DIE ATTISCHEN
NÄCHTE DES
AULUS GELLIUS
Aulus Gellius, Fritz Weiss
in
Digitized by Google
Digitized by Google ^
DIE
ATTISCHEN NÄCHTE
DES
AULU8 (xELLIUS
ZUM ERSTEN MALE VOLLSTÄNDIG ÜBERSETZT UND MIT
ANMERKUNGEN VERSEHEN
VON
FRITZ WEISS.
ZWEITER BAND.
(IX. -XX. BÜCH.)
LEIPZIG,
FUES'S "VERLAG (R. BEISLAND).
1876.
Digitized by Google
VA
IX. BUCH.
*
IX, |f L. Schriftliche Mittheilung des Q. Claudius Quadrigarius im 19.
Buche seiner „Jahrbücher" in Bezug auf den Grund, weshalb jeder auf-
wärts entsendete Wurf (oder Schuss) richtiger und sicherer bewirkt werde
und (ein solcher Kichtungsstoss leichter) ausführbar sei, als der abwärts
gesendete.
IX, 1. Cap. 1. Bei Gelegenheit, wo Q. Claudius (Qua-
drigarius) uns im 19. Buche seiner „Jahrbücher" eine Be-
schreibung lieferte, wie einerseits eine Stadt vom Proconsul
Metellus belagert, andrerseits durch die Einwohner der Stadt
von den Mauern herab (tapfer) vertheidigt wurde, drückt er
sich wörtlich also aus : „Unablässig auf beiden Seiten schössen
die Pfeilschützen und Schleuderer höchst wacker. Aber es
ist ein Unterschied, ob ein Pfeil oder ein Stein abwärts, oder
aufwärts entsendet wird, denn keins von den beiden Ge-
schossen kann abwärts ganz bestimmt entsendet werden,
während dies aufwärts bei beiden ausgezeichnet geht. Des-
halb wurden des Metellus Soldaten (von der Stadt aus) weit
weniger verwundet und, was besonders von grösster Wichtig-
keit war, sie hielten durch die Schleuderer die Feinde mit
Leichtigkeit von der Vertheidigung der Zinnen fern." 2. Ich
bat also deshalb den Rhetor Antonius Julianus darüber um
Auskunft, warum es, nach der Angabe des Quadrigarius, ge-
boten sein sollte, dass ein Wurf (oder Schuss) mit mehr Treff-
fahigkeit abgegeben werde, und gerader gehe, wenn man einen
Stein oder Pfeil in die Höhe, als wenn man ihn von oben
IX, 1, 2. Ueber Antonius Julianus s. Gell. I, 4, 1 NB.
Gellius, Attische Nächte. II. 1
Digitized by Google
(2)
IX. Buch, 1. Gap., § 2 — 9
herab schleudre, da die Schwungkraft eine raschere und
weniger schwierige von oben nach unten sein müsse, als von
unten nach oben. 3. Julianus fand nun die Art und Weise
meiner Frage ganz in der Ordnung und erth eilte folgende
Antwort: „Was (Quadrigarius) bezüglich der Pfeile und der
Steine behauptet hat, lässt sich im Allgemeinen fast auf jedes
andere (beliebige) Wurfgesehoss anwenden. 4. Es ist nun
aber, wie Du (ganz richtig) bemerkt hast, jeder Wurf von
oben mit weniger Schwierigkeiten verbunden, wenn dabei nur
die Absicht des Werfens und nicht auch die des Treffens in
Frage kommt. 5. Aber wenn es gilt, das Ziel (zu bemessen)
und den Schwung des Wurfs in die gehörige Tragweite zu
bringen und ihm die gehörige (Ziels-) Richtung zu geben,
dann kann bei einem Wurf nach der Tiefe das berechnete
Ziel sehr leicht (durchkreuzt und) verfehlt werden, theils
durch die beliebige Schnellkraft des Zielenden, theils durch
das Gewicht des geworfenen (im Falle begriffenen) (ieschosses.
6. Gilt es nun aber einen Wurf nach der Höhe, und Du rich-
test Hand und Auge nach etwas, um es nach oben zu treffen,
dann wird das von Dir geschleuderte Geschoss dahin gehen,
wohin es die von Dir abgegebene Richtung fortgeschleudert
haben wird." 7. In diesem Sinne ungefähr unterhielt sich
Julianus mit mir über die angegebene Stelle des Q. Claudius.
8. In Betreff der von Q. Claudius gebrauchten Worte: „a
pinnis hostis defendebant facillime", d. h. „sie hielten die
Feinde mit grösster Leichtigkeit von der Vertheidigung der
Zinnen fern", muss ich noch die Bemerkung beifügen, dass
Claudius den Ausdruck „defendebant, sie wehrten ab" nicht
nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch verwendete, sondern
so recht eigentlich ganz echt lateinisch. 9. Denn die Wörter
„defendere und offendere, abwehren und angreifen" haben eine
einander ganz entgegengesetzte Bedeutung, von denen das
eine Wort „offendere" ganz gleichbedeutend ist mit der grie-
chischen Redensart hmodCov tyeir, d. h. losrennen, anstürmen
gegen etwas, der andere Ausdruck aber bedeutet soviel wie
das griechische h.;coöCov ttouiv, d. h. abwehren, vertreiben,
in welchem Sinne hier also „defendere" von Claudius ge-
braucht wird.
Digitized by
IX. Buch, 2. Cap., § 1 — 7.
IX, 2, L. Mit welcherlei Ausdrücken Herodes Atticus einem Menschen
eine Rüge ertheilte , welcher durch sein angenommenes (falsches) Wesen
und Kleidung sich den Namen und das Aussehen eines Philosophen frech
anmasstc.
IX, 2. Cap. 1. Herodes Atticus, ein Mann, der die Würde
eines Consuls bekleidet und sieh durch sein einnehmendes
(gefälliges) Wesen, sowie durch seine griechische Beredtsam-
keit einen bedeutenden Kuf erworben hatte, wurde in meiner
Gegenwart von einem Menschen angegangen, der einen (Philo-
sophen-) Mantel, langes Haar und einen bis über den Bauch
hinabreichenden Bart Trug und sich eine Geldgabe zu Brod
erbettelte (petit, aes si d dari elg aQTovg). 2. Herodes (da ihm
dieser Mensch völlig unbekannt war) trug ihn (selbstverständ-
lich), wer er wäre. 3. Dieser aber antwortete mit Entrüstung
im Blick und im Ton der Stimme, dass er ein Philosoph sei
und fügte noch hinzu, dass er sich (höchlichst) verwundern
müsse, warum er erst für nöthig erachtet, ihn nach etwas zu
fragen, was er ihm doch gleich habe ansehen müssen. 4. „Ich
sehe Bart und Mantel wohl," sagte (der stets schlagfertige,
witzige) Herodes, „aber den Philosophen seh' ich (noch) nicht.
5. Deshalb bitte ich Dich, mit Deiner (gütigen) Erlaubniss,
mir (deutlicher) zu erklären, an welchen Kennzeichen wir
nach Deiner Meinung es abnehmen sollen, um Dich sofort für
einen Philosophen zu erkennen?" 6. Unterdessen erklärten
Einige aus der Gesellschaft des Herodes, dass dies ein ganz
gewöhnlicher Bummler sei, ein Nichtsnutz, ein Stammgast
alles Kneipenauswurfs, der, wenn er das Erbetene nicht er-
halte, mit niederträchtigen Schimpfreden loszuziehen pflege.
Da sagte Herodes: Es ist ganz gleichgültig, wer er ist, wir
wollen ihm trotzdem etwas Geld geben, wir gewissermassen
als Menschen, wenn auch ihm, gewissermassen als keinem
Menschen (d. h. damit wir doch wenigstens beweisen, dass
wir auf den Namen Menschen Anspruch machen können, wenn
er sich auch nicht gerade wie ein Mensch benimmt). 7. Darauf
IX, 2, L. S. Apulej. Florid. I, 7.
IX, 2, 1. Vergl. Gell. XIX, 12, 1; Herodem-disserentem audivi Graeca
oratione.
IX, 2, 2. Ueber Herodes s. Gell. I, 2, 1 NB.
Digitized by Google
IX. Buch, 2. Cap., § 7 — 11.
Hess ihm Herodes ein (Geld-) Geschenk verabreichen zu Brod
auf 30 Tage. 8. Dann wendete er sich nach uns hin, die wir
ihn begleiteten und sagte: Musonius Hess einem solchen Land-
streicher und aufgeblasenen Afterphilosophen 1000 Pfennige
einhändigen, und als Mehrere äusserten, dass er ein Dunst-
macher, ein (gemeiner) schlechter, schurkischer Kerl und
solcher Wohlthat ganz und gar nicht würdig sei, soll Musonius
unter Lächeln gesagt haben: ai-iog ovv ixniv agyrgiov (d. h.
Ei nun, da ist er ja erst recht würdig des [unwürdigen, ge-
meinen] Geldes). 9. Das aber, fuhr er fort, verursacht mir vor
Allem Schinerz und Kummer, dass derartiges unflätiges und
schändliches Ungeziefer den heiligsten Namen (miss-) braucht
und sich Philosophen nennen lässt. 10. Meine Vorfahren,
die Athener, setzten durch einen öffentlichen Beschluss die
heilige Bestimmung fest, dass die Namen der beiden helden-
müthigen Jünglinge, des Harmodius und des Aristogiton,
welche zur Wiedererlangung der Freiheit (ihres Vaterlandes)
es unternahmen, den Tyrannen Hippias [vielmehr Hipparchus,
cfr. Gell. XVII, 21, 7] umzubringen, niemals Sklaven beigelegt
werden durften, weil sie es für Frevel erachteten, der Freiheit
des Vaterlandes geweihte Namen durch irgend welche Ge-
meinschaft mit niederen Sklaven zu beflecken (und zu ent-
heiligen). 11. Warum sollen wir nun also zugeben, dass der
ehrwürdigste Name der Philosophie durch die geringste Be-
ziehung zu solchem schofeln Gesindel besudelt werde? So ist
mir auch ein Beispiel entgegengesetzter Art nicht unbekannt
geblieben, wonach die Börner die Verordnung erlassen hatten,
dass die Vornamen*) einiger Patricier, die sich schwer
gegen den Staat vergangen hatten und deshalb zum Tode
verurtheilt worden waren, nie einem Patricier von demselben
Geschlechte durften beigelegt werden, damit mit ihnen zu-
gleich auch ihr Name möchte vertilgt und ausgelöscht scheinen.
IX, 2, 8. Ueber Musonius s. Gell. V, 1, 1 NB; und XVI, 1, 1 f.;
desgl. Teuffels röm. Lit. 294, 3.
IX, 2, 10. Hippias nicht, sondern sein Bruder Hipparchos, der
Tyrann, fiel durch die Dolche der beiden athenischen Jünglinge Harmodios
und Aristogiton. Herod. 5, 55 etc.; Thuc. I, 20; VI, 54 — 59; Gell.
XVU, 21, 7.
IX, 2, 11. *) z. B. M. Manlius s. Liv. 6, 20.
Digitized by Google
1
IX. Euch, 3. Cap., § 1—5.
(5)
IX, 3, L. (Berufungs-) Briet des Königs Philippus, in Betreff seines neu-
gebornen Sohnes Alexander, an den Philosophen Aristoteles.
IX, 3. Cap. 1. Philippus, des Aniyntas Sohn, war König
von Makedonien. Durch seine Tapferkeit und sein Feldherrn-
talent, durch seine Unermüdlichkeit und Staatsklugheit hatten
die Macedonier ihre Herrschaft bedeutend vergrössert und
bereichert und ihre Macht über viele Völker und Nationen
auszudehnen begonnen, und (in Folge dessen) schilderte De-
mosthenes in seinen berühmten Vorträgen und Reden laut
und öffentlich die Waffengewalt dieses (Königs) als höchst
gefährlich und fürchterlich für ganz Griechenland. 2. Dieser
Philipp, obgleich fast während seiner ganzen Lebenszeit nur
mit Unternehmungen des Kriegs beschäftigt und nur auf Siege
(und Eroberungen) bedacht, ward trotzdem (unter dem Ge-
räusche der Waffen) der edlen Wissenschaft, sowie der Neigung
und Vorliebe für höhere, feinere Bildung nie abhold, dass
sowohl seine Thaten, wie seine Reden hinlängliche Beweise
liefern für seine Liebenswürdigkeit und Menschenfreundlichkeit.
3. Es ist sogar eine Briefsammlung von ihm im Umlauf, voll
von Zierlichkeit, Anmuth und Lebensklugheit, wie z. B. aucli
jene berühmten Zeilen, worin er dem Philosophen Aristoteles
die Geburt seines Lohnes Alexander anzeigt. 4. Weil dieser
Brief (beispielsweise) als Aufmunterung zur Verwendung von
Sorgfalt und zu fleissiger Achtsamkeit bei der Erziehung und
dem Unterricht der Kinder dienen kann, so schien es mir
angemessen, ihn (zu übersetzen und) niederzuschreiben, um ihn
als Mahnung den Aeltern zu Gemtithe zu führen. 5. Der
Sinn lässt sich etwa so wiedergeben: „Philippus entbietet dem
Aristoteles seinen Gruss. Erfahre (hierdurch), dass mir ein
Sohn geboren ward. Dafür sage ich den Göttern meinen
Dank, nicht (allein) dass er mir geboren ward, als vielmehr
auch dafür, dass ein gütiges Geschick ihn bei Deinen Leb-
IX, 3, 1. Demosthenes (vergl. Gell. I, 5, 1 NB.) hielt seine berühmten
philippischen Reden, um die Athener zu bewegen, ihre Kräfte
mit den übrigen Griechen vereinigt aufzubieten zum Widerstand gegen den
macedonischen König Philipp, welcher allen griechischen Staaten, nach
Bezwingung der Illyrier und Eroberung verschiedener attischer Städte, den
Umsturz drohte. •
Digitized by Google
(6)
IX. Buch, 3. Cap., § 5. »J. — 4. Cap., § 1—3.
Zeiten das Licht der Welt erblicken Hess. Denn ich hoffe,
dass er unter Deiner Führung und Anleitung dereinst meiner
und der Uebernahnie der ihm bestimmten Gewalt würdig er-
funden wird." 6. Des Philippus (eigene; Worte sind (im Grie-
chischen mit dieser Uebersetzung) gleichlautend.
IX, 4, Ij. Ueber ungeheuerliche; Wunderdinge l>ei (fremden) wilden Völkern ;
desgleichen über unheilvolle, verderbenbringende Behexungen; endlich noch
von Weibern, die plötzlich in Männer verwandelt worden.
IX, 4. Cap. 1. Als ich bei meiner Rückkehr aus Grie-
chenland nach Italien zu Brundusium anlangte und aus
dem Schiffe ans Land gestiegen, mich ein wenig in jenem
berühmten Hafenplatz erging, den Q. Enning (wie schon hier
bei Gell. VII [VI], (>. 0 bemerkt wurde) mit einem zwar
etwas seltneren, aber doch höchst passenden Ausdruck „prae-
petem" (d. h. den sichern, günstigen, glücklichen) genannt hat,
da sah ich einige Bündel Büeherpackete zum Verkauf aus-
liegen. 2. Sogleich gehe ich begierig auf die Bücher zu.
3. Es waren lauter griechische Werke, voll von Wundern und
Mährchen, unerhörte, unglaubliche Geschichten, deren Ver-
IX, 4, 1. Vergl. Gell. II, 21, 1; XV, 6, 1; XJX, 1, 1. 12. Die Re-
ferate liier von § 1—15 sind Auszüge aus Plin. H. N. VII, 2, 16-26.
IX, 4, 1. Brundusium (jetzt Brindisi), Stadt in Calabrien, an einer
kleinen Bucht des adriatischen Meeres mit trefflichem Hafen. Die Römer
nahmen die Stadt 245 v. Chr. weg und colonisirten sie. Hier mündete
die appisehe Strasse aus, von wo man gewöhnlich nach Griechenland
hinüberfuhr. — 19 v. Chr. starb hier Vergilius auf seiner Rückkehr aus
Griechenland.
IX, 4, 8. Aristeas, aus Proconnesus, lebte unter der Regierung des
Croesus, ohngefähr um 550 v. Chr., unternahm bedeutende Reisen zu den
Völkern an den nördlichen Gestaden des schwarzen Meeres bis zum Ural
hin, und schrieb darüber ein Gedicht: tu stgiuaaTTtict, über die Arimaspen
(§ 6), worin Wahres mit Sagenhaftem vermischt war. Nach Herod. IV, VS
hielten seine Landsleute ihn für nicht ganz zuverlässig. — Is ig onus von
Nicaea, griechischer Geschichtsschreiber: de fabulis rairaculis, rebusque
incredibilibus et inauditis. — Ktesias, griechischer Geschichtsschreiber
und Arzt, Zeitgenosse Xenophons, geboren zu Knidos in Karien; kam
ohngefähr 416 v. Chr. an den persischen Hof; begleitete als Leibarzt den
Artaxerxes Mnemon auf seinem Feldzuge gegen Kyros ; erwarb sich grosse
Kenntnisse über die Verhältnisse Persiens und legte sie in seinem, aus
23 Büchern bestehenden Werke „77^0-/*«" "betitelt, nieder. Dieses Ge-
Digitized by Go
IX. Buch, 4. Cap., § 4. 5. (7)
fasser alte Schriftsteller von nicht geringem Ansehen, z. B.
Aristeas von Proconnesus, Isigonus von Nicaea, Ktesias,
Onesikritus, Polystephanus (Philostephanus) und Hegesias.
4. Allerdings strotzten diese verlegenen (Scarteken-) Bücher
von langem Moder und Schmutz und hatten dem Aeusseren
und Aussehen nach durchaus nichts Einladendes. 5. Trotz-
dem trat ich näher, erkundigte mich nach ihrem Preis und
wurde durch die wunderbare und unverhoffte Billigkeit be-
wogen, die meisten Werke um ein Spottgeld an mich zu
bringen. In den zwei darauf folgenden Nächten (machte ich
mich sofort darüber her und) las sie rasch durch. Beim
Durchlesen habe ich mir Einiges daraus ausgewählt und einige
bewundernswürdige und von unseren Schriftstellern fast ganz
unberührt gelassene Bemerkungen dieser (meiner) Aufsatz-
sammlung einverleibt , damit keiner meiner (geneigten) Leser
bei etwaiger Erwähnung derartiger (Wunder-) Dinge gänzlich
unerfahren und ununterrichtet (arrjzooS) erfunden werden
schichtswerk war reich an orientalisch üppigen Ausschmückungen und ar.
weit von der Wahrscheinlichkeit ahschweifenden Auswüchsen. Die alten
Schriftsteller haben das Werk vielfach benutzt, werfen ihm aber Mangel
an Wahrheit vor. Von seinem zweiten Werke: *Mixat besitzen wir, wie
von dem ersten, nur Bruchstücke, meist naturhistorischen Inhalts. —
OnesikrTtos (auch Onesikrätes), Schüler des Cynikers Diogenes und
Begleiter Alexanders d. Gr. auf seinem Zuge nach Asien, über dessen
Feldzug er ein nicht sehr glaubwürdiges Werk verfasste. S. Lucian: wie
soll man Geschichte schreiben, 40; Plutarch. Alex. 46; auch der Geograph
Strabo nimmt ihn wegen seiner indischen Wundergeschichten scharf mit.
Polystephanus, ein Paradoxograph. (Philostephanus von Cyrene,
Schüler und Freund des Dichters Kallimachus, ein geachteter griechischer
Geschichtsschreiber zur Zeit der Regierung des Königs Ptolemaeus II,
Philadelphus. Unter Anderem schrieb er: über Erfindungen (tt^qI evQt]-
ILutTtov), dann über die Städte Asiens u. s. w. Doch ist nichts von ihm
auf uns gekommen). Hegesias ist entweder der Anhänger der von
Aristipp gestifteten cyrenaischen Schule, welcher das Lebenselend so lebhaft
zu schildern verstand, dass sich viele seiner Schüler (Hegesiaci) das Leben
nahmen; oder der um 300 v. Chr. lebende Sophist und Rhetor Hegesias
aus Magnesia, welcher wegen des hochtrabenden, malenden, s. g. asiatischen
Stils, den er (nach Cic. or. 67. 69) an Stelle der attischen Beredtsamkeil
einführte, für den Urheber des schlechten Geschmacks in der Literatur
gilt. Er hat verschiedene schwülstige und übertreibende Darstellungen von
den Thaten Alexanders d. Gr. geschrieben, wie aus den Fragmenten beim
Dionysius von Halicarnass hervorgeht.
Digitized by Google
IX. Buch, 4. Cap., § G. 7.
mochte. 6. In jenen Werken standen also folgende (merk-
würdige) Dinge verzeichnet: Jene entferntesten Völker, die
Scythen, welche tief im Norden wohnen, sollen Menschenfleisch
gemessen und vom Genüsse dieser Nahrung (förmlich) ihr
Lehen fristen, daher sie auch (Anthropophagi , d. h.) Men-
schenfresser genannt werden. So soll es unter demselben
Himmelsstrich auch Wesen geben, die mitten auf der Stirn
«nur; ein Auge haben, die Arimaspi genannt werden und
gerade so aussehen, wie die Cyclopen nach Beschreibung der
Dichter; unter derselben Himmelsgegend soll es ferner noch
Menschen geben, die sich durch eine ausserordentliche Schnel-
ligkeit im Laufen auszeichnen, die rückwärtsgekehrte Fusssohlen
haben, nicht wie die der übrigen Menschen vorwärtsstrebende
und entgegengesetzt schauende (d. h. nicht vorwärtsgekehrte
oder vorwärtsgehende); ausserdem fand sich ein überlieferter
Bericht vor, dass in einem Lande, am Ende der Erde, Albanien
genannt, menschliche Geschöpfe leben, die schon in ihrer
Kindheit grau werden und bei Nacht mehr und besser sehen,
als am Tage; auch könne als ganz gewiss versichert und ge-
glaubt werden, dass die weit über den Fluss Borysthenes
hinaus (am Nordpol) wohnenden Sarmaten nur aller drei Tage
Speise zu sich nehmen, den Tag dazwischen aber immer fasten.
7. Auch fand ich in jenem Werke eine Nachricht verzeichnet,
IX, 4, 6. Menschen mit Füssen nach hinten gekehrt S. Plin. VII,
2, 3; Augustin. de civit. Dei 26, 8. Die Füsse eines Schnellläufers von
hinten gesehen, scheinen verkehrt zu stehen.
IX, 4, 6. Im Scythischen hiess eins und anov, das Auge
(Herod. 4, 27. 32). Daher glaubt Strabo (I p. 21, C = 40, A), vielleicht
habe Homer seine Cyclopen nach der scythischen Arimaspensage gebildet.
Aeschylus (Prometh. 807) erwähnt die Arimaspen als gute Reiter.
IX, 4, 6. Savigny röm. Rcht. IV, p. 606. Die Sarmaten wechselten
also ab von einem Tage zum andern mit Essen und Fasten, und indem
die Speisetage „tertii" genannt werden, muss der jedem vorhergehende
Speisetag mitgezählt werden. Ordinalzahlen in der Bezeichnung von Zeit-
räumen, wo diese als Bezeichnung angewendeten Ordinalzahlen so zu ver-
stehen sind, dass der Zeitraum, wovon die Zählung ausgeht (wie hier der
erste Tag) mitgezählt wird; cfr. Gell. XVII, 12, 2 quam febrim quartis
diebus recurrentem laudavit, d. h. das aller 4 Tage wiederkehrende, und
XVII, 12, 5 haec biduo medio intervallata febris, das Fieber, welches
zwei Tage aussetzt.
Digitized by Google
IX. Buch, 4. Cap., § 7 — 10.
(9)
die ich später beim Plinius Secundus im 7. Buche seiner
Naturgeschichte auch wieder (?) las, dass es in Afrika gewisse
Stämme von Menschen gäbe, die durch ihre Stimme und
Sprache (Andere) verhexen, 8. wie z. B. wenn sie zufällig
schöne Bäume, ergiebigere Saaten, liebliche Kinder, herrliche
Pferde, fette, gut geweidete und gepflegte Heerden über die
Massen lobten, dann stürbe das Alles plötzlich ab, in Folge
einer sonst durch keinen weiteren Grund erklärliche Ein-
wirkung. In denselben Büchern steht, dass auch schon eine
verderbenbringende Verhexung durch die Augen (und durch
den Blick) möglich sei und es wird berichtet, dass es unter
den Illyriern Menschen gebe, die durch ihren Blick Alle
tödten, die sie längere Zeit scharf und zornig anblicken, und
alle solche mit so bösem und schädlichem Blicke behaftete
Männer oder Frauen hätten in jedem Auge eine doppelte
Schliesse (Pupille, Augapfel). 9. So soll es auch auf Indiens
Bergen Menschen geben, die Hundsköpfe haben und bellen,
und die sich von den auf der Jagd erlegten Vögeln, oder
wilden Thieren ernähren; auch soll es in den äussersten Ge-
genden des Morgenlandes Wundermenschen geben, die Mono-
coli (Einschenklige , Einfüssler) genannt werden und mit
raschester Behendigkeit sprungweise auf einem Beine sich fort-
schnellen ; auch sollen einige ganz ohne Nacken (und Kopf) sein
und die Augen an den Schultern sitzen haben. 10. Aber Eins
übertrifft selbst noch die Möglichkeit des Wunderbaren, das
IX, 4, 7. Gajus Plinius Secundus (Major), einer der gebildetsten
und vielseitigsten Gelehrten Roms, verwaltete unter Vespasian mehrere
öffentliche Aemter im Kriege und Frieden. Als Befehlshaber der Flotte
von Misenum wollte er 79 n. Chr. einen Ausbruch des Vesuvs in der
Nähe beobachten und kam dabei um. Noch ist seine „Historia naturalis",
ein umfangreiches encyklopädisches Werk in 37 Büchern, von ihm übrig.
Sein Schwestersohn Gajus Plinius Secundus (Minor), geb. 62 n. Chr.
zu Comum im transpadanischen Gallien, wurde Praetor und später Consul
zu Rom, zuletzt Proconsul zu Bithynien und Pontus und starb 110 n. Chr.
Von ihm ist noch eine Sammlung von Briefen in 10 Büchern in feiner
Umgangssprache vorhanden, woselbst lib. VI, 16 sich die Beschreibung
von dem traurigen Ende seines Oheims findet. Weniger anziehend ist
sein ^anegyricus auf Trajan. IX, 4, 7 (fascinatio). S. Plin. VII, 2, 2,
§ 16. 18; Plut. Symp. V, 7.
IX, 4, 9. Cfr. Spartan. vit. Commodi 10.
Digitized by Google
(10)
IX. Buch, 4. Cap., § 10—14.
ist die Erzählung derselben Schriftsteller über einen Menschen-
schlag am äussersten Ende Indiens, die am Leibe ganz struppig
seien und nach Art der Vögel Federn bekämen, die keinerlei
Speise zu sich nähmen, sondern sich nur vom Schlürfen des
Blumenduftes ernährten (den sie durch die Nase einsögen;.
Nicht weit von diesen sollen auch noch die Pygmäen (eine
Zwergart) leben, von denen die längsten nicht grösser seien
als 2!/4 Fuss. 11. Diese und viele ähnliche derartige (wunder-
bare) Nachrichten waren in den Werken zu lesen. 12. Allein
beim Niederschreiben dieser Dinge ergritt' mich doch ein ge-
wisser Ekel Uber solch unnützes, überflüssiges Geschreibsel,
das nicht den geringsten Eintluss äussert in Bezug auf Er-
hebung und Ergötzung im Lebensverkehr. 13. Da hier aber
der Wunderdinge so viele Platz fanden, wird es wohl auch
gestattet sein, noch eines (merkwürdigen) Falles zu gedenken,
von dem uns ein Mann, der zu seiner Lebenszeit wegen seines
Geistes und seiner Ehrenhaftigkeit in hohem Ansehen stand,
Plinius Secundus. nämlich im 7. Buche seiner Naturgeschichte
die schriftliche Versicherung giebt, ihn nicht nur gehört oder
gelesen zu haben, sondern (selbst) in Erfahrung gebracht und
sich mit eigenen Augen davon überzeugt zu haben. 14. Die
weiter unten von mir angeführten Worte sind seine eigenen,
IX, 4, 10. Im November 1873 hielt der Afrikareisende Dr. Georg
Schweinfurth einen öffentlichen Vortrag über die Zwerg-Neger Völker,
die er im Innern Afrikas gefunden. Schon Aristoteles glaubte an die
Pygmäen, die er in Aegypten lebend wähnte. Dr. Schweinfurth erzählt,
dass diese Leutchen höchstens lVi Meter lang werden, grosse Barte und
kurzwolliges Haar haben und dass ihre Hautfarbe der der Buschmänner
gleiche. Sie gehen einwärts gebogen und haben sehr lange Arme. Ihre
Augen und ihr Minenspiel sind lebendig, oft feurig. Sie sollen Elfenbein
in den Handel bringen und sich trotz ihrer Kleinheit und ihrer Miniatur-
waffen recht wohl der Elephanten zu bemächtigen verstehen. Als Haus-
thiere besitzen sie nur das Huhn. Dr. Schweinfurth hatte einen dieser
kleinen Neger lange Zeit bei sich, dessen einziger Charakterzug war, dass
er gern auf Hunde schoss. Nur einmal sah Dr. Schweinfurth eine grössere
Menge beisammen und hielt sie für Kinder; später aber, als er erfahren,
dass es Männer und Frauen gewesen und er sie wieder aufsnchte und
sehen wollte, waren sie bereits weiter nach dem tiefsten Innern Afrikas
gezogen.
IX, 4, 14. Caeneus. S. Ovid. Met. 12, 189. 459 u. s. f.; 507 u. s. f.;
Hygin. Fab. 14. In umgekehrtem Verhältnisse Vergil Aen. 6, 44.Q. Cae-
Digitized by Google
IX. Buch, 4. Cap., § 14— 1(>. — 5. Cap., § 1.
(ii)
aus dem benannten Werke entlehnten, deren Anführung
wahrlich nur den -Zweck hat, dass jenes allbekannte (im
Volksmund lebende) Mährlein der alten Dichter über ein
Mädchen mit Namen Caenis, später nach seiner Verwandlung
in einen Knaben. Caeneus genannt, weder widersinnig, noch
lächerlich sei. 15. Da heisst es: „Dass Weiber in Männer
verwandelt worden sind, ist keine Fabel. Wir finden in den
Jahrbüchern angemerkt, dass unter dem Consulate des P.
Licinius Crassus und des Gajus Cassius Longinus (583 u. c.)
zu Casinum aus einer Jungfrau unter den Augen ihrer Aeltern
ein Knabe geworden und auf Anrathen der Wahrsager auf
eine wüste Insel ausgesetzt worden sei. Licinius Mucianus
erzählt, er habe zu Argos einen gewissen Arescon gesehen,
der früher den Namen Arescusa geführt und als solche sich
sogar verheirathet habe; bald darauf aber sei der Bart und
die Mannheit bei dieser Person zum Vorschein gekommen und
sie habe sich eine Frau genommen. Von derselben Beschaffen-
heit will er auch einen Knaben zu Smyrna gesehen haben.
Ich selbst habe in Afrika den Lucius Cossitius. einen thvs-
dritanischen Bürger gesehen, der an seinem Hochzeitstage in
einen Mann verwandelt wurde und noch lebte, da ich dieses
niederschrieb." 16. Derselbe Plinius schreibt in demselben
(angeführten) Buche wörtlich weiter: „Ks giebt Menschen, die
von der Geburt an beide Geschlechter an sich haben, die
man Hermaphroditen (Zwitter) nennt; sonst führten sie den
Namen Androgyni (Mannweiber) und sie wurden für Wunder-
bildungen (oder Missgeburten) angesehen, müssen jetzt hin-
gegen zur Wollust dienen.
IX, 5, L. Verschiedene Ansichten der hervorragendsten Philosophen über
die Art und das Wesen der Wollust; Ausspruch des Philosophen Hicrocles,
wodurch er die Lehrsätze Epicurs einem scharfen Tadel unterzog.
IX, 5. Cap. 1. Ueber die Wollust haben die alten Philo-
sophen verschiedene Ansichten (gefasst und) ausgesprochen.
neus, von Elntus gezeugt, anfangs Mädchen mit Namen Caenis, später
in einen Knaben verwandelt, mit Namen Caeneus.
IX, 4, 15 u. 16; Plin. H. N. VII, III, 4, 86 und VH, 4 § 34 u. 3C.
IX, 5, 1. S. Diog. Lacrt. X, 3; Cic. Tusc. III, 4; de fin. I, 15; II, 14;
IX. Buch, 5. Cap., §2—5.
2. Epicur setzt das höchste Gut in die Wollust und erklärt
sie als „den gleichmässig (behaglichen) ruhigen Zustand des
Körpers, octQ/.6g evoiati^ /.aTaocr^ta^ . 3. Antisthenes, der
Schüler des Socrates, erklärt sie fürs höchste Uebel und sein
Ausspruch lautete: Ich möchte lieber vom Wahnsinn als von
der Wollust ergriffen sein. 4. Speusippus und die ganze alte
Academie behaupten, dass die Wollust und der Schmerz zwei
einander ganz entgegengesetzte Uebel seien und dass nur das
zwischen diesen Beiden in der Mitte Stehende gut sei. 5.
Zenos Meinung war, dass die Wollust etwas ganz Gleich-
de offic. III, 33; Senec. de benefic IV, 2, 10 ff.; de vit. beat; Stob. serm.
XV. XVII; Porphyr, von der Entbehrung der Fleischspeisen I; Athen
VII, 5.
IX, 5, 2. Epicur us von Gargettus, einem Flecken in Attica, geb.
341 v. Chr., Sohn des Neokles aus dem Geschlechte der Philäiden, Hess
sich nach seinem 30. Jahre in Athen nieder, wo er in einem von ihm an-
gekauften Garten mit seinen drei Brüdern, Aristobulus, Chaeredemus und
Neokles und mit den zahlreich ihm zuströmenden Schülern sich über
philosophische Gegenstände zu unterhalten pflegte. Kindliche Verehrung
seiner Aeltern, edle Unterstützung seiner Brüder, Milde gegen Untergebene
und allgemeine Menschenliebe charakterisirten ihn. Seine Lehre bildete
den Gegensatz zu der stoischen. Nach ihm war der Endzweck des Lebens
behagliche Ruhe und Genuss ohne Thätigkeit, während die Stoiker den
Endzweck des Lebens in Unempfindlichkeit gegen Schmerz und Freude,
also auf nur andere Weise ebenfalls Ruhe des Gemüthes suchten. S.
Diog. Laert X, 1.
IX, 5, 3. Antisthenes von Athen, Stifter der cynischen Schule
(die Mutter der stoischen), wurde aus einem Anhänger des Gorgias ein
eifriger Schüler des Socrates. Die cynische Schule bekam ihren Namen
von dem Gymnasium Cynosarges, in dem Antisthenes lehrte. Von der
Uebertreibung seiner Grundsätze durch seine Schüler leitete man später
die Benennung von xvtor, Hund ab. Ammonius, ein alter Commentator
des Aristoteles, sagt: „Die Cyniker haben ihren Namen von der Frei-
müthigkeit ihrer Rede und von ihrer Wahrheitsliebe erhalten; denn so
wie die Hunde instinctiv etwas Philosophisches haben, welches sie lehrt,,
die Personen zu unterscheiden, die Fremden anzubellen und den Haus-
bewohnern zu schmeicheln, so lieben die Cyniker die Tugend, und die-
jenigen, die sich ihrer befleissigen, und rügen die Thorheiten und Leiden-
schaften der Menschen, wenn sie auch auf dem Throne sässen." S. Diog.
Laert. VI, 1, 4. Der berühmte Diogenes (Gell. I, 2, 10 NB) war sein
Schüler.
IX, 5, 4. Ueber Speusippus s. Gell. UI, 17, 3 NB; Diog. Laert.
IV, 1, 4.
Digitized by Google
IX. Buch, 5. Cap., §5-8.-6. Cap., § 1. 2. (13)
gültiges (indifferens) , d. h. ein Mittelding, also weder etwas
Gutes, noch etwas Böses sei und brauchte dafür den Ausdruck
„aöiayoQov" . 6. Der peripathetische Weltweise Critolaus sagt,
dass die Wollust nicht nur etwas Böses sei, sondern auch die
eigentliche Erzeugerin vieler anderen Uebel, der Ungerechtig-
keiten, des Müssiggangs, der Vergesslichkeit und des Mangels
an Thatkraft sei. 7. Plato hat sich vor allen den genannten
Philosophen verschiedentlich und mannigfach über die Wollust
ausgesprochen, dass es fast den Anschein gewinnt, als seien
alle vorher von mir darüber angeführten Meinungen dem
(Weisheits-) Bronnen seiner (philosophischen Gespräche, Dia-
loge) Unterredungen eutströmt, denn bei ihm findet die Ver-
werthung der einen oder anderen (dieser seiner Ansichten)
demgemäss statt, wie es theils das Wesen der Wollust in
seiner vielfachen Erscheinung, mit sich bringt, theils wie es
das Verhältniss der Gesichtspunkte verlangt, die er berührt und
die (Verschiedenheit der obwaltenden Neben-) Umstände, denen
er Kechnung tragen will. 8. So oft aber des Epicur Erwähnung
gethan wurde, hatte unser Taurus stets die Worte des Hie-
rokles, jenes tugendhaften und strengen Mannes im Mund und
auf den Lippen: Die Wollust zum Lebenszweck machen, heisst
Lustdirnensatzung, (allein) nicht an eine Vorsehung glauben,
heisst nicht einmal Lustdirnensatzung {noqvr^ Soyfta).
IX, 6, L. Wie die erste Silbe des von (seinem Stammwort) „ago" hergeleiteten
Frequentativum rhythmisch auszusprechen s^i.
IX, 6. Cap. 1. Von dem Zeitwort „ago, egi" (ich betreibe,
habe betrieben) hat man die Wortformen „actito, actitavi" (ich
betreibe oft, habe oft betrieben) gebildet, welche die Gramma-
tiker Frequentativa nennen. 2. Da habe ich nun schon oft
hören müssen, wie einige durchaus nicht ungebildete Männer
diese angeführten Wörter so betonen, dass sie die erste Silbe
IX, 5, 5. Cic. Luculi. s. akademische Untersuchungen II, 43; de
finib. III, 20; Diog. Laert. VII, 1, 60; Gell. I, 2, 9 f.; XII, 5.
IX, 5, 6. Ueber Critolaus s. Gell. VI (VII), 14, 9 NB.
IX, 5, 7. Ueber Plato s. Gell. II, 8, 9.
IX, 5, 8. Hierokles, stoischer Philosoph aus Hyllarima in Karien.
Stob. 8, 19-85, 21 ; ed. Meineke.
IX, 6, 1. Verba frequentativa sind Zeitwörter, welche eine oft wieder-
holte, oder mit Anstrengung geschehene Handlung anzeigen.
Digitized by Google
(14) IX. Buch, 6. Cap., § 2. 8. - 7. Cap., § 1. 2.
kurz aussprechen, und sie geben als Grund dafür an, weil ja in
dem Stammwort „agou die erste Silbe auch kurz ausgesprochen
werde. 3. Da in den Wörtern edo (ich esse) und ungo (icli
salbe) die erste Silbe kurz ausgesprochen wird, warum hebt
man in den davon abgeleiteten Frequentativformen : esito
(ich esse oft) und unctito (ich salbe oft) die erste Silbe als
lang hervor und spricht hingegen in dem von seinem Stamm-
wort dico abgeleiteten (Frequentativum) dictito (ich sage oft)
diese Silbe kurz aus? Es müsste nun also doch die erste
Silbe in actito und actitavi vielmehr (auch) lang ausgesprochen
werden; weil ja doch fast alle aus dem Participium perfecti
passivi ihrer Stammverben abgeleiteten Frequentativa in der
ersten Silbe ebenso (d. h. lang) gebraucht werden, wie z. B.
lego. lectus bildet (das Frequentativum oder Intensivum)
lectito; ungo, unctus bildet unctito; scribo, scriptus giebt
scriptito; moveo, motus bildet motito; pendeo, pensus hat
pensito; edo, esus hat esito; hingegen spräche man, wie ich
schon oben bemerkte, die erste Silbe in dem von dico, dictus
abgeleiteten Frequentativum dictito (ausnahmsweise) kurzaus;
so wieder lang in gestito (ich vollbringe oft) von gero, gestus;
vectito (ich fahre oft) von veno, vectus ; raptito (ich entreisse
oft) von rapio, raptus; captito (ich hasche oft) von capio,
captus; factito (ich thue oft) von facio, factus. So ist dem-
nach die erste Silbe in actito (unbedingt) auch lang aus-
zusprechen, weil es von ago, actus (ganz auf eben dieselbe
Art) abgeleitet ist.
IX, 7, L. lieber das Sichunulrehen der Blätter am Olivenbauin zur
Winter- und Sommer-Sonnenwende und über das Mitklingen einiger (nicht
berührter) Saiten beim Anschlag anderer.
IX, 7. Cap. 1. Es ist allenthalben sowohl schriftlich
ausgesprochen, als auch für wahr angenommen worden, dass
die Blätter der Olivenbäume am Tage der AVinter- und
Sommersonnenwende sich umwenden und der Theil, welcher
an den Blättern der untere und verborgenere war, (zu der-
selben Zeit) nun oben (aufgeschossen) sich entfaltet und un-
seren Augen und der Sonne offen gelegt erscheint, 2. eine
IX, 7, 1. Theophr. Naturgesch. der Pflanzen I, 16.
Digitized by Google
IX. Buch, 7. Cap., § 2. 3. — 8. Cap., § 1 3. (15)
Beobachtung, die auch mir selbst bei absichtlicher (näherer)
Untersuchung mein* als einmal fast ganz ebenso vorgekommen
ist. 3. Was man sich jedoch erzählt über die Saiten (auf
einem Instrumente), ist weniger bekannt, aber um so wunder-
barer. Nach der Versicherung vieler gelehrter Männer, wie
auch besonders des Suetonius Tranquillus im ersten Buche
seines „kurzweiligen Unterhaltungsstoffes (ludicra historia)",
weiss man ganz gewiss und ist darüber ganz einig, dass,
wenn man zur Zeit der Wintersonnenwende einige Saiten
(auf einem Instrumente) anschlägt, andere (die gar nicht be-
rührt wurden, mit-) tönen.
IX, 6, L. Dass es nnumstösslich wahr sei, dass der, welcher viel hat,
auch um so mehr brauche; ferner kurzgelasster feiner Gedanke des
Philosophen Favorin über diese Ansicht.
IX, 8. Cap. 1. Wahrlich, ewig wahr wird er bleiben,
der auf genaue Beobachtung und auf praktische Erfahrung
gestützte Ausspruch weiser Männer, dass Einer viel bedarf,
der viel hat und dass ein unersättliches Bedürfniss nicht aus
grossem Mangel, sondern nur aus grossem Uebertluss ent-
springe. 2. Denn viele (neue) Wünsche werden in Dir rege,
wenn Du das Bedürfniss hast, einen grossen Besitz zu be-
haupten (oder gar noch zu vermehren). 3. Jeder also, der
viel besitzt, hat (vielmehr) eine Verringerung (seiner Wünsche
und seiner Besitzeslust), nicht aber eine Vergrösserung (an-
zustreben) nöthig, wenn es (überhaupt) in seiner Absicht liegt,
sich vorzusehen und Sorge zu tragen* dass es ihm an nichts
mangeln, oder ihm nichts abgehen soll, und er muss sich be-
streben, weniger zu besitzen, um desto weniger zu vermissen.
IX, 7, 3. Suetonius Tranquillus, röm. Geschichtsschreiber
70 — 121 n. Chr., zur Zeit des Domitian, Trajan und Hadrian, stand mit
dem jüngeren Plinius in vielfacher Verbindung. Beschrieb das Leben von
Julius Caesar und der elf ersten Kaiser, über die er eine Menge der
anziehendsten und lehrreichsten Nachrichten mittheilt. Ausserdem ver-
fasste er vier Bücher von berühmten Römern, Grammatikern, Rhetorcn,
Staatsmännern und Dichtern. S. Teuffels röm. Lit Gesch. 342, 2.
IX, 8, 1. Vergl. Gell. XII, 2, 13 und Plutarch: über Bezähmung des
Zorns 13, wo es heisst: wer wenig bedarf, dem schlagt selten etwas fehl;
Senec. ep. 110, 16.
Digitized by Google
(16)
IX. Buch, 8. Cap., §4.-9. Cap.. § 1 —3.
4. Ich erinnere mich (lebhaft), dass dieser (herrliche) Grund-
satz von Favorin (eines Tages) unter einem Ungeheuern, all-
gemeinen Beifallssturm schön abgerundet und in folgenden,
ganz kurzen Worten zusammengedrängt (ausgesprochen) wurde :
„Denn wer 500 Kleider bedarf, für den ist die Möglichkeit
nicht ausgeschlossen, dass er nicht auch noch mehr bedürfen
sollte; wenn ich nun die abrechne, nach denen mein Ver-
langen steht, von denen, die ich besitze, fühle ich mich be-
friedigt mit denen (wenigen), die ich brauche."
IX, 9, L. Welche« Verfahren stattfinden soll in Ansehung einer Ueber-
setzung von Stellen, die ganz echt griechisch gedacht sind; ferner über
einige Verse Homers, die Vergil thcils gut und passend, theils ungeschickt
übersetzt haben soll.
IX, 9. Cap. 1. Wenn man sich die Aufgabe stellt, aus
griechischen Dichterwerken ausgezeichnete Gedanken zu über-
setzen oder nachzubilden, soll unser Bestreben nicht immer
darauf gerichtet sein, dass wir überhaupt das griechische
Original ganz (kleinlich und) wörtlich übertragen. 2. Denn
die meisten Stellen verlieren ihre Anmuth (und natürliche
Lieblichkeit), wenn man sich gleichsam abquält und es zu
erzwingen sucht, sie mit aller Gewalt (wörtlich) wiederzugeben
(sie also eigentlich nur zu übersetzen, aber nicht zugleich
auch nachzudichten). 3. Sehr klug und überlegt ist daher
Vergil verfahren bei der Nachbildung von Stellen entweder
aus Homer, oder aus Hesiod, oder aus Apollonius, oder Far-
thenius, oder Theocrit,^)der endlich noch aus einigen andern
IX, 9, 3. Apollonios von Rhodos genoss den Unterricht des
Callimachos, verliess aber die gelehrte, gezwungene, grossartig prunkhafte
Darstellungsweise seines Lehrers und betrat die von Homer gebahnte
Strasse der Einfachheit, was ihm den Hass seines Lehrers zuzog. Er
dichtete das Epos : Argonautika. Der einflussreiche Callimachos bewirkte,
dass dies Werk durchfiel, als es Apollonios zu Alexandrien vorlas. Aerger-
lich darüber begab er sich nach Rhodos, lehrte daselbst die Rhetorik und
wurde mit dem Bürgerrecht beschenkt Späterhin kehrte er nach Alexan-
drien zurück, um unter Ptolemaeus V. Epiphanes (196 v. Chr.) den durch
Alter geschwächten Eratosthenes in der Aufsicht über die Bibliothek zu
ersetzen. Ausserdem schrieb er noch xnaiti (Gründung von mehreren
Städten) und Epigramme, die besonders gegen Callimachos gerichtet waren.
IX, 9, 3. Cfr. Gell. XIII, 27, 1 f.; Teuftels röm. Lit. Gesch. 222, 2.
Digitized by Go
IX. Buch, 9. Cap., §3—8.
(alten Schriftstellern), dass er einige Satztheile wegliess, an-
dere zum Ausdruck brachte. 4. So machten wir z. B. neulich
erst die Bemerkung, als bei Tische gleichzeitig die beiden
Hirtengedichte des Theocrit sowohl, wie 'des Vergil gelesen
wurden, dass Vergil einen im Griechischen zwar in seiner
Art lieblichen Gedanken ausliess, der aber (von ihm) entweder
nicht übersetzt werden sollte, oder nicht übersetzt werden
konnte. 5. Allein der Ersatz für die ausgelassene Stelle (Idee)
möchte beinahe noch angenehmer und zierlicher sein. Bei
Theocrit (V, 88, 89) heisst es:
BaXXn xal [tdXotOi tov ainoXov d KXfaoiartt
T«? alyag naoiXüvra xal dd*v ti nonnvXiaZti, d. h.
Mich den Geishirt wirft mit Aepfeln auch Klearista,
Treib' ich die Heerden vorbei und flüstert mir lieblichen Gruss zu.
6. (Bei Vergil Buc. III, 64. 65 lautet der Gedanke:)
Malo me Galatea petit, lascica puella
Et fiigit ad salices et se cupit ante videri, d. h.
Aepfel wirft Galatea nach mir, das schelmische Mägdlein
Flieht dann in Weidengesträuch und wünscht zuvor sich gesehen.
7. Auch eine andere, im griechischen (Original-) Verse höchst
angenehme Wendung fanden wir an einer andern Stelle wohl-
weislich (von Vergil) tibergangen. Theocrit (in, 3—5) singt:
Ti'tvq\ tuiv tö xaXöv nttptlttfttvt) ßtaxt rag atyag
Kai norl rdv xqdvav uyt TItvqv xal tov tvoo/ar
Tov Aißvxov xväxtova (fvXaöato, urj tv xoqv£ij, d. h.
Tityros, huldvoll geliebet von uns, Du weide die Ziegen,
Führe sie dann zum Quell, o Tityros, doch vor dem Geisbock
Hüte Dich, vor dem Libyer dort, dem weissen, der stösst sonst.
8. Denn wie hätte er die Stelle wiedergeben sollen : to /.albv
7te(pila^itve (o Du, das so huldvoll geliebte Wesen), wahrlich
IX, 9, 5. Voss singt:
Kommt die schöne Binderin Euch denn gar nicht in den Sinn?
Die mich wirft mit Haselnüssen und dann schreit: ich will Dich küssen.
IX, 9, 5. thh' ri d. h. etwas in seiner Art einzig Süsses.
IX, 9, 7. t6 xaXbv TTHf. Theocrit verbindet öfters das adverbialiter
gebrauchte Neutrum, vorzüglich von den Adjectivis auf -os, mit dem Neu-
trum des Artikels.
Gell i äs. Attische Nftchte. U. 2
Digitized by Google
(18)
IX. Buch, 9. Cap., §8 — 12.
unübersetzbare Worte, aber von einer gewissen ursprünglichen
Lieblichkeit? 9. Diese Stelle Hess er also weg, das Uebrige
aber hat er ganz artig nachgedichtet, mit Ausnahme eines
Ausdrucks, da er für die Bezeichnung des Bocks das Wort
„caper" setzte, während Theocrit dafür den Ausdruck ivoQtfö
(von oezig, d. h. Hode, also Einer dem Hoden sind) brauchte.
10. Nach Angabe des M. Varro versteht man vornehmlich
unter dem lateinischen Ausdruck „caper" den entmannten
(gerissenen) Bock. 11. (Die von Vergil Buc. IX, 23. 24. 25
nachgeahmte Stelle lautet:)
Tityre, dum redeo, brevis est via, pasce capellas
Et potum pastas age, Tityre, et inter agendum
Occursare capro, cornu ferit ille, caveto, d. h.
Tityrus, kurz ist der Weg und ich spute mich, weide die Ziegen,
Treibe sie dann zur Tränk', o Tityrus; und wenn Du treibest,
Hüte Dich, jenem Bock, er stösst mit dem Horn, zu begegnen.
12. Und da ich nun eben von der Uebertragung bemerkens-
werther (poetischer) Gedanken spreche, fällt mir gerade eine
Mittheilung ein, die ich den Schülern des Valerius Probus
verdanke, jenes gelehrten Mannes, jenes feinen Kunstkenners
und Kritikers alter Schriftstücke, der oft geäussert habe, dass
dem Vergil keine aus Homer entlehnte Stelle bei der Wieder-
gabe so sehr missglückt sei, als die Nachahmung jener höchst
reizenden Verse, worin Homer eine Schilderung der Nausikaa
liefert (Odyss. VI, 12 etc.):
So wie Artemis herrlich einherzieht, froh des Geschosses
lieber Taygetos' Höh'n und das Waldgebirg Erymanthos
Und sich ergötzt, Waldeber und hurtige Hirsche zu jagen;
Sie nun zugleich und Nymphen, des Aegyserschütterers Töchter,
Ländliche hüpfen in Reih'n; und herzlich freute sich Leto (yiyn&t äi
Vor ob Allen ragt sie an Haupt und herrlichem Antlitz;
Leicht auch wird sie im Haufen erkannt; schön aber sind Alle:
(Also erschien' vor den Mädchen an Heiz die erhabene Jungfrau.)
IX, 9, 12. Valerius Probus hat ohngefähr bis zum Jahre 88 n. Chr.
gelebt, und Gellius noch persönliche Schüler des Probus gehört. S. Teuffels
röm. Lit. Gesch. 295, 2 u. 3. Yergl. Gell. I, 15, 18; in, 1, 5; IV, 7, 1;
VI (VII), 7, 3; IX, 9, 12; XIII, 21 (20), 1. Vergl. meine Einleitung
Bd. I, S. VIII.
Digitized by
IX. Buch, 9. Cap., § 13—15.
(19)
13. (Bei seiner Schilderung der Diclo hat Vergil [Aen. I, 408
etc.] diese Stelle Homers folgendennassen verwerthet:)
Wie an Eurotas' Gestad' und auf luftigen Höhen des Cynthus,
Tanzende Reihen Diana beseelt, sie umdrängen zu tausend
Hier Oreaden und dort, wildschwärmende; ihr an der Schulter
Hängt das Geschoss und im Gange die Göttinnen all' überragt sie;
Innige Wonnen durchzucken heimlich die Brust der Latona (pertemptant
(So war Dido zu schau'n, so wandelte sie durch die Männer
Freudig einher, antreibend den Bau und die künftige Herrschaft [instans
14. Vor Allem (so sagten sie) sollte Probus zuerst bemerkens-
werth gefunden haben, dass beim Homer die jungfräuliche
Nausikaa zwar, voll Lust und Scherz unter ihren jugend-
lichen Gespielinnen in einsamen Gegenden (weilend), sehr
richtig und passend verglichen wird mit der Göttin Diana,
die auf den Höhen der Gebirge mitten unter ländlichen
Nymphen das Waidwerk treibt, Vergil dagegen einen keines-
wegs entsprechenden Vergleich (bei Nachahmung dieser Stelle)
zu Stande gebracht habe, weil er die Dido mitten in dem
Gedränge der Stadt (mitten in der Strassen quetschender
Enge), wandelnd unter ihren tyrischen Häuptlingen, nach
Aussehen und Gang Ehrfurcht gebietend, (durch Anordnungen)
betreibend den Bau, wie er sich ausdrückt, und (befördernd)
die künftige Grösse des Reiches (instans operi regnisque fu-
turis); denn diese Stelle enthalte nichts von irgend einer
Aehnlichkeit, welche (auch nur im Geringsten) mit der (herr-
lichen) homerischen Beschreibung von den Jagdvergnügungen
der Diana zusammenstimme. 15. Ferner bei der Stelle, wo
Homer eine so ganz anständige und passende Beschreibung
von dem ergötzlichen Waid werk der Diana liefert, lässt Vergil,
obgleich er kein Wort von der Jagdlust der Diana erwähnt,
die Diana nur den Köcher auf der Schulter tragen , als sei
es eine Last und Bürde; ferner sagten sie, habe Probus sich
auch heftig über Vergil verwundert, dass, obwohl die Leto
beim Homer ihren echten und innersten Freudenjubel aus-
jubelt, im Tiefinnersten des Herzens und der Seele ent-
spriessend, — wenn nämlich die Worte: ytyrj&e ös xe ygzva
ylt<va> (herzlich freute sich Leto) nichts anderes heissen
sollen, — Vergil aber bei der Absicht diese Stellen nach-
gaudia pectus):
operi regnisque futuris]).
Digitized by Google
(20) IX. Buch, 9. Cap., § 15. 16. — 10. Cap., § 1.
zuahmen, (nichts weiter, als) nur eine Schilderung geliefert
habe von schwachen, oberflächlichen, zurückhaltenden und
kaum aus dem Herzinnem hervorlugenden Empfindungen von
Freude, denn er wisse nicht, was man sonst dem Ausdruck
„pertemptant" (sie durchzucken, durchbeben, durchströmen)
noch für eine andere Bedeutung geben soll. 16. Ausser allen
diesen angeführten Bemerkungen schien es dem Probus. dass
Vergil auch besonders noch die Krone der ganzen (homeri-
schen) Stelle übersehen habe, weil er sich nur (knapp und)
nothdürftig an den Sinn des homerischen Verses gehalten hat :
'PtTa J* itoiyvb'iii] niktrai, xtdai dV rt Ttüoat, d. h.
Leicht auch wird sie (im Haufen) erkannt; schön aber sind Alle,
da ja niemals ein grösseres und vollständigeres Lob der
Schönheit gespendet werden konnte, als dadurch, dass er
sagte, sie zeichne sich unter allen den Schönen (und Holden,
als die Schönste und Holdeste) aus und sie allein werde
(deshalb) aus Allen leicht herausgefunden (trotzdem dass Alle
schön waren).;
IX, 10, L. Wie Annaeus Cornutus durch seinen unflätigen und widerlichen
Tadel die Verse Vergils verunglimpfte, worin der Dichter züchtig und mit
viel Geschick das (eheliche) Beisammenliegen der Venus mit Vulcan
erwähnt.
IX, 10. Cap. 1. Der Dichter Annian und viele andere
seiner Zunftgenossen mit ihm priesen ausserordentlich und
fortwährend jene Verse Vergils, in denen er, bei seiner Be-
schreibung und Darlegung der Umarmung und Vereinigung
des Vulcan mit der Venus, nach dem Rechte ehelicher Ver-
bindung, den ganzen Vorgang, welchen ein natürliches Gefühl
des Anstandes unsern Blicken zu entziehen gebietet, durch
IX, 10, L. L. Annaeus Cornutus, geh. zu Leptis in Afrika
(20 n. Chr.), verfasste einen Commentar über Vergil. Er war Grammatiker
und Rhetor und schrieb bald lateinisch, bald griechisch. Lateinisch
waren seine libri de figuris sententiarura (§ 5), wovon sich Fragmente bei
Macrob. V, 19 finden. Er hing der stoischen Philosophie an, war sehr
freimüthig und deshalb dem Nero unangenehm und von ihm verbannt;
auch Freund und Rathgeber des Dichters Persius. Man hat noch ein
Werk von ihm: neo) rfjg rüv Oeuiv (fvotug, über das Wesen der Götter.
Digitized by Go
IX. Buch, 10. Cap., § 1—6. (21)
eine schamhafte (verblümte Wort-) Umschreibung verschleiert
hat. 2. Er schrieb nämlich so (Verg. Aen. VIII, 404 etc.):
Ea verba locutus
Optatos dedit amplexus placidumque petivit
Conjugis infusus gremio per membra soporem, d. b.
Sobald er die Worte geredet,
Stillt' er den Wunsch der Umarmung und froh an den Busen der Gattin
Angeschmieget erstrebt er der Glieder süsse Betäubung.
3. Die Ansicht der Obengenannten war nun aber, dass es
weniger schwierig sei, bei Beschreibung eines ähnlichen Vor-
habens (noch passendere) Ausdrücke zu gebrauchen, welche
diesen Vorgang durch ein, oder das andere kurze und zarte
Merkmal deutlicher bezeichneten, wie z. B. Homer sich aus-
gedrückt hätte: (Odyss. XI, 244 Ivae dt ;raQ&€vh]v Zoni^v,
d. h. löste ihr) den jungfräulichen Gürtel und (Odyss. XXIII,
296: Xt/.TQoio üeöt.ibv i'xoiro, d. h. kehrten Beide) zu des
Lagers Bund, dann (Odyss. XI, 245 : Ivtlioat Üebg (pilotr^Jia
igya, d. h. der Gott-Gatte vollendete) das Werk der Liebe
(und endlich Uiad. III, 448 :
Tio fjtlv uQy h TnfjToTai xaTtvvttafrtv A^foran»', d. h.
Und so ruhten sie Beide in schöndurchbrochnem Gestelle).
4. (und sie sprachen es ganz offen aus) in so vielen und so
deutlichen, aber doch durchaus nicht unkeuschen, sondern
einfachen und ehrbaren Ausdrücken habe wirklich kein Anderer
(als Homer) jemals jenes heilige Geheimniss züchtiger (Gatten-)
Vereinigung erwähnt. 5. Annaeus Cornutus jedoch, ein wahr-
lich in mancher andern Hinsicht nicht unwissender, noch
urtheilsunfähiger Mensch, hat im 2. Buche seines „über ver-
blümte Redensarten (de figuris sententiarum)" verfassten
Werkes sich herausgenommen, die allgemeine grosse An-
erkennung für das Zartgefühl (Vergils in Zweifel zu ziehen
und) durch seine allzuabgeschmackte und widerliche Bekritte-
lung zu verunglimpfen. 6. Denn obgleich er (im Ganzen) die
bildliche Darstellung lobend anerkennt und zugegeben hatte,
dass die Verse (Vergils) mit vieler Umsicht verfasst seien,
bezeichnete er (nichtsdestoweniger) das Wort „membra
(Glieder)" als einen sehr unbedachten und unpassenden
Ausdruck.
Digitized by Google
(22)
IX. Buch, 11. Cap., § 1 — 7.
IX, 11, L. Ueber den Valerius Corvinus und weshalb er „Corvinus" hiess.
IX, 11. Cap. 1. Kein einziger der angesehenen Schrift-
steller weicht in der (gewöhnlichen) Annahme bezüglich des
Marcus Valerius ab, dass er, wegen der von einem Raben
(corvus) ihm geleisteten Hülfe und Vertheidigung , den Bei-
namen „Corvinus" bekommen habe. 2. Der höchst wunderbare
Hergang wird nach zuverlässigem Zeugniss in den „Jahr-
büchern" folgendennassen erwähnt: 3. Ein der bezeichneten
Familie entsprossener, junger Mann schwingt sich unter dem
Consulate des L. Furius und des Claudius Appius bis zur Stelle
eines Kriegsobersten (in der römischen Armee) empor. 4. Zur
selbigen Zeit nun hielt ein grosses mächtiges gallisches Heer
den pomptinischen Acker besetzt, und obgleich die Consuln
wegen der grossen und überlegenen Anzahl von Feinden be-
sorgt waren, so wurden trotzdem nach ihren Anordnungen die
Schlachtreihen aufgestellt. 5. Unterdessen trat der Anführer
der Gallier hervor, eine unermesslich hohe Riesengestalt, mit
Waffen von Gold blitzend, mit grossen Schritten einher-
schreitend, den Pfeil mit der Hand hin- und herschwingend,
mit Geringschätzung und Stolz umherblickend, Alles ver-
achtend, fordert er Jeden auf, heranzukommen und sich zu
messen, wenn Einer aus dem römischen Heere mit ihm zu
kämpfen sich getraue. 6. Da alle Uebrigen zwischen Furcht
und Scham unschlüssig bleiben, tritt der Kriegsoberste Va-
lerius hervor und erwirkt sich vorher von den Consuln die
Erlaubniss, mit dem Gallier, mit diesem so schrecklichen Gross-
maul, kämpfen zu dürfen, dann geht er mit Unerschrockenheit
und Besonnenheit (zum Angriff) vor. Sie gehen aufeinander
los, nehmen die nöthige (Auslage und) Kampfesstellung und
waren eben schon im Begriff handgemein zu werden. 7. Da
legt sich auf einmal gleichsam eine unbekannte göttliche
Macht ins Mittel. Ein Rabe kommt plötzlich unversehens
herangeflogen und setzt sich auf die Helmraupe des Kriegs-
obersten und beginnt von da gegen des Gegners Gesicht und
IX, 11, 1. Vergl. Val. Max. VIII, 15, 5.
IX, 11, 7. S. Liv. VII, 26; Florus I, 13, 12; Aurel. Victor. 29, 1\
Orosius HI, 6; Cic. de offic. III, 31.
Digitized by Google
/
I
IX. Buch, 11. Cap., § 7 — 10. — 12. Cap., § h 2. (23)
Augen einen Kampf, kreischte und lärmte und zerfleischte
ihm mit den Klauen die Hände und benimmt ihm mit dem
Flügelschlag den freien Blick, und nachdem er hinlänglich
seine Wuth (an dem Gallier) ausgelassen hatte, flog er auf
die Helmraupe des Kriegsobersten zurück. 8. So trug der
Kriegsoberste, gestützt auf seine eigene Tapferkeit und zu-
gleich durch den Beistand des Vogels vertheidigt, über den
unbändig übermüthigen, feindlichen Anführer den Sieg davon
und gab ihm Angesichts beider Heere den Tod; und aus die-
sem Grunde erhielt jener den Beinamen „Corvinus". 9. Dieser
Vorfall ereignete sich im Jahre 405 nach Roms Erbauung.
10. Der erhabene Augustus Hess auf seinem, von ihm erbauten
neuen Marktplatz diesem Corvinus ein Standbild errichten.
Auf dem Haupte dieses Standbildes befindet sich das Abbild
eines Raben (angebracht), als Erinnerungszeichen des von uns
erzählten Vorfalls und Kampfes.
IX, 12, L. Ueber (einige) Wörter, welche in doppelter, entgegengesetzter
und zurückwirkender (reciproca, d. h. bald activer, bald passiver) Bedeutung
gebraucht werden
IX, 12. Cap. 1. Gerade so, wie es möglich ist, das Wort
„formidolosus" in dem Sinne zu sagen, theils von Einem, der
sich fürchtet, theils der gefürchtet wird (also: sich grausend,
scheu, oder furchtbar, grausenhaft); sowie ferner das Wort
„invidiosus" von Einem, der neidisch ist (beneidet), wie von
Einem, der beneidet wird; ferner „suspiciosus" von Dem, der
Verdacht hegt (argwöhnisch ist) und von dem, der Verdacht
erregt (verdächtig ist); dann „ambitiosus" von Einem, der
sich bewirbt (ehrgeizig ist), wie von Einem, bei dem man sich
bewirbt (der gesucht ist) ; ebenso auch „gratiosus", von Einem,
der Gunst erweist (der gefällig ist), als von einem, der Gunst
geniesst (der beliebt ist); endlich „laboriosus" von Einem,
der sich Mühe giebt (arbeitsam ist) und von dem, was Mühe
bereitet (mühsam ist) und wie noch viele andere ähnliche
Wörter in doppelter Bedeutung gesagt werden: ebenso lässt
auch das Wort „infestus" einen zweifachen Sinn zu. 2. Denn
Derjenige wird „infestus" genannt, der Jemandem etwas Böses
anthut (feindselig ist), und im entgegengesetzten Falle wird
auch der „infestus" genannt, dem von anderer Seite her ein
Digitized by Google
(24)
IX. Buch, 12. Cap., § 3—7.
Uebel droht (d. h. einer, der beunruhigt ist). 3. Allein in
dem von mir zuerst angegebenen (activen) Sinne wendet man
das Wort vielfach an, dass ein Feind, oder ein Gegner
„infestus" (feindselig, aufsässig, gefährlich) genannt wird und
es bedarf deshalb wahrlich nicht erst des Nachweises durch
Beispiele. 4. In der anderen Bedeutung aber ist das Wort
unbekannter und oft schwer verständlich. Denn wer aus der
Menge dürfte wohl so ohne weiteres Bedenken sich des Aus-
drucks „infestus'4 (in passiver Bedeutung) bedient haben zur Be-
zeichnung Desjenigen, dem ein Anderer aufsässig und feindselig
ist (d. h. der sich von einem Andern bedroht, gefährdet und
angefeindet sieht)'? Allein nicht nur viele alte Schriftsteller
haben so gesprochen, sondern auch M. TuUius (Cicero) hat in
seiner für den Cn. Plancius verfassten Rede (cap. 1, 1) sich
desWTortes „infestus*' in dieser (passiven) Bedeutung bedient.
5. Da sagt er: „Ich müsste Betrübniss, ihr Richter, und bittern
Schmerz empfinden, wenn (ich denken sollte, dass) das Glück
dieses Mannes gerade deshalb um so mehr gefährdet werden
könnte (si hujus salus ob eam ipsam causam esset infestior),
nur weil er durch sein Wohlwollen, seinen Schutz und seine
Fürsorge mein Heil und Leben gesichert hatte." 6. Ich suchte
mich also über die Abstammung dieses Wortes und über seine
Bedeutung zu unterrichten und fand in den Erklärungs-
schriften des Nigidius folgende darauf bezügliche Stelle vor:
„Das Wort „infestus" ist ein von „festinare" hergenommener
Ausdruck; denn, sagt er weiter, ein solcher, der dem Andern
hart zusetzt und sich beeilt ihn zu bedrängen und sich eifrig
bemüht, ihn (schnell und unversehens) zu überwältigen; oder
im entgegengesetzten Falle ein Solcher, der von irgend einer
Gefahr, oder vor Verderben (zu entfliehen) sich beeilt, ein
solcher wird in beiden Fällen mit dem WTort infestus be-
zeichnet, von den noch bevorstehenden, drohenden Ränken
(und Gefahren), die ein Solcher an einem Andern ausüben will,
oder von einem Andern erdulden soll." 7. Damit man aber
von den oben von mir angeführten WTörtern suspiciosus und
„formidolosus" in ihrer weniger gebräuchlichen (passiven) Be-
deutung ein Beispiel nicht vermisse, führe ich von „suspicio-
sus" eine Stelle an, die bei M. Cato in seiner Schrift „über
das Florafest" steht und so lautet: „Allein man erachtete es
IX. Buch, 12. Cap., §7—12.
durchaus nicht für billig gegen einen freigeborenen Mann
Gewalt anzuwenden, selbst wenn er berüchtigt und verdächtig
(suspiciosus) war, ausgenommen wenn (ihm konnte nach-
gewiesen werden, dass) er mit seinem Leibe Öffentlich (durch
schimpflichen Erwerb) sich Geld zu verdienen suchte, oder
sich gar wohl selbst einem Bordellwirth vermiethet hatte."
8. An dieser Stelle braucht Cato das Wort „suspiciosus" in der
(passiven) Bedeutung für „suspectus" (verdächtig), uicht active
für „suspicans" (Verdacht habend, argwöhnisch). 9. Das Wort
„formidolosus" wendet Sallust aber in seinem Catilina (7, 5)
in dem Sinne von furchtbar (d. h. von Einem der gefürchtet
wird, oder vor dem man sich fürchten muss) also an : „Daher
war solchen Männern keine Arbeit ungewohnt, kein Ort un-
wegsam oder unübersteiglich, kein bewaffneter Feind furcht-
bar (formidolosus)". 10. So gebraucht auch C. Calvus in
seinen Gedichten das Wort „laboriosus" nicht, wie es im ge-
wöhnlichen Leben der Fall ist, in dem Sinne für Einen, der
sich Mühe giebt, sondern zur Bezeichnung dessen, was mit
Mühe verknüpft ist, er sagt:
„Durum rus fugit et laboriosum, d. h.
Er flieht das Land (leben) als beschwerlich und mühsaniu
(d. h. weil es ihm harte Anstrengung und Mühe auferlegt).
11. In ähnlicher Bedeutung ist auch (das Wort „somniculosus")
vom Laberius (com. 86) in seinen „Schwestern" gebraucht,
da heisst es:
„Ecastor mustum somniculosum, d. h.
Beim Kastor, ach über diesen schlafbringenden Most (-Wein)."
12. Und bei Cinna in seinen Gedichten :
„Somniculo8am ut Poenus aspidem Psyllus, d. h.
Wie der phönizische Psyllus den schlafbringenden (tödtlichen) Speer4-
IX, 12, 10. C. Licinius Macer Calvus, mit doppeltem Zunamen,
Verfasser von Epigrammen und von Liebesgedichten, der jedoch als Redner
seine Dichtungen in Schatten stellte. Gell. XIX, 9, 7. Vergl. Bernhard}*
R. L. 101. 487: Gell. VI (VII), 3, 40 NB. S. Teuffels Gesch. der röm.
Lit. 210, 5.
IX, 12, 12. C. Helvius Cinna, war Freund Catulls, treuer Anhänger
des Caesar und Dichter; besonders namhafter Darsteller griechischer
Mythen , schrieb ein dunkles und mühsam gelehrtes Epos : Smyrna und
Digitized by Google
(26)
IX. Buch, 12. Cap., § 12 — 17.
(vielleicht zu ergänzen: durch seine Kunst unschädlich zu
machen und die Wunden davon zu heilen verstand). 13. Ebenso
können auch „metus4, und „injuria" in doppelter Bedeutung
(activ und passiv, d. h. subjectiv und objectiv) gesagt werden ;
denn „metus hostium" kann ganz richtig als Bezeichnung gelten
für Feinde, die sich fürchten (also: die Furcht der Feinde),
sowie von solchen, die gefürchtet werden (also: die Furcht
vor den Feinden. 14. So hat Sallust im L Buche seiner „Ge-
schichte" den Ausdruck „metus Pompeji" nicht in dem Sinne
von „die Furcht des Pompejus" gesagt, wie es gebräuchlicher
ist, d. h. dass sich also Pompejus fürchtete, sondern dass er
gefürchtet wurde, also: die Furcht vor ihm. Die Worte
Sallust's lauten: „Dieser Krieg war angethan, Furcht vor dem
Sieger Pompejus einzuflössen, der den Hiempsal wieder in
sein Reich einsetzte." 15. Ebenso an einer andern Stelle:
„Nach Beseitigung der Furcht vor einer Gefahr von punischer
Seite (remoto metu Punico) hatte man vollkommen Zeit genug
gegenseitigen Neid und Missgunst gründlich auszubilden."
16. Ebenso brauchen wir das Wort „injuriae" (Ungerechtig-
keiten) sowohl in Bezug auf solche, die darunter zu leiden
haben, als auf solche, die dergleichen begehen, und man kann
Beispiele der betreffenden Ausdrucksweisen leicht finden.
17. Auch jener bekannte Satz von Vergil (Aen. II, 435) ent-
hält einen ähnlichen, der besprochenen doppelseitigen Aus-
legung fähigen Ausdruck, da heisst es:
Et vulnere tardus Ulixi, d. h.
(Pelias) gelähmt durch eine Wunde von Ulixes,
da er hier die Wunde meinte,, nicht die Ulixes (vom Pelias)
empfangen hatte, sondern die (ihm Ulixes, beigebracht hatte.
Gedichte, lyrische Kleinigkeiten und Epigramme, nach Gellius (XIX, 9, 7)
illepida. Der erotische Inhalt berührt bei Ovid. trist II, 435. S. Bernh.
R. L. 79 und Teuffels röm. Lit. Gesch. 210, 3; Gell. XIX, 13, 5.
IX, 12, 17. Ulixi der Genitiv schon V, 1, 6. Die Personennamen
auf es haben bisweilen im Genitiv i statt is, z. B. IV, 11, 4 Aristoteli,
Achilli, Isocrati etc. Diese Abkürzung kann mit der des Genitivs ei statt
eis in der fünften Deel, verglichen werden, z. B. fides Gen. fide-i (statt
fideis), also Ulixi (= Ulixis). Vergl. IX, 14; Euripidi I, 15, 17; VI (VII),
16, L., 6. 7; XIII, 19 (18), 2 u. 3; XV, 20, 1; Sophocli XII, 11, ü; XIII,
19 (18), L.; Mithridati XV, 1, 6; XVII, 16, L.
Digitized by Googl
IX. Buch, 12. Cap., § 18- 22. - 13. Cap., § 1 — 5. (27)
■
18. So wird mit dein Ausdruck „nescius" ebensowohl Einer
bezeichnet, von dem man keine Kenntniss hat (d. h. der nicht
gekannt ist), als auch einer, der keine Kenntniss (von Etwas)
hat (d. h. der unwissend ist). 19. Allein in Betreff der Be-
zeichnung von Einem, der unwissend ist, ist der Gebrauch
dieses Wortes kein seltener, seltener aber wird es von dem
gebraucht, was nicht bekannt ist. 20. Ebenso wendet man das
Wort „ignarus" in doppelter (activer wie passiver) Bedeutung
an, nicht allein von Einem, der nichts kennt (also unwissend,
unerfahren ist), als auch von Einem, von dem Niemand was
weiss (der nicht gekannt, also fremd ist). 21. So Plautus in
seinem „Schiffbruch" (Rudens I, 5, 17 [275]):
Quae in locis nesciis nescia spe sumus, d. h.
Die wir am fremden Ort fremd aller Hoffnung stehen.
22. Sallust (Jug. 93, 3) : „Wie es menschliches Verlangen mit
sich bringt, sich an dem (fremden) unbekannten Orte um-
zusehen (ignara visendi)." Endlich Vergil (Aen. X, 706):
Ignarum Laurens habet ora Mimanta, d. h.
Die Küste von Laurentum deckt den unbekannten Mimas.
IX, 13, L. Wörtliche Erzählung aas dem Geschichtswerke des Claudius
Quadrigarius, worin des Manlius Torquatos, eines edlen Jünglings Kampf
geschildert wird, wozu ihn ein feindlicher Gallier herausforderte.
IX, 13. Cap. 1. Titus Manlius war ein Mann von vor-
nehmer Abkunft und vor Allem von edler Gesinnung. 2. Dieser
Manlius erhielt den Beinamen Torquatus. 3. Die Veranlassung
zu diesem Beinamen hat, wie ich erfuhr, der aus einer gol-
denen Halskette bestehende Beuteschmuck gegeben, den er
einem von ihm erlegten Feinde abgenommen und stets (zur
Erinnerung an diese That und diesen Sieg) trug. 4. Allein
wer dieser Feind war, welcher Abstammung, von welcher
grausenerregenden Itiesenhaftigkeit, ferner wie weit dieser
(Feind) im Uebermuth bei der Herausforderung ging, endlich
durch welche (sonderbare) Kampfart die Entscheidung erfolgte,
von dem Allen findet sich eine höchst natürliche und äusserst
klare Beschreibung bei Quadrigarius Claudius im 1. Buche
seiner Jahrbücher, gehalten im Tone der altbiedern Ausdrucks-
weise mit schlichter und ungeschminkter Lieblichkeit. 5. Der
Philosoph Favorin versichert, dass, als er diese Stelle in dem
Digitized by Google
<28)
IX. Buch, 13. Cap., §5—14.
betreffenden Werke las, ihm das Herz nicht weniger durch
«türmische Erregungen und Eindrücke innerlich sei erschüttert
und gerührt worden (als wie es kaum mehr hätte der Fall
sein können), wenn er diesem Kampfe mit eigenen Augen
zugesehen. 6. Ich lasse des Quadrigarius Claudius eigene
Worte folgen, worin dieser Kampf geschildert wird: 7. „Da
trat nun mittlerweile ein Gallier hervor, der ganz bloss (d. h.
unbepanzert) war und ausser seinem Schild und seinen zwei
Degen mit einer Halskette und Armbändern geschmückt war,
ein Held, der durch seine Körperstärke, durch seine gewaltige
Grösse, durch sein jugendliches Aussehen und zugleich (wie
es schien) durch seinen Heldenmuth allen Andern vorstrebte.
S. Als die Schlacht am heftigsten entbrannt war, und man
auf beiden Seiten mit höchstem Ungestüm kämpfte, gab dieser
(Riese) mit beiden Händen ein Zeichen, den Kampf ruhen zu
lassen. 9. Es erfolgte ein Stillstand des Kampfes. 10. Nach-
dem auch lautlose Stille eingetreten, ruft er mit gewaltiger
Stimme, dass, wenn P^iner Lust verspüre, es mit ihm im
Einzelkampfe aufzunehmen, er nur hervortreten solle. 11.
Niemand wagte sich an ihn heran (propter magnitudinem at-
que immanitatem facies, d. h.) wegen seiner Riesengrösse
und der Ungeheuerlichkeit seines Aussehens. 12. Darauf
verzieht der Gallier das Gesicht zu höhnischem, spöttischem
Lächeln und streckt die Zunge heraus. 13. Diese Frechheit
bewegt sofort das Schamgefühl eines Römers von hoher Ab-
kunft, des Titus Manlius, tief schmerzlich, da er sieht, dass
seinem Vaterlande ein so grosser Schimpf widerfahren kann,
ohne dass ein (einziger) Rächer aus einem so grossen Heeres-
körper hervortrete. 14. Dieser, wie gesagt, tritt also vor,
weil er es nicht ertragen konnte, dass (die altbewährte)
römische Tapferkeit von einem (so übermüthigen) Gallier so
schimpflich (ihres Ruhmes) beraubt (und dem Spotte und der
Verachtung eines solchen eitlen Prahlers Preis gegeben) wer-
den sollte. Bewaffnet mit dem gewöhnlichen Schild (des
Fussvolkes) und mit einem spanischen Degen, nahm er also
IX, 13, 11. Cfr. Gell. IX, 14, 1.
IX, 13, 14. Liv. VII, 4. 5; Val. Max. IX, 3, 4; Florus I, 13, 20;
Aurel. Vict. III, 28, 3. 4; Cic. de offic. III, 31; Eutrop. II, 6, 5. 6; Non.
Marc, unter torques.
Digitized by Google
IX. Buch, 13. Cap., § 15 — 20.
gegen den Gallier Stellung. 15. Auf der Brücke fand nun
der Zusammentritt zum (Zwei-) Kampf im Angesicht beider
Heere unter bangem Erwarten statt. 16. So standen sie
kampfgerüstet da, wie ich schon oben bemerkte. Der Gallier
mit nach seiner Gewohnheit vorgestrecktem Schilde in ganz
gemächlicher Erwartung (eines Ausfalls von Seiten seines
Gegners); Manlius, mehr seinem eigenen Muthe, als seiner
Fertigkeit vertrauend , prallt mit seinem Schild gegen den
Schild des Feindes und verrückt (durch seinen ersten heftigen
Anprall) die Stellung des Galliers. 17. Darauf stellt sich der
(Riesen-) Gallier auf dieselbe Weise absichtlich wieder (ganz
unbefangen und gemächlich) auf und Manlius wiederholt (von
Neuem) den Anprall seines Schildes an des Feindes Schildr
verdrängt den Gegner abermals von seinem Platze, schlüpft
ihm dabei aber unter dem gallischen Degen durch, damit der
Gallier keinen Zug mehr bei seinem Hieb habe, (gewinnt da-
durch einen Vortheil) und durchbohrt ihm mit seiner spa-
nischen Klinge die Brust, versetzt ihm nach dem so er-
rungenen Vortheil unaufhörlich Hieb auf Hieb in die rechte
Schulter (damit der Gallier bei seinem Schwertstreich keinen
Zug mehr habe) und Hess (überhaupt) nicht eher ab ihn zu
bedrängen, bis er ihn zu Boden gestreckt. 18. Nachdem er
ihm vollends den Garaus gemacht hatte, schlug er ihm den
Kopf ab, erbeutete sich die Halskette und hängt sofort sich
dieses blutige Siegeszeichen um den Hals. 19. Daher ist er
und jeder seiner Nachkommen mit dem Beinamen Torquatus
benannt worden." 20. Nach diesem T. Manlius, von dessen
obenerwähntem Kampf Quadrigarius uns die Beschreibung ge-
liefert hatte, wurden (auch) alle harten (strengen) und grau-
samen Befehle „manlianische" genannt, weil er nachher im Kriege
gegen die Lateiner als Consul seinen eigenen, leiblichen Sohn
mit dem Beil hinrichten Hess, der, auf Kundschaft ausgeschickt,
[ungeachtet der väterlichen Verwarnung, sich in keine Unter-
nehmung einzulassen, nichts desto weniger nach Uebertretung]
des Verbotes den Feind, der ihn zum Kampfe (gereizt und)
herausgefordert, getödtet hatte.
IX, 13, 20. Cfr. Gell. I, 13, 7 imperia (Postumiana et) Manliana. S. Val.
Max. VI, 9, 1; Orosius III, 9; Florus I, 14, 2; Liv. IV, 29, G; VII, 4. 5;
Gell. I, 13, 7; XVII, 21, 17.
Digitized by Google
(30) IX. Buch, 14. Cap., § 1—5.
IX, 14, L. Dass derselbe Quadrigarius (im vorigen Abschnitt § 11) sich
richtig lateinisch ausgedrückt hat, da er im Genitiv sagte: (hujus) facies;
fernerweitige Beigabe über ähnliche Abbeugungen von Hauptwörtern (der
vierten Declination).
IX, 14. Cap. L Was nun die Ausdmcksweise in der
obigen Stelle des Quadrigarius Claudius (Gell. IX, 13, 11)
betrifft, wo es heisst: „propter magnitudinem atque immani-
tatem facies" (wegen seiner Riesengrösse und wegen der Un-
geheuerlichkeit seines Aussehens), so haben wir deshalb einige
alte Schriften nachgesehen und uns Aufklärung zu verschaffen
gesucht und endlich in Erfahrung gebracht, dass diese schrift-
lich verwerthete Form (des Genitivs facies für faciei) richtig
sei. 2. So sagte man in der guten alten Zeit fast immer
„haec facies, hujus facies'4, während man nach einer jetzt gül-
tigen Regel der Grammatik von diesem Worte (den^ Genitiv)
faciei bildet. Doch habe ich einige verdorbene Ausgaben
gefunden, worin auch „faciei" geschrieben steht, nach Tilgung
und Ausstreichung der ursprünglichen Schreibart (facies).
3. Ich erinnere mich aber auch ganz wohl in der (nach Gell.
XIX, 5, 4 im Tempel des Hercules sich befindenden) Biblio-
thek zu Tibur in demselben Werke des Claudius (an besagter
Stelle) die Genitivform doppelt hingeschrieben gefunden zu
haben, sowohl „facies'S wie „facii"; nur dass facies in der fort-
laufenden Zeile und (am Rande) gegenüber facii, mit doppel-
tem ii geschrieben stand. 4. Ich glaube sogar, dass diese
Art der Abbeugung einer altertümlichen Gewohnheit durch-
aus nicht zuwiderlaufe; denn theils sagt man von dem (be-
kannten) Wort „dies" (im Genitiv) sowohl „hujus dies", wie
„hujus dii", theils ebenso von „fames" sowohl „hujus farais", wie
„hujus fami'\ 5. Q. Ennius bediente sich der Genitivform dies
für „diei" im 16. Buche seiner Jahrbücher in folgendem Verse:
Postrema longinqua dies quod fecerit aetas
d. h. wenn das letzte Altersgeschlecht das entfernteste Ende
IX, 14, L. Genitiv. Sing, facies und facii Dat. facie und facii; cfr.
Gell. IX, 12, 17 NB.
IX, 14, 4 u. 9. Eine Ausstossung des Kennlautes e vor der Genitiv-
endung findet zuweilen in Wörtern statt, wo vor dem e noch ein i steht,
also: dii statt: diei.
Digitized by Google
IX. Buch, 14. Cap., §6—9.
des Tages erreicht hat. 6. Femer behauptet Caesellius
(V index), dass Cicero in seiner Rede, welche er für den
P. Sestius verfasst hat (c. 12, § 48). „dies" anstatt „diei"
geschrieben habe. Diese Behauptung des Caesellius fand ich
bestätigt, nachdem ich keine Mühe gespart und viele alte
Ausgaben nachgeschlagen hatte. Des Marcus Tullius (Cicero)
Worte lauten also: 7. „Equites vero daturos illius dies poenas,
d. h. die römischen Ritter aber werden Strafe für jenen Tag
büssen müssen." Daher kommt es auch, dass ich leicht der
Behauptung derer Glauben schenke, bei denen geschrieben
steht, dass sie eine Original-Handschrift Vergils eingesehen
haben wollen, wo (Georg I, 208) also geschrieben stand:
Libra dies somnique pares ubi fecerit horas, d. h.
Wenn die Waage die Stunden des Tages und des Schlafens gleich macht,
wo libra dies somnique nichts anderes heissen soll, als: libra
diei somnique. 8. So wie nun aber an dieser Stelle vom
Vergil dies offenbar für diei geschrieben steht, so ist es auch
ausser allem Zweifel, dass derselbe Dichter (Aen. I, 636) in
jenem andern Verse dafür dii geschrieben hat, wo es heisst:
(Dido sendet den Genossen des Aeneas 20 Stiere) „munera
laetitiamque dii, d. h. zur Gabe und Freude des Tages"; an
welcher Stelle Unwissende, denen die Ungewohnheit dieser
Ausdrucksweise gar nicht zusagt, dei (für dii) lesen wollen.
9. So aber wurde dies (im Genitiv) von den Alten in dii ab-
gebeugt, wie fames (Hunger) in fami, pernicies (Verderben)
IX, 14, 6. Caesellius vielleicht in commentariis lectionum antiquarum
s. Teuffels röm. Lit. Gesch. 338, 4.
IX, 14, 6 Von „dies" hatte der vollständige Genitiv: dieis, davon
konnte man die Form in dies zusammenziehen, wie Gellius „dies" hier durch
das Beispiel bei Cicero pro Sestio bestätigt. Cfr. Gell. V, 12, 5, wo in
Diespiter (Licht -Vater, Gott) dies auch der Genitiv zu sein scheint. Die
gewöhnliche Form „diei" rückt den Ton und lässt das s fallen. Um aber
den Ton zu halten, kürzen die Römer fidei, aber die vielen Vocale in diei
schmolzen zusammen in dii oder die, dem dann auch fidi oder fide nach-
gebildet werden konnte. Daher bei Gellius: facii, progenii, fami, luxurii,
pernicii und das § 8 in der vergilischen Stelle vorkommende dii durch
diei Bich erklärt findet Für diese Annahme spricht auch tribunus plebi
(= plebei für plebis). Denn dass es nicht Dativ ist, dafür liefert uns
tribunus militum und plebiscitum den Beweis. § 25 erklärt sich Caesar
für die (= dii).
Digitized by Google
(32)
IX. Buch, 14. Cap., §9 — 20.
in pernicii, progenies (Nachkommenschaft) in progenii, luxuries
(Verschwendung) in luxurii, acies (Schlachtreihe) in acii. 10.
Denn M. Cato schreibt in seiner Rede, welche er über den
carthagischen Krieg verfasste, also: „Kinder (Knaben) und
Weiber wurden ausgewiesen (weggejagt) im Falle einer Hungers-
noth (fami causa)". 11. Lucilius im 12. Buche: ,.rugosum
atque fami plenum, d. h. runzelig und von Hunger erfüllt".
12. Sisenna im 6. Buche seiner Geschichten: „Die Römer
seien gekommen, Verderben zu bringen (inferendae pernicii
causa)". 13. Pacuvius in seinem Paulus: „Du höchster Ahn
des Vaters unseres Stammes (nostrae progenii)." 14. Cn.
Matius im 21. Buche seiner Iliade: „Der andere Theil der
Schlachtreihe (acii) hatte die Wellen des Flusses vermieden."
15. Derselbe Matius im 13. Buche: „Ob wohl im Tode noch
bleibt ein Schein von Gestalt (specii simulacrum) derer, die
nicht mehr sprechen." 16. G. Gracchus „über Bekannt-
machung von Gesetzbestimmungen" sagt: „Man behauptet,
dass diese Einrichtungen der Verschwendung wegen (luxurii
causa) getroffen werden" ; 17. und ebendaselbst steht weiter
unten: „Das ist durchaus kein Zeichen von Ausschweifung (non
est ea luxuries, quae), sich das anzuschaffen, was zum Leben
nöthig ist." 18. Daher kann man ganz deutlich ersehen, dass
er von „luxuries" im Genitiv „luxurii" sagte. 19. Auch Marcus
Tullius hat uns ein schriftliches Beispiel des Genitivs „pernicii"
hinterlassen in seiner Verteidigungsrede, die er für Sext.
Roscius hielt (cap. 45, § 131). Die betreffenden Worte lauten:
„Wovon wir nichts der göttlichen Absicht unseres Verderbens
halber (pernicii causa, d. h. uns zu verderben), sondern Alles
der Gewalt und Macht des Weltlaufes (oder der Ereignisse)
zuschreiben zu müssen glauben." 20. Man muss also un-
IX, 14, 12. Luc. Cornelius Sisenna, geb. 120 v.Chr., starb auf
Creta als Legat des Pompejus 67 v. Chr. Erwarb sich einen Namen als
Verfasser römischer Annalen, schrieb auch, wie es scheint, Erklärungen
zu Comödien des Plautus und übersetzte wahrscheinlich die milesischen
Geschichten des Aristides aus dem Griechischen ins Lateinische. Von.
Cicero höchst anerkennend erwähnt (Brut. 64. 74). Vergl. ßernh. R L.
41, 158.
IX, 14, 14. S. Teuffels röm. Lit. 148, 4 über Cn. Matius und Gell.
Vn (VI), 6, 5.
Digitized by
IX. Buch, 14. Cap., § 20-26. -15. Cap., § 1—4. (33)
bedingt annehmen, dass (hier bei Gellius IX, 13, 11) Quadri-
garius im Genitiv entweder „facies*' oder „facii" geschrieben
habe; die Form „facieu habe ich aber in keinem alten Schrift-
werke vorgefunden. 21. Im Dativ aber haben Alle, die sich
einer ganz reinen Ausdrucksweise betieissigten, nicht „faciei",
wie wir jetzt zu sprechen gewohnt sind, sondern (stets) facie
gesagt. 22. So Lucilius in seinen Satiren:
„Zuerst, weil es einem ehrlichen Gesicht ansteht (facie honestae)."
23. Derselbe Lucilius in seinem 7. Buche:
Wer Dich liebt, der muss auch Deinem Gesichte (facie tuae) Bewunderung
Zollen und Deiner Gestalt, als Freund Dir zu dienen versprechen.
24. Doch giebt es nicht Wenige, die an beiden Stellen „facii"
lesen. 25. Allein C. Caesar ist im 2. Buche seines Werkes
„über die Analogie" der Ansicht man müsse (im Genitiv)
hujus die und hujus specie sagen. 26. Ich habe auch in
Sallust's Jugurtha (97, 3) in einer Ausgabe von grösster Glaub-
würdigkeit und ehrwürdigem Alter diese (contrahirte) Genitiv-
form „dieu geschrieben gefunden. Die Worte sind* folgende:
„Als kaum der zehnte Theil des Tages noch übrig war (de-
cima parte die reliqua)". Denn nach meiner Meinung ist die
feine Spitzfindelei (als Ausweg) doch wohl nicht gut zu heissen,
dass man sich mit der Annahme zu helfen sucht, als sei „die"
(der Ablativ, im Sinne) für „ex die" (vom Tage) gesagt.
IX, 15, L. Ueber die Gattung von Streitpunkten, welche auf Griechisch
anoQOv (unerklärbar) genannt wird.
IX, 15. Cap. 1. Ich begab mich mit dem Rhetor Antonius
Julianus nach Neapel, weil wir während der Zeit der Ernte
in den Herbstferien der Stadt-Gluth ausweichen wollten. 2.
Daselbst befand sich auch damals ein sehr reicher junger
Mensch, der unter Anleitung seiner Lehrer in der lateinischen
und griechischen Sprache sich fleissig übte und besonders in
der lateinischen Beredtsamkeit sich Fertigkeit anzueignen
suchte, um später zu Rom selbst Rechtssachen verhandeln zu
können. Dieser ersuchte den Julian, er möchte doch einmal
einen seiner Vorträge mit anhören. 3. Um nun einem solchen
Vortrage beizuwohnen, macht sich also Julian (eines Tages)
auf den Weg und wir machen uns zugleich auch mit ihm
auf den Weg. 4. Der junge Mensch beginnt seinen Vortrag
Gellius, Attische Nächte. II. 3
Digitized by
(34)
IX. Buch, 15. Cap., § 4—10.
und spricht gleich anfangs in anmassenderem und über-
müthigerem Tone, als es sich für sein Alter ziemte, und
nachher verlangte er, dass man ihm Streitfragen vorlege.
5. Es befand sich daselbst aber mit uns auch ein eifriger
Anhänger (und Verehrer) des Julian, ein lebhafter, einsichts-
voller Jüngling, der sich schon dadurch unangenehm berührt
fühlte, dass Jener die Frechheit besass, in seiner Voreiligkeit
darauf zu bestehen, einen Vortrag aus dem Stegreife zu hal-
ten und sich in Gegenwart (des weisen) Julians eine Heraus-
forderung zum Wettkampf zu erlauben. 6. Versuchsweise
stellte er also einen wenig stichhaltigen Streitpunkt auf, der-
gleichen die Griechen mit dem Worte anoqov (unerklärbar,
unauflösbar) bezeichnen ; ein Wrort das sich lateinisch ziemlich
ganz treffend durch das Wort „inexplicabile" (unauflösbar)
wiedergeben lässt. 7. Die Streitfrage war also folgender Art :
Sieben Richter sollen über einen Angeklagten ihr Eikenntniss
abgeben und nach (gemeinschaftlichem) Beschluss sollte die
Stimmenmehrheit bei dem Urtheilsspruch entscheidend sein.
Als alle sieben Richter ihr Erkenntniss abgegeben hatten,
stellte sich heraus, dass der Angeklagte nach dem Beschluss
von Zweien (seine Schuld) mit Landesverweisung büssen sollte,
nach zwei Andern durch Geld, nach Beschluss der drei Uebrigen
sollte er mit dem Tode bestraft werden. 8. Nach dem Urtheil
dieser drei letzteren Richter wird er zum Tode verdammt
und er erhebt nun dagegen Einspruch. 9. Als jener (dünkel-
hafte Mensch) diese Streitfrage vernommen, fällt es ihm weder
ein, dieselbe genügend zu erwägen, noch auch erst abzuwarten,
ob nicht noch andere Fragen aufgeworfen werden, sondern
macht sich sofort daran, mit erstaunlich autfallender Schnellig-
keit bezüglich der erwähnten Streitfrage allerhand unbegreif-
liche Grundsätze herzuplappern, einen Wust von Phrasen und
Wrörterkram zu entrollen und eine Masse Redensarten los-
zulassen, wobei alle Uebrigen aus seiner gewöhnlichen Zu-
hörer-Rotte (darüber) durch lauten Beifall ihr höchstes Ent-
zücken zu erkennen gaben, Julianus aber in dieser argen und
misslichen Lage vor Schaam erröthete und ihm (aus Verlegen-
heit) der (Angst-) Sch weiss ausbrach. 10. Als der Mensch
nun noch viel tausenderlei Krimskrams durcheinander her-
geplärrt und endlich einmal zum Schluss kam, fanden wir
Digitized by
IX. Buch, 15. Cap., § 10. 11. — 16. Cap., § 1-5. (35)
•
schickliche Gelegenheit uns zu entfernen. Julians Freunde
und Verehrer, die ihm das Geleite gaben, suchten nun von
ihm herauszubringen, was wohl seine Meinung (über diesen
Menschen) sei. 11. Da nun gab Julian die höchst witzige
Antwort: „Fragt mich nicht (erst) nach meiner Meinung:
dieser junge Mann ist unstreitig (sine controversia) der ge-
wandteste (und schlagfertigste) Redner.
IX, 16, L. Dass dem höchst gelehrten Plinius Secundus ein Fehler entging
und verborgen blieb in der Beweisführung, welche die Griechen mit dem
Ausdruck avTtaT(>((f>ov (zurückbezügliche Schlussart) bezeichnen.
IX, 16. Cap. 1. Plinius Secundus wurde für den ge-
lehrtesten Mann seines Zeitalters gehalten. 2. Dieser hinter-
liess ein Werk-, überschrieben „für Redekunstbeflissene (oder
für Redner)", welches wahrlich die höchste Anerkennung ver-
dient. 3. In diesem Werke finden sich viele und mannigfaltige
Bemerkungen, die sehr geeignet sind, das Ohr Gebildeter zu
erfreuen und ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. 4. Darin theilt
er sehr viele sinnreiche und witzige Gedankenformeln mit,
von denen er glaubt, dass man sie beim Vortrag von Streit-
sätzen (und Rechtsfällen) verwerthen könne. 5. So führt er
bei dieser Gelegenheit auch folgenden (charakteristisch) be-
zeichnenden Fall aus einem derartigen Streitsatz an. „Ein
tapferer Held soll (gesetzlichermassen) stets mit dem Preise
beschenkt werden, den er sich (selbst) gewünscht hat. Einer
(nun), der also eine tapfere That vollbracht hatte, fordert
(auf eine so vollbrachte That hin) die Gattin eines Andern
zur Ehefrau und empfängt sie also auch. Darauf vollzieht
nun aber der, dessen Ehefrau sie (zuvor) war, auch eine
Heldenthat; deshalb verlangt dieser nun (ebenfalls auch nach
demselben Buchstaben dieses Gesetzes und Anrechtes) seine
IX, 15 11. sine controversia, d. h. wenn er keinen Gegner findet und
ihm Keiner widerspricht
IX, 16, L. Cfr. Gell. V, 10, L. wtorQfyov, ein Fehler in der Be-
weisführung, wo man den Beweis umkehren kann. Studentisch Retour-
Kuteche.
IX, 16, 1. Ueber Plinius d. Aelt. s. Teuffels röm. Lit. Gesch. 307.
IX, 16, 2. Plinii Secundi „studiosorum" libri, handelten über die
Ansprüche an einen vollkommenen Redner, oder überhaupt über Bildung
des Redners.
3*
Digitized by Google
(36) Buch, 16. Cap., § 5—7.
(eigene) Frau wieder zurück: also wird (von ihm) Einspruch
erhoben und die Sache kommt zum Austrag." 6. Nach der
Ansicht des Plinius wird von Seiten des früheren, nun auch
tapfer gewesenen Ehemannes, welcher verlangt, dass ihm seine
Frau zurückgegeben werden solle, folgender feine und beifalls-
werthe Einwand vorgebracht: „Hat das (besagte) Gesetz
Deinen Beifall, so gieb sie mir wieder, lieber Richter, (eben
weil ich eine tapfere That vollbracht habe); missbilligst Du
(überhaupt) aber das Gesetz, nun so versteht es sich erst
recht von selbst, dass Du sie mir wiedergiebst." 7. Allein
Plinius hat hierbei vergessen, dass dieser Beweissatz, den er
für so überaus geistreich hielt, nicht frei von jenem Form-
fehler ist, der im Griechischen mit dem Ausdruck avziOTQtcpov
(zurückbezüglich) genannt wird. Denn der (dem Gesetze vor-
zuwerfende) Fehler ist sehr trügerisch und hält sich nur unter
einem falschen Schein von Lob verborgen; denn ganz ebenso
lässt sich dieser Trugschluss von seinem Gegner gegen ihn
verwerthen, es braucht nur von Jenem, der zuerst die tapfere
That vollbrachte, beiläufig so entgegnet zu werden : „Wenn das
Gesetz genehm ist, so brauche ich Dir Deine Frau nicht zu-
rückzugeben; findet das Gesetz aber Missbilligung, nun so
brauche ich sie Dir auch nicht zurückzugeben/ (Allein
darauf ist nun ganz einfach zu erwiedern : Dann hätte sie Dir
aber auch gar nicht zugesprochen werden dürfen.)
Digitized by Geoglt'
X. BUCH.
X, (,L. Ob es heissen müsse „tertium consul oder tertio"; und auf welche
Weise nach Cicero's Rath Cn. Pompejus den fraglichen Zweifel in der
Wahl der richtigen Form umging, als er bei der bevorstehenden Einweihung
des Theaters, an diesem Gebäude seine Amtswürden (inschriftlich) anbringen
zu lassen beabsichtigte.
X, 1. Cap. 1. Einem meiner Freunde schickte ich von
Athen nach Rom einen Brief, 2. worin ich ihn benachrichtigte,
dass ich ihm nun schon „zum drittenmale" geschrieben (wobei
ich den Ausdruck „tertium" gebraucht hatte). 3. Dieser bat
mich nun in seiner Rückantwort, dass ich ihm doch den
Grund angeben möchte, warum ich das „zum drittenmale"
mit „tertium" ausgedrückt und nicht (vielmehr) „tertio" ge-
schrieben hcätte. Er fügte noch bei, dass ich ihm auch Mit-
theilung machen möchte, ob, wenn man angeben wollte, zum
wievieltenmale Jemand mit dem Consulat betraut gewesen
sei, z. B. zum dritten- oder zum viertenmale, es dann heissen
müsse: „tertium consul und quartum, oder tertio und quarto"
(und ihm Aufklärung gern erwünscht sein würde), weil er zu
Rom einen gelehrten Mann die Form: „tertio und quarto
consul", nicht aber: tertium und quartum habe sagen hören;
überdies auch nicht nur Coelius (Antipater) in seinem Buch-
Anfange (ebenso) geschrieben, sondern auch Quintus Claudius
(Quadrigarius) im 19. Buche sich dieser Ausdrucksweise be-
X, 1, 3. L. Coelius Antipater, römischer Redner und Geschichts-
schreiber, („über den punischen Krieg" Cic. Brut 26, 102; legg. 1, 2, 6;
de orat. 2, 12, 54; orat. 69, 230; Val. Max. 1, 7, 6; Fest. p. 352, 11.
Müll.) Zeitgenosse der Gracchen.
X, 1, 3. S. Fest. S. 364*.
(38) X. Buch, 1. Cap., § 3—6.
dient habe und gesagt, dass C. Marius zum siebentenmale
(septimo) zum Consul erwählt worden sei. 4. Als Rück-
antwort schrieb ich ihm nichts weiter, als eine darauf be-
zügliche Stelle des M. Varro, eines Mannes, der nach meiner
Meinung (massgebender und) gelehrter ist, als Claudius mit-
sammt dem Coelius, in welcher Stelle der Streit entschieden
wird über beide Ausdrucksweisen, worüber er seine schrift-
liche Frage an mich gerichtet hatte: denn ich müsse mich
auf diese alleinige Antwort beschränken, 5. weil theils Varro
ganz klar und deutlich angegeben, wie es richtig heissen
müsse, theils weil ich nicht die Absicht habe, in meiner Ab-
wesenheit mich auf Entscheidung einer Streitfrage (vielleicht)
gegen einen Mann einzulassen, der (von ihm) für gelehrt be-
zeichnet würde. 6. Die Stelle des M. Varro ist aus dem
5. Buche seiner „disciplinae (wissenschaftliche Winke, einer
encyclopädischen Darstellung aller Wissenschaften)" und lautet :
„Eine andere Bedeutung hat die Redensart : quarto praetorem
fieri und quartum, weil „quarto1' die (wievielteste) Stelle anzeigt
und denjenigen bezeichnet, der in der Reihe der Gewählten
der vierte ist, nachdem schon drei Andere vorher ernannt
sind ; „quartum" aber den Zeitbegriff einschliesst mit der Be-
deutung: zum viertenmale Consul, nachdem er es schon drei-
mal gewesen war. Ennius that also ganz recht daran, als er
schrieb: „„Quintus der Vater wird Consul zum viertenmale
(quartum)" u, und Pompejus offenbart nur seine Bedenklichkeit,
X, 1, 6. Theatrum (im eigentlichen Sinne von #««o(ufa, sehen, be-
trachten), Schauplatz, d. h. Platz für die Zuschauer, bei den Griechen ro
xo/Aor, bei den Römern eigentlich cavea genannt. Die dramatischen Spiele
wurden von den Etruskern entlehnt, daher man die Schauspieler (ludiones)
von dem tuskischen Wort hister (i. e. ludio) histriones nannte. Die
Theile des Theaters, für die Schauspieler bestimmt, hiessen: 1) Seena
(oxrjvrj), Schaubühne, Platz mit den Decorationen, wo die Vorstellungen
gegeben wurden; 2) postscenium, Ort wo sich die Schauspieler aus- und
ankleideten und wo alles vorgenommen wurde, was schicklicher Weise
vor den Zuschauern verborgen blieb; 3) proscenium, der Ort vor der
Scene, wo die Schauspieler erschienen und agirten ; 4) pulpitum (Xoyetor),
wo sie ihre Rollen hersagten und 5) Orchestra, bei den Griechen der Ort,
wo sie tanzten (von d^ficrfo«, tanzen), wo sich auch der Chorus befand.
Aber bei den Römern war es der Ort, wo die Senatoren und andere vor-
nehme Personen sassen.
Digitized by Google
X. Buch, 1. Cap., § 6. 7.
(39)
als er am (neuen) Theatergebäude, damit er überhaupt
nicht consul tertium oder tertio zu sehreiben brauchte, die
letzten Buchstaben (zur Angabe seines dritten Consulats) nicht
ausschreiben Hess." 7. Diesen Fall, welchen uns Varro über
den Pompejus in Kürze und etwas dunkel mittheilt, hat Tiro
Tullius, Cicero's Freigelassener, ausführlicher in einem be-
kannten Briefe ohngefähr folgendermassen schriftlich berührt,
wo es heisst: „Als Pompejus den Tempel der Victoria
einzuweihen im Begriff stand, dessen Stufen zugleich als
Theatersitzplätze dienten, und sein Name und seine Ehren-
ämter daran angegeben werden sollten, wurde die Frage auf-
geworfen, ob es in der Ueberschrift heissen müsse: consul
tertio oder tertium. Dieses Bedenken legte Pompejus den
gelehrtesten Männern in der Stadt (Rom) zur sorgfältigen
Beurtheilung vor und als auch bei ihnen die verschiedensten
Ansichten obwalteten und ein Theil behauptete, es müsse
tertio geschrieben werden, andere wieder: tertium, wendete
Pompejus, erzählt Tiro weiter, sich deshalb befragend an den
Cicero, dass dieser entscheiden und anschreiben lassen möchte,
was ihm das Richtigere scheinen würde ; Cicero habe darauf
aber Bedenken getragen ein endgültiges Urtheil über die
(verschiedenen) Gutachten der gelehrten Männer abzugeben,
damit, wenn er die Ansicht der einen Partei nicht als voll-
gültig anerkannt hätte, es nicht etwa scheinen möchte, als
habe er diese (Gelehrten) selbst (dadurch) nicht als vollgültig
anerkennen wollen. Er ertheilte also, heisst es in Tiros Briefe
weiter, dem Pompejus den Rath, er möge weder tertium, noch
tertio anschreiben, sondern von dem Worte nur die (vier)
ersten Buchstaben bis zum zweiten t (also nur tert.) hinsetzen
lassen, so dass, wenn das Wort auch nicht ganz ausgeschrieben
sei, die Hauptsache zwar näher angegeben würde, jedoch das
(Schwankende und) Zweifelhafte bei der Ausdrucksweise in
X, 1, 7. Das ganz von Steinen erbaute Theater fasste 40,000 Zu-
schauer und wurde von Pompejus aufgeführt, als er aus dem mithri-
datischen Krieg zurückkehrte. Eine ausführliche Erzählung über die
Schicksale dieses Gebäudes findet sich in Adlers Beschreibung der Stadt
Rom. S. 109. S. Plutarch: Pompejus 40, 52; Dio Cass. 39, 38; Cic.
Farn. 7, 1, 3; oflic. 2, 16, 57; Ascon. p. 1. 2. 15; Plin. 8, 7, 7, 20 f.;
vergl. Vellej. 2, 48; Tacit. Ann. 14, 20.
Digitized by Google
(40) X. Buch, 1. Cap., § 8— 11. — 2. Cap., § 1. 2.
dieser Wortform verdeckt bleiben sollte." 8. Die Mittheilung
(dieser Beiden), sowohl des Varro, wie des Tiro ist nicht mehr
zutreffend, denn die (erste, alte) Inschrift ist jetzt nicht mehr
da. 9. Als nämlich viele Jahre nachher dieser Schauplatz
(scaena), nach seinem Verfall neu hergestellt worden war,
wurde die Zahlenangabe des dritten Consulats nicht, wie an-
fänglich, mit den ersten vier Buchstaben, sondern nur durch
Einmeisselung von drei (einfachen) Strichelchen (III, d. h.
durch eine römische Drei) bezeichnet. 10. Im 4. Buche von
M. Catos „Urgeschichte" findet sich die (richtige) Form voll-
ständig ausgeschrieben vor, da heisst es: „Die Carthager
wurden (hernach 18 Jahre nach dem 24jährigen Kriege) zum
sechstenmale (sextum) dem geschlossenen Vertrage untreu."
Dieser Ausdruck („sextum") bedeutet: schon fünfmal hatten
sie dem Bündniss zuwidergehandelt und darauf nun zum
sechstenmale. 11. Auch die Griechen, um eine derartige be-
stimmte Zahl von Zeitbegebenheiten und Vorfällen näher zu
bezeichnen, gebrauchen, übereinstimmend mit unserer latei-
nischen Ausdrucksweise tertium und quartum, gerade so die
Wörter: tqitov und xkagfcov (zum dritten- und zum vierten -
male).
X, 2, L. Ucberlicferter Bericht des Aristoteles über eine (höchstmögliche)
Kinderzahl bei einer Niederkunft.
X, 2. Cap. L Der Philosoph Aristoteles hat berichtet,
dass eine Frau in Aegypten bei einer und derselben Nieder-
kunft mit fünf Knaben entbunden worden sei und er fü£t
hinzu, dass dies das höchste Beispiel von einer so reich-
gesegneten menschlichen Fruchtbarkeit und ihm nie bekannt
geworden, dass (von einer Frau) auf einmal noch mehr Kinder
geboren wurden, sagt jedoch, dass diese (erwähnte) Zahl nur
höchst selten vorkommen soll. 2. Dass aber auch unter der
Regierung des göttlichen Augustus eine Magd dieses Kaisers
auf dem Lande zu Laurentum (in Latium) fünf Knaben zur
Welt gebracht, erfahren wir von den Geschichtsschreibern
X, 1, 9. Nach Tac. Annal. III, 72 war das Theater abgebrannt, cfr.
Sen. ad Marc. 22; Suet. Tib. 47; Calig. 2: Claud. 21; Vitra*. Y, 7. 8.
X, 2, 1. S. Plin. TO, 3.
X, 2, 2. Plin. Epist. II, 17, init.
X. Buch, 2. Cap., §2.-8. Cap., § 1—8.
(41)
seiner Zeit, dass aber diese Kinder nur wenige Tage am
Leben geblieben, und auch die Mutter derselben bald nach
ihrer Niederkunft gestorben, und ihr auf Befehl des Augustus
an der Strasse nach Laurent ein Denkmal errichtet worden
sei, worauf die von uns angeführte Zahl der (fünf) zugleich
gebornen Kinder angegeben war.
X, 3, L. Angestellter Vergleich und Zusammenstellung einiger merkwürdiger
Stellen aus den Reden des G. Gracchus, des M. Cicero und des M. Cato.
X, 3. Cap. 1. G. Gracchus wird allgemein für einen ge-
waltigen und hinreissenden Redner gehalten. Kein Mensch
leugnet diese Behauptung. Allein, dass er Einigen scheint
ernster, scharfsinniger und schlagfertiger, glänzender und
würdevoller zu sein als M. Cicero, wer könnte das iso ruhig)
zugeben? 2. Wir lasen neulich die Rede des Gracchus über
die „Bekanntmachung von Gesetzbestimmungen", worin er
mit allem ihm zu Gebote stehenden Unwillen sich beklagt,
dass M. Marius und einige andere ehrbare Männer aus den
. Munizipal -Städten Italiens (auf Befehl) von den obern Be-
hörden des römischen Volkes ungerechter Weise mit .Ruthen
gegeisselt worden seien. 3. Die von ihm darüber gesprochenen
Worte lauten: „Neulich kommt der Consul nach der Stadt
der Sidicinier Teanura (in Campanien); er Hess bekannt
machen, dass seine Frau sich im Männerbad baden wolle.
Dem betreffenden sidicinischen Schatzmeister wird durch
den (edlen) M. Marius der Auftrag ertheilt, alle aus dem
Bade herausjagen zu lassen, die sich gerade badeten. Diese
Frau [des Consuls] meldet (nachträglich) ihrem Manne, dass
das Bad ihr eben nicht sonderlich schnell überlassen worden
und eben auch nicht sonderlich sauber gewesen sei. Deshalb
wurde (nach des Consuls Befehl) auf dem Markte ein Pfahl
X, 3, 1 Ueber G. Gracchus vergl. Berah. R. L. 40, 153 u. 115, 536;
Teuffels röm. Lit. 140, 4.
X, 3, 2. Im 1. Band der Geschichte des Julius Caesar von Napoleon
wird der Vermuthung Raum gegeben, dass diese zwei Stellen aus der Rede
des G. Gracchus vielmehr wohl dem Tiberius Gracchus zuzuschreiben sein
müssten.
X, 3, 3. M. Marius Egnatius wurde zur Zeit des G. Gracchus von
einem römischen Consul im Uebermuth gemisshandelt. Vergl. Lange röm.
Alterth. § 138 S. 41.
X. Buch, 3. Cap., §3 — 5.
aufgepflanzt, dahin wurde M. Marius, der angesehenste und
achtbarste Bürger seiner Stadt (welcher die Verordnung dem
Quaestor zu übermitteln gehabt hatte) herzugeholt. Die Kleider
wurden ihm ausgezogen, er (der Schuldlose) wurde mit Ruthen
gepeitscht. Als die Einwohner von Calenum (einer Stadt in
Campanien) dies hörten, machten sie einen Beschluss bekannt,
es möchte Niemand sich einfallen lassen, während der An-
wesenheit eines römischen Magistrats in den Bädern zu baden.
Aus derselben Ursache gab zu Ferentum (einer Stadt im Gebiete
der Herniker) unser Praetor den Befehl, die (beiden) Schatz-
• meister ohne Weiteres aufzugreifen ; der Eine nun stürzte sich
(aus Furcht vor der Strafe) von der Mauer herab (und gab sich
so gleich lieber selbst den Tod), der Andere wurde ergriffen
und mit Ruthen gepeitscht." 4. Bei einer so grausamen That
und bei einem so mitleidsvollen und beklagenswerthen Nach-
weis von einer solchen öffentlichen Ungerechtigkeit, hätte
er sich da wohl entweder klarer und bezeichnender, oder
rührender und mitleidsvoller, oder mit mehr und grösserer
Missbilligung und Entrüstung, heftiger und mit ergreifenderem
Schmerzensgefühle ausdrücken können? Wahrlich die Kürze,
der Zauber, die Reinheit und Einfachheit in seiner Sprache
ist hier eine derartige, wie man sie (höchstens nur noch) bei
feierlichen Muster-Aufführungen von dichterischen Kunstwerken
zu hören gewohnt ist. 5. So sagt Gracchus weiter noch an
einer andern Stelle: „Wie weit der Muthwille und wie weit
die Zügellosigkeit unserer jetzigen Jugend geht, will ich (euch)
noch durch ein (anderweitiges) Beispiel darthun: Vor einigen
Jahren wurde ein noch junger Mensch als Gesandter von
[Rom nach] Asien abgeschickt, welcher derzeit noch kein
obrigkeitliches Amt bekleidet hatte. Dieser wurde eben in
einer Sänfte getragen. Da kommt ein Ochsentreiber (des-
selben Weges), ein Venusianer aus niederem Stande eben an
ihm vorbei und da dieser nicht wusste, wer in der Sänfte
getragen wurde, fragte er scherzweise, ob man da wohl einen
Todten forttrüge. Wie dies der junge Mann in der Sänfte
hört, lässt er anhalten und giebt sofort Befehl, den Vorlauten
X, 3, 5. Venusia, alte samnitische Stadt in Apulien und Geburtsort
des Dichters Horaz.
Digitized by Google
X. Buch, 3. Cap., §5 — 12.
so lange mit den an der Sänfte befestigten (Trag-) Riemen
zu züchtigen, bis dass er den Geist aushauchte." 6. Zwar
hat dieser Vortrag über eine so gewaltthätige und grausame
Handlungsweise allerdings nichts Abweichendes von den Re-
den, die man alle Tage hören kann. 7. Aber etwas ganz
anderes ist es, wenn in ähnlicher Angelegenheit bei M. Cicero
unschuldige römische Bürger gegen alles Recht und Gesetz
mit Ruthen gepeitscht werden, oder durch die ärgste Marter
den Tod erleiden müssen; wie ergreifend wirkt da die Schil-
derung? wie rührend ist der Ausdruck? welche klare Ver-
anschaulichung des Thatbestandes ? Wie hört man da die
Heftigkeit der Entrüstung und Bitterkeit heraufbrausen?
8. Wenn ich jene bekannte Stelle des M. Cicero lese, so wird
wahrhaftig meine Seele ganz erfüllt von dem Schauderbild
und von den schallenden Schlägen und von dem lauten Ge-
klage und von dem Gewimmer. 9. So lautet beispielsweise
die lebhafte Schilderung der Grausamkeit des C. Verres bei
Cicero (Verr. V, 62, 161), dessen Wortlaut, wie es für jetzt
möglich, ich, soweit mein Gedächtniss ausreicht, folgen lassen
will: „Er selbst, entflammt von Bosheit und Wuth, kommt
nach dem Forum. Es glühten ihm die Augen, aus seinem
ganzen Gesicht blickt die Grausamkeit hervor. Alle waren
voll Erwartung, wie weit er zuletzt wohl gehen, was er be-
ginnen würde, als er plötzlich befiehlt, den Menschen herbei-
zuschleppen und mitten auf dem Forum zu entkleiden, ihn
anzubinden und die Ruthen herbeizuholen." 10. Bei Gott!
ganz allein schon die (einfachen) Worte : „er befiehlt (ihn) zu
entkleiden, ihn anzubinden und die Ruthen herbeizuholen",
erfüllen die Seele so sehr mit Schauder und Schreck, dass
(von ihm durchaus) nicht erst braucht erzählt zu werden,
was weiter geschah, sondern dass man die Thatsache selbst
so schon ganz vor sich gehen sieht. 11. Allein unser Gracchus
spricht nicht wie Einer, der Beschwerde führt, noch zu Thrä-
nen rühren, sondern wie Einer, der Bericht erstatten will
(wenn er sagt:), „ein Pfahl wurde auf dem Forum aufgepflanzt,
die Kleider wurden ihm ausgezogen, er wurde mit Ruthen
gepeitscht." 12. Hingegen setzt M. Cicero der grösseren
Deutlichkeit halber nicht das Perfectum „caesus est" (es ist
gepeitscht worden), sondern das Imperfectum „caedebatur"
Digitized by Google
(44) X. Buch, 3. Cap., § 12. 13.
mit Beziehung auf die lange Dauer (der Geiselung) und sagt:
„Man geiselte mitten auf dem Markte zu Messana einen römi-
schen Bürger mit Ruthen, ohne dass während dieser Zeit von
dem Unglücklichen auch nur ein Seufzer, oder ein anderer
(Klage-) Laut unter dem Schmerz und dem Klatschen der
Geisel-Hiebe gehört wurde, als nur die wenigen Worte: ich
bin ein römischer Bürger! Durch diese Berufung auf sein
Bürgerrecht glaubte er alle Schläge von sich abweisen und
alle Martern von seinem Körper abwehren zu können." 13.
Darauf facht er angelegentlich scharf und glühend den lauten
Tadel über solch eine gefühllose Handlungsweise und den
Hass gegen den Verres und endlich seine Verwünschungen
von Seiten der römischen Bürger an, wenn er weiter ausruft :
„0 süsser Name der Freiheit! o unvergleichliches Recht un-
seres Bürgerstaates ! o porcisches Gesetz und ihr sem-
pronischen Gesetze! o du schwer (vermisste und lebhaft
zurück-) ersehnte und endlich dem römischen Volke (auch)
zurückgegebene Tribunenmacht! Ist es endlich so
weit mit unserem Staate gekommen, dass ein römischer Bürger
in einer Provinz des römischen Volkes, in der Stadt der Ver-
bündeten, von demjenigen, der durch die ihm vom römischen
Volke geschenkte Gunst seine Machtstäbe und seine Beile
erhalten hatte, gebunden und auf dem Forum mit Ruthen
gepeitscht weiden durfte? Wie nun erst, als man Feuer und
glühende Eisenplatten und noch andere Marterwerkzeuge
X, 3, 13. Ueber lex Porcia (die Zweite) s. Lange röm. Alterth.
§ 126 p. (480) 521; cfr. Cic. Verr. 5, 63, 163; Rab. perd. 4, 12. Ueber
lexSempronia cfr. Cic. Rab. perd. 4, 10; Cat 4, 5, 10; Cic. Cluent.
55, 151; Verr. 5, 63, 163. Plut. G. Gr. 4; cfr. Cic. Cat. 1, 11, 28; Lange
röm. Alterth. § 126 p. (482) 523.
X, 3, 13. Das porcische Gesetz, dessen Urheber wahrscheinlich
nicht M. Porcius Cato Censorius war, sondern der Volkstribun des Jahres
556 Porcius Laeca. Dieses Gesetz verbot entehrende Strafen für römische
Bürger; ferner, dass Keiner einen römischen Bürger ohne Befehl des
römischen Volkes fesseln, geisein, oder tödten sollte. — Das sempro-
nische Gesetz des Gracchus untersagte, dass ein römischer Bürger ohne
Befehl des römischen Volkes getödtet wurde. Cicero redet von sem-
proniBchen Gesetzen, weil diese alle die Erhaltung der Freiheit bezweckten.
Pompejus hatte erst die den Tribunen durch Sulla entrissene Gewalt
wiederverschafft.
Digitized by Google
X. Buch, 3. Cap., § 13—17. (45)
herbeischleppte? Wenn Dich da das herzzerschneidende Flehen,
die jamme/nde Stimme jenes (Unglücklichen) nicht milder
stimmte, (warum) wurdest Du (wenigstens) nicht einmal durch
die Thränen, durch die lauten Seufzer der damals anwesenden
römischen Bürger gerührt ? " 14. All seinen Unmuth, Strenge,
überströmende und harmonische Beredtsamkeit legt M. Tullius
in diese herzzerreissende Schilderung. 15. Sollte es doch nun
aber noch Einen geben, der von so ungebildetem Ohr, so
unempfindlich für das Schöne ist, und den dieser Glanz und
diese Lieblichkeit der Ausdrucksweise, diese abgemessene An-
ordnung der Worte nicht so recht sonderlich anzieht, der aber
der ersteren Rede (des Gracchus) den Vorzug nur deshalb
giebt, weil sie zwar schlicht und kurz und leicht, aber nicht
ohne eine gewisse angeborne Anmuth verläuft, und weil er
nun durchaus in ihr Schatten und Licht einer gleichsam ver-
staubten Classicität (Musterhaftigkeit) erkennen will: Dieser,
im Fall er nur einige Urtheilskraft besitzt, mag folgende bei
einem ähnlichen Vorfall gehaltene Rede des älteren Cato
prüfen, an dessen Kraft und Fülle Gracchus nicht hinanreicht.
16. Da wird er nun freilich erkennen, mein' ich, dass Cato
nicht zufrieden mit der Beredtsamkeit seiner Zeit gewesen
und schon damals das angestrebt habe, was nachher Cicero
in Vollendung erreichte. 17. Denn in seinem Werke, welches
den Titel führt: „über ungerechte Schläge (de falsis pugnis)"
hat er sich über den Q. (Minucius) Thermus folgendermassen
X, 3, 17. M. Acilius Glabrio erhielt den Triumph über Antiochus
und die Aetoler (cfr. Gell. VI [VII], 14, 9 NB). Um dieselbe Zeit kam
auch Q. Minucius Thermus aus Ligurien zurück und meldete, er habe das
in den rauhen Gebirgen des nordwestlichen Theils der Apenninenkette
wohnende gesammte ligurische Barbarenvolk unterworfen, und verlangte
einen Triumph. Cato sprach sich in zwei Reden mit Nachdruck gegen
das Verlangen des Minucius aus, wirft ihm Unwahrheit in seinen Be-
richten, erlogene Kämpfe vor, dann Unterschlagung und Unredlichkeit in
der Verwaltung und sagt (Gell. XIII, 25 [24], 12): „Diese (Deine) Nieder-
trächtigkeit muthest Du uns zu durch eine zweite, schlimmere zu decken?
etc." Denn durch bruttische Sklaven habe Minucius den Senatsausschuss
(Decemvirn) einer föderirten Stadt ohne Urtheil und Recht auspeitschen
und hinrichten lassen, um — wie er angegeben — sie für Untreue und
Nachlässigkeit bei Lieferung von Lebensmitteln zu bestrafen, in Wahrheit
aber nur, um in ihnen Zeugen eigener Unredlichkeit zu beseitigen. Dies
(46)
X. Buch, 3. Cap., § 17 — 19
beschwert: „Er gab vor, von den Zehnmännern sei er nicht
gehörig mit Lebensmitteln versorgt worden. Er befahl daher,
dass diesen die Kleider abgezogen und sie ausgepeitscht
würden. (Vernehmt nun das Unerhörte!) Den Senatsausschuss
(von zehn Miinnern also) prügelten die Büttel (Bruttiani), viele
Leute haben es gesehen. Wer kann einen solchen Schimpf,
einen solchen Missbrauch der Gewaltherrschaft, eine solche
Knechterei ertragen? [Gell. XIII, 25 (24), 12.] Kein König
hat so etwas zu thun gewagt: solltet ihr nun als Gutgesinnte
also gut heissen, dass Leuten von guter Gesinnung und edlem
Geschlechte entsprossen dies widerfahre(n dürfe) ? Wo bleibt
da der Bundesschutz ? Wo da das heilige Wort und die (alte)
Treue der Vorfahren? Wenn Du es wagen durftest, so auf-
fallend schreiende Ungerechtigkeiten, Streiche, Schläge, Strie-
men, Schmerzen und Schindereien in Schmach und höchstem
Schimpf im Angesicht ihrer Landsleute und vieler Volks-
genossen (mortalibus) verüben zu lassen? Ach! wie gross
war da die Trauer, wie gross der Jammer, welche Fülle von
Thränen, wie gewaltig das Schluchzen, das erfolgte, wie ich ver-
nommen habe ? Sklaven nehmen (schon) schlechte Behandlung
gewaltig übel: wie, meint ihr, muss jenen Leuten von guter
Herkunft, von grossem Verdienst (nun erst) zu Muthe gewesen
sein, und wie würde ihnen in Zukunft zu Muthe geblieben sein,
wenn sie es überlebt hätten." 18. Was Cato verstanden hat
unter den Worten „Bruttiani verberavere", damit nicht vielleicht
Einer erst lange nachzusuchen braucht über den Ausdruck:
Bruttiani, so folgt hier die Erklärung: 19. Als der Punier
Hannibal mit seinem Heere in Italien stand, und das römische
Volk in einigen Kämpfen unglücklich gekämpft hatte, gingen
zuerst von allen italischen Völkern die Bruttier zum Hannibal
über. Diese Treulosigkeit hatten die Römer sehr übel ver-
merkt, und nachdem Hannibal Italien verlassen und die Punier
hält Cato dem Thermus öffentlich vor und giebt eine ergreifende Dar-
stellung aller Vorfälle und zwar bei Gelegenheit der Verhandlungen über
Bewilligung des Triumphs, dessen Verweigerung zu erwirken seiner Be-
redtsamkeit gelang. Mit Recht erkennt Gellius an dieser Stelle etwas von
der Kunst, die Cicero bei ähnlichen Erzählungen so meisterhaft zu üben
verstand. Otto Ribbeck.
X, 3, 19. S. Paul. S. 31 — pugnam pugnare = (jkxxw ^i«/«<r*iw.
Digitized by
X. Buch, 3. Cap., § 19. — 4. Cap., §1-4.
überwunden waren, hub man die Bruttier zu ihrer Be-
schimpfung nie mehr unter die Soldaten aus, noch hielt man
sie für Bundesgenossen, sondern erliess die Verordnung, dass
sie hinfort den in die Provinz abgehenden obrigkeitlichen
Personen aufwarten und Sklavendienste (bei ihnen) verrichten
sollten. Daher folgten sie den Magistratspersonen nach,
gleichwie in den Theaterstücken die sogenannten Zucht- und
Knuten - Meister (lorarii) und mussten auf Befehl die Be-
treffenden (Verurtheilten) .in Banden legen, oder geissein;
und weil sie nun aber aus Bruttium stammten, wurden sie
(schlechtweg) Bruttiani (im Sinne von lorarii, Büttel) genannt.
X, 4, L. Höchst geistreiche Belehrung von Seiten des P. Nigidius, dass
die Wortbenennungen nicht willkürlich gemacht, sondern auf ganz
natürliche Art entstanden seien.
X, 4. Cap. 1. Dass die Benennungen und Wörter (Haupt-
und Zeitwörter) nicht durch Zufälligkeit, sondern nach einem
gewissen nothwendigen Naturgesetze entstanden seien, erfahren
wir von P. Nigidius in seinen „Bemerkungen über Grammatik",
und es bildet diese Ansicht ja einen bei philosophischen Er-
örterungen auch wahrhaftig viel besprochenen Gegenstand.
2. Es ist nämlich von den Philosophen oft die Frage auf-
geworfen worden , ob die Wortbegriffe auf natürliche Weise
oder durch willkürliche Bestimmung (q>vaet xa bv6[xaxa t)
■freoei entstanden sind. Bei dieser Veranlassung führt er viele
Beweise an, weshalb es den Anschein haben könne, dass die
Bildung der Wörter eine mehr natürliche als willkürliche ist.
Daraus will ich besonders folgenden offenbar allerliebsten und
geistvollen Beweis herausheben. 4. Es heisst da: „Wenn wir
das Wörtchen „vos (ihr)" aussprechen, bedienen wir uns einer
gewissen mit der Veranschaulichungsmachung dieses Ausdrucks
übereinstimmenden Mundbewegung und drängen allmählig den
X, 4, 1. S. Plat. Cratyl. p. 387—390.
X, 4, 3. Bei den Griechen ist diese Regel nicht zutreffend, denn bei
ihnen werden vptTs und n^tig, beide mit dem (hörbaren) Hauchanlaut
ausgesprochen. Der nicht hörbare Hauchanlaut bedeutet als Zeichen nur
den Ansatz der Stimme (Stimmansatz), der nöthig ist, um einen Vocal
(wie beim Singen einen Ton) durch Tonanschlag ohne vorhergehenden
Consonanten (anzugeben oder) auszusprechen.
Digitized by Google
(48)
X. Buch, 4. Cap., §3.-5. Cap., § 1. 2.
vordersten Theil der Lippen heraus und richten den nach
vorwärtsgekehrten Hauchanlaut (spiritus) und Tonstrahl (anima)
gegen die hin und auf die zu, mit welchen wir Unterredung
pflegen. Wenn wir nun aber dagegen das Wörtchen „nos
(wir)" aussprechen, so geschieht dieser Ausdruck weder da-
durch, dass der Stimmanschlag frei herausgelassen wird und
seine Richtung nach vorn nimmt, noch dadurch, dass wir bei
der Aussprache (des „nos") die Lippen vorstrecken, sondern
wir drängen den Hauchanlaut und die Lippen, so zu sagen,
nach uns selbst zurück (und in uns hinein). Dasselbe findet
auch statt bei den Wörtern: tu und ego, desgleichen bei tibi
(dir) und mihi (mir). Denn sowie, bei einer Bestätigung
(durch Zunicken), und bei einer Verneinung (durch Kopf-
schütteln) allemal unsere Kopfbewegung oder die der Augen
mit dem Wesen der beabsichtigten Andeutung nicht im
Widerspruche steht, so ist nun auch bei genannten Wörtern
der Ausdruck des Mundes und Wortlautes ein natürlich ge-
botener. Dieselbe Regel, welche wir bei unseren lateinischen
Ausdrücken wahrgenommen, bezieht sich auch auf die (be-
treffenden) griechischen."
X, 5, L. Ob „avarus'' (geldgierig, geizig) ein einfaches Wort ist, oder ein
zusammengesetztes, doppeltes, nach der Ansicht des P. Nigidius (Figulus).
X, 5. Cap. 1. Nigidius behauptet im 29. Buche seiner
„Bemerkungen (über Grammatik)", dass „avarus" nicht ein
einfaches Wort sei, sondern ein zusammengesetztes und aus
zwei Wörtern verbundenes, denn er sagt: „avarus wird der
genannt, der„avidus aerisu (geldgierig) ist ; bei der Zusammen-
setzung aber ist (aus aeris) nur der Vocal e weggelassen
worden." 2. So sagt er auch, dass man einen Begüterten
mit dem Ausdruck „locuples" bezeichnet habe und dass dieser
Ausdruck (eben auch) aus einer Wortpaarung entstanden und
X, 5, 1. avarus vielleicht auch entstanden aus avidus (aveo) -auri,
mit Ausstossung des „u". S. Teuffels röm. Lit. 196, 4.
X, 5, 2. Reich (dives) hiess ein Besitzer theils von Land, alsor
locuples, d. h. plenus (vom alten pleo, ich fülle) loci i. e. agri, also
vielen Feld- oder Grundbesitz habend, theils von Vieh, wonach das erste
Geld geschätzt ward, daher pecunia und peculium von pecus (Viehstück),
cfr. Plin. H. N. 18, 3 und 83, 13; Isidorus Orig. X; Ovid. Fast V, 279.
Digitized by Google
X. Buch, 5. Cap., § 2. 3. — 6. Cap., § 1. 2.
von einem Solchen gesagt worden sei, welcher „pleraque loca"
(viele Güter), d. h. viele Besitztümer inne hatte. 3. Seine
Bemerkung über das Wort „locuplesu ist wahrscheinlicher und
begründeter. Freilich in Betreff des Wortes „avarus" bleibt
seine Behauptung unentschieden, denn warum sollte man
nicht annehmen können, dass das Wort nur von dem einen
betreffenden Zeitwort : „aveou (ich begehre) gebildet und nach
derselben Regel der Wortbildung entstanden sei, wie „ama-
rus (bitter), wovon man doch sicher nicht behaupten wird,
dass es aus zwei Wörtern entstanden sei.
X, 6, L. Wie der Tochter des Appius Caecus (des Blinden), einer an-
gesehenen Fran wegen ihrer sehr unüberlegten Aeusserung von den Volks-
ädilen eine (bedeutende) Geldstrafe zuerkannt wurde.
X, 6. Cap. 1. Nicht nur gegen (lasterhafte) Handlungen,
sondern auch gegen unbesonnene Aeusserungen ging man zum
allgemeinen Besten und Nutzen des Staates mit (strenger)
Bestrafung vor; denn so müsse, wie man glaubte, das Ansehn
römischer Zucht unverletzlich sein und bleiben. 2. Als näm-
lich die Tochter jenes bekannten Appius, mit dem Beinamen
der Blinde (Caecus) aus einer Schauspielvorstellung, die sie
X, 6, L. S. Val. Max. VIII, 1, Verurtheilte 4; Suet. Tib. 2; Cic. de
div. I, 16; de nat. d. II, 3, 7; Liv. epit. 19.
X, 6, 2. Appius Claudius Caecus (der Blinde), Censor im Jahr
812, legte eine Wasserleitung und die berühmte appische Strasse an.
Er gehörte zu dem Geschlecht, das so feindlich gegen die Plebejer gesinnt
war. Im hohen Alter erblindete er, hielt aber dessenungeachtet, als des
Pyrrhus Abgesandter Cineas den Senat zum Frieden zu stimmen suchte,
eine (von Cic. Brut. 16 gerühmte) feurige Rede dagegen und bewirkte die
Abweisung des Gesandten; Just. 18, 2; Plut Pyrrh. 18, 19; Liv. 10, 13.
Sein Sohn P. Claudius Pulcher respectirte die Auspicien nicht und Hess
die Hühner, als sie nicht fressen wollten, was für eine böse Vorbedeutung
galt, ins Meer werfen (vergl. Flor. II, 2). Die darauf folgende Niederlage
und den Untergang der Flotte (im ersten punischen Krieg) gab man daher
ihm Schuld und wurde als eine unglückliche Folge seiner Gottlosigkeit
angesehen. Wegen seiner Religionsspötterei wurde er zu einer Geldstrafe
verurtheilt Pol. 1, 49 ff.; Val. Max. 8, 1, 4. — In Bezug auf die Claudia
bemerkt Adolf Stahr in seiner Suetonübersetzung (Tiber. 2) sehr treffend :
„Diese unmenschliche Verhöhnung hat in unsern Tagen ein Seitenstück
gefunden an dem Wunsche des halle'schen Professors H. Leo: dass das
scrophulöse Gesindel durch einen frischen fröhlichen Krieg vertilgt
<« *» 1 lius. Attische Nacht*. II. 4
Digitized by Google
(50)
X. Buch, 6. Cap., §2—4.
■
mit angesehen hatte, herauskam, wurde sie von der Masse
des überall zusammenströmenden und wogenden Volkes hin-
und hergestossen. Als sie darauf dem Gedränge entronnen
und ihrem Herzen über diese unangenehme Belästigung Luft
machte, brach sie (in ihrem Unwillen unvorsichtiger Weise)
in die Worte aus: „Wie würde es mir nun jetzt erst ergangen
sein, ach! um wie viel ärger gezwängt und gedrängt würde
ich mich in dieser schlimmen Lage befunden haben, wenn
mein Bruder P. Claudius in dem Seetreffen nicht die
Schiffsflotte eingebüsst hätte und mit ihr nicht eine grosse
Menge Bürger ihren Untergang gefunden" hätten? Dann
würde ich gewiss jetzt von der noch weit grösseren Volks-
menge erdrückt worden und ums Leben gekommen sein.
Aber, fuhr sie in ihrer Wuth fort, ich wünsche wohl, mein
Bruder möchte wieder auferstehen und noch eine (andere)
Flotte (abermals) nach Sicilien führen, und darauf ausgehen,
dieses Gesindel zu vernichten, das mich Arme jetzt so ent-
setzlich zusammengepresst hat." 3. Wegen dieses ihres so
unverschämten und ungebührlichen Wunsches erkannten die
beiden Volksädilen C. Fundanius und Tib. Sempronius dieser
(tibermüthigen) Frau eine Geldstrafe zu von 25,000 Stück
schweren Geldes*). 4. Capito Atejus sagt in seinem
Werke über K öffentliche Gerichte", dass dieser Fall sich im
ersten punischen Kriege unter den Consuln Fabius Licinus
und Otalicius Crassus zugetragen habe.
werden möchte! Leider aber giebt es bei uns noch kein Gericht der be-
leidigten Volksmajestät und der Menschenlästerung. Vergl. Niebuhr Röra.
Gesch. m, 714."
X, 6, 2. Appius Claudius Pulcher in der Schlacht bei Drepana 505^249.
S. Liv. ep. 19; Suet. Tib. 2; Polyb. I, 49. Er liess die belügen Hühner
ins Meer werfen.
X, 6, 3. aes grave, schweres Geld, ungemünztes (Silber) Erz, weil
es nach schwerem, vollem Gewichte in Kupfer -Platten musste bezahlt
werden. S. Plin. 33, 3, 13 § 42; Paulus Diac. p. 98, 1 M.; Won. Hai
9, 27; Liv. 4, 60; 10, 46; 22, 33; 39, 19; Gajus IV, 14—16. — Diese die
majestas populi Romani verletzende Aeusserung ,wurde 508/246 an der
Tochter des Appius Claudius Caecus, Schwester des P. Claudius Pulcher,
von den beiden Aedilen zur Anklage gebracht (vergl. Liv. 24, 16).
Digitized by
X. Buch, 7. u. 8. Cap. (51)
X, 7, L. Wie ich mich erinnere, schreibt M. Varro, dass unter den
Flüssen, welche ausserhalb des römischen Reiches fliessen, der grösste der
Nil sei, dann komme als zweiter die Donau (Hister), dann als nächster
die Rhone (Rhodanus).
X, 7. Cap. 1. Unter allen Flüssen, welche in das an
römisches Gebiet angrenzende Meer sich ergiessen, welches
die Griechen: ttjv eioco ödXaooav (Mittelmeer) nennen, wird
der Nil allgemein als der grösste Fluss angenommen. Sallust
schreibt, dass, der Grösse nach, der nächste die Donau sei.
2. Als aber Varro in seiner Beschreibung auf den Welttheil,
Europa genannt, zu sprechen kommt, rechnet er die Rhone
zu den drei grössten Flüssen dieses Erdtheils, wodurch er
diesen Fluss der Donau gleichstellen zu wollen scheint. Die
Donau fliesst nämlich auch in Europa.
X, 8, L. Dass unter die schimpflichen Strafen beim Militär, wodurch
(lässige und dumme) Soldaten (wohlthätig angeregt oder) bestraft werden
sollten, auch das Aderlassen gehört habe; ferner, was wohl die Ursache
einer derartigen Züchtigung (gewesen) zu sein scheine.
X, 8. Cap. 1. In alten Zeiten gab es beim Militär fol-
gende Zurechtweisung, dass man einem Soldaten (der sich
vergangen hatte) zu seiner Beschimpfung die Ader öffnen und
ihm etwas Blut abzapfen Hess. 2. Ein Grund für diese
sonderbare Strafe lässt sich in allen den alten Schriften nicht
auffinden, die ich für meinen Theil auftreiben konnte; allein
meiner Meinung nach ist zu allem Anfang diese Strafart
eingeführt worden bei Soldaten von stumpfsinniger und in
ihrem angebornen Wesen (und Charakter) wankender Seele,
so dass dies nicht sowohl für ein Strafmittel, sondern (vielmehr)
für ein Heilmittel angesehen wurde. 3. Später jedoch mag,
wie ich glaube, dieses Mittel gewöhnlich wohl auch wegen
vieler anderer Vergehungen angewendet worden sein, indem
alle Diejenigen für weniger gesund gehalten wurden, welche
ihrer Pflicht untreu wurden (oder sonst ein Vergehen sich zu
Schulden kommen Hessen).
X, 8, L. S. Beispiele von Disciplinarstrafen bei Suet. Octav. 24;
Frontin. 4, 1; Plutarch. Luculi. 15; Val. Max. II, 7.
4*
Digitized by Google
(52)
X. Buch, 9. Cap. — 10. Cap., § 1. 2.
X, 9, L. Nach welchen Anordnungen und nach welcher Eigentümlichkeit
eine römische Schlachtreihe aufgestellt zu werden pflegte, und was für
Ausdrücke es giebt, um alle die möglichen Aufstellungsarrangements näher
zu bezeichnen.
X,- 9. Cap. I. Es giebt (verschiedene) militärische Aus-
drücke, wodurch die (jedesmalige, verschiedenartige) nach
einer bestimmten Anordnung aufgestellte Schlachtreihe pflegte
(näher) bezeichnet zu werden, z. B. frons (d. h. Gesichts- oder
Vorder-Seite) , subsidia (Hülfstruppen), cuneus (Keil), orbis
(Kreis), globus (Kugel), fortices (Scheeren), serra (Säge), alae
(Flügel), turres (Thürme). 2. Diese und andere Benennungen
weiter kann man in den Schriften derer (angeführt) finden,
die über theoretische Kenntniss des Kriegswesens (Taktik)
geschrieben haben. 3. Entlehnt sind alle diese Ausdrücke
von den Auf Stellungsarten, die so nach ihrer Eigenart benannt
werden, und es führt uns deshalb jeder dieser Ausdrücke
stets die bildliche Vorstellung von all' den (verschiedenen)
Arrangements bei Anordnung der Schlachtreihe vor Augen.
X, 10, L. Was wohl die Ursache (von der Sitte und Gewohnheit) sein
mag, weshalb die alten Griechen sowohl, als auch die Römer den Ring
an dem Finger der linken Hand getragen haben, der dem kleinsten Finger
am nächsten ist.
X, 10. Cap. 1. Wir wissen, dass die alten Griechen
den Ring an dem Finger der linken Hand getragen haben,
der dem kleinsten Finger am nächsten ist. Auch fast alle
(gebornen) Römer sollen meist so ihre Ringe zu tragen die
Gewohnheit gehabt haben. 2. Apion giebt in seinen „Aegyp-
ten" betreffenden Schriften als Grund dieser Sitte folgenden
X, 9, 1. S. Fest. S. 344 b.
X, 9, 2. Cuneus, die von Liv. 22, 47 so benannte Schlachtordnung,
welche Hannibal in der Schlacht bei Cannae -anwendete, indem er das
Centrum in Form eines Halbmondes anrücken liess. Polyb. III, 113;
Festus 344, 12 M; Veget m, 17, 19.
X, 10, 1. Wahrscheinlich aus Plutarch's Tischreden B. IY, 6, 4 ent-
lehnt, wo von der verloren gegangenen Erörterung der Frage, warum man
die Siegelringe vorzugsweise am vierten Finger trägt, nur die Ueberschrift
erhalten ist.
X, 10, 2. Ueher Apion s. Gell. V, 14, 1 NB. Macrob. Sat. VH, ia
X. Buch, 10. Cap., § 2. — 11. Cap., § 1. 2. (53)
an : Bei (Sectionen, d. h.) Zergliederung und öeffnung mensch-
licher Leichname, wie sie in Aegypten (zum Zweck der Ein-
balsamirung) vorgenommen werden, wofür die Griechen den
Ausdruck Anatomie (avarofirj, d. h. Leichenzergliederung) ge-
brauchen, machte man die Entdeckung, dass ein gewisser sehr
zarter Nerv von diesem einen, besagten (Ring-) Finger un-
unterbrochen bis zum menschlichen Herzen sich erstrecke,
deshalb es nicht ungereimt erschienen sei, gerade diesen
Finger durch eine solche Ehre auszuzeichnen, da er in so
enger Verbindung mit dem Hauptsitz der Seele (und jeder
herzlichen Empfindung) zu stehen schien.
X, 11, L. Was das Wort „mature" bedeute, und über die Beziehung (und
Verwendung) dieses Ausdrucks; ferner, dass eine Menge Menschen sich
desselben in einer uneigentlichen Bedeutung bedienen; endlich dabei auch
noch (die Bemerkung), dass das Wort „praecox" bei seiner Abbeugung
(im Genitiv) „praecocis" bildet und nicht „praecoquis".
X, 11. Cap. 1. Man braucht jetzt den Ausdruck mature in
der Bedeutung von schleunig und geschwind (propere et cito),
entgegen dem eigentlichen Sinn des Wortes; „mature" hat näm-
lich eine ganz andere Bedeutung, als in der man es (gewöhnlich
so) sagt. 2. Daher P. Nigidius, ein in allen wissenschaftlichen
Zweigen ausgezeichneter Mann, sich zu der Bemerkung ver-
anlasst sieht: „mature heisst, was weder zu zeitig, noch zu
fügt aus Atejus Capito noch eine andere Ursache des Ringtragens an der
linken Hand an, weil man die rechte mehr gebraucht und also die kost-
baren Steine im Ringe leichter hätten beschädigt werden können. Vergl.
Isidor. XEX, 32, 4.
X, 11, 1. Die drei Bedeutungen von mature, 1) vor der Zeit, d. h.
früh-zeitig, rasch, schleunig, 2) zur gehörigen, rechten Zeit und 3) zu früh,
d. h. zur Unzeit, finden sich in einer Sentenz beim Plautus Curcul. III,
1, 10 (380) vereinigt:
Qui homo mature quaesivit pecuniam
Nisi eam mature parsit, mature esurit, d. h.
Denn wer zur Zeit sich Geld erwarb, halt' weislich es
Zur Zeit zu Rath, wenn er nicht hungern will zur Zeit.
Cfr. Gell. XVI, 14, 2 mature fransigere i. e. rasch, schnell vollenden. S.
Servius ad Verg. Aen. I, 261; Macrob. Sat I, 8.
X, 11, 2 über Nigidius s. Gell. IV, 9, 1; IV, 16, 1; XI, 11, 1.
Digitized by Google
(54) X. Buch, 11. Cap., § 2—6.
spät, sondern gewissermassen in der Mitte und die richtige
Zeit einhaltend eintrifft (d. h. also: zur guten, zur rechten
Zeit)." 3. Dies ist von Nigidius eine richtige und genaue
Erklärung. Denn sowohl bei Früchten, als beim Obst werden
die (Erzeugnisse, „matura") reif und zeitig genannt, die weder
roh und unreif, noch verwelkt und verdorrt sind, sondern in
ihrer (richtigen und naturgemäss vorgeschriebenen) Zeit sich
entwickelt haben und reif geworden sind. 4. Wenn nun aber
von dem, was nicht langsam entstand, gesagt wurde, es ent-
stehe (recht-) zeitig (mature), so hat das Wort noch eine
ausserordentlich erweiterte Bedeutung erhalten und nicht das,
was nicht langsamer, sondern was geschwinder sich vollzieht,
wird nun mit dem Worte „mature" bezeichnet, (eigentlich
fälschlicher Weise), weil Alles, was über das Mass seiner
(ihm zugemessenen) Zeit beschleunigt sich vollzieht, mit mehr
Recht unzeitig (imraatura) genannt werden sollte. 5. Jenes
ausgezeichnete und sowohl der Sache, als dem Begriffe nach
von Nigidius aufgestellte, richtige Verhältniss hat der erhabene
Augustus (Suet. Aug. 25) durch zwei griechische Ausdrücke
höchst geschmackvoll zur Veranschaulich ung gebracht. Denn,
wie man sich erzählt, pflegte er (sprüchwörtlich) sowohl bei
Unterredungen zu sagen, als auch in Briefen*) zu schreiben:
G7tevde ßgadecog (festina lente, d. h. eile mit Weile), wodurch
er in Erinnerung bringen wollte, dass zur richtigen Ausführung
einer Sache unumgänglich erforderlich sei, sowohl Regsam-
keit**) im Eifer (zur Arbeit), wie (Behutsamkeit und) be-
harrliche Ausdauer im Fleiss (bei der Arbeit und überhaupt
bei allen unsern Unternehmungen), denn nur aus diesen beiden
Gegensätzen ergiebt sich die „maturitas", d.h. dienatur-und
zeitgemässe (vollkommene) Entwickelung (der Reifheit unserer
Handlungen. 6. Auch Vergilius hat für den aufmerksamen
X, 11, 5. *) Man pflegte nach Sitte der damaligen Zeit Briefe mit
griechischen Floskeln und Phrasen zu durchspicken, wie einst bei uns in
deutschen Briefen französische Brocken eingestreut wurden. 8. A. Stahrs
Suet. Octav. 71; Tib. 21.
X, 11, 5. **) industriae celeritas et diligentiae tarditas. S. Suet.
Aug. 25. Ueber des Caesar Octavianus Augustus literarische Thätigkeit
8. Teuffels röm. Lit. Gesch. 217.
Digitized by Google
X. Buch, 11. Cap., § Ö— 9.
(55)
Beobachter die zwei darauf bezüglichen Wörter „properare"
(d. h. sich beeilen in Beschaffung der Arbeit, mit Hast, über
Hals und Kopf beschaffen) und „maturare" (mit ruhiger Sorgfalt,
mit Bedächtigkeit und zu rechter Zeit beschaffen), als gleich-
sam zwei sich ganz entgegengesetzte (Begriffe) höchst sorg-
fältig in folgenden Zeilen getrennt (Verg. Georg. I, 259— 261):
Wenn zu Zeiten frostiger Regen den Ackerer aufhält,
Dann gibt's Muse, Manches, was sonst bei heiterem Himmel
Sehr übereilet würde, reiflich zu schaffen.
7. Höchst geschmackvoll und weise hat der Dichter die beiden
Wörter geschieden, denn während regnichter Witterung, wo
ja die Arbeit eingestellt werden muss, kann man sich bei
Vorbereitung (zur Bestellung) des landwirtschaftlichen Ge-
schäftes Zeit nehmen, (aber) bei heiterer Witterung, wo die
Zeit ja drängt, muss man sich beeilen. 8. Denn wenn es
gilt, etwas zu bezeichnen, was im grösseren (Geschäfts-) Drang
(d. h. in noch kürzerer Zeit) und in besonderer Eile beschafft
wurde, bedient man sich richtiger des Ausdrucks „praemature"
(vorzeitig), als „mature" (rechtzeitig, ausgetragen). So sagt
Africanus in seinem römischen Nationaldrama (in seiner
togata sc. fabula), welches die Ueberschrift führt: Titulus
(d. h. der Vorwand oder die Anwartschaft):
Adpetis dominatum demens praemature praecocem, d. h.
Du begehrst in Uebereilung zu früh Unsinniger die Herrschaft.
9. In diesem Vers ist noch zu bemerken, dass er „praecocem"
sagt (im Accusativ) und nicht „praecoquem", denn der Nomi-
nativ lautet nicht „praecoquisu, sondern „praecox".
X, 11, 6. Frigidus agricolam si quando continet imber,
Multa, forent quae mox coelo properanda sereno,
Maturare datur, d. h.
Wenn zur Zeit der kalte Regen den Ackersmann ans Haus fesselt, dann
kann er mit ruhiger Sorgfalt (erst noch) Alles beschaffen, was er sonst
bei gutem Wetter über Hals (und über Kopf) hätte besorgen müssen.
X, 11, 8. Ueber die togata und Africanus s. Teuffels röm. Lit § 17,2
xl 131 und Gell. XHI, 8, 3.
■
Digitized by
(56)
X. Buch, 12. Cap., § 1—4.
X, 12, L. Leber (Verbreitung von) Wundermährchen , deren Erfindung
PJinius Secundus höchst unwürdiger Weise dem Philosophen Democrit zur
Last legt; fernerweit noch über künstliche Nachahmung einer fliegenden
Taube (von Holz).
X, 12. Cap. 1. Plinius Secundus erzählt im 28. Buche
seiner „Naturgeschichte" , dass es von dem überaus berühmten
Philosophen Democrit ein Buch gebe, welches (ganz besonders)
über die angeborne Macht des Chamaeleons (einer Eidechsen-
art) handle und dass er dasselbe gelesen habe. Dabei tischt
er uns gelegentlich eine Masse eitles und unerhörtes, gleich-
sam als vom Democrit aufgezeichnetes Zeug auf, woraus ich
hier nur folgender Einzelheiten gedenken will, wenn auch nur
mit Widerwillen, weil man (bei diesen offenbaren Lügen
wirklich) Ekel und Verdruss empfinden kann. 2. (So wird
unter Anderm daselbst mitgetheilt) , dass der Habicht, der
schnellste unter den Vögeln, wenn er zufällig über ein auf
der Erde kriechendes Chamäleon hinwegfliegt, von demselben
zu sich herabgezogen werde und durch einen (unerklärlichen)
Einfluss zur Erde falle und sich allen andern Vögeln ohne
Widerstand zum Zerreissen preisgebe und überliefere. 3.
Hierzu fügt er auch noch eine allen menschlichen Glauben
übersteigende Bemerkung bei : wenn man den Kopf und Hals
von diesem Chamäleon mit sogenanntem (eichenem) Kernholz
verbrennt, erhebe sich urplötzlich Regen und Gewitter, und
dasselbe ereigne sich auch, wenn man die Leber dieses Thieres
auf der Zinne eines Ziegeldaches verbrenne. 4. Noch ein
Anderes, wobei ich wahrhaftig Anstand nehme, ob ich es auch
hersetzen soll, so viel lächerliche Windbeutelei trägt es an
sich, führe ich nur gerade deshalb an, weil ich doch einmal
eingestehen musste, was ich selbst über solchen verlogenen
Wunderschwindel denke, wovon (indess) meistentheils (sogar)
Köpfe von bedeutendster Anschlägigkeit und (leider) gerade
die erst recht, welche einem höheren Wissenschaftsdrange
X, 12, 1. xaf/aiM°,v> eine (die Farbe wechselnde) Eidechse. Plin.
8, 33 (51); 10, 52 (73); 28, 8 (29); Tertull. de pallio 3, 112 seq. Als
Pflanze: Chamäleondistel, Eberwurz. Plin. 22, 18 (21); 27, 13 (118);
30, 4 (10); Scribon. Larg. composit. 192; Veget. de art. Veterinär. 5, 52, 2
X, 2, 12. S. Plin. 28, 29, 1. 2. 3.
X. Buch, 12. Cap., § 4-9.
(57)
folgen, sich einnehmen lassen und (daher) dem verderblichen
(abscheulichen) Aberglauben zum Opfer fallen. 5. Aber ich
kehre wieder zu Plinius zurück, welcher sagt, man solle den
linken Fuss des Chamäleons mit dem (Distel-) Kraute, welches
ebenfalls den Namen Chamäleon führt, auf einer glühenden
Eisenplatte rösten, beides dann in einer Salbe aufweichen
{und verrühren), zur Form eines kleinen Kuchens verdicken
und in eine Holzkapsel stecken, dann könne derjenige, welcher
diese Holzbüchse bei sich trägt, selbst wenn er inmitten einer
öffentlichen Versammlung verweilt, von Niemandem bemerkt
werden (und sich also unsichtbar machen). 6. Alle diese von
Plinius Secundus aufgezeichneten Wunderdinge und Gaukeleien
mit dem Namen des Democrit in Verbindung zu bringen,
halte ich für unwürdig. 7. Oder auch jenen ähnlichen, be-
kannten Fall, welchen derselbe Plinius im 10. Buche versichert,
in dem Werke Democrits gelesen zu haben, dass nämlich
gewisse Vögel ihre bestimmten Erkennungslaute (d. h. unter
sich ihre bestimmte Sprache) haben und dass, wenn man das
Blut von diesen (verschiedenen) Vögeln mische, eine Schlange
daraus erwüchse. Wer diese nun esse, sei im Stande die
Sprache und Unterhaltungen der Vögel zu verstehen. 8. Viele
derartige Lügen sind offenbar unter dem Namen Democrits
von ungeschickten Leuten herausgegeben worden, die es auf
weiter nichts absahen, als sein hohes Ansehen und seine
Glaubwürdigkeit nur als Deckmantel (ihrer Marktschreiereien)
^u gebrauchen. 9. Was nun aber endlich ein Kunstwerk
anbetrifft, welches nach seiner Angabe der Pythagoräer Ar-
chytas ersonnen und zur Ausführung gebracht hat, so muss
uns dasselbe, wenn nicht 'weniger wunderbar, so doch ganz
X, 12, 8. Plinius (28, 19) schreibt diese Lügen nicht dem Democrit
zu, sondern der offenbaren, verlogenen griechischen Marktschreierei.
X, 12, 9. Archytas von Tarent, ohngefahr 400 v. Chr., berühmter
Mathematiker, besonders durch Erfindung der analytischen Methode und
•durch Lösung mehrerer geometrischer (Verdopplung des Würfels) und
mechanischer (durch die Automat-Taube) Probleme, ausserdem auch als
Feldherr und Staatsmann (Hör. Od. I, 28) bekannt, war ein Freund des
Plato. Von seinen Schriften nur Fragmente. Diog. Laert. VIII, 4; Aelian
vermischte Geschichten III, 17; VII, 14.
X, 12, 9. Die Erfindung der aerostatischen Maschinen ist also
sehr alt
Digitized by
(58)
X. Buch, 12. Cap., § 9. 10. — 13. Cap., §1.2.
gewiss ebensowenig ungereimt erscheinen. Denn nicht nur viele
angesehene Griechen, sondern auch der Philosoph Favorinus,
der eifrigste Forscher in alten, geschichtlichen Denkmälern,
sie Alle berichten unter Betheuerung der Wahrheit (von einem
Kunstwerke) von der Nachbildung einer Taube, durch Ar-
chytas nach einem gewissen System (construirt) und durch
mechanische Kunst aus Holz hergestellt, die sich in die Luft
geschwungen. Dieses Kunstwerk wurde (wie sichs von selbst
versteht) durch (gewisse) Schwungkräfte in die Höhe getrieben
und durch eine verborgene und eingeschlossene Strömung von
Luft in Bewegung gesetzt. 10. Es scheint mir in der That
zweckmässig, hier gleich Favorins eigene Worte über das
(merkwürdige) unglaubliche Kunstwerk herzusetzen: „Archytas
(ein Philosoph) von Tarent war überdiess auch ein (ganz be-
deutender) Mechaniker und verfertigte (als solcher) eine höl-
zerne, fliegende Taube, die jedoch, wenn sie sich (einmal)
niedergelassen, sich nicht wieder erhob. (Denn bis hierher)
c v
X, 13, L. Auf welche Art sich die Alten der Ausdrucksweise bedienten:
„cum partim hominum."
X, 13. Cap. 1. Es wird sehr oft gesagt: „partim hominum
venit", d. h. eine Anzahl (oder einige) Menschen kamen. Denn
hier gilt „partim" als Adverbium und wird nicht declinirt, da-
her es also auch (in Verbindung mit einer Praeposition) gesagt
werden kann: cum partim hominum, d. h. mit einer Anzahl
von Leuten. 2. M. Cato schrieb also in seiner Rede „über
das Florafest" (ganz richtig): „daselbst vertrat sie die Stelle
einer Buhldirne; sie pflegte (mehrmals) vom Gastmahle auf-
X, 13, 1. In dem Accusativ: partim dachte man sich ein so viel um-
fassendes Verhältniss, dass namentlich die Bedeutung aller (ihrigen obliquen
Casus als ihm (d. h. diesem Accusativ) untergeordnet and mithin durch
ihn darstellbar erschienen. Dieses Verhältniss lässt sich deutlicher ver-
anschaulichen, wenn man partim gleichsam als indeclinables Substantivum
aufifasst. (Gell. VI [VII], 3, 7 partim Senatorum.) Auch hat dies Ad-
verbium (wie noch einige andere, z. B. satis, parum, afifatim, abunde) den
Werth eines Adjectivs, z. B. Lucr. I, 242; Com. Nep. 15, 4, 5 satis testi-
monium; Ovid. Her. 2, 44; Verg. Aen. 9, 194; so parum: Plaut. Stich. 4, 1.
Ter. Phorm. 5, 7, 27; so affatim: Plin. epist. II, 17, 26; so abunde: Liv.
4, 22.
Digitized by Google
X. Buch, 13. Cap., §2—4.-14. Cap., § 1. 2. (59)
zustehen und ins Schlafgemach zu schlüpfen. Da hatte sie
nun (cum partim illorum) mit einem Theile von ihnen oft auf
dieselbe Art zu thun." 3. Allein Unkundigere lesen: cum
parti, gleich als ob es vom declinablen Hauptwort hergenom-
men und nicht adverbialiter gesagt sei. 4. Q. Claudius
(Quadrigarius) hingegen hat im 21. Buche seiner „Jahrberichts-
sammlung" sich noch weit auffallender dieser Ausdrucksweise
bedient: „Er sei zufrieden mit einem Truppentheile junger
Mannschaften (cum partim copiis hominum adolescentium)".
Ferner kommt auch noch im 23. Buche der „Jahrbücher"
von demselben Claudius folgende Stelle vor: „Dass ich aber
auf solche Weise gehandelt habe, wovon ich nicht zu sagen
weiss, ob es durch die Nachlässigkeit einiger obrigkeitlicher
Personen (negligentia partim magistratuura), oder durch den
Geiz, oder durch das Missgeschick des römischen Volkes so
gekommen sei."
X, 14, L. In welcher Wortverbindung sich Cato der Ausdrucksweise
bedient habe: „injuria mihi factum itur" (d. h. man geht damit um, mir
ein Unrecht zuzufügen).
X, 14. Cap. 1. Ich höre oft die Redensart gebrauchen:
„illi injuriam factum in" (man geht damit um, jenem ein
Unrecht zuzufügen) und gewöhnlich auch die Ausdrucksweise
gebrauchen: „contumeliam dictum iri" (man gehe damit um,
eine Beschimpfung anzuhängen) und ist diese Ausdrucksweise
nun mitten im gewöhnlichen Verkehr und Wortaustausch schon
ganz allgemein geworden, weshalb ich mir wohl auch alle
weiteren Beispiele ersparen kann. 2. Weil aber die Redens-
art: „contumelia illi" oder „injuria factum itur" schon viel
ungebräuchlicher ist, deshalb lasse ich hier ein Beispiel folgen.
X, 14, 1. Aus dem „ire" mit dem ersten Supinum bildete sich passivisch
ein Infinitivus: iri factum etc., um eine Folge, d. h. eine Zukunft aus-
zudrücken, wobei das Supinum einen Accusativ regiert, da seine eigene
Beziehung durch das passive Verbum durchaus nicht geändert wird. Dieser
Ursprung wird vergessen und das „iri" mit Supinum als einfache passive
Form gebraucht und mit dem Nominativ verbunden: contumelia, quae
factum itur — quae fit Daher bezeichnet „ire factum contumeliam" soviel
als: facere contumeliam, hingegen: „contumelia itur factum" soviel als:
contumelia fit Der Infinitiv dieser passiven Construction ist, mit dem
üebergang des Wollens in das Werden, gebräuchlicher Infinitiv futuri
passivi geworden. S. Zumpt, Lat. Gr. § 696.
Digitized by Google
(60) X. Buch, 14. Cap., § 2—4. — 15. Cap., § l.
In seiner eigenen Vertheidigung gegen den C. Cassius sagt
M. Cato : 3. „Diesem Ereigniss ist es also zuzuschreiben, dass
bei dieser Beschimpfung, welche mir durch die Frechheit
dieses (elenden) Wichtes bevorsteht, angethan zu werden
(contumelia, quae mihi per hujusce petulantiam factum itur)
mich bei Gott auch zugleich (tiefes) Mitleid für die Republik
ergreift, ihr edlen Römer (Quiriten)". 4. So wie nun aber
„contumeliam factum iri" soviel bedeutet, als: ausgehen auf
Ausübung von Beschimpfung, d. h. sich alle Mühe geben, wie
eine Beschimpfung ins Werk gesetzt werden könne, so haben
durch Veränderung des Casus (d. h. des Accusativs in den
Nominativ) die Worte: contumelia mihi factum itur durchaus
keinen andern Sinn (als: man geht darauf aus, man hat vor,
mir eine Beleidigung zuzufügen, oder es wird für mich eine
Beschimpfung ins Werk gesetzt = contumelia mihi fit).
X, 15, L. Ueber die religiösen Gebräuche des Flamen Dialis und seiner
Gemahlin. Beifügung einer Stelle aus dem Edict des Fraetors, worin es
ausdrücklich hcisst, dass weder eine vestalische Jungfrau, noch ein Flamen
Dialis zum Schwur gezwungen werden könne und dürfe.
X, 15. Cap. 1. Dem Flamen Dialis wurde die Beobachtung
(vieler Formalitäten und) vieler religiösen Gebräuche auferlegt,
X, 15, L. Der Flamen Dialis hatte als Auszeichnung einen Lictor,
die sella curulis und die toga practexta und musste durch eine gewissen-
hafte Beobachtung von allerlei Vorschriften die Reinheit und Heiligkeit
seiner Person zu erhalten suchen. Sein Hut (apex § 9) war mit einem
weisswollenen Faden (filum) umwunden, wovon die Flamines gleichsam
Filamines hiessen. Prise. IV, 3, 17 p. 150 Krehl. In neuerer Zeit leitet
man das Wort von „flare" ab, d. h. vom Anblasen des Feuers. Ihr Amt
war bei guter Auffuhrung lebenslänglich und sie durften kein anderes Amt
bekleiden. Flamen bedeutete überhaupt einen Priester, der nur einer
einzigen Gottheit diente. Die drei ältesten von Numa eingesetzten waren :
der Flamen Dialis (des Jupiter), Martialis (des Mars) und Quirinalis (des
Quirinu8 oder Romulus). Sie wurden (nach Gell. XV, 27, 1) in den Comitiis
calatis gewählt und vom Pontifex maximus dazu in Vorschlag gebracht
und eingeweiht (capiebantur Gell. I, 12. 15; Val. Max. 6, 9, 3; Liv. 27, 8)-
Zu den vornehmsten (majores) Flamines konnten nur Patricier vor-
geschlagen werden, zu den übrigen (nach Festus waren es zwölf) konnten
auch Plebejer genommen werden.
X, 15, 1. libri de sacerdotibus publicis; cfr. Gell. XIII, 23 (22), 1:
libri sacerdotum P. R. et in plerisque antiquis orationibus. Darunter sind
Digitized by Google
X. Buch, 15. Cap., § 1—8. . (61)
desgleichen vielfache Fastenzeiten, welche wir theils in den
Büchern aufgezeichnet gefunden haben, die eine Zusammen-
stellung über (die Verpflichtungen für alle) „öffentliche Prie-
ster" bilden, theils im ersten Buche der (darauf) bezüglichen
Schriften von Fabius Pictor. 2. Daher sind mir ungefähr
auch folgende Einzelheiten in der Erinnerung: 3. Ein Pferd
(zu besteigen und darauf) zu reiten ist dem Flamen Dialis
verboten ; 4. ferner : Die zum Kampf gerüstete (Land-) Macht,
d. h. das Heer unter Waffen ausserhalb des Stadtbezirks zu
betrachten .(ebenfalls), daher ward er, wenn den Consuln die
Kriegführung übertragen wurde, auch niemals (oder nur
selten) zum Consul gewählt; 5. desgleichen durfte der Flamen
dialis nie schwören; 6. auch war es ihm nicht erlaubt einen
Ring zu tragen, ausser einen durchbrochenen und ohne (ein-
gefassten Edel-) Stein. 7. Es durfte aus seiner Amtswohnung
(flaminia sc. domus), d. h. aus dem (auf dem Palatinus ge-
legenen) Hause des Flamen Dialis nie Feuer, ausser das
heilige, (zum Opfer nöthige) herausgetragen wrerden. 8. Wenn
ein gefesselter Gefangener entwischte und sich in sein Haus
(aedes) flüchten konnte, musste er ihm die Fesseln abnehmen,
Bitualbücher zu verstehen. Indigitamenta pontificum oder libri pontificii.
S. Macrob. 1, 12, 21 ; Censorin. de die natal. 3; Serv. zu Verg. Georg. I, 21 ;
Ausserdem gab es auch noch besondere Ritualbücher der Salier, Vesta-
linnen (Gell. I, 12, 14 sacerdotem Vest facere pro populo Romano Qui-
ritibus), Arvalbrüder, Augurn, Flamines u. s. w.; cfr. Varro 1. 1. V, 98;
Cic. de republ. II, 31, 54; de N. D. I, 30, 84; Macrob. III, 20, 2; Colum
r. r. II, 21, 5; Festus p. 189, 9; 356, 18.
X, 15, 1. Servius Fabius Pictor, ein älterer lateinischer Ge-
schichtsschreiber, wahrscheinlich derselbe, den Cic. Brut. 21, 31 als Rechts-
gelehrten, Literaten und Kenner des Alterthums nennt. Ein anderer
Fabier, der Q. Fabius Pictor, war der älteste römische Geschichtsschreiber,
der Zeitgenosse des Cato. Er diente in den Kriegen gegen die Gallier und
den Hannibal, focht in dem 2. punischen Kriege mit und wurde nach der
Schlacht bei Cannae nach Delphi zur Berathung des Orakels gesendet.
Er verfasste die Geschichte Roms in griechischer Sprache (Dionys. Hai.
I, 6), welche Livius oft benutzte (Liv. I, 44. 55; Polyb. I, 14; Plutarch
Romul.38. Vergl. Gerlach röm. Geschichtsschreiber p. 33 etc.; Nipperdey,
Philolog. Jahrg. VI p. 131; Gell. I, 12, 14; V, 4, 1; Teuffels röm.
Lit. 139, 8.
X, 15, 8. Seine prächtige Wohnung wurde „aedes" genannt, womit
sonst nur Götterkapellen bezeichnet wurden.
Digitized by Google
(62)
X. Buch, 15. Cap., § 8-17
und dieselben durch den Hofraum auf das Dach in die Höhe
ziehen und von da hinaus auf die Strasse werfen lassen. 9.
Er trug nie einen Knoten an sich, weder an (dem weiss-
wollenen Faden) der Priestermütze, noch im Gürtel, noch an
irgend einem andern (Kleidungs-) Stück (seines Körpers).
10. Sollte Jemand gegeisselt werden, fand aber Gelegenheit,
sich zu den Füssen dieses Flamen niederzuwerfen, so würde
es ein Verbrechen gewesen sein, für diesen Tag (an einem
solchen) die Geisselung vollziehen zu lassen. 11. (Sein Haupt
war geschoren.) Die Haare darf dem Dialis aber Niemand
als nur ein freier Mann abschneiden. 12. Der Vorschrift
gemäss darf er eine Ziege, ungekochtes Fleisch, Epheu und
Bohnen weder berühren, ja nicht einmal die Namen (dieser
Dinge) aussprechen. 13. Zu hoch aufgeschossene Ableger von
Weinstöcken darf er nicht besehneiden. 14. Die Füsse (von
dem Gestelle) des Bettes, worin er schläft, müssen mit dünnem
Lehm bestrichen sein, und er schläft nie während drei ganzer
Nächte ausserhalb des Bettes, wie auch Niemand anders, als
er selbst in dem Bette schlafen darf. [ ] In der Nähe
seines Bettstollens muss das Kästchen (cum strue atque ferto)
mit dem Opfergebäck und Opferfladen sich befinden. 15. Die
Abschnitzel von den Nägeln und dem Haare des Flamen
werden in der Erde unter einem Glücksbaume vergraben.
16. Der Flamen Dialis hat täglich eine gottesdienstliche
Feierlichkeit zu vollziehen. 17. (Unbedeckt, in blossem Kopf)
X, 15, 9. Knoten und Ring waren Zeichen der Fesselung, annulus
cassus (itU&og, aii>r)(fog) leerer Ring, ohne Stein.
X, 15, 11. Vergl. über dieses ganze Capitel Plutarch: Fragen über
röm. Gebräuche 40. 109. 110. 111; zu X, 15, 7 ignis s. Festus p. 106;
zu § 9 s. apiculum bei Festus p. 29; zu § 12 s. Fabam bei Festus p. 87;
zu § 22 s. Flammeo bei Fest. p. 89 u. 92; zu § 28 s. ricae bei Fest
p. 277 (289); Paul. 288, 10; Nonius in Ribbecks Com. L. Fr. 224, 71.
Ricula s. parrum ricinium , vielleicht ein Schleier. Zu § 32 s. albogalerus
bei Festus p. 10 (ed. Müller) Paul. Diac. p. 10, 12; Fronto ep. IY, 4;
Serv. zu Verg. Aen. II, 683.
X, 15, 14. Strues, Opfermahl-Brotschicht, ein zusammen übereinander
gelegter Haufen von kleinen Opferkuchen, welche dann die Gestalt zu-
sammengelegter Finger hatten. Festus 310; Ovid. Fast. I, 276. Fertum
(ferctum), eine Schicht vom Opferkuchen, Opferfladen. S. Cato r. r. 134
2 ff. 141; Varro r. r. I, 40; Pers. II, 48; Isidor. Orig. 6, 19, 24.
Digitized by Google
X. Buch, 15. Cap., § 17. 18. (63)
ohne seinen Priesterhut (apex) im Freien auszugehen, war
ihm nicht gestattet ; dass unter seinem Dache dies von seinem
Belieben abhing (d. h. ihn im Hause der Kopfbedeckung zu
entheben) war eine unlängst erst von den Oberpriestern ge-
troffene Bestimmung, 18. nach einer schriftlichen Mittheilung
des Masurius Sabinus, und man erfährt (bei dieser Gelegenheit
von ihm) auch noch andere ähnliche Zugeständnisse (zur Er-
leichterung im Dienste), wie auch (überhaupt ausführlichere)
X, 15, 3. Er durfte nicht reiten s. Paul. Diac. p. 81, 17; Plut
Quaest. R. 37; Vol. VII p. 110 Reisk. —
§ 4. Kein bewaffnetes Heer sehen. Festus 249, 23. —
§ 5 u. 31. Nie schwören. Liv. 31, 50; Paul. Diac. 104, 11. —
§ 6. Siegelring nur durchbrochen. Paul. 82, 19. —
§ 7. Flaminia, Amtswohnung. Paul. 89, 10 u. 106, 4. —
§ 8. Keinen Gefesselten sehen, cfr. Macrob. I, 16, 9, ohne ihn
davon zu entledigen, weil dies das Asylrecht seines Hauses verlangt. Serv.
zu Verg. Aen. IH, 607. —
§ 9. Keinen Knoten an sich haben. Paul. Diac. 113, 15; vergl. mit
82, 18; Serv. zu Verg. Aen. IV, 262. —
§ 10. S. Serv. zu Verg. Aen. HI, 607. —
§ 12. 19. 24. Durfte Vieles nicht berühren. Plut. Quaest. rom. 106 ff.
Vol. VII p. 164. 165 Reisk; Paul. Diac. 82, 18; Serv. zu Verg. Aen. 1, 179. —
§ 16. Durfte keine zwei Nächte ausser der Stadt bleiben, damit er
pflichtschuldigst die täglichen Opfer dem Jupiter darbringen konnte; weil
ihm jeder Tag ein Feiertag sein sollte, so musste er
§ 17. stets in der Amtstracht bleiben und durfte eigentlich selbst im
Hause den Hut nicht ablegen. Serv. zu Verg. Aen. I, 304: Appian b. c.
I, 65.
§ 22. Beim Tode seiner Frau muss er sein Amt niederlegen. Plut.
Qu. R. 47 ; Vol. VII, 118 R. Dagegen sprechen Hieron. adv. Jovin. I, 49
und Tertullian. de exh. cats. 13 und behaupten nur, dass er hahe un-
verheirathet bleiben müssen, Servius zu Verg. Aen. IV, 29 bestreitet
auch dies.
§ 18. Seine Ehe kann nie geschieden werden s. Paulus 89, 13; Serv.
zu Verg. Aen. IV, 29.
§ 26. Seine Frau ist von seinen Amtsfunctionen unzertrennlich. Plut
Q. R. 83; Ovid. Fast III, 397; Tac. Ann. 4, 16.
§ 27. Ihre Amtskleidung bestand in einem langen, wollenen Kleide
(einem feuerrothen Schleier) s. Serv. zu Verg. Aen. XH, 120; Paul. 65, 3.
§ 28. Als Kopf binde trug sie ein mit Fransen versehenes Kopftuch
(rica), an welchem der Granatapfelzweig befestigt war.
§ 30. An gewissen Festtagen durfte sie sich nicht kämmen. Ovid.
Fast. HI, 397 ; cfr. Plut. q. r. 83 und musste eine hohe Treppe vermeiden,
um die Füsse nicht zu entblossen. Serv. zu Verg. Aen. IV, 646.
Digitized by Google
* -V.
(64) X. Buch, 15. Cap., § 18-30.
Auskunft über erfolgte Nachlassung einiger vorgeschriebenen
Gebräuche. 19. Er darf keinen Sauerteig berühren. 20. Das
Gewand, das er auf dem (blossen) Leibe trägt, zieht er
(beim Wechseln reiner Wäsche) sich nur an verborgenen
(dunkeln) Orten aus, um nicht (schamlos) entblösst unter dem
Himmel, gleichsam wie vor Gottes Augen dazustehen. 21. Bei
einem Mahle darf Niemand vor dem Flamen Dialis Platz
nehmen, ausser der erste, oberste Opferpriester. 22. Wenn
er seine Frau durch den Tod verlor, tritt er von seinem
(Priester-) Amte zurück (und legt es nieder). 23. Die Ehe
eines Flamen kann auf rechtlichem Wege nicht anders, als
nur durch den Tod gelöst werden. 24. Niemals betritt er
(eine Leichenbrandstätte, d. h.) einen Begräbnissplatz; rührt
nie einen Todten an. 25. Einem Leichenbegängnisse zu folgen,
verbietet ihm (heilige Verpflichtung und) Gewissenszwang nicht.
26. Fast ganz dieselben (strengen) Verpflichtungen sollen auch
[ ] die Gemahlinnen der Flamines Diales besonders
eifrig beobachten, wie z. B. 27. dass eine solche ein (roth-)
gefärbtes Kleid tragen muss; 28. ferner, dass sie auf ihrer
Haube (rica) ein Reis von einem Glücksbaume trägt; 29. eine
Treppe von mehr als drei Stufen, auf griechisch „xA/^uaxcg"
genannt, hinaufzusteigen, ist (ihr) nicht erlaubt, (damit sie
nicht etwa genöthigt werden möchte, den Rock aufzuraffen);
30. und wenn sie nach den altheiligen Opferstätten sich ver-
fügt, darf sie sich weder das Haupt putzen, noch die Haare
X, 15, 30. Cum it ad Argeos (cfr. Ovid. Fast. III, 791). An dem
pons sublicius wurden von den vestalischen Jungfrauen in Begleitung der
Magistrate und Priester diesseits und jenseits der Tiber Opfer gebracht
und dann 30 von Binsen gebildete (e scirpeis virgultis) und mit männlicher
Kleidung umgebene Männerbilder (simulacra scirpea virorum) von dem
pons sublicius in die Tiber hinabgestürzt, anstatt eben so vieler alter
Männer, die man als unnütze Leute, welche dem Staate doch in Nichts
mehr dienen können, von dem ponte sublicio in die Tiber warf. Festus
in „Depontani"; Varro L 1. VII, 3; Ovid. Fast. V, 621. Die Idee einer
Sühne des Flussgottes liegt sehr nahe; man brachte ihm die Opfer dar,
die er sonst genommen haben würde durch Ertrinken im Flusse, oder
durch Schaden der Ueberschwemmung des Landes und der Wohnungen
und durch Krankheiten, vorzüglich durch Fieber, die das stagnirende
Wasser erzeugte; vielleicht musste er auch besänftigt werden, dass er sich
mit einer Brücke hatte überziehen lassen müssen. Cfr. Plut. mor. Schrift
Digitized by Google
X. Buch, 15. Cap., § 81. 32. — 10. Cap., § 1. 2. (65)
mit einem Kamrae kämmen. 31. Ich lasse hier die bezüg-
lichen Worte des Praetors aus dem allgemein gültigen Edict
(ex edicto perpetuo) über einen Flamen Dialis und eine
Priesterin der Vesta folgen : „In meinem Gerichtssprengel
soll keine Priesterin der Vesta und kein Flamen Dialis ge-
zwungen sein, einen Eid abzulegen." 32. Des M. Varro
Worte aus dem 2. Buche seines Werkes „über Gebräuche
(der Vorzeit) in göttlichen Dingen" in Betreff des Flamen
Dialis lauten also: „Dieser (Priester) nur trägt eine weisse
Mütze (albus galerus), entweder weil er den höchsten Rang
einnimmt, oder weil das dem Zeus bestimmte Opfer weiss
(und rein) vollzogen sein muss."
X, 16, L. Welche Versehen Julius Hyginus im 6. Buche Vergils rügte,
als (thatsächliche) Verstösse bezüglich der römischen Geschichte.
X, 16. Cap. 1. Hyginus tadelt den Vergil und meint,
dass derselbe (später) das Versehen, was im 6. Buche (der
Aeneide) seiner Feder entwischte, (wenn ihn nicht vorzeitig
der Tod ereilt hätte, sicher noch) verbessert haben würde.
2. Palinurus nämlich befindet sich (bereits todt) bei den
Unterirdischen und bittet vom Aeneas (welcher noch als
Lebender die Unterwelt besuchte), er möge seinen Leichnam
aufsuchen und für dessen Begräbniss sorgen. Diesen Wunsch
(«fr«« 'Pwu-) Römische Forschungen 32. „Warum wirft man am 15. Mai
(Idus) menschliche Bilder, Argeer genannt, von der Holzbrücke? Entweder,
weil Hercules Menschenopfer abgeschafft hatte, oder weil der Arkadier
Evander und seine Gefährten ihren alten Groll gegen die Argeer auch
nach ihrer Flucht aus Griechenland und ihrer Niederlassung in Italien
noch beibehalten hatten, und man in alten Zeiten daher alle Archiver oder
Griechen, die man in Italien antraf, als Feinde zu ertränken pflegte". Dion.
Hai. I, 4; Liv. I, 21.
X, 15, 31. Auf Befehl des Kaisers ■ Hadrian (117 — 138) wurden die
verschiedenen Edicte der Prätoren gesammelt und von dem Rechtsgelehrten
Salvius Julianus, dem Urgrossvater des Kaisers Didius Julianus, geordnet.
Diese Sammlung wurde nachher Edictum perpetuum oder jus honorarium
genannt und leistete ohne Zweifel bei der Entwerfung des berühmten
römischen Gesetzbuches, corpus juris genannt, das auf Befehl des Kaisers
Jo8tinian zusammengetragen worden ist, den wesentlichsten Dienst. NB
Da Gellius hier von diesem Edict spricht, so muss er unter oder nach
Hadrian gelebt haben. Vergl. Gell. XIII, 10, 3.
Gellius, Attische N;icl>te. II. 5
Digitized by Google
(66) X. Buch, 16. Cap., §2 — 8.
drückt er (dem Aeneas, Verg. Aen. VL, 365 u. 366) folgender-
massen aus:
Reiss' mich, du Unbesiegter, aus dieser Betrübniss, und häufe
Erde auf mich, Du vermagst es, und steure nach Velias Hafen.
3. „Wie war nun aber," sagt Hyginus, „entweder Palinurus
im Stande den velinischen Hafen zu kennen und ihn mit
Namen zu bezeichnen, oder auch Aeneas unter diesem (be-
zeichneten) Namen die Stätte aufzufinden, da die Stadt Velia,
wonach der daselbst gelegene Hafen der veliuische genannt
wurde, (späterhin erst) nach mehr denn 600 Jahren, als Ser-
vius Tullius zu Rom herrschte, in der Landschaft Lucanien
gegründet und mit diesem Namen belegt wurde? 4. Denn
der eine Theil derer, die vom Harpalus, dem Befehlshaber
des Königs Cyrus, aus Phocis vertrieben wurden, gründete
Velia, die Andern Massilia. 5. Also ist es ein Beweis von
höchster Unwissenheit, wenn Palinurus den Aeneas bittet, den
velinischen Hafen auszukundschaften, da es diesen Ortsnamen
damals noch nirgends in der Welt gab. 6. Und es darf die
Stelle im ersten Gesänge der Aeneide (v. 2).u bemerkt Hyginus
weiter, „nicht als ähnlicher Fall gelten, wro es heisst:
„(Waffen besing' ich und den Mann, der)
Schicksalsflüchtig, zuerst in Italien und an Lavinums
Ufern erschien."
7. Und ebenso ein anderer Vers im 6. Buche (der Aeneide
v. 17):
„(Daedalus) Ueber der chalcischen Burg stand endlich er schwebend,"
8. weil einem (jeden) Dichter nach einer gewissen zuständigen
Freiheit stets gestattet ist (xava itQoh] t/>n' historiae, d. h.) durch
Vorausnahme geschichtliche (in spätere Zeit fallende) Ereig-
nisse anzunehmen und anzugeben" von denen er immerhin
wohl wissen konnte, dass sie erst später geschehen sind,
gerade wie auch Vergil sich durchaus nicht in Unwissenheit
X, 16, 3. Der velinische Hafen bei der späterhin erst erbauten Stadt
Velia oder Elea (jetzt Castello a Mare della Brucca) in der alten Land-
schaft Lucanien.
X, 16, 4. Phocis, Landschaft in Hellas, zwischen Böotien und Aetolien ;
Herod. I, 107; Strabo VI.
Digitized by Google I
J
X. Buch, 16. Cap., §8—14.
befunden in Bezug auf die (Gründungszeit der) Stadt Lavinium
und die chalcidische Niederlassung. 9. Aber wie konnte
Palinurus das wissen, was erst 600 Jahre nachher geschah,
wenn man nicht etwa annehmen will, dass er bei den Unter-
irdischen Zukünftiges geahnt habe, wie ja die Seelen der
Verstorbenen die Gabe der Weissagung besitzen sollen?
10. Allein auch bei dieser Annahme, obgleich davon nicht die
Rede ist, wie konnte es nun dem Aeneas, der doch diese
Gabe der Weissagung nicht besass, möglich werden, den
velinischen Hafen aufzusuchen, dessen Namen es, wie ich
schon erwähnte, damals noch gar nirgends gab?" 11. Er
unterwirft auch noch eine andere Stelle eines Tadels und
meint, dass Vergil sie später sicher (selbst noch) würde ge-
ändert haben, wenn ihn nicht (vorher) der Tod ereilt hätte.
12. „Denn als Vergil," fährt Hyginus fort, „den Theseus unter
denen namhaft machte, welche ebenfalls zu den Unterirdischen
gingen und wieder zurückkehrten und er (Verg. Aen. VI, 122)
von ihm gesagt hatte:
Was erwähn' ich den Theseus, was den
Grossen Alciden (d. h. Hercules) ? Stamm' ich ja selbst vom erhabenen
Zeus ab;
fügt jedoch (trotzdem) später hinzu (Verg. Aen. VI, 616 u. 617):
Hier sitzet und ewig hinfort sitzt
Theseus jammererfiillt.
43. Wie ist es möglich,1' fährt er fort, „dass Theseus ewig
bei den Unterirdischen sitzt, da er ihn (doch erst) oben unter
denen namhaft macht, welche dorthin hinabstiegen und von
da wieder heraufstiegen (und entkamen), zumal da es in der
Fabel so vom Theseus heisst, als ob Hercules ihn von dem
Felsen befreit und in die Oberwelt ans Licht hervorgeführt
hat?" 14. So wollte er auch in folgenden Versen Vergils
<Aen. VI, 838-840) einen Fehler entdecken:
Der streckt Argos in Staub, und die hohe Mycen' Agamemnons;
Selbst auch des Aeacos Enkel, den Spross des gewaltigen Kämpfers,
Troja's Väter zu rächen -und Pallas entweihete Tempel.
X, 16, 14. Argos und Agamemnons Mycene, d. h. ganz Grie-
chenland. — Pallas entweihete Tempel. Ajax, der Sohn des Oeleus,
hatte die schönste Tochter des Priamus, die Weissagerin im Tempel der
5*
Digitized by Google
(68) X. Buch, 16. Cap., § 15—18.
15. Hier vennengt er, nach der Ansicht des Hyginus, sowohl
verschiedene Personen, wie Zeiten. Denn weder zu derselben
Zeit, noch durch dieselben Menschen wurde mit den Achäern
und mit dem Pyrrhus [? Perseus] Krieg geführt. 16. Denn
Pyrrhus [? Perseus], welchen er einen Enkel des Aeacos nennt,
kam mit seinem Heere von Epirus nach Italien und kämpfte
gegen die Römer unter ihrem damaligen Kriegsheerführer
Manius Curius (Dentatus). 17. Der archivische, d. h. der
ächäische Krieg, wurde aber viele Jahre nachher von L.
Mummius geführt. 18. Deshalb, sagt er, könne der mittelste
Vers ausgelassen werden, weil er in Betreff des Pyrrhus eine
unpassende (und unzeitige) Einfügung sei, die, wie er sicher
glaubt, Vergil zweifelsohne selbst beseitigt haben würde (sc.
hätte ihn eben vorher nicht der Tod hinweggerafft).
Pallas (oder Minerva) entehrt. — Der (ille) streckt Argos in Staub,
Aeacos Enkel. L. Aemilius Paulus war der Ueberwinder des raace-
donischen Königs Perseus im zweiten macedonischen Kriege (172 — 168).
Vergl. NB. zu Gell. VI (VII), 3, 1. Unter dem Enkel des Aeacos wird
wahrscheinlich Perseus verstanden, weil die macedonischen Könige nach
Alexander d. Gr. (wegen dessen Mutter Olympias, einer Königstochter aus
Epirus, wo Pyrrhus, des Achilles Sohn, geherrscht hatte und vom Curius
Dentatus bezwungen worden war) ihr Geschlecht von dem Achilles, dem
Enkel des Aeacus und Sohn des Peleus mit der Nereide Thetis, her-
leiteten. Vielleicht ist aber unter Enkel des Aeacus weder Pyrrhus, noch
Perseus zu verstehen, sondern ganz im Allgemeinen die epirensische
Herrschaft Paulus vertilgte das macedonische Reich und rächte so dem
Untergang Troja's.
X, 16, 17. Der Consul L. Mummius zerstörte (146 v. Chr.) Corinth
(jetzt Kordos), die Hauptstadt des achäischen Bundes, woher er den Bei-
namen Achaicus erhielt, und Griechenland ward nun römische Provinz
unter dem Namen Achaja. Agamemnon hatte (nach Strabo VIII, 7) durch
Glück und Tapferkeit sein angestammtes Reich weiter ausgedehnt und mit
dem Mycenischen auch das von Argos vereinigt und brachte dann noch
alles Land bis nach Corinth und Sicyon und das der Jonier und Aegialeer,
das spätere Achaja, an sich. Vergil vermengt also (wie Hyginus § 5 be-
hauptet) Personen und Zeiten durchaus nicht, denn v. 837 vorher heisst
es bei Vergil : „Jener wird, triumphirend über Corinth, zum hohen Capitole
den Wagen lenken, als Sieger durch erschlagene Achiver verherrlicht",
darunter versteht er offenbar den Mummius Achaicus. S. Pausan. in
Achaic. VII, 16. Vergleiche über diese Stelle Vergils die Ausgabe von
Alb. Forbiger. Leipzig. 1873.
Digitized by Google
X. Buch, 17. Cap., § 1—3.
(69)
X, 17, L. Weshalb und wodurch der Philosoph Democrit sich seines
Augenlichts beraubte; ferner Erwähnung der darauf bezüglichen, sehr
natürlich und allerliebst verfassten Verse des Laberius (mit der Nutz-
anwendung auf einen Geizigen).
X, 17. Cap. 1. In den griechischen Geschichtsbüchern
steht geschrieben, dass der Philosoph Demokrit (aus Abdera),
ein vor allen Andern verehrungswürdiger Mann, welcher
(wegen seiner Tugend und Weisheit) im Alterthum das höchste
Ansehn genoss, sich freiwillig seines Augenlichts beraubt habe>
weil er glaubte, sein geistiges Sinnen und Nachdenken bei
Betrachtung (des Weltenplanes und) der Einrichtungen in der
Natur (d. h. bei seinen philosophischen und naturwissenschaft-
lichen Studien) müsse reger und vollkommener sein und
bleiben, wenn er alle seine Gedanken von den (verführe-
rischen) Verlockungen durch den Anblick der Aussenwelt
(videndi illecebris) und von jeder möglichen Behinderung und
Zerstreuung durch die Augen (oculorum impedimentis) befreit
und abgeschlossen haben würde. 2. Diese Thatsache und
das (aussergewöhnliche) Mittel selbst, wodurch er auf eine
leichte Art und durch eine ausgesuchteste Erfindung sich
(freiwillig) blendete, hat der Dichter Laberius (in seinem
Monodrama, d. h.) in dem von ihm unter dem Namen „der
Seiler (Restio)" verfassten Mimus zwar in höchst artigen und
zierlich verfassten Versen beschrieben, dabei aber noch eine
andere Ursache dieser freiwilligen Blendung hinzugedichtet
und zum Zweck seines damaligen Vortrags nicht ohne Ge-
schick verwerthet. 3. Es tritt nämlich bei Laberius in der
Rolle eines knausrigen und knickerigen Reichen (Erblassers)
X, 17, 1. (Cfr. Gell. X, 12, 8.) Cic. fin. 5, 29, 87. Plut. von de
Neugierde. 12. ! ! !
X, 17, 2. Decimus Laberius als Mimendichter berühmt, stand
im Anfang bei Jul. Caesar gut angeschrieben, verscherzte Bich aber, wahr-
scheinlich durch seine grosse Freisinnigkeit und Spottsucht die Gunst
dieses Allmächtigen, weshalb ihn dieser zwang in einem seiner Mimen
einmal selbst aufzutreten. Dadurch ging Laberius seiner bürgerlichen
Rechte verlustig. Darüber beklagt sich Laberius in einem bei Macrob.
Sat U, 7 erhaltenen aus 27 jambischen Trimetern bestehenden Prologe.
S. Gell. VIII, 15, L. NB.
Digitized by Google
(70) X. Buch, 17. Cap., § 3. 4. — 18. Cap., § 1—3.
ein Mann auf, der dieses ganzen Vorfalls gedenkt, und dabei
die übermässige Verschwendung (und Libertinage), den lieder-
lichen Lebenswandel (seines Sohnes, seines zukünftigen Erben)
eines jungen Menschen beweint und bejammert. 4. Die Verse
des Laberius lauten:
Demdcritus, der abdeVsche Physiker, stellte einst
Dem Sonnenaufgang gegenüber einen Schild,
Zu blenden an des Erzes Glanz die Augen sich.
So blendete er sich die Sehkraft nun am Sonnenstrahl,
Um nicht zu sehn, dass bösen Bürgern gut es geht.
So wünsch' auch ich, dass mich des blanken Geldes Glanz
Des Augenlichts beraubt vor meines Lebens End',
Um nicht im Glück zu sehn den gottvergess'nen Sohn.
X, 18, L. Geschichtliche Erzählung von der Königin Artemisia und von
dem (ausgeschriebenen) Wettkampfe, der bei dem (berühmten) Grabmale
ihres Gemahls Mausolus stattfand und an dem sich die berühmtesten
Schriftsteller betheiligt haben sollen.
X, 18. Cap. 1. Die (Königin) Artemisia soll ihren Ge-
mahl weit über alle (nur ersinnlichen) Liebesschilderungen
und mit unglaublicher menschlicher Leidenschaftlichkeit geliebt
haben. 2. Nach Angabe des M. Tullius (Cicero) war Mauso-
lus, ein König von Kaden, (oder) wie einige griechische Ge-
schichtsschreiber sagen, Statthalter einer griechischen Provinz,
oder Satrap (oaTganr^)^ wie es auf Griechisch heisst. 3. Als
dieser Mausolus unter lauten Wehklagen und in den Armen
seiner Gattin den Geist ausgehaucht hatte, und unter präch-
tigem, grossartigem Leichenbegängnisse bestattet worden war,
ging seine Gemahlin Artemisia aus heftiger Trauer über den
Verlust ihres Gemahles und aus Sehnsucht nach ihm in ihrer
X, 17, 4. Plut. mor. Vöries, nt^l noXvnQnyfioo, (über die Neugierde)
cap. 12 p. 521. Cic. de fin. V, 29; Hieronym. contr. Jovinian. II, 127;
August. Apologet. 48.
X, 18, L. Artemisia lebte ohngefähr 364 v. Chr. zur Zeit des
Königs Philipp von Macedonien und starb aus Gram über den Tod ihres
Gemahls zur Zeit der Regierung Alexanders d. Gr.
X, 18, 1. S. Val. Max. IV, 6, extr. 1; Plin. 36, 4. Mausolus wird
bei Cic. Tusc. III, 31, 75; Diodor. 16, 86; Pausan. 8, 16, 4; Plin. 36, 5..
König zu Halicarnass in Carien genannt.
X, 18, 2. Ueber Lydien, Phrygien, Jonien, Karien herrschten per-
sische Statthalter (Satrapen).
Digitized by Go
X. Buch, 18. Cap., § 3 - 7.
Leidenschaftlichkeit so weit, dass sie die von seinen Gebeinen
mit wohlriechenden Specereien vermischte, pulverartig: ver-
riebene Asche ins Wasser schüttete und mit trank; ausserdem
soll sie noch viele andere Beweise ihrer ausserordentlich heftigen
Liebe gezeigt haben. 4. So Hess sie unter höchstem Aufwand
(von Kosten und) Anstrengungen, zur Erhaltung des Andenkens
an ihren geliebten Gatten bei der spätesten Nachwelt, jenes
weltberühmte Grabmal errichten, welches für würdig erachtet
wurde, unter die sieben Wunderwerke der Welt gezählt zu
werden. 5. Als Artemisia dieses (Wunder-) Denkmal den hei-
ligen, gottseligen Manen des Mausolus weihete, liess sie zur
Verherrlichung seines Lobes (und Ruhmes) einen Wettstreit
(griechisch „agon", lateinisch „certamen" genannt) anstellen
und setzte dabei die ansehnlichsten Preise an Geld und an-
deren Kostbarkeiten aus. 6. Zu diesem (rhetorischen) Lob-
preisungs-Wettstreit sollen sich (drei) an Vorzügen des Geistes
und der Beredtsamkeit hervorragende Manner, wie Theopompus,
Theodectes und Naucrates eingefunden haben; nach dem
Berichte Einiger soll sogar Isocrates selbst mit den Genannten
um den Preis gestritten haben. Allein in diesem (geistigen)
Wettstreit trug nach richterlichem Ermessen Theopompus den
Sieg davon, welcher ein Schüler des Isocrates war. 7. Es ist
auch jetzt noch ein Trauerspiel, Mausolus überschrieben, von
Theodectes vorhanden, worin er, wie Hyginus in seiner
*
X, 18, 4. Septem-spectacula. Die sieben Wunderwerke der
alten Welt waren : 1) die Mauern und schwebenden Gärten der Semiramis
von Babylon, 2) der Tempel der Diana zu Ephesus, 3) der Koloss von
Rhodus, 4) die Bildsäule des olympischen Jupiter von Phidias, 5) die Pyra-
miden, 6) der Pharus oder Leuchtthurm zu Alexandrien und 7) das
Mausoleum.
X, 18, 6. Theopompus aus Chios, geb. um 380 v. Chr., berühmter
Redner (Sachwalter) und Geschichtsschreiber. Von seinem, die ganze
griechische Geschichte im Zeitalter Philipps behandelnden Geschichtswerke
sind nur noch Bruchstücke übrig. Er war ein Schüler des Isocrates.
Theodectes, ein Lydier und Schüler des Isocrates, Plato und Aristoteles,
lebte im vierten Jahrhundert v. Chr. Als Gerichtsredner und tragischer
Dichter berühmt, starb er zu Athen. Nur wenige Bruchstücke sind noch
von ihm vorhanden. Naucrates der Erythraeer, ein Schüler des Rhetors
Isocrates, soll auch einen Commentar über den Homer geschrieben haben.
X, 18, 7. Ueber Julius Hyginus s. Gell. I, 14, 1 NB; Plutarch, Leben
der zehn Redner IV. unter Isocrates.
Digitized by Google
(72) X. Buch, 18. Cap., § 7. - 19. Cap., § 1—3.
Beispielsammlung berichtet, mehr Beifall gefunden hat, als
bei seinen, in ungebundener Rede abgefassten Schriften.
X, 19, L. Dass ein (von uns) begangener Fehler sich nicht rechtfertigen
und entschuldigen lasse durch Berufung auf ähnliche Fehler, welche auch
noch Andere sich haben zu Schulden kommen lassen ; dann noch Fr-
wähnung einer darauf bezüglichen Stelle aus einer Rede des Demosthenes.
X, 19. Cap. 1. Der Philosoph Taurus liess einen jungen
Mann mit ernstem und heftigem Verweise hart an, wegen
des üebertritts von den Rhetoren und von dem Studium der
Beredtsamkeit zu den Lehren der Philosophie, weil dies, wie
er sich ausdrückte, unstreitig von dem jungen Manne eine
unehrenvolle und verwerfliche Handlungsweise verrathe. Jener
leugnete durchaus nicht, dies gethan zu haben, suchte sich
aber damit zu entschuldigen, dass dies ja oft geschehe, und
glaubte das Schimpfliche dieses (unüberlegten) Vergehens
durch Berufung auf das Beispiel Anderer und auf die ein-
gerissene Gewohnheit (von sich) abwehren zu können. 2.
Allein durch die (übel gewählte) Art dieser Rechtfertigung
wurde Taurus nun gerade erst recht aufgebracht und sagte:
„Wenn Dich, Du dummer, einfältiger Mensch, das hohe An-
sehen und die edlen Grundsätze der Philosophie nicht von
der Nachahmung dergleichen schlechter Beispiele abziehen
konnten, so hätte Dir doch wenigstens gleich ein Gedanke
(von jenem Stern derjenigen Schule, welcher Du jetzt davon
gelaufen bist) von unserm grossen Demosthenes einfallen
müssen, ein Gedanke, der eigentlich um so mehr mit Deiner
Erinnerung verwachsen sein müsste, weil er durch einen an-
muthigen und bezaubernden Redewohlklang (präcisirt) . ab-
gerundet ist und gleichsam dasteht, wie ein (allbekanntes,
altes) Rhetoren - Liedlein (cantilena rhetorica, und eigentlich
von Deiner früheren Beschäftigung her Dir noch frisch im
Gedächtniss sein müsste). 3. Denn, fuhr er fort, wenn ich
mich nicht irre, (was leicht möglich ist) weil ich die be-
treffende Stelle des Demosthenes (in seiner Rede gegen
X, 19, 1. Taurus, der selbst ein Philosoph war, tadelt hier nicht
das Studium der Philosophie, sondern das übereilte Wechseln der Rhetorik
mit der Philosophie, oder vielleicht auch nur mit der Sophisterei.
V
Digitized by Google
X. Buch, 19. Cap., § 3. 4. — 20. Cap., § 1. 2. (73)
Androtion) in meiner frühesten Jugend las, so enthält der
Wortlaut derselben eine Zurechtweisung gegen einen (Men-
schen), der, gerade wie Du es jetzt machst, darauf ausging,
seinen Fehler durch fremde Fehler zu entschuldigen und zu
rechtfertigen. (Die Stelle lautet :) „Sage Du aber nicht (etwa
zu Beiner Entschuldigung), dass dies oft geschehen sei, son-
dern (beweise), dass dieser Vorgang in der Ordnung ist.
Denn wenn ja schon einmal Etwas nicht dem Gesetz gemäss
gethan wurde, Du aber dies nachgeahmt hast, so darfst Du
von Rechtswegen deshalb durchaus noch nicht freigesprochen
werden, sondern wirst umsomehr erst recht gestraft werden
müssen. Denn so wie Du diesen Vorschlag sicher nicht ge-
than haben würdest, wenn (schon einmal vorher) Einer wäre
(ertappt und) verurtheilt worden, so wird auch kein Anderer
(wieder wagen) einen solchen Vorschlag (zu) machen, wenn
Du jetzt (dafür) Strafe leiden musst." 4. So benutzte Taurus
jede Gelegenheit zu Rath und Vermahnungen und führte
seine Schüler und Anhänger hin zu den Grundsätzen eines
tugendhaften und untadeligen Lebenswandels.
X, 20, L. Was man unter dem Worte „lex" verstehe, was unter „plebis-
scitnm" was unter „Privilegium" und in wie weit sich alle diese Audrücke
von einander unterscheiden.
X, 20. Cap. 1. Ich höre oft die Frage aufwerfen, was man
unter „lex" zu verstehen habe, was unter „plebisscitum", was
unter „rogatio", was unter „Privilegium". 2. AtejusCapito,
der vorzüglichste Kenner des (öffentlichen) Staatsrechts und
X, 20, 1. S. Fest. S. 266 \
X, 20, 2. Lange röm. Alterth. § 128, S. (512) 556 bezeichnet die
Definition des Atejus Capito von der lex durch das Attribut generale
(jussum populi aut plebis) als zu eng gefasst und definirt den Begriff der
lex negativ dahin, dass lex jeder jussus populi sei, der nicht in einer
Wahl und nicht in einem Urtheile besteht. Er findet jedoch auch diese
Definition nur annähernd und ebenfalls noch zu eng, weil ja in den früheren
Zeiten der Republik nicht nur die creatio (vergl. Gell. XII, 8, 6 NB;
XITJ, 15, 4), sondern auch das Judicium als ein gesetzbegründender jussus
populi aufgefa8St wurde.
X, 20, 2. Ueber Atejus Capito s. Gell. 1, 12, 8 NB und Teuffels röm.
Lit. Gesch. 260, 3.
Digitized by Google
(74) X. Buch, 20. Cap., § 2—4.
des bürgerlichen Rechts, giebt folgende wörtliche Begriffs-
erklärung, was unter „lex" verstanden wurde. Er sagt : „Das
Wort „lex" bedeutet jede allgemeine Verordnung des Volkes
und der Gemeinen (d. h. des gesammten römischen Volkes
höheren und niederen Ranges) auf den Vortrag (und Vor-
schlag) einer obrigkeitlichen Person." 3. Wenn diese Er-
klärung (des Begriffes lex) genau, erschöpfend ausgedrückt
ist, so können weder die Bestimmung über den Oberbefehl
des Cn. Pompejus, noch die Verordnung über die Zurück-
berufung des M. Cicero, noch die Untersuchung über die
Ermordung des P. Clodius, noch alle andern derartigen Ver-
ordnungen des Volkes und der Gemeine (populi plebisque
jussa) mit dem Namen leges (Gesetze, Ermächtigungen) be-
zeichnet werden. 4. Denn es sind dies durchaus keine ganz
allgemeinen Gesetze, noch das gesammte römische Bürgerthum
betreffende, sondern nur für einzelne Individuen abgefasste,
weshalb sie eigentlich vielmehr privilegia (d. h. Einzelbe-
stimmungen, individuelle Ausnahmeverordnungen) genannt
werden müssen, weil die Alten „priva" im Sinne unserer
jetzigen Bezeichnung von „singula" gebrauchten. So hat sich
z. B. Lucilius im 1. Buche seiner „vermischten Gedicht-
sammlung (Saturae)" dieses Wortes (priva in der Bedeutung
von singula) bedient:
Abdomina thynni
Ad venientibus priva dabo cephalaeaque acarnae, d. h.
Vom Thunfische für jeden der kommenden (Gäste) besonders
Will ich zutheilen ein Bauchstück, von der Acharne ein Kopfstück.
X, 20, 3. Cfr. Liv. 25, 12 die archaistische Formel populo plebique
Romanae vergl. Fest, unter scitum populi. Mit der Verfassung des Servius
Tullius änderte sich der staatsrechtliche Sinn des Wortes populus, zwei
verschiedene Bestandtheile umfassend, den Stand der Patricier und die
Plebs. S. Lange röm. Alterth. § 44 p. (201) 233.
X, 20, 4. privilegia hcissen in der ältesten Sprache individuelle
Ausnahmen. Heut zu Tage nennen wir privilegia die durch die höchste
Staatsgewalt bestimmten individuellen Ausnahmen von der Anwendung der
Rechtsregeln. S. Savigny röm. Rt. Bd. I, cap. 2, § 16.
X, 20, 4. abdomina priva, d. h für jeden ein besonderes Bauchstück.
S. Paul. S. 226.
Digitized by Google j
X. Buch, 20. Cap., §5 — 7
(75)
5. Bei dieser seiner Erklärung hat Capito zur Bezeichnung des
römischen Volkes sich zweier Ausdrücke bedient, des Wortes
„plebs" und des Wortes „populus" und hat sie besonders
von einander getrennt, weil im Worte „populus" der Gesammt-
theil des Staatsbürgerthums und alle seine (drei) Stände (d. h.
der Rathsherren", der Ritter und des Volkes einbegriffen
waren, das Wort „plebes" (= plebs, die Gemeine) aber die
sogenannte Bezeichnung ist (für die niedere Volksklasse) mit
Ausschuss der patricischen Bürger-Familien (und der Sena-
toren). 6. Ein „plebisscitum" ist also, nach der Angabe des
Capito, eine gesetzliche Verordnung (lex), welche die Gemeine
(plebes), nicht das (gesammte) Volk (abgefasst und) annimmt
(also gleichsam eine Gemeinebeliebung). 7. Allein es gilt der
Ausdruck „rogatio" (Vortrag, Vorschlag) für den eigentlichen
Oberbegriff (caput) und Ausgangspunkt (origo) und haupt-
sächlichen Ausdruck (quasi frons) dieses (in allen den Be-
griffen: lex, plebisscitum, Privilegium enthaltenen) gesammten
Rechtsvorganges (totius hujus rei jurisque), wenn die Sache
X, 20, 5. Zwischen populus und plebs war ein grosser Unterschied.
Alle drei römischen Stände zusammengenommen (Senatoren, Ritter und
gemeine Bürger oder Plebejer) machten den populus Romanus, das römi-
sche Volk aus. Bei öffentlichen Verhandlungen, besonders mit Auswärtigen,
war die Formel Senatus populusque Romanus gebräuchlicher als Populus
Romanus. Die sämmtlichen Bürger hingegen, mit Ausschluss der Senatoren
und Patiicier, hiessen plebes (= plebs), daher auch ihre gesetzmässigen,
bevollmächtigten Stellvertreter tribuni plebis nicht tr. populi hiessen;
daher sollten eigentlich tribuni plebis nicht V o 1 k s - Zunftmeister, sondern
Zunftmeister der Gemeine heissen; cfr. Gell. 11, 14, 6 NB. Lange röm.
Alterthümer. § 40 p. (109) 196: „Da die Erweiterung einer plebejischen
Familie für sich nicht zu dem Begriffe einer gens patricia im staatsrecht-
lichen Sinne des Wortes führte, so erklärt es sich, dass den Plebejern
gentes überhaupt abgesprochen werden, während natürlich thatsächlich
plebejische Agnatenkreise sich so gut wie patricische — sich (bis in nebel-
graue Fernen) erweitern konnten etc." S. Gell. XVII, 15, 4 NB.
X, 20, 7. In den ältesten Zeiten wurde mündlich abgestimmt, welches
schon die Ausdrücke rogare, rogator beweisen. Keine Sache von Wichtig-
keit wurde ohne die rogatio (Anfrage) verhandelt. So wurden die Gesetze
eingeführt. Der Magistrat fragte (rogabat) und das Volk antwortete: uti
rogas sc. volumus (d. h. dein Vorschlag gelte, oder: ich billige das vor-
geschlagene Gesetz). Wie dieses mündliche Abstimmen vor sich ging, ist
unbekannt, wahrscheinlich aber dadurch, dass die Rogatores die einzelne
Stimme auf einer tabula aufzeichneten.
Digitized by Google
(76) X. Buch, 20. Cap., § 7 — 10. — 21. Cap., § 1.
entweder das gesammte Volk, oder (auch nur) die Gemeine
(d. h. den Stand der Plebejer) anging, oder wenn es eine
allgemeine Sache der Republik betraf (quod ad universos
pertinet). 8. Denn alle diese (genannten) Ausdrücke (für
gesetzliche Bestimmungen) werden mit dem ursprünglich allge-
meinen Begriff der „rogatio" (eines Vortrags, Vorschlags durch
Umfrage) bezeichnet und sind daher auch wesentlich in diesem
Ausdruck enthalten. Denn ohne dass (vorher) ein Vorschlag
an das (gesammte) Volk, oder (nur) an die Gemeine (den
untersten Volksstand) geschieht, kann auch keine Verordnung
der Gemeine oder des Volks (plebis aut populi jussum) zu
Stande kommen. 9. Allein obgleich" diese Annahme (des
Capito) ihre Richtigkeit hat, finde ich (auffälliger Weise) in
den alten Schriften doch keinen grossen (strengen) Unterschied
(in der Wahl und Anwendung) dieser Ausdrücke beobachtet.
Denn sowohl „plebisscita", als auch „privilegia" hat man in der
uneigentlichen Bedeutung für den Ausdruck „legis (Gesetze,
Ermächtigungen)" genommen und hat (hinwiederum) alle diese
Ausdrücke, durch Vermengung und Unklarheit im Begriff,
auch „rogationes (Vorschläge)" genannt. 10. Auch Sallust,
der doch sonst am meisten festhielt an der eigentlichen und
ursprünglichen Bedeutung der Wörter, gab dem gewöhnlichen
Sprachgebrauch nach und benannte ein eigentliches „Privi-
legium", d. h. die besondere (Ausnahme-) Verordnung, welche
über die Zurückberufung des C. Pompejus beantragt wurde,
(mit dem allgemeinen Begriff „ein Gesetz":) „legem". Die
betreffende Stelle findet sich im 2. Buche seiner Geschichte
und lautet: „Verabredeter Massen hatte der Volkszunftmeister
C. Herennius ausdrücklich verhindert, dass der Consul Sulla
das (Ausnahme-) Gesetz (legem) wegen des Pompejus Zurück-
berufung durchsetzte."
X, 21, L. Weshalb M. Cicero im Allgemeinen die Ausdrücke : „novissinie"
und „novissimus" geflissentlichst vermieden hat.
X, 21. Cap. 1. Es ist augenscheinlich, dass M. Cicero
einige Ausdrücke, die jetzt allgemein im Gebrauch sind und
X, 20, 10. Vergl. über dies „Privilegium" Lange röm. Alterth. IL Bd.
§ 133 S. (590) 649 und III. Bd. § 157 S. 362 u. 363.
Digitized by Google
•
X. Buch, 21. Cap., § 1. 2. — 22. Cap., § 1. (77)
waren, nicht habe brauchen wollen, weil sie (überhaupt) nicht
seinen Beifall fanden, wie z. B. sowohl „novissimus" (der neuste
letzte), als auch „novissime" (neulichst, letzthin, jüngst). 2.
Denn da sowohl M. Cato, als Sallust und auch noch andere
(gute) Schriftsteller desselben Zeitalters gemeinschaftlich sich
dieses Ausdrucks' bedient haben, desgleichen noch viele sehr
gelehrte Männef in ihren Schriften diese (Superlativ-) Form
schriftlich verwertheten , scheint sich Cicero doch dieser, als
einer gleichsam nicht (gut) lateinischen Form enthalten zu
haben, einzig nur deshalb, weil auch L. Aelius Stilo, der ge-
lehrteste Mann seiner Zeit, diese (Superlativ-) Form als (zu)
modern und nicht zu Recht beständig vermieden hatte. Des-
halb halte ich es für zweckentsprechend auch gleich auf das
TJrtheil des M. Varro über diesen Ausdruck mit Varros
eigenen Worten aus dem 6. Buche seines an Cicero ge-
richteten Werkes über die lateinische Sprache hinzuweisen,
wo es heisst: „Was man (sonst gewöhnlich) unter dem Begriff
„extremus (der letzte)" verstand, fängt man jetzt gewöhnlich
an mit „novissimus" auszudrücken, welche Form zu meiner
Zeit nicht nur Aelius, als auch einige andere alte Schriftsteller
als allzumodern vermieden; denn gerade so wie man von
„vetus" die Formen (des Comparativs und Superlativs) vetustius
und veterrimum bildet, so ist von novum (der Comparativ)
novius und (der Superlativ) novissimum abgeleitet worden."
X. 22, L. Auszug einer Stelle aus Piatos Dialog, „Gorgias" überschrieben,
über Vorwürfe , die nur auf die Schein-Philosophie "Bezug haben , womit
aber unüberlegt gleich auf alle Philosophen nur Solche losziehen, welche
die Vortheile der wahren Philosophie leugnen (oder verkennen).
X, 22. Cap. 1. Plato, der grösste Freund der Wahrheit
und ein Mann, der stets sein höchstes Vergnügen daran findet,
diese (Tugend) allen seinen Mitmenschen zu Gemüthe zu
führen, lässt aus einem zwar nicht ganz sachverständigen
und nicht ganz unbefangenen Munde, aber (im Grunde ge-.
nommen) doch durch ein wahres und aufrichtiges Bekenntniss
Alles das sagen, was überhaupt gesagt werden kann gegen
X, 21, 2. L. Aelius Stilo Praeconius (s. Gell. I, 18, L. NB) war des
M. Varro Lehrer.
Digitized by Google
(78)
X. Buch, 22. Cap., § 1 - 6.
solche Müssiggänger und Lungerer, die unter dem Vorwand
(und) der Finna der Philosophie ein unnützes Faulenzerdasein
und den Dunst in Worten und Werken als Ziel verfolgen.
2. Denn obgleich Callicles, dem Plato die Gedanken darüber
in den Mund legt und dem das wahre Wesen der Philosophie
nicht so ganz klar geworden ist, den Philosophen (im All-
gemeinen) viel ungeziemende und unverdiente Vorwürfe macht,
so muss man sich doch genau merken, was von ihm gesagt
wird, damit wir uns im Herzen erinnert fühlen, dass wir
nicht auch selbst (einmal) dergleichen (gerechten Tadel) ver-
dienen, oder aus träger und eitler Faulenzerei die Be-
schäftigung mit der Philosophie und die Neigung zu ihr (nur)
als Ausflucht gebrauchen. 3. Die betreffende Stelle aus dem
Gespräche des Plato, Gorgias überschrieben, bezüglich der
Auslassung (von Seiten des Callicles) hebe ich hier aus und
lasse sie gleich im griechischen Originalwortlaut folgen, weil
eine Uebersetzung derselben nicht in meiner Absicht liegen
konnte, da sich die Eigentümlichkeiten (des Griechischen)
im Lateinischen keineswegs würden annähernd (treffend) aus-
drücken lassen können, am allerwenigsten aber durch eine
Uebertragung von mir. Die Stelle lautet (Plat. Gorg. 484, C.
cap. 40): 4. „Die Philosophie, mein lieber Socrates, ist freilich
etwas Hübsches, wenn Jemand im Jugendalter sich einiger-
massen mit ihr befasst; wenn man aber (gar zu lange und)
über die Gebühr sich bei ihr aufhält, dann wird sie (mehr)
zum Schaden (als zum Nutzen) der Menschen beitragen. 5.
Denn wenn Einer auch mit guten Naturanlagen ausgerüstet
ist und sich dabei noch über das Jugendalter hinaus mit
Philosophie beschäftigt, (D) so wird er nothwendig in alledem
unerfahren bleiben, was (ausserdem doch) Jeder wissen (soll
und) muss, der ein braver, rechtschaffener und angesehener
Mann werden will. 6. Leute solchen Schlages werden un-
bekannt bleiben, sowohl mit den Gesetzen im Staate, als
auch mit der Rede (-Fertigkeit, zwei Dinge), über die man
im Verkehr mit Menschen bei öffentlichen, so wie Privat-
vorträgen (jederzeit) muss verfügen können; ferner werden
solche keinen Einblick thun in die menschlichen Gelüste und
X, 22, 5. Cfr. Geil. V, 15, 9 u. V, 16, 5.
Digitized by Go
X. Buch, 22. Cap., § 6-16.
(79)
Leidenschaften und weiden überhaupt ein für allemal mit
den Sitten des Lebens in Widerspruch gerathen. 7. Wenn sie
dann an ein öffentliches, oder Privatgeschäft gehen, machen
sie sich lächerlich, (E) wie ja auch die Staatsmänner, mein'
ich, sich lächerlich machen, wenn sie sich mit euren Uebungen
und Untersuchungen abgeben. (8. Denn hier trifft die Rede
des Enripides ein: Es glänzt ein Jeder wohl darin —
und strebt vorzüglich darauf zu,
Verwendend eines jeden Tages grössten Theil,
Dass er wo möglich selbst sich selber übertrifft.
9. (485) Worin aber einer sich schwach fühlt, das flieht er
und schmäht es, hingegen jenes Andere lobt er aus Liebe
gegen sich selbst, weil er glaubt, sich selbst auf diese Art
zu loben.") 10. Kurz nachher fügt Plato hinzu: „Meiner
Meinung zu Folge ist es demnach am besten, sich mit Beidem
zu befassen. Denn (nur) mit der Philosophie sich zu be-
schäftigen ist zwar schön, insoweit es die Bilduug erheischt,
und Philosophie zu treiben, macht einem jungen Menschen
(durchaus) keine Schande. Wenn aber ein älterer Mann noch
philosophirt, dann, mein lieber Socrates, wird (mir) die Sache
(doch etwas) lächerlich, 11. (B) und ich empfinde dasselbe
bei Philosophen, was ich (so etwa) bei Leuten empfinde, die
stammeln und kindische Spielereien treiben. 12. Wenn ich
(z. B.) sehe, dass ein Kind, dem es (als solchem) gut ansteht
so zu sprechen, stammelt und kindisch spielt, so freut mich
das und erscheint mir das hübsch anständig (ungezwungen)
und dem Kindesalter ganz angemessen; 13. höre ich dagegen
ein solches Knäblein (schon so) altklug sprechen, so macht
dies auf mich einen widrigen Eindruck und beleidigt mein
Ohr und erscheint mir gezwungen; 14. (C) wenn man aber
einen Mann (gar noch) stammeln hört, oder gar noch Kinder-
spiele treiben sieht, so erscheint mir dies lächerlich und un-
männlich und prügelwerth. 15. Gerade ein gleiches Gefühl
beschleicht mich auch bei Denen, die philosophiren. 16. Be-
merke ich bei einem jungen Menschen, dass er Philosophie
treibt, 60 schätze ich das und glaube, dass ihn das wohl an-
steht und halte denselben für einen anständigen Menschen
X, 22, §§ 8 u. 9 u. 19 — 23 fallen bei Hertz aus.
Digitized by Google
(80)
X. Buch, 22. Cap., § 16—22.
von edlem Herkommen ; dagegen einen jungen Menschen, der
sich nichts aus der Philosophie macht, für einen Menschen
von schlechtem Herkommen und für einen solchen, der sich
keiner schönen und edlen Sache für würdig erachtet. 17. (D)
Wenn ich aber Einen, der schon bei Jahren ist, noch immer-
fort sich mit Philosophie beschäftigen und ihn gar nicht damit
zu einem Ende kommen sehe, so scheint mir solch ein Mensch,
lieber Socrates, nur noch Schläge zu verdienen. 18. Denn,
wie gesagt, bei einem solchen Menschen, wenn er auch mit
guten Naturanlagen versehen ist, tritt doch der Umstand ein,
dass er unmännlich, schüchtern wird, das Innere der Stadt
und den Markt (d. h. öffentliche Gesellschaften und die Ge-
richtsörter) flieht, wo, nach dem Ausspruch des Dichters
(Homer II. IX, 441) Männer sich glänzend hervorthun können,
und (es wird sich herausstellen) dass er den Rest seines
Lebens mit seinen drei oder vier schülerhaften Bürschchen sich
in einen Winkel verkriecht und ihnen da was vorflüstert, (E)
nimmer aber etwas Edles und Grosses und Tüchtiges wird
(von sich) hören lassen. (19. [Cap. 41.] Ich nun aber, lieber
Socrates, bin Dir so recht von Herzen gewogen; 20. daher
geht es mir mit Dir gerade so, wie dem Z et hos mit dem
Amphion beim Euripides, dessen ich eben gedacht habe;
21. denn auch mir kommt es an, jetzt eben dieselbe Sprache
gegen Dich zu führen, die jener gegen seinen Binder führte
[und Dir gerade heraus zu erklären], dass Du, lieber Socrates,
Dich [durchaus] nicht um das kümmerst, um was Du Dich
[doch eigntlich] kümmern solltest, und der Seele edelste Natur
mit kindischem Putz verzierst [486. A] und schwerlich wohl
in des Gerichts Berathungen je sprechen wirst, so wie es
recht ist, noch je erfassen, was da billig und wahrscheinlich
ist, noch auch für Andere einen kräftigen Entschluss fassen.
Und doch, mein lieber Socrates — zürne mir nicht etwa,
denn was ich jetzt sagen werde, ist ja wohlgemeint, — 22.
scheint es Dir nicht schimpflich, dass es mit Dir so steht, wie
es nach meiner Meinung mit Dir und den Andern steht, die
sich so tief mit der Philosophie einlassen? Denn wenn
X, 22, 20. Zethus, ein Sohn des Jupiter und der Antiope, baute
mit seinem Bruder Amphion die Stadt Thehen.
Digitized by
X. Buch, 22. Cap., § 22 — 24.
(81)
Jemand Dich oder einen Andern Deinesgleichen ergriffe und
in das Gefängniss abführte unter dem Vorgeben, dass Du
Unrecht gethan hättest, [B] obgleich Du es nicht gethan, so
würdest Du, weisst Du, nicht wissen, was Du mit Dir an-
fangen solltest, sondern es würde Dir sch windlich werden und
Du würdest den Mund aufsperren, ohne zu wissen, was Du
sagen solltest und, nachdem Du vor Gericht getreten wärest,
wenn Du auch nur einem ganz schlechten und jämmerlichen
Ankläger gegenüber ständest, würdest Du doch sterben müssen,
falls er auf Deinen Tod den Antrag stellen wollte. Und doch
wie ist das weise, lieber Socrates, wenn eine Kunst den wohl-
begabten Mann ergreifend schlechter macht, so dass er weder
sich selbst helfen, noch aus den grössten Gefahren sich oder
einen Andern retten kann, sondern sich von seinen Feinden
das Vermögen rauben lassen [C] und ganz ungeehrt im Staate
leben muss. Einen solchen kann man, derb herausgesagt,
ins Gesicht schlagen, ohne bestraft zu werden. 23. Wohlan
denn, mein Guter, folge mir, lass' ab von den [philosophischen]
Untersuchungen und übe schöner Thaten Musenkunst; und
treibe das, wodurch Du weise scheinen wirst, und Andern
lass' das Prunkende, — soll ich sagen Possenspiel oder Ge-
schwätz — das Dich in einem öden Hause wohnen lässt, [D]
indem Du nicht den Männern nachstrebst, welche die Kleinig-
keiten untersuchen, sondern solchen [Herunilungerern], welche
Reichthum und Ehre und viele andere Güter besitzen.") 24.
Diese Gedankenentwickelung lässt Plato, wie schon gesagt,
ganz ruhig erörtern durch den Mund eines zwar nicht so
ganz sachverständigen Mannes, aber (eines Mannes) mit rich-
tigem Gefühl und mit der (ehrlichen) Ueberzeugung von
seinem (natürlichen) schlichten Menschenverstand und mit
einer gewissen lautern, unverhehlten Wahrheit. Dabei ist,
wie sich von selbst versteht, nicht die Rede von der wahren,
ächten Philosophie, die für die Lehrmeisterin aller Tugend-
haftigkeit gilt, und die sich hervorthut in ihrer Pflichterfüllung
gegen den Staat zugleich und gegen (alle) Mitmenschen und
die dem Staate und dem Gemeinwesen, wenn sonst kein
Hinderniss eintritt, mit aller Standhaftigkeit, Muth und Ein-
sicht vorsteht : es handelt sich also hier, ich wiederhole es noch
einmal, nicht um die wahre Philosophie, sondern nur um ein
Gell in 8, Attische Nächte. II. 6
Digitized l
(82) X. Buch, 22. Cap., § 24. — 23. Cap., § 1. 2.
unnützes und kindisches Ersinnen von Spitzfindigkeiten, (um
jene brodlose Kunst) die nicht im Geringsten zur Erhaltung
und Ordnung im Leben förderlich ist, worin die Art von
Menschen grau werden, die mit nichts Besserem ihre Zeit
auszufüllen wissen, und die der gemeine Haufe gerade so für
Philosophen hält, wie sie hier (bei Plato) der Callicles dafür
hielt, aus dessen Munde obiges Urtheil floss.
X, 23, L. Eine Stelle aus einer Rede des M. Cato über die Lebensweise
nnd Sitten der Frauen im alten Rom und beiläufige Bemerkung, dass
einem Ehemann das Recht zustand , sein im Ehebruch ertapptes Weib
(auf* der Stelle) zu tödten.
X, 23. Cap. 1. Die Schriftsteller, welche uns Mit-
theilungen machen über die Lebensweise und Gewohnheit des
römischen Volkes, versichern, dass die Frauen zu Rom und
im ganzen Latium ihr ganzes Leben nüchtern (abstemiae)
zugebracht, d. h. sich stets des Weines enthalten haben, der
in der alten (lateinischen) Sprache „temetum" (d. h. Most, oder
vielmehr: berauschendes Getränk) genannt wird, und dass es
eingeführt gewesen, dass sie ihren Anverwandten einen Kuss
geben mussten, (des Argwohns) der Ueberführung halber, um
durch den Geruch (des Athems) auf die Spur zu kommen, im
Fall sie (gegen das Verbot) Wein getrunken haben sollten.
2. Für gewöhnlich sollen sie nur Tresterwein (loream, Lauer),
Sekt (passum), Gewürzwein (murrinam) und dergleichen an-
dere gebräuchliche süsse Getränke zu sich genommen haben.
X, 23, 1. Cato sagt also, dass die römischen Frauen von ihren Ver-
wandten deswegen geküsst worden seien, um zu erfahren, ob sie nach
"Wein röchen. Plin. XIV, 13. Fabius Pictor schreibt in seinen Annalen,
dass eine Matrone von den Ihrigen gezwungen worden sei, Hungers zu
sterben, weil sie das Schränkchen, worin die Schlüssel zum Weinkeller
lagen, erbrochen hatte. Cfr. Val. Max. II, 1, 5; VI, 3, 9; Dionys. Hai.
n, 26; Plut. qu. rom. 6; Martial. I, 88; Tertull. Apologet. 6; Arnob. adv.
gent. II, 07 ; Plin. 14, 13, 14 § 89 ; Plutarch von den Tugenden der Weiber.
Trojanerinnen.
X, 23, 2. Lorea oder auch lora, ein aus einem Wassernachguss aus
den noch einmal ausgepressten Trestem gewonnener Nachwein, der wegen
seines geringen Geistesgehaltes von ärmern Leuten, Soldaten und Sklaven
und also auch von Frauen getrunken wurde. S. Varro r. r. I, 54, 3;
Cato r. r. 57; Colum. XII, 41; Plin. 14, 10, 12 § 86; Plaut, mil. HI, 2, 23.
X. Buch, 23. Cap., §3—5.-24. Cap., § 1. (83)
3. Das Alles ist nun zwar in den von mir besagten (??)
Schriften allgemein bekannt geworden, allein nach des M.
Cato Bericht sind (römische) Frauen nicht etwa bloss mit
scharfem Verweis weggekommen, sondern haben sich auch
noch vom Richter die härtesten Strafen zugezogen, ebensowohl
wenn sie sich (gegen das Verbot den Genuss von) Wein ge-
stattet hatten, als auch wenn sie die Schuld ehelicher Un-
treue auf sich geladen hatten. 4. Ich setze hier gleich M.
Catos Wortlaut her aus seiner Rede mit der Aufschrift „über
das Heirathsgut", worin sich die schriftliche Bemerkung findet,
es habe den Ehemännern das Recht zugestanden, ihre im
Ehebruch ertappten und überführten Weiber (sofort) zu tödten.
Die Stelle lautet: „Ein Mann, so lange er noch in der Schei-
dung liegt, d. h. noch nicht geschieden ist, vertritt als Richter
bei seiner Frau Censorstelle , hat offenbar unumschränkte
Gewalt (über sie), so z. B. wenn ein Weib sich eine un-
gebührliche und schimpfliche Handlung hat zu Schulden
kommen lassen, darf er sie bestrafen; ferner, wenn sie Wein
getrunken, oder mit einem andern Manne sich einer schimpf-
lichen Handlungsweise schuldig gemacht hat, darf er sie
(selbst) verurtheilen." 5. In Bezug auf das Recht, sie (im
äussersten Fall) sogar tödten zu lassen, steht also geschrieben :
„Wenn Du Dein Weib (auf frischer That) im Ehebruch er-
tappst, darfst Du sie ohne Umstände ungestraft tödten; ihr
aber steht keineswegs das Recht zu, wenn Du die Ehe brichst,
oder die Ehe gebrochen hast, sich zu unterfangen, Dich auch
nur mit dem Finger zu berühren."
X, 24, L. Dass Alle, die sich eines feinen Stils befleissigten . nicht nach
4er jetzigen Volkssprache sich richteten, sondern (stets) „die pristini" und
„die quartiu und „die quinti" gesagt haben.
X, 24. Cap. 1. Die Formen „die quarto" und „die quinto'k
Dann gab es auch noch einen Hefenwein (Gell. XT, 7, 6 faex villi ex
vinaeeis compressa), der auch Hefenwein (vinum faecatum) genannt wurde.
Vergl. „Hellas und Rom" von Alb. Forbiger I. Abth. 1. Bd. NB 87, 4.
Capitel p. 256. S. Paul. S. 144.
X, 23, 4. Mit Zuziehung der Verwandten stand dem Manne ein Ge-
richt über seine Frau zu. Dion. Hai. 2, 25; Tac. Ann. 13, 32; Val. Max.
II, 9, 2; Suet. Tib. 35; Plin. 14, 13, 14 § 89; Tertull. Apol. *J; Lactant.
Instit. I, 22.
X, 24, L. S. Macrob. Sat. I. 4.
Digitized by Google
(84)
X. Buch, 24. Cap., § 1—3.
— was die Griechen mit elg TStaQtrjv (sc. fjfiiQctv, d. h. auf
den vierten Tag, in vier Tagen) und elg ni^imr^ (in fünf
Tagen) bezeichnen — höre ich heutigen Tages selbst von
unterrichteten Leuten gebrauchen und wer sich anders aus-
drückt, wird für roh und ungebildet (gehalten und) mit Ver-
achtung angesehen. Allein zur Zeit des M. Tullius (Cicero)
und noch weiter zurück, glaub' ich, bediente man sich einer
andern Ausdrucksform; man verband beide Wörter, brauchte
sie wie ein Adverbium, also ,,di<?quintiu und auch „diSquinte"
und sprach dabei die zweite Silbe in dem Worte kurz aus.
2. Auch der erhabene Augustus, der eifrigste Forscher in den
alten schriftlichen Denkmälern, welcher der lateinischen
Sprache doch ganz mächtig war, und dessen eifrigstes Be-
streben dahin ging, in allen seinen Reden der Feinheit und
Reinheit seines Vaters nachzueifern, hat in seinen Briefen an
vielen Stellen bei der vorkommenden Tagesbezeichnung nie-
mals eine andere Form angewendet. 3. Ich werde nicht
Unrecht thun, wenn ich, zum Hinweis auf diesen bei den
Alten eingebürgerten Sprachgebrauch, die üblichen Worte
des Praetor s hierher setze, womit er nach der Sitte unserer
X, 24, 1. Das lange e neigte sich bald zu ae hin (z. B. haeres), bald
zu oe (foemina), bald zu i und hielt oft einen Mittelton von e und i.
Auch das kurze e neigte sich zu i hin. In alter Zeit findet sich teni-
pestat^bus, Menervae, mereto geschrieben, wofür die gebildete Sprache in
der klassischen Zeit i annahm, die spätere Volkssprache aber wieder e
hören Hess. Daher das vielfache Schwanken in älteren Formen, so in is
und es im Acc. plur., die quart«, herö, peregrö, sibo und sibei, ne und nei,
nise und nisei, in Inschriften findet sich quasä und quasei. Daher das
griechische f< in Eigennamen bald e, bald i geschrieben wird. S. lat.
Gramm, v. Gossrau. Die dem Dativ angehörende Endung i hat sich in
dem localen Ablativ verschiedener Städtenamen und einiger anderer Sub-
stantive erhalten, (auf die Frage: wo?) Carthagini, ruri etc. Derselbe
Ablativ in dem anscheinenden Genitiv von Städtenamen und anderer
Wörter der 1. und 2. Declination enthalten auf ae (ai) und i — Romae,
Corinthi, militiae, humi, domi — eigentlich die locale Ablativform: Cor-
cyrae, Kbqxvqki («); Deli, 4r\Xoi («); cfr. ofxoi (oj) domi. In guten
Handschriften steht statt domi auch domui. Die Begriffe des Räumlichen
gingen über in die des Zeitlichen (also auch bei i für e, bei wann?),
vesperi neben vespere, temperi, luci. Daher erklärt sich auch die veraltete
Adjectivform die crastini, pristini, proximi. S. Krüger (Grotefend) Gramm,
p. 270, 6.
Digitized by Gog^le
X. Buch, 24. Cap., § 3—6.
Vorfahren den Tag der (jährlichen) Feierlichkeiten an-
zukündigen pflegte, welche man mit dem Namen Kreuzwegs-
Fest (compitalia) bezeichnete. Die Worte lauten also: „Am
neunten Tage (dienoni), d. h. in neun Tagen wird das römi-
sche Volk mit allen seinen edlen Bürgern das Kreuzwegfest
feiern; wenn die Feierlichkeiten begonnen haben, ist nichts
erlaubt (d. h. von öffentlichen Geschäften vorzunehmen)."
Bei seiner Ankündigung braucht der Praetor stets den Aus-
druck „dienoni1' und niemals „die nono". 4. Allein nicht nur
der Praetor, sondern fast die ganze (gute) alte Zeit bediente
sich dieser Ausdrucksweise. 5. Sieh, da fällt mir auf einmal
jener bekannte Vers des Atellanendichters Pomponius aus
dessen sogenannter Mevia ein:
Dies hic sextust, cum nihil egi: diequarte moriar fame, d. h.
Dies ist nun schon der sechste Tag, da nichts ich gethan,
Vor Hunger sterb' ich in vier Tagen wohl.
6. Da fällt mir auch noch jene bekannte Stelle des Coelius
(Antipater) aus dem 2. Buche seiner (punischen) Geschichte
bei: „Im Fall Du mir die Reiterei anvertrauen und selbst
mit dem übrigen Heereskörper nachfolgen willst, will in fünf
Tagen (diequinti) ich zu Rom auf's Kapitol hin Dir ein zu-
bereitet Mahl anrichten lassen (d. h. sollst Du auf dem
X, 24, 3. Compitalia, d. h. ein Fest, weiches jährlich kurze Zeit nach
den Saturnalien, nach vorhergegangener, näherer Bestimmung des Praetors
auf Scheidewegen gefeiert wurde, zu Ehren der Laren (Schutzgötter, auch
Beschirmer der Kreuzwege, lares compitales). Lar = lars vielleicht verwandt
mit dem schottischen lard «= Lord, Fürst, Herr. Sie gehören unter die
conceptivae feriae, angeordneten (wandelbaren) Feste. S. Paul. p. 62;
Varro L 1. 6, 25.
X, 24, 4. Ate Ha, uralte Stadt der Osker in Campanien. Fabula
A teil an a, scenische (nicht von fremden Histrionen, sondern von der römi-
schen Jugend selbst aufgeführte) Darstellung. Dieselbe wurde frühzeitig
aus Atella nach Rom verpflanzt, mit derbem, heiterem Witz gemischt und
war von echt italienischem Charakter. Römische Nationallustspiele. Teuffels
röm. Lit. § 9 „Krähwinkeliaden".
X, 24, 5. L. Pomponius aus Bononia (Bologna) als Atellanen-
dichter berühmt, besonders ausgezeichnet in den stehend gewordenen
Charaktermasken eines „Tölpels", „altes Papachen", „Dummkopf" etc.
Von seinen Atellanen giebt es noch 65 Titel. S. Teuffels R. L. 135.
X, 24, 6. S. Gell. X, 1, 3 NB. L, Coelius Antipater.
Digitized by Google
»
(86) X. Buch, 24. Cap., § 7—9.
Kapitol warm speisen)." 7. Diesen geschichtlichen Ausspruch
aber entlehnte Coelius erst aus der Urgeschichte des M. Cato,
worin also geschrieben steht: „Der Befehlshaber der Reiterei
Hess dem Ober -Befehlshaber der Carthager folgende Auf-
forderung zugehen: Sende mich mit der Reiterei nach Rom
(voraus), am fünften Tage (diequinti) sollst Du dann (schon)
für Dich auf dem Capitol ein Mahl angerichtet vorfinden."
8. Die letzte Silbe bei diesem Worte (die quinte) habe ich
bald mit e, bald mit i geschrieben gesehen ; denn diese (beiden)
alten Schriftsteller (Coelius, wie Cato) bedienten sich (in der
Schriftsprache) willkürlich dieser (beiden) Buchstaben (d. h.
bald des e, bald des i auch noch in andern Wörtern, wie in)
„praefiscine" (unberufen) und „praefiscini" , „proclivi" (ab-
schüssig) und „proclive". Ebenso werden auch noch eine Menge
anderer derartiger Ausdrücke verschiedentlich ausgesprochen
(beim Auslaut). So sagte man gleichfalls : die pristini, was soviel
bezeichnete als: die pristino, am nächsten vergangenen, d. h.
am vorigen Tage, was im gewöhnlichen Leben auch durch
das Wort „pridie" bezeichnet wird, mit Umkehrung der beiden
Wörter bei ihrer Zusammensetzung, gleichsam für: pristino
die. So bildet man auch die ganz ähnliche Form nach in:
„die crastini" (morgenden Tags), das sollte heissen „crastino
die". 9. Ebenso wrenn die Priester eine Ankündigung auf den
dritten Tag ergehen lassen, bezeichnen sie diesen Tag mit dem
X, 24, 7. Die Stelle bezieht sich auf die Schlacht bei Cannae, wo
der punische Dictator Hannibal so verblendet war, auf den Vorschlag
seines Reiterobersten Maharbal nicht sogleich ohne Zaudern eingegangen
zu sein (Ribbeck). Die Fortsetzung zu dieser catonischen Stelle siehe bei
Gell. II, 19, 9. — 216/538 vergl. Historie. Rom. relliq. v. H. Peter I p. 78;
Liv. 22, 51; Val. Max. 9, 5 ext. 3; Flor. II, 6 (I, 22), 19; Plut Fab. 17.
X, 24, 8. In „pridie", welches eine Zusammensetzung von primo die
zu sein scheint, wird bei der Ordinalzahl in der Bezeichnung von einem
Zeitraum, der Tag, wovon die Zählung ausgeht, nicht mitgezählt, wie hier
§ 9 bei tertio die. Diese augenscheinliche Inconsequenz wird dadurch
entfernt, dass man pridie für priore oder pristino die nimmt, wie es hier
"vom Gellius abgeleitet wird. S. Macrob. Sat I, 4, 26.
X, 24, 9. perendie oder perendinus dies, d. h. übermorgen. Dieser
Tag wird auch dies tertius genannt, offenbar nur indem man den heutigen
Tag, von welchem aus gezählt werden soll, als den ersten ansieht und
folglich mitzählt. Cic. pro Muren. 12; cfr. Gell. VI (VII), 1, 10. Die
Terminansetzung hiess condictio, siehe Liv. I, 32; vergl. Paul. 64. 66.
Digitized by Google
X. Buch, 24. Cap , § 10. — 25. Cap., § 1. 2. (87)
Ausdruck: perendini (übermorgen). 10. Aber in dem Sinne,
wie Viele den Ausdruck die pristini (am gestrigen Tage) ge-
brauchen, gerade so hat M. Cato in seiner Rede gegen den
Furius die proximi gesagt (in der Bedeutung : nächstvergangen,
kürzlich). Der überaus gelehrte Cn. Matius gebrauchte in
einem seiner mimischen Gedichte den Ausdruck: die quarto
(zur Bezeichnung einer vergangenen Zeit), wofür wir jetzt
nudius quartus sagen (d. h. nunc dius [= dies] quartus), d. h.
es ist nun bereits der vierte Tag oder : vor vier Tagen). Der
Inhalt der betreffenden Verse lautet:
Nuper die quarto, ut recordor, et certe
Aquarium urceum unicum domi fregit, d. h.
Besinn' ich recht mich, vor vier Tagen wars, wo er
Zu Haus' mir auch den einz'gen Wasserkrug zerbrach.
Man wird also (wohl) folgenden Unterschied festzustellen
haben: dass „die quarto" zwar von der verflossenen Zeit zu
verstehen sei, „die quarte" aber von der zukünftigen.
X, 25, L. Benennungen von Pfeilen, von Wurfgeschossen, von Hieb- und
Stichwaffen, und nebenbei auch noch Ausdrücke für Wasserfahrzeuge, die
sich nachweislich in den Werken der Alten genannt finden.
X, 25. Cap. 1. Als ich (einst) einmal in einem Reise-
wagen sass, machte ich, um meinen unthätigen und gelang-
weüten Geist nicht mit (unnützen) anderweitigen Narrenspossen
zu beschäftigen, es mir zum (besonderen) Vergnügen (die
verschiedenen) Benennungen von Pfeilen, Wurfgeschossen und
Stichwaffen, welche sich in den alten Geschichtswerken er-
wähnt finden, desgleichen die mannigfachen Arten und Namen
von Schiffsfahrzeugen zusammenzusuchen. 2. Da fielen mir
also folgende ein: hasta (Spiess, Lanze), pilum (Wurfspiess),
phalarica (falarica, Speer, Brandgeschoss) , semiphalarica
(Halbspeer, Brandpfeil), soliferrea (von sollus = totus, ganz
von Eisen, Wurfeisen, Eisengeschoss), gesa (gaesa, gallisches,
leichtes Wurfgeschoss), lancea (Lanze), spari (Speere), rumices
X, 24, 10, ürceus, Henkeltopf. Vergl. Mart. 11, 57, 3; 14, 106;
Cato r. r. 13; Colum. 12, 50 (52), 8; Plin. 18, 30, 73 § 307; 19, 5, 24
§ 71; 19, 8, 39 § 129; Dig. 30, 7, 18.
X, 25, 2. Paul, und Festus unk d. betr. Wörtern.
Digitized by Google
X. Buch, 25. Cap., §2 — 5.
(Brand-Geschoss), trifaces (dreikantige FernwafTen), tragulae
(Hellebarden), frameae (Lanzen der Deutschen mit einer
Schneide), mesanculae (Wurfschleudern), cateiae (gallische
Wurfspiesse), rumpiae (= rhomphaeae, zweischneidige, lange
Schwerter, Flamberge), scorpü (Kriegsschleudern), sibones
(illyrische Jagdspiesse), siciles (Sicheln, Hacken, Hauen), veruta
(Wurfspiesse mit Eisenspitze), enses (Degen), sicae (Dolche),
machaerae (Säbel), spathae (breite Schwerter), lingulae (ligulae,
kleine Degen, Dolche), pugiones (kurze Degen), clunacula
(Schlachtmesser). 3. In Betreff des Wortes lingula, weil es
eben nicht sehr häufig vorkommt, glaube ich in Erinnerung
bringen zu müssen, dass unter diesem Ausdruck die Alten
einen länglichen, nach Art einer Zunge geformten kleinen
(spitzen) Degen verstanden haben, dessen Naevius in seinem
Trauerspiel „Hesione" Erwähnung thut. Ich lasse hier die
Stelle des Naevius folgen:
Ne mihi gerere morem videar lingua, verum lingula, d. h.
Auf dass ich willig mich zu aeigen scheine jetzt mit des Dolch's, nicht
mit der Zungen-Spitze.
4. Eine Art von Geschossen bei dem thrakischen Volksstamm
nannte man rumpia (= rhomphea, Flamberg) und es findet sich
dieser Ausdruck im 14. Buche der Jahrbücher des Q. Ennius
geschrieben. 5. Namen für Schilfe, so weit ich mich da er-
innern kann, giebt es folgende: gauli (Flüten, Fleutschiffe,
Kauffahrtei-Handels-Schiffe) , corbitae (Corvetten, Lastschüfe),
caudicae (Flösse), longae (Galeeren), hippagines (= mizctywyQi,
Transportschilfe für Reiterei), cercuri (cyprische, leichte Jagd-
schiffe), celoces, oder, wie sie die Griechen nennen, celetes
(xilrpeg, Fregatten), lembi (Kutters), (h)oriae (Schifferkähne),
lenunculi (Felucken), actuariae (Schoner, Schnellsegler), welche
X, 25, 2. Frameae vergl. Pfrieme.
X, 25, 2. Cateiae bei Vergil Aen. 7, 741 ein deutscher, längerer
Wurfspiess, wie ihn die Teutonen später führten. Wahrscheinlich ein
celtisches Wort.
X, 25, 3. Hesione, Tochter des trojanischen Königs Laomedon,
welche Hercules von einem Seeungeheuer rettete und dem Telamon zur
Gemahlin gab. Ovid. Met. 11, 211 etc. Verg. Aen. 8, 157.
X, 25, 5. S. Paul, und Fest. unt. d. betr. W.
Digitized by Google
X. Buch, 25. Cap., § 5. — 26. Cap., § 1. 2. (89)
die Griechen wtiquotzoi oder incr/.TQideg nennen; pro-
sumiae (leichte Spähschiffe), oder geseoretae (Eilpost- Jachten),
oder (h)oriolae (leichte Küstenschiffchen), stlattae (Gallioten,
lange, bedeckte Flussschiffe), scaphae (Nachen), pontones
(Fähren, Pontons, Bruckenschiffe), acatiae (Fahrzeuge), hemio-
liae (Kaper, Seeräuberboote), phaseli (Schaluppe, Chaloupe,
an grosse Schiffe angehängt), parones (Pinassen, leichte Fahr-
zeuge), myoparones (Raubschiffe), lintres (Gondeln), caupuli
(Barken), camarae (Gondeln, Schiffchen mit bogenförmiger
Bedeckung bei den Einwohnern am Pontus), placidae (flache
Fahrzeuge), cydarum (Hackboot oder Pinke, auch Tartane),
ratariae (Blosse), catascopium (Brigg, Jacht-Schiff).
X, 26, L. Ungerechter Vorwurf, der vom Asinius Pollio dem Sallust
deshalb widerfährt, weil er das Ueberschiffen über das Meer (transfretatio-
nem) mit „traiisgressus (Hinübergang)" ausdrückte und die, welche zu
Schiffe über das Meer gezogen waren (qui transfrctassent) als „transgressi
(Hinübergegaugene)" bezeichnete.
X, 26. Cap. 1. Es schien dem Asinius Pollio in einem
seiner an den Plancus gerichteten (literarischen) Briefe und
einigen andern Feinden des Cn. Sallust tadelnswerth , dass
dieser Schriftsteller im ersten Buche seiner Geschichte das
Hinübersetzen und die Ueberfahrt übers Meer mit „trans-
gressus (Uebergang)" bezeichnete; und dass Diejenigen, von
welchen gesagt wurde, dass sie über das Meer gesetzt waren,
mit dem Ausdruck „transgressi (übers Meer Gegangene)."
2. Er führt die betreffende Stelle aus Sallust wörtlich an, sie
lautet: „Deshalb Hess Sertorius einen geringen Besetzungs-
posten in Mauritanien zurück und nachdem er das Dunkel
der Nacht abgewartet und die Fluth sein Unternehmen zu
X, 25, 5. acatiae (var. lat. vaeticiae).
X, 25, 5. rigolt« sc. vavg, ein leichtes Fahrzeug, besonders der
Seeräuber mit anderthalb Ruderbank.
X, 26, L ürtheile über die Ausdrucksweise des Sallust cfr. Gell. I,
15, 18; IV, 15, 1; VI (VII), 17, 7; X, 21, 2; s. Teuffels rem. L. 204, 4.
X, 26, 1. Lucius Mimati us Plancus in naher Verbindung mit Cicero
und dessen Schüler. Vergl. Gell. I, 22, 19 und Bernhardy röm. Lit. 46,
181); über die Archaismen des Sallust siehe Teuffels röm. Lit. 204, 5.
X, 26, 2. üeber Sertorius vergl. Gell. II, 27, 2 NB und Gell. XV, 22.
Digitized by Google
(90)
X. Buch, 26. Cap., §2 — 7,
begünstigen schien, gelang ihm durch seine Heimlichkeit, oder
durch seine Schnelligkeit das Wagniss, ein Treffen zu ver-
meiden, beim Uebergang (in transgressu)." 3. Hernach
schreibt er weiter unten : „Die Hinübergegangenen (ingressos,
d. h. nach ihrem Uebergange) nahm Alle ein von den Lusi-
taniern bereits vorher (aus Vorsicht für sie) besetzter Berg
auf." 4. Nach der Meinung Jener sei nun diese Ausdrucks-
weise nicht nur weniger bezeichnend und unüberlegt {ci7teqi-
oximiog und gewagt), sondern auch von keiner vollwichtigen
Schriftgrösse (nachweislich) angewendet. „Denn," sagt Asinius
Pollio, „es findet der von „transgredi" abgeleitete Ausdruck:
„transgressi" nur von einem Einherschreiten und einer Fort-
bewegung durch die Füsse seine richtige Anwendung." 5. Des-
halb bestritt er (und behauptete), dass das Wort „transgredi"
weder mit dem Begriff des Fliegens, noch des Kriechens,
noch des Schifffahrtswesens in Beziehung kommen könne,
sondern nur mit solchen in Beziehung gebracht werden und
bei solchen Anwendung finden dürfe, die einherschreiten und
mit Hilfe der Füsse einen Weg (oder ein Reiseziel) zurück-
legen. Deshalb leugnet man geradezu, dass bei einem guten
Schriftsteller sich der Ausdruck könne nachweisen lassen
„transgressus navium", wo von einer Ueberfahrt der Schiffe
die Rede ist, oder dass schlechtweg wohl gar nur das Wort
„transgressus (Uebergang)" für das Wort „transfretatio (Ueber-
seglung)" nachzuweisen sei. 6. Allein da muss ich für meinen
Theil doch hier die Frage auf werfen, warum sollte, gerade
so wie man gewöhnlich ganz richtig von einem Lauf (cursus)
der Schiffe sprechen kann, man nicht auch von einem zu
Schiffe bewerkstelligten Uebergang (transgressus) sprechen
dürfen? zumal da die Kürze der schmalen Strömung, welche
zwischen Afrika und Spanien durchfliesst (und beide trennt),
ganz fein angedeutet worden ist durch den Ausdruck „trans-
gressio" (gleichsam nur ein Schritt um hinüberzukommen) zur
Anspielung auf eine Entfernung von nur wenigen Schritten.
7. Sollte man ja aber auf ein massgebendes Beispiel bestehen
und überhaupt in Abrede stellen wollen, dass von Seefahrten das
Wort „ingredi" oder „transgredi" gesagt worden sei, so möge
man mir . erst die Frage beantworten , welcher vermeintliche
Unterschied zwischen dem Wort „ingredi" und „ambulare" (die
X. Buch, 26. Cap., § 8—10. — 27. Cap., § 1. (91)
doch beide „gehen" heissen) wohl stattfindet. 8. Gleichwohl
aber sagt M. Cato in seinem Werke über Landwirtschaft (1, 3):
„Ein Grundstück, welches man bewohnen will, muss so liegen,
dass in der Nähe (womöglich) eine grosse Stadt sich befindet,
oder das Meer, oder ein Fluss, auf dem Schiffe gehen (am-
bulant, d. h. verkehren, oder wo ein schiffbarer Fluss ist)."
9. Dass dergleichen Metaphern, d. h. Uebertragungen in der
Bedeutung der Wörter sehr gern gesucht sind und für einen
passenden Redeschmuck gelten, dafür giebt uns «auch der
Dichter Lucretius (IV, 528 — 529) ein sprechendes Zeugniss
gerade an dem eben besprochenen Ausdruck. Im 4. Buche sagt
er nämlich von dem Schrei, dass er durch die Luftröhre und
durch die Kehle herausgehe (und „clamor gradiens" sei), und
diese Ausdrucks weise ist doch wohl noch weit kecker, als
jener von dem Uebergang der Schiffe hergenommene Vergleich
bei Sallust. Die betreffenden Verse lauten bei Lucretius also :
•.
Praeterea radit vox fauces saepe, facitque
Asperiora foras gradiens arteria clamor, d. h.
Dazu kratzt auch öfter die Stimme die Kehle, so wie auch
Rauher das Schreien den Schlund uns macht, indem es herausgeht.
10. Deshalb gebraucht Sallust in demselben Werke diesen
Begriff von „gehen (gradi)" als Bezeichnung nicht nur von
Leuten, die zu Schiffe gingen, sondern auch von schwimmenden
Nachen, die weiter vorgegangen (d. h. vorgerückt worden)
waren (scaphae progressae). Die Stelle, wo von diesen Nachen
die Rede ist, setze ich hier wörtlich her: „Einige dieser
(Fahrzeuge), weil sie zu weit vorgegangen (progressae), ohne-
dies mit zu vieler und unzuverlässiger Mannschaft belastet
waren, wurden, da Furcht und Entsetzen die Bemannung
(corpora) beunruhigte, in den Grund gebohrt."
X, 27, L. Erzählung über das römische und carthagische Volk, und dass
beide Völker sich beinahe an Macht gleichstanden.
X, 27. Cap. 1. In den alten Schriften findet sich die
Ueberlieferung, dass das römische und carthagische Volk sich
X, 26, 8. S. Plin. 18, 6, 3. Cato sagt, bei einem Grundbesitz müsse
man drei Dinge im Auge haben, Wasser, eine Verkehrsstrasse und einen
guten Nachbar.
X, 26, 9. Cfr. Gell. V, 15, 4 NB.
Digitized by Google
(92) X. Buch, 27. Cap., § 2 — 5. - 28. Cap., § 1.
einst an Macht, Muthigkeit und Ansehen gleich stand. 2. Und
diese Ansicht ist durchaus nicht ohne Begründung. Denn
bei dem Streit mit allen andern Völkern handelte es sich
zwar auch um das freie Bestehenbleiben des einen oder an-
dern Staates, allein mit den Römern stritt man sich (ganz
besonders) um die Herrschaft der ganzen Welt. 3. Eine Ge-
währ für diese aufgestellte Behauptung dürfte sich in jener
von beiden Völkern abgegebenen Erklärung finden, die (da-
mals) zum Ausbruch kam , als der römische Feldherr Fabius
den Carthagern ein Schreiben übersendete, worin er ihnen
meldete, dass das römische Volk hiermit die beiden Zeichen
des Kriegs oder Friedens sende, nämlich einen Speer (hastam)
als Zeichen des Kriegs und einen Friedensstab (caduceum)
als Friedenszeichen, daraus möchten sie sich eins von beiden
wählen, und was sie sich gewählt haben würden, möchte man
als solches ansehen, als ob es ihnen geschickt worden sei.
4. Die Carthager erwiederten, sie selbst sehen davon ab,
eins von beiden zu wählen, aber es stünde ganz in der Macht
(und Willkür) der Ueberbringer, dasjenige von beiden bei
ihnen zurückzulassen, was ihnen am liebsten wäre, was jene
aber zurückgelassen haben würden, das werde ihnen dann
statt der eigenen Wahl gelten. 5. Allein M. Varro sagt,
dass die beiden übersendeten Gegenstände nicht ein Speer
oder ein Friedensstab gewesen seien, sondern zwei (tesserulae,
d. h. einfache Spiel-) Marken, auf deren einem das Bild von
einem Friedensstab, auf dem andern das Bild von einem Speer
eingegraben gewesen sei.
X, 28, L. Auszug aus dem Geschichtswerke des Tubero über die Ab-
grenzung der (drei verschiedenen) Altersstufen: der Kindheit (pueritia),
der Jugend (juventa) und des Alters (senecta).
X, 28. Cap. 1. (K.) Tubero schreibt im ersten Buche
seiner Geschichten, dass Servius Tullius, der Römerkönig,
als er jene (nachher für alle Zeit gültige) Eintheilung der
X, 27, 3. Fabius Maximus Cunctator. S. Liv. 21, 18; Florus 2, 6;
Sil. Ital. 2, 382; Paul. S. 101 hastae. Bei Livius und Florus wird die
Begebenheit etwas anders erzählt.
X, 28, 1. Cfr. Gell. VI (VII\ 18. Classici.
Digitized by GotigaC
X. Buch, 28. Cap., § 1. 2. - 29. Cap., § 1. (93)
ältern und jüngern Leute der Vermögensabschätzung halber
in fünf (eigentlich in sechs) Klassen vornahm, die Entscheidung
getroffen habe, dass Alle unter 17 Jahren unter die Knaben
zu zählen seien; vom 17. Jahre an, in welchem Alter er jeden
schon für dienstfähig hielt, Hess er Alle ausheben und auf
die Soldatenliste schreiben; ferner (wurde die Bevölkerung
dem Alter nach in zwei Klassen getheilt und es) hiessen Alle
bis zum 46. Jahre Jüngere Leute (die Jugend, juniores)" und
die über dieses Alter hinaus „Aeltere (seniores)", (d. h. mit
Beginn des 46. Jahres fing das Alter an). 2. Ich habe diese
Einzelheiten deswegen angemerkt, um die Altersunterschiede
anzugeben und zu erklären, welche seit der Volkseintheilung
und Abschätzung durch den höchst weisen König Servius
Tullius nach dem Urtheile und der Sitte unserer Vorfahren
zwischen der Kindheit (pueritia), der Jugend (juventa) und
dem Alter (senecta) stattfinden.
X, 29, L. Dass die Partikel „atque" nicht allein zur engen (Kede-) Ver-
bindung dient, sondern auch eine weitere, verschiedene Bedeutung hat.
X, 29. Cap. 1. Die Partikel „atque" wird zwar von den
Grammatikern als ein anknüpfendes Verbindungswort an-
gesehen, — und sie dient allerdings in den meisten Fällen
zur Verbindung und Verknüpfung der Wörter (und Sätze), —
indessen bisweilen hat sie auch noch einige andere Be-
deutungen, die nur von Denen gekannt sind, welche sich eine
sorgfältige Beschäftigung mit den alten Literaturerzeugnisseu
X, 28, 1. Das Knabenalter dauerte 17 Jahre, dann fing die Kriegs-
pflicht an. Dionys. IV, 16; Liv. 22, 57 (a 538) „juniores ab annis XVII
et quosdam praetextatos scribunt", erklärt sich wohl nur so: die Aus-
hebung betraf (nach der Schlacht bei Cannae) alle juniores, d. h. die älter
als 17 Jahre waren (und dies geschah eben ganz nach der Regel der
Kriegsverfassung), diesesmal aber auch manche, die noch nicht dieses Alter
erreicht hatten, folglich noch zu den praetextati gehörten. Obgleich die
Centurie ihrer ursprünglichen Bezeichnung nach 100 Männer vertreten sollte,
so begriff sie doch später eine grössere Anzahl und war gesondert in eine
mobile Abtheilung, zu der alle Männer vom 17. bis 46. Jahre gehörten,
und eine sesshafte, die verpflichtet war die Stadt zu bewachen und aus
Männern von 46 bis 60 Jahren bestand. Vergl. Napol. Caesar I. Bd. cap. I, III ;
Liv. 42, 31. 33; Senec. de brev. vit. 20, 4; Quint. 9, 2, 85. Die legitime
Altersgrenze war das vollendete 45. Jahr. S. Dion. 4, 16; Censorin. 14.
Digitized by Google
(94) X. Buch, 29. Cap., § 2—4.
haben angelegen sein lassen. 2. Denn bald steht diese Par-
tikel in adverbialer Grundbedeutung, z. B. wenn wir sagen:
aliter ego feci, atque tu, d. h. ich habe es anders gemacht, als
Du, da drückt sie nämlich aus: aliter, quam tu (hat also die
Bedeutung von dem adverbium comparandi: quam); bald
wieder, wenn sie verdoppelt wird, vermehrt und vergrössert
sie den Gegenstand, um den es sich handelt, wie an einer
Stelle in den Jahrbüchern des Q. Ennius, der mir gerade
einfällt und, wenn mich bei den Versen kein Gedächtnissfehler
beschleicht, so lautet:
Atque atque accedit muros Romana juventus, d. h.
Und mehr und mehr rückt an die Mauern die römische Jugend.
3. Dieser Bedeutung des „atque" ist die des Wortes „deque"
entgegengesetzt, ein Ausdruck, der sich eben auch bei alten
Schriftstellern vorfindet. 4. Ausserdem wird „atque" auch noch
für ein anderes Adverbium gesagt, d. h. für „statim" (eilends,
alsbald, sogleich, was ich besonders erwähnen muss), weil
man (irriger Weise) der Ansicht ist, dass in folgenden Versen
Vergils (Georg. I, 199 sq.) diese Partikel unverständlich und
ohne Zusammenhang gesetzt sei:
Sic omnia fatis
In pejus ruere ac retro suhlapsa referri;
Non aliter, quam qui adverso vix tiumine lembuni
Remigiis subigit, si brachia forte remisit,
Atque illum in praeceps prono rapit alveus amni, d. h.
So stürzt durch das Schicksal
Alles zum Schlimmeren fort und betreibt ausgleitend den Rückweg;
Wie wenn gegen den Strom ein Mann schwer rudernd sein Schifflein
Kaum hinauf arbeitet, und sinken ihm etwa die Arme,
Eilends dahin ihn entrafft in reissendem Sturz das Gewässer.
X, 29, 4. In den zwölf Tafelgesetzen steht atque auch für statim:
Si in jus vocat, atque eat. Siehe Servius zu Vergil und Verg. Georg,
von Albert Forbiger L Theil, wo es auch als einfaches Bindewort erklärt
wird, wenn man beim zweiten Satz die active Construction mit der passiven
vertauscht, wobei dann das Subject nicht gewechselt wird und der Satz
dann lautet: nicht anders als wie einer, der mit den Rudern den Kahn
(Kutter) mühsam wider den Strom treibt, wenn er seinen Armen einmal
(eine geringe) Erholung gönnt, (stromabwärts wieder getrieben) und (im
Schuss) im Nu von der Strömung im gleitenden Flutbett zurückgerissen
wird.
Digitized by jÜQüglc
XI. BUCH.
XI, 1, L. lieber den Ursprung des Namens „Italia"; über die auferlegte,
sogenannte höchste Strafe (suprema multa) und über den Ursprung und
die Ableitung des Wortes „multa"; weiter noch über das aternische
Gesetz und was man endlich in alten Zeiten gewöhnlich unter dem
Ausdruck: „multa minima" (niedrigste Strafe) verstand.
XI, 1. Cap. 1. Timaeus in seinem „Geschichtswerke",
welches, in griechischer Sprache verfasst, über die Begeben-
heiten des römischen Volkes handelt , und auch M. Varro in
seinen „antiquitatibus rerum humanarum (Alterthümern aus
der Geschichte der Menschheit)", Beide haben es schriftlich
ausgesprochen, dass Italien seinen Namen von einem grie-
chischen Ausdruck erhalten habe, von dem Worte „haloi",
weil dies im Altgriechischen der Ausdruck zur Bezeichnung
der (Rinder und) Ochsen war, wovon es in Italien eine grosse
Menge gab, besonders weil in diesem (fruchtbaren) Lande
viele Viehheerden zu gedeihen und Weide zu linden pflegten.
2. Deshalb wird es uns aber (auch leicht) erklärlich, dass,
weil Italien unendlich reich an Grossvieh war, die sogenannte
XI, 1, L. Lex Aternia, de multa, gab der Consul A. Aternius
(300 u. c.) und bestimmte bei den Strafen, die damals in Vieh erlegt
wurden, den Preis eines Schaafes zu 10 Asses, eines Rindes zu 20 u. s. w.
XI, 1,1. Timaeus, Geschichtsschreiber aus Tauromenion in Sicilien,
von Agathocles vertrieben, lebte 50 Jahre in Athen und verfasste eine
Geschichte Siciliens in 68 Büchern. Seine Werke sind ausser wenigen
Fragmenten verloren gegangen. Er ist nicht zu verwechseln mit dem
Pythagoräer Timaeus. Vergl. Gell. III, 17, 5 NB.
XI, 1, 1. S. Paul. S. 106 Italia. Dionys. Halic. I; Apollodor. II, 5, 10;
Varro r. r. II, 1, 9; II, 5, 3; Columell. r. r. VI, praef. 7.
Digitized by Google
XL Buch, 1. Cap., §2 — 4.
höchste Strafe (multa suprema), weiche täglich für jedesmal
festgesetzt wurde, (nur) aus 2 Schaafen, hingegen zugleich aus
30 Ochsen hestand, im Verhältniss zur Menge der Rinder,
wie sich von selbst versteht und im Verhältniss zum Mangel
an Schaafen. Allein wenn von Obrigkeits wegen eine solche
Strafe von Kleinvieh und Grossvieh (multa pecoris armentique)
zuerkannt worden war, pflegte man Ochsen und Schaafe bald
von geringerem, bald von grösserem Werthe zuzutreiben und
diese Preisverschiedenheit musste daher eine Ungleichheit in
der Strafbusse herbeiführen. Deshalb wurde später nach
dem aternischen Gesetze für jedes einzelne Schaaf 10 Asse,
für jeden Ochsen 100 Asse veranschlagt. 3. Die geringste
Strafe (minima) besteht aus einem einzigen Schaaf. Die
höchste (suprema) besteht aus der eben angegebenen Anzahl
und mehr als diesen Straf betrag täglich (auf einmal Jemandem)
auferlegen, ist gegen Fug und Recht, und daher wird sie
auch „suprema" genannt, d. h. die höchste und grösste. 4.
AVenn nun aber jetzt auch noch von einer Obrigkeit des
römischen Volkes nach alter Väter Weise (Jemandem) eine
Geldstrafe zuerkannt wird, mag es die geringste oder die
höchste betreffen, so pflegt Inan gewissenhaft darauf zu achten,
dass man sich (bei der Strafankündigung) des Wortes „ovis"
immer im männlichen Geschlecht bedient; und* so führt M.
Varro eine gerichtliche Ankündigung des geringsten Straf-
erkenntnisses mit folgenden Worten (feierlich also) an: „Wo-
fern der vorgeforderte M. Terentius sich weder verantwortet,
noch sich (triftig) entschuldigen lässt, so auferlege ich ihm
ein Schaaf als Strafe (unum ovem multam dico)", und wenn
man sich (aus Versehen) bei den Worten der Strafankündigung
nicht des männlichen Geschlechts von ovis bediente, so hiess
es sofort, die (auferlegte) Strafe sei offenbar ungültig (und
XI, 1, 2. S. Paul. S. 144 maxima multa. Cfr. Festus p. 202; 213 u.
237 (ed. Müller) peculatus. S. Gell. X, 5, 2 NB pecunia.
XI, 1, 2. Also für 2 Schaafe und 30 Ochsen zusammen 3020 Asse. —
Einige meinen, weil man in den ältesten Zeiten ein Gefäss voll gemolkener
Milch (vas emulctilactis) statt der Strafe erlegt habe, müsse das Wort
multa aus mulcta hergeleitet sein. Vergl. Paulus p. 24: aestimata und
Anmerkung Müller; Plut Popl. 11; Cic. de republ. 2, 35.
XI, 1, 4. Plin. 18, 3; 33, 1.
Digitized by Google
XL Buch, 1. Cap., § 5— 7. — 2. Cap. § 1. (97)
ungesetzlich angeordnet). 5. Ferner behauptet derselbe M.
Varro im 21. Buche seiner Gebräuche der Vorzeit in (gött-
lichen und) menschlichen Dingen, dass der Ausdruck „multa"
(für Strafe) kein lateinisches, sondern ein sabinisches Wort
sei, und dass dieser Ausdruck bis zu seiner Zeit sich noch
in der Sprache der Samniter, die von den Sabinern abstammten,
erhalten habe. Allein der moderne Grammatiker -Schwärm
äussert sich dahin, dass auch dieser Ausdruck, wie noch einige
andere, nach entgegengesetztem Wortsinn (zar* avviqtQaaiv)
gesagt worden sei. 6. Allein da es das Herkommen und der
Sprachgebrauch so mit sich bringt, dass auch wir sagen:
„multam dixit (er legte eine Strafe auf)" und auch (passive)
„multa dicta est (es wurde eine Strafe auferlegt)", gerade so
wie die meisten Alten sich ausdrückten, so halte ich die
Nebenbemerkung nicht für unzweckmässig, dass M. Cato sich
auch noch einer andern Ausdrucksweise bedient hat. Ich
meine nämlich die Stelle im 4. Buch seiner „Urgeschichte",
wo es heisst: „Wenn einer (unsrer Soldaten) sich unterstand,
gegen Anordnung (ausser Reih und Glied) zu kämpfen, so
legte ihm unser Oberfeldherr eine Strafe auf" (was Cato
nicht durch: „multam dicit", sondern durch „multam facit"
ausdrückt). 7. Es kann aber den Anschein nehmen, dass Cato
nach reiflich erwogener Feinheit das Zeitwort gewechselt hat,
weil es sich um eine disciplinarische Strafe im Felde und im
Heere (durch Machtvollkommenheit des Feldherrn) handelte,
nicht aber um die (gewöhnliche), welche in öffentlicher förm-
licher Versammlung (in comitio) gesetzlich vor dem Volke
(und durch dessen Zustimmung) angeordnet wurde.
XI, 2, L. Wie das Wort „elegantia" bei den altera Schriftstellern nicht
(in gutem Sinne) von einem einnehmenden (gefälligen) Wesen, sondern von
zu glänzendem (und zu grossem) Aufwand in Kleidung und Lebensweise
gesagt wurde, und wie dieser Ausdruck (nur im schlimmen Sinne) zur
^ Bezeichnung eines Fehlers, genommen wurde.
XI, 2. Cap. 1. Mit dem Ausdruck „elegans (wählerisch)"
XI, 1, 5. Alle Mitglieder des sabellischen Stammes, welchem Samniteh,
vermuthlich auch Marser und Peligner angehörten, redeten eine gemeinsame
Sprache. S. Niebuhr R, G. I p. 105 (116); Bernh. R. L. 29, 109); Varro
L. L. 5, 31; Strabo Villi, p. 560; Paul. S. 143 multa ein sabin. Wort.
Gel lins, Attische Nichte. II. 7-
Digitized by Google
I
(98) XL Buch, 2. Cap., § 1—4.
wurde eine Person nicht (in gutem Sinne) als zu ihrem Lobe
bezeichnet, sondern zur Zeit des M. Cato diente dieses Wort
fast immer nur zur Bezeichnung eines Tadels, nicht eines
Lobes. 2. Dies lässt sich nämlich sowohl aus einigen andern
Schriftstellern ersehen, als auch (namentlich besonders) aus
dem Buche des Cato, welches überschrieben ist: „Carmen
de moribus (Sittenspruch- Gedicht)". Daraus ist folgende
Stelle: „Man nahm an, dass der Geiz den Inbegriff alles
Lasters bilde: hingegen wurde der Verschwender, der Wol-
lüstige, der Zieraffe (elegans), der Lasterhafte, der Nichtsnutz
(noch) gelobt." 3. Aus diesen Worten erhellt aber, dass der
Ausdruck „elegans" in alten Zeiten nicht als Bezeichnung ge-
nommen wurde für Einen von "feinem, geistigem Sinn, sondern
von Einem, dessen Herz zu sehr an ausgesuchter üppiger
Kleidung und Nahrung hängt (und Geschmack findet). 4.
Späterhin verschwand zwar bei (dem Worte) „elegans" der
Begriff des Tadels, aber nur der konnte sich (durch diese Be-
zeichnung in seinem Bewusstsein) geschmeichelt fühlen, dessen
wählerischer Sinn (stets) ein gewisses Mass einhielt. So lobte
M. Tullius (Cicero) an dem L. Crassus und Q. Scaevola nicht
blos die ausgewählte, unverfälschte Feinheit (der Rede), son-
dern weil diese (stets zweckentsprechend) mit grosser Knapp-
heit (und ungesuchter Einfachheit in Anordnung des Stils)
XI, 2, 2. Vergl. Non. p. 465 und besonders Teuffels röm. Lit Gesch.
120, 3.
XI, 2, 2. Carmen de moribus ; Sittenspruch-, Sittenregel-ßuch. Catonis
praecepta ad filium, in Saturniern geschrieben, weshalb sie von der Form
auch carmen genannt worden wären (Vahlen). Sie umfassten mehrere
Berufssphären: 1) ärztliche Rathschläge (Ackerbau, Arzneikunde), 2) Be-
redtsamkeit und Recht, 3) handelten sie noch de re militari. S. Sueton
von Doergens. (Vergl. Bernh. R. L. 64, 265.) Carmen de moribus, seinem
Stoffe nach ein Klagelied über das Schwinden der guten alten Zeit, in cfer
Ausführung ein Aggregat von Erfahrungssätzen und Sittensprüchen.
XI, 2, 4. Lucius Licinius Crassus, geb. 140 v. Chr. (614 u. c),
bereits ganz jung noch schon ein ausgezeichneter Redner, bildete sich
als Quaestor in Asien und dann zu Athen, wo er die bedeutendsten grie-
chischen Rhetoren hörte, noch mehr aus. 95 war er Consul. Im Jahre
92 Censor mit Cn. Domitius Ahenobarbus, gab er das berühmte Edict
gegen die lat. Rhetorschulen heraus. (Gell. XV, 11, 2.) In Cicero's Schrift
de oratore spielt er die wichtigste Rolle. S. Teuffels Gesch. der röm
Lit. 149, 3.
XL Buch, 2. Cap., §4 — 6.
(99)
verbunden war. Cicero drückt sich (in seinem Brutus 40, 148)
so aus: „Crassus war unter den feinsten Rednern der schlich-
teste (und einfachste), Scaevola unter den schlichtesten der
feinste." 5. Ausserdem fällt mir noch eine Stelle ein aus
dem eben citirten Buche des Cato, die abgesehen von dem
besonderen Zusammenhange und stückweise (ohngefähr) also
lautet: „Auf dem Markt (und in der Oeffentlichkeit) war es
Sitte, sich anständig zu kleiden : zu Hause so, wie es zweck-
entsprechend war (ganz einfach). Zum Ankauf für Pferde
verwendete man grössere Summen als für Köche; die Dicht-
kunst stand nicht in hohem Ansehen; wer aber an dieser
Kunst Geschmack und Vergnügen fand, oder sich zu Gast-
gelagen drängte, wurde (Schmarotzer, Bummler) grassator
genannt." 6. Auch jener bekannte Gedanke, voll herrlicher
Wahrheit, stammt aus demselben (Spruch-) Buche und lautet:
„Denn mit dem menschlichen Leben verhält es sich fast wie
mit dem Eisen. Wenn Du das (Eisen) in Gebrauch nimmst,
wirds abgenutzt ; wenn Du es (aber) nicht in Gebrauch nimmst,
wird es trotzdem (auch) durch den Rost verzehrt. So auch
sieht man die Menschen sich aufreiben durch (rastloses) Sich-
abarbeiten; übst Du Dich (deshalb) in Nichts, so wird die
Unthätigkeit und die Trägheit mehr Schaden bringen, als die
Beschäftigung. Nach Ribbeck:
Ist doch das Menschenleben — beinah wie das Eisen:
Uebst Du's, so wird's zerrieben; — sonst wenn Du's nicht übst,
Macht ihm der Rost den Garaus. — Ebenso die Menschen.
Durch Uebung zerrieben — sehen wir sie; da ohne
Macht Trägheit und Erstarrung — Schaden mehr als Uebung.
XI, 2, 5 oder: die ich hier nur abgerissen mittheile (intercise) und
für deren richtigen Zusammenhang ich nicht ganz einstehen will (sparsim),
sie heisst (ohngefähr):
XI, 2, 5. Köche, vergl. Plin. 9, 31.
XI, 2, 5. Grassator, Schmarotzer oder Bummler. Festus VII, 72
sagt, grassari bedeute bei den Alten soviel als „adulari", und dies wäre
allerdings soviel als schmarotzen, d. h. auf den Gassen herumbummeln, um
zu sehen, wo es was zu essen giebt. Wofern aber für „adulari" vielleicht
„ambulare" zu lesen wäre, dann hiesse es wohl mehr: Herumschwärmer,
Bummler, unnützer Müssiggänger. Siehe Non. 315. — Dichtkunst und
Schriftstellern fanden in Rom lange Zeit wenig Anerkennung und erst die
Digitized by Google
* ■ ■
(100) XI. Buch, 3. Cap., § 1. 2.
XI, 3, L. Welcherlei und wie gross die Mannigfaltigkeit der Partikel „pro«
(in ihren Bedeutungen) ist; über Beispiele dieser ihrer Mannigfaltigkeit.
XI, 3. Cap. 1. Wenn ich von Amts- und Berufsgeschäften
frei bin und der Körperbewegung halber spazieren gehe oder
fahre, pflege ich mir bisweilen (im Geiste) derartige Fragen
vorzulegen, die zwar, leicht und geringfügig und ungebildeten
Leuten verächtlich (erscheinen), jedoch zur gründlichen (Ein-
sicht und) Kenntnissnahme von den Schriften der Alten und
zum Verständniss der lateinischen Sprache vorzüglich ganz
unentbehrlich sind; wie z. B. die Frage, welche ich zufällig
neulich, als ich nach meiner Rückkehr von Praeneste auf
meinem Abendspaziergange so allein wandelte, in Erwägung
zog : welcherlei und wie gross in der lateinischen Sprache die
Mannigfaltigkeit einiger Partikeln (in ihren Bedeutungen) sei.
So wie z.B. die der Präposition „pro". 2. Auf andere Weise
sah ich sie nämlich angewendet in dem Satze: „pontifices pro
collegio decrevisse, die Priester haben Beschluss gefasst im
Namen und Stellvertretung oder zum Nutzen und Vortheil
der Gesammtheit (des Collegii)" ; anders in dem „quempiam
testem introductum pro testimonio dixisse, dass ein vor-
geführter Zeuge als Zeugniss vorgetragen (und gesagt) habe,
d. h. im Zeugenverhör ausgesagt habe" ; ferner dass M. Cato
im 4. Buche seiner „Urgeschichte" diese Praeposition wieder
anders gebraucht hat, wenn er schreibt: „praelium factum,
depugnatumque pro castris, es sei ein Treffen geliefert und
gekämpft worden vor dem Lager oder zum Schutze des
Lagers44; und desgleichen im 5. Buche: „urbes insulasque
omnis pro agro Illyrico esse, die Städte und Inseln insgesammt
traten ein zum Schutz und zu Gunsten des illyrischen Gebietes" ;
ferner, dass diese Praeposition auch wieder in anderem Sinne
gesagt wurde bei „pro aede Castorfs, vor dem Tempel des
Castor" ; anders in „pro rostris, auf der Rednerbühne, oder
von der Rednerbühne herab" ; anders „pro tribunali, vor dem
Bekanntschaft mit dem Hellenischen verscheuchte die Gleichgültigkeit und
hob das Interesse. S. „Gesch. der röra. Lit. von W. S. Teuffei 2, I."
XI, 3, 2. Im J. 167 587; vergl. Liv. 45, 26, 12. S. Paul. S. 228.
Digitized by Google
XL Buch, 3. Cap., § 2—4.-4. Cap., § 1. 2. (101)
■
Gerichtshof'4; anders „pro concione, in und vor der (Volks-)
Versammmlung" ; und (endlich) anders „tribunum plebis pro
protestate intercessisse , dass der Zunftmeister der Gemeine
vermöge seiner (obrigkeitlichen) Amtsgewalt Einspruch er-
hoben habe". 3. Allein in Betreff' aller dieser Ausdrucks-
weisen, welche seiner (wessen?) Meinung nach entweder im
Allgemeinen ähnlich und gleich, oder in jeder Beziehung
verschieden sind, findet nach meiner Meinung ein Irrthum
statt. Denn meiner Ansicht nach hat diese Mannigfaltigkeit
(und der Wechsel) in der Bedeutung zwar einen und den-
selben Ausgangspunkt und hauptsächlichen Oberbegriff, jedoch
nicht denselben Endzweck. 4. Das wird sicher Jeder leicht
einsehen, der nur irgendwie aufmerksam nachdenkt und
genaue Kenntniss der alten Sprachweise sich zu eigen ge-
macht hat.
XI, 4, L. In wie weit Q. Ennius bei Nachahmung der dichterischen Stellen
des Euripides sein Vorbild erreichte.
XI, 4. Cap. 1. In der Hecuba des Euripides (v. 290
u. s. w.) finden sich Verse, welche wegen ihres Ausdrucks,
ihres Inhalts und wegen ihrer Kürze im hellsten Lichte
strahlen. 2. Hecuba ist es, welche folgende Worte an Ulixes
richtet:
Dein Ansehn, wenn Verkehrtes Du auch räthst, es siegt,
Denn unberühmten und berühmten Mannes Wort,
Obgleich dasselbe, hat doch nicht dieselbe Kraft.
XI, 3, 3. NB Wessen Meinung nach?
XI, 4, L. üeber die Tragödie des Ennius s. Teuffels röm. Liter.
Gesch. § 101, 2.
XI, 4, 1. Euripides, geb. 480 auf Salamis an demselben Tage, wo
die Schlacht der Griechen gegen die durch Themistocles besiegten Perser
geschlagen wurde, war einer der drei vorzüglichsten Tragiker. Er soll
120 Tragödien verfasst haben, wovon nur noch 18 vollständig sind und
die 19. als Bruchstück übrig ist. Er brachte die grösste Mannigfaltigkeit
in das Drama. Ausgezeichnet sind seine Dichtungen durch moralische
und philosophische Gedanken, musterhafte Schilderung der menschlichen
Leidenschaften und Eedeschmuck. Sein Hauptzweck war, Rührung zu
erregen. Er starb 407 v. Chr., in Folge von Hundebissen, in Macedonien
am Hofe des Königs Archelaos (Gell. XV, 20, 9).
Digitized by Google
(102) XI. Buch, 4. Cap., § 3. 4. — 5. Cap., § 1-4.
3. Bei der Uebertragung dieses Trauerspiels hat Q. Ennius
diese (angeführten) Verse ganz und gar nicht unpassend
nachgeahmt. Bei Ennius lautet die gleiche Anzahl der
(drei) Verse also:
Deine Ansicht rühret die Achiver leicht, ist sie auch falsch;
Denn ein Adliger und ein Gemeiner sprechen Beide auch
Gleiche Worte, gleiche Red', verschieden wird die Wirkung sein.
4. Wie ich schon erwähnte, ist die Uebersetzung des Ennius
wohl gelungen; jedoch scheinen die Ausdrücke „ignobiles
(Gemeine)" anstatt (des griechischen) „adogovvreg (Un-
berühmte/ und „opulenti (Mächtige)" für doxovvreg (Berühmte)
nicht ganz sinnentsprechend gewählt zu sein, denn nicht alle
Gemeinen (d. h. Alle von geringer Herkunft) sind (immer) jedes
Ruhmes baar, noch (auch stets) alle Mächtigen berühmt.
XI, 5, L. Einige kurze, flüchtige Bemerkungen über die Pyrrhonier und
Academiker und über den Unterschied zwischen diesen (.beiden) philo-
sophischen Sekten.
XI, 5. Cap. 1. Diejenige philosophische Sekte, welche
wir die pyrrhonischen Philosophen nennen, wird von den
Griechen mit dem Beinamen „Skeptiker (axexrtxot)" be-
zeichnet, 2. das soll ohngefähr heissen: Untersucher und Er-
wäger. 3. Sie entschieden sich nämlich für nichts, und
nehmen nichts bestimmt an, sondern suchen und forschen bei
allen Dingen (in der Welt) nach Auffindung eines Merkmals,
in Ansehung dessen sie sich für Etwas entscheiden und Etwas
bestimmt annehmen können. 4. Und so ist es auch ihre
Meinung, dass sie überhaupt weder etwas (in der Wirklichkeit)
XI, 5, 1. S. Diog. Laert. IX, 9, 11; Quint. XII, 2, 24; Arrian.
Epict I, 5; II, 26.
XI, 5, 1. Pyrrho aus Elis, geb. 380 v. Chr., Stifter der pyrrho-
nischen oder skeptischen Philosophie. Da er die Unbegreiflichkeit aller
Dinge annahm, so suchte er deshalb die Noth wendigkeit einer Zurück-
haltung des Urtheils zu begründen,
XI, 5, 3. Cfr. Gell. XX, 1, 9.
XI, 5, 4. Die Pyrrhonier verwarfen also die Möglichkeit einer Er-
kenntniss der Dinge nach ihrem wirklichen Sein und behaupteten, dass
nichts recht könne begriffen werden. Ne videre plane quidquam neque
audire sese putant. Das soll besonders auch die Meinung des Empedocles
Digitized by Google
XI. Buch, 5. Cap., § 4. 5.
(103)
sehen, noch hören, sondern (sie bilden sich ein) urch die
Gegenstände sei die Empfindung in einen leidenden Zustand
versetzt und so (gereizt und) empfänglich gemacht, (dass es
ihnen nur scheine) als ob sie etwas sehen oder hörten, und
in ihrem Urtheil in Bezug auf Art und Beschaffenheit der
Gegenstände, welche solche Wirkungen in ihnen hervorbringen,
sind sie zurückhaltend und bedächtig; ferner sagen sie, da
ja die Kennzeichen aller Dinge mit wahren und falschen Be-
griffen vermischt und vermengt sind, so scheine die Zu-
verlässigkeit und wirkliche Beschaffenheit aller Dinge so un-
begreifbarlich, dass jeder Mensch, der sich in seinem Urtheil
nicht voreilig überstürzt, bei jeder Sache (schliesslich immer
wieder) dasselbe Bekenntniss abzulegen sich veranlasst fühlen
müsse, welches schon Pyrrho, der Begründer dieser philo-
sophischen Lehre, abgegeben hat, und also lautet: „Es lässt
sich nicht nachweisen, ob Etwas sich so verhält, oder auf
eine andere Art, oder auf keine von beiden." Denn es sei
unmöglich, sagen sie, die Erkennungszeichen (Kennzeichen)
bei einem jeden Gegenstand und seine ursprünglichen Eigen-
tümlichkeiten zu durchschauen und begrifflich in sich auf-
zunehmen (oder zu verarbeiten), und diese Behauptung zu
erörtern und auf mannigfache Weise zu beweisen, ist ihr
eifriges kühnes Bestreben. 5. lieber diesen Gegenstand hat
Favorin auch ein höchst gründliches und scharfsinniges Werk
gewesen sein, wie Cicero im Lucnllo (der academ. Untersuchung erste
Bearbeitung) 2. Buch, cap. 5 § 14 sagt; cfr. Sext Empir. adv. math. VII
p. 122 etc. Bezüglich einer neueren Ansicht vergl. Hartmann Phil, des
ünbew. p. 721—723.
XI, 5, 4. ov paXXov ovrtog etc. Diog. Laert. IX, 11, 2 giebt
^er Bedeutungen des Ausdrucks: „nicht mehr das Eine, als das Andere"
an: 1) affirmativ, z. B. Ein Räuber ist nicht mehr ein Bösewicht, als ein
Lügner, d. h. beide sind Bösewichter; 2) negativ, z. B. Ein Räuber ver-
dient nicht mehr Lob, als ein Lügner, d. h. keiner von Beiden verdient
Lob; 3) affirmativ und negativ zugleich, z. B. Ein Räuber verdient nicht
mehr Lob, als ein Lügner Tadel, woraus gar nicht folgt, dass der Lügner
Lob verdient; 4) negativ und affirmativ, z. B. Man kann nicht sagen,
*eder dass der Räuber mehr ein Verbrecher sei, als der Lügner, noch
dass er nicht mehr ein Verbrecher sei. In dieser letzten Bedeutung nun
hauchten die Skeptiker den Ausdruck: „nicht mehr das Eine, als das
Andere. S. Sext. Emp. Hypotyp. I, 30, 2*13.
Digitized by Google
I
(104) XI. Buch, 5. Cap., § 5. 6.
in 10 Büchern geschrieben, welches die Ueberschrift trägt:
„(rteQi) tiüv nufäuveuov tqoticov (über die 10 verschiedenen
Beweisgründe des Pyrrho)". 6. Von Alters her schwebt diese
Frage und ist von vielen griechischen Schriftstellern behandelt
XI, 5, 6. Sext. Empir. Hypotyp. I, 14, 36 sagt: „Die altern Skep-
tiker (d. h. Pyrrho und Aenesidemus) pflegten gewöhnlich gewisse Gründe
anzugehen, aus welchen ihnen das Bedürfniss der Zurückhaltung des Bei-
falls zu fliessen schien, und zwar zehn an der Zahl, die sie auch wohl
Gemeinörter (Wendungen, verschiedene Weisen) nannten. Diese nun hatte
Favorin in seinem Werke wahrscheinlich umständlich erläutert S. Gell.
I, 3, 27 NB. Vergl. über das pyrrhonische System Tiedemanns Geist der
speculativen Philosophie IL Bd., 9. Abschn. S. 323. S. noch Diog. Laert.
IX, 9, 8; Suidas; Sext Empirie. Hypotyp. I, 3; Cic. de fin. II, 14; de
orat III, 18; Senec. ep. 88, 37; Lactant. div. inst, in, 6.
Vi, 5, 6. Man t heilt die Academiker in die alten, mittleren und
neueren. Die alte Academie nahm die meisten Lehrsätze des Heraclit,
Pythagoras und Socrates an und hatte den Plato zum Stifter. Arkesilaos,
der Stifter der mittlem Academie, wich in vielen Stücken von der Meinung
des Plato ab und behauptete, wie Pyrrho, es gebe keine absolute Wahr-
heit, man könne höchstens auf Wahrscheinlichkeit Anspruch machen, und
es müsse daher jeder Weise bei seinem Urtheile in jeder Hinsicht Zurück-
haltung {Inoyrir) beobachten. Carneades, der Stifter der neuern Academie,
verliess diesen Grundsatz des Arkesilaos wieder, gab zwar das Vorhanden-
sein des Wahren und Falschen in der Welt zu, stritt aber nur dem Men-
schen das Vermögen ab, das Eine von dem Andern zu unterscheiden, be-
hauptete also, man könne die Wahrheit nicht erkennen und stand also
zwischen dem positiven und negativen Dogmatismus in der Mitte.
Socrates
I. Plato II. Antisthenes. III. Aristippj
alt« Academie. 1 I Cyrenaiker.
1. (Speusippus) 2. Aristoteles, 1. Cyniker 2. Stoiker
Xenocrates Peripatetiker, lehrte Diogenes Zeno
Pole^pTA^ fa ^.J^ deS
Krates von Tarsos
u. Krantor von Soli
mittlere I Academie.
i Arkesilaos
<PhocäerEvander und Hegesinus aus Pergamum
I neuere Academie. |
\ Carneades.
Zu diesen drei Academieen fügen Manche noch die vierte, von Philo ge-
stiftete hinzu und als fünfte die von seinem Schüler Antiochus errichtete,
obwohl sie beide keine besonderen Lehrsätze gehabt haben.
Digitized by Google
XI. Buch, 5. Cap., §6 — 8.
worden, worin und in wie weit sich die Pyrrhonier und
Academiker (von einander) unterscheiden. Beide heissen
nämlich: Skeptiker (Bedenklichkeitskrämer), Ephektiker (die
sich nach der Untersuchung immer noch des Urtheils ent-
hielten), Aporetiker (Zweifler), weil sie Beide nichts bejahen
und zugeben und nach ihrer Meinung nichts begreiflich finden.
Allein von allen Gegenständen aus gehen demnach, wie sie
sagen, die (Erinnerungen und Reflexionen über die) Er-
scheinungen hervor, welche sie Phantasieen ((favzaoiai, An-
schauungsgebilde, d. h. durch Sinneseindrücke von aussen
entstandene Vorstell ungen und Begriffe) nennen, die aber
nicht in der wirklichen Beschaffenheit dieser Dinge selbst
auftreten (und erscheinen), sondern nur als Empfindung in der
Seele, oder in dem Körper derer, zu denen (oder an die) diese
Sinneseindrücke gelangen. 7. Deshalb sagen sie auch, dass
überhaupt alle Dinge (und Vorgänge), welche die menschlichen
Sinne berühren, nur „bezugsweise (xwv ngog ti)u beständen.
Diese Bezeichnung soll ausdrücken, dass es nichts (in der
Welt) gebe, was für sich bestehe und nichts, was eine selbst-
ständige Kraft und Wirkungsfähigkeit besitze, sondern dass
alle Dinge durchaus (mit einander im Zusammenhang und)
eins zum andern in Beziehung stehen; dass sie ferner uns
als solche vorkommen müssen, wie im Augenblicke ihres Er-
scheinens ihre Aussenseite sich uns zeigt, und wofür sie von
uns nach unseren empfangenen Sinneseindrücken gehalten
werden, nie nach ihrer eigentlichen, ursprünglichen Wesenheit.
8. Da nun aber sowohl die Pyrrhonier, wie die Academiker
auf ganz ähnliche Art diese Behauptung unter einander
theilen, so lässt sich nach allgemeinem Dafürhalten trotzdem
unter beiden doch noch ein Unterschied herausfinden, nicht
nur in einigen andern Beziehungen, sondern auch besonders
deshalb, weil die Academiker wenigstens die eine Möglichkeit
(festhalten und) begreiflieh finden, dass man nichts begreifen
könne, und nur das Eine mit Entschiedenheit annehmen, dass
man nichts entschieden (für wahr) annehmen könne, während
die Pyrrhonier selbst das nicht einmal als etwas Wahres
gelten lassen wollen, weil (im Ganzen genommen) überhaupt
nichts wahr zu sein scheine.
Digitized by Google
(106) XL Buch, 6. Cap., § 1—6.
XI, 6, L. (Behauptung) Dass zu Rom die Frauen nie beim Hercules, noch
die Männer beim Castor geschworen hätten.
. XI, 6. Cap. 1. In den Schriften der Alten schwören
weder die römischen Frauen beim Hercules, noch die Männer
beim Castor. 2. Nun ist es aber kein Geheimniss, warum
die Frauen nicht beim Hercules schwuren, denn sie hielten
sich bei der Feier zu Ehren des Hercules fern. 3. Warum
die Männer aber als eidliche Versicherung nicht den Namen
des Castor ausgesprochen haben sollen, lässt sich nicht leicht
sagen. Nirgends jedoch lässt sich bei guten Schriftstellern
beispielsweise eine Stelle nachweisen, dass entweder ein Weib
sich bei der Versicherung durch einen Schwur „me hercle
(beim Hercules)", oder ein Mann der Formel „me castor (beim
Castor)" bediente. 4. Die Versicherungsformel „aedepol"
aber, welche einen Schwur beim (Gott) Pollux bedeutet, war
sowohl bei dem männlichen, wie beim weiblichen Geschlecht
im Gebrauch. 5. Allein M. Varro behauptet alles Ernstes,
dass in den ältesten Zeiten die Männer weder beim Castor,
noch beim Pollux zu schwören pflegten, dass dies aber nur
ein von dem geheimen eleusinischen (Ceres-) Gottesdienst
überkommener Frauenschwur sei. 6. Nach und nach hätten
aber auch Männer, aus Unkenntniss alter Sitte, angefangen
sich dieser Schwuresformel „aedepol" zu bedienen und so
XI, 6, 2. Die Frauen durften nach Macrob. Sat. 1, 12 bei der Gottes-
verehrung des Hercules sich nicht einfinden, weil sie ihm, als einst ihn
ungemein dürstete, nicht einmal Wasser zu trinken geben wollten; daher
bei Properz V (IV), 9 v. 67—70:
Der als gross t er Altar nach gefundener Heerde geweiht ward,
Den ich mit eigener Hand baute zum grössten Altar,
Niemals werd' er geöffnet der Andachtsübung der Mägdlein;
Dass herkulischer Kraft nicht ungebüsst sei der Durst.
Bei grossen Feierlichkeiten, Dankesfesten etc. standen alle Tempel offen.
5. Liv. 30, 17. 40; 45, 2. Dass nicht alle Tempel dem ganzen Volke
offen standen, hatte seinen Grund darin, weil manche überhaupt nie ge-
öffnet wurden, zu manchen aber weder Frauen (wie hier zum Tempel
des Hercules s. Macrob. Sat I, 12, 28; Serv. zu Verg. Aen. 8, 179; Plut.
Ilöm. Fragen 57. VH p. 126 Reisk.) noch Freigelassene (Macrob. Sat I,
6, 13 und Serv. loc. cit) Zutritt hatten. Vergl. überhaupt Minuc. Felix
24, 5. (Alb. Forbiger.)
Digitized by Google
XI. Buch, 6. Cap., §6.-7. Cap., § 1 — 4. (107)
habe sich diese Ausdrucksweise allgemein eingebürgert; dass
aber „me castor" von den Männern gesagt werde, lasse sich
in keinem alten Schriftwerke auffinden (oder nachweisen).
XI, 7, L. Dass man sich niemals ganz veralteter und schon verjährter
und abgekommener Wörter bedienen soll. (Ueber denselben Gegenstand
schon bei Gell. I, 10.)
XI, 7. Cap. 1. Es scheint ein gleich grosser Fehler zu
sein, entweder verlegener oder altvaterischer Wörter sich zu
bedienen, oder ungewöhnlich neuer, die sich wegen ihrer
Härte und Abgeschmacktheit nicht empfehlen. Ich aber für
meinen Theil finde es weit gezwungener und tadelnswerther,
neu aufgewärmte, verfallene, vergessene anzuwenden, als wie
gewöhnliche und gemeine. 2. Unter den neu aufgewärmten
verstehe ich offenbar auch solche, welche als ausser Gebrauch
gesetzte und abgekommene zu betrachten sind, wenn sie auch
(als) uralt (nachgewiesen werden können und vor Alters gäng
und gäbe sein mochten). 3. Es ist sogar dies eine fehlerhafte
Erscheinung bei Verspätung des Unterrichts (und der Erziehung),
was die Griechen mit dem Ausdruck „bipipad-ia" bezeichnen,
dass, wenn Jemand von Etwas keinen Begriff gehabt hat und
darüber lange in Unwissenheit geblieben ist, wenn er dies
nun erst einmal (nachgelernt und) zu wissen angefangen, er
auch gleich einen grossen Werth darauf legt, es (aus Wichtig-
thuerei und aus einer damit verbundenen Eitelkeit) allerorts und
bei jeder Gelegenheit an den Mann zu bringen. — Während
meiner Anwesenheit in Rom fand ich diese Bemerkung be-
wahrheitet an einem zwar alten und berühmten Rechtsanwalt
(bomo in causis), der aber (wie es sich gelegentlich einst
zeigte) seinen Wissensschatz auch nur in Eile und gleichsam
im Sturmesdrang zusammengerafft zu haben schien ; denn als
er vor dem Statthalter (einen Rechtsfall vortrug und) im Ver-
laufe seiner Verhandlung von einem sagen wollte, dass er
nur von dürftiger und elender Kost sich ernähre, nur Kleien-
brot zu essen und krätzerhaften, stänkrigen Wein zu trinken
babe, drückte er sich also aus: „hic eques Romanus apludam
edit et flocces bibit (das soll heissen: dieser edle römische
Ritter hat nichts als Pollmehl zu essen und Weinhefen zu
trinken)." 4. Von den Anwesenden Allen sahen sich Einer
Digitized by Google
r
(108) XL Buch, 7. Cap., § 4 — 9.
den Andern an, erst ziemlich ernst, mit verdutzter und
fragender Miene, was wohl jenes (sonderbare) Wörterpaar
„apluda und flocces" heissen solle, gleich darauf aber brachen
allesammt in ein schallendes Gelächter aus (über sein Kauder-
welsch), gleich als hätte er, Gott weiss, was für ein (un-
verständliches) Tuscisch oder Gallisch gesprochen. 5. Es hatte
aber der gute Mann irgendwo gelesen, dass die (alten) Land-
leute die Kleie oder Hülse vom Getreide vor Zeiten „apluda
(Pollmehl)" genannt, und dass selbst Plautus in seinem Lust-
spiel, welches „Astarba" betitelt ist, wenn dies Stück über-
haupt noch von Plautus selbst herrührt, sich dieses Ausdrucks
bedient habe. 6. So auch hatte er (irgendwo) aufgeschnappt»
dass in der alten Sprache mit dem Ausdruck: „flocces" die
Weinhefen bezeichnet wurden, d. h. der aus den Weinträbern
gepresste Tresterwein, sowie mit dem Ausdruck „fraces" die
aus den Oliven gewonnenen Oelhefen und Oeldrüsen, und das
Wort „flocces" hatte er bei Caecilius (Statius) in dessen Lust-
spiel ^iwlov^evoi (die Verkäuflichen)" gelesen, und dieses
absonderliche Wörterpaar hatte er sich nun (absichtlich) zur
(effectvollen) Ausschmückung seiner Rede aufgespart. 7. So
wendete auch (einst) ein anderer, von ähnlicher, flüchtiger
und oberflächlicher Belesenheit aufgeputzter (geschmackloser)
Einfaltspinsel (apirocalus), da sein Gegner den Antrag stellte,
den Process zu vertagen, sich mit folgenden Worten an den
Richter: „Ich bitte Dich, Praetor, hilf mir, steh' mir bei!
Wie lange doch will uns dieser (ewige) Ausfluchtsucher aul-
halten (und immer wieder Aufschub verlangen)?" Dabei
wiederholte er mit lauter Stimme drei- bis viermal das Wort :
„bovinator", welches er in dem Sinne wollte verstanden wissen,
wie „Ausfluchtsucher". 8. Es entstand fast unter allen An-
wesenden ein allgemeines Gemurmel, da sie über das Wort-
ungeheuer ganz verwundert waren. 9. Allein der freche
Mensch warf sich in die Brust und sprach mit wichtiger
Miene: „Ihr habt (freilich) wohl denLucilius nicht gelesen, der
einen „tergiversator" (einen Ausfluchtsucher) mit dem Worte
XI, 7, 7. bovinari (von bos), schreien, also „bovinator" vielleicht:
Schreihals.
Digitized by Google
— 4
XL Buch, 7. Cap., § 10. — 8. Cap., § 1—4. (109)
„bovinator" bezeichnet". 10. Der betreffende Vers kommt
aber im 21. Buche bei Lucilius vor und lautet:
Hic est tricosus bovinatorque ore improbus duro, d. h.
Ränk'schmied ist er und Ausfluchtsucher von schamlosem Munde.
«
XI, 8, L. Des M. Cato freie Meinungsäusserang über den Albinus, der
als Römer eine römische Geschichte in griechischer Sprache verfasste,
vorher sich aber (in seiner Vorrede) wegen der Unerfahrenheit in dieser
ihm, als einem Römer, fremden Sprache, Schonung und Nachsicht erbittet.
XI, 8. Cap. 1. M. Cato soll über den A. Albinus einen
ebenso gegründeten, wie scharfsinnigen Tadel ausgesprochen
haben. 2. Dieser Albinus, der sich mit Luc. Lucullus in das
Consulat theilte, hat eine römische Geschichte in griechischer
Sprache verfasst. 3. In der Vorrede zu diesem seinen Ge-
schichtswerke beginnt er mit einer schriftlichen Aeusserung
folgenden Inhalts: „Niemand werde ihm wohl gebührender
Massen böse sein und zürnen, wenn in diesen Geschichts-
büchern die Sprache manchmal nicht recht fliessend, oder der
Stil den Regeln des Geschmacks weniger entsprechend sein
sollte." Dann lauten seine eigenen Worte (der Entschuldigung)
weiter: „Denn ich bin ja ein Homer, in Latium geboren, die
griechische Sprache ist eigentlich so gar nicht meine Sache;"
deswegen also verlangte er, wenn sich irgend ein Irrthum
(und Versehen) vorfinden sollte, Schonung und Nachsicht bei
etwaiger ungünstiger Beurtheilung. * 4 Als M. Cato diesen
vermeintlichen Entschuldigungsgrund gelesen hatte, sagte er:
Wahrhaftig, Du bist doch ein rechter Schalksnarr, wenn Du
wegen einer (unnöthigen) Verschuldung lieber hast um Ver-
zeihung bitten wollen, als dass Du dieses Versehen lieber
hättest ganz vermeiden sollen. Denn man sucht ja nur dann
um Entschuldigung zu bitten, entweder wenn man wider
Wissen und Vermuthen einen Irrthum begangen, oder wenn
man aus Nothwendigkeit gefehlt hat. Wer aber, ich bitte
Dich, zwang Dich denn, fuhr Cato weiter fort, zu einer That,
XI, 8, 1. Cfr. Plut Cat. 12; Polyb. 40, 6; Macrob. Sat. prooem.
eitr; Plutarch: Denksprüche der Römer, der ältere Cato 29.
XI, 8, 2. Ueber A. Postumius A. F. Albinus s. Teuffels röm. Lit.
Gesch. 126, 2.
■
Digitized by Google
•--^1. .•- ramm
HO) XI. Buch, 8. Cap., § 4. 5. — 9. Cap., § 1.
für die Du Dir, bevor Du sie noch vollzogst, (wie Du ganz
richtig fühltest) erst Verzeihung erbitten musstest? 5. Diese
Nachricht steht im 13. Buche des Cornelius Nepos „über be-
rühmte Männer" geschrieben.
XI, 9, L. Eine Erzählung, die sich in den Schriften des Critolaus be-
richtet findet, über eine milesische Gesandtschaft und über (eine Bestechung
des Redners) Demosthenes.
XI, 9. Cap. 1. Bei Critolaus findet sich die schriftliche
Meldung, dass Gesandte von Milet aus Interesse für ihren
Staat nach Athen gekommen seien, vermuthlich um sich
(daselbst) Hülfe zu erbitten. Hierauf hätten nun diese müe-
sischen Gesandten geeignete Wortführer und Fürsprecher sich
(als Vertheidiger) auserkoren, und (zur Erreichung ihrer
Zwecke) auf ihre Seite zu bringen gewusst. Diese bevoll-
mächtigten Rechtsanwälte hätten denn nun auch (zur Ent-
ledigung des ihnen ertheilten Auftrags) sich bei dem Volke
für das Anliegen der Milesier (warm) verwendet, allein nur
Demosthenes habe sich dem Verlangen der Milesier heftig
widersetzt, sogar behauptet, die Milesier seien weder der
Hülfe würdig, noch könne (überhaupt) eine Erfüllung ihrer
Bitte dem (athenischen) Staate von Nutzen sein. Deshalb
sei der Austrag dieser Angelegenheit bis auf den folgenden
Tag verschoben worden. Nun aber hätten sich die Gesandten
zum Demosthenes begeben und ihn dringend gebeten, er
möchte ihnen ferner nicht mehr zuwider sprechen. Für diese
Gefälligkeit habe er sich Geld erbeten und die erbetene, nicht
unbedeutende Summe auch wirklich bekommen. Als nun
Tags nachher die Verhandlung .dieser Angelegenheit aufs
Neue sollte zur Sprache gelangen, sei Demosthenes, Hals und
Nacken in Wolle dicht eingehüllt, vor das Volk mit der Er-
klärung hingetreten, er leide an Halsbeklemmung (synanche,
eigentlich : Halsbräune), deshalb könne er nicht (auftreten und)
gegen die Milesier sprechen. Da nun habe Einer aus der
Volksmenge ganz laut gerufen, es sei nicht Halsbeklemmung,
woran Demosthenes leide, sondern Geldbeklemmung (Argy-
XI, 8, 5. ia libro Cornelii Nep. de illustribus viris. S. Teuffels röm.
Lit 195, 5.
Digitized by Google
XI. Buch, 9. Cap., § 2. - 10. Cap., § 1. (Hl)
ranche, eigentlich: Geldbräune). 2. Nach dem Bericht des-
selben Critolaus soll Demosthenes diese Thatsache auch durch-
aus nicht verhehlt (oder geleugnet) haben, nein, er rechnete
sich diese That (gesprächsweise) gar noch zum Ruhm (und
Verdienst) an. Denn als er den Schauspieldarsteller Aristo-
demus gefragt hatte, wieviel ihm wohl die Darstellung einer
Rolle eingetragen habe und Aristodemus antwortete: ein
Talent, versetzte Demosthenes : Ei, da habe ich mir doch mit
meinem Schweigen noch weit mehr verdient.
XI, 10, L. Dass G. Gracchus in einer seiner Reden die vorhin erwähnte
Begebenheit dem (berühmten, athenischen) Redner Demades zuschreibt, nicht
aber dem Demosthenes und es wird (deshalb auch gleich) des G. Gracchus
eigener Wortlaut angezogen.
XI, 10. Cap. 1. Was wir, wie im vorigen Abschnitt ge-
sagt, vom Critolaus über den Demosthenes aufgezeichnet ge-
funden, denselben Ausspruch legt G. Gracchus in seiner Rede,
worin er (631/111) die Annahme des aufejischen Gesetzes
XI, 9, 2. Auch schon in alten Zeiten wurden gute, hervorragende
Schauspieler gut bezahlt. Nach Plut. X. orat. vit. Demosth. extr. p. 848, B
soll Polos es gewesen sein, der sich einst gegen Demosthenes rühmte, für
sein tragisches Spiel an zwei Tagen ein Talent erhalten zu haben. Ue-
brigens scheint das Talent (1500 Thlr.) macedonischer Sold zu sein, sonst
würde die Antwort des Demosthenes, er habe für sein Schweigen an einem
Tage fünf Talente (also die Summe von bis gegen 8000 Thlr.) erhalten,
nicht passen. Die geringere Klasse der Schauspieler war zu Lucians
Zeiten (Icaromen. 29) für 7 Drachmen (= la/8 Thlr.) per Vorstellung zu
haben. Amoebeus, ein berühmter Musiker zu Athen, um dessen willen
sogar Zeno ins Theater ging, um ihn zu hören, soll an jedem Tage für
sein Singen auf dem Theater ebenfalls ein Talent erhalten haben. S.
Plutarch: über moralische Tugend 4. Nach Plin. h. n. VU, 40 (39), 1
bekam der Schauspieler Roscius jährlich 500,000 Sesterzien (= 740,000
Gulden). Cfr. Gell. V, 8, 4 NB.
XI, 10, 1. Ueber G. Gracchus s. Teuffels Gesch. der röm. Lit § 140,
5. Vergl. Gell. X, 3, 3-5; XI, 18, 3; XV, 12.
XI, 10, 1. Lange röm. Alterth. § 133 S. (578) 634. Gewisse nicht
näher bekannte Beziehungen zwischen Mithridates, Nicomedes und dem
römischen Volke wollte eine lex Aufeja (?) ordnen, welche C. Sempr.
Gracchus widerrieth. — Demades aus Athen, Ruderknecht, dann be-
rühmter Redner, Rivale des Demosthenes, wurde 819 v. Chr. wegen Ver-
spottung des Antipater, Königs von Macedonien und Griechenland, hin-
gerichtet. Vergl. Plut. Demosth. und Phocion.
Digitized by Google
(112)
XI. Buch, 10. Cap., § 1—6.
widerräth, den (berühmten Rivalen des Demosthenes , dem
athenischen Redner) Demades in den Mund. Die Stelle
lautet daselbst also: 2. „Denn wahrhaftig, ihr edlen Römer,
gesetzt ihr wolltet auch all eure Weisheit und Tugendhaftig-
keit in Anschlag bringen, und gesetzt, ihr wolltet euch aber
dann einmal ernstlich prüfen und fragen, so werdet ihr heraus-
finden, dass Keiner von uns hierher an die Oeifentlichkeit
tritt ohne (Absicht auf) Belohnung. Wir Alle (wie wir hier
sind) suchen, wenn wir das Wort ergreifen, stets dabei irgend
etwas zu erreichen und Keiner tritt wegen irgend einer be-
liebigen Angelegenheit vor euch auf, ohne (den Wunsch) Etwas
von euch zu erlangen. 3. Auch ich selbst, der ich eben jetzt
vor euch das Wort ergreife, erscheine (ehrlich gestanden)
nicht so ganz uneigennützig, denn mein Begehr ist, dass ihr
eure Einkünfte zu vermehren suchet, damit es euch leichter
möglich wird, euren Vortheil zu wahren und das Regiment
des Staates im Auge zu behalten; dabei ist es bei mir aber
nicht auf euer Geld abgesehen, sondern lediglich auf euer
gütiges Zutrauen und auf eure Hochachtung, um die ich euch
bitte. 4. Allen Denjenigen aber, welche hier hervortreten in
der Absicht, euch von der Annahme dieses Gesetzes abzurathen,
ihnen liegt durchaus nichts an eurer Hochachtung, aber desto
mehr an dem Gelde des Nicomedes. Und hinwiederum Denen,
welche euch zur Annahme rathen, ist es bei euch auch durch-
aus nicht um eure gute Meinung zu thun, sondern lediglich
nur bei dem Mithridates um den Lohn und Preis zu ihrer
Gütervermehrung. Endlich Die nun, welche hier an eurer
Seite der Reihe nach ganz in Stillschweigen verharren, das
sind die allerschlimmsten und begehrlichsten, denn diese
ziehen von Allen ihre Vorth eile und täuschen (und bevor-
theilen) Alle. 5. Ihr also, weil ihr sie von allen verdächtigen
Absichten (des Eigennutzes) frei glaubt, schenkt (nun vor
Allen) diesen (Schweigern) euer gütiges Zutrauen; 6. Die
Gesandten aber von königlicher Seite, weil sie meinen, dieses
Stillschweigen geschehe nur in ihrem Interesse, suchen diese
(Schweiger) durch Aufwand (bestehend in Geschenken und
XI, 10, 4. Zwei eigennützige Motive sind es, welche die Volksredner
leiten, entweder Ehrgeiz, oder Geldgeiz. S. Plutarch: politische Lehren 27.
Digitized by Google
XL Buch, 10. Cap., § 6. — 11. Cap., § 1 — &
(113)
Einladungen) und durch die grössten Geldsummen schadlos
zu halten, gerade so wie dies einst in Griechenland der Fall
war, zur Zeit, als ein griechischer Schauspieler sich etwas
darauf zu Gute that für die Darstellung eines einzigen Stückes
ein grosses (attisches) Talent (an Werth 1500 Thlr.) erhalten
zu haben, worauf ihm Demades, der grösste Redner seiner
Vaterstadt (Athen) geantwortet haben soll: „„Dir kommt es
wunderbar vor, wenn Du Dir für Dein Sprechen ein Talent
erworben hast? Ich erhielt für mein (blosses) Schweigen
vom König (Alexander) zehn Talente." u „Gerade so sehe ich
unsere hiesigen Schweiger für ihr (jetziges) Schweigen die
grössten Belohnungen einheimsen."
XI, 11, L. Stelle aus P. Nigidius, wo er behauptet, dass ein Unterschied
stattfinde zwischen „mentiri" (was so viel bedeuten soll, als unser: anlügen)
und „mendacium dicere" (unser: nachliigen sein soll).
XI, 11. Cap. 1. Folgende Stelle enthält die eigenen
Worte des P. Nigidius, eines in Kunst und Wissenschaft her-
vorragenden Mannes, vor dessen Geist und Gelehrsamkeit
(selbst) M. Cicero die grösste Hochachtung hegte. P. Nigidius
schreibt: „Zwischen dem Ausdruck „mendacium dicere" und
„mentiri" findet ein Unterschied statt. „Mentiri" wird von dem
gesagt, der sich selbst zwar nicht irrt oder täuscht, sondern
nur einen Andern betrügen (und anlügen) will; „mendacium
dicere" aber heisst es von dem, der sich in Selbsttäuschung
befindet (im Sinne wie unser: nachlügen, unbewusst eine Un-
wahrheit sagen oder nacherzählen)." 2. Darauf folgt auch
noch der Zusatz: „Wer anlügt (qui mentitur), will (so viel
auf ihn ankommt) nach Möglichkeit (Einen) betrügen; aber
wer eine Lüge nachsagt und weitersagt (qui mendacium dicit),
ist, soviel an ihm liegt, seiner Absicht nach nicht Willens
(Jemanden) zu betrügen." 3. Weiter setzt er seine Betrachtung
auch noch über diesen Gegenstand mit folgenden Worten fort :
XI, 11, 1. Ueber Nigidius s. Gell. IV, 9, 1 NB.
XI, 11, 3. *) Incidit in hominem. Polyb. 12, 5 heisst es: Es. giebt
zweierlei Unwahrheiten. Die eine entspringt aus der Unwissenheit, die
andere rührt von der Bosheit her. Denen, die aus Unwissenheit fehlen,
muss man vergeben, hingegen unversöhnlich gegen die sein, welche ab-
sichtlich und vorsätzlich die Wahrheit verfälschen.
Rellins. Attische Nächte. II. 8
Digitized by Google
(114) XL Buch, 11. Cap., § 3. 4. — 12. Cap., § 1—3.
„Der biedere, rechtliche Mann muss (andern dadurch) vor-
ßtreben, dass er sich nie einer (wissentlichen, absichtlichen)
Lüge schuldig macht ; der kluge Mann, dass er nie eine Lüge
nachsagt (und weiter verbreitet). Die erste (beabsichtigte)
Schuld fällt*) auf das Subject (den Thäter) zurück,
die zweite (unbeabsichtigte) nicht." 4. Es war wahrlich be-
wundernswürdig, wie Nigidius auf mannigfaltige und liebens-
würdige Art so viele Gedanken in Ansehung eines und des-
selben Gegenstandes (von den verschiedensten Gesichtspunkten
aus) zu vertheilen (und zu beleuchten) wusste, und zwar so,
als ob er immer wieder etwas Neues vorbrächte.
XI, 12, L. Nach der Behauptung des Philosophen Chrysippus ist jedes
Wort (seiner Bedeutung nach) zweideutig nnd zweifelhaft; nach der
Meinung des Diodor dagegen ist kein Wort zweideutig.
XI, 12. Cap. 1. Chrysippus sagt, dass jedes Wort
ursprünglich (ambiguum) zweideutig sei, weil aus demselben
(verhältnissmässig) zwei oder sogar noch mehrere Bedeutungen
hergeleitet werden können. 2. Diodorus aber, mit dem Beinamen
Cronus, sagt, kein Wort ist zweideutig, noch spricht oder denkt
Jemand doppelt, noch darf es den Anschein haben, dass von
etwas Anderem die Rede ist, als was der Sprechende denkt,
dass er spricht. 3. Aber wenn ich etwas Anderes gedacht
(und gemeint) habe, Du aber etwas Anderes verstandest, so
kann es wahrscheinlich werden, dass die Rede mehr unklar
als zweideutig war ; denn das Wesen des zweideutigen Wortes
müsste es dann auch so mit sich bringen, dass (jedesmal)
XI, 12, 1. Wahrscheinlich in der verloren gegangenen Schrift, (sechs
Bücher): ntQi rrjs xaxit tag l&tig dvo/jaUag, welche nach Varro (L 1.
IX, 1) in der Absicht geschrieben war, um darzuthun, dass ähnliche Dinge
mit unähnlichen Namen und umgekehrt belegt werden (wie z. B. lucus a
non lucendo). Dieses Werk über Anomalie erwähnt auch Plutarch: über
moralische Tugend cap. 10. Vergl. Amphibolie bei Quintil. VII, 10, 3 und
Göschel „Zerstreute Blätter", IL Theil S. 371.
XI, 12, 2. Diodorus von Jasus in Karien, Schüler des Eubulides,
war einer der berühmtesten Dialectiker seiner Zeit und wird für den Er-
finder des sogenannten „gehörnten Trugschlusses" gehalten. Da er, bei
einem Gastmahle des Königs Ptolemäus I, ein ihm von einem andern
Dialectiker vorgelegtes Sophisma nicht zu lösen vermochte, soll er sich
deshalb zu Tode gegrämt und vom König den Spottnamen Kronos erhalten
haben. S. Diog. Laert. II, 111.
Digitized by Goool
XL Buch, 12. Cap., § 3. — 13. Cap., § 1—5. (115)
der Sprechende, dann auch allemal zwei oder mehrere Begriffe
zugleich ausspräche. Niemand aber spricht zwei oder mehrere
Gedanken auf einmal aus, der sich des Einen (gehörig) be-
wusst ist, was er sagt.
XI, 13, L. Unheil des T. Castricius über die sonderbare Ausdrucksvveise
in einer Stelle des G. Gracchus; ferner Beweis, dass diese Stelle ohne
allen Vortheil für den Gedanken (ausgefallen) sei.
XI, 13. Cap. 1. Bei dem Lehrer der Redekunst, bei T.
Castricius, einem Manne von strengem und sicherem Urtheil,
wurde die Rede des G. Gracchus gegen den P. Popilins
gelesen. 2. Im Eingange seiner Rede findet eine sorgfältigere
und melodisch abgemessenere Anordnung der Worte statt,
als dies sonst bei den älteren Rednern Sitte und Gebrauch ist.
3. Die genannten, rhetorisch (künstlich) geordneten Worte
sind, wie gesagt, folgende: „Was ihr euch diese Jahre über
mit Leidenschaft ersehnt und gewünscht habt, wolltet ihr es
jetzt unbesonnener, thörichter Weise zurückweisen, so kann
nicht ausbleiben, dass man von euch wird sagen müssen,
entweder ihr habt dies früher mit (ungerechtfertigter) Leiden-
schaft ersehnt, oder nur unbesonnen zurückgewiesen." 4. Die
Wendung und der Klang dieses (periodisch) runden und ge-
läufigen Gedankens ergötzte uns nun (einst) ungemein und
ausserordentlich, und gerade deshalb um so mehr, weil wir
glaubten, dass schon damals (selbst) dem G. Gracchus, diesem
ausgezeichneten und strengen Mann, eine solche rhetorisch
(künstliche) Anordnung (der Worte) müsse gefallen haben.
5. Allein, als wir uns (nachher) auf unsern besonderen Wunsch
diese Stelle öfters wieder vorlesen Hessen, veranlasste uns
Castricius zu überlegen, worin wohl die Wirkung und das
Vorzügliche dieses Gedankens bestände, und (mahnte uns)
vorsichtig zu sein, damit nicht etwa unser Ohr durch den
Klang eines (zufällig) nicht unpassenden Periodenbaues ver-
lockt, auch unser Empfinden und Nachdenken durch leeren
(eitlen) Reiz ausser Fassung bringen möchte. Und als er nun
durch diesen zurechtweisenden Wink uns aufmerksamer ge-
XI, 13, L Cfr. Gell. I, 11, 10 NB; X, 3, 3; XI, 10, 3 NB; XV,
12, 1 NB über G. Gracchus.
8*
Digitized by Google
(116)
XI. Buch, 13. Cap., §5—9.
macht hatte, fuhr er fort: „Untersucht nun doch einmal ge-
nau, was diese Worte darthun, was beweisen sollen, und dann
soll mir gefälligst Einer von euch sagen, ob sich in diesem
Gedanken wirklich eine Bedeutsamkeit oder Anmuth nach-
weisen lässt:" (Hört also die Stelle noch einmal genau an)
„Was ihr euch diese Jahre über mit Leidenschaft ersehnt
und gewünscht habt, wolltet ihr es jetzt unbesonnener Weise
zurückweisen, so kann nicht ausbleiben, dass man von euch
wird sagen müssen, entweder ihr habt dies früher mit (un-
gerechtfertigter) Leidenschaft ersehnt, oder nun unbesonnen
zurückgewiesen." 6. Denn wem von allen Menschenkindern
sollte hier nicht gleich einfallen, dass die nothwendige Folge
davon unbedingt die sei, dass man von Dir sagen wird, was
Du in (toller) Leidenschaft begehrt hast, hast Du in (toller)
Leidenschaft begehrt und was Du unbesonnen verschmäht
hast, hast Du unbesonnen verschmäht? 7. Aber, fuhr er
fort, ich meine, wenn so geschrieben stände : Wenn ihr jetzt
das, was ihr die letzten Jahre über ersehnt und gewünscht
habt, von euch weisen solltet, so kann es nicht ausbleiben,
dass man euch nachsagen wird, dass ihr es früher mit (un-
gerechtfertigter) Leidenschaft begehrtet, oder dass ihr es nun
auf (unerklärlich) thörichte Weise verschmäht habt; 8. wenn,
wie gesagt, der Satz so lautete, so würde, sollte ich meinen,
der Gedanke gewichtiger und gediegener hervortreten und
sich im Herzen der Hörer eine wohlbegründete Erwartung und
Spannung erringen; 9. so aber werden nun die beiden Aus-
drücke „cupide" (mit Leidenschaft) und „temere" (aus Laune,
unbedachtsam, thörichter Weise), worauf das ganze Gewicht
des Inhalts beruht, und die deshalb von höchster Wichtigkeit
sind, nicht nur im Schlusssatz ausgesprochen, sondern stehen
auch im Vordersatz ohne jedes Verlangen und ohne alle
Notwendigkeit, und was erst aus dem Vordersatz hätte her-
vorgehen und sich entwickeln sollen, wird überhaupt schon
vorher, ehe es die Umstände erforderten, ausgesprochen. Denn
wer sich so ausdrückt: „wenn Du das gethan haben wirst, so
wird es von Dir heissen, Du hast es in der Leidenschaft
gethan", der spricht offenbar einen vernunftgemäss zusammen-
gestellten und folgerichtigen Gedanken aus; wer sich aber so
ausdrückt: wenn Du dies mit Leidenschaft gethan haben
Digitized by
XI. Buch, 13. Cap., § 9. 10. - 14. Cap., § 1. (117)
solltest, so wird es heissen, Du hast es mit Leidenschaft ge-
than, der sagt damit gar nichts Anderes, als ob er sich so
vernehmen liesse: wenn Du dies mit Leidenschaft gethan
haben wirst, so wirst Du es mit Leidenschaft gethan haben.
10. Dies wollte ich euch nur in Erinnerung gebracht haben,
sagte er, nicht etwa um dem G. Gracchus einen Vorwurf des-
halb zu machen, — das mögen die Götter verhüten, die mir
bessere Gesinnungen einflössen, — denn, sollte man auch
wirklich einem Manne von so bedeutender Beredtsamkeit den
Vorwurf eines Fehlers oder Irrthums machen können, dies
Alles muss uns sowohl die Würde und das Ansehen dieses
grossen Mannes ertragen, als auch die (ehrwürdig) alte Zeit
(mit milderer Beurtheilung) übersehen lassen: sondern meine
Mahnung hat nur den Zweck (und die Absicht), euch Vorsicht
anzuempfehlen, dass ihr euch nicht gleich so ohne Weiteres
durch den zufällig melodischen Klang eines leichten Rede-
flusses zu sehr einnehmen (und hinreissen) lassen sollt und
dass ihr vorher erst die Bedeutung des Inhalts und den Werth
des Gesagten genau abwäget, und wenn der ausgesprochene
Gedanke von Wichtigkeit ist und stichhaltig, unantastbar und
(natürliche) Wahrheit enthält, dass ihr dann, wenn sich dieses
Gefühl euch aufdrängen sollte, dem Gange und der Lebhaftig-
keit der Rede und der Leidenschaftlichkeit (des Redners)
euren Beifall durchaus nicht vorenthaltet, wenn aber (fade)
hausbackene, haltlose und eitel unnütze Begriffe in genau
und abgemessen zusammengekünstelte Worte eingepfercht
sein sollten, so. stellt euch das gerade so vor, als wenn ein
ganz missgestalteter Mensch, nur um die Leute zum Lachen
zu bringen, einen Schauspielkomiker nachzuahmen sich be-
müht, und zum reinen, elenden Faxenmacher herabsinkt.
XIj 1 4, L. Besonnene und ausserordentlich schlagende Antwort des Königs
Komulus in Betreff' des (massigen) Weingenusses.
XI, 14. Cap. 1. Der lieblichsten Einfachheit, sowohl
dem Inhalte, wie der Redeform nach, hat sich L. Piso (mit
XI, 13, 9. Dies würde eine Tautologie sein, wobei ganz dasselbe noch
einmal und zwar mit denselben Worten gesagt wird.
XI, 14, 1. üeber L. Calpurnius Piso s. Gell. VII (VI), 9, 1 NB.
Digitized by Google
(118) XI. Buch, 14. Cap., § 1. 2. — 15. Cap., § 1 —3.
dem Beinamen) Frugi (der Biedere) bei seiner Schilderung
im ersten Buche seiner Jahrbücher bedient, wo er über das
Leben und die Lebensweise des Königs Romulus schreibt.
2. Die betreffende Schriftstelle lautet dort bei ihm also: „Von
demselben Romulus erzählt man sich, dass, als er einst zu
einem Gastmahle geladen worden war, er daselbst nicht viel
(Wein) getrunken habe, weil er Tags darauf' ein Staatsgeschäft
(zu besorgen; hatte. Man macht ihm deshalb die Bemerkung:
„„Wenn alle Menschen es wie Du machen wollten, Romulus,
würde der Wein sehr billig werden." u Darauf antwortete er :
„„Fürwahr im Gegentheil theurer (würde er werden), wenn
Jeder, so viel ihm beliebte, tränke; denn ich trank so viel,
als mir beliebte." ■
XI, 15, L. Ueber die Wörter: „ludibundus" und „errabundus" und über
ähnliche Wortverlängerung (durch Ansetzung dieser Endung); ferner, dass
Laberius gerade so das Wort „amorabundus" (liebegeneigt, liebesüchtig,
nicht vom Verbum, sondern vom Snbstantivum abgeleitet) gesagt hat, wie
man „ludibundus" und „errabundus" gebraucht; endlich noch, dass Sisenna
nach dem Beispiel eines derartigen Wortes eine neue, gleiche Wortform
gebildet hat.
XI, 15. Cap. 1. Laberius hat in seinem „Averner-See"
eine verliebte Frau mit dem höchst ungewöhnlichen und selbst-
gebildeten Ausdruck „amorabundus (liebegeneigt, liebesüchtig)"
bezeichnet. 2. Caesellius Vindex sagt in seiner Beispielsammlung
und Erläuterung „alter Wörter und Ausdrücke", dass dies
Wort der ähnlichen Form nachgebildet sei, wie man die Aus-
drücke braucht: ludibundus (spielerig, spielstichtig), ridi-
bundus (lachlustig) und errabundus (streifstich tig, in einem
fort umherirren) für (die einfachen) ludens (spielend), ridens
(lachend) und errans (umherschweifend). 3. Allein Terentius
Scaurus, der allerausgezeichnetste Grammatiker, zu Zeiten
XI, 15, L. Die- Endungen „äbundus", „ebundus" und „Kbundus" be-
zeichnen eine eifrige, nachhaltende Beschäftigung mit dem, was das Stamm-
wort sagt, oder dass die Thätigkeit oder der Zustand in einer gewissen
Starke und Fülle vorhanden sei. Gellius scheint die Endung „abundus"
(§ 8) von „abundo" ableiten zu wollen.
XI, 15, 3. Ueber Terentius Scaurus s. Teuffels Gesch. der röm. Lit.
347, 1. 4. 5.
Digitized by Google
XI. Buch, 15. Cap., §3 — 6.
des göttlich erhabenen Hadrian, schreibt unter anderen Be-
merkungen, die er über die Irrthümer des Caesellius heraus-
gegeben hat, dass dieser sich auch bei der besprochenen
Wortform im Irrthum befunden, weil er geglaubt habe, es
sei zwischen ludens und ludabunda, zwischen ridens und ridi-
bunda und zwischen errans und errabunda kein Unterschied.
Denn Caesellius hat behauptet, „ludibunda, ridibunda und
errabunda wird diejenige Frauensperson genannt, welche der
That oder dem Scheine nach eine Spielende, oder Lachende
oder Irrende darstellt1'. 4. Aus welcher Ursache sich Scaurus
aber bewogen gefühlt hat, dem Caesellius hier einen Vorwurf
zu machen, habe ich in der That nicht herausfinden können.
Denn es ist ausser allem Zweifel, dass die (genannten) Wörter
genau genommen an und für sich die Grundbedeutung ihrer
(einfachen) Stammwörter, von denen sie abgeleitet werden,
beibehalten. In Betreff dessen aber, was Scaurus mit seiner
Erklärung sagen wollte: „ludentem agere vel imitari" heisse
eine Person die scherzt und Possen treibt, darstellen oder nach-
ahmen, so möchte ich lieber den Schein des Nichtverstehens
auf mich laden, als mich zu der Beschuldigung hinreissen
lassen, dass er wohl selbst hier in seinem Urtheil nicht so
ganz klar gewesen sei. 5. Nein, Scaurus, indem er die Er-
läuterungen des Caesellius tadelte und bekrittelte, hätte viel-
mehr ein Versehen von diesem wieder gut machen und das
von diesem Uebergangene und in seiner Erklärung Aus-
gelassene erst recht nachholen und ergänzen müssen, welch
ein erheblicher Unterschied zwischen ludibundus und ludens
(zwischen redibundus und ridens), zwischen errabundus und
errans und zwischen allen andern derartigen ähnlichen Aus-
drücken stattfindet und ob solche (Wortverlängerungen) von
ihren Stammwörtern sich in irgend einer Beziehung unter-
scheiden und welche Bedeutung überhaupt das Anhängsel
am Ende von dergleichen Ausdrücken hat. 6. Denn bei Ab-
handlung dieser Wortform kam es doch vorzüglich darauf an,
nachzuforschen, — gleichwie man sich ähnlich zu fragen
pflegt bei den Wörtern: vinolentus (weinberauscht), lutulentus
(kothbeschmutzt), und turbulentus (unruhvoll, ungestüm), —
ob dergleichen Endverlängerungen am Stammwort, welche die
Griechen nagaywyai (Endlautszusätze, Suffixa, terminationes)
Digitized by Google
(120) XI. Buch, 15. Cap., § 7. 8. — 16. Cap., § 1.
nennen, bedeutungslos und eigentlich überflüssig sind. 7. In-
dem wir diesen Tadel des Scaurus aufzustechen uns veranlasst
fühlten, kam uns da wieder bei, dass sich Sisenna dieser
Wortendungsverlängerung im 4. Buche seiner „Geschichte"
auch noch an einem andern Worte bedient hat, er sagt da
nämlich: „populabundus agros ad oppidum pervenit", was
doch wohl nichts Anderes heissen soll, als: „Er kam (unauf-
hörlich und nach allen Seiten hin) Felder und Land verheerend
oder verwüstend bis vor die Stadt", sicher aber nicht, wie
Scaurus bei ähnlich gebildeten Wörtern erklärt, in dem Sinne
zu nehmen ist, wie: „cum populantem ageret oder cum (po-
pulantem) imitaretur, d. h. als er einen Verheerenden der
That oder dem Scheine nach vorstellte." 8. Bei meiner
femerweitigen Nachforschung über die Bedeutung und den
Ursprung jeder derartigen Endungsform (auf -bundus), wie bei
den Wörtern populabundus, errabundus, laedabundus (freud-
voll), ludibundus und noch vielen andern dieser Art, versicherte
mich mein Freund Apollinaris wahrlich höchst geistvoll und
treffend {eveTtißoltaq) , ihm scheine es, dass alle auf dieses
Endanhängsel auslaufenden Wörter eine Stärke, eine Menge
und gleichsam einen Ueberfluss von dem anzeigen, was ihr
Stammwort besagt, so dass z. B. mit laetabundus Einer be-
zeichnet wird , der übermässig (abunde) freudig ist und mit
errabundus Einer, der sich in unaufhörlichem und über-
mässigem (abundanti errore) Irrthume befindet; und so
zeigte er uns, dass alle derartig gebildeten Wörter in solchem
Sinne gesagt werden, dass diese Wortverlängerung und dieses
Endanhängsel eine reichliche überströmende Kraft und Menge
angiebt.
XI, 16, L. Wie schwer es sei, gewisse ;griechische Ausdrücke lateinisch
zu übersetzen, wie z. B. das griechische Wort: 7toXv7tQayf4oavvi\ (ge-
schäftige Neugierigkeit, vorwitzige, zudringliche Geschäftigkeit, mit welcher
sich manche Leute in Dinge mengen, die sie nichts angehen).
XI, 16. Cap. 1. Ich habe oft Beobachtungen angestellt
und meine besondere Aufmerksamkeit auf die gar nicht ge-
XI, 15, 7. populabundus cfr. Sisenna histor. IV ap. Non. Marc. VII,
471, 22 edit Gerlach und Roth.
Digitized by Google
XI. Buch, 16. Cap., § 1—5. (121)
ringe Anzahl von Begriffsbestimmungen (vocabula rerum) ge-
richtet, welche sich weder mit wenigen und kurzen Worten,
wie von den Griechen, noch sich, selbst wenn wir sie durch
eine ausserordentlich lange Umschreibung wiedergeben wollten,
so klar, deutlich und passend in der lateinischen Sprache
wiedergeben lassen, wie dieselben eben von den Griechen
durch eigenthümlich kurze (Schlag-) Wörter ausgedrückt
werden können. 2. Diese Beobachtung fand ich auch endlich
wieder bewahrheitet, als mir eine Schrift des Plutarch ge-
bracht wurde und ich den Titel dieses Werks gelesen hatte,
welcher lautete : tcbqi noXvTCQaytxoovvriQ (d. h. über Vorwitzig-
keit, Voreiligkeit, Neugierigkeit). Wie (zufällig) nun da ein
Mensch, der sowohl mit (den Erzeugnissen) der Literatur, als
auch mit der Sprache der Griechen unbekannt war, die Frage
an mich richtete, von wem das Buch verfasst sei und über
welchen Gegenstand es handle, da konnte ich ihm allerdings
wohl sofort den Schriftsteller namhaft machen, als ich nun
aber auch den in dieser Schrift verhandelten Gegenstand
anzugeben im Begriff stand, stockte ich (unwillkürlich). 3.
Weil ich aber wähnte, dass ich nicht schlagend und treffend
genug übersetzen würde, wenn ich den griechischen Ausdruck
durch einen ähnlichen lateinischen ersetzen und etwa sagen
wollte, das Buch handle von der „negotiositas", so beschloss
ich da nun gleich von vorn herein bei mir, dafür ein anderes
Zufluchtsmittel ausfindig zu machen, wodurch der griechische
Ausdruck, wie gesagt, wörtlich genau wiedergegeben würde.
4. Da fand ich nun aber durchaus nichts, dessen ich mich
entweder erinnern konnte gelesen zu haben, oder, was in der
Absicht der (Neu-) Bildung eines (entsprechenden lateinischen)
WTortes, mir nicht holperig, abgeschmackt und hart vor-
gekommen wäre, wenn ich z. B. aus den beiden Wortbegriffen
„Menge (multitudo)" und Geschäft (negotium)" ein Wort
nachbilden würde, was gleichlautend wäre mit den bei uns
gebräuchlichen Wörtern: multijuga (vielspännig) , multicolora
(vielfarbig) und multiformia (viel- und mannigfaltig). 5. Aber
es wttrde nicht weniger abgeschmackt klingen, wie wenn man
XI, 16, 2. Plutarch erklärt den Begriff selbst so: Neugierigkeit ist
weiter nichts als eine Begierde, geheime und verborgene Dinge auszuspähen.
Digitized by Google
(122)
XI. Buch, 16. Cap., §5 — 9.
die Wörter nolvyiUa (Vielbeliebtheit, Freundschaften -Viel-
heit) oder 7iolvzQ07tia (Vielgewandtheit), oder TtoXvoagKta
(Viel- oder Wohlbeleibtheit) durch ein einziges (Doppel-) Wort
(im Lateinischen) wiedergeben wollte. 6. Als ich deshalb
lange schweigend und im Nachdenken verharrt hatte, sah ich
mich endlich zu der Antwort genöthigt, es scheine mir nicht
glaublich, dass der bezeichnete Begriff (ttolvTCQctyiioovvq) durch
ein (einziges, entsprechendes lateinisches) Wort wiedergegeben
werden könne; und deshalb war ich eben Willens gewesen,
durch eine Umschreibung die Bedeutung dieses griechischen
Ausdrucks zu erklären. Ich fuhr also fort (zu erklären): das
Inangriffnehmen von vielen Dingen und den Betrieb aller
dieser Dinge nennt man auf griechisch 7roXv7iQay^ioavvrjy
worüber eben das Buch nach seiner besagten Ueberschrift
handelt. 7. Darauf glaubte nun der arme Tropf (opicus) auf
Veranlassung meiner mangelhaften und nur so hingeworfenen
Erklärung, es sei unter dem Ausdruck Ttolvngayiuoovvt] eine
Tugend gemeint und sagte (höchst naiv) : zuverlässig ermahnt
also dieser mir unbekannnte (griechische Schriftsteller) Plu-
tarch uns (in seiner Schrift) zur eifrigen Betreibung unserer
Geschäfte und zur fleissigen und schnellen Ausfuhrung aller
unserer Unternehmungen und hat den Namen dieser Tugend,
von der er sprechen will, seinem Werke, wie Du sagst, nicht
unpassend (als Aufschrift) vorangesetzt. 8. Ei bewahre, fiel
ich ihm ins Wort, das habe ich ja gar nicht sagen wollen,
denn unter diesem griechischen Ausdruck, als Bezeichnung
der Inhaltsangabe dieses Buchs, ist weder eine Tugend zu ver-
stehen, noch bedeutet es etwas von Dem, was Du Dir vorstellst,
noch was ich habe sagen, oder was Plutarch hat schildern
wollen. Denn in dem Werke sucht er uns ja vielmehr nach
grösster Möglichkeit abzuhalten von dem wechselnden, nicht
gesonderten und unnützen Trachten und Verlangen nach ver-
sehiedentlicher Geschäftlichkeit (Voreiligkeit). 9. Aber ich
erkenne recht wohl und gestehe es offen, dass die Schuld zu
diesem, Deinem Missverständnisse leider ganz allein an meiner
mangelhaften Erläuterung (des griechischen Wortes) lag, da
ich nicht einmal im Stande war, durch viele Worte das ganz
klar und deutlich auszudrücken, was die Griechen durch ein
einziges Wort höchst vollkommen und ganz klar sagen können.
Digitized by Google
XI. Buch, 17. Cap.
XI, 17, L. Was in den alten Praetorenedicten die "Worte zu bedeuten
haben: „qui flumina retanda publice redempta habent (d. h. welche die
Flussbett -Entreutung (oder Reinigung) zu Nutzen des Staates gegen
Bezahlung übernommen haben).4'
XI, 17. Cap. 1. Als ich einstmals in der Bibliothek des
trajanischen Tempels sass und nach etwas ganz Anderem
suchte, fielen mir (zufällig) die Edicte der alten Prätoren
in die Hände. Da konnte ich mich nicht enthalten, sie sofort
vorzunehmen, zu lesen und genau zu studiren. 2. Da fand
ich nun in einem altera Edict folgende Stelle geschrieben:
„Qui flumina retanda publice redempta habent etc., d. h.
Wenn einer von Denen, welche die Fluss(bett)reinigung zum
Nutzen des Staates (und der Oeffentlichkeit) gegen Bezahlung
übernommen haben, mir vorgeführt würde, dem man nach-
sagte, dass er nicht, wie er eigentlich sollte, seinen Pacht-
contractsverpflichtungen nachgekommen sei." 3. (Ich zeigte
die Stelle Mehreren und) man fragte sich (gegenseitig), was
das Wort: retanda wohl zu bedeuten habe. 4. Da äusserte
einer meiner Freunde, der da bei mir sass, dass er im 7.
Buche des Gavius Bassus „über Ursprung und Bedeutung
der Wörter" gelesen habe, unter dem Ausdruck „retae"
seien Bäume zu verstehen, welche entweder an den Ufern
des Flusses hervorragen, oder aus den Flussbetten hervor-
ständen, und dass man Namen und Begriff dieses Wortes von
dem Wort „rete (das Netz)4' entlehnt habe, weil solche Bäume
den vorüberfahrenden Schiffen, oder der Schiffahrt überhaupt
hinderlich wären und gleichsam Netze stellten, und deshalb
sei er der Ansicht, dass gewöhnlich die Flussbettentreutung,
d. h. das Rein- und Freihalten der Flussströmung (retanda
flumina) in Pacht gegeben worden sei, damit den Schiffen,
die sonst leicht in ein solches Strauchwerk (oder Baum-
gestrüppe) gerathen könnten, kein Aufenthalt oder Unglück
zustossen möchte.
XI, 17, L. retare i. e. den Fluss oder die Strömung von dem die
Schiffahrt hindernden Gestrüppe (Baumgesträuch) reinhalten. Vergl.
Rieth mm Schilfrohr; ausreuten, ausroden = entwurzeln.
XI, 17, 2. S. Fest. S. 273,
Digitized by Google
(124) XL Buch, 18. Cap., § 1.
XI, 18, L. Mit welcher Strafe der athenische Gesetzgeber Draco in
seinem für das athenische Volk verfassten Gesetzen die Diebe belegte;
dann, mit welcher Strafe später Solon; mit welcher ebenso unsre Deceni-
virn, welche (451 v. Chr.) die zwölf Tafelgesetze verfassten; auch
fernerweitige Beifügung, wie bei den Aegyptern der Diebstahl erlaubt und
gestattet war, das Diebshandwerk aber bei den Lacedämoniern förmlich
absichtlich eingeführt war und als nützliche Uebung fleissig gepflegt wurde;
endlich ausserdem noch merkwürdiger Ausspruch des M. Cato über
Bestrafung der Diebe.
XI, 18. Cap. 1. Der Athener Draco, der für einen
ebenso rechtschaffenen, wie höchst klugen Mann gehalten
XI, 18, L. Da in früheren Zeiten der Republik, in Ermangelung
eines Gesetzbuches, die Patricier sehr willkürliche Entscheidungen trafen,
verlangte 462 v. Chr. das Volk durch seinen Tribun Terentius Arsa nach-
drücklich geschriebene Gesetze. Daher wurde 451 eine Gesetzcommission
der Zehnmänner (Decemviri) eingesetzt, zur Entwerfiing von den Ge-
setzen aus dem vorhandenen griechischen wie einheimischen Rechtsmaterial.
Nach einem Jahre erschienen zehn Tafeln der Gesetze, denen im folgenden
Jahre noch zwei hinzugefügt wurden, daher die Gesetze der zwölf
Tafeln genannt. Diese Tafeln sollen bis zum 3. Jahrhundert n. Chr.
noch vorhanden gewesen sein, seitdem sind sie spurlos verschwunden,
doch ist der Inhalt jeder Tafel bekannt. Er war folgender :
1) Von der Vorladung ins Recht
2) Von Gerichtstagen und von Diebstählen.
3) Von anvertrautem Gute.
4) Vom väterlichen Rechte und vom Eherechte.
5) Von Erbschaft und Vormundschaft.
6) Vom Eigenthume und Besitze.
7) Von Verbrechen.
8) Von den Rechten auf Haus und Feld.
9) Vom öffentlichen Rechte.
10) Vom heiligen Rechte.
11) u. 12) Ergänzungen der vorhergehenden.
Nach Vollendung der zwölf Tafeln legten die Decemvirn ihre Aemter
nicht nieder und Rom wurde der Sitz von Grausamkeit und Tyrannei.
Bis endlich ein Mitglied dieser Gesetzcommission, Appius Claudius, durch
seine lüsterne Gewaltthätigkeit gegen die Virginia Ursache zum Sturz der
Decemvirn war. Appius endete durch Selbstmord. Cic. de legg. II, 28
heisst es : Wir haben als Knaben die zwölf Tafeln wie einen unentbehrlichen
(politischen) Katechismus auswendig gelernt. S. Bernh. röm. Lit. 10, 19
u. 64, 265. Vergl. Gell. XIV, 7, 5.
XI, 18, 1. Draco, Archon zu Athen und Gesetzgeber im Jahre
624 v. Chr. Seine Gesetze, die fast keine andere Strafe, als den Tod
Digitized by Google
XI. Buch, 18. Cap., § 1 — 8. (125)
wurde und der eine grosse Kenntniss des göttlichen und
menschlichen Rechts besass. 2. Dieser Draeo war der
allererste Gesetzgeber der bei den Athenern gebräuchlichen
Gesetze. 3. In diesen Gesetzen befand sich unter vielen an-
dern die ausserordentlich strenge Verordnung und rechts-
kräftige Bestätigung, dass ein Dieb, welcher Art der Dieb-
stahl auch immer sein möge (ob gross oder gering), sein
Vergehen mit der Todesstrafe büssen solle. 4. Weil nun
aber seine Gesetze doch viel zu hart schienen, geriethen sie,
zwar nicht auf ausdrücklichen (Volks-) Beschluss, sondern
nach stillschweigender und nicht erst schriftlich abgefasster
Uebereinstimmung der Athener in Vergessenheit. 5. Hierauf
fanden die von Solon verfassten, milderen Gesetze Eingang.
Dieser Solon war (bekanntlich) einer von den berühmten
sieben Weisen (Griechenlands). Nach seiner gesetzlichen
Entscheidung gegen Diebe sollte man nicht, wie vorher
Draco angeordnet, ein solches Vergehen mit dem Tode (des
Schuldigen) ahnden, sondern mit dem doppelten Schaden-
ersatz. 6. Allein unsere Decemvirn, welche nach Vertreibung
der Könige (510 v. Chr.) die für das römische Volk giltigen
zwölf Tafelgesetze verfertigten, verfuhren bei Bestrafung aller
Arten von Dieben weder mit gleicher Strenge, noch mit zu
sanfter Milde. 7. Denn sie erlaubten einen Dieb, der bei
seinem Verbrechen auf frischer That ertappt wurde, dann
erst zu tödten, wenn es entweder Nacht war, als der Dieb-
stahl verübt wurde, oder wenn, im Fall es Tag war, der
Thäter bei seiner Ergreifung sich mit einer tödtlichen Waffe
zur Wehr gesetzt hatte. 8. Von allen den Personen, welche
sich der offenbaren Verübung dieses Verbrechens schuldig
erkannten, waren zu streng, dass man sagte, sie seien nicht mit Tinte,
sondern mit Blut geschrieben, weshalb dem Solon eine neue Gesetzgebung
aufgetragen wurde.
XI, 18, 1. S. Plutarch Solon p. 87; Tzetzes Chiliad. V, 5; Gell.
D, 12, 1 NB.
XI, 18, 5. Die sieben Weisen waren: 1) Thaies von Milet, 2) Solon
von Athen, 3) Chilon von Lacedaemon, 4) Pittacus von Mitylene, 5; Bias
von Priene, 6) Cleobulus von Lindo und 7) Periander von Oorinth.
XI, 18, 5. Demosthen. gegen Timocrates p. 73»>.
XI, 18, 7. Macrob. Sat. I, 4; L. 4 § 1 n. ad L. Aquil.; Cic. pro
Milon. 12.
Digitized by Google
(126)
XI. Buch, 18. Cap., § 8-11.
gemacht hatten, wurden die, welche Freie waren, gepeitscht
und Demjenigen (dienstpflichtig) zugesprochen, bei dem sie
den Diebstahl verübt hatten, im Fall sie die That am Tage
vollbracht und sich dabei mit keiner (gefährlichen) Waffe
vertheidigt hatten; auf frischer That ertappte Knechte aber
wurden (erst) gepeitscht und (dann) vom tarpejischen Felsen
herabgestürzt; die noch nicht mannbaren jungen Leute durfte
der Praetor (i. e. Consul) nach seinem Gutdünken züchtigen,
oder den von ihnen angerichteten Schaden ersetzen lassen.
9. Auch die Diebsverbrechen, welche bei einer nach allen
Förmlichkeiten (per lancem et licium, d. h.) mit einer Schale
und mit einer Binde und in Gegenwart von Augenzeugen an-
gestellten Haussuchung ausfindig gemacht wurden, bestrafte
man gerade so, als ob sie offenbare wären. 10. Jetzt hat
man freilich auch (wieder) von der Verordnung der zehn
Männer abgesehen. Denn wenn Jemand über einen (bei ihm
verübten) offenbaren Diebstahl gerichtlich und gehörig klagbar
werden will, dem steht das Klagrecht auf vierfachem Ersatz
(der entwendeten Sache) zu. 11. „Ein offenbarer Diebstahl
(manifestum furtum) aber tritt nach dem Ausspruch des Ma-
surius im Augenblick des Ertappens auf der That ein. Die
Vollendung des Verbrechens wird angenommen, wenn der
XI, 18, 8. Praetor = Consul s. Gell. XX, 1, 11. 44. 47.
XI, 18, 9. Furtum per lancem et licium conceptum. üeber die Art
und Beschaffenheit dieses Gebrauches erklärt sich der griechische Scholiast
in den Wolken des Aristophanes also: „Es war gewöhnlich, dass die,
welche gestohlene Sachen aufsuchten (vorher ihre gewöhnliche Kleidung
ablegten und) nackend in die Häuser gingen. Dies geschah deswegen,
damit sie unter ihren Kleidern Nichts verborgen halten und etwa gar aus
Feindschaft den Gegenstand in das Haus unter der Toga bringen konnten,
den sie zum Schein suchten, um böswilliger Weise einen falschen Dieb-
stahl auf den Eigenthümer des Objects zu bringen." Vergl. Plat de legg.
XII p. 691. Bei Haussuchung waren also die Athener nur mit der
ixiTovlaxtp oder) licio bedeckt Nach Festus unter d. W. lanx kam dieser
Gebrauch mit den athenischen Gesetzen nach Rom. Lanx (= dem
griech. Xaytov, cavitas) war eine hohle Schale oder Platte, vor's Gesicht
zu halten, um nicht erkannt zu werden, also einer Maske nach Art einer
Waagschale. Licium eine Binde oder dünnes Unterkleid. Festus p. 117»
lance.
XI, 18, 11. S. inst. 4, 1 § 4. Furtum conceptum eigentlich: der
abgefasste Diebstahl; Furtum ob la tum, der verholfene Diebstahl.
Digitized by Google
XI. Buch, 18. Cap., § 11-16. (127)
entwendete Gegenstand (bereits) dahin gebracht wurde, wohin
man ihn zu bringen beabsichtigte." Die Strafe des dreifachen
Ersatzes stand auf einen Diebstahl, wofern die entwendete
Sache nach langem Suchen (in Gegenwart von Zeugen) gefunden
wurde und „furtum conceptum" hiess; desgleichen auf Ver-
übung eines „furtum oblatum", wo die gestohlene Sache in
Aufbewahrung gegeben und gefunden worden war. 12. Wer
aber nachlesen will, was man unter einem (furtum) oblatum
und was unter einem (furtum) conceptum versteht, und über-
hauptoioch nähere Aufklärung wünscht über viele andere dahin
gehörige, für die Betrachtung ebenso nützliche, als angenehme
Ueberlieferungen von den vortrefflichen Sitten(vorschriften)
des Alterthums, der wird seine Wissbegierde vollständig be-
friedigt finden in dem Werke des Sabinus, welches „von den
Diebstählen" handelt. 13. Darin findet sich auch eine schrift-
liche Bemerkung, an die man im Allgemeinen nicht gedacht
hat, dass man einen Diebstahl begehen könne, nicht nur an
Menschen und andern beweglichen Gegenständen, die heimlich
weggetragen und entwendet werden können, sondern auch an
Häusern und Grundstücken, dass daher auch ein (Guts-)
Pächter wegen Diebstahls verurtheilt wurde, der sein (nur)
gepachtetes Grundstück verkauft und den (rechtmässigen)
Herrn um dessen Besitz geprellt hatte. 14. Ja eine Be-
hauptung des Sabinus, die fast noch unwahrscheinlicher klingt,
besteht darin, dass Derjenige für einen Menschendieb erklärt
worden sei, der, wenn ein flüchtiger Knecht gerade vor den
Augen seines Herrn sich aus dem Staube machen wollte, durch
Ausbreitung seiner Toga, als ob er sich damit umhüllen wollte,
(in der üblen Absicht) sich vor den Ausreisser gestellt hatte,
damit dieser nicht von seinem Herrn bemerkt werden sollte.
15. Auf alle andern Diebstähle, welche „nec manifesta (d. h.
heimliche)" genannt werden, setzte man einen doppelten
Schadenersatz. 16. Auch erinnere ich mich in einem Werke
des sehr gelehrten Juristen Aristo gelesen zu haben, dass
XI, 18, 12. § 4 inst, de oblig. quae ex delict nasc.
XI, 18, 14. Vergl. Gell. VI (VII), 15, 2.
XI, 18, 15. Furtum nec manifestum, wenn man den Dieb nicht auf
der That selbst ertappte, sondern erst nachher herausbekam.
XI, 18, 16. S. Diodor. Sic. I, 80 von den Aegyptern. — Aristo
Digitized by
(128) XL Buch, 18. Cap., § 16 — 19.
bei den älteren Aegyptern, — die ja allgemein als eine Art
Leute bekannt sind, welche sich in Erfindung der Künste
anschlägig erwiesen, wie auch im Erforschen und Erkennen
des Lebenszweckes so grossen Scharfsinn entwickelten, —
alle Diebstähle erlaubt waren und ungeahndet blieben. 17.
Viele berühmte Schriftsteller, welche über die Sitten und
Gesetze der Lacedämonier geschichtliche Nachrichten abgefasst
haben, versichern, dass bei diesem ausserordentlich massigen
und so strengen Volke, wovon die geschichtliche Glaubwürdig-
keit uns doch noch nicht so ganz in weite Ferne gerückt ist,
wie bei den Aegyptern, die Gewohnheit des Stehlens zu Recht
bestanden habe; dass sogar das Diebshandwerk von der
(spartanischen) Jugend eifrig sei betrieben worden, nicht um
des verächtlichen Gewinnes halber, nicht um Kostenaufwand
zur Befriedigung ihrer Lüste, noch zur Erwerbung von Schätzen,
sondern nur als Uebungs- und Erziehungsmittel für das Kriegs-
handwerk; weil man der Ansicht war, dass die Geschicklich-
keit und Fertigkeit im Stehlen den Verstand der jungen
Leute schärfe und ermuthige und stärke zu Hinterhaltstinten
und Kniffen, ferner zur Geduld und Wachsamkeit, endlich zur
Schnelligkeit bei Ueberlistung (des Feindes) ansporne. 18. Hin-
gegen beschwert sich der (biedere) M. Cato in seiner Rede,
welche er „über die Vertheilung der Beute unter die Soldaten"
verfasste, mit nachdrücklichen und deutlichen Worten über die
Zügellosigkeit und Frechheit des Beute - Unterschleifes. Ich
lasse seinen (bedeutungsvollen, schlagenden) Ausspruch, weil
er mir so unendlich gefallen hat, hier wörtlich folgen, er
lautet: „(Kleine) Privatdiebe müssen (zeitlebens) in Ketten
und Banden schmachten, (grosse, vornehme Haupt- und)
Staats -Spitzbuben bringen ihr Leben in Gold und Purpur
hin." 19. Hier glaube ich nun die von den klügsten Männern
so keusche, wie gewissenhafte Erklärung, was unter „Dieb-
stahl" zu verstehen sei, nicht mit Stillschweigen übergehen
zu dürfen: man solle nämlich nicht nur den für einen (wirk-
lichen) Spitzbuben halten, der etwas im Verborgenen auf die
der römische Rechtsgelehrte lebte zur Zeit Trojans. Vergl. über ihn eine
Schilderung in des Plin. epist. I, 22.
XI, 18, 17. Plutarch. Lykurg p. 44; Lakonische Denksprüche p. 234 ;
Suidas unt. xa^tjjj; Plutarch. Marceil. 22.
Digitized by Google
XI. Buch, 18. Cap., § 20—24.
(129)
Seite gebracht und heimlich entwendet hat. 20. Eine (darauf
bezügliche) Stelle des Sabinus aus dem 2. Buche seines
„bürgerlichen Rechts" lautet also: „Wer eine fremde Sache
(gegen Gebühr) antastet, da er wohl dabei hätte bedenken
müssen, dass er solches wider Willen des Eigenthümers thut.
gilt für des Diebstahls überführt (und verfällt in Strafe).'1
21. So auch in einem andern Abschnitte: „Wer fremdes (ver-
lorenes) Eigenthum im Geheimen aulhebt (und an sich nimmt),
um daraus für sich einen Gewinn zu ziehen, macht sich eines
Diebstahls schuldig, mag er nun wissen, oder nicht wissen,
wessen Eigenthum es ist." 22. Solches schreibt Sabinus in
dem eben von mir angeführten Buche über Gegenstände, die
man diebischer Weise an sich genommen hat. 23. Allein ich
muss hier auch noch, gemäss der bereits oben von mir an-
geführten Bemerkung, in Erinnerung bringen, dass ein Dieb-
stahl auch (schon) ohne irgend eine Berührung stattfinden
kann, in dem absichtlichen und vorsätzlichen Bemühen, einen
Diebstahl zu begehen. 24. Deshalb behauptet Sabinus, dass
er selbst nicht einmal Anstand nehme, den Herrn eines Dieb-
stahls für schuldig zu erklären, der seinem Knecht Befehl
gegeben, einen Diebstahl zu begehen.
XI, 18, 21. Ueber noch andere Annahmen eines Diebstahls siehe
Gell. VI (VII), 15.
XI, 18, 23. Der Vorsatz zu stehlen wird zwar nach den Rechten
(vergL 1. I, § 1 7t. de furt.) noch nicht als ein Diebstahl angesehen, aber
doch, wenn, wie in dem von Sabinus angeführten Falle, der Diebstahl auf
Jemandes Anrathen oder Befehl vollzogen wurde. Vergl. § 11 Inst. L.
IV, tit. 1.
XI, 18, 24. S. L. 36-, § 1 n. de furt.
Gellius, Attische Nächte. II.
9
XII. BUCH.
XII, 1, L. Gelehrte Abhandlung des Philosophen Favorin, wobei er einer
vornehmen Frau den Rath crthcilte, dass er es für die (heiligste) Pflicht
einer Mutter halte, die Kinder, die sie zur Welt gebracht, nicht durch die
Milch gedungener Ammen aufziehen zu lassen , sondern mit ihrer eigenen
(Mutter-) Milch selbst zu stillen.
XII, 1. Cap. 1. Einst wurde dem Weltweisen Favorin
in meiner Gegenwart gemeldet, dass die Gemahlin eines seiner
Zuhörer und Anhänger kurz vorher entbunden worden und
derselbe durch den Zuwachs eines neugebornen Söhnchens
beglückt worden sei. 2. Auf, sprach er, lasst uns (nach dem
Befinden der Kindbetterin erkundigen) das Knäbchen in
Augenschein nehmen und dein Vater unsre Glückwünsche
darbringen. 3. Der Vater des Neugebornen war Rathsmitglied
und stammte (überhaupt) aus höchst vornehmer Familie. Wir,
die ganze damals bei Favorin versammelte Gesellschaft, be-
gleiteten insgesaramt ihn nach dem Hause, wohin er sich
sofort aufmachte und traten mit ihm zugleich ein. 4. Gleich
beim Eintritt in das Haus umarmte er den (glücklichen) Vater,
brachte ihm die herzlichsten Wünsche dar, und nachdem er
sich niedergelassen und sicli erkundigt hatte, ob die Ent-
bindung langwierig und mit heftigen WTehen verbunden ge-
wesen sei, erfuhr er, dass die junge Frau durch die aus-
gestandene Anstrengung und durch langes Wachen ermattet
(jetzt glücklicher Weise etwas) eingeschlafen sei. Er begann
nun eine weitläufigere Unterhaltung und Hess dabei die Be-
merkung fallen: Nun zweifle ich aber durchaus nicht, dass
XII, 1, L. Vergl. Bernh. R. L. 11, 25.
Xn. Buch, 1. Cap., §4—9.
(131)
die Wöchnerin ihr Knäbchen mit ihrer eignen Muttermilch
selbst stillen wird. 5. Augenblicklich mischte sich aber die
Mutter der jungen Wöchnerin ins Gespräch und sagte, man
müsse dem Kinde eine gute Amme versorgen und die junge
Frau schonen, der, nach den bei der Entbindung ausgestandenen
Schmerzen, wohl kein Mensch würde zumuthen wollen, nun
auch noch sich mit dem lästigen und beschwerlichen Amt des
Selbststillens zu befassen. Ich bitte Dich, liebe Frau, er-
widerte Favorin, (halte Dich in dieser Angelegenheit der
Einmischung fern und) lasse Deine Tochter doch lieber an
ihrem Söhnchen die volle Mutterpflicht erfüllen. 6. Denn
heisst das nicht eine unnatürliche, unvollständige und halb-
schürige Sorte von einer Mutter, die ein Kind zur Welt
bringt und dasselbe gleich wieder verstösst? Im Mutterleibe
ein noch etwas Unsichtbares mit seinem Blute ernährt zu
haben, nun da es (glücklicher Weise) lebt, und man es sieht,
nun da es menschliche Gestalt angenommen und bereits den
Beistand der Mutter anfleht, es nicht mit der Mutter eignen
Milch ernähren zu wollen? 7. Oder bist Du der Meinung,
fuhr er fort, dass die Natur den Frauen die Brusteuter ver-
liehen hat nur gleichsam als liebreizende Zaubermale, nicht
zur Ernährung ihrer Kinder, sondern als Zierde des Busens?
8. So giebt es nämlich, was sich selbstverständlich durchaus
nicht auf euch beziehen soll, viele solche unnatürliche, ent-
artete (Raben-) Mütter, die Alles aufbieten, den heiligsten
Bronnen des Leibes, den Urquell der für das (gesammte)
Menschengeschlecht bestimmten Nahrung vertrocknen zu lassen
und zu unterdrücken , ohngeachtet der mit Vernichtung und
Vertreibung der Milch verbundenen Gefahr, nui* um ihrer
äussern Schönheit keinen Eintrag zu thun; welches Verbrechen
wahrlich nicht weniger wahnsinnig erscheinen muss, als wenn
man sich künstlicher uud (sträflicher) Abtreibungsmittel be-
dient, um den im Mutterleib bereits erfolgten Ansatz des
Fruchtkeimes zu vernichten, damit auf der Glätte der Leibes-
sehöne nach Austrag der lästigen Frucht keine Falten zurück-
bleiben, und man dadurch wegen der Anstrengung bei der
Entbindung keinen Abbruch erleide. 9. Doch da schon eine
solche VeiTUchtheit die öffentliche Verabscheuung und all-
gemeine Verachtung verdient, wenn man darauf ausgeht, ein
9*
Digitized by Google
(132)
XII. Buch, 1. Cap., §9—15.
menschliches Sein in seinem Uranfange, bei seiner Entwicklung
und Beseelung gleich unter den eignen Händen der schaffenden
Natur zu vernichten, wie viel näher liegt uns nun da erst
der Abscheu vor einer Person, die sich des Vorwurfs schuldig
macht, ein schon völlig ausgebildetes, auch schon (glücklich)
zur Welt gebrachtes Wesen, ihr eignes Kind, des ihm zu-
kommenden, gewöhnten und bekannten Ernährungsmittels zu
berauben? 10. Allein nun sucht man sich dabei so aus-
zureden: Wenn das Kind nur genährt wird und am Leben
erhalten bleibt, dann ist es ja gleichgültig, durch wessen Milch
dies geschieht. 11. Warum stellt nun ein Solcher, der diesen
Widersinn auszusprechen wagt (und gegen das Verständniss
der Stimme der Natur so taub ist), nicht auch gleich die
Behauptung auf, dass er auch das für ganz gleichgültig er-
achte, in welchem Mutterschooss ein Mensch entstanden und
aus wessen Blut er hervorgegangen? 12. Oder (will er etwa
beweisen) weil durch einen gewaltigen Umwandlungsprozess
und durch die Lebenswärme das Blut (in der Mutter Brust)
eine weisse Farbe angenommen, nun in den Brüsten nicht
dasselbe sei, das im Schoosse der Mutter das Bestehen (und
die Ausbildung) der Frucht vermittelte ? 13. Wird nicht auch
durch folgende Thatsache die weise Absicht der Natur er-
sichtlich, dass, nachdem das Blut, jener Nahrung gewährende
Stoff im Mutterleib den ganzen jungen Leib zur Vollendung
bringen half, es 'sich, wenn nun die Zeit der Geburt näher
rückt, nach den oberen Theilen hinaufzieht und (abermals) zur
Erhaltung der jungen Lebenskeime dienlich ist und dem Neu-
gebornen die bekannte und schon gewöhnte Nahrung darreicht ?
14. Daher beruht die Annahme auf keinem Irrthum: so wie
die wesentliche Beschaffenheit des Samens bei Ausprägung
leiblicher und geistiger (Verwandtschafts-) Aehnlichkeiten ihre
(ganz besondere, eigenthümliche) Wirkung äussert, ganz ebenso
sind sicher auch die wesentlichen Bestandtheile der Milch
von höchstem Einfluss auf das leibliche und geistige Gedeihen
des Kindes. 15. Diese Wahrnehmung hat man nicht nur an
XII, 1, 13. S. Macrob. Sat. V, 11.
XIT, 1, 14. Ist die Mutter kränklich, so ist doch wohl auch dem
Kinde eine bessere Nahrung gedeihlicher.
XIL Buch, 1. Cap., § 15 —20. (133)
Menschen, sondern auch an Thieren gemacht. Denn wenn
man z. B. junge Böcke mit Schafmilch oder Lämmer mit
Ziegenmilch aufzieht, so ist fast allgemein bekannt, dass dann
bei den Schafen die Wolle viel härter und bei den Ziegen
das Haar viel weicher wird. 16. So trägt auch (im Gewächs-
reich) bei Bäumen und Früchten meist die gute Beschaffen-
heit eines nahrhaften feuchten Bodens mehr zur Verminderung
oder Vermehrung ihres Gedeihens und Wachsthums bei, als
die Vorzuglichkeit und Güte des ausgestreuten Samens; und
so hat man öfters einen blühenden und im (üppigen) Wachs-
thum begriffenen Baum, wenn er an einen andern Ort um-
gesetzt wurde, wegen (dürftiger) Nahrung in saftlosem Grund
und Boden (absterben und) eingehen sehen. 17. WTie zum
Henker will man nun erst rechtfertigen, so etwas Edles in
einem menschlichen Geschöpfe, eine leiblich und geistig ur-
sprünglich gutgeartete Grundlage durch untergeschobene und
abartige Nahrung fremder Milch zu verderben? zumal wenn
die Person, welche man zum Stillen verwendet, entweder von
niedriger Herkunft oder von niedriger Denkungsart, wie das
sehr oft vorkommt, von einem, fremden und ungebildeten Volke
stammte, wenn sie frech, oder hässlich, schamlos und dabei
trunksüchtig ist; denn gewöhnlich wird ohne Unterschied die
erste beste verwendet, welche zur Zeit gerade das Geschäft
der Saugenden verrichten kann. 18. Wollen wir also (in
solchem Falle) nicht zugeben, dass unser kleiner Sprössling
vom verderblichen Gifte angesteckt werde und aus dem
verdorbensten Geist und Körper für seinen Geist und Körper
Nahrung ziehe? 19. Hierin zeigt sich aber wahrlich der
eigentliche Grund, dass manche Kinder sittsamer Mütter,
was uns so oft Wunder nimmt, ihren Aeltern weder an Leib
noch Seele ähnlich sind. 20. Sinnig und einsichtsvoll verfuhr
daher unser (Vergilius) Maro, als er jene bekannten Verse
Homers (Uiad. XVI, 33 u. s. w.) nachahmte {worin Phönix
XII, 1, 17. Durch lactare (auch lactitare) wird das Geschäft der
säugenden Mutter ausgedrückt; durch lacteo die Verrichtung des säugenden
Kindes. Daher lactans eine Säugende, lactens ein Säugling. Dies sagt
auch der Gedächtnissvers:
lacteo, lac sugo; lacto: lac praebeo nato.
Digitized by Google
(134) XII. Buch, 1. Cap., § 20 — 23.
dem Achill seine Härte und Grausamkeit vorrückt und) wo
es heisst:
Peleus der Held ist nicht Dein Vater,
Deine Mutter ist Thetis nicht; Dich haben mit blauen
Wogen steile Felsen erzeugt, drob bist Du so grausam,
dass Vergil daselbst dem Aeneas (von der Dido) nicht nur
seine Geburt zum Vorwurf machen lässt, wie sein Vorgänger
(Homer), sondern auch die grausam und wild machende Er-
nährung, denn bei der Zeichnung seines Helden folgt bei
Vergil (Aen. IV, 367) der Zusatz:
und hyrkanische Tiger reichten die Brust Dir (zum Säugen),
weil selbstverständlich bei Einpflanzung sittlicher Eigenschaften
der Charakter der Amme und die Beschaffenheit ihrer Milch
eine nicht so ganz unbedeutende Rolle spielt; denn die
Nahrung, nachdem die Anzeichen der Empfängniss durch die
männliche Befruchtung erst einmal eingetreten, trägt auch nach
der körperlichen und geistigen Beschaffenheit der Mutter un-
gemein viel zur Bildung der Neigungen und des Charakters
von der jungen Frucht bei. 21. Und wenn nun auch dies
noch kein Beweggrund (für die Mutter, ihr Kind selbst zu
stillen) sein sollte, wie wird man dann auch noch gleichgültig
bleiben und die Warnung unbeherzigt lassen können, weil
Mütter, welche ihr eigenes Fleisch und Blut verlassen und
von sich entfernen und fremden Leuten zur (Ernährung und)
Pflege überlassen, gewärtig sein müssen, jenes (heilige) Band,
jenes Verkittungsmittel herzlicher Liebe, wodurch die Natur
die Aeltern mit ihren Kindern vereinigt wissen will, zu zer-
reissen oder doch wenigstens zu lockern und zu untergraben.
22. Denn durch die erfolgte Entfernung eines solchen aus
dem Hause und aus den Augen gegebenen Kindes wird nach
und nach jene lebendigheisse Mutterliebe erkalten und jeder
Herzschlag (kindlicher Zärtlichkeit und) rastlosester (mütter-
licher Sorgfalt und) Bekümmerniss wird verstummen, und
bald wird das (arme) einer fremden Ernährerin anvertraute
Wesen nicht weniger vergessen sein, als ein durch den Tod
verlorenes. 23. Andererseits wird auch die Zuneigung des
Herzens, der Liebe, der Anhänglichkeit von Seiten eines
solchen Kindes ganz allein auf seine Ernährerin sich be-
schränken und ebenso wird es, wie dies bei ausgesetzten
Digitized by Google
XII. Buch, 1. Cap., § 23. 24. — 2. Cap., § 1. (135)
Kindern der Fall ist, weder eine (kindliche) Empfindung für
die Mutter, welche ihm das Leben gegeben, hegen, noch ein
sehnsüchtiges Verlangen nach ihr dasselbe anwandeln. Deshalb
wird, sind alle jene Begriffe von Pflichtgefühl und angeborner
Kindesliebe erloschen und vernichtet, bei derartig erzogenen
Kindern, wenn sie auch Vater und Mutter zu lieben scheinen,
diese (gebotene) Liebe fast grösstentheils keine wahrhaft inner-
liche, wirkliche Zuneigung sein, sondern nur eine (vorsätzlich)
erzwungene und eingebildete (die nichts als die kalten ver-
wandtschaftlichen Namen der Aeltern und Kinder zur Schau
trägt). 24. Diesem in griechischer Sprache gehaltenen Vor-
trage des Favorin wohnte ich als Zuhörer bei. Und ihres
allgemeinen Nutzens halber glaubte ich diese Grundsätze und
Gedanken, so weit sie mir im Gedächtniss geblieben waren,
hier aufzeichnen zu müssen; allein die Anmuth, die Fülle
und Ueppigkeit im Ausdruck wird wohl kaum irgendwie alle
lateinische Beredtsamkeit annähernd auszudrücken im Stande
sein, meine Wenigkeit aber ganz und gar nicht.
XII, 2, I*. Wie oberflächlich und leichtsinnig Annaeus Seneca bei seinem
Urtheil verfuhr, welches er über Q. Ennius und M. Tullius (Cicero) fällte.
XII, 2. Cap. 1. Einige (Kunstrichter) sprechen über
Annaeus Seneca wie über einen Schriftsteller von ganz und
gar keinem Belang, mit dessen Werken sich zu befassen ganz
und gar nicht der Mühe werth sei, weil seine Ausdrucksweise
gewöhnlich und abgenutzt erscheint; die Wahl des Stoffes
XII, 1, 24. Griechischer Vortrag des Favorin vergl. Gell. XIV, 1, 1.
XII, 2, 1. Lucius Annaeus Seneca, der Philosoph, geb. zu
Corduba in Spanien, Sohn des Rhetors Seneca und der Helvia, gelangte
in Rom zu den höchsten Staatsäratern , wurde aber durch die Intriguen
der berüchtigten Messalina an dem Hofe des Kaisers Claudius gestürzt
und nach Corsica verwiesen. Nach acht Jahren zurückgerufen, wurde er
Erzieher des Nero, der ihn aber 65 zum Tode verurtheilte, weil er an
der Verschwörung des Piso Theil genommen haben sollte. Er starb, da
ihm die Wahl seines Todes freigelassen war, durch Oeffnung der Adern.
In seinen philosophischen Anschauungen folgt er meist der stoischen
Lehre, bewahrt sich jedoch Selbständigkeit seines Urtheüs durch
viele eben so tief geschöpfte, als klar und scharf ausgeprägte Gedanken
und Sätze. S. Bernh. R. L. 124; Teuffels Gesch. der röm. Lit. 283, 1.
Digitized by Google
(136)
XII. Buch, 2. Cap., § 1—5.
und die Gedanken bald läppisches, gehaltloses Ungestüm ver-
rathen, bald etwas von oberflächlicher und naseweiser Spitz-
findigkeit; sein Bildungsgrad aber, gewöhnlich und niedrig,
keine Spur an sich trage, weder von der Anmuth, noch von
der Erhabenheit aus den Schriften der Alten. Andere hin-
gegen gestehen zu, dass ihm zwar in der Ausdrucksweise ein
feiner Geschmack mangele, behaupten aber, dass sowohl die
Geschicklichkeit und Anordnung in der Behandlung des Stoffes
ihm nicht abgehe, als auch der Ernst und die Strenge, womit
er sich im Tadel sittlicher Laster und Verbrechen ergeht,
nicht ohne Liebreiz sei. 2. Im Allgemeinen den Kunstrichter
über seine geistige Befähigung zu spielen und über seine
ganze schriftstellerische Thätigkeit ein Urtheil abzugeben,
halte ich für unnöthig; aber wir wollen uns nur die Aufgabe
stellen, die Art und Weise seines Urtheils über M. Cicero,
über Q. Ennius und über P. Vergilius etwas näher zu be-
trachten. 3. Im 22. Buche seiner „moralischen Briefe^
welche er an den Lucilius richtet, behauptet Seneca, Q. En-
nius habe auf den iM. Cornelius) Cethegus folgende höchst
lächerliche Verse gedichtet:
Ihn hatte sein Volk vor Zeiten, ihn hatten
Jene Menschen, die damals sich umgetrieben im Leben,
Köstliche Blüthe des Volkes genannt und das Mark der Beredtheit.
4. Und nachher schreibt er über dieselben Verse Folgendes:
„Wunder muss es immer nehmen, dass selbst höchst beredte
Männer so für den Ennius eingenommen waren, dass sie solch
läppisches Zeug für etwas höchst Vorzügliches ausgeben
konnten. Wenigstens giebt auch Cicero diese Verse von ihm
als gute aus." 5. Und so lautet ferner (von Seneca) auch
folgendes Urtheil über Cicero: „Es nimmt mich gar nicht
XII, 2, 3. Marcus Cornelius Cethegus, Pontifex maximus und Praetor
(213 und 211), dann mit dem Sempronius Tuditanus Consul (204), schlug
als Proconsul im folgenden Jahre in Insubrien den carthagenischen Feldherrn
Mago, einen Bruder des Hannibal. Er legte sich im hohen Alter noch auf
die Redekunst und soll es nach Cicero (Brut. 15) sehr weit darin gebracht
haben. Cic. Senec. 14, 50. Bemerkungen über Seneca s. bei Teuffei röm.
Lit. Gesch. 283, 5.
XII, 2, 4. Cic. Brut. 15, 57 etc.
Digitized by Googl
XII. Buch, 2. Cap., § 5 — 11. (137)
Wunder, dass es Einen geben konnte, der diese Verse schrieb,
da sich ja auch Einer fand, der sie lobte ; wenn es nicht etwa
von dem grössten Redner Cicero nur darauf abgesehen war,
sein eigenes Interesse zu vertreten, und er nur deshalb diese
Verse für mustergültige gehalten wissen wollte" (sc. weil er
sich als Dichter selbst sehr schwach fühlte). 6. Nachher fügt
Seneca auch noch folgenden abgeschmackten Zusatz bei:
• „Auch wird man bei Cicero selbst noch Einiges in ungebundener
Rede linden, woraus man ersehen kann, er habe den Ennius
nicht vergeblich gelesen." 7. Er zieht dann einige Stellen
an, die er bei Cicero als ennianische tadelt, dass er z. B. in
seinen Büchern „über den Staat" (V, 9, § 11) so schrieb:
„Der Lacedämonier Menelaos besass eine süssredende An-
rnuth;" dass Cicero ferner an einer andern Stelle sich so aus-
drückte: „(Ein Lenker des Staats) soll sich in seinem Vortrage
stets der Redekürze befleissigen." 8. Dabei hält es dieser
Schwätzer doch noch für nöthig, zu seiner Entschuldigung
für die dem Cicero vorgeworfenen Fehler den Zusatz machen
zu müssen: „Doch war deshalb dem Cicero kein Vorwurf zu
machen, sondern nur dem Zeitgeschmack, denn da dergleichen
(gern) gelesen wurde, so musste man dergleichen auch sagen
(und schreiben)." 9. Weiterhin fügt er noch hinzu, Cicero
habe alle dergleichen Ausdrücke nur eingeschaltet, um dem
Vorwurf einer allzu überladenen und gezierten Sprache aus
dem Wege zu gehen. 10. Auch über Vergil lässt er sich an
eben derselben Stelle wörtlich folgendermassen aus: „Aus
keiner andern Ursache hat unser Vergil einige harte und
ungeregelte und Manches ins Breite ziehende Verse unter-
mengt, nur damit der dem Ennius zugethane Anhängerschwarm
in der neuen Dichtung etwas Alterthümliches wiederfinden
möchte." 11. Nun bin ich (zwar) dieses Gewäsches vom Se-
XII, 2, 7. Vergl. Bernh. R. L. 53, 213.
XII, 2, 10. Seneca erwähnt Vergil lobend: ep. 21; ohne Herab-
setzung: ep. 59 und ep. 95.
XII, 2, 11. Inter hircosos - inter unguentatos. Anspielung auf die
römische alte Zeit, wo man sich noch viel mit der Viehzucht, namentlich
Ziegenzucht beschäftigte, im Gegensatz zum Parfümiren in der spätem
Zeit.
Digitized by Google
I
(138) XU. Buch, 2. Cap., § 11 — 14.
neca überdrüssig, kann jedoch einige Spässe dieses läppischen,
einfältigen, faden Menschen durchaus nicht mit Stillschweigen
übergehen. Er sagt einmal : „Einige Gedanken des Q. Ennius
sind so grossartig, dass, obgleich sie zur Zeit geschrieben
sind, wo die Leute nach Ziegenbock (Ziegenstall) rochen, doch
wohl auch noch bei (unsern jetzigen) Pomadenherrchen Ge-
fallen erregen können;" und als er die oben bereits von mir
angeführten, auf den Cethegus bezüglichen Verse des Ennius
getadelt hatte, fährt er fort: „Die, welche sich in solche Verse
verlieben können, mögen immerhin auch die (alten, schlechten)
Bettstellen von (Meister) Sotericus bewundern." 12. Sollte
Seneca nun wirklich würdig des Lesens und Studirens von
Seiten junger Leute sein, er, der den Werth und Zuschnitt
(Colorit) alter Sprechweise den Bettstellen des Sotericus
gegenübergestellt hat, die, man höre nur, aller Annehmlichkeit
entbehren, (als unbrauchbar) hintenangesetzt und (als un-
bequem) verachtet werden? 13. Doch magst Du Dir nun auch
einiges Wenige anführen lassen, was sich von eben demselben
Seneca als ganz treffende Bemerkung herausstellt, wie z. B.
sein Ausspruch, den er in Bezug auf einen geizigen, gierigen
und gelddurstigen Menschen thut: „Was liegt denn daran,
wie viel Du hast? Es giebt ja doch noch viel mehr, was
Du nicht hast." 14. Das ist doch wohl ein ganz vortrefflicher
Ausspruch? Gewiss ganz vortrefflich. Allein einige (wenige)
gute Einfälle befördern die Neigung (und das Anstandsgefühl)
der Jugend doch nicht in dem Maasse, als öfters schlechtere
Reden sie vergiften und zwar um so viel mehr, wenn die
schlechten bei Weitem die Mehrzahl ausmachen und darunter
solche sich befinden, die nicht etwa für eine subjective Be-
trachtung über einen unbedeutenden und schlichten Gegen-
stand ausgegeben, sondern in einem zweifelhaften Falle (als
massgebend und) als leitendes Princip hingestellt werden.
XII, 2, 11. S. M. Hertz „Renaissance und Rococo" S.38. Berlin 18t>5.
XII, 2, 13. Vergl. Gell. IX, 8, 4 den Ausspruch Favorins. Beim
Stobaeus sagt Epicur: Wer sich nicht mit Wenigem begnügt, der hat nie
genug. Valerius Maxim. IV, 3, 7 schreibt: Fabricius Luscinus war reich,
nicht weil er viel besass, sondern weil er wenig begehrte. S. Gell. 1, 14, 2.
XII, 2, 14. S. Bernhard. R. L. 52, 212.
Digitized by Google
XII. Buch, 3. Cap., § 1—3.
(139)
XII, 3, L. Auf welche Weise der Ausdruck „lictor" sich bildete und
entstand; ferner Anführung der verschiedenen Ansichten des Valgius Rufus
und des Tullins Tiro (des Freigelassenen von M. Tullius Cicero, über den
Ursprung dieser Benennung).
XII, 3. Cap. 1. Valgius Rufus im 2. Buche seines
Werkes, welches die Ueberschrift führt: „über (einige) in
Briefform abgefasste Fragen" (enthaltend die Ergebnisse
grammatischer Studien und gelehrter Erörterungen) schreibt,
dass der Ausdruck „lictor (Amtsdiener des hohen Rathes)"
von ligare (binden) hergenommen sei, weil, sobald einer auf
obrigkeitlichen Befehl des römischen Volkes sollte mit Ruthen
gepeitscht werden, diesem gewöhnlich von dem Gerichtsboten
(a viatore) Hände und Füsse gebunden und gefesselt wurden.
Der von den Rathsboten, an welchem nun die Reihe war, das
Anlegen der Fesseln zu vollziehen, sei nun „lictor" genannt
worden. Und (zum Beweis) dafür beruft er sich auf das
Zeugniss des M. Tullius (Cicero) und führt dazu die be-
treffende Stelle aus der Rede an, welche vom Cicero für den
C. Rabirius gehalten wurde. 2. Da steht: „lictor colliga
manus, d. h. Lictor (geh' und) binde (ihm) die Hände." So
also lautet die Erklärung des Valgius. 3. Und wahrlich auch
ich erkläre mich mit ihm einverstanden. Allein Tiro Tullius,
XII, 3, L. Die (12) Lictores, Boten, erklärt Cic. de republ. 2, 31
richtiger von licere (laden, entbieten) nicht von ligare (binden) s. Varro
L L 6, 9, 77 § 94 inlicium vocare. Vergl. Gell. II, 15, 4 NB.
XII, 3, 1. S. Non. Marc. p. 51 Lictor. Plut. über römische Ge-
bräuche 67; Paul. S. 115.
XII, 3, 1. C. Valgius Rufus, vertrautester Freund des Horaz,
vielseitig gebildet, verfasste mannigfaltige rhetorische und grammatische
Schriften. Die in seinem Werke de rebus per epistolam quaesitis nieder-
gelegten Ergebnisse seiner grammatischen Studien und gelehrten Er-
örterungen sind, nachweislich, ausser von unserm Gellius, auch noch von
Plinius fleissig benutzt worden. S. Teuffels röm. Lit. Gesch. 230, 3.
XII, 3, 1. Viatores waren eigentlich die Amtsboten und die Be-
dienenden der Tribunen (s. Liv. 2, 56) und der Aedilen (s. Liv. 30, 39),
während die Lictoren den höheren Magistraten, z. B. Consuln, Praetoren
u. s. w., aufwarteten. In früheren Zeiten pflegten die Viatores die Sena-
toren von ihren Landgütern hereinzurufen, wo diese sich, als Ackerbau-
liebhaber, gewöhnlich aufhielten, wovon sie auch den Namen erhielten
(quod saepe in via essent). S. Cicer. de sen. 16; Columeli. praef. 1.
Digitized by Google
(140) XII. Buch, 3. Cap., § 3. 4. — 4. Cap., § 1. 2.
des M. Cicero Freigelassener, schreibt , dass dieses Wort ent-
weder von dem Ausdruck „limus" (d. h. Schurz, den die
Opferdiener um den Leib zu tragen pflegten), oder von lrcium
(Gurt um den Unterleib) hergenommen sei, denn die Diener,
welche den (hohen) Obrigkeiten vorangingen, waren mit einer
Art quer über die Schulter auf die andere Seite gehender
Binde (licio transverso) umgürtet, welche „limus" genannt wurde.
4. Sollte Jemand die Ansicht des Tiro für annehmbarer des-
wegen halten, weil die erste Silbe in „lictor", wie in licium
lang ist, in dem angeblichen Stammwort „ligo" aber kurz, so
ist dieser Grund durchaus nicht als stichhaltig anzusehen,
denn so werden viele, in den Stammwörtern ursprünglich
kurze Vocale unter Umständen lang, wie z. B. in unserm
(besprochenen) Wort „lictoru von „ligare", ferner in „lector""
von „legere", „Victor" von „vivere", „tutor" von ,.tueria,
„structor" von „struere".
XII, 4, L. Einige aus dem 7. Buche der Chronik (der Jahrbücher) des
Q. Knnius entlehnte Verse, worin der Charakter und das feine irücksichts-
volle) Benehmen eines geringeren Mannes gegen einen höhergestellten
Freund beschrieben und erklärt wird.
XII, 4. Cap. 1. Q. Ennius hat im 7. Buche seiner
Chronik, bei der geschichtlichen Besprechung des edlen und
vornehmen Geminus Servilius, eine fein malerische und aus-
führliche Beschreibung und Schilderung geliefert, was für An-
sprüche an den Freund eines durch Geburt und Glücksgttter
höher gestellten Mannes gemacht werden und welche Eigen-
schaften alle von ihm verlangt werden, als da sind: Geist,
ein feines, liebenswürdiges Benehmen, Bescheidenheit, Treue
und Zuverlässigkeit, Zurückhaltung im Urtheil, Muth im
Reden und Rathen zur rechten Zeit, grosse Kenntniss in der
Alterthumskunde und in allen alten und neuen Gebräuchen
und Sitten, höchste Gewissenhaftigkeit in der unverletzlichen
Bewahrung der (anvertrauten, wichtigen) Geheimnisse, endlich
alle Arten Mittel und Wege der Besänftigung, der Er-
leichterung, des Trostes zur (kräftigen) Unterstützung bei des
Lebens Aerger und Verdruss. 2. Ich glaube, dass diese Verse
(des Ennius) nicht weniger der öfteren und beständigen Er-
wähnung werth sind, als die Lehrsätze der Philosophen über
Digitized by Googl
XII. Buch, 4. Cap., § 8—5. (141)
die (menschlichen) Pflichten. 3. Dazu gebietet uns in diesen
Versen ein gewisses Colorit altklassischen Anhauchs eine so
hohe Achtung , ist ihre Lieblichkeit so absichtslos rein und
ungezwungen, so fern von jedem falschen Aufputz, dass diese
Verse, wenigstens nach meiner Ueberzeugung, als altbewährte
und geheiligte Freundschaftsvorschriften beobachtet, im Ge-
dächtniss behalten und (fürs ganze Leben) hoch und werth
geachtet werden sollten. 4. Ich glaube sie deshalb hier
folgen lassen zu müssen, weil doch vielleicht Einer oder der
Andere gleich danach Verlangen tragen könnte (sie kennen
zu lernen) :
Also sprach er und Hess zu sich kommen, mit welchem er gern und
Oftmals Tisch und Gespräch und seiner Geschäfte Erört'rung
Theilte, wenn heim er kam ermüdet von wichtigen Dingen,
Drob er gerathschlagt hatte die grössere Hälfte des Tags durch
5. Auf dem Markte sowohl wie im höchst ehrwürdigen Stadtrath;
Welchem er Grosses und Kleines, so wie auch Scherze mittheilen
Durfte und Alles, was gut und was übel man sonst wohl noch redet,
Schütten ihm aus, wenn er mocht', und anvertrauen ihm sorglos;
Welcher getheilt mit ihm viel Freud' im Hause und draussen;
10. Den nie schädlicher Rath aus Leichtsinn oder aus Bosheit
üebel zu handeln verlockt; ein Mann, unterrichtet, ergeben,
Angenehm, redegewandt und genügsamen fröhlichen Herzens,
Redend zur richtigen Zeit und das Passende, klüglich und kürzlich,
Im Verkehre bequem und bewandert verschollener Dinge,
15. Denn ihn lehrten die Jahre die Sitten der Zeit und der Vorzeit,
Von vielfältigen Sachen der Götter und Menschen Gesetz' auch,
Und ein Gespräch zu berichten verstand er so wie zu verschweigen.
An ihn wendet Servil sich immer bei streitigen Punkten.
5. L. Aelius Stilo soll oftmals (und ohne Zweifel nicht mit
Unrecht) die Behauptung haben laut werden lassen, dass der
Dichter Q. Ennius in diesen Versen (nur) eine Charakteristik
seiner selbst geliefert und ein Bild seines eigenen Geistes und
Charakters entworfen und (sein vertrauliches Verhältniss zum
Scipio) geschildert habe.
XII, 4, 5. Ueber L. Aelius Stilo s. Gell. I, 18, L. NB. Ueber
Q. Ennius s. Gell. I, 22, 16 NB und Gell. XVII, 21, 43 NB; cfr. Cic.
de orat H, 68, 276.
irdjfär~ir_
Digitized by Google
(142)
XII. Buch, 5. Cap., § 1 — 3
XII, 5, L. Unterhaltung des Philosophen Taurus über die Art und Weise,
wie man nach den Grundsätzen der Stoiker den Schmerz ertragen müsse.
XII, 5. Cap. 1. Als der Philosoph Taurus nach Delphi
reiste, um daselbst die pythi sehen Spiele und die (all-
gemeine) Zusammenkunft fast von ganz Griechenland sich mit
anzusehen, und ich mich in seiner Begleitung befand, kamen
wir auf der Reise dahin nach Lebadia, einer alten Stadt in
Böotien, allwo dem Taurus die Meldung gemacht wurde, dass
daselbst einer seiner Freunde, ein angesehener Philosoph aus
der stoischen Schule, von schwerer Krankheit heimgesucht,
darniederliege. 2. Er schob sogleich die Weiterreise auf, ob-
gleich er übrigens alle Ursache hatte, diese zu beschleunigen,
verliess das Schiff und machte sich sofort auf, dem Kranken
einen Besuch abzustatten. Wir, seine Reisegefährten, be-
gleiteten ihn, wie überhaupt gewöhnlich auf Tritt und Schritt,
so auch auf diesem Gange. Als wir in das Haus, wo der
arme Kranke lag, kamen, ward uns der Anblick eines Men-
schen, der an einer Krankheit litt, welche die Griechen
„y.olov (Kolik)" nennen, wobei er von den martervollsten
Unterleibsschmerzen und zugleich vom heftigsten Fieber ge-
plagt wurde; wobei er sein willkürlich verhaltenes Wimmern
doch nicht völlig niederkämpfen und sein schweres Athem-
holen und sein Aufseufzen aus tiefer Brust nicht ganz unter-
drücken konnte, ein Zustand, der uns nicht sowohl den
Schmerz selbst verrieth, als vielmehr den Kampf (des so
jämmerlich Leidenden) gegen den Schmerz. ' 3. Als Taurus
nun gleich darauf nicht sowohl Aerzte hatte herbeiholen lassen
und sich mit ihnen nicht nur über die anzuwendenden Mittel
verständigt hatte, sondern ganz besonders den Kranken selbst
zur Ausdauer und Geduld Mttth eingeflösst und ihn vorzüglich
wegen der sichtbar abgelegten Beweise von Erduldung belobt
hatte, entfernten wir uns wieder und begaben uns nach
den Schiffen zu unsrer Reisegesellschaft zurück. Daselbst
XII, 5, L. Vergl. Gell. XIX, 1.
XII, 5, 1. Die pythischenSpiele, Wettkämpfe und Tänze, welche
dem Apollo als Besieger des (Drachen) Python zu Ehren in Delphi ge-
feiert wurden.
XII, 5, 2. Darmgicht. Piin. 26, 6, 1.
Digitized by Google
XII. Buch, 5. Cap., § 3—5. (143)
(angekommen) liess sich Taurus also vernehmen: „Dir habt
nun zwar allerdings ein weniger angenehmes, aber für eure
Erfahrung immerhin ganz nützliches Schauspiel mit angesehen,
wie ein Philosoph und der Schmerz Schritt für Schritt sich
das Kampffeld streitig machten. Die Heftigkeit und der
Charakter der Krankheit an und für sich verursachten ihrer-
seits die Verzerrung der Gliedmassen und den grausamsten
Schmerz ; dagegen kämpften aber ebenso ihrerseits der geistige
Wille und die Charakterstärke (gewaltsam) an, rüsteten sich
mit Geduld zur Abwehr und hielten in sich die Heftigkeit
des unbändigen Schmerzes zurück. Der arme Geplagte liess
kein (klägliches) Gejammer, kein Gewimmer, kein unschick-
liches Wort hören, kaum dass einige Zeichen euch verriethen,
es handle sich hier offenbar um den Kampf einer (tugend-
haften) Seele mit ihrem Körper, um den Besitz der Herrschaft
(des Schmerzes) über den (armen gequälten) Menschen."
4. Darauf ergriff nun ein junger Schüler und Anhänger des
Taurus, der vielen Fleiss auf das Studium der Philosophie
verwandt hatte, das Wort und sagte: Wenn nun aber die
Bitterkeit und Drangsal des Schmerzes so bedeutend ist, dass
sie jeder Freiheit des Willens und jeder Vorstellung der Ver-
nunft widerstrebt und dem leidenden Menschen wider seinen
Willen Seufzer auspresst und ihn zwingt, das (wüthende)
Krankheitsübel offen einzugestehen, warum bezeichnet man
denn da den Schmerz als etwas Gleichgültiges (indifferens,
d. h. was weder gut, noch böse ist) und nicht gleich geradezu
als ein (wirkliches) Uebel? Warum (ferner) kann entweder
ein Stoiker zu etwas gezwungen werden, oder der Schmerz
für ihn ein Zwangsmittel werden, da man doch an der Be-
hauptung festhält, dass theils der Schmerz in keiner Hinsicht
als ein Zwangsmittel auftreten, als auch, dass ein Weiser
überhaupt in keiner Hinsicht zu etwas gezwungen werden
könne? 5. Hier schien es, als ob den Taurus das Ver-
fängliche und doch so reizend Unbefangene dieser aufgewor-
fenen Frage ergötzte, und sofort erwiderte er nun darauf mit
höchst wohlwollender Miene: Wenn freilich dieser unser
Freund sich besser befände (versteht sich, und hier bei uns
sein könnte), würde er seine unwillkürlich ausgestossenen
XII, 5, 5. Ueber Taurus s. Gell. I, 9, 8 NB.
Digitized by Google
(144)
XII. Buch, 5. Cap., §5—7.
Seufzer sehr leicht vor falscher Ausdeutelei zu vertheidigen
und Dir, wie ich glaube, Deine Frage gründlich zu beantworten
wissen. Von mir aber weisst Du ja, dass ich mit den Stoikern,
oder vielmehr mit der stoischen Lehre nicht so ganz überein-
stimme. Denn in verschiedenen Stücken gehen unsre gegen-
seitigen Ansichten nicht ganz einen Weg, wie ich in meinem
über diesen Gegenstand verfassten Werke wohl hinlänglich
dargethan zu haben glaube. 6. Allein, nur um Dir den Willen
zu thun, will ich Dir, zwar unberufen, wie es heissen wird,
aber doch unverholen und ungeschminkt Rede stehen und
sagen, was meiner Meinung nach man Dir würde geantwortet
haben, wenn gerade jetzt einer der Stoiker unter uns weilte.
Du .kennst doch wohl jenes alte und sehr bekannte Wort
(des Aristoph. Ran. 1446):
Sprich lieber ungelehrter, nur etwas verständlicher (mir) red'.
Und nun begann Taurus sich über das Schmerzensgeseufze
des kranken Stoikers also auszulassen. 7. Die Schöpferin
aller Dinge und auch unseres Daseins (die liebe Mutter Natur)
hat uns gleich vom ersten Beginn unserer Geburt die Liebe
und Werthschätzung von unserm eignen Selbst zugetheilt und
eingepflanzt und zwar so ausdrücklich, dass uns nichts theurer
und schätzbarer ist, als nur wir selbst, weil sie dies als das
sicherste und beste Mittel erachtete, für die ununterbrochene
Fortdauer des Menschengeschlechts zu sorgen und zu wachen,
wenn gleich vorher schon jeder Mensch, sobald er das Licht
der Welt erblickt, den Sinn und die Empfindung für seine
Selbsterhaltung eingepflanzt bekäme und gleich mit auf die
Welt brächte, wofür die alten Weltweisen den Ausdruck
brauchen: rot Ttquka y.aza yvoiv (d. h. die ersten Eindrücke
der Natur), damit der Mensch sich selbstverständlich an
Allem erfreue, was seinem Körper zu Gute kommt und ihm
wohlthut, hingegen alle Unannehmlichkeiten (und Alles, was
ihm wehe thut und unangenehm berührt) vermeide und ver-
abscheue. Später, bei zunehmendem Alter, wenn die geistige
Ueberlegung sich mehr noch aus ihrem Keim entfaltet und
entwickelt hat, die Erwägung von dem Gebrauch der Ver-
nunft in den Vordergrund tritt, eine sondernde Berücksich-
tigung des Anstandes und der wahren Nützlichkeit sich geltend
macht, endlich eine fein unterscheidende und sichtende Aus-
Digitized by Google
XII. Buch, 5. Cap., § 7. 8.
(145)
wähl von allen den (zum wahren Wohle und zur wirklichen
Glückseligkeit des Menschen beitragenden Annehmlichkeiten
und) Vortheilen Platz ergreift, dann wird sich auch vor allen
andern Dingen die Achtung (nur) vor dem Ehrbaren und
Anständigen im vollen Glänze zeigen und herausstellen; und
wenn nun zur Gewinnung und Behauptung dieses Anstands-
gefühls (dieses sichtlichen Strebens nach Tugend) von aussen
Etwas hindernd und nachtheilig in den Weg tritt, wird es der
Verachtung anheimfallen müssen. Daher kommt man zu der
Ueberzeugung, dass nur das Ehrbare (d. h. die Tugend) das
wirklich und wahrhaftig Gute sei, und nur, was schändlich
(und verwerflich) ist, allein für etwas Böses (d. h. für ein
Laster) gehalten werden müsse. Alles Uebrige, welches
zwischen diesen Beiden in der Mitte läge, und weder etwas
Ehrbares, noch etwas Schändliches wäre, gilt dann olfenbar
weder für etwas Gutes (d. h. für eine Tugend), noch für
etwas Schlechtes (d. h. für ein Laster). Nun giebt es auch
noch gewisse Dinge, welche, Jedes nach seiner Art und Wir-
kung, abgesondert und geschieden sind und (je nachdem sie
schätzenswerth oder verwerflich sind) in näheren und ent-
fernteren Beziehungen zu uns stehen und welche die Stoiker
selbst durch die beiden Ausdrücke TtQo^yfiiva (Wünschens-
werthes oder Mitnehmliches, Unverwerfliches) und anonqor^-
ftha (Verwerfliches) näher bezeichnen (und wofür wir im
Lateinischen die Ausdrücke productiones und relationes ge-
brauchen). Deshalb können auch Vergnügen und Schmerz,
wenn von der eigentlichen, höchsten Glückseligkeit (im Leben)
die Rede ist, nur als Mitteldinge angesehen und an sich weder
als etwas Gutes, noch als etwas Böses erachtet werden. 8.
Allein, da das kaum erst geborne menschliche Wesen noch
vor dem vollständigen Gebrauch des Verstandes und der
Vernunft, zuerst der (seelischen) Empfindungen des Schmerzes
und des Vergnügens sich bewusst wird und dem Vergnügen
zwar von Haus aus geneigt, dem Schmerz hingegen, gerade
XII, 5, 7. Vergl. Gell. I, 2, 9 NB über TTQorjyutva] Seneca ep. 74, 17
commoda und producta; Sext. Empir. Hypotyp. III, 24; Cic. de fin. II, 11;
III, 5 ff.; V, 9. 11; Tuscul. IV, t>; de offic. I, 4; Epict. 38; Diog. Laert.
VII, 1, 63; X, 29; Lucian Verkauf der philosoph. Orden cap. 21 ff.
Gelliuu. Attische NäcUte. II. 10
Digitized by Google
(146)
XII. Buch, 5. Cap., §8—10.
wie einem heftigen Feinde unversöhnlich abgeneigt ist : so ist
die sich später erst ausbildende Vernunft kaum im Stande,
die zuerst (erwachenden und) eingeprägten Empfindungen und
Triebe mit der Wurzel auszureissen und zu vertilgen. Immer
und ewig wird die Vernunft mit diesem Feind im Streite
liegen und alle ihre Kräfte zusammennehmen müssen, um
diese (feindlichen) Triebe, wenn sie sich ihrer Herrschaft
entziehen und wieder neuen Aufschwung nehmen wollen, ent-
weder zu unterdrücken und zu vernichten, oder sie sich doch
gehorsam und unterthänig zu erhalten. 9. Daher sähet ihr, wie
der (arme) Philosoph, auf die Wirksamkeit seines Princips ver-
trauend, im Ringen mit dem grössten Ausbruch seines Leidens
und mit jedem anderen Schmerzensanfall sich durchaus nicht
werfen Hess, jedes (etwaige) Bekenntniss (seiner Schmerzen)
muthig bekämpfte und, wie Viele im (gleichen) Leidensfalle
zu thun pflegen, nicht wimmerte und klagte, nicht sich elend
und unglücklich nannte, so dass das starke Röcheln und die
Stossseufzer, die man (zuweilen) hörte, nicht als Zeichen und
Beweise eines vom Schmerz besiegten und überwältigten
Mannes anzusehen waren, sondern nur von Einem herzukom-
men schienen, der sich Muth und Mühe nicht verdriessen
lässt, über den Schmerz zu siegen und zu triumphiren. 10.
Allein, fuhr Taurus fort, ich bin nicht sicher, ob nicht viel-
leicht Einer oder der Andere doch noch mit dem Einwurf
herausrückt: man vernimmt aber doch das Ringen und Seufzen,
warum ist solches Ringen und Seufzen nothwendig, wenn der
Schmerz kein wirkliches Uebel ist? (Ihm diene Folgendes
zur Antwort.) Weil nämlich Manches, was zwar nicht unter
die Uebel gehört, doch auch nicht immer von jeder Beschwerde
und Unbequemlichkeit ganz frei ist, sondern Vieles, was zwar
an und für sich bisweilen einen wirklichen, bedeutenden
Nachtheil, oder im speciellen Falle ein Verderben ver-
ursachen (d. h. nachtheilig und verderblich sein) kann, wie-
wohl es (nicht gegen die Gesetze der Tugend verstösst und
daher) nicht schändlich ist, dagegen die freundliche Gewohn-
heit eines ruhigen Lebensgenusses stört und nach gewissen un-
erklärlichen und unvermeidlichen Naturgesetzen beunruhigend
wirkt: dergleichen (unvermeidliche Uebel) ist ein weiser
Mann zu ertragen und (mit stoischer Ruhe) lange auszuhalten
Digitized by
XII. Buch, 5. Cap., § 10—13. (U7)
im Stande, aber ihrem Einfluss auf seine Empfindung sich
gänzlich zu entziehen, steht nicht in seiner Macht. Denn eine
gänzliche Gefühllosigkeit (avayl^aia) und Unempfindlichkeit
(ciTta&eia), fuhr er fort, ist nicht anzunehmen, ja sogar zu
verwerfen, nicht nur nach meinem persönlichen Dafürhalten,
sondern auch nach dem Urtheile einiger verständiger Männer
aus derselben (stoischen) Secte, wie z. B. des höchst an-
gesehenen Gelehrten Panaetius. 11. Aber (wird man
weiter fragen), warum wird ein Weltweiser, ein Stoiker auch
wider seinen Willen gezwungen, Seufzer auszustossen , da er
doch eigentlich zu nichts soll gezwungen werden können?
Allerdings kann ein Weiser zu nichts gezwungen werden, so
lange er der Herrschaft über seine Vernunft Meister bleibt;
gewinnt aber die Natur die Oberhand, so muss die Vernunft
dieser (unsichtbaren) Macht des Naturgesetzes nachgeben,
dem sie ja erst ihr Bestehen verdankt. Frage also doch,
wenn es Dich gut dünkt, woher es kommt, warum man un-
willkürlich mit den Augen blinzelt, wenn eine fremde Hand
uns plötzlich an den Augen vorbeifährt; warum man bei
einem jähen blendenden Blitzstrahl unfreiwillig Kopf und
Augen wegwendet; warum man bei einem heftigen Donner-
schlag leicht erschrickt; warum man beim Niessen er-
schüttert wird; warum man in der Sonnengluth schwitzt
und Hitze empfindet und warum man bei unbändiger Kälte
friert und durchschauert wird? 12. Denn über alle diese
und viele andere Zufälligkeiten übt weder der freie Wille,
noch der Verstand noch die Vernunft eine Macht aus, sondern
sie werden von den (unsichtbaren) Anordnungen des unab-
änderlichen Naturgesetzes beeinflusst. 13. Denn das heisst
durchaus nicht Tapferkeit und Muth, der sich auflehnt wider
die Natur, wie gegen ein Ungeheuer, und der seine Stärke
darin sucht, die vorgesteckten Grenzen des Naturgesetzes zu
* tiberschreiten, entweder durch geistige Gefühllosigkeit, oder
durch rohen Stumpfsinn, oder durch eine übertriebene und
erzwungene Uebung (und Gewöhnung) in Erduldung der
XII, 5, 10. Gellius sagt also hier, Panaetius habe den stoischen
Grundsatz der Apathie verworfen. Cfr. Gell. XIX, 1, 18 und 21; XIX,
12, 2. üeber Panaetius s. Gell. XVII, 21, 1 NB.
10*
Digitized by Google
I
(148) Xn. Buch, 5. Cap., § 13—15. — 6. Cap., § 1 — 3.
grössten und heftigsten Schmerzen, wie die Ueberlieferung uns
dies von einem wilden Fechter bei einem kaiserlichen Kampf-
spiele berichtet, der noch ganz gemächlich zu lachen pflegte,
als ihm von den Aerzten seine Wunden ausgeputzt und ver-
bunden wurden. Nur das ist der richtige Muth, die wahre
Tapferkeit, welche, nach dem Urtheil unserer Vorfahren, in
der Erkenntniss aller der Dinge bestand, die sich ertragen
lassen und die sich nicht ertragen lassen. 14. Daraus geht
hervor, dass es auch Dinge giebt, die sich nicht ertragen
lassen (bei denen daher jeder Kampf und Widerstand, jeder
Muth und jede Tapferkeit übel angebracht ist), vor deren
Unternehmung und Durchführung auch die Tapfersten werden
abstehen und zurückschrecken müssen. 15. Als nach diesen
Worten Taurus, wie es schien, noch weiter über diesen Ge-
genstand sprechen wollte, war man bereits bei dem Schiffe
wieder angelangt und wir stiegen, zur Fortsetzung unserer
Weiterfahrt, sogleich ein.
XII, 6, L. Ueber das (Silben-) Räthsel (aenigma).
XII, 6. Cap. 1. Was die Griechen „aenigmata" nennen,
diese Art (von Räthseln) bezeichneten Einige von unsern alten
Schriftstellern mit dem Ausdruck: scirpi (eigentlich: Binsen-
netze, dann: Charaden, Silbenräthsel). Ein solches in sechs-
gliedrigen (jambischen) Versen enthaltenes, in der That sehr
altes und sehr hübsches Räthsel habe ich neulich ausfindig
gemacht, und will es hier ohne Auflösung folgen lassen, um
das Errathungsvermögen meiner Leser anzuspornen. 2. Die
(betreffenden) drei Verse lauten also:
Ob einmal weniger, ob zwei mal, weiss ich nicht,
Ob Beide gar zugleich, wie einst ich sagen hört',
Dem hohen König Zeus zu weichen nicht gewillt.
3. Wer selbst nicht lange erst bei sich darüber nachdenken
will, der findet die Auflösung davon in M. Varros 2. Buche
des an Marcellus gerichteten Werkes „über die (acht) latei-
nische Ausdrucks weise".
XII, 6, L. Ueber Räthsel s. Teuffels röm. Lit. Gesch. § 26, 1.
XII, 6, 3. „De latino sermone", über die ächte Latin i tiit cfr. Gell. XII,
10, 4. — Die Auflösung ist wohl in dem Worte „Ter — minus" zu suchen.
Digitfzed by Google
XII. Buch, 7. Cap., § 1—5.
(149)
XII, 7, L. Weshalb der Proconsul Cn. Dolabella die Entscheidung über
eine des Giftmordes geständige Missethäterin an die Mitglieder des (höchsten
Gerichtshofes in Athen, des) Areopags verwies (und dessen weises Unheil
über diesen Fall).
XII, 7. Cap. 1. Als Cn. Dolabella in der Eigenschaft
eines Proconsuls die Provinz Asien verwaltete, wurde ihm ein
"Weib aus Smyrna vorgeführt. 2. Dieses Weib hatte ihren
Mann und Sohn zu gleicher Zeit durch heimlich beigebrachten
Gifttrank ums Leben gebracht; gestand auch ganz offen, dieses
Verbrechen verübt zu haben, entschuldigte sich aber damit,
dass sie (gerechte) Ursache zu dieser That gehabt, weil dieser
ihr Mann mit seinem Sohn (ihr Stiefkind) den andern aus
ihrer früheren Ehe entsprossenen Sohn, den besten und un-
verdorbensten Jüngling durch Hinterlist auf die Seite geschafft
und getödtet hätten. 3. Dass sich dies Alles wirklich so
verhielt, war keinem Rechtsstreit unterworfen. Dolabella
verwies die Sache an sein Rechtsbeistandscollegium. 4. Keiner
aber von seinen beisitzenden Richtern hatte den Muth, in
dieser zweideutigen, bedenklichen Angelegenheit ein Urtheil zu
fällen, weil man auf der einen Seite zwar den eingestandenen
Giftmord der Frau, wodurch ihr (zweiter) Gemahl und (ihr Stief- )
Sohn umgebracht worden war, offenbar nicht so ungestraft
durfte hingehen lassen: aber auf der andern Seite erkannte
man diesen Racheact (eines verzweifelten Mutterherzens) auch
wieder als eine gerechte Strafe gegen zwei Bösewichter. 5.
Dolabella fand keinen andern Ausweg, als diese (schwierige)
Angelegenheit den Mitgliedern des höchsten Gerichtshofes in
Athen, den Areopagiten, als den weit gewissenhafteren
XII, 7, 1. S. Ammian. Marceil in. 29, 2; Val. Max. 8, 1, ambustae 2.
Ueber P. Cornelius Dolabella s. Gell. III, 9, 4. Wegen seiner unerhörten
Erpressungen setzt ihn Juvenal (Sat. 8, 105) in eine Kategorie mit dem
raubsüchtigen Gajus Antonius Hybrida und mit dem berüchtigten Verres,
dem Plünderer Siciliens.
XII, 7, 5. Areopag, der älteste und berühmteste Gerichtshof in
Athen, hatte seinen Namen von dem Areshügel (Aquos nayog), auf dem
er seine Sitzungen hielt Die Stiftung dieses unbescholtenen, gerechten
Gerichtes wird von Einigen dem Kekrops, von Andern dem Solon zu-
geschrieben; doch scheint er durch Solon nur eine bessere Einrichtung
Digitized by Google
(150) m Buch, 7. Cap., § 5—8.-8. Cap., § 1—8.
(bedächtigeren) und erfahrenem Richten! zur Entscheidung
anheimzustellen. 6. Als diese (gestrengen) Richter den Fall
reiflich erwogen hatten, lautete ihr Urtheil dahin, dass der
Ankläger der Frau mit seiner Beklagten nach 100 Jahren
wieder vor Gericht erscheinen sollten. 7. So wurde weder
der von der Frau verübte und nach den Gesetzen unerlaubte
Giftmord als losgesprochen (und unverdammlich) betrachtet,
noch die des Mitleidens und der Verzeihung würdige Misse-
thäterin verurtheilt und bestraft. 8. Diese Erzählung findet
sich im 9. [vielmehr 8.] Buche von „den merkwürdigen Thaten
und Reden" bei Valerius Maximus (VIII, 1, ambust. 2).
XII, 8, L. Denkwürdige Beispiele von Aussöhnung zwischen berühmten
Männern.
XII, 8. Cap. 1. Der ältere P. (Scipio) Africanus und der
Vater des Tiberius und Gajus Gracchus, der (ältere) Tiberius
Sempronius Gracchus, beide Männer, berühmt durch die
Grossartigkeit ihrer Heldenthaten , so wie durch die Würde
ihrer Stellung und ihres Lebenswandels, lagen oft im Wider-
streit mit einander in Betreff des Staats-Wohles, und aus
diesem oder irgend einem andern Grunde bestand zwischen
ihnen keine Freundschaft. 2. So hatte dieses gespannte Ver-
hältniss lange angehalten, als an einem (geweihten) Festtage
dem Juppiter zu Ehren ein Opfermahl gefeiert wurde. Da nun
der Senat wegen dieser Opferfeierlichkeit ein öffentliches Mahl
auf dem Kapitol veranstaltete, wollte es der Zufall, dass diese
beiden bedeutenden Männer dicht neben einander zu sitzen
kamen. 3. Da nun, bei dem Mahle zu Ehren des stets guten und
wahrhaft erhabenen Juppiter, schien es von den unsterblichen
und wichtigere Vorrechte erhalten zu haben. Aristides nannte den Areopag
das heiligste Gericht Griechenlands, und Demosthenes versichert, dass er
nie ein Urtheil gesprochen habe, womit nicht beide Theile zufrieden ge-
wesen. Bis auf Perikles behielt dieser Gerichtshof seine Reinheit und erst
nach und nach mit dem Verfalle Athens sank auch sein Ansehen.
XII, 7, 8. Ueber Valerius Maximus s. Teuffels Gesch. der röm.
Lit. 274, 5.
XII, 8, 1. S. Gell. IV, 18, 7 NB Stammtafel des P. Cornelius Scipio. —
Vergl. Plutarch Gracchus zu Anfang; Val. Max. IV, 2, 3.
XII, 8, 2. Vergl. Liv. 38, 57; Dio Cass. 39 > 30; 48, 52.
Digitized by Google
XII. Buch, 8. Cap., § 3-6. (151)
Göttern beschlossen zu sein, die Hände dieser beiden wackern
Männer (in einander zu legen und) zu vereinigen, so dass sie
(von Stund an) plötzlich die innigsten Freunde wurden. Allein
dies war nicht nur der Anfang ihrer Freundschaft, sondern
wurde auch noch die Veranlassung zu einer engern ver-
wandtschaftlichen Beziehung. 4. Denn P. Scipio, der eine
erwachsene mannbare Jungfrau zur Tochter hatte, verlobte
dabei zu derselben Zeit, an demselben Orte dieses sein Kind
dem Tiberius Gracchus; denn während ihrer Feindschaft hatte
(P. Cornelius) Scipio Zeit und Gelegenheit oft genug gefunden
zur Bildung eines unparteiischen Urtheils über den bewährten
und tüchtigen Charakter des Gracchus, den er sich (als Eidam)
auserkoren hatte. 5. Auch Aemilius Lepidus und Fulvius
Flaccus, beide Männer von vornehmer Abkunft, betraut mit
den höchsten Würden und dem hervorragendsten Rang im
Staate, bekämpften sich lange durch gegenseitigen bittern
Hass und anhaltende Scheelsucht. 6. Als das Volk aber Beide
zugleich zu Sittenrichtern erwählte und sie durch die Stimme
des Ausrufers als solche öffentlich angekündigt worden waren,
verbanden sie sich sogleich noch auf dem Wahlplatze selbst,
noch vor Entlassung des versammelten Volkes, Beide wider
Aller Erwarten und aus völlig gleicher Uebereinstimmung zur
freundschaftlichen und herzlichen Eintracht; und seit diesem
Tage lebten Beide zusammen nicht nur während (der Ver-
XD, 8, 4. S. Val. Max. IV, 2, 3. Die berühmte und tugendhafte
Cornelia, Tochter des Scipio Africanus, Gattin des Tiberius Sempronius,
wurde die Mutter von Tiberius und Gajus Gracchus, welche Beide als
Opfer ihres Eifers für das Ackergesetz umkamen.
XII, 8, 6. Liv. 40, 45, 6 ff; Val. Max. IV, 2, 1 ; Cic. de prov. cons. 9.
Ubi voce praeconis (als Censoren) renuntiati sunt. Auf Geheiss des
Vorsitzenden verkündeten (renuntiare) die Praecones der einzelnen Glossen
das "Wahlergebnis* der einzelnen Centurien. Nach Beendigung dieser
Henuntiatio renuntiirte der Vorsitzende entweder selbst oder auch durch
den Mund des Praeco das Gesammtresultat (Cfr. Gellius VII [VI], 9, 2
eum [sc. Flavium] — aedilem curul. renuntiaverunt.) Wegen dieser Schluss-
renunciation wurde bei den Wahlcomitien die Thätigkeit des Vorsitzenden
auch geradezu als creare bezeichnet. Cfr. Gell. XIII, 15, 4; Liv. 1, 60;
2, 2; S, 8. 35. 55; 9, 7. 21; 25, 2. Lange röm. Alterth. § 124
S. (456) 493.
Digitized by Google
(152) XU. Buch, 8. Cap., §6.-9. Cap., § 1—4.
waltung) des gemeinschaftlichen Sittenrichteramtes, sondern
auch nach Ablauf desselben im trautesten und auflichtigsten
Freundschaftsverkehr.
XII, 9, L. Welche Wörter doppelsinnig genommen werden und dass auch
das Wort „honos" in zweifachem Sinne gesagt worden sei.
XII, 9. Cap. 1. In den Schriften der Alten kann man
an vielen Stellen sehen und erkennen, dass so manche Wörter,
welche im jetzigen Volksmunde eine einzige und ganz be-
stimmte Sache bezeichnen, (früher) so schwankend, zweideutig
und unbestimmt waren, dass sie zwei ganz unter sich ent-
gegengesetzte Dinge bezeichnen und enthalten konnten. Von
diesen, als sehr bekannten, sind folgende (Ausdrücke): „tem-
pestas" (gute und schlechte Witterung), „valitudo" (Wohl- oder
Ueb elbefinden), „facinus" (Gut- oder Schandthat), „dolus"
(schädlicher oder unschädlicher Kunstgriff), „gratia" (Einver-
nehmen in gutem und üblem Sinne), „industria" (Geflissentlich-
keit zu Gutem oder Bösem). 2. Denn diese Wörter pflegt man
bekannter Massen gewöhnlich in zweifacher Bedeutung zu neh-
men und können sie alle doppelsinnig gesagt werden. Auch
für „periculum" (Versuch mit und ohne Gefahr verknüpft) und
„venenum" (ein gefährliches oder ungefährliches Tränkchen)
und „contagium" (Berührung mit übler Nebenbedeutung und
auch ohne dieselbe) findet man viele derartige Beispiele, wo
sie nicht, wie es jetzt allgemein gebräuchlich ist, nur in
üblem Sinne gesagt werden. 3. Allein dass auch das Wort
„honos" (Auszeichnung, Ansehen) ein mitteldeutiges gewesen
und in dem Sinne genommen worden sei, dass man auch
schlechte Auszeichnung, schlechtes Ansehen (malus bonos)
sagen konnte und damit eine Beschimpfung (injuriam) aus-
drücken wollte, dieser Gebrauch dürfte wahrhaftig nur höchst
selten nachzuweisen sein. 4. Allerdings liest man das Wort
an einer Stelle in des Quintus Metellus Numidicus Bede,
XII, 9, 1. cum mala gratia, mit schlechter Vergeltung, in Unfrieden,
Hass. Terent. Phorm. 4, 3, 17 (622). — gratia est = ago gratias: ich
danke, in ablehnender Bedeutung Plaut Men. 2,3,36. gratis als Ablat.
plural. für gratiis, umsonst, ohne Entgelt und Vergeltung.
XII, 9, 2. venenum, Stoff, Saft. Sallust. Catil. 11, 3; dolus, Ge-
wandtheit einen Gegner zu berücken, Sali. Cat. 26, 2.
Digitized by Google
XH. Buch, 9. Cap., § 4-6.-10. Cap., § 1—3. (153)
welche er bei Gelegenheit seines feierlichen Einzuges hielt,
wo es heisst: „Wie sehr sie Alle insgesammt in diesem Falle
mich Einen übertreffen, um so mehr hat er weit eher euch,
als mir ein gar sehr grosses Unrecht und eine gar sehr
schimpfliche Beleidigung angethan, ihr edlen Römer; und um
wieviel eher ehrenwerthe Männer lieber Unrecht dulden, als
einem Andern Unrecht zufügen, um so mehr hat Jener da-
durch eher euch als mir eine gar schlechte Ehre (eine gar
grosse Beschimpfung) erwiesen, denn, ihr edlen Römer, es
liegt in seiner Absicht, dass ich (hier) Unrecht leiden soll, ihr
aber euch zum Unrecht gegen mich sollt hinreissen lassen,
damit (das ist seine Absicht) auf der einen Seite mir die
(gerechte) Beschwerde gegen euch, auf der andern Seite euch
ein (gerechter) Vorwurf von mir nicht erspart bleibe." 5. Er
sagt: „Er hat eher euch, als mir eine gar schlechte Ehre
erwiesen," denn das sollen doch die Worte bedeuten : honorem
pejorem vobis habuit, quam mihi, und will er das Wort honos
in keinem andern Sinne verstanden wissen, was er ja auch
schon vorher mit andern Worten deutlich genug ausspricht,
wenn er sagt: „er hat (weit eher) euch, als mir ein gar sehr
grobes Unrecht und eine gar sehr schimpfliche Beleidigung
angethan." 6. Diesen Gedanken aus des Q. Metellus Rede
glaubte ich aber nicht allein wegen der auffälligen Bedeutung
des Wortes „honos" anführen zu müssen, sondern auch in der
Absicht, eine Andeutung zu geben, dass Socrates den Grund-
satz gehabt habe: „dass es tadelns werther sei, Unrecht thun.
als Unrecht leiden". (S. Plat. Gorg. 43, p. 488, E und 63
fin. p. 508, C.)
XII, 10, Lf Dass das Wort „aeditumus (Tempel hütcr, Küster)" ein rein
lateinisches Wort sei.
XII, 10. Cap. 1. Das Wort „aeditumus" ist ein ganz alter
lateinischer Ausdruck, nach Art der grammatischen Form-
bildung gesagt, wie „finitimus" (angrenzend) und „legitimus"
(gesetzlich). 2. Für diese Form wird jetzt von sehr Vielen
„aedituus" gesagt, nach einem neu erfundenen, ungewöhnlich
gesuchten Gebrauch, gleichsam als ob es von der Tempelhut
(a tuendis templis) abgeleitet sei. 3. Die kurze Bemerkung
würde hingereicht haben, [. . . (allein ich fühle mich genöthigt,
Digitized by Google
(154) Xü. Buch, 10. Cap., § 3—7.
noch etwas weiter auszuholen) . . .], wegen einiger ungebildeter
und eigensinniger Streithammel, die sich nur erst durch An-
ziehung von gewichtigen Beispielen zum Schweigen bringen
lassen. 4. Die Meinung des M. Varro im 2. Buche seines an
den Marcellus gerichteten Werkes „über die (acht) lateinische
Ausdrucksweise u geht dahin, dass man vielmehr „aeditumus"
für „aedituus" sagen müsse, weil diese letztere Form jünger
und nur erst neu gebildet worden, die andere aber älteren
Ursprungs und ächt und unverfälscht ist. 5. Auch nannte
Laevius, wie ich glaube, in seinem Trauerspiele „Protesilao-
damia" Denjenigen , welcher das Thürschliesseramt verwaltete,
einen „claustritumus (Thorschlosshüter)", eine Form, ganz in
derselben Weise gebildet, wonach er sah, dass „aeditumus*
(gebraucht und) gesagt wurde von Einem, dem die Hut und
Wartung des Tempels anvertraut war. 6. So fand ich auch
in den zuverlässigsten (Original-) Abschriften der Rede des
M. Tullius (Cicero) gegen Verres (IV, 44, 96) geschrieben:
„Zeitig genug merkten es die Tempelwärter (aeditumi) und
Wächter," während man in den gewöhnlichen Ausgaben aedi-
tui für aeditumi geschrieben findet. 7. Es giebt eine Atellanen-
posse vomPomponius mit der Ueberschrift: Aeditumus. Darin
kommt folgender Vers vor:
Qui tibi postquam appareo atque aeditumor in templo tuo, d. h.
Ich, der seit dem zu Diensten Dir und Tempelhüter bin in Deinem
Heiligthum.
XII, 10, 4. Cfr. GeU. XII, 6, 3 aedituus. — S. Paul. S. 18; Varro
1. L VH § 12; VIII, § 61; cfr. Varro r. r. I, 2, L
XII, 10, 7. Cfr. Gell. X, 24, 5 NB. Die Atellanae fabulae waren
ursprünglich wohl nur improvisirte , von jungen Römern ausserhalb des
Theaters aufgeführte Possenspiele (Liv. 7, 2: Festus unter personata fab.
p. 217, 18, M.; vergl. Spartian. Hadr. 26), später aber fielen sie wirklichen
Schauspielern und der Bühne zu (Suet Ner. 39; Tac. Annal. 4, 14, wo
gewiss von Atellanen die Rede ist), und nun erst wurden sie als förmlich
ausgearbeitete und niedergeschriebene Bühnenstücke — doch stets nur als
Nachspiele, namentlich von Trauerspielen — gegeben. Ihr Charakter war
niedrige, oft sehr gemeine und obscöne Komik und erschienen darin ge-
wisse maskirte, karrikirt ausstaffirte, stereotype Personen (oscae personae,
bei Diomed. IH p. 488, weil man Hanswurstiaden von den Oskern entlehnt
glaubte), der Maccus, ein gefrassiger, lüsterner, blödsinniger Dummkopf,
der für jeden Muth willen herhalten musste, der Bucco, ein Grossmaul,
Fresser und unverschämt zudringlicher Schmarotzer, der Pappus, ein
Digitized by Google
XII. Buch, 10. Cap., § 8. — 11. Cap., § 1 -4. (155)
8. Aber Titus Lucretius hat in seinem Gedicht (vom Wesen
der Dinge B. IV, v. 1275) für den Ausdruck aeditui sich des
Wortes aedituentes (Tempelbewachende) bedient:
( — auch blieben zum Theil in der Runde
Sämmtliche Tempel der Himmlischen schwer mit Leichen bebürdet,
Weil sie die Hüter des Tempelbezirks [aedituentes] mit Gästen beladen.)
■
XII, 11, L. Dass sich die in einem gewaltigen Irrt hume befinden, die in
der zuversichtlichen Hoffnung und Voraussetzung des Verborgenbleibens
sündigen, da an ein ewiges Verheimlichen eines Fehltritts und einer Sünde
nicht gedacht werden könne. Ferner gelehrte Abhandlung des Weltweisen
Peregrinus über diesen Gegenstand nach einem (darauf bezüglichen) Aus-
spruch des Dichters Sophocles.
XII, 11. Cap. 1. Als ich mich in Athen befand, machte
ich die Bekanntschaft des Weltweisen Peregrinus, eines
ernsten und gesetzten Mannes, dem man später den Beinamen
Proteus gab, und der ausserhalb der Stadt in einer Herberge
verkehrte. Da ich ihn häufig aufsuchte, vernahm ich aus
seinem Munde in der That viel nützliche und tugendhafte
Lehren. Unter diesen seinen herrlichen Aussprüchen erinnere
ich mich, vorzüglich den einen gehört zu haben. 2. Er be-
hauptete, dass ein wahrhaft weiser Mann auch dann keine
Sünde begehen dürfe, selbst wenn er wtisste, dass seine be-
gangene Sünde Göttern wie Menschen verborgen bleiben
würde. 3. Denn es war ihm feste Ueberzeugung , dass man
nicht etwa nur aus Furcht vor Strafe und Schande sich von
Sunde rein halten müsse, sondern (ganz allein) aus innerm
Antrieb und Pflichtgefühl für Recht und Tugend. 4. Die
lüsterner, geiziger, eitler alter Narr, der überall gehänselt und überlistet
wird, und der Dossenus, ein geriebener, pfiffiger Beutelschneider, der
Alle zu betrügen und auszubeutein versteht. (Appul. Apol. 81 p. 564
Und.; Varro 1. 1. VII, 29.) Später suchte man sie zu heben und es wur-
den in ihnen besonders mythologische Stoffe burlesk behandelt Nach
und nach wurden sie immer mehr pantomimisch (Juv. 6, 71 f.), so dass an
die Stelle des recitirten Textes ein Canticum trat (Suet. Nero 39; Galba 13);
und endlich gingen sie ganz in der Pantomime unter. Ihnen nahe ver-
wandt waren die „mimi" , mit welchem Namen , wie auch mit pantomimi,
sowohl die Stücke, als auch die darin auftretenden Schauspieler bezeichnet
werden, welche letztere auch planipedes hiessen. S. Gell. I, 11, 12.
(A. Forbiger.) Dossenus = Dorsenus, a dorsi gibbere sie dictus.
Digitized by Google
(156) XII. Buch, 11. Cap., § 4—7. — 12. Cap., § 1. 2.
jedoch, welche nicht von solchem Geiste oder von solchen
Gesinnungen (und Grundsätzen) beseelt seien, dass sie durch
ihre eigne Willenskraft und von selbst getrieben wurden sich
leicht der Sünde zu enthalten, von ihnen Allen glaubte er,
dass sie sich dann erst recht leicht der Sünde würden in die
Arme werfen, weil sie in dem (falschen) Glauben ständen,
ihre Sünde könne verborgen bleiben, und die deshalb in Folge
dieses Verborgenbleibens Sicherheit vor Strafe (und Vergeltung)
erwarteten. 5. Allein, fuhr er fort, wenn die Menschen immer
daran dächten, dass nichts in der Welt zu lange verborgen
und verheimlicht bleiben kann, dann würde man mit mehr
Zurückhaltung und mit grösserer Schüchternheit zu sündigen
wagen. 6. Deshalb rieth er, man solle sich immer jene Verse
(aus dem Hipponoos) des Sophocles, des berühmtesten unter
den Dichtern, vorsagen:
Drum wolle Nichts verbergen, denn die ew'ge Zeit,
Die Alles sieht und Alles hört, deckt Alles auf.
7. Auch irgend ein Anderer unter den alten Dichtern, dessen
Name mir eben jetzt nicht gleich einfällt, sagt: „dass die
Wahrheit eine Tochter der Zeit sei."
XII, 12, L. Des M. Cicero witzige Antwort, wodurch er die (gerechte)
Beschuldigung einer von ihm offenbar begangenen Lüge (zur Zeit) von sich
abzuweisen verstand.
XII, 12. Cap. 1. Auch dies gilt für einen (erlaubten)
rhetorischen Kunstgriff, mit Schlauheit und List einen wohl-
verdienten Vorwurf offen einzugestehen, so dass man, wenn
sich der schimpfliche Vorwurf durchaus nicht wegleugnen lässt,
ihn durch eine scherzhafte (ausweichende) Antwort und Aus-
rede leicht und spielend parirt und die Thatsache mehr in
einem lächerlichen, als schimpflichen Lichte darstellt. Wie
man schreibt, dass es Cicero gemacht hat, der, als er ein ge-
thanes Unrecht nicht in Abrede stellen konnte, die Vorwürfe
darüber durch ein höchst feines Witzwort entkräftete. 2. Denn
als er einst auf dem palatinischen Berg ein Haus zu kaufen
XII, 11, 4. S. Plutarch: Römische Forschungen (afrta 'ft««.). Die
Wahrheit eine Tochter Saturns, der die Zeit vorstellte und der gerechteste
unter den Menschen war, die Zeit aber bringt Alles ans Licht.
Digitized by Google
XII. Buch, 12. Cap., § 2—4. — 13. Cap., § 1.
Willens war, entnahm er, in Ermangelung der dazu nöthigen
disponiblen Summe von zwei Millionen Sesterzien, dies Geld
von (seinem Clienten) dem damals gerade in Anklagestand
versetzten P. Sulla heimlich als Darlehn auf. 8. Vor dem
Kaufabschluss wurde dieser Vorfall (schon) verrathen und
drang in die Oeffentlichkeit (und wurde ihm eben nicht zum
Besten ausgelegt). Man machte ihm also (öffentlich) Vor-
würfe, dass er zu dem Hausankauf von einem in Untersuchung
sich Befindenden sich habe Geld geben lassen. 4. Cicero, dem
dieser Vorwurf unerwartet kam (und der ihn deshalb für den
Augenblick in Verwirrung setzte), leugnete den Empfang des
Geldes (geradezu) ab und versicherte , dass es ihm gar nicht
in den Sinn gekommen sei, das Haus zu kaufen (besann sich
jedoch) und setzte hinzu: „wenn ich je das Haus wirklich
gekauft haben werde, dann soll es wahr sein, dass ich das
Geld von Sulla angenommen habe." Da er das Haus später
aber doch wirklich noch gekauft hatte, und ihm seine frühere
Lüge von seinen Freunden im Senat (schonungslos) vorgerückt
wurde, konnte er sich des Lachens nicht enthalten und (ohne
Verlegenheit zu zeigen) entgegnete er unter fortwährendem
(recht herzlichem) Lachen: Ihr seid Leute ohne den ge-
wöhnlichen Menschenverstand (aytoivovor/voi) , wenn ihr nicht
wisset, dass es eines klugen und vorsichtigen Hausvaters
Hauptaufgabe sein muss, wenn er Etwas kaufen will, dieses
gerade abzuleugnen, um sich bei dem Kauf keine Mitbewerber
herbeizuziehen.
XII, 13, L. Was man unter „intra Kalendas" zu verstehen habe, ob es
so viel heisst, als „ante Kalendas (vor dem Ersten)", oder „Kalendis
(während des Ersten)", oder beides zugleich. Fernerweitige Bemerkung,
was in einer Rede des M. Tullius (Cicero) unter folgenden Ausdrücken
zu verstehen sei : intra Oceanum und intra montem Taurum und was unter
dem in einem seiner Briefe sich vorfindenden Ausdruck: intra modum.
XH, 13. Cap. 1. Als ich (einst) zu Rom von den Consuln
ausserhalb der Reihenfolge zum Richter ernannt worden war
XII, 12, 2. Nach heutigem Gelde 250,000 Mark oder gegen 84,000 Thlr.
XII, 13, 1. In der ältesten Zeit schon pflegten Magistrate die Unter-
suchung und Entscheidung der Processe an Privatpersonen zu übertragen,
Digitized by Google
(158)
XIL Buch, 13. Cap., § 1—5.
und die Verordnung erhalten hatte, Recht zu sprechen „intra
Kalendas", erkundigte ich mich bei dem sehr gelehrten Sul-
picius Apollinaris, ob unter den Worten intra Kalendas auch
wohl nur der Monatserste (ipsae Kalendae) zu verstehen sei
(und ob ich das so zu verstehen habe), dass ich während
dieser Tageszeit Recht sprechen sollte. 2. Er erwiderte mir,
warum erkundigst Du Dich über diesen Fall bei mir und nicht
vielmehr bei einem von den erfahrenen Rechtsbeflissenen, die
ihr ja sonst immer bei vorkommenden Rechtsaussprüchen zu
Rathe zu ziehen pflegt? Darauf erwiderte ich ihm also: 3.
Wenn ich hätte Auskunft haben wollen entweder über ein
altes Recht, oder über ein neu aufgenommenes, oder über ein
sich widersprechendes und zweideutiges, oder über eine ganz
neue Bestimmung, würde ich mich Auskunfts halber sicher an
die von Dir Benannten gewendet hajben ; 4. da mir jedoch
besonders daran gelegen ist, den Sinn, die Verwendung und
die wesentliche Beschaffenheit dieser lateinischen Ausdrucks-
weise zu erforschen, so müsste ich doch ganz thöricht und
mit geistiger Blindheit geschlagen sein, wenn, zumal da sich
mir mit Deiner gütigen Erlaubniss dazu die Gelegenheit bietet,
ich mich eher an einen Andern, als an Dich (um Auskunft)
wenden würde. 5. Auf diese meine Erklärung hin begann
Sulpicius Apollinaris also : vernimm denn meine Meinung über
das Wesen des Wortes („intra"), doch nur unter der Voraus-
setzung, dass Du nicht sowohl darauf achtest, was ich über
die Eigenthümlichkeit dieses Wortes vortragen werde, sondern
vielmehr was Du nach Uebereinstimmung, wenn auch nicht
Aller (ohne Ausnahme), so doch sehr Vieler in Beziehung
dieses Wortes wirst (als Regel) angenommen sehen. Denn
nicht nur die eigentlichen und ursprünglichen Bedeutungen
allgemein gebräuchlicher Ausdrücke erleiden (oft mit der Zeit)
durch längeren Gebrauch eine Veränderung, sondern selbst
welche an die von dem Magistrates erhaltene Instruction gebunden waren.
Diese Einrichtung wurde „ judicis datio" genannt. Vergl. Gell. XIV, 2, 1 NB.
Ueber Sulpicius Apollinaris 8. Gell. II, 18, 8 NB.
Xn, 18, 2. Vergl. XIII, 13, 1 stationes und XIV, 2, 3; Cic. pr.
Quint. 1 f. 6. 10. 17; pro Rose. com. 5. 8; act. sec. in Verr. I, 29, 73;
Sen. de tranq. 3, 2; Val. Max. VIII, 2, 2; vergl. auch Appul Apol. 2
p. 881 Ouid. und Achill. Tat. VIII, 9.
Digitized by
XH. Buch, 13. Cap., § 5—9. (159)
fest angenommene Regeln gerathen unter stillschweigender
Uebereinstimmung (öfters) in Vergessenheit. 6. Dann fuhr
er in seiner Erklärung, wie ich und viele Andere Ohrenzeugen
waren, folgendermassen fort und sagte : Wenn der Tag in der
Art vorher anberaumt ist, dass es sich für den Richter um
ein Rechtserkenntniss „intra Kalendas (d. h. innerhalb des
Monatsersten)" handelt, so hat sich jetzt nun schon allgemein
die Ansicht eingebürgert, dass, ohne allen Zweifel, der Rechts-
spruch gesetzlich (noch) vor dem Monatsersten (d. h. den
Monatsersten als Grenzbegriff angenommen) erfolgen muss,
und ich sehe nur noch, wie ja auch aus Deiner Frage deut-
lich hervorgeht, in Zweifel gesetzt, ob nun auch am Ersten
des Monats (selbst) zu Recht entschieden werden könne.
7. Ohne Zweifel ist aber das Wort dazu gemacht und so zu
nehmen, dass, wenn man sagt „intra Kalendas", kein andrer
Tag darunter verstanden werden dürfe, als nur allein der
Monatserste selbst. Denn diese drei Ausdrücke: intra (inner-
halb), citra (diesseits) und ultra (jenseits), durch welche be-
stimmte örtliche Grenzen angegeben werden sollen, waren
früher bei den Alten nur einsilbige Wörter und lauteten: in,
eis, uls. 8. Weil nun diese Partikeln ihrer Kürze wegen leicht
überhört und unverständlich werden konnten, so fügte man
später an alle drei Wörtchen eine Anhängsilbe an und wäh-
rend man sonst sagte: eis Tiberim und uls Tiberim, wurde
es später gewöhnlich zu sagen: citra Tiberim und ultra
Tiberim; ebenso entstand auch aus dem „in" durch Hinzu-
treten desselben Endanhängsels: intra. 9. Sie bezeichnen
also alle gleichsam einen benachbarten Zusammenhang von
unter sich verbundenen Grenzen: intra oppidum (innerhalb
der Stadtgrenzen), ultra oppidum (jenseits der Stadt), citra
oppidum (im diesseitigen Räume der Stadt); wobei ich schon
XU, 13, 7. Von eis, ex, uls, post bildete man comparativische For-
men: citer, exteri, alter, posteri. Uls verwandt mit il-le, ol-le. Von den
adjecti vischen Formen wurden die adverbialen Ablative: citra, extra, ultra
(intra) wieder als Praepositionen gebraucht, eis, diesseits; citra, im
diesseitigen Räume, inter, zwischen zwei Gegenständen, also nur von
zwei Seiten umschlossen; intra, im Innern eines Ganzen und deshalb von
allen Seiten eingeschlossen, enthält den Begriff des Umschlossenseins von
allen Seiten.
Digitized by Google
(160) XII. Buch, 13. Cap., § 10—17.
bemerkt habe, dass „intra" soviel bedeutet wie „in"; 10. denn
wer die Ausdrücke braucht: intra oppidum, intra cubiculum
(innerhalb des Zimmers), intra ferias (inzwischen, während
der Feiertage), drückt ganz dasselbe aus, als wenn er sagt:
in oppido, in cubiculo, in feriis. 11. Also bedeutet intra
Kalendas nicht soviel als ante Kalendas (vor der Grenz-
bestimmung des Monatsersten), sondern vielmehr in Kalendis
(während des Monatsersten), d. h. an eben demselben Tage,
auf den der Monatserste fällt. 12. Wer also, um hier die
Bedeutung des Wortes festzuhalten, beauftragt ist: „intra
Kalendas" zu Gericht zu sitzen und seine Entscheidung zu
fällen, der fehlt unbedingt gegen den (gesetzlich) gebräuch-
lichen Wortlaut, wenn er seiner Berufung nicht am Ersten
nachkommt; 13. denn wenn er dieser Erinnerung (an Voll-
ziehung seiner Richterpflicht) vor der (gesetzlichen) Zeit
nachkommt, dann aburtheilt er nicht intra, sondern citra,
d. h. diesseits des Monatsersten, also knapp vor dem Monats-
ersten, nicht aber innerhalb des Monatsersten. 14. Es ist
mir überhaupt unerklärlich, unter welcher Voraussetzung die
abgeschmackte Auslegung hat Aufnahme (und Eingang) finden
können, dass man glaubte, der Ausdruck „intra Kalendas"
bedeute soviel, als vor dem Monatsersten, also: citra oder
ante Kalendas, denn zwischen diesen beiden ist kein grosser
Unterschied. 15. Ueberdies ist man noch darüber im Zweifel,
ob man gehalten sein könne, auch vor dem Monatsersten sich
bei der Gerichtssitzung einzufinden, wenn man nicht nachher,
noch vorher, sondern nur während des zwischen diesen (beiden
Zeitbegriffen des vorher und nachher) in der Mitte liegenden
Zeitabschnittes, selbstverständlich also: intra Kalendas, oder
was wohl dasselbe heissen soll: „Kalendis", also nur während
der Dauer des Monatsersten zum Rechtsprechen verpflichtet
ist. 16. Natürlich trug aber auch hier die Gewohnheit den
Sieg davon, sie, die Beherrscherin der ganzen Welt, um viel
mehr aber des Sprachgebrauchs. 17. Als Apollinaris seinen
höchst verständigen und klaren Vortrag geendigt hatte, ergriff
ich das Wort und sagte: Es lag mir sehr am Herzen bevor
ich mich an Dich wandte, zu erforschen und (selbst) kennen
zu lernen, auf welche Weise unsere älteren Schriftsteller
sich der in Frage stehenden Praeposition bedient haben, und
Digitized by Google
XII. Buch, 18. Cap., § 17-21. (161)
so fand ich denn, dass Cicero in seiner III. Rede gegen Verres
(89,207) folgendennassen geschrieben habe: „Es ist innerhalb
des Oceans (Weltmeers) bereits kein weder so entfernter,
noch abgelegener Ort, wohin nicht in diesen Zeiten unserer
Landsleute Frechheit und Unbill gedrungen wäre." 18. Ent-
gegen Deiner Anschauungsweise sagt hier Cicero „intra Ocea-
num", denn er will, wie ich meine, damit doch nicht sagen
„im Weltmeere"; er meint vielmehr alle die Länder, welche
vom Weltmeere umspült werden, welche unseren Landsleuten
zugänglich sind, welche diesseits des Weltmeeres liegen, nicht
aber inmitten der Fluthen desselben, und kann man doch
wohl nicht annehmen, er habe irgend welche Inseln gemeint,
welche mitten in den Fluthen des Weltmeeres selbst sich be-
finden sollen. 19. Auf diese meine Einwendung hin betrachtete
mich Sulpicius Apollinaris mit freundlichem Lächeln und
sprach: Wahrlich nicht geistlos und ohne Scharfsinn hast Du
mir (gerade) die betreifende Stelle von Tullius (Cicero) ent-
gegen gehalten, allein Cicero braucht den Ausdruck: intra
oceanum (durchaus) nicht in dem Sinne , in welchem Du sie
auslegst, nämlich: citra oceanum (diesseits des Oceans). 20.
Denn wovon kann es wohl heissen, dass es diesseits des Welt-
meeres liege, da dasselbe alle Länder einrahmt und umspült?
Denn was diesseits liegt, liegt ausserhalb; wie kann man also
sagen, dass etwas innerhalb liegt, was sich ausserhalb befindet?
Jedoch wenn nur von einem Theile der Erde aus das Weltmeer
strömte, so könnte man von dem Landstrich, bis wohin sich
das Meer erstreckt, sagen, er liege vor dem Weltmeere (ante
oceanum) ; da aber dasselbe alle Länder insgesammt von allen
Seiten umspült, so lässt sich nichts denken, was sich diesseits
befinden könnte; denn da alle Länder von seinen Wogen
umströmt und eingeschlossen werden, so befindet sich in
dessen Mitte Alles, was innerhalb seines Küstengestades ein-
geschlossen ist: gleichwie sich doch wahrhaftig die Sonne
nicht diesseits (d. i. ausserhalb) des Himmels dreht, sondern
am Himmel und innerhalb des Himmels (-raumes). Diese
Auslegung des Apollinaris schien mir damals verständig und
scharfsinnig. 21. Aber später fand ich in einem Briefe des
M. Tullius (Cicero, ep. ad Farn. IV, 4, 14) an den Servius
Sulpicius gerade so gesagt: „intra modum", wie die zu sagen
Gellin s, Attische Nächte. II. 11
Digitized by Google
(162) Xn. Buch, 13. Cap., § 21-26.
pflegen, welche: „intra Kalendas" durch: „citra Kalendas"
ausgelegt wissen wollen. 22. Ich lasse Cicero's eigne Worte
folgen: (Cicero hatte sich nämlich beim Caesar für die dem
Marcellus gewährte Gnade bedankt, und er fährt dann also
fort) „Da ich dadurch Caesars Ungnade entgangen bin, weil er,
würde ich ein fortwährendes Stillschweigen beobachtet haben,
vielleicht auf die Vermuthung hätte fallen können, dass ich
dies Regiment nicht für das richtige halte, so werde ich mit
gehöriger Mässigung verfahren, oder vielmehr dabei in den
gebührenden Schranken bleiben, um auf der einen Seite seinem
Willen, auf der andern Seite meiner schriftstellerischen Be-
schäftigung Genüge zu leisten." 23. Er hatte gesagt : modice
hoc faciam (ich werde mit gehöriger Mässigung verfahren),
d. h. auf eine angemessene und schickliche Art; 24. gleich
hinterher aber, als ob ihm der Ausdruck missfiele, und er ihn
absichtlich verbesserte, setzt er hinzu: „oder vielmehr in den
gebührenden Schranken (intra modum werde ich dabei blei-
ben)", durch welchen (erklärenden) Zusatz er zu erkennen
geben will, dass er noch weniger zu thun beabsichtige, als
ihm dies in dem Ausdruck : modice (mit gehöriger Mässigung)
angedeutet zu sein schien, d. h. er wolle nicht bis an die
Grenze gehen, sondern vielmehr etwas rückhältlich und in-
nerhalb der Grenze bleiben (damit er ja nicht etwa zu viel
thue). 25. Auch in der Rede Cicero's, welche er für den
PuM. Sestius schrieb, sagt er (cap. 27, 58) in gleicher Weise
„intra montem Taurum" nicht in dem Sinne für „in monte
Tauro" (innerhalb des Taurusgebirges), sondern in der Be-
deutung: usque ad montem Taurum cum ipso monte, d. h.
bis an das Taurusgebirge mit Einschluss des Gebirges. 26.
Des M. Tullius (Cicero) eigne Worte aus der eben angeführten
Rede lauten: „Jenen Antiochus den Grossen hiessen unsere
Vorfahren, als sie ihn nach einem gewaltigen Kriegskampf zu
— .
XII, 13, 21. Es gab auch kürzere, speciellere Briefsammlungen
Cicero's an betreffende Adressaten. S. Teuffels röm. Lit. 180, 4.
XII, 13, 25. Nach Liv. 37, 45 gab Scipio Africanus den Gesandten
des Antiochus, welche um Frieden baten, unter andern folgenden Rath:
Gebt Europa auf und räumt diesseits des Taurusgebirgs (eis Tauruin
montem) ganz Asien.
XII, 13, 26. Vergl. Gell. IV, 18, 3 NB. Antiochus der Grosse
Digitized by Google
-
XII. Buch, 13. Cap., § 26- 29. (1(>3)
Land und zur See überwunden hatten, innerhalb des Taurus-
gebirges herrschen. Asien, das sie ihm zur Strafe abgenom-
men, gaben sie dem Attalus (vielmehr Eumenes IL, einem
Sohne des Attalus I.) zum Geschenk, um darüber zu herrschen."
27. Cicero sagt: intra montem Taurum regnare jusserunt,
d. h. sie Messen ihn herrschen (oder: sie beschränkten seine
Herrschaft auf das Gebiet) innerhalb des Taurusgebirges , wo
die Praeposition „intra" in keiner andern Bedeutung steht,
als wie wenn wir sagen : intra cubiculum (d. h. innerhalb des
Zimmers), wofern es nicht etwa scheinen kann, dass „intra
montem" in dem Sinne zu nehmen sei: intra regiones, d. h.
Landstrecke, Gebietsherrschaft, welche durch das vorliegende
Taurusgebirge abgetrennt (und begrenzt) wird. 28. Denn so
wie, wenn es von Einem heisst, dass er sich „intra cubiculum"
(innerhalb des Gemachs) aufhält, man nicht annimmt, dass
damit gemeint sei, er befinde sich in den Wänden (als in
den Grenzbestimmungen) des Gemaches, sondern innerhalb
der Wände, welche (nur) die Umfassung des Gemachs (also
einen wesentlichen Theil desselben) bilden und die sich doch
(selbstverständlich theilweise) auch mit im Zimmer befinden,
so bezeichnen die Worte „regnat intra montem Taurum" nicht
allein Einen, der im Taurusgebirge herrscht, sondern Einen,
der Herrscher ist über das Gebiet, welches vom Taurusgebirge
eingeschlossen wird. 29. Soll und kann nun also, nach dem
Gleichnisse der ähnlichen Fälle bei M. Tullius (Cicero), Einer,
dem die Weisung wird Recht zu sprechen „intra Kalendas",
gehalten sein, diese Amtspflicht gesetzlich und rechtlich: ante
Kalendas und zugleich ipsis Kalendis (d. h. also vor und
während des Monatsersten) zu erfüllen? Und doch ist dies
der Fall, aber nicht nach dem etwaigen Vorrecht eines un-
■wurde zu Lande erstlich vom Consul Acilius bei Thermopylae (191) ge-
schlagen, dann in Asien von Scipio bei Magnesia und bei Myonnesus zur
See endlich (190) gänzlich besiegt. Unter (Vorder-) Asien, das die Römer
dem Antiocbus abnahmen, sind hier die Landschaften Mysien, Lydien,
beide Phrygien und Lykaonien zu verstehen. Earien und Lycien erhielten
die Rhodier für ihre treue Anhänglichkeit
XII, 13, 29. S. Suet. Viteil. 14. intra Kalendas Octobris, d. h. bis
zum l.October, und intra Kalendarum diem, am l.October. — L. 133 n.
de V. S. 1. 1 § TT. de success. edict.
11*
Digitized by Google
(164) XII. Buch, 13. Cap., § 29. — 14. Cap., § 1 — 6.
begründeten herkömmlichen Gebrauchs (also nicht in Folge
eines Missbrauchs oder Missverständnisses), sondern es beruht
dies auf richtiger Beobachtung einer vernünftigen (wohl-
verstandenen) Regel, weil die ganze Zeit, welche den Tages-
begriff des Monatsersten umfasst, ganz richtig als in den
Worten „intra Kalendas" enthalten zu verstehen ist.
XII, 14, L. Welche Bedeutung und welchen Ursprung das Wörtchen
„saltem" hat.
XII, 14. Cap. 1. Ich suchte mich zu unterrichten, welche
ursprüngliche Bedeutung das Redetheilchen „saltem" habe,
und was etwa wohl die Entstehungsursache dieses Ausdrucks
sein könnte. 2. Denn offenbar ist dieses Wörtchen anfänglich
so entstanden, dass es nicht, wie einige andere der Ergänzung
bedürfende Redepartikeln , nur zufällig und ohne bestimmte
Absicht scheint angenommen zu sein. 3. Da fand sich z. B.
Einer, der behauptete, dass er in der Sammlung der gram-
matischen Bemerkungen von P. Nigidius gelesen habe, „saltem"
sei statt „si aliter" gesagt und dies sei wieder elliptisch (d. h.
durch abermalige Auslassung) gesagt, denn der zu ergänzende
Gedanke würde vollständig lauten müssen: si aliter non
potest (d. h. wenn es denn durchaus nicht anders sein kann).
4. Doch ich habe die betreffende Stelle in den besagten Ab-
handlungen des Nigidius nicht auffinden können, obgleich ich
sie, nach meinem Dafürhalten, sicher nicht ohne Aufmerksam-
keit gelesen. 5. Nun aber scheint zwar die Erklärung durch :
„si aliter non potest" dem Sinn und der Bedeutung des frag-
lichen Wörtchens (ganz gut) zu entsprechen; allein so viele
Wörter bis auf so wenig Buchstaben verschnitten, und so zu-
sammengepresst sein lassen, kann doch nur für die Erfindung
einer ungeheuer spitzfindigen Grübelei gelten. 6. Ein Anderer
wieder, der sich fortwährend mit Büchern und Literatur be-
schäftigte, behauptete, „saltem" scheine ihm so zu verstehen
zu sein, als ob aus der Mitte des Wortes ein „uM ausgestossen
sei; ursprünglich nämlich und früher habe man, wo wir
jetzt „saltem" sagen, „salutem" gesagt. Denn wenn etwas
XII, 14, 6. S. Serv. ad Vergil. Aen. IV, 327; Donat. ad Terent
Andr. III, 2, 14; Adelph. II, 2, 41.
Digitized by Google
XII. Buch, 14. Cap., § 6. 7. — 15. Cap., § 1. 2. (165)
Erbetenes ausgeschlagen wurde, dann pflegen wir, sagte er,
zu guter Letzt gleichsam absichtlich noch um irgend etwas
zu bitten, was dann nicht verweigert werden dürfe und wir
sagen: „Dies wenigstens (saltem) müsse doch wohl geschehen
oder zugestanden werden", gleich als bäten wir zuletzt (nur
noch) um eine (einzige, geringe) Vergünstigung, deren
Auswirkung und Durchsetzung sicher recht und billig sei.
7. Nun ist zwar auch diese Erklärung ebenfalls sehr geistvoll
ausgedacht, aber trotzdem scheint sie mir zu sehr ergrübelt
zu sein. Nach meiner Ansicht bedarf es daher hier noch
weiterer Nachforschung.
XII, 15, L. Dass Sisenna in seinen Geschichtsbüchern sich öfters der-
gleichen Adverbialendungen bediente, als da sind: „celatim" (heimlicher
Weise), „vellicatim0 (rupf- und stück -weise, brockenhaft), „saltuatim"
(sprungweise).
XII, 15. Cap. 1. Bei wiederholtem, eifrigem Lesen in
den Annalen des Sisenna wurde ich auf die im Verlauf
seiner Darstellung oft wiederkehrenden, derartig (auslautenden)
Adverbien aufmerksam, wie z. B. „cursim" (eilends), „pro-
peratim" (eilfertig), „celeratiin" (eilig), „celatim" (insgeheim),
„vellicatim" (rupfweise), „saltuatim" (sprungweise). 2. Weil
die beiden ersten ziemlich bekannt und sehr gäng und gäbe
sind, bedarf es davon weiter keiner besonderen Beispiele;
aber von den übrigen finden sich im 6. Buche des (genannten)
Geschichtswerkes folgende Beispiele vor: „Er vertheilte seine
Leute so versteckt (maxime celatim), als nur möglich, im Hin-
terhalt;" desgleichen in einer andern Stelle: „Ich habe alle
Ereignisse während eines Sommers in Asien und Griechenland
deshalb im Zusammenhange schriftlich aufgezeichnet, um die
Gedanken meiner Leser durch eine brockenweise oder sprung-
weise (vellicatim aut saltuatim) Schilderung nicht zu ver-
wirren."
XII, 15, 1. Cfr. Gell, ü, 25, 9 und Teuffels röm. Lit. Gesch. § 153, 8.
Digitized by Google
XIII. BÜCH.
XIII, 1, L. Sehr sorgfältige Untersuchung über die Stelle des M. Tullius
(Cicero) in seiner ersten (philippischen) Rede gegen den Antonius: multa
autem impendere videntur praeter naturara etiam praeterque fatum; ander-
weitige Abhandlung, ob die beiden Wörter: „fatum" und „natura" einen
und denselben Begriff angeben, oder jedes einen verschiedenen.
XIII, 1. Cap. 1. M. Cicero hat in seiner I. Rede gegen
den Antonius (cap. 4 § 10) wie folgt geschrieben: „Um nun
seinem Beispiele zu folgen, an den die Anwesenden sich nicht
anschliessen mochten, hab ich mich beeilt, — nicht um etwas
auszurichten, denn das hoffte ich weder, noch konnte ich gar
eine Gewähr dafür leisten, — sondern (der Grund meiner Eile
war) dass, wenn mir etwas Menschliches begegnen sollte, —
es schien uns aber ausser dem gewöhnlichen Gange der Natur
und ausser jedem andern möglichen Verhängniss auch noch
Mancherlei zu bedrohen, — ich doch wenigstens meine unum-
wundene Meinung an diesem Tage der Republik als Zeugen
meiner unwandelbaren Ergebenheit für dieselbe hinterlassen
möchte." Cicero sagt: praeter naturam praeterque fatum.
2. Ich glaube da (vor Allem) in Erwägung ziehen zu müssen,
ob er durch diese beiden Wörter: fatum und natura nur
einen Begriff hat bezeichnen wollen und also nur zwei Be-
zeichnungen für einen angenommenen Gegenstand gesetzt hat
(xa#J wog v7coK€ift6vov) , oder ob er sie beide dem Begriffe
nach getrennt und geschieden hat wissen wollen, so dass einige
Ereignisse der Lauf der Natur mit sich zu bringen scheint,
Xm, 1, L. praeter naturam, natürlicher Tod und praeter fatum (zur
Erweiterung des ersten Begriffes) ein unnatürlicher Tod.
Digitized by Googl
XUI. Buch, 1. Cap., §2—6.
(167)
andere hingegen ein (gewaltsames, unnatürliches) Verhängniss.
Auch meine ich, dass besonders dieser Umstand der Erwägung
und eifrigsten Nachforschung bedarf (um herauszubringen),
auf welche Art Cicero hier gemeint hat, dass dem armen
Sterblichen im Leben auch noch Mancherlei ausser dem Ver-
hängniss (praeter fatum) widerfahren könne, wenn doch nun
einmal das Wesen und der Gang des Verhängnisses und eine
gewisse unüberwindliche Verkettung an das Verhängniss in
der Art bestimmt angenommen wird, dass man sich Alles
nur innerhalb des Begriffes „fatum", innerhalb der (eisernen)
Schicksalsgewalt eingeschlossen denken muss, oder es wäre
denn, dass Cicero etwa gar nur jenem bekannten Gedanken
Homers (lliad. 20, 335) folgte:
Dass nicht trotz dem Geschick (vnlg fioiQav) in des Aides Haus Du
hinabsteigst
3. Es ist aber wohl ausser Zweifel, dass er damit einen ge-
waltsamen und unerwarteten Tod bezeichnet wissen wollte,
bei dem es allerdings mit Recht den Anschein haben konnte,
dass er ausser dem Naturgesetz (praeter naturam) eintrat.
4. Allein weshalb er auch diese Todesart ausserhalb des
Verhängnisses (extra fatum) angenommen hat, dies weiter zu
erforschen ist hier weder Ort, noch Zeit, noch Aufgabe dieses
Werkes. 5. Doch darf hier auch nicht unerwähnt bleiben,
dass gerade auch Vergil dieselbe Ansicht wie Cicero über
die Vorherbestimmung des Schicksals (de fato) gehabt habe,
wenn er im IV. Buche (der Aeneide, Vers 696) sich so
vernehmen lässt über Elissa (Dido), welche (wegen des
Aeneas plötzlicher Abreise vonCarthago) sich gewaltsam den
Tod gab:
Nam quia nec fato, merita nec morte peribat, d. h.
Weil weder durch das Geschick, noch schuldigen Todes sie hinstarb,
gleichsam als ob das gewaltsam herbeigeführte Lebensende
nicht vom Verhängniss (e fato) herzukommen scheine. 6.
Cicero scheint in Bezug auf die natürliche Vorherbestimmung
die sinnverwandte Stelle des Demosthenes, eines Mannes, der
sich nicht nur durch seine wissenschaftlichen Kenntnisse, son-
dern auch durch seine Beredtsamkeit auszeichnete, im Auge
gehabt zu haben. Denn in jener ausgezeichneten Rede „über
Digitized by Google
(168) XIIL Buch, L Cap., § 6—8.-2. Cap., § 1—4.
die Krone" (§ 296 oder § 105) steht so geschrieben : „Wer
nur für seine Aeltern geboren zu sein glaubt, der wallet den
ihm vom Schicksal bestimmten und natürlichen Tod ab; wer
aber auch für sein Vaterland da zu sein glaubt, der wird
lieber sterben wollen, nur um es nicht in Sklaverei versetzt
zu sehen." 7. Was Cicero unter fatum (Verhängniss) und
natura (gewöhnlicher Lauf der Natur) offenbar hat bezeichnen
wollen, das nannte schon lange vorher Demosthenes die
Schicksalsbestimmung (zrjv neTCQonivr^v) und den natürlichen
Tod (tov avcofiatov &dvazov). 8. Denn unter der Bezeichnung
avTo^arog davarog ist der natürlich (eintretende) vom Schick-
sal bestimmte Tod zu verstehen, der von keinem äussern ge-
waltsamen Einfluss herbeigeführt wird.
XIII, 2, L. Ueber eine zu Tarent gepflogene, freundschaftliche Unter-
redung zwischen den beiden Dichtern Pacuvius und Accius.
XIII, 2. Cap. 1. Wir verdanken den Schriftstellern, die
aus Zeitvertreib und Liebhaberei das Thun und Treiben ge-
scheidter, hervorragender Köpfe erforschten und der Erinnerung
zu erhalten gesucht haben, die Aufzeichnung folgender Ge-
schichte über die beiden tragischen Dichter M. Pacuvius und
L. Accius. Sie erzählen uns Folgendes: 2. Als Pacuvius in
schon hohem Alter und mit anhaltender, langer Kränklichkeit
behaftet sich aus Rom (zurückgezogen hatte und) nach Tarent
übergesiedelt war , stattete der damals um gar Vieles noch
jüngere Accius, als er auf seiner Reise nach Asien diese Stadt
berührte, dem Pacuvius einen Besuch ab. Accius wurde
freundlich aufgenommen, eingeladen, einige Tage bei ihm zu
bleiben und las (bei dieser Gelegenheit ihm) auf Verlangen
sein Trauerspiel „Atreus" vor. 3. Darauf soll Pacuvius sich
dahin ausgesprochen haben, dass das verfasste Werk zwar
schwungvoll klinge und edle, erhabene Gedanken enthalte,
jedoch scheine ihm die Ausdrucksweise zu derb und hart.
4. Ich finde Deine Bemerkung ganz zutreffend, sagte Accius.
XIII, 2, 1. Ueber Pacuvius s. Gell. I, 24, 4 NB. Ueber Accius s.
Gell. II, 6, 23 NB.
XIII, 2, 2. Vergl. Teuffels röm. Lit 104, 1 über M. Pacuvius und
129, 2 ff. über L. Accius (Attius).
Digitized by Goagk
XIII. Buch, 2. Cap., § 4. 5. — 3. Cap., § 1-4. (169)
Allein das macht mir wirklich keinen Kummer, denn ich hoffe,
dass das, was ich künftig schreiben werde, besser ausfallen
soll. 5. Denn, fuhr er fort, wie es sich mit den Früchten im
Allgemeinen verhält, ebenso, sagt man, verhält es sich mit
den geistigen Erzeugnissen; denn Früchte, die bei ihrem
Entstehen hart und herbe sind, werden später um so schmack-
hafter und süsser; die Früchte aber, die bei ihrem Entstehen •
gleich mürbe und weich und gleich im Anfange saftig sind,
werden nicht nur sobald reif, sondern sie fangen auch sofort
an zu faulen. Ebenso muss man es auch den geistigen Er-
zeugnissen überlassen, dass sie Zeit und Stunde mild machen.
XIII, 3, L. Ob bei den beiden Wörtern: „necessitudo" und „necessitas"
eine Verschiedenheit in der Bedeutung vorliegt.
Xm, 3. Cap. 1. Es ist mir die Versicherung einiger
Grammatiker wirklich höchst lächerlich und spasshaft erschie-
nen, dass die Wörter: „necessitudo" und „necessitas" (in der
Bedeutung) sehr von einander abweichen und verschieden sein
sollen; „necessitas" bedeute deshalb eine heftige, drängende
Gewalt, durch „necessitudo" aber werde ein gewisses Recht
und ein bindender Anspruch gewissenhaft heiliger Verpflichtung
bezeichnet, und es habe das letztere (necessitas) ausschliesslich
nur diese eine Bedeutung. 2. So wie aber nicht der geringste
Unterschied stattfindet, man mag nun den Begriff „Lieblich-
keit" durch suavitiido oder suavitas wiedergeben, „Heiligkeit"
durch sanctitudo oder sanctitas, „Bitterkeit" durch acerbitudo
oder acerbitas, oder „Herbigkeit" durch acritudo, oder, wie
Accius in seinem Neoptolemus geschrieben, durch acritas, eben
so kann kein (vernünftiger) Grund angeführt werden, dass
necessitudo und necessitas sich (der Bedeutung nach) von
einander unterscheiden. 3. Und so wird man gewöhnlich in
den Schriften der Alten „necessitudo41 für das gesagt finden,
was nothwendig ist. 4. Nur selten allerdings findet man „ne-
cessitas" in dem Sinne für rechtliche Verpflichtung zu ver-
wandtschaftlicher Rücksicht, obgleich Freunde und Verwandte,
die in Folge eines rechtlichen Anspruchs auf Verwandtschaft
und Freundschaft mit dem Ausdruck: „necessarii" bezeichnet
XIII, 2, 5. Vergl. Senec. ep. 36, 2.
Digitized by Google
(170) XIII. Buch, 3. Cap„ § 5. 6. — 4. Cap., § 1.
werden. 5. Doch fand ich in der Rede des C. (Julius) Caesar,
worin er zu Gunsten des plautinischen Gesetzvorschlages
sprach, das Wort „necessitas" für „necessitudo" gesagt, das
soll heissen in dem Sinne einer verwandtschaftlichen Rechts-
verbindlichkeit. Die betreffende Stelle lautet: „Ich für meinen
Theil glaube gemäss unseres Verwandtschaftsbandes (pro
nostra necessitate) keine Mühe, keine Anstrengung, keinen
Eifer (gespart und) vernachlässigt zu haben." 6. Zur Auf-
zeichnung der Bemerkung über die Gleichheit dieser beiden
Wörter (bezüglich ihrer Bedeutung) fühlte ich mich deshalb
veranlasst, weil ich zufällig an dieses Wort erinnert wurde,
als ich das 4. Buch aus dem Geschichtswerke unseres alten
Schriftstellers Sempronius Asellio las, worin über P. Africanus,
den Sohn des Paulus, also geschrieben steht: „L. Aemilius
Paulus habe seinen Vater äussern hören, dass ein ausgezeich-
neter Feldherr sich in ein förmliches Treffen nur dann ein-
lassen dürfe, wenn es entweder die unbedingte höchste Noth-
wendigkeit (summa necessitudo) , oder die beste Gelegenheit
es ihm gebiete."
XIII, 4, L. Abschriften (Copieen) von einem Briefe des Königs Alexander
[an seine Mntter Olympia nnd von ihrer artigen und klugen Rückantwort
an ihren königlichen Sohn].
XIII, 4. Cap. 1. In verschiedenen geschichtlichen, über
die Thaten Alexanders verfassten Urkunden und auch erst
kürzlich noch in einer Schrift des M. Varro, welche die Ueber-
schrift führt „Orestes oder über Raserei", las ich, dass des
Königs Philipp Gemahlin ihrem Sohne Alexander eine höchst
XIII, 3, 5. Vergl. Non. Marc, de sign, verbor. unt. d. W. necessitas.
Der Volkstribun M. Plautius Silvanus hatte eine lex durchgesetzt, vermöge
welcher Ritter und Senatoren wieder gemeinsam das Richteramt verwalten
sollten. Zu dem Antrag des Plautius hielt Caesar die hier erwähnte B< -
fürwortungsrede , wenn sie nicht etwa eine und dieselbe ist mit der Ver-
theidigungsrede Caesars „de reditu L. Cinnae, über die Rückkehr des
Lucius Cinna (des Bruders von Caesars Frau) in die Heimath". Vergl.
Doerg. Sueton. Caes. 5.
XIII, 3, 6. Stammbaum der Cornelii I. Gell. IV, 18 NB. Ueber des
Aemilianus Vorsicht und Besonnenheit s. Dio C. Fr. Peir. 77 ; Zon. 9, 27;
Val. Max. 7, 2, 2; Appian. Hiber. 87.
Digitized by
XIÜ. Buch, 4. Cap., § 2. 3. — 5. Cap., § 1. 2. (171)
artige Rückantwort ertheilte. 2. Als dieser nämlich an seine
Mutter einen Brief mit folgenden Worten gerichtet hatte:
„König Alexander, Sohn des Juppiter Hammon, entbietet
seiner Mutter Olympias (besten) Gruss", ertheilte ihm (seine
Mutter) Olympias eine Antwort folgenden Inhalts; sie lautet:
„Bei meiner Liebe zu Dir bitte ich Dich, mein (lieber) Sohn,
höre auf mich zu verdächtigen und bei der Juno anzuklagen,
sie wird mich sonst sicher ihren höchsten Zorn fühlen lassen,
wenn Du nicht aufhörst in Deinen Briefen mich ungescheut
und öffentlich für ihre Nebenbuhlerin zu erklären." 3. Durch
diese launige Wendung suchte die kluge, verständige Frau
ihrem tibermüthigen Sohne vermittelst eines feinen und geist-
reichen Winkes zu verstehen zu geben, er solle seinen thö-
richten (Grössen-) Wahnsinn bei Seite lassen, in Folge dessen
sich jener durch seine ungeheuer wichtigen Siege, durch die
Schmeicheleien seiner Höflinge und durch seine unglaublich
glücklichen Erfolge berauscht und eingeredet hatte, ein Spross
vom Zeus zu sein.
XIII, 5, L. Ueber die (drei) Weltweisen: Aristoteles, Theophrastus und
Menedemus; ferner über die ausgesucht zarte Zurückhaltung, welche
Aristoteles bei der Wahl (und bei dem Vorschlag) seines Nachfolgers im
Lehramte beobachtete.
XIII, 5. Cap. 1. Der Weltweise Aristoteles, beinahe schon
62 Jahre alt, durfte sich wegen körperlicher Kränklichkeit
und wegen seines Siechthums nur noch schwache Hoffnung
auf ein längeres Leben machen. 2. Deshalb nahte sich ihm
zu dieser Zeit die ganze Schaar seiner Schüler und Anhänger,
um ihn mit Bitten zu bestürmen, selbst einen Nachfolger für
seinen Lehrstuhl und für sein Lehramt zu bestimmen, unter
dessen Leitung sie nach seinem Hingange gerade wie unter
ihm ihre wissenschaftliche und philosophische Bildung und
XIÜ, 4, 2. Wie eifersüchtig Dichter die Juno über die Ausschwei-
fungen ihres Gemahls Juppiter schildern, ist hinlänglich bekannt Vergl.
Preller, Mytholog.
XIII, 5, L. elegans verecundia. Vergl. Gell. II, 8, 9 elegans quaedam
reprehensionis contemptio und Gell. XI, 2.
XIII, 5, 1. Aristoteles, um der Verfolgung der Priester zu entgehen,
flüchtete nach Chalkis.
Digitized by Google
(172)
XIIL Buch, 5. Cap., §3—12.
Kenntniss vervollständigen und vollenden könnten, in die sie
von ihm eingeweiht worden wären. 3. Es fanden sich damals
unter seinen Schülern viele vortreffliche Geister, unter denen
aber Theophrastus und Menedemus für die beiden hervor-
ragendsten galten. Diese zeichneten sich durch Geist und Ge-
lehrsamkeit vor den Uebrigen besonders aus ; der Eine (Theo-
phrast) stammte von der Insel Lesbos, Menedemos aber von
(der Insel) Rhodus. 4. Aristoteles antwortete, dass er ihren
Willen erfüllen wolle, wenn es ihm die rechte Zeit scheinen
würde. 5. Als sich nun kurze Zeit nachher Aristoteles (wieder
einmal) mit eben Jenen zusammenbefand, die in ihn gedrungen
waren, seinen Lehrstuhl doch selbst mit einem Nachfolger zu
bestellen, sagte er, der Wein, welchen er hier tränke, sei
nicht einer, seinem körperlichen Befinden zuträglicher, sondern
ungesund und etwas herbe, und deshalb müsse er um (einen
etwas milderen) einen ausländischen bitten, entweder um einen
rhodischen oder einen lesbischen. 6. Er bat, ihm doch beide
Sorten herbeizuschaffen und sagte, er wolle sich desjenigen
bedienen, der ihm (von beiden) mehr zusagen würde. 7. Man
geht, die verlangten (beiden) Sorten zu besorgen, treibt sie
auf und bringt sie (ihm). 8. Darauf bittet sich Aristoteles
rhodischen aus, kostet ihn und sagt: Das ist wahrhaftig ein
(starker) geistreicher Wein und dabei auch angenehm.
9. Gleich darauf lässt er sich nun auch von dem lesbischen
reichen. Als er auch von diesem gekostet, sagte er: Beide
sind ganz vortrefflich, allein der lesbische hat noch mehr
Anmuth. 10. Nach dieser Aeusserung war es Keinem mehr
zweifelhaft, dass er durch diesen Meinungsaussprueh auf eine
ebenso feine, als zarte Weise auf seinen Nachfolger und nicht
auf den Wein gezielt habe. 11. Gemeint war damit aber
Theophrast aus Lesbos, ein Mann von ausserordentlicher
Lieblichkeit sowohl in der Beredtsamkeit , wie im Benehmen.
12. Als daher Aristoteles nicht lange darnach aus dem Erden-
leben geschieden, wendeten sich alle (seine Schüler und An-
hänger) diesem Theophrast zu.
XIII, 5, 3. Ueber Theophrast s. Gell. I, 3, 21 NB und IV, 13,2NB.
Menedemus, wahrscheinlich Eudemus.
Digitized by Googl
XIII. Buch, 6. Cap. §1 — 4.-7. Cap., § 1. (173)
XIII, 6, L. Welches Ausdrucks sich die alten Lateiner für die Bezeich-
nung des griechischen Wortes; „7r(>off<pdY«t" (prosodiae) bedienten, und dass
unter den Aelteren auch weder Römer, noch Attiker (Griechen) sich des
Ausdrucks „barbarismus" bedienten.
XIII, 6. Cap. 1. Was die Griechen unter dem Ausdruck
»TtQooydiai11 verstanden wissen wollten, das haben unsere
alten Gelehrten theils durch „notae vocum (Betonungsmerk-
male)u bezeichnet, theils durch „moderamenta (Längen-
messungen)", theils durch „accenticulae (Silbenbetonung)",
theils durch „voculationes (Aussprache)"; 2. was wir aber
heutigen Tages mit dem Ausdruck bezeichnen, wenn wir von
Jemanden behaupten, dass er ausländisch spreche (barbare
loqui) und falsch betone, diese fehlerhafte Sprechweise nannte
man nicht eine ausländische (vitium barbarum), sondern eine
bäurische (rusticum), und wer so fehlerhaft sprach, von dem
hiess es, dass er bäurisch (rustice) rede. 3. P. Nigidius in
seinen „Bemerkungen über Grammatik" sagt: „Die Rede wird
bäurisch (rusticus fit sermo), wenn Du den H-laut falsch an-
wendest." 4. Ob sich daher diejenigen, welche vor des er-
habenen Augustus Zeiten rein und sprachrichtig sich aus-
drückten, des jetzt im gewöhnlichen Leben gebräuchlichen
Ausdrucks „barbarismus" bedienten, habe ich noch nicht
ausfindig machen können.
XIII, 7, L. Verschiedene Ansicht Homers in seiner Dichtung und de»
Herodot in seiner Geschichte Uber eine Eigentümlichkeit bei Löwinnen.
XIII, 7. Cap. 1. Bei Herodot im 3. Buche seiner Ge-
XIH. 6, 1. Straho XHI p. 897; Sext. Empir. adv. Mathem. I, 5;
cfr. Gell. XIII, 25, 3.
XIII, 6, 2. Die klassische Sprache beschränkte sich meist nur auf
Rom. Es behauptete sich aber auch noch das Umbrische, Oskische»
Samnitische etc. als Dialect. Der Urbane Ton war Ausdrucks weise der
gebildeten Kreise, die übrige Menge sprach ein bäurisches Latein, hatte
eine bäurische Aussprache.
Xni, 6, 3. Gellius sagt (II, 3, 1), die Alten hätten gern nach atti-
scher Art das h angebracht, z. B. halucinari, honera, hoedus, hircus,
hortus, hordeum etc.
XIII, 6, 4. Ueber barbarismus vergl. Cic. Her. IV, 12, 17; Quinct.
L 5, 5—10; Martial. VI, 17, 2; Fronto ep. ad M. Caes. II, 1 ad fin.;
Sidon. ep. V, 5; Charis. IV, p. 237; Gell. V, 20.
Digitized by Google
(174)
XIII. Buch, 7. Cap., §1-6.
schichte findet sich die schriftliche Bemerkung, dass Löwinnen
ihr lebelang nur einmal gebären und bei diesem einmaligen
Werfen nie mehr als nur ein Junges zur Welt bringen. 2.
Die Stelle aus dem betreffenden Buche (III [Thalia], cap. 108)
lautet also: „Obgleich die Löwin ein starkes und höchst
muthiges Thier ist, wirft sie auf einmal doch nur ein Junges
in ihrem Leben ; denn wenn sie wirft, so geht auch die Gebär-
mutter sammt dem Jungen mit ab." (Die Ursache davon ist
die: „wenn das Junge in der Mutter anfängt sich zu bewegen,
so zerkratzt es ihre Gebärmutter, weil es von allen Thieren
die schärfsten Klauen hat, und je mehr es wächst, zerreisst es
sie immer mehr und mehr; endlich kommt die Geburt heran
und da ist ganz und gar nichts Heiles mehr daran.") 3. Homer
aber behauptet, dass die Löwinnen öfters und mehrere Junge
gebären und aufziehen. Er gebraucht den Begriff „Löwen"
im männlichen Geschlecht zur Bezeichnung auch der Weibchen.
Dergleichen Wörter (gemeinschaftlichen, d. h.) männlichen,
wie weiblichen Geschlechtes zugleich bezeichnen die Gram-
matiker mit dem Ausdruck: i7tUoivov (gemeinschaftliches Ge-
schlecht). 4. In folgenden Versen (Horn. Uiad. XVII, 133 u. s. w.)
giebt er diese Meinung offenbar zu erkennen (wo es vom
Ajax heisst):
Und er stand, wie ein Löwe vor seinen Jungen sich hinstellt,
Welchem, indem er sie führt, ein Haufe Jäger begegnet;
5. Gerade so deutet er an einer and ein Stelle (Horn. Riad.
XVIII, 318 u. s. w.) auf dieselbe Ansicht hin (wo es heisst:
Achill, über den Patroclus):
Häufig seufzend, gleich dem starkgebarteten Löwen,
Dem ein hirschverfolgender Jäger aus dichtem Gebüsche
Seine Jungen geraubt hat.
6. Als uns diese Meinungsverschiedenheit des berühmtesten
unter den Dichtern und des vornehmsten unter den Geschichts-
schreibern etwas in Verwirrung setzte, mussten wir uns schon
bequemen, die Bücher des Philosophen Aristoteles nachzusehen,
worin er eine so höchst ausführliche Beschreibung von den
XIII, 7, 1. S. Philostr. vit. Apollon. I, 22; Aristot. hist anim. vT,
28. — Herodot, der älteste griechische Geschichtsschreiber aus Hali-
carnassus in Kleinasien, lebte ohngefähr 450 v. Chr., theilte sein Werk in
neun Bücher und benannte sie nach den Musen.
Digitized by Google
XIII. Buch, 7. Cap., §6-11.-8. Cap., § 1. (175)
Thieren liefert. Was ich über diesen Gegenstand in dem
betreffenden Werke auffinden werde, soll mit des Aristoteles
eigenen Worten (später) in dieser meiner Sammlung einen
Platz finden. (7. Die betreffende Stelle des Aristoteles aus
dem 6. Buche seiner Thiergeschichte [cap. 31 (28)] lautet:
„Dass der Löwe sich rückwärts begattet und zu den rück-
wärts harnenden Thieren gehört, wurde schon früher [hist.
animal. V, 1] gesagt; er begattet sich aber und wirft nicht
zu jeder Zeit, wohl aber in jedem Jahre. Er wirft übrigens
im Frühlinge und zwar meistens zwei, höchstens jedoch sechs,
zuweilen wirft er aber gar nur ein Junges. 8. Die ver-
breitete Sage, dass er beim Gebären die Gebärmutter mit
auswerfe, ist läppisch; sie entstand daher, dass die Löwen
selten sind und der Erfinder der Sage die Ursache nicht
wusste. Das Geschlecht der Löwen ist nämlich selten und
nicht an vielen Orten zu finden, indem man es in Europa
nur in dem Landstriche zwischen den Flüssen Acheloos und
Nestos antrifft. 9. Die Jungen, welche die Löwin zur Welt
bringt, sind äusserst klein, so dass sie nach zwei Monaten
kaum gehen können. Die Löwinnen in Syrien werfen fünfmal
und zwar zum erstenmale fünf Junge, dann aber immer eins
weniger; endlich aber werfen sie keins mehr, sondern bleiben
unfruchtbar. 10. Die Löwin hat keine Mähne, wohl aber der
männliche Löwe. 11. Von seinen Zähnen wechselt der Löwe
nur die sogenannten vier Hundszähne, nämlich zwei oben und
zwei unten ; er wechselt sie aber, wenn er ein Alter von sechs
Monaten erreicht hat.)
XIII, 8, L. Dass es ein kluger und sinnreicher Ausspruch des Dichters
AfraniuB war, die Weisheit eine Tochter der Erfahrung und des Ge-
dächtnisses zu nennen.
Xin, 8. Cap. 1. Einen ebenso ausgezeichneten, wie
XIII, 7, 7. Philostr. Leben des Apollon. v. Tyana I, 22 : „Die Löwin
geht sechs Monate trachtig und wirft dreimal. Die Zahl der Jungen beim
ersten Wurf ist drei, beim zweiten zwei; wird sie aber zum drittenmale
trächtig, so wirft sie ein einziges Junges von grossem Schlage und von
wilderer Art als gewöhnlich. Doch was Einige sagen, dass die Löwen
bei der Geburt die Gebärmutter zerkratzen, darf man nicht für wahr
halten.« - Bei M. Hertz bleiben die §§7-11 aus.
Digitized by Google
(176)
XIII. Buch, 8. Cap., § 1—4.
wahren Gedanken (-blitz) hat der Dichter Afranius gehabt,
als er über den Ursprung der Weisheit und über die Mittel,
sich dieselbe anzueignen sprach und annahm, dass sie eine
Tochter der Erfahrung und des Gedächtnisses sei. 2. Denn
durch diese Erklärung will er zeigen, dass ein Mensch, der
die Absicht hat, sich Weisheit und Weltkenntniss anzueignen,
nicht hoffen soll, diese allein aus Büchern, oder aus rheto-
rischen und dialectischen Wissenschaftszweigen zu schöpfen,
sondern sich keine Mühe verdriessen lassen und selbst Hand
anlegen müsse, um Alles in der Nähe kennen zu lernen, mit
eigenen Augen zu untersuchen, und alle Ereignisse und Er-
folge seinem Gedächtnisse fest einzuprägen; und demgemäss
muss er Weisheit und Klugheit daraus lernen, was ihm selbst
erlebte Erfahrungen an die Hand geben, nicht, was ihm nur
Bücher oder Schulmeister vermittelst eitel leeren Wortschwalls
und durch nichtige Gaukeleien, gleichwie in einem Possenspiel
oder in einem Traumgesicht, vorgespiegelt haben. 3. Dieser
Gedanke des Afranius findet sich in folgenden Versen aus
seinem römischen Nationaldrama (in togata), der „Sessel
(Sella)" genannt, also ausgedrückt:
Erfahrung hat mich gezeugt, meine Mutter war das Gedäehtniss,
Sophia werd' bei den Griechen, hei euch ich genannt Sapientia.
4. Beinahe derselbe Gedanke ist auch in einem Verse des
Pacuvius enthalten, ein Gedanke, der, wie die gute ehrliche
XIII, 8, 1. Lucius Afranius, geb. wahrscheinlich um 130 v. Chr.,
so dass seine Blut he 94 v. Chr. fällt, ist der eigentliche Schöpfer des
röm. Nationallustspiels oder der comoedia togata. Seine Schilderung des
Lebens und der Volkssitten waren im Volkstone gehalten. Von den
Griechen (Menander) entlehnte er nur den äussern Bau und passte ihn
geistvoll dem römischen Volksleben an. Anerkannt war sein reicher Witz,
seine Ausgelassenheit und Lebendigkeit Es sind nur noch Bruchstücke
von ihm da. Cfr. Hör. epist. II, 1 v. 57; s. Bernh. röm. Lit. 78, 352
und Teuffels Gesch. d. röm. Lit. 131.
XIII, 8, 3. S. Gell. X, 11, 8 NB.
XIII, 8, 4. „Zum Betrieb der Philosophie hatten die Römer wenig
natürlichen Beruf. S. Gesch. der röm. Lit. von W. S. Teuffei § 48, 3.
Dazu die durchschnittliche Mittelmässigkeit der Griechen, welchen die
Römer ihre Philosophie verdankten, weshalb Mommsen richtig bemerkt:
„so wurden denn die Römer in der Philosophie nichts als schlechter Lehrer
schlechtere Schüler."
Digitized by
XHI. Buch, 8. Cap., § 4. 5. — 9. Cap., § 1 — 4. (177)
■
Seele, mein Freund der Weltweise Macedo meinte, (eigent-
lich) an die Eingangsthüren aller Tempel geschrieben werden
sollte :
Ich hasse Leute, die, faul zu Thaten, Weisheitssprüche stets
Im Munde fuhren.
5. Damit wollte mein Freund Macedo zu verstehen geben,
dass er nichts für unanständiger und unerträglicher halte, als
wenn gewisse Faulenzer und Müssiggänger in langem Barte
und mit dem (üblichen Philosophen-) Mantel angethan, sich
unterfingen die nützlichen Vorschriften der Weisheit zu (un-
nützem) Zungengewäsch und Wortgekräusel zu verwenden und
mit (scheinheiliger Miene und) geläufigstem Mundwerk über
die Fehler Anderer herzuziehen, während ihr eignes Herz
einem Schandpfuhl voll von Lastern gleicht.
XIII, 9, L. Ansicht des Tullius Tiro in seinen „gesammelten Bemerkungen"
über die mit den Namen „snculae" und „hyades" bezeichneten Sterne.
Xin, 9. Cap. 1. Tullius Tiro war Pflegling und Frei-
gelassener des M. Cicero und später sein Gehülfe bei dessen
literarischen Arbeiten. 2. Dieser Tiro verfasste mehrere
Schriften (enthaltend Untersuchungen) „über den syste-
matischen Entwickelungsgang der lateinischen Sprache", des-
gleichen „über allerhand verschiedene und gemischte Fragen \
3. Unter diesen Schriften aber zeichnet sich vor Allen gerade
das Werk aus, welches die griechische Ueberschrift navdhjiai
trägt, d. h. allgemeines Sammelwerk (zum Nachschlagen),
welches gewissermassen allerhand sachliche und wissenschaft-
liche Bemerkungen enthält. 4. Daselbst befindet sich in Be-
treff der Sterne, welche „suculae" genannt werden, folgende
(interessante) Stelle; es heisst: „Die alten Römer hatten sehr
wenig Kenntniss von den griechischen Buchstaben, waren so
XIII, 8, 4. S. Teuffels Gesch. d. röm. Lit. 353, 8 über Macedo.
XIII, 8, 5. Ueber diese Sorte von Philosophen vergl. Gell. IX, 2, 4
und Cato's Worte XVIII, 7, 3; desgl. Bernhard. R. L. 123, 570.
XIII, 9, L. Vergl. Beruh, r. L. 29, 114.
XIII, 9, 2. Ueber Tullius Tiro s. Gell. I, 7, 1 NB und Teuffels röm.
Lit. Gesch. 118, 1.
XIII, 9, 4. Hyades s. Plin. II, 39, 2 und XVIII, 66; Cic. de nat.
deor. II, 43.
Gellius, Attische Xficlite. II. 12
Digitized by Google
(178) XIII. Buch, 9. Cap., § 4—6.
unwissend in der griechischen Sprache, dass von ihnen (aus
Unkenntniss über den Ursprung des Wortes Hyaden, vdöeg)
diese Sterne, welche am Kopfe des Stieres sich befinden, des-
halb „suculae" genannt wurden, weil sie bei den Griechen vddeg
hiessen, als ob der lateinische Ausdruck eine (entsprechende)
Uebertragung (und Nachbildung) des griechischen sei, weil
das griechische Wort leg (Schweine) ,auf lateinisch „sues" be-
deutet. Allein der Ausdruck „vadeg" kommt doch eigentlich
nicht von dem griechischen Worte: leg (anb xCov vCov) her,
wie dies die Ansicht einiger Unwissender (opici) zu sein scheint,
sondern von dem bekannten Zeitwort „IW", was „regnen"
heisst, weil zur Zeit, wo diese Sterne auf- und untergehen, sie
(in Griechenland) gewöhnlich reichliche Stürme und Regen-
güsse herbeiführen." 5. So also Tiro in seinem Sammelwerk.
Allein unsere Alten waren doch nicht so ganz grosse, un-
gebildete Klötze (rUpfces), dass sie, weil leg auf lateinisch
„sues" heissen, deshalb das Sternbild der Hyaden „suculae"
nannten, sondern gerade so wie wir aus der griechischen Par-
tikel wciq „super" gemacht, aus vmtog (übergebeugt) unser
„supinus" gebildet, aus vffogßbg (Sauhirt, von: lg und (ftgßeiv
i. e. Schweine hüten) unser „subulcus"; desgleichen wie man
z. B. aus dem griechischen vTtvog erst „sypnus (supnus)" bildete,
hernach aber durch die Verwandtschaft des griechischen y (v)
mit dem lateinischen „o" somnus (oder sumnus) sagte, ganz
ebenso wurde das griechische Wort hyades erst in syades,
später aber (suades und durch die Aussprache) in „suculae"
verwandelt. 6. Die (besagten) Sterne befinden sich aber, wie
Tiro sagt, nicht am Kopfe des Stieres, — denn ohne diese Sterne
würden wir gar keinen Stierkopf zu sehen vermeinen, — sondern
sie sind im sogenannten Thierkreis so gestellt und gelegen,
dass erst aus ihrer Aufstellung (für unsere Augen) die schein-
bare Form und Bildung eines Stierkopfes sich gestaltet (und
hervortritt); gleichwie (ausser dem Kopf) auch alle übrigen
Theile, d. h. der noch übrige zur Veranschaulichung und
Vollendung des Stierbildes nöthige Umriss hingezeichnet und
XIII, 9, 4 vergl. XI, 16, 7 opicus.
XIII, 9, 5. v«<$(s, also Regengestirn.
XIII, 9, 5. vnvog = sypnus = somnus. v = u = französ. u.
XIII, 9, 6. II).tidJ€$ (vergiliae) vergl. Gell. III, 10, 2 NB.
Digitized by Go
XIII. Buch, 9. Cap., § 6. — 10. Cap., § 1 —4.
(179)
gleichsam abgebildet erscheint durch die Vertheilung (Lage)
und Aufstellung (aller) der Sterne, welche von den Griechen
„rrXeiadeg", von uns (Römern) vergiliae (Büschelgestirn) ge-
nannt werden.
XIII, 10, L. Was nach dem Ausspruch des Labeo Antistius die Grund»
bedeutung und Abstammung (frvftov) des Worten „soror" und nach P.
Nigidius die des Wortes „frater" sein soll.
XIII, 10. Cap. 1. Labeo Antistius, der zwar mit haupt-
sächlicher Vorliebe die Kenntniss des bürgerlichen Rechtes zu
seiner Aufgabe gemacht und Allen ohne Unterschied, die ihn
darüber zu Rathe zogen, (gern und bereitwillig) Bescheid er-
theilte, war zugleich aber auch in andern Zweigen der Kunst
und Wissenschaft sehr zu Hause, und so hatte er den gründ-
lichsten Fleiss verwendet auf Grammatik, Dialectik und alte
Literatur, verstand sich daher auch genau auf den Ursprung
und die Bedeutung lateinischer Ausdrücke und bediente sich
dieser (letzteren) Kenntniss hauptsächlich (als Hülfsmittel)
zur Entwirrung verschiedener, verwickelter Rechtsfälle. 2.
Nach seinem Tode ist sogar ein Werk unter der Ueberschrift
„Nachgelassenes (posteriores)" herausgekommen, wovon die
drei fortlaufenden Bücher, das 38., 39. und 40., voll von der-
artigen Fällen sind, die nicht wenig zur deutlichen Erklärung
und Auslegung der lateinischen Sprache (und ihres Ent-
wicklungsganges) beitragen. 3. Ausserdem findet man in den
Büchern, wo er in Bezug auf die Praetoren-Verordnung
ausführliche Bemerkungen niedergeschrieben hat, theilweise
viele interessante und geistreiche Beobachtungen angegeben,
wie im 4. Buche die Bemerkung, die wir zum Anschluss an
die (Praetoren-) Verordnung aufgezeichnet lesen können, wo
es heisst: „Soror (Schwester)" wurde die genannt, welche
gleichsam „seorsum" (abgesondert) aufwächst, die sich (ferner
später) von dem Hause trennen muss, wo sie geboren ist und
(bei ihrer etwaigen Verheirathung) in eine andere Familie
übersiedelt." 4. Der bedeutende Gelehrte P. Nigidius giebt
Xffl, 10, L. Ueber Antistius s. Gell. I, 12, 1 NB. Ueber P. Nigidius
Figulus s. Gell. IV, 9, l NB.
XHI, 10, 3. Ueber Praetoren-Edicte s. Gell. X, 15, 31 NB.
12*
Digitized by Google
(180) XIII. Buch, 10. Cap., § 4. — 11. Cap., § 1—3.
über die Grundbedeutung und Abstammung des Wortes „frater
(Binder)" eine nicht weniger feine und scharfsinnige Aus-
legung; er sagt: „frater wird Einer deshalb genannt, weil er
gleichsam als: fere alter, d. h. fast das andere Selbst ist."
XIII, 11, L. Welche Anzahl von (Tisch-) Gästen M. Varro für die hin-
längliche und schickliche hält; dann (Bemerkungen) über den Nachtisch
und über (die guten Bissen beim Nachtisch, d. h.) das Naschwerk.
XIII, 11. Cap. 1. Es kann nicht leicht etwas Ergötz-
licheres geben, als die Monographie des M. Varro aus seinen
menippischen vermischten Gedichten (Satiren), welche die
(besondere) Ueberschrift führt: „nescis quid vesper serus
vehat, d. h. man kann nicht wissen, was die spätere Stunde
mit sich führt", worin er sich weitläufig über die schickliche
Anzahl von Gästen ergeht und über die gehörige Anordnung
(das richtige Arrangement) bei einem Gastmahle. 2. Er sagt
aber, die (niedrigste) Anzahl (der Gäste) müsse von der An-
zahl der Grazien beginnen und sich (höchstens) nur bis zur
Anzahl der Musen versteigen, d. h. sie müsse bei Drei be-
ginnen und es bei Neun bewenden lassen, oder, dass, wenn
man die geringste Anzahl der Gäste ins Auge fasst, sie sich auf
nicht weniger als drei beschränkt und wenn man die grösste
Anzahl zulässt, sie nicht die Zahl von neun übersteigt. 3.
„Denn mehr Gäste (einzuladen), fährt er selbst fort, scheint
deshalb weniger geeignet, weil eine grössere Anzahl meist
überlaut lärmt; und zu Rom steht man (bei den Mahlzeiten),
XIII, 10, 4. Ehe die Einsicht in den Sprachorganismus den Em-
pirikern das Handwerk legte, verlief sich das Etymologisiren bei den
Sprachgelehrten jener Zeit oft geradezu bis ins Alberne. So erklärte
bei Gell. VII (VI), 12, 5. 6 der philologische Jurist Gajus Trebatius:
sacellum von sacra cclla. So leitete Varro facere von facies ab, weil, wer
etwas macht, der Sache ein Ansehen giebt. Gell. XIII, 30 (29), 2. —
Ferner : volpes, den Fuchs, nach Stilo von volare pedibus, als den Fliege-
fuss. Varro de 1. 1. IV, 20, extr.; Quint. I, 6, 33; vergl. Agrippus bei
Gell. XVI, 16, 1.
XIII, 11, 1. Saturae Menippeae, so genannt nach dem Cyniker Me-
nippus, dessen Schriften sich dabei Varro zum Vorbilde nahm. VergJ.
Gell. I, 22, 4 und II, 18, 7 NB. — Liv. 45, 8, 6 : incertum est, quid vesper
ferat. — Vergl. Macrob. Sat. I, 7; Plutarch Tischgespr. V, 5.
XIII, 11, 2. S. Spartian. Verus. cap. 5.
Digitized by Google
XIII. Buch, 11. Cap., § 3—7.
(181)
zu Athen sitzt man, nirgends aber liegt man (bei Tische).
Ferner das Gastmahl selbst", heisst es weiter, „muss aus vier
Sachen bestehen, denn dann erst wird es in allen Stücken
ein vollkommenes sein, wenn (nur) liebe Leutchen versammelt
ßind, ferner Bedacht genommen ist auf einen passenden Platz,
auf eine gut gewählte Zeit und auf ein ausgewähltes Mahl.
Ferner soll man sich, sagt er, weder schwatzhafte, noch stumme
G«iste einladen, weil sich ein Breitmacher mit seiner Beredt-
heit wohl für öffentliche, wie für Privatverhandlungen eigne,
ein fortwährendes Stillschweigen sich aber nicht mit der Tafel-
freude vertrage, sondern mehr in die Schlafkammer gehöre."
4. Die Reden also, die man während der Tafelzeit führen soll,
müssen seiner Meinung nach nicht verdriessliche oder ver-
wickelte Beziehungen berühren, sondern angenehm und an-
lockend sein und unter Scherz und Munterkeit nur Nützlich-
keitsrücksichten anstreben, so dass dadurch nur eine höhere
Verfeinerung unseres Geschmacks und grössere Erheiterung
unseres Geistes erzielt wird. 5. „Dieses Ziel aber", versichert
er, „kann wahrlich nur dann erreicht werden, wenn man sich
über solche Dinge unterhält, die auf den (ganz) gewöhnlichen
Lebensverkehr Bezug haben, woran zu denken oder mit denen
sich zu beschäftigen man sonst vor Gericht, oder im Drange
der Geschäfte keine Zeit übrig behält. Der Wirth des Gast-
mahls aber muss nicht sowohl üppige Pracht und Aufwand
zu entfalten, als vielmehr den Vorwurf schmutzigen Geizes
zu vermeiden suchen, und sollen bei dem (Freundes-) Mahle
nicht alle Arten von Vorträgen gestattet sein, sondern vor-
züglich nur solche, die nützlich und ergötzlich sind (und
es brauchen die Speisen selbst nicht gerade ausgesucht zu
sein, sondern vor allem gesund und schmackhaft)." 6. Nicht
minder giebt er im Voraus (uns) auch Anweisung, wie der
Nachtisch beschaffen sein soll. Denn er drückt sich folgender-
massen aus und sagt wörtlich: „Gerade der Nachtisch (bella-
ria) ist der würzhafte, der nicht zu sehr mit Honig gewürzt
ist; denn Süssigkeiten vertragen sich eben nicht besonders
mit (dem Magensaft und) der Verdauung (7re^fiaotv enim cum
nixpei societas infida)." 7. Damit aber nicht etwa Einer in
LTngewissheit bleibt und über das Wort „bellaria" (Nachtisch)
stutzt, dessen Varro sich in der angeführten Stelle bedient
Digitized by Google
(182) XIII. Buch, IL Cap., § 7. — 12. Cap., § 1 — 4.
hat, so versteht er unter dem Ausdruck alle Arten guter
Bissen beim Dessert. Denn was die Griechen Tcinncaa oder
TQayfaata nannten, das bezeichneten unsere Alten durch
bellaria (Naschwerk, Leckereien, Knapperwerk, Confect). In
älteren Lustspielen findet man diesen Ausdruck auch für sehr
süsse Weine gebraucht und es wurden solche „Liberi bellaria"
Ausbruch (-Weine) des Bacchus genannt.
XIII, 12, L. Dass den Volkszunftmeistern zwar das Recht der Verhaftung
zustehe, aber nicht das der Vorladung.
XIII, 12. Cap. 1. Wir lasen in einem Briefe des Atejus
Capito, dass Labeo Antistius eine tiefe Kenntniss sowohl der
Gesetze und Sitten des römischen Volkes, wie des bürgerlichen
Rechtes besessen habe; 2. „allein", heisst es wörtlich weiter,
„den Mann plagte eine übertriebene, ja fast wahnsinnige Frei-
heitsliebe, so dass er, als der erhabene Augustus bereits Ge-
bieter war und das Staatsruder in der Hand hatte, auf gar
nichts weiter einen Werth legte und nichts für gültig hielt,
als was in seinen Augen nach den alten römischen Gesetzen
und Rechtsquellen für recht und heilig galt." 3. Weiterhin
erzählt Capito, was derselbe Labeo durch den Staatsboten
antworten Hess, als er (einst) von den Zunftmeistern vor-
geladen wurde. 4. Der Bericht lautet: „Als die Volkszunft-
meister von einer Frau zu Ungunsten des Labeo angehalten
worden waren, (ihn vor ihren Richterstuhl rufen zu lassen)
und sie deshalb den (Gerichtsboten) Gellianus an ihn ab-
geschickt hatten (mit der Aufforderung), dass er erscheinen
und sich gegen die Anklage der Frau vertheidigen möchte,
schickte er den Sendboten zurück und Hess den Tribunen
sagen (und erklären), dass ihnen das Recht nicht zustehe,
weder ihn noch irgend einen Andern vorzuladen, weil nach
der Sitte der Vorfahren den Volkszunftmeistern zwar das
Recht des Ergreifens (und der Verhaftung) zustehe, nicht aber
das Recht der Vorladung; sie könnten nun zwar selbst
XIII, 11, 7. Ausonius sagt:
Quinque advocavi; Sex enim convivium
Cum rege justum : si super, convicium est.
Convicium soviel als convocium, ein verworrenes Geschrei vieler Gäste.
S. Macrob. Sat. II, 8 bellaria etc.
Digitized by Google
XUI. Buch, 12. Cap., § 4-6.
(183)
kommen und ihn ergreifen (und verhaften) lassen, aber nach
einem Abwesenden schicken, ihn (durch Andere) bestellen
und vorladen zu lassen, hätten sie durchaus kein Recht."
5. Als ich diese Bemerkung in dem Briefe des Capito bereits
gelesen hatte, fand ich später ganz dasselbe in dem 21. Buche
des M. Varro „von den Gebräuchen (der Vorzeit) in mensch-
lichen Dingen" viel deutlicher und ausführlicher aufgezeichnet.
6. Da heisst es: „Von den Staatsbeamten haben Einige das
Recht der Vorladung, Andere das der Verhaftung, Andere
wieder keins von beiden; zur Vorladung sind berechtigt die
Consuln und die Uebrigen, welche die Obergewalt haben;
das Verhaftungsrecht steht den Volkszunftmeistern zu und
allen Andern, welche einen Staats- (Gerichts-) Boten haben;
allein unter den Obrigkeiten, welche weder das Vorladungs-
recht, noch das Verhaftungsrecht haben, befinden sich die
Quaestoren und alle Uebrigen, die weder einen Lictor
(Criminalboten), noch einen Gerichtsboten (zu beanspruchen)
haben. Die, welche das Vorladungsrecht haben, können
auch verhaften, festhalten und abführen lassen, und alle diese
Rechte stehen ihnen frei, mögen die Vorzuladenden schon
zugegen sein, oder müsste man sie auch erst holen lassen.
Den Volkszunftmeistern steht durchaus kein Vorladungsrecht
zu; nichts desto weniger haben Viele, in ihrer (frechen) Un-
wissenheit, in der Meinung, als seien sie dazu berechtigt, von
diesem Rechte Gebrauch gemacht ; denn sie haben sich unter-
fangen, nicht nur die Leute aus dem Privatstande, sondern
auch den Consul auf's Forum laden zu lassen. Als ich (einst)
einer der Dreimänner war und von dem Volkszunftmeister
Porcius vorgeladen wurde, ging ich nicht, indem ich mich
(bei dieser Weigerung zu erscheinen) auf die Ansicht unserer
obersten und ersten Gewährsmänner stützte und mich (über-
haupt nur) an den alten Rechtsgebrauch hielt. So erlaubte
XIII, 12, 6. Auch die quaestores urbani hatten ihr eigenes Dienst-
personal von Boten, Ausrufern und Schreibern. Wenn Varro hier sagt,
die Quaestoren hätten weder lictores noch viatores, so ist das so gemeint,
dass sie dieselben nicht zur vocatio und prehensio gebrauchen durften.
Inschr. Orelli 8245 kommt ein tabularius viatorum quaest, vor.
Xin, 12, 6. Die höchsten Ehrenstellen (tergemini honores) sind:
Aedilität, Praetur und Consulat; die drei grossen Priester-Collegien dagegen:
Pontifices, Augures und Decemviri sacris faciundis.
Digitized by Google
(184) XITI. Buch, 12. Cap., §6 — 9.
auch ich , wie ich Volkszunftmeister war, mir nie, Jemanden
vorladen zu lassen, noch, wenn Einer von meinem Amts-
collegen vorgeladen worden war, dass der Vorgeladene gegen •
seinen Willen Folge zu leisten brauchte." 7. Ich bin der
Ansicht, dass Labeo sich im irrigen Glauben befand, sich auf
das vom Varro überlieferte Gesetz zu berufen und, obgleich
er kein (Ehren-) Amt bekleidete (cum privatus esset), der
Vorladung der (Volks-) Zunftmeister nicht Folge geleistet zu
haben. 8. Denn wie zum Henker war wohl (der Grundsatz)
zu rechtfertigen, der Vorladung Derer nicht gehorchen zu
wollen, denen man doch offen zugesteht, das Recht der Ver-
haftung zu haben? Denn wer gesetzlich verhaftet werden
kann, der kann sicher (doch wohl) auch ins Gefängniss ab-
geführt werden (denn was sollte eine Verhaftung sonst wohl
zum Zweck haben, als eben Gefängnissstrafe?). 9. Wenn wir
uns nun fragen, weshalb die Zunftmeister, da sie doch die
höchste (executive) Gewalt des Einspruchs hatten, nicht auch
das Recht der Vorladung gehabt haben sollten, [. . . so müssen
wir uns ganz einfach antworten, dass dies daher kam, . . .]
weil die Volkszunftmeister vor alten Zeiten nur zu dem
Zwecke scheinen gewühlt worden zu sein, nicht um Recht zu
sprechen, auch nicht um Rechtsfälle und Streitfragen (selbst)
über Abwesende zu untersuchen, sondern um Einsprache zu
erheben, damit in Gegenwart des Einen oder Andern (von
ihnen) Unrecht verhütet werden sollte: und deshalb wurde
ihnen auch das Recht auswärts zu übernachten entzogen, weil
ihre Gegenwart und ihr beständig (wachsames) Auge nöthig
erachtet wurde, damit die Ausübung von Gewaltthätigkeiten
verhütet werden sollte. (Vergl. Gell. III, 2 11.)
XIII, 12, 9. Ueber die verfassungsmässige Stellung der Tribunen
finden sich bei alten Schriftstellern scheinbar widersprechende Aeusserungen.
Hier z. ß. wird gesagt, sie hätten keinen Theil an der Rechtspflege. Da-
gegen werden sie in unzweideutigen andern Stellen mitten unter den
richterlichen Obrigkeiten aufgezählt und selbst als Recht sprechend er-
wähnt. Auct. ad Herenniura II, 13; L. 2 § 34 de orig. jur. (1. 2.). Es
wird besonders bemerkt , dass sie stets in der Lage seien, in den Civil-
process eingreifen zu können, und dass es deshalb nicht für schicklich
erachtet werden könne, wenn sie während ihrer Amtsführung für Andere
als Sachwalter auftreten wollten. Plin. ep. I, 23. Siehe Savigny röm. Rt
Bd. 6, p. 491.
Digitized by Google
XIII. Buch, 13. Cap., § 1. (185)
Xlir, 13, L. Schriftliche Aeusserung, die sich in des M. Varro Büchern
„von den Gebräuchen (der Vorzeit) in menschlichen Dingen" findet, über
die Frage, ob Aedilen (Stadtaufseher) und Quaestoren (Schatzmeister) des
römischen Volkes von einem Privatmanne vor den Gerichtshof dos Praetors
geladen werden können.
XIII, 13. Cap. 1. Ich erinnere mich, dass, als ich aus
der Einsamkeit und dem Zwange der Bücher und Lehrer
mitten ins practische Leben und ans Licht der Oeffentlichkeit
getreten war, (einst) an vielen Versammlungsorten (sta-
tiones) der öffentlichen Rechtslehrer und Rechtsausleger die
Frage aufgestellt wurde, ob ein Quaestor (Schatzmeister) des
römischen Volkes wohl vom Praetor vor Gericht könne ge-
XIII, 13, L. Die höheren Beamteten des römischen Volkes,
Consuln, Praetoren und Censoren, durften während ihrer Amtsführung
nicht vor Gericht geladen werden. Die höheren Beamteten (magistratus
majores) hatten das Recht Auspicien zu halten und durch vorgegebene
Erscheinungen am Himmel die Comitien zu hintertreiben und aufzuheben.
Die niederen Beamteten (magistratus minores), die Volkstribunen,
Aedilen und Quaestoren, durften die Auspicien nicht beobachten und
konnten daher auch die Comitien nicht unterbrechen, ausgenommen die
Tribunen durch ihren Einspruch (durch ihr Veto).
XIII, 13, 1. S. Teuffels röm. L. G. 356, 1 — Stationes (öffentliche
Locale) gab es in Rom mehrere, wo tüchtige Juristen zu finden waren,
welche Unterricht ertheilten und Rechtsfragen beantworteten. Colum. r. r. I
praef. 5 sind Rhetorenschulen erwähnt. Vergl. Hertz: Renaissance und
Rococo p. 35. Berlin 1865.
XIII, 13, 1. Nach Vertreibung der Könige (244 d. St.; wurden zwei
oberste Magistrate unter Abwechslung der Amtsführung zur gegenseitigen
Einschränkung ihrer gleichen Gewalt gewählt, welche in älteren Zeiten
praetores (von Anführung des Heeres, praeire s. Festus), hernach impera-
tores (s. Sallust. Catil. 6, 7) hiessen, und erst seit Abdankung der Decem-
virn (305) kam der Name Consules auf (entweder weil sie dem Staate
heilsame Rathschläge ertheilten: consulere reipublicae, oder weil sie den
Senat zu Rathe zogen, consulere senatum). Als (387) die Patricier sich
zur Theilnahme der Plebejer am Consulate genöthigt sahen, wurde von
den seit Aufhebung der Königsgewalt auf die neuen Machtinhaber über-
gegangenen drei Functionen, dem praesidium im Senat (consulere), der
Anfuhrung des Heeres (praeire) und der Aufsicht über die Rechtspflege
(judices), diese letztere, d. h. die des Richteramts, getrennt und als eigene
Magistratur nur den Patriciern vorbehalten, weshalb man sie nicht judices
nannte, sondern zur Bezeichnung der altpatricischen Würde den für die
Consuln von Alters her bis zur Vollendung des Zwölf- Tafelgesetzes ge-
bräuchlichen Namen: Praetores wählte. S. Liv. 6, 42. Zufrieden mit
Digitized by Google
(186)
XHI. Buch, 13. Cap., §2 — 6.
laden werden. 2. Diese aufgestellte Frage sollte aber nicht
etwa aus Mangel an wichtigeren Gegenständen besprochen
werden, sondern es war gerade der Fall eingetreten, und die
Notwendigkeit der Umstände erheischte es so, dass man
einen Quaestor vor Gericht laden musste. 3. Sehr Viele
waren nun der Ansicht, dem Praetor stehe das Recht der
Vorladung hinsichtlich eines Quaestors nicht zu, da der Letz-
tere ja zweifelsohne eine obrigkeitliche Person des römischen
Volkes sei, die als solche weder vorgeladen, noch, wenn ihr
nicht zu erscheinen beliebte, ergriffen und verhaftet werden
könne, unbeschadet der Hochachtung vor seinem Ehrenamte.
4. Ich las damals gerade sehr häufig in den Schriften des
M. VaiTO, und als ich nun merkte, dass man bei Entscheidung
dieser Frage noch schwankte, verwies ich auf das 21. Buch
„von den Gebräuchen in menschlichen Dingen*, worin folgende
Stelle vorkommt: „Diejenigen Staatsdiener, denen insbesondere
weder das Recht der Vorladung, noch der Verhaftung zusteht,
diese dürfen auch von einem (einfachen) Privatmann vor Ge-
richt gefordert werden. So wurde (einst) der curulische Aedil
M. Laevinus von einem Privatmanne vor den Richterstuhl
des Praetors gefordert; jetzt aber möchte ich Niemandem
rathen, einen der Aedilen verhaften zu lassen, die nicht allein
von Staatssklaven umringt sind, sondern sogar durch diese
auch noch das (im Wege stehende) Volk bei Seite schaffen
lassen (als wenn die hohe Standesperson eines Staatsbeamteten
ankäme)." 5. Diese Bemerkung macht Varro in seinem Werke
bei dem Abschnitt über die Aedilen; in demselben Buche
bemerkt er aber auch vorher noch, dass die Quaestoren
weder das Recht der Vorladung, noch der Verhaftung haben.
6. Nach Vortrag dieser beiden Stellen aus dem (berühmten)
Werke pflichteten alle dem Gutachten des Varro bei, und so
wurde denn der Quaestor auch wirklich vor den Richterstuhl
des Praetors geladen.
dem erhaltenen Sieg, bewilligten die Plebejer gern, dass den Patriciern
das Praetoramt in den comitiis centuriatis und unter gleichen Formalitäten,
wie bei den Consulwahlen, zugeeignet wurde. Daher wird der Praetor oft
der College des Consuls genannt (s. Gell. XIII, 15, 6) und verrichtete
während ihrer Abwesenheit, z. B. bei Kriegführung, auch alle ihre Amts-
geschäfte.
Digitized by
XHI. Buch, 14. Cap., § 1 — 4. (187)
XIII, 14, L. Was man nnter dem Ausdruck „pomoerium (pone i. e. post
murium, d. h. hinter dem Maueranger)" verstehe.
XIII, 14. Cap. 1. Den Begriff des Wortes „pomoerium"
erklärten die Auguren des römischen Volkes, welche üher die
Auspicien Bücher geschrieben, folgenderraassen : pomoerium
bedeutet den (freigelassenen, geweihten) Raum, der innerhalb
des (durch die Auguren) bestimmten Ackergebietes längs, des
Umkreises der ganzen Stadt hin ausserhalb der Mauern,
(durch Marksteine) in bestimmten Bezirkslinien abgegrenzt
ist und (zugleich) die Abgrenzung der städtischen Auspicien
bildet. 2. Das (erste und) älteste „pomoerium", welches vom
Romulus bestimmt worden war, hatte am Fusse des pala-
tinischen Berges seine Abmarkung, wurde jedoch nach Ver-
hftltniss der Vergrösserung des Staates (d. h. der Stadt) öfters
weiter hinaus gerückt und umfasste (dann) die vielen empor-
ragenden Hügel. 3. Wer aber das römische Volk um ein
von Feinden erobertes Landesgebiet bereicherte, hatte das
Recht, das pomoerium weiter hinaus zu verlegen. 4. Des-
wegen hat man die Frage aufgeworfen, und beschäftigt sich
auch heute noch mit deren Erörterung, warum von den sieben
Hügeln der Stadt, da doch die übrigen sechs innerhalb von
dem pomoerium, d. h. innerhalb dieses geweihten, freigelasse-
nen Raumes sich befinden, nur der aventinische Berg, welcher
Stadttheil doch eben so nahe liegt und nicht weniger be-
völkert ist, ausserhalb (dieses geweihten Bezirkes) vor dem
pomoerium liegt; und weswegen später weder der König
Servius Tullius, noch Sulla, der (eifrig) nach einem Vor wand
suchte, das pomoerium zu erweitern, und endlich später nicht
einmal der erhabene Julius (Caesar), obgleich er das pomoe-
XIII, 14, 1. Libri augurum s. Teuffels röm. Lit Gesch. § 75, 1.
XIII, 14, 1. S. Festus S. 249, b; Varro 1. 1. V, 143 pomoerium;
Liv. I, 44, 4. 5; Serv. ad Verg. Aen. I, 466; II, 692; m, 463; VI, 197;
cfr. Liv. 10, 37.
XIII, 14, 2. S. Tac. Annal. 12, 24, 4; Vopisc. Aurelian. 21.
XIII, 14, 4. Erweiterung der Stadtgrenzen durch Ancus Marciiis s.
Liv. I, 44, 3; Tac. Annal. 12, 23, 4. Auch Caesar beabsichtigte als Mehrer
des Reichs gleich Sulla das pomoerium zu erweitern. S. Cassius Dio 43, 50;
44, 49; Zon. 10, 12; cfr. Tac. Annal. 12, 23.
Digitized by Google
(188) XIII. Buch, 14. Cap., § 4—7. - 15. Cap., § l.
rium erweiterte, dieses Stadtviertel sammt dem Berge nicht
in die durch die Auguren bestimmten, geweihten Grenzen
einschlössen. 5. Messala schreibt, es möchten wohl ver-
schiedene Gründe wegen der Ausschliessung (dieses Berges)
obgewaltet haben, allein vor allen übrigen erkennt er selbst
(nach seiner Meinung) den einzigen als annehmbar, (diese
Ausschliessung möchte wohl deshalb beliebt worden sein, weil
die Sage ging) dass auf diesem (aventinischen) Berge (einst)
Rem us wegen Erbauung der Stadt seine Auspicien angestellt,
dabei aber schlimme Vögel zur Vorbedeutung gehabt habe,
also von (seinem Bruder) Romulus, der bei seinen Auspicien
glückbringende Vögel gesehen hatte, übertrotfen worden sei.
6. „Deshalb schlössen", so fährt Messala wörtlich fort, „auch
Alle, die später das pomoerium erweiterten, diesen Berg,
gleichsam als einen durch unheilvolle Vögel Unglück ver-
heissenden, (immer wieder) aus." 7. Allein ich glaube hier
eine Bemerkung in Betreff des aventinischen Berges nicht
(mit Stillschweigen) übergehen zu dürfen, die ich vor nicht
langer Zeit in der Denkschrift des alten Grammatikers*)
E 1 y s vorfand, worin geschrieben stand : dass der aventinische
Berg, der früher, wie von mir bemerkt wurde, stets ausser-
halb von dem pomoerium ausgeschlossen war, später auf Ver-
anlassung des erhabenen Claudius aufgenommen und innerhalb
dieses Maueranger-Bezirks eingehütet (observatum) worden sei. .
XIII, 15, L. Eine Stelle aus den Werken des Augurs Messala, worin wir
Belehrung finden , was unter den „minores magistratus" zu verstehen sei ;
ferner, dass der Consul und Praetor als gegenseitige Amtsgenossen zu
betrachten seien; dann noch andere Einzelheiten über Auspicien.
XIII, 15. Cap. 1. In dem Edict der Consuln, worin die
Bestimmung getroffen ist, an welchem Tage die Centuriat-
XIII, 14, 5. Ueber M. Valerius Messala s. Teuffels röm. Lit. Gesch.
196, 11.
XIII, 14, 5. S. Seneca de brev. vit. 14, 3; Festus s. v. remurinus
S. 277 t> und S. 402 t>; Liv. I, 7, 1; Flor. I, 1, 6; Plut Romul. 13; Aurel.
Vict. Orig. Gent. R. 23, 2.
XIII, 14, 7. S. Tac. Annal. 12, 23, 3; Dionys. 4, 13.
XIII, 14, 7. *) Des alten Grammatikers Heraclides (Ponticus des
Jüngeren, dessen Lehrer Didymus war). (Hertz.) Mercklin will mit Rück-
sicht auf die vulgäre Lesart Eiidis, weil dies am nächsten liegt, Felicis
Digitized by Google
XIII. Buch, 15. Cap., § 1—4.
(189)
comitien stattfinden sollen, heisst es nach alter, allgemein
gültiger Ausdrucksweise wörtlich so: „Eine untergeordnete
obrigkeitliche Person soll sich nicht unterfangen dürfen (an
solchen Tagen, wo das Volk Entscheidung zu fassen hat), den
Himmel zu beobachtend 2. Nun wirft man gewöhnlich die
Frage auf, was unter den „magistratus minores" zu verstehen
sei. 3. Ich kann mir in dieser Beziehung meine eigene Aus-
legung der Worte ersparen, weil ich gerade zufälliger Weise
das erste Buch des Augurs M. Messala „über die Auspicien"
zur Hand habe. 4. Ich schreibe daher auch gleich des
Messala eigene Worte aus dem betreffenden Buche hierher:
„Die Auspicien der Patricier (und höheren Magistrate) zer-
fallen in zwei Abtheilungen (Classen). Die höheren Auspicien
sind ein Vorrecht der Consuln, Praetoren und Censoren, je-
doch waren sie alle (drei) von einander verschieden, so wie
auch nicht von gleicher Bedeutung, deshalb, weil die Censoren
nicht Amtsgenossen von gleichem Range sind mit den Consuln
oder Praetoren, wohl aber die Praetoren mit den Consuln.
Deshalb können weder die Consuln oder Praetoren den Cen-
soren, noch die Censoren den Consuln oder den Praetoren
die (Abhaltung von) Auspicien stören oder aufhalten. Allein
den Censoren unter einander, ferner den Praetoren und Con-
schreiben und darunter Laelius Felix verstehen, aus dessen liber ad Q.
Mucium primus Bestimmungen über das pomerium erwähnt sind. S. Gell.
XV, 27, 4 (M. p. 691 NB 10).
XIII, 15, 1. Ne quis magistratus minor de coelo servasse velit.
Ueber die auf der Beobachtung nach einem Blitze beruhende mögliche
obnuntiatio (Meldung über Vorbedeutung) von Seiten eines Magistratus
s. Lange röm. Alterth. § 121 S. (413) 446.
XIII, 15, 4. Dem Consul, Praetor und Censor stand das Recht der
grossen Auspicien zu; den weniger hohen Aemtern nur das der kleinen.
Die Ausübung der grossen Auspicien war für die Rechte der Aristokratie
am wichtigsten. Nach Cicero (de leg. II, 12) scheint man unter den
grossen Auspicien die verstanden zu haben, für welche die Betheiligung
der Auguren unentbehrlich war, dagegen die kleinen wohl auch ohne sie
vorgenommen werden konnten. Cassiuö Dio 38, 13: Unter den Auspicien
waren die am Himmel die wichtigsten , durften aber nur einmal für den
ganzen Tag stattfinden. — Oft beabsichtigte man durch Meldung von
Beobachtungen am Himmel nichts Anderes, als das Durchsetzen neuer Ge-
setzesvorschläge, oder die Wahlen zu obrigkeitlichen Aemtern zu hinter-
treiben. Vergl. Gell. XIII, 13, L. NB.
Digitized by Google
(190) XIII. Buch, 15. Cap., § 4.
suln unter einander steht das Recht zu, (die Auspicien) zu
verderben und zu hindern. Ein Praetor (jedoch), obgleich
er Amtsgenosse des Consuls ist, kann doch dem Rechte ge-
mäss weder einen Praetor, noch einen Consul*) wählen, wie
wir dies ja von unseren Vorfahren wissen und wie es (wenig-
stens) auch bis auf den heutigen Tag gehalten worden ist,
und wie aus des C. (Sempronius) Tuditanus 13. Buche seines
Geschichts werkes erhellt, weil dem Praetor eine geringere
Amtsgewalt zusteht, eine grössere dem Consul, und also von
einer geringeren Staatsgewalt eine grössere oder ein höher-
stehender Amtsgenosse nicht als rechtmässig erwählt werden
kann. Ich**) für meine Person habe letzthin (in der Eigen-
schaft eines Praetors), als dem Praetor (in den Comitien) die
Amtswahl der Praetoren zufiel, mich dem alten, ehrwürdigen
Gebrauche gefügt und wohnte der Vogelschau (den Auspicien)
für diese Comitien nicht (in meiner sonstigen Aratswaltung
als bestallter Augur) bei. Ebenso werden die Censoren nicht
unter denselben Auspicien gewählt, wie die Consuln und
XIII, 15, 4. *) Die Consuln hielten die Comitien zur Wahl der
Consuln, Praetoren und Censoren Liv. 7, 22; Cic. Att 4. 2. Die Praetoren
konnten keine Comitien zur Wahl ihrer Nachfolger halten. Cic. Att 9, 9.
XIII, 15, 4. •*) Lange röm. Alterth. § 50, p. (254) 293: In Beziehung
auf die Auspicien seihst hing es für jeden einzigen Fall immer von den
Magistraten ah, die Function der Aügurn durch ihren Befehl hervorzurufen.
Nicht sie, sondern die Magistrate haben die auspicia; von den Augurn
heisst es hier: neque his comitiis in auspieiis fuimus (vergl. Cic. de rep.
2, 9; de leg. 3, 19; ad Attic 2, 12) oder in auspicium adhibentur. S.
Cic. de Div. 2, 34. — Lange röm. Alterth. § 120 S. (415) 449 sagt: Ein
eclatantes Beispiel der heillosesten Verwirrung auguraler Rechtsbegriffe
und einer schnöden Missachtung gegen berechtigte legale Obnunciatio
findet sich in dem Benehmen des Consuls M. Antonius, der zugleich Augur
war, bei der Wahl des P. Cornelius Dolabella. S. Cic Phil. 2, 32. 33. —
Ueber die Bedeutung von creare an dieser Stelle vergl. Gell. XII, 8, 6 NB
(praetore praetores creante). — Gegen das Staatsrecht glaubte Caesar unter
dem Vorsitz eines Praetors Praetoren, Consuln und Proconsuln wählen lassen
zu können, was Zeugniss von den staatsrechtlichen Begriffen in dieser Zeit
giebt. S. Lange röm. Alterth. I. Bd. § 83 S. (570) 666 und Iü. Bd.
§ 162 S. 465. Der Augur Messala sollte nämlich in diesem Falle bei den
Auspicien auch als Augur zugegen sein und seinem Augurdienste obwalten,
was er für ungesetzlich hielt und deshalb fern blieb. S. Teuffels Gesch.
der röm. Lit. § 143, 1 und Gell. VII (VI), 4, 1 NB.
Digitized by Google
Xni. Buch, 15. Cap., § 4-7.— 16. (15.) Cap., § 1. (191)
Praetoren. Bei den übrigen Beamteten gelten die geringeren
Auspicien, daher rührte auch der Name: niedere und höhere
Staatsbehörden (minores und majores magistratus). Den nie-
deren Staatsbeamteten wird durch dieTributcomitien ***)
ihre (Behörden-) Würde zuertheilt, oder richtiger und recht-
mässiger durch den Beschluss der Curiat-Comitien;
die höheren Staatsbeamten aber werden durch die Cen-
turiat-Comitien gewählt (und eingesetzt). " 5. Aus dieser
ganzen Stelle des Messala wird deutlich, was man unter
magistratus minores (geringere Staatsgewalten) zu verstehen
hat und warum sie „geringere" genannt werden. 6. Er be-
lehrt uns aber auch noch darüber, dass der Praetor (urbanus)
Amtscollege des Consuls ist, weil Beide unter Vornahme der-
selben ^.uspicien gewählt werden. 7. Von ihnen sagt man,
dass ihnen das Recht zustehe, höhere Auspicien zu veran-
stalten, weil man meinte, dass ihre Auspicien mehr galten
und in grösserem Ansehen standen, als die der andern (Be-
amteten).
XIII, 16, L. (XIII, 15. L.). Desgleichen wörtliche Erklärung desselben
Messala über den Unterschied zwischeu den Redensarten: „ad populum
loqui" (zum Volke reden) und „cum populo agere" (mit dem Volke ver-
handeln); endlich von den obrigkeitlichen Behörden, denen man (die zu
haltenden Comitien und Volksversammlungen dadurch hindert, dass man)
das versammelte Volk (zu einer andern Volksversammlung) abberuft.
XIII, 16. Cap. 1. (XIII, 15, 8) Ferner schreibt derselbe
Messala in demselben Werke über die niederen Staatsbe-
XIII, 15, 4. ***) Es gab dreierlei Comitien, s. Gell. XV, 27, 4 NB:
1) Curiat-Comitien, welche gewissennassen die Wahl der Consuln bestätigten,
indem sie den von den Centurien erwählten Beamteten das imperium er-
theilte, und in denen über Alles verhandelt wurde, was militärische Dinge
betraf; 2) Centuriat-Comitien, unter dem Vorsitz von Consuln, zur Wahl
der Consuln und Kriegstribunen und der plebejischen Beamteten. VergL
Liv. 5, 52. Beide zusammen, fast von denselben Bürgern gebildet, konnten
die Gesetze ebensogut genehmigen, wie verwerfen; 3) Tribut-Comitien unter
dem Vorsitz der Tribunen.
XIII, 15, 6. Praetor, Amtsgenosse des Consuls, siehe Plin. paneg.
77, 4; Cic. ep. ad fam. X, 12; Liv. 24, 9; Dio Cass. 58 p. 622; cfr. Cic.
adv. Rull. II, 13.
XIII, 15, 7. Die auspicia majora standen nur den Consuln, Dictatoren,
Interreges, Praetoren und Censoren zu, die auspicia minora durften auch
Digitized by Google
(192)
XIII. Buch, 16. (15.) Cap., § 1—8.
hörden also: „Der Consul kann die von allen andern obrig-
keitlichen Behörden ent weder zu den Comitien oder zu andern
Versammlungen zusammengerufene Menge abberufen. Auch
der Praetor darf das entweder zu den Comitien oder zu jeder
andern Versammlung herbeigekommene Volk zu jeder Zeit
abberufen, nur aber nicht beim Consul. Die niederen Be-
hörden dürfen sich das niemals unterstehen, die Menge aus
den Comitien oder sonstigen Versammlungen abzuberufen.
Bei ihnen gilt die Regel, wer von ihnen zuerst das Volk zur
Versammlung beruft, der hat das Vorrecht, weil es nicht ge-
stattet ist, zweifach mit dem Volke zu verhandeln. Auch
dürfe die eine Partei von der andern die Versammlung nicht
abberufen, selbst wenn man bei der einen Partei die Absicht
herausfühlen sollte, dass sie nur zu dem Zwecke zum Volke
spreche, damit die andere Partei nicht mit dem Volke ver-
handeln könne (cum populo agant, z. B. wegen Meinungs-
austausch in Betreff von Wahlen und Gesetzes vorschlagen),
obgleich mehrere Beamtete (in einer und derselben Ver-
sammlung) das Wort an die Versammlung richten können
(contionem habere possunt)." 2. (9.) Aus besagten Worten
des Messala wird es deutlich, dass etwas Anderes zu verstehen
sei unter der Redensart: „cum populo agere" (d. h. sich mit
dem Volke in Unterhandlung einlassen) und etwas Anderes
unter: „contionem habere" (zum Volke sprechen). 3. (10.) Denn
„cum populo agere" heisst: das Volk um Etwas befragen (ihm
einen Antrag, ein Gesetz unterbreiten), was es durch seine
Abstimmung entweder annimmt, oder durch seinen Einspruch
verwirft; aber „contionem" habere heisst: das Wort ergreifen
und zum Volke sprechen ohne jeden weiteren Antrag.
die Aediles curules, die Quaestoren, der Pontifex maximus als Erbe der
geistlichen Königsgewalt anstellen. (Varro bei Nonius 92; Gell. III, 2, 10;
Cic. de Div. II, 36, 76; Plut. Marc. 5; Dio Cass. 38, 13; 54, 24; Paulus
248, 15; Liv. 4, 7, 3.)
XIII, 16 (15), 1. Contio (= concilium), d. h. schlechthin Zusammenkunft,
vergl. Gell. XV, 27, 4 NB concilium.
XIII, 16 (15), 3. Lange röm. Alterth. § 134 S. (606) 667: Eine Ab-
stimmung der versammelten Menge war in den Contionen principiell aus-
geschlossen; denn der Magistrat sollte und konnte in ihnen nur verba
facere ad populum sine ulla rogatione.
Digitized by Google
. Buch, 17. (16.) Cap., § 1-3. (193)
XIII, 1? (16), L. Dass das Wort „humanitas" eigentlich nicht das bedeute,
was der grosse Haufe im Allgemeinen darunter versteht; dass aber die,
welche sich sprachrein ausdrücken, dies Wort in seiner eigentlichen
Bedeutung angewendet haben.
XIII, 17. (16.) Cap. 1. Alle, die lateinisch sprachen und
sich einer richtigen Ausdrucksweise % befleissigten , wollten
(ursprünglich) dem Worte „humanitas" (durchaus) nicht die
Bedeutung beigelegt wissen, in welcher es jetzt der grosse
Haufe auffasst und wofür von den Griechen das Wort yil-
avitgiortia (Menschenfreundlichkeit) gebraucht wird, also in
der Bedeutung von einer gewissen Zuvorkommenheit und
Gewogenheit gegen alle Menschen ohne Unterschied (der
Person), sondern sie verstanden unter humanitas ohngefähr
das, was die Griechen durch naiöeLa (Erziehung) ausdrücken,
wir also Unterrichtung (Anweisung) und Einführung in Kunst
und Wissenschaft nennen. Nur Solche also, die aufrichtig
(und mit höchstem Eifer) nach solcher geistiger Bildung
trachten und streben, verdienen gerade so recht eigentlich
„humanissimi" genannt zu werden. Denn die Liebe und
Sorgfalt für geistige Ausbildung und Veredelung (seines
Selbst) ist unter allen lebenden Wesen nur dem Menschen
verliehen, daher man diesen nur allein dem Menschen (uni
homini) angebornen Vorzug und diese geistige Eigentümlich-
keit mit dem Worte „humanitas" bezeichnet hat. 2. Dass die
alten Schriftsteller und vorzüglich M. Varro und M. Tullius
(Cicero) dieses WTortes in dem Sinne sich bedient haben,
wird uns fast aus allen ihren Werken hinlänglich deutlich.
Deshalb hielt ich für hinreichend, dafür einstweilen nur ein
einziges leuchtendes Beispiel anzuführen. 3. Dazu habe ich
XIII, 17 (16), 1. Humanitas bezeichnet alle dem Menschen von Natur
zukommenden, guten Eigenschaften und zwar 1) das menschliche Gefühl
überhaupt, Leutseligkeit, Höflichkeit, Gefälligkeit, Wohlwollen, Menschen-
freundlichkeit u. s. w., dann 2) die dem Menschen durch Unterricht zum
Eigenthum gewordene Beschaffenheit seiner Geistesbildung und inneren
Veredlung, daher überhaupt die Verfeinerung und Veredelung des Menschen.
Humanitas ist also der Inbegriff der geistigen Eigentümlichkeiten und
Vorzüge, wodurch sich der Mensch vom Thiere unterscheidet. Gellius
fasst hier den Begriff zu eng.
Gellius, Attische Nächte. II. 13
Digitized by Google
(194) Xm. Buch, 17. (16.) Cap., § 3. 4. - 18. (17.) Cap., §1-3.
eine Stelle des M. Varro aus dem ersten Buche seiner „Ge-
bräuche (der Vorzeit) in menschlichen Dingen" ausgewählt,
deren Anfang also lautet: „Praxiteles, der wegen seiner
erhabenen künstlerischen Meisterschaft keinem nur einiger-
massen Gebildetem (humaniori) unbekannt ist u. s. w.u 4.
Varro braucht hier das Wort humanior nicht, wie es ge-
wöhnlich geschieht, für einen Gefälligen, oder Gütigen, oder
Wohlwollenden, der doch immerhin wissenschaftlich ungebildet
sein könnte, — denn diese Bedeutung würde dem Sinne der
angeführten Stelle nicht entsprechen, — sondern spricht von
einem leidlich unterrichteten und ziemlich auf bessere Bildung
Anspruch machenden Menschen, von dem man unbedingt
muss verlangen können , dass er aus Büchern oder aus der
Geschichte weiss, wer Praxiteles war und was er leistete.
XIII, 18 (17), L. Was bei M. Cato das alte Sprüchwort bedeuten soll :
„inter os atque on"ama (d. h. zwischen Mund und Bissen, oder: ehe man
den Bissen an den Mund bringt, oder: im Nu).
XIII, 18. (17.) Cap. 1. Es giebt eine Rede des Censors
M. Cato, welche „von der fehlerhaften Wahl der Aedilen"
handelt. Dieser Rede ist folgende Stelle entlehnt: „Jetzt,
sagen die Leute, steht das Getreide gut auf den Saaten und
Halmen. Baut darauf nicht allzuviel Hoffnung. Oft habe ich
sagen hören, zwischen Mund und Bissen könne noch Vieles
sich eindrängen. Aber vollends zwischen Bissen und Halm (auf
dem Felde erst recht), da liegt noch eine gar lange Strecke."
2. Erucius Clarus, welcher Stadtprafect und zweimal Consul
gewesen war, ein höchst eifriger Forscher in den Sitten und
der Literatur der Alten wandte sich schriftlich an den Sul-
picius Apollinaris, den gelehrtesten Mann meiner Zeit, mit der
Frage und Bitte, er möchte ihm in einer Rückantwort doch
Aufklärung geben, was der Sinn dieser Worte sei. 3. Auf
XIII, 17 (16), 3. Praxiteles, berühmter griechischer Bildhauer, im
4. Jahrh. v. Chr., dessen Meisterwerk die knidische Aphrodite war, die er
zum ersten Male unbekleidet zu bilden wagte.
XIII, 18 (17), 1. Cato (or. 65, 1) warnt vor übereilten Hoffnungen
auf eine gesegnete Ernte. (Otto Ribbeck.)
XIII, 18 (17), 2. S. Teuffels röm. Lit. § 45, 4.
Digitized by Google
XIII. Buch, 18. (17.) Cap., § 3. - 19. (18.) Cap., § 1. 2. (195) ,
diese Veranlassung hin sandte Apollinaris zur Zeit meiner
Anwesenheit in Rom, woselbst ich mich als junger Mann
gerade meiner Ausbildung halber befand und ein eifriger
Anhänger dieses Meisters war, an den Clarus eine £anz kurze
(treffende und) für den gebildeten Mann genügende Antwort
(folgenden Inhalts) ab : „inter os et offam (zwischen Mund und
Bissen)*' sei ein altes Sprüchwort, welches ganz dasselbe be-
deute, wie jener bekannte, sprüchwörtliche, griechische Vers
(aus des Euripid. Bacch. v. 174):
nolXa /tAerttgu TiiXti xvhxog xecl ytlktog axQOv, d. h.
Viel wohl kann sich ereignen zwischen Becher und Mund noch.
•
XIII, 19 (18), L. Dass Plato einen Vers vom Sophoeles (fälschlich) dem
Euripidcs zutheilt; ferner, dass sich gleichlautende Verse, nur mit ge-
ringen Aenderungen bei verschiedenen Dichtern, die zu verschiedenen
Zeiten lebten, vorfinden.
XIII, 19. (18.) Cap. 1. Folgender (jambische) Senar ist
als ganz alt bekannt:
Zoyoi Tvfiavvoi raiv üoiföiv gvVovofrt, d. h.
Der Weisen Umgang macht die Herrscher weise nur.
2. Plato giebt in seinem Theaetet (vielmehr im Theages
p. 125 A. und de republ. VIII p. 568) diesen Vers für einen
von Euripides an, worüber ich mich sehr wundere, denn ich
XIII, 18 (17), 3. Vergl. Philostr. de vit. Apoll. 4, 43. Als Nero eben
beim Mahle sass, fuhr ein Blitzstrahl in den Tisch und schlug ihm den
Becher aus der Hand, den er eben zum Munde führte. Der Ursprung
dieses Sprüchwortes ist folgender: Ankaios war einer der Argonauten,
welche ein Menschenalter vor dem trojanischen Kriege unter Führung des
Jason das goldene (Widder-) Vliess von Kolchis holten. Als er nach
Beiner Rückkehr den Ackerbau und besonders die Weincultur pflegte,
weissagte ihm ein Seher, er werde von den Reben, die er eben pflanzte,
keinen Wein trinken. Als er nun später einen vollen Becher des neu-
gekelterten Weines in der Hand hielt und des Sehers spottete, sprach
dieser die sprüchwörtlich gewordenen Worte: multa cadunt inter calicem
supremaque labra. Plötzlich kommt die Nachricht, ein Eber verwüste
seinen Weinberg; ohne getrunken zu haben setzt Ankaios den Becher ab,
eilt hinaus, wird aber von dem Eber getödtet und so erfüllte sich des
Sehers Wort Friedrich Kind in seinem Ankaeos singt:
„Zwischen Lipp' und Kelchesraud
Schwebt der finstern Mächte Hand."
13*
Digitized by Google
(196) XIII. Buch, 19. (18.) Cap., § 2—4. — 20. (19.) Cap., § 1.
habe ihn in des Sophocles Trauerspiel „Ajax der Lokrer"
geschrieben gelesen; Sophocles aber War früher geboren als
Euripides. 3. Aber auch jener nicht minder bekannte
Vers:
7¥(>wv yfyovrn nniJnyofyrjoa) a' tyto, d. h.
Wohlan, so führ' ich Greis Dich Greis an meiner Hand,
findet sich nicht nur in dem Trauerspiel des Sophocles,
welches überschrieben ist „Die Phthierinnen (oder Peleus)",
sondern auch in den „Bakchen" des Euripides (v. 193). 4.
Eine ähnliche Bemerkung habe ich auch bei Aeschylos in
seinem „feuertragenden Prometheus" und bei Euripides in
seiner „Inou gemacht, da Aeschylos (Choephor. v. 572) den-
selben Vers, wenige Silben abgerechnet, also schreibt:
Styttv onov <Jff xccl Xfytuv t« zutat«, d. h.
Wo's ziemt zu schweigen und nur reden Passendes;
Euripides (in seiner Ino) also:
Ziyuv &y onov tffj" xa\ kiytiv <V d. h.
Man schweige, wo man muss und rede, wo es nützt.
Doch war Aeschylos um Vieles älter (als Sophocles).
XIII, 20 (19), L. Ueber das Geschlecht und die Namen der porcischen
Familie.
XIII, 20. (19.) Cap. 1. Als ich mich (einst) mit dem
XIII, 19(18), 2. Sophocles, der vorzüglichste griechische Tragiker,
geh. 497 v. Chr. in dem attischen Demos Kolonos, entspricht in seinen
Stücken den höchsten Anforderungen der Kunst. Er soll 130 Dramen
geschrieben haben, von denen aber nur 7 auf uns gekommen sind. Seine
Trilogie, König Oedipüs, Oedipüs auf Kolönos und Antigone hat man
neuerdings wieder zur Darstellung auf die Bühne gebracht, freilich mit
etwas zu moderner Musik. Sophocles starb 406.
XIII, 19 (18), 2. Ueber Euripides s. Gell. XI, 4, 1 NB.
XIII, 19 (18), 4. Aeschylos, aus Eleusis in Attica, focht im 5. Jahr-
hundert v. Chr. in den Schlachten bei Marathon, Salamis und Plataeae mit.
Er wird mit Recht der Schöpfer und Vater der Tragödie genannt. Durch
Hinzufügung eines zweiten Schauspielers schuf er zuerst den dramatischen
Dialog, der durch das Hinzukommen eines dritten Schauspielers durch
Sophocles seine Vollendung erhielt. Die Stücke des Aeschylos zeichnen
sich durch Ernst, Würde und Erhabenheit aus. Von den 70 Stücken, die
er geschrieben haben soll, sind nur noch 7 erhalten. Er starb 456 v. Chr.
in Gela auf Sicilien.
XIII, 20 (19), L. Die Stammtafel der Porcier s. Gell. II, 19, 9 NB.
Vergl. K. F. Görschel „Zerstreute Blätter" H. Th. p. 336.
Digitized by Google
XIII. Buch, 20. (19.) Cap., § 1—8.
(197)
Apollinaris Sulpicius und mit noch einigen andern von unsern
gemeinschaftlichen Freunden in der Bibliothek des tiberiani-
schen Palastes befand, zeigte man zufällig ein Buch herum,
das die Ueberschrift führte : von M. Cato Nepos. 2. Es ent-
stand nun (sofort) die Frage, wer dieser Cato Nepos gewesen
sei. 3. Nun war da gerade auch ein junger Mensch zugegen,
der, soviel ich aus seinen Reden abnehmen konnte, wissen-
schaftlich durchaus nicht ungebildet war. Dieser nahm das
Wort und sagte: Dieser Cato hat nicht etwa den Beinamen
Nepos, sondern ist der Enkel von dem Sohne des Censors Marcus
Cato, der aber wieder Vater von dem Praetor M. Cato war,
der sich im Bürgerkriege zu Utica mit eigner Hand durch
den Degen den Tod gab, über dessen Leben es von M. Cicero
ein Buch giebt, das die Ueberschrift führt : das Lob des Cato
(laus Catonis), welchen Cicero selbst in diesem Buche einen
Urenkel des Censors M. Cato nennt. 4. Der Vater dieses
Cato, auf den Cicero seine Lobschrift verfasst hat, war der
M. Cato, dessen Reden die Aufschrift haben sollen: Von M.
Cato Nepos. 5. Darauf ergriff Apollinaris das Wort und sagte,
wie dies auch beim Tadel seine Gewohnheit war, in sehr
ruhigem und mildem Tone: Ich muss Dich loben, mein Sohn,
dass, wenn gleich Du Dich in Bezug auf die Person des M.
Cato, von dem hier die Rede ist, im Irrthum befindest, Du
noch so jung an Jahren Dir doch einige Nachricht über die
Familie des Cato zu verschaffen wusstest (ist es auch nicht
ganz zutreffend, was Du da vorgebracht). 6. Jener gewesene
Censor M. Cato hat aber nicht nur einen, sondern mehrere
Enkel gehabt, freilich nicht von einem und demselben Vater
entstammt. 7. Denn der Redner und Censor M. Cato hatte
zwei Söhne, die von verschiedenen Müttern abstammten und
dem Alter nach sich sehr (von einander) unterschieden. 8.
Der eine (dieser beiden Söhne) war schon herangewachsen,
verlor aber seine Mutter durch den Tod. Sein Vater, bereits
ein hoher Greis, heirathete (zum z weitenmale und zwar) ein
junges Mädchen, die Tochter seines Clienten Salonius, welche
XIII, 20 (19), 3. Ueber diese Lobschrift auf Cato vergl. Cic. Attic.
12, 4, 2; 12, 5, 2; fam. 16, 22, 1; orat. 10, 85; Plut. Cic. 39; Caes. 54;
Dio C. 43, 13; Appian. b. c 2, 99; Cic. Att. 13, 46, 2.
Digitized by Google
XIII. Buch, 20. (19.) Cap., § 8-14.
ihm den M. Cato Salonianus gebar. Diesen Beinamen erhielt
dieser Sohn von seiner Mutter Vater, dem Salonius. 9. Von
dem älteren Sohne Cato's aber, der als erwählter Praetor noch
bei Lebzeiten seines Vaters starb und vortreffliche juristische
Schriften über „Rechtswissenschaft" hinterliess, stammt der
hier in Frage stehende M. Cato, des Praetors M. Cato Sohn
und des älteren M. Cato, des Censors Enkel ab. 10. Derselbe
war ein gewaltiger Redner und hat viele, in der Manier seines
Grossvaters geschriebene Reden hinterlassen. Er war mit
dem Q. Marcius Rex zugleich Consul, reiste während seines
Consulats nach Africa und starb in dieser Provinz. 11. Allein
dieser (Redner) ist nicht, wie Du sagst, der Vater von dem
Praetor M. Cato, der sich zu Utica umbrachte und auf den
Cicero seine Lobschrift verfasste; auch ist, weil dieser (Red-
ner) ein Enkel des alten Censors Cato war und der Andere
(der Uticensis) ein Urenkel desselben, deswegen noch nicht
noth wendig, dass der Enkel der Vater von dem Urenkel sein
musste. 12. Cato's Enkel, der Redner, von dem soeben die
betreifende Rede vorgezeigt wurde, hatte zwar einen älteren
Sohn, der Cato hiess, aber nicht den, der zu Utica sein Leben
aushauchte, sondern sein Sohn war der, welcher als curulischer
Aedil und Praetor eine Reise nach dem narbonensischen
Gallien unternommen hatte und daselbst gestorben war. 13.
Von dem zweiten und weit jüngeren Sohne des Censors, der,
wie ich schon angab, nach dem Vaternamen seiner Mutter
Salonianus genannt wurde, stammen zwei Söhne ab, der L. Cato
und der M. Cato. 14. Dieser M. Cato war Volkszunftmeister
und starb, als er sich um die Praetur bewarb; von ihm
stammt der Propraetor M. Cato, der sich im Bürgerkriege zu
XIII, 20 (19), 9. Erörterungen der Rechtswissenschaft fingen um den
Anfang des 7. Jahrhunderts an aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt
gemacht zu werden und zwar zuerst von dem jüngeren Cato (t um 600 d. St.)
und von dem gleichzeitigen Marcus Brutus. Cato's Buch führte wohl, wie
es hier heisst, den Titel : de juris disciplina, das des Brutus den : de jure
civili (Cic. pro Cluent 51, 141; de orat. 2, 55, 223); dass diese Auf-
zeichnungen Gutachtensammlungen waren, zeigt Cic. de orat. 2, 33, 142.
S. Mommsen röm. G. II p. 467.
XIII, 20 (19), 10. Q. Marcius Rex s. Val. Max. V, 10, 3; Vergl.
Teuffels röm. Lit Gesch. § 145, 2.
Digitized by Goog
XIII. Buch, 20. (19.) Cap., § 14— 17. — 21. (20.) Cap., § 1. (199)
Utica das Leben nahm und von dem Cicero, als er über
dessen Leben und Verdienste schrieb, sagte, dass er ein Ur-
enkel des Censors Cato gewesen sei. 15. Ihr seht also, dass
dieser Zweig der Familie, welche von dem jüngeren Sohne
des gewesenen Censors Cato herrührt, nicht allein durch seine
Geschlechtsabstammung, sondern auch durch den Zwischenraum
in der Zeit (von dem Aelteren) sich unterscheidet. Denn weil,
wie ich schon sagte, der (Cato) Salonianus erst im hohen
Alter seines Vaters geboren wurde, so mussten natürlich seine
Abkömmlinge um ein Bedeutendes später das Licht der Welt
erblicken, als die, welche von dem älteren Bruder abstammten.
16. Diesen Zeitunterschied werdet ihr leicht gewahr werden
aus besagter Rede, wenn ihr diese selbst durchleset. 17. Diese
von Sulpicius Apollinaris in meiner Gegenwart ausgesprochene
Bemerkung fand ich auch späterhin bestätigt, als ich sowohl
die Leichenreden (laudationes funebres), wie den Entwurf (der
Stammtafel) des porcischen Geschlechtes durchsah.
XIII, 21 (20), L. Dass von den mustergiltigsten Schriftstellern dem an-
genehmem Klange der Silben und Wörter, welche Wohlklangsrücksicht
von den Griechen tvtfiovfa gennnnt wird, mehr Rechnung getragen worden
ist, als den von den Grammatikern aufgestellten Regeln und Vorschriften.
XIII, 21. (20.) Cap. 1. Probus Valerius wurde, wie ich
von einem seiner Freunde erfuhr, (einst) gefragt, ob man
„has urbis" (diese Städte) oder „has urbes" (im Accus, plur.)
XIII, 20(19), 17. Lobreden (laudationes oder orationes funebres) auf
gestorbene Angehörige. S. Teuflfels röm. Lit. Gesch. § 79, 4.
XIII, 21 (20), 1. Der Accusativ pluralis hat — die Neutra aus-
genommen — zum Kennzeichen s mit langem Vocal also : mensä-s, puerö-s,
fruetu-s , die-s. Das i des Stammes verschwindet und es tritt (wie bei
consonantischen Stämmen) das e vor das s, z. B. host-es, reg-es. In der
vorklassischen Zeit aber trat auch bei consonantischen Stämmen (gleich
denen auf i) anstatt es die Endung eis oder Is ein, z. B. navis, pelvis,
urbis neben urbes. Seit der Zeit des Augustus verbreitete sich die Endung
es selbst über die Stämme mit i (vergl. localer Ablativ Gell. X, 24, 1 NB).
S. Krügers (Grotefends) Grammatik § 237, 9. Im Accusativ haben auch
noch in klassischer Zeit ein: Ts (auch eis geschrieben) die Parasyllaba
(navis) und viele, die zwei Consonanten vor der Casusendung haben (pa-
rentis). Schon zu Cicero's und Vergil's Zeiten war ein Schwanken ein-
Digitized by Google
(200) XIII. Buch, 21. (20.) Cap., § 1—4.
sagen müsse, oder „hanc turrem", oder „hanc turrim" (diesen
Thurm in der Accusativform des Singulars). Er sagte: Wenn
Du (Verse) dichtest, oder aber in gebundener Sprache schreibst
und Du dabei diese Wortformen anzuwenden hast, musst Du
Dich durchaus nicht erst durch jene (elenden) faulen Regeln
und grammatischen Pfützen (bestimmen oder gar) verblenden
lassen, sondern befrage ganz allein Dein Ohr, wo die be-
treffende eine oder andere Form hinpasst, was Dir dann diese
innere Stimme (auris) rathen wird, das wird wahrhaftig auch
das Richtigste sein. 2. Darauf erwiderte der Frager und
sagte : Auf welche Art willst Du, dass ich mein Ohr zu Rathe
ziehen soll? 3. Auf diese (einfältige) Frage soll Probus ge-
antwortet haben: Gerade so, wie Vergil das seine befragt hat,
der an verschiedenen Stellen einmal „urbis" sagt, das andere-
mal „urbes" und dabei (auch nur) die Entscheidung und den
Rath seines (feinen) Ohres befolgte. 4. Denn im ersten Buche
seiner Landwirthschaftsgesänge schrieb er urbis mit i, wie
ich in einer von seiner eigenen Hand verbesserten Ausgabe
las. Die betreffende Stelle aus dem Gedicht (Verg. Georc.
I, 25) lautet also:
Urbisne invisere Caesar
Terrarumque velis curam , d. h,
ob zu besuchen die Städte, o Caesar,
Und zu fuhren die Aufsicht über den Erdkreis
Nun wechsle und vertausche einmal (urbis) so, dass Du urbes
(dafür) sagst und Du wirst sicher etwas unsäglich Einfältiges
getreten, sodass schon damals immer mehr das „es" sich festsetzte. Livius
scheint nur „es" zu haben, nach Augustus wurde „es" herrschend. Weil
nicht genau zu bestimmen, welche Wörter in der goldenen Zeit is gehabt
(da gerade in dieser Zeit der Uebergang stattfand) kann man billig überall
es schreiben und sprechen. Schon Vergil hat (nach §11) tris und tres
nach dem Wohllaut gewählt und Probus Valerius gab den Rath, das Ohr
zu befragen, ob im oder em, is oder es richtig sei. Man soll also nicht
erst die Grammatiker, noch weniger die Handschriften fragen. — Allmählich
gingen „im" und „is" in „em" und „es" über, durch die Neigung der
Sprache, den Vocal im Auslaut zu schwächen, eine Neigung, die noch
durch den Einfluss der zahlreichen Imparisyllaba verstärkt wurde. Ein-
zelne Schriftsteller hielten an einzelnen Formen fest So haben die Ad-
verbia „im" behalten; vergl. Gell. XII, 15. — lieber Valerius Probus 8.
JuL Steup „de Probis grammaticiis". Jena. 1871.
Digitized by Google
Xni. Buch, 21. (20.) Cap., §5—11.
(201)
und überaus Schwerfälliges gemacht haben. 5. Im 3. Buche
seiner Aeneide (v. 106) hingegen hat er urbes mit e gesagt:
Centum urbes habitant magnas (Hundert mächtige Städte bewohnen sie).
Vertausche also auch hier (urbes) und sage urbis und der
Klang wird saft- und kraftlos werden, denn gewaltig gross
ist überhaupt der Unterschied der Zusammenstellung bei dem
Einklang der zunächst auf einander folgenden Silbenlaute.
6. Ausserdem hat Vergil auch (Aen. II, 460) turrim gesagt
und nicht turrem, ferner (Aen. II, 224) securim, nicht
securem :
Turrim in praecipiti stantem, d. h.
einen Thurm, jäh empor auf schwindelnder Höhe stehend,
Hier ist das i im Accusativ von weit ansprechenderer Anmuth,
als wenn man dafür an beiden Stellen „eM setzt. 7. Aber
jener Frager, ein ungeschliffener Mensch mit bäurischem Ohr,
beruhigte sich (immer) noch nicht und platzte noch mit der
albernen Aeusserung heraus: Warum Du behauptest, dass
das eine an dieser, das andere an jener Stelle vorzüglicher
und richtiger sein soll, seh ich doch wahrhaftig noch nicht
ein. 8. Nun (wurde Probus doch etwas ungeduldig und) sagte
in etwas heftigerem Tone: Mache Dir kein Kopfzerbrechen,
welche von beiden Formen Du sagen sollst, ob urbis oder
urbes. Denn da Du, wie ich sehe, von solchem Schlage bist,
dass Du ohne Einbusse (für Dein Schönheitsgefühl) fehlst,
so wirst Du nichts dabei aufs Spiel setzen, wenn Du das eine
oder das andere* brauchen solltest. 9. Mit diesen Worten
und auf diese Weise entliess er den Menschen fast schonungs-
los, wie es seine Art und Weise gegen (solche) ungebildete
Querköpfe war. 10. Ich habe aber später auf ähnliche Weise
ein anderes schlagendes Beispiel gefunden, wo Vergil (so recht
auffällig) der doppelten Schreibweise sich bediente. Denn er -
setzt zugleich „tres" und „tris" an einer und derselben Stelle,
mit derselben Feinfühligkeit (des Geschmackes), dass, wenn
Du anders sprechen und ändern wolltest und Dich dabei
noch eines guten Ohres rühmst, Du die Klangschönheit (so-
fort) ausgeschlossen fühlen wirst. 11. Die betreffenden Verse
und:
incertam excussit cervice securim, d. h.
Die wankende Axt dem Nacken entschüttelt er.
Digitized by Google
(202)
Xm. Buch, 21. (20.) Cap.f § 11 — 14.
aus dem 10. Buche (von Vergils Aeneide sind folgende v. 351
und 352 :
Tres quoque Threicios Boreae de gente suprema
Et tris, quos Jdas pater et patria Jsmara mittit, d. h.
Drei der Thracier auch von des Boreas äusserstem Volke,
Drei auch Idas der Vater und die ismarische Heimath sandte.
Erst sagt er „tresu und dann „tris". Wäge und messe jedes
einzeln ab und Du wirst finden, dass die an der geeigneten
Stelle gewählte Form am besten klingt. 12. Allein ebenso-
auch in jenem bekannten Verse Vergils (Aen. II, 554) :
Haec finis Priami fatorum, d. h.
Dies war das Ende von Priams Geschicken,
wird, wenn Du haec finis veränderst und für das Femininum
das Masculinum setzest und hic finis dafür sagst, eine widrige
Härte entstehen und die von Dir angenommene Veränderung
wird die Ohren beleidigen. So wie Du im Gegentheil durch
eine Abänderung der folgenden bekannten Stelle Vergils
(Aeneide I, 24) etwas an Lieblichkeit entziehst:
Quem das finem, rex magne, laborum? d. h.
Welches Ende giebst Du, grosser König, der Mühsal?
Wenn Du dafür das Femininum setzest und „quam das finem u
sagst, wirst Du unwillkürlich einen unangenehmen und zu
breiten Silbenklang verursachen. 13. So sagt Ennius „rectos
cupressos" (die schlanken Cypressen) entgegen dem allgemein
angenommenen, weiblichen Geschlecht beim Worte „cupressus"
in folgendem Verse:
Capitibus nutantis pinos rectosque cupressos, d. h.
Mit den Häupten wankten die Fichten und schwanken Cypressen.
Kräftiger und frischer schien (auch) ihm, glaub' ich, der
Wortklang zu sein, wenn er „rectos cupressos" sagte, anstatt
„rectas (cupressos)". 14. Dagegen hat derselbe Ennius im 18.
Buche seiner Annalen: aere fulva (im falben Dunstkreis, d. h.
Halbdunkel), gesagt und nicht „aere fulvo", nicht allein (aus
dem Grunde und zu dem Zwecke) um das nachzuahmen, was
Homer (Iliad. XX, 446) durch rjtga ßaöeiav (dichtes Gewölk,
dichter Nebel) ausdrückt, sondern weil ihm, mein' ich, dadurch
XIII, 21 (20), 14. aer fulva vergl. Gell. II, 26, 11 NB.
Digitized by Google
mm'
XIII. Buch, 21. (20.) Cap., § 15 — 19.
(203)
der Ton klangvoller und angenehmer erschien. 15. Geradeso
wie es auch dem Marcus Cicero weicher und geschmackvoller
vorkam, in seiner V. Rede gegen Verres (66, 169) lieber „fretuw
zu schreiben, als „freto". Es heisst dort: „perangusto fretu
divisa (durch eine ganz schmale Meerenge geschieden)." Es
klang ihm nämlich rauher und schon etwas veralteter (die
Ablativform vom Neutrum der zweiten Declination zu bilden
und) perangusto freto au schreiben (und er bildete deshalb
lieber die Form nach der vierten Declination, und sagte also
fretu). 16. Ebenso hat er sich auch in der zweiten Rede von
einem ähnlichen Wohlklange bestimmen lassen, „manifesto
peccatu" (von augenscheinlichem Verbrechen) zu sagen (und
so den Ablativ der vierten Declination zu brauchen) und nicht
peccato; so fand ich nämlich in zwei, die höchste Glaub-
würdigkeit verdienenden Handschriften des Tiro ge-
schrieben. 17. Cicero's Worte (in Verrem II, 78, 191) lauten
also : „Niemand lebte so, dass kein Theil seines Lebens von
der grössten Schandhaftigkeit frei war, Niemand war seines
Verbrechens (peccatu) so augenscheinlich überwiesen, dass,
musste er schon wegen seiner Freveith at für unverschämt
erklärt werden, er nur noch unverschämter erscheinen musste,
wenn er (auch noch) ableugnete." 18. An dieser Stelle kommt
aber nicht nur die grössere Feinheit des Wortwohlklangs in
Betracht, sondern vielmehr die feststehende und (als richtig)
angenommene Regel. 19. Denn das Maseulinum der vierten
Declination „peccatus" (Verbrechen) für „peccatio" ist richtig
und gut lateinisch ausgedrückt. So sagen wir „hic incestus"
nicht von dem, der (ein solches Verbrechen der Blutschande)
verübt hat, sondern bezeichnen damit (das Verbrechen), was
XIII, 21 (20), 16. In verschiedenen Mundarten wich man nicht nur
im Genus der nomina ab, sondern auch im Decliniren, wie aus fretu und
peccatu zu ersehen. — In uno-altero libro Tironiano s. Teuffels
röm. Lit. Gesch. 188, 2.
XIII, 21 (20), 18. Die Endung „-tio" bezeichnet die im Verb aus-
gedrückte Handlung als geschehend, die Endung „-tus" aber die
Handlung als geschehen. Es vertreten sich die Formen auf -tus und
-tio gegenseitig und beide Formen finden sich oft nebeneinander ohne
wesentlichen Unterschied. Schriftsteller des silbernen Zeitalters, nament-
lich Tacitus, geben den Formen auf -tus den Vorzug. S. Krüger, lat.
Gramm. § 260.
Digitized by Google
(204) Xm. Buch, 21. (20.) Cap., § 19—24.
verübt worden ist; so sagen wir hic tributus (diese Abgabe)
für (das sonst gebräuchliche Neutrum:) tributum, wie über-
haupt dergleichen Wörter von vielen unserer alten Schrift-
steller gebraucht worden sind. So sagen wir auch hic
allegatus (diese Sendung, Ansuchung) für allegatio und hic
arbitratus (diese Willensmeinung, Entscheidung) für arbitratio
und nach dieser angenommenen Regel sagen wir arbitratu
und allegatu meo (auf meine Entscheidung und mein An-
suchen hin). 20. Auf gleiche Weise sagte also auch Cicero:
in manifesto peccatu (bei augenscheinlichem Verbrechen), wie
die Alten sagten: in manifesto incestu (bei augenscheinlicher
Blutschande), nicht dass man etwa behaupten wollte und
könnte, es sei unlateinisch zu sagen: peccato, sondern weil
gerade die an dieser Stelle hingesetzte Form dem Ohre ge-
falliger und angenehmer klingt. 21. Ganz ähnlich trug auch
Lucretius dem Gehör Rechnung und hat in folgenden Versen
(aus B. II, 1152 u. 1153) funis als Femininum gebraucht:
Haut, ut opinor, enim mortalia saecla superne
Aurea de caelo demisit funis in arva, d. h.
Denn vom Himmel herab sind, denk' ich, die sterblichen Wesen
Niemals auf das Gefild am güldenen Seile gelassen,
obgleich er das gebräuchlichere Masculinum hätte setzen
können, so dass trotzdem das Versmass gewahrt blieb, (er
hätte nur statt aurea de coelo zu sagen brauchen:) aureus et
coelo demisit funis in arva. 22. M. Cicero nennt auch die
weiblichen Priesterinnen, gemäss der grammatischen Regel
antistitae, nicht antistites. Denn obschon er das übertriebene
Suchen nach Ausdrücken, die von den Alten gebraucht wurden,
verwarf, wurde er in dem betreffenden Fall doch von dem
Klang dieses Wortes ergötzt und sagte (in Verrem IV, 45, 90):
„(Sacerdotes) die Priesterinnen der Ceres und jenes Tempels
Vorsteherinnen (antistitae)". 23. Man ging sogar oft so weit,
dass man nicht nur das ganze Wesen eines Wortes und seine
Abstammung ausser Augen setzte, sondern sogar auch den
Sprachgebrauch und nur allein seinem Ohre folgte, welches
allein die Ausdrucksweise nach dem Wohlklange abwägen sollte.
24. „Von denen, welche dafür keinen Sinn haben, fährt Cicero
(orat. 50, 168) fort, weiss ich nicht, was sie für Ohren haben
Digitized by Google
XIII. Buch, 21. (20.) Cap., § 24. 25. - 22. (21.) Cap., § 1. (205)
müssen, oder was ihnen (überhaupt) die Aehnlichkeit mit
einem Menschen zuspricht." 25. Besonders aber machten
die alten Grammatiker auf jene bekannte Stelle bei Homer
aufmerksam, dass, obgleich er an einer Stelle (Iliad. XVI, 583)
xolowvg T€ xprtgdg re (Krähen und Staare) gesagt hatte, er
an ehjer andern Stelle (lliad. XVII, 755) nicht (die ionische
und epische Form) yrjgag, sondern ^agtüv sagte:
Wie ein Gewölk von Staaren (#«po7y) daherzieht, oder von Dohlen,
und dass er nicht Rücksicht nahm auf den Wohlklang im
Allgemeinen, sondern auf den besonders für die jedesmalige
Wortzusammenstellung geeigneten (und entsprechenden) ; denn
wenn man die eine Wortform an die andere Stelle versetzt,
wird man an beiden Stellen nur die Klanganmuth beein-
trächtigen.
XIII, 22 (2 t), L. (Ernste) Worte des Rhetors T. Castricius an seine
jungen Schüler über ihre nicht anständige Bekleidung und Fussbedeckung.
XIII, 22. (21.) Cap. 1. Als T. Castricius, Lehrer der
Redekunst, welcher zu Rom der bedeutendsten Rede- und
Lehr -Anstalt vorstand, ein Mann von hohem Ansehen und
sittlichem Ernst, ausserdem wegen seines Benehmens und
seiner Kenntnisse beim erhabenen Hadrian angesehen, als
dieser, sag' ich, zufällig in meiner Gegenwart, — ich genoss
nämlich seinen Unterricht, — einige seiner Schüler, welche
(noch dazu) Senatoren waren, an einem Festtage im gewöhn-
lichen Hausrock (der Tunica) und mit Ueberrock bekleidet
erscheinen sah und mit Galoschen als Fussbekleidung, sagte
er : (An dem heutigen Festtage) hätte ich euch wohl lieber in
einem (römischen Staats-) Mantel vor mir gesehen (vos toga-
tos esse); doch hat euch euer Schamgefühl wenigstens noch
geboten, gegürtet und im langen Oberkleide zu erscheinen
XIII, 21 (20), 24. Fortsetzung dieser Stelle aus Cicero's orator. bei
Gell. XVIII, 7, 7.
XIII, 22 (21), 1. Ueber T. Castricius s. Gell. I, 6, 4 NB.
XIII, 22 (21), 1. Lacerna (= dem griechischen Mantel, d. h. pallium)
vorn offen und mit einer Schnalle auf der Schulter befestigt Der Anstand
erforderte die Toga, das Haupt- und Staatskleid bei den Römern der
lacerna vorzuziehen.
Digitized by Google
(206) XOI. Buch, 22. (21.) Cap., § 1-3.
(paenulati). Allein wenn auch dieser euer jetziger Anzug,
wegen der heutigen Tags häufig vorkommenden (Mode-) Tracht,
noch verzeihlich sein mag, so will es sich aber doch in keinem
Falle schicken, dass ihr Senatoren des römischen Volkes
(ausser dem Hause) öffentlich in Pantoffeln (soleati) durch
die Strassen der Stadt geht. Denn wahrlich eine solche (un-
passende) Tracht kann euch nicht weniger zum Vorwurf ge-
reichen, als sie es damals dem verruchten Antonius war,
dem sie M. Tullius Cicero (geradezu) als ein schimpfliches
Verbrechen anrechnet. 2. Dies und noch manches andere
auf diesen Fall Bezügliche sprach Castricius in meiner Gegen-
wart im echt römischen Sinne und mit höchstem, sittlichem
Ernste offen aus. 3. Viele unter seinen Zuhörern verlangten
Die lacerna war also eine Art Mantel, welche die Römer später über der
Toga trugen, z. ß. bei schlechtem Wetter. Während des Bürgerkriegs
kam die Toga ausser Gebrauch und es wurde häufig die lacerna getragen.
Man trug diese Mäntel auch im Schauspiel, erschien aber der Kaiser
daselbst, so stand Jedermann auf und Hess die lacerna fallen. Suet.
Claud. 6. Zuerst wurde sie nur im Krieg getragen. Paterc II, 80; Ovid.
Fast. II, 745; Propert. III, 10, 7. Als Augustus eines Tags eine Anzahl
Bürger vor sich in der lacerna sah und sich dies so auslegte, als ob man
dadurch die schuldige Achtung vor seiner Person ausser Augen setze,
sprach er mit Unwillen jenen Vers Vergils (Aen. I, 282) :
„Römer, die Herren der Welt, das Volk in Togen gekleidet."
Paenulatus. Paenula, ein bis oben zugenähter Mantel ohne Aermel,
den man in der Stadt aber selten trug, nur etwa bei Regenwetter.
Gallicae-soleae (Gallosche, Männersandale, Pantoffel) gehörten
zur Tunica und waren nur häusliche Fussbekleidung und nur gebräuch-
lich, wenn man in blosser Tunica mit übergeworfener lacerna über die
Strasse ging.
Der calceus gehört unbedingt zur Toga für höchste Staatsbeamtete. —
Es wurde also für weibisch und unrömisch gehalten, ausser dem Hause
öffentlich mit einer nachlässig gegürteten Tunica oder im (griechischen)
Mantel und in Pantoffeln (soleatus) zu erscheinen. Vergl. Liv. 29, 19
über Scipio; Cic. Har. Resp. 21; Verrem V, 33; Pis. 6; Suet. Calig. 52.
Tacit. Ann. II, 59 Scipio griechisch gekleidet und nach Cass. Dio 66, 6
Kaiser Claudius ebenfalls in Neapel. Vornehmlich in fremden Ländern
sah man darauf, immer in der Toga zu erscheinen. Das Oberkleid der
Griechen war das pallium, daher die Griechen, sowie überhaupt alle
Nichtrömer palliati genannt wurden. Der ärmere Theil des röm. Volkes,
der sich keine Toga kaufen konnte, trug blos die Tunica, daher tuni-
catus = populus.
Digitized by.Google
XIII. Buch, 22. (21.) Cap., §3-8.-23. (22.) Cap., § 1. (207)
nun zu wissen, warum er sie Bepantoffelte (soleati) genannt
hätte, da sie doch Galoschen (gallices, d. h. Männersandalen)
und nicht (soleae) Pantoffeln anhätten. 4. Allein Castricius
hatte sieh in der That wohlweislich ganz richtig ausgedruckt.
5. Denn alle derartigen Fussbekleidungen, womit nur die
untersten Fusssohlen bedeckt werden, die übrigen Theile (des
Fusses) fast entblösst bleiben, und welche nur (leicht) mit
dünnen Riemen befestigt sind, werden insgemein „soleae"
(Pantoffeln) oder bisweilen mit dem griechischen Ausdruck
„crepidulae" (Sandalchen) genannt. 6. Ich halte aber dafür,
dass der Ausdruck „gallicae" für diese Art der Fussbekleidung
eine neuere Bezeichnung ist und nicht lange vor der Zeit des
M. Cicero in Gebrauch gekommen sein mag, daher das Wort
von ihm selbst in seiner II. antonischen Rede (30, 76) gesetzt
wurde, wo er sagt: „cum gallicis (d. h. in gallischen Sandalen)
und in einem Ueberrocke (lacerna) eiltest Du dahin." 7. Ich
habe das Wort „gallicae" in dieser Bedeutung noch nicht bei
irgend einem andern Schriftsteller geschrieben gelesen, d. h.
selbstverständlich bei keinem Schriftsteller von bedeutenderer
Gewähr, sondern man nannte dergleichen Schuhwerk, wie ich
bereits bemerkte, cr^pidae (Sandalen) und crepidulae (San-
dälchen), mit kurzer erster Silbe. Diese Art Fussbekleidung
nennen die Griechen : AQrjTriöeg. 8. Daher man die Verfertiger
von Fussbekleidung „crepidarii" (Schuhmacher, Schuster) nannte.
Sempronius Asello sagt im 14. Buche seiner „(geschichtlichen)
Vorkommnisse": „Er verlangte von dem Sandalen - Schuster
(a crepidario sutore) den Schusterkneif" (d. h. sein Schuster-
messerchen, crepidarium).
XIII, 23 (22), L. Die gemeinsamen Gebete, welche nach römischem Re-
ligionsgebrauche an die Götter gerichtet werden, finden sich deutlich auf-
gesetzt in den Büchern der Priester; darin legen sie dem Mars die Neriene
bei; endlich, wie es mit der Einführung des Namens Neriene oder Nerio
sich verhält. (Vergl. Gell. I, 21, 3 NB.)
XIII, 23. (22.) Cap. 1. Die Gebete zu den unsterblichen
XIII, 22 (21), 7. Crepida, Sohle, Sandale, eine ursprüngliche grie-
chische Fussbekleidung, deren sich die römischen Männer nur im häus-
lichen Leben oder auf Reisen bedienten, vielleicht mit Absatz, worauf
crepido und das griechische XQrjntg (Sockel) hinweisen.
Digitized by Google
(208)
Xm. Buch, 23. (22.) Cap., §1-4.
Göttern, wie sie nach römischem Religionsgebrauch ver-
anstaltet werden, finden sich klar und deutlich angegeben in
den Büchern der Priester des römischen Volkes und noch in
einigen andern alten Gebetformelbüchern. 2. Da also steht
auch geschrieben: Die Lua des Saturns (Gemahlin), die Sa-
lacia des Neptun, die Hora des Quirinus, die Virites des
Quirinus, die Maia des Volcan, die Heries (Tochter) der Juno,
die Moles (personificirte Kampfmühen, Töchter) des Mars,
die Nerio (tapfere Begleiterin, selbst Gattin) des Mars. 3.
Unter all' den genannten höre ich das von mir zuletzt ge-
nannte Wort von Vielen so aussprechen, dass sie darin die
erste Silbe lang betonen, gerade so, wie die Griechen sagen:
Nr^eideg, indessen die, welche so recht eigentlich (richtig)
sprachen, die erste Silbe immer kurz gebrauchten, die dritte
hingegen lang aussprachen. 4. Der Nominativ des Wortes
heisst Nerio, wie in den Schriften der Alten geschrieben
steht; obgleich M. Varro in seiner menippischen Satire,
XIII, 23 (22), 1. Der ältere Cato und auch noch Gracchus begannen
ihre Reden mit Gebeten oder Anrufungen an die Götter. S. Teuffels röm.
Lit. Gesch. § 43, 5; Lange röm. Alterth. § 134 S. (604) 665; Liv. 39, 15;
Serv. ad Verg. Aen. 11, 301.
XIII, 23 (22), 2. Lua (von luo), Reinigerin, Sühnerin, eine Göttin,
der man die erbeuteten Waffen weihte, indem man dieselben verbrannte.
Liv. 8, 16; 45, 33, 2.
Salacia Meergöttin (== Tethys oder Amphitrite von salum, Meer
und cieo, bewege), vergl. Aug. Civ. D. VII, 22; Fest, sub v. salaciae.
Hora (== Juventus), Göttin der Jugend und Gemahlin des Quirinus
[Romulus] ist eine römische Bezeichnung der vergötterten Hersilia, die
man sich mit dem Quirinus vereint im Olymp dachte. (Georges.) Ovid.
Met. 14, 851. Ennius ap. Nonium Marc. p. 120, 2.
Virites (Jurites), Gottheiten, welche den Eiden vorstanden.
Maja (die Hehre), Gattin des Volcan.
Nerio, enis (sabinischer Abstammung von nero so viel als fortis,
strenuus, tapfer, herzhaft) Begleiterin, selbst Gattin des Mars. Man hielt
sie für die Vorsteherin der Jahre. Vergl. Suet. Tib. Nero 1. Nero, Fa-
milienname des claudischen Geschlechts, worunter der fünfte römische
Kaiser C. Claudius Nero (54 — 68 n. Chr.) der bekannteste war.
XIU, 23 (22), 4. Ueber menippische Satire vergl. Gell. II, 18, 7 NB. —
Anna Perenna wahrscheinlich Personificirung des neuen Jahres.
Panda, (pando) sabinische Göttin des Eröffnens, weil man glaubte,
sie habe dem T. Tatius den Weg gebahnt (pandisse), dass er das Capitol
Digitized by Google
XIII. Buch, 23. (22.) Cap., §4 — 12.
(209)
welche „Zxiottaxia (Schattenkampf)4' heisst, im Vocativus
(Singularis) nicht Nerio sagt, sondern Nerienes und zwar in
folgenden Versen:
Te Anna äc Peränna, Panda te, Lato, Pales,
Nerienes et Minerva, Fortuna ac Ceres, d. h.
(Euch alle, o ihr Götter, ruf ich an)
Dich Anna und Peranna, Panda Dich, Lato, Pales,
Nerienes und Minerva, Ceres und Fortuna Dich.
5. Eigentlich müsste nun deshalb der Nominativus auch
Nerienes lauten. Allein Nerio wurde von den Alten gerade
so abgebeugt wie Anio; 6. denn so wie man (den Accusativ)
Anienem mit langer dritter Silbe declinirte, so auch Nerienem.
7. Das Wort an und für sich aber, mag es nun (im Nominativ)
Nerio heissen, oder Nerienes, ist von Haus aus ein sabinisches
Wort und man bezeichnet damit Tapferkeit, Herzhaftigkeit
und Ausdauer. 8. Daher wurde unter den Claudiern, die,
wie wir wissen, von den Sabinern abstammen, jeder, der sich
durch Tapferkeit auszeichnete und hervorthat, Nero genannt.
9. Allein die Sabiner scheinen diesen Ausdruck (erst) von
den Griechen entlehnt zu haben, welche die Bänder und Be-
festigungsmittel der Giiedmassen (untereinander) mit dem
Ausdruck »vevga (Sehnen, Stränge, Nerven)" nennen, woher
auch wieder unser lateinischer Ausdruck „nervi" stammt
10. Es findet sich also in dem Wort Nerio die Macht und
Gewalt und eine gewisse WTürde und Hoheit des (Kriegsgottes)
Mars verkörpert. 11. Plautus aber führt in seinem „rohen
Hitzkopf (Truc. II, 6, 34)" die Nerio als die Gemahlin
des Mars an und lässt dies in folgenden Versen von einem
Soldaten sagen:
Mars peregre adveniens salutat Nerienem uxoräm suam, d. h.
Mars bei der Wiederkehr aus fernem Land* grüsst Nerio sein Weib.
12. Ueber diese Annahme hörte ich von einem sehr be-
einnehmen konnte; daher Schützerin der Wanderer und Friedensgöttin,
weil zur Friedenszeit die Stadtthore geöffnet wurden (pandantur).
Latona, Mutter der Diana und des Apollo, auf Delos entbunden.
Pales (nito), pasco) Feldgottheit
Anio, sahinische Form Anien, enis, ein Nebenfiuss der Tiber.
XIII, 23 (22), 9. S. Suet. Tib. 1 extr.
Gellius, Attische Nächte. II. 14
Digitized by Google
(210)
XIII. Buch, 23. C*2.) Cap., § 12 - 16.
rühmten Manne die Aeusserung fallen, es sei Plautus in seinem
(Schauspiel-) Dichterübermuth doch etwas zu weit gegangen,
dass er einem rohen und ungebildeten Soldaten die unrichtige
und neue Ansicht in den Mund gelegt, so dass er ihn an-
nehmen Hess, Nerio (Neriene) sei die Gemahlin des Mars.
13. Dass dies aber eher mit Einsicht, als mit scherzhafter
Absicht gesagt ist, wird der sofort herauserkennen, der das
dritte Buch von des Cn. Gellius Annalen einsieht, wo ge-
schrieben steht, dass Hersilia, als sie bei (dem König der
Sabiner, dem spätem Mitregenten des Romulus) Titus Tatius
als Fürsprecherin den Frieden nachsuchte, folgendes Gebet
(vorher) gesprochen habe: „Zu Dir flehe ich, Neria des Mars,
verleih' uns Frieden, dass wir bleibend und glücklich der
Ehe gemessen, was nur auf Deines Gatten Rath und Beistand
glückte, dass sie uns Jungfrauen entführen konnten, um sich
und den Ihrigen für ihr Vaterland die nachkommenden Ge-
schlechter zu schenken." 14. Sie sagt: auf Deines Gatten
Rath und Beistand (de tui conjugis consilio) und meint zwei-
felsohne darunter den Mars, wodurch es klar wird, dass dies
vom Plautus also nicht nach Dichterfreiheit gesagt ist, sondern
dass es bereits eine alte Ueberlieferung war, dass Nerio von
Einigen für des Mars Gemahlin gehalten wurde. 15. Dabei
ist aber nicht zu übersehen, dass (der Geschichtsschreiber)
Gellius den Namen mit a auslauten lässt und Neria sagt,
nicht aber weder Nerio, noch Nerirnes. 16. Ausser Plautus
und ausser Gellius schreibt auch der alte Lustspieldichter
Licinius Imbrex in seinem Stücke, welches Neaera über-
schrieben ist, also:
Nolo ego Neaeram t£ vocent, set NerTenem,
Cum qufdem Marti es in conubium data, d. h.
Nicht will icli lassen nennen Dich Neaera, sondern Nerio,
Da Du zur Ehe doch gegeben bist dem Mars.
XIII, 23 (22), 13. Ueber Cn. Gellius s. Teuffels Gesch. der r. L.
142, 1; Gell. XVIII, 12, 6; VHI, 14, L. S. Dionys. II, 45. 46 Kaub der
Sabinerinnen.
XIII, 23 (22), 16. Ueber Licinius Imbrex s. Teuffels röm. Lit
Gesch. § 106.
Digitized by Google
m
XIIL Buch, 23. (22.) Cap., § 17 - 19. — 24. (23.) Cap., § 1. (211)
17. Mit diesem Versmass verhält es sich nun aber so, dass
dabei, entgegen dem, was oben von mir behauptet wurde,
die dritte Silbe (in diesem Falle) kurz ausgesprochen werden
muss. Wie gross aber die Unzuverlässigkeit des (Silben-)
Längenmasses bei den Alten ist, dürfte zu bekannt sein, als
dass ich erst noch mehr Worte über diesen Gegenstand zu
versch wenden brauche. 18. Ennius hingegen im ersten Buche
. seiner „Annalen" in folgenden Versen:
Nerienem Mavortis et Herclem, d. h.
Die Nerio, des Mars Gemahlin und den Herdes,
— wenn anders er überhaupt, wie dies ja bei Ennius nicht immer
der Fall ist, hier einmal das Längenmass beobachtet hat. —
Ennius, sag' ich also, dehnt die erste Silbe, d. h. gebraucht
sie lang, die dritte hingegen kurz. 19. Nun darf ich endlich
aber auch noch diese letzte Bemerkung nicht mit Still-
schweigen übergehen, sei sie, wie sie sei, die ich in dem
„Denkbuch'4 des Servius Claudius geschrieben fand, dass
der Ausdruck Nerio gleichsam gesagt sei für Ne-irio, das
hiesse also: ohne Zorn und mit Versöhnlichkeit, so dass wir
den Mars unter diesem Namen anflehen wollen, uns sanft,
mild und friedlich zu begegnen. Denn die Partikel ne. wie
bei den Griechen, so auch meist in der lateinischen Sprache,
zeigt eine Beraubung an (und stellt also den Begriff ver-
neinend dar).
XIII, 24 (23), L. Allerliebster Vorwurf des M. Cato, der Consul und
Censor gewesen war, gegen Die, welche nur dem Namen, nicht aber der
That nach Weltweise sind (und die Weltweishcit nur als Aushängeschild
gebrauchen).
XIII, 24. (23.) Cap. 1. M. Cato, der die Würde eines
Consuls wie Censors bekleidet hat, sagt, dass, während der
Staat und die Privatleute sich der Ueppigkeit überliessen,
seine Villen ungeschmtickt und roh (ganz einfach), nicht ein-
mal mit Kalk übertüncht gewesen bis zum 70. Jahre seines
Lebens. Und da drückt er sich im weiteren Verlauf wörtlich
so aus: „Weder ein Gebäude, sagt er, noch ein Gefäss, noch
ein Kleid hab' ich, kostbar gefertigt, noch einen kostbaren
Xin, 23 (22), 19 vergl. Gell. III, 3, 1 NB.
14*
Digitized by Google
(212) XIH. Buch, 24. (23.) Cap., § 1. 2. — 25. (24.) Cap., § 1. 2.
Sklaven, noch Magd. Wenn ich etwas habe, fährt er fort, was
ich brauchen kann, so gebrauch' ich's auch ; wenn ich's nicht
habe, so weiss ich dessen zu entbehren (und behelfe mich
gern so). Meinetwegen darf Jeder das Seinige brauchen und
gemessen." Dann fügt er hinzu: „Man macht mir einen Vor-
wurf, weil ich mich in vielen Dingen behelfe, aber ich (mache)
Jenen (zum Vorwurf), weil sie sich nicht behelfen können
(nicht verstehen, etwas zu entbehren)." 2. Ein solches lauteres,
aufrichtiges Geständniss von diesem für das schlichte und
einfache Landleben eingenommenen Menschen (Tusculani
hominis), der zwar eingesteht, dass er wohl viele Dinge noch
entbehre, nichts jedoch danach verlange, ist wahrlich weit
mehr förderlich, die Liebe zur Sparsamkeit und Genügsamkeit
anzuregen und in Geduld zur Ertragung des Mangels aus-
zuharren, als jene griechischen Windbeuteleien von Denen,
die da sagen, dass ihnen die Philosophie ein Bedürfniss sei
(vergl. Gell. V, 15, 9) und die (stets nur) eitel leeren Phrasen-
dunst vorheucheln, die (in einem fort) die Versicherung im
Munde führen, dass sie nichts besitzen, dass sie jedoch auch
durchaus nichts bedürfen und durchaus nichts begehren,
während sie doch (leidenschaftlich) danach brennen, zu be-
sitzen, zu bedürfen, zu begehren.
XIII, 25 (24), L. Untersuchung der Frage, was das Wort „manubiae" be-
deutet; dann nebenbei noch einige Bemerkungen über die Art und Weise,
mehrere Wörter von gleicher Bedeutung auf einander folgen zu lassen
(und zu häufen).
XIH, 25. (24.) Cap. 1. Auf der Trajanssäule sind (plasti-
sche) um und um vergoldete Abbildungen von Pferden (Figu-
ren) und militärischen Fahnen und Trophäen angebracht und
darunter steht geschrieben: ex manubiis. 2. Als Favorinus
auf dem freien Marktplatz auf- und abging und seinen Freund,
XIII, 25 (24), 1. Marcus Ulpius Trajanus, der erste nicht aus Italien
gebürtige röm. Kaiser v. 98 — 117, bei Sevilla in Spanien geboren, erhielt
den Beinamen des^ „Besten", den ihm der Senat beilegte. Er starb 117
zu Selinus in Cilicien an der Pest. Die von ihm (114) errichtete, 120 Fuss
hohe, im Innern ersteigbare, von aussen mit den Scenen aus dem da-
cischen Kriege darstellenden Reliefs geschmückte Säule steht noch jetzt in
Rom, aber statt des Trajan die Bildsäule des heiligen Petrus tragend.
Digitized by Google
XIII. Buch, 25. (24.) Cap., § 2—6.
den Consul erwartete, der vor Gericht noch eben mit Ent-
scheidung von Rechtssachen beschäftigt war, richtete er an
uns, die wir ihn damals fast immer zu begleiten pflegten, die
Frage und sagte: Was glaubt ihr wohl, das eigentlich auf
jener Inschrift die Bedeutung von dem Wort: manubiae ist?
3. Darauf sagte Einer aus der Gesellschaft, ein Mann durch
seine wissenschaftlichen Bestrebungen von einem grossen und
berühmten Namen: ex manubiis heisst soviel als ex praeda;
manubiae wird nämlich die Beute genannt, welche man mit
der Hand (manu) genommen und fortgeschafft hat. 4. Wenn
ich auch schon, nahm Favorin das Wort, meinen ganzen
Hauptfleiss fast (ausschliesslich) nur auf griechische Wissen-
schaften und Literatur verwendete, so bin ich immerhin doch
nicht so ganz unwissend mit den lateinischen Ausdrücken
(geblieben), mit denen ich mich nur zeitweise und so nebenbei
beschäftige, als dass mir die gewöhnliche Auslegung des Wortes
manubiae unbekannt geblieben sein sollte, dass es (schlecht-
weg) nämlich soviel als praeda (Beute) bedeuten soll. Allein
ich frage, ob M. Tullius (Cicero), der gewissenhafteste Schrift-
steller bei der Wahl des Ausdrucks, in der Rede, die er am
1. Januar gegen Rullus „über das Ackergesetz" gehalten hat,
wohl etwa nur durch unnütze und geistlose Verdopplung der
beiden Ausdrücke „manubiae" und „praeda" verbunden haben
würde, wenn der eine ganz dasselbe bedeutet, als der andere,
und sie sich in keiner Hinsicht von einander unterscheiden?
5. Und wie sich nun Favorinus immer durch sein vortreff-
. liches, man möchte vielmehr sagen, göttliches Gedächtniss
auszeichnete,' so führte er auch jetzt sofort die betreffenden
Worte von M. Tullius (Cicero) an. 6. Ich lasse dieselben
hier gleich folgen (sie bilden ein Bruchstück zu der Rede
~~ *— "* — — •
XIII, 25(24), 6. Unter manubiae will man auch den für den Feld-
herrn abgesonderten Beutetheil verstanden wissen, welchen dieser bestimmt
und gelobt hatte, irgend zu einem Tempel, oder zu einer Wasserleitung,
oder zu einem andern öffentlichen Denkmal für das Wohl und Beste der
Stadt Rom zu verwenden. Aurum coronarium (Kron-Steuer, Kronen-
gold) war die Abgabe, welche eine Provinz dem Statthalter (Feldherrn),
später dem Kaiser, wenn er triumphirte, zur Verfertigung der goldenen
Krone, die man beim Triumph zu zeigen pflegte, als wohlverdienten Lohn
bewilligte.
Digitized by Google
(214)
XIII. Buch, 25. (24.) Cap., §6 — 9.
gegen Rullus über das Ackergesetz): „Die eroberte Beute
(praedam), den Beuteerlös (manubias), die Versteigerungs-
güter, ja das Lager des Cn. Pompejus werden die Decemvirn
unter den Augen des dabeisitzenden Feldherrn losschlagen."
Und weiterhin hat er diese beiden Ausdrücke gleich wieder
ebenso verbunden neben einander gesetzt und gesagt (Cic.
de leg. agr. contra Rull. I, 4, 12): „von der eroberten Beute
(ex praeda), von dem (abgesonderten, gelobten) Beuteerlös
(ex manubius), von dem Kronengolde (ex auro coronario)."
7. (Nach Anführung dieser Stelle) wandte er sich darauf an
Den, der behauptet hatte, dass „manubiae" ganz dasselbe be-
deute, was durch „praeda" (schon) ausgedrückt sei und sagte
zu ihm : Glaubst Du denn nun immer noch, dass M. Cicero an
beiden Stellen ungereimter und fader Weise zwei Wörter ge-
braucht hat, die ganz genau einen und denselben Begriff, wie
Du doch meinst, bezeichnen und fähig gewesen sei, einen
ähnlichen Scherz anzubringen, wie der ist, womit Euripides
beim Aristophanes, bei diesem launigsten unter den Lustspiel-
dichtem, den Aeschylus aufgezogen hat, wenn er sagt (Aristoph.
Frösche v. 1154 — 1156-1158):
Euripides. Da sagt uns Eines zweimal Meister Aeschylos:
„Ich kam ins Land, sagt er, und kehre jetzt zurück."
Ich kam, ist ja dasselbe, wie : ich kehr' zurück.
Dionys. Ganz recht beim Zeus, als wenn zum Nachbar Jemand sprach :
Den Backtrog leih', oder, wenn Du willst, die Mulde mir *).
8. Keineswegs aber scheinen mir, wie z. B. bei Aristophanes
die Redensart: Backtrog oder Mulde ausdrückt, bei Cicero
die beiden Wörter gerade so angewendet zu sein, wie der-
gleichen ähnliche gleichbedeutende Begriffe, sowohl bei grie-
chischen und lateinischen Dichtern, wie bei Rednern, zur
Verherrlichung und Ausschmückung des Ganzen, durch zwei
oder mehrere gleichbedeutende Wörter wiederholt hinter ein-
ander gesagt werden. 9. WTas soll daher wohl, sagte Favo-
rinus, die Wiederholung und Erneuerung derselben Sache nur
durch einen andern (aber gleichbedeutenden) Ausdruck be-
XIII, 25 (24), 7. *) Das ist gehüpft wie gesprungen, sagt man bei
uns sprüchwörtlich.
Xni, 25 (24), 9. Cic. de const. accusat. vergl. Gell. H, 4, lj IV, 9, 7.
Digitized by Google
XIII. Buch, 25. (24.) Cap., §9-11.
(215)
zwecken, wie dies doch hier bei den beiden Wörtern „manu-
biae" und „praeda" der Fall sein würde? Verleiht Cicero, wie
er sonst wohl zu thun pflegt, der Rede dadurch einen grösseren
Glanz? Macht er sie dadurch klangvoller und melodischer,
harmonischer und gefälliger? Bezweckt er durch diese (Wie-
derholung und) gewiss auffällige Ausdruckshäufung, das Ver-
brechen nur noch ärger hinzustellen, oder noch schärfer zu
rügen, zu brandmarken ? Etwa so, wie von demselben Cicero
in seiner Schrift, welche „über die Wahl des Klägers" handelt,
ein und dieselbe Sache durch mehrere Wörter in heftiger
und harter Weise so ausgedrückt wird (Cic. contr. Q. Caecil.
de constituendo accusatore 5, 19): „Ganz Sicilien, wenn es
sprechen könnte, würde einstimmig so sagen: was ich an
Geld, was ich an Silber, was an Kostbarkeiten in meinen
Städten, Wohnsitzen, Heiligthümern gehabt habe." Denn da
er bereits einmal „alle Städte" gesagt hatte, fügt er (eigent-
lich nur noch überflüssiger Weise) Wohnsitze und Heilig-
thümer hinzu, welche sich ja doch in den Städten befinden
(und bei dieser allgemeinen Bezeichnung schon mit einbegriffen
sind). 10. So heisst es in demselben Buche (contr. Q. Caecil.
de const. acc. 4, 11) auf ähnliche Weise: „C. Verres wird
beschuldigt, die Provinz Sicilien drei Jahre hindurch verheert,
ihre Städte verwüstet, die Häuser ausgeleert, die Heiligthümer
geplündert zu haben." 11. Als er (im Allgemeinen) der
ganzen Provinz Sicilien Erwähnung gethan und überdies noch
(besonders) die Städte hinzugefügt, auch die Wohnstätten und
Tempel, welche er nachher (der Ausführlichkeit wegen noch)
setzte, kurz dies Alles der Reihe nach aufgezählt hatte, was
soll man nun da (wohl erst) von der Häufung der vielen und
verschiedenen (aber so ziemlich gleichbedeutenden, aufeinander
folgenden) Zeitwörter sagen, als da sind: depopulatus esse
(verheert), vastasse (verwüstet), exinanisse (ausgeleert), spo-
liasse (geplündert zu haben), laufen nicht alle auf ein und
dieselbe Bedeutung (oder Bezeichnung eines und desselben
Begriffs) hinaus? Ganz gewiss! Allein weil sie mit würde-
vollem, rednerischem Ausdruck und mit gewaltiger Fülle des
Vortrags gesagt werden, obgleich sie fast ganz dasselbe be-
deuten und nach Gemässheit eines einzigen (absichtlichen)
Begriffes loswettern, wird man sie trotzdem für mehrere (und
Digitized by Google
XIII. Buch, 25. (24.) Cap., §11 — 15.
verschiedene) halten, weil sie Ohr und Gewissen öfters treffen.
12. Diese Art des Redeschmucks, bei (Hervorhebung und)
Vergrösserung eines einzigen Verbrechens durch viele (heftige)
und betäubende Ausdrücke, hat damals schon jener älteste
(Redner) M. Cato mit ausserordentlichem Erfolge in seinen
Reden anzuwenden verstanden, wie z. B. in der Rede, welche
überschrieben ist: „von den zehn Männern", als Cato den
Thermus anklagte, weil dieser zehn freie Männer zu gleicher
Zeit hatte umbringen lassen. Er bedient sich dabei einer
Häufung von Ausdrücken, welche alle nur einen und den-
selben Sinn haben (alle nur auf eine und dieselbe Thatsache
hinzielen). Weil daraus schon Blitze der damals zuerst auf-
blühenden römischen Beredtsamkeit aufleuchten , so darf ich
mir wohl erlauben, sie hier ins Gedächtniss zu bringen
(a/roiivrjfiovEueiv), sie lauten: „Du muthest uns zu, Deine ab-
scheuliche (niederträchtige) Unthat durch eine (zweite) noch
schlimmere zuzudecken, lassest Menschen wie Schweine ab-
stechen, richtest eine Schlächterei ohne Beispiel an, richtest
zehn Leichen her, richtest zehn freie Häupter hin, raubst
zehn Menschen das Leben ohne Prozess, ohne Richterspruch,
ohne Verurtheilung." 13. Ebenso hat Cato auch im Anfang
seiner Rede, welche er im Senat zu Gunsten der Rhodier
hielt, als er die Römer an ihr zufällig ausserordentliches
Glück erinnern wollte, sich dabei dreier ganz gleichbedeu-
tender Ausdrücke bedient. 14. Die Stelle lautet also: „Ich
weiss recht gut, dass die meisten Menschen in günstigen und
behaglichen und glücklichen Umstanden sich überheben und
dass Hochmuth und Trotz sich mehrt und wächst." 15. Ebenso
hat Cato an einer Stelle aus dem 7. Buche seiner „Ur-
geschichte", in der Rede, welche er gegen den Praetor Ser-
vius(Sulpicius) Galba hielt, sich mehrerer Wortwieder-
XIII, 25 (24), 12. M. Cato „de decem hominibus contra Thermum".
Q. Minucius Thermus hatte als Consul in Ligurien den Senatsausschuss
(decemviri) einer Stadt wegen angeblich schlechter Proviantlieferung aus-
peitschen und dann hinrichten lassen. Ihm nun bringt Cato diese That
mit den hier angeführten betäubenden Wiederholungen zu Ohr und Ge-
wissen. S. M. Catonis praeter librum de re rustica quae extant Henr.
Jordan. 1860. (Otto Ribbeck.) Vergl. Gell. X, 3r 17 NB.
XIII, 25 (24), 14. S. GelL VI (VII), 8, 14.
Digitized by Google
XIII. Buch, 25. (24.) Cap., § 15 — 17.
(217)
holungen über dieselbe Sache bedient, er sagt da: „(meine)V
Jahre, (mein) Alter, (meine) Stimme, (meine) Kräfte, (mein)
Greisenthum; jedennoch freilich da ich in Erwägung zog, dass
ich dies für eine höchst wichtige Sache (für das Wohl des
Staates) thue" (so hat der Gedanke an die Bedeutung dieser
Verhandlung alle meine Bedenken überwunden). 16. Vor
Allen aber finden sich bei Homer (auffallend) schlagende
Beispiele solcher ansehnlicher Worthäufung, sowohl bezüglich
der Sache, wie des Gedankens, z. B. (Horn. II. XI, 163):
Hectorn aber entrückte der Donnerer aus den Geschossen,
Aus dem Gemetzel der Schlacht, aus Blut und Staub und Getümmel.
Aehnlich in einem andern Verse (Homer. Odyss. XI, 612):
Schlachtengewühl und Gefecht und Mord und Männervertilgung.
17. Denn da an beiden Stellen alle diese vielen und sinn-
verwandten (synonymen) Wörter nichts weiter bezeichnen
sollen, als eine Schlacht, so ist doch die Mannigfaltigkeit
XIII, 25 (24), 15. Wie im Jahre 564 für die Ligarier (vergl. Gell.
I, 12, 17), so tritt 70 Jahre später, kurz vor seinem Tode, der 85jährige
Greis für das Recht der Lusitanier ein, die er seit seinem Consulate unter
seine besonderen Schutzbefohlenen zählte. Der Praetor Senilis Sulpicius
Galba hatte 7000 Lusitanier in die Falle gelockt und trotz des geschlosse-
nen Vertrages theils niederhauen, theils in die Sklaverei führen lassen.
Der Volkstribun L. Scribonius Libo hatte beantragt, die Gefangenen frei
zu geben und damit Anklage gegen den verrätherischen Feldherrn erhoben.
Der alte Cato erhob sich zur Unterstützung des Antrags und begann mit
den hier (§ 15) verzeichneten Worten. Mit jugendlicher Energie trieb
Cato den Gegner aus den Schlupfwinkeln seiner Verthe^digung heraus.
Der gänzlich Ueberführte und Geständige wäre beinahe verloren gewesen;
doch gelang es ihm noch mit Hülfe des schon damals beliebten Rühr-
apparates, durch weinende Kinder und Geld, der Verurtheilung zu ent-
gehen. Cato aber verewigte das Brandmal, das er ihm aufgedrückt hatte,
durch Aufnahme seiner Reffe in das 7. Buch seines grossen Geschichts-
werks (origenes). Bei der nachträglichen Aufzeichnung, entweder in der
Rede selbst, den voraussichtlichen Versuchen des Angeklagten begegnend,
oder in dem historischen Bericht über den Ausgang des Prozesses, nahm
er noch auf jene Unsitte, durch Kinder- und Weiberthränen das Recht zu
beugen, warnend oder tadelnd Bezug. Durch diese Erklärung löst Otto
Ribbeck die scheinbaren Widersprüche der Zeugnisse über diese Rede am
einfachsten auf. Siehe Cic. de orat. I, 53, 227; Quinctil. II, 15, 8. — Ser-
vius Sulpicius Galba war der erste Redner seiner Zeit. Cic Brut.
86, 295; Lael. 23, 89. Vergl. Teuffels röm. Lit. Gesch. 119, 2 u. 171, 2. 4
und Gell. II, 10, 1.
Digitized by Google
XIII. Buch, 25. (24.) Cap., § 17 — 21.
dieses Kampfbildes durch die vielen und verschiedenen (wenn
auch sinnverwandten) Ausdrücke in lebhafte Farben gekleidet.
18. Ganz ebenso findet sich bei demselben Dichter mit feiner
Absichtlichkeit jener eine Gedanke in zwei (gleichbedeutenden)
Wörtern wiederholt. Als nämlich Idaeus zwischen die beiden,
mit "Waffen kämpfenden Helden, Ajax und Hector, tritt, ruft
er (Horn. Iliad. MI, 279) ihnen folgende Worte zu:
Wackere Söhne, genug sei's jetzt des Gefechtes und Kämpfens!
19. Nun darf man aber nicht etwa glauben, dass das andere
Wort in dem Verse dem vorhergehenden, gleichbedeutenden
als nicht zur Sache gehörig, zugesetzt und angeflickt sei, nur
zur Ausfüllung des Versmasses. Eine solche Behauptung wäre
höchst thöricht und lächerlich. Allein als er an den beiden
von Ruhmbegierde brennenden Jünglingen ihre Hartnäckigkeit,
ihre Wildheit und ihre Kampfgier ruhig und mit Anstand
tadelte, beabsichtigte er nur, ihnen, zweimal mit andern
Worten dasselbe sagend, mit doppelt eindringlichem Zuruf
(wegen der einbrechenden Nacht) die Gefährlichkeit des
Kampfes und die Vermessenheit seiner Fortsetzung schlimmer
darzustellen und einzuschärfen, und dieser doppelte (laute und
harte) Vorwurf macht (daher) die Warnung (nur noch) drin-
gender. 20. Nicht einmal jene Wiederholung eines gleich-
bedeutenden Ausdrucks darf (uns) kraftlos und matt erschei-
nen (Horn. Odyss. XX, 241) in folgendem Verse:
Doch die Freier beschlossen des Telemachs Tod und Verhängniss
Meuchlerisch,
weil er zweimal denselben Begriff benennt, einmal durch „Tod
(Vdvavog)", das anderemal durch „Verhängniss (ftoQogY; denn
die empörende Niederträchtigkeit des ebenso grausamen, als
ungerechten Mordanschlags ist durch die Wiederholung des
Begriffes „Tod" (schmerzlich) beklagt worden. 21. Wer sollte,
übrigens geistig so abgestumpft sein, dass er nicht auf den
ersten Augenblick erkennt, dass (wie früher die beiden
gleichbedeutenden Wörter: noXeiiLZeTE (streitet) und pdxeo&e
(kämpfet), so an zwei andern Stellen (Horn. II. II, 8):
Buax* r#, ovlt vOvHQi, d. h. Geh', eile, verderblicher Traum!
XIII, 25 (24), 21. Die Verbindung dieser zwei synonymen Imperative
ßdoxt und i&t drückt die Eile aus, mit der der Befehl sich aufzumachen
ausgeführt werden soll, ßaaxt kommt nur in dieser Verbindung vor.
Digitized by Google
XIII. Buch, 25. (24.) Cap., § 21—27. (219)
und (Horn. Iliad. VIII, 399):
Baax* T#i, Y(>t T«/*f«, d. h. Geh', eile, o schnelle Iris!
die beiden gleichbedeutenden Ausdrücke {ßao/.e-Ylh, geh',
laufe) nicht absichtslos gesetzt seien, wie Einige meinen, durch
(diese) Verdoppelung gleichbedeutender Wörter {h, TrctQctl-
Xrjliov), sondern eine strenge Aufforderung gebotener Eile
(merken lassen sollen). 22. Auch jene dreifachen Ausdrücke
des M. Cicero in seiner Rede gegen L. Piso (1, 1), obwohl
sie Leuten mit hartem Ohre nicht gefallen (wollen), erstrebten
nicht nur Feinheit durch (rhythmischen) Wohlklang , sondern
geisselten (ganz) besonders die absichtlich angenommene
äussere Miene (wodurch sich Piso zu verstellen wusste) durch
mehrere Ausdrücke zugleich. Cicero drückt sich so aus: 23.
„Kurz, Deine ganze Miene, welche eine stumme Sprache des
Gemüths ist — das war es, was die Leute in die Falle lockte,
das war es, womit er Diejenigen, denen er unbekannt war,
hinterging, täuschte und verführte." 24. Was lässt sich nun
aus dem Gesagten für ein Schluss ziehen? Ich will's Euch
sagen, fuhr Favorin fort. Ist nun etwa bei demselben Cicero
(in der früheren Stelle) der Fall ein ähnlicher in Bezug auf die
Wörter: praeda und manubiae (dass es also auch nur gleich-
bedeutende Ausdrücke sind)? Nichts, wahrlich nichts der Art
ist hier der Fall. 25. Denn durch das hinzugefügte Wort:
manubiae (also durch Verdoppelung desselben Begriffs) wird
die Ausdrucksweise weder schmuckvoller, noch gewaltiger,
noch wohlklingender; aber etwas Anderes bedeutet überhaupt:
„praeda", wie in den Werken über alte Geschichte und über
alte Ausdrücke geschrieben steht, etwas Anderes : „manubiae".
26. Denn die Masse der erbeuteten Gegenstände wird „praeda"
genannt, unter dem Ausdruck „manubiae" aber verstand man
das vom Quaestor aus der Beuteversteigerung (gelöste und
als Staatseinnahme) verrechnete Geld. 27. M. Tullius (Cicero)
setzte aber (absichtlich) beide Wörter, um Hass und Vorwürfe
XIII, 25 (24), 26. Der Quaestor, Schatzmeister (Rentmeister, Kriegs-
zahlmeister) hatte die Kriegskasse zu verwalten, den Sold auszutheilen, die
gemachte Beute für Rechnung des Staates in Empfang zu nehmen. Mit
diesem Amte begannen vornehme junge Römer gewöhnlich ihre politische
Laufbahn.
Digitized by Google
(220)
XIII. Buch, 25. (24.) Cap., § 27 - 32.
zu verschärfen gegen die Decemvirn, welche beabsichtigten,
nicht nur die Beute, welche noch nicht veräussert worden
war, sondern auch das Geld, was bereits aus dem Verkauf
von Beute gelöst worden sei, zu stehlen und einzuheimsen.
28. Daher zeigt uns diese Ueberschrift , die ihr hier seht, so
recht augenscheinlich, dass unter den Worten: ex manubiis
nicht die erbeutete Gegenstandsmasse zu verstehen ist, —
denn etwas Derartiges ist dem Feinde vom Trajan nicht ab-
genommen worden, — sondern diese Ueberschrift macht uns
ganz deutlich, dass dies Alles hergestellt und gewonnen wor-
den sei: ex manubiis, d. h. also: aus dem Beuteerlös. 29.
Unter „manubiae" versteht man also, wie ich bereits schon
bemerkt habe, nicht die Beute selbst, sondern das durch den
Quaestor des römischen Volkes aus der verkauften Beute
zusammengebrachte Geld. 30. Unter dem von mir bezeich-
neten Quaestor muss heutigen Tags der Schatzmeister (prae-
fectus aerario) verstanden werden. Denn die Obhut und
Aufsicht über den (Staats-) Schatz ist von den Quaestoren
auf die Praefecten übergegangen. 31. Nirgends aber lässt
sich nachweisen, dass irgend ein nur halbwegs guter Schrift-
steller so geschrieben habe, dass er so ohne Weiteres, oder
in seiner Nachlässigkeit praeda für manubiae, oder manubiae
für „praeda" gesetzt hätte, oder eine Vertauschung der Wörter
durch irgend eine bildliche Ausdrucksweise gebraucht hätte,
wie es wohl Denen, welche dies geschickt und kunstgerecht
anfangen, (unter Umständen) gestattet ist (z. B. den Dichtern).
32. Allein ich muss ausdrücklich noch einmal bemerken, dass
Die, welchen es darum zu thun war. charakteristisch und
bezeichnend zu sprechen, das Wort manubiae nur in dem
Sinne von Geld genommen haben, gerade so, wie M. Tullius
(Cicero) in der erwähnten Stelle.
XIII, 25 (24), 29. Ueber den Verkauf der Kriegsbeute von Seiten
des das Heer begleitenden Quaestors, um dann den Erlös (manubiae, im
Unterschiede von praeda) abzuliefern oder fürs Heer zu verwenden, s.
Dion. 7, 63; 8, 82; 10, 21; Plaut. Capt prol. 34 und Lange röm. Alterth.
§ 87 p. (636) 741.
XIII, 25 (24), 30. Im Jahre 810/57 übertrug Nero gewesenen Prae-
toren die Verwaltung des aerariums, s. Plut. quaest. Rom. 43; Suet.
Claud. 24.
Digitized by Google
XIII. Buch, 26. (25.) Cap., § 1. 2.
XIII, 26 (25), L. Nach dem Ausspruch des P. Nigidius muss man bei dem
Vocativ: „Valeri" die erste Silbe stark betonen; desgleichen einige andere
wörtliche Bemerkungen von ihm, welche sich auf eine richtige Schreibart
beziehen.
XIII, 26. (25.) Cap. 1. P. Nigidius, höchst bewandert
in den Grundsätzen aller Wissenschaften, sagt im 24. Buche
seiner „grammatischen Erklärungen" wörtlich: „Wie könnte
endlich die Betonung unverletzt bleiben, wenn man bei Namen,
wie z. B. bei „Valeri*', nicht zu unterscheiden wüsste, ob es
der Genitiv, oder der Vocativ sei? Bei dem Genitiv liegt
nämlich auf der zweiten Silbe eine stärkere Betenung, als
auf der ersten, die letzte Silbe lässt man fallen (und der
Genitiv lautet also: ,,Val6riu), aber beim Vocativ hat die erste
Silbe den höchsten Accent (und er lautet also: „Valeri"). die
andern (anschliessenden) Silben sinken nach und nach." 2.
Diese Aussprache schrieb nun zwar P. Nigidius (der Zeit-
genosse des Cicero) vor. Wenn nun aber heutigen Tages es
Jemandem einfallen sollte, im Fall er den Namen Valerius zu
nennen hat, nach dieser Vorschrift des Nigidius im Vocativ
XIII, 26 (25), L. Ueher den Vocativ von egregius vergl. Gell. XIV, 5.
Die Substantiva (nicht Adjectiva) auf ius und ium haben im Genitiv i, wie
res maneipi. Daher die Regel, dass der Vocativ Valeri zu sprechen, der
Genitiv aber Valeri, was richtig ist, wenn Valeri aus Valerii entstanden ist.
XIII, 26 (25), 2. Acuere sillabam, Hebung, Betonung der Silbe. Eine
Silbe erhält einen besondern Hauptton, die andere Silbe schliesst sich
dieser Silbe an, z. B. hdmines. Es giebt also lange Silben ohne Hebung
und mit Hebung. 1) Einsilbige Wörter haben auf dieser Silbe den Ton,
2) zweisilbige haben auf der ersten den Ton, 3) drei- und mehrsilbige
haben auf der drittletzten den Ton, wenn die vorletzte kurz ist und
nur positio debilis hat, z. B. tenebrae; auf der vorletzten, wenn diese
lang ist, z. B. hümänus, rötentus; die letzte Silbe hat gar keinen Eintiuss.
Positio debilis, schwache Position, keine volle Position, muta cum liquida
macht nicht lang, z. B. tenebrae, patris, ärbitror. Dadurch wird natürlich
die bereits lange Silbe nicht kurz : mftter, mätris, frätris. Dichter erlauben
sich jedoch, diese positio debilis geltend zu machen. Die alten Gramma-
tiker unterschieden Höhe, Stärke und Dauer des Tones. Habet quidem
litera altitudinem in pronuntiatione (Tonlage, Tonschwingungsverhältniss),
latitudinem in spiritu (Schallwirkung), longitudinem in tempore (Tondauer,
Zeitdauer des Tons). Prise, de accentt. 1, 2; Altitudinem discernit accentus,
quum pars verbi aut in grave deprimitur, aut sublimatur. Accentus (noosüßin)
Digitized by Google
(222) XIII. Buch, 26. (25.) Cap., § 2—5. — 27. (26.) Cap., § 1.
die erste Silbe zu betonen (und Väleri zu sprechen), so dürfte
es nicht ausbleiben, dass er ausgelacht wird. 3. Er nennt die
höchste Affection des Silbenlautes die scharfe Silbenmessung
(7tQog(t>öta acuta) und was man gewöhnlich durch „accentus"
bezeichnet, nennt er „voculatio" (Betonungsausdruek), ferner,
was wir jetzt mit dem Worte „Genitiv" bezeichnen, nennt
er „casus interrogandi". 4. Auch folgende Bemerkung fiel
uns in dem Werke des Nigidius auf, wo er sagt: „Wenn
Du den Genitiv von amicus und magnus schreiben solltest,
so brauchst Du nur ein i zu setzen (und sagst:) „hujus
amici, oder hujus magni, wenn Du aber den Nominativus
pluralis zu setzen hast, wirst Du vorher immer noch ein i
(also überhaupt ein Doppel -i) schreiben müssen: hü magnii,
hü amicii, und diese Regel wirst Du auch in allen ähnlichen
Fallen zu beobachten haben. Ebenso magst Du auch den
Genitiv von „terra" mit einem Schluss-i schreiben, also: hujus
terrai, wenn Du aber den Dativ gebrauchst, musst Du huic
terrae schreiben, also mit (Schluss-) e. Ebenso, wer den
Genitiv (des Personalpronomens) von ego schreibt, wie z. B.
wenn man sagen will: mei Studiosus (ein Beschützer von
mir), soll die Genitivform mit einem i schreiben und nicht
noch mit e; allein beim Dativ muss man e und i setzen, und
also mihei schreiben." 5. Durch das hohe Ansehen eines so
höchst gelehrten Mannes veranlasst, glaubte ich diese Be-
merkung denen zu Liebe nicht mit Stillschweigen übergehen
zu dürfen, denen es auch in dieser Hinsicht um eine gründ-
liche Kenntniss zu thun ist.
XIII, 27 (26), L. Ueber einige Verse von Homer und Parthenius, welche
Vergil scheint nachgeahmt zu haben.
XIII, 27. (26.) Cap. 1. Ein Vers des Parthenius lautet:
Dir Glaukos, Dir Nereus, und Dir Seegott Melikertes.
dictus ab accanendo, quod sit quasi cujusque sillabae cantus Diomedes II.
vergl. Quint. I, 5, 22. 25 und Gell. XIII, 13, 1 nQostpdeai (Accente). Die
alte nationalgriechische Grammatik begreift nämlich unter dem Namen
niioguidiat alle Affectionen des Silbenlautes, also namentlich auch die
Accente und Spiritus.
XIII, 27 (26), 1. S. Macrob. Sat. V, 17; cfr. Gell. IX, 9, 3.
Digitized by
XIII. Buch, 27. (26.) Cap., § 2. 3. - 28. (27.) Cap., §1—3. (223)
2. Diesen Vers hat Vergil nachgeahmt, und indem er dabei
mit feinem Gefühl zwei Wörter umänderte, einen gleichen
gedichtet:
Dir Panopeia und Glaukos und Ino's Sohn Melikertes
(Verg. Georg. I, 437). 3. Aber der folgende Vers kommt
dem homerischen wahrlich nicht gleich, ja nicht einmal nahe;
denn der von Homer scheint einfacher und natürlicher, der
von Vergil aber scheint moderner (und etwas von klassischem
Anstrich zu entbehren) und gleichsam mit einigem aufgelegten
Kitt herausgeputzt:
Auch ein Stier dem Alpheios, zugleich ein Stier dem Poseidon
(sc. ward zum Opfer gebracht. Horn. Iliad. XI, 728).
Seinen Stier dem Neptunus, den Stier Dir, schöner Apollo
(sc. opferte Aeneas. Verg. Aen. III, 119).
XIII, 28(27), L. Ueber einen Gedanken des Panätius, den er im 2. Buche
(seines Werkes) „über die Pflichten" niedergeschrieben hat, wodurch' er
Jedermann ermahnt, sich für alle Fälle (im Leben) zur Verhütung (und
Abwehr) von Widerwärtigkeiten gerüstet und vorbereitet zu halten.
XIII, 28. (27.) Cap. 1. Eines Tages wurde (von mir)
das zweite von den drei berühmten Büchern des Philosophen
Panaetius „über die Pflichten" gelesen, ein Werk, welches
M. Tullius (Cicero) mit grossem Eifer und höchstem Geschick
nachgeahmt hat. 2. Daselbst finden sich sowohl viele andere
(herrliche) Hinweise zur Rechtschaffenheit und Tugend, als
auch besonders eine (Wahrheits-) Lehre vor, die man immer
in Gedanken haben und behalten soll. 3. Sie lautet ohngefahr
folgendermassen : Das Leben von allen den Menschen, heisst
es, die beständig mitten im Drange der Geschäfte ihr Dasein
fristen, und sich und den Ihrigen nützlich werden wollen,
bringt für sie oft wider Erwarten beständige und fast täglich
wiederkehrende Beschwerden und Gefahren mit sich, zu deren
Verhütung und Abwehr man gerade so mit Geistesgegenwart
und Statthaftigkeit gewappnet sein muss, wie die Wettkämpfer,
XIII, 27 (26), 3. S. Bernh. röm. Lit. Gesch. 80, 372.
XIII, 28 (27), L. Des Panaetius Schrift: neol tov xaör\xovTo$ war
Quelle für Cicero's de offieiis. Cfr. Gell. XII, 5, 10 NB. S. Teuffels röm.
Lit. Gesch. 183, 16, 1.
Digitized by Google
(224) XIIL Buch, 28. (27.) Cap., § 4. — 29. (28.) Cap., § 1. 2.
welche Pancratiasten genannt werden. 4. Denn so wie
diese, sobald sie zum Kampfe herausgefordert sind, mit weit
vorgestreckten Armen sich hinstellen, und Kopf und Gesicht
durch die vorgehaltenen Hände gleichsam wie mit einem
Wall (vorn) verwahren; wie ferner alle ihre Glieder, bevor
noch der Streit anhebt, entweder in Parade sind, zur Abwehr
der Hiebe, oder gerüstet, solche auszutheilen: ebenso muss
die geistige Willenskraft eines klugen und umsichtigen Mannes
allenthalben und jederzeit Vorsicht anwenden gegen die Macht
und Launenhaftigkeit der Ungerechtigkeiten und Wider-
wärtigkeiten, und muss erwartungsvoll, unerschütterlich, völlig
gedeckt, schlagfertig, selbst in Bedrängniss unverrückten
Blickes nicht den Muth sinken lassen, nirgends sein Augen-
merk ablenkend dastehen und muss (alP sein Sinnen und
Denken) alle EntSchliessungen und Gedanken, gleichsam als
Arme und Hände zur Schutzwehr gegen alle Schicksalsschläge
und gegen alle Hinterlist seiner Feinde entgegen halten, damit
bei einer plötzlich hereinbrechenden Gefahr ein Ueberfall uns
nicht unvorbereitet (ungerüstet) und unbeschützt überrascht.
XIII, 29 (2S), L. Was Quadrigarius hat ausdrücken wollen mit der Re-
densart: cum raultis mortalibus; ob ein Unterschied und zwar ein grosser
Unterschied stattfinden würde, wenn er gesagt hätte : cum multis hominibus.
XIII, 29. (28.) Cap. 1. Eine Stelle des Claudias Quadri-
garius aus dem 13. Buche seiner Jahrbücher lautet: „Nach
aufgehobener Versammlung kam Metellus auf das Capitol mit
einer grossen Menschenmenge (cum multis mortalibus), wenn
er von da nach Hause ging, begleitete ihn (Ehren halber)
die ganze Bürgerschaft zurück." 2. Als dies Buch und
(gerade) diese Stelle von dem M. Fronto in meinem und
vieler Anderer Beisein (bei ihm) vorgelesen wurde und es
einem durchaus nicht ununterrichteten Manne schien, dass die
XIII, 28 (27), 3. Pancratiasten s. Gell. III, 15, 3 NB.
XIII, 29 (28), L. Ueber Claudius Quadrigarius s. Gell. I, 7, 9 NB.
XIII, 29 (28), 1. Im J. 99 655. — Auch den Sempronius Gracchus
begleitete nach Gell. II, 13, 4 die Menge nach Hause. Ueber diese Sitte
des Geleitgebens s. noch Gell. II, 15, 2. Vergl. Liv. ep. 69; Val. Max.
4, 1, 13; App. b. c. 1, 33; Cic. ad fam. 1, 9, 16.
Digitized by Google
Xm. Buch, 29. (28.) Cap., §2 — 5.
(225)
Ausdrucksweise „cum multis mortalibus (mit vielen Sterb-
lichen)" für (das Gebräuchlichere) cum hominibus multis
(mit vielen Menschen) in einem Geschieh ts werke unpassend
und matt und zu poetisch sei, da entgegnete Fronto diesem
auf seine Aeusserung Folgendes: „Du, ein Mensch, der in so
vielen Dingen ein so ausgezeichnetes Urtheil hat, gestehst
also, dass Dir „cum mortalibus multis" unpassend und matt
erscheine, meinest aber, dass kein Grund vorhanden war,
weshalb ein Schriftsteller von so einfacher, schlichter und fast
alltäglicher Darstellungsweise vorzog lieber „mortalibus", als
„hominibus" zu sagen und glaubst (sogar), dass es sich würde
gleich geblieben sein bei Bezeichnung der Menschenmenge,
wenn er „cum multis hominibus", und nicht „cum multis mor-
talibus" gesagt hätte? 3. Ich wenigstens, fuhr er fort, — wenn
anders die Liebe und Verehrung für diesen Schriftsteller, wie
überhaupt für die ganze alte Ausdrucks weise mein Urtheil
nicht gänzlich geblendet hat, — ich bin der festen Ueber-
zeugung, dass er bei Angabe der grossen, beinahe aus der
ganzen Einwohnerschaft bestehenden (Menschen-) Masse sich
umfassender, ausführlicher durch den Begriff „mortalesu aus-
gedrückt hat, als wenn er „homines" gesagt hätte. 4. Denn
es kann auch schon bei einer nicht sonderlich grossen Menge
der allgemeine Begriff von vielen Menschen (multorum homi-
num) zusammengefasst und eingeschlossen sein, allein der Be-
griff „multi mortales" enthält, ich weiss selbst nicht inwiefern
und nach welchem unerklärlichen Gefühle, fast alle Gattungen
von Menschen, die in einem Staate leben, sowohl nach Ver-
hältniss des Ranges, wie nach Alter und Geschlecht, was doch
Quadrigarius in der Absicht, wie es wirklich der Fall war,
auf die ungeheuer grosse und gemischte Menschenmasse auf-
merksam zu machen, mit mehr Nachdruck (efupariyiarvEQov)
sagte, dass Metellus mit vielen Sterblichen (cum multis mor-
talibus) aufs Capitol gekommen sei, als wenn er gesagt hätte :
cum multis hominibus. 5. Da wir selbstverständlich alle diese
Aeusserungen Fronto's mit Zeichen nicht nur der Zustimmung,
sondern auch der Bewunderung anhörten, fügte er noch hinzu :
Seht euch jedoch vor, und glaubt nicht etwa, dass man sich
immer und allenthalben des Ausdrucks „multi mortales" für
„multi homines" bedienen dürfe, damit nicht etwa gar jenes
Gellins, Attische Nächt«. II. 15
Digitized by Google
(226) XIII. Buch, 29. (28.) Cap., § 5. 6. - 30. (29.) Cap., §1—4.
griechische Sprüchwort aus einer Satire des Varro Anwendung
findet: „to ItzI tij yctxfi ftvgov (d. h. Unter einem Linsen-
gericht Salbe)". 6. Dieses (scharfe) ürtheil des Fronto, selbst
bei geringfügigen und unscheinbaren Ausdrücken, glaubte ich
nicht mit Stillschweigen übergehen zu dürfen, damit eine
gründlichere Erwägung derartiger Ausdrücke (auch ander-
wärts) von uns nicht unbeachtet und unberücksichtigt bleiben
möchte.
XIII, 30 (29), L. Dass das Wort „facies" nicht immer die Bedeutung
gehabt habe, in der es jetzt gewöhnlich gesagt wird.
XIII, 30. (29.) Cap. 1. Dem aufmerksamen Beobachter
wird es nicht entgehen, dass sehr viele lateinische Ausdrücke
aus ihrer ursprünglichen Bedeutung entweder in eine weit
entfernte, oder in eine ganz nahe übergegangen sind, und
dass dieser Uebergang (Sinnwandel) meist aus der Gewohnheit
und Unwissenheit Derer entsprungen sei, die unüberlegt und
alles nur Mögliche sprechen, was sie nicht verstehen. 2. Wie
z. B. Einige glauben, das Wort „facies" bedeute nur das
Gesicht und die Augen und die Wangen eines Menschen, was
die Griechen hqqoiotzov nennen, während doch das Wort
„facies" die ganze Gestalt, das Längenmass, den ganzen
etwaigen Körperbau ausdrückt und von facio (ich bilde) her-
genommen worden ist, wie von „spectus" species und von
„fingere" figura. 3. So sagte Pacuvius in seinem Trauer-
spiele, welches die Aufschrift führt „Niptra (Waschwasser)*\
bei einem Manne von seiner Körperlänge:
Den Mann in frischer Jugendkraft, voll raschen Muths, von stämmiger
Gestalt (facie procera).
4. Aber nicht allein von der Gestalt der Menschen wird das
Wort „facies" gesagt, sondern auch von dem Aussehen aller-
hand anderer Dinge. So muss es als vollkommen richtiger
Ausdruck gelten, wenn zu gehöriger Zeit gesagt wird: „Des
Berges und des Himmels und des Meeres Anblick (oder Aus-
XIII, 29 (28), 5. Unser Sprüchwort: es reimt sich, wie die Faust
aufs Auge. Das griechische Sprüchwort bedeutet: etwas Kostbares auf
eine schlechte Sache verwenden, also z. B. Myrrhenöl zu Linsen, feine
Pomade nehmen, um das (gewöhnliche Sauer-) Kraut fett zu machen.
Digitized by Googlje
XIII. Buch, 30. (29.) Cap., §5—7.-31. (30.) Cap., § 1 — 3. (227)
sehen, facies)." 5. Eine Stelle des Sallust aus dem 2. Buche
seiner Geschichte lautet: „Sardinien im africanischen Meere,
welches das Aussehen einer menschlichen Fuss(sohlen)-Suur
hat (facie vestigii humani), breitet sich nach Morgen hin
weiter aus, als nach Abend.1' 6. Halt, da fällt mir aber
ebenfalls noch eine Stelle ein, wo auch Plautus in seinem
„Poenulus (jungen Punier)" (V, 2, 151) das Wort facies von
dem ganzen körperlichen und farbigen Aussehen gebraucht
hat. Die Stelle lautet bei Plautus also:
Hanno. Doch sage mir, ihre Wärterin, wie sieht sie aus (qua sit facie) ?
Milphio. Nicht gross von Körper, braun die Farbe. Hanno. Ja, die ist's.
Milphio. Ein hübsches Ansehn, schwarze Augen, kleinen Mund.
Hanno. Mit diesen Worten hast Du mir ihr Bild gemalt.
7. Ausserdem erinnere ich mich, dass Quadrigarius im 11.
Buche das Wort „facies" für die Gestalt und das Aussehn des
ganzen Körpers gebraucht hat.
XIII, 31 (30), L. Was die Redensart: „caninum prandium" in einer von
des M. Varro Satiren bedeuten soll?
XIII, 31. (30.) Cap. 1. Neulich lobte und brüstete sich
ein gewisser geckenhafter, aufgeblasener Mensch, der in einem
Buchladen sass, als sei er unter dem grossen, weiten Himmel
der einzige (richtige) Ausleger von des M. Varro Satiren,
welche Einige die cynischen, Andere die menippischen
nennen (vergl. Gell. XIII, 11, 1 NB). Er warf daraus einige
gar nicht so schwierige Brocken hin, zu deren Ausdeutung,
wie er meinte, sich Keiner würde versteigen können. 2. Zu-
fällig hielt ich da gerade das Buch von den Satiren in den
Händen, welches überschrieben ist: „vöqo/,vcov (Wasserzecher,
Wassersaufaus Hund)". 3. Ich trat also näher an ihn heran
und sagte: Du weiser Mann kennst doch wohl ohne Zweifel
jenes bekannte griechische Sprüchwort: „dass eine Musik, von
der man nichts hört, auch nichts tauge". Ich bitte Dich, lies
mir einige wenige Verse vor und erkläre mir (zugleich) den
XIII, 31 (30), 1. Vergl. Macrob. Sat. I, 7, 11. Satir. men.
XIII, 31 (30), 3. S. Sueton. Nero 20 und Lucian. Harmon. I. Ver-
borgene Musik werde nicht beachtet, d. h. ein Licht müsse man nicht
unter den Scheffel stellen. (Ad. Stahr's Sueton.)
15*
Digitized by Google
(228)
XIII. Buch, 31. (30.) Cap., § 3—14.
Sinn einer in diesen Versen vorkommenden, sprüchwörtlichen
Redensart. 4. Uebernimm lieber Du, sagte er, den Vortrag
der (betreffenden) Dir unverständlichen Stelle, damit ich sie
Dir (gleich) erkläre. 5. Wie, erwiderte ich, kann ich im
Stande sein, das (Dir richtig) vorzulesen, was ich nicht ver-
stehe? Denn mein Vortrag dürfte (ja deshalb) nur unklar
und verworren ausfallen und (deshalb) auch nur Deine Auf-
merksamkeit (noch) hemmen. 6. Als nun auch noch viele
andere der daselbst Anwesenden meinem Vorschlage bei-
stimmten und ihre Bitten mit den meinigen vereinigten, nahm
er von mir das Buch an, eine Ausgabe von bewährter Zu-
verlässigkeit und (wohlgemerkt, schön und) stattlich ge-
schrieben. 7. Allein er nahm das Buch mit höchst verlegener
und ängstlicher Miene. 8. Doch was soll ich weiter sagen?
Denn ich wage wahrhaftig kaum zu verlangen, dass man mir
glaubt (was ich hier erzählen will). 9. Wenn unausgebildete
(hergelaufene) Schulbuben das Buch in die Hand bekommen
hätten, sie würden sich beim Lesen nicht lächerlicher haben
machen können, als er, so zerriss dieser (unwissende Mensch
die Sätze und) die Gedanken, so sprach er die Worte ver-
hunzt aus. 10. Er gab mir daher (bald darauf) das Buch
zurück, da bereits Viele lachten, und sagte: Du siehst, dass
meine Augen sehr leidend und von ununterbrochenen Nacht-
studien fast ganz verdorben sind, so dass ich kaum die Züge
der Buchstaben erkennen kann, sobald ich mich (jedoch) an
den Augen wieder wohl befinde, sollst Du mich besuchen
und dann will ich Dir das ganze Buch vorlesen. 11. Ich
wünsche Deinen Augen gute Besserung, weiser Mann, sagte
ich; 12. allein nur das Eine noch, wozu Du Deine Augen
durchaus nicht nöthig hast, magst Du, ich bitte Dich, mir
sagen, was bedeutet doch in der von Dir vorgelesenen Stelle
die Redensart: „caninum prandium" (eine Hundemahlzeit, ein
Hundefressen)? 13. Aber hier erhob sich dieser auserlesene
Dunstmacher sofort und, gleichsam erschreckt über eine so-
schwere Frage, sagte er beim Weggehen: Du fragst da nach
keiner Kleinigkeit, Derartiges lehre ich nicht umsonst. 14
Die Stelle aber, worin das betreffende Sprtichwort sich be-
findet, lautet wörtlich also: „Siehst Du nicht, dass bei (dem
berühmten Arzt) Mnesitheus geschrieben steht, dass es drei
Digitized by
XIII. Buch, 31. (30.) Cap., § 14-17.
(229)
Arten von Wein giebt, einen dunklen (den Rothwein), einen
hellen (den Weisswein) und einen mittelfarbigen, welchen man
Bleicher (xtg$6g) nennt; oder (dass man ihn auch eintheilt
in) einen jungen, einen alten und eine Mittelsorte (der weder
zu jung, noch zu alt ist); ferner dass der dunkle Stärke
verleiht, der weisse den Urin treibt und die Mittelsorte die
Verdauung (Ttiipiv) befördert? Dass der neue (junge) Wein
erfrische, der alte wärme, die Mittelsorte (der Bleicher) aber
sich nur für eine Hundemahlzeit passe?" 15. Was unter einer
Hundemahlzeit (prandium caninum) zu verstehen sei, diesen
ziemlich unbedeutenden Gegenstand habe ich lange und
ängstlich zu erforschen gesucht. 16. Allein ein nüchternes
Frühstück (prandium abstemium), eine Mahlzeit, bei welcher
nichts (von Wein, ja nicht einmal Most) getrunken wird, wird
ein Hundemahl (prandium caninum) genannt, weil ein Hund
kein Bedürfniss nach Wein verspürt. 17. Da er nun eine
Sorte den „Mittelwein" genannt hatte, weil er weder neu
(jung) ist, noch alt und die Leute meist nur die Weine in-
sofern näher bezeichnen, als sie annehmen, jeder Wein müsse
entweder neu (jung), oder alt sein, so hat Varro damit an-
zeigen wollen, dass (die dritte Sorte) der Mittelwein, gar
keine Eigenschaft und Kraft besitze, weder von dem neuen
(jungen), noch von dem alten und deshalb überhaupt gar
nicht für eine (richtige) Weinsorte gelten könne, weil er
weder kühle (refrigeraret), noch wärme. Unter „refrigerare"
(kühlen) versteht er ganz dasselbe, was man im Griechischen
mit dem Wort xpv%uv bezeichnet.
XIII, 31 (30), 14. Mvijoi&eos, gelehrter Arzt Plut. quaest. nat. 26;
Plin. Brief. 3, 9 und 21, 27; Athenaeus II, 36, A.
Xm, 31 (30), 16. temium, Most. Vergl. Gell. X, 23, 1, dass Frauen
sich des Weins stets enthielten: mulieres aetatem abstemias egisse.
Digitized by Google
XIV. BUCH.
XIV, 1, L. Gelehrte Abhandlung des Weltweisen Favorin gegen die
(Gaukler), welche sich Chaldäer nennen, und damit prahlen, dass sie im
Stande seien, aus der Vereinigung (den wesentlichen Beziehungen) und den
Bewegungen der Sternbilder und Sterne das Schicksal der Menschen zu
weissagen.
XIV, 1. Cap. 1. Gerichtet gegen das Gauklervolk, welche
sich Chaldäer oder Nativitätsteller (Sterndeuter) nennen und
sich damit breit machen, zukünftige Dinge aus der Bewegung
und Stellung der Sterne weissagen zu können, hörte ich einst
zu Rom den Weltweisen Favorin, einen ebenso herrlichen, wie
klaren Vortrag in griechischer Sprache halten. 2. Ob
er aber nur zur geistigen Uebung, nicht auch, um seinen
Scharfsinn leuchten zu lassen, so im wirklichen Ernste und
mit (absichtlicher) Ueberlegung seine Ansicht äusserte, masse
ich mir nicht an zu entscheiden. Die Hauptstellen und Haupt-
beweisgründe, deren er sich (dabei) bediente, habe ich, so
weit sie mir erinnerlich waren, als ich eben aus der Vorlesung
(nach Hause) gekommen wrar, eiligst aufgezeichnet. Seine
Aeusserungen lauteten ohngefähr also : Diese Wissenschaft der
Chaldäer sei (durchaus) nicht von so hohem Alter, als sie
selbst diese wohl ausgeben möchten, (ferner) dass sie auch
nicht die Erfinder und Begründer dieser Wissenschaft seien,
wie sie selbst versichern, sondern dass ein gewisses Bettler-
XIV, 1, L. S. Bernh. röra. Lit. 51, 209.
XIV, 1, 1. Auch bei Gell. XII, 1, 24 sprach, wie hier, Favorin
griechisch. — Die Philosophen eiferten vielfach gegen diese Schwindel-
astrologen. Vergl. Cic. de Div. II, 42; Sen. Ep. 88, 12 ff.
Digitized by
XIV. Buch, 1. Cap., §2 — 5. (231)
und Landstreicher -Gesindel (aeruscatores) diese Art von
Schwindelei und Blendwerk erfunden habe und nun aus die-
sem Lügengewebe (einig und) fleissig seinen Broterwerb ziehe.
3. Und weil sie nun sahen, dass einige irdische, dem Men-
schen nahe liegende Dinge durch einen fühlbaren inneren
Zusammenhang mit den Himmelskörpern (wesentlich) beein-
flusst werden , — wie z. B. die Ebbe und Fluth des Meeres,
welches gleichsam mit dem Monde Hand in Hand geht und
sich zugleich nach dem Abnehmen und Zunehmen desselben
richtet, — so sei ihr ganzes Trachten deshalb nämlich darauf
gerichtet gewesen, sich die Fabel einzureden, man müsse an
dem Glauben fest halten, dass alle menschlichen Angelegen-
heiten, die kleinsten, wie die grössten, gleichsam mit den Sternen
und Sterngruppen in engster Verbindung ständen und durch
sie geführt und gelenkt würden. 4. Es sei aber, sagte er,
mehr als albern und abgeschmackt, dass, weil das Fluthen
des Meeres mit (der Bewegung und) dem Umlauf des Mondes
zusammenhängt, nun auch die Entscheidung eines Rechtsfalles,
welchen einer mit einigen Mitberechtigten wegen einer Wasser-
leitung, oder mit seinem Nachbar wegen einer gemeinschaft-
lichen Wand vor Gericht hat, dass wir nun also glauben, die
Entscheidung dieses Rechtsfalles sei gleichsam an die Sterne
gekettet und werde vom Himmel herabgelenkt. 5. Ist nun
auch die Möglichkeit vorhanden, dass Alles gleichsam durch
höhere Macht und göttlichen Einfluss geleitet wird, so könne
doch der ganze Vorgang (dieses Einflusses), wie er meinte, in
einem so kurzbeschränkten Räume der menschlichen Lebens-
dauer niemals von einem menschlichen Geist, wäre er auch
noch so gross, erfasst und begriffen werden, sondern es liessen
sich überhaupt nur einige geringe Vermuthungen aufstellen
und zwar, um mich hier gleich seines eigenen Ausdrucks zu
bedienen, nur „ganz oberflächlicher Art (naxviiEQaoTEQov)",
oder überhaupt nur Vermuthungen, die, ohne Auffindung eines
(dazu nöthigen) wissenschaftlichen Grundsystems, (immer)
unbestimmt und schwankend und willkürlich sein und bleiben
XIV, 1, 2. • Aeruscatores (griechisch yalxoloyoi) unsere heutigen
Zigeuner, oder überhaupt Leute, welche für Geld wahrsagen. Nach Festus
fS. 24) heisst aeruscare, aera undique, d. h. pecunias colligere.
Digitized by Google
(232)
XIV. Buch, L Cap., §5 — 10.
müssten, wie dies bei einer zu weiten Entfernung mit der
Sehkraft der Augen der Fall ist, die dann, um des grossen
Zwischenraumes willen, auch nichts mehr zu erkennen ver-
mögen. 6. Denn wenn die Menschen (erst auch noch) alle
zukünftigen Dinge vorauswissen könnten, dann sei ja über-
haupt der gewaltige Unterschied zwischen Göttern und Men-
schen (ganz) aufgehoben. 7. Ferner meinte er, sei man selbst
mit der Beobachtung der Sterne und Sternbilder, von der sie
behaupteten, dass sie die Grundlage und den Ursprung für
ihre (ganze) Wissenschaft bilde, durchaus noch nicht im Klaren.
8. Denn wenn die Chaldäer, welche die weiten Ebenen be-
wohnten, die Bewegungen und Bahnen der Sterne, ferner ihre
Trennungen und ihr Zusammentreffen in Betrachtung gezogen
und die durch sie hervorgebrachten Wirkungen zuerst beob-
achtet haben, so mag, sagte er, dieses System allerdings gelten,
aber nur unter dem Himmelsstrich, unter dem damals die
Chaldäer (während ihrer Beobachtungen) sich befanden ; denn,
bemerkte er (ganz richtig) weiter, die Art und Weise der
Beobachtung von Seiten der Chaldäer kann sich nicht gleich
bleiben, wenn Jemand sie in Anwendung bringen (und sich
zu Nutze machen) will unter ganz verschiedenen Himmels-
strichen. Denn wer sieht wohl nicht ein, wie gross die
Mannigfaltigkeit (der Constellation) und der Theile und Kreis-
bahnen am Sternenhimmel sein muss in Folge des Sichherab-
neigens und der gewölbartigen Rundungen des Weltalls. 9.
Dieselben Sterne also, durch welche, nach der Behauptung
der Sterndeuter, alle Vorgänge am Himmel und auf der Erde
(omnia divina humanaque) bestimmt (und geleitet) werden,
sowie sie nicht. allenthalben Frost oder Hitze erzeugen, son-
dern sich (in ihren Wirkungen) ändern und Abwechslung
bringen und zu gleicher Zeit an dem einen Ort ruhige
Witterung erzeugen, an dem andern stürmische, warum sollten
diese nicht auch verschiedene Wirkungen in allen übrigen
Angelegenheiten und Geschäften hervorbringen, andere bei
den Chaldäern, andere bei den Gätulern, andere in den Ge-
genden der Donau, andere in den Gegenden des Nils? 10.
Wäre es nicht eine Folgewidrigkeit, sagte er, (zu glauben)
dass zwar die Masse und der Zustand der so unermesslichen
Luft(-schichten) sich nicht gleichbleiben (und allein dem
Digitized by Google
XIV. Buch, 1. Cap., § 10-15.
(233)
Wechsel unterworfen sein) solle unter den verschiedenen
Himmelsgegenden, dass aber nach ihrer Meinung bei den
Geschäften und Verrichtungen der Menschheit dieselben
Sterne immer nur denselben Einfluss bemerken lassen sollten,
aus welcher Gegend der Erde man sie immerhin auch beob-
achtet haben möchte? 11. Ausserdem gab Favorin auch
darüber seine Verwunderung zu erkennen, wie nur Jemand
als einen unumstösslichen Satz erkennen könne , dass diese
Sterne, welche von den Chaldäern und Babyloniern sollen beob-
achtet worden sein, welche von Vielen „Irrsterne (erraticae)",
vom Nigidius (bei Gell. III, 10, 2) aber „errones" genannt
werden, nicht noch aus mehreren bestehen sollten, als ge-
wöhnlich angenommen werden; 12. denn nach seiner Meinung
sei eine Möglichkeit vorhanden, dass es auch noch einige
andere Planeten von gleichem Einflüsse geben könne, ohne
welche eine richtige und genaue Beobachtung nicht anzustellen
(und durchzuführen) sei, und die von dem Menschen doch
nicht könnten gesehen werden, entweder wegen ihres ausser-
ordentlichen Glanzes, oder wegen ihrer ausserordentlichen,
weiten Entfernung (von der Erde). 13. Denn es giebt auch
einige Sternbilder, die nur von gewissen Ländern aus gesehen
werden und nur den Bewohnern dieser Länder bekannt sind,
dieselben bleiben aber den Bewohnern jeder andern Gegend
unsichtbar und überhaupt allen andern völlig unbekannt. 14.
Ferner, fuhr er fort, wollen wir (einmal) zugeben, dass sowohl
nur die Sterne (allein), als auch nur von einem einzigen
Standpunkt auf der Erde aus mtissten beobachtet werden,
wo war das Ende dieser Beobachtung (abzusehen) und welche
Zeit konnte hinreichend erscheinen zur Wahrnehmung Dessen,
was entweder die Vereinigung dieser Sterne, oder ihr Umlauf,
oder ihre Abweichungen (prophezeien und) vorher anzeigen.
15. Denn wenn man die Beobachtung derartig anzustellen
begonnen hat, dass genau bemerkt wurde, unter welcher
Lage der Sterne, und unter welchem Bilde und unter welcher
Stellung Jemand geboren wurde; dass man dann weiter, vom
Anfange seines Lebens an, genau Acht hatte auf seine Glücks-
XIV, 1, 13. So sind die Sterne der nördlichen Halbkugel den Be-
wohnern der südlichen, und umgekehrt ebenso, grösstentheils unsichtbar.
Digitized by Google
(234) XIV. Buch, 1. Cap., § 15—20.
umstände, auf seine Sitten, auf seinen Charakter, auf die
Beschaffenheit der Verhältnisse und Verrichtungen und zuletzt
auf die Art seines Lebensendes, und dass man alle die er-
fahrenen Ereignisse (gewissenhaft) aufzeichnete, und dass man
geraume Zeit nachher, wenn alle diese Gestirne wieder an
demselben Ort und in derselben Stellung sich befanden, den
Nachkommenden (Geschlechtern), die gerade in dieser Zeit
geboren wurden, meinte, gleichmässige Schicksale vorhersagen
zu können; 16. wenn man also auf diese Weise seine Beob-
achtung begonnen und sich aus dieser Beobachtung ein ge-
wisses System (zurechtgelegt und) zusammengesetzt hat, so
wird man doch dabei auf keine Weise zu einem Ende kommen.
17. Denn sie mögen mir nur auch sagen, in wie viel Jahren,
oder in wie viel Jahrhunderten endlich dieser Kreis der
Beobachtung würde vollendet und geschlossen sein können.
18. Denn es ist ja, setzte er hinzu, unter den Sternkundigen
eine ausgemachte Sache, dass diejenigen Steine, welche
auch Irrsterae (erraticae) heissen, von welchen das Schicksal
der ganzen Welt abzuhängen schiene, beinahe erst nach einer
unendlichen und unzähligen Zahl von Jahren auf denselben
Platz, nachdem sie von derselben Stellung aus zusammen
ihre Bahnen gegangen, wieder zurückkehren, so dass weder
irgend ein ununterbrochener Verlauf der Beobachtung, noch
irgend ein anschauliches Abbild schriftlicher Aufzeichnung so
lange Zeit hindurch würde haben fortdauern können. 19.
Nach der Meinung Favorins müsse man vor Allem auch den
Umstand reiflich in Erwägung ziehen, dass die Constellation
eine andere gewesen sei zur Zeit, als zuerst ein Individuum
im Mutterschooss empfangen wurde, eine andere aber wieder,
als er nachher in den nächsten zehn Monaten zur Welt kam;
und so war seine weitere Frage (leicht) erklärlich, wie wohl
eine solche verschiedene und sich widersprechende Behauptung
(von der Möglichkeit einer Voraussagung) sich vereinigen lasse,
wenn, da dies ja ihre eigene Meinung war, die verschiedene
Lage und Stellung derselben Sterne (immer auch) wieder
verschiedene Schicksale andeuten. 20. Allein selbst durch die
Zeit der ehelichen Verbindungen, wonach man Nachkommen-
XIV, 1, 19. S. Gell. III, 16, 12.
Digitized by Google
XIV. Buch, 1. Cap., § 20-22.
(235)
schaft zu erlangen trachte, wie auch durch die Zeit( Verhältnisse)
der ehelichen Umarmung zwischen Mann und Frau müsse
schon in Folge der bestimmten und notwendigen Stellung
der Sterne klar dargethan werden können, wie er behauptete,
mit welchen Eigenschaften und mit welcher (Schicksals-) Aus-
sicht die Menschen (d. h. jedes einzelne Individuum) auf die
Welt kommen mtissten; ja man (könne noch weiter gehen
und) müsse sogar noch viel früher, ehe selbst der Vater und
die Mutter noch geboren, aus deren Geburt schon voraus-
sehen (und vorhersagen können), wie einst die Kinder sein
mtissten, die sie zeugen würden, und so müsste es bis ins
Unendliche immer weiter und weiter zurückgehen, so dass,
wenn dieses wissenschaftliche Kunstsystem sich wirklich auf
einen gewissen Grund sollte stützen lassen, schon von hundert
Jahrhunderten, oder vielmehr vom ersten Anbeginn des
Himmels und der Erde und nun dann von da so immerfort
durch diese ununterbrochen fortgesetzte Vorbedeutungs -An-
zeige, so oft Geschlecht sich auf Geschlecht fortpflanzt (quo-
tiens generis auctores ejusdem homines nascerentur), diese
Sterne stets im Voraus hätten anzeigen müssen, welche Eigen-
schaften und welches Schicksal Jeden begleiten wird, der
heute (erst) geboren worden ist. 21. Wie aber kann man
sich zu dem Glauben verstehen , dass überhaupt jedem ein-
zelnen Menschen sein Loos und Schicksal von der Lage und
Stellung der Sterne fest bestimmt sei, und eben diese
Aufstellung doch nur nach ausserordentlich langen Zwischen-
räumen von Jahrhunderten sich wiederholt, wenn inzwischen
ganz dieselben Anzeigen von dem Leben und Schicksalen
desselben menschlichen Wesens in nur so kurzen Zwischen-
räumen durch die einzelnen Grade seiner Vorältern und
durch die endlose Reihe nachfolgender Vererbung (also von
Geschlecht zu Geschlecht) so oft und so vielfältig als ganz
dieselben (wiederkehrenden) Anzeigen, wenn auch gleich nicht
durch ein und dieselbe Stellung der Sterne vermerkt werden?
22. Kann dies nun aber der Fall sein und wird ein solcher
Widerspruch, eine solche Verschiedenheit (in den Vorbedeu-
tungszeichen) durch alle Zeiträume des (entlegenen) Alter-
thums zur Verkündigung der Entstehung (aller) der Menschen,
welche noch geboren werden sollen, zugegeben, so bringt diese
Digitized by Google
(236)
XIV. Buch, 1. Cap., § 22 — 25.
Ungleichheit das (ganze) Beobachtungssystem ins Schwanken,
und die wissenschaftliche Beobachtung (der ganzen Stern-
deuterei) wird über den Haufen geworfen. 23. Am aller-
wenigsten sei nun aber, nach Favorins Meinung, gar erst
folgende Behauptung jener Sterndeuter zu ertragen, dass sie
nicht nur die von aussen kommenden Zufälligkeiten und
Ereignisse wie vom Himmel herab bewegt und beeinflusst
meinten, sondern auch selbst die EntSchliessungen der Men-
schen, ihre verschiedenen willkürlichen Wünsche und Triebe,
ihren Widerwillen, ferner die bei den geringfügigsten Kleinig-
keiten vorkommenden geistigen Zuneigungen und Abneigungen
(Absichten und Willensänderungen), z. B. dass man zufällig ins
Bad hat gehen wollen und nachher wieder (seinen Entschluss
geändert und) nicht hat gehen wollen, endlich aber doch
wieder gewollt hat, — dies also rühre nicht von irgend einem
ungleichen und verschiedenen Willensantrieb (und Gemüths-
zustand) her, sondern von dem unausweichlichen Einfluss des
Zurückgangs der Planeten, so dass die Menschen nicht, wie
man behauptet, vernünftige Geschöpfe (Xoyixa £wa) zu sein
scheinen, sondern nichts als läppische und lächerliche (mario-
nettenhafte Draht-) Gliederpuppen (ludicra et ridenda quae-
dam neurospasta) , wenn sie nichts nach ihrem eigenen Er-
messen, nichts aus eigener freier EntSchliessung thun (können),
sondern (immer) nur von der Leitung und dem Gängelbande
der Sterne abhängen. 24. Und, fuhr er fort, wenn sie ver-
sichern, dass sie im Stande gewesen wären, vorherzusagen,
ob der König Pyrrhus, oder Manius Curius im Treffen hätte
siegen müssen, warum sollten sie da nicht endlich auch mit
der Sprache herausrücken (und es übers Herz bringen) beim
Glücks-, Brett- und Würfelspiel die Changen (zu verrathen
und) vorherzusagen, wer da von den Spielenden gewinnen
muss ? Oder ist ihnen vielleicht nur das Wichtige (im Voraus)
bekannt, das Unwichtige aber unbekannt, oder ist etwa gar
das Unwichtige unbegreiflicher als das Wichtige? 25. Wenn
sie aber nur Dinge von Bedeutsamkeit und Wichtigkeit (im
Voraus wissen zu können) sich zuschreiben, und behaupten,
derartige Dinge seien augenscheinlicher, klarer und Hessen
sich leichter begreifen, so wünsche ich nur noch, sagte er, dass
sie mir darauf antworten, was sie bei (Vergleichung und)
Digitized by
XIV. Buch, 1. Cap., § 25 — 27. (237)
Betrachtung des grossen Weltalls und bei den (Wunder-) Wer-
ken der herrlichen Natur an den kleinlichen und vergänglichen
Kümmernissen und Mühsalen der Menschen (dann eigentlich)
noch Grosses entdecken? 26. Ferner möchte ich auch diese
Frage beantwortet haben : da der Augenblick, in welchem der
Mensch bei seiner Geburt sein Schicksal bestimmt erhält, so
kurz ist und so schnell vorüber geht, dass in demselben Augen-
blick und in demselben Himmelskreis Mehrere zugleich zur
Theilnahme an (dem Einfluss) derselben Constellation nicht
können geboren werden, und wenn nun deshalb Zwillinge auch
nicht dasselbe Lebensloos haben, weil sie nicht in ganz dem-
selben Zeitaugenblick geboren wurden, so bitte ich mir darauf
eine Antwort aus, auf welche Weise und nach welchem Plane
sie diesen (heftigen) Anlauf der vorübereilenden Zeit, der kaum
mit Anstrengung aller Denkkraft des Geistes sich erfassen
lässt, sofort einzuholen (und zu erhaschen), oder gar für ihre
Betrachtungen und Untersuchungen festzuhalten im Stande
sind, da bei einem so flüchtigen Wechsel der Tage und Nächte
auch die kleinsten Augenblicke, nach ihrer eigenen Behauptung
den grössten Wandlungen unterworfen sein sollen? 27.
Schliesslich verlangte er aber auch noch zu hören, was man
wohl dagegen würde einwenden können, (wenn sich heraus-
stellte) dass Menschen beiderlei Geschlechts und jeden Alters,
die unter verschiedenen Aspecten der Planeten und in weit
von einander entfernten Gegenden geboren wurden, dass
(sage ich) solche jedoch entweder durch Erdbeben, oder beim
Zusammensturz eines Hauses, oder bei Erstürmung einer
XIV, 1, 26. TJeber P. Nigidius Figulus s. Gell. IV, 9, 1 NB. Nigidius
liess, um auf die ihm vorgelegte Frage, warum Zwillinge, die doch zu
einer Zeit geboren wurden, nicht einerlei Schicksal haben sollten, ein Rad
anfertigen, worauf zwei von einander entfernte schwarze Punkte angemerkt
waren; darauf drehte er das Rad wie ein Töpfer in der grössten Ge-
schwindigkeit herum, so dass man während dieses Umdrehens die beiden
Punkte nicht von einander unterscheiden konnte, sondern zusammenflössen
und wie Eins erschienen, obgleich sie weit von einander entfernt standen.
Eben so, sagte er, verhält es sich mit den Augenblicken, in denen Zwillinge
geboren werden. Daher bekam er auch den Beinamen Figulus (der
Töpfer), nach Angabe des Augustin (de civit. dei IV, 3). Wobei Augustin
noch die Bemerkung hinzufügt, dass diese seine gegebene Antwort eben
auch nicht viel fester sei, als das Gefäss eines Töpfers.
Digitized by Google
(238)
XIV. Buch, 1. Cap., § 27—31.
Stadt, oder zu Schiffe durch die Wellen des Meeres und durch
ganz gleiche Todesart und in gleichem Augenblicke Alle zu-
gleich ihren Untergang fanden, 28. was sicher doch niemals
hätte geschehen können, wenn jedem Einzelnen bei seiner
Geburt sein eigener, besonderer Schicksalsausgang zugetheilt
worden wäre, von denen Jeder an die Erfüllung seiner gesetz-
lichen Bedingungen gebunden sein sollte. 29. Wenn sie nun
darauf ganz einfach erwidern, dass auch bei dem Tode, wie
im Leben von (einigen) Menschen, die zu verschiedenen Zeiten
geboren wurden, durch späterhin eintretendes, gleiches Zu-
sammentreffen der Sterne einige gleiche und ähnliche Um-
stände und Zufälligkeiten sich zutragen können, so wäre die
Frage am Platze, warum nicht auch einmal alles Andere noch
sich sollte ereignen können, (z. B.) dass durch ein derartiges
Zusammentreffen der Planeten und durch ähnliche Erschei-
nungen auf einmal viele solcher Männer ins Leben sollten
treten können, wie Socrates und Antisthenes und Plato,
die sich an Geschlecht, an Gestalt, an geistigen Anlagen, an
Sitten, überhaupt in Ansehung aller Umstände des Lebens,
wie des Todes einander vollkommen ähnlich wären. Das
ist, sagte Favorin, ja aber überhaupt gar nicht möglich. 30.
Gegenüber aber den ungleichen Geburten und den gleichen
Todesarten kann man die angeführte Ursache nicht als stich-
haltig gelten lassen. 31. Diese Antwort* aber wolle er ihnen
gerne schenken und sie deshalb auch nicht noch weiter zu
einer Erklärung drängen , dass , wenn die Zeit , die Art und
Weise, die Ursache des Lebens, wie des Todes und überhaupt
aller menschlichen Vorgänge und Schicksale am Himmel und
in den Sternen zu lesen wären, er nun auch noch von ihnen
zu wissen verlangen sollte, was sie in dieser Hinsicht über
die Fliegen, über die Würmer, über die Igel und über viele
andere höchst unscheinbare Thierchen auf der Erde, wie im
Wasser zu sagen wüssten, ob diese, gleich den Menschen,
auch unter ähnlichen gesetzlichen Bedingungen (einer Con-
stellation) geboren würden und ebenfalls unter ähnlichen
XIV, 1, 29. Antisthenae. Von den Wörtern auf es (z. B. Alcibiades,
Euripides u. s. w.) werden viele im Plural nach der 1. Declination flectirt.
S. Krügers (Grotef.) Gr. § 203 Anm. 4.
Digitized by Google
XIV. Buch, 1. Cap., §31—33.
(239)
sterben müssteii, oder ob nun ferner auch den Fröschen
und den Mücken bei ihrer Geburt ihre Schicksalsbestimmungen
von der Bewegung und Stellung jener Himmelskörper zu-
getheilt worden seien, oder, wenn sie in diesem Falle an etwas
Derartiges nicht glauben sollten, ob sie dann doch wenigstens
nicht den Grund anzugeben wüssten, warum zwar in Ansehung
der Menschen ein Einfluss von den Sternen obwalten, bei den
übrigen Geschöpfen aber in Wegfall kommen (und ausser
Kraft treten) sollte. 32. Diese treffliche Bemerkung Favorins
habe ich hier nur in schlichter, schmuckloser und fast nüch-
terner Darstellung oberflächlich berührt. Allein Favorin, wie
es die hohe geistige Begabung dieses Mannes mit sich brachte
und wie es dem Reichthum und der Feinheit griechischer
Beredtsamkeit entsprach, ging das Alles noch ausführlicher,
anmuthiger, prächtiger und in fliessenderem Vortrage durch
und erinnerte zu wiederholten Malen, uns ja zu hüten,
damit uns jene Schwindler nicht etwa überrumpeln möchten,
ihnen Glauben zu schenken, wenn es bisweilen einmal den
Anschein haben sollte, dass sie (unter ihren vielen Lügen)
etwas Wahres hergeschwatzt und ausgesprengt haben sollten
(was also nur zufällig eingetroffen und wahr geworden war).
33. Denn ihre Prophezeiungen, setzte er hinzu, sind niemals
in begreiflichen, noch bestimmten, noch fasslichen Worten
abgefasst, sondern beruhen (meist) auf unsichern und aus-
fluchtreichen Vermuthungen, und sie suchen sich mit Vor-
bedacht einen Weg zwischen Unwahrheit und Wahrheit zu
bahnen, indem sie gleichsam im Dunkeln schleichen, und so
treffen sie mitunter bald wohl entweder durch vieles Umher-
tappen (und durch allerlei Experimente) plötzlich und unver-
sehens (ohne ihr Wissen) einmal (auf) das Richtige (und
wissen sich so bei den Dummen und Abergläubischen in Re-
spect und Ansehen zu setzen), oder sie gelangen pfiffiger
Weise hinter die Wahrheit, indem ihnen gleich dazu die
übertriebene Leichtgläubigkeit Derer zum Führer und Ver-
mittler dient, die sich bei ihnen Raths erholen wollen, wo-
durch ihnen die Abfassung einer Antwort leicht wird, und wes-
halb es ihnen offenbar weniger schwer fällt, bei Vergangenem
XIV, 1, 32. üeber die etruskischen Wahrsager s. Gell. VI (VII), 1, 3 NB.
Digitized by Google
(240)
XIV. Buch, 1. Cap., § 83-36.
der Wahrheit näher zu kommen, als bei Zukünftigem. Hält
man (schliesslich) nun alles Das, was sie blindlings oder
schlauer Weise (wirklich einmal) Wahres gesprochen haben,
vor Allem gegen Das, worin sie zu Lügnern werden, zusammen,
so dürfte das Wahre wohl nicht den tausendsten Theil davon
ausmachen. 34. Ausser dem von mir angehörten Vortrag des
Favorin erinnere ich mich auch noch vieler Zeugnisse alter
Dichter, von denen dergleichen trügerische Räthselworte in
ihrer Nichtigkeit (beleuchtet und) dargestellt (und gebührend
gegeisselt) werden. Unter ihnen befindet sich auch jener
Ausspruch des Pacuvius:
Gab's welche, die voraussehn, was da kommen wird,
Die achte ich dem (Göttervater) Zeus ganz gleich.
Desgleichen auch jenes bekannte Wort des Accius :
Nichts glaub' ich Vogelschauern, die bereichern fremdes Ohr
Mit leerem Wort', zu füllen sich das eigne Haus mit Gold.
35. Favorin, in der Absicht, die jungen Leute von den be-
nannten Zeichendeutern und andern ähnlichen (Schwindlern)
abzuschrecken und zu vertreiben, welche durch abenteuerliche
Kunststücke alle zukünftigen Dinge voraussagen zu können
in Aussicht stellten, sagte, dass man niemals sich an sie
wenden und sie um Rath fragen dürfe und schloss (zur noch-
maligen Verwarnung seinen Vortrag) mit folgenden Bemer-
kungen : 36. Entweder weissagen sie Unglück, was geschehen
soll, oder Glück. Wenn sie Glück weissagen und (uns) täu-
schen, so wird man durch grundlose Hoffnung nur unglücklich
gemacht; wenn sie Unglück vorhersagen und (uns etwas)
vorlügen, wird man durch thörichte Furcht sich abquälen;
wenn sie aber wirklich einmal einen wahren Ausspruch thun,
und es betrifft nur (kommende) Unglücksfälle, so wirst Du
von Stund an (schon vorher) im Geist und Gemüth Dich un-
glücklich fühlen, bevor Du noch es durch das Missgeschick
(wirklich) wirst ; im Fall sie aber künftiges Glück vorhersagen,
so wird sich dann immer noch ein doppelter Schaden heraus-
stellen, erstlich, die Hoffnungsspannung wird Dich in Deiner
Ungewissheit nur abspannen und diese Hoffnungspein wird Dir
schon vorweg den zukünftigen Genuss an der Freude abstreifen.
Daher muss man mit solchen Menschen, welche zukünftige
Dinge prophezeien, durchaus sich nichts zu schaffen machen.
Digitized by CäoqU
XIV. Buch, 2. Cap., § 1.
(241)
XIV, 2, L. Wie sich Favorin, von mir zu Rathe gezogen, ausführlich
über die Pflicht eines Richters aussprach.
XIV, 2. Cap. 1. Als ich einst zum erstenmale von den
Praetoren unter die Richter (-Ausschussbehörde) war gewählt
worden, um bei Urtheilssprüchen in sogenannten Privat-
prozessen mitzuwirken, suchte ich in den über die Amts-
pflicht des Richters in beiden Sprachen (der griechischen und
lateinischen) verfassten Werken mich genau zu unterrichten,
um, als ein noch junger (unerfahrener) Mensch, von den (wissen-
schaftlichen Genüssen an den herrlichen) Dichtermythen und
von den Kunsterzeugnissen der Redner zur Entscheidung von
(ernsteren) Streitsachen (und Tagesfragen) abgerufen, auch
die Pflichten des Richteramtes, weil ich das sogenannte
„lebendige Wort" (der mündlichen Belehrung) entbehrte, von
den sogenannten „stummen Lehrmeistern" (d. h. aus Büchern
practisch) zu lernen. Nun erhielt ich allerdings zwar in
Betreff (gewisser Prozessformalitäten, als z. B.) des Auf-
schiebens der Verhandlungen auf den folgenden Tag (diffissiones
dierum genannt), ferner in Betreff der Vertagung (des richter-
lichen Spruchs in bereits klarerwiesenen Sachen) bis auf den
drittnächsten (Gerichts-) Tag (als zweiten und letzten Termin,
XIV, 2, 1. Wie hier Gellius, so waren auch Ovid. (Trist H, 98)
und der jüngere Plinius (Epist. I, 20, 12) Gerichtsbeisitzer.
XIV, 2, 1. Judicia privat a. Der Praetor, welcher im Namen des
Staates das Recht verwaltete, übernahm nicht, wie bei uns der Richter,
sowohl die Untersuchung als die Entscheidung, sondern er leitete nur den
Prozess und Hess das gefällte Urtheil vollziehen; er entschied also eigent-
lich nur die juristische Frage und bestimmte die dabei zu berücksichti-
genden und in Anwendung kommenden Rechtssätze; zur Untersuchung
des factischen Verhältnisses unter den streitenden Parteien aber wählte
er aus den dazu bestimmten Privatrichtern einige aus (judicis datio),
wobei der Praetor den Rechtssatz bezeichnete, nach welchem verfahren
werden sollte, wodurch er die Richter zur Untersuchung des Factum's
anwies, welche ihnen nur allein oblag, so wie die Entscheidung nach dem
von ihm bezeichneten Rechtssatze (formula, d. h. Instruction der Richter).
Aus dieser Trennung der Magistratsgewalt von der Richterthätigkeit theilte
sich das ganze Prozessverfahren 1) in eine leitende, anordnende Ver-
handlung vor dem Magistrate (in jure) und 2) in die Untersuchung des
Factums und Entscheidung durch Privatrichter nach der Instruction des
Magistrats (in judicio). Ueber Privatrichter s. Gell. XII, 13, 1 NB.
Gellius, Attische Nächte, n. 16
Digitized by Google
(242)
XIV. Buch, 2. Cap., § 1 — 6.
conperendinationes genannt) und in Betreff einiger anderer
gesetzlicher Gebräuche (und Formalitäten) nützliche Winke
und manche Beihülfe geliefert, theils aus dem julischen
Gesetze selbst, theils aus den Erläuterungsschriften des
Masurius Sabinus und einiger anderer Rechtsgelehrten. 2.
Allein bei verwickelten Rechtsfällen, wie sie doch (immer
und tiberall) vorzukommen pflegen, ferner bei einem zweifel-
haften Umstände der verschiedenen Ansichten (unter Richtern
und Parteien, d. h. bei Meinungsconflicten) haben mir der-
gleichen Schriften durchaus nichts geholfen. 8. Denn obwohl
(zugestandener Massen) jeder Richter seine EntSchliessungen
nach der Lage der vorliegenden Rechtsfälle fassen (und ein-
richten) soll, so giebt es doch gewisse, ganz allgemeine Vor-
erinnerungen und Vorschriften für ihn zu berücksichtigen,
durch die (eigentlich) jeder Richter noch vor der Verhandlung
sich im Voraus gegen unvorhergesehene Zufälligkeiten bei
vorkommenden Schwierigkeiten zu vergewissern und vorzube-
reiten verbunden ist; wie der zweifelhafte, zur Auffindung des
Urtheils unerklärbare Fall beweisen wird, der mir selbst in
meiner Praxis begegnete (und den ich hier anführen will).
4. Es wurde bei mir eine Klage angebracht wegen einer
Geldsumme, welche wirklich ausgezahlt und richtig ein-
gehändigt worden sein sollte ; allein Der, welcher das Darlehn
einklagte, konnte die erfolgte Aushändigung des Darlehns
weder schriftlich (tabulis, durch Rechnungsbücher), noch durch
Zeugen (testibus) nachweisen und stützte sich auf nur sehr
schwache Beweismittel. 5. Er war jedoch als ein selten
ehrenhafter (ferme bonus) Mann allgemein bekannt, von offen-
kundiger und erprobter Treu und Redlichkeit, von unbeschol-
tenstem Lebenswandel und es lagen viele und glänzende Be-
weise von seiner RechtschafFenheit und Ehrenhaftigkeit zu Tage.
6. Der Andere aber, von dessen Seite das Darlehn zurück-
verlangt und eingeklagt wurde, war offenbar und nachweislich
XIV, 2, 1. Lex Julia (judiciorum publicorum) von Caesar und
Augustus, wie früher die Lex Cornelia des Sulla, gab eine allgemeine
Criminal-Gerichtsordnung. Fr. Vat. 197. 198; Dig. 48, 2, 2. 3; 47, 15, 8, 1;
22, 5, 4; 43, 16, 1. 2; 48, 19, 32; Lange röm. AJterth. § 135 S. (614) 676.
5. Göschel „Zerstreute Blätter" II. Th. S. 323 ff.
XIV, 2, 3. Cfr. Gell. XII, 18, 2 über gerichtliche Beirathe.
Digitized by Google
XIV. Buch, 2. Cap., § 6—9.
(243)
ein Mensch, der sich eben nicht in guten Umständen befand,
einen schändlichen, lasterhaften Lebenswandel fÜJirte, allent-
halben schon verschiedener Unwahrheiten überwiesen worden
und überhaupt voll von Ränkesucht und Betrügerei war. 7.
(Dies kümmerte ihn aber durchaus nicht, trotzdem keck und
unverschämt aufzutreten und) im Verein mit seinen vielen
(Spiessgesellen, Helfershelfern und) Vertheidigem zur Seite
ganz laut und offen zu verlangen, man solle ihm vor mir (als
seinem Richter) doch nur den Nachweis liefern durch die
gewohnten Beweismittel, sei es durch den Ausweis einer
Darlehnseintraguog (expensi latione), durch Rechnungsbücher
(mensae rationibus), durch Auslieferung der Schuldverschrei-
bung (chirographi exhibitione), durch Besiegelung des Schuld-
scheins (tabularum obsignatione), durch Einholung von Zeugen
(testium intercessione) ; 8. wenn nun aber, wie sich's ja
herausstelle, von alledem in keiner Art Nachweis geliefert
werden könne, dann müsse er auch sofort (ohne Widerrede)
losgesprochen und sein Gegner wegen Verläumdung (auch
noch zu gesetzmässiger Strafe) verurtheilt werden; was man
aber über ihr beiderseitiges Leben und Thun vorbrächte, dies
gehöre gar nicht zur Sache und sei ein nutzloser, überflüssiger
Einwand, denn es handle sich hier speciell um einen Prozess
wegen Einklagung einer Geldschuld vor dem (Privat-) Richter,
nicht (aber um einen Prozess) wegen Sittlichkeitsvergehen
vor den Sittenrichtern. 9. In diesem Falle nun behaupteten
meine Freunde, die ich dabei zu Rathe gezogen hatte, Männer
geübt in Verteidigungen (von Angeklagten) und erfahren in
gerichtlichen Untersuchungssachen, die aber, weil sie stets
durch anderweitige Prozesssachen vielfach (in Anspruch ge-
nommen und) abgezogen waren, es daher auch immer eilig
hatten (und sich meist so schnell als möglich aller Mühe-
waltung zu überheben pflegten), diese also behaupteten, dass
der Schluss der Gerichtssitzung und des Urteilsspruches nicht
länger aufgeschoben werden dürfe, da durchaus (hier) kein
Zweifel mehr obwalten könne, dass der Mann (wenn auch
sonst nicht gut beleumundet, in diesem Falle ohne jedes
XIV, 2, 7. Chirographum, handschriftliche Empfangsbescheinigung
des Schuldners. S.Gaj. 3, 134; Dig. 13, 6, 5 § 8; 23, 3, 4 § 3; 34, 3, 31
§ 4; vergl. Juv. 13, 137.
16*
Digitized by Google
(244)
XIV. Buch, 2. Cap., § 9-14.
Bedenken freigesprochen werden müsse, weil ihm der Empfang
der Darlehnssumme durch kein gesetzlich gültiges Document
könne nachgewiesen werden. 10. Wenn ich mir nun aber
trotzdem die beiden Leute näher ins Auge fasste, den Einen
in seiner Redlichkeit, den Andern in seiner Ehrlosigkeit und
von dem schändlichsten, verworfensten Lebenswandel, so
konnte ich mich unmöglich dazu entschliessen, den Letzteren
völlig freizusprechen. 11. Auf meine Verordnung hin also
wurde die Verhandlung auf den nächsten Tag verschoben, und
ich begab mich sofort von der Gerichtsstelle zum Weltweisen
Favorin, mit dem ich damals zu Rom viel umging, und er-
zählte ihm von der Prozessangelegenheit und von den beiden
Leuten Alles, was in meiner Gegenwart war verhandelt wor-
den, und wie der Sachverhalt war, und bat ihn zugleich,
dass er mich sowohl im vorliegenden Falle, wo ich mir nicht
Rath wusste, als auch überhaupt bei allen übrigen Obliegen-
heiten, deren Beobachtung bei dem (schwierigen) Richteramte
geboten sei, in den Stand setzen möchte (einen Ausweg zu
finden), um bei ähnlichen Vorkommnissen mehr Einsicht be-
thätigen zu können. 12. Nun belobte Favorinus (zuerst) diese
Gewissenhaftigkeit bei meiner Zurückhaltung und Bedenklich-
keit, dann sagte er: Dieser Fall, über den Du mich jetzt
befragst, kann offenbar nur von geringer und unbedeutender
Erheblichkeit sein (und wird sich bald erörtern lassen),
hingegen, wenn Du beabsichtigst, dass ich Dir (als Lehrer)
auch Anleitung geben soll über jegliche Verpflichtung (beim
wichtigen Amte) eines Richters, so ist hier weder Ort noch
Zeit dazu; 13. denn das ist eine Erörterung mannigfacher
und weitläufiger Untersuchung und bedarf vieler und ängst-
licher Sorgfalt und Ueberlegung. 14. Denn (um Dir zu Liebe
nur einige Hauptpunkte dieser mannigfachen Untersuchungen
zu berühren) so drängt sich bei dem Gedanken an die Rich-
terpflicht unter allen Fragen zuerst die uns auf: Wenn ein
Richter sich schon im Voraus über den streitigen Punkt
unterrichtet hat, über den in seiner Gegenwart verhandelt
werden soll, und die ganze Angelegenheit, bevor sie zur Ver-
handlung kam oder zum Urtheilsspruch vorgetragen wurde
(res, priusquam agi coepta aut in judicium deducta sit), ihm
persönlich allein durch irgend ein anderes Geschäftsverhältniss
Digitized by
XIV. Buch, 2. Cap., § 14—18.
(245)
oder durch irgend eine andere Zufälligkeit vollkommen klar
und deutlich geworden ist, später aber, während der Prozess-
verhandlung, seine (vorgefasste) Ansicht (nachweislich) durchaus
nicht unterstützt wird, (da ist gleich die erste Frage) ob ein
Richter dann nun noch nach seiner vorher gewonnenen per-
sönlichen Ansicht, mit der er vorbereitet in den Gerichtssaal
trat, sein Urtheil fällen soll, oder nach dem, was er erst bei
der Verhandlung in Erfahrung bringt? 15. Da pflegt sich,
fuhr er fort, auch noch eine andere Frage aufzudrängen, ob es
sich für den Richter ziemt und schickt, nachdem der Rechts-
fall schon verhandelt worden ist, dann noch, im Fall eine Mög-
lichkeit zur Beilegung des Rechtsstreites vorhanden zu sein
scheint, auf kurze Zeit sich der Richterpflicht zu begeben und
unterdessen die gemeinschaftliche Rolle der Freundschafts-
pflicht und gleichsam des Friedensvermittlers ?u übernehmen?
16. Auch weiss ich recht wohl, dass ein anderer Fall noch
weit mehr bestritten und bezweifelt wird: ob ein Richter
während der Verhandlung Dasjenige zu sagen oder durch
Fragen an die Hand zu geben schuldig sei, was zu sagen
und zu fragen für die eine Partei nöthig (und nützlich) ist,
obgleich diese (betreffende Partei), der allerdings daran ge-
legen sein muss, dass es gesagt und gefragt wird, selbst nicht
daran dachte, davon zu sprechen, noch es durch Antrag in
Anregung zu bringen ? Denn dies heisse, sagt man, viel eher
den Vertheidiger spielen, nicht aber den Richter vertreten.
17. Ausserdem ist man auch über den Punkt verschiedener
Meinung, ob es mit dem Gebrauch und mit der Pflicht eines
Richters übereinstimmend sei, den Fall und die Umstände,
um die sich die Verhandlung dreht, durch sein Dazwischen-
reden so darzustellen und glaubhaft zu bezeichnen, dass er
schon vor der Schlusszeit des Urteilsspruches aus alledem,
was vor seinem Richterstuhl für jetzt verworren und bunt
durcheinander vorgebracht wird, nach Art und Umständen,
wie er sich bei jeder Gelegenheit und Zeit für gewisse Ein-
drücke empfänglich zeigt, seine Gefühle und Gesinnungen ganz
deutlich merken lässt. 18. Denn alle Die, welche allgemein
das Ansehn scharfer und schneller Richter haben, behaupten,
dass nicht anders eine Angelegenheit, die verhandelt wird,
(schnell) ausgespürt und durchschaut werden könne, als
Digitized by Google
(246) XIV. Buch, 2. Cap., § 18—21.
wenn der Vorsitzende Richter durch häufige Fragen und un-
umgängliche Zwischenreden theils seine eignen Gefühle offen-
bart, theils die (Intentionen) der streitenden Parteien (aus-
zuforschen und) aufzufinden sucht. 19. Hingegen andere
Richter, die für gesetzter und gewissenhafter gelten, be-
haupten, dass ein Richter vor dem Urtheilsschluss, während
für beide Theile der Prozess (-Ausgang) noch schwebt, wenn
er sich öfters auch durch irgend eine Veranlassung bewegt
fühlen sollte, doch niemals dürfe merken lassen, was er (denkt
und) empfindet. Denn es wird nicht ausbleiben können, sagen
sie, dass ein solcher (gefühlvoller) Richter, weil je nach dem
Wechsel der vorkommenden Rechtsfälle und der Beweis-
führungsarten sein Gemüth von den verschiedensten Bewe-
gungen (der Empfindung) bestürmt werden muss, leicht in
den Verdacht kommen kann, dass er, sag' ich, bei demselben
Fall und in demselben Moment leicht seine Gesinnung und
sein Urtheil ändere. 20. Allein über diese und über aller-
hand weitere Abhandlungen von dergleichen richterlicher
Verpflichtung will ich später (einmal), wenn ich Zeit haben
werde, theils versuchen meine Ansicht auszusprechen, theils
aber auch die von mir ganz kürzlich erst gelesenen Vor-
schriften des (gelehrten) Aelius Tubero über die Richterpflicht
erklären. 21. Was aber die besagte Vorschusssumme betrifft,
die vor Deinem Richterstuhl eingeklagt werden soll, so kann
ich Dir wahrlich nur rathen, befolge (dabei) den Grundsatz
des höchst klugen und verständigen M. Cato, der in seiner
Rede, welche er für den L. Turius gegen den Cn. Gellius
hielt, versichert, es sei nach alter Väter Weise so überliefert
und festgehalten worden, dass, wenn etwas, was zwischen
Zweien abgemacht wurde, weder durch schriftliche Beweis-
mittel (Documente. Obligationen), noch durch Zeugen (deutlich
gemacht und) nachgewiesen werden könne, dann vor dem
Richter, der über die Angelegenheit erkennen und sein Urtheil
sprechen sollte, (vorerst) die Frage erörtert wurde, wer von den
Beiden der rechtschaffenere Mensch*) war, und im
XIV, 2, 20. Q. Aelius Tubero cfr. Gell. XIV, 7, 13; XIV. 8, 2; VI (VII),
9, 11. S. Teuffels röm. Lit. Gesch. 205, 1 und Gell. VII (VI), 3, 1 NB.
XIV, 2, 21. *) S. Mommsen Röm. Gesch. Buch III, cap. 12 (I. Bd.
p. 847).
Digitized by Google
XIV. Buch, 2. Cap., §21—25
(247)
Fall sie Beide entweder gleich gut, oder gleich schlecht waren,
dann wurde dem Beklagten geglaubt und zu seinem Gunsten
das gerichtliche Urtheil entschieden. 22. In der vorliegenden
Prozessangelegenheit aber, über die Du im Zweifel bist, steht
der Kläger im besten Rufe, der Beklagte aber, der bezahlen
soll, ist als ein ganz (abgefeimter) schlechter Mensch berüch-
tigt, und (fest steht nur,) das Geschäft ist zwischen Beiden
ohne Zeugen abgemacht worden. 23. Geh' also (hin) und
glaube (ohne Bedenken) dem (Ehrenmanne), der die Forderung
stellt, und verurtheile immerhin den, von welchem die Rück-
zahlung verlangt wird, weil sie Beide von einander verschieden
sind, und diesmal der Kläger (vor dem Beklagten) den Vorzug
hat. 24. Diesen Rath also gab mir damals Favorin ganz wie
es sich für einen so weisen Mann schickte, 25. allein nichts-
destoweniger hielt ich diese Angelegenheit doch für zu wichtig
und zu hoch, als dass ich*) bei meiner (grossen) Jugend und
Unerfahrenheit es entsprechend fand, weil es dabei leicht hätte
den Anschein haben können, ich habe mein Verdammungs-
urtheil (cognovisse et condemnasse) in Berücksichtigung der
Sitten, nicht aber in Folge des dargebrachten Beweises vom
(einfachen) Thatbestand gefällt. Daher konnte ich es nicht
über mich gewinnen, ein Lossprechungsurtheil zu fällen und
deshalb beeidete ich, dass mir die Sache „nicht klar und
spruchreif" sei, und so wurde ich meines Richteramtes ent-
XIV, 2, 23. S. W. Rein's röm. Privatrecht S. 450 ff.
XIV, 2, 24. *) Vergl. über das Alter des Gellius noch: L. Friedender
de A. Geliii vitae temporibus. Königsberg 1869 und J. Steup de Probis
grammaticis p. VII und 72 ff. Jena. 1870.
XIV, 2, 25. Vor Gericht kann und darf zwar zuweilen der Charakter
aus Thatsachen beurtheilt werden, aber nie Thatsachen aus dem Charakter. —
Bei legislativen Comitien brauchte man zwei Täfelchen, um (durch u. r.,
d. h. uti rogas) die bejahende Stimme zu verzeichnen, oder (durch a., d. h.
antiquo) die verneinende. Bei richtenden Comitien wurden jedem Richter
drei Täfelchen eingehändigt, bezeichnet mit a (als litera salutaris), in der
Bedeutung von absolvo, spreche frei, dann mit c (als litera tristis), be-
deutend: condemno, verurtheile, spreche schuldig und endlich das dritte
mit n. 1., d. h. non liquet S. Savigny röm. Recht Bd. 6 p. 311 : Wenn die
Stimmenmehrheit auf „non liquet" giog, so lautete der Ausspruch des Vor-
sitzenden Praetors : „amplius", welches die Folge hatte, dass die Verhand-
lung an irgend einem andern nahen Tage fortgesetzt wurde, bis die Richter
glaubten , ein sicheres Urtheil sprechen zu können. Der Ausgang jedes
(248)
XIV. Buch, 2. Cap.f § 26. — 3. Cap., § 1.
hoben. 26. Die Stelle aus der Rede des M. Cato, deren
Favorin Erwähnung that, lautet wörtlich so: „Auch habe ich
von den Altvordern erfahren, im Fall Einer von einem Andern
eine Forderung hat, wenn Beide einander gleich sind, ent-
weder gleich gut, oder gleich schlecht, (und es traf sich),
dass, als sie Beide das Geschäft abgeschlossen hatten, keine
Zeugen zugegen waren, so musste man (allemal) eher dem
Beklagten Glauben schenken. Im Fall nun Gellius mit dem
Turius eine (gegenseitige) Verpflichtung eingegangen wäre:
gesetzt auch, Gellius wäre kein rechtschaffenerer Mensch als
Turius, könnte doch wohl Niemand, glaub' ich, so unvernünftig
sein, dass er so aburtheilte, Gellius sei weit rechtschaffener
als Turius; im Fall nun Gellius nicht rechtschaffener ist als
Turius, so muss man dem Beklagten mehr Glauben schenken."
XIV, 3, L. Ob Xenophon und Plato der (heimlichen) Eifersucht und
Feindschaft gegen einander (mit Recht) dürfen beschuldigt werden.
XIV, 3. Cap. 1. Die Schriftsteller, welche uns in sehr
vielen Stücken (und nach fast allen Richtungen hin) gründ-
liche Schilderung vom Leben, wie vom Charakter des Xenophon
geleiteten Criminalprozesses war stets Verurtheilung oder Freisprechung,
nie Unentschiedenheit. Hier erzählt Gellius, er selbst sei einmal Judex
gewesen, als ein sehr rechtschaffener Mann gegen einen Menschen von
verdächtigem Charakter ein Darlehn einklagte, ohne Beweise führen zu
können. Durch einen Eid: „mihi non liquere", machte er sich frei von
der Verlegenheit, gegen seine persönliche Meinung urtheilen zu müssen.
Der Erfolg war, dass dem Gellius gestattet wurde, persönlich aus dem
auferlegten Judicium auszuscheiden, und dass nun ein anderer Judex an
seine Stelle trat. Das Judicium dauerte fort und nur die Person wurde
verändert.
XIV, 3, L. Xenophon, geb. zu Athen 450 v. Chr., Sohn des Gryllos,
griech. Philosoph und Geschichtsschreiber, einer der berühmtesten Schüler
und Freunde des Socrates, von dem er im peloponnes. Kriege (424) in der
Schlacht bei Delion auf den Schultern aus dem Gefechte getragen wurde.
Die (später 401) übriggebliebenen Griechen, von den dem jüngeren Cyrus
gegen seinen Bruder, den König Artaxerxes, aus Sparta und Athen nach Per-
sien gesendeten Hülfstruppen, führte er, an ihre Spitze gestellt, nach der un-
glücklichen Schlacht bei Kunaxa, wo Cyrus fiel, 500 Meilen weit durch un-
wirthliche Länder glücklich nach Griechenland zurück. Dieser Zug, welchen
er in seiner Anabasis beschreibt, gilt als ein Meisterstück in der Kriegs-
kunst. Bei den Athenern verdächtigt, spartanisch gesinnt zu sein, wurde
er exilirt, ging nach Elis und starb 360, ziemlich alt, in Corinth. Sein
Digitized by Google
XIV. Buch, 3. Cap., § 1 — 4. (249)
und des Plato geliefert haben, waren der Ansicht, dass diese
(zwei grossen Geister) nicht ganz frei gewesen seien von ge-
wissen geheimen und verborgenen Empfindungen gegenseitiger
Eifersucht und Missgunst, und sie haben uns dafür einige auf
Vermuthung beruhende Beweise aus ihren Schriften angeführt.
2. Sie laufen ohngefähr auf Folgendes hinaus: Weil weder von
Plato in seinen vielen und zahlreichen Schriften irgendwo des
Xenophon Erwähnung geschieht, noch von diesem in seinen
Schriften des Plato, obgleich Beide, am meisten aber Plato
in den von ihm abgefassten Dialogen viele Schüler des So-
crates erwähnt hat. 3. Auch glaubten sie, dass dies für kein
Zeichen aufrichtiger und freundschaftlicher Zuneigung an-
gesehen werden könne, dass Xenophon, nachdem er die beiden
ersten, öffentlich neu erschienenen Bücher von jenem be-
rühmten Werke, welches Plato über die beste Form einer
freien Staatsverwaltung schrieb, gelesen hatte, diesem Werke
sogleich ein anderes entgegensetzte und durch seine Feder die
entgegengesetzte Regierungsform einer „Monarchie" verherr-
lichte und sie betitelte: von der Erziehung des Cyrus. 4. Durch
diese Handlungsweise und durch diese Schrift soll Plato sich
so unangenehm berührt gefühlt haben, dass er in einer andern
Schrift, bei Erwähnung des Königs Cyrus, zur Herabsetzung
und Verkleinerung der xenophonteischen Schrift gesagt haben
soll, Cyrus sei zwar ein rühriger und unternehmender Mann
Fürsten Spiegel, die Cyropaedie, Bildungsgeschichte des Cyrus; seine
Hellenika, griechische Geschichte, bildet die Fortsetzung des Thucydidea
bis zur Schlacht beiMantinea; in den Memorabilien des Socrates wird
von ihm die Denk- und Handlungsweise dieses seines grossen Lehrers in
Gesprächen mit Sophisten und mit seinen Schülern dargestellt. Der Stil
des Xenophon ist klassisch, weshalb ihn die Griechen die attische Biene
oder Muse nannten. S. Diog. Laert. II, 6, 14.
XIV, 3, L. Ueber Plato s. Gell. II, 8, 9 NB und in, 17, 1 NB.
XIV, 3, 1. S. Athenaeus XI, sect. 112 (504); Diogen. Laert. III, 24;
Euseb. praep. evang. XIV.
XIV, 3, 2. Xen. Memorab. III, 6, 1 wird Plato erwähnt.
XIV, 3, 4. S. Plat de leg. m p. 694. C. „Was den Cyrus nun
aber betrifft, so vermuthe ich jetzt, dass er im Uebrigen zwar sowohl ein
tüchtiger Feldherr, als auch ein Staatsfreund gewesen sei, die rechte Er-
ziehung aber durchaus nicht berührt und auf die Verwaltung des Hauses
nicht im Geringsten Aufmerksamkeit verwendet habe."
Digitized by Google
XIV. Buch, 3. Cap., §4 — 9.
gewesen, aber, so lauten Plato's Worte über den Cyrus weiter,
„die rechte Erziehung durchaus nicht berührt habe." 5.
Ausserdem komme noch, wie sie meinen, zu der von mir er-
wähnten Aeusserung Plato's andererseits hinzu, dass Xeno-
phon in seinem Werke, welches er zur Erklärung (und Ver-
herrlichung) der Reden und Thaten des Socrates abgefasst
hat, sagt, dem Socrates sei es nie eingefallen, sich auf Ge-
spräche einzulassen, die Beziehung auf gründliche Unter-
suchungen in Astronomie und Physik hatten, und selbst nicht
einmal die übrigen Wissenszweige, welche die Griechen
(schlechtweg) Wissenschaften (^a^fiara*)) nennen, berührt
oder anerkannt habe, da sie nicht unmittelbar zu einem
glücklichen und tugendhaften Leben hinführen, und deshalb
behauptet Xenophon, dass Jeder ein schändlicher Lügner sei,
der dem Socrates dergleichen Erörterungen in den Mund lege.
6. Als dies Xenophon schrieb, sagen sie, wollte er damit auf
Plato anspielen, in dessen Schriften Socrates sich auf physische
und musikalische und geometrische Untersuchungen einlässt.
7. Allein wenn man geglaubt hat, Dergleichen über die besten
und angesehensten Männer vermuthen oder argwöhnen zu
müssen, so ist meiner Ansicht nach die Ursache (gewiss) nicht
in der Verkleinerungssucht, noch in der Missgunst, noch in
dem (ehrgeizigen) Wettkampf nach höherem Ruhmeserwerb
(jener Männer) zu suchen, denn solche niedrige Denkungs-
art ist dem Charakter der Weisheit gänzlich fern, worin doch
diese Beiden nach dem einstimmigen Urtheile Aller sich so
sehr auszeichneten. Was kann nun also der (wahre, eigent-
liche) Grund zu dieser Vermuthung sein? 8. Sicher kein
anderer, als folgender: Meistentheils nur das Vergleichen und
die Gleichheit grosser, rühmlicher Eigenschaften unter gleich
grossen Männern, die, wenn ihnen selbst auch das Streben
und die Absicht zu einem Wettstreite fernliegt, doch leicht
den Anschein (kleinlicher) Eifersüchtelei veranlassen kann.
9. Denn wenn zwei oder mehrere in demselben Wissenschafts-
fache hervorragende Geister entweder eines gleichen, oder fast
XIV, 3, 5. *) fia»rifx(tra i. e. Mathematik, Astronomie, Musik, Geo-
graphie, Optik. Vergl. Gell. I, 9, 6; Xen. Memorabil. I, 1, 9 Rechnen,
Messen, Wagen; Uli, 7 § 4 und 5 Astronomie.
Digitized by Google
XIV. Buch, 3. Cap., § 9—11. — 4. Cap., § 1—3. (251)
annähernden Ruhmes sich erfreuen, so entspinnt sich bei
ihren gegenseitigen verschiedenen Gönnern und Anhängern
oft ein Wettstreit geflissentlicher Lobeserhebung und partei-
licher Abschätzung (ihrer Meister). 10. Da kann denn leicht
aus dem fremden (Wett-) Streit auch sie selbst der ansteckende
Einfluss des Wettstreites anhauchen, und ihr Ringen, auf
Schritt und Tritt den Weg zur Tugend (und zum Ruhme)
fortzusetzen, mag es von gleichem oder von zweifelhaftem
Erfolge (gekrönt) sein, wird zu dem Verdacht gegenseitiger
Eifersüchtelei herabsinken, nicht durch ihre eigene Schuld,
sondern nur durch das Eifern ihrer Gönner (Anhänger und
Parteigänger). 11. Auf ganz gleiche Weise sind auch Xeno-
phon und Plato, diese beiden (grossen) Sterne der Anmuth
in den Verdacht gegenseitigen Wettstreits und Eifersucht-
thums gekommen; weil der Streit über sie, wer von Beiden
hervorragender sei, unter ihren Anhängern herrschte, und
weil zwei hervorragende Grössen, wenn sie sich nebeneinander
gleichmässig in schwindelnde Höhe erheben, ein gewisses
Scheingefühl eifersüchtiger (Missgunst und) Rivalität erzeugen.
XIV, 4, L. Wie genau und scharf (begrenzt) Chrysippus das Bild der Ge-
rechtigkeit in harmonischen und malerischen Ausdrücken hingezeichnet hat.
XIV, 4. Cap. 1. Schicklich, in der That, und anständig
hat Chrysippus im ersten Buche seiner Schrift, welche betitelt
ist: „neQi xalov xat rjdovijg (über das Schöne und Ange-
nehme)", Mund und Augen und den ganzen Gesichtsausdruck
der Gerechtigkeit mit ernsthaften und entzückenden Farben
in Worten gezeichnet. 2. Er entwirft nämlich das Bild der
Gerechtigkeit mit der Bemerkung, dass dasselbe von Malern,
wie von älteren Rednern ohngefähr auf folgende Art vorgestellt
worden sei: Von zart jungfräulicher Form und Bildung, von
strengem und furchteinflössendem Aussehen, mit durchdrin-
genden Blicken aus (ihren) Augen, nicht niedrig und ab-
stossend, mit der Würde einer gewissen ehrfurchtgebietenden
Schwermuth. 3. Unter Hinweis auf diese bildliche Darstellung
XIV, 4, L. üeber Chrysippus s. Gell. I, 2, 10 NB.
XIV, 4, 1. Cfr. Diog. Laert 7, 128 und 202 Athenaeua p. 158 D. etc.
Digitized by Google
(252) XIV. Buch, 4. Cap., § 8—5.-5. Cap., § 1.
aber, wollte er verstanden wissen, dass ein Richter, der ein
echter Priester der Gerechtigkeit (heisst und) ist, sich stets
einen hohen Ernst bewahren und gewissenhaft sein müsse
und streng, unbestechlich, der Schmeichelei unzugänglich,
mitleidslos und unerbittlich gegen alle Ungerechten und
Schuldigen, stolz, erhaben, stark, Schreckeneinflössend durch
die Macht und Hoheit seines Billigkeitsgefühls und seiner
Wahrheitsliebe. 4. Die Stelle des Chrysippus über die Ge-
rechtigkeit lautet wörtlich also: „Man sagt, dass sie eine
Jungfrau vorstelle, zum Kennzeichen, dass sie rein (keusch
und unbestechlich) sei, dass sie gegen Uebelthäter niemals
nachgiebig sei und nicht eingehe weder auf sanftes Zureden,
noch auf Entschuldigungen und Bitten, noch auf Schmeicheleien,
noch sich überhaupt durch etwas Anderes dergleichen be-
stimmen lasse; deshalb wird sie folglich auch als bekümmert
(und ernsthaft) dargestellt, mit ernster (finsterer) Miene und
durchbohrend scharfem Blick, um den Bösen Schrecken und
Furcht einzuflössen, den Rechtschaffenen aber Muth und Ver-
trauen ; so also verkündet diese Miene den Einen Wohlwolle^
den Andern aber (unerbittliche) Strenge." 5. Meiner Ansicht
nach gebührt dieser Stelle des Chrysippus um so mehr ein
Platz, damit sie (Jedem sogleich) zur (eignen) Erwägung und
Beurtheilung verfügbar und zugänglich sein mag, weil, als
ich die besagte Stelle vortrug, einige Philosophen, die in
ihren Lehren mehr zur Weichlichkeit hinneigen (und zur
affectirten Sentimentalität, delectatiores quidam disciplinarum
philosophi), mit der Einwendung heraustraten, diese Schil-
derung kennzeichne das Bild der Grausamkeit, nicht das der
Gerechtigkeit.
XIV, 5, L Erzählung eines heftigen Streites zwischen zwei berühmten
Grammatikern zu Rom über den Vocativus des Wortes: egregius
(ausgezeichneter, vortrefflicher).
XIV, 5. Cap. 1. Ermüdet von anhaltendem Nachdenken
(und Studiren) erging ich mich einst zu geistiger Zerstreuung
und Erholung auf dem agrippinischen freien Platze. Dabei
wurde ich zufällig zweier Grammatiker ansichtig, die in der
XIV, 4, 4. S. Plut. mor. p. 68, C; 152 B; 412, E; 800 C.
Digitized by Googl
XIV. Buch, 5. Cap., § 1—4.
(253)
Stadt Rom einen nicht unbedeutenden Namen hatten. Ich
(machte mich an sie und) wohnte da einem sehr heftigen
Streite derselben bei, da der Eine behauptete, man müsse im $
Vocativ sagen: vir egregi (o du vortrefflicher Mann), der
Andere aber (dabei blieb, es müsse heissen:) vir egregi e!
2. Der Grund Desjenigen aber, welcher meinte, es müsse
„egregi" (im Vocativ) heissen, war folgender Art: Alle Sub-
stantiva und Adjectiva (!?), welche im Nominativus Singularis-
auf „usu auslauten, bei denen vor dieser letzten Silbe aber der
Vocal „i" vorhergeht, alle diese werden im (Einheits-)Vocativ
auf „iu abgebeugt, wie z. B. Caelius Caeli, modius modi (Mass,
Scheffel), tertius terti (Dritter), Accius Acci, Titius Titi und
alle ähnliche; daher also auch von egregius, weil es sich im
Nominativ auf „usu endigt und dieser Silbe der Vocal „iu voran-
geht, der Vocativ richtiger egregi, nicht aber egregie wird
lauten müssen. Denn divus (=deus Gott), rivus (Bach) und
clivus (Hügel) lauten eigentlich nicht auf (die Silbe) us aus,
sondern auf die Silbe, welche mit einem Doppel -u geschrieben
werden muss, und um nun aber den Klang (und die Aus-
sprache) dieser Silbe zu (ermöglichen und zu) veranschaulichen,
erfand man einen neuen Buchstaben (das f), welcher (im
Griechischen) Digamma hiess. 3. Als der Andere die Er-
klärung vernommen, sagte er: 0 vortrefflicher, oder, wenn
Dir das noch lieber ist, o allervortreff lichster , Sprachregel-
lehrer, sag' mir doch, ich bitte Dich, von den folgenden
Wörtern: inscius (unwissend), impius (gottlos), sobrius (nüch-
tern), ebrius (betrunken), proprius (eigenthümlich), propitius
(geneigt), anxius (ängstlich), contrarius (abgeneigt), welche
sich alle auf „us" endigen und vor diesem Auslaut auf „us"
ein „i" haben, wie lautet wohl davon der Vocativ? Deun mich
befällt (eine gewisse) Scheu und Schüchternheit, diese Wörter
(im Vocativ) nach Deiner Vorschrift auszusprechen. 4. Als
Jener aber ein Weilchen, durch das Entgegenhalten der be-
sagten Wörter betroffen, in Stillschweigen verharrte, bald sich
XIV, 5, 1. Ueber den Vocativ der Substantiva auf ius s. Gell. XIII,
26 (25), L. NB. Genitiv: Valeri, Vocativ: Valeri. Die Appellativa und
Adjectiva behalten im Vocativ ie, doch waren, wie hier ersichtlich wird,
darüber zu Geilius' Zeiten selbst angesehene römische Grammatiker ver-
schiedener Ansicht.
Digitized by Google
(254) XIV. Buch, 5. Cap., §4.-6. Cap., § 1. 2.
jedoch wieder gesammelt hatte und diese seine aufgestellte
Regel (trotzdem noch) aufrecht erhielt und vertheidigte mit
dem Zusatz, dass proprius, propitius, anxius und contrarius
im Vocativ geradeso zu sprechen (und abzubeugen) seien, wie
adversarius (Gegner) und extrarius (auswärtig) gesagt würde,
desgleichen auch inscius, impius, ebrius und sobrius, zwar ein
wenig auffallender, aber doch richtiger im Vocativ in i und
nicht in e (auslautend) ausgesprochen werden müssten und
also immer noch kein Ende des lang geführten Streites unter
diesen (Beiden) abzusehen war, hielt ich es ferner nicht mehr
der Mühe werth, (mir) das Alles noch weiter mit anzuhören;
ich machte mich also aus dem Staube und Hess sie weiter
schreien und streiten.
XIV, 6, L. Ueber eine gewisse Gattung anscheinender Kenntnisse, die
aber weder ergötzen noch nützlich sind; ferner dabei über Namens-
uniänderung einzelner Städte und Länder.
XIV, 6. Cap. 1. Ein mir befreundeter, wegen seiner
wissenschaftlichen Bildung nicht unberühmter Mann, der einen
grossen Theil seines Lebens unter Büchern zugebracht, sagte
(eines Tages zu mir) : Ich bin sehr wohl geneigt, (Dein Sam-
melwerk) Deine „(attischen) Nächte" durch Beiträge zu be-
reichern, und dabei überreichte er mir ein Buch, einen grossen
Wälzer, von allerhand Gelehrsamkeit strotzend, wie er selbst
sagte, und bemerkte noch nebenbei, dass dieses Werk von
ihm mit grosser Mühe ausgearbeitet worden sei in Folge der
Leetüre vieler und verschiedener und seltener Bücher, (und
er wolle gestatten), dass ich mir daraus aussuchen solle, so
viel mir (nur immer) von dem darin enthaltenen denkwürdigen
Gegenständen gefallen würde. 2. Voll Neugierde und Freude
nehme ich das Buch in Empfang, gleich als hätte ich das
(wunderbare) Füllhorn (cornu copiae) erlangt; ich ziehe mich
damit ganz und gar in die Verborgenheit zurück, um es ohne
XTV, 6, 1. Vergl. Senec. ep. 88 §5—7; § 32. Der unter August
lebende alexandrinische Grammatiker und Polyhistor Didymus, welcher
wegen seiner unermüdlichen Thätigkeit und seines eisernen Fleisses
den Beinamen „x«lx£vTCQog (d. h. der Mann mit eisernen Eingeweiden) u
erhielt, schrieb 4000 Bücher. Sollte mit diesem Briefe Seneca's nicht das
Capitel von Gellius hier in einigem Zusammenhang stehen?
Digitized by Google
XIV. Buch, 6. Cap., § 3. 4. (255)
(lästige störende) Zeugen zu lesen. 3. Und, beim Himmel,
nichts als lauter Wunder standen da verzeichnet, (z. B.) Wie
der erste Grammatiker mit Namen geheissen habe, wie viel
berühmte Männer es gegeben, die alle den Namen des Pytha-
goras führten, wie viele, die Hippocrates geheissen und wie
beschaffen der (enge) Weg am Hause des Ulysses war nach
Homers Angabe (Odyss. XXII, 126 oQOodvQr], oder Odyss.
XXH, 128 lavQt])-, ferner: warum Telemach (Horn. Odyss.
XV, 45) auf seinem Ruhebette den an seiner Seite schlafenden
Pisistratus*) nicht mit der Hand berührte, sondern ihn dureh
das Anstossen mit dem Fusse aufweckte; dann (Horn. Odyss.
I, 441), mit welcher Art von einem Schloss die Eurykleia**)
den Telemach einschloss; ferner: weshalb derselbe Dichter
die Rose selbst nicht kannte, das Rosen(-Salb)-Oel (Horn.
Iliad. XXHI, 186) aber kannte. Ferner standen auch daselbst
die Namen der Gefährten des Ulysses verzeichnet, welche
(Horn. Odyss. XII, 245 u. s. w.) von der Skylla***) entrafft und
zerfleischt worden waren ; ferner : ob Ulysses im mittellän-
dischen Meere, nach der Angabe des Aristarchf), oder im
Weltmeere (Okeanus) herumirrte, nach Annahme des Krates.
4. Ferner stand dort auch geschrieben, welche Verse bei Homer
isopsephische*) sind und heissen, von welchen Wörtern
XIV, 6, 3 ff. Teuffei sagt in s. Gesch. der röm. Lit. 340 höchst
treffend; „Ungeleitet von historischem Sinne und in Dienst genommen
von einer eitlen Rhetorik ohne Selbstgefühl, treibt die Gelehrsamkeit
planlos dahin und vergeudet ihre Schätze."
XIV, 6, 8. *) Pisistratus, Sohn des Nestor, empfangt den Tele-
machos, des Odysseus Sohn, auf dessen Erkundigungsreise und geleitet
ihn nach Sparta, Horn. Odyss. 3, 400. **) Eurykleia, Tochter des Ops,
eine von Laertes gekaufte Sklavin, Erzieherin des Odysseus und in dessen
Hause redliche Schaffnerin. ***) Skylla, ein fürchterlich bellendes Un-
geheuer, das in einer dunklen Höhle eines am Meere gelegenen unüber-
steigbaren Felsen sich aufhielt. Gegenüber lag ein niederer Fels, wo
Charybdis Verderben drohte, die taglich dreimal die Gewässer hinab-
schlang und wieder hervorsprudelte. Als das Schiff des Odysseus zwischen
beiden hindurchschwamm, raubte Skylla sechs Gefährten und verschlang
sie. Horn. Odyss. 12, 73—126 und 235 — 259. f) üeber Aristarch
und Krates s. Gell. H, 25, 4 NB.
XIV, 6, 4. *) Isopsephische Verse (/<joi//»jf/o iniyQafiuaTa), deren
Buchstaben, als Ziffern betrachtet, eine und dieselbe Zahl bilden, z. B.
Horn. Iliad. VII, 264 «IX* av«x etc. und v. 265 xefpwov etc. beträgt die
Digitized by Google
(256) XIV. Buch, 6. Cap., § 4.
eine P a r a s t i c h i s **) (eine Buchstabenreihe, ein Akrostichon)
sich vorfindet; ja, was noch mehr sagen will, welcher Vers***)
es ist, in dem jedes (folgende) Wort eine Silbe mehr hat
(sc. Horn. Uiad. III, 182) ; hernach auch, wie es sich mit seiner
Angabe verhält, dass Schaafe jährlich dreimal gebären (Horn.
Odyss. IV, 86); ferner: ob von den fünf Deckenschichten,
wodurch der Schild des Achilles verwahrt war (Horn. Iliad.
XX, 270), die Schicht, welche aus (purem) Golde bestand, die
Summe der Zahlbuchstaben jeder Zeile: 3498; Horn. Uiad. XIX, 306 fiij
ptnQiv etc. und v.307 äaaa&ai etc. betragt die Summe jeden Verses: 2848.
Die ausserdem noch angeführte Stelle Horn. Odyss. XXIV, 110 onaag etc.
und v. 111 fjnov etc. trifft nicht zu, denn die Summe des ersten Verses
beträgt nur 3102, die des andern aber 3436. Selbst wenn man dem
ersten Verse durch Zusatz eines t noch 300 hat beifügen wollen und zur
grösseren Annäherung so liest: ooöag uoyctXiovg r' avi^ovg etc., würde
doch immer noch nicht die ganz gleiche Summe herauskommen. Muret.
Var. lect. XIV, 13 zieht beispielsweise noch ein griechisches Epigramm
zur Verdeutlichung an, in welchem jedes der beiden Wörter eine gleiche
Summe geben, nämlich:
da/uaySoag und X o c fio g (6, die Pest).
rH oa ^ i^t
Clemens Alexandrinus schreibt: Gott strafe die Menschen oft mit fünf,
sechs und sieben Buchstaben: Xipog (Hunger), Xoiuog (Pest) und noXtpog
(Krieg). Aus den Wörtern vtTXog (Nil), und ptvog (t6, Begierde) kommt
die Zahl der Tage im Jahre heraus :
v e l X o g und fi i v o g
O1OOOO9 |»0 O^OOO©
iO HCOt-ökO ^ lOC-Ö
CO
CO
Vergl. Plutarchs Tischreden IX, 3, 3. Der erste Vers der Ilias besteht
aus gleichviel Silben, wie der erste Vers der Odyssee und dann entsprechen
auch wieder die letzten Verse beider durch Zufall einander.
XIV, 6, 4. **) 77«p«art//f {axQoox^s =■ Akrostichon), Verse, deren
Anfangsbuchstaben Namen oder Wörter bilden, wie z. B. die ersten fünf
Verse vom 24. Buche in Homers Iliade das Wort Xtvxr\. Hier sei noch
bemerkt, dass die beiden ersten Buchstaben des ersten Wortes im Anfange
von Homers Iliade, des Wortes „u ij vivut die Zahl ergeben, als wie
hoch sich die Anzahl der Bücher beläuft, aus welchen die Iliade (24 Bücher)
und Odyssee (24) besteht. S. Senec. epp. 88, 35.
XIV, 6, 4. ***) Beispielsweise hat bei Horn. Iliad. HI, 182 jedes
Wort eine Silbe mehr:
w naxctQ l^TQeldtjy fiotQ^yevig. bXßiodai^wv.
1-, 2-, 3-f 4-, 5 -silbig.
O seePger Atreussohn, (0) Gesegneter, Glücklichgeborner.
Digitized by Google
XIV. Buch, 6. Cap., § 4. 5. — 7. Cap., § 1
(257)
äusserste war, oder in der Mitte sich befand; ferner auch
noch, welche Städte- und Ländernamen eine Umänderung
erfahren hätten, wie Böotien früher Aonien genannt worden
sei, Aegypten früher Aeria, Creta ebenfalls auch den Namen
Aeria geführt habe, Attica früher Akte (und bei den Dichtern
Acta), Corinth früher Ephyre, Macedonien erst Hemathia,
Thessalien vorher Haemonia, Tyros einst Sarra, Thracien
ehedem Sithonia, Paestum (Stadt in Lucanien und berühmt
wegen der dort zweimal blühenden Rosen) Poseidonium ge-
nannt worden sei. 5. So fand sich auch noch verschiedenes
anderes Derartiges in dem Buche verzeichnet (was mich
durchaus nicht weiter anzog oder interessirte). Als ich mich
(deshalb) sofort beeilte, ihm das Buch zurückzugeben, konnte
ich die Bemerkung (doch) nicht unterdrücken, mögest Du,
Gelehrtester der Männer, über diese Vielwisserei (Deine)
Freude haben, und so empfange dieses reichhaltigste Werk
zurück, welches durchaus nichts enthält, was für meine (be-
scheidene) armselige Schrift passt. Denn meine „(attischen)
Nächte", welche Du Dir vorgenommen hattest, durch Dein
lehrreiches Werk zu bereichern, verfolgen bei (allen) ihren
Untersuchungen vor Allem nur den Grundsatz jenes bekannten
homerischen Verses (Odyss. IV, 392), von dem Socrates sagte,
dass er ihm über Alles am Herzen liege:
Was Dir Böses und Gutes daheim im Palaste geschehn sei.
XIV, 7, L. Uebcr die Erklärungsschrift, welche M. Varro selbst eine
einleitende (e igaytoytxi'v) nennt und die er dem zum erstenmal als Consul
ausersehenen C. Pompejus zustellte, über die Obliegenheit bei Zusammen-
berufung des Senats.
XIV, 7. Cap. 1. Dem Cn. Pompejus stand der Amts-
antritt seines ersten Consulats mit dem M. Crassus bevor.
XIV, 6, 5. Socrates fand in diesem homerischen Verse aus der
Odyssee (IV, 392) die ganze Aufgabe der Philosophie bezeichnet, die vor
Allem auf das eigne Herz und Leben gerichtet sein müsse und zählte
deshalb diesen Vers unter seine Lieblingsaussprüche. Wir würden sagen:
Kehre Jeder vor seiner Thüre, dann wird bald die ganze Gasse sauber.
S. Binders Sprüchwörter; Diog. Laert. II, 5, 6. Socrates.
Gel Hub, Attische Nächte. Ii. 17
Digitized by Google
(258)
XIV. Buch, 7. Cap., §2—4.
2. Als Pompejus nun also im Begriff war, die Thätigkeit
dieses hohen, wichtigen Amtes zu beginnen, wandte er sich,
weil er wegen der langen Zeit, die er (ausschliesslich) dem
Kriegsdienst gewidmet hatte und seine Unerfahrenheit in städti-
schen Angelegenheiten herausfühlte, vorher an seinen Freund
M. Varro mit der Bitte, ihm doch eine einleitende (instructive)
Erklärungsschrift (oder, wie sie Varro selbst nennt, commen-
tarium isagogicum oder elaaytoyiy.6v) anzufertigen, um daraus
genau kennen zu lernen, was er zu thun und zu sagen ver-
pflichtet sei, für den Fall, dass er den Senat (zu berufen
und) zu befragen hätte. 3. Diese Erklärungsschrift, welche
M. Varro dem Pompejus über besagten Gegenstand aufgesetzt
hatte, ist verloren gegangen, wie Varro in einem an den
Oppius geschriebenen Briefe, der im „4. Buche seiner in
Briefform abgefassten Untersuchungen" sich befindet, selbst
anhiebt. In diesem Briefe bringt er wieder vielfache auf
diesen Gegenstand bezügliche Bemerkungen vor, die er aus
dem früher verfassten Werke (deshalb) anführte, weil es
(eben) nicht mehr vorhanden war. 4. Zuerst führt er da an,
wer die waren, durch welche nach alter Sitte der Senat
pflegte zusammenberufen zu werden und macht als solche
(der Reihe nach) folgende namentlich: den Dictator, die Con-
suln, die Praetoren, die Volkszunftmeister, den Reichsverweser
(interrex), die Statthalter*) (praefectus urbi, Gouverneur
XIV, 7, 2. Commentarii (la«yo>yixot, über dergleichen Aufzeichnungen
s. Teuffels röm. Lit. Gesch. § 76, 3.
XIV, 7, 4. Dictator s. Gell. I, 25, 6 NB. Ueber die Consuln,
nach der Vertreibung der Könige die höchsten Staatsbeamten der alten
Republik s. Gell. XIII, 13, 1 NB; desgl. daselbst über Praetoren. Die
tribuni plebei (die Zunftmeister der Gemeine) zuerst im J. 261 d. St.
erwählt, sollten dem Volke zum Schutz wider die Aristokratie dienen,
missbrauchten aber oft zu Umtrieben und Unruhen ihre Gewalt. S. Gell.
III, 2, 11. — Interrex, Vicekönig oder Reichsverweser, früher nach
dem Tode eines Königs gewählt, zur Direction der Comitia s. Liv. I, 17, 32,
später in Abwesenheit der Consuln und obersten Leiter. Sein Regiment
dauerte nur fünf Tage, während welcher Zeit alle Gerichtshöfe feierten.
Waren diese fünf Tage verflossen, so musste, wenn es nöthig war, ein
neuer gewählt werden.
XIV, 7, 4. *) Praefectus urbi vertrat bei Abwesenheit (der Könige,
später) der Consuln, deren Rechte. Er hatte daher die Befugniss, den
Senat zu berufen und Vortrag zu halten. Liv. 3, 9. 29.
Digitized by Google
XIV. Buch, 7. Cap., § 4—7. (259)
der Hauptstadt Rom). Ausser den Genannten habe, wie er
sagt, keinem Andern weiter das Recht zugestanden (den
Senat zusammenzurufen und) einen Senatsbeschluss zu veran-
lassen; so oft aber der Fall eingetreten sei, dass (zufällig)
alle diese hohen obrigkeitlichen Personen zu gleicher Zeit sich
zu Rom befanden, dann habe, sagte er, dem am meisten das
Recht, den Senat zur Berathung zusammenzurufen, zugestanden,
welcher in der vorhin verzeichneten Reihenfolge, der erstere
und vornehmere unter ihnen Allen war. 5. Hernach hätten
das Recht den Senat zur Berathung zusammenzuberufen auch
ausnahmsweise die Kriegstribunen noch gehabt, als diese
(einst) mit consularischer Gewalt betraut waren, ferner die
Decemvirn, als sie die consularische Obmacht hatten, so auch
die behufs der Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung im
Staat (vereinigt) gewählten Triumvirn. 6. Hernach schreibt
er über die Einspruchsrechte und sagt, dass das Recht, Ver-
wahrung einzulegen, um einen Senatsbeschluss nicht zur
Durchführung gelangen zu lassen, einzig und allein nur Denen
zugestanden worden sei, welche entweder eine grössere, oder
doch wenigstens dieselbe gleiche Gewalt hatten mit Denen,
welche einen Senatsbeschluss zu veranlassen, abzufassen und
durchzusetzen beabsichtigten. 7. Alsdann schreibt er über
solche Plätze, wo (allein nur) rechtsgültig ein Senatsbeschluss
ausgefertigt und abgefasst werden konnte, und er zeigt und
versichert, dass, wTenn ein Senatsbeschluss nicht auf einem
durch den Augur angeordneten Platze, welcher den eigentlichen
Namen „Tempel"*) führte, vollzogen worden sei, er nicht
XIV, 7, 5. Tribuni militum cum consulari potestate von 310 bis
870 d. St. statt der Consuln gewählt.
XIV, 7, 5. Vergl. Gell. XI, 18, L. NB. Die decemviri legibus
scribundis, zur Abfassung von Gesetzen für die Republik (462 v. Chr. ==•
801 d. St.) erwählt, durchreisten Griechenland, um die Gesetze des Draco,
Solon und anderer berühmter Gesetzgeber kennen zu lernen. So sam-
melten sie das nöthige Material zu dem berühmten Codex der Zwölf-
Tafelgesetze und setzten es auf. Während dieser Zeit verwalteten sie das
alleinige Regiment, wurden jedoch nach Verlauf von noch nicht ganz zwei
Jahren wegen Tyrannei und Missbrauch ihrer Gewalt wieder gestürzt. —
Triumvirn z. B. das Triumvirat des Lepidus, Antonius und Octavianus
Augu8tus.
XIV, 7, 7. *) Tempel Messen solche Oerter, die durch Auguren
17*
Digitized by Google
(260)
XIV. Buch, 7. Cap., §7—9.
für jresetzmässig habe gelten können (s. Dio C. 55, 3). Dabei-
hätte man auch für nöthig erachtet, die Curiengebäude, sowohl
das des Hostilius, wie das des Pompejus und hernach das des
Julius (Caesar) , " weil diese (Versaminlungs-) Orte noch un-
geweiht waren, erst durch die Auguren zu Tempeln einweihen
zu lassen , damit in ihnen nach alter Sitte Senatsbeschlüsse
rechtsgültig abgefasst werden könnten. Unter allen diesen
Bemerkungen findet sich auch diese schriftlich aufbewahrt:
dass nicht alle zu religiösen Zwecken bestimmte Gebäude
Tempel seien, ja selbst nicht einmal das Gotteshaus (die
Capelle) der Vesta sei ein Tempel. 8. Hierauf sagt er
später noch, dass ein Senatsbeschluss vor Aufgang, oder nach
Untergang der Sonne abgefasst, nicht (für rechtskräftig) sei
angesehen worden ; auch seien die, auf deren Veranlassung zu
einer solchen (ungehörigen) Zeit ein Senatsbeschluss durch-
gesetzt wurde, als solche angesehen worden, die ein der
(wohlverdienten) Ahndung des Censors verfallenes Vergehen
begangen hätten (vergl. Dio C. 58, 21). 9. Hernach giebt er
daselbst auch noch über mancherlei andere Dinge Auskunft,
(z. B.) an welchen Tagen es nicht erlaubt sei, eine Senats-
versammlung zu halten (s. Dio C. 55, 3); dass Der, wrelcher
den Senat zusammenzurufen beabsichtigt, vorher das nöthige
Opfer bringen und Anspielen anstellen lassen müsse; dass
stets eher über Religions-Angelegenheiten *), als über mensch-
liche an den Senat Vortrag zu erstatten sei; ferner, dass
Vortrag erstattet werden müsse, entweder im Allgemeinen
über Staatsangelegenheiten, oder insbesondere über jeden ein-
zelnen Fall (namentlich); dann, dass ein Senatsbeschluss auf
doppelte Weise abgefasst wurde, entweder (per discessionem)
(Priester), welche den Flug der Vögel beobachteten und daraus weissagten,
feierlich eingeweiht und zu Religionshandlungen bestimmt worden waren.
Doederl. lat. Syn. V, 160 fuhrt es zurück auf ripevog, Hain von ututiv
(t^uv(iv) absondern, trennen; s. Liv. 2, 56. Sacellum war ein Gottes-
haus ohne Dach, mit einem Altar in seinem Umkreis, s. Gell. VII (VI),
12, 5. 6; Fan um bezeichnet einen zu einem künftigen Tempel heiligen,
geweihten Platz. Fanum=Bann, d. h. (heiliger) Bezirk. S. Doederlein lat.
Syn. VI, 122. Vergl. Varro 1. 1. VI (V), 54; Liv. 10, 37; Gell. XVII,
2, 19. — Horat. Od. i; 2, 16 eignet der Vesta ausdrücklich Tempel zu.
XIV, 7, 9. *) S. Liv. 22, 1 ; 39, 15. 16.
Digitized by Google
XIV. Buch, 7. Cap., § 9. 10.
(261)
durch Abtreten (der Senatoren auf eine Seite), bei einstim-
migem Beschluss, oder im zweifelhaften Fall (bei getheilter
Abstimmung) durch besondere Umfrage zur Erforschung nach
der Meinung jedes Einzelnen (per singulorum sententias ex-
quisitas); (bei besonderer Umfrage) müsse jeder Einzelne
stufenweise (d. h. dem Range nach) befragt werden und jedes-
mal bei einem im consularischen Range Stehenden angefangen
werden. Früher pflegte nun zwar immer zuerst Der aus
solchem (hohen) Range (um seine Meinung) gefragt zu werden,
welcher (der älteste Senator, also) zuerst in den Senat**)
war aufgenommen (und aus der Reihenfolge der Liste von
den Censoren verlesen) worden war (vergl. Gell. IV, 10, 2 NB).
Bezüglich dieser letzten Angabe bemerkt Varro, dass zu der
Zeit, als er dies niederschrieb, eine neue Sitte aufgekommen
sei, nach Nebenrücksichten und aus Liebedienerei, so dass
Derjenige zuerst (um seine Meinung) befragt wurde, welchen
der (Vorsitzende), der die Rathsversammlung abhielt, diese
Begünstigung, ihn zuerst (ausser der Reihe) zu befragen, er-
weisen wollte, wofern dieser nur vom Range eines Con-
suls***) war (vergl. Gell. IV, 10, 5). 10. Ausserdem handelte
er auch noch ausführlich über Bestrafung durch Auspfändung,
XIV, 7, 9. **) S. Gell. II, 10, 2 NB.
XIV, 7, 9. ***) Lange röm. Alterth. § 111 p. (313) 335 erwähnt die
spätere Aenderung der „lectio senatus", welche durch die lex Ovinia den
Inhabern der consularischen Gewalt entzogen und den Censoren anheim
gegeben wurde, denen sie (nach Festus 24(j) die Verpflichtung auferlegte,
ut ex omni ordine Optimum quen^que jurati (bei Festus curiati ctr. Zon.
7, 19) in senatum legerent, und beweist einen Irrthum des Zonaras in
Bezug auf eine falsche Angabe des Zeitpunktes, wo die lectio senatus
nicht einem spätem Gesetze zugeschrieben wird, sondern gleich bei der
Einrichtung der Censur den Censoren übertragen worden sein soll. Ferner
zeigt Lange deutlich, dass die Worte ex omni ordine nur auf die Stände
und Grade (hier bei Gellius „dum is tarnen ex gradu consulari esset", d. h.)
der gewesenen Consuln, Praetoren und curulischen Aedilen sich beziehen
müssen (cfr. Liv. 23, 23) und das Gesetz also nur nach 387 367 gegeben
sein muss, da erst in diesem Jahre die Praetur und die curulische Aedili-
tät eingesetzt wurden. Vergl. weiter^noch Lange p. (314) 330.
XIV, 7, 10. Senatoren, welche unentschuldigt und ohne triftigen
Grund bei der Sitzung weggeblieben, oder zu derselben zu spät gekommen
waren, mussten eine Strafe erlegen. Nach Dio Cassius B. 54 cap. 15 und
18 erhöhte Augustus diese Strafe. Bei verweigerter Erlegung dieser Strafe
Digitized by Google
(262) XIV. Buch, 7. Cap., § 10—13. —8. Cap., § 1.
dann über die Geldbussebestimmung (als Zwangsmittel) für
einen Senator, der, obgleich er (gesetzlich) verbunden war, in
den Senat zu kommen und der Sitzung beizuwohnen, (trotzdem)
weggeblieben war. 11. Diese und viele andere Dinge der
Art bespricht M. Varro in dem von mir oben erwähnten
Buche, in dem (speciell) an Oppianus gerichteten Briefe aus-
führlich. 12. Allein in Betreif seiner Angabe, dass ein Senats-
beschluss auf doppelte Weise abgefasst werden könne, ent-
weder durch Sammeln von Meinungen (und Stimmen) , oder
durch Hintreten auf eine Seite, so scheint mir das wenig
übereinzustimmen mit dem, was uns Atejus Capito in seiner
„Bemerkungssammlung" schriftlich aufbewahrt hat. 13. Denn
im 9. Buche theilt er mit, dass Tuber o behaupte, es
könne kein Senatsbeschluss zu Stande kommen ohne vorher-
gegangenes Zusammen -Hintreten (auf eine Seite), weil bei
allen Senatsbeschlüssen, sogar auch bei solchen, welche nur
nach einem Vortrage zu Stande kämen, das Hintreten (auf
eine Seite) unumgänglich nothwendig sei, und Capito selbst
lässt der Wahrheit dieser Behauptung von Tubero Gerechtig-
keit widerfahren. Allein ich erinnere mich (eben) meiner
vollständigeren und ausführlicheren Behandlung dieses Gegen-
standes an einer andern Stelle (meines Werkes und breche
deshalb hier ab. S. Gell. III, 18, 2).
XIV, 8, L. Man hat sich vielfach über die Frage hin- und hergestritten,
ob der, wegen des gemeinsamen Bundesfestes der Lateiner gewählte
(und zurückbleibende) oberste Stadtverweser die Befugniss habe, den Senat
zum Zweck der Berathung zu berufen.
XIV, 8. Cap. 1. Juni us behauptet, dass der wegen des
gemeinsamen Bundesfestes der Lateiner gewählte und zurück-
schickte der Consul wohl gar Zimmerleute und liess "zur Auspfändung
die Thüre in des strafbaren Senators Haus erbrechen. Vergl. Cic.
Philipp. I, 5.
XIV, 7, 13. Ueber Tubero s. Gell. VII (VI), 3, 1 NB. Ueber die
Möglichkeit einer discessio nach der Umfrage vergl. Dion. 11, 21; Caesar
b. G. 8, 53; Lange röm. Alterth. § 114 p. (352) 379; Liv. 3, 41; Cic.
Sest. 34, 74; Phil. 6, 1, 3; Sen. vit. b. 2, 1; Plin. ep. 2, 11, 22; 8, 14, 19;
9, 13, 20.
XIV, 8, L. Nach Besiegung, Unterwerfung und Zerstörung von Alba,
dem Haupte des lateinischen Bundes, durch den ausgefochtenen Kampf
Digitized by Google
XIV. Buch, 8. Cap., § 1. 2. (263)
gelassene oberste Stadtverweser keine Befugniss habe, Senats-
sitzung abzuhalten, weil er nicht einmal Senatorenrang
habe und ihm daher auch kein Spruchrecht zustehe, zumal
wenn ihm die Stellvertretung (der obersten Stadtbehörde) gar
etwa schon in einem Alter übertragen wird, welches noch
nicht das zur Erlangung der Senatur erforderliche sei. 2.
Allein M. Varro „im 4. Buche seiner in Briefform abgefassten
Untersuchungen" und Atejus Capito „im 9. Buche seiner
Bemerkungssammlung" behaupten Beide, dass dem Stadtver-
weser die Befugniss, Senatsversammlung zu halten, wohl zu-
stehe, und Capito berichtet, dass Varro mit dem Tubero
ganz einerlei Meinung gewesen sei, entgegen der Ansicht
des Junius. Es lauten die Worten „Denn auch den Volks-
zunftmeistern steht das Recht zu, den Senat zu berufen, ob-
gleich sie, vor dem (Gemeine-) Beschluss des (Volkszunft-
meisters) Atinius*), nicht Senatorenraug hatten."
zwischen dem römischen und albanischen Drillingsbrüderpaar hatten die
Lateiner gewisse heilige Gebräuche mit den römischen Bürgern gemein-
schaftlich, z. B. die heiligen Gebräuche der Diana zu Rom (s. Liv. I, 45)
und die lateinischen Feste (feriae Latinae), welche auf dem
Berg Albanus mit grosser Feierlichkeit begangen und vom Tarquinius
zuerst auf einen Tag angeordnet wurden, dem Jupiter Latiaris (oder
Latialis) zu Ehren, als dem Beschützer des Latinerbundes. Nach Ver-
treibung der Könige dauerten sie zwei!, dann drei, und zuletzt vier Tage.
S. Liv. 7, 42. Vergl. Ad. Stahr: Ein Jahr in Italien I, S. 414-419.
XIV, 8, 1. Ueber M. Junius s. Teuffels Gesch. der röm. Lit. 143, 2. —
Aetas senatoria vergl. Cic. de leg. Man. 21, 61 und Lange röm.
Alterth. § 111 p. (318) 340.
XIV, 8, 2. *) Die Tribunen hatten rücksichtlich des Senats anfänglich
gar kein Recht, aber sie erhielten dieJTheilnahme an den Sitzungen nebst
der Intercession (Rechtsvorbehalt, Einspruchsbefugniss) durch ihr: Veto,
intercedo, prohibeo. Zuerst sassen sie an den Thüren der Curie, später
jedoch erhielten sie einen regelmässigen Sitz nebst der Befugniss, den
Senat sogar zu versammeln und an denselben zu referiren, wahrscheinlich
bald nach der lex Valeria, welche den Tributbeschlüssen allgemeine Geltung
einräumte. In Folge davon wurden auch die Ex -Tribunen von den Cen-
soren bei !der nächsten Lectio als^Senatoren aufgenommen. Wichtig für
das Verhältniss der Tribunen zu dem Senat ist das hier bei Gellius er-
wähnte und bestrittene plebiscitum Atinium (Lübker). Vergl. GelL
XVII, 7, 1 NB, und Lange röm. Alterth. § 111 p. (31G) 338.
Digitized by Google
XV. BUCH.
XV, 1, L. Was in des Q. Claudius Jahrbüchern bemerkt steht, dass Holz
mit Alaun bestrichen (und getränkt) nicht in Brand gerathe
XV, 1. Cap. 1. Der Rhetor Antonius Julianus hatte, wie
ausserdem sonst immer, auch einst gerade einen gar sehr
ergötzliehen und (lehrreichen) von bedeutendem Erfolg be-
gleiteten Vortrag gehalten. Denn diese rhetorischen (Schul-)
Vorträge legen zwar fast (immer) die (hervorragende) Eigen-
thiimlichkeit desselben Mannes und das grosse Talent der-
selben Rednergabe klar zu Tage, sind jedoch nicht an jedem
Tage von demselben glücklichen Erfolg begleitet. 2. Wir,
seine Freunde (Verehrer und Bewunderer), umringten ihn
(einst nach beendigter Vorlesung) von allen Seiten und waren
eben im Begriff, ihn nach Hause zu begleiten, als wir gleich
darauf, während wir den Berg Cispius emporstiegen, so ein
aus vielen über einander gebauten Stockwerken bestehendes
Familienhaus (insula) in hellen Flammen stehen und auch
schon alle Nachbargebäude in entsetzlicher Gluth auflodern
sahen. 3. Da nun äusserte Einer von den Begleitern des
Julianus: Gross mögen allerdings die Pfründen und Einkünfte
(reditus) von diesen städtischen Grundstücken (in Rom) sein,
dafür ist aber auch (verhältnissmässig) das Risico (wegen
öfterer Feuersgefahr) noch weit grösser. Wenn es nun aber
XV, 1,1, Vergl. Bernhardys r. L. 17, 65.
XV, 1, 2. Insulae, hohe Miethhäuser, grosse zusammenhängende
H&usercomplexe , die man rings umgehen konnte, von reichen Gapitalisten
auf Speculation zum vermiethen an Aermere gebaut. S. Stahrs Sueton.
Nero 16. 44.
Digitized by Google
XV. Buch, 1. Cap., § 3-7. (265)
irgend ein (Abwehr-) Mittel gäbe, den so häufig vorkommen-
den Häuserbränden in Rom vorzubeugen (oder gar abzuhelfen),
wahrhaftig, ich würde sogleich meinen landwirtschaftlichen
Besitz losschlagen und städtischen dafür ankaufen. 4. Diesem
erwiderte nun Julianus unter heiterem Scherz, wie es so seine
Art und Gewohnheit war, im Laufe des Gespräches Folgendes:
Hättest Du das 19. Buch von des Q. Claudius (Quadrigarius)
Jahrbuch, des besten und unparteiischesten Schriftstellers, ge-
lesen, so würdest Du ganz sicher von dem Archelaos, dem
General des Königs Mithridates, erfahren haben, durch was
für so ein anschlägiges Hilfsmittel man sich des Feuers er-
wehren kann, so dass selbst ein hölzernes Wohnhaus nicht in
Brand geräth, wenn es auch gleich von Flammen ergriffen
und umgeben ist. 5. (Aus Neugierde) erkundigte ich mich
sofort, worin wohl dieses (wunderbare) Abwehr-Mittel bestände.
■6. Er begann also wieder: In dem angegebenen Buche fand
ich folgende Bemerkung verzeichnet: Als L. Sulla in (der
Landschaft) Attica den (Hafen) Piraeus (bei der Hauptstadt
Athen) belagerte, und dagegen Archelaos, der General des
Königs Mithridates, welcher von der Hauptstadt aus die
Vertheidigung leitete und zu Vertheidigungszwecken einen
hölzernen Thurm hatte erbauen lassen, soll man durchaus
nicht im Stande gewesen sein, diesen Holzthurm abzubrennen,
obschon er von allen Seiten vom Feuer umringt worden wäre,
weil er (vom Archelaos) mit Alaun überstrichen (und durch-
tränkt) worden war. 7. Die Stelle aus dem besagten Buche
des Quadrigarius lautet also: „Als Sulla (bereits) alle mög-
lichen Anstrengungen gemacht hatte, führte er (endlich) nach
langer Zeit seine Truppen vor, um einen hölzernen Thurm,
welchen Archelaos (ihm als Bollwerk) entgegengesetzt hatte,
in Brand stecken zu lassen. Er lässt (also) vorrücken, an-
greifen, Holz anlegen, die griechischen Vertheidiger (daraus)
vertreiben, (und) Feuer anlegen. Lange genug haben sie sich
Mühe gegeben (ihn anzubrennen, doch es war alle Mühe ver-
XV, 1, 6. Archelaos, Feldherr des Mithridates, von Sulla (86) bei
Chaeronea geschlagen und bald darauf in Böotien vernichtet, fiel beim
König in Ungnade und nahm seine Zuflucht zum römischen Feldherrn
Murena. Bei Appian. Mithridat. 31 wird nichts von Alaun erwähnt.
Digitized by Google
(266) XV. Buch, 1. Cap., § 7. - ?. Cap., § 1 -4.
gebens), sie konnten ihn nun und nimmermehr zum Brennen
bringen, so hatte Archelaos das ganze Bauholz mit Alaun
^tränken und) überziehen lassen, worüber Sulla und seine
Soldaten voller Verwunderung waren, und als der Thurm
durchaus nicht anbrennen wollte, zog er (der römische Feld-
herr) seine Truppen wieder zurück."
XV, 2, L. Dass Plato in den Büchern, welche er über die Gesetze ver-
fasste, die Meinung ausgesprochen habe, mitunter seien (auch) die schon
etwas reichlicheren und fröhlicheren Weingelage bei (Gelegenheit von)
Gastereien durchaus nicht schädlich.
XV, 2. Cap. 1. Ein Mensch von der Insel Creta, der
seinen Aufenthalt in Athen genommen, gab sich für einen
platonischen Weltweisen aus und verlangte dafür angesehen
zu werden. 2. Er war aber (in Wirklichkeit nur) ein nichts-
würdiger Schwätzer, der gern prahlte mit seinem Ruhme in
griechischer Beredtsamkeit, und überdies bei seiner Weingier
bis zum Gespött Trunkenbold. 3. Bei den gemeinschaftlichen
Schmaussereien (und Zusammenkünften), die wir jungen Leute
nach unserer Gewohnheit (jedesmal) an dem Monatsersten
feierlich begingen, konnte dieser Mensch es nie lassen, sobald
das Mahl zu Ende war, und die nützlichen und ergötzlichen
Unterhaltungen begonnen hatten, das Wort zu ergreifen und
Alle unter einer Art verächtlichen und plumpen Wortschwalls
zum Trinken aufzufordern, und erkärte dies ganz nach plato-
nischem Grundsatz (und im Sinne dieses Weltweisen) zu thun,
gleich als hätte Plato in seinen Büchern, welche er über die
Gesetze verfasste, das Lob der Trunkenheit mit beredten
Worten geschildert und sie braven und tapfern Männern als
nützlich angepriesen, und unter dergleichen Rederei ersäufte
er durch öfteres Leeren der mächtigen Poeale sein ganzes Bis-
chen Verstand, wobei er fortwährend die Behauptung wieder-
holte, das (Trinken) sei eine Art Zündstotf und ein Anreizungs-
mittel für den Verstand und für die Herzhaftigkeit, wenn des
Menschen Geist und Körper vom Weine glühe. 4. Allein Plato
hat, im I. Buche (p. 647, E) und im II. (p. 666, B) von den
XV, 2, 3. Macrob. Saturn. II, 8. Vergl. bei Sen. ep. 29, 5; Luciaa
Fugit. 18 und Lucian Lapith. 32 f.
Digitized by Google
XV. Buch, 2. Cap., §4—6.
(267)
Gesetzen, die Trunkenheit, wie dieser Dunstmacher vorgab,
durchaus nicht gelobt, dieses hässlichste aller Laster, welches die
(edleren) geistigen Regungen im Menschen nur zu erschüttern
und zu entkräften pflegt; aber (unter gewissen Umständen bei
gemeinschaftlichen Mahlzeiten) hielt er ein etwas reichlicheres
und zu grösserer Heiterkeit anregendes Wein -Zechgelage
nicht für missbilligungswerth , nur müsse es unter der Auf-
sicht von besonnenen Schmaussanordnern und Zech-
meistern geschehen. 5. Denn durch Erheiterungen beim
Trinken, zumal wenn die Besonnenheit und der Anstand nicht
ausser Obacht gelassen wird, würden nach seiner Meinung
die Geistesschwingen zur Erneuerung und Wiederherstellung
der Massigkeitsverpflichtung (für künftige Geschäfte) neu ge-
kräftigt und aufgefrischt und unter der Hand freudiger an-
geregt und zur Uebernahme neuer Anstrengung fügsamer
gestimmt; es komme dazu aber auch noch, dass (öfters)
ungehörige Leidenschaften, Wünsche und Begierden, welche
irgend eines Menschen Brust innewohnten, die er aber aus sitt-
samem Schamgefühl nur noch zu verhehlen suchte, alle auf ein-
mal olme grosse Gefahr, nachdem seine Offenherzigkeit durch
den Wein(genuss) rege geworden, aufgedeckt und ans Licht
gebracht würden und (ihm) nun geeignetere Gelegenheit böten,
an seiner Besserung und Heilung zu arbeiten. 6. Daselbst
fügt Plato auch noch diese Bemerkung hinzu, dass dergleichen
Uebungen (d. h. den Wein vertragen zu lernen) nicht (gänz-
lich) zu fliehen und mit Ekel zurückzuweisen seien, um des
Weines Allgewalt einen Widerstandsdamm und eine Abwehr
entgegenzusetzen, und dass ein völlig enthaltsamer und (stets)
massiger Mensch (noch lange) nicht für zuverlässig sicher und
fest (in seinen Grundsätzen) gehalten werden könne, dessen
Lebenswandel und Lebensweise noch nie unter den Gefahren
der Verirrungen und mitten in den Verführungen der sinn-
XV, 2, 4. Die Alten pHegten bei ihren Gastgelagen einen Vorsteher,
Director, Präsident durchs Würfeln zu ernennen und hiessen ihn: arbiter
bibendi (Trink-Zech- Richter), magister oder rex convivii, modiperatoi
oder modimperator , av^noaiunx^ (Schruausskönig) , dictator, dux, stra-
tegus, pater coenae u. s. w. Er leitete Alles nach eigenem Belieben.
S. Hör. Od. I, 4, 18; II, 7, 25; Cic. Sen. 13, 45. Horaz Sat II, 8, 36
nennt ihn (navo/os) parochus, d. h. Gastherr (Wirth vom Hause).
Digitized by Google
(268) XV. Buch, 2. Cap., § 6—8.-3. Cap., § 1—3.
liehen Vergnügungen einer Prüfung und Anfechtung ausgesetzt
war. 7. Denn wem alle Vergnügungen und fröhlichen An-
reizungen von Gastereien unbekannt bleiben, und wer darin
ganz und gar ohne Erfahrung ausgeht, wird, wenn ihm zu-
fällig sein eigner Wille (einmal) zur Theilnahme an derartigen
Tafelfreuden bewog, oder der Zufall ihn verleitete, oder die
Notwendigkeit ihn dazu drängte, (dann) gewöhnlich den Ver-
lockungen unterliegen, und seine Seele und sein Geist wird
nicht Stand zu halten vermögen, sondern, von dieser neuen
(ihm ungeahnten) Macht betroffen, zum Wanken kommen.
8. Daher ging seine Meinung dahin, man müsse streitgerüstet
sein, und so wie in einer Art Schlachtreihe geraden Weges
mit den Lockungen des Vergnügens und mit des Weines
Uebermuthskobold den Kampf aufnehmen, um nicht durch
die Flucht, oder durch Abwesenheit uns gegen diese feind-
lichen Angriffe in Sicherheit zu setzen; sondern durch be-
ständig frischen Muth und Geistesgegenwart und durch be-
sonnene Uebung, Mässigung und Enthaltsamkeit zu behaupten
lernen, um Alles hinwegzuspülen, wenn frostige Verzagtheit
oder lähmende AengstUchkeit uns fceschleicht, und um den
Muth in der Brust (von Neuem durch einen Trunk) zu er-
wärmen und beleben.
XV, 3, L. Wbs Cicero von der Partikel (,,au") gedacht und geschrieben
hat, welche in den beiden Zeitwörtern „aufugio" (ich entfliehe) und in
„aufero" (ich trage weg) die Anfangssilbe bildet; und ob diese Anfangssilbe
in dem Zeitworte „autumo" für dieselbe Praeposition gehalteu werden müsse.
XV, 3. Cap. 1. Ich las (einst) das Buch des M. Cicero,
welches überschrieben ist: „Der Redner (orator)". 2. Nach
seiner (vorausgegangenen) Bemerkung in diesem Buche, dass
die (beiden) Wörter „aufugio" und „aufero" allerdings wohl
zusammengesetzt seien aus der Praeposition „ab" und den beiden
Zeitwörtern fugio (ich fliehe) und fero (ich trage), dass aber
diese Praeposition, (unter Flüssigwerden des b- Lautes und)
um den Wortlaut für die Aussprache und fürs Ohr zu mildern,
in die Silbe „au" umgeändert und verwandelt worden sei,
und man angefangen habe, aufugio und aufero für abfugio und
abfero zu sagen; 3. nach dieser seiner (vorausgeschickten)
Bemerkung, sag' ich, schreibt er daselbst über dieselbe Par-
Digitized by Google
XV. Buch, 3. Cap., §3 — 8.
(269;
tikel wörtlich (inquit) also (Cic. orat. 47, 158): „Diese Silbe
(au) findet sich als Vorwort nirgends weiter, als in diesen
beiden Wörtern." 4. Allein in dem Werke des Nigidius über
Sprachbeobachtungen (in commentario Nigidiano) fand ich
(die Ansicht ausgesprochen), dass das Zeitwort autumo zu-
sammengesetzt sei aus der Praeposition „ab" und dem Worte
„aestumo", dass man es nur abgekürzt, und anstatt abaestumo
gesagt habe, was soviel bedeuten solle, als totum aestumo
(gänzlich abschätzen), gleichsam abnumero (abzählen). 5.
Allein trotz (aller) Hochachtung vor dem höchst gelehrten
P. Nigidius scheint mir seine Behauptung doch mehr kühn
und spitzfindig, als wahr (und zutreffend) zu sein. G. Denn
autumo steht nicht allein in der Bedeutung von aestumo,
sondern auch von dico (sage) und opinor (glaube) und censeo
(behaupte), und mit diesen Ausdrücken stimmt diese Prae-
position weder dem Lautzusammenhang, noch der Begriffs-
bezeichnung nach überein. 7. Ausserdem würde ja auch M.
Tullius (Cicero), dieser Mann von so höchst scharfer Ge-
wissenhaftigkeit bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten, nicht
behauptet haben, es fänden sich nur diese beiden Wörter
allein vor, wenn er wirklich noch irgend ein anderes drittes
hätte ausfindig machen können. 8. Allein es verlohnt sich
wohl noch (der Mühe), zu untersuchen und zu erwägen, ob
die Praeposition „ab" mehr wegen des Klangwohllautes in
„au" verändert und umgetauscht wurde, oder ob diese Par-
tikel ein selbstständiges Stammwort ist und, wie viele andere
Praepositionen von den Griechen, so auch diese daher entlehnt
worden sei; wie man (diese Silbe) in einem Verse Homers
(Hiad. I, 459) findet:
Beugten die Thiere zurück (tti-tQvoav) und schlachteten, zogen die
Häuf ab;
und (Horn. Iliad. XIU, 41):
Tobend mit wildem Geschrei («u-fa/o«).
XV, 3, 3. S. Quinct. I, 5, 69.
XV, 3, 4. autumo von aio, wie negumo von nego.
XV, 3, 5. üeber Nigidius s. Gell. IV, 9, 1 NB; XIII, 26 (25), 1. 5.
XV, 3, 8. av-(Qv(o (dJ=-€QV(o, zurückziehe). avt adv. ursprünglich:
zurück, rückwärts, wird von Einigen, welche die Bedeutung des av
„zurück" leugnen, als aus ava entstanden erklärt, so Lob. Path. El. I
(270)
XV. Buch, 4. Cap., § 1-3.
XV, 4, L. Eine dem Andenken überlieferte Erzählung von dem Ventidius
Bassus, einem Manne von (eigentlich) niedriger Herkunft, der zuerst den
Sieg über die Parther davongetragen habe.
XV, 4. Cap. 1. Bei einer neulichen Unterhaltung zwi-
schen einigen älteren Gelehrten kam die Rede darauf, dass
in alter Zeit auch viele Männer vorher (ganz unbekannt)
von niederer Abkunft und ganz gering geachtet, sich zu den
höchsten Ehrenstellen aufgeschwungen haben. 2. Doch wusste
man durchaus kein Beispiel von irgend Einem anzuführen,
das so grosse Bewunderung erregte, als die Berichte, welche
über den Ventidius Bassus verzeichnet sind. 3. Man
erzählt von ihm, dass er aus dem Picenischen stammte,
aus niedrigem Stande und Orte, dass seine Mutter mit ihm
im Bundesgenossenkriege von dem Vater des grossen Pom-
pejus, von dem Pompejus Strabo, bei Unterjochung der As-
culaner, gefangen genommen worden war, und dass kurz
darauf, als (dieser) Pompejus Strabo seinen feierlichen
Einzug hielt, er unter den übrigen (Gefangenen) als Knabe
p. 41. 592 sq. Doederl. n. 2290 = «, copulativum und zusammengesetzt
mit dem Digamma bei aviayog (= a^p-(uyog) zusammen oder gemein-
schaftlich schreiend; Beiwort der Troer, welche schreiend in die Schlacht
rückten, die Griechen hingegen schweigend. (Vergl. Gell. I, 11.) Das cc
copulativum ((UtQoimixov i. e. collectivum, sammelnd) verwandt mit «u«
bezeichnet 1) eine Verbindung oder Vereinigung, z. B. äxnais, Bett-
genossin (*o/ri}. xtifiai) = akayoq (Xo/og, lectum, Bett von teyto)\ 2) Gleich-
heit: (tT(tlavjogy gleichwiegend; 3) Sammlung oder Vereinigung an einem
Ort: uTTavTfg, aftpwg, auf einem Haufen.
XV, 4, 2. P. Ventidius Bassus, Sohn eines Picenters, im Bundes-
genossenkrieg zum Sklaven gemacht (89 v. Chr.), wurde vom Caesar sehr
bevorzugt, als Antonianer sogar Consul. Er trug den ersten Sieg über die
Parther davon (38 v. Chr.), Dio Cass. 48, 39 etc.; Val. Max. VI, 9, 9;
Plin. EL N. 7, 23; Vellej. Pat. 2, 65, 3; Plutarch. Anton. 44; Juven. 7, 197;
Appian. Parth. 157; Cic. Phil. 12, 9; 13, 2; Epist ad Fam. 10, 17, 1^
10, 18, 8; 10, 33, 12; 11, 9, 2; ad Attic. 16, 1; ad Brut. 5.
XV, 4, 3. Picenum, Landschaft im östlichen Italien, am venetiani-
schen Meerbusen, jetzt das Gebiet der Stadt Ancona, berühmt durch
treffliches Obst und Oel. Varr. R. R. I, 50, 2; Cic. Attic. 7, 21, 2.
XV, 4, 3. A s c u 1 u m , feste und ansehnliche Hauptstadt von Picenum
in Mittelitalien, im Bundesgenossenkrieg zerstört, dann wieder aufgebaut,
jetzt Ascoli, auf einem Berge, an dem der Truentus (Tronto) vorbeifliesst.
XV. Buch, 4. Cap., § 3.
(271)
an der Brust seiner Mutter, vor dem (Sieges-) Wagen des Feld-
herrn hergetragen worden sei; dass er später, als er heran-
gewachsen war, sich seinen Lebensunterhalt kümmerlich habe
suchen müssen und sich ihn fauch) für niedrigen Lohn er-
worben habe durch Ankauf von Mauleseln und Wagen, welche
er von Staatswegen als Lieferung (pachtweise) zur Beförderung
der in die Provinzen abreisenden hohen Staatsbeamteten
übernommen hatte. Bei diesem Gewerbe habe er auch zuerst
die Bekanntschaft mit Caesar gemacht und sei (in Folge da-
von) mit ihm nach Gallien gereist. Weil er sich nun da in
dieser Provinz so sehr rührig angestellt hatte und hernach
alle die vielen im Bürgerkriege ihm aufgetragenen Befehle
unverdrossen pünktlich und gewissenhaft vollzogen, habe er
sich deshalb nicht nur Caesars Freundschaft erworben, sondern
sei auch dadurch zum höchsten Range emporgestiegen; in
Kurzem sei er zum Volkszunftmeister und hernach zum
Praetor ernannt und in dieser Zeit mit dem M. Antonius
vom Senat für einen Feind (des Vaterlandes) erklärt worden,
hernach aber habe er nach (Wieder-)Vereinigung der Parteien
nicht nur seine vormalige Würde wiedererlangt, sondern auch
das Pontificat und endlich sogar das Consulat erreicht; diese
Auszeichnung sei dem römischen Volke (aber doch) uner-
träglich und anstosserregend vorgekommen, weil man sich
noch recht gut erinnern konnte, wie er (einst) als Maulesel-
wärter sein Brot verdient habe, so dass man öffentlich in
den Strassen der Stadt (pasquillantisch) die Verschen an-
geschrieben fand:
Ihr Seher all' und Zeichendeuter, kommt herbei,
Es ward ein seltnes neues Wunder ausgeheckt,
Der einstens Eselsstriegler war, ist Consul jetzt.
XV, 4, 3.. Gnaeus- Pomp ejus, mit dem Beinamen der Schielende
(Strabo), wurde im Jahre 90 v. Chr. wegen seiner Grossthaten im Bundes-
genossenkriege mit dem Triumphe beehrt. Im Jahre 89 begleitete er das
Consulat. Wegen seines Geizes und seiner Grausamkeit wurde er vom
Volke gehasst. 87 vom Blitze erschlagen, misshandelte seinen Leichnam
eine von dem ihm zürnenden Adel gedungene Schaar Banditen.
XV, 4, 3. S. Lange röm. Alterth. § 111 p. (321) 343. Caesar hatte
in seinen revolutionär monarchischen Bestrebungen allerhand Leute, selbst
aus den niedrigsten Standen in den Senat aufgenommen, der dadurch bis
Digitized by Google
(272) XV. Buch, 4. Cap., §4.-5. Cap., § 1. 2.
4. Nach dem Bericht des Suetonius Tranquillus wurde dieser
(Ventidius) Bassus von M. Antonius zum Statthalter über die
morgenländischen Provinzen gesetzt, und sollen die in Syrien
eingedrungenen Parther von ihm in drei Treffen völlig über-
wunden worden sein, deshalb soll er auch zuerst einen feier-
lichen Einzug wegen dieses (vollständigen) Sieges über die
Parther gehalten haben und nach seinem Tode auf Staats-
kosten feierlich bestattet worden sein.
XV, 5, L. Dass das Wort „profligo" (gesprächsweise) von sehr Vielen
uneigentlich und ungeschickt angewendet werde.
XV, 5. Cap. 1. So wie durch die Dummheit und Unwissen-
heit Derer, die falsch und unrichtig sprechen, überhaupt sehr
viele Ausdrücke (aus Unbildung), weil sie dieselben nicht
verstehen, abgeändert und der richtigen Bedeutung und dem
Sprachgebrauch zuwider verunglimpft werden, so ist auch die
Bedeutung des (bekannten) Wortes: „profligo" (niederschlagen,
zu Grunde richten) verändert und verdorben worden. 2. Denn
da das Wort von „adfligere" abgeleitet und hergenommen ist,
in der Bedeutung: zu Boden werfen, und zum Verderben,
zum Untergang führen, und (nachweislicher Massen) alle Die,
welche sich einer untadeligen Ausdrucksweise befleissigten,
das Wort in dem Sinne nehmen von „prodigere" (der Gefahr
preisgeben) und „deperdere" (zu Grunde richten, verderben),
so verstanden sie auch unter dem Ausdruck: protligatae res
Dasselbe, was man mit pronMctae und perditae (res) bezeich-
nete, d. h. zu Grunde gerichtete und vernichtete Sachen.
Jetzt aber höre ich von Gebäuden und Tempeln und noch
vielen andern Dingen, welche beinahe vollendet oder ziemlich
zu der unbeholfenen Grösse von 900 Mitgliedern angewachsen war. Dio
Cass. 43, 47; Suet. Caes. 41. 76. 80; Cic. Fani. 6, 18, 1; Macrob. Sat.
II, 3; VII, 3.
XV, 4, 4. Tacit. Germ. 37, 7; Eutrop. 7, 3, 4. 5; Florus 4, 9, 5;
Justin. 42, 4, 7; Joseph. 14, 14. 15; Dio Cass. 49. Höchst ehrenvoll war
es für den Ventidius Bassus, welcher in seiner Kindheit als Sklave vor
dem Triumphwagen des Pompejus hergetragen wurde, hernach selbst einen
der herrlichsten Triumphe feiern zu können, der um so ehrenvoller war,
als er die schimpfliche Niederlage des Crassus an den Parthern so nach-
drücklich rächte.
Digitized by Google
XV. Buch, 5. Cap., §2—7.
(273)
fertig sind, den Ausdruck gebrauchen: in profligato*)
esse (in bevorstehender Vollendung begriffen sein, der Voll-
endung nahen), und dass sie schon weit gediehen und bald
beendigt seien, dies (ganz einfach) ausdrücken durch: esse
profligata. 3. Deshalb fühle ich mich in Bezug auf diese
Bemerkung bewogen, die feine und witzige Antwort eines
sehr gebildeten Praetors anzuführen, welche derselbe, nach
dem schriftlichen Bericht des Sulpicius ApoUinaris, einem
(unreifen) Milchbart aus dem Advocatenschwarm gegeben hat.
4. Denn, so steht bei Sulpicius geschrieben, als einst ein vor-
lauter Rabulist darauf bestand, sich noch Gehör zu erwirken
und sich (deshalb) so hatte vernehmen lassen: „Alle die
Rechtssachen (negotia), erlauchtester Praetor, über die Du
heute versprachst Dein Urtheil abgeben und sie zur Ent-
scheidung bringen zu wollen, sind mit Umsicht und Behendig-
keit (von Dir) abgethan worden (profligata sunt); nur ein
einziger Fall blieb noch übrig, über den ich Dich bitte, mich
anzuhören." Der Praetor erwiderte darauf (um den Vorredner
wegen des Wortes: „profligata" aufzuziehen) in ziemlich
schalkhaftem, spöttischem Tone : Dieser Rechtshandel ist eben
dadurch, weil er in Deine Hände fiel, zweifelsohne (bereits so
gut wie erledigt, abgethan und) niedergeschlagen (profligatum),
ich mag ihn nun anhören oder nicht anhören. 5. Den Begriff
der Vollendung, den man mit „profligatum" hat ausdrücken
wollen, bezeichneten die, welche gut lateinisch sprachen, nicht
mit diesem Ausdruck, sondern mit dem Worte „adfectum";
wie M. Cicero in seiner Rede, welche er über die Consular-
provinzen hielt. 6. Die betreffende Stelle (Cic. de prov.
consul. 8, 19) lautet daselbst also: „Den Krieg sehen wir
theilweise zur Neige gehen (adfectum), oder um die Wahrheit
zu sagen: beinahe vollendet (confectum)." 7. So auch weiter
unten (12, 29): „Denn was kann wohl die Ursache sein, dass
Caesar selbst länger in der Provinz zu verweilen wünscht,
als um das, was durch ihn bis zu einem hohen Grade ge-
XV, 5, 2. *) profligato steht also als Ablativus des angenommenen
Hauptworts profligatum, d. h. der bald fertige Zustand einer Sache oder
das Vollendungs - Bevorstehen.
XV, 5, 5. adfectum s. Gell. III, 16, 17 etc.
G elli äs, Attische Nächte. II. 18
Digitized by Google
(274) XV. Buch, 5. Cap., § 7, 8.-6. Cap., § 1-3.
dienen (quae adfecta sunt), der Republik als vollendet über-
geben zu können." 8. So sagt derselbe Cicero in seinem
„Haushalter (oeconomico)" : „Da nun der Sommer aber bei-
nahe seinem Ende naht (oder: da es nun aber bereits im
Spätsommer ist adfecta - aetate) , so wird es Zeit, dass die
Trauben an der Sonne reifen."
XV, 6, L. Im 2. Buche seiner Schrift: „über den (Nach-)Kuhm" findet
sich bei M. Cicero ein offenbarer Irrthum an der Stelle, wo vom Hector
und Ajax die Rede ist.
XV, 6. Cap. 1. Im 2. Buche von des M. Tullius (Cicero)
Schrift „über den (Nach-)Ruhm" findet sich ein, wenn auch
nur unerheblicher, aber doch offenbarer Irrthum, ein Irrthum,
den auch gerade nicht nur ein Gelehrter sofort einsehen kann,
sondern Jeder, der nur irgend einmal das VIII. Buch von Homers
lliade (oder vielmehr das VII. Buch v. 89 — 91) gelesen hat.
2. Es wollte uns nun aber nicht gerade deshalb Wunder
nehmen, dass M. Tullius (Cicero) sich dabei einmal irrte, als
vielmehr, dass dieser Irrthum später nicht bemerkt, oder gar
verbessert wurde, entweder von ihm selbst, oder von seinem
Freigelassenen Tiro, einem höchst umsichtigen Menschen,
welcher die Schriften seines Schutzherrn höchst gewissen-
haft durchstudirt hat. 3. Denn in dem angeführten Werke
steht also geschrieben: „Bei diesem Dichter (Homer) richtet
Ajax* als er sich dem Hector zum Kampfe (gegenüber) stellt,
sein Augenmerk darauf, dass er, im Fall er der Besiegte sein
sollte, bestattet werden möge, und giebt ganz deutlich zu
verstehen, er hege nur den einen Wunsch, dass Alle die,
welche nach vielen Jahrhunderten an seiner Ruhestätte vor-
übergehen, so sprechen möchten:
Sehet das ragende Grab des längst verstorbenen Mannes,
Der einst tapfer im Streit hinsank dem göttlichen Hector.
Also heisst es dereinst; und mein bleibt ewiger Nachruhm.
XV, 5, 8. Uebersetzung des xenophontischen Oeconomicus. S. Teuffels
röm. Lit. Gesch. 183, 18, 1.
XV, 6, 1. Cicero „de gloria", d. h. von Ruhm, Ehre und Anselm.
S. Teuffels röm. Lit. Gesch. 183, 15, 1.
XV, G, 2. Ueber Tiro s. Gell. I, 7, 1 NB; Teuffels röm. Lit. Gesch.
188, 1. 2. 3. 7; vergl. Gell. VI (VII), 3, 8; XIII, 9, 1.
Digitized by Google
XV. Buch, 6. Cap., §4.-7. Cap., § 1 — 3. (275)
4. Diesen Gedanken aber, welchen Cicero ins Lateinische
übersetzt hat, spricht beim Homer nicht Ajax aus und ist
nicht Ajax (dort) um seine Bestattung besorgt, sondern Hector
spricht ihn aus und denkt an sein Begräbniss, ohne schon zu
wissen, ob sich Ajax ihm zum Zweikampfe stellen will. (Die
Verse lauten bei Homer Iliad. VII, 89 — 91 also:
Seht, dort raget das Maal des verblichenen Mannes der Vorzeit,
I>er einst wacker im Kampf, vom strahlenden Hector erlegt ward!
So spricht Mancher und mir bleibt unvergänglicher Nachruhm.)
XV, 7, L. Beobachtung bei hochbejahrten Leuten, dass, wenn sie so ziemlich
im 63. Jahre ihres Alters stehen, gerade dieses Jahr nicht spurlos an
ihnen vorübergehe uud meist allerhand Beschwerlichkeit, oder Untergang,
oder irgend ein anderes Unheil (für sie) im Geleite führe; weiter noch
Anziehuug des Wortlauts einer Stelle aus einem Briefe des erhabenen
Augustus an sein Enkelkind Gajus über diese Beobachtung.
XV, 7. Cap. 1. Seit langem Menschengedenken hat man
die Beobachtung gemacht und bestätigt gefunden, dass bei
allen ganz alten Leuten das 63. Jahr mit einer Gefahr, oder
irgend einem Unheil sich einstelle, entweder eines körper-
lichen Leidens, oder einer schweren, gefährlichen Krankheit,
oder des Lebensverlustes, oder eines Seelenleidens (und einer
Geistesschwäche). 2. Deswegen Die, welche sich mit den
darauf bezüglichen Erscheinungen und Auslegungen (dieses
Umstandes) eifrigst beschäftigt haben, diesem Altersjahre den
Namen Stufen(- oder Wechsel)- Jahr beilegen (xiUpaxTegtxog
sc. iviav-tog). 3. Als ich daher in der vorvergangenen Nacht
den Band Briefe des erhabenen Augustus, welche er an seinen
Enkel Gajus schrieb, las und von der heiteren und freien
und wahrhaft leichten und einfachen Stilfeinheit ergötzt
XV, 7, 2. Dieser Aberglaube an das Stufenjahr (64) rührt von den
Aegyptern und Chaldäern her und bestellt in der Combination und Mul-
tiplication der 7 mit der 9. Vergl. Gell. III, 10, 9.
XV, 7, 3. Gajus Agrippa, ein Sohn des M. Vipsanius Agrippa mit
Julia, der Tochter des Augustus, wurde von diesem mit seinem Bruder
Lucius adoptirt. Von seiner Stiefmutter Livia verleumdet, wurde Gajus
vom Augustus verbannt und später mit seinem Bruder vergiftet, wahr-
scheinlich auf Antrieb der Livia, welche ihrem Sohne Tiberius den Thron
sichern wollte. Vergl. Tac. Annal. I, 6. Den Verlust der Briefe des
Augustus an Gajus haben wir zu beklagen.
18*
Digitized by Google
(276)
XV. Buch, 7. Cap., §3.-8. Cap., § 1. 2.
wurde, traf ich zufällig in einem dieser Briefe auf eine dieses
Stufenjahr betreffende schriftliche Auslassung und der Wort-
laut dieser Stelle in dem Briefe ist folgender: „Am 24. Sep-
tember. Sei gegrüsst mein Gajus, mein süssestes (Back-)
Fischchen, nach dem ich mich, die Götter wissen es, immer
sehne, wenn Du von mir abwesend bist. Aber ganz vorzüglich
an solchen Tagen, wie der heutige ist, da suchen meine Augen
Dich allenthalben und mir bleibt nur die Hoffnung, dass, wo
Du an diesem Tage auch immer gewesen bist, Du doch sicher
heiter und bei guter Gesundheit meinen 64. Geburtstag wirst
gefeiert haben. Denn, wie Du siehst, habe ich das für alte
Leute gewöhnlich so wichtige Wechsel- (oder Stufen-) Jahr
(glücklich und) ohne Gefahr zurückgelegt. Allein so lange
mir noch Zeit (zu leben) übrig bleibt, bitte ich die (gütigen)
Götter, euch gesund zu erhalten und mich (den Rest meiner
Tage) Angesichts des blühendsten Wohlstandes der Republik
verleben und euch (nach meinem Hingange) als biedern,
tapfern Männern meinen Posten übernehmen zu lassen."
XV, 8, L. Stelle aus einer Rede des alten Redners Favorin*), be-
treffend seinen Tadel über den Tafelaufwand, eine Rede, die er hielt, als
er zur Annahme des licinischen Gesetzes über die Tafelaufwands-
XV, 8. Cap. 1. Als ich (einst) die alte Rede des gewiss
nicht unberedten Favorin las, eine Rede, die erhielt, als
er das licinische Gesetz anrieth, betreffend die Tafel-
auswendig, um stets eingedenk sein zu können, dass ein der-
artiger (übertriebener) Aufwand des Lebensbedarfes wahrlich
nur zu verachten sei. 2. Die Stelle des Favorinus, welche ich
hier folgen lasse, lautet also: „Diese ausgelernten Fein-
schmecker und Tafelschwelger halten das nicht für ein statt-
liches Mahl, wenn nicht das Gericht, was Du eben noch mit
Wohlbehagen verzehrst, sofort wieder abgetragen wird und
XV, 7, 3: meus asellus iucundissimus. Vergl. Gell. VI (VII), 16,5.
XV, 8, L. *) Nach Mercklin (p. 682, 7) ist der Name Favorin hier
nicht richtig. Vergl. J. Becker in den hessischen Gymnasialblättern (Mainz
1845) I S. 48 ff.
XV, 8, 1. Ueber das licinische Gesetz vergl. Gell. II, 24, 3 NB.
beschränkung rieth.
aufwandsbeschränkung [
], lernte ich sie fast ganz
Digitized by [•QOQgle
XV. Buch, 8. Oap., §2.-9. Cap., § 1. 2. (277)
eine andere, bessere und ausgezeichnetere Speise aufgetragen
wird (um den Appetit ja nicht an einer einzigen Speise stillen
zu müssen). Dies nun wird als ein Hauptschmaus unter
Denen angesehen, denen Prasserei und Gaumenlust für geistige
Unterhaltung gelten, die behaupten, dass kein Vogel ausser
der Feigenschnepfe (ficedula) ganz aufgezehrt werden dürfe;
— wenn nun gar von den übrigen Vögeln und von dem (ge-
masteten) Geflügel nicht so viel auf die Tafel kommt, dass
man schon von dem untersten Theile*) (d. h von dem
Bürzel) an dem Hinterkeulchen gesättigt (und zufriedengestellt)
wird, bildet man sich ein, es sei nur ein armseliges, er-
bärmliches Gastmahl, — die aber auch die vorderen Theile
von den Vögeln und dem Geflügel essen, haben (nach der
Ansicht dieses Tafelschwelgers) nur einen Gaumen (zum Ver-
schlingen, aber keine Zunge zum Schmecken). Wenn die
verschwenderische Genusssucht verhältnissmässig so weiter
überhand zu nehmen fortfährt, was bleibt dann noch übrig,
als dass man sich die Mahlzeiten nur vorkauen lässt, um
durch das Essen ja nicht etwa ermüdet zu werden, wenn (es
so fortgeht und) die Lagerstatt von Gold, Silber, Purpur
strotzt und für ein Paar Menschen grossartiger hergestellt
wird, als für unsterbliche Götter?"
XV, 9, L. Dass der Dichter Caecilius da« Wort frons (Stirn) im männ-
lichen Geschlecht gebraucht hat, nicht (etwa) nach Dichterart, sondern
mit wohiweislicher Uebcrlegung und nach Analogie (d. h. regelrecht und
sprachgebräuchlich).
XV, 9. Cap. 1. Richtig und klar bestimmt schrieb Cae-
cilius in seinem „Subditivo (Untergeschobenen)":
Der Feinde Gefahrlichster ist, der mit heitrer Stirn (fronte hilaro), voll
Groll die Brust,
Bei dem Dir unklar bleibt, ob Du ihn laufen, ob greifen lassen sollst.
2. Als sich (einst nämlich zufällig) das Gespräch um einen
derartigen (falschen, hinterlistigen) Menschen drehte, hatte
ich die betreffenden Verse in einem Kreise von feingebildeten
XV, 8, 2. Ficedula eigentlich Feigenfresser, die Feigendrossel.
Plin. 10, 29 (44); Suet Tib. 42; Juv. 14, 9; Martial. 13, 49, lemra.;
Petron. 33.
XV, 8, 2. *) Vergl. Senec. ep. 110, 11.
Digitized by Google
(278)
XV. Buch, 9. Cap., §3 — 7.
jungen Leuten angeführt. 3. Da ergriff nun sofort einer aus
der grossen Masse der Grammatiker, der da bei uns stand
und durchaus nicht unberühmt war, also das Wort: Wie
gross war doch die Dreistigkeit und Kühnheit dieses Caecilius,
da er rfronstt als Masculinum gebrauchte und „fronte hilaro"
sagte, nicht fronte hilara und vor einem solchen (Sprach-)
Verstoss*) in keiner Weise zurückschreckte (soloecismum
nihil veritus est)? 4. Uns im Gegentheil, antwortete ich ihm,
würde man sowohl für kühn, als für dreist halten, wollten
wir uns einfallen lassen, fälschlicher und unrichtiger Weise
„frons" nicht im mannlichen Geschlecht zu gebrauchen, da
sowohl der regelrechte Sprachgebrauch, welcher durch das
Wort: Analogie*) bezeichnet wird, als auch (höchst) mass-
gebende Beispiele der Alten uns zu der Ueberzeugung bringen,
dass nicht „haec frons", sondern nur „hic frons" (als Mascu-
linum) gesagt werden darf. 5. Da ja auch M. Cato im 5. Buche
seiner Urgeschichte also geschrieben hat : „Tags darauf griffen
wir in (offener) geordneter Feldschlacht (signis conlatis), in
gerader Linie (aequo fronte) mit dem Fussvolk (mit den
Reitern) und mit den Flügeln die feindlichen Truppen an.*
In demselben Buche sagt derselbe Cato auch „recto fronte"
(in gerader Linie). 6. Allein jener halbgelehrte Grammatiker
erwiderte mir: sprich nicht erst weiter von Deinen Gewährs-
stellen, von denen Du, wie ich glaube, wohl einige magst
anführen können, sondern gieb lieber den (vernünftigen) Grund
(für Deine Behauptung) an, aber da wird's hapern und Du
wirst nichts (beizubringen) haben. 7. Ich wurde durch diese
seine (anmassende) Aeusserung, wie es mein (Jugend-) Alter
so mit sich brachte (und mir deshalb wohl zu verzeihen war)r
XV, 9, 3. S. Non. 3, 205 frons; Paul. S. 60.
XV, 9, 3. *) Ueber Soloecismus s. Gell. I, 7, 3 NB.
XV, 9, 4. *) Die Analogie ist nicht etwa bei der ersten Bildung der
Menschen vom Himmel gekommen und hat die Form des Sprechens ge-
geben, sondern man kam auf sie, als man schon sprach und beim Sprechen
bemerkt hatte, wie jedes einzelne Wort sich endigte. Daher beruht sie
nicht auf der Theorie, sondern auf dem Beispiel, sie ist nicht das Gesetz
des Sprechens, sondern die Beobachtnng und die Analogie ist aus nichts
Anderem hervorgegangen, als aus dem Sprachgebrauche. S. Quinct. 1, 6, 16;,
Gell. I, 10, 4 NB; II, 25, 1 NB und X, 4, 2.
Digitized by Google
XV. Buch, 9. Cap, § 7 — 11. — 10. Cap., § 1. 2. (279)
noch mehr aufgebracht und sagte: Erfahre also die (allgemeine,
von Dir zwar für falsch gehaltene) Regel, lieber Schulmeister,
bei der Du aber nicht unumstösslich darzuthun vermagst,
dass sie nicht stichhaltig ist. 8. Alle (Haupt-)Wörter nämlich,
welche wie „frons", auf die drei Buchstaben „ons" ausgehen,
sind männlichen Geschlechts, wenn sie sich im Genitiv auch
auf dieselbe Silbe endigen, wie mons (Berg), pons (Brücke),
frons (Stirn). 9. Jener aber erwiderte ironisch und höhnisch
lächelnd: Erfahre, Du Schüler, viele andere ähnliche, welche
durchaus nicht männlichen Geschlechts sind. 10. Da drangen
Alle in ihn, er möchte auch nur ein einziges Beispiel an-
führen. Allein da der Tropf (nur) feuchste und nicht muckste
und die Farbe wechselte, da antwortete ich und sagte: Gehe
nur hin und empfange 30 Tage (Frist) zum Aufsuchen (von
Beispielen); hast Du nachher welche gefunden (kehre zurück
und) nenne sie uns. 11. So entliess ich diesen nichtsnutzigen
Menschen, um (ihm Zeit zu gestatten) ein Beispiel ausfindig
zu machen, womit er die (von mir) angegebene Regel wider-
legen möchte.
XV, 10, L. Ueber den freiwilligen und wunderlichen Untergang der
milesischen Juugfrauen.
XV, 10. Cap. 1. Als Plutarch im ersten Buche seines
Werkes, betitelt „über die Seele", von den verschiedenen,
die Menschen überfallenden, heimsuchenden Gemüthskrank-
heiten handelt, erwähnt er von den milesischen Jungfrauen,
dass fast alle, die damals in der Stadt waren, plötzlich, ohne
jeden einleuchtenden Grund, der (wunderliche) Entschluss an-
wandelte, sich selbst das Leben zu nehmen, und dass hernach
auch wirklich sehr Viele durch Erhängen ihr Leben endeten.
2. Da die Todesfälle von Tag zu Tag häufiger wurden und
kein angewendetes Arzneimittel mehr anschlug gegen die
XV, 10, 1. S. Plut. yvvatxaiv ageral, d. h. Tugenden der Frauen
p. 249. Die Mileserinnen.
XV, 10, 2. Die Ursache zu dieser aussergewöhnlichen Anwandlung
der Mileserinnen wird in dem bis zum Wahnsinn gesteigerten Geschlechts-
trieb gesucht, eine Krankheit, die man nymphomania, metromania oder
furor uterinus (Mutterwuth) nennt.
(280) XV. Buch, 10. Cap., § 2. — 11. Cap., § 1. 2.
beharrlich heftige Wuth der Jungfrauen, sich das Leben zu
nehmen, da endlich hätten die Milesier den Beschluss gefasst,
dass die Leiber aller der Jungfrauen, die durch Aufhängen
ihren Tod gefunden, vollständig unbekleidet an eben dem-
selben Strick, womit sie sich aufgehangen hatten, öffentlich
(durch die Stadt geschleift und so) zu Grabe geschafft werden
sollten. Nach Veröffentlichung dieses Beschlusses seien die
Jungfrauen nur allein aus (Furcht und) Scham vor einem so
schimpflichen Leichenbegängniss abgeschreckt worden, einen
freiwilligen Selbstmord an sich zu begehen.
XV, 11, L. Wörtlicher Ausdruck des Kathsbesehlusses über Austreibung
der Philosophen aus der Stadt Rom; ebenso Wortlaut einer Verordnung
von Seiten der Sittenrichter, worin die getadelt und zurecht gewiesen
werden, welche in Rom anfingen die Rhetorik einzuführen und zur Geltuug
zu bringen.
XV, 11. Cap. 1. Unter den Consuln C. Fannius Strabo
und M. Valerius Messala kam ein Senatsbeschluss zu Stande
gegen die Philosophen und Rhetoren (der da lautete): „Der
Praetor M. Pomponius hat einen Antrag an den Senat gestellt.
Weil man sich nun über die Philosophen und Rhetoren aus-
gesprochen hat, ist in dieser Angelegenheit (folgender) Be-
schluss gefasst worden, dass der Praetor M. Pomponius Acht
haben und Sorge tragen soll, dass diese Leute sich nicht
(länger) in Rom aulhalten (dürfen), gesetzt, dass es ihm dem
Wohle des Staates und seiner eigenen Berufstreue ent-
sprechend erscheint." 2. Einige Jahre nachher trafen die
beiden Sittenrichter Cn. Domitius Ahenobarbus und
L. Licinius Crassus wegen Beschränkung der lateinischen
Rhetoren folgende Bestimmung: „Man hat uns hinterbracht,
dass sich Leute (in der Stadt) aufhalten, welche eine neue
Art von Lehre eingeführt haben; zu denen die Jugend in die
Schule hinströmt; die (ferner) sich den Namen „lateinische
Rhetoren" beigelegt haben, und dass (endlich sogar) noch
XV, 11, 1. S. Sueton. de clar. orat 1; de grammat 25; vergl. Cic.
de orat. III, 24, 93 und Tac Dial. 30-32. 35.
XV, 11, 2.. Ahenobarbus 8. Stammtafel Cato's. Geil. II, 19, 9 NB.
XV, 11, 2. üeber die älteste Beredtsamkeit Roms s. Teuffels röra.
Lit Gescl. 43, 9 und über besagte Ausweisung.
Digitized by
XV. Buch, iL Cap., § 2—5. — 12. Cap., § 1. (281)
ganz junge (unerwachsene) Menschen ganze Tage daselhst in
Müssiggang hinbringen. Unsere Vorfahren pflegten selbst an-
zuordnen, was sie wünschten, dass ihre Kinder lernen und
in welche Schulen sie gehen sollten. Diese Neuerungen,
welche sich wider Gewohnheit und Sitte der Vorfahren ein-
geschlichen, gefallen uns weder, noch erscheinen sie billigens-
werth. Deshalb nun hat es uns (dringend) geboten erschienen,
Veranlassung zu nehmen, dass wir sowohl Denen, welche
solche Schulen halten, als auch Denen, die dahin zu kommen
pflegen, (deutlich) unsere Meinung zu verstehen geben, dass
uns diese Neuerungen durchaus nicht gefallen." 3. Allein
nicht nur in jenen, noch ganz rohen und von griechischer
wissenschaftlicher Bildung noch nicht verfeinerten Zeiten
wurden die Philosophen aus der Stadt Rom vertrieben, 4.
sondern auch unter der Regierung des Domitian wurden sie
durch einen Senatsbeschluss verbannt und sogar (mit unnach-
sichtiger Strenge) aus der Stadt und aus dem (ganzen) ita-
lischen Gebiet ausgewiesen. 5. In dieser Sturmperiode ging
auch der Philosoph Epictet wegen dieses Senatsbeschlusses
nach Nicopolis von Rom fort.
XV, 12, L. Merkwürdige Stelle aus der (Vertheidigungs-) Rede des G.
Gracchus über seine Sparsamkeit und Züchtigkeit.
XV, 12. Cap. 1. Als G. Gracchus (ohne Erlaubniss) aus
Sardinien zurückgekehrt war, hielt er (um sich deshalb zu
XV, 11, 3. Als in Rom feinere Bildung angestrebt wurde, kamen
auch die Philosophen mehr zu Ehren und Ansehen. So z. B. als Pom-
pejus nach rühmlichst geendigtem Kriege mit dem König Mithridates in
das Haus des berühmten, stoischen Philosophen Posidonius, dem Schüler
des Panaetius und Lehrer des Cicero gehen wollte, durften die Lictoren
nicht erst, wie es sonst gebräuchlich war, mit ihren fasces (s. Gell. II,
15, 4 NB) an die Thüre klopfen, sondern mussten aus Achtung vor diesem
Gelehrten die fasces senken, und so beugte Der, vor dem sich das Morgen-
und Abendland gebeugt hatten, die fasces vor der Thüre der Wissenschaft
S. Plin. VII, 31 (30), 3.
XV, 11, 4. S. Philostr. vit Apoll. Tyan. lib. VII, 4 und Plin.
panegyr. 47.
XV, 12, 1. G. Gracchus, der das Amt eines Rentmeisters (Quaestors)
in Sardinien bekleidete, hatte seinen Posten verlassen und war, noch ehe
ein Nachfolger für ihn in seinem Amte bestimmt wurde, nach Rom ge-
Digitized by Google
(282) XV. Buch, 12. Cap., § 1 — 4. — 13. Cap., § 1.
vertheidigen) in einer öffentlichen Volksversammlung eine Rede
ans Volk. 2. Da hiess es wörtlich so: „Meine Aufführung in
der Provinz war eine solche, wie ich glaubte euren Nutzen
befördern zu können, nicht wie ich meinem Ehrgeiz zu fröhnen
meinte. Ich führte keine Garküