schmerzlich,  da  er  sieht,  dass 
seinem  Vaterlande  ein  so  grosser  Schimpf  widerfahren  kann, 
ohne  dass  ein  (einziger)  Rächer  aus  einem  so  grossen  Heeres- 
körper hervortrete.  14.  Dieser,  wie  gesagt,  tritt  also  vor, 
weil  er  es  nicht  ertragen  konnte,  dass  (die  altbewährte) 
römische  Tapferkeit  von  einem  (so  übermüthigen)  Gallier  so 
schimpflich  (ihres  Ruhmes)  beraubt  (und  dem  Spotte  und  der 
Verachtung  eines  solchen  eitlen  Prahlers  Preis  gegeben)  wer- 
den sollte.  Bewaffnet  mit  dem  gewöhnlichen  Schild  (des 
Fussvolkes)  und  mit  einem  spanischen  Degen,  nahm  er  also 

IX,  13,  11.   Cfr.  Gell.  IX,  14,  1. 

IX,  13,  14.  Liv.  VII,  4.  5;  Val.  Max.  IX,  3,  4;  Florus  I,  13,  20; 
Aurel.  Vict.  III,  28,  3.  4;  Cic.  de  offic.  III,  31;  Eutrop.  II,  6,  5.  6;  Non. 
Marc,  unter  torques. 


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IX.  Buch,  13.  Cap.,  §  15  —  20. 


gegen  den  Gallier  Stellung.  15.  Auf  der  Brücke  fand  nun 
der  Zusammentritt  zum  (Zwei-)  Kampf  im  Angesicht  beider 
Heere  unter  bangem  Erwarten  statt.  16.  So  standen  sie 
kampfgerüstet  da,  wie  ich  schon  oben  bemerkte.  Der  Gallier 
mit  nach  seiner  Gewohnheit  vorgestrecktem  Schilde  in  ganz 
gemächlicher  Erwartung  (eines  Ausfalls  von  Seiten  seines 
Gegners);  Manlius,  mehr  seinem  eigenen  Muthe,  als  seiner 
Fertigkeit  vertrauend ,  prallt  mit  seinem  Schild  gegen  den 
Schild  des  Feindes  und  verrückt  (durch  seinen  ersten  heftigen 
Anprall)  die  Stellung  des  Galliers.  17.  Darauf  stellt  sich  der 
(Riesen-)  Gallier  auf  dieselbe  Weise  absichtlich  wieder  (ganz 
unbefangen  und  gemächlich)  auf  und  Manlius  wiederholt  (von 
Neuem)  den  Anprall  seines  Schildes  an  des  Feindes  Schildr 
verdrängt  den  Gegner  abermals  von  seinem  Platze,  schlüpft 
ihm  dabei  aber  unter  dem  gallischen  Degen  durch,  damit  der 
Gallier  keinen  Zug  mehr  bei  seinem  Hieb  habe,  (gewinnt  da- 
durch einen  Vortheil)  und  durchbohrt  ihm  mit  seiner  spa- 
nischen Klinge  die  Brust,  versetzt  ihm  nach  dem  so  er- 
rungenen Vortheil  unaufhörlich  Hieb  auf  Hieb  in  die  rechte 
Schulter  (damit  der  Gallier  bei  seinem  Schwertstreich  keinen 
Zug  mehr  habe)  und  Hess  (überhaupt)  nicht  eher  ab  ihn  zu 
bedrängen,  bis  er  ihn  zu  Boden  gestreckt.  18.  Nachdem  er 
ihm  vollends  den  Garaus  gemacht  hatte,  schlug  er  ihm  den 
Kopf  ab,  erbeutete  sich  die  Halskette  und  hängt  sofort  sich 
dieses  blutige  Siegeszeichen  um  den  Hals.  19.  Daher  ist  er 
und  jeder  seiner  Nachkommen  mit  dem  Beinamen  Torquatus 
benannt  worden."  20.  Nach  diesem  T.  Manlius,  von  dessen 
obenerwähntem  Kampf  Quadrigarius  uns  die  Beschreibung  ge- 
liefert hatte,  wurden  (auch)  alle  harten  (strengen)  und  grau- 
samen Befehle  „manlianische"  genannt,  weil  er  nachher  im  Kriege 
gegen  die  Lateiner  als  Consul  seinen  eigenen,  leiblichen  Sohn 
mit  dem  Beil  hinrichten  Hess,  der,  auf  Kundschaft  ausgeschickt, 
[ungeachtet  der  väterlichen  Verwarnung,  sich  in  keine  Unter- 
nehmung einzulassen,  nichts  desto  weniger  nach  Uebertretung] 
des  Verbotes  den  Feind,  der  ihn  zum  Kampfe  (gereizt  und) 
herausgefordert,  getödtet  hatte. 

IX,  13,  20.  Cfr.  Gell.  I,  13,  7  imperia  (Postumiana  et)  Manliana.  S.  Val. 
Max.  VI,  9,  1;  Orosius  III,  9;  Florus  I,  14,  2;  Liv.  IV,  29,  G;  VII,  4.  5; 
Gell.  I,  13,  7;  XVII,  21,  17. 


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(30)  IX.  Buch,  14.  Cap.,  §  1—5. 

IX,  14,  L.  Dass  derselbe  Quadrigarius  (im  vorigen  Abschnitt  §  11)  sich 
richtig  lateinisch  ausgedrückt  hat,  da  er  im  Genitiv  sagte:  (hujus)  facies; 
fernerweitige  Beigabe  über  ähnliche  Abbeugungen  von  Hauptwörtern  (der 

vierten  Declination). 

IX,  14.  Cap.  L  Was  nun  die  Ausdmcksweise  in  der 
obigen  Stelle  des  Quadrigarius  Claudius  (Gell.  IX,  13,  11) 
betrifft,  wo  es  heisst:  „propter  magnitudinem  atque  immani- 
tatem  facies"  (wegen  seiner  Riesengrösse  und  wegen  der  Un- 
geheuerlichkeit seines  Aussehens),  so  haben  wir  deshalb  einige 
alte  Schriften  nachgesehen  und  uns  Aufklärung  zu  verschaffen 
gesucht  und  endlich  in  Erfahrung  gebracht,  dass  diese  schrift- 
lich verwerthete  Form  (des  Genitivs  facies  für  faciei)  richtig 
sei.  2.  So  sagte  man  in  der  guten  alten  Zeit  fast  immer 
„haec  facies,  hujus  facies'4,  während  man  nach  einer  jetzt  gül- 
tigen Regel  der  Grammatik  von  diesem  Worte  (den^  Genitiv) 
faciei  bildet.  Doch  habe  ich  einige  verdorbene  Ausgaben 
gefunden,  worin  auch  „faciei"  geschrieben  steht,  nach  Tilgung 
und  Ausstreichung  der  ursprünglichen  Schreibart  (facies). 
3.  Ich  erinnere  mich  aber  auch  ganz  wohl  in  der  (nach  Gell. 
XIX,  5,  4  im  Tempel  des  Hercules  sich  befindenden)  Biblio- 
thek zu  Tibur  in  demselben  Werke  des  Claudius  (an  besagter 
Stelle)  die  Genitivform  doppelt  hingeschrieben  gefunden  zu 
haben,  sowohl  „facies'S  wie  „facii";  nur  dass  facies  in  der  fort- 
laufenden Zeile  und  (am  Rande)  gegenüber  facii,  mit  doppel- 
tem ii  geschrieben  stand.  4.  Ich  glaube  sogar,  dass  diese 
Art  der  Abbeugung  einer  altertümlichen  Gewohnheit  durch- 
aus nicht  zuwiderlaufe;  denn  theils  sagt  man  von  dem  (be- 
kannten) Wort  „dies"  (im  Genitiv)  sowohl  „hujus  dies",  wie 
„hujus  dii",  theils  ebenso  von  „fames"  sowohl  „hujus  farais",  wie 
„hujus  fami'\  5.  Q.  Ennius  bediente  sich  der  Genitivform  dies 
für  „diei"  im  16.  Buche  seiner  Jahrbücher  in  folgendem  Verse: 

Postrema  longinqua  dies  quod  fecerit  aetas 
d.  h.  wenn  das  letzte  Altersgeschlecht  das  entfernteste  Ende 

IX,  14,  L.  Genitiv.  Sing,  facies  und  facii  Dat.  facie  und  facii;  cfr. 
Gell.  IX,  12,  17  NB. 

IX,  14,  4  u.  9.  Eine  Ausstossung  des  Kennlautes  e  vor  der  Genitiv- 
endung findet  zuweilen  in  Wörtern  statt,  wo  vor  dem  e  noch  ein  i  steht, 
also:  dii  statt:  diei. 


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IX.  Buch,  14.  Cap.,  §6—9. 


des  Tages  erreicht  hat.  6.  Femer  behauptet  Caesellius 
(V index),  dass  Cicero  in  seiner  Rede,  welche  er  für  den 
P.  Sestius  verfasst  hat  (c.  12,  §  48).  „dies"  anstatt  „diei" 
geschrieben  habe.  Diese  Behauptung  des  Caesellius  fand  ich 
bestätigt,  nachdem  ich  keine  Mühe  gespart  und  viele  alte 
Ausgaben  nachgeschlagen  hatte.  Des  Marcus  Tullius  (Cicero) 
Worte  lauten  also:  7.  „Equites  vero  daturos  illius  dies  poenas, 
d.  h.  die  römischen  Ritter  aber  werden  Strafe  für  jenen  Tag 
büssen  müssen."  Daher  kommt  es  auch,  dass  ich  leicht  der 
Behauptung  derer  Glauben  schenke,  bei  denen  geschrieben 
steht,  dass  sie  eine  Original-Handschrift  Vergils  eingesehen 
haben  wollen,  wo  (Georg  I,  208)  also  geschrieben  stand: 
Libra  dies  somnique  pares  ubi  fecerit  horas,  d.  h. 
Wenn  die  Waage  die  Stunden  des  Tages  und  des  Schlafens  gleich  macht, 

wo  libra  dies  somnique  nichts  anderes  heissen  soll,  als:  libra 
diei  somnique.  8.  So  wie  nun  aber  an  dieser  Stelle  vom 
Vergil  dies  offenbar  für  diei  geschrieben  steht,  so  ist  es  auch 
ausser  allem  Zweifel,  dass  derselbe  Dichter  (Aen.  I,  636)  in 
jenem  andern  Verse  dafür  dii  geschrieben  hat,  wo  es  heisst: 
(Dido  sendet  den  Genossen  des  Aeneas  20  Stiere)  „munera 
laetitiamque  dii,  d.  h.  zur  Gabe  und  Freude  des  Tages";  an 
welcher  Stelle  Unwissende,  denen  die  Ungewohnheit  dieser 
Ausdrucksweise  gar  nicht  zusagt,  dei  (für  dii)  lesen  wollen. 
9.  So  aber  wurde  dies  (im  Genitiv)  von  den  Alten  in  dii  ab- 
gebeugt, wie  fames  (Hunger)  in  fami,  pernicies  (Verderben) 


IX,  14,  6.  Caesellius  vielleicht  in  commentariis  lectionum  antiquarum 
s.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  338,  4. 

IX,  14,  6  Von  „dies"  hatte  der  vollständige  Genitiv:  dieis,  davon 
konnte  man  die  Form  in  dies  zusammenziehen,  wie  Gellius  „dies"  hier  durch 
das  Beispiel  bei  Cicero  pro  Sestio  bestätigt.  Cfr.  Gell.  V,  12,  5,  wo  in 
Diespiter  (Licht -Vater,  Gott)  dies  auch  der  Genitiv  zu  sein  scheint.  Die 
gewöhnliche  Form  „diei"  rückt  den  Ton  und  lässt  das  s  fallen.  Um  aber 
den  Ton  zu  halten,  kürzen  die  Römer  fidei,  aber  die  vielen  Vocale  in  diei 
schmolzen  zusammen  in  dii  oder  die,  dem  dann  auch  fidi  oder  fide  nach- 
gebildet werden  konnte.  Daher  bei  Gellius:  facii,  progenii,  fami,  luxurii, 
pernicii  und  das  §  8  in  der  vergilischen  Stelle  vorkommende  dii  durch 
diei  Bich  erklärt  findet  Für  diese  Annahme  spricht  auch  tribunus  plebi 
(=  plebei  für  plebis).  Denn  dass  es  nicht  Dativ  ist,  dafür  liefert  uns 
tribunus  militum  und  plebiscitum  den  Beweis.  §  25  erklärt  sich  Caesar 
für  die  (=  dii). 


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(32) 


IX.  Buch,  14.  Cap.,  §9  —  20. 


in  pernicii,  progenies  (Nachkommenschaft)  in  progenii,  luxuries 
(Verschwendung)  in  luxurii,  acies  (Schlachtreihe)  in  acii.  10. 
Denn  M.  Cato  schreibt  in  seiner  Rede,  welche  er  über  den 
carthagischen  Krieg  verfasste,  also:  „Kinder  (Knaben)  und 
Weiber  wurden  ausgewiesen  (weggejagt)  im  Falle  einer  Hungers- 
noth  (fami  causa)".  11.  Lucilius  im  12.  Buche:  ,.rugosum 
atque  fami  plenum,  d.  h.  runzelig  und  von  Hunger  erfüllt". 
12.  Sisenna  im  6.  Buche  seiner  Geschichten:  „Die  Römer 
seien  gekommen,  Verderben  zu  bringen  (inferendae  pernicii 
causa)".  13.  Pacuvius  in  seinem  Paulus:  „Du  höchster  Ahn 
des  Vaters  unseres  Stammes  (nostrae  progenii)."  14.  Cn. 
Matius  im  21.  Buche  seiner  Iliade:  „Der  andere  Theil  der 
Schlachtreihe  (acii)  hatte  die  Wellen  des  Flusses  vermieden." 
15.  Derselbe  Matius  im  13.  Buche:  „Ob  wohl  im  Tode  noch 
bleibt  ein  Schein  von  Gestalt  (specii  simulacrum)  derer,  die 
nicht  mehr  sprechen."  16.  G.  Gracchus  „über  Bekannt- 
machung von  Gesetzbestimmungen"  sagt:  „Man  behauptet, 
dass  diese  Einrichtungen  der  Verschwendung  wegen  (luxurii 
causa)  getroffen  werden" ;  17.  und  ebendaselbst  steht  weiter 
unten:  „Das  ist  durchaus  kein  Zeichen  von  Ausschweifung  (non 
est  ea  luxuries,  quae),  sich  das  anzuschaffen,  was  zum  Leben 
nöthig  ist."  18.  Daher  kann  man  ganz  deutlich  ersehen,  dass 
er  von  „luxuries"  im  Genitiv  „luxurii"  sagte.  19.  Auch  Marcus 
Tullius  hat  uns  ein  schriftliches  Beispiel  des  Genitivs  „pernicii" 
hinterlassen  in  seiner  Verteidigungsrede,  die  er  für  Sext. 
Roscius  hielt  (cap.  45,  §  131).  Die  betreffenden  Worte  lauten: 
„Wovon  wir  nichts  der  göttlichen  Absicht  unseres  Verderbens 
halber  (pernicii  causa,  d.  h.  uns  zu  verderben),  sondern  Alles 
der  Gewalt  und  Macht  des  Weltlaufes  (oder  der  Ereignisse) 
zuschreiben  zu  müssen  glauben."     20.  Man  muss  also  un- 


IX,  14,  12.  Luc.  Cornelius  Sisenna,  geb.  120  v.Chr.,  starb  auf 
Creta  als  Legat  des  Pompejus  67  v.  Chr.  Erwarb  sich  einen  Namen  als 
Verfasser  römischer  Annalen,  schrieb  auch,  wie  es  scheint,  Erklärungen 
zu  Comödien  des  Plautus  und  übersetzte  wahrscheinlich  die  milesischen 
Geschichten  des  Aristides  aus  dem  Griechischen  ins  Lateinische.  Von. 
Cicero  höchst  anerkennend  erwähnt  (Brut.  64.  74).  Vergl.  ßernh.  R  L. 
41,  158. 

IX,  14,  14.  S.  Teuffels  röm.  Lit.  148,  4  über  Cn.  Matius  und  Gell. 
Vn  (VI),  6,  5. 


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IX.  Buch,  14.  Cap.,  §  20-26.  -15.  Cap.,  §  1—4.  (33) 


bedingt  annehmen,  dass  (hier  bei  Gellius  IX,  13,  11)  Quadri- 
garius  im  Genitiv  entweder  „facies*'  oder  „facii"  geschrieben 
habe;  die  Form  „facieu  habe  ich  aber  in  keinem  alten  Schrift- 
werke vorgefunden.  21.  Im  Dativ  aber  haben  Alle,  die  sich 
einer  ganz  reinen  Ausdrucksweise  betieissigten,  nicht  „faciei", 
wie  wir  jetzt  zu  sprechen  gewohnt  sind,  sondern  (stets)  facie 
gesagt.   22.  So  Lucilius  in  seinen  Satiren: 

„Zuerst,  weil  es  einem  ehrlichen  Gesicht  ansteht  (facie  honestae)." 

23.  Derselbe  Lucilius  in  seinem  7.  Buche: 

Wer  Dich  liebt,  der  muss  auch  Deinem  Gesichte  (facie  tuae)  Bewunderung 
Zollen  und  Deiner  Gestalt,  als  Freund  Dir  zu  dienen  versprechen. 

24.  Doch  giebt  es  nicht  Wenige,  die  an  beiden  Stellen  „facii" 
lesen.  25.  Allein  C.  Caesar  ist  im  2.  Buche  seines  Werkes 
„über  die  Analogie"  der  Ansicht  man  müsse  (im  Genitiv) 
hujus  die  und  hujus  specie  sagen.  26.  Ich  habe  auch  in 
Sallust's  Jugurtha  (97,  3)  in  einer  Ausgabe  von  grösster  Glaub- 
würdigkeit und  ehrwürdigem  Alter  diese  (contrahirte)  Genitiv- 
form „dieu  geschrieben  gefunden.  Die  Worte  sind*  folgende: 
„Als  kaum  der  zehnte  Theil  des  Tages  noch  übrig  war  (de- 
cima  parte  die  reliqua)".  Denn  nach  meiner  Meinung  ist  die 
feine  Spitzfindelei  (als  Ausweg)  doch  wohl  nicht  gut  zu  heissen, 
dass  man  sich  mit  der  Annahme  zu  helfen  sucht,  als  sei  „die" 
(der  Ablativ,  im  Sinne)  für  „ex  die"  (vom  Tage)  gesagt. 

IX,  15,  L.    Ueber  die  Gattung  von  Streitpunkten,  welche  auf  Griechisch 

anoQOv  (unerklärbar)  genannt  wird. 

IX,  15.  Cap.  1.  Ich  begab  mich  mit  dem  Rhetor  Antonius 
Julianus  nach  Neapel,  weil  wir  während  der  Zeit  der  Ernte 
in  den  Herbstferien  der  Stadt-Gluth  ausweichen  wollten.  2. 
Daselbst  befand  sich  auch  damals  ein  sehr  reicher  junger 
Mensch,  der  unter  Anleitung  seiner  Lehrer  in  der  lateinischen 
und  griechischen  Sprache  sich  fleissig  übte  und  besonders  in 
der  lateinischen  Beredtsamkeit  sich  Fertigkeit  anzueignen 
suchte,  um  später  zu  Rom  selbst  Rechtssachen  verhandeln  zu 
können.  Dieser  ersuchte  den  Julian,  er  möchte  doch  einmal 
einen  seiner  Vorträge  mit  anhören.  3.  Um  nun  einem  solchen 
Vortrage  beizuwohnen,  macht  sich  also  Julian  (eines  Tages) 
auf  den  Weg  und  wir  machen  uns  zugleich  auch  mit  ihm 
auf  den  Weg.   4.  Der  junge  Mensch  beginnt  seinen  Vortrag 

Gellius,  Attische  Nächte.    II.  3 


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(34) 


IX.  Buch,  15.  Cap.,  §  4—10. 


und  spricht  gleich  anfangs  in  anmassenderem  und  über- 
müthigerem  Tone,  als  es  sich  für  sein  Alter  ziemte,  und 
nachher  verlangte  er,  dass  man  ihm  Streitfragen  vorlege. 
5.  Es  befand  sich  daselbst  aber  mit  uns  auch  ein  eifriger 
Anhänger  (und  Verehrer)  des  Julian,  ein  lebhafter,  einsichts- 
voller Jüngling,  der  sich  schon  dadurch  unangenehm  berührt 
fühlte,  dass  Jener  die  Frechheit  besass,  in  seiner  Voreiligkeit 
darauf  zu  bestehen,  einen  Vortrag  aus  dem  Stegreife  zu  hal- 
ten und  sich  in  Gegenwart  (des  weisen)  Julians  eine  Heraus- 
forderung zum  Wettkampf  zu  erlauben.  6.  Versuchsweise 
stellte  er  also  einen  wenig  stichhaltigen  Streitpunkt  auf,  der- 
gleichen die  Griechen  mit  dem  Worte  anoqov  (unerklärbar, 
unauflösbar)  bezeichnen ;  ein  Wrort  das  sich  lateinisch  ziemlich 
ganz  treffend  durch  das  Wort  „inexplicabile"  (unauflösbar) 
wiedergeben  lässt.  7.  Die  Streitfrage  war  also  folgender  Art : 
Sieben  Richter  sollen  über  einen  Angeklagten  ihr  Eikenntniss 
abgeben  und  nach  (gemeinschaftlichem)  Beschluss  sollte  die 
Stimmenmehrheit  bei  dem  Urtheilsspruch  entscheidend  sein. 
Als  alle  sieben  Richter  ihr  Erkenntniss  abgegeben  hatten, 
stellte  sich  heraus,  dass  der  Angeklagte  nach  dem  Beschluss 
von  Zweien  (seine  Schuld)  mit  Landesverweisung  büssen  sollte, 
nach  zwei  Andern  durch  Geld,  nach  Beschluss  der  drei  Uebrigen 
sollte  er  mit  dem  Tode  bestraft  werden.  8.  Nach  dem  Urtheil 
dieser  drei  letzteren  Richter  wird  er  zum  Tode  verdammt 
und  er  erhebt  nun  dagegen  Einspruch.  9.  Als  jener  (dünkel- 
hafte Mensch)  diese  Streitfrage  vernommen,  fällt  es  ihm  weder 
ein,  dieselbe  genügend  zu  erwägen,  noch  auch  erst  abzuwarten, 
ob  nicht  noch  andere  Fragen  aufgeworfen  werden,  sondern 
macht  sich  sofort  daran,  mit  erstaunlich  autfallender  Schnellig- 
keit bezüglich  der  erwähnten  Streitfrage  allerhand  unbegreif- 
liche Grundsätze  herzuplappern,  einen  Wust  von  Phrasen  und 
Wrörterkram  zu  entrollen  und  eine  Masse  Redensarten  los- 
zulassen, wobei  alle  Uebrigen  aus  seiner  gewöhnlichen  Zu- 
hörer-Rotte (darüber)  durch  lauten  Beifall  ihr  höchstes  Ent- 
zücken zu  erkennen  gaben,  Julianus  aber  in  dieser  argen  und 
misslichen  Lage  vor  Schaam  erröthete  und  ihm  (aus  Verlegen- 
heit) der  (Angst-)  Sch weiss  ausbrach.  10.  Als  der  Mensch 
nun  noch  viel  tausenderlei  Krimskrams  durcheinander  her- 
geplärrt und  endlich  einmal  zum  Schluss  kam,  fanden  wir 


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IX.  Buch,  15.  Cap.,  §  10.  11.  —  16.  Cap.,  §  1-5.  (35) 

• 

schickliche  Gelegenheit  uns  zu  entfernen.  Julians  Freunde 
und  Verehrer,  die  ihm  das  Geleite  gaben,  suchten  nun  von 
ihm  herauszubringen,  was  wohl  seine  Meinung  (über  diesen 
Menschen)  sei.  11.  Da  nun  gab  Julian  die  höchst  witzige 
Antwort:  „Fragt  mich  nicht  (erst)  nach  meiner  Meinung: 
dieser  junge  Mann  ist  unstreitig  (sine  controversia)  der  ge- 
wandteste (und  schlagfertigste)  Redner. 

IX,  16,  L.  Dass  dem  höchst  gelehrten  Plinius  Secundus  ein  Fehler  entging 
und  verborgen  blieb  in  der  Beweisführung,  welche  die  Griechen  mit  dem 
Ausdruck  avTtaT(>((f>ov  (zurückbezügliche  Schlussart)  bezeichnen. 

IX,  16.  Cap.  1.  Plinius  Secundus  wurde  für  den  ge- 
lehrtesten Mann  seines  Zeitalters  gehalten.  2.  Dieser  hinter- 
liess  ein  Werk-,  überschrieben  „für  Redekunstbeflissene  (oder 
für  Redner)",  welches  wahrlich  die  höchste  Anerkennung  ver- 
dient. 3.  In  diesem  Werke  finden  sich  viele  und  mannigfaltige 
Bemerkungen,  die  sehr  geeignet  sind,  das  Ohr  Gebildeter  zu 
erfreuen  und  ihre  Aufmerksamkeit  zu  fesseln.  4.  Darin  theilt 
er  sehr  viele  sinnreiche  und  witzige  Gedankenformeln  mit, 
von  denen  er  glaubt,  dass  man  sie  beim  Vortrag  von  Streit- 
sätzen (und  Rechtsfällen)  verwerthen  könne.  5.  So  führt  er 
bei  dieser  Gelegenheit  auch  folgenden  (charakteristisch)  be- 
zeichnenden Fall  aus  einem  derartigen  Streitsatz  an.  „Ein 
tapferer  Held  soll  (gesetzlichermassen)  stets  mit  dem  Preise 
beschenkt  werden,  den  er  sich  (selbst)  gewünscht  hat.  Einer 
(nun),  der  also  eine  tapfere  That  vollbracht  hatte,  fordert 
(auf  eine  so  vollbrachte  That  hin)  die  Gattin  eines  Andern 
zur  Ehefrau  und  empfängt  sie  also  auch.  Darauf  vollzieht 
nun  aber  der,  dessen  Ehefrau  sie  (zuvor)  war,  auch  eine 
Heldenthat;  deshalb  verlangt  dieser  nun  (ebenfalls  auch  nach 
demselben  Buchstaben  dieses  Gesetzes  und  Anrechtes)  seine 

IX,  15  11.  sine  controversia,  d.  h.  wenn  er  keinen  Gegner  findet  und 
ihm  Keiner  widerspricht 

IX,  16,  L.  Cfr.  Gell.  V,  10,  L.  wtorQfyov,  ein  Fehler  in  der  Be- 
weisführung, wo  man  den  Beweis  umkehren  kann.  Studentisch  Retour- 
Kuteche. 

IX,  16,  1.   Ueber  Plinius  d.  Aelt.  s.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  307. 

IX,  16,  2.  Plinii  Secundi  „studiosorum"  libri,  handelten  über  die 
Ansprüche  an  einen  vollkommenen  Redner,  oder  überhaupt  über  Bildung 
des  Redners. 

3* 

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(36)  Buch,  16.  Cap.,  §  5—7. 

(eigene)  Frau  wieder  zurück:  also  wird  (von  ihm)  Einspruch 
erhoben  und  die  Sache  kommt  zum  Austrag."  6.  Nach  der 
Ansicht  des  Plinius  wird  von  Seiten  des  früheren,  nun  auch 
tapfer  gewesenen  Ehemannes,  welcher  verlangt,  dass  ihm  seine 
Frau  zurückgegeben  werden  solle,  folgender  feine  und  beifalls- 
werthe  Einwand  vorgebracht:  „Hat  das  (besagte)  Gesetz 
Deinen  Beifall,  so  gieb  sie  mir  wieder,  lieber  Richter,  (eben 
weil  ich  eine  tapfere  That  vollbracht  habe);  missbilligst  Du 
(überhaupt)  aber  das  Gesetz,  nun  so  versteht  es  sich  erst 
recht  von  selbst,  dass  Du  sie  mir  wiedergiebst."  7.  Allein 
Plinius  hat  hierbei  vergessen,  dass  dieser  Beweissatz,  den  er 
für  so  überaus  geistreich  hielt,  nicht  frei  von  jenem  Form- 
fehler ist,  der  im  Griechischen  mit  dem  Ausdruck  avziOTQtcpov 
(zurückbezüglich)  genannt  wird.  Denn  der  (dem  Gesetze  vor- 
zuwerfende) Fehler  ist  sehr  trügerisch  und  hält  sich  nur  unter 
einem  falschen  Schein  von  Lob  verborgen;  denn  ganz  ebenso 
lässt  sich  dieser  Trugschluss  von  seinem  Gegner  gegen  ihn 
verwerthen,  es  braucht  nur  von  Jenem,  der  zuerst  die  tapfere 
That  vollbrachte,  beiläufig  so  entgegnet  zu  werden :  „Wenn  das 
Gesetz  genehm  ist,  so  brauche  ich  Dir  Deine  Frau  nicht  zu- 
rückzugeben; findet  das  Gesetz  aber  Missbilligung,  nun  so 
brauche  ich  sie  Dir  auch  nicht  zurückzugeben/  (Allein 
darauf  ist  nun  ganz  einfach  zu  erwiedern :  Dann  hätte  sie  Dir 
aber  auch  gar  nicht  zugesprochen  werden  dürfen.) 


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X.  BUCH. 


X,  (,L.  Ob  es  heissen  müsse  „tertium  consul  oder  tertio";  und  auf  welche 
Weise  nach  Cicero's  Rath  Cn.  Pompejus  den  fraglichen  Zweifel  in  der 
Wahl  der  richtigen  Form  umging,  als  er  bei  der  bevorstehenden  Einweihung 
des  Theaters,  an  diesem  Gebäude  seine  Amtswürden  (inschriftlich)  anbringen 

zu  lassen  beabsichtigte. 

X,  1.  Cap.  1.  Einem  meiner  Freunde  schickte  ich  von 
Athen  nach  Rom  einen  Brief,  2.  worin  ich  ihn  benachrichtigte, 
dass  ich  ihm  nun  schon  „zum  drittenmale"  geschrieben  (wobei 
ich  den  Ausdruck  „tertium"  gebraucht  hatte).  3.  Dieser  bat 
mich  nun  in  seiner  Rückantwort,  dass  ich  ihm  doch  den 
Grund  angeben  möchte,  warum  ich  das  „zum  drittenmale" 
mit  „tertium"  ausgedrückt  und  nicht  (vielmehr)  „tertio"  ge- 
schrieben hcätte.  Er  fügte  noch  bei,  dass  ich  ihm  auch  Mit- 
theilung machen  möchte,  ob,  wenn  man  angeben  wollte,  zum 
wievieltenmale  Jemand  mit  dem  Consulat  betraut  gewesen 
sei,  z.  B.  zum  dritten-  oder  zum  viertenmale,  es  dann  heissen 
müsse:  „tertium  consul  und  quartum,  oder  tertio  und  quarto" 
(und  ihm  Aufklärung  gern  erwünscht  sein  würde),  weil  er  zu 
Rom  einen  gelehrten  Mann  die  Form:  „tertio  und  quarto 
consul",  nicht  aber:  tertium  und  quartum  habe  sagen  hören; 
überdies  auch  nicht  nur  Coelius  (Antipater)  in  seinem  Buch- 
Anfange  (ebenso)  geschrieben,  sondern  auch  Quintus  Claudius 
(Quadrigarius)  im  19.  Buche  sich  dieser  Ausdrucksweise  be- 

X,  1,  3.  L.  Coelius  Antipater,  römischer  Redner  und  Geschichts- 
schreiber, („über  den  punischen  Krieg"  Cic.  Brut  26,  102;  legg.  1,  2,  6; 
de  orat.  2,  12,  54;  orat.  69,  230;  Val.  Max.  1,  7,  6;  Fest.  p.  352,  11. 
Müll.)  Zeitgenosse  der  Gracchen. 

X,  1,  3.   S.  Fest.  S.  364*. 


(38)  X.  Buch,  1.  Cap.,  §  3—6. 

dient  habe  und  gesagt,  dass  C.  Marius  zum  siebentenmale 
(septimo)  zum  Consul  erwählt  worden  sei.  4.  Als  Rück- 
antwort schrieb  ich  ihm  nichts  weiter,  als  eine  darauf  be- 
zügliche Stelle  des  M.  Varro,  eines  Mannes,  der  nach  meiner 
Meinung  (massgebender  und)  gelehrter  ist,  als  Claudius  mit- 
sammt  dem  Coelius,  in  welcher  Stelle  der  Streit  entschieden 
wird  über  beide  Ausdrucksweisen,  worüber  er  seine  schrift- 
liche Frage  an  mich  gerichtet  hatte:  denn  ich  müsse  mich 
auf  diese  alleinige  Antwort  beschränken,  5.  weil  theils  Varro 
ganz  klar  und  deutlich  angegeben,  wie  es  richtig  heissen 
müsse,  theils  weil  ich  nicht  die  Absicht  habe,  in  meiner  Ab- 
wesenheit mich  auf  Entscheidung  einer  Streitfrage  (vielleicht) 
gegen  einen  Mann  einzulassen,  der  (von  ihm)  für  gelehrt  be- 
zeichnet würde.  6.  Die  Stelle  des  M.  Varro  ist  aus  dem 
5.  Buche  seiner  „disciplinae  (wissenschaftliche  Winke,  einer 
encyclopädischen  Darstellung  aller  Wissenschaften)"  und  lautet : 
„Eine  andere  Bedeutung  hat  die  Redensart :  quarto  praetorem 
fieri  und  quartum,  weil  „quarto1'  die  (wievielteste)  Stelle  anzeigt 
und  denjenigen  bezeichnet,  der  in  der  Reihe  der  Gewählten 
der  vierte  ist,  nachdem  schon  drei  Andere  vorher  ernannt 
sind ;  „quartum"  aber  den  Zeitbegriff  einschliesst  mit  der  Be- 
deutung: zum  viertenmale  Consul,  nachdem  er  es  schon  drei- 
mal gewesen  war.  Ennius  that  also  ganz  recht  daran,  als  er 
schrieb:  „„Quintus  der  Vater  wird  Consul  zum  viertenmale 
(quartum)" u,  und  Pompejus  offenbart  nur  seine  Bedenklichkeit, 


X,  1,  6.  Theatrum  (im  eigentlichen  Sinne  von  #««o(ufa,  sehen,  be- 
trachten), Schauplatz,  d.  h.  Platz  für  die  Zuschauer,  bei  den  Griechen  ro 
xo/Aor,  bei  den  Römern  eigentlich  cavea  genannt.  Die  dramatischen  Spiele 
wurden  von  den  Etruskern  entlehnt,  daher  man  die  Schauspieler  (ludiones) 
von  dem  tuskischen  Wort  hister  (i.  e.  ludio)  histriones  nannte.  Die 
Theile  des  Theaters,  für  die  Schauspieler  bestimmt,  hiessen:  1)  Seena 
(oxrjvrj),  Schaubühne,  Platz  mit  den  Decorationen,  wo  die  Vorstellungen 
gegeben  wurden;  2)  postscenium,  Ort  wo  sich  die  Schauspieler  aus-  und 
ankleideten  und  wo  alles  vorgenommen  wurde,  was  schicklicher  Weise 
vor  den  Zuschauern  verborgen  blieb;  3)  proscenium,  der  Ort  vor  der 
Scene,  wo  die  Schauspieler  erschienen  und  agirten ;  4)  pulpitum  (Xoyetor), 
wo  sie  ihre  Rollen  hersagten  und  5)  Orchestra,  bei  den  Griechen  der  Ort, 
wo  sie  tanzten  (von  d^ficrfo«,  tanzen),  wo  sich  auch  der  Chorus  befand. 
Aber  bei  den  Römern  war  es  der  Ort,  wo  die  Senatoren  und  andere  vor- 
nehme Personen  sassen. 


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X.  Buch,  1.  Cap.,  §  6.  7. 


(39) 


als  er  am  (neuen)  Theatergebäude,  damit  er  überhaupt 
nicht  consul  tertium  oder  tertio  zu  sehreiben  brauchte,  die 
letzten  Buchstaben  (zur  Angabe  seines  dritten  Consulats)  nicht 
ausschreiben  Hess."  7.  Diesen  Fall,  welchen  uns  Varro  über 
den  Pompejus  in  Kürze  und  etwas  dunkel  mittheilt,  hat  Tiro 
Tullius,  Cicero's  Freigelassener,  ausführlicher  in  einem  be- 
kannten Briefe  ohngefähr  folgendermassen  schriftlich  berührt, 
wo  es  heisst:  „Als  Pompejus  den  Tempel  der  Victoria 
einzuweihen  im  Begriff  stand,  dessen  Stufen  zugleich  als 
Theatersitzplätze  dienten,  und  sein  Name  und  seine  Ehren- 
ämter daran  angegeben  werden  sollten,  wurde  die  Frage  auf- 
geworfen, ob  es  in  der  Ueberschrift  heissen  müsse:  consul 
tertio  oder  tertium.  Dieses  Bedenken  legte  Pompejus  den 
gelehrtesten  Männern  in  der  Stadt  (Rom)  zur  sorgfältigen 
Beurtheilung  vor  und  als  auch  bei  ihnen  die  verschiedensten 
Ansichten  obwalteten  und  ein  Theil  behauptete,  es  müsse 
tertio  geschrieben  werden,  andere  wieder:  tertium,  wendete 
Pompejus,  erzählt  Tiro  weiter,  sich  deshalb  befragend  an  den 
Cicero,  dass  dieser  entscheiden  und  anschreiben  lassen  möchte, 
was  ihm  das  Richtigere  scheinen  würde  ;  Cicero  habe  darauf 
aber  Bedenken  getragen  ein  endgültiges  Urtheil  über  die 
(verschiedenen)  Gutachten  der  gelehrten  Männer  abzugeben, 
damit,  wenn  er  die  Ansicht  der  einen  Partei  nicht  als  voll- 
gültig anerkannt  hätte,  es  nicht  etwa  scheinen  möchte,  als 
habe  er  diese  (Gelehrten)  selbst  (dadurch)  nicht  als  vollgültig 
anerkennen  wollen.  Er  ertheilte  also,  heisst  es  in  Tiros  Briefe 
weiter,  dem  Pompejus  den  Rath,  er  möge  weder  tertium,  noch 
tertio  anschreiben,  sondern  von  dem  Worte  nur  die  (vier) 
ersten  Buchstaben  bis  zum  zweiten  t  (also  nur  tert.)  hinsetzen 
lassen,  so  dass,  wenn  das  Wort  auch  nicht  ganz  ausgeschrieben 
sei,  die  Hauptsache  zwar  näher  angegeben  würde,  jedoch  das 
(Schwankende  und)  Zweifelhafte  bei  der  Ausdrucksweise  in 


X,  1,  7.  Das  ganz  von  Steinen  erbaute  Theater  fasste  40,000  Zu- 
schauer und  wurde  von  Pompejus  aufgeführt,  als  er  aus  dem  mithri- 
datischen  Krieg  zurückkehrte.  Eine  ausführliche  Erzählung  über  die 
Schicksale  dieses  Gebäudes  findet  sich  in  Adlers  Beschreibung  der  Stadt 
Rom.  S.  109.  S.  Plutarch:  Pompejus  40,  52;  Dio  Cass.  39,  38;  Cic. 
Farn.  7,  1,  3;  oflic.  2,  16,  57;  Ascon.  p.  1.  2.  15;  Plin.  8,  7,  7,  20  f.; 
vergl.  Vellej.  2,  48;  Tacit.  Ann.  14,  20. 


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(40)  X.  Buch,  1.  Cap.,  §  8— 11.  — 2.  Cap.,  §  1.  2. 


dieser  Wortform  verdeckt  bleiben  sollte."  8.  Die  Mittheilung 
(dieser  Beiden),  sowohl  des  Varro,  wie  des  Tiro  ist  nicht  mehr 
zutreffend,  denn  die  (erste,  alte)  Inschrift  ist  jetzt  nicht  mehr 
da.  9.  Als  nämlich  viele  Jahre  nachher  dieser  Schauplatz 
(scaena),  nach  seinem  Verfall  neu  hergestellt  worden  war, 
wurde  die  Zahlenangabe  des  dritten  Consulats  nicht,  wie  an- 
fänglich, mit  den  ersten  vier  Buchstaben,  sondern  nur  durch 
Einmeisselung  von  drei  (einfachen)  Strichelchen  (III,  d.  h. 
durch  eine  römische  Drei)  bezeichnet.  10.  Im  4.  Buche  von 
M.  Catos  „Urgeschichte"  findet  sich  die  (richtige)  Form  voll- 
ständig ausgeschrieben  vor,  da  heisst  es:  „Die  Carthager 
wurden  (hernach  18  Jahre  nach  dem  24jährigen  Kriege)  zum 
sechstenmale  (sextum)  dem  geschlossenen  Vertrage  untreu." 
Dieser  Ausdruck  („sextum")  bedeutet:  schon  fünfmal  hatten 
sie  dem  Bündniss  zuwidergehandelt  und  darauf  nun  zum 
sechstenmale.  11.  Auch  die  Griechen,  um  eine  derartige  be- 
stimmte Zahl  von  Zeitbegebenheiten  und  Vorfällen  näher  zu 
bezeichnen,  gebrauchen,  übereinstimmend  mit  unserer  latei- 
nischen Ausdrucksweise  tertium  und  quartum,  gerade  so  die 
Wörter:  tqitov  und  xkagfcov  (zum  dritten-  und  zum  vierten - 
male). 

X,  2,  L.    Ucberlicferter  Bericht  des  Aristoteles  über  eine  (höchstmögliche) 

Kinderzahl  bei  einer  Niederkunft. 

X,  2.  Cap.  L  Der  Philosoph  Aristoteles  hat  berichtet, 
dass  eine  Frau  in  Aegypten  bei  einer  und  derselben  Nieder- 
kunft mit  fünf  Knaben  entbunden  worden  sei  und  er  fü£t 
hinzu,  dass  dies  das  höchste  Beispiel  von  einer  so  reich- 
gesegneten menschlichen  Fruchtbarkeit  und  ihm  nie  bekannt 
geworden,  dass  (von  einer  Frau)  auf  einmal  noch  mehr  Kinder 
geboren  wurden,  sagt  jedoch,  dass  diese  (erwähnte)  Zahl  nur 
höchst  selten  vorkommen  soll.  2.  Dass  aber  auch  unter  der 
Regierung  des  göttlichen  Augustus  eine  Magd  dieses  Kaisers 
auf  dem  Lande  zu  Laurentum  (in  Latium)  fünf  Knaben  zur 
Welt  gebracht,  erfahren  wir  von  den  Geschichtsschreibern 

X,  1,  9.    Nach  Tac.  Annal.  III,  72  war  das  Theater  abgebrannt,  cfr. 
Sen.  ad  Marc.  22;  Suet.  Tib.  47;  Calig.  2:  Claud.  21;  Vitra*.  Y,  7.  8. 
X,  2,  1.   S.  Plin.  TO,  3. 
X,  2,  2.   Plin.  Epist.  II,  17,  init. 


X.  Buch,  2.  Cap.,  §2.-8.  Cap.,  §  1—8. 


(41) 


seiner  Zeit,  dass  aber  diese  Kinder  nur  wenige  Tage  am 
Leben  geblieben,  und  auch  die  Mutter  derselben  bald  nach 
ihrer  Niederkunft  gestorben,  und  ihr  auf  Befehl  des  Augustus 
an  der  Strasse  nach  Laurent  ein  Denkmal  errichtet  worden 
sei,  worauf  die  von  uns  angeführte  Zahl  der  (fünf)  zugleich 
gebornen  Kinder  angegeben  war. 

X,  3,  L.  Angestellter  Vergleich  und  Zusammenstellung  einiger  merkwürdiger 
Stellen  aus  den  Reden  des  G.  Gracchus,  des  M.  Cicero  und  des  M.  Cato. 

X,  3.  Cap.  1.  G.  Gracchus  wird  allgemein  für  einen  ge- 
waltigen und  hinreissenden  Redner  gehalten.  Kein  Mensch 
leugnet  diese  Behauptung.  Allein,  dass  er  Einigen  scheint 
ernster,  scharfsinniger  und  schlagfertiger,  glänzender  und 
würdevoller  zu  sein  als  M.  Cicero,  wer  könnte  das  iso  ruhig) 
zugeben?  2.  Wir  lasen  neulich  die  Rede  des  Gracchus  über 
die  „Bekanntmachung  von  Gesetzbestimmungen",  worin  er 
mit  allem  ihm  zu  Gebote  stehenden  Unwillen  sich  beklagt, 
dass  M.  Marius  und  einige  andere  ehrbare  Männer  aus  den 
.  Munizipal -Städten  Italiens  (auf  Befehl)  von  den  obern  Be- 
hörden des  römischen  Volkes  ungerechter  Weise  mit  .Ruthen 
gegeisselt  worden  seien.  3.  Die  von  ihm  darüber  gesprochenen 
Worte  lauten:  „Neulich  kommt  der  Consul  nach  der  Stadt 
der  Sidicinier  Teanura  (in  Campanien);  er  Hess  bekannt 
machen,  dass  seine  Frau  sich  im  Männerbad  baden  wolle. 
Dem  betreffenden  sidicinischen  Schatzmeister  wird  durch 
den  (edlen)  M.  Marius  der  Auftrag  ertheilt,  alle  aus  dem 
Bade  herausjagen  zu  lassen,  die  sich  gerade  badeten.  Diese 
Frau  [des  Consuls]  meldet  (nachträglich)  ihrem  Manne,  dass 
das  Bad  ihr  eben  nicht  sonderlich  schnell  überlassen  worden 
und  eben  auch  nicht  sonderlich  sauber  gewesen  sei.  Deshalb 
wurde  (nach  des  Consuls  Befehl)  auf  dem  Markte  ein  Pfahl 

X,  3,  1  Ueber  G.  Gracchus  vergl.  Berah.  R.  L.  40,  153  u.  115,  536; 
Teuffels  röm.  Lit.  140,  4. 

X,  3,  2.  Im  1.  Band  der  Geschichte  des  Julius  Caesar  von  Napoleon 
wird  der  Vermuthung  Raum  gegeben,  dass  diese  zwei  Stellen  aus  der  Rede 
des  G.  Gracchus  vielmehr  wohl  dem  Tiberius  Gracchus  zuzuschreiben  sein 
müssten. 

X,  3,  3.  M.  Marius  Egnatius  wurde  zur  Zeit  des  G.  Gracchus  von 
einem  römischen  Consul  im  Uebermuth  gemisshandelt.  Vergl.  Lange  röm. 
Alterth.  §  138  S.  41. 


X.  Buch,  3.  Cap.,  §3  —  5. 


aufgepflanzt,  dahin  wurde  M.  Marius,  der  angesehenste  und 
achtbarste  Bürger  seiner  Stadt  (welcher  die  Verordnung  dem 
Quaestor  zu  übermitteln  gehabt  hatte)  herzugeholt.  Die  Kleider 
wurden  ihm  ausgezogen,  er  (der  Schuldlose)  wurde  mit  Ruthen 
gepeitscht.  Als  die  Einwohner  von  Calenum  (einer  Stadt  in 
Campanien)  dies  hörten,  machten  sie  einen  Beschluss  bekannt, 
es  möchte  Niemand  sich  einfallen  lassen,  während  der  An- 
wesenheit eines  römischen  Magistrats  in  den  Bädern  zu  baden. 
Aus  derselben  Ursache  gab  zu  Ferentum  (einer  Stadt  im  Gebiete 
der  Herniker)  unser  Praetor  den  Befehl,  die  (beiden)  Schatz- 
•  meister  ohne  Weiteres  aufzugreifen ;  der  Eine  nun  stürzte  sich 
(aus  Furcht  vor  der  Strafe)  von  der  Mauer  herab  (und  gab  sich 
so  gleich  lieber  selbst  den  Tod),  der  Andere  wurde  ergriffen 
und  mit  Ruthen  gepeitscht."  4.  Bei  einer  so  grausamen  That 
und  bei  einem  so  mitleidsvollen  und  beklagenswerthen  Nach- 
weis von  einer  solchen  öffentlichen  Ungerechtigkeit,  hätte 
er  sich  da  wohl  entweder  klarer  und  bezeichnender,  oder 
rührender  und  mitleidsvoller,  oder  mit  mehr  und  grösserer 
Missbilligung  und  Entrüstung,  heftiger  und  mit  ergreifenderem 
Schmerzensgefühle  ausdrücken  können?  Wahrlich  die  Kürze, 
der  Zauber,  die  Reinheit  und  Einfachheit  in  seiner  Sprache 
ist  hier  eine  derartige,  wie  man  sie  (höchstens  nur  noch)  bei 
feierlichen  Muster-Aufführungen  von  dichterischen  Kunstwerken 
zu  hören  gewohnt  ist.  5.  So  sagt  Gracchus  weiter  noch  an 
einer  andern  Stelle:  „Wie  weit  der  Muthwille  und  wie  weit 
die  Zügellosigkeit  unserer  jetzigen  Jugend  geht,  will  ich  (euch) 
noch  durch  ein  (anderweitiges)  Beispiel  darthun:  Vor  einigen 
Jahren  wurde  ein  noch  junger  Mensch  als  Gesandter  von 
[Rom  nach]  Asien  abgeschickt,  welcher  derzeit  noch  kein 
obrigkeitliches  Amt  bekleidet  hatte.  Dieser  wurde  eben  in 
einer  Sänfte  getragen.  Da  kommt  ein  Ochsentreiber  (des- 
selben Weges),  ein  Venusianer  aus  niederem  Stande  eben  an 
ihm  vorbei  und  da  dieser  nicht  wusste,  wer  in  der  Sänfte 
getragen  wurde,  fragte  er  scherzweise,  ob  man  da  wohl  einen 
Todten  forttrüge.  Wie  dies  der  junge  Mann  in  der  Sänfte 
hört,  lässt  er  anhalten  und  giebt  sofort  Befehl,  den  Vorlauten 


X,  3,  5.  Venusia,  alte  samnitische  Stadt  in  Apulien  und  Geburtsort 
des  Dichters  Horaz. 


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X.  Buch,  3.  Cap.,  §5  —  12. 


so  lange  mit  den  an  der  Sänfte  befestigten  (Trag-)  Riemen 
zu  züchtigen,  bis  dass  er  den  Geist  aushauchte."  6.  Zwar 
hat  dieser  Vortrag  über  eine  so  gewaltthätige  und  grausame 
Handlungsweise  allerdings  nichts  Abweichendes  von  den  Re- 
den, die  man  alle  Tage  hören  kann.  7.  Aber  etwas  ganz 
anderes  ist  es,  wenn  in  ähnlicher  Angelegenheit  bei  M.  Cicero 
unschuldige  römische  Bürger  gegen  alles  Recht  und  Gesetz 
mit  Ruthen  gepeitscht  werden,  oder  durch  die  ärgste  Marter 
den  Tod  erleiden  müssen;  wie  ergreifend  wirkt  da  die  Schil- 
derung? wie  rührend  ist  der  Ausdruck?  welche  klare  Ver- 
anschaulichung des  Thatbestandes  ?  Wie  hört  man  da  die 
Heftigkeit  der  Entrüstung  und  Bitterkeit  heraufbrausen? 
8.  Wenn  ich  jene  bekannte  Stelle  des  M.  Cicero  lese,  so  wird 
wahrhaftig  meine  Seele  ganz  erfüllt  von  dem  Schauderbild 
und  von  den  schallenden  Schlägen  und  von  dem  lauten  Ge- 
klage  und  von  dem  Gewimmer.  9.  So  lautet  beispielsweise 
die  lebhafte  Schilderung  der  Grausamkeit  des  C.  Verres  bei 
Cicero  (Verr.  V,  62,  161),  dessen  Wortlaut,  wie  es  für  jetzt 
möglich,  ich,  soweit  mein  Gedächtniss  ausreicht,  folgen  lassen 
will:  „Er  selbst,  entflammt  von  Bosheit  und  Wuth,  kommt 
nach  dem  Forum.  Es  glühten  ihm  die  Augen,  aus  seinem 
ganzen  Gesicht  blickt  die  Grausamkeit  hervor.  Alle  waren 
voll  Erwartung,  wie  weit  er  zuletzt  wohl  gehen,  was  er  be- 
ginnen würde,  als  er  plötzlich  befiehlt,  den  Menschen  herbei- 
zuschleppen und  mitten  auf  dem  Forum  zu  entkleiden,  ihn 
anzubinden  und  die  Ruthen  herbeizuholen."  10.  Bei  Gott! 
ganz  allein  schon  die  (einfachen)  Worte :  „er  befiehlt  (ihn)  zu 
entkleiden,  ihn  anzubinden  und  die  Ruthen  herbeizuholen", 
erfüllen  die  Seele  so  sehr  mit  Schauder  und  Schreck,  dass 
(von  ihm  durchaus)  nicht  erst  braucht  erzählt  zu  werden, 
was  weiter  geschah,  sondern  dass  man  die  Thatsache  selbst 
so  schon  ganz  vor  sich  gehen  sieht.  11.  Allein  unser  Gracchus 
spricht  nicht  wie  Einer,  der  Beschwerde  führt,  noch  zu  Thrä- 
nen  rühren,  sondern  wie  Einer,  der  Bericht  erstatten  will 
(wenn  er  sagt:),  „ein  Pfahl  wurde  auf  dem  Forum  aufgepflanzt, 
die  Kleider  wurden  ihm  ausgezogen,  er  wurde  mit  Ruthen 
gepeitscht."  12.  Hingegen  setzt  M.  Cicero  der  grösseren 
Deutlichkeit  halber  nicht  das  Perfectum  „caesus  est"  (es  ist 
gepeitscht  worden),  sondern  das  Imperfectum  „caedebatur" 


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(44)  X.  Buch,  3.  Cap.,  §  12.  13. 

mit  Beziehung  auf  die  lange  Dauer  (der  Geiselung)  und  sagt: 
„Man  geiselte  mitten  auf  dem  Markte  zu  Messana  einen  römi- 
schen Bürger  mit  Ruthen,  ohne  dass  während  dieser  Zeit  von 
dem  Unglücklichen  auch  nur  ein  Seufzer,  oder  ein  anderer 
(Klage-)  Laut  unter  dem  Schmerz  und  dem  Klatschen  der 
Geisel-Hiebe  gehört  wurde,  als  nur  die  wenigen  Worte:  ich 
bin  ein  römischer  Bürger!  Durch  diese  Berufung  auf  sein 
Bürgerrecht  glaubte  er  alle  Schläge  von  sich  abweisen  und 
alle  Martern  von  seinem  Körper  abwehren  zu  können."  13. 
Darauf  facht  er  angelegentlich  scharf  und  glühend  den  lauten 
Tadel  über  solch  eine  gefühllose  Handlungsweise  und  den 
Hass  gegen  den  Verres  und  endlich  seine  Verwünschungen 
von  Seiten  der  römischen  Bürger  an,  wenn  er  weiter  ausruft : 
„0  süsser  Name  der  Freiheit!  o  unvergleichliches  Recht  un- 
seres Bürgerstaates !  o  porcisches  Gesetz  und  ihr  sem- 
pronischen  Gesetze!  o  du  schwer  (vermisste  und  lebhaft 
zurück-)  ersehnte  und  endlich  dem  römischen  Volke  (auch) 
zurückgegebene  Tribunenmacht!  Ist  es  endlich  so 
weit  mit  unserem  Staate  gekommen,  dass  ein  römischer  Bürger 
in  einer  Provinz  des  römischen  Volkes,  in  der  Stadt  der  Ver- 
bündeten, von  demjenigen,  der  durch  die  ihm  vom  römischen 
Volke  geschenkte  Gunst  seine  Machtstäbe  und  seine  Beile 
erhalten  hatte,  gebunden  und  auf  dem  Forum  mit  Ruthen 
gepeitscht  weiden  durfte?  Wie  nun  erst,  als  man  Feuer  und 
glühende  Eisenplatten  und  noch  andere  Marterwerkzeuge 


X,  3,  13.  Ueber  lex  Porcia  (die  Zweite)  s.  Lange  röm.  Alterth. 
§  126  p.  (480)  521;  cfr.  Cic.  Verr.  5,  63,  163;  Rab.  perd.  4,  12.  Ueber 
lexSempronia  cfr.  Cic.  Rab.  perd.  4,  10;  Cat  4,  5,  10;  Cic.  Cluent. 
55,  151;  Verr.  5,  63,  163.  Plut.  G.  Gr.  4;  cfr.  Cic.  Cat.  1,  11,  28;  Lange 
röm.  Alterth.  §  126  p.  (482)  523. 

X,  3,  13.  Das  porcische  Gesetz,  dessen  Urheber  wahrscheinlich 
nicht  M.  Porcius  Cato  Censorius  war,  sondern  der  Volkstribun  des  Jahres 
556  Porcius  Laeca.  Dieses  Gesetz  verbot  entehrende  Strafen  für  römische 
Bürger;  ferner,  dass  Keiner  einen  römischen  Bürger  ohne  Befehl  des 
römischen  Volkes  fesseln,  geisein,  oder  tödten  sollte.  —  Das  sempro- 
nische  Gesetz  des  Gracchus  untersagte,  dass  ein  römischer  Bürger  ohne 
Befehl  des  römischen  Volkes  getödtet  wurde.  Cicero  redet  von  sem- 
proniBchen  Gesetzen,  weil  diese  alle  die  Erhaltung  der  Freiheit  bezweckten. 
Pompejus  hatte  erst  die  den  Tribunen  durch  Sulla  entrissene  Gewalt 
wiederverschafft. 


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X.  Buch,  3.  Cap.,  §  13—17.  (45) 

herbeischleppte?  Wenn  Dich  da  das  herzzerschneidende  Flehen, 
die  jamme/nde  Stimme  jenes  (Unglücklichen)  nicht  milder 
stimmte,  (warum)  wurdest  Du  (wenigstens)  nicht  einmal  durch 
die  Thränen,  durch  die  lauten  Seufzer  der  damals  anwesenden 
römischen  Bürger  gerührt  ?  "  14.  All  seinen  Unmuth,  Strenge, 
überströmende  und  harmonische  Beredtsamkeit  legt  M.  Tullius 
in  diese  herzzerreissende  Schilderung.  15.  Sollte  es  doch  nun 
aber  noch  Einen  geben,  der  von  so  ungebildetem  Ohr,  so 
unempfindlich  für  das  Schöne  ist,  und  den  dieser  Glanz  und 
diese  Lieblichkeit  der  Ausdrucksweise,  diese  abgemessene  An- 
ordnung der  Worte  nicht  so  recht  sonderlich  anzieht,  der  aber 
der  ersteren  Rede  (des  Gracchus)  den  Vorzug  nur  deshalb 
giebt,  weil  sie  zwar  schlicht  und  kurz  und  leicht,  aber  nicht 
ohne  eine  gewisse  angeborne  Anmuth  verläuft,  und  weil  er 
nun  durchaus  in  ihr  Schatten  und  Licht  einer  gleichsam  ver- 
staubten Classicität  (Musterhaftigkeit)  erkennen  will:  Dieser, 
im  Fall  er  nur  einige  Urtheilskraft  besitzt,  mag  folgende  bei 
einem  ähnlichen  Vorfall  gehaltene  Rede  des  älteren  Cato 
prüfen,  an  dessen  Kraft  und  Fülle  Gracchus  nicht  hinanreicht. 
16.  Da  wird  er  nun  freilich  erkennen,  mein'  ich,  dass  Cato 
nicht  zufrieden  mit  der  Beredtsamkeit  seiner  Zeit  gewesen 
und  schon  damals  das  angestrebt  habe,  was  nachher  Cicero 
in  Vollendung  erreichte.  17.  Denn  in  seinem  Werke,  welches 
den  Titel  führt:  „über  ungerechte  Schläge  (de  falsis  pugnis)" 
hat  er  sich  über  den  Q.  (Minucius)  Thermus  folgendermassen 


X,  3,  17.  M.  Acilius  Glabrio  erhielt  den  Triumph  über  Antiochus 
und  die  Aetoler  (cfr.  Gell.  VI  [VII],  14,  9  NB).  Um  dieselbe  Zeit  kam 
auch  Q.  Minucius  Thermus  aus  Ligurien  zurück  und  meldete,  er  habe  das 
in  den  rauhen  Gebirgen  des  nordwestlichen  Theils  der  Apenninenkette 
wohnende  gesammte  ligurische  Barbarenvolk  unterworfen,  und  verlangte 
einen  Triumph.  Cato  sprach  sich  in  zwei  Reden  mit  Nachdruck  gegen 
das  Verlangen  des  Minucius  aus,  wirft  ihm  Unwahrheit  in  seinen  Be- 
richten, erlogene  Kämpfe  vor,  dann  Unterschlagung  und  Unredlichkeit  in 
der  Verwaltung  und  sagt  (Gell.  XIII,  25  [24],  12):  „Diese  (Deine)  Nieder- 
trächtigkeit muthest  Du  uns  zu  durch  eine  zweite,  schlimmere  zu  decken? 
etc."  Denn  durch  bruttische  Sklaven  habe  Minucius  den  Senatsausschuss 
(Decemvirn)  einer  föderirten  Stadt  ohne  Urtheil  und  Recht  auspeitschen 
und  hinrichten  lassen,  um  —  wie  er  angegeben  —  sie  für  Untreue  und 
Nachlässigkeit  bei  Lieferung  von  Lebensmitteln  zu  bestrafen,  in  Wahrheit 
aber  nur,  um  in  ihnen  Zeugen  eigener  Unredlichkeit  zu  beseitigen.  Dies 


(46) 


X.  Buch,  3.  Cap.,  §  17  —  19 


beschwert:  „Er  gab  vor,  von  den  Zehnmännern  sei  er  nicht 
gehörig  mit  Lebensmitteln  versorgt  worden.  Er  befahl  daher, 
dass  diesen  die  Kleider  abgezogen  und  sie  ausgepeitscht 
würden.  (Vernehmt  nun  das  Unerhörte!)  Den  Senatsausschuss 
(von  zehn  Miinnern  also)  prügelten  die  Büttel  (Bruttiani),  viele 
Leute  haben  es  gesehen.  Wer  kann  einen  solchen  Schimpf, 
einen  solchen  Missbrauch  der  Gewaltherrschaft,  eine  solche 
Knechterei  ertragen?  [Gell.  XIII,  25  (24),  12.]  Kein  König 
hat  so  etwas  zu  thun  gewagt:  solltet  ihr  nun  als  Gutgesinnte 
also  gut  heissen,  dass  Leuten  von  guter  Gesinnung  und  edlem 
Geschlechte  entsprossen  dies  widerfahre(n  dürfe)  ?  Wo  bleibt 
da  der  Bundesschutz  ?  Wo  da  das  heilige  Wort  und  die  (alte) 
Treue  der  Vorfahren?  Wenn  Du  es  wagen  durftest,  so  auf- 
fallend schreiende  Ungerechtigkeiten,  Streiche,  Schläge,  Strie- 
men, Schmerzen  und  Schindereien  in  Schmach  und  höchstem 
Schimpf  im  Angesicht  ihrer  Landsleute  und  vieler  Volks- 
genossen (mortalibus)  verüben  zu  lassen?  Ach!  wie  gross 
war  da  die  Trauer,  wie  gross  der  Jammer,  welche  Fülle  von 
Thränen,  wie  gewaltig  das  Schluchzen,  das  erfolgte,  wie  ich  ver- 
nommen habe  ?  Sklaven  nehmen  (schon)  schlechte  Behandlung 
gewaltig  übel:  wie,  meint  ihr,  muss  jenen  Leuten  von  guter 
Herkunft,  von  grossem  Verdienst  (nun  erst)  zu  Muthe  gewesen 
sein,  und  wie  würde  ihnen  in  Zukunft  zu  Muthe  geblieben  sein, 
wenn  sie  es  überlebt  hätten."  18.  Was  Cato  verstanden  hat 
unter  den  Worten  „Bruttiani  verberavere",  damit  nicht  vielleicht 
Einer  erst  lange  nachzusuchen  braucht  über  den  Ausdruck: 
Bruttiani,  so  folgt  hier  die  Erklärung:  19.  Als  der  Punier 
Hannibal  mit  seinem  Heere  in  Italien  stand,  und  das  römische 
Volk  in  einigen  Kämpfen  unglücklich  gekämpft  hatte,  gingen 
zuerst  von  allen  italischen  Völkern  die  Bruttier  zum  Hannibal 
über.  Diese  Treulosigkeit  hatten  die  Römer  sehr  übel  ver- 
merkt, und  nachdem  Hannibal  Italien  verlassen  und  die  Punier 


hält  Cato  dem  Thermus  öffentlich  vor  und  giebt  eine  ergreifende  Dar- 
stellung aller  Vorfälle  und  zwar  bei  Gelegenheit  der  Verhandlungen  über 
Bewilligung  des  Triumphs,  dessen  Verweigerung  zu  erwirken  seiner  Be- 
redtsamkeit  gelang.  Mit  Recht  erkennt  Gellius  an  dieser  Stelle  etwas  von 
der  Kunst,  die  Cicero  bei  ähnlichen  Erzählungen  so  meisterhaft  zu  üben 
verstand.   Otto  Ribbeck. 

X,  3,  19.   S.  Paul.  S.  31  —  pugnam  pugnare  =  (jkxxw  ^i«/«<r*iw. 


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X.  Buch,  3.  Cap.,  §  19.  —  4.  Cap.,  §1-4. 


überwunden  waren,  hub  man  die  Bruttier  zu  ihrer  Be- 
schimpfung nie  mehr  unter  die  Soldaten  aus,  noch  hielt  man 
sie  für  Bundesgenossen,  sondern  erliess  die  Verordnung,  dass 
sie  hinfort  den  in  die  Provinz  abgehenden  obrigkeitlichen 
Personen  aufwarten  und  Sklavendienste  (bei  ihnen)  verrichten 
sollten.  Daher  folgten  sie  den  Magistratspersonen  nach, 
gleichwie  in  den  Theaterstücken  die  sogenannten  Zucht-  und 
Knuten  -  Meister  (lorarii)  und  mussten  auf  Befehl  die  Be- 
treffenden (Verurtheilten)  .in  Banden  legen,  oder  geissein; 
und  weil  sie  nun  aber  aus  Bruttium  stammten,  wurden  sie 
(schlechtweg)  Bruttiani  (im  Sinne  von  lorarii,  Büttel)  genannt. 

X,  4,  L.    Höchst  geistreiche  Belehrung  von  Seiten  des  P.  Nigidius,  dass 
die  Wortbenennungen  nicht  willkürlich  gemacht,  sondern  auf  ganz 

natürliche  Art  entstanden  seien. 

X,  4.  Cap.  1.  Dass  die  Benennungen  und  Wörter  (Haupt- 
und  Zeitwörter)  nicht  durch  Zufälligkeit,  sondern  nach  einem 
gewissen  nothwendigen  Naturgesetze  entstanden  seien,  erfahren 
wir  von  P.  Nigidius  in  seinen  „Bemerkungen  über  Grammatik", 
und  es  bildet  diese  Ansicht  ja  einen  bei  philosophischen  Er- 
örterungen auch  wahrhaftig  viel  besprochenen  Gegenstand. 
2.  Es  ist  nämlich  von  den  Philosophen  oft  die  Frage  auf- 
geworfen worden ,  ob  die  Wortbegriffe  auf  natürliche  Weise 
oder  durch  willkürliche  Bestimmung  (q>vaet  xa  bv6[xaxa  t) 
■freoei  entstanden  sind.  Bei  dieser  Veranlassung  führt  er  viele 
Beweise  an,  weshalb  es  den  Anschein  haben  könne,  dass  die 
Bildung  der  Wörter  eine  mehr  natürliche  als  willkürliche  ist. 
Daraus  will  ich  besonders  folgenden  offenbar  allerliebsten  und 
geistvollen  Beweis  herausheben.  4.  Es  heisst  da:  „Wenn  wir 
das  Wörtchen  „vos  (ihr)"  aussprechen,  bedienen  wir  uns  einer 
gewissen  mit  der  Veranschaulichungsmachung  dieses  Ausdrucks 
übereinstimmenden  Mundbewegung  und  drängen  allmählig  den 


X,  4,  1.   S.  Plat.  Cratyl.  p.  387—390. 

X,  4,  3.  Bei  den  Griechen  ist  diese  Regel  nicht  zutreffend,  denn  bei 
ihnen  werden  vptTs  und  n^tig,  beide  mit  dem  (hörbaren)  Hauchanlaut 
ausgesprochen.  Der  nicht  hörbare  Hauchanlaut  bedeutet  als  Zeichen  nur 
den  Ansatz  der  Stimme  (Stimmansatz),  der  nöthig  ist,  um  einen  Vocal 
(wie  beim  Singen  einen  Ton)  durch  Tonanschlag  ohne  vorhergehenden 
Consonanten  (anzugeben  oder)  auszusprechen. 


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(48) 


X.  Buch,  4.  Cap.,  §3.-5.  Cap.,  §  1.  2. 


vordersten  Theil  der  Lippen  heraus  und  richten  den  nach 
vorwärtsgekehrten  Hauchanlaut  (spiritus)  und  Tonstrahl  (anima) 
gegen  die  hin  und  auf  die  zu,  mit  welchen  wir  Unterredung 
pflegen.  Wenn  wir  nun  aber  dagegen  das  Wörtchen  „nos 
(wir)"  aussprechen,  so  geschieht  dieser  Ausdruck  weder  da- 
durch, dass  der  Stimmanschlag  frei  herausgelassen  wird  und 
seine  Richtung  nach  vorn  nimmt,  noch  dadurch,  dass  wir  bei 
der  Aussprache  (des  „nos")  die  Lippen  vorstrecken,  sondern 
wir  drängen  den  Hauchanlaut  und  die  Lippen,  so  zu  sagen, 
nach  uns  selbst  zurück  (und  in  uns  hinein).  Dasselbe  findet 
auch  statt  bei  den  Wörtern:  tu  und  ego,  desgleichen  bei  tibi 
(dir)  und  mihi  (mir).  Denn  sowie,  bei  einer  Bestätigung 
(durch  Zunicken),  und  bei  einer  Verneinung  (durch  Kopf- 
schütteln) allemal  unsere  Kopfbewegung  oder  die  der  Augen 
mit  dem  Wesen  der  beabsichtigten  Andeutung  nicht  im 
Widerspruche  steht,  so  ist  nun  auch  bei  genannten  Wörtern 
der  Ausdruck  des  Mundes  und  Wortlautes  ein  natürlich  ge- 
botener. Dieselbe  Regel,  welche  wir  bei  unseren  lateinischen 
Ausdrücken  wahrgenommen,  bezieht  sich  auch  auf  die  (be- 
treffenden) griechischen." 

X,  5,  L.  Ob  „avarus''  (geldgierig,  geizig)  ein  einfaches  Wort  ist,  oder  ein 
zusammengesetztes,  doppeltes,  nach  der  Ansicht  des  P.  Nigidius  (Figulus). 

X,  5.  Cap.  1.  Nigidius  behauptet  im  29.  Buche  seiner 
„Bemerkungen  (über  Grammatik)",  dass  „avarus"  nicht  ein 
einfaches  Wort  sei,  sondern  ein  zusammengesetztes  und  aus 
zwei  Wörtern  verbundenes,  denn  er  sagt:  „avarus  wird  der 
genannt,  der„avidus  aerisu  (geldgierig)  ist ;  bei  der  Zusammen- 
setzung aber  ist  (aus  aeris)  nur  der  Vocal  e  weggelassen 
worden."  2.  So  sagt  er  auch,  dass  man  einen  Begüterten 
mit  dem  Ausdruck  „locuples"  bezeichnet  habe  und  dass  dieser 
Ausdruck  (eben  auch)  aus  einer  Wortpaarung  entstanden  und 


X,  5,  1.  avarus  vielleicht  auch  entstanden  aus  avidus  (aveo)  -auri, 
mit  Ausstossung  des  „u".   S.  Teuffels  röm.  Lit.  196,  4. 

X,  5,  2.  Reich  (dives)  hiess  ein  Besitzer  theils  von  Land,  alsor 
locuples,  d.  h.  plenus  (vom  alten  pleo,  ich  fülle)  loci  i.  e.  agri,  also 
vielen  Feld-  oder  Grundbesitz  habend,  theils  von  Vieh,  wonach  das  erste 
Geld  geschätzt  ward,  daher  pecunia  und  peculium  von  pecus  (Viehstück), 
cfr.  Plin.  H.  N.  18,  3  und  83,  13;  Isidorus  Orig.  X;  Ovid.  Fast  V,  279. 


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X.  Buch,  5.  Cap.,  §  2.  3.  —  6.  Cap.,  §  1.  2. 


von  einem  Solchen  gesagt  worden  sei,  welcher  „pleraque  loca" 
(viele  Güter),  d.  h.  viele  Besitztümer  inne  hatte.  3.  Seine 
Bemerkung  über  das  Wort  „locuplesu  ist  wahrscheinlicher  und 
begründeter.  Freilich  in  Betreff  des  Wortes  „avarus"  bleibt 
seine  Behauptung  unentschieden,  denn  warum  sollte  man 
nicht  annehmen  können,  dass  das  Wort  nur  von  dem  einen 
betreffenden  Zeitwort :  „aveou  (ich  begehre)  gebildet  und  nach 
derselben  Regel  der  Wortbildung  entstanden  sei,  wie  „ama- 
rus  (bitter),  wovon  man  doch  sicher  nicht  behaupten  wird, 
dass  es  aus  zwei  Wörtern  entstanden  sei. 

X,  6,  L.    Wie  der  Tochter  des  Appius  Caecus  (des  Blinden),  einer  an- 
gesehenen Fran  wegen  ihrer  sehr  unüberlegten  Aeusserung  von  den  Volks- 
ädilen  eine  (bedeutende)  Geldstrafe  zuerkannt  wurde. 

X,  6.  Cap.  1.  Nicht  nur  gegen  (lasterhafte)  Handlungen, 
sondern  auch  gegen  unbesonnene  Aeusserungen  ging  man  zum 
allgemeinen  Besten  und  Nutzen  des  Staates  mit  (strenger) 
Bestrafung  vor;  denn  so  müsse,  wie  man  glaubte,  das  Ansehn 
römischer  Zucht  unverletzlich  sein  und  bleiben.  2.  Als  näm- 
lich die  Tochter  jenes  bekannten  Appius,  mit  dem  Beinamen 
der  Blinde  (Caecus)  aus  einer  Schauspielvorstellung,  die  sie 


X,  6,  L.  S.  Val.  Max.  VIII,  1,  Verurtheilte  4;  Suet.  Tib.  2;  Cic.  de 
div.  I,  16;  de  nat.  d.  II,  3,  7;  Liv.  epit.  19. 

X,  6,  2.  Appius  Claudius  Caecus  (der  Blinde),  Censor  im  Jahr 
812,  legte  eine  Wasserleitung  und  die  berühmte  appische  Strasse  an. 
Er  gehörte  zu  dem  Geschlecht,  das  so  feindlich  gegen  die  Plebejer  gesinnt 
war.  Im  hohen  Alter  erblindete  er,  hielt  aber  dessenungeachtet,  als  des 
Pyrrhus  Abgesandter  Cineas  den  Senat  zum  Frieden  zu  stimmen  suchte, 
eine  (von  Cic.  Brut.  16  gerühmte)  feurige  Rede  dagegen  und  bewirkte  die 
Abweisung  des  Gesandten;  Just.  18,  2;  Plut  Pyrrh.  18,  19;  Liv.  10,  13. 
Sein  Sohn  P.  Claudius  Pulcher  respectirte  die  Auspicien  nicht  und  Hess 
die  Hühner,  als  sie  nicht  fressen  wollten,  was  für  eine  böse  Vorbedeutung 
galt,  ins  Meer  werfen  (vergl.  Flor.  II,  2).  Die  darauf  folgende  Niederlage 
und  den  Untergang  der  Flotte  (im  ersten  punischen  Krieg)  gab  man  daher 
ihm  Schuld  und  wurde  als  eine  unglückliche  Folge  seiner  Gottlosigkeit 
angesehen.  Wegen  seiner  Religionsspötterei  wurde  er  zu  einer  Geldstrafe 
verurtheilt  Pol.  1,  49  ff.;  Val.  Max.  8,  1,  4.  —  In  Bezug  auf  die  Claudia 
bemerkt  Adolf  Stahr  in  seiner  Suetonübersetzung  (Tiber.  2)  sehr  treffend : 
„Diese  unmenschliche  Verhöhnung  hat  in  unsern  Tagen  ein  Seitenstück 
gefunden  an  dem  Wunsche  des  halle'schen  Professors  H.  Leo:  dass  das 
scrophulöse  Gesindel  durch  einen  frischen  fröhlichen  Krieg  vertilgt 

<«  *»  1  lius.  Attische  Nacht*.    II.  4 


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(50) 


X.  Buch,  6.  Cap.,  §2—4. 


■ 


mit  angesehen  hatte,  herauskam,  wurde  sie  von  der  Masse 
des  überall  zusammenströmenden  und  wogenden  Volkes  hin- 
und  hergestossen.  Als  sie  darauf  dem  Gedränge  entronnen 
und  ihrem  Herzen  über  diese  unangenehme  Belästigung  Luft 
machte,  brach  sie  (in  ihrem  Unwillen  unvorsichtiger  Weise) 
in  die  Worte  aus:  „Wie  würde  es  mir  nun  jetzt  erst  ergangen 
sein,  ach!  um  wie  viel  ärger  gezwängt  und  gedrängt  würde 
ich  mich  in  dieser  schlimmen  Lage  befunden  haben,  wenn 
mein  Bruder  P.  Claudius  in  dem  Seetreffen  nicht  die 
Schiffsflotte  eingebüsst  hätte  und  mit  ihr  nicht  eine  grosse 
Menge  Bürger  ihren  Untergang  gefunden"  hätten?  Dann 
würde  ich  gewiss  jetzt  von  der  noch  weit  grösseren  Volks- 
menge erdrückt  worden  und  ums  Leben  gekommen  sein. 
Aber,  fuhr  sie  in  ihrer  Wuth  fort,  ich  wünsche  wohl,  mein 
Bruder  möchte  wieder  auferstehen  und  noch  eine  (andere) 
Flotte  (abermals)  nach  Sicilien  führen,  und  darauf  ausgehen, 
dieses  Gesindel  zu  vernichten,  das  mich  Arme  jetzt  so  ent- 
setzlich zusammengepresst  hat."  3.  Wegen  dieses  ihres  so 
unverschämten  und  ungebührlichen  Wunsches  erkannten  die 
beiden  Volksädilen  C.  Fundanius  und  Tib.  Sempronius  dieser 
(tibermüthigen)  Frau  eine  Geldstrafe  zu  von  25,000  Stück 
schweren  Geldes*).  4.  Capito  Atejus  sagt  in  seinem 
Werke  über  K öffentliche  Gerichte",  dass  dieser  Fall  sich  im 
ersten  punischen  Kriege  unter  den  Consuln  Fabius  Licinus 
und  Otalicius  Crassus  zugetragen  habe. 


werden  möchte!  Leider  aber  giebt  es  bei  uns  noch  kein  Gericht  der  be- 
leidigten Volksmajestät  und  der  Menschenlästerung.  Vergl.  Niebuhr  Röra. 
Gesch.  m,  714." 

X,  6,  2.  Appius  Claudius  Pulcher  in  der  Schlacht  bei  Drepana  505^249. 
S.  Liv.  ep.  19;  Suet.  Tib.  2;  Polyb.  I,  49.  Er  liess  die  belügen  Hühner 
ins  Meer  werfen. 

X,  6,  3.  aes  grave,  schweres  Geld,  ungemünztes  (Silber)  Erz,  weil 
es  nach  schwerem,  vollem  Gewichte  in  Kupfer -Platten  musste  bezahlt 
werden.  S.  Plin.  33,  3,  13  §  42;  Paulus  Diac.  p.  98,  1  M.;  Won.  Hai 
9,  27;  Liv.  4,  60;  10,  46;  22,  33;  39,  19;  Gajus  IV,  14—16.  —  Diese  die 
majestas  populi  Romani  verletzende  Aeusserung  ,wurde  508/246  an  der 
Tochter  des  Appius  Claudius  Caecus,  Schwester  des  P.  Claudius  Pulcher, 
von  den  beiden  Aedilen  zur  Anklage  gebracht  (vergl.  Liv.  24,  16). 


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X.  Buch,  7.  u.  8.  Cap.  (51) 

X,  7,  L.  Wie  ich  mich  erinnere,  schreibt  M.  Varro,  dass  unter  den 
Flüssen,  welche  ausserhalb  des  römischen  Reiches  fliessen,  der  grösste  der 
Nil  sei,  dann  komme  als  zweiter  die  Donau  (Hister),  dann  als  nächster 

die  Rhone  (Rhodanus). 

X,  7.  Cap.  1.  Unter  allen  Flüssen,  welche  in  das  an 
römisches  Gebiet  angrenzende  Meer  sich  ergiessen,  welches 
die  Griechen:  ttjv  eioco  ödXaooav  (Mittelmeer)  nennen,  wird 
der  Nil  allgemein  als  der  grösste  Fluss  angenommen.  Sallust 
schreibt,  dass,  der  Grösse  nach,  der  nächste  die  Donau  sei. 
2.  Als  aber  Varro  in  seiner  Beschreibung  auf  den  Welttheil, 
Europa  genannt,  zu  sprechen  kommt,  rechnet  er  die  Rhone 
zu  den  drei  grössten  Flüssen  dieses  Erdtheils,  wodurch  er 
diesen  Fluss  der  Donau  gleichstellen  zu  wollen  scheint.  Die 
Donau  fliesst  nämlich  auch  in  Europa. 

X,  8,  L.    Dass  unter  die  schimpflichen  Strafen  beim   Militär,  wodurch 
(lässige  und  dumme)  Soldaten  (wohlthätig  angeregt  oder)  bestraft  werden 
sollten,   auch  das  Aderlassen  gehört  habe;  ferner,  was  wohl  die  Ursache 
einer  derartigen  Züchtigung  (gewesen)  zu  sein  scheine. 

X,  8.  Cap.  1.  In  alten  Zeiten  gab  es  beim  Militär  fol- 
gende Zurechtweisung,  dass  man  einem  Soldaten  (der  sich 
vergangen  hatte)  zu  seiner  Beschimpfung  die  Ader  öffnen  und 
ihm  etwas  Blut  abzapfen  Hess.  2.  Ein  Grund  für  diese 
sonderbare  Strafe  lässt  sich  in  allen  den  alten  Schriften  nicht 
auffinden,  die  ich  für  meinen  Theil  auftreiben  konnte;  allein 
meiner  Meinung  nach  ist  zu  allem  Anfang  diese  Strafart 
eingeführt  worden  bei  Soldaten  von  stumpfsinniger  und  in 
ihrem  angebornen  Wesen  (und  Charakter)  wankender  Seele, 
so  dass  dies  nicht  sowohl  für  ein  Strafmittel,  sondern  (vielmehr) 
für  ein  Heilmittel  angesehen  wurde.  3.  Später  jedoch  mag, 
wie  ich  glaube,  dieses  Mittel  gewöhnlich  wohl  auch  wegen 
vieler  anderer  Vergehungen  angewendet  worden  sein,  indem 
alle  Diejenigen  für  weniger  gesund  gehalten  wurden,  welche 
ihrer  Pflicht  untreu  wurden  (oder  sonst  ein  Vergehen  sich  zu 
Schulden  kommen  Hessen). 


X,  8,  L.  S.  Beispiele  von  Disciplinarstrafen  bei  Suet.  Octav.  24; 
Frontin.  4,  1;  Plutarch.  Luculi.  15;  Val.  Max.  II,  7. 

4* 


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(52) 


X.  Buch,  9.  Cap.  —  10.  Cap.,  §  1.  2. 


X,  9,  L.  Nach  welchen  Anordnungen  und  nach  welcher  Eigentümlichkeit 
eine  römische  Schlachtreihe  aufgestellt  zu  werden  pflegte,  und  was  für 
Ausdrücke  es  giebt,  um  alle  die  möglichen  Aufstellungsarrangements  näher 

zu  bezeichnen. 

X,-  9.  Cap.  I.  Es  giebt  (verschiedene)  militärische  Aus- 
drücke, wodurch  die  (jedesmalige,  verschiedenartige)  nach 
einer  bestimmten  Anordnung  aufgestellte  Schlachtreihe  pflegte 
(näher)  bezeichnet  zu  werden,  z.  B.  frons  (d.  h.  Gesichts-  oder 
Vorder-Seite) ,  subsidia  (Hülfstruppen),  cuneus  (Keil),  orbis 
(Kreis),  globus  (Kugel),  fortices  (Scheeren),  serra  (Säge),  alae 
(Flügel),  turres  (Thürme).  2.  Diese  und  andere  Benennungen 
weiter  kann  man  in  den  Schriften  derer  (angeführt)  finden, 
die  über  theoretische  Kenntniss  des  Kriegswesens  (Taktik) 
geschrieben  haben.  3.  Entlehnt  sind  alle  diese  Ausdrücke 
von  den  Auf  Stellungsarten,  die  so  nach  ihrer  Eigenart  benannt 
werden,  und  es  führt  uns  deshalb  jeder  dieser  Ausdrücke 
stets  die  bildliche  Vorstellung  von  all'  den  (verschiedenen) 
Arrangements  bei  Anordnung  der  Schlachtreihe  vor  Augen. 

X,  10,  L.  Was  wohl  die  Ursache  (von  der  Sitte  und  Gewohnheit)  sein 
mag,  weshalb  die  alten  Griechen  sowohl,  als  auch  die  Römer  den  Ring 
an  dem  Finger  der  linken  Hand  getragen  haben,  der  dem  kleinsten  Finger 

am  nächsten  ist. 

X,  10.  Cap.  1.  Wir  wissen,  dass  die  alten  Griechen 
den  Ring  an  dem  Finger  der  linken  Hand  getragen  haben, 
der  dem  kleinsten  Finger  am  nächsten  ist.  Auch  fast  alle 
(gebornen)  Römer  sollen  meist  so  ihre  Ringe  zu  tragen  die 
Gewohnheit  gehabt  haben.  2.  Apion  giebt  in  seinen  „Aegyp- 
ten" betreffenden  Schriften  als  Grund  dieser  Sitte  folgenden 


X,  9,  1.   S.  Fest.  S.  344  b. 

X,  9,  2.  Cuneus,  die  von  Liv.  22,  47  so  benannte  Schlachtordnung, 
welche  Hannibal  in  der  Schlacht  bei  Cannae  -anwendete,  indem  er  das 
Centrum  in  Form  eines  Halbmondes  anrücken  liess.  Polyb.  III,  113; 
Festus  344,  12  M;  Veget  m,  17,  19. 

X,  10,  1.  Wahrscheinlich  aus  Plutarch's  Tischreden  B.  IY,  6,  4  ent- 
lehnt, wo  von  der  verloren  gegangenen  Erörterung  der  Frage,  warum  man 
die  Siegelringe  vorzugsweise  am  vierten  Finger  trägt,  nur  die  Ueberschrift 
erhalten  ist. 

X,  10,  2.    Ueher  Apion  s.  Gell.  V,  14,  1  NB.  Macrob.  Sat.  VH,  ia 


X.  Buch,  10.  Cap.,  §  2.  —  11.  Cap.,  §  1.  2.  (53) 


an :  Bei  (Sectionen,  d.  h.)  Zergliederung  und  öeffnung  mensch- 
licher Leichname,  wie  sie  in  Aegypten  (zum  Zweck  der  Ein- 
balsamirung)  vorgenommen  werden,  wofür  die  Griechen  den 
Ausdruck  Anatomie  (avarofirj,  d.  h.  Leichenzergliederung)  ge- 
brauchen, machte  man  die  Entdeckung,  dass  ein  gewisser  sehr 
zarter  Nerv  von  diesem  einen,  besagten  (Ring-)  Finger  un- 
unterbrochen bis  zum  menschlichen  Herzen  sich  erstrecke, 
deshalb  es  nicht  ungereimt  erschienen  sei,  gerade  diesen 
Finger  durch  eine  solche  Ehre  auszuzeichnen,  da  er  in  so 
enger  Verbindung  mit  dem  Hauptsitz  der  Seele  (und  jeder 
herzlichen  Empfindung)  zu  stehen  schien. 

X,  11,  L.  Was  das  Wort  „mature"  bedeute,  und  über  die  Beziehung  (und 
Verwendung)  dieses  Ausdrucks;  ferner,  dass  eine  Menge  Menschen  sich 
desselben  in  einer  uneigentlichen  Bedeutung  bedienen;  endlich  dabei  auch 
noch  (die  Bemerkung),  dass  das  Wort  „praecox"  bei  seiner  Abbeugung 
(im  Genitiv)  „praecocis"  bildet  und  nicht  „praecoquis". 

X,  11.  Cap.  1.  Man  braucht  jetzt  den  Ausdruck  mature  in 
der  Bedeutung  von  schleunig  und  geschwind  (propere  et  cito), 
entgegen  dem  eigentlichen  Sinn  des  Wortes;  „mature"  hat  näm- 
lich eine  ganz  andere  Bedeutung,  als  in  der  man  es  (gewöhnlich 
so)  sagt.  2.  Daher  P.  Nigidius,  ein  in  allen  wissenschaftlichen 
Zweigen  ausgezeichneter  Mann,  sich  zu  der  Bemerkung  ver- 
anlasst sieht:  „mature  heisst,  was  weder  zu  zeitig,  noch  zu 


fügt  aus  Atejus  Capito  noch  eine  andere  Ursache  des  Ringtragens  an  der 
linken  Hand  an,  weil  man  die  rechte  mehr  gebraucht  und  also  die  kost- 
baren Steine  im  Ringe  leichter  hätten  beschädigt  werden  können.  Vergl. 
Isidor.  XEX,  32,  4. 

X,  11,  1.  Die  drei  Bedeutungen  von  mature,  1)  vor  der  Zeit,  d.  h. 
früh-zeitig,  rasch,  schleunig,  2)  zur  gehörigen,  rechten  Zeit  und  3)  zu  früh, 
d.  h.  zur  Unzeit,  finden  sich  in  einer  Sentenz  beim  Plautus  Curcul.  III, 
1,  10  (380)  vereinigt: 

Qui  homo  mature  quaesivit  pecuniam 

Nisi  eam  mature  parsit,  mature  esurit,  d.  h. 

Denn  wer  zur  Zeit  sich  Geld  erwarb,  halt'  weislich  es 
Zur  Zeit  zu  Rath,  wenn  er  nicht  hungern  will  zur  Zeit. 

Cfr.  Gell.  XVI,  14,  2  mature  fransigere  i.  e.  rasch,  schnell  vollenden.  S. 
Servius  ad  Verg.  Aen.  I,  261;  Macrob.  Sat  I,  8. 

X,  11,  2  über  Nigidius  s.  Gell.  IV,  9,  1;  IV,  16,  1;  XI,  11,  1. 


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(54)  X.  Buch,  11.  Cap.,  §  2—6. 

spät,  sondern  gewissermassen  in  der  Mitte  und  die  richtige 
Zeit  einhaltend  eintrifft  (d.  h.  also:  zur  guten,  zur  rechten 
Zeit)."  3.  Dies  ist  von  Nigidius  eine  richtige  und  genaue 
Erklärung.  Denn  sowohl  bei  Früchten,  als  beim  Obst  werden 
die  (Erzeugnisse,  „matura")  reif  und  zeitig  genannt,  die  weder 
roh  und  unreif,  noch  verwelkt  und  verdorrt  sind,  sondern  in 
ihrer  (richtigen  und  naturgemäss  vorgeschriebenen)  Zeit  sich 
entwickelt  haben  und  reif  geworden  sind.  4.  Wenn  nun  aber 
von  dem,  was  nicht  langsam  entstand,  gesagt  wurde,  es  ent- 
stehe (recht-)  zeitig  (mature),  so  hat  das  Wort  noch  eine 
ausserordentlich  erweiterte  Bedeutung  erhalten  und  nicht  das, 
was  nicht  langsamer,  sondern  was  geschwinder  sich  vollzieht, 
wird  nun  mit  dem  Worte  „mature"  bezeichnet,  (eigentlich 
fälschlicher  Weise),  weil  Alles,  was  über  das  Mass  seiner 
(ihm  zugemessenen)  Zeit  beschleunigt  sich  vollzieht,  mit  mehr 
Recht  unzeitig  (imraatura)  genannt  werden  sollte.  5.  Jenes 
ausgezeichnete  und  sowohl  der  Sache,  als  dem  Begriffe  nach 
von  Nigidius  aufgestellte,  richtige  Verhältniss  hat  der  erhabene 
Augustus  (Suet.  Aug.  25)  durch  zwei  griechische  Ausdrücke 
höchst  geschmackvoll  zur  Veranschaulich ung  gebracht.  Denn, 
wie  man  sich  erzählt,  pflegte  er  (sprüchwörtlich)  sowohl  bei 
Unterredungen  zu  sagen,  als  auch  in  Briefen*)  zu  schreiben: 
G7tevde  ßgadecog  (festina  lente,  d.  h.  eile  mit  Weile),  wodurch 
er  in  Erinnerung  bringen  wollte,  dass  zur  richtigen  Ausführung 
einer  Sache  unumgänglich  erforderlich  sei,  sowohl  Regsam- 
keit**) im  Eifer  (zur  Arbeit),  wie  (Behutsamkeit  und)  be- 
harrliche Ausdauer  im  Fleiss  (bei  der  Arbeit  und  überhaupt 
bei  allen  unsern  Unternehmungen),  denn  nur  aus  diesen  beiden 
Gegensätzen  ergiebt  sich  die  „maturitas",  d.h.  dienatur-und 
zeitgemässe  (vollkommene)  Entwickelung  (der  Reifheit  unserer 
Handlungen.    6.  Auch  Vergilius  hat  für  den  aufmerksamen 


X,  11,  5.  *)  Man  pflegte  nach  Sitte  der  damaligen  Zeit  Briefe  mit 
griechischen  Floskeln  und  Phrasen  zu  durchspicken,  wie  einst  bei  uns  in 
deutschen  Briefen  französische  Brocken  eingestreut  wurden.  8.  A.  Stahrs 
Suet.  Octav.  71;  Tib.  21. 

X,  11,  5.  **)  industriae  celeritas  et  diligentiae  tarditas.  S.  Suet. 
Aug.  25.  Ueber  des  Caesar  Octavianus  Augustus  literarische  Thätigkeit 
8.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  217. 


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X.  Buch,  11.  Cap.,  §  Ö— 9. 


(55) 


Beobachter  die  zwei  darauf  bezüglichen  Wörter  „properare" 
(d.  h.  sich  beeilen  in  Beschaffung  der  Arbeit,  mit  Hast,  über 
Hals  und  Kopf  beschaffen)  und  „maturare"  (mit  ruhiger  Sorgfalt, 
mit  Bedächtigkeit  und  zu  rechter  Zeit  beschaffen),  als  gleich- 
sam zwei  sich  ganz  entgegengesetzte  (Begriffe)  höchst  sorg- 
fältig in  folgenden  Zeilen  getrennt  (Verg.  Georg.  I,  259— 261): 

Wenn  zu  Zeiten  frostiger  Regen  den  Ackerer  aufhält, 
Dann  gibt's  Muse,  Manches,  was  sonst  bei  heiterem  Himmel 
Sehr  übereilet  würde,  reiflich  zu  schaffen. 

7.  Höchst  geschmackvoll  und  weise  hat  der  Dichter  die  beiden 
Wörter  geschieden,  denn  während  regnichter  Witterung,  wo 
ja  die  Arbeit  eingestellt  werden  muss,  kann  man  sich  bei 
Vorbereitung  (zur  Bestellung)  des  landwirtschaftlichen  Ge- 
schäftes Zeit  nehmen,  (aber)  bei  heiterer  Witterung,  wo  die 
Zeit  ja  drängt,  muss  man  sich  beeilen.  8.  Denn  wenn  es 
gilt,  etwas  zu  bezeichnen,  was  im  grösseren  (Geschäfts-)  Drang 
(d.  h.  in  noch  kürzerer  Zeit)  und  in  besonderer  Eile  beschafft 
wurde,  bedient  man  sich  richtiger  des  Ausdrucks  „praemature" 
(vorzeitig),  als  „mature"  (rechtzeitig,  ausgetragen).  So  sagt 
Africanus  in  seinem  römischen  Nationaldrama  (in  seiner 
togata  sc.  fabula),  welches  die  Ueberschrift  führt:  Titulus 
(d.  h.  der  Vorwand  oder  die  Anwartschaft): 

Adpetis  dominatum  demens  praemature  praecocem,  d.  h. 

Du  begehrst  in  Uebereilung  zu  früh  Unsinniger  die  Herrschaft. 

9.  In  diesem  Vers  ist  noch  zu  bemerken,  dass  er  „praecocem" 
sagt  (im  Accusativ)  und  nicht  „praecoquem",  denn  der  Nomi- 
nativ lautet  nicht  „praecoquisu,  sondern  „praecox". 


X,  11,  6.   Frigidus  agricolam  si  quando  continet  imber, 

Multa,  forent  quae  mox  coelo  properanda  sereno, 
Maturare  datur,  d.  h. 
Wenn  zur  Zeit  der  kalte  Regen  den  Ackersmann  ans  Haus  fesselt,  dann 
kann  er  mit  ruhiger  Sorgfalt  (erst  noch)  Alles  beschaffen,  was  er  sonst 
bei  gutem  Wetter  über  Hals  (und  über  Kopf)  hätte  besorgen  müssen. 

X,  11,  8.  Ueber  die  togata  und  Africanus  s.  Teuffels  röm.  Lit  §  17,2 
xl  131  und  Gell.  XHI,  8,  3. 


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X.  Buch,  12.  Cap.,  §  1—4. 


X,  12,  L.  Leber  (Verbreitung  von)  Wundermährchen ,  deren  Erfindung 
PJinius  Secundus  höchst  unwürdiger  Weise  dem  Philosophen  Democrit  zur 
Last  legt;   fernerweit  noch  über  künstliche  Nachahmung  einer  fliegenden 

Taube  (von  Holz). 

X,  12.  Cap.  1.  Plinius  Secundus  erzählt  im  28.  Buche 
seiner  „Naturgeschichte" ,  dass  es  von  dem  überaus  berühmten 
Philosophen  Democrit  ein  Buch  gebe,  welches  (ganz  besonders) 
über  die  angeborne  Macht  des  Chamaeleons  (einer  Eidechsen- 
art) handle  und  dass  er  dasselbe  gelesen  habe.  Dabei  tischt 
er  uns  gelegentlich  eine  Masse  eitles  und  unerhörtes,  gleich- 
sam als  vom  Democrit  aufgezeichnetes  Zeug  auf,  woraus  ich 
hier  nur  folgender  Einzelheiten  gedenken  will,  wenn  auch  nur 
mit  Widerwillen,  weil  man  (bei  diesen  offenbaren  Lügen 
wirklich)  Ekel  und  Verdruss  empfinden  kann.  2.  (So  wird 
unter  Anderm  daselbst  mitgetheilt) ,  dass  der  Habicht,  der 
schnellste  unter  den  Vögeln,  wenn  er  zufällig  über  ein  auf 
der  Erde  kriechendes  Chamäleon  hinwegfliegt,  von  demselben 
zu  sich  herabgezogen  werde  und  durch  einen  (unerklärlichen) 
Einfluss  zur  Erde  falle  und  sich  allen  andern  Vögeln  ohne 
Widerstand  zum  Zerreissen  preisgebe  und  überliefere.  3. 
Hierzu  fügt  er  auch  noch  eine  allen  menschlichen  Glauben 
übersteigende  Bemerkung  bei :  wenn  man  den  Kopf  und  Hals 
von  diesem  Chamäleon  mit  sogenanntem  (eichenem)  Kernholz 
verbrennt,  erhebe  sich  urplötzlich  Regen  und  Gewitter,  und 
dasselbe  ereigne  sich  auch,  wenn  man  die  Leber  dieses  Thieres 
auf  der  Zinne  eines  Ziegeldaches  verbrenne.  4.  Noch  ein 
Anderes,  wobei  ich  wahrhaftig  Anstand  nehme,  ob  ich  es  auch 
hersetzen  soll,  so  viel  lächerliche  Windbeutelei  trägt  es  an 
sich,  führe  ich  nur  gerade  deshalb  an,  weil  ich  doch  einmal 
eingestehen  musste,  was  ich  selbst  über  solchen  verlogenen 
Wunderschwindel  denke,  wovon  (indess)  meistentheils  (sogar) 
Köpfe  von  bedeutendster  Anschlägigkeit  und  (leider)  gerade 
die  erst  recht,  welche  einem  höheren  Wissenschaftsdrange 


X,  12,  1.  xaf/aiM°,v>  eine  (die  Farbe  wechselnde)  Eidechse.  Plin. 
8,  33  (51);  10,  52  (73);  28,  8  (29);  Tertull.  de  pallio  3,  112  seq.  Als 
Pflanze:  Chamäleondistel,  Eberwurz.  Plin.  22,  18  (21);  27,  13  (118); 
30,  4  (10);  Scribon.  Larg.  composit.  192;  Veget.  de  art.  Veterinär.  5,  52,  2 

X,  2,  12.   S.  Plin.  28,  29,  1.  2.  3. 


X.  Buch,  12.  Cap.,  §  4-9. 


(57) 


folgen,  sich  einnehmen  lassen  und  (daher)  dem  verderblichen 
(abscheulichen)  Aberglauben  zum  Opfer  fallen.    5.  Aber  ich 
kehre  wieder  zu  Plinius  zurück,  welcher  sagt,  man  solle  den 
linken  Fuss  des  Chamäleons  mit  dem  (Distel-)  Kraute,  welches 
ebenfalls  den  Namen  Chamäleon  führt,  auf  einer  glühenden 
Eisenplatte  rösten,  beides  dann  in  einer  Salbe  aufweichen 
{und  verrühren),  zur  Form  eines  kleinen  Kuchens  verdicken 
und  in  eine  Holzkapsel  stecken,  dann  könne  derjenige,  welcher 
diese  Holzbüchse  bei  sich  trägt,  selbst  wenn  er  inmitten  einer 
öffentlichen  Versammlung  verweilt,  von  Niemandem  bemerkt 
werden  (und  sich  also  unsichtbar  machen).   6.  Alle  diese  von 
Plinius  Secundus  aufgezeichneten  Wunderdinge  und  Gaukeleien 
mit  dem  Namen  des  Democrit  in  Verbindung  zu  bringen, 
halte  ich  für  unwürdig.    7.  Oder  auch  jenen  ähnlichen,  be- 
kannten Fall,  welchen  derselbe  Plinius  im  10.  Buche  versichert, 
in  dem  Werke  Democrits  gelesen  zu  haben,  dass  nämlich 
gewisse  Vögel  ihre  bestimmten  Erkennungslaute  (d.  h.  unter 
sich  ihre  bestimmte  Sprache)  haben  und  dass,  wenn  man  das 
Blut  von  diesen  (verschiedenen)  Vögeln  mische,  eine  Schlange 
daraus  erwüchse.    Wer  diese  nun  esse,  sei  im  Stande  die 
Sprache  und  Unterhaltungen  der  Vögel  zu  verstehen.  8.  Viele 
derartige  Lügen  sind  offenbar  unter  dem  Namen  Democrits 
von  ungeschickten  Leuten  herausgegeben  worden,  die  es  auf 
weiter  nichts  absahen,  als  sein  hohes  Ansehen  und  seine 
Glaubwürdigkeit  nur  als  Deckmantel  (ihrer  Marktschreiereien) 
^u  gebrauchen.    9.  Was  nun  aber  endlich  ein  Kunstwerk 
anbetrifft,  welches  nach  seiner  Angabe  der  Pythagoräer  Ar- 
chytas  ersonnen  und  zur  Ausführung  gebracht  hat,  so  muss 
uns  dasselbe,  wenn  nicht 'weniger  wunderbar,  so  doch  ganz 

X,  12,  8.  Plinius  (28,  19)  schreibt  diese  Lügen  nicht  dem  Democrit 
zu,  sondern  der  offenbaren,  verlogenen  griechischen  Marktschreierei. 

X,  12,  9.  Archytas  von  Tarent,  ohngefahr  400  v.  Chr.,  berühmter 
Mathematiker,  besonders  durch  Erfindung  der  analytischen  Methode  und 
•durch  Lösung  mehrerer  geometrischer  (Verdopplung  des  Würfels)  und 
mechanischer  (durch  die  Automat-Taube)  Probleme,  ausserdem  auch  als 
Feldherr  und  Staatsmann  (Hör.  Od.  I,  28)  bekannt,  war  ein  Freund  des 
Plato.  Von  seinen  Schriften  nur  Fragmente.  Diog.  Laert.  VIII,  4;  Aelian 
vermischte  Geschichten  III,  17;  VII,  14. 

X,  12,  9.  Die  Erfindung  der  aerostatischen  Maschinen  ist  also 
sehr  alt 


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X.  Buch,  12.  Cap.,  §  9.  10.  —  13.  Cap.,  §1.2. 


gewiss  ebensowenig  ungereimt  erscheinen.  Denn  nicht  nur  viele 
angesehene  Griechen,  sondern  auch  der  Philosoph  Favorinus, 
der  eifrigste  Forscher  in  alten,  geschichtlichen  Denkmälern, 
sie  Alle  berichten  unter  Betheuerung  der  Wahrheit  (von  einem 
Kunstwerke)  von  der  Nachbildung  einer  Taube,  durch  Ar- 
chytas  nach  einem  gewissen  System  (construirt)  und  durch 
mechanische  Kunst  aus  Holz  hergestellt,  die  sich  in  die  Luft 
geschwungen.  Dieses  Kunstwerk  wurde  (wie  sichs  von  selbst 
versteht)  durch  (gewisse)  Schwungkräfte  in  die  Höhe  getrieben 
und  durch  eine  verborgene  und  eingeschlossene  Strömung  von 
Luft  in  Bewegung  gesetzt.  10.  Es  scheint  mir  in  der  That 
zweckmässig,  hier  gleich  Favorins  eigene  Worte  über  das 
(merkwürdige)  unglaubliche  Kunstwerk  herzusetzen:  „Archytas 
(ein  Philosoph)  von  Tarent  war  überdiess  auch  ein  (ganz  be- 
deutender) Mechaniker  und  verfertigte  (als  solcher)  eine  höl- 
zerne, fliegende  Taube,  die  jedoch,  wenn  sie  sich  (einmal) 
niedergelassen,  sich  nicht  wieder  erhob.   (Denn  bis  hierher) 

c  v 

X,  13,  L.    Auf  welche  Art  sich  die  Alten  der  Ausdrucksweise  bedienten: 

„cum  partim  hominum." 

X,  13.  Cap.  1.  Es  wird  sehr  oft  gesagt:  „partim  hominum 
venit",  d.  h.  eine  Anzahl  (oder  einige)  Menschen  kamen.  Denn 
hier  gilt  „partim"  als  Adverbium  und  wird  nicht  declinirt,  da- 
her es  also  auch  (in  Verbindung  mit  einer  Praeposition)  gesagt 
werden  kann:  cum  partim  hominum,  d.  h.  mit  einer  Anzahl 
von  Leuten.  2.  M.  Cato  schrieb  also  in  seiner  Rede  „über 
das  Florafest"  (ganz  richtig):  „daselbst  vertrat  sie  die  Stelle 
einer  Buhldirne;  sie  pflegte  (mehrmals)  vom  Gastmahle  auf- 


X,  13,  1.  In  dem  Accusativ:  partim  dachte  man  sich  ein  so  viel  um- 
fassendes Verhältniss,  dass  namentlich  die  Bedeutung  aller  (ihrigen  obliquen 
Casus  als  ihm  (d.  h.  diesem  Accusativ)  untergeordnet  and  mithin  durch 
ihn  darstellbar  erschienen.  Dieses  Verhältniss  lässt  sich  deutlicher  ver- 
anschaulichen, wenn  man  partim  gleichsam  als  indeclinables  Substantivum 
aufifasst.  (Gell.  VI  [VII],  3,  7  partim  Senatorum.)  Auch  hat  dies  Ad- 
verbium (wie  noch  einige  andere,  z.  B.  satis,  parum,  afifatim,  abunde)  den 
Werth  eines  Adjectivs,  z.  B.  Lucr.  I,  242;  Com.  Nep.  15,  4,  5  satis  testi- 
monium;  Ovid.  Her.  2,  44;  Verg.  Aen.  9, 194;  so  parum:  Plaut.  Stich.  4,  1. 
Ter.  Phorm.  5,  7,  27;  so  affatim:  Plin.  epist.  II,  17,  26;  so  abunde:  Liv. 
4,  22. 


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X.  Buch,  13.  Cap.,  §2—4.-14.  Cap.,  §  1.  2.  (59) 


zustehen  und  ins  Schlafgemach  zu  schlüpfen.  Da  hatte  sie 
nun  (cum  partim  illorum)  mit  einem  Theile  von  ihnen  oft  auf 
dieselbe  Art  zu  thun."  3.  Allein  Unkundigere  lesen:  cum 
parti,  gleich  als  ob  es  vom  declinablen  Hauptwort  hergenom- 
men und  nicht  adverbialiter  gesagt  sei.  4.  Q.  Claudius 
(Quadrigarius)  hingegen  hat  im  21.  Buche  seiner  „Jahrberichts- 
sammlung" sich  noch  weit  auffallender  dieser  Ausdrucksweise 
bedient:  „Er  sei  zufrieden  mit  einem  Truppentheile  junger 
Mannschaften  (cum  partim  copiis  hominum  adolescentium)". 
Ferner  kommt  auch  noch  im  23.  Buche  der  „Jahrbücher" 
von  demselben  Claudius  folgende  Stelle  vor:  „Dass  ich  aber 
auf  solche  Weise  gehandelt  habe,  wovon  ich  nicht  zu  sagen 
weiss,  ob  es  durch  die  Nachlässigkeit  einiger  obrigkeitlicher 
Personen  (negligentia  partim  magistratuura),  oder  durch  den 
Geiz,  oder  durch  das  Missgeschick  des  römischen  Volkes  so 
gekommen  sei." 

X,  14,  L.  In  welcher  Wortverbindung  sich  Cato  der  Ausdrucksweise 
bedient  habe:  „injuria  mihi  factum  itur"  (d.  h.  man  geht  damit  um,  mir 

ein  Unrecht  zuzufügen). 

X,  14.  Cap.  1.  Ich  höre  oft  die  Redensart  gebrauchen: 
„illi  injuriam  factum  in"  (man  geht  damit  um,  jenem  ein 
Unrecht  zuzufügen)  und  gewöhnlich  auch  die  Ausdrucksweise 
gebrauchen:  „contumeliam  dictum  iri"  (man  gehe  damit  um, 
eine  Beschimpfung  anzuhängen)  und  ist  diese  Ausdrucksweise 
nun  mitten  im  gewöhnlichen  Verkehr  und  Wortaustausch  schon 
ganz  allgemein  geworden,  weshalb  ich  mir  wohl  auch  alle 
weiteren  Beispiele  ersparen  kann.  2.  Weil  aber  die  Redens- 
art: „contumelia  illi"  oder  „injuria  factum  itur"  schon  viel 
ungebräuchlicher  ist,  deshalb  lasse  ich  hier  ein  Beispiel  folgen. 

X,  14, 1.  Aus  dem  „ire"  mit  dem  ersten  Supinum  bildete  sich  passivisch 
ein  Infinitivus:  iri  factum  etc.,  um  eine  Folge,  d.  h.  eine  Zukunft  aus- 
zudrücken, wobei  das  Supinum  einen  Accusativ  regiert,  da  seine  eigene 
Beziehung  durch  das  passive  Verbum  durchaus  nicht  geändert  wird.  Dieser 
Ursprung  wird  vergessen  und  das  „iri"  mit  Supinum  als  einfache  passive 
Form  gebraucht  und  mit  dem  Nominativ  verbunden:  contumelia,  quae 
factum  itur  —  quae  fit  Daher  bezeichnet  „ire  factum  contumeliam"  soviel 
als:  facere  contumeliam,  hingegen:  „contumelia  itur  factum"  soviel  als: 
contumelia  fit  Der  Infinitiv  dieser  passiven  Construction  ist,  mit  dem 
üebergang  des  Wollens  in  das  Werden,  gebräuchlicher  Infinitiv  futuri 
passivi  geworden.   S.  Zumpt,  Lat.  Gr.  §  696. 


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(60)  X.  Buch,  14.  Cap.,  §  2—4.  —  15.  Cap.,  §  l. 

In  seiner  eigenen  Vertheidigung  gegen  den  C.  Cassius  sagt 
M.  Cato :  3.  „Diesem  Ereigniss  ist  es  also  zuzuschreiben,  dass 
bei  dieser  Beschimpfung,  welche  mir  durch  die  Frechheit 
dieses  (elenden)  Wichtes  bevorsteht,  angethan  zu  werden 
(contumelia,  quae  mihi  per  hujusce  petulantiam  factum  itur) 
mich  bei  Gott  auch  zugleich  (tiefes)  Mitleid  für  die  Republik 
ergreift,  ihr  edlen  Römer  (Quiriten)".  4.  So  wie  nun  aber 
„contumeliam  factum  iri"  soviel  bedeutet,  als:  ausgehen  auf 
Ausübung  von  Beschimpfung,  d.  h.  sich  alle  Mühe  geben,  wie 
eine  Beschimpfung  ins  Werk  gesetzt  werden  könne,  so  haben 
durch  Veränderung  des  Casus  (d.  h.  des  Accusativs  in  den 
Nominativ)  die  Worte:  contumelia  mihi  factum  itur  durchaus 
keinen  andern  Sinn  (als:  man  geht  darauf  aus,  man  hat  vor, 
mir  eine  Beleidigung  zuzufügen,  oder  es  wird  für  mich  eine 
Beschimpfung  ins  Werk  gesetzt  =  contumelia  mihi  fit). 

X,  15,  L.    Ueber  die  religiösen  Gebräuche  des  Flamen  Dialis  und  seiner 
Gemahlin.    Beifügung  einer  Stelle  aus  dem  Edict  des  Fraetors,  worin  es 
ausdrücklich  hcisst,  dass  weder  eine  vestalische  Jungfrau,  noch  ein  Flamen 
Dialis  zum  Schwur  gezwungen  werden  könne  und  dürfe. 

X,  15.  Cap.  1.  Dem  Flamen  Dialis  wurde  die  Beobachtung 
(vieler  Formalitäten  und)  vieler  religiösen  Gebräuche  auferlegt, 


X,  15,  L.  Der  Flamen  Dialis  hatte  als  Auszeichnung  einen  Lictor, 
die  sella  curulis  und  die  toga  practexta  und  musste  durch  eine  gewissen- 
hafte Beobachtung  von  allerlei  Vorschriften  die  Reinheit  und  Heiligkeit 
seiner  Person  zu  erhalten  suchen.  Sein  Hut  (apex  §  9)  war  mit  einem 
weisswollenen  Faden  (filum)  umwunden,  wovon  die  Flamines  gleichsam 
Filamines  hiessen.  Prise.  IV,  3,  17  p.  150  Krehl.  In  neuerer  Zeit  leitet 
man  das  Wort  von  „flare"  ab,  d.  h.  vom  Anblasen  des  Feuers.  Ihr  Amt 
war  bei  guter  Auffuhrung  lebenslänglich  und  sie  durften  kein  anderes  Amt 
bekleiden.  Flamen  bedeutete  überhaupt  einen  Priester,  der  nur  einer 
einzigen  Gottheit  diente.  Die  drei  ältesten  von  Numa  eingesetzten  waren : 
der  Flamen  Dialis  (des  Jupiter),  Martialis  (des  Mars)  und  Quirinalis  (des 
Quirinu8  oder  Romulus).  Sie  wurden  (nach  Gell.  XV,  27,  1)  in  den  Comitiis 
calatis  gewählt  und  vom  Pontifex  maximus  dazu  in  Vorschlag  gebracht 
und  eingeweiht  (capiebantur  Gell.  I,  12.  15;  Val.  Max.  6,  9,  3;  Liv.  27,  8)- 
Zu  den  vornehmsten  (majores)  Flamines  konnten  nur  Patricier  vor- 
geschlagen werden,  zu  den  übrigen  (nach  Festus  waren  es  zwölf)  konnten 
auch  Plebejer  genommen  werden. 

X,  15,  1.  libri  de  sacerdotibus  publicis;  cfr.  Gell.  XIII,  23  (22),  1: 
libri  sacerdotum  P.  R.  et  in  plerisque  antiquis  orationibus.   Darunter  sind 


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X.  Buch,  15.  Cap.,  §  1—8.  .  (61) 

desgleichen  vielfache  Fastenzeiten,  welche  wir  theils  in  den 
Büchern  aufgezeichnet  gefunden  haben,  die  eine  Zusammen- 
stellung über  (die  Verpflichtungen  für  alle)  „öffentliche  Prie- 
ster" bilden,  theils  im  ersten  Buche  der  (darauf)  bezüglichen 
Schriften  von  Fabius  Pictor.  2.  Daher  sind  mir  ungefähr 
auch  folgende  Einzelheiten  in  der  Erinnerung:  3.  Ein  Pferd 
(zu  besteigen  und  darauf)  zu  reiten  ist  dem  Flamen  Dialis 
verboten ;  4.  ferner :  Die  zum  Kampf  gerüstete  (Land-)  Macht, 
d.  h.  das  Heer  unter  Waffen  ausserhalb  des  Stadtbezirks  zu 
betrachten  .(ebenfalls),  daher  ward  er,  wenn  den  Consuln  die 
Kriegführung  übertragen  wurde,  auch  niemals  (oder  nur 
selten)  zum  Consul  gewählt;  5.  desgleichen  durfte  der  Flamen 
dialis  nie  schwören;  6.  auch  war  es  ihm  nicht  erlaubt  einen 
Ring  zu  tragen,  ausser  einen  durchbrochenen  und  ohne  (ein- 
gefassten  Edel-)  Stein.  7.  Es  durfte  aus  seiner  Amtswohnung 
(flaminia  sc.  domus),  d.  h.  aus  dem  (auf  dem  Palatinus  ge- 
legenen) Hause  des  Flamen  Dialis  nie  Feuer,  ausser  das 
heilige,  (zum  Opfer  nöthige)  herausgetragen  wrerden.  8.  Wenn 
ein  gefesselter  Gefangener  entwischte  und  sich  in  sein  Haus 
(aedes)  flüchten  konnte,  musste  er  ihm  die  Fesseln  abnehmen, 


Bitualbücher  zu  verstehen.  Indigitamenta  pontificum  oder  libri  pontificii. 
S.  Macrob.  1, 12,  21 ;  Censorin.  de  die  natal.  3;  Serv.  zu  Verg.  Georg.  I,  21 ; 
Ausserdem  gab  es  auch  noch  besondere  Ritualbücher  der  Salier,  Vesta- 
linnen (Gell.  I,  12,  14  sacerdotem  Vest  facere  pro  populo  Romano  Qui- 
ritibus),  Arvalbrüder,  Augurn,  Flamines  u.  s.  w.;  cfr.  Varro  1.  1.  V,  98; 
Cic.  de  republ.  II,  31,  54;  de  N.  D.  I,  30,  84;  Macrob.  III,  20,  2;  Colum 
r.  r.  II,  21,  5;  Festus  p.  189,  9;  356,  18. 

X,  15,  1.  Servius  Fabius  Pictor,  ein  älterer  lateinischer  Ge- 
schichtsschreiber, wahrscheinlich  derselbe,  den  Cic.  Brut.  21,  31  als  Rechts- 
gelehrten, Literaten  und  Kenner  des  Alterthums  nennt.  Ein  anderer 
Fabier,  der  Q.  Fabius  Pictor,  war  der  älteste  römische  Geschichtsschreiber, 
der  Zeitgenosse  des  Cato.  Er  diente  in  den  Kriegen  gegen  die  Gallier  und 
den  Hannibal,  focht  in  dem  2.  punischen  Kriege  mit  und  wurde  nach  der 
Schlacht  bei  Cannae  nach  Delphi  zur  Berathung  des  Orakels  gesendet. 
Er  verfasste  die  Geschichte  Roms  in  griechischer  Sprache  (Dionys.  Hai. 
I,  6),  welche  Livius  oft  benutzte  (Liv.  I,  44.  55;  Polyb.  I,  14;  Plutarch 
Romul.38.  Vergl.  Gerlach  röm.  Geschichtsschreiber  p.  33  etc.;  Nipperdey, 
Philolog.  Jahrg.  VI  p.  131;  Gell.  I,  12,  14;  V,  4,  1;  Teuffels  röm. 
Lit.  139,  8. 

X,  15,  8.  Seine  prächtige  Wohnung  wurde  „aedes"  genannt,  womit 
sonst  nur  Götterkapellen  bezeichnet  wurden. 


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(62) 


X.  Buch,  15.  Cap.,  §  8-17 


und  dieselben  durch  den  Hofraum  auf  das  Dach  in  die  Höhe 
ziehen  und  von  da  hinaus  auf  die  Strasse  werfen  lassen.  9. 
Er  trug  nie  einen  Knoten  an  sich,  weder  an  (dem  weiss- 
wollenen  Faden)  der  Priestermütze,  noch  im  Gürtel,  noch  an 
irgend  einem  andern  (Kleidungs-)  Stück  (seines  Körpers). 
10.  Sollte  Jemand  gegeisselt  werden,  fand  aber  Gelegenheit, 
sich  zu  den  Füssen  dieses  Flamen  niederzuwerfen,  so  würde 
es  ein  Verbrechen  gewesen  sein,  für  diesen  Tag  (an  einem 
solchen)  die  Geisselung  vollziehen  zu  lassen.  11.  (Sein  Haupt 
war  geschoren.)  Die  Haare  darf  dem  Dialis  aber  Niemand 
als  nur  ein  freier  Mann  abschneiden.  12.  Der  Vorschrift 
gemäss  darf  er  eine  Ziege,  ungekochtes  Fleisch,  Epheu  und 
Bohnen  weder  berühren,  ja  nicht  einmal  die  Namen  (dieser 
Dinge)  aussprechen.  13.  Zu  hoch  aufgeschossene  Ableger  von 
Weinstöcken  darf  er  nicht  besehneiden.  14.  Die  Füsse  (von 
dem  Gestelle)  des  Bettes,  worin  er  schläft,  müssen  mit  dünnem 
Lehm  bestrichen  sein,  und  er  schläft  nie  während  drei  ganzer 
Nächte  ausserhalb  des  Bettes,  wie  auch  Niemand  anders,  als 

er  selbst  in  dem  Bette  schlafen  darf.  [  ]  In  der  Nähe 

seines  Bettstollens  muss  das  Kästchen  (cum  strue  atque  ferto) 
mit  dem  Opfergebäck  und  Opferfladen  sich  befinden.  15.  Die 
Abschnitzel  von  den  Nägeln  und  dem  Haare  des  Flamen 
werden  in  der  Erde  unter  einem  Glücksbaume  vergraben. 
16.  Der  Flamen  Dialis  hat  täglich  eine  gottesdienstliche 
Feierlichkeit  zu  vollziehen.  17.  (Unbedeckt,  in  blossem  Kopf) 


X,  15,  9.  Knoten  und  Ring  waren  Zeichen  der  Fesselung,  annulus 
cassus  (itU&og,  aii>r)(fog)  leerer  Ring,  ohne  Stein. 

X,  15,  11.  Vergl.  über  dieses  ganze  Capitel  Plutarch:  Fragen  über 
röm.  Gebräuche  40.  109.  110.  111;  zu  X,  15,  7  ignis  s.  Festus  p.  106; 
zu  §  9  s.  apiculum  bei  Festus  p.  29;  zu  §  12  s.  Fabam  bei  Festus  p.  87; 
zu  §  22  s.  Flammeo  bei  Fest.  p.  89  u.  92;  zu  §  28  s.  ricae  bei  Fest 
p.  277  (289);  Paul.  288,  10;  Nonius  in  Ribbecks  Com.  L.  Fr.  224,  71. 
Ricula  s.  parrum  ricinium ,  vielleicht  ein  Schleier.  Zu  §  32  s.  albogalerus 
bei  Festus  p.  10  (ed.  Müller)  Paul.  Diac.  p.  10,  12;  Fronto  ep.  IY,  4; 
Serv.  zu  Verg.  Aen.  II,  683. 

X,  15,  14.  Strues,  Opfermahl-Brotschicht,  ein  zusammen  übereinander 
gelegter  Haufen  von  kleinen  Opferkuchen,  welche  dann  die  Gestalt  zu- 
sammengelegter Finger  hatten.  Festus  310;  Ovid.  Fast.  I,  276.  Fertum 
(ferctum),  eine  Schicht  vom  Opferkuchen,  Opferfladen.  S.  Cato  r.  r.  134 
2  ff.  141;  Varro  r.  r.  I,  40;  Pers.  II,  48;  Isidor.  Orig.  6,  19,  24. 


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X.  Buch,  15.  Cap.,  §  17.  18.  (63) 

ohne  seinen  Priesterhut  (apex)  im  Freien  auszugehen,  war 
ihm  nicht  gestattet ;  dass  unter  seinem  Dache  dies  von  seinem 
Belieben  abhing  (d.  h.  ihn  im  Hause  der  Kopfbedeckung  zu 
entheben)  war  eine  unlängst  erst  von  den  Oberpriestern  ge- 
troffene Bestimmung,  18.  nach  einer  schriftlichen  Mittheilung 
des  Masurius  Sabinus,  und  man  erfährt  (bei  dieser  Gelegenheit 
von  ihm)  auch  noch  andere  ähnliche  Zugeständnisse  (zur  Er- 
leichterung im  Dienste),  wie  auch  (überhaupt  ausführlichere) 

X,  15,  3.    Er  durfte  nicht  reiten  s.  Paul.  Diac.  p.  81,  17;  Plut 

Quaest.  R.  37;  Vol.  VII  p.  110  Reisk.  — 

§  4.   Kein  bewaffnetes  Heer  sehen.   Festus  249,  23.  — 

§  5  u.  31.   Nie  schwören.   Liv.  31,  50;  Paul.  Diac.  104,  11.  — 

§  6.   Siegelring  nur  durchbrochen.   Paul.  82,  19.  — 

§  7.   Flaminia,  Amtswohnung.   Paul.  89,  10  u.  106,  4.  — 

§  8.   Keinen  Gefesselten  sehen,  cfr.  Macrob.  I,  16,  9,  ohne  ihn 

davon  zu  entledigen,  weil  dies  das  Asylrecht  seines  Hauses  verlangt.  Serv. 

zu  Verg.  Aen.  IH,  607.  — 

§  9.   Keinen  Knoten  an  sich  haben.   Paul.  Diac.  113,  15;  vergl.  mit 

82,  18;  Serv.  zu  Verg.  Aen.  IV,  262.  — 

§  10.   S.  Serv.  zu  Verg.  Aen.  HI,  607.  — 

§  12.  19.  24.  Durfte  Vieles  nicht  berühren.  Plut.  Quaest.  rom.  106  ff. 
Vol.  VII  p.  164.  165  Reisk;  Paul.  Diac.  82,  18;  Serv.  zu  Verg.  Aen. 1, 179.  — 

§  16.  Durfte  keine  zwei  Nächte  ausser  der  Stadt  bleiben,  damit  er 
pflichtschuldigst  die  täglichen  Opfer  dem  Jupiter  darbringen  konnte;  weil 
ihm  jeder  Tag  ein  Feiertag  sein  sollte,  so  musste  er 

§  17.  stets  in  der  Amtstracht  bleiben  und  durfte  eigentlich  selbst  im 
Hause  den  Hut  nicht  ablegen.  Serv.  zu  Verg.  Aen.  I,  304:  Appian  b.  c. 
I,  65. 

§  22.  Beim  Tode  seiner  Frau  muss  er  sein  Amt  niederlegen.  Plut. 
Qu.  R.  47 ;  Vol.  VII,  118  R.  Dagegen  sprechen  Hieron.  adv.  Jovin.  I,  49 
und  Tertullian.  de  exh.  cats.  13  und  behaupten  nur,  dass  er  hahe  un- 
verheirathet  bleiben  müssen,  Servius  zu  Verg.  Aen.  IV,  29  bestreitet 
auch  dies. 

§  18.  Seine  Ehe  kann  nie  geschieden  werden  s.  Paulus  89, 13;  Serv. 
zu  Verg.  Aen.  IV,  29. 

§  26.  Seine  Frau  ist  von  seinen  Amtsfunctionen  unzertrennlich.  Plut 
Q.  R.  83;  Ovid.  Fast  III,  397;  Tac.  Ann.  4,  16. 

§  27.  Ihre  Amtskleidung  bestand  in  einem  langen,  wollenen  Kleide 
(einem  feuerrothen  Schleier)  s.  Serv.  zu  Verg.  Aen.  XH,  120;  Paul.  65,  3. 

§  28.  Als  Kopf  binde  trug  sie  ein  mit  Fransen  versehenes  Kopftuch 
(rica),  an  welchem  der  Granatapfelzweig  befestigt  war. 

§  30.  An  gewissen  Festtagen  durfte  sie  sich  nicht  kämmen.  Ovid. 
Fast.  HI,  397 ;  cfr.  Plut.  q.  r.  83  und  musste  eine  hohe  Treppe  vermeiden, 
um  die  Füsse  nicht  zu  entblossen.   Serv.  zu  Verg.  Aen.  IV,  646. 


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*  -V. 


(64)  X.  Buch,  15.  Cap.,  §  18-30. 

Auskunft  über  erfolgte  Nachlassung  einiger  vorgeschriebenen 
Gebräuche.  19.  Er  darf  keinen  Sauerteig  berühren.  20.  Das 
Gewand,  das  er  auf  dem  (blossen)  Leibe  trägt,  zieht  er 
(beim  Wechseln  reiner  Wäsche)  sich  nur  an  verborgenen 
(dunkeln)  Orten  aus,  um  nicht  (schamlos)  entblösst  unter  dem 
Himmel,  gleichsam  wie  vor  Gottes  Augen  dazustehen.  21.  Bei 
einem  Mahle  darf  Niemand  vor  dem  Flamen  Dialis  Platz 
nehmen,  ausser  der  erste,  oberste  Opferpriester.  22.  Wenn 
er  seine  Frau  durch  den  Tod  verlor,  tritt  er  von  seinem 
(Priester-)  Amte  zurück  (und  legt  es  nieder).  23.  Die  Ehe 
eines  Flamen  kann  auf  rechtlichem  Wege  nicht  anders,  als 
nur  durch  den  Tod  gelöst  werden.  24.  Niemals  betritt  er 
(eine  Leichenbrandstätte,  d.  h.)  einen  Begräbnissplatz;  rührt 
nie  einen  Todten  an.  25.  Einem  Leichenbegängnisse  zu  folgen, 
verbietet  ihm  (heilige  Verpflichtung  und)  Gewissenszwang  nicht. 
26.  Fast  ganz  dieselben  (strengen)  Verpflichtungen  sollen  auch 

[  ]  die  Gemahlinnen  der  Flamines  Diales  besonders 

eifrig  beobachten,  wie  z.  B.  27.  dass  eine  solche  ein  (roth-) 
gefärbtes  Kleid  tragen  muss;  28.  ferner,  dass  sie  auf  ihrer 
Haube  (rica)  ein  Reis  von  einem  Glücksbaume  trägt;  29.  eine 
Treppe  von  mehr  als  drei  Stufen,  auf  griechisch  „xA/^uaxcg" 
genannt,  hinaufzusteigen,  ist  (ihr)  nicht  erlaubt,  (damit  sie 
nicht  etwa  genöthigt  werden  möchte,  den  Rock  aufzuraffen); 
30.  und  wenn  sie  nach  den  altheiligen  Opferstätten  sich  ver- 
fügt, darf  sie  sich  weder  das  Haupt  putzen,  noch  die  Haare 


X,  15,  30.  Cum  it  ad  Argeos  (cfr.  Ovid.  Fast.  III,  791).  An  dem 
pons  sublicius  wurden  von  den  vestalischen  Jungfrauen  in  Begleitung  der 
Magistrate  und  Priester  diesseits  und  jenseits  der  Tiber  Opfer  gebracht 
und  dann  30  von  Binsen  gebildete  (e  scirpeis  virgultis)  und  mit  männlicher 
Kleidung  umgebene  Männerbilder  (simulacra  scirpea  virorum)  von  dem 
pons  sublicius  in  die  Tiber  hinabgestürzt,  anstatt  eben  so  vieler  alter 
Männer,  die  man  als  unnütze  Leute,  welche  dem  Staate  doch  in  Nichts 
mehr  dienen  können,  von  dem  ponte  sublicio  in  die  Tiber  warf.  Festus 
in  „Depontani";  Varro  L  1.  VII,  3;  Ovid.  Fast.  V,  621.  Die  Idee  einer 
Sühne  des  Flussgottes  liegt  sehr  nahe;  man  brachte  ihm  die  Opfer  dar, 
die  er  sonst  genommen  haben  würde  durch  Ertrinken  im  Flusse,  oder 
durch  Schaden  der  Ueberschwemmung  des  Landes  und  der  Wohnungen 
und  durch  Krankheiten,  vorzüglich  durch  Fieber,  die  das  stagnirende 
Wasser  erzeugte;  vielleicht  musste  er  auch  besänftigt  werden,  dass  er  sich 
mit  einer  Brücke  hatte  überziehen  lassen  müssen.    Cfr.  Plut.  mor.  Schrift 


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X.  Buch,  15.  Cap.,  §  81.  32.  —  10.  Cap.,  §  1.  2.  (65) 


mit  einem  Kamrae  kämmen.  31.  Ich  lasse  hier  die  bezüg- 
lichen Worte  des  Praetors  aus  dem  allgemein  gültigen  Edict 
(ex  edicto  perpetuo)  über  einen  Flamen  Dialis  und  eine 
Priesterin  der  Vesta  folgen :  „In  meinem  Gerichtssprengel 
soll  keine  Priesterin  der  Vesta  und  kein  Flamen  Dialis  ge- 
zwungen sein,  einen  Eid  abzulegen."  32.  Des  M.  Varro 
Worte  aus  dem  2.  Buche  seines  Werkes  „über  Gebräuche 
(der  Vorzeit)  in  göttlichen  Dingen"  in  Betreff  des  Flamen 
Dialis  lauten  also:  „Dieser  (Priester)  nur  trägt  eine  weisse 
Mütze  (albus  galerus),  entweder  weil  er  den  höchsten  Rang 
einnimmt,  oder  weil  das  dem  Zeus  bestimmte  Opfer  weiss 
(und  rein)  vollzogen  sein  muss." 

X,  16,  L.    Welche  Versehen  Julius  Hyginus  im  6.  Buche  Vergils  rügte, 
als  (thatsächliche)  Verstösse  bezüglich  der  römischen  Geschichte. 

X,  16.  Cap.  1.  Hyginus  tadelt  den  Vergil  und  meint, 
dass  derselbe  (später)  das  Versehen,  was  im  6.  Buche  (der 
Aeneide)  seiner  Feder  entwischte,  (wenn  ihn  nicht  vorzeitig 
der  Tod  ereilt  hätte,  sicher  noch)  verbessert  haben  würde. 
2.  Palinurus  nämlich  befindet  sich  (bereits  todt)  bei  den 
Unterirdischen  und  bittet  vom  Aeneas  (welcher  noch  als 
Lebender  die  Unterwelt  besuchte),  er  möge  seinen  Leichnam 
aufsuchen  und  für  dessen  Begräbniss  sorgen.   Diesen  Wunsch 

(«fr««  'Pwu-)  Römische  Forschungen  32.  „Warum  wirft  man  am  15.  Mai 
(Idus)  menschliche  Bilder,  Argeer  genannt,  von  der  Holzbrücke?  Entweder, 
weil  Hercules  Menschenopfer  abgeschafft  hatte,  oder  weil  der  Arkadier 
Evander  und  seine  Gefährten  ihren  alten  Groll  gegen  die  Argeer  auch 
nach  ihrer  Flucht  aus  Griechenland  und  ihrer  Niederlassung  in  Italien 
noch  beibehalten  hatten,  und  man  in  alten  Zeiten  daher  alle  Archiver  oder 
Griechen,  die  man  in  Italien  antraf,  als  Feinde  zu  ertränken  pflegte".  Dion. 
Hai.  I,  4;  Liv.  I,  21. 

X,  15,  31.  Auf  Befehl  des  Kaisers  ■  Hadrian  (117  —  138)  wurden  die 
verschiedenen  Edicte  der  Prätoren  gesammelt  und  von  dem  Rechtsgelehrten 
Salvius  Julianus,  dem  Urgrossvater  des  Kaisers  Didius  Julianus,  geordnet. 
Diese  Sammlung  wurde  nachher  Edictum  perpetuum  oder  jus  honorarium 
genannt  und  leistete  ohne  Zweifel  bei  der  Entwerfung  des  berühmten 
römischen  Gesetzbuches,  corpus  juris  genannt,  das  auf  Befehl  des  Kaisers 
Jo8tinian  zusammengetragen  worden  ist,  den  wesentlichsten  Dienst.  NB 
Da  Gellius  hier  von  diesem  Edict  spricht,  so  muss  er  unter  oder  nach 
Hadrian  gelebt  haben.   Vergl.  Gell.  XIII,  10,  3. 

Gellius,  Attische  N;icl>te.   II.  5 


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(66)  X.  Buch,  16.  Cap.,  §2  —  8. 

drückt  er  (dem  Aeneas,  Verg.  Aen.  VL,  365  u.  366)  folgender- 
massen  aus: 

Reiss'  mich,  du  Unbesiegter,  aus  dieser  Betrübniss,  und  häufe 
Erde  auf  mich,  Du  vermagst  es,  und  steure  nach  Velias  Hafen. 

3.  „Wie  war  nun  aber,"  sagt  Hyginus,  „entweder  Palinurus 
im  Stande  den  velinischen  Hafen  zu  kennen  und  ihn  mit 
Namen  zu  bezeichnen,  oder  auch  Aeneas  unter  diesem  (be- 
zeichneten) Namen  die  Stätte  aufzufinden,  da  die  Stadt  Velia, 
wonach  der  daselbst  gelegene  Hafen  der  veliuische  genannt 
wurde,  (späterhin  erst)  nach  mehr  denn  600  Jahren,  als  Ser- 
vius  Tullius  zu  Rom  herrschte,  in  der  Landschaft  Lucanien 
gegründet  und  mit  diesem  Namen  belegt  wurde?  4.  Denn 
der  eine  Theil  derer,  die  vom  Harpalus,  dem  Befehlshaber 
des  Königs  Cyrus,  aus  Phocis  vertrieben  wurden,  gründete 
Velia,  die  Andern  Massilia.  5.  Also  ist  es  ein  Beweis  von 
höchster  Unwissenheit,  wenn  Palinurus  den  Aeneas  bittet,  den 
velinischen  Hafen  auszukundschaften,  da  es  diesen  Ortsnamen 
damals  noch  nirgends  in  der  Welt  gab.  6.  Und  es  darf  die 
Stelle  im  ersten  Gesänge  der  Aeneide  (v.  2).u  bemerkt  Hyginus 
weiter,  „nicht  als  ähnlicher  Fall  gelten,  wro  es  heisst: 

„(Waffen  besing'  ich  und  den  Mann,  der) 
Schicksalsflüchtig,  zuerst  in  Italien  und  an  Lavinums 
Ufern  erschien." 

7.  Und  ebenso  ein  anderer  Vers  im  6.  Buche  (der  Aeneide 
v.  17): 

„(Daedalus)  Ueber  der  chalcischen  Burg  stand  endlich  er  schwebend," 

8.  weil  einem  (jeden)  Dichter  nach  einer  gewissen  zuständigen 
Freiheit  stets  gestattet  ist  (xava  itQoh] t/>n' historiae,  d.  h.)  durch 
Vorausnahme  geschichtliche  (in  spätere  Zeit  fallende)  Ereig- 
nisse anzunehmen  und  anzugeben"  von  denen  er  immerhin 
wohl  wissen  konnte,  dass  sie  erst  später  geschehen  sind, 
gerade  wie  auch  Vergil  sich  durchaus  nicht  in  Unwissenheit 


X,  16,  3.  Der  velinische  Hafen  bei  der  späterhin  erst  erbauten  Stadt 
Velia  oder  Elea  (jetzt  Castello  a  Mare  della  Brucca)  in  der  alten  Land- 
schaft Lucanien. 

X,  16,  4.  Phocis,  Landschaft  in  Hellas,  zwischen  Böotien  und  Aetolien ; 
Herod.  I,  107;  Strabo  VI. 


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J 


X.  Buch,  16.  Cap.,  §8—14. 


befunden  in  Bezug  auf  die  (Gründungszeit  der)  Stadt  Lavinium 
und  die  chalcidische  Niederlassung.  9.  Aber  wie  konnte 
Palinurus  das  wissen,  was  erst  600  Jahre  nachher  geschah, 
wenn  man  nicht  etwa  annehmen  will,  dass  er  bei  den  Unter- 
irdischen Zukünftiges  geahnt  habe,  wie  ja  die  Seelen  der 
Verstorbenen  die  Gabe  der  Weissagung  besitzen  sollen? 
10.  Allein  auch  bei  dieser  Annahme,  obgleich  davon  nicht  die 
Rede  ist,  wie  konnte  es  nun  dem  Aeneas,  der  doch  diese 
Gabe  der  Weissagung  nicht  besass,  möglich  werden,  den 
velinischen  Hafen  aufzusuchen,  dessen  Namen  es,  wie  ich 
schon  erwähnte,  damals  noch  gar  nirgends  gab?"  11.  Er 
unterwirft  auch  noch  eine  andere  Stelle  eines  Tadels  und 
meint,  dass  Vergil  sie  später  sicher  (selbst  noch)  würde  ge- 
ändert haben,  wenn  ihn  nicht  (vorher)  der  Tod  ereilt  hätte. 
12.  „Denn  als  Vergil,"  fährt  Hyginus  fort,  „den  Theseus  unter 
denen  namhaft  machte,  welche  ebenfalls  zu  den  Unterirdischen 
gingen  und  wieder  zurückkehrten  und  er  (Verg.  Aen.  VI,  122) 
von  ihm  gesagt  hatte: 

Was  erwähn'  ich  den  Theseus,  was  den 
Grossen  Alciden  (d.  h.  Hercules)  ?   Stamm'  ich  ja  selbst  vom  erhabenen 

Zeus  ab; 

fügt  jedoch  (trotzdem)  später  hinzu  (Verg.  Aen.  VI,  616  u.  617): 

Hier  sitzet  und  ewig  hinfort  sitzt 
Theseus  jammererfiillt. 

43.  Wie  ist  es  möglich,1'  fährt  er  fort,  „dass  Theseus  ewig 
bei  den  Unterirdischen  sitzt,  da  er  ihn  (doch  erst)  oben  unter 
denen  namhaft  macht,  welche  dorthin  hinabstiegen  und  von 
da  wieder  heraufstiegen  (und  entkamen),  zumal  da  es  in  der 
Fabel  so  vom  Theseus  heisst,  als  ob  Hercules  ihn  von  dem 
Felsen  befreit  und  in  die  Oberwelt  ans  Licht  hervorgeführt 
hat?"  14.  So  wollte  er  auch  in  folgenden  Versen  Vergils 
<Aen.  VI,  838-840)  einen  Fehler  entdecken: 

Der  streckt  Argos  in  Staub,  und  die  hohe  Mycen'  Agamemnons; 
Selbst  auch  des  Aeacos  Enkel,  den  Spross  des  gewaltigen  Kämpfers, 
Troja's  Väter  zu  rächen  -und  Pallas  entweihete  Tempel. 


X,  16,  14.  Argos  und  Agamemnons  Mycene,  d.  h.  ganz  Grie- 
chenland. —  Pallas  entweihete  Tempel.  Ajax,  der  Sohn  des  Oeleus, 
hatte  die  schönste  Tochter  des  Priamus,  die  Weissagerin  im  Tempel  der 

5* 


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(68)  X.  Buch,  16.  Cap.,  §  15—18. 

15.  Hier  vennengt  er,  nach  der  Ansicht  des  Hyginus,  sowohl 
verschiedene  Personen,  wie  Zeiten.  Denn  weder  zu  derselben 
Zeit,  noch  durch  dieselben  Menschen  wurde  mit  den  Achäern 
und  mit  dem  Pyrrhus  [?  Perseus]  Krieg  geführt.  16.  Denn 
Pyrrhus  [?  Perseus],  welchen  er  einen  Enkel  des  Aeacos  nennt, 
kam  mit  seinem  Heere  von  Epirus  nach  Italien  und  kämpfte 
gegen  die  Römer  unter  ihrem  damaligen  Kriegsheerführer 
Manius  Curius  (Dentatus).  17.  Der  archivische,  d.  h.  der 
ächäische  Krieg,  wurde  aber  viele  Jahre  nachher  von  L. 
Mummius  geführt.  18.  Deshalb,  sagt  er,  könne  der  mittelste 
Vers  ausgelassen  werden,  weil  er  in  Betreff  des  Pyrrhus  eine 
unpassende  (und  unzeitige)  Einfügung  sei,  die,  wie  er  sicher 
glaubt,  Vergil  zweifelsohne  selbst  beseitigt  haben  würde  (sc. 
hätte  ihn  eben  vorher  nicht  der  Tod  hinweggerafft). 


Pallas  (oder  Minerva)  entehrt.  —  Der  (ille)  streckt  Argos  in  Staub, 
Aeacos  Enkel.  L.  Aemilius  Paulus  war  der  Ueberwinder  des  raace- 
donischen  Königs  Perseus  im  zweiten  macedonischen  Kriege  (172  —  168). 
Vergl.  NB.  zu  Gell.  VI  (VII),  3,  1.  Unter  dem  Enkel  des  Aeacos  wird 
wahrscheinlich  Perseus  verstanden,  weil  die  macedonischen  Könige  nach 
Alexander  d.  Gr.  (wegen  dessen  Mutter  Olympias,  einer  Königstochter  aus 
Epirus,  wo  Pyrrhus,  des  Achilles  Sohn,  geherrscht  hatte  und  vom  Curius 
Dentatus  bezwungen  worden  war)  ihr  Geschlecht  von  dem  Achilles,  dem 
Enkel  des  Aeacus  und  Sohn  des  Peleus  mit  der  Nereide  Thetis,  her- 
leiteten. Vielleicht  ist  aber  unter  Enkel  des  Aeacus  weder  Pyrrhus,  noch 
Perseus  zu  verstehen,  sondern  ganz  im  Allgemeinen  die  epirensische 
Herrschaft  Paulus  vertilgte  das  macedonische  Reich  und  rächte  so  dem 
Untergang  Troja's. 

X,  16,  17.  Der  Consul  L.  Mummius  zerstörte  (146  v.  Chr.)  Corinth 
(jetzt  Kordos),  die  Hauptstadt  des  achäischen  Bundes,  woher  er  den  Bei- 
namen Achaicus  erhielt,  und  Griechenland  ward  nun  römische  Provinz 
unter  dem  Namen  Achaja.  Agamemnon  hatte  (nach  Strabo  VIII,  7)  durch 
Glück  und  Tapferkeit  sein  angestammtes  Reich  weiter  ausgedehnt  und  mit 
dem  Mycenischen  auch  das  von  Argos  vereinigt  und  brachte  dann  noch 
alles  Land  bis  nach  Corinth  und  Sicyon  und  das  der  Jonier  und  Aegialeer, 
das  spätere  Achaja,  an  sich.  Vergil  vermengt  also  (wie  Hyginus  §  5  be- 
hauptet) Personen  und  Zeiten  durchaus  nicht,  denn  v.  837  vorher  heisst 
es  bei  Vergil :  „Jener  wird,  triumphirend  über  Corinth,  zum  hohen  Capitole 
den  Wagen  lenken,  als  Sieger  durch  erschlagene  Achiver  verherrlicht", 
darunter  versteht  er  offenbar  den  Mummius  Achaicus.  S.  Pausan.  in 
Achaic.  VII,  16.  Vergleiche  über  diese  Stelle  Vergils  die  Ausgabe  von 
Alb.  Forbiger.   Leipzig.  1873. 


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X.  Buch,  17.  Cap.,  §  1—3. 


(69) 


X,  17,  L.     Weshalb  und  wodurch  der  Philosoph  Democrit  sich  seines 
Augenlichts   beraubte;  ferner   Erwähnung  der   darauf  bezüglichen,  sehr 
natürlich  und  allerliebst  verfassten  Verse  des  Laberius  (mit  der  Nutz- 
anwendung auf  einen  Geizigen). 

X,  17.  Cap.  1.  In  den  griechischen  Geschichtsbüchern 
steht  geschrieben,  dass  der  Philosoph  Demokrit  (aus  Abdera), 
ein  vor  allen  Andern  verehrungswürdiger  Mann,  welcher 
(wegen  seiner  Tugend  und  Weisheit)  im  Alterthum  das  höchste 
Ansehn  genoss,  sich  freiwillig  seines  Augenlichts  beraubt  habe> 
weil  er  glaubte,  sein  geistiges  Sinnen  und  Nachdenken  bei 
Betrachtung  (des  Weltenplanes  und)  der  Einrichtungen  in  der 
Natur  (d.  h.  bei  seinen  philosophischen  und  naturwissenschaft- 
lichen Studien)  müsse  reger  und  vollkommener  sein  und 
bleiben,  wenn  er  alle  seine  Gedanken  von  den  (verführe- 
rischen) Verlockungen  durch  den  Anblick  der  Aussenwelt 
(videndi  illecebris)  und  von  jeder  möglichen  Behinderung  und 
Zerstreuung  durch  die  Augen  (oculorum  impedimentis)  befreit 
und  abgeschlossen  haben  würde.  2.  Diese  Thatsache  und 
das  (aussergewöhnliche)  Mittel  selbst,  wodurch  er  auf  eine 
leichte  Art  und  durch  eine  ausgesuchteste  Erfindung  sich 
(freiwillig)  blendete,  hat  der  Dichter  Laberius  (in  seinem 
Monodrama,  d.  h.)  in  dem  von  ihm  unter  dem  Namen  „der 
Seiler  (Restio)"  verfassten  Mimus  zwar  in  höchst  artigen  und 
zierlich  verfassten  Versen  beschrieben,  dabei  aber  noch  eine 
andere  Ursache  dieser  freiwilligen  Blendung  hinzugedichtet 
und  zum  Zweck  seines  damaligen  Vortrags  nicht  ohne  Ge- 
schick verwerthet.  3.  Es  tritt  nämlich  bei  Laberius  in  der 
Rolle  eines  knausrigen  und  knickerigen  Reichen  (Erblassers) 


X,  17,  1.  (Cfr.  Gell.  X,  12,  8.)  Cic.  fin.  5,  29,  87.  Plut.  von  de 
Neugierde.  12. ! ! ! 

X,  17,  2.  Decimus  Laberius  als  Mimendichter  berühmt,  stand 
im  Anfang  bei  Jul.  Caesar  gut  angeschrieben,  verscherzte  Bich  aber,  wahr- 
scheinlich durch  seine  grosse  Freisinnigkeit  und  Spottsucht  die  Gunst 
dieses  Allmächtigen,  weshalb  ihn  dieser  zwang  in  einem  seiner  Mimen 
einmal  selbst  aufzutreten.  Dadurch  ging  Laberius  seiner  bürgerlichen 
Rechte  verlustig.  Darüber  beklagt  sich  Laberius  in  einem  bei  Macrob. 
Sat  U,  7  erhaltenen  aus  27  jambischen  Trimetern  bestehenden  Prologe. 
S.  Gell.  VIII,  15,  L.  NB. 


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(70)  X.  Buch,  17.  Cap.,  §  3.  4.  —  18.  Cap.,  §  1—3. 


ein  Mann  auf,  der  dieses  ganzen  Vorfalls  gedenkt,  und  dabei 
die  übermässige  Verschwendung  (und  Libertinage),  den  lieder- 
lichen Lebenswandel  (seines  Sohnes,  seines  zukünftigen  Erben) 
eines  jungen  Menschen  beweint  und  bejammert.  4.  Die  Verse 
des  Laberius  lauten: 

Demdcritus,  der  abdeVsche  Physiker,  stellte  einst 

Dem  Sonnenaufgang  gegenüber  einen  Schild, 

Zu  blenden  an  des  Erzes  Glanz  die  Augen  sich. 

So  blendete  er  sich  die  Sehkraft  nun  am  Sonnenstrahl, 

Um  nicht  zu  sehn,  dass  bösen  Bürgern  gut  es  geht. 

So  wünsch'  auch  ich,  dass  mich  des  blanken  Geldes  Glanz 

Des  Augenlichts  beraubt  vor  meines  Lebens  End', 

Um  nicht  im  Glück  zu  sehn  den  gottvergess'nen  Sohn. 

X,  18,  L.  Geschichtliche  Erzählung  von  der  Königin  Artemisia  und  von 
dem  (ausgeschriebenen)  Wettkampfe,  der  bei  dem  (berühmten)  Grabmale 
ihres  Gemahls  Mausolus  stattfand  und  an  dem   sich  die  berühmtesten 

Schriftsteller  betheiligt  haben  sollen. 

X,  18.  Cap.  1.  Die  (Königin)  Artemisia  soll  ihren  Ge- 
mahl weit  über  alle  (nur  ersinnlichen)  Liebesschilderungen 
und  mit  unglaublicher  menschlicher  Leidenschaftlichkeit  geliebt 
haben.  2.  Nach  Angabe  des  M.  Tullius  (Cicero)  war  Mauso- 
lus, ein  König  von  Kaden,  (oder)  wie  einige  griechische  Ge- 
schichtsschreiber sagen,  Statthalter  einer  griechischen  Provinz, 
oder  Satrap  (oaTganr^)^  wie  es  auf  Griechisch  heisst.  3.  Als 
dieser  Mausolus  unter  lauten  Wehklagen  und  in  den  Armen 
seiner  Gattin  den  Geist  ausgehaucht  hatte,  und  unter  präch- 
tigem, grossartigem  Leichenbegängnisse  bestattet  worden  war, 
ging  seine  Gemahlin  Artemisia  aus  heftiger  Trauer  über  den 
Verlust  ihres  Gemahles  und  aus  Sehnsucht  nach  ihm  in  ihrer 


X,  17,  4.  Plut.  mor.  Vöries,  nt^l  noXvnQnyfioo,  (über  die  Neugierde) 
cap.  12  p.  521.  Cic.  de  fin.  V,  29;  Hieronym.  contr.  Jovinian.  II,  127; 
August.  Apologet.  48. 

X,  18,  L.  Artemisia  lebte  ohngefähr  364  v.  Chr.  zur  Zeit  des 
Königs  Philipp  von  Macedonien  und  starb  aus  Gram  über  den  Tod  ihres 
Gemahls  zur  Zeit  der  Regierung  Alexanders  d.  Gr. 

X,  18,  1.  S.  Val.  Max.  IV,  6,  extr.  1;  Plin.  36,  4.  Mausolus  wird 
bei  Cic.  Tusc.  III,  31,  75;  Diodor.  16,  86;  Pausan.  8,  16,  4;  Plin.  36,  5.. 
König  zu  Halicarnass  in  Carien  genannt. 

X,  18,  2.  Ueber  Lydien,  Phrygien,  Jonien,  Karien  herrschten  per- 
sische Statthalter  (Satrapen). 


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X.  Buch,  18.  Cap.,  §  3  -  7. 


Leidenschaftlichkeit  so  weit,  dass  sie  die  von  seinen  Gebeinen 
mit  wohlriechenden  Specereien  vermischte,  pulverartig:  ver- 
riebene Asche  ins  Wasser  schüttete  und  mit  trank;  ausserdem 
soll  sie  noch  viele  andere  Beweise  ihrer  ausserordentlich  heftigen 
Liebe  gezeigt  haben.  4.  So  Hess  sie  unter  höchstem  Aufwand 
(von  Kosten  und)  Anstrengungen,  zur  Erhaltung  des  Andenkens 
an  ihren  geliebten  Gatten  bei  der  spätesten  Nachwelt,  jenes 
weltberühmte  Grabmal  errichten,  welches  für  würdig  erachtet 
wurde,  unter  die  sieben  Wunderwerke  der  Welt  gezählt  zu 
werden.  5.  Als  Artemisia  dieses  (Wunder-)  Denkmal  den  hei- 
ligen, gottseligen  Manen  des  Mausolus  weihete,  liess  sie  zur 
Verherrlichung  seines  Lobes  (und  Ruhmes)  einen  Wettstreit 
(griechisch  „agon",  lateinisch  „certamen"  genannt)  anstellen 
und  setzte  dabei  die  ansehnlichsten  Preise  an  Geld  und  an- 
deren Kostbarkeiten  aus.  6.  Zu  diesem  (rhetorischen)  Lob- 
preisungs-Wettstreit sollen  sich  (drei)  an  Vorzügen  des  Geistes 
und  der  Beredtsamkeit  hervorragende  Manner,  wie  Theopompus, 
Theodectes  und  Naucrates  eingefunden  haben;  nach  dem 
Berichte  Einiger  soll  sogar  Isocrates  selbst  mit  den  Genannten 
um  den  Preis  gestritten  haben.  Allein  in  diesem  (geistigen) 
Wettstreit  trug  nach  richterlichem  Ermessen  Theopompus  den 
Sieg  davon,  welcher  ein  Schüler  des  Isocrates  war.  7.  Es  ist 
auch  jetzt  noch  ein  Trauerspiel,  Mausolus  überschrieben,  von 
Theodectes  vorhanden,  worin  er,   wie  Hyginus  in  seiner 

  * 

X,  18,  4.  Septem-spectacula.  Die  sieben  Wunderwerke  der 
alten  Welt  waren :  1)  die  Mauern  und  schwebenden  Gärten  der  Semiramis 
von  Babylon,  2)  der  Tempel  der  Diana  zu  Ephesus,  3)  der  Koloss  von 
Rhodus,  4)  die  Bildsäule  des  olympischen  Jupiter  von  Phidias,  5)  die  Pyra- 
miden, 6)  der  Pharus  oder  Leuchtthurm  zu  Alexandrien  und  7)  das 
Mausoleum. 

X,  18,  6.  Theopompus  aus  Chios,  geb.  um  380  v.  Chr.,  berühmter 
Redner  (Sachwalter)  und  Geschichtsschreiber.  Von  seinem,  die  ganze 
griechische  Geschichte  im  Zeitalter  Philipps  behandelnden  Geschichtswerke 
sind  nur  noch  Bruchstücke  übrig.  Er  war  ein  Schüler  des  Isocrates. 
Theodectes,  ein  Lydier  und  Schüler  des  Isocrates,  Plato  und  Aristoteles, 
lebte  im  vierten  Jahrhundert  v.  Chr.  Als  Gerichtsredner  und  tragischer 
Dichter  berühmt,  starb  er  zu  Athen.  Nur  wenige  Bruchstücke  sind  noch 
von  ihm  vorhanden.  Naucrates  der  Erythraeer,  ein  Schüler  des  Rhetors 
Isocrates,  soll  auch  einen  Commentar  über  den  Homer  geschrieben  haben. 

X,  18,  7.  Ueber  Julius  Hyginus  s.  Gell.  I,  14,  1  NB;  Plutarch,  Leben 
der  zehn  Redner  IV.  unter  Isocrates. 


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(72)  X.  Buch,  18.  Cap.,  §  7.  -  19.  Cap.,  §  1—3. 


Beispielsammlung  berichtet,  mehr  Beifall  gefunden  hat,  als 
bei  seinen,  in  ungebundener  Rede  abgefassten  Schriften. 

X,  19,  L.  Dass  ein  (von  uns)  begangener  Fehler  sich  nicht  rechtfertigen 
und  entschuldigen  lasse  durch  Berufung  auf  ähnliche  Fehler,  welche  auch 
noch  Andere  sich  haben  zu  Schulden  kommen  lassen ;  dann  noch  Fr- 
wähnung  einer  darauf  bezüglichen  Stelle  aus  einer  Rede  des  Demosthenes. 

X,  19.  Cap.  1.  Der  Philosoph  Taurus  liess  einen  jungen 
Mann  mit  ernstem  und  heftigem  Verweise  hart  an,  wegen 
des  üebertritts  von  den  Rhetoren  und  von  dem  Studium  der 
Beredtsamkeit  zu  den  Lehren  der  Philosophie,  weil  dies,  wie 
er  sich  ausdrückte,  unstreitig  von  dem  jungen  Manne  eine 
unehrenvolle  und  verwerfliche  Handlungsweise  verrathe.  Jener 
leugnete  durchaus  nicht,  dies  gethan  zu  haben,  suchte  sich 
aber  damit  zu  entschuldigen,  dass  dies  ja  oft  geschehe,  und 
glaubte  das  Schimpfliche  dieses  (unüberlegten)  Vergehens 
durch  Berufung  auf  das  Beispiel  Anderer  und  auf  die  ein- 
gerissene Gewohnheit  (von  sich)  abwehren  zu  können.  2. 
Allein  durch  die  (übel  gewählte)  Art  dieser  Rechtfertigung 
wurde  Taurus  nun  gerade  erst  recht  aufgebracht  und  sagte: 
„Wenn  Dich,  Du  dummer,  einfältiger  Mensch,  das  hohe  An- 
sehen und  die  edlen  Grundsätze  der  Philosophie  nicht  von 
der  Nachahmung  dergleichen  schlechter  Beispiele  abziehen 
konnten,  so  hätte  Dir  doch  wenigstens  gleich  ein  Gedanke 
(von  jenem  Stern  derjenigen  Schule,  welcher  Du  jetzt  davon 
gelaufen  bist)  von  unserm  grossen  Demosthenes  einfallen 
müssen,  ein  Gedanke,  der  eigentlich  um  so  mehr  mit  Deiner 
Erinnerung  verwachsen  sein  müsste,  weil  er  durch  einen  an- 
muthigen  und  bezaubernden  Redewohlklang  (präcisirt)  .  ab- 
gerundet ist  und  gleichsam  dasteht,  wie  ein  (allbekanntes, 
altes)  Rhetoren  -  Liedlein  (cantilena  rhetorica,  und  eigentlich 
von  Deiner  früheren  Beschäftigung  her  Dir  noch  frisch  im 
Gedächtniss  sein  müsste).  3.  Denn,  fuhr  er  fort,  wenn  ich 
mich  nicht  irre,  (was  leicht  möglich  ist)  weil  ich  die  be- 
treffende Stelle  des  Demosthenes   (in  seiner  Rede  gegen 


X,  19,  1.  Taurus,  der  selbst  ein  Philosoph  war,  tadelt  hier  nicht 
das  Studium  der  Philosophie,  sondern  das  übereilte  Wechseln  der  Rhetorik 
mit  der  Philosophie,  oder  vielleicht  auch  nur  mit  der  Sophisterei. 

V 


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X.  Buch,  19.  Cap.,  §  3.  4.  —  20.  Cap.,  §  1.  2.  (73) 


Androtion)  in  meiner  frühesten  Jugend  las,  so  enthält  der 
Wortlaut  derselben  eine  Zurechtweisung  gegen  einen  (Men- 
schen), der,  gerade  wie  Du  es  jetzt  machst,  darauf  ausging, 
seinen  Fehler  durch  fremde  Fehler  zu  entschuldigen  und  zu 
rechtfertigen.  (Die  Stelle  lautet :)  „Sage  Du  aber  nicht  (etwa 
zu  Beiner  Entschuldigung),  dass  dies  oft  geschehen  sei,  son- 
dern (beweise),  dass  dieser  Vorgang  in  der  Ordnung  ist. 
Denn  wenn  ja  schon  einmal  Etwas  nicht  dem  Gesetz  gemäss 
gethan  wurde,  Du  aber  dies  nachgeahmt  hast,  so  darfst  Du 
von  Rechtswegen  deshalb  durchaus  noch  nicht  freigesprochen 
werden,  sondern  wirst  umsomehr  erst  recht  gestraft  werden 
müssen.  Denn  so  wie  Du  diesen  Vorschlag  sicher  nicht  ge- 
than haben  würdest,  wenn  (schon  einmal  vorher)  Einer  wäre 
(ertappt  und)  verurtheilt  worden,  so  wird  auch  kein  Anderer 
(wieder  wagen)  einen  solchen  Vorschlag  (zu)  machen,  wenn 
Du  jetzt  (dafür)  Strafe  leiden  musst."  4.  So  benutzte  Taurus 
jede  Gelegenheit  zu  Rath  und  Vermahnungen  und  führte 
seine  Schüler  und  Anhänger  hin  zu  den  Grundsätzen  eines 
tugendhaften  und  untadeligen  Lebenswandels. 

X,  20,  L.  Was  man  unter  dem  Worte  „lex"  verstehe,  was  unter  „plebis- 
scitnm"  was  unter  „Privilegium"  und  in  wie  weit  sich  alle  diese  Audrücke 

von  einander  unterscheiden. 

X,  20.  Cap.  1.  Ich  höre  oft  die  Frage  aufwerfen,  was  man 
unter  „lex"  zu  verstehen  habe,  was  unter  „plebisscitum",  was 
unter  „rogatio",  was  unter  „Privilegium".  2.  AtejusCapito, 
der  vorzüglichste  Kenner  des  (öffentlichen)  Staatsrechts  und 


X,  20,  1.   S.  Fest.  S.  266  \ 

X,  20,  2.  Lange  röm.  Alterth.  §  128,  S.  (512)  556  bezeichnet  die 
Definition  des  Atejus  Capito  von  der  lex  durch  das  Attribut  generale 
(jussum  populi  aut  plebis)  als  zu  eng  gefasst  und  definirt  den  Begriff  der 
lex  negativ  dahin,  dass  lex  jeder  jussus  populi  sei,  der  nicht  in  einer 
Wahl  und  nicht  in  einem  Urtheile  besteht.  Er  findet  jedoch  auch  diese 
Definition  nur  annähernd  und  ebenfalls  noch  zu  eng,  weil  ja  in  den  früheren 
Zeiten  der  Republik  nicht  nur  die  creatio  (vergl.  Gell.  XII,  8,  6  NB; 
XITJ,  15,  4),  sondern  auch  das  Judicium  als  ein  gesetzbegründender  jussus 
populi  aufgefa8St  wurde. 

X,  20,  2.  Ueber  Atejus  Capito  s.  Gell.  1, 12,  8  NB  und  Teuffels  röm. 
Lit.  Gesch.  260,  3. 


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(74)  X.  Buch,  20.  Cap.,  §  2—4. 

des  bürgerlichen  Rechts,  giebt  folgende  wörtliche  Begriffs- 
erklärung,  was  unter  „lex"  verstanden  wurde.  Er  sagt :  „Das 
Wort  „lex"  bedeutet  jede  allgemeine  Verordnung  des  Volkes 
und  der  Gemeinen  (d.  h.  des  gesammten  römischen  Volkes 
höheren  und  niederen  Ranges)  auf  den  Vortrag  (und  Vor- 
schlag) einer  obrigkeitlichen  Person."  3.  Wenn  diese  Er- 
klärung (des  Begriffes  lex)  genau,  erschöpfend  ausgedrückt 
ist,  so  können  weder  die  Bestimmung  über  den  Oberbefehl 
des  Cn.  Pompejus,  noch  die  Verordnung  über  die  Zurück- 
berufung des  M.  Cicero,  noch  die  Untersuchung  über  die 
Ermordung  des  P.  Clodius,  noch  alle  andern  derartigen  Ver- 
ordnungen des  Volkes  und  der  Gemeine  (populi  plebisque 
jussa)  mit  dem  Namen  leges  (Gesetze,  Ermächtigungen)  be- 
zeichnet werden.  4.  Denn  es  sind  dies  durchaus  keine  ganz 
allgemeinen  Gesetze,  noch  das  gesammte  römische  Bürgerthum 
betreffende,  sondern  nur  für  einzelne  Individuen  abgefasste, 
weshalb  sie  eigentlich  vielmehr  privilegia  (d.  h.  Einzelbe- 
stimmungen, individuelle  Ausnahmeverordnungen)  genannt 
werden  müssen,  weil  die  Alten  „priva"  im  Sinne  unserer 
jetzigen  Bezeichnung  von  „singula"  gebrauchten.  So  hat  sich 
z.  B.  Lucilius  im  1.  Buche  seiner  „vermischten  Gedicht- 
sammlung (Saturae)"  dieses  Wortes  (priva  in  der  Bedeutung 
von  singula)  bedient: 

Abdomina  thynni 
Ad  venientibus  priva  dabo  cephalaeaque  acarnae,  d.  h. 

Vom  Thunfische  für  jeden  der  kommenden  (Gäste)  besonders 
Will  ich  zutheilen  ein  Bauchstück,  von  der  Acharne  ein  Kopfstück. 


X,  20,  3.  Cfr.  Liv.  25,  12  die  archaistische  Formel  populo  plebique 
Romanae  vergl.  Fest,  unter  scitum  populi.  Mit  der  Verfassung  des  Servius 
Tullius  änderte  sich  der  staatsrechtliche  Sinn  des  Wortes  populus,  zwei 
verschiedene  Bestandtheile  umfassend,  den  Stand  der  Patricier  und  die 
Plebs.   S.  Lange  röm.  Alterth.  §  44  p.  (201)  233. 

X,  20,  4.  privilegia  hcissen  in  der  ältesten  Sprache  individuelle 
Ausnahmen.  Heut  zu  Tage  nennen  wir  privilegia  die  durch  die  höchste 
Staatsgewalt  bestimmten  individuellen  Ausnahmen  von  der  Anwendung  der 
Rechtsregeln.    S.  Savigny  röm.  Rt.  Bd.  I,  cap.  2,  §  16. 

X,  20,  4.  abdomina  priva,  d.  h  für  jeden  ein  besonderes  Bauchstück. 
S.  Paul.  S.  226. 


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X.  Buch,  20.  Cap.,  §5  —  7 


(75) 


5.  Bei  dieser  seiner  Erklärung  hat  Capito  zur  Bezeichnung  des 
römischen  Volkes  sich  zweier  Ausdrücke  bedient,  des  Wortes 
„plebs"  und  des  Wortes  „populus"  und  hat  sie  besonders 
von  einander  getrennt,  weil  im  Worte  „populus"  der  Gesammt- 
theil  des  Staatsbürgerthums  und  alle  seine  (drei)  Stände  (d.  h. 
der  Rathsherren",  der  Ritter  und  des  Volkes  einbegriffen 
waren,  das  Wort  „plebes"  (=  plebs,  die  Gemeine)  aber  die 
sogenannte  Bezeichnung  ist  (für  die  niedere  Volksklasse)  mit 
Ausschuss  der  patricischen  Bürger-Familien  (und  der  Sena- 
toren). 6.  Ein  „plebisscitum"  ist  also,  nach  der  Angabe  des 
Capito,  eine  gesetzliche  Verordnung  (lex),  welche  die  Gemeine 
(plebes),  nicht  das  (gesammte)  Volk  (abgefasst  und)  annimmt 
(also  gleichsam  eine  Gemeinebeliebung).  7.  Allein  es  gilt  der 
Ausdruck  „rogatio"  (Vortrag,  Vorschlag)  für  den  eigentlichen 
Oberbegriff  (caput)  und  Ausgangspunkt  (origo)  und  haupt- 
sächlichen Ausdruck  (quasi  frons)  dieses  (in  allen  den  Be- 
griffen: lex,  plebisscitum,  Privilegium  enthaltenen)  gesammten 
Rechtsvorganges  (totius  hujus  rei  jurisque),  wenn  die  Sache 


X,  20,  5.  Zwischen  populus  und  plebs  war  ein  grosser  Unterschied. 
Alle  drei  römischen  Stände  zusammengenommen  (Senatoren,  Ritter  und 
gemeine  Bürger  oder  Plebejer)  machten  den  populus  Romanus,  das  römi- 
sche Volk  aus.  Bei  öffentlichen  Verhandlungen,  besonders  mit  Auswärtigen, 
war  die  Formel  Senatus  populusque  Romanus  gebräuchlicher  als  Populus 
Romanus.  Die  sämmtlichen  Bürger  hingegen,  mit  Ausschluss  der  Senatoren 
und  Patiicier,  hiessen  plebes  (=  plebs),  daher  auch  ihre  gesetzmässigen, 
bevollmächtigten  Stellvertreter  tribuni  plebis  nicht  tr.  populi  hiessen; 
daher  sollten  eigentlich  tribuni  plebis  nicht  V  o  1  k  s  -  Zunftmeister,  sondern 
Zunftmeister  der  Gemeine  heissen;  cfr.  Gell.  11,  14,  6  NB.  Lange  röm. 
Alterthümer.  §  40  p.  (109)  196:  „Da  die  Erweiterung  einer  plebejischen 
Familie  für  sich  nicht  zu  dem  Begriffe  einer  gens  patricia  im  staatsrecht- 
lichen Sinne  des  Wortes  führte,  so  erklärt  es  sich,  dass  den  Plebejern 
gentes  überhaupt  abgesprochen  werden,  während  natürlich  thatsächlich 
plebejische  Agnatenkreise  sich  so  gut  wie  patricische  —  sich  (bis  in  nebel- 
graue Fernen)  erweitern  konnten  etc."    S.  Gell.  XVII,  15,  4  NB. 

X,  20,  7.  In  den  ältesten  Zeiten  wurde  mündlich  abgestimmt,  welches 
schon  die  Ausdrücke  rogare,  rogator  beweisen.  Keine  Sache  von  Wichtig- 
keit wurde  ohne  die  rogatio  (Anfrage)  verhandelt.  So  wurden  die  Gesetze 
eingeführt.  Der  Magistrat  fragte  (rogabat)  und  das  Volk  antwortete:  uti 
rogas  sc.  volumus  (d.  h.  dein  Vorschlag  gelte,  oder:  ich  billige  das  vor- 
geschlagene Gesetz).  Wie  dieses  mündliche  Abstimmen  vor  sich  ging,  ist 
unbekannt,  wahrscheinlich  aber  dadurch,  dass  die  Rogatores  die  einzelne 
Stimme  auf  einer  tabula  aufzeichneten. 


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(76)  X.  Buch,  20.  Cap.,  §  7  — 10.  — 21.  Cap.,  §  1. 

entweder  das  gesammte  Volk,  oder  (auch  nur)  die  Gemeine 
(d.  h.  den  Stand  der  Plebejer)  anging,  oder  wenn  es  eine 
allgemeine  Sache  der  Republik  betraf  (quod  ad  universos 
pertinet).  8.  Denn  alle  diese  (genannten)  Ausdrücke  (für 
gesetzliche  Bestimmungen)  werden  mit  dem  ursprünglich  allge- 
meinen Begriff  der  „rogatio"  (eines  Vortrags,  Vorschlags  durch 
Umfrage)  bezeichnet  und  sind  daher  auch  wesentlich  in  diesem 
Ausdruck  enthalten.  Denn  ohne  dass  (vorher)  ein  Vorschlag 
an  das  (gesammte)  Volk,  oder  (nur)  an  die  Gemeine  (den 
untersten  Volksstand)  geschieht,  kann  auch  keine  Verordnung 
der  Gemeine  oder  des  Volks  (plebis  aut  populi  jussum)  zu 
Stande  kommen.  9.  Allein  obgleich"  diese  Annahme  (des 
Capito)  ihre  Richtigkeit  hat,  finde  ich  (auffälliger  Weise)  in 
den  alten  Schriften  doch  keinen  grossen  (strengen)  Unterschied 
(in  der  Wahl  und  Anwendung)  dieser  Ausdrücke  beobachtet. 
Denn  sowohl  „plebisscita",  als  auch  „privilegia"  hat  man  in  der 
uneigentlichen  Bedeutung  für  den  Ausdruck  „legis  (Gesetze, 
Ermächtigungen)"  genommen  und  hat  (hinwiederum)  alle  diese 
Ausdrücke,  durch  Vermengung  und  Unklarheit  im  Begriff, 
auch  „rogationes  (Vorschläge)"  genannt.  10.  Auch  Sallust, 
der  doch  sonst  am  meisten  festhielt  an  der  eigentlichen  und 
ursprünglichen  Bedeutung  der  Wörter,  gab  dem  gewöhnlichen 
Sprachgebrauch  nach  und  benannte  ein  eigentliches  „Privi- 
legium", d.  h.  die  besondere  (Ausnahme-)  Verordnung,  welche 
über  die  Zurückberufung  des  C.  Pompejus  beantragt  wurde, 
(mit  dem  allgemeinen  Begriff  „ein  Gesetz":)  „legem".  Die 
betreffende  Stelle  findet  sich  im  2.  Buche  seiner  Geschichte 
und  lautet:  „Verabredeter  Massen  hatte  der  Volkszunftmeister 
C.  Herennius  ausdrücklich  verhindert,  dass  der  Consul  Sulla 
das  (Ausnahme-)  Gesetz  (legem)  wegen  des  Pompejus  Zurück- 
berufung  durchsetzte." 

X,  21,  L.    Weshalb  M.  Cicero  im  Allgemeinen  die  Ausdrücke :  „novissinie" 
und  „novissimus"  geflissentlichst  vermieden  hat. 

X,  21.  Cap.  1.  Es  ist  augenscheinlich,  dass  M.  Cicero 
einige  Ausdrücke,  die  jetzt  allgemein  im  Gebrauch  sind  und 


X,  20,  10.  Vergl.  über  dies  „Privilegium"  Lange  röm.  Alterth.  IL  Bd. 
§  133  S.  (590)  649  und  III.  Bd.  §  157  S.  362  u.  363. 


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• 


X.  Buch,  21.  Cap.,  §  1.  2.  —  22.  Cap.,  §  1.  (77) 

waren,  nicht  habe  brauchen  wollen,  weil  sie  (überhaupt)  nicht 
seinen  Beifall  fanden,  wie  z.  B.  sowohl  „novissimus"  (der  neuste 
letzte),  als  auch  „novissime"  (neulichst,  letzthin,  jüngst).  2. 
Denn  da  sowohl  M.  Cato,  als  Sallust  und  auch  noch  andere 
(gute)  Schriftsteller  desselben  Zeitalters  gemeinschaftlich  sich 
dieses  Ausdrucks'  bedient  haben,  desgleichen  noch  viele  sehr 
gelehrte  Männef  in  ihren  Schriften  diese  (Superlativ-)  Form 
schriftlich  verwertheten ,  scheint  sich  Cicero  doch  dieser,  als 
einer  gleichsam  nicht  (gut)  lateinischen  Form  enthalten  zu 
haben,  einzig  nur  deshalb,  weil  auch  L.  Aelius  Stilo,  der  ge- 
lehrteste Mann  seiner  Zeit,  diese  (Superlativ-)  Form  als  (zu) 
modern  und  nicht  zu  Recht  beständig  vermieden  hatte.  Des- 
halb halte  ich  es  für  zweckentsprechend  auch  gleich  auf  das 
TJrtheil  des  M.  Varro  über  diesen  Ausdruck  mit  Varros 
eigenen  Worten  aus  dem  6.  Buche  seines  an  Cicero  ge- 
richteten Werkes  über  die  lateinische  Sprache  hinzuweisen, 
wo  es  heisst:  „Was  man  (sonst  gewöhnlich)  unter  dem  Begriff 
„extremus  (der  letzte)"  verstand,  fängt  man  jetzt  gewöhnlich 
an  mit  „novissimus"  auszudrücken,  welche  Form  zu  meiner 
Zeit  nicht  nur  Aelius,  als  auch  einige  andere  alte  Schriftsteller 
als  allzumodern  vermieden;  denn  gerade  so  wie  man  von 
„vetus"  die  Formen  (des  Comparativs  und  Superlativs)  vetustius 
und  veterrimum  bildet,  so  ist  von  novum  (der  Comparativ) 
novius  und  (der  Superlativ)  novissimum  abgeleitet  worden." 

X.  22,  L.    Auszug  einer  Stelle  aus  Piatos  Dialog,  „Gorgias"  überschrieben, 
über  Vorwürfe ,   die  nur  auf  die  Schein-Philosophie  "Bezug  haben ,  womit 
aber  unüberlegt  gleich  auf  alle  Philosophen  nur  Solche  losziehen,  welche 
die  Vortheile  der  wahren  Philosophie  leugnen  (oder  verkennen). 

X,  22.  Cap.  1.  Plato,  der  grösste  Freund  der  Wahrheit 
und  ein  Mann,  der  stets  sein  höchstes  Vergnügen  daran  findet, 
diese  (Tugend)  allen  seinen  Mitmenschen  zu  Gemüthe  zu 
führen,  lässt  aus  einem  zwar  nicht  ganz  sachverständigen 
und  nicht  ganz  unbefangenen  Munde,  aber  (im  Grunde  ge-. 
nommen)  doch  durch  ein  wahres  und  aufrichtiges  Bekenntniss 
Alles  das  sagen,  was  überhaupt  gesagt  werden  kann  gegen 


X,  21,  2.  L.  Aelius  Stilo  Praeconius  (s.  Gell.  I,  18,  L.  NB)  war  des 
M.  Varro  Lehrer. 


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(78) 


X.  Buch,  22.  Cap.,  §  1  -  6. 


solche  Müssiggänger  und  Lungerer,  die  unter  dem  Vorwand 
(und)  der  Finna  der  Philosophie  ein  unnützes  Faulenzerdasein 
und  den  Dunst  in  Worten  und  Werken  als  Ziel  verfolgen. 
2.  Denn  obgleich  Callicles,  dem  Plato  die  Gedanken  darüber 
in  den  Mund  legt  und  dem  das  wahre  Wesen  der  Philosophie 
nicht  so  ganz  klar  geworden  ist,  den  Philosophen  (im  All- 
gemeinen) viel  ungeziemende  und  unverdiente  Vorwürfe  macht, 
so  muss  man  sich  doch  genau  merken,  was  von  ihm  gesagt 
wird,  damit  wir  uns  im  Herzen  erinnert  fühlen,  dass  wir 
nicht  auch  selbst  (einmal)  dergleichen  (gerechten  Tadel)  ver- 
dienen, oder  aus  träger  und  eitler  Faulenzerei  die  Be- 
schäftigung mit  der  Philosophie  und  die  Neigung  zu  ihr  (nur) 
als  Ausflucht  gebrauchen.  3.  Die  betreffende  Stelle  aus  dem 
Gespräche  des  Plato,  Gorgias  überschrieben,  bezüglich  der 
Auslassung  (von  Seiten  des  Callicles)  hebe  ich  hier  aus  und 
lasse  sie  gleich  im  griechischen  Originalwortlaut  folgen,  weil 
eine  Uebersetzung  derselben  nicht  in  meiner  Absicht  liegen 
konnte,  da  sich  die  Eigentümlichkeiten  (des  Griechischen) 
im  Lateinischen  keineswegs  würden  annähernd  (treffend)  aus- 
drücken lassen  können,  am  allerwenigsten  aber  durch  eine 
Uebertragung  von  mir.  Die  Stelle  lautet  (Plat.  Gorg.  484,  C. 
cap.  40):  4.  „Die  Philosophie,  mein  lieber  Socrates,  ist  freilich 
etwas  Hübsches,  wenn  Jemand  im  Jugendalter  sich  einiger- 
massen  mit  ihr  befasst;  wenn  man  aber  (gar  zu  lange  und) 
über  die  Gebühr  sich  bei  ihr  aufhält,  dann  wird  sie  (mehr) 
zum  Schaden  (als  zum  Nutzen)  der  Menschen  beitragen.  5. 
Denn  wenn  Einer  auch  mit  guten  Naturanlagen  ausgerüstet 
ist  und  sich  dabei  noch  über  das  Jugendalter  hinaus  mit 
Philosophie  beschäftigt,  (D)  so  wird  er  nothwendig  in  alledem 
unerfahren  bleiben,  was  (ausserdem  doch)  Jeder  wissen  (soll 
und)  muss,  der  ein  braver,  rechtschaffener  und  angesehener 
Mann  werden  will.  6.  Leute  solchen  Schlages  werden  un- 
bekannt bleiben,  sowohl  mit  den  Gesetzen  im  Staate,  als 
auch  mit  der  Rede  (-Fertigkeit,  zwei  Dinge),  über  die  man 
im  Verkehr  mit  Menschen  bei  öffentlichen,  so  wie  Privat- 
vorträgen (jederzeit)  muss  verfügen  können;  ferner  werden 
solche  keinen  Einblick  thun  in  die  menschlichen  Gelüste  und 


X,  22,  5.    Cfr.  Geil.  V,  15,  9  u.  V,  16,  5. 


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X.  Buch,  22.  Cap.,  §  6-16. 


(79) 


Leidenschaften  und  weiden  überhaupt  ein  für  allemal  mit 
den  Sitten  des  Lebens  in  Widerspruch  gerathen.  7.  Wenn  sie 
dann  an  ein  öffentliches,  oder  Privatgeschäft  gehen,  machen 
sie  sich  lächerlich,  (E)  wie  ja  auch  die  Staatsmänner,  mein' 
ich,  sich  lächerlich  machen,  wenn  sie  sich  mit  euren  Uebungen 
und  Untersuchungen  abgeben.  (8.  Denn  hier  trifft  die  Rede 
des  Enripides  ein:  Es  glänzt  ein  Jeder  wohl  darin  — 

und  strebt  vorzüglich  darauf  zu, 
Verwendend  eines  jeden  Tages  grössten  Theil, 
Dass  er  wo  möglich  selbst  sich  selber  übertrifft. 

9.  (485)  Worin  aber  einer  sich  schwach  fühlt,  das  flieht  er 
und  schmäht  es,  hingegen  jenes  Andere  lobt  er  aus  Liebe 
gegen  sich  selbst,  weil  er  glaubt,  sich  selbst  auf  diese  Art 
zu  loben.")  10.  Kurz  nachher  fügt  Plato  hinzu:  „Meiner 
Meinung  zu  Folge  ist  es  demnach  am  besten,  sich  mit  Beidem 
zu  befassen.  Denn  (nur)  mit  der  Philosophie  sich  zu  be- 
schäftigen ist  zwar  schön,  insoweit  es  die  Bilduug  erheischt, 
und  Philosophie  zu  treiben,  macht  einem  jungen  Menschen 
(durchaus)  keine  Schande.  Wenn  aber  ein  älterer  Mann  noch 
philosophirt,  dann,  mein  lieber  Socrates,  wird  (mir)  die  Sache 
(doch  etwas)  lächerlich,  11.  (B)  und  ich  empfinde  dasselbe 
bei  Philosophen,  was  ich  (so  etwa)  bei  Leuten  empfinde,  die 
stammeln  und  kindische  Spielereien  treiben.  12.  Wenn  ich 
(z.  B.)  sehe,  dass  ein  Kind,  dem  es  (als  solchem)  gut  ansteht 
so  zu  sprechen,  stammelt  und  kindisch  spielt,  so  freut  mich 
das  und  erscheint  mir  das  hübsch  anständig  (ungezwungen) 
und  dem  Kindesalter  ganz  angemessen;  13.  höre  ich  dagegen 
ein  solches  Knäblein  (schon  so)  altklug  sprechen,  so  macht 
dies  auf  mich  einen  widrigen  Eindruck  und  beleidigt  mein 
Ohr  und  erscheint  mir  gezwungen;  14.  (C)  wenn  man  aber 
einen  Mann  (gar  noch)  stammeln  hört,  oder  gar  noch  Kinder- 
spiele treiben  sieht,  so  erscheint  mir  dies  lächerlich  und  un- 
männlich und  prügelwerth.  15.  Gerade  ein  gleiches  Gefühl 
beschleicht  mich  auch  bei  Denen,  die  philosophiren.  16.  Be- 
merke ich  bei  einem  jungen  Menschen,  dass  er  Philosophie 
treibt,  60  schätze  ich  das  und  glaube,  dass  ihn  das  wohl  an- 
steht und  halte  denselben  für  einen  anständigen  Menschen 


X,  22,  §§  8  u.  9  u.  19  —  23  fallen  bei  Hertz  aus. 


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(80) 


X.  Buch,  22.  Cap.,  §  16—22. 


von  edlem  Herkommen ;  dagegen  einen  jungen  Menschen,  der 
sich  nichts  aus  der  Philosophie  macht,  für  einen  Menschen 
von  schlechtem  Herkommen  und  für  einen  solchen,  der  sich 
keiner  schönen  und  edlen  Sache  für  würdig  erachtet.  17.  (D) 
Wenn  ich  aber  Einen,  der  schon  bei  Jahren  ist,  noch  immer- 
fort sich  mit  Philosophie  beschäftigen  und  ihn  gar  nicht  damit 
zu  einem  Ende  kommen  sehe,  so  scheint  mir  solch  ein  Mensch, 
lieber  Socrates,  nur  noch  Schläge  zu  verdienen.  18.  Denn, 
wie  gesagt,  bei  einem  solchen  Menschen,  wenn  er  auch  mit 
guten  Naturanlagen  versehen  ist,  tritt  doch  der  Umstand  ein, 
dass  er  unmännlich,  schüchtern  wird,  das  Innere  der  Stadt 
und  den  Markt  (d.  h.  öffentliche  Gesellschaften  und  die  Ge- 
richtsörter)  flieht,  wo,  nach  dem  Ausspruch  des  Dichters 
(Homer  II.  IX,  441)  Männer  sich  glänzend  hervorthun  können, 
und  (es  wird  sich  herausstellen)  dass  er  den  Rest  seines 
Lebens  mit  seinen  drei  oder  vier  schülerhaften  Bürschchen  sich 
in  einen  Winkel  verkriecht  und  ihnen  da  was  vorflüstert,  (E) 
nimmer  aber  etwas  Edles  und  Grosses  und  Tüchtiges  wird 
(von  sich)  hören  lassen.  (19.  [Cap.  41.]  Ich  nun  aber,  lieber 
Socrates,  bin  Dir  so  recht  von  Herzen  gewogen;  20.  daher 
geht  es  mir  mit  Dir  gerade  so,  wie  dem  Z  et  hos  mit  dem 
Amphion  beim  Euripides,  dessen  ich  eben  gedacht  habe; 
21.  denn  auch  mir  kommt  es  an,  jetzt  eben  dieselbe  Sprache 
gegen  Dich  zu  führen,  die  jener  gegen  seinen  Binder  führte 
[und  Dir  gerade  heraus  zu  erklären],  dass  Du,  lieber  Socrates, 
Dich  [durchaus]  nicht  um  das  kümmerst,  um  was  Du  Dich 
[doch  eigntlich]  kümmern  solltest,  und  der  Seele  edelste  Natur 
mit  kindischem  Putz  verzierst  [486.  A]  und  schwerlich  wohl 
in  des  Gerichts  Berathungen  je  sprechen  wirst,  so  wie  es 
recht  ist,  noch  je  erfassen,  was  da  billig  und  wahrscheinlich 
ist,  noch  auch  für  Andere  einen  kräftigen  Entschluss  fassen. 
Und  doch,  mein  lieber  Socrates  —  zürne  mir  nicht  etwa, 
denn  was  ich  jetzt  sagen  werde,  ist  ja  wohlgemeint,  —  22. 
scheint  es  Dir  nicht  schimpflich,  dass  es  mit  Dir  so  steht,  wie 
es  nach  meiner  Meinung  mit  Dir  und  den  Andern  steht,  die 
sich  so  tief  mit  der  Philosophie  einlassen?    Denn  wenn 


X,  22,  20.  Zethus,  ein  Sohn  des  Jupiter  und  der  Antiope,  baute 
mit  seinem  Bruder  Amphion  die  Stadt  Thehen. 


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X.  Buch,  22.  Cap.,  §  22  —  24. 


(81) 


Jemand  Dich  oder  einen  Andern  Deinesgleichen  ergriffe  und 
in  das  Gefängniss  abführte  unter  dem  Vorgeben,  dass  Du 
Unrecht  gethan  hättest,  [B]  obgleich  Du  es  nicht  gethan,  so 
würdest  Du,  weisst  Du,  nicht  wissen,  was  Du  mit  Dir  an- 
fangen solltest,  sondern  es  würde  Dir  sch windlich  werden  und 
Du  würdest  den  Mund  aufsperren,  ohne  zu  wissen,  was  Du 
sagen  solltest  und,  nachdem  Du  vor  Gericht  getreten  wärest, 
wenn  Du  auch  nur  einem  ganz  schlechten  und  jämmerlichen 
Ankläger  gegenüber  ständest,  würdest  Du  doch  sterben  müssen, 
falls  er  auf  Deinen  Tod  den  Antrag  stellen  wollte.    Und  doch 
wie  ist  das  weise,  lieber  Socrates,  wenn  eine  Kunst  den  wohl- 
begabten Mann  ergreifend  schlechter  macht,  so  dass  er  weder 
sich  selbst  helfen,  noch  aus  den  grössten  Gefahren  sich  oder 
einen  Andern  retten  kann,  sondern  sich  von  seinen  Feinden 
das  Vermögen  rauben  lassen  [C]  und  ganz  ungeehrt  im  Staate 
leben  muss.    Einen  solchen  kann  man,  derb  herausgesagt, 
ins  Gesicht  schlagen,  ohne  bestraft  zu  werden.   23.  Wohlan 
denn,  mein  Guter,  folge  mir,  lass'  ab  von  den  [philosophischen] 
Untersuchungen  und  übe  schöner  Thaten  Musenkunst;  und 
treibe  das,  wodurch  Du  weise  scheinen  wirst,  und  Andern 
lass'  das  Prunkende,  —  soll  ich  sagen  Possenspiel  oder  Ge- 
schwätz —  das  Dich  in  einem  öden  Hause  wohnen  lässt,  [D] 
indem  Du  nicht  den  Männern  nachstrebst,  welche  die  Kleinig- 
keiten untersuchen,  sondern  solchen  [Herunilungerern],  welche 
Reichthum  und  Ehre  und  viele  andere  Güter  besitzen.")  24. 
Diese  Gedankenentwickelung  lässt  Plato,  wie  schon  gesagt, 
ganz  ruhig  erörtern  durch  den  Mund  eines  zwar  nicht  so 
ganz  sachverständigen  Mannes,  aber  (eines  Mannes)  mit  rich- 
tigem Gefühl   und   mit  der  (ehrlichen)  Ueberzeugung  von 
seinem  (natürlichen)  schlichten  Menschenverstand  und  mit 
einer  gewissen  lautern,  unverhehlten  Wahrheit.    Dabei  ist, 
wie  sich  von  selbst  versteht,  nicht  die  Rede  von  der  wahren, 
ächten  Philosophie,  die  für  die  Lehrmeisterin  aller  Tugend- 
haftigkeit gilt,  und  die  sich  hervorthut  in  ihrer  Pflichterfüllung 
gegen  den  Staat  zugleich  und  gegen  (alle)  Mitmenschen  und 
die  dem  Staate  und  dem  Gemeinwesen,  wenn  sonst  kein 
Hinderniss  eintritt,  mit  aller  Standhaftigkeit,  Muth  und  Ein- 
sicht vorsteht :  es  handelt  sich  also  hier,  ich  wiederhole  es  noch 
einmal,  nicht  um  die  wahre  Philosophie,  sondern  nur  um  ein 

Gell  in  8,  Attische  Nächte.  II.  6 


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(82)  X.  Buch,  22.  Cap.,  §  24.  —  23.  Cap.,  §  1.  2. 


unnützes  und  kindisches  Ersinnen  von  Spitzfindigkeiten,  (um 
jene  brodlose  Kunst)  die  nicht  im  Geringsten  zur  Erhaltung 
und  Ordnung  im  Leben  förderlich  ist,  worin  die  Art  von 
Menschen  grau  werden,  die  mit  nichts  Besserem  ihre  Zeit 
auszufüllen  wissen,  und  die  der  gemeine  Haufe  gerade  so  für 
Philosophen  hält,  wie  sie  hier  (bei  Plato)  der  Callicles  dafür 
hielt,  aus  dessen  Munde  obiges  Urtheil  floss. 

X,  23,  L.  Eine  Stelle  aus  einer  Rede  des  M.  Cato  über  die  Lebensweise 
nnd  Sitten  der  Frauen  im  alten  Rom  und  beiläufige  Bemerkung,  dass 
einem  Ehemann  das  Recht  zustand ,  sein  im  Ehebruch  ertapptes  Weib 

(auf*  der  Stelle)  zu  tödten. 

X,  23.  Cap.  1.  Die  Schriftsteller,  welche  uns  Mit- 
theilungen machen  über  die  Lebensweise  und  Gewohnheit  des 
römischen  Volkes,  versichern,  dass  die  Frauen  zu  Rom  und 
im  ganzen  Latium  ihr  ganzes  Leben  nüchtern  (abstemiae) 
zugebracht,  d.  h.  sich  stets  des  Weines  enthalten  haben,  der 
in  der  alten  (lateinischen)  Sprache  „temetum"  (d.  h.  Most,  oder 
vielmehr:  berauschendes  Getränk)  genannt  wird,  und  dass  es 
eingeführt  gewesen,  dass  sie  ihren  Anverwandten  einen  Kuss 
geben  mussten,  (des  Argwohns)  der  Ueberführung  halber,  um 
durch  den  Geruch  (des  Athems)  auf  die  Spur  zu  kommen,  im 
Fall  sie  (gegen  das  Verbot)  Wein  getrunken  haben  sollten. 
2.  Für  gewöhnlich  sollen  sie  nur  Tresterwein  (loream,  Lauer), 
Sekt  (passum),  Gewürzwein  (murrinam)  und  dergleichen  an- 
dere gebräuchliche  süsse  Getränke  zu  sich  genommen  haben. 


X,  23,  1.  Cato  sagt  also,  dass  die  römischen  Frauen  von  ihren  Ver- 
wandten deswegen  geküsst  worden  seien,  um  zu  erfahren,  ob  sie  nach 
"Wein  röchen.  Plin.  XIV,  13.  Fabius  Pictor  schreibt  in  seinen  Annalen, 
dass  eine  Matrone  von  den  Ihrigen  gezwungen  worden  sei,  Hungers  zu 
sterben,  weil  sie  das  Schränkchen,  worin  die  Schlüssel  zum  Weinkeller 
lagen,  erbrochen  hatte.  Cfr.  Val.  Max.  II,  1,  5;  VI,  3,  9;  Dionys.  Hai. 
n,  26;  Plut.  qu.  rom.  6;  Martial.  I,  88;  Tertull.  Apologet.  6;  Arnob.  adv. 
gent.  II,  07 ;  Plin.  14,  13,  14  §  89 ;  Plutarch  von  den  Tugenden  der  Weiber. 
Trojanerinnen. 

X,  23,  2.  Lorea  oder  auch  lora,  ein  aus  einem  Wassernachguss  aus 
den  noch  einmal  ausgepressten  Trestem  gewonnener  Nachwein,  der  wegen 
seines  geringen  Geistesgehaltes  von  ärmern  Leuten,  Soldaten  und  Sklaven 
und  also  auch  von  Frauen  getrunken  wurde.  S.  Varro  r.  r.  I,  54,  3; 
Cato  r.  r.  57;  Colum.  XII,  41;  Plin.  14,  10,  12  §  86;  Plaut,  mil.  HI,  2,  23. 


X.  Buch,  23.  Cap.,  §3—5.-24.  Cap.,  §  1.  (83) 

3.  Das  Alles  ist  nun  zwar  in  den  von  mir  besagten  (??) 
Schriften  allgemein  bekannt  geworden,  allein  nach  des  M. 
Cato  Bericht  sind  (römische)  Frauen  nicht  etwa  bloss  mit 
scharfem  Verweis  weggekommen,  sondern  haben  sich  auch 
noch  vom  Richter  die  härtesten  Strafen  zugezogen,  ebensowohl 
wenn  sie  sich  (gegen  das  Verbot  den  Genuss  von)  Wein  ge- 
stattet hatten,  als  auch  wenn  sie  die  Schuld  ehelicher  Un- 
treue auf  sich  geladen  hatten.  4.  Ich  setze  hier  gleich  M. 
Catos  Wortlaut  her  aus  seiner  Rede  mit  der  Aufschrift  „über 
das  Heirathsgut",  worin  sich  die  schriftliche  Bemerkung  findet, 
es  habe  den  Ehemännern  das  Recht  zugestanden,  ihre  im 
Ehebruch  ertappten  und  überführten  Weiber  (sofort)  zu  tödten. 
Die  Stelle  lautet:  „Ein  Mann,  so  lange  er  noch  in  der  Schei- 
dung liegt,  d.  h.  noch  nicht  geschieden  ist,  vertritt  als  Richter 
bei  seiner  Frau  Censorstelle ,  hat  offenbar  unumschränkte 
Gewalt  (über  sie),  so  z.  B.  wenn  ein  Weib  sich  eine  un- 
gebührliche und  schimpfliche  Handlung  hat  zu  Schulden 
kommen  lassen,  darf  er  sie  bestrafen;  ferner,  wenn  sie  Wein 
getrunken,  oder  mit  einem  andern  Manne  sich  einer  schimpf- 
lichen Handlungsweise  schuldig  gemacht  hat,  darf  er  sie 
(selbst)  verurtheilen."  5.  In  Bezug  auf  das  Recht,  sie  (im 
äussersten  Fall)  sogar  tödten  zu  lassen,  steht  also  geschrieben : 
„Wenn  Du  Dein  Weib  (auf  frischer  That)  im  Ehebruch  er- 
tappst, darfst  Du  sie  ohne  Umstände  ungestraft  tödten;  ihr 
aber  steht  keineswegs  das  Recht  zu,  wenn  Du  die  Ehe  brichst, 
oder  die  Ehe  gebrochen  hast,  sich  zu  unterfangen,  Dich  auch 
nur  mit  dem  Finger  zu  berühren." 

X,  24,  L.    Dass  Alle,  die  sich  eines  feinen  Stils  befleissigten  .  nicht  nach 
4er  jetzigen  Volkssprache  sich  richteten,  sondern  (stets)  „die  pristini"  und 
„die  quartiu  und  „die  quinti"  gesagt  haben. 

X,  24.  Cap.   1.  Die  Formen  „die  quarto"  und  „die  quinto'k 

Dann  gab  es  auch  noch  einen  Hefenwein  (Gell.  XT,  7,  6  faex  villi  ex 
vinaeeis  compressa),  der  auch  Hefenwein  (vinum  faecatum)  genannt  wurde. 
Vergl.  „Hellas  und  Rom"  von  Alb.  Forbiger  I.  Abth.  1.  Bd.  NB  87,  4. 
Capitel  p.  256.   S.  Paul.  S.  144. 

X,  23,  4.  Mit  Zuziehung  der  Verwandten  stand  dem  Manne  ein  Ge- 
richt über  seine  Frau  zu.  Dion.  Hai.  2,  25;  Tac.  Ann.  13,  32;  Val.  Max. 
II,  9,  2;  Suet.  Tib.  35;  Plin.  14,  13,  14  §  89;  Tertull.  Apol.  *J;  Lactant. 
Instit.  I,  22. 

X,  24,  L.  S.  Macrob.  Sat.  I.  4. 


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(84) 


X.  Buch,  24.  Cap.,  §  1—3. 


—  was  die  Griechen  mit  elg  TStaQtrjv  (sc.  fjfiiQctv,  d.  h.  auf 
den  vierten  Tag,  in  vier  Tagen)  und  elg  ni^imr^  (in  fünf 
Tagen)  bezeichnen  —  höre  ich  heutigen  Tages  selbst  von 
unterrichteten  Leuten  gebrauchen  und  wer  sich  anders  aus- 
drückt, wird  für  roh  und  ungebildet  (gehalten  und)  mit  Ver- 
achtung angesehen.  Allein  zur  Zeit  des  M.  Tullius  (Cicero) 
und  noch  weiter  zurück,  glaub'  ich,  bediente  man  sich  einer 
andern  Ausdrucksform;  man  verband  beide  Wörter,  brauchte 
sie  wie  ein  Adverbium,  also  ,,di<?quintiu  und  auch  „diSquinte" 
und  sprach  dabei  die  zweite  Silbe  in  dem  Worte  kurz  aus. 
2.  Auch  der  erhabene  Augustus,  der  eifrigste  Forscher  in  den 
alten  schriftlichen  Denkmälern,  welcher  der  lateinischen 
Sprache  doch  ganz  mächtig  war,  und  dessen  eifrigstes  Be- 
streben dahin  ging,  in  allen  seinen  Reden  der  Feinheit  und 
Reinheit  seines  Vaters  nachzueifern,  hat  in  seinen  Briefen  an 
vielen  Stellen  bei  der  vorkommenden  Tagesbezeichnung  nie- 
mals eine  andere  Form  angewendet.  3.  Ich  werde  nicht 
Unrecht  thun,  wenn  ich,  zum  Hinweis  auf  diesen  bei  den 
Alten  eingebürgerten  Sprachgebrauch,  die  üblichen  Worte 
des  Praetor s  hierher  setze,  womit  er  nach  der  Sitte  unserer 


X,  24,  1.  Das  lange  e  neigte  sich  bald  zu  ae  hin  (z.  B.  haeres),  bald 
zu  oe  (foemina),  bald  zu  i  und  hielt  oft  einen  Mittelton  von  e  und  i. 
Auch  das  kurze  e  neigte  sich  zu  i  hin.  In  alter  Zeit  findet  sich  teni- 
pestat^bus,  Menervae,  mereto  geschrieben,  wofür  die  gebildete  Sprache  in 
der  klassischen  Zeit  i  annahm,  die  spätere  Volkssprache  aber  wieder  e 
hören  Hess.  Daher  das  vielfache  Schwanken  in  älteren  Formen,  so  in  is 
und  es  im  Acc.  plur.,  die  quart«,  herö,  peregrö,  sibo  und  sibei,  ne  und  nei, 
nise  und  nisei,  in  Inschriften  findet  sich  quasä  und  quasei.  Daher  das 
griechische  f<  in  Eigennamen  bald  e,  bald  i  geschrieben  wird.  S.  lat. 
Gramm,  v.  Gossrau.  Die  dem  Dativ  angehörende  Endung  i  hat  sich  in 
dem  localen  Ablativ  verschiedener  Städtenamen  und  einiger  anderer  Sub- 
stantive erhalten,  (auf  die  Frage:  wo?)  Carthagini,  ruri  etc.  Derselbe 
Ablativ  in  dem  anscheinenden  Genitiv  von  Städtenamen  und  anderer 
Wörter  der  1.  und  2.  Declination  enthalten  auf  ae  (ai)  und  i  —  Romae, 
Corinthi,  militiae,  humi,  domi  —  eigentlich  die  locale  Ablativform:  Cor- 
cyrae,  Kbqxvqki  («);  Deli,  4r\Xoi  («);  cfr.  ofxoi  (oj)  domi.  In  guten 
Handschriften  steht  statt  domi  auch  domui.  Die  Begriffe  des  Räumlichen 
gingen  über  in  die  des  Zeitlichen  (also  auch  bei  i  für  e,  bei  wann?), 
vesperi  neben  vespere,  temperi,  luci.  Daher  erklärt  sich  auch  die  veraltete 
Adjectivform  die  crastini,  pristini,  proximi.  S.  Krüger  (Grotefend)  Gramm, 
p.  270,  6. 


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X.  Buch,  24.  Cap.,  §  3—6. 


Vorfahren  den  Tag  der  (jährlichen)  Feierlichkeiten  an- 
zukündigen pflegte,  welche  man  mit  dem  Namen  Kreuzwegs- 
Fest  (compitalia)  bezeichnete.  Die  Worte  lauten  also:  „Am 
neunten  Tage  (dienoni),  d.  h.  in  neun  Tagen  wird  das  römi- 
sche Volk  mit  allen  seinen  edlen  Bürgern  das  Kreuzwegfest 
feiern;  wenn  die  Feierlichkeiten  begonnen  haben,  ist  nichts 
erlaubt  (d.  h.  von  öffentlichen  Geschäften  vorzunehmen)." 
Bei  seiner  Ankündigung  braucht  der  Praetor  stets  den  Aus- 
druck „dienoni1'  und  niemals  „die  nono".  4.  Allein  nicht  nur 
der  Praetor,  sondern  fast  die  ganze  (gute)  alte  Zeit  bediente 
sich  dieser  Ausdrucksweise.  5.  Sieh,  da  fällt  mir  auf  einmal 
jener  bekannte  Vers  des  Atellanendichters  Pomponius  aus 
dessen  sogenannter  Mevia  ein: 

Dies  hic  sextust,  cum  nihil  egi:  diequarte  moriar  fame,  d.  h. 

Dies  ist  nun  schon  der  sechste  Tag,  da  nichts  ich  gethan, 
Vor  Hunger  sterb'  ich  in  vier  Tagen  wohl. 

6.  Da  fällt  mir  auch  noch  jene  bekannte  Stelle  des  Coelius 
(Antipater)  aus  dem  2.  Buche  seiner  (punischen)  Geschichte 
bei:  „Im  Fall  Du  mir  die  Reiterei  anvertrauen  und  selbst 
mit  dem  übrigen  Heereskörper  nachfolgen  willst,  will  in  fünf 
Tagen  (diequinti)  ich  zu  Rom  auf's  Kapitol  hin  Dir  ein  zu- 
bereitet Mahl  anrichten  lassen  (d.  h.  sollst  Du  auf  dem 


X,  24,  3.  Compitalia,  d.  h.  ein  Fest,  weiches  jährlich  kurze  Zeit  nach 
den  Saturnalien,  nach  vorhergegangener,  näherer  Bestimmung  des  Praetors 
auf  Scheidewegen  gefeiert  wurde,  zu  Ehren  der  Laren  (Schutzgötter,  auch 
Beschirmer  der  Kreuzwege,  lares  compitales).  Lar  =  lars  vielleicht  verwandt 
mit  dem  schottischen  lard  «=  Lord,  Fürst,  Herr.  Sie  gehören  unter  die 
conceptivae  feriae,  angeordneten  (wandelbaren)  Feste.  S.  Paul.  p.  62; 
Varro  L  1.  6,  25. 

X,  24,  4.  Ate  Ha,  uralte  Stadt  der  Osker  in  Campanien.  Fabula 
A  teil  an a,  scenische  (nicht  von  fremden  Histrionen,  sondern  von  der  römi- 
schen Jugend  selbst  aufgeführte)  Darstellung.  Dieselbe  wurde  frühzeitig 
aus  Atella  nach  Rom  verpflanzt,  mit  derbem,  heiterem  Witz  gemischt  und 
war  von  echt  italienischem  Charakter.  Römische  Nationallustspiele.  Teuffels 
röm.  Lit.  §  9  „Krähwinkeliaden". 

X,  24,  5.  L.  Pomponius  aus  Bononia  (Bologna)  als  Atellanen- 
dichter  berühmt,  besonders  ausgezeichnet  in  den  stehend  gewordenen 
Charaktermasken  eines  „Tölpels",  „altes  Papachen",  „Dummkopf"  etc. 
Von  seinen  Atellanen  giebt  es  noch  65  Titel.   S.  Teuffels  R.  L.  135. 

X,  24,  6.   S.  Gell.  X,  1,  3  NB.   L,  Coelius  Antipater. 


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» 


(86)  X.  Buch,  24.  Cap.,  §  7—9. 

Kapitol  warm  speisen)."  7.  Diesen  geschichtlichen  Ausspruch 
aber  entlehnte  Coelius  erst  aus  der  Urgeschichte  des  M.  Cato, 
worin  also  geschrieben  steht:  „Der  Befehlshaber  der  Reiterei 
Hess  dem  Ober -Befehlshaber  der  Carthager  folgende  Auf- 
forderung zugehen:  Sende  mich  mit  der  Reiterei  nach  Rom 
(voraus),  am  fünften  Tage  (diequinti)  sollst  Du  dann  (schon) 
für  Dich  auf  dem  Capitol  ein  Mahl  angerichtet  vorfinden." 
8.  Die  letzte  Silbe  bei  diesem  Worte  (die  quinte)  habe  ich 
bald  mit  e,  bald  mit  i  geschrieben  gesehen ;  denn  diese  (beiden) 
alten  Schriftsteller  (Coelius,  wie  Cato)  bedienten  sich  (in  der 
Schriftsprache)  willkürlich  dieser  (beiden)  Buchstaben  (d.  h. 
bald  des  e,  bald  des  i  auch  noch  in  andern  Wörtern,  wie  in) 
„praefiscine"  (unberufen)  und  „praefiscini" ,  „proclivi"  (ab- 
schüssig) und  „proclive".  Ebenso  werden  auch  noch  eine  Menge 
anderer  derartiger  Ausdrücke  verschiedentlich  ausgesprochen 
(beim  Auslaut).  So  sagte  man  gleichfalls :  die  pristini,  was  soviel 
bezeichnete  als:  die  pristino,  am  nächsten  vergangenen,  d.  h. 
am  vorigen  Tage,  was  im  gewöhnlichen  Leben  auch  durch 
das  Wort  „pridie"  bezeichnet  wird,  mit  Umkehrung  der  beiden 
Wörter  bei  ihrer  Zusammensetzung,  gleichsam  für:  pristino 
die.  So  bildet  man  auch  die  ganz  ähnliche  Form  nach  in: 
„die  crastini"  (morgenden  Tags),  das  sollte  heissen  „crastino 
die".  9.  Ebenso  wrenn  die  Priester  eine  Ankündigung  auf  den 
dritten  Tag  ergehen  lassen,  bezeichnen  sie  diesen  Tag  mit  dem 

X,  24,  7.  Die  Stelle  bezieht  sich  auf  die  Schlacht  bei  Cannae,  wo 
der  punische  Dictator  Hannibal  so  verblendet  war,  auf  den  Vorschlag 
seines  Reiterobersten  Maharbal  nicht  sogleich  ohne  Zaudern  eingegangen 
zu  sein  (Ribbeck).  Die  Fortsetzung  zu  dieser  catonischen  Stelle  siehe  bei 
Gell.  II,  19,  9.  —  216/538  vergl.  Historie.  Rom.  relliq.  v.  H.  Peter  I  p.  78; 
Liv.  22,  51;  Val.  Max.  9,  5  ext.  3;  Flor.  II,  6  (I,  22),  19;  Plut  Fab.  17. 

X,  24,  8.  In  „pridie",  welches  eine  Zusammensetzung  von  primo  die 
zu  sein  scheint,  wird  bei  der  Ordinalzahl  in  der  Bezeichnung  von  einem 
Zeitraum,  der  Tag,  wovon  die  Zählung  ausgeht,  nicht  mitgezählt,  wie  hier 
§  9  bei  tertio  die.  Diese  augenscheinliche  Inconsequenz  wird  dadurch 
entfernt,  dass  man  pridie  für  priore  oder  pristino  die  nimmt,  wie  es  hier 
"vom  Gellius  abgeleitet  wird.   S.  Macrob.  Sat  I,  4,  26. 

X,  24,  9.  perendie  oder  perendinus  dies,  d.  h.  übermorgen.  Dieser 
Tag  wird  auch  dies  tertius  genannt,  offenbar  nur  indem  man  den  heutigen 
Tag,  von  welchem  aus  gezählt  werden  soll,  als  den  ersten  ansieht  und 
folglich  mitzählt.  Cic.  pro  Muren.  12;  cfr.  Gell.  VI  (VII),  1,  10.  Die 
Terminansetzung  hiess  condictio,  siehe  Liv.  I,  32;  vergl.  Paul.  64.  66. 


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X.  Buch,  24.  Cap ,  §  10.  —  25.  Cap.,  §  1.  2.  (87) 

Ausdruck:  perendini  (übermorgen).  10.  Aber  in  dem  Sinne, 
wie  Viele  den  Ausdruck  die  pristini  (am  gestrigen  Tage)  ge- 
brauchen, gerade  so  hat  M.  Cato  in  seiner  Rede  gegen  den 
Furius  die  proximi  gesagt  (in  der  Bedeutung :  nächstvergangen, 
kürzlich).  Der  überaus  gelehrte  Cn.  Matius  gebrauchte  in 
einem  seiner  mimischen  Gedichte  den  Ausdruck:  die  quarto 
(zur  Bezeichnung  einer  vergangenen  Zeit),  wofür  wir  jetzt 
nudius  quartus  sagen  (d.  h.  nunc  dius  [=  dies]  quartus),  d.  h. 
es  ist  nun  bereits  der  vierte  Tag  oder :  vor  vier  Tagen).  Der 
Inhalt  der  betreffenden  Verse  lautet: 

Nuper  die  quarto,  ut  recordor,  et  certe 
Aquarium  urceum  unicum  domi  fregit,  d.  h. 

Besinn'  ich  recht  mich,  vor  vier  Tagen  wars,  wo  er 
Zu  Haus'  mir  auch  den  einz'gen  Wasserkrug  zerbrach. 

Man  wird  also  (wohl)  folgenden  Unterschied  festzustellen 
haben:  dass  „die  quarto"  zwar  von  der  verflossenen  Zeit  zu 
verstehen  sei,  „die  quarte"  aber  von  der  zukünftigen. 

X,  25,  L.    Benennungen  von  Pfeilen,  von  Wurfgeschossen,  von  Hieb-  und 
Stichwaffen,  und  nebenbei  auch  noch  Ausdrücke  für  Wasserfahrzeuge,  die 
sich  nachweislich  in  den  Werken  der  Alten  genannt  finden. 

X,  25.  Cap.  1.  Als  ich  (einst)  einmal  in  einem  Reise- 
wagen sass,  machte  ich,  um  meinen  unthätigen  und  gelang- 
weüten  Geist  nicht  mit  (unnützen)  anderweitigen  Narrenspossen 
zu  beschäftigen,  es  mir  zum  (besonderen)  Vergnügen  (die 
verschiedenen)  Benennungen  von  Pfeilen,  Wurfgeschossen  und 
Stichwaffen,  welche  sich  in  den  alten  Geschichtswerken  er- 
wähnt finden,  desgleichen  die  mannigfachen  Arten  und  Namen 
von  Schiffsfahrzeugen  zusammenzusuchen.  2.  Da  fielen  mir 
also  folgende  ein:  hasta  (Spiess,  Lanze),  pilum  (Wurfspiess), 
phalarica  (falarica,  Speer,  Brandgeschoss) ,  semiphalarica 
(Halbspeer,  Brandpfeil),  soliferrea  (von  sollus  =  totus,  ganz 
von  Eisen,  Wurfeisen,  Eisengeschoss),  gesa  (gaesa,  gallisches, 
leichtes  Wurfgeschoss),  lancea  (Lanze),  spari  (Speere),  rumices 

X,  24,  10,  ürceus,  Henkeltopf.  Vergl.  Mart.  11,  57,  3;  14,  106; 
Cato  r.  r.  13;  Colum.  12,  50  (52),  8;  Plin.  18,  30,  73  §  307;  19,  5,  24 
§  71;  19,  8,  39  §  129;  Dig.  30,  7,  18. 

X,  25,  2.   Paul,  und  Festus  unk  d.  betr.  Wörtern. 


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X.  Buch,  25.  Cap.,  §2  —  5. 


(Brand-Geschoss),  trifaces  (dreikantige  FernwafTen),  tragulae 
(Hellebarden),  frameae  (Lanzen  der  Deutschen  mit  einer 
Schneide),  mesanculae  (Wurfschleudern),  cateiae  (gallische 
Wurfspiesse),  rumpiae  (=  rhomphaeae,  zweischneidige,  lange 
Schwerter,  Flamberge),  scorpü  (Kriegsschleudern),  sibones 
(illyrische  Jagdspiesse),  siciles  (Sicheln,  Hacken,  Hauen),  veruta 
(Wurfspiesse  mit  Eisenspitze),  enses  (Degen),  sicae  (Dolche), 
machaerae  (Säbel),  spathae  (breite  Schwerter),  lingulae  (ligulae, 
kleine  Degen,  Dolche),  pugiones  (kurze  Degen),  clunacula 
(Schlachtmesser).  3.  In  Betreff  des  Wortes  lingula,  weil  es 
eben  nicht  sehr  häufig  vorkommt,  glaube  ich  in  Erinnerung 
bringen  zu  müssen,  dass  unter  diesem  Ausdruck  die  Alten 
einen  länglichen,  nach  Art  einer  Zunge  geformten  kleinen 
(spitzen)  Degen  verstanden  haben,  dessen  Naevius  in  seinem 
Trauerspiel  „Hesione"  Erwähnung  thut.  Ich  lasse  hier  die 
Stelle  des  Naevius  folgen: 

Ne  mihi  gerere  morem  videar  lingua,  verum  lingula,  d.  h. 

Auf  dass  ich  willig  mich  zu  aeigen  scheine  jetzt  mit  des  Dolch's,  nicht 

mit  der  Zungen-Spitze. 

4.  Eine  Art  von  Geschossen  bei  dem  thrakischen  Volksstamm 
nannte  man  rumpia  (=  rhomphea,  Flamberg)  und  es  findet  sich 
dieser  Ausdruck  im  14.  Buche  der  Jahrbücher  des  Q.  Ennius 
geschrieben.  5.  Namen  für  Schilfe,  so  weit  ich  mich  da  er- 
innern kann,  giebt  es  folgende:  gauli  (Flüten,  Fleutschiffe, 
Kauffahrtei-Handels-Schiffe) ,  corbitae  (Corvetten,  Lastschüfe), 
caudicae  (Flösse),  longae  (Galeeren),  hippagines  (=  mizctywyQi, 
Transportschilfe  für  Reiterei),  cercuri  (cyprische,  leichte  Jagd- 
schiffe), celoces,  oder,  wie  sie  die  Griechen  nennen,  celetes 
(xilrpeg,  Fregatten),  lembi  (Kutters),  (h)oriae  (Schifferkähne), 
lenunculi  (Felucken),  actuariae  (Schoner,  Schnellsegler),  welche 


X,  25,  2.   Frameae  vergl.  Pfrieme. 

X,  25,  2.  Cateiae  bei  Vergil  Aen.  7,  741  ein  deutscher,  längerer 
Wurfspiess,  wie  ihn  die  Teutonen  später  führten.  Wahrscheinlich  ein 
celtisches  Wort. 

X,  25,  3.  Hesione,  Tochter  des  trojanischen  Königs  Laomedon, 
welche  Hercules  von  einem  Seeungeheuer  rettete  und  dem  Telamon  zur 
Gemahlin  gab.   Ovid.  Met.  11,  211  etc.  Verg.  Aen.  8,  157. 

X,  25,  5.   S.  Paul,  und  Fest.  unt.  d.  betr.  W. 


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X.  Buch,  25.  Cap.,  §  5.  —  26.  Cap.,  §  1.  2.  (89) 

die  Griechen  wtiquotzoi  oder  incr/.TQideg  nennen;  pro- 
sumiae  (leichte  Spähschiffe),  oder  geseoretae  (Eilpost- Jachten), 
oder  (h)oriolae  (leichte  Küstenschiffchen),  stlattae  (Gallioten, 
lange,  bedeckte  Flussschiffe),  scaphae  (Nachen),  pontones 
(Fähren,  Pontons,  Bruckenschiffe),  acatiae  (Fahrzeuge),  hemio- 
liae  (Kaper,  Seeräuberboote),  phaseli  (Schaluppe,  Chaloupe, 
an  grosse  Schiffe  angehängt),  parones  (Pinassen,  leichte  Fahr- 
zeuge), myoparones  (Raubschiffe),  lintres  (Gondeln),  caupuli 
(Barken),  camarae  (Gondeln,  Schiffchen  mit  bogenförmiger 
Bedeckung  bei  den  Einwohnern  am  Pontus),  placidae  (flache 
Fahrzeuge),  cydarum  (Hackboot  oder  Pinke,  auch  Tartane), 
ratariae  (Blosse),  catascopium  (Brigg,  Jacht-Schiff). 

X,  26,  L.  Ungerechter  Vorwurf,  der  vom  Asinius  Pollio  dem  Sallust 
deshalb  widerfährt,  weil  er  das  Ueberschiffen  über  das  Meer  (transfretatio- 
nem)  mit  „traiisgressus  (Hinübergang)"  ausdrückte  und  die,  welche  zu 
Schiffe  über  das  Meer  gezogen  waren  (qui  transfrctassent)  als  „transgressi 

(Hinübergegaugene)"  bezeichnete. 

X,  26.  Cap.  1.  Es  schien  dem  Asinius  Pollio  in  einem 
seiner  an  den  Plancus  gerichteten  (literarischen)  Briefe  und 
einigen  andern  Feinden  des  Cn.  Sallust  tadelnswerth ,  dass 
dieser  Schriftsteller  im  ersten  Buche  seiner  Geschichte  das 
Hinübersetzen  und  die  Ueberfahrt  übers  Meer  mit  „trans- 
gressus  (Uebergang)"  bezeichnete;  und  dass  Diejenigen,  von 
welchen  gesagt  wurde,  dass  sie  über  das  Meer  gesetzt  waren, 
mit  dem  Ausdruck  „transgressi  (übers  Meer  Gegangene)." 
2.  Er  führt  die  betreffende  Stelle  aus  Sallust  wörtlich  an,  sie 
lautet:  „Deshalb  Hess  Sertorius  einen  geringen  Besetzungs- 
posten in  Mauritanien  zurück  und  nachdem  er  das  Dunkel 
der  Nacht  abgewartet  und  die  Fluth  sein  Unternehmen  zu 


X,  25,  5.  acatiae  (var.  lat.  vaeticiae). 

X,  25,  5.  rigolt«  sc.  vavg,  ein  leichtes  Fahrzeug,  besonders  der 
Seeräuber  mit  anderthalb  Ruderbank. 

X,  26,  L  ürtheile  über  die  Ausdrucksweise  des  Sallust  cfr.  Gell.  I, 
15,  18;  IV,  15,  1;  VI  (VII),  17,  7;  X,  21,  2;  s.  Teuffels  rem.  L.  204,  4. 

X,  26,  1.  Lucius  Mimati us  Plancus  in  naher  Verbindung  mit  Cicero 
und  dessen  Schüler.  Vergl.  Gell.  I,  22,  19  und  Bernhardy  röm.  Lit.  46, 
181);  über  die  Archaismen  des  Sallust  siehe  Teuffels  röm.  Lit.  204,  5. 

X,  26,  2.   üeber  Sertorius  vergl.  Gell.  II,  27,  2  NB  und  Gell.  XV,  22. 


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(90) 


X.  Buch,  26.  Cap.,  §2  —  7, 


begünstigen  schien,  gelang  ihm  durch  seine  Heimlichkeit,  oder 
durch  seine  Schnelligkeit  das  Wagniss,  ein  Treffen  zu  ver- 
meiden, beim  Uebergang  (in  transgressu)."  3.  Hernach 
schreibt  er  weiter  unten :  „Die  Hinübergegangenen  (ingressos, 
d.  h.  nach  ihrem  Uebergange)  nahm  Alle  ein  von  den  Lusi- 
taniern  bereits  vorher  (aus  Vorsicht  für  sie)  besetzter  Berg 
auf."  4.  Nach  der  Meinung  Jener  sei  nun  diese  Ausdrucks- 
weise nicht  nur  weniger  bezeichnend  und  unüberlegt  {ci7teqi- 
oximiog  und  gewagt),  sondern  auch  von  keiner  vollwichtigen 
Schriftgrösse  (nachweislich)  angewendet.  „Denn,"  sagt  Asinius 
Pollio,  „es  findet  der  von  „transgredi"  abgeleitete  Ausdruck: 
„transgressi"  nur  von  einem  Einherschreiten  und  einer  Fort- 
bewegung durch  die  Füsse  seine  richtige  Anwendung."  5.  Des- 
halb bestritt  er  (und  behauptete),  dass  das  Wort  „transgredi" 
weder  mit  dem  Begriff  des  Fliegens,  noch  des  Kriechens, 
noch  des  Schifffahrtswesens  in  Beziehung  kommen  könne, 
sondern  nur  mit  solchen  in  Beziehung  gebracht  werden  und 
bei  solchen  Anwendung  finden  dürfe,  die  einherschreiten  und 
mit  Hilfe  der  Füsse  einen  Weg  (oder  ein  Reiseziel)  zurück- 
legen. Deshalb  leugnet  man  geradezu,  dass  bei  einem  guten 
Schriftsteller  sich  der  Ausdruck  könne  nachweisen  lassen 
„transgressus  navium",  wo  von  einer  Ueberfahrt  der  Schiffe 
die  Rede  ist,  oder  dass  schlechtweg  wohl  gar  nur  das  Wort 
„transgressus  (Uebergang)"  für  das  Wort  „transfretatio  (Ueber- 
seglung)"  nachzuweisen  sei.  6.  Allein  da  muss  ich  für  meinen 
Theil  doch  hier  die  Frage  auf  werfen,  warum  sollte,  gerade 
so  wie  man  gewöhnlich  ganz  richtig  von  einem  Lauf  (cursus) 
der  Schiffe  sprechen  kann,  man  nicht  auch  von  einem  zu 
Schiffe  bewerkstelligten  Uebergang  (transgressus)  sprechen 
dürfen?  zumal  da  die  Kürze  der  schmalen  Strömung,  welche 
zwischen  Afrika  und  Spanien  durchfliesst  (und  beide  trennt), 
ganz  fein  angedeutet  worden  ist  durch  den  Ausdruck  „trans- 
gressio"  (gleichsam  nur  ein  Schritt  um  hinüberzukommen)  zur 
Anspielung  auf  eine  Entfernung  von  nur  wenigen  Schritten. 
7.  Sollte  man  ja  aber  auf  ein  massgebendes  Beispiel  bestehen 
und  überhaupt  in  Abrede  stellen  wollen,  dass  von  Seefahrten  das 
Wort  „ingredi"  oder  „transgredi"  gesagt  worden  sei,  so  möge 
man  mir .  erst  die  Frage  beantworten ,  welcher  vermeintliche 
Unterschied  zwischen  dem  Wort  „ingredi"  und  „ambulare"  (die 


X.  Buch,  26.  Cap.,  §  8—10.  —  27.  Cap.,  §  1.  (91) 


doch  beide  „gehen"  heissen)  wohl  stattfindet.  8.  Gleichwohl 
aber  sagt  M.  Cato  in  seinem  Werke  über  Landwirtschaft  (1, 3): 
„Ein  Grundstück,  welches  man  bewohnen  will,  muss  so  liegen, 
dass  in  der  Nähe  (womöglich)  eine  grosse  Stadt  sich  befindet, 
oder  das  Meer,  oder  ein  Fluss,  auf  dem  Schiffe  gehen  (am- 
bulant, d.  h.  verkehren,  oder  wo  ein  schiffbarer  Fluss  ist)." 

9.  Dass  dergleichen  Metaphern,  d.  h.  Uebertragungen  in  der 
Bedeutung  der  Wörter  sehr  gern  gesucht  sind  und  für  einen 
passenden  Redeschmuck  gelten,  dafür  giebt  uns  «auch  der 
Dichter  Lucretius  (IV,  528  —  529)  ein  sprechendes  Zeugniss 
gerade  an  dem  eben  besprochenen  Ausdruck.  Im  4.  Buche  sagt 
er  nämlich  von  dem  Schrei,  dass  er  durch  die  Luftröhre  und 
durch  die  Kehle  herausgehe  (und  „clamor  gradiens"  sei),  und 
diese  Ausdrucks  weise  ist  doch  wohl  noch  weit  kecker,  als 
jener  von  dem  Uebergang  der  Schiffe  hergenommene  Vergleich 

bei  Sallust.   Die  betreffenden  Verse  lauten  bei  Lucretius  also : 

•. 

Praeterea  radit  vox  fauces  saepe,  facitque 
Asperiora  foras  gradiens  arteria  clamor,  d.  h. 

Dazu  kratzt  auch  öfter  die  Stimme  die  Kehle,  so  wie  auch 
Rauher  das  Schreien  den  Schlund  uns  macht,  indem  es  herausgeht. 

10.  Deshalb  gebraucht  Sallust  in  demselben  Werke  diesen 
Begriff  von  „gehen  (gradi)"  als  Bezeichnung  nicht  nur  von 
Leuten,  die  zu  Schiffe  gingen,  sondern  auch  von  schwimmenden 
Nachen,  die  weiter  vorgegangen  (d.  h.  vorgerückt  worden) 
waren  (scaphae  progressae).  Die  Stelle,  wo  von  diesen  Nachen 
die  Rede  ist,  setze  ich  hier  wörtlich  her:  „Einige  dieser 
(Fahrzeuge),  weil  sie  zu  weit  vorgegangen  (progressae),  ohne- 
dies mit  zu  vieler  und  unzuverlässiger  Mannschaft  belastet 
waren,  wurden,  da  Furcht  und  Entsetzen  die  Bemannung 
(corpora)  beunruhigte,  in  den  Grund  gebohrt." 

X,  27,  L.    Erzählung  über  das  römische  und  carthagische  Volk,  und  dass 
beide  Völker  sich  beinahe  an  Macht  gleichstanden. 

X,  27.  Cap.  1.  In  den  alten  Schriften  findet  sich  die 
Ueberlieferung,  dass  das  römische  und  carthagische  Volk  sich 

X,  26,  8.  S.  Plin.  18,  6,  3.  Cato  sagt,  bei  einem  Grundbesitz  müsse 
man  drei  Dinge  im  Auge  haben,  Wasser,  eine  Verkehrsstrasse  und  einen 
guten  Nachbar. 

X,  26,  9.   Cfr.  Gell.  V,  15,  4  NB. 


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(92)  X.  Buch,  27.  Cap.,  §  2  —  5.  -  28.  Cap.,  §  1. 

einst  an  Macht,  Muthigkeit  und  Ansehen  gleich  stand.  2.  Und 
diese  Ansicht  ist  durchaus  nicht  ohne  Begründung.  Denn 
bei  dem  Streit  mit  allen  andern  Völkern  handelte  es  sich 
zwar  auch  um  das  freie  Bestehenbleiben  des  einen  oder  an- 
dern Staates,  allein  mit  den  Römern  stritt  man  sich  (ganz 
besonders)  um  die  Herrschaft  der  ganzen  Welt.  3.  Eine  Ge- 
währ für  diese  aufgestellte  Behauptung  dürfte  sich  in  jener 
von  beiden  Völkern  abgegebenen  Erklärung  finden,  die  (da- 
mals) zum  Ausbruch  kam ,  als  der  römische  Feldherr  Fabius 
den  Carthagern  ein  Schreiben  übersendete,  worin  er  ihnen 
meldete,  dass  das  römische  Volk  hiermit  die  beiden  Zeichen 
des  Kriegs  oder  Friedens  sende,  nämlich  einen  Speer  (hastam) 
als  Zeichen  des  Kriegs  und  einen  Friedensstab  (caduceum) 
als  Friedenszeichen,  daraus  möchten  sie  sich  eins  von  beiden 
wählen,  und  was  sie  sich  gewählt  haben  würden,  möchte  man 
als  solches  ansehen,  als  ob  es  ihnen  geschickt  worden  sei. 
4.  Die  Carthager  erwiederten,  sie  selbst  sehen  davon  ab, 
eins  von  beiden  zu  wählen,  aber  es  stünde  ganz  in  der  Macht 
(und  Willkür)  der  Ueberbringer,  dasjenige  von  beiden  bei 
ihnen  zurückzulassen,  was  ihnen  am  liebsten  wäre,  was  jene 
aber  zurückgelassen  haben  würden,  das  werde  ihnen  dann 
statt  der  eigenen  Wahl  gelten.  5.  Allein  M.  Varro  sagt, 
dass  die  beiden  übersendeten  Gegenstände  nicht  ein  Speer 
oder  ein  Friedensstab  gewesen  seien,  sondern  zwei  (tesserulae, 
d.  h.  einfache  Spiel-)  Marken,  auf  deren  einem  das  Bild  von 
einem  Friedensstab,  auf  dem  andern  das  Bild  von  einem  Speer 
eingegraben  gewesen  sei. 

X,  28,  L.    Auszug  aus  dem  Geschichtswerke  des  Tubero  über  die  Ab- 
grenzung der    (drei  verschiedenen)  Altersstufen:  der  Kindheit  (pueritia), 
der  Jugend  (juventa)  und  des  Alters  (senecta). 

X,  28.  Cap.  1.  (K.)  Tubero  schreibt  im  ersten  Buche 
seiner  Geschichten,  dass  Servius  Tullius,  der  Römerkönig, 
als  er  jene  (nachher  für  alle  Zeit  gültige)  Eintheilung  der 


X,  27,  3.  Fabius  Maximus  Cunctator.  S.  Liv.  21,  18;  Florus  2,  6; 
Sil.  Ital.  2,  382;  Paul.  S.  101  hastae.  Bei  Livius  und  Florus  wird  die 
Begebenheit  etwas  anders  erzählt. 

X,  28,  1.   Cfr.  Gell.  VI  (VII\  18.  Classici. 


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X.  Buch,  28.  Cap.,  §  1.  2.  -  29.  Cap.,  §  1.  (93) 

ältern  und  jüngern  Leute  der  Vermögensabschätzung  halber 
in  fünf  (eigentlich  in  sechs)  Klassen  vornahm,  die  Entscheidung 
getroffen  habe,  dass  Alle  unter  17  Jahren  unter  die  Knaben 
zu  zählen  seien;  vom  17.  Jahre  an,  in  welchem  Alter  er  jeden 
schon  für  dienstfähig  hielt,  Hess  er  Alle  ausheben  und  auf 
die  Soldatenliste  schreiben;  ferner  (wurde  die  Bevölkerung 
dem  Alter  nach  in  zwei  Klassen  getheilt  und  es)  hiessen  Alle 
bis  zum  46.  Jahre  Jüngere  Leute  (die  Jugend,  juniores)"  und 
die  über  dieses  Alter  hinaus  „Aeltere  (seniores)",  (d.  h.  mit 
Beginn  des  46.  Jahres  fing  das  Alter  an).  2.  Ich  habe  diese 
Einzelheiten  deswegen  angemerkt,  um  die  Altersunterschiede 
anzugeben  und  zu  erklären,  welche  seit  der  Volkseintheilung 
und  Abschätzung  durch  den  höchst  weisen  König  Servius 
Tullius  nach  dem  Urtheile  und  der  Sitte  unserer  Vorfahren 
zwischen  der  Kindheit  (pueritia),  der  Jugend  (juventa)  und 
dem  Alter  (senecta)  stattfinden. 

X,  29,  L.    Dass  die  Partikel  „atque"  nicht  allein  zur  engen  (Kede-)  Ver- 
bindung dient,  sondern  auch  eine  weitere,  verschiedene  Bedeutung  hat. 

X,  29.  Cap.  1.  Die  Partikel  „atque"  wird  zwar  von  den 
Grammatikern  als  ein  anknüpfendes  Verbindungswort  an- 
gesehen, —  und  sie  dient  allerdings  in  den  meisten  Fällen 
zur  Verbindung  und  Verknüpfung  der  Wörter  (und  Sätze),  — 
indessen  bisweilen  hat  sie  auch  noch  einige  andere  Be- 
deutungen, die  nur  von  Denen  gekannt  sind,  welche  sich  eine 
sorgfältige  Beschäftigung  mit  den  alten  Literaturerzeugnisseu 


X,  28,  1.  Das  Knabenalter  dauerte  17  Jahre,  dann  fing  die  Kriegs- 
pflicht an.  Dionys.  IV,  16;  Liv.  22,  57  (a  538)  „juniores  ab  annis  XVII 
et  quosdam  praetextatos  scribunt",  erklärt  sich  wohl  nur  so:  die  Aus- 
hebung betraf  (nach  der  Schlacht  bei  Cannae)  alle  juniores,  d.  h.  die  älter 
als  17  Jahre  waren  (und  dies  geschah  eben  ganz  nach  der  Regel  der 
Kriegsverfassung),  diesesmal  aber  auch  manche,  die  noch  nicht  dieses  Alter 
erreicht  hatten,  folglich  noch  zu  den  praetextati  gehörten.  Obgleich  die 
Centurie  ihrer  ursprünglichen  Bezeichnung  nach  100  Männer  vertreten  sollte, 
so  begriff  sie  doch  später  eine  grössere  Anzahl  und  war  gesondert  in  eine 
mobile  Abtheilung,  zu  der  alle  Männer  vom  17.  bis  46.  Jahre  gehörten, 
und  eine  sesshafte,  die  verpflichtet  war  die  Stadt  zu  bewachen  und  aus 
Männern  von  46  bis  60  Jahren  bestand.  Vergl.  Napol.  Caesar  I.  Bd.  cap.  I,  III ; 
Liv.  42,  31.  33;  Senec.  de  brev.  vit.  20,  4;  Quint.  9,  2,  85.  Die  legitime 
Altersgrenze  war  das  vollendete  45.  Jahr.   S.  Dion.  4,  16;  Censorin.  14. 


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(94)  X.  Buch,  29.  Cap.,  §  2—4. 

haben  angelegen  sein  lassen.  2.  Denn  bald  steht  diese  Par- 
tikel in  adverbialer  Grundbedeutung,  z.  B.  wenn  wir  sagen: 
aliter  ego  feci,  atque  tu,  d.  h.  ich  habe  es  anders  gemacht,  als 
Du,  da  drückt  sie  nämlich  aus:  aliter,  quam  tu  (hat  also  die 
Bedeutung  von  dem  adverbium  comparandi:  quam);  bald 
wieder,  wenn  sie  verdoppelt  wird,  vermehrt  und  vergrössert 
sie  den  Gegenstand,  um  den  es  sich  handelt,  wie  an  einer 
Stelle  in  den  Jahrbüchern  des  Q.  Ennius,  der  mir  gerade 
einfällt  und,  wenn  mich  bei  den  Versen  kein  Gedächtnissfehler 
beschleicht,  so  lautet: 

Atque  atque  accedit  muros  Romana  juventus,  d.  h. 

Und  mehr  und  mehr  rückt  an  die  Mauern  die  römische  Jugend. 

3.  Dieser  Bedeutung  des  „atque"  ist  die  des  Wortes  „deque" 

entgegengesetzt,  ein  Ausdruck,  der  sich  eben  auch  bei  alten 

Schriftstellern  vorfindet.  4.  Ausserdem  wird  „atque"  auch  noch 

für  ein  anderes  Adverbium  gesagt,  d.  h.  für  „statim"  (eilends, 

alsbald,  sogleich,  was  ich  besonders  erwähnen  muss),  weil 

man  (irriger  Weise)  der  Ansicht  ist,  dass  in  folgenden  Versen 

Vergils  (Georg.  I,  199  sq.)  diese  Partikel  unverständlich  und 

ohne  Zusammenhang  gesetzt  sei: 

Sic  omnia  fatis 
In  pejus  ruere  ac  retro  suhlapsa  referri; 
Non  aliter,  quam  qui  adverso  vix  tiumine  lembuni 
Remigiis  subigit,  si  brachia  forte  remisit, 
Atque  illum  in  praeceps  prono  rapit  alveus  amni,  d.  h. 

So  stürzt  durch  das  Schicksal 
Alles  zum  Schlimmeren  fort  und  betreibt  ausgleitend  den  Rückweg; 
Wie  wenn  gegen  den  Strom  ein  Mann  schwer  rudernd  sein  Schifflein 
Kaum  hinauf  arbeitet,  und  sinken  ihm  etwa  die  Arme, 
Eilends  dahin  ihn  entrafft  in  reissendem  Sturz  das  Gewässer. 

X,  29,  4.  In  den  zwölf  Tafelgesetzen  steht  atque  auch  für  statim: 
Si  in  jus  vocat,  atque  eat.  Siehe  Servius  zu  Vergil  und  Verg.  Georg, 
von  Albert  Forbiger  L  Theil,  wo  es  auch  als  einfaches  Bindewort  erklärt 
wird,  wenn  man  beim  zweiten  Satz  die  active  Construction  mit  der  passiven 
vertauscht,  wobei  dann  das  Subject  nicht  gewechselt  wird  und  der  Satz 
dann  lautet:  nicht  anders  als  wie  einer,  der  mit  den  Rudern  den  Kahn 
(Kutter)  mühsam  wider  den  Strom  treibt,  wenn  er  seinen  Armen  einmal 
(eine  geringe)  Erholung  gönnt,  (stromabwärts  wieder  getrieben)  und  (im 
Schuss)  im  Nu  von  der  Strömung  im  gleitenden  Flutbett  zurückgerissen 
wird. 


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XI.  BUCH. 

XI,  1,  L.  lieber  den  Ursprung  des  Namens  „Italia";  über  die  auferlegte, 
sogenannte  höchste  Strafe  (suprema  multa)  und  über  den  Ursprung  und 
die  Ableitung  des  Wortes  „multa";  weiter  noch  über  das  aternische 
Gesetz  und  was  man  endlich  in  alten  Zeiten  gewöhnlich  unter  dem 
Ausdruck:  „multa  minima"  (niedrigste  Strafe)  verstand. 

XI,  1.  Cap.  1.  Timaeus  in  seinem  „Geschichtswerke", 
welches,  in  griechischer  Sprache  verfasst,  über  die  Begeben- 
heiten des  römischen  Volkes  handelt  ,  und  auch  M.  Varro  in 
seinen  „antiquitatibus  rerum  humanarum  (Alterthümern  aus 
der  Geschichte  der  Menschheit)",  Beide  haben  es  schriftlich 
ausgesprochen,  dass  Italien  seinen  Namen  von  einem  grie- 
chischen Ausdruck  erhalten  habe,  von  dem  Worte  „haloi", 
weil  dies  im  Altgriechischen  der  Ausdruck  zur  Bezeichnung 
der  (Rinder  und)  Ochsen  war,  wovon  es  in  Italien  eine  grosse 
Menge  gab,  besonders  weil  in  diesem  (fruchtbaren)  Lande 
viele  Viehheerden  zu  gedeihen  und  Weide  zu  linden  pflegten. 
2.  Deshalb  wird  es  uns  aber  (auch  leicht)  erklärlich,  dass, 
weil  Italien  unendlich  reich  an  Grossvieh  war,  die  sogenannte 


XI,  1,  L.  Lex  Aternia,  de  multa,  gab  der  Consul  A.  Aternius 
(300  u.  c.)  und  bestimmte  bei  den  Strafen,  die  damals  in  Vieh  erlegt 
wurden,  den  Preis  eines  Schaafes  zu  10  Asses,  eines  Rindes  zu  20  u.  s.  w. 

XI,  1,1.  Timaeus,  Geschichtsschreiber  aus  Tauromenion  in  Sicilien, 
von  Agathocles  vertrieben,  lebte  50  Jahre  in  Athen  und  verfasste  eine 
Geschichte  Siciliens  in  68  Büchern.  Seine  Werke  sind  ausser  wenigen 
Fragmenten  verloren  gegangen.  Er  ist  nicht  zu  verwechseln  mit  dem 
Pythagoräer  Timaeus.   Vergl.  Gell.  III,  17,  5  NB. 

XI,  1,  1.  S.  Paul.  S.  106  Italia.  Dionys.  Halic.  I;  Apollodor.  II,  5, 10; 
Varro  r.  r.  II,  1,  9;  II,  5,  3;  Columell.  r.  r.  VI,  praef.  7. 


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XL  Buch,  1.  Cap.,  §2  —  4. 


höchste  Strafe  (multa  suprema),  weiche  täglich  für  jedesmal 
festgesetzt  wurde,  (nur)  aus  2  Schaafen,  hingegen  zugleich  aus 
30  Ochsen  hestand,  im  Verhältniss  zur  Menge  der  Rinder, 
wie  sich  von  selbst  versteht  und  im  Verhältniss  zum  Mangel 
an  Schaafen.  Allein  wenn  von  Obrigkeits wegen  eine  solche 
Strafe  von  Kleinvieh  und  Grossvieh  (multa  pecoris  armentique) 
zuerkannt  worden  war,  pflegte  man  Ochsen  und  Schaafe  bald 
von  geringerem,  bald  von  grösserem  Werthe  zuzutreiben  und 
diese  Preisverschiedenheit  musste  daher  eine  Ungleichheit  in 
der  Strafbusse  herbeiführen.  Deshalb  wurde  später  nach 
dem  aternischen  Gesetze  für  jedes  einzelne  Schaaf  10  Asse, 
für  jeden  Ochsen  100  Asse  veranschlagt.  3.  Die  geringste 
Strafe  (minima)  besteht  aus  einem  einzigen  Schaaf.  Die 
höchste  (suprema)  besteht  aus  der  eben  angegebenen  Anzahl 
und  mehr  als  diesen  Straf  betrag  täglich  (auf  einmal  Jemandem) 
auferlegen,  ist  gegen  Fug  und  Recht,  und  daher  wird  sie 
auch  „suprema"  genannt,  d.  h.  die  höchste  und  grösste.  4. 
AVenn  nun  aber  jetzt  auch  noch  von  einer  Obrigkeit  des 
römischen  Volkes  nach  alter  Väter  Weise  (Jemandem)  eine 
Geldstrafe  zuerkannt  wird,  mag  es  die  geringste  oder  die 
höchste  betreffen,  so  pflegt Inan  gewissenhaft  darauf  zu  achten, 
dass  man  sich  (bei  der  Strafankündigung)  des  Wortes  „ovis" 
immer  im  männlichen  Geschlecht  bedient;  und*  so  führt  M. 
Varro  eine  gerichtliche  Ankündigung  des  geringsten  Straf- 
erkenntnisses mit  folgenden  Worten  (feierlich  also)  an:  „Wo- 
fern der  vorgeforderte  M.  Terentius  sich  weder  verantwortet, 
noch  sich  (triftig)  entschuldigen  lässt,  so  auferlege  ich  ihm 
ein  Schaaf  als  Strafe  (unum  ovem  multam  dico)",  und  wenn 
man  sich  (aus  Versehen)  bei  den  Worten  der  Strafankündigung 
nicht  des  männlichen  Geschlechts  von  ovis  bediente,  so  hiess 
es  sofort,  die  (auferlegte)  Strafe  sei  offenbar  ungültig  (und 


XI,  1,  2.  S.  Paul.  S.  144  maxima  multa.  Cfr.  Festus  p.  202;  213  u. 
237  (ed.  Müller)  peculatus.   S.  Gell.  X,  5,  2  NB  pecunia. 

XI,  1,  2.  Also  für  2  Schaafe  und  30  Ochsen  zusammen  3020  Asse.  — 
Einige  meinen,  weil  man  in  den  ältesten  Zeiten  ein  Gefäss  voll  gemolkener 
Milch  (vas  emulctilactis)  statt  der  Strafe  erlegt  habe,  müsse  das  Wort 
multa  aus  mulcta  hergeleitet  sein.  Vergl.  Paulus  p.  24:  aestimata  und 
Anmerkung  Müller;  Plut  Popl.  11;  Cic.  de  republ.  2,  35. 

XI,  1,  4.   Plin.  18,  3;  33,  1. 


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XL  Buch,  1.  Cap.,  §  5— 7.  —  2.  Cap.  §  1.  (97) 

ungesetzlich  angeordnet).  5.  Ferner  behauptet  derselbe  M. 
Varro  im  21.  Buche  seiner  Gebräuche  der  Vorzeit  in  (gött- 
lichen und)  menschlichen  Dingen,  dass  der  Ausdruck  „multa" 
(für  Strafe)  kein  lateinisches,  sondern  ein  sabinisches  Wort 
sei,  und  dass  dieser  Ausdruck  bis  zu  seiner  Zeit  sich  noch 
in  der  Sprache  der  Samniter,  die  von  den  Sabinern  abstammten, 
erhalten  habe.  Allein  der  moderne  Grammatiker -Schwärm 
äussert  sich  dahin,  dass  auch  dieser  Ausdruck,  wie  noch  einige 
andere,  nach  entgegengesetztem  Wortsinn  (zar*  avviqtQaaiv) 
gesagt  worden  sei.  6.  Allein  da  es  das  Herkommen  und  der 
Sprachgebrauch  so  mit  sich  bringt,  dass  auch  wir  sagen: 
„multam  dixit  (er  legte  eine  Strafe  auf)"  und  auch  (passive) 
„multa  dicta  est  (es  wurde  eine  Strafe  auferlegt)",  gerade  so 
wie  die  meisten  Alten  sich  ausdrückten,  so  halte  ich  die 
Nebenbemerkung  nicht  für  unzweckmässig,  dass  M.  Cato  sich 
auch  noch  einer  andern  Ausdrucksweise  bedient  hat.  Ich 
meine  nämlich  die  Stelle  im  4.  Buch  seiner  „Urgeschichte", 
wo  es  heisst:  „Wenn  einer  (unsrer  Soldaten)  sich  unterstand, 
gegen  Anordnung  (ausser  Reih  und  Glied)  zu  kämpfen,  so 
legte  ihm  unser  Oberfeldherr  eine  Strafe  auf"  (was  Cato 
nicht  durch:  „multam  dicit",  sondern  durch  „multam  facit" 
ausdrückt).  7.  Es  kann  aber  den  Anschein  nehmen,  dass  Cato 
nach  reiflich  erwogener  Feinheit  das  Zeitwort  gewechselt  hat, 
weil  es  sich  um  eine  disciplinarische  Strafe  im  Felde  und  im 
Heere  (durch  Machtvollkommenheit  des  Feldherrn)  handelte, 
nicht  aber  um  die  (gewöhnliche),  welche  in  öffentlicher  förm- 
licher Versammlung  (in  comitio)  gesetzlich  vor  dem  Volke 
(und  durch  dessen  Zustimmung)  angeordnet  wurde. 

XI,  2,  L.  Wie  das  Wort  „elegantia"  bei  den  altera  Schriftstellern  nicht 
(in  gutem  Sinne)  von  einem  einnehmenden  (gefälligen)  Wesen,  sondern  von 
zu  glänzendem  (und  zu  grossem)  Aufwand  in  Kleidung  und  Lebensweise 
gesagt  wurde,  und  wie  dieser  Ausdruck  (nur  im  schlimmen  Sinne)  zur 
^  Bezeichnung  eines  Fehlers,  genommen  wurde. 

XI,  2.  Cap.    1.  Mit  dem  Ausdruck  „elegans  (wählerisch)" 


XI,  1,  5.  Alle  Mitglieder  des  sabellischen  Stammes,  welchem  Samniteh, 
vermuthlich  auch  Marser  und  Peligner  angehörten,  redeten  eine  gemeinsame 
Sprache.  S.  Niebuhr  R,  G.  I  p.  105  (116);  Bernh.  R.  L.  29,  109);  Varro 
L.  L.  5,  31;  Strabo  Villi,  p.  560;  Paul.  S.  143  multa  ein  sabin.  Wort. 

Gel  lins,  Attische  Nichte.   II.  7- 


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I 

(98)  XL  Buch,  2.  Cap.,  §  1—4. 

wurde  eine  Person  nicht  (in  gutem  Sinne)  als  zu  ihrem  Lobe 
bezeichnet,  sondern  zur  Zeit  des  M.  Cato  diente  dieses  Wort 
fast  immer  nur  zur  Bezeichnung  eines  Tadels,  nicht  eines 
Lobes.  2.  Dies  lässt  sich  nämlich  sowohl  aus  einigen  andern 
Schriftstellern  ersehen,  als  auch  (namentlich  besonders)  aus 
dem  Buche  des  Cato,  welches  überschrieben  ist:  „Carmen 
de  moribus  (Sittenspruch- Gedicht)".  Daraus  ist  folgende 
Stelle:  „Man  nahm  an,  dass  der  Geiz  den  Inbegriff  alles 
Lasters  bilde:  hingegen  wurde  der  Verschwender,  der  Wol- 
lüstige, der  Zieraffe  (elegans),  der  Lasterhafte,  der  Nichtsnutz 
(noch)  gelobt."  3.  Aus  diesen  Worten  erhellt  aber,  dass  der 
Ausdruck  „elegans"  in  alten  Zeiten  nicht  als  Bezeichnung  ge- 
nommen wurde  für  Einen  von  "feinem,  geistigem  Sinn,  sondern 
von  Einem,  dessen  Herz  zu  sehr  an  ausgesuchter  üppiger 
Kleidung  und  Nahrung  hängt  (und  Geschmack  findet).  4. 
Späterhin  verschwand  zwar  bei  (dem  Worte)  „elegans"  der 
Begriff  des  Tadels,  aber  nur  der  konnte  sich  (durch  diese  Be- 
zeichnung in  seinem  Bewusstsein)  geschmeichelt  fühlen,  dessen 
wählerischer  Sinn  (stets)  ein  gewisses  Mass  einhielt.  So  lobte 
M.  Tullius  (Cicero)  an  dem  L.  Crassus  und  Q.  Scaevola  nicht 
blos  die  ausgewählte,  unverfälschte  Feinheit  (der  Rede),  son- 
dern weil  diese  (stets  zweckentsprechend)  mit  grosser  Knapp- 
heit (und  ungesuchter  Einfachheit  in  Anordnung  des  Stils) 


XI,  2,  2.  Vergl.  Non.  p.  465  und  besonders  Teuffels  röm.  Lit  Gesch. 
120,  3. 

XI,  2,  2.  Carmen  de  moribus ;  Sittenspruch-,  Sittenregel-ßuch.  Catonis 
praecepta  ad  filium,  in  Saturniern  geschrieben,  weshalb  sie  von  der  Form 
auch  carmen  genannt  worden  wären  (Vahlen).  Sie  umfassten  mehrere 
Berufssphären:  1)  ärztliche  Rathschläge  (Ackerbau,  Arzneikunde),  2)  Be- 
redtsamkeit  und  Recht,  3)  handelten  sie  noch  de  re  militari.  S.  Sueton 
von  Doergens.  (Vergl.  Bernh.  R.  L.  64,  265.)  Carmen  de  moribus,  seinem 
Stoffe  nach  ein  Klagelied  über  das  Schwinden  der  guten  alten  Zeit,  in  cfer 
Ausführung  ein  Aggregat  von  Erfahrungssätzen  und  Sittensprüchen. 

XI,  2,  4.  Lucius  Licinius  Crassus,  geb.  140  v.  Chr.  (614  u.  c), 
bereits  ganz  jung  noch  schon  ein  ausgezeichneter  Redner,  bildete  sich 
als  Quaestor  in  Asien  und  dann  zu  Athen,  wo  er  die  bedeutendsten  grie- 
chischen Rhetoren  hörte,  noch  mehr  aus.  95  war  er  Consul.  Im  Jahre 
92  Censor  mit  Cn.  Domitius  Ahenobarbus,  gab  er  das  berühmte  Edict 
gegen  die  lat.  Rhetorschulen  heraus.  (Gell.  XV,  11,  2.)  In  Cicero's  Schrift 
de  oratore  spielt  er  die  wichtigste  Rolle.  S.  Teuffels  Gesch.  der  röm 
Lit.  149,  3. 


XL  Buch,  2.  Cap.,  §4  —  6. 


(99) 


verbunden  war.  Cicero  drückt  sich  (in  seinem  Brutus  40, 148) 
so  aus:  „Crassus  war  unter  den  feinsten  Rednern  der  schlich- 
teste (und  einfachste),  Scaevola  unter  den  schlichtesten  der 
feinste."  5.  Ausserdem  fällt  mir  noch  eine  Stelle  ein  aus 
dem  eben  citirten  Buche  des  Cato,  die  abgesehen  von  dem 
besonderen  Zusammenhange  und  stückweise  (ohngefähr)  also 
lautet:  „Auf  dem  Markt  (und  in  der  Oeffentlichkeit)  war  es 
Sitte,  sich  anständig  zu  kleiden :  zu  Hause  so,  wie  es  zweck- 
entsprechend war  (ganz  einfach).  Zum  Ankauf  für  Pferde 
verwendete  man  grössere  Summen  als  für  Köche;  die  Dicht- 
kunst stand  nicht  in  hohem  Ansehen;  wer  aber  an  dieser 
Kunst  Geschmack  und  Vergnügen  fand,  oder  sich  zu  Gast- 
gelagen drängte,  wurde  (Schmarotzer,  Bummler)  grassator 
genannt."  6.  Auch  jener  bekannte  Gedanke,  voll  herrlicher 
Wahrheit,  stammt  aus  demselben  (Spruch-) Buche  und  lautet: 
„Denn  mit  dem  menschlichen  Leben  verhält  es  sich  fast  wie 
mit  dem  Eisen.  Wenn  Du  das  (Eisen)  in  Gebrauch  nimmst, 
wirds  abgenutzt ;  wenn  Du  es  (aber)  nicht  in  Gebrauch  nimmst, 
wird  es  trotzdem  (auch)  durch  den  Rost  verzehrt.  So  auch 
sieht  man  die  Menschen  sich  aufreiben  durch  (rastloses)  Sich- 
abarbeiten; übst  Du  Dich  (deshalb)  in  Nichts,  so  wird  die 
Unthätigkeit  und  die  Trägheit  mehr  Schaden  bringen,  als  die 
Beschäftigung.   Nach  Ribbeck: 

Ist  doch  das  Menschenleben  —  beinah  wie  das  Eisen: 

Uebst  Du's,  so  wird's  zerrieben;  —  sonst  wenn  Du's  nicht  übst, 

Macht  ihm  der  Rost  den  Garaus.  —  Ebenso  die  Menschen. 

Durch  Uebung  zerrieben  —  sehen  wir  sie;  da  ohne 

Macht  Trägheit  und  Erstarrung  —  Schaden  mehr  als  Uebung. 


XI,  2,  5  oder:  die  ich  hier  nur  abgerissen  mittheile  (intercise)  und 
für  deren  richtigen  Zusammenhang  ich  nicht  ganz  einstehen  will  (sparsim), 
sie  heisst  (ohngefähr): 

XI,  2,  5.   Köche,  vergl.  Plin.  9,  31. 

XI,  2,  5.  Grassator,  Schmarotzer  oder  Bummler.  Festus  VII,  72 
sagt,  grassari  bedeute  bei  den  Alten  soviel  als  „adulari",  und  dies  wäre 
allerdings  soviel  als  schmarotzen,  d.  h.  auf  den  Gassen  herumbummeln,  um 
zu  sehen,  wo  es  was  zu  essen  giebt.  Wofern  aber  für  „adulari"  vielleicht 
„ambulare"  zu  lesen  wäre,  dann  hiesse  es  wohl  mehr:  Herumschwärmer, 
Bummler,  unnützer  Müssiggänger.  Siehe  Non.  315.  —  Dichtkunst  und 
Schriftstellern  fanden  in  Rom  lange  Zeit  wenig  Anerkennung  und  erst  die 


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*  ■  ■ 


(100)  XI.  Buch,  3.  Cap.,  §  1.  2. 


XI,  3,  L.   Welcherlei  und  wie  gross  die  Mannigfaltigkeit  der  Partikel  „pro« 
(in  ihren  Bedeutungen)  ist;   über  Beispiele  dieser  ihrer  Mannigfaltigkeit. 

XI,  3.  Cap.  1.  Wenn  ich  von  Amts-  und  Berufsgeschäften 
frei  bin  und  der  Körperbewegung  halber  spazieren  gehe  oder 
fahre,  pflege  ich  mir  bisweilen  (im  Geiste)  derartige  Fragen 
vorzulegen,  die  zwar,  leicht  und  geringfügig  und  ungebildeten 
Leuten  verächtlich  (erscheinen),  jedoch  zur  gründlichen  (Ein- 
sicht und)  Kenntnissnahme  von  den  Schriften  der  Alten  und 
zum  Verständniss  der  lateinischen  Sprache  vorzüglich  ganz 
unentbehrlich  sind;  wie  z.  B.  die  Frage,  welche  ich  zufällig 
neulich,  als  ich  nach  meiner  Rückkehr  von  Praeneste  auf 
meinem  Abendspaziergange  so  allein  wandelte,  in  Erwägung 
zog :  welcherlei  und  wie  gross  in  der  lateinischen  Sprache  die 
Mannigfaltigkeit  einiger  Partikeln  (in  ihren  Bedeutungen)  sei. 
So  wie  z.B.  die  der  Präposition  „pro".  2.  Auf  andere  Weise 
sah  ich  sie  nämlich  angewendet  in  dem  Satze:  „pontifices  pro 
collegio  decrevisse,  die  Priester  haben  Beschluss  gefasst  im 
Namen  und  Stellvertretung  oder  zum  Nutzen  und  Vortheil 
der  Gesammtheit  (des  Collegii)" ;  anders  in  dem  „quempiam 
testem  introductum  pro  testimonio  dixisse,  dass  ein  vor- 
geführter Zeuge  als  Zeugniss  vorgetragen  (und  gesagt)  habe, 
d.  h.  im  Zeugenverhör  ausgesagt  habe"  ;  ferner  dass  M.  Cato 
im  4.  Buche  seiner  „Urgeschichte"  diese  Praeposition  wieder 
anders  gebraucht  hat,  wenn  er  schreibt:  „praelium  factum, 
depugnatumque  pro  castris,  es  sei  ein  Treffen  geliefert  und 
gekämpft  worden  vor  dem  Lager  oder  zum  Schutze  des 
Lagers44;  und  desgleichen  im  5.  Buche:  „urbes  insulasque 
omnis  pro  agro  Illyrico  esse,  die  Städte  und  Inseln  insgesammt 
traten  ein  zum  Schutz  und  zu  Gunsten  des  illyrischen  Gebietes" ; 
ferner,  dass  diese  Praeposition  auch  wieder  in  anderem  Sinne 
gesagt  wurde  bei  „pro  aede  Castorfs,  vor  dem  Tempel  des 
Castor"  ;  anders  in  „pro  rostris,  auf  der  Rednerbühne,  oder 
von  der  Rednerbühne  herab" ;  anders  „pro  tribunali,  vor  dem 


Bekanntschaft  mit  dem  Hellenischen  verscheuchte  die  Gleichgültigkeit  und 
hob  das  Interesse.   S.  „Gesch.  der  röra.  Lit.  von  W.  S.  Teuffei  2,  I." 
XI,  3,  2.   Im  J.  167  587;  vergl.  Liv.  45,  26,  12.   S.  Paul.  S.  228. 


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XL  Buch,  3.  Cap.,  §  2—4.-4.  Cap.,  §  1.  2.  (101) 

■ 

Gerichtshof'4;  anders  „pro  concione,  in  und  vor  der  (Volks-) 
Versammmlung" ;  und  (endlich)  anders  „tribunum  plebis  pro 
protestate  intercessisse ,  dass  der  Zunftmeister  der  Gemeine 
vermöge  seiner  (obrigkeitlichen)  Amtsgewalt  Einspruch  er- 
hoben habe".  3.  Allein  in  Betreff'  aller  dieser  Ausdrucks- 
weisen, welche  seiner  (wessen?)  Meinung  nach  entweder  im 
Allgemeinen  ähnlich  und  gleich,  oder  in  jeder  Beziehung 
verschieden  sind,  findet  nach  meiner  Meinung  ein  Irrthum 
statt.  Denn  meiner  Ansicht  nach  hat  diese  Mannigfaltigkeit 
(und  der  Wechsel)  in  der  Bedeutung  zwar  einen  und  den- 
selben Ausgangspunkt  und  hauptsächlichen  Oberbegriff,  jedoch 
nicht  denselben  Endzweck.  4.  Das  wird  sicher  Jeder  leicht 
einsehen,  der  nur  irgendwie  aufmerksam  nachdenkt  und 
genaue  Kenntniss  der  alten  Sprachweise  sich  zu  eigen  ge- 
macht hat. 

XI,  4,  L.   In  wie  weit  Q.  Ennius  bei  Nachahmung  der  dichterischen  Stellen 

des  Euripides  sein  Vorbild  erreichte. 

XI,  4.  Cap.  1.  In  der  Hecuba  des  Euripides  (v.  290 
u.  s.  w.)  finden  sich  Verse,  welche  wegen  ihres  Ausdrucks, 
ihres  Inhalts  und  wegen  ihrer  Kürze  im  hellsten  Lichte 
strahlen.  2.  Hecuba  ist  es,  welche  folgende  Worte  an  Ulixes 
richtet: 

Dein  Ansehn,  wenn  Verkehrtes  Du  auch  räthst,  es  siegt, 
Denn  unberühmten  und  berühmten  Mannes  Wort, 
Obgleich  dasselbe,  hat  doch  nicht  dieselbe  Kraft. 


XI,  3,  3.   NB  Wessen  Meinung  nach? 

XI,  4,  L.  üeber  die  Tragödie  des  Ennius  s.  Teuffels  röm.  Liter. 
Gesch.  §  101,  2. 

XI,  4,  1.  Euripides,  geb.  480  auf  Salamis  an  demselben  Tage,  wo 
die  Schlacht  der  Griechen  gegen  die  durch  Themistocles  besiegten  Perser 
geschlagen  wurde,  war  einer  der  drei  vorzüglichsten  Tragiker.  Er  soll 
120  Tragödien  verfasst  haben,  wovon  nur  noch  18  vollständig  sind  und 
die  19.  als  Bruchstück  übrig  ist.  Er  brachte  die  grösste  Mannigfaltigkeit 
in  das  Drama.  Ausgezeichnet  sind  seine  Dichtungen  durch  moralische 
und  philosophische  Gedanken,  musterhafte  Schilderung  der  menschlichen 
Leidenschaften  und  Eedeschmuck.  Sein  Hauptzweck  war,  Rührung  zu 
erregen.  Er  starb  407  v.  Chr.,  in  Folge  von  Hundebissen,  in  Macedonien 
am  Hofe  des  Königs  Archelaos  (Gell.  XV,  20,  9). 


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(102)  XI.  Buch,  4.  Cap.,  §  3.  4.  —  5.  Cap.,  §  1-4. 

3.  Bei  der  Uebertragung  dieses  Trauerspiels  hat  Q.  Ennius 
diese  (angeführten)  Verse  ganz  und  gar  nicht  unpassend 
nachgeahmt.  Bei  Ennius  lautet  die  gleiche  Anzahl  der 
(drei)  Verse  also: 

Deine  Ansicht  rühret  die  Achiver  leicht,  ist  sie  auch  falsch; 
Denn  ein  Adliger  und  ein  Gemeiner  sprechen  Beide  auch 
Gleiche  Worte,  gleiche  Red',  verschieden  wird  die  Wirkung  sein. 

4.  Wie  ich  schon  erwähnte,  ist  die  Uebersetzung  des  Ennius 
wohl  gelungen;  jedoch  scheinen  die  Ausdrücke  „ignobiles 
(Gemeine)"  anstatt  (des  griechischen)  „adogovvreg  (Un- 
berühmte/ und  „opulenti  (Mächtige)"  für  doxovvreg  (Berühmte) 
nicht  ganz  sinnentsprechend  gewählt  zu  sein,  denn  nicht  alle 
Gemeinen  (d.  h.  Alle  von  geringer  Herkunft)  sind  (immer)  jedes 
Ruhmes  baar,  noch  (auch  stets)  alle  Mächtigen  berühmt. 

XI,  5,  L.    Einige  kurze,  flüchtige  Bemerkungen  über  die  Pyrrhonier  und 
Academiker   und  über  den   Unterschied  zwischen  diesen   (.beiden)  philo- 
sophischen Sekten. 

XI,  5.  Cap.  1.  Diejenige  philosophische  Sekte,  welche 
wir  die  pyrrhonischen  Philosophen  nennen,  wird  von  den 
Griechen  mit  dem  Beinamen  „Skeptiker  (axexrtxot)"  be- 
zeichnet, 2.  das  soll  ohngefähr  heissen:  Untersucher  und  Er- 
wäger.  3.  Sie  entschieden  sich  nämlich  für  nichts,  und 
nehmen  nichts  bestimmt  an,  sondern  suchen  und  forschen  bei 
allen  Dingen  (in  der  Welt)  nach  Auffindung  eines  Merkmals, 
in  Ansehung  dessen  sie  sich  für  Etwas  entscheiden  und  Etwas 
bestimmt  annehmen  können.  4.  Und  so  ist  es  auch  ihre 
Meinung,  dass  sie  überhaupt  weder  etwas  (in  der  Wirklichkeit) 


XI,  5,  1.  S.  Diog.  Laert.  IX,  9,  11;  Quint.  XII,  2,  24;  Arrian. 
Epict  I,  5;  II,  26. 

XI,  5,  1.  Pyrrho  aus  Elis,  geb.  380  v.  Chr.,  Stifter  der  pyrrho- 
nischen oder  skeptischen  Philosophie.  Da  er  die  Unbegreiflichkeit  aller 
Dinge  annahm,  so  suchte  er  deshalb  die  Noth wendigkeit  einer  Zurück- 
haltung des  Urtheils  zu  begründen, 

XI,  5,  3.   Cfr.  Gell.  XX,  1,  9. 

XI,  5,  4.  Die  Pyrrhonier  verwarfen  also  die  Möglichkeit  einer  Er- 
kenntniss  der  Dinge  nach  ihrem  wirklichen  Sein  und  behaupteten,  dass 
nichts  recht  könne  begriffen  werden.  Ne  videre  plane  quidquam  neque 
audire  sese  putant.   Das  soll  besonders  auch  die  Meinung  des  Empedocles 


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XI.  Buch,  5.  Cap.,  §  4.  5. 


(103) 


sehen,  noch  hören,  sondern  (sie  bilden  sich  ein)  urch  die 
Gegenstände  sei  die  Empfindung  in  einen  leidenden  Zustand 
versetzt  und  so  (gereizt  und)  empfänglich  gemacht,  (dass  es 
ihnen  nur  scheine)  als  ob  sie  etwas  sehen  oder  hörten,  und 
in  ihrem  Urtheil  in  Bezug  auf  Art  und  Beschaffenheit  der 
Gegenstände,  welche  solche  Wirkungen  in  ihnen  hervorbringen, 
sind  sie  zurückhaltend  und  bedächtig;  ferner  sagen  sie,  da 
ja  die  Kennzeichen  aller  Dinge  mit  wahren  und  falschen  Be- 
griffen vermischt  und  vermengt  sind,  so  scheine  die  Zu- 
verlässigkeit und  wirkliche  Beschaffenheit  aller  Dinge  so  un- 
begreifbarlich,  dass  jeder  Mensch,  der  sich  in  seinem  Urtheil 
nicht  voreilig  überstürzt,  bei  jeder  Sache  (schliesslich  immer 
wieder)  dasselbe  Bekenntniss  abzulegen  sich  veranlasst  fühlen 
müsse,  welches  schon  Pyrrho,  der  Begründer  dieser  philo- 
sophischen Lehre,  abgegeben  hat,  und  also  lautet:  „Es  lässt 
sich  nicht  nachweisen,  ob  Etwas  sich  so  verhält,  oder  auf 
eine  andere  Art,  oder  auf  keine  von  beiden."  Denn  es  sei 
unmöglich,  sagen  sie,  die  Erkennungszeichen  (Kennzeichen) 
bei  einem  jeden  Gegenstand  und  seine  ursprünglichen  Eigen- 
tümlichkeiten zu  durchschauen  und  begrifflich  in  sich  auf- 
zunehmen (oder  zu  verarbeiten),  und  diese  Behauptung  zu 
erörtern  und  auf  mannigfache  Weise  zu  beweisen,  ist  ihr 
eifriges  kühnes  Bestreben.  5.  lieber  diesen  Gegenstand  hat 
Favorin  auch  ein  höchst  gründliches  und  scharfsinniges  Werk 


gewesen  sein,  wie  Cicero  im  Lucnllo  (der  academ.  Untersuchung  erste 
Bearbeitung)  2.  Buch,  cap.  5  §  14  sagt;  cfr.  Sext  Empir.  adv.  math.  VII 
p.  122  etc.  Bezüglich  einer  neueren  Ansicht  vergl.  Hartmann  Phil,  des 
ünbew.  p.  721—723. 

XI,  5,  4.  ov  paXXov  ovrtog  etc.  Diog.  Laert.  IX,  11,  2  giebt 
^er  Bedeutungen  des  Ausdrucks:  „nicht  mehr  das  Eine,  als  das  Andere" 
an:  1)  affirmativ,  z.  B.  Ein  Räuber  ist  nicht  mehr  ein  Bösewicht,  als  ein 
Lügner,  d.  h.  beide  sind  Bösewichter;  2)  negativ,  z.  B.  Ein  Räuber  ver- 
dient nicht  mehr  Lob,  als  ein  Lügner,  d.  h.  keiner  von  Beiden  verdient 
Lob;  3)  affirmativ  und  negativ  zugleich,  z.  B.  Ein  Räuber  verdient  nicht 
mehr  Lob,  als  ein  Lügner  Tadel,  woraus  gar  nicht  folgt,  dass  der  Lügner 
Lob  verdient;  4)  negativ  und  affirmativ,  z.  B.  Man  kann  nicht  sagen, 
*eder  dass  der  Räuber  mehr  ein  Verbrecher  sei,  als  der  Lügner,  noch 
dass  er  nicht  mehr  ein  Verbrecher  sei.  In  dieser  letzten  Bedeutung  nun 
hauchten  die  Skeptiker  den  Ausdruck:  „nicht  mehr  das  Eine,  als  das 
Andere.  S.  Sext.  Emp.  Hypotyp.  I,  30,  2*13. 

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I 


(104)  XI.  Buch,  5.  Cap.,  §  5.  6. 

in  10  Büchern  geschrieben,  welches  die  Ueberschrift  trägt: 
„(rteQi)  tiüv  nufäuveuov  tqoticov  (über  die  10  verschiedenen 
Beweisgründe  des  Pyrrho)".  6.  Von  Alters  her  schwebt  diese 
Frage  und  ist  von  vielen  griechischen  Schriftstellern  behandelt 


XI,  5,  6.  Sext.  Empir.  Hypotyp.  I,  14,  36  sagt:  „Die  altern  Skep- 
tiker (d.  h.  Pyrrho  und  Aenesidemus)  pflegten  gewöhnlich  gewisse  Gründe 
anzugehen,  aus  welchen  ihnen  das  Bedürfniss  der  Zurückhaltung  des  Bei- 
falls zu  fliessen  schien,  und  zwar  zehn  an  der  Zahl,  die  sie  auch  wohl 
Gemeinörter  (Wendungen,  verschiedene  Weisen)  nannten.  Diese  nun  hatte 
Favorin  in  seinem  Werke  wahrscheinlich  umständlich  erläutert  S.  Gell. 
I,  3,  27  NB.  Vergl.  über  das  pyrrhonische  System  Tiedemanns  Geist  der 
speculativen  Philosophie  IL  Bd.,  9.  Abschn.  S.  323.  S.  noch  Diog.  Laert. 
IX,  9,  8;  Suidas;  Sext  Empirie.  Hypotyp.  I,  3;  Cic.  de  fin.  II,  14;  de 
orat  III,  18;  Senec.  ep.  88,  37;  Lactant.  div.  inst,  in,  6. 

Vi,  5,  6.  Man  t heilt  die  Academiker  in  die  alten,  mittleren  und 
neueren.  Die  alte  Academie  nahm  die  meisten  Lehrsätze  des  Heraclit, 
Pythagoras  und  Socrates  an  und  hatte  den  Plato  zum  Stifter.  Arkesilaos, 
der  Stifter  der  mittlem  Academie,  wich  in  vielen  Stücken  von  der  Meinung 
des  Plato  ab  und  behauptete,  wie  Pyrrho,  es  gebe  keine  absolute  Wahr- 
heit, man  könne  höchstens  auf  Wahrscheinlichkeit  Anspruch  machen,  und 
es  müsse  daher  jeder  Weise  bei  seinem  Urtheile  in  jeder  Hinsicht  Zurück- 
haltung {Inoyrir)  beobachten.  Carneades,  der  Stifter  der  neuern  Academie, 
verliess  diesen  Grundsatz  des  Arkesilaos  wieder,  gab  zwar  das  Vorhanden- 
sein des  Wahren  und  Falschen  in  der  Welt  zu,  stritt  aber  nur  dem  Men- 
schen das  Vermögen  ab,  das  Eine  von  dem  Andern  zu  unterscheiden,  be- 
hauptete also,  man  könne  die  Wahrheit  nicht  erkennen  und  stand  also 
zwischen  dem  positiven  und  negativen  Dogmatismus  in  der  Mitte. 

 Socrates  

I.  Plato  II.  Antisthenes.   III.  Aristippj 

alt«  Academie.  1  I  Cyrenaiker. 

1.  (Speusippus)  2.  Aristoteles,         1.  Cyniker        2.  Stoiker 

Xenocrates  Peripatetiker,  lehrte     Diogenes  Zeno 

Pole^pTA^     fa  ^.J^  deS 

Krates  von  Tarsos 
u.  Krantor  von  Soli 

mittlere  I  Academie. 

i  Arkesilaos 

<PhocäerEvander  und  Hegesinus  aus  Pergamum 

I  neuere  Academie.  | 

\  Carneades. 

Zu  diesen  drei  Academieen  fügen  Manche  noch  die  vierte,  von  Philo  ge- 
stiftete hinzu  und  als  fünfte  die  von  seinem  Schüler  Antiochus  errichtete, 
obwohl  sie  beide  keine  besonderen  Lehrsätze  gehabt  haben. 


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XI.  Buch,  5.  Cap.,  §6  —  8. 


worden,  worin  und  in  wie  weit  sich  die  Pyrrhonier  und 
Academiker  (von  einander)  unterscheiden.  Beide  heissen 
nämlich:  Skeptiker  (Bedenklichkeitskrämer),  Ephektiker  (die 
sich  nach  der  Untersuchung  immer  noch  des  Urtheils  ent- 
hielten), Aporetiker  (Zweifler),  weil  sie  Beide  nichts  bejahen 
und  zugeben  und  nach  ihrer  Meinung  nichts  begreiflich  finden. 
Allein  von  allen  Gegenständen  aus  gehen  demnach,  wie  sie 
sagen,  die  (Erinnerungen  und  Reflexionen  über  die)  Er- 
scheinungen hervor,  welche  sie  Phantasieen  ((favzaoiai,  An- 
schauungsgebilde, d.  h.  durch  Sinneseindrücke  von  aussen 
entstandene  Vorstell ungen  und  Begriffe)  nennen,  die  aber 
nicht  in  der  wirklichen  Beschaffenheit  dieser  Dinge  selbst 
auftreten  (und  erscheinen),  sondern  nur  als  Empfindung  in  der 
Seele,  oder  in  dem  Körper  derer,  zu  denen  (oder  an  die)  diese 
Sinneseindrücke  gelangen.  7.  Deshalb  sagen  sie  auch,  dass 
überhaupt  alle  Dinge  (und  Vorgänge),  welche  die  menschlichen 
Sinne  berühren,  nur  „bezugsweise  (xwv  ngog  ti)u  beständen. 
Diese  Bezeichnung  soll  ausdrücken,  dass  es  nichts  (in  der 
Welt)  gebe,  was  für  sich  bestehe  und  nichts,  was  eine  selbst- 
ständige Kraft  und  Wirkungsfähigkeit  besitze,  sondern  dass 
alle  Dinge  durchaus  (mit  einander  im  Zusammenhang  und) 
eins  zum  andern  in  Beziehung  stehen;  dass  sie  ferner  uns 
als  solche  vorkommen  müssen,  wie  im  Augenblicke  ihres  Er- 
scheinens ihre  Aussenseite  sich  uns  zeigt,  und  wofür  sie  von 
uns  nach  unseren  empfangenen  Sinneseindrücken  gehalten 
werden,  nie  nach  ihrer  eigentlichen,  ursprünglichen  Wesenheit. 
8.  Da  nun  aber  sowohl  die  Pyrrhonier,  wie  die  Academiker 
auf  ganz  ähnliche  Art  diese  Behauptung  unter  einander 
theilen,  so  lässt  sich  nach  allgemeinem  Dafürhalten  trotzdem 
unter  beiden  doch  noch  ein  Unterschied  herausfinden,  nicht 
nur  in  einigen  andern  Beziehungen,  sondern  auch  besonders 
deshalb,  weil  die  Academiker  wenigstens  die  eine  Möglichkeit 
(festhalten  und)  begreiflieh  finden,  dass  man  nichts  begreifen 
könne,  und  nur  das  Eine  mit  Entschiedenheit  annehmen,  dass 
man  nichts  entschieden  (für  wahr)  annehmen  könne,  während 
die  Pyrrhonier  selbst  das  nicht  einmal  als  etwas  Wahres 
gelten  lassen  wollen,  weil  (im  Ganzen  genommen)  überhaupt 
nichts  wahr  zu  sein  scheine. 


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(106)  XL  Buch,  6.  Cap.,  §  1—6. 


XI,  6,  L.  (Behauptung)  Dass  zu  Rom  die  Frauen  nie  beim  Hercules,  noch 
die  Männer  beim  Castor  geschworen  hätten. 

.  XI,  6.  Cap.  1.  In  den  Schriften  der  Alten  schwören 
weder  die  römischen  Frauen  beim  Hercules,  noch  die  Männer 
beim  Castor.  2.  Nun  ist  es  aber  kein  Geheimniss,  warum 
die  Frauen  nicht  beim  Hercules  schwuren,  denn  sie  hielten 
sich  bei  der  Feier  zu  Ehren  des  Hercules  fern.  3.  Warum 
die  Männer  aber  als  eidliche  Versicherung  nicht  den  Namen 
des  Castor  ausgesprochen  haben  sollen,  lässt  sich  nicht  leicht 
sagen.  Nirgends  jedoch  lässt  sich  bei  guten  Schriftstellern 
beispielsweise  eine  Stelle  nachweisen,  dass  entweder  ein  Weib 
sich  bei  der  Versicherung  durch  einen  Schwur  „me  hercle 
(beim  Hercules)",  oder  ein  Mann  der  Formel  „me  castor  (beim 
Castor)"  bediente.  4.  Die  Versicherungsformel  „aedepol" 
aber,  welche  einen  Schwur  beim  (Gott)  Pollux  bedeutet,  war 
sowohl  bei  dem  männlichen,  wie  beim  weiblichen  Geschlecht 
im  Gebrauch.  5.  Allein  M.  Varro  behauptet  alles  Ernstes, 
dass  in  den  ältesten  Zeiten  die  Männer  weder  beim  Castor, 
noch  beim  Pollux  zu  schwören  pflegten,  dass  dies  aber  nur 
ein  von  dem  geheimen  eleusinischen  (Ceres-)  Gottesdienst 
überkommener  Frauenschwur  sei.  6.  Nach  und  nach  hätten 
aber  auch  Männer,  aus  Unkenntniss  alter  Sitte,  angefangen 
sich  dieser  Schwuresformel  „aedepol"  zu  bedienen  und  so 


XI,  6,  2.  Die  Frauen  durften  nach  Macrob.  Sat.  1, 12  bei  der  Gottes- 
verehrung des  Hercules  sich  nicht  einfinden,  weil  sie  ihm,  als  einst  ihn 
ungemein  dürstete,  nicht  einmal  Wasser  zu  trinken  geben  wollten;  daher 
bei  Properz  V  (IV),  9  v.  67—70: 

Der  als  gross t er  Altar  nach  gefundener  Heerde  geweiht  ward, 
Den  ich  mit  eigener  Hand  baute  zum  grössten  Altar, 

Niemals  werd'  er  geöffnet  der  Andachtsübung  der  Mägdlein; 
Dass  herkulischer  Kraft  nicht  ungebüsst  sei  der  Durst. 

Bei  grossen  Feierlichkeiten,  Dankesfesten  etc.  standen  alle  Tempel  offen. 

5.  Liv.  30,  17.  40;  45,  2.  Dass  nicht  alle  Tempel  dem  ganzen  Volke 
offen  standen,  hatte  seinen  Grund  darin,  weil  manche  überhaupt  nie  ge- 
öffnet wurden,  zu  manchen  aber  weder  Frauen  (wie  hier  zum  Tempel 
des  Hercules  s.  Macrob.  Sat  I,  12,  28;  Serv.  zu  Verg.  Aen.  8,  179;  Plut. 
Ilöm.  Fragen  57.  VH  p.  126  Reisk.)  noch  Freigelassene  (Macrob.  Sat  I, 

6,  13  und  Serv.  loc.  cit)  Zutritt  hatten.  Vergl.  überhaupt  Minuc.  Felix 
24,  5.   (Alb.  Forbiger.) 


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XI.  Buch,  6.  Cap.,  §6.-7.  Cap.,  §  1  —  4.  (107) 

habe  sich  diese  Ausdrucksweise  allgemein  eingebürgert;  dass 
aber  „me  castor"  von  den  Männern  gesagt  werde,  lasse  sich 
in  keinem  alten  Schriftwerke  auffinden  (oder  nachweisen). 

XI,  7,  L.  Dass  man  sich  niemals  ganz  veralteter  und  schon  verjährter 
und  abgekommener  Wörter  bedienen  soll.    (Ueber  denselben  Gegenstand 

schon  bei  Gell.  I,  10.) 

XI,  7.  Cap.  1.  Es  scheint  ein  gleich  grosser  Fehler  zu 
sein,  entweder  verlegener  oder  altvaterischer  Wörter  sich  zu 
bedienen,  oder  ungewöhnlich  neuer,  die  sich  wegen  ihrer 
Härte  und  Abgeschmacktheit  nicht  empfehlen.  Ich  aber  für 
meinen  Theil  finde  es  weit  gezwungener  und  tadelnswerther, 
neu  aufgewärmte,  verfallene,  vergessene  anzuwenden,  als  wie 
gewöhnliche  und  gemeine.  2.  Unter  den  neu  aufgewärmten 
verstehe  ich  offenbar  auch  solche,  welche  als  ausser  Gebrauch 
gesetzte  und  abgekommene  zu  betrachten  sind,  wenn  sie  auch 
(als)  uralt  (nachgewiesen  werden  können  und  vor  Alters  gäng 
und  gäbe  sein  mochten).  3.  Es  ist  sogar  dies  eine  fehlerhafte 
Erscheinung  bei  Verspätung  des  Unterrichts  (und  der  Erziehung), 
was  die  Griechen  mit  dem  Ausdruck  „bipipad-ia"  bezeichnen, 
dass,  wenn  Jemand  von  Etwas  keinen  Begriff  gehabt  hat  und 
darüber  lange  in  Unwissenheit  geblieben  ist,  wenn  er  dies 
nun  erst  einmal  (nachgelernt  und)  zu  wissen  angefangen,  er 
auch  gleich  einen  grossen  Werth  darauf  legt,  es  (aus  Wichtig- 
thuerei  und  aus  einer  damit  verbundenen  Eitelkeit)  allerorts  und 
bei  jeder  Gelegenheit  an  den  Mann  zu  bringen.  —  Während 
meiner  Anwesenheit  in  Rom  fand  ich  diese  Bemerkung  be- 
wahrheitet an  einem  zwar  alten  und  berühmten  Rechtsanwalt 
(bomo  in  causis),  der  aber  (wie  es  sich  gelegentlich  einst 
zeigte)  seinen  Wissensschatz  auch  nur  in  Eile  und  gleichsam 
im  Sturmesdrang  zusammengerafft  zu  haben  schien ;  denn  als 
er  vor  dem  Statthalter  (einen  Rechtsfall  vortrug  und)  im  Ver- 
laufe seiner  Verhandlung  von  einem  sagen  wollte,  dass  er 
nur  von  dürftiger  und  elender  Kost  sich  ernähre,  nur  Kleien- 
brot zu  essen  und  krätzerhaften,  stänkrigen  Wein  zu  trinken 
babe,  drückte  er  sich  also  aus:  „hic  eques  Romanus  apludam 
edit  et  flocces  bibit  (das  soll  heissen:  dieser  edle  römische 
Ritter  hat  nichts  als  Pollmehl  zu  essen  und  Weinhefen  zu 
trinken)."    4.  Von  den  Anwesenden  Allen  sahen  sich  Einer 


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r 


(108)  XL  Buch,  7.  Cap.,  §  4  —  9. 

den  Andern  an,  erst  ziemlich  ernst,  mit  verdutzter  und 
fragender  Miene,  was  wohl  jenes  (sonderbare)  Wörterpaar 
„apluda  und  flocces"  heissen  solle,  gleich  darauf  aber  brachen 
allesammt  in  ein  schallendes  Gelächter  aus  (über  sein  Kauder- 
welsch), gleich  als  hätte  er,  Gott  weiss,  was  für  ein  (un- 
verständliches) Tuscisch  oder  Gallisch  gesprochen.  5.  Es  hatte 
aber  der  gute  Mann  irgendwo  gelesen,  dass  die  (alten)  Land- 
leute die  Kleie  oder  Hülse  vom  Getreide  vor  Zeiten  „apluda 
(Pollmehl)"  genannt,  und  dass  selbst  Plautus  in  seinem  Lust- 
spiel, welches  „Astarba"  betitelt  ist,  wenn  dies  Stück  über- 
haupt noch  von  Plautus  selbst  herrührt,  sich  dieses  Ausdrucks 
bedient  habe.  6.  So  auch  hatte  er  (irgendwo)  aufgeschnappt» 
dass  in  der  alten  Sprache  mit  dem  Ausdruck:  „flocces"  die 
Weinhefen  bezeichnet  wurden,  d.  h.  der  aus  den  Weinträbern 
gepresste  Tresterwein,  sowie  mit  dem  Ausdruck  „fraces"  die 
aus  den  Oliven  gewonnenen  Oelhefen  und  Oeldrüsen,  und  das 
Wort  „flocces"  hatte  er  bei  Caecilius  (Statius)  in  dessen  Lust- 
spiel ^iwlov^evoi  (die  Verkäuflichen)"  gelesen,  und  dieses 
absonderliche  Wörterpaar  hatte  er  sich  nun  (absichtlich)  zur 
(effectvollen)  Ausschmückung  seiner  Rede  aufgespart.  7.  So 
wendete  auch  (einst)  ein  anderer,  von  ähnlicher,  flüchtiger 
und  oberflächlicher  Belesenheit  aufgeputzter  (geschmackloser) 
Einfaltspinsel  (apirocalus),  da  sein  Gegner  den  Antrag  stellte, 
den  Process  zu  vertagen,  sich  mit  folgenden  Worten  an  den 
Richter:  „Ich  bitte  Dich,  Praetor,  hilf  mir,  steh'  mir  bei! 
Wie  lange  doch  will  uns  dieser  (ewige)  Ausfluchtsucher  aul- 
halten (und  immer  wieder  Aufschub  verlangen)?"  Dabei 
wiederholte  er  mit  lauter  Stimme  drei-  bis  viermal  das  Wort : 
„bovinator",  welches  er  in  dem  Sinne  wollte  verstanden  wissen, 
wie  „Ausfluchtsucher".  8.  Es  entstand  fast  unter  allen  An- 
wesenden ein  allgemeines  Gemurmel,  da  sie  über  das  Wort- 
ungeheuer ganz  verwundert  waren.  9.  Allein  der  freche 
Mensch  warf  sich  in  die  Brust  und  sprach  mit  wichtiger 
Miene:  „Ihr  habt  (freilich)  wohl  denLucilius  nicht  gelesen,  der 
einen  „tergiversator"  (einen  Ausfluchtsucher)  mit  dem  Worte 


XI,  7,  7.  bovinari  (von  bos),  schreien,  also  „bovinator"  vielleicht: 
Schreihals. 


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— 4 


XL  Buch,  7.  Cap.,  §  10.  —  8.  Cap.,  §  1—4.  (109) 

„bovinator"  bezeichnet".  10.  Der  betreffende  Vers  kommt 
aber  im  21.  Buche  bei  Lucilius  vor  und  lautet: 

Hic  est  tricosus  bovinatorque  ore  improbus  duro,  d.  h. 

Ränk'schmied  ist  er  und  Ausfluchtsucher  von  schamlosem  Munde. 

« 

XI,  8,  L.  Des  M.  Cato  freie  Meinungsäusserang  über  den  Albinus,  der 
als  Römer  eine  römische  Geschichte  in  griechischer  Sprache  verfasste, 
vorher  sich  aber  (in  seiner  Vorrede)  wegen  der  Unerfahrenheit  in  dieser 
ihm,  als  einem  Römer,  fremden  Sprache,  Schonung  und  Nachsicht  erbittet. 

XI,  8.  Cap.  1.  M.  Cato  soll  über  den  A.  Albinus  einen 
ebenso  gegründeten,  wie  scharfsinnigen  Tadel  ausgesprochen 
haben.  2.  Dieser  Albinus,  der  sich  mit  Luc.  Lucullus  in  das 
Consulat  theilte,  hat  eine  römische  Geschichte  in  griechischer 
Sprache  verfasst.  3.  In  der  Vorrede  zu  diesem  seinen  Ge- 
schichtswerke beginnt  er  mit  einer  schriftlichen  Aeusserung 
folgenden  Inhalts:  „Niemand  werde  ihm  wohl  gebührender 
Massen  böse  sein  und  zürnen,  wenn  in  diesen  Geschichts- 
büchern die  Sprache  manchmal  nicht  recht  fliessend,  oder  der 
Stil  den  Regeln  des  Geschmacks  weniger  entsprechend  sein 
sollte."  Dann  lauten  seine  eigenen  Worte  (der  Entschuldigung) 
weiter:  „Denn  ich  bin  ja  ein  Homer,  in  Latium  geboren,  die 
griechische  Sprache  ist  eigentlich  so  gar  nicht  meine  Sache;" 
deswegen  also  verlangte  er,  wenn  sich  irgend  ein  Irrthum 
(und  Versehen)  vorfinden  sollte,  Schonung  und  Nachsicht  bei 
etwaiger  ungünstiger  Beurtheilung.  *  4  Als  M.  Cato  diesen 
vermeintlichen  Entschuldigungsgrund  gelesen  hatte,  sagte  er: 
Wahrhaftig,  Du  bist  doch  ein  rechter  Schalksnarr,  wenn  Du 
wegen  einer  (unnöthigen)  Verschuldung  lieber  hast  um  Ver- 
zeihung bitten  wollen,  als  dass  Du  dieses  Versehen  lieber 
hättest  ganz  vermeiden  sollen.  Denn  man  sucht  ja  nur  dann 
um  Entschuldigung  zu  bitten,  entweder  wenn  man  wider 
Wissen  und  Vermuthen  einen  Irrthum  begangen,  oder  wenn 
man  aus  Nothwendigkeit  gefehlt  hat.  Wer  aber,  ich  bitte 
Dich,  zwang  Dich  denn,  fuhr  Cato  weiter  fort,  zu  einer  That, 


XI,  8,  1.  Cfr.  Plut  Cat.  12;  Polyb.  40,  6;  Macrob.  Sat.  prooem. 
eitr;  Plutarch:  Denksprüche  der  Römer,  der  ältere  Cato  29. 

XI,  8,  2.  Ueber  A.  Postumius  A.  F.  Albinus  s.  Teuffels  röm.  Lit. 
Gesch.  126,  2. 


■ 

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•--^1.  .•-  ramm 


HO)  XI.  Buch,  8.  Cap.,  §  4.  5.  —  9.  Cap.,  §  1. 

für  die  Du  Dir,  bevor  Du  sie  noch  vollzogst,  (wie  Du  ganz 
richtig  fühltest)  erst  Verzeihung  erbitten  musstest?  5.  Diese 
Nachricht  steht  im  13.  Buche  des  Cornelius  Nepos  „über  be- 
rühmte Männer"  geschrieben. 

XI,  9,  L.  Eine  Erzählung,  die  sich  in  den  Schriften  des  Critolaus  be- 
richtet findet,  über  eine  milesische  Gesandtschaft  und  über  (eine  Bestechung 

des  Redners)  Demosthenes. 

XI,  9.  Cap.  1.  Bei  Critolaus  findet  sich  die  schriftliche 
Meldung,  dass  Gesandte  von  Milet  aus  Interesse  für  ihren 
Staat  nach  Athen  gekommen  seien,  vermuthlich  um  sich 
(daselbst)  Hülfe  zu  erbitten.  Hierauf  hätten  nun  diese  müe- 
sischen  Gesandten  geeignete  Wortführer  und  Fürsprecher  sich 
(als  Vertheidiger)  auserkoren,  und  (zur  Erreichung  ihrer 
Zwecke)  auf  ihre  Seite  zu  bringen  gewusst.  Diese  bevoll- 
mächtigten Rechtsanwälte  hätten  denn  nun  auch  (zur  Ent- 
ledigung des  ihnen  ertheilten  Auftrags)  sich  bei  dem  Volke 
für  das  Anliegen  der  Milesier  (warm)  verwendet,  allein  nur 
Demosthenes  habe  sich  dem  Verlangen  der  Milesier  heftig 
widersetzt,  sogar  behauptet,  die  Milesier  seien  weder  der 
Hülfe  würdig,  noch  könne  (überhaupt)  eine  Erfüllung  ihrer 
Bitte  dem  (athenischen)  Staate  von  Nutzen  sein.  Deshalb 
sei  der  Austrag  dieser  Angelegenheit  bis  auf  den  folgenden 
Tag  verschoben  worden.  Nun  aber  hätten  sich  die  Gesandten 
zum  Demosthenes  begeben  und  ihn  dringend  gebeten,  er 
möchte  ihnen  ferner  nicht  mehr  zuwider  sprechen.  Für  diese 
Gefälligkeit  habe  er  sich  Geld  erbeten  und  die  erbetene,  nicht 
unbedeutende  Summe  auch  wirklich  bekommen.  Als  nun 
Tags  nachher  die  Verhandlung  .dieser  Angelegenheit  aufs 
Neue  sollte  zur  Sprache  gelangen,  sei  Demosthenes,  Hals  und 
Nacken  in  Wolle  dicht  eingehüllt,  vor  das  Volk  mit  der  Er- 
klärung hingetreten,  er  leide  an  Halsbeklemmung  (synanche, 
eigentlich :  Halsbräune),  deshalb  könne  er  nicht  (auftreten  und) 
gegen  die  Milesier  sprechen.  Da  nun  habe  Einer  aus  der 
Volksmenge  ganz  laut  gerufen,  es  sei  nicht  Halsbeklemmung, 
woran  Demosthenes  leide,  sondern  Geldbeklemmung  (Argy- 


XI,  8,  5.  ia  libro  Cornelii  Nep.  de  illustribus  viris.  S.  Teuffels  röm. 
Lit  195,  5. 


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XI.  Buch,  9.  Cap.,  §  2.  - 10.  Cap.,  §  1.  (Hl) 


ranche,  eigentlich:  Geldbräune).  2.  Nach  dem  Bericht  des- 
selben Critolaus  soll  Demosthenes  diese  Thatsache  auch  durch- 
aus nicht  verhehlt  (oder  geleugnet)  haben,  nein,  er  rechnete 
sich  diese  That  (gesprächsweise)  gar  noch  zum  Ruhm  (und 
Verdienst)  an.  Denn  als  er  den  Schauspieldarsteller  Aristo- 
demus  gefragt  hatte,  wieviel  ihm  wohl  die  Darstellung  einer 
Rolle  eingetragen  habe  und  Aristodemus  antwortete:  ein 
Talent,  versetzte  Demosthenes :  Ei,  da  habe  ich  mir  doch  mit 
meinem  Schweigen  noch  weit  mehr  verdient. 

XI,  10,  L.  Dass  G.  Gracchus  in  einer  seiner  Reden  die  vorhin  erwähnte 
Begebenheit  dem  (berühmten,  athenischen)  Redner  Demades  zuschreibt,  nicht 
aber  dem  Demosthenes  und  es  wird  (deshalb  auch  gleich)  des  G.  Gracchus 

eigener  Wortlaut  angezogen. 

XI,  10.  Cap.  1.  Was  wir,  wie  im  vorigen  Abschnitt  ge- 
sagt, vom  Critolaus  über  den  Demosthenes  aufgezeichnet  ge- 
funden, denselben  Ausspruch  legt  G.  Gracchus  in  seiner  Rede, 
worin  er  (631/111)  die  Annahme  des  aufejischen  Gesetzes 


XI,  9,  2.  Auch  schon  in  alten  Zeiten  wurden  gute,  hervorragende 
Schauspieler  gut  bezahlt.  Nach  Plut.  X.  orat.  vit.  Demosth.  extr.  p.  848,  B 
soll  Polos  es  gewesen  sein,  der  sich  einst  gegen  Demosthenes  rühmte,  für 
sein  tragisches  Spiel  an  zwei  Tagen  ein  Talent  erhalten  zu  haben.  Ue- 
brigens  scheint  das  Talent  (1500  Thlr.)  macedonischer  Sold  zu  sein,  sonst 
würde  die  Antwort  des  Demosthenes,  er  habe  für  sein  Schweigen  an  einem 
Tage  fünf  Talente  (also  die  Summe  von  bis  gegen  8000  Thlr.)  erhalten, 
nicht  passen.  Die  geringere  Klasse  der  Schauspieler  war  zu  Lucians 
Zeiten  (Icaromen.  29)  für  7  Drachmen  (=  la/8  Thlr.)  per  Vorstellung  zu 
haben.  Amoebeus,  ein  berühmter  Musiker  zu  Athen,  um  dessen  willen 
sogar  Zeno  ins  Theater  ging,  um  ihn  zu  hören,  soll  an  jedem  Tage  für 
sein  Singen  auf  dem  Theater  ebenfalls  ein  Talent  erhalten  haben.  S. 
Plutarch:  über  moralische  Tugend  4.  Nach  Plin.  h.  n.  VU,  40  (39),  1 
bekam  der  Schauspieler  Roscius  jährlich  500,000  Sesterzien  (=  740,000 
Gulden).   Cfr.  Gell.  V,  8,  4  NB. 

XI,  10,  1.  Ueber  G.  Gracchus  s.  Teuffels  Gesch.  der  röm.  Lit  §  140, 
5.   Vergl.  Gell.  X,  3,  3-5;  XI,  18,  3;  XV,  12. 

XI,  10,  1.  Lange  röm.  Alterth.  §  133  S.  (578)  634.  Gewisse  nicht 
näher  bekannte  Beziehungen  zwischen  Mithridates,  Nicomedes  und  dem 
römischen  Volke  wollte  eine  lex  Aufeja  (?)  ordnen,  welche  C.  Sempr. 
Gracchus  widerrieth.  —  Demades  aus  Athen,  Ruderknecht,  dann  be- 
rühmter Redner,  Rivale  des  Demosthenes,  wurde  819  v.  Chr.  wegen  Ver- 
spottung des  Antipater,  Königs  von  Macedonien  und  Griechenland,  hin- 
gerichtet.  Vergl.  Plut.  Demosth.  und  Phocion. 


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(112) 


XI.  Buch,  10.  Cap.,  §  1—6. 


widerräth,  den  (berühmten  Rivalen  des  Demosthenes ,  dem 
athenischen  Redner)  Demades  in  den  Mund.  Die  Stelle 
lautet  daselbst  also:  2.  „Denn  wahrhaftig,  ihr  edlen  Römer, 
gesetzt  ihr  wolltet  auch  all  eure  Weisheit  und  Tugendhaftig- 
keit in  Anschlag  bringen,  und  gesetzt,  ihr  wolltet  euch  aber 
dann  einmal  ernstlich  prüfen  und  fragen,  so  werdet  ihr  heraus- 
finden, dass  Keiner  von  uns  hierher  an  die  Oeifentlichkeit 
tritt  ohne  (Absicht  auf)  Belohnung.  Wir  Alle  (wie  wir  hier 
sind)  suchen,  wenn  wir  das  Wort  ergreifen,  stets  dabei  irgend 
etwas  zu  erreichen  und  Keiner  tritt  wegen  irgend  einer  be- 
liebigen Angelegenheit  vor  euch  auf,  ohne  (den  Wunsch)  Etwas 
von  euch  zu  erlangen.  3.  Auch  ich  selbst,  der  ich  eben  jetzt 
vor  euch  das  Wort  ergreife,  erscheine  (ehrlich  gestanden) 
nicht  so  ganz  uneigennützig,  denn  mein  Begehr  ist,  dass  ihr 
eure  Einkünfte  zu  vermehren  suchet,  damit  es  euch  leichter 
möglich  wird,  euren  Vortheil  zu  wahren  und  das  Regiment 
des  Staates  im  Auge  zu  behalten;  dabei  ist  es  bei  mir  aber 
nicht  auf  euer  Geld  abgesehen,  sondern  lediglich  auf  euer 
gütiges  Zutrauen  und  auf  eure  Hochachtung,  um  die  ich  euch 
bitte.  4.  Allen  Denjenigen  aber,  welche  hier  hervortreten  in 
der  Absicht,  euch  von  der  Annahme  dieses  Gesetzes  abzurathen, 
ihnen  liegt  durchaus  nichts  an  eurer  Hochachtung,  aber  desto 
mehr  an  dem  Gelde  des  Nicomedes.  Und  hinwiederum  Denen, 
welche  euch  zur  Annahme  rathen,  ist  es  bei  euch  auch  durch- 
aus nicht  um  eure  gute  Meinung  zu  thun,  sondern  lediglich 
nur  bei  dem  Mithridates  um  den  Lohn  und  Preis  zu  ihrer 
Gütervermehrung.  Endlich  Die  nun,  welche  hier  an  eurer 
Seite  der  Reihe  nach  ganz  in  Stillschweigen  verharren,  das 
sind  die  allerschlimmsten  und  begehrlichsten,  denn  diese 
ziehen  von  Allen  ihre  Vorth  eile  und  täuschen  (und  bevor- 
theilen)  Alle.  5.  Ihr  also,  weil  ihr  sie  von  allen  verdächtigen 
Absichten  (des  Eigennutzes)  frei  glaubt,  schenkt  (nun  vor 
Allen)  diesen  (Schweigern)  euer  gütiges  Zutrauen;  6.  Die 
Gesandten  aber  von  königlicher  Seite,  weil  sie  meinen,  dieses 
Stillschweigen  geschehe  nur  in  ihrem  Interesse,  suchen  diese 
(Schweiger)  durch  Aufwand  (bestehend  in  Geschenken  und 


XI,  10,  4.  Zwei  eigennützige  Motive  sind  es,  welche  die  Volksredner 
leiten,  entweder  Ehrgeiz,  oder  Geldgeiz.  S.  Plutarch:  politische  Lehren  27. 


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XL  Buch,  10.  Cap.,  §  6.  —  11.  Cap.,  §  1  — & 


(113) 


Einladungen)  und  durch  die  grössten  Geldsummen  schadlos 
zu  halten,  gerade  so  wie  dies  einst  in  Griechenland  der  Fall 
war,  zur  Zeit,  als  ein  griechischer  Schauspieler  sich  etwas 
darauf  zu  Gute  that  für  die  Darstellung  eines  einzigen  Stückes 
ein  grosses  (attisches)  Talent  (an  Werth  1500  Thlr.)  erhalten 
zu  haben,  worauf  ihm  Demades,  der  grösste  Redner  seiner 
Vaterstadt  (Athen)  geantwortet  haben  soll:  „„Dir  kommt  es 
wunderbar  vor,  wenn  Du  Dir  für  Dein  Sprechen  ein  Talent 
erworben  hast?  Ich  erhielt  für  mein  (blosses)  Schweigen 
vom  König  (Alexander)  zehn  Talente." u  „Gerade  so  sehe  ich 
unsere  hiesigen  Schweiger  für  ihr  (jetziges)  Schweigen  die 
grössten  Belohnungen  einheimsen." 

XI,  11,  L.    Stelle  aus  P.  Nigidius,  wo  er  behauptet,  dass  ein  Unterschied 
stattfinde  zwischen  „mentiri"  (was  so  viel  bedeuten  soll,  als  unser:  anlügen) 
und  „mendacium  dicere"  (unser:  nachliigen  sein  soll). 

XI,  11.  Cap.  1.  Folgende  Stelle  enthält  die  eigenen 
Worte  des  P.  Nigidius,  eines  in  Kunst  und  Wissenschaft  her- 
vorragenden Mannes,  vor  dessen  Geist  und  Gelehrsamkeit 
(selbst)  M.  Cicero  die  grösste  Hochachtung  hegte.  P.  Nigidius 
schreibt:  „Zwischen  dem  Ausdruck  „mendacium  dicere"  und 
„mentiri"  findet  ein  Unterschied  statt.  „Mentiri"  wird  von  dem 
gesagt,  der  sich  selbst  zwar  nicht  irrt  oder  täuscht,  sondern 
nur  einen  Andern  betrügen  (und  anlügen)  will;  „mendacium 
dicere"  aber  heisst  es  von  dem,  der  sich  in  Selbsttäuschung 
befindet  (im  Sinne  wie  unser:  nachlügen,  unbewusst  eine  Un- 
wahrheit sagen  oder  nacherzählen)."  2.  Darauf  folgt  auch 
noch  der  Zusatz:  „Wer  anlügt  (qui  mentitur),  will  (so  viel 
auf  ihn  ankommt)  nach  Möglichkeit  (Einen)  betrügen;  aber 
wer  eine  Lüge  nachsagt  und  weitersagt  (qui  mendacium  dicit), 
ist,  soviel  an  ihm  liegt,  seiner  Absicht  nach  nicht  Willens 
(Jemanden)  zu  betrügen."  3.  Weiter  setzt  er  seine  Betrachtung 
auch  noch  über  diesen  Gegenstand  mit  folgenden  Worten  fort : 


XI,  11,  1.   Ueber  Nigidius  s.  Gell.  IV,  9,  1  NB. 

XI,  11,  3.  *)  Incidit  in  hominem.  Polyb.  12,  5  heisst  es:  Es.  giebt 
zweierlei  Unwahrheiten.  Die  eine  entspringt  aus  der  Unwissenheit,  die 
andere  rührt  von  der  Bosheit  her.  Denen,  die  aus  Unwissenheit  fehlen, 
muss  man  vergeben,  hingegen  unversöhnlich  gegen  die  sein,  welche  ab- 
sichtlich und  vorsätzlich  die  Wahrheit  verfälschen. 

Rellins.  Attische  Nächte.   II.  8 


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(114)         XL  Buch,  11.  Cap.,  §  3.  4.  —  12.  Cap.,  §  1—3. 


„Der  biedere,  rechtliche  Mann  muss  (andern  dadurch)  vor- 
ßtreben,  dass  er  sich  nie  einer  (wissentlichen,  absichtlichen) 
Lüge  schuldig  macht ;  der  kluge  Mann,  dass  er  nie  eine  Lüge 
nachsagt  (und  weiter  verbreitet).  Die  erste  (beabsichtigte) 
Schuld  fällt*)  auf  das  Subject  (den  Thäter)  zurück, 
die  zweite  (unbeabsichtigte)  nicht."  4.  Es  war  wahrlich  be- 
wundernswürdig, wie  Nigidius  auf  mannigfaltige  und  liebens- 
würdige Art  so  viele  Gedanken  in  Ansehung  eines  und  des- 
selben Gegenstandes  (von  den  verschiedensten  Gesichtspunkten 
aus)  zu  vertheilen  (und  zu  beleuchten)  wusste,  und  zwar  so, 
als  ob  er  immer  wieder  etwas  Neues  vorbrächte. 

XI,  12,  L.    Nach  der  Behauptung  des  Philosophen  Chrysippus  ist  jedes 
Wort  (seiner  Bedeutung    nach)   zweideutig    nnd    zweifelhaft;    nach  der 
Meinung  des  Diodor  dagegen  ist  kein  Wort  zweideutig. 

XI,  12.  Cap.  1.  Chrysippus  sagt,  dass  jedes  Wort 
ursprünglich  (ambiguum)  zweideutig  sei,  weil  aus  demselben 
(verhältnissmässig)  zwei  oder  sogar  noch  mehrere  Bedeutungen 
hergeleitet  werden  können.  2.  Diodorus  aber,  mit  dem  Beinamen 
Cronus,  sagt,  kein  Wort  ist  zweideutig,  noch  spricht  oder  denkt 
Jemand  doppelt,  noch  darf  es  den  Anschein  haben,  dass  von 
etwas  Anderem  die  Rede  ist,  als  was  der  Sprechende  denkt, 
dass  er  spricht.  3.  Aber  wenn  ich  etwas  Anderes  gedacht 
(und  gemeint)  habe,  Du  aber  etwas  Anderes  verstandest,  so 
kann  es  wahrscheinlich  werden,  dass  die  Rede  mehr  unklar 
als  zweideutig  war ;  denn  das  Wesen  des  zweideutigen  Wortes 
müsste  es  dann  auch  so  mit  sich  bringen,  dass  (jedesmal) 

XI,  12,  1.  Wahrscheinlich  in  der  verloren  gegangenen  Schrift,  (sechs 
Bücher):  ntQi  rrjs  xaxit  tag  l&tig  dvo/jaUag,  welche  nach  Varro  (L  1. 
IX,  1)  in  der  Absicht  geschrieben  war,  um  darzuthun,  dass  ähnliche  Dinge 
mit  unähnlichen  Namen  und  umgekehrt  belegt  werden  (wie  z.  B.  lucus  a 
non  lucendo).  Dieses  Werk  über  Anomalie  erwähnt  auch  Plutarch:  über 
moralische  Tugend  cap.  10.  Vergl.  Amphibolie  bei  Quintil.  VII,  10,  3  und 
Göschel  „Zerstreute  Blätter",  IL  Theil  S.  371. 

XI,  12,  2.  Diodorus  von  Jasus  in  Karien,  Schüler  des  Eubulides, 
war  einer  der  berühmtesten  Dialectiker  seiner  Zeit  und  wird  für  den  Er- 
finder des  sogenannten  „gehörnten  Trugschlusses"  gehalten.  Da  er,  bei 
einem  Gastmahle  des  Königs  Ptolemäus  I,  ein  ihm  von  einem  andern 
Dialectiker  vorgelegtes  Sophisma  nicht  zu  lösen  vermochte,  soll  er  sich 
deshalb  zu  Tode  gegrämt  und  vom  König  den  Spottnamen  Kronos  erhalten 
haben.    S.  Diog.  Laert.  II,  111. 


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XL  Buch,  12.  Cap.,  §  3.  —  13.  Cap.,  §  1—5.  (115) 

der  Sprechende,  dann  auch  allemal  zwei  oder  mehrere  Begriffe 
zugleich  ausspräche.  Niemand  aber  spricht  zwei  oder  mehrere 
Gedanken  auf  einmal  aus,  der  sich  des  Einen  (gehörig)  be- 
wusst  ist,  was  er  sagt. 

XI,  13,  L.    Unheil  des  T.  Castricius  über  die  sonderbare  Ausdrucksvveise 
in  einer  Stelle  des  G.  Gracchus;  ferner  Beweis,  dass  diese  Stelle  ohne 
allen  Vortheil  für  den  Gedanken  (ausgefallen)  sei. 

XI,  13.  Cap.  1.  Bei  dem  Lehrer  der  Redekunst,  bei  T. 
Castricius,  einem  Manne  von  strengem  und  sicherem  Urtheil, 
wurde  die  Rede  des  G.  Gracchus  gegen  den  P.  Popilins 
gelesen.  2.  Im  Eingange  seiner  Rede  findet  eine  sorgfältigere 
und  melodisch  abgemessenere  Anordnung  der  Worte  statt, 
als  dies  sonst  bei  den  älteren  Rednern  Sitte  und  Gebrauch  ist. 
3.  Die  genannten,  rhetorisch  (künstlich)  geordneten  Worte 
sind,  wie  gesagt,  folgende:  „Was  ihr  euch  diese  Jahre  über 
mit  Leidenschaft  ersehnt  und  gewünscht  habt,  wolltet  ihr  es 
jetzt  unbesonnener,  thörichter  Weise  zurückweisen,  so  kann 
nicht  ausbleiben,  dass  man  von  euch  wird  sagen  müssen, 
entweder  ihr  habt  dies  früher  mit  (ungerechtfertigter)  Leiden- 
schaft ersehnt,  oder  nur  unbesonnen  zurückgewiesen."  4.  Die 
Wendung  und  der  Klang  dieses  (periodisch)  runden  und  ge- 
läufigen Gedankens  ergötzte  uns  nun  (einst)  ungemein  und 
ausserordentlich,  und  gerade  deshalb  um  so  mehr,  weil  wir 
glaubten,  dass  schon  damals  (selbst)  dem  G.  Gracchus,  diesem 
ausgezeichneten  und  strengen  Mann,  eine  solche  rhetorisch 
(künstliche)  Anordnung  (der  Worte)  müsse  gefallen  haben. 
5.  Allein,  als  wir  uns  (nachher)  auf  unsern  besonderen  Wunsch 
diese  Stelle  öfters  wieder  vorlesen  Hessen,  veranlasste  uns 
Castricius  zu  überlegen,  worin  wohl  die  Wirkung  und  das 
Vorzügliche  dieses  Gedankens  bestände,  und  (mahnte  uns) 
vorsichtig  zu  sein,  damit  nicht  etwa  unser  Ohr  durch  den 
Klang  eines  (zufällig)  nicht  unpassenden  Periodenbaues  ver- 
lockt, auch  unser  Empfinden  und  Nachdenken  durch  leeren 
(eitlen)  Reiz  ausser  Fassung  bringen  möchte.  Und  als  er  nun 
durch  diesen  zurechtweisenden  Wink  uns  aufmerksamer  ge- 


XI,  13,  L  Cfr.  Gell.  I,  11,  10  NB;  X,  3,  3;  XI,  10,  3  NB;  XV, 
12,  1  NB  über  G.  Gracchus. 

8* 


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(116) 


XI.  Buch,  13.  Cap.,  §5—9. 


macht  hatte,  fuhr  er  fort:  „Untersucht  nun  doch  einmal  ge- 
nau, was  diese  Worte  darthun,  was  beweisen  sollen,  und  dann 
soll  mir  gefälligst  Einer  von  euch  sagen,  ob  sich  in  diesem 
Gedanken  wirklich  eine  Bedeutsamkeit  oder  Anmuth  nach- 
weisen lässt:"  (Hört  also  die  Stelle  noch  einmal  genau  an) 
„Was  ihr  euch  diese  Jahre  über  mit  Leidenschaft  ersehnt 
und  gewünscht  habt,  wolltet  ihr  es  jetzt  unbesonnener  Weise 
zurückweisen,  so  kann  nicht  ausbleiben,  dass  man  von  euch 
wird  sagen  müssen,  entweder  ihr  habt  dies  früher  mit  (un- 
gerechtfertigter) Leidenschaft  ersehnt,  oder  nun  unbesonnen 
zurückgewiesen."  6.  Denn  wem  von  allen  Menschenkindern 
sollte  hier  nicht  gleich  einfallen,  dass  die  nothwendige  Folge 
davon  unbedingt  die  sei,  dass  man  von  Dir  sagen  wird,  was 
Du  in  (toller)  Leidenschaft  begehrt  hast,  hast  Du  in  (toller) 
Leidenschaft  begehrt  und  was  Du  unbesonnen  verschmäht 
hast,  hast  Du  unbesonnen  verschmäht?  7.  Aber,  fuhr  er 
fort,  ich  meine,  wenn  so  geschrieben  stände :  Wenn  ihr  jetzt 
das,  was  ihr  die  letzten  Jahre  über  ersehnt  und  gewünscht 
habt,  von  euch  weisen  solltet,  so  kann  es  nicht  ausbleiben, 
dass  man  euch  nachsagen  wird,  dass  ihr  es  früher  mit  (un- 
gerechtfertigter) Leidenschaft  begehrtet,  oder  dass  ihr  es  nun 
auf  (unerklärlich)  thörichte  Weise  verschmäht  habt;  8.  wenn, 
wie  gesagt,  der  Satz  so  lautete,  so  würde,  sollte  ich  meinen, 
der  Gedanke  gewichtiger  und  gediegener  hervortreten  und 
sich  im  Herzen  der  Hörer  eine  wohlbegründete  Erwartung  und 
Spannung  erringen;  9.  so  aber  werden  nun  die  beiden  Aus- 
drücke „cupide"  (mit  Leidenschaft)  und  „temere"  (aus  Laune, 
unbedachtsam,  thörichter  Weise),  worauf  das  ganze  Gewicht 
des  Inhalts  beruht,  und  die  deshalb  von  höchster  Wichtigkeit 
sind,  nicht  nur  im  Schlusssatz  ausgesprochen,  sondern  stehen 
auch  im  Vordersatz  ohne  jedes  Verlangen  und  ohne  alle 
Notwendigkeit,  und  was  erst  aus  dem  Vordersatz  hätte  her- 
vorgehen und  sich  entwickeln  sollen,  wird  überhaupt  schon 
vorher,  ehe  es  die  Umstände  erforderten,  ausgesprochen.  Denn 
wer  sich  so  ausdrückt:  „wenn  Du  das  gethan  haben  wirst,  so 
wird  es  von  Dir  heissen,  Du  hast  es  in  der  Leidenschaft 
gethan",  der  spricht  offenbar  einen  vernunftgemäss  zusammen- 
gestellten und  folgerichtigen  Gedanken  aus;  wer  sich  aber  so 
ausdrückt:  wenn  Du  dies  mit  Leidenschaft  gethan  haben 


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XI.  Buch,  13.  Cap.,  §  9.  10.  -  14.  Cap.,  §  1.  (117) 


solltest,  so  wird  es  heissen,  Du  hast  es  mit  Leidenschaft  ge- 
than,  der  sagt  damit  gar  nichts  Anderes,  als  ob  er  sich  so 
vernehmen  liesse:  wenn  Du  dies  mit  Leidenschaft  gethan 
haben  wirst,  so  wirst  Du  es  mit  Leidenschaft  gethan  haben. 
10.  Dies  wollte  ich  euch  nur  in  Erinnerung  gebracht  haben, 
sagte  er,  nicht  etwa  um  dem  G.  Gracchus  einen  Vorwurf  des- 
halb zu  machen,  —  das  mögen  die  Götter  verhüten,  die  mir 
bessere  Gesinnungen  einflössen,  —  denn,  sollte  man  auch 
wirklich  einem  Manne  von  so  bedeutender  Beredtsamkeit  den 
Vorwurf  eines  Fehlers  oder  Irrthums  machen  können,  dies 
Alles  muss  uns  sowohl  die  Würde  und  das  Ansehen  dieses 
grossen  Mannes  ertragen,  als  auch  die  (ehrwürdig)  alte  Zeit 
(mit  milderer  Beurtheilung)  übersehen  lassen:  sondern  meine 
Mahnung  hat  nur  den  Zweck  (und  die  Absicht),  euch  Vorsicht 
anzuempfehlen,  dass  ihr  euch  nicht  gleich  so  ohne  Weiteres 
durch  den  zufällig  melodischen  Klang  eines  leichten  Rede- 
flusses zu  sehr  einnehmen  (und  hinreissen)  lassen  sollt  und 
dass  ihr  vorher  erst  die  Bedeutung  des  Inhalts  und  den  Werth 
des  Gesagten  genau  abwäget,  und  wenn  der  ausgesprochene 
Gedanke  von  Wichtigkeit  ist  und  stichhaltig,  unantastbar  und 
(natürliche)  Wahrheit  enthält,  dass  ihr  dann,  wenn  sich  dieses 
Gefühl  euch  aufdrängen  sollte,  dem  Gange  und  der  Lebhaftig- 
keit der  Rede  und  der  Leidenschaftlichkeit  (des  Redners) 
euren  Beifall  durchaus  nicht  vorenthaltet,  wenn  aber  (fade) 
hausbackene,  haltlose  und  eitel  unnütze  Begriffe  in  genau 
und  abgemessen  zusammengekünstelte  Worte  eingepfercht 
sein  sollten,  so.  stellt  euch  das  gerade  so  vor,  als  wenn  ein 
ganz  missgestalteter  Mensch,  nur  um  die  Leute  zum  Lachen 
zu  bringen,  einen  Schauspielkomiker  nachzuahmen  sich  be- 
müht, und  zum  reinen,  elenden  Faxenmacher  herabsinkt. 

XIj  1 4,  L.  Besonnene  und  ausserordentlich  schlagende  Antwort  des  Königs 
Komulus  in  Betreff'  des  (massigen)  Weingenusses. 

XI,  14.  Cap.  1.  Der  lieblichsten  Einfachheit,  sowohl 
dem  Inhalte,  wie  der  Redeform  nach,  hat  sich  L.  Piso  (mit 


XI,  13,  9.  Dies  würde  eine  Tautologie  sein,  wobei  ganz  dasselbe  noch 
einmal  und  zwar  mit  denselben  Worten  gesagt  wird. 

XI,  14,  1.   üeber  L.  Calpurnius  Piso  s.  Gell.  VII  (VI),  9,  1  NB. 


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(118)         XI.  Buch,  14.  Cap.,  §  1.  2.  —  15.  Cap.,  §  1  —3. 


dem  Beinamen)  Frugi  (der  Biedere)  bei  seiner  Schilderung 
im  ersten  Buche  seiner  Jahrbücher  bedient,  wo  er  über  das 
Leben  und  die  Lebensweise  des  Königs  Romulus  schreibt. 
2.  Die  betreffende  Schriftstelle  lautet  dort  bei  ihm  also:  „Von 
demselben  Romulus  erzählt  man  sich,  dass,  als  er  einst  zu 
einem  Gastmahle  geladen  worden  war,  er  daselbst  nicht  viel 
(Wein)  getrunken  habe,  weil  er  Tags  darauf'  ein  Staatsgeschäft 
(zu  besorgen;  hatte.  Man  macht  ihm  deshalb  die  Bemerkung: 
„„Wenn  alle  Menschen  es  wie  Du  machen  wollten,  Romulus, 
würde  der  Wein  sehr  billig  werden." u  Darauf  antwortete  er : 
„„Fürwahr  im  Gegentheil  theurer  (würde  er  werden),  wenn 
Jeder,  so  viel  ihm  beliebte,  tränke;  denn  ich  trank  so  viel, 
als  mir  beliebte."  ■ 

XI,  15,  L.  Ueber  die  Wörter:  „ludibundus"  und  „errabundus"  und  über 
ähnliche  Wortverlängerung  (durch  Ansetzung  dieser  Endung);  ferner,  dass 
Laberius  gerade  so  das  Wort  „amorabundus"  (liebegeneigt,  liebesüchtig, 
nicht  vom  Verbum,  sondern  vom  Snbstantivum  abgeleitet)  gesagt  hat,  wie 
man  „ludibundus"  und  „errabundus"  gebraucht;  endlich  noch,  dass  Sisenna 
nach  dem  Beispiel  eines  derartigen  Wortes  eine  neue,  gleiche  Wortform 

gebildet  hat. 

XI,  15.  Cap.  1.  Laberius  hat  in  seinem  „Averner-See" 
eine  verliebte  Frau  mit  dem  höchst  ungewöhnlichen  und  selbst- 
gebildeten Ausdruck  „amorabundus  (liebegeneigt,  liebesüchtig)" 
bezeichnet.  2.  Caesellius  Vindex  sagt  in  seiner  Beispielsammlung 
und  Erläuterung  „alter  Wörter  und  Ausdrücke",  dass  dies 
Wort  der  ähnlichen  Form  nachgebildet  sei,  wie  man  die  Aus- 
drücke braucht:  ludibundus  (spielerig,  spielstichtig),  ridi- 
bundus  (lachlustig)  und  errabundus  (streifstich tig,  in  einem 
fort  umherirren)  für  (die  einfachen)  ludens  (spielend),  ridens 
(lachend)  und  errans  (umherschweifend).  3.  Allein Terentius 
Scaurus,  der  allerausgezeichnetste  Grammatiker,  zu  Zeiten 


XI,  15,  L.  Die-  Endungen  „äbundus",  „ebundus"  und  „Kbundus"  be- 
zeichnen eine  eifrige,  nachhaltende  Beschäftigung  mit  dem,  was  das  Stamm- 
wort sagt,  oder  dass  die  Thätigkeit  oder  der  Zustand  in  einer  gewissen 
Starke  und  Fülle  vorhanden  sei.  Gellius  scheint  die  Endung  „abundus" 
(§  8)  von  „abundo"  ableiten  zu  wollen. 

XI,  15,  3.  Ueber  Terentius  Scaurus  s.  Teuffels  Gesch.  der  röm.  Lit. 
347,  1.  4.  5. 


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XI.  Buch,  15.  Cap.,  §3  —  6. 


des  göttlich  erhabenen  Hadrian,  schreibt  unter  anderen  Be- 
merkungen, die  er  über  die  Irrthümer  des  Caesellius  heraus- 
gegeben hat,  dass  dieser  sich  auch  bei  der  besprochenen 
Wortform  im  Irrthum  befunden,  weil  er  geglaubt  habe,  es 
sei  zwischen  ludens  und  ludabunda,  zwischen  ridens  und  ridi- 
bunda  und  zwischen  errans  und  errabunda  kein  Unterschied. 
Denn  Caesellius  hat  behauptet,  „ludibunda,  ridibunda  und 
errabunda  wird  diejenige  Frauensperson  genannt,  welche  der 
That  oder  dem  Scheine  nach  eine  Spielende,  oder  Lachende 
oder  Irrende  darstellt1'.  4.  Aus  welcher  Ursache  sich  Scaurus 
aber  bewogen  gefühlt  hat,  dem  Caesellius  hier  einen  Vorwurf 
zu  machen,  habe  ich  in  der  That  nicht  herausfinden  können. 
Denn  es  ist  ausser  allem  Zweifel,  dass  die  (genannten)  Wörter 
genau  genommen  an  und  für  sich  die  Grundbedeutung  ihrer 
(einfachen)  Stammwörter,  von  denen  sie  abgeleitet  werden, 
beibehalten.  In  Betreff  dessen  aber,  was  Scaurus  mit  seiner 
Erklärung  sagen  wollte:  „ludentem  agere  vel  imitari"  heisse 
eine  Person  die  scherzt  und  Possen  treibt,  darstellen  oder  nach- 
ahmen, so  möchte  ich  lieber  den  Schein  des  Nichtverstehens 
auf  mich  laden,  als  mich  zu  der  Beschuldigung  hinreissen 
lassen,  dass  er  wohl  selbst  hier  in  seinem  Urtheil  nicht  so 
ganz  klar  gewesen  sei.  5.  Nein,  Scaurus,  indem  er  die  Er- 
läuterungen des  Caesellius  tadelte  und  bekrittelte,  hätte  viel- 
mehr ein  Versehen  von  diesem  wieder  gut  machen  und  das 
von  diesem  Uebergangene  und  in  seiner  Erklärung  Aus- 
gelassene erst  recht  nachholen  und  ergänzen  müssen,  welch 
ein  erheblicher  Unterschied  zwischen  ludibundus  und  ludens 
(zwischen  redibundus  und  ridens),  zwischen  errabundus  und 
errans  und  zwischen  allen  andern  derartigen  ähnlichen  Aus- 
drücken stattfindet  und  ob  solche  (Wortverlängerungen)  von 
ihren  Stammwörtern  sich  in  irgend  einer  Beziehung  unter- 
scheiden und  welche  Bedeutung  überhaupt  das  Anhängsel 
am  Ende  von  dergleichen  Ausdrücken  hat.  6.  Denn  bei  Ab- 
handlung dieser  Wortform  kam  es  doch  vorzüglich  darauf  an, 
nachzuforschen,  —  gleichwie  man  sich  ähnlich  zu  fragen 
pflegt  bei  den  Wörtern:  vinolentus  (weinberauscht),  lutulentus 
(kothbeschmutzt),  und  turbulentus  (unruhvoll,  ungestüm),  — 
ob  dergleichen  Endverlängerungen  am  Stammwort,  welche  die 
Griechen  nagaywyai  (Endlautszusätze,  Suffixa,  terminationes) 


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(120)  XI.  Buch,  15.  Cap.,  §  7.  8.  —  16.  Cap.,  §  1. 

nennen,  bedeutungslos  und  eigentlich  überflüssig  sind.  7.  In- 
dem wir  diesen  Tadel  des  Scaurus  aufzustechen  uns  veranlasst 
fühlten,  kam  uns  da  wieder  bei,  dass  sich  Sisenna  dieser 
Wortendungsverlängerung  im  4.  Buche  seiner  „Geschichte" 
auch  noch  an  einem  andern  Worte  bedient  hat,  er  sagt  da 
nämlich:  „populabundus  agros  ad  oppidum  pervenit",  was 
doch  wohl  nichts  Anderes  heissen  soll,  als:  „Er  kam  (unauf- 
hörlich und  nach  allen  Seiten  hin)  Felder  und  Land  verheerend 
oder  verwüstend  bis  vor  die  Stadt",  sicher  aber  nicht,  wie 
Scaurus  bei  ähnlich  gebildeten  Wörtern  erklärt,  in  dem  Sinne 
zu  nehmen  ist,  wie:  „cum  populantem  ageret  oder  cum  (po- 
pulantem)  imitaretur,  d.  h.  als  er  einen  Verheerenden  der 
That  oder  dem  Scheine  nach  vorstellte."  8.  Bei  meiner 
femerweitigen  Nachforschung  über  die  Bedeutung  und  den 
Ursprung  jeder  derartigen  Endungsform  (auf  -bundus),  wie  bei 
den  Wörtern  populabundus,  errabundus,  laedabundus  (freud- 
voll), ludibundus  und  noch  vielen  andern  dieser  Art,  versicherte 
mich  mein  Freund  Apollinaris  wahrlich  höchst  geistvoll  und 
treffend  {eveTtißoltaq) ,  ihm  scheine  es,  dass  alle  auf  dieses 
Endanhängsel  auslaufenden  Wörter  eine  Stärke,  eine  Menge 
und  gleichsam  einen  Ueberfluss  von  dem  anzeigen,  was  ihr 
Stammwort  besagt,  so  dass  z.  B.  mit  laetabundus  Einer  be- 
zeichnet wird ,  der  übermässig  (abunde)  freudig  ist  und  mit 
errabundus  Einer,  der  sich  in  unaufhörlichem  und  über- 
mässigem (abundanti  errore)  Irrthume  befindet;  und  so 
zeigte  er  uns,  dass  alle  derartig  gebildeten  Wörter  in  solchem 
Sinne  gesagt  werden,  dass  diese  Wortverlängerung  und  dieses 
Endanhängsel  eine  reichliche  überströmende  Kraft  und  Menge 
angiebt. 

XI,  16,  L.    Wie  schwer  es  sei,  gewisse  ;griechische  Ausdrücke  lateinisch 
zu  übersetzen,  wie  z.  B.   das  griechische  Wort:  7toXv7tQayf4oavvi\  (ge- 
schäftige Neugierigkeit,  vorwitzige,  zudringliche  Geschäftigkeit,  mit  welcher 
sich  manche  Leute  in  Dinge  mengen,  die  sie  nichts  angehen). 

XI,  16.  Cap.  1.  Ich  habe  oft  Beobachtungen  angestellt 
und  meine  besondere  Aufmerksamkeit  auf  die  gar  nicht  ge- 


XI,  15,  7.  populabundus  cfr.  Sisenna  histor.  IV  ap.  Non.  Marc.  VII, 
471,  22  edit  Gerlach  und  Roth. 


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XI.  Buch,  16.  Cap.,  §  1—5.  (121) 

ringe  Anzahl  von  Begriffsbestimmungen  (vocabula  rerum)  ge- 
richtet, welche  sich  weder  mit  wenigen  und  kurzen  Worten, 
wie  von  den  Griechen,  noch  sich,  selbst  wenn  wir  sie  durch 
eine  ausserordentlich  lange  Umschreibung  wiedergeben  wollten, 
so  klar,  deutlich  und  passend  in  der  lateinischen  Sprache 
wiedergeben  lassen,  wie  dieselben  eben  von  den  Griechen 
durch  eigenthümlich  kurze  (Schlag-)  Wörter  ausgedrückt 
werden  können.  2.  Diese  Beobachtung  fand  ich  auch  endlich 
wieder  bewahrheitet,  als  mir  eine  Schrift  des  Plutarch  ge- 
bracht wurde  und  ich  den  Titel  dieses  Werks  gelesen  hatte, 
welcher  lautete :  tcbqi  noXvTCQaytxoovvriQ  (d.  h.  über  Vorwitzig- 
keit, Voreiligkeit,  Neugierigkeit).  Wie  (zufällig)  nun  da  ein 
Mensch,  der  sowohl  mit  (den  Erzeugnissen)  der  Literatur,  als 
auch  mit  der  Sprache  der  Griechen  unbekannt  war,  die  Frage 
an  mich  richtete,  von  wem  das  Buch  verfasst  sei  und  über 
welchen  Gegenstand  es  handle,  da  konnte  ich  ihm  allerdings 
wohl  sofort  den  Schriftsteller  namhaft  machen,  als  ich  nun 
aber  auch  den  in  dieser  Schrift  verhandelten  Gegenstand 
anzugeben  im  Begriff  stand,  stockte  ich  (unwillkürlich).  3. 
Weil  ich  aber  wähnte,  dass  ich  nicht  schlagend  und  treffend 
genug  übersetzen  würde,  wenn  ich  den  griechischen  Ausdruck 
durch  einen  ähnlichen  lateinischen  ersetzen  und  etwa  sagen 
wollte,  das  Buch  handle  von  der  „negotiositas",  so  beschloss 
ich  da  nun  gleich  von  vorn  herein  bei  mir,  dafür  ein  anderes 
Zufluchtsmittel  ausfindig  zu  machen,  wodurch  der  griechische 
Ausdruck,  wie  gesagt,  wörtlich  genau  wiedergegeben  würde. 
4.  Da  fand  ich  nun  aber  durchaus  nichts,  dessen  ich  mich 
entweder  erinnern  konnte  gelesen  zu  haben,  oder,  was  in  der 
Absicht  der  (Neu-)  Bildung  eines  (entsprechenden  lateinischen) 
WTortes,  mir  nicht  holperig,  abgeschmackt  und  hart  vor- 
gekommen wäre,  wenn  ich  z.  B.  aus  den  beiden  Wortbegriffen 
„Menge  (multitudo)"  und  Geschäft  (negotium)"  ein  Wort 
nachbilden  würde,  was  gleichlautend  wäre  mit  den  bei  uns 
gebräuchlichen  Wörtern:  multijuga  (vielspännig) ,  multicolora 
(vielfarbig)  und  multiformia  (viel-  und  mannigfaltig).  5.  Aber 
es  wttrde  nicht  weniger  abgeschmackt  klingen,  wie  wenn  man 


XI,  16,  2.  Plutarch  erklärt  den  Begriff  selbst  so:  Neugierigkeit  ist 
weiter  nichts  als  eine  Begierde,  geheime  und  verborgene  Dinge  auszuspähen. 


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(122) 


XI.  Buch,  16.  Cap.,  §5  —  9. 


die  Wörter  nolvyiUa  (Vielbeliebtheit,  Freundschaften -Viel- 
heit) oder  7iolvzQ07tia  (Vielgewandtheit),  oder  TtoXvoagKta 
(Viel-  oder  Wohlbeleibtheit)  durch  ein  einziges  (Doppel-)  Wort 
(im  Lateinischen)  wiedergeben  wollte.  6.  Als  ich  deshalb 
lange  schweigend  und  im  Nachdenken  verharrt  hatte,  sah  ich 
mich  endlich  zu  der  Antwort  genöthigt,  es  scheine  mir  nicht 
glaublich,  dass  der  bezeichnete  Begriff  (ttolvTCQctyiioovvq)  durch 
ein  (einziges,  entsprechendes  lateinisches)  Wort  wiedergegeben 
werden  könne;  und  deshalb  war  ich  eben  Willens  gewesen, 
durch  eine  Umschreibung  die  Bedeutung  dieses  griechischen 
Ausdrucks  zu  erklären.  Ich  fuhr  also  fort  (zu  erklären):  das 
Inangriffnehmen  von  vielen  Dingen  und  den  Betrieb  aller 
dieser  Dinge  nennt  man  auf  griechisch  7roXv7iQay^ioavvrjy 
worüber  eben  das  Buch  nach  seiner  besagten  Ueberschrift 
handelt.  7.  Darauf  glaubte  nun  der  arme  Tropf  (opicus)  auf 
Veranlassung  meiner  mangelhaften  und  nur  so  hingeworfenen 
Erklärung,  es  sei  unter  dem  Ausdruck  Ttolvngayiuoovvt]  eine 
Tugend  gemeint  und  sagte  (höchst  naiv) :  zuverlässig  ermahnt 
also  dieser  mir  unbekannnte  (griechische  Schriftsteller)  Plu- 
tarch  uns  (in  seiner  Schrift)  zur  eifrigen  Betreibung  unserer 
Geschäfte  und  zur  fleissigen  und  schnellen  Ausfuhrung  aller 
unserer  Unternehmungen  und  hat  den  Namen  dieser  Tugend, 
von  der  er  sprechen  will,  seinem  Werke,  wie  Du  sagst,  nicht 
unpassend  (als  Aufschrift)  vorangesetzt.  8.  Ei  bewahre,  fiel 
ich  ihm  ins  Wort,  das  habe  ich  ja  gar  nicht  sagen  wollen, 
denn  unter  diesem  griechischen  Ausdruck,  als  Bezeichnung 
der  Inhaltsangabe  dieses  Buchs,  ist  weder  eine  Tugend  zu  ver- 
stehen, noch  bedeutet  es  etwas  von  Dem,  was  Du  Dir  vorstellst, 
noch  was  ich  habe  sagen,  oder  was  Plutarch  hat  schildern 
wollen.  Denn  in  dem  Werke  sucht  er  uns  ja  vielmehr  nach 
grösster  Möglichkeit  abzuhalten  von  dem  wechselnden,  nicht 
gesonderten  und  unnützen  Trachten  und  Verlangen  nach  ver- 
sehiedentlicher  Geschäftlichkeit  (Voreiligkeit).  9.  Aber  ich 
erkenne  recht  wohl  und  gestehe  es  offen,  dass  die  Schuld  zu 
diesem,  Deinem  Missverständnisse  leider  ganz  allein  an  meiner 
mangelhaften  Erläuterung  (des  griechischen  Wortes)  lag,  da 
ich  nicht  einmal  im  Stande  war,  durch  viele  Worte  das  ganz 
klar  und  deutlich  auszudrücken,  was  die  Griechen  durch  ein 
einziges  Wort  höchst  vollkommen  und  ganz  klar  sagen  können. 


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XI.  Buch,  17.  Cap. 


XI,  17,  L.    Was  in  den  alten  Praetorenedicten  die  "Worte  zu  bedeuten 
haben:   „qui  flumina  retanda  publice  redempta  habent  (d.  h.  welche  die 
Flussbett -Entreutung  (oder  Reinigung)  zu  Nutzen  des  Staates  gegen 

Bezahlung  übernommen  haben).4' 

XI,  17.  Cap.  1.  Als  ich  einstmals  in  der  Bibliothek  des 
trajanischen  Tempels  sass  und  nach  etwas  ganz  Anderem 
suchte,  fielen  mir  (zufällig)  die  Edicte  der  alten  Prätoren 
in  die  Hände.  Da  konnte  ich  mich  nicht  enthalten,  sie  sofort 
vorzunehmen,  zu  lesen  und  genau  zu  studiren.  2.  Da  fand 
ich  nun  in  einem  altera  Edict  folgende  Stelle  geschrieben: 
„Qui  flumina  retanda  publice  redempta  habent  etc.,  d.  h. 
Wenn  einer  von  Denen,  welche  die  Fluss(bett)reinigung  zum 
Nutzen  des  Staates  (und  der  Oeffentlichkeit)  gegen  Bezahlung 
übernommen  haben,  mir  vorgeführt  würde,  dem  man  nach- 
sagte, dass  er  nicht,  wie  er  eigentlich  sollte,  seinen  Pacht- 
contractsverpflichtungen  nachgekommen  sei."  3.  (Ich  zeigte 
die  Stelle  Mehreren  und)  man  fragte  sich  (gegenseitig),  was 
das  Wort:  retanda  wohl  zu  bedeuten  habe.  4.  Da  äusserte 
einer  meiner  Freunde,  der  da  bei  mir  sass,  dass  er  im  7. 
Buche  des  Gavius  Bassus  „über  Ursprung  und  Bedeutung 
der  Wörter"  gelesen  habe,  unter  dem  Ausdruck  „retae" 
seien  Bäume  zu  verstehen,  welche  entweder  an  den  Ufern 
des  Flusses  hervorragen,  oder  aus  den  Flussbetten  hervor- 
ständen, und  dass  man  Namen  und  Begriff  dieses  Wortes  von 
dem  Wort  „rete  (das  Netz)4'  entlehnt  habe,  weil  solche  Bäume 
den  vorüberfahrenden  Schiffen,  oder  der  Schiffahrt  überhaupt 
hinderlich  wären  und  gleichsam  Netze  stellten,  und  deshalb 
sei  er  der  Ansicht,  dass  gewöhnlich  die  Flussbettentreutung, 
d.  h.  das  Rein-  und  Freihalten  der  Flussströmung  (retanda 
flumina)  in  Pacht  gegeben  worden  sei,  damit  den  Schiffen, 
die  sonst  leicht  in  ein  solches  Strauchwerk  (oder  Baum- 
gestrüppe) gerathen  könnten,  kein  Aufenthalt  oder  Unglück 
zustossen  möchte. 


XI,  17,  L.  retare  i.  e.  den  Fluss  oder  die  Strömung  von  dem  die 
Schiffahrt  hindernden  Gestrüppe  (Baumgesträuch)  reinhalten.  Vergl. 
Rieth  mm  Schilfrohr;  ausreuten,  ausroden  =  entwurzeln. 

XI,  17,  2.   S.  Fest.  S.  273, 


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(124)  XL  Buch,  18.  Cap.,  §  1. 


XI,  18,  L.  Mit  welcher  Strafe  der  athenische  Gesetzgeber  Draco  in 
seinem  für  das  athenische  Volk  verfassten  Gesetzen  die  Diebe  belegte; 
dann,  mit  welcher  Strafe  später  Solon;  mit  welcher  ebenso  unsre  Deceni- 
virn,  welche  (451  v.  Chr.)  die  zwölf  Tafelgesetze  verfassten;  auch 
fernerweitige  Beifügung,  wie  bei  den  Aegyptern  der  Diebstahl  erlaubt  und 
gestattet  war,  das  Diebshandwerk  aber  bei  den  Lacedämoniern  förmlich 
absichtlich  eingeführt  war  und  als  nützliche  Uebung  fleissig  gepflegt  wurde; 
endlich  ausserdem  noch  merkwürdiger  Ausspruch  des  M.  Cato  über 

Bestrafung  der  Diebe. 

XI,  18.  Cap.  1.  Der  Athener  Draco,  der  für  einen 
ebenso  rechtschaffenen,  wie  höchst  klugen  Mann  gehalten 


XI,  18,  L.  Da  in  früheren  Zeiten  der  Republik,  in  Ermangelung 
eines  Gesetzbuches,  die  Patricier  sehr  willkürliche  Entscheidungen  trafen, 
verlangte  462  v.  Chr.  das  Volk  durch  seinen  Tribun  Terentius  Arsa  nach- 
drücklich geschriebene  Gesetze.  Daher  wurde  451  eine  Gesetzcommission 
der  Zehnmänner  (Decemviri)  eingesetzt,  zur  Entwerfiing  von  den  Ge- 
setzen aus  dem  vorhandenen  griechischen  wie  einheimischen  Rechtsmaterial. 
Nach  einem  Jahre  erschienen  zehn  Tafeln  der  Gesetze,  denen  im  folgenden 
Jahre  noch  zwei  hinzugefügt  wurden,  daher  die  Gesetze  der  zwölf 
Tafeln  genannt.  Diese  Tafeln  sollen  bis  zum  3.  Jahrhundert  n.  Chr. 
noch  vorhanden  gewesen  sein,  seitdem  sind  sie  spurlos  verschwunden, 
doch  ist  der  Inhalt  jeder  Tafel  bekannt.   Er  war  folgender : 

1)  Von  der  Vorladung  ins  Recht 

2)  Von  Gerichtstagen  und  von  Diebstählen. 

3)  Von  anvertrautem  Gute. 

4)  Vom  väterlichen  Rechte  und  vom  Eherechte. 

5)  Von  Erbschaft  und  Vormundschaft. 

6)  Vom  Eigenthume  und  Besitze. 

7)  Von  Verbrechen. 

8)  Von  den  Rechten  auf  Haus  und  Feld. 

9)  Vom  öffentlichen  Rechte. 

10)  Vom  heiligen  Rechte. 

11)  u.  12)  Ergänzungen  der  vorhergehenden. 

Nach  Vollendung  der  zwölf  Tafeln  legten  die  Decemvirn  ihre  Aemter 
nicht  nieder  und  Rom  wurde  der  Sitz  von  Grausamkeit  und  Tyrannei. 
Bis  endlich  ein  Mitglied  dieser  Gesetzcommission,  Appius  Claudius,  durch 
seine  lüsterne  Gewaltthätigkeit  gegen  die  Virginia  Ursache  zum  Sturz  der 
Decemvirn  war.  Appius  endete  durch  Selbstmord.  Cic.  de  legg.  II,  28 
heisst  es :  Wir  haben  als  Knaben  die  zwölf  Tafeln  wie  einen  unentbehrlichen 
(politischen)  Katechismus  auswendig  gelernt.  S.  Bernh.  röm.  Lit.  10,  19 
u.  64,  265.   Vergl.  Gell.  XIV,  7,  5. 

XI,  18,  1.  Draco,  Archon  zu  Athen  und  Gesetzgeber  im  Jahre 
624  v.  Chr.    Seine  Gesetze,  die  fast  keine  andere  Strafe,  als  den  Tod 


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XI.  Buch,  18.  Cap.,  §  1  —  8.  (125) 

wurde  und  der  eine  grosse  Kenntniss  des  göttlichen  und 
menschlichen  Rechts    besass.     2.  Dieser  Draeo  war  der 
allererste  Gesetzgeber  der  bei  den  Athenern  gebräuchlichen 
Gesetze.   3.  In  diesen  Gesetzen  befand  sich  unter  vielen  an- 
dern die  ausserordentlich  strenge  Verordnung  und  rechts- 
kräftige Bestätigung,  dass  ein  Dieb,  welcher  Art  der  Dieb- 
stahl auch  immer  sein  möge  (ob  gross  oder  gering),  sein 
Vergehen  mit  der  Todesstrafe  büssen  solle.    4.  Weil  nun 
aber  seine  Gesetze  doch  viel  zu  hart  schienen,  geriethen  sie, 
zwar  nicht  auf  ausdrücklichen  (Volks-)  Beschluss,  sondern 
nach  stillschweigender  und  nicht  erst  schriftlich  abgefasster 
Uebereinstimmung  der  Athener  in  Vergessenheit.   5.  Hierauf 
fanden  die  von  Solon  verfassten,  milderen  Gesetze  Eingang. 
Dieser   Solon  war  (bekanntlich)  einer  von  den  berühmten 
sieben  Weisen  (Griechenlands).     Nach  seiner  gesetzlichen 
Entscheidung  gegen  Diebe  sollte  man  nicht,  wie  vorher 
Draco  angeordnet,  ein  solches  Vergehen  mit  dem  Tode  (des 
Schuldigen)  ahnden,  sondern  mit  dem  doppelten  Schaden- 
ersatz.  6.  Allein  unsere  Decemvirn,  welche  nach  Vertreibung 
der  Könige  (510  v.  Chr.)  die  für  das  römische  Volk  giltigen 
zwölf  Tafelgesetze  verfertigten,  verfuhren  bei  Bestrafung  aller 
Arten  von  Dieben  weder  mit  gleicher  Strenge,  noch  mit  zu 
sanfter  Milde.    7.  Denn  sie  erlaubten  einen  Dieb,  der  bei 
seinem  Verbrechen  auf  frischer  That  ertappt  wurde,  dann 
erst  zu  tödten,  wenn  es  entweder  Nacht  war,  als  der  Dieb- 
stahl verübt  wurde,  oder  wenn,  im  Fall  es  Tag  war,  der 
Thäter  bei  seiner  Ergreifung  sich  mit  einer  tödtlichen  Waffe 
zur  Wehr  gesetzt  hatte.   8.  Von  allen  den  Personen,  welche 
sich  der  offenbaren  Verübung  dieses  Verbrechens  schuldig 

erkannten,  waren  zu  streng,  dass  man  sagte,  sie  seien  nicht  mit  Tinte, 
sondern  mit  Blut  geschrieben,  weshalb  dem  Solon  eine  neue  Gesetzgebung 
aufgetragen  wurde. 

XI,  18,  1.  S.  Plutarch  Solon  p.  87;  Tzetzes  Chiliad.  V,  5;  Gell. 
D,  12,  1  NB. 

XI,  18,  5.  Die  sieben  Weisen  waren:  1)  Thaies  von  Milet,  2)  Solon 
von  Athen,  3)  Chilon  von  Lacedaemon,  4)  Pittacus  von  Mitylene,  5;  Bias 
von  Priene,  6)  Cleobulus  von  Lindo  und  7)  Periander  von  Oorinth. 

XI,  18,  5.  Demosthen.  gegen  Timocrates  p.  73»>. 

XI,  18,  7.  Macrob.  Sat.  I,  4;  L.  4  §  1  n.  ad  L.  Aquil.;  Cic.  pro 
Milon.  12. 


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(126) 


XI.  Buch,  18.  Cap.,  §  8-11. 


gemacht  hatten,  wurden  die,  welche  Freie  waren,  gepeitscht 
und  Demjenigen  (dienstpflichtig)  zugesprochen,  bei  dem  sie 
den  Diebstahl  verübt  hatten,  im  Fall  sie  die  That  am  Tage 
vollbracht  und  sich  dabei  mit  keiner  (gefährlichen)  Waffe 
vertheidigt  hatten;  auf  frischer  That  ertappte  Knechte  aber 
wurden  (erst)  gepeitscht  und  (dann)  vom  tarpejischen  Felsen 
herabgestürzt;  die  noch  nicht  mannbaren  jungen  Leute  durfte 
der  Praetor  (i.  e.  Consul)  nach  seinem  Gutdünken  züchtigen, 
oder  den  von  ihnen  angerichteten  Schaden  ersetzen  lassen. 
9.  Auch  die  Diebsverbrechen,  welche  bei  einer  nach  allen 
Förmlichkeiten  (per  lancem  et  licium,  d.  h.)  mit  einer  Schale 
und  mit  einer  Binde  und  in  Gegenwart  von  Augenzeugen  an- 
gestellten Haussuchung  ausfindig  gemacht  wurden,  bestrafte 
man  gerade  so,  als  ob  sie  offenbare  wären.  10.  Jetzt  hat 
man  freilich  auch  (wieder)  von  der  Verordnung  der  zehn 
Männer  abgesehen.  Denn  wenn  Jemand  über  einen  (bei  ihm 
verübten)  offenbaren  Diebstahl  gerichtlich  und  gehörig  klagbar 
werden  will,  dem  steht  das  Klagrecht  auf  vierfachem  Ersatz 
(der  entwendeten  Sache)  zu.  11.  „Ein  offenbarer  Diebstahl 
(manifestum  furtum)  aber  tritt  nach  dem  Ausspruch  des  Ma- 
surius  im  Augenblick  des  Ertappens  auf  der  That  ein.  Die 
Vollendung  des  Verbrechens  wird  angenommen,  wenn  der 


XI,  18,  8.   Praetor  =  Consul  s.  Gell.  XX,  1,  11.  44.  47. 

XI,  18,  9.  Furtum  per  lancem  et  licium  conceptum.  üeber  die  Art 
und  Beschaffenheit  dieses  Gebrauches  erklärt  sich  der  griechische  Scholiast 
in  den  Wolken  des  Aristophanes  also:  „Es  war  gewöhnlich,  dass  die, 
welche  gestohlene  Sachen  aufsuchten  (vorher  ihre  gewöhnliche  Kleidung 
ablegten  und)  nackend  in  die  Häuser  gingen.  Dies  geschah  deswegen, 
damit  sie  unter  ihren  Kleidern  Nichts  verborgen  halten  und  etwa  gar  aus 
Feindschaft  den  Gegenstand  in  das  Haus  unter  der  Toga  bringen  konnten, 
den  sie  zum  Schein  suchten,  um  böswilliger  Weise  einen  falschen  Dieb- 
stahl auf  den  Eigenthümer  des  Objects  zu  bringen."  Vergl.  Plat  de  legg. 
XII  p.  691.  Bei  Haussuchung  waren  also  die  Athener  nur  mit  der 
ixiTovlaxtp  oder)  licio  bedeckt  Nach  Festus  unter  d.  W.  lanx  kam  dieser 
Gebrauch  mit  den  athenischen  Gesetzen  nach  Rom.  Lanx  (=  dem 
griech.  Xaytov,  cavitas)  war  eine  hohle  Schale  oder  Platte,  vor's  Gesicht 
zu  halten,  um  nicht  erkannt  zu  werden,  also  einer  Maske  nach  Art  einer 
Waagschale.  Licium  eine  Binde  oder  dünnes  Unterkleid.  Festus  p.  117» 
lance. 

XI,  18,  11.  S.  inst.  4,  1  §  4.  Furtum  conceptum  eigentlich:  der 
abgefasste  Diebstahl;  Furtum  ob la tum,  der  verholfene  Diebstahl. 


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XI.  Buch,  18.  Cap.,  §  11-16.  (127) 

entwendete  Gegenstand  (bereits)  dahin  gebracht  wurde,  wohin 
man  ihn  zu  bringen  beabsichtigte."  Die  Strafe  des  dreifachen 
Ersatzes  stand  auf  einen  Diebstahl,  wofern  die  entwendete 
Sache  nach  langem  Suchen  (in  Gegenwart  von  Zeugen)  gefunden 
wurde  und  „furtum  conceptum"  hiess;  desgleichen  auf  Ver- 
übung  eines  „furtum  oblatum",  wo  die  gestohlene  Sache  in 
Aufbewahrung  gegeben  und  gefunden  worden  war.  12.  Wer 
aber  nachlesen  will,  was  man  unter  einem  (furtum)  oblatum 
und  was  unter  einem  (furtum)  conceptum  versteht,  und  über- 
hauptoioch  nähere  Aufklärung  wünscht  über  viele  andere  dahin 
gehörige,  für  die  Betrachtung  ebenso  nützliche,  als  angenehme 
Ueberlieferungen  von  den  vortrefflichen  Sitten(vorschriften) 
des  Alterthums,  der  wird  seine  Wissbegierde  vollständig  be- 
friedigt finden  in  dem  Werke  des  Sabinus,  welches  „von  den 
Diebstählen"  handelt.  13.  Darin  findet  sich  auch  eine  schrift- 
liche Bemerkung,  an  die  man  im  Allgemeinen  nicht  gedacht 
hat,  dass  man  einen  Diebstahl  begehen  könne,  nicht  nur  an 
Menschen  und  andern  beweglichen  Gegenständen,  die  heimlich 
weggetragen  und  entwendet  werden  können,  sondern  auch  an 
Häusern  und  Grundstücken,  dass  daher  auch  ein  (Guts-) 
Pächter  wegen  Diebstahls  verurtheilt  wurde,  der  sein  (nur) 
gepachtetes  Grundstück  verkauft  und  den  (rechtmässigen) 
Herrn  um  dessen  Besitz  geprellt  hatte.  14.  Ja  eine  Be- 
hauptung des  Sabinus,  die  fast  noch  unwahrscheinlicher  klingt, 
besteht  darin,  dass  Derjenige  für  einen  Menschendieb  erklärt 
worden  sei,  der,  wenn  ein  flüchtiger  Knecht  gerade  vor  den 
Augen  seines  Herrn  sich  aus  dem  Staube  machen  wollte,  durch 
Ausbreitung  seiner  Toga,  als  ob  er  sich  damit  umhüllen  wollte, 
(in  der  üblen  Absicht)  sich  vor  den  Ausreisser  gestellt  hatte, 
damit  dieser  nicht  von  seinem  Herrn  bemerkt  werden  sollte. 
15.  Auf  alle  andern  Diebstähle,  welche  „nec  manifesta  (d.  h. 
heimliche)"  genannt  werden,  setzte  man  einen  doppelten 
Schadenersatz.  16.  Auch  erinnere  ich  mich  in  einem  Werke 
des  sehr  gelehrten  Juristen  Aristo  gelesen  zu  haben,  dass 

XI,  18,  12.  §  4  inst,  de  oblig.  quae  ex  delict  nasc. 
XI,  18,  14.   Vergl.  Gell.  VI  (VII),  15,  2. 

XI,  18,  15.  Furtum  nec  manifestum,  wenn  man  den  Dieb  nicht  auf 
der  That  selbst  ertappte,  sondern  erst  nachher  herausbekam. 

XI,  18,  16.    S.  Diodor.  Sic.  I,  80  von  den  Aegyptern.  —  Aristo 


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(128)  XL  Buch,  18.  Cap.,  §  16  —  19. 

bei  den  älteren  Aegyptern,  —  die  ja  allgemein  als  eine  Art 
Leute  bekannt  sind,  welche  sich  in  Erfindung  der  Künste 
anschlägig  erwiesen,  wie  auch  im  Erforschen  und  Erkennen 
des  Lebenszweckes  so  grossen  Scharfsinn  entwickelten,  — 
alle  Diebstähle  erlaubt  waren  und  ungeahndet  blieben.  17. 
Viele  berühmte  Schriftsteller,  welche  über  die  Sitten  und 
Gesetze  der  Lacedämonier  geschichtliche  Nachrichten  abgefasst 
haben,  versichern,  dass  bei  diesem  ausserordentlich  massigen 
und  so  strengen  Volke,  wovon  die  geschichtliche  Glaubwürdig- 
keit uns  doch  noch  nicht  so  ganz  in  weite  Ferne  gerückt  ist, 
wie  bei  den  Aegyptern,  die  Gewohnheit  des  Stehlens  zu  Recht 
bestanden  habe;  dass  sogar  das  Diebshandwerk  von  der 
(spartanischen)  Jugend  eifrig  sei  betrieben  worden,  nicht  um 
des  verächtlichen  Gewinnes  halber,  nicht  um  Kostenaufwand 
zur  Befriedigung  ihrer  Lüste,  noch  zur  Erwerbung  von  Schätzen, 
sondern  nur  als  Uebungs-  und  Erziehungsmittel  für  das  Kriegs- 
handwerk; weil  man  der  Ansicht  war,  dass  die  Geschicklich- 
keit und  Fertigkeit  im  Stehlen  den  Verstand  der  jungen 
Leute  schärfe  und  ermuthige  und  stärke  zu  Hinterhaltstinten 
und  Kniffen,  ferner  zur  Geduld  und  Wachsamkeit,  endlich  zur 
Schnelligkeit  bei  Ueberlistung  (des  Feindes)  ansporne.  18.  Hin- 
gegen beschwert  sich  der  (biedere)  M.  Cato  in  seiner  Rede, 
welche  er  „über  die  Vertheilung  der  Beute  unter  die  Soldaten" 
verfasste,  mit  nachdrücklichen  und  deutlichen  Worten  über  die 
Zügellosigkeit  und  Frechheit  des  Beute  -  Unterschleifes.  Ich 
lasse  seinen  (bedeutungsvollen,  schlagenden)  Ausspruch,  weil 
er  mir  so  unendlich  gefallen  hat,  hier  wörtlich  folgen,  er 
lautet:  „(Kleine)  Privatdiebe  müssen  (zeitlebens)  in  Ketten 
und  Banden  schmachten,  (grosse,  vornehme  Haupt-  und) 
Staats -Spitzbuben  bringen  ihr  Leben  in  Gold  und  Purpur 
hin."  19.  Hier  glaube  ich  nun  die  von  den  klügsten  Männern 
so  keusche,  wie  gewissenhafte  Erklärung,  was  unter  „Dieb- 
stahl" zu  verstehen  sei,  nicht  mit  Stillschweigen  übergehen 
zu  dürfen:  man  solle  nämlich  nicht  nur  den  für  einen  (wirk- 
lichen) Spitzbuben  halten,  der  etwas  im  Verborgenen  auf  die 

der  römische  Rechtsgelehrte  lebte  zur  Zeit  Trojans.  Vergl.  über  ihn  eine 
Schilderung  in  des  Plin.  epist.  I,  22. 

XI,  18,  17.  Plutarch.  Lykurg  p.  44;  Lakonische  Denksprüche  p.  234  ; 
Suidas  unt.  xa^tjjj;  Plutarch.  Marceil.  22. 


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XI.  Buch,  18.  Cap.,  §  20—24. 


(129) 


Seite  gebracht  und  heimlich  entwendet  hat.  20.  Eine  (darauf 
bezügliche)  Stelle  des  Sabinus  aus  dem  2.  Buche  seines 
„bürgerlichen  Rechts"  lautet  also:  „Wer  eine  fremde  Sache 
(gegen  Gebühr)  antastet,  da  er  wohl  dabei  hätte  bedenken 
müssen,  dass  er  solches  wider  Willen  des  Eigenthümers  thut. 
gilt  für  des  Diebstahls  überführt  (und  verfällt  in  Strafe).'1 
21.  So  auch  in  einem  andern  Abschnitte:  „Wer  fremdes  (ver- 
lorenes) Eigenthum  im  Geheimen  aulhebt  (und  an  sich  nimmt), 
um  daraus  für  sich  einen  Gewinn  zu  ziehen,  macht  sich  eines 
Diebstahls  schuldig,  mag  er  nun  wissen,  oder  nicht  wissen, 
wessen  Eigenthum  es  ist."  22.  Solches  schreibt  Sabinus  in 
dem  eben  von  mir  angeführten  Buche  über  Gegenstände,  die 
man  diebischer  Weise  an  sich  genommen  hat.  23.  Allein  ich 
muss  hier  auch  noch,  gemäss  der  bereits  oben  von  mir  an- 
geführten Bemerkung,  in  Erinnerung  bringen,  dass  ein  Dieb- 
stahl auch  (schon)  ohne  irgend  eine  Berührung  stattfinden 
kann,  in  dem  absichtlichen  und  vorsätzlichen  Bemühen,  einen 
Diebstahl  zu  begehen.  24.  Deshalb  behauptet  Sabinus,  dass 
er  selbst  nicht  einmal  Anstand  nehme,  den  Herrn  eines  Dieb- 
stahls für  schuldig  zu  erklären,  der  seinem  Knecht  Befehl 
gegeben,  einen  Diebstahl  zu  begehen. 

XI,  18,  21.  Ueber  noch  andere  Annahmen  eines  Diebstahls  siehe 
Gell.  VI  (VII),  15. 

XI,  18,  23.  Der  Vorsatz  zu  stehlen  wird  zwar  nach  den  Rechten 
(vergL  1.  I,  §  1  7t.  de  furt.)  noch  nicht  als  ein  Diebstahl  angesehen,  aber 
doch,  wenn,  wie  in  dem  von  Sabinus  angeführten  Falle,  der  Diebstahl  auf 
Jemandes  Anrathen  oder  Befehl  vollzogen  wurde.  Vergl.  §  11  Inst.  L. 
IV,  tit.  1. 

XI,  18,  24.   S.  L.  36-,  §  1  n.  de  furt. 


Gellius,  Attische  Nächte.  II. 


9 


XII.  BUCH. 


XII,  1,  L.  Gelehrte  Abhandlung  des  Philosophen  Favorin,  wobei  er  einer 
vornehmen  Frau  den  Rath  crthcilte,  dass  er  es  für  die  (heiligste)  Pflicht 
einer  Mutter  halte,  die  Kinder,  die  sie  zur  Welt  gebracht,  nicht  durch  die 
Milch  gedungener  Ammen  aufziehen  zu  lassen ,  sondern  mit  ihrer  eigenen 

(Mutter-)  Milch  selbst  zu  stillen. 

XII,  1.  Cap.  1.  Einst  wurde  dem  Weltweisen  Favorin 
in  meiner  Gegenwart  gemeldet,  dass  die  Gemahlin  eines  seiner 
Zuhörer  und  Anhänger  kurz  vorher  entbunden  worden  und 
derselbe  durch  den  Zuwachs  eines  neugebornen  Söhnchens 
beglückt  worden  sei.  2.  Auf,  sprach  er,  lasst  uns  (nach  dem 
Befinden  der  Kindbetterin  erkundigen)  das  Knäbchen  in 
Augenschein  nehmen  und  dein  Vater  unsre  Glückwünsche 
darbringen.  3.  Der  Vater  des  Neugebornen  war  Rathsmitglied 
und  stammte  (überhaupt)  aus  höchst  vornehmer  Familie.  Wir, 
die  ganze  damals  bei  Favorin  versammelte  Gesellschaft,  be- 
gleiteten insgesaramt  ihn  nach  dem  Hause,  wohin  er  sich 
sofort  aufmachte  und  traten  mit  ihm  zugleich  ein.  4.  Gleich 
beim  Eintritt  in  das  Haus  umarmte  er  den  (glücklichen)  Vater, 
brachte  ihm  die  herzlichsten  Wünsche  dar,  und  nachdem  er 
sich  niedergelassen  und  sicli  erkundigt  hatte,  ob  die  Ent- 
bindung langwierig  und  mit  heftigen  WTehen  verbunden  ge- 
wesen sei,  erfuhr  er,  dass  die  junge  Frau  durch  die  aus- 
gestandene Anstrengung  und  durch  langes  Wachen  ermattet 
(jetzt  glücklicher  Weise  etwas)  eingeschlafen  sei.  Er  begann 
nun  eine  weitläufigere  Unterhaltung  und  Hess  dabei  die  Be- 
merkung fallen:  Nun  zweifle  ich  aber  durchaus  nicht,  dass 


XII,  1,  L.   Vergl.  Bernh.  R.  L.  11,  25. 


Xn.  Buch,  1.  Cap.,  §4—9. 


(131) 


die  Wöchnerin  ihr  Knäbchen  mit  ihrer  eignen  Muttermilch 
selbst  stillen  wird.    5.  Augenblicklich  mischte  sich  aber  die 
Mutter  der  jungen  Wöchnerin  ins  Gespräch  und  sagte,  man 
müsse  dem  Kinde  eine  gute  Amme  versorgen  und  die  junge 
Frau  schonen,  der,  nach  den  bei  der  Entbindung  ausgestandenen 
Schmerzen,  wohl  kein  Mensch  würde  zumuthen  wollen,  nun 
auch  noch  sich  mit  dem  lästigen  und  beschwerlichen  Amt  des 
Selbststillens  zu  befassen.    Ich  bitte  Dich,  liebe  Frau,  er- 
widerte Favorin,  (halte  Dich  in  dieser  Angelegenheit  der 
Einmischung  fern  und)  lasse  Deine  Tochter  doch  lieber  an 
ihrem  Söhnchen  die  volle  Mutterpflicht  erfüllen.    6.  Denn 
heisst  das  nicht  eine  unnatürliche,  unvollständige  und  halb- 
schürige  Sorte  von  einer  Mutter,  die  ein  Kind  zur  Welt 
bringt  und  dasselbe  gleich  wieder  verstösst?   Im  Mutterleibe 
ein  noch  etwas  Unsichtbares  mit  seinem  Blute  ernährt  zu 
haben,  nun  da  es  (glücklicher  Weise)  lebt,  und  man  es  sieht, 
nun  da  es  menschliche  Gestalt  angenommen  und  bereits  den 
Beistand  der  Mutter  anfleht,  es  nicht  mit  der  Mutter  eignen 
Milch  ernähren  zu  wollen?    7.  Oder  bist  Du  der  Meinung, 
fuhr  er  fort,  dass  die  Natur  den  Frauen  die  Brusteuter  ver- 
liehen hat  nur  gleichsam  als  liebreizende  Zaubermale,  nicht 
zur  Ernährung  ihrer  Kinder,  sondern  als  Zierde  des  Busens? 
8.  So  giebt  es  nämlich,  was  sich  selbstverständlich  durchaus 
nicht  auf  euch  beziehen  soll,  viele  solche  unnatürliche,  ent- 
artete (Raben-)  Mütter,  die  Alles  aufbieten,  den  heiligsten 
Bronnen  des  Leibes,  den  Urquell  der  für  das  (gesammte) 
Menschengeschlecht  bestimmten  Nahrung  vertrocknen  zu  lassen 
und  zu  unterdrücken ,  ohngeachtet  der  mit  Vernichtung  und 
Vertreibung  der  Milch  verbundenen  Gefahr,  nui*  um  ihrer 
äussern  Schönheit  keinen  Eintrag  zu  thun;  welches  Verbrechen 
wahrlich  nicht  weniger  wahnsinnig  erscheinen  muss,  als  wenn 
man  sich  künstlicher  uud  (sträflicher)  Abtreibungsmittel  be- 
dient, um  den  im  Mutterleib  bereits  erfolgten  Ansatz  des 
Fruchtkeimes  zu  vernichten,  damit  auf  der  Glätte  der  Leibes- 
sehöne nach  Austrag  der  lästigen  Frucht  keine  Falten  zurück- 
bleiben, und  man  dadurch  wegen  der  Anstrengung  bei  der 
Entbindung  keinen  Abbruch  erleide.   9.  Doch  da  schon  eine 
solche  VeiTUchtheit  die  öffentliche  Verabscheuung  und  all- 
gemeine Verachtung  verdient,  wenn  man  darauf  ausgeht,  ein 

9* 

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(132) 


XII.  Buch,  1.  Cap.,  §9—15. 


menschliches  Sein  in  seinem  Uranfange,  bei  seiner  Entwicklung 
und  Beseelung  gleich  unter  den  eignen  Händen  der  schaffenden 
Natur  zu  vernichten,  wie  viel  näher  liegt  uns  nun  da  erst 
der  Abscheu  vor  einer  Person,  die  sich  des  Vorwurfs  schuldig 
macht,  ein  schon  völlig  ausgebildetes,  auch  schon  (glücklich) 
zur  Welt  gebrachtes  Wesen,  ihr  eignes  Kind,  des  ihm  zu- 
kommenden, gewöhnten  und  bekannten  Ernährungsmittels  zu 
berauben?  10.  Allein  nun  sucht  man  sich  dabei  so  aus- 
zureden: Wenn  das  Kind  nur  genährt  wird  und  am  Leben 
erhalten  bleibt,  dann  ist  es  ja  gleichgültig,  durch  wessen  Milch 
dies  geschieht.  11.  Warum  stellt  nun  ein  Solcher,  der  diesen 
Widersinn  auszusprechen  wagt  (und  gegen  das  Verständniss 
der  Stimme  der  Natur  so  taub  ist),  nicht  auch  gleich  die 
Behauptung  auf,  dass  er  auch  das  für  ganz  gleichgültig  er- 
achte, in  welchem  Mutterschooss  ein  Mensch  entstanden  und 
aus  wessen  Blut  er  hervorgegangen?  12.  Oder  (will  er  etwa 
beweisen)  weil  durch  einen  gewaltigen  Umwandlungsprozess 
und  durch  die  Lebenswärme  das  Blut  (in  der  Mutter  Brust) 
eine  weisse  Farbe  angenommen,  nun  in  den  Brüsten  nicht 
dasselbe  sei,  das  im  Schoosse  der  Mutter  das  Bestehen  (und 
die  Ausbildung)  der  Frucht  vermittelte  ?  13.  Wird  nicht  auch 
durch  folgende  Thatsache  die  weise  Absicht  der  Natur  er- 
sichtlich, dass,  nachdem  das  Blut,  jener  Nahrung  gewährende 
Stoff  im  Mutterleib  den  ganzen  jungen  Leib  zur  Vollendung 
bringen  half,  es 'sich,  wenn  nun  die  Zeit  der  Geburt  näher 
rückt,  nach  den  oberen  Theilen  hinaufzieht  und  (abermals)  zur 
Erhaltung  der  jungen  Lebenskeime  dienlich  ist  und  dem  Neu- 
gebornen  die  bekannte  und  schon  gewöhnte  Nahrung  darreicht  ? 
14.  Daher  beruht  die  Annahme  auf  keinem  Irrthum:  so  wie 
die  wesentliche  Beschaffenheit  des  Samens  bei  Ausprägung 
leiblicher  und  geistiger  (Verwandtschafts-)  Aehnlichkeiten  ihre 
(ganz  besondere,  eigenthümliche)  Wirkung  äussert,  ganz  ebenso 
sind  sicher  auch  die  wesentlichen  Bestandtheile  der  Milch 
von  höchstem  Einfluss  auf  das  leibliche  und  geistige  Gedeihen 
des  Kindes.    15.  Diese  Wahrnehmung  hat  man  nicht  nur  an 


XII,  1,  13.   S.  Macrob.  Sat.  V,  11. 

XIT,  1,  14.  Ist  die  Mutter  kränklich,  so  ist  doch  wohl  auch  dem 
Kinde  eine  bessere  Nahrung  gedeihlicher. 


XIL  Buch,  1.  Cap.,  §  15  —20.  (133) 

Menschen,  sondern  auch  an  Thieren  gemacht.  Denn  wenn 
man  z.  B.  junge  Böcke  mit  Schafmilch  oder  Lämmer  mit 
Ziegenmilch  aufzieht,  so  ist  fast  allgemein  bekannt,  dass  dann 
bei  den  Schafen  die  Wolle  viel  härter  und  bei  den  Ziegen 
das  Haar  viel  weicher  wird.  16.  So  trägt  auch  (im  Gewächs- 
reich) bei  Bäumen  und  Früchten  meist  die  gute  Beschaffen- 
heit eines  nahrhaften  feuchten  Bodens  mehr  zur  Verminderung 
oder  Vermehrung  ihres  Gedeihens  und  Wachsthums  bei,  als 
die  Vorzuglichkeit  und  Güte  des  ausgestreuten  Samens;  und 
so  hat  man  öfters  einen  blühenden  und  im  (üppigen)  Wachs- 
thum begriffenen  Baum,  wenn  er  an  einen  andern  Ort  um- 
gesetzt wurde,  wegen  (dürftiger)  Nahrung  in  saftlosem  Grund 
und  Boden  (absterben  und)  eingehen  sehen.  17.  WTie  zum 
Henker  will  man  nun  erst  rechtfertigen,  so  etwas  Edles  in 
einem  menschlichen  Geschöpfe,  eine  leiblich  und  geistig  ur- 
sprünglich gutgeartete  Grundlage  durch  untergeschobene  und 
abartige  Nahrung  fremder  Milch  zu  verderben?  zumal  wenn 
die  Person,  welche  man  zum  Stillen  verwendet,  entweder  von 
niedriger  Herkunft  oder  von  niedriger  Denkungsart,  wie  das 
sehr  oft  vorkommt,  von  einem,  fremden  und  ungebildeten  Volke 
stammte,  wenn  sie  frech,  oder  hässlich,  schamlos  und  dabei 
trunksüchtig  ist;  denn  gewöhnlich  wird  ohne  Unterschied  die 
erste  beste  verwendet,  welche  zur  Zeit  gerade  das  Geschäft 
der  Saugenden  verrichten  kann.  18.  Wollen  wir  also  (in 
solchem  Falle)  nicht  zugeben,  dass  unser  kleiner  Sprössling 
vom  verderblichen  Gifte  angesteckt  werde  und  aus  dem 
verdorbensten  Geist  und  Körper  für  seinen  Geist  und  Körper 
Nahrung  ziehe?  19.  Hierin  zeigt  sich  aber  wahrlich  der 
eigentliche  Grund,  dass  manche  Kinder  sittsamer  Mütter, 
was  uns  so  oft  Wunder  nimmt,  ihren  Aeltern  weder  an  Leib 
noch  Seele  ähnlich  sind.  20.  Sinnig  und  einsichtsvoll  verfuhr 
daher  unser  (Vergilius)  Maro,  als  er  jene  bekannten  Verse 
Homers  (Uiad.  XVI,  33  u.  s.  w.)  nachahmte  {worin  Phönix 


XII,  1,  17.  Durch  lactare  (auch  lactitare)  wird  das  Geschäft  der 
säugenden  Mutter  ausgedrückt;  durch  lacteo  die  Verrichtung  des  säugenden 
Kindes.  Daher  lactans  eine  Säugende,  lactens  ein  Säugling.  Dies  sagt 
auch  der  Gedächtnissvers: 

lacteo,  lac  sugo;  lacto:  lac  praebeo  nato. 


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(134)  XII.  Buch,  1.  Cap.,  §  20  —  23. 

dem  Achill  seine  Härte  und  Grausamkeit  vorrückt  und)  wo 
es  heisst: 

Peleus  der  Held  ist  nicht  Dein  Vater, 
Deine  Mutter  ist  Thetis  nicht;  Dich  haben  mit  blauen 
Wogen  steile  Felsen  erzeugt,  drob  bist  Du  so  grausam, 

dass  Vergil  daselbst  dem  Aeneas  (von  der  Dido)  nicht  nur 
seine  Geburt  zum  Vorwurf  machen  lässt,  wie  sein  Vorgänger 
(Homer),  sondern  auch  die  grausam  und  wild  machende  Er- 
nährung, denn  bei  der  Zeichnung  seines  Helden  folgt  bei 
Vergil  (Aen.  IV,  367)  der  Zusatz: 

und  hyrkanische  Tiger  reichten  die  Brust  Dir  (zum  Säugen), 

weil  selbstverständlich  bei  Einpflanzung  sittlicher  Eigenschaften 
der  Charakter  der  Amme  und  die  Beschaffenheit  ihrer  Milch 
eine  nicht  so  ganz  unbedeutende  Rolle  spielt;  denn  die 
Nahrung,  nachdem  die  Anzeichen  der  Empfängniss  durch  die 
männliche  Befruchtung  erst  einmal  eingetreten,  trägt  auch  nach 
der  körperlichen  und  geistigen  Beschaffenheit  der  Mutter  un- 
gemein viel  zur  Bildung  der  Neigungen  und  des  Charakters 
von  der  jungen  Frucht  bei.  21.  Und  wenn  nun  auch  dies 
noch  kein  Beweggrund  (für  die  Mutter,  ihr  Kind  selbst  zu 
stillen)  sein  sollte,  wie  wird  man  dann  auch  noch  gleichgültig 
bleiben  und  die  Warnung  unbeherzigt  lassen  können,  weil 
Mütter,  welche  ihr  eigenes  Fleisch  und  Blut  verlassen  und 
von  sich  entfernen  und  fremden  Leuten  zur  (Ernährung  und) 
Pflege  überlassen,  gewärtig  sein  müssen,  jenes  (heilige)  Band, 
jenes  Verkittungsmittel  herzlicher  Liebe,  wodurch  die  Natur 
die  Aeltern  mit  ihren  Kindern  vereinigt  wissen  will,  zu  zer- 
reissen  oder  doch  wenigstens  zu  lockern  und  zu  untergraben. 
22.  Denn  durch  die  erfolgte  Entfernung  eines  solchen  aus 
dem  Hause  und  aus  den  Augen  gegebenen  Kindes  wird  nach 
und  nach  jene  lebendigheisse  Mutterliebe  erkalten  und  jeder 
Herzschlag  (kindlicher  Zärtlichkeit  und)  rastlosester  (mütter- 
licher Sorgfalt  und)  Bekümmerniss  wird  verstummen,  und 
bald  wird  das  (arme)  einer  fremden  Ernährerin  anvertraute 
Wesen  nicht  weniger  vergessen  sein,  als  ein  durch  den  Tod 
verlorenes.  23.  Andererseits  wird  auch  die  Zuneigung  des 
Herzens,  der  Liebe,  der  Anhänglichkeit  von  Seiten  eines 
solchen  Kindes  ganz  allein  auf  seine  Ernährerin  sich  be- 
schränken und  ebenso  wird  es,  wie  dies  bei  ausgesetzten 


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XII.  Buch,  1.  Cap.,  §  23.  24.  —  2.  Cap.,  §  1.  (135) 


Kindern  der  Fall  ist,  weder  eine  (kindliche)  Empfindung  für 
die  Mutter,  welche  ihm  das  Leben  gegeben,  hegen,  noch  ein 
sehnsüchtiges  Verlangen  nach  ihr  dasselbe  anwandeln.  Deshalb 
wird,  sind  alle  jene  Begriffe  von  Pflichtgefühl  und  angeborner 
Kindesliebe  erloschen  und  vernichtet,  bei  derartig  erzogenen 
Kindern,  wenn  sie  auch  Vater  und  Mutter  zu  lieben  scheinen, 
diese  (gebotene)  Liebe  fast  grösstentheils  keine  wahrhaft  inner- 
liche, wirkliche  Zuneigung  sein,  sondern  nur  eine  (vorsätzlich) 
erzwungene  und  eingebildete  (die  nichts  als  die  kalten  ver- 
wandtschaftlichen Namen  der  Aeltern  und  Kinder  zur  Schau 
trägt).  24.  Diesem  in  griechischer  Sprache  gehaltenen  Vor- 
trage des  Favorin  wohnte  ich  als  Zuhörer  bei.  Und  ihres 
allgemeinen  Nutzens  halber  glaubte  ich  diese  Grundsätze  und 
Gedanken,  so  weit  sie  mir  im  Gedächtniss  geblieben  waren, 
hier  aufzeichnen  zu  müssen;  allein  die  Anmuth,  die  Fülle 
und  Ueppigkeit  im  Ausdruck  wird  wohl  kaum  irgendwie  alle 
lateinische  Beredtsamkeit  annähernd  auszudrücken  im  Stande 
sein,  meine  Wenigkeit  aber  ganz  und  gar  nicht. 

XII,  2,  I*.  Wie  oberflächlich  und  leichtsinnig  Annaeus  Seneca  bei  seinem 
Urtheil  verfuhr,  welches  er  über  Q.  Ennius  und  M.  Tullius  (Cicero)  fällte. 

XII,  2.  Cap.  1.  Einige  (Kunstrichter)  sprechen  über 
Annaeus  Seneca  wie  über  einen  Schriftsteller  von  ganz  und 
gar  keinem  Belang,  mit  dessen  Werken  sich  zu  befassen  ganz 
und  gar  nicht  der  Mühe  werth  sei,  weil  seine  Ausdrucksweise 
gewöhnlich  und  abgenutzt  erscheint;  die  Wahl  des  Stoffes 


XII,  1,  24.   Griechischer  Vortrag  des  Favorin  vergl.  Gell.  XIV,  1,  1. 

XII,  2,  1.  Lucius  Annaeus  Seneca,  der  Philosoph,  geb.  zu 
Corduba  in  Spanien,  Sohn  des  Rhetors  Seneca  und  der  Helvia,  gelangte 
in  Rom  zu  den  höchsten  Staatsäratern ,  wurde  aber  durch  die  Intriguen 
der  berüchtigten  Messalina  an  dem  Hofe  des  Kaisers  Claudius  gestürzt 
und  nach  Corsica  verwiesen.  Nach  acht  Jahren  zurückgerufen,  wurde  er 
Erzieher  des  Nero,  der  ihn  aber  65  zum  Tode  verurtheilte,  weil  er  an 
der  Verschwörung  des  Piso  Theil  genommen  haben  sollte.  Er  starb,  da 
ihm  die  Wahl  seines  Todes  freigelassen  war,  durch  Oeffnung  der  Adern. 
In  seinen  philosophischen  Anschauungen  folgt  er  meist  der  stoischen 
Lehre,  bewahrt  sich  jedoch  Selbständigkeit  seines  Urtheüs  durch 
viele  eben  so  tief  geschöpfte,  als  klar  und  scharf  ausgeprägte  Gedanken 
und  Sätze.   S.  Bernh.  R.  L.  124;  Teuffels  Gesch.  der  röm.  Lit.  283,  1. 


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(136) 


XII.  Buch,  2.  Cap.,  §  1—5. 


und  die  Gedanken  bald  läppisches,  gehaltloses  Ungestüm  ver- 
rathen,  bald  etwas  von  oberflächlicher  und  naseweiser  Spitz- 
findigkeit; sein  Bildungsgrad  aber,  gewöhnlich  und  niedrig, 
keine  Spur  an  sich  trage,  weder  von  der  Anmuth,  noch  von 
der  Erhabenheit  aus  den  Schriften  der  Alten.  Andere  hin- 
gegen gestehen  zu,  dass  ihm  zwar  in  der  Ausdrucksweise  ein 
feiner  Geschmack  mangele,  behaupten  aber,  dass  sowohl  die 
Geschicklichkeit  und  Anordnung  in  der  Behandlung  des  Stoffes 
ihm  nicht  abgehe,  als  auch  der  Ernst  und  die  Strenge,  womit 
er  sich  im  Tadel  sittlicher  Laster  und  Verbrechen  ergeht, 
nicht  ohne  Liebreiz  sei.  2.  Im  Allgemeinen  den  Kunstrichter 
über  seine  geistige  Befähigung  zu  spielen  und  über  seine 
ganze  schriftstellerische  Thätigkeit  ein  Urtheil  abzugeben, 
halte  ich  für  unnöthig;  aber  wir  wollen  uns  nur  die  Aufgabe 
stellen,  die  Art  und  Weise  seines  Urtheils  über  M.  Cicero, 
über  Q.  Ennius  und  über  P.  Vergilius  etwas  näher  zu  be- 
trachten. 3.  Im  22.  Buche  seiner  „moralischen  Briefe^ 
welche  er  an  den  Lucilius  richtet,  behauptet  Seneca,  Q.  En- 
nius habe  auf  den  iM.  Cornelius)  Cethegus  folgende  höchst 
lächerliche  Verse  gedichtet: 

Ihn  hatte  sein  Volk  vor  Zeiten,  ihn  hatten 
Jene  Menschen,  die  damals  sich  umgetrieben  im  Leben, 
Köstliche  Blüthe  des  Volkes  genannt  und  das  Mark  der  Beredtheit. 

4.  Und  nachher  schreibt  er  über  dieselben  Verse  Folgendes: 
„Wunder  muss  es  immer  nehmen,  dass  selbst  höchst  beredte 
Männer  so  für  den  Ennius  eingenommen  waren,  dass  sie  solch 
läppisches  Zeug  für  etwas  höchst  Vorzügliches  ausgeben 
konnten.  Wenigstens  giebt  auch  Cicero  diese  Verse  von  ihm 
als  gute  aus."  5.  Und  so  lautet  ferner  (von  Seneca)  auch 
folgendes  Urtheil  über  Cicero:  „Es  nimmt  mich  gar  nicht 


XII,  2,  3.  Marcus  Cornelius  Cethegus,  Pontifex  maximus  und  Praetor 
(213  und  211),  dann  mit  dem  Sempronius  Tuditanus  Consul  (204),  schlug 
als  Proconsul  im  folgenden  Jahre  in  Insubrien  den  carthagenischen  Feldherrn 
Mago,  einen  Bruder  des  Hannibal.  Er  legte  sich  im  hohen  Alter  noch  auf 
die  Redekunst  und  soll  es  nach  Cicero  (Brut.  15)  sehr  weit  darin  gebracht 
haben.  Cic.  Senec.  14,  50.  Bemerkungen  über  Seneca  s.  bei  Teuffei  röm. 
Lit.  Gesch.  283,  5. 

XII,  2,  4.   Cic.  Brut.  15,  57  etc. 


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XII.  Buch,  2.  Cap.,  §  5  —  11.  (137) 

Wunder,  dass  es  Einen  geben  konnte,  der  diese  Verse  schrieb, 
da  sich  ja  auch  Einer  fand,  der  sie  lobte ;  wenn  es  nicht  etwa 
von  dem  grössten  Redner  Cicero  nur  darauf  abgesehen  war, 
sein  eigenes  Interesse  zu  vertreten,  und  er  nur  deshalb  diese 
Verse  für  mustergültige  gehalten  wissen  wollte"  (sc.  weil  er 
sich  als  Dichter  selbst  sehr  schwach  fühlte).  6.  Nachher  fügt 
Seneca  auch  noch  folgenden  abgeschmackten  Zusatz  bei: 
•  „Auch  wird  man  bei  Cicero  selbst  noch  Einiges  in  ungebundener 
Rede  linden,  woraus  man  ersehen  kann,  er  habe  den  Ennius 
nicht  vergeblich  gelesen."  7.  Er  zieht  dann  einige  Stellen 
an,  die  er  bei  Cicero  als  ennianische  tadelt,  dass  er  z.  B.  in 
seinen  Büchern  „über  den  Staat"  (V,  9,  §  11)  so  schrieb: 
„Der  Lacedämonier  Menelaos  besass  eine  süssredende  An- 
rnuth;"  dass  Cicero  ferner  an  einer  andern  Stelle  sich  so  aus- 
drückte: „(Ein  Lenker  des  Staats)  soll  sich  in  seinem  Vortrage 
stets  der  Redekürze  befleissigen."  8.  Dabei  hält  es  dieser 
Schwätzer  doch  noch  für  nöthig,  zu  seiner  Entschuldigung 
für  die  dem  Cicero  vorgeworfenen  Fehler  den  Zusatz  machen 
zu  müssen:  „Doch  war  deshalb  dem  Cicero  kein  Vorwurf  zu 
machen,  sondern  nur  dem  Zeitgeschmack,  denn  da  dergleichen 
(gern)  gelesen  wurde,  so  musste  man  dergleichen  auch  sagen 
(und  schreiben)."  9.  Weiterhin  fügt  er  noch  hinzu,  Cicero 
habe  alle  dergleichen  Ausdrücke  nur  eingeschaltet,  um  dem 
Vorwurf  einer  allzu  überladenen  und  gezierten  Sprache  aus 
dem  Wege  zu  gehen.  10.  Auch  über  Vergil  lässt  er  sich  an 
eben  derselben  Stelle  wörtlich  folgendermassen  aus:  „Aus 
keiner  andern  Ursache  hat  unser  Vergil  einige  harte  und 
ungeregelte  und  Manches  ins  Breite  ziehende  Verse  unter- 
mengt, nur  damit  der  dem  Ennius  zugethane  Anhängerschwarm 
in  der  neuen  Dichtung  etwas  Alterthümliches  wiederfinden 
möchte."    11.  Nun  bin  ich  (zwar)  dieses  Gewäsches  vom  Se- 


XII,  2,  7.   Vergl.  Bernh.  R.  L.  53,  213. 

XII,  2,  10.  Seneca  erwähnt  Vergil  lobend:  ep.  21;  ohne  Herab- 
setzung: ep.  59  und  ep.  95. 

XII,  2,  11.  Inter  hircosos  -  inter  unguentatos.  Anspielung  auf  die 
römische  alte  Zeit,  wo  man  sich  noch  viel  mit  der  Viehzucht,  namentlich 
Ziegenzucht  beschäftigte,  im  Gegensatz  zum  Parfümiren  in  der  spätem 
Zeit. 


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I 


(138)  XU.  Buch,  2.  Cap.,  §  11  —  14. 

neca  überdrüssig,  kann  jedoch  einige  Spässe  dieses  läppischen, 
einfältigen,  faden  Menschen  durchaus  nicht  mit  Stillschweigen 
übergehen.  Er  sagt  einmal :  „Einige  Gedanken  des  Q.  Ennius 
sind  so  grossartig,  dass,  obgleich  sie  zur  Zeit  geschrieben 
sind,  wo  die  Leute  nach  Ziegenbock  (Ziegenstall)  rochen,  doch 
wohl  auch  noch  bei  (unsern  jetzigen)  Pomadenherrchen  Ge- 
fallen erregen  können;"  und  als  er  die  oben  bereits  von  mir 
angeführten,  auf  den  Cethegus  bezüglichen  Verse  des  Ennius 
getadelt  hatte,  fährt  er  fort:  „Die,  welche  sich  in  solche  Verse 
verlieben  können,  mögen  immerhin  auch  die  (alten,  schlechten) 
Bettstellen  von  (Meister)  Sotericus  bewundern."  12.  Sollte 
Seneca  nun  wirklich  würdig  des  Lesens  und  Studirens  von 
Seiten  junger  Leute  sein,  er,  der  den  Werth  und  Zuschnitt 
(Colorit)  alter  Sprechweise  den  Bettstellen  des  Sotericus 
gegenübergestellt  hat,  die,  man  höre  nur,  aller  Annehmlichkeit 
entbehren,  (als  unbrauchbar)  hintenangesetzt  und  (als  un- 
bequem) verachtet  werden?  13.  Doch  magst  Du  Dir  nun  auch 
einiges  Wenige  anführen  lassen,  was  sich  von  eben  demselben 
Seneca  als  ganz  treffende  Bemerkung  herausstellt,  wie  z.  B. 
sein  Ausspruch,  den  er  in  Bezug  auf  einen  geizigen,  gierigen 
und  gelddurstigen  Menschen  thut:  „Was  liegt  denn  daran, 
wie  viel  Du  hast?  Es  giebt  ja  doch  noch  viel  mehr,  was 
Du  nicht  hast."  14.  Das  ist  doch  wohl  ein  ganz  vortrefflicher 
Ausspruch?  Gewiss  ganz  vortrefflich.  Allein  einige  (wenige) 
gute  Einfälle  befördern  die  Neigung  (und  das  Anstandsgefühl) 
der  Jugend  doch  nicht  in  dem  Maasse,  als  öfters  schlechtere 
Reden  sie  vergiften  und  zwar  um  so  viel  mehr,  wenn  die 
schlechten  bei  Weitem  die  Mehrzahl  ausmachen  und  darunter 
solche  sich  befinden,  die  nicht  etwa  für  eine  subjective  Be- 
trachtung über  einen  unbedeutenden  und  schlichten  Gegen- 
stand ausgegeben,  sondern  in  einem  zweifelhaften  Falle  (als 
massgebend  und)  als  leitendes  Princip  hingestellt  werden. 


XII,  2,  11.   S.  M.  Hertz  „Renaissance  und  Rococo"  S.38.  Berlin  18t>5. 

XII,  2,  13.  Vergl.  Gell.  IX,  8,  4  den  Ausspruch  Favorins.  Beim 
Stobaeus  sagt  Epicur:  Wer  sich  nicht  mit  Wenigem  begnügt,  der  hat  nie 
genug.  Valerius  Maxim.  IV,  3,  7  schreibt:  Fabricius  Luscinus  war  reich, 
nicht  weil  er  viel  besass,  sondern  weil  er  wenig  begehrte.  S.  Gell.  1, 14,  2. 

XII,  2,  14.   S.  Bernhard.  R.  L.  52,  212. 


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XII.  Buch,  3.  Cap.,  §  1—3. 


(139) 


XII,  3,  L.  Auf  welche  Weise  der  Ausdruck  „lictor"  sich  bildete  und 
entstand;  ferner  Anführung  der  verschiedenen  Ansichten  des  Valgius  Rufus 
und  des  Tullins  Tiro  (des  Freigelassenen  von  M.  Tullius  Cicero,  über  den 

Ursprung  dieser  Benennung). 

XII,  3.  Cap.  1.  Valgius  Rufus  im  2.  Buche  seines 
Werkes,  welches  die  Ueberschrift  führt:  „über  (einige)  in 
Briefform  abgefasste  Fragen"  (enthaltend  die  Ergebnisse 
grammatischer  Studien  und  gelehrter  Erörterungen)  schreibt, 
dass  der  Ausdruck  „lictor  (Amtsdiener  des  hohen  Rathes)" 
von  ligare  (binden)  hergenommen  sei,  weil,  sobald  einer  auf 
obrigkeitlichen  Befehl  des  römischen  Volkes  sollte  mit  Ruthen 
gepeitscht  werden,  diesem  gewöhnlich  von  dem  Gerichtsboten 
(a  viatore)  Hände  und  Füsse  gebunden  und  gefesselt  wurden. 
Der  von  den  Rathsboten,  an  welchem  nun  die  Reihe  war,  das 
Anlegen  der  Fesseln  zu  vollziehen,  sei  nun  „lictor"  genannt 
worden.  Und  (zum  Beweis)  dafür  beruft  er  sich  auf  das 
Zeugniss  des  M.  Tullius  (Cicero)  und  führt  dazu  die  be- 
treffende Stelle  aus  der  Rede  an,  welche  vom  Cicero  für  den 
C.  Rabirius  gehalten  wurde.  2.  Da  steht:  „lictor  colliga 
manus,  d.  h.  Lictor  (geh'  und)  binde  (ihm)  die  Hände."  So 
also  lautet  die  Erklärung  des  Valgius.  3.  Und  wahrlich  auch 
ich  erkläre  mich  mit  ihm  einverstanden.   Allein  Tiro  Tullius, 


XII,  3,  L.  Die  (12)  Lictores,  Boten,  erklärt  Cic.  de  republ.  2,  31 
richtiger  von  licere  (laden,  entbieten)  nicht  von  ligare  (binden)  s.  Varro 
L  L  6,  9,  77  §  94  inlicium  vocare.    Vergl.  Gell.  II,  15,  4  NB. 

XII,  3,  1.  S.  Non.  Marc.  p.  51  Lictor.  Plut.  über  römische  Ge- 
bräuche 67;  Paul.  S.  115. 

XII,  3,  1.  C.  Valgius  Rufus,  vertrautester  Freund  des  Horaz, 
vielseitig  gebildet,  verfasste  mannigfaltige  rhetorische  und  grammatische 
Schriften.  Die  in  seinem  Werke  de  rebus  per  epistolam  quaesitis  nieder- 
gelegten Ergebnisse  seiner  grammatischen  Studien  und  gelehrten  Er- 
örterungen sind,  nachweislich,  ausser  von  unserm  Gellius,  auch  noch  von 
Plinius  fleissig  benutzt  worden.   S.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  230,  3. 

XII,  3,  1.  Viatores  waren  eigentlich  die  Amtsboten  und  die  Be- 
dienenden der  Tribunen  (s.  Liv.  2,  56)  und  der  Aedilen  (s.  Liv.  30,  39), 
während  die  Lictoren  den  höheren  Magistraten,  z.  B.  Consuln,  Praetoren 
u.  s.  w.,  aufwarteten.  In  früheren  Zeiten  pflegten  die  Viatores  die  Sena- 
toren von  ihren  Landgütern  hereinzurufen,  wo  diese  sich,  als  Ackerbau- 
liebhaber, gewöhnlich  aufhielten,  wovon  sie  auch  den  Namen  erhielten 
(quod  saepe  in  via  essent).   S.  Cicer.  de  sen.  16;  Columeli.  praef.  1. 


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(140)  XII.  Buch,  3.  Cap.,  §  3.  4.  —  4.  Cap.,  §  1.  2. 


des  M.  Cicero  Freigelassener,  schreibt ,  dass  dieses  Wort  ent- 
weder von  dem  Ausdruck  „limus"  (d.  h.  Schurz,  den  die 
Opferdiener  um  den  Leib  zu  tragen  pflegten),  oder  von  lrcium 
(Gurt  um  den  Unterleib)  hergenommen  sei,  denn  die  Diener, 
welche  den  (hohen)  Obrigkeiten  vorangingen,  waren  mit  einer 
Art  quer  über  die  Schulter  auf  die  andere  Seite  gehender 
Binde  (licio  transverso)  umgürtet,  welche  „limus"  genannt  wurde. 
4.  Sollte  Jemand  die  Ansicht  des  Tiro  für  annehmbarer  des- 
wegen halten,  weil  die  erste  Silbe  in  „lictor",  wie  in  licium 
lang  ist,  in  dem  angeblichen  Stammwort  „ligo"  aber  kurz,  so 
ist  dieser  Grund  durchaus  nicht  als  stichhaltig  anzusehen, 
denn  so  werden  viele,  in  den  Stammwörtern  ursprünglich 
kurze  Vocale  unter  Umständen  lang,  wie  z.  B.  in  unserm 
(besprochenen)  Wort  „lictoru  von  „ligare",  ferner  in  „lector"" 
von  „legere",  „Victor"  von  „vivere",  „tutor"  von  ,.tueria, 
„structor"  von  „struere". 

XII,  4,  L.  Einige  aus  dem  7.  Buche  der  Chronik  (der  Jahrbücher)  des 
Q.  Knnius  entlehnte  Verse,  worin  der  Charakter  und  das  feine  irücksichts- 
volle)   Benehmen   eines   geringeren  Mannes  gegen  einen  höhergestellten 

Freund  beschrieben  und  erklärt  wird. 

XII,  4.  Cap.  1.  Q.  Ennius  hat  im  7.  Buche  seiner 
Chronik,  bei  der  geschichtlichen  Besprechung  des  edlen  und 
vornehmen  Geminus  Servilius,  eine  fein  malerische  und  aus- 
führliche Beschreibung  und  Schilderung  geliefert,  was  für  An- 
sprüche an  den  Freund  eines  durch  Geburt  und  Glücksgttter 
höher  gestellten  Mannes  gemacht  werden  und  welche  Eigen- 
schaften alle  von  ihm  verlangt  werden,  als  da  sind:  Geist, 
ein  feines,  liebenswürdiges  Benehmen,  Bescheidenheit,  Treue 
und  Zuverlässigkeit,  Zurückhaltung  im  Urtheil,  Muth  im 
Reden  und  Rathen  zur  rechten  Zeit,  grosse  Kenntniss  in  der 
Alterthumskunde  und  in  allen  alten  und  neuen  Gebräuchen 
und  Sitten,  höchste  Gewissenhaftigkeit  in  der  unverletzlichen 
Bewahrung  der  (anvertrauten,  wichtigen)  Geheimnisse,  endlich 
alle  Arten  Mittel  und  Wege  der  Besänftigung,  der  Er- 
leichterung, des  Trostes  zur  (kräftigen)  Unterstützung  bei  des 
Lebens  Aerger  und  Verdruss.  2.  Ich  glaube,  dass  diese  Verse 
(des  Ennius)  nicht  weniger  der  öfteren  und  beständigen  Er- 
wähnung werth  sind,  als  die  Lehrsätze  der  Philosophen  über 


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XII.  Buch,  4.  Cap.,  §  8—5.  (141) 

die  (menschlichen)  Pflichten.  3.  Dazu  gebietet  uns  in  diesen 
Versen  ein  gewisses  Colorit  altklassischen  Anhauchs  eine  so 
hohe  Achtung ,  ist  ihre  Lieblichkeit  so  absichtslos  rein  und 
ungezwungen,  so  fern  von  jedem  falschen  Aufputz,  dass  diese 
Verse,  wenigstens  nach  meiner  Ueberzeugung,  als  altbewährte 
und  geheiligte  Freundschaftsvorschriften  beobachtet,  im  Ge- 
dächtniss  behalten  und  (fürs  ganze  Leben)  hoch  und  werth 
geachtet  werden  sollten.  4.  Ich  glaube  sie  deshalb  hier 
folgen  lassen  zu  müssen,  weil  doch  vielleicht  Einer  oder  der 
Andere  gleich  danach  Verlangen  tragen  könnte  (sie  kennen 
zu  lernen) : 

Also  sprach  er  und  Hess  zu  sich  kommen,  mit  welchem  er  gern  und 
Oftmals  Tisch  und  Gespräch  und  seiner  Geschäfte  Erört'rung 
Theilte,  wenn  heim  er  kam  ermüdet  von  wichtigen  Dingen, 
Drob  er  gerathschlagt  hatte  die  grössere  Hälfte  des  Tags  durch 
5.  Auf  dem  Markte  sowohl  wie  im  höchst  ehrwürdigen  Stadtrath; 
Welchem  er  Grosses  und  Kleines,  so  wie  auch  Scherze  mittheilen 
Durfte  und  Alles,  was  gut  und  was  übel  man  sonst  wohl  noch  redet, 
Schütten  ihm  aus,  wenn  er  mocht',  und  anvertrauen  ihm  sorglos; 
Welcher  getheilt  mit  ihm  viel  Freud'  im  Hause  und  draussen; 

10.  Den  nie  schädlicher  Rath  aus  Leichtsinn  oder  aus  Bosheit 
üebel  zu  handeln  verlockt;  ein  Mann,  unterrichtet,  ergeben, 
Angenehm,  redegewandt  und  genügsamen  fröhlichen  Herzens, 
Redend  zur  richtigen  Zeit  und  das  Passende,  klüglich  und  kürzlich, 
Im  Verkehre  bequem  und  bewandert  verschollener  Dinge, 

15.  Denn  ihn  lehrten  die  Jahre  die  Sitten  der  Zeit  und  der  Vorzeit, 
Von  vielfältigen  Sachen  der  Götter  und  Menschen  Gesetz'  auch, 
Und  ein  Gespräch  zu  berichten  verstand  er  so  wie  zu  verschweigen. 
An  ihn  wendet  Servil  sich  immer  bei  streitigen  Punkten. 

5.  L.  Aelius  Stilo  soll  oftmals  (und  ohne  Zweifel  nicht  mit 
Unrecht)  die  Behauptung  haben  laut  werden  lassen,  dass  der 
Dichter  Q.  Ennius  in  diesen  Versen  (nur)  eine  Charakteristik 
seiner  selbst  geliefert  und  ein  Bild  seines  eigenen  Geistes  und 
Charakters  entworfen  und  (sein  vertrauliches  Verhältniss  zum 
Scipio)  geschildert  habe. 


XII,  4,  5.  Ueber  L.  Aelius  Stilo  s.  Gell.  I,  18,  L.  NB.  Ueber 
Q.  Ennius  s.  Gell.  I,  22,  16  NB  und  Gell.  XVII,  21,  43  NB;  cfr.  Cic. 
de  orat  H,  68,  276. 


irdjfär~ir_ 


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(142) 


XII.  Buch,  5.  Cap.,  §  1  —  3 


XII,  5,  L.  Unterhaltung  des  Philosophen  Taurus  über  die  Art  und  Weise, 
wie  man  nach  den  Grundsätzen  der  Stoiker  den  Schmerz  ertragen  müsse. 

XII,  5.  Cap.  1.  Als  der  Philosoph  Taurus  nach  Delphi 
reiste,  um  daselbst  die  pythi sehen  Spiele  und  die  (all- 
gemeine) Zusammenkunft  fast  von  ganz  Griechenland  sich  mit 
anzusehen,  und  ich  mich  in  seiner  Begleitung  befand,  kamen 
wir  auf  der  Reise  dahin  nach  Lebadia,  einer  alten  Stadt  in 
Böotien,  allwo  dem  Taurus  die  Meldung  gemacht  wurde,  dass 
daselbst  einer  seiner  Freunde,  ein  angesehener  Philosoph  aus 
der  stoischen  Schule,  von  schwerer  Krankheit  heimgesucht, 
darniederliege.  2.  Er  schob  sogleich  die  Weiterreise  auf,  ob- 
gleich er  übrigens  alle  Ursache  hatte,  diese  zu  beschleunigen, 
verliess  das  Schiff  und  machte  sich  sofort  auf,  dem  Kranken 
einen  Besuch  abzustatten.  Wir,  seine  Reisegefährten,  be- 
gleiteten ihn,  wie  überhaupt  gewöhnlich  auf  Tritt  und  Schritt, 
so  auch  auf  diesem  Gange.  Als  wir  in  das  Haus,  wo  der 
arme  Kranke  lag,  kamen,  ward  uns  der  Anblick  eines  Men- 
schen, der  an  einer  Krankheit  litt,  welche  die  Griechen 
„y.olov  (Kolik)"  nennen,  wobei  er  von  den  martervollsten 
Unterleibsschmerzen  und  zugleich  vom  heftigsten  Fieber  ge- 
plagt wurde;  wobei  er  sein  willkürlich  verhaltenes  Wimmern 
doch  nicht  völlig  niederkämpfen  und  sein  schweres  Athem- 
holen  und  sein  Aufseufzen  aus  tiefer  Brust  nicht  ganz  unter- 
drücken konnte,  ein  Zustand,  der  uns  nicht  sowohl  den 
Schmerz  selbst  verrieth,  als  vielmehr  den  Kampf  (des  so 
jämmerlich  Leidenden)  gegen  den  Schmerz.  '  3.  Als  Taurus 
nun  gleich  darauf  nicht  sowohl  Aerzte  hatte  herbeiholen  lassen 
und  sich  mit  ihnen  nicht  nur  über  die  anzuwendenden  Mittel 
verständigt  hatte,  sondern  ganz  besonders  den  Kranken  selbst 
zur  Ausdauer  und  Geduld  Mttth  eingeflösst  und  ihn  vorzüglich 
wegen  der  sichtbar  abgelegten  Beweise  von  Erduldung  belobt 
hatte,  entfernten  wir  uns  wieder  und  begaben  uns  nach 
den  Schiffen  zu  unsrer  Reisegesellschaft  zurück.  Daselbst 

XII,  5,  L.   Vergl.  Gell.  XIX,  1. 

XII,  5,  1.  Die  pythischenSpiele,  Wettkämpfe  und  Tänze,  welche 
dem  Apollo  als  Besieger  des  (Drachen)  Python  zu  Ehren  in  Delphi  ge- 
feiert wurden. 

XII,  5,  2.   Darmgicht.   Piin.  26,  6,  1. 


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XII.  Buch,  5.  Cap.,  §  3—5.  (143) 

(angekommen)  liess  sich  Taurus  also  vernehmen:  „Dir  habt 
nun  zwar  allerdings  ein  weniger  angenehmes,  aber  für  eure 
Erfahrung  immerhin  ganz  nützliches  Schauspiel  mit  angesehen, 
wie  ein  Philosoph  und  der  Schmerz  Schritt  für  Schritt  sich 
das  Kampffeld  streitig  machten.  Die  Heftigkeit  und  der 
Charakter  der  Krankheit  an  und  für  sich  verursachten  ihrer- 
seits die  Verzerrung  der  Gliedmassen  und  den  grausamsten 
Schmerz ;  dagegen  kämpften  aber  ebenso  ihrerseits  der  geistige 
Wille  und  die  Charakterstärke  (gewaltsam)  an,  rüsteten  sich 
mit  Geduld  zur  Abwehr  und  hielten  in  sich  die  Heftigkeit 
des  unbändigen  Schmerzes  zurück.  Der  arme  Geplagte  liess 
kein  (klägliches)  Gejammer,  kein  Gewimmer,  kein  unschick- 
liches Wort  hören,  kaum  dass  einige  Zeichen  euch  verriethen, 
es  handle  sich  hier  offenbar  um  den  Kampf  einer  (tugend- 
haften) Seele  mit  ihrem  Körper,  um  den  Besitz  der  Herrschaft 
(des  Schmerzes)  über  den  (armen  gequälten)  Menschen." 
4.  Darauf  ergriff  nun  ein  junger  Schüler  und  Anhänger  des 
Taurus,  der  vielen  Fleiss  auf  das  Studium  der  Philosophie 
verwandt  hatte,  das  Wort  und  sagte:  Wenn  nun  aber  die 
Bitterkeit  und  Drangsal  des  Schmerzes  so  bedeutend  ist,  dass 
sie  jeder  Freiheit  des  Willens  und  jeder  Vorstellung  der  Ver- 
nunft widerstrebt  und  dem  leidenden  Menschen  wider  seinen 
Willen  Seufzer  auspresst  und  ihn  zwingt,  das  (wüthende) 
Krankheitsübel  offen  einzugestehen,  warum  bezeichnet  man 
denn  da  den  Schmerz  als  etwas  Gleichgültiges  (indifferens, 
d.  h.  was  weder  gut,  noch  böse  ist)  und  nicht  gleich  geradezu 
als  ein  (wirkliches)  Uebel?  Warum  (ferner)  kann  entweder 
ein  Stoiker  zu  etwas  gezwungen  werden,  oder  der  Schmerz 
für  ihn  ein  Zwangsmittel  werden,  da  man  doch  an  der  Be- 
hauptung festhält,  dass  theils  der  Schmerz  in  keiner  Hinsicht 
als  ein  Zwangsmittel  auftreten,  als  auch,  dass  ein  Weiser 
überhaupt  in  keiner  Hinsicht  zu  etwas  gezwungen  werden 
könne?  5.  Hier  schien  es,  als  ob  den  Taurus  das  Ver- 
fängliche und  doch  so  reizend  Unbefangene  dieser  aufgewor- 
fenen Frage  ergötzte,  und  sofort  erwiderte  er  nun  darauf  mit 
höchst  wohlwollender  Miene:  Wenn  freilich  dieser  unser 
Freund  sich  besser  befände  (versteht  sich,  und  hier  bei  uns 
sein  könnte),  würde  er  seine  unwillkürlich  ausgestossenen 

XII,  5,  5.   Ueber  Taurus  s.  Gell.  I,  9,  8  NB. 


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(144) 


XII.  Buch,  5.  Cap.,  §5—7. 


Seufzer  sehr  leicht  vor  falscher  Ausdeutelei  zu  vertheidigen 
und  Dir,  wie  ich  glaube,  Deine  Frage  gründlich  zu  beantworten 
wissen.  Von  mir  aber  weisst  Du  ja,  dass  ich  mit  den  Stoikern, 
oder  vielmehr  mit  der  stoischen  Lehre  nicht  so  ganz  überein- 
stimme. Denn  in  verschiedenen  Stücken  gehen  unsre  gegen- 
seitigen Ansichten  nicht  ganz  einen  Weg,  wie  ich  in  meinem 
über  diesen  Gegenstand  verfassten  Werke  wohl  hinlänglich 
dargethan  zu  haben  glaube.  6.  Allein,  nur  um  Dir  den  Willen 
zu  thun,  will  ich  Dir,  zwar  unberufen,  wie  es  heissen  wird, 
aber  doch  unverholen  und  ungeschminkt  Rede  stehen  und 
sagen,  was  meiner  Meinung  nach  man  Dir  würde  geantwortet 
haben,  wenn  gerade  jetzt  einer  der  Stoiker  unter  uns  weilte. 
Du  .kennst  doch  wohl  jenes  alte  und  sehr  bekannte  Wort 
(des  Aristoph.  Ran.  1446): 

Sprich  lieber  ungelehrter,  nur  etwas  verständlicher  (mir)  red'. 

Und  nun  begann  Taurus  sich  über  das  Schmerzensgeseufze 
des  kranken  Stoikers  also  auszulassen.  7.  Die  Schöpferin 
aller  Dinge  und  auch  unseres  Daseins  (die  liebe  Mutter  Natur) 
hat  uns  gleich  vom  ersten  Beginn  unserer  Geburt  die  Liebe 
und  Werthschätzung  von  unserm  eignen  Selbst  zugetheilt  und 
eingepflanzt  und  zwar  so  ausdrücklich,  dass  uns  nichts  theurer 
und  schätzbarer  ist,  als  nur  wir  selbst,  weil  sie  dies  als  das 
sicherste  und  beste  Mittel  erachtete,  für  die  ununterbrochene 
Fortdauer  des  Menschengeschlechts  zu  sorgen  und  zu  wachen, 
wenn  gleich  vorher  schon  jeder  Mensch,  sobald  er  das  Licht 
der  Welt  erblickt,  den  Sinn  und  die  Empfindung  für  seine 
Selbsterhaltung  eingepflanzt  bekäme  und  gleich  mit  auf  die 
Welt  brächte,  wofür  die  alten  Weltweisen  den  Ausdruck 
brauchen:  rot  Ttquka  y.aza  yvoiv  (d.  h.  die  ersten  Eindrücke 
der  Natur),  damit  der  Mensch  sich  selbstverständlich  an 
Allem  erfreue,  was  seinem  Körper  zu  Gute  kommt  und  ihm 
wohlthut,  hingegen  alle  Unannehmlichkeiten  (und  Alles,  was 
ihm  wehe  thut  und  unangenehm  berührt)  vermeide  und  ver- 
abscheue. Später,  bei  zunehmendem  Alter,  wenn  die  geistige 
Ueberlegung  sich  mehr  noch  aus  ihrem  Keim  entfaltet  und 
entwickelt  hat,  die  Erwägung  von  dem  Gebrauch  der  Ver- 
nunft in  den  Vordergrund  tritt,  eine  sondernde  Berücksich- 
tigung des  Anstandes  und  der  wahren  Nützlichkeit  sich  geltend 
macht,  endlich  eine  fein  unterscheidende  und  sichtende  Aus- 


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XII.  Buch,  5.  Cap.,  §  7.  8. 


(145) 


wähl  von  allen  den  (zum  wahren  Wohle  und  zur  wirklichen 
Glückseligkeit  des  Menschen  beitragenden  Annehmlichkeiten 
und)  Vortheilen  Platz  ergreift,  dann  wird  sich  auch  vor  allen 
andern  Dingen  die  Achtung  (nur)  vor  dem  Ehrbaren  und 
Anständigen  im  vollen  Glänze  zeigen  und  herausstellen;  und 
wenn  nun  zur  Gewinnung  und  Behauptung  dieses  Anstands- 
gefühls (dieses  sichtlichen  Strebens  nach  Tugend)  von  aussen 
Etwas  hindernd  und  nachtheilig  in  den  Weg  tritt,  wird  es  der 
Verachtung  anheimfallen  müssen.  Daher  kommt  man  zu  der 
Ueberzeugung,  dass  nur  das  Ehrbare  (d.  h.  die  Tugend)  das 
wirklich  und  wahrhaftig  Gute  sei,  und  nur,  was  schändlich 
(und  verwerflich)  ist,  allein  für  etwas  Böses  (d.  h.  für  ein 
Laster)  gehalten  werden  müsse.  Alles  Uebrige,  welches 
zwischen  diesen  Beiden  in  der  Mitte  läge,  und  weder  etwas 
Ehrbares,  noch  etwas  Schändliches  wäre,  gilt  dann  olfenbar 
weder  für  etwas  Gutes  (d.  h.  für  eine  Tugend),  noch  für 
etwas  Schlechtes  (d.  h.  für  ein  Laster).  Nun  giebt  es  auch 
noch  gewisse  Dinge,  welche,  Jedes  nach  seiner  Art  und  Wir- 
kung, abgesondert  und  geschieden  sind  und  (je  nachdem  sie 
schätzenswerth  oder  verwerflich  sind)  in  näheren  und  ent- 
fernteren Beziehungen  zu  uns  stehen  und  welche  die  Stoiker 
selbst  durch  die  beiden  Ausdrücke  TtQo^yfiiva  (Wünschens- 
werthes  oder  Mitnehmliches,  Unverwerfliches)  und  anonqor^- 
ftha  (Verwerfliches)  näher  bezeichnen  (und  wofür  wir  im 
Lateinischen  die  Ausdrücke  productiones  und  relationes  ge- 
brauchen). Deshalb  können  auch  Vergnügen  und  Schmerz, 
wenn  von  der  eigentlichen,  höchsten  Glückseligkeit  (im  Leben) 
die  Rede  ist,  nur  als  Mitteldinge  angesehen  und  an  sich  weder 
als  etwas  Gutes,  noch  als  etwas  Böses  erachtet  werden.  8. 
Allein,  da  das  kaum  erst  geborne  menschliche  Wesen  noch 
vor  dem  vollständigen  Gebrauch  des  Verstandes  und  der 
Vernunft,  zuerst  der  (seelischen)  Empfindungen  des  Schmerzes 
und  des  Vergnügens  sich  bewusst  wird  und  dem  Vergnügen 
zwar  von  Haus  aus  geneigt,  dem  Schmerz  hingegen,  gerade 


XII,  5,  7.  Vergl.  Gell.  I,  2,  9  NB  über  TTQorjyutva]  Seneca  ep.  74, 17 
commoda  und  producta;  Sext.  Empir.  Hypotyp.  III,  24;  Cic.  de  fin.  II,  11; 
III,  5  ff.;  V,  9.  11;  Tuscul.  IV,  t>;  de  offic.  I,  4;  Epict.  38;  Diog.  Laert. 
VII,  1,  63;  X,  29;  Lucian  Verkauf  der  philosoph.  Orden  cap.  21  ff. 

Gelliuu.  Attische  NäcUte.   II.  10 


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(146) 


XII.  Buch,  5.  Cap.,  §8—10. 


wie  einem  heftigen  Feinde  unversöhnlich  abgeneigt  ist :  so  ist 
die  sich  später  erst  ausbildende  Vernunft  kaum  im  Stande, 
die  zuerst  (erwachenden  und)  eingeprägten  Empfindungen  und 
Triebe  mit  der  Wurzel  auszureissen  und  zu  vertilgen.  Immer 
und  ewig  wird  die  Vernunft  mit  diesem  Feind  im  Streite 
liegen  und  alle  ihre  Kräfte  zusammennehmen  müssen,  um 
diese  (feindlichen)  Triebe,  wenn  sie  sich  ihrer  Herrschaft 
entziehen  und  wieder  neuen  Aufschwung  nehmen  wollen,  ent- 
weder zu  unterdrücken  und  zu  vernichten,  oder  sie  sich  doch 
gehorsam  und  unterthänig  zu  erhalten.  9.  Daher  sähet  ihr,  wie 
der  (arme)  Philosoph,  auf  die  Wirksamkeit  seines  Princips  ver- 
trauend, im  Ringen  mit  dem  grössten  Ausbruch  seines  Leidens 
und  mit  jedem  anderen  Schmerzensanfall  sich  durchaus  nicht 
werfen  Hess,  jedes  (etwaige)  Bekenntniss  (seiner  Schmerzen) 
muthig  bekämpfte  und,  wie  Viele  im  (gleichen)  Leidensfalle 
zu  thun  pflegen,  nicht  wimmerte  und  klagte,  nicht  sich  elend 
und  unglücklich  nannte,  so  dass  das  starke  Röcheln  und  die 
Stossseufzer,  die  man  (zuweilen)  hörte,  nicht  als  Zeichen  und 
Beweise  eines  vom  Schmerz  besiegten  und  überwältigten 
Mannes  anzusehen  waren,  sondern  nur  von  Einem  herzukom- 
men schienen,  der  sich  Muth  und  Mühe  nicht  verdriessen 
lässt,  über  den  Schmerz  zu  siegen  und  zu  triumphiren.  10. 
Allein,  fuhr  Taurus  fort,  ich  bin  nicht  sicher,  ob  nicht  viel- 
leicht Einer  oder  der  Andere  doch  noch  mit  dem  Einwurf 
herausrückt:  man  vernimmt  aber  doch  das  Ringen  und  Seufzen, 
warum  ist  solches  Ringen  und  Seufzen  nothwendig,  wenn  der 
Schmerz  kein  wirkliches  Uebel  ist?  (Ihm  diene  Folgendes 
zur  Antwort.)  Weil  nämlich  Manches,  was  zwar  nicht  unter 
die  Uebel  gehört,  doch  auch  nicht  immer  von  jeder  Beschwerde 
und  Unbequemlichkeit  ganz  frei  ist,  sondern  Vieles,  was  zwar 
an  und  für  sich  bisweilen  einen  wirklichen,  bedeutenden 
Nachtheil,  oder  im  speciellen  Falle  ein  Verderben  ver- 
ursachen (d.  h.  nachtheilig  und  verderblich  sein)  kann,  wie- 
wohl es  (nicht  gegen  die  Gesetze  der  Tugend  verstösst  und 
daher)  nicht  schändlich  ist,  dagegen  die  freundliche  Gewohn- 
heit eines  ruhigen  Lebensgenusses  stört  und  nach  gewissen  un- 
erklärlichen und  unvermeidlichen  Naturgesetzen  beunruhigend 
wirkt:  dergleichen  (unvermeidliche  Uebel)  ist  ein  weiser 
Mann  zu  ertragen  und  (mit  stoischer  Ruhe)  lange  auszuhalten 


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XII.  Buch,  5.  Cap.,  §  10—13.  (U7) 

im  Stande,  aber  ihrem  Einfluss  auf  seine  Empfindung  sich 
gänzlich  zu  entziehen,  steht  nicht  in  seiner  Macht.  Denn  eine 
gänzliche  Gefühllosigkeit  (avayl^aia)  und  Unempfindlichkeit 
(ciTta&eia),  fuhr  er  fort,  ist  nicht  anzunehmen,  ja  sogar  zu 
verwerfen,  nicht  nur  nach  meinem  persönlichen  Dafürhalten, 
sondern  auch  nach  dem  Urtheile  einiger  verständiger  Männer 
aus  derselben  (stoischen)  Secte,  wie  z.  B.  des  höchst  an- 
gesehenen Gelehrten  Panaetius.  11.  Aber  (wird  man 
weiter  fragen),  warum  wird  ein  Weltweiser,  ein  Stoiker  auch 
wider  seinen  Willen  gezwungen,  Seufzer  auszustossen ,  da  er 
doch  eigentlich  zu  nichts  soll  gezwungen  werden  können? 
Allerdings  kann  ein  Weiser  zu  nichts  gezwungen  werden,  so 
lange  er  der  Herrschaft  über  seine  Vernunft  Meister  bleibt; 
gewinnt  aber  die  Natur  die  Oberhand,  so  muss  die  Vernunft 
dieser  (unsichtbaren)  Macht  des  Naturgesetzes  nachgeben, 
dem  sie  ja  erst  ihr  Bestehen  verdankt.  Frage  also  doch, 
wenn  es  Dich  gut  dünkt,  woher  es  kommt,  warum  man  un- 
willkürlich mit  den  Augen  blinzelt,  wenn  eine  fremde  Hand 
uns  plötzlich  an  den  Augen  vorbeifährt;  warum  man  bei 
einem  jähen  blendenden  Blitzstrahl  unfreiwillig  Kopf  und 
Augen  wegwendet;  warum  man  bei  einem  heftigen  Donner- 
schlag leicht  erschrickt;  warum  man  beim  Niessen  er- 
schüttert wird;  warum  man  in  der  Sonnengluth  schwitzt 
und  Hitze  empfindet  und  warum  man  bei  unbändiger  Kälte 
friert  und  durchschauert  wird?  12.  Denn  über  alle  diese 
und  viele  andere  Zufälligkeiten  übt  weder  der  freie  Wille, 
noch  der  Verstand  noch  die  Vernunft  eine  Macht  aus,  sondern 
sie  werden  von  den  (unsichtbaren)  Anordnungen  des  unab- 
änderlichen Naturgesetzes  beeinflusst.  13.  Denn  das  heisst 
durchaus  nicht  Tapferkeit  und  Muth,  der  sich  auflehnt  wider 
die  Natur,  wie  gegen  ein  Ungeheuer,  und  der  seine  Stärke 
darin  sucht,  die  vorgesteckten  Grenzen  des  Naturgesetzes  zu 
*  tiberschreiten,  entweder  durch  geistige  Gefühllosigkeit,  oder 
durch  rohen  Stumpfsinn,  oder  durch  eine  übertriebene  und 
erzwungene  Uebung  (und  Gewöhnung)  in  Erduldung  der 


XII,  5,  10.  Gellius  sagt  also  hier,  Panaetius  habe  den  stoischen 
Grundsatz  der  Apathie  verworfen.  Cfr.  Gell.  XIX,  1,  18  und  21;  XIX, 
12,  2.   üeber  Panaetius  s.  Gell.  XVII,  21,  1  NB. 

10* 


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I 


(148)        Xn.  Buch,  5.  Cap.,  §  13—15.  —  6.  Cap.,  §  1  —  3. 

grössten  und  heftigsten  Schmerzen,  wie  die  Ueberlieferung  uns 
dies  von  einem  wilden  Fechter  bei  einem  kaiserlichen  Kampf- 
spiele berichtet,  der  noch  ganz  gemächlich  zu  lachen  pflegte, 
als  ihm  von  den  Aerzten  seine  Wunden  ausgeputzt  und  ver- 
bunden wurden.  Nur  das  ist  der  richtige  Muth,  die  wahre 
Tapferkeit,  welche,  nach  dem  Urtheil  unserer  Vorfahren,  in 
der  Erkenntniss  aller  der  Dinge  bestand,  die  sich  ertragen 
lassen  und  die  sich  nicht  ertragen  lassen.  14.  Daraus  geht 
hervor,  dass  es  auch  Dinge  giebt,  die  sich  nicht  ertragen 
lassen  (bei  denen  daher  jeder  Kampf  und  Widerstand,  jeder 
Muth  und  jede  Tapferkeit  übel  angebracht  ist),  vor  deren 
Unternehmung  und  Durchführung  auch  die  Tapfersten  werden 
abstehen  und  zurückschrecken  müssen.  15.  Als  nach  diesen 
Worten  Taurus,  wie  es  schien,  noch  weiter  über  diesen  Ge- 
genstand sprechen  wollte,  war  man  bereits  bei  dem  Schiffe 
wieder  angelangt  und  wir  stiegen,  zur  Fortsetzung  unserer 
Weiterfahrt,  sogleich  ein. 

XII,  6,  L.    Ueber  das  (Silben-)  Räthsel  (aenigma). 

XII,  6.  Cap.  1.  Was  die  Griechen  „aenigmata"  nennen, 
diese  Art  (von  Räthseln)  bezeichneten  Einige  von  unsern  alten 
Schriftstellern  mit  dem  Ausdruck:  scirpi  (eigentlich:  Binsen- 
netze, dann:  Charaden,  Silbenräthsel).  Ein  solches  in  sechs- 
gliedrigen  (jambischen)  Versen  enthaltenes,  in  der  That  sehr 
altes  und  sehr  hübsches  Räthsel  habe  ich  neulich  ausfindig 
gemacht,  und  will  es  hier  ohne  Auflösung  folgen  lassen,  um 
das  Errathungsvermögen  meiner  Leser  anzuspornen.  2.  Die 
(betreffenden)  drei  Verse  lauten  also: 

Ob  einmal  weniger,  ob  zwei  mal,  weiss  ich  nicht, 
Ob  Beide  gar  zugleich,  wie  einst  ich  sagen  hört', 
Dem  hohen  König  Zeus  zu  weichen  nicht  gewillt. 

3.  Wer  selbst  nicht  lange  erst  bei  sich  darüber  nachdenken 
will,  der  findet  die  Auflösung  davon  in  M.  Varros  2.  Buche 
des  an  Marcellus  gerichteten  Werkes  „über  die  (acht)  latei- 
nische Ausdrucks  weise". 


XII,  6,  L.   Ueber  Räthsel  s.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  §  26,  1. 
XII,  6,  3.    „De  latino  sermone",  über  die  ächte  Latin i tiit  cfr.  Gell.  XII, 
10,  4.  —  Die  Auflösung  ist  wohl  in  dem  Worte  „Ter  — minus"  zu  suchen. 


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XII.  Buch,  7.  Cap.,  §  1—5. 


(149) 


XII,  7,  L.  Weshalb  der  Proconsul  Cn.  Dolabella  die  Entscheidung  über 
eine  des  Giftmordes  geständige  Missethäterin  an  die  Mitglieder  des  (höchsten 
Gerichtshofes  in  Athen,  des)  Areopags  verwies  (und  dessen  weises  Unheil 

über  diesen  Fall). 

XII,  7.  Cap.  1.  Als  Cn.  Dolabella  in  der  Eigenschaft 
eines  Proconsuls  die  Provinz  Asien  verwaltete,  wurde  ihm  ein 
"Weib  aus  Smyrna  vorgeführt.  2.  Dieses  Weib  hatte  ihren 
Mann  und  Sohn  zu  gleicher  Zeit  durch  heimlich  beigebrachten 
Gifttrank  ums  Leben  gebracht;  gestand  auch  ganz  offen,  dieses 
Verbrechen  verübt  zu  haben,  entschuldigte  sich  aber  damit, 
dass  sie  (gerechte)  Ursache  zu  dieser  That  gehabt,  weil  dieser 
ihr  Mann  mit  seinem  Sohn  (ihr  Stiefkind)  den  andern  aus 
ihrer  früheren  Ehe  entsprossenen  Sohn,  den  besten  und  un- 
verdorbensten Jüngling  durch  Hinterlist  auf  die  Seite  geschafft 
und  getödtet  hätten.  3.  Dass  sich  dies  Alles  wirklich  so 
verhielt,  war  keinem  Rechtsstreit  unterworfen.  Dolabella 
verwies  die  Sache  an  sein  Rechtsbeistandscollegium.  4.  Keiner 
aber  von  seinen  beisitzenden  Richtern  hatte  den  Muth,  in 
dieser  zweideutigen,  bedenklichen  Angelegenheit  ein  Urtheil  zu 
fällen,  weil  man  auf  der  einen  Seite  zwar  den  eingestandenen 
Giftmord  der  Frau,  wodurch  ihr  (zweiter)  Gemahl  und  (ihr  Stief- ) 
Sohn  umgebracht  worden  war,  offenbar  nicht  so  ungestraft 
durfte  hingehen  lassen:  aber  auf  der  andern  Seite  erkannte 
man  diesen  Racheact  (eines  verzweifelten  Mutterherzens)  auch 
wieder  als  eine  gerechte  Strafe  gegen  zwei  Bösewichter.  5. 
Dolabella  fand  keinen  andern  Ausweg,  als  diese  (schwierige) 
Angelegenheit  den  Mitgliedern  des  höchsten  Gerichtshofes  in 
Athen,  den  Areopagiten,  als  den  weit  gewissenhafteren 


XII,  7,  1.  S.  Ammian.  Marceil  in.  29,  2;  Val.  Max.  8,  1,  ambustae  2. 
Ueber  P.  Cornelius  Dolabella  s.  Gell.  III,  9,  4.  Wegen  seiner  unerhörten 
Erpressungen  setzt  ihn  Juvenal  (Sat.  8,  105)  in  eine  Kategorie  mit  dem 
raubsüchtigen  Gajus  Antonius  Hybrida  und  mit  dem  berüchtigten  Verres, 
dem  Plünderer  Siciliens. 

XII,  7,  5.  Areopag,  der  älteste  und  berühmteste  Gerichtshof  in 
Athen,  hatte  seinen  Namen  von  dem  Areshügel  (Aquos  nayog),  auf  dem 
er  seine  Sitzungen  hielt  Die  Stiftung  dieses  unbescholtenen,  gerechten 
Gerichtes  wird  von  Einigen  dem  Kekrops,  von  Andern  dem  Solon  zu- 
geschrieben; doch  scheint  er  durch  Solon  nur  eine  bessere  Einrichtung 


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(150)         m  Buch,  7.  Cap.,  §  5—8.-8.  Cap.,  §  1—8. 

(bedächtigeren)  und  erfahrenem  Richten!  zur  Entscheidung 
anheimzustellen.  6.  Als  diese  (gestrengen)  Richter  den  Fall 
reiflich  erwogen  hatten,  lautete  ihr  Urtheil  dahin,  dass  der 
Ankläger  der  Frau  mit  seiner  Beklagten  nach  100  Jahren 
wieder  vor  Gericht  erscheinen  sollten.  7.  So  wurde  weder 
der  von  der  Frau  verübte  und  nach  den  Gesetzen  unerlaubte 
Giftmord  als  losgesprochen  (und  unverdammlich)  betrachtet, 
noch  die  des  Mitleidens  und  der  Verzeihung  würdige  Misse- 
thäterin  verurtheilt  und  bestraft.  8.  Diese  Erzählung  findet 
sich  im  9.  [vielmehr  8.]  Buche  von  „den  merkwürdigen  Thaten 
und  Reden"  bei  Valerius  Maximus  (VIII,  1,  ambust.  2). 

XII,  8,  L.    Denkwürdige  Beispiele  von  Aussöhnung  zwischen  berühmten 

Männern. 

XII,  8.  Cap.  1.  Der  ältere  P.  (Scipio)  Africanus  und  der 
Vater  des  Tiberius  und  Gajus  Gracchus,  der  (ältere)  Tiberius 
Sempronius  Gracchus,  beide  Männer,  berühmt  durch  die 
Grossartigkeit  ihrer  Heldenthaten ,  so  wie  durch  die  Würde 
ihrer  Stellung  und  ihres  Lebenswandels,  lagen  oft  im  Wider- 
streit mit  einander  in  Betreff  des  Staats-Wohles,  und  aus 
diesem  oder  irgend  einem  andern  Grunde  bestand  zwischen 
ihnen  keine  Freundschaft.  2.  So  hatte  dieses  gespannte  Ver- 
hältniss  lange  angehalten,  als  an  einem  (geweihten)  Festtage 
dem  Juppiter  zu  Ehren  ein  Opfermahl  gefeiert  wurde.  Da  nun 
der  Senat  wegen  dieser  Opferfeierlichkeit  ein  öffentliches  Mahl 
auf  dem  Kapitol  veranstaltete,  wollte  es  der  Zufall,  dass  diese 
beiden  bedeutenden  Männer  dicht  neben  einander  zu  sitzen 
kamen.  3.  Da  nun,  bei  dem  Mahle  zu  Ehren  des  stets  guten  und 
wahrhaft  erhabenen  Juppiter,  schien  es  von  den  unsterblichen 


und  wichtigere  Vorrechte  erhalten  zu  haben.  Aristides  nannte  den  Areopag 
das  heiligste  Gericht  Griechenlands,  und  Demosthenes  versichert,  dass  er 
nie  ein  Urtheil  gesprochen  habe,  womit  nicht  beide  Theile  zufrieden  ge- 
wesen. Bis  auf  Perikles  behielt  dieser  Gerichtshof  seine  Reinheit  und  erst 
nach  und  nach  mit  dem  Verfalle  Athens  sank  auch  sein  Ansehen. 

XII,  7,  8.  Ueber  Valerius  Maximus  s.  Teuffels  Gesch.  der  röm. 
Lit.  274,  5. 

XII,  8,  1.   S.  Gell.  IV,  18,  7  NB  Stammtafel  des  P.  Cornelius  Scipio.  — 
Vergl.  Plutarch  Gracchus  zu  Anfang;  Val.  Max.  IV,  2,  3. 
XII,  8,  2.  Vergl.  Liv.  38,  57;  Dio  Cass.  39 >  30;  48,  52. 


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XII.  Buch,  8.  Cap.,  §  3-6.  (151) 

Göttern  beschlossen  zu  sein,  die  Hände  dieser  beiden  wackern 
Männer  (in  einander  zu  legen  und)  zu  vereinigen,  so  dass  sie 
(von  Stund  an)  plötzlich  die  innigsten  Freunde  wurden.  Allein 
dies  war  nicht  nur  der  Anfang  ihrer  Freundschaft,  sondern 
wurde  auch  noch  die  Veranlassung  zu  einer  engern  ver- 
wandtschaftlichen Beziehung.  4.  Denn  P.  Scipio,  der  eine 
erwachsene  mannbare  Jungfrau  zur  Tochter  hatte,  verlobte 
dabei  zu  derselben  Zeit,  an  demselben  Orte  dieses  sein  Kind 
dem  Tiberius  Gracchus;  denn  während  ihrer  Feindschaft  hatte 
(P.  Cornelius)  Scipio  Zeit  und  Gelegenheit  oft  genug  gefunden 
zur  Bildung  eines  unparteiischen  Urtheils  über  den  bewährten 
und  tüchtigen  Charakter  des  Gracchus,  den  er  sich  (als  Eidam) 
auserkoren  hatte.  5.  Auch  Aemilius  Lepidus  und  Fulvius 
Flaccus,  beide  Männer  von  vornehmer  Abkunft,  betraut  mit 
den  höchsten  Würden  und  dem  hervorragendsten  Rang  im 
Staate,  bekämpften  sich  lange  durch  gegenseitigen  bittern 
Hass  und  anhaltende  Scheelsucht.  6.  Als  das  Volk  aber  Beide 
zugleich  zu  Sittenrichtern  erwählte  und  sie  durch  die  Stimme 
des  Ausrufers  als  solche  öffentlich  angekündigt  worden  waren, 
verbanden  sie  sich  sogleich  noch  auf  dem  Wahlplatze  selbst, 
noch  vor  Entlassung  des  versammelten  Volkes,  Beide  wider 
Aller  Erwarten  und  aus  völlig  gleicher  Uebereinstimmung  zur 
freundschaftlichen  und  herzlichen  Eintracht;  und  seit  diesem 
Tage  lebten  Beide  zusammen  nicht  nur  während  (der  Ver- 


XD,  8,  4.  S.  Val.  Max.  IV,  2,  3.  Die  berühmte  und  tugendhafte 
Cornelia,  Tochter  des  Scipio  Africanus,  Gattin  des  Tiberius  Sempronius, 
wurde  die  Mutter  von  Tiberius  und  Gajus  Gracchus,  welche  Beide  als 
Opfer  ihres  Eifers  für  das  Ackergesetz  umkamen. 

XII,  8,  6.  Liv.  40,  45,  6  ff;  Val.  Max.  IV,  2,  1 ;  Cic.  de  prov.  cons.  9. 
Ubi  voce  praeconis  (als  Censoren)  renuntiati  sunt.  Auf  Geheiss  des 
Vorsitzenden  verkündeten  (renuntiare)  die  Praecones  der  einzelnen  Glossen 
das  "Wahlergebnis*  der  einzelnen  Centurien.  Nach  Beendigung  dieser 
Henuntiatio  renuntiirte  der  Vorsitzende  entweder  selbst  oder  auch  durch 
den  Mund  des  Praeco  das  Gesammtresultat  (Cfr.  Gellius  VII  [VI],  9,  2 
eum  [sc.  Flavium]  —  aedilem  curul.  renuntiaverunt.)  Wegen  dieser  Schluss- 
renunciation  wurde  bei  den  Wahlcomitien  die  Thätigkeit  des  Vorsitzenden 
auch  geradezu  als  creare  bezeichnet.  Cfr.  Gell.  XIII,  15,  4;  Liv.  1,  60; 
2,  2;  S,  8.  35.  55;  9,  7.  21;  25,  2.  Lange  röm.  Alterth.  §  124 
S.  (456)  493. 


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(152)  XU.  Buch,  8.  Cap.,  §6.-9.  Cap.,  §  1—4. 


waltung)  des  gemeinschaftlichen  Sittenrichteramtes,  sondern 
auch  nach  Ablauf  desselben  im  trautesten  und  auflichtigsten 
Freundschaftsverkehr. 

XII,  9,  L.    Welche  Wörter  doppelsinnig  genommen  werden  und  dass  auch 
das  Wort  „honos"  in  zweifachem  Sinne  gesagt  worden  sei. 

XII,  9.  Cap.  1.  In  den  Schriften  der  Alten  kann  man 
an  vielen  Stellen  sehen  und  erkennen,  dass  so  manche  Wörter, 
welche  im  jetzigen  Volksmunde  eine  einzige  und  ganz  be- 
stimmte Sache  bezeichnen,  (früher)  so  schwankend,  zweideutig 
und  unbestimmt  waren,  dass  sie  zwei  ganz  unter  sich  ent- 
gegengesetzte Dinge  bezeichnen  und  enthalten  konnten.  Von 
diesen,  als  sehr  bekannten,  sind  folgende  (Ausdrücke):  „tem- 
pestas"  (gute  und  schlechte  Witterung),  „valitudo"  (Wohl-  oder 
Ueb elbefinden),  „facinus"  (Gut-  oder  Schandthat),  „dolus" 
(schädlicher  oder  unschädlicher  Kunstgriff),  „gratia"  (Einver- 
nehmen in  gutem  und  üblem  Sinne),  „industria"  (Geflissentlich- 
keit zu  Gutem  oder  Bösem).  2.  Denn  diese  Wörter  pflegt  man 
bekannter  Massen  gewöhnlich  in  zweifacher  Bedeutung  zu  neh- 
men und  können  sie  alle  doppelsinnig  gesagt  werden.  Auch 
für  „periculum"  (Versuch  mit  und  ohne  Gefahr  verknüpft)  und 
„venenum"  (ein  gefährliches  oder  ungefährliches  Tränkchen) 
und  „contagium"  (Berührung  mit  übler  Nebenbedeutung  und 
auch  ohne  dieselbe)  findet  man  viele  derartige  Beispiele,  wo 
sie  nicht,  wie  es  jetzt  allgemein  gebräuchlich  ist,  nur  in 
üblem  Sinne  gesagt  werden.  3.  Allein  dass  auch  das  Wort 
„honos"  (Auszeichnung,  Ansehen)  ein  mitteldeutiges  gewesen 
und  in  dem  Sinne  genommen  worden  sei,  dass  man  auch 
schlechte  Auszeichnung,  schlechtes  Ansehen  (malus  bonos) 
sagen  konnte  und  damit  eine  Beschimpfung  (injuriam)  aus- 
drücken wollte,  dieser  Gebrauch  dürfte  wahrhaftig  nur  höchst 
selten  nachzuweisen  sein.  4.  Allerdings  liest  man  das  Wort 
an  einer  Stelle  in  des  Quintus  Metellus  Numidicus  Bede, 


XII,  9,  1.  cum  mala  gratia,  mit  schlechter  Vergeltung,  in  Unfrieden, 
Hass.  Terent.  Phorm.  4,  3,  17  (622).  —  gratia  est  =  ago  gratias:  ich 
danke,  in  ablehnender  Bedeutung  Plaut  Men.  2,3,36.  gratis  als  Ablat. 
plural.  für  gratiis,  umsonst,  ohne  Entgelt  und  Vergeltung. 

XII,  9,  2.  venenum,  Stoff,  Saft.  Sallust.  Catil.  11,  3;  dolus,  Ge- 
wandtheit einen  Gegner  zu  berücken,  Sali.  Cat.  26,  2. 


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XH.  Buch,  9.  Cap.,  §  4-6.-10.  Cap.,  §  1—3.  (153) 

welche  er  bei  Gelegenheit  seines  feierlichen  Einzuges  hielt, 
wo  es  heisst:  „Wie  sehr  sie  Alle  insgesammt  in  diesem  Falle 
mich  Einen  übertreffen,  um  so  mehr  hat  er  weit  eher  euch, 
als  mir  ein  gar  sehr  grosses  Unrecht  und  eine  gar  sehr 
schimpfliche  Beleidigung  angethan,  ihr  edlen  Römer;  und  um 
wieviel  eher  ehrenwerthe  Männer  lieber  Unrecht  dulden,  als 
einem  Andern  Unrecht  zufügen,  um  so  mehr  hat  Jener  da- 
durch eher  euch  als  mir  eine  gar  schlechte  Ehre  (eine  gar 
grosse  Beschimpfung)  erwiesen,  denn,  ihr  edlen  Römer,  es 
liegt  in  seiner  Absicht,  dass  ich  (hier)  Unrecht  leiden  soll,  ihr 
aber  euch  zum  Unrecht  gegen  mich  sollt  hinreissen  lassen, 
damit  (das  ist  seine  Absicht)  auf  der  einen  Seite  mir  die 
(gerechte)  Beschwerde  gegen  euch,  auf  der  andern  Seite  euch 
ein  (gerechter)  Vorwurf  von  mir  nicht  erspart  bleibe."  5.  Er 
sagt:  „Er  hat  eher  euch,  als  mir  eine  gar  schlechte  Ehre 
erwiesen,"  denn  das  sollen  doch  die  Worte  bedeuten :  honorem 
pejorem  vobis  habuit,  quam  mihi,  und  will  er  das  Wort  honos 
in  keinem  andern  Sinne  verstanden  wissen,  was  er  ja  auch 
schon  vorher  mit  andern  Worten  deutlich  genug  ausspricht, 
wenn  er  sagt:  „er  hat  (weit  eher)  euch,  als  mir  ein  gar  sehr 
grobes  Unrecht  und  eine  gar  sehr  schimpfliche  Beleidigung 
angethan."  6.  Diesen  Gedanken  aus  des  Q.  Metellus  Rede 
glaubte  ich  aber  nicht  allein  wegen  der  auffälligen  Bedeutung 
des  Wortes  „honos"  anführen  zu  müssen,  sondern  auch  in  der 
Absicht,  eine  Andeutung  zu  geben,  dass  Socrates  den  Grund- 
satz gehabt  habe:  „dass  es  tadelns werther  sei,  Unrecht  thun. 
als  Unrecht  leiden".  (S.  Plat.  Gorg.  43,  p.  488,  E  und  63 
fin.  p.  508,  C.) 

XII,  10,  Lf  Dass  das  Wort  „aeditumus  (Tempel hütcr,  Küster)"  ein  rein 

lateinisches  Wort  sei. 

XII,  10.  Cap.  1.  Das  Wort  „aeditumus"  ist  ein  ganz  alter 
lateinischer  Ausdruck,  nach  Art  der  grammatischen  Form- 
bildung gesagt,  wie  „finitimus"  (angrenzend)  und  „legitimus" 
(gesetzlich).  2.  Für  diese  Form  wird  jetzt  von  sehr  Vielen 
„aedituus"  gesagt,  nach  einem  neu  erfundenen,  ungewöhnlich 
gesuchten  Gebrauch,  gleichsam  als  ob  es  von  der  Tempelhut 
(a  tuendis  templis)  abgeleitet  sei.  3.  Die  kurze  Bemerkung 
würde  hingereicht  haben,  [. . .  (allein  ich  fühle  mich  genöthigt, 


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(154)  Xü.  Buch,  10.  Cap.,  §  3—7. 

noch  etwas  weiter  auszuholen)  . . .],  wegen  einiger  ungebildeter 
und  eigensinniger  Streithammel,  die  sich  nur  erst  durch  An- 
ziehung von  gewichtigen  Beispielen  zum  Schweigen  bringen 
lassen.  4.  Die  Meinung  des  M.  Varro  im  2.  Buche  seines  an 
den  Marcellus  gerichteten  Werkes  „über  die  (acht)  lateinische 
Ausdrucksweise u  geht  dahin,  dass  man  vielmehr  „aeditumus" 
für  „aedituus"  sagen  müsse,  weil  diese  letztere  Form  jünger 
und  nur  erst  neu  gebildet  worden,  die  andere  aber  älteren 
Ursprungs  und  ächt  und  unverfälscht  ist.  5.  Auch  nannte 
Laevius,  wie  ich  glaube,  in  seinem  Trauerspiele  „Protesilao- 
damia"  Denjenigen ,  welcher  das  Thürschliesseramt  verwaltete, 
einen  „claustritumus  (Thorschlosshüter)",  eine  Form,  ganz  in 
derselben  Weise  gebildet,  wonach  er  sah,  dass  „aeditumus* 
(gebraucht  und)  gesagt  wurde  von  Einem,  dem  die  Hut  und 
Wartung  des  Tempels  anvertraut  war.  6.  So  fand  ich  auch 
in  den  zuverlässigsten  (Original-)  Abschriften  der  Rede  des 
M.  Tullius  (Cicero)  gegen  Verres  (IV,  44,  96)  geschrieben: 
„Zeitig  genug  merkten  es  die  Tempelwärter  (aeditumi)  und 
Wächter,"  während  man  in  den  gewöhnlichen  Ausgaben  aedi- 
tui  für  aeditumi  geschrieben  findet.  7.  Es  giebt  eine  Atellanen- 
posse  vomPomponius  mit  der  Ueberschrift:  Aeditumus.  Darin 
kommt  folgender  Vers  vor: 

Qui  tibi  postquam  appareo  atque  aeditumor  in  templo  tuo,  d.  h. 
Ich,  der  seit  dem  zu  Diensten  Dir  und  Tempelhüter  bin  in  Deinem 

Heiligthum. 


XII,  10,  4.  Cfr.  GeU.  XII,  6,  3  aedituus.  —  S.  Paul.  S.  18;  Varro 
1.  L  VH  §  12;  VIII,  §  61;  cfr.  Varro  r.  r.  I,  2,  L 

XII,  10,  7.  Cfr.  Gell.  X,  24,  5  NB.  Die  Atellanae  fabulae  waren 
ursprünglich  wohl  nur  improvisirte ,  von  jungen  Römern  ausserhalb  des 
Theaters  aufgeführte  Possenspiele  (Liv.  7,  2:  Festus  unter  personata  fab. 
p.  217, 18,  M.;  vergl.  Spartian.  Hadr.  26),  später  aber  fielen  sie  wirklichen 
Schauspielern  und  der  Bühne  zu  (Suet  Ner.  39;  Tac.  Annal.  4,  14,  wo 
gewiss  von  Atellanen  die  Rede  ist),  und  nun  erst  wurden  sie  als  förmlich 
ausgearbeitete  und  niedergeschriebene  Bühnenstücke  —  doch  stets  nur  als 
Nachspiele,  namentlich  von  Trauerspielen  —  gegeben.  Ihr  Charakter  war 
niedrige,  oft  sehr  gemeine  und  obscöne  Komik  und  erschienen  darin  ge- 
wisse maskirte,  karrikirt  ausstaffirte,  stereotype  Personen  (oscae  personae, 
bei  Diomed.  IH  p.  488,  weil  man  Hanswurstiaden  von  den  Oskern  entlehnt 
glaubte),  der  Maccus,  ein  gefrassiger,  lüsterner,  blödsinniger  Dummkopf, 
der  für  jeden  Muth willen  herhalten  musste,  der  Bucco,  ein  Grossmaul, 
Fresser  und  unverschämt  zudringlicher  Schmarotzer,  der  Pappus,  ein 


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XII.  Buch,  10.  Cap.,  §  8.  —  11.  Cap.,  §  1  -4.  (155) 


8.  Aber  Titus  Lucretius  hat  in  seinem  Gedicht  (vom  Wesen 
der  Dinge  B.  IV,  v.  1275)  für  den  Ausdruck  aeditui  sich  des 
Wortes  aedituentes  (Tempelbewachende)  bedient: 
( —  auch  blieben  zum  Theil  in  der  Runde 

Sämmtliche  Tempel  der  Himmlischen  schwer  mit  Leichen  bebürdet, 
Weil  sie  die  Hüter  des  Tempelbezirks  [aedituentes]  mit  Gästen  beladen.) 

■ 

XII,  11,  L.  Dass  sich  die  in  einem  gewaltigen  Irrt hume  befinden,  die  in 
der  zuversichtlichen  Hoffnung  und  Voraussetzung  des  Verborgenbleibens 
sündigen,  da  an  ein  ewiges  Verheimlichen  eines  Fehltritts  und  einer  Sünde 
nicht  gedacht  werden  könne.  Ferner  gelehrte  Abhandlung  des  Weltweisen 
Peregrinus  über  diesen  Gegenstand  nach  einem  (darauf  bezüglichen)  Aus- 
spruch des  Dichters  Sophocles. 

XII,  11.  Cap.  1.  Als  ich  mich  in  Athen  befand,  machte 
ich  die  Bekanntschaft  des  Weltweisen  Peregrinus,  eines 
ernsten  und  gesetzten  Mannes,  dem  man  später  den  Beinamen 
Proteus  gab,  und  der  ausserhalb  der  Stadt  in  einer  Herberge 
verkehrte.  Da  ich  ihn  häufig  aufsuchte,  vernahm  ich  aus 
seinem  Munde  in  der  That  viel  nützliche  und  tugendhafte 
Lehren.  Unter  diesen  seinen  herrlichen  Aussprüchen  erinnere 
ich  mich,  vorzüglich  den  einen  gehört  zu  haben.  2.  Er  be- 
hauptete, dass  ein  wahrhaft  weiser  Mann  auch  dann  keine 
Sünde  begehen  dürfe,  selbst  wenn  er  wtisste,  dass  seine  be- 
gangene Sünde  Göttern  wie  Menschen  verborgen  bleiben 
würde.  3.  Denn  es  war  ihm  feste  Ueberzeugung ,  dass  man 
nicht  etwa  nur  aus  Furcht  vor  Strafe  und  Schande  sich  von 
Sunde  rein  halten  müsse,  sondern  (ganz  allein)  aus  innerm 
Antrieb  und  Pflichtgefühl  für  Recht  und  Tugend.    4.  Die 


lüsterner,  geiziger,  eitler  alter  Narr,  der  überall  gehänselt  und  überlistet 
wird,  und  der  Dossenus,  ein  geriebener,  pfiffiger  Beutelschneider,  der 
Alle  zu  betrügen  und  auszubeutein  versteht.  (Appul.  Apol.  81  p.  564 
Und.;  Varro  1.  1.  VII,  29.)  Später  suchte  man  sie  zu  heben  und  es  wur- 
den in  ihnen  besonders  mythologische  Stoffe  burlesk  behandelt  Nach 
und  nach  wurden  sie  immer  mehr  pantomimisch  (Juv.  6, 71  f.),  so  dass  an 
die  Stelle  des  recitirten  Textes  ein  Canticum  trat  (Suet.  Nero  39;  Galba  13); 
und  endlich  gingen  sie  ganz  in  der  Pantomime  unter.  Ihnen  nahe  ver- 
wandt waren  die  „mimi" ,  mit  welchem  Namen ,  wie  auch  mit  pantomimi, 
sowohl  die  Stücke,  als  auch  die  darin  auftretenden  Schauspieler  bezeichnet 
werden,  welche  letztere  auch  planipedes  hiessen.  S.  Gell.  I,  11,  12. 
(A.  Forbiger.)   Dossenus  =  Dorsenus,  a  dorsi  gibbere  sie  dictus. 


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(156)         XII.  Buch,  11.  Cap.,  §  4—7.  —  12.  Cap.,  §  1.  2. 

jedoch,  welche  nicht  von  solchem  Geiste  oder  von  solchen 

Gesinnungen  (und  Grundsätzen)  beseelt  seien,  dass  sie  durch 

ihre  eigne  Willenskraft  und  von  selbst  getrieben  wurden  sich 

leicht  der  Sünde  zu  enthalten,  von  ihnen  Allen  glaubte  er, 

dass  sie  sich  dann  erst  recht  leicht  der  Sünde  würden  in  die 

Arme  werfen,  weil  sie  in  dem  (falschen)  Glauben  ständen, 

ihre  Sünde  könne  verborgen  bleiben,  und  die  deshalb  in  Folge 

dieses  Verborgenbleibens  Sicherheit  vor  Strafe  (und  Vergeltung) 

erwarteten.   5.  Allein,  fuhr  er  fort,  wenn  die  Menschen  immer 

daran  dächten,  dass  nichts  in  der  Welt  zu  lange  verborgen 

und  verheimlicht  bleiben  kann,  dann  würde  man  mit  mehr 

Zurückhaltung  und  mit  grösserer  Schüchternheit  zu  sündigen 

wagen.    6.  Deshalb  rieth  er,  man  solle  sich  immer  jene  Verse 

(aus  dem  Hipponoos)  des  Sophocles,  des  berühmtesten  unter 

den  Dichtern,  vorsagen: 

Drum  wolle  Nichts  verbergen,  denn  die  ew'ge  Zeit, 
Die  Alles  sieht  und  Alles  hört,  deckt  Alles  auf. 

7.  Auch  irgend  ein  Anderer  unter  den  alten  Dichtern,  dessen 
Name  mir  eben  jetzt  nicht  gleich  einfällt,  sagt:  „dass  die 
Wahrheit  eine  Tochter  der  Zeit  sei." 

XII,  12,  L.  Des  M.  Cicero  witzige  Antwort,  wodurch  er  die  (gerechte) 
Beschuldigung  einer  von  ihm  offenbar  begangenen  Lüge  (zur  Zeit)  von  sich 

abzuweisen  verstand. 

XII,  12.  Cap.  1.  Auch  dies  gilt  für  einen  (erlaubten) 
rhetorischen  Kunstgriff,  mit  Schlauheit  und  List  einen  wohl- 
verdienten Vorwurf  offen  einzugestehen,  so  dass  man,  wenn 
sich  der  schimpfliche  Vorwurf  durchaus  nicht  wegleugnen  lässt, 
ihn  durch  eine  scherzhafte  (ausweichende)  Antwort  und  Aus- 
rede leicht  und  spielend  parirt  und  die  Thatsache  mehr  in 
einem  lächerlichen,  als  schimpflichen  Lichte  darstellt.  Wie 
man  schreibt,  dass  es  Cicero  gemacht  hat,  der,  als  er  ein  ge- 
thanes  Unrecht  nicht  in  Abrede  stellen  konnte,  die  Vorwürfe 
darüber  durch  ein  höchst  feines  Witzwort  entkräftete.  2.  Denn 
als  er  einst  auf  dem  palatinischen  Berg  ein  Haus  zu  kaufen 


XII,  11,  4.  S.  Plutarch:  Römische  Forschungen  (afrta  'ft««.).  Die 
Wahrheit  eine  Tochter  Saturns,  der  die  Zeit  vorstellte  und  der  gerechteste 
unter  den  Menschen  war,  die  Zeit  aber  bringt  Alles  ans  Licht. 


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XII.  Buch,  12.  Cap.,  §  2—4.  —  13.  Cap.,  §  1. 


Willens  war,  entnahm  er,  in  Ermangelung  der  dazu  nöthigen 
disponiblen  Summe  von  zwei  Millionen  Sesterzien,  dies  Geld 
von  (seinem  Clienten)  dem  damals  gerade  in  Anklagestand 
versetzten  P.  Sulla  heimlich  als  Darlehn  auf.  8.  Vor  dem 
Kaufabschluss  wurde  dieser  Vorfall  (schon)  verrathen  und 
drang  in  die  Oeffentlichkeit  (und  wurde  ihm  eben  nicht  zum 
Besten  ausgelegt).  Man  machte  ihm  also  (öffentlich)  Vor- 
würfe, dass  er  zu  dem  Hausankauf  von  einem  in  Untersuchung 
sich  Befindenden  sich  habe  Geld  geben  lassen.  4.  Cicero,  dem 
dieser  Vorwurf  unerwartet  kam  (und  der  ihn  deshalb  für  den 
Augenblick  in  Verwirrung  setzte),  leugnete  den  Empfang  des 
Geldes  (geradezu)  ab  und  versicherte ,  dass  es  ihm  gar  nicht 
in  den  Sinn  gekommen  sei,  das  Haus  zu  kaufen  (besann  sich 
jedoch)  und  setzte  hinzu:  „wenn  ich  je  das  Haus  wirklich 
gekauft  haben  werde,  dann  soll  es  wahr  sein,  dass  ich  das 
Geld  von  Sulla  angenommen  habe."  Da  er  das  Haus  später 
aber  doch  wirklich  noch  gekauft  hatte,  und  ihm  seine  frühere 
Lüge  von  seinen  Freunden  im  Senat  (schonungslos)  vorgerückt 
wurde,  konnte  er  sich  des  Lachens  nicht  enthalten  und  (ohne 
Verlegenheit  zu  zeigen)  entgegnete  er  unter  fortwährendem 
(recht  herzlichem)  Lachen:  Ihr  seid  Leute  ohne  den  ge- 
wöhnlichen Menschenverstand  (aytoivovor/voi) ,  wenn  ihr  nicht 
wisset,  dass  es  eines  klugen  und  vorsichtigen  Hausvaters 
Hauptaufgabe  sein  muss,  wenn  er  Etwas  kaufen  will,  dieses 
gerade  abzuleugnen,  um  sich  bei  dem  Kauf  keine  Mitbewerber 
herbeizuziehen. 

XII,  13,  L.  Was  man  unter  „intra  Kalendas"  zu  verstehen  habe,  ob  es 
so  viel  heisst,  als  „ante  Kalendas  (vor  dem  Ersten)",  oder  „Kalendis 
(während  des  Ersten)",  oder  beides  zugleich.  Fernerweitige  Bemerkung, 
was  in  einer  Rede  des  M.  Tullius  (Cicero)  unter  folgenden  Ausdrücken 
zu  verstehen  sei :  intra  Oceanum  und  intra  montem  Taurum  und  was  unter 
dem  in  einem  seiner  Briefe  sich  vorfindenden  Ausdruck:  intra  modum. 

XH,  13.  Cap.  1.  Als  ich  (einst)  zu  Rom  von  den  Consuln 
ausserhalb  der  Reihenfolge  zum  Richter  ernannt  worden  war 


XII,  12,  2.  Nach  heutigem  Gelde  250,000  Mark  oder  gegen  84,000  Thlr. 
XII,  13,  1.   In  der  ältesten  Zeit  schon  pflegten  Magistrate  die  Unter- 
suchung und  Entscheidung  der  Processe  an  Privatpersonen  zu  übertragen, 


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(158) 


XIL  Buch,  13.  Cap.,  §  1—5. 


und  die  Verordnung  erhalten  hatte,  Recht  zu  sprechen  „intra 
Kalendas",  erkundigte  ich  mich  bei  dem  sehr  gelehrten  Sul- 
picius  Apollinaris,  ob  unter  den  Worten  intra  Kalendas  auch 
wohl  nur  der  Monatserste  (ipsae  Kalendae)  zu  verstehen  sei 
(und  ob  ich  das  so  zu  verstehen  habe),  dass  ich  während 
dieser  Tageszeit  Recht  sprechen  sollte.  2.  Er  erwiderte  mir, 
warum  erkundigst  Du  Dich  über  diesen  Fall  bei  mir  und  nicht 
vielmehr  bei  einem  von  den  erfahrenen  Rechtsbeflissenen,  die 
ihr  ja  sonst  immer  bei  vorkommenden  Rechtsaussprüchen  zu 
Rathe  zu  ziehen  pflegt?  Darauf  erwiderte  ich  ihm  also:  3. 
Wenn  ich  hätte  Auskunft  haben  wollen  entweder  über  ein 
altes  Recht,  oder  über  ein  neu  aufgenommenes,  oder  über  ein 
sich  widersprechendes  und  zweideutiges,  oder  über  eine  ganz 
neue  Bestimmung,  würde  ich  mich  Auskunfts  halber  sicher  an 
die  von  Dir  Benannten  gewendet  hajben ;  4.  da  mir  jedoch 
besonders  daran  gelegen  ist,  den  Sinn,  die  Verwendung  und 
die  wesentliche  Beschaffenheit  dieser  lateinischen  Ausdrucks- 
weise zu  erforschen,  so  müsste  ich  doch  ganz  thöricht  und 
mit  geistiger  Blindheit  geschlagen  sein,  wenn,  zumal  da  sich 
mir  mit  Deiner  gütigen  Erlaubniss  dazu  die  Gelegenheit  bietet, 
ich  mich  eher  an  einen  Andern,  als  an  Dich  (um  Auskunft) 
wenden  würde.  5.  Auf  diese  meine  Erklärung  hin  begann 
Sulpicius  Apollinaris  also :  vernimm  denn  meine  Meinung  über 
das  Wesen  des  Wortes  („intra"),  doch  nur  unter  der  Voraus- 
setzung, dass  Du  nicht  sowohl  darauf  achtest,  was  ich  über 
die  Eigenthümlichkeit  dieses  Wortes  vortragen  werde,  sondern 
vielmehr  was  Du  nach  Uebereinstimmung,  wenn  auch  nicht 
Aller  (ohne  Ausnahme),  so  doch  sehr  Vieler  in  Beziehung 
dieses  Wortes  wirst  (als  Regel)  angenommen  sehen.  Denn 
nicht  nur  die  eigentlichen  und  ursprünglichen  Bedeutungen 
allgemein  gebräuchlicher  Ausdrücke  erleiden  (oft  mit  der  Zeit) 
durch  längeren  Gebrauch  eine  Veränderung,  sondern  selbst 


welche  an  die  von  dem  Magistrates  erhaltene  Instruction  gebunden  waren. 
Diese  Einrichtung  wurde  „  judicis  datio"  genannt.  Vergl.  Gell.  XIV,  2, 1  NB. 
Ueber  Sulpicius  Apollinaris  8.  Gell.  II,  18,  8  NB. 

Xn,  18,  2.  Vergl.  XIII,  13,  1  stationes  und  XIV,  2,  3;  Cic.  pr. 
Quint.  1  f.  6.  10.  17;  pro  Rose.  com.  5.  8;  act.  sec.  in  Verr.  I,  29,  73; 
Sen.  de  tranq.  3,  2;  Val.  Max.  VIII,  2,  2;  vergl.  auch  Appul  Apol.  2 
p.  881  Ouid.  und  Achill.  Tat.  VIII,  9. 


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XH.  Buch,  13.  Cap.,  §  5—9.  (159) 

fest  angenommene  Regeln  gerathen  unter  stillschweigender 
Uebereinstimmung  (öfters)  in  Vergessenheit.  6.  Dann  fuhr 
er  in  seiner  Erklärung,  wie  ich  und  viele  Andere  Ohrenzeugen 
waren,  folgendermassen  fort  und  sagte :  Wenn  der  Tag  in  der 
Art  vorher  anberaumt  ist,  dass  es  sich  für  den  Richter  um 
ein  Rechtserkenntniss  „intra  Kalendas  (d.  h.  innerhalb  des 
Monatsersten)"  handelt,  so  hat  sich  jetzt  nun  schon  allgemein 
die  Ansicht  eingebürgert,  dass,  ohne  allen  Zweifel,  der  Rechts- 
spruch gesetzlich  (noch)  vor  dem  Monatsersten  (d.  h.  den 
Monatsersten  als  Grenzbegriff  angenommen)  erfolgen  muss, 
und  ich  sehe  nur  noch,  wie  ja  auch  aus  Deiner  Frage  deut- 
lich hervorgeht,  in  Zweifel  gesetzt,  ob  nun  auch  am  Ersten 
des  Monats  (selbst)  zu  Recht  entschieden  werden  könne. 
7.  Ohne  Zweifel  ist  aber  das  Wort  dazu  gemacht  und  so  zu 
nehmen,  dass,  wenn  man  sagt  „intra  Kalendas",  kein  andrer 
Tag  darunter  verstanden  werden  dürfe,  als  nur  allein  der 
Monatserste  selbst.  Denn  diese  drei  Ausdrücke:  intra  (inner- 
halb), citra  (diesseits)  und  ultra  (jenseits),  durch  welche  be- 
stimmte örtliche  Grenzen  angegeben  werden  sollen,  waren 
früher  bei  den  Alten  nur  einsilbige  Wörter  und  lauteten:  in, 
eis,  uls.  8.  Weil  nun  diese  Partikeln  ihrer  Kürze  wegen  leicht 
überhört  und  unverständlich  werden  konnten,  so  fügte  man 
später  an  alle  drei  Wörtchen  eine  Anhängsilbe  an  und  wäh- 
rend man  sonst  sagte:  eis  Tiberim  und  uls  Tiberim,  wurde 
es  später  gewöhnlich  zu  sagen:  citra  Tiberim  und  ultra 
Tiberim;  ebenso  entstand  auch  aus  dem  „in"  durch  Hinzu- 
treten desselben  Endanhängsels:  intra.  9.  Sie  bezeichnen 
also  alle  gleichsam  einen  benachbarten  Zusammenhang  von 
unter  sich  verbundenen  Grenzen:  intra  oppidum  (innerhalb 
der  Stadtgrenzen),  ultra  oppidum  (jenseits  der  Stadt),  citra 
oppidum  (im  diesseitigen  Räume  der  Stadt);  wobei  ich  schon 


XU,  13,  7.  Von  eis,  ex,  uls,  post  bildete  man  comparativische  For- 
men: citer,  exteri,  alter,  posteri.  Uls  verwandt  mit  il-le,  ol-le.  Von  den 
adjecti vischen  Formen  wurden  die  adverbialen  Ablative:  citra,  extra,  ultra 
(intra)  wieder  als  Praepositionen  gebraucht,  eis,  diesseits;  citra,  im 
diesseitigen  Räume,  inter,  zwischen  zwei  Gegenständen,  also  nur  von 
zwei  Seiten  umschlossen;  intra,  im  Innern  eines  Ganzen  und  deshalb  von 
allen  Seiten  eingeschlossen,  enthält  den  Begriff  des  Umschlossenseins  von 
allen  Seiten. 


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(160)  XII.  Buch,  13.  Cap.,  §  10—17. 

bemerkt  habe,  dass  „intra"  soviel  bedeutet  wie  „in";  10.  denn 
wer  die  Ausdrücke  braucht:  intra  oppidum,  intra  cubiculum 
(innerhalb  des  Zimmers),  intra  ferias  (inzwischen,  während 
der  Feiertage),  drückt  ganz  dasselbe  aus,  als  wenn  er  sagt: 
in  oppido,  in  cubiculo,  in  feriis.  11.  Also  bedeutet  intra 
Kalendas  nicht  soviel  als  ante  Kalendas  (vor  der  Grenz- 
bestimmung des  Monatsersten),  sondern  vielmehr  in  Kalendis 
(während  des  Monatsersten),  d.  h.  an  eben  demselben  Tage, 
auf  den  der  Monatserste  fällt.  12.  Wer  also,  um  hier  die 
Bedeutung  des  Wortes  festzuhalten,  beauftragt  ist:  „intra 
Kalendas"  zu  Gericht  zu  sitzen  und  seine  Entscheidung  zu 
fällen,  der  fehlt  unbedingt  gegen  den  (gesetzlich)  gebräuch- 
lichen Wortlaut,  wenn  er  seiner  Berufung  nicht  am  Ersten 
nachkommt;  13.  denn  wenn  er  dieser  Erinnerung  (an  Voll- 
ziehung seiner  Richterpflicht)  vor  der  (gesetzlichen)  Zeit 
nachkommt,  dann  aburtheilt  er  nicht  intra,  sondern  citra, 
d.  h.  diesseits  des  Monatsersten,  also  knapp  vor  dem  Monats- 
ersten, nicht  aber  innerhalb  des  Monatsersten.  14.  Es  ist 
mir  überhaupt  unerklärlich,  unter  welcher  Voraussetzung  die 
abgeschmackte  Auslegung  hat  Aufnahme  (und  Eingang)  finden 
können,  dass  man  glaubte,  der  Ausdruck  „intra  Kalendas" 
bedeute  soviel,  als  vor  dem  Monatsersten,  also:  citra  oder 
ante  Kalendas,  denn  zwischen  diesen  beiden  ist  kein  grosser 
Unterschied.  15.  Ueberdies  ist  man  noch  darüber  im  Zweifel, 
ob  man  gehalten  sein  könne,  auch  vor  dem  Monatsersten  sich 
bei  der  Gerichtssitzung  einzufinden,  wenn  man  nicht  nachher, 
noch  vorher,  sondern  nur  während  des  zwischen  diesen  (beiden 
Zeitbegriffen  des  vorher  und  nachher)  in  der  Mitte  liegenden 
Zeitabschnittes,  selbstverständlich  also:  intra  Kalendas,  oder 
was  wohl  dasselbe  heissen  soll:  „Kalendis",  also  nur  während 
der  Dauer  des  Monatsersten  zum  Rechtsprechen  verpflichtet 
ist.  16.  Natürlich  trug  aber  auch  hier  die  Gewohnheit  den 
Sieg  davon,  sie,  die  Beherrscherin  der  ganzen  Welt,  um  viel 
mehr  aber  des  Sprachgebrauchs.  17.  Als  Apollinaris  seinen 
höchst  verständigen  und  klaren  Vortrag  geendigt  hatte,  ergriff 
ich  das  Wort  und  sagte:  Es  lag  mir  sehr  am  Herzen  bevor 
ich  mich  an  Dich  wandte,  zu  erforschen  und  (selbst)  kennen 
zu  lernen,  auf  welche  Weise  unsere  älteren  Schriftsteller 
sich  der  in  Frage  stehenden  Praeposition  bedient  haben,  und 


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XII.  Buch,  18.  Cap.,  §  17-21.  (161) 

so  fand  ich  denn,  dass  Cicero  in  seiner  III.  Rede  gegen  Verres 
(89,207)  folgendennassen  geschrieben  habe:  „Es  ist  innerhalb 
des  Oceans  (Weltmeers)  bereits  kein  weder  so  entfernter, 
noch  abgelegener  Ort,  wohin  nicht  in  diesen  Zeiten  unserer 
Landsleute  Frechheit  und  Unbill  gedrungen  wäre."  18.  Ent- 
gegen Deiner  Anschauungsweise  sagt  hier  Cicero  „intra  Ocea- 
num", denn  er  will,  wie  ich  meine,  damit  doch  nicht  sagen 
„im  Weltmeere";  er  meint  vielmehr  alle  die  Länder,  welche 
vom  Weltmeere  umspült  werden,  welche  unseren  Landsleuten 
zugänglich  sind,  welche  diesseits  des  Weltmeeres  liegen,  nicht 
aber  inmitten  der  Fluthen  desselben,  und  kann  man  doch 
wohl  nicht  annehmen,  er  habe  irgend  welche  Inseln  gemeint, 
welche  mitten  in  den  Fluthen  des  Weltmeeres  selbst  sich  be- 
finden sollen.  19.  Auf  diese  meine  Einwendung  hin  betrachtete 
mich  Sulpicius  Apollinaris  mit  freundlichem  Lächeln  und 
sprach:  Wahrlich  nicht  geistlos  und  ohne  Scharfsinn  hast  Du 
mir  (gerade)  die  betreifende  Stelle  von  Tullius  (Cicero)  ent- 
gegen gehalten,  allein  Cicero  braucht  den  Ausdruck:  intra 
oceanum  (durchaus)  nicht  in  dem  Sinne ,  in  welchem  Du  sie 
auslegst,  nämlich:  citra  oceanum  (diesseits  des  Oceans).  20. 
Denn  wovon  kann  es  wohl  heissen,  dass  es  diesseits  des  Welt- 
meeres liege,  da  dasselbe  alle  Länder  einrahmt  und  umspült? 
Denn  was  diesseits  liegt,  liegt  ausserhalb;  wie  kann  man  also 
sagen,  dass  etwas  innerhalb  liegt,  was  sich  ausserhalb  befindet? 
Jedoch  wenn  nur  von  einem  Theile  der  Erde  aus  das  Weltmeer 
strömte,  so  könnte  man  von  dem  Landstrich,  bis  wohin  sich 
das  Meer  erstreckt,  sagen,  er  liege  vor  dem  Weltmeere  (ante 
oceanum) ;  da  aber  dasselbe  alle  Länder  insgesammt  von  allen 
Seiten  umspült,  so  lässt  sich  nichts  denken,  was  sich  diesseits 
befinden  könnte;  denn  da  alle  Länder  von  seinen  Wogen 
umströmt  und  eingeschlossen  werden,  so  befindet  sich  in 
dessen  Mitte  Alles,  was  innerhalb  seines  Küstengestades  ein- 
geschlossen ist:  gleichwie  sich  doch  wahrhaftig  die  Sonne 
nicht  diesseits  (d.  i.  ausserhalb)  des  Himmels  dreht,  sondern 
am  Himmel  und  innerhalb  des  Himmels  (-raumes).  Diese 
Auslegung  des  Apollinaris  schien  mir  damals  verständig  und 
scharfsinnig.  21.  Aber  später  fand  ich  in  einem  Briefe  des 
M.  Tullius  (Cicero,  ep.  ad  Farn.  IV,  4,  14)  an  den  Servius 
Sulpicius  gerade  so  gesagt:  „intra  modum",  wie  die  zu  sagen 

Gellin s,  Attische  Nächte.   II.  11 


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(162)  Xn.  Buch,  13.  Cap.,  §  21-26. 

pflegen,  welche:  „intra  Kalendas"  durch:  „citra  Kalendas" 
ausgelegt  wissen  wollen.  22.  Ich  lasse  Cicero's  eigne  Worte 
folgen:  (Cicero  hatte  sich  nämlich  beim  Caesar  für  die  dem 
Marcellus  gewährte  Gnade  bedankt,  und  er  fährt  dann  also 
fort)  „Da  ich  dadurch  Caesars  Ungnade  entgangen  bin,  weil  er, 
würde  ich  ein  fortwährendes  Stillschweigen  beobachtet  haben, 
vielleicht  auf  die  Vermuthung  hätte  fallen  können,  dass  ich 
dies  Regiment  nicht  für  das  richtige  halte,  so  werde  ich  mit 
gehöriger  Mässigung  verfahren,  oder  vielmehr  dabei  in  den 
gebührenden  Schranken  bleiben,  um  auf  der  einen  Seite  seinem 
Willen,  auf  der  andern  Seite  meiner  schriftstellerischen  Be- 
schäftigung Genüge  zu  leisten."  23.  Er  hatte  gesagt :  modice 
hoc  faciam  (ich  werde  mit  gehöriger  Mässigung  verfahren), 
d.  h.  auf  eine  angemessene  und  schickliche  Art;  24.  gleich 
hinterher  aber,  als  ob  ihm  der  Ausdruck  missfiele,  und  er  ihn 
absichtlich  verbesserte,  setzt  er  hinzu:  „oder  vielmehr  in  den 
gebührenden  Schranken  (intra  modum  werde  ich  dabei  blei- 
ben)", durch  welchen  (erklärenden)  Zusatz  er  zu  erkennen 
geben  will,  dass  er  noch  weniger  zu  thun  beabsichtige,  als 
ihm  dies  in  dem  Ausdruck :  modice  (mit  gehöriger  Mässigung) 
angedeutet  zu  sein  schien,  d.  h.  er  wolle  nicht  bis  an  die 
Grenze  gehen,  sondern  vielmehr  etwas  rückhältlich  und  in- 
nerhalb der  Grenze  bleiben  (damit  er  ja  nicht  etwa  zu  viel 
thue).  25.  Auch  in  der  Rede  Cicero's,  welche  er  für  den 
PuM.  Sestius  schrieb,  sagt  er  (cap.  27,  58)  in  gleicher  Weise 
„intra  montem  Taurum"  nicht  in  dem  Sinne  für  „in  monte 
Tauro"  (innerhalb  des  Taurusgebirges),  sondern  in  der  Be- 
deutung: usque  ad  montem  Taurum  cum  ipso  monte,  d.  h. 
bis  an  das  Taurusgebirge  mit  Einschluss  des  Gebirges.  26. 
Des  M.  Tullius  (Cicero)  eigne  Worte  aus  der  eben  angeführten 
Rede  lauten:  „Jenen  Antiochus  den  Grossen  hiessen  unsere 

Vorfahren,  als  sie  ihn  nach  einem  gewaltigen  Kriegskampf  zu 

— .  

XII,  13,  21.  Es  gab  auch  kürzere,  speciellere  Briefsammlungen 
Cicero's  an  betreffende  Adressaten.   S.  Teuffels  röm.  Lit.  180,  4. 

XII,  13,  25.  Nach  Liv.  37,  45  gab  Scipio  Africanus  den  Gesandten 
des  Antiochus,  welche  um  Frieden  baten,  unter  andern  folgenden  Rath: 
Gebt  Europa  auf  und  räumt  diesseits  des  Taurusgebirgs  (eis  Tauruin 
montem)  ganz  Asien. 

XII,  13,  26.   Vergl.  Gell.  IV,  18,  3  NB.    Antiochus  der  Grosse 


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- 


XII.  Buch,  13.  Cap.,  §  26-  29.  (1(>3) 

Land  und  zur  See  überwunden  hatten,  innerhalb  des  Taurus- 
gebirges  herrschen.  Asien,  das  sie  ihm  zur  Strafe  abgenom- 
men, gaben  sie  dem  Attalus  (vielmehr  Eumenes  IL,  einem 
Sohne  des  Attalus I.)  zum  Geschenk,  um  darüber  zu  herrschen." 
27.  Cicero  sagt:  intra  montem  Taurum  regnare  jusserunt, 
d.  h.  sie  Messen  ihn  herrschen  (oder:  sie  beschränkten  seine 
Herrschaft  auf  das  Gebiet)  innerhalb  des  Taurusgebirges ,  wo 
die  Praeposition  „intra"  in  keiner  andern  Bedeutung  steht, 
als  wie  wenn  wir  sagen :  intra  cubiculum  (d.  h.  innerhalb  des 
Zimmers),  wofern  es  nicht  etwa  scheinen  kann,  dass  „intra 
montem"  in  dem  Sinne  zu  nehmen  sei:  intra  regiones,  d.  h. 
Landstrecke,  Gebietsherrschaft,  welche  durch  das  vorliegende 
Taurusgebirge  abgetrennt  (und  begrenzt)  wird.  28.  Denn  so 
wie,  wenn  es  von  Einem  heisst,  dass  er  sich  „intra  cubiculum" 
(innerhalb  des  Gemachs)  aufhält,  man  nicht  annimmt,  dass 
damit  gemeint  sei,  er  befinde  sich  in  den  Wänden  (als  in 
den  Grenzbestimmungen)  des  Gemaches,  sondern  innerhalb 
der  Wände,  welche  (nur)  die  Umfassung  des  Gemachs  (also 
einen  wesentlichen  Theil  desselben)  bilden  und  die  sich  doch 
(selbstverständlich  theilweise)  auch  mit  im  Zimmer  befinden, 
so  bezeichnen  die  Worte  „regnat  intra  montem  Taurum"  nicht 
allein  Einen,  der  im  Taurusgebirge  herrscht,  sondern  Einen, 
der  Herrscher  ist  über  das  Gebiet,  welches  vom  Taurusgebirge 
eingeschlossen  wird.  29.  Soll  und  kann  nun  also,  nach  dem 
Gleichnisse  der  ähnlichen  Fälle  bei  M.  Tullius  (Cicero),  Einer, 
dem  die  Weisung  wird  Recht  zu  sprechen  „intra  Kalendas", 
gehalten  sein,  diese  Amtspflicht  gesetzlich  und  rechtlich:  ante 
Kalendas  und  zugleich  ipsis  Kalendis  (d.  h.  also  vor  und 
während  des  Monatsersten)  zu  erfüllen?  Und  doch  ist  dies 
der  Fall,  aber  nicht  nach  dem  etwaigen  Vorrecht  eines  un- 


■wurde  zu  Lande  erstlich  vom  Consul  Acilius  bei  Thermopylae  (191)  ge- 
schlagen, dann  in  Asien  von  Scipio  bei  Magnesia  und  bei  Myonnesus  zur 
See  endlich  (190)  gänzlich  besiegt.  Unter  (Vorder-)  Asien,  das  die  Römer 
dem  Antiocbus  abnahmen,  sind  hier  die  Landschaften  Mysien,  Lydien, 
beide  Phrygien  und  Lykaonien  zu  verstehen.  Earien  und  Lycien  erhielten 
die  Rhodier  für  ihre  treue  Anhänglichkeit 

XII,  13,  29.  S.  Suet.  Viteil.  14.  intra  Kalendas  Octobris,  d.  h.  bis 
zum  l.October,  und  intra  Kalendarum  diem,  am  l.October.  —  L.  133  n. 
de  V.  S.  1.  1  §  TT.  de  success.  edict. 

11* 

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(164)         XII.  Buch,  13.  Cap.,  §  29.  —  14.  Cap.,  §  1  —  6. 

begründeten  herkömmlichen  Gebrauchs  (also  nicht  in  Folge 
eines  Missbrauchs  oder  Missverständnisses),  sondern  es  beruht 
dies  auf  richtiger  Beobachtung  einer  vernünftigen  (wohl- 
verstandenen) Regel,  weil  die  ganze  Zeit,  welche  den  Tages- 
begriff des  Monatsersten  umfasst,  ganz  richtig  als  in  den 
Worten  „intra  Kalendas"  enthalten  zu  verstehen  ist. 

XII,  14,  L.     Welche   Bedeutung   und  welchen  Ursprung  das  Wörtchen 

„saltem"  hat. 

XII,  14.  Cap.  1.  Ich  suchte  mich  zu  unterrichten,  welche 
ursprüngliche  Bedeutung  das  Redetheilchen  „saltem"  habe, 
und  was  etwa  wohl  die  Entstehungsursache  dieses  Ausdrucks 
sein  könnte.  2.  Denn  offenbar  ist  dieses  Wörtchen  anfänglich 
so  entstanden,  dass  es  nicht,  wie  einige  andere  der  Ergänzung 
bedürfende  Redepartikeln ,  nur  zufällig  und  ohne  bestimmte 
Absicht  scheint  angenommen  zu  sein.  3.  Da  fand  sich  z.  B. 
Einer,  der  behauptete,  dass  er  in  der  Sammlung  der  gram- 
matischen Bemerkungen  von  P.  Nigidius  gelesen  habe,  „saltem" 
sei  statt  „si  aliter"  gesagt  und  dies  sei  wieder  elliptisch  (d.  h. 
durch  abermalige  Auslassung)  gesagt,  denn  der  zu  ergänzende 
Gedanke  würde  vollständig  lauten  müssen:  si  aliter  non 
potest  (d.  h.  wenn  es  denn  durchaus  nicht  anders  sein  kann). 
4.  Doch  ich  habe  die  betreffende  Stelle  in  den  besagten  Ab- 
handlungen des  Nigidius  nicht  auffinden  können,  obgleich  ich 
sie,  nach  meinem  Dafürhalten,  sicher  nicht  ohne  Aufmerksam- 
keit gelesen.  5.  Nun  aber  scheint  zwar  die  Erklärung  durch : 
„si  aliter  non  potest"  dem  Sinn  und  der  Bedeutung  des  frag- 
lichen Wörtchens  (ganz  gut)  zu  entsprechen;  allein  so  viele 
Wörter  bis  auf  so  wenig  Buchstaben  verschnitten,  und  so  zu- 
sammengepresst  sein  lassen,  kann  doch  nur  für  die  Erfindung 
einer  ungeheuer  spitzfindigen  Grübelei  gelten.  6.  Ein  Anderer 
wieder,  der  sich  fortwährend  mit  Büchern  und  Literatur  be- 
schäftigte, behauptete,  „saltem"  scheine  ihm  so  zu  verstehen 
zu  sein,  als  ob  aus  der  Mitte  des  Wortes  ein  „uM  ausgestossen 
sei;  ursprünglich  nämlich  und  früher  habe  man,  wo  wir 
jetzt  „saltem"  sagen,  „salutem"  gesagt.    Denn  wenn  etwas 


XII,  14,  6.  S.  Serv.  ad  Vergil.  Aen.  IV,  327;  Donat.  ad  Terent 
Andr.  III,  2,  14;  Adelph.  II,  2,  41. 


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XII.  Buch,  14.  Cap.,  §  6.  7.  —  15.  Cap.,  §  1.  2.  (165) 


Erbetenes  ausgeschlagen  wurde,  dann  pflegen  wir,  sagte  er, 
zu  guter  Letzt  gleichsam  absichtlich  noch  um  irgend  etwas 
zu  bitten,  was  dann  nicht  verweigert  werden  dürfe  und  wir 
sagen:  „Dies  wenigstens  (saltem)  müsse  doch  wohl  geschehen 
oder  zugestanden  werden",  gleich  als  bäten  wir  zuletzt  (nur 
noch)  um  eine  (einzige,  geringe)  Vergünstigung,  deren 
Auswirkung  und  Durchsetzung  sicher  recht  und  billig  sei. 
7.  Nun  ist  zwar  auch  diese  Erklärung  ebenfalls  sehr  geistvoll 
ausgedacht,  aber  trotzdem  scheint  sie  mir  zu  sehr  ergrübelt 
zu  sein.  Nach  meiner  Ansicht  bedarf  es  daher  hier  noch 
weiterer  Nachforschung. 

XII,  15,  L.  Dass  Sisenna  in  seinen  Geschichtsbüchern  sich  öfters  der- 
gleichen Adverbialendungen  bediente,  als  da  sind:  „celatim"  (heimlicher 
Weise),   „vellicatim0   (rupf-  und   stück -weise,   brockenhaft),  „saltuatim" 

(sprungweise). 

XII,  15.  Cap.  1.  Bei  wiederholtem,  eifrigem  Lesen  in 
den  Annalen  des  Sisenna  wurde  ich  auf  die  im  Verlauf 
seiner  Darstellung  oft  wiederkehrenden,  derartig  (auslautenden) 
Adverbien  aufmerksam,  wie  z.  B.  „cursim"  (eilends),  „pro- 
peratim"  (eilfertig),  „celeratiin"  (eilig),  „celatim"  (insgeheim), 
„vellicatim"  (rupfweise),  „saltuatim"  (sprungweise).  2.  Weil 
die  beiden  ersten  ziemlich  bekannt  und  sehr  gäng  und  gäbe 
sind,  bedarf  es  davon  weiter  keiner  besonderen  Beispiele; 
aber  von  den  übrigen  finden  sich  im  6.  Buche  des  (genannten) 
Geschichtswerkes  folgende  Beispiele  vor:  „Er  vertheilte  seine 
Leute  so  versteckt  (maxime  celatim),  als  nur  möglich,  im  Hin- 
terhalt;" desgleichen  in  einer  andern  Stelle:  „Ich  habe  alle 
Ereignisse  während  eines  Sommers  in  Asien  und  Griechenland 
deshalb  im  Zusammenhange  schriftlich  aufgezeichnet,  um  die 
Gedanken  meiner  Leser  durch  eine  brockenweise  oder  sprung- 
weise (vellicatim  aut  saltuatim)  Schilderung  nicht  zu  ver- 
wirren." 


XII,  15,  1.   Cfr.  Gell,  ü,  25,  9  und  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  §  153,  8. 


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XIII.  BÜCH. 

XIII,  1,  L.  Sehr  sorgfältige  Untersuchung  über  die  Stelle  des  M.  Tullius 
(Cicero)  in  seiner  ersten  (philippischen)  Rede  gegen  den  Antonius:  multa 
autem  impendere  videntur  praeter  naturara  etiam  praeterque  fatum;  ander- 
weitige Abhandlung,  ob  die  beiden  Wörter:  „fatum"  und  „natura"  einen 
und  denselben  Begriff  angeben,  oder  jedes  einen  verschiedenen. 

XIII,  1.  Cap.  1.  M.  Cicero  hat  in  seiner  I.  Rede  gegen 
den  Antonius  (cap.  4  §  10)  wie  folgt  geschrieben:  „Um  nun 
seinem  Beispiele  zu  folgen,  an  den  die  Anwesenden  sich  nicht 
anschliessen  mochten,  hab  ich  mich  beeilt,  —  nicht  um  etwas 
auszurichten,  denn  das  hoffte  ich  weder,  noch  konnte  ich  gar 
eine  Gewähr  dafür  leisten,  —  sondern  (der  Grund  meiner  Eile 
war)  dass,  wenn  mir  etwas  Menschliches  begegnen  sollte,  — 
es  schien  uns  aber  ausser  dem  gewöhnlichen  Gange  der  Natur 
und  ausser  jedem  andern  möglichen  Verhängniss  auch  noch 
Mancherlei  zu  bedrohen,  —  ich  doch  wenigstens  meine  unum- 
wundene Meinung  an  diesem  Tage  der  Republik  als  Zeugen 
meiner  unwandelbaren  Ergebenheit  für  dieselbe  hinterlassen 
möchte."  Cicero  sagt:  praeter  naturam  praeterque  fatum. 
2.  Ich  glaube  da  (vor  Allem)  in  Erwägung  ziehen  zu  müssen, 
ob  er  durch  diese  beiden  Wörter:  fatum  und  natura  nur 
einen  Begriff  hat  bezeichnen  wollen  und  also  nur  zwei  Be- 
zeichnungen für  einen  angenommenen  Gegenstand  gesetzt  hat 
(xa#J  wog  v7coK€ift6vov) ,  oder  ob  er  sie  beide  dem  Begriffe 
nach  getrennt  und  geschieden  hat  wissen  wollen,  so  dass  einige 
Ereignisse  der  Lauf  der  Natur  mit  sich  zu  bringen  scheint, 

Xm,  1,  L.  praeter  naturam,  natürlicher  Tod  und  praeter  fatum  (zur 
Erweiterung  des  ersten  Begriffes)  ein  unnatürlicher  Tod. 


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XUI.  Buch,  1.  Cap.,  §2—6. 


(167) 


andere  hingegen  ein  (gewaltsames,  unnatürliches)  Verhängniss. 
Auch  meine  ich,  dass  besonders  dieser  Umstand  der  Erwägung 
und  eifrigsten  Nachforschung  bedarf  (um  herauszubringen), 
auf  welche  Art  Cicero  hier  gemeint  hat,  dass  dem  armen 
Sterblichen  im  Leben  auch  noch  Mancherlei  ausser  dem  Ver- 
hängniss  (praeter  fatum)  widerfahren  könne,  wenn  doch  nun 
einmal  das  Wesen  und  der  Gang  des  Verhängnisses  und  eine 
gewisse  unüberwindliche  Verkettung  an  das  Verhängniss  in 
der  Art  bestimmt  angenommen  wird,  dass  man  sich  Alles 
nur  innerhalb  des  Begriffes  „fatum",  innerhalb  der  (eisernen) 
Schicksalsgewalt  eingeschlossen  denken  muss,  oder  es  wäre 
denn,  dass  Cicero  etwa  gar  nur  jenem  bekannten  Gedanken 
Homers  (lliad.  20,  335)  folgte: 

Dass  nicht  trotz  dem  Geschick  (vnlg  fioiQav)  in  des  Aides  Haus  Du 

hinabsteigst 

3.  Es  ist  aber  wohl  ausser  Zweifel,  dass  er  damit  einen  ge- 
waltsamen und  unerwarteten  Tod  bezeichnet  wissen  wollte, 
bei  dem  es  allerdings  mit  Recht  den  Anschein  haben  konnte, 
dass  er  ausser  dem  Naturgesetz  (praeter  naturam)  eintrat. 

4.  Allein  weshalb  er  auch  diese  Todesart  ausserhalb  des 
Verhängnisses  (extra  fatum)  angenommen  hat,  dies  weiter  zu 
erforschen  ist  hier  weder  Ort,  noch  Zeit,  noch  Aufgabe  dieses 
Werkes.  5.  Doch  darf  hier  auch  nicht  unerwähnt  bleiben, 
dass  gerade  auch  Vergil  dieselbe  Ansicht  wie  Cicero  über 
die  Vorherbestimmung  des  Schicksals  (de  fato)  gehabt  habe, 
wenn  er  im  IV.  Buche  (der  Aeneide,  Vers  696)  sich  so 
vernehmen  lässt  über  Elissa  (Dido),  welche  (wegen  des 
Aeneas  plötzlicher  Abreise  vonCarthago)  sich  gewaltsam  den 
Tod  gab: 

Nam  quia  nec  fato,  merita  nec  morte  peribat,  d.  h. 

Weil  weder  durch  das  Geschick,  noch  schuldigen  Todes  sie  hinstarb, 

gleichsam  als  ob  das  gewaltsam  herbeigeführte  Lebensende 
nicht  vom  Verhängniss  (e  fato)  herzukommen  scheine.  6. 
Cicero  scheint  in  Bezug  auf  die  natürliche  Vorherbestimmung 
die  sinnverwandte  Stelle  des  Demosthenes,  eines  Mannes,  der 
sich  nicht  nur  durch  seine  wissenschaftlichen  Kenntnisse,  son- 
dern auch  durch  seine  Beredtsamkeit  auszeichnete,  im  Auge 
gehabt  zu  haben.   Denn  in  jener  ausgezeichneten  Rede  „über 


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(168)         XIIL  Buch,  L  Cap.,  §  6—8.-2.  Cap.,  §  1—4. 

die  Krone"  (§  296  oder  §  105)  steht  so  geschrieben :  „Wer 
nur  für  seine  Aeltern  geboren  zu  sein  glaubt,  der  wallet  den 
ihm  vom  Schicksal  bestimmten  und  natürlichen  Tod  ab;  wer 
aber  auch  für  sein  Vaterland  da  zu  sein  glaubt,  der  wird 
lieber  sterben  wollen,  nur  um  es  nicht  in  Sklaverei  versetzt 
zu  sehen."  7.  Was  Cicero  unter  fatum  (Verhängniss)  und 
natura  (gewöhnlicher  Lauf  der  Natur)  offenbar  hat  bezeichnen 
wollen,  das  nannte  schon  lange  vorher  Demosthenes  die 
Schicksalsbestimmung  (zrjv  neTCQonivr^v)  und  den  natürlichen 
Tod  (tov  avcofiatov  &dvazov).  8.  Denn  unter  der  Bezeichnung 
avTo^arog  davarog  ist  der  natürlich  (eintretende)  vom  Schick- 
sal bestimmte  Tod  zu  verstehen,  der  von  keinem  äussern  ge- 
waltsamen Einfluss  herbeigeführt  wird. 

XIII,  2,  L.    Ueber  eine  zu  Tarent  gepflogene,  freundschaftliche  Unter- 
redung zwischen  den  beiden  Dichtern  Pacuvius  und  Accius. 

XIII,  2.  Cap.  1.  Wir  verdanken  den  Schriftstellern,  die 
aus  Zeitvertreib  und  Liebhaberei  das  Thun  und  Treiben  ge- 
scheidter,  hervorragender  Köpfe  erforschten  und  der  Erinnerung 
zu  erhalten  gesucht  haben,  die  Aufzeichnung  folgender  Ge- 
schichte über  die  beiden  tragischen  Dichter  M.  Pacuvius  und 
L.  Accius.  Sie  erzählen  uns  Folgendes:  2.  Als  Pacuvius  in 
schon  hohem  Alter  und  mit  anhaltender,  langer  Kränklichkeit 
behaftet  sich  aus  Rom  (zurückgezogen  hatte  und)  nach  Tarent 
übergesiedelt  war ,  stattete  der  damals  um  gar  Vieles  noch 
jüngere  Accius,  als  er  auf  seiner  Reise  nach  Asien  diese  Stadt 
berührte,  dem  Pacuvius  einen  Besuch  ab.  Accius  wurde 
freundlich  aufgenommen,  eingeladen,  einige  Tage  bei  ihm  zu 
bleiben  und  las  (bei  dieser  Gelegenheit  ihm)  auf  Verlangen 
sein  Trauerspiel  „Atreus"  vor.  3.  Darauf  soll  Pacuvius  sich 
dahin  ausgesprochen  haben,  dass  das  verfasste  Werk  zwar 
schwungvoll  klinge  und  edle,  erhabene  Gedanken  enthalte, 
jedoch  scheine  ihm  die  Ausdrucksweise  zu  derb  und  hart. 
4.  Ich  finde  Deine  Bemerkung  ganz  zutreffend,  sagte  Accius. 

XIII,  2,  1.  Ueber  Pacuvius  s.  Gell.  I,  24,  4  NB.  Ueber  Accius  s. 
Gell.  II,  6,  23  NB. 

XIII,  2,  2.  Vergl.  Teuffels  röm.  Lit  104,  1  über  M.  Pacuvius  und 
129,  2  ff.  über  L.  Accius  (Attius). 


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XIII.  Buch,  2.  Cap.,  §  4.  5.  —  3.  Cap.,  §  1-4.  (169) 


Allein  das  macht  mir  wirklich  keinen  Kummer,  denn  ich  hoffe, 
dass  das,  was  ich  künftig  schreiben  werde,  besser  ausfallen 
soll.  5.  Denn,  fuhr  er  fort,  wie  es  sich  mit  den  Früchten  im 
Allgemeinen  verhält,  ebenso,  sagt  man,  verhält  es  sich  mit 
den  geistigen  Erzeugnissen;  denn  Früchte,  die  bei  ihrem 
Entstehen  hart  und  herbe  sind,  werden  später  um  so  schmack- 
hafter und  süsser;  die  Früchte  aber,  die  bei  ihrem  Entstehen  • 
gleich  mürbe  und  weich  und  gleich  im  Anfange  saftig  sind, 
werden  nicht  nur  sobald  reif,  sondern  sie  fangen  auch  sofort 
an  zu  faulen.  Ebenso  muss  man  es  auch  den  geistigen  Er- 
zeugnissen überlassen,  dass  sie  Zeit  und  Stunde  mild  machen. 

XIII,  3,  L.    Ob  bei  den  beiden  Wörtern:  „necessitudo"  und  „necessitas" 
eine  Verschiedenheit  in  der  Bedeutung  vorliegt. 

Xm,  3.  Cap.  1.  Es  ist  mir  die  Versicherung  einiger 
Grammatiker  wirklich  höchst  lächerlich  und  spasshaft  erschie- 
nen, dass  die  Wörter:  „necessitudo"  und  „necessitas"  (in  der 
Bedeutung)  sehr  von  einander  abweichen  und  verschieden  sein 
sollen;  „necessitas"  bedeute  deshalb  eine  heftige,  drängende 
Gewalt,  durch  „necessitudo"  aber  werde  ein  gewisses  Recht 
und  ein  bindender  Anspruch  gewissenhaft  heiliger  Verpflichtung 
bezeichnet,  und  es  habe  das  letztere  (necessitas)  ausschliesslich 
nur  diese  eine  Bedeutung.  2.  So  wie  aber  nicht  der  geringste 
Unterschied  stattfindet,  man  mag  nun  den  Begriff  „Lieblich- 
keit" durch  suavitiido  oder  suavitas  wiedergeben,  „Heiligkeit" 
durch  sanctitudo  oder  sanctitas,  „Bitterkeit"  durch  acerbitudo 
oder  acerbitas,  oder  „Herbigkeit"  durch  acritudo,  oder,  wie 
Accius  in  seinem  Neoptolemus  geschrieben,  durch  acritas,  eben 
so  kann  kein  (vernünftiger)  Grund  angeführt  werden,  dass 
necessitudo  und  necessitas  sich  (der  Bedeutung  nach)  von 
einander  unterscheiden.  3.  Und  so  wird  man  gewöhnlich  in 
den  Schriften  der  Alten  „necessitudo41  für  das  gesagt  finden, 
was  nothwendig  ist.  4.  Nur  selten  allerdings  findet  man  „ne- 
cessitas" in  dem  Sinne  für  rechtliche  Verpflichtung  zu  ver- 
wandtschaftlicher Rücksicht,  obgleich  Freunde  und  Verwandte, 
die  in  Folge  eines  rechtlichen  Anspruchs  auf  Verwandtschaft 
und  Freundschaft  mit  dem  Ausdruck:  „necessarii"  bezeichnet 


XIII,  2,  5.   Vergl.  Senec.  ep.  36,  2. 


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(170)  XIII.  Buch,  3.  Cap„  §  5.  6.  —  4.  Cap.,  §  1. 

werden.  5.  Doch  fand  ich  in  der  Rede  des  C.  (Julius)  Caesar, 
worin  er  zu  Gunsten  des  plautinischen  Gesetzvorschlages 
sprach,  das  Wort  „necessitas"  für  „necessitudo"  gesagt,  das 
soll  heissen  in  dem  Sinne  einer  verwandtschaftlichen  Rechts- 
verbindlichkeit. Die  betreffende  Stelle  lautet:  „Ich  für  meinen 
Theil  glaube  gemäss  unseres  Verwandtschaftsbandes  (pro 
nostra  necessitate)  keine  Mühe,  keine  Anstrengung,  keinen 
Eifer  (gespart  und)  vernachlässigt  zu  haben."  6.  Zur  Auf- 
zeichnung der  Bemerkung  über  die  Gleichheit  dieser  beiden 
Wörter  (bezüglich  ihrer  Bedeutung)  fühlte  ich  mich  deshalb 
veranlasst,  weil  ich  zufällig  an  dieses  Wort  erinnert  wurde, 
als  ich  das  4.  Buch  aus  dem  Geschichtswerke  unseres  alten 
Schriftstellers  Sempronius  Asellio  las,  worin  über  P.  Africanus, 
den  Sohn  des  Paulus,  also  geschrieben  steht:  „L.  Aemilius 
Paulus  habe  seinen  Vater  äussern  hören,  dass  ein  ausgezeich- 
neter Feldherr  sich  in  ein  förmliches  Treffen  nur  dann  ein- 
lassen dürfe,  wenn  es  entweder  die  unbedingte  höchste  Noth- 
wendigkeit  (summa  necessitudo) ,  oder  die  beste  Gelegenheit 
es  ihm  gebiete." 

XIII,  4,  L.  Abschriften  (Copieen)  von  einem  Briefe  des  Königs  Alexander 
[an  seine  Mntter  Olympia  nnd  von  ihrer  artigen  und  klugen  Rückantwort 

an  ihren  königlichen  Sohn]. 

XIII,  4.  Cap.  1.  In  verschiedenen  geschichtlichen,  über 
die  Thaten  Alexanders  verfassten  Urkunden  und  auch  erst 
kürzlich  noch  in  einer  Schrift  des  M.  Varro,  welche  die  Ueber- 
schrift  führt  „Orestes  oder  über  Raserei",  las  ich,  dass  des 
Königs  Philipp  Gemahlin  ihrem  Sohne  Alexander  eine  höchst 


XIII,  3,  5.  Vergl.  Non.  Marc,  de  sign,  verbor.  unt.  d.  W.  necessitas. 
Der  Volkstribun  M.  Plautius  Silvanus  hatte  eine  lex  durchgesetzt,  vermöge 
welcher  Ritter  und  Senatoren  wieder  gemeinsam  das  Richteramt  verwalten 
sollten.  Zu  dem  Antrag  des  Plautius  hielt  Caesar  die  hier  erwähnte  B<  - 
fürwortungsrede ,  wenn  sie  nicht  etwa  eine  und  dieselbe  ist  mit  der  Ver- 
theidigungsrede  Caesars  „de  reditu  L.  Cinnae,  über  die  Rückkehr  des 
Lucius  Cinna  (des  Bruders  von  Caesars  Frau)  in  die  Heimath".  Vergl. 
Doerg.  Sueton.  Caes.  5. 

XIII,  3,  6.  Stammbaum  der  Cornelii  I.  Gell.  IV,  18  NB.  Ueber  des 
Aemilianus  Vorsicht  und  Besonnenheit  s.  Dio  C.  Fr.  Peir.  77 ;  Zon.  9,  27; 
Val.  Max.  7,  2,  2;  Appian.  Hiber.  87. 


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XIÜ.  Buch,  4.  Cap.,  §  2.  3.  —  5.  Cap.,  §  1.  2.  (171) 

artige  Rückantwort  ertheilte.  2.  Als  dieser  nämlich  an  seine 
Mutter  einen  Brief  mit  folgenden  Worten  gerichtet  hatte: 
„König  Alexander,  Sohn  des  Juppiter  Hammon,  entbietet 
seiner  Mutter  Olympias  (besten)  Gruss",  ertheilte  ihm  (seine 
Mutter)  Olympias  eine  Antwort  folgenden  Inhalts;  sie  lautet: 
„Bei  meiner  Liebe  zu  Dir  bitte  ich  Dich,  mein  (lieber)  Sohn, 
höre  auf  mich  zu  verdächtigen  und  bei  der  Juno  anzuklagen, 
sie  wird  mich  sonst  sicher  ihren  höchsten  Zorn  fühlen  lassen, 
wenn  Du  nicht  aufhörst  in  Deinen  Briefen  mich  ungescheut 
und  öffentlich  für  ihre  Nebenbuhlerin  zu  erklären."  3.  Durch 
diese  launige  Wendung  suchte  die  kluge,  verständige  Frau 
ihrem  tibermüthigen  Sohne  vermittelst  eines  feinen  und  geist- 
reichen Winkes  zu  verstehen  zu  geben,  er  solle  seinen  thö- 
richten  (Grössen-)  Wahnsinn  bei  Seite  lassen,  in  Folge  dessen 
sich  jener  durch  seine  ungeheuer  wichtigen  Siege,  durch  die 
Schmeicheleien  seiner  Höflinge  und  durch  seine  unglaublich 
glücklichen  Erfolge  berauscht  und  eingeredet  hatte,  ein  Spross 
vom  Zeus  zu  sein. 

XIII,  5,  L.  Ueber  die  (drei)  Weltweisen:  Aristoteles,  Theophrastus  und 
Menedemus;  ferner  über  die  ausgesucht  zarte  Zurückhaltung,  welche 
Aristoteles  bei  der  Wahl  (und  bei  dem  Vorschlag)  seines  Nachfolgers  im 

Lehramte  beobachtete. 

XIII,  5.  Cap.  1.  Der  Weltweise  Aristoteles,  beinahe  schon 
62  Jahre  alt,  durfte  sich  wegen  körperlicher  Kränklichkeit 
und  wegen  seines  Siechthums  nur  noch  schwache  Hoffnung 
auf  ein  längeres  Leben  machen.  2.  Deshalb  nahte  sich  ihm 
zu  dieser  Zeit  die  ganze  Schaar  seiner  Schüler  und  Anhänger, 
um  ihn  mit  Bitten  zu  bestürmen,  selbst  einen  Nachfolger  für 
seinen  Lehrstuhl  und  für  sein  Lehramt  zu  bestimmen,  unter 
dessen  Leitung  sie  nach  seinem  Hingange  gerade  wie  unter 
ihm  ihre  wissenschaftliche  und  philosophische  Bildung  und 


XIÜ,  4,  2.  Wie  eifersüchtig  Dichter  die  Juno  über  die  Ausschwei- 
fungen ihres  Gemahls  Juppiter  schildern,  ist  hinlänglich  bekannt  Vergl. 
Preller,  Mytholog. 

XIII,  5,  L.  elegans  verecundia.  Vergl.  Gell.  II,  8,  9  elegans  quaedam 
reprehensionis  contemptio  und  Gell.  XI,  2. 

XIII,  5,  1.  Aristoteles,  um  der  Verfolgung  der  Priester  zu  entgehen, 
flüchtete  nach  Chalkis. 


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(172) 


XIIL  Buch,  5.  Cap.,  §3—12. 


Kenntniss  vervollständigen  und  vollenden  könnten,  in  die  sie 
von  ihm  eingeweiht  worden  wären.  3.  Es  fanden  sich  damals 
unter  seinen  Schülern  viele  vortreffliche  Geister,  unter  denen 
aber  Theophrastus  und  Menedemus  für  die  beiden  hervor- 
ragendsten galten.  Diese  zeichneten  sich  durch  Geist  und  Ge- 
lehrsamkeit vor  den  Uebrigen  besonders  aus ;  der  Eine  (Theo- 
phrast)  stammte  von  der  Insel  Lesbos,  Menedemos  aber  von 
(der  Insel)  Rhodus.  4.  Aristoteles  antwortete,  dass  er  ihren 
Willen  erfüllen  wolle,  wenn  es  ihm  die  rechte  Zeit  scheinen 
würde.  5.  Als  sich  nun  kurze  Zeit  nachher  Aristoteles  (wieder 
einmal)  mit  eben  Jenen  zusammenbefand,  die  in  ihn  gedrungen 
waren,  seinen  Lehrstuhl  doch  selbst  mit  einem  Nachfolger  zu 
bestellen,  sagte  er,  der  Wein,  welchen  er  hier  tränke,  sei 
nicht  einer,  seinem  körperlichen  Befinden  zuträglicher,  sondern 
ungesund  und  etwas  herbe,  und  deshalb  müsse  er  um  (einen 
etwas  milderen)  einen  ausländischen  bitten,  entweder  um  einen 
rhodischen  oder  einen  lesbischen.  6.  Er  bat,  ihm  doch  beide 
Sorten  herbeizuschaffen  und  sagte,  er  wolle  sich  desjenigen 
bedienen,  der  ihm  (von  beiden)  mehr  zusagen  würde.  7.  Man 
geht,  die  verlangten  (beiden)  Sorten  zu  besorgen,  treibt  sie 
auf  und  bringt  sie  (ihm).  8.  Darauf  bittet  sich  Aristoteles 
rhodischen  aus,  kostet  ihn  und  sagt:  Das  ist  wahrhaftig  ein 
(starker)  geistreicher  Wein  und  dabei  auch  angenehm. 
9.  Gleich  darauf  lässt  er  sich  nun  auch  von  dem  lesbischen 
reichen.  Als  er  auch  von  diesem  gekostet,  sagte  er:  Beide 
sind  ganz  vortrefflich,  allein  der  lesbische  hat  noch  mehr 
Anmuth.  10.  Nach  dieser  Aeusserung  war  es  Keinem  mehr 
zweifelhaft,  dass  er  durch  diesen  Meinungsaussprueh  auf  eine 
ebenso  feine,  als  zarte  Weise  auf  seinen  Nachfolger  und  nicht 
auf  den  Wein  gezielt  habe.  11.  Gemeint  war  damit  aber 
Theophrast  aus  Lesbos,  ein  Mann  von  ausserordentlicher 
Lieblichkeit  sowohl  in  der  Beredtsamkeit ,  wie  im  Benehmen. 
12.  Als  daher  Aristoteles  nicht  lange  darnach  aus  dem  Erden- 
leben geschieden,  wendeten  sich  alle  (seine  Schüler  und  An- 
hänger) diesem  Theophrast  zu. 


XIII,  5,  3.  Ueber  Theophrast  s.  Gell.  I,  3,  21  NB  und  IV,  13,2NB. 
Menedemus,  wahrscheinlich  Eudemus. 


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XIII.  Buch,  6.  Cap.  §1  —  4.-7.  Cap.,  §  1.  (173) 

XIII,  6,  L.  Welches  Ausdrucks  sich  die  alten  Lateiner  für  die  Bezeich- 
nung des  griechischen  Wortes;  „7r(>off<pdY«t"  (prosodiae)  bedienten,  und  dass 
unter  den  Aelteren  auch  weder  Römer,  noch  Attiker  (Griechen)  sich  des 

Ausdrucks  „barbarismus"  bedienten. 

XIII,  6.  Cap.  1.  Was  die  Griechen  unter  dem  Ausdruck 
»TtQooydiai11  verstanden  wissen  wollten,  das  haben  unsere 
alten  Gelehrten  theils  durch  „notae  vocum  (Betonungsmerk- 
male)u  bezeichnet,  theils  durch  „moderamenta  (Längen- 
messungen)", theils  durch  „accenticulae  (Silbenbetonung)", 
theils  durch  „voculationes  (Aussprache)";  2.  was  wir  aber 
heutigen  Tages  mit  dem  Ausdruck  bezeichnen,  wenn  wir  von 
Jemanden  behaupten,  dass  er  ausländisch  spreche  (barbare 
loqui)  und  falsch  betone,  diese  fehlerhafte  Sprechweise  nannte 
man  nicht  eine  ausländische  (vitium  barbarum),  sondern  eine 
bäurische  (rusticum),  und  wer  so  fehlerhaft  sprach,  von  dem 
hiess  es,  dass  er  bäurisch  (rustice)  rede.  3.  P.  Nigidius  in 
seinen  „Bemerkungen  über  Grammatik"  sagt:  „Die  Rede  wird 
bäurisch  (rusticus  fit  sermo),  wenn  Du  den  H-laut  falsch  an- 
wendest." 4.  Ob  sich  daher  diejenigen,  welche  vor  des  er- 
habenen Augustus  Zeiten  rein  und  sprachrichtig  sich  aus- 
drückten, des  jetzt  im  gewöhnlichen  Leben  gebräuchlichen 
Ausdrucks  „barbarismus"  bedienten,  habe  ich  noch  nicht 
ausfindig  machen  können. 

XIII,  7,  L.     Verschiedene  Ansicht  Homers  in  seiner  Dichtung  und  de» 
Herodot  in  seiner  Geschichte  Uber  eine  Eigentümlichkeit  bei  Löwinnen. 

XIII,  7.  Cap.    1.  Bei  Herodot  im  3.  Buche  seiner  Ge- 


XIH.  6,  1.  Straho  XHI  p.  897;  Sext.  Empir.  adv.  Mathem.  I,  5; 
cfr.  Gell.  XIII,  25,  3. 

XIII,  6,  2.  Die  klassische  Sprache  beschränkte  sich  meist  nur  auf 
Rom.  Es  behauptete  sich  aber  auch  noch  das  Umbrische,  Oskische» 
Samnitische  etc.  als  Dialect.  Der  Urbane  Ton  war  Ausdrucks  weise  der 
gebildeten  Kreise,  die  übrige  Menge  sprach  ein  bäurisches  Latein,  hatte 
eine  bäurische  Aussprache. 

Xni,  6,  3.  Gellius  sagt  (II,  3,  1),  die  Alten  hätten  gern  nach  atti- 
scher Art  das  h  angebracht,  z.  B.  halucinari,  honera,  hoedus,  hircus, 
hortus,  hordeum  etc. 

XIII,  6,  4.  Ueber  barbarismus  vergl.  Cic.  Her.  IV,  12,  17;  Quinct. 
L  5,  5—10;  Martial.  VI,  17,  2;  Fronto  ep.  ad  M.  Caes.  II,  1  ad  fin.; 
Sidon.  ep.  V,  5;  Charis.  IV,  p.  237;  Gell.  V,  20. 


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(174) 


XIII.  Buch,  7.  Cap.,  §1-6. 


schichte  findet  sich  die  schriftliche  Bemerkung,  dass  Löwinnen 
ihr  lebelang  nur  einmal  gebären  und  bei  diesem  einmaligen 
Werfen  nie  mehr  als  nur  ein  Junges  zur  Welt  bringen.  2. 
Die  Stelle  aus  dem  betreffenden  Buche  (III  [Thalia],  cap.  108) 
lautet  also:  „Obgleich  die  Löwin  ein  starkes  und  höchst 
muthiges  Thier  ist,  wirft  sie  auf  einmal  doch  nur  ein  Junges 
in  ihrem  Leben ;  denn  wenn  sie  wirft,  so  geht  auch  die  Gebär- 
mutter sammt  dem  Jungen  mit  ab."  (Die  Ursache  davon  ist 
die:  „wenn  das  Junge  in  der  Mutter  anfängt  sich  zu  bewegen, 
so  zerkratzt  es  ihre  Gebärmutter,  weil  es  von  allen  Thieren 
die  schärfsten  Klauen  hat,  und  je  mehr  es  wächst,  zerreisst  es 
sie  immer  mehr  und  mehr;  endlich  kommt  die  Geburt  heran 
und  da  ist  ganz  und  gar  nichts  Heiles  mehr  daran.")  3.  Homer 
aber  behauptet,  dass  die  Löwinnen  öfters  und  mehrere  Junge 
gebären  und  aufziehen.  Er  gebraucht  den  Begriff  „Löwen" 
im  männlichen  Geschlecht  zur  Bezeichnung  auch  der  Weibchen. 
Dergleichen  Wörter  (gemeinschaftlichen,  d.  h.)  männlichen, 
wie  weiblichen  Geschlechtes  zugleich  bezeichnen  die  Gram- 
matiker mit  dem  Ausdruck:  i7tUoivov  (gemeinschaftliches  Ge- 
schlecht). 4.  In  folgenden  Versen  (Horn.  Uiad.  XVII,  133  u.  s.  w.) 
giebt  er  diese  Meinung  offenbar  zu  erkennen  (wo  es  vom 
Ajax  heisst): 

Und  er  stand,  wie  ein  Löwe  vor  seinen  Jungen  sich  hinstellt, 
Welchem,  indem  er  sie  führt,  ein  Haufe  Jäger  begegnet; 

5.  Gerade  so  deutet  er  an  einer  and  ein  Stelle  (Horn.  Riad. 

XVIII,  318  u.  s.  w.)  auf  dieselbe  Ansicht  hin  (wo  es  heisst: 

Achill,  über  den  Patroclus): 

Häufig  seufzend,  gleich  dem  starkgebarteten  Löwen, 
Dem  ein  hirschverfolgender  Jäger  aus  dichtem  Gebüsche 
Seine  Jungen  geraubt  hat. 

6.  Als  uns  diese  Meinungsverschiedenheit  des  berühmtesten 
unter  den  Dichtern  und  des  vornehmsten  unter  den  Geschichts- 
schreibern etwas  in  Verwirrung  setzte,  mussten  wir  uns  schon 
bequemen,  die  Bücher  des  Philosophen  Aristoteles  nachzusehen, 
worin  er  eine  so  höchst  ausführliche  Beschreibung  von  den 

XIII,  7,  1.  S.  Philostr.  vit.  Apollon.  I,  22;  Aristot.  hist  anim.  vT, 
28.  —  Herodot,  der  älteste  griechische  Geschichtsschreiber  aus  Hali- 
carnassus  in  Kleinasien,  lebte  ohngefähr  450  v.  Chr.,  theilte  sein  Werk  in 
neun  Bücher  und  benannte  sie  nach  den  Musen. 


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XIII.  Buch,  7.  Cap.,  §6-11.-8.  Cap.,  §  1.  (175) 

Thieren  liefert.    Was  ich  über  diesen  Gegenstand  in  dem 
betreffenden  Werke  auffinden  werde,  soll  mit  des  Aristoteles 
eigenen  Worten  (später)  in  dieser  meiner  Sammlung  einen 
Platz  finden.    (7.  Die  betreffende  Stelle  des  Aristoteles  aus 
dem  6.  Buche  seiner  Thiergeschichte  [cap.  31  (28)]  lautet: 
„Dass  der  Löwe  sich  rückwärts  begattet  und  zu  den  rück- 
wärts harnenden  Thieren  gehört,  wurde  schon  früher  [hist. 
animal.  V,  1]  gesagt;  er  begattet  sich  aber  und  wirft  nicht 
zu  jeder  Zeit,  wohl  aber  in  jedem  Jahre.   Er  wirft  übrigens 
im  Frühlinge  und  zwar  meistens  zwei,  höchstens  jedoch  sechs, 
zuweilen  wirft  er  aber  gar  nur  ein  Junges.    8.  Die  ver- 
breitete Sage,  dass  er  beim  Gebären  die  Gebärmutter  mit 
auswerfe,  ist  läppisch;  sie  entstand  daher,  dass  die  Löwen 
selten  sind  und  der  Erfinder  der  Sage  die  Ursache  nicht 
wusste.   Das  Geschlecht  der  Löwen  ist  nämlich  selten  und 
nicht  an  vielen  Orten  zu  finden,  indem  man  es  in  Europa 
nur  in  dem  Landstriche  zwischen  den  Flüssen  Acheloos  und 
Nestos  antrifft.    9.  Die  Jungen,  welche  die  Löwin  zur  Welt 
bringt,  sind  äusserst  klein,  so  dass  sie  nach  zwei  Monaten 
kaum  gehen  können.   Die  Löwinnen  in  Syrien  werfen  fünfmal 
und  zwar  zum  erstenmale  fünf  Junge,  dann  aber  immer  eins 
weniger;  endlich  aber  werfen  sie  keins  mehr,  sondern  bleiben 
unfruchtbar.   10.  Die  Löwin  hat  keine  Mähne,  wohl  aber  der 
männliche  Löwe.   11.  Von  seinen  Zähnen  wechselt  der  Löwe 
nur  die  sogenannten  vier  Hundszähne,  nämlich  zwei  oben  und 
zwei  unten ;  er  wechselt  sie  aber,  wenn  er  ein  Alter  von  sechs 
Monaten  erreicht  hat.) 

XIII,  8,  L.    Dass  es  ein  kluger  und  sinnreicher  Ausspruch  des  Dichters 
AfraniuB   war,  die  Weisheit  eine  Tochter   der  Erfahrung   und  des  Ge- 
dächtnisses zu  nennen. 

Xin,  8.  Cap.    1.  Einen  ebenso  ausgezeichneten,  wie 


XIII,  7,  7.  Philostr.  Leben  des  Apollon.  v.  Tyana  I,  22 :  „Die  Löwin 
geht  sechs  Monate  trachtig  und  wirft  dreimal.  Die  Zahl  der  Jungen  beim 
ersten  Wurf  ist  drei,  beim  zweiten  zwei;  wird  sie  aber  zum  drittenmale 
trächtig,  so  wirft  sie  ein  einziges  Junges  von  grossem  Schlage  und  von 
wilderer  Art  als  gewöhnlich.  Doch  was  Einige  sagen,  dass  die  Löwen 
bei  der  Geburt  die  Gebärmutter  zerkratzen,  darf  man  nicht  für  wahr 
halten.«  -  Bei  M.  Hertz  bleiben  die  §§7-11  aus. 


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(176) 


XIII.  Buch,  8.  Cap.,  §  1—4. 


wahren  Gedanken  (-blitz)  hat  der  Dichter  Afranius  gehabt, 
als  er  über  den  Ursprung  der  Weisheit  und  über  die  Mittel, 
sich  dieselbe  anzueignen  sprach  und  annahm,  dass  sie  eine 
Tochter  der  Erfahrung  und  des  Gedächtnisses  sei.  2.  Denn 
durch  diese  Erklärung  will  er  zeigen,  dass  ein  Mensch,  der 
die  Absicht  hat,  sich  Weisheit  und  Weltkenntniss  anzueignen, 
nicht  hoffen  soll,  diese  allein  aus  Büchern,  oder  aus  rheto- 
rischen und  dialectischen  Wissenschaftszweigen  zu  schöpfen, 
sondern  sich  keine  Mühe  verdriessen  lassen  und  selbst  Hand 
anlegen  müsse,  um  Alles  in  der  Nähe  kennen  zu  lernen,  mit 
eigenen  Augen  zu  untersuchen,  und  alle  Ereignisse  und  Er- 
folge seinem  Gedächtnisse  fest  einzuprägen;  und  demgemäss 
muss  er  Weisheit  und  Klugheit  daraus  lernen,  was  ihm  selbst 
erlebte  Erfahrungen  an  die  Hand  geben,  nicht,  was  ihm  nur 
Bücher  oder  Schulmeister  vermittelst  eitel  leeren  Wortschwalls 
und  durch  nichtige  Gaukeleien,  gleichwie  in  einem  Possenspiel 
oder  in  einem  Traumgesicht,  vorgespiegelt  haben.  3.  Dieser 
Gedanke  des  Afranius  findet  sich  in  folgenden  Versen  aus 
seinem  römischen  Nationaldrama  (in  togata),  der  „Sessel 
(Sella)"  genannt,  also  ausgedrückt: 

Erfahrung  hat  mich  gezeugt,  meine  Mutter  war  das  Gedäehtniss, 
Sophia  werd'  bei  den  Griechen,  hei  euch  ich  genannt  Sapientia. 

4.  Beinahe  derselbe  Gedanke  ist  auch  in  einem  Verse  des 
Pacuvius  enthalten,  ein  Gedanke,  der,  wie  die  gute  ehrliche 


XIII,  8,  1.  Lucius  Afranius,  geb.  wahrscheinlich  um  130  v.  Chr., 
so  dass  seine  Blut  he  94  v.  Chr.  fällt,  ist  der  eigentliche  Schöpfer  des 
röm.  Nationallustspiels  oder  der  comoedia  togata.  Seine  Schilderung  des 
Lebens  und  der  Volkssitten  waren  im  Volkstone  gehalten.  Von  den 
Griechen  (Menander)  entlehnte  er  nur  den  äussern  Bau  und  passte  ihn 
geistvoll  dem  römischen  Volksleben  an.  Anerkannt  war  sein  reicher  Witz, 
seine  Ausgelassenheit  und  Lebendigkeit  Es  sind  nur  noch  Bruchstücke 
von  ihm  da.  Cfr.  Hör.  epist.  II,  1  v.  57;  s.  Bernh.  röm.  Lit.  78,  352 
und  Teuffels  Gesch.  d.  röm.  Lit.  131. 

XIII,  8,  3.   S.  Gell.  X,  11,  8  NB. 

XIII,  8,  4.  „Zum  Betrieb  der  Philosophie  hatten  die  Römer  wenig 
natürlichen  Beruf.  S.  Gesch.  der  röm.  Lit.  von  W.  S.  Teuffei  §  48,  3. 
Dazu  die  durchschnittliche  Mittelmässigkeit  der  Griechen,  welchen  die 
Römer  ihre  Philosophie  verdankten,  weshalb  Mommsen  richtig  bemerkt: 
„so  wurden  denn  die  Römer  in  der  Philosophie  nichts  als  schlechter  Lehrer 
schlechtere  Schüler." 


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XHI.  Buch,  8.  Cap.,  §  4.  5.  —  9.  Cap.,  §  1  —  4.  (177) 

■ 

Seele,  mein  Freund  der  Weltweise  Macedo  meinte,  (eigent- 
lich) an  die  Eingangsthüren  aller  Tempel  geschrieben  werden 
sollte : 

Ich  hasse  Leute,  die,  faul  zu  Thaten,  Weisheitssprüche  stets 
Im  Munde  fuhren. 

5.  Damit  wollte  mein  Freund  Macedo  zu  verstehen  geben, 
dass  er  nichts  für  unanständiger  und  unerträglicher  halte,  als 
wenn  gewisse  Faulenzer  und  Müssiggänger  in  langem  Barte 
und  mit  dem  (üblichen  Philosophen-)  Mantel  angethan,  sich 
unterfingen  die  nützlichen  Vorschriften  der  Weisheit  zu  (un- 
nützem) Zungengewäsch  und  Wortgekräusel  zu  verwenden  und 
mit  (scheinheiliger  Miene  und)  geläufigstem  Mundwerk  über 
die  Fehler  Anderer  herzuziehen,  während  ihr  eignes  Herz 
einem  Schandpfuhl  voll  von  Lastern  gleicht. 

XIII,  9,  L.    Ansicht  des  Tullius  Tiro  in  seinen  „gesammelten  Bemerkungen" 
über  die  mit  den  Namen  „snculae"  und  „hyades"  bezeichneten  Sterne. 

Xin,  9.  Cap.  1.  Tullius  Tiro  war  Pflegling  und  Frei- 
gelassener des  M.  Cicero  und  später  sein  Gehülfe  bei  dessen 
literarischen  Arbeiten.  2.  Dieser  Tiro  verfasste  mehrere 
Schriften  (enthaltend  Untersuchungen)  „über  den  syste- 
matischen Entwickelungsgang  der  lateinischen  Sprache",  des- 
gleichen „über  allerhand  verschiedene  und  gemischte  Fragen \ 
3.  Unter  diesen  Schriften  aber  zeichnet  sich  vor  Allen  gerade 
das  Werk  aus,  welches  die  griechische  Ueberschrift  navdhjiai 
trägt,  d.  h.  allgemeines  Sammelwerk  (zum  Nachschlagen), 
welches  gewissermassen  allerhand  sachliche  und  wissenschaft- 
liche Bemerkungen  enthält.  4.  Daselbst  befindet  sich  in  Be- 
treff der  Sterne,  welche  „suculae"  genannt  werden,  folgende 
(interessante)  Stelle;  es  heisst:  „Die  alten  Römer  hatten  sehr 
wenig  Kenntniss  von  den  griechischen  Buchstaben,  waren  so 

XIII,  8,  4.   S.  Teuffels  Gesch.  d.  röm.  Lit.  353,  8  über  Macedo. 
XIII,  8,  5.   Ueber  diese  Sorte  von  Philosophen  vergl.  Gell.  IX,  2,  4 
und  Cato's  Worte  XVIII,  7,  3;  desgl.  Bernhard.  R.  L.  123,  570. 
XIII,  9,  L.   Vergl.  Beruh,  r.  L.  29,  114. 

XIII,  9,  2.  Ueber  Tullius  Tiro  s.  Gell.  I,  7,  1  NB  und  Teuffels  röm. 
Lit.  Gesch.  118,  1. 

XIII,  9,  4.  Hyades  s.  Plin.  II,  39,  2  und  XVIII,  66;  Cic.  de  nat. 
deor.  II,  43. 

Gellius,  Attische  Xficlite.  II.  12 


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(178)  XIII.  Buch,  9.  Cap.,  §  4—6. 

unwissend  in  der  griechischen  Sprache,  dass  von  ihnen  (aus 
Unkenntniss  über  den  Ursprung  des  Wortes  Hyaden,  vdöeg) 
diese  Sterne,  welche  am  Kopfe  des  Stieres  sich  befinden,  des- 
halb „suculae"  genannt  wurden,  weil  sie  bei  den  Griechen  vddeg 
hiessen,  als  ob  der  lateinische  Ausdruck  eine  (entsprechende) 
Uebertragung  (und  Nachbildung)  des  griechischen  sei,  weil 
das  griechische  Wort  leg  (Schweine)  ,auf  lateinisch  „sues"  be- 
deutet. Allein  der  Ausdruck  „vadeg"  kommt  doch  eigentlich 
nicht  von  dem  griechischen  Worte:  leg  (anb  xCov  vCov)  her, 
wie  dies  die  Ansicht  einiger  Unwissender  (opici)  zu  sein  scheint, 
sondern  von  dem  bekannten  Zeitwort  „IW",  was  „regnen" 
heisst,  weil  zur  Zeit,  wo  diese  Sterne  auf-  und  untergehen,  sie 
(in  Griechenland)  gewöhnlich  reichliche  Stürme  und  Regen- 
güsse herbeiführen."  5.  So  also  Tiro  in  seinem  Sammelwerk. 
Allein  unsere  Alten  waren  doch  nicht  so  ganz  grosse,  un- 
gebildete Klötze  (rUpfces),  dass  sie,  weil  leg  auf  lateinisch 
„sues"  heissen,  deshalb  das  Sternbild  der  Hyaden  „suculae" 
nannten,  sondern  gerade  so  wie  wir  aus  der  griechischen  Par- 
tikel wciq  „super"  gemacht,  aus  vmtog  (übergebeugt)  unser 
„supinus"  gebildet,  aus  vffogßbg  (Sauhirt,  von:  lg  und  (ftgßeiv 
i.  e.  Schweine  hüten)  unser  „subulcus";  desgleichen  wie  man 
z.  B.  aus  dem  griechischen  vTtvog  erst  „sypnus  (supnus)"  bildete, 
hernach  aber  durch  die  Verwandtschaft  des  griechischen  y  (v) 
mit  dem  lateinischen  „o"  somnus  (oder  sumnus)  sagte,  ganz 
ebenso  wurde  das  griechische  Wort  hyades  erst  in  syades, 
später  aber  (suades  und  durch  die  Aussprache)  in  „suculae" 
verwandelt.  6.  Die  (besagten)  Sterne  befinden  sich  aber,  wie 
Tiro  sagt,  nicht  am  Kopfe  des  Stieres,  —  denn  ohne  diese  Sterne 
würden  wir  gar  keinen  Stierkopf  zu  sehen  vermeinen,  —  sondern 
sie  sind  im  sogenannten  Thierkreis  so  gestellt  und  gelegen, 
dass  erst  aus  ihrer  Aufstellung  (für  unsere  Augen)  die  schein- 
bare Form  und  Bildung  eines  Stierkopfes  sich  gestaltet  (und 
hervortritt);  gleichwie  (ausser  dem  Kopf)  auch  alle  übrigen 
Theile,  d.  h.  der  noch  übrige  zur  Veranschaulichung  und 
Vollendung  des  Stierbildes  nöthige  Umriss  hingezeichnet  und 

XIII,  9,  4  vergl.  XI,  16,  7  opicus. 
XIII,  9,  5.    v«<$(s,  also  Regengestirn. 

XIII,  9,  5.    vnvog  =  sypnus  =  somnus.    v  =  u  =  französ.  u. 
XIII,  9,  6.   II).tidJ€$  (vergiliae)  vergl.  Gell.  III,  10,  2  NB. 


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XIII.  Buch,  9.  Cap.,  §  6.  —  10.  Cap.,  §  1  —4. 


(179) 


gleichsam  abgebildet  erscheint  durch  die  Vertheilung  (Lage) 
und  Aufstellung  (aller)  der  Sterne,  welche  von  den  Griechen 
„rrXeiadeg",  von  uns  (Römern)  vergiliae  (Büschelgestirn)  ge- 
nannt werden. 

XIII,  10,  L.    Was  nach  dem  Ausspruch  des  Labeo  Antistius  die  Grund» 
bedeutung  und  Abstammung  (frvftov)  des  Worten  „soror"  und  nach  P. 
Nigidius  die  des  Wortes  „frater"  sein  soll. 

XIII,  10.  Cap.  1.  Labeo  Antistius,  der  zwar  mit  haupt- 
sächlicher Vorliebe  die  Kenntniss  des  bürgerlichen  Rechtes  zu 
seiner  Aufgabe  gemacht  und  Allen  ohne  Unterschied,  die  ihn 
darüber  zu  Rathe  zogen,  (gern  und  bereitwillig)  Bescheid  er- 
theilte,  war  zugleich  aber  auch  in  andern  Zweigen  der  Kunst 
und  Wissenschaft  sehr  zu  Hause,  und  so  hatte  er  den  gründ- 
lichsten Fleiss  verwendet  auf  Grammatik,  Dialectik  und  alte 
Literatur,  verstand  sich  daher  auch  genau  auf  den  Ursprung 
und  die  Bedeutung  lateinischer  Ausdrücke  und  bediente  sich 
dieser  (letzteren)  Kenntniss  hauptsächlich  (als  Hülfsmittel) 
zur  Entwirrung  verschiedener,  verwickelter  Rechtsfälle.  2. 
Nach  seinem  Tode  ist  sogar  ein  Werk  unter  der  Ueberschrift 
„Nachgelassenes  (posteriores)"  herausgekommen,  wovon  die 
drei  fortlaufenden  Bücher,  das  38.,  39.  und  40.,  voll  von  der- 
artigen Fällen  sind,  die  nicht  wenig  zur  deutlichen  Erklärung 
und  Auslegung  der  lateinischen  Sprache  (und  ihres  Ent- 
wicklungsganges) beitragen.  3.  Ausserdem  findet  man  in  den 
Büchern,  wo  er  in  Bezug  auf  die  Praetoren-Verordnung 
ausführliche  Bemerkungen  niedergeschrieben  hat,  theilweise 
viele  interessante  und  geistreiche  Beobachtungen  angegeben, 
wie  im  4.  Buche  die  Bemerkung,  die  wir  zum  Anschluss  an 
die  (Praetoren-)  Verordnung  aufgezeichnet  lesen  können,  wo 
es  heisst:  „Soror  (Schwester)"  wurde  die  genannt,  welche 
gleichsam  „seorsum"  (abgesondert)  aufwächst,  die  sich  (ferner 
später)  von  dem  Hause  trennen  muss,  wo  sie  geboren  ist  und 
(bei  ihrer  etwaigen  Verheirathung)  in  eine  andere  Familie 
übersiedelt."    4.  Der  bedeutende  Gelehrte  P.  Nigidius  giebt 


Xffl,  10,  L.  Ueber  Antistius  s.  Gell.  I,  12,  1  NB.  Ueber  P.  Nigidius 
Figulus  s.  Gell.  IV,  9,  l  NB. 

XHI,  10,  3.   Ueber  Praetoren-Edicte  s.  Gell.  X,  15,  31  NB. 

12* 


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(180)         XIII.  Buch,  10.  Cap.,  §  4.  —  11.  Cap.,  §  1—3. 


über  die  Grundbedeutung  und  Abstammung  des  Wortes  „frater 
(Binder)"  eine  nicht  weniger  feine  und  scharfsinnige  Aus- 
legung; er  sagt:  „frater  wird  Einer  deshalb  genannt,  weil  er 
gleichsam  als:  fere  alter,  d.  h.  fast  das  andere  Selbst  ist." 

XIII,  11,  L.    Welche  Anzahl  von  (Tisch-)  Gästen  M.  Varro  für  die  hin- 
längliche und  schickliche  hält;  dann  (Bemerkungen)  über  den  Nachtisch 
und  über  (die  guten  Bissen  beim  Nachtisch,  d.  h.)  das  Naschwerk. 

XIII,  11.  Cap.  1.  Es  kann  nicht  leicht  etwas  Ergötz- 
licheres geben,  als  die  Monographie  des  M.  Varro  aus  seinen 
menippischen  vermischten  Gedichten  (Satiren),  welche  die 
(besondere)  Ueberschrift  führt:  „nescis  quid  vesper  serus 
vehat,  d.  h.  man  kann  nicht  wissen,  was  die  spätere  Stunde 
mit  sich  führt",  worin  er  sich  weitläufig  über  die  schickliche 
Anzahl  von  Gästen  ergeht  und  über  die  gehörige  Anordnung 
(das  richtige  Arrangement)  bei  einem  Gastmahle.  2.  Er  sagt 
aber,  die  (niedrigste)  Anzahl  (der  Gäste)  müsse  von  der  An- 
zahl der  Grazien  beginnen  und  sich  (höchstens)  nur  bis  zur 
Anzahl  der  Musen  versteigen,  d.  h.  sie  müsse  bei  Drei  be- 
ginnen und  es  bei  Neun  bewenden  lassen,  oder,  dass,  wenn 
man  die  geringste  Anzahl  der  Gäste  ins  Auge  fasst,  sie  sich  auf 
nicht  weniger  als  drei  beschränkt  und  wenn  man  die  grösste 
Anzahl  zulässt,  sie  nicht  die  Zahl  von  neun  übersteigt.  3. 
„Denn  mehr  Gäste  (einzuladen),  fährt  er  selbst  fort,  scheint 
deshalb  weniger  geeignet,  weil  eine  grössere  Anzahl  meist 
überlaut  lärmt;  und  zu  Rom  steht  man  (bei  den  Mahlzeiten), 


XIII,  10,  4.  Ehe  die  Einsicht  in  den  Sprachorganismus  den  Em- 
pirikern das  Handwerk  legte,  verlief  sich  das  Etymologisiren  bei  den 
Sprachgelehrten  jener  Zeit  oft  geradezu  bis  ins  Alberne.  So  erklärte 
bei  Gell.  VII  (VI),  12,  5.  6  der  philologische  Jurist  Gajus  Trebatius: 
sacellum  von  sacra  cclla.  So  leitete  Varro  facere  von  facies  ab,  weil,  wer 
etwas  macht,  der  Sache  ein  Ansehen  giebt.  Gell.  XIII,  30  (29),  2.  — 
Ferner :  volpes,  den  Fuchs,  nach  Stilo  von  volare  pedibus,  als  den  Fliege- 
fuss. Varro  de  1.  1.  IV,  20,  extr.;  Quint.  I,  6,  33;  vergl.  Agrippus  bei 
Gell.  XVI,  16,  1. 

XIII,  11,  1.  Saturae  Menippeae,  so  genannt  nach  dem  Cyniker  Me- 
nippus,  dessen  Schriften  sich  dabei  Varro  zum  Vorbilde  nahm.  VergJ. 
Gell.  I,  22,  4  und  II,  18,  7  NB.  —  Liv.  45,  8,  6 :  incertum  est,  quid  vesper 
ferat.  —  Vergl.  Macrob.  Sat.  I,  7;  Plutarch  Tischgespr.  V,  5. 

XIII,  11,  2.   S.  Spartian.  Verus.  cap.  5. 


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XIII.  Buch,  11.  Cap.,  §  3—7. 


(181) 


zu  Athen  sitzt  man,  nirgends  aber  liegt  man  (bei  Tische). 
Ferner  das  Gastmahl  selbst",  heisst  es  weiter,  „muss  aus  vier 
Sachen  bestehen,  denn  dann  erst  wird  es  in  allen  Stücken 
ein  vollkommenes  sein,  wenn  (nur)  liebe  Leutchen  versammelt 
ßind,  ferner  Bedacht  genommen  ist  auf  einen  passenden  Platz, 
auf  eine  gut  gewählte  Zeit  und  auf  ein  ausgewähltes  Mahl. 
Ferner  soll  man  sich,  sagt  er,  weder  schwatzhafte,  noch  stumme 
G«iste  einladen,  weil  sich  ein  Breitmacher  mit  seiner  Beredt- 
heit wohl  für  öffentliche,  wie  für  Privatverhandlungen  eigne, 
ein  fortwährendes  Stillschweigen  sich  aber  nicht  mit  der  Tafel- 
freude vertrage,  sondern  mehr  in  die  Schlafkammer  gehöre." 
4.  Die  Reden  also,  die  man  während  der  Tafelzeit  führen  soll, 
müssen  seiner  Meinung  nach  nicht  verdriessliche  oder  ver- 
wickelte Beziehungen  berühren,  sondern  angenehm  und  an- 
lockend sein  und  unter  Scherz  und  Munterkeit  nur  Nützlich- 
keitsrücksichten anstreben,  so  dass  dadurch  nur  eine  höhere 
Verfeinerung  unseres  Geschmacks  und  grössere  Erheiterung 
unseres  Geistes  erzielt  wird.  5.  „Dieses  Ziel  aber",  versichert 
er,  „kann  wahrlich  nur  dann  erreicht  werden,  wenn  man  sich 
über  solche  Dinge  unterhält,  die  auf  den  (ganz)  gewöhnlichen 
Lebensverkehr  Bezug  haben,  woran  zu  denken  oder  mit  denen 
sich  zu  beschäftigen  man  sonst  vor  Gericht,  oder  im  Drange 
der  Geschäfte  keine  Zeit  übrig  behält.  Der  Wirth  des  Gast- 
mahls aber  muss  nicht  sowohl  üppige  Pracht  und  Aufwand 
zu  entfalten,  als  vielmehr  den  Vorwurf  schmutzigen  Geizes 
zu  vermeiden  suchen,  und  sollen  bei  dem  (Freundes-)  Mahle 
nicht  alle  Arten  von  Vorträgen  gestattet  sein,  sondern  vor- 
züglich nur  solche,  die  nützlich  und  ergötzlich  sind  (und 
es  brauchen  die  Speisen  selbst  nicht  gerade  ausgesucht  zu 
sein,  sondern  vor  allem  gesund  und  schmackhaft)."  6.  Nicht 
minder  giebt  er  im  Voraus  (uns)  auch  Anweisung,  wie  der 
Nachtisch  beschaffen  sein  soll.  Denn  er  drückt  sich  folgender- 
massen  aus  und  sagt  wörtlich:  „Gerade  der  Nachtisch  (bella- 
ria)  ist  der  würzhafte,  der  nicht  zu  sehr  mit  Honig  gewürzt 
ist;  denn  Süssigkeiten  vertragen  sich  eben  nicht  besonders 
mit  (dem  Magensaft  und)  der  Verdauung  (7re^fiaotv  enim  cum 
nixpei  societas  infida)."  7.  Damit  aber  nicht  etwa  Einer  in 
LTngewissheit  bleibt  und  über  das  Wort  „bellaria"  (Nachtisch) 
stutzt,  dessen  Varro  sich  in  der  angeführten  Stelle  bedient 


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(182)  XIII.  Buch,  IL  Cap.,  §  7.  —  12.  Cap.,  §  1  —  4. 


hat,  so  versteht  er  unter  dem  Ausdruck  alle  Arten  guter 
Bissen  beim  Dessert.  Denn  was  die  Griechen  Tcinncaa  oder 
TQayfaata  nannten,  das  bezeichneten  unsere  Alten  durch 
bellaria  (Naschwerk,  Leckereien,  Knapperwerk,  Confect).  In 
älteren  Lustspielen  findet  man  diesen  Ausdruck  auch  für  sehr 
süsse  Weine  gebraucht  und  es  wurden  solche  „Liberi  bellaria" 
Ausbruch  (-Weine)  des  Bacchus  genannt. 

XIII,  12,  L.    Dass  den  Volkszunftmeistern  zwar  das  Recht  der  Verhaftung 
zustehe,  aber  nicht  das  der  Vorladung. 

XIII,  12.  Cap.  1.  Wir  lasen  in  einem  Briefe  des  Atejus 
Capito,  dass  Labeo  Antistius  eine  tiefe  Kenntniss  sowohl  der 
Gesetze  und  Sitten  des  römischen  Volkes,  wie  des  bürgerlichen 
Rechtes  besessen  habe;  2.  „allein",  heisst  es  wörtlich  weiter, 
„den  Mann  plagte  eine  übertriebene,  ja  fast  wahnsinnige  Frei- 
heitsliebe, so  dass  er,  als  der  erhabene  Augustus  bereits  Ge- 
bieter war  und  das  Staatsruder  in  der  Hand  hatte,  auf  gar 
nichts  weiter  einen  Werth  legte  und  nichts  für  gültig  hielt, 
als  was  in  seinen  Augen  nach  den  alten  römischen  Gesetzen 
und  Rechtsquellen  für  recht  und  heilig  galt."  3.  Weiterhin 
erzählt  Capito,  was  derselbe  Labeo  durch  den  Staatsboten 
antworten  Hess,  als  er  (einst)  von  den  Zunftmeistern  vor- 
geladen wurde.  4.  Der  Bericht  lautet:  „Als  die  Volkszunft- 
meister von  einer  Frau  zu  Ungunsten  des  Labeo  angehalten 
worden  waren,  (ihn  vor  ihren  Richterstuhl  rufen  zu  lassen) 
und  sie  deshalb  den  (Gerichtsboten)  Gellianus  an  ihn  ab- 
geschickt hatten  (mit  der  Aufforderung),  dass  er  erscheinen 
und  sich  gegen  die  Anklage  der  Frau  vertheidigen  möchte, 
schickte  er  den  Sendboten  zurück  und  Hess  den  Tribunen 
sagen  (und  erklären),  dass  ihnen  das  Recht  nicht  zustehe, 
weder  ihn  noch  irgend  einen  Andern  vorzuladen,  weil  nach 
der  Sitte  der  Vorfahren  den  Volkszunftmeistern  zwar  das 
Recht  des  Ergreifens  (und  der  Verhaftung)  zustehe,  nicht  aber 
das  Recht  der  Vorladung;   sie  könnten  nun  zwar  selbst 

XIII,  11,  7.   Ausonius  sagt: 

Quinque  advocavi;  Sex  enim  convivium 
Cum  rege  justum :  si  super,  convicium  est. 

Convicium  soviel  als  convocium,  ein  verworrenes  Geschrei  vieler  Gäste. 

S.  Macrob.  Sat.  II,  8  bellaria  etc. 


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XUI.  Buch,  12.  Cap.,  §  4-6. 


(183) 


kommen  und  ihn  ergreifen  (und  verhaften)  lassen,  aber  nach 
einem  Abwesenden  schicken,  ihn  (durch  Andere)  bestellen 
und  vorladen  zu  lassen,  hätten  sie  durchaus  kein  Recht." 

5.  Als  ich  diese  Bemerkung  in  dem  Briefe  des  Capito  bereits 
gelesen  hatte,  fand  ich  später  ganz  dasselbe  in  dem  21.  Buche 
des  M.  Varro  „von  den  Gebräuchen  (der  Vorzeit)  in  mensch- 
lichen Dingen"  viel  deutlicher  und  ausführlicher  aufgezeichnet. 

6.  Da  heisst  es:  „Von  den  Staatsbeamten  haben  Einige  das 
Recht  der  Vorladung,  Andere  das  der  Verhaftung,  Andere 
wieder  keins  von  beiden;  zur  Vorladung  sind  berechtigt  die 
Consuln  und  die  Uebrigen,  welche  die  Obergewalt  haben; 
das  Verhaftungsrecht  steht  den  Volkszunftmeistern  zu  und 
allen  Andern,  welche  einen  Staats-  (Gerichts-)  Boten  haben; 
allein  unter  den  Obrigkeiten,  welche  weder  das  Vorladungs- 
recht, noch  das  Verhaftungsrecht  haben,  befinden  sich  die 
Quaestoren  und  alle  Uebrigen,  die  weder  einen  Lictor 
(Criminalboten),  noch  einen  Gerichtsboten  (zu  beanspruchen) 
haben.  Die,  welche  das  Vorladungsrecht  haben,  können 
auch  verhaften,  festhalten  und  abführen  lassen,  und  alle  diese 
Rechte  stehen  ihnen  frei,  mögen  die  Vorzuladenden  schon 
zugegen  sein,  oder  müsste  man  sie  auch  erst  holen  lassen. 
Den  Volkszunftmeistern  steht  durchaus  kein  Vorladungsrecht 
zu;  nichts  desto  weniger  haben  Viele,  in  ihrer  (frechen)  Un- 
wissenheit, in  der  Meinung,  als  seien  sie  dazu  berechtigt,  von 
diesem  Rechte  Gebrauch  gemacht ;  denn  sie  haben  sich  unter- 
fangen, nicht  nur  die  Leute  aus  dem  Privatstande,  sondern 
auch  den  Consul  auf's  Forum  laden  zu  lassen.  Als  ich  (einst) 
einer  der  Dreimänner  war  und  von  dem  Volkszunftmeister 
Porcius  vorgeladen  wurde,  ging  ich  nicht,  indem  ich  mich 
(bei  dieser  Weigerung  zu  erscheinen)  auf  die  Ansicht  unserer 
obersten  und  ersten  Gewährsmänner  stützte  und  mich  (über- 
haupt nur)  an  den  alten  Rechtsgebrauch  hielt.    So  erlaubte 

XIII,  12,  6.  Auch  die  quaestores  urbani  hatten  ihr  eigenes  Dienst- 
personal von  Boten,  Ausrufern  und  Schreibern.  Wenn  Varro  hier  sagt, 
die  Quaestoren  hätten  weder  lictores  noch  viatores,  so  ist  das  so  gemeint, 
dass  sie  dieselben  nicht  zur  vocatio  und  prehensio  gebrauchen  durften. 
Inschr.  Orelli  8245  kommt  ein  tabularius  viatorum  quaest,  vor. 

Xin,  12,  6.  Die  höchsten  Ehrenstellen  (tergemini  honores)  sind: 
Aedilität,  Praetur  und  Consulat;  die  drei  grossen  Priester-Collegien  dagegen: 
Pontifices,  Augures  und  Decemviri  sacris  faciundis. 


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(184)  XITI.  Buch,  12.  Cap.,  §6  —  9. 

auch  ich ,  wie  ich  Volkszunftmeister  war,  mir  nie,  Jemanden 
vorladen  zu  lassen,  noch,  wenn  Einer  von  meinem  Amts- 
collegen  vorgeladen  worden  war,  dass  der  Vorgeladene  gegen  • 
seinen  Willen  Folge  zu  leisten  brauchte."  7.  Ich  bin  der 
Ansicht,  dass  Labeo  sich  im  irrigen  Glauben  befand,  sich  auf 
das  vom  Varro  überlieferte  Gesetz  zu  berufen  und,  obgleich 
er  kein  (Ehren-)  Amt  bekleidete  (cum  privatus  esset),  der 
Vorladung  der  (Volks-)  Zunftmeister  nicht  Folge  geleistet  zu 
haben.  8.  Denn  wie  zum  Henker  war  wohl  (der  Grundsatz) 
zu  rechtfertigen,  der  Vorladung  Derer  nicht  gehorchen  zu 
wollen,  denen  man  doch  offen  zugesteht,  das  Recht  der  Ver- 
haftung zu  haben?  Denn  wer  gesetzlich  verhaftet  werden 
kann,  der  kann  sicher  (doch  wohl)  auch  ins  Gefängniss  ab- 
geführt werden  (denn  was  sollte  eine  Verhaftung  sonst  wohl 
zum  Zweck  haben,  als  eben  Gefängnissstrafe?).  9.  Wenn  wir 
uns  nun  fragen,  weshalb  die  Zunftmeister,  da  sie  doch  die 
höchste  (executive)  Gewalt  des  Einspruchs  hatten,  nicht  auch 
das  Recht  der  Vorladung  gehabt  haben  sollten,  [. . .  so  müssen 
wir  uns  ganz  einfach  antworten,  dass  dies  daher  kam,  .  .  .] 
weil  die  Volkszunftmeister  vor  alten  Zeiten  nur  zu  dem 
Zwecke  scheinen  gewühlt  worden  zu  sein,  nicht  um  Recht  zu 
sprechen,  auch  nicht  um  Rechtsfälle  und  Streitfragen  (selbst) 
über  Abwesende  zu  untersuchen,  sondern  um  Einsprache  zu 
erheben,  damit  in  Gegenwart  des  Einen  oder  Andern  (von 
ihnen)  Unrecht  verhütet  werden  sollte:  und  deshalb  wurde 
ihnen  auch  das  Recht  auswärts  zu  übernachten  entzogen,  weil 
ihre  Gegenwart  und  ihr  beständig  (wachsames)  Auge  nöthig 
erachtet  wurde,  damit  die  Ausübung  von  Gewaltthätigkeiten 
verhütet  werden  sollte.   (Vergl.  Gell.  III,  2  11.) 

XIII,  12,  9.  Ueber  die  verfassungsmässige  Stellung  der  Tribunen 
finden  sich  bei  alten  Schriftstellern  scheinbar  widersprechende  Aeusserungen. 
Hier  z.  ß.  wird  gesagt,  sie  hätten  keinen  Theil  an  der  Rechtspflege.  Da- 
gegen werden  sie  in  unzweideutigen  andern  Stellen  mitten  unter  den 
richterlichen  Obrigkeiten  aufgezählt  und  selbst  als  Recht  sprechend  er- 
wähnt. Auct.  ad  Herenniura  II,  13;  L.  2  §  34  de  orig.  jur.  (1.  2.).  Es 
wird  besonders  bemerkt  ,  dass  sie  stets  in  der  Lage  seien,  in  den  Civil- 
process  eingreifen  zu  können,  und  dass  es  deshalb  nicht  für  schicklich 
erachtet  werden  könne,  wenn  sie  während  ihrer  Amtsführung  für  Andere 
als  Sachwalter  auftreten  wollten.  Plin.  ep.  I,  23.  Siehe  Savigny  röm.  Rt 
Bd.  6,  p.  491. 


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XIII.  Buch,  13.  Cap.,  §  1.  (185) 

Xlir,  13,  L.  Schriftliche  Aeusserung,  die  sich  in  des  M.  Varro  Büchern 
„von  den  Gebräuchen  (der  Vorzeit)  in  menschlichen  Dingen"  findet,  über 
die  Frage,  ob  Aedilen  (Stadtaufseher)  und  Quaestoren  (Schatzmeister)  des 
römischen  Volkes  von  einem  Privatmanne  vor  den  Gerichtshof  dos  Praetors 

geladen  werden  können. 

XIII,  13.  Cap.  1.  Ich  erinnere  mich,  dass,  als  ich  aus 
der  Einsamkeit  und  dem  Zwange  der  Bücher  und  Lehrer 
mitten  ins  practische  Leben  und  ans  Licht  der  Oeffentlichkeit 
getreten  war,  (einst)  an  vielen  Versammlungsorten  (sta- 
tiones)  der  öffentlichen  Rechtslehrer  und  Rechtsausleger  die 
Frage  aufgestellt  wurde,  ob  ein  Quaestor  (Schatzmeister)  des 
römischen  Volkes  wohl  vom  Praetor  vor  Gericht  könne  ge- 

XIII,  13,  L.  Die  höheren  Beamteten  des  römischen  Volkes, 
Consuln,  Praetoren  und  Censoren,  durften  während  ihrer  Amtsführung 
nicht  vor  Gericht  geladen  werden.  Die  höheren  Beamteten  (magistratus 
majores)  hatten  das  Recht  Auspicien  zu  halten  und  durch  vorgegebene 
Erscheinungen  am  Himmel  die  Comitien  zu  hintertreiben  und  aufzuheben. 
Die  niederen  Beamteten  (magistratus  minores),  die  Volkstribunen, 
Aedilen  und  Quaestoren,  durften  die  Auspicien  nicht  beobachten  und 
konnten  daher  auch  die  Comitien  nicht  unterbrechen,  ausgenommen  die 
Tribunen  durch  ihren  Einspruch  (durch  ihr  Veto). 

XIII,  13,  1.  S.  Teuffels  röm.  L.  G.  356,  1  —  Stationes  (öffentliche 
Locale)  gab  es  in  Rom  mehrere,  wo  tüchtige  Juristen  zu  finden  waren, 
welche  Unterricht  ertheilten  und  Rechtsfragen  beantworteten.  Colum.  r.  r.  I 
praef.  5  sind  Rhetorenschulen  erwähnt.  Vergl.  Hertz:  Renaissance  und 
Rococo  p.  35.   Berlin  1865. 

XIII,  13,  1.  Nach  Vertreibung  der  Könige  (244  d.  St.;  wurden  zwei 
oberste  Magistrate  unter  Abwechslung  der  Amtsführung  zur  gegenseitigen 
Einschränkung  ihrer  gleichen  Gewalt  gewählt,  welche  in  älteren  Zeiten 
praetores  (von  Anführung  des  Heeres,  praeire  s.  Festus),  hernach  impera- 
tores  (s.  Sallust.  Catil.  6,  7)  hiessen,  und  erst  seit  Abdankung  der  Decem- 
virn  (305)  kam  der  Name  Consules  auf  (entweder  weil  sie  dem  Staate 
heilsame  Rathschläge  ertheilten:  consulere  reipublicae,  oder  weil  sie  den 
Senat  zu  Rathe  zogen,  consulere  senatum).  Als  (387)  die  Patricier  sich 
zur  Theilnahme  der  Plebejer  am  Consulate  genöthigt  sahen,  wurde  von 
den  seit  Aufhebung  der  Königsgewalt  auf  die  neuen  Machtinhaber  über- 
gegangenen drei  Functionen,  dem  praesidium  im  Senat  (consulere),  der 
Anfuhrung  des  Heeres  (praeire)  und  der  Aufsicht  über  die  Rechtspflege 
(judices),  diese  letztere,  d.  h.  die  des  Richteramts,  getrennt  und  als  eigene 
Magistratur  nur  den  Patriciern  vorbehalten,  weshalb  man  sie  nicht  judices 
nannte,  sondern  zur  Bezeichnung  der  altpatricischen  Würde  den  für  die 
Consuln  von  Alters  her  bis  zur  Vollendung  des  Zwölf- Tafelgesetzes  ge- 
bräuchlichen Namen:  Praetores  wählte.   S.  Liv.  6,  42.   Zufrieden  mit 


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(186) 


XHI.  Buch,  13.  Cap.,  §2  —  6. 


laden  werden.  2.  Diese  aufgestellte  Frage  sollte  aber  nicht 
etwa  aus  Mangel  an  wichtigeren  Gegenständen  besprochen 
werden,  sondern  es  war  gerade  der  Fall  eingetreten,  und  die 
Notwendigkeit  der  Umstände  erheischte  es  so,  dass  man 
einen  Quaestor  vor  Gericht  laden  musste.  3.  Sehr  Viele 
waren  nun  der  Ansicht,  dem  Praetor  stehe  das  Recht  der 
Vorladung  hinsichtlich  eines  Quaestors  nicht  zu,  da  der  Letz- 
tere ja  zweifelsohne  eine  obrigkeitliche  Person  des  römischen 
Volkes  sei,  die  als  solche  weder  vorgeladen,  noch,  wenn  ihr 
nicht  zu  erscheinen  beliebte,  ergriffen  und  verhaftet  werden 
könne,  unbeschadet  der  Hochachtung  vor  seinem  Ehrenamte. 
4.  Ich  las  damals  gerade  sehr  häufig  in  den  Schriften  des 
M.  VaiTO,  und  als  ich  nun  merkte,  dass  man  bei  Entscheidung 
dieser  Frage  noch  schwankte,  verwies  ich  auf  das  21.  Buch 
„von  den  Gebräuchen  in  menschlichen  Dingen*,  worin  folgende 
Stelle  vorkommt:  „Diejenigen  Staatsdiener,  denen  insbesondere 
weder  das  Recht  der  Vorladung,  noch  der  Verhaftung  zusteht, 
diese  dürfen  auch  von  einem  (einfachen)  Privatmann  vor  Ge- 
richt gefordert  werden.  So  wurde  (einst)  der  curulische  Aedil 
M.  Laevinus  von  einem  Privatmanne  vor  den  Richterstuhl 
des  Praetors  gefordert;  jetzt  aber  möchte  ich  Niemandem 
rathen,  einen  der  Aedilen  verhaften  zu  lassen,  die  nicht  allein 
von  Staatssklaven  umringt  sind,  sondern  sogar  durch  diese 
auch  noch  das  (im  Wege  stehende)  Volk  bei  Seite  schaffen 
lassen  (als  wenn  die  hohe  Standesperson  eines  Staatsbeamteten 
ankäme)."  5.  Diese  Bemerkung  macht  Varro  in  seinem  Werke 
bei  dem  Abschnitt  über  die  Aedilen;  in  demselben  Buche 
bemerkt  er  aber  auch  vorher  noch,  dass  die  Quaestoren 
weder  das  Recht  der  Vorladung,  noch  der  Verhaftung  haben. 
6.  Nach  Vortrag  dieser  beiden  Stellen  aus  dem  (berühmten) 
Werke  pflichteten  alle  dem  Gutachten  des  Varro  bei,  und  so 
wurde  denn  der  Quaestor  auch  wirklich  vor  den  Richterstuhl 
des  Praetors  geladen. 


dem  erhaltenen  Sieg,  bewilligten  die  Plebejer  gern,  dass  den  Patriciern 
das  Praetoramt  in  den  comitiis  centuriatis  und  unter  gleichen  Formalitäten, 
wie  bei  den  Consulwahlen,  zugeeignet  wurde.  Daher  wird  der  Praetor  oft 
der  College  des  Consuls  genannt  (s.  Gell.  XIII,  15,  6)  und  verrichtete 
während  ihrer  Abwesenheit,  z.  B.  bei  Kriegführung,  auch  alle  ihre  Amts- 
geschäfte. 


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XHI.  Buch,  14.  Cap.,  §  1  —  4.  (187) 


XIII,  14,  L.    Was  man  nnter  dem  Ausdruck  „pomoerium  (pone  i.  e.  post 
murium,  d.  h.  hinter  dem  Maueranger)"  verstehe. 

XIII,  14.  Cap.  1.  Den  Begriff  des  Wortes  „pomoerium" 
erklärten  die  Auguren  des  römischen  Volkes,  welche  üher  die 
Auspicien  Bücher  geschrieben,  folgenderraassen :  pomoerium 
bedeutet  den  (freigelassenen,  geweihten)  Raum,  der  innerhalb 
des  (durch  die  Auguren)  bestimmten  Ackergebietes  längs,  des 
Umkreises  der  ganzen  Stadt  hin  ausserhalb  der  Mauern, 
(durch  Marksteine)  in  bestimmten  Bezirkslinien  abgegrenzt 
ist  und  (zugleich)  die  Abgrenzung  der  städtischen  Auspicien 
bildet.  2.  Das  (erste  und)  älteste  „pomoerium",  welches  vom 
Romulus  bestimmt  worden  war,  hatte  am  Fusse  des  pala- 
tinischen  Berges  seine  Abmarkung,  wurde  jedoch  nach  Ver- 
hftltniss  der  Vergrösserung  des  Staates  (d.  h.  der  Stadt)  öfters 
weiter  hinaus  gerückt  und  umfasste  (dann)  die  vielen  empor- 
ragenden Hügel.  3.  Wer  aber  das  römische  Volk  um  ein 
von  Feinden  erobertes  Landesgebiet  bereicherte,  hatte  das 
Recht,  das  pomoerium  weiter  hinaus  zu  verlegen.  4.  Des- 
wegen hat  man  die  Frage  aufgeworfen,  und  beschäftigt  sich 
auch  heute  noch  mit  deren  Erörterung,  warum  von  den  sieben 
Hügeln  der  Stadt,  da  doch  die  übrigen  sechs  innerhalb  von 
dem  pomoerium,  d.  h.  innerhalb  dieses  geweihten,  freigelasse- 
nen Raumes  sich  befinden,  nur  der  aventinische  Berg,  welcher 
Stadttheil  doch  eben  so  nahe  liegt  und  nicht  weniger  be- 
völkert ist,  ausserhalb  (dieses  geweihten  Bezirkes)  vor  dem 
pomoerium  liegt;  und  weswegen  später  weder  der  König 
Servius  Tullius,  noch  Sulla,  der  (eifrig)  nach  einem  Vor  wand 
suchte,  das  pomoerium  zu  erweitern,  und  endlich  später  nicht 
einmal  der  erhabene  Julius  (Caesar),  obgleich  er  das  pomoe- 


XIII,  14,  1.   Libri  augurum  s.  Teuffels  röm.  Lit  Gesch.  §  75,  1. 

XIII,  14,  1.  S.  Festus  S.  249,  b;  Varro  1.  1.  V,  143  pomoerium; 
Liv.  I,  44,  4.  5;  Serv.  ad  Verg.  Aen.  I,  466;  II,  692;  m,  463;  VI,  197; 
cfr.  Liv.  10,  37. 

XIII,  14,  2.   S.  Tac.  Annal.  12,  24,  4;  Vopisc.  Aurelian.  21. 

XIII,  14,  4.  Erweiterung  der  Stadtgrenzen  durch  Ancus  Marciiis  s. 
Liv.  I,  44,  3;  Tac.  Annal.  12,  23,  4.  Auch  Caesar  beabsichtigte  als  Mehrer 
des  Reichs  gleich  Sulla  das  pomoerium  zu  erweitern.  S.  Cassius  Dio  43,  50; 
44,  49;  Zon.  10,  12;  cfr.  Tac.  Annal.  12,  23. 


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(188)  XIII.  Buch,  14.  Cap.,  §  4—7.  -  15.  Cap.,  §  l. 


rium  erweiterte,  dieses  Stadtviertel  sammt  dem  Berge  nicht 
in  die  durch  die  Auguren  bestimmten,  geweihten  Grenzen 
einschlössen.  5.  Messala  schreibt,  es  möchten  wohl  ver- 
schiedene Gründe  wegen  der  Ausschliessung  (dieses  Berges) 
obgewaltet  haben,  allein  vor  allen  übrigen  erkennt  er  selbst 
(nach  seiner  Meinung)  den  einzigen  als  annehmbar,  (diese 
Ausschliessung  möchte  wohl  deshalb  beliebt  worden  sein,  weil 
die  Sage  ging)  dass  auf  diesem  (aventinischen)  Berge  (einst) 
Rem us  wegen  Erbauung  der  Stadt  seine  Auspicien  angestellt, 
dabei  aber  schlimme  Vögel  zur  Vorbedeutung  gehabt  habe, 
also  von  (seinem  Bruder)  Romulus,  der  bei  seinen  Auspicien 
glückbringende  Vögel  gesehen  hatte,  übertrotfen  worden  sei. 
6.  „Deshalb  schlössen",  so  fährt  Messala  wörtlich  fort,  „auch 
Alle,  die  später  das  pomoerium  erweiterten,  diesen  Berg, 
gleichsam  als  einen  durch  unheilvolle  Vögel  Unglück  ver- 
heissenden,  (immer  wieder)  aus."  7.  Allein  ich  glaube  hier 
eine  Bemerkung  in  Betreff  des  aventinischen  Berges  nicht 
(mit  Stillschweigen)  übergehen  zu  dürfen,  die  ich  vor  nicht 
langer  Zeit  in  der  Denkschrift  des  alten  Grammatikers*) 
E 1  y  s  vorfand,  worin  geschrieben  stand :  dass  der  aventinische 
Berg,  der  früher,  wie  von  mir  bemerkt  wurde,  stets  ausser- 
halb von  dem  pomoerium  ausgeschlossen  war,  später  auf  Ver- 
anlassung des  erhabenen  Claudius  aufgenommen  und  innerhalb 
dieses  Maueranger-Bezirks  eingehütet  (observatum)  worden  sei. . 

XIII,  15,  L.    Eine  Stelle  aus  den  Werken  des  Augurs  Messala,  worin  wir 
Belehrung  finden ,  was  unter  den  „minores  magistratus"  zu  verstehen  sei ; 
ferner,  dass  der  Consul  und  Praetor  als  gegenseitige  Amtsgenossen  zu 
betrachten  seien;  dann  noch  andere  Einzelheiten  über  Auspicien. 

XIII,  15.  Cap.  1.  In  dem  Edict  der  Consuln,  worin  die 
Bestimmung  getroffen  ist,  an  welchem  Tage  die  Centuriat- 

XIII,  14,  5.   Ueber  M.  Valerius  Messala  s.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch. 
196,  11. 

XIII,  14,  5.  S.  Seneca  de  brev.  vit.  14,  3;  Festus  s.  v.  remurinus 
S.  277  t>  und  S.  402  t>;  Liv.  I,  7,  1;  Flor.  I,  1,  6;  Plut  Romul.  13;  Aurel. 
Vict.  Orig.  Gent.  R.  23,  2. 

XIII,  14,  7.   S.  Tac.  Annal.  12,  23,  3;  Dionys.  4,  13. 

XIII,  14,  7.  *)  Des  alten  Grammatikers  Heraclides  (Ponticus  des 
Jüngeren,  dessen  Lehrer  Didymus  war).  (Hertz.)  Mercklin  will  mit  Rück- 
sicht auf  die  vulgäre  Lesart  Eiidis,  weil  dies  am  nächsten  liegt,  Felicis 


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XIII.  Buch,  15.  Cap.,  §  1—4. 


(189) 


comitien  stattfinden  sollen,  heisst  es  nach  alter,  allgemein 
gültiger  Ausdrucksweise  wörtlich  so:  „Eine  untergeordnete 
obrigkeitliche  Person  soll  sich  nicht  unterfangen  dürfen  (an 
solchen  Tagen,  wo  das  Volk  Entscheidung  zu  fassen  hat),  den 
Himmel  zu  beobachtend  2.  Nun  wirft  man  gewöhnlich  die 
Frage  auf,  was  unter  den  „magistratus  minores"  zu  verstehen 
sei.  3.  Ich  kann  mir  in  dieser  Beziehung  meine  eigene  Aus- 
legung der  Worte  ersparen,  weil  ich  gerade  zufälliger  Weise 
das  erste  Buch  des  Augurs  M.  Messala  „über  die  Auspicien" 
zur  Hand  habe.  4.  Ich  schreibe  daher  auch  gleich  des 
Messala  eigene  Worte  aus  dem  betreffenden  Buche  hierher: 
„Die  Auspicien  der  Patricier  (und  höheren  Magistrate)  zer- 
fallen in  zwei  Abtheilungen  (Classen).  Die  höheren  Auspicien 
sind  ein  Vorrecht  der  Consuln,  Praetoren  und  Censoren,  je- 
doch waren  sie  alle  (drei)  von  einander  verschieden,  so  wie 
auch  nicht  von  gleicher  Bedeutung,  deshalb,  weil  die  Censoren 
nicht  Amtsgenossen  von  gleichem  Range  sind  mit  den  Consuln 
oder  Praetoren,  wohl  aber  die  Praetoren  mit  den  Consuln. 
Deshalb  können  weder  die  Consuln  oder  Praetoren  den  Cen- 
soren, noch  die  Censoren  den  Consuln  oder  den  Praetoren 
die  (Abhaltung  von)  Auspicien  stören  oder  aufhalten.  Allein 
den  Censoren  unter  einander,  ferner  den  Praetoren  und  Con- 


schreiben  und  darunter  Laelius  Felix  verstehen,  aus  dessen  liber  ad  Q. 
Mucium  primus  Bestimmungen  über  das  pomerium  erwähnt  sind.  S.  Gell. 
XV,  27,  4  (M.  p.  691  NB  10). 

XIII,  15,  1.  Ne  quis  magistratus  minor  de  coelo  servasse  velit. 
Ueber  die  auf  der  Beobachtung  nach  einem  Blitze  beruhende  mögliche 
obnuntiatio  (Meldung  über  Vorbedeutung)  von  Seiten  eines  Magistratus 
s.  Lange  röm.  Alterth.  §  121  S.  (413)  446. 

XIII,  15,  4.  Dem  Consul,  Praetor  und  Censor  stand  das  Recht  der 
grossen  Auspicien  zu;  den  weniger  hohen  Aemtern  nur  das  der  kleinen. 
Die  Ausübung  der  grossen  Auspicien  war  für  die  Rechte  der  Aristokratie 
am  wichtigsten.  Nach  Cicero  (de  leg.  II,  12)  scheint  man  unter  den 
grossen  Auspicien  die  verstanden  zu  haben,  für  welche  die  Betheiligung 
der  Auguren  unentbehrlich  war,  dagegen  die  kleinen  wohl  auch  ohne  sie 
vorgenommen  werden  konnten.  Cassiuö  Dio  38,  13:  Unter  den  Auspicien 
waren  die  am  Himmel  die  wichtigsten ,  durften  aber  nur  einmal  für  den 
ganzen  Tag  stattfinden.  —  Oft  beabsichtigte  man  durch  Meldung  von 
Beobachtungen  am  Himmel  nichts  Anderes,  als  das  Durchsetzen  neuer  Ge- 
setzesvorschläge,  oder  die  Wahlen  zu  obrigkeitlichen  Aemtern  zu  hinter- 
treiben. Vergl.  Gell.  XIII,  13,  L.  NB. 


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(190)  XIII.  Buch,  15.  Cap.,  §  4. 


suln  unter  einander  steht  das  Recht  zu,  (die  Auspicien)  zu 
verderben  und  zu  hindern.  Ein  Praetor  (jedoch),  obgleich 
er  Amtsgenosse  des  Consuls  ist,  kann  doch  dem  Rechte  ge- 
mäss weder  einen  Praetor,  noch  einen  Consul*)  wählen,  wie 
wir  dies  ja  von  unseren  Vorfahren  wissen  und  wie  es  (wenig- 
stens) auch  bis  auf  den  heutigen  Tag  gehalten  worden  ist, 
und  wie  aus  des  C.  (Sempronius)  Tuditanus  13.  Buche  seines 
Geschichts werkes  erhellt,  weil  dem  Praetor  eine  geringere 
Amtsgewalt  zusteht,  eine  grössere  dem  Consul,  und  also  von 
einer  geringeren  Staatsgewalt  eine  grössere  oder  ein  höher- 
stehender Amtsgenosse  nicht  als  rechtmässig  erwählt  werden 
kann.  Ich**)  für  meine  Person  habe  letzthin  (in  der  Eigen- 
schaft eines  Praetors),  als  dem  Praetor  (in  den  Comitien)  die 
Amtswahl  der  Praetoren  zufiel,  mich  dem  alten,  ehrwürdigen 
Gebrauche  gefügt  und  wohnte  der  Vogelschau  (den  Auspicien) 
für  diese  Comitien  nicht  (in  meiner  sonstigen  Aratswaltung 
als  bestallter  Augur)  bei.  Ebenso  werden  die  Censoren  nicht 
unter  denselben  Auspicien  gewählt,  wie  die  Consuln  und 


XIII,  15,  4.  *)  Die  Consuln  hielten  die  Comitien  zur  Wahl  der 
Consuln,  Praetoren  und  Censoren  Liv.  7,  22;  Cic.  Att  4.  2.  Die  Praetoren 
konnten  keine  Comitien  zur  Wahl  ihrer  Nachfolger  halten.    Cic.  Att  9,  9. 

XIII,  15,  4.  •*)  Lange  röm.  Alterth.  §  50,  p.  (254)  293:  In  Beziehung 
auf  die  Auspicien  seihst  hing  es  für  jeden  einzigen  Fall  immer  von  den 
Magistraten  ah,  die  Function  der  Aügurn  durch  ihren  Befehl  hervorzurufen. 
Nicht  sie,  sondern  die  Magistrate  haben  die  auspicia;  von  den  Augurn 
heisst  es  hier:  neque  his  comitiis  in  auspieiis  fuimus  (vergl.  Cic.  de  rep. 
2,  9;  de  leg.  3,  19;  ad  Attic  2,  12)  oder  in  auspicium  adhibentur.  S. 
Cic.  de  Div.  2,  34.  —  Lange  röm.  Alterth.  §  120  S.  (415)  449  sagt:  Ein 
eclatantes  Beispiel  der  heillosesten  Verwirrung  auguraler  Rechtsbegriffe 
und  einer  schnöden  Missachtung  gegen  berechtigte  legale  Obnunciatio 
findet  sich  in  dem  Benehmen  des  Consuls  M.  Antonius,  der  zugleich  Augur 
war,  bei  der  Wahl  des  P.  Cornelius  Dolabella.  S.  Cic  Phil.  2,  32.  33.  — 
Ueber  die  Bedeutung  von  creare  an  dieser  Stelle  vergl.  Gell.  XII,  8,  6  NB 
(praetore  praetores  creante).  —  Gegen  das  Staatsrecht  glaubte  Caesar  unter 
dem  Vorsitz  eines  Praetors  Praetoren,  Consuln  und  Proconsuln  wählen  lassen 
zu  können,  was  Zeugniss  von  den  staatsrechtlichen  Begriffen  in  dieser  Zeit 
giebt.  S.  Lange  röm.  Alterth.  I.  Bd.  §  83  S.  (570)  666  und  Iü.  Bd. 
§  162  S.  465.  Der  Augur  Messala  sollte  nämlich  in  diesem  Falle  bei  den 
Auspicien  auch  als  Augur  zugegen  sein  und  seinem  Augurdienste  obwalten, 
was  er  für  ungesetzlich  hielt  und  deshalb  fern  blieb.  S.  Teuffels  Gesch. 
der  röm.  Lit.  §  143,  1  und  Gell.  VII  (VI),  4,  1  NB. 


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Xni.  Buch,  15.  Cap.,  §  4-7.—  16.  (15.)  Cap.,  §  1.  (191) 

Praetoren.  Bei  den  übrigen  Beamteten  gelten  die  geringeren 
Auspicien,  daher  rührte  auch  der  Name:  niedere  und  höhere 
Staatsbehörden  (minores  und  majores  magistratus).  Den  nie- 
deren Staatsbeamteten  wird  durch  dieTributcomitien ***) 
ihre  (Behörden-)  Würde  zuertheilt,  oder  richtiger  und  recht- 
mässiger durch  den  Beschluss  der  Curiat-Comitien; 
die  höheren  Staatsbeamten  aber  werden  durch  die  Cen- 
turiat-Comitien  gewählt  (und  eingesetzt). "  5.  Aus  dieser 
ganzen  Stelle  des  Messala  wird  deutlich,  was  man  unter 
magistratus  minores  (geringere  Staatsgewalten)  zu  verstehen 
hat  und  warum  sie  „geringere"  genannt  werden.  6.  Er  be- 
lehrt uns  aber  auch  noch  darüber,  dass  der  Praetor  (urbanus) 
Amtscollege  des  Consuls  ist,  weil  Beide  unter  Vornahme  der- 
selben ^.uspicien  gewählt  werden.  7.  Von  ihnen  sagt  man, 
dass  ihnen  das  Recht  zustehe,  höhere  Auspicien  zu  veran- 
stalten, weil  man  meinte,  dass  ihre  Auspicien  mehr  galten 
und  in  grösserem  Ansehen  standen,  als  die  der  andern  (Be- 
amteten). 

XIII,  16,  L.  (XIII,  15.  L.).  Desgleichen  wörtliche  Erklärung  desselben 
Messala  über  den  Unterschied  zwischeu  den  Redensarten:  „ad  populum 
loqui"  (zum  Volke  reden)  und  „cum  populo  agere"  (mit  dem  Volke  ver- 
handeln); endlich  von  den  obrigkeitlichen  Behörden,  denen  man  (die  zu 
haltenden  Comitien  und  Volksversammlungen  dadurch  hindert,  dass  man) 
das  versammelte  Volk  (zu  einer  andern  Volksversammlung)  abberuft. 

XIII,  16.  Cap.  1.  (XIII,  15,  8)  Ferner  schreibt  derselbe 
Messala  in  demselben  Werke  über  die  niederen  Staatsbe- 


XIII,  15,  4.  ***)  Es  gab  dreierlei  Comitien,  s.  Gell.  XV,  27,  4  NB: 
1)  Curiat-Comitien,  welche  gewissennassen  die  Wahl  der  Consuln  bestätigten, 
indem  sie  den  von  den  Centurien  erwählten  Beamteten  das  imperium  er- 
theilte,  und  in  denen  über  Alles  verhandelt  wurde,  was  militärische  Dinge 
betraf;  2)  Centuriat-Comitien,  unter  dem  Vorsitz  von  Consuln,  zur  Wahl 
der  Consuln  und  Kriegstribunen  und  der  plebejischen  Beamteten.  VergL 
Liv.  5,  52.  Beide  zusammen,  fast  von  denselben  Bürgern  gebildet,  konnten 
die  Gesetze  ebensogut  genehmigen,  wie  verwerfen;  3)  Tribut-Comitien  unter 
dem  Vorsitz  der  Tribunen. 

XIII,  15,  6.  Praetor,  Amtsgenosse  des  Consuls,  siehe  Plin.  paneg. 
77,  4;  Cic.  ep.  ad  fam.  X,  12;  Liv.  24,  9;  Dio  Cass.  58  p.  622;  cfr.  Cic. 
adv.  Rull.  II,  13. 

XIII,  15,  7.  Die  auspicia  majora  standen  nur  den  Consuln,  Dictatoren, 
Interreges,  Praetoren  und  Censoren  zu,  die  auspicia  minora  durften  auch 


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(192) 


XIII.  Buch,  16.  (15.)  Cap.,  §  1—8. 


hörden  also:  „Der  Consul  kann  die  von  allen  andern  obrig- 
keitlichen Behörden  ent  weder  zu  den  Comitien  oder  zu  andern 
Versammlungen  zusammengerufene  Menge  abberufen.  Auch 
der  Praetor  darf  das  entweder  zu  den  Comitien  oder  zu  jeder 
andern  Versammlung  herbeigekommene  Volk  zu  jeder  Zeit 
abberufen,  nur  aber  nicht  beim  Consul.  Die  niederen  Be- 
hörden dürfen  sich  das  niemals  unterstehen,  die  Menge  aus 
den  Comitien  oder  sonstigen  Versammlungen  abzuberufen. 
Bei  ihnen  gilt  die  Regel,  wer  von  ihnen  zuerst  das  Volk  zur 
Versammlung  beruft,  der  hat  das  Vorrecht,  weil  es  nicht  ge- 
stattet ist,  zweifach  mit  dem  Volke  zu  verhandeln.  Auch 
dürfe  die  eine  Partei  von  der  andern  die  Versammlung  nicht 
abberufen,  selbst  wenn  man  bei  der  einen  Partei  die  Absicht 
herausfühlen  sollte,  dass  sie  nur  zu  dem  Zwecke  zum  Volke 
spreche,  damit  die  andere  Partei  nicht  mit  dem  Volke  ver- 
handeln könne  (cum  populo  agant,  z.  B.  wegen  Meinungs- 
austausch in  Betreff  von  Wahlen  und  Gesetzes  vorschlagen), 
obgleich  mehrere  Beamtete  (in  einer  und  derselben  Ver- 
sammlung) das  Wort  an  die  Versammlung  richten  können 
(contionem  habere  possunt)."  2.  (9.)  Aus  besagten  Worten 
des  Messala  wird  es  deutlich,  dass  etwas  Anderes  zu  verstehen 
sei  unter  der  Redensart:  „cum  populo  agere"  (d.  h.  sich  mit 
dem  Volke  in  Unterhandlung  einlassen)  und  etwas  Anderes 
unter:  „contionem  habere"  (zum  Volke  sprechen).  3.  (10.)  Denn 
„cum  populo  agere"  heisst:  das  Volk  um  Etwas  befragen  (ihm 
einen  Antrag,  ein  Gesetz  unterbreiten),  was  es  durch  seine 
Abstimmung  entweder  annimmt,  oder  durch  seinen  Einspruch 
verwirft;  aber  „contionem"  habere  heisst:  das  Wort  ergreifen 
und  zum  Volke  sprechen  ohne  jeden  weiteren  Antrag. 


die  Aediles  curules,  die  Quaestoren,  der  Pontifex  maximus  als  Erbe  der 
geistlichen  Königsgewalt  anstellen.  (Varro  bei  Nonius  92;  Gell.  III,  2, 10; 
Cic.  de  Div.  II,  36,  76;  Plut.  Marc.  5;  Dio  Cass.  38,  13;  54,  24;  Paulus 
248,  15;  Liv.  4,  7,  3.) 

XIII,  16  (15),  1.  Contio  (=  concilium),  d.  h.  schlechthin  Zusammenkunft, 
vergl.  Gell.  XV,  27,  4  NB  concilium. 

XIII,  16  (15),  3.  Lange  röm.  Alterth.  §  134  S.  (606)  667:  Eine  Ab- 
stimmung der  versammelten  Menge  war  in  den  Contionen  principiell  aus- 
geschlossen; denn  der  Magistrat  sollte  und  konnte  in  ihnen  nur  verba 
facere  ad  populum  sine  ulla  rogatione. 


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.  Buch,  17.  (16.)  Cap.,  §  1-3.  (193) 


XIII,  1?  (16),  L.    Dass  das  Wort  „humanitas"  eigentlich  nicht  das  bedeute, 
was  der  grosse  Haufe  im  Allgemeinen  darunter  versteht;  dass  aber  die, 
welche  sich  sprachrein  ausdrücken,   dies  Wort  in  seiner  eigentlichen 

Bedeutung  angewendet  haben. 

XIII,  17.  (16.)  Cap.  1.  Alle,  die  lateinisch  sprachen  und 
sich  einer  richtigen  Ausdrucksweise  %  befleissigten ,  wollten 
(ursprünglich)  dem  Worte  „humanitas"  (durchaus)  nicht  die 
Bedeutung  beigelegt  wissen,  in  welcher  es  jetzt  der  grosse 
Haufe  auffasst  und  wofür  von  den  Griechen  das  Wort  yil- 
avitgiortia  (Menschenfreundlichkeit)  gebraucht  wird,  also  in 
der  Bedeutung  von  einer  gewissen  Zuvorkommenheit  und 
Gewogenheit  gegen  alle  Menschen  ohne  Unterschied  (der 
Person),  sondern  sie  verstanden  unter  humanitas  ohngefähr 
das,  was  die  Griechen  durch  naiöeLa  (Erziehung)  ausdrücken, 
wir  also  Unterrichtung  (Anweisung)  und  Einführung  in  Kunst 
und  Wissenschaft  nennen.  Nur  Solche  also,  die  aufrichtig 
(und  mit  höchstem  Eifer)  nach  solcher  geistiger  Bildung 
trachten  und  streben,  verdienen  gerade  so  recht  eigentlich 
„humanissimi"  genannt  zu  werden.  Denn  die  Liebe  und 
Sorgfalt  für  geistige  Ausbildung  und  Veredelung  (seines 
Selbst)  ist  unter  allen  lebenden  Wesen  nur  dem  Menschen 
verliehen,  daher  man  diesen  nur  allein  dem  Menschen  (uni 
homini)  angebornen  Vorzug  und  diese  geistige  Eigentümlich- 
keit mit  dem  Worte  „humanitas"  bezeichnet  hat.  2.  Dass  die 
alten  Schriftsteller  und  vorzüglich  M.  Varro  und  M.  Tullius 
(Cicero)  dieses  WTortes  in  dem  Sinne  sich  bedient  haben, 
wird  uns  fast  aus  allen  ihren  Werken  hinlänglich  deutlich. 
Deshalb  hielt  ich  für  hinreichend,  dafür  einstweilen  nur  ein 
einziges  leuchtendes  Beispiel  anzuführen.    3.  Dazu  habe  ich 


XIII,  17  (16),  1.  Humanitas  bezeichnet  alle  dem  Menschen  von  Natur 
zukommenden,  guten  Eigenschaften  und  zwar  1)  das  menschliche  Gefühl 
überhaupt,  Leutseligkeit,  Höflichkeit,  Gefälligkeit,  Wohlwollen,  Menschen- 
freundlichkeit u.  s.  w.,  dann  2)  die  dem  Menschen  durch  Unterricht  zum 
Eigenthum  gewordene  Beschaffenheit  seiner  Geistesbildung  und  inneren 
Veredlung,  daher  überhaupt  die  Verfeinerung  und  Veredelung  des  Menschen. 
Humanitas  ist  also  der  Inbegriff  der  geistigen  Eigentümlichkeiten  und 
Vorzüge,  wodurch  sich  der  Mensch  vom  Thiere  unterscheidet.  Gellius 
fasst  hier  den  Begriff  zu  eng. 

Gellius,  Attische  Nächte.   II.  13 


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(194)     Xm.  Buch,  17.  (16.)  Cap.,  §  3. 4.  -  18.  (17.)  Cap.,  §1-3. 

eine  Stelle  des  M.  Varro  aus  dem  ersten  Buche  seiner  „Ge- 
bräuche (der  Vorzeit)  in  menschlichen  Dingen"  ausgewählt, 
deren  Anfang  also  lautet:  „Praxiteles,  der  wegen  seiner 
erhabenen  künstlerischen  Meisterschaft  keinem  nur  einiger- 
massen  Gebildetem  (humaniori)  unbekannt  ist  u.  s.  w.u  4. 
Varro  braucht  hier  das  Wort  humanior  nicht,  wie  es  ge- 
wöhnlich geschieht,  für  einen  Gefälligen,  oder  Gütigen,  oder 
Wohlwollenden,  der  doch  immerhin  wissenschaftlich  ungebildet 
sein  könnte,  —  denn  diese  Bedeutung  würde  dem  Sinne  der 
angeführten  Stelle  nicht  entsprechen,  —  sondern  spricht  von 
einem  leidlich  unterrichteten  und  ziemlich  auf  bessere  Bildung 
Anspruch  machenden  Menschen,  von  dem  man  unbedingt 
muss  verlangen  können ,  dass  er  aus  Büchern  oder  aus  der 
Geschichte  weiss,  wer  Praxiteles  war  und  was  er  leistete. 


XIII,  18  (17),  L.    Was  bei  M.  Cato  das  alte  Sprüchwort  bedeuten  soll  : 
„inter  os  atque  on"ama  (d.  h.  zwischen  Mund  und  Bissen,  oder:  ehe  man 
den  Bissen  an  den  Mund  bringt,  oder:  im  Nu). 

XIII,  18.  (17.)  Cap.  1.  Es  giebt  eine  Rede  des  Censors 
M.  Cato,  welche  „von  der  fehlerhaften  Wahl  der  Aedilen" 
handelt.  Dieser  Rede  ist  folgende  Stelle  entlehnt:  „Jetzt, 
sagen  die  Leute,  steht  das  Getreide  gut  auf  den  Saaten  und 
Halmen.  Baut  darauf  nicht  allzuviel  Hoffnung.  Oft  habe  ich 
sagen  hören,  zwischen  Mund  und  Bissen  könne  noch  Vieles 
sich  eindrängen.  Aber  vollends  zwischen  Bissen  und  Halm  (auf 
dem  Felde  erst  recht),  da  liegt  noch  eine  gar  lange  Strecke." 
2.  Erucius  Clarus,  welcher  Stadtprafect  und  zweimal  Consul 
gewesen  war,  ein  höchst  eifriger  Forscher  in  den  Sitten  und 
der  Literatur  der  Alten  wandte  sich  schriftlich  an  den  Sul- 
picius  Apollinaris,  den  gelehrtesten  Mann  meiner  Zeit,  mit  der 
Frage  und  Bitte,  er  möchte  ihm  in  einer  Rückantwort  doch 
Aufklärung  geben,  was  der  Sinn  dieser  Worte  sei.    3.  Auf 


XIII,  17  (16),  3.  Praxiteles,  berühmter  griechischer  Bildhauer,  im 
4.  Jahrh.  v.  Chr.,  dessen  Meisterwerk  die  knidische  Aphrodite  war,  die  er 
zum  ersten  Male  unbekleidet  zu  bilden  wagte. 

XIII,  18  (17),  1.  Cato  (or.  65,  1)  warnt  vor  übereilten  Hoffnungen 
auf  eine  gesegnete  Ernte.   (Otto  Ribbeck.) 

XIII,  18  (17),  2.    S.  Teuffels  röm.  Lit.  §  45,  4. 


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XIII.  Buch,  18.  (17.)  Cap.,  §  3.  -  19.  (18.)  Cap.,  §  1.  2.      (195)  , 


diese  Veranlassung  hin  sandte  Apollinaris  zur  Zeit  meiner 
Anwesenheit  in  Rom,  woselbst  ich  mich  als  junger  Mann 
gerade  meiner  Ausbildung  halber  befand  und  ein  eifriger 
Anhänger  dieses  Meisters  war,  an  den  Clarus  eine  £anz  kurze 
(treffende  und)  für  den  gebildeten  Mann  genügende  Antwort 
(folgenden  Inhalts)  ab :  „inter  os  et  offam  (zwischen  Mund  und 
Bissen)*'  sei  ein  altes  Sprüchwort,  welches  ganz  dasselbe  be- 
deute, wie  jener  bekannte,  sprüchwörtliche,  griechische  Vers 
(aus  des  Euripid.  Bacch.  v.  174): 

nolXa  /tAerttgu  TiiXti  xvhxog  xecl  ytlktog  axQOv,  d.  h. 

Viel  wohl  kann  sich  ereignen  zwischen  Becher  und  Mund  noch. 

• 

XIII,  19  (18),  L.  Dass  Plato  einen  Vers  vom  Sophoeles  (fälschlich)  dem 
Euripidcs  zutheilt;  ferner,  dass  sich  gleichlautende  Verse,  nur  mit  ge- 
ringen Aenderungen  bei  verschiedenen  Dichtern,  die  zu  verschiedenen 

Zeiten  lebten,  vorfinden. 

XIII,  19.  (18.)  Cap.  1.  Folgender  (jambische)  Senar  ist 
als  ganz  alt  bekannt: 

Zoyoi  Tvfiavvoi  raiv  üoiföiv  gvVovofrt,  d.  h. 

Der  Weisen  Umgang  macht  die  Herrscher  weise  nur. 

2.  Plato  giebt  in  seinem  Theaetet  (vielmehr  im  Theages 
p.  125  A.  und  de  republ.  VIII  p.  568)  diesen  Vers  für  einen 
von  Euripides  an,  worüber  ich  mich  sehr  wundere,  denn  ich 


XIII,  18  (17),  3.  Vergl.  Philostr.  de  vit.  Apoll.  4,  43.  Als  Nero  eben 
beim  Mahle  sass,  fuhr  ein  Blitzstrahl  in  den  Tisch  und  schlug  ihm  den 
Becher  aus  der  Hand,  den  er  eben  zum  Munde  führte.  Der  Ursprung 
dieses  Sprüchwortes  ist  folgender:  Ankaios  war  einer  der  Argonauten, 
welche  ein  Menschenalter  vor  dem  trojanischen  Kriege  unter  Führung  des 
Jason  das  goldene  (Widder-)  Vliess  von  Kolchis  holten.  Als  er  nach 
Beiner  Rückkehr  den  Ackerbau  und  besonders  die  Weincultur  pflegte, 
weissagte  ihm  ein  Seher,  er  werde  von  den  Reben,  die  er  eben  pflanzte, 
keinen  Wein  trinken.  Als  er  nun  später  einen  vollen  Becher  des  neu- 
gekelterten Weines  in  der  Hand  hielt  und  des  Sehers  spottete,  sprach 
dieser  die  sprüchwörtlich  gewordenen  Worte:  multa  cadunt  inter  calicem 
supremaque  labra.  Plötzlich  kommt  die  Nachricht,  ein  Eber  verwüste 
seinen  Weinberg;  ohne  getrunken  zu  haben  setzt  Ankaios  den  Becher  ab, 
eilt  hinaus,  wird  aber  von  dem  Eber  getödtet  und  so  erfüllte  sich  des 
Sehers  Wort   Friedrich  Kind  in  seinem  Ankaeos  singt: 

„Zwischen  Lipp'  und  Kelchesraud 

Schwebt  der  finstern  Mächte  Hand." 

13* 


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(196)     XIII.  Buch,  19.  (18.)  Cap.,  §  2—4.  —  20.  (19.)  Cap.,  §  1. 


habe  ihn  in  des  Sophocles  Trauerspiel  „Ajax  der  Lokrer" 
geschrieben  gelesen;  Sophocles  aber  War  früher  geboren  als 
Euripides.  3.  Aber  auch  jener  nicht  minder  bekannte 
Vers: 

7¥(>wv  yfyovrn  nniJnyofyrjoa)  a'  tyto,  d.  h. 

Wohlan,  so  führ'  ich  Greis  Dich  Greis  an  meiner  Hand, 

findet  sich  nicht  nur  in  dem  Trauerspiel  des  Sophocles, 
welches  überschrieben  ist  „Die  Phthierinnen  (oder  Peleus)", 
sondern  auch  in  den  „Bakchen"  des  Euripides  (v.  193).  4. 
Eine  ähnliche  Bemerkung  habe  ich  auch  bei  Aeschylos  in 
seinem  „feuertragenden  Prometheus"  und  bei  Euripides  in 
seiner  „Inou  gemacht,  da  Aeschylos  (Choephor.  v.  572)  den- 
selben Vers,  wenige  Silben  abgerechnet,  also  schreibt: 

Styttv       onov  <Jff  xccl  Xfytuv  t«  zutat«,  d.  h. 
Wo's  ziemt  zu  schweigen  und  nur  reden  Passendes; 

Euripides  (in  seiner  Ino)  also: 

Ziyuv  &y  onov  tffj"  xa\  kiytiv  <V  d.  h. 

Man  schweige,  wo  man  muss  und  rede,  wo  es  nützt. 

Doch  war  Aeschylos  um  Vieles  älter  (als  Sophocles). 

XIII,  20  (19),  L.     Ueber  das  Geschlecht  und  die  Namen  der  porcischen 

Familie. 

XIII,  20.  (19.)  Cap.    1.  Als  ich  mich  (einst)  mit  dem 


XIII,  19(18),  2.  Sophocles,  der  vorzüglichste  griechische  Tragiker, 
geh.  497  v.  Chr.  in  dem  attischen  Demos  Kolonos,  entspricht  in  seinen 
Stücken  den  höchsten  Anforderungen  der  Kunst.  Er  soll  130  Dramen 
geschrieben  haben,  von  denen  aber  nur  7  auf  uns  gekommen  sind.  Seine 
Trilogie,  König  Oedipüs,  Oedipüs  auf  Kolönos  und  Antigone  hat  man 
neuerdings  wieder  zur  Darstellung  auf  die  Bühne  gebracht,  freilich  mit 
etwas  zu  moderner  Musik.   Sophocles  starb  406. 

XIII,  19  (18),  2.    Ueber  Euripides  s.  Gell.  XI,  4,  1  NB. 

XIII,  19  (18),  4.  Aeschylos,  aus  Eleusis  in  Attica,  focht  im 5.  Jahr- 
hundert v.  Chr.  in  den  Schlachten  bei  Marathon,  Salamis  und  Plataeae  mit. 
Er  wird  mit  Recht  der  Schöpfer  und  Vater  der  Tragödie  genannt.  Durch 
Hinzufügung  eines  zweiten  Schauspielers  schuf  er  zuerst  den  dramatischen 
Dialog,  der  durch  das  Hinzukommen  eines  dritten  Schauspielers  durch 
Sophocles  seine  Vollendung  erhielt.  Die  Stücke  des  Aeschylos  zeichnen 
sich  durch  Ernst,  Würde  und  Erhabenheit  aus.  Von  den  70  Stücken,  die 
er  geschrieben  haben  soll,  sind  nur  noch  7  erhalten.  Er  starb  456  v.  Chr. 
in  Gela  auf  Sicilien. 

XIII,  20  (19),  L.  Die  Stammtafel  der  Porcier  s.  Gell.  II,  19,  9  NB. 
Vergl.  K.  F.  Görschel  „Zerstreute  Blätter"  H.  Th.  p.  336. 


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XIII.  Buch,  20.  (19.)  Cap.,  §  1—8. 


(197) 


Apollinaris  Sulpicius  und  mit  noch  einigen  andern  von  unsern 
gemeinschaftlichen  Freunden  in  der  Bibliothek  des  tiberiani- 
schen  Palastes  befand,  zeigte  man  zufällig  ein  Buch  herum, 
das  die  Ueberschrift  führte :  von  M.  Cato  Nepos.  2.  Es  ent- 
stand nun  (sofort)  die  Frage,  wer  dieser  Cato  Nepos  gewesen 
sei.  3.  Nun  war  da  gerade  auch  ein  junger  Mensch  zugegen, 
der,  soviel  ich  aus  seinen  Reden  abnehmen  konnte,  wissen- 
schaftlich durchaus  nicht  ungebildet  war.  Dieser  nahm  das 
Wort  und  sagte:  Dieser  Cato  hat  nicht  etwa  den  Beinamen 
Nepos,  sondern  ist  der  Enkel  von  dem  Sohne  des  Censors  Marcus 
Cato,  der  aber  wieder  Vater  von  dem  Praetor  M.  Cato  war, 
der  sich  im  Bürgerkriege  zu  Utica  mit  eigner  Hand  durch 
den  Degen  den  Tod  gab,  über  dessen  Leben  es  von  M.  Cicero 
ein  Buch  giebt,  das  die  Ueberschrift  führt :  das  Lob  des  Cato 
(laus  Catonis),  welchen  Cicero  selbst  in  diesem  Buche  einen 
Urenkel  des  Censors  M.  Cato  nennt.  4.  Der  Vater  dieses 
Cato,  auf  den  Cicero  seine  Lobschrift  verfasst  hat,  war  der 
M.  Cato,  dessen  Reden  die  Aufschrift  haben  sollen:  Von  M. 
Cato  Nepos.  5.  Darauf  ergriff  Apollinaris  das  Wort  und  sagte, 
wie  dies  auch  beim  Tadel  seine  Gewohnheit  war,  in  sehr 
ruhigem  und  mildem  Tone:  Ich  muss  Dich  loben,  mein  Sohn, 
dass,  wenn  gleich  Du  Dich  in  Bezug  auf  die  Person  des  M. 
Cato,  von  dem  hier  die  Rede  ist,  im  Irrthum  befindest,  Du 
noch  so  jung  an  Jahren  Dir  doch  einige  Nachricht  über  die 
Familie  des  Cato  zu  verschaffen  wusstest  (ist  es  auch  nicht 
ganz  zutreffend,  was  Du  da  vorgebracht).  6.  Jener  gewesene 
Censor  M.  Cato  hat  aber  nicht  nur  einen,  sondern  mehrere 
Enkel  gehabt,  freilich  nicht  von  einem  und  demselben  Vater 
entstammt.  7.  Denn  der  Redner  und  Censor  M.  Cato  hatte 
zwei  Söhne,  die  von  verschiedenen  Müttern  abstammten  und 
dem  Alter  nach  sich  sehr  (von  einander)  unterschieden.  8. 
Der  eine  (dieser  beiden  Söhne)  war  schon  herangewachsen, 
verlor  aber  seine  Mutter  durch  den  Tod.  Sein  Vater,  bereits 
ein  hoher  Greis,  heirathete  (zum  z weitenmale  und  zwar)  ein 
junges  Mädchen,  die  Tochter  seines  Clienten  Salonius,  welche 


XIII,  20  (19),  3.  Ueber  diese  Lobschrift  auf  Cato  vergl.  Cic.  Attic. 
12,  4,  2;  12,  5,  2;  fam.  16,  22,  1;  orat.  10,  85;  Plut.  Cic.  39;  Caes.  54; 
Dio  C.  43,  13;  Appian.  b.  c  2,  99;  Cic.  Att.  13,  46,  2. 


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XIII.  Buch,  20.  (19.)  Cap.,  §  8-14. 


ihm  den  M.  Cato  Salonianus  gebar.  Diesen  Beinamen  erhielt 
dieser  Sohn  von  seiner  Mutter  Vater,  dem  Salonius.  9.  Von 
dem  älteren  Sohne  Cato's  aber,  der  als  erwählter  Praetor  noch 
bei  Lebzeiten  seines  Vaters  starb  und  vortreffliche  juristische 
Schriften  über  „Rechtswissenschaft"  hinterliess,  stammt  der 
hier  in  Frage  stehende  M.  Cato,  des  Praetors  M.  Cato  Sohn 
und  des  älteren  M.  Cato,  des  Censors  Enkel  ab.  10.  Derselbe 
war  ein  gewaltiger  Redner  und  hat  viele,  in  der  Manier  seines 
Grossvaters  geschriebene  Reden  hinterlassen.  Er  war  mit 
dem  Q.  Marcius  Rex  zugleich  Consul,  reiste  während  seines 
Consulats  nach  Africa  und  starb  in  dieser  Provinz.  11.  Allein 
dieser  (Redner)  ist  nicht,  wie  Du  sagst,  der  Vater  von  dem 
Praetor  M.  Cato,  der  sich  zu  Utica  umbrachte  und  auf  den 
Cicero  seine  Lobschrift  verfasste;  auch  ist,  weil  dieser  (Red- 
ner) ein  Enkel  des  alten  Censors  Cato  war  und  der  Andere 
(der  Uticensis)  ein  Urenkel  desselben,  deswegen  noch  nicht 
noth wendig,  dass  der  Enkel  der  Vater  von  dem  Urenkel  sein 
musste.  12.  Cato's  Enkel,  der  Redner,  von  dem  soeben  die 
betreifende  Rede  vorgezeigt  wurde,  hatte  zwar  einen  älteren 
Sohn,  der  Cato  hiess,  aber  nicht  den,  der  zu  Utica  sein  Leben 
aushauchte,  sondern  sein  Sohn  war  der,  welcher  als  curulischer 
Aedil  und  Praetor  eine  Reise  nach  dem  narbonensischen 
Gallien  unternommen  hatte  und  daselbst  gestorben  war.  13. 
Von  dem  zweiten  und  weit  jüngeren  Sohne  des  Censors,  der, 
wie  ich  schon  angab,  nach  dem  Vaternamen  seiner  Mutter 
Salonianus  genannt  wurde,  stammen  zwei  Söhne  ab,  der  L.  Cato 
und  der  M.  Cato.  14.  Dieser  M.  Cato  war  Volkszunftmeister 
und  starb,  als  er  sich  um  die  Praetur  bewarb;  von  ihm 
stammt  der  Propraetor  M.  Cato,  der  sich  im  Bürgerkriege  zu 


XIII,  20  (19),  9.  Erörterungen  der  Rechtswissenschaft  fingen  um  den 
Anfang  des  7.  Jahrhunderts  an  aufgezeichnet  und  in  Sammlungen  bekannt 
gemacht  zu  werden  und  zwar  zuerst  von  dem  jüngeren  Cato  (t  um  600  d.  St.) 
und  von  dem  gleichzeitigen  Marcus  Brutus.  Cato's  Buch  führte  wohl,  wie 
es  hier  heisst,  den  Titel :  de  juris  disciplina,  das  des  Brutus  den :  de  jure 
civili  (Cic.  pro  Cluent  51,  141;  de  orat.  2,  55,  223);  dass  diese  Auf- 
zeichnungen Gutachtensammlungen  waren,  zeigt  Cic.  de  orat.  2,  33,  142. 
S.  Mommsen  röm.  G.  II  p.  467. 

XIII,  20  (19),  10.  Q.  Marcius  Rex  s.  Val.  Max.  V,  10,  3;  Vergl. 
Teuffels  röm.  Lit  Gesch.  §  145,  2. 


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XIII.  Buch,  20.  (19.)  Cap.,  §  14— 17.  —  21.  (20.)  Cap.,  §  1.  (199) 


Utica  das  Leben  nahm  und  von  dem  Cicero,  als  er  über 
dessen  Leben  und  Verdienste  schrieb,  sagte,  dass  er  ein  Ur- 
enkel des  Censors  Cato  gewesen  sei.  15.  Ihr  seht  also,  dass 
dieser  Zweig  der  Familie,  welche  von  dem  jüngeren  Sohne 
des  gewesenen  Censors  Cato  herrührt,  nicht  allein  durch  seine 
Geschlechtsabstammung,  sondern  auch  durch  den  Zwischenraum 
in  der  Zeit  (von  dem  Aelteren)  sich  unterscheidet.  Denn  weil, 
wie  ich  schon  sagte,  der  (Cato)  Salonianus  erst  im  hohen 
Alter  seines  Vaters  geboren  wurde,  so  mussten  natürlich  seine 
Abkömmlinge  um  ein  Bedeutendes  später  das  Licht  der  Welt 
erblicken,  als  die,  welche  von  dem  älteren  Bruder  abstammten. 
16.  Diesen  Zeitunterschied  werdet  ihr  leicht  gewahr  werden 
aus  besagter  Rede,  wenn  ihr  diese  selbst  durchleset.  17.  Diese 
von  Sulpicius  Apollinaris  in  meiner  Gegenwart  ausgesprochene 
Bemerkung  fand  ich  auch  späterhin  bestätigt,  als  ich  sowohl 
die  Leichenreden  (laudationes  funebres),  wie  den  Entwurf  (der 
Stammtafel)  des  porcischen  Geschlechtes  durchsah. 

XIII,  21  (20),  L.  Dass  von  den  mustergiltigsten  Schriftstellern  dem  an- 
genehmem Klange  der  Silben  und  Wörter,  welche  Wohlklangsrücksicht 
von  den  Griechen  tvtfiovfa  gennnnt  wird,  mehr  Rechnung  getragen  worden 
ist,  als  den  von  den  Grammatikern  aufgestellten  Regeln  und  Vorschriften. 

XIII,  21.  (20.)  Cap.  1.  Probus  Valerius  wurde,  wie  ich 
von  einem  seiner  Freunde  erfuhr,  (einst)  gefragt,  ob  man 
„has  urbis"  (diese  Städte)  oder  „has  urbes"  (im  Accus,  plur.) 


XIII,  20(19),  17.  Lobreden  (laudationes  oder  orationes  funebres)  auf 
gestorbene  Angehörige.   S.  Teuflfels  röm.  Lit.  Gesch.  §  79,  4. 

XIII,  21  (20),  1.  Der  Accusativ  pluralis  hat  —  die  Neutra  aus- 
genommen —  zum  Kennzeichen  s  mit  langem  Vocal  also :  mensä-s,  puerö-s, 
fruetu-s ,  die-s.  Das  i  des  Stammes  verschwindet  und  es  tritt  (wie  bei 
consonantischen  Stämmen)  das  e  vor  das  s,  z.  B.  host-es,  reg-es.  In  der 
vorklassischen  Zeit  aber  trat  auch  bei  consonantischen  Stämmen  (gleich 
denen  auf  i)  anstatt  es  die  Endung  eis  oder  Is  ein,  z.  B.  navis,  pelvis, 
urbis  neben  urbes.  Seit  der  Zeit  des  Augustus  verbreitete  sich  die  Endung 
es  selbst  über  die  Stämme  mit  i  (vergl.  localer  Ablativ  Gell.  X,  24, 1  NB). 
S.  Krügers  (Grotefends)  Grammatik  §  237,  9.  Im  Accusativ  haben  auch 
noch  in  klassischer  Zeit  ein:  Ts  (auch  eis  geschrieben)  die  Parasyllaba 
(navis)  und  viele,  die  zwei  Consonanten  vor  der  Casusendung  haben  (pa- 
rentis).    Schon  zu  Cicero's  und  Vergil's  Zeiten  war  ein  Schwanken  ein- 


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(200)  XIII.  Buch,  21.  (20.)  Cap.,  §  1—4. 


sagen  müsse,  oder  „hanc  turrem",  oder  „hanc  turrim"  (diesen 
Thurm  in  der  Accusativform  des  Singulars).  Er  sagte:  Wenn 
Du  (Verse)  dichtest,  oder  aber  in  gebundener  Sprache  schreibst 
und  Du  dabei  diese  Wortformen  anzuwenden  hast,  musst  Du 
Dich  durchaus  nicht  erst  durch  jene  (elenden)  faulen  Regeln 
und  grammatischen  Pfützen  (bestimmen  oder  gar)  verblenden 
lassen,  sondern  befrage  ganz  allein  Dein  Ohr,  wo  die  be- 
treffende eine  oder  andere  Form  hinpasst,  was  Dir  dann  diese 
innere  Stimme  (auris)  rathen  wird,  das  wird  wahrhaftig  auch 
das  Richtigste  sein.  2.  Darauf  erwiderte  der  Frager  und 
sagte :  Auf  welche  Art  willst  Du,  dass  ich  mein  Ohr  zu  Rathe 
ziehen  soll?  3.  Auf  diese  (einfältige)  Frage  soll  Probus  ge- 
antwortet haben:  Gerade  so,  wie  Vergil  das  seine  befragt  hat, 
der  an  verschiedenen  Stellen  einmal  „urbis"  sagt,  das  andere- 
mal  „urbes"  und  dabei  (auch  nur)  die  Entscheidung  und  den 
Rath  seines  (feinen)  Ohres  befolgte.  4.  Denn  im  ersten  Buche 
seiner  Landwirthschaftsgesänge  schrieb  er  urbis  mit  i,  wie 
ich  in  einer  von  seiner  eigenen  Hand  verbesserten  Ausgabe 
las.  Die  betreffende  Stelle  aus  dem  Gedicht  (Verg.  Georc. 
I,  25)  lautet  also: 

 Urbisne  invisere  Caesar 

Terrarumque  velis  curam  ,  d.  h, 

 ob  zu  besuchen  die  Städte,  o  Caesar, 

Und  zu  fuhren  die  Aufsicht  über  den  Erdkreis  

Nun  wechsle  und  vertausche  einmal  (urbis)  so,  dass  Du  urbes 
(dafür)  sagst  und  Du  wirst  sicher  etwas  unsäglich  Einfältiges 


getreten,  sodass  schon  damals  immer  mehr  das  „es"  sich  festsetzte.  Livius 
scheint  nur  „es"  zu  haben,  nach  Augustus  wurde  „es"  herrschend.  Weil 
nicht  genau  zu  bestimmen,  welche  Wörter  in  der  goldenen  Zeit  is  gehabt 
(da  gerade  in  dieser  Zeit  der  Uebergang  stattfand)  kann  man  billig  überall 
es  schreiben  und  sprechen.  Schon  Vergil  hat  (nach  §11)  tris  und  tres 
nach  dem  Wohllaut  gewählt  und  Probus  Valerius  gab  den  Rath,  das  Ohr 
zu  befragen,  ob  im  oder  em,  is  oder  es  richtig  sei.  Man  soll  also  nicht 
erst  die  Grammatiker,  noch  weniger  die  Handschriften  fragen.  —  Allmählich 
gingen  „im"  und  „is"  in  „em"  und  „es"  über,  durch  die  Neigung  der 
Sprache,  den  Vocal  im  Auslaut  zu  schwächen,  eine  Neigung,  die  noch 
durch  den  Einfluss  der  zahlreichen  Imparisyllaba  verstärkt  wurde.  Ein- 
zelne Schriftsteller  hielten  an  einzelnen  Formen  fest  So  haben  die  Ad- 
verbia  „im"  behalten;  vergl.  Gell.  XII,  15.  —  lieber  Valerius  Probus  8. 
JuL  Steup  „de  Probis  grammaticiis".   Jena.  1871. 


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Xni.  Buch,  21.  (20.)  Cap.,  §5—11. 


(201) 


und  überaus  Schwerfälliges  gemacht  haben.  5.  Im  3.  Buche 
seiner  Aeneide  (v.  106)  hingegen  hat  er  urbes  mit  e  gesagt: 

Centum  urbes  habitant  magnas  (Hundert  mächtige  Städte  bewohnen  sie). 

Vertausche  also  auch  hier  (urbes)  und  sage  urbis  und  der 
Klang  wird  saft-  und  kraftlos  werden,  denn  gewaltig  gross 
ist  überhaupt  der  Unterschied  der  Zusammenstellung  bei  dem 
Einklang  der  zunächst  auf  einander  folgenden  Silbenlaute. 
6.  Ausserdem  hat  Vergil  auch  (Aen.  II,  460)  turrim  gesagt 
und  nicht  turrem,  ferner  (Aen.  II,  224)  securim,  nicht 
securem : 

Turrim  in  praecipiti  stantem,  d.  h. 

einen  Thurm,  jäh  empor  auf  schwindelnder  Höhe  stehend, 


Hier  ist  das  i  im  Accusativ  von  weit  ansprechenderer  Anmuth, 
als  wenn  man  dafür  an  beiden  Stellen  „eM  setzt.  7.  Aber 
jener  Frager,  ein  ungeschliffener  Mensch  mit  bäurischem  Ohr, 
beruhigte  sich  (immer)  noch  nicht  und  platzte  noch  mit  der 
albernen  Aeusserung  heraus:  Warum  Du  behauptest,  dass 
das  eine  an  dieser,  das  andere  an  jener  Stelle  vorzüglicher 
und  richtiger  sein  soll,  seh  ich  doch  wahrhaftig  noch  nicht 
ein.  8.  Nun  (wurde  Probus  doch  etwas  ungeduldig  und)  sagte 
in  etwas  heftigerem  Tone:  Mache  Dir  kein  Kopfzerbrechen, 
welche  von  beiden  Formen  Du  sagen  sollst,  ob  urbis  oder 
urbes.  Denn  da  Du,  wie  ich  sehe,  von  solchem  Schlage  bist, 
dass  Du  ohne  Einbusse  (für  Dein  Schönheitsgefühl)  fehlst, 
so  wirst  Du  nichts  dabei  aufs  Spiel  setzen,  wenn  Du  das  eine 
oder  das  andere* brauchen  solltest.  9.  Mit  diesen  Worten 
und  auf  diese  Weise  entliess  er  den  Menschen  fast  schonungs- 
los, wie  es  seine  Art  und  Weise  gegen  (solche)  ungebildete 
Querköpfe  war.  10.  Ich  habe  aber  später  auf  ähnliche  Weise 
ein  anderes  schlagendes  Beispiel  gefunden,  wo  Vergil  (so  recht 
auffällig)  der  doppelten  Schreibweise  sich  bediente.  Denn  er  - 
setzt  zugleich  „tres"  und  „tris"  an  einer  und  derselben  Stelle, 
mit  derselben  Feinfühligkeit  (des  Geschmackes),  dass,  wenn 
Du  anders  sprechen  und  ändern  wolltest  und  Dich  dabei 
noch  eines  guten  Ohres  rühmst,  Du  die  Klangschönheit  (so- 
fort) ausgeschlossen  fühlen  wirst.    11.  Die  betreffenden  Verse 


und: 


incertam  excussit  cervice  securim,  d.  h. 

Die  wankende  Axt  dem  Nacken  entschüttelt  er. 


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(202) 


Xm.  Buch,  21.  (20.)  Cap.f  §  11  —  14. 


aus  dem  10.  Buche  (von  Vergils  Aeneide  sind  folgende  v.  351 
und  352  : 

Tres  quoque  Threicios  Boreae  de  gente  suprema 

Et  tris,  quos  Jdas  pater  et  patria  Jsmara  mittit,  d.  h. 

Drei  der  Thracier  auch  von  des  Boreas  äusserstem  Volke, 
Drei  auch  Idas  der  Vater  und  die  ismarische  Heimath  sandte. 

Erst  sagt  er  „tresu  und  dann  „tris".  Wäge  und  messe  jedes 
einzeln  ab  und  Du  wirst  finden,  dass  die  an  der  geeigneten 
Stelle  gewählte  Form  am  besten  klingt.  12.  Allein  ebenso- 
auch  in  jenem  bekannten  Verse  Vergils  (Aen.  II,  554) : 

Haec  finis  Priami  fatorum,  d.  h. 

Dies  war  das  Ende  von  Priams  Geschicken, 

wird,  wenn  Du  haec  finis  veränderst  und  für  das  Femininum 
das  Masculinum  setzest  und  hic  finis  dafür  sagst,  eine  widrige 
Härte  entstehen  und  die  von  Dir  angenommene  Veränderung 
wird  die  Ohren  beleidigen.  So  wie  Du  im  Gegentheil  durch 
eine  Abänderung  der  folgenden  bekannten  Stelle  Vergils 
(Aeneide  I,  24)  etwas  an  Lieblichkeit  entziehst: 

 Quem  das  finem,  rex  magne,  laborum?  d.  h. 

Welches  Ende  giebst  Du,  grosser  König,  der  Mühsal? 

Wenn  Du  dafür  das  Femininum  setzest  und  „quam  das  finem u 
sagst,  wirst  Du  unwillkürlich  einen  unangenehmen  und  zu 
breiten  Silbenklang  verursachen.  13.  So  sagt  Ennius  „rectos 
cupressos"  (die  schlanken  Cypressen)  entgegen  dem  allgemein 
angenommenen,  weiblichen  Geschlecht  beim  Worte  „cupressus" 
in  folgendem  Verse: 

Capitibus  nutantis  pinos  rectosque  cupressos,  d.  h. 

Mit  den  Häupten  wankten  die  Fichten  und  schwanken  Cypressen. 

Kräftiger  und  frischer  schien  (auch)  ihm,  glaub'  ich,  der 
Wortklang  zu  sein,  wenn  er  „rectos  cupressos"  sagte,  anstatt 
„rectas  (cupressos)".  14.  Dagegen  hat  derselbe  Ennius  im  18. 
Buche  seiner  Annalen:  aere  fulva  (im  falben  Dunstkreis,  d.  h. 
Halbdunkel),  gesagt  und  nicht  „aere  fulvo",  nicht  allein  (aus 
dem  Grunde  und  zu  dem  Zwecke)  um  das  nachzuahmen,  was 
Homer  (Iliad.  XX,  446)  durch  rjtga  ßaöeiav  (dichtes  Gewölk, 
dichter  Nebel)  ausdrückt,  sondern  weil  ihm,  mein'  ich,  dadurch 

XIII,  21  (20),  14.   aer  fulva  vergl.  Gell.  II,  26,  11  NB. 


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mm' 


XIII.  Buch,  21.  (20.)  Cap.,  §  15  —  19. 


(203) 


der  Ton  klangvoller  und  angenehmer  erschien.  15.  Geradeso 
wie  es  auch  dem  Marcus  Cicero  weicher  und  geschmackvoller 
vorkam,  in  seiner  V.  Rede  gegen  Verres  (66, 169)  lieber  „fretuw 
zu  schreiben,  als  „freto".  Es  heisst  dort:  „perangusto  fretu 
divisa  (durch  eine  ganz  schmale  Meerenge  geschieden)."  Es 
klang  ihm  nämlich  rauher  und  schon  etwas  veralteter  (die 
Ablativform  vom  Neutrum  der  zweiten  Declination  zu  bilden 
und)  perangusto  freto  au  schreiben  (und  er  bildete  deshalb 
lieber  die  Form  nach  der  vierten  Declination,  und  sagte  also 
fretu).  16.  Ebenso  hat  er  sich  auch  in  der  zweiten  Rede  von 
einem  ähnlichen  Wohlklange  bestimmen  lassen,  „manifesto 
peccatu"  (von  augenscheinlichem  Verbrechen)  zu  sagen  (und 
so  den  Ablativ  der  vierten  Declination  zu  brauchen)  und  nicht 
peccato;  so  fand  ich  nämlich  in  zwei,  die  höchste  Glaub- 
würdigkeit verdienenden  Handschriften  des  Tiro  ge- 
schrieben. 17.  Cicero's  Worte  (in  Verrem  II,  78,  191)  lauten 
also :  „Niemand  lebte  so,  dass  kein  Theil  seines  Lebens  von 
der  grössten  Schandhaftigkeit  frei  war,  Niemand  war  seines 
Verbrechens  (peccatu)  so  augenscheinlich  überwiesen,  dass, 
musste  er  schon  wegen  seiner  Freveith at  für  unverschämt 
erklärt  werden,  er  nur  noch  unverschämter  erscheinen  musste, 
wenn  er  (auch  noch)  ableugnete."  18.  An  dieser  Stelle  kommt 
aber  nicht  nur  die  grössere  Feinheit  des  Wortwohlklangs  in 
Betracht,  sondern  vielmehr  die  feststehende  und  (als  richtig) 
angenommene  Regel.  19.  Denn  das  Maseulinum  der  vierten 
Declination  „peccatus"  (Verbrechen)  für  „peccatio"  ist  richtig 
und  gut  lateinisch  ausgedrückt.  So  sagen  wir  „hic  incestus" 
nicht  von  dem,  der  (ein  solches  Verbrechen  der  Blutschande) 
verübt  hat,  sondern  bezeichnen  damit  (das  Verbrechen),  was 

XIII,  21  (20),  16.  In  verschiedenen  Mundarten  wich  man  nicht  nur 
im  Genus  der  nomina  ab,  sondern  auch  im  Decliniren,  wie  aus  fretu  und 
peccatu  zu  ersehen.  —  In  uno-altero  libro  Tironiano  s.  Teuffels 
röm.  Lit.  Gesch.  188,  2. 

XIII,  21  (20),  18.  Die  Endung  „-tio"  bezeichnet  die  im  Verb  aus- 
gedrückte Handlung  als  geschehend,  die  Endung  „-tus"  aber  die 
Handlung  als  geschehen.  Es  vertreten  sich  die  Formen  auf  -tus  und 
-tio  gegenseitig  und  beide  Formen  finden  sich  oft  nebeneinander  ohne 
wesentlichen  Unterschied.  Schriftsteller  des  silbernen  Zeitalters,  nament- 
lich Tacitus,  geben  den  Formen  auf  -tus  den  Vorzug.  S.  Krüger,  lat. 
Gramm.  §  260. 


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(204)  Xm.  Buch,  21.  (20.)  Cap.,  §  19—24. 

verübt  worden  ist;  so  sagen  wir  hic  tributus  (diese  Abgabe) 
für  (das  sonst  gebräuchliche  Neutrum:)  tributum,  wie  über- 
haupt dergleichen  Wörter  von  vielen  unserer  alten  Schrift- 
steller gebraucht  worden  sind.  So  sagen  wir  auch  hic 
allegatus  (diese  Sendung,  Ansuchung)  für  allegatio  und  hic 
arbitratus  (diese  Willensmeinung,  Entscheidung)  für  arbitratio 
und  nach  dieser  angenommenen  Regel  sagen  wir  arbitratu 
und  allegatu  meo  (auf  meine  Entscheidung  und  mein  An- 
suchen hin).  20.  Auf  gleiche  Weise  sagte  also  auch  Cicero: 
in  manifesto  peccatu  (bei  augenscheinlichem  Verbrechen),  wie 
die  Alten  sagten:  in  manifesto  incestu  (bei  augenscheinlicher 
Blutschande),  nicht  dass  man  etwa  behaupten  wollte  und 
könnte,  es  sei  unlateinisch  zu  sagen:  peccato,  sondern  weil 
gerade  die  an  dieser  Stelle  hingesetzte  Form  dem  Ohre  ge- 
falliger und  angenehmer  klingt.  21.  Ganz  ähnlich  trug  auch 
Lucretius  dem  Gehör  Rechnung  und  hat  in  folgenden  Versen 
(aus  B.  II,  1152  u.  1153)  funis  als  Femininum  gebraucht: 

Haut,  ut  opinor,  enim  mortalia  saecla  superne 
Aurea  de  caelo  demisit  funis  in  arva,  d.  h. 

Denn  vom  Himmel  herab  sind,  denk'  ich,  die  sterblichen  Wesen 
Niemals  auf  das  Gefild  am  güldenen  Seile  gelassen, 

obgleich  er  das  gebräuchlichere  Masculinum  hätte  setzen 
können,  so  dass  trotzdem  das  Versmass  gewahrt  blieb,  (er 
hätte  nur  statt  aurea  de  coelo  zu  sagen  brauchen:)  aureus  et 
coelo  demisit  funis  in  arva.  22.  M.  Cicero  nennt  auch  die 
weiblichen  Priesterinnen,  gemäss  der  grammatischen  Regel 
antistitae,  nicht  antistites.  Denn  obschon  er  das  übertriebene 
Suchen  nach  Ausdrücken,  die  von  den  Alten  gebraucht  wurden, 
verwarf,  wurde  er  in  dem  betreffenden  Fall  doch  von  dem 
Klang  dieses  Wortes  ergötzt  und  sagte  (in  Verrem  IV,  45,  90): 
„(Sacerdotes)  die  Priesterinnen  der  Ceres  und  jenes  Tempels 
Vorsteherinnen  (antistitae)".  23.  Man  ging  sogar  oft  so  weit, 
dass  man  nicht  nur  das  ganze  Wesen  eines  Wortes  und  seine 
Abstammung  ausser  Augen  setzte,  sondern  sogar  auch  den 
Sprachgebrauch  und  nur  allein  seinem  Ohre  folgte,  welches 
allein  die  Ausdrucksweise  nach  dem  Wohlklange  abwägen  sollte. 
24.  „Von  denen,  welche  dafür  keinen  Sinn  haben,  fährt  Cicero 
(orat.  50,  168)  fort,  weiss  ich  nicht,  was  sie  für  Ohren  haben 


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XIII.  Buch,  21.  (20.)  Cap.,  §  24.  25.  -  22.  (21.)  Cap.,  §  1.  (205) 

müssen,  oder  was  ihnen  (überhaupt)  die  Aehnlichkeit  mit 
einem  Menschen  zuspricht."  25.  Besonders  aber  machten 
die  alten  Grammatiker  auf  jene  bekannte  Stelle  bei  Homer 
aufmerksam,  dass,  obgleich  er  an  einer  Stelle  (Iliad.  XVI,  583) 
xolowvg  T€  xprtgdg  re  (Krähen  und  Staare)  gesagt  hatte,  er 
an  ehjer  andern  Stelle  (lliad.  XVII,  755)  nicht  (die  ionische 
und  epische  Form)  yrjgag,  sondern  ^agtüv  sagte: 

Wie  ein  Gewölk  von  Staaren  (#«po7y)  daherzieht,  oder  von  Dohlen, 

und  dass  er  nicht  Rücksicht  nahm  auf  den  Wohlklang  im 
Allgemeinen,  sondern  auf  den  besonders  für  die  jedesmalige 
Wortzusammenstellung  geeigneten  (und  entsprechenden) ;  denn 
wenn  man  die  eine  Wortform  an  die  andere  Stelle  versetzt, 
wird  man  an  beiden  Stellen  nur  die  Klanganmuth  beein- 
trächtigen. 

XIII,  22  (2  t),  L.  (Ernste)  Worte  des  Rhetors  T.  Castricius  an  seine 
jungen  Schüler  über  ihre  nicht  anständige  Bekleidung  und  Fussbedeckung. 

XIII,  22.  (21.)  Cap.  1.  Als  T.  Castricius,  Lehrer  der 
Redekunst,  welcher  zu  Rom  der  bedeutendsten  Rede-  und 
Lehr -Anstalt  vorstand,  ein  Mann  von  hohem  Ansehen  und 
sittlichem  Ernst,  ausserdem  wegen  seines  Benehmens  und 
seiner  Kenntnisse  beim  erhabenen  Hadrian  angesehen,  als 
dieser,  sag'  ich,  zufällig  in  meiner  Gegenwart,  —  ich  genoss 
nämlich  seinen  Unterricht,  —  einige  seiner  Schüler,  welche 
(noch  dazu)  Senatoren  waren,  an  einem  Festtage  im  gewöhn- 
lichen Hausrock  (der  Tunica)  und  mit  Ueberrock  bekleidet 
erscheinen  sah  und  mit  Galoschen  als  Fussbekleidung,  sagte 
er :  (An  dem  heutigen  Festtage)  hätte  ich  euch  wohl  lieber  in 
einem  (römischen  Staats-)  Mantel  vor  mir  gesehen  (vos  toga- 
tos esse);  doch  hat  euch  euer  Schamgefühl  wenigstens  noch 
geboten,  gegürtet  und  im  langen  Oberkleide  zu  erscheinen 


XIII,  21  (20),  24.  Fortsetzung  dieser  Stelle  aus  Cicero's  orator.  bei 
Gell.  XVIII,  7,  7. 

XIII,  22  (21),  1.   Ueber  T.  Castricius  s.  Gell.  I,  6,  4  NB. 

XIII,  22  (21),  1.  Lacerna  (=  dem  griechischen  Mantel,  d.  h.  pallium) 
vorn  offen  und  mit  einer  Schnalle  auf  der  Schulter  befestigt  Der  Anstand 
erforderte  die  Toga,  das  Haupt-  und  Staatskleid  bei  den  Römern  der 
lacerna  vorzuziehen. 


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(206)  XOI.  Buch,  22.  (21.)  Cap.,  §  1-3. 

(paenulati).  Allein  wenn  auch  dieser  euer  jetziger  Anzug, 
wegen  der  heutigen  Tags  häufig  vorkommenden  (Mode-)  Tracht, 
noch  verzeihlich  sein  mag,  so  will  es  sich  aber  doch  in  keinem 
Falle  schicken,  dass  ihr  Senatoren  des  römischen  Volkes 
(ausser  dem  Hause)  öffentlich  in  Pantoffeln  (soleati)  durch 
die  Strassen  der  Stadt  geht.  Denn  wahrlich  eine  solche  (un- 
passende) Tracht  kann  euch  nicht  weniger  zum  Vorwurf  ge- 
reichen, als  sie  es  damals  dem  verruchten  Antonius  war, 
dem  sie  M.  Tullius  Cicero  (geradezu)  als  ein  schimpfliches 
Verbrechen  anrechnet.  2.  Dies  und  noch  manches  andere 
auf  diesen  Fall  Bezügliche  sprach  Castricius  in  meiner  Gegen- 
wart im  echt  römischen  Sinne  und  mit  höchstem,  sittlichem 
Ernste  offen  aus.    3.  Viele  unter  seinen  Zuhörern  verlangten 


Die  lacerna  war  also  eine  Art  Mantel,  welche  die  Römer  später  über  der 
Toga  trugen,  z.  ß.  bei  schlechtem  Wetter.  Während  des  Bürgerkriegs 
kam  die  Toga  ausser  Gebrauch  und  es  wurde  häufig  die  lacerna  getragen. 
Man  trug  diese  Mäntel  auch  im  Schauspiel,  erschien  aber  der  Kaiser 
daselbst,  so  stand  Jedermann  auf  und  Hess  die  lacerna  fallen.  Suet. 
Claud.  6.  Zuerst  wurde  sie  nur  im  Krieg  getragen.  Paterc  II,  80;  Ovid. 
Fast.  II,  745;  Propert.  III,  10,  7.  Als  Augustus  eines  Tags  eine  Anzahl 
Bürger  vor  sich  in  der  lacerna  sah  und  sich  dies  so  auslegte,  als  ob  man 
dadurch  die  schuldige  Achtung  vor  seiner  Person  ausser  Augen  setze, 
sprach  er  mit  Unwillen  jenen  Vers  Vergils  (Aen.  I,  282) : 

„Römer,  die  Herren  der  Welt,  das  Volk  in  Togen  gekleidet." 

Paenulatus.  Paenula,  ein  bis  oben  zugenähter  Mantel  ohne  Aermel, 
den  man  in  der  Stadt  aber  selten  trug,  nur  etwa  bei  Regenwetter. 

Gallicae-soleae  (Gallosche,  Männersandale,  Pantoffel)  gehörten 
zur  Tunica  und  waren  nur  häusliche  Fussbekleidung  und  nur  gebräuch- 
lich, wenn  man  in  blosser  Tunica  mit  übergeworfener  lacerna  über  die 
Strasse  ging. 

Der  calceus  gehört  unbedingt  zur  Toga  für  höchste  Staatsbeamtete.  — 
Es  wurde  also  für  weibisch  und  unrömisch  gehalten,  ausser  dem  Hause 
öffentlich  mit  einer  nachlässig  gegürteten  Tunica  oder  im  (griechischen) 
Mantel  und  in  Pantoffeln  (soleatus)  zu  erscheinen.  Vergl.  Liv.  29,  19 
über  Scipio;  Cic.  Har.  Resp.  21;  Verrem  V,  33;  Pis.  6;  Suet.  Calig.  52. 
Tacit.  Ann.  II,  59  Scipio  griechisch  gekleidet  und  nach  Cass.  Dio  66,  6 
Kaiser  Claudius  ebenfalls  in  Neapel.  Vornehmlich  in  fremden  Ländern 
sah  man  darauf,  immer  in  der  Toga  zu  erscheinen.  Das  Oberkleid  der 
Griechen  war  das  pallium,  daher  die  Griechen,  sowie  überhaupt  alle 
Nichtrömer  palliati  genannt  wurden.  Der  ärmere  Theil  des  röm.  Volkes, 
der  sich  keine  Toga  kaufen  konnte,  trug  blos  die  Tunica,  daher  tuni- 
catus  =  populus. 


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XIII.  Buch,  22.  (21.)  Cap.,  §3-8.-23.  (22.)  Cap.,  §  1.  (207) 

nun  zu  wissen,  warum  er  sie  Bepantoffelte  (soleati)  genannt 
hätte,  da  sie  doch  Galoschen  (gallices,  d.  h.  Männersandalen) 
und  nicht  (soleae)  Pantoffeln  anhätten.  4.  Allein  Castricius 
hatte  sieh  in  der  That  wohlweislich  ganz  richtig  ausgedruckt. 
5.  Denn  alle  derartigen  Fussbekleidungen,  womit  nur  die 
untersten  Fusssohlen  bedeckt  werden,  die  übrigen  Theile  (des 
Fusses)  fast  entblösst  bleiben,  und  welche  nur  (leicht)  mit 
dünnen  Riemen  befestigt  sind,  werden  insgemein  „soleae" 
(Pantoffeln)  oder  bisweilen  mit  dem  griechischen  Ausdruck 
„crepidulae"  (Sandalchen)  genannt.  6.  Ich  halte  aber  dafür, 
dass  der  Ausdruck  „gallicae"  für  diese  Art  der  Fussbekleidung 
eine  neuere  Bezeichnung  ist  und  nicht  lange  vor  der  Zeit  des 
M.  Cicero  in  Gebrauch  gekommen  sein  mag,  daher  das  Wort 
von  ihm  selbst  in  seiner  II.  antonischen  Rede  (30,  76)  gesetzt 
wurde,  wo  er  sagt:  „cum  gallicis  (d.  h.  in  gallischen  Sandalen) 
und  in  einem  Ueberrocke  (lacerna)  eiltest  Du  dahin."  7.  Ich 
habe  das  Wort  „gallicae"  in  dieser  Bedeutung  noch  nicht  bei 
irgend  einem  andern  Schriftsteller  geschrieben  gelesen,  d.  h. 
selbstverständlich  bei  keinem  Schriftsteller  von  bedeutenderer 
Gewähr,  sondern  man  nannte  dergleichen  Schuhwerk,  wie  ich 
bereits  bemerkte,  cr^pidae  (Sandalen)  und  crepidulae  (San- 
dälchen),  mit  kurzer  erster  Silbe.  Diese  Art  Fussbekleidung 
nennen  die  Griechen :  AQrjTriöeg.  8.  Daher  man  die  Verfertiger 
von  Fussbekleidung  „crepidarii"  (Schuhmacher,  Schuster)  nannte. 
Sempronius  Asello  sagt  im  14.  Buche  seiner  „(geschichtlichen) 
Vorkommnisse":  „Er  verlangte  von  dem  Sandalen  -  Schuster 
(a  crepidario  sutore)  den  Schusterkneif"  (d.  h.  sein  Schuster- 
messerchen,  crepidarium). 

XIII,  23  (22),  L.  Die  gemeinsamen  Gebete,  welche  nach  römischem  Re- 
ligionsgebrauche an  die  Götter  gerichtet  werden,  finden  sich  deutlich  auf- 
gesetzt in  den  Büchern  der  Priester;  darin  legen  sie  dem  Mars  die  Neriene 
bei;  endlich,  wie  es  mit  der  Einführung  des  Namens  Neriene  oder  Nerio 
sich  verhält.    (Vergl.  Gell.  I,  21,  3  NB.) 

XIII,  23.  (22.)  Cap.    1.  Die  Gebete  zu  den  unsterblichen 


XIII,  22  (21),  7.  Crepida,  Sohle,  Sandale,  eine  ursprüngliche  grie- 
chische Fussbekleidung,  deren  sich  die  römischen  Männer  nur  im  häus- 
lichen Leben  oder  auf  Reisen  bedienten,  vielleicht  mit  Absatz,  worauf 
crepido  und  das  griechische  XQrjntg  (Sockel)  hinweisen. 


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(208) 


Xm.  Buch,  23.  (22.)  Cap.,  §1-4. 


Göttern,  wie  sie  nach  römischem  Religionsgebrauch  ver- 
anstaltet werden,  finden  sich  klar  und  deutlich  angegeben  in 
den  Büchern  der  Priester  des  römischen  Volkes  und  noch  in 
einigen  andern  alten  Gebetformelbüchern.  2.  Da  also  steht 
auch  geschrieben:  Die  Lua  des  Saturns  (Gemahlin),  die  Sa- 
lacia  des  Neptun,  die  Hora  des  Quirinus,  die  Virites  des 
Quirinus,  die  Maia  des  Volcan,  die  Heries  (Tochter)  der  Juno, 
die  Moles  (personificirte  Kampfmühen,  Töchter)  des  Mars, 
die  Nerio  (tapfere  Begleiterin,  selbst  Gattin)  des  Mars.  3. 
Unter  all'  den  genannten  höre  ich  das  von  mir  zuletzt  ge- 
nannte Wort  von  Vielen  so  aussprechen,  dass  sie  darin  die 
erste  Silbe  lang  betonen,  gerade  so,  wie  die  Griechen  sagen: 
Nr^eideg,  indessen  die,  welche  so  recht  eigentlich  (richtig) 
sprachen,  die  erste  Silbe  immer  kurz  gebrauchten,  die  dritte 
hingegen  lang  aussprachen.  4.  Der  Nominativ  des  Wortes 
heisst  Nerio,  wie  in  den  Schriften  der  Alten  geschrieben 
steht;  obgleich  M.  Varro  in  seiner  menippischen  Satire, 


XIII,  23  (22),  1.  Der  ältere  Cato  und  auch  noch  Gracchus  begannen 
ihre  Reden  mit  Gebeten  oder  Anrufungen  an  die  Götter.  S.  Teuffels  röm. 
Lit.  Gesch.  §  43,  5;  Lange  röm.  Alterth.  §  134  S.  (604)  665;  Liv.  39,  15; 
Serv.  ad  Verg.  Aen.  11,  301. 

XIII,  23  (22),  2.  Lua  (von  luo),  Reinigerin,  Sühnerin,  eine  Göttin, 
der  man  die  erbeuteten  Waffen  weihte,  indem  man  dieselben  verbrannte. 
Liv.  8,  16;  45,  33,  2. 

Salacia  Meergöttin  (==  Tethys  oder  Amphitrite  von  salum,  Meer 
und  cieo,  bewege),  vergl.  Aug.  Civ.  D.  VII,  22;  Fest,  sub  v.  salaciae. 

Hora  (==  Juventus),  Göttin  der  Jugend  und  Gemahlin  des  Quirinus 
[Romulus]  ist  eine  römische  Bezeichnung  der  vergötterten  Hersilia,  die 
man  sich  mit  dem  Quirinus  vereint  im  Olymp  dachte.  (Georges.)  Ovid. 
Met.  14,  851.   Ennius  ap.  Nonium  Marc.  p.  120,  2. 

Virites  (Jurites),  Gottheiten,  welche  den  Eiden  vorstanden. 

Maja  (die  Hehre),  Gattin  des  Volcan. 

Nerio,  enis  (sabinischer  Abstammung  von  nero  so  viel  als  fortis, 
strenuus,  tapfer,  herzhaft)  Begleiterin,  selbst  Gattin  des  Mars.  Man  hielt 
sie  für  die  Vorsteherin  der  Jahre.  Vergl.  Suet.  Tib.  Nero  1.  Nero,  Fa- 
milienname des  claudischen  Geschlechts,  worunter  der  fünfte  römische 
Kaiser  C.  Claudius  Nero  (54  —  68  n.  Chr.)  der  bekannteste  war. 

XIU,  23  (22),  4.  Ueber  menippische  Satire  vergl.  Gell.  II,  18,  7  NB.  — 
Anna  Perenna  wahrscheinlich  Personificirung  des  neuen  Jahres. 

Panda,  (pando)  sabinische  Göttin  des  Eröffnens,  weil  man  glaubte, 
sie  habe  dem  T.  Tatius  den  Weg  gebahnt  (pandisse),  dass  er  das  Capitol 


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XIII.  Buch,  23.  (22.)  Cap.,  §4  —  12. 


(209) 


welche  „Zxiottaxia  (Schattenkampf)4'  heisst,  im  Vocativus 

(Singularis)  nicht  Nerio  sagt,  sondern  Nerienes  und  zwar  in 

folgenden  Versen: 

Te  Anna  äc  Peränna,  Panda  te,  Lato,  Pales, 
Nerienes  et  Minerva,  Fortuna  ac  Ceres,  d.  h. 

(Euch  alle,  o  ihr  Götter,  ruf  ich  an) 
Dich  Anna  und  Peranna,  Panda  Dich,  Lato,  Pales, 
Nerienes  und  Minerva,  Ceres  und  Fortuna  Dich. 

5.  Eigentlich  müsste  nun  deshalb  der  Nominativus  auch 
Nerienes  lauten.  Allein  Nerio  wurde  von  den  Alten  gerade 
so  abgebeugt  wie  Anio;  6.  denn  so  wie  man  (den  Accusativ) 
Anienem  mit  langer  dritter  Silbe  declinirte,  so  auch  Nerienem. 
7.  Das  Wort  an  und  für  sich  aber,  mag  es  nun  (im  Nominativ) 
Nerio  heissen,  oder  Nerienes,  ist  von  Haus  aus  ein  sabinisches 
Wort  und  man  bezeichnet  damit  Tapferkeit,  Herzhaftigkeit 
und  Ausdauer.  8.  Daher  wurde  unter  den  Claudiern,  die, 
wie  wir  wissen,  von  den  Sabinern  abstammen,  jeder,  der  sich 
durch  Tapferkeit  auszeichnete  und  hervorthat,  Nero  genannt. 

9.  Allein  die  Sabiner  scheinen  diesen  Ausdruck  (erst)  von 
den  Griechen  entlehnt  zu  haben,  welche  die  Bänder  und  Be- 
festigungsmittel der  Giiedmassen  (untereinander)  mit  dem 
Ausdruck  »vevga  (Sehnen,  Stränge,  Nerven)"  nennen,  woher 
auch  wieder  unser  lateinischer  Ausdruck  „nervi"  stammt 

10.  Es  findet  sich  also  in  dem  Wort  Nerio  die  Macht  und 
Gewalt  und  eine  gewisse  WTürde  und  Hoheit  des  (Kriegsgottes) 
Mars  verkörpert.  11.  Plautus  aber  führt  in  seinem  „rohen 
Hitzkopf  (Truc.  II,  6,  34)"  die  Nerio  als  die  Gemahlin 
des  Mars  an  und  lässt  dies  in  folgenden  Versen  von  einem 
Soldaten  sagen: 

Mars  peregre  adveniens  salutat  Nerienem  uxoräm  suam,  d.  h. 

Mars  bei  der  Wiederkehr  aus  fernem  Land*  grüsst  Nerio  sein  Weib. 

12.  Ueber  diese  Annahme  hörte  ich  von  einem  sehr  be- 


einnehmen konnte;  daher  Schützerin  der  Wanderer  und  Friedensgöttin, 
weil  zur  Friedenszeit  die  Stadtthore  geöffnet  wurden  (pandantur). 

Latona,  Mutter  der  Diana  und  des  Apollo,  auf  Delos  entbunden. 

Pales  (nito),  pasco)  Feldgottheit 

Anio,  sahinische  Form  Anien,  enis,  ein  Nebenfiuss  der  Tiber. 
XIII,  23  (22),  9.   S.  Suet.  Tib.  1  extr. 

Gellius,  Attische  Nächte.  II.  14 


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(210) 


XIII.  Buch,  23.  C*2.)  Cap.,  §  12  - 16. 


rühmten  Manne  die  Aeusserung  fallen,  es  sei  Plautus  in  seinem 
(Schauspiel-)  Dichterübermuth  doch  etwas  zu  weit  gegangen, 
dass  er  einem  rohen  und  ungebildeten  Soldaten  die  unrichtige 
und  neue  Ansicht  in  den  Mund  gelegt,  so  dass  er  ihn  an- 
nehmen Hess,  Nerio  (Neriene)  sei  die  Gemahlin  des  Mars. 
13.  Dass  dies  aber  eher  mit  Einsicht,  als  mit  scherzhafter 
Absicht  gesagt  ist,  wird  der  sofort  herauserkennen,  der  das 
dritte  Buch  von  des  Cn.  Gellius  Annalen  einsieht,  wo  ge- 
schrieben steht,  dass  Hersilia,  als  sie  bei  (dem  König  der 
Sabiner,  dem  spätem  Mitregenten  des  Romulus)  Titus  Tatius 
als  Fürsprecherin  den  Frieden  nachsuchte,  folgendes  Gebet 
(vorher)  gesprochen  habe:  „Zu  Dir  flehe  ich,  Neria  des  Mars, 
verleih'  uns  Frieden,  dass  wir  bleibend  und  glücklich  der 
Ehe  gemessen,  was  nur  auf  Deines  Gatten  Rath  und  Beistand 
glückte,  dass  sie  uns  Jungfrauen  entführen  konnten,  um  sich 
und  den  Ihrigen  für  ihr  Vaterland  die  nachkommenden  Ge- 
schlechter zu  schenken."  14.  Sie  sagt:  auf  Deines  Gatten 
Rath  und  Beistand  (de  tui  conjugis  consilio)  und  meint  zwei- 
felsohne darunter  den  Mars,  wodurch  es  klar  wird,  dass  dies 
vom  Plautus  also  nicht  nach  Dichterfreiheit  gesagt  ist,  sondern 
dass  es  bereits  eine  alte  Ueberlieferung  war,  dass  Nerio  von 
Einigen  für  des  Mars  Gemahlin  gehalten  wurde.  15.  Dabei 
ist  aber  nicht  zu  übersehen,  dass  (der  Geschichtsschreiber) 
Gellius  den  Namen  mit  a  auslauten  lässt  und  Neria  sagt, 
nicht  aber  weder  Nerio,  noch  Nerirnes.  16.  Ausser  Plautus 
und  ausser  Gellius  schreibt  auch  der  alte  Lustspieldichter 
Licinius  Imbrex  in  seinem  Stücke,  welches  Neaera  über- 
schrieben ist,  also: 

Nolo  ego  Neaeram  t£  vocent,  set  NerTenem, 
Cum  qufdem  Marti  es  in  conubium  data,  d.  h. 

Nicht  will  icli  lassen  nennen  Dich  Neaera,  sondern  Nerio, 
Da  Du  zur  Ehe  doch  gegeben  bist  dem  Mars. 


XIII,  23  (22),  13.  Ueber  Cn.  Gellius  s.  Teuffels  Gesch.  der  r.  L. 
142,  1;  Gell.  XVIII,  12,  6;  VHI,  14,  L.  S.  Dionys.  II,  45.  46  Kaub  der 
Sabinerinnen. 

XIII,  23  (22),  16.  Ueber  Licinius  Imbrex  s.  Teuffels  röm.  Lit 
Gesch.  §  106. 


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m 

XIIL  Buch,  23.  (22.)  Cap.,  §  17  - 19.  —  24.  (23.)  Cap.,  §  1.  (211) 

17.  Mit  diesem  Versmass  verhält  es  sich  nun  aber  so,  dass 
dabei,  entgegen  dem,  was  oben  von  mir  behauptet  wurde, 
die  dritte  Silbe  (in  diesem  Falle)  kurz  ausgesprochen  werden 
muss.  Wie  gross  aber  die  Unzuverlässigkeit  des  (Silben-) 
Längenmasses  bei  den  Alten  ist,  dürfte  zu  bekannt  sein,  als 
dass  ich  erst  noch  mehr  Worte  über  diesen  Gegenstand  zu 
versch wenden  brauche.  18.  Ennius  hingegen  im  ersten  Buche 
.  seiner  „Annalen"  in  folgenden  Versen: 

Nerienem  Mavortis  et  Herclem,  d.  h. 

Die  Nerio,  des  Mars  Gemahlin  und  den  Herdes, 
—  wenn  anders  er  überhaupt,  wie  dies  ja  bei  Ennius  nicht  immer 
der  Fall  ist,  hier  einmal  das  Längenmass  beobachtet  hat.  — 
Ennius,  sag'  ich  also,  dehnt  die  erste  Silbe,  d.  h.  gebraucht 
sie  lang,  die  dritte  hingegen  kurz.  19.  Nun  darf  ich  endlich 
aber  auch  noch  diese  letzte  Bemerkung  nicht  mit  Still- 
schweigen übergehen,  sei  sie,  wie  sie  sei,  die  ich  in  dem 
„Denkbuch'4  des  Servius  Claudius  geschrieben  fand,  dass 
der  Ausdruck  Nerio  gleichsam  gesagt  sei  für  Ne-irio,  das 
hiesse  also:  ohne  Zorn  und  mit  Versöhnlichkeit,  so  dass  wir 
den  Mars  unter  diesem  Namen  anflehen  wollen,  uns  sanft, 
mild  und  friedlich  zu  begegnen.  Denn  die  Partikel  ne.  wie 
bei  den  Griechen,  so  auch  meist  in  der  lateinischen  Sprache, 
zeigt  eine  Beraubung  an  (und  stellt  also  den  Begriff  ver- 
neinend dar). 

XIII,  24  (23),  L.  Allerliebster  Vorwurf  des  M.  Cato,  der  Consul  und 
Censor  gewesen  war,  gegen  Die,  welche  nur  dem  Namen,  nicht  aber  der 
That  nach  Weltweise  sind  (und  die  Weltweishcit  nur  als  Aushängeschild 

gebrauchen). 

XIII,  24.  (23.)  Cap.  1.  M.  Cato,  der  die  Würde  eines 
Consuls  wie  Censors  bekleidet  hat,  sagt,  dass,  während  der 
Staat  und  die  Privatleute  sich  der  Ueppigkeit  überliessen, 
seine  Villen  ungeschmtickt  und  roh  (ganz  einfach),  nicht  ein- 
mal mit  Kalk  übertüncht  gewesen  bis  zum  70.  Jahre  seines 
Lebens.  Und  da  drückt  er  sich  im  weiteren  Verlauf  wörtlich 
so  aus:  „Weder  ein  Gebäude,  sagt  er,  noch  ein  Gefäss,  noch 
ein  Kleid  hab'  ich,  kostbar  gefertigt,  noch  einen  kostbaren 


Xin,  23  (22),  19  vergl.  Gell.  III,  3,  1  NB. 

14* 


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(212)     XIH.  Buch,  24.  (23.)  Cap.,  §  1.  2.  —  25.  (24.)  Cap.,  §  1.  2. 


Sklaven,  noch  Magd.  Wenn  ich  etwas  habe,  fährt  er  fort,  was 
ich  brauchen  kann,  so  gebrauch'  ich's  auch ;  wenn  ich's  nicht 
habe,  so  weiss  ich  dessen  zu  entbehren  (und  behelfe  mich 
gern  so).  Meinetwegen  darf  Jeder  das  Seinige  brauchen  und 
gemessen."  Dann  fügt  er  hinzu:  „Man  macht  mir  einen  Vor- 
wurf, weil  ich  mich  in  vielen  Dingen  behelfe,  aber  ich  (mache) 
Jenen  (zum  Vorwurf),  weil  sie  sich  nicht  behelfen  können 
(nicht  verstehen,  etwas  zu  entbehren)."  2.  Ein  solches  lauteres, 
aufrichtiges  Geständniss  von  diesem  für  das  schlichte  und 
einfache  Landleben  eingenommenen  Menschen  (Tusculani 
hominis),  der  zwar  eingesteht,  dass  er  wohl  viele  Dinge  noch 
entbehre,  nichts  jedoch  danach  verlange,  ist  wahrlich  weit 
mehr  förderlich,  die  Liebe  zur  Sparsamkeit  und  Genügsamkeit 
anzuregen  und  in  Geduld  zur  Ertragung  des  Mangels  aus- 
zuharren, als  jene  griechischen  Windbeuteleien  von  Denen, 
die  da  sagen,  dass  ihnen  die  Philosophie  ein  Bedürfniss  sei 
(vergl.  Gell.  V,  15,  9)  und  die  (stets  nur)  eitel  leeren  Phrasen- 
dunst vorheucheln,  die  (in  einem  fort)  die  Versicherung  im 
Munde  führen,  dass  sie  nichts  besitzen,  dass  sie  jedoch  auch 
durchaus  nichts  bedürfen  und  durchaus  nichts  begehren, 
während  sie  doch  (leidenschaftlich)  danach  brennen,  zu  be- 
sitzen, zu  bedürfen,  zu  begehren. 

XIII,  25  (24),  L.  Untersuchung  der  Frage,  was  das  Wort  „manubiae"  be- 
deutet; dann  nebenbei  noch  einige  Bemerkungen  über  die  Art  und  Weise, 
mehrere  Wörter  von  gleicher  Bedeutung  auf  einander  folgen  zu  lassen 

(und  zu  häufen). 

XIH,  25.  (24.)  Cap.  1.  Auf  der  Trajanssäule  sind  (plasti- 
sche) um  und  um  vergoldete  Abbildungen  von  Pferden  (Figu- 
ren) und  militärischen  Fahnen  und  Trophäen  angebracht  und 
darunter  steht  geschrieben:  ex  manubiis.  2.  Als  Favorinus 
auf  dem  freien  Marktplatz  auf-  und  abging  und  seinen  Freund, 


XIII,  25  (24),  1.  Marcus  Ulpius  Trajanus,  der  erste  nicht  aus  Italien 
gebürtige  röm.  Kaiser  v.  98  — 117,  bei  Sevilla  in  Spanien  geboren,  erhielt 
den  Beinamen  des^  „Besten",  den  ihm  der  Senat  beilegte.  Er  starb  117 
zu  Selinus  in  Cilicien  an  der  Pest.  Die  von  ihm  (114)  errichtete,  120  Fuss 
hohe,  im  Innern  ersteigbare,  von  aussen  mit  den  Scenen  aus  dem  da- 
cischen  Kriege  darstellenden  Reliefs  geschmückte  Säule  steht  noch  jetzt  in 
Rom,  aber  statt  des  Trajan  die  Bildsäule  des  heiligen  Petrus  tragend. 


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XIII.  Buch,  25.  (24.)  Cap.,  §  2—6. 


den  Consul  erwartete,  der  vor  Gericht  noch  eben  mit  Ent- 
scheidung von  Rechtssachen  beschäftigt  war,  richtete  er  an 
uns,  die  wir  ihn  damals  fast  immer  zu  begleiten  pflegten,  die 
Frage  und  sagte:  Was  glaubt  ihr  wohl,  das  eigentlich  auf 
jener  Inschrift  die  Bedeutung  von  dem  Wort:  manubiae  ist? 
3.  Darauf  sagte  Einer  aus  der  Gesellschaft,  ein  Mann  durch 
seine  wissenschaftlichen  Bestrebungen  von  einem  grossen  und 
berühmten  Namen:  ex  manubiis  heisst  soviel  als  ex  praeda; 
manubiae  wird  nämlich  die  Beute  genannt,  welche  man  mit 
der  Hand  (manu)  genommen  und  fortgeschafft  hat.  4.  Wenn 
ich  auch  schon,  nahm  Favorin  das  Wort,  meinen  ganzen 
Hauptfleiss  fast  (ausschliesslich)  nur  auf  griechische  Wissen- 
schaften und  Literatur  verwendete,  so  bin  ich  immerhin  doch 
nicht  so  ganz  unwissend  mit  den  lateinischen  Ausdrücken 
(geblieben),  mit  denen  ich  mich  nur  zeitweise  und  so  nebenbei 
beschäftige,  als  dass  mir  die  gewöhnliche  Auslegung  des  Wortes 
manubiae  unbekannt  geblieben  sein  sollte,  dass  es  (schlecht- 
weg) nämlich  soviel  als  praeda  (Beute)  bedeuten  soll.  Allein 
ich  frage,  ob  M.  Tullius  (Cicero),  der  gewissenhafteste  Schrift- 
steller bei  der  Wahl  des  Ausdrucks,  in  der  Rede,  die  er  am 
1.  Januar  gegen  Rullus  „über  das  Ackergesetz"  gehalten  hat, 
wohl  etwa  nur  durch  unnütze  und  geistlose  Verdopplung  der 
beiden  Ausdrücke  „manubiae"  und  „praeda"  verbunden  haben 
würde,  wenn  der  eine  ganz  dasselbe  bedeutet,  als  der  andere, 
und  sie  sich  in  keiner  Hinsicht  von  einander  unterscheiden? 
5.  Und  wie  sich  nun  Favorinus  immer  durch  sein  vortreff- 
.  liches,  man  möchte  vielmehr  sagen,  göttliches  Gedächtniss 
auszeichnete,' so  führte  er  auch  jetzt  sofort  die  betreffenden 
Worte  von  M.  Tullius  (Cicero)  an.  6.  Ich  lasse  dieselben 
hier  gleich  folgen  (sie  bilden  ein  Bruchstück  zu  der  Rede 

~~      *—  "* —  —  • 

XIII,  25(24),  6.  Unter  manubiae  will  man  auch  den  für  den  Feld- 
herrn abgesonderten  Beutetheil  verstanden  wissen,  welchen  dieser  bestimmt 
und  gelobt  hatte,  irgend  zu  einem  Tempel,  oder  zu  einer  Wasserleitung, 
oder  zu  einem  andern  öffentlichen  Denkmal  für  das  Wohl  und  Beste  der 
Stadt  Rom  zu  verwenden.  Aurum  coronarium  (Kron-Steuer,  Kronen- 
gold) war  die  Abgabe,  welche  eine  Provinz  dem  Statthalter  (Feldherrn), 
später  dem  Kaiser,  wenn  er  triumphirte,  zur  Verfertigung  der  goldenen 
Krone,  die  man  beim  Triumph  zu  zeigen  pflegte,  als  wohlverdienten  Lohn 
bewilligte. 


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(214) 


XIII.  Buch,  25.  (24.)  Cap.,  §6  —  9. 


gegen  Rullus  über  das  Ackergesetz):  „Die  eroberte  Beute 
(praedam),  den  Beuteerlös  (manubias),  die  Versteigerungs- 
güter, ja  das  Lager  des  Cn.  Pompejus  werden  die  Decemvirn 
unter  den  Augen  des  dabeisitzenden  Feldherrn  losschlagen." 
Und  weiterhin  hat  er  diese  beiden  Ausdrücke  gleich  wieder 
ebenso  verbunden  neben  einander  gesetzt  und  gesagt  (Cic. 
de  leg.  agr.  contra  Rull.  I,  4,  12):  „von  der  eroberten  Beute 
(ex  praeda),  von  dem  (abgesonderten,  gelobten)  Beuteerlös 
(ex  manubius),  von  dem  Kronengolde  (ex  auro  coronario)." 

7.  (Nach  Anführung  dieser  Stelle)  wandte  er  sich  darauf  an 
Den,  der  behauptet  hatte,  dass  „manubiae"  ganz  dasselbe  be- 
deute, was  durch  „praeda"  (schon)  ausgedrückt  sei  und  sagte 
zu  ihm :  Glaubst  Du  denn  nun  immer  noch,  dass  M.  Cicero  an 
beiden  Stellen  ungereimter  und  fader  Weise  zwei  Wörter  ge- 
braucht hat,  die  ganz  genau  einen  und  denselben  Begriff,  wie 
Du  doch  meinst,  bezeichnen  und  fähig  gewesen  sei,  einen 
ähnlichen  Scherz  anzubringen,  wie  der  ist,  womit  Euripides 
beim  Aristophanes,  bei  diesem  launigsten  unter  den  Lustspiel- 
dichtem, den  Aeschylus  aufgezogen  hat,  wenn  er  sagt  (Aristoph. 
Frösche  v.  1154  —  1156-1158): 

Euripides.  Da  sagt  uns  Eines  zweimal  Meister  Aeschylos: 

„Ich  kam  ins  Land,  sagt  er,  und  kehre  jetzt  zurück." 
Ich  kam,  ist  ja  dasselbe,  wie :  ich  kehr'  zurück. 

Dionys.  Ganz  recht  beim  Zeus,  als  wenn  zum  Nachbar  Jemand  sprach : 
Den  Backtrog  leih',  oder,  wenn  Du  willst,  die  Mulde  mir  *). 

8.  Keineswegs  aber  scheinen  mir,  wie  z.  B.  bei  Aristophanes 
die  Redensart:  Backtrog  oder  Mulde  ausdrückt,  bei  Cicero 
die  beiden  Wörter  gerade  so  angewendet  zu  sein,  wie  der- 
gleichen ähnliche  gleichbedeutende  Begriffe,  sowohl  bei  grie- 
chischen und  lateinischen  Dichtern,  wie  bei  Rednern,  zur 
Verherrlichung  und  Ausschmückung  des  Ganzen,  durch  zwei 
oder  mehrere  gleichbedeutende  Wörter  wiederholt  hinter  ein- 
ander gesagt  werden.  9.  WTas  soll  daher  wohl,  sagte  Favo- 
rinus,  die  Wiederholung  und  Erneuerung  derselben  Sache  nur 
durch  einen  andern  (aber  gleichbedeutenden)  Ausdruck  be- 


XIII,  25  (24),  7.  *)  Das  ist  gehüpft  wie  gesprungen,  sagt  man  bei 
uns  sprüchwörtlich. 

Xni,  25  (24),  9.   Cic.  de  const.  accusat.  vergl.  Gell.  H,  4,  lj  IV,  9,  7. 


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XIII.  Buch,  25.  (24.)  Cap.,  §9-11. 


(215) 


zwecken,  wie  dies  doch  hier  bei  den  beiden  Wörtern  „manu- 
biae"  und  „praeda"  der  Fall  sein  würde?  Verleiht  Cicero,  wie 
er  sonst  wohl  zu  thun  pflegt,  der  Rede  dadurch  einen  grösseren 
Glanz?  Macht  er  sie  dadurch  klangvoller  und  melodischer, 
harmonischer  und  gefälliger?  Bezweckt  er  durch  diese  (Wie- 
derholung und)  gewiss  auffällige  Ausdruckshäufung,  das  Ver- 
brechen nur  noch  ärger  hinzustellen,  oder  noch  schärfer  zu 
rügen,  zu  brandmarken  ?  Etwa  so,  wie  von  demselben  Cicero 
in  seiner  Schrift,  welche  „über  die  Wahl  des  Klägers"  handelt, 
ein  und  dieselbe  Sache  durch  mehrere  Wörter  in  heftiger 
und  harter  Weise  so  ausgedrückt  wird  (Cic.  contr.  Q.  Caecil. 
de  constituendo  accusatore  5,  19):  „Ganz  Sicilien,  wenn  es 
sprechen  könnte,  würde  einstimmig  so  sagen:  was  ich  an 
Geld,  was  ich  an  Silber,  was  an  Kostbarkeiten  in  meinen 
Städten,  Wohnsitzen,  Heiligthümern  gehabt  habe."  Denn  da 
er  bereits  einmal  „alle  Städte"  gesagt  hatte,  fügt  er  (eigent- 
lich nur  noch  überflüssiger  Weise)  Wohnsitze  und  Heilig- 
thümer  hinzu,  welche  sich  ja  doch  in  den  Städten  befinden 
(und  bei  dieser  allgemeinen  Bezeichnung  schon  mit  einbegriffen 
sind).  10.  So  heisst  es  in  demselben  Buche  (contr.  Q.  Caecil. 
de  const.  acc.  4,  11)  auf  ähnliche  Weise:  „C.  Verres  wird 
beschuldigt,  die  Provinz  Sicilien  drei  Jahre  hindurch  verheert, 
ihre  Städte  verwüstet,  die  Häuser  ausgeleert,  die  Heiligthümer 
geplündert  zu  haben."  11.  Als  er  (im  Allgemeinen)  der 
ganzen  Provinz  Sicilien  Erwähnung  gethan  und  überdies  noch 
(besonders)  die  Städte  hinzugefügt,  auch  die  Wohnstätten  und 
Tempel,  welche  er  nachher  (der  Ausführlichkeit  wegen  noch) 
setzte,  kurz  dies  Alles  der  Reihe  nach  aufgezählt  hatte,  was 
soll  man  nun  da  (wohl  erst)  von  der  Häufung  der  vielen  und 
verschiedenen  (aber  so  ziemlich  gleichbedeutenden,  aufeinander 
folgenden)  Zeitwörter  sagen,  als  da  sind:  depopulatus  esse 
(verheert),  vastasse  (verwüstet),  exinanisse  (ausgeleert),  spo- 
liasse  (geplündert  zu  haben),  laufen  nicht  alle  auf  ein  und 
dieselbe  Bedeutung  (oder  Bezeichnung  eines  und  desselben 
Begriffs)  hinaus?  Ganz  gewiss!  Allein  weil  sie  mit  würde- 
vollem, rednerischem  Ausdruck  und  mit  gewaltiger  Fülle  des 
Vortrags  gesagt  werden,  obgleich  sie  fast  ganz  dasselbe  be- 
deuten und  nach  Gemässheit  eines  einzigen  (absichtlichen) 
Begriffes  loswettern,  wird  man  sie  trotzdem  für  mehrere  (und 


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XIII.  Buch,  25.  (24.)  Cap.,  §11  —  15. 


verschiedene)  halten,  weil  sie  Ohr  und  Gewissen  öfters  treffen. 
12.  Diese  Art  des  Redeschmucks,  bei  (Hervorhebung  und) 
Vergrösserung  eines  einzigen  Verbrechens  durch  viele  (heftige) 
und  betäubende  Ausdrücke,  hat  damals  schon  jener  älteste 
(Redner)  M.  Cato  mit  ausserordentlichem  Erfolge  in  seinen 
Reden  anzuwenden  verstanden,  wie  z.  B.  in  der  Rede,  welche 
überschrieben  ist:  „von  den  zehn  Männern",  als  Cato  den 
Thermus  anklagte,  weil  dieser  zehn  freie  Männer  zu  gleicher 
Zeit  hatte  umbringen  lassen.  Er  bedient  sich  dabei  einer 
Häufung  von  Ausdrücken,  welche  alle  nur  einen  und  den- 
selben Sinn  haben  (alle  nur  auf  eine  und  dieselbe  Thatsache 
hinzielen).  Weil  daraus  schon  Blitze  der  damals  zuerst  auf- 
blühenden römischen  Beredtsamkeit  aufleuchten ,  so  darf  ich 
mir  wohl  erlauben,  sie  hier  ins  Gedächtniss  zu  bringen 
(a/roiivrjfiovEueiv),  sie  lauten:  „Du  muthest  uns  zu,  Deine  ab- 
scheuliche (niederträchtige)  Unthat  durch  eine  (zweite)  noch 
schlimmere  zuzudecken,  lassest  Menschen  wie  Schweine  ab- 
stechen, richtest  eine  Schlächterei  ohne  Beispiel  an,  richtest 
zehn  Leichen  her,  richtest  zehn  freie  Häupter  hin,  raubst 
zehn  Menschen  das  Leben  ohne  Prozess,  ohne  Richterspruch, 
ohne  Verurtheilung."  13.  Ebenso  hat  Cato  auch  im  Anfang 
seiner  Rede,  welche  er  im  Senat  zu  Gunsten  der  Rhodier 
hielt,  als  er  die  Römer  an  ihr  zufällig  ausserordentliches 
Glück  erinnern  wollte,  sich  dabei  dreier  ganz  gleichbedeu- 
tender Ausdrücke  bedient.  14.  Die  Stelle  lautet  also:  „Ich 
weiss  recht  gut,  dass  die  meisten  Menschen  in  günstigen  und 
behaglichen  und  glücklichen  Umstanden  sich  überheben  und 
dass  Hochmuth  und  Trotz  sich  mehrt  und  wächst."  15.  Ebenso 
hat  Cato  an  einer  Stelle  aus  dem  7.  Buche  seiner  „Ur- 
geschichte", in  der  Rede,  welche  er  gegen  den  Praetor  Ser- 
vius(Sulpicius)  Galba  hielt,  sich  mehrerer  Wortwieder- 


XIII,  25  (24),  12.  M.  Cato  „de  decem  hominibus  contra  Thermum". 
Q.  Minucius  Thermus  hatte  als  Consul  in  Ligurien  den  Senatsausschuss 
(decemviri)  einer  Stadt  wegen  angeblich  schlechter  Proviantlieferung  aus- 
peitschen und  dann  hinrichten  lassen.  Ihm  nun  bringt  Cato  diese  That 
mit  den  hier  angeführten  betäubenden  Wiederholungen  zu  Ohr  und  Ge- 
wissen. S.  M.  Catonis  praeter  librum  de  re  rustica  quae  extant  Henr. 
Jordan.  1860.   (Otto  Ribbeck.)   Vergl.  Gell.  X,  3r  17  NB. 

XIII,  25  (24),  14.   S.  GelL  VI  (VII),  8,  14. 


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XIII.  Buch,  25.  (24.)  Cap.,  §  15  —  17. 


(217) 


holungen  über  dieselbe  Sache  bedient,  er  sagt  da:  „(meine)V 

Jahre,  (mein)  Alter,  (meine)  Stimme,  (meine)  Kräfte,  (mein) 

Greisenthum;  jedennoch  freilich  da  ich  in  Erwägung  zog,  dass 

ich  dies  für  eine  höchst  wichtige  Sache  (für  das  Wohl  des 

Staates)  thue"  (so  hat  der  Gedanke  an  die  Bedeutung  dieser 

Verhandlung  alle  meine  Bedenken  überwunden).    16.  Vor 

Allen  aber  finden  sich  bei  Homer  (auffallend)  schlagende 

Beispiele  solcher  ansehnlicher  Worthäufung,  sowohl  bezüglich 

der  Sache,  wie  des  Gedankens,  z.  B.  (Horn.  II.  XI,  163): 

Hectorn  aber  entrückte  der  Donnerer  aus  den  Geschossen, 

Aus  dem  Gemetzel  der  Schlacht,  aus  Blut  und  Staub  und  Getümmel. 

Aehnlich  in  einem  andern  Verse  (Homer.  Odyss.  XI,  612): 
Schlachtengewühl  und  Gefecht  und  Mord  und  Männervertilgung. 

17.  Denn  da  an  beiden  Stellen  alle  diese  vielen  und  sinn- 
verwandten (synonymen)  Wörter  nichts  weiter  bezeichnen 
sollen,  als  eine  Schlacht,  so  ist  doch  die  Mannigfaltigkeit 

XIII,  25  (24),  15.  Wie  im  Jahre  564  für  die  Ligarier  (vergl.  Gell. 
I,  12,  17),  so  tritt  70  Jahre  später,  kurz  vor  seinem  Tode,  der  85jährige 
Greis  für  das  Recht  der  Lusitanier  ein,  die  er  seit  seinem  Consulate  unter 
seine  besonderen  Schutzbefohlenen  zählte.  Der  Praetor  Senilis  Sulpicius 
Galba  hatte  7000  Lusitanier  in  die  Falle  gelockt  und  trotz  des  geschlosse- 
nen Vertrages  theils  niederhauen,  theils  in  die  Sklaverei  führen  lassen. 
Der  Volkstribun  L.  Scribonius  Libo  hatte  beantragt,  die  Gefangenen  frei 
zu  geben  und  damit  Anklage  gegen  den  verrätherischen  Feldherrn  erhoben. 
Der  alte  Cato  erhob  sich  zur  Unterstützung  des  Antrags  und  begann  mit 
den  hier  (§  15)  verzeichneten  Worten.  Mit  jugendlicher  Energie  trieb 
Cato  den  Gegner  aus  den  Schlupfwinkeln  seiner  Verthe^digung  heraus. 
Der  gänzlich  Ueberführte  und  Geständige  wäre  beinahe  verloren  gewesen; 
doch  gelang  es  ihm  noch  mit  Hülfe  des  schon  damals  beliebten  Rühr- 
apparates, durch  weinende  Kinder  und  Geld,  der  Verurtheilung  zu  ent- 
gehen. Cato  aber  verewigte  das  Brandmal,  das  er  ihm  aufgedrückt  hatte, 
durch  Aufnahme  seiner  Reffe  in  das  7.  Buch  seines  grossen  Geschichts- 
werks (origenes).  Bei  der  nachträglichen  Aufzeichnung,  entweder  in  der 
Rede  selbst,  den  voraussichtlichen  Versuchen  des  Angeklagten  begegnend, 
oder  in  dem  historischen  Bericht  über  den  Ausgang  des  Prozesses,  nahm 
er  noch  auf  jene  Unsitte,  durch  Kinder-  und  Weiberthränen  das  Recht  zu 
beugen,  warnend  oder  tadelnd  Bezug.  Durch  diese  Erklärung  löst  Otto 
Ribbeck  die  scheinbaren  Widersprüche  der  Zeugnisse  über  diese  Rede  am 
einfachsten  auf.  Siehe  Cic.  de  orat.  I,  53,  227;  Quinctil.  II,  15,  8.  —  Ser- 
vius  Sulpicius  Galba  war  der  erste  Redner  seiner  Zeit.  Cic  Brut. 
86,  295;  Lael.  23,  89.  Vergl.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  119,  2  u.  171,  2.  4 
und  Gell.  II,  10,  1. 


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XIII.  Buch,  25.  (24.)  Cap.,  §  17  —  21. 


dieses  Kampfbildes  durch  die  vielen  und  verschiedenen  (wenn 
auch  sinnverwandten)  Ausdrücke  in  lebhafte  Farben  gekleidet. 

18.  Ganz  ebenso  findet  sich  bei  demselben  Dichter  mit  feiner 
Absichtlichkeit  jener  eine  Gedanke  in  zwei  (gleichbedeutenden) 
Wörtern  wiederholt.  Als  nämlich  Idaeus  zwischen  die  beiden, 
mit  "Waffen  kämpfenden  Helden,  Ajax  und  Hector,  tritt,  ruft 
er  (Horn.  Iliad.  MI,  279)  ihnen  folgende  Worte  zu: 

Wackere  Söhne,  genug  sei's  jetzt  des  Gefechtes  und  Kämpfens! 

19.  Nun  darf  man  aber  nicht  etwa  glauben,  dass  das  andere 
Wort  in  dem  Verse  dem  vorhergehenden,  gleichbedeutenden 
als  nicht  zur  Sache  gehörig,  zugesetzt  und  angeflickt  sei,  nur 
zur  Ausfüllung  des  Versmasses.  Eine  solche  Behauptung  wäre 
höchst  thöricht  und  lächerlich.  Allein  als  er  an  den  beiden 
von  Ruhmbegierde  brennenden  Jünglingen  ihre  Hartnäckigkeit, 
ihre  Wildheit  und  ihre  Kampfgier  ruhig  und  mit  Anstand 
tadelte,  beabsichtigte  er  nur,  ihnen,  zweimal  mit  andern 
Worten  dasselbe  sagend,  mit  doppelt  eindringlichem  Zuruf 
(wegen  der  einbrechenden  Nacht)  die  Gefährlichkeit  des 
Kampfes  und  die  Vermessenheit  seiner  Fortsetzung  schlimmer 
darzustellen  und  einzuschärfen,  und  dieser  doppelte  (laute  und 
harte)  Vorwurf  macht  (daher)  die  Warnung  (nur  noch)  drin- 
gender. 20.  Nicht  einmal  jene  Wiederholung  eines  gleich- 
bedeutenden Ausdrucks  darf  (uns)  kraftlos  und  matt  erschei- 
nen (Horn.  Odyss.  XX,  241)  in  folgendem  Verse: 

Doch  die  Freier  beschlossen  des  Telemachs  Tod  und  Verhängniss 
Meuchlerisch, 

weil  er  zweimal  denselben  Begriff  benennt,  einmal  durch  „Tod 
(Vdvavog)",  das  anderemal  durch  „Verhängniss  (ftoQogY;  denn 
die  empörende  Niederträchtigkeit  des  ebenso  grausamen,  als 
ungerechten  Mordanschlags  ist  durch  die  Wiederholung  des 
Begriffes  „Tod"  (schmerzlich)  beklagt  worden.  21.  Wer  sollte, 
übrigens  geistig  so  abgestumpft  sein,  dass  er  nicht  auf  den 
ersten  Augenblick  erkennt,  dass  (wie  früher  die  beiden 
gleichbedeutenden  Wörter:  noXeiiLZeTE  (streitet)  und  pdxeo&e 
(kämpfet),  so  an  zwei  andern  Stellen  (Horn.  II.  II,  8): 
Buax*  r#,  ovlt  vOvHQi,  d.  h.  Geh',  eile,  verderblicher  Traum! 

XIII,  25  (24),  21.  Die  Verbindung  dieser  zwei  synonymen  Imperative 
ßdoxt  und  i&t  drückt  die  Eile  aus,  mit  der  der  Befehl  sich  aufzumachen 
ausgeführt  werden  soll,   ßaaxt  kommt  nur  in  dieser  Verbindung  vor. 


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XIII.  Buch,  25.  (24.)  Cap.,  §  21—27.  (219) 


und  (Horn.  Iliad.  VIII,  399): 

Baax*  T#i,  Y(>t  T«/*f«,  d.  h.  Geh',  eile,  o  schnelle  Iris! 

die  beiden  gleichbedeutenden  Ausdrücke  {ßao/.e-Ylh,  geh', 
laufe)  nicht  absichtslos  gesetzt  seien,  wie  Einige  meinen,  durch 
(diese)  Verdoppelung  gleichbedeutender  Wörter  {h,  TrctQctl- 
Xrjliov),  sondern  eine  strenge  Aufforderung  gebotener  Eile 
(merken  lassen  sollen).  22.  Auch  jene  dreifachen  Ausdrücke 
des  M.  Cicero  in  seiner  Rede  gegen  L.  Piso  (1,  1),  obwohl 
sie  Leuten  mit  hartem  Ohre  nicht  gefallen  (wollen),  erstrebten 
nicht  nur  Feinheit  durch  (rhythmischen)  Wohlklang ,  sondern 
geisselten  (ganz)  besonders  die  absichtlich  angenommene 
äussere  Miene  (wodurch  sich  Piso  zu  verstellen  wusste)  durch 
mehrere  Ausdrücke  zugleich.  Cicero  drückt  sich  so  aus:  23. 
„Kurz,  Deine  ganze  Miene,  welche  eine  stumme  Sprache  des 
Gemüths  ist  —  das  war  es,  was  die  Leute  in  die  Falle  lockte, 
das  war  es,  womit  er  Diejenigen,  denen  er  unbekannt  war, 
hinterging,  täuschte  und  verführte."  24.  Was  lässt  sich  nun 
aus  dem  Gesagten  für  ein  Schluss  ziehen?  Ich  will's  Euch 
sagen,  fuhr  Favorin  fort.  Ist  nun  etwa  bei  demselben  Cicero 
(in  der  früheren  Stelle)  der  Fall  ein  ähnlicher  in  Bezug  auf  die 
Wörter:  praeda  und  manubiae  (dass  es  also  auch  nur  gleich- 
bedeutende Ausdrücke  sind)?  Nichts,  wahrlich  nichts  der  Art 
ist  hier  der  Fall.  25.  Denn  durch  das  hinzugefügte  Wort: 
manubiae  (also  durch  Verdoppelung  desselben  Begriffs)  wird 
die  Ausdrucksweise  weder  schmuckvoller,  noch  gewaltiger, 
noch  wohlklingender;  aber  etwas  Anderes  bedeutet  überhaupt: 
„praeda",  wie  in  den  Werken  über  alte  Geschichte  und  über 
alte  Ausdrücke  geschrieben  steht,  etwas  Anderes :  „manubiae". 
26.  Denn  die  Masse  der  erbeuteten  Gegenstände  wird  „praeda" 
genannt,  unter  dem  Ausdruck  „manubiae"  aber  verstand  man 
das  vom  Quaestor  aus  der  Beuteversteigerung  (gelöste  und 
als  Staatseinnahme)  verrechnete  Geld.  27.  M.  Tullius  (Cicero) 
setzte  aber  (absichtlich)  beide  Wörter,  um  Hass  und  Vorwürfe 


XIII,  25  (24),  26.  Der  Quaestor,  Schatzmeister  (Rentmeister,  Kriegs- 
zahlmeister) hatte  die  Kriegskasse  zu  verwalten,  den  Sold  auszutheilen,  die 
gemachte  Beute  für  Rechnung  des  Staates  in  Empfang  zu  nehmen.  Mit 
diesem  Amte  begannen  vornehme  junge  Römer  gewöhnlich  ihre  politische 
Laufbahn. 


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(220) 


XIII.  Buch,  25.  (24.)  Cap.,  §  27  -  32. 


zu  verschärfen  gegen  die  Decemvirn,  welche  beabsichtigten, 
nicht  nur  die  Beute,  welche  noch  nicht  veräussert  worden 
war,  sondern  auch  das  Geld,  was  bereits  aus  dem  Verkauf 
von  Beute  gelöst  worden  sei,  zu  stehlen  und  einzuheimsen. 
28.  Daher  zeigt  uns  diese  Ueberschrift ,  die  ihr  hier  seht,  so 
recht  augenscheinlich,  dass  unter  den  Worten:  ex  manubiis 
nicht  die  erbeutete  Gegenstandsmasse  zu  verstehen  ist,  — 
denn  etwas  Derartiges  ist  dem  Feinde  vom  Trajan  nicht  ab- 
genommen worden,  —  sondern  diese  Ueberschrift  macht  uns 
ganz  deutlich,  dass  dies  Alles  hergestellt  und  gewonnen  wor- 
den sei:  ex  manubiis,  d.  h.  also:  aus  dem  Beuteerlös.  29. 
Unter  „manubiae"  versteht  man  also,  wie  ich  bereits  schon 
bemerkt  habe,  nicht  die  Beute  selbst,  sondern  das  durch  den 
Quaestor  des  römischen  Volkes  aus  der  verkauften  Beute 
zusammengebrachte  Geld.  30.  Unter  dem  von  mir  bezeich- 
neten Quaestor  muss  heutigen  Tags  der  Schatzmeister  (prae- 
fectus  aerario)  verstanden  werden.  Denn  die  Obhut  und 
Aufsicht  über  den  (Staats-)  Schatz  ist  von  den  Quaestoren 
auf  die  Praefecten  übergegangen.  31.  Nirgends  aber  lässt 
sich  nachweisen,  dass  irgend  ein  nur  halbwegs  guter  Schrift- 
steller so  geschrieben  habe,  dass  er  so  ohne  Weiteres,  oder 
in  seiner  Nachlässigkeit  praeda  für  manubiae,  oder  manubiae 
für  „praeda"  gesetzt  hätte,  oder  eine  Vertauschung  der  Wörter 
durch  irgend  eine  bildliche  Ausdrucksweise  gebraucht  hätte, 
wie  es  wohl  Denen,  welche  dies  geschickt  und  kunstgerecht 
anfangen,  (unter  Umständen)  gestattet  ist  (z.  B.  den  Dichtern). 
32.  Allein  ich  muss  ausdrücklich  noch  einmal  bemerken,  dass 
Die,  welchen  es  darum  zu  thun  war.  charakteristisch  und 
bezeichnend  zu  sprechen,  das  Wort  manubiae  nur  in  dem 
Sinne  von  Geld  genommen  haben,  gerade  so,  wie  M.  Tullius 
(Cicero)  in  der  erwähnten  Stelle. 


XIII,  25  (24),  29.  Ueber  den  Verkauf  der  Kriegsbeute  von  Seiten 
des  das  Heer  begleitenden  Quaestors,  um  dann  den  Erlös  (manubiae,  im 
Unterschiede  von  praeda)  abzuliefern  oder  fürs  Heer  zu  verwenden,  s. 
Dion.  7,  63;  8,  82;  10,  21;  Plaut.  Capt  prol.  34  und  Lange  röm.  Alterth. 
§  87  p.  (636)  741. 

XIII,  25  (24),  30.  Im  Jahre  810/57  übertrug  Nero  gewesenen  Prae- 
toren  die  Verwaltung  des  aerariums,  s.  Plut.  quaest.  Rom.  43;  Suet. 
Claud.  24. 


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XIII.  Buch,  26.  (25.)  Cap.,  §  1.  2. 


XIII,  26  (25),  L.  Nach  dem  Ausspruch  des  P.  Nigidius  muss  man  bei  dem 
Vocativ:  „Valeri"  die  erste  Silbe  stark  betonen;  desgleichen  einige  andere 
wörtliche  Bemerkungen  von  ihm,  welche  sich  auf  eine  richtige  Schreibart 

beziehen. 

XIII,  26.  (25.)  Cap.  1.  P.  Nigidius,  höchst  bewandert 
in  den  Grundsätzen  aller  Wissenschaften,  sagt  im  24.  Buche 
seiner  „grammatischen  Erklärungen"  wörtlich:  „Wie  könnte 
endlich  die  Betonung  unverletzt  bleiben,  wenn  man  bei  Namen, 
wie  z.  B.  bei  „Valeri*',  nicht  zu  unterscheiden  wüsste,  ob  es 
der  Genitiv,  oder  der  Vocativ  sei?  Bei  dem  Genitiv  liegt 
nämlich  auf  der  zweiten  Silbe  eine  stärkere  Betenung,  als 
auf  der  ersten,  die  letzte  Silbe  lässt  man  fallen  (und  der 
Genitiv  lautet  also:  ,,Val6riu),  aber  beim  Vocativ  hat  die  erste 
Silbe  den  höchsten  Accent  (und  er  lautet  also:  „Valeri").  die 
andern  (anschliessenden)  Silben  sinken  nach  und  nach."  2. 
Diese  Aussprache  schrieb  nun  zwar  P.  Nigidius  (der  Zeit- 
genosse des  Cicero)  vor.  Wenn  nun  aber  heutigen  Tages  es 
Jemandem  einfallen  sollte,  im  Fall  er  den  Namen  Valerius  zu 
nennen  hat,  nach  dieser  Vorschrift  des  Nigidius  im  Vocativ 


XIII,  26  (25),  L.  Ueher  den  Vocativ  von  egregius  vergl.  Gell.  XIV,  5. 
Die  Substantiva  (nicht  Adjectiva)  auf  ius  und  ium  haben  im  Genitiv  i,  wie 
res  maneipi.  Daher  die  Regel,  dass  der  Vocativ  Valeri  zu  sprechen,  der 
Genitiv  aber  Valeri,  was  richtig  ist,  wenn  Valeri  aus  Valerii  entstanden  ist. 

XIII,  26  (25),  2.  Acuere  sillabam,  Hebung,  Betonung  der  Silbe.  Eine 
Silbe  erhält  einen  besondern  Hauptton,  die  andere  Silbe  schliesst  sich 
dieser  Silbe  an,  z.  B.  hdmines.  Es  giebt  also  lange  Silben  ohne  Hebung 
und  mit  Hebung.  1)  Einsilbige  Wörter  haben  auf  dieser  Silbe  den  Ton, 
2)  zweisilbige  haben  auf  der  ersten  den  Ton,  3)  drei-  und  mehrsilbige 
haben  auf  der  drittletzten  den  Ton,  wenn  die  vorletzte  kurz  ist  und 
nur  positio  debilis  hat,  z.  B.  tenebrae;  auf  der  vorletzten,  wenn  diese 
lang  ist,  z.  B.  hümänus,  rötentus;  die  letzte  Silbe  hat  gar  keinen  Eintiuss. 
Positio  debilis,  schwache  Position,  keine  volle  Position,  muta  cum  liquida 
macht  nicht  lang,  z.  B.  tenebrae,  patris,  ärbitror.  Dadurch  wird  natürlich 
die  bereits  lange  Silbe  nicht  kurz :  mftter,  mätris,  frätris.  Dichter  erlauben 
sich  jedoch,  diese  positio  debilis  geltend  zu  machen.  Die  alten  Gramma- 
tiker unterschieden  Höhe,  Stärke  und  Dauer  des  Tones.  Habet  quidem 
litera  altitudinem  in  pronuntiatione  (Tonlage,  Tonschwingungsverhältniss), 
latitudinem  in  spiritu  (Schallwirkung),  longitudinem  in  tempore  (Tondauer, 
Zeitdauer  des  Tons).  Prise,  de  accentt.  1,  2;  Altitudinem  discernit  accentus, 
quum  pars  verbi  aut  in  grave  deprimitur,  aut  sublimatur.  Accentus  (noosüßin) 


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(222)     XIII.  Buch,  26.  (25.)  Cap.,  §  2—5.  —  27.  (26.)  Cap.,  §  1. 

die  erste  Silbe  zu  betonen  (und  Väleri  zu  sprechen),  so  dürfte 
es  nicht  ausbleiben,  dass  er  ausgelacht  wird.  3.  Er  nennt  die 
höchste  Affection  des  Silbenlautes  die  scharfe  Silbenmessung 
(7tQog(t>öta  acuta)  und  was  man  gewöhnlich  durch  „accentus" 
bezeichnet,  nennt  er  „voculatio"  (Betonungsausdruek),  ferner, 
was  wir  jetzt  mit  dem  Worte  „Genitiv"  bezeichnen,  nennt 
er  „casus  interrogandi".  4.  Auch  folgende  Bemerkung  fiel 
uns  in  dem  Werke  des  Nigidius  auf,  wo  er  sagt:  „Wenn 
Du  den  Genitiv  von  amicus  und  magnus  schreiben  solltest, 
so  brauchst  Du  nur  ein  i  zu  setzen  (und  sagst:)  „hujus 
amici,  oder  hujus  magni,  wenn  Du  aber  den  Nominativus 
pluralis  zu  setzen  hast,  wirst  Du  vorher  immer  noch  ein  i 
(also  überhaupt  ein  Doppel -i)  schreiben  müssen:  hü  magnii, 
hü  amicii,  und  diese  Regel  wirst  Du  auch  in  allen  ähnlichen 
Fallen  zu  beobachten  haben.  Ebenso  magst  Du  auch  den 
Genitiv  von  „terra"  mit  einem  Schluss-i  schreiben,  also:  hujus 
terrai,  wenn  Du  aber  den  Dativ  gebrauchst,  musst  Du  huic 
terrae  schreiben,  also  mit  (Schluss-)  e.  Ebenso,  wer  den 
Genitiv  (des  Personalpronomens)  von  ego  schreibt,  wie  z.  B. 
wenn  man  sagen  will:  mei  Studiosus  (ein  Beschützer  von 
mir),  soll  die  Genitivform  mit  einem  i  schreiben  und  nicht 
noch  mit  e;  allein  beim  Dativ  muss  man  e  und  i  setzen,  und 
also  mihei  schreiben."  5.  Durch  das  hohe  Ansehen  eines  so 
höchst  gelehrten  Mannes  veranlasst,  glaubte  ich  diese  Be- 
merkung denen  zu  Liebe  nicht  mit  Stillschweigen  übergehen 
zu  dürfen,  denen  es  auch  in  dieser  Hinsicht  um  eine  gründ- 
liche Kenntniss  zu  thun  ist. 

XIII,  27  (26),  L.    Ueber  einige  Verse  von  Homer  und  Parthenius,  welche 

Vergil  scheint  nachgeahmt  zu  haben. 

XIII,  27.  (26.)  Cap.    1.  Ein  Vers  des  Parthenius  lautet: 
Dir  Glaukos,  Dir  Nereus,  und  Dir  Seegott  Melikertes. 


dictus  ab  accanendo,  quod  sit  quasi  cujusque  sillabae  cantus  Diomedes  II. 
vergl.  Quint.  I,  5,  22.  25  und  Gell.  XIII,  13,  1  nQostpdeai  (Accente).  Die 
alte  nationalgriechische  Grammatik  begreift  nämlich  unter  dem  Namen 
niioguidiat  alle  Affectionen  des  Silbenlautes,  also  namentlich  auch  die 
Accente  und  Spiritus. 

XIII,  27  (26),  1.   S.  Macrob.  Sat.  V,  17;  cfr.  Gell.  IX,  9,  3. 


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XIII.  Buch,  27.  (26.)  Cap.,  §  2.  3.  -  28.  (27.)  Cap.,  §1—3.  (223) 


2.  Diesen  Vers  hat  Vergil  nachgeahmt,  und  indem  er  dabei 
mit  feinem  Gefühl  zwei  Wörter  umänderte,  einen  gleichen 
gedichtet: 

Dir  Panopeia  und  Glaukos  und  Ino's  Sohn  Melikertes 

(Verg.  Georg.  I,  437).  3.  Aber  der  folgende  Vers  kommt 
dem  homerischen  wahrlich  nicht  gleich,  ja  nicht  einmal  nahe; 
denn  der  von  Homer  scheint  einfacher  und  natürlicher,  der 
von  Vergil  aber  scheint  moderner  (und  etwas  von  klassischem 
Anstrich  zu  entbehren)  und  gleichsam  mit  einigem  aufgelegten 
Kitt  herausgeputzt: 

Auch  ein  Stier  dem  Alpheios,  zugleich  ein  Stier  dem  Poseidon 
(sc.  ward  zum  Opfer  gebracht.    Horn.  Iliad.  XI,  728). 

Seinen  Stier  dem  Neptunus,  den  Stier  Dir,  schöner  Apollo 
(sc.  opferte  Aeneas.   Verg.  Aen.  III,  119). 

XIII,  28(27),  L.    Ueber  einen  Gedanken  des  Panätius,  den  er  im  2.  Buche 
(seines  Werkes)  „über  die  Pflichten"    niedergeschrieben  hat,  wodurch' er 
Jedermann  ermahnt,  sich  für  alle  Fälle  (im  Leben)  zur  Verhütung  (und 
Abwehr)  von  Widerwärtigkeiten  gerüstet  und  vorbereitet  zu  halten. 

XIII,  28.  (27.)  Cap.  1.  Eines  Tages  wurde  (von  mir) 
das  zweite  von  den  drei  berühmten  Büchern  des  Philosophen 
Panaetius  „über  die  Pflichten"  gelesen,  ein  Werk,  welches 
M.  Tullius  (Cicero)  mit  grossem  Eifer  und  höchstem  Geschick 
nachgeahmt  hat.  2.  Daselbst  finden  sich  sowohl  viele  andere 
(herrliche)  Hinweise  zur  Rechtschaffenheit  und  Tugend,  als 
auch  besonders  eine  (Wahrheits-)  Lehre  vor,  die  man  immer 
in  Gedanken  haben  und  behalten  soll.  3.  Sie  lautet  ohngefahr 
folgendermassen :  Das  Leben  von  allen  den  Menschen,  heisst 
es,  die  beständig  mitten  im  Drange  der  Geschäfte  ihr  Dasein 
fristen,  und  sich  und  den  Ihrigen  nützlich  werden  wollen, 
bringt  für  sie  oft  wider  Erwarten  beständige  und  fast  täglich 
wiederkehrende  Beschwerden  und  Gefahren  mit  sich,  zu  deren 
Verhütung  und  Abwehr  man  gerade  so  mit  Geistesgegenwart 
und  Statthaftigkeit  gewappnet  sein  muss,  wie  die  Wettkämpfer, 


XIII,  27  (26),  3.   S.  Bernh.  röm.  Lit.  Gesch.  80,  372. 

XIII,  28  (27),  L.  Des  Panaetius  Schrift:  neol  tov  xaör\xovTo$  war 
Quelle  für  Cicero's  de  offieiis.  Cfr.  Gell.  XII,  5,  10  NB.  S.  Teuffels  röm. 
Lit.  Gesch.  183,  16,  1. 


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(224)       XIIL  Buch,  28.  (27.)  Cap.,  §  4.  —  29.  (28.)  Cap.,  §  1.  2. 

welche  Pancratiasten  genannt  werden.  4.  Denn  so  wie 
diese,  sobald  sie  zum  Kampfe  herausgefordert  sind,  mit  weit 
vorgestreckten  Armen  sich  hinstellen,  und  Kopf  und  Gesicht 
durch  die  vorgehaltenen  Hände  gleichsam  wie  mit  einem 
Wall  (vorn)  verwahren;  wie  ferner  alle  ihre  Glieder,  bevor 
noch  der  Streit  anhebt,  entweder  in  Parade  sind,  zur  Abwehr 
der  Hiebe,  oder  gerüstet,  solche  auszutheilen:  ebenso  muss 
die  geistige  Willenskraft  eines  klugen  und  umsichtigen  Mannes 
allenthalben  und  jederzeit  Vorsicht  anwenden  gegen  die  Macht 
und  Launenhaftigkeit  der  Ungerechtigkeiten  und  Wider- 
wärtigkeiten, und  muss  erwartungsvoll,  unerschütterlich,  völlig 
gedeckt,  schlagfertig,  selbst  in  Bedrängniss  unverrückten 
Blickes  nicht  den  Muth  sinken  lassen,  nirgends  sein  Augen- 
merk ablenkend  dastehen  und  muss  (alP  sein  Sinnen  und 
Denken)  alle  EntSchliessungen  und  Gedanken,  gleichsam  als 
Arme  und  Hände  zur  Schutzwehr  gegen  alle  Schicksalsschläge 
und  gegen  alle  Hinterlist  seiner  Feinde  entgegen  halten,  damit 
bei  einer  plötzlich  hereinbrechenden  Gefahr  ein  Ueberfall  uns 
nicht  unvorbereitet  (ungerüstet)  und  unbeschützt  überrascht. 

XIII,  29  (2S),  L.  Was  Quadrigarius  hat  ausdrücken  wollen  mit  der  Re- 
densart: cum  raultis  mortalibus;  ob  ein  Unterschied  und  zwar  ein  grosser 
Unterschied  stattfinden  würde,  wenn  er  gesagt  hätte :  cum  multis  hominibus. 

XIII,  29.  (28.)  Cap.  1.  Eine  Stelle  des  Claudias  Quadri- 
garius aus  dem  13.  Buche  seiner  Jahrbücher  lautet:  „Nach 
aufgehobener  Versammlung  kam  Metellus  auf  das  Capitol  mit 
einer  grossen  Menschenmenge  (cum  multis  mortalibus),  wenn 
er  von  da  nach  Hause  ging,  begleitete  ihn  (Ehren  halber) 
die  ganze  Bürgerschaft  zurück."  2.  Als  dies  Buch  und 
(gerade)  diese  Stelle  von  dem  M.  Fronto  in  meinem  und 
vieler  Anderer  Beisein  (bei  ihm)  vorgelesen  wurde  und  es 
einem  durchaus  nicht  ununterrichteten  Manne  schien,  dass  die 


XIII,  28  (27),  3.    Pancratiasten  s.  Gell.  III,  15,  3  NB. 

XIII,  29  (28),  L.   Ueber  Claudius  Quadrigarius  s.  Gell.  I,  7,  9  NB. 

XIII,  29  (28),  1.  Im  J.  99  655.  —  Auch  den  Sempronius  Gracchus 
begleitete  nach  Gell.  II,  13,  4  die  Menge  nach  Hause.  Ueber  diese  Sitte 
des  Geleitgebens  s.  noch  Gell.  II,  15,  2.  Vergl.  Liv.  ep.  69;  Val.  Max. 
4,  1,  13;  App.  b.  c.  1,  33;  Cic.  ad  fam.  1,  9,  16. 


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Xm.  Buch,  29.  (28.)  Cap.,  §2  —  5. 


(225) 


Ausdrucksweise  „cum  multis  mortalibus  (mit  vielen  Sterb- 
lichen)" für  (das  Gebräuchlichere)  cum  hominibus  multis 
(mit  vielen  Menschen)  in  einem  Geschieh ts werke  unpassend 
und  matt  und  zu  poetisch  sei,  da  entgegnete  Fronto  diesem 
auf  seine  Aeusserung  Folgendes:  „Du,  ein  Mensch,  der  in  so 
vielen  Dingen  ein  so  ausgezeichnetes  Urtheil  hat,  gestehst 
also,  dass  Dir  „cum  mortalibus  multis"  unpassend  und  matt 
erscheine,  meinest  aber,  dass  kein  Grund  vorhanden  war, 
weshalb  ein  Schriftsteller  von  so  einfacher,  schlichter  und  fast 
alltäglicher  Darstellungsweise  vorzog  lieber  „mortalibus",  als 
„hominibus"  zu  sagen  und  glaubst  (sogar),  dass  es  sich  würde 
gleich  geblieben  sein  bei  Bezeichnung  der  Menschenmenge, 
wenn  er  „cum  multis  hominibus",  und  nicht  „cum  multis  mor- 
talibus" gesagt  hätte?  3.  Ich  wenigstens,  fuhr  er  fort,  —  wenn 
anders  die  Liebe  und  Verehrung  für  diesen  Schriftsteller,  wie 
überhaupt  für  die  ganze  alte  Ausdrucks  weise  mein  Urtheil 
nicht  gänzlich  geblendet  hat,  —  ich  bin  der  festen  Ueber- 
zeugung,  dass  er  bei  Angabe  der  grossen,  beinahe  aus  der 
ganzen  Einwohnerschaft  bestehenden  (Menschen-)  Masse  sich 
umfassender,  ausführlicher  durch  den  Begriff  „mortalesu  aus- 
gedrückt hat,  als  wenn  er  „homines"  gesagt  hätte.  4.  Denn 
es  kann  auch  schon  bei  einer  nicht  sonderlich  grossen  Menge 
der  allgemeine  Begriff  von  vielen  Menschen  (multorum  homi- 
num)  zusammengefasst  und  eingeschlossen  sein,  allein  der  Be- 
griff „multi  mortales"  enthält,  ich  weiss  selbst  nicht  inwiefern 
und  nach  welchem  unerklärlichen  Gefühle,  fast  alle  Gattungen 
von  Menschen,  die  in  einem  Staate  leben,  sowohl  nach  Ver- 
hältniss  des  Ranges,  wie  nach  Alter  und  Geschlecht,  was  doch 
Quadrigarius  in  der  Absicht,  wie  es  wirklich  der  Fall  war, 
auf  die  ungeheuer  grosse  und  gemischte  Menschenmasse  auf- 
merksam zu  machen,  mit  mehr  Nachdruck  (efupariyiarvEQov) 
sagte,  dass  Metellus  mit  vielen  Sterblichen  (cum  multis  mor- 
talibus) aufs  Capitol  gekommen  sei,  als  wenn  er  gesagt  hätte : 
cum  multis  hominibus.  5.  Da  wir  selbstverständlich  alle  diese 
Aeusserungen  Fronto's  mit  Zeichen  nicht  nur  der  Zustimmung, 
sondern  auch  der  Bewunderung  anhörten,  fügte  er  noch  hinzu : 
Seht  euch  jedoch  vor,  und  glaubt  nicht  etwa,  dass  man  sich 
immer  und  allenthalben  des  Ausdrucks  „multi  mortales"  für 
„multi  homines"  bedienen  dürfe,  damit  nicht  etwa  gar  jenes 

Gellins,  Attische  Nächt«.  II.  15 


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(226)    XIII.  Buch,  29.  (28.)  Cap.,  §  5.  6.  -  30.  (29.)  Cap.,  §1—4. 

griechische  Sprüchwort  aus  einer  Satire  des  Varro  Anwendung 
findet:  „to  ItzI  tij  yctxfi  ftvgov  (d.  h.  Unter  einem  Linsen- 
gericht Salbe)".  6.  Dieses  (scharfe)  ürtheil  des  Fronto,  selbst 
bei  geringfügigen  und  unscheinbaren  Ausdrücken,  glaubte  ich 
nicht  mit  Stillschweigen  übergehen  zu  dürfen,  damit  eine 
gründlichere  Erwägung  derartiger  Ausdrücke  (auch  ander- 
wärts) von  uns  nicht  unbeachtet  und  unberücksichtigt  bleiben 
möchte. 

XIII,  30  (29),  L.    Dass  das  Wort  „facies"  nicht  immer  die  Bedeutung 
gehabt  habe,  in  der  es  jetzt  gewöhnlich  gesagt  wird. 

XIII,  30.  (29.)  Cap.  1.  Dem  aufmerksamen  Beobachter 
wird  es  nicht  entgehen,  dass  sehr  viele  lateinische  Ausdrücke 
aus  ihrer  ursprünglichen  Bedeutung  entweder  in  eine  weit 
entfernte,  oder  in  eine  ganz  nahe  übergegangen  sind,  und 
dass  dieser  Uebergang  (Sinnwandel)  meist  aus  der  Gewohnheit 
und  Unwissenheit  Derer  entsprungen  sei,  die  unüberlegt  und 
alles  nur  Mögliche  sprechen,  was  sie  nicht  verstehen.  2.  Wie 
z.  B.  Einige  glauben,  das  Wort  „facies"  bedeute  nur  das 
Gesicht  und  die  Augen  und  die  Wangen  eines  Menschen,  was 
die  Griechen  hqqoiotzov  nennen,  während  doch  das  Wort 
„facies"  die  ganze  Gestalt,  das  Längenmass,  den  ganzen 
etwaigen  Körperbau  ausdrückt  und  von  facio  (ich  bilde)  her- 
genommen worden  ist,  wie  von  „spectus"  species  und  von 
„fingere"  figura.  3.  So  sagte  Pacuvius  in  seinem  Trauer- 
spiele, welches  die  Aufschrift  führt  „Niptra  (Waschwasser)*\ 
bei  einem  Manne  von  seiner  Körperlänge: 

Den  Mann  in  frischer  Jugendkraft,  voll  raschen  Muths,  von  stämmiger 

Gestalt  (facie  procera). 

4.  Aber  nicht  allein  von  der  Gestalt  der  Menschen  wird  das 
Wort  „facies"  gesagt,  sondern  auch  von  dem  Aussehen  aller- 
hand anderer  Dinge.  So  muss  es  als  vollkommen  richtiger 
Ausdruck  gelten,  wenn  zu  gehöriger  Zeit  gesagt  wird:  „Des 
Berges  und  des  Himmels  und  des  Meeres  Anblick  (oder  Aus- 


XIII,  29  (28),  5.  Unser  Sprüchwort:  es  reimt  sich,  wie  die  Faust 
aufs  Auge.  Das  griechische  Sprüchwort  bedeutet:  etwas  Kostbares  auf 
eine  schlechte  Sache  verwenden,  also  z.  B.  Myrrhenöl  zu  Linsen,  feine 
Pomade  nehmen,  um  das  (gewöhnliche  Sauer-)  Kraut  fett  zu  machen. 


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XIII.  Buch,  30.  (29.)  Cap.,  §5—7.-31.  (30.)  Cap.,  §  1 — 3.  (227) 

sehen,  facies)."  5.  Eine  Stelle  des  Sallust  aus  dem  2.  Buche 
seiner  Geschichte  lautet:  „Sardinien  im  africanischen  Meere, 
welches  das  Aussehen  einer  menschlichen  Fuss(sohlen)-Suur 
hat  (facie  vestigii  humani),  breitet  sich  nach  Morgen  hin 
weiter  aus,  als  nach  Abend.1'  6.  Halt,  da  fällt  mir  aber 
ebenfalls  noch  eine  Stelle  ein,  wo  auch  Plautus  in  seinem 
„Poenulus  (jungen  Punier)"  (V,  2,  151)  das  Wort  facies  von 
dem  ganzen  körperlichen  und  farbigen  Aussehen  gebraucht 
hat.    Die  Stelle  lautet  bei  Plautus  also: 

Hanno.  Doch  sage  mir,  ihre  Wärterin,  wie  sieht  sie  aus  (qua  sit  facie)  ? 
Milphio.  Nicht  gross  von  Körper,  braun  die  Farbe.  Hanno.  Ja,  die  ist's. 
Milphio.  Ein  hübsches  Ansehn,  schwarze  Augen,  kleinen  Mund. 

Hanno.  Mit  diesen  Worten  hast  Du  mir  ihr  Bild  gemalt. 

7.  Ausserdem  erinnere  ich  mich,  dass  Quadrigarius  im  11. 
Buche  das  Wort  „facies"  für  die  Gestalt  und  das  Aussehn  des 
ganzen  Körpers  gebraucht  hat. 

XIII,  31  (30),  L.    Was  die  Redensart:  „caninum  prandium"  in  einer  von 

des  M.  Varro  Satiren  bedeuten  soll? 

XIII,  31.  (30.)  Cap.  1.  Neulich  lobte  und  brüstete  sich 
ein  gewisser  geckenhafter,  aufgeblasener  Mensch,  der  in  einem 
Buchladen  sass,  als  sei  er  unter  dem  grossen,  weiten  Himmel 
der  einzige  (richtige)  Ausleger  von  des  M.  Varro  Satiren, 
welche  Einige  die  cynischen,  Andere  die  menippischen 
nennen  (vergl.  Gell.  XIII,  11,  1  NB).  Er  warf  daraus  einige 
gar  nicht  so  schwierige  Brocken  hin,  zu  deren  Ausdeutung, 
wie  er  meinte,  sich  Keiner  würde  versteigen  können.  2.  Zu- 
fällig hielt  ich  da  gerade  das  Buch  von  den  Satiren  in  den 
Händen,  welches  überschrieben  ist:  „vöqo/,vcov  (Wasserzecher, 
Wassersaufaus  Hund)".  3.  Ich  trat  also  näher  an  ihn  heran 
und  sagte:  Du  weiser  Mann  kennst  doch  wohl  ohne  Zweifel 
jenes  bekannte  griechische  Sprüchwort:  „dass  eine  Musik,  von 
der  man  nichts  hört,  auch  nichts  tauge".  Ich  bitte  Dich,  lies 
mir  einige  wenige  Verse  vor  und  erkläre  mir  (zugleich)  den 


XIII,  31  (30),  1.   Vergl.  Macrob.  Sat.  I,  7,  11.   Satir.  men. 

XIII,  31  (30),  3.  S.  Sueton.  Nero  20  und  Lucian.  Harmon.  I.  Ver- 
borgene Musik  werde  nicht  beachtet,  d.  h.  ein  Licht  müsse  man  nicht 
unter  den  Scheffel  stellen.   (Ad.  Stahr's  Sueton.) 

15* 


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(228) 


XIII.  Buch,  31.  (30.)  Cap.,  §  3—14. 


Sinn  einer  in  diesen  Versen  vorkommenden,  sprüchwörtlichen 
Redensart.  4.  Uebernimm  lieber  Du,  sagte  er,  den  Vortrag 
der  (betreffenden)  Dir  unverständlichen  Stelle,  damit  ich  sie 
Dir  (gleich)  erkläre.  5.  Wie,  erwiderte  ich,  kann  ich  im 
Stande  sein,  das  (Dir  richtig)  vorzulesen,  was  ich  nicht  ver- 
stehe? Denn  mein  Vortrag  dürfte  (ja  deshalb)  nur  unklar 
und  verworren  ausfallen  und  (deshalb)  auch  nur  Deine  Auf- 
merksamkeit (noch)  hemmen.  6.  Als  nun  auch  noch  viele 
andere  der  daselbst  Anwesenden  meinem  Vorschlage  bei- 
stimmten und  ihre  Bitten  mit  den  meinigen  vereinigten,  nahm 
er  von  mir  das  Buch  an,  eine  Ausgabe  von  bewährter  Zu- 
verlässigkeit und  (wohlgemerkt,  schön  und)  stattlich  ge- 
schrieben. 7.  Allein  er  nahm  das  Buch  mit  höchst  verlegener 
und  ängstlicher  Miene.  8.  Doch  was  soll  ich  weiter  sagen? 
Denn  ich  wage  wahrhaftig  kaum  zu  verlangen,  dass  man  mir 
glaubt  (was  ich  hier  erzählen  will).  9.  Wenn  unausgebildete 
(hergelaufene)  Schulbuben  das  Buch  in  die  Hand  bekommen 
hätten,  sie  würden  sich  beim  Lesen  nicht  lächerlicher  haben 
machen  können,  als  er,  so  zerriss  dieser  (unwissende  Mensch 
die  Sätze  und)  die  Gedanken,  so  sprach  er  die  Worte  ver- 
hunzt aus.  10.  Er  gab  mir  daher  (bald  darauf)  das  Buch 
zurück,  da  bereits  Viele  lachten,  und  sagte:  Du  siehst,  dass 
meine  Augen  sehr  leidend  und  von  ununterbrochenen  Nacht- 
studien fast  ganz  verdorben  sind,  so  dass  ich  kaum  die  Züge 
der  Buchstaben  erkennen  kann,  sobald  ich  mich  (jedoch)  an 
den  Augen  wieder  wohl  befinde,  sollst  Du  mich  besuchen 
und  dann  will  ich  Dir  das  ganze  Buch  vorlesen.  11.  Ich 
wünsche  Deinen  Augen  gute  Besserung,  weiser  Mann,  sagte 
ich;  12.  allein  nur  das  Eine  noch,  wozu  Du  Deine  Augen 
durchaus  nicht  nöthig  hast,  magst  Du,  ich  bitte  Dich,  mir 
sagen,  was  bedeutet  doch  in  der  von  Dir  vorgelesenen  Stelle 
die  Redensart:  „caninum  prandium"  (eine  Hundemahlzeit,  ein 
Hundefressen)?  13.  Aber  hier  erhob  sich  dieser  auserlesene 
Dunstmacher  sofort  und,  gleichsam  erschreckt  über  eine  so- 
schwere  Frage,  sagte  er  beim  Weggehen:  Du  fragst  da  nach 
keiner  Kleinigkeit,  Derartiges  lehre  ich  nicht  umsonst.  14 
Die  Stelle  aber,  worin  das  betreffende  Sprtichwort  sich  be- 
findet, lautet  wörtlich  also:  „Siehst  Du  nicht,  dass  bei  (dem 
berühmten  Arzt)  Mnesitheus  geschrieben  steht,  dass  es  drei 


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XIII.  Buch,  31.  (30.)  Cap.,  §  14-17. 


(229) 


Arten  von  Wein  giebt,  einen  dunklen  (den  Rothwein),  einen 
hellen  (den  Weisswein)  und  einen  mittelfarbigen,  welchen  man 
Bleicher  (xtg$6g)  nennt;  oder  (dass  man  ihn  auch  eintheilt 
in)  einen  jungen,  einen  alten  und  eine  Mittelsorte  (der  weder 
zu  jung,  noch  zu  alt  ist);  ferner  dass  der  dunkle  Stärke 
verleiht,  der  weisse  den  Urin  treibt  und  die  Mittelsorte  die 
Verdauung  (Ttiipiv)  befördert?  Dass  der  neue  (junge)  Wein 
erfrische,  der  alte  wärme,  die  Mittelsorte  (der  Bleicher)  aber 
sich  nur  für  eine  Hundemahlzeit  passe?"  15.  Was  unter  einer 
Hundemahlzeit  (prandium  caninum)  zu  verstehen  sei,  diesen 
ziemlich  unbedeutenden  Gegenstand  habe  ich  lange  und 
ängstlich  zu  erforschen  gesucht.  16.  Allein  ein  nüchternes 
Frühstück  (prandium  abstemium),  eine  Mahlzeit,  bei  welcher 
nichts  (von  Wein,  ja  nicht  einmal  Most)  getrunken  wird,  wird 
ein  Hundemahl  (prandium  caninum)  genannt,  weil  ein  Hund 
kein  Bedürfniss  nach  Wein  verspürt.  17.  Da  er  nun  eine 
Sorte  den  „Mittelwein"  genannt  hatte,  weil  er  weder  neu 
(jung)  ist,  noch  alt  und  die  Leute  meist  nur  die  Weine  in- 
sofern näher  bezeichnen,  als  sie  annehmen,  jeder  Wein  müsse 
entweder  neu  (jung),  oder  alt  sein,  so  hat  Varro  damit  an- 
zeigen wollen,  dass  (die  dritte  Sorte)  der  Mittelwein,  gar 
keine  Eigenschaft  und  Kraft  besitze,  weder  von  dem  neuen 
(jungen),  noch  von  dem  alten  und  deshalb  überhaupt  gar 
nicht  für  eine  (richtige)  Weinsorte  gelten  könne,  weil  er 
weder  kühle  (refrigeraret),  noch  wärme.  Unter  „refrigerare" 
(kühlen)  versteht  er  ganz  dasselbe,  was  man  im  Griechischen 
mit  dem  Wort  xpv%uv  bezeichnet. 


XIII,  31  (30),  14.  Mvijoi&eos,  gelehrter  Arzt  Plut.  quaest.  nat.  26; 
Plin.  Brief.  3,  9  und  21,  27;  Athenaeus  II,  36,  A. 

Xm,  31  (30),  16.  temium,  Most.  Vergl.  Gell.  X,  23,  1,  dass  Frauen 
sich  des  Weins  stets  enthielten:  mulieres  aetatem  abstemias  egisse. 


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XIV.  BUCH. 


XIV,  1,  L.  Gelehrte  Abhandlung  des  Weltweisen  Favorin  gegen  die 
(Gaukler),  welche  sich  Chaldäer  nennen,  und  damit  prahlen,  dass  sie  im 
Stande  seien,  aus  der  Vereinigung  (den  wesentlichen  Beziehungen)  und  den 
Bewegungen  der  Sternbilder  und  Sterne  das  Schicksal  der  Menschen  zu 

weissagen. 

XIV,  1.  Cap.  1.  Gerichtet  gegen  das  Gauklervolk,  welche 
sich  Chaldäer  oder  Nativitätsteller  (Sterndeuter)  nennen  und 
sich  damit  breit  machen,  zukünftige  Dinge  aus  der  Bewegung 
und  Stellung  der  Sterne  weissagen  zu  können,  hörte  ich  einst 
zu  Rom  den  Weltweisen  Favorin,  einen  ebenso  herrlichen,  wie 
klaren  Vortrag  in  griechischer  Sprache  halten.  2.  Ob 
er  aber  nur  zur  geistigen  Uebung,  nicht  auch,  um  seinen 
Scharfsinn  leuchten  zu  lassen,  so  im  wirklichen  Ernste  und 
mit  (absichtlicher)  Ueberlegung  seine  Ansicht  äusserte,  masse 
ich  mir  nicht  an  zu  entscheiden.  Die  Hauptstellen  und  Haupt- 
beweisgründe,  deren  er  sich  (dabei)  bediente,  habe  ich,  so 
weit  sie  mir  erinnerlich  waren,  als  ich  eben  aus  der  Vorlesung 
(nach  Hause)  gekommen  wrar,  eiligst  aufgezeichnet.  Seine 
Aeusserungen  lauteten  ohngefähr  also :  Diese  Wissenschaft  der 
Chaldäer  sei  (durchaus)  nicht  von  so  hohem  Alter,  als  sie 
selbst  diese  wohl  ausgeben  möchten,  (ferner)  dass  sie  auch 
nicht  die  Erfinder  und  Begründer  dieser  Wissenschaft  seien, 
wie  sie  selbst  versichern,  sondern  dass  ein  gewisses  Bettler- 


XIV,  1,  L.   S.  Bernh.  röra.  Lit.  51,  209. 

XIV,  1,  1.  Auch  bei  Gell.  XII,  1,  24  sprach,  wie  hier,  Favorin 
griechisch.  —  Die  Philosophen  eiferten  vielfach  gegen  diese  Schwindel- 
astrologen.  Vergl.  Cic.  de  Div.  II,  42;  Sen.  Ep.  88,  12  ff. 


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XIV.  Buch,  1.  Cap.,  §2  —  5.  (231) 


und  Landstreicher -Gesindel  (aeruscatores)  diese  Art  von 
Schwindelei  und  Blendwerk  erfunden  habe  und  nun  aus  die- 
sem Lügengewebe  (einig  und)  fleissig  seinen  Broterwerb  ziehe. 
3.  Und  weil  sie  nun  sahen,  dass  einige  irdische,  dem  Men- 
schen nahe  liegende  Dinge  durch  einen  fühlbaren  inneren 
Zusammenhang  mit  den  Himmelskörpern  (wesentlich)  beein- 
flusst  werden ,  —  wie  z.  B.  die  Ebbe  und  Fluth  des  Meeres, 
welches  gleichsam  mit  dem  Monde  Hand  in  Hand  geht  und 
sich  zugleich  nach  dem  Abnehmen  und  Zunehmen  desselben 
richtet,  —  so  sei  ihr  ganzes  Trachten  deshalb  nämlich  darauf 
gerichtet  gewesen,  sich  die  Fabel  einzureden,  man  müsse  an 
dem  Glauben  fest  halten,  dass  alle  menschlichen  Angelegen- 
heiten, die  kleinsten,  wie  die  grössten,  gleichsam  mit  den  Sternen 
und  Sterngruppen  in  engster  Verbindung  ständen  und  durch 
sie  geführt  und  gelenkt  würden.  4.  Es  sei  aber,  sagte  er, 
mehr  als  albern  und  abgeschmackt,  dass,  weil  das  Fluthen 
des  Meeres  mit  (der  Bewegung  und)  dem  Umlauf  des  Mondes 
zusammenhängt,  nun  auch  die  Entscheidung  eines  Rechtsfalles, 
welchen  einer  mit  einigen  Mitberechtigten  wegen  einer  Wasser- 
leitung, oder  mit  seinem  Nachbar  wegen  einer  gemeinschaft- 
lichen Wand  vor  Gericht  hat,  dass  wir  nun  also  glauben,  die 
Entscheidung  dieses  Rechtsfalles  sei  gleichsam  an  die  Sterne 
gekettet  und  werde  vom  Himmel  herabgelenkt.  5.  Ist  nun 
auch  die  Möglichkeit  vorhanden,  dass  Alles  gleichsam  durch 
höhere  Macht  und  göttlichen  Einfluss  geleitet  wird,  so  könne 
doch  der  ganze  Vorgang  (dieses  Einflusses),  wie  er  meinte,  in 
einem  so  kurzbeschränkten  Räume  der  menschlichen  Lebens- 
dauer niemals  von  einem  menschlichen  Geist,  wäre  er  auch 
noch  so  gross,  erfasst  und  begriffen  werden,  sondern  es  liessen 
sich  überhaupt  nur  einige  geringe  Vermuthungen  aufstellen 
und  zwar,  um  mich  hier  gleich  seines  eigenen  Ausdrucks  zu 
bedienen,  nur  „ganz  oberflächlicher  Art  (naxviiEQaoTEQov)", 
oder  überhaupt  nur  Vermuthungen,  die,  ohne  Auffindung  eines 
(dazu  nöthigen)  wissenschaftlichen  Grundsystems,  (immer) 
unbestimmt  und  schwankend  und  willkürlich  sein  und  bleiben 


XIV,  1,  2.  •  Aeruscatores  (griechisch  yalxoloyoi)  unsere  heutigen 
Zigeuner,  oder  überhaupt  Leute,  welche  für  Geld  wahrsagen.  Nach  Festus 
fS.  24)  heisst  aeruscare,  aera  undique,  d.  h.  pecunias  colligere. 


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(232) 


XIV.  Buch,  L  Cap.,  §5  —  10. 


müssten,  wie  dies  bei  einer  zu  weiten  Entfernung  mit  der 
Sehkraft  der  Augen  der  Fall  ist,  die  dann,  um  des  grossen 
Zwischenraumes  willen,  auch  nichts  mehr  zu  erkennen  ver- 
mögen. 6.  Denn  wenn  die  Menschen  (erst  auch  noch)  alle 
zukünftigen  Dinge  vorauswissen  könnten,  dann  sei  ja  über- 
haupt der  gewaltige  Unterschied  zwischen  Göttern  und  Men- 
schen (ganz)  aufgehoben.  7.  Ferner  meinte  er,  sei  man  selbst 
mit  der  Beobachtung  der  Sterne  und  Sternbilder,  von  der  sie 
behaupteten,  dass  sie  die  Grundlage  und  den  Ursprung  für 
ihre  (ganze)  Wissenschaft  bilde,  durchaus  noch  nicht  im  Klaren. 
8.  Denn  wenn  die  Chaldäer,  welche  die  weiten  Ebenen  be- 
wohnten, die  Bewegungen  und  Bahnen  der  Sterne,  ferner  ihre 
Trennungen  und  ihr  Zusammentreffen  in  Betrachtung  gezogen 
und  die  durch  sie  hervorgebrachten  Wirkungen  zuerst  beob- 
achtet haben,  so  mag,  sagte  er,  dieses  System  allerdings  gelten, 
aber  nur  unter  dem  Himmelsstrich,  unter  dem  damals  die 
Chaldäer  (während  ihrer  Beobachtungen)  sich  befanden ;  denn, 
bemerkte  er  (ganz  richtig)  weiter,  die  Art  und  Weise  der 
Beobachtung  von  Seiten  der  Chaldäer  kann  sich  nicht  gleich 
bleiben,  wenn  Jemand  sie  in  Anwendung  bringen  (und  sich 
zu  Nutze  machen)  will  unter  ganz  verschiedenen  Himmels- 
strichen. Denn  wer  sieht  wohl  nicht  ein,  wie  gross  die 
Mannigfaltigkeit  (der  Constellation)  und  der  Theile  und  Kreis- 
bahnen am  Sternenhimmel  sein  muss  in  Folge  des  Sichherab- 
neigens  und  der  gewölbartigen  Rundungen  des  Weltalls.  9. 
Dieselben  Sterne  also,  durch  welche,  nach  der  Behauptung 
der  Sterndeuter,  alle  Vorgänge  am  Himmel  und  auf  der  Erde 
(omnia  divina  humanaque)  bestimmt  (und  geleitet)  werden, 
sowie  sie  nicht. allenthalben  Frost  oder  Hitze  erzeugen,  son- 
dern sich  (in  ihren  Wirkungen)  ändern  und  Abwechslung 
bringen  und  zu  gleicher  Zeit  an  dem  einen  Ort  ruhige 
Witterung  erzeugen,  an  dem  andern  stürmische,  warum  sollten 
diese  nicht  auch  verschiedene  Wirkungen  in  allen  übrigen 
Angelegenheiten  und  Geschäften  hervorbringen,  andere  bei 
den  Chaldäern,  andere  bei  den  Gätulern,  andere  in  den  Ge- 
genden der  Donau,  andere  in  den  Gegenden  des  Nils?  10. 
Wäre  es  nicht  eine  Folgewidrigkeit,  sagte  er,  (zu  glauben) 
dass  zwar  die  Masse  und  der  Zustand  der  so  unermesslichen 
Luft(-schichten)  sich   nicht  gleichbleiben  (und  allein  dem 


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XIV.  Buch,  1.  Cap.,  §  10-15. 


(233) 


Wechsel  unterworfen  sein)  solle  unter  den  verschiedenen 
Himmelsgegenden,  dass  aber  nach  ihrer  Meinung  bei  den 
Geschäften  und  Verrichtungen  der  Menschheit  dieselben 
Sterne  immer  nur  denselben  Einfluss  bemerken  lassen  sollten, 
aus  welcher  Gegend  der  Erde  man  sie  immerhin  auch  beob- 
achtet haben  möchte?  11.  Ausserdem  gab  Favorin  auch 
darüber  seine  Verwunderung  zu  erkennen,  wie  nur  Jemand 
als  einen  unumstösslichen  Satz  erkennen  könne ,  dass  diese 
Sterne,  welche  von  den  Chaldäern  und  Babyloniern  sollen  beob- 
achtet worden  sein,  welche  von  Vielen  „Irrsterne  (erraticae)", 
vom  Nigidius  (bei  Gell.  III,  10,  2)  aber  „errones"  genannt 
werden,  nicht  noch  aus  mehreren  bestehen  sollten,  als  ge- 
wöhnlich angenommen  werden;  12.  denn  nach  seiner  Meinung 
sei  eine  Möglichkeit  vorhanden,  dass  es  auch  noch  einige 
andere  Planeten  von  gleichem  Einflüsse  geben  könne,  ohne 
welche  eine  richtige  und  genaue  Beobachtung  nicht  anzustellen 
(und  durchzuführen)  sei,  und  die  von  dem  Menschen  doch 
nicht  könnten  gesehen  werden,  entweder  wegen  ihres  ausser- 
ordentlichen Glanzes,  oder  wegen  ihrer  ausserordentlichen, 
weiten  Entfernung  (von  der  Erde).  13.  Denn  es  giebt  auch 
einige  Sternbilder,  die  nur  von  gewissen  Ländern  aus  gesehen 
werden  und  nur  den  Bewohnern  dieser  Länder  bekannt  sind, 
dieselben  bleiben  aber  den  Bewohnern  jeder  andern  Gegend 
unsichtbar  und  überhaupt  allen  andern  völlig  unbekannt.  14. 
Ferner,  fuhr  er  fort,  wollen  wir  (einmal)  zugeben,  dass  sowohl 
nur  die  Sterne  (allein),  als  auch  nur  von  einem  einzigen 
Standpunkt  auf  der  Erde  aus  mtissten  beobachtet  werden, 
wo  war  das  Ende  dieser  Beobachtung  (abzusehen)  und  welche 
Zeit  konnte  hinreichend  erscheinen  zur  Wahrnehmung  Dessen, 
was  entweder  die  Vereinigung  dieser  Sterne,  oder  ihr  Umlauf, 
oder  ihre  Abweichungen  (prophezeien  und)  vorher  anzeigen. 
15.  Denn  wenn  man  die  Beobachtung  derartig  anzustellen 
begonnen  hat,  dass  genau  bemerkt  wurde,  unter  welcher 
Lage  der  Sterne,  und  unter  welchem  Bilde  und  unter  welcher 
Stellung  Jemand  geboren  wurde;  dass  man  dann  weiter,  vom 
Anfange  seines  Lebens  an,  genau  Acht  hatte  auf  seine  Glücks- 


XIV,  1,  13.  So  sind  die  Sterne  der  nördlichen  Halbkugel  den  Be- 
wohnern der  südlichen,  und  umgekehrt  ebenso,  grösstentheils  unsichtbar. 


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(234)  XIV.  Buch,  1.  Cap.,  §  15—20. 

umstände,  auf  seine  Sitten,  auf  seinen  Charakter,  auf  die 
Beschaffenheit  der  Verhältnisse  und  Verrichtungen  und  zuletzt 
auf  die  Art  seines  Lebensendes,  und  dass  man  alle  die  er- 
fahrenen Ereignisse  (gewissenhaft)  aufzeichnete,  und  dass  man 
geraume  Zeit  nachher,  wenn  alle  diese  Gestirne  wieder  an 
demselben  Ort  und  in  derselben  Stellung  sich  befanden,  den 
Nachkommenden  (Geschlechtern),  die  gerade  in  dieser  Zeit 
geboren  wurden,  meinte,  gleichmässige  Schicksale  vorhersagen 
zu  können;  16.  wenn  man  also  auf  diese  Weise  seine  Beob- 
achtung begonnen  und  sich  aus  dieser  Beobachtung  ein  ge- 
wisses System  (zurechtgelegt  und)  zusammengesetzt  hat,  so 
wird  man  doch  dabei  auf  keine  Weise  zu  einem  Ende  kommen. 

17.  Denn  sie  mögen  mir  nur  auch  sagen,  in  wie  viel  Jahren, 
oder  in  wie  viel  Jahrhunderten  endlich  dieser  Kreis  der 
Beobachtung  würde  vollendet  und  geschlossen  sein  können. 

18.  Denn  es  ist  ja,  setzte  er  hinzu,  unter  den  Sternkundigen 
eine  ausgemachte  Sache,  dass  diejenigen  Steine,  welche 
auch  Irrsterae  (erraticae)  heissen,  von  welchen  das  Schicksal 
der  ganzen  Welt  abzuhängen  schiene,  beinahe  erst  nach  einer 
unendlichen  und  unzähligen  Zahl  von  Jahren  auf  denselben 
Platz,  nachdem  sie  von  derselben  Stellung  aus  zusammen 
ihre  Bahnen  gegangen,  wieder  zurückkehren,  so  dass  weder 
irgend  ein  ununterbrochener  Verlauf  der  Beobachtung,  noch 
irgend  ein  anschauliches  Abbild  schriftlicher  Aufzeichnung  so 
lange  Zeit  hindurch  würde  haben  fortdauern  können.  19. 
Nach  der  Meinung  Favorins  müsse  man  vor  Allem  auch  den 
Umstand  reiflich  in  Erwägung  ziehen,  dass  die  Constellation 
eine  andere  gewesen  sei  zur  Zeit,  als  zuerst  ein  Individuum 
im  Mutterschooss  empfangen  wurde,  eine  andere  aber  wieder, 
als  er  nachher  in  den  nächsten  zehn  Monaten  zur  Welt  kam; 
und  so  war  seine  weitere  Frage  (leicht)  erklärlich,  wie  wohl 
eine  solche  verschiedene  und  sich  widersprechende  Behauptung 
(von  der  Möglichkeit  einer  Voraussagung)  sich  vereinigen  lasse, 
wenn,  da  dies  ja  ihre  eigene  Meinung  war,  die  verschiedene 
Lage  und  Stellung  derselben  Sterne  (immer  auch)  wieder 
verschiedene  Schicksale  andeuten.  20.  Allein  selbst  durch  die 
Zeit  der  ehelichen  Verbindungen,  wonach  man  Nachkommen- 


XIV,  1,  19.   S.  Gell.  III,  16,  12. 


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XIV.  Buch,  1.  Cap.,  §  20-22. 


(235) 


schaft  zu  erlangen  trachte,  wie  auch  durch  die  Zeit( Verhältnisse) 
der  ehelichen  Umarmung  zwischen  Mann  und  Frau  müsse 
schon  in  Folge  der  bestimmten  und  notwendigen  Stellung 
der  Sterne  klar  dargethan  werden  können,  wie  er  behauptete, 
mit  welchen  Eigenschaften  und  mit  welcher  (Schicksals-)  Aus- 
sicht die  Menschen  (d.  h.  jedes  einzelne  Individuum)  auf  die 
Welt  kommen  mtissten;  ja  man  (könne  noch  weiter  gehen 
und)  müsse  sogar  noch  viel  früher,  ehe  selbst  der  Vater  und 
die  Mutter  noch  geboren,  aus  deren  Geburt  schon  voraus- 
sehen (und  vorhersagen  können),  wie  einst  die  Kinder  sein 
mtissten,  die  sie  zeugen  würden,  und  so  müsste  es  bis  ins 
Unendliche  immer  weiter  und  weiter  zurückgehen,  so  dass, 
wenn  dieses  wissenschaftliche  Kunstsystem  sich  wirklich  auf 
einen  gewissen  Grund  sollte  stützen  lassen,  schon  von  hundert 
Jahrhunderten,  oder  vielmehr  vom  ersten  Anbeginn  des 
Himmels  und  der  Erde  und  nun  dann  von  da  so  immerfort 
durch  diese  ununterbrochen  fortgesetzte  Vorbedeutungs -An- 
zeige, so  oft  Geschlecht  sich  auf  Geschlecht  fortpflanzt  (quo- 
tiens  generis  auctores  ejusdem  homines  nascerentur),  diese 
Sterne  stets  im  Voraus  hätten  anzeigen  müssen,  welche  Eigen- 
schaften und  welches  Schicksal  Jeden  begleiten  wird,  der 
heute  (erst)  geboren  worden  ist.  21.  Wie  aber  kann  man 
sich  zu  dem  Glauben  verstehen ,  dass  überhaupt  jedem  ein- 
zelnen Menschen  sein  Loos  und  Schicksal  von  der  Lage  und 
Stellung  der  Sterne  fest  bestimmt  sei,  und  eben  diese 
Aufstellung  doch  nur  nach  ausserordentlich  langen  Zwischen- 
räumen von  Jahrhunderten  sich  wiederholt,  wenn  inzwischen 
ganz  dieselben  Anzeigen  von  dem  Leben  und  Schicksalen 
desselben  menschlichen  Wesens  in  nur  so  kurzen  Zwischen- 
räumen durch  die  einzelnen  Grade  seiner  Vorältern  und 
durch  die  endlose  Reihe  nachfolgender  Vererbung  (also  von 
Geschlecht  zu  Geschlecht)  so  oft  und  so  vielfältig  als  ganz 
dieselben  (wiederkehrenden)  Anzeigen,  wenn  auch  gleich  nicht 
durch  ein  und  dieselbe  Stellung  der  Sterne  vermerkt  werden? 
22.  Kann  dies  nun  aber  der  Fall  sein  und  wird  ein  solcher 
Widerspruch,  eine  solche  Verschiedenheit  (in  den  Vorbedeu- 
tungszeichen) durch  alle  Zeiträume  des  (entlegenen)  Alter- 
thums zur  Verkündigung  der  Entstehung  (aller)  der  Menschen, 
welche  noch  geboren  werden  sollen,  zugegeben,  so  bringt  diese 


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(236) 


XIV.  Buch,  1.  Cap.,  §  22  —  25. 


Ungleichheit  das  (ganze)  Beobachtungssystem  ins  Schwanken, 
und  die  wissenschaftliche  Beobachtung  (der  ganzen  Stern- 
deuterei)  wird  über  den  Haufen  geworfen.  23.  Am  aller- 
wenigsten sei  nun  aber,  nach  Favorins  Meinung,  gar  erst 
folgende  Behauptung  jener  Sterndeuter  zu  ertragen,  dass  sie 
nicht  nur  die  von  aussen  kommenden  Zufälligkeiten  und 
Ereignisse  wie  vom  Himmel  herab  bewegt  und  beeinflusst 
meinten,  sondern  auch  selbst  die  EntSchliessungen  der  Men- 
schen, ihre  verschiedenen  willkürlichen  Wünsche  und  Triebe, 
ihren  Widerwillen,  ferner  die  bei  den  geringfügigsten  Kleinig- 
keiten vorkommenden  geistigen  Zuneigungen  und  Abneigungen 
(Absichten  und  Willensänderungen),  z.  B.  dass  man  zufällig  ins 
Bad  hat  gehen  wollen  und  nachher  wieder  (seinen  Entschluss 
geändert  und)  nicht  hat  gehen  wollen,  endlich  aber  doch 
wieder  gewollt  hat,  —  dies  also  rühre  nicht  von  irgend  einem 
ungleichen  und  verschiedenen  Willensantrieb  (und  Gemüths- 
zustand)  her,  sondern  von  dem  unausweichlichen  Einfluss  des 
Zurückgangs  der  Planeten,  so  dass  die  Menschen  nicht,  wie 
man  behauptet,  vernünftige  Geschöpfe  (Xoyixa  £wa)  zu  sein 
scheinen,  sondern  nichts  als  läppische  und  lächerliche  (mario- 
nettenhafte  Draht-)  Gliederpuppen  (ludicra  et  ridenda  quae- 
dam  neurospasta) ,  wenn  sie  nichts  nach  ihrem  eigenen  Er- 
messen, nichts  aus  eigener  freier  EntSchliessung  thun  (können), 
sondern  (immer)  nur  von  der  Leitung  und  dem  Gängelbande 
der  Sterne  abhängen.  24.  Und,  fuhr  er  fort,  wenn  sie  ver- 
sichern, dass  sie  im  Stande  gewesen  wären,  vorherzusagen, 
ob  der  König  Pyrrhus,  oder  Manius  Curius  im  Treffen  hätte 
siegen  müssen,  warum  sollten  sie  da  nicht  endlich  auch  mit 
der  Sprache  herausrücken  (und  es  übers  Herz  bringen)  beim 
Glücks-,  Brett-  und  Würfelspiel  die  Changen  (zu  verrathen 
und)  vorherzusagen,  wer  da  von  den  Spielenden  gewinnen 
muss  ?  Oder  ist  ihnen  vielleicht  nur  das  Wichtige  (im  Voraus) 
bekannt,  das  Unwichtige  aber  unbekannt,  oder  ist  etwa  gar 
das  Unwichtige  unbegreiflicher  als  das  Wichtige?  25.  Wenn 
sie  aber  nur  Dinge  von  Bedeutsamkeit  und  Wichtigkeit  (im 
Voraus  wissen  zu  können)  sich  zuschreiben,  und  behaupten, 
derartige  Dinge  seien  augenscheinlicher,  klarer  und  Hessen 
sich  leichter  begreifen,  so  wünsche  ich  nur  noch,  sagte  er,  dass 
sie  mir  darauf  antworten,  was  sie  bei  (Vergleichung  und) 


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XIV.  Buch,  1.  Cap.,  §  25  —  27.  (237) 

Betrachtung  des  grossen  Weltalls  und  bei  den  (Wunder-)  Wer- 
ken der  herrlichen  Natur  an  den  kleinlichen  und  vergänglichen 
Kümmernissen  und  Mühsalen  der  Menschen  (dann  eigentlich) 
noch  Grosses  entdecken?  26.  Ferner  möchte  ich  auch  diese 
Frage  beantwortet  haben :  da  der  Augenblick,  in  welchem  der 
Mensch  bei  seiner  Geburt  sein  Schicksal  bestimmt  erhält,  so 
kurz  ist  und  so  schnell  vorüber  geht,  dass  in  demselben  Augen- 
blick und  in  demselben  Himmelskreis  Mehrere  zugleich  zur 
Theilnahme  an  (dem  Einfluss)  derselben  Constellation  nicht 
können  geboren  werden,  und  wenn  nun  deshalb  Zwillinge  auch 
nicht  dasselbe  Lebensloos  haben,  weil  sie  nicht  in  ganz  dem- 
selben Zeitaugenblick  geboren  wurden,  so  bitte  ich  mir  darauf 
eine  Antwort  aus,  auf  welche  Weise  und  nach  welchem  Plane 
sie  diesen  (heftigen)  Anlauf  der  vorübereilenden  Zeit,  der  kaum 
mit  Anstrengung  aller  Denkkraft  des  Geistes  sich  erfassen 
lässt,  sofort  einzuholen  (und  zu  erhaschen),  oder  gar  für  ihre 
Betrachtungen  und  Untersuchungen  festzuhalten  im  Stande 
sind,  da  bei  einem  so  flüchtigen  Wechsel  der  Tage  und  Nächte 
auch  die  kleinsten  Augenblicke,  nach  ihrer  eigenen  Behauptung 
den  grössten  Wandlungen  unterworfen  sein  sollen?  27. 
Schliesslich  verlangte  er  aber  auch  noch  zu  hören,  was  man 
wohl  dagegen  würde  einwenden  können,  (wenn  sich  heraus- 
stellte) dass  Menschen  beiderlei  Geschlechts  und  jeden  Alters, 
die  unter  verschiedenen  Aspecten  der  Planeten  und  in  weit 
von  einander  entfernten  Gegenden  geboren  wurden,  dass 
(sage  ich)  solche  jedoch  entweder  durch  Erdbeben,  oder  beim 
Zusammensturz  eines  Hauses,  oder  bei  Erstürmung  einer 


XIV,  1,  26.  TJeber  P.  Nigidius  Figulus  s.  Gell.  IV,  9, 1  NB.  Nigidius 
liess,  um  auf  die  ihm  vorgelegte  Frage,  warum  Zwillinge,  die  doch  zu 
einer  Zeit  geboren  wurden,  nicht  einerlei  Schicksal  haben  sollten,  ein  Rad 
anfertigen,  worauf  zwei  von  einander  entfernte  schwarze  Punkte  angemerkt 
waren;  darauf  drehte  er  das  Rad  wie  ein  Töpfer  in  der  grössten  Ge- 
schwindigkeit herum,  so  dass  man  während  dieses  Umdrehens  die  beiden 
Punkte  nicht  von  einander  unterscheiden  konnte,  sondern  zusammenflössen 
und  wie  Eins  erschienen,  obgleich  sie  weit  von  einander  entfernt  standen. 
Eben  so,  sagte  er,  verhält  es  sich  mit  den  Augenblicken,  in  denen  Zwillinge 
geboren  werden.  Daher  bekam  er  auch  den  Beinamen  Figulus  (der 
Töpfer),  nach  Angabe  des  Augustin  (de  civit.  dei  IV,  3).  Wobei  Augustin 
noch  die  Bemerkung  hinzufügt,  dass  diese  seine  gegebene  Antwort  eben 
auch  nicht  viel  fester  sei,  als  das  Gefäss  eines  Töpfers. 


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(238) 


XIV.  Buch,  1.  Cap.,  §  27—31. 


Stadt,  oder  zu  Schiffe  durch  die  Wellen  des  Meeres  und  durch 
ganz  gleiche  Todesart  und  in  gleichem  Augenblicke  Alle  zu- 
gleich ihren  Untergang  fanden,  28.  was  sicher  doch  niemals 
hätte  geschehen  können,  wenn  jedem  Einzelnen  bei  seiner 
Geburt  sein  eigener,  besonderer  Schicksalsausgang  zugetheilt 
worden  wäre,  von  denen  Jeder  an  die  Erfüllung  seiner  gesetz- 
lichen Bedingungen  gebunden  sein  sollte.  29.  Wenn  sie  nun 
darauf  ganz  einfach  erwidern,  dass  auch  bei  dem  Tode,  wie 
im  Leben  von  (einigen)  Menschen,  die  zu  verschiedenen  Zeiten 
geboren  wurden,  durch  späterhin  eintretendes,  gleiches  Zu- 
sammentreffen der  Sterne  einige  gleiche  und  ähnliche  Um- 
stände und  Zufälligkeiten  sich  zutragen  können,  so  wäre  die 
Frage  am  Platze,  warum  nicht  auch  einmal  alles  Andere  noch 
sich  sollte  ereignen  können,  (z.  B.)  dass  durch  ein  derartiges 
Zusammentreffen  der  Planeten  und  durch  ähnliche  Erschei- 
nungen auf  einmal  viele  solcher  Männer  ins  Leben  sollten 
treten  können,  wie  Socrates  und  Antisthenes  und  Plato, 
die  sich  an  Geschlecht,  an  Gestalt,  an  geistigen  Anlagen,  an 
Sitten,  überhaupt  in  Ansehung  aller  Umstände  des  Lebens, 
wie  des  Todes  einander  vollkommen  ähnlich  wären.  Das 
ist,  sagte  Favorin,  ja  aber  überhaupt  gar  nicht  möglich.  30. 
Gegenüber  aber  den  ungleichen  Geburten  und  den  gleichen 
Todesarten  kann  man  die  angeführte  Ursache  nicht  als  stich- 
haltig gelten  lassen.  31.  Diese  Antwort*  aber  wolle  er  ihnen 
gerne  schenken  und  sie  deshalb  auch  nicht  noch  weiter  zu 
einer  Erklärung  drängen ,  dass ,  wenn  die  Zeit ,  die  Art  und 
Weise,  die  Ursache  des  Lebens,  wie  des  Todes  und  überhaupt 
aller  menschlichen  Vorgänge  und  Schicksale  am  Himmel  und 
in  den  Sternen  zu  lesen  wären,  er  nun  auch  noch  von  ihnen 
zu  wissen  verlangen  sollte,  was  sie  in  dieser  Hinsicht  über 
die  Fliegen,  über  die  Würmer,  über  die  Igel  und  über  viele 
andere  höchst  unscheinbare  Thierchen  auf  der  Erde,  wie  im 
Wasser  zu  sagen  wüssten,  ob  diese,  gleich  den  Menschen, 
auch  unter  ähnlichen  gesetzlichen  Bedingungen  (einer  Con- 
stellation)  geboren  würden  und  ebenfalls  unter  ähnlichen 


XIV,  1,  29.  Antisthenae.  Von  den  Wörtern  auf  es  (z.  B.  Alcibiades, 
Euripides  u.  s.  w.)  werden  viele  im  Plural  nach  der  1.  Declination  flectirt. 
S.  Krügers  (Grotef.)  Gr.  §  203  Anm.  4. 


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XIV.  Buch,  1.  Cap.,  §31—33. 


(239) 


sterben  müssteii,  oder  ob  nun  ferner  auch  den  Fröschen 
und  den  Mücken  bei  ihrer  Geburt  ihre  Schicksalsbestimmungen 
von  der  Bewegung  und  Stellung  jener  Himmelskörper  zu- 
getheilt  worden  seien,  oder,  wenn  sie  in  diesem  Falle  an  etwas 
Derartiges  nicht  glauben  sollten,  ob  sie  dann  doch  wenigstens 
nicht  den  Grund  anzugeben  wüssten,  warum  zwar  in  Ansehung 
der  Menschen  ein  Einfluss  von  den  Sternen  obwalten,  bei  den 
übrigen  Geschöpfen  aber  in  Wegfall  kommen  (und  ausser 
Kraft  treten)  sollte.  32.  Diese  treffliche  Bemerkung  Favorins 
habe  ich  hier  nur  in  schlichter,  schmuckloser  und  fast  nüch- 
terner Darstellung  oberflächlich  berührt.  Allein  Favorin,  wie 
es  die  hohe  geistige  Begabung  dieses  Mannes  mit  sich  brachte 
und  wie  es  dem  Reichthum  und  der  Feinheit  griechischer 
Beredtsamkeit  entsprach,  ging  das  Alles  noch  ausführlicher, 
anmuthiger,  prächtiger  und  in  fliessenderem  Vortrage  durch 
und  erinnerte  zu  wiederholten  Malen,  uns  ja  zu  hüten, 
damit  uns  jene  Schwindler  nicht  etwa  überrumpeln  möchten, 
ihnen  Glauben  zu  schenken,  wenn  es  bisweilen  einmal  den 
Anschein  haben  sollte,  dass  sie  (unter  ihren  vielen  Lügen) 
etwas  Wahres  hergeschwatzt  und  ausgesprengt  haben  sollten 
(was  also  nur  zufällig  eingetroffen  und  wahr  geworden  war). 
33.  Denn  ihre  Prophezeiungen,  setzte  er  hinzu,  sind  niemals 
in  begreiflichen,  noch  bestimmten,  noch  fasslichen  Worten 
abgefasst,  sondern  beruhen  (meist)  auf  unsichern  und  aus- 
fluchtreichen Vermuthungen,  und  sie  suchen  sich  mit  Vor- 
bedacht einen  Weg  zwischen  Unwahrheit  und  Wahrheit  zu 
bahnen,  indem  sie  gleichsam  im  Dunkeln  schleichen,  und  so 
treffen  sie  mitunter  bald  wohl  entweder  durch  vieles  Umher- 
tappen (und  durch  allerlei  Experimente)  plötzlich  und  unver- 
sehens (ohne  ihr  Wissen)  einmal  (auf)  das  Richtige  (und 
wissen  sich  so  bei  den  Dummen  und  Abergläubischen  in  Re- 
spect  und  Ansehen  zu  setzen),  oder  sie  gelangen  pfiffiger 
Weise  hinter  die  Wahrheit,  indem  ihnen  gleich  dazu  die 
übertriebene  Leichtgläubigkeit  Derer  zum  Führer  und  Ver- 
mittler dient,  die  sich  bei  ihnen  Raths  erholen  wollen,  wo- 
durch ihnen  die  Abfassung  einer  Antwort  leicht  wird,  und  wes- 
halb es  ihnen  offenbar  weniger  schwer  fällt,  bei  Vergangenem 


XIV,  1,  32.  üeber  die  etruskischen  Wahrsager  s.  Gell.  VI  (VII),  1, 3  NB. 


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(240) 


XIV.  Buch,  1.  Cap.,  §  83-36. 


der  Wahrheit  näher  zu  kommen,  als  bei  Zukünftigem.  Hält 

man  (schliesslich)  nun  alles  Das,  was  sie  blindlings  oder 

schlauer  Weise  (wirklich  einmal)  Wahres  gesprochen  haben, 

vor  Allem  gegen  Das,  worin  sie  zu  Lügnern  werden,  zusammen, 

so  dürfte  das  Wahre  wohl  nicht  den  tausendsten  Theil  davon 

ausmachen.   34.  Ausser  dem  von  mir  angehörten  Vortrag  des 

Favorin  erinnere  ich  mich  auch  noch  vieler  Zeugnisse  alter 

Dichter,  von  denen  dergleichen  trügerische  Räthselworte  in 

ihrer  Nichtigkeit  (beleuchtet  und)  dargestellt  (und  gebührend 

gegeisselt)  werden.    Unter  ihnen  befindet  sich  auch  jener 

Ausspruch  des  Pacuvius: 

Gab's  welche,  die  voraussehn,  was  da  kommen  wird, 
Die  achte  ich  dem  (Göttervater)  Zeus  ganz  gleich. 

Desgleichen  auch  jenes  bekannte  Wort  des  Accius : 

Nichts  glaub'  ich  Vogelschauern,  die  bereichern  fremdes  Ohr 
Mit  leerem  Wort',  zu  füllen  sich  das  eigne  Haus  mit  Gold. 

35.  Favorin,  in  der  Absicht,  die  jungen  Leute  von  den  be- 
nannten Zeichendeutern  und  andern  ähnlichen  (Schwindlern) 
abzuschrecken  und  zu  vertreiben,  welche  durch  abenteuerliche 
Kunststücke  alle  zukünftigen  Dinge  voraussagen  zu  können 
in  Aussicht  stellten,  sagte,  dass  man  niemals  sich  an  sie 
wenden  und  sie  um  Rath  fragen  dürfe  und  schloss  (zur  noch- 
maligen Verwarnung  seinen  Vortrag)  mit  folgenden  Bemer- 
kungen :  36.  Entweder  weissagen  sie  Unglück,  was  geschehen 
soll,  oder  Glück.  Wenn  sie  Glück  weissagen  und  (uns)  täu- 
schen, so  wird  man  durch  grundlose  Hoffnung  nur  unglücklich 
gemacht;  wenn  sie  Unglück  vorhersagen  und  (uns  etwas) 
vorlügen,  wird  man  durch  thörichte  Furcht  sich  abquälen; 
wenn  sie  aber  wirklich  einmal  einen  wahren  Ausspruch  thun, 
und  es  betrifft  nur  (kommende)  Unglücksfälle,  so  wirst  Du 
von  Stund  an  (schon  vorher)  im  Geist  und  Gemüth  Dich  un- 
glücklich fühlen,  bevor  Du  noch  es  durch  das  Missgeschick 
(wirklich)  wirst ;  im  Fall  sie  aber  künftiges  Glück  vorhersagen, 
so  wird  sich  dann  immer  noch  ein  doppelter  Schaden  heraus- 
stellen, erstlich,  die  Hoffnungsspannung  wird  Dich  in  Deiner 
Ungewissheit  nur  abspannen  und  diese  Hoffnungspein  wird  Dir 
schon  vorweg  den  zukünftigen  Genuss  an  der  Freude  abstreifen. 
Daher  muss  man  mit  solchen  Menschen,  welche  zukünftige 
Dinge  prophezeien,  durchaus  sich  nichts  zu  schaffen  machen. 


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XIV.  Buch,  2.  Cap.,  §  1. 


(241) 


XIV,  2,  L.    Wie  sich  Favorin,  von  mir  zu  Rathe  gezogen,  ausführlich 
über  die  Pflicht  eines  Richters  aussprach. 

XIV,  2.  Cap.  1.  Als  ich  einst  zum  erstenmale  von  den 
Praetoren  unter  die  Richter  (-Ausschussbehörde)  war  gewählt 
worden,  um  bei  Urtheilssprüchen  in  sogenannten  Privat- 
prozessen mitzuwirken,  suchte  ich  in  den  über  die  Amts- 
pflicht des  Richters  in  beiden  Sprachen  (der  griechischen  und 
lateinischen)  verfassten  Werken  mich  genau  zu  unterrichten, 
um,  als  ein  noch  junger  (unerfahrener)  Mensch,  von  den  (wissen- 
schaftlichen Genüssen  an  den  herrlichen)  Dichtermythen  und 
von  den  Kunsterzeugnissen  der  Redner  zur  Entscheidung  von 
(ernsteren)  Streitsachen  (und  Tagesfragen)  abgerufen,  auch 
die  Pflichten  des  Richteramtes,  weil  ich  das  sogenannte 
„lebendige  Wort"  (der  mündlichen  Belehrung)  entbehrte,  von 
den  sogenannten  „stummen  Lehrmeistern"  (d.  h.  aus  Büchern 
practisch)  zu  lernen.  Nun  erhielt  ich  allerdings  zwar  in 
Betreff  (gewisser  Prozessformalitäten,  als  z.  B.)  des  Auf- 
schiebens der  Verhandlungen  auf  den  folgenden  Tag  (diffissiones 
dierum  genannt),  ferner  in  Betreff  der  Vertagung  (des  richter- 
lichen Spruchs  in  bereits  klarerwiesenen  Sachen)  bis  auf  den 
drittnächsten  (Gerichts-)  Tag  (als  zweiten  und  letzten  Termin, 

XIV,  2,  1.  Wie  hier  Gellius,  so  waren  auch  Ovid.  (Trist  H,  98) 
und  der  jüngere  Plinius  (Epist.  I,  20,  12)  Gerichtsbeisitzer. 

XIV,  2,  1.  Judicia  privat a.  Der  Praetor,  welcher  im  Namen  des 
Staates  das  Recht  verwaltete,  übernahm  nicht,  wie  bei  uns  der  Richter, 
sowohl  die  Untersuchung  als  die  Entscheidung,  sondern  er  leitete  nur  den 
Prozess  und  Hess  das  gefällte  Urtheil  vollziehen;  er  entschied  also  eigent- 
lich nur  die  juristische  Frage  und  bestimmte  die  dabei  zu  berücksichti- 
genden und  in  Anwendung  kommenden  Rechtssätze;  zur  Untersuchung 
des  factischen  Verhältnisses  unter  den  streitenden  Parteien  aber  wählte 
er  aus  den  dazu  bestimmten  Privatrichtern  einige  aus  (judicis  datio), 
wobei  der  Praetor  den  Rechtssatz  bezeichnete,  nach  welchem  verfahren 
werden  sollte,  wodurch  er  die  Richter  zur  Untersuchung  des  Factum's 
anwies,  welche  ihnen  nur  allein  oblag,  so  wie  die  Entscheidung  nach  dem 
von  ihm  bezeichneten  Rechtssatze  (formula,  d.  h.  Instruction  der  Richter). 
Aus  dieser  Trennung  der  Magistratsgewalt  von  der  Richterthätigkeit  theilte 
sich  das  ganze  Prozessverfahren  1)  in  eine  leitende,  anordnende  Ver- 
handlung vor  dem  Magistrate  (in  jure)  und  2)  in  die  Untersuchung  des 
Factums  und  Entscheidung  durch  Privatrichter  nach  der  Instruction  des 
Magistrats  (in  judicio).   Ueber  Privatrichter  s.  Gell.  XII,  13,  1  NB. 

Gellius,  Attische  Nächte,  n.  16 


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(242) 


XIV.  Buch,  2.  Cap.,  §  1  —  6. 


conperendinationes  genannt)  und  in  Betreff  einiger  anderer 
gesetzlicher  Gebräuche  (und  Formalitäten)  nützliche  Winke 
und  manche  Beihülfe  geliefert,  theils  aus  dem  julischen 
Gesetze  selbst,  theils  aus  den  Erläuterungsschriften  des 
Masurius  Sabinus  und  einiger  anderer  Rechtsgelehrten.  2. 
Allein  bei  verwickelten  Rechtsfällen,  wie  sie  doch  (immer 
und  tiberall)  vorzukommen  pflegen,  ferner  bei  einem  zweifel- 
haften Umstände  der  verschiedenen  Ansichten  (unter  Richtern 
und  Parteien,  d.  h.  bei  Meinungsconflicten)  haben  mir  der- 
gleichen Schriften  durchaus  nichts  geholfen.  8.  Denn  obwohl 
(zugestandener  Massen)  jeder  Richter  seine  EntSchliessungen 
nach  der  Lage  der  vorliegenden  Rechtsfälle  fassen  (und  ein- 
richten) soll,  so  giebt  es  doch  gewisse,  ganz  allgemeine  Vor- 
erinnerungen und  Vorschriften  für  ihn  zu  berücksichtigen, 
durch  die  (eigentlich)  jeder  Richter  noch  vor  der  Verhandlung 
sich  im  Voraus  gegen  unvorhergesehene  Zufälligkeiten  bei 
vorkommenden  Schwierigkeiten  zu  vergewissern  und  vorzube- 
reiten verbunden  ist;  wie  der  zweifelhafte,  zur  Auffindung  des 
Urtheils  unerklärbare  Fall  beweisen  wird,  der  mir  selbst  in 
meiner  Praxis  begegnete  (und  den  ich  hier  anführen  will). 

4.  Es  wurde  bei  mir  eine  Klage  angebracht  wegen  einer 
Geldsumme,  welche  wirklich  ausgezahlt  und  richtig  ein- 
gehändigt worden  sein  sollte ;  allein  Der,  welcher  das  Darlehn 
einklagte,  konnte  die  erfolgte  Aushändigung  des  Darlehns 
weder  schriftlich  (tabulis,  durch  Rechnungsbücher),  noch  durch 
Zeugen  (testibus)  nachweisen  und  stützte  sich  auf  nur  sehr 
schwache  Beweismittel.  5.  Er  war  jedoch  als  ein  selten 
ehrenhafter  (ferme  bonus)  Mann  allgemein  bekannt,  von  offen- 
kundiger und  erprobter  Treu  und  Redlichkeit,  von  unbeschol- 
tenstem Lebenswandel  und  es  lagen  viele  und  glänzende  Be- 
weise von  seiner  RechtschafFenheit  und  Ehrenhaftigkeit  zu  Tage. 
6.  Der  Andere  aber,  von  dessen  Seite  das  Darlehn  zurück- 
verlangt und  eingeklagt  wurde,  war  offenbar  und  nachweislich 

XIV,  2,  1.  Lex  Julia  (judiciorum  publicorum)  von  Caesar  und 
Augustus,  wie  früher  die  Lex  Cornelia  des  Sulla,  gab  eine  allgemeine 
Criminal-Gerichtsordnung.  Fr.  Vat.  197.  198;  Dig.  48,  2,  2.  3;  47, 15,  8, 1; 
22,  5,  4;  43,  16,  1.  2;  48,  19,  32;  Lange  röm.  AJterth.  §  135  S.  (614)  676. 

5.  Göschel  „Zerstreute  Blätter"  II.  Th.  S.  323  ff. 

XIV,  2,  3.   Cfr.  Gell.  XII,  18,  2  über  gerichtliche  Beirathe. 


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XIV.  Buch,  2.  Cap.,  §  6—9. 


(243) 


ein  Mensch,  der  sich  eben  nicht  in  guten  Umständen  befand, 
einen  schändlichen,  lasterhaften  Lebenswandel  fÜJirte,  allent- 
halben schon  verschiedener  Unwahrheiten  überwiesen  worden 
und  überhaupt  voll  von  Ränkesucht  und  Betrügerei  war.  7. 
(Dies  kümmerte  ihn  aber  durchaus  nicht,  trotzdem  keck  und 
unverschämt  aufzutreten  und)  im  Verein  mit  seinen  vielen 
(Spiessgesellen,  Helfershelfern  und)  Vertheidigem  zur  Seite 
ganz  laut  und  offen  zu  verlangen,  man  solle  ihm  vor  mir  (als 
seinem  Richter)  doch  nur  den  Nachweis  liefern  durch  die 
gewohnten  Beweismittel,  sei  es  durch  den  Ausweis  einer 
Darlehnseintraguog  (expensi  latione),  durch  Rechnungsbücher 
(mensae  rationibus),  durch  Auslieferung  der  Schuldverschrei- 
bung (chirographi  exhibitione),  durch  Besiegelung  des  Schuld- 
scheins (tabularum  obsignatione),  durch  Einholung  von  Zeugen 
(testium  intercessione) ;  8.  wenn  nun  aber,  wie  sich's  ja 
herausstelle,  von  alledem  in  keiner  Art  Nachweis  geliefert 
werden  könne,  dann  müsse  er  auch  sofort  (ohne  Widerrede) 
losgesprochen  und  sein  Gegner  wegen  Verläumdung  (auch 
noch  zu  gesetzmässiger  Strafe)  verurtheilt  werden;  was  man 
aber  über  ihr  beiderseitiges  Leben  und  Thun  vorbrächte,  dies 
gehöre  gar  nicht  zur  Sache  und  sei  ein  nutzloser,  überflüssiger 
Einwand,  denn  es  handle  sich  hier  speciell  um  einen  Prozess 
wegen  Einklagung  einer  Geldschuld  vor  dem  (Privat-)  Richter, 
nicht  (aber  um  einen  Prozess)  wegen  Sittlichkeitsvergehen 
vor  den  Sittenrichtern.  9.  In  diesem  Falle  nun  behaupteten 
meine  Freunde,  die  ich  dabei  zu  Rathe  gezogen  hatte,  Männer 
geübt  in  Verteidigungen  (von  Angeklagten)  und  erfahren  in 
gerichtlichen  Untersuchungssachen,  die  aber,  weil  sie  stets 
durch  anderweitige  Prozesssachen  vielfach  (in  Anspruch  ge- 
nommen und)  abgezogen  waren,  es  daher  auch  immer  eilig 
hatten  (und  sich  meist  so  schnell  als  möglich  aller  Mühe- 
waltung zu  überheben  pflegten),  diese  also  behaupteten,  dass 
der  Schluss  der  Gerichtssitzung  und  des  Urteilsspruches  nicht 
länger  aufgeschoben  werden  dürfe,  da  durchaus  (hier)  kein 
Zweifel  mehr  obwalten  könne,  dass  der  Mann  (wenn  auch 
sonst  nicht  gut  beleumundet,  in  diesem  Falle  ohne  jedes 

XIV,  2,  7.  Chirographum,  handschriftliche  Empfangsbescheinigung 
des  Schuldners.  S.Gaj.  3,  134;  Dig.  13,  6,  5  §  8;  23,  3,  4  §  3;  34,  3, 31 
§  4;  vergl.  Juv.  13,  137. 

16* 


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(244) 


XIV.  Buch,  2.  Cap.,  §  9-14. 


Bedenken  freigesprochen  werden  müsse,  weil  ihm  der  Empfang 
der  Darlehnssumme  durch  kein  gesetzlich  gültiges  Document 
könne  nachgewiesen  werden.  10.  Wenn  ich  mir  nun  aber 
trotzdem  die  beiden  Leute  näher  ins  Auge  fasste,  den  Einen 
in  seiner  Redlichkeit,  den  Andern  in  seiner  Ehrlosigkeit  und 
von  dem  schändlichsten,  verworfensten  Lebenswandel,  so 
konnte  ich  mich  unmöglich  dazu  entschliessen,  den  Letzteren 
völlig  freizusprechen.  11.  Auf  meine  Verordnung  hin  also 
wurde  die  Verhandlung  auf  den  nächsten  Tag  verschoben,  und 
ich  begab  mich  sofort  von  der  Gerichtsstelle  zum  Weltweisen 
Favorin,  mit  dem  ich  damals  zu  Rom  viel  umging,  und  er- 
zählte ihm  von  der  Prozessangelegenheit  und  von  den  beiden 
Leuten  Alles,  was  in  meiner  Gegenwart  war  verhandelt  wor- 
den, und  wie  der  Sachverhalt  war,  und  bat  ihn  zugleich, 
dass  er  mich  sowohl  im  vorliegenden  Falle,  wo  ich  mir  nicht 
Rath  wusste,  als  auch  überhaupt  bei  allen  übrigen  Obliegen- 
heiten, deren  Beobachtung  bei  dem  (schwierigen)  Richteramte 
geboten  sei,  in  den  Stand  setzen  möchte  (einen  Ausweg  zu 
finden),  um  bei  ähnlichen  Vorkommnissen  mehr  Einsicht  be- 
thätigen  zu  können.  12.  Nun  belobte  Favorinus  (zuerst)  diese 
Gewissenhaftigkeit  bei  meiner  Zurückhaltung  und  Bedenklich- 
keit, dann  sagte  er:  Dieser  Fall,  über  den  Du  mich  jetzt 
befragst,  kann  offenbar  nur  von  geringer  und  unbedeutender 
Erheblichkeit  sein  (und  wird  sich  bald  erörtern  lassen), 
hingegen,  wenn  Du  beabsichtigst,  dass  ich  Dir  (als  Lehrer) 
auch  Anleitung  geben  soll  über  jegliche  Verpflichtung  (beim 
wichtigen  Amte)  eines  Richters,  so  ist  hier  weder  Ort  noch 
Zeit  dazu;  13.  denn  das  ist  eine  Erörterung  mannigfacher 
und  weitläufiger  Untersuchung  und  bedarf  vieler  und  ängst- 
licher Sorgfalt  und  Ueberlegung.  14.  Denn  (um  Dir  zu  Liebe 
nur  einige  Hauptpunkte  dieser  mannigfachen  Untersuchungen 
zu  berühren)  so  drängt  sich  bei  dem  Gedanken  an  die  Rich- 
terpflicht unter  allen  Fragen  zuerst  die  uns  auf:  Wenn  ein 
Richter  sich  schon  im  Voraus  über  den  streitigen  Punkt 
unterrichtet  hat,  über  den  in  seiner  Gegenwart  verhandelt 
werden  soll,  und  die  ganze  Angelegenheit,  bevor  sie  zur  Ver- 
handlung kam  oder  zum  Urtheilsspruch  vorgetragen  wurde 
(res,  priusquam  agi  coepta  aut  in  judicium  deducta  sit),  ihm 
persönlich  allein  durch  irgend  ein  anderes  Geschäftsverhältniss 


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XIV.  Buch,  2.  Cap.,  §  14—18. 


(245) 


oder  durch  irgend  eine  andere  Zufälligkeit  vollkommen  klar 
und  deutlich  geworden  ist,  später  aber,  während  der  Prozess- 
verhandlung, seine  (vorgefasste)  Ansicht  (nachweislich)  durchaus 
nicht  unterstützt  wird,  (da  ist  gleich  die  erste  Frage)  ob  ein 
Richter  dann  nun  noch  nach  seiner  vorher  gewonnenen  per- 
sönlichen Ansicht,  mit  der  er  vorbereitet  in  den  Gerichtssaal 
trat,  sein  Urtheil  fällen  soll,  oder  nach  dem,  was  er  erst  bei 
der  Verhandlung  in  Erfahrung  bringt?  15.  Da  pflegt  sich, 
fuhr  er  fort,  auch  noch  eine  andere  Frage  aufzudrängen,  ob  es 
sich  für  den  Richter  ziemt  und  schickt,  nachdem  der  Rechts- 
fall schon  verhandelt  worden  ist,  dann  noch,  im  Fall  eine  Mög- 
lichkeit zur  Beilegung  des  Rechtsstreites  vorhanden  zu  sein 
scheint,  auf  kurze  Zeit  sich  der  Richterpflicht  zu  begeben  und 
unterdessen  die  gemeinschaftliche  Rolle  der  Freundschafts- 
pflicht und  gleichsam  des  Friedensvermittlers  ?u  übernehmen? 

16.  Auch  weiss  ich  recht  wohl,  dass  ein  anderer  Fall  noch 
weit  mehr  bestritten  und  bezweifelt  wird:  ob  ein  Richter 
während  der  Verhandlung  Dasjenige  zu  sagen  oder  durch 
Fragen  an  die  Hand  zu  geben  schuldig  sei,  was  zu  sagen 
und  zu  fragen  für  die  eine  Partei  nöthig  (und  nützlich)  ist, 
obgleich  diese  (betreffende  Partei),  der  allerdings  daran  ge- 
legen sein  muss,  dass  es  gesagt  und  gefragt  wird,  selbst  nicht 
daran  dachte,  davon  zu  sprechen,  noch  es  durch  Antrag  in 
Anregung  zu  bringen  ?  Denn  dies  heisse,  sagt  man,  viel  eher 
den  Vertheidiger  spielen,  nicht  aber  den  Richter  vertreten. 

17.  Ausserdem  ist  man  auch  über  den  Punkt  verschiedener 
Meinung,  ob  es  mit  dem  Gebrauch  und  mit  der  Pflicht  eines 
Richters  übereinstimmend  sei,  den  Fall  und  die  Umstände, 
um  die  sich  die  Verhandlung  dreht,  durch  sein  Dazwischen- 
reden so  darzustellen  und  glaubhaft  zu  bezeichnen,  dass  er 
schon  vor  der  Schlusszeit  des  Urteilsspruches  aus  alledem, 
was  vor  seinem  Richterstuhl  für  jetzt  verworren  und  bunt 
durcheinander  vorgebracht  wird,  nach  Art  und  Umständen, 
wie  er  sich  bei  jeder  Gelegenheit  und  Zeit  für  gewisse  Ein- 
drücke empfänglich  zeigt,  seine  Gefühle  und  Gesinnungen  ganz 
deutlich  merken  lässt.  18.  Denn  alle  Die,  welche  allgemein 
das  Ansehn  scharfer  und  schneller  Richter  haben,  behaupten, 
dass  nicht  anders  eine  Angelegenheit,  die  verhandelt  wird, 
(schnell)  ausgespürt  und  durchschaut  werden  könne,  als 


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(246)  XIV.  Buch,  2.  Cap.,  §  18—21. 

wenn  der  Vorsitzende  Richter  durch  häufige  Fragen  und  un- 
umgängliche Zwischenreden  theils  seine  eignen  Gefühle  offen- 
bart, theils  die  (Intentionen)  der  streitenden  Parteien  (aus- 
zuforschen und)  aufzufinden  sucht.  19.  Hingegen  andere 
Richter,  die  für  gesetzter  und  gewissenhafter  gelten,  be- 
haupten, dass  ein  Richter  vor  dem  Urtheilsschluss,  während 
für  beide  Theile  der  Prozess  (-Ausgang)  noch  schwebt,  wenn 
er  sich  öfters  auch  durch  irgend  eine  Veranlassung  bewegt 
fühlen  sollte,  doch  niemals  dürfe  merken  lassen,  was  er  (denkt 
und)  empfindet.  Denn  es  wird  nicht  ausbleiben  können,  sagen 
sie,  dass  ein  solcher  (gefühlvoller)  Richter,  weil  je  nach  dem 
Wechsel  der  vorkommenden  Rechtsfälle  und  der  Beweis- 
führungsarten sein  Gemüth  von  den  verschiedensten  Bewe- 
gungen (der  Empfindung)  bestürmt  werden  muss,  leicht  in 
den  Verdacht  kommen  kann,  dass  er,  sag'  ich,  bei  demselben 
Fall  und  in  demselben  Moment  leicht  seine  Gesinnung  und 
sein  Urtheil  ändere.  20.  Allein  über  diese  und  über  aller- 
hand weitere  Abhandlungen  von  dergleichen  richterlicher 
Verpflichtung  will  ich  später  (einmal),  wenn  ich  Zeit  haben 
werde,  theils  versuchen  meine  Ansicht  auszusprechen,  theils 
aber  auch  die  von  mir  ganz  kürzlich  erst  gelesenen  Vor- 
schriften des  (gelehrten)  Aelius  Tubero  über  die  Richterpflicht 
erklären.  21.  Was  aber  die  besagte  Vorschusssumme  betrifft, 
die  vor  Deinem  Richterstuhl  eingeklagt  werden  soll,  so  kann 
ich  Dir  wahrlich  nur  rathen,  befolge  (dabei)  den  Grundsatz 
des  höchst  klugen  und  verständigen  M.  Cato,  der  in  seiner 
Rede,  welche  er  für  den  L.  Turius  gegen  den  Cn.  Gellius 
hielt,  versichert,  es  sei  nach  alter  Väter  Weise  so  überliefert 
und  festgehalten  worden,  dass,  wenn  etwas,  was  zwischen 
Zweien  abgemacht  wurde,  weder  durch  schriftliche  Beweis- 
mittel (Documente.  Obligationen),  noch  durch  Zeugen  (deutlich 
gemacht  und)  nachgewiesen  werden  könne,  dann  vor  dem 
Richter,  der  über  die  Angelegenheit  erkennen  und  sein  Urtheil 
sprechen  sollte,  (vorerst)  die  Frage  erörtert  wurde,  wer  von  den 
Beiden  der  rechtschaffenere  Mensch*)  war,  und  im 

XIV,  2,  20.  Q.  Aelius  Tubero  cfr.  Gell.  XIV,  7, 13;  XIV.  8,  2;  VI  (VII), 
9,  11.   S.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  205,  1  und  Gell.  VII  (VI),  3,  1  NB. 

XIV,  2,  21.  *)  S.  Mommsen  Röm.  Gesch.  Buch  III,  cap.  12  (I.  Bd. 
p.  847). 


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XIV.  Buch,  2.  Cap.,  §21—25 


(247) 


Fall  sie  Beide  entweder  gleich  gut,  oder  gleich  schlecht  waren, 
dann  wurde  dem  Beklagten  geglaubt  und  zu  seinem  Gunsten 
das  gerichtliche  Urtheil  entschieden.  22.  In  der  vorliegenden 
Prozessangelegenheit  aber,  über  die  Du  im  Zweifel  bist,  steht 
der  Kläger  im  besten  Rufe,  der  Beklagte  aber,  der  bezahlen 
soll,  ist  als  ein  ganz  (abgefeimter)  schlechter  Mensch  berüch- 
tigt, und  (fest  steht  nur,)  das  Geschäft  ist  zwischen  Beiden 
ohne  Zeugen  abgemacht  worden.  23.  Geh'  also  (hin)  und 
glaube  (ohne  Bedenken)  dem  (Ehrenmanne),  der  die  Forderung 
stellt,  und  verurtheile  immerhin  den,  von  welchem  die  Rück- 
zahlung verlangt  wird,  weil  sie  Beide  von  einander  verschieden 
sind,  und  diesmal  der  Kläger  (vor  dem  Beklagten)  den  Vorzug 
hat.  24.  Diesen  Rath  also  gab  mir  damals  Favorin  ganz  wie 
es  sich  für  einen  so  weisen  Mann  schickte,  25.  allein  nichts- 
destoweniger hielt  ich  diese  Angelegenheit  doch  für  zu  wichtig 
und  zu  hoch,  als  dass  ich*)  bei  meiner  (grossen)  Jugend  und 
Unerfahrenheit  es  entsprechend  fand,  weil  es  dabei  leicht  hätte 
den  Anschein  haben  können,  ich  habe  mein  Verdammungs- 
urtheil  (cognovisse  et  condemnasse)  in  Berücksichtigung  der 
Sitten,  nicht  aber  in  Folge  des  dargebrachten  Beweises  vom 
(einfachen)  Thatbestand  gefällt.  Daher  konnte  ich  es  nicht 
über  mich  gewinnen,  ein  Lossprechungsurtheil  zu  fällen  und 
deshalb  beeidete  ich,  dass  mir  die  Sache  „nicht  klar  und 
spruchreif"  sei,  und  so  wurde  ich  meines  Richteramtes  ent- 

XIV,  2,  23.   S.  W.  Rein's  röm.  Privatrecht  S.  450  ff. 

XIV,  2,  24.  *)  Vergl.  über  das  Alter  des  Gellius  noch:  L.  Friedender 
de  A.  Geliii  vitae  temporibus.  Königsberg  1869  und  J.  Steup  de  Probis 
grammaticis  p.  VII  und  72  ff.   Jena.  1870. 

XIV,  2,  25.  Vor  Gericht  kann  und  darf  zwar  zuweilen  der  Charakter 
aus  Thatsachen  beurtheilt  werden,  aber  nie  Thatsachen  aus  dem  Charakter.  — 
Bei  legislativen  Comitien  brauchte  man  zwei  Täfelchen,  um  (durch  u.  r., 
d.  h.  uti  rogas)  die  bejahende  Stimme  zu  verzeichnen,  oder  (durch  a.,  d.  h. 
antiquo)  die  verneinende.  Bei  richtenden  Comitien  wurden  jedem  Richter 
drei  Täfelchen  eingehändigt,  bezeichnet  mit  a  (als  litera  salutaris),  in  der 
Bedeutung  von  absolvo,  spreche  frei,  dann  mit  c  (als  litera  tristis),  be- 
deutend: condemno,  verurtheile,  spreche  schuldig  und  endlich  das  dritte 
mit  n.  1.,  d.  h.  non  liquet  S.  Savigny  röm.  Recht  Bd.  6  p.  311 :  Wenn  die 
Stimmenmehrheit  auf  „non  liquet"  giog,  so  lautete  der  Ausspruch  des  Vor- 
sitzenden Praetors :  „amplius",  welches  die  Folge  hatte,  dass  die  Verhand- 
lung an  irgend  einem  andern  nahen  Tage  fortgesetzt  wurde,  bis  die  Richter 
glaubten ,  ein  sicheres  Urtheil  sprechen  zu  können.   Der  Ausgang  jedes 


(248) 


XIV.  Buch,  2.  Cap.f  §  26.  —  3.  Cap.,  §  1. 


hoben.  26.  Die  Stelle  aus  der  Rede  des  M.  Cato,  deren 
Favorin  Erwähnung  that,  lautet  wörtlich  so:  „Auch  habe  ich 
von  den  Altvordern  erfahren,  im  Fall  Einer  von  einem  Andern 
eine  Forderung  hat,  wenn  Beide  einander  gleich  sind,  ent- 
weder gleich  gut,  oder  gleich  schlecht,  (und  es  traf  sich), 
dass,  als  sie  Beide  das  Geschäft  abgeschlossen  hatten,  keine 
Zeugen  zugegen  waren,  so  musste  man  (allemal)  eher  dem 
Beklagten  Glauben  schenken.  Im  Fall  nun  Gellius  mit  dem 
Turius  eine  (gegenseitige)  Verpflichtung  eingegangen  wäre: 
gesetzt  auch,  Gellius  wäre  kein  rechtschaffenerer  Mensch  als 
Turius,  könnte  doch  wohl  Niemand,  glaub'  ich,  so  unvernünftig 
sein,  dass  er  so  aburtheilte,  Gellius  sei  weit  rechtschaffener 
als  Turius;  im  Fall  nun  Gellius  nicht  rechtschaffener  ist  als 
Turius,  so  muss  man  dem  Beklagten  mehr  Glauben  schenken." 

XIV,  3,  L.     Ob  Xenophon  und  Plato  der  (heimlichen)  Eifersucht  und 
Feindschaft  gegen  einander  (mit  Recht)  dürfen  beschuldigt  werden. 

XIV,  3.  Cap.  1.  Die  Schriftsteller,  welche  uns  in  sehr 
vielen  Stücken  (und  nach  fast  allen  Richtungen  hin)  gründ- 
liche Schilderung  vom  Leben,  wie  vom  Charakter  des  Xenophon 

geleiteten  Criminalprozesses  war  stets  Verurtheilung  oder  Freisprechung, 
nie  Unentschiedenheit.  Hier  erzählt  Gellius,  er  selbst  sei  einmal  Judex 
gewesen,  als  ein  sehr  rechtschaffener  Mann  gegen  einen  Menschen  von 
verdächtigem  Charakter  ein  Darlehn  einklagte,  ohne  Beweise  führen  zu 
können.  Durch  einen  Eid:  „mihi  non  liquere",  machte  er  sich  frei  von 
der  Verlegenheit,  gegen  seine  persönliche  Meinung  urtheilen  zu  müssen. 
Der  Erfolg  war,  dass  dem  Gellius  gestattet  wurde,  persönlich  aus  dem 
auferlegten  Judicium  auszuscheiden,  und  dass  nun  ein  anderer  Judex  an 
seine  Stelle  trat.  Das  Judicium  dauerte  fort  und  nur  die  Person  wurde 
verändert. 

XIV,  3,  L.  Xenophon,  geb.  zu  Athen  450  v.  Chr.,  Sohn  des  Gryllos, 
griech.  Philosoph  und  Geschichtsschreiber,  einer  der  berühmtesten  Schüler 
und  Freunde  des  Socrates,  von  dem  er  im  peloponnes.  Kriege  (424)  in  der 
Schlacht  bei  Delion  auf  den  Schultern  aus  dem  Gefechte  getragen  wurde. 
Die  (später  401)  übriggebliebenen  Griechen,  von  den  dem  jüngeren  Cyrus 
gegen  seinen  Bruder,  den  König  Artaxerxes,  aus  Sparta  und  Athen  nach  Per- 
sien gesendeten  Hülfstruppen,  führte  er,  an  ihre  Spitze  gestellt,  nach  der  un- 
glücklichen Schlacht  bei  Kunaxa,  wo  Cyrus  fiel,  500  Meilen  weit  durch  un- 
wirthliche  Länder  glücklich  nach  Griechenland  zurück.  Dieser  Zug,  welchen 
er  in  seiner  Anabasis  beschreibt,  gilt  als  ein  Meisterstück  in  der  Kriegs- 
kunst. Bei  den  Athenern  verdächtigt,  spartanisch  gesinnt  zu  sein,  wurde 
er  exilirt,  ging  nach  Elis  und  starb  360,  ziemlich  alt,  in  Corinth.  Sein 


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XIV.  Buch,  3.  Cap.,  §  1  —  4.  (249) 

und  des  Plato  geliefert  haben,  waren  der  Ansicht,  dass  diese 
(zwei  grossen  Geister)  nicht  ganz  frei  gewesen  seien  von  ge- 
wissen geheimen  und  verborgenen  Empfindungen  gegenseitiger 
Eifersucht  und  Missgunst,  und  sie  haben  uns  dafür  einige  auf 
Vermuthung  beruhende  Beweise  aus  ihren  Schriften  angeführt. 
2.  Sie  laufen  ohngefähr  auf  Folgendes  hinaus:  Weil  weder  von 
Plato  in  seinen  vielen  und  zahlreichen  Schriften  irgendwo  des 
Xenophon  Erwähnung  geschieht,  noch  von  diesem  in  seinen 
Schriften  des  Plato,  obgleich  Beide,  am  meisten  aber  Plato 
in  den  von  ihm  abgefassten  Dialogen  viele  Schüler  des  So- 
crates  erwähnt  hat.  3.  Auch  glaubten  sie,  dass  dies  für  kein 
Zeichen  aufrichtiger  und  freundschaftlicher  Zuneigung  an- 
gesehen werden  könne,  dass  Xenophon,  nachdem  er  die  beiden 
ersten,  öffentlich  neu  erschienenen  Bücher  von  jenem  be- 
rühmten Werke,  welches  Plato  über  die  beste  Form  einer 
freien  Staatsverwaltung  schrieb,  gelesen  hatte,  diesem  Werke 
sogleich  ein  anderes  entgegensetzte  und  durch  seine  Feder  die 
entgegengesetzte  Regierungsform  einer  „Monarchie"  verherr- 
lichte und  sie  betitelte:  von  der  Erziehung  des  Cyrus.  4.  Durch 
diese  Handlungsweise  und  durch  diese  Schrift  soll  Plato  sich 
so  unangenehm  berührt  gefühlt  haben,  dass  er  in  einer  andern 
Schrift,  bei  Erwähnung  des  Königs  Cyrus,  zur  Herabsetzung 
und  Verkleinerung  der  xenophonteischen  Schrift  gesagt  haben 
soll,  Cyrus  sei  zwar  ein  rühriger  und  unternehmender  Mann 


Fürsten  Spiegel,  die  Cyropaedie,  Bildungsgeschichte  des  Cyrus;  seine 
Hellenika,  griechische  Geschichte,  bildet  die  Fortsetzung  des  Thucydidea 
bis  zur  Schlacht  beiMantinea;  in  den  Memorabilien  des  Socrates  wird 
von  ihm  die  Denk-  und  Handlungsweise  dieses  seines  grossen  Lehrers  in 
Gesprächen  mit  Sophisten  und  mit  seinen  Schülern  dargestellt.  Der  Stil 
des  Xenophon  ist  klassisch,  weshalb  ihn  die  Griechen  die  attische  Biene 
oder  Muse  nannten.   S.  Diog.  Laert.  II,  6,  14. 

XIV,  3,  L.   Ueber  Plato  s.  Gell.  II,  8,  9  NB  und  in,  17,  1  NB. 

XIV,  3,  1.  S.  Athenaeus  XI,  sect.  112  (504);  Diogen.  Laert.  III,  24; 
Euseb.  praep.  evang.  XIV. 

XIV,  3,  2.   Xen.  Memorab.  III,  6,  1  wird  Plato  erwähnt. 

XIV,  3,  4.  S.  Plat  de  leg.  m  p.  694.  C.  „Was  den  Cyrus  nun 
aber  betrifft,  so  vermuthe  ich  jetzt,  dass  er  im  Uebrigen  zwar  sowohl  ein 
tüchtiger  Feldherr,  als  auch  ein  Staatsfreund  gewesen  sei,  die  rechte  Er- 
ziehung aber  durchaus  nicht  berührt  und  auf  die  Verwaltung  des  Hauses 
nicht  im  Geringsten  Aufmerksamkeit  verwendet  habe." 


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XIV.  Buch,  3.  Cap.,  §4  —  9. 


gewesen,  aber,  so  lauten  Plato's  Worte  über  den  Cyrus  weiter, 
„die  rechte  Erziehung  durchaus  nicht  berührt  habe."  5. 
Ausserdem  komme  noch,  wie  sie  meinen,  zu  der  von  mir  er- 
wähnten Aeusserung  Plato's  andererseits  hinzu,  dass  Xeno- 
phon  in  seinem  Werke,  welches  er  zur  Erklärung  (und  Ver- 
herrlichung) der  Reden  und  Thaten  des  Socrates  abgefasst 
hat,  sagt,  dem  Socrates  sei  es  nie  eingefallen,  sich  auf  Ge- 
spräche einzulassen,  die  Beziehung  auf  gründliche  Unter- 
suchungen in  Astronomie  und  Physik  hatten,  und  selbst  nicht 
einmal  die  übrigen  Wissenszweige,  welche  die  Griechen 
(schlechtweg)  Wissenschaften  (^a^fiara*))  nennen,  berührt 
oder  anerkannt  habe,  da  sie  nicht  unmittelbar  zu  einem 
glücklichen  und  tugendhaften  Leben  hinführen,  und  deshalb 
behauptet  Xenophon,  dass  Jeder  ein  schändlicher  Lügner  sei, 
der  dem  Socrates  dergleichen  Erörterungen  in  den  Mund  lege. 

6.  Als  dies  Xenophon  schrieb,  sagen  sie,  wollte  er  damit  auf 
Plato  anspielen,  in  dessen  Schriften  Socrates  sich  auf  physische 
und  musikalische  und  geometrische  Untersuchungen  einlässt. 

7.  Allein  wenn  man  geglaubt  hat,  Dergleichen  über  die  besten 
und  angesehensten  Männer  vermuthen  oder  argwöhnen  zu 
müssen,  so  ist  meiner  Ansicht  nach  die  Ursache  (gewiss)  nicht 
in  der  Verkleinerungssucht,  noch  in  der  Missgunst,  noch  in 
dem  (ehrgeizigen)  Wettkampf  nach  höherem  Ruhmeserwerb 
(jener  Männer)  zu  suchen,  denn  solche  niedrige  Denkungs- 
art  ist  dem  Charakter  der  Weisheit  gänzlich  fern,  worin  doch 
diese  Beiden  nach  dem  einstimmigen  Urtheile  Aller  sich  so 
sehr  auszeichneten.  Was  kann  nun  also  der  (wahre,  eigent- 
liche) Grund  zu  dieser  Vermuthung  sein?  8.  Sicher  kein 
anderer,  als  folgender:  Meistentheils  nur  das  Vergleichen  und 
die  Gleichheit  grosser,  rühmlicher  Eigenschaften  unter  gleich 
grossen  Männern,  die,  wenn  ihnen  selbst  auch  das  Streben 
und  die  Absicht  zu  einem  Wettstreite  fernliegt,  doch  leicht 
den  Anschein  (kleinlicher)  Eifersüchtelei  veranlassen  kann. 
9.  Denn  wenn  zwei  oder  mehrere  in  demselben  Wissenschafts- 
fache hervorragende  Geister  entweder  eines  gleichen,  oder  fast 


XIV,  3,  5.  *)  fia»rifx(tra  i.  e.  Mathematik,  Astronomie,  Musik,  Geo- 
graphie, Optik.  Vergl.  Gell.  I,  9,  6;  Xen.  Memorabil.  I,  1,  9  Rechnen, 
Messen,  Wagen;  Uli,  7  §  4  und  5  Astronomie. 


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XIV.  Buch,  3.  Cap.,  §  9—11.  —  4.  Cap.,  §  1—3.  (251) 


annähernden  Ruhmes  sich  erfreuen,  so  entspinnt  sich  bei 
ihren  gegenseitigen  verschiedenen  Gönnern  und  Anhängern 
oft  ein  Wettstreit  geflissentlicher  Lobeserhebung  und  partei- 
licher Abschätzung  (ihrer  Meister).  10.  Da  kann  denn  leicht 
aus  dem  fremden  (Wett-)  Streit  auch  sie  selbst  der  ansteckende 
Einfluss  des  Wettstreites  anhauchen,  und  ihr  Ringen,  auf 
Schritt  und  Tritt  den  Weg  zur  Tugend  (und  zum  Ruhme) 
fortzusetzen,  mag  es  von  gleichem  oder  von  zweifelhaftem 
Erfolge  (gekrönt)  sein,  wird  zu  dem  Verdacht  gegenseitiger 
Eifersüchtelei  herabsinken,  nicht  durch  ihre  eigene  Schuld, 
sondern  nur  durch  das  Eifern  ihrer  Gönner  (Anhänger  und 
Parteigänger).  11.  Auf  ganz  gleiche  Weise  sind  auch  Xeno- 
phon  und  Plato,  diese  beiden  (grossen)  Sterne  der  Anmuth 
in  den  Verdacht  gegenseitigen  Wettstreits  und  Eifersucht- 
thums gekommen;  weil  der  Streit  über  sie,  wer  von  Beiden 
hervorragender  sei,  unter  ihren  Anhängern  herrschte,  und 
weil  zwei  hervorragende  Grössen,  wenn  sie  sich  nebeneinander 
gleichmässig  in  schwindelnde  Höhe  erheben,  ein  gewisses 
Scheingefühl  eifersüchtiger  (Missgunst  und)  Rivalität  erzeugen. 

XIV,  4,  L.  Wie  genau  und  scharf  (begrenzt)  Chrysippus  das  Bild  der  Ge- 
rechtigkeit  in  harmonischen  und  malerischen  Ausdrücken  hingezeichnet  hat. 

XIV,  4.  Cap.  1.  Schicklich,  in  der  That,  und  anständig 
hat  Chrysippus  im  ersten  Buche  seiner  Schrift,  welche  betitelt 
ist:  „neQi  xalov  xat  rjdovijg  (über  das  Schöne  und  Ange- 
nehme)", Mund  und  Augen  und  den  ganzen  Gesichtsausdruck 
der  Gerechtigkeit  mit  ernsthaften  und  entzückenden  Farben 
in  Worten  gezeichnet.  2.  Er  entwirft  nämlich  das  Bild  der 
Gerechtigkeit  mit  der  Bemerkung,  dass  dasselbe  von  Malern, 
wie  von  älteren  Rednern  ohngefähr  auf  folgende  Art  vorgestellt 
worden  sei:  Von  zart  jungfräulicher  Form  und  Bildung,  von 
strengem  und  furchteinflössendem  Aussehen,  mit  durchdrin- 
genden Blicken  aus  (ihren)  Augen,  nicht  niedrig  und  ab- 
stossend,  mit  der  Würde  einer  gewissen  ehrfurchtgebietenden 
Schwermuth.   3.  Unter  Hinweis  auf  diese  bildliche  Darstellung 


XIV,  4,  L.   üeber  Chrysippus  s.  Gell.  I,  2,  10  NB. 

XIV,  4,  1.   Cfr.  Diog.  Laert  7,  128  und  202  Athenaeua  p.  158  D.  etc. 


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(252)  XIV.  Buch,  4.  Cap.,  §  8—5.-5.  Cap.,  §  1. 


aber,  wollte  er  verstanden  wissen,  dass  ein  Richter,  der  ein 
echter  Priester  der  Gerechtigkeit  (heisst  und)  ist,  sich  stets 
einen  hohen  Ernst  bewahren  und  gewissenhaft  sein  müsse 
und  streng,  unbestechlich,  der  Schmeichelei  unzugänglich, 
mitleidslos  und  unerbittlich  gegen  alle  Ungerechten  und 
Schuldigen,  stolz,  erhaben,  stark,  Schreckeneinflössend  durch 
die  Macht  und  Hoheit  seines  Billigkeitsgefühls  und  seiner 
Wahrheitsliebe.  4.  Die  Stelle  des  Chrysippus  über  die  Ge- 
rechtigkeit lautet  wörtlich  also:  „Man  sagt,  dass  sie  eine 
Jungfrau  vorstelle,  zum  Kennzeichen,  dass  sie  rein  (keusch 
und  unbestechlich)  sei,  dass  sie  gegen  Uebelthäter  niemals 
nachgiebig  sei  und  nicht  eingehe  weder  auf  sanftes  Zureden, 
noch  auf  Entschuldigungen  und  Bitten,  noch  auf  Schmeicheleien, 
noch  sich  überhaupt  durch  etwas  Anderes  dergleichen  be- 
stimmen lasse;  deshalb  wird  sie  folglich  auch  als  bekümmert 
(und  ernsthaft)  dargestellt,  mit  ernster  (finsterer)  Miene  und 
durchbohrend  scharfem  Blick,  um  den  Bösen  Schrecken  und 
Furcht  einzuflössen,  den  Rechtschaffenen  aber  Muth  und  Ver- 
trauen ;  so  also  verkündet  diese  Miene  den  Einen  Wohlwolle^ 
den  Andern  aber  (unerbittliche)  Strenge."  5.  Meiner  Ansicht 
nach  gebührt  dieser  Stelle  des  Chrysippus  um  so  mehr  ein 
Platz,  damit  sie  (Jedem  sogleich)  zur  (eignen)  Erwägung  und 
Beurtheilung  verfügbar  und  zugänglich  sein  mag,  weil,  als 
ich  die  besagte  Stelle  vortrug,  einige  Philosophen,  die  in 
ihren  Lehren  mehr  zur  Weichlichkeit  hinneigen  (und  zur 
affectirten  Sentimentalität,  delectatiores  quidam  disciplinarum 
philosophi),  mit  der  Einwendung  heraustraten,  diese  Schil- 
derung kennzeichne  das  Bild  der  Grausamkeit,  nicht  das  der 
Gerechtigkeit. 

XIV,  5,  L    Erzählung  eines  heftigen  Streites  zwischen  zwei  berühmten 
Grammatikern  zu  Rom  über  den  Vocativus  des  Wortes:  egregius 
(ausgezeichneter,  vortrefflicher). 

XIV,  5.  Cap.  1.  Ermüdet  von  anhaltendem  Nachdenken 
(und  Studiren)  erging  ich  mich  einst  zu  geistiger  Zerstreuung 
und  Erholung  auf  dem  agrippinischen  freien  Platze.  Dabei 
wurde  ich  zufällig  zweier  Grammatiker  ansichtig,  die  in  der 


XIV,  4,  4.    S.  Plut.  mor.  p.  68,  C;  152  B;  412,  E;  800  C. 


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XIV.  Buch,  5.  Cap.,  §  1—4. 


(253) 


Stadt  Rom  einen  nicht  unbedeutenden  Namen  hatten.  Ich 
(machte  mich  an  sie  und)  wohnte  da  einem  sehr  heftigen 
Streite  derselben  bei,  da  der  Eine  behauptete,  man  müsse  im  $ 
Vocativ  sagen:  vir  egregi  (o  du  vortrefflicher  Mann),  der 
Andere  aber  (dabei  blieb,  es  müsse  heissen:)  vir  egregi e! 
2.  Der  Grund  Desjenigen  aber,  welcher  meinte,  es  müsse 
„egregi"  (im  Vocativ)  heissen,  war  folgender  Art:  Alle  Sub- 
stantiva  und  Adjectiva  (!?),  welche  im  Nominativus  Singularis- 
auf  „usu  auslauten,  bei  denen  vor  dieser  letzten  Silbe  aber  der 
Vocal  „i"  vorhergeht,  alle  diese  werden  im  (Einheits-)Vocativ 
auf  „iu  abgebeugt,  wie  z.  B.  Caelius  Caeli,  modius  modi  (Mass, 
Scheffel),  tertius  terti  (Dritter),  Accius  Acci,  Titius  Titi  und 
alle  ähnliche;  daher  also  auch  von  egregius,  weil  es  sich  im 
Nominativ  auf  „usu  endigt  und  dieser  Silbe  der  Vocal  „iu  voran- 
geht, der  Vocativ  richtiger  egregi,  nicht  aber  egregie  wird 
lauten  müssen.  Denn  divus  (=deus  Gott),  rivus  (Bach)  und 
clivus  (Hügel)  lauten  eigentlich  nicht  auf  (die  Silbe)  us  aus, 
sondern  auf  die  Silbe,  welche  mit  einem  Doppel  -u  geschrieben 
werden  muss,  und  um  nun  aber  den  Klang  (und  die  Aus- 
sprache) dieser  Silbe  zu  (ermöglichen  und  zu)  veranschaulichen, 
erfand  man  einen  neuen  Buchstaben  (das  f),  welcher  (im 
Griechischen)  Digamma  hiess.  3.  Als  der  Andere  die  Er- 
klärung vernommen,  sagte  er:  0  vortrefflicher,  oder,  wenn 
Dir  das  noch  lieber  ist,  o  allervortreff lichster ,  Sprachregel- 
lehrer, sag'  mir  doch,  ich  bitte  Dich,  von  den  folgenden 
Wörtern:  inscius  (unwissend),  impius  (gottlos),  sobrius  (nüch- 
tern), ebrius  (betrunken),  proprius  (eigenthümlich),  propitius 
(geneigt),  anxius  (ängstlich),  contrarius  (abgeneigt),  welche 
sich  alle  auf  „us"  endigen  und  vor  diesem  Auslaut  auf  „us" 
ein  „i"  haben,  wie  lautet  wohl  davon  der  Vocativ?  Deun  mich 
befällt  (eine  gewisse)  Scheu  und  Schüchternheit,  diese  Wörter 
(im  Vocativ)  nach  Deiner  Vorschrift  auszusprechen.  4.  Als 
Jener  aber  ein  Weilchen,  durch  das  Entgegenhalten  der  be- 
sagten Wörter  betroffen,  in  Stillschweigen  verharrte,  bald  sich 

XIV,  5,  1.  Ueber  den  Vocativ  der  Substantiva  auf  ius  s.  Gell.  XIII, 
26  (25),  L.  NB.  Genitiv:  Valeri,  Vocativ:  Valeri.  Die  Appellativa  und 
Adjectiva  behalten  im  Vocativ  ie,  doch  waren,  wie  hier  ersichtlich  wird, 
darüber  zu  Geilius'  Zeiten  selbst  angesehene  römische  Grammatiker  ver- 
schiedener Ansicht. 


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(254)  XIV.  Buch,  5.  Cap.,  §4.-6.  Cap.,  §  1.  2. 

jedoch  wieder  gesammelt  hatte  und  diese  seine  aufgestellte 
Regel  (trotzdem  noch)  aufrecht  erhielt  und  vertheidigte  mit 
dem  Zusatz,  dass  proprius,  propitius,  anxius  und  contrarius 
im  Vocativ  geradeso  zu  sprechen  (und  abzubeugen)  seien,  wie 
adversarius  (Gegner)  und  extrarius  (auswärtig)  gesagt  würde, 
desgleichen  auch  inscius,  impius,  ebrius  und  sobrius,  zwar  ein 
wenig  auffallender,  aber  doch  richtiger  im  Vocativ  in  i  und 
nicht  in  e  (auslautend)  ausgesprochen  werden  müssten  und 
also  immer  noch  kein  Ende  des  lang  geführten  Streites  unter 
diesen  (Beiden)  abzusehen  war,  hielt  ich  es  ferner  nicht  mehr 
der  Mühe  werth,  (mir)  das  Alles  noch  weiter  mit  anzuhören; 
ich  machte  mich  also  aus  dem  Staube  und  Hess  sie  weiter 
schreien  und  streiten. 

XIV,  6,  L.    Ueber  eine  gewisse  Gattung  anscheinender  Kenntnisse,  die 
aber  weder  ergötzen  noch  nützlich  sind;  ferner  dabei  über  Namens- 
uniänderung  einzelner  Städte  und  Länder. 

XIV,  6.  Cap.  1.  Ein  mir  befreundeter,  wegen  seiner 
wissenschaftlichen  Bildung  nicht  unberühmter  Mann,  der  einen 
grossen  Theil  seines  Lebens  unter  Büchern  zugebracht,  sagte 
(eines  Tages  zu  mir) :  Ich  bin  sehr  wohl  geneigt,  (Dein  Sam- 
melwerk) Deine  „(attischen)  Nächte"  durch  Beiträge  zu  be- 
reichern, und  dabei  überreichte  er  mir  ein  Buch,  einen  grossen 
Wälzer,  von  allerhand  Gelehrsamkeit  strotzend,  wie  er  selbst 
sagte,  und  bemerkte  noch  nebenbei,  dass  dieses  Werk  von 
ihm  mit  grosser  Mühe  ausgearbeitet  worden  sei  in  Folge  der 
Leetüre  vieler  und  verschiedener  und  seltener  Bücher,  (und 
er  wolle  gestatten),  dass  ich  mir  daraus  aussuchen  solle,  so 
viel  mir  (nur  immer)  von  dem  darin  enthaltenen  denkwürdigen 
Gegenständen  gefallen  würde.  2.  Voll  Neugierde  und  Freude 
nehme  ich  das  Buch  in  Empfang,  gleich  als  hätte  ich  das 
(wunderbare)  Füllhorn  (cornu  copiae)  erlangt;  ich  ziehe  mich 
damit  ganz  und  gar  in  die  Verborgenheit  zurück,  um  es  ohne 


XTV,  6,  1.  Vergl.  Senec.  ep.  88  §5—7;  §  32.  Der  unter  August 
lebende  alexandrinische  Grammatiker  und  Polyhistor  Didymus,  welcher 
wegen  seiner  unermüdlichen  Thätigkeit  und  seines  eisernen  Fleisses 
den  Beinamen  „x«lx£vTCQog  (d.  h.  der  Mann  mit  eisernen  Eingeweiden) u 
erhielt,  schrieb  4000  Bücher.  Sollte  mit  diesem  Briefe  Seneca's  nicht  das 
Capitel  von  Gellius  hier  in  einigem  Zusammenhang  stehen? 


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XIV.  Buch,  6.  Cap.,  §  3.  4.  (255) 

(lästige  störende)  Zeugen  zu  lesen.  3.  Und,  beim  Himmel, 
nichts  als  lauter  Wunder  standen  da  verzeichnet,  (z.  B.)  Wie 
der  erste  Grammatiker  mit  Namen  geheissen  habe,  wie  viel 
berühmte  Männer  es  gegeben,  die  alle  den  Namen  des  Pytha- 
goras  führten,  wie  viele,  die  Hippocrates  geheissen  und  wie 
beschaffen  der  (enge)  Weg  am  Hause  des  Ulysses  war  nach 
Homers  Angabe  (Odyss.  XXII,  126  oQOodvQr],  oder  Odyss. 
XXH,  128  lavQt])-,  ferner:  warum  Telemach  (Horn.  Odyss. 
XV,  45)  auf  seinem  Ruhebette  den  an  seiner  Seite  schlafenden 
Pisistratus*)  nicht  mit  der  Hand  berührte,  sondern  ihn  dureh 
das  Anstossen  mit  dem  Fusse  aufweckte;  dann  (Horn.  Odyss. 
I,  441),  mit  welcher  Art  von  einem  Schloss  die  Eurykleia**) 
den  Telemach  einschloss;  ferner:  weshalb  derselbe  Dichter 
die  Rose  selbst  nicht  kannte,  das  Rosen(-Salb)-Oel  (Horn. 
Iliad.  XXHI,  186)  aber  kannte.  Ferner  standen  auch  daselbst 
die  Namen  der  Gefährten  des  Ulysses  verzeichnet,  welche 
(Horn.  Odyss.  XII,  245  u.  s.  w.)  von  der  Skylla***)  entrafft  und 
zerfleischt  worden  waren ;  ferner :  ob  Ulysses  im  mittellän- 
dischen Meere,  nach  der  Angabe  des  Aristarchf),  oder  im 
Weltmeere  (Okeanus)  herumirrte,  nach  Annahme  des  Krates. 
4.  Ferner  stand  dort  auch  geschrieben,  welche  Verse  bei  Homer 
isopsephische*)  sind  und  heissen,  von  welchen  Wörtern 


XIV,  6,  3  ff.  Teuffei  sagt  in  s.  Gesch.  der  röm.  Lit.  340  höchst 
treffend;  „Ungeleitet  von  historischem  Sinne  und  in  Dienst  genommen 
von  einer  eitlen  Rhetorik  ohne  Selbstgefühl,  treibt  die  Gelehrsamkeit 
planlos  dahin  und  vergeudet  ihre  Schätze." 

XIV,  6,  8.  *)  Pisistratus,  Sohn  des  Nestor,  empfangt  den  Tele- 
machos,  des  Odysseus  Sohn,  auf  dessen  Erkundigungsreise  und  geleitet 
ihn  nach  Sparta,  Horn.  Odyss.  3,  400.  **)  Eurykleia,  Tochter  des  Ops, 
eine  von  Laertes  gekaufte  Sklavin,  Erzieherin  des  Odysseus  und  in  dessen 
Hause  redliche  Schaffnerin.  ***)  Skylla,  ein  fürchterlich  bellendes  Un- 
geheuer, das  in  einer  dunklen  Höhle  eines  am  Meere  gelegenen  unüber- 
steigbaren  Felsen  sich  aufhielt.  Gegenüber  lag  ein  niederer  Fels,  wo 
Charybdis  Verderben  drohte,  die  taglich  dreimal  die  Gewässer  hinab- 
schlang und  wieder  hervorsprudelte.  Als  das  Schiff  des  Odysseus  zwischen 
beiden  hindurchschwamm,  raubte  Skylla  sechs  Gefährten  und  verschlang 
sie.  Horn.  Odyss.  12,  73—126  und  235  —  259.  f)  üeber  Aristarch 
und  Krates  s.  Gell.  H,  25,  4  NB. 

XIV,  6,  4.  *)  Isopsephische  Verse  (/<joi//»jf/o  iniyQafiuaTa),  deren 
Buchstaben,  als  Ziffern  betrachtet,  eine  und  dieselbe  Zahl  bilden,  z.  B. 
Horn.  Iliad.  VII,  264  «IX*  av«x  etc.  und  v.  265  xefpwov  etc.  beträgt  die 


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(256)  XIV.  Buch,  6.  Cap.,  §  4. 

eine  P  a  r  a  s  t  i  c  h  i  s  **)  (eine  Buchstabenreihe,  ein  Akrostichon) 
sich  vorfindet;  ja,  was  noch  mehr  sagen  will,  welcher  Vers***) 
es  ist,  in  dem  jedes  (folgende)  Wort  eine  Silbe  mehr  hat 
(sc.  Horn.  Uiad.  III,  182) ;  hernach  auch,  wie  es  sich  mit  seiner 
Angabe  verhält,  dass  Schaafe  jährlich  dreimal  gebären  (Horn. 
Odyss.  IV,  86);  ferner:  ob  von  den  fünf  Deckenschichten, 
wodurch  der  Schild  des  Achilles  verwahrt  war  (Horn.  Iliad. 
XX,  270),  die  Schicht,  welche  aus  (purem)  Golde  bestand,  die 


Summe  der  Zahlbuchstaben  jeder  Zeile:  3498;  Horn.  Uiad.  XIX,  306  fiij 
ptnQiv  etc.  und  v.307  äaaa&ai  etc.  betragt  die  Summe  jeden  Verses:  2848. 
Die  ausserdem  noch  angeführte  Stelle  Horn.  Odyss.  XXIV,  110  onaag  etc. 
und  v.  111  fjnov  etc.  trifft  nicht  zu,  denn  die  Summe  des  ersten  Verses 
beträgt  nur  3102,  die  des  andern  aber  3436.  Selbst  wenn  man  dem 
ersten  Verse  durch  Zusatz  eines  t  noch  300  hat  beifügen  wollen  und  zur 
grösseren  Annäherung  so  liest:  ooöag  uoyctXiovg  r'  avi^ovg  etc.,  würde 
doch  immer  noch  nicht  die  ganz  gleiche  Summe  herauskommen.  Muret. 
Var.  lect.  XIV,  13  zieht  beispielsweise  noch  ein  griechisches  Epigramm 
zur  Verdeutlichung  an,  in  welchem  jedes  der  beiden  Wörter  eine  gleiche 
Summe  geben,  nämlich: 

da/uaySoag  und      X  o  c  fio  g  (6,  die  Pest). 

rH     oa  ^  i^t 

Clemens  Alexandrinus  schreibt:  Gott  strafe  die  Menschen  oft  mit  fünf, 
sechs  und  sieben  Buchstaben:  Xipog  (Hunger),  Xoiuog  (Pest)  und  noXtpog 
(Krieg).  Aus  den  Wörtern  vtTXog  (Nil),  und  ptvog  (t6,  Begierde)  kommt 
die  Zahl  der  Tage  im  Jahre  heraus : 

v  e  l  X  o  g  und      fi  i  v  o  g 

O1OOOO9  |»0  O^OOO© 


iO      HCOt-ökO  ^  lOC-Ö 


CO 

CO 


Vergl.  Plutarchs  Tischreden  IX,  3,  3.  Der  erste  Vers  der  Ilias  besteht 
aus  gleichviel  Silben,  wie  der  erste  Vers  der  Odyssee  und  dann  entsprechen 
auch  wieder  die  letzten  Verse  beider  durch  Zufall  einander. 

XIV,  6,  4.  **)  77«p«art//f  {axQoox^s  =■  Akrostichon),  Verse,  deren 
Anfangsbuchstaben  Namen  oder  Wörter  bilden,  wie  z.  B.  die  ersten  fünf 
Verse  vom  24.  Buche  in  Homers  Iliade  das  Wort  Xtvxr\.  Hier  sei  noch 
bemerkt,  dass  die  beiden  ersten  Buchstaben  des  ersten  Wortes  im  Anfange 
von  Homers  Iliade,  des  Wortes  „u  ij  vivut  die  Zahl  ergeben,  als  wie 

hoch  sich  die  Anzahl  der  Bücher  beläuft,  aus  welchen  die  Iliade  (24  Bücher) 
und  Odyssee  (24)  besteht.   S.  Senec.  epp.  88,  35. 

XIV,  6,  4.  ***)  Beispielsweise  hat  bei  Horn.  Iliad.  HI,  182  jedes 
Wort  eine  Silbe  mehr: 

w  naxctQ   l^TQeldtjy    fiotQ^yevig.  bXßiodai^wv. 

1-,      2-,  3-f  4-,  5 -silbig. 

O   seePger  Atreussohn,  (0)  Gesegneter,  Glücklichgeborner. 


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XIV.  Buch,  6.  Cap.,  §  4.  5.  —  7.  Cap.,  §  1 


(257) 


äusserste  war,  oder  in  der  Mitte  sich  befand;  ferner  auch 
noch,  welche  Städte-  und  Ländernamen  eine  Umänderung 
erfahren  hätten,  wie  Böotien  früher  Aonien  genannt  worden 
sei,  Aegypten  früher  Aeria,  Creta  ebenfalls  auch  den  Namen 
Aeria  geführt  habe,  Attica  früher  Akte  (und  bei  den  Dichtern 
Acta),  Corinth  früher  Ephyre,  Macedonien  erst  Hemathia, 
Thessalien  vorher  Haemonia,  Tyros  einst  Sarra,  Thracien 
ehedem  Sithonia,  Paestum  (Stadt  in  Lucanien  und  berühmt 
wegen  der  dort  zweimal  blühenden  Rosen)  Poseidonium  ge- 
nannt worden  sei.  5.  So  fand  sich  auch  noch  verschiedenes 
anderes  Derartiges  in  dem  Buche  verzeichnet  (was  mich 
durchaus  nicht  weiter  anzog  oder  interessirte).  Als  ich  mich 
(deshalb)  sofort  beeilte,  ihm  das  Buch  zurückzugeben,  konnte 
ich  die  Bemerkung  (doch)  nicht  unterdrücken,  mögest  Du, 
Gelehrtester  der  Männer,  über  diese  Vielwisserei  (Deine) 
Freude  haben,  und  so  empfange  dieses  reichhaltigste  Werk 
zurück,  welches  durchaus  nichts  enthält,  was  für  meine  (be- 
scheidene) armselige  Schrift  passt.  Denn  meine  „(attischen) 
Nächte",  welche  Du  Dir  vorgenommen  hattest,  durch  Dein 
lehrreiches  Werk  zu  bereichern,  verfolgen  bei  (allen)  ihren 
Untersuchungen  vor  Allem  nur  den  Grundsatz  jenes  bekannten 
homerischen  Verses  (Odyss.  IV,  392),  von  dem  Socrates  sagte, 
dass  er  ihm  über  Alles  am  Herzen  liege: 

Was  Dir  Böses  und  Gutes  daheim  im  Palaste  geschehn  sei. 


XIV,  7,  L.  Uebcr  die  Erklärungsschrift,  welche  M.  Varro  selbst  eine 
einleitende  (e igaytoytxi'v)  nennt  und  die  er  dem  zum  erstenmal  als  Consul 
ausersehenen  C.  Pompejus  zustellte,  über  die  Obliegenheit  bei  Zusammen- 

berufung  des  Senats. 

XIV,  7.  Cap.  1.  Dem  Cn.  Pompejus  stand  der  Amts- 
antritt seines  ersten  Consulats  mit  dem  M.  Crassus  bevor. 


XIV,  6,  5.  Socrates  fand  in  diesem  homerischen  Verse  aus  der 
Odyssee  (IV,  392)  die  ganze  Aufgabe  der  Philosophie  bezeichnet,  die  vor 
Allem  auf  das  eigne  Herz  und  Leben  gerichtet  sein  müsse  und  zählte 
deshalb  diesen  Vers  unter  seine  Lieblingsaussprüche.  Wir  würden  sagen: 
Kehre  Jeder  vor  seiner  Thüre,  dann  wird  bald  die  ganze  Gasse  sauber. 
S.  Binders  Sprüchwörter;  Diog.  Laert.  II,  5,  6.  Socrates. 

Gel  Hub,  Attische  Nächte.   Ii.  17 


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(258) 


XIV.  Buch,  7.  Cap.,  §2—4. 


2.  Als  Pompejus  nun  also  im  Begriff  war,  die  Thätigkeit 
dieses  hohen,  wichtigen  Amtes  zu  beginnen,  wandte  er  sich, 
weil  er  wegen  der  langen  Zeit,  die  er  (ausschliesslich)  dem 
Kriegsdienst  gewidmet  hatte  und  seine  Unerfahrenheit  in  städti- 
schen Angelegenheiten  herausfühlte,  vorher  an  seinen  Freund 
M.  Varro  mit  der  Bitte,  ihm  doch  eine  einleitende  (instructive) 
Erklärungsschrift  (oder,  wie  sie  Varro  selbst  nennt,  commen- 
tarium  isagogicum  oder  elaaytoyiy.6v)  anzufertigen,  um  daraus 
genau  kennen  zu  lernen,  was  er  zu  thun  und  zu  sagen  ver- 
pflichtet sei,  für  den  Fall,  dass  er  den  Senat  (zu  berufen 
und)  zu  befragen  hätte.  3.  Diese  Erklärungsschrift,  welche 
M.  Varro  dem  Pompejus  über  besagten  Gegenstand  aufgesetzt 
hatte,  ist  verloren  gegangen,  wie  Varro  in  einem  an  den 
Oppius  geschriebenen  Briefe,  der  im  „4.  Buche  seiner  in 
Briefform  abgefassten  Untersuchungen"  sich  befindet,  selbst 
anhiebt.  In  diesem  Briefe  bringt  er  wieder  vielfache  auf 
diesen  Gegenstand  bezügliche  Bemerkungen  vor,  die  er  aus 
dem  früher  verfassten  Werke  (deshalb)  anführte,  weil  es 
(eben)  nicht  mehr  vorhanden  war.  4.  Zuerst  führt  er  da  an, 
wer  die  waren,  durch  welche  nach  alter  Sitte  der  Senat 
pflegte  zusammenberufen  zu  werden  und  macht  als  solche 
(der  Reihe  nach)  folgende  namentlich:  den  Dictator,  die  Con- 
suln,  die  Praetoren,  die  Volkszunftmeister,  den  Reichsverweser 
(interrex),  die  Statthalter*)  (praefectus  urbi,  Gouverneur 

XIV,  7,  2.  Commentarii  (la«yo>yixot,  über  dergleichen  Aufzeichnungen 
s.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  §  76,  3. 

XIV,  7,  4.  Dictator  s.  Gell.  I,  25,  6  NB.  Ueber  die  Consuln, 
nach  der  Vertreibung  der  Könige  die  höchsten  Staatsbeamten  der  alten 
Republik  s.  Gell.  XIII,  13,  1  NB;  desgl.  daselbst  über  Praetoren.  Die 
tribuni  plebei  (die  Zunftmeister  der  Gemeine)  zuerst  im  J.  261  d.  St. 
erwählt,  sollten  dem  Volke  zum  Schutz  wider  die  Aristokratie  dienen, 
missbrauchten  aber  oft  zu  Umtrieben  und  Unruhen  ihre  Gewalt.  S.  Gell. 
III,  2,  11.  —  Interrex,  Vicekönig  oder  Reichsverweser,  früher  nach 
dem  Tode  eines  Königs  gewählt,  zur  Direction  der  Comitia  s.  Liv.  I,  17,  32, 
später  in  Abwesenheit  der  Consuln  und  obersten  Leiter.  Sein  Regiment 
dauerte  nur  fünf  Tage,  während  welcher  Zeit  alle  Gerichtshöfe  feierten. 
Waren  diese  fünf  Tage  verflossen,  so  musste,  wenn  es  nöthig  war,  ein 
neuer  gewählt  werden. 

XIV,  7,  4.  *)  Praefectus  urbi  vertrat  bei  Abwesenheit  (der  Könige, 
später)  der  Consuln,  deren  Rechte.  Er  hatte  daher  die  Befugniss,  den 
Senat  zu  berufen  und  Vortrag  zu  halten.   Liv.  3,  9.  29. 


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XIV.  Buch,  7.  Cap.,  §  4—7.  (259) 

der  Hauptstadt  Rom).  Ausser  den  Genannten  habe,  wie  er 
sagt,  keinem  Andern  weiter  das  Recht  zugestanden  (den 
Senat  zusammenzurufen  und)  einen  Senatsbeschluss  zu  veran- 
lassen; so  oft  aber  der  Fall  eingetreten  sei,  dass  (zufällig) 
alle  diese  hohen  obrigkeitlichen  Personen  zu  gleicher  Zeit  sich 
zu  Rom  befanden,  dann  habe,  sagte  er,  dem  am  meisten  das 
Recht,  den  Senat  zur  Berathung  zusammenzurufen,  zugestanden, 
welcher  in  der  vorhin  verzeichneten  Reihenfolge,  der  erstere 
und  vornehmere  unter  ihnen  Allen  war.  5.  Hernach  hätten 
das  Recht  den  Senat  zur  Berathung  zusammenzuberufen  auch 
ausnahmsweise  die  Kriegstribunen  noch  gehabt,  als  diese 
(einst)  mit  consularischer  Gewalt  betraut  waren,  ferner  die 
Decemvirn,  als  sie  die  consularische  Obmacht  hatten,  so  auch 
die  behufs  der  Wiederherstellung  der  Ruhe  und  Ordnung  im 
Staat  (vereinigt)  gewählten  Triumvirn.  6.  Hernach  schreibt 
er  über  die  Einspruchsrechte  und  sagt,  dass  das  Recht,  Ver- 
wahrung einzulegen,  um  einen  Senatsbeschluss  nicht  zur 
Durchführung  gelangen  zu  lassen,  einzig  und  allein  nur  Denen 
zugestanden  worden  sei,  welche  entweder  eine  grössere,  oder 
doch  wenigstens  dieselbe  gleiche  Gewalt  hatten  mit  Denen, 
welche  einen  Senatsbeschluss  zu  veranlassen,  abzufassen  und 
durchzusetzen  beabsichtigten.  7.  Alsdann  schreibt  er  über 
solche  Plätze,  wo  (allein  nur)  rechtsgültig  ein  Senatsbeschluss 
ausgefertigt  und  abgefasst  werden  konnte,  und  er  zeigt  und 
versichert,  dass,  wTenn  ein  Senatsbeschluss  nicht  auf  einem 
durch  den  Augur  angeordneten  Platze,  welcher  den  eigentlichen 
Namen  „Tempel"*)  führte,  vollzogen  worden  sei,  er  nicht 


XIV,  7,  5.  Tribuni  militum  cum  consulari  potestate  von  310  bis 
870  d.  St.  statt  der  Consuln  gewählt. 

XIV,  7,  5.  Vergl.  Gell.  XI,  18,  L.  NB.  Die  decemviri  legibus 
scribundis,  zur  Abfassung  von  Gesetzen  für  die  Republik  (462  v.  Chr.  ==• 
801  d.  St.)  erwählt,  durchreisten  Griechenland,  um  die  Gesetze  des  Draco, 
Solon  und  anderer  berühmter  Gesetzgeber  kennen  zu  lernen.  So  sam- 
melten sie  das  nöthige  Material  zu  dem  berühmten  Codex  der  Zwölf- 
Tafelgesetze  und  setzten  es  auf.  Während  dieser  Zeit  verwalteten  sie  das 
alleinige  Regiment,  wurden  jedoch  nach  Verlauf  von  noch  nicht  ganz  zwei 
Jahren  wegen  Tyrannei  und  Missbrauch  ihrer  Gewalt  wieder  gestürzt.  — 
Triumvirn  z.  B.  das  Triumvirat  des  Lepidus,  Antonius  und  Octavianus 
Augu8tus. 

XIV,  7,  7.   *)  Tempel  Messen  solche  Oerter,  die  durch  Auguren 

17* 


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(260) 


XIV.  Buch,  7.  Cap.,  §7—9. 


für  jresetzmässig  habe  gelten  können  (s.  Dio  C.  55,  3).  Dabei- 
hätte man  auch  für  nöthig  erachtet,  die  Curiengebäude,  sowohl 
das  des  Hostilius,  wie  das  des  Pompejus  und  hernach  das  des 
Julius  (Caesar) ,  "  weil  diese  (Versaminlungs-)  Orte  noch  un- 
geweiht  waren,  erst  durch  die  Auguren  zu  Tempeln  einweihen 
zu  lassen ,  damit  in  ihnen  nach  alter  Sitte  Senatsbeschlüsse 
rechtsgültig  abgefasst  werden  könnten.  Unter  allen  diesen 
Bemerkungen  findet  sich  auch  diese  schriftlich  aufbewahrt: 
dass  nicht  alle  zu  religiösen  Zwecken  bestimmte  Gebäude 
Tempel  seien,  ja  selbst  nicht  einmal  das  Gotteshaus  (die 
Capelle)  der  Vesta  sei  ein  Tempel.  8.  Hierauf  sagt  er 
später  noch,  dass  ein  Senatsbeschluss  vor  Aufgang,  oder  nach 
Untergang  der  Sonne  abgefasst,  nicht  (für  rechtskräftig)  sei 
angesehen  worden ;  auch  seien  die,  auf  deren  Veranlassung  zu 
einer  solchen  (ungehörigen)  Zeit  ein  Senatsbeschluss  durch- 
gesetzt wurde,  als  solche  angesehen  worden,  die  ein  der 
(wohlverdienten)  Ahndung  des  Censors  verfallenes  Vergehen 
begangen  hätten  (vergl.  Dio  C.  58,  21).  9.  Hernach  giebt  er 
daselbst  auch  noch  über  mancherlei  andere  Dinge  Auskunft, 
(z.  B.)  an  welchen  Tagen  es  nicht  erlaubt  sei,  eine  Senats- 
versammlung zu  halten  (s.  Dio  C.  55,  3);  dass  Der,  wrelcher 
den  Senat  zusammenzurufen  beabsichtigt,  vorher  das  nöthige 
Opfer  bringen  und  Anspielen  anstellen  lassen  müsse;  dass 
stets  eher  über  Religions-Angelegenheiten  *),  als  über  mensch- 
liche an  den  Senat  Vortrag  zu  erstatten  sei;  ferner,  dass 
Vortrag  erstattet  werden  müsse,  entweder  im  Allgemeinen 
über  Staatsangelegenheiten,  oder  insbesondere  über  jeden  ein- 
zelnen Fall  (namentlich);  dann,  dass  ein  Senatsbeschluss  auf 
doppelte  Weise  abgefasst  wurde,  entweder  (per  discessionem) 


(Priester),  welche  den  Flug  der  Vögel  beobachteten  und  daraus  weissagten, 
feierlich  eingeweiht  und  zu  Religionshandlungen  bestimmt  worden  waren. 
Doederl.  lat.  Syn.  V,  160  fuhrt  es  zurück  auf  ripevog,  Hain  von  ututiv 
(t^uv(iv)  absondern,  trennen;  s.  Liv.  2,  56.  Sacellum  war  ein  Gottes- 
haus ohne  Dach,  mit  einem  Altar  in  seinem  Umkreis,  s.  Gell.  VII  (VI), 
12,  5.  6;  Fan  um  bezeichnet  einen  zu  einem  künftigen  Tempel  heiligen, 
geweihten  Platz.  Fanum=Bann,  d.  h.  (heiliger)  Bezirk.  S.  Doederlein  lat. 
Syn.  VI,  122.  Vergl.  Varro  1.  1.  VI  (V),  54;  Liv.  10,  37;  Gell.  XVII, 
2,  19.  —  Horat.  Od.  i;  2,  16  eignet  der  Vesta  ausdrücklich  Tempel  zu. 
XIV,  7,  9.    *)  S.  Liv.  22,  1 ;  39,  15.  16. 


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XIV.  Buch,  7.  Cap.,  §  9.  10. 


(261) 


durch  Abtreten  (der  Senatoren  auf  eine  Seite),  bei  einstim- 
migem Beschluss,  oder  im  zweifelhaften  Fall  (bei  getheilter 
Abstimmung)  durch  besondere  Umfrage  zur  Erforschung  nach 
der  Meinung  jedes  Einzelnen  (per  singulorum  sententias  ex- 
quisitas);  (bei  besonderer  Umfrage)  müsse  jeder  Einzelne 
stufenweise  (d.  h.  dem  Range  nach)  befragt  werden  und  jedes- 
mal bei  einem  im  consularischen  Range  Stehenden  angefangen 
werden.  Früher  pflegte  nun  zwar  immer  zuerst  Der  aus 
solchem  (hohen)  Range  (um  seine  Meinung)  gefragt  zu  werden, 
welcher  (der  älteste  Senator,  also)  zuerst  in  den  Senat**) 
war  aufgenommen  (und  aus  der  Reihenfolge  der  Liste  von 
den  Censoren  verlesen)  worden  war  (vergl.  Gell.  IV,  10,  2  NB). 
Bezüglich  dieser  letzten  Angabe  bemerkt  Varro,  dass  zu  der 
Zeit,  als  er  dies  niederschrieb,  eine  neue  Sitte  aufgekommen 
sei,  nach  Nebenrücksichten  und  aus  Liebedienerei,  so  dass 
Derjenige  zuerst  (um  seine  Meinung)  befragt  wurde,  welchen 
der  (Vorsitzende),  der  die  Rathsversammlung  abhielt,  diese 
Begünstigung,  ihn  zuerst  (ausser  der  Reihe)  zu  befragen,  er- 
weisen wollte,  wofern  dieser  nur  vom  Range  eines  Con- 
suls***)  war  (vergl.  Gell.  IV,  10,  5).  10.  Ausserdem  handelte 
er  auch  noch  ausführlich  über  Bestrafung  durch  Auspfändung, 


XIV,  7,  9.    **)  S.  Gell.  II,  10,  2  NB. 

XIV,  7,  9.  ***)  Lange  röm.  Alterth.  §  111  p.  (313)  335  erwähnt  die 
spätere  Aenderung  der  „lectio  senatus",  welche  durch  die  lex  Ovinia  den 
Inhabern  der  consularischen  Gewalt  entzogen  und  den  Censoren  anheim 
gegeben  wurde,  denen  sie  (nach  Festus  24(j)  die  Verpflichtung  auferlegte, 
ut  ex  omni  ordine  Optimum  quen^que  jurati  (bei  Festus  curiati  ctr.  Zon. 
7,  19)  in  senatum  legerent,  und  beweist  einen  Irrthum  des  Zonaras  in 
Bezug  auf  eine  falsche  Angabe  des  Zeitpunktes,  wo  die  lectio  senatus 
nicht  einem  spätem  Gesetze  zugeschrieben  wird,  sondern  gleich  bei  der 
Einrichtung  der  Censur  den  Censoren  übertragen  worden  sein  soll.  Ferner 
zeigt  Lange  deutlich,  dass  die  Worte  ex  omni  ordine  nur  auf  die  Stände 
und  Grade  (hier  bei  Gellius  „dum  is  tarnen  ex  gradu  consulari  esset",  d.  h.) 
der  gewesenen  Consuln,  Praetoren  und  curulischen  Aedilen  sich  beziehen 
müssen  (cfr.  Liv.  23,  23)  und  das  Gesetz  also  nur  nach  387  367  gegeben 
sein  muss,  da  erst  in  diesem  Jahre  die  Praetur  und  die  curulische  Aedili- 
tät  eingesetzt  wurden.   Vergl.  weiter^noch  Lange  p.  (314)  330. 

XIV,  7,  10.  Senatoren,  welche  unentschuldigt  und  ohne  triftigen 
Grund  bei  der  Sitzung  weggeblieben,  oder  zu  derselben  zu  spät  gekommen 
waren,  mussten  eine  Strafe  erlegen.  Nach  Dio  Cassius  B.  54  cap.  15  und 
18  erhöhte  Augustus  diese  Strafe.   Bei  verweigerter  Erlegung  dieser  Strafe 


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(262)  XIV.  Buch,  7.  Cap.,  §  10—13.  —8.  Cap.,  §  1. 

dann  über  die  Geldbussebestimmung  (als  Zwangsmittel)  für 
einen  Senator,  der,  obgleich  er  (gesetzlich)  verbunden  war,  in 
den  Senat  zu  kommen  und  der  Sitzung  beizuwohnen,  (trotzdem) 
weggeblieben  war.  11.  Diese  und  viele  andere  Dinge  der 
Art  bespricht  M.  Varro  in  dem  von  mir  oben  erwähnten 
Buche,  in  dem  (speciell)  an  Oppianus  gerichteten  Briefe  aus- 
führlich. 12.  Allein  in  Betreif  seiner  Angabe,  dass  ein  Senats- 
beschluss  auf  doppelte  Weise  abgefasst  werden  könne,  ent- 
weder durch  Sammeln  von  Meinungen  (und  Stimmen) ,  oder 
durch  Hintreten  auf  eine  Seite,  so  scheint  mir  das  wenig 
übereinzustimmen  mit  dem,  was  uns  Atejus  Capito  in  seiner 
„Bemerkungssammlung"  schriftlich  aufbewahrt  hat.  13.  Denn 
im  9.  Buche  theilt  er  mit,  dass  Tuber o  behaupte,  es 
könne  kein  Senatsbeschluss  zu  Stande  kommen  ohne  vorher- 
gegangenes Zusammen -Hintreten  (auf  eine  Seite),  weil  bei 
allen  Senatsbeschlüssen,  sogar  auch  bei  solchen,  welche  nur 
nach  einem  Vortrage  zu  Stande  kämen,  das  Hintreten  (auf 
eine  Seite)  unumgänglich  nothwendig  sei,  und  Capito  selbst 
lässt  der  Wahrheit  dieser  Behauptung  von  Tubero  Gerechtig- 
keit widerfahren.  Allein  ich  erinnere  mich  (eben)  meiner 
vollständigeren  und  ausführlicheren  Behandlung  dieses  Gegen- 
standes an  einer  andern  Stelle  (meines  Werkes  und  breche 
deshalb  hier  ab.   S.  Gell.  III,  18,  2). 

XIV,  8,  L.    Man  hat  sich  vielfach  über  die  Frage  hin-  und  hergestritten, 
ob  der,  wegen  des  gemeinsamen  Bundesfestes  der  Lateiner  gewählte 
(und  zurückbleibende)  oberste  Stadtverweser  die  Befugniss  habe,  den  Senat 
zum  Zweck  der  Berathung  zu  berufen. 

XIV,  8.  Cap.  1.  Juni us  behauptet,  dass  der  wegen  des 
gemeinsamen  Bundesfestes  der  Lateiner  gewählte  und  zurück- 


schickte der  Consul  wohl  gar  Zimmerleute  und  liess  "zur  Auspfändung 
die  Thüre  in  des  strafbaren  Senators  Haus  erbrechen.  Vergl.  Cic. 
Philipp.  I,  5. 

XIV,  7,  13.  Ueber  Tubero  s.  Gell.  VII  (VI),  3,  1  NB.  Ueber  die 
Möglichkeit  einer  discessio  nach  der  Umfrage  vergl.  Dion.  11,  21;  Caesar 
b.  G.  8,  53;  Lange  röm.  Alterth.  §  114  p.  (352)  379;  Liv.  3,  41;  Cic. 
Sest.  34,  74;  Phil.  6,  1,  3;  Sen.  vit.  b.  2,  1;  Plin.  ep.  2,  11,  22;  8,  14,  19; 
9,  13,  20. 

XIV,  8,  L.  Nach  Besiegung,  Unterwerfung  und  Zerstörung  von  Alba, 
dem  Haupte  des  lateinischen  Bundes,  durch  den  ausgefochtenen  Kampf 


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XIV.  Buch,  8.  Cap.,  §  1.  2.  (263) 

gelassene  oberste  Stadtverweser  keine  Befugniss  habe,  Senats- 
sitzung abzuhalten,  weil  er  nicht  einmal  Senatorenrang 
habe  und  ihm  daher  auch  kein  Spruchrecht  zustehe,  zumal 
wenn  ihm  die  Stellvertretung  (der  obersten  Stadtbehörde)  gar 
etwa  schon  in  einem  Alter  übertragen  wird,  welches  noch 
nicht  das  zur  Erlangung  der  Senatur  erforderliche  sei.  2. 
Allein  M.  Varro  „im  4.  Buche  seiner  in  Briefform  abgefassten 
Untersuchungen"  und  Atejus  Capito  „im  9.  Buche  seiner 
Bemerkungssammlung"  behaupten  Beide,  dass  dem  Stadtver- 
weser die  Befugniss,  Senatsversammlung  zu  halten,  wohl  zu- 
stehe, und  Capito  berichtet,  dass  Varro  mit  dem  Tubero 
ganz  einerlei  Meinung  gewesen  sei,  entgegen  der  Ansicht 
des  Junius.  Es  lauten  die  Worten  „Denn  auch  den  Volks- 
zunftmeistern steht  das  Recht  zu,  den  Senat  zu  berufen,  ob- 
gleich sie,  vor  dem  (Gemeine-)  Beschluss  des  (Volkszunft- 
meisters) Atinius*),  nicht  Senatorenraug  hatten." 


zwischen  dem  römischen  und  albanischen  Drillingsbrüderpaar  hatten  die 
Lateiner  gewisse  heilige  Gebräuche  mit  den  römischen  Bürgern  gemein- 
schaftlich, z.  B.  die  heiligen  Gebräuche  der  Diana  zu  Rom  (s.  Liv.  I,  45) 
und  die  lateinischen  Feste  (feriae  Latinae),  welche  auf  dem 
Berg  Albanus  mit  grosser  Feierlichkeit  begangen  und  vom  Tarquinius 
zuerst  auf  einen  Tag  angeordnet  wurden,  dem  Jupiter  Latiaris  (oder 
Latialis)  zu  Ehren,  als  dem  Beschützer  des  Latinerbundes.  Nach  Ver- 
treibung der  Könige  dauerten  sie  zwei!,  dann  drei,  und  zuletzt  vier  Tage. 
S.  Liv.  7,  42.   Vergl.  Ad.  Stahr:  Ein  Jahr  in  Italien  I,  S.  414-419. 

XIV,  8,  1.  Ueber  M.  Junius  s.  Teuffels  Gesch.  der  röm.  Lit.  143,  2.  — 
Aetas  senatoria  vergl.  Cic.  de  leg.  Man.  21,  61  und  Lange  röm. 
Alterth.  §  111  p.  (318)  340. 

XIV,  8,  2.  *)  Die  Tribunen  hatten  rücksichtlich  des  Senats  anfänglich 
gar  kein  Recht,  aber  sie  erhielten  dieJTheilnahme  an  den  Sitzungen  nebst 
der  Intercession  (Rechtsvorbehalt,  Einspruchsbefugniss)  durch  ihr:  Veto, 
intercedo,  prohibeo.  Zuerst  sassen  sie  an  den  Thüren  der  Curie,  später 
jedoch  erhielten  sie  einen  regelmässigen  Sitz  nebst  der  Befugniss,  den 
Senat  sogar  zu  versammeln  und  an  denselben  zu  referiren,  wahrscheinlich 
bald  nach  der  lex  Valeria,  welche  den  Tributbeschlüssen  allgemeine  Geltung 
einräumte.  In  Folge  davon  wurden  auch  die  Ex -Tribunen  von  den  Cen- 
soren  bei  !der  nächsten  Lectio  als^Senatoren  aufgenommen.  Wichtig  für 
das  Verhältniss  der  Tribunen  zu  dem  Senat  ist  das  hier  bei  Gellius  er- 
wähnte und  bestrittene  plebiscitum  Atinium  (Lübker).  Vergl.  GelL 
XVII,  7,  1  NB,  und  Lange  röm.  Alterth.  §  111  p.  (31G)  338. 


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XV.  BUCH. 

XV,  1,  L.    Was  in  des  Q.  Claudius  Jahrbüchern  bemerkt  steht,  dass  Holz 
mit  Alaun  bestrichen  (und  getränkt)  nicht  in  Brand  gerathe 

XV,  1.  Cap.  1.  Der  Rhetor  Antonius  Julianus  hatte,  wie 
ausserdem  sonst  immer,  auch  einst  gerade  einen  gar  sehr 
ergötzliehen  und  (lehrreichen)  von  bedeutendem  Erfolg  be- 
gleiteten Vortrag  gehalten.  Denn  diese  rhetorischen  (Schul-) 
Vorträge  legen  zwar  fast  (immer)  die  (hervorragende)  Eigen- 
thiimlichkeit  desselben  Mannes  und  das  grosse  Talent  der- 
selben Rednergabe  klar  zu  Tage,  sind  jedoch  nicht  an  jedem 
Tage  von  demselben  glücklichen  Erfolg  begleitet.  2.  Wir, 
seine  Freunde  (Verehrer  und  Bewunderer),  umringten  ihn 
(einst  nach  beendigter  Vorlesung)  von  allen  Seiten  und  waren 
eben  im  Begriff,  ihn  nach  Hause  zu  begleiten,  als  wir  gleich 
darauf,  während  wir  den  Berg  Cispius  emporstiegen,  so  ein 
aus  vielen  über  einander  gebauten  Stockwerken  bestehendes 
Familienhaus  (insula)  in  hellen  Flammen  stehen  und  auch 
schon  alle  Nachbargebäude  in  entsetzlicher  Gluth  auflodern 
sahen.  3.  Da  nun  äusserte  Einer  von  den  Begleitern  des 
Julianus:  Gross  mögen  allerdings  die  Pfründen  und  Einkünfte 
(reditus)  von  diesen  städtischen  Grundstücken  (in  Rom)  sein, 
dafür  ist  aber  auch  (verhältnissmässig)  das  Risico  (wegen 
öfterer  Feuersgefahr)  noch  weit  grösser.    Wenn  es  nun  aber 


XV,  1,1,   Vergl.  Bernhardys  r.  L.  17,  65. 

XV,  1,  2.  Insulae,  hohe  Miethhäuser,  grosse  zusammenhängende 
H&usercomplexe ,  die  man  rings  umgehen  konnte,  von  reichen  Gapitalisten 
auf  Speculation  zum  vermiethen  an  Aermere  gebaut.  S.  Stahrs  Sueton. 
Nero  16.  44. 


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XV.  Buch,  1.  Cap.,  §  3-7.  (265) 

irgend  ein  (Abwehr-)  Mittel  gäbe,  den  so  häufig  vorkommen- 
den Häuserbränden  in  Rom  vorzubeugen  (oder  gar  abzuhelfen), 
wahrhaftig,  ich  würde  sogleich  meinen  landwirtschaftlichen 
Besitz  losschlagen  und  städtischen  dafür  ankaufen.  4.  Diesem 
erwiderte  nun  Julianus  unter  heiterem  Scherz,  wie  es  so  seine 
Art  und  Gewohnheit  war,  im  Laufe  des  Gespräches  Folgendes: 
Hättest  Du  das  19.  Buch  von  des  Q.  Claudius  (Quadrigarius) 
Jahrbuch,  des  besten  und  unparteiischesten  Schriftstellers,  ge- 
lesen, so  würdest  Du  ganz  sicher  von  dem  Archelaos,  dem 
General  des  Königs  Mithridates,  erfahren  haben,  durch  was 
für  so  ein  anschlägiges  Hilfsmittel  man  sich  des  Feuers  er- 
wehren kann,  so  dass  selbst  ein  hölzernes  Wohnhaus  nicht  in 
Brand  geräth,  wenn  es  auch  gleich  von  Flammen  ergriffen 
und  umgeben  ist.  5.  (Aus  Neugierde)  erkundigte  ich  mich 
sofort,  worin  wohl  dieses  (wunderbare)  Abwehr-Mittel  bestände. 
■6.  Er  begann  also  wieder:  In  dem  angegebenen  Buche  fand 
ich  folgende  Bemerkung  verzeichnet:  Als  L.  Sulla  in  (der 
Landschaft)  Attica  den  (Hafen)  Piraeus  (bei  der  Hauptstadt 
Athen)  belagerte,  und  dagegen  Archelaos,  der  General  des 
Königs  Mithridates,  welcher  von  der  Hauptstadt  aus  die 
Vertheidigung  leitete  und  zu  Vertheidigungszwecken  einen 
hölzernen  Thurm  hatte  erbauen  lassen,  soll  man  durchaus 
nicht  im  Stande  gewesen  sein,  diesen  Holzthurm  abzubrennen, 
obschon  er  von  allen  Seiten  vom  Feuer  umringt  worden  wäre, 
weil  er  (vom  Archelaos)  mit  Alaun  überstrichen  (und  durch- 
tränkt) worden  war.  7.  Die  Stelle  aus  dem  besagten  Buche 
des  Quadrigarius  lautet  also:  „Als  Sulla  (bereits)  alle  mög- 
lichen Anstrengungen  gemacht  hatte,  führte  er  (endlich)  nach 
langer  Zeit  seine  Truppen  vor,  um  einen  hölzernen  Thurm, 
welchen  Archelaos  (ihm  als  Bollwerk)  entgegengesetzt  hatte, 
in  Brand  stecken  zu  lassen.  Er  lässt  (also)  vorrücken,  an- 
greifen, Holz  anlegen,  die  griechischen  Vertheidiger  (daraus) 
vertreiben,  (und)  Feuer  anlegen.  Lange  genug  haben  sie  sich 
Mühe  gegeben  (ihn  anzubrennen,  doch  es  war  alle  Mühe  ver- 

XV,  1,  6.  Archelaos,  Feldherr  des  Mithridates,  von  Sulla  (86)  bei 
Chaeronea  geschlagen  und  bald  darauf  in  Böotien  vernichtet,  fiel  beim 
König  in  Ungnade  und  nahm  seine  Zuflucht  zum  römischen  Feldherrn 
Murena.   Bei  Appian.  Mithridat.  31  wird  nichts  von  Alaun  erwähnt. 


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(266)  XV.  Buch,  1.  Cap.,  §  7.  -  ?.  Cap.,  §  1  -4. 

gebens),  sie  konnten  ihn  nun  und  nimmermehr  zum  Brennen 
bringen,  so  hatte  Archelaos  das  ganze  Bauholz  mit  Alaun 
^tränken  und)  überziehen  lassen,  worüber  Sulla  und  seine 
Soldaten  voller  Verwunderung  waren,  und  als  der  Thurm 
durchaus  nicht  anbrennen  wollte,  zog  er  (der  römische  Feld- 
herr) seine  Truppen  wieder  zurück." 


XV,  2,  L.  Dass  Plato  in  den  Büchern,  welche  er  über  die  Gesetze  ver- 
fasste,  die  Meinung  ausgesprochen  habe,  mitunter  seien  (auch)  die  schon 
etwas  reichlicheren   und   fröhlicheren   Weingelage  bei   (Gelegenheit  von) 

Gastereien  durchaus  nicht  schädlich. 

XV,  2.  Cap.  1.  Ein  Mensch  von  der  Insel  Creta,  der 
seinen  Aufenthalt  in  Athen  genommen,  gab  sich  für  einen 
platonischen  Weltweisen  aus  und  verlangte  dafür  angesehen 
zu  werden.  2.  Er  war  aber  (in  Wirklichkeit  nur)  ein  nichts- 
würdiger Schwätzer,  der  gern  prahlte  mit  seinem  Ruhme  in 
griechischer  Beredtsamkeit,  und  überdies  bei  seiner  Weingier 
bis  zum  Gespött  Trunkenbold.  3.  Bei  den  gemeinschaftlichen 
Schmaussereien  (und  Zusammenkünften),  die  wir  jungen  Leute 
nach  unserer  Gewohnheit  (jedesmal)  an  dem  Monatsersten 
feierlich  begingen,  konnte  dieser  Mensch  es  nie  lassen,  sobald 
das  Mahl  zu  Ende  war,  und  die  nützlichen  und  ergötzlichen 
Unterhaltungen  begonnen  hatten,  das  Wort  zu  ergreifen  und 
Alle  unter  einer  Art  verächtlichen  und  plumpen  Wortschwalls 
zum  Trinken  aufzufordern,  und  erkärte  dies  ganz  nach  plato- 
nischem Grundsatz  (und  im  Sinne  dieses  Weltweisen)  zu  thun, 
gleich  als  hätte  Plato  in  seinen  Büchern,  welche  er  über  die 
Gesetze  verfasste,  das  Lob  der  Trunkenheit  mit  beredten 
Worten  geschildert  und  sie  braven  und  tapfern  Männern  als 
nützlich  angepriesen,  und  unter  dergleichen  Rederei  ersäufte 
er  durch  öfteres  Leeren  der  mächtigen  Poeale  sein  ganzes  Bis- 
chen Verstand,  wobei  er  fortwährend  die  Behauptung  wieder- 
holte, das  (Trinken)  sei  eine  Art  Zündstotf  und  ein  Anreizungs- 
mittel für  den  Verstand  und  für  die  Herzhaftigkeit,  wenn  des 
Menschen  Geist  und  Körper  vom  Weine  glühe.  4.  Allein  Plato 
hat,  im  I.  Buche  (p.  647,  E)  und  im  II.  (p.  666,  B)  von  den 


XV,  2,  3.  Macrob.  Saturn.  II,  8.  Vergl.  bei  Sen.  ep.  29,  5;  Luciaa 
Fugit.  18  und  Lucian  Lapith.  32  f. 


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XV.  Buch,  2.  Cap.,  §4—6. 


(267) 


Gesetzen,  die  Trunkenheit,  wie  dieser  Dunstmacher  vorgab, 
durchaus  nicht  gelobt,  dieses  hässlichste  aller  Laster,  welches  die 
(edleren)  geistigen  Regungen  im  Menschen  nur  zu  erschüttern 
und  zu  entkräften  pflegt;  aber  (unter  gewissen  Umständen  bei 
gemeinschaftlichen  Mahlzeiten)  hielt  er  ein  etwas  reichlicheres 
und  zu  grösserer  Heiterkeit  anregendes  Wein -Zechgelage 
nicht  für  missbilligungswerth ,  nur  müsse  es  unter  der  Auf- 
sicht von  besonnenen  Schmaussanordnern  und  Zech- 
meistern geschehen.  5.  Denn  durch  Erheiterungen  beim 
Trinken,  zumal  wenn  die  Besonnenheit  und  der  Anstand  nicht 
ausser  Obacht  gelassen  wird,  würden  nach  seiner  Meinung 
die  Geistesschwingen  zur  Erneuerung  und  Wiederherstellung 
der  Massigkeitsverpflichtung  (für  künftige  Geschäfte)  neu  ge- 
kräftigt und  aufgefrischt  und  unter  der  Hand  freudiger  an- 
geregt und  zur  Uebernahme  neuer  Anstrengung  fügsamer 
gestimmt;  es  komme  dazu  aber  auch  noch,  dass  (öfters) 
ungehörige  Leidenschaften,  Wünsche  und  Begierden,  welche 
irgend  eines  Menschen  Brust  innewohnten,  die  er  aber  aus  sitt- 
samem Schamgefühl  nur  noch  zu  verhehlen  suchte,  alle  auf  ein- 
mal olme  grosse  Gefahr,  nachdem  seine  Offenherzigkeit  durch 
den  Wein(genuss)  rege  geworden,  aufgedeckt  und  ans  Licht 
gebracht  würden  und  (ihm)  nun  geeignetere  Gelegenheit  böten, 
an  seiner  Besserung  und  Heilung  zu  arbeiten.  6.  Daselbst 
fügt  Plato  auch  noch  diese  Bemerkung  hinzu,  dass  dergleichen 
Uebungen  (d.  h.  den  Wein  vertragen  zu  lernen)  nicht  (gänz- 
lich) zu  fliehen  und  mit  Ekel  zurückzuweisen  seien,  um  des 
Weines  Allgewalt  einen  Widerstandsdamm  und  eine  Abwehr 
entgegenzusetzen,  und  dass  ein  völlig  enthaltsamer  und  (stets) 
massiger  Mensch  (noch  lange)  nicht  für  zuverlässig  sicher  und 
fest  (in  seinen  Grundsätzen)  gehalten  werden  könne,  dessen 
Lebenswandel  und  Lebensweise  noch  nie  unter  den  Gefahren 
der  Verirrungen  und  mitten  in  den  Verführungen  der  sinn- 


XV,  2,  4.  Die  Alten  pHegten  bei  ihren  Gastgelagen  einen  Vorsteher, 
Director,  Präsident  durchs  Würfeln  zu  ernennen  und  hiessen  ihn:  arbiter 
bibendi  (Trink-Zech- Richter),  magister  oder  rex  convivii,  modiperatoi 
oder  modimperator ,  av^noaiunx^  (Schruausskönig) ,  dictator,  dux,  stra- 
tegus,  pater  coenae  u.  s.  w.  Er  leitete  Alles  nach  eigenem  Belieben. 
S.  Hör.  Od.  I,  4,  18;  II,  7,  25;  Cic.  Sen.  13,  45.  Horaz  Sat  II,  8,  36 
nennt  ihn  (navo/os)  parochus,  d.  h.  Gastherr  (Wirth  vom  Hause). 


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(268)         XV.  Buch,  2.  Cap.,  §  6—8.-3.  Cap.,  §  1—3. 


liehen  Vergnügungen  einer  Prüfung  und  Anfechtung  ausgesetzt 
war.  7.  Denn  wem  alle  Vergnügungen  und  fröhlichen  An- 
reizungen  von  Gastereien  unbekannt  bleiben,  und  wer  darin 
ganz  und  gar  ohne  Erfahrung  ausgeht,  wird,  wenn  ihm  zu- 
fällig sein  eigner  Wille  (einmal)  zur  Theilnahme  an  derartigen 
Tafelfreuden  bewog,  oder  der  Zufall  ihn  verleitete,  oder  die 
Notwendigkeit  ihn  dazu  drängte,  (dann)  gewöhnlich  den  Ver- 
lockungen unterliegen,  und  seine  Seele  und  sein  Geist  wird 
nicht  Stand  zu  halten  vermögen,  sondern,  von  dieser  neuen 
(ihm  ungeahnten)  Macht  betroffen,  zum  Wanken  kommen. 
8.  Daher  ging  seine  Meinung  dahin,  man  müsse  streitgerüstet 
sein,  und  so  wie  in  einer  Art  Schlachtreihe  geraden  Weges 
mit  den  Lockungen  des  Vergnügens  und  mit  des  Weines 
Uebermuthskobold  den  Kampf  aufnehmen,  um  nicht  durch 
die  Flucht,  oder  durch  Abwesenheit  uns  gegen  diese  feind- 
lichen Angriffe  in  Sicherheit  zu  setzen;  sondern  durch  be- 
ständig frischen  Muth  und  Geistesgegenwart  und  durch  be- 
sonnene Uebung,  Mässigung  und  Enthaltsamkeit  zu  behaupten 
lernen,  um  Alles  hinwegzuspülen,  wenn  frostige  Verzagtheit 
oder  lähmende  AengstUchkeit  uns  fceschleicht,  und  um  den 
Muth  in  der  Brust  (von  Neuem  durch  einen  Trunk)  zu  er- 
wärmen und  beleben. 

XV,  3,  L.  Wbs  Cicero  von  der  Partikel  (,,au")  gedacht  und  geschrieben 
hat,  welche  in  den  beiden  Zeitwörtern  „aufugio"  (ich  entfliehe)  und  in 
„aufero"  (ich  trage  weg)  die  Anfangssilbe  bildet;  und  ob  diese  Anfangssilbe 
in  dem  Zeitworte  „autumo"  für  dieselbe  Praeposition  gehalteu  werden  müsse. 

XV,  3.  Cap.  1.  Ich  las  (einst)  das  Buch  des  M.  Cicero, 
welches  überschrieben  ist:  „Der  Redner  (orator)".  2.  Nach 
seiner  (vorausgegangenen)  Bemerkung  in  diesem  Buche,  dass 
die  (beiden)  Wörter  „aufugio"  und  „aufero"  allerdings  wohl 
zusammengesetzt  seien  aus  der  Praeposition  „ab"  und  den  beiden 
Zeitwörtern  fugio  (ich  fliehe)  und  fero  (ich  trage),  dass  aber 
diese  Praeposition,  (unter  Flüssigwerden  des  b- Lautes  und) 
um  den  Wortlaut  für  die  Aussprache  und  fürs  Ohr  zu  mildern, 
in  die  Silbe  „au"  umgeändert  und  verwandelt  worden  sei, 
und  man  angefangen  habe,  aufugio  und  aufero  für  abfugio  und 
abfero  zu  sagen;  3.  nach  dieser  seiner  (vorausgeschickten) 
Bemerkung,  sag'  ich,  schreibt  er  daselbst  über  dieselbe  Par- 


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XV.  Buch,  3.  Cap.,  §3  —  8. 


(269; 


tikel  wörtlich  (inquit)  also  (Cic.  orat.  47,  158):  „Diese  Silbe 
(au)  findet  sich  als  Vorwort  nirgends  weiter,  als  in  diesen 
beiden  Wörtern."  4.  Allein  in  dem  Werke  des  Nigidius  über 
Sprachbeobachtungen  (in  commentario  Nigidiano)  fand  ich 
(die  Ansicht  ausgesprochen),  dass  das  Zeitwort  autumo  zu- 
sammengesetzt sei  aus  der  Praeposition  „ab"  und  dem  Worte 
„aestumo",  dass  man  es  nur  abgekürzt,  und  anstatt  abaestumo 
gesagt  habe,  was  soviel  bedeuten  solle,  als  totum  aestumo 
(gänzlich  abschätzen),  gleichsam  abnumero  (abzählen).  5. 
Allein  trotz  (aller)  Hochachtung  vor  dem  höchst  gelehrten 
P.  Nigidius  scheint  mir  seine  Behauptung  doch  mehr  kühn 
und  spitzfindig,  als  wahr  (und  zutreffend)  zu  sein.  G.  Denn 
autumo  steht  nicht  allein  in  der  Bedeutung  von  aestumo, 
sondern  auch  von  dico  (sage)  und  opinor  (glaube)  und  censeo 
(behaupte),  und  mit  diesen  Ausdrücken  stimmt  diese  Prae- 
position weder  dem  Lautzusammenhang,  noch  der  Begriffs- 
bezeichnung nach  überein.  7.  Ausserdem  würde  ja  auch  M. 
Tullius  (Cicero),  dieser  Mann  von  so  höchst  scharfer  Ge- 
wissenhaftigkeit bei  seinen  wissenschaftlichen  Arbeiten,  nicht 
behauptet  haben,  es  fänden  sich  nur  diese  beiden  Wörter 
allein  vor,  wenn  er  wirklich  noch  irgend  ein  anderes  drittes 
hätte  ausfindig  machen  können.  8.  Allein  es  verlohnt  sich 
wohl  noch  (der  Mühe),  zu  untersuchen  und  zu  erwägen,  ob 
die  Praeposition  „ab"  mehr  wegen  des  Klangwohllautes  in 
„au"  verändert  und  umgetauscht  wurde,  oder  ob  diese  Par- 
tikel ein  selbstständiges  Stammwort  ist  und,  wie  viele  andere 
Praepositionen  von  den  Griechen,  so  auch  diese  daher  entlehnt 
worden  sei;  wie  man  (diese  Silbe)  in  einem  Verse  Homers 
(Hiad.  I,  459)  findet: 
Beugten  die  Thiere  zurück  (tti-tQvoav)  und  schlachteten,  zogen  die 

Häuf  ab; 

und  (Horn.  Iliad.  XIU,  41): 

Tobend  mit  wildem  Geschrei  («u-fa/o«). 


XV,  3,  3.   S.  Quinct.  I,  5,  69. 

XV,  3,  4.   autumo  von  aio,  wie  negumo  von  nego. 

XV,  3,  5.   üeber  Nigidius  s.  Gell.  IV,  9,  1  NB;  XIII,  26  (25),  1.  5. 

XV,  3,  8.  av-(Qv(o  (dJ=-€QV(o,  zurückziehe).  avt  adv.  ursprünglich: 
zurück,  rückwärts,  wird  von  Einigen,  welche  die  Bedeutung  des  av 
„zurück"  leugnen,  als  aus  ava  entstanden  erklärt,  so  Lob.  Path.  El.  I 


(270) 


XV.  Buch,  4.  Cap.,  §  1-3. 


XV,  4,  L.    Eine  dem  Andenken  überlieferte  Erzählung  von  dem  Ventidius 
Bassus,  einem  Manne  von  (eigentlich)  niedriger  Herkunft,  der  zuerst  den 
Sieg  über  die  Parther  davongetragen  habe. 

XV,  4.  Cap.  1.  Bei  einer  neulichen  Unterhaltung  zwi- 
schen einigen  älteren  Gelehrten  kam  die  Rede  darauf,  dass 
in  alter  Zeit  auch  viele  Männer  vorher  (ganz  unbekannt) 
von  niederer  Abkunft  und  ganz  gering  geachtet,  sich  zu  den 
höchsten  Ehrenstellen  aufgeschwungen  haben.  2.  Doch  wusste 
man  durchaus  kein  Beispiel  von  irgend  Einem  anzuführen, 
das  so  grosse  Bewunderung  erregte,  als  die  Berichte,  welche 
über  den  Ventidius  Bassus  verzeichnet  sind.  3.  Man 
erzählt  von  ihm,  dass  er  aus  dem  Picenischen  stammte, 
aus  niedrigem  Stande  und  Orte,  dass  seine  Mutter  mit  ihm 
im  Bundesgenossenkriege  von  dem  Vater  des  grossen  Pom- 
pejus,  von  dem  Pompejus  Strabo,  bei  Unterjochung  der  As- 
culaner,  gefangen  genommen  worden  war,  und  dass  kurz 
darauf,  als  (dieser)  Pompejus  Strabo  seinen  feierlichen 
Einzug  hielt,  er  unter  den  übrigen  (Gefangenen)  als  Knabe 


p.  41.  592  sq.  Doederl.  n.  2290  =  «,  copulativum  und  zusammengesetzt 
mit  dem  Digamma  bei  aviayog  (=  a^p-(uyog)  zusammen  oder  gemein- 
schaftlich schreiend;  Beiwort  der  Troer,  welche  schreiend  in  die  Schlacht 
rückten,  die  Griechen  hingegen  schweigend.  (Vergl.  Gell.  I,  11.)  Das  cc 
copulativum  ((UtQoimixov  i.  e.  collectivum,  sammelnd)  verwandt  mit  «u« 
bezeichnet  1)  eine  Verbindung  oder  Vereinigung,  z.  B.  äxnais,  Bett- 
genossin (*o/ri}.  xtifiai)  =  akayoq  (Xo/og,  lectum,  Bett  von  teyto)\  2)  Gleich- 
heit: (tT(tlavjogy  gleichwiegend;  3)  Sammlung  oder  Vereinigung  an  einem 
Ort:  uTTavTfg,  aftpwg,  auf  einem  Haufen. 

XV,  4,  2.  P.  Ventidius  Bassus,  Sohn  eines  Picenters,  im  Bundes- 
genossenkrieg zum  Sklaven  gemacht  (89  v.  Chr.),  wurde  vom  Caesar  sehr 
bevorzugt,  als  Antonianer  sogar  Consul.  Er  trug  den  ersten  Sieg  über  die 
Parther  davon  (38  v.  Chr.),  Dio  Cass.  48,  39  etc.;  Val.  Max.  VI,  9,  9; 
Plin.  EL  N.  7,  23;  Vellej.  Pat.  2,  65,  3;  Plutarch.  Anton.  44;  Juven.  7,  197; 
Appian.  Parth.  157;  Cic.  Phil.  12,  9;  13,  2;  Epist  ad  Fam.  10,  17,  1^ 
10,  18,  8;  10,  33,  12;  11,  9,  2;  ad  Attic.  16,  1;  ad  Brut.  5. 

XV,  4,  3.  Picenum,  Landschaft  im  östlichen  Italien,  am  venetiani- 
schen  Meerbusen,  jetzt  das  Gebiet  der  Stadt  Ancona,  berühmt  durch 
treffliches  Obst  und  Oel.   Varr.  R.  R.  I,  50,  2;  Cic.  Attic.  7,  21,  2. 

XV,  4,  3.  A  s  c  u  1  u  m ,  feste  und  ansehnliche  Hauptstadt  von  Picenum 
in  Mittelitalien,  im  Bundesgenossenkrieg  zerstört,  dann  wieder  aufgebaut, 
jetzt  Ascoli,  auf  einem  Berge,  an  dem  der  Truentus  (Tronto)  vorbeifliesst. 


XV.  Buch,  4.  Cap.,  §  3. 


(271) 


an  der  Brust  seiner  Mutter,  vor  dem  (Sieges-)  Wagen  des  Feld- 
herrn hergetragen  worden  sei;  dass  er  später,  als  er  heran- 
gewachsen war,  sich  seinen  Lebensunterhalt  kümmerlich  habe 
suchen  müssen  und  sich  ihn  fauch)  für  niedrigen  Lohn  er- 
worben habe  durch  Ankauf  von  Mauleseln  und  Wagen,  welche 
er  von  Staatswegen  als  Lieferung  (pachtweise)  zur  Beförderung 
der  in  die  Provinzen  abreisenden  hohen  Staatsbeamteten 
übernommen  hatte.  Bei  diesem  Gewerbe  habe  er  auch  zuerst 
die  Bekanntschaft  mit  Caesar  gemacht  und  sei  (in  Folge  da- 
von) mit  ihm  nach  Gallien  gereist.  Weil  er  sich  nun  da  in 
dieser  Provinz  so  sehr  rührig  angestellt  hatte  und  hernach 
alle  die  vielen  im  Bürgerkriege  ihm  aufgetragenen  Befehle 
unverdrossen  pünktlich  und  gewissenhaft  vollzogen,  habe  er 
sich  deshalb  nicht  nur  Caesars  Freundschaft  erworben,  sondern 
sei  auch  dadurch  zum  höchsten  Range  emporgestiegen;  in 
Kurzem  sei  er  zum  Volkszunftmeister  und  hernach  zum 
Praetor  ernannt  und  in  dieser  Zeit  mit  dem  M.  Antonius 
vom  Senat  für  einen  Feind  (des  Vaterlandes)  erklärt  worden, 
hernach  aber  habe  er  nach  (Wieder-)Vereinigung  der  Parteien 
nicht  nur  seine  vormalige  Würde  wiedererlangt,  sondern  auch 
das  Pontificat  und  endlich  sogar  das  Consulat  erreicht;  diese 
Auszeichnung  sei  dem  römischen  Volke  (aber  doch)  uner- 
träglich und  anstosserregend  vorgekommen,  weil  man  sich 
noch  recht  gut  erinnern  konnte,  wie  er  (einst)  als  Maulesel- 
wärter sein  Brot  verdient  habe,  so  dass  man  öffentlich  in 
den  Strassen  der  Stadt  (pasquillantisch)  die  Verschen  an- 
geschrieben fand: 

Ihr  Seher  all'  und  Zeichendeuter,  kommt  herbei, 
Es  ward  ein  seltnes  neues  Wunder  ausgeheckt, 
Der  einstens  Eselsstriegler  war,  ist  Consul  jetzt. 


XV,  4,  3..  Gnaeus- Pomp  ejus,  mit  dem  Beinamen  der  Schielende 
(Strabo),  wurde  im  Jahre  90  v.  Chr.  wegen  seiner  Grossthaten  im  Bundes- 
genossenkriege mit  dem  Triumphe  beehrt.  Im  Jahre  89  begleitete  er  das 
Consulat.  Wegen  seines  Geizes  und  seiner  Grausamkeit  wurde  er  vom 
Volke  gehasst.  87  vom  Blitze  erschlagen,  misshandelte  seinen  Leichnam 
eine  von  dem  ihm  zürnenden  Adel  gedungene  Schaar  Banditen. 

XV,  4,  3.  S.  Lange  röm.  Alterth.  §  111  p.  (321)  343.  Caesar  hatte 
in  seinen  revolutionär  monarchischen  Bestrebungen  allerhand  Leute,  selbst 
aus  den  niedrigsten  Standen  in  den  Senat  aufgenommen,  der  dadurch  bis 


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(272)  XV.  Buch,  4.  Cap.,  §4.-5.  Cap.,  §  1.  2. 


4.  Nach  dem  Bericht  des  Suetonius  Tranquillus  wurde  dieser 
(Ventidius)  Bassus  von  M.  Antonius  zum  Statthalter  über  die 
morgenländischen  Provinzen  gesetzt,  und  sollen  die  in  Syrien 
eingedrungenen  Parther  von  ihm  in  drei  Treffen  völlig  über- 
wunden worden  sein,  deshalb  soll  er  auch  zuerst  einen  feier- 
lichen Einzug  wegen  dieses  (vollständigen)  Sieges  über  die 
Parther  gehalten  haben  und  nach  seinem  Tode  auf  Staats- 
kosten feierlich  bestattet  worden  sein. 

XV,  5,  L.     Dass  das  Wort  „profligo"  (gesprächsweise)  von  sehr  Vielen 
uneigentlich  und  ungeschickt  angewendet  werde. 

XV,  5.  Cap.  1.  So  wie  durch  die  Dummheit  und  Unwissen- 
heit Derer,  die  falsch  und  unrichtig  sprechen,  überhaupt  sehr 
viele  Ausdrücke  (aus  Unbildung),  weil  sie  dieselben  nicht 
verstehen,  abgeändert  und  der  richtigen  Bedeutung  und  dem 
Sprachgebrauch  zuwider  verunglimpft  werden,  so  ist  auch  die 
Bedeutung  des  (bekannten)  Wortes:  „profligo"  (niederschlagen, 
zu  Grunde  richten)  verändert  und  verdorben  worden.  2.  Denn 
da  das  Wort  von  „adfligere"  abgeleitet  und  hergenommen  ist, 
in  der  Bedeutung:  zu  Boden  werfen,  und  zum  Verderben, 
zum  Untergang  führen,  und  (nachweislicher  Massen)  alle  Die, 
welche  sich  einer  untadeligen  Ausdrucksweise  befleissigten, 
das  Wort  in  dem  Sinne  nehmen  von  „prodigere"  (der  Gefahr 
preisgeben)  und  „deperdere"  (zu  Grunde  richten,  verderben), 
so  verstanden  sie  auch  unter  dem  Ausdruck:  protligatae  res 
Dasselbe,  was  man  mit  pronMctae  und  perditae  (res)  bezeich- 
nete, d.  h.  zu  Grunde  gerichtete  und  vernichtete  Sachen. 
Jetzt  aber  höre  ich  von  Gebäuden  und  Tempeln  und  noch 
vielen  andern  Dingen,  welche  beinahe  vollendet  oder  ziemlich 


zu  der  unbeholfenen  Grösse  von  900  Mitgliedern  angewachsen  war.  Dio 
Cass.  43,  47;  Suet.  Caes.  41.  76.  80;  Cic.  Fani.  6,  18,  1;  Macrob.  Sat. 
II,  3;  VII,  3. 

XV,  4,  4.  Tacit.  Germ.  37,  7;  Eutrop.  7,  3,  4.  5;  Florus  4,  9,  5; 
Justin.  42,  4,  7;  Joseph.  14,  14.  15;  Dio  Cass.  49.  Höchst  ehrenvoll  war 
es  für  den  Ventidius  Bassus,  welcher  in  seiner  Kindheit  als  Sklave  vor 
dem  Triumphwagen  des  Pompejus  hergetragen  wurde,  hernach  selbst  einen 
der  herrlichsten  Triumphe  feiern  zu  können,  der  um  so  ehrenvoller  war, 
als  er  die  schimpfliche  Niederlage  des  Crassus  an  den  Parthern  so  nach- 
drücklich rächte. 


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XV.  Buch,  5.  Cap.,  §2—7. 


(273) 


fertig  sind,  den  Ausdruck  gebrauchen:  in  profligato*) 
esse  (in  bevorstehender  Vollendung  begriffen  sein,  der  Voll- 
endung nahen),  und  dass  sie  schon  weit  gediehen  und  bald 
beendigt  seien,  dies  (ganz  einfach)  ausdrücken  durch:  esse 
profligata.  3.  Deshalb  fühle  ich  mich  in  Bezug  auf  diese 
Bemerkung  bewogen,  die  feine  und  witzige  Antwort  eines 
sehr  gebildeten  Praetors  anzuführen,  welche  derselbe,  nach 
dem  schriftlichen  Bericht  des  Sulpicius  ApoUinaris,  einem 
(unreifen)  Milchbart  aus  dem  Advocatenschwarm  gegeben  hat. 
4.  Denn,  so  steht  bei  Sulpicius  geschrieben,  als  einst  ein  vor- 
lauter Rabulist  darauf  bestand,  sich  noch  Gehör  zu  erwirken 
und  sich  (deshalb)  so  hatte  vernehmen  lassen:  „Alle  die 
Rechtssachen  (negotia),  erlauchtester  Praetor,  über  die  Du 
heute  versprachst  Dein  Urtheil  abgeben  und  sie  zur  Ent- 
scheidung bringen  zu  wollen,  sind  mit  Umsicht  und  Behendig- 
keit (von  Dir)  abgethan  worden  (profligata  sunt);  nur  ein 
einziger  Fall  blieb  noch  übrig,  über  den  ich  Dich  bitte,  mich 
anzuhören."  Der  Praetor  erwiderte  darauf  (um  den  Vorredner 
wegen  des  Wortes:  „profligata"  aufzuziehen)  in  ziemlich 
schalkhaftem,  spöttischem  Tone :  Dieser  Rechtshandel  ist  eben 
dadurch,  weil  er  in  Deine  Hände  fiel,  zweifelsohne  (bereits  so 
gut  wie  erledigt,  abgethan  und)  niedergeschlagen  (profligatum), 
ich  mag  ihn  nun  anhören  oder  nicht  anhören.  5.  Den  Begriff 
der  Vollendung,  den  man  mit  „profligatum"  hat  ausdrücken 
wollen,  bezeichneten  die,  welche  gut  lateinisch  sprachen,  nicht 
mit  diesem  Ausdruck,  sondern  mit  dem  Worte  „adfectum"; 
wie  M.  Cicero  in  seiner  Rede,  welche  er  über  die  Consular- 
provinzen  hielt.  6.  Die  betreffende  Stelle  (Cic.  de  prov. 
consul.  8,  19)  lautet  daselbst  also:  „Den  Krieg  sehen  wir 
theilweise  zur  Neige  gehen  (adfectum),  oder  um  die  Wahrheit 
zu  sagen:  beinahe  vollendet  (confectum)."  7.  So  auch  weiter 
unten  (12,  29):  „Denn  was  kann  wohl  die  Ursache  sein,  dass 
Caesar  selbst  länger  in  der  Provinz  zu  verweilen  wünscht, 
als  um  das,  was  durch  ihn  bis  zu  einem  hohen  Grade  ge- 


XV,  5,  2.  *)  profligato  steht  also  als  Ablativus  des  angenommenen 
Hauptworts  profligatum,  d.  h.  der  bald  fertige  Zustand  einer  Sache  oder 
das  Vollendungs  -  Bevorstehen. 

XV,  5,  5.   adfectum  s.  Gell.  III,  16,  17  etc. 

G elli äs,  Attische  Nächte.   II.  18 


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(274)  XV.  Buch,  5.  Cap.,  §  7,  8.-6.  Cap.,  §  1-3. 

dienen  (quae  adfecta  sunt),  der  Republik  als  vollendet  über- 
geben zu  können."  8.  So  sagt  derselbe  Cicero  in  seinem 
„Haushalter  (oeconomico)" :  „Da  nun  der  Sommer  aber  bei- 
nahe seinem  Ende  naht  (oder:  da  es  nun  aber  bereits  im 
Spätsommer  ist  adfecta  -  aetate) ,  so  wird  es  Zeit,  dass  die 
Trauben  an  der  Sonne  reifen." 

XV,  6,  L.  Im  2.  Buche  seiner  Schrift:  „über  den  (Nach-)Kuhm"  findet 
sich  bei  M.  Cicero  ein  offenbarer  Irrthum  an  der  Stelle,  wo  vom  Hector 

und  Ajax  die  Rede  ist. 

XV,  6.  Cap.  1.  Im  2.  Buche  von  des  M.  Tullius  (Cicero) 
Schrift  „über  den  (Nach-)Ruhm"  findet  sich  ein,  wenn  auch 
nur  unerheblicher,  aber  doch  offenbarer  Irrthum,  ein  Irrthum, 
den  auch  gerade  nicht  nur  ein  Gelehrter  sofort  einsehen  kann, 
sondern  Jeder,  der  nur  irgend  einmal  das  VIII.  Buch  von  Homers 
lliade  (oder  vielmehr  das  VII.  Buch  v.  89  —  91)  gelesen  hat. 
2.  Es  wollte  uns  nun  aber  nicht  gerade  deshalb  Wunder 
nehmen,  dass  M.  Tullius  (Cicero)  sich  dabei  einmal  irrte,  als 
vielmehr,  dass  dieser  Irrthum  später  nicht  bemerkt,  oder  gar 
verbessert  wurde,  entweder  von  ihm  selbst,  oder  von  seinem 
Freigelassenen  Tiro,  einem  höchst  umsichtigen  Menschen, 
welcher  die  Schriften  seines  Schutzherrn  höchst  gewissen- 
haft durchstudirt  hat.  3.  Denn  in  dem  angeführten  Werke 
steht  also  geschrieben:  „Bei  diesem  Dichter  (Homer)  richtet 
Ajax*  als  er  sich  dem  Hector  zum  Kampfe  (gegenüber)  stellt, 
sein  Augenmerk  darauf,  dass  er,  im  Fall  er  der  Besiegte  sein 
sollte,  bestattet  werden  möge,  und  giebt  ganz  deutlich  zu 
verstehen,  er  hege  nur  den  einen  Wunsch,  dass  Alle  die, 
welche  nach  vielen  Jahrhunderten  an  seiner  Ruhestätte  vor- 
übergehen, so  sprechen  möchten: 

Sehet  das  ragende  Grab  des  längst  verstorbenen  Mannes, 
Der  einst  tapfer  im  Streit  hinsank  dem  göttlichen  Hector. 
Also  heisst  es  dereinst;  und  mein  bleibt  ewiger  Nachruhm. 


XV,  5,  8.  Uebersetzung  des  xenophontischen  Oeconomicus.  S.  Teuffels 
röm.  Lit.  Gesch.  183,  18,  1. 

XV,  6,  1.  Cicero  „de  gloria",  d.  h.  von  Ruhm,  Ehre  und  Anselm. 
S.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  183,  15,  1. 

XV,  G,  2.  Ueber  Tiro  s.  Gell.  I,  7,  1  NB;  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch. 
188,  1.  2.  3.  7;  vergl.  Gell.  VI  (VII),  3,  8;  XIII,  9,  1. 


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XV.  Buch,  6.  Cap.,  §4.-7.  Cap.,  §  1  —  3.  (275) 

4.  Diesen  Gedanken  aber,  welchen  Cicero  ins  Lateinische 

übersetzt  hat,  spricht  beim  Homer  nicht  Ajax  aus  und  ist 

nicht  Ajax  (dort)  um  seine  Bestattung  besorgt,  sondern  Hector 

spricht  ihn  aus  und  denkt  an  sein  Begräbniss,  ohne  schon  zu 

wissen,  ob  sich  Ajax  ihm  zum  Zweikampfe  stellen  will.  (Die 

Verse  lauten  bei  Homer  Iliad.  VII,  89  —  91  also: 

Seht,  dort  raget  das  Maal  des  verblichenen  Mannes  der  Vorzeit, 
I>er  einst  wacker  im  Kampf,  vom  strahlenden  Hector  erlegt  ward! 
So  spricht  Mancher  und  mir  bleibt  unvergänglicher  Nachruhm.) 

XV,  7,  L.  Beobachtung  bei  hochbejahrten  Leuten,  dass,  wenn  sie  so  ziemlich 
im  63.  Jahre  ihres  Alters  stehen,  gerade  dieses  Jahr  nicht  spurlos  an 
ihnen  vorübergehe  uud  meist  allerhand  Beschwerlichkeit,  oder  Untergang, 
oder  irgend  ein  anderes  Unheil  (für  sie)  im  Geleite  führe;  weiter  noch 
Anziehuug  des  Wortlauts  einer  Stelle  aus  einem  Briefe  des  erhabenen 
Augustus  an  sein  Enkelkind  Gajus  über  diese  Beobachtung. 

XV,  7.  Cap.  1.  Seit  langem  Menschengedenken  hat  man 
die  Beobachtung  gemacht  und  bestätigt  gefunden,  dass  bei 
allen  ganz  alten  Leuten  das  63.  Jahr  mit  einer  Gefahr,  oder 
irgend  einem  Unheil  sich  einstelle,  entweder  eines  körper- 
lichen Leidens,  oder  einer  schweren,  gefährlichen  Krankheit, 
oder  des  Lebensverlustes,  oder  eines  Seelenleidens  (und  einer 
Geistesschwäche).  2.  Deswegen  Die,  welche  sich  mit  den 
darauf  bezüglichen  Erscheinungen  und  Auslegungen  (dieses 
Umstandes)  eifrigst  beschäftigt  haben,  diesem  Altersjahre  den 
Namen  Stufen(-  oder  Wechsel)- Jahr  beilegen  (xiUpaxTegtxog 
sc.  iviav-tog).  3.  Als  ich  daher  in  der  vorvergangenen  Nacht 
den  Band  Briefe  des  erhabenen  Augustus,  welche  er  an  seinen 
Enkel  Gajus  schrieb,  las  und  von  der  heiteren  und  freien 
und   wahrhaft  leichten  und  einfachen  Stilfeinheit  ergötzt 


XV,  7,  2.  Dieser  Aberglaube  an  das  Stufenjahr  (64)  rührt  von  den 
Aegyptern  und  Chaldäern  her  und  bestellt  in  der  Combination  und  Mul- 
tiplication  der  7  mit  der  9.   Vergl.  Gell.  III,  10,  9. 

XV,  7,  3.  Gajus  Agrippa,  ein  Sohn  des  M.  Vipsanius  Agrippa  mit 
Julia,  der  Tochter  des  Augustus,  wurde  von  diesem  mit  seinem  Bruder 
Lucius  adoptirt.  Von  seiner  Stiefmutter  Livia  verleumdet,  wurde  Gajus 
vom  Augustus  verbannt  und  später  mit  seinem  Bruder  vergiftet,  wahr- 
scheinlich auf  Antrieb  der  Livia,  welche  ihrem  Sohne  Tiberius  den  Thron 
sichern  wollte.  Vergl.  Tac.  Annal.  I,  6.  Den  Verlust  der  Briefe  des 
Augustus  an  Gajus  haben  wir  zu  beklagen. 

18* 


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(276) 


XV.  Buch,  7.  Cap.,  §3.-8.  Cap.,  §  1.  2. 


wurde,  traf  ich  zufällig  in  einem  dieser  Briefe  auf  eine  dieses 
Stufenjahr  betreffende  schriftliche  Auslassung  und  der  Wort- 
laut dieser  Stelle  in  dem  Briefe  ist  folgender:  „Am  24.  Sep- 
tember. Sei  gegrüsst  mein  Gajus,  mein  süssestes  (Back-) 
Fischchen,  nach  dem  ich  mich,  die  Götter  wissen  es,  immer 
sehne,  wenn  Du  von  mir  abwesend  bist.  Aber  ganz  vorzüglich 
an  solchen  Tagen,  wie  der  heutige  ist,  da  suchen  meine  Augen 
Dich  allenthalben  und  mir  bleibt  nur  die  Hoffnung,  dass,  wo 
Du  an  diesem  Tage  auch  immer  gewesen  bist,  Du  doch  sicher 
heiter  und  bei  guter  Gesundheit  meinen  64.  Geburtstag  wirst 
gefeiert  haben.  Denn,  wie  Du  siehst,  habe  ich  das  für  alte 
Leute  gewöhnlich  so  wichtige  Wechsel-  (oder  Stufen-)  Jahr 
(glücklich  und)  ohne  Gefahr  zurückgelegt.  Allein  so  lange 
mir  noch  Zeit  (zu  leben)  übrig  bleibt,  bitte  ich  die  (gütigen) 
Götter,  euch  gesund  zu  erhalten  und  mich  (den  Rest  meiner 
Tage)  Angesichts  des  blühendsten  Wohlstandes  der  Republik 
verleben  und  euch  (nach  meinem  Hingange)  als  biedern, 
tapfern  Männern  meinen  Posten  übernehmen  zu  lassen." 

XV,  8,  L.  Stelle  aus  einer  Rede  des  alten  Redners  Favorin*),  be- 
treffend seinen  Tadel  über  den  Tafelaufwand,  eine  Rede,  die  er  hielt,  als 
er  zur  Annahme  des  licinischen  Gesetzes  über  die  Tafelaufwands- 


XV,  8.  Cap.  1.  Als  ich  (einst)  die  alte  Rede  des  gewiss 
nicht  unberedten  Favorin  las,  eine  Rede,  die  erhielt,  als 
er  das  licinische  Gesetz  anrieth,  betreffend  die  Tafel- 


auswendig, um  stets  eingedenk  sein  zu  können,  dass  ein  der- 
artiger (übertriebener)  Aufwand  des  Lebensbedarfes  wahrlich 
nur  zu  verachten  sei.  2.  Die  Stelle  des  Favorinus,  welche  ich 
hier  folgen  lasse,  lautet  also:  „Diese  ausgelernten  Fein- 
schmecker und  Tafelschwelger  halten  das  nicht  für  ein  statt- 
liches Mahl,  wenn  nicht  das  Gericht,  was  Du  eben  noch  mit 
Wohlbehagen  verzehrst,  sofort  wieder  abgetragen  wird  und 

XV,  7,  3:  meus  asellus  iucundissimus.   Vergl.  Gell.  VI  (VII),  16,5. 

XV,  8,  L.  *)  Nach  Mercklin  (p.  682,  7)  ist  der  Name  Favorin  hier 
nicht  richtig.  Vergl.  J.  Becker  in  den  hessischen  Gymnasialblättern  (Mainz 
1845)  I  S.  48  ff. 

XV,  8,  1.   Ueber  das  licinische  Gesetz  vergl.  Gell.  II,  24,  3  NB. 


beschränkung  rieth. 


aufwandsbeschränkung  [ 


],  lernte  ich  sie  fast  ganz 


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XV.  Buch,  8.  Oap.,  §2.-9.  Cap.,  §  1.  2.  (277) 


eine  andere,  bessere  und  ausgezeichnetere  Speise  aufgetragen 
wird  (um  den  Appetit  ja  nicht  an  einer  einzigen  Speise  stillen 
zu  müssen).  Dies  nun  wird  als  ein  Hauptschmaus  unter 
Denen  angesehen,  denen  Prasserei  und  Gaumenlust  für  geistige 
Unterhaltung  gelten,  die  behaupten,  dass  kein  Vogel  ausser 
der  Feigenschnepfe  (ficedula)  ganz  aufgezehrt  werden  dürfe; 
—  wenn  nun  gar  von  den  übrigen  Vögeln  und  von  dem  (ge- 
masteten) Geflügel  nicht  so  viel  auf  die  Tafel  kommt,  dass 
man  schon  von  dem  untersten  Theile*)  (d.  h  von  dem 
Bürzel)  an  dem  Hinterkeulchen  gesättigt  (und  zufriedengestellt) 
wird,  bildet  man  sich  ein,  es  sei  nur  ein  armseliges,  er- 
bärmliches Gastmahl,  —  die  aber  auch  die  vorderen  Theile 
von  den  Vögeln  und  dem  Geflügel  essen,  haben  (nach  der 
Ansicht  dieses  Tafelschwelgers)  nur  einen  Gaumen  (zum  Ver- 
schlingen, aber  keine  Zunge  zum  Schmecken).  Wenn  die 
verschwenderische  Genusssucht  verhältnissmässig  so  weiter 
überhand  zu  nehmen  fortfährt,  was  bleibt  dann  noch  übrig, 
als  dass  man  sich  die  Mahlzeiten  nur  vorkauen  lässt,  um 
durch  das  Essen  ja  nicht  etwa  ermüdet  zu  werden,  wenn  (es 
so  fortgeht  und)  die  Lagerstatt  von  Gold,  Silber,  Purpur 
strotzt  und  für  ein  Paar  Menschen  grossartiger  hergestellt 
wird,  als  für  unsterbliche  Götter?" 

XV,  9,  L.  Dass  der  Dichter  Caecilius  da«  Wort  frons  (Stirn)  im  männ- 
lichen Geschlecht  gebraucht  hat,  nicht  (etwa)  nach  Dichterart,  sondern 
mit  wohiweislicher  Uebcrlegung  und  nach  Analogie  (d.  h.  regelrecht  und 

sprachgebräuchlich). 

XV,  9.  Cap.  1.  Richtig  und  klar  bestimmt  schrieb  Cae- 
cilius in  seinem  „Subditivo  (Untergeschobenen)": 

Der  Feinde  Gefahrlichster  ist,  der  mit  heitrer  Stirn  (fronte  hilaro),  voll 

Groll  die  Brust, 

Bei  dem  Dir  unklar  bleibt,  ob  Du  ihn  laufen,  ob  greifen  lassen  sollst. 
2.  Als  sich  (einst  nämlich  zufällig)  das  Gespräch  um  einen 
derartigen  (falschen,  hinterlistigen)  Menschen  drehte,  hatte 
ich  die  betreffenden  Verse  in  einem  Kreise  von  feingebildeten 

XV,  8,  2.  Ficedula  eigentlich  Feigenfresser,  die  Feigendrossel. 
Plin.  10,  29  (44);  Suet  Tib.  42;  Juv.  14,  9;  Martial.  13,  49,  lemra.; 
Petron.  33. 

XV,  8,  2.  *)  Vergl.  Senec.  ep.  110,  11. 


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(278) 


XV.  Buch,  9.  Cap.,  §3  —  7. 


jungen  Leuten  angeführt.  3.  Da  ergriff  nun  sofort  einer  aus 
der  grossen  Masse  der  Grammatiker,  der  da  bei  uns  stand 
und  durchaus  nicht  unberühmt  war,  also  das  Wort:  Wie 
gross  war  doch  die  Dreistigkeit  und  Kühnheit  dieses  Caecilius, 
da  er  rfronstt  als  Masculinum  gebrauchte  und  „fronte  hilaro" 
sagte,  nicht  fronte  hilara  und  vor  einem  solchen  (Sprach-) 
Verstoss*)  in  keiner  Weise  zurückschreckte  (soloecismum 
nihil  veritus  est)?  4.  Uns  im  Gegentheil,  antwortete  ich  ihm, 
würde  man  sowohl  für  kühn,  als  für  dreist  halten,  wollten 
wir  uns  einfallen  lassen,  fälschlicher  und  unrichtiger  Weise 
„frons"  nicht  im  mannlichen  Geschlecht  zu  gebrauchen,  da 
sowohl  der  regelrechte  Sprachgebrauch,  welcher  durch  das 
Wort:  Analogie*)  bezeichnet  wird,  als  auch  (höchst)  mass- 
gebende Beispiele  der  Alten  uns  zu  der  Ueberzeugung  bringen, 
dass  nicht  „haec  frons",  sondern  nur  „hic  frons"  (als  Mascu- 
linum) gesagt  werden  darf.  5.  Da  ja  auch  M.  Cato  im  5.  Buche 
seiner  Urgeschichte  also  geschrieben  hat :  „Tags  darauf  griffen 
wir  in  (offener)  geordneter  Feldschlacht  (signis  conlatis),  in 
gerader  Linie  (aequo  fronte)  mit  dem  Fussvolk  (mit  den 
Reitern)  und  mit  den  Flügeln  die  feindlichen  Truppen  an.* 
In  demselben  Buche  sagt  derselbe  Cato  auch  „recto  fronte" 
(in  gerader  Linie).  6.  Allein  jener  halbgelehrte  Grammatiker 
erwiderte  mir:  sprich  nicht  erst  weiter  von  Deinen  Gewährs- 
stellen, von  denen  Du,  wie  ich  glaube,  wohl  einige  magst 
anführen  können,  sondern  gieb  lieber  den  (vernünftigen)  Grund 
(für  Deine  Behauptung)  an,  aber  da  wird's  hapern  und  Du 
wirst  nichts  (beizubringen)  haben.  7.  Ich  wurde  durch  diese 
seine  (anmassende)  Aeusserung,  wie  es  mein  (Jugend-) Alter 
so  mit  sich  brachte  (und  mir  deshalb  wohl  zu  verzeihen  war)r 


XV,  9,  3.   S.  Non.  3,  205  frons;  Paul.  S.  60. 

XV,  9,  3.   *)  Ueber  Soloecismus  s.  Gell.  I,  7,  3  NB. 

XV,  9,  4.  *)  Die  Analogie  ist  nicht  etwa  bei  der  ersten  Bildung  der 
Menschen  vom  Himmel  gekommen  und  hat  die  Form  des  Sprechens  ge- 
geben, sondern  man  kam  auf  sie,  als  man  schon  sprach  und  beim  Sprechen 
bemerkt  hatte,  wie  jedes  einzelne  Wort  sich  endigte.  Daher  beruht  sie 
nicht  auf  der  Theorie,  sondern  auf  dem  Beispiel,  sie  ist  nicht  das  Gesetz 
des  Sprechens,  sondern  die  Beobachtnng  und  die  Analogie  ist  aus  nichts 
Anderem  hervorgegangen,  als  aus  dem  Sprachgebrauche.  S.  Quinct.  1, 6, 16;, 
Gell.  I,  10,  4 NB;  II,  25,  1  NB  und  X,  4,  2. 


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XV.  Buch,  9.  Cap,  §  7  — 11.  — 10.  Cap.,  §  1.  2.  (279) 

noch  mehr  aufgebracht  und  sagte:  Erfahre  also  die  (allgemeine, 
von  Dir  zwar  für  falsch  gehaltene)  Regel,  lieber  Schulmeister, 
bei  der  Du  aber  nicht  unumstösslich  darzuthun  vermagst, 
dass  sie  nicht  stichhaltig  ist.  8.  Alle  (Haupt-)Wörter  nämlich, 
welche  wie  „frons",  auf  die  drei  Buchstaben  „ons"  ausgehen, 
sind  männlichen  Geschlechts,  wenn  sie  sich  im  Genitiv  auch 
auf  dieselbe  Silbe  endigen,  wie  mons  (Berg),  pons  (Brücke), 
frons  (Stirn).  9.  Jener  aber  erwiderte  ironisch  und  höhnisch 
lächelnd:  Erfahre,  Du  Schüler,  viele  andere  ähnliche,  welche 
durchaus  nicht  männlichen  Geschlechts  sind.  10.  Da  drangen 
Alle  in  ihn,  er  möchte  auch  nur  ein  einziges  Beispiel  an- 
führen. Allein  da  der  Tropf  (nur)  feuchste  und  nicht  muckste 
und  die  Farbe  wechselte,  da  antwortete  ich  und  sagte:  Gehe 
nur  hin  und  empfange  30  Tage  (Frist)  zum  Aufsuchen  (von 
Beispielen);  hast  Du  nachher  welche  gefunden  (kehre  zurück 
und)  nenne  sie  uns.  11.  So  entliess  ich  diesen  nichtsnutzigen 
Menschen,  um  (ihm  Zeit  zu  gestatten)  ein  Beispiel  ausfindig 
zu  machen,  womit  er  die  (von  mir)  angegebene  Regel  wider- 
legen möchte. 

XV,  10,  L.     Ueber  den  freiwilligen   und  wunderlichen    Untergang  der 

milesischen  Juugfrauen. 

XV,  10.  Cap.  1.  Als  Plutarch  im  ersten  Buche  seines 
Werkes,  betitelt  „über  die  Seele",  von  den  verschiedenen, 
die  Menschen  überfallenden,  heimsuchenden  Gemüthskrank- 
heiten  handelt,  erwähnt  er  von  den  milesischen  Jungfrauen, 
dass  fast  alle,  die  damals  in  der  Stadt  waren,  plötzlich,  ohne 
jeden  einleuchtenden  Grund,  der  (wunderliche)  Entschluss  an- 
wandelte, sich  selbst  das  Leben  zu  nehmen,  und  dass  hernach 
auch  wirklich  sehr  Viele  durch  Erhängen  ihr  Leben  endeten. 
2.  Da  die  Todesfälle  von  Tag  zu  Tag  häufiger  wurden  und 
kein  angewendetes  Arzneimittel  mehr  anschlug  gegen  die 


XV,  10,  1.  S.  Plut.  yvvatxaiv  ageral,  d.  h.  Tugenden  der  Frauen 
p.  249.   Die  Mileserinnen. 

XV,  10,  2.  Die  Ursache  zu  dieser  aussergewöhnlichen  Anwandlung 
der  Mileserinnen  wird  in  dem  bis  zum  Wahnsinn  gesteigerten  Geschlechts- 
trieb gesucht,  eine  Krankheit,  die  man  nymphomania,  metromania  oder 
furor  uterinus  (Mutterwuth)  nennt. 


(280)  XV.  Buch,  10.  Cap.,  §  2.  — 11.  Cap.,  §  1.  2. 

beharrlich  heftige  Wuth  der  Jungfrauen,  sich  das  Leben  zu 
nehmen,  da  endlich  hätten  die  Milesier  den  Beschluss  gefasst, 
dass  die  Leiber  aller  der  Jungfrauen,  die  durch  Aufhängen 
ihren  Tod  gefunden,  vollständig  unbekleidet  an  eben  dem- 
selben Strick,  womit  sie  sich  aufgehangen  hatten,  öffentlich 
(durch  die  Stadt  geschleift  und  so)  zu  Grabe  geschafft  werden 
sollten.  Nach  Veröffentlichung  dieses  Beschlusses  seien  die 
Jungfrauen  nur  allein  aus  (Furcht  und)  Scham  vor  einem  so 
schimpflichen  Leichenbegängniss  abgeschreckt  worden,  einen 
freiwilligen  Selbstmord  an  sich  zu  begehen. 

XV,  11,  L.  Wörtlicher  Ausdruck  des  Kathsbesehlusses  über  Austreibung 
der  Philosophen  aus  der  Stadt  Rom;  ebenso  Wortlaut  einer  Verordnung 
von  Seiten  der  Sittenrichter,  worin  die  getadelt  und  zurecht  gewiesen 
werden,  welche  in  Rom  anfingen  die  Rhetorik  einzuführen  und  zur  Geltuug 

zu  bringen. 

XV,  11.  Cap.  1.  Unter  den  Consuln  C.  Fannius  Strabo 
und  M.  Valerius  Messala  kam  ein  Senatsbeschluss  zu  Stande 
gegen  die  Philosophen  und  Rhetoren  (der  da  lautete):  „Der 
Praetor  M.  Pomponius  hat  einen  Antrag  an  den  Senat  gestellt. 
Weil  man  sich  nun  über  die  Philosophen  und  Rhetoren  aus- 
gesprochen hat,  ist  in  dieser  Angelegenheit  (folgender)  Be- 
schluss gefasst  worden,  dass  der  Praetor  M.  Pomponius  Acht 
haben  und  Sorge  tragen  soll,  dass  diese  Leute  sich  nicht 
(länger)  in  Rom  aulhalten  (dürfen),  gesetzt,  dass  es  ihm  dem 
Wohle  des  Staates  und  seiner  eigenen  Berufstreue  ent- 
sprechend erscheint."  2.  Einige  Jahre  nachher  trafen  die 
beiden  Sittenrichter  Cn.  Domitius  Ahenobarbus  und 
L.  Licinius  Crassus  wegen  Beschränkung  der  lateinischen 
Rhetoren  folgende  Bestimmung:  „Man  hat  uns  hinterbracht, 
dass  sich  Leute  (in  der  Stadt)  aufhalten,  welche  eine  neue 
Art  von  Lehre  eingeführt  haben;  zu  denen  die  Jugend  in  die 
Schule  hinströmt;  die  (ferner)  sich  den  Namen  „lateinische 
Rhetoren"  beigelegt  haben,  und  dass  (endlich  sogar)  noch 


XV,  11,  1.  S.  Sueton.  de  clar.  orat  1;  de  grammat  25;  vergl.  Cic. 
de  orat.  III,  24,  93  und  Tac  Dial.  30-32.  35. 

XV,  11,  2..  Ahenobarbus  8.  Stammtafel  Cato's.   Geil.  II,  19,  9  NB. 

XV,  11,  2.  üeber  die  älteste  Beredtsamkeit  Roms  s.  Teuffels  röra. 
Lit  Gescl.  43,  9  und  über  besagte  Ausweisung. 


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XV.  Buch,  iL  Cap.,  §  2—5.  —  12.  Cap.,  §  1.  (281) 


ganz  junge  (unerwachsene)  Menschen  ganze  Tage  daselhst  in 
Müssiggang  hinbringen.  Unsere  Vorfahren  pflegten  selbst  an- 
zuordnen, was  sie  wünschten,  dass  ihre  Kinder  lernen  und 
in  welche  Schulen  sie  gehen  sollten.  Diese  Neuerungen, 
welche  sich  wider  Gewohnheit  und  Sitte  der  Vorfahren  ein- 
geschlichen, gefallen  uns  weder,  noch  erscheinen  sie  billigens- 
werth.  Deshalb  nun  hat  es  uns  (dringend)  geboten  erschienen, 
Veranlassung  zu  nehmen,  dass  wir  sowohl  Denen,  welche 
solche  Schulen  halten,  als  auch  Denen,  die  dahin  zu  kommen 
pflegen,  (deutlich)  unsere  Meinung  zu  verstehen  geben,  dass 
uns  diese  Neuerungen  durchaus  nicht  gefallen."  3.  Allein 
nicht  nur  in  jenen,  noch  ganz  rohen  und  von  griechischer 
wissenschaftlicher  Bildung  noch  nicht  verfeinerten  Zeiten 
wurden  die  Philosophen  aus  der  Stadt  Rom  vertrieben,  4. 
sondern  auch  unter  der  Regierung  des  Domitian  wurden  sie 
durch  einen  Senatsbeschluss  verbannt  und  sogar  (mit  unnach- 
sichtiger Strenge)  aus  der  Stadt  und  aus  dem  (ganzen)  ita- 
lischen Gebiet  ausgewiesen.  5.  In  dieser  Sturmperiode  ging 
auch  der  Philosoph  Epictet  wegen  dieses  Senatsbeschlusses 
nach  Nicopolis  von  Rom  fort. 

XV,  12,  L.    Merkwürdige  Stelle  aus  der  (Vertheidigungs-)  Rede  des  G. 
Gracchus  über  seine  Sparsamkeit  und  Züchtigkeit. 

XV,  12.  Cap.  1.  Als  G.  Gracchus  (ohne  Erlaubniss)  aus 
Sardinien  zurückgekehrt  war,  hielt  er  (um  sich  deshalb  zu 


XV,  11,  3.  Als  in  Rom  feinere  Bildung  angestrebt  wurde,  kamen 
auch  die  Philosophen  mehr  zu  Ehren  und  Ansehen.  So  z.  B.  als  Pom- 
pejus  nach  rühmlichst  geendigtem  Kriege  mit  dem  König  Mithridates  in 
das  Haus  des  berühmten,  stoischen  Philosophen  Posidonius,  dem  Schüler 
des  Panaetius  und  Lehrer  des  Cicero  gehen  wollte,  durften  die  Lictoren 
nicht  erst,  wie  es  sonst  gebräuchlich  war,  mit  ihren  fasces  (s.  Gell.  II, 
15,  4  NB)  an  die  Thüre  klopfen,  sondern  mussten  aus  Achtung  vor  diesem 
Gelehrten  die  fasces  senken,  und  so  beugte  Der,  vor  dem  sich  das  Morgen- 
und  Abendland  gebeugt  hatten,  die  fasces  vor  der  Thüre  der  Wissenschaft 
S.  Plin.  VII,  31  (30),  3. 

XV,  11,  4.  S.  Philostr.  vit  Apoll.  Tyan.  lib.  VII,  4  und  Plin. 
panegyr.  47. 

XV,  12,  1.  G.  Gracchus,  der  das  Amt  eines  Rentmeisters  (Quaestors) 
in  Sardinien  bekleidete,  hatte  seinen  Posten  verlassen  und  war,  noch  ehe 
ein  Nachfolger  für  ihn  in  seinem  Amte  bestimmt  wurde,  nach  Rom  ge- 


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(282)  XV.  Buch,  12.  Cap.,  §  1  —  4.  —  13.  Cap.,  §  1. 


vertheidigen)  in  einer  öffentlichen  Volksversammlung  eine  Rede 
ans  Volk.  2.  Da  hiess  es  wörtlich  so:  „Meine  Aufführung  in 
der  Provinz  war  eine  solche,  wie  ich  glaubte  euren  Nutzen 
befördern  zu  können,  nicht  wie  ich  meinem  Ehrgeiz  zu  fröhnen 
meinte.  Ich  führte  keine  Garküche  mit  mir  und  hatte  nicht 
Knaben  mit  schönem  Aussehen  zur  Bedienung;  sondern  bei 
meinem  Mahle  waren  eure  Kinder  züchtiger  (und  strenger) 
gehalten,  als  beim  Lagerhauptplatz  (beim  Generalstab  im 
Felddienst)."  3.  Weiterhin  sagt  er  ferner:  „Meine  Aufführung 
in  der  Provinz  war  (jederzeit)  so,  dass  der  Wahrheit  gemäss 
Niemand  wird  sagen  können,  dass  ich  entweder  auch  nur 
einen  Pfennig  mehr  von  ihm  als  Geschenk  angenommen,  oder 
ihm  durch  meine  Veranlassung  irgend  welchen  Aufwand  ver- 
ursacht habe.  Zwei  Jahre  bin  ich  in  der  Provinz  gewesen. 
Wenn  (während  dieser  Zeit)  irgend  eine  Buhldirne  mein  Haus 
betrat,  oder  irgend  Jemandes  Sklave  auf  meine  Veranlassung 
hin  verführt  worden  ist,  sollt  ihr  mich  für  den  schlechtesten 
und  verworfensten  (Schelm)  von  allen  (Erden-) Völkern  halten 
dürfen.  Da  ich  mich  (schon)  von  (jeder  Ausschweifung  mit) 
ihren  Sklaven  so  keusch  (und  fern)  gehalten  habe,  danach 
könnt  ihr  erwägen,  auf  welche  Weise  ihr  annehmen  könnt, 
dass  ich  (erst)  mit  euren  Kindern  umgegangen  bin."  4.  Dann 
heisst  es  da  auch  noch  einige  Zeilen  weiter  hin:  „Als  ich 
daher,  ihr  edlen  Römer,  nach  Rom  abgereist  bin,  brachte  ich 
meine  Geldkatzen,  welche  ich  voll  Silber  mit  fortgenommen 
hatte,  alle  leer  aus  der  Provinz  wieder  zurück.  Andere 
(freilich)  schleppten  ihre  (Töpfe  und)  Krüge,  welche  sie  voll 
Wein  gefüllt  mit  fortnahmen,  alle  voll  Silber  nach  Hause  zurück." 

XV,  13,  L.    Ueber  den  unvermuthetcn  Gebrauch  einiger  Zeitwörter,  welche 
in  doppeltem  Sinne  (d.  h.  bald  activ  und  bald  passiv)  gesagt  uud  von  den 
Grammatikern  „verba  communia'*  genannt  werden  (d.  h.  Zeitwörter  mit 
gemeinsamer  activer  und  passiver  Bedeutung). 

XV,  13.  Cap.    1.  (Die  Deponentia)  utor  und  vereor  und 

kommen,  um  sich  daselbst  in  eigner  Person  um  das  Zunftmeisteramt  zu 
bewerben.  Als  ihn  die  Sittenrichter  dieser  Handlungsweise  halber  verklagt 
hatten,  hielt  er  in  der  Volksversammlung  eine  Rede  zu  seiner  Vertheidi- 
gung.   Vergl.  Gell.  X,  3,  2  NB;  Gell.  I,  7,  7  NB  und  XI,  10,  3  NB. 

XV,  13,  L.  S.  Krüger  lat.  Grammat  p  154  und  155  Deponentia  mit 
passiver  Bedeutung;  Seyferts  lat.  Sprachl.  §  929  und  §  2534. 


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XV.  Buch,  13.  Cap.,  §  1  —  4. 


(283) 


hortor  und  consolor  sind  verba  communis  (d.  h.  Zeitwörter 
mit  gemeinsamer  activer,  wie  passiver  Bedeutung),  und  können 
deshalb  auch  in  doppeltem  Sinne  gesagt  werden,  z.  B.  „vereor 
teu,  ich  fürchte  Dich  und  „vereor  abs  te",  ich  werde  von  Dir 
gefürchtet,  d.  h.  (eigentlich  richtiger  ausgedrückt):  „tu  me 
vereris"  (Du  fürchtest  mich  oder  Dich  vor  mir) ;  so  „utor  te", 
ich  benutze  Dich,  oder:  „utor  abs  te",  ich  werde  von  Dir 
benutzt,  d.  h.  (in  dem  Sinne  von)  „tu  me  uteris",  Du  be- 
nutzest mich;  ferner:  „hortor  te",  ich  ermahne  Dich  und 
„hortor  abs  te",  ich  werde  von  Dir  ermahnt,  d.  h.  tu  me  hor- 
taris,  Du  ermahnst  mich;  dann  „consolor  te",  ich  tröste  Dich 
und  „consolor  abs  te",  ich  werde  von  Dir  getröstet,  d.  h. 
(eigentlich  für)  tu  me  consolaris,  Du  tröstest  mich.  So  wer- 
den auch  „testor"  (bezeuge)  und  „interpretor"  (lege  aus)  in 
abwechselnder  Bedeutung  (d.  h.  bald  activ,  bald  passiv)  ge- 
sagt. 2.  Es  sind  aber  alle  diese  (besagten)  Wörter  im  andern 
Falle  (d.  h.  in  der  andern,  passiven  Bedeutung)  selten  und 
ungewöhnlich  und  es  ist  sehr  die  Frage,  ob  sie  überhaupt 
auch  in  dieser  andern  Bedeutung  (sonst  für  gewöhnlich)  ge- 
braucht worden  sind.  3.  .Afranius  sagt  allerdings  in  seinen 
„Consobrinis  (Geschwisterkindern)" : 

Den  Kindern  gilt  hier  weniger  der  Aeltern  Leben, 

Weil  sie  mehr  Furcht  als  Ehrfurcht  einzuflössen  lieben  (malunt  metui, 

quam  vereri). 

Hier  steht  „vereri"  allerdings  in  der  ziemlich  ungebräuch- 
lichen, passiven  Bedeutung  von  „in  Ehrfurcht  gehalten  werden 
(wollen)".  4.  So  braucht  auch  Novius  in  seimer  „Lignaria 
(Holzhändlerin)"  das  Wort  „utitur"  ebenfalls  in  entgegen- 
gesetzter, passiver  Bedeutung: 

Weil  Hausgeräth  die  Menge,  wird's  auch  nicht  gebraucht,  gekauft  doch  wird. 
Quia  suppellex  multa,  quae  non  utitur,  emitur  tarnen, 

d.  h.  (es  steht  utitur  hier  für)  quae  usui  non  est,  was  un- 


XV,  13,  1.  consolor  passive  von  Asinius  Pollio  bei  Priscian  VIII, 
4,  18;  Justin.  XXII,  6  consolatis  militibus,  als  den  Soldaten  Muth  ein- 
gesprochen worden  war. 

XV,  13,  4.  Novius,  so  auch  Gell.  XVII,  2,  8.  Der  Name  wird  oft 
mit  Naevius  verwechselt.  S.  Bernh.  röm.  Lit.  Gesch.  74,  832  und  334, 
desgl.  78,  354.  üeber  Naevius  s.  Gell.  I,  24,  1  NB.  S.  Teuffels  Gesch. 
der  röm.  Lit.  §  135,  1  ff. 


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(284) 


XV.  Buch,  13.  Cap.,  §5  —  9. 


nöthig,  unnütz  ist.  5.  M.  Cato  im  5.  Buche  seiner  Urge- 
schichte sagt:  „Er  führte  sein  Heer,  nachdem  es  einen  Imbiss 
genommen,  kampfgerüstet  und  (cohortatum,  zur  Tapferkeit) 
ermahnt  heraus  und  stellte  es  in  Sehlachtordnung  auf."  6. 
So  lesen  wir  auch  „consolor"  nicht  (nur)  in  der  gewöhnlichen, 
activen  Bedeutung  geschrieben,  sondern  (auch)  in  der  andern 
(passiven  oder  reflexiven),  wie  es  sonst  gewöhnlich  nicht  ge- 
braucht wurde,  in  dem  Briefe  des  Q.  Metellus,  den  er,  als  er 
sich  in  der  Verbannung  befand,  an  den  Gnejus  Domitius  und 
an  den  L.  Domitius  schrieb,  worin  es  heisst:  „Allein,  da  ich 
nun  eure  Gesinnung  gegen  mich  sehe,  fühle  ich  mich  un- 
endlich getröstet  (vehementer  consolor)  und  eure  Treue  und 
euer  Muth  schweben  mir  immer  (als  ein  lebendiges  Vorbild) 
vor  Augen."  7.  Ebenso  drückt  auf  dieselbe  Weise  M.  Tullius 
(Cicero),  in  seinem  ersten  Buche  „über  die  Weissagung",  Be- 
wahrheitetes  durch  „testata"  und  Ausgelegtes  durch  „inter- 
pretata"  aus,  so  dass  (hier)  die  Deponentia  „testor"  (ich 
bewahrheite)  und  „interpretor"  (ich  lege  aus)  unbedingt  für 
verba  communia  (d.  h.  für  Worter  mit  gemeinsam  activer, 
wie  passiver  Bedeutung)  gehalten  werden  müssen.  8.  So  sagt 
Sallust  auf  dieselbe  Weise:  „dilargitis  proscriptomm  bonis 
(als  die  Güter  der  Proscribirten  verschenkt  worden  waren)", 
als  ob  das  Wort  (Deponens)  largior  (verschenke)  unter  die 
verba  communia  gehöre.  9.  Auch  „veritum"  (man  hat  ge- 
fürchtet), sowie  „puditum"  (man  ist  mit  Scham  erfüllt  worden), 
und  „pigitum"  (man  ist  mit  Widerwillen  erfüllt  worden)  sehen 
wir  nicht  nur  von  altern  Schriftstellern  (passive)  unpersönlich, 
ohne  Beziehung  auf  eine  Person  oder  Sache,  (rein)  als  Subject 
ganz  unbestimmt  gebraucht,  sondern  auch  (sogar)  von  M. 
Tullius  (Cicero)  im  2.  Buche  „vom  höchsten  Gut  und  höchsten 
Uebel"  (Cic.  de  finib.  II,  13,  39),  wo  es  heisst:  „(widerlegen 
will  ich)  zuerst  die  (Meinung)  des  Ar i stipp  und  aller  Cyre- 
naiker,  die  sich  nicht  entblödet  haben  (non  est  veritum),  in 


XV,  18,  6.  üeber  Q.  Metellus  Numidicus  s.  Geil.  I,  6,  1  NB  und 
XV,  28,  3  NB. 

XV,  13,  9.  Aristippus  aus  Cyrene,  Stifter  der  cyrenaischen,  oder 
(weil  ihm  das  Ziel  des  Wünschenswerthen,  die  sinnlich  angenehme  Em- 
pfindung, das  Vergnügen,  //  ijtforTj,  war)  der  daher  benannten  hedonischen 
Schule,  der  Vorgängerin  des  Epicureismus,  brachte  seine  Jugend  in  Athen 


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XV.  Buch,  13.  Cap.,  §  9-11.  —  14.  Cap.,  §  1. 


(285 


diejenige  Lust,  welche  mit  der  grössten  Annehmlichkeit  die 
Sinne  erregte,  das  höchste  Gut  zu  setzen."  10.  Auch  dignor 
(ich  würdige  und  werde  gewürdigt),  veneror  (ich  verehre  und 
werde  verehrt),  confiteor  (ich  erkenne  an  und  werde  an- 
erkannt), ferner  testor  (durch  Zeugniss  darthun  und  dar- 
gethan  werden)  sind  für  verba  communia  gehalten  worden. 
Wie  sich  ja  dergleichen  (Formen)  auch  bei  Vergil  angewendet 
finden,  z.  B.  (Aen.  III,  475): 

0  AnchiBes,  von  Venus  der  heiligen  Liebe  gewürdigt  (dignate), 
und  (Verg.  Aen.  III,  460): 

Jene  (Juno)  verehrt  (venerata)  wird  günstigen  Lauf  Dir  gewähren. 

11.  In  den  zwölf  Tafelgesetzen  steht  im  Betreff  einer  Summe, 
die  man  bereits  anerkannt  und  eingestanden  hat,  wörtlich: 
„Ist  Einer  der  Schuld  überwiesen  (geständig,  aeris  confessi) 
und  solche  zu  Recht  gesprochen,  so  soll  er  30  Tage  Frist 
haben  (sc.  bis  zur  Abtragung)."  So  steht  auch  noch  in  den- 
selben zwölf  Tafeln:  „Wer  sich  herbeigelassen,  als  Zeuge 
aufgerufen  zu  werden  (testarier),  oder  (als  libripens,  Wage- 
halter) Vollmachtsträger  in  Contracten  zu  sein,  wenn  er  (nach- 
träglich) das  Zeugniss  verweigert,  der  soll  ehrlos  sein  und 
nimmermehr  wieder  Zeugniss  ablegen  dürfen." 

XV,  14,  L.    Dass  Metellus  Nwnidicus  eine  Redewendung  aus  griechischen 

Vorträgen  entlehnt  hat. 

XV,  14.  Cap.  1.  Ich  habe  mir  eine  bei  Q.  Metellus 
Numidicus,  im  3.  Buche  seiner  Anklage(schrift)  gegen  den 


in  dem  lehrreichen  Umgange  des  Socrates  zu.  Seine  ganze  Lebens- 
philosophie' findet  Ausdruck  in  dem  horazischen  Verse  (epp.  I,  1,  18): 

Et  mihi  res,  non  me  rebus  submittere  conor,  d.  h. 

Such*  mir  unterzuordnen  die  Dinge,  doch  mich  nicht  den  Dingen. 
Vergl.  Hör.  ep.  I,  17,  13  u.  8.  w.  Aristipp  lehrte  erst  in  Aegina,  dann 
zu  Syracus  am  Hofe  des  jüngeren  Dionysios,  zuletzt,  wie  es  scheint,  zu 
Athen  neben  Plato,  wo  er  nach  Socrates  Tode  die  socratische  (hedonische) 
Schule  gründete.  Er  wird  als  der  Erste  genannt,  der  unter  den  Socratikern 
Bezahlung  für  seine  Lehrvorträge  annahm  und  soll  nach  wanderungsvollem 
Leben  auf  der  äolischen  Insel  Lipara  gestorben  sein. 

XV,  13,  11.   Libripens  vergl.  Gell.  XV,  27,  3  NB. 

XV,  14,  1.  Q.  Caecilius  Metellus,  der  wegen  seiner  glücklichen  Krieg- 
fuhrung  gegen  Jugurtha  den  Beinamen  Numidicus  erhielt,  war  ein  Sohn 


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(286)  XV.  Buch,  14.  Cap.,  §1  —  5.-15.  Cap.,  §  1. 

Valerius  Messala  vorkommende  neue  (ungewöhnliche)  Redens- 
art angemerkt.  2.  Die  betreifende  Stelle  aus  seiner  Rede 
lautet  also:  „Als  er  nun  erfahren  hatte,  dass  ein  so  schweres 
Verbrechen  auch  ihn  zur  Last  gelegt  werde  und  (bereits  auch) 
die  Bundesgenossen  eingetroffen  seien,  um  unter  Thränen 
beim  Seuat  sich  (über  ihn)  zu  beklagen,  dass  man  ungeheuere 
Geldsummen  von  ihnen  erpresst  habe  (sese  pecunias  maximas 
exactos  esse)."  3.  Er  sagt  (auffälliger  Weise):  sese  pecunias 
exactos  esse,  d.  h.  sie  seien  angehalten  worden  zur  Leistung 
von  Geldern,  anstatt  zu  sagen:  pecunias  a  se  maximas 
exactas,  d.  h.  ungeheuere  Geldsummen  seien  von  ihnen  ver- 
langt (eingefordert,  erpresst)  worden.  4.  Diese  Ausdrucks- 
weise schien  uns  einer  griechischen  Redewendung  nachgebildet 
zusein.  Die  Griechen  sagen  nämlich :  eigen qa^exo  f.ie  agyuQiov 
(es  wird  Geld  von  mir  erpresst),  dem  entspricht  ganz  unser: 
exegit  me  pecuniam  (er  forderte  mir  Geld  ab).  Wenn  man 
nun  aber  diese  Redeweise  als  richtig  zugeben  kann,  so  muss 
auch  (im  Passivum)  gesagt  werden  können:  exactus  esse 
aliquis  pecuniam,  d.  h.  Jemand  sei  angehalten  worden  zu 
einer  Geldleistung.  5.  Auch  hat  offenbar  Caecilius  (Statius) 
von  dieser  Redewendung  Gebrauch  gemacht  in  seinem  „Hypo- 
bolimaeo  Aeschino  (untergeschobenen  Aeschinus)",  wo  er  sagt: 
Nichtsdestoweniger  werde  ich  angehalten  um  jenen  Zoll  (exigor  portoriuin), 

was  unbedingt  so  viel  heissen  soll,  als:  nihilominus  exigitur 
de  me  portoriuin,  d.  h.  nichtsdestoweniger  wird  von  mir  der 
Eingangszoll  eingefordert. 

XV,  15,  L.   Dnss  die  Alten  gesagt  haben  „passis  velis"  (mit  ausgespannten 
Segeln)  und  „passis  manibus"  (mit  ausgestreckten  Händen)  nicht  von  ihrem 
Zeitwort  „patior"  (welchem  eigentlich  dieses  Participium  angehört). 

XV,  15.  Cap.    1.  Von  dem  Wort  pando  (ich  breite  aus) 

des  (312/142  Consul  gewesenen  L.  Caec.  Metellus  Calvus,  ein  Bruder  des 
Dalmaticus  und  Neffe  des  Macedonicus,  hatte  in  Athen  studirt  und  sich 
nach  der  Sitte  jener  Zeit  als  junger  Mann  durch  eine  Anklage  des  Valerius 
Messala  bekannt  gemacht.   S.  Lange  röm.  Alterth.  §  140  p.  60. 

XV,  14,  4.  Medial  gedacht:  für  sich  eintreiben,  erpressen,  s.  Buttmanu 
gr.  Gr.  §  134,  7. 

XV,  14,  5.  Hypobolimaeus,  der  Untergeschobene,  ein  Stück  des  Me- 
nander,  von  Caecilius  nachgeahmt.  S.  Quinct.  1, 10, 18;  cfr.  Priscian.  VI,  2, 
p.  222;  Vol.  I  Krehl;  Non.  sub.  v.  exigor. 


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XV.  Buch,  15.  Cap.,  §  1—4.  —  16.  Cap .  §  1.  (287) 


bildeten  die  Alten  das  Perfectum  passivi  nicht  pansum,  son- 
dern passum  (ausgebreitet,  auseinandergespannt),  allein  als 
Verbum  compositum  mit  der  Praeposition  „ex"  (sagten  sie 
hinwiederum)  nicht  expansum,  sondern  expassum.  2.  Cae- 
cilius  (Statius)  in  seinem  „Gesellschaftsfrühstück  (in  Syna- 
ristosis)" 

Er  hab'  vom  Dache  gestern  selbst  herabgeschaut, 
Doch  als  die  Meldung  er  gethan,  hab'  man  im  Haus 
(sofort  des  Bräutchens)  rothen  Schleier  ausgespannt  (flammeum  ex- 
passum sc.  velum). 

3.  So  sagt  man  auch,  dass  eine  Frau  im  fliegenden  Haare 
(capillo  passo)  sei,  gleichsam  in  langherabhängendem  und  auf- 
gelöstem (expanso),  und  so  sagen  wir  auch  passis  manibus 
{mit  ausgebreiteten  Händen,  d.  Ii.  offnen  Armen)  und  velis 
passis  (mit  aufgebreiteten  Segeln),  was  so  viel  heissen  soll, 
als  mit  auseinandergestreckten  (diduetis)  Armen  und  mit 
weit  ausgespannten,  vollen  (distentis)  Segeln.  4.  Daher  sagt 
nun  Plautus  in  seinem  „miles  gloriosus  (Bramarbas  II,  4, 
6  und  7),  nach  Umlautung  (Umwandlung)  des  Vocales  a  in  e, 
wie  dies  bei  der  Wortzusammensetzung  gewöhnlich  geschieht, 
dispessis  anstatt  dispassis: 

Vermuthlich  wirst  Du  bald  vor's  Thor  in  dieser  Stellung  wandern, 
Wenn  Du  mit  ausgespreiztem  Arm  (dispessis  manibus)  den  Galgen  trägst. 

XV,  16,  L.    Ueber  die  cigenthümliehe,  seltsame  Art  von  des  Crotonieusers 

Mflo  Untergang. 

XV,  16.  Cap.  1.  Der  berühmte  Fechter  Milo  von  Croton, 
der,  wie  in  den  Chroniken  geschrieben  steht,  in  der  1. 
Olympiade  mit  dem  Siegespreis  gekrönt  wurde,  nahm  ein 


XV,  15,2.  „Synaristosae"  cfr.  Athenaei  VI,  12  p.  248;  Plin. 
H.  N.  23,  9. 

XV,  15,  3.  Obgleich  die  Form  expansum  vorher  vom  Gellius  für 
unstatthaft  erklärt  worden  war,  bedient  er  sich  ihrer  erklärungsweise  hier 
trotzdem  selbst. 

XV,  10,  1.  Milon  aus  Croton,  ein  durch  seine  Körperstärke  be- 
rühmter Athlet,  520  v.  Chr.,  der  mit  der  blossen  Hand  einen  Stier  tödtete, 
ihn  auf  den  Schultern  forttrug  und  auch  an  einem  Tage  verzehrt  haben 
soll.  S.  Valer.  Max.  IX,  12  ext.  9;  Ovid.  in  Ib.  611.  012;  Strabo  VI 
p.  403;  Pausan.  VI,  14;  Solinus  4;  Suidas  v.  Mihav]  Scholiastes  Theo- 
crit,  f/tf.  IV,  6. 


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1 


(288)  XV.  Bach,  16.  Cap.,  §2—4.-17.  Cap.,  §  1. 

bejammernswerthes,  wundersames  Ende.  2.  Denn  als  er  hoch- 
bejahrt die  Fechterkunst  (schon)  aufgegeben  hatte,  und  zu- 
fällig so  ganz  allein  in  den  waldigen  Gegenden  Italiens  reiste, 
sah  er  ganz  nahe  am  Wege  einen  Eichbaum,  der  in  der  Mitte 
durch  weit  von  einander  stehende  Spalten  auseinander  klaffte. 

3.  (Bei  diesem  Anblick)  kam  ihm  damals  nun  vermuthlich 
auch  noch  einmal  die  Lust  an,  den  Versuch  zu  machen,  ob 
ihm  wohl  noch  irgend  einige  Kräfte  übrig  geblieben  seien. 
Er  steckte  also  die  Hände  in  die  Spalten  des  Baumes  und 
bemühte  sich  die  Eiche  auseinander  zu  ziehen  und  aufzu- 
schlitzen. Nun  hatte  er  zwar  schon  (den  Baum)  in  der  Mitte 
von  einander  getheilt  und  mit  grosser  Anstrengung  getrennt, 

4.  allein  als  (unglücklicher  Weise)  nach  angestrengter,  beinahe 
(schon  glücklich)  vollbrachter  Arbeit  seine  Arme  abgespannt 
waren  und  seine  Kraft  nachliess,  kehrte  die  in  zwei  Theile 
auseinander  gehaltene  Eiche  in  ihre  gewöhnliche  Richtung 
zurück,  und  so  wieder  zusammengeschnellt  und  von  Neuem 
in  Zusammenhang  gekommen,  blieben  seine  eingeklemmten 
Hände  (im  Baume)  stecken  und  der  (arme)  Mann  (konnte  sich 
nicht  wieder  frei  machen  und)  musste  so  ein  Raub  den  wilden 
Thieren  werden. 

XV,  17,  L.    Weshalb  die   angesehene  Jugend  Athens  vom  Flötenspiel 
abliess,  da  sie  doch  diesen  alten,  von  ihren  Aeltern  her  gewöhnlichen 
Gebrauch  (der  Erlernung)  des  Flötenspiels  überkommen  hatte. 

XV.  17.  Cap.  L  Als  der  junge  Athener  Alcibiades  bei 
seinem  Onkel  Pericles  in  allen  schönen,  freien  Künsten  und 
Wissenschaften  unterrichtet  wurde,  und  Pericles  die  An- 
ordnung getroffen  hatte,  den  Flötenspieler  Antigenidas  kommen 


XV,  17,  1.  Plut.  Alcibiad.  p.  192. 

XV,  17,  L  Pericles,  geb.  zu  Athen,  Sohn  des  berühmten  Feldherrn 
Xanthippus,  des  Besiegers  der  Perser  bei  Mykale,  war  unendlich  reich 
und  einer  der  ausgezeichnetsten  Staatsmänner  Griechenlands.  Er  lebte 
zur  höchsten  Blüthezeit  griechischer  Wissenschaft  und  Kunst  (444  v.  Chr.) 
und  erhielt  eine  vorzügliche  Ausbildung  durch  Anaxagoras  u.  s.  w.  Nach 
Cimons  Tode  wurde  er  gleichsam  Herr  von  Athen  und  leitete  beinahe 
40  Jahre  lang  die  Angelegenheiten  Athens  mit  grossem  Erfolg.  Obgleich 
Aristokrat  widmete  er  seine  Thätigkeit  vorzüglich  der  Demokratie  und  war 
ein  ganz  gewaltiger  Redner.  Athen  verdankt  ihm  die  schönsten  Zierden 
und  Kunstwerke.    Seine  Politik  war  namentlich  gegen  Sparta  gerichtet 


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XV.  Buch,  17.  Cap.,  §  1  —  3.  — 18.  Cap.,  §  1. 


(289) 


zu  lassen,  um  seinen  Neffen  im  Flötenspiel  zu  unterrichten 
(was  damals  zu  einer  feinen  Erziehung  gehörte),  erhielt 
Alcibiades  die  Flöte  eingehändigt.  Als  er  sie  an  den 
Mund  gesetzt  und  zu  blasen  angefangen  hatte,  schämte  er 
sich  über  die  Gesichtsverzerrung,  brach  sie  in  Stücke  und 
warf  sie  von  sich.  2.  Als  dieser  Vorfall  allgemein  bekannt 
worden  war,  wurde  alsdann,  nach  Uebereinstimmung  aller 
Athener,  die  Unterweisung  im  Flötenspiel  (als  Bildungs- 
bedingung) abgeschafft.  3.  Dies  steht  im  Gedenkbuche  der 
Pamphila  im  29.  Buche. 

XV,  18,  L.  Wie  (merkwürdiger  "Weise)  der  Kampfesaustrag  im  Bürger- 
krieg und  des  Gajus  Caesar  Sieg,  bei  dem  er  auf  den  pharsalischen 
(Schlacht-)Feldern  den  Sieg  gewann,  durch  die  Weissagung  des  Priesters 
Cornelius  Remex  an  ebendemselben  Tage  in  der  italischen  Stadt  Patavium 
(Padua)  verkündigt  und  vorhergesagt  worden  ist. 

XV,  18.  Cap.  1.  An  eben  demselben  Tage,  an  welchem 
Gajus  Caesar  und  Cn.  Pompejus  in  Thessalien  im  Verlauf  des 


und  so  wurde  er  der  Urheber  des  verderblichen  peloponnesischen  Krieges 
(431  v.  Chr.).  Er  pflog  ein  vertrautes  Verhältniss  mit  Aspasia,  jener 
geistvollen  und  schönen  griechischen  Berühmtheit,  deren  Freundschaft 
selbst  ein  Socrates  gesucht  hatte,  und  ihr  zu  Liebe  verstiess  Pericles  seine 
Gemahlin.  Als  er  durch  die  Pest  seine  beiden  Söhne  verloren  hatte,  trug 
er  in  Folge  dessen  seinen  mit  Aspasia  erzeugten  Sohn  in  die  Bürgerliste 
ein.  Um  die  Zeit  der  Pest  starb  er  selbst  429  v.  Chr.  an  einer  schleichen- 
den Krankheit. 

XV,  17,  1.   Ueber  Alcibiades  s.  Gell.  I,  9,  9  NB. 

XV,  17,  3.  Pamphila,  die  Tochter  des  Soteridas  aus  Aegypten  oder 
aus  Epidaurus  nach  Suidas,  Schriftstellerin  und  eine  der  gelehrtesten  aller 
Frauen  des  Alterthums,  welche  verschiedene  Bücher  verfasste,  deren  Titel 
ebenfalls  bei  Suidas  genannt  sind.  Aus  ihrem  Hauptwerke:  „historische 
Miscellen  (av/iutxTtt  iaxoQixit  vnofivrjfjaTct)"  wird  hier  das  29.  Buch  citirt, 
von  Diogenes  (V,  2,  4)  das  32.  und  nach  Suidas  soll  das  ganze  Werk 
aus  33  Büchern  bestanden  haben.  Auch  lieferte  sie  Geschichtsauszüge 
(tTTiroual  i<TTOQt(ov).  Von  ihrer  grossen  chronologischen  Genauigkeit 
zeugt  besonders  die  massgebende  Zeitbestimmung  über  Hellanikos,  Hero- 
dotos und  Thucydides  bei  Gell.  XV,  23,  2.  Ueber  Plato  hat  sie  erzählt, 
dass  er  von  den  Arkadern  und  Thebanern  berufen  worden  sei,  der  neuen 
Hauptstadt  Megalopolis  eine  Verfassung  zu  geben,  was  keineswegs  un- 
wahrscheinlich ist.   Diog.  Laert.  3,  17. 

XV,  13,  L.  Vergl.  Plut.  Caes.  p.  730;  Lucan.  Vü,  192;  Dio  Cass« 
42  p.  182;  Jul.  Obsequens  de  prodig.  125;  Sidonius  Apollin.  9,  191  etc. 

Gel  Hu  s,  Attische  Nächte.  II.  19 


(290)        XV.  Buch,  18.  Cap.,  §  1-3.  — 19.  Cap.,  §  1.  2. 

Bürgerkrieges  im  offenen  Treffen  hart  aneinander  geriethen, 
ereignete  sich  ein  merkwürdiger  Vorfall  zu  Patavium,  in  dem 
jenseits  des  Po  befindlichen  Theil  (von  Gallia  cisalpina),  der 
in  Italien  liegt.  2.  Ein  gewisser  Cornelius,  Priester  und  von 
edler  Abkunft,  ein  nicht  nur  wegen  des  grossen  Pflichtgefühls 
bei  seinem  Priesteramte  verehrungswürdiger,  sondern  auch 
durch  seinen  keuschen  Lebenswandel  gottgefälliger  Mann, 
gerieth  plötzlich  in  ein  geistiges  Verzücken  und  sagte,  dass 
er  in  der  Ferne  sehe,  wie  der  heftigste  Kampf  gekämpft 
werde;  und  weiter  noch,  dass  er  (im  Geiste  ganz  deutlich) 
die  Einen  weichen,  die  Andern  vordringen  sehe;  er  rief  laut, 
dass  er,  ganz  so  als  befinde  er  sich  selbst  mitten  im  Treffen, 
mit  eignen  Augen  sehe  das  Morden,  die  Flucht,  die  fliegenden 
Pfeile  und  Geschosse,  die  Erneuerung  des  Gefechtes,  den 
Ueberfall,  das  Geächze  (der  Verwundeten),  die  Wunden  (der 
Gefallenen);  und  hernach  rief  er  (in  seiner  Verzückung) 
plötzlich  laut  aus,  dass  Caesar  gesiegt  habe.  3.  Zu  der  Zeit 
(dieses  seines  Paroxysmus)  wurde  zwar  diese  Weissagung  für 
unerheblich  und  unsinnig  gehalten,  bald  nachher  aber  erregte 
sie  grosse  Bewunderung,  weil  nicht  nur  Tag  (und  Stunde) 
des  Kampfes,  der  in  Thessalien  (aus)gekämpft  worden  war, 
und  weil  nicht  nur  der  Ausgang  der  Schlacht,  wie  er  war 
verkündigt  worden,  wirklich  vollständig  eintraf,  sondern  auch 
alle  wechselseitigen  Umstände  beim  Kampfe  und  selbst  der 
Zusammenstoss  der  beiden  Heere  durch  das  Traumbild  und 
die  Aussage  des  Weissagenden  in  Wahrheit  dargestellt  worden 
war  (und  wirklich  zustimmte).  (Vergl.  Plutarch:  Jul.  Caes. 
cap.  47.) 

XV,  19,  L.    Ein  denkwürdiger  Ausspruch  des  M.  Varro,  aus  seiner  Satire, 
welche  die  Ueberschrift  führt:  „thqI  ifeojuaTwv  (über  Esswaaren)". 

XV,  19.  Cap.  1.  Es  giebt  nicht  Wenige,  auf  die  ein 
Ausspruch  von  M.  Varro  Anwendung  finden  kann,  der  in 
seiner  Satire  vorkommt,  welche  die  Ueberschrift  führt  „von 
Esswaaren  {rregl  ideofidvcüv)u.  2.  Seine  eignen  Worte  lauten : 
„Wenn  Du  von  all  der  vielen  Mühe,  die  Du  darauf  ver- 
wendest, dass  Dein  Bäcker*)  Dir  gutes  Brot  bereitet,  auch 

XV,  19,  2.    *)  Wohlhabendere  Familien  hielten  sich  unter  ihren 


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XV.  Buch,  19.  Cap.,  §  2.  -  20.  Cap.,  §  1  —  4. 


nur  den  zwölften  Theil  (dem  Studium)  der  Philosophie  widmen 
wolltest,  so  würdest  Du  selbst  schon  lange  (gut  und)  recht- 
schaffen geworden  sein.  Alle,  die  nun  Jenen  (d.  h.  Deinen 
Bäcker  und  seine  Vorzüge)  kennen  lernen,  zeigen  (sofort) 
Lust,  (sich)  ihn  für  Hunderttausende  zu  kaufen;  Dich,  wer 
Dich  (nur  erst)  kennen  gelernt  hat,  Keiner  für  100  Heller 
(centussis)." 

XV,  20,  L.    Einige  Bemerkungen  über  des  Dichters  Euripides  Abstammung, 
Leben,  Sitten  und  über  sein  Lebensende. 

XV,  20.  Cap.  1.  Theopompus  sagt,  dass  die  Mutter  des 
Euripides  als  Feldgemüse  -  Händlerin  ihren  Lebensunterhalt 
.  sich  erworben  habe.  2.  Bei  seiner  Geburt  aber  wurde  dem 
Vater  von  den  Chaldäern  geweissagt,  dass  dies  Kind,  wenn 
es  herangewachsen  sein  würde,  in  den  Wettkämpfen  als  Sieger 
hervorgehen  werde  (denn  nach  ihrem  Horoskop  sei  dies  seine 
Bestimmung).  3.  Der  Vater  habe  das  aber  so  gedeutet,  dass 
er  das  Kind  Fechter  solle  werden  (und  in  den  gymnastischen 
Künsten  erziehen)  lassen,  und  als  nun  des  Sohnes  Leib  ge- 
kräftigt, tüchtig  geübt  (und  ausgebildet)  worden  war,  brachte 
er  ihn  nach  Olympia,  damit  er  sich  daselbst  unter  den  jugend-  t 
liehen  Fechtern  (einmal)  im  Kampfe  versuchen  sollte.  Das 
erstemal  habe  man  ihn  nun  zwar  wegen  seines  noch  unreifen 
Alters  noch  nicht  zum  Wettstreit  zugelassen,  später  aber  nahm 
er  an  dem  eleusinischen  und  theseischen  Kampf- 
spiel (persönlich)  Theil  und  trug  (auch)  den  Preis  davon.  4. 
Bald  nachher  dieser  Leibesübung  überdrüssig,  wendete  er 
sich  der  tleissigen  Ausbildung  seines  Geistes  zu  und  wurde 
Schüler  und  Zuhörer  des  Naturforschers  Anaxagoras  und 

Sklaven  immer  noch  eigene  Bäcker,,  obgleich  vom  Ende  des  2.  Jahrhunderts 
v.  Chr.  an  in  Rom  die  Bäckerei  auch  schon  als  förmliches  Gewerbe  be- 
trieben wurde.  S.  Sueton.  Caes.  48;  Senec.  ep.  95,  24.  —  Centussis  s. 
Gell.  II,  24,  4. 

XV,  20,  1.  Bezweifelt  wird  die  Sache  von  Val.  Max.  III,  4  ext.  2. 
SuidaB  v.  EvQtntörjs.   üeber  Theopompus  8.  Gell.  X,  18,  6  NB. 

XV,  20,  fc.   üeber  die  Chaldäer  s.  Gell.  XIV,  1. 

XV,  20,  4.  Anaxagoras,  500  v.  Chr.,  einer  der  vorzüglichsten 
ionischen  Philosophen,  nahm  einige  von  einem  geistigen  Wesen  bewegte 
ürstoffe  an  und  verwarf  die  Meinung  der  Schöpfung  aus  Nichts.  Er  stand 

19* 


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(292) 


XV.  Buch,  20.  Cap.,  §4  —  8. 


des  Rhetors  Prodikos,  in  der  Moral  Philosophie  aber  des 
Socrates  Schüler.  In  seinem  18.  Jahre  machte  er  sich  daran, 
ein  Trauerspiel  zu  schreiben.  5.  Philochorus  erzählt,  dass  es 
auf  der  Insel  Salamis  eine  versteckte  und  wildromantische 
Grotte  gebe  (die  er  selbst  besucht  und  gesehen  habe),  worin 
Euripides  (seine  Trauerspiele)  geschrieben  habe.  6.  Er  soll 
ein  sehr  abgesagter  Feind  fast  aller  Frauenspersonen  gewesen 
sein,  entweder,  weil  er  überhaupt  einen  angebornen  Wider- 
willen gegen  den  Umgang  mit  dem  weiblichen  Geschlecht 
hatte,  oder  weil  ihm  die  zwei  Frauen,  mit  denen  er  sich 
zugleich  verheirathet  hatte,  was  bei  den  Athenern  nach 
ausdrücklichem  Beschluss  gesetzlich  erlaubt  war,  die  Ehe 
(gründlich)  verleidet  hatten.  7.  Auch  Aristophanes  thut 
dieses  Hasses  gegen  das  weibliche  Geschlecht  in  „der  ersten  ' 
Thesmophorienfeier"  (V.  453  u.  s.  w.)  Erwähnung  in  folgenden 
Versen : 

Drum  ist  mein  Rath  und  dringend  fordr'  Euch  All'  ich  auf, 

Den  Mann  ob  dieser  Unbill  streng  zu  züchtigen; 

Denn  herbe  Leiden  fügt,  ihr  Frauen,  er  uns  zu, 

Wuchs  unter  herben  Gartenkräutern  er  doch  auf.  , 

8.  Alexander  der  Aetolier  aber  hat  folgende  Verse 

Uber  den  Euripides  verfasst: 

Anaxagoras'  Zögling,  des  Vollblut -Manns,  ist  finster  und  mürrisch  von 

Ansehn, 

Und  dem  Scherz  abhold  und  nicht  einmal  beim  Weine  versteht  er 

zu  spassen: 

Allein  was  er  schreibt  ist  honigversüsst,  wie  Sirenengesänge  bezaubernd 


mit  Pericles  im  vertrauten  Umgänge.  Euripides  und  Thucydides  waren 
seine  Schüler. 

XV,  20,  4.  Prodikos,  griechischer  Sophist  aus  Julis  auf  Keos, 
Zeitgenosse  des  Socrates,  blühte  436  v.  Chr.  (Ol.  86). 

XV,  20,  5.  Von  Aristoteles  (poßt.  13)  wird  Euripides  der  tragischste 
aller  Dichter  genannt 

XV,  20,  6.  Diog.  Laert.  II,  5,  11;  Eurip.  Hippolyt.  664  etc.  Athe- 
naeus  XIII,  597. 

XV,  20,  7.  S.  Aristoph.  Acharn.  478—481;  Plin.  h.  nat  22,  38; 
Plutarch:  Vergleich  des  Aristoph.  und  Menander  1. 

XV,  20,  8.  Alexander,  genannt  Aitolos,  aus  Pleuron  in  Aetolien, 
ein  tragischer  Dichter,  der  in  Alexandria  unter  Ptolemäus  II.  Philadelphos 
lebte  und  zur  Pleias  (Gruppe  von  sieben  tragischen  Dichtern)  gezählt  wird. 
Bekannter  scheint  er  als  Elegiker  gewesen  zu  sein.   Die  übriggebliebenen 


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XV.  Buch,  20.  Cap.,  §9  —  11. 


(293) 


9.  Als  Euripides  (einst)  bei  dem  (macedonischen)  König  Ar- 
chelaos, mit  dem  er  im  vertrautesten  Freundschaftsverhältniss 
stand,  zu  Tische  gewesen  war  und  erst  Nachts  von  da  zurück- 
kehrte, wurde  er  von  den  Hunden,  welche  einer  seiner  (Neider 
und)*  Nacheiferer  auf  ihn  gehetzt  hatte,  so  übel  zugerichtet, 
dass  von  den  Verwundungen  sein  Tod  erfolgte.  10.  Seinem 
Grabe  und  seinem  Andenken  haben  die  Macedonier  solche 
Hochachtung  bewiesen,  dass  sie  (gelegentlich)  zur  Ehre  seines 
Ruhmes  auch  (durch  folgende  Inschrift)  laut  bekannten :  „Nie 
soll,  Euripides,  Dein  Angedenken  vergehn,"  weil  sie  stolz 
darauf  waren,  dass  der  vortreffliche  Dichter,  der  in  ihrem 
Lande  den  Tod  gefunden,  in  ihrer  Erde  begraben  lag.  11. 
Als  deshalb  von  den  Athenern  Gesandte  an  sie  abgeschickt 


Bruchstücke  von  seinen  Elegieen  verrathen  Anmuth  und  Lieblichkeit  der 
Darstellung.  Endlich  wird  er  auch  als  Grammatiker  genannt.  —  A.  Nauck 
Eurip.  Studien  I,  S.  126  Anm.  zeigt,  dass  die  hier  aus  Alexander  an- 
geführten anapästischen  Tetrameter  dem  Aristophanes  gehören  nach  der 
vita  Eurip.  Z.  63  (Merckl.  p.  682  Anm.  7). 

XV,  20,  9.  S.  Val.  Max.  IX,  12  ext.  4;  Diogenianus  und  Apostolius 
v.  IIqo^qov  xvvsg]  Hyginus  fab.  247.  Athenaeus  XIII,  597  theilt  ein 
Bruchstück  des  Elegieendichters  Hermesianax  mit,  worin  diese  Mittheilung 
Erwähnung  findet  und  folgendermassen  zusammenhängen  soll:  Euripides 
hatte  sich  in  die  Schaffherin  des  Königs  in  Aiyai  verliebt  und  konnte  des 
Nachts  nicht  schlafen.  Indem  er  durch  die  Strassen  der  Stadt  irrte,  wurde 
er  von  den  Hunden  des  Amphibios ,  welche  ein  boshafter  Feind  auf  ihn 
hetzte,  zerrissen.   Die  Stelle  lautet: 

Ferner  behaupt'  ich,  der  Mann,  der  stets  seine  Würde  behütet, 

Und  von  der  Kindheit  an  gegen  die  Frauen  zumal 
Ilass  und  Verachtung  geschöpft,  der  konnte,  geschossen  vom  krummen 

Bogen,  die  nächtliche  Qual  nimmer  bemeistern,  den  Gram, 
Sondern  schweifte  entlang  macedonischen  Gassen  zu  Aegae, 

Musste  der  Schaffnerin  nachschleichen  des  Königes,  bis 
Dich,  Euripides,  dort  Dein  Schicksal  stürzt'  in  Verderben 

Unter  Amphibios  Hunds -Meute  der  Dichter  gerieth.  — 

Der  makedonische  Dichter  Addaeos  widerlegt  (bei  Suidas  v.  vnaCuixt) 
dieses  Märchen  in  folgendem  Epigramm  : 
Dich,  Euripides,  biss  kein  Hundszahn,  stach  keine  Bremse 

Nach  einem  Weibe:  Du  warst  heimlichen  Lüsten  so  fremd! 
Bist  vor  Alter  gestorben,  die  Stadt  Arethusa  bewahrt  Dein 

Grab,  Archelaos,  der  Fürst,  ehrt  Dich  im  Leben  und  Tod. 
Aber  Dein  Grabmal  ist  nicht  hier  blos,  sondern  des  Bakchos 
Bühne,  die  Thymele  ist's,  die  dem  Kothurne  gehorcht! 


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(294)  XV.  Buch,  20.  Cap.,  §  11.  —  21.  Cap.  —  22.  Cap.,  §  1—5. 

worden  waren,  mit  der  Bitte,  ihnen  zu  gestatten,  die  Gebeine 
des  Dichters  in  seine  heimische  Erde  nach  Athen  überführen 
zu  dürfen,  verharrten  die  Macedonier  einstimmig  auf  Ver- 
weigerung dieses  Verlangens. 

XV,  21,  L.  Dass  von  den  Dichtern  die  Sühne  des  Zens  als  höchst  weise 
und  menschenfreundlich  geschildert  werden,  die  Kinder  des  Neptun  hin- 
gegen als  ausserordentlich  wild  und  menschenfeindlich  (vergl.  Phornutus 

de  nat.  deor.). 

XV,  21.  Cap.  1.  Die  Dichter  erwähnen  die  Kinder  des 
Zeus  als  ausserordentlich  hervorragend  durch  ihre  Tugend, 
Weisheit  und  Tapferkeit,  wie  z.  B.  den  Aeacus,  den  Minos. 
den  Sarpedon;  die  Söhne  des  Neptun  aber  schilderten  sie 
stets,  als  aus  dem  Meere  erzeugt,  als  höchst  wild  und 
ungeschlachtet  und  allen  menschlichen  Regungen  abhold, 
wie  z.  B.  den  Cyklopen,  den  Cercyon,  den  Sciron  und  die 
Laestrygonen. 

XV,  22,  L.  Erzählung  von  dem  ausgezeichneten  Feldherrn  Scrtorius,  von 
seiner  Schlauigkeit  und  seinen  erfinderischen  Täuschungsraitteln ,  deren  er 
sich  bediente,  um  seine  rohen  und  wilden  Kriegshorden  im  Zaume  zu 

halten  und  für  sich  zu  gewinnen. 

XV,  22.  Cap.  1.  Sertorius,  ein  thatkräftig  strenger 
Mann  und  ausgezeichneter  Heerführer,  wusste  sehr  gut,  wie 
er  mit  seinen  Heeresmassen  umzugehen  und  sie  in  Unter- 
würfigkeit zu  erhalten  hatte.  2.  Dieser  erlaubte  sich  in 
höchst  bedenklichen  Lagen  gegen  seine  Soldaten  Lügen,  wenn 
ihm  die  Unwahrheit  von  Nutzen  schien,  zeigte  ihnen  erdichtete, 
untergeschobene  Briefe  als  wahre  vor,  brauchte  (oft)  einen 
Traum  zum  Vorwand,  nahm  seine  Zuflucht  zu  betrügerisch 
falschen  Eingebungen  und  Offenbarungen,  wenn  alle  der- 
gleichen Hülfsmittel  ihm  irgend  wie  zur  Stimmung  und  Ge- 
sinnung der  Soldaten  förderlich  schienen.  3.  Eine  List  (von 
ihm)  ist  besonders  bekannt  und  berühmt.  4.  Eine  weisse 
Hindin  (Hirschkuh)  von  aussergewöhnlicher  Schönheit  und 
behendester  Schnelligkeit  war  ihm  von  einem  Lusitanier  zum 
Geschenk  gemacht  worden.    5.  Nun  Hess  er  nicht  nach  (und 

XV,  22,  1.   Ueber  Sertorius  s.  Gell.  II,  27,  2  NB. 
XV,  22,  4.   Plut  Sertor.  p.  578  cap.  11;  Frontin.  Stratag.  I,  11,  18; 
Val.  Max.  I,  2,  4. 


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XV.  Buch,  22.  Cap.,  §  5-10. 


(295) 


verstand  es),  Allen  die  Ueberzeugung  beizubringen,  diese 
(Hindin)  sei  ihm  durch  göttliche  Fügung  verliehen  worden 
und  werde  auf  Geheiss  der  Diana  beseelt,  mit  ihm  zu  unter- 
handeln, ihm  Mahnungen  und  Winke  zu  ertheilen,  und  nütz- 
liche Anschläge  an  die  Hand  zu  geben,  und  wenn  er  irgend 
einmal  eine  scheinbar  ziemlich  harte  Verordnung  und  Zu- 
muthung  an  die  Soldaten  zu  stellen  gezwungen  war,  liess  er 
verbreiten,  dass  ihm  die  Mahnung  dazu  durch  die  Hindin 
ertheilt  worden  sei.  Nach  einer  solchen  Mittheilung  ge- 
horchten dann  sofort  Alle  willig,  gleichsam  wie  auf  einen 
Götterspruch.  6.  Diese  Hirschkuh  hatte  sich  nun  eines  Tages, 
als  ein  Ueberfall  von  Seiten  der  Feinde  gemeldet  wurde, 
durch  die  Hast  und  den  Wirrwarr  erschreckt,  eiligst  auf  die 
Flucht  gemacht  und  sich  im  nächsten  Sumpfe  verkrochen,  und 
als  sie  nachher  (vergebens)  wiedergesucht  worden  war,  hielt 
man  sie  für  verloren  und  glaubte,  dass  sie  umgekommen  sei. 
7.  Allein  nicht  viele  Tage  nachher  wird  dem  Sertorius  ge- 
meldet, dass  die  Hindin  sich  wieder  gefunden  habe.  8.  Hierauf 
befahl  er  dem  Ueberbringer  dieser  Nachricht  darüber  strenges 
Stillschweigen  zu  beobachten  und  untersagte  ihm  aufs  Strengste, 
auch  nicht  gegen  einen  Einzigen  etwas  verlauten  zu  lassen. 
Zugleich  aber  ertheilte  er  ihm  die  Weisung,  dass  er  sie  den 
folgenden  Tag  plötzlich  in  das  Gemach  hineinlassen  sollte,  wo 
er  selbst  sich  mit  seinen  Freunden  aufhalten  würde.  Als 
Tags  darauf  bei  ihm  seine  Freunde  (und  Adjutanten)  vor- 
gelassen worden  waren,  erzählte  er  ihnen,  dass  es  ihm  im 
Schlafe  vorgekommen  sei,  als  hätte  sich  die  verloren  geglaubte 
Hindin  wieder  eingefunden,  um  ihm,  wie  es  früher  immer  der 
Fall  gewesen  war,  Rath  zu  ertheilen,  was  geschehen  müsse. 

9.  Darauf  gab  er  dem  Sklaven  das  verabredete  Zeichen.  Die 
Hindin  wurde  freigelassen  und  sprang  sofort  in  das  Zimmer 
des  Sertorius.  Ein  Freudenruf  erhob  sich  und  es  herrschte 
(allgemeines)  Erstaunen.  Und  eine  solche  Leichtgläubigkeit 
unter  diesen  ungebildeten  Leuten  war  dem  Sertorius  bei 
wichtigen  Angelegenheiten  von  ausserordentlichem  Nutzen. 

10.  Man  hat  daher  auch  dem  Andenken  überliefert,  dass  von 
den  vielen  Völkerschaften,  welche  mit  dem  Sertorius  in  Ver- 
bindung standen,  als  er  bereits  in  vielen  Schlachten  besiegt 
worden  war,  dennoch  nicht  ein  Einziger  von  ihm  abfiel,  ob- 


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(296)        XV.  Buch,  22.  Cap.,  §  10.  —  28.  Cap.  -  24.  Cap. 

gleich  ein  derartiger  (roher)  Menschenschlag  (sonst  stets) 
höchst  veränderlich  zu  sein  pflegt. 

XV,  23,  L.  Ueber  die  Lebensjahre  (und  das  Zeitalter)  der  (drei)  aus- 
gezeichnetsten   (griechischen)    Geschichtsschreiber ,    des    Hellanicus,  des 

Herodotos  und  des  Thucydides. 

XV,  23.  Cap.  1.  Die  (drei  ausgezeichnetsten)  Geschichts- 
schreiber (der  Griechen),  Hellanicus,  Herodot  und  Thucydides 
blühten  fast  zu  derselben  Zeit  unter  ausserordentlichem  Ruhm 
und  waren  (auch)  ihren  Altersjahren  nach  nicht  sehr  aus- 
einander. 2.  Denn  Hellanicus  scheint  zu  Anfang  des  pelo- 
ponnesischen  Krieges  63  Jahre  alt  gewesen  zu  sein ;  Herodot 
53  (und  endlich)  Thucydides  40  Jahre.  So  steht  es  im  21. 
Buche  der  Pamphila  geschrieben. 

XV,  24,  L.    Welches  Urtheil  Vulcatius  Sedigitus  in  dem  Buche,  welches 
er  (im  Allgemeinen)  über  die  Dichter  geschrieben,  (im  Besonderen)  über 
die  lateinischen  Lustspieldichter  gefällt  hat. 

XV,  24.  Cap.  1.  Sedigitus  sagt  (ganz  unverhohlen)  in 
dem  Buche,  welches  er  über  die  Dichter  schrieb,  wie  er  über 
die  urtheilt,  die  Verfasser  von  (lateinischen)  Lustspielen  waren 
und  welchen  er  (dem  Werthe  nach)  unter  ihnen  von  allen 
Uebrigen  für  vorzüglicher  hält,  ferner  welchen  Ehrenplatz  er 
jedem  Einzelnen  anweist,  und  giebt  uns  in  folgendem  Wort- 
laut (seines  poetischen  Kanons)  dies  deutlich  zu  verstehen: 

Sehr  viele  seh'  ich  schwanken  über  diesen  Punkt, 

Wem  man  im  Lustspiel  reichen  soll  den  Ehrenpreis. 

Den  Knoten,  werd'  ich  nicht  getäuschet,  lös'  ich  Dir, 

So  dass,  wer  anders  meinen  will,  nichts  meinen  soll. 
5  Die  Palme  geb'  ich  dem  Caecilius  Statius; 

Der  zweitf  ist  Plautus,  der  all'  Andre  übertrifft; 

Der  dritte  Preis  dem  Naevius  für  seine  Glut 

Giebt's  einen  vierten,  ihn  empfängt  Licinius; 

Nach  diesem  lass'  ich  folgen  den  Attilius; 
10  Am  sechsten  Platze  folget  dann  Terentius; 

Turpilius  hat  den  siebenten,  den  achten  Trabea; 

Als  Neunten  setz'  ich  unbedenklich  Luscius; 

Als  zehnten  nenn'  ich  Alters  halber  Ennius. 

XV,  24,  1.  Ueber  diese  wunderliche  Aufstellung  s.  Teuffels  röm.  Lit. 
Gesch.  §  15,  4  und  §  134,  3.  S.  Ladewig  über  den  Canon  des  Volcatius 
8edigitus  Neustr.  1843. 

XV,  24,  1  v.  7.  Wer  Acht  hat  (qui  servet),  reicht  den  dritten  Preis 
dem  Naevius. 


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XV.  Buch,  25.  Cap.,  §  1.  2.  —  26.  Cap.,  §  1.  2.  (297) 


XV,  25,  L.  lieber  einige  neue  (ungewöhnliche)  Wörter,  welche  uns  in  den 
mimischen  Gedichten  des  Gnaeus  Matius  aufstiessen. 

XV,  25.  Cap.  1.  Gnaeus  Matius,  ein  kenntnissreieher 
Mann,  hat  in  seinen  mimischen  Dichtungen  gar  nicht  miss- 
klingend das  Wort  „recentari  (sich  erneuern,  sich  verjüngen)" 
gebildet,  wofür  die  Griechen  sagen:  „avaveovftai  (avaveoio&cu), 
d.  h.  es  erzeugt  sich  wieder,  es  entsteht  wieder  neu."  Die 
Verse,  in  denen  sich  das  Wort  vorfindet,  lauten  also: 

Iam  jam  albicascit  Phoebus  et  recentatur 
Commune  lumen  hominibus  voluptatis,  cL  h. 

Schon  naht  der  Lichtgott  hell  und  ist  wie  neu  verjüngt 
Das  allgemeine  Licht  zur  Lust  der  ganzen  Welt. 

2.  Derselbe  Matius  gebraucht  in  denselben  mimischen  Dich- 
tungen das  Wort  „edulcare  (süsser  machen)  versüssen"  in 
folgenden  Versen: 

Quapropter  edulcare  convenit  vitam 
Curasque  acerbas  sensibus  gubernare,  d.  h. 

Drum  rathsam  ist's,  das  Leben  zu  versüssen  sich, 
Und  abzuwehren  herbe  Sorgen  durch  Vernunft  (d.  h.  durch  eigne 
vernünftige  Grundsätze  oder  durch  Zerstreuung). 

XV,  26,  L.    Wie  Aristoteles  den  Syllogismus  wörtlich  erklärt  hat,  und 
Wiedergabe  dieser  Frklärung  durch  lateinische  Uebersetzung. 

XV,  26.  Cap.  1.  Aristoteles  hat  in  folgenden  Zeilen  eine 
Erklärung  von  dem  Syllogismus  (Vernunftschluss)  gegeben : 
Ein  Syllogismus  (Vernunftschluss)  ist  ein  ausgesprochener 
Satz,  in  dem  nach  gewissen  (gegebenen)  Voraussetzungen  noch 
etwas  Anderes  als  diese  Voraussetzungen,  mit  Notwendigkeit 
als  Folge  dieser  Voraussetzungen  sich  ergiebt.  2.  Es  wird 
nicht  unpassend  erscheinen,  hier  eine  verfertigte,  gleichlautende 
(lateinische)  Uebersetzung  dieser  Erklärung  folgen  zu  lassen: 


XV,  25,  1.   recentare  s.  Nonius  II,  167,  16. 
XV,  25,  2.   Nonius  v.  edulcare  II,  106,  25. 

XV,  26,  1.  Syllogismus,  wo  aus  der  Annahme  des  Vorhergehenden 
auch  die  des  Darangeknüpften  folgt.    VergL  Gell.  II,  8,  LNB;  Plin.  ep. 

8,  3;  Quintil.  III,  6,  15;  V,  10,  6;  V,  14,  14  und  24;  VII,  8  init.; 
Aristot.  Topic  I,  1,  3;  Cic  ad  Herenn.  IV,  16. 


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(298)  XV.  Buch,  26.  Cap.,  §  2.  —  27.  Cap.,  §  1.  2. 


Ein  Schluss  ist  eine  Darstellung,  worin,  nach  gewissen  (vorher- 
gegangenen) Annahmen  und  Zugeständnissen,  noch  etwas 
Anderes  ausser  diesen  Zugeständnissen  als  nothwendig  sich 
ergebende  Folge  hergeleitet  wird. 

XV,  27,  L.    Was  man  versteht  unter  den  Ausdrücken  „comitia  calata" 
und  „curiata"  und  „centuriata"   und  „tributa41,  und   unter  „concüium" 
und  ausserdem  noch  einiges  Anderes  der  Art. 

XV,  27.  Cap.  1.  Im  ersten  Buche  des  Laelius  Felix*) 
an  den  Q.  Mucius  steht,  dass  Labeo  schreibt,  calata**)  seien 
diejenigen  Comitien***)  genannt  worden,  welche  auf  Verord- 
nung und  im  Namen  der  Priestergesammtheit  gehalten  werden, 
um  entweder  den  (Opfer-) König  oder  einen  Einzelpriester 
(Flamen,  z.  B.  des  Jupiters,  des  Mars,  des  Romulus  u.  s.  w.) 
feierlich  einzuweihen.  2.  Einige  andere  dieser  comitia  (Massen- 


XV,  27,  1.  *)  Laelius  Felix  vergl.  Geil.  XIII,  14,  7  und  Teuffels 
Gesch.  der  röm.  Lit  337,  7. 

XV,  27,  1.  **)  comitia  calata  (i.  e.  convocata,  von  dem  alten 
Worte  calare,  x«Am>,  rufen,  zusammenberufen)  hiessen  im  Anfang  über- 
haupt alle  Comitia,  weil  das  Volk  zu  den  curiatis  durch  einen  Lictor  und 
zu  den  centuriatis  durch  einen  Hornbläser  (Herold)  berufen  wurde. 
Nachher  aber  wurde  der  Ausdruck  nur  von  denen  gebraucht,  an  welchen 
Testamente  verfertigt,  oder  Priester  gewählt  wurden.  Da  dabei  nun  aber 
nur  17  Tribus  des  Volks  versammelt  (und  es  also  keine  eigentlichen 
Comitien)  waren,  so  nannte  man  sie  auch  concilia  (Zusammenkünfte 
des  Volkes),  welche  nur  von  den  Zunftmeistern  veranstaltet  wurden,  denen 
nicht  das  Recht  zustand,  das  gesammte  römische  Volk  (Universum  populum) 
zusammen  zu  berufen,  wie  es  in  den  Comitien  geschah.  —  Der  (Opfer-) 
König,  rex  sacrorum,  war  der  erste  und  vornehmste  unter  den  Opfer- 
priestern. —  Pro  conlegio  pontificum  vergl.  Liv.  II,  27;  XXXVIU,  36  j 
Paulus  p.  57,  20. 

XV,  27,  L  ***)  Lucius  Ampelius  in  seinem  Erinnerungsbuch 
(lib.  memorial.)  sagt  cap.  48:  Die  comitia  haben  ihren  Namen  von  dem 
Massengeleite  (a  comitatu  et  frequentia)  und  der  gemeinschaftlichen  Be- 
theiligung (der  Menge),  wenn  die  Väter  und  die  Volksabtheilungen  zur 
Wahl  der  Obrigkeiten  oder  Priester  zusammenberufen  werden.  Es  giebt 
dreierlei  Comitien,  nach  Curien,  Tribus  und  Centurien.  Curiata  heissen 
sie,  wenn  es  sich  um  den  Wechsel  der  Obrigkeiten  handelt  und  die  Wahl 
eine  gewöhnliche  ist,  so  dass  bloss  das  Volk  stimmt;  sind  sie  wichtigerer 
Art,  so  heissen  sie  tributa;  centuriata  aber  werden  sie  genannt,  wenn 
eine  grosse  Gefahr  vorhanden,  und  dann  werden  sogar  auch  die  Soldaten 
zur  Abstimmung  zugelassen.   Vergl.  NB  zu  §  5. 


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XV.  Buch,  27.  Cap.,  §  2—4.  (299) 

Versammlungen  und  Zusammenkünfte)  hiessen  curiata,  andere 
(wieder)  centuriata.  Die  curiata  werden  zusammenberufen 
(calari  in  der  Bedeutung  von  convocari)  durch  den  mit  diesem 
Auftrag  der  Curienberufung  betrauten  (öffentlichen  Diener 
einer  Obrigkeit,  den)  Lictor,  die  Centuriata  aber  durch  den 
Hornbläser  (per  cornicinem,  d.  h.  eine  Art  Herold).  3.  In  den 
sogenannten  Calat-Comitien  erfolgte  gewöhnlich  die  Vollziehung 
der  feierlichen  Lossagung  von  den  Familiensacris  (sacrorum 
detestatio),  oder  die  Verfertigung  (und  Bestätigung)  von  letzten 
Willensbestimmungen  (Testamenten).  Es  wurden  nämlich  drei 
Arten  von  Formen  bei  dem  Testamentsverfahren  angenommen. 
Das  erste  Verfahren  war,  wenn  solche  letzte  Willeusmei- 
nungen  in  den  Calat-Comitien  vor  der  Volksversammlung 
angenommen  wurden ;  ein  anderes  (Verfahren  der  Testamente- 
Abfassung)  geschah  in  der  Rüstung  (in  procinctu*),  d.  h. 
in  dem  Augenblick,  wo  man  einem  gefährlichen  Treffen  ent- 
gegenging) beim  Schlachtaufruf  der  Helden  zum  Kampfesstrauss ; 
die  dritte  Art  ein  Testament  zu  machen,  bestand  in  der 
Uebernahme  des  ( Erb-)  Vermögens  (per  familiae  mancipa- 
tionem)  unter  Beobachtung  der  herkömmlich  gesetzlichen 
Form  zur  Erwerbung  durch  Scheinverkauf,  wobei  das  Zu- 
wiegen  des  Kaufpreises  zur  Anwendung  kam  (aes  et  libra**) 
adhiberetur).  4.  In  demselben  Buche  des  Laelius  Felix  steht 
auch  noch  Folgendes  geschrieben:  „So  wie  Jemand  nicht  das 
gesammte  Volk,  sondern  nur  einen  Theil  desselben  zusammen- 
berufen lässt,  so  darf  man  dies  nicht  mit  dem  Ausdruck 
„(Volkszusammenkünfte)  comitia"  belegen,  sondern  muss  dann 


XV,  27,  3.  *)  Vergl.  Gell.  1, 11,  3  NB.  Procincta  classis  begreift  das 
römische  Volk  der  Centuriat-Comitien  in  sich.  S.  Cic.  nat.  D.  II,  3;  de 
Orat.  I,  53,  228;  JuL  Caes.  B.  G.  I,  39,  4. 

XV,  27,  3.  **)  aes  et  libra.  Da  man  früher  kein  Silbergeld  hatte, 
sondern  nur  Kupfermünze,  so  wurde  diese  zugewogen.  Als  man  später 
bereits  geprägte  Erzstücke  hatte,  und  kein  Zuwägen  mehr  nöthig  war, 
wurde  trotzdem  der  Formalität  wegen  die  Waage  bei  Geldzahlungen  noch 
gebraucht.  Derjenige,  welcher  die  Waage  hielt,  hiess  libripens.  Diese 
Formalität  wurde  beobachtet  bei  herkömmlich  gesetzlichen  Erwerbungen 
durch  Kauf,  Schenkung,  Testament.  S.  Gaj.  Instit.  I,  §  113  und  119; 
Ulp.  fr.  19,  3  und  20,  7;  vergl.  Plin.  33,  3  (13),  43;  Priscian.  VI,  18,  96 
p.  287  Vol.  I  .Krehl;  Gell.  XV,  13,  11.  Näheres  in  Pauly's  Realencyklop. 
Bd.  I  S.  69.  Vergl.  Gell.  V,  19  bei  der  Adoption  gebräuchlich. 


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(300) 


XV.  Buch,  27.  Cap.,  §  4.  5. 


sagen:  „concilium"  (d.  h.  Berufung  zur  Anhörung  eines 
Vortrags,  nicht  zur  Abstimmung).  Die  Volkszunftmeister 
aber  können  weder  die  Patricier  berufen,  noch  über  irgend 
eine  Angelegenheit  bei  ihnen  eine  Anfrage  stellen.  Daher 
solche  Gemeindebeliebungen  auch  eigentlich  nicht  Gesetze 
(leges)  genannt  werden,  sondern  eben  deshalb  plebisscita,  die 
•  nur  auf  (speciellen)  Antrag  der  Volkszunftmeister  gemacht 
und  angenommen  wurden,  und  es  waren  früher  die  Patricier 
an  diese  Verordnungen  so  lange  nicht  gebunden,  bis  endlich 
der  Dictator  Q.  Hortensius  (im  J.  413  d.  St.)  das  Gesetz  auf- 
brachte, Kraft  dessen  alle  römischen  Bürger  (Quirites)  auch 
an  die  Einrichtungen  und  Verordnungen  gebunden  sein  sollten, 
welche  nur  die  Gemeine  beschlossen*)  hatte."  5.  In 
ebendemselben  Buche  steht  auch  Folgendes:   „Wenn  man 

XV,  27,  4.   Concilium  vergl.  Liv.  39,  15. 

XV,  27,  4.  *)  Eine  ähnliche  Verordnung  war  schon  früher  von  den 
Consuln  L.  Valerius  und  M.  Horatius  gemacht  worden,  wie  Liv.  III,  55 
(vergl.  Vm,  12)  meldet  Vergl.  Lange  röm.  Alterth.  §  99  p.  (93)  100  über 
die  Notwendigkeit  einer  definitiven  Feststellung  von  der  unbedingten 
Gesetzlichkeit  der  Plebiscite,  hervorgerufen  durch  den  Widerstand  der 
Patricier.  S.  Dig.  1,  2,  2,  8;  Gaj.  1,  3;  Theoph.  1,  2,  5;  Diod.  21,  33.  — 
Die  Patricier  konnten  in  rechtlicher  Form  nicht  von  den  Tribunen  be- 
rufen werden,  die  nur  das  jus  cum  plebe  agendi,  nicht  das  jus  cum 
populo  agendi  hatten.  Gaj.  1,  3;  Inst.  1,  2,  4;  Theoph.  I,  2,  4;  cfr. 
Gell.  X,  20,  5 NB.  —  Lange  röm.  Alterth.  §  119  S.  (392)  422  sagt:  für 
den  Begriff  der  concilia  im  Gegensatz  zu  den  Comitia  ist  das  Haupt- 
merkmal der  Mangel  der  Leitung  durch  die  Magistratur,  welches  Merkmal 
Laelius  Felix  in  seiner  Definition  ganz  übersehen  hat.  Concilia  plebis 
hiessen  die  Volksversammlungen,  wenn  sie  von  den  Tribunen  geleitet 
wurden,  die  anfangs  durchaus  nicht  als  magistratus  populi  Romani  gelten 
und  selbst  nachher  noch,  als  sie  es  thatsächlich  geworden  und  die  Patricier 
an  den  Versammlungen  der  Plebs  theiinehmen  Hessen,  doch  die  staats- 
rechtliche Stellung  gegenüber  dem  populus  gleich  den  Magistraten  cum 
imperio  entbehrten  und  also  die  Patricier  als  solche  nicht  berufen  durften. 
S.  Lange  röm.  Alterth.  §  119  S  (393)  423.  Die  Definition  von  plebiscita 
hier  bei  Gellius  (und  bei  Gajus  1,  3)  ist  ungenau.  Der  technische  Aus- 
druck für  die  (Bestimmungen  der)  Plebs  ist  sciscere  (d.  h.  durch  Votum 
genehmigen  und  verordnen),  während  jubere  im  strengen  Sprachgebrauch 
nur  vom  populus  gesagt  wird.  S.  Cic.  Flacc.  7,  15;  Balb.  18,  42.  Daher 
die  Definition  bei  Festus  293:  scita  plebei  appellantur,  quae  plebs  suo 
suflragio  sine  patribus  jussit,  plebejo  magistratu  rogante;  vergl.  Fest.  330. 
230.  233;  Instit.  1,  2,  4;  Theoph.  1,  2,  4.  S.  Lange  röm.  Alterth.  §  129 
S.  (525)  571. 


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XV.  Buch,  27.  Cap.,  §  5. 


die  Abstimmung  vornimmt  nach  dem  ganzen  Geschlechts- 
complex  (der  30  Curien,  ex  generibus  hominum,  d.  h.  s.  v. 
als  nach  gentes  oder  Gemeinschaften),  so  werden  diese  Ver- 
sammlungen (des  römischen  Volkes)  Comitien  nach  Curien 
(comitia  curiata)  genannt;  wenn  die  Abstimmung  nach  der 


XV,  27,  5.  Ex  generibus.  Genus  =  gens.  S.  Lange  röm.  Alterth. 
§  45  p.  (216)  249. 

XV,  27,  5.  Comitien  Messen  bei  den  Römern  die  Bürgerversamm- 
lungen, vorin  das  Volk,  früher  unter  Vorsitz  des  Königs  und  nach  Ver- 
treibung der  Könige  unter  Leitung  eines  Consuls,  oder  eines  andern  dazu 
berechtigten  Magistraten  über  Annahme  oder  Ablehnung  eines  fragweise 
gestellten  Vortrags  (rogatio)  abstimmte  und  durch  Stimmenmehrheit  zur 
Entscheidung  brachte.  Nach  den  verschiedenen  Abtheilungen  des  römi- 
schen Volkes  in  Curien,  Centurien  und  Tribus  unterschied  man  comitia 
curiata,  c.  centuriata  und  c.  tributa;  je  nach  den  obrigkeitlichen  Personen, 
welche  gewählt  werden  sollten,  gab  es:  comitia  consularia,  praetoria, 
aedilitia,  censoria,  pontificia,  proconsularia,  propraetoria  und  tribunitia. 
Das  Volk  musste  17  Tage  zuvor  (per  trinundinum,  d.  h.  drei  Nundinas 
über)  durch  einen  öffentlichen  Anschlag  (Edict)  davon  unterrichtet  sein. 
Die  ältesten  dieser  Versammlungen  waren  die  comitia  curiata,  so 
genannt  von  den  30  Curien,  von  je  drei  Geschlechtern,  der  ursprünglich 
allein  berechtigten  Altbürger  (Patricier),  welche  unter  den  Königen  bis 
Servius  Tullius  die  einzigen  Bürger , waren.  Jede  der  drei  patricischen 
Urtribus  (Ramnes,  Tities  und  Luceres)  zerfiel  also  in  zehn  Curien  oder 
Abtheilungen.  Die  Versammlung  fand  statt  auf  dem  zwischen  dem  Forum 
und  der  Curia  gelegenen  Platze,  der  Comitium  hiess,  dem  Sitzungsiocale 
des  vorher  erst  nach  günstigen  Anzeichen  (Augurien)  die  Genehmigung 
ertheilenden  Senats.  Dionys.  Halic.  II,  6.  Sie  beschäftigte  sich  mit  der 
Wahl  der  höchsten  Würdenträger,  üebertragung  der  Executivgewalt,  lex 
de  imperio,  Priesterinstallation,  Entscheidung  über  Krieg  und  Frieden, 
Criminalgerichtsbarkeit,  Adoption  (s.  Gell.  V,  19,  1  NB),  Arrogation  (s. 
Gell.  V,  19,  8  NB)  und  Testamenten  (s.  Gell.  XV,  27,  3  NB).  Um  die 
verschiedenen  Racen  zu  verschmelzen,  theilte  die  Politik  der  Könige  das 
gemeine  Volk  in  Corporationen  (Plut  Num.  17;  Plin.  h.  n.  34,  1),  ver- 
mehrte die  Zahl  der  Tribus  und  veränderte  dadurch  ihre  Verfassung. 
Servius  Tullius  richtete  sich  nicht,  wie  ehedem,  nach  der  alten  Eintheilung 
der  durch  den  Ursprung  unterschiedenen  Tribus,  sondern  nach  der  der 
vier  neuen,  nach  den  Stadtvierteln  bestimmten  Tribus.  S.  Dionys.  4,  14. 
Um  nämlich  die  Schranken  niederzureissen ,  welche  die  verschiedenen 
Klassen  trennten,  erfolgte  durch  Servius  Tullius  eine  Anerkennung  der 
Plebes,  d.  h.  man  Hess  zur  grossen  Unzufriedenheit  der  vornehmeren 
Klassen  Plebejer  und  Patricier  eintreten  und  erhob  Freigelassene  zum 
Range  von  Bürgern.  Nun  wurden  die  Staatsangelegenheiten  durch  comi- 
tia centuriata   entschieden,  in  weichen  das  Volk  nach  Centurien 


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(302)  XV.  Buch,  27.  Cap.,  §  5. 

Vermögensabschätzung  (census)  und  nach  dem  Alter  geschah, 
hiessen  sie  Comitien  nach  Centurien  (comitia  centuriata) ;  und 
wenn  endlich  nur  (nach  der  Bodenabtheilung,  regionibus,  also) 
nach  den  verschiedenen  Bezirken  und  Gegenden  abgestimmt 
wurde,  hiessen  sie  Comitien  nach  Tribus  (comitia  tributa,  in 


stimmte.  Diese  Versammlungen  auf  dem  Marsfelde  ausserhalb  des  pomoe- 
rium  (städtischen  Friedensbezirks  s.  Gell.  XIII,  14)  hatten  eine  militärische 
Gliederung  der  römischen  Bürgerschaft  zum  Zwecke.  Sämmtliche  Bürger 
vom  16.  —  60.  Jahre  stimmten  hier  unter  Vorsitz  der  Consuln  innerhalb  der 
Vennögensklassen  und  Centurie.  Diese  Einführung  des  Census  und  der 
Comitien  nach  Centurien  war  vom  Servius  Tullius  ein  Meisterstück  von 
Staatsklugheit,  und  wurden  dadurch  die  bisher  unvermeidlichen  Miss- 
bräuche, Ungleichheiten,  Mängel  und  Gebrechen  in  der  Staatsverfassung 
verbessert  und  abgestellt,  dass  dadurch  den  ärmeren  Bürgern  Erleichterung 
verschafft  wurde.  Die  Personensteuern  erhob  man  nun  nicht  mehr  gleich 
stark  und  die  Werbungen  und  Kriegsbeiträge  geschahen  nach  Centurien. 
Die  Centuriae  populi  waren  die  193  Centurien  oder  Abtheilungen,  in 
welche  Servius  Tullius  die  6  Klassen  des  römischen  Volkes  (576  v.  Chr. 
177  u.  C.)  theilte. 

Die  erste  Klasse,  mit  Vermögen  von  100,000  Asses,  umfasste 
98  Centurien,  die  übrigen  Klassen  umfassten  insgesammt  nur  95  Centurien. 
Die  zu  der  ersten  Klasse  gehörigen  römischen  Bürger,  als  die  reichsten, 
vornehmsten  und  angesehensten  unter  den  Patriciern  und  Rittern  (cfr. 
Gell.  XIX,  8,  15)  hiessen:  classici  (sc  cives  Gell.  VI  [VII],  13,  1). 

Die  zweite  Klasse,  mit  75,000  Asses  Vermögen,  umfasste  22  Cen- 
turien, wovon  zwei  Centurien  Waffenschmiede,  Zimmerleute,  Ingenieure 
und  andere  Werkleute  waren. 

Die  dritte  Klasse,  mit  50,000  Asses,  ebenfalls  20  Centurien. 

Die  vierte  Klasse,  mit  25,000  Asses,  22  Centurien,  wovon  zwei 
Centurien  aus  Musikern  und  Spielleuten  bestanden. 

Die  fünfte  Klasse,  mit  12,000  Asses,  30  Centurien.  Diese  fünf 
Klassen  hiessen  zusammen  assidui  (ansässig,  wohlhabende,  steuerpflichtige, 
vergl.  Gell.  XVI,  10,  8 NB)  oder  locupletes  (die  Wohlhabenden,  \ergl. 
Gell.  X,  5,  2  NB),  im  Gegensatz  zur 

sechsten  Klasse,  welche  bekanntlich  nicht  gezählt  wurde,  da  sie 
die  s.  g.  proletarios  und  capite  censos,  mit  nur  einer  Comitie  enthielt» 
bei  denen  man  nur  auf  ihre  Kopfzahl  und  dass  sie  da  waren,  sehen 
konnte.  —  Am  Tage  der  Comitien  selbst  bezog  der  dabei  Vorsitzende 
Magistrat,  nebst  einem  Augur,  ein  Zelt  vor  der  Stadt,  um  die  Auspicien 
zu  beobachten.  Waren  die  Auspicien  günstig,  daun  wurden  die  Comitien 
gehalten,  ausserdem  mussten  sie  auf  einen  andern  Tag  verschoben  werden 
(Gell.  XIII,  14).  Vor  Aufgang  und  nach  Untergang  der  Sonne  ward  in 
denselben  nichts  mehr  vorgenommen.  Wenn  also  abgestimmt  werden 
sollte,  so  fand  sich  jeder  Bürger  bei  seiner  Centurie  ein,  und  das  Loos 


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XV.  Buch,  27.  Cap.,  §  5.  —  28.  Cap.,  §  1. 


(303) 


denen  das  Volk  tribusweise,  ohne  Unterschied  des  Ranges 
und  Vermögens  stimmte).  Die  Centuriat  -  Comitien  durften 
nicht  innerhalb  des  Stadtbezirkes  (pomoerium,  vergl.  Gell. 
XHI,  14)  abgehalten  werden,  weil  das  (waffenfähige)  Volk 
(exercitus)  nur  ausserhalb  der  Stadt  berufen  werden  durfte, 
die  Berufung  innerhalb  der  Stadt  aber  nicht  erlaubt  war. 
Deshalb  pflegten  die  Centuriat  -  Comitien  auf  dem  Marsfelde 
abgehalten  und  das  (waffenfähige)  Volk  zur  Besetzung  des 
Wahlplatzes  aufgefordert  zu  werden,  des  Schutzes  und  der 
Sicherheit  halber  (und  wegen  Aufrechterhaltung  der  Ruhe 
und  Ordnung),  so  lange  das  Volk  beim  Stimmabgeben  be- 
schäftigt war. 

XV,  28,  L.  Dass  sich  Cornelius  Nepos  irrte,  da  er  schrieb,  dass  Cicero 
(erst)  23  Jahre  alt  gewesen,  als  er  die  Verteidigung  für  den  Sextus 

Roscius  führte. 

XV,  28.  Cap.  1.  Cornelius  Nepos,  (bekannt)  theils  als 
ein  gewissenhafter  Sammler  von  geschichtlich  denkwürdigen 
Notizen,  theils  als  ein,  mehr  wie  irgend  wer,  vertrauter 


entschied,  welche  Centurie  zuerst  votiren  sollte:  und  diese  hiess  dann: 
centuria  praerogativa.  Liv.  10, 13;  26,  22.  Endlich  die  comitia  tributa, 
erhielten  ihren  Namen  von  der  Gliederung  durch  geographische  Abtheilung 
des  römischen  Gebietes,  d.  h.  von  den  localen  Tribus,  in  welche  Servius 
Tullius  Stadt  und  Land  getheilt  hatte.  Alle  in  den  Tribus  eingeschrie- 
benen Burger  waren  berechtigt,  diese  Comitien  zu  besuchen,  also  Patricier 
und  Plebejer,  je  nachdem  sie  zu  der  betreffenden  Tribus  gehörten,  während 
sie  bei  den  Centuriatcomitien  nach  dem  Census  (Vermögensabschätzung 
klassificirt  und)  geordnet  waren.  Die  Patricier  besuchten  die  Tribut- 
comitien  selten,  weil  sie  hier  keinen  Einfluss  hatten.  Die  legislative  Be- 
fugniss,  anfangs  auf  locale  Gemeindeinteressen  beschränkt,  wurde  später 
durch  die  lex  Valeria  (449  v.  Chr.),  lex  Publilia  (339  v.  Chr.)  und  lex 
Hortensia  (286  v.  Chr.)  auch  auf  wichtige  Angelegenheiten  ausgedehnt. 

XV,  27,  5.  Lange  röm.  Alterth.  §  59  p.  (343)  403:  „wenn  die  comitia 
centuriata  als  exercitus  romanus  (Varro  1.  1.  5,  88)  oder  einfach  (wie  hier 
§  5)  als  exercitus  (vergl.  Liv.  39.  15;  Paul,  unter  justi  p.  103;  Macrob. 
I,  16,  15;  Serv.  ad  Aen.  8,  1)  bezeichnet  werden,  so  folgt  hieraus,  dass 
die  Heeresordnung  ursprünglich  für  die  Form  der  Comitien  massgebend 
war." 

XV,  28,  1.  Cornelius  Nepos  aus  Oberitalien,  befreundet  mit  Atticus, 
Cicero  und  seinem  jüngeren  Landsmann  Catullus.  S.  Teuffels  röm.  Lit. 
Gesch.  195,  8. 


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XV.  Buch,  28.  Cap.,  §2  —  4. 


Freund  des  M.  Cicero.  2.  Dieser  hat  sich  trotzdem  im  ersten 
Buche  seiner  Schriften,  welche  er  über  das  Leben  desselben 
schrieb,  offenbar  einen  Irrthum  zu  Schulden  kommen  lassen, 
wenn  er  angiebt,  dass  Cicero  im  Alter  von  23  Jahren  seinen 
ersten  Prozess  vor  dem  öffentlichen  Gericht  geführt,  und  die 
Verteidigung  von  dem  des  Vatermordes  angeklagten  Sextus 
Roscius  übernommen  habe.  3.  Denn  wenn  man  freilich  die 
Jahre  zusammenzählt,  vom  Amtsantritt  des  Q.  (Servilius) 
Caepio  und  des  Q.  (Attilius)  Serrano,  unter  deren  Consulate 
M.  Cicero  am  3.  des  Monats  Januar  das  Licht  der  Welt 
erblickte,  an  gerechnet  bis  zum  Consulate  des  M.  Tullius  und 
Cn.  (Cornelius)  Dolabella,  unter  denen  er  seinen  Privatprozess 
für  den  Quintius  vor  dem  Richter  Aquilius  Gallus  führte, 
so  ergeben  sich  (allerdings)  26  Jahre.  Es  ist  aber  ausser 
allem  Zweifel,  dass  er,  ein  Jahr  nach  der  für  den  Quintius 
geführten  Verteidigung  (im  J.  673  d.  St.  oder  81  v.  Chr.,  in 
seinem  26.  Lebensalter)  den  des  Vatermordes  angeklagten 
Sextus  Roscius  (im  J.  674  d.  St.)  unter  dem  Consulate  des 
Luc.  (Cornelius)  Sulla  Felix  (d.  Glücklichen)  und  des  Q. 
(Caecilius)  Metellus  Pius*)  (d.  Pflichtgetreuen)  ver- 
teidigte und  also  schon  27  Jahre  alt  war.  4.  Pedianus 
Asconius  bemerkt,  dass  in  dieser  Beziehung  sich  auch 
Fenestella  geirrt  habe,  weil  sich  bei  ihm  die  Angabe  ge- 


XV,  28,  2.  lieber  Cicero's  Lebensbeschreibung  vom  Cornel.  s.  Teuffels 
röm.  Lit.  Gesch.  195,  4,  5. 

XV,  28,  3.  Gajus  Aquilius  Gallus,  Schüler  des  Oberpriesters 
Q.  Mutius  Scaevola,  Cicero's  College  in  der  Quaestur  und  sein  Freund, 
zeichnete  sich  als  Rechtskenner  und  Redner  aus.  S.  Cic.  P.  Quintius  1 ; 
Aul.  Caecin.  27;  Brut.  42;  de  offic.  III,  14;  vergl.  Val.  Max.  VIII,  2,  2; 
Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  151  und  171,  1. 

XV,  28,  3.  *)  Q.  Metellus  Pius,  weil  er  mit  Bitten  kindlicher 
Liebe  die  Rückkehr  seines  Vaters  betrieb,  war  der  Sohn  des  Q.  Caecilius 
Metellus  Numidicus  s.  Gell.  I,  6,  1  NB;  App.  b.  c.  1,  33;  Diod.  36,  9; 
Aurel.  Vict.  63;  Vellej.  2,  15;  Dio  C.  Fr.  95  B.;  Cic.  de  or.  II,  40,  167. 

XV,  28,  4.  Q.  Asconius  Pedianus,  der  berühmte  Ausleger  des 
Cicero,  war  zu  Patavium  geboren,  schrieb  unter  Claudius  und  Nero  und 
soll  88  n.  Chr.  gestorben  sein.  Seine  Schriften  sind  verloren  gegangen. 
S.  Teuffels  röm.  Lit  Gesch.  290,  2. 

XV,  28,  4.  Lucius  Fenestella,  lebte  unter  Augustus  und  Tiberius, 
schrieb  Annalen,  die  den  Zeitraum  von  der  Königszeit  an  bis  zum  Unter- 


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XV.  Buch,  28.  Cap.,  §4—7.-29.  Cap.,  §  1.  2.  (305) 


schrieben  findet,  dass  Cicero  im  26.  Jahre  seines  Alters  für 
das  Interesse  des  Sextus  Roscius  gesprochen  habe.  5.  Grösser 
aber  ist  der  Irrthum  des  Nepos,  als  der  des  Fenestella,  wenn 
man  sich  nicht  (etwa  die  Möglichkeit)  zu  Gemüthe  führen 
will,  dass  Nepos,  (nur)  bewogen  durch  den  Eifer  der  Liebe 
und  Freundschaft  (für  Cicero),  und  um  seine  Bewunderung 
(für  denselben)  in  ein  noch  helleres  Licht  zu  stellen,  (ab- 
sichtlich) 4  Jahre  weniger  angegeben  habe,  um  glauben  zu 
machen,  dass  (sein  Freund)  Cicero  diese  blühendste  Rede  für 
den  Roscius  als  ganz  junger  Mensch  gehalten  habe.  6.  Dieser 
Umstand  ist  sogar  von  den  Verehrern  beider  (grossen)  Red- 
ner ins  Auge  gefasst  und  niedergeschrieben  worden,  dass 
Demosthenes,  wie  Cicero  in  gleichem  (Jugend-)Alter  die 
berühmtesten  Reden  in  Rechtssachen  gehalten  haben,  (De- 
mosthenes) der  Eine  in  seinem  27.  Jahre  gegen  Androtion 
und  Timocrates,  und  der  Andere  (Cicero)  sogar  noch  um  ein 
Jahr  jünger  (in  einem  Alter  von  erst  26  Jahren)  die  für  den 
P.  Quintius  und  in  seinem  27.  Jahre  die  für  den  Sextus 
Roscius.  7.  Auch  in  der  Zahl  der  Jahre,  die  Beide  erlebten, 
ist  kein  allzugrosser  Unterschied,  denn  der  Eine  (Cicero) 
wurde  63  Jahre  und  Demosthenes  60  Jahre  alt. 

XV,  29,  L.    Welcher  ungebräuchlich  neuen  Wortfügung  sich  der  Geschichts- 
schreiber L.  Piso  bedient  hat. 

XV,  29.  Cap.  1.  Wenn  man  sagen  will:  ich  heisse  Julius, 
so  giebt  es  folgende  zwei  hinlänglich  bekannte  und  gebräuch- 
liche Redewendungen,  man  sagt  entweder:  mihi  nomen  est 
Julio,  oder  mihi  nomen  est  Julii.    2.  Eine  dritte,  wirklich 


gang  der  Republik  umfassten  und  von  römischen  Schriftstellern  oft  genannt 
werden  (Plin.  H.  N.  33,  6).  Er  starb  hochbejahrt,  21  n.  Chr.  s.  Sen.  ep. 
10,  8,  31.  Die  unter  seinem  Namen  herausgegebene  Schrift  über  die 
Priester-  und  Staats  -  Aemter  der  Römer  (de  sacerdotiis  et  magistratibus 
Romanorum)  ist  ein  späteres  Machwerk  des  15.  Jahrh.  (Ph.  II.  Külb.). 
S.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  254,  3. 

XV,  29,  L.   üeber  L.  Calpurnius  Piso  s.  Gell.  VII  (VI),  9,  1  NB. 

XV,  29,  1.  In  der  Construction :  mihi  nomen  est  u.  s.  w.  richtet  sich 
der  Name  selbst  nach  dem  Dativ,  in  welchem  die  zu  benennende  Person 
oder  Sache  steht  und  wird  nicht  als  nähere  Bestimmung  von  „nomen" 

Gellius,  Attische  Nächte.  II.  20 


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(306)  XV.  Buch,  29.  Cap.,  §  2.  —  30.  Cap.,  §  L  2. 

ganz  neue  Wendung  habe  ich  bei  Piso  im  2.  Buche  seiner 
Jahrbücher  gefunden.  Die  betreffende  Stelle  bei  Piso  lautet: 
„Sein  College  L.  Tarquinius  sei  in  Sorge,  weil  er  den  Namen 
Tarquinius  führe  (Tarquinio  nomine  esset)  und  er  bitte  ihn, 
dass  er  sich  aus  freiem  Antrieb  sofort  nach  Rom  begeben 
möge."  Er  sagt:  quia  Tarquinio  nomine  esset,  das  ist 
gerade  so,  als  ob  ich  sage :  mihi  nomen  est  Julium  (ich  heisse 
Julius  oder  ich  führe  den  julischen  Namen). 

XV,  30,  L.  Der  Ausdruck:  petorrituni,  als  Bezeichnung  für  eine  (gewisse) 
Wagengattung,  welcher  Sprache  er  angehört,  ob  der  griechischen  oder  der 

gallischen. 

XV,  30.  Cap.  1.  Alle  die  durch  einen  anderen  Lebens- 
beruf (gleichsam  bereits)  abgenutzt  und  vertrocknet,  sich  erst 
später*)  auf  das  Studium  der  Wissenschaften  legen,  wenn 
sie  noch  dazu  von  Haus  aus  schwatzhaft  und  naseweis  sind, 
werden  gar  sehr  leicht  im  Prahlen  mit  ihrem  (bischen,  spät 
noch  aufgerafften)  Wissen  läppisch  und  fad.    2.  Von  der  Art 


selbst  flectirt,  z.  B.  Sallust.  Jug.  5  Scipioni  cognomen  fuit  Africano. 
Dichter  und  Spätere  geben  dem  Namen  als  Attribut  eine  Adjectivform, 
wie  hier  bei  Piso:  sum  nomine  Tarquinio.  Das  logische  Verhältniss  des 
Kamens  selbst  erfordert  eine  grammatische  Beziehung  desselben  auf 
„nomen".  Der  Käme  steht  also  im  attributischen  Verhältniss  zu  „nomen" 
und  richtet  sich  nach  dem  Casus  dieses  Wortes.  So  z.  B.  Cic.  in  Verr.  IV, 
53,  118:  Fonti  nomen  Arethusa  est.  In  Folge  einer  Attraction  steht  in 
gewissen  Fällen  ein  Wort  in  attributischer  Beziehung  und  der  dieser  Be- 
ziehung entsprechenden  Congruenz  in  einem  Worte,  zu  welchem  es  seinem 
Begriffe  nach  kein  Attribut  ausmacht,  wie  z.  B.  in  der]  Redensart  est  mihi 
nomen,  indem  der  Name  auf  den  Dativ  der  Person  gezogen,  und  selbst  in 
Dativ  gesetzt  wird;  also  mihi  nomen  est  Julio.  Selten  ist  eine  Abhängig- 
keit des  Namens  von  nomen  im  (attributiven)  Genitiv,  z.  B.  mihi  nomen  est 
Julii.  Plaut.  Amph.  Prol.  19  nomen  Mercurii  mihi  est.  Doch  findet  sich 
diese  Construction  ganz  regelmässig,  wo  das  Praedicat  nicht  blos  aussagt, 
wer  den  Namen  führe.  Wir  sagen:  das  Wort  Frömmigkeit,  der  Lateiner 
nicht,  sondern  nomen  pietatis  gravissimum  est.  Cic.  Fam;  I,  9,  1.  hinc 
nomen  ductum  est  amicitiae  Cic.  Fin.  II,  24,  78.  Ebenso  selten  erscheint 
der  Name  da,  wo  nomen  nicht  Nominativ  ist,  ganz  unfiectirt,  wie  ein 
Indeclinabile ,  z.  B.  Ov.  Metam.  15,  96  vetus  illa  aetas,  cui  fecimus 
aurea  nomen. 

XV,  30,  1.   *)  Vergl.  Gell.  II,  7,  3  oipiua&l«. 


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f 


XV.  Buch,  30.  Cap.,  §  2-7.  (307) 

war  allerdings  auch  jener  (abgeschmackte)  Mensch,  der  neulich 
über  den  Ausdruck  „petorrita"  (d.  h.  eine  Art  offener,  gallischer 
Wagen)  sein  spitzfindiges  Geschwätz  vernehmen  liess.  3.  Denn 
als  man  die  allgemeine  Frage  aufstellte,  welche  Gestalt  ein 
solcher  Wagen,  den  man  „petorritum"  nennt,  habe  und  aus 
welcher  Sprache  das  Wort  herstamme,  liess  es  sich  dieser 
Mensch  einfallen,  nicht  nur  eine  ganz  andere  und  ganz  falsche 
Beschreibung  von  der  Gestalt  und  Bauart  eines  solchen  Wa- 
gens zu  erlügen,  sondern  auch  zu  behaupten,  dass  das  Wort 
ein  griechisches  sei  und  erklärte  (in  seiner  Afterweisheit),  dass 
es  (von  Tterofiai,  ich  fliege  und  „rotaa,  d.  h.  Rad  gebildet  sei 
und)  daher  „geflügelte  Räder"  bedeute.  Seine  Ansicht  war  also, 
dass  das  Wort  petorritum  (durch  Verdoppelung  des  r  und) 
durch  Abänderung  des  einzigen  Buchstaben  (o  in  i)  gleichsam 
aus  petorrotum  entstanden,  4.  und  behauptete,  dass  es  so 
(auch)  von  dem  Valerius  Probus  geschrieben  worden  sei.  5. 
Als  ich  deshalb  sehr  viele  Bücher  von  den  Abhandlungen  des 
Probus  durchgesucht  hatte,  fand  ich  weder  darin  irgend  eine 
Andeutung  geschrieben,  noch  glaube  ich  überhaupt,  dass 
Probus  irgendwo  darüber  etwas  geschrieben  habe.  6.  Allein 
das  Wort  „petorritum"  ist  (durchaus)  kein  zweisprachliches 
Wort  (dimidiatum  i.  e.  vox  hibrida),  d.  fe.  halb  genommen  aus 
der  griechischen  und  halb  aus  der  lateinischen,  sondern  ganz 
jenseits  der  Alpen  entsprossen  und  ein  ganz  (echter,  celtischer 
oder)  gallischer  Ausdruck.  7.  Dies  steht  in  des  M.  Varro 
14.  Buche  seiner  „Gebräuche  der  Vorzeit  in  göttlichen  (und 
menschlichen)  Dingen" ;  an  welcher  Stelle  Varro,  nachdem  er 
über  den  Ausdruck  „petorritum"  gesprochen  hat,  auch  noch 
die  Bemerkung  hinzufügt,  dass  auch  das  Wort  „lancea" 
(Speer)  kein  celtisches,  sondern  ein  spanisches  Wort  sei. 


XV,  30,  2.  petorritum,  aus  dem  celtischen  petoar,  vier  und  rit,  Rad, 
ein  gallischer  Wagen  mit  vier  Rädern  (unser  Holsteiner).  Viele  Wörter 
kamen  von  Fremden,  z.  B.  von  Galliern,  Spaniern,  Puniern,  mit  den 
Sachen  selbst  nach  Rom.  S.  Bernhardy  R.  L.  29,  111).  Vergl.  Gell. 
XX,  11,  1  NB. 

XV,  30,  3.   petorritum  s.  Fest  S.  206  \ 

XV,  30,  7.  lancea  s.  Paul.  S.  118;  Sisenna  b.  Non.  18,  p.  554  sagt: 
es  sei  ein  Gewehr  der  Sueven  (Schwaben). 

20* 


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(308)  XV.  Buch,  31.  Cap.,  §  1  —  4. 


XV,  31,  L.    Was  die  Rhodier  dem  feindlichen  Feldherrn  Demetrius 
(durch  Gesandte)  im  Betreff  jenes  berühmten  Bildes  des  Jalysus  sagen 
Hessen,  als  sie  (in  ihrer  Hauptstadt)  von  ihm  belagert  wurden. 

XV,  31.  Cap.  1.  Demetrius,  ein  berühmter  Feldherr 
seiner  Zeit,  der  durch  seine  (praktische)  Kenntniss  und  Ge- 
schicklichkeit, eine  Blokade  ins  Werk  zu  setzen,  durch  seine 
Erfindsamkeit  von  Belagerungswerkzeugen,  als  Mittel  zur 
Einnahme  von  Städten,  den  Namen  Städte-Eroberer  (TIoIioq- 
ytr/rrjg)  erhielt,  blokirte  und  berannte  (einst)  die  in  alten 
Zeiten  so  berühmte  Insel  Rhodus  und  hatte  es  vor  Allem  auf 
die  ausserordentlich  schöne  und  prächtige  Hauptstadt  ab- 
gesehen. 2.  So  ging  er  nun  damals  eben  gerade  damit  um,  bei 
dieser  Belagerung  einige  öffentliche  Gebäude,  die  sich  ausser- 
halb der  Stadtmauern  mit  schwacher  Besatzung  befanden, 
anzugreifen,  zu  zerstören  und  durch  Feuer  zu  vernichten. 
3.  In  einem  von  diesen  Gebäuden  befand  sich  jenes  höchst 
merkwürdige,  von  der  Hand  des  berühmten  Malers  Proto- 
genes  angefertigte  (Portrait-)  Bild  des  (Fürsten)  Jalysus, 
welches  herrliche  und  vortreffliche  (Kunst-)Werk  der  vom 
grimmen  Neid  erfüllte  (Demetrius)  den  Rhodiern  nicht  gönnte. 
Die  Rhodier  schickten  deshalb  (in  ihrer  Besorgniss)  Gesandte 
an  den  Demetrius  mit  folgendem  wörtlichen  Auftrag:  4.  „Was 
in  aller  Welt  kann  Dich  nur  bestimmen,  durchaus  darauf  zu 
bestehen,  durch  Inbrandsetzen  der  Gebäude  dieses  herrliche 
Kunstwerk  in  Asche  zu  legen  und  zu  vernichten?  Denn 
wenn  Du  uns  vollständig  besiegt  und  unsere  Stadt  ganz  er- 
obert haben  wirst,  musst  Du  durch  den  Sieg  ja  ohnehin  auch 
das  (herrliche)  Bild  unversehrt  und  wohlerhalten  in  Deine 
Gewalt  bekommen;  solltest  Du  aber  durch  diese  Berennung 


XV,  81,  L.  Jalysus,  Fürst  auf  Rhodus,  erhaute  die  Stadt  Jalysus, 
die  später  ein  Theil  von  Rhodus  ward.  Sein  Bild  von  Protogenes  s. 
Diodor.  Sic.  5,  57;  Strab.  14,  652;  Plut.  Demetr.  22  p.  898;  regg. 
apophth.  unter  Demetr.;  Aelian  v.  h.  12,  41;  Plin.  h.  n.  30,  10;  Vitruv. 
X,  16. 

XV,  31,  3.  Protogenes,  aus  Kaunos  auf  Rhodos  gebürtig,  war 
Zeitgenosse  und  berühmter  Nebenbuhler  des  Apelles.    S.  Plin.  35,  36,  20 


1.  • 


XV.  Buch,  31.  Cap.,  §  4.  5.  (309) 

uns  nicht  zu  überwinden  im  Stande  sein,  so  bitten  wir  Dich, 
doch  zu  bedenken,  wie  es  Dir  doch  durchaus  nicht  zum 
Ruhme  gereichen  kann,  dass,  weil  Du  uns  Rhodier  nicht 
durch  (ehrlichen)  Kampf  hast  besiegen  können,  Du  den  Krieg 
gegen  den  todten  Protogenes  (und  gegen  sein  unschuldiges 
Meisterwerk)  geführt  hast."  5.  Als  er  diesen  Auftrag  von 
den  Gesandten  vernommen  hatte,  stand  er  von  der  Blokade 
ab  und  Hess  Bild  und  Stadt  in  Ruhe. 


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XVI.  BÜCH. 

XVI,  1,  L.    Aeusserung  des  Philosophen  Musonius,  würdig  und  nützlich 
gehört  und  (als  humanistischer  Grundsatz)  in  Betracht  gezogen  zu  werden  ) 
ferner,  dass  vor  vielen  Jahren  derselbe  Grundsatz,  gleiche  (löbliche  und 
gemeinnützliche  Gesinnung  verrathend,  (auch)  vom  M.  Cato  vor  Numantia 
den  Rittern  gegenüber  ausgesprochen  wurde. 

XVI,  1.  Cap.  1.  Damals  als  ich  noch  ganz  jung  die 
Schulen  besuchte,  hörte  ich  (einst)  folgenden  (wörtlich)  von 
mir  beigefügten,  griechischen,  kurzgefassten  Gedanken  (evfrvfiT]- 
tuariov),  der  für  einen  Ausspruch  des  Musonius  galt ;  weil  ich 
ihn  für  einen  wahren  und  trefflichen  Grundsatz  halte  und  er 
in  kurzen  und  abgerundeten  Worten  zusammengefasst  ist,  so 
vergegenwärtige  ich  mir  ihn  unendlich  gern.  2.  Er  lautet: 
„Wenn  Du  etwas  Löbliches  mit  Mühe  thust,  so  wird  die 
Mühe  (schwinden  und)  vergehen,  aber  der  Ruhm  der  löblichen 
That  wird  (Dir)  verbleiben;  wenn  Du  aber  etwas  Böses  mit 
Vergnügen  vollbringst,  so  wird  zwar  das  Vergnügen  schwinden, 
aber  die  Schande  Deiner  bösen  Handlung  wird  (Dir)  ver- 
bleiben." 3.  Später  habe  ich  ganz  denselben  Gedanken  (des 
alten  griechischen  Philosophen  Musonius  in  lateinische  Worte 
gekleidet)  in  der  Rede  des  Cato  geschrieben  gelesen,  welche 
er  zu  Numantia  (559)  an  die  (lockern,  adligen  jungen)  Herren 


XVI,  1,  1.   üeber  Musonius  s.  GelL  V,  1,  1  NB. 

XVI,  1,  8.  Numantia,  die  berühmteste  Stadt  in  Celtiberien  (terra- 
con.  Hispanien),  auf  fast  unzugänglichen  Felsen  erbaut  und  trotzdem  durch 
Scipio  d.  J.  133  v.  Chr.  erobert  S.  Appian.  b.  Hisp.  6,  48—98.  Auf 
ihren  Trümmern  erhebt  sich  Puente  de  Don  Guarray  (d.  h.  Soria).  Der 
noch  nicht  40jährige  Consul  M.  Cato  wollte  durch  den  musonischen 
Spruch  den  ausgelassenen  Reiterjunkern  eine  ernste,  wohlgemeinte  Er- 
mahnung ertheilen  und  ihnen  ins  Gewissen  reden. 


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XVI.  Buch,  l.  Cap.,  §  3.  4.  -  2.  Cap.,  §  1—4.  (311) 

seiner  Reiterei  hielt.  Obgleich  derselbe  Gedanke  ein  wenig 
weitläufiger  und  nicht  mit  so  kurzen  Worten  ausgedrückt  ist, 
als  wie  jener  von  mir  angeführte,  griechische,  so  dürfte  er 
trotzdem  nicht  weniger  achtunggebietend  erscheinen,  zumal 
er  einer  früheren  Zeit  angehört  und  sehr  altehrwürdig  ist. 
4.  Die  Stelle  aus  der  Rede  lautet  also:  „Erwägt  (dies  ja)  in 
eurer  Seele:  wenn  ihr  mit  Anstrengung  etwas  (recht  und) 
gut  gemacht  habt,  so  wird  jene  Anstrengung  bald  von  euch 
entweichen  (und  schnell  vergessen  sein),  die  gute  That  aber 
wird,  so  lange  ihr  lebt,  nicht  verschwinden:  dagegen  wenn 
ihr  aus  Hang  zum  Vergnügen  (und  zur  Wollust)  schlechte 
Streiche  gemacht  habt,  so  wird  die  Wollust  schnell  von  dannen 
gehen;  aber  jener  schlechte  Streich  wird  ewig  bei  euch  ver- 
bleiben." 

XVI,  2,  L.  Welche  Regel  die  Dialektiker  bei  den  Streitfragen  und  dia- 
lektischen Disputirübungen  aufstellen  und  was  für  einen   Fehler  dieses 

Gesetz  enthalte. 

XVI,  2.  Cap.  1.  In  der  Dialektik  soll  es  Regel  sein, 
wenn  über  irgend  einen  Gegenstand  eine  Frage  vorgelegt  und 
darüber  gestritten  wird,  und  man  auf  das  Antwort  geben  soll, 
was  man  gefragt  wird,  dann  soll  man  nichts  weiter  sagen, 
als  das  allein,  um  was  sich  die  (Beantwortung  der)  Frage 
dreht,  und  also  entweder  (nur)  mit  ja,  oder  nein  antworten; 
denn  die  sich  nicht  genau  an  diese  Regel  halten  und  entweder 
mehr  oder  anders  antworten,  als  sie  gefragt  worden  sind, 
gelten  für  ungebildet  und  unwissend  und  (werden  sofort  als 
solche  verschrieen),  welche  die  (nöthigen)  Regeln  und  das 
Verfahren  einer  wissenschaftlichen  Erörterung  nicht  verstehen 
und  inne  haben.  2.  Diese  von  den  Dialektikern  aufgestellte 
Vorschriftsmassregel  muss  zweifelsohne  bei  sehr  vielen  Streit- 
übungen wohl  beobachtet  werden.  3.  Denn  als  unbestimmt 
und  unentwirrbar  muss  sich  eine  (jede)  gelehrte  Unterredung 
herausstellen  (und  wird  dabei  des  Streitens  kein  Ende  wer- 
den), wenn  man  sich  bei  Fragen  und  Antworten  nicht  an 
einfache,  genaue  Bestimmungen  würde  halten  wollen.  4.  Allein 
es  scheinen  (ausnahmsweise  doch  auch  wieder)  Möglichkeits- 
fälle gegeben,  bei  denen,  wenn  man  ganz  kurz  (d.  h.  nur  mit 
ja  oder  nein)  auf  die  vorgelegte  (verfängliche)  Frage  ant- 

4 


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(312)  XVI.  Buch,  2.  Cap.,  §  4-10. 

worten  wollte,  man  (unbedingt  überfahrt  und)  gefangen  sein 
würde.  5.  Denn  gesetzt,  es  stellte  Einer  wörtlich  folgende 
Frage:  Ich  verlange  von  Dir  eine  (kurze,  bündige)  Antwort: 
„Würdest  Du  (wohl  abgelassen  und)  aufgehört  haben  Ehe- 
bruch zu  begehen,  oder  nicht?"  und  Du  wolltest  nach  dem 
Gesetze  der  Dialektiker  Dich  nur  dieser  beiden,  entweder 
der  bejahenden  oder  der  verneinenden  Antworten  bedienen, 
so  wirst  Du  sofort  in  diesem  Fangschlusse  festsitzen  (indem 
man  dann  Deine  bejahende  oder  verneinende  Antwort  auch 
gleich  in  dem  Sinne  aufgreift),  gleich  als  ob  Du  Dich  (im 
Allgemeinen)  zu  dem  Verbrechen  des  Ehebruchs  bekennst 
[. .  . .  (und  dass  Du  Dich  nun  von  dieser  Beschuldigung  ganz 

frei  sprechen  kannst)  ]  wird  man  sofort  bei  der  Hand 

sein  in  Abrede  zu  stellen.  (Die  in  der  Frage  fehlende  Vor- 
aussetzung müsste  also  eigentlich  unbedingt  noch  ergänzt 
werden).  6.  Denn  wer  etwas  zu  begehen,  nicht  aufhört  (weil 
er  es  noch  nicht  angefangen  hat),  braucht  dies  notwendiger 
Weise  ja  überhaupt  immer  noch  gar  nicht  gethan  zu  haben; 

7.  es  ist  also  die  .Art  und  Weise  dieses  Trugschlusses  fehler- 
haft und  wird  keineswegs  so  weiter  (logisch)  fortschreiten 
können,  dass  gefolgert  und  der  Schluss  gezogen  werden  kann, 
einer  (bei  dem  die  Annahme  eines  solchen  Verbrechens  gar 
nicht  vorliegt)  begehe  Ehebruch,  der  zugesteht,  nicht  auf- 
gehört zu  haben  ihn  zu  begehen  (blos  weil  er  auf  die  ihm 
vorgelegte  Frage,  eine  einfach  verneinende  Antwort  gab). 

8.  Was  aber  werden  ferner  die  Vertheidiger  obiger  Regel  bei 
jenem  kurzen  Trugschluss  angeben,  bei  dem  sie  sich  unbedingt 
gefangen  geben  müssen,  im  Fall  sie  auf  die  ihnen  gestellte 
(verfängliche)  Frage  mit  nicht  mehr  (als  mit  ja  oder  nein) 
antworten  wollten?  Denn  gesetzt  ich  legte  einem  von  ihnen 
die  Frage  vor:  9.  „Was  Du  nicht  verloren  hast,  hast  Du  das, 
oder  hast  Du  es  nicht?  ich  verlange  jedoch,  dass  Du  nur  mit 
ja  oder  nein  antwortest" ;  so  wird  jeder,  der  ganz  kurz  eine 
dieser  beiden  Antworten  giebt,  sofort  überlistet  und  gefangen 
sein.  10.  Denn  wird  von  ihm  in  Abrede  gestellt,  dass  er 
nicht  habe,  was  er  nicht  verloren  hat,  so  ist  man  sofort  dabei, 
den  Schluss  zu  ziehen,  dass  er  keine  Augen  habe,  weil  er  sie 


XVI,  2,  10.  VergL  GelL  XVm,  2,  9;  Senec.  ep.  45,  7  u.  49,  8. 


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XVI.  Buch,  2.  Cap.,  §  10— 13.  —  3.  Cap.,  §  1—3.  (313) 

nicht  verloren  hat;  im  Fall  er  aber  zugestanden  hat,  dass  er 
(noch)  habe,  was  er  nicht  verloren  hat,  so  folgt  sogleich  der 
Schluss,  er  habe  Hörner,  weil  er  sie  nicht  verloren  habe. 
11.  Man  wird  daher  bestimmter  und  vorsichtiger  etwa  also 
antworten  müssen:  „Was  ich  gehabt,  habe  ich  (noch),  wenn 
ichs  nicht  verloren  habe."  12.  Freilich  entspricht  eine  solche 
Antwort  dann  nicht  der  von  uns  oben  erwähnten  (dialek- 
tischen) Vorschrift,  denn  die  Antwort  fällt  dabei  länger  aus, 
als  derjenige  erwartete,  welcher  die  Frage  (mit  seiner  Ab- 
sichtlichkeit) stellte.  13.  Deshalb  wird  gewöhnlich  der  obigen 
Regel  nach  der  Zusatz  beigesellt,  man  solle  auf  (solche  ab- 
sichtliche) verfängliche  Fragen  (lieber  gar)  nicht  antworten. 

XVI,  3,  L.  Auf  welche  Weise,  nach  dem  Ausspruch  des  (alten,  berühmten) 
Arztes  Erasistratus  es  möglich  wird,  bei  zufälligem  Mangel  an  Speise,  eine 
Zeitlang  die  Nahrungsenthaltung  ertragen  und  den  Hunger  überwinden  zu 
können  und  die  betreffende  Schriftstelle  des  Erasistratus  über  diesen  auf- 
gestellten Satz. 

XVI,  3.  Cap.  1.  Ich  war  zu  Rom  sehr  oft  mit  dem 
Favorin  ganze  Tage  lang  zusammen,  so  fesselte  dieser  Mann 
mit  seinem  ausserordentlichen  Redezauber  all'  meine  Sinne 
und  Gedanken,  und  wohin  er  auch  gehen  mochte,  da  begleitete 
ich  ihn,  gleichsam  von  seiner  Rede  vollständig  gefangen  ge- 
nommen; so  schmeichelte  er  sich  durch  seine  höchst  ein- 
nehmenden Gespräche  ein.  2.  Als  er  einst  zu  einem  Kranken 
gegangen  war,  um  daselbst  einen  Besuch  abzustatten,  wohin 
ich  ihn  ebenfalls  begleitet  hatte,  und  er  dabei  Vielerlei  über 
den  Gesundheitszustand  (des  Patienten)  zu  den  damals  daselbst 
gerade  anwesenden  Aerzten  in  griechischer  Sprache*) 
gesagt  hatte,  hörte  ich  ihn  noch  folgende  (interessante) 
Aeusserung  thun:  „Ja  nicht  einmal  das  darf  uns  wunderbar 
vorkommen,  dass  der  Kranke,  obgleich  er  vorher  immer 
Appetit  zum  Essen  hatte,  jetzt  nach  auferlegtem,  dreitägigem 
Fasten,  seine  frühere  Esslust  ganz  verloren  hat.  3.  Denn* 
fuhr  er  fort,  die  schriftliche  Bemerkung,  welche  uns  Era- 
sistratus hinterliess,  ist  doch  so  ziemlich  richtig,  (dieser 


XVI,  3,  2.  üeber  Favorin  s.  Gell.  I,  3,  27  NB.  Er  sprach  meist 
griechisch,  vergl.  Gell.  II,  26,  7;  XIII,  25,  4;  XIV,  1,  32. 

XVI,  3,  3.    Erasistratos,  sehr  berühmter  griechischer  Arzt  (300 


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(314) 


XVI.  Buch,  3.  Cap.,  §3—8. 


sagt  nämlich:)  den  Hunger  bewerkstelligen  die  leeren, 
schlappen  Eingeweidefibern,  das  Eingefallensein  des  Leibes 
inwendig,  das  Leerheitsgefühl  und  Klaffen  des  Magens.  Sind 
nun  alle  diese  Theile  (d.  h.  Eingeweide,  Leib,  Magen)  ent- 
weder mit  Speise  gefüllt,  oder  durch  anhaltende  Enthaltsam- 
keit zusammengezogen  und  sie  haben  sich  geschlossen,  so 
wird,  wenn  der  Ort  (der  Magen),  in  den  die  Speisen 
aufgenommen  werden,  entweder  (durch  Nahrung)  angefüllt, 
oder  (durch  Enthaltung  der  Nahrung)  zusammengezogen 
wurde,  auch  der  Trieb,  Nahrung  zu  nehmen  oder  zu  ver- 
langen, gedämpft."  4.  Nach  der  Angabe  desselben  Erasistra- 
tus,  fuhr  Favorin  fort,  sollen  auch  die  Skythen,  wenn  es  die 
Nothwendigkeit  erheischt,  ihren  Leib  fest  mit  Binden  ein- 
geschnürt haben,  um  den  Hunger  länger  zu  ertragen.  Durch 
dieses  Einschnüren  des  Unterleibs  glaubte  man  die  Ess- 
begierde vertreiben  zu  können.  5.  Diese  höchst  ansprechen- 
den Bemerkungen  und  noch  viele  andere  der  Art  gab  damals 
Favorinus  zum  Besten ;  6.  Als  ich  aber  später  des  Erasistratus 
erstes  Buch  von  den  Absonderungen  (dimgiaecov)  las,  fand 
ich  in  dem  Buche  die  Schriftstelle  selbst  vor,  welche  ich  von 
Favorin  hatte  anführen  hören.  7.  Die  darauf  bezügliche 
Stelle  des  Erasistratus  lautet  wörtlich  also:  „Wir  glaubten 
daher,  dass  in  Folge  des  heftigen  Zusammenschnürens  des 
Unterleibes  der  Hunger  sehr  stark  sein  müsse;  denn  auch 
die,  welche  sich  vorsätzlich  eine  mässige  Kost  (langes  Fasten) 
auferlegen,  befällt  wohl  im  Anfang  ein  (heftiges)  Hungergefühl, 
später  aber  nicht  mehr."  8.  Dann  heisst  es  weiter  unten: 
„Auch  die  Skythen  haben  die  Gewohnheit,  wenn  sie  aus  ge- 


v.  Chr.\  aus  Julis  auf  Keos,  war  ein  Enkel  des  Aristoteles,  durch  dessen 
Tochter.  Einige  Zeit  am  Hofe  des  Seleukus  Nikator,  heilte  er  den  könig- 
lichen Prinzen  Antiochus.  Er  drang  bei  seiner  Heilmethode  auf  die 
strengste  Diät,  indem  er  den  Grund  aller  Krankheiten  in  dem  Ueberfluss 
an  Nahrungsstoff  suchte.  S.  Plin.  h.  n.  29,  3.  Die  Verrichtungen  des 
Gehirns  und  der  Nerven  unterzog  er  seiner  besonderen  Beobachtung,  und 
machte  dabei  höchst  wichtige  Entdeckungen.  Ausserdem  schrieb  er  noch 
„über  Gesundheitslehre  (neQl  tiov  vyitivtov)"  und  über  Lähmungen  (thqI 
Ttuv  nttQtotbiv).  Val.  Max.  V,  7  exfer.  1.  Wie  sein  Lehrer  Chiysippus 
aus  Knidos  hielt  er  sehr  wenig  vom  Aderlassen  und  Purgiren.  Für  seine 
Heilung  des  Antiochus  soll  er  nach  Plinius  100  Talente  (140,000  Thlr.) 
bekommen  haben. 


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XVL  Buch,  3.  Cap.,  §  8—10.  -  4.  Cap.,  §  1.  (315) 


wissen  Umständen  sich  zu  fasten  zwingen,  dann  den  Unter- 
leib mit  breiten  Gürteln  sich  zusammenschnüren,  damit  sie 
so  der  Hunger  weniger  belastige.  So  lange  nun  der  Leib 
ziemlich  voll  ist,  hört  deshalb  darin  auch  das  Hohlheitsgefühl 
auf,  deshalb  spüren  sie  auch  keinen  Hunger,  so  lange  nun 
also  der  Leib  zusammengepresst  bleibt,  hat  er  kein  Leerheits- 
gefühl." 9.  In  demselben  Buche  sagt  Erasistratus,  dass  eine 
gewisse  unerträgliche  Wirkung  vom  Hunger,  welche  die  Grie- 
chen „Heisshunger  (ßovli/aog  und  ßovnuva,  i.  e.  Fressgier)" 
nennen,  bei  sehr  kalten  Tagen  viel  leichter  vorkomme,  als 
wenn  es  heiter  und  ruhiges  Wetter  ist,  und  er  gesteht,  dass 
die  Ursachen  eines  solchen  Zustandes,  warum  ein  derartiges 
Unwohlbefinden  meist  bei  solcher  (kalter)  Witterung  eintrete, 
ihm  bis  jetzt  noch  nicht  klar  geworden  sei.  10.  Die  Stelle, 
worin  er  dies  Bekenn tniss  ablegt,  lautet  also:  „Zweifelhaft 
bleibt  es  immer  und  bedarf  noch  sehr  der  Untersuchung,  so- 
wohl bei  diesem,  wie  bei  dem  Heisshungrigen,  warum  diese 
Erscheinung  mehr  bei  kalten  Frosttagen,  als  bei  warmer 
Witterung  eintritt." 

XVI,  4,  L.  Unter  welchen  Förmlichkeiten  und  mit  welcher  ausdrücklichen 
Formel  der  Kriegsherold  (fetialis)  des  römischen  Volkes  den  Krieg 
denen  anzukündigen  pflegte,  mit  denen,  nach  dem  allgemeinen  Beschluss 
des  römischen  Volkes,  ein  Krieg  angefangen  werden  sollte;  weiter  noch 
(Bericht),  wie  die  abgefasste  Eidesformel  wörtlich  lautete  in  Bezug  auf  die 
unter  den  Soldaten  bei  Strafe  verbotenen  Diebstähle;  ferner  wie  die  aus- 
gehobenen Soldaten  vor  Verlauf  des  vorherbestimmten  (Stellungs-)Tages 
an  einem  bestimmten  Orte  sich  einzufinden  hatten ,  ausgenommen  bei  ge- 
wissen (besonders  namhaft  gemachten  Entschuldigungs-)  Gründen ,  wegen 
deren  dieser  (Fahnen-)Eid  nach  Recht  und  Billigkeit  nachgelassen  wurde. 

XVI,  4.  Cap.  1.  C.  Cincius  (Alimentus)  schreibt 
im  3.  Buche  (seines  Werkes)  „über  das  Kriegswesen",  dass, 


XVI,  3,  9.  Siehe  Therapeutik  des  Alexander  Trallianus  VIII,  6; 
Aristot  probl.  sect  VIII,  5;  Hippocrat.  aphorism.  Sect.  III,  12;  vergl. 
Xenoph.  Anab.  IV,  5,  7. 

XVI,  4,  L.  S.  Rein,  Fetiales,  in  Paulis  Realencyklopädie  Bd.  8. 
Stuttgart.  1844.  S.  466.  Fetiales,  Bundespriester  und  Kriegsherolde, 
denen  die  Aufrechterhaltung  des  Völkerrechtes  'oblag-  Ihr  Collegium 
bestand  aus  20  Priestern,  deren  Geschäfte  waren:  Waffenstillstand  zu 
schliessen,  Genugthuung  zu  fordern  (res  repetere)  und  Bündnisse  zu 


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(316) 


XVI.  Buch,  4.  Cap.,  §  1.  2. 


wenn  der  Kriegs-  und  Waffenherold  (fetialis)  den  Feinden  den 
Krieg  ankündigte,  er  (bei  dieser  Gelegenheit)  einen  Wurfspiess 
(über  die  Grenze)  nach  dem  feindlichen  Gebiete  warf  und 
sich  dabei  folgender  ausdrücklicher  Formel  bediente:  „Weil 
das  hermundulische  Volk  und  die  Männer  des  hermundulischen 
Volkes  gegen  das  römische  Volk  den  Krieg  begonnen  und 
sich  (gegen  dasselbe)  vergangen  haben,  und  weil  das  römische 
Volk  gegen  das  hermundulische  Volk  und  die  Männer  des 
hermundulischen  Volkes  den  Krieg  (ausdrücklich)  beschlossen 
hat:  so  kündige  deshalb  ich  und  das  römische  Volk  dem 
hermundulischen  Volke  und  den  hermundulischen  Männern 
den  Krieg  an  und  beginne  ihn."  2.  So  steht  auch  in  eben 
dieses  Cincius  5.  Buche  „über  das  Kriegswesen"  Folgendes 
geschrieben:  „Wenn  vor  alten  Zeiten  eine  Aushebung  statt- 
fand und  die  Soldaten  eingeschrieben  wurden,  liess  sie  der 
Kri^gstribun  einen  Eid  (der  Treue)  auf  folgende  aus- 
drückliche Formel  leisten :  „  „In  der  Armee  unter  dem  Befehl 
des  Consuls  C.  Laelius,  des  Sohnes  von  C.  (Laelius)  und  des 
Consuls  L.  Cornelius,  des  Sohnes  von  P.  (Cornelius)  und  auf 
10,000  Schritte  im  Umkreise  (des  Lagers)  sollst  Du  keinen 
vorsätzlichen  Diebstahl  begehen ,  weder  allein  noch  mit  Meh- 
reren, über  den  Werth  eines  Silberstückes  (Denar,  nummus) 
auf  den  einen  Tag;  ausser  einer  Lanze,  einem  Lanzenschaft 
(einigen  Stückchen  Holz),  einer  Rübe,  Futter,  einem  Schlauch, 


schliessen.  Ihr  Vorsteher,  Oberherold,  Oberbundespriester,  hiess  pater 
patratus  (Eidesvater).  8.  Dionys.  II,  72;  Liv.  I,  24;  Varro  1.  1.  V,  86; 
Plutarch.  Camill.  20;  Härtung  Relig.  der  Römer  2,  S.  267 ff.;  Göttlings 
Gesch.  der  röm.  Staatsverf.  S.  195  ff. 

XVT,  4,  1.  C.  Cincius  Alimentus,  lebte  zur  Zeit  des  2.  panischen 
Krieges,  in  welchem  er  gleich  anfangs  in  karthagische  Gefangenschaft  ge- 
rieth.  Liv.  21,  88.  Er  war  ein  höchst  gebildeter  Staatsmann  und  vorzüglicher 
Annalist  Livius  nennt  ihn  einen  äusserst  sorgfältigen  Forscher.  Seine 
Annalen,  reich  an  antiquarischen  Notizen,  waren  griechisch  geschrieben. 
Von  anderen  Werken  kennt  man  noch  die  Aufschriften:  „Von  der  Pflicht 
des  Rechtsgelehrten";  „vom  Kriegswesen" ;  „von  der  Gewalt  derConsuln"; 
„über  den  Leontiner  Gorgias".  Macrob.  Sat.  I,  12;  II,  9.  Vergl.  Bernh. 
R.  L.  101,  485;  aber  besonders  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  116,  4. 

XVI,  4,  1.  Ueber  diese  jüngere  und  dann  über  die  ältere  Kriegs- 
erklärungsformel (vergl.  Liv.  I,  24.  32.  38),  wo  neben  dem  Volke  auch  der 
Senat  erwähnt  wird,  s.  Lange  röm.  Alterth.  §  128  S.  (516)  560. 


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»  mm'  '  J. 


XVI.  Buch,  4.  Cap.,  §  2—5.  (317) 

Blasebalg  oder  einer  Fackel,  sollst  Du  Alles,  was  Du  gefunden 
oder  aufgehoben  hast,  was  nicht  Dein  sein  sollte  und  mehr 
als  einen  Silberdenar  an  Werth  beträgt,  an  den  Consul  C. 
Laelius,  den  Sohn  des  C.  (Laelius),  oder  an  den  Consul 
Lucius  Cornelius,  den  Sohn  des  P.  (Cornelius)  ausliefern, 
oder  zu  dem  bringen,  wohin  einer  von  diesen  Beiden  es  Dir 
(zu  tragen)  befehlen  wird,  oder  Du  wollest  innerhalb  der 
nächsten  drei  Tage  anzeigen,  was  Du  ohne  diebische  Absicht 
gefunden  oder  aufgehoben,  oder  es  dem  rechtmässigen  Be- 
sitzer, dem  dies  nach  Deiner  Meinung  gehört,  zurückgeben, 
wie  Du  glaubst,  dass  es  recht  gethan  Bei.""  3.  „Den  aus- 
gehobenen Soldaten  wurde  sonach  ein  Tag  voraus  bestimmt, 
an  welchem  sie  sich  stellen  und  dem  Consul  bei  ihrem  Na- 
mensaufruf antworten  sollten;  4.  dann  wurde  ihnen  ein  Eid 
abgenommen,  dass  sie  sich  stellen  wollten  unter  Hinzufügung 
folgender  Ausnahmefälle:  „„Wenn  nämlich  nicht  etwa  einer 
von  den  folgenden  Entschuldigungsgründen  einträte :  Leichen- 
bestattung eines  (nahen)  Anverwandten,  oder  die  zehn  Tage 
des  Sühnungsfestes  bei  der  Familientodtenfeier  (feriae 
denicales),  wofern  sie  nicht  gerade  (absichtlich)  auf  diesen 
Tag  (seines  Eintreffens  im  Dienst)  verlegt  worden  sind,  nur 
damit  er  sich  an  demselben  nicht  einzufinden  brauche;  ferner 
die  fallende  Sucht  (morbus  sonticus),  oder  eine  Vogelschau, 
die  man  ohne  Sündenschuld  nicht  verabsäumen  durfte;  oder 
ein  jährliches  Opferfest,  was  nur  gerade  an  diesem  Tage  nach 
Vorschrift  vorgenommen  werden  darf;  Gewalt  oder  Feindes- 
überfall; ein  mit  dem  Gegner  festgesetzter  oder  bestimmter 
Gerichtstag:  wenn  bei  Einem  einer  dieser  Gründe  eintritt, 
dann  soll  er  am  Tag  nach  selbigem  Tage,  wo  ein  solcher 
Grund  ihn  abhielt,  kommen  und  sich  bei  Dem  melden,  welcher 
in  seinem  Orte,  Gaue  oder  seiner  Stadt  die  Aushebung  vor- 
genommen hat." 11  5.  Ebenso  findet  sich  auch  noch  folgende 
Stelle  in  demselben  Buche:  „Wenn  ein  Soldat  sich  an  dem 
ihm  vorher  bestimmt  angesagten  Tage  nicht  stellte  und  sich 

XVI,  4,  4.  .feriae  denicales  (von  de-nex  —  den  Tod  betreffend) 
Todtenfest  zu  Ehren  eines  Verstorbenen  angeordnet,  an  dem  sich  die 
hinterbliebene  Familie  durch  Todtenopfer  reinigte.  —  Morbus  sonticus 
(comitialis) ,  i.  e.  Epilepsie,  welche  die  Comitien  verhinderte  s.  Festus 
unter  prohibere.   Gell.  XX,  1,  27;  Plut.  Timaeus  85, B  heilige  Krankheit. 


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(318)         XVL  Buch,  4.  Cap.,  §  5.  6.  —  5.  Cap.,  §  1-3. 

auch  nicht  hatte  entschuldigen  lassen,  wurde  als  (infrequens) 
flauer  Dienstversäumer  (und  fahneneidbrüchiger  Deserteur, 
Ausreisser)  angegeben.44  6.  Ebenso  steht  im  6.  Buche  Fol- 
gendes geschrieben :  „Die  Reihen  der  Reiterei  bei  dem  Heere 
wurden  Flügel  (alae)  genannt,  weil  sie  um  die  grösseren 
Heeresabtheilungen  (legiones)  zur  Rechten  und  Linken,  gleich 
wie  die  Flügel  an  den  Leibern  der  Vögel  ihren  Platz  ein- 
nahmen. Jede  Legion  bestand  aus  60  Centurien  (d.  h.  6000 
Mann),  30  Manipeln  (jede  aus  200  Mann),  10  Cohorten  (jede 
aus  600  Mann). 

XVI,  5,  L.  Was  das  Wort:  „vestibulum"  bedeutet  und  über  die  (vielfachen) 

Erklärungsarten  dieses  Ausdrucks. 

'  XVI,  5.  Cap.  1.  Es  giebt  sehr  viele  Wörter,  deren  man 
sich  im  gewöhnlichen  Leben  bedient,  ohne  jedoch  mit  völliger 
Klarheit  sich  bewusst  zu  werden ,  was  sie  so  recht  eigentlich 
und  der  Sache  gemäss  bedeuten.  Allein  indem  wir  dabei 
einer  unbekannten  und  allgemein  überkommenen  Ueber- 
lieferung,  ohne  vorhergegangene  genaue  Erwägung  folgen,  bil- 
den wir  uns  (oft)  vielmehr  nur  ein,  das  zu  sagen,  was  wir  be- 
absichtigen, als  dass  wir  es  (wirklich)  sagen.  So  geht  es  auch 
mit  dem  Wort:  „vestibulum",  dem  wir  in  der  Unterhaltung 
häufig  begegnen,  und  was  jedoch  (sicher  noch)  nicht  von 
Allen,  die  sich  dessen  so  ohne  Weiteres  bedienen,  genug 
geprüft  wurde.  2.  Ich  habe  nämlich  bei  einigen,  keineswegs 
ungelehrten  Männern  die  Meinung  vorgefunden,  das  Wort: 
„vestibulum"  bezeichne  den  vorderen  Theil  des  Hauses,  den 
man  gemeiniglich:  Haushalle  (atrium)  nennt.  3.  C.  Aelius 
Gallus  sagt  im  2.  Buche  „über  die  Bedeutung  der  auf  das 
bürgerliche  Recht  bezüglichen  Wörter" :  dass  das  „vestibulum" 

XVI,  4,  6.  Infrequens  s.  Fest  v.  infrequens;  Serv.  zu  Verg.  Aen. 
4,  121;  9,  604. 

XVI,  4,  6.  Die  römische  Legion  bestand  aus  4200  —  6000  Mann, 
wozu  noch  300  Reiter  kamen.  Jede  Legion  hatte  einen  Adler  als  Heeres- 
zeichen und  wurde  von  einem  Legaten  befehligt;  zwei  oder  mehrere 
Legionen  standen  unter  dem  Befehle  eines  Consuls  oder  Praetors.  Ueber 
manipulus  vergl.  Lange  röm.  Alterth.  §  64  p.  (389)  458.  Manipulus  (als 
Deminutivum  von  manus)  die  kleinste  militärische  Einheit  bei  der  Heeres- 
gliederung ursprünglich  nicht  aus  100  Mann  bestehend. 

XVI,  5,  3.   Ueber  C.  Aelius  Gallus  s.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  205,  4. 


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■ 


XVI.  Buch,  5.  Cap.,  §  3—7.  (319) 

nicht  im  Hause  selbst  sich  befinde  und  nicht  einen  Theil  des 
Hauses  bilde,  sondern  einen  leeren  Raum  vor  der  Hausthüre 
vorstelle,  über  welchen*)  hinweg  der  Eingang  von  der 
Strasse  her  und  der  Zugang  ins  Haus  bewerkstelligt  wird; 
rechts  und  links  vor  der  Thüre  und  dem  Hause  (also:  bis  an 
die  Hausthür  und  den  Palast)  befinden  sich  zwei  bis  an  die 
Strasse  reichende  Flügel  und  die  Thür  selbst  ist  von  der 
Strasse  weit  ab(geschlossen)  und  der  leere  Hofraum  liegt  da- 
zwischen. 4.  Es  ist  schon  oft  die  Frage  aufgeworfen  worden, 
woher  das  Wort  seinen  Ursprung  habe;  was  ich  aber  in 
Schriften  darüber  gelesen  habe,  ist  mir  fast  Alles  ungereimt 
und  abgeschmackt  vorgekommen.  5.  Was  ich  jedoch  mich 
erinnere  vom  Sulpicius  Apollinaris,  einem  Manne  von 
gründlichem  Wissen,  gehört  zu  haben,  ist  ohngefähr  der  Art: 
die  Partikel  „vea,  wie  auch  noch  einige  andere*),  be- 
deutet bald  eine  (Begriffs-)Erweiterung,  bald  eine  (Begriffs-) 
Verminderung.  6.  Denn  von  (den  beiden  Wörtern)  „vetus"  und 
vemens  ist  das  eine  von  der  Erweiterung  des  Altersbegriffes 
gebrauchte  „vetus"  aus  „veu  und  „aetas"  zusammengesetzt 
und  syncopirt  (d.  h.  durch  Auslassung  des  a  entstanden),  das 
andere  vemens  (aus  ve  und  mens  gebildet)  wird  (gleichsam  a 
mentis  vi  et  impetu,  also)  von  der  Gewalt  und  dem  Ungestüm 
des  geistigen  Charakters  gebraucht.  Das  aus  der  Partikel 
ve  und  esca  (Speise,  Nahrung)  zusammengesetzte:  vescus 
nimmt  beide  wesentlich  verschiedene  (und  entgegengesetzte) 
Bedeutungen  an.  7.  Denn  in  einem  andern  Sinne  sagt 
Lucretius:  vescum  salem  (das  zehrende  Salz),  von  dem  Be- 
streben zu  zehren  (zu  zerfressen),  anders  wieder  braucht 


XVI,  5,  3.  Vestibulum,  Vorplatz,  Hof,  Säulengang,  Säulenreihe 
(Peristyl).  S.  Vitruv  VI,  8.  Vergl.  Varro  L  L  7,  81;  Colum.  8,  3,  8; 
9,  12;  Isidor.  15,  7,  2. 

XVI,  5,  3.  *)  per  quem  (sc.  locum)  aditus  accessusque  ad  aedia  est, 
cum  dextra  sinistraque  januam  tectaque  sunt  viae  juncta  atque  ipsa  janua 
procul  a  via  est  area  vacanti  intersita. 

XVI,  5,  5.   Ueber  Sulpicius  Ap.  s.  Gell.  II,  16,  8  NB. 

XVI,  5,  5.  *)  So  die  praepositio  inseparabilis  so  und  se  z.  B.  in 
sobrius  =  se-ebrius;  socors  =  se-cors;  securus  =  se-cura.  Es  zeigt 
ve  (==»  male)  ein  fehlerhaftes  zu  wenig  oder  zu  viel  des  im  Simplex  ent- 
haltenen Begriffes  an.   Vergl.  Gell.  V,  12,  12  NB. 

XVI,  5,  6.   S.  Paul.  S.  368. 


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(320) 


XVI.  Buch,  5.  Cap.,  §7—12. 


Lucilius  das  Wort  vescus,  mit  dem  Begriff  der  Abneigung 
gegen  Speisen  (des  Widerwillens  gegen  das  Essen).  8.  Die- 
jenigen also,  welche  vor  alten  Zeiten  grosse  Häuser  erbauten, 
liessen  vor  der  Thür  einen  freien  Platz,  welcher  zwischen  der 
Hausthüre  und  der  Strasse  mitten  inne  lag.  9.  Auf  diesem 
Platze  hielten  sich  Diejenigen,  die  dem  Herrn  des  Hauses  ihre 
Aufwartung  zu  machen  gekommen  waren,  auf,  bevor  sie  vor- 
gelassen wurden,  (und)  sie  standen  (daher)  weder  auf  der 
Strasse,  noch  befanden  sie  sich  im  Hause  selbst.  10.  Die 
grossen,  vor  der  Hausthüre  freigelassenen  Räumlichkeiten,  allwö 
die,  welche  (zur  Cour)  gekommen  waren,  standen,  bevor  sie  ins 
Haus  eingelassen  wurden,  wurden  also,  wie  ich  schon  erwähnte, 
vom  Stehenbleiben  (consistio,  Aufenthalt)  an  dem  geräumigen 
Platze  und  gleichsam  von  diesem  Standort  (stabulatio),  vesti- 
bula  (ve-[=  grandia]stabula,  d.  h.  breite,  weite  Standplätze) 
genannt.  11.  Wir  werden  uns  hierbei  aber  gleich  auch  merken 
müssen,  dass  dieses  Wort  von  den  alten  Schriftstellern  nicht 
immer  in  seiner  eigentlichen  Bedeutung  gesagt  worden  ist, 
sondern  auch  vermittelst  einiger  Uebertragungen ,  die  jedoch 
so  bewerkstelligt  wurden ,  dass  sie  von  der  eben  von  uns  be- 
sprochenen eigenthümlichen  Bedeutung  nicht  weit  abweichen, 
wie  die  Stelle  aus  dem  6.  Buche  Vergils  (Aen.  273)  zeigt: 

Vestibulum  ante  ipsum  primisque  in  faucibus  orci 

Luctus  et  ultrices  posuere  cubilia  curae,  d.  h. 

Selber  am  Eingang  nun,  und  im  vordersten  Schlünde  des  Orcus 

Wählten  der  Gram  und  der  Schwärm  nachreuender  Sorgen  ihr  Lager, 

12.  wo  Vergil  nämlich  mit  dem  Worte  vestibulum  nicht  den 
vorderen  Theil  der  Unterwelt  bezeichnet,  was  uns  ankommen 
kann,  als  ob  es  so  heissen  sollte,  sondern  er  bezeichnet  (viel- 
mehr) zwei  (besondere)  Plätze  vor  der  Oeffnung  und  dem 
Eingange  in  den  Orcus,  erstlich  den  Eingang  (vestibulum) 
und  die  Mündung  (oder  den  vordersten  Schlund  „fauces"), 
wovon  er  den  Eingang  (vestibulum)  als  gleichsam  vor  der 
Wohnung  der  Todten  und  vor  dem  Innern  des  Orcus  selbst 
verstanden  wissen  will  und  den  Schlund  (fauces)  als  einen 
schmalen  Weg  bezeichnet,  durch  den  man  zum  Eingang 
(vestibulum)  gelangte. 

XVI,  5,  7.   vescus  vielleicht  unappetitlich. 
XVI,  5,  10.   S.  Macrob.  VI,  8. 


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XVI.  Buch,  6.  Cap.,  §  1—7. 


(321) 


XVI,  6,  L.  Was  für  Opferthiere  „bidentes"  genannt  werden  und  woher  sie 
diese  Bezeichnung  erhalten ;  endlich  des  P.  Nigidius  und  des  Julius  Hyginus 

Meinungen  darüber. 

XVI,  6.  Cap.  1.  Auf  unserm  Heimwege  von  Griechen- 
land legte  unser  Schiff  zu  Brundusium  an.  Daselbst  hielt 
sich  gerade  ein  von  den  Brundusiern  aus  Rom  berufener, 
lateinischer  Sprachlehrer  auf,  der  (in  seiner  Arroganz)  Jeder- 
mann es  freistellte,  ihn  öffentlich  auf  die  Probe  zu  stellen 
und  sich  mit  ihm  (im  Wettstreit)  zu  messen.  2.  (Aus  Neu- 
gierde) verfügte  auch  ich  mich  sogleich  zu  ihm,  des  Zeit- 
vertreibs halber,  denn  ich  war  geistig  ganz  erschöpft  und 
matt  von  der  Beschwerlichkeit  der  Seereise.  3.  Dieser  las 
(gerade)  das  7.  Buch  von  Vergils  Aeneide  plump  und  un- 
geschickt, worin  sich  folgender  Vers  (93)  befindet: 

Centum  lanigeras  mactabat  rite  bidentis,  d.  h. 

Hundert  wolletragende,  doppeltbezahnte  weihte  er  nach  Fug;j 
4.  und  er  forderte  auf,  dass  Jeder,  der  etwas  über  jeden 
beliebigen  Gegenstand  von  ihm  wissen  wollte,  ihn  nur  immer 
fragen  möchte.  5.  Ich  war  erstaunt  über  das  kecke  Selbst- 
vertrauen dieses  nicht  eben  sehr  gelehrten  Menschen  und 
sage  zu  ihm:  Du  belehrst  mich  gewiss  gern,  lieber  Meister, 
warum  diese  Opfer  „bidentes"  genannt  werden?  6.  Er  er- 
widerte: Unter  „bidentes"  sind  Schafe  zu  verstehen,  und  um 
diese  Schafe  noch  deutlicher  zn  bezeichnen,  deshalb  hat  er 
sie  noch  „wolletragend  (lanigeras)"  genannt.  7.  Darauf  ich: 
nachher  wollen  wir  gleich  sehen,  ob  nach  Deiner  Aussage 
nur  Schafe  mit  diesem  Beiworte  „bidentes"  belegt  werden 
und  ob  der  Atellanendichter  Pomponius  in  seinen  „trans- 
alpinischen Galliern'1  einen  Irrthum  beging,  wenn  er  schrieb: 

Mars,  tibi  voveo  facturum,  si  umquam  redierit, 

Bidenti  verre,  d.  h. 

Dir,  Mars,  gelobe  ich  zum  Opfer,  kehrt  ja  er  zurück, 
Einen  doppelbezahneten  Eber. 


XVI,  6,  L.  Opferthiere  mussten  fehlerfrei,  gesund  und  fett  sein,  s. 
Varro  r.  r.  II,  1,  4;  Cato  r.  r.  5;  Plin.  8,  51,  77  §  206;  Cic.  ad  Div.  II, 
16,  36;  Serv.  zu  Verg.  Aen.  IV,  57;  VI,  38.  Auch  durften  sie  nie  als 
Zugthiere  angespannt  gewesen  sein  (vergl.  Macrob.  Sat.  Hl,  5,  6;  Verg. 
Aen.  6,  38;  Georg.  4,  540;  Hör.  Epod.  9,  22  cfr.  Horn.  Od.  in,  382)  und 
mussten  ein  bestimmtes  Alter  haben.    Varro  r.  r.  II,  4;  Plin.  a.  a.  0. 

Ge Iii us,  Attische  Nächte.   U.  21 


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(322)  XVI.  Buch,  6.  Cap.,  §8-14. 

8.  Nun  aber  habe  ich  an  Dich  die  Frage  gestellt,  ob  Du 
wohl  weisst,  was  es  mit  diesem  Worte  für  eine  Bewandtniss 
hat.  9.  Und  Jener,  ohne  sich  erst  lange  zu  bedenken,  ant- 
wortete ihm  mit  ganz  ausserordentlicher  Dreistigkeit:  Unter 
solchen  Schafen,  die  man  „bidentes"  nennt,  sind  diejenigen 
zu  verstehen,  die  nur  zwei  Zähne  haben.  10.  Ich  bitte  Dich, 
sagte  ich,  wo  in  aller  Welt  ist  Dir  (wohl  je)  ein  Schaf  vor 
Gesicht  gekommen,  das  von  Natur  nur  zwei  Zähne  hatte? 
Denn  hier  ist  wirklich  ein  Wunderzeichen,  das  man  durch 
Opferwerke  sühnen  muss.  11.  Darauf  erwiderte  Jener  auf- 
gebracht und  voller  Zorn  gegen  mich :  Es  wäre  weit  besser, 
Du  fragtest  mich  über  solche  Sachen,  die  man  nothwendiger 
Weise  (und  mit  Recht)  von  einem  Grammatiker  verlangen 
kann;  denn  über  Schafszähne  fragt  man  Schafhirten  aus 
(opiliones,  und  nicht  Grammatiker).  12.  Ich  musste  über 
den  drolligen  Einfall  dieses  Windmachers  (herzlich)  lachen 
und  verliess  ihn.  Allein  Publius  Nigidius  sagt  in  seinem 
Buche,  welches  er  „über  die  Eingeweide  (de  extis)"  veifasst 
hat,  dass  man  dieses  Beiwort  „bidentes"  nicht  nur  Schafen 
beizulegen  pflegte,  sondern  allen  zweijährigen  Opferthieren, 
hat  jedoch  (dabei)  keine  deutlichere  Erklärung  beigefügt, 
warum  sie  „bidentes"  genannt  wurden.  13.  Allein  was  ich 
•  überdies  davon  halte,  ist  die  Ansicht,  welche  ich  in  einigen 
auf  das  „Oberpriesterrecht'*  sich  beziehenden  Erklärungs- 
schriften verzeichnet  fand,  dass  (nämlich)  diese  Opferthiere 
anfänglich  „bidennes",  mit  Einschiebung  des  Buchstaben  d, 
gleichsam  anstatt  bi-ennes  (d.h.  zweijährige)  genannt  worden 
sind,  dass  das  Wort  aber  durch  langen  Sprachgebrauch  ver- 
dorben wurde  und  man  aus  „bidennes"  das  Wort  „bidentes" 
gebildet  habe,  weil  das  Wort  sich  offenbar  so  leichter  und 
weicher  aussprechen  lasse.    14.  Allein  Hyginus  Julius,  ein 

Bei  einem  Opfer  durfte  nichts  fest  gebunden  sein.  (Serv.  zu  Verg.  Aen. 
II,  134;  cfr.  Macrob.  III,  5,  8.)  Daher  standen  die  Opferthiere  auch 
ungebunden  am  Altare,  s.  Serv.  zu  Verg.  Aen.  V,  774. 

XVI,  6,  9.    S.  Macrob.  Sat  VI,  9  und  die  Erklärer  zu  Verg.  Aen. 
IV,  .57. 

XVI,  6,  12.   Vergl.  Gell.  VII  (VI),  6,  10.   Nigidius  in  libro  I  augurii 
privati. 

XVI,  0,  13.   S.  Serv.  ad  Verg.  Aen.  4,  57. 


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XVI.  Buch,  6.  Cap.,  §  14.  15.  -  7.  Cap.,  §  1-3.  (323) 


Mann,  der  das  „Oberpriesterrecht"  offenbar  doch  sicher  ganz 
genau  gekannt  hat,  macht  im  4.  Buche  seiner  Abhandlung 
über  Vergil  die  schriftliche  Bemerkung,  dass  solche  Opfer- 
thiere  „bidentes"  genannt  wurden,  welche  ihres  (Lebens-) 
Alters  wegen  (per  aetatem)  zwei  hervorragende  Zähne  haben. 
15.  Hier  folgen  seine  eignen  Worte:  „Ein  Opferthier,  welches 
„bidens"  heisst,  muss  acht  Zähne  haben,  aber  zwei  müssen 
über  die  andern  hervorragen,  woraus  man  erkennt,  dass  sie 
aus  dem  unreifen  Alter  in  das  reifere  eingetreten  sind."  Ob 
des  Hyginus  Ansicht  wahr  sei,  dürfte  nicht  durch  Beweis- 
gründe ,  sondern  mit  sichtlichen  Augen  erkannt  werden 
können. 

XVI,  7,  L.    Dass  Laberius  bei  Bildung  vieler  Wörter  willkürlich  und 
leichtsinnig  verfuhr,  und  dass  er  sich  vieler  Ausdrücke  bediente,  bei  denen 
man  sich  fragen  muss,  ob  sie  wohl  (echt)  lateinisch  sind. 

XVI,  7.  Cap.  1.  Laberius  ist  in  den  von  ihm  verfassten 
mimischen  Dichtungen  bei  seiner  Wortbildnerei  gar  (oft)  sehr 
willkürlich  verfahren.  2.  So  sagt  er  „mendicimonium"  (Bettel- 
armuth),  „moechimonium"  (Ehebruch),  so  „adulterio"  (Ehe- 
brecher), „adulteritas"  (Ehebrecherei)  anstatt  „adulterium" ; 
so  sagt  er:  „depudicavit"  (hat  entehrt,  geschändet)  für  „stu- 
pravit"  und  für  „diluvium"  braucht  er  „abluvium"  (Wasser- 
fluth),  und  in  einer  seiner  mimischen  Dichtungen,  unter  dem 
Titel  „Cophinus  (xoyivog),  der  Korb"  setzt  er  „manuatus  est" 
(hat  sich  weggelangt,  weggefingert,  d.  h.  gestohlen)  für  „fu- 
ratus  est";  3.  eben  so  nennt  er  in  seinem  „Walker  (fullo)" 
einen  Dieb  „manuarius"  (Langfinger).   Die  Stelle  lautet: 

Manuari  pudorem  perdidisti,  d.  h. 

Langfinger  Du,  Du  hast  ja  alle  Scham  verloren. 

und  so  finden  sich  bei  ihm  noch  viele  andere  Wortneuerungen. 


XVI,  6,  15.  S.  Fest  v.  bidentes;  Serv.  ad  Verg.  Aen.  4,  57;  6,  39; 
Isidor.  22,  1. 

XVI,  7,  L.  S.  Bernhardy  R.  L.  78,  356.  Die  Wortbildnerei  des 
Laberius  gab  den  philisterhaft  nüchternen  Grammatikern  vielen  Anstoss. 
S.  Teuffels  röm.  Lit.  §  8,  11.  Die  Sprache  der  Mimen  war,  dem  Stoffe 
und  Publicum  entsprechend,  plebejisch.  Ueber  die  kühne  Wortbildnerei 
des  Laberius  s.  ferner  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  189,  7. 

XVI,  7,  2.  Covinus  (celtisches  Wort),  Sichel  -  Kampf -Wagen ;  Reise- 
(Planen-)Wagen. 

21* 


(324) 


XVI.  Buch,  7.  Cap.,  §  4—10. 


4.  Ebenso  bedient  er  sich  auch  gemeiner,  schmutziger  Wörter 
aus  niedrigerem  Volksgebrauch,  wie  z.  B.  in  seinem  Stück 
„Die  Gewebe-(Lebensfaden-)Schränke  (staminaria)",  da  heisst's : 

Tollet  bona  fide"  vos  orcus  nudas  in  catonium  (—  elg  to  xartovtov) 
Der  Tod  wird  sicher  euch  nackt  in  die  Unterwelt  bringen. 

5.  So  sagt  er  auch  „elutriare  lintea"  (Laken  auswaschen)  und 
„lavandaria"  (Wäschstücke),  welche  man  zum  Waschen  gegeben 
hat,  und  „coicior  in  fullonicam"  (sc.  officinam,  ich  werde  in 
die  Walkwerkstatt  geworfen).  Ferner:  Was  eilst  Du  so,  was 
läufst  Du  voraus ,  Heizerin  (Caldonia ,  i.  e.  Badbestellerin)  ? 

6.  Ebenso  nennt  er  in  seinem  „Seiler  (restio)K  Die,  welche 
man  gewöhnlich  „talabarriones"  nennt  „talabamunculi";  7. 
ebenso  in  seinem  „Scheidewegfest  (in  compitalibus)"  sagt  er: 
malas  malaxavi  (ich  habe  die  Kinnbacken  geschmeidig  ge- 
macht, von  naXctTttuo) ;  8.  desgleichen  in  seinem  „Gedächtniss- 
schwachen (in  Cacomnemone)"  sagt  er: 

Dort  der  Tölpel  (gurdus)  ist's,  von  dem  ich  Dir  erzählt,  der  aufnahm  mich, 
Als  von  Africa  ich  vor  zwei  Monden  kam. 

9.  Ebenso  in  seiner  Farce,  welche  die  , Ueberschrift  führt 

„Geburtstagsfest  (natalicius)",  gebraucht  er  die  Wörter :  cippus 

(Spitzsäule)  und  obba  (Caraffine)  und  camella  (dimin.  von 

camera,  Schälchen)  und  pittacium  (Anhängsel)  und  capitium 

(Miederüberwurf),  die  Stelle  lautet: 

 Induis 

Capitium  tunicae  pittacium,  d.  h. 

«    —  —  Du  hüllest  Dich 
in  die  Capuze,  das  Anhängsel  der  Tunica. 

10.  Ausserdem  bedient  er  sich  in  der  „Anna  Peranna"  der 
Wörter  „gubernius"  für  „gubernator"  (Lenker),  ferner  „planus" 
(nldvog)  für  sycophanta  (Betrüger)  und  „nanus"  (vävog,  Zwerg) 
für  pumilio;  obwohl  auch  M.  Cicero  in  seiner  Rede,  welche 
er  für  den  Cluentius  gehalten  (cap.  26,  72),  das  Wort  planus 
(Ränkemacher)  für  sycophanta   schriftlich   verwendet  hat. 


XVI,  7,  9.  Oder:  natalicius  sc.  mimus,  d.  h.  Geburtstagsschwank.  — 
Obba,  vergl.  Nonius  p.  146,  8;  u.  545,  1  (Napf). 

XVI,  7,  10.  Anna  Peranna  s.  Gell.  XIII,  23  (22),  4. 

XVI,  7,  10.  TcXävog  proprie  est  erro,  vagabundus  a:  nhiri],  error, 
vagatio.  Accipitur  etiam  pro  eo,  qui  decipiendi  causa  vagatur,  impostore 
nebulone,  fraudulento  sycophanta,  fallaci. 


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XVI.  Buch,  7.  Cap.,  §  11—14.  —8.  Cap.,  §  1.  2.  (325) 

11.  Ebenso  hat  er  in  seiner  Komödie  (zum  Freudenfest 
des  17.  Decembers),  genannt  „Saturnalien",  auch  den  Aus- 
druck „botulus"  (Blut-Wurst)  gebraucht  für  „farcimen",  des- 
gleichen eine  leichte  Person  „homo  levenna"  genannt,  anstatt 
„homo  levis".  12.  Ebenso  nennt  er  in  seiner  „Geisterbeschwö- 
rung (necyomantia)",  so  recht  nach  Pöbelart,  einen  Makler 
„cotio",  wofür  die  Alten  den  Ausdruck:  arillator  hatten. 
Die  betreffende  Stelle  des  Laberius  lautet  also: 
Duas  uxores?  hercle  hoc  plus  negöti  est:  sed  quid  cotio? 
_  Sex  aediles  viderat,  d.  h. 

Der  Weiber  zwei?    bei  Gott,  die  Aufgab'  ist  zu  gross:  was  sagt 

der  Makler? 

Sechs  Aedilen  sah  er  stehn. 
13.  Endlich  jedoch  in  seiner  Posse,  betitelt  „Alexandrea'1, 
bedient  er  sich  ganz  auf  dieselbe  Art,  wie  die  Menge,  aber 
ganz  richtig  lateinisch  eines  griechischen  Ausdrucks,  denn  er 
verwerthet  das  Wort  „emplastrum"  (Pflaster)  im  sachlichen 
Geschlecht  (ovd-ereQtog) ,  nicht  wie  (heutigen  Tages)  einige 
neubackene  Halbwisser*),  im  weiblichen  Geschlecht 
(emplastra,  emplastrae).  14.  Ich  lasse  die  betreffende  Stelle 
aus  der  Posse  gleich  folgen: 

Quid  est  jus  jurandum?   emplastrum  aeris  alieni,  d.  h. 

Was  ist  ein  Eid?  Es  ist  ein  Schuld -Verband. 

XVI,  8,  L.    Was  der  von  den  Dialektikern  gebrauchte  Ausdruck  a$((üpa 
bedeute,  und  wie  dieser  Ausdruck  von  nnsern  (Philosophen)  genannt  (und 
lateinisch  ausgedrückt)  wird;  endlich   einige  andere  «Ausdrücke,  welche 
beim  ersten  Unterricht  in  der  Dialektik  gelehrt  werden. 

XVI,  8.  Cap.  1.  Als  ich  mich  in  die  Wissenschaft  der 
Dialektik  einführen  und  einweihen  lassen  wollte,  musste  ich 
mich  erst  mit  den  von  den  Dialektikern  sogenannten  „Vor- 
übungen (elgaytayal ,  d.  h.  mit  den  vorbereitenden,  wissen- 
schaftlichen Einleitungen)'4  bekannt  und  vertraut  machen. 
2.  Weil  ich  mich  nun  anfänglich  mit  den  Axiomen  (a&coiiara, 
d.  h.  mit  den  [Ur-]  Spruch -Sätzen  oder  entschiedenen  Be- 

XVI,  7,  11.   Botularius,  Wursthandler  s.  Sen.  ep.  56,  8. 
XVI,  7,  12.   Cfr.  Tac.  Annal.  II,  85.   Arillator  (s.  Paul.  Diac  20, 12) 
Waarenmakler,  oder  cocio  s.  Plaut  Asin.  I,  3,  52  (208);  Orelli  7216. 
XVI,  7,  18.   *)  novicii  semidocti  vergl.  Gell.  XI,  7,  3  u.  XV,  30,  1. 
XVI,  8,  L.   Cfr.  Diog.  Laert.  VII,  50. 


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(326) 


XVI.  Buch,  8.  Cap.,  §  2—7, 


hauptungen,  wodurch  eine  unbedingte  Meinungsäusserung 
allemal  zum  Ausdruck  gelangt)  mich  geistig  beschäftigen 
musste,  welche  M.  Varro  bald  „profata"  (Sprüche),  bald  wieder 
„proloquia"  (Aussprüche)  nennt,  war  ich  eifrig  bemüht,  mir  des 
gelehrten  L.  Aelius,  der  des  Varro  Lehrer  war,  Abhandlung 
über  die  „Spruchsätze  (de  proloquiis)"  zu  verschaffen.  Ich 
ermittelte  diese  Schrift  in  der  Bibliothek,  die  sich  in  dem 
(von  Vespasian  gebauten)  Friedenstempel  befindet  und  las  sie 
(nun  eifrig  durch).  3.  Allein  der  darin  aufgezeichnete  Inhalt 
trägt  weder  zu  gründlicher  Belehrung,  noch  zu  deutlicher 
Unterweisung  bei  und  scheint  Aelius  diese  Schrift  nur  deshalb 
verfasst  zu  haben,  mehr  um  Anhaltspunkte  für  sich  zu  haben, 
als  in  der  Absicht  Andere  zu  belehren  (aliorum  docendi 
gratia*)).  4.  Ich  wendete  mich  nun  nothgedrungen  zu  den 
griechischen  Schriften.  Aus  ihnen  nun  erfuhr  ich  folgende 
wörtliche  Erklärung  des  Begriffes  a&wpa:  Es  bedeute  (das 
Wort)  einen  absolut  unabhängigen  (anschaulichen)  Grundsatz, 
nur  durch  sich  selbst  erklärt  (der  nicht  erst  braucht  bewiesen 
zu  werden).  5.  Ich  habe  (wohlweislich)  unterlassen,  die  Stelle 
(ins  Lateinische)  zu  übersetzen,  weil  ich  sonst  neue  und  un- 
statthafte Ausdrücke  dazu  hätte  verwenden  müssen,  die  wegen 
ihrer  Ungewöhnlichkeit  dem  Ohre  wohl  kaum  erträglich 
hätten  sein  können.  6.  Allein  M.  Varro  hat  im  14.  Buche 
„über  die  lateinische  Sprache"  an  den  Cicero  (von  diesem 
Wortbegriff :  agiiofia,  Ursatz)  ohne  die  geringste  Beanstandung 
folgende  Erklärung  geliefert:  „Unter  einem  Spruchsatz  (pro- 
loquium)  wird  eine  Meinungsäusserung  verstanden,  in  der 
nichts  vermisst  wird."  7.  Diese  Erklärung  wird  deutlicher, 
wenn  wir  erst  dafür  ein  Beispiel  werden  angeführt  haben. 
Folgendes  nun  aber  wäre  ein  solches  a^Uo^ia  oder  proloquium, 
wenn  man  lieber  diesen  Ausdruck  brauchen  will  (d.  h.  also 
ein  vollkommen  an  und  für  sich  deutlicher  Ausspruch): 
„Hannibal  war  ein  Punier;  Scipio  zerstörte  Numantia;  Milo 
ist  wegen  (Anklage  des)  Mordes  verurtheilt  worden;  das 


XVI,  8,  2.  Ueber  den  Tempel  der  Friedensgöttin  (Pax)  und  der  darin 
befindlichen  Bibliothek  s.  Gell.  V,  21,  9  NB.  ' 

XVI,  8,  8.  •)  Bezüglich  dieser  Construction  vergl.  Gell.  IV,  15,  1; 
V,  10,  5. 


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XVI.  Buch,  8.  Cap„  §  8-11. 


(327) 


Vergnügen  ist  weder  ein  Gut,  noch  ein  Uebel";  8.  überhaupt 
jeder  Ausspruch,  der  an  sich  einen  ganz  vollständigen  und 
abgeschlossenen,  in  Worten  ausgedrückten  Gedanken  bildet 
(also  eine  unbedingte  Meinungsäusserung  zum  Ausdruck 
bringt),  wobei  man  zu  erkennen  giebt,  dass  dieser  Gedanke 
entweder  wahr  oder  falsch  sein  muss,  wurde  von  den  Dia- 
lektikern u::;<  genannt,  von  dem  M.  Varro,  wie  ich  bereits 
erwähnte,  „proloquium"  und  vom  M.  Cicero  „pronuntiatum", 
welcher  Letztere  jedoch  sich  des  Ausdrucks  „pronuntiatum" 
für  agicofia  nur  so  lange  bedienen  will,  „bis",  wie  er  selbst 
sagt,  „ich  einen  bessern  dafür  gefunden  haben  werde".  9.  Was 
aber  die  Griechen  unter  einem  (stetigen)  Schlusssatz  verstehen, 
der  bei  ihnen  avvtj^fievov  af/o^a  (angeknüpfter  S.)  genannt 
wird  und  den  einige  römische  Schriftsteller  „adjunctum", 
andere  wieder  „connexum"  nennen,  ein  solcher  (stetiger) 
Schlusssatz  ist  z.  B.  folgender:  „Wenn  Plato  herumgeht,  so 
bewegt  sich  also  Plato;  wenn  es  Tag  ist,  so  ist  die  Sonne  über 
der  Erde."  10.  Ebenso  versteht  man  unter  (einer  aus  mehreren 
Gliedern  bestehenden  Proposition)  einer  Schlussreihe,  welche 
die  Griechen  ovfine7t'ktypiivov  nennen,  wir  Römer  mit  con- 
junctum,  oder  mit  copulatum  bezeichnen,  beispielsweise  fol- 
gende (logische)  Satzverbindung:  „P.  Scipio,  des  (Lucius 
Aemilius)  Paulus  Sohn  war  nicht  nur  zweimal  Consul,  son- 
dern hielt  auch  einen  feierlichen  Einzug,  verwaltete  auch 
das  Censoramt,  war  in  seiner  Sittenrichterstellung  auch  Amts- 
genosse des  L.  Mummius."  11.  Wenn  in  einer  solchen  Schluss- 
reihe (Satzverbindung)  nur  eine  Unwahrheit  sich  vorfindet, 
so  sagt  man  doch,  das  Ganze  sei  falsch  und  unrichtig,  ob- 
gleich alles  Andere  auf  Wahrheit  beruht.  Denn  wenn  ich  zu 
alledem,  was  ich  Wahres  über  den  Scipio  sagte,  hinzufügen 
wollte :  „endlich  hat  er  auch  den  Hannibal  in  Africa  über- 


XVI,  8,  8.  pronuntiatum  s.  Cic  Tusc.  I,  7,  14.  Effatum  Cic.  Luculi. 
s.  acad.  pr.  II,  29,  95;  de  legg.  II,  8,  20;  Senec.  ep.  117,  18;  Gell.  XIH, 
14,  1.   Enuntiatio  Cic.  Fat  1,  1;  10,  20;  Quint.  7,  3,  2;  9,  1,  23. 

XVI,  8,  9.  Adjunctum,  die  Zusammenfügung  zweier  Sätze,  von 
denen  der  letztere  aus  dem  ersteren  folgt;  im  Bedingungsschluss  (syllo- 
gismo  conditionali)  der  Vordersatz,  weil  dieser  Syllogismus  aus  zwei  Sätzen 
besteht   Siehe  Diog.  Laert  VII,  50  Zeno. 

XVI,  8,  10.  üeber  Scipio  s.  Gell.  IV,  18,  8  NB. 


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(328) 


XVI.  Buch,  8.  Cap.,  §  11  —  14. 


wunden",  was  doch  eine  Unwahrheit  sein  würde  (da  diese 
That  doch  der  Vater  seines  Adoptiv -Vaters,  der  P.  Cornelius 
Scipio  Africanus  major  vollbrachte),  so  würden  sofort  auch  alle, 
in  Verbindung  mit  dieser  Behauptung  ausgesprochenen  Sätze, 
wegen  dieses  einzigen  unrichtigen  Zusatzes,  eben  weil  sie  zu- 
sammen hingestellt  werden,  als  nicht  wahr  gelten.  12.  Nun 
giebt  es  auch  noch  eine  andere  Art  von  Schlusssatz,  welchen 
die  Griechen  dieCevyftevov*)  aif/wjua,  wir  (Römer)  dis- 
junctum  proloquium  nennen  (d.  h.  streng  geschiedener  Gegen- 
satz). Ein  derartiges  Beispiel  ist :  „Das  Vergnügen  ist  entweder 
ein  Uebel,  oder  ein  Gut,  oder :  es  ist  weder  ein  Gut,  noch  ein 
Uebel."  13.  Alle  solche  Sätze,  welche  (unter  einander)  streng 
aus  einander  gehalten  werden  sollen,  müssen  sich  gegenseitig 
widersprechen,  und  solche  Widersprüche,  welche  von  den 
Griechen  awLKUneva  genannt  werden,  müssen  natürlich  auch 
unter  sich  das  Gegentheil  bezeichnen.  Unter  allen  diesen 
(neben  einander  aufgeführten)  strengen  Gegensätzen  sind  alle 
übrigen  falsch,  nur  einer  muss  wahr  sein.  ]4.  Wenn  nun 
aber  entweder  keine  der  Aussagen  wahr  ist,  oder  alle,  oder 
mehrere  als  eine  wahr  sein  sollten,  oder  die  Gegensätze  sich 
nicht  (direct)  widersprechen,  oder  die  Widersprüche  sich  nicht 
gegenseitig  ausschliessen ,  dann  ist  der  logische  Gegensatz 
fehlerhaft  und  wird  als  solcher  von  den  Griechen  rtagadie- 
tevy/uivov  genannt  (d.  h.  fehlerhafter  Gegensatz),  wie  dies  in 
folgendem  Beispiel  der  Fall  ist,  wo  sich  die  Gegensätze  nicht 
(ausschliessen  und)  aufheben :  Entweder  läufst  Du,  oder  gehst 
spazieren,  oder  stehst.  Diese  Sätze  bilden  nun  zwar  unter  ein- 
ander entgegengesetzte  Begriffe ;  allein  das  Widersprechende  in 
diesen  Begriffen  steht  nicht  an  und  für  sich  im  Widerspruch 
zu  einander  (weil  doch  nur  immer  ein  Fall  als  möglich  an- 
genommen ist).  Denn  die  Begriffe:  „nicht  spazieren  gehen, 
nicht  stehn  und  nicht  laufen"  bilden  nicht  Gegensätze  unter 
sich,  weil  man  Gegensatz  das  zu  nennen  pflegt,  was  mit  einem 
andern  als  nicht  zugleich  bestehend,  für  möglich  und  wahr  an- 
genommen werden  kann;  denn  es  ist  doch  gewiss  unmöglich, 
in  demselben  Augenblicke  zugleich  entweder  zu  gehen,  oder 


XVI,  8,  12.  *)  S.  Gell.  II,  7,  22  und  vergl.  Geil  V,  11,  8.  Cic.  acad. 
n,  30,  97;  Diog.  Laert.  II,  50  Zeno. 


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XVI.  Buch,  8.  Cap.,  §  15.  16.  —  9.  Cap.,  §  1.  2.  (329) 


zu  stehen,  oder  zu  laufen.  15.  Aber  nun  mag  es  mit  diesem 
kurzen  Probestück  aus  der  Dialektik  abgethan  sein,  16.  und 
nur  eine  Ermahnung  sehe  ich  mich  veranlasst,  noch  hinzu- 
zufügen: dass  die  Beschäftigung  mit  dieser  Wissenschaft  und 
die  Bekanntschaft  mit  ihren  Grundsätzen  zwar  meist  für  ab- 
scheulich und  verächtlich,  für  unangenehm  und  unnütz  pflegt 
gehalten  zu  werden,  allein,  wenn  Du  darin  erst  einige  Fort- 
schritte gemacht  haben  wirst,  dann  wird  Dir  endlich  auch 
davon  der  Vortheil  deutlich  in  die  Augen  springen,  und  die 
Folge  davon  wird  eine  unersättliche  Lernbegierde  sein,  wobei, 
wenn  Du  ihr  die  Zügel  schiessen  lassest,  für  Dich  die  nicht 
unbedeutende  Gefahr  zu  besorgen  steht,  dass,  wie  so  viele 
Andere,  auch  Du  in  jenem  Zauberkreise  (dieser  Wissenschaft) 
und  in  den  Wirbel  Windungen  der  Dialektik,  gleich  wie  bei 
den  Sirenenklippen,  —  (trotzdem)  ein  hohes  Alter  erreichst. 

XVI,  9,  L.  Ueber  die  Bedeutung  des  in  den  Schriften  der  Alten  sehr 
häufig  vorkommenden  Ausdrucks:  „susque  deque"  (auf  und  nieder,  oben 

und  unten,  drüber  und  drunter). 

XVI,  9.  Cap.  1.  r Susque  deque  fero"  (ich  mache  mir 
nichts  daraus,  ich  drehe  deshalb  keine  Hand  um),  „susque 
deque  sumu  (ich  nehme  es  gleichgültig  hin,  ich  halte  es  für 
unbedeutend),  oder  „susque  deque  habeo"  (ich  achte  es  nicht, 
denn  in  dieser  Weise  der  Verbindung  hört  man  den  Ausdruck 
verwerthen)  ist  eine  Redensart  aus  der  Umgangssprache 
(selbst)  gebildeter  Männer,  und  findet  sich  dieselbe  auch  in 
den  Gedichten  und  Briefen  der  Alten  sehr  oft  schriftlich 
angewendet.  2.  Es  wird  Dir  aber  leichter  fallen,  Leute 
zu  finden,  welche  diese  Redensart  (auffälliger  Weise  oft) 
anwenden,  als  solche,  die  sie  (richtig  zu  erklären  wissen 
und)  verstehen.  So  zögern  Viele  von  uns  nicht,  Wörter  an- 
zuwenden, die  uns  ziemlich  fem  liegen,  bevor  wir  uns  Rechen- 
schaft über  ihre  (eigentliche)  Bedeutung  abgelegt  haben. 


XVI,  8,  16.  Der  Unterricht  in  der  Philosophie  begann  mit  der  Logik 
(Denklehre),  dann  folgte  Physik  (Naturphilosophie)  und  endlich  haupt- 
sächlich Ethik  (Sittenlehre).  Leider  artete  die  Logik  oft  in  sophistische, 
spitzfindige  Dialektik  aus.  Vergl.  Diog.  Laert  III,  56;  Euseb.  praep.  ev. 
11.  2;  Sext.  Empir.  adv.  mathem.  7,  16;  Epict  diss.  I,  17,  6;  Quint.  XII, 
prooem;  Plutarch.  Fortschritt  in  der  Tugend;  Sen.  ep.  71,  6;  88,  42. 


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(330)  XVI.  Buch,  9.  Cap.,  §  8—6.  -  10.  Cap.,  §  1. 


3.  Es  bedeutet  nun  aber  „susque  deque  ferre"  gleichgültig 
sein  und  einen  Vortheil  nicht  hoch  anschlagen  und  auch  bis- 
weilen vernachlässigen  und  gering  schätzen  und  es  ist  dieser 
Ausdruck  beinahe  gleichbedeutend  mit  dem  griechischen 
adiayoQeiv  (gleichgültig  sein).  4.  Laberius  bedient  sich  dieser 
Redeweise  in  seinem  „Scheidewegfest  (in  compitalibus)" : 

Nunc  tu  lentu's,  nunc  tu  susque  deque  fers; 
Mater  familias  tua  in  lecto  adverso  sedet, 
Seryos  sextantis*)  utitur  nefariis 
Verbis. 

Jetzt  bist  Du  abgestumpft,  machst  jetzt  Dir  nichts  mehr  draus ; 
Dir  gegenüber  sitzt  Dein  Weib  im  Ehebett 
Und  ein  niederer  Sklave  wagt  verruchte  Red'. 

5.  M.  Varro  im  „Sisenna"  oder  „über  Geschichte"  sagt: 
„Hätten  nicht  alle  diese  Dinge  einen  ähnlichen  Anfang  wie 
Ausgang,  es  würde  (dann  weiter)  nichts  zu  bedeuten  haben 
(susque  deque  esset).   6.  Lucüius  in  seinem  3.  Buche: 

Verum  haec  ludus  ibi  susque  omnia  deque  fuerunt, 
Susque  et  deque  fuere,  inquam,  omnia,  ludus  jocusque; 
lllud  opus  durum,  ut  Setinum  accessimus  finem: 
Aiyi'Xinoi  montes,  Aetnae  omnes,  asperi  Athones,  d.  h. 

Doch  dies  dort  war  Spiel,  wir  hielten  es  Alles  für  nichts,  ja 
Hielten  es  Alles  für  nichts  fürwahr,  Spiel  war  es  und  Spass  nur. 
Doch  hart  gings  uns  auf,  da  im  Land  der  Setiner  wir  waren: 
All'  aigilipisch  Gebirg,>  all'  Aetna's,  klippige  Athos'. 

XVI,  10,  L.    Was  man  verstand  unter  dem  Ausdruck:  „proletarii",  was 
unter:    „capitecensi",    desgleichen  was  in  den  Zwölftafelgesetzcn  unter: 
„adsiduus"  und  was  die  Entstehungsursache  dieses  (letztgenannten) 

Ausdrucks  sei. 

XVI,  10.  Cap.    1.  Als  eines  Tages  zu  Rom  Einstellung 


XVI,  9,  4.  *)  Servos  sextantis,  ein  (gemeiner)  Sklav,  so  ein  Hund 
für  einen  Groschen.  —  Lectus  ad  versus,  das  Bett  der  Thür  gegenüber, 
(vergl.  Propert.  IV  (V),  11,  85;  Ascon.  zu  Cic.  pro  Mil.  p.  43  Orell.),  wo 
es  aufgestellt  war.   S.  Paulus  p.  94,  11;  Hör.  Ep.  I,  1,  87. 

XVI,  9,  6.  Die  Reise,  die  zu  Fuss  unternommen  wird,  ist  zuerst 
ganz  gemächlich  und  leicht,  bis  sie  zu  dem  am  pomptinischen  Gebirgsrand 
hochliegenden  Setia  (jetzt  Sezza),  das  (nach  Juvenal.  V,  34)  durch  seinen 
Wein  bekannt  ist,  hinansteigen,  wo  es  jäh  und  steil  geht,  weshalb  der 
Dichter  von  ägilipischem  Gebirge  spricht  (wobei  er  scherzweise  das 
homerische  Beiwort  hoher  Felsen  „aiyiXnp"  braucht)  und  die  Berge  mit 

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XVI.  Buch,  10.  Cap.,  §  1  —  8.  (331) 

von  allen  öffentlichen  Geschäften  (otium*)  in  foro  a  negotiis) 
und  eine  so  recht  festliche  Festesfeier  stattfand,  wurde  zu- 
fällig unter  allgemeiner  Zustimmung  das  (3.)  Buch  von  des 
Ennius  „Jahrbüchern"  gelesen.  In  diesem  kommen  folgende 
Verse  vor: 

Proletarier  Roms  schmückt  man  auf  Kosten  des  Staates 
Mit  dem  Schilde  und  schwerem  Schwert  zum  Schutze  der  Mauern, 
Für  die  Stadt  und  Gemeinwohl  fleissig  zu  wachen. 
2.  Dabei  wurde  damals  sofort  die  Frage  in  Anregung  gebracht, 
was  das  Wort  „proletarius"  zu  bedeuten  habe.  3.  Als  ich  nun 
unter  der  Versammlung  einen  Freund  erblickte,  von  dem  ich 
wusste,  dass  er  das  bürgerliche  Recht  genau  kannte,  stellte 
ich  sofort  die  Bitte  an  ihn,  mir  doch  den  Ausdruck  „prole- 
tarius" zu  erklären;  4.  und  als  bei  dieser  Gelegenheit  der 
Betreffende  mir  zur  Antwort  gegeben  hatte,  dass  er  zwar  in 
der  Rechtswissenschaft,  aber  nicht  in  der  Grammatik  be- 
wandert sei,  sagte  ich  ihm:  gerade  eben  deshalb,  weil,  wie 
Du  selbst  bekennst,  Du  in  der  Rechtswissenschaft  bewandert 
bist,  gerade  deshalb  musst  Du  uns  auch  Aufschluss  geben 
können.  5.  Denn  Ennius  hat  diesen  Ausdruck  aus  euren 
Zwölftafelgesetzen  entlehnt,  worin,  wenn  ich  mich  recht  er- 
innere, Folgendes  geschrieben  steht:  „Einem  Wohlhabenden 
(assiduo)  soll  Bürge  (und  Anwalt,  vindex)  sein  ein  Wohl- 
habender; einem  armen  Bürger  ferner  (proletario)  soll,  wer 
da  immer  will,  ihm  Bürge  (und  Anwalt)  sein."  6.  Gieb  also 
unserer  Bitte  nach  und  denke,  dass  alleweil  nicht  des  Q. 
Ennius  Jahrbuch,  sondern  das  Zwölf tafelgesetz  gelesen  würde, 
und  gieb  uns  eine  Erklärung  darüber,  was  in  der  betreffenden 
Verordnung  der  Ausdruck  „proletarius  civis"  zu  bedeuten  hat. 
7.  Ich  würde  das,  sagte  er  nun,  in  der  That  vollständig 
müssen  erklären  und  auslegen  können,  hätte  ich  das  Recht 
der  uralten  Nachkommen  eines  Faunus  und  das  (von  Latiums 
ältesten  Urahnen)  von  den  Aborigenern  studirt.    8.  Aber  da 


dem  8icilischen  Aetna  vergleicht  und  mit  dem  gewaltigen,  weithin  sich  er- 
streckenden Athos  (Monte  Santo,  Agion  Oros)  in  Makedonien.  (Juvenal. 
X,  17,  4.   H.  Düntzer.) 

XVI,  10,  1.  *)  Während  gewisser  Feiertage  oder  Ferien  durfte  kein 
öffentliches  Geschäft  vorgenommen  werden. 

XVI,  10,  4.   Vergl.  Bernh.  r.  L.  34,  130. 


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(332) 


XVL  Buch,  10.  Cap.,  §8—10. 


die  Ausdrücke:  ,,proletariiu  und  „adsidui"  und  „sanates", 
dann  „vades"  (Bürgen)  und  „subvades"  (Unterbürgen),  ferner 
„viginti  quinque  asses"  (Strafe  von  25  Asses),  dann  „taliones" 
(Wiedervergeltungsrechte)  und  „furtorum  quaestio  cum  lance 
et  licio"  (d.  h.  Haussuchungsförmlichkeit  wegen  irgend  eines 
Diebstahls  nach  Herkömmlichkeit  mit  Schüssel  und  Gürtel)  sich 
verloren  haben  und  jene  ganze,  alte  Gesetzvorschrift  der  zwölf 
Tafeln,  ausser  bei  den  Rechtshändeln  in  Centumviral-Sachen, 
in  Folge  des  aebutischen  Gesetzvorschlages  (bereits) 
ausser  Kraft  getreten  ist,  so  fühlte  ich  mich  auch  nur  ver- 
pflichtet, allein  für  das  Interesse  und  die  Kenntniss  des 
(heutigen)  Rechtes  und  der  Gesetze,  wie  auch  nur  für  die 
bei  uns  gebräuchlichen  Ausdrücke  einzutreten;  9.  Gleich 
darauf  sahen  wir  zufällig  den  gelehrtesten  Dichter  unserer 
Zeit,  den  Julius  Paulus  vorübergehen.  10.  Als  wir  ihn  be- 
grüsst  und  unsere  Bitte  vorgetragen  hatten,  dass  er  uns  doch 
über  den  Sinn  und  die  Entstehung  dieses  Wortes  Auskunft 


XVI,  10,  8.   Adsiduus  (=»  dives,  ein  beständig  wo  sitzender  =) 
ansässiger,   wohlhabender,   steuerpflichtiger  Burger,  im  Gegensatz  der 
Proletarü,  der  untersten  Volksklasse,  welche  dem  Staate  nur  mit  ihrer 
Nachkommenschaft  (proles)  nützen  konnten  (XII  Tafeln;  Niebuhrs  röm. 
Gesch.  1  S.  496 ff;  Festus  v.  assiduus:  Charisius  I;  Freunds  Lexicon  der 
lateinischen  Sprache  und  Doederlein  lat  Synon.  III  S.  312).  —  Sanates, 
die  amne8tirten  Völker  Roms,  die  als  Clienten  die  Aecker  der  Vornehmen 
(forctes  =  fortes)  bebauten.  —  Viginti  quinque  asses  s.  Gell.  XX, 
1,  12.  —  Taliones  s.  Gell.  X,  1,  14.  —  Cum  lance  et  licio  s.  Gell.  XI, 
18,  9.  —  Centumvirales  causae.   Die  Centumviri  waren  eine  in  vier 
Collegien  getheilte  Unterbehörde,  welche  über  Erbschaften,  Vormund- 
schaften u.  8.  w.  zu  entscheiden  hatte.  —  Lex  Aebutia,  ein  Plebiscit 
aus  unbestimmter  Zeit,  welches  verordnete,  dass  weder  Der,  welcher  einen 
Gesetzesvorschlag  gemacht,  des  in  demselben  beantragten  und  beschlosse- 
nen Auftrags,  Geschäftes  oder  Amtes  theilhaftig  werden  könne,  noch  ein 
Verwandter  oder  College  desselben.    S.  Cic  contr.  P.  Servil.  Rull,  de 
leg.  agr.  II,  8,  41.    Dieses  Gesetz  hob  also  die  legis  actiones  auf  und 
betraf  die  Ertheilung  der  Vollmacht  und  Besorgung  einer  Sache  (curatio), 
die  sich  keiner  selbst  anmassen  durfte.   Gajus  IV,  §  30. 

XVI,  10,  8.  Trotz  der  Einführung  des  Formularprocesses  durch  die 
lex  Aebutia  dauerte  die  alte  legis  actio  (vergl.  Gell.  XX,  10,  1  NB)  vor 
den  ständigen  Collegien  noch  eine  Zeitlang  fort,  wie  aus  Gajus  IV,  30  f., 
aus  Cic.  pro  Caec.  33,  97 ;  pro  domo  29,  78  und  aus  Gellius  hier  zu  er- 
sehen ist,  allein  ebenso  aus  Gajus,  dass  man  in  den  meisten  Fällen  den 
Formularprocess  vorzog.   S.  Lange  röm.  Alterth.  §  132,  5  S.  (563)  616. 


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XVI.  Buch,  10.  Cap.,  §  10—14. 


(333) 


geben  möchte,  liess  er  sich  also  vernehmen:  Alle,  die  in  der 
römischen  Gemeine  die  Bedürftigsten  und  Aermsten  waren, 
nicht  mehr  als  mit  1500  Asses  bei  der  Abschätzung  (ihr  Ver- 
mögen) angeben  konnten,  wurden  „proletarii"  genannt;  Die- 
jenigen aber,  die  nicht  (mehr)  nach  dem  Vermögen,  oder 
doch  nur  nach  ihrem  sehr  geringen  Vermögensverhältnisse 
abgeschätzt  wurden,  hiessen  „capite  censi"  (Kopfsteuerbürger), 
als  äusserster  (niedrigster)  Vermögensbesitz  aber  bei  der  Ab- 
schätzung der  „capite  censi"  wurden  365  Asse  angenommen. 
11.  Allein  weil  eignes  Vermögen  und  ein  eigner  bürgerlicher 
Hausstand  als  eine  Gewähr  der  Sicherheit  und  des  Unter- 
pfandes für  den  Staat  angesehen  wurde,  und  dann  gleichsam 
ein  sicherer  Grund  zur  Vaterlandsliebe  und  ein  sicheres 
Bindemittel  lag,  deshalb  wurden  weder  „proletarii",  noch 
„capite  censi"  zum  Soldatenstand  ausgehoben,  ausser  bei 
äusserster  Gefahr  eines  Aufruhrs,  weil  sie  entweder  nur  einen 
geringen,  oder  oft  sogar  keinen  eignen  Hausstand  und  Besitz- 
thum (aufs  Spiel  zu  setzen)  hatten.  12.  Die  Klasse  (der 
Stand)  der  Proletarier  stand  einst  der  Stellung  und  dem 
Namen  nach  mehr  in  Ehren  als  die  „capite  censi";  13.  denn 
in  den  schlimmen  Zeiten  des  Staates,  als  Mangel  an  (kampf- 
fähiger) Jugend  eintrat,  wurden  sie  in  höchster  Eile  zum 
Kriegsdienst  ausgehoben  und  ihnen  die  Waffen  auf  öffentliche 
Kosten  verabreicht,  und  sie  wurden  nun  nicht  mehr  nach  der 
Abschätzung  ihrer  (steuerpflichtigen)  Person  (capitis)  benannt, 
sondern  mit  günstigerem  Ausdruck  nach  der  Bestimmung  und 
dem  Dienst,  den  sie  dem  Staate  dadurch  erwiesen,  dass  sie 
ihn  mit  Nachkommenschaft  (fürs  Heer  und  zum  Landesschutz) 
versorgten,  weil,  da  sie  dem  Staate  wegen  ihres  geringen 
Vermögens  nur  wenig  Unterstützung  gewähren  konnten,  sie 
doch  durch  Erzielung  bedeutenden  (Kinder-)Nachwuchses  den 
Staat  (insofern  von  Nutzen  waren,  als  sie  ihn)  bevölkern 
halfen.  14.  Wie  Einige  behaupten,  soll  zuerst  C.  Marius  im 
Kriege  mit  den  Cimbern  in  den  schlimmsten,  bedrängtesten 

XVI,  10,  10.  Festsetzung  des  Minimalcensus  von  1500  Assen  (300 
Libralassen)  für  die  zum  Legionsdienst  verpflichteten  Proletarier  legt 
Lange  (röm.  Alterth.  §  101  p.  [lOö]  115)  in  die  Zeit  475/279.  S.  Cic.  de 
rep.  2,  22,  40;  Non.  106  G. 

XVI,  10,  14.    S.  Val.  Max.  II,  3,  1 ;  Plut  Mar.  9. 


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(334)       XVI.  Buch,  10.  Cap.,  §  14-16.  — 11.  Cap.,  §  1.  ?. 

Zeiten  der  Republik,  oder  vielmehr,  wie  Sallust  angiebt,  im 
Kriege  mit  Jugurtha  (zur  Verstärkung  des  Heeres)  Rekruten 
aus  den  capite  censis  (d.  h.  aus  den  niedrigsten,  meist  besitz- 
losen Schichten  des  Volkes)  ausgehoben  haben ;  da  doch  dieses 
Verfahren  zu  keiner  Zeit  (je)  vorher  vorkam.  15.  In  den 
Zwölftafelgesetzen  wird  der  Ausdruck  „adsiduus"  gebraucht 
zur  Bezeichnung  eines  Reichen  und  eines,  der  ohne  Wider- 
rede seiner  Pflicht  nachkommt  und  leicht  ein  Opfer  bringen 
kann,  weil  er  so  genannt  ist  von  aes-dare  (d.  h.  Geld  oder 
Abgabe  geben),  sobald  nämlich  die  Zeit  der  Noth  eine  solche 
Abgabe  zum  Nutzen  des  Staates  erforderte;  oder  von  der 
Beharrlichkeit  und  Ausdauer  (ab  adsiduitate) ,  Unterstützung 
zu  gewähren  nach  ihren  bedeutenden  Vermögensverhältnissen. 
16.  Die  bezügliche  Stelle  des  Sallust  über  den  Consul  C.  Ma- 
rius und  über  die  „capite  censi"  lautet  in  seinem  Geschichts- 
werke über  den  „Jugurthischen  Krieg"  (86,  2)  also:  „Er 
selbst  hob  indessen  die  Rekruten  (Soldaten)  aus,  nicht  nach 
althergebrachter  Weise,  auch  nicht  nach  Rang  und  Ansehen 
(nec  ex  classibus)  sondern  wie  Jeglicher  Lust  bezeugte ,  meist 
Leute,  die  arm  und  ohne  Eigenthum  (capite  censi).  Dies 
geschah,  so  bemerken  Einige,  in  Ermangelung  besserer  (Mann- 
schaften), Andere,  aus  einem  Streben  des  Consuls  nach  Volks- 
gunst, weil  er  von  diesem  Menschenschlage  gefeiert  und  ge- 
hoben worden  war,  und  weil  einem  Manne,  der  nach  Macht 
strebt,  der  Dürftigste  immer  auch  der  Willkommenste  ist" 

XVI,  1 1 ,  L.  Eine  aas  den  Werken  des  Ilerodot  entlehnte  Erzählung  von 
dem  Untergange  der  Psyllen,  welche  in  den  sandigen  Küstengegenden  von 

Africa  wohnten. 

XVI,  11.  Cap.  1.  Der  Volksstamm  der  Marsen  in  Italien 
soll  von  einem  Sohne  der  (durch  ihre  Zaubereien  berühmten 
Meernymphe)  Circe  seinen  Ursprung  haben.  2.  Deshalb  war 
diesem  Marsenvolke,  wofern  ihre  Familienglieder  noch  nicht 


XVI,  11,  L.  Diese  Fabel  erzählt  Herodot  den  verlogenen  Cartha- 
gern  nach.  Ueber  die  Marsen  s.  Plin.  h.  n.  7,  2  §  7;  28,  2,  4  §  19; 
28,  3,  6  §  30;  Aelian.  Hist  an.  17,  27;  Lucian.  Philopseud.  9.  11;  Suet. 
Oct.  17. 

XVI,  11,  2.  Vergl.  Plin.  H.  N.  28,  4,  5;  Vergil.  Aen.  7,  758;  Sil. 
Italic.  8,  496;  Plin.  Hist.  N.  VII,  2,  7.    Vergl.  Celsus  V,  27,  3. 


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XVI.  Buch,  11.  Cap.,  §2—7. 


(335) 


mit  fremden  (Elementen  und)  Verbindungen  vermischt  und 
entartet  waren,  durch  eine  gewisse  natürlich  angeborne  Kraft 
es  verliehen,  sowohl  Bändiger  giftiger  Schlangen  zu  sein,  als 
auch  durch  Zaubersprüche  und  Kräutertränkchen  Wunder- 
kuren zu  verrichten.  3.  Mit  dieser  bevorzugten  (Wunder-) 
Kraft  waren  offenbar  auch  die  sogenannten  Psyllen  aus- 
gestattet. Nachdem  ich  nun  (lange)  in  den  alten  Schriften 
nachgesucht  hatte,  fand  ich  endlich  im  IV.  Buche  (cap.  173) 
von  Herodot  folgende  Erzählung  über  ihren  Namen  und  ihre 
Abstammung.  Dieser  erzählt  also:  4.  Die  Psyllen  seien  einst 
in  Africa  Grenznachbarn  von  den  Nasamonen  gewesen;  der 
Südwind  habe  einstmals  in  ihrem  Lande  sehr  heftig  und  lange 
geweht;  5.  durch  sein  Wesen  habe  er  in  den  von  ihnen  be- 
wohnten Gegenden  alles  Wasser  ausgetrocknet ;  6.  Die  Psyllen 
(fort  und  fort)  an  Wassermangel  leidend,  gegen  den  Südwind 
wegen  seiner  Ungerechtigkeit  schwer  entrüstet,  hätten  nun 
(einmüthig)  den  Entschluss  gefasst,  dass  sie  sich  mit  voller 
Rüstung  auf  den  Weg  machen  wollten  gegen  den  Südwind, 
gleichwie  gegen  einen  (wirklichen)  Feind,  um  mit  Kriegs- 
gewalt das  (entführte,  ihnen  zugehörige)  Besitzthum  zurück- 
zufordern. 7.  Dabei  sei  ihnen  nun  auf  ihrem  Wege  der  Süd- 
wind mit  langem  (heftigem)  Windzug  entgegengekommen  und 
habe  sie  alle  insgesammt,  mit  aller  Mannschaft  und  aller 
Ausrüstung  durch  üeberwehung  ganzer  Hügel  und  Berge  von 


XVI,  11,  3.  Psyllen  s.  Sext.  Empir.  hypot.  I,  82;  Herodot.  4, 173; 
Aelian  Thiergesch.  I,  57;  Plut  Cat.  56;  Strab.  13,  588;  17,  814;  Paus. 
9,  28,  1;  Suet  Octav.  17;  Plin.  H.  N.  VII,  2,  5.  Das  sofortige  Aussaugen 
der  Bisswunde  wird  noch  jetzt  als  probat  angesehen.  Neuerdings  em- 
pfiehlt aber  Prof.  Lenz  als  bestes  Mittel  gegen  den  Kreuzotterbiss :  sofort 
Pulver  auf  die  Wunde  zu  bringen  und  dasselbe  anzuzünden.  Der  Schmerz 
soll  unbedeutend  sein  und  das  Gift  sofort  vernichtet  werden. 

XVI,  11,  7.  Einer  der  kühnsten  Reisenden  der  neuern  Zeit,  der  1863 
an  einer  Verwundung  durch  Entladung  seines  Gewehres  gestorbene  Adolf 
von  Wrede  (geb.  1807  zu  Münster  in  Westfalen),  wagte,  von  heissem 
Forscherdrang  geleitet,  1842  eine  Entdeckungsreise  in  die  glühenden, 
sandigen  Gegenden  des  Innern  von  Arabien.  Des  Arabischen  mächtig,  als 
Beduine  verkleidet,  mitten  unter  fanatischen  und  misstrauischen  Arabern, 
die  zurückgelegten  Wegstrecken  heimlich  mit  dem  Compass  aufnehmend, 
gelangte  er  unentdeckt  unter  höchsten  Schwierigkeiten  und  Gefahren 
bis  zur  Stadt  Saba,  jenseits  deren  sich  eine  unermessliche  Wüstenei 


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(336)  XVI.  Buch,  II.  Cap.,  §  8.  —  12.  Cap.,  §1-3. 

Sand  verschüttet.  8.  Auf  diese  Art  seien  alle  Psyllen  bis 
auf  den  letzten  Mann  umgekommen  und  so  wäre  (nachher) 
ihr  Gebiet  von  den  Nasamonen  in  Besitz  genommen  worden. 

XVI,  12,  L.    Ueber  die  Wörter,  welche  Cloatius  Verus  entweder  ganz 
treffend,  oder  ganz  ungereimt  und  abgeschmackt  auf  Abstammung  aus  der 
griechischen  Sprache  zurückgeführt  hat. 

XVI,  12.  Cap.  1.  In  den  Schriften,  welche  Cloatius 
Verus  überschrieben  hat  „von  Wörtern,  die  von  den  Griechen 
hergenommen",  giebt  er  eine  durchaus  nicht  geringe  An- 
zahl sorgfältiger,  scharfsinniger,  ausgesuchter  Bemerkungen, 
jedoch  läuft  dabei  auch  manches  Unzuverlässige  und  Werth- 
lose mit  unter.  2.  So  sagt  er :  Errare  (irren)  ist  hergenommen 
von  efjeiv  (mühsam  wandeln,  elend  gehen)  und  führt  (zum 
Beleg)  eine  Stelle  aus  Homers  Hiade  VIII,  164  an:  i'$(>e, 
xaxi?  ylrp>ty  d.  h.  troll  Dich,  feige  Puppe,  und  ferner  einen 
Vers  aus  Homers  Odyssee  X,  72  an: 

sqq*  ix  vr\a>v  »iiooov  tXtyxune  fwöVrajv,  d.  h. 

Wandre  flugs  von  der  Insel  hinweg,  Schandbarster  der  Menschen. 

3.  Ebenso,  schreibt  er,  sei  „alucinari1*  (träumen)  aus  dem 
Griechischen  alveiv  (irren  Geistes  sein)  gebildet,  woher  nach 
seiner  Meinung  auch  wieder  „elucus"  (schläfriges  Wesen),  nach 


ausdehnt,  in  welcher  der  Sage  nach  ein  König  von  Saba  mit  seinem  ganzen 
Heere  vom  Sande  soll  verschlungen  worden  sein.  In  diese  Wüste  vor- 
gedrungen, Hess  er  sich  nicht  abhalten,  allein  die  verrufensten  und  ge- 
fährlichsten Gegenden  dieser  unabsehbaren  Einöde  zu  durchsuchen,  mit 
Zurücklassung  der  ihn  begleitenden  Beduinen,  welche  die  Furcht  vor 
Geistern  zurückschreckte.  Er  gelangte  endlich  an  gefährliche  Stellen,  wo 
ihm  der  Sand  merkwürdig  fein  erschien;  er  näherte  sich  dem  Rand  einer 
solchen  Stelle  und  warf  ein  an  einer  60  Faden  langen  Schnur  befestigtes 
Pfundgewicht  so  weit  als  möglich  hinein.  Das  Senkblei  versank  augen- 
blicklich ,  mit  abnehmender  Schnelligkeit  und  nach  Verlauf  von  fünf 
Minuten  verschwand  das  Ende  der  Schnur,  welches  ihm  beim  Wurfe 
entschlüpft  war,  in  das  Ahes  verschlingende  Grab  dieser  Sandabschlünde. 
Neuere  Forschungen  und  Beobachtungen  haben  an  andern  Orten  ganz 
gleiche  Erscheinungen  ergeben.  Die  von  Adolf  von  Wrede  in  einem 
Werke  hinterlassenen  interessanten  Aufzeichnungen  hat  Freiherr  von 
Maltzan  herausgegeben  unter  dem  Titel:  Reise  in  Hadramaut,  Beled  Bery 
Yssa  und  Beldel  Hadschar  von  Adolf  von  Wrede. 

XVI,  12,  1.  Vergl.  Bernh.  r.  L.  28,  105;  TeufFels  Gesch.  der  röm. 
Lit  338,  5. 


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XVI.  Buch,  12.  Cap.,  §3  —  8. 


(337) 


Umwandlung  des  Buchstaben  a  in  e,  gebildet  sein  soll,  mit 
Bezug  auf  eine  gewisse  geistige  Schläfrigkeit  und  Betäubtheit, 
wie  sie  bei  (gedankenlos)  Hinträumenden  sehr  häufig  vor- 
kommt. 4.  So  nimmt  er  „fascinum"  (Behexung)  gleichbedeutend 
mit  „bascanumu  (ßdo*avov)  und  „fascinare"  (behexen)  mit 
„bascinare"  (ßaoxaiveiv).  5.  Alle  diese  Bemerkungen  sind 
treffend  und  wirklich  sehr  zweckentsprechend,  aber  im  4.  Buche 
sagt  er :  der  sogenannte  „faenerator"  (Wucherer)  ist  gleichsam 
yaivegdzcoQ,  das  will  sagen  von  dem  Scheinannehmen  (yahe- 
o&cu)  in  Bezug  auf  eine  ziemlich  unbefangene  (gutherzige) 
Miene,  weil  dieser  Schlag  von  Leuten  die  Miene  der  Menschen- 
freundlichkeit zur  Schau  trägt  und  ungemein  zuvorkommend 
ist  gegen  die,  welche  nothwendig  Geld  brauchen.  6.  Und  er 
setzt  noch  hinzu,  dass  diese  Bemerkung  ein  gewisser  Gram- 
matiker Hypsicrates  gethan  habe,  dessen  Bücher  in  der 
That  berühmt  sind  wegen  der  (darin  angeführten)  Wörter, 
welche  von  den  Griechen  entlehnt  sind.  Mag  dies  nun  aber 
auch  Cloatius  selbst  gesagt  haben,  oder  wohl  gar  sonst  ein 
anderer  unbekannter  Windmacher,  (ich  bleibe  dabei)  es  kann 
keine  abgeschmacktere  Behauptung  aufgestellt  werden.  7. 
Denn  „faenerator"  (Wucherer)  erhielt  nämlich,  wie  M.  Varro 
im  3.  Buche  seines  Werkes  „über  die  ächt  lateinische  Aus- 
drucksweise (de  sermone  Latino)"  geschrieben  hat,  seinen 
Namen  von  „faenus"  (Wucherzins),  faenus  aber  (selbst)  soll 
nach  seiner  Angabe  von  foetus  (Erzeugniss,  Ertrag)  und 
gleichsam  von  foetura,  das  will  sagen  von  dem  Ergebniss  des 
(einträgliche)  Zinsen  gebenden  und  sich  vermehrenden 
(Geld-)Capitals  herkommen.   8.  Deshalb  hätte,  wie  M.  Varro 


XVI,  12,  4.  Fascinum,  Behexung.  Die  Römer  waren  fest  über- 
zeugt von  dämonischen  Einwirkungen  und  Behexung  mittelst  des  bösen 
Blickes,  üeber  den  Aberglauben  des  bösen  Blickes  bei  den  Alten  siehe 
Ber.  der  K.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  1855.  Hist.  phil.  Kl.  S.  28  ff.  (Jettatura, 
der  böse  Blick,  vermeintliche  Behexung  durch  den  Anblick).  Man  hatte 
dafür  als  Schutzmittel  verschiedene  Amulette.  Alte  Weiber  als  Beschwöre- 
rinnen versprachen  Hülfe  gegen  die  Hexerei,  machten  den  Leuten  allerlei 
Blendwerk  vor,  um  sie  dafür  auszubeuten.  S.  Plin.  28,  4,  7  §  35  u.  §  39. 
Ueber  den  amuletischen  Phallus  -  Cultus  der  Römer  vergl.  Härtung,  Relig. 
der  Römer  H,  S.  258  f. 

XVI,  12,  6.   Hypsicrates:  S.  Teuffels  röm.  Lit.  §  156,  12. 

XVI,  12,  7.   S.  Paul.  S.  86,  94  u.  Non.  S.  54,  4. 

Gell  ins,  Attiacl.o  NAchto.   U.  22 


(338)          XVI.  Buch,  12.  Cap.,  §  8.  -  13.  Cap.,  §  1—4. 

erzählt,  sowohl  M.  Cato,  als  alle  seine  übrigen  Zeitgenossen, 
das  Wort  „faenerator"  ohne  den  Buchstaben  a  (also  fenerator) 
ausgesprochen,  geradeso  wie  fetus  und  fecunditas  ausgespro- 
chen wurde. 

XVI,  13,  L.  Was  man  unter  „municipium"  versteht,  und  inwiefern  sich 
dieser  Wortbegriff  von  „colonia"  unterscheidet  und  was  „municipes" 
heissen;  ferner  über  die  Abstammung  und  eigentliche  Bedeutung  dieses 
Wortes;  dabei  auch,  was  der  erhabene  Hadrian  im  Senat  über  das  Recht 
und  den  Ausdruck  „municipes"  (gelegentlich  erläuternd)  sprach. 

XVI,  13.  Cap.  1.  Die  (beiden)  Ausdrücke:  „municipes" 
(Municipal- Bürger)  und  „municipia"  (M.- Städte)  sind  in  der 
Umgangssprache  leicht  gesagt  und  im  Verkehr  leicht  gebraucht, 
und  doch  wird  man  nur  selten  einen  Solchen  finden,  der  sich 
dieser  Ausdrücke  bedient,  ohne  dabei  völlig  überzeugt  sein 
zu  können,  dass  er  auch  verstehe,  was  er  sagt:  Allein  in 
Wirklichkeit  heisst  es  meist  etwas  Anderes  und  etwas  Anderes 
wird  gemeint.  2.  Denn  wie  Wenige  giebt  es  doch  wohl 
unter  uns,  deren  Einer,  obgleich  er  aus  einer  Colonie  des 
römischen  Volkes  stammt,  nicht  schon  manchmal  gesagt  haben 
sollte,  dass  er  ein  Municipalbürger  und  seine  Landsleute 
Municipalbürger  seien,  3.  wenn  es  auch  gleich  vernunftwidrig 
und  bei  Weitem  der  Wahrheit  entgegen  läuft?  So  befinden  wir 
uns  sogar  in  Unwissenheit  darüber,  was  „municipia"  heissen, 
ferner,  welche  Rechte  sie  haben  und  inwiefern  sie  sich  von 
.  einer  Colonie  unterscheiden,  und  bilden  uns  ein,  dass  die 
Colonieen  in  einem  bessern  Verhältnisse  (zu  uns)  stehen  (und 
mehr  Vortheile  gemessen)  als  die  „municipia".  4.  Ueber  diese 
zweifelhaften  Schwankungen  einer  so  allgemein  angenommenen 
Vermuthung  hat  der  erhabene  Hadrian  in  seiner  Rede,  welche 
er  über  die  Italicenser,  denen  er  selbst  entstammte,  im 


XVI,  18,  L.  S.  Paul.  Diacon.  unter  municipium  S.  127.  Municipien 
hiessen  bei  den  Römern  die  Städte',  welche  römisches  Bargerrecht,  aber 
eigne  Verwaltung  und  Gesetze  hatten.  S.  Napoleons  Geschichte  Julius 
Caesars  L  Bd.  I.  Buch  8.  Cap.  m  p.  61  u.  p.  64. 

XVI,  18,  4.  Die  Stadt  Italica  war  von  den  Scipionen  in  Spanien  ge- 
gründet worden,  wie  Appian  von  Alexandria  im  6.  Buche  seiner  iberischen 
(spanischen)  Kriegsnachrichten  cap.  38  u.  66  berichtet  Nach  Besiegung 
Spaniens  hatte  Scipio  alle  verwundeten  italischen  Krieger  in  einer  Stadt 
gelassen  und  diese  Italica  genannt 


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XVI.  Buch,  13.  Cap.,  §4—7. 


(339) 


Senat  gehalten  hat,  mit  höchster  Ausführlichkeit  gesprochen 
und  dabei  offen  seine  Verwunderung  zu  erkennen  gegeben, 
dass  sowohl  die  Italicenser  selbst,  als  auch  einige  andere, 
ganz  alte  Municipalstädte ,  worunter  er  auch  die  Uticenser 
mit  namhaft  macht,  obgleich  sie  doch  noch  nach  ihren  Sitten 
und  Gewohnheiten  und  nach  ihren  eignen  Gesetzen  leben 
könnten,  (nichtsdestoweniger)  Verlangen  trügen  (und  Alle 
Anstrengung  machten),  statt  der  Gerechtsamen  der  Municipal- 
städte,  lieber  das  Recht  der  Colonieen  zu  erhalten  und  so  in 
Colonieen  verwandelt  zu  werden.  5.  Dabei  erwähnte  er  aber 
(ferner),  dass  die  Praenestiner  mit  höchstem  Bemühen  vom 
Kaiser  Tiberius  begehrt  und  erbeten  hätten,  dass  sie  aus  dem 
(Standesrecht)  der  Colonie  in  den  Rang  einer  Municipalstadt 
möchten  aufgenommen  werden,  und  dass  Tiberius  ihnen  diese 
Gnade  zum  Zeichen  seiner  Huld  und  Dankbarkeit  gewährt 
habe,  weil  er  innerhalb  ihres  Gebietes,  in  unmittelbarer  Nähe 
ihrer  Stadt,  von  einer  lebensgefährlichen  Krankheit  wieder 
genesen  war.  6.  Municipal-Bürger  sind  also  römische  Bürger 
aus  den  Municipal  -  Städten  unter  Beibehaltung  ihrer  eigenen 
Gesetze  und  eigenen  Rechtspflege  (Verwaltung),  die  nur  das 
(eigenthümlicji  politische)  Ehrenvorrecht*)  mit  dem 
römischen  Volke  gemein  haben  und  den  Namen  Municipal- 
Bürger  überhaupt  von  der  Verpflichtungsübernahme  zu  ge- 
wissen Diensten  (gegen  Rom,  a  munere  capessendo)  scheinen 
erhalten  zu  haben,  ohne  an  anderweitige  Verbindlichkeiten, 
noch  an  irgend  eine  Verordnung  des  römischen  Volkes  ge- 
fesselt zu  sein,  wenn,  wie  gesagt,  das  (betreffende)  Volk 
solcher  Municipalstädte  nicht  (erst  durch  Abstimmung)  Selbst- 
Genehmiger  (einer  fremden  Verordnung)  geworden  war  (nisi 
in  [ali]quam  [legem]  populus  eorum  fundus**)  factus  est, 
d.  h.  eine  fremde  Verordnung  autorisirt  und  sich  so  vorher 
freiwillig  seines  eignen  Vorrechtes  begeben  hatte).    7.  Wir 


XVI,  13,  6.  *)  manus  honorarium,  Ehrenvorrecht,  wie  z.  B. 
dass  sie  wie  alle  andern  römischen  Bürger  den  römischen  Legionen  ein- 
verleibt und  nicht  unter  die  Hülfsvölker,  wie  die  Bundesgenossen  (socii), 
ausgehoben  wurden.    Cfr.  GelL  IV,  4,  3  NB. 

XVI,  13,  6.  **)  fundus.  Vergl.  Gell.  XIX,  8,  12;  Paul.  Diac. 
S.  89;  Cic.  Balb.  8,  19.   S.  Lange  röm.  Alterth.  §  143  S.  109. 

22* 


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(340)  XVI.  Buch,  13.  Cap.,  §7—9. 

wissen  nun  aber  bestimmt,  dass  die  Caeriten  zuerst  als 
solche  Municipal-  Bürger  ohne  Stimmberechtigung  ernannt 
worden  sind,  und  ihnen  gestattet  wurde,  dass  sie  zwar 
die  ehrenvolle  Auszeichnung  des  römischen  Bürgerrechts  ge- 
nossen, dabei  aber  von  Staatsdienstverpflichtungen  und  Staats- 
lasten frei  blieben,  dafür,  dass  sie  im  gallischen  Kriege  die 
Heiligthümer  (der  Stadt  Rom)  bei  sich  aufgenommen  und 
(treu)  bewahrt  hatten.  Umgekehrt  (d.  h.  in  entgegengesetzter 
Bedeutung)  wurden  „tabulae  Caerites"  die  Listen  und 
Verzeichnisse  genannt,  worein  die  Sittenrichter  Diejenigen 
eintragen  liessen,  welchen  sie  wegen  übler  Aufführung  der 
Beschimpfung  halber  die  Stimmberechtigung  entzogen.  8. 
Bezüglich  der  Colonieen  aber  herrscht  ein  ganz  anderes  Ver- 
hältniss;  denn  sie  kommen  nicht  (als  Fremde)  von  aussen  in 
den  römischen  Staat(skörper),  noch  können  sie  sich  auf  einen 
eignen  (besonderen)  Ursprung  berufen,  sondern  sie  sind  aus 
dem  römischen  Staatskörper  selbst  (entwachsen  und)  gleichsam 
weiter  verpflanzt  und  also  an  alle  Rechte  und  Einrichtungen 
des  römischen  Volkes  gebunden,  nicht  aber  an  ihre  Eigen- 
mächtigkeit (und  Willkür).  9.  Obgleich  nun  dieses  Verh.ält- 
niss  (bezüglich  der  Colonieen)  mehr  abhängig  und  weniger 
frei  erscheint,  muss  es  (im  Grunde  genommen)  doch  für 
würdiger  und  ansehnlicher  gehalten  werden,  in  Beziehung  auf 
den  Glanz  und  das  Ansehen  der  Würde  und  Herrlichkeit  des 
römischen   Volkes,   wovon    diese    Colonieen  (Pflanzstädte, 


XVI,  13,  7.  Caeriten,  Einwohner  der  Stadt  Caere  in  Etrurien 
(dem  jetzigen  Grossherzogthum  Toscana),  früher  Agylla  genannt  und  von 
den  Pelasgern  gegründet.  —  Als  die  Gallier  Rom  einnahmen  und  ver- 
brannten, flüchteten  (365  d.  St.)  die  Priester  und  Vestalinnen,  nebst  dem 
heiligen  Feuer  und  sonstigem  heiligen  Geräthe  nach  Caere,  wo  sie  freund- 
lich aufgenommen  wurden;  ilafür  gaben  die  Römer  den  Einwohnern  das 
römische  Bürgerrecht,  jedoch  ohne  das  Stimmrecht  in  den  Comitiis.  Weil 
diese  also  nur  das  Bürgerrecht,  nicht  aber  das  Stimmrecht  hatten,  sagte 
man  später:  in  tabulas  Caerites  referri  dann,  wenn  ein  römischer  Bürger 
zur  Beschimpfung  wegen  Ungebührlichkeiten  vom  Censor  als  Strafe  (nota) 
des  Stimmrechtes  beraubt,  folglich  den  Einwohnern  von  Caere  gleich 
gemacht  und  unter  die  Aerarier  versetzt  und  degradirt  wurde.  S.  Strabo 
V,  2  p.  337;  Liv.  V,  50  u.  VII,  20;  vergl.  Festus  233;  anders  Paul.  127. 

XVI,  13,  8.   S.  Servius  ad  Verg.  Aen.  I,  12. 


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XVI.  Buch,  13.  Cap.,  §  9.  —  14.  Cap.,  §  1  —  3.  (341) 

Tochterstädte)  gleichsam  eine  Art  Abbild  und  Abriss*) 
im  Kleinen  vorzustellen  scheinen;  desgleichen  auch,  weil  die 
eigentlichen  Gerechtsamen  der  Municipalstädte  so  sehr  in 
unklare  Ferne  gertickt  und  schon  so  in  Vergessenheit  ge- 
rathen  sind,  dass  man  nun  schon  nicht  mehr  (sich  auf  sie 
berufen  und)  sie  in  Anwendung  bringen  kann,  weil  man  von 
ihnen  gar  nicht  mehr  einen  rechten  Begriff  hat 

XVI,  14,  L.  Behauptung  des  M.  Cato,  daas  zwischen  „properare8  und 
„festinare"  ein  Unterschied  stattfinde;  ferner  über  des  Verrius  Flaccus 
unpassende  Erklärung  von  der  Ableitung  [hv/tov)  des  Wortes  „festinare". 

XVI,  14.  Cap.  1.  Es  nimmt  den  Anschein,  als  hätten 
die  (beiden)  Wörter  „festinare"  und  „properare"  ein  und  die- 
selbe Bedeutung  und  könnten  beide  in  einer  und  derselben 
Beziehung  (d.  h.  eins  für  das  andere)  gebraucht  werden.  2. 
Nach  M.  Cato's  Meinung  findet  aber  dabei  ein  (wesentlicher) 
Unterschied  statt  und  hat  er  beide  Wörter  auf  folgende  Weise 
(streng)  geschieden,  —  seine  eignen  Worte  hier  sind  der 
Rede  entlehnt,  welche  er  „über  seine  eignen  Vorzüge  (de  suis 
virtutibus)"  gehalten  hat  —  „Etwas  Anderes  ist  „properare" 
(eilen),  etwas  Anderes  „festinare"  (hasten).  Wer  Eins  nach  dem 
Andern  bei  Zeiten  (rasch,  mature*))  erledigt,  (is  properat) 
der  eilt;  wer  Vieles  zu  gleicher  Zeit  beginnt  und  nicht 
vollendet  (is  festin  at**)),  der  hastet."  3.  Verrius  Flaccus, 
in  der  Absicht  den  Grund  dieses  Unterschiedes  anzugeben, 
erklärt  sich  so:  Der  Ausdruck  „festinare"  ist  von  dem  Worte 


XVI,  13,  9.  *)  In  den  Coloniestädten  wurden  die  Aemter  fast 
ganz  wie  in  Rom  bestellt.  Doch  hiessen  ihre  Senatsmitglieder  Decuriones 
und  die,  welche  die  Consuln  vorstellten,  Duumviri.  Die  übrigen  Behörden, 
z.  B.  Aedilen,  Censoren  u.  s.  w.,  führten  dieselben  Namen  und  hatten 
dieselben  Verrichtungen,  wie  dieselben  Magistratspersonen  in  Rom  selbst 

XVI,  14,  2.   *)  üeber  mature  s.  GelL  X,  11,  2 NB. 

XVI,  14,  2.  **)  Die  Fortsetzung  dieses  catonischen  Fragmentes  lautet: 
„Meine  Art  ist  immer  gewesen,  Eins  nach  dem  Andern,  an  was  ich  mich 
einmal  gemacht  hatte,  auch  zu  erledigen."  S.  Jord.  fr.  or.  11,  4;  desgl. 
inc  11.  Vergl.  Fest.  8.  234,  Non.  S.  441,  23.  S.  Fronto  (?  Arusianus 
Messius)  de  different  vocab.  Dergleichen  ethische  Synonimik  ist  über- 
haupt im  Geschmack  unseres  Redners  Cato,  der  es  mit  dem  einzelnen 
Worte  ebenso  scharf  und  ehrlich  nimmt,  wie  mit  Gesinnungen.  Otto 
Ribbeck.  - 


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(342)    XVI.  Buch,  14.  Cap.,  §3  —  5.-15.  Cap.  —  16.  Cap.,  §  1. 

„fari"  hergenommen,  weil  sehr  nachlässige  (oberflächliche) 
Menschen,  die  nichts  zu  Stande  bringen,  es  stets  (mehr)  mit 
Worten,  als  mit  Thaten  halten.  4.  Aber  diese  Erklärung  ist 
offenbar  doch  wohl  zu  sehr  gewagt  und  ungereimt  und 
kann  der  (einzige,  tibereinstimmende)  Anfangsbuchstabe  in 
den  beiden  Wörtern  doch  wahrhaftig  nicht  von  so  grossem 
Einflüsse  sein,  dass  dieses  einzigen  Buchstaben  halber  zwei 
so  ganz  verschiedene  Wörter,  wie  „festinare"  und  „fari",  die 
selbe  Abstammung  sollten  haben  können.  5.  (Uns)  schien  es 
bequemer  und  näher  zu  liegen,  „festinare"  in  Beziehung  zu 
bringen  mit  „fessum  esse"  (ermattet  sein),  denn  wer  durch 
Beschleunigung  vieler  (auf  einmal  übernommener)  Dinge  sich 
abgemüdet  hat  (und  abstrapazirt) ,  der  eilt  dann  nun  nicht, 
sondern  hastet. 

XVI,  15,  L.    Welch  komische  schriftliche  Bemerkung  (uns)  Theoplirast 
über  die  Hebhühner  und  Theopompus  über  die  Hasen  hinterlassen  hat. 

XVI,  15.  Cap.  1.  Theophrastus,  der  gescheid  teste  unter 
den  Philosophen,  behauptet,  dass  alle  Rebhühner  in  Paphla- 
gonien  zwei  Herzen  haben  und  Theopompus,  dass  in  Bisaltia 
die  Hasen  eine  doppelte  Leber  haben  sollen. 

XVI,  16,  L.    Dass  der  Name  Agrippa  von  der  fehlerhaften,  schweren  und 
ungünstigen   Geburt  (des  Kindes)   abgeleitet  sei;    dann  noch   über  die 
Göttinnen,  welche  „Prorsa"  und  „Postverta"  genannt  werden. 

XVI,  16.  Cap.  1.  Kinder,  die  bei  ihrer  Geburt  nicht 
(wie  gewöhnlich)  mit  dem  Kopf,  sondern  zuerst  mit  den 
Füssen  zur  Welt  kommen,  —  welche  Entbindung  für  die 
schwerste  und  schmerzlichste  gehalten  wird,  —  werden 
„Agrippae"  genannt,  ein  aus  den  beiden  Begriffen  der 
Schmerzhaftigkeit   (aegritudo)  und  Fuss   (pes)  zusammen- 

XVI,  15,  1.  S.  Athenaeus  IX  p.  390,  C;  Aelians  Thiergeschichten 
V,  27;  X,  35;  XI,  40.  Ueber  diese  Fabel  von  der  Leber  der  Hasen  8. 
Beckm.  zu  den  Mirab.  Ausc.  c.  132,  S.  271;  Plin.  H.  N.  70,  1. 

XVI,  16,  L.   Vergl.  Gell.  I,  21,  8  NB. 

XVI,  16,  1.  Agrippa  entweder  von  «yp«  und  Xnnog,  oder  nach 
Doederlein  Synon.  IV,  424  u.  VI,  13  von  Xnnovs  dya'Qwv.  S.  Servius 
Aen.  8,  682  cl.  Quint.  I,  4,  25;  Plin.  7,  6  (8),  1.  45.  S.  Plin.  H.  N.  VII, 
6,  1 ;  Nonius  556,  31. 


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XVI.  Buch,  16.  Cap.,  §2-4.-17.  Cap.,  §  1.  (343) 


gesetztes  Wort.  2.  Varro  giebt  aber  an,  dass  die  Kinder  im 
Mutterleib  zu  unterst  mit  dem  Kopf,  die  Füsse  nach  oben 
gekehrt,  liegen;  nicht  nach  Menschenart,  sondern  gleich  dem 
(Aeussern  des)  Baumes  nach.  3.  Denn  die  Aeste  bezeichnet 
er  als  die  Füsse  und  beim  Baume  den  Wurzeluntergrund  und 
den  Stamm  nimmt  er  als  den  Kopf  an.  4.  „Wenn  nun  also 
die  Kinder,  sagt  er,  gegen  das  Naturgesetz  zufällig  sich  mit 
den  Füssen  gewendet  haben,  werden  sie  durch  die  aus- 
gespreizten Arme  gewöhnlich  zurückgehalten  und  die  Frauen 
gebären  dann  schwerer  (und  schmerzhafter).  Um  dieser 
Gefahr  (der  Schwergeburten)  durch  Gebete  vorzubeugen, 
errichtete  man  zu  Rom  den  beiden  Heilgöttinnen  (Carmentes) 
Altäre,  von  denen  die  eine  Göttin  „Postverta",  die  andere 
„Prorsa"  genannt  wurde,  theils  je  nach  Ansehung  der  Be- 
schaffenheit und  dem  Namen  von  der  (natürlich)  richtigen 
oder  unrichtigen  Lage  des  Kindes  im  Mutterleibe."  (Die  Ge- 
bete geschahen  auf  Grund  zur  Erflehung  einer  richtigen  und 
natürlichen  Entbindung  oder  für  Abwendung  einer  unregel- 
mässigen Geburt.) 

XVI,  17,  L.    Ueber  die  Ableitung  und  Bedeutung  des  Wortes  „Vaticanus" 

ager  (vaticanisches  Gebiet). 

XVI,  17.  Cap.   1.  Sowohl  das  vaticanische  Gebiet  (Vati- 
canus ager),  so  wie  der  Schutzgott  dieses  Gebietes  sollen 

XVI,  16,  1.  Carmentis  (Carmenta)  Name  zweier  altitalischer  Nym- 
phen (carmen  und  canere  Weissagung  und  Orakelspruche  in  Versen  und 
Liedern  gebend),  am  palatinischen Hügel  verehrt,  deren  eine  Postvorta 
(post- vertere,  von  dem  sich  fort  und  fort  drehenden  Schicksalsrade,  was 
"  immer  Neues  bringt,  das  personificirte  Vorauswissen,  hier)  eine  Geburts- 
göttin, besonders  von  Weibern  verehrt  wegen  Wendung  (vertere)  und  zwar 
„der  verkehrten  Geburt";  deren  andere  Prorsa  (Prosa,  Porrima  oder 
Antevorsa,  Göttin  der  regelmässigen,  mit  dem  Kopf  voranfolgenden  Ge- 
burten (pro -versus  gerade  ausgekehrt),  daher  wahrscheinlich  Prosa,  Rede, 
die  gerade  schlicht  vor  sich  hingeht.  Carmentis  s.  Liv.  I,  7,  8;  V,  47,  2; 
Verg.  Aen.  8,  336  Serv.  Ov.  Fast.  I,  499;  H,  201;  VI,  529;  Hygin.  Fab. 
277;  Solin.  1.  —  Postvorta  s.  Ovid.  Fast.  I,  635.  —  Plutarch.  römische 
Forschungen  56  (58),  Carmenta  von  carens  mente,  die  in  der  Verzückung 
ihren  Verstand  verlor. 

XVI,  17,  L.  Ager  Vaticanus,  das  Gebiet  in  der  Umgebung  des 
Vaticans,  berüchtigt  durch  schlechten  Boden,  der  daher  auch  schlechten 
Wein  erzeugte. 


(344)  XVI.  Buch,  17.  Cap.,  §  1.  2.  — 18.  Cap.,  §  1. 


ihren  Namen  erhalten  haben  von  den  Weissagungen,  welche 
durch  die  Macht  und  Eingebung  dieser  Gottheit  auf  besagtem 
Gebiete  gegeben  zu  werden  pflegten.  2.  Aber  ausser  diesem 
Grund  giebt  M.  Varro  in  seinen  Büchern  „über  Vorgänge  in 
göttlichen  Dingen  (Religionsangelegenheiten,  in  libris  divi- 
narum)"  auch  noch  eine  andere  Ableitung  dieses  Wortes  an. 
Da  sagt  er:  „Denn  so  wie  Aius  (die  personificirte  Warnungs- 
stimme) als  Namen  einer  Gottheit  galt,  und  ihr  (als  solcher) 
ein  Altar  errichtet  wurde,  welcher  sich  am  Ende  der  neuen 
Strasse  befindet,  weil  daselbst  die  Stimme  auf  göttliche  Ein- 
gebung hin  erklungen  war:  so  heisst  auch  der  Gott  Vaticanus, 
der  ja  über  den  ersten  menschlichen  (Lebens-)  Laut  gebietet, 
weil  Neugeborne  die  erste  Silbe  in  dem  Worte  Vaticanus 
(nämlich  das  einsilbige  ua)  als  ihren  ersten  Lebenslaut  ver- 
nehmen lassen;  deshalb  braucht  man  das  Wort  „vagire" 
(gleichsam  uagire,  ohngefähr  wie  unser  deutsches:  quäcken), 
weil  das  Wort  den  Klanglaut  eines  (kleinen)  Neugebornen 
deutlich  ausdrückt." 

XVI,  18,  L.  Einige  allerliebste,  erwähnungswerthe  und  lehrreiche  Be- 
merkungen über  den  Theil  der  Geometrie,  welcher  Optik  (Lehre  vom 
Sehen)  genannt  wird,  dann  einige  andere  über  Klangtheorie  K  lang  verbal  t- 
niss ,   Harmonik)   und    ebenso    endlich  über  den  dritten  Theil ,  Metrik 

(Rhythmik,  Zeitmass). 

XVI,  18.  Cap.  1.  Ein  gewisser  Theil  der  Geometrie 
wird  Optik  (die  Lehre  vom  Sehen)  genannt,  ein  zweiter 
bezieht  sich  auf  das  Gehör  und  wird  Theorie  des  Klanges 
genannt   (xßvonxt^),   die   den  Musikern    gleichsam  die 


XVI,  17,  1.  Der  deus  Vaticanus  soll  seinen  Namen  haben  von 
vagire  (quacken,  wimmern),  dem  ersten  Kinderlaut  (daher  Vagitanus,  s. 
Preller  röm.  Myth,  8.  578  A.  4.)  Mercklin  670. 

XVI,  17,  2.  Aius  (Loquens  oder  Aius  Locutius  von  aio  oder  loquor), 
der  ansagende  Sprecher,  d.  h.  die  Stimme,  welche  die  Römer  vor  der 
Ankunft  der  Gallier  warnte  und  anfangs  nicht  beachtet,  dann  aber,  als 
sich  die  Warnung  bewährt  hatte,  als  Gottheit  in  einem  besonderen  Tempel 
verehrt  wurde.  Cic.  div.  I,  45,  101;  II,  32,  69;  Liv.  V,  50,  5;  cfr. 
Hildebr.  I  no.  28.  Augustin.  de  civit  Dei  IV,  8,  11.  Plutarch:  über  das 
Glück  der  Römer  5.  ■ 

XVI,  18,  1.  Optik  wird  derjenige  Theil  von  der  Lehre  des  Lichtes 
und  des  Sehens  genannt,  welcher  mathematischer  Bestimmung  fanig  ist 


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XVL  Buch,  18.  Cap.,  §  1—6.  (345) 

Grundlage  und  Richtschnur  in  ihrem  Kunstzweig  dient.  2. 
Jede  von  diesen  beiden  beruht,  (die  Optik)  auf  den  Be- 
stimmungen des  Raumes  und  der  Zielsentfernungen ,  (die 
theoretische  Musik,  xavowxi?)  in  dem  Verhältniss  der  Rhyth- 
mik und  Harmonie.  3.  Die  Optik  lässt  uns  vieles  Wunder- 
bare erscheinen,  z.  B.  dass  in  einem  Spiegel  ein  Gegenstand 
mehrmals  vervielfältigt  erscheint;  ebenso,  dass  ein  Spiegel  in 
eine  gewisse  Stellung  gebracht  nichts  abbildet  (wiedergiebt) 
und  wieder  anders  aufgestellt,  die  Gegenstände  wiedergiebt; 
wie  auch,  wenn  Du  senkrecht  von  oben  in  den  Spiegel  siehst, 
Dein  eignes  Bild  Dir  so  erscheint,  dass  der  Kopf  unten  ist, 
die  Füsse  nach  oben  gehen.  Diese  Wissenschaft  giebt  die 
Gründe  an,  worauf  die  Augentäuschungen  beruhen,  dass  Ge- 
genstände, die  man  im  Wasser  erblickt,  in  unsern  Augen  uns 
grösser  vorkommen,  und  dass  sie  unserem  Auge  entfernter 
und  kleiner  erscheinen.  4.  Die  theoretische  Musik  (%avoviy.rj) 
beschäftigt  sich  mit  den  Massverhältnissen  der  Tonlängen  und 
der  Tonentfernungen  (Intervalle).  Die  gehörige  und  bestimmte 
Dauer  eines  Tones  heisst  Tonmass  (jvdyiog,  Takt,  Metrik); 
das  Verhältniss  der  (höher  oder  tiefer  gelegenen)  Töne  zu 
einander  heisst  Melodie  (ßilog,  Tonart,  Harmonie).  5.  Es 
giebt  auch  noch  eine  andere  Art  von  Klangverhältniss,  welche 
sich  allein  auf  das  Zeitmass  bezieht  und  Metrik  (ßetQixr}, 
Silbenmass)  genannt  wird,  die  dazu  dient,  dass  man  die  (ge- 
hörige) Zusammenfügung  der  langen  und  kurzen  und  mittel- 
zeitigen Silben  und  das  mit  den  Regeln  der  Geometrie  über- 
einstimmende Versmass  mit  Beihilfe  des  Gehörs  genau  abwägt. 
6.  „Allein  diese  Kenntnisse,  fugt  M.  Varro  hinzu,  eignen  wir 
uns  entweder  überhaupt  gar  nie  an,  oder  wir  werfen  sie  eher 


und  einen  Haupttheil  der  angewandten  Mathematik  ausmacht  Kavovixj 
sc.  ttxvq  sc.  &ttüQ(a  (ratio)  ist  derjenige  Theil  der  theoretischen  Musik, 
der  das  Verhältniss  der  Töne  zu  einander  festsetzt,  also  die  Töne  auf 
der  Tonleiter  nach  den  verschiedenen  aQfiov(tus  abmisst  und  begreift 
Harmonik,  Rhythmik,  Metrik.  S.  F.  Bitsehl  „Die  Schriftstellern  des  M. 
Terentiu8  Varro"  p.  504;  Vitruv.  I,  l;.vergl.  Teuffels  Gesch.  der  röm. 
Lit.  164,  6,  \ 

XVI,  18,  4.  Die  Stimme,  gleichwie  die  poetische  Rede,  muss  an  und 
für  sich  sowohl  Rhythmus  (modulatio)  als  auch  Melos  (sonus  und  canor) 
haben. 


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(346)         XVI.  Buch,  18.  Cap.,  §  6.  -  19.  Cap.,  §  1—8. 

noch  bei  Seite,  bevor  wir  eingesehen  haben,  warum  wir  sie 
uns  eigentlich  aneignen  sollen.  Das  Vergnügen,  fährt  er  fort, 
oder  die  Nützlichkeit  solcher  Kenntnisse,  tritt  (erst)  in  seinen 
Folgen  zu  Tage,  wenn  man  sie  (theoretisch)  vollständig  inne 
hat  und  ihrer  Meister  geworden  ist,  in  ihren  Anfängen  aber 
kommt  ihr  Erlernen  uns  albern  und  unangenehm  vor." 

XVI,  19,  L.    Eine  aus  dem  (ersten)  Buche  llerodots  entlehnte  (märchen- 
haft klingende)  Geschichte  über  den  Saitcnspieler  Arion. 

XVI,  19.  Cap.  1.  Herodot  hat  (uns  im  1.  Buche,  cap.  23  ff.) 
durch  eine  sehr  wirksame  und  fesselnde  Darstellung  und 
durch  eine  geschmackvolle  und  ungekünstelte  Behandlungs- 
weise  im  Ausdruck  eine  abenteuerliche  Geschichte  über  den 
berühmten  Saitenspieler  Arion  mitgetheilt.  2.  Dieser  Arion 
war  in  alten  Zeiten  (vetus)  ein  höchst  berühmter  Saiten- 
spieler. 3.  Seinem  engeren  Geburtsorte  nach  war  er  Me- 
thymnaeer,  seinem  grösseren  Vaterlande  und  der  ganzen  Insel 
nach  Lesbier.  4.  Periander,  der  König  von  Korinth,  hielt 
diesen  Arion  seiner  Kunstfertigkeit  halber  als  Freund  und 
Liebling  (hoch  in  Ehren).  5.  Einst  entfernte  er  sich  jedoch 
von  da  vom  König  weg,  die  berühmten  (herrlichen)  Litnder 
Sicilien  und  Italien  zu  bereisen.  6.  Als  er  dorthin  kam,  nahm 
er  in  den  Städten  dieser  beiden  Länder  Ohren  und  Herzen 
Aller  für  sich  ein  und  erwarb  sich  daselbst  grosse  Summen, 
lebte  in  lauter  Lust  und  Wonne  und  wurde  von  allen  Leuten 
geliebt.  7.  Endlich  bereichert  mit  grossen  Geldsummen  und 
vielen  Werthsachen  (kostbaren  Angedenken)  beschloss  er, 
(schliesslich  wieder)  nach  Korinth  zurückzukehren.  8.  Er 
suchte  sich  also  ein  korinthisches  Schiff  mit  korinthischer 
Bemannung  (für  seine  Rückreise)  aus,  weil  die  Korinther  als 

XVI,  19,  1.  S.  Hygin.  Fab.  194;  Servius  ad  Verg.  Ecl.  8,  55;  Soli- 
nus,  12;  Plutarch:  Das  Gastmahl  der  siehen  Weisen  18. 

XVI,  19,  3.  Leßbos,  Insel  im  agäischen  Meere,  war  Geburtsort  des 
Pittacus,  Alcaeus,  Theophrastus,  Arion  und  der  Sappho. 

XVI,  19,  4.  Periander,  Herrscher  von  Corinth,  im 7.  Jahrb.  v.  Chr., 
einer  der  sieben  Weisen  Griechenlands,  ermordete  im  Jähzorn  seine  Gattin 
Melissa  und  übte  dann  gegen  seine  ünterthanen  grosse  Bedrückungen  aus. 
Uebrigens  beförderte  er  Handel,  Schiffahrt,  Künste  und  Wissenschaften. 
Vergl.  Herodot.  I,  23;  III,  48ft;  V,  94  ff. 


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XVI.  Buch,  19.  Cap.,  §  8  —  16.  (347) 

seine  Landsleute  ihm  bekannter  und  befreundeter  waren. 
9.  Er  befand  sich  bereits  (auch  schon  mit  Hab  und  Gut)  auf 
dem  Schiffe,  und  dieses  lief  schon  auf  hoher  See,  da  habe 
(heisst  es)  die  Schiffsmannschaft,  getrieben  von  Raub-  und 
Geldgier,  den  Entschluss  gefasst,  den  Arion  ums  Leben  zu 
bringen.  10.  Als  dieser  nun  seinen  Untergang  vor  Augen 
sah,  da  habe  er  dann  all  sein  Geld  und  alles  Uebrige  (von 
Werth)  ihnen  gegeben,  damit  sie's  behalten  sollten,  und  sie 
gebeten,  dass  sie  nur  sein  Leben  schonen  möchten.  11.  Die 
Schiffer  hätten  (darauf  allerdings)  insofern  mit  seinen  Bitten 
Mitleid  gehabt,  dass  sie  sich  enthielten,  ihm  mit  Gewalt  eigen- 
händig den  Tod  zu  geben,  hätten  aber  (nichtsdestoweniger) 
verlangt,  dass  er  sich  nun  sofort  vor  ihren  Augen  hinunter 
ins  Meer  stürzen  solle.  12.  Der  Unglückliche,  so  heisst  es 
weiter,  gab  nun  in  der  Bestürzung  alle  Lebenshoffnung  auf 
und  erbat  sich  hierauf  schliesslich  nur  noch  dies  Eine,  dass 
sie  ihm,  bevor  er  in  den  Tod  ginge,  gestatten  möchten,  seine 
(besten)  Kleider  sich  anlegen,  sein  Saitenspiel  zur  Hand 
nehmen  und  (erst  noch)  ein  Trostlied  seines  Unterganges 
singen  zu  dürfen.  13.  Die  wilden  und  unmenschlichen  Schiffer 
wandelt  nun  doch  selbst  die  Lust  an,  ihn  (noch  einmal)  zu 
hören;  seine  Bitte  wird  ihm  gewährt.  14.  Bald  darauf  (er- 
scheint er)  nach  seiner  Gewohnheit  bekränzt,  angekleidet, 
geschmückt,  stellt  sich  auf  dem  Platze  des  äussersten  Schiffs- 
hintertheils  auf  und  stimmt  mit  erhobenster,  durchdringender 
Stimme  sein  Lied  an,  sein  (carmen  i.  e.  vopov  oq&iov,  er- 
habenes, rührendes)  hohes  Lied  an,  wie  man  sagt.  15.  Am 
Schluss  seines  Gesanges  stürzte  er  sich  mit  seiner  Leier  und 
seinem  ganzen  (angelegten  Kleider-)  Schmuck ,  wie  er  stand 
und  sang,  hinab  in  die  Tiefe.  Die  Schiffer  waren  durchaus 
nicht  im  Zweifel,  dass  er  umgekommen  sein  müsse,  und  ver- 
folgten (ruhig)  ihre  Fahrt  weiter,  die  sie  eingeschlagen  hatten. 
16.  Aber  ein  unverhoffter,  wunderbarer,  günstiger  Umstand 


XVI,  19,  14.  Carmen  orthium  =  vofxog  oyd-tof,  ein  Rettungslied 
zur  Entfernung  des  Unglücks,  Plut.  sept.  sap.  conv.  18  p.  161  C;  über 
die  Musik  cap.  9.  Eigentlich  war  dieser  vofxog  oQd-tog,  eine  Art  von 
Kriegsmusik,  .  mit  hervortretendem,  lebhaftem  (Marsch-) Rhythmus ,  in 
früherer  Zeit,  ohne  Gesang,  auf  der  Flöte  (Clarinette)  gespielt. 


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(348) 


XVL  Buch,  19.  Cap.,  §  16—23. 


trug  sich  zu.  Ein  Delphin  schwamm  plötzlich  unter  dem 
Wasser  herbei,  legte  sich  unter  den  von  den  Wellen  ge- 
tragenen Unglücklichen  und  trug  ihn  auf  seinem  über  die 
Fluthen  hinausragenden  Rücken  weiter  und  brachte  ihn  kör- 
perlich wohlbehalten  und  im  vollen  Schmuck  nach  Taenarus 
ins  laconische  (lacedämonische)  Gebiet.  17.  Darauf  liabe 
sich  Arion  von  da  geraden  Weges  nach  Korinth  begeben  und 
sei  gerade  so  (in  dem  Anznge),  in  dem  er  von  dem  Delphin 
ans  Land  gebracht  worden  war,  wider  Vermuthen  vor  den 
König  Periander  erschienen  und  habe  ihm  die  ganze  Be- 
gebenheit umständlich  erzählt.  18.  Der  König  habe  aber  der 
Erzählung  wenig  Glauben  geschenkt  und  19.  den  Arion  wie 
einen  Betrüger  und  Lügner  in  Gewahrsam  setzen  lassen,  habe 
aber  trotzdem  die  Schiffer  ausfindig  machen  und  sie  dann 
unvermerkt,  während  Arion  in  der  Nähe  sich  versteckt  hielt, 
ausfragen  lassen,  ob  sie  wohl  an  den  Orten,  woher  sie  jetzt 
kämen,  etwas  über  den  Arion  gehört  hätten?  20.  Diese 
hätten  nun  angegeben,  dass,  als  sie  von  dort  weggereist 
wären,  er  sich  gerade  in  Italien  aufgehalten  habe,  dass  es 
ihm  dort  ausserordentlich  wohl  ergehe  und  er  durch  die  Zu- 
neigung und  den  Enthusiasmus  der  Städte  auf  der  Höhe 
seines  Glückes  stehe  und  durch  seine  grosse  Beliebtheit,  wie 
durch  seine  grossen  Geldeinnahmen  wohlhabend  und  glücklich 
sei.  21.  Während  dieser  ihrer  (falschen)  Aussagen  sei  Arion 
(plötzlich)  mit  seiner  Zither  und  in  demselben  Anzüge, 
womit  er  sich  in  das  weite  (sturmbewegte)  Meer  hinaus- 
gestürzt hatte,  (aus  seinem  Versteck)  hervorgetreten;  22.  die 
Schiffer,  erstaunt  und  überführt,  hätten  nun  (ihre  abscheuliche, 
schändliche)  That  nicht  mehr  leugnen  können.  23.  Dieses 
(merkwürdige)  Abenteuer  erzählten  die  Lesbier,  wie  die  Ko- 
rinther und  es  diene  als  Beweis  für  (die  Wahrheit)  dieses 
Märchens,  dass  (noch  jetzt)  bei  (dem  laconischen  Vorgebirge) 
Taenarus  zwei  eherne  Figuren  zu  sehen  wären,  der  schwim- 
mende Delphin  mit  dem  auf  seinem  Rücken  sitzenden  Men- 
schen (dargestellt). 


XVI,  19,  23.    S.  Solinus  7. 


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XVII.  BUCH. 

XVII,  1,  L.  Ausgesprochener  Tadel  des  Gallas  Asinius  und  des 
Largius  Licinns  über  einen  Gedanken  aus  Cicero's  Rede,  welche  er  für 
M.  Caelius  gehalten  hat,  und  was  vernünftiger  und  entsprechender  Weise 
sich  gegen  diese  ganz  albernen  Menschen  zur  Vertheidigung  des  Gedankens 

erwidern  lasse. 

XVII,  1.  Cap.  1.  So  wie  es  lebende  Geschöpfe  gab, 
Ungeheuer  von  Menschen,  welche  über  die  unsterblichen 
Götter  gottlose  und  betrügerische  Ansichten  verbreiteten,  so 
gab  es  auch  einige  so  ungeheuerliche  und  so  frevelhafte 
(Subjecte)  Personen,  —  unter  diese  gehören  auch  Gallus 
Asinius  und  Largius  Licinus,  Verfasser  des  Buches  mit  der 
bekannten,  abscheulichen  Aufschrift:  „Cicerogeissel  (Cicero- 
mastix)", —  Personen,  die  sich  mit  dem  schriftlichen  Urtheil 
hervorwagten,  dass  Cicero  (bisweilen)  sehr  sprachunrichtig 
und  unpassend  und  unüberlegt  sich  ausgedrückt  habe.  2.  Nun 
sind  zwar  (diese  und)  andere  ihrer  Vorwürfe  weder  des  Er- 
wähnens, noch  Anhörens  werth,  3.  indess  wohlan,  so  lasst 
uns  doch  einmal  eine  Betrachtung  bei  einer  Stelle  an- 
knüpfen, wobei  sich  vor  Allem  diese  Wortklauber  selbst  als 


XVII,  1,  L.  Asinius  Gallus,  der  Sohn  des  C.  Asinius  Pollio 
(vergl.  Gell.  I,  22,  19),  besass  zwar  nicht  die  Eigenschaften  seines  Vaters, 
aber  grosse  Freimüthigkeit,  wodurch  er  den  Tiberius,  dessen  erste  Gattin 
Vipsania  er  heirathete,  sehr  beleidigte,  weshalb  er  mehrere  Jahre  in  Ge- 
fangenschaft gehalten  wurde,  bis  er  (33)  den  Hungertod  starb.  Nach 
Sueton  (Claud.  41)  verglich  er  in  einer  seiner  Schriften  seinen  Vater  mit 
Cicero,  zu  Ungunsten  des  Letzteren.  Er  erbte  gleichsam  von  seinem 
Vater  die  Antipathie  gegen  Cicero.  Auch  die  Manier  des  Sallust  missfiel 
ihm.  Vergl.  Gell.  X,  26,  1  und  Suet.  ill.  Gr.  10;  desgl.  Beruh,  r.  L.  46, 
182  u.  117,  550  und  Teuffels  Gesch.  der  röm.  Lit.  271,  8. 


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(350)  XVH.  Buch,  1.  Cap.,  §4—8. 


ganz  überpfiffig  vorgekommen  sind.  4.  Cicero  in  seiner  Rede 
für  den  M.  Caelius  (3,  6)  schreibt  so:  „Denn  was  (dem  M. 
Caelius  Rufus)  in  Bezug  auf  seine  Keuschheit  vorgeworfen 
und  was  von  allen  den  Anklägern  nicht  in  der  Form  von 
Beschuldigungsgründen,  sondern  (ihm  nur)  durch  Ausrufungen 
und  durch  Scheltworte  offen  vorgerückt  wurde,  das  wird  M. 
Caelius  niemals  so  schmerzlich  empfinden,  dass  er  bereuen 
(d.  h.  sich  darüber  beklagen)  sollte,  nicht  missgestaltet  ge- 
boren zu  sein."  5.  Denn  nach  ihrer  Meinung  hat  sich  Cicero 
in  dem  hier  von  ihm  gebrauchten  Worte:  paeniteat  (dass  er 
bereuen  sollte)  nicht  des  richtigen  Ausdrucks  bedient,  und 
stehe,  wie  sie  behaupten,  derselbe  hier  geradezu  unpassend. 
6.  Denn  das  Wort  „paenitere",  bemerken  sie  weiter,  pflege 
man  nur  dann  zu  sagen,  wenn  unsere  eigenen  Handlungen, 
oder  das,  was  nach  unserem  Willen  und  auf  unser  Anrathen 
geschah,  uns  anfängt  zu  missfallen  und  wir  darüber  unsere 
Meinung  ändern;  7.  Niemand  aber  rede  richtig,  der  sich  so 
ausdrücke:  „(paenitere)  dass  er  bereue,  dass  er  sich  hätte 
geboren  werden  lassen;  oder  bereue,  dass  er  sterblich  sei; 
oder  dass  er  durch  eine  zufällige  Beschädigung  oder  Ver- 
wundung an  seinem  Körper  Schmerz  empfinde."  weil  der- 
gleichen Dinge  nicht  in  unserem  Willen,  noch  in  unserer  freien 
Wahl  liegen;  sondern  (Alles)  dies  wider  unseren  Willen  und 
durch  die  unabänderliche  Macht  (und  Nothwendigkeit)  der 
Natur(-Gesetze)  uns  widerfährt:  8.  so  wie  es  doch  wahrlich 
auch,  sagen  sie  weiter,  nicht  vom  M.  Caelius  abhing,  sich  bei 
seiner  Geburt  eine  beliebige  Gestalt  zu  verleihen,  von  der 


XVIT,  1,  5.  Der  Vorwurf  des  Asinius  und  Licinus  ist  pedantisch, 
da  die  besten  Schriftsteller  die  Bedeutung  des  Wortes  paenitere  weiter 
ausgedehnt  haben.  Cicero  hat  zur  grösseren  Hervorhebung  seiner  Scherz- 
rede gerade  absichtlich  jenen  Ausdruck  gebraucht:  ut  eum  paeniteat,  non 
deformen  esse  natum,  d.  h.  dass  es  ihn  (gleichsam)  gereue  (er  sich  über 
sich  beklage),  nicht  hasslich  geboren  zu  sein.  Der  junge  L.  Sempronius 
Atratinus  hatte  nämlich,  wie  Curiua  Fortunatinus  S.  92  Capperon.  be- 
richtet, den  M.  Caelius  Rufus  den  schönen  Jason  (pulchellum  Jasonem) 
genannt,  worauf  Cicero  (pro  Cael.  8,  18)  sodann  die  Clodia  (die  aus- 
schweifende Schwester  des  P.  Clodius,  mit  welcher  L.  Sempronius  Atra- 
tinus längere  Zeit  verbotenen  Umgang  gepflogen  hatte),  welche  also  selbst 
nicht  rein  dastand  und  die  Klage  angestiftet  hatte,  die  palatinische  Medea 
nannte. 


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XVII.  Buch,  1.  Cap.,  §8  —  11. 


(351) 


Cicero  sagt,  dass  sie  dem  Caelius  nicht  gereue  (sc.  sich  ge- 
geben zu  haben),  als  ob  in  diesem  Umstände  die  Ursache  zu 
suchen  sei,  dass  er  Grund  hätte,  dies  zu  bereuen.  9.  Dies 
ist  nach  ihrer  Behauptung  der  Sinn  dieses  Wortes  und  „pae- 
nitere"  wird  (nach  ihrer  Meinung  stets)  unrichtig  bei  Dingen 
verwendet,  (wenn  sie  nicht  in  unserer  Gewalt  stehen)  wenn 
sie  nicht  von  unserem  freien  Willen  abhängen,  obgleich  ältere 
Schriftsteller  den  Gebrauch  dieses  Wortes  mit  einer  gewissen 
Nuance  der  Rede  weiter  ausgedehnt  und  „paenitet"  in  dem 
Sinne  gesagt  haben,  wie  von  paene  (beinahe)  und  von  pae- 
nuria  (Mangel);  allein  dies  gehört  wo  anders  hin  und  soll 
anderwärts  besprochen  werden.  10.  Nun  aber  bei  Erwägung 
der  allerwärts  gebräuchlichen  und  bekannten  Bedeutung  (von 
paenitere)  enthält  der  von  Cicero  ausgesprochene  Gedanke 
nicht  allein  durchaus  nichts  Unpassendes,  sondern  ist  sogar 
höchst  launig  und  scherzhaft  (gebraucht).  11.  Denn  da  die 
Gegner  und  Widersacher  des  M.  Caelius,  weil  er  sich  durch 
körperliche  Schönheit  auszeichnete,  seine  Gestalt  und  sein 
Aeusseres  zu  schamloser  Verdächtigung  mit  aller  Gewalt 
herbeizogen,  so  benutzt  Cicero  dies  als  feine  Anspielung  auf 
einen  so  abgeschmackten  Beschuldigungsgrund,  weil  sie  ihm 
(was  doch  nicht  von  ihm  selbst  abhing)  seine  ihm  von  der 
Natur  zuertheilte  (schöne)  Gestalt  zum  Vorwurf  machten,  und 
bedient  sich  (auf  eine  witzige  Art)  mit  höhnischer  Anspielung 
dieses  lächerlichen,  falschen  Grundes  und  sagt  mit  vollem 
Bewusstsein:  „non  paenitet,  d.  h.  nicht  bereut  es  Caelius, 
sich  nicht  missgestaltet  haben  geboren  werden  zu  lassen", 
um  gerade  in  diesem  Punkte,  weil  er  sich  so  ausdrückte, 
den  Anklägern  durch  diesen  ungerechtfertigten  Vorwurf  einen 
Hieb  zu  versetzen  und  ihnen  auf  scherzhafte  Weise  deutlich 
verstehen  zu  geben,  dass  sie  ganz  lächerlich  handelten, 
wenn  sie  gerade  so  dem  Caelius  sein  Aussehen  zum  Vorwurf 
machen  wollten,  gleich  als  ob  es  in  seinem  freien  Willen 
gestanden  hätte,  sich  bei  seiner  Geburt  seine  Gestalt  selbst 
zu  wählen. 


XVII,  1,  9.  S.  Paul.  S.  222  paenuria  est  id,  quod  paene  minus  sit, 
quam  necesse  est. 


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(352)  XVU.  Buch,  2.  Cap.,  §  1—5. 

X VTU,  2,  L.    Einige  bei  der  Lectiire  eilends  angemerkte  Ausdrücke  aus 
des  Q.  Claudius  (Quadrigarius)  erstem  Buche  seiner  Jahrbücher. 

XVII,  2  Cap.  1.  Wenn  ich  das  Werk  eines  alten  Schrift- 
stellers las,  war  ich  stets  bemüht,  um  hernach  mein  Ge- 
dächtniss  zu  stärken  und  anzuregen,  (geistig)  zu  behalten 
und  zu  erwägen,  was  (Alles)  etwa  in  dem  Buche  geschrieben 
stand,  was  in  Bezug  auf  die  zwei  Beurtheilungsmöglichkeiten, 
des  Lobes  oder  des  Tadels,  bemerkenswerth  erschien.  Und 
wahrlich,  es  war  dies  eine  recht  nützliche  (Gedächtniss-) 
Uebung,  um  nöthigenfalls  durch  Rückerinnerungen  (und  aber- 
malige geistige  Vergegenwärtigung)  mir  geschmackvolle  Aus- 
drücke wie  Gedanken  anzueignen.  2.  So  wie  ich  mir  folgende 
Stelle  aus  des  Q.  Claudius  (Quadrigarius)  erstem  Buche  seiner 
„Annalen",  wie  ich  mich  erinnern  konnte,  wörtlich  an- 
gemerkt hatte.  Ich  las  das  Buch  nämlich  vor  den  letzt- 
vergangenen zwei  Tagen.  3.  Da  steht:  „Die  Meisten  werfen 
die  Waffen  weg  und  verbergen  sich  wehrlos  im  Schlupfwinkel 
(illatrebant  sese).w  Der  Ausdruck  „illatrebant"  schien  (mir) 
dichterisch  (gewählt),  aber  durchaus  nicht  ungeschickt  noch 
rauh.  4.  Dann  heisst  es  weiter:  „Die  Lateiner,  während  dies 
geschieht,  auf  ihren  Muth  sich  verlassend  (subnixo  animo)." 
Das  Wort  (subnixo)  ist  ein  ganz  bezeichnender  und  durchaus 
nicht  zufälliger  Ausdruck,  gleichsam  für  (sublimi)  hoch- 
erhabenen und  hochaufgerichteten  (festgestützten)  Muth  (supra 
nixo),  und  bezeichnet  die  Erhabenheit  des  Muthes  und  die 
(eigene)  Vertrauensstärke,  weil  wir  durch  das,  worauf  wir 
uns  stützen,  uns  gleichsam  (hoch)  aufrichten  und  erheben. 
5.  Dann  lautete  eine  Stelle:  „Er  befahl  Jedem  in  seine  Woh- 
nung zu  gehen  und  all  das  Seine  zu  gemessen  (frunisci)." 
Der  Ausdruck  „frunisci"  (geniessen)  war  zwar  schon  zur  Zeit 
des  M.  Tullius  (Cicero)  ziemlich  selten,  später  aber  ganz 
ausserordentlich  selten,  und  von  denen,  die  in  der  alten 


XVII,  2,  1.  Im  Fall  man  hier  die  gewaltige  Gedächtnisskraft  des 
Gellius  in  Zweifel  ziehen,  oder  seine  Anführungen  aus  der  Erinnerung 
Lügen  strafen  wollte,  wendet  Mercklin  p.  687  dagegen  ein,  dass  die  mne- 
monischen  Leistungen  des  Alterthums  nicht  mit  modernem  Massstabe  ge- 
messen werden  dürfen. 


1 


XVII.  Buch,  2.  Cap.,  §5—10.  (353) 

Literatur  nicht  bewandert  waren,  wurde  ganz  bezweifelt,  ob 
„frunisci"  (überhaupt)  ein  gut  lateinischer  Ausdruck  sei.  b\ 
Das  Wort  „frunisci"  ist  aber  nicht  nur  ein  richtiges  lateinisches 
Wort,  sondern  sogar  noch  ein  viel  angenehmeres  und  lieblicheres 
als  (das  einfache,  gewöhnliche)  „fruor",  und  wie  „fatiscor"  von 
fateor  (bekenne)  abgeleitet  wurde,  so  „fruniscor"  von  fruor. 
7.  Q.  Metellus  Numidicus,  dessen  lateinischer  Stil  doch  für 
tadellos  und  fleckenrein  gilt,  hat  in  seinem  Briefe,  welchen  er 
als  Verbannter  an  Domitius  schickte,  also  geschrieben:  „Jene 
sind  alles  Rechts  und  aller  Ehre  verlustig,  ich  entbehre  weder 
Wasser  noch  Feuer  (wo  ich  mich  jetzt  befinde)  und  geniesse 
(fruniscor)  sogar  noch  den  höchsten  Ruhm."  8.  Novius  be- 
dient sich  dieses  Wortes  in  seiner  Atellanen  -  Posse ,  welche 
„Parcus  (der  Knicker)"  überschrieben  ist,  also: 

Quod  magno  opere  quaesiverunt,  id  frunisci  non  queunt. 
Qui  non  parsit  apud  se,  fhmitust,  d.  h. 

Was  sie  mühsam  zusammenscharrten,  das  können  nicht  gemessen  sie. 
Wer  sich  nichts  zurückgelegt,  hat  genossen  (das  ird'sche  Glück). 

9.  So  sagt  Claudius  Quadrigarius  noch :  „Und  die  Römer  ver- 
sahen sich  reichlich  (copiantur)  mit  Waffen,  mit  grosser  Zu- 
fuhr und  ungeheurer  Beute."  Das  hier  gebrauchte  Wort 
„sich  reichlich  versehen  (copiari)"  ist  nur  ein  Lagerausdruck 
und  es  dürfte  schwer  halten,  ihn  bei  Römern  zu  finden,  die 
Privatsachen  verhandeln,  und  hat  man  dieses  Wort  den  ähn- 
lichen Wortformen  nachgebildet,  wie  „lignari"  (Holz  holen), 
-  „pabulari"  (Lebensmittel  und  Futter  auch  für's  Vieh  versorgen, 
endlich  auch  „aquari"  (Wasser  herbeischaffen).  10.  Ferner  seine 
Ausdrucksweise:  „sole  occaso"  (nach  Sonnenuntergang)  ist  nicht 
ohne  lieblichen  Reiz,  wenn  Einer  kein  niedriges  und  gemeines 
Gehörorgan  (d.  h.  Klanggefühl)  hat.  In  den  Zwölftafelgesetzen, 
wo  sich  dieser  Ausdruck  geschrieben  findet,  heisst  es:  „Vor 
Mittag  soll  man  die  Sache  untersuchen ,  während  die  beiden 


XVII,  2,  7.  Q.  Metellus  Numidicus  wollte  lieber  in  die  Ver- 
bannung gehen,  als  auf  das  Gesetz  des  Volkstribuns  C.  Manlius  Saturninus 
(wegen  Ackervertheilung)  eingehen  und  schwören;  vergl.  Gell.  VII (VI),  11,  3. 

XVII,  2,  8.   Novius  (Naevius)  vergl.  Gell.  I,  24,  1  und  XV,  13,  4. 

XVII,  2,  10.  S.  W.  Rein  in  Paulis  Real-Encyclop.  Bd.  II  p.  228.— 
Gerichtsverhandlungen  wurden  mit  Sonnenuntergang  geschlossen.  Auct 
ad  Herenn.  II,  13,  20;  Priscian  X,  5,  32;  Festus  305,  28  M. 

Gellius.  Aitifche  Richte.   II.  23 


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(354)  XVII.  Buch,  2.  Oap.,  §  10—14. 

anwesenden  Parteien  sich  auslassen  (gegen  einander).  Nach 
Mittag  soll  man  der  gegenwärtigen  Partei  den  Prozess  zu- 
sprechen (d.  h.  im  Fall  die  andere  Partei  nicht  erschienen 
sein  sollte).  Wenn  beide  Parteien  (ambo  i.  e.  actor  et  reus)  zu- 
gegen sind,  sei  der  Sonnenuntergang  (sol  occasus)  die  äusserste 
Frist  der  Verhandlung."  11.  So  sagt  Claudius  ferner  noch: 
„Wir  wollen  (es)  unentschieden  lassen  (in  medium  relinquemus)". 
Der  gewöhnliche,  ungebildete  Mann  sagt  hier  „in  medio", 
denn  er  hält  das  Andere  für  einen  Fehler  und  glaubt,  wenn 
man  die  Redensart  braucht :  „in  medium  ponere1'  (öffentlich  aus- 
stellen), sei  dies  auch  eine  unrichtige  Wortverbindung,  allein 
jeder,  der  diese  Worte  genau  betrachtet,  wird  diese  Redensart 
ganz  bezeichnend  und  richtig  finden,  wie  es  ja  auch  kein 
Fehler  ist,  auf  Griechisch  zu  sagen:  &eivai  dg  /Atoov  (vor 
Augen  führen).  12.  Weiter  stand  da:  „Nachdem  gemeldet 
worden,  dass  man  gegen  die  Gallier  (in  Gallos)  gefochten, 
brachte  diese  Nachricht  die  Bürgerschaft  in  heftige  Auf- 
regung." Gegen  die  Gallier  durch  „in  Gallos"  ist  netter  und 
feiner  ausgedrückt,  als  mit  den  Galliern  (cum  Gallis)  oder 
contra  Gallos.  Denn  diese  (beiden  Wortverbindungen)  sind 
schwerfälliger  und  gewöhnlicher.  13.  Ferner  heisst  es  dort: 
„Zugleich  an  Gestalt,  Tapferkeit,  Beredtsamkeit ,  Ansehen, 
gleichwie  an  Energie  und  Selbstvertrauen  zeichnete  er  sich 
aus,  dass  leicht  zu  ersehen  war,  er  besitze  durch  sich  und 
in  sich  ein  bedeutendes  Förderungsmittel  (magnum  viaticum, 
d.  h.  alle  die  nöthigen  Eigenschaften)  zur  Umwälzung  des 
Staates."  „Magnum  viaticum4'  ist  ein  neu  gebrauchter  Aus- 
druck für  „magna  facultas"  (bedeutende  Mittel),  oder  „paratus 
magnus"  (grosse  Ausrüstung)  und  er  scheint  hierbei  dem  Bei- 
spiel der  Griechen  gefolgt  zu  sein,  welche  „icpodtov"  von  der 
ursprünglichen  Bedeutung:  „Reisebedarf"  auch  auf  irgend 
einen  Vorrath  in  anderer  Beziehung  übertrugen  (und  ver- 
wendeten) und  oft  den  Ausdruck  eq>oöiaaov  für  das  sagen, 
was  man  sonst  ausdrückte  durch  „institue"  (richte  Dich  ein) 
und  „instrue",  (rüste  Dich  aus,  versorge  oder  versichere  Dich). 
14.  Dazu  kommt  auch  noch  eine  (andere)  Stelle  des  Claudius 
Quadrigarius :  „Denn  M.  Manlius,  von  dem  ich  bereits  früher 

XVII,  2,  14.   M.  Manlius  8.  Gell.  XVII,  21,  24;  Liv.  V,  47. 


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XVII.  Buch,  2.  Cap.,  §  14-17.  (355) 

gezeigt  habe,  dass  er  das  Capitol  vor  dem  Ueberfall  der  Gallier 
errettet  hatte  und  dessen  vorzüglich  (cumprime)  tapfere 
und  siegbringende  Dienstleistung  im  Vereine  mit  dem  Dictator 
M.  Furius  vor  dem  gallischen  Feinde  die  Republik  (deutlich) 
kennen  gelernt  hat  (389),  dieser  M.  Manlius  stand  an  Ab- 
stammung, Ansehen,  Tapferkeit  im  Krieg  Keinem  nach."  Der 
Ausdruck  „adprime"  (vorzüglich,  besondere)  ist  häufiger,  aber 
„cumprime"  seltener;  das  Wort  ist  von  cumprimis  abgeleitet 
und  steht  für  in  primis  (unter  den  Ersten  und  Vorzüglichsten, 
dann  adverbialiter  gesagt:  vorzüglich,  besonders).  15.  Ferner 
steht  da:  „Dass  er  keine  Reichthümer  nöthig  habe  (divitias 
opus  esse)",  also  der  Accusativ  anstatt  des  Ablativs,  wo  wir 
divitiis  (opus  esse)  sagen  würden.  Aber  das  ist  kein  Sprach- 
fehler, nicht  einmal,  wie  man  sonst  zu  sagen  pflegt,  eine  be- 
sondere (von  der  gewöhnlichen  abweichende)  Ausdrucksweise ; 
denn  es  ist  dies  die  gewöhnliche  (einfache)  Redeweise  und  die 
Alten  haben  sich  ihrer  ziemlich  oft  bedient  und  (deshalb) 
kann  kein  (besonderer)  Grund  (dafür)  angegeben  werden, 
warum,  den  Ablativ  zu  gebrauchen  und  „divitiis  opus  esse" 
zu  sagen,  richtiger  sein  sollte,  als  den  Accusativ  „divitias"; 
man  müsste  denn  die  neuen  (aufgestellten)  Grundsätze  der 
(jetzigen)  Grammatiker  für  (unfehlbare)  Orakelsprüche  (re^ue- 
v(ov  tega)  halten.  16.  So  findet  sich  auch  folgende  Stelle: 
„Denn  dies  ist  und  bleibt  doch  im  höchsten  Grade  eine  Un- 
gerechtigkeit von  den  Göttern,  dass  die  Schlechteren  (oft) 
unbehelligter  bleiben  (von  den  Schicksalsschlägen,  sich  meist 
einer  dauernderen  Gesundheit  und  eines  höheren  Alters  er- 
freuen) und  dass  sie  (diese  Allmächtigen)  gerade  immer  die 
besten  Menschen  nicht  lange  unter  uns  leben  lassen  (diur- 
nare)."  Ungewöhnlich  ist  hier  der  Ausdruck  „diurnare"  (lange 
leben)  für  „diu  vivere",  aber  das  Wort  ist  nach  derselben  Wort- 
form (gebildet),  wonach  wir  sagen:  „perennare"  (viele  Jahre 
dauern).  17.  Weiter  heisst  es:  „Mit  ihnen  unterhielt  er  sich 
(consermonabatur)."  Bäurischer  ist  der  Ausdruck  „sermonari", 
aber  richtiger  (als  consermonari),  gebräuchlicher  hingegen  ist 


XVII,  2,  14.    adprime  s.  Gell.  VI  (VII),  7,  7  und  über  M.  Manlius 
vergl.  Gell.  XVII,  21,  24  und  Plutarch  vom  „Glück  der  Römer"  cap.  12. 
XVII,   2,19.   Sanctitudo  fani.   Ueber  fanum  s.  Gell.  XIV,  7,  7  NB. 

23* 


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(356) 


XTO.  Buch,  2.  Cap.,  §  18—24. 


„sermocinari",  aber  nicht  so  sprachrein.  18.  Ferner:  „Dass  er 
nun  auch  nicht  das  (einmal)  thun  wolle,  wozu  er  damals  rieth." 
Hier  sagt  er  „ne  id  quoqueu  für  „ne  id  quidem"  (quoque), 
was  zwar  nicht  sehr  häufig  im  gewöhnlichen  Gespräch,  aber 
in  den  Schriften  der  Alten  ungemein  oft  vorkommt.  19. 
Ferner:  „Die  Heiligkeit  (sanctitudo)  des  Tempels  wird  so 
hoch  gehalten,  dass  nie  einer  gewagt  hat,  sie  zu  verletzen." 
Die  andern  Ausdrücke  „sanctitas"  und  „sanctimoniau  sind  nicht 
weniger  gut  lateinisch,  aber  ich  weiss  nicht,  warum  gerade 
das  Wort  „sanctitudo"  mir  (trotzdem)  würdevoller  vorkommt. 

20.  Gerade  so,  wie  M.  Cato  gegen  L.  Veturius  den  Ausdruck 
„duritudo"  (harte  Unempfindlichkeit)  für  gewaltiger  fand,  als 
wie  „durities",  denn  seine  Worte  lauten:  „Wer  jenes  (Menschen) 
Schamlosigkeit  kennt  und  seine  Hartherzigkeit  (duritudinem)." 

21.  Erwähnenswerth  ist  auch  noch  eine  (andere)  Stelle  bei 
diesem  Claudius  Quadrigarius :  „Da  die  Samniter  vom  römi- 
schen Volke  ein  so  bedeutendes  Unterpfand  (arrabonem)  in 
den  Händen  hatten."  Unter  dem  Ausdruck  „arrabo''  (Angeld, 
afäaßojv)  versteht  er  600  Geissein,  und  er  bediente  sich  lieber 
dieses  Ausdrucks,  als  des  gewöhnlichen  „pignus",  weil  die 
Wirkung  dieses  Wortes  in  dem  Gedanken  eine  nachdrücklichere 
und  verschärftere  ist.  Jetzt  rechnet  man  gewöhnlich  das 
Wort  „arrabo"  unter  die  niedrigen  Ausdrücke.  Aber  noch  für 
viel  (gewöhnlicher  und)  niedriger  scheint  der  Ausdruck:  „arra" 
(Unterpfand,  Angeld)  zu  gelten,  obwohl  den  Ausdruck  „arra" 
die  Alten  auch  oft  gebrauchten  und  sehr  oft  (besonders) 
Laberius.  22.  Weiter  steht  geschrieben:  „Sie  haben  die 
elendesten  Wegstrecken  (vias)  bereits  zurückgelegt."  Dann: 
23.  „Dieser  Possendarsteller  hat  sich  durch  Müssiggangs- 
angewöhnungen  (otiis)  zu  Grunde  gerichtet."  In  beiden  Fällen 
beruht  die  Feinheit  im  (Gebrauch  des)  Plural  von  „via"  und 
„otium".  24.  Dann  heisst  es:  „Wo  Cominius  hinaufgestiegen 
war,  stieg  er  (auch  ungesehen)  wieder  hinab  und  schlug  den 
Galliern  ein  Schnippchen  (verba  Gallis  dedit)."  Quadrigarius 
drückt  dies  durch  die  Worte  aus,  dass  Cominius  den  Galliern 
nichts  als  (leere)  Worte  gegeben  habe,  weil  er  Keinem  irgend 
etwas  gesagt  hatte  und  weil  die  Gallier,  die  das  Capitol  be- 
lagerten, ihn  weder  hatten  hinauf-  noch  hinabsteigen  sehen. 
Er  brauchte  also  die  Redensart:  „verba  dedit4'  (er  gab  leere, 


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XVII.  Buch,  2.  Cap.,  §  24—27.  —  3.  Cap.,  §  1.  2.  (357) 

stumme,  unhörbare  Worte,  d.  h.  er  war  verschwiegen),  und 
setzte  sie  in  keinem  andern  Sinne,  als  wenn  man  sagt:  „latuit" 
(er  täuschte)  und  „obrepsit"  (hinterging  die  Gallier).  25.  Weiter 
heisst  es:  „Thalniederungen  (convalles)  und  grosse  Baum- 
pflanzungen (arboreta)  gab  es."  „Arboreta"  ist  ein  eben  nicht 
sehr  feiner  Ausdruck,  üblicher  ist  „arbusta".  26.  (Endlich) 
kommt  da  auch  folgende  Stelle  vor:  „Man  war  der  Meinung, 
dass  die,  welche  draussen  mit  denen  in  der  Burg  unter 
einander  Unterredungsaustausch  (commutationes)  und  Ein- 
verständniss  pflogen."  Ungewöhnlich  ist  hier  der  Ausdruck 
„commutationes",  d.  h.  soviel  als  „collationes"  (Unterredungen) 
und  „communicationes"  (Mittheilungen),  aber  wahrlich  weder 
ungeschickt,  noch  unschön.  27.  Dies  Wenige,  was  mir  vor 
der  Hand  aus  dem  Buche  nach  dem  Lesen  noch  im  Ge- 
dächtniss  gegenwärtig  war,  habe  ich  geglaubt,  mir  hier  an- 
merken zu  müssen. 

XVII,  3,  h.    Eine  Stelle  aus  dem  25.  Buche  des  M.  Varro  „(Gebräuche 
der  Vorzeit)  in  (göttlichen  und)   menschlichen  Dingen",  worin  er  einen 
homerischen  Vers  entgegen  der  allgemeinen  Ansicht  auslegt. 

XVII,  3.  Cap.  1.  Bei  einer  Unterredung,  welche  ich  über 
die  Zeitbestimmungen  einiger  zum  Nutzen  der  Menschheit 
gemachten  Erfindungen  anregte,  äusserte  ein  nicht  ungebil- 
deter junger  Mann,  dass  der  Gebrauch  des  Spartum  (des 
Pfriemengrases)  in  Griechenland  lange  unbekannt  gewesen 
und  erst  viele  Jahre  nach  der  Einnahme  von  Troja  aus  Spa- 
nien herübergebracht  worden  sei.  2.  In  der  Absicht,  diesen 
Ausspruch  zu  verhöhnen,  erhoben  unter  den  Anwesenden  zwei 
eben  nicht  so  recht  gebildete  Menschen  ein  Gelächter,  ein 
Paar  Subjecte  von  dem  Schlage,  welche  die  Griechen  mit  dem 
Ausdruck  ayogaioi  (Pflastertreter,  Bummler)  bezeichnen,  und 
erklärten  Dem,  der  die  Bemerkung  ausgesprochen  hatte,  ganz 


XVII,  2,  27.   S.  NB  §  1  Mercklin's  Bemerkung. 

XVII,  3,  1.  Spartum,  iberische  Grasart,  Span,  esparto,  Schilf. 
an&QTovy  t6,  Seil,  Tau  (eigentlich  antfya),  wickeln,  oneigaa),  drehe,  winde; 
Spiral)  nicht  ein  Seil  aus  Spartum.  In  Spanien  wurden  Stricke  und 
Schifistaue  aus  Pfriemengras  verfertigt,  welche  man  zugleich  auch  zur 
Züchtigung  und  Geisselung  z.  B.  der  Matrosen  verwendete.  Vergl.  Horat 
Epod.  4,  3.  -  S.  Plin.  H.  N.  11,  8;  19,  7;  24,  49. 


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(358) 


XVIL  Buch,  3.  Cap.,  §2—5. 


offen  ins  Gesicht,  dass  er  wahrscheinlich  eine  Ausgabe  des 
Homer  müsse  gelesen  haben,  in  der  zufällig  folgender  Vers 
gefehlt  hätte  (aus  d.  Iliade  II,  135): 

Kai  d'i)  tforp«  otogne  vfüiv  xai  an  äoift  ktXvvrat)  d.  h. 

Und  schon  verfaulen  die  Balken,  die  Taue  der  Schiffe  zerreissen. 
3.  Darauf  antwortete  Jener  ganz  voller  Zorn:  meiner  Ausgabe 
fehlte  durchaus  nicht  dieser  Vers,  euch  sicherlich  aber  ein 
(guter)  Lehrer,  wenn  ihr  euch  einbildet,  dass  der  Ausdruck 
ojtÜQua  (gewundene  Taue)  in  dem  (homerischen)  Verse  das- 
selbe bedeute,  was  wir  jetzt  unter  „spartum"  (Schilfgras)  ver- 
stehen. 4.  (Ueber  diese  Aeusserung)  erheben  Jene  nun  noch 
ein  viel  tolleres  Gelächter  und  machten  keine  Miene  sich 
ihrer  Meinung  zu  begeben,  wenn  nicht  von  jenem  (gebildeten, 
jungen)  Manne  des  M.  Varro  25.  Buch  „(Gebräuche  der  Vor- 
zeit) in  (göttlichen  und)  menschlichen  Dingen"  herbeigeholt 
(und  ihnen  die  Stelle  gezeigt)  worden  wäre,  worin  sich  vom 
Varro  über  diesen  homerischen  Vers  folgende  schriftliche  Be- 
merkung findet:  „Ich  bin  der  Ansicht,  dass  das  (spanische) 
Wort  „spartum"  (Riethgras,  Schilfgras)  ebensowenig  mit  dem 
bei  Homer  vorkommenden  Ausdruck  oicdgra  (Seile,  Taue) 
zusammenhängt,  als  mit  dem  Wort  ou ägzoi*)  (die  Ge- 
säten), womit  die  auf  thebanischer  Erde  Geborenen  (d.  h. 
aus  den  vom  Cadmus  in  die  Erde  gesäten  Drachenzähnen 
hervorgewachsenen  Erdensöhne)  bezeichnet  wurden.  Denn 
ein  häufiger  Verbrauch  von  Schilfgras  (vom  spartum)  fing 
sich  erst  an  in  Griechenland  aus  Spanien  (herüber)  zu  ver- 
pflanzen. Auch  die  Liburner  bedienten  sich  dieses  Hilfs- 
mittels nicht,  sondern  diese  fügten  meistens  ihre  Schiffe  mit 
Riemen  zusammen,  die  Griechen  mehr  mit  Hanf-  und  Heede- 
Werg  und  mit  andern  Saaterzeugnissen  (die  nicht  wild  wuchsen, 
sondern  gesät  wurden),  woher  sie  auch  den  Namen  artdgta 
(Gesätes)  erhielten."  5.  Auf  diese  (schriftliche)  Bemerkung 
des  M.  Varro  hin,  befinde  ich  mich  durchaus  in  Zweifel 
darüber,  ob  nicht  die  letzte  Silbe  in  diesem  Worte  bei  Homer 
scharf  zu  betonen  sei,  nur,  weil  Wörter,  wenn  sie  aus  einer 
allgemeinen  Bedeutung  in  eine  besondere  von  einer  bestimmten 
Sache  übergehen,  durch  die  Abänderung  der  Betonungen 
unterschieden  werden. 

XVII,  3,  4.    Sparti  s.  Apollodor.  III,  4,  1;  Ammiaii.  Marc.  19,  8. 


I 


XVII.  Buch,  4.  Cap.,  §  1-5.  (359) 


XVII,  4,  L.    Was  der  Dichter  Menander  zum  Dichter  Philcmon  sagte, 
von  dem  er  oft  ungerechter  Weise  bei  dramatischen  Wettstreiten  über- 
wunden wurde,  und  wie  (selbst)  Euripides,  dieser  erhabene  Trauerspiel- 
dichter, von  weniger  verdienstlichen  Dichtern  besiegt  wurde. 

XVII,  4.  Cap.  1.  Menander  wurde  von  Philemon,  einem 
ihm  keineswegs  ebenbürtigen  Schriftsteller,  in  den  drama- 
tischen Wettkämpfen  sehr  oft  durch  (Schleichwege)  Bestechung, 
Gunst  und  Parteilichkeit  besiegt.  2.  Als  Menander  einst 
seinem  (bevorzugten)  Gegner  zufällig  begegnete,  begrüsste  er 
ihn  mit  den  Worten:  „Ich  bitte  Dich,  nimm  es  mir  nicht 
übel,  Philemon,  aber  gestehe  mir  ganz  offen,  schämst  Du 
Dich  nicht,  wenn  Du  mich  besiegst?"  3.  Auch  Euripides 
soll  nach  der  Behauptung  des  M.  Varro,  obgleich  er  75 
Trauerspiele  geschrieben  hat,  doch  nur  mit  fünf  den  Preis 
davon  getragen  haben,  da  ihn  oft  einige  weit  elendere  Dichter 
besiegten.  4.  Nach  Einigen  soll  Menander  108,  nach  Andern 
109  Lustspiele  (hinterlassen)  haben.  5.  Allein  ich  las  von 
dem  höchst  berühmten  Schriftsteller  Apollodor  in  seinem 
Werke,  welches  die  Ueberschrift  führt:  „Chronik,  d.  h.  Ge- 
schichtsbücher nach  der  Zeitfolge"  folgende  Verse  über  den 
Menander: 

Kephisier  ist  von  Geburt  er  und  Diopeithes'  Sohn, 
Hundert  und  fünf  von  ihm  verfasste  Dramen  hat 
er  hinterlassen  und  starb  zwei  und  funfeig  Jahre  alt 

XVII,  4,  1.  S.  Quint.  X,  1,  67  bis  72;  Apulej.  Florid.  III,  16.  — 
Ueber  Menander  s.  Gell.  U,  23,  1.  7  NB. 

XVII,  4,  1.  Philemon,  erster  und  ältester  Dichter  der  neuen 
Comödie,  nach  Suidas  aus  Syrakus,  nach  Strabo  aus  Pompejopolis  in 
Cilicien,  lebte  unter  König  Antigonus  und  sein  Vater  Dämon  unter  Ale- 
xander d.  Gr.  Er  war  Zeitgenosse  Menanders,  aber  etwas  älter  als  dieser, 
soll  97  Stücke  geschrieben  haben  und  97  oder  99  Jahre  alt  geworden  sein. 

XVH,  4,  8.   S.  Suidas  über  Euripides. 

XVII,  4,  5.  Apollodorus,  Athener,  Sohn  des  Asklepiades  und 
Schüler  des  rhodischen  Philosophen  Panaetios,  wie  des  berühmten  Kritikers 
Arißtarch.  Er  lebte  unter  König  Ptolemaeos  Euergetes  II.,  schrieb  eine 
Chronik,  wovon  wahrscheinlich  die  noch  jetzt  vorhandenen  drei  Bücher 
de  origine  Deor.  ein  Theil  ist.  Erwähnt  wird  er:  Diodor.  Sic  I,  5; 
Xm,  103.  108;  Lucian.  in  Macrob.  23;  Diog.  Laert  VUI,  2,  1;  IX,  7,  6 
Clemens  Alexandr.  Stromat.  L 


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Xm  Buch,  4.  Cap.,  §6.-5.  Cap.,  §  L  2. 


6.  In  ebendemselben  Buche  hat  uns  derselbe  Apollodorus 
schriftlich  initgetheilt ,  dass  Menander  von  allen  den  105 
Stücken  doch  nur  mit  8  (seiner)  Dramen  den  Preis  davon 
getragen  hat. 

XVII.  5,  L.  Dass  es  keineswegs  auf  Wahrheit  beruhe,  wie  es  einigen 
kleinigkeitskrämerischen  Künstlern  der  Rhetorik  erscheint,  dass  Cicero  in 
seiner  Schrift,  welche  er  „über  die  Freundschaft"  verfasste,  sich  einer 
fehlerhaften  IJcweisfiihrung  bedient  und  das  Bestrittene  für  das  Erwiesene 
(ttfi<fHJßr}T<wtuevov  ävri  ofioXoyovuivov  i.  e.  ambiguum  pro  confesso) 
gesetzt  habe;   sehr  besonnene  Untersuchung  und  Erörterung  über  diese 

ganze  Angelegenheit. 

XVII,  5.  Cap.  1.  In  der  im  Wechselgespräch  abgefassten 
Schrift,  welche  den  Titel  „Laelius,  oder  von  der  Freundschaft" 
fuhrt,  will  Cicero  beweisen,  dass  man  die  Freundschaft  nicht 
aus  Hoffnung  und  Erwartung  auf  Gewinn,  noch  des  Vorth eils 
und  der  Belohnung  halber  pflegen  soll,  sondern,  weil  sie  selbst 
an  und  für  sich  und  in  sich  den  vollen  Inbegriff  der  Tugend 
und  Rechtschaffenheit  bildet,  sei  sie  erstrebenswerth  und  be- 
gehrenswerth ,  auch  wenn  keine  Aussicht  auf  irgend  welche 
Vergütung  und  auf  irgend  welche  Entschädigung  durch  sie 
sollte  erlangt  werden  können,  und  dies  zu  beweisen,  bedient 
er  sich  folgenden  Gedankenganges  und  folgender  Ausdrucks- 
weise und  legt  die  Worte  dem  weisen  C.  Laelius  (cap.  9,  30), 
dem  vertrautesten  Freunde  des  P.  Scipio,  in  den  Mund.  2. 
„Wie  denn?  War  etwa  Africanus  meiner  bedürftig?  Nein, 
nicht  im  Geringsten,  und  auch  ich  nicht  seiner,  sondern  ich 
habe  ihn  in  Bewunderung  seiner  Tugend,  er  dagegen  hat  mich 
vielleicht  wegen  einer  nicht  ganz  ungünstigen  Meinung,  welche 
er  von  meinem  Charakter  hatte,  liebgewonnen;  das  Wohl- 
wollen ward  durch  (unseren)  Umgang  genährt;  allein  obschon 
mannigfache  und  grosse  äussere  Vortheile  die  nothwendige 
Folge  davon  waren,  so  gingen  doch  nicht  von  der  Erwartung 
dieser  vVortheile)  die  ersten  Regungen  zur  Werthschätzung  aus. 
Denn  wie  wir  wohlthätig  und  freigebig  sind,  nicht  um  Dank 
einzutreiben,  —  denn  mit  Wohlthaten  treibt  man  ja  nicht 
Wucher,  sondern  man  ist  schon  durch  ein  natürliches  Gefühl 
zur  Freigebigkeit  geneigt,  —  so  halten  wir  die  Freundschaft, 
nicht  gelockt  von  der  Hoffnung  auf  Lohn,  für  erstrebenswerth, 
sondern  weil  all  ihr  Vortheil  eben  in  der  Liebe  beruht" 


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XVII.  Buch,  5.  Cap.,  §3—5. 


(361) 


3.  Als  diese  Stelle  in  einem  Kreise  von  gelehrten  Männern 
zufällig  vorgelesen  wurde,  erhob  sich  ein  gewisser  rhetorischer 
Sophist,  kundig  beider  Sprachen,  der  griechischen  wie  latei- 
nischen, ein  allerdings  nicht  ganz  unverdienstvoller  Mann  aus 
dem  Verbände  jener  spitzfindigen  und  kritteligen  Lehrmeister, 
welche  man  gewöhnlich  „Kunstverständige  oder  Kunstkritiker 
(icp/xot)"  nennt,  jedoch  auch  ebenfalls  in  seiner  Er- 
örterung (immerhin  etwas)  schwerfällig  (gewissenhaft  genau, 
pedantisch):  Dieser  erhob  sich  also  und  sprach  die  Meinung 
aus,  dass  Cicero  sich  hier  keines  ganz  richtigen,  noch 
vollständig  überzeugenden  Beweisgrundes  (aTtodeixTixov)  be- 
dient habe,  sondern  dass  er  den  noch  fraglichen  (zweifelhaften) 
Gegenstand  selbst  zum  Beweisgrund  der  aufgestellten  Frage 
verwendet  habe,  und  er  bezeichnete  diese  fehlerhafte  Art  zu 
schliessen  mit  einem  griechischen  (Kunst-)  Ausdruck ,  weil 
Cicero  (wie  er  sich  ausdrückte  a(.tq>toßr]Tovii€vov  avcl  opoXo- 
yov^tevov)  das  Bestrittene  (Zweifelhafte)  für  das  Erwiesene 
angenommen  hätte.  4.  Denn  Cicero,  sagt  er,  setzt  Wohl- 
thätigkeit  und  Freigebigkeit  (bei  den  Menschen)  voraus,  zur 
Bekräftigung  dessen,  was  er  über  die  Freundschaft  sagt,  da 
(es  doch  noch  gar  nicht  ausgemacht  ist  und)  sowohl  gefragt 
zu  werden  pflegt,  als  auch  gefragt  werden  muss,  in  welchem 
Falle  Jemand  (wirkliche)  Freigebigkeit  und  Wohlthätigkeit 
ausübt,  nach  welchem  Plane  oder  in  welcher  (vorausgesetzten) 
Absicht  Jemand  wohlthätig  und  freigebig  ist?  ob  Einer  etwa 
gar  nur  (in  der  Absicht)  wohlthätig  ist,  weil  er  einen  Aus- 
gleich (und  Entgelt)  seiner  Gefälligkeit  erwartet  und,  wie 
dies  bei  sehr  Vielen  der  Beweggrund  zu  sein  scheint,  weil 
er  Den,  gegen  welchen  er  sich  wohlthätig  und  wohlwollend 
erweist,  wieder  zu  gleichem  Liebesdienst  gegen  sich  heraus- 
zufordern denkt,  oder,  weil  ihm  Wohlwollen  angeboren  ist 
und  Wohlthätigkeit,  wie  Freigebigkeit  an  und  für  sich  Ver- 
gnügen gewährt,  ohne  irgend  welchen  Bemühungsanspruch 
auf  eine  Wiedererkenntlichkeit,  was  fast  nur  höchst  selten 
vorkommt.   5.  Seiner  Meinung  nach  aber,  sagte  dieser  Sophist, 


XVII,  5,  3.  Petitio  principii,  Aufstellung  einer  unerwiesenen 
Behauptung  als  Grundsatz,  also  eine  Scheinbegründung.  —  Technici 
vergl.  Quint.  II,  13,  15. 


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(362) 


XVn.  Buch,  5.  Cap.,  §  5  —  11. 


müssten  Beweisgründe  (stets)  klar  und  annehmlich  oder  aus- 
gemacht sein  und  keineswegs  zweifelhaft  und  Widersprüche 
enthaltend,  und  nur  ein  solcher  Satz  verdiene,  wie  er  sagte, 
den  Namen  Schlusssatz  (cc7t6dei^ig):  weil  eben  das  Zweifel- 
hafte und  Undeutliche  sich  nur  durch  das  Unzweideutige  (und 
Gewisse)  erklären  und  beweisen  Hesse.  6.  Und  um  nun  noch 
deutlicher  zu  zeigen,  dass  Wohlthätigkeit  und  Freigebigkeit 
nicht  als  Beweis  und  Beispiel  dürfe  verwerthet  werden  für 
Das,  was  man  von  der  Freundschaft  verlaugt,  sagt  er,  kann 
durch  dasselbe  Gleichniss  und  durch  dasselbe  Seitenstück  zu 
einer  vernünftigen  Ansicht  umgekehrt  auch  die  Freundschaft 
zum  Beweisgrund  verwendet  werden  (was  man  von  der  Frei- 
gebigkeit und  Wohlthätigkeit  verlangen  kann),  wenn  z.  B. 
Jemand  behauptet,  die  Menschen  müssten  wohlthätig  und 
freigebig  sein,  nicht  wegen  irgend  einer  Hoffnung  auf  Profit, 
sondern  (rein)  aus  Liebe  und  Eifer  zur  Rechtschaffenheit. 
7.  Es  könnte  nämlich  Einer  ganz  ähnlich  auch  also  sagen: 
Denn  sowie  wir  die  Freundschaft  nicht  nur  in  der  Hoffnung 
auf  Gewinn  und  Vortheil  hochhalten,  'so  sollen  wir  auch  nicht 
wohlthätig  und  freigebig  sein  aus  (blosser)  Absicht  auf  Gegen- 
gefälligkeit. 8.  Allerdings,  fügte  er  hinzu,  wird  Einer  sich  so 
ausdrücken  können,  allein  es  wird  weder  die  Freundschaft 
der  Freigebigkeit,  noch  die  Freigebigkeit  der  Freundschaft 
als  Beweisgrund  gegenüber  gestellt  werden  können,  da  über 
beide  gleichmässig  die  Frage  offen  bleibt,  wie  weit  das  Ver- 
langen und  die  Ansprüche  gehen  können,  welche  man  an 
beide  stellen  darf.  9.  In  Betreff  dieser  Einwendungen  schien 
Einigen  dieser  sprachfertige  Kunstkenner  einsichtsvoll  und 
verständig  gesprochen,  allein  offenbar  die  Wortbegriffe  nicht 
richtig  und  deutlich  verstanden  zu  haben.  10.  Denn  wenn 
Cicero  von  einem  Wohlthätigen  und  Freigebigen  spricht,  so 
versteht  er  darunter,  ganz  in  dem  Sinne,  wie  die  Philosophen 
diesen  Ausdruck  gebrauchen,  nicht  Denjenigen,  der,  wie  er 
sich  selbst  ausdrückt,  mit  seinen  Wohlthaten  Wucher  treibt, 
sondern  einen  Solchen,  der  Gutes  thut,  ohne  dass  irgend  (eine 
Nebenabsicht)  ein  heimlich  versteckter  Hintergedanke  für 
seinen  eigenen  Gewinn  und  Vortheil  dabei  im  Spiele  ist. 
11.  Also  keines  unverständlichen  und  zweideutigen  Beweis- 
grundes hat  sich  Cicero  bedient,  sondern  eines  ganz  be- 


XVII.  Buch,  5.  Cap,  §  11  —  14.—  6.  Cap.,  §  1.  (363) 


stimmten  und  einleuchtenden,  zumal  man  ja  doch  bei  Einem, 
der  in  Wirklichkeit  als  wohlthätig  und  freigebig  gilt,  nicht 
erst  (lange)  fragt,  in  welcher  Absicht  er  wohl  Freigebigkeit 
und  Wohlthat  übt.  12.  Denn  mit  ganz  anderem  Namen  (als 
mit  dem  „eines  Wohlthätigen  oder  Freigebigen")  muss  man 
(zweifelsohne)  Einen  bezeichnen ,  im  Fall  er  bei  ähnlichen 
(Wohlthätigkeits-  oder  Freigebigkeits-)  Handlungen  eher  an 
seinen  eigenen  Vortheil,  als  an  den  des  Andern  denkt.  13. 
Der  (vorgebrachte)  Tadel  von  diesem  Silbenstecher  hätte  viel- 
leicht noch  einigen  Grund  gehabt,  wenn  Cicero  sich  so  aus- 
gedrückt hätte:  „Gleichwie  wir  Wohlthätigkeit  und  Freigebig- 
keit üben,  nicht  um  Gegengefälligkeit  (dafür)  einzukässiren", 
denn  dann  dürfte  es  scheinen,  als  könnte  die  Wohlthätigkeits- 
austibung  sich  auch  mit  einem  nicht  (wahrhaft)  Wohlthätigen 
vertragen,  wenn  überhaupt  diese  (edle  Neigung)  nur  erst 
durch  irgend  einen  Umstand  veranlasst  würde  und  nicht 
(schon  geboten  wäre)  durch  den  beharrlichen  Herzenszug 
selbst  zu  fortgesetzter  Wohlthätigkeit.  14.  Da  nun  aber 
Cicero  von  (wirklicher,  ächter)  Wohlthätigkeit  und  Freigebig- 
keit spricht,  und  darunter  eben  keine  andern  Regungen  ver- 
steht, als  die,  von  denen  oben  die  Rede  war,  so  hat  er  sich, 
so  zu  sagen,  mit  ungewaschenem  Fusse  und  Mund  daran 
gewagt,  die  Rede  dieses  so  höchst  gelehrten  Meisters  zu 
bekritteln. 


XVII,  6,  L.     Uass  Verrius  Flaccus  im  2.  Buche  seiner  Schritt,  welche 
,,über  dunkle  Stellen  des  M.  Cato"  handelt,  eine  falsche  Erklärung  des 
Begriffs  „servus  reeeptitius"  gegeben  hat. 

XVII,  6.  Cap.  1.  Als  Cato  das  voconische  Gesetz  be- 
fürwortete, bediente  er  sich  folgender  Wendung:  „Zuerst 
brachte  euch  die  Frau  eine  beträchtliche  Mitgift*), 
dann  behält  sie  sich  eine  bedeutende  Geldsumme  vor,  worüber 


XVII,  6,  1.  Ueber  das  voconische  Gesetz  s.  Gell.  VI  (VII), 
18,  8 NB  und  XX,  1,  23.  Servus  reeeptitius,  welcher  der  Frau  bei 
der  Uebergabe  der  Dos  als  ausschliessliches  Eigenthum  durch  Stipulation 
(contraetlich)  vorbehalten  ist,  s.  Fest  282,  t>  und  Nonius  54,  9.  —  *)  Magna 
dos,  beträchtliche  Mitgift.  S.  Apulej.  Apolog.  67.  88.  p.  540  und  574; 
Oud,  Cod.  Just.  V,  4,  9;  Tertult.  ad  uxor.  II,  3. 


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(364)  XVÜ.  Buch,  C.  Cap.,  §  1—7. 

dem  Manne  nicht  selbständige  Verfügung  zustand;  diese 
Geldsumme  streckt  sie  leihweise  dem  Gatten  vor;  später, 
wenn  sie  erzürnt  worden  war,  so  trug  sie  ihrem  sich  vor- 
behaltenen (und  deshalb  ihr  allein  eigenen)  Sklaven  (servum 
recepticium)  auf,  auf  Schritt  und  Tritt  dem  Gatten  zu  folgen 
und  ihn  (um  diese  ihre  eigene  Summe)  dringend  zu  mahnen." 
2.  Man  warf  nun  die  Frage  auf,  was  unter  einem  „servus 
recepticius"  zu  verstehen  sei.  Sofort  beeilte  man  sich  des 
Verrius  Flaccus  Schriften  über  „dunkle  (schwer  ver- 
ständliche) Stellen  des  M.  Cato"  aufzusuchen  und 
herbeizuschaffen.  Da  fand  sich  denn  im  2.  Buche  die  ge- 
schriebene Bemerkung  vor,  dass  unter  „servus  recepticius" 
ein  nichtswürdiger  Taugenichts  zu  verstehen  sei,  der,  obgleich 
er  (schon)  verkauft  worden  war,  wegen  eines  Fehlers  zurück- 
gegeben und  zurückgenommen  worden  sei.  3.  „Deshalb",  heisst 
es  dort  weiter,  „erhielt  ein  solcher  Sklave  (von  seiner  Ge- 
bieterin) den  Auftrag,  ihren  Gatten  aller  Orten  um  das  Geld 
zu  mahnen,  damit  durch  diese  Massregel  die  Kränkung  grösser 
und  der  Schimpf  für  den  Gatten  unangenehmer  würde,  weil 
ihn  ein  solcher  nichtswürdiger  Bube  (vor  aller  Welt)  um 
Rückerstattung  der  Geldsumme  zur  Rede  stellen  konnte." 
4.  Allein  mit  Genehmigung  und  Erlaubniss  Derer,  die  etwa 
für  die  Erklärungs weise  des  Verrius  Flaccus  eingenommen 
sein  sollten,  sei  Folgendes  gesagt:  5.  Die  Bedeutung  des  Be- 
griffs „recepticius  servus"  in  dem  von  Cato  angegebenen  Falle 
ist  eine  ganz  andere,  als  Verrius  angegeben.  Und  dies  wird 
(aus  Folgendem)  Jedem  leicht  einleuchten;  6.  denn  dieser 
Fall  liegt  zweifelsohne  so:  Wenn  ein  Weib  ihrem  Ehegatten 
die  Mitgift  einhändigte,  gebrauchte  man  zur  Bezeichnung 
dessen,  was  sie  von  ihrem  Hab  und  Gut  sich  vorbehielt  und 
dem  Manne  (also)  nicht  mit  (übergab  und)  abtrat,  den  Aus- 
druck: recipere  (sich  vorbehalten,  für  sich  zurückbehalten), 
wie  man  heutigen  Tages  noch  bei  Veräusserung  von  Dingen, 
welche  man  (sich)  herausnimmt  (bei  Seite  legt)  und  nicht  mit 
verkauft  wissen  will,  sagt:  recipi  (d.  h.  dass  sie  vorbehalten 
bleiben  sollen).    7.  Dieser  Ausdruck  findet  sich  auch  bei 


XVII,  6,  2.  Verrins  Flaccus  de  obscuris  Catonis  8.  Teuffels  röm. 
Lit  Gesch.  118,  4. 


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XVn.  Buch,  6.  Cap.,  §7-11.-7.  Cap.,  §  1.  (365) 

Plautus  in  seinem  „Brautschatz"  (Trinummus  I,  2,  157  [194]) 
in  folgendem  Verse: 

Das  Hinterhaus  behielt  er  sich  vor  (recepit)  beim  Hausverkauf, 

d.  h.  als  er  das  Haus  verkaufte,  veräusserte  er  den  kleinen 
Theil,  der  hinter  dem  Hause  lag,  nicht  mit,  sondern  (behielt 
ihn  zurück,  d.  h.)  behielt  (ihn)  sich  vor.  8.  Auch  Cato  selbst, 
in  der  Absicht  eine  reiche  Frau  zum  Gegenstande  seiner  Be- 
trachtung zu  machen,  sagte:  „Die  (Ehe-) Frau  giebt  theils 
ein  grosses  Heirathsgut  (an  den  Mann  ab),  theils  lässt  sie 
sich  eine  grosse  Geldsumme  im  Voraus  garantiren  (recipit), 
d.  h.  (sie  giebt  nicht  nur  ein  grosses  Heirathsgut,  sondern 
auch  noch  eine  bedeutende  Summe)  an  welcher  sie  jedoch 
gleich  das  Eigenthumsrecht  im  Voraus  fernerweit  beansprucht 
(retinet).  9.  Von  diesem  ihren  (eigenen  eingebrachten)  Be- 
sitzthumsantheil  (ex  ea  re  familiari),  den  sie  nach  Uebergabe 
des  Heirathsgutes  sich  vorbehielt,  giebt  sie  diese  ihre  Geld- 
summe dem  Ehemanne  leihweise.  10.  Wenn  sie  sich  nun 
zufällig  einmal  über  ihren  Mann  erzürnt  und  sich  vorgenom- 
men hatte,  diese  (besagte)  Geldsumme  von  ihm  sich  zurück- 
zufordern, so  bestimmte  sie  dazu,  als  (drängenden)  Mahner, 
den  servus  recepticius,  d.  h.  ihren  vorbehaltenen  (Leibeignen) 
Sklaven,  den  sie  sich  mit  der  noch  übrigen  Geldsumme  vor- 
behalten und  nicht  dem  Heirathsgute  einverleibt,  sondern 
zurückbehalten  hatte:  denn  der  Frau  stand  nicht  das  Recht 
zu,  einem  Sklaven  ihres  Mannes  Befehle  zu  geben,  sondern 
nur  ihrem  eigenen.  11.  Ich  erspare  mir,  zur  fernerweiteren 
Aufrechthaltung  dieser  meiner  Ansicht  alle  weiteren  Worte, 
denn  beide  Ansichten  liegen  offen,  jede  für  sich,  da,  sowohl 
die,  welche  von  Verrius  aufgestellt  wird,  wie  auch  die  von 
mir.  Jeder  kann  sich  also  nun  selbst  für  diejenige  von 
beiden  entscheiden,  welche  er  für  die  richtigere  hält. 

XVII,  7,  L.  Folgende  Stelle  aus  dem  atinischen  Gesetze:  „Quod  sub- 
ruptum  erit*},  ejus  rei  aeterna  auetoritas  esto,  d.  h.  was  (heimlich) 
entwendet  wird ,  an  solcher  Sache  soll  ewiger  Eigenthumsanspruch  ver- 
bleiben", schien  dem  P.  Nigidius  und  dem  Q.  Scaevola  als  eine  getroffene 
Vorkehrung  ebensowohl  in  Betreff  eines  schon  verübten,  als  eines  noch 

bevorstehenden  Diebstahls. 

XVII,  7.  Cap.    1.  Eine  Stelle  des  alten  atinischen 
XVII,  7,  L.   *)  Tempora  des  Passivs  in  vollendeter  Handlung  werden 


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(366) 


XVIL  Buch,  7.  Cap.,  §  1  —  6. 


Gesetzes  lautet:  „Was  gestohlen  (worden)  sein  wird,  an 
solcher  Sache  bleibt  der  Anspruch  auf  Eigenthum  unverjährt, 
oder  findet  kein  Verjährungsrecht  statt."  2.  Wer  wird  sich 
wohl  einfallen  lassen,  aus  dieser  Stelle  einen  andern  Sinn 
herauszufinden,  als  dass  dies  Gesetz  sich  nur  auf  zukünftige 
Fälle  beziehe.  3.  Q.  Scaevola  aber  erzählt,  dass  sein  Vater 
(einst)  zwei  sehr  gelehrte  Männer,  den  Brutus  und  Mani- 
lius  zu  Rathe  gezogen  habe,  weil  er  in  Zweifel  darüber 
war,  ob  dies  Gesetz  nur  bei  zukünftigen  Diebstählen  in 
Kraft  trete,  oder  auch  bei  vorher  begangenen,  weil  die 
Ausdrucksweise:  ,,quod  subruptum  erit"  eine  doppelte  Zeit- 
annahme zuzulassen  scheine,  sowohl  die  vergangene  wie  die 
zukünftige.  4.  Daher  schrieb  P.  Nigidius,  der  gelehrteste 
Mann  im  römischen  Reich,  in  Betreff  der  Ungewissheit  und 
Bedenklichkeit  dieser  beiden  Männer  im  24.  Buche  seiner 
„Beispielsammlung  über  Grammatik"  und  war  selbst  auch 
der  Ansicht,  dass  eine  deutliche  Angabe  der  Zeit  unbestimmt 
gelassen  sei;  5.  aber  er  hat  sich  bei  seiner  Erklärung  sehr 
kurz  gefasst  und  bleibt  unverständlich,  so  dass  man  die  ein- 
zelnen Bemerkungen  mehr  zur  Unterstützung  seines  Gedächt- 
nisses hingeworfen  sieht,  als  zur  Belehrung  und  Unterweisung 
der  Leser.    6.  Doch  scheint  er  bei  alledem  damit  haben 


gebildet  durch  die  Umschreibung  des  Particips  mit  dem  Hülfszeitwort  esse 
Das  Participium  perf.  pass.  mit  sum,  eram,  ero,  esse,  fuisse  verbunden 
wird  zu  den  temporibus  der  forma  passiva  gerechnet.   S.  Zumpt.  §  494,  3. 

XVTT,  7,  1.  Lex  Atinia  (de  usucapionibus,  seu  de  rebus  furto 
surrertis  jion  usu  capiendis\  war  ein  Gemeinebelieben  (plebiscitum),  vom 
Volkstribun  Atinius  gegeben  (557  d.  St.)  197  v.  Chr.,  nach  welchem  Keinem 
ein  fremdes  Gut  unter  dem  Titel  eines  lang  anhaltenden  Besitzes  ver- 
bleiben, sondern  der  Eigenthümer  allezeit  sein  Recht  daran  behalten  sollte. 
Cic.  Verr.  Act.  II,  lib.  I  cap.  42.  Es  war  also  eine  Wiederaunrischung 
von  dem  Usucapions -Verbote  der  gestohlenen  Sachen  nach  den  Zwölf- 
tafelgesetzen.  Vergl.  Gell.  XIV,  8,  2  NB. 

XVII,  7,  3.  ManiusManilius,  605  Consul,  gehörte  zum  Freundes- 
kreise des  jüngeren  Africanus.  S.  Teuffels  röm.  Lit.  139,  1.  Ueber  M. 
Junius  Brutus  §  139,  2  bei  Teuffei;  über  P.  Mucius  .Scaevola 
§  139,  4  ebendaselbst. 

XVII,  7,  4.   Ueber  Nigidius  s.  Gell.  IV,  9,  1  NB. 

XVTI,  7,  5.  Ueber  des  Nigidius  Figulus  (commentarii  grammatici)  8. 
Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  196,  4;  vergl.  Gell.  X,  5,  1;  XIX,  14,  8. 


XVn.  Buch,  7.  Cap.  §6—8.-8.  Cap.,  §  1.  (367) 

sagen  wollen,  dass  das  Wort  „esse"  und  „erit",  wenn  jedes  für 
sich  allein  steht,  auch  jedes  für  sich  seine  bestimmte  Zeit 
angiebt  und  beansprucht,  aber  (als  Hülfszeitwort)  in  Ver- 
bindung mit  dem  Perfectum  (passivi)  verlieren  sie  ihren 
eigenen  Zeitbegriff  und  richten  sich  (anschliessend)  nach  dem 
Perfectum.  7.  Wenn  ich  also  sage:  „in  campo  est"  (er  ist 
auf  dem  [Mars-]  Felde),  „in  comitio  est"  (er  ist  in  der  [Volks-] 
Versammlung),  so  bezeichne  ich  damit  einen  Zeitbegriff  der 
Gegenwart,  ebenso  wenn  ich  sage:  „in  campo  erit"  (auf  dem 
[Mars-] Felde  wird  er  sein),  so  verlege  ich  den  Zeitbegriff  in 
die  Zukunft;  allein  wenn  ich  sage:  „factum  est"  (es  ist  ge- 
macht worden),  „scriptum  est"  (es  ist  geschrieben  worden), 
„subruptum  est"  (es  ist  gestohlen  worden) ,  so  wird ,  obwohl 
„est"  der  gegenwärtigen  Zeit  angehört,  es  doch  mit  der  Ver- 
gangenheit verschmolzen  und  verliert  den  Begriff  der  Gegen- 
wart. 8.  So,  sagte  er,  verhält  es  sich  auch  mit  der  in  dem 
Gesetz  enthaltenen  Stelle:  Wenn  Du  die  beiden  Wörter 
trennst  und  für  sich  hinstellst,  „subruptum"  und  „erit",  dass 
Du  „subruptum"  so  auffassest,  wie  „certamen  erit"  (ein  Kampf 
wird  stattfinden,  oder  „sacrincium  erit"  (ein  Opfer  wird  statt- 
finden), dann  wird  es  scheinen,  dass  das  Gesetz  eine  Bestimmung 
für  die  Zukunft  ausdrücke,  fasst  man  aber  die  beiden  Begriffe 
„subreptum  erit"  (es  wird  gestohlen  sein)  als  eng  mit  ein- 
ander verbunden,  nicht  als  zwei,  sondern  als  (einen  zusammen- 
gehörigen Begriff  als)  ein  Wort  auf  und  zwar  als  einfach 
zusammengehörige  Passivform,  dann  ist  in  dem  Worte  eben- 
sowohl das  Verhältniss  der  vergangenen,  als  der  zukünftigen 
Zeit  vor  Augen  gehalten  (und  bedeutet,  was  gestohlen  werden 
wird,  als  was  gestohlen  worden  sein  wird). 

XVII,  8,  L.  Bei  den  gelehrten  Unterredungen  an  der  Tafel  des  Philo- 
sophen Taurus  pflegten  gewöhnlich  derartige  Fragen  verhandelt  zu  werden, 
wie  z.  B.  warum  das  Oel  oft  und  leicht,  Weine  (schon)  seltener,  der 
Essig  aber  fast  nie  gefriere  ?  Ferner,  dass  das  Wasser  in  den  Flüssen  und 

Quellen  zufriere,  das  Meer  aber  nie  gefriere? 

XVII,  8.  Cap.  1.  Der  Philosoph  Taurus  zog  uns  zu 
Athen  sehr  oft  gegen  die  Zeit  des  Tages,  wenn  es  bereits 

XVIT,  8,  L    Ueber  Tischgespräche  s.  Geil.  I,  22,  5;  VII  (VI),  13; 

XVIII,  2;  XIX,  9,  1  NB. 


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(368) 


XVIL  Buch,  8.  Cap.,  §2—9. 


schon  zu  dämmern  angefangen  hatte,  zur  Tafel.  2.  Diese 
(Abend-)  Zeit  ist  nämlich  dort  die  gewöhnliche,  das  Mahl  ein- 
zunehmen: Der  wesentliche  Theil  des  Mahles  und  das  ganze 
Hauptgericht  bestand  gewöhnlich  aus  einer  einzigen  Schüssel 
von  ägyptischen  Linsen  mit  in  kleinen  Stückchen  dran  ge- 
schnittenem Kürbis  (Melonen)  darin.  3.  Als  eines  Tages  die- 
selbe Schüssel  gebracht  und  auf  die  Tafel  gesetzt  wurde  und 
wir  uns  eben  anschickten  und  in  Erwartung  standen  (das 
Mahl  einzunehmen),  gab  Taurus  vorher  noch  einem  (grie- 
chischen) Knaben  den  Auftrag,  etwas  Oel  in  die  Schüssel  auf 
das  Gericht  zu  giessen.  4.  Dieser  von  Geburt  attische  Knabe 
war  höchstens  8  Jahre  alt  und  voll  der  drolligsten,  seiner 
Jugend  und  seinem  Volke  angeborenen  Einfälle.  5.  Er  bringt, 
seiner  (Aus-) Rede  nach  aus  Versehen,  eine  leere  samische 
Flasche  herbei,  kehrt  sie  um,  führt  sie  mit  der  Hand  auf  der 
ganzen  Fläche  der  Schüssel  umher,  wie  er  gewohnt  war, 
allein  es  kam  kein  Oel  heraus.  6.  Voller  Unwillen  und  mit 
zornigen  Blicken  besieht  sich  der  Knabe  die  Flasche,  schüttelt 
sie  ganz  heftig  und  fährt  (damit)  wieder  über  die  Schüssel 
hin  (allein  es  kommt  kein  Oel  heraus).  7.  Als  wir  Alle 
darüber  unvermerkt  insgeheim  lachen,  sagt  der  Knabe  (der 
dies  gemerkt  hatte)  zu  uns  auf  griechisch  und  zwar  ganz  fein 
attisch:  „Ihr  braucht  gar  nicht  zu  lachen,  es  ist  wohl  Oel 
darin,  allein  ihr  glaubt  (wisst)  nicht,  wie  gross  heut  in  der 
Frühe  die  Kälte  war,  daher  ist  das  Oel  gefroren."  8.  Ich 
nehme  sofort  die  Peitsche,  sagte  Taurus  mit  lächelnder  Miene, 
gehst  Du  nicht  eilends  und  holst  Oel  (herzu).  Als  nun  aber 
der  Knabe  zum  Einkauf  hinausgegangen  war,  benutzte  Taurus, 
durch  die  Verzögerung  keineswegs  sehr  in  Zorn  gebracht,  die 
Zeit  zu  folgender  Bemerkung:  Die  Schüssel  bedarf  unbedingt 
noch  Oel  (ehe  man  ans  Essen  geht),  doch,  wie  ich  sehe,  ist 
die  Speise  auch  noch  ungeniessbar  siedend  heiss.  warten  wir 
also  mit  Zulangen  und  versuchen  wir  unterdessen,  da  uns  der 
Knabe  einmal  bedeutet  hat,  dass  das  Oel  zu  gefrieren  pflegt, 
in  Erwägung  zu  ziehen,  warum  das  Oel  zwar  oft  und  leicht 
gerinnt,  Weine  (aber  nur)  selten  gefrieren?  9.  Dabei  sah  er 
mich  an  und  (gab  mir  dadurch  zu  verstehen,  dass  er)  wünschte, 


XVII,  8,  8.   S.  Macrob.  Sat.  VIT,  12. 


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XVU.  Buch,  8.  Cap.,  §  10-17.  (369) 


ich  sollte  meine  Meinung  sagen.  10.  Darauf  antwortete  ich, 
dass  meiner  Muthmassung  nach  der  Wein  deswegen  weniger 
schnell  gefriere,  weil  er  mehr  Wärmestoff  bei  sich  führe  und 
von  Haus  aus  feuriger  sei ,  weshalb  er  auch  von  Homer 
feurig*)  genannt  worden  sei  (al'&oxp  olvog),  nicht  aber,  wie 
Einige  meinen,  von  der  (dunkelrothen)  Farbe**).  11. 
Es  ist  ganz  richtig,  wie  Du  sagst,  erwiederte  Taurus:  denn 
darüber  ist  man  so  ziemlich  einig,  dass  der  Wein,  sobald  man 
ihn  getrunken  hat,  den  Körper  erwärmt.  12.  Allein  fast 
ebenso  erwärmend  ist  auch  das  Oel  und  hat  einen  nicht  ge- 
ringeren Einfluss  bei  Erwärmung  des  Körpers.  13.  Damit  ist 
(nun  eigentlich)  in  Uebereinstimmung  zu  bringen,  wenn  näm- 
lich alles  Das,  was  wärmer  ist,  schwerer  zum  Gefrieren  kommt, 
dass  dann  Alles,  was  kälter  ist,  leichter  gefriert.  14.  Von 
Allem  aber  am  meisten  ist  der  Essig  kühlend  (d.  h.  von  kalter 
Natur)  und  doch  erstarrt  er  niemals  (zu  Eis).  15.  Ob  nun 
vielleicht  beim  Oele  der  Grund  des  schnelleren  Gerinnens 
mehr  in  dessen  Weichheit  (Leichtigkeit,  Mildheit)  liegt?  Es 
scheint  daher  also  alles  Das  leichter  zu  gerinnen  und  zu  ge- 
frieren, was  eine  grössere  Weichheit  und  Leichtigkeit  besitzt. 
16.  Daher,  sagt  er,  sei  wohl  auch  die  Frage  der  Erörterung 
werth,  warum  das  Wasser  in  den  Flüssen  und  Quellen  zufriere, 
das  Meer  aber  überhaupt  ungefrierbar  sei?  Obgleich,  fährt 
er  fort,  der  Geschichtsschreiber  Herodot  (Melpom.  IV,  28), 
gegen  die  Ansicht  fast  Aller,  welche  diese  Frage  erörtert 
haben,  die  schriftliche  Bemerkung  macht,  dass  das  bosporische 
Meer,  welches  das  kimmerische  genannt  wird,  und  das 
Meer,  welches  das  scythische  heisst,  nach  allen  Seiten  hin 
gefriere  und  erstarre  (und  tragbar  werde).  17.  Während  dies 
Taurus  vorgebracht,  war  unterdessen  der  Knabe  (mit  dem 


XVII,  8,  10.   *)  Horn.  II.  I,  462;  IV,  259;  Odyss.  IX,  360;  XIV,  447. 

XVÜ,  8,  10.  **)  Horn.  Odyss.  XII,  19,  wo  es  mit  Iqv&qos  (röthlich) 
verbunden  ist.  Athenaeus  II,  sect.  2  (35)  und  XI,  sect.  13  (465).  Cfr. 
Plutareh:  Tischreden  VI.  7,  2  «r#oi//. 

XVII,  8,  16.  S.  Herodot.  4,  12.  28  und  Pompon.  Mela  2,  1.  Cim- 
merium  (mare),  der  kimmerische  Bosporos  (jetzt  Strasse  von  Jenikale), 
verband  den  maiotischen  See  (asowsches  Meer)  mit  dem  Pontos  Euxinos; 
er  galt  als  Grenze  Europas  gegen  Asien  und  hatte  den  Beinamen  von  den 
alten  Eimmeriern. 

G  eil  in  8,  Attische  Nächte.  H.  24 


(370)  XVII.  Bach,  8.  Cap.,  §  17.  —  9.  Cap.,  §  1—5. 


Oele)  zurückgekommen  und  die  Schüssel  abgekühlt,  und  es 
war  nun  die  Zeit  zum  Essen  und  Schweigen  gekommen  (tem- 
pus*)  edendi  et  tacendi). 

XVII,  9,  L.  Ueber  (Buchstabenzeichen  und)  Schreihkürzungeu  (Abbrevia- 
turen), welche  sich  in  der  Bricfsammlung  des  C.  Caesar  finden;  dann  noch 
über  andere  Geheimschreibzeichen  aus  der  alten  Geschichte  entlehnt;  und 
was  unter  einer  laconischen  axvruXt]  (geheimen  Depesche  oder  Zufertigung) 

zu  verstehen  sei. 

XVII,  9.  Cap.  1.  Es  giebt  von  C.  Caesar  eine  Samm- 
lung von  Briefen  an  den  C.  Oppius  und  Baibus  Cornelius, 
welche  (beide  Männer)  während  seiner  Abwesenheit  seine 
Geschäfte  besorgten.  2.  In  diesen  Briefen  finden  sich  an 
einigen  Stellen  vereinzelte  Buchstaben  ohne  Silbenvervoll- 
ständigung (d.  h.  Schreibabkürzungen),  von  denen  man  glauben 
könnte,  dass  sie  ohne  Zusammenhang  hingesetzt  sind,  denn 
aus  diesen  (einzelnen)  Buchstaben  (in  diesen  Briefen)  kann 
kein  logischer  Zusammenhang  herausgebracht  werden.  3.  Es 
fand  aber  unter  diesen  (Dreien)  ein  heimliches  Ueberein- 
kommen  in  Bezug  auf  die  Veränderung  der  Buchstaben-Reihen- 
folge (im  Alphabet)  statt,  so  dass  ein  Buchstabe  des  andern 
Stelle  und  Bedeutung  erhielt,  indess  jedem  beim  Lesen  seine 
richtige  Stelle  und  die  rechte  Bedeutung  wiedergegeben 
wurde.  4.  Freilich  beliebte  es  vorher  gegenseitig  Denen,  die 
die  dunkle,  nur  dem  Eingeweihten  verständliche  Schreib- 
fund Ausdrucks-)  weise  sich  zurechtlegten  (sich  gegenseitig 
darüber  zu  verständigen),  wie  ich  bereits  erwähnte,  welcher 
Buchstabe  an  die  Stelle  des  andern  gesetzt  werden  sollte. 
5.  Es  giebt  sogar  eine  von  dem  Grammatiker  Probus 
sehr  sorgfältig  abgefasste  „Erklärungstabelle  (als  Schlüssel) 
über  diese  geheime,  in  den  Briefen  des  C.  Caesar  verwerthet© 


XVII,  8,  17.  *)  Cfr.  Gell.  VII  (VI),  13,  3.  Erat  initium  loquendi 
edendi  finis. 

XVII,  9,  L.  Chiffernsprache,  System  abgekürzter  Wortzeichen 
und  Schriftzüge,  erster  stenographischer  Versuch.  Vergl.  Bernhardy,B 
röm.  Lit  14,  50. 

XVII,  9,  3.  Ueber  Caesars  Geheimschrift  s.  Teuffels  Gesch.  d.  röm. 
Lit  192,  8;  Paulis  Realencyklopäd.  Bd.  V,  S.  706  ff. 

XVII,  9,  5.  Ueber  Valerius  Probus  s.  Gell.  I,  15,  18 NB;  Teuffels  Gesch. 
der  röm.  Lit  295,  4  und  Steup,  de  Probis  grammaticis.   Jena.  1870. 


XVII.  Buch,  9.  Cap.,  §6—15. 


(371) 


Zeichenschrift."  6.  Wenn  die  alten  Lacedämonier  aber  den 
Inhalt  von  Briefen,  welche  sie  öffentlich  an  ihre  Feldherren 
geschickt  hatten,  vorsätzlich  zu  verhehlen  und  zu  verbergen 
beabsichtigten,  damit,  im  Fall  diese  Briefe  von  den  Feinden 
aufgefangen  würden,  doch  Niemand  ihre  Absichten  errathen 
möchte,  schickten  sie  diese  Briefe  derartig  abgefasst  fort: 
7.  Man  nahm  zwei  gedrehte  Stäbchen,  länglich(rund),  von 
(ganz)  gleichem  Umfange  und  von  gleicher  Länge,  geglättet 
und  ganz  gleich  hergerichtet;  8.  ein  solches  Stäbchen  wurde 
dem  in  den  Krieg  ziehenden  Feldherren  übergeben,  das 
andere  behielten  die  Obrigkeiten  zu  Hause  für  sich  (cum 
jure  atque  cum  signo  d.  h.)  gerichtlich  versiegelt  zurück.  9. 
Wenn  nun  die  Absendung  geheimer  (wichtiger  Depeschen) 
Befehle  nöthig  wurde,  so  wand  man  einen  mässig  dünnen 
Riemen  von  einer  für  den  betreffenden  Fall  hinreichenden 
Länge  um  dieses  Stäbchen  herum  in  einfacher  spiraler  Win- 
dung, so  dass  die  Ränder  von  dem  Riemen,  der  umwunden 
wurde,  überall  gleich  angefügt  und  eng  verbunden  ganz  genau 
zusammenpassten.  10.  Dann  schrieben  sie  den  Befehl  auf 
dem  Leder(-Riemen)  quer  über  die  Fugenränder  weg,  so  dass 
die  Zeilen  (der  Länge  nach)  von  oben  nach  unten  liefen. 
11.  War  nun  der  Befehl  so  zu  Ende  geschrieben,  so  wurde 
dieser  (beschriebene)  Riemen  von  dem  Stäbchen  abgewickelt 
und  dem  Feldherrn,  der  um  diese  Erfindung  wusste,  zu- 
geschickt. 12.  Die  Loslösung  des  Riemens  aber  (von  dem 
Stäbchen)  erwies  (nur)  verstümmelte  Buchstaben  -  Fragmente 
und  zertheilte  die  (Satz-)  Glieder  des  Befehls  und  die  (Buch- 
staben-)Züge  (bis  zur  Unkenntlichkeit)  in  die  verschiedensten 
Theile.  13.  Wenn  nun  dieser  Riemen(-Streifen)  in  die  Hände 
der  Feinde  gerieth,  so  konnte  man  aus  dieser  Schrift  auch 
nicht  das  Geringste  vermuthen  (und  entziffern).  14.  Allein 
sobald  ihn  Der,  an  den  er  gerichtet  war,  erhielt,  wickelte  er  ihn 
von  Anfang  bis  zu  Ende  auf  seinen  zu  dem  Zweck,  wie  er 
wusste,  dass  er  zu  gebrauchen  war,  überkommenen  gleichen 
Stab,  den  er  (allein)  besass,  und  die  Schrift  vereinigte  sich 
durch  dieses  Aufwinden  um  das  Stäbchen  und  passte  wieder 
genau  zusammen  und  gestattete  (also  dem  Empfänger),  dass 
der  ganze  Brief  un verstümmelt  und  lauter  und  leicht  »gelesen 
werden  konnte.    15.  Diese  Art  von  Zuschriften  nannten  die 

24* 


J- 


(372) 


XVH.  Buch,  9.  Cap.,  §  15  —  22. 


Lacedämonier :  axvzdlt]  (Geheimschreiben  oder  geheime  De- 
peschenzufertigung,  eigentlich :  Briefstab).  16.  Eine  Nachricht 
darüber  habe  ich  auch  in  einem  alten  Geschichtswerke  über 
punische  Begebenheiten  gelesen,  dass  ein  gewisser  berühmter 
Mann  von  eben  daher  —  ich  erinnere  mich  nicht  deutlich 
mehr,  ob  es  der  berühmte  Hasdrubal,  oder  irgend  ein  Anderer 
war  —  ein  über  geheime  (Staats-)  Angelegenheiten  verfasstes 
Schreiben  auf  folgende  Weise  (bei  Uebersendung)  zu  verbergen 
gewusst  hat:  17.  Dass  er  nämlich  neue  Schreibtäfelchen, 
die  noch  nicht  mit  Wachs  überzogen  waren,  hergenommen; 
die  Buchstaben,  d.  h.  sein  Schreiben  auf  das  Holz  über- 
tragen habe,  die  Täfelchen  aber  alsdann,  wie  gewöhnlich, 
mit  Wachs  habe  bestreichen  und  überziehen  lassen,  und  diese 
Täfelchen  gleichsam  wie  (noch)  nicht  beschriebene  Dem  über- 
schickt habe,  dem  er  dies  Verfahren  bereits  (vorher)  an- 
gekündigt hatte;  dass  Dieser  das  Wachs  wieder  abgekratzt 
und  dann  die  auf  dem  Holze  eingegrabene  Schrift  ohne  An- 
stoss  (und  Hinderniss)  gelesen  habe.  18.  In  den  Urkunden 
griechischer  Geschichte  wird  auch  noch  ein  anderer 
versteckter  und  unvermutheter,  mit  aussergewöhnlicher  (Hinter-) 
List  ausgeheckter  Kunstkniff  erwähnt;  19.  Es  gab  einen  ge- 
wissen Histiaeus  mit  Namen,  in  Asien  aus  nicht  geringem 
Stande  geboren.  20.  Ueber  Asien  aber  herrschte  damals  der 
König  Darius.  21.  Als  sich  dieser  Histiaeus  (nun  einst)  am 
Hofe  des  Darius  in  Persis  befand,  wollte  er  einem  gewissen 
Aristagoras  einige  Geheimnisse  durch  ein  heimliches  Schreiben 
melden.  22.  Dazu  sinnt  er  sich  folgendes  wundersame  Brief- 
geheimniss  aus.  Er  rasirt  seinem  Sklaven,  der  lange  Zeit  an 
den  Augen  litt,  das  Haar  vom  ganzen  Kopfe  ab,  gleichsam 
als  ob  er  ihn  dadurch  zu  heilen  gedächte  und  tätowirt  nun 
dessen  glattgeschornes  Haupt  mit  einer  Art  Buchstabenzeichen. 
In  diesen  Schriftzügen  theilte  er  diesem  (Aristagoras)  Das, 


XVH,  9,  15.  öxvTH/.rj,  eigentlich:  Stäbchen,  Stöckchen,  Briefstab. 
Plut.  Lysand.  19 ;  Cornel.  Nep.  Pausan.  III,  4.  Solche  Briefstäbe  scheinen 
nicht  nur  bei  den  Lacedämoniern,  sondern  auch  bei  andern  Völkern  im 
Gebrauche  gewesen  zu  sein.  Pindar.  Olymp.  VI,  91  (155).  —  Suidas; 
Plutarch:  lakonische  Denksprüche,  Leonidas  15. 
XVII,  9,  18.  S.  Ilerodot.  V,  35. 
XVII,  9,  19.    S.  Polyaen.  I,  24. 


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XVIL  Buch,  9.  Cap.,  §  22— 27.  —  10.  Cap.,  §  1—3.  (373) 

was  er  ihm  zu  schreiben  beabsichtigte,  ausführlich  mit.  23. 
So  lange,  bis  das  Haar  wieder  gewachsen  war,  behielt  er 
diesen  Menschen  bei  sich  zu  Hause.  24.  Als  dies  geschehen 
war,  schickte  er  ihn  zum  Aristagoras,  25.  und  trägt  ihm  dabei 
auf:  „Wenn  Du  zu  ihm  gekommen  sein  wirst,  sollst  Du  ihm 
in  meinem  Auftrage  melden,  dass  er  Dir  Dein  Haupt,  wie  ich 
es  neulich  selbst  gethan  habe,  scheeren  lässt.  26.  Der  Sklave 
kommt,  wie  ihm  befohlen  worden  war,  zu  Aristagoras  und 
überbringt  ihm  (pünktlich)  seines  Herrn  Befehl.  27.  Und 
dieser  vollbringt  nun  ungesäumt,  was  jener  ihm  (durch  diesen 
Sklaven)  hatte  heissen  lassen,  weil  er  wohl  wusste,  dass  dieser 
Befehl  einen  (besondern)  Grund  haben  müsse.  Und  so  ent- 
deckte er  den  ihm  heimlich  überbrachten  Brief. 

» 

XVII,  10,  L.    Favorins  Urtheil  über  die  Verse  Vergils,  worin  er  bei  der 
Beschreibung  von  den  Gluthausbrüchen  des  Berges  Aetna  der  Dichtung 
Pindars   gefolgt  ist.     Ferner  seine  Vergleichung  und  Beurtheilung  der 
Gedichte  dieser  Beiden  über  denselben  Gegenstand. 

XVII,  10.  Cap.  1.  Als  der  Philosoph  Favorin  im  heissen 
Sommer  auf  das  bei  Antium  gelegene  Landgut  seines  Gast- 
freundes sich  zurückgezogen  hatte,  und  ich  bisweilen  von  Rom 
zu  ihm  auf  Besuch  kam,  erinnere  ich  mich,  dass  er  sich 
(einstmals)  ohngefähr  folgendermassen  über  den  Pin  dar  und 
über  den  Vergil  ausliess.  2.  Er  sagte  also:  Vergil  soll 
nach  den  Berichten  seiner  Freunde  und  Vertrauten  in  Bezug 
auf  seine  Anlagen  und  Gewohnheiten  die  Bemerkung  über 
sich  selbst  geäussert  haben,  dass  er  nach  Art  und  Weise  der 
Bären  seine  Verse  (dichterischen  Producte)  zur  Welt  bringe. 
3.  Denn  wie  jenes  wilde  Thier  seine  Leibesfrucht  ungestaltet 
und  ungeformt  zur  Welt  bringe,  und  nachher  sein  Er- 
zeugniss  erst  durch  Belecken  gestalte  und  bilde,  ebenso 


XVII,  10,  1.  Pin  dar,  geb.  520  v.  Chr.  zu  Theben,  der  erhabenste 
lyrische  Dichter,  der  so  berühmt  war,  dass  bei  der  wiederholten  Zerstörung 
Thebens  durch  die  Spartaner  und  durch  Alexander  d.  Gr.  sein  Haus  aus 
Hochachtung  gegen  ihn  verschont  blieb. 

XVII,  10,  2.  Cfr.  Quintil.  X,  3,  8  über  das  langsame  Produciren 
Vergils  und  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  221,  5. 

XVII,  10,  8.  Von  der  Bärin  s.  Plutarch :  über  die  Liebe  zu  Kindern.  2. 


(374) 


XVÜ.  Buch,  10.  Cap.,  §  3—9. 


seien  seine  Geistesproducte  zuerst  dem  äusseren  Ansehn  nach 
formlos  und  unvollkommen,  aber  nachher  gebe  er  ihnen  durch 
fleissige  Bearbeitung  eine  bestimmte  Form  und  den  richtigen 
(wahren)  Ausdruck.  4.  Dass  dieses  offenherzige  Geständniss 
eines  Mannes  von  so  feinem  Urtheil  eine  geistvolle  Wahrheit 
enthalte,  dazu  liefert  ein  augenscheinlicher  Vergleich  den 
(besten)  Beweis.  5.  Denn  Alles,  was  Vergil  vollendet  und 
gehörig  ausgearbeitet  hinterliess,  und  woran  er  nach  strenger 
Prüfung  und  Auswahl  selbst  die  letzte  Feile  anlegte,  (das 
Alles)  hat  sich  wegen  seiner  dichterischen  Schönheit  (stets)  des 
Lobes  im  höchsten  Grade  zu  erfreuen;  6.  aber  Alles,  was  von 
ihm  für  eine  spätere  (kritische)  Durchmusterung  aufgeschoben 
wurde  und  nicht  vollendet  werden  konnte,  weil  der  Tod  ihm 
zuvorkam,  das  ist  dem  Namen  und  dem  Geschmacke  eines  so 
höchst  wählerischen  Dichters  durchaus  nicht  so  ganz  würdig. 
7.  Als  er  daher,  von  Krankheit  hart  bedrängt,  den  Tod  vor 
Augen  sah,  bat  und  beschwor  er  seine  besten  Freunde  in- 
ständig, sie  möchten  die  Aeneide,  da  er  sie  (seines  Erachtens 
nach)  noch  nicht  genug  ausgefeilt  hatte,  vernichten.  8.  Darin 
befindet  sich  aber  vorzüglich  eine  Stelle,  welche  offenbar  hätte 
umgearbeitet  und  verbessert  werden  müssen;  es  ist  die  ent- 
worfene Beschreibung  des  (feuerspeienden)  Berges  Aetna. 
Denn  als  er  das  Gedicht  des  alten  Sängers  Pindar,  welches 
eine  Beschreibung  dieses  Berges  und  seines  (vulkanischen) 
Gluthausbruches  enthält,  nachahmen  wollte,  hat  er  derartige 
Gedanken  und  Ausdrücke  aufgethürmt,  dass  er  gerade  an 
dieser  Stelle  mehr  noch  übertrieben  hat  und  schwülstiger 
(geworden)  ist,  als  Pindar  selbst,  dessen  Stil  schon  für  zu 
überladen  und  schwülstig  gehalten  wurde.  9.  Damit  ihr  euch 
nun  aber  selbst  (gleich)  ein  Urtheil  über  meine  Behauptung 
bilden  könnt,  so  will  ich  euch  das  Gedicht  des  Pindar  (Pyth. 
I,  21  [40]  u.  s.  w.),  welches  (die  Beschreibung  eines  vulkani- 
schen Ausbruches  enthält  und)  vom  Berg  Aetna  handelt,  her- 


XVII  10,  7.  Dem  römischen  Dichter  Varius  Rufus  und  dem  Plotius 
Tucca  hatte  der  sterbende  Vergil  seine  Aeneide  übergeben,  um  frei  damit 
zu  schalten  nach  eigenem  Ermessen.  S.  Quint.  10,  3,  8 .  Bernh.  röm.  Lit. 
80,  369.   Vergl.  Macrob.  Sat  I,  24. 

XVII,  10,  8.   S.  Macrob.  V,  17. 


Xm  Buch,  10.  Cap.,  §  9-12.  (375) 

sagen,  so  weit  es  mir  noch  im  Gedächtniss  ist.  (Es  heisst: 
Die  beschneite  Aetna) 

Welcher  unnahbarer  Feu'rgluth  heilige  Quelle  entfliesst 
tief  von  Grund  aus.   Aber  die  Stromfluth  ergiesst  bei  Tage  des  glühen- 
den Rauchs  Aufdrang; 
•  Führt  bei  finstrer  Nacht  im  Purpurschein 
aufwirbelnder  Flamme  die  Felsen  weit  ins  grundlose  Meerfeld,  donnernd 

mit  lautem  Gekrach. 
Jenes  Gräulthier*)  sendet  aus  Abgründen  die 

Schrecklichsten  Quellen  desHephästos,  ein  staun  würdiges  Zeichen 
zu  schaun,  ein  Wunder  der  Wanderer  Ohr  anzuhören. 

10.  Vernehmt  nun  auch,  fuhr  er  fort,  die  Zeilen  aus  Vergil 
(Aen.  III,  570  ff.),  von  denen  ich  eher  behaupten  möchte,  dass 
er  sie  (nur  erst  skizzirt  und  oberflächlich)  entworfen,  als  dass 
er  sie  vollendet  habe: 

Friedsam  ruht  vor  der  Wind'  Androhn  der  geräumige  Hafen; 

Aber  zunächst  mit  grausen  Verwüstungen  donnert  der  Aetna. 

Oftmals  strömt  er  zum  Aether  die  schwarz  vorbrechende  Wolke,  (atram- 
nubem), 

Welche  mit  Pech  aufwirbelt  den  Dampf  mit  funkelnden  Flocken  (Turbine 

fumantem  piceo  et  candente  favilla) 
Und  er  erhebt  Gluthklumpen  und  leckt  mit  der  Flamme  die  Sterne; 
Oftmals  Grands  und  Gesteine,  dem  Schoosse  des  Berges  entrissen; 
Bäumt  er  strudelnd  empor  und  geschmolzene  Felsen  zum  Himmel 
Drängt  er  mit  dumpfem  Gekrach  und  kocht  aus  dem  untersten  Grund  auf. 

11.  Nun  fuhr  Favorin  also  fort:  Gleich  zu  Anfang  ist  Pindar 
der  Wahrheit  mehr  gefolgt  und  hat  eine  getreue  Schilderung 
von  dem  geliefert,  was  die  Erscheinung  ergab  und  was  an 
Ort  und  Stelle  die  Wirklichkeit  bot  und  was  mit  Augen  be- 
obachtet werden  konnte,  dass  (nämlich)  der  Berg  Aetna  bei 
Tage  rauche,  bei  Nacht  Feuer  speie.    12.  Während  aber 

XVII,  10,  9.  *)  Jenes  Gräulthier  d.  i.  Typhon  oder  Typhoeus 
(als  Symbol  unterirdischer  Naturerscheinungen  durch  Ausbruch  vulkanischer 
Berge),  nach  der  Sage  ein  Ungeheuer,  aus  Drachen  und  anderem  Gezücht 
zusammengeballt,  empörte  sich  gegen  Zeus,  welcher  es  bezähmte  und 
auf  ihn  die  Last  des  Aetna  wälzte.  S.  Strabo  5,  4,  9.  **)  Quellen 
des  Hephästoa  sind  die  Lavaströme.  Vergleiche  ähnliche  Schilderungen 
bei  Aeschyl.  Prometh.  350  —  373  und  Lucret.  VI,  681  u.  s.  w. 

XVII,  10,  10.  Ueber  Redaction  und  Emendation  der  Aeneide  durch 
L.  Varius  und  Plotius  Tucca  s.  TeufFels  Gesch.  der  röm.  Lit.  224,  2. 

XVII,  10,  11.  Strabo  VI,  2  p.  421  sagt:  Bei  Nacht  leuchten  helle 
Blitze  aus  dem  (Berges-)  Gipfel  und  den  Tag  über  ist  er  von  Rauch  und 
Wolken  umgeben. 


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XVII.  Buch,  10.  Cap.,  §  12  —  19. 


Vergil  seinen  Hauptwerth  darauf  legt,  nach  geräuschvollen, 
tosenden  Worten  zu  suchen,  hat  er  ohne  irgend  welche  Unter- 
scheidung beide  Tageszeiten  vermischt.  13.  Aber  jener  grie- 
chische Dichter  führt  in  seiner  klaren,  (lebendigen)  Schilderung 
(das  Bild)  vor,  wie  Feuerbäche  aus  tiefstem  Grunde  aus- 
gespieen werden,  wie  Ströme  von  Rauch  hervorquellen,  wie 
gilblich  durchwundenes  Feuergeknäul  (flammarum  fulva  et 
tortuosa  volumina),  gleich  feurigen  Schlangen  auf  der  Meer- 
fluth  Ebenen  dahintreiben.  14.  Aber  unser  Vergil,  in  der 
Absicht  Pindars  Worte:  §oov  witvov  cu&cova  (d.  h.  die 
glühende  Strömung  des  [Rauch-]  Dampfes,  oder  des  glühenden 
Rauches  Aufdrang)  wiederzugeben,  hat  dies  auf  eine  weniger 
feine  und  sehr  weitläufige  Art  bewerkstelligt  durch:  atram 
nubem  turbine  piceo  et  favilla  fumantem  (d.  h.  die  schwarze 
Wolke  in  pechschwarzem  Wirbel  und  glühender  Asche 
dampfend);  15.  auch  was  Pindar  „xqowovq"  (Quellen  des 
Hephästos)  genannt  hatte,  hat  Vergil  durch  „globos  flammarum" 
(Gluthklumpen)  sehr  hart  und  ungenau  (av.vQcog)  übersetzt. 
16.  Ferner,  sagte  Favorin,  ist  auch  der  Ausdruck:  „sidera 
lambit"  (leckt  die  Sterne,  züngelt  nach  den  Sternen)  ein  über- 
flüssiger und  unnützer  Zusatz  (von  Vergil).  17.  Auch  ist 
folgende  Ausdrucksweise  unerklärlich  und  fast  unbegreiflich, 
wenn  er  sagt :  nubem  atram  fumare  (dass  die  schwarze  Wolke 
dampfe)  turbine  piceo  et  favilla  candente  (von  pechschwarzem 
Wirbel  und  glühender  Asche).  18.  Denn,  sag  te  er,das,  was 
glänzt,  raucht  doch  gewöhnlich  nicht,  noch  kann  es  schwarz 
sein;  wenn  er  nicht  etwa  gar  „candenti  (favilla)"  in  dem 
gewöhnlichen  und  ungebräuchlichen  Sinne  gesagt  hat  für: 
„ferventi  favilla"  (glühend  heisse  Asche),  nicht  aber  im  Sinne 
von:  feurig  glänzender  und  hellstrahlender.  Denn  „candens" 
wird  selbstverständlich  vom  Glanz  (a  candore)  gesagt,  nicht 
aber  von  der  Wärme  (a  calore).  19.  Vergils  Beschreibung 
aber  betreffend,  dass  Gestein  und  Felsstücke  ausgespieen  und 
emporgeworfen  werden  und  dass  diese  (Massen)  schmelzen 
und  dröhnen  und  sich  hoch  in  den  Lüften  aufthürmen,  davon, 
sagte  Favorin,  steht  weder  etwas  im  Pindar  geschrieben,  noch 
hat  man  je  dergleichen  sagen  und  erzählen  hören,  und  unter 
allen  wunderlichen  Beschreibungen  bleibt  diese  (schon)  die 
allerwunderlichste. 


XVII.  Buch,  11.  Cap.,  §  1—3. 


(377) 


XVII,  11,  L.  Wie  Plutarch  in  seinen  Tischgesprächen  (VII,  1)  die  An- 
sicht Plato's  über  den  Zustand  (die  Beschaffenheit)  und  Verrichtung  des 
Magens  und  der  Luftröhre,  welche  die  rauhe  Arterie  {rQttxiia  oder  Luft- 
ader) genannt  wird,  entgegen  der  Meinung  des  Arztes  Erasistratus, 
vertheidigt  hat,  indem  er  sich  dabei  auf  den  Ausspruch  des  alten 
(berühmten)  Arztes  Hippocrates  bezieht. 

XVII,  11.  Cap.  1.  Wir  haben  schriftliche  Nachrichten 
sowohl  von  Plutarch,  als  auch  von  einigen  andern  Gelehrten, 
dass  der  berühmte  Arzt  Erasistratus  sich  über  den  Plato 
deshalb  tadelnd  ausgesprochen,  weil  er  behauptet  hat,  das 
Getränk  fliesse  nach  der  Lunge  und  nachdem  es  diese  genug 
befeuchtet  habe,  liefe  es  durch  dieselbe,  weil  sie  (schwamm- 
artig, porös  und)  sehr  durchlöchert  sei,  wieder  ab  und  von 
da  fliesse  es  (erst)  nach  der  (Harn-)  Blase  hin.  Auch  be- 
haupten sie,  dass  (der  Dichter)  Alcaeus  Urheber  dieser 
falschen  Ansicht  gewesen  sei,  der  in  seinen  Gedichten  ge- 
schrieben hätte: 

Netze  die  Lunge  mit  Wein!  Der  Sirius  leuchtet  am  Himmel. 

2.  Erasistratus  selbst  aber  spreche  die  Ansicht  aus,  es  gäbe 
gleichsam  zwei  kleine  Rinnen  oder  Röhrchen,  welche  von  der 
Rachenhöhle  ab  herunter  gingen  und  durch  die  eine  derselben 
würden  alle  Speisen  und  Getränke  nach  dem  Magenmund 
geführt  und  geleitet,  von  da  kämen  sie  in  den  Magengrund, 
der  auf  griechisch  (rj  -/.acio  xoiMa,  d.  h.)  Unterleib  genannt 
wird,  und  hier  würde  nun  Alles  verkocht  und  verdaut  und 
von  da  gingen  die  trockneren  Excremente  (das  aus  dem 
Genossenen  Verdaute)  in  den  Darmkanal,  der  auf  griechisch 
Y.6Xov  (Mastdarm)  genannt  wird ;  alle  Flüssigkeiten  aber  durch 
die  Nieren  in  die  (Harn-)  Blase.  3.  Durch  das  andere  Röhr- 
chen aber,  welches  auf  griechisch :  rgaxeta  a^regia  (die  rauhe 

XVII,  11,  L.   S.  Gell.  XVI,  3,  8  NB  über  Erasistratus. 

XVII,  11,  1.  S.  Macrob.  Sat  VII,  15.  —  Pia t.  Timaeus  p.  70,  C.  — 
Alcaeus,  einer  der  neun  berühmtesten  lyrischen  Dichter  der  Griechen, 
aus  Mytilene  auf  Lesbos  (612  v.  Chr.),  Zeitgenosse  und  Liebhaber  der 
Sappho.  Die  alcäische  Strophe  ist  von  ihm  erfunden  Der  hier  angeführte 
Vers  findet  sich  Plutarch,  Tischreden  VII,  1,  1 ;  vergl.  Plutarch :  über  Isis 
und  Osiris  38;  und  Quint  X,  1,  63.  Er  vertheidigte  sein  Vaterland  nicht 
weniger  mit  dem  Degen,  als  mit  der  Feder,  sowohl  gegen  die  Athener,  als 
gegen  die  innerlichen  Tyrannen. 


Di 


(378)  XVII.  Buch,  11.  Cap.,  §  3-6. 

Luft- [Ader-] Röhre)  genannt  wird,  komme  die  durch  den 
Mund  geschöpfte  Luft  in  die  Lunge  und  von  da  wieder  nach 
dem  Mund  und  nach  der  Nase  zurück ;  4.  und  auf  demselben 
Wege  werde  auch  der  Durchzug  für  den  Laut  und  die  Stimme 
bewerkstelligt;  und  damit  nun  von  dem  Getränk  und  von 
dem  trockenen  Essen,  das  seinen  Weg  nach  dem  Magen 
nehmen  soll,  nichts  aus  dem  Munde  hineinfalle  oder  hinein- 
fliesse  in  das  Röhrchen,  durch  welches  man  Athem  holt,  und 
damit  durch  einen  solchen  .Unfall  der  Athmungsweg  nicht 
versperrt  werden  könne  (weil  man  sonst  ersticken  müsse,  aus 
dem  Grunde)  sei  durch  die  weise  Einrichtung  und  Vorsorge 
der  Natur  bei  diesen  beiden  Oeffnungen  eine  Klappe  an- 
gebracht, welche  entyliorxig  (gleichsam  Nebenzunge,  d.  h. 
Kehldeckel)  genannt  wird,  gleichsam  eine  bewegliche  Fall- 
thüre,  die  sich  abwechselnd  schliesst  und  öffnet;  5.  Diese 
ImyluxTiG,  (Kehldeckelvorrichtung)  bedecke  nun  während  des 
Essens  und  Trinkens  und  schütze  die  rauhe  Luft-Ader-Röhre 
(ttjv  Tgaxelav  ccQTrjgiav),  damit  von  der  Speise  oder  von  dem 
Getränke  nichts  hineinfallen  könne  in  jenen  Durchzugskanal 
des  (wie  Ebbe  und  Fluth)  auf- und  niedersteigenden  Athems; 
und  deswegen  fliesse  (offenbar)  auch  nichts  Flüssiges  in  die 
Lungen,  weil  ja  der  Eingang  zur  Luftröhre  verschanzt  sei. 
Dies  ist  nun  diese  Einwendung  des  Arztes  Erasistratus  gegen 
den  Plato.  6.  Allein  Plutarch  meldet  in  seinen  Tisch- 
gesprächen •  (VII,  3),  dass  eigentlich  H  i  p  p  o  c  r  a  t  e  s  *)  als  der 
Urheber  von  Plato's  Ansicht  anzusehen  sei;  überdies  wären 


XVII,  11,  4.  Vergl.  Plutarch's  Tischreden  VII,  1,  3.  Heutigen  Tages 
unterscheidet  man  ganz  richtig  die  Luftröhre,  deren  weiterer  Eingang  der 
Kehlkopf  ist,  und  die  Speiseröhre,  deren  Eingang  der  Schlund  ist:  XaQvyg 
und  (fd^vy^ 

XVII,  11,  6.  *)  Vergl.  Galenus  de  Plac  Hippoer.  et  Plat  IV.  — 
Philistion,  ein  gelehrter  Arzt,  Zeitgenosse  des  Socrates  (nicht  zu 
verwechseln  mit  dem  fast  um  eben  diese  Zeit  lebenden  Komödienschreiber 
Philistion  von  Nicaea),  war  Lehrer  des  Eudoxos  von  Knidos  und  des 
Chrysippos  von  Knidos.  Nach  Andern  soll  er  nicht  ein  Lokrer,  sondern 
Sikuler  sein.  —  Dioxippos,  von  der  Insel  Kos,  war  ein  Schüler  des 
grossen  Hippocrates.  S.  Plin.  Hist  N.  20,  12;  Athen.  12,  3;  Plut  Symp. 
7,  1,  3;  Widersprüche  der  Stoiker  29.  Hekatomnue,  König  von  Carien, 
Bruder  der  Aspasia,  berief  ihn  zu  sich,  um  seine  Prinzen  von  einer 
schweren  Krankheit  zu  heilen;  er  versprach  dies  unter  der  Bedingung  zu 


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XVII.  Buch,  11.  Cap.,  §  6.  -  12.  Cap.,  §  1.  (379) 


die  (beiden)  alten  und  berühmten  Aerzte,  sowohl  der  Lokrer 
Philistion,  wie  auch  der  Hippokratiker  Dioxippus  der- 
selben Ansicht  gewesen;  auch  sei  jener  Kehldeckel,  von  dem 
Erasistiatus  gesprochen  hat,  nicht  deshalb  an  jener  Stelle 
angebracht,  damit  nicht  (beim  Hinunterschlingen)  irgend 
etwas  in  die  Luftröhre  gleiten  könne,  —  denn  es  schiene  eine 
gewisse  Anfeuchtung  auch  für  Erquickung  und  Benetzung  der 
Lunge  nützlich  und  nothwendlg  zu  sein,  —  sondern  diese 
Klappe  sei  angebracht,  um  gleichsam  als  Einhaltthuerin  und 
Bestimmerin  (nach  eigener  freier  Massnahme)  das  abzuwehren 
(was  schädlich  ist),  oder  beizumischen,  was  zum  Nutzen  für 
die  Gesundheit  ist;  dass  diese  Klappe  zwar  alle  Speise  von 
dem  Eindringen  in  die  Luftröhre  abhalte  und  sie  auf  den 
Weg  nach  dem  Magen  hinweise,  hingegen  das  Getränk  zwi- 
schen Magen  und  Lunge  vertheile,  und  was  von  dem  Ge- 
tränk durch  die  Luftröhre  in  die  Lunge  abgelassen  werden 
solle,  dass  sie  dies  nicht  zu  schnell  und  auf  einmal,  sondern 
durch  diese  Art  von  Damm  aufgehalten  und  gehemmt,  nur 
langsam  und  nach  und  nach  durchlasse  und  alles  Uebrige 
(von  Speise  und  Trank)  durch  die  andere  (Speise-)  Röhre 
nach  dem  Magen  hin  ableite. 

XVII,  12,  L.  Uebcr  seltsam  wunderliche  Lehrsätze,  welche  die  Griechen 
ä&o^ovs  (unerwartete,  unvermuthete)  nennen,  von  Favorin  zum  Zweck  der 

Redeübung  abgehandelt. 

XVII,  12.  Cap.  1.  Unter  den  Alten  machten  sich  nicht 
nur  Sophisten,  so  wie  auch  Philosophen  an  die  Erörterung 
von  wunderlich  seltsamen,  oder,  wenn  Du  den  Ausdruck  lieber 
willst,  unerwarteten  Lehrsätzen,  welche  die  Griechen  un- 
vermuthete und  unerwartete  Streitpunkte  [adogovg  (neu  aio- 
■rcovg)  vTto&eoetg]  nennen,  sondern  auch  unser  Favorin  ver- 
breitete sich  sehr  gern  über  dergleichen  Fälle,  weil  er  meinte, 
dass  sie  geeignet  seien  zur  Erweckung  der  geistigen  Anlagen, 
oder  zur  Uebung  des  Scharfsinns,  oder  zur  (leichteren)  Be- 


thun,  wenn  der  König  von  dem  Kriege  mit  seinen  Landsleuten  abstehen 
wolle.  S.  Strabo  14,  656;  Diodor  Sic  14,  98;  15,  2;  Arr.  Anab.  1,23,  7; 
Isoer.  4,  lb'2. 

XVII,  12,  1.  Ueber  Favorin  s.  Philostrat  des  alteren  Lebensbeschrei- 
bungen der  Philo8.  I,  8. 


■ 

(380)         XVH.  Buch,  12.  Cap.,  §  2— 5.  -  13.  Cap.,  §  L 

wältigung  vorkommender  Schwierigkeiten,  2.  wie  z.  B.  die 
Fälle,  wo  er  sich  Mühe  gab,  das  Verdienst  (des  Schwätzers) 
Thersites  nachzuweisen;  dann,  wo  er  das  aller  vier  Tage 
(d.  h.  an  jedem  vierten  Tage)  wiederkehrende  Fieber  (febrim 
quartis  diebus  recurrentem)  in  Schutz  nahm;  Fälle,  für  die 
er  in  der  That  immer  viele  geistvolle  und  nicht  leicht  zu 
findende  (höchst  originelle)  Auslegungen  nach  beiden  (ent- 
gegengesetzten) Möglichkeiten  hin  (sowohl  für,  wie  dawider) 
vorzubringen  wusste  und  die  er  aufgezeichnet  uns  in  seinen 
Schriften  hinterlassen  hat.  3.  In  seinem  Loblied  des  (vier- 
tägigen) Fiebers  lässt  er  auch  den  Plato  als  Zeugen  auf- 
treten, von  dem  er  folgende  schriftliche  Bemerkung  anführt: 
Wer  nach  überstandenem ,  viertägigem  Fieber  genesen  und 
wieder  in  den  vollen  Besitz  seiner  Kräfte  gelangt  ist,  wird 
sich  nachher  einer  ganz  ununterbrochenen,  dauerhaften  Ge- 
sundheit zu  erfreuen  haben.  Und  bei  Gelegenheit  dieses 
Lobliedes  bringt  er  wahrlich  in  einem  Sprüchlein  ein  herr- 
liches Wortspiel  an.  4.  Er  versichert  dabei:  der  Ausspruch 
(aus  Hesiod.  opp.  et  d.  825)  hat  sich  seit  Menschengedenken 
bewährt : 

Bald  stiefmütterlich  handelt  der  Tag,  bald  mütterlich  wieder. 
Durch  diesen  Vers  soll  angedeutet  werden,  dass  es  nicht  alle 
Tage  gleich  gut  gehen  könne,  sondern  an  dem  einen  gut, 
und  am  andern  schlecht.  5.  Da  dies  aber  nun,  sagt  er, 
nicht  zu  ändern  sei,  so  dass  im  menschlichen  Dasein  das 
Wohl-  oder  Ueb elbefinden  im  steten  Wechsel  begriffen  sein 
müsse,  um  wie  viel  beglückender  ist  das  Fieber,  das  zwei 
Tage  aussetzt,  bei  welchem  zwei  Mütter  mit  nur  einer  Stief- 
mutter abwechseln  (juia  itrjtQvia,  dvo  /LujTegeg). 

XVII,  13,  L.    Wie  vielerlei  verschiedene  Bedeutungen  die  Partikel  „quin" 
hat  und  dass  sie  in  den  Schriften  der  Alten  oft  sehr  unverständlich  ist. 

XVII,  13.  Cap.    1.  Die  Partikel  „quin",  welche  die  Gram- 


XVII,  12,  2.  Thersites,  der  hässlichste  Mann  vor  Uion  und  ein 
frecher  bösartiger  Schreier,  von  Odysseus  zum  Ergötzen  des  Volkes  ge- 
züchtigt, als  er  den  Agamemnon  lästerte  (Horn.  II.  II,  212  ff.),  nnd  von 
Achilles  getödtet  (Horn.  Ii.  II,  220).  —  Quartis  diebus  vergl.  Gell.  IX, 
4,  6  NB.   Savigny  Uber  Ordinalzahlen. 

XVII,  12,  8.   Vergl.  Plat  Timaeus  p.  86. 

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XVII.  Buch,  18.  Cap.,  §  1-8. 


(381) 


matiker  Bindewort  nennen,  scheint  die  Rede  unter  ver- 
schiedenen Beziehungen  und  Bedeutungen  logisch  zu  verbinden. 
2.  Denn  man  legt  ihr  einen  andern  Sinn  bei,  wenn  wir  sie 
gebrauchen  beim  Ausschelten  oder  beim  Fragen,  oder  beim 
Ermahnen,  z.  B.  „quin  venis  (warum  kommst  Du  nicht,  d.  h. 
mache,  dass  Du  endlich  kommst)?  quin  legis  (warum  liesest 
Du  nicht,  d.  h.  Du  musst  doch  wohl  lesen)?  quin  fugis 
(warum  fliehst  Du  nicht,  d.  h.  warum  machst  Du  nicht,  dass 
Du  fliehst)?"  In  anderer  Bedeutung  wird  diese  Partikel 
gesagt,  wenn  man  z.  B.  folgende  Behauptung  aufstellt:  „Es 
ist  kein  Zweifel  (non  dubium  est,  quin),  dass  M.  Tullius 
(Cicero)  unter  Allen  der  beredteste  ist" ;  noch  eine  andere 
Bedeutung  hat  die  Partikel  in  der  Zusammensetzung  zweier 
offenbar  entgegengesetzter  Gedanken:  „Nicht  etwa  deshalb 
tibernahm  Isocrates  keine  gerichtliche  Vertheidigung ,  (quin) 
als  ob  er  dies  nicht  für  nützlich  und  ehrenvoll  gehalten 
hätte."  3.  Diese  Bedeutung  des  Wortes  stimmt  ganz  mit  der 
Stelle  im  3.  Buche  der  Urgeschichte  von  M.  Cato  überein, 
wo  es  heisst:  „Ich  beschreibe  diese  Völker  nicht  etwa  des- 
halb zuletzt,  (quin)  als  ob  sie  nicht  (auch)  tapfer  und  unter- 
nehmend seien."  4.  Im  2.  Buche  seiner  Urgeschichte  ge- 
braucht M.  Cato  diese  Partikel  in  einer  nicht  viel  anderen 
Bedeutung,  wo  er  sagt:  „Ihn  insgeheim  geschändet  zu  haben 
(dieses  Bewusstsein) ,  hielt  ihn  durchaus  nicht  ab ,  (quin)  dass 
er  nun  nicht  auch  noch  öffentlich  seinen  guten  Ruf  preis 
geben  sollte."  5.  Ausserdem  habe  ich  die  Bemerkung  ge- 
macht, dass  Quadrigarius  im  8." Buche  seiner  Jahrbücher  diese 
Partikel  höchst  unverständlich  gebraucht  hat.  Ich  lasse  hier 
seine  eigenen  Worte  folgen:  „Er  kommt  nach  Rom,  (vix 
superat,  quin)  mit  grosser  Mühe  erreichte  er  es  kaum  (d.  h. 
es  war  noch  unsicher),  dass  ihm  (vom  Senat)  ein  feierlicher 
Einzug  zugestanden  wird."  6.  Ebenso  lautet  im  6.  Buche 
der  Jahrbücher  desselben  (Quadrigarius)  eine  andere  Stelle: 
(paene  factum  est,  quin)  Beinahe  geschah  es  (d.  h.  es  fehlte 
nicht  viel),  dass  sie  das  Lager  verliessen  und  dem  Feinde 
wichen."  7.  Nun  lasse  ich  aber  hier  durchaus  nicht  ausser 
Acht,  dass  mir  unüberlegter  Weise  Einer  einwenden  könne,  in 
der  Erklärung  dieser  Stelle  liege  ja  gar  keine  Schwierigkeit, 
8.  Denn  „quin"  stehe  an  beiden  Stellen  für  „ut",  und  es  sei 


Di 


(382)       XVII.  Buch,  13.  Cap.,  §  8  — 11.  —  14.  Cap.,  §  1.  2. 


vollständig  gleichgültig,  ob  man  so  sagt:  „Er  kam  nach  Rom ; 
nur  mit  grosser  Mühe  erreicht  er  es  noch,  (ut)  dass  ihm  ein 
feierlicher  Einzug  gewährt  wird";  und  an  der  andern  Stelle: 
„Es  fehlte  nicht  viel,  (ut)  dass  sie  das  Lager  verliessen  und 
dem  Feinde  wichen."  9.  Mögen  immerhin  Die,  welche  so  schlag- 
fertig sind,  diese  (billige)  Zuflucht  nehmen  zu  Umwandlungen 
bei  Ausdrücken,  die  ihnen  unverständlich  sind,  nur  sollen  sie 
mit  etwas  Bescheidenheit  zu  diesem  Ausfluchtsmittel  da  greifen, 
wo  es  möglicher  Weise  angeht  und  hinpasst.  10.  Wem  aber 
unbekannt  geblieben  sein  sollte,  dass  diese  Partikel  eine  ver- 
bundene und  zusammengesetzte  sei  und  (noch  nicht  ein- 
leuchten will,  dass  sie)  nicht  nur  verbindende  Kraft  (d.  h.  als 
Conjunction  gebraucht  wird),  sondern  auch  von  einer  be- 
stimmten Bedeutung  ausgegangen  sei,  der  wird  nie  im  Stande 
sein,  die  Bedeutungen  und  die  Vielseitigkeit  dieser  Partikel 
begreifen  zu  lernen.  11.  Da  dies  aber  Sache  einer  weiteren 
(und  gründlicheren)  Erörterung  bleiben  muss,  so  wird  Der, 
welcher  Zeit  (und  Lust)  hat,  das  Weitere  darüber  in  des 
P.  Nigidius  „Erklärungsschriften"  finden,  welche  die  „gram- 
matischen" überschrieben  sind. 

XVII,  14,  L.    Einige  artige,  aus  den  Mimen  des  Publius  (Syrus) 

gesammelte  Sinnsprüche. 

XVII,  14.  Cap.  1.  Publius  (Syrus)  schrieb  mimische 
Schauspiele  und  wurde  für  würdig  erachtet,  dem  Laberius 
darin  ziemlich  gleich  geschätzt  zu  werden.  2.  Allein  die 
Schmähsucht  und  der  Hochmuth  des  Laberius  beleidigte  (und 
verdross)  den  Gajus  Caesar  so  sehr,  und  veranlasste  ihn  zu 
der  ganz  offenen  Erklärung,  dass  er  die  Schauspiele  des 
Publius  weit  angenehmer  und  vortrefflicher  finde,  als  die  des 


XVII,  13,  10.  Quin,  zusammengesetzt  aus  qui  und  ne  (für  non), 
wird  x«r'  anoxonrjv  (nach  WeglassuDg)  gesagt  für  qui-ne. 

XVII,  14,  L.   S.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  208,  2.  3  Publius  Syrus. 

XVII,  14,  1.  Publius  Syrus,  ein  geborner  Syrer,  später  Sklave, 
dann  Freigelassener,  vom  Caesar  sehr  begünstigt,  verfasste  Mimen,  woraus 
wir  noch  jetzt  eine  Sammlung  von  Sprüchen  besitzen.  S.  Gell.  Vm, 
15,  L.  NB;  Sueton  de  viris  R.  illustr.  IV  de  poetis  22;  ed.  Doergens  p.  98. 
Vergl.  ßernh.  röm.  Lit.  78,  357. 

XVII,  14,  2.   S.  Teuffels  Gesch.  der  röm.  Lit.  189,  7. 


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XVII.  Buch,  14.  Cap.,  §  3.  4.  -  15.  Cap.,  §  1.  2.  (383) 


Laberius.  3.  Von  diesem  Publius  sind  sehr  viele  lehrreiche 
und  zum  allgemeinen  Nutzen  für  die  Unterhaltung  (im  ge- 
wöhnlichen Leben)  höchst  geeignete  Sinnsprüche  im  Umlauf. 
4.  Von  diesen  Sinnsprüchen  einige  folgen  zu  lassen,  jeden  ein- 
zelnen in  einen  Vers  zusammengefasst,  gewährt  mir  wahrlich 
besonderes  Wohlgefallen. 

1.  Ein  schlechter  Rath,  der  sich  nicht  ändern  lasst  (Publius  Syrus  v.  392). 

2.  Durch  Geben  thut  sich  selber  wohl,  wer  Würd'gem  giebt  (P.  S.  72). 

3.  TragM  Nur  verschulde  nicht,  was  Du  nicht  ändern  kannst  (P.  S.  218). 

4.  Wer  mehr,  als  recht  ist,  darf,  (oft)  mehr,  als  recht  ist,  will  (P.  S.  142). 

5.  Statt  Reisefuhrwerk  gilt  ein  munterer  Gefährt'  (P.  S.  124). 

6.  Die  Redlichkeit  ist  guten  Rufes  Bettlerkleid  (P.  S.  240). 

7.  Des  Erben  Weinen  ist  verkapptes  Lachen  (P.  S.  261). 

8.  Zu  oft  beleidigte  Geduld  wird  Wuth  (P.  S.  243). 

9.  Wer  zweimal  Schiffbruch  litt,  geb'  nicht  die  Schuld  dem  Meer*  (Neptun) 

(P.  S.  804). 

10.  Behandle  so  den  Freund,  als  könnt'  d'raus  werden  leicht  ein  Feind 

(P.  S.  810). 

11.  Du  meidest  neues,  trägst  das  alte  Unrecht  Du  (P.  S.  762). 

12.  Es  wird  Gefahr  nur  immer  durch  Gefahr  besiegt  (P.  S.  507). 

13.  Durch  zu  viel  Streit  verlieret  man  die  Wahrheit  (oft)  (P.  S.  475). 

14.  Die  Bitt'  ist  halb   gewährt,  wenn  Du  sie  freundlich  abschlägst 

(P.  S.  527). 

XVII,  15,  L.  Wie  der  Akademiker  Carneades,  als  er  die  Lehrsätze  des 
Stoikers  Zeno  widerlegen  wollte,  (vorher)  Nieswurz  zur  Reinigung  des 
Magens  nahm  (um  den  zu  behandelnden  Stoff  schärfer  zu  durchschauen); 
dann  über  die  natürliche  Heilkraft  des  weissen  und  schwarzen  Nieswurzes. 

XVII,  15.  Cap.  1.  Als  der  Akademiker  Carneades  die 
Bücher  des  Stoikers  Zeno  widerlegen  wollte,  reinigte  er 
(zuvor)  den  oberen  Theil  des  Körpers  durch  (den  Gebrauch 
vom)  weissen  Nieswurz,  damit  von  den  im  Magen  befind- 
lichen, verdorbenen  (unreinen)  Säften  nicht  etwa  sich  etwas 
auf  den  Wohnsitz  seines  Geistes  übertrage  und  so  die  Aus- 
dauer und  Kraft  seiner  geistigen  Beurtheilung  schwäche; 
2.  mit  so  grosser  Fürsorge  und  so  ernster,  eigener  Vor- 
bereitung ging  dieser  geistvolle  Mann  an  die  Widerlegung 


XVII,  14,  3.  S.  Macrob.  H,  7. 

XVII,  14,  4.  v.  1.  Publ.  Syrus  392  (386);  Varro  R.  R.  III,  2  2;  cfr. 
Gell.  IV,  5,  5.  — 

XVII,  15,  t  S.  Plin.  25,  21,  4;  Val.  Max.  8,  7  ext  5. 


(384) 


XVIL  Buch,  15.  Cap.,  §3  —  7. 


dessen,  was  Zeno  geschrieben,  3.  und  als  ich  diese  Bemerkung 
in  der  griechischen  Geschichte  gelesen  hatte,  machte  ich  mich 
sofort  daran,  zu  erfahren,  was  es  mit  dem  weissen  Nieswurz, 
wie  da  geschrieben  stand,  für  eine  Bewandtniss  habe.  4.  Da 
erfuhr  ich  denn,  dass  es  zwei  Arten  von  Nieswurz  gebe, 
kenntlich  am  Unterschied  der  Farbe,  der  weissen  und 
schwarzen ,  dass  aber  diese  Farbenunterschiede  nicht  im 
Samen  des  Nieswurzes  zu  suchen,  auch  nicht  in  dem  Busch- 
(oder  Kraut-)  werk,  sondern  in  der  Wurzel;  durch  den  weissen 
Nieswurz  erfolge  eine  Reinigung  des  Magens  und  des  Ober- 
körpers durch  Erbrechen,  durch  den  schwarzen  finde  eine  Aus- 
spülung des  sogenannten  Unterleibes  statt  (durch  Stuhlgang 
oder  Leibesöffnung);  beiden  aber  soll  die  Kraft  innewohnen, 
dass  sie  alle  schädlichen  Säfte,  in  denen  die  Ursachen  für 
alle  Krankheiten  zu  suchen  sind,  (aus  dem  menschlichen 
Körper)  entfernen.  5.  Man  müsse  aber  vorsichtig  verfahren, 
um  nicht  Gefahr  zu  laufen,  weil,  nachdem  durch  dieses 
(drastische)  Abführmittel  im  Allgemeinen  der  Weg  zur  Ent- 
fernung aller  Unreinigkeiten  aus  dem  Körper  geöffnet  worden 
ist,  auch  die  Säfte  mit  verloren  gehen,  auf  denen  der  Fort- 
bestand des  ganzen  Lebensorganismus  beruht,  und  weil,  nach- 
dem jede  Grundlage  einer  natürlichen  Ernährung  eingebüsst 
worden  ist,  der  menschliche  Körper  erschöpft  und  geschwächt 
zu  Grunde  geht.  6.  Plinius  Secundus  schrieb  in  seiner  Natur- 
geschichte, dass  der  Nieswurz  auf  der  [phocäischen  Halb-] 
Insel  [in  der  Stadt]  Antieyra  mit  dem  höchsten  Erfolg  an- 
gewendet werde.  Deshalb  habe  sich  auch  der  Volkstribun 
Li  vi  us  Drusus,  als  er  an  der  fallenden  Sucht  (Epilepsie, 
morbus  comitialis)  litt,  zu  Schiffe  nach  Antieyra  begeben  und 
sei,  wie  Plinius  sagt,  deshalb  daselbst  durch  einen  Nieswurz- 
trank vollkommen  von  dieser  Krankheit  geheilt  worden.  7. 
Ausserdem  las  ich  auch  geschrieben,  dass  die  Gallier  für 


XVII,  15,  6.  8.  Suet  Calig.  29;  Hör.  Sat.  II,  3,  82  seq.  166;  de  art. 
poet.  300  seq.  —  In  (insula)  urbe  Antieyra  s.  Pauly's  Realencyclop.  I, 
S.  1106  Antieyra. 

XVII,  15,  6.  Der  Volkstribun  Livius  Drusus  war  mit  G.  Gracchus 
Eugleich  Zunftmeister  und  ebenfalls  ein  eifriger  Verfechter  der  Acker- 
gesetze. Er  wurde  ermordet,  weil  er  den  italischen  Bundesgenossen  das 
Bürgerrecht  verschaffen  wollte.   Plin.  25,  21,  4;  cfr.  Gell.  IV,  4,  3  NB. 


mißt  -  s 

•  •  * . 


XVII.  Buch,  15.  CapM  §  7.  —  16.  Cap.,  §  1  —  4.  (385) 

ihre  Jagden  ihre  Pfeile  mit  Nieswurz(saft)  tränken,  weil  das 
damit  getroffene,  getödtete  Wild  zarter  für  die  Tafel  wird; 
allein  aus  Vorsieht  vor  der  Schädlichkeit  dieses  Nieswurzes 
soll  man  die  durch  solche  (giftgetränkte)  Pfeile  verursachten 
Wunden  sehr  weit  und  tief  auszuschneiden  pflegen. 

XVII,  16,  L.  Dass  die  politischen  Enten  ein  wirksames  Kraftmittel  ent- 
halten zur  Verdauung  ron  Giftstoffen;  ferner  auch  noch  über  die  Ge- 
schicklichkeit des  Königs  Mithridates  in  Zubereitung  solcher  Arzneimittel. 

XVII,  16.  Cap.  1.  Die  pontischen  Enten  sollen  sich 
gewöhnlich  (nur)  von  giftigen  Speisen  nähren.  2.  Auch 
schreibt  Lenaeus,  des  C.  Pompejus  Freigelassener,  dass 
Mithridates,  jener  berühmte  König  von  Pontus,  in  der  Heil- 
kunst und  in  der  damit  einbegriffenen  Arzneimittellehre  sehr 
bewandert  gewesen  sei  und  gewöhnlich  das  Blut  von  den 
pontischen  Enten  mit  den  Arzneien,  welche  die  Verdauung 
von  Giften  und  ihre  Schadlosmachung  bewirken  sollen,  zu 
vermischen  gewusst  habe,  und  dass  dieses  Blut  gerade  das 
allerwirksamste  sei  bei  Bereitung  solcher  Gegen-(Gift-)Mittel. 
3.  Durch  den  fortwährenden  Gebrauch  solcher  Mittel  habe 
dieser  Fürst  vor  einer  (möglichen)  heimlichen  Vergiftung  durch 
Speisen  sich  sicher  gestellt,  4.  dass  er  sogar  nicht  nur 
mit  Wissen  (und  Willen),  sondern  auch,  um  (den  offenbaren 


XVII,  15,  7.   S.  Plin.  25,  25. 

XVII,  16.  1.  Pontische  Enten  s.  Plin.  25,  3, 1;  29,  33,  2.  Diosco- 
rides  II,  97.  Scribonius  Largus  Designatianus  de  compositione  medica- 
mentorum  187. 

XVII,  16,  2.  Lenaeus  Pompejus,  ein  Freigelassener  des  grossen 
Pompejus,  den  er  auch,  wie  es  scheint,  auf  den  meisten  Kriegszügen  als 
Arzt  begleitete,  war  zugleich  Grammatiker  und  wurde  von  dem  Feldherrn 
nach  Besiegung  des  Mithridates,  des  ebenso  mächtigen  als  gelehrten 
Königs  von  Pontus  beauftragt,  die  in  den  Geheimzimmern  desselben  auf- 
gefundenen Schriften  über  die  Arzneimittellehre  in  die  lateinische  Sprache 
zu  übersetzen.  S.  Sueton.  Gram.  15.  Er  schrieb  zuerst  unter  den  Römern 
über  die  Heilmittellehre  und  es  gelangte  diese  Wissenschaft  seiner  Zeit 
zuerst  durch  ihn  nach  Rom.  Aus  diesem  Werke  ist  wahrscheinlich  bei 
Plinius  25,  3,  1  die  Bemerkung  über  Mithridates  und  das  seiner  Erfindung 
zugeschriebene  Gegengift,  genommen.  Vergl.  Plin.  15,  39  (30);  23,  77; 
Galenus  de  Antidot.  II,  1.  2.  9;  Celsus  V,  23;  Scribon  Long.  Designat. 
170;  Serenus  Sammonicus  de  medicina  cap.  60. 

Gellins,  Attische  Nachte,  n.  -  25 


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(386)       XVII  Buch,  16.  Cap.,  §  4— 6.  —  17.  Cap.,  §  1.  2. 


Beweis  zu  liefern  und)  damit  zu  prahlen,  oftmals  das  kräf- 
tigste und  schnell  wirkende  Gift  eingenommen  habe  und 
nichts  destoweniger  sei  es  (stets)  ohne  Nachtheil  (für  seine 
Gesundheit)  gewesen.  5.  Als  er  daher  später  in  der  Schlacht 
besiegt,  nach  den  entferntesten  Grenzen  seines  Reichs  ge- 
flüchtet war  und  (zwar)  zu  sterben  beschlossen,  aber  das 
allerstärkste  Gift  zur  Beschleunigung  seines  Todes  vergeblich 
angewendet  hatte,  habe  er  sich  genöthigt  gesehen,  seinem 
Leben  (noch)  mit  dem  Schwerte  ein  Ende  zu  machen.  6. 
Das  ausserordentlich  berühmte  Gegengift  dieses  Königs,  wel- 
ches man  jetzt  noch  hat,  wird  heute  noch  (nach  ihm)  das 
Mithridatische  genannt. 

XVII,  17,  L.    Daas  Mithridates,  der  König  von  Pontus,  25  Sprachen  (ver- 
standen und)   fertig  gesprochen  habe;   dass  Quintus  Ennius  gesagt  habe, 
er  besitze  einen  dreifachen  Geist  (tria  corda  habere  sese ) ,  weil  er  drei 
Sprachen  genau  verstand,  die  griechische,  die  oskische  und  die 

lateinische 

XVII,  17.  Cap.  1.  Weil  Q.  Ennius  drei  Sprachen  zu 
sprechen  verstand,  das  Griechische,  das  Oskische  und  das 
Lateinische,  so  sagte  er,  er  besitze  einen  dreifachen  Geist. 
2.  Allein  Mithridates,  der  (eben  erst  erwähnte  gelehrte) 
berühmte  König  von  Pontus  und  Bithynien,  der  vom  Cn. 
Pompejus  im  Treffen  völlig  tiberwunden  worden  war,  verstand 
vollständig  25  Sprachen  von  Völkern,  die  unter  seiner  Bot- 
mässigkeit  standen;  und  nie  bedurfte  er  eines  Dolmetschers, 
wenn  er  zu  den  Leuten  von  allen  diesen  Völkern  zu  sprechen 
hatte,  sondern  sobald  es  die  Notwendigkeit  erheischte,  dass 
Einer  von  ihm  angesprochen  werden  musste,  wusste  er  stets 
in  der  Mundart  und  der  Ausdrucksweise  des  Betreffenden 
nicht  weniger  leicht  und  zierlich  sich  auszudrücken,  als  ob  er 
sein  Landsmann  sei. 


XVII,  17,  L.  Die  Osker  waren  ein  Volk  Campaniens  am  Liris, 
zwischen  Latium  und  Samnium.  Dieser  umbrische  Stamm  hiess  bei  den 
Griechen  Ausoner  oder  Opiker  (Osker).  Vergl.  Liv.  X,  20,  8;  Macrob. 
Sat.  VI,  4,  23  und  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  §  9,  6. 

XVII,  17,  2.  S.  Plin.  7,  24,  1;  25,  3,  2;  Solinus  7;  Valer.  Max. 
VIII,  7  ext  16. 


XVII.  Buch,  18.  Cap.,  §  1.  —  19.  Cap.,  §  1-3.  (387) 


XVII,  18,  L.  Mittheilung  des  M.  Varro,  dass  der  Geschichtsschreiber 
C.  Sallustius  vom  Annius  Milo  im  Ehebruch  ertappt,  durchgepeitscht  und 
(erst)  nach  Erlegung  einer  (bedeutenden)  Geldsumme  entlassen  worden  sei. 

XVII,  18.  Cap.  1.  M.  Varro,  in  seinen  Schriften,  wie  in 
seinem  Leben  ein  Mann  von  grosser  Zuverlässigkeit  und  sehr 
besonnen,  schrieb  in  seiner  Abhandlung,  welche  den  Titel 
führt:  „Der  (kindlich)  Fromme,  oder  über  den  Frieden  (Pius 
aut  de  pace)",  dass  der  Geschichtsschreiber  jenes  ernsten  und 
strengen  Tones,  C.  Sallustius,  in  dessen  Geschichte  wir  (in 
Bezug  auf  die  Laster)  wahrhaft  censorische  Bemerkungen  ge- 
äussert und  durchgeführt  sehen,  (einst)  vom  Annius  Milo  im 
Ehebruch  sei  ertappt,  und  wie  er  sagt,  tüchtig  durchgepeitscht 
und  erst  nach  Erlegung  einer  bedeutenden  Geldsumme 
wieder  losgelassen  worden  sei. 

XVII,  19,  L.  Was  der  Philosoph  Epictet  nichtswürdigen  und  lasterhaften 
Leuten  zu  sagen  pflegte,  welche  die  Lehren  der  Philosophie  mit  Eifer 
treiben;  ferner,  wie  er  den  Rath  ertheilte,  sich  (vorzüglich)  zwei  Worte  tief 
ins  Herz  zu  schreiben,  als  besonders  höchst  heilsam  (für  unsere  Herzens- 
bildung und  Besserung  des  Lebenswandels). 

XVII,  19.  Cap.  1.  Wie  ich  aus  dem  Munde  Favorins 
erfuhr,  hat  der  Philosoph  Epictet  (oft)  geäussert,  dass  die 
Meisten,  welche  sich  den  Anschein  geben,  nach  gründlicher 
Erkenntniss  zu  streben,  nur  unter  diejenige  Sorte  von  Welt- 
weisen zu  rechnen  sind,  die  es  (avev  tov  rtgarreiv,  utxgt  tov 
Xsyeiv,  d.  h.  nur  ohne  That,  nicht  übers  Reden  hinaus,  das 
will  sagen,  nicht  ihren  Thaten,  sondern  blos  den  Worten  nach 
sind.  2.  Viel  gewaltiger  klingt  nun  aber,  dem  Wortlaut  nach, 
Epictets  (eigener)  Ausspruch,  wie  ihn  uns  Aman  in  seinem 
Werke,  welches  er  über  „die  Vortragsmaterien"  dieses  (grossen 
Philosophen)  verfasste,  schriftlich  hinterlassen  hat.  3.  Denn 
als  Epictet,  so  berichtet  Arrian,  einen  Menschen  bemerkt 
hatte,  der  aller  Scham  bar,  von  ungestümer  Leidenschaftlich- 
keit, voll  sittlicher  Verderbniss,  frech,  vorlaut  und  für  alles 

XVII,  18,  L.  Ueber  Sallust  vergl.  Beruh,  röm.  Lit.  104,  493  und 
Teuffels  Gesch.  der  röm.  Lit.  203,  1. 

XVII,  19,  3.  Vergl.  Arrians  Epictet  II,  19  und  Gell.  I,  2,  8  etc.  Pytha- 
goras  bei  Plutarch.  über  Kindererziehung  cap.  17.  Epictet  zieht  gegen  die 
(pi loooyoi  anoaxxoi  zu  Felde,  qui  sola  barba  et  pera  id  nomen  tuebantur. 

25* 


Di 


(388) 


XVII.  Buch,  19.  Cap.,  §8  —  5. 


Andere,  nur  nicht  ftlr  die  Ausbildung  seines  Geistes  (und  auf 
Besserung  seines  Herzens)  bedacht  war,  wie  Epictet  also  sah, 
dass  solch  ein  Mensch  auch  die  Vorschriftjen  und  Lehren  der 
Philosophie  mit  Eifer  betrieb,  sich  mit  Physik  beschäftigte, 
sieh  auf  Einübung  der  Dialektik  legte  und  viele  andere  der- 
artige (schwierige)  wissenschaftliche  Lehrsätze  beschnoperte 
und  durchstöberte,  rief  er  Götter  und  Menschen  um  Hülfe 
an  und  unter  den  vielen  Ausrufen  liess  er  dieses  Subject  mit 
folgenden  Worten  hart  an:  „Du  Mensch,  Du,  wo  legst  (Du 
doch  diese  Kenntnisse)  hin?  Bedenke  doch,  ob  das  Gefäss*) 
auch  rein  ist  (wohinein  Du  sie  legst);  denn  wenn  Du  das 
Alles  nur  in  Deinem  Eigendünkel  aufnimmst,  so  ist  es  (so 
gut,  wie)  verloren;  wenn  sie  (in  diesem  unreinen  Gefäss 
Deines  Geistes)  verfaulen,  werden  sie  in  Pisse  verwandelt, 
oder  in  Essig,  oder  in  gar  noch  etwas  Schlechteres,  als  diese 
(Dinge  sind)."  4.  Es  kann  aber  nichts  Ernsteres  und  nichts 
Wahreres  gesagt  werden,  als  in  diesen  Worten  liegt;  wodurch 
dieser  grösste  unter  den  Philosophen  deutlich  zu  erkennen 
geben  wollte,  dass  die  Vorschriften  und  Lehren  der  Philosophie, 
sobald  sie  in  das  Herz  und  die  Seele  eines  heuchlerischen 
und  entarteten  Menschen  übertiiessen ,  wie  in  ein  unflätiges 
und  schweinisches  Gefäss,  sie  umstehen,  verderben  und  ver- 
unglimpft werden,  und  was  er  selbst  nach  Cyniker-Art  (mit 
einem  schmutzigen  und  ziemlich  bissigen,  xvviy.wt€qov)  Aus- 
druck bezeichnet,  zu  Pisse,  oder  wohl  gar  noch  in  etwas 
Schlechteres  (und  Gemeineres)  als  Pisse  verwandelt  werden. 
5.  Ausserdem  pflegte  eben  dieser  Epictet,  wie  wir  von  dem- 
selben Favorin  erfuhren,  zu  behaupten,  dass  es  (besonders) 
zwei  Laster  gebe,  welche  unter  allen  die  unerträglichsten 
und  hässlichsten  wären,  nämlich:  die  Unduldsamkeit  und  die 
Unenthaltsamkeit ,  wenn  man  entweder  Unrecht  (und  Be- 
leidigungen), die  man  soll  ertragen  lernen,  nicht  erdulden  und 
tragen  kann,  oder:  dass  wir  uns  der  Dinge  und  der  Ver- 
gnügungen nicht  entschlagen,  deren  wir  uns  doch  eigentlich 

XVII,  19,  3.  *)  Bei  Plutarch,  über  die  Erziehung  der  Kinder  17,  lautet 
eine  räthselartige  Mahnung  des  Pythagoras:  Wirf  nicht  Speise  in  einen 
Nachttopf,  d.  h.  dringe  die  Lehren  der  Weisheit  nicht  dem  Lasterhaften 
auf:  denn  diese  Lehren  sind  die  Speise  der  Seele,  diese  aber  werden 
durch  die  Laster  der  Menschen  verunreinigt. 


XVn.  Buch,  19.  Cap.,  §  6.  —  20.  Cap.,  §  1  -4.  (389) 

sollen  enthalten  können.  6.  Wenn  sich  daher  nur  Einer  fol- 
gende zwei  Worte  ins  Herz  schreiben  und  zu  seiner  Selbst- 
beherrschung und  zur  Beobachtung  seiner  selbst  verwerthen 
will,  der  wird  grösstentheils  fehlerfrei  bleiben  und  sein  Leben 
in  ungetrübtester  Ruhe  verleben.  Diese  beiden  Worte  seien, 
wie  er  sagte :  Leide  und  meide  (ave^ov  xai  aiti^ov ,  sustine 
et  abstine). 

XVII,  20,  L.  Eine  aus  dem  Gastmahl  des  Plato  entlehnte  Stelle,  dem 
Wohlklang  und  Gefiige  der  Worte  (im  Original  so)  geschmackvoll  und 
melodisch  (als  möglich)  angepasst,  der  Uebung  halber  in  die  lateinische 

Sprache  übersetzt. 

XVII.  20.  Cap.  1.  Bei  dem  Weltweisen  Taurus  wurde 
(einst)  das  Gastmahl  des  Plato  gelesen.  2.  Von  dem  Einen 
unter  den  Gästen  (welche  bei  Plato  redend  eingeführt  wer- 
den), von  dem  Pausanias,  gefielen  uns  gerade  die  Worte,  wo 
er,  als  die  Reihe  an  ihn  kam,  die  Liebe  preist;  ja  gerade 
seine  Worte  gefielen  uns  so  sehr,  dass  wir  uns  Mühe  gaben, 
sie  im  Gedächtniss  zu  behalten.  3.  Die  Worte  nun,  so  viel 
ich  mich  erinnere,  lauten  (Plat.  Sympos.  180,  E  und  181) 
also:  „Denn  jede  Handlung  verhält  sich  also:  an  und  für 
sich  ist  sie,  inwiefern  sie  ausgeführt  wird,  weder  schön  noch 
hässlich.  Was  wir  z.  B.  jetzt  (bei  diesem  Gastmahle)  thun: 
trinken,  singen,  sprechen,  davon  iat  nichts  an  und  für  sich 
schön,  sondern  wie  es  bei  der  Ausführung  gethan  wird,  zu  dem 
wird  es:  denn  schön  und  recht  gethan,  wird  es  schön,  nicht 
recht  aber,  wird  es  hässlich.  Auf  diese  Weise  nun  ist  auch 
das  Lieben  und  der  Eros  nicht  durchaus  schön  und  werth 
gepriesen  zu  werden,  sondern  Der,  welcher  anspornt  schön 
zu  lieben. *  4.  Als  diese  Worte  gelesen  worden  waren,  und 
Taurus  nun  zu  mir  sagte:  Höre,  Du  junger  Redner,  — 
so  nannte  er  mich  anfangs,  als  ich  eben  erst  in  seine 
Schule  aufgenommen  worden  war,  meinend,  ich  sei  einzig 
zur  Erwerbung  und  Ausbildung  der  Beredtsamkeit  nach 
Athen  gekommen,  —  siehst  Du  wohl,  sagte  er,  diesen  reich- 
haltigen, flimmernden  und  abgerundeten  Vernunftschluss 
(it>i}vprhua) ,  durch  bündige  und  glatte  Harmonie  mit  einer 


xvii,  20,  4.  Mv/inm  s-  W  l> 4»  2NB- 


(390) 


XVII.  Buch,  20.  Cap.,  §4—9. 


gewissen  gleichförmigen  (Rede-)  Wendung  (eingekleidet  und) 
zusammengekettet?  5.  Kannst  Du  mir  wohl  aus  den  Schriften 
eurer  Redner  eine  so  passend  und  so  harmonisch  zusammen- 
gefügte Rede  anführen?  Indess,  sagte  er,  rathe  ich  (Dir), 
Du  mögest  diese  Satzgliederung  Dir  nur  so  beiläufig  besehen 
(videas  oöov  TtdqeQyov).  6.  Denn,  (was  ich  für  nöthiger  halte) 
man  muss  bis  ins  Heiligthum  des  platonischen  Geistes  vor- 
dringen, d.  h.  die  Wichtigkeit  und  Bestimmtheit  der  Gründe, 
die  Würde  und  Erhabenheit  der  Gedanken  auf  sich  wirken 
lassen,  nicht  erst  lange  bei  der  Lieblichkeit  und  Anmuth 
seiner  Ausdrücke,  noch  bei  der  Schönheit  und  dem  Reiz 
seiner  Ausdrucksweise  verweilen.  7.  Diese  Mahnung  des 
Taurus  in  Bezug  auf  die  Harmonie  in  der  platonischen  Rede, 
weit  entfernt  mich  zu  entmuthigen,  reizte  mich  vielmehr  an, 
den  Versuch  zu  wagen,  in  einer  lateinischen  Uebersetzung  die 
Feinheit  der  griechischen  Darstellung  zu  erreichen;  8.  und 
wie  es  eine  Art  kleiner  und  werthloser  Geschöpfe  giebt,  die 
ausgelassen  und  muthwillig  Alles  nachahmen,  was  sie  hören 
und  sehen,  ebenso  habe  auch  ich  mich  unterfangen,  das,  was 
ich  in  des  Plato  Rede  so  sehr  bewundern  musste,  wenn  auch 
nicht  zu  erreichen  zu  suchen,  so  doch  einen  Schattenriss  da- 
von zu  liefern.  So  mag  also  hier  beispielsweise  seinen  Platz 
linden,  was  ich  jenen  herrlichen  (unerreichbaren)  Worten  des 
Originals  nachgebildet  habe.  9.  Mit  jeder  Handlung,  heisst 
es  bei  Plato,  verhält  es  sich  überhaupt  folgendennassen: 
„Sie  ist,  an  und  für  sich  betrachtet,  weder  unanständig  (un- 
löblich), noch  anständig  (löblich),  wie  dies  z.  B.  der  Fall  ist 
bei  unsern  gegenwärtigen  Verrichtungen,  wo  wir  trinken, 
singen,  Unterhaltung  pflegen.  Denn  nichts  ist  an  diesen 
(Verrichtungen)  an  und  für  sich  rühmenswerth :  auf  welche 
Art  aber  in  der  Ausübung  diese  (unsere  Verrichtung)  ge- 
schieht, als  solche  erscheint  (und  geräth)  sie;  denn  wenn 
sie  recht  und  löbli.ch  vollzogen  wird,  dann  wird  sie  löblich, 
wenn  aber  weniger  recht,  wird  sie  schlecht:  so  nun  auch 
das  Lieben.  Also  ist  nun  auch  nicht  jede  Liebe  anständig, 
nicht  jede  lobenswerth,  sondern  nur  die,  welche  bewirkt, 
dass  wir  unsere  Neigung  auf  einen  würdigen  Gegenstand 
lenken." 


* 


XVII.  Buch,  21.  Cap.,  §  1.  (391) 

XVII,  21,  L.    (Chronologisches  Verzeichniss)  in  welchen  Zeitpunkten  seit 
Roms  Erbauung  vor  dem  zweiten  (pnnischen)  Krieg  mit  den  Carthagera 
die   berühmtesten  griechischen   und  römischen  Männer  (gelebt  und) 

geblüht  haben. 

XVII,  21.  Cap.  1.  Um  eine  kurze  Uebersicht  von  den 
ältesten  Zeiten,  ebenso  wie  von  den  berühmtesten  Männern, 
die  in  diesen  Zeitabschnitten  geboren  wurden,  zu  geben,  um 
gesprächsweise  in  der  Unbesonnenheit  zufällig  nicht  eine  un- 
bedachtsame Aeusserung  über  das  Lebensalter  und  das  Leben 
berühmter  Männer  zu  thun,  —  wie  neulich  einmal  ein  un- 
besonnener (anaidevtog)  Sophist,  welcher  vor  aller  Welt 
darüber  einen  Vortrag  hielt,  dass  der  Philosoph  Carneades 
von  dem  König  Alexander,  dem  Sohne  des  Philippos,  ein 
Geldgeschenk  empfangen  habe,  ferner  behauptete,  dass  der 
Stoiker  Panaetius  zur  Zeit  des  älteren  Africanus  gelebt 
habe,  —  um  uns  nun  also,  sage  ich,  vor  (ähnlichen  groben) 
Irrthümern  in  der  Zeit-  und  Lebensgeschichte  zu  bewahren, 
deshalb  fühlten  wir  uns  veranlasst,  einen  Auszug  zu  ver- 
anstalten aus  den  sogenannten  Chroniken  (d.  h.  Geschichts- 
büchern nach  der  Zeitenfolge),  in  welchen  Zeitabschnitten 
einige  berühmte  griechische  und  zugleich  römische  Männer 
gelebt  haben,  die  sich  durch  ihren  Geist,  oder  durch  ihr 
Regiment  seit  Erbauung  Roms  vor  dem  2.  punischen  Krieg 
hervorgethan  und  ausgezeichnet  haben;  und  diese  meine,  an 
mannigfaltigen  und  verschiedenen  Orten  zusammengetragenen 
Auszüge,  will  ich  nun  hier  der  Reihe  nach  aufführen.  Denn 

XVII,  21,  1.  Panaetios  von  Rhodos,  geb.  180  v.  Chr.  Seine  philo- 
sophische (Bildung  erhielt  er  in  Athen  von  Diogenes  Babylonios  (s.  Gell. 
VI  [VII],  14,  9)  und  dessen  Schüler  Antipatros  aus  Tarsos.  Hierauf  begab 
er  sich  nach  Rom,  wo  er  mit  Laelius,  Polybios  und  dem  jüngeren  Scipio 
Africanus  in  Verbindung  trat  und  diesen  auf  seiner  Gesandtschaftsreise 
durch  Asien  und  nach  Aegypten  zu  Ptolemaios  Physkon  (143  v.  Chr.) 
begleitete.  S.  Plut.  mor.  ot*  pakim«  etc.,  dass  ein  Philosoph  sich  vor- 
züglich mit  Fürsten  unterhalten  müsse,  cap.  1.  Später  kehrte  er  an  des 
Antipatros  Stelle,  als  Vorsteher  der  stoischen  Schule  nach  Athen  zurück 
und  starb  daselbst  hochbejahrt.  Sein  berühmtes  Werk  „über  die  Pflichten" 
hat  Cicero  grösstenteils  in  seine  ähnlich  betitelte  Schrift  aufgenommen. 
Vergl.  Gell.  XIII,  28  (27),  1.  Ueber  seine  Bekanntschaft  mit  P.  Cornelius 
Scipio  Aemilianus  Africanus  minor  s.  Gell.  VI  (VII),  11,  9  NB. 


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(392) 


XVII.  Buch,  21.  Cap.,  §  1—5. 


nicht  etwa  das  habe  ich  mir  zur  (besondern)  Aufgabe  ge- 
stellt, mit  strenger  und  genauer  Ausführlichkeit  und  Sorgfalt 
(vergleichsweise)  ein  chronologisches  Verzeichniss  von  den 
hervorragendsten  Männern  bei  beiden  Völkerschaften  zu- 
sammenzustellen, sondern  nur  die  Absicht  verfolgt,  diese 
meine  „Nachtgedanken"  einigermassen  auch  mit  einigen 
leichthingeworfenen  Blüthchen  aus  dem  Bereich  der  Geschichte 
(zur  Ausschmückung)  zu  bestreuen.  2.  Es  schien  mir  aber 
genügend,  in  diesem  Abschnitt  von  den  Zeiten  derjenigen 
wenigen  (berühmten)  Persönlichkeiten  zu  sprechen,  nach  deren 
Zeitalter  mit  grosser  Leichtigkeit  auch  über  die  meisten 
andern,  von  mir  übergangenen  (ungenannten)  Persönlichkeiten 
eine  Muthmassung  aufgestellt  werden  kann.  3.  Ich  mache 
also  den  Anfang  mit  dem  berühmten  Solon;  denn  in  Betreff 
des  Homer  und  Hesiod  gilt  es  fast  bei  allen  Schriftstellern 
für  ausgemacht,  dass  sie  (Beide)  entweder  fast  zu  derselben 
Zeit  gelebt  haben,  oder  dass  Homer  nur  ein  wenig  älter  ge- 
wesen sei,  dass  sie  Beide  vor  Erbauung  der  Stadt  Rom,  als 
zu  Alba  noch  die  Familie  der  Silvier  regierte,  gelebt  haben 
und  zwar,  nach  der  schriftlichen  Aufzeichnung  des  Cassius 
[Hemina]  im  ersten  Buche  seiner  Jahrbücher  bei  der  be- 
treffenden Stelle,  wo  vom  Homer  und  Hesiod  die  Rede  ist, 
mehr  als  160  Jahre  nach  dem  trojanischen  Kriege,  allein,  wie 
Cornelius  Nepos  im  1.  Buche  seiner  Chronik  über  Homer  ge- 
sagt hat,  ohngefähr  160  Jahre  vor  Erbauung  Roms.  4.  Solon 
also,  Einer  aus  der  berühmten  Zahl  jener  (sieben  griechischen) 
Weisen,  hat,  wie  wir  erfuhren,  den  Athenern  ihre  Gesetze 
gegeben,  zur  Zeit  als  zu  Rom  (der  König)  Tarquinius  der 
Aeltere  bereits  33  Jahre  regierte.  5.  Während  der  Regierung 
des  Servius  Tullius  (zu  Rom)  war  Pisistratus  Alleinherrscher 


XVII,  21,  3.  S.  Gell.  III,  11,  2;  Senec.  ep.  88,  5;  Pausan.  Beschrei- 
bung Griechenlands  IX,  30;  Sextus  Empirie,  adv.  mathemat  I,  p.  41; 
Tzetzes  Chil.  XII,  165;  Hieronym.  Chronicon.  Eusebii  Über  Homer  und 
Hesiod.  —  üeber  Solon  s.  Gell.  XI,  18,  5;  Plutarch  Solon  S.  85; 
Herodot  I,  29;  Diog.  Laert.  I,  2,  1  ff.;  Aelian.  vermischte  Erzählungen 
Vin,  10;  Justin,  ü,  7,  4;  Val.  Max.  V,  3  extr.  3.  Ueber  CasBius  Hemina 
s.  Teuffels  röm.  Lit  Gesch.  138. 

XVII,  21,  5.  Diog.  Laert.  I,  2,  4.  6.  18;  Plutarch.  Solon  p.  95 f.; 
Polyaen.  I,  iäO,  1. 


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XVII.  Buch,  21.  Cap.,  §  5-11.  (393) 

(Tyrann)  von  Athen,  nachdem  Solon  vorher  sich  in  die  frei- 
willige Verbannung  begeben  hatte,  (aus  Verdruss),  weil  man 
ihm  nicht  hatte  glauben  wollen,  als  er  dies  vorher  gesagt 
hatte.  6.  Später  kam  der  Samier  Pythagoras  nach  Italien, 
als  der  Sohn  des  Tarquinius,  welcher  den  Beinamen  des 
Hochmüthigen  führte,  die  unumschränkte  Gewalt  (zu  Rom) 
inne  hatte;  7.  zu  derselben  Zeit  wurde  zu  Athen  Hipparchus, 
Sohn  des  Pisistratus  und  Bruder  des  Tyrannen  Hippias  von 
Harmodius  und  Aristogiton  ums  Leben  gebracht  (vergl.  Gell. 
XIV.  6,  3  NB).  8.  Archilochus  aber  war,  nach  dem  Bericht 
des  Cornelius  Nepos,  schon  damals,  als  Tullius  Hostilius 
zu  Rom  regierte,  durch  seine  Gedichte  allgemein  bekannt 
und  berühmt.  9.  Im  260.  Jahre  nach  Roms  Erbauung, 
oder  nicht  lange  nachher  wurden  nach  überliefertem  Be- 
richt die  Perser  besiegt  von  den  Athenern  in  der  berühm- 
ten marathonischen  Schlacht  unter  dem  Oberbefehl  des  Miltia- 
des,  der  nach  diesem  (errungenen)  Siege  von  dem  (undank- 
baren) athenischen  Volke  verurtheilt  wurde  und  im  Staats- 
gefängniss  den  Tod  erleiden  musste.  10.  Damals  lebte  zu 
Athen  auch  der  berühmte  Tragödiendichter  Aeschylus.  11. 
Zu  Rom  erzwang  sich  fast  um  eben  diese  Zeit  die  Volks- 
Gemeine  durch  Aufruhr  (und  durch  ihren  Auszug  auf  den 
heiligen,  aventinischen  Berg)  die  Wahl  ihrer  Zunftmeister 


• 

XVII,  21,  6.  Pythagoras,  ein  Schüler  des  Pherecydes,  lebte  unter 
der  Regierung  (v.  534  —  509  v.  Chr.)  des  älteren  Tarquin.  S.  Gell.  I, 
1, 1  NB ;  Cic.  Tusc.  IV,  1,  8;  Liv.  I,  18;  de  orat.  III,  34,  139;  Solinus  16. 

XVII,  21,  7.  S.  Gell.  IV,  2,  10;  Thucydides  I,  20;  VI,  54 ff.;  Pausan. 
I,  8.  23.  29;  Plin.  VII,  23;  XXXIV,  9  (4),  2;  Senec.  de  benef.  VII,  14,  5; 
de  ira  II,  23,  2;  Athen.  XV,  Sect.  50  (695);  Cicero  Tusc.  I,  49. 

XVII,  21,  8.  Archilochus,  der  berühmte  griechische  Jambendichter 
lebte  wahrscheinlich  688  v.  Chr.  Dass  er  unter  Tullus  Hostilius  geblüht 
habe,  ist  nicht  ganz  verbürgt.  Vergl.  Herodot  I,  12;  Cic.  Tusc.  I,  1; 
Horat.  de  art  poet.  79. 

XVII,  21,  9.  S.  Com.  Nep.  Miltiad.  4 ff.;  Dionys.  Halic.  V;  Herodot. 
VI,  102  ff.;  Pausan.  I,  32;  VII,  52;  Thucydid.  I,  73;  H,  34;  Plutarch. 
Aristid.  p.  321;  Diog.  Laert  I,  2,  8. 

XVH,  21,  11.  S.  Liv.  HI,  30;  Eutrop.  I,  12;  Aurel.  Vict.  de  vir.  illust 
18,  6;  Dionys.  Halicarn.  VI,  96.  —  Plutarch  Coriolan  p.  223 f.;  vom  Glück 
der  Römer  p.  318  cap.  5;  Flor.  I,  22,  3;  Aurel.  Vict  de  vir.  ÜL  19,  3; 
Liv.  II,  34;  Valer.  Maxim.  V,  8,  2. 


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(394)  XVII.  Buch,  21.  Cap.,  §  11  —  17. 


(Tribunen)  und  Wohlfahrtspolizei  (Aedilen);  nicht  lange  her- 
nach fiel  Cn.  Marcius  Coriolanus,  verfolgt  und  gereizt  von  den 
Volkszunftmeistern,  von  der  Republik  ab,  ging  zu  den  da- 
maligen Feinden  (seines  Vaterlandes),  zu  den  Volskern  über 
und  führte  gegen  das  römische  Volk  den  Krieg.  12.  Wenige 
Jahre  nachher  wurde  der  (Perser-)  König  Xerxes  von  den 
Athenern  und  den  andern  mit  ihnen  verbundenen  Griechen 
unter  dem  Oberbefehl  des  Themistokles  (am  23.  Septbr.  484 
v.  Chr.)  in  einer  bei  Salamis  gelieferten  Seeschlacht  besiegt 
und  in  die  Flucht  geschlagen.  13.  Ohngefähr  vier  Jahre  nach 
dieser  Begebenheit  wurden  unter  den  beiden  Consuln  Mene- 
nius  Agrippa  und  M.  Horatius  Pulvillus  im  Kriege  mit  den 
Vejentern  bei  dem  Flusse  Cremera  306  Personen  von  der 
patricischen  Familie  der  Fabier  mit  ihren  (4000)  Hörigen 
insgesammt  von  den  Feinden  umringt  und  kamen  so  ums 
Leben.  14.  Unmittelbar  nach  dieser  Zeit  that  sich  der 
Agrigentiner  Empedokles  (s.  Gell.  IV,  11,  10  NB)  durch 
seine  Kenntniss  in  der  Naturwissenschaft  hervor.  15.  Zu 
Rom  aber  wurden  um  diese  Zeit  (451  v.  Chr.,  in  Folge  der 
lex  des  Tribunen  C.  Terentillus),  wie  bekannt,  die  zehn  Männer 
gewählt  zur  Abfassung  der  (durch  Herkommen  geheiligten) 
Gesetze ;  und  es  wurden  von  ihnen  im  Anfang  zehn  Gesetzes- 
Tafeln  angefertigt,  denen  bald  noch  zwei  andere  beigefügt  wur- 
den. 16.  Hierauf  begann  in  Griechenland  (durch  Eifersucht 
zwischen  Athen  und  Sparta)  der  grosse  peloponnesische  Krieg, 
welchen  (uns)  Thucydides  (ausführlich)  beschrieben.  Er  be- 
gann ohngefähr  so  im  323.  Jahre  nach  Roms  Erbauung  (und 
dauerte  28  Jahre,  also  bis  351  d.  St.).  17.  Um  eben  diese 
Zeit  war  Aulus  Postumius  Tubertus  Dictator  zu  Rom,  der 

XVII,  21,  12.  Thucyd.  I,  73 f.;  Pausan.  VII,  52;  Strabo  IX,  p.  603; 
Plutarch  Themistocl.  p.  114;  Cornel.  Nep.  Themist.  2;  AeschyL 
Pers.  380  ff. 

XVII,  21,  13.  Liv.  H,  49.  50;  Dionys.  Halic.  17,  9;  Flor.  I,  12,  2; 
Aurel.  Vict.  de  vir.  ill.  14;  Diodor.  Sicul.  X,  p.  40;  Katrop.  I,  14;  Senec. 
de  benef.  IV,  30,  2. 

XVII,  21,  14.  Diog.  Laert.  VIII,  2;  Suidas  und  Hesychius  Lex.  unter 
Empedocles. 

XVII,  21,  15.   Liv.  8,  33  ff.;  Florus  I,  24,  1;  Dionys.  Halic.  17,  9; 
Aurel.  Vict.  de  *ir.  ill.  21;  Eutrop.  I,  16,  1;  Orosius  II,  13;  Gell.  XX,  1,3. 
XVII,  21,  17.   Liv.  IV,  29,  5.  6;  Valer.  Max.  II,  7,  6;  cfr.  VI,  9,  1; 


Digitizec 


XYn.  Buch,  21.  Cap.,  §  17-24.  (395) 

seinen  eigenen  Sohn  (grausamer  Weise)  mit  dem  Beil  hin- 
richten Hess,  (zur  Sühne  der  verletzten  Disciplin,)  weil  er 
wider  den  Befehl  (seines  Vaters)  gegen  den  Feind  gefochten 
hätte.  Die  Feinde  der  Römer  waren  damals  die  Fidenater. 
18.  In  dieser  Zeit  lebten,  auch  berühmt  und  gefeiert,  die 
tragischen  Dichter  Sophocles  und  hernach  Euripides,  dann  der 
Arzt  Hippocrates  und  der  Philosoph  Democrit,  mit  denen 
Socrates,  der  zwar  einige  Jahre  nachher  geboren  wurde  und 
also  etwas  jünger  war,  aber  doch  noch  zu  gleicher  Zeit  ge- 
lebt hat.  19.  Als  nun  darauf  zu  Rom  die  Kriegsobersten 
den  Staat  mit  consularische r  Gewalt  regierten,  so  um 
das  Jahr  347  nach  Eroberung  der  Stadt,  wurden  von  den 
Lacedämoniern  den  Athenern  die  30  Tyrannen  octroyirt 
(vorgesetzt)  und  in  Sicilien  hatte  der  ältere  Dionysius  die 
Alleinherrschaft,  und  wenige  Jahre  nachher  wurde  Socrates  zu 
Athen  zum  Tode  verurtheilt  und  musste  im  Gefängniss  den 
Giftbecher  trinken.  20.  Aber  fast  um  dieselbe  Zeit  war 
M.  Furius  Camillus  zu  Rom  Dictator  und  besiegte  (als  solcher) 
die  Vejenter,  21.  und  nicht  lange  Zeit  darauf  begann  der 
sennonische  Krieg,  22.  als  die  Gallier  Rom  einnahmen,  mit 
Ausnahme  des  Capitols.  23.  Nicht  lange  nachher  wurde  auch 
der  Astrolog  Eudoxus  in  Griechenland  gefeiert  und  die  Lace- 
dämonier  wurden  von  den  Athenern  bei  Korinth  unter  dem 
Oberbefehl  des  Phormio  besiegt.  24.  M.  Manlius  aber,  der 
(geweckt  durch  das  Geschnatter  der  Gänse)  die  Gallier  bei 
Belagerung  des  Capitols,  als  sie  schon  auf  die  steilen  An- 


Diodor.  Sicul.  XII,  p.  115;  Gell.  I,  13,  7;  IX,  13,  20.  -  Ueber  die  Fide- 
nater 8.  Liv.  IV,  17  f. 

XVII,  21,  19.  Kriegsobersten  mit  consularischer  Gewalt  s.  Liv.  IV,  6 f.; 
Dionys.  Halic.  XI,  60.  —  30  Tyrannen  s.  Com.  Nep.  Lysander  1.  Plutarch. 
Lysand.  15.  —  Ueber  Socrates  8.  Diogen.  Laert.  II,  5,  21. 

XVII,  21,  20.  S.  Liv.  5,  19  ff;  Plutarch  Camill.  p.  30;  Eutropius 
I,  18,  1.   Ueber  Vejenter  Val.  Max.  I,  6,  3. 

XVII,  21,  22.  Einnahme  Roms,  mit  Ausnahme  des  Capitols,  durch 
die  Gallier.  S.  Gell.  V,  17,  2;  Polyb.  I,  6;  Liv.  5,  34;  Plutarch  Camill. 
cap.  27.  vom  Glücke  der  Römer,  cap.  12;  Florus  I,  13;  Val.  Max.  1, 5, 1 ; 
Verg.  Aen.  8,  652;  Ovid.  Fast  6,  351;  Martial.  13,  74:  Augustin.  de  civ. 
dei  II,  22;  III,  17;  Veget.  de  re  milit.  4,  26;  Orosius  II,  19. 

XVII,  21,  24.  Liv.  5,  48;  Florus  I,  13,  13 ff.;  Plutarch.  CamiU.  p.  147; 
Aurel.  Victor,  de  vir.  01.  24,  lff.;  cfr.  Gell.  XVII,  2,  14.  24.  —  Manlius 


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(396) 


XVII.  Buch,  21.  Cap.,  §  24  —  29. 


höhen  hinangekrochen  waren,  heruntergeworfen  hatte,  wurde 
des  angesponnenen  Planes,  die  königliche  Würde  an  sich  zu 
reissen,  überwiesen  und  deshalb  zum  Tode  verurtheilt.  Da- 
her wurde  er,  nach  Angabe  des  M.  Varro,  von  dem  tarpe- 
jischen  Felsen  herabgestürzt,  nach  der  schriftlichen  Ueber- 
lieferung  des  Cornelius  Nepos  hingegen  zu  Tode  gepeitscht. 
25.  In  demselben  Jahre,  welches  das  siebente  nach  Wieder- 
befreiung der  Stadt  war,  soll  nach  dem  Bericht  der  Welt- 
weise Aristoteles  geboren  worden  sein.  26.  Einige  Jahre 
nachher,  nach  dem  Kriege  mit  den  sennonischen  Galliern,  haben 
die  Thebaner  die  Lacedämonier  unter  dem  Oberbefehl  des 
Epaminondas  bei  Leuctra  überwunden.  27.  Kurze  Zeit  nach- 
her pflegten  zu  Rom  in  Folge  eines  Gesetzes  des  Licinius 
Stolo  die  Consuln  aus  dem  niedern  Volke  (aus  der  niedern 
Klasse  der  Gemeine)  gewählt  zu  werden,  da  dies  vorher  nicht 
zu  Recht  bestand  und  ein  Consul  (bis  dahin)  immer  nur  aus 
den  patricischen  Geschlechtem  genommen  wurde.  28.  Ohn- 
gefähr  ums  Jahr  400  nach  Erbauung  der  Stadt  erlangte 
Philippus,  der  Sohn  des  Amyntas  und  Vater  des  Alexander, 
die  unumschränkte  Gewalt  von  Macedonien,  auch  wurde  zu 
derselben  Zeit  (ihm  sein  Sohn)  Alexander  geboren.  29.  Wenige 
Jahre  darauf  begab  sich  der  Weltweise  Plato  an  den  Hof 
des  jüngeren   Dionysius,  des  Alleinherrschers  von  Sicilien. 


zum  Tode  verurtheilt  s.  Liv.  6,  20;  Plut  Camill.  p.  147;  Aurel  Vict  de 
vir.  illustr.  24,  5. 

XVII,  21,  25.   üeber  Aristoteles  s.  Diog.  Laert.  V,  1. 

XVII,  21,  26.  Schlacht  bei  Leuctra  im  J.  371.  S.  Polyb.  II,  39.  41 ; 
IV,  18;  Diodor.  Sic.  XV  p.  369 f.;  Aelian.  verm.  Erz.  VII,  14;  Justin. 
VI,  8;  Cic.  Epist.  ad  Fam.  V,  12,  16;  Orosius  III,  2;  Val.  Max.  III,  2, 
extr.  5;  Cornel.  Nepos  Epaminond.  6.  10;  Pausan.  I,  3  13.  29;  III,  6; 
IV,  32;  IX,  6.  13.  14;  Strabo  VIII  p.  590;  IX  p.  634;  Plutarch.  Pelopid. 
p.  288f.;  Agesil.  p.  512;  Artax.  p.  1022;  Liebesgeschichten  p.  774  cap.  3; 
ob  ein  Greis  Staatsgeschäfte  p.  786  cap.  6.  27;  Politische  Lehren  p.  808 
cap.  13.  — 

XVn,  21,  27.  Licinius  Stolo  s.  Gell.  VI (VII),  3,  40 NB;  Liv.  6,  34ff.; 
Florus  I,  26,  4. 

XVII,  21,  28.   Diodor.  Sicul  XVI  p.  406;  Plutarch.  Alexand.  p.  662. 

XVII,  21,  29.  Plato  zum  Dionysius  a.  Plin.  h.  n.  VII,  31  (30),  1 ; 
Diog.  Laert.  III,  14 ff.;  Aelian  verm.  Erz.  III,  17;  IV,  18;  Plutarch.  Dion 
p.  962;  Cic.  de  Orat.  III,  34,  139;  Athenaeus  XI,  sect.  116  (507);  Diodor. 
Sic.  XV  p.  332;  Appulej.  de  dogm.  Piaton.  I. 


n»r  vi ■     "  * 


XVU.  Buch,  21.  Cap.,  §  30—36.  (397) 

30.  Einige  Zeit  nachher  besiegte  Philipp  (von  Macedonien)  die 
Athener  in  einer  grossen  Schlacht  bei  Chaeronea.  31.  Darauf 
suchte  der  Redner  Demosthenes  durch  Flucht  aus  dem 
Scblachtgetümmel  sein  Heil;  und  als  ihm  Jemand  über  diese 
schimpfliche  Flucht  bittere  Vorwürfe  machte,  wusste  er  sich 
scherzhafter  Weise  durch  jenen  bekannten  Vers  auszureden 
und  zu  entschuldigen: 

Wer  flieht,  der  kann  noch  schlagen  sich  zum  zweitenmale. 

32.  Hierauf  kam  Philippus  durch  Nachstellung  ums  Leben. 
Alexander  aber  (sein  Sohn),  der  nun  an  die  Regierung  ge- 
langte, ging  zur  Unterjochung  der  Perser  nach  Asien  und  nach 
dem  Orient.  33.  Ein  anderer  Alexander  aber,  mit  dem  Bei- 
namen Molossus,  kam  nach  Italien  in  der  Absicht,  mit  dem 
römischen  Volke  Krieg  zu  führen,  —  denn  schon  hatte  der 
Ruhm  von  der  Tapferkeit  und  dem  römischen  (Kriegs-)  Glück 
bei  auswärtigen  Völkern  angefangen  (im  hellsten  Lichte)  zu 
strahlen,  —  allein  bevor  er  noch  eine  kriegerische  That  voll- 
bracht, starb  er.  Dieser  Molossus  soll,  wie  wir  erfuhren,  als 
er  nach  Italien  hinüberging,  gesagt  haben,  er  zwar  gehe  zu 
den  Römern,  gleichsam  wie  nach  einem  Tummelplatz  von 
lauter  Männern  (Mgamng) ,  sein  macedonischer  (Namens- 
vetter und)  Nebenbuhler  aber  zu  den  Persern,  gleichsam 
wie  nach  einem  Tummelplatz  von  nur  lauter  Weibern  (yvvai- 
xuvmg).  34.  Als  darauf  Alexander  der  Macedonier  den 
grössten  Theil  des  Orients  unterjocht  und  11  Jahre  regiert 
hatte,  starb  er.  35.  Nicht  lange  nachher  schieden  auch  der 
Weltweise  Aristoteles  und  bald  darauf  der  Redner  Demo- 
sthenes aus  dem  Leben.   36.  Fast  um  dieselbe  Zeit  wurde  das 


XVII,  21,  30.  Niederlage  bei  Chaeronea  338  v.  Chr.  s.  Liv.  35,  46; 
Pausan.  I,  25;  VII,  15;  Strabo  IX  p.  634;  Diodor.  Sic.  XVI  p.  475; 
Plutarch.  Camill.  p.  138;  Demosth.  p.  859;  Aelian.  VI,  1;  VIII,  15; 
Xü,  53. 

XVII,  21,  33.  Alexander  Molossus  war  der  Sohn  des  Neopto- 
lemus  und  König  von  Epirus,  und  seine  Schwester  Olympias  war  die  Mutter 
von  Alexander  d.  Gr.,  dessen  Vater  der  macedonische  König  Philipp  war. 
S.  Li?.  VIII,  4.  17.  24;  Justin.  XII,  2;  Plut.  vom  Glück  der  Römer,  13; 
von  Alexander  des  Gr.  Glück  oder  Tapferkeit  I,  8. 

XVII,  21,  35.   Diogen.  Laert  V,  1,  7. 

XVII,  21,  36.  Vergl.  Gell.  XX,  1,  40;  Flor.  I,  16;  Liv.  IX,  10 ff.; 
Cic.  de  or.  1,  40,  181;  2,  32,  137;  pro  Caec  34,  98. 


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(398) 


XV1L  Buch,  21.  Cap.,  §  36-41. 


römische  Volk  in  einen  heftigen  und  langwierigen  Krieg  mit 
den  Samnitern  verwickelt  und  ihre  beiden  Consuln,  Tib.  Vetu- 
rius  und  Sp.  Postumius  wurden  auf  dem  ungünstigen  Terrain 
(in  den  Engpässen)  bei  Caudium  von  den  Samnitern  einge- 
schlossen und  unter's  Joch  geschickt,  erst  nach  einem  abge- 
schlossenen, schimpflichen  Vergleich  entlassen;  wegen  dieser 
beschämenden  Schmach  wurden  die  beiden  (unglücklichen 
Consuln)  auf  Befehl  des  römischen  Volkes  durch  die  Fetialen 
den  Samnitern  überlassen  und  nicht  wieder  zurückgenommen 
(noch  ausgelöst).  37.  Ohngefähr  im  Jahre  470  nach  Er- 
bauung der  Stadt  fing  man  den  Krieg  mit  dem  Könige 
Pyrrhus  (von  Epims)  an.  38.  Zu  derselben  Zeit  waren  die 
beiden  Philosophen,  der  Athener  Epicur  und  Zeno  von  Citium, 
berühmt.  39.  Um  dieselbe  Zeit  verwalteten  C.  Fabricius 
Luscinius  und  Q.  Aemilius  Papus  das  Sittenrichterarat  in 
Rom,  und  sie  waren  es,  die  den  P.  Cornelius  Rufinus,  der 
zweimal  Consul  und  sogar  Dietator  gewesen  war,  aus  dem 
Senate  stiessen,  und  als  Grund  für  ihre  censorische  Rüge 
den  vermerkten,  weil  sie  erfahren  hätten,  dass  er  wegen 
einer  Gasterei  10  Pfund  (verarbeitetes  Silber,  d.  h.)  Silber- 
geschirr verwendet  habe.  40.  Ferner  im  490.  Jahre  nach 
Erbauung  der  Stadt  Rom  unter  dem  Consulat  des  Appius 
Claudius,  der  den  Beinamen  Caudex  (Klotz)  führte  und  ein 
Bruder  vom  Appius  dem  Blinden  war,  und  seines  Mitconsuls 
Marcus  Fulvius  Flaccus  nahm  der  erste  punische  Krieg  seinen 
Anfang,  (welcher  zwischen  Karthagern  und  Römern  aus  Eifer- 
sucht wegen  Sicilien  entstand).  41.  Kurz  darauf  wurde  der 
Dichter  Callimachus  von  Cyrene  zu  Alexandrien  am  Hofe 

XVn,  21,  37.  Liv.  VII,  29;  Val.  Max.  II,  7,  15;  Florus  I,  18; 
Plutarch.  Pyrrhus;  Justin.  18,  1;  Plin.  8,  6,  1;  Eutrop.  II,  1;  Aurel.  Vict. 
de  vir.  illustr.  35;  Augustin.  de  Civ.  Dei  III,  17;  Orosius  IV,  1. 

XVR,  21,  38.  Ueber  Epicur  s.  Gell.  IX,  5,  2 NB;  über  Zeno  Gell. 
I,  2,  3  NB. 

XVII,  21,  39.    GeU.  IV,  8,  7;  Val.  Max.  II,  9,  4, 

XVII,  21,  40.  Entstehungsursache  war  Eifersucht  zwischen  Carthagern 
und  Römern  wegen  Sicilien.  S.  Florus  II,  2;  Eutrop.  II,  3;  Aurel.  Vict. 
vir.  ill.  37 ff.;  Polyb.  I;  Augustin.  de  Cic.  D.  III,  18;  Orosius  IV,  8; 
Silius  Italic.  VI;  Appian.  Libyc, 

XVII,  21,  41.   Ueber  Callimachus  s.  Gell.  IV,  11,  2. 


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XVII.  Buch,  21.  Cap.,  §  42  -  45.  (399) 

des  Königs  Ptolemaeus  [Philadelphia]  berühmt.  42.  Nicht 
mehr  als  20  Jahre  nachher,  als  unter  den  Consuln  Claudius 
Cento,  dem  Sohne  von  Appius  dem  Blinden,  und  unter  dem 
M.  Sempronius  Tuditanus  der  (erste)  Friede  mit  den  Puniern 
(Carthagern)  war  geschlossen  worden,  begann  der  Dichter 
L.  Livius  (Andronicus)  (514/240)  unter  Allen  zuerst  zu  Rom 
Stücke  (zu  schreiben  und)  aufzuführen,  fast  mehr  als  160 
Jahre  nach  dem  Tode  des  Sophocles  und  Euripides  und  ohn- 
gefähr  52  Jahre  nach  dem  Hinscheiden  des  Menander.  43. 
Auf  die  beiden  Consuln  Claudius  und  Tuditanus  folgten 
Q.  Valerius  und  C.  Manilius,  unter  deren  Consulate,  wie 
M.  Varro  im  ersten  Buche  „von  den  Dichtern"  schreibt,  der 
Dichter  Q.  Ennius  geboren  wurde;  wo  auch  noch  steht,  dass 
Ennius  in  seinem  67.  Jahre  das  12.  (vielmehr  wohl  das  18.) 
Buch  seiner  Annalen  geschrieben  habe,  und  dass  dies  Ennius 
in  diesem  Buche  selbst  melden  soll.  44.  Im  519.  Jahre  nach 
Roms  Erbauung  gab  Sp.  Carvilius  Ruga  zu  Rom  auf  Anrathen 
seiner  Freunde  zu  allererst  das  Beispiel  einer  willkürlichen 
Ehescheiduug  mit  seiner  Frau,  weil  sie  unfruchtbar  sei  und 
weil  er  vor  den  Censoren  (wie  er  zu  seiner  Entschuldigung 
anführte)  eidlich  versichert  hatte,  er  habe  sich  ein  Weib  nur 
genommen,  um  Nachkommenschaft  zu  erzielen.  45.  In  eben 
diesem  Jahre  führte  der  Dichter  Cn.  Naevius  seine  Lustspiele 
vor  dem  Volke  auf,  und  M.  Varro  sagt  in  dem  eben  vorhin 


XVn,  21,  42.  Ueber  den  Dichter  Livius  s.  Gell,  m,  16,  11  NB;  Yal. 
Max.  II,  4,  3  und  den  Geschichtsschreiber  Livius  VII,  2  ff.  Vergl.  Teuffels 
röm.  Lit.  Gesch.  §  92,  1  und  2;  Cic.  Brut.  18,  72;  Sen.  14,  50;  Tusc.  1,  1,  3. 

XVII,  21,  43.  Ennius,  geb.  515  d.  St.  =  239,  sprach  drei  Sprachen 
(Gell.  XVII,  17,  1)  und  stand  im  vertraulichen  Verhältniss  mit  Scipio 
Nasica.   Cic.  de  or.  II,  68,  276. 

XVII,  21,  43.  Duodevicesimum  librum,  cfr.  Gell.  XIII,  21,  14  und 
Bernh.  röm.  Lit.  NB  306;  Cic  Tusc.  I,  1;  Brut.  18,  72;  Teuffels  röm. 
Lit.  Gesch  §  99. 

XVD,  21,  44.  S.  Gell.  IV,  3,  2 NB;  X,  23,  4.  Vergl.  Teuffels  Gesch. 
der  röm.  Lit.  127,  1,  wo  eine  Schwankung  zwischen  dem  J.  519  und  524 
angegeben  ist. 

XVII,  21,  45.  Den  ersten  Aufschwung  der  Literatur  Hessen  gebildete 
Männer  erst  mit  dem  zweiten  punischen  Krieg  beginnen,  wie  hier  Porcius 
Licinius  und  Horaz.  Epp.  II,  1,  62;  vergl.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  §  89 
u.  93,  2  u.  133,  3  und  Gell.  XIX,  9,  13. 


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(400) 


XVII.  Buch,  21.  Cap.,  §  45  —  50. 


erst  angeführten  ersten  Buche  „von  den  Dichtern"  über  ihn, 

dass  er  im  ersten  punischen  Kriege  im  Felde  gedient  habe, 

und  fügt  hinzu,  dass  Naevius  diese  Thatsache  selbst  in  seiner 

Dichtung  erwähne,  welche  er  über  diesen  Krieg  verfasst  hat; 

allein  Porcius  Licinius  behauptet,  dass  Naevius  erst  später 

sich  auf  die  Dichtkunst  gelegt  habe,  in  folgenden  Versen: 

Erst  im  zweiten  Römerkrieg  begab  die  Mus'  beschwingten  Schritts 
Sich  hinein  zum  wilden  rauhen  Kriegervolk  des  Romulus. 

46.  Ohngefähr  15  Jahre  nachher  wurde  der  Krieg  gegen  die 
Punier  (wieder)  aufgenommen.  47.  und  nicht  lange  nachher 
blühten  M.  Cato  als  Staatsredner  und  Plautus  als  Bühnen- 
dichter. 48.  Zu  derselben  Zeit  wurden  der  Stoiker  Diogenes, 
der  Akademiker  Carneades  und  der  Peripatetiker  Critolaus 
von  den  Athenern  wegen  Staatsangelegenheiten  an  den  Senat 
des  römischen  Volks  entsendet.  49.  In  nicht  langer  Zeit 
nachher  wurde  Q.  Ennius  und  neben  ihm  Caecilius  und  dann 
Terentius  und  nachher  Pacuvius,  und  als  Pacuvius  bereits 
sehr  alt  war,  Accius  berühmt,  aber  alsdann  noch  weit  be- 
rühmter Lucilius  durch  seine  Herabsetzung  und  Verkleinerung 
der  Gedichte  von  jenen  (seinen  Vorgängern).  50.  Allein  ich 
bin  schon  etwas  zu  weit  gegangen,  da  ich  mir  als  Ziel  für 
meine  kurzen  Bemerkungen  den  zweiten  punischen  Krieg 
gesetzt  hatte. 


XVII,  21,  46.  Dieser  entstand  wegen  Spanien  und  Veranlassung  gab 
die  Zerstörung  von  Sagunt.  Florus  II,  6;  Aurel.  Vict  de  vir.  flL  42; 
Appian  Libyc;  Cornel.  Nep.  Hannibal;  August  de  Civ.  D.  III,  19; 
Flutarch  im  Fabius,  Scipio  Marcellus,  Hannibal,  Flaminius;  Eutropius  III; 
Orosius  IV. 

XVII,  21,  48.   Vergl.  Gell.  VI  (VII),  14,  9. 

XVII,  21,  49.  C.  Lucilius  kritisirte.  S.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  132,7. 


XVIII.  BUCH. 

XVIII,  1,  L.  Gedankenaustausch,  gepflogen  zwischen  (zwei)  Philosophen, 
einem  stoischen  und  andererseits  einem  peri  patetischen ,  unter  dem 
Schiedsrichterspruch  des  Favorin;  desgleichen  Verhandlung  der  von  den 
Beiden  aufgeworfenen  Frage ,  wie  gross  der  Einfluss  der  Tugend  sei  bei 
Vollendung  und  Verwirklichung  zur  Glückseligkeit  des  Lebens,  und  wie 
weit   (bei   dieser  Verwirklichung)  die   Macht  der  sogenannten  irdischen 

Güter  in  Betracht  kommt. 

XVIII,  1.  Cap.  1.  Unter  den  Freunden  des  Favorin  be- 
fanden sich  zu  Rom  zwei  nicht  unbertihmte  Weltweise,  deren 
Einer  Anhänger  der  peripatetischen  Lehre  war,  der  Andere 
der  stoischen  Schule  angehörte.  2.  Als  wir  (einst)  Mehrere 
zusammen  uns  mit  dem  Favorin  zu  Ostia  befanden,  war  ich 
Zeuge,  als  diese  (Beiden)  einen  leidenschaftlichen  und  eifrigen 
Streit  begannen  zur  Aufrechterhaltung  ihrer  (beiderseitigen, 
verschiedenen)  Lehrsätze.  3.  Wir  gingen  aber  gerade  am 
Ufer  spazieren,  als  es  bereits  zu  dämmern  anfing,  zur  Früh- 
jahrszeit (oder  Neujahrszeit,  aestate  anni  novi).  4.  Und  da 
äusserte  nun  der  Stoiker  die  Ansicht,  dass  die  Glückseligkeit 
des  Lebens  für  einen  Menschen  nur  allein  durch  (den  Seelen- 
adel) der  Tugend,  das  höchste  Elend  aber  allein  durch  Laster 
(und  Bosheit)  bewirkt  werden,  selbst  in  dem  Falle,  dass  alle 
übrigen  sogenannten  körperlichen  und  äusserlichen  (irdischen) 
Güter  der  Tugend  (d.  h.  dem  Tugendhaften)  abgehen  und 
mangeln,  der  Lasterhaftigkeit  (d.  h.  dem  Lasterhaften)  aber 
zu  Gebote  stehen  sollten.  5.  Der  Peripatetiker  andrerseits 
gab  nun  zwar  zu,  dass  das  Elend  des  Lebens  allein  aus 
Seelenverderbniss  (Laster)  und  Bosheit  entstehe,  allein  seiner 


XVIII,  1,  5.   S.  Aristot.  Nikom.  Ethik.  I,  3. 

Gel  Ii  us,  Attische  Nächte.   II.  26 


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•r  - 


(402)  XVIII.  Buch,  h  Cap.,  §  5-11. 

Ansicht  nach  reiche  die  Tugend  allein  durchaus  nicht  hin, 
das  ganze  Mass  des  Lebensglückes  auszufüllen,  weil  ein 
vollständig  unverletzter  Zustand  (integritas)  des  Körpers, 
Gesundheit,  wohlgestaltete  äussere  Erscheinung,  einiges  Ver- 
mögen, ein  (unbescholtener)  guter  Name  und  alle  sonstigen 
leiblichen  und  Glücksgüter  für  nothwendig  erachtet  werden 
(müssen)  zur  Vollendung  unseres  Lebensglückes.  6.  Dagegen 
erhob  seinerseits  der  Stoiker  laute  Einwendung  und  sprach 
seine  Verwunderung  darüber  aus,  dass  der  Peripatetiker, 
gleichsam  als  wenn  er  zwei  sich  ganz  entgegengesetzte  Dinge 
annähme,  er  (trotzdem)  in  beiden  (Möglichkeits-)  Fällen  den 
Einfluss  und  das  Wesen  eines  Gegensatzes  nicht  aufrecht  er- 
halten (viel  weniger  zugestehen)  wolle,  obgleich  (er  nicht 
bestreite,  dass)  ja  Laster  und  Tugend  Gegensätze  bildeten, 
wie  auch  Elend  und  Glückseligkeit  (einander)  ebenfalls  ent- 
gegengesetzt seien;  7.  und  obgleich  sein  Gegner  in  dem 
Glauben  stehe,  dass  zwar  Bosheit  (und  Laster)  zur  Vollen- 
dung des  Elends  im  Leben  sehr  viel  Einfluss  ausübe,  er 
nichts  destoweniger  aber  doch  auch  nebenbei  noch  die  Be- 
hauptung festhalten  wolle,  dass  Tugend  allein  zur  Verbürgung 
und  Erlangung  von  Lebensglück  nicht  ausreichend  sei.  8. 
Denn  das  sei  doch  ein  ganz  gewaltiger  Widerspruch  und 
stimme  nicht  mit  einander  überein,  sagt  er,  wenn  sein  Gegner 
die  Behauptung  aufstelle,  dass  ein  Leben,  wenn  ihm  die 
Tugend  mangele,  keineswegs  als  ein  glückliches  angesehen 
werden  könne,  und  er  doch  dabei  zugleich  auch  wieder  der 
Tugend  die  Eigenschaft  absprechen  wolle,  dass  nur  sie  ganz 
allein  schon  ein  glückseliges  Leben  bewerkstelligen  könne, 
und  wenn  er  den  Werth  (und  Vorzug),  welchen  er  der  ab- 
wesenden Tugend  beilege  und  einräume,  ihr  wieder  entziehen 
wolle,  wenn  sie  anwesend  ist.  9.  Hierauf  erwiederte  der 
Peripatetiker  in  der  That  sehr  artig:  Mit  Deiner  gütigen 
Erlaubniss  bitte  ich  Dich,  mir  doch  die  Frage  zu  beantworten, 
ob  Du  glaubst,  dass  das  ein  Eimer  Wein  sei,  woran  ein 
Mass  fehlt?  10.  Keineswegs  kann  man  das,  erwiederte  der 
Stoiker,  einen  Eimer  Wein  nennen,  an  dem  ein  Mass  fehlt. 
11.  Als  der  Peripatetiker  sich  mit  dieser  Antwort  zufrieden 
erklärt  hatte,  fuhr  er  also  fort:  Man  kann  also  dreist  sagen, 
dass  ein  Mass  einen  Eimer  vorstellt,  weil,  wenn  das  eine 


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XVIII.  Buch,  1.  CapM  §11  —  16.-2.  Cap.,  §  l.  (403) 

Mass  (daran)  mangelt,  nicht  von  einem  Eimer  die  Rede  sein 
kann,  wenn  das  Mass  aber  hinzukommt,  dann  erst  ein  Eimer 
(vorgestellt)  wird.  So  ungereimt  nun  die  Behauptung  sein  würde, 
dass  dies  eine  Mass  einen  Eimer  abgebe,  eben  so  ungereimt 
ist  es,  zu  sagen,  dass  allein  durch  die  Tugend  ein  glückliches 
Leben  (uns)  bereitet  werde,  weil,  wo  die  Tugend  gänzlich 
fehlt,  an  ein  glückliches  Leben  niemals  zu  denken  ist.  12. 
Hierauf  sah  Favorin  den  Peripatetiker  an  und  sagte  zu  ihm : 
Es  wird  zwar  Deine  spitzfindige  Erklärung  mit  dem  (besagten) 
Eimer  Wein,  deren  Du  Dich  bedient  hast,  (vielseitig)  in  den 
Büchern  abgehandelt,  allein,  wie  Du  weisst,  kann  dieser  sehr 
treffliche  Trugschluss  (captio)  mehr  für  einen  feinen  Scherz 
gelten,  als  für  einen  stichhaltigen  oder  schicklichen  (und  gleich- 
berechtigten) Beweis.  13.  Denn  wenn  ein  Mass  (am  Eimer)  ver- 
misst  wird,  so  ist  dies  zwar  die  Ursache,  dass  der  Eimer  nicht 
das  richtige  Mass  enthält  (d.  h.  nicht  vorschriftsmässig  gefüllt 
ist),  sondern,  wenn  man  das  (eine)  Mass  nimmt  und  zugiesst, 
so  macht  dies  eine  Mass  allein  noch  keinen  Eimer  aus,  son- 
dern ergänzt  nur,  was  an  dem  Eimer  noch  fehlte.  14.  Allein 
die  Tugend  ist  nach  der  Meinung  der  Stoiker  nicht  blos  ein 
Zusatz,  eine  Vermehrung  oder  ein  Ergänzungsmittel,  sondern 
sie  selbst  ist  einzig  und  allein  der  (wahre)  Inbegriff  von  der 
Glückseligkeit  des  Lebens,  und  deshalb  macht  ihr  Besitz 
allein  die  wahre  Glückseligkeit  des  Lebens  aus.  15.  Ueber 
solche  und  viele  andere  dergleichen  geringfügige  und  ver- 
wickelte Gegenstände  tauschten  diese  beiden  Philosophen  ihre 
beiderseitige  Meinung  aus,  gleichsam  wie  vor  dem  Amtsstuhl 
des  Schiedsrichters  Favorin.  16.  Allein  als  man  schon  anfing 
die  Lichter  anzubrennen  und  die  Dunkelheit  immer  mehr  zu- 
nahm, begleiteten  wir  den  Favorin  bis  nach  seiner  Wohnung 
und  zerstreuten  uns,  als  er  dahin  abgegangen  war. 

XVIII,  2,  L.    Mit  welcherlei  Wettstreit  durch  (aufgeworfene)  Fragen  wir 
un8  zu  Athen  die  Kurzweil  am  Saturnusfest  zu  beleben  pflegten;  dabei 
auch  noch  Schilderung  und  Veranschaulichung  einiger  ergötzlicher 

Trugschlüsse  und  Räthsel. 

XVIII,  2.  Cap.    1.  Wir  feierten  zu  Athen  das  Fest  der 


XVIII,  1,  13.   Vergl.  Gell.  XVIII,  2,  10  NB. 

26* 


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(404) 


XVIII.  Buch,  2.  Cap.,  §  1  —  6. 


Saturnalien  in  ganz  sittsamer  Heiterkeit,  nicht  etwa,  wie 
es  so  gewöhnlich  heisst,  durch  Nachlassen  geistiger  Thätig- 
keit,  —  denn  nachlassen  in  geistiger  Thätigkeit  heisst  gleich- 
sam dieselbe  entlassen,  wie  sich  Musonius  ausdrückt,  — 
sondern,  indem  wir  unsern  Geist  ein  wenig  Erheiterung  und 
Zerstreuung  gewährten,  durch  angenehme  schickliche  Lock- 
mittel in  der  Unterhaltung.  2.  Ich  aber  und  sehr  Viele  meiner 
römischen  Landsleute,  die  wir  nach  Griechenland  gekommen 
waren  und  dieselben  Vorlesungen  wie  auch  dieselben  Lehrer 
besuchten,  vereinigten  uns  (schliesslich  immer)  bei  einem 
(heitern)  Mahle.  3.  Da  setzte  nun  auch  Derjenige,  welcher, 
sobald  die  Reihe  an  ihm  war,  für  ein  kleines  (frugales)  Mahl 
zu  sorgen  hatte,  (jedesmal)  auf  Lösung  und  Beantwortung 
irgend  einer  aufgestellten  Frage  ein  griechisches  oder  latei- 
nisches Buch  eines  alten  Schriftstellers  und  einen  geflochtenen 
Lorbeerkranz  als  (Prämien-)  Preis  aus,  und  so  viele  Personen 
zugegen  waren,  ebensoviele  Fragen  stellte  er  auf  und  sobald  er 
sie  alle  aufgestellt  hatte,  entschied  das  Loos  (ordnungsgemäss) 
den  Gegenstand  und  die  Gelegenheit  als  Sprecher  aufzutreten. 
4.  So  wurde  nun  (allemal)  die  Lösung  einer  (vorgelegten)  Frage 
mit  einer  solchen  (Lorbeer-)  Krone  und  einem  Preise  (einer 
Buchprämie)  belohnt,  eine  nicht  gelöste  aber  wurde  an  Den 
übergeben,  der  dem  Loose  nach  an  die  Reihe  kam,  und  dies 
Verfahren  wurde  im  Kreise  herum  auf  gleiche  Art  aufrecht 
erhalten.  5.  Wenn  Keiner  die  Frage  löste,  so  wurde  der 
Kranz  stets  demjenigen  Gott  feierlich  zugesprochen,  dessen 
Fest  man  (gerade)  beging.  6.  Es  kamen  aber  derartige  Gegen- 
stände zur  Frage,  wie  z.  B.  irgend  eine  dunkle  Stelle  eines 
alten  Dichters,  die  leicht  und  ohne  viel  Kopfzerbrechen 
zu  lösen,  oder  die  Untersuchung  (einer  Thatsache)  aus 
der  alten  Geschichte,  oder  eine  Rechtfertigung  irgend  eines 
allgemein  missverstandenen  Lehrsatzes  aus  der  Philosophie, 
oder  die  Erklärung  und  Auflösung  eines  sophistischen  Trug- 
schlusses (captionis  sophisticae  solutio),  oder  die  Erforschung 
eines  noch  ungewöhnlichen  (fraglichen)  und  seltneren  Wortes, 


XVm,  2,  1.  Ueber  Saturnalia  s.  Gell.  II,  24,  3  NB;  Macrob.  Sat  I,  5; 
über  Musonius  8.  Gell.  V,  1,  1NB;  über  Tischgespräche  s.  Gell. 
T,  22,  5;  VII  (VI),  13;  XVII,  8;  XIX,  9,  1  NB. 


XVIII.  Buch,  2.  Cap.,  §  7  —  9.  (405) 

oder  endlich  auch  die  (nähere)  Bestimmung  eines  höchst 
dunklen  Zeitfalls  (tempus)  bei  einem  an  sich  ganz  klaren 
Worte.  7.  So  erinnere  ich  mich  noch  ganz  deutlich  der, 
neulich  erst  bei  derartiger  Gelegenheit,  aufgeworfenen  sieben 
Fragen,  von  denen  die  erste  die  (mündliche)  Auslegung  fol- 
gender, in  den  Satiren  des  Ennius  befindlichen  Verse  betraf, 
worin  der  Dichter  ein  und  dasselbe  Wort  in  vielfacher  Be- 
deutung immer  wiederholt  und  kunstgerecht  verflochten  hat. 
Ihr  Wortlaut  ist  folgender: 

Nam  qui  lepide  postulat  alterum  frustrari, 

Quem  frustratur,  frustra  eum  dicit  frustra  esse;  nam  qui 

Sese  frustrari  quem  frustra  sentit,  qui  frustratur, 

Is  frustra'st,  non  ille  est  frustra;  d.  h. 

Sei  es  auch  scherzweis',  wer  zu  betrügen  den  Andern  sich  anmasst, 
Wen  er  betrügt,  den  hält  er  trüglich  betrogen;  denn  merkt  wer, 
Dass  ihn  trügrisch  Einer  betrüget,  (bei  dem  Betrüge) 
Dann  der  Betrüger  betrogen  nur  bleibt,  unbetrogen  doch  Jener. 

8.  Die  zweite  Frage  war:  wie  wohl  das  verstanden  und  auf- 
gefasst  werden  müsse,  was  Plato  (de  rep.  V,  457.  C.)  damit 
meinte,  wenn  er  in  der  von  ihm  schriftlich  entworfenen  Re- 
publik sagt:  xoivag  zag  yvvaixag,  d.  h.  dass  die  Weiber  Ge- 
meingut seien,  und  wie  er  hat  auf  die  Idee  kommen  können, 
das  Gekose  mit  Knaben  und  Mädchen  als  Lohn  für  die  tapfer- 
sten Männer  und  für  die  hervorragendsten  Kriegshelden  zu 
bestimmen?  9.  Drittens  wurde  folgende  Frage  aufgegeben : 
In  welchen  Worten  wohl  das  Verfängliche  jener  bekannten 
Trugschlüsse  liege,  und  wie  sie  ausgelegt  und  aufgelöst  werden 
könnten,  wiez.  B.  wenn  man  sagt:  Was  Du  nicht  verloren  hast, 

XVIII,  2,  7.  In  solcher  lärmenden  Spielerei  und  im  Ungeschmack 
solch  klappender  Assonanzen  gefiel  sich  Ennius.  Vergl.  Gell.  XIX,  10, 12; 
Bernh.  röm.  Lit.  70,  304.  Denn  wer  scherzweise  einen  Andern  zu  be- 
trügen sich  unterfangt,  (is)  frustra  dicit,  eum  frustra  esse,  quem  frustratur, 
d.  h.  der  behauptet  trüglich  (=  irrthümlich) ,  dass  Der  betrogen  sei,  den 
er  zu  betrügen  beabsichtigt;  denn  (si  qui  sentit,  aliquem  frustra  sese 
frustrari)  wenn  ein  solcher  (Betreffender)  merkt,  dass  irgend  so  ein  Mensch 
trüglich  ihn  selbst  zu  betrügen  sucht,  is  frustra  est,  qui  frustratur,  so  ist 
Der  (vielmehr  schon)  betrogen,  welcher  den  Betrug  anspinnt,  nicht  Jener 
wird  betrogen. 

XVIH,  2,  9.  Vergl.  Gell.  XVI,  2,  10  u.  XVIII,  13,  8;  Sen.  ep.  45,  7 
u.  49,  8;  Diodor.  Sic.  II,  108.  111;  Diog.  Laert.  VII,  44.  187;  Quinct. 
I,  10,  5. 


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(406) 


XVIU.  Buch,  2.  Cap.,  §9  —  13. 


das  hast  Du  noch;  nun  hast  Du  Hörner  nicht  verloren,  folg- 
lich hast  Du  sie  noch ;  ferner :  was  ich  bin,  das  bist  Du  nicht ; 
(ich  bin  ein  Mensch),  folglich  bist  Du  kein  Mensch.  10.  Des- 
gleichen fragte  man  sich  auch,  was  wohl  die  Auflösung  von 
jenem  Trugsehluss  (sophisma)  sei,  der  da  lautet:  wenn  ich 
lüge  und  gestehe  ganz  offen,  dass  ich  lüge,  lüge  ich  dann, 
oder  sage  ich  die  Wahrheit?  11.  Die  folgende  (vierte)  Frage 
war  diese:  Warum  die  Patricier  an  den  megalensischen  Fest- 
tagen, das  gemeine  Volk  aber  an  den  cerealischen  sich  ein- 
ander abwechselnd  zu  Gaste  bitten  (mutitare,  s.  Gell.  II,  24,  2) 
und  beschenken?  12.  Hierauf  wurde  (fünftens)  auch  gefragt, 
wer  von  den  alten  Dichtern  sich  des  Ausdrucks:  „verant" 
bedient  habe,  welches  so  viel  heissen  soll  als:  „vera  dicunt" 
(d.  h.  sie  sagen  die  Wahrheit)?  13.  Die  sechste  Frage  war 
die,  was  für  eine  Art  von  Kraut  es  sei,  welches  flesiod  in 
dem  bekannten  Verse  erwähnt  habe  (opp.  et.  d.  40  ff.) 
Thörichte!  welche  nicht  wissen,  dass  mehr  als  das  Ganze  die  Hälft'  ist 

Noch  dass  Lilienknoll'  und  Malve  so  herrliche  Kost  beut, 


XVIII,  2, 10.  Sophisma  (verfängliche  Rede,  Wortspiel),  tyivdopevog, 
Lügenschluss.  Cic.  de  div.  II,  4;  vergl.  Senec.  ep.  111.  —  Cic.  Acad. 
II,  29:  Sagst  Du,  Du  lügst  und  sagst  damit  die  Wahrheit,  so  lügst  Du; 
Du  sagst  aber,  Du  lügst  und  sagst  damit  die  Wahrheit,  also  lügst  Du.  — 
Wenn  Du  sagst,  Du  lügst  und  damit,  dass  Du  sagst,  Du  lügst,  die  Wahr- 
heit sagst;  so  sagst  Du  die  Wahrheit;  also  sprichst  Du  die  Wahrheit. 
Räumte  man  dies  ein,  so  bewiesen  die  Stoiker  auf  folgende  Weise  das 
Gegentheil ;  Sprichst  Du,  Du  lügst  und  sagst  damit  die  Wahrheit,  so  lügst 
Du;  nun  sagst  Du  aber,  Du  lügst  und  sprichst  damit  die  Wahrheit,  folg- 
lich lügst  Du.  —  Der  durch  Anhäufung  der  Gründe  gebildete  (spitzfindige) 
Trugsehluss:  oajQtir  rjs,  Sorites  (s.  Gell.  I,  2,  4),  rein  lateinisch:  acervus, 
acervalis,  lautet  ohngefähr  so:  Wenn  ein  Haufen  aus  Körnern  besteht,  so 
ist  die  Frage:  Das  wievielste  Korn  macht  einen  Haufen?  oder  bei  der 
Wegnahme  des  wievielsten  Kornes  hört  ein  Haufen  auf.  ein  Haufen  zu 
sein?   Cic.  de  div.  II,  4.   Vergl.  vorher  Gell.  XVIU,  1,  13. 

XVIU,  2,  11.  Ueber  die  megalensischen  Spiele  und  über  Cerealien 
s.  Gell.  II,  24,  3  NB. 

XVIII,  2,  13.  Hesiod  empfiehlt  durch  diesen  Ausspruch  eine  einfache 
und  sparsame  Lebensweise.  Die  spätere  Zeit  aber  glaubte  in  diesen 
Worten  einen  tiefern  Sinn  finden  zu  müssen  und  behauptete  demnach,  es 
würden  hier  Kräuter  genannt,  welche  gleichsam  als  Präservative  gegen 
Hunger  und  Durst  gebraucht  werden  könnten.  Vergl.  Plut.  Gastmahl  der 
sieben  Weisen  p.  157,  E.    Hesiod  sagt  nur,  dass  man  auch  bei  einer 


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XVIII.  Buch,  2.  Cap.,  §  13.  14.  (407) 

und  ebenso,  was  Hesiod  darunter  verstanden  wissen  will,  wenn 
er  sagt,  dass  die  Hälfte  mehr  als  das  Ganze  sei?  14.  Die 
(siebente  und)  letzte  von  allen  diesen  Fragen  war,  ob  die 


massigen  Kost  glücklich  sein  könne.  DerMalve  (/ial&xrit  malva)  bedienten 
sich  die  Dürftigen  bei  Griechen  und  Römern  statt  des  Lattigs  s.  Dioscor. 
XI,  109.  —  Die  Lilienknolle  vom  äcKf  ofolog  (Goldwurz),  ein  zum  Zwiebel- 
geschlecht gehöriges  Wiesenkraut,  mit  schönen  Blüthen  von  starkem 
Geruch,  der  Lilie  gleichend,  wovon  die  Knollen  an  der  Wurzel  (nach 
Theophrast.  Geschichte  der  Pflanzen  VII,  12)  ebenfalls  den  ärmeren  Leuten 
zur  Kost  dienten.  Davon  waren  die  Stengel  gekocht  und  der  Samen  ge- 
röstet ebenfalls  geniessbar.  S.  Plin.  22,  32.  Aus  beiden  Kräutern  machte 
man,  wie  Proclus  erwähnt,  ein  Decoct  («JU^/o?,  i  e.  Hunger  vertreibend, 
sättigend),  das  sich  sehr  lange  hielt  und  den  Aermeren  eben  zur  Nahrung 
diente.   Hör.  Od.  I,  31,  16  sagt: 

 me  pascunt  olivae, 

Me  cichorea  levesque  malvae,  d.  h. 

 Mir  sind  Oliven 

Speise,  Cichorien  mir  und  Malven.  — 
In  Bezug  auf  den  tiefsinnigen  Spruch  „die  Hälfte  mehr  als  das  Ganze" 
ist  Folgendes  zu  bemerken.  Hesiod  hatte  mit  seinem  Bruder  Perses  be- 
reits das  väterliche  Erbtheil  get heilt,  trotzdem  verwickelte  ihn  der  hab- 
süchtige Bruder  noch  in  einen  Erbtheilstreit,  welcher  durch  die  Partei- 
lichkeit der  Richter  zum  Nachtheil  für  den  Dichter  entschieden  wurde. 
Durch  diesen  nachtheiligen  Rechtsspruch  glaubte  man  den  Dichter  un- 
glücklich zu  machen.  Perses  vergeudete  dem  ihm  zuerkannten,  grössten 
Vermögenstheil  sehr  bald,  während  Hesiod  mit  seinem  geringeren  Ver- 
mögen durch  weise  Verwaltung  im  Stande  war,  den  verarmten  Bruder 
noch  zu  unterstützen.  Denn  massiges  Vermögen  fordert  zum  Fleiss  und 
zur  Sparsamkeit  auf,  üeberfluss  aber  fuhrt  zur  Trägheit  und  Schwelgerei. 
S.  Plin.  21,  68;  22,  32.  Darauf  also  bezieht  sich  der  Ausspruch.  S. 
Plat.  de  repbl.  V,  466,  C;  de  legg.  III,  677  (38),  E  und  V,  743  (237)  B; 
Xen.  Cyrop.  VHI,  4;  beim  Diogenes  Laert.  I,  4,  2  bedient  sich  Pittakus, 
einer  der  sieben  Weisen  dieses  Ausspruchs,  als  ihm  die  Mytilener  einen 
Acker  schenken  wollten,  er  jedoch  nur  einen  Theil  davon  annahm.  Vergl. 
Plut.  moral.  „wie  soll  der  Jüngling  die  Dichter  lesen",  14,  wo  es  besser 
Unrecht  leiden,  als  Unrecht  thun  bedeutet.  Eine  scherzhafte  Anwendung 
dieses  Sprüchworts  auf  das  Brustbild  des  Quintus  Cicero  findet  sich  beim 
Macrob.  Saturn.  II,  3.  Da  dasselbe  nämlich  nicht  das  rechte  Verhältniss 
gegen  die  kleine  Statur  des  Quintus  hatte,  so  sagte  Cicero:  frater  meus 
dimidio  major  est,  quam  totus,  d.  h.  mein  Bruder  ist  (im  Bilde)  um  die 
Hälfte  grösser,  als  in  der  Wirklichkeit  Vergl.  Lucret.  V,  116—118: 
Würde  nach  wahrer  Vernunft  der  Mensch  sein  Leben  beherrschen, 
Dann  war's  grosser  Reichthum  für  ihn  bei  gleichem  Gemüthe 
Massig  zu  leben;  denn  nie  gebricht  es,  wo  Wenig  von  Nöthen. 


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(408)        XVIII.  Buch,  2.  Cap.,  §  14  —  16.  —  3.  Cap.,  §  1. 

Wörter  „scripserim",  „venerim",  „legerim"  als  Formen  der  ver- 
gangenen Zeit  zu  betrachten,  oder  als  solche  der  zukünftigen 
zu  verstehen  seien,  oder  gar  für  beide  zugleich?  15.  Nach- 
dem alle  diese  Fragen  in  der  von  mir  angegebenen  Reihenfolge 
vorgebracht  und  jede  einzelne  nach  (besagter)  Ausloosung  be- 
sprochen und  beantwortet  war  worden,  erhielt  Jeder  von  uns 
sein  Preisbuch  und  seinen  Kranz  zum  Geschenk;  nur  die  ein- 
zige Frage,  welche  das  Wort  „verant"  betraf,  blieb  unbeant- 
wortet. 1 6.  Es  hatte  sich  nämlich  für  den  Augenblick  Keiner 
darauf  besonnen,  dass  dieser  Ausdruck  vom  Q.  Ennius  im 
13.  Buche  seiner  Jahrbücher  in  folgendem  Verse  war  gesagt 
worden : 

Sprechen  Wahrheit  (verant)  vollkommen  die  Seher, 
Wenn  sie  uns  die  Dauer  des  Lebens  verkünden? 

Der  also  für  Beantwortung  dieser  Frage  ausgesetzte  Kranz 
wurde  demnach  (weil  sie  nicht  gelöst  worden  war)  dem  Gotte 
dieses  Festes,  dem  Saturn,  feierlich  geweiht. 


XVIII,  3,  L  Was  nach  der  Angabe  des  Redners  Aeschines  in  seiner  Rede, 
worin  er  den  Timarch  wegen  seiner  Schamlosigkeit  und  Unverschämtheit 
verklagt  hat,  (einst)  die  Lacedämonier  über  einen  höchst  annehmbaren 
Vorschlag,  den  ein  ganz  verworfener  Mensch  gethan  hatte,  beschlosseu 

haben  sollen. 

XVIII,  3.  Cap.  1.  Aeschines,  sicher  wohl  der  heftigste, 
wie  klügste  unter  den  Rednern,  die  in  den  Volksversamm- 


Psalm  37,  16.  Das  Wenige,  das  ein  Gerechter  hat,  ist  besser,  denn  das 
grosse  Gut  vieler  Gottlosen.  Vergl.  auch  noch  Plutarch:  vom  Gesicht  im 
Monde  cap.  25. 

XVIII,  2,  14.   Vergl.  Bernh.  röm.  Lit.  28,  108. 

XVIII,  3,  1.  Aeschines,  drei  Jahre  nach  dem  (398  v.  Chr.  er- 
folgten) Tode  des  Socrates,  in  Athen  geboren,  berühmter  griechischer 
Redner,  Gegner  des  Demosthenes,  der  ihn  aber  übertraf  und  besonders 
in  der  Rede:  de  Corona,  beschämend  besiegte  und  ihn  ins  Exil  brachte. 
Er  ging  nach  Rhodus,  lehrte  daselbst  und  begann  seine  Wirksamkeit 
damit,  dass  er  seinen  Zuhörern  erst  seine  eigene  gehaltene  Rede  und  dann 
die  Gegenrede  des  Demosthenes  (de  Corona),  welche  seine  Verbannung 
veranlasst  hatte,  vorlas.  Als  die  Rede  des  Demosthenes  mit  mehr  Beifall 
aufgenommen  wurde,  als  die  seinige,  sagte  er:  Wie  viel  grösser  würde 
euer  Beifall  gewesen  sein,  hättet  ihr  er3t  seine  Rede  ihn  selbst  halten 
hören.  Hierauf  begab  er  sich  nach  Samos,  wo  er  aüch  starb.  S.  Plin. 
h.  n.  7,  31  (30),  1. 


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/  XVHI.  Buch,  3.  Cap.,  §  1— 1>.  (409) 

lungen  der  Athener  glänzten,  hat  in  jener  heftigen,  vorwurfs- 
reichen und  giftigen  Rede,  worin  er  den  Timarchus  wegen 
seiner  Unverschämtheit  hart  und  empfindlich  anklagte,  uns 
mitgetheilt,  dass  (einst)  ein  hochstehender,  durch  seine  Tugend 
und  sein  hohes  Alter  ehrwürdiger  Staatsbürger  von  Lacedämon 
seinen  Mitbürgern  gelegentlich  einen  edlen  und  ausgezeich- 
neten Rath  gegeben  habe.  2.  Das  lacedämonische  Volk,  sagte 
er,  rathschlagte  einstmals  über  eine  höchst  wichtige  Staats- 
angelegenheit (und  überlegte  eben  in  der  Versammlung),  was 
wohl  nützlicher  und  anständiger  Weise  zu  beschliessen  sei. 
3.  Da  erhob  sich  Einer,  um  seine  Meinung  zu  sagen,  ein 
Mensch,  der  zwar  wegen  der  Unsittlichkeit  seines  frühern 
Lebenswandels  höchst  verrufen  war,  sich  jedoch  durch  seine 
Zungen-  und  Redegeläufigkeit  gar  sehr  auszeichnete.  4.  Der 
Rath  nun,  den  dieser  Mensch  gab,  und  der,  wie  er  rieth,  un- 
bedingt befolgt  werden  müsse,  wurde  auch  von  allen  Andern 
(gut)  aufgenommen  und  ganz  erwünscht  gefunden  und  war 
nahe  daran,  nach  Wunsch  dieses  Menschen,  zum  Volksbeschluss 
erhoben  zu  werden.  5.  Da  nahm  noch  zur  rechten  Zeit  Einer 
aus  jenem  Senatorencollegium,  —  welche  die  Lacedämonier 
in  Folge  der  Ehrwürdigkeit  ihres  Alters  und  Ansehens  gleich- 
sam als  Schiedsrichter  und  Berather  der  Staatsordnung  ver- 
ehrten, —  die  Sache  (zu  guter  Letzt)  in  die  Hand  und  ge- 
reizt und  erzürnt  im  Gemüth  sprang  er  auf  und  hub  also  an : 
Welcher  Grund,  oder  endlich  welche  Hoffnung  wird  euch,  ihr 
Lacedämonier,  übrig  bleiben,  (zu  glauben,)  dass  unsere  Stadt 
und  unser  Staat  noch  länger  im  Wohlstand  sich  befinden  und 
unbezwinglich  werde  dastehen  können,  wenn  (es  mit  uns  schon 
dahin  gekommen  ist,  dass)  wir  Menschen  von  solcher  Ver- 
gangenheit und  solchem  Lebenswandel  zu  unseren  Rathgebern 
gebrauchen?  Denn  im  Fall  nun  auch  dieser  sein  Rath  (an 
und  für  sich)  zufriedenstellend  und  ehrbar  ist,  so  muss  ich 
euch  doch  bitten  (und  beschwören),  ihn  nur  ja  nicht  durch 
eine  Beziehung  und  Gemeinschaft  zu  solchem  höchst  gemeinen 
Urheber  entwürdigen  zu  lassen.  6.  Und  als  er  dies  gesagt 
hatte,  rief  er  einen  Mann  auf,  der  sich  zwar  vor  Allen  an 


XVIII,  3,  5.  S.  Plutarch :  vom  Hören  cap.  7 ;  lakonische  Denksprüche 
28;  politische  Lehren  4;  ob  ein  Greis  Staatsgeschäfte  treiben  soll  p.  801. 


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(410)        XVIII.  Buch,  3.  Cap.,  §  6— 8.  -  4.  Cap.,  §  1.  9. 

Tapferkeit,  Muth  und  Rechtschaffenheit  auszeichnete,  jedoch 
unberedt  und  eben  kein  Zungenheld  war.  Diesen  (Ehrenmann) 
hiess  er  nun,  nach  einstimmigem  Verlangen  Aller,  jenen  ganz 
gleichen  Vorschlag  des  beredten  (aber  schlechten  und  erbärm- 
lichen) Menschen,  so  gut  er  konnte,  (aufs  Neue)  wörtlich 
wiederholen,  damit  nur  jede  Erwähnung  und  Erinnerung  des 
(unwürdigen)  Vorgängers  ausser  Spiel  bliebe,  der  Beschluss 
und  die  Verordnung  des  Volkes  aber  dadurch  (wie)  auf  Ver- 
anlassung dieses  einen  (ehrwürdigen  Mannes)  abgefasst  werde, 
weil  dieser  ihn  von  Neuem  zum  Ausdruck  gebracht  hatte. 

7.  Und  so  wie  der  weise  Greis  gerathen  hatte,  geschah  es. 

8.  Man  nahm  den  guten  Rath  an,  nur  der  ver  ach  tun  gs  würdige 
Urheber  wurde  (mit  dem  achtungswerthen)  gewechselt. 

XVIII,  4,  L.    Wie  Sulpicius  Apollinaris  einen  Menschen,  der  sich  rühmte, 
dass  nur  er  allein  die  Geschichtswerke    des  Sallust  gründlich  verstehe, 
zum  Besten  hatte,  durch  die  (plötzlich)  ihm  gestellte  Frage,  was  wohl  jene 
Worte  bei  Sallust  zu  bedeuten  hätten:  incertum,  stolidior  an  vanior 
(unbestimmt,  ob  unzuverlässiger  oder  lügenhafter). 

XVIII,  4.  Cap.  1.  Nachdem  ich  bereits  das  verbrämte 
Oberkleid  der  Kinderzeit  ausgezogen  (kurz  die  Kinderkleider 
gewechselt,  praetextam  et  puerilem  togam)  hatte,  und  mir 
nun  als  junger  Mann  recht  gediegene  Lehrer  zu  verschaffen 
gedachte,  führte  mich  der  Zufall  auf  die  Schustergasse  zu 
den  Buchhändlern,  als  gerade  in  einer  Versammlung  vieler 
Männer  der  zu  meiner  Zeit  vor  Allen  berühmte  Apollinaris 
Sulpicius  einen  Grossthuer  und  Prahler  mit  seiner  Belesenheit 
in  den  Werken  des  Sallust  zum  Besten  hatte  und  ihn  nach 
jener  bekannten  Manier  witzigster  Ironie,  deren  sich  (einst 
auch)  Socrates  gegen  die  (abgeschmackten)  Sophisten  bedient 
hatte,  verhöhnte.  2.  Denn  als  dieser  Unverschämte  laut 
äusserte,  dass  er  der  alleinige  und  einzige  (gute)  Vorleser  und 
Erklärer  des  Sallust  sei,  und  öffentlich  sich  breit  machte,  dass 
er  nicht  etwa  nur  ganz  äusserlich  und  oberflächlich  den  Ge- 
dankengang (dieses  Schriftstellers)  durchforsche  und  durchprüfe, 


XVIII,  4,  L.   Ueber  Sulpicius  Apoll,  s.  Gell.  II,  16,  8  NB.  , 

XVIII,  4,  1.    Ueber  toga  praetexta  s.  Gell.  I,  23,  13  NB.  Vergl. 

Sueton.  de  gramraat.  25;   Quinct  decl.  340;   Mocrob.  I,  6,  10;  Plin. 

33,  l,  4.  §  10. 


Kj  by  Goo< 


XVIII.  Buch,  4.  Cap.,  §2—6. 


(411) 


sondern  auch  durch  und  durch ,  so  zu  sagen ,  Mark  und 
Blut  der  einzelnen  Ausdrücke  durchschauen  könne,  da  ergriff 
Apollinaris  die  Gelegenheit,  ihm  zu  sagen,  dass  er  alle  Hoch- 
achtung und  Verehrung  vor  seinen  Kenntnissen  habe,  und 
fuhr  (wörtlich)  so  fort:  Ei,  mein  lieber  Tausendsasa,  da  kommst 
Du  mir  ja  gerade  ausserordentlich  erwünscht  mit  Deiner  Durch- 
forschung von  dem  Mark  und  Blut  (d.  h.  von  der  Quintessenz 
in)  der  sallustischen  Ausdrucksweise.  3.  Gestern  nämlich 
wurde  ich  gefragt,  was  die  Stelle  im  4.  Buche  seines  Ge- 
schichtswerkes zu  bedeuten  habe,  welche  eine  schriftliche  Be- 
merkung über  den  Cn.  Lentulus  enthält,  von  dem  es  ungewiss 
gewesen  sein  soll,  ob  er,  (wie  sich  Sallust  wörtlich  ausdrückt) 
stolidior  an  vanior  (unzuverlässiger  oder  lügenhafter)  gewesen 
sei;  4.  und  alsbald  führte  er  auch  gleich  die  (ganze)  Stelle 
aus  Sallust  wörtlich  an,  sie  heisst:  „Aber  sein  Amtsgenosse 
Cn.  Lentulus  aus  patricischem  Geschlecht,  mit  dem  Beinamen 
Clodianus,  —  es  ist  nämlich  unsicher,  ob  dieser  mehr  un- 
zuverlässig, oder  mehr  lügenhaft  war,  —  veröffentlichte  das 
Gesetz  von  der  Eintreibung  der  Geldsummen,  welche  Sulla 
den  Güterkäufern  (auf  eigne  Faust)  erlassen  hatte."  5.  Apol- 
linaris versicherte  also,  wie  gesagt,  ganz  offenherzig  und  im 
vollen  Ernste,  dass  er  (selbst)  diese  an  ihn  gestellte  Frage 
(Tags  vorher)  nicht  zu  lösen  (und  zu  beantworten)  im  Stande 
gewesen  sei,  was  die  beiden  Ausdrücke:  „vanior  et  stolidior" 
heissen  sollten,  da  doch  Sallust  die  beiden  Ausdrücke  so  ge- 
schieden und  einander  entgegengesetzt  zu  haben  scheine,  als 
ob  sie  einander«  ganz  entgegengesetzte  und  verschiedene  wären 
und  nicht  nur  einen  und  denselben  Fehler  bezeichnen  sollten, 
deshalb  wiederholte  er  abermals  seine  Bitte,  ihm  doch  Auf- 
klärung über  die  Bedeutung  und  Abstammung  beider  Wörter 
zu  verschaffen.  6.  Hierauf  gab  Jener  durch  Aufsperren  des 
Mundes  und  durch  Verziehen  der  Lippen  (mit  verächtlicher 
Miene)  zu  erkennen,  dass  er  sowohl  über  die  aufgeworfene 
Frage,  als  auch  über  den  Fragsteller  selbst  gering  denke  und 
sagte:  Ich  pflege  wohl,  wie  ich  bereits  erklärte.  Mark  und 
Blut  (d.  h.  das  .Beste  und  Feinste,  den  Kern)  ausser  Brauch 
gekommener  Ausdrücke  zu  durchdringen  und  klar  zu  Tage 
zu  legen,  aber  nicht  von  solchen,  welche  bereits  allgemein 
ausgequetscht  und  breitgetreten  sind.    Denn  Der  müsste  ja 


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(412) 


XVIII.  Buch,  4.  Cap.,  §6  —  11. 


noch  dümmer  und  alberner  (stolidior  et  vanior)  sein,  als  be- 
nannter Cn.  Lentulus  selbst,  der  nicht  wüsste,  dass  die  Wörter 
„vanitas"  und  „stoliditas"  eben  nur  denselben  (einen)  Fehler 
der  Dummheit  bezeichnen  (sollen).  7.  Nach  dieser  Erwiderung 
brach  er  mitten  in  der  Unterhaltung  ab  (liess  die  Frage  ganz 
ruhig  dahingestellt)  und  wollte  sich  sofort  auf  den  Weg  machen. 
8.  Wir  hielten  ihn  aber  endlich  noch  zurück  und  drangen  in 
ihn ,  dass  er  sich  doch  über  die  Verschiedenheit,  oder,  wenn 
er  dies  für  richtiger  halte,  über  die  Aehnlichkeit  dieser  bei- 
den Wörter  ausführlicher  und  deutlicher  erklären  möchte,  und 
vor  Allen  bat  ganz  besonders  auch  noch  Apollinaris,  seinem 
Verlangen  nach  Aufklärung  darüber  doch  nichts  vorzuent- 
halten.  9.  Da  Jener  denn  nun  wohl  zu  merken  anfing,  dass 
man  geradezu  Scherz  mit  ihm  treibe,  schützte  er  dringende 
Geschäfte  vor  und  machte  sich  (eilig)  aus  dem  Staube.  10.  Wfir 
aber  erfuhren  nachträglich  vom  Apollinaris,  die  eigentliche 
Bedeutung  des  Wortes  „vanus"  sei  nicht  die,  wie  es  im  ge- 
wöhnlichen Leben  gesagt  wird,  in  dem  Sinne  von  unwissend, 
stumpfsinnig,  geckenhaft,  sondern,  wie  es  ja  auch  die  gelehr- 
testen, alten  Schriftsteller  gesagt  hätten,  von  Leuten,  die  ver- 
logen und  unzuverlässig  und  Unbedeutendheiten  und  Albern- 
heiten für  Wichtigkeiten  und  Wahrheiten  auf  schlauste  Weise 
zurechtzulegen  (und  an  den  Mann  zu  bringen)  wissen:  unter 
„stolidi"  würden  aber  nicht  sowohl  Dumme  und  Unverständige 
gemeint,  als  vielmehr  sauertöpfische,  lästige  und  widerliche 
Menschen,  welche  die  Griechen  mit  den  Ausdrücken  belegten : 
tuox&rjgoi  xai  (poQTty,ol  (gemeine  und  unverschämte  Subjecte). 
11.  Die  wahre  Bedeutung  und  ihre  Abstammung  fänden  sich, 
wie  er  sagte,  in  den  Werken  des  Nigidius  angegeben.  Ich 
schlug  dort  nach  und  fand  daselbst  (die)  Beispiele  von  den 
ursprünglichen  Bedeutungen  dieser  beiden  Wörter  und  merkte 
sie  mir  an,  um  sie  hier  meiner  Aufsatzsammlung  der  attischen 
Nachtgedanken  einzuverleiben  und  glaube,  dass  ich  sie  auch 
(bereits)  schon  an  irgend  einer  Stelle  diesen  meinen 
Abhandlungen  beigefügt  habe. 


XVIII,  4,  10.  S.  Fest.  S.  317  Stolidus. 
XVIII,  4,  11.   Vielleicht  VIII,  14. 


XTHI.  Buch,  5.  Cap.,  §  1—6. 


(413) 


XVIII,  5,  L.    Dass  Q.  Ennius  im  7.  Buche  seiner  Jahrbücher  sich  der 
Schreibweise  bedient  hat:   „quadrupes  eques"  (der  vierfüssige  Reiter)  und 
nicht,  wie  Viele  lesen  wollen:  „quadrupes  equus",  (das  vierfüssige  Pferd). 

XVIII,  5.  Cap.  1.  Mit  dem  Rhetor  Antonius  Julianus, 
einem  Manne  von  grosser  Biederkeit  und  blühender  Beredt- 
samkeit,  suchte  ich  nebst  einigen  ihm  befreundeten  Jünglingen 
zu  Puteoli  die  Lust  und  Freude  der  Sommerferien  durch  an- 
genehme wissenschaftliche  Beschäftigung  und  in  züchtigen  und 
anständigen  Vergnügungen  hinzubringen.  2.  Da  machte  man 
gerade  zur  Zeit  dem  Julianus  die  Mittheilung,  dass  ein  Vor- 
leser, ein  nicht  ungebildeter  Mann,  eben  im  Theater  vor  der  ver- 
sammelten Menge  mit  ausdrucksvoller  und  wohltönender  Stimme 
die  Jahrbücher  des  Ennius  vorlese.  3.  Kommt,  sagte  er  also, 
wir  wollen  uns  gleich  auf  den  Weg  machen,  um  diesen  uns 
noch  unbekannten  Ennius-Kenner  und  Bewunderer  (Ennianista) 
zu  hören .  mit  diesem  Titel  hört  er  sich  nämlich  gern  nennen. 
4.  Als  wir  ankamen,  hatte  er  bereits  seine  Vorlesung  unter 
grossem  Beifallssturm  begonnen  —  er  las  aber  das  7.  Buch 
aus  des  Ennius  Jahrbüchern  —  und  das  Erste,  was  wir  (vor- 
tragen) hörten,  waren  folgende  Verse,  bei  deren  Vortrag  er 
sich  eines  Fehlers  schuldig  machte: 

Denique  vi  magna  quadrupes  ecus  atque  elephanti 
Proiciunt  sese,  d.  h. 

Endlich  drängt  galoppirend  [  das  Rossj  mit  aller  Gewalt  sich 

<  anstatt 
I. der  Reiter] 

Vor  und  auch  Elephanten, 

und  als  er  nachher  noch  einige  wenige  Verse  hinzugefügt 
hatte,  trat  er  unter  allgemeinem  Beifall  und  Lob  ab.  5.  Beim 
Herausgehen  aus  dem  Theater  sagte  Julianus  zu  uns:  Was 
haltet  ihr  wohl  von  diesem  Vorleser  und  von  seinem  galop- 
pirenden  (vierfüssigen)  Pferde?  Denn  in  der  That  so  las  er 
(ganz  klar  und  deutlich)  „quadrupes  ecusu  (anstatt  quadrupes 
eques).  6.  Glaubt  ihr  nun  wohl,  dass,  hätte  dieser  Mensch 
nur  irgendwie  einen  Lehrer  oder  Ausleger  von  einigem  Werthe 
gehabt,  er  dann  gesagt  haben  würde:  quadrupes  equus  (vier- 
füssig,  galoppirend  Pferd)  und  nicht  vielmehr:  quadrupes 
eques  (galoppirender  Reiter,  i.  e.  Mann  zu  Ross  im  Galopp)? 

XVHI,  5,  2.  Vergl.  Bernh.  röm.  Lit.  11,  28. 


(414) 


XVIII.  Buch,  5.  Cap.,  §6  —  10. 


Denn  noch  ist  es  Keinem  eingefallen,  der  sich  aufmerksam 
und  gewissenhaft  mit  der  alten  Literatur  beschäftigt  hat,  (zu 
behaupten,)  dass  diese  Lesart  so  vom  Ennius  selbst  herrühre 
und  hinterlassen  wurde.  7.  Da  nun  aber  Viele  zugegen  waren, 
die  versicherten,  dass  Jeder  von  ihnen  bei  seinem  Sprach- 
lehrer „quadrupes  equus"  gelesen  habe  und  sie  neugierig  wur- 
den, was  die  Worte:  quadrupes  eques  (vierfüssiger  Reiter) 
heissen  sollten,  sagte  Julian :  Ich  wünschte  wohl,  theure  Jüng- 
linge, dass  ihr  den  Q.  Ennius  ebenso  aufmerksam  gelesen  haben 
möchtet,  als  es  P.  Vergilius  gethan,  der  in  seinem  Gedichte 
„von  dem  Landbau"  (III,  115)  diesen  ennischen  Vers  (offenbar) 
im  Auge  hatte  und  für  das  Wort  „equus  (Pferd)"  (ebenfalls) 
„eques  (Reiter)"  setzte  in  folgenden  Versen: 

Zaumzeug  erfand  der  Lapith  pelethronschen  Gebirgs  und  die  Kreisung 

Fest  auf  den  Rücken  geschmiegt,  dass  mit  Kunst  der  gewappnete  Reiter 

(eques  sub  armis) 

Durch  das  Gefild  hintrabt,  im  stolzeren  Schritte  sich  tummelt 

An  dieser  Stelle,  wenn  man  nicht  etwa  nur  auf  ungeschickte 
und  unpassende  Weise  übertrieben  spitzfindig  sein  will,  kann 
das  Wort  „eques"  in  keinem  andern  Sinne  genommen  werden, 
als  für  „equus"  stehend;  8.  denn  in  alten  Zeiten  verstand  man 
meistens  unter  „eques"  sowohl  den  Maun,  der  auf  dem  Pferde 
sass,  als  auch  das  Pferd,  auf  dem  der  Reiter  sass  (also  Mann 
und  Ross).  9.  Deshalb  wurde  mit  dem  Worte  „equitare",  wel- 
ches Zeitwort  von  (dem  Genitiv  des  Wortes)  „eques"  abgeleitet 
und  gebildet  worden  ist,  sowohl  ein  Mann  bezeichnet,  der 
eines  Pferdes  (zum  Reiten)  sich  bediente,  als  ein  Pferd,  das 
den  Mann  trägt.  10.  Lucilius,  ein  der  (echt)  lateinischen 
Ausdrucksweise  ganz  kundiger  Dichter,  setzt  „equitare"  mit 
(homogenem  Object)  „equum",  in  folgenden  Versen: 

Quis  hinc  currere  equum  nos  atque  equitare  videmus, 
His  equitat  curritque:  oculis  equitare  videmus; 
Ergo  oculis  equitat,  d.  h. 

Dieses,  wodurch  wir  sehen,  dass  laufe  und  reite  das  Pferd  dort, 
Dadurch  reitet  und  läuft's:  Wir  sehn  mit  den  Augen  es  reiten; 
Also  reitet  es  auch  mit  den  Augen. 

XVIII,  5,  7.  S.  Macrob.  Sat  VI,  9;  Junius  Philarch.  ad  Verg. 
Georg.  III,  115. 

XVIII,  5,7.  Die  L  a  p  i  t  h  e  n ,  Bewohner  Thessaliens  und  des  Pelethron, 
sollen  zuerst  die  Kunst  erfunden  haben,  Pferde  zu  bändigen  und  zuzureiten. 


XVIII.  Buch,  5.  Cap.,  §  11.  12.  -  6.  Cap.,  §1-3.  (415) 


11.  Allein,  fuhr  er  fort,  ich  war  mit  diesen  Beispielen  durch- 
aus noch  nicht  zufrieden  gestellt  und  um  in  meinem  Urtheile 
nicht  unsicher  und  zweifelhaft  zu  bleiben,  sondern  ganz  klar  und 
sicher  zu  werden,  ob  Ennius  wirklich  „equus"  oder  „eques" 
geschrieben  habe,  schonte  ich,  um  diesen  einzigen  Vers  nach- 
zusehen, weder  Mühe  noch  grosse  Kosten,  mir  eine  Ausgabe  von 
höchst  ehrerbietigem  Alter  zu  leihen,  eine  Ausgabe,  von  der 
so  ziemlich  feststand,  dass  sie  von  Lampadio's  eigner  Hand 
verbessert  worden  war,  und  da  fand  ich  denn  auch  in  dem  be- 
treffenden Verse  die  Lesart  „eques",  nicht  aber  „equus"  be- 
stätigt. 12.  Diese  und  viele  andere  dergleichen  ebenso  licht- 
volle, als  belehrende  Bemerkungen  gab  uns  damals  Julianus 
(öfters)  zum  Besten.  Aber  ich  habe  dieselben  später  auch 
in  sehr  bekannten  und  verbreiteten  Erklärungsschriften  ver- 
zeichnet gefunden. 

XVIII,  6,  L.  Dass  Aelius  Melissus  in  seinem  „über  die  eigentlich  sach- 
gemassc  (reine)  Ausdrucksweise  (de  loquendi  proprietate)"  handelnden  Werke, 
welchem  er  bei  seiner  Veröffentlichung  den  (pomphaften)  Titel  „Füllhorn 
(cornu  copiae)"  beilegte,  eine  weder  des  Sagens  noch  Hörens  würdige 
Angabe  macht,  woselbst  er  seine  Meinung  abgiebt,  dass  sich  die  Ausdrücke 
„matrona"  und  „materfamilias"  durch  den  allergehaltlosesten  Unterschied 

unterscheiden  sollen. 

XVIII,  6.  Cap.  1.  Aelius  Melissus  nahm  zu  meiner  Zeit 
unter  den  damaligen  Grammatikern  (zwar)  den  höchsten  Rang 
ein,  zeichnete  sich  jedoch  wissenschaftlich  mehr  durch  (markt- 
schreierische) Prahlerei  und  Spitzfindigkeit  (oo<fioTeia) ,  als 
durch  Sorgfältigkeit  aus.  2.  Ausser  seinen  vielen  anderen 
Schriften  verfasste  er  auch  noch  ein  Buch,  welches  gleich  bei 
seinem  Erscheinen  den  Ruf  umfassender  Gelehrsamkeit  sich 
errang.  3.  Die  Ueberschrift  dieses  Buches  bildet  ein  ganz 
besonderes  Lockmittel  für  die  Leser,  denn  es  verspricht  ja 
Aufschluss  „über  die  eigentlich  sachgemässe  (reine)  Ausdrucks- 
weise (de  loquendi  proprietate)".    Wie  sollte  sich  nun  aber 

XVIII,  5,  11.  C.  Octavius  Lampadio  besorgte  nach  Suet  de 
grammat.  2  (die  Recension  der)  Textausgaben  des  naevischen  bellum 
Punicum.   S.  Sueton  v.  H.  Doergens. 

XVIII,  6,  L.  Aelius  Melissus,  berühmter  Grammatiker  zu  Rom 
und  Zeitgenosse  des  Gellius.  S.  Doergens  Suet.  grammat.  3  u.  21  NB. 
Plin.  h.  n.  33,  29  ;  28,  62;  Mommsen  r.  G.  II,  S.  464. 


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(416) 


XVIII.  Buch,  t).  Cap.,  §3  —  8. 


Einer  einbilden  und  schmeicheln  dürfen,  rein  und  richtig 
sprechen  zu  können,  wenn  er  nicht  vorher  mit  dem  Inhalt 
dieses  Werkes  von  Melissus  sich  ganz  vertraut  gemacht  hat? 
4.  Aus  diesem  Werke  ist  folgende  Stelle:  „matrona  heisst 
eine  Frau,  die  einmal  geboren  hat,  eine  aber,  die  mehrmals 
niedergekommen  war,  hiess  materfamilias,  so  wie  eine 
Sau,  die  einmal  geworfen  hat,  porcetra  heisst,  und  eine, 
die  öfter  geworfen:  scrofa."  5.  Ob  Melissus  nun  aber  diesen 
(sonderbaren)  Unterschied  über  die  beiden  Begriffe  „matrona" 
und  „materfamilias"  selbst  ausgeklügelt  und  sich  zusammen- 
gereimt, oder  ihn  bei  irgend  einem  Andern  geschrieben  ge- 
lesen hat,  dazu  bedarf's  wahrlich  erst  noch  der  Wahrsager. 
6.  Denn  in  Betreff  des  Ausdrucks  „porcetra"  (d.  h.  eine  SauT 
die  einmal  geworfen  hat)  lässt  sich  allerdings  Pomponius 
als  Gewährsmann  anführen,  bei  dem  eine  Posse  dieses  Wort 
als  Ueberschrift  trägt.  7.  Allein,  dass  man  eine  Frau  „ma- 
trona" genannt  haben  soll,  die  nur  erst  einmal  geboren 
hatte,  und  eine  nicht  „materfamilias",  wenn  sie  nicht  öfters 
niedergekommen  war,  dürfte  wohl  durch  keinen  Vertreter 
(  oder  Gewährsmann)  unter  den  alten  Schriftstellern  festgestellt 
werden  können.  8.  Denn  es  möchte  vielleicht  doch  bei 
Weitem  mehr  Wahrscheinlichkeit  für  sich  haben,  was  zu- 
verlässige „Ausleger  alter  Wörter  (vocum  antiquarum  enarra- 
tores)"  berichten,  dass  eine  Frau  ganz  mit  Recht  dann 
„matrona"  genannt  worden  sei,  die  durch  Verheirathung 
in  die  Gewalt  des  Mannes  gekommen  war,  so  lange  sie  in 


XVIII,  tf,  4.  S.  Paulus  S.  125;  Serv.  ad  Verg.  Aen.  XI,  476  und 
Nonius  p.  442,  9  unt.  matrona.  —  Scrofa  (yQouyds),  eine  Sau,  die 
Junge  geworfen  hat  und  zur  Zucht  gehalten  wird,  ein  Mutterschwein,  eine 
Muttersau.   Varro  r.  r.  II,  4,  2.  4;  Colum.  VII,  9,  2. 

XVIII,  6,  b\  L.  Pomponius  Bononiensis,  90  v.  Chr.,  erster 
Atellanendichter,  s.  Gell.  X,  24,  5  NB. 

XVIII,  6,  8.  *)  Vergl.  Gell.  XVIII,  9,  4  de  usu  antiquae  lectionis 
von  Velius  Longus. 

XVIII,  6,  8.  Durch  drei  verschiedene  Arten  von  ehelicher  Verbindung 
(usus ,  confarreatio  und  coemptio  s.  Gell.  III,  2,  13  NB)  kam  bei  den 
Römern  die  Frau  aus  der  Gewalt  des  Vaters  in  die  Gewalt  des  Mannes, 
Cic.  pro  Flacc.  34.  Die  einfachste,  leichteste  Art  der  ehelichen  Verbindung 
ohne  weitere  Festlichkeiten,  wozu  es  nur  der  Einwilligung  des  Vaters  be- 
durfte, oder  dessen,  der  seine  Stelle  vertrat,  war  die,  dass  eine  Frau  mit 


XVDI.  Buch,  6.  Cap.,  §  8.  9. 


(417) 


dieser  Ehe  lebte,  selbst  wenn  sie  noch  keine  Kinder  zur 
Welt  gebracht  hatte,  und  dass  sie  so  genannt  worden  sei 
vom  Mutter-Namen,  nicht  weil  sie  diesen  Namen  durch  eine 
bereits  erfolgte  Niederkunft  schon  zu  eigen  hatte,  sondern  in 
der  Hoffnung  und  Erwartung,  ihn  in  der  Folge  zu  bekommen. 
9.  Von  diesem  Begriff  „Mutter  (mater)"  ist  ja  auch  selbst 
der  Name  „matrimonium"  hergenommen;  „materfamilias"  soll 
aber  allein  die  genannt  worden  sein,  welche  (per  coemptionem) 
in  die  Gewalt  und  das  Eigenthum  (in  manu  mancipioque) 
des  Mannas  überging,  oder  auch  (im  Fall  die  sich  Ver- 


einem  Manne  ein  ganzes  Jahr  zum  Zweck  eines  zu  schliessenden  Ehe- 
bündnisses (matrimonii  causa)  zusammenlebte,  ohne  drei  Nächte  von  ihm 
abwesend  zu  sein.  Auf  diese  Art  wurde  sie  des  Mannes  gesetzmässige 
Frau  und  durch  Verjährung  sein  Eigenthum,  weil  bei  gewöhnlichen  be- 
weglichen Sachen  durch  die  Besitzdauer  eines  Jahres  das  Eigenthumsrecht 
an  dem  Besitze  rechtlich  erworben  wurde.  Man  nahm  also  ein  frei- 
geborenes Frauenzimmer  zu  sich  und  wenn  man  mit  ihr  ein  ganzes  Jahr 
im  Ehestande  gelebt,  ohne  dass  die  Frau  zur  Verjährungsunterbrechung 
einmal  drei  Nächte  lang  von  ihrem  Manne  entfernt  gewesen  war,  oder  wie 
es  in  den  zwölf  Tafeln  hiess  s  trinoctiom  usurpatum  ieret,  so  ward  sie  als 
rechtmässige  Ehefrau,  usu,  angesehen.  Ovid.  Fast,  in,  395.  Der  Mann 
erhielt  dadurch  das  volle  Recht  über  das  Vermögen  seiner  Frau  und  sie 
kam  wie  eine  Tochter  in  seine  Gewalt.  S.  Dion.  Hai.  II,  25.  Wenn  sie 
also  durch  die  usucapio  nicht  in  die  Gewalt  ihres  Mannes  kommen  wollte 
(non  convenire  in  manum  mariti),  so  hielt  sie  sich  drei  Nächte  lang  von 
ihm  entfernt.  S.  Gell.  III,  2,  12.  Sie  blieb  nun  in  der  Gewalt  ihres 
Vaters  und  unter  dem  Schutze  ihrer  Verwandten  und  wurde  nicht  mater- 
familias  (gesetzmässige  Frau),  sondern  matrona.  Aus  eben  dieser 
Ursache  wurde  sie  auch  nicht  Erbin  ohne  ein  Testament  (ab  intestato) 
und  der  Mann  empfing  nicht  alle  ihre  Güter  als  Morgengabe.  Cfr.  Heinecc. 
ad  Inst.  Just.  L.  I  tit  1  §  14;  Cic.  Top.  3,  14;  Serv.  zu  Verg.  Aen.  XI, 
476.    S.  Plaut.  Trin.  III,  2,  65  [691];  Liv.  X,  23. 

XVIII,  6,  9.  manus  im  engeren  Sinne  s.  v.  a.  potestas  und  man- 
cipium,  die  Gewalt  des  Hausvaters  überhaupt,  im  eigentlichen  Sinne  aber 
die  Gewalt  des  Mannes  über  seine  Frau.  S.  Savigny  II,  499.  Eine  Frau, 
die  früher  sui  juris  gewesen,  erlitt  durch  die  in  manum  conventio  eine 
capitis  deminutio,  verminderte  also  ihre  Rechtsfähigkeit  und  trat  aus  der 
angeborenen  Familie  in  die  des  Mannes  über.  Sie  gehörte  dem  Gatten 
wie  eine  Tochter  an  (filiae  loco)  und  war  ganz  in  dessen  Familie  und 
Agnationsverband  übergetreten.  Sie  wurde  Schwester  ihrer  eigenen  Kinder 
und  ihrer  Stiefkinder.  —  Dadurch  bekam  sie  Erbrechtsansprüche  in  der 
Familie  ihres  Mannes.  Gaj.  II,  159;  HI,  3.  14.  40;  Ulpian.  XXII,  14. 
23,  3;  XXIX,  1;  Dion.  Halic.  II,  25. 

Göll  ins,  Attische  Nflchte.   II.  .  27 


(418)  XVIII.  Buch,  6.  Cap.,  §9.-7.  Cap.,  §  1  —  3. 


bindenden  noch  in  väterlicher  Gewalt  waren)  in  die  Gewalt 
und  das  Eigenthum  Dessen,  in  der  ihr  Ehegatte  stand;  weil 
sie  nicht  nur  in  die  eheliche  Verbindung  getreten,  sondern 
auch  in  die  Verwandtschaft  des  Ehegatten  und  an  die  Stelle 
seines  natürlichen  Erben  gekommen  war. 

XVIII,  7,  L.    Auf  welche  Weise  Favorinus  sich  ausliess  über  das  un- 
geschliffene Benehmen  (eines  Grammatikers)  bei  der  Bitte  um  eine  Aus- 
kunft „über  die  Doppelbedeutungcn  gewisser  Wörter";  ferner  Angabe,  wie 
viel  Bedeutungen  das  Wort  „contio"  hat. 

XVIII,  7.  Cap.  1.  In  Rom  gab  es  einen  berühmten 
Grammatiker  Domitius,  der  ein  gelehrter  Mensch  war  und, 
weil  er  in  seinem  Wesen  etwas  Ungefüges  und  Eigensinniges 
hatte,  den  Beinamen  Insanus  (der  Unwirsche,  Heftige,  Ver- 
driessliche)  erhielt.  2.  Als  unser  Favorin ,  in  dessen  Beglei- 
tung ich  mich  befand,  diesem  Domitius  (einst)  zufällig  am 
Tempel  der  Weissagerin  (apud  fanum  Carmentis)  begegnete, 
richtete  er  die  Frage  an  ihn :  Ich  bitte  Dich,  gelehrter  Mann, 
sage  mir  doch,  ob  ich  Unrecht  gethan  habe,  als  ich  das  Wort 
„contiones"  brauchte,  in  der  Absicht  lateinisch  das  Wort: 
de^yogiat  (Volks -Staats -Reden)  wiederzugeben?  Ich  bin 
nämlich  noch  nicht  im  Klaren  und  möchte  gern  wissen,  ob 
Einer  von  den  Alten,  die  sehr  gewählt  sprachen,  das  Wort 
„contio"  in  dem  Sinne  von :  Rede  und  Vortrag  gebraucht  hat. 
3.  Darauf  versetzte  Domitius  in  strengem  Tone  und  düsterer 
Miene:  Nun  hört  aber  doch  wahrhaftig  alle  Gemüthlichkeit 
gänzlich  auf  (nulla  prorsus  bonae  salutis  spes  reliqua  est), 
wenn  auch  ihr  grossen  Lichter  unter  den  Philosophen  euch 
erst  noch  um  die  Wörter  und  ihre  genaue  Bedeutung  be- 
kümmert.  Ich  werde  Dir  aber  ein  Werk  schicken,  worin  Du 


XVIII,  7,  L.  Quem  in  modum  Favorinus  tractaverit  intempestivum 
q.  d.  v.  a.  quaer entern;  allein  nicht  der  Grammatiker  stellte  die  Frage, 
sondern  Favorin!! 

XVIII,  7,  2.    Ueber  Carmentis  s.  Gell.  XVI,  16,  1  NB. 

XVIII,  7,  3.  Bernh.  röm.  Lit.  123,  570  sagt:  Die  Persönlichkeit  der 
meisten  Philosophen  erschien  gleich  mittelmässig  im  Leben,  wie  in  ihrer 
Darstellung.  —  Bei  Plutarch:  politische  Lehren  cap.  5  lautet  ein  Vers 
des  Euripides  (Fragm.  977  ed.  Nauck): 

0  wäre  sprachlos  doch  der  Sterblichen  Geschlecht. 


XVIII.  Buch,  7.  Cap.,  §3  —  5. 


(419) 


finden  kannst,  was  Du  suchst.  Ich  bin  nämlich  ein  Gramma- 
tiker (mich  kümmert  nur  die  Wirklichkeit),  mein  ganzes 
Streben  ist  nur  auf  die  Kenntniss  des  Lebens  und  der  Sitten 
gerichtet;  ihr  Philosophen  freilich  seid  nach  dem  Ausspruch 
des  M.  Cato  wahrhaftig  reine  todte  Wörterbücher  (mera  mor- 
tualia),  denn  ihr  nutzt  den  Wörtchenkram  und  sonstigen  häss- 
lichen,  unnützen,  gehaltlosen  Krimskrams  gerade  so  aus,  wie 
die  Klagelaute  der  Leichen-Miethweiber.  Ach,  rief  er,  möch- 
ten doch  alle  Menschen  stumm  sein,  die  Schlechtigkeit  würde 
dann  weniger  Unterstützung  (und  Helfershelfer)  aufzuweisen 
haben.  4.  Als  wir  uns  (nun  von  ihm)  entfernt  hatten,  sagte 
Favorin:  Wir  kamen  dem  Manne  nicht  recht  gelegen.  Ich 
glaube  aber,  dass  er  eben  wieder  einmal  eine  Anwandlung 
(von  böser,  übler  Laune)  hatte  (emo^aivea^ai).  Ihr  müsst 
jedoch  wissen,  sagte  er,  dass  dergleichen  Verdrossenheit  (und 
Missstimmung),  welche  man  (im  Griechischen)  gewöhnlich  mit 
dem  Worte  ^elayxolia  (Trübsinnigkeit  und  Schwermüthigkeit) 
bezeichnet,  nicht  gerade  niedrigen  und  geringen  Geistern  zu 
eigen  ist,  sondern  dass  eine  solche  (heftige)  Auf  wall  ung*) 
fast  immer  für  das  Anzeichen  eines  (Riesengeistes  oder  Geistes-) 
Heros  gelten  kann  und  meist  den  sichersten  Beweis  von  einem 
freimüthigen  Geständniss  der  Wahrheitsliebe  ablegt,  freilich 
ohne  jedwede  Rücksichtnahme  auf  Zeit  noch  Mass.  Allein 
was  haltet  ihr  wohl  von  diesem,  seinem  (letzten)  Ausspruch, 
den  er  über  die  Philosophen  gethan?  Glaubet  ihr  nicht,  dass, 
wenn  diese  seine  Aeusserung  ein  Antisthenes,  oder  ein  Dio- 
genes gethan  hätte,  dieselbe  (dann  von  uns  Allen)  für  (ewig) 
denkwürdig  würde  gehalten  worden  sein?  5.  Bald  nachher 
aber  schickte  er  dem  Favorin  auch  wirklich  das  versprochene 
Buch.  Ich  glaube,  es  war  das  des  Verrius  Fl  accus,  worin 
folgende,  auf  obige  Frage  bezügliche  Stelle  vorkam :  dass  das 
Wort  „senatus"  sowohl  vom  Orte,  als  auch  von  Personen  zu 
verstehen  sei ;  das  Wort  „civitas"  sowohl  in  örtlicher  Beziehung 
vom  Staat  und  von  der  Stadt,  wie  auch  von  der  allgemeinen 
Gerechtsamkeit  (dem  Bürgerrecht)  und  endlich  vom  gesamm- 
ten  Bürgerthum  (als  Staatsgemeinde)  gesagt  werde;  auch  die 

XVIII,  7,  4.   *)  Vergl.  Aristot.  probl.  30,  1. 

XVIII,  7,  5.   Ueber  Verrius  Flaccus  s.  Gell.  V,  17,  1  NB. 

27* 


(420) 


XVm.  Buch,  7.  Cap.,  §5  —  9. 


Wörter  „tribus"  und  „decuriae"  brauche  man  bezüglich  des 
Orts,  dann  des  Rechts,  und  endlich  der  Personen ;  6.  das  Wort 
„contio"  aber  bezeichne  eine  dreifache  Beziehung :  erstlich  den 
Ort  und  die  (erhöhte)  Tribüne,  von  wo  aus  geredet  würde, 
7.  wie  Cicero  in  seiner  Rede  sagt,  welche  den  Titel  führt: 
„contra  contionem  Q.  Metelli  (gegen  den  Vortrag  des  Q.  Me- 
tellus)",  wo  es  heisst:  „Ich  stieg  hinauf  auf  die  Rednerbühne 
(escendi  in  contionem),  es  fand  ein  grosser  Volksauf  lauf  statt" ; 
sowie  ferner  derselbe  M.  Cicero  in  seinem  „Redner  (orat.  50, 
168)u  sagt:  „ich  hörte  oft  ganze  Versammlungen  (contiones) 
Beifall  rufen,  wenn  (nur)  die  Worte  einen  passenden  (harmo- 
nisch klingenden)  Schlussfall  hatten.  Denn  das  Ohr  erwartet, 
dass  die  Gedanken  in  Worten  schicklich  (periodisch)  verknüpft 
werden;"  8.  ferner  bezeichne  das  Wort  contio  ebenfalls  die 
Versammlung  des  anwesenden,  beiwohnenden  Volkes;  des- 
gleichen auch  noch  die  Rede  selbst,  welche  an  das  Volk 
gehalten  würde,  wofür  ich  freilich  in  dem  Buche  keine  Bei- 
spiele verzeichnet  fand.  Ich  aber  zeigte  später  dem  Favorin 
auf  sein  Verlangen  die  von  mir  bei  Cicero,  wie  ich  schon 
oben  erwähnte,  und  auch  die  bei  den  besten  unserer  alten 
Schriftsteller  aufgefundenen  (und  ausgezogenen)  Beweisstellen 
für  alle  diese  (verschiedenen)  Bedeutungen.  9.  Worauf  es  aber 


XVIII,  7,  6.  Contio  eine  Zusammenziehung  von  conventio,  cfr. 
Gell.  XIII,  16,  1  (XV,  27,  4). 

XVIII,  7,  7,  In  Folge  der  Wendung:  escendere  in  contionem  von 
dem  Auf-  und  Hinausgange  auf  die  Rednerbühne  des  Forums,  um  zum 
Volke  zu  sprechen,  scheint  hier  Verrius  Flaccus  eine  besondere  Bedeutung 
von  contio  für  Rednerbühne  angenommen  zu  haben.  Klotz  lat  Lex.  be- 
hauptet, dass  dies  mit  Unrecht  geschehen  sei.  Derselben  Meinung  ist 
auch  Lange  röm.  Alterth.  §  134  S.  (604)  665,  welcher  zeigt,  dass  der 
Grund  dieses  Missverständnisses  nur  darin  zu  suchen  ist,  dass  Gellius  in 
der  Redensart  escendere  in  contionem  den  präpositionalen  Ausdruck  local 
aufgefasst  hat« 

XVIII,  7,  8.  S.  Cic.  Flacc.  7,  16;  Sest  59,  127.  In  den  römischen 
Volksversammlungen  (Comitia,  wie  Contionen)  verweilte  das  Volk  stehend, 
die  Griechen  in  den  ihrigen  sitzend.  S.  Lange  röm.  Alterth.  §  119  S.  (398) 
429.  —  Reden,  in  denen  der  Magistrat  dem  coetus  populi  adsistentis  die 
Mittheilungen  machte,  wegen  deren  er  das  Volk  berufen  hatte,  und  die  je 
nach  Umständen  ruhig  oder  mit  Geschrei  angehört  wurden,  wurden  gleich- 
falls Contiones  genannt,  so  z.  B.  Cicero's  2.  und  3.  Catilinaria.  S.  Lange 
röm.  Alterth.  §  134  S.  (604)  666  weitere  Beispiele. 


XVni.  Buch,  7.  Cap.,  §9.-8.  Cap.,  §  1.  2.  v_ 

hauptsächlich  ankam,  zu  erforschen,  dass  das  Wort  „contio" 
in  dem  Sinne  von  Vortrag  und  Rede  gesagt  worden  sei,  da- 
für lieferte  vollständigen  Beweis  die  Ueberschrift  jenes  Werkes 
von  Tullius  (Cicero),  das  von  M.  Cicero  (selbst)  überschrieben 
worden  ist:  „contra  contionem  Q.  Metelli  (d.  h.  gegen  den 
Vortrag  des  Q.  Metellus)",  womit  in  der  That  nichts  weiter 
gemeint  sein  kann,  als  eben  die  besagte,  vom  Metellus  ge- 
haltene Rede. 

XVIII,  8,  L.    Dass  Sätze  oder  Verse  mit  gleichem  Ausgangsreime  und 
andere   derartige  Gleichklänge   (6fj.oioriX€VT(t    xal  o/LtoionTUTa),  welche 
gewöhnlich  für  Redeschmuck  gehalten  werden ,  läppisch  seien  und  von 
Lucilius  in  einigen  seiner  Verse  für  Kindereien  erklärt  werden. 

XVIII,  8.  Cap.  1.  Lucilius  hat  im  5.  Buche  seiner  Satiren 
wahrlich  auf  höchst  geistvolle  Weise  darauf  angespielt,  wie  es 
nichts  Einfältigeres,  Ungeschickteres  und  Kindischeres  geben 
könne,  als  jene  ähnlichen  Endklänge  (6f.ioioTiXevra),  jenes  Gleich- 
klangsgekhngle  (iGo/.axuXr^xa),  jenes  (anklingende)  Ausgangs- 
gereime (TtaQioa)  und  viele  andere  derartige  (absichtlich  ge- 
suchte) Schnörkeleien  {pixoi67vxvnct) ,  welche  jene  geschmack- 
losen (pedantischen  Schöngeister,  auuqoAciKoC) ,  die  gar  so 
gern  für  Nacheiferer  des  Isocrates  gelten  möchten,  bei  An- 
ordnung und  Aufstellung  der  Ausdrücke  (in  ihrer  Anmassung) 
ohne  End  und  Ziel  und  auf  ekelhafte  Weise  an  den  Mann 
zu  bringen  suchen.  2.  Denn  nachdem  Lucilius  sich  gegen 
den  Freund  in  Klagen  ergangen  hat,  dass  er  ihn  während 
seines  Krankseins  nicht  besucht  habe,  fügt  er  launiger  Weise 
Folgendes  hinzu: 

Quo  me  habeam  pacto,  tarn  etsi  non  quaeris,  docebo; 
Quando  in  eo  numero  mansti,  quo  in  maxima  nunc  est 
Pars  hominum,  ut  periisse  velis,  quem  visere  nolue- 
ris,  cum  debueris.   Hoc  „nolue"  et  „debueris"  te 
Si  minus  delectat,  quod  au^vov  et  Eisocratium  est 
Oxkrjgov  que  simul  totum  ac  ovfijuetQaxidities, 
Non  operam  perdo.   Si  tu  hie  [."  ],  d.  h. 

Wie  ich  befinde  mich  jetzt,  ich  verkünd*  es,  obgleich  Du  mich  nicht  fragst, 
Da  Du  gerad'  es  so  machest,  wie's  jetzt  von  den  Meisten  gemacht  wird, 


XVIII,  8,  L.  Vergl.  Quintil.  9,  3,  76—80.  ^otonxtaxu ,  Gleichheit 
der  Casus- Endungen.  Sext.  Empir.  adv.  Math.  II,  57;  Plut  mor.  Ob  die 
Athener  im  Kriege  oder  in  der  Weisheit  berühmter,  8. 


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(422)  XVm.  Buch,  8.  Cap.,  §2.-9.  Cap.,  §  1.  2. 

Dass  Du  den  Tod  lieber  wünschest  dem,  dem  Du  nicht  wünschtest 

ihn,  wenn  Du 

Müsstest  besuchen  ihn  nicht    Wenn  dies  mein  „Wünschtest  und 

Müsstest" 

Dir  etwa  wen'ger  behagt,  nur  weil's  isocratisch,  unkunstrecht  («rf/rov) 
Lastig  (oyltiiKtv)    dazu  vielleicht   und   ganz  ausserordentlich  kindisch 

((Jvfi/JttoftxtöjiSts), 

Geb'  ich  es  gerne  Dir  preis.   Wenn  Du  hier  

XVIII,  9,  L.  Was  bei  M.  Cato  der  Ausdruck  „insecenda"  (ansagen,  nennen) 
bedeutet;   dass  man  nicht  „insequenda"  lesen  müsse,  wie  Viele  meinen, 

sondern  vielmehr  „insecenda". 

XVIII,  9.  Cap.  1.  In  einem  alten  Buche,  worin  die 
„Rede  des  Marcus  Cato"  stand,  die  er  „im  Betreff  des  Ptole- 
maeus  (Euergetes  IL)  gegen  den  Therm us"  gehalten,  stand 
Folgendes  geschrieben:  „Allein  wenn  er  dies  Alles  aus  Heim- 
tücke (und  Niedertracht)  that,  Alles  aus  Habsucht  und  Geld- 
gier that,  (lauter)  solche  verruchte  Verbrechen,  wie  uns  (der- 
gleichen) weder  durch  Hörensagen,  noch  durch  Lecture  be- 
kannt geworden,  so  muss  man  ihm  die  härteste  Strafe  für 

seine  (Frevel-)  Thaten  zuerkennen  [  ]."    2.  Man  hat 

vielfach  gefragt,  was  der  Ausdruck  „insecenda"  heissen  soll. 
Da  befanden  sich  nun  unter  den  Anwesenden  zwei  Männer,  der 
Eine  ein  Halb  wisser,  der  Andere  ein  wissenschaftlich  Gebil- 
deter, d.  h.  Jener  ein  Sprachlehrer,  Dieser  ein  (wirklich)  Ge- 
lehrter. Diese  Beiden  nun  waren  unter  einander  verschiedener 
Ansicht,  und  der  Grammatiker  (das  eben  besagte  Sprachlehrer- 


XVUI,  8,  2.  Der  Dichter  Lucilius  schreibt  nach  überstandener 
Krankheit  an  einen  Freund,  der  sich  wahrscheinlich  viel  mit  Rhetorik 
befasste.  Er  ergeht  sich  im  Scherz  über  die  rhetorischen  Vorschriften  des 
Isocrates  (436  —  338  v.  Chr.)  zunächst  in  Bezug  auf  die  Gleichklänge  in 
„wünschtest  und  müsstest"  (im  Lateinischen :  nolucris  und  debueris).  Diese 
rhetorischen  Regeln  missbrauchten  viele  geistlose  Pedanten  {anuooxctkoi) 
auf  die  lächerlichste  Weise.  «Vf/ror,  i.e.  unkünstlerisch;  6/lrjQor,  lästig; 
avfiu iiQaxi  tfi&t ?,  kindisch. 

XVIII,  9,  1.  Ptolemaeus  VII.  von  Aegypten,  Euergetes  IL,  genannt 
Physkon  (Schmeerbauch) ,  Nachfolger  seines  Bruders  Philometor.  Justin. 
38,  8;  Strabo  17,  795  IT.;  Athen.  4,  184;  12,  549.  —  Q.  Minucius 
Thermus  hatte  sich  als  Consul  in  Ligurien  die  schändlichsten  Grausam- 
keiten zu  Schulden  kommen  lassen.  S.  NB  zu  Gell.  X,  3,  17  und  XIII, 
25  (24),  12. 


XVIII.  Buch,  9.  Cap.,  §3—5. 


(423) 


Individuum)  behauptete  [  ],   3.  sagte,  es  müsse  „inse- 

quenda"  heissen  und  nicht  „insecenda",  weil  „insequens"  die 

Bedeutung  enthalte  [  ]  und  nach  Ueb erlief erung  in- 

.seque  gleichsam  (soviel)  heisse  (als):  perge  dicere  und 
insequere,  d.  h.  fahre  fort  zu  erzählen  und  setze  weiter  fort 
(die  Erzählung),  wie  es  ja  auch  bei  Ennius  in  folgenden 
Versen  geschrieben  steht: 

Inseque,  Musa,  manu  Romanorum  induperator 
Qu  od  quisque  in  hello  gessit  cum  rege  Philippo,  d.  h. 

Sage,  o  Muse,  mir  an  die  eigenhändigen  Thaten 

Unserer  Führer  des  Heers  im  Krieg  mit  Philippus  dem  König. 

4.  Der  Feingebildetere  versicherte,  es  liege  hier  durchaus 
kein  Fehler  vor,  sondern  sei  ganz  richtig  und  sprachrein  ge- 
schrieben, und  man  müsse  dem  nicht  ungelehrten  Velius 
Long us  Glauben  schenken,  welcher  in  seiner  Erklärungs- 
schrift, die  er  „über  den  Gebrauch  einer  veralteten  Ausdrucks- 
weise (de  usu  antiquae  lectionis)"  verfasste,  schreibt,  es  sei 
bei  Ennius  nicht  „inseque"  zu  schreiben,  sondern  „insece"  und 
deshalb  seien  von  den  Alten  insectiones  (Erzählungen)  genannt 
worden,  was  man  durch  „narrationes"  bezeichnet  und  auch 
Varro  habe  folgenden  Vers  des  Plautus  aus  den  Menaechmen 
(Zwillingen,  V,  7,  57  [1015]): 

Nihilo  +  minus  esse  videntur  sectius,  quam  somnia,  d.  h. 

Denn  mir  scheint  dies  Alles  gar  nichts  Andres,  als  ein  Traum  zu  sein, 

so  erklärt:  nihilo  magis  narranda  esse  (videntur),  quam  si  ea 
essent  somnia,  d.  h.  um  nichts  mehr  (d.  h.  ebensowenig)  erzählens- 
werth  sei  es,  als  ob  Alles  ein  Traum  (Trugbild)  sei.  Darüber 
stritten  sich  also  nun  die  (Beiden)  mit  einander.  5.  Ich  bin 
der  Ansicht,  dass  vom  M.  Cato  „insecenda"  und  vom  Q.  Ennius 
„insece"  geschrieben  worden  sei,  (beide  Male)  ohne  „uM.  Ich 
fand  nämlich  in  der  Bibliothek  zu  Patrae  (in  Achaja)  eine 


XV IH,  9,  3.  Insece  s.  Paul.  S.  111  und  Placidus  p.  477:  insequis, 
narras,  refers  et  interdum  pergis.  —  Induperator  =  imperator,  vergl. 
Gell.  I,  25,  17  NB  indu  =  in. 

XVIII,  9,  4.  Die  Erklärungsschrift  des  Velius  iLongus  „de  usu 
antiquae  lectionis"  war  eine  Sammlung  von  altertümlichen  Wörtern  und 
Structuren.  .m  S.  Bernhardy  röm.  Lit.  56,  227.  Vergl.  Gell.  XVIII,  6,  8 
„vocum  antiquarum  enarratores"  und  Teuffels  Gesch.  der  röm.  Lit.  338,  2. 

XVIII,  9,  5.   S.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  §  92,  0. 


i » 


(424)  XVIIL  Buch,  9.  Cap.,  §  5—10. 

Ausgabe  von  der  Odyssee  des  Livius  Andronicus,  eine  Aus- 
gabe von  glaubwürdigem  Alter,  wo  im  Anfangsvers  das  Wort 
insece  ohne  „u"  geschrieben  stand: 

Virum  mihi,  Camena,  insece  versutum,  d.  h. 

Sag*  an,  Camena,  mir  den  Helden,  den  verschmitzten, 

(offenbar)  eine  Nachahmung  des  bekannten  homerischen  Verses 
(des  Anfangsverses  der  Odyssee): 

avÖQtt  poi  üvv£7i6,  Movoa,  nokvrQonov,  d.  h. 
Nenne  mir,  Muse,  den  Mann,  den  vielgewandten. 

Ich  schenke  also  hierin  mein  volles  Vertrauen  der  Ausgabe 
von  so  hohem  Alter  und  so  grosser  Glaubwürdigkeit.  6.  Denn 
das  aus  dem  Plautus  entlehnte  Beispiel :  sectius  quam  somnia 
(anders  als  Träumereien)  kann  nichts  dafür,  noch  dagegen 
beweisen.  7.  Wenn  gleich  ich  sehr  gern  glauben  will,  dass 
die  Alten  nicht  inseque,  sondern  insece  (also  c  für  qu  oder  k) 
sagten,  weil  es  sich  weicher  und  leichter  aussprechen  Hess, 
so  scheint  doch  mit  den  beiden  Ausdrücken  ein  und  derselbe 
Begriff,  eine  und  dieselbe  Bedeutung  verbunden  werden  zu 
müssen.  8.  Denn  im  Sprachgebrauch  unterscheiden  sich  aller- 
dings sowohl  „sequo"  und  „sequor",  als  auch  „secta"  und 
„sectio",  allein  bei  genauerer  Betrachtung  wird  man  leicht 
von  beiden  einen  und  denselben  Ursprung  (der  Abstammung) 
und  eine  und  dieselbe  Stammbedeutung  herauserkennen.  9. 
Auch  die  Lehrer  und  Erklärer  griechischer  Ausdrücke  sind 
der  Ansicht,  dass  das  Homerische: 

avJQa  pot.  „tvv£ntu  Movoa,  nenne  mir  Muse  den  Mann  (aus  Odyssee  1,1) 
und 

taners  vvv  pot,  Movoac,  nennet  anjetzt  mir,  Musen  (aus  Iliade  II,  484), 

also  dieses  Ausdruckspaar  „twene  und  Honm"  entsprechend 
durch  das  lateinische  Wort  „inseque"  ausgedrückt  sei;  denn 
sie  sagen,  in  dem  einen  (zwene)  sei  nur  das  v  verdoppelt,  in 
dem  andern  (eofcere)  das  g  zugesetzt  worden.  10.  Sie  nehmen 
aber  auch  an,  dass  das  Wort  Ikiy,  was  Wörter  (verba)  oder 
Rede  (Lied,  Spruch,  versus)  bedeutet,  nicht  anders  woher 
seine  Abstammung  habe,  als  von  &ce<j&at,  (sequi,  folgen)  und 


XVIII,  9,  10.  Inseco,  wahrscheinlich  vom  Griechischen  *Vrw  und 
€ff7rw,  i.  e.  dico,  gleichwie  üno^iat,  oder  lano^iai  das  Lateinische 
sequor  ist. 


xl  by  Google 


XVHI.  Buch,  9.  Cap.,  §  11.  —  10.  Cap.,  §  1-5.  (425) 

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von  utzüv  (secere,  dicere,  fari,  sagen,  ansagen).  11.  Ganz 
ebenso  brauchten  unsere  Altvordern  für  die  Begriffe :  narratio- 
nes  sermonesque  (Erzählungen  und  Unterhaltungen)  den  (für 
uns  archaistischen)  Ausdruck:  insectiones. 

XVIII,  10,  L.  Dass  Diejenigen  sich  irren,  die  glauben,  dass  bei  Ermittlung 
eines  Fieberkrankheitsgrades  der  Schlag  der  Blutadern  untersucht  werde 

und  nicht  vielmehr  der  der  Pulsadern. 

XVIII,  10.  Cap.  1.  Ich  hatte  mich  mitten  im  heissen 
Sommer  auf  das  im  attischen  Gebiete,  bei  dem  sogenannten 
Flecken  Cephisia  gelegene  Landgut  des  höchst  berühmten  und 
hochgestellten  Herodes  (Atticus)  begeben,  einer  wälder-  und 
quellenreichen  Aue.  2.  Daselbst  hatte  ich  mir  (durch  eine 
Erkältung)  den  Durchfall  zugezogen  in  Begleitung  eines  sehr 
heftigen  Fiebers  und  lag  (deshalb  ernstlich)  krank  darnieder. 
3.  Als  nun  ebendahin  der  Philosoph  Calvisius  Taurus  mit 
einigen  Andern  seiner  Schüler  und  Anhänger  von  Athen 
heraus  mich  zu  besuchen  gekommen  waren,  sass  gerade  der 
Arzt,  den  man  in  dieser  Gegend  (für  mich)  ermittelt  hatte,  an 
meinem  Lager  und  stattete  dem  Taurus  auch  sofort  Bericht 
ab,  an  was  für  einer  Beschwerde  ich  litt,  und  unter  welchen 
Krankheits  -  Stadien  .(Verläufen)  und  Unterbrechungen  das 
Fieber  käme  und  auch  wieder  nachlasse.  4.  Als  dieser  Arzt 
da  gesprächsweise  bemerkte,  dass  es  mit  meinem  Leibes- 
befinden schon  etwas  besser  gehe,  sagte  er  noch  zum  Taurus : 
Du  kannst  ja  das  Alles  selbst  gleich  in  Erfahrung  bringen, 
eav  aiprj  avxov  wjg  (pleßog,  was  in  unserer  Sprache  ganz  und 
gar  nichts  Anderes  heisst,  als:  wenn  Du  ihm  nur  an  seine 
Blutader  fühlen  willst.  5.  Als  die  mit  dem  Taurus  herbei- 
gekommenen Gelehrten  diese  einfäjtige  Aeusserung  gehört, 
wie  er  Blutader  für  Pulsader  sagte,  und  an  ihm,  als  an 
einem  nichts  weniger  als  tüchtigem  Arzte  Anstoss  genommen 
hatten  und  dies  durch  (unruhiges)  Gemurmel  und  durch  ihre 
(lächelnde)  Miene  offen  zu  erkennen  gaben,  sagte  Taurus  in 
seinem  gewöhnlichen  besänftigenden  und  höchst  milden  Tone : 
Wir  sind  versichert,  lieber,  guter  Mann,  dass  Dir  nicht  unbe- 
kannt sein  kann,  was  man  Blutader  und  was  man  Pulsader 
nennt,  weil  die  Blutadern  ihrem  eigensten  Wesen  nach  (für 
sich)  keine  Bewegung  haben  und  nur  (bei  Aderlässen)  zur 


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(426) 


XVm.  Buch,  10.  Cap.,  §5  —  11. 


Blutabzapfung  aufgesucht  werden,  die  Pulsadern  aber  durch 
ihre  Beschleunigung  und  Heftigkeit  die  Beschaffenheit  und 
den  Grad  der  Fieber(krankheiten)  anzeigen;  6.  allein  ich 
sehe  wohl,  dass  Du  mehr  nach  allgemeinem  Gebrauch,  als 
aus  Unkenntniss  so  Dich  ausgedrückt  hast,  denn  ich  habe 
nicht  Dich  allein,  sondern  auch  noch  viele  Andere  irriger 
Weise  die  Blutader  für  die  Pulsader  nennen  hören.  7.  Lass' 
uns  nun  vor  allen  Dingen  erfahren,  dass  Du  im  Heilen  (und 
Curiren)  geschickter  bist  (elegantiorem  esse  te),  als  im 
Sprechen,  und  mit  der  Götter  gütiger  Hülfe  thue  der  Krank- 
heit Einhalt  und  mache  uns  vor  Allem  sobald  als  möglich 
unseren  lieben  Freund  wieder  gesund  und  kräftig.  8.  Wenn 
ich  nun  später  einmal  an  den  diesem  Arzte  widerfahre- 
nen Vorwurf  mich  erinnere,  habe  ich  oft  bei  mir  gedacht, 
dass  es  nicht  nur  für  einen  Arzt  schimpflich  sei,  sondern 
auch  für  jeden  frei  gebildeten  und  anständig  erzogenen  Men- 
schen, wenn  er  nicht  einmal  Das,  was  zur  richtigen  Vor- 
stellung und  Kenntniss  über  unseren  Körper  unbedingt  erfor- 
derlich ist,  was  uns  gar  nicht  so  tief  und  so  verborgen  liegt, 
sich  anzueignen  verstand,  und  was  uns  nach  dem  Willen  der 
Natur  zum  Schutz  unserer  Gesundheit  so  einleuchtend  und  so 
sichtbar  nahe  gelegt  ist.  Daher  habe  ich,  soviel  ich  immer 
von  meiner  Zeit  erübrigen  konnte,  mich  auch  mit  solchen 
Werken  über  Medicin  befasst,  die  ich  für  geeignet  zu  meiner 
Belehrung  hielt,  und  glaube  daraus  mir  so  Vielerlei  zu  Nutze 
gemacht  zu  haben,  was  sowohl  der  Verwerthung  zu  menschen- 
freundlichen Zwecken  nicht  fern  liegt,  als  auch  Beziehung  hat 
auf  die  Blutadern  und  Pulsadern,  und  fasse  es  in  folgende 
Erklärung  zusammen:  9.  Die  Blutader  (vena),  von  den  Aerzten 
ayyeiov  genannt,  ist  ein  Behältniss  für  das  mit  geistigem 
Hauch  vermischte  und  vermengte  Blut,  worin  jedoch  mehr 
Blut,  weniger  feine  Luft  enthalten  ist :  Die  Puls-(Schlag-)Ader 
(arteria)  aber  ist  das  Behältniss  für  den  geistigen  Hauch, 
vermischt  und  vermengt  mit  Blut,  worin  jedoch  den  über- 
wiegenden Theil  der  geistige  Hauch  bildet  und  den  minderen 
das  Blut.  10.  Der  Pulsschlag  (aqmyfiSg)  ist  ein  natürliches 
und  unwillkürliches  Bewegungsvordrängen  oder  ein  Bewegungs- 
nachlassen im  Herzen  und  in  der  Pulsader.  11.  Diese  Er- 
klärung nun  ist  von  den  alten  Aerzten  in  griechischer  Sprache 


XVin.  Buch,  10.  Cap.,  §  11.  —  11.  Cap.,  §  1—4.  (427) 


gegeben  worden  und  der  Pulsschlag  von  ihnen  genannt  wor- 
den: eine  unvorsätzliche  Ausdehnung  oder  Zusammenziehung 
der  Pulsader  und  des  Herzens. 

XVIII,  11,  L.  Ausdrücke  ans  den  Gedichten  des  Furius  Antias,  vom 
Caesellius  Vindex  unkluger  Weise  getadelt.  Anführung  der  Verse, 
worin  die  vermeintlichen  (fehlerhaft  gehaltenen)  Ausdrücke  sich  vorfinden. 

XVIII,  11.  Cap.  1.  Nach  meinem  Dafürhalten  kann  ich 
durchaus  nicht  mit  dem  (allerdings)  keineswegs  ungebildeten 
Grammatiker  Caesellius  Vindex  einerlei  Ansicht  sein.  2.  Aber 
das  ist  doch  wohl  auch  eine  leichtfertige  und  plumpe  Bemer- 
kung, wenn  er  schreibt,  dass  der  alte  Dichter  Furius  (Antias) 
die  lateinische  Sprache  durch  gewisse  eigentümliche  Wort- 
bildungen verunglimpft  habe,  die,  wenigstens  mir,  weder  der 
Berechtigung  und  Freiheit  eines  Dichters  zuwiderzulaufen, 
noch  dem  Ausdrucke  und  Klange  nach  garstig  und  unlieblich 
zu  sein  scheinen,  wie  dies  allerdings  wohl  bei  einigen  andern 
hart  und  widrig  klingenden  Wortbildungen  von  unseren  (sogar) 
berühmten  Dichtern  der  Fall  ist.  3.  Die  vom  Caesellius 
(Vindex)  getadelten  Wortformen  des  Furius  sind  folgende: 
dass  er  das  in  Koth  verwandelte  Erdreich  mit  dem  Worte 
lutescere  (verkothen,  moorbodig  werden)  nennt;  ferner,  dass 
eine  Finsterniss  nach  Art  der  Nacht  entstanden  sei,  bezeich- 
net er  durch  das  Wort:  noctescere  (umnachten)  und  die  alten, 
früheren  Kräfte  Wiedererlangen,  nennt  er  virescere  (sich 
kräftigen,  erstarken),  und  wenn  der  Wind  das  dunkelblaue 
Meer  anfängt  zu  kräuseln,  braucht  er  dafür  den  Ausdruck: 
purpurare  (dunkelbraun  anschillern)  und  für  den  Begriff: 
reich  werden,  sagt  er:  opulescere.   4.  Ich  füge  die  betreffen- 


XVIII,  11,  L.  Aulus  Furius  von  Antium,  Freund  und  Studien- 
genosse des  Q.  Lutatius  Catulus  (s.  Gell.  XIX,  9, 14  NB),  dichtete  Annalen. 
Er  ist  nicht  zu  verwechseln  mit  Furius  Bibaculus,  der  nur  unter  die 
Lyriker  gehört.  S.  Bernhardy  röm.  Lit  79,  366.  —  Caesellius  Vin- 
dex, ein  angesehener  Schriftsteller  über  Orthographie.  Becker  im 
Philologus  IV,  p.  80  fg.  auch  vom  Charisius  I,  2  erwähnt  und  schon  Gell. 
III,  16,  11. 

XVIII,  11,  3.  Vielleicht  aus  seinen  commentariis  lection.  antiq.  vergl. 
Gell.  VI  (VII),  2,  1  (Teuffeis)  NB. 


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(428)  XVIII.  Buch,  U.  Cap.,  §  4.  —  12.  Cap.,  §  1.  2. 

den  Verse  aus  den  furianischen  Gedichten,  in  denen  sich 
diese  Ausdrücke  vorfinden,  hier  bei: 

1.  Sanguine  diluitur  tellus,  cava  terra  lutescit. 

Vom  Blute  durchweicht  sich  der  Boden,  tief  hinein  verkothet  (wird 

moorig)  das  Erdreich. 

2.  Omnia  noctescunt  tenebris  caliginis  atrae. 

Alles  beginnt  sich  zu  umnachten  vom  Dunkel  einer  undurchdringlichen 

Finsterniss. 

3.  Increscunt  animi,  virescit  volnere  virtus. 

Es  steigern  sich  die  Muthbegierden,  aus  Verwundung  erstarkt  (erblüht) 

Tapferkeit 

4.  Sicut  fulica  levis  volitat  super  aequora  classis, 

5.  Spiritus  Eurorum  viridis  cum  purpurat  undas. 

Leicht  wie  ein  Blässhuhn  fliegt  die  Flotte  über  des  Meeres  Spiegel  hin, 
Während  das  Wehen  der  Südostwinde  die  meergrünen  Wogen  dunkel- 
braun schillern  und  glitzern  lässt 

6.  Quo  magis  in  patriis  possint  opulescere  campis. 

Damit  sie  um  so  reicher  werden  könnten  auf  vaterländischen  Gefilden. 


XVIII,  12,  L.     Dass  unsere  Alten  die  Gewohnheit  gehabt  haben,  die 
Passivfonn  zu  verändern  nnd  in  die  Activform  zu  verwandeln. 

XVIII,  12.  Cap.  1.  Auch  dies  wurde  für  eine  besondere 
Einheit  im  Ausdruck  gehalten,  dass  man  für  Zeitwörter,  die 
(gewöhnlich)  in  der  Passivform  gebräuchlich  waren,  (lieber) 
die  Activformen  setzte  und  diese  wechselsweise  wieder  unter 
einander  (in  der  Bedeutung)  vertauschte.  2.  Juventius 
sagt  in  einem  Lustspiele: 

 Pallium! 

Fldcci  facio  ut  splendeat.  — 

 Der  Mantel 

Dass  er  glänzend  rein,  ich  frag'  nichts  d'rum. 

ist  das  nicht  bei  Weitem  schöner  und  lieblicher,  als  wenn  er 
gesagt  hätte:  ne  maculetur  (dass  er  nicht  besudelt  wird)? 


XVILI,  11,  4.  Ueber  A.  Furius  aus  Antium  s.  Teuffels  röm.  Lit 
Gesch.  133,  4  und  189,  9.  Bibaculus  oder  Vivaculus  s.  W.  Teuffei  zu 
Hör.  Sat  II,  5,  40  S.  135. 

XVm,  11,  4  v.  4.  Fulica,  Blässhuhn,  griechisch:  (palaQti  oder 
tpaXr}Q(s  genannt.  S.  Plat.  Sympos.  Cap.  1  p.  172,  A.  Ein  wegen  seiner 
Schnelligkeit  bekannter  Sumpfvogel. 

XVHI,  12,  2.  Juventius  s.  Bernh.  röm.  Lit  76,  346  und  ganz  be- 
sonders Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  §  113. 


W&tu  --j.  :  •  ■  £        '^g-.äk-S'r.  Digitized  by  Google 


XVm.  Buch,  12.  Cap.,  §  3-9. 


(429) 


3.  Nicht  unähnlich  sagt  auch  Plautus: 

—  Quid  est  hoc?  rugat  pallium, 
Amictus  non  sum  commode. 

Was  soll  mir  das?  Zerrunzelt  (zerknittert)  ist  der  Mantel, 
Gehörig  bin  ich  nicht  umhüllt  (drapirt). 

4.  Ebenso  braucht  Plautus  den  Ausdruck  „pulverare"  nicht  in 
dem  Sinne  von  dem,  was  stäubt,  staubig  macht,  sondern  was 
staubig  (bestaubt)  ist: 

Exi  tu,  Dave,  age,  sparge;  mundum  hoc  esse  vestibulum  volo. 
Venus  Ventura  est  nostra,  non  hoc  pulveret 

Hinaus  geh',  Davus,  sput'  Dich,  fege,  schmuckvoll  will  ich  den  Eingang 

haben, 

Gleich  wird  mein  Herzlieb  da  sein,  ich  will  nicht,  dass  er  bestäubt  ist 

5.  In  seinem  Eselsspiel  (Asinaria.  III,  1,  35.  [539])  sagt  er 
„contemples"  für  „contempleris"  (betrachte): 

Meum  caput  contemples,  si  quidem  e  re  consultas  tua. 
Betracht'  mein  (greises  Mutter-) Haupt,  wenn  Rath  Du  suchst  für  Deine 

eigne  Angelegenheit 

6.  Cn.  Gellius  sagt  in  seinen  Jahrbüchern  (sedare,  sich  be- 
ruhigen, intransitiv  anstatt  sedari  oder  sedare  se):  „Als  der 
Sturm  sich  gelegt  hat  (sedavit),  opferte  Atherbal  einen  Stier." 

7.  M.  Cato  in  seiner  „Urgeschichte"  (braucht  augere  für  augeri 
oder  se  augere,  zunehmen):  „Dahin  kam  viel  zusammen- 
gelaufenes Volk  vom  Lande,  dadurch  vermehrte  sich  (schwoll 
an,  auxit  =  aucta  est)  ihre  Macht."  8.  M.  Varro  in  seinen 
Schriften,  die  er  an  den  Marcellus  „de  lingua  latina  (über  die 
lateinische  Sprache)"  verfasst  hat,  sagt:  „Im  vorigen  Worte 
bleiben  die  Wortaccente  lang,  wie  sie  waren,  die  übrigen 
wechseln  (mutant  =  mutantur)."  Der  Ausdruck:  reliquae 
mutant  für  mutantur  findet  hier  eine  höchst  feine  Verwerthung. 
9.  Als  eine  ähnliche  Ausdrucksweise  kann  auch  noch  eine 
Stelle  in  desselben  Varro's  7.  Buche  „divinarum  (d.  h.  seiner 
Schrift  über  Bestimmungen  und  Ursachen  am  Himmel  und  auf 
Erden)"  gelten,  wo  (mutare  ebenso  gebraucht  ist  und)  es 
heisst:  „Was  für  ein  Unterschied  ist  (quid  mutet)  zwischen 
zwei  Königstöchtern,  kann  man  zwischen  Antigone  und 

XVHI,  12,  6.   S.  Polyb.  I,  49  f.;  Liv.  28,  30.    Es  gab  Zwei  Namens 
Atherbal  249/505;  206/548;  s.  Historie  Rom.  rell.  v.  H.  Peter  1, 174  NB.  30, 
XVHI,  12,  9.   Den  Namen  Antigone  führten  drei  Königstöchter.  So 


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(430)         XVIII.  Buch,  12.  Cap.  §  10.  —  13.  Cap.,  §  1.  2. 


Tullia  deutlich  sehen."  10.  Beispiele,  wo  die  Passivform 
(als  Deponens)  für  die  Activform  gebraucht  ist,  finden  sich 
fast  in  allen  Schriften  der  Alten  vor,  ich  führe  (daher)  nur 
noch  folgende  wenige  an,  die  mir  jetzt  gerade  noch  einfallen : 
muneror  te  (ich  beschenke  Dich)  für  munero;  significor  (be- 
zeichne) fürsignifico;  sacrificor  (opfere)  für  sacrifico ;  assentior 
(stimme  '  bei)  für  assentio ;  faeneror  (treibe  Wucher)  für 
faenero;  pigneror  (nehme  zum  Pfand)  für  pignero;  und  noch 
viele  andere  derartige,  welche,  so  wie  sie  mir  beim  Lesen 
vorkommen,  von  mir  sollen  aufgezeichnet  werden. 

XVIII,  13,  L.     Durch  welche  Erwiderung  der  Philosoph  Diogenes  sich 
Genugthuung  verschaffte,  als  er  von  einem  gewissen  Dialektiker  durch  ein 
unverschämt  keckes  Trugschliisschen  (sophismation)  auf  die  Probe 

gestellt  wurde. 

XVIII,  13.  Cap.  1.  Während  der  Feier  der  Saturnalien 
(am  griechischen  Carneval)  vertrieben  wir  uns  zu  Athen 
durch  eine  Art  heiteres,  anständiges  Würfelspiel  die  Zeit 
folgendermassen.  2.  Wenn  wir  so  mehrere  Studien-  (und 
Gesinnungs-) Genossen  beisammen  waren,  zur  Zeit  der  Bade- 
stunden, ersannen  wir  uns  (allerhand)  Trugschlüsse,  so- 
genannte Sophismen  aus  und  jeder  von  uns,  wenn  die 


hiess  erstlich  die  Tochter  Eurytions,  Gattin  des  Peleus,  dem  sie*  die 
Polydora  gebar  und  die  sich  aus  Verzweiflung  das  Leben  nahm,  als  sie 
erfuhr,  dass  ihr  Gemahl  Peleus  die  Sterope,  des  Akastus  Tochter,  heirathen 
wolle.  Die  zweite  Antigone,  von  der  hier  die  Rede  ist,  war  jenes  Muster 
von  aufopfernder  Kindes-  und  Geschwisterliebe,  die  stete  Begleiterin  ihres 
unglücklichen,  blinden  Vaters  und  welche  ihre  Brüder  Eteokles  und  Poly- 
neikes  begrub,  wofür  sie  ihr  Onkel  Kreon  dem  Tode  weihte.  Die  dritte 
Antigone  ist  Laomedos'  Tochter,  welche  schöner  sein  wollte  als  Hera, 
wofür  sie  in  einen  Storch  verwandelt  wurde.  —  Zwei  Töchter  des 
Königs  Servius  Tullius  führten  den  Namen  Tullia.  Tarquinius  Superbus 
hatte,  der  Sage  nach,  die  eine  zur  Frau,  ein  sittsames  Wesen,  die  andere 
war,  an  seinen  Bruder  Aruns  verheirathet ,  ein  herrschsüchtiges  Weib. 
Diese  brachte  ihren  Mann  um,  und  jene  wurde  von  Tarquinius  beseitigt. 
Darauf  heiratheten  sich  Beide  und  mit  Hülfe  dieses  ehrgeizigen  Weibes 
wurde  der  Tod  des  Servius  Tullius  (534  v.  Chr.)  veranlasst  Liv.  I,  46. 
Sie  liess  geflissentlich  ihren  Wagen  über  die  Leiche  ihres  von  ihrem  Manne 
ermordeten  Vaters  gehen;  sie  starb  im  Exil.  Diese  letztere  Tullia  stellt 
er  hier  also  der  Antigone,  der  Tochter  des  Oedipus,  gegenüber. 

XVHI,  13,  2.  Ueber  Sophismata  s.  Gell.  XVHI,  2,  10  NB;  Senec. 
ep.  111. 


XVIII.  Buch,  13.  Cap.,  §  2—8.  (431) 

Reihe  an  ihn  kam,  gab  solche  Trugschlüsse  zum  Besten 
und  warf  sie,  gleichsam  wie  Knöchel  oder  Spielwürfel,  mitten 
in  die  Unterhaltung  hinein.  3.  Für  einen  solchen  gelösten 
Trugschluss,  oder  für  einen  nicht  recht  verstandenen  wurde 
eine  Silber(groschen)münze  als  Belohnung  oder  Strafe  fest- 
gesetzt. 4.  Für  die  eingesammelten  Strafgelder,  gleichsam 
als  Spielgeldgewinn,  wurde  zum  Besten  aller  Theilnehmer 
am  Spiele  (schliesslich)  stets  ein  kleines  Mahl  angerichtet. 
5.  Diese  Trugschlüsse  hatten  ohngefähr  Aehnlichkeit  mit  fol- 
genden, obgleich  sie  sich  nicht  so  recht  geschmackvoll  und 
weniger  fein  im  Lateinischen  darstellen  lassen,  z.  B.  „Was 
Schnee  ist,  ist  kein  Hagel,  Schnee  ist  aber  weiss,  folglich  ist 
Hagel  nicht  weiss."  Ebenso  ein  anderes,  sehr  ähnliches  Bei- 
spiel :  „Was  ein  Mensch  ist,  das  ist  kein  Pferd ;  ein  Mensch 
ist  aber  ein  lebendes  Geschöpf  (Thier),  folglich  ist  ein  Pferd 
kein  lebendes  Geschöpf."  6.  Jeder,  der  nun  nach  der  Spiel- 
ordnung zur  Widerlegung  und  Entkräftung  des  Trugschlusses 
aufgerufen  worden  war,  musste  nun  also  sagen  und  erklären, 
in  welchem  Satztheile,  oder  in  welchem  Worte  das  Verfäng- 
liche (d.  h.  der  Fehler)  enthalten  wäre,  was  zugegeben  und 
zugestanden  werden  müsste,  was  nicht;  wenn  er  die  richtige 
Erklärung  nicht  getroffen  hatte,  wurde  er  jedesmal  mit  einer 
Silbermünze  bestraft.  Dies  Strafgeld  ging  dann  stets  dem 
Mahle  zu  Gute.  7.  Hier  muss  ich  aber  des  Vergnügens  hal- 
ber noch  erzählen,  wie  fein  und  witzig  dereinst  Diogenes 
einen  Dialektiker  aus  der  Philosophenschule  des  Plato  ab- 
lohnte, als  ihn  dieser  als  Schabernack  mit  einer  solchen  Art 
des  oben  von  mir  erwähnten  Trugschlusses  blosszustellen  (und 
auf's  Glatteis  zu  führen)  gedachte.  Der  Dialektiker  hatte 
nämlich  dem  Diogenes  die  Frage  gestellt:  8.  „Was  ich  bin, 
das  bist  Du  nicht;"  als  Diogenes  dies  zugestanden  und  Jener 
hinzugefügt  hatte:  „ich  aber  bin  ein  Mensch;"  als  Diogenes 
auch  diesen  Satz  als  wahr  anerkannt  hatte,  und  nun  dagegen 
der  Dialektiker  zu  schliessen  wagte:  „also  bist  Du  kein 
Mensch,"  erwiderte  Diogenes  (in  aller  Ruhe):  Dieser  Schluss 
trifft  zwar  nicht  zu,  wenn  Du  ihn  jedoch  zur  Wahrheit  machen 
willst,  beginne  nur  den  ersten  Satz  mit  mir. 


XVHI,  J3,  8.  Vergl.  Gell.  XVIII,  2,  9. 


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(432)        XVIII.  Buch,  14.  Cap.,  §  1  —  6.  —  15.  Cap.,  §  1. 


XVIII,   14,   L.     Welches    Zahlenverhältniss    die    Ausdrücke  hemiolios 
(Tjutokioc,  anderthalb)  und  epitritos  {InlroiTog,  vier  Drittel)  angeben;  ferner, 
wie  unsere  lateinischen  Schriftsteller  nicht  gewagt  haben,  die  beiden 
Ausdrücke  ins  Lateinische  zu  übertragen. 

XVIII,  14.  Cap.  1.  Für  gewisse  Zahlenverhältnisse,  wo- 
für die  Griechen  ganz  besondere,  bestimmte  Wortbezeichnungen 
haben,  giebt  es  in  der  lateinischen  Sprache  keine  entsprechen- 
den Ausdrücke;  2.  die  lateinischen  Schriftsteller  aber,  welche 
über  die  Rechenkunst  geschrieben  haben,  bedienten  sich  da- 
bei der  griechischen  Bezeichnungen  und  wollten  dafür  nicht 
erst  in  unserer  lateinischen  Sprache  (besondere,  neue)  Aus- 
drücke bilden,  weil  dies  nur  auf  abgeschmackte  Weise  hätte 
geschehen  können.  3.  Mit  welchem  Zahlenbegriff  hätte  man 
im  Lateinischen  z.  B.  hemiolios  (anderthalb)  oder  epitritos 
(4/3)  wiedergeben  sollen?  4.  Der  Begriff  hemiolios  (andert- 
halbig)  begreift  aber  ein  Ganzes  und  davon  noch  seine  Hälfte, 
wie  z.  B.  (3  zu  2)  3/2  oder  (15  zu  10)  15'10  oder  (30  zu  20)  30/20 
5.  Der  Ausdruck  epitritos  (4/3)  bezeichnet  einen  Zahlenbe- 
griff ganz  genommen  und  dazu  seinen  dritten  Theil  genommen, 
wie  z.  B.  (4  zu  3  i.  e.)  43  oder  (12  zu  9)  x%  oder  (40  zu 
30)  4%o-  6«  Die  Bemerkung  und  Erwähnung  dieser  beiden 
Ausdrücke  schien  mir  deshalb  von  wesentlichem  Nutzen  zu 
sein,  weil  Die,  denen  die  Bedeutung  dieser  Zahlenverhältnisse 
unbekannt  geblieben  sind,  (ohne  dieselben)  gewisse  feine,  in 
den  Büchern  der  Philosophen  vorkommende  Berechnungen  nie 
werden  begreifen  können. 

XVIII,  15,  L.  Wie  sich  M.  Varro  bemüht  hat  eine  eigentümliche  Er- 
scheinung seiner  allzu    peinlichen    und   pedantischen  "Wahrnehmung  bei 

heroischen  Versen  nachzuweisen. 

XVIII,  15.  Cap.  1.  Die»Metriker  (Lehrer  über  den  Vers- 
bau) haben  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  im  sogenannten 


XVHI,  14,  4.  i] n  1 6 Xtos,  anderthalbig,  bezeichnet  das  Verhältniss 
von  drei  zu  zwei,  wenn  die  grössere  Zahl  die  kleinere  einmal  ganz  und 
die  Hälfte  enthält,  denn  8  enthält  2  und  die  Hälfte  1  =  2/2  -f  V*  —  */* 
oder  1V8. 

XVin,  15,  L.  Versus  herous,  epischer  Vers,  Vers  des  Helden- 
gedichtes (Hexameter). 


XVIII.  Buch,  15.  Cap.,  §  1.  2.  (433) 

langen  (sechsfüssigen)  Verse,  d.  h.  im  Hexameter  und  im 
sechsfüssigen  Jambenvers  die  beiden  ersten  Füsse,  sowie  die 
beiden  letzten  Füsse,  beide  für  sich  aus  ganzen  ungeteilten 
Wörtern  bestehen  könnten,  bei  den  mittleren  (Versfüssen) 
aber  könne  dies  nie  stattfinden,  sondern  diese  beständen 
immer  aus  Wörtern,  die  entweder  selbst  getheilt,  oder  aus 
Theilen  verschiedener  Wörter  gemischt  wären.  2.  Auch 
Marcus  Varro  hat  in  den  Büchern  seines  „wissenschaftlichen 
Lehrgebäudes  (seiner  Encyclopaedie,  in  libris  disciplinarum)" 
geschrieben,  dass  er  bei  dem  Hexameter  streng  (das  Gesetz) 
beobachtet  habe,  dass  der  fünfte  Halbfuss  überhaupt  stets 
mit  dem  vollen  Worte  schliesse  (also  ein  Abschnitt  und  Ein- 
schnitt, d.  h.  eine  Caesur  stattfinde)  und  dass  die  ersten 
fünf  Halbfusse  in  gleichbedeutendem  Verhältniss  bei  der  Bil- 
dung des  Verses  ständen,  wie  die  späteren  sieben  anderen, 
und  er  setzt  auseinander,  dass  dies  nach  einem  geometrischen 
Grundsatz  so  sein  müsse. 


XVm,  15,  2.   Vergl.  Muret  var.  lect  XI,  6. 


Gellius.  Attische  Nächte.   II.  28 


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XIX.  BUCH 


XIX,  1,  L.  Entgegnung  (und  Verantwortung)  eines  gewissen  Philosophen 
auf  die  Frage  (eines  Zudringlichen),  weshalb  er  bei  einem  Seesturm  blass 

geworden  sei. 

XIX,  1.  Cap.  1.  Wir  fuhren  zu  Schilf  von  Cassiope  nach 
Brundusium  über  das  ungestüme,  fürchterliche  und  stürmische 
ionische  Meer.  2.  Fast  während  der  ganzen  auf  unsere  erste 
Tagesfahrt  folgenden  Nacht  wüthete  der  Sturm  von  einer  Seite 
her  und  hatte  Wellen  über  Wellen  (in  den  Schiffsraum)  hinein- 
getrieben. 3.  Alle  unsere  Reisegefährten  weinten  und  jam- 
merten während  dem,  und  hatten  mit  dem  (Kiel-) Wasser  im 
Schiffsraum  ihre  (grosse)  Noth,  bis  endlich  der  Tag  anbrach. 
Allein  die  Gefahr  und  Sturmeswuth  liess  in  keiner  Hinsicht 
nach,  im  Gegentheil  wurden  die  Wirbelwinde  noch  häufiger, 
der  Himmel  umzog  sich  pechschwarz  und  dampfendes  Nebel- 
geknäuel  stieg  auf  und  gewisse  fürchterliche  Wolkenbildungen, 
welche  man  Wettersäulen  (Wasserhosen,  wyiavaq)  nennt, 
schwebten  über  unserem  Haupte  und  drohten  uns  Gefahr 
und  schienen  unser  Schiff  in  den  Abgrund  versenken  zu  wollen. 

4.  Auf  demselben  Schiff  befand  sich  auch  ein  berühmter 
stoischer  Philosoph,  den  ich  zu  Athen  kennen  gelernt  hatte, 
ein  Mann  von  nicht  geringem  Ansehen  und  der  seine  jugend- 
lichen Schüler  mit  steter  Aufmerksamkeit  zu  fesseln  verstand. 

5.  Von  diesem  verwendete  ich  in  so  grosser  Gefahr  und  bei 
einem  solchen  Aufruhr  des  (wolkenschwangeren)  Himmels  und 

XIX,  1,  1.  Cfr.  Gell.  Xn,  5.  —  Cassiopea,  Stadt  auf  der  Insel 
Corcyra,  heute:  Corfu.  Ueber  Brundusium  8.  Gell.  IX,  4.  1  NB.  — 
Sich  auf  das  ionische  Meer  zu  begeben,  galt  als  ein  kühnes  Wagniss,  s. 
Lucian.  Hermotim.  cap.  27,  woher  das  griechische  Sprüchwort:  tnl  (unde 
7fM(iv,  d.  h.  auf  einer  Binsenmatte  schiffen,  oder  das  Unmögliche  möglich 
machen;  s.  Plut.  „Warum  Pythia  die  Orakel  pp."  cap.  22. 


XIX.  Buch,  1.  Cap.,  §5  —  10.  (435) 

des  (wildaufgeregten)  Meeres  kein  Auge,  denn  ich  war  be- 
gierig, zu  erfahren,  in  welcher  geistigen  Verfassung  er  ver- 
harren und  ob  er  gelassen  und  unerschrocken  bleiben  würde. 

6.  Da  sah  ich  auch  diesen  Mann  zaghaft  und  schreckensbleich, 
welcher,  obwohl  er  zwar  keine  Wehklagen,  wie  die  Anderen, 
noch  irgendwie  dergleichen  (Jammer-)  Laute  ausstiess,  sich 
aber  dennoch  durch  Entstellung  seiner  (Gesichts-)  Farbe  und 
seines  Aussehens  von  den  Anderen  nicht  viel  unterschied. 

7.  Allein  wie  nun  der  Himmel  sich  (endlich  wieder)  auf- 
geklärt, des  Meeres  Ungestüm  nachgelassen  und  die  heftige 
Gefahr  ausgetobt  hatte,  trat  kan  den  Stoiker  ein  (uns)  un- 
bekannter Grieche  heran,  der,  wie  jeder  sofort  aus  dessen 
grossem  Staat  und  itusserlichem  Glanz  seiner  Umgebung  und 
Dienerschaft  erkennen  konnte,  ein  (reisender)  reicher  Asiate 
sein  musste,  kurz  ein  Mensch,  der  (mit  allem  Comfort  über- 
flüssig gesegnet)  kein  leibliches  und  geistiges  Vergnügen  sich 
zu  versagen  wusste,  mit  einem  Worte,  ein  wahrer  Wollüstling 
an^Leib  und  Seele.  8.  Dieser  nun  machte  es  sich  gleichsam 
zum  Spass  [und  sagte:  Wie  kommt  es  doch,  dass  Du  als  ein 
Philosoph  bei  der  Gefahr,  in  der  wir  schwebten,  Dich  fürch- 
tetest und  erbleichtest,  ich  aber  weder  in  Furcht  gewesen,  noch 
blass  geworden  bin?  9.  Darauf  erwiderte  der  Philosoph  nach 
kurzem  (Schwanken  und)  Bedenken,  ob  er  den  Menschen 
(überhaupt)  wohl  einer  Antwort  würdigen  sollte,  also:  Wenn 
es  den  Anschein  gehabt  hat,  als  ob  ich  bei  diesem  fürchter- 
lichen Gewittersturm  ein  wenig  entsetzt  gewesen,  so  bist  Du 
(mir  wenigstens  eigentlich)  nicht  werth ,  von  diesem  meinen 
Entsetzen  den  Grund  zu  hören.  10.  Es  soll  Dir  aber  dennoch 

jener  Aristipp  [  ],  jener  berühmte  Schüler  des  Socrates 

für  mich  antworten,  der  unter  ähnlichen  Umständen  einst 
ebenfalls  von  einem  Menschen  ganz  Deines  Gelichters  zur 
Rede  gestellt,  wie  ein  Philosoph  erschrecken  könne,  da  es 
doch  für  ihn  keine  Furcht  gebe?  (ganz  ruhig)  antwortete: 
(zwischen  ihnen  Beiden  fände  ein  grosser  Unterschied  statt 
und)  sie  hätten  Beide  (durchaus)  nicht  die  gleiche  Ursache 
(zur  Furcht),  „denn  Du  magst  allerdings  wohl  für  Dein  er- 


XIX,  1,  10.  S.  Diogen.  Laert.  II,  7,  4  und  Aelian,  vermischte  Nach- 
richten IX,  20.   Ueber  Aristipp  s.  Gell.  XV,  13,  9  NB. 

28* 


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(436) 


XIX.  Buch,  L  Cap.,  §10—17 


bärmliches  Nichtsnutz  -  Leben  nicht  weiter  sehr  in  Sorge  zu 
sein  brauchen,  ich  aber  glaube  alle  Ursache  zu  haben,  für 
das  Leben  eines  Aristipp  (d.  h.  für  mein  Leben)  besorgt  zu 
sein."  11.  Durch  diese  Erwiderung  schaffte  sich  der  Stoiker 
(sofort)  den  reichen  Asiaten  vom  Leibe.  12.  Als  wir  aber 
später  in  die  Nähe  von  Brundusium  kamen  und  Wind-  und 
Meeres-Stille  eingetreten  war,  (fasste  ich  mir  ein  Herz  und) 
fragte  ich  den  Stoiker,  was  wohl  der  Grund  seiner  Furcht 
gewesen  sein  könne,  den  er  Jenem,  von  welchem  er  in  so  un- 
würdiger Weise  war  angesprochen  worden,  anzugeben  sich 
nicht  für  verpflichtet  gefühlt  habe?  13.  Er  antwortete  mir 
(auf  meine  bescheiden  vorgetragene  Frage)  ganz  gelassen  und 
freundlich:  Weil  Du  Verlangen  trägst,  den  Grund  zu  hören, 
so  lass*  Dir  erklären,  wie  über  einen  zwar  ähnlichen,  vorüber- 
gehenden und  kurzen,  aber  notwendigen  und  natürlich  er- 
klärbaren Schrecken  unsere  alten  Stifter  der  stoischen  Secte 
geurtheilt  haben,  oder  lies  "es  [(hier)  lieber  (gleich  selbst), 
denn  wenn  Du  es  liest,  fuhr  er*  fort,  wirst  Du  es  leichter 
glauben  und  eher  behalten.  14.  Darauf  holte  er  sofort  aus 
seinem  (Reise-)  Bündelchen  das  fünfte  Buch  von  Epictets  ge- 
lehrten Untersuchungen  hervor,  welche,  von  Arrian  gesammelt 
und  geordnet,  zweifellos  mit  den  Schriften  des  Zeno  und 
Chrysippus  völlig  übereinstimmen.  15.  In  diesem  Buche  las 
ich  nun,  in  griechischer  Sprache,  wie  sich  von  selbst  versteht, 
folgenden  geschriebenen  Gedanken:  Die  sinnlichen  Wahr- 
nehmungen, welche  die  Philosophen  (pavraolag  (Erscheinungen, 
Eindrücke)  nennen,  wodurch  die  menschliche  Seele  gleich 
beim  ersten  Erscheinen  des  an  die  Empfindung  herantreten- 
den Eindrucks  berührt  wird,  hängen  nicht  von  unserem 
freien  Willen  ab  und  stehen  nicht  in  unserer  Willkür,  son- 
dern drängen  sich  mit  der  ihnen  (innewohnenden)  Kraft  und 
Gewalt  den  Menschen  als  wahrnehmbar  auf.  16.  Allein  die 
(erst  durch  unser  Nachdenken  und  unsere  Ueberlegung  zu 
gewinnenden)  Aeusserungen  unserer  Billigung,  Zustimmung, 
unseres  Beifalls,  welche  man  ovyxara&tOEig  (subjective  Ueber- 
zeugungen)  nennt,  wodurch  sich  eben  diese  Eindrücke  (als 
gut,  oder  verwerflich)  erkennen  und  beurtheilen  lassen,  hängen 
ganz  allein  von  dem  freien  menschlichen  Willen  ab  und  er- 
folgen nur  nach  der  Menschheit  Belieben.    17.  Wenn  also 


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XIX.  Buch,  L  Cap.,  §  17  -  20.  (437) 

(unvorhergesehen)  ein  furchtbarer  Knall  entweder  vom  Him- 
mel, oder  von  einem  Einsturz  erfolgte,  oder  plötzlich  eine 
Nachricht  von  irgend  welchem  Unglück  eintraf,  oder  irgend 
etwas  (anderes)  derartiges  (Unangenehmes)  sich  ereignete,  so 
kann  es  wohl  durchaus  nicht  ausbleiben,  dass  auch  der  Weise 
in  seiner  Seele  erschüttert  wird,  dass  er  zusammenschreckt  und 
erblasst,  nicht  in  dem  vorgefassten  Glauben  an  irgend  ein 
vorhandenes  Uebel,  sondern  allein  durch  die  plötzlichen  und 
unerwarteten  äusseren  Eindrücke,  die  den  vollen  Gebrauch 
seines  Verstandes  und  seiner  Vernunft  zuvor  einnehmen  und 
verhindern.  18.  Bald  jedoch  (wenn  der  erste  überraschende 
Einfluss  überwunden  ist)  wird  der  Weise  dergleichen  Ein- 
drücke, d.  h.  solche  schreekenerregende ,  sinnliche  Wahr- 
nehmungen nicht  anerkennen  (sie  ihres  Einflusses  berauben, 
sie  verachten  und  verlachen),  er  wird  nach  dem  Ausdruck 
der  Philosophen:  ov  ovy-Aatazi&seai  (den  Eindrücken  seine 
Zustimmung  versagen)  und  ovöi  7tQoge7tido^aCu  (ihrer  Mei- 
nungsbeeinflussung nicht  beitreten),  sondern  sie  verwerfen  und 
von  der  Hand  weisen  und  er  wird  «ich  (nachträglich)  über- 
zeugt halten,  dass  für  ihn  dabei  nichts  zu  fürchten  sei. 
19.  Und  diesen  Unterschied  giebt  man  also  an  zwischen  der 
Seele  und  Empfindung  eines  Unweisen  und  eines  Weisen,  und 
dass  der  Unweise  sich  einbildet,  es  sei  wirklich  Alles  so  ent- 
setzlich und  furchtbar,  wie  es  ihm  beim  ersten  Eindruck  auf 
seine  Sinne  vorkommt,  und  dass  er  diese  Ureindrücke,  als 
wären  sie  mit  Recht  zu  fürchten,  auch  durch  seine  Zustim- 
mung anerkennt  (d.  h.  ihnen  eine  Macht  über  sich  einräumt) 
und  wie  es  heisst:  sie  ngooeTzidogatei  (d.  h.  einer  Meinungs- 
beeinflussung preisgiebt  und  sich  davon  abhängig  macht),  denn 
dieses  Ausdrucks  bedienen  sich  die  Stoiker  (speciell),  wenn 
sie  über  diesen  Gegenstand  Erörterungen  anstellen.  20.  Der 
Weise  aber,  wenn  er  ja  auf  kurze  Zeit  und  flüchtig  seine 


XIX,  1,  17.  Zeno  leugnete  also  keineswegs,  dass  der  Schmerz  ein 
Uebel  sei,  sondern  verlangte  nur  vom  Weisen,  ihn  zu  überwinden,  wie 
dies  aus  dieser  Stelle  des  Arrian  deutlich  hervorgeht. 

XIX,  1,  18.  Zeno  selbst  verstand  unter  der  Apathie  nur  die  Macht 
des  Weisen,  sich  zur  Herrschaft  über  die  Sinneseindrücke  zu  erheben. 
S.  Gell.  XII,  5,  10. 

XIX,  1,  19.   S.  Cic.  Tusc  IV,  6. 


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(438)         XIX.  Buch,  1.  Cap.,  §  20.  21.  —  2.  Cap.,  §  1.  2. 

Farbe  und  Miene  wechselt  (verändert  hat),  räumt  doch  den 
ersten  (Eindrücken  keine  Unterthänigkeit  ein  (oder  ov  ovy- 
xorrar/^erai  stimmt  ihnen  nicht  bei),  sondern  bietet  die  volle 
Kraft  auf  und  sucht  Meister  seiner  Besinnung  und  seiner  Mei- 
nung zu  bleiben,  die  er  stets  über  dergleichen  Erscheinungen 
gehabt  hat,  wie  über  Dinge,  die  keineswegs  zu  fürchten  sind, 
sondern  (den  Menschen)  nur  unter  falschem  Scheine  und  eitler 
Furcht  Schrecken  einjagen."  21.  Das  waren  also  nach  den 
Grundsätzen  der  Stoiker  die  Gedanken  und  Aeusserungen 
des  Philosophen  Epictet,  welche  ich  in  den  von  mir  genann- 
tem Buche  las,  und  ich  glaubte,  sie  deshalb  anführen  zu 
müssen,  damit,  wenn  bei  solchen,  wie  von  mir  gedachten,  zu- 
fällig vorkommenden  Ereignissen  wir  einmal  Einen  heimlich 
sollten  im  Innern  erschrecken  und  gewissermassen  blass  werden 
sehen,  "wir  dies  nicht  etwa  (sofort)  dem  Unverstand  und  der 
Feigheit  der  Menschen  zuschreiben,  und  bei  einer  (ähnlichen) 
kurz  vorübergehenden  (Gemüths-)  Bewegung  dies  mehr  der 
angeborenen  (menschlichen)  'Schwachheit  zu  Gute  halten,  als 
nach  dem  blossen  Schein  der  Vorkommnisse  zu  urtheilen. 

XIX,  2,  L.  Dass  von  den  fünf  Sinnen  der  Mensch  vor  Allem  zwei  mit 
den  Thieren  gemein  hat.  f Ferner,  dass  zwar  jedes  übertriebene  Vergnügen, 
welches  vom  Gehörsinn  oder  Gesichts-  oder  Geruchsinn  herrührt,  schändlich 
und  verächtlich,  allein  das,  welches]  vom  Geschmacks-  und  Gefühlssinn 
ausgeht,  das  allerabscheulichste  sei,  weil  diese  zwei  den  Menschen  mit  den 
Thieren  gemein  sind,  die  übrigen  nur  den  Menschen  eigen.]  5* 

XIX,  2.  Cap.  1.  Der  Mensch  hat  fünf  Sinne,  welche  die 
Griechen  alo&rjaeig  (Empfindungsvermögen)  nennen,  durch 
deren  Vermittelung  Geist  oder  Körper  offenbar  (Lust  und) 
Vergnügen  empfängt,  sieheissen:  Geschmack,  Gefühl,  Geruch, 
Gesicht,  Gehör.  2.  Jedes  durch  alle  diese  Sinne  unmässig 
genossene  Vergnügen  gilt  (zwar  immer)  tftir  schimpflich  und 
lasterhaft;  allein  eine  durch  den  Geschmacks-  oder  Gefübls- 
sinn  vermittelte ,  übertriebene  (Sinnes-)  Lust  ist  nach  dem 
Urtheile  aller  verständigen  Männer  bei  Weitem  die  abscheu- 
lichste (und  ekelhafteste),  und  alle  Diejenigen,  welche  sich 


XIX,  l,t21.   Cfr.  Gell.  XII,  5,  10. 

XIX,  2,  1.   Cfr.  Gell.  VI  (VII),  1,  1;  Macrob.  Sat.  II,  8.< 


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XIX.  Buch,  2.  Cap.,  §  2—5.  (439) 

diesen  beiden  thierischen  Gelüsten  geweiht  haben,  bezeichnen 
die  Griechen  gerade  mit  den  (zwei)  entehrendsten  Laster- 
namen, entweder  als  (zügellose)  Verschwender  (axQaTeig), 
oder  als  (ausschweifende)  Wollüstlinge  (axokdotovg) ,  wofür 
wir  die  lateinischen  Ausdrücke:  incontinentes  (Unenthaltsame), 
oder  intemperantes  (Unmässige)  brauchen:  denn  wenn  man 
den  griechischen  Ausdruck :  axolaoroi  recht  genau  übersetzen 
will,  wird  man  nur  ein  ungewöhnlich  auffallendes,  sprach- 
widriges Wort  zu  Tage  fördern.  3.  Diese  beiden  Vergnügungen 
des  Geschmacks  und  Gefühls,  d.  h.  die  ausschweifenden  Nah- 
rungs-  und  Geschlechtstriebgelüste  haben  die  Menschen  mit 
den  Thieren  gemein  und  deshalb  wird  Jeder  unter  die  Zahl 
des  rohen  Viehes  und  der  wilden  Thiere  gerechnet,  der  sich 
durch  diese  thierischen  Gelüste  (wie  ein  Sklave)  hat  fesseln 
lassen.  4.  Die  übrigen  Vergnügungen,  welche  durch  die  Ver- 
mittelung  der  drei  anderen  Sinneswerkzeuge  (Gehör,  Gesicht, 
Geruch)  herrühren,  sind  offenbar  den  Menschen  nur  allein 
eigen.  5.  Ich  füge  hier  eine  Stelle  des  Philosophen  Aristoteles 
über  diesen  Gegenstand  bei,  damit  besonders  das  Ansehen 
dieses  berühmten  und  herrlichen  Mannes  uns  von  solchen 
entehrenden  (unwürdigen)  und  verrufenen  (sinnlichen)  Ge- 
lüsten zurückschrecke*).  „Warum  werden  die",  sagt  er,  „mit 
dem  Ausdrucke  aTtgareig  (Unmässige)  belegt,  welche  sich  zu 
sehr  von  dem  Vergnügen  des  Gefühls  und  Geschmacks  be- 
herrschen lassen?  Weil  sie  einestheils  bezüglich  der  Liebes- 
lust solche  Wollüstlinge  sind,  anderntheils  bezüglich  der  Lust 
an  der  Feinschmeckerei  (und  Völlerei).  Für  einige  dieser 
Feinschmecker  liegt  nun  der  (höchste)  Genussreiz  auf  der  . 
Zunge,  für  andere  in  der  Kehle  (oder  in  dem  Schlünde), 
weshalb  Philoxenus**)  sich  auch  den  Schlund  des  Kranichs 
zu  haben  wünschte;  (den  auf  Gesicht  und  Gehör  beziehend- 


XIX,  2,  5.  *)  S.  Aristot.  ,'problem.  28  (29),  7  und  ethic  Nicom. 
VII  (VIII),  4. 

XIX,  2,  5.  **)  Philoxenus  von  Cythere,  berühmter  Dithyramben- 
dichter,  Schüler  des  jüngeren  Melanippides ,  wurde  vom  Dionysius  von 
Syrakus  wegen  seiner  Freimüthigkeit  in  die  Steinbrüche  geworfen.  Er 
verspottete  den  Tyrannen  in  seinem  Satir-  Drama  „Kyklop".  (Ael.  var. 
hist.  X,  9 ;  Diodor.  Sic.  15,  6.)  Uebrigens  hatte  er  den  Ruf  eines  Schlem- 
mers und  Liebhabers  witziger  Einfälle. 


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(440)  XIX.  Buch,  2.  Cap.,  §5—8.-3.  Cap.  §  1. 

liehen  Vergnügungen  giebt  man  nicht  solche  entehrende  Namen) 
sollte  das  nun  wohl  nicht  (fj)  daher  rühren,  weil  (jene  beiden 
Sinne  und)  die  damit  zusammenhängenden  Vergnügungen  uns 
und  den  übrigen  Thieren  gemeinsam  sind?  Insofern  sie  uns 
nun  mit  den  Thieren  gemein  sind,  sind  sie  um  so  schimpf- 
licher und  allein  verächtlich,  so  wie  wir  auch  einen  von 
solcher  (gemeinen  Ergötzlichkeit)  Beherrschten  tadeln  und 
ihn  Verschwender  {a-AQaxrj)  und  Wollüstling  (av.olaoxov)  nennen, 
weil  er  sich  von  der  niedrigsten  Sinneslust  bezwingen  lässt. 
Von  diesen  fünf  Sinnen  sind  es  nur  die  zwei  von  mir  vorher- 
genannten (des  Gefühls  und  des  Geschmacks),  deren  sich  auch 
die  übrigen  Thiere  erfreuen,  denn  in  Bezug  auf  die  Anderen 
werden  sie  entweder  im  Ganzen  gar  nicht  freudig  gestimmt, 
oder  davon  doch  nur  zufällig  berührt."  6.  Wie  kann  also 
ein  Mensch,  der  nur  irgend  etwas  menschliches  Schamgefühl 
aufzuweisen  hat,  Freude  empfinden  an  der  Fleischeslust  und 
Völlerei,  die  er  mit  dem  Schwein  und  dem  Esel  gemein  hat? 
7.  Socrates  sagte  daher,  viele  Menschen  wollten  nur  deshalb 
leben,  um  zu  essen  und  zu  trinken,  er  aber  trinke  und  esse 
nur,  um  zu  leben.  8.  Hippocrates  aber,  dieser  mit  göttlicher 
Weisheit  und  Erkenntniss  begabte  Mann,  urtheilte  so  über 
die  fleischliche  Vermischung,  dass  er  sie  zu  einer  der  häss- 
lichsten  Krankheiten  in  Beziehung  brachte,  welche  bei  uns 
die  Comitialkrankheit,  d.  h.  Fallsucht  (Epilepsie)  heisst;  denn 
nach  Ueberlieferung  werden  ihm  die  (bekannten)  Worte  in 
den  Mund  gelegt:  {xt}v  ovvovoiav  eivai  hixqciv  E7iiXr]iplav, 
d.  h.)  Die  fleischliche  Vermischung  sei  eine  kurze  Fallsucht 
(Epilepsie). 

XIX,  3,  L.    Dass  ein  kaltes  Lob  beschämender  sei,  als  ein  bitterer  Tadel. 

XIX,  3.  Cap.  1.  Der  Philosoph  Favorin  that  den  Aus- 
spruch, dass  ein  spärliches  und  kaltes  Lob  weit  schlimmer 


XIX,  2,  7.  S.  Diog.  Laert  IL,  5,  16;  bei  Plut  Wie  der  Jüngling  die 
Dichter  lesen  soll,  p.  22  cap.  4;  Athenaeus  IV  sect  48  (158). 

XIX,  2,  8.  Cfr.  Menag.  ad  Diog.  Laert  kVIin,  p.  410;  Clemens 
Alexandrien  Paedagog.  lib.  IL  Man  schreibt  diesen  Ausspruch  auch  dem 
Democrit  zu. 

XIX,  3,  1.    S.  Plutarch:  über  die  Böswilligkeit  Herodot's  4.  „Mit 


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XIX.  Buch,  3.  Cap.,  §  1.  2.  —  4.  Cap.,  §  1-5.  (441) 

(verletzender  und  beschämender)  sei,  als  ein  gehässiger  und 
harter  Tadel ;  2.  weil,  sagt  er,  Derjenige,  welcher  lästert  und 
tadelt,  wenn  dies  in  einem  sehr  heftigen  und  bitteren  Tone 
geschieht,  um  so  mehr  für  einen  offenbaren  Feind  und  (par- 
teiisch) ungerechten  Richter  gehalten  wird  und  deshalb  meist 
keinen  Glauben  findet;  allein  Der,  welcher  sparsam  und  mit 
Rückhalt  lobt,  wird,  weil  er  zwar  für  einen  Freund  dessen 
gilt,  den  er  zu  loben  beabsichtigt,  trotzdem  aller  Ursache 
(zu  einem  Lobe)  beraubt  scheinen  und  (nichts  weiter  als) 
Veranlassung  geben,  (an  die  Vermuthung)  zu  glauben,  dass 
er  nichts  habe  entdecken  können,  was  er  mit  Recht  zu  loben 
sich  berechtigt  fühle. 

- 

.  XIX,  4,  L.    Warum  ein  unvermutheter  Schreck  Durchfall  nach  sich  zieht 
und  ferner  weshalb  das  Feuer  den  Drang  zum  Harnlassen  verursacht. 

XIX,  4.  Cap.  1.  Die  Schriften  des  Aristoteles,  welche 
den  Titel  führen:  „problemata  physica  (d.  h.  naturwissen- 
schaftliche Räthselfragen),"  sind  von  allerhand  geistvollen  und 
feinen  Bemerkungen  angefüllt.  2.  Darin  ist  von  ihm  auch 
die  Frage  aufgestellt  worden,  wie  es  wohl  kommen  möge,  dass 
Die,  auf  welche  ein  unvermutheter  Schreck  über  ein  gewaltiges 
Ereigniss  hereinbrach,  meist  sogleich  vom  Durchfall  befallen 
würden.  3.  Ebenso  fragt  er,  warum  immer  der  Fall  eintrete, 
dass  Einen ,  der  länger  in  der  Nähe  des  Feuers  stand ,  der 
Drang  zum  Harnlassen  befalle.  4.  Und  in  Bezug  auf  einen 
heftigen  und  unaufhaltsamen  Durchfall  bei  einer  (gehabten) 
Furcht  oder  einem  Schrecken  giebt  er  als  Ursache  an,  weil 
jede  Furcht  und  jeder  Schreck  einen  frosterregenden  (algi- 
ficum,  oder  wie  Aristoteles  sagt:  xpvxQ07T.oi6%)  Zustand  erzeuge, 
oder  durch  seinen  Kältegrad  das  ganze  Blut  und  die  (Blut-) 
Wärme  von  der  Hautoberfläche  des  Körpers  ganz  und  gar 
wegdränge  und  vertreibe  und  dabei  zugleich  bewirke,  dass 
Die,  welche  in  Furcht  und  Schrecken  gerathen,  durch  das 
Entweichen  des  Blutes  aus  dem  Gesichte,  auch  blass  aus- 
sehen müssten.   5.  Ferner  sagt  Aristoteles,  Blut  und  Wärme 


Widerwillen  loben  ist  um  nichts  hilliger,  ja  vielleicht  gar  noch  schlimmer, 
als  mit  Vergnügen  tadeln." 

XIX,  4,  1.   S.  Aristot.  problem.  7,  3  und  27,  9;  Merckl.  p.  671. 


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(442)        XIX.  Buch,  4.  Cap.,  §  5.  6.  —  5.  Cap.,  §  1—4. 

im  Innersten  zusammengedrängt,  bewirken  meist  den  Reiz 
zum  Durchfall.  6.  Ueber  den  häufigen  Drang  zum  Harnen, 
in  Folge  von  Nahestehen  am  Feuer  hervorgerufen,  findet  sich 
in  dem  Werke  noch  folgende  Bemerkung  von  ihm  vor:  „Das 
Feuer  löst  das,  was  (durch  die  Kälte)  fest  geworden  und 
geronnen  (d.  h.  zu  Eis  geworden)  ist,  wieder  auf,  gleichwie 
die  Sonne  den  Schnee  auflöst." 

XIX,  5,  L.  Eine  aus  des  Aristoteles  Schriften  entlehnte  Bemerkung,  dass 
der  Gebrauch  des  Schneewassers  zum  Trinken  höchst  schädlich  sei,  und 

dass  sich  aus  Schnee  Eis  bildet 

XIX,  5.  Cap.  1.  Ich  und  einige  andere  meiner  Alters- 
genossen und  Freunde,  (alle)  Anhänger  und  Schüler  der  Be- 
redtsamkeit  und  Philosophie,  waren  in  der  heissesten  Jahres- 
zeit zu  unserem  Freunde,  einem  reichen  Manne,  nach  Tibur 
auf's  Land  gegangen.  2.  Unter  uns  befand  sich  ein  guter, 
ehrlicher  Peripatetiker,  ein  äusserst  gelehrter  Mann  und 
ausserordentlich  eifriger  Verehrer  "des  Aristoteles.  3.  Wie 
dieser  nun  sah,  dass  wir  häufig  Wasser  von  geschmolzenem 
Schnee  tranken,  wies  er  uns  zurecht  und  schalt  uns  deshalb 
sehr  ernstlich  aus  und  stützte  seine  Warnung  auf  die  an- 
sehnlichen Zeugnisse  der  berühmten  Aerzte  und  vor  Allem 
auf  das  des  um  die  menschliche  Gesundheitspflege  höchst 
verdienten  und  vielerfahrenen  Philosophen  Aristoteles,  der 
sich  darüber  aussprach,  dass  allerdings  den  Früchten  und 
Bäumen  das  Schneewasser  zuträglich  und  befruchtbar,  den 
Menschen  aber  durch  übermässigen  und  häufigen  Genuss  un- 
gesund sei,  Grund  zur  Auszehrung  lege  und  den  innersten 
Eingeweiden  heimliche  und  langwierige  Krankheiten  einpflanze. 
4.  Er  wurde  zwar  nicht  müde,  uns  diese  kluge,  wohlgemeinte 
Vorsichtsmassregel  immer  und  immer  wieder  vorzuhalten, 
allein  da  nun  trotz  dessen  dem  Schnee wasser- Trinken  kein 
Ende  gemacht  wurde,  holte  er  aus  der  tiburtischen  Bibliothek, 
welche  damals  im  Tempel  des  Hercules  ganz  reichlich  mit 
Büchern  versehen  war,  ein  Werk  des  Aristoteles  hervor  und 
brachte  dies  zu  uns  mit  und  sagte:  (wenn  ihr  mir  nicht 


XIX,  5,  1.   Vergl.  Macrob.  Sat.  VII,  12. 


XIX.  Buch,  5.  Cap.,  §4—10. 


(443) 


glauben  wollt,  so)  schenkt  wenigstens  den  Worten  und  Er- 
mahnungen dieses  höchst  weisen  Mannes  Glauben  und  hört 
auf,  euere  Gesundheit  (mit  aller  Gewalt)  zu  Grunde  zu  richten. 

5.  In  diesem  (herbeigeholten)  Buche  stand  nun  ausdrücklich 
bemerkt,  dass  Schneewasser  zum  Trinken  höchst  schädlich 
sei,  so  wie  auch  das  in  noch  weit  grösserem  Masse  festere 
und  härtere  Eis,  welches  im  Griechischen  ngvorcdlog  heisst, 
und  es  stand  dabei  auch  folgende  Ursache  davon  angegeben: 

6.  Weil,  wenn  das  Wasser  sich  durch  die  Kälte  der  Luft  ver- 
härtet und  gefriert,  es  nothwendiger  Weise  nicht  ausbleiben 
kann,  dass  eine  Verdunstung  stattfindet  und  gleichsam  ein 
gewisser  Theil  der  ganz  feinen  Luft  aus  dem  Wasser  aus- 
gepresst  wird  und  entweicht.  7.  Dasjenige  also,  was  ver- 
dampft, ist  im  Wasser  der  leichteste  (feinste)  Theil ;  es  bleibt 
aber  nun  nur  das  Schädlichere,  das  Unreinlichere  und  das 
Ungesundere  zurück,  und  dies  nimmt  durch  den  (kalten)  Luft- 
druck zusammengepresst  das  Aussehen  und  die  Farbe  von 
weissem  Schaum  an.  8.  Allein  ein  gut  Theil  von  dem,  was 
gesünder  ist,  werde  verflüchtigt  und  aus  dem  Schnee  ver- 
dampft, dafür  spricht  der  Beweis,  weil  seine  Masse  kleiner 
und  geringer  wird  als  sie  war,  bevor  sie  zu  Eis  gefror.  9.  Ich 
habe  die  betreffende  kurze  Stelle  aus  dem  Buche  des  Aristo- 
teles gleich  ausgezogen  und  füge  sie  hier  bei:  „Warum  das 
Wasser  aus  Schnee  und  Eis  ungesund  ist?  Weil  von  der  hart 
gewordenen  (gefrorenen)  Wassermasse  die  feinsten  Theile  ver- 
dunstet werden  und  die  leichtesten  (flüssigsten)  Theile  ver- 
dampfen. Beweis  (dafür  dürfte  sein),  weil  die  Masse  weniger 
wird,  als  sie  vorher  war,  sobald  das  Hartgewordene  (Ge- 
frorene) wieder  geschmolzen  ist.  Da  nun  also  das  der  Ge- 
sundheit Zuträglichere  entwich,  so  ist  nothwendig,  dass  das 
Zurückgebliebene  schlechter  (und  ungesunder)  sei."  10.  Als 
wir  dies  gelesen  hatten,  so  war  man  der  Ansicht,  dass  man 
einem  so  ausserordentlich  weisen  Manne,  wie  dem  Aristoteles, 
alle  Ehre  widerfahren  lassen  (und  seinen  Rath  unbedingt  be- 
folgen) müsse,  und  deshalb  erklärte  ich  dem  (Genuss  vom) 
Schnee(wasser)  Krieg  und  Hass;  die  Anderen  Hessen  sich 
mit  diesem  Getränke  freilich  nur  auf  einen  sehr  verschieden- 
artigen (zweifelhaften)  Waffenstillstand  ein  (d.  h.  Einer  oder 
der  Andere  tibertrat  doch  bisweilen  noch  das  Verbot). 


(444)  XIX.  Buch,  6.  Cap.,  §  1—3.  —  7.  Cap.,  §  1. 


XIX,  6,  L.  Wie  das  Schamgefühl  das  Blut  nach  den  äussersten  Theilen 
des  Körpers  ergies>st  und  ausbreitet,  die  Furcht  und  der  Schreck  aber 

dasselbe  zurückzieht 

XIX,  6.  Cap.  1.  In  den  „(naturwissenschaftlichen  Räthsel-) 
Fragen"  des  Philosophen  Aristoteles  steht  Folgendes  geschrie- 
ben: „Warum  wohl  Die,  welche  sich  schämen,  roth  werden, 
und  Die,  welche  sich  fürchten  (oder  erschrecken),  blass,  da 
doch  diese  Gemüthsbewegungen  einander  so  ähnlich  sind? 
Etwa  weil  das  Blut  Derer,  die  sich  schämen,  aus  dem  Herzen 
nach  allen  anderen  Theilen  des  Körpers  hin  sich  ergiesst  und 
folglich  auf  der  Oberfläche  erscheint,  und  bei  Denen,  die  sich 
fürchten,  (oder  erschrecken,  das  Blut)  nach  dem  Herzen  hin- 
strömt und  folglich  von  allen  übrigen  (Körper-)  Theilen  sich 
wegzieht?"  2.  Als  ich  zu  Athen  dem  Taurus  diese  Stelle  vor- 
gelesen und  zugleich  die  Frage  vorgelegt  hatte,  was  er  wohl 
über  die  angegebene  Ursache  dächte,  antwortete  er  mir: 
Aristoteles  hat  wohl  ganz  treffend  und  richtig  gesagt,  was 
geschieht,  wenn  das  Blut  sich  (nach  den  Körpertheilen  hin) 
ergiesst,  oder  wenn  es  sich  (wieder)  zurückzieht,  allein  warum 
dies  also  geschieht,  davon  hat  er  nicht  gesprochen.  3.  Denn 
es  kann  doch  ferner  noch  gefragt  werden,  warum  die  Scham- 
haftigkeit  eine  Ergiessung  von  Blut  veranlasst,  die  Furcht  (und 
der  Schreck)  aber  ein  Zurückziehen  desselben,  da  das  Scham- 
gefühl eine  Art  von  Furcht  ist  und  ihrem  Begriffe  nach  so 
erklärt  wird:  Furcht  vor  wohlverdientem  Vorwurf.  Diese 
Erklärung  geben  nämlich  die  (griechischen)  Philosophen: 
Scham  ist  Furcht  vor  gerechtem  Tadel  (aioxtvr]  botlv  q>6ßog 
dwaiov  xpoyov). 

XIX,  7,  L.    Was   das  Wort  „obesnm"  bedeutet  und  einige  andere  alter- 

thümliche  Ausdrücke. 

XIX,  7.  Cap.  1.  Der  Dichter  Julius  Paulus,  ein  echter 
Biedermann  und  in  der  alten  Geschichte  und  Literatur  un- 

XIX,  6,  1.   Vergl.  Cic.  TuscuL  IV,  8. 
XIX,  6,  2.   S.  Macrob.  VII,  11. 

XIX,  7,  L.  ob  es  um  (von  obedo,  passiv;),  angegessen,  mager; 
(medial:)  fest,  feist 

XIX,  7,  1.  Der  Dichter  Julius  Paulus  bei  Gellius  schon  I,  22,  9; 
V,  4,  1;  XVI,  10,  9  erwähnt.   S.  Teuffels  röm.  Lit  Gesch.  349,  4. 


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XIX.  Buch,  7.  Cap.,  §  1  —  5. 


(445) 


gemein  bewandert,  besass  auf  vaticanisehem  Gebiete  ein  (be- 
scheidenes) unbeträchtliches  Erbgütchen.  Dorthin  lud  er  uns 
oft  zu  sich  ein  und  bewirthete  uns  freundlich  und  reichlich 
mit  Gemüse  (Kohl)  und  Obst  (von  seinem  Selbsterbauten). 
2.  Als  ich  nun  mit  dem  Julius  Celsinus  an  einem  milden  Herbst- 
tage auch  einmal  bei  ihm  (im  Hause)  gespeist  hatte,  und  bei 
Tafel  die  Alcestis  des  Laevius  hatte  vorlesen  hören  und  wir 
uns  (später)  beim  nahen  Sonnenuntergang  auf  dem  Rückwege 
zur  Stadt  befanden,  da  wiederholten  wir  uns  die  (eigentüm- 
lichen) Wendungen  und  Wortformen,  die  in  dem  Gedicht  des 
Laevius'  vorgekommen  und  uns  als  neu  und  auffällig  erschie- 
nen waren.  Wenn  nun  irgend  ein  bemerkenswerther  Ausdruck 
vorgekommen  war,  von  dem  wir  glaubten,  auch  einmal  Ge- 
brauch machen  zu  können,  so  prägten  wir  ihn  unserem 
Gedächtnisse  ein.  3.  Eine  solche,  uns  damals  nun  noch  im 
Gedächtniss  hängen  gebliebene  Stelle  war  z.  B.  folgende: 
(Da  sah  ich  ihn) 

Corpore  pectoreque  undique  obeso  ac 

Mente  exsensa  kurdingemulo 

Senio  obpressum,  d.  h. 

Ganz  abgezehrt  den  Körper  und  die  Brust  ringsum, 
Empfindungslosen  Geistes,  langsam  ächzend 
Vom  Alter  hart  gebeugt 

Wir  bemerkten  hier  den  mehr  eigenthümlichen,  als  gewöhn- 
lichen Gebrauch  des  Wortes  „obesus"  (in  der  Bedeutung  von: 
benagt),  also  für  dürftig,  hager,  abgezehrt,  denn  im  Allgemeinen 
wird  der  Ausdruck:  „obesus"  im  uneigentlichen  oder  ent- 
gegengesetzten Wortsinn  (axvQiog  r}  zcto*)  avr Lcpqao iv) 
gebraucht,  für:  reichlich  genährt  (angefressen)  und  fett 
(gefressen).  4.  So  hatten  wir  uns  auch  gemerkt,  dass  er 
„oblitera  gensu  (das  vergessene  Geschlecht)  gesagt  hatte,  für 
„obliterata";  5.  ferner,  dass  er  Feinde,  weil  sie  das  Bündniss 
brachen,  „foedifragi"  (Bundesbrüchige)  und  nicht  „foederifragi" 


XIX,  7,  2.  Ueber  Laevius  s.  Gellius  II,  24,  8  NB  und  Teuffels  röm. 
Lit  Gesch.  148,  5. 

XIX,  7,  3.  *)  xaj*  anifpQaaiV)  im  entgegengesetzten Wortsinn,  d.h. 
eine  Benennung,  die  mit  dem  Wesen  des  Benannten  im  Widerspruch 
ßteht,  z.B.  novxog  tvfrivog  statt  u&ivos,  oder  bellum  (schön  oder  Krieg), 
der  nicht  schön  ist. 


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(446)  XIX.  Buch,  7.  Cap.,  §6  —  16. 

genannt  hatte;  6.  so  auch,  dass  er  die  rothprangende  Morgen- 
röthe  (Aurora)  mit  dem  Beiwort  „pudicolor"  (schamfarbig, 
d.  h.  schamroth)  belegte  und  den  (äthiopischen  Mohrenkönig) 
„Memnon  nocticolor"  (nachtfarbig,  statt  schwarz)  nannte;  7. 
so  sagte  er  auch  „dubitanter"  (mit  Bedenken)  für  „forte"  (ohn- 
gefähr),  und  von  „sileo"  (schweige)  sagte  er  (das  syncopirte 
Participium)  „silenta  loca"  (verschwiegene  Orte),  dann  auch 
noch  „pulverulenta"  (bestäubt,  vergl.  Gell.  XVIII,  12, 4  pulvero, 
bestäubt  sein  und  stäuben)  und  „pestilenta"  (der  Gesundheit 
verderblich)  und  so  auch :  „carendum  tui  est"  (man  muss  deiner 
entbehren)  anstatt:  te  (Ablativ:  Dich  entbehren)  und  „magno 
impete"  (mit  grossem  Ungestüm)  für  „impetu";  8.  ebenso 
brauchte  er  den  Ausdruck:  „fortescere"  (tapfer  werden)  für 
„fortem  fieri" ;  9.  so  auch  das  Wort  „dolentia"  (Schmerz)  für 
„dolor"  und  „avens"  (begierig,  gern)  für  „libens" ;  10.  so  auch 
„curis  intolerantibus"  (passive)  für  „intolerandis"  (von  unerträg- 
lichen Sorgen)  und  ebenso  „manciolis  tene  illis4'  (an  diesen  zarten 
Händchen  halte)  für  „manibus",  und  so  sagte  er  auch:  „quis 
tarn  siliceo"  (sc.  corde  est,  d.  h.)  wer  ist  so  kieselhart(en 
Herzens)?  So  brauchte  er  das  Wort  „fiere"  und  sagte  „inpendio 
infit"  (es  fängt  an  kostspielig  zu  werden)  anstatt  zu  sagen: 
„fieri  inpense  incipit";  11.  und  dann  sagte  er  weiter:  „acci- 
pitret"  (nach  Habichtart  zerreisst  oder  zerfleischt)  anstatt 
„laceret".  12.  Mit  solchen  Betrachtungen  über  die  laevische 
Ausdrucksweise  vertrieben  wir  uns  also  während  des  Weges 
die  Zeit.  13.  Denn  alle  anderen  Ausdrücke,  die  uns  zu  sehr 
poetisch  und  dem  Gebrauch  in  der  ungebundenen  Rede  ferner 
zu  stehen  schienen,  liessen  wir  ganz  ausser  Acht,  wie  z.  B. 
die  Ausdrücke ,  deren  er  sich  in  Bezug  auf  den  Nestor  be- 
diente, wie  z.  B.  trisaeclisenex  (der  drei  Geschlechter  [alte] 
Greis)  und  „dulciorelocus  iste"  (der  mit  süssem  Munde  Re- 
dende, d.  h.  der  liebliehe  Redner);  14.  ebenso  wie  er  von 
hochangeschwollenen  und  grossen  Fluthen  sagt  „multigrumi" 
(sehr  aufgehäuft);  15.  und  bei  den  von  Kälte  erstarrten  (ver- 
härteten, gefrorenen)  Flüssen:  sie  hätten  eine  onychinische 
(d.  h.  marmorne  oder  alabasterne)  Decke;  16.  und  was  er 


XIX,  7,  10.  Manciolis  tene  illis  vergl.  Eur.  Alcest.  381:  tnl  rofJ* 
7r«fJ«ff  etc. 


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XIX.  Buch,  7.  Cap.,  §  16.  —  8.  Cap.,  §  1—3.  (447) 


sonst  noch,  scherzend  und  spielend,  für  vielfache  Ausdrücke 
(erfand  und)  erdichtete;  wie  endlich  zuletzt  noch  jener  Aus- 
druck, wo  er  seine  Tadler  genannt  hat:  subducti  supercilii 
carptores,  d.  h.  Augenbrauenüberstülpungs-Tranchirer. 

XIX,  8,  L.  Untersuchung,  ob  die  Wörter  „harena"  (Sand),  „coelura" 
(Himmel),  und  „triticum"  (Waizen)  sich  auch  im  Plural  gebraucht  finden 
und  nebenbei  auch  über  den  Ausdruck  „quadrigae"  und  „inimicitiae"  und 
ausserdem  über  noch  einige  andere  (bei  denen  es  sich  ebenfalls  fragte,  ob 
sie  sich  im  Singular  gebraucht  vorfinden. 

XIX,  8.  Cap.  1.  Wenn  mir  (damals)  zu  Rom  als  ganz 
jungem  Menschen",  bevor  ich  mich  nach  Athen  begab,  vom 
Besuche  meiner  Lehrmeister  und  ihrer  Vorlesungen  einige 
freie  Zeit  übrig  blieb,  versäumte  ich  nie,  besuchshalber,  mich 
zum  Fronto  Cornelius  zu  verfügen  und  seine  öfteren  ge- 
lehrten Unterredungen  mit  anzuhören  und  aus  den  Vorräthen 
seiner  kostbaren  Kenntnisse  Nutzen  zu  ziehen.  Und  ich  kann 
nicht  anders  sagen,  so  oft  ich  ihn  besuchte  und  seine  Vor- 
träge hörte,  kehrte  ich  fast  immer  veredelter  und  gebildeter 
zurück  (d.  h.  nahm  ich  stets  neue  Anregung  zu  meiner 
geistigen  Veredlung  und  Vervollkommnung  mit  fort).  2.  Von 
solchem  Einfluss  war  eines  Tages  auch  seine  Unterredung 
über  einen  zwar  leichten  Gegenstand,  aber  durchaus  nicht 
unwichtig  für  Solche,  welche  sich  ernsthaft  mit  der  latei- 
nischen Sprache  beschäftigen.  3.  Denn  als  da  einer  seiner 
Freunde,  ein  wohl  unterrichteter  Mann  und  berühmter  Dichter 
erwähnte,  dass  er  endlich  von  der  Wassersucht  ganz  befreit 
worden  sei  und  zwar  durch  Anwendung  von  heissen  Sand- 
massen (arenis  calentibus),  da  entgegnete  ihm  scherzhafter 
Weise  Fronto:  Vom  (leidigen)  Krankheitsübel  bist  Du  nun 
allerdings  erlöst,  aber  vom  Sprachübel  bist  Du  noch  nicht 
erlöst.  Denn  Gajus  Caesar,  jener  beständige  (lebenslängliche) 
Dictator,  der  Schwäher  des  Gnaeus  Pompejus  und  Begründer 


XIX,  7,  16.  Der  altertümlichen  Poesie  waren  kolossale  Anschich- 
tungen  von  Wörtern  eigen.    S.  Bernh.  röm.  Lit.  7,  14. 

XIX,  8,  3.  Die  Schrift  Caesars  de  analogia  war  gewissermassen  eine 
lateinische  Grammatik.  S.  Gell.  I,  10,  4;  IV,  16,  8;  IX,  14,  25;  Suet. 
Caes.  6;  Cic.  Brut  72,  253;  Cic.  Attic.  6,  2;  Quint.  I,  5,  13;  I,  6,  1; 
I,  6,  8.   Vergl.  Teuffels  Gesch.  der  röm.  Lit.  192,  4. 


(448) 


XIX.  Buch,  8.  Cap.,  §3  —  6. 


des  Namens  und  Geschlechtes  aller  späteren  Caesaren,  ein 
Mann  von  hervorragenden  Anlagen,  der  sich  unter  allen  seinen 
Zeitgenossen  durch  die  grösste  und  untadeligste  Sprachreinheit 
auszeichnete,  dieser  bedeutende  Mann  ist  in  seiner  an  den 
M.  Cicero  verfassten  Schrift  über  „Analogie  (stilistische  Einheit)" 
der  Ansicht,  dass  es  ein  grosser  Sprachfehler  sei,  „harena" 
(Sand)  in  der  Mehrheit  zu  verwerthen,  weil  „harena"  nie 
im  Plural  gebraucht  werden  dürfe,  wie  auch  weder  „coelum" 
(Himmel),  noch  „triticumu  ( Waizen) ;  4.  dagegen  soll  man  stete 
„quadrigae"  (Viergespann)  im  Plural  brauchen,  wenn  gleich 
dies  Fuhrwerk  nichts  bezeichnet,  als  eine« Koppel  von  (vier) 
zusammengeschirrten  Pferden;  dasselbe  gilt  auch  beziehentlich 
der  Wörter  „arma"  (Waffen)  und  „moenia"  (Mauern)  und 
„comitia"  (Volks -Versammlungen)  und  „inimicitiae"  (Feind- 
schaften), wo  die  Pluralform  die  allein  richtige  ist,  (und 
darauf  sagte  Fronto:)  hast  Du  nun,  Schönster  der  Dichter, 
etwas  dagegen  zu  erwidern,  wodurch  Du  Dich  sowohl  zu 
entschuldigen,  als  auch  deutlich  darzuthun  vermagst,  dass 
dies  kein  Fehler  sei  (sc.  harenae  im  Plural  gebraucht  zu 
haben)?  5.  Jener  erwiderte:  In  Betreff  der  Wörter  „coelum" 
und  „triticum"  leugne  ich  allerdings  nicht,  dass  sie  immer  nur 
im  Singular  gebraucht  werden  müssen,  und  ebensowenig  be- 
streite ich,  dass  in  Betreff  der  Wörter:  arma,  moenia  und 
comitia  stets  nur  die  Pluralform  für  richtig  zu  halten  sei, 
jedoch  über  „inimicitiae"  und  „quadrigae"  wollen  wir  nachher 
sprechen.  6.  Allein,  werde  ich  mich  nun  auch  schon  in  Be- 
zug auf  (die  Pluralform  von)  „quadrigae"  dem  massgebenden 
Beispiele  der  alten  Schriftsteller  fügen,  so  will  mir  doch  nicht 
einleuchten,  was  G.  Caesar  für  einen  Grund  gehabt  haben 
kann,  in  Abrede  zu  stellen,  warum  das  Wort  „inimicitia"  nicht 
gerade  so  gut  im  Singular  von  den  Alten  soll  gebraucht 
worden  sein,  oder  von  uns  soll  gebraucht  werden  dürfen,  wie 
die  Wörter:  inscientia  (Unwissenheit),  impotentia  (ZügeWosig- 
keit),  injuria  (Ungerechtigkeit)?  Da  ja  auch  Plautus,  dieser 
Stolz  und  diese  Zierde  der  lateinischen  Sprache,  „delicia" 
im  Singular  (mxwg)  gebraucht  hat  für  die  (gebräuchlichere) 
Pluralform  (im  Poenulus  oder  Karthager  I,  2,  152  [364])  für 
deliciae: 

mea  voluptas,  mea  delicia,  d.  h. 
(Du)  meine  Lust,  (Du)  meine  Wonne. 


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XIX.  Buch,  8.  Cap.,  §6—10.  (449) 

Ebenso  braucht  Q.  Ennius  in  seinem  höchst  denkwürdigen 
und  berühmten  Buche  die  Singularform  von  inimicitia: 

 Eo  ego  ingenio  natus  sam, 

-)-  Amicitiam  atque  inimicitiam  in  frontem  promptam  gero,  d.  h. 

 Geboren  bin  ich  mit  der  Eigentümlichkeit, 

Man  sieht  die  Freundschaft  offen  mir  geschrieben  an  die  Stirne,  wie  die 

Feindschaft. 

Wer  hat  nun,  ich  bitte  Dich,  (ausser  Caesar)  sonst  noch  ge-  , 
schrieben,  oder  behauptet,  der  Plural  von  „harena"  sei  nicht 
gut  lateinisch?  Und  deshalb  bitte  ich  Dich  (zugleich),  dass, 
wenn  Du  die  Schrift  des  Gajus  Caesar  nicht  bei  der  Hand  hast, 
sie  sofort  (Dir)  mögest  herholen  lassen,  damit  Du  Dich  selbst 
deutlich  überzeugen  kannst,  dass  er  diesen  Satz  als  unumstöss- 
lich  aufstellt.  7.  Aus  dem  also  herbeigeholten  ersten  Buche 
„über  die  Analogie"  prägte  ich  mir  folgende  wenigen  Worte 
meinem  Gedächtnisse  „vom  Gebrauch  der  Numeri"  ein.  8. 
Als  er  nämlich  vorausgeschickt  hatte,  dass  die  Pluralform 
weder  bei  „coelum",  noch  bei  „triticum",  noch  bei  „harena" 
zulässig  sei,  fährt  er  fort:  „Du  bist  der  Ansicht,  das  Wesen 
der  betreffenden  Dinge  bringe  es  so  mit  sich,  dass  wir  sagen 
können,  eine  Erde  (eine  Welt)  und  mehrere  Welten,  ferner 
eine  Stadt  und  mehrere  Städte,  dann  auch  ein  Reich  und 
mehrere  Reiche;  und  nun  (sagst  Du)  sollten  wir  die  Plural- 
form von  „quadrigae"  nicht  in  den  Singular  verwandeln  und 
auch  den  Singular  von  „harena"  nicht  in  den  Plural  umändern 
können?"  9.  Nach  dem  Vortrage  dieser  Stelle  wendete  sich 
Fronto  an  jenen  Dichter  und  sagte:  Scheint  es  Dir  nun 
richtig,  dass  G.  Caesar  über  die  Form  des  Wortes  (harena), 
Deiner  Ansicht  entgegen,  ganz  klar  und  ganz  bestimmt  sich 
ausgesprochen  und  erklärt  habe?  10.  Darauf  entgegnete  der 
Dichter,  durch  diese  schriftliche  Beglaubigung  überführt: 
Wenn  mir  jetzt  noch  die  Möglichkeit  gegönnt  wäre*  mich  an 
Caesar  selbst,  als  an  den  Urtheilsspruch  eines  höheren  Richters 
wenden  zu  können,  so  würde  ich  auch  jetzt  immer  noch  mich 
(gern)  von  dem  nur  schriftlichen  Zeugnisse  des  Caesar  los- 
zuwetten  bereit  sein.  Da  er  selbst  aber  (durch  seinen  Tod) 
tiberhoben  ist,  uns  über  seine  Meinung  Aufschluss  zu  geben,  so 
müssen  wir  jetzt  Dich  (speciell)  schon  ersuchen,  uns  zu  sagen, 
worin  nun  eigentlich  der  Fehler  zu  suchen  wäre,  wenn  man 
„quadriga"  im  Singular,  oder  „harenae"  im  Plural  sagen  wollte. 

Gel  Hu s.  Attische  Säclite.   II.  29 


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(450) 


XIX.  Buch,  S.  Cap.,  §  11-14. 


11.  Darauf  antwortete  Fronto  also:  Der  Ausdruck  quadrigae, 
obgleich  darunter  nicht  mehrere  Wagen,  sondern  nur  ein 
Viergespann  zu  verstehen  ist,  enthält  immerhin  doch  den 
Begriff  einer  Mehrheit,  weil  vier  zusammengespannte  Pferde: 
„quadrigae"  genannt  werden,  gleichsam  als  „quadrijugae"  (vier 
angeschirrte),  und  der  Inbegriff  von  mehreren  Pferden  ver- 
trägt sich  durchaus  nicht  mit  dem  Einheitsbegriff  der  Singular- 
form. 12.  Und  hinwiederum  im  entgegengesetzten  Falle  gilt 
dieser  nämliche  Grund  auch  von  dem  Singular  des  Wortes 
„harena";  denn  da  „harena"  im  Singular  gebraucht  eine 
Masse  und  Menge  der  allerkleinsten  Bestandtheile  bezeichnet, 
so  würde  „harenae"  als  Plural  unklug  und  unüberlegt  gesagt 
erscheinen,  gleich  als  wenn  dieses  Wort  eine •  Erweiterung 
durch  die  Pluralform  bedürfe,  da  doch  schon  im  Singular 
dieses  Wortes  ein  wesentlicher  Mehrheitsbegriff  enthalten  ist. 
Allein  ich  habe  dies  nur  angeführt,  sagte  er,  nicht  um  als 
selbständiger  Begründer  für  das  Zurechtbestehen  dieses  Aus- 
spruches und  Gesetzes  mich  aufzuwerfen  (non  ut  hujus  sen- 
tentiae  legisque  fundus  subscriptorque  fierem,  d.  h.  nicht 
also,  um  etwa  nun  diesen  Ausspruch  und  dieses  Gesetz  ge- 
nehmigen, autorisiren  und  begünstigen  zu  helfen),  sondern 
nur,  um  mich  vor  dem  Vorwurf  zu  sichern,  als  hätte  ich  die 
Meinung  eines  so  gelehrten  Mannes,  wie  des  Caesar,  unerbitt- 
lich (a7zagafiv&r]Tov)  blosstellen  wollen.  13.  Denn  da  „coelum" 
(Himmel)  immer  im  Singular  (hrtiüg)  gesagt  wird,  „mare" 
(Meer)  und  „terra"  (Erde)  nicht  immer,  auch  „pulvis"  (Staub) 
und  „ventus"  (Wind)  und  „fumus"  (Rauch)  nicht  immer,  warum 
haben  nun  die  alten  Schriftsteller  bisweilen  „induciae"  (Waffen- 
stillstand) und  „caeremoniae"  (heilige  Religionsgebräuche)  auch 
im  Singujar  gebraucht,  niemals  aber  die  Wörter  „feriae"  (Fest- 
Feier-Tage),  „nundinae"  (Jahrmarkt)  und  „inferiae"  (Todten- 
opfer)  und  „exsequiae"  (Leichenbegängniss)  (anders  als  im 
Plural)?  Warum  braucht  man  bei  den  Wörtern  „mel"  (Honig) 
und  „vinum"  (Wein)  und  allen  übrigen  derartigen  Begriffen 
die  Mehrzahl  und  sollte  sie  bei  „lacte"  (=  lac,  Milch)  nicht 
brauchen?  14.  Es  ist  aber  nicht  möglich,  sag1  ich,  dass  in 
einem  Staate,  wo  Geschäfte  sich  auf  Geschäfte  häufen  und 
die  (volle)  Thätigkeit  der  Menschen  so  in  Anspruch  genom- 
men ist,  alle  diese  Fragen  aufgeworfen  und  bis  in  die  klein- 


n 


XIX.  Buch,  8.  Cap.,  §  14— lö.  -  9.  Cap.,  §  1.  ^451) 

I 

sten  Einzelheiten  ausführlich  und  erschöpfend  gelöst  werden 
können.  Doch  fürwahr,  ich  merke  eben,  dass  ich  euch  durch 
diese  meine  (Neben-)  Bemerkungen  (bereits)  zu  lange  auf- 
gehalten habe,  während  euch  vielleicht,  was  ich  nicht  wissen 
kann,  ein  wichtigeres  Geschäft  obliegt.  15.  Geht  also  jetzt 
nur  (euerem  Berufe  nach)  und  wenn  ihr  zufällig  wieder  ein- 
mal etwas  freie  Zeit  habt,  dann  fragt  abermals  bei  mir  nach, 
ob  irgend  einer  der  Redner,  oder  der  Dichter,  d.  h.  nicht 
etwa  ein  untergeordneter,  sondern  ein  mustergiltiger  und 
massgebender  (classicus  adsiduusque  aliquis  scriptor),  selbst- 
verständlich aus  jener  älteren  Schriftsteller-Reihe,  irgend  ein- 
mal [„quadriga"  (im  Singular)  und  „harenae"  (im  Plural)  ge- 
sagt hat.  16.  Dergleichen  Untersuchungen  über  Ausdrücke 
empfahl  uns  Favorin  ernstlich  an,  ich  glaube  nicht  deshalb, 
weil  er  der  Meinung  war,  dass  sich  Beispiele  davon  in  irgend 
welchen  Schriften  |der  Alten  vorfinden  könnten,  sondern  um 
durch  Aufsuchen  seltener  Ausdrücke  in  uns  (die  Anregung 
und)  das  Streben  in  Thätigkeit  zu  erhalten,  nur  mit  höchster 
Aufmerksamkeit  zu  lesen.  17.  Das  einzige  Wort  also,  was 
höchst  selten  vorzukommen  schien,  das  Wort  „quadriga"  im 
Singular  gebraucht,  fand  ich  in  dem  Buche  der  Satiren  des 
M.  Varro,  welches  die  Ueberschrift  trägt:  „Exdemeticus". 
18.  Mit  weniger  Eifer  habe  ich  allerdings  nachgesucht,  ob 
das j  Wort  „harena"  in  der  Mehrheit  (7tlt]dvvTiy.a)g)  gesagt 
worden  ist,  weil  ausser  dem  G.  Caesar,  so  viel  wenigstens  ich 
mich  erinnere,  keiner  der  wissenschaftlich  Gebildeten  dies 
Wort  so  angeführt  hat. 

XIX,  9,  L.    Welche  allerliebste  Entgegnung  Antonius  Julianus  bei  einem 
■Gastmahle  einigen  Griechen|gegenüber  (sofort)  in  Bereitschaft  hatte. 

XIX,  9.  Cap.  1.  Ein  junger  Asiate  aus  dem  Ritter- 
stande, von  erfreulichen  Anlagen,  mit  Gütern  des  Herzens 
und  des  Glückes  reichlich  gesegnet,  mit  einer  angeborenen 


XIX,  8,  15.  Adsiduus  (s.  Gell.  XVI,  10,  8 NB)  nicht  von  ab  asse 
dando,  sondern  von  ab  assidendo,  ansässig.  Vergl.  Cic.  de  repbl.  2,  22; 
top.  2,  lOfc  Varro  bei  Non.  48.  G.{;  Quint.  5, 10, 55;  Charis.  75  K;  Paul.  p.  9. 

XIX,  9,  1.  Reiche  £  feingebildete  Leute  liebten  es,  wenn  sie  einen 
Kreis  gleichgesinnter  Freunde  um  sich  versammelten,  auch  Männer  ein- 

29* 


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(452) 


XIX.  Buch,  9.  Cap.,  §2—6. 


besonderen  Neigung  und  Vorliebe  für  Musik,  gab  eines  Tages 
seinen  Freunden  und  Lehrern  auf  einem  Landgütchen  vor 
der  Stadt  ein  Gastmahl  zur  Feier  des  Jahrestages,  an  dem 
er  zuerst  das  Licht  der  Welt  erblickt  hatte.  2.  Zu  diesem 
(Geburtstags-)  Schmause  hatte  sich  auch  der  Rhetor  Antonius 
Julianus  eingefunden,  Lehrer  für  Öffentliche  Unterweisung  der 
Jugend,  an  dessen  Aussprache  und  spanischem  Dialekt  man 
(zwar)  sofort  den  Ausländer  erkannte,  (aber)  ein  Mann  von 
blühender  Beredtsamkeit  und  vielbewandert  in  der  alten  Ge- 
schichte und  Literatur.  3.  Als  nun  dem  Essen  ein  Ende  ge- 
macht worden  war  und  man  gleich  darauf  (die  Gelegenheit  zum 
Trinken  und  zur  Unterhaltung  ergriff  und)  zum  Becher  und 
zur  Unterredung  überging,  äusserte  dieser  den  Wunsch,  man 
möchte  doch  den  ausgezeichneten  Künstlerchor,  den  sich  der 
junge  Asiate  hielt  und  der  aus  Knaben  und  Mädchen  bestand, 
welche  trugen  und  Cither  spielten,  herbeiholen.  4.  (Dieser 
Vorschlag  fand  allgemeinen  Anklang)  und  nachdem  die  Jüng- 
linge und  Jungfrauen  eingetreten  waren,  (begannen  sie  ihre 
Vorträge  und)  sangen  uns  auf  angenehme  Weise  viele  ana- 
creontische  und  sapphische  und  einige  andere  liebliche  und 
anmuthige  Liebes-Gedichte  (iXeyeTa  tQu/tixd)  neuerer  Dichter 
vor.  5.  Vor  allen  andern  aber  wurden  wir  entzückt  durch  die 
allerliebsten,  anmuthigen  Verse  des  alten,  greisen  Anacreon. 
Ich  schreibe  sie  hier  nieder,  um  mir  durch  das  Wohlbehagen 
am  Ausdruck  und  am  Klange  (dieses  lieblichen  Gedichtes  auf 
einen  silbernen  Becher)  für  meine  anstrengenden,  rastlosen 
Nachtstudien  einige  Erholung  zu  bereiten.  6.  (Die  Verse 
lauten :) 

L  Hephaestos,  bild'  aus  Silber 
Mir  in  getriebner  Arbeit  — 
Nicht  eine  Waffenrüstung; 
—  Denn  was  soll  ich  mit  Kämpfen?  — 


zuladen,  welche  das  Mahl  durch  witzige  und  geistreiche  Unterhaltung 
würzten.  Cic.  Famil.  9,  24,  3;  Juvenal.  9,  10.  Vergl.  Plutarch,  Tisch- 
gespr.  I,  1,  5;  Gesundheitsvorschriften  20;  Tischgespräche  V,  prooem. 
§  5;  cfr.  Gell.  I,  22,  5;  VII  (VI),  13;  XVII,  8;  XVIII,  2. 

XIX,  9,  4.  Die  Kömer  haben  ihrer  Elegie  nicht  die  umfassende 
Bedeutung  der  Griechen  gegeben,  sondern  beziehen  sie  nur  auf  Trauer- 
und Liebesgedichte.  Diog.  Laert.  3,  1  §  23 — 33  aus  Aristippus.  VergL 
Gell.  XIX,  11,  2  und  Bernh.  röm.  Lit.  92,  429  u.  430. 


XIX.  Buch,  9.  Cap.,  §6  —  7 


(453) 


5.  Nein  einen  weiten  Becher 

Und  auch  so  tief  als  möglich; 

Auch  bilde  mir  auf  jenem  *)  — 

Nicht  Sterne,  nicht  den  Wagen**), 

Orion  nicht,  den  Grausen; 
10.  —  Was  frommt  mir  der  Plejaden, 

Was  des  Bootes  Sternbild?  — 

Weinstöcke  bilde  lieber 

Und  Trauben  an  den  Stöcken; 

Dabei  von  Gold  als  Kelt'rer 
15.  Zusammt  dem  schönen  Bacchos 

Den  Eros  und  Bathyllos***). 

7.  Bei  dem  Gastmahle  befanden  sich  mehrere  Griechen,  (sonst 
ganz)  freundliche  Leute,  die  auch  die  Erzeugnisse  unserer 
(römischen)  Literatur  recht  genau  kannten.  Diese  gaben  sich 
(nach  dem  Vortrage  des  reizenden  anacreontischen  Liedchens) 
alle  erdenkliche  Mühe,  den  Rhetor  Julianus  (zu  necken),  her- 
auszufordern und  aufzuziehen,  wie  einen  völligen  Ausländer, 
und  wie  eine  (sogenannte)  Einfalt  vom  Lande,  da  er  ja  aus 
Spanien  stamme,  nur  ein  Schreihals  sei,  nichts  besitze,  als 
eine  wilde  und  (nur)  auf  Streit  hinauslaufende  Redegeläufig- 
keit und  der  nichts  lehre,  als  Fertigkeiten  in  einer  Sprache, 
die  jeden  Reiz  und  aller  Aninuth  eines  Schönheitsideales 
(Veneris)  und  geistigen  Aufschwunges  (Musae)  entbehre,  und 
aller  Minuten  richtete  man  an  ihn  die  Frage,  was  er  wohl  vom 
Anacreon  und  allen  andern  derartigen  Dichtern  halte  ?  und  ob 
es  wohl  einen  lateinischen  Dichter  gebe,  der  so  gleichmässig, 
ruhig  dahinfliessende,  auserlesen  poetische  Feinheiten  (aufzu- 
weisen und)  zu  Stande  gebracht  hätte?  Ausgenommen  etwa 
einiges  Wenige  von  Catull,  sagten  sie,  oder  auch  noch  Einiges 

XIX,  9,  6  *)  #  7.  Wie  auf  dem  Schilde  des  Achilleus,  Horn.  IL 
XVJll,  483  u.  s.  w.  —  **)  v.  8.  Orion  heisst  der  Grause  (arvyvog),  weil  bei 
seinem  Auf-  und  Untergange  wilde  Stürme  wüthen.  Verg.  Aen.  I,  535; 
IV,  52;  VII,  719;  Horat.  Ep.  X,  10.  —  ***)  v.  16.  Bathyllos,  Anakreons 
Liebling. 

XIX,  9,  7.  Ueber  Laevius  s.  Teuffels  Gesch.  der  röm.  Lit.  148,  5 
xl  6  und  Gell.  XIX,  7,  2  NB. 

XIX,  9,  7.   Ueber  Hortensius  [Hortalus]  s.  Gell.  I,  5,  2  NB. 

XIX,  9,  7.  C.  Memmius  Gemellus,  Redner  und  Verfasser  ero- 
tischer Werke,  berühmt  durch  Lucretius,  der  ihm  sein  Gedicht  widmete. 

8.  Meyer  in  Brut  70  p.  204  und  vor  allem  Teufiels  Gesch.  der  röm. 
Lit.  §  31,  1. 


(454) 


XIX.  Buch,   9.  Cap.,  §  7  — 10. 


von  Calvus  (s.  Gell.  IX,  12, 10 NB).  DennLaevius  (setzten 
sie  hinzu)  schuf  nur  Verwickeltes,  Hortensius  Anmuthloses, 
Cinna  Witzloses,  Memmius  Ungefälliges  und  endlich  die 
andern  Alle  Kunstloses  und  Missklingendes.  8.  Darauf  nun 
trat  Jener  (als  es  ihm  doch  zu  toll  geworden  war,  wenn  gleich 
Spanier,  doch)  für  die  vaterländische  Sprache  wie  für  Herd 
und  Altar,  d.  h.  wie  für  sein  theuerstes  Besitzthum  ein,  und 
im  Innersten  aufgebracht,  Hess  er  seinen  Unwillen  in  folgenden 
Worten  freien  Lauf:  Ich  für  meinen  Theil  habe  euch  (so  in 
meinen  Gedanken)  recht  geben  müssen,  dass  ihr  in  solch  aus- 
gekünstelter Schwelgerei  und  (so  ausgefeimter)  Schelmerei 
selbst  den  (prachtliebenden  Weichling)  Alcinous  den  Rang 
abliefet,  so  wie  auch  in  den  wollüstigen,  üppigen  Genüssen 
der  Lebens-  und  Nahrungsweise,  ebenso  aber  auch  uns  (erst 
recht)  in  den  mancherlei  Liederspielereien  besiegtet.  9.  Allein 
damit  ihr  uns,  d.  h.  die  ganze  lateinische  Nation,  wegen  Mangel 
an  Liebreiz  nicht  gleichsam  (so  zu  sagen)  als  wahrhaftig  nur 
so  ganz  ungebildete  und  einfältige  Menschen  verurtheilt,  so 
bitt'  ich,  erlaubt  mir,  mein  Haupt  mit  dem  Mantel  bedecken 
zu  dürfen,  wie  dies  (einst)  bei  einer  weniger  sittsamen  Rede 
Socrates  gethan  haben  soll,  und  höret  und  erfahret  zugleich, 
dass  auch  unsere  älteren  Dichter,  noch  vor  denen,  die  ihr  eben 
namhaft  gemacht  habt,  von  Liebeslust  und  Liebesleid  erglüht 
gewesen  (poetas  amasios  ac  venereos  fuisse).  10.  Darauf,  rück- 
wärts gebeugt,  mit  verhülltem  Kopfe,  mit  möglichst  lieblicher 
Stimme,  sang  er  Verse  von  dem  altern  Dichter  Valerius  Aedi- 
tuus,  desgleichen  von  Porcius  Licinus  und  von  Quintus  Catulus. 
Und  nach  meiner  Meinung  kann  nichts  Griechisches  oder 

XIX,  9,  8.  Alcinous,  der  aus  der  homerischÄi  Sagen  bekannte 
Phäakenfurat,  erscheint  schon  in  einem  platonischen  Wortspiele  [nlxtpog] 
als  Weichling.   Polit.  X  p.  614  B.   (M.  Hertz,  Rhein.  Mus.  1848  S.  634.) 

XIX,  9,  9.  Plat.  Phaedr.  237,  A.  sagt  Socrates:  Verhüllt  werde  ich 
sprechen,  damit  ich  auf's  schnellste  die  Rede  vollende,  und  nicht,  wenn 
ich  Dich  ansehe,  vor  Scham  in  Verlegenheit  gerathe. 

XIX,  9,  10.  Ueber  Valerius  Aedituus  und  Porcius  Licinus 
s.  Bernh.  röm.  Lit.  92,  430  u.  41,  159;  und  besonders  Teuffels  Lit.  Gesch. 
§  113,  2  und  133,  2  u.  3;  (Porcius  Licinus)  Gell. XVII,  21,  45.  —  Quint. 
Lutatius  Catulus,  ein  leidlicher  Uebersetzer  und  Nachahmer  des 
Callimachus.  S.  Bernh.  röm.  Lit.  43,  167;  dazu  noch  Teuffels  Gesch.  der 
röra.  Lit  138,  4  und  146,  4. 


XIX.  Buch,  9.  Cap.,  §  11  —  14.  -  10.  Cap.,  §  1.  (455) 

Lateinisches  gefunden  werden,  was  artiger,  zarter,  feiner,  be- 
stimmter sein  könnte,  als  diese  Verse.  11.  So  z.  B.  die  des 
Aedituus: 

Nehm'  ich  auch  gleich  mir  vor,  Dir  des  Herzens  Qual  zu  gestehen, 
Immer  das  flehende  Wort  mir  auf  der  Lippe  erstirbt. 

Heiss  überläuft  es  mich  plötzlich  und  plötzlich  erstickt  mir  die  Stimme, 
Stumm  und  im  Sehnen  erstirbt  zwiefach  aus  Liebe  das  Herz. 

12.  So  fügte  er  auch  noch  einige  andere  Verse  dieses  Valerius 
Aedituus  hinzu,  die  bei  Gott  nicht  weniger  lieblich  klingen, 
als  die  vorigen: 

Sag*,  was  trägst,  Phileros,  Du  voran  eine  Fackel  mir?  spar'  sie. 

Deutlich  beleuchtet  mein  Ziel  schon  mir  das  Feuer  der  Brust; 
Denn  diese  Gluth  des  Feuers  verlöscht  kein  Sturmesgetose, 

Noch  ein  wissender  Strom,  der  sich  vom  Himmel  ergiesst. 
Doch  nur  Venus  allein,  die  den  Brand  mir  im  Herzen  entzündet, 

Venus  allein  nur  hat  ihn  zu  verlöschen  die  Macht. 

13.  So  recitirte  er  auch  folgende  Verse  des  Porcius  Licinus: 

Kommet  ihr  Hüter  der  Schafe,  wie  Lämmer,  jüngeren  Stammes, 
Suchet  ihr  Feuer?  so  kommt,  fühlet  die  Gluth  eines  Manns. 

Durch  meine  Nähe  entbrennet  der  Wald  und  jegliches  Wesen, 
Was  auch  das  Auge  erblickt,  überall  lodernde  Gluth. 

14.  Folgende  Verse  waren  vom  Q.  Catulus: 

Es  entfloh  meine  Seele  und  sicherlich  bei  Theotimus 

Weilt  sie,  wie  immer;  bei  ihm  fand  sie  ja  stets  ein  Asyl. 

Zwar  untersagt  hab'  ich  streng',  nicht  einzulassen  den  Flüchtling, 
Sondern,  sollt'  er  sich  nah'n,  ihn  zu  verjagen  sofortj 

8uchen  ging  ich  ihn  gern,  doch  furcht'  ich  selber  die  Netze, 
Rathen  nur  kannst  in  der  Noth,  Du  mir  o  Venus  allein. 

XIX,  10,  L.    Dass  der  in  dem  Volksmunde  übliche  Ausdruck:  praeter 
propter  (eigentlich:   entfernter  oder  näher,  d.  h.  'mehr  oder  weniger  — 
ungefähr  oder  so  und  so)  auch  dem  Enjnus  eigen  war. 

• 

XIX,  10.  Cap.  1.  Ich  entsinne  mich  des  Besuchs,  den 
ich  und  der  Numidier  Celsinus  Julius  dem  Fronto  Cornelius 
abstatteten,  der  eben  wieder  sehr  schwer  von  Fussgicht  ge- 


XIX,  9,  13.  Vergl.  JGell.  XVII,  21,  45;  desgl.  Teuffels  frörn.  Lit. 
Gesch.  133,  3  über  Porcius  Licinus. 

XIX,  9,  14.  üeber  Q.  Lutatius  Catulus  s.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch. 
133,  4. 

XIX,  10,  1.    S.  Renaissance  und  Rococo  v.  M.  Hertz.   Berlin.  1865. 


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I 


(456)  XIX-  Buch,  10.  Cap.,  §  1-8. 

plagt  war.  Und  als  wir  vorgelassen  worden  waren,  trafen 
wir  ihn  auf  einem  griechischen  Ruhebett  (o/upTtodiov)  liegend 
an  und  rings  um  ihn  sassen  viele  Männer,  die  sich  durch  ihre 
Gelehrsamkeit,  oder  durch  ihre  Abkunft,  oder  ihre  Lebens- 
stellung auszeichneten.  2.  Darunter  befanden  sich  auch 
mehrere,  für  seine  neuen  Badeanlagen  herzugezogenen  Archi- 
tekten, welche  ihm  ihre  verschiedenen,  auf  Pergamentblättern 
entworfenen  Pläne  von  Badeeinrichtungen  zur  Ansicht  vorlegten. 
3.  Als  er  sich  nun  aus  allen  diesen  (vorgelegten)  Entwürfen 
einen  einzigen  Prachtplan  zur  Einrichtung  von  Sommer-Bädern 
auserlesen  hatte,  fragte  er,  wie  viel  wohl  der  Kostenüberschlag 
zur  Ausführung  des  Bauwerks  betragen  würde?  4.  Und  da 
nun  ein  Baumeister  gesagt  hatte,  es  schienen  ohngefähr 
300,000  Sesterzien  (=  15,000  Gulden)  dafür  nöthig  zu  sein, 
fügte  Einer  von  den  Freunden  des  Fronto  hinzu:  und  praeter 
propter  (ohngefähr,  etwa)  noch  andere  50,000  (Sesterzien  = 
2500  Gulden).  5.  Da  brach  Fronto  (plötzlich)  die  Unterhand- 
lungen ab,  welche  er  bezüglich  des  Kostenaufwandes  für  Ein- 
richtung der  Bäder  eben  aufzunehmen  angefangen  und  wen- 
dete sich  nach  seinem  Freunde  hin,  der  die  Nebenbemerkung 
gemacht  hatte:  dass  praeter  propter  (ohngefähr,  etwa)  noch 
andere  50,000  Sesterzien  nöthig  sein  würden,  und  fragte 
[diesen,  was  das  wohl  für  ein  Wort  sei :  praeterpropter  ]. 

6.  Und  jener  Freund  erwiderte^  Das  Wort  ist  nicht  meine 
Erfindung,  sondern  Du  kannst  es  aus  vieler  Leute  Mund  hören. 

7.  Was  dieses  Wort  aber  bedeuten  soll,  das  wirst  Du  Dir 
nicht  von  mir,  sondern  von  einem  Grammatiker  müssen  er- 
klären lassen,  und  dabei  zeigte  er  auch  sogleich  mit  dem 
Finger  nach  einer  Stelle  hin,  wo  ein  Grammatiker  sass,  dessen 
Vorträge  einen  nicht  unbedeutenden  Ruf  in  Rom  genossen. 

8.  Der  Grammatiker,  welcher  wegen  dieses  unverständlichen, 
obgleich  in  aller  Munde  gebräuchlichen  Wortes  in  Verlegen- 
heit gebracht  worden  war,  sagte:  Wir  bekümmern  uns  hier 
um  etwas,  was  die  Ehre  einer  Untersuchung  gar  nicht  einmal 


XIX,  10,  3.  Es  wurde  ungeheurer  Aufwand  getrieben  durch  Auf- 
führung prächtiger  Palaste,  Landhäuser,  Parks,  durch  Tafelgenüsse  und 
Gastgelage.  Vergl.  Sen.  ep.  90,  48;  114,  9;  Yitruv.  6,  5;  VaL  Max.  IV,  4; 
Juven.  7,  178;  Mart.  12,  50;  Hör.  Sat.  I,  6,  100  ff. 


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XIX.  Buch,  10.  Cap.,  §  9-13. 


(457) 


verdient;  9(  denn  ich  wüsste  wahrlich  nichts,  was  so  sehr 
gewöhnlich  und  (dabei)  weit  gebräuchlicher  im  Munde  von 
Handwerkern  [als  von  Gelehrten]  wäre,  wie  dieses  Wort. 
10.  Allein  Fronto,  dem  man  in  Wort  und  Miene  eine  heftige 
Erregung  anmerkte,  sagte:  Scheint  Dir,  Hochweiser,  wirklieh 
ein  Wort  so  unanständig  und  tadelnswerth,  dessen  sich  sowohl 
M.  Cato,  als  M.  Varro  und  der  grösste  Theil  der  älteren 
Schriftstellerwelt  als  noth wendig  und  echt  lateinisch  bedient 
hat?  11.  Dabei  machte  ausserdem  auch  noch  Julius  Celsinus 
sofort  darauf  aufmerksam,  dass  sogar  auch  im  Trauerspiel 
des  Q.  Ennius,  welches  Iphigenia  heisst,  dasselbe  Wort,  wor- 
über man  eben  Auskunft  begehrte,  geschrieben  stehe,  dieses 
Wort,  welches  von  den  Grammatikern  mehr  getadelt  als  er- 
klärt zu  werden  pflege.  12.  Fronto  Hess  deshalb  sofort  des 
Q.  Ennius  Iphigenia  herbeibringen.  In  einem  Chore  dieses 
Trauerspiels  lasen  wir  folgende  bezüglichen  Verse: 

Wer  die  Muse  nicht  zu  brauchen 

Weiss,  der  hat  viel  härtre  Müh',  als  wenn  ihn  dränget  Müh'  um  Müh'. 

Wem  Beschäftigung  Bedürfhiss,  thut  das  Ein'  nach  Andern  ab, 

Schafft  in  thät'gem  Eifer  stets,  erquickt  dabei  sich  Geist  und  Herz. 

Doch  in  trag5  unthät'ger  Muse,  weiss  der  Geist  nie,  was  er  will, 

Gleich  sich's  bleibt,  im  Haus'  nicht  heimisch,  noch  im  Felde  fühlt  man  sich ; 

Bald  geht's  hierhin,  bald  solFs  dorthin,  ist  man  da,  verlangt  man  fort, 

Unstät  schweift  umher  die  Seele  und  das  Leben  verläuft  so  so  (praeter 

propter). 

13.  Der  Vortrag  dieser  Stelle  war  erfolgt.  Drauf  wandte  sich 
alsdann  Fronto  an  den  schon  ganz  verlegenen  Grammatiker 
mit  den  Worten:  Hast  Du  wohl  vernommen,  mein  allerbester 
Lehrmeister,  dass  auch  Dein  Ennius  sich  dieses  Ausdrucks 
bedient  hat  und  zwar  in  Verbindung  mit  einer  Reihe  ebenso 
emster  Gedanken,  wie  nur  die  ernstesten  Verweise  der  Phi- 
losophen es  immer  sein  können?    Wir  bitten  daher,  sage 


XIX,  10,  12.  VergL  über  Ennius  Gell.  XVIH,  2,  7  NB.  Man  ist 
noch  in  Zweifel,  ob  die  römische  Tragödie  einen  Chor  gehabt  hat,  obwohl 
sich  unter  den  erhaltenen  Trauerspiel -Bruchstücken  aus  Ennius,  Naevius, 
Accius,  Pacuvius  u.  s.  w.  auch  Chor -Fragmente  finden.  So  mögen  wohl 
die  den  Griechen  entlehnten,  römischen  Trauerspiele  einen  Chor  gehabt 
haben,  und  Hör.  A.  P.  193 ff.;  Cic.  pro  Rose.  Am.  24,  66  und  in  Pis.  20,  46 
lassen  einen  Chor  annehmen.  Die  Tragödien  des  Seneca,  welche  allerdings 
einen  Chor  haben,  waren  wohl  mehr  zum  Vorlesen,  als  für  die  Bühne 
bestimmt.   (A.  Forbiger.) 


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(458)      XDL  Buch,  10.  Cap.,  §  13.  14.  —  11.  Cap.,  §  1—3. 


uns,  da  es  sich  um  ein  Wort  bei  Ennius  handelt,  was  wohl 

hier  der  eigentliche  Sinn  des  (betreffenden)  Verses  ist: 

Incerte  errat  animus;  praeter  propter  vi  tarn  vivitur, 
Unsicher  irrt  der  Geist;  so  verlebt  man  das  Leben  (mehr  oder  weniger, 

drüber,  drunter,  soso). 

14.  Der  Grammatiker  aber,  triefend  von  Angstschweiss  und 
ganz  blutroth,  da  (ausserdem)  Viele  lang  und  anhaltend 
lachten,  erhob  sich  und  sagte  im  Weggehn:  Späterhin  will 
ich  Dir,  lieber  Fronto,  aber  auch  nur  Dir  ganz  allein  Auf- 
klärung geben,  damit  diese  Unwissenden  (Ignoranten)  es 
nicht  hören  und  erfahren.  Es  wurde  nun  überhaupt  der 
Streit  über  den  [Ausdruck  aufgegeben  und  wir  brachen  Alle 
zugleich  mit  auf. 

XIX,  11,  L.  Erwähnung  einiger  Verse  des  Plato,  auf  seine  Liebe  bezüglich, 
welche  er  in  seiner  Jugend  zum  Zeitvertreib  verfertigt,  als  er  schon  mit 

ernsteren  Entwürfen  beschäftigt  war. 

XIX,  11.  Cap.  1.  Berühmt  sind  folgende  zwei  griechische 
Verschen,  und  von  vielen  gelehrten  Männern  als  denkwürdig 
erachtet  worden,  weil  sie  sehr  lieblich  und  von  reizender  Kürze 
sind.  2.  Ja  es  giebt  sogar  viele  alte  Schriftsteller,  welche 
behaupten,  dass  sie  von  Plato  selbst  herrühren,  und  dass 
er  sich,  als  er  noch  jung  war,  in  solchen  (leichten)  Spielereien 
gefiel,  obgleich  in  dieselbe  Zeit  auch  schon  das  Vorspiel  zu 
den  Entwürfen  von  seinen  ernsteren  Plänen  fiel.  (Die  Verse 
lauten:) 

Als  ich  den  Agathon  küsste,  da  flog  meine  Seel'  auf  die  Lippen, 
Kam  so  von  Sehnsucht  gequält  überzuflattern  bereit 

3.  Dieses  Distichon  hat  ein  junger  Dichter,  ein  Freund 
von  mir,  etwas  willkührlich  und  frei  in  mehrere  Verse  über- 
tragen, die  ich  gleich  hier  beifüge,  da  sie  mir  der  Erwähnung 
gar  nicht  unwerth  schienen: 

1.  Wenn  ich  mit  halboffnem  Mund' 
Zärtlich  küss'  mein  trautes  Lieb, 
Und  des  Athems  süssen  Duft 
Schlürf'  aus  offner  Lippen  Thor, 


XIX,  11,  2.   S.  Macrob.  Sat.  II,  2.« 

XIX,  11,  3.  Vergl.  Teuffels  Gesch.  der  röm.  Lit  359,  8. 


XIX.  Buch,  11.  Cap.,  §  3.  —  12.  Cap.,  §  1-3.  (459) 

5.  Wagt  sich  krank  und  liebeswond 

An  die  Lippen  meine  Seel', 

Mucht'  erspähn  in  seinem  Mund 

Eine  Zugangsöfihung  sich; 

Durch  der  weichen  Lippen  Rand 

Ringt  sie  nach  dem  Uebergang, 
10.  Schnellte  gern  hinüber  sich. 

Hätt'  ich  eine  Pause  hier, 

War'  es  auch  die  kleinste  nur, 

In  der  Kussvereinigungl 

Anzubringen  mir  gewagt, 

War'  von  Liebesgluth  bethört, 

Schnell  hinüber  sie  geflohn, 

Hätte  gleich  verlassen  mich. 
15.  Doch  ein  grosses  Wunder  da 

Wäre  sicherlich  geschehn, 

Dass  ich  selbst  gestorben  zwar, 

Lebte  fort  in  Liebchens  Seel*, 

XIX,  12,  L.  [Vortrag  des  Herodes  Atticus  über  die  Gewalt  und  das 
Wesen  des  Schmerzes,  und  Bestätigung  seiner  Meinung  durch  das  Beispiel 
eines  dummen  Bauers,  der  mit  den  Brombeersträuchern  (ganz  ebenso  auch) 

die  fruchttragenden  Bäume  verschnitt. 

XIX,  12.  Cap.  1.  Ich  hörte  (einst)  den  gewesenen  Consul 
Herodes  Atticus  zu  Athen  einen  Vortrag  in  griechischer 
Sprache  halten,  worin  er  fast  alle  Männer  meiner  Zeit  insge- 
s an  mit  an  Bedeutsamkeit,  an  Gedankenfülle,  an  Feinheit  und 
Klarheit  im  Ausdruck  bei  Weitem  übertraf.  2.  Er  sprach  sich 
(dabei)  aber  gegen  die  von  den  Stoikern  angenommene  Un- 
empfindlichkeit ,  oder  Leidenschaftlosigkeit  (cvtdd-eia)  aus, 
weil  ihm  von  einem  Stoiker  der  Vorwurf  war  gemacht  wor- 
den, als  trüge  er  mit  zu  wenig  Weisheit  und  mit  zu  geringer 
Männlichkeit  den  Schmerz  über  den  Tod  seines  geliebten 
Sohnes.  3.  In  diesem  Vortrage,  so  weit  ich  mich  noch  er- 
innere, war  folgender  Hauptgedanke  vertreten:  Dass  über- 
haupt kein  Mensch,  der  gesunde  und  natürliche  Empfindungen 
habe,  frei  sein  könne  von  allen  diesen  Gemüthsbewegungen, 
Leidenschaften  (rcd&tj)  genannt,  wie  z.  B.  frei  von  Kummer, 


XIX,  12,  1.    Vergl.  Gell.  IX,  2,  1  ad  Herodem  —  Graeca  facundia 
celebrem;  und  Philostr.  vit.  soph.  II,  1. 
XIX,  12,  2.   S.  Gell.  XII,  5,  10. 


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(460) 


XIX.  Buch,  12.  Cap.,  §3—7. 


von  Verlangen,  von  Furcht,  von  Zorn,  von  Wollust  (dass  Einer 
überhaupt  ohne  Schmerz)  sei;  und  gesetzt  auch,  er  könnte  sich 
von  allen  diesen  (Leidenschaften)  frei  ringen,  so  möchte  dies 
trotzdem  noch  lange  nicht  zur  Verbesserung  seiner  Umstände 
beitragen,  weil  in  seinem  geistigen  Empfinden  (höchstens  nur) 
eine  Erschlaffung  und  Erstarrung  eintreten  würde,  beraubt  . 
der  Unterstützung  gewisser  Anregungen,  wie  eines  vor  allen 
Dingen  höchst  nothwendigen  Einflusses.  4.  Er  sagte  nämlich, 
dass  diese  geistigen  Empfindungen  und  Leidenschaften,  wenn 
sie  alles  Mass  überschreiten,  dann  allerdings  in  Laster  aus- 
arten, an  und  für  sich  aber  eng  verbunden  und  verknüpft 
stehn  mit  Erhaltung  einer  gewissen  Frische  und  Munterkeit 
für  den  Geist  und  für's  Herz;  5.  und  deshalb  eben,  wenn 
wir  unkluger  Weise  überhaupt  alle  diese  (angebornen)  Leiden- 
schaften zerstören,  läuft  man  Gefahr,  auch  die  mit  ihnen  ver- 
wachsenen guten  und  nützlichen  Eigenheiten  Preis  zu  geben 
(und  zu  verlieren).  6.  Nach  seiner  Meinung  müsse  man  also 
diese  (angebornen)  Leidenschaften  zügeln  und  beherrschen 
lernen  und  sie  auf  eine  kluge  und  bedachtsame  Weise  zu  rei- 
nigen (und  zu  sondern)  verstehen,  damit  man  nur  alles  Das 
entferne,  was  fremdartig  und  widernatürlich  erscheint  und 
was  uns  nur  zu  unserem  Schaden  und  Nachtheil  anklebt,  da- 
bei es  allerdings  aber  nicht  so  weit  treiben,  dass  uns  in  der 
That  nicht  etwa  widerfahre,  was,  wie  man  sich  erzählt,  einem 
unverständigen  und  ungebildeten  Thracier  bei  Verwaltung 
seines  erkauften  Grundstücks  begegnet  sei.  7.  Er  (erzählte 
uns  den  betreffenden  Fall  und)  fuhr  also  fort:  Als  ein  Thra- 
cier, vom  entferntesten  Auslande,  der  nichts  von  der  Land- 
wirtschaft verstand,  einst  in  eine  Gegend,  wo  mehr  Bildung 
(und  Cultur)  herrschte,  hingezogen  war,  rein  aus  Verlangen 
nach  einem  vernünftigen  (gesitteteren)  Leben,  kaufte  er 
sich  ein  auf  Oel-  und  Weinbau  eingerichtetes  Grundstück. 
Er,  der  also  noch  nicht  viel  von  der  Wein-  und  Baumzucht 
verstand,  sieht  einmal  zufällig,  wie  sein  Nachbar  hoch  und 
breit  aufgeschossenes  Brombeergesträuch  abschnitt,  ferner 
Eschen  fast  bis  zum  höchsten  Gipfel  beschnitt,  Weinreben- 
schösslinge  vertilgte,  welche  sich  aus  den  Wurzeln  der  Stämme 
über  der  Erde  ausgebreitet  hatten,  ferner  die  an  den  Obst- 
oder Oelbäumen    aufgeschossenen   und  hervorgewachsenen 


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XIX.  Buch,  12.  Cap.,  §  7  — 10.  —  13.  Cap.,  §  1.  (461) 

> 

Räuber  (d.  h.  Wurzelsprossen)  ausputzte,  und  so  trat  er  an  ihn 
heran  und  fragte  ihn,  warum  er  doch  nur  so  viel^Holz  und 
Zweige  abschneide.  8.  Ich  thue  das,  antwortet  der  Nachbar, 
damit  mein  Acker  sauber  und  rein  werde  und  seine  Bäume 
und  Reben  fruchtbarer  und  ergiebiger  werden.  9.  Jener  dankt 
freundlich  für  die  erhaltene  Auskunft  und  entfernt  sich  freu- 
digen Herzens,  weil  er  sich  einbildet,  als  habe  er  nun  schon 
die  ganze  landwirtschaftliche  Wissenschaft  sich  zu  eigen 
gemacht.  Darauf  nimmt  er  alsbald  auch  Sichel  und  Beil  zur 
Hand,  und  sofort  stutzt  der  arme,  unerfahrne  Wicht  alle  seine 
Weinstöcke  und  Oelbäume,  und  das  vortrefflichste  Baumlaub- 
werk und  die  üppigsten  Weinrebenschösslinge  ßchneidet  er 
aus,  und  zugleich  reisst  er  alles  Gebüsch  und  Gesträuch, 
das  am  Ertrag  von  Obst  und  Früchten  sich  fruchtbar  hätte 
erweisen  können,  sammt  den  Dornensträuchern  und  Brombeer- 
stauden, der  Reinigung  des  Ackers  halber  aus:  sehr  bald 
aber  sollte  er  durch  schlechten  Ertrag  (und  übles  Lehrgeld) 
gewitzigt  werden  und  bekam  für  seine  Dreistigkeit  (Voreilig- 
keit) und  in  der  festen  Einbildung,  einen  Fehler  zu  begehen, 
(wenn  er  nicht  eine  ähnliche  Procedur,  wie  sein  Nachbar,  vor- 
nehmen würde)  durch  seine  unzeitige  (schlecht  angebrachte) 
Nachäfferei  eine  derbe  Lehre.  10.  Gerade  so,  sagte  Herodes 
Atticus,  geht  es  auch  den  Verfechtern  dieses  stoischen  Moral- 
princips  von  der  Leidenschaftslosigkeit.  Sie,  die  sich  das  An- 
sehn geben  wollen,  als  ob  sie  ganz  ruhig  und  unerschrocken 
und  unerschütterlich  seien,  während  sie  nichts  von  einem  Ge- 
lüste, nichts  von  Schmerz,  nichts  von  Zorn,  nichts  von  Freude 
zeigen,  verstümmeln  sich  alle  Triebfedern  und  jede  Spann- 
kraft zur  geistigen  Regsamkeit  und  werden  dadurch,  in  dem 
Stumpfsinn  und  der  Gefühllosigkeit  eines  gleichgültigen  und 
gleichsam  entmannten  Lebens,  alt  und  schwach. 

■ 

XIX,   13,  L.    [Dass  Zwerge  im  Lateinischen  „pumilioncs"  heissen,  im 
Griechischen  „varoi"  genannt  werden.] 

XIX,  13.  Cap.  1.  Fronto  Cornelius  und  Festus  Postumius 
und  Apollinaris  Sulpicius  standen  zufällig  zusammen  am  Ein- 


XIX,  12,  10.   Cfr.  Gell.  XII,  5. 


(462)  XIX.  Buch,  13.  Cap.,  §  1—4. 


gange  des  kaiserlichen  Palastes  im  Gespräch  begriffen.  Auch 
ich  befand  mich  ebendaselbst  mit  einigen  Anderen  und  lauschte 
voller  Wissbegierde  ihren  Gesprächen,  welche  sie  über  Kunst 
und  Wissenschaft  hielten.  2.  Da  richtete  Fron to  an  den  Apollinaris 
die  Frage :  Gieb  mir  doch  Auskunft,  (bester)  Lehrmeister,  da- 
mit ich  weiss,  ob  ich  recht  gethan  habe,  zur  Bezeichnung  für 
Leute  von  sehr  kleiner  Gestalt  (worunter  man  Zwerge  ver- 
steht) den  Ausdruck  „nani"  {vdvoi)  zu  vermeiden  und  sie  dafür 
lieber  „pumiliones"  zu  heissen,  weil  ich  mich  erinnerte,  dieses 
letztere  Wort  in  den  Schriften  der  Alten  gelesen  zu  habenT 
aber  der  Meinung  war,  dass  der  Ausdruck  „nani"  niedrig  und 
gewöhnlich  sei.  3.  Dies  Wort,  erwiderte  Apollinaris,  hört  man 
zwar  sehr  oft  im  Munde  der  ungebildeten  Menge,  doch  trotz- 
dem ist  es  kein  gewöhnlicher  (ordinärer)  Ausdruck  und  ist 
anerkanntermassen  griechischen  Ursprungs,  denn  die  Griechen 
bezeichneten  mit  dem  Ausdruck  „vavot"  Wesen  von  kurzem  und 
niedrigem  Körperbau,  die  nur  ganz  wenig  die  Erde  überragen, 
und  sie  bedienten  sich  wahrscheinlich  absichtlich  dieses  Aus- 
drucks, indem  sie  nach  einem  gewissen  etymologischen,  der 
Bedeutung  des  Wortes  angemessenen  Gesetze  verfuhren  (so 
dass  also  die  Kürze  des  Wortes  der  Kürze  seines  Begriffs 
entspricht),  und  wenn  mir  das  Gedächtniss  nicht  ganz  untreu 
ist,  so  steht  das  Wort  (vdvoi)  in  einem  Lustspiel  des  Aristo- 
phanes,  welches  den  Titel  'OkvMdeg  (Lastschiffe)  führt,  ge- 
schrieben. Allein,  hättest  Du  immerhin  nur  (lieber  Fronto) 
dem  Worte  die  Ehre  erwiesen,  es  zu  gebrauchen,  so  würde 
es  durch  Dich  mit  dem  Bürgerrecht  beschenkt  (sich  eingebür- 
gert haben)  oder  doch  sicher  in  eine  römische  Anpflanzung 
sich  gastlich  eingeführt  und  sich  bei  Weitem  mehr  Beifall 
errungen  haben,  als  alle  die  vielen  Ungebührlichkeiten  und 
schamlosen  Zotereien,  welche  von  Laberius  in  die  latei- 
nische Umgangssprache  eingeschmuggelt  worden  sind.  4.  Da 
nun  wendete  sich  Festus  Postumius  an  Fronto's  Freund,  einen 
lateinischen  Grammatiker  und  sagte:  Du  hast  eben  mit  uns 
die  Aeusserung  des  Apollinaris  vernommen,  dass  „nani"  ein 


XIX,  13,  2.  S.  Paul.  S.  177;  Aristot.  histor.  an.^,  24  (?VH?,  24);. 
Problem.  X,  14;  Suidas  vdvoi. 

XIX,  13,  8.   Ueber  Laberius  s.  Gell.  XVI,  7,  L.  u.  §  10  NB. 


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XIX.  Buch,  13.  Cap.,  §  4.  5.  —  14.  Cap.,  §  1.  2.  (463) 

■ 

griechisches  Wort  sei.  Gieb  uns  nun  also  Aufschluss,  ob  es  sprach- 
lich richtig  sei,  wo  es  im  Lateinischen  gewöhnlich  auch  von 
Mäulchen  (Mauleselchen)  und  Pony's  (Pferdchen)  gesagt  wird 
und  bei  welchem  Schriftsteller  sich  der  Ausdruck  gebraucht 
findet.  5.  Darauf  ergriff  der  Grammatiker,  der  durch  vieles 
Lesen  sehr  in  der  alten  Literatur  bewandert  war,  das  Wort 
und  sagte:  Im  Fall  ich  nicht  etwa  ein  (sündhaftes)  Verbrechen 
begehe,  wenn  ich  in  Gegenwart  des  Apollinaris  ein  Urtheil 
über  irgend  ein  lateinisches  oder  griechisches  Wort  abzugeben 
wage,  so  will  ich  mich  unterfangen,  Dir,  lieber  Festus  (Apol- 
linaris), auf  Deine  Frage  eine  Antwort  zu  ertheilen.  Ich  be- 
haupte nämlich  (nichtsdestoweniger),  dass  es  ein  (ganz  gutes) 
lateinisches  Wort  ist,  welches  man  in  den  Gedichten  des 
Helvius  Cinna  (cfr.  Gell.  IX,  12,  12  NB),  dieses  sehr  bekann- 
ten und  ausgezeichneten  Dichters  findet.  Und  nun  führte  er 
die  betreffenden  Verse  desselben  an,  die  ich  hier  beisetze, 
da  ich  sie  gerade  noch  im  Gedächtniss  habe: 

At  nunc  me  Genumana  per  salicta 
Bigis  reda  rapit  citata  nanis,  d.  h. 

Nun  im  Galopp  das  Pony(-Stuten-)paar  an  dem  Wagen 
Führt  durch  (üppiges)  Weidengebüsch  dahin  mich. 


XIX,  14,  L.  [Dass  M.  Varro  und  P.  Nigidius,  die  gelehrtesten  Römer 
ihres  Zeitalters,  Zeitgenossen  des  Caesar  und  Cicero  gewesen;  dass  des 
Nigidius  Sammlungen  (gelehrter  Abhandlungen  über  grammatische  Be- 
obachtungen, commentarii  [grammatici] )  wegen  ihrer  Unverständlichkeit 
und  Schlichtheit  nicht  (sehr)  in  die  Oeftentlichkeit  dringen  (weil  sie  schon 

ein  schärferes  Urtheil  voraussetzen). 

XIX,  14.  Cap.  1.  Das  Zeitalter  des  M.  Cicero  und  des 
Gajus  (Julius)  Cäsar  hatte  (ausser  Diesen)  wenige  Männer  von 
hervorragender  Beredtsamkeit  aufzuweisen ;  allein  zwei  Männer 
besonders  hatte  es,  welche  (durch  ihr  encyclopaedisches 
Wissen)  durch  Verzweigung  ihrer  mannigfaltigen  und  ver- 
schiedenen Kenntnisse  in  Wissenschaften  und  Künsten,  die  ja 
den  Inbegriff  aller  Verfeinerung  und  Gesittung  der  gesammten 
Menschheit  bilden,  als  (zwei  erhabene)  Stützen  und  Säulen 
dastehen,  (ich  meine)  den  M.  Varro  und  den  P.  Nigidius. 
2.  Nun  sind  zwar  des  Varro  schriftlich  begründete  Denkmäler 
von  wissenschaftlichem  und  geschichtlichem  Inhalt  (wegen 


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(464)  XIX.  Buch,  14.  Cap.,  §  2—7. 

ihrer  ausserordentlichen  Klarheit  und  Verständlichkeit)  all- 
gemein in  die  Oeffentlichkeit  gedrungen  und  vielfach  im  Ge- 
brauch; 3.  aber  A  es  P.  Nigidius  (grammatische)  Notizen- 
sammlungen wollen  (durchaus)  keinen  ähnlichen  Anklang 
finden  und  werden  wegen  ihrer  Unverständlichkeit ,  ihrer 
schlichten,  trocknen  Kürze,  gleichsam  als  wenig  nützlich,  un- 
beachtet gelassen.  4.  Ganz  so  verhält  es  sich  auch  mit  den 
Bemerkungen,  in  seinen  Abhandlungen,  die  er  (ganz  speciell) 
„sprachwissenschaftliche  (grammatische)"  nennt  und  die  ich 
erat  vor  Kurzem  gelesen  habe,  woraus  ich  hier  Einiges  bei- 
spielsweise zur  Erklärung  (und  Anerkennung)  seiner  Schreib- 
weise entlehnt  habe.  5.  Als  er  nämlich  über  das  Wesen  und 
die  Stellung  der  Buchstaben,  welche  die  Grammatiker  „Selbst- 
lauter (Vocale)"  nennen,  Erörterungen  anstellte,  drückte  er 
sich  mit  demselben  Wortlaut  aus,  welcher  hier  folgt  und  den 
ich  nur  deshalb  keiner  weitläufigeren  Erläuterung  unterziehe, 
um  dem  eignen  Urtheil  der  Leser  nicht  vorzugreifen. 
(Es  heisst  nämlich  daselbst):  6.  (Bei  Doppellauten  stehen  a 
und  o  stets  zu  Anfang,  aber  i  und  u  sind  immer  angefügt. 
Der  Vocal  e  folgt  bald,  wie  in  Aemilius,  bald  geht  er  voran, 
wie  in  Euripus.  Ein  Irrthum  ist  es,  wenn  Jemand  glaubt, 
dass  folgende  Wörter  mit  einem  u  anfangen,  wie  z.  B.  Va- 
lerius, Vennonius,  Volusius  (wo  u  Consonant  ist  und  vau  be- 
deutet) ;  oder  folgende  mit  einem  i  (als  Consonant,  gleich  dem 
hebräischen  jod),  z.  B.  jampridem  (schon  längst),  jecur  (Leber), 
jocum  (Spiel),  jucundum  (angenehm),  denn  diese  beiden  Buch- 
staben am  Anfang  sind  hier  (durchaus)  keine  Vocale  (sondern 
Consonanten).  7.  Eine  andere  Bemerkung  aus  diesem  Buche 
lautet  also:  „Mit  der  Zusammenstellung  der  Buchstaben  n 
und  g  hat  es  noch  ein  anderes  Bewandtniss,  wie  z.  B.  in 
folgenden  Wörtern:  „anguis"  (Schlange);  „angari"  (Eilboten, 
ayyaQog,  ein  persisches  Wort);  und  dann  wieder  in  folgenden 
Wörtern:  „ancora"  (Anker)  und  „increpat"  (rauscht)  und 


XIX,  14,  3.  Vergl.  Gell.  X,  5,  1 ;  XVII,  7,  5  NB  über  die  commen- 
tarii  grammatici  des  Nigidius,  Abhandlungen  über  grammatische  Ob- 
servationen. 

XIX,  14,  6.  ae  und  oe  =  dem  griechischen  m  und  oc  als  Diphthonge 
mit  zwei  hörbaren  Vocalen  ausgesprochen. 

XIX,  14,  7.   S.  Priscian.  I,  7,  39  p.  37  Kr.;  Fab.  Marius  Victorinusl. 


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t 

XIX.  Buch,  14.  Cap.,  §  7.  8.  (465) 

„incurrit"  (anstürmt)  und  „ingenuus"  (frei  geboren),  denn  in 
allen  diesen  Wörtern  ist  es  kein  reines,  eigentlich  richtiges  n, 
sondern  ein  vermischtes  (d.  h.  palatinum,  Gaumen-,  Kehl-, 
Nasal-Laut);  denn  dass  es  nicht  (der  eigentliche,  reine  Zungen- 
laut) n  ist,  beweist  sich  durch  die  Zunge  selbst,  weil,  wenn  es 
der  richtige  Buchstabe  (Halblauter)  n  sein  sollte,  die  Zunge 
den  Gaumen  berühren  müsste."  8.  An  einer  anderen  Stelle 
heisst  es:  „Ich  habe  die  Griechen  (durchaus  etwa)  nicht  des- 
halb eines  so  groben  Unverstandes  bezüchtigen  wollen,  dass 
sie  für  das  u  zwei  Vocale  (o  und  v)  brauchen,  nur  weil  die 
Unseren  sich  eine  eben  so  grosse  Ungereimtheit  zu  Schulden 
kommen}  liessen,  dass  sie  i  (=  ei)  aus  e  und  i  (zusammen- 
gezogen sprechen  und)  schreiben.  Das  Erste.musste  man, 
zum  Zweiten  war  man  nicht  gezwungen." 


XlXj  14,  8.  Iphigenia,  ilyiyivtm  und  Thalia,  Galeict,  sprachen  also 
ei  wie  L  —  Hic  wurde  früher  heic  geschrieben;  quis  früher  queis  (=* 
quibus);  die  Accusatirendung  omneis  für  omnis,  später  omnes  und  arteis 
für  artis,  später  artes.   Vergl.  Gell.  XIII,  21  (20),  1  NB. 


Gellius,  Attische  Nackte.   II.  30 


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1 


XX.  BUCH. 

XX,  1,  L.    Unterredung  zwischen  dem  Rechtsgelehrten  Sextus  Caecilius 
und  dem  Weltweisen  Favorin  über  die  Gesetze  der  Zwölftafeln. 

XX,  1.  Cap.  1.  Sex  tu  s  Caecilius  war  hinlänglich 
berühmt  durch  seine  theoretischen  Kenntnisse,  durch  seine 
praktischen  Erfahrungen  und  durch  sein  Ansehn  in  der  Rechts- 
gelehrsamkeit und  in  Auslegung  und  Deutung  (aller)  Gesetze 
des  römischen  Volkes.  2.  Als  wir  einst  auf  dem  Vorhof  des 
kaiserlichen  Palastes  warteten,  um  dem  Kaiser  (unsere  Auf- 
wartung zu  machen  und)  unsere  Ehrerbietung  zu  bezeigen, 
trat  zufällig  der  Weltweise  Favorin  (an  den  Caecilius)  heran 
und  liess  sich  in  meiner  und  vieler  Anderer  Gegenwart  (mit 
ihm)  in  eine  Unterhaltung  ein.  3.  Im  Lauf  ihrer  Unter- 
haltung nun  geschah  der  Gesetze  von  den  Zehnmännern 
Erwähnung,  welche  diese  zehn  Männer  auf  Anordnung  des 
römischen  Volkes  zur  Aufstellung  und  Regelung  der  Gesetze 
(ejus  rei  gratia)  für  das  Staats-  und  Privat- Recht  abgefasst 
und  in  Zwölftafeln  eingetheilt  hatten.  4.  Als  Sextus  Cae- 
cilius die  Behauptung  ausgesprochen,  dass  diese  Gesetze  eine 
auserlesene,  wohlgeprüfte  Gesetzsammlung  aller  möglichen 
Städte  und  mit  gründlicher  Genauigkeit  und  voll- 
endeter Kürze  im  Ausdruck  abgefasst  wären,  versetzte 

•  ■ 

XX,  1,  L.  Vergl.  über  diesen  Abschnitt:  K.  Fr.  Goschel  „Zerstreute 
Blätter«.   Schleus.  1835.   II.  Th.  S.  205  ff. 

XX,  1,  1.   üeber  Sextus  Caelius  s.  Teuffels  Gesch.  der  röm.  Lit  356, 3. 

XX,  1,  3.  S.  Gell.  XI,  18,  L.  NB  und  XVII,  21,  15;  Tac.  Annal. 
m,  27,  1. 

XX,  1,  4.  Leges  eleganti  atque  absoluta  brevitate  verborum  scriptae, 
vergl.  Diodor.  XII,  26:  ßQaxeus  x«l  «m^ltTtas  ovyxfipivT).  S.  Teuffels 
röm.  Lit  Gesch.  §  84,  4. 


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XX.  Buch,  L  Cap.,  §4—7. 


(467) 


Favorin :  Mit  dem  grössten  Theile  dieser  Gesetze  mag  es  sich 
allerdings  wohl  so  verhalten,  wie  Du  sagst,  denn  ich  habe 
selbst  diese  Zwölftafelgesetze  mit  nicht  geringerem  Eifer 
(und  Interesse)  durchgelesen,  als  jene  berühmten  zehn  Bücher 
des  Plato  „über  die  Gesetze".  Allein  ich  muss  doch  be- 
kennen, dass  ich  darin  Manches  gefunden  habe,  was  mir  ent- 
weder überaus  dunkel,  oder  höchst  hart  (und  grausam), 
Manches  wieder,  was  mir  dagegen  entweder  zu  mild  und  zu 
nachgiebig,  oder  keineswegs  so,  wie  es  geschrieben  steht,  aus- 
führbar und  stichhaltig  (consistentia)  erschienen  ist.  5.  In 
Bezug  auf  die  dunkeln  Stellen,  erwiederte  Sextus  Caecilius, 
möchte  ich  durchaus  nicht  die  Schuld  auf  Rechnung  der  Ver- 
fasser wälzen,  als  vielmehr  auf  die  Unwissenheit  derer  (Leser), 
die  sie  nicht  verstehen,  obwohl  auch  selbst  diese,  welche  das 
Geschriebene  nicht  recht  (mehr)  verstehen,  eigentlich  (billiger 
Weise)  ebenfalls  auch  wieder  zu  entschuldigen  sind.  6.  Denn 
durch  die  Länge  der  Zeit  hat  die  damals  gebräuchliche  Aus- 
drucksweise, haben  die  damals  üblichen  Sitten  und  Gebräuche 
allerhand  Abänderungen  erlitten,  unter  welchen  Verhältnissen 
der  Sprache  und  Sitten  (dieser  Gesetzesbuchstabe)  der  Sinn 
und  Inhalt  dieser  Gesetze  abgefasst  wurde.  Im  30Osten  Jahre 
nach  Erbauung  der  Stadt  Rom  wurden  die  Tafelgesetze  zu- 
sammengestellt und  aufgeschrieben,  von  welcher  Zeit  an  bis 
auf  den  heutigen  Tag  nicht  viel  weniger  als  beinahe  auch 
schon  wieder  700  (wohl  nur  600)  Jahre  verflossen  sind. 
7.  Was  aber  kann  in  diesen  Gesetzen  wohl  als  ein  harter, 
gefühlloser  Erlass  angesehen  werden?  Man  müsste  denn  das 
für  ein  hartes  Gesetz  erkennen,  welches  einen  auf  recht- 
mässige Weise  bestellten,  eingesetzten  Richter,  oder  unpar- 
teiischen Schiedsmann,  dem  bei  seiner  Entscheidung  nach- 


XX,  1,  6.  Vergl.  Gell.  XVII,  21,  15;  Liv.  III,  44—58.  Da  GellioB 
wohl  zur  Zeit  des  Antoninus  dies  schrieb,  waren  ohngefähr  900  Jahre 
seit  Roms  Erbauung  verflossen,  also  bleiben  nur  600  übrig,  nach  Abzug 
der  300. 

XX,  1,  7.  8.  Gell.  XI,  18,  7;  Mos.  et  rom.  leg.  Coilat.  VII,  2.  3; 
II.  Moses  (Exodus)  cap.  22,  2.  3.  Nach  dem  römischen,  griechischen  und 
mosaischen  Gesetze  konnte  ein  nächtlicher  Dieb  h  «uto^w^w,  i.  e.  in 
manifesto  von  dem  Gegner,  der  sein  Eigenthum  vertneidigte ,  getödtet 
werden,  was  beim  furtum  diurnum  nur  ausnatunsweise  er^au^  war- 


(468) 


XX.  Buch,  i.  Cap.,  §  7-11 


gewiesen  werden  kann,  dass  er  sich  hat  bestechen  lassen,  (sein 
Vergehen)  mit  dem  Kopfe  (Tode)  büssen  Hess,  oder  welches 
einen  (ertappten)  offenbaren  Dieb  der  Knechtschaft  des  Be- 
stohlenen  überlässt,  den  nächtlichen  Dieb  aber  rechtlich  er- 
laubt zu  tödten.  8.  Sag1,  ich  bitte  Dich,  sag'  mir  doch,  Du 
aller  (Gerechtigkeit  und)  Weisheit  beflissener  Mann,  ob  es 
nicht  auch  Deine  feste  Ueberzeugung  ist ,  dass  die  Treulosig- 
keit eines  solchen  Richters,  der,  allen  göttlichen  und  mensch- 
lichen Satzungen  zuwider,  seinen  (heiligen)  Eidschwur  für 
Geld  feil  hält,  oder  ob  die  unerträgliche  Dreistigkeit  eines 
olfenbar  überwiesenen,  augenscheinlichen  Diebes,  oder  die 
heimtückische  Gewalttätigkeit  eines  nächtlichen  Wegelagerers 
nicht  (mit  vollem  Rechte)  die  Todesstrafe  verdiene?  9.  Ver- 
schone mich,  sagte  Favorin,  damit,  über  solche  Fragen  meine 
Meinung  zu  sagen.  Du  weisst  ja,  dass  ich  (als  Akademiker, 
vergl.  Gell  XI,  5,  3)  gemäss  den  Grundsätzen  meiner  Secte, 
der  ich  zugethan  bin,  mich  mehr  auf  Untersuchungen,  als  auf 
Entscheidungen  einzulassen  pflege.  10.  Allein  das  ganze  rö- 
mische Volk  kann  doch  gewiss  nicht  für  einen  leichtsinnigen 
und  keineswegs  zu  unterschätzenden  Richter  gelten,  welchem 
alle  diese  Vergehungen  zwar  strafwürdig  erschienen,  die  darauf 
gesetzten  Strafen  aber  allzuhart  vorkamen,  denn  es  hat  sich 
ja  geduldig  gefallen  lassen,  dass  diese  Gesetze,  eine  so  über- 
mässige Strafe  betreffend,  als  vermodert  und  veraltet  ausser 
Kraft  traten  und  ausstarben  (emori).  11.  So  wie  es  auch 
jene  grausam  rohe  Verordnung  stark  missbilligte,  dass,  wenn 
Jemand,  der  vor  Gericht  gerufen  worden,  von  Krankheit  oder 
vom  Alter  sehr  angegriffen  war,  also  sich  zu  schwach  fühlte, 
hinzugehen,  ihm  nicht  ein  Wagen  (zurecht  gemacht  und) 
geliefert  wird,  sondern  er  selbst  sich  aufmachen  und  auf  ein 
(Saum-)  Thier  sich  setzen  lassen  muss  und  so  aus  seinem 
Hause  vordenPraetor*)(=  Consul)  an  den  Gerichtsort  zum 


XX,  1,  11.  Ein  Wagen  (arcera)  8.  die  Erklärung  davon  Gell.  XX, 
1,  29.  Der  Gerichtsort  war  der  offene  Marktplatz  oder  das  Comitiara 
nach  dem  Grundsatz  der  Oeffentlichkeit  und  Mündlichkeit  beim  Criminal- 
▼erfahren.  S.  Aue.  ad  Herenn.  2,  13,  30;  Plaut.  Poen.  III,  6,  12;  Varro 
L  1.  V,  155  (p.  1-54  Sp.). 

XX,  1,  11.  *)  Praetor.  Nach  Vertreibung  der  Könige  wurde  Zweien 
das  Imperium  consulare  (gewissermassen  das  collegialische)  im  Gegensatz 


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XX.  Buch,  1.  Cap.,  §  11  —  13.  (469) 


Verhör  auf  diese  (ungewöhnliche)  neue  Art  der  Beerdigung 
(gleichsam  als  eine  lebendige  Leiche)  gebracht  wird.  Denn 
wodurch  soll  man  es  entschuldigen  können,  dass  Einer,  der 
durch  Krankheit  entkräftet  und  also  nicht  in  der  nöthigen 
Verfassung  ist* ,  in  eigener  Person  (zur  Gerichtsstätte  sich  zu 
verfügen  und)  den  nöthigen  Bescheid  vor  Gericht  zu  geben, 
auf  ein  Saumthier  geladen,  auf  Veranlassung  der  Gegenpartei 
zur  Gerichtsstätte  gebracht  werden  darf?  12.  In  Betreff 
meiner  früheren  Bemerkung  aber,  dass  einige  viel  zu  gelind 
zu  sein  scheinen,  kommt  Dir  nicht  auch  das  allzu  schwach  und 
gelind  und  gleichsam  verwaschen  (dilutum)  vor,  was  in  Be- 
treff der  Ahndung  (und  Bestrafung)  einer  Beleidigung  (und 
Körperbeschädigung,  injuria)  folgende  Verordnung  enthält: 
„Wer  seinem  Nebenmenschen  eine  Beleidigung  (Körper- 
schädigung) zufügt,  soll  zur  Busse  25  Asse  erlegen."  Denn 
wer  ist  wohl  so  mittellos,  dass  ihn  25  Asse  von  der  ver- 
sucherischen Lust,  (im  Uebermuth)  Andern  eine  Beleidigung 
zuzufügen,  abschrecken  sollten?  13.  So  erzählt  uns  auch 
euer  (grosser)  Rechtsgelehrter  Q.  Labeo  da,  wo  er  in  seinen 
Erklärungsschriften  zu  den  Zwölftafelgesetzen,  gelegentlich 
gerade  dies  Gesetz  missbilligt,  folgenden  interessanten  Fall: 
Lucius  Veratius  war  ein  ausserordentlich  unverschämter  Mensch 
und  von  entsetzlich  ruchloser  Bosheit.  Dieser  machte  es  sich 
zur  besonderen  Kurzweil ,  freigeborenen  Menschen  mit  seiner 
flachen  Hand  (muth williger  Weise  gern)  Maulschellen  zu  ver- 
abreichen. Dabei  folgte  ihm  überallhin  immer  ein  Sklave  . 
mit  einem  Beutel  voll  solchen  Kleingeldes  und  von  diesem 


zum  imperium  regium  verliehen.  Die  Inhaber  dieses  imperium  worden 
als  Vorsteher  des  Staates  praetores  genannt,  Cic.  de  legg.  3,  3,  8;  Liv. 
3,  55;  7,  3;  30,  43;  Fest.  161;  Paul.  223;  Plin.  18,  3,  12;  Gell.  XI,  18,  8; 
Lange  röm.  Alterth.  §  08  p.  (424)  496. 

XX,  1,  12.  Mos.  et  Rom.  Leg.  Collat  II,  5;  Fest.  p.  363,  4,  M.; 
Gajus  III  §  223;  Dig.  47,  10,  7  §  8  u.  L.  8;  Cod.  Just.  4,  4,  9. 

XX,  1,  13.  S.  Gell.  I,  12,  1  u.  18  NB  und  VI  (VII),  15,  1.  -  Die 
eigentlichen  Richter  sind  die  judices.  Die  recuperatores  dagegen 
waren  ausserordentliche  Richter  für  summarische  Rechtssachen.  Einen 
anderen  Gegensatz  bildeten  die  arbitri,  die  von  der  Obrigkeit  bestellten, 
ordentlichen  Richter.  Favorin  spricht  nur  von  den  Recuperatoren  in 
den  Injurien -Processen,  welche  die  allzugrosse  Nachsichtigkeit  der  Zwölf- 
tafelgesetze nöthig  gemacht  hätte. 


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(470) 


XX.  Buch,  L  Cap.,  §   13  —  16. 


Hess  er  Jedem,  den  er  abmauschellirt  hatte,  sofort  die  in  dem 
Tafelgesetz  darauf  gesetzte  Strafe  (d.  h.  die  besagten)  25  Asse 
auszahlen.  Deshalb,  fügte  Favorin  hinzu,  fanden  sich  später 
die  Prätoren  auch  bewogen,  diese  Gesetzesbestimmung  abzu- 
schaffen und  sich  nicht  weiter  danach  zu  richten,  sondern 
verordneten  die  Ernennung  und  Einsetzung  von  Obmännern 
(recuperatores ,  d.  h.  Rechtsverhelfer)  zur  Beleidigungsab- 
schätzung (und  Erkenntniss  der  Strafhöhe).  14.  Wiederum 
scheinen  einige  unter  diesen  Gesetzen,  wie  ich  bereits 
bemerkt,  gar  nicht  rechtsbeständig  durchführbar  zu  sein, 
wie  z.  B.  das  Gesetz  von  der  Wiedervergeltung,  welches, 
wenn  mich  das  Gedächtniss  nicht  täuscht,  wörtlich  also  lautet : 
„Hat  Einer  eines  Anderen  Gliedmassen  verstümmelt  und  sich 
(deshalb)  mit  ihm  nicht  in  Güte  vertragen  (und  ausgeglichen), 
so  soll  ihm  ein  Gleiches  geschehen."  15.  Abgesehen  von  der 
Härte  und  rohen  Grausamkeit  einer  solchen  (erlaubten)  Straf- 
(massregel)  ist  auch  nicht  einmal  die  (strenge)  Durchführung 
einer  ausreichend  gerechten  Wiedervergeltung  denkbar.  Denn 
gesetzt,  es  wäre  also  Einem  ein  Glied  gebrochen  worden  und 
er  wollte  nun  Diesem,  nach  dem  Wiedervergeltungsrecht, 
eben  so  eins  zerbrechen,  so  frage  ich,  ob  er  bei  einer  solchen 
Gliederbeschädigurig  eine  völlige,  nach  der  Wage  abgemessene 
Gleichheit  in  der  Verletzung  wird  bewerkstelligen  können? 
Dabei  würde  sich  also  gleich  zu  Anfang  (wie  Jeder  einsehen 
muss)  eine  unüberwindliche  Schwierigkeit  einstellen.  16.  Wo- 
fern nun  aber  Einer  dem  Anderen  absichtslos  ein  Glied  ge- 
brochen hat?  Was  nämlich  in  (offenbarer)  Absichtslosigkeit 
(imprudentia,  aus  blossem  Versehen)  geschah,  muss  doch  nun 
(unbedingt  auch)  in  (aller)  Absichtslosigkeit  wieder  vergolten 
(und  ausgeglichen)  werden;  weil  ja  zufällige  und  vorsätzliche 
Verletzungen  nicht  unter  dieselbe  Kategorie,  d.  h.  unter  An- 
wendung auf  gleichen  Fall  und  Umstand,  der  Wiedervergeltung 
fallen  (da  dies  sonst  nicht  als  eine  völlige  gleiche  Wiederver- 
geltung betrachtet  werden  könnte).  Wie  soll  Einer  es  er- 
möglichen, die  Absichtslosigkeit  (imprudentem)  nachzuahmen, 
wenn  ihm  bei  Ausübung  der  W'iedervergeltung  das  Recht  der 


XX,  1,  14.  S.  Aristot.  ethic.^Nicom.  V,  8;  Festus  p.  363  M.  talionis. 
Vergl.  II.  Moses  cap.  21  v.  24. 


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XX.  Buch,  1.  Cap.,  §  17—20. 


(471) 


Absichtlichkeit  und  Vorsätzlichkeit  nicht  frei  steht,  sondern 
nur  das  der  Absichtslosigkeit  und  Zufälligkeit  (weil  er  das, 
was  aus  Versehen  geschehen  ist,  auch  nur  wieder  aus  Ver- 
sehen soll  vergelten  dürfen,  so  dass  also  jede  Beimischung 
von  Vorsätzlichkeit  fern  bleiben  muss).  17.  Im  Fall  nun  aber 
die  Verletzung  auch  wirklich  absichtlich  erfolgt  wäre,  braucht 
der  Schuldige  durchaus  noch  nicht  zu  leiden,  dass  ihm  eine 
härtere  und  bedeutendere  Beschädigung  zugefügt  werde.  Wie 
dergleichen  aber  durch  Wage  oder  Mass  soll  vorgesehen 
(oder  verhütet)  werden  können,  ^versteh'  ich  nicht  ausfindig 
zu  machen.  18.  Nein,  auch  noch  weiter  (würden  sich  Schwie- 
rigkeiten bei  Ausführung  dieses  Gesetzes  herausstellen),  ge- 
setzt nun,  die  Ausgleichung  (des  Schadens)  hätte  statt  ge- 
funden, allein  mehr  oder  anders  (als  die  betreffende  Partei 
erwartet  hatte),  so  wird  daraus  wieder* eine  neue  Art  von 
lächerlicher  Grausamkeit  entspringen,  welche  die  entgegen- 
gesetzte Berechtigung  abwechselnder  Wiedervergeltung  (nur 
stets)  erneuerte,  und  so  würde  sich  eine  gewisse  Wechsel- 
seitigkeit des  Wiedervergeltungsrechtes  (und  Anspruches)  in 
seinem  Umfange  bis  in's  Unendliche  erweitern  und  erneuern, 
f  19.  Denn  über  jene  (gesetzlich  erlaubte)  Grausamkeit,  welche 

mehreren  Gläubigern  erlaubt,  den  Körper  ihres  Schuldners 
zu  zerschneiden  und  unter  sich  zu  theilen,  wenn  dieser  Un- 
glückliche wegen  seiner  Geldschuld  verurtheilt  und  jenen 
(Gläubigern)  von  den  Richtern  zugesprochen  worden  ist,  mag 
ich  gar  nicht  weiter  nachdenken,  und  es  erfüllt  mich  schon 
mit  Widerwillen,  diesen  Fall  überhaupt  nur  zu  erwähnen. 
Denn  was  kann  empörender  und  grausamer  scheinen,  was 
mit  dem  Wesen  des  Menschen  mehr  in  grellerem  Wider- 
spruche stehen,  als  dass  man  die  Gliedmassen  eines  armen, 
mittellosen  Schuldners  durch  Zerstückelung  (bei  lebendigem 
Leibe)  verkaufen  konnte,  gerade  so,  wie  man  heut  zu  Tage 
ihre  Güter  zerstückeln  (und  verkaufen)  kann.  20.  Hier  er- 
fasste  Sextus  Caecilius  den  Favorin  mit  beiden  Händen  und 


XX,  1,  19.   S.  Quintil.  III,  6,  84;  Tertullian.  Apolog.  4.  Vielleicht 


(472)  XX.  Buch,  L  Cap.,  §  20—23. 

sagte:  Du,  wahrhaftig,  bist  in  der  Jetztzeit  der  einzigste  und 
gründlichste  Kenner  nicht  nur  (aller)  griechischen  Vorgänge, 
sondern  auch  der  römischen  (Rechts-)  Geschäfte.  Denn  welcher 
unter  den  Philosophen  hat  wohl  die  Lehrsätze  seiner  Schule 
so  durch  und  durch  inne,  als  Du  unsere  Gesetze  der  Zehn- 
männer genau  kennst?  21.  Allein  ich  muss  Dich  doch  bitten, 
auf  einen  Augenblick  von  Deinem  akademischen  Streitwagen 
herabzusteigen  und  einmal  abzustehen  von  der  euch  beliebi- 
gen Neigung,  je  nach  Gefallen  etwas  als.  iiTthümlich  hinzu- 
stellen, oder  es  in  Schutz  zu  nehmen  und  (mit  mir)  jetzt 
recht  ernstlich  in  Erwägung  zu  ziehen,  wie  es  mit  den 
Einzelheiten  (dieser  Satzungen)  sich  verhält,  die  Du  Deine 
Tadel  unterzogen  hast;  22.  auch  verachte  mir  deshalb  nur 
nicht  gleich  diese  alterthümliche  Gesetzsammlung,  weil  in 
vielen  Stücken  das  römische  Volk  aufgehört  hat,  sich  nach 
diesen  Bestimmungen  zu  richten.  Denn  Du  weist  ganz  sicher 
selbst  recht  wohl ,  dass  die  gesetzlichen  zweckentsprechenden 
Hülfs-  und  Heilmittel,  (wenn  sie  wirksam  und  heilsam  sein 
sollen,)  sich  immer  und  immer  wieder  umwandeln  und  ver- 
ändern, je  nach  den  Sitten  der  Zeit,  je  nach  den  Bedürfnissen 
und  Entwicklungsstufen  der  Staatsverfassung,  ferner  je  nach 
den  jedesmaligen  Verhältnissen  und  Rücksichten  in  Bezug 
auf  die  Bedürfnisse  der  Gegenwart  und  endlich  je  nach  den 
mancherlei  Aufwallungen  und  dem  Hange  zu  fehlerhaften 
Ausschreitungen,  denen  vorgebeugt  und  abgeholfen  werden 
soll,  und  dass  also  (alle  staatlichen  Satzungen)  nicht  auf  dem- 
selben Punkt  und  in  derselben  Beschaffenheit  verharren 
dürfen ,  ohne  durch  die  Strömung  der  Verhältnisse  und  des 
Zufalls  (d.  h.  durch  besondere  Sturmperioden)  nicht  gerade 
so  der  Abänderung  unterworfen  zu  sein,  wie  die  Gestalt  und 
das  Aussehen  des  Himmels  und  des  Meeres.  23.  Was  nun 
konnte  z.  B.  wohl  heilsamer  scheinen,  als  jener  Gesetzes- 
Vorschlag  des  Stolo,  den  Besitz  einer  vorgeschriebenen 
Anzahl  von  Hufen  Landes  betreffend?  Was)  nützlicher  als 
der  Gemeinbeschluss  des  Voconius,  die  Einschränkung 
von  den  Erbschaften  der  Weiber  betreffend?!  Was  hielt  man 
einst  für  so  nothwendig  zur  Abwehr  der  Ueberhandnahme 


XX,  1,  23.    üeber  lex  Voconia  s.  Gell.  VI  (VII),  13,  3 NB  und 


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XX.  Buch,  1.  Cap.,  §  23  —  27.  (473) 

bürgerlicher  Prunkliebe  und  Vergnügungssucht,  als  die  Hei- 
nis che  und  fannische  Verordnung  und  desgleichen  noch 
mehrere  andere  Aufwandsgesetze?  Und  doch  sind  sie 
alle  in  Vergessenheit  gerathen  und  in  den  Schatten  gestellt 
durch  die  ausserordentliche  Wohlhabenheit  des  Staates,  der 
gleichsam  (wie  ein  wild  aufgeregtes  Meer)  durch  seinen 
Wogenschwail  (Alles)  überfluthet  (und  die  Ufer  durchbricht). 

24.  Aber  warum  dünkt  Dich  gerade  dies  eine  Gesetz  un- 
menschlich, was  mir  wenigstens  nach  meiner  Meinung  unter 
allen  das  allermenschlichste  und  rücksichtsvollste  zu  sein 
scheint  (ich  meine  das  Gesetz:  „wenn  Einer  einen  Andern 
vor  Gericht  fordert"),  welches  einem  Kranken  oder  einem 
Hochbejahrten  von  Dem,  auf  dessen  Veranlassung  er  vor  Ge- 
richt erscheinen  soll,  ein  Saumthier  (jumentum)  stellen  litsst? 

25.  Es  betrifft  also  die  Gesetzesstelle:  „wenn  Einer  einen 
Andern  vor  Gericht  ruft".  Der  (vollständige)  Wortlaut  der 
Stelle  ist  folgender:  „Wenn  Einer  einen  Andern  vor  Gericht 
ruft  (so  soll  dieser  unbedingt  erscheinen);  wenn  er  (aber)  an 
Krankheit  oder  Alterschwäche  leidet,  so  soll  Der,  welcher  ihn 
vor  Gericht  ruft,  ein  Saumthier  [oder  Joch,  jumentum]  geben;  » 
will  das  Jener  nicht  (annehmen),  so  soll  er  ihm  einen  be- 
deckten Wagen  [arcera]  zu  stellen  nicht  gehalten  sein." 

26.  Oder  meinst  Du  etwa,  dass  hier  unter  dem  Worte:  Krank- 
heit (morbus)  eine  schwere,  lebensgefährliche  Unpässlichkeit, 
verbunden  mit  heftigem  Fieber  und  Schüttelfrost,  zu  ver- 
stehen sei,  und  unter  dem  Ausdruck:  Saumthier  (jumentum) 
allein  ein  einzelnes  Lastthier  gemeint  sei,  auf  dessen  Rücken 
man  reitet?  und  du  meinst  also,  dass  es  deshalb  doch  weniger 
menschlich  gewesen  sei,  einen  Kranken  und  Siechen,  der  zu 
Hause  (eigentlich)  das  Bett  hüten  sollte,  auf  ein  Joch  zu 
setzen  und  so  nach  dem  Gerichtshof  hinzuschleppen  ?  27.  Nein, 
mein  lieber  Favorin,  so  verhält  es  sich  keineswegs.   Denn  in 


XVII,  6,  1.  Ueber  lex  Licinia  und  Fannia  s.  Gell.  H,  24,  3  NB. 
Niemand  sollte  mehr  als  500  Hufen  (jugera)  Landes  besitzen.  Nach  Liv. 
7, 17  war  Stolo  der  erste,  welcher  sein  eigenes  Gesetz  übertrat  und  deshalb 
bestraft  wurde. 

XX,  1,  25.  S.  Cic.  de  legg.  H,  23;  Horat  Serm.  I,  9,  76;  Non. 
Marceil.  I,  20  p.  486. 


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(474)  XX.  Buch,  1.  Cap.,  §  27—30. 

diesem  Gesetze  ist  nicht  die  Rede  von  einer  mit  Fieber  ver- 
bundenen oder  sonstigen  gefährlichen  Krankheit,  sondern  von 
einem  Leiden  an  Kräftemangel  und  Siechthum;  keineswegs 
aber,  wo  sich  eine  Gefahr  für's  Leben  herausstellt.  Uebrigens 
benennen  die  Verfasser  jener  Gesetze  an  einer  andern  Stelle 
eine  schon  heftigere  Krankheit,  welche  (leicht)  einen  gefähr- 
lichen Ausgang  nehmen  kann,  nicht  (schlechtweg)  an  und  für 
sich  mit  dem  (einfachen)  Worte:  Krankheit  (morbus),  sondern: 
morbus  sonticus  (d.  h.  bedenkliche,  gefährliche  Krankheit). 
28.  Auch  hat  das  Wort  „jumentum",  d.  h.  Joch,  nicht  allein 
die  Bedeutung,  die  man  ihm  jetzt  giebt,  sondern  bedeutet 
(geradezu)  auch  einen  Wagen  (vectabulum),  welcher  von  vor- 
gespannten Zugthieren  ( junctis  pecoribus)  gezogen  wurde ;  denn 
unsere  Alten  bildeten  das  Wort  „jumentum"  von  „jüngere" 
(binden,  zusammenspannen,  koppeln),  also  gleichsam  (Koppel-) 
Gespann.  29.  „Arcera"  aber  hiess  ein  von  allen  Seiten  be- 
deckter und  wohlverwahrter  (siechkorbartiger)  Wagen,  gleich- 
sam eine  mit  Decken  und  Teppichen  wohlverwahrte  Arche, 
worin  sehr  gebrechliche  und  altersschwache  Leute  bequem 
liegen  und  fortgeschafft  werden  konnten.  30.  Welche  Härte 
und  Grausamkeit  scheint  Dir  nun  also  noch  in  diesem  Gesetze 
enthalten  zu  sein,  wenn  die  Gesetzgeber  die  Bestimmung  vor- 
sahen, einem  armseligen  oder  hülflosen  Menschen,  der  viel- 
leicht schwach  und  krank  auf  den  Füssen  war,  oder  wegen 
eines  anderen  Zufalls  sich  (persönlich)  nicht  einstellen  konnte, 
dass  ihm  dann,  wenn  er  vor  Gericht  gefordert  worden  war, 
einWagen  (plostrum)*)  zugeschickt  werden  musste ?  Wenn 
gleich  dabei  auch  nicht  gesagt  ist,  dass  sie  verordneten,  einen 
ganz  prächtig  und  bequem  (delicate)  eingerichteten  Wagen 
zu  stellen,  weil  ein  beliebiges  (bequemes)  Fuhrwerk  jedem 


XX,  1,  28.   Jumentum  s.  Nonius  I,  54;  Varro  1.  1.  V,  140. 

XX,  1,  29.   Arcera  s.  Nonius  I,  55;  Varro  1.  1.  V,  135. 

XX,  1,  30.  •)  plostrum  =  plaustrum.  Au  und  o  wechseln  in  einigen 
Wörtern,  z.  B.  plaudo,  plodo,  Claudius,  Clodius,  lautus,  lotus,  und  au 
wird  wie  bei  den  Franzosen  —  o  ausgesprochen.  Der  Rathsherr  Menstruus 
Florus  hatte  einst  dem  Vespasian  gesagt,  er  dürfe  nicht  plostrum,  sondern 
müsse  plaustrum  sprechen.  Als  ihm  darauf  Vespasian  einmal  wieder  be- 
gegnete, so  rief  er  ihm  spottweise  zu:  lieber  Flaurus,  statt  Florus. 


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XX.  Buch,  1.  Cap.,  §  80—84. 


(475) 


gebrechlichen  Menschen  (als  Beförderungsmittel)  schon  hin- 
länglich genügen  kann.  Und  dies  verordneten  sie  deshalb, 
damit  die  (Ausrede)  Vorschützung  und  Entschuldigung  mit 
Körperkrankheit  nicht  einen  fortwährenden  Grund  zum  Aus- 
bleiben abgeben  möchte  für  Die,  welche  (gern)  sich  jeder 
rechtlichen  Verpflichtung  zu  entziehen  und  gerichtliche  Ver- 
sammlungen und  Termine  zu  umgehen  (und  abzulehnen)  suchen. 
31.  Allein  fasse  dies  an  und  für  sich  selbst  (mit  mir  einmal) 
in's  Auge.  Zugefügte  Beleidigungen  (und  Körperverletzungen) 
bestrafen  mit  25  As  (heisst  es  in  dem  Gesetze).  Jedoch  nicht 
alle  (solche)  Beleidigungen  im  Allgemeinen  Hessen  sie  mit 
einer  so  niedrigen  Geldstrafe  ablösen  und  abbüssen  (wie  Du 
irriger  Weise  glaubst),  mein  Heber  Favorin,  obwohl  unter 
dieser  geringen  Anzahl  von  As  die  schwere  grosse  Goldmünze 
(das  Pfund-As)  zu  verstehen  war,  denn  zur  damaligen  Zeit 
waren  im  Staate  die  pfündigen  (d.  h.  die  1  Pfund  schweren) 
Asse  gebräuchlich.  32.  AUein  stärkere  (Beleidigungen,  und) 
Körperverletzungen,  z.  B.  wegen  eines  zerbrochenen  Beines, 
gleichviel  ob  sie  einem  freien  Manne,  oder  einem  Sklaven 
zugefügt  worden  waren,  ahndete  man  mit  einer  viel  höheren 
Geldbusse.  33.  Bei  einigen  Beleidigungen  bestimmte  man 
aber  auch  sogar  das  Recht  der  Wiedervergeltung.  Dieses 
Wiedervergeltungsrecht  hast  Du,  verehrtester  Mann,  zwar 
kurz  vorher  unbilliger  Weise  angegriffen  und  mit  Deiner 
liebenswürdigen,  geistvollen  Sprachgeschicklichkeit  getadelt 
und  hast  die  Bemerkung  fallen  lassen,  dass  es  nicht  einmal 
stichhaltig  und  durchzuführen  sei,  weil  es  (Ausgleichung  gegeu 
Ausgleichung,  d.  h.)  eine  voüständig  gleichmässige  Wieder- 
vergeltungs-Ausgleichung  nimmermehr  geben  könne  und  weil 
(also)  eine  ähnliche  (gröbliche)  Körperverletzung  bis  zur  völ- 
ligen wagerichtigen  Gleichheit  durch  Wiederverletzung  (und 
Revanchenahme)  am  Thäter,  wie  Du  sagst,  nicht  würde  mög- 
lich werden  können.  34.  Du  hast  ganz  recht,  lieber  Favorin, 
dass  eine  (vollständige)  Ausgleichung  höchst  selten  und  nur 
mit  der  grössten  Schwierigkeit  wird  herzustellen  sein.  Allein 
die  gesetzgebenden  Zehnmänner  wollten  überhaupt  nur  durch 
dieses  Gesetz  der  Wiedervergeltung  dem  allerwärts  möglichen 
frevelhaften  Muthwillen  thätlicher  Beleidigung  und  Verletzung 
Einhalt  gebieten  und  vorbeugen  und  hatten  die  Ueberzeugung, 


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(476) 


XX.  Buch,  1.  Cap.,  §  84—37. 


dass  die  Menschen  durch  die  Furcht  (vor  den  schrecklichen 
Folgen  des  Wiedervergeltungsrechtes)  im  Zaum  gehalten  wer- 
den müssten;  auch  war  es  nicht  ihre  Meinung,  so  ganz  ge- 
naue Rücksicht  zu  nehmen  auf  Den,  der  einem  Andern  eine 
körperliche  Beschädigung  zugefügt  hatte  und  sich  trotzdem 
doch  nicht  von  der  Wiedervergeltung  loskaufen  wollte,  dass, 
mochte  nun  die  Beschädigung  wissentlich  oder  unwissentlich 
geschehen  sein,  sie  darauf  sehen  zu  müssen  glaubten,  wie  sie 
die  Wiedervergeltung  an  dem  Thäter  entweder  gewissenhaft 
nach  der  Schnur  abmessen,  oder  genau  auf  der  Wage  abwägen 
sollten:  denn  es  kam  ihnen  (bei  Abfassung  des  Gesetzes) 
vielmehr  nüV  darauf  an,  nicht  auch  noch  Zufälligkeiten  in 
Erwägung  zu  ziehen,  sondern  (bei  dem  Beschädigten)  in  die- 
sem Falle  der  körperlichen  Wiederverletzung  des  Beleidigers 
nur  eine  ehrliche  Absicht  und  Neigung  vorauszusetzen  (dem 
Beleidiger  die  Beleidigung  nur  in  gleichem  Maasse  entgelten 
zu  lassen),  weil  man  die  massvolle  Einschränkung  des  Willens 
zwar  zu  verbürgen  im  Stande  sei,  den  Zufall  bei  einem  Stoss 
(oder  Schlag  und  Hieb)  Niemand  in  seiner  Gewalt  habe. 
35.  Wenn  sich  dies  nun  so  verhält,  wie  ich  sagte,  und 
wie  das  Verhältniss  der  Billigkeit  (und  Gerechtigkeit)  es 
bestätigt,  so  waren  vorher  Deine  Bemerkungen  über  die 
(möglicher  Weise)  wechselseitig  wiederkehrenden  Wiederver- 
geltungs -  Ansprüche  doch  sicher  mehr  spitzfindig,  als  auf 
Wahrheit  gegründet.  36.  Verharrst  Du  aber  dennoch  bei 
Deiner  vorgefassten  Meinung,  dass  diese  Strafart  auch  hart 
und  grausam  sei,  so  bitte  ich  Dich,  zu  bedenken,  worin  wohl 
die  Absonderlichkeit  dieser  Gesetzesstrenge  besteht,  wenn 
man  Dir  nur  (mit  Recht)  dasselbe  thun  kann,  was  Du  doch 
(ungescheut)  einem  Anderen  angethan  hast  (si  idem  fiat  in  te, 
quod  tute  in  alios  feceris)?  Zumal  da  Dir  auch  noch  die 
Möglichkeit  geboten  ist,  Dich  mit  dem  Anderen  zu  vergleichen 
und  abzufinden,  und  Du  nicht  nöthig  hast,  dieses  Wieder- 
vergeltungsrecht über  Dich  ergehen  zu  lassen,  wenn  Du  Dir 
(aus  Hartköpfigkeit)  dasselbe  nicht  selbst  erwählst.  37.  Was 
für  ein  prätorisches  Edict  hältst  Du  nun  aber  in  Betreff  der 
Beleidigungsabschätzung  für  löblicher  und  zweckdienlicher? 
Auch  möchte  ich  nicht,  dass  Du  Dir  dabei  verhehlst,  dass 
dieses  Wiedervergeltungsrecht  unbedingt  und  notwendiger 


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XX.  Buch,  1.  Cap.,  §  37  —  41. 


(477) 


Weise  nur  nach  (gewissenhafter)  richterlicher  Abschätzung  in 
Ausübung  gebracht  zu  werden  pflegt.  38.  Denn  wenn  der 
Beklagte,  der  sich  (mit  dem  Beleidigten  oder  Beschädigten) 
nicht  hatte  gütlich  vergleichen  wollen,  nun  gar  auch  noch 
keine  Anstalt  traf,  dem  die  Wiedervergeltung  anordnenden 
Richter  sich  zu  fügen,  so  verurtheilte  der  Richter,  nach  Ab- 
schätzung des  Streitobjects,  die  beklagte  Person  zu  einer  Geld- 
strafe, und  so  beschränkte,  wenn  dem  Beklagten  theils  das 
Abkommen  zu  hart  erschienen  war,  theils  auch  das  Wieder- 
vergeltungsrecht als  zu  streng  vorkam,  sich  die  Gesetzes- 
strenge auf  die  Geldbusse.  39.  Nun  bleibt  mir  nur  noch 
übrig,  Dir  auf  die  Ansicht  zu  antworten,  dass  Dir  das  Gesetz 
bezüglich  der  Zerschneidung  und  Theilung  des  Körpers  von 
dem  Schuldigen,  als  zu  grausam  und  unmenschlich  erschienen 
ist.  Durch  gewissenhafte  Ausübung  und  strenge  Beobachtung 
aller  Arten  von  Tugenden  hat  sich  das  römische  Volk  vom 
kleinsten  Ursprung  bis  zum  Gipfelpunkt  einer  so  grossen 
Machtvollkommenheit  emporgeschwungen,  aber  vor  alle» 
Dingen  vorzüglich  und  hauptsächlich  dadurch,  dass  es  Treue 
und  Glauben  streng  beobachtete  und  sowohl  gegen  den  ein- 
zelnen Menschen,  als  auch  im  Allgemeinen  hoch  und  heilig 
hielt.  40.  So  hat  das  römische  Volk  (oft)  selbst  seine  Con- 
suln*),  seine  hervorragendsten  ehrenwerthesten  Männer,  zur 
Bestätigung  seines  gegebenen  öffentlichen  Wortes  in  Fein- 
deshänden  gelassen,  und  so  erachtete  es  auch  für  drin- 
gend, den  in  Schutz  genommenen  Hörigen**)  (Clienten) 
werther  und  theurer  zu  halten,  als  selbst  die  eigenen  näch- 
sten Angehörigen  und  sogar  gegen  Blutsverwandte  in  Schutz 
zu  nehmen,  und  es  galt  kein  Verbrechen  für  schändlicher, 
als  wenn  Einem  konnte  nachgewiesen  werden,  seinen  Hörigen 
(Clienten)  Gewinnes  halber  der  Uebervortheilung  Preis  ge- 
geben (ihn  mit  Trug  umstrickt  und  dem  Spott  und  der  Be- 
leidigung biossgestellt)  zu  haben.  41.  Allein  diese  Treue  (das 
einmal  gegebene  Wort)  verordneten  unsere  Vorfahren  nicht 
nur  bei  gegenseitigen  Verpflichtungen,  sondern  auch  bei  Ver- 


XX,  1,  40.  *)  Vergl.  Gell.  XVü,  21, 36.  —  **)  Vergl.  Gell.  V,  13,  2. 4; 
Dion.  2,  10;  Plut.  Kom.  13.  Gegen  den  Clienten  brauchte  ein  Patron  nie 
Zeugniss  abzulegen.   S.  Lange  röm.  Alterth.  §  42  p.  (186)  216. 


(478) 


XX.  Buch,  1.  Cap.,  §  41-45. 


trägen  in  Privat-  und  Staatsangelegenheiten  als  heilig  und 
unverbrüchlich,  besonders  aber  (in  Geldangelegenheiten,  d.  h.) 
bei  dem  im  Handel  und  Wandel  geliehenen  Gelde.  Denn 
sie  meinten,  dass  dieses  Schutz-  und  Zufluchtsmittel,  dessen 
das  Leben  eines  Jeden  im  Allgemeinen  bei  (eintretender) 
zeitweiser  Mittellosigkeit  (und  bei  vorkommendem  Mangel 
an  baarem  Gelde  höchst  nöthig  bedarf  und  unmöglich  ent- 
behren kann,  (dem  Verkehr)  ganz  würde  entzogen  werden, 
wenn  die  Treulosigkeit  und  Wortbrüchigkeit  der  Schuldner 
ohne  harte  Ahndung  (ihr  Spiel  treiben  und)  schadlos  durch- 
schlüpfen könnte.  42.  Den  wegen  einer  bereits  anerkannten 
Geldschuld  Verurtheilten  wurden  30  Tage  Zeit  gegeben  zur 
Auftreibung  der  Schuldsumme,  welche  sie  abzutragen  hatten, 

43.  und  diese  (30)  Rechtsfrist -Tage  nannten  die  Decemvirn 
die  gesetzmässigen  (justi),  also  gleichsam  einen  Zeitraum  der 
Gerichtshemmung  (Justitium,  i.  e.  juris  stitium,  von  jus  und 
sisto),  d.  h.  gleichsam  einen  Stillstand  und  ein  Ruhen  des 
Processes  unter  den  Parteien,  während  welcher  Zeitfrist  mit 
dem  Beklagten  auf  Grund  dieses  Rechtsverhältnisses  vor  der 
Hand  kein  weiterer  Anspruch  angestrengt  werden  konnte; 

44.  wenn  aber  (nach  Ablauf  dieses  Termines)  sie  die  Schuld 
noch  nicht  in  Ordnung  gebracht  hatten,  so  wurden  sie  vor 
den  Praetor  bestellt  und  von  diesem  den  Gläubigern,  denen 
sie  zugesprochen  worden  waren,  feierlich  in  aller  Form  des 
Rechts  überantwortet  und  konnten  sogar  auch  mit  Ketten 
und  Banden  gefesselt  (in  die  Knechtschaft  abgeführt)  werden. 

45.  Die  Gesetzesworte  lauten,  glaub'  ich,  so:  „Hat  Einer  die 
Schuld  eingestanden  und  ist  solche  zu  Recht  gesprochen  (d.  h. 
hat  die  Verurtheilung  in  Rechtsform  stattgefunden),  so  soll  er 
30  gesetzmässige  Tage  (Frist  zur  Abtragung  der  Schuld)  haben. 


XX,  1,  42.  Vergl.  Gell.  XV,  9,  10;  XV,  13,  11;  Savigny  röm.  R. 
Bd.  IV  p.  467.  Die  Zwölftafeln  geben  jedem  verurtheilten  Schuldner 
30  Tage  Zeit  zur  Zahlung  und  diese  Regel  war  noch  zur  Zeit  der 
klassischen  Juristen  in  voller  üebung. 

XX,  1,  44.   Vergl.  Liv.  VIII,  28  am  Schluss. 

XX,  1,  (42  u.)  45.  Savigny  röm.  R.  Bd.  VII  p.  13.  Die  Wirkung 
des  gerichtlichen  Geständnisses  schliesst  sich  an  die  Wirkung  des  rechts- 
kräftigen Urtheils,  und  kann  zusammengefasst  werden  in  dem  Ausdruck; 
confessio  pro  veritate  accipitur.   Der  aufgestellte  wichtige  Grundsatz  über 


XX.  Buch,  1.  Cap.,  §  45—48. 


(479) 


Nach  Ablauf  derselben  soll  Hand  an  ihn  gelegt  und  er  vor  das 
Gericht  gebracht  werden,  wenn  er  diesem  Rechtserkenntnisse 
nicht  Folge  leistet,  oder  Einer  vor  Gericht  sich  (nicht)  für 
ihn  verbürgt,  soll  er  (vom  Gläubiger)  abgeführt  werden 
können  und  kann  gebunden  werden,  entweder  mit  einem 
Riemen,  oder  mit  15  Pfund  schweren  Fusschellen,  nicht 
darunter,  aber  so  jener  (Gläubiger)  es  will,  auch  mit  schwe- 
rerem. Will  er  (der  Schuldner)  es,  kann  er  auf  eigene  Kosten 
leben ;  will  er  sich  nicht  selbst  beköstigen,  so  soll  ihn  Der,  der 
ihn  in  Fesseln  halten  läset,  täglich  ein  Pfund  Mehl  reichen  lassen 
müssen.  Will  er,  so  darf  er  ihm  auch  mehr  verabreichen 
lassen."  46.  Indessen  stand  aber  dem  Schuldner  das  Recht 
zu,  sich  mit  dem  Gläubiger  zu  setzen  (zu  vergleichen)  und 
kam  kein  Vergleich  zu  Stande,  so  dauerte  die  Gefangenschaft 
60  Tage  fort.  47.  Innerhalb  dieser  60  Tage  wurde  er  (der  Schuld- 
ner) an  drei  unmittelbar  hinter  einander  folgenden  Markttagen 
vor  den  Praetor  (=  Consul)  an  Gerichtsstelle  geführt  und  es 
wurde  öffentlich  bekannt  gemacht,  einer  wie  grossen  Schuld 
halber  er  war  verurtheilt  worden.  Allein  am  dritten  Markt- 
tage verurtheilte  man  ihn  zum  Tode,  oder  er  konnte  (von  dem 
Gläubiger)  jenseits  der  Tiber  über  Land  (d.  h.  ausserhalb  der 
Stadt  auch)  als  Sklave  verkauft  werden.  48.  Von  Seiten  der 
Gesetzgeber  wurde,  wie  ich  bereits  bemerkte,  diese,  durch 
ihr  zur  Schautragen  der  höchsten  Strenge,  so  entsetzliche 


die  Kraft  des  gerichtlichen  Geständnisses  des  Beklagten  hat  seine  Quelle 
in  der  hier  angeführten  Vorschrift  der  Zwölftafeln  zu  suchen,  also  in 
dem  Geständniss  einer  bestimmten  Geldschuld:  aeris  confessi  etc.  worin 
das  Geständniss  dem  rechtskräftigen  Urtheil  an  die  Seite  gesetzt  wurde, 
Vergl.  GeU.  XV,  18  11.  —  Manus  injectio  vergl  Plaut  Cure  V,  2, 
23  —  27;  Persa  IV,  9,  8— 10;  Hör.  Sat.  I,  9,  74—78  und  Porphyr,  zu 
Hör.  Sat.  I,  9,  65;  Festus  313,  7  M.;  Gajus  IV,  21—25.  Lange  röm. 
Alterthümer  §  38  p.  (154)  180:  „Die  durch  manus  injectio  entstehende 
Gewalt  unterscheidet  sich  von  der,  die  durch  Mancipation  entsteht,  da- 
durch, dass  der  Gewalthaber  ein  Recht  nicht  bloß  an  dem  Erwerb,  sondern 
auch  an  die  Person  des  ihm  Unterworfenen  hat. 

XX,  1,  47.  Nundinae  (für  novendinae,  nono  quoque  die,  d.  h.)  aUe 
8  Tage  (oder  jeden  neunten)  wiederkehrenden  Tage  dienten  den  Land- 
bewohnern dazu,  ihre  Waaren  und  Erzeugnisse  nach  der  Stadt  zu  bringen 
und  ihre  sonstigen  Angelegenheiten  zu  besorgen.  S.  Lange  röm.  Alterth. 
§  51  p.  (264)  314.    Vergl.  §  11  NB  dieses  Abschnittes  über  den  Praetor. 


(480) 


XX.  Buch,  1.  Gap.,  §  48—53. 


und  durch  ihre  aussergewöhnlichen  Schreckmittel  (geheimes) 
Grauen  erweckende  Verfügung  der  Todesstrafe  nur  (als  ein 
äusseres  Schreckbild)  erlassen  zur  Heilighaltung  der  Treue 
und  des  gegebenen  Wortes.  Waren  jedoch  mehrere  Gläubiger 
vorhanden,  denen  der  beklagte  Schuldner  war  zugesprochen 
worden,  so  wurde  den  Gläubigern  von  Gesetzes  wegen  erlaubt, 
den  Leib  des  ihnen  zugesprochenen  Schuldners  zu  zerschnei- 
den, wenn  sie  wollten,  und  unter  sich  zu  vertheilen.  49.  Und 
damit  Du  nicht  glaubst,  ich  furchte  wegen  ihrer  Gehässigkeit 
etwa  Deinen  Vorwurf,  will  ich  Dir  gleich  die  betreffenden  Ge- 
setzesworte selbst  anführen;  sie  lauten:  „Am  dritten  Markttage 
mögen  sie  ihn  (den  Schuldner)  in  Stücke  zerschneiden:  mögen 
sie  ihn  dann  nun  aber  in  grössere  oder  kleinere  Stücke  zer- 
schnitten haben,  soll  ihnen  das  ohne  Gefährde  sein  und  nicht 
zur  Schuld  angerechnet  werden  (se  fraude  esto).u  50.  Es 
könnte  freilich  nichts  Grausameres  und  Unmenschlicheres  ge- 
dacht werden  (als  diese  Verordnung),  wenn  dieses  ungeheuer- 
liche Strafgesetz  nicht  in  der  alleinigen  Voraussicht,  wie  es 
doch  ganz  offenbar  ist,  laut  und  drohend  verkündet  worden 
wäre  (und  man  nicht  gleich  angenommen  hätte),  dass  man 
es  nie  dahin  würde  kommen  lassen  (dasselbe  wirklich  in  An- 
wendung bringen  zu  sehen.)  51.  Und  doch  ist  die  Schlechtig- 
keit heutigen  Tages  so  weit  gediehen ,  dass  wir  sehr  .  oft 
Schuldner  (ihren  Gläubigern)  zugesprochen  und  in  Fesseln  er- 
blicken, weil  sie  sich  aus  der  Strafe  (und  Schande)  der  Fesse- 
lung gar  nichts  mehr  machen.  52.  Ich  habe  aber  auch  weder 
gelesen,  noch  gehört,  dass  in  alten  Zeiten  irgend  wer  (Schul- 
den halber)  sei  zerstückelt  worden;  weil  die  Grausamkeit  und 
Härte  einer  solchen  strafgesetzlichen  Drohung  unmöglich  konnte 
(ohne  Eindruck  bleiben  und)  verachtet  werden.  53.  Oder 
glaubst  Du  wohl,  mein  lieber  Favorin,  wenn  man  nicht 
auch  jenes  (andere)  Strafgesetz  wegen  falscher  Zeugenaus- 
sagen aus  den  Zwölftafelgesetzen  (abgeschafft  und)  in  Ver- 
gessenheit gerathen  lassen  hätte,  oder,  wenn  auch  heutigen 
Tages  noch,  wie  früher,  Einer,  der  falsch  Zeugniss  abgelegt 
zu  haben  überführt  worden  ist,  vom  tarpejischen  Felsen 
herabgestürzt  würde,  dass  (dann)  immer  noch  so  Viele  (lügen 
und)  falsches  Zeugniss  ablegen  würden,  wie  wir  sie  jetzt  zu 
sehen  bekommen  ?  Denn  von  jeher  ist  Härte  und  Strenge  bei 


XX.  Buch,  1.  Cap.,  §  53  —  55.  —  2.  Cap.,  §  1.  (481) 


Bestrafung  der  Frevelthaten  das  beste  Zuchtmittel  (disciplina) 
und  die  beste  Anweisung  zu  einem  guten  und  geziemenden 
Lebenswandel  gewesen.  54.  Auch  ist  mir  die  Geschichte  von 
Mettus  Fuffetius  Albanus  durchaus  nicht  unbekannt 
geblieben,  obgleich  ich  nicht  viele  Geschichtsbücher  lese,  der, 
weil  er  seinen  mit  dem  König  des  römischen  Volkes  (Tullus 
Hostilius)  abgeschlossenen  Vertrag  und  seine  Zusage  treulos 
gebrochen  hatte,  gebunden,  durch  zwei  nach  entgegengesetzten 
Richtungen  angetriebene  Viergespanne  zerrissen  (d.  h.  gevier- 
theilt) wurde;  eine  schreckliche  und  grausame  Bestrafung, 
wer  leugnet  das?  Allein  bedenke,  was  unser  herrlichster 
Dichter  (Vergil.  Aen.  VIII,  643)  sagt: 

 Ach!  hätt'st  Du  Albaner  beharrt  in  der  Treue. 

55.  Während  Sextus  Caecilius  in  unserem  Beisein  Dies  und 
Dergleichen  mehr  und  unter  lautem  Beifall  und  Lob  des  Fa- 
vorin  vorgetragen  hatte,  geschah  die  Meldung,  dass  der  Kaiser 
nun  (Aufwartung  und)  Besuch  empfange,  und  s$  schieden  wir 
aus  einander. 

XX,  2,  L.    Was  wohl  die  Bedeutung  sei  des  in  der  Rede  des  M.  Cato 
gebrauchten  Wortes:  „siticines"  (Leichenbläser,  Leichenmusikanten). 

XX,  2.  Cap.  1.  Der  Ausdruck  „siticines"  steht  in  der 
Rede  des  M.  Cato  geschrieben,  welche  den  Titel  führt:  „Die 
Macht  der  alten  Behörde  ist  nach  Antritt  der  neuen  zu  Ende.u 
Da  kommen  die  Ausdrücke  vor:  „Siticines  (Leichenbläser) 


XX,  1,  54.  Mettus  Fuffetius,  Häuptling  der  Albaner,  der  im  Kriege 
mit  Rom  unter  dem  dritten  Könige  Tullus  Hostilius  der  Sage  nach  den 
Vorschlag  that,  den  Streit  durch  einen  Zweikampf  zu  entscheiden,  wobei 
Drillinge  von  beiden  Seiten  kämpften,  von  römischer  Seite  die  Horatier,  von 
albanischer  Seite  die  Curiatier.  Der  Sieg  ward  den  Römern.  M.  Fuffetius, 
Verrath  sinnend  und  die  geheime  Absicht  hegend,  die  Albaner  wieder  frei 
zu  machen,  wurde  deshalb  später  auf  Befehl  des  T.  Hostilius  von  Pferden 
zerrissen.  Liv.  L,  23,  28;  Dionys.  Halte.  III,  41;  Val.  Max.  VII,  4,  1; 
Flor.  I,  3,  7.  8;  Polyaen.  VHL  5;  Frontin  Stratagem.  H,  7,  1;  Aurel. 
Vict.  II,  7,  1;  Claudian.  cons.  IV.  Honor.  IV,  402  und  de  bell.  Gild.  254; 
Orosius  U,  5;  Plutarch:  Parallelen  gr.  und  röm.  Geschichten  7. 

XX,  2,  1.  Siticines,  s.  Non.  p.  54,  26,  bestanden  aus  Tuba-,  Horn- 
und  Flötenbläsern.  Ihre  Zahl  wurde  durch  die  Zwölftafeln  auf  zehn 
beschränkt.  Vergl.  Cic.  de  legg.  II,  23,  29.  Metallinstrumentalisten,  liticines 
s.  Varro  1.  1.  IV,  16,  extr.;  Ammian.  14,  2;  Stat.  Silv.  4,  7,  19. 

Gclli us,  Attische  Nä  hte.    II.  31 


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(482)        XX.  Buch,  2.  Cap.,  §1  —  3.-3.  Cap.,  §  1-3. 

und  „liticines"  (Zinkenbläser)  und  „tubicines"  (Trompeten- 
Tuba-Bläser)".  2.  Allein  Caesellius  Vindex  gesteht  in  seiner 
„Erläuterungsschrift  alter  Ausdrücke",  dass  er  zwar  sehr 
wohl  wisse,  dass  „liticines"  Leute  messen,  die  Zinken  blasen 
und  „tubicines"  solche,  die  Trompete  (oder  Tuba)  blasen; 
was  das  aber  für  ein  Instrument  sein  solle,  auf  welchem  die 
„Siti eines"  blasen,  gesteht  er  mit  offenherziger  Aufrichtigkeit 
zu,  nicht  zu  wissen.  3.  Ich  habe  aber  in  des  Capito  Atejus 
„Notizensammlung"  gefunden,  dass  Diejenigen  „siticinesu  ge- 
nannt wurden,  welche  bei  einer  Leichenbestattung  zu  musi- 
ciren  pflegten  (apud  sitos  canere  soliti),  d.h.  bei  aus  dem 
Leben  Geschiedenen  und  am  Grabe  der  Verstorbenen  (apud 
Tita  funetos  et  sepultos)  und  dass  diese  Musiker  eine  eigene 
Art  von  Tuba  hätten,  worauf  sie  bliessen,  ganz  verschieden 
von  den  anderen  Tubabläsern. 

XX,  3,  L.  Weshalb  der  Dichter  L.  Accius  in  seiner  Sammlung  „nützlicher 
und  belehrender  Aufschlüsse  (in  pragmaticis)"  das  Wort :  „sicinnista"  (Tänzer 
des  Sicinnium)   für  einen  dunklen  und   schwer  verständlichen  Ausdruck 

gehalten  hat. 

XX,  3.  Cap.  1.  Diejenigen,  welche  man  im  gewöhnlichen 
Leben  mit  dem  Namen :  „sicinnistae"  belegt,  werden  von  den 
Sprachgebildeteren  mit  einem  doppelten  n  (geschrieben  und) 
ausgesprochen.  2.  „Sicinnium"  ist  nämlich  eine  Art  alten 
Tanzes.  Und  während  man  (früher)  beim  Singen  fort  und 
fort  Tanzbewegungen  machte,  bleibt  man  jetzt  während  des 
Gesanges  stehen.  3.  Der  Dichter  L.  Accius  hat  sich  dieses 
Wortes  in  seinen  „(geschichtlichen)  belehrenden  Aufschlüssen 
(in  pragmaticis)"  bedient  und  sagt,  dass  die  „sicinnistae" 
einen  dunklen  Namen  führten,  und  ich  glaube,  dass  er  den 
Namen  deshalb  dunkel  (nebulosum)  nennt,  weil  ihm  die  Ab- 
stammung des  Wortes  „sicinnium"  unbekannt  (und  deshalb 
nicht  verständlich)  war. 


XX,  3,  L.  Ueber  L.  Accius  s.  Gell.  II,  6,  23  NB.  —  aCxivvig,  ein 
dem  satyrischen  Drama  eigener  Tanz,  der  sich  durch  schnelle,  aber  ein- 
fache und  ungekünstelte  Bewegungen  auszeichnete.  Aristoteles  n€Ql  xoqmv 
bei  Athen.  XIV,  630  B;  vergl.  Athen.  I,  20  f. 


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XX  Buch,  4.  Cap.,  §1—3.-5.  Cap.,  §  1.  (483) 

XX,  4,  L.  Dass  es  unehrbar  und  schimpflich  sei,  Neigung  und  Umgang 
mit  Schauspiel -Künstlern  zu  pflegen,  und  die  darauf  bezüglichen  Worte 

des  Philosophen  Aristoteles. 

XX,  4.  Cap.  1.  Ein  reicher  Jüngling,  Schüler  des  Philo- 
sophen Taurus,  fand  seine  grösste  Lust  und  höchstes  Ergötzen 
am  Umgang  mit  ungebundenen  Leuten,  wie  z.  B.  Possen- 
reissern,  Schauspielern  und  Flötenbläsern  (tibicines,  Musi- 
kanten). 2.  Diese  Art  von  Künstlern  wurde  auf  griechisch : 
oi  neqi  tovJiopvoov  regrircM,  Bacchuskünstler  (d.h.  ohngefähr: 
theatralische  Bühnen-Künstler,  Tonkünstler  und  Schauspieler) 
genannt.  3.  Taurus,  welcher  beabsichtigte,  diesen  seinen 
jungen  Schüler  von  dem  'näheren  und  vertrauten  Umgange 
mit  Bühnenkünstlern  abzuziehen,  sandte  ihm  eine  wörtlich 
ausgezogene  Stelle  aus  des  Aristoteles  Schrift,  welche  tiber- 
schrieben ist:  „allgemein  gehaltene  Streitfragen  (über  allerlei 
Wissenswerthes,  TtgoßX^ara  iyxmlia)*,  und  trug  ihm  ernstlich 
auf,  dass  er  diese  Stelle  täglich  einmal  (für  sich)  lesen  sollte; 
sie  lautet:  „Warum  wohl  Bacchuskünstler  (Thespisanhänger, 
Schauspieler)  in  den  meisten  Fällen  frech  und  lasterhaft  sind? 
(Etwa)  weil  sie  sehr  wenig  Antheil  nehmen  an  Wissenschaft 
und  Philosophie  und  weil  sie  den  grössten  Theil  ihres  Lebens 
auf  ihren  nöthigen  Kunst-  (und  Brot-)  Erwerb  verwenden 
und  weil  sie  ihre  meiste  Zeit  theils  in  Unenthaltsamkeit  hin- 
bringen, theils  wieder  in  Noth,  und  Beide  (Ausschweifung  und 
Noth)  bilden  die  Veranlassung  (und  Triebfeder)  zur  Schlechtig- 
keit und  Lasterhaftigkeit." 

XX,  5,  L.     Abschriften  der  (beiden)  in  die  Oeffentlichkeit  gedrungenen 
Briefe  von  dem  König  Alexander  und  dem  Philosophen  Aristoteles,  und 
gleichzeitige  Uebersetzung  der  beiden  Schriftstücke. 

XX,  5.  Cap.  1.  Der  Philosoph  Aristoteles,  Lehrer  des 
(berühmten)  Königs  Alexander,  soll  einer  zweifachen  Methode 


XX,  4,  L.  Bei  Schauspielern  gingen  selbst  attische  Redner,  wie  ein 
Demosthenes,  in  die  Schule.  Daher  gab  es  wohl  auch  Geachtete  unter 
dem  Schauspielerstande,  da  sie  selbst  vom  Staate  zu  öffentlichen  Gesandt- 
schaften gebraucht  wurden.  So  unterhandelten  die  beiden  berühmten 
attischen  Schauspieler  Aristodemus  und  Neoptolemus  den  Frieden  zwischen 
Philipp  von  Macedonien  und  Athen.  Demosth.  de  coron.  232.  Der  Schau- 
spieler Theodorus  erhielt  ein  Denkmal,  Pausan.  I,  37,  2. 

31* 


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.1 


(484)  XX.  Buch,  5.  Cap.,  §  1  -  6. 

* 

bei  seinen  wissenschaftlichen  und  künstlerischen  Belehrungen, 
die  er  seinen  Schülern  zu  Theil  weiden  Hess,  sich  bedient 
haben.  Die  eine  Unterrichtsart  umfasste  die  von  ihm  so- 
genannten äusseren  (exoterica,  iganeQixa)  Lehrgegenstände 
(d.  h.  die  gemeinen  und  allgemein  fasslichen,  für  den  all- 
gemeinen Zuhörerkreis  bestimmten,  philosophischen  Wissen- 
schafts-Vorträge) ,  die  andere  umfasste  die  für  den  Zuhörer 
bestimmten  höheren  Unterrichtszweige  (acroatica,  axQoarixa 
[s.  ioaneQixa]).  2.  Die  äusseren  (exoterica)  hatten  zum 
Zweck  Einübung  der  Rhetorik,  Ausbildung  des  scharfen 
Denkens  (i.  e.  Logik)  und  Kenntniss  (der  allgemeinen  Moral 
und)  des  Staatsrechtes.  3.  Die  «für  (auserwählte)  Zuhörer- 
kreise bestimmten  Unterrichtszweige  wurden:  höhere  (axpoa- 
T*xa,  die  subtilere  Gelehrsamkeit  betreffende)  genannt,  wobei 
die  tiefere  und  gründliche  Kenntniss  der  Philosophie  eine 
Hauptrolle  spielte,  und  Alles,  was  mit  Betrachtung  der  Natur 
und  mit  dialektischen  Erörterungen  in  enger  Beziehung  stand. 
4.  Dieser  für  auserwählte  Zuhörer  berechneten  Unterweisung, 
welche  ich  mit  dem  Namen  crKgoaniyta  (acroatica)  bezeichnete, 
widmete  er  in  seinem  Lycium  (Schulgymnasium)  die  Morgen- 
zeit und  er  liess  zu  diesem  Unterrichte  nicht  so  ohne  Wei- 
teres Einen  zu,  wenn  er  seine  geistigen  Anlagen  und  den 
Vorunterricht  und  den  Fleiss  und  die  Ausdauer  im  Lernen 
nicht  erst  genauer  Prüfung  unterzogen  hatte.  5.  Allein  jene 
allgemeinen  (äusserlichen)  Vorlesungen  (igwreQiTtag,  auditiones) 
und  Sprechübungen  veranstaltete  er  in  den  Abendstunden 
an  demselben  Orte  (des  Unterrichts),  und  er  stellte  gewöhn- 
lich der  .  Jugend  ohne  alle 'Auswahl  den  Besuch  (dieser  Lehr- 
stunden) frei  und  nannte  dies  den  Nachmittags-  (oder  Abend-) 
Spaziergang  (deihvov  negl/tcerov)  und  jenes  den  Morgen- 
Spaziergang  (eiod-ivbv  sc.  ttbqlttcctov)  \  denn  zu  beiden  Tages- 
zeiten pflegte  er  seinen  Unterricht  während  des  Spazierganges 
zu  ertheilen.  6.  Auch  seine  Bücher,  die  beziehentlichen  Er- 
klärungsschriften seines  ganzen  Unterrichtsstoffes,  theilte  er 
(noch)  besonders  ein,  so  dass  die  Einen  hiessen:  exoterici 
(äusserliche  Schriften,  welche  die  gemeinen  und  allgemein 
fasslichen  philosophischen  Wissenschaften  vortrugen)  und  die 
andern  akromatische  (für  den  Zuhörer  bestimmte,  esote- 
rische, d.  h.  innere,  geheime,  welche  die  tiefer  eindringende 


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XX.  Buch,  5.  Cap.,  §  7  -  10.  (485) 

Gelehrsamkeit  zum  Zweck  hatten).  7.  Als  nun  der  König 
Alexander  erfahren  hatte,  dass  von  Aristoteles  auch  seine, 
für  höhere  Unterrichtszwecke  bestimmten  Schriften  heraus- 
gegeben (und  veröffentlicht)  worden  seien,  entsandte  der 
grosse  Feldherr,  der  zu  dieser  Zeit  beinahe  das  ganze,  von 
den  Waffen  (des  Kriegs)  schwer  heimgesuchte  Asien  inne 
hatte  und  ausserdem  selbst  dem  König  Darius  in  sieggekrön- 
ten Schlachten  (noch)  hart  zusetzte,  (nichtsdestoweniger)  mit- 
ten im  höchsten  Geräusche  der  Waffen  einen  Brief  an  den 
Aristoteles  (mit  dem  Bemerken),  dieser  habe  durchaus  nicht 
recht  daran  gethan,  dass  er  seine  höheren  Wissenschafts- 
zweige, in  denen  er  selbst  von  ihm  unterrichtet  worden  sei, 
nun  durch  öffentliche  Herausgabe  seiner  Werke  allgemein  be- 
kannt gemacht  habe  (und  es  heisst  in  dem  Briefe)  wörtlich: 

8.  „Denn  in  welcher  Hinsicht  werde  ich  mich  nun  noch  vor 
allen  Anderen  auszeichnen  können,  wenn  das,  was  ich  von 
Dir  gelernt  habe,  jetzt  überhaupt  Gemeingut  Aller  wird. 
Denn  ich  will  mich  ja  überhaupt  lieber  durch  Weisheits- 
kenntniss  auszeichnen,  als  durch  Macht  und  Reichthum.41 

9.  Aristoteles  gab  ihm  eine  Rückantwort  des  Inhaltes:  „Er- 
fahre, dass  die  akromatischen  Bücher,  über  deren  Herausgabe 
Du  Dich  beklagst  und  bedauerst,  dass  sie  nicht  gerade  so 
wie  Geheimnisse  verborgen  geblieben  sind,  (eigentlich)  weder 
als  herausgegeben  betrachtet  werden  können,  noch  auch  als 
nicht  herausgegeben,  weil  sie  ja  doch  nur  Denen  allein  ver- 
ständlich sind,  die  mich  selbst  gehört  haben."  10.  Die  Original- 
formulare von  den  beiden  Briefen  habe  ich  aus  dem  Werke 
des  Andronicus  entlehnt  und  hier  beigeschrieben.  Beson- 
deres Wohlgefallen  fand  ich  aber  in  den  beiden  Briefen 
an  der  überaus  schlichten  Schreibart  von  unübertrefflichster 
Kürze  [  ]. 


XX,  5,  7.   S.  Plutarch:  Alexander  cap.  7. 

XX,  5,  10.  Der  Philosoph  Andronicus  aus  Rhodos  hat  nach  Plutarch 
(Sulla  26)  des  Aristoteles  Schriften  von  dem  Grammatiker  Tyrannion, 
welcher  Cicero's  Kinder  unterrichtete,  gekauft  und  zu  Rom  zuerst  bekannt 
gemacht  Strabo  XV,  p.  608  giebt  ausführliche  Nachricht  über  das 
ungünstige  Schicksal,  welches  die  Schriften  des  Aristoteles  und  Theo- 
phrast  traf. 


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(486)  XX.  Buch,  5.  Cap.,  §  11  —  13.  —  6.  Cap.,  §  i. 


11.  Alexander  dem  Aristoteles  Wohlergehen. 
Du  hast  nicht  wohl  daran  gethan,  dass  Du  Deine  akro- 
matischen  (für  höhere  Unterrichtszwecke  bestimmten)  Vor- 
lesungen herausgegeben  hast.  Denn  was  habe  ich  dann 
künftig  vor  den  Anderen  noch  voraus,  wenn  die  Lehren,  in 
denen  ich  unterrichtet  wurde,  nun  Gemeingut  Aller  werden  ? 
Ich  wünsche  wenigstens  lieber  in  den  edelsten  Wissen- 
schaften (und  Kenntnissen),  als  in  Macht  (und  Ansehen) 
Andere  zu  übertreffen.   Lebe  wohl. 

12.  Aristoteles  dem  König  Alexander  Wohlergehen. 
Du  schriebst  mir  wegen  der  akromatischen  (mündlichen) 
Vorträge  und  bist  der  Meinung,  ich  hätte  sie  geheim  halten 
sollen.   So  wisse  denn,  dass  sie  (zwar)  herausgekommen 
sind,  und  eigentlich  doch  auch  (wieder)  nicht  herausgekom- 
men sind.    Denn  verständlich  sind  sie  doch  nur  Denen 
allein,  die  mich  gehört  haben.  Lebe  wohl,  König  Alexander. 
13.  'Bei  den  griechischen  Worten:  gvvetoi  yag  elatv  (denn 
verständlich  sind  sie)  fragte  ich  mich,  ob  ich  wohl  für  den 
griechischen  Ausdruck  %wevoi  eben  auch  nur  (bei  der  latei- 
nischen Uebertragung)  ein   lateinisches   Wort  gebrauchen 
sollte,  fand  aber  kein  anderes  entsprechendes  dafür,  als: 
„cognobilis",  was  M.  Cato  im  sechsten  Buche  seiner  „Ur- 
geschichte" geschrieben  hat,  wo  es  heisst:  So,  meine  ich  näm- 
lich,  sei  die  Auffassungsart  verständlicher  (cognobiliorem 
[cognitionem  esse]). 

XX,  6,  L.  Es  ist  die  Frage  aufgeworfen  und  untersucht  worden ,  ob  es 
richtiger  sei,  zu  sagen:  „habeo  cnram  vestri"  (ich  habe  Sorge  um  Euch) 

oder  „vestrum**. 

XX,  6.  Cap.  1.  Da  ich  als  junger  Mensch  die  Vorträge 
des  Apollinaris  Sulpicius  häufig  besuchte,  fragte  ich  ihn,  unter 
welcher  Bedingung  gesagt  würde:  „habeo  curam  vestri"  (ich 

XX,  5,  11.  Aristoteles  bezog  vom  Alexander  einen  Gehalt  von  800 
Talenten  (=  700,000  Thlr.). 

XX,  6,  1.  Hier,  zu  Ende  seines  Werkes,  lasst  Gellius  erst  einen  Vor- 
trag des  Sulpicius  Apollinaris  folgen,  den  er  als  junger  Mensch  mit  an- 
hörte. Er  muss  also  die  Vertheilung  seines  Materials  willkürlich  vor- 
genommen und  arrangirt  haben.  Vergl.  die  Bemerkung  zu  (II,  26,  1)  dem 
Vortrag  des  Fronto  über  Farben,  den  er  in  reiferen  Jahren  mit  anhörte. 


XX.  Buch,  6.  Cap.,  §  1.  2. 


(487) 


hege  Sorge  für  euch)  oder  „misereor  vestri"  (ich  fühle  Mitleid 
mit  euch)?  und  wie  ihm  wohl  der  nicht  gebeugte  Fall  (d.  h. 
der  Nominativ)  von  „vestri"  zu  heissen  scheine?  2.  Dieser 
ertheilte  mir  nun  also  darauf  folgende  Antwort :  Du  stellst  da, 
sagte  er,  eine  Frage  an  mich,  die  ich  mir  selbst  auch  schon 
öfters  vorgelegt  habe,  denn  es  scheint  in  der  That  nicht 
„vestri"  heissen  zu  müssen,  sondern  „vestrum",  wie  ja  auch  die 


XX,  6,  2.  Nostri,  vestri;  nostrum,  vestrum.  Nostrum  und 
vestrum  ist  der  Genitivus  pluralis  von  nos  und  vos;  nostri  und  vestri 
aber  der  Genitiv  von  dem  als  Substantiv  gebrauchten  Neutro:  nostrum 
und  vestrum. 

Bei  nostri  und  vestri  denkt  man  a^o  an  einen  unbestimmten  Be- 
griff, enthalten  in  dem  Substantiv:  nostrum  und  vestrum,  dessen  Pluralitat 
man  als  ungetheiltes  Ganze  zu  betrachten  hat. 

Bei  nostrum  und  vestrum  aber  ist  der  Begriff  bestimmt,  wie  bei 
vos  und  nos,  und  die  Pluralitat  wird  als  aus  einzelnen  Subjecten  zu- 
sammengesetzt gedacht: 

1)  wenn  durch  das  pronomcn  der  Singularis  bezeichnet  werden  soll 
(wo  also  auch  nos  statt  ego  steht),  so  steht  auch  der  Genitiv  im  Singular, 
z.  B.  vive  nostri  memor,  lebe  meiner  eingedenk; 

2)  bei  Verbis  und  Nominibus,  wo  an  keine  Theilung  gedacht  wird 
und  die  Personen  als  Ganzes  aufgefasst  werden,  steht  nostri  und  vestri. 
Wird  dies  von  einer  kirchlichen  Gemeinde  gesungen,  so  ist  nicht  jeder 
Einzelne,  sondern  die  ganze  Gemeine  als  Eins  gedacht  und  es  geht  dann 
diese  Fürbitte,  als  echt  christlich,  auf  Alle  zugleich.  Bei  miserere 
nostrum  wären  die  Personen  einzeln  gedacht,  also :  erbarme  Dich  unserer, 
der  Einzelnen; 

3)  wo  an  eine  Theilung  zu  denken  ist  und  die  Personen  also  einzeln 
gedacht  werden,  steht  nostrum  und  vestrum.  Man  kann  nicht  sagen: 
nemo  nostri  oder  multi  vestri,  weil  hier  nicht  an  ein  unzertrenntes 
Ganze  gedacht  werden  kann.  Pars  nostrum  heisst  ein  Theil  von  uns, 
d.  h.  mehrere  Leute,  und  muss  da  gesetzt  werden,  wo  diese  Menge  als 
eine  Vielheit  gedacht  wird;  durch  pars  nostri  aber  wird  ein  Theil  von 
uns,  d.  h.  von  unserem  Körper,  von  unserem  Wesen  angegeben,  z.  B. 
Sen.  quaest.  nat  II,  3:  pars  est  nostri  manus.  nostrum  und  vestrum, 
partitiv  =■  inter  nos,  ex  vobis.  nostrum  und  vestrum  (vom  Pronom. 
person.)  wahrscheinlich  zusammengezogen  oder  syncopirt  aus  nostrorum, 
nostrarum  und  vestrorum,  vestrarum,  wie  hier  bei  Gell.  XX,  6,  12,  welche 
Formen  bei  Komikern  auch  noch  für  nostrum  und  vestrum  vorkommen; 
vergl.  Gell.  VI,  3, 16;  VI,  19,5;  XI,  10, 2;  XII, 5,  7;  aliquis  nostrum  (—ex 
nobis)  Einer  von  uns,  mit  Einschliessung  unserer  selbst;  aliquis  nostrorum 
(ex  nostris),  Einer  von  den  Unserigen,  mit  Ausschluss  von  uns  (oder  euch). 
Liv.  I,  55.  Imperium  summum  Romae  habebit,  qui  vestrum  primus 
(welcher  unter  euch  zuerst)  osculum  matri  tulerit!  Cicer.  Catilin.  IV,  9, 19. 


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(488)  XX.  Buch,  6.  Cap.,  §2  —  7. 

Griechen  sagen:  im/uelovficu  vpwv  (ich  trage  Sorge  um  euch) 
und  wifiopat  v^wv  (ich  kümmere  mich  um  euch),  und  drückt 
man  (offenbar)  an  dieser  Stelle  vfitov  geeigneter  durch  „vestrum" 
aus,  als  durch  „vestri",  wovon  der  Nominativ,  welchen  Du  den* 
ungebeugten  Fall  nanntest,  „vos"  heisst.  3.  Doch  finde  ich  an 
vielen  Stellen  nostri  und  vestri  gesagt  und  nicht  nostrum 
oder  vestrum.  So  sagt  L.  Sulla  im  zweiten  Buche  seiner 
Geschichte  (rerum  gestarum  libro  II):  „Wenn  es  irgend  wie 
möglich  ist,  dass  ihr  auch  jetzt  euch  unserer  erinnert  (ut 
etiam  nunc  nostri  vobis  in  mentem  veniat)  und  ihr  über- 
haupt glaubt,  dass  wir  mehr  euere  Mitbürger  als  euere 
Feinde  zu  sein  werth  sind  und  weit  eher  für  euch,  als  gegen 
euch  zu  kämpfen  verdienet,  so  dürfen  wir  das  weder  unserem 
eigenen,  noch  dem  Verdienste  unserer  Vorfahren  zuschreiben 
(sondern  haben  das  ganz  allein  euch  und  euerem  guten  Bei- 
spiele zu  danken)."  4.  Terenz  sagt  in  seinem  Phormio 
(I,  3,  20): 

Ita  plerique  ingenio  sumus  omnes,  nostri  nosmet  paenitet,  d.  h. 
So  sind  wir  Alle  von  Natur  mit  unserer  Lage  unzufrieden. 

5.  Afranius  in  seiner  „togata  (sc.  fabula,  d.  h.  in  einem  seiner 

röm.  Nationaldramen)" : 

Nescio  qui  nostri  miseritus  tandem  deus,  d.  h. 

Nicht  seh'  ich  ab,  welch'  eine  Gottheit  unsrer  endlich  noch 

Sich  soll  erbarmen. 

6.  Ferner  Laberius  in   seiner   „  Necyomantia  (Todtenbe- 
schwörung)" : 

Dum  diutius  retinetur,  nostri  oblitus  est,  d.  h. 

Weil  er  zu  lang*  zurückgehalten  wird,  hat  unsrer  er  vergessen. 

7.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  in  allen  den  angeführten 
Beispielen:  nostri  oblitus  est  (er  hat  unserer  vergessen)  und 
nostri  miseritus  est  (er  hat  sich  unserer  erbarmt)  das  „nostri" 
in  demselben  Beugefall  gesagt  ist,  den  man  in  folgenden 
Redensarten  mit  „meiu  wiedergesagt  findet:  mei  paenitet  (ich 

Habetis  ducem  memorem  vestri,  oblitum  sui,  ihr  habt  hier  einen  Führer 
vor  euch,  der  an  euch  Alle  denkend,  sich  selbst  dabei  vergisst; 

4)  wo  man  die  Sache  sowohl  als  getrenntes  Ganze,  wie  auch  als  un- 
getrenntes denken  kann,  ist  Beides  statthaft,  z.  B.  miserere  nostri,  als 
Fürbitte  auf  Alle  zugleich;  miserere  nostrum,  auf  Jeden  von  uns,  jeden 
Einzelnen. 


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XX.  Buch,  6.  Cap.,  §  7  —  12.  (489) 

bin  mit  mir  unzufrieden),  mei  miseritus  est  (er  hat  Mitleid 
mit  mir  gehabt)  und  mei  oblitus  est  (er  hat  meiner  vergessen, 
nicht  an  mich  gedacht).  8.  Der  auf  die  Frage  „wessen?"  be- 
zügliche Beugefall,  der  von  den  Grammatikern  sogenannte 
Genitiv  „mei"  wird  von  dem  Nominativ  (des  Pronomen  subst. 
personal.)  „ego"  abgeleitet,  dessen  Plural  „nos"  heisst.  Gerade 
so  wird  „tui"  von  „tu"  abgeleitet,  dessen  Plural  ebenso 
„vosu  heisst.  9.  Gerade  so  hat  Plautus  in  seinem  „Pseudulus 
(Lügenmaul,  I,  1,  l)u  sich  in  folgenden  Versen  dieses  Beuge- 
falles (mei)  bedient: 

•  - 

Könnt'  ich  von  Dir,  dem  Schweigenden,  erfahren,  Herr, 

Was  für  ein  Kummer  so  erbärmlich  an  Dir  nagt, 

Ich  sparte  zweien  Menschen  die  Beschwerde  gern  (labori  -  parsissem) : 

Mir  (mei),  Dich  zu  fragen,  und  Dir  (tis  =  tui),  zu  erwiedern  mir. 

Mei  te  rogandi  et  tis  respondendi  mihi. 

Der  Genitiv  „mei"  kommt  in  dieser  Stelle  bei  Plautus  nicht 
von  (dem  Pron.  possessiv.)  „meus"  her,  sondern  von  (dem 
Pronom.  personal.)  „ego".  10.  Im  Fall  Du  also  Dich  der 
Redensart  bedienen  willst:  „pater  mei"  (Vater  von  mir)  für 
„pater  meus"  (mein  Vater),  gerade  so  wie  die  Griechen  sagen : 
6  JTcmye  fiov,  so  wirst  Du  Dich  zwar  etwas  ungewöhnlich,  aber 
allerdings  sprachrichtig  und  ganz  in  der  Art  ausdrücken,  wie 
Plautus  gesagt  hat:  „labori  mei",  der  Mühe  von  meiner  Seite, 
für  „labori  meo"  (meiner  Mühe  oder  Beschwerde).  11.  Dieselbe 
Regel  gilt  auch  beim  Plural,  wonach  Gracchus  (ganz  richtig) 
gesagt  hat:  „misereri  vestrum"  (Mitleid  haben  mit  euch)  und 
wonach  M.  Cicero  (pro  Plane.  6,  16  und  7,  17)  gesagt  hat: 
„contentio  vestrum"  (Wettstreit  unter  euch)  und  „contentione 
nostrum"  (durch  den  Streit  unter  uns);  feiner  auf  gleiche  Art 
hat  sich  auch  Quadrigarius  im  elften  Buche  seiner  Annalen 
wörtlich  so  ausgedrückt:  „Wann,  C.  Marius,  wirst  Du  wohl 
Mitleid  haben  mit  uns  und  mit  dem  Staat  (te  nostrum  et 
reipublicae  miserebitur)  ?"  Was  mag  also  wohl  die  Ursache 
gewesen  sein,  dass  (in  den  oben  angeführten  Stellen)  Terentius 
gesagt  hat:  „paenitet  nostri"  und  nicht  „nostrum"  und  Afra- 
nius:  „nostri  miseritus  est"  und  nicht  „nostrum"?  12.  Ich 
wtisste,  sagte  Sulpicius  Apollinaris,  wahrhaftig  deshalb  keinen 
anderen  Grund  aufzufinden,  als  der  langbestehende,  alte 
Sprachgebrauch,  der  es  nie  allzuängstlich  nahm  und  nicht 


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(490)        XX.  Buch,  6.  Cap.,  §  12  —  15.  —  7.  Cap.,  §  1.  2. 

eben  jedes  Wort  genau  überlegte.  Denn  so  findet  man  auch 
sehr  oft  noch  „vestrorum"  für  „vestrum"  vor,  wie  z.  B.  in 
des  Plautus  „Hausgespenst  (Mostellaria  I,  3,  123  [279]),  in 
folgendem  Verse: 

Verum  illud  esse  maxima  adeo  pars  vestrorum  intelligit,  d.  h. 

Wahr  ist's,  der  grösste  Theil  von  euch  weiss  das  sogar, 

da  er  doch  nichts  Anderes  sagen  wollte,  als  „maxima  pars 
vestrum";  so  steht  auch  „vestri"  bisweilen  für  „vestrum". 
13.  Aber  ohne  Zweifel  wird  Jeder,  der  vollkommen  sprach- 
richtig sich  ausdrücken  will,  vielmehr  „vestrum*1  sagen  müssen, 
als  „vestri".  14.  Und  deswegen  muss  man  es  als  ein  höchst 
ungeschicktes  Verfahren  von  Denen  bezeichnen,  welche  in 
sehr  vielen  Ausgaben  des  Sallust  die  ganz  richtige  Lesart 
(„vestrum"  durch  ihre  Correctur  in  „vestri")  verdorben  haben. 
Denn  da  die  Stelle  in  seinem  Catilina  (33,  2)  so  lautete: 
„Oft  haben  die  Vorfahren  von  euch  (majores  vestrum)  sich 
des  römischen  Volkes  erbarmt,"  so  strichen  sie  das  „vestrum" 
aus  und  schrieben  „vestri"  darüber.  Daher  hat  sich  in 
manche  Ausgaben  der  Zuwachs  (indoles)  dieses  (allgemein 
gebräuchlichen  Sprach-)  Fehlers  eingeschlichen.  15.  Diese 
gegen  mich  ausgesprochenen  Bemerkungen  des  Apollinaris 
habe  ich  mir  wohl  gemerkt  und  sie  damals  gleich,  nachdem 
ich  sie  gehört  hatte,  aufgeschrieben. 

XX,  7,  L.    Ueber  die  Verschiedenheit  der  Angaben  in  Bezug  auf  die 

Anzahl  von  Niobe's  Kindern. 

XX,  7.  Cap.  1.  Wunderlich  und  fast  lächerlich  ist  der 
Widerspruch ,  der  sich  bei  den  griechischen  Dichtern  in  der 
Sage  findet  über  die  Angabe  der  Anzahl  von  Niobe's  Kindern. 
2.  Denn  Homer  sagt,  dass  die  Zahl  ihrer  Knaben  und  Mäd- 
chen zweimal  sechs  (also  zwölf)  gewesen  sei  (Horn.  H.  24,  603) ; 
Euripides  giebt  (Phoen.  159)  ihrer  zweimal  sieben  (also  vier- 
zehn) an;  Sappho  zweimal  neun  (also  achtzehn);  ferner  Bac- 
chylides  und  Pindar  zweimal  zehn  (also  zwanzig);  einige  andere 
Schriftsteller  aber  behaupten,  dass  es  im  Ganzen  nur  drei 
gewesen  seien. 


XX,  7,  1.    S.  Aelian.  vermischte  Erzähl.  XII,  36;  Apollo dor.  III,  5,  6. 


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XX.  Buch,  8.  Cap.,  §  1  —  7. 


(491) 


XX,  8,  L.    Von  der  zusammentreffenden  Beeinflussung  (ov/LinT(oo(cc)  des 
wechselnden  und  abnehmenden  Mondes  auf  einige  Dinge. 

XX,  8.  Cap.  1.  Der  Dichter  Annianus  pflegte  die  Zeit 
der  Weintraubenlese  gewöhnlich  auf  seinem  Landgute,  welches 
er  im  faliscischen  Gebiete  (in  Etrurien)  besass,  heiter  und 
ergötzlich  zu  verleben.  2.  Während  dieser  Zeit  lud  er  mich, 
sowie  auch  einige  andere  Freunde  zu  Gaste  (zu  sich  ein). 

3.  Als  wir  nun  auch  eines  Tages  bei  ihm  zu  Tische  waren, 
kam  von  Rom  eine  grosse  Menge  Austern  an.  Als  man  sie 
aufgetragen  hatte  und  es  zwar  viele,  aber  nicht  (alle)  voll 
und  nur  mager  waren,  sagte  Annianus,  das  ist  ganz  natürlich, 
der  Mond  ist  jetzt  abnehmend.  Daher  ist  auch  die  Auster, 
sowie  noch  einige  andere  Dinge,  mager  und  ausgesogen. 

4.  Als  wir  weiter  fragten,  welche  andere  Dinge  auch  noch 
mit  abnehmendem  Monde  schwänden,  sagte  er,  erinnert  ihr 
euch  denn  nicht  des  Ausspruches  von  unserem  Lucilius,  der 
da  lautet: 

Austern  nähret  der  Mond,  er  füllet  die  Igel  des  Meeres, 
Mehret  dem  Vieh  und  den  Mäusen  die  Därme. 

5.  Alle  diese  Dinge  aber,  welche  bei  zunehmendem  Monde 
fett  werden  (gliscunt),  nehmen  nun  eben  auch  bei  abnehmen- 
dem Monde  wieder  ab.  6.  Auch  die  Augen  der  Katzen  (aelu- 
rorum  oculi)  verändern  sich  je  nach  dem  Mondwechsel  und 
werden  deshalb  entweder  weiter  oder  kleiner.  7.  Noch  viel 
wunderbarer  ist  aber  die  Bemerkung,  welche  ich  bei  Plutarch 
im  vierten  Buche  seines  Commentars  zum  Hesiod  las:  Die 
Zwiebel  grünt,  keimt  und  schiesst  hervor  bei  abnehmendem 
Monde,  dagegen  bei  zunehmendem  trocknet  sie  ein.  Das 
soll  auch  die  Ursache  sein,  wie  die  ägyptischen  Priester  be- 


XX,  8,  1.   Titus  Annianus,  lebte  unter  Hadrian  und  war  Ver- 
fasser von  Fescennien.   S.  Bernhardy  röm.  Lit.  92,  436. 
XX,  8,  4.   Vergl.  Horat  Sat.  II,  4,  30. 

XX,  8,  5.  Vergl.  Plin.  II,  41,  2  u.  IX,  50,  3.  —  gliscere,  von 
glis,  L  e.  Haselmaus,  ein  Thierchen,  welches  den  ganzen  Winter  über 
schläft  und  dann  fetter  ist.  Martial.  XIH,  59;  Seyfert.  lat.  Gramm. 
§  1598. 

XX,  8,  6.   «rkovQos,  Kater.   S.  Hygin.  astron.  II,  28  u.  Juvenal.  15,  7. 


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(492)  XX.  Buch,  8.  Cap.,  §7.-9.  Cap.,  §  1-4. 


haupten,  weshalb  die  Pelusioten  die  Zwiebel  nicht  ge- 
ni essen,  weil  sie  allein  unter  allen  Gemüsen  (und  Küchen- 
kräutern) dem  entgegengesetzten  Wechsel  des  Abnehmens  und 
Zunehmens  unterworfen  ist,  zuwider  (lern  Zu-  und  Abnehmen 
des  Mondes. 

XX,  9,  L.  An  welcher  Art  von  Ausdrücken  Antonius  Julianus  sich  zu 
ergötzen  pflegte,  die  in  den  mimischen  Gedichten  standen,  welche  Cn. 
Matius  in  Betreff  seiner  Unbescholtenheit  und  Uneigennützigkeit  verfasste, 
wo  er  die   Redensart  gebraucht:    numquam  vestimenta  a  populo  posci 

(niemals  Kleider  vom  Volke  fordern). 

XX,  9.  Cap.  1.  Antonius  Julianus  versicherte,  sein  Ohr 
werde  durch  die  neuen  Wortbildungen  des  gelehrten  Cn.  Matius 
ausserordentlich  ergötzt  und  angenehm  berührt;  2.  als  der- 
gleichen bezeichnete  er  auch  die,  welche  er  uns  aus  dessen 

Mimiamben  anführte: 

Sinuque  amicam  refice  frigidam  caldo 
Columbulatim  labra  conserens  labris,  d.  h. 

Und  die  erstarrte  Geliebte  am  heissen  Busen  zu  neuem  Leben  erweck', 

Nach  Täubchenart  heftend  Lipp'  an  Lippe. 

3.  Ebenso  erwähnte  er  auch  folgende  angenehme  und  feine 
Wortbildung : 

Iam  tonsiles  tapetes  ebrii  fuco, 
Quos  concha  purpura  imbuens  venenavit,  d.  h. 
Nun  auch  geschorne  Teppiche  über  und  übervoll  von  rother  Farbe, 
Welche  die  Purpurschnecke  benetzend  mit  Purpur  gefärbt  hat  [  ] 

4.  [Desgleichen  auch  jenes: 

Dein  coquenti  vasa  cuncta  dejectat; 

Nequamve  scitamenta  pipulo  poscit,  d.  h. 
D'rauf  vor  die  Füsse  wirft  dem  Koch  er  alle  Schüsseln 
Fordert  aber  trotzdem  dann  noch  unter  Schimpfen  Leckerbissen,  dieser 

Nichtsnutz.] 


XX,  8,  7.  Zwiebel.  S.  Plutarch.  über  Isis  und  Osiris  8.  —  Pelu- 
sio  ten  (d.  h.  Koth freunde).  Pelusium,  grosse  ägyptische  Stadt,  an  einer 
der  Nilmündungen,  erbaut  von  Peleus,  Vater  des  Achilles,  und  durch  ihre 
Linsen  und  Linnen  berühmt;  Schlüssel  Aegyptens  von  Osten  her.  Der 
Ortsname,  Pelusium,  d.  h.  Kothstadt,  beruht  theils  auf  der  Anspülung  des 
Nilschlammes,  theils,  dass  es  mitten  in  Sümpfen  und  Morästen  liegt  Im 
A.  T.  heisst  sie  Sin,  jetzt:  Tineh. 

XX,  9,  i.   TJeber  Antonius  Julianus  s.  Gell.  I,  4,  1  NB. 

XX,  9,  3.   Hier  findet  dem  Lemma  nach  eine  Lücke  statt 


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XX.  Buch,  10.  Cap.,  §  1—4.  (493) 


XX,  10,  L.  Was  die  Formel  (Redensart)  zu  bedeuten  hat:  ex  jure  manum 
consertum  (d.  h.  [Aufforderung  streitender  Parteien],  um  auf  dem  Wege 
Rechtens  [gegenseitig]  anzulegen  die  Hand,  nämlich  an  den  streitigen 

Gegenstand). 

XX,  10.  Cap.  1.  Die  Worte:  ex  jure  manum  consertum 
(um  nach  Rechtsgebrauch  [gegenseitig]  anzulegen  die  Hand) 
stammen  noch  aus  den  alten  Rechtsklagen  her  und  werden 
noch  heutigen  Tages  von  dem  Praetor  gebraucht  (quum  lege 
agitur,  d.  h.)  wenn  die  gerichtliche  Eigenthumsanspruchs- Ver- 
handlung nach  einer  (gewissen)  gesetzlich  bestimmten  Verfah- 
rungsart  (der  legis  actiones)  beginnt  und  die  Klagver- 
folgung wegen  Behauptung  des  Eigenthums  angestrengt  wird. 
2.  Ich  erkundigte  mich  einst  zu  Rom  bei  einem  Gramma- 
tiker, einem  Manne,  der  in  aller  Munde  und  eine  grosse 
Berühmtheit  war,  was  die  Bedeutung  dieser  Worte  sei.  Dar- 
auf hin  sah  mich  dieser  (Gelehrte)  mit  verächtlichem  Blicke 
an  und  sagte:  Du  bist  entweder  im  Irrthume,  junger  Mann, 
oder  erlaubst  Dir  einen  Scherz,  denn  wisse,  ich  ertheile  Unter- 
richt (zwar)  in  der  Sprachwissenschaft,  aber  ertheile  nicht 
Rechtsbescheide.  Hast  Du  mich  also-  etwas  zu  fragen  über 
Vergil,  Plautus,  Ennius,  nur  zu,  so  frage  immerhin.  3.  Ge- 
rade aber  aus  Ennius,  sagte  ich,  sind  die  Worte,  lieber  Doc- 
tor,  worüber  ich  Dich  frage,  denn  Ennius  hat  sich  dieser  Worte 
bedient.  4.  Als  nun  jener  höchlichst  verwundert  war  und  be- 


XX,  10,  L.  Ex  jure  manum  conserere.  Kunstausdruck  zur  Bezeich- 
nung des  (scheinbaren)  symbolischen  Gewalt  actes,  den  die  streitenden 
Parteien  unter  sich  vornahmen,  zur  Behauptung  des  Eigenthumsrechtes 
an  einer  Sache.  S.  Heinecc.  Ant  R.  IV,  6,  24  p.  681  edit.  Haub.;  W.  Rein 
röm.  Privatrecht  S.  461  folg.;  Savigny  Zeitschrift  für  gerichtl.  Rechtsw. 
Bd.  III,  H.  3  p.  421. 

XX,  10,  1.  Die  legis  actiones  (vergL  Gajus  Instit  IV  §  11  ff.) 
waren  die  nach  ältestem  Recht  gesetzlich  bestimmten  Verfahrungsarten  für 
die  Verfolgung  von  Rechtsansprüchen.  —  Vergl.  Pompon.  in  enchirid.  jur. 
Digest.  Hb.  I,  tit.  2.  1.  2  §  6;  desgl.  Hugo  Lehrb.  der  Gesch.  des  röm. 
Rechts  8.  308  fg.  (XI.  Aufl.);  Bethmann- Hollweg  Civilprozess  S.  5  ff.; 
Rudorff  röm.  Rechtsgesch.  U  S.  75 ff.;  v.  Keller  „d.  röm.  Civilprozess 
8.  Aufl.  S.  46  ff. 

XX,  10,  1.   Cic.  pro  Mur.  12,  26;  14,  30. 

XX,  10,  2.  Vergl.  Gell.  XIU,  20,  1;  XVHI,  4,  1;  XIX,  7,  2;  XIX, 
10,  lff;  XIX,  13,  1;  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  353,  1. 


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(494)  XX.  Buch,  10.  Cap.,  §  4-7. 

hauptete,  dass  diese  Worte  den  Dichtern  ganz  fern  lägen, 
am  allerwenigsten  aber  in  den  Gedichten  des  Ennius  zu  fin- 
den sein  könnten :  da  nun  sagte  ich  folgende  Verse  aus  dem 
achten  Buche  der  Annalen  (weil  ich  doch  das  Buch  nicht  zur 
Hand  hatte)  aus  dem  Kopfe  her,  denn  ich  hatte  sie  mir,  als 
besonders  auffallend,  vor  anderen  zufällig  gemerkt;  sie  lauten : 

Pellitur  e  medio  sapientia,  vi  geritur  res; 

Spernitur  orator  bonus,  horridus  miles  amatur. 

Haut  doctis  dictis  certantes  nec  maledictis, 

Miscent  inter  sese  inimicitias  agitantes. 

Non  ex  jure  manum  consertum,  sed  magis  ferro 

Rem  repetunt  regnumque  petunt,  vadunt  solida  vi,  d.  h. 

9  (Wenn  der  Schlachtruf  ertönt) 

Scheucht  aus  dem  Kreis  man  die  Weisheit  fort:  es  entscheidet  Gewalt  nur; 

Nichts  gilt  der  Redner,  der  gute,  geliebt  wird  der  Krieger,  der  rauhe; 

Nicht  in  gelehrten  Lehren,  vielmehr  in  Schmähungen  eifernd, 

Mischen  erbitterten  Herzens  sie  unter  sich  Hader  und  Feindschaft. 

Nicht  nach  dem  Recht  anlegend  die  Hand,  nein  trotzend  dem 

Schwertstahl, 

Fordern  Ersatz  sie  und  Herrschaft  und  treten  mit  roher  Gewalt  auf. 

5.  Als  ich  diese  Verse  des  Ennius  hergesprochen  hatte,  sagte 
der  Grammatiker,  nun  glaube  ich  Dir  schon.  Allein  Du 
kannst  auch  mir  nun  glauben,  dass  Ennius  nicht  aus  Dich- 
tungswerken diese  Ausdrucksweise  gelernt  (und  entlehnt  hat), 
sondern  von  irgend  einem  Rechtsgelehrten.  Geh  also  auch 
Du  dahin  und  hole  Dir  Rath  darüber  aus  der  Quelle,  woher 
sich  Ennius  Raths  erholte.  6.  Ich  folgte  nun  also  dem  Rathe 
dieses  Lehrmeisters,  der  in  Bezug  Dessen,  was  er  mir  eigent- 
lich selbst  hätte  sollen  erklären  können,  mich  dahin  verwies, 
wo  (er  wusste,  dass)  ich  mir  sicher  würde  Auskunft  holen 
können.  Ich  glaube  daher,  dieser  Aufsatzsammlung  Dasjenige 
beifügen  zu  müssen,  was  ich  von  Rechtsgelehrten  und  was  ich 
aus  deren  Büchern  in  Erfahrung  gebracht  habe,  weil  (ich 
deutlich  fühle,  dass)  die,  welche  noch  mitten  im  Getriebe  der 
Welt  und  Menschen  leben,  durchaus  nicht  unbekannt  sein 
dürfen  mit  dem  bei  Civilsachen  sehr  häufig  vorkommenden 
Gerichtsausdruck  (manum  conserere,  d.  h.  [gegenseitig]  Hand 
anlegen).  7.  Denn  einen  an  Ort  und  Stelle  vorliegenden 
Gegenstand,  über  den  gesetzlich  (gerichtlich)  gestritten  wird, 
sei  es  ein  Acker,  oder  sonst  etwas  Anderes,  mit  seiner  Gegen- 
partei zugleich  mit  der  Hand  anfassen  und  an  dem  Gegen- 


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"I 


XX.  Buch,  10.  Cap.,  §  7-9.  (495) 

stand  nach  Fug  und  Recht  mit  der  vorgeschriebenen,  feier- 
lichen Formel  Anspruch  erheben,  das  heisst  man:  vindicia 
(d.  h.  gerichtliche  Beanspruchung  oder  Inanspruchnahme). 

8.  Das  Anfassen  mit  der  Hand  an  dem  betreffenden  Gegen- 
stande und  Orte  geschah  in  Gegenwart  des  Praetors  in  Folge 
des  Zwölftafelgesetzes,  wo  also  geschrieben  steht  :  „si  qui  in 
jure  manum  conserunt,  d.  h.  wenn  die  betreffenden  (Parteien) 
nach  altem  Formularprocess  zur  Eröffnung  des  Eigenthums- 
processes)  an  Gerichtsstelle  Hand  anlegen  (sc.  an  eine  Sache)." 

9.  Als  aber  später  die  Prätoren  nach  der  Erweiterung  der 
italischen  Gebietsgrenzen  (nach  Ausdehnung  ihres  Gerichts- 
sprengeis, d.  h.  ihres  amtlichen  Geschäftskreises)  durch  Ueber- 
häufung  der  in  ihrer  Civilgerichtsbarkeit  vorkommenden  Pro- 
cesse  zu  sehr  in  Anspruch  genommen  waren  und  es  (dieser 
ihrer  Geschäftsüberhäufung  halber)  mit  grossen  Schwierigkeiten 
verknüpft  war,  wegen  (Entscheidung  von)  Eigenthumsrechts- 
ansprüchen weitläufige  Reisen  zu  unternehmen,  so  wurde  die 
Bestimmung  getroffen,  obgleich  im  Widerspruch  mit  der  nach 
den  Zwöltafelgesetzen  (ursprünglich  herrschenden  Sitte),  jedoch 
nach  gegenseitig  stillschweigender  Uebereinkunft  (der  Partein), 
dass  die  Streitenden  nicht  vor  Gericht  (in  jure)  in  Gegenwart 
des  Praetors  durch  Handanlegen  den  Eigenthumsprocess  er- 
öffneten (d.  h.  zu  eröffnen  brauchten),  sondern  sich  aufforderten, 
nach  Rechtsbrauch  (ex  jure  auch  in  Abwesenheit  des  Praetors) 
die  Hand  anzulegen  (an  das  Streitobject),  d.  h.  der  Eine  rief  den 
Anderen  im  Wege  Rechtens  (ex  jure)  auf  zur  Handanlegung 
an  den  streitigen  Gegenstand  und  so  begaben  sich  (deshalb) 
die  beiden  Parteien  nun  zusammen  (allein  und  ohne  den  Praetor 
nach  dem  streitigen  Grundstück  hin,  etwas  Erde  davon,  als 
wie  (ohngefähr)  eine  Scholle  (oder  eine  Hand  voll  zu  holen 
und)  nach  der  Stadt  vor  Gericht  zum  Praetor  zu  bringen  und 
an  dieser  (Handscholle,  d.  h.)  Hand  voll  Erde  gleichsam  wie 


XX,  10,  7.  Die  Verfolgung  eines  Rechtsanspruches  hiess  vindicatio, 
d.  h.  Gewaltankündigung. 

XX,  10,  9.  Cic.  ad  Div.  VII,  13.  Die  streitenden  Parteien  gingen 
auf  den  Acker,  um  welchen  der  Streit  entstanden  war,  und  brachten  davon 
eine  Hand  voll  Erde  mit  zum  Richter,  worüber  gerade,  wie  über  den 
ganzen  Acker,  so  lange  gestritten  wurde,  bis  einem  Jeden  das  Seine  wieder 
zuerkannt  worden  war. 


* 

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(496)  XX.  Buch,  10.  Cap.,  §  9.  10.  -  11.  Cap.,  §  1. 

um  das  ganze  Grundstück,  um  den  ganzen  Grundbesitz  (den 
symbolischen,  feierlichen  Streit  der  Besitzergreifung  zu  begin- 
nen und)  ihre  Rechtsansprüche  zu  begründen.  10.  Wenn  da- 
her En  nius  anzudeuten  beabsichtigt,  dass  man  nicht,  wie  es 
wohl  sonst  gebräuchlich  war,  in  Gegenwart  des  Praetors,  durch 
die  (althergebrachten)  gesetzlichen  Rechtsmittel,  auch  nicht 
(durch  das  neuaufeekommene  Verfahren),  um  auf  dem  Wege 
Rechtens  (ex  jure,  in  Abwesenheit  des  Praetors)  Hand  anzu- 
legen (sc.  agi  oder  rem  repeti  d.  h.  jetzt  sich  zu  seinem  Rechte 
zu  verhelfen  pflegt  und  so  das  gesetzliche  Eigentumsrecht 
an  einer  Sache  sich  zu  erwerben  sucht),  sondern  (auf  ganz 
ungesetzlichem  Wege)  durch  Krieg  und  Schwertstreich  und 

durch  offenbare  und  rohe,  handfeste  Gewalt  [  ]; 

was  er  scheint  gemeint  zu  haben,  wenn  er  jenen  bürgerlichen, 
in  Privatprocessen  und  bei  der  Sklavenfreilassung  (vim— fe- 
stucariam,  scheinbaren,  symbolischen)  Gewaltact,  welcher 
nur  den  Namen  nach  (vindico  =  vim  dico  i.  e.  drohe  Ge- 
walt an,  und  der  Ceremonie  wegen)  und  welcher  nicht  wirk- 
lich mit  der  Hand  vollzogen  wurde,  vergleicht  mit  der  (an- 
deren) kriegerischen,  selbst  Blut  nicht  scheuenden,  wirklichen 
Gewaltthätigkeit. 

XX,  11,  L.     Was  das  bei  M.  Varro    vorkommende  Wort:  „sculna"  zu 

bedeuten  habe. 

XX,  11.  Cap.  1.  P.  Lavinius  hat  ein  Buch  verfasst, 
welches  vielen  Fleiss  verräth  und  die  Ueberschrift  führt:  „über 


XX,  10,  10.  Bei  Cic.  ad  Div.  VII,  13  sagt  Ennius:  (ich  höre)  man 
entscheidet  bei  euch  die  Händel  über  Mein  und  Dein  viel  lieber  mit 
dem  Degen,  als  durch  Formeln,  d.  h.  durch  einen  ordentlichen,  gesetz- 
massigen Prozess.  Savigny  röm.  Rt  Bd.  V  p.  61.  Arten  der  Klagen  sind: 
actiones  civiles ,  honorariae.  Hier  die  legitimae  actione.?  sind  die  alten 
legis  actiones.  Die  civiles  actiones  haben  eine  legitima  oder  civilis  causa, 
d.  h.  einen  im  Civilrecht  anerkannten  Rechtsgrund.  Die  honorariae  waren 
von  den  Praetoren  oder  Aedilen  in  Kraft  ihrer  Juris  dictionsbefugnisse 
eingeführt.  —  Vis  festucaria.  Festuca  (Grashalm)  Freiheitsruthe,  war 
ein  Stäbchen,  womit  der  Praetor  den  Sklaven  berührte,  der  frei  erklärt 
werden  sollte. 

XX,  11,  L.  Sculna  syncopirt  aus  seculna  Sequester,  i.  e.  Schieds- 
richter. 

XX,  11,  1.    P.  Lavinius  s.  Macrob.  Sat  ni,  8.    Vergl.  Bernh.  röm. 


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XX.  Buch,  11.  Cap.,  §  2—5. 


(497) 


niedrige  Ausdrücke  (de  verbis  sordidis)".  2.  Darin  schreibt  er, 
dass  „sculna"  (synkopirt)  gewöhnlich  gesagt  werde  für  „se- 
culna",  wofür  die,  welche  sich  gewählter  ausdrücken,  das 
Wc\rt  „Sequester"  gebrauchen.  3.  Beide  Wörter  sind  aber 
(offenbar)  von  „sequor"  abgeleitet,  was  soviel  heissen  soll, 
dass  beide  Theile  vertrauensvoll  der  Vermittlung  des  erwählten 
Schiedsrichters  folgen.  4.  Dass  sich  das  Wort  „sculna" 
aber  im  „Intelligenzblatt  (in  logist orico)"  des  M.  Varro  ge- 
schrieben findet  (in  dem  Abschnitt),  welcher  den  Titel  führt: 
„  ,atus  (oder  über  Kinderzucht) u,  darüber  belehrt  uns  dieser 
P.  Lavinius  ebenfalls  in  seinem  Buche.  5.  Was  aber  (bis  nach 
erfolgtem  Streitaustrag)  bei  einer  Mittelsperson  (Sequester) 
zur  Verwahrung  niedergelegt  wird,  dafür  brauchte  man  (von 
der  Substantiv  -  Form :  sequestrum,  den  Dativ)  sequestro  als 
Adverbium  und  sagte  so:  sequestro  (zur  Verwahrung,  ver- 
wahrungshalber) positum  (niedergelegt).  Cato  sagt  „im  Be- 
treff des  Ptolemaeus  gegen  Thermus" :  „bei  den  unsterblichen 
Göttern,  wollet  (euch)  nur  ja  nicht  und  .  . 


Lit  59,  240.  Nur  in  traulicher  Correspondenz  (wie  in  Cicero's  Briefen), 
oder  in  einer  drolligen  Spielart,  wie  die  Satura  Menippea  des  M.  Varro 
war,  vernahm  man  dergleichen  verba  sordida.  Vergl.  Gell.  XV,  80,  2  NB. 
8.  Teuffels  röm.  Lit.  Gesch.  338,  6. 

XX,  11,  4.  Logistoricum  (loyioioQixtv),  Witz-,  Intelligenz  -  Blatt. 
Eine  verloren  gegangene  Schrift  des  M.  Varro,  scharfsinnige  Gedanken 
und  merkwürdige  Anecdoten  enthaltend.  Fr.  Ritsehl :  „Die  Schriftstellerei 
des  M.  Terentius  Varro"  sagt  p.  543 :  logistorici,  philosophische,  namentlich 
ethische,  jedoch  mit  einem  reichhaltigen  Beiwerk  historischer  Belege 
durchwirkte  und  mehr  populär  als  systematisch  gehaltene  Discurse  — 
Catus  aut  de  liberis  educandis,  i.  e.  Catus  oder  über  die  Kindererziehung, 
s.  Gell.  IV,  19,  2.  Vergl.  Gell.  IV,  19,  2  NB  in  Teuffels  röm.  Literatur- 
geschichte. 


Gell  i  n  h  ,  Attische  Nächte.  U. 


32 


Verbesserungen  und  Nachträge. 

I.  Band. 

S.  V,  Z.  18  v.  u.  L  Plautus. 

S.  XIV,  Z.  6  v.  u.  1.  eines  Ludwig  Mercklin. 

S.  2,  Z.  12  v.  u.  I.  epistulae  morales. 

S.  3,  Z.  12  v.  o.  'Eltxwv,  der  Musenberg. 

S.  3  —  4,  Anmerk.  naQ^ya  vom  Dichter  L.  A.  Accius.  [M.  Hertz.] 
S.  4,  Z.  5  v.  u.  L  Laertius. 

S.  5  zu  §  12  Anmerkung  ist  das  Doppelcitat  so  zusammenzuziehen: 
Mus.  der  A.  W.  S.  313  —  583.  Ausführlicher  darüber:  Schuster  in  act. 
societ.  philol.  Lips.  Bd.  HL 

S.  11,  Z.  16  v.  u.  L  Titus  Antoninus;  desgl.  S.  43,  Z.  1  Anm.  v.  u. 

S.  12,  Z.  1  v.  u.  L  Cic.  de  div.  II,  4. 

S.  14,  I,  2,  8  NB  L  Horn.  Odyss.  IX,  39. 

S.  15,  I,  2,  10  NB  sind  die  Worte  nach  [Länder]  zu  streichen  und 
dafür  zu  setzen:  vergl.  Gell.  XV,  23;  XVII,  21,  3. 
S.  25,  Z.  23  y.  u.  1.  ßrjTOQtxij. 
S.  30,  I,  5,  L.  NB  1.  Paeania. 
S.  31,  Z.  7  v.  u.  L  erlangte. 

S.  33,  Z.  1  v.  u.  1.  Sext  Empir.  adv.  Mathem.  II  cap.  12  (ed.  Fabr.  291); 
cap.  49  (p.  299);  cap.  68  (302);  vergl.  cap.  36  (297). 
S.  37,  Z.  5  v.  u.  L  Publius  Syrus  und  Cn.  Matius. 
S.  42,  Z.  18  v.  o.  1.  Gnomonik. 
8.  (46-)  47,  Z.  1  v.  o.  L  [ruhig]  gestimmt. 
S.  47,  I,  11,  5,  Z.  18  v.  o.  L  Argiver. 
B.  53,  Z.  %  v.  o.  1.   e  patris  potestate. 

S.  58,  Z.  22  v.  o.  1, 13, 11  e.  Mylattenser  oder  Mylassenser.  [M.IIertz.] 

S.  59,  I,  14,  L.  1.  Fabricius  Luscinus;  desgl.  S.  60  und  239. 

S.  62,  €qxos  ocforrwj',  d.  h.  Zahngitterreihe,  als  genitiv.  explicativus 
zu  fassen,  mit  Bezug  auf  ein  Gedicht  Solons  [Bergk  poet.  lyr.  Graec. 
Solon.  eleg.  27  an  Kritias],  wo  er  von  der  jüngsten  Kindheit  als  einer 
Zeit  spricht,  wo  man  die  Zähne  wieder  verliert. 

S.  68,  I,  17,  1  Xanthippe;  desgl.  S.  69. 

S.  71,  I,  18,  2  NB  Z.  4  v.  o.  1.  experientiam. 

S.  73,  I,  19,  3  Ammian.  Marcell.  XXIII,  3  [von-  den  cumanischen 
Büchern]. 


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Verbesserungen  und  Nachträge.   I.  Band. 


(409) 


S.  79,  I,  22,  4  NB  Z  3  L   II,  18,  7  NB. 
S.  80,  I,  22,  7  Anm.  L   de  jure  c. 
S.  99,  Z.  5  v.  u.  1.  intenderetur. 

S.  101,  II,  4,  3  Anm.  Gavius  (oder  Gabius)  ßassus  schrieb  mindestens 
sieben  (Gell.  XI,  17,  4)  Bücher  de  origine  verborum  et  vocabulorum 
(Gell.  XI,  4,  3 ff.;  III,  19,  lf.;  V,  7),  ferner  de  verborum  significatione 
(Macrob.  Sat.  III,  18,  2),  commentarii  (Gell.  III,  9, 1;  Iü,  18,  3  f.),  de  diis 
(Macrob.  Sat.  I,  9,  18;  vergl.  Iü,  6,  17;  Lydus  de  mens.  IV,  2;  Quinctil. 
Inst.  I,  6,  36  und  Lactant.  Inst  div.  I,  22,  9).  Da  er  nach  Gellius  III,  9,  8 
das  sejanische  Pferd  noch  zu  Argos  sah,  dessen  letzter  Eigenthümer  C. 
Cassius  im  J.  711/42  den  Tod  fand,  so  scheint  er  dieser  (oder  spätestens 
der  augusteischen)  Zeit  anzugehören.  S.  Kretzschmer,  de  fönt  Gell.  p.  99  f. 
Kr  muss  also  vor  Quinctilian  gelebt  haben  und  kann  daher  nicht  der  von 
Plinius  Ep.  ad  Traj.  21  f.  und  86  erwähnte  Statthalter  von  Pontus  unter 
Trajan  sein.  (Macrobius  nennt  ihn  nirgends  Statthalter  von  Pontus.)  Vergl. 
auch  0.  Jahn's  Persius  S.  213  nebst  S.  XXVIII  f.  NB  1. 

S.  106,  Z.  18  v.  o.  nach  Vergil  einzuschalten:  (Aen.  VI,  438). 

S.  107,  Z.  28  v.  o.  rutulisch. 

S.  113,  Z.  2  v.  u.  1.  Tertullian,  de  anima  üb.  cap.  42  (Vol.  IV  p.  300 
ed.  Semler). 

S.  117,  II,  12,  1.  S.  K.  Fr.  Göschel,  Zerstreute  Blätter  IL  Theil 
S.  212.   Schleusingen  1835. 

S.  120,  II,  13,  5.  Im  J.  133/621;  s.  Plut  Tib.  Gracch.  13;  Appian 
b.  civ.  I,  14. 

S.  125,  Z.  4  v.  u.  1.  Sulpicius. 

S.  127,  Z.  1  v.  u.  1.  Diomedcs,  art.  grammat  lib.  II.  de  accentibus 
p.  428  P.  [p.  433,  15  Keil.] 

S.  140,  Z.  6  v.  u.  1.  Actium. 

S.  141,  II,  22,  28  s.  Historie.  Rom.  rell.  von  H.  Peter  I  p.  80  (93); 
Apul.  de  mundo  14;  cfr.  Senec.  quaest  nat  V,  17,  5;  Strabo  I,  2  p.  29; 
Plut  Sert.  17;  ferrareae  s.  Liv.  34,  21,  7. 

S.  149,  II,  24,  3,  Z.  23  v.  u.  1.  ftey«X>]. 

S.  154,  n,  26.  S.  K.  Fr.  Göschel,  Zerstreute  Blätter  II.  Th.  S.  212. 
Schleusingen  1835. 

S.  160,  Z.  2  v.  u.  1.  XafMQov. 
S.  161,  Z.  19  v.  o.  1.  ttrjltoif). 

S.  174,  Iü,  2.  S.  K.  Fr.  Göschel,  Zerstreute  Blätter  II.  Th.  S.  215. 
Die  Römer  lebten  nicht  nach  abstracten  mathematischen  Stunden  von 
gleicher  Länge  und  Zeitdauer,  sondern  nach  den  Stunden,  wie  sie  die 
Zeit  bescheert;  s.  Göthe  XXVII,  70  ff.  über  die  neuere  römische  Zeit 

S.  178,  Z.  8  v.  o.  1.  coemptione. 

S.  181,  Z.  17  v.  o.  1.  Scrattae. 

S.  182,  III,  3,  10.  S.Rhein.  Mus.  Neue  Folge  V.  Jahrg.  S.  216-227: 
Dossenus  und  Plautius,  zwei  erdichtete  röm.  Komiker  v.  F.  Ritter.  1846. 

S.  184,  Z.  10  v.  o.  1.  Dass  man  nicht  ganz  alte  Leute,  aber  selbst 
auch  Männer  des  mittleren  Lebensalters  [ohne  Bart]  vorgestellt  sieht. 

S.  184,  HI,  4,  3  NB  1.  P.  Ticinius  Mena. 

32* 


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(500) 


Verbesserungen  und  Nachträge.   L  Band. 


S.  192,  Z.  22  v.  o.  L  narbonischen. 

S.  198,  Z.  9  v.  u.  1.  wie  überhaupt  besser,  immer:  Pythagoreer. 
S.  210,  Der  lat.  Vers  nach  Horn.  Oriyss.  II,  99. 
S.  211,  III,  16,  13  u.  NB  1.  Attius  und  Tettius.  [Martin  Hertz.) 
S.  214,  in,  10,  23  NB  1.  Masurius. 
S.  218,  S.  Göschel:  Zerstreute  Blätter  II.  Th.  S.  213. 
S.  224,  IV,  f,  20  NB  1.  Aelier. 
S.  235,  IV,  5,  4.   In  area  Volcani  s.  Fest.  290. 
S.  236,  IV,  6,  2.   Im  J.  655/99  v.  Chr.  A.  Postumius  (AlbinusJ. 
S.  238,  IV,  7,  3 NB.  Vergl.  Dr.  Laur.  Lorsch:  Ueber  den  Scipio  des 
Ennius  Rhein.  Mus.  V.  Jahrg.  1836,  S.  420. 
S.  239,  IV,  8,  1  NB  1.  Luscinus. 

S.  248,  IV,  11,  7  1.  von  einigen  älteren  Leuten,  der  Zeit  des  Pytha- 
goras  etwas  näher  stehend.    [Martin  Hertz.] 

S.  249,  IV,  11,  8  1.  st  („Leben  und  Treiben  des  Pythagoras:) 
„llv&ayoQtinvoa  [Pythagorasblaustrumpf  Vergl.  Juvenal  VI,  434  ff.  und 
Pers.  Sat.  prol.  14:  peiaseium  melos,  d.  h.  Elsterdicht'rin  Singsang.  Schon 
damals  gab  es  Damen,  welche  Elegien  strickten,  Dramen  nähten  und  Epen 
spannen  [W.  S.  Teuffel]. 

S.  249,  Z.  10  v.  o.  tilge  (man). 

S.  250,  IV,  11,  4  NB  Pythagoras.  Vergl.  Tertullian.  de  anima  lib. 
cap.  28  (vol.  IV,  273  ed.  Semler). 

S.  255,  IV,  16,  2  1.  Ejus  anuis  causa,  opinor,  etc. 
S.  258,  Z.  1  v.  o.  1.  Praeposition. 

S.  260,  IV,  18,  3  NB,  Z.  2  1.  Aurel.  Vict.  de  vir.  ill.  49,  17. 

S.  263,  Zum  Stammbaum  der  Seipionen  ist  einzuschalten :  P.  Cornelius 
Scipio  Africanus  (Sohn  des  Africanus  prior),  ebenfalls  grosser  Redner  (s. 
Cic  Brut.  20),  augur  und  aedilis  curulis  (s  Vellej.  I,  10),  schwächlichen 
Körpers,  adoptirte  den  Sohn  des  L.  Aemilius  Paulus. 

S.  276,  Z.  24  v.  o.  §  12  1.  fidem. 

S.  294,  V,  13,  6  s.  Plut.  Caesar  2  steht:  Junius  statt  Juncus. 
S.  298,  Z.  3  v.  o.  tilge  (geworden). 

S.  298,  V,  15,  2  s.  Sext.  Emp.  Pyrrh.  hypotypos.  III,  6,  38;  Tertull. 
de  anima  lib.  cap.  5  (vol.  IV  p.  218  ed.  Semler). 
S.  300,  NB  Z.  9  v.  u.  1.  stereoskopische. 

S.  313,  V,  21,  6.  S.  Peter:  Hist.  R.  rell.  I,  236  NB  90.  Ex  Sinnio 
Capitone  has  auctoritates  translatas  esse  a  Gellio  suspicatus  est  Hertz: 
Sinn.  Cap.  p.  17. 

S.  319,  Z.  16  §  5  1.  cum  pectore. 

S.  321,  VI,  3,  1  NB,  Z.  6  v.  o.  1.  Kynoskephalae. 

S.  323,  Z.  2  v.  u.  1.  4.  und  5.  Dekade. 

S.  346,  Z.  4  v.  o.  1.  tendo. 

S.  355,  Z.  1  v.  o.  1.  peripatetisch ;  desgl.  356  u.  ff.  Peripatctiker. 
S.  356,  IV,  14,  10  1.  Die  des  Diogenes  massvoll  und  besonnen. 
S.  358,  Z.  14  v.  o.  1.  Tartessus;  —  Z.  19  v.  o.  1.  Thasus. 
S.  362,  Z.  3  v.  u.  1.  Bestätigung. 


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Verbesserungen  und  Nachträge.  L  u.  II.  Band.  (501) 

S.  362,  VI,  18,  2  1.  Cic  offic.  I,  13  u.  s.  w.;  vergl.  Zonar.  IX,  2 
p.  201  Bon.  und  Peter:  Hist  R  rell.  I  p.  45. 

S.  372,  VII,  1, 1,  Z.  3  v.  o.  !  und  auch  nicht,  dass  des  Menschen 
Schicksale  durch  u.  s.  w.  —  Z.  4  v.  o.  tilge  (nicht). 

S.  390,  Z.  6  v.  o.  1.  Megarenser. 

S.  392,  Z.  5  v.  o.  1.  wollen  wir  da  bei  allen  (den  anderen)  pp. 

S.  401,  Z.  3  v.  u.  1.  starb  527  v.  Chr. 

S.  403,  VIII,  1,  L.,  Z.  10  v.  o.  1.  noctu  futura. 

S.  405,  VIII,  11,  L.  1.  Xanthippe. 

II.  Band. 

S.  9,  Z.  8  v.  o.  1.  erklärlichen. 

S.  13,  Z.  3  v.  o.  1.  peripatetisch. 

S.  13,  Z.  7  v.  o.  §  7  1.  Plato  (im  Philebos)  hat  etc. 

S.  17,  Z.  16  §  G  v.  o.  1.  lasciva. 

S.  18,  IX,  9,  12.  S.  Kretzschmer  de  A.  Gell  font.  I  p.  90;  Steup 
de  Probis  grammat.  p.  78. 

S.  27,  IX,  13,  4  NB.   Aus  Claudius  auch  Liv.  VII,  9,  6. 
S.  50,  X,  6,  4,  Z.  1  v.  u.  1.  Otacilius  Crassus. 
S.  52,  X,  9,  1,  Z.  6  v.  o.  1.  forfices. 

S.  86,  Im  J.  216/538  u.  c.  S.  Peter:  Iiistor.  R.  rell.  I  p.  78;  Val. 
Max.  IX,  5  extr.  3;  Liv.  22,  51;  Flor  II,  0  (I,  22),  19;  Plut.  Fab.  17,  26. 

S.  92,  X,  27,  3,  Z.  9  v.  u.  1.  zum  Ausdruck  kam. 

S.  101,  Z.  3  v.  o.  1.  potestate. 

XI,  3,  3  1.  Allein  meiner  Meinung  nach  irrt  Jeder,  der  glaubt, 
dass  diese  Ausdrucksweisen  entweder  im  Allgemeinen  sich  ähnlich  und 
gleich,  oder  immer  verschieden  sind. 

S.  102,  XI,  5,  1,  Z.  3  v.  o.  1.  axtnuxoL 

S.  103,  Z.  1  v.  o.  1.  durch  die  Gegenstände. 

S.  108,  XI,  15,  1,  Z.  3  1.  „amorabunda"  von  amorabundus  (liebe- 
geneigt) u.  s.  w. 

S.  120,  XI,  15,  8,  Z.  16  v.  o.  1.  laetabundus. 

S.  147,  Z.  2  V.  0.  L  ctvaXyrjottt. 

S.  149,  XII,  7,  2,  Z.  7  v.  o.  1.  (sein  Stiefkind). 

S.  155,  XH,  10,  7  NB  Zusatz:  S.  Rhein.  Mus.  Neue  Folge  V.  Jahrg. 
S.  220.  Dossenus  -=  Dorsenus  i.  e.  persona  a  dorsi  gibbere  dicta;  cfr. 
Senec.  ep.  89;  Die  Weisheit  des  [Bucklichen]  Dossenus  war  sprüchwörtlich 
geworden. 

S.  168,  Z.  9  v.  0.  1.  nenQatpiiVrjv. 

S.  185,  XIII,  13,  1.  Vergl.  M.  Hertz:  Renaissance  und  Rococo. 
S.  35.   Berlin  1865. 

S.  190,  XIII,  15,  4  quia  —  a  minore  imperio  maius  aut  maiore  conlega 
rogari  iure  non  potest,  eigentlich  wörtlich:  weil  von  einer  geringeren 
Staatsgewalt  eine  höhere  oder  der  Amtsgenosse  eines  höheren  Magistraten 
[maiore  (als  Dativ  =  majori)  conlega]  nur  widerrechtlich  oder  illegal  in 
den  Wahlcomitien  bestätigt  werden  kann.  —  Erst  steht  in  §  4:  Praetor, 
esti  conlega  consulis  und  §6:  conlegam  esse  praetorem  consuli,  also 


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(502) 


Verbesserungen  und  Nachträge.  II.  Band. 


einmal  der  Genitiv  und  zweimal  der  Dativ.  S.  Fr.  Ritsehl,  opusc.  philol. 
II,  623.  776;  Bücheler,  Grundriss  der  lat  Declinat.  p.  55,  Dativ;  Neue, 
Formenlehre  I  S.  192  fiF. ;  vergl.  Mommsen,  Staatsrecht  II,  1,  562  tresviri 
aere  etc. 

8. 192,  Xm,  16, 1  ist  contiouem  habere  =  contionari,  wie  aus  §  3  (10) 
und  aus  Gell.  XVIII,  7,  8  deutlich  hervorgeht. 
S.  195,  Z.  6  v.  o.  1.  ossara. 

S.  217,  Z.  1  v.  o.  1.  er  sagt  da:  „Vieles  zwar  hat  mich  abgemahnt 
hier  (vor  dem  Volke)  aufzutreten,  (meine)  Jahre  u.  s.  w. 

S.  220,  XIII,  25,  31  1.  Bisweilen  mögen  sich  wohl  auch  hervor- 
ragende Schriftsteller  finden  lassen,  die  so  geschrieben  haben,  dass  sie 
entweder  60  ohne  Weiteres  und  in  ihrer  Fahrlässigkeit  „praeda"  für 
„manubiae"  und  umgekehrt  „manubiae"  für  „praeda"  gesetzt,  oder  sich 
durch  irgend  eine  bildliche  Ausdrucksweise  eine  Wortvertauschung  erlaubt 
haben,  was  unter  Umständen  (ausnahmsweise)  wohl  Einigen  gestattet  ist, 
(z.  B.  den  Dichtern),  zumal  wenn  sie  dabei  geschickt  und  kunstgerecht  zu 
Wege  gehen. 

S.  227,  XIII,  31,  3  vergl.  das  griech.  Sprüchwort:  rfjg  Xav&avoootjs 
fiovaixfjs  koyost  i.  e.  occultae  musicae  nulluni  esse  respectum. 

S.  241,  XIV,  2,  1  ut  homo  adulescens  (25  Jahre  alt  s.  Dig.  XL11, 
1,  57.  L,  4,  8);  Teuffei  Gesch.  der  röm.  Lit  S.  823  §  360,  2. 

S.  256,  Z.  14  v.  u.  Anm.  1.  ptvog. 

S.  258,  Z.  14  v.  o.  XIV,  7,  3  1.  Oppianus. 

S.  290,  Z.  2  v.  o.  XV,  18,  11.  in  dem  jenseits  des  Po  gelegenen 
Theile  von  Italien  (Gallia  cisalpina). 

S.  302,  Zu  9  v.  u.  1.  mit  nur  einer  Gentarie. 
—     Z.  8  v.  u.  1.  ward  in  denselben  beziehentlich  nichts  mehr 
vorgenommen. 

S.  306,  XV,  30,  1  NB  1.  Gell.  XI,  7,  3 

S.  329,  Z.  1  v.  u.  1.  Plut.  Fortschritt  in  der  Tugend  cap.  7. 

S.  331  §  5  1.  adsiduo. 

S.  335,  Z.  13  v.  o.  1.  Wehen  (sc.  des  Süd -Windes). 


Pierer'flche  Hofbuchdruckerei. 


Stephan  Getbel  *  Co.  in  Alteuburg. 

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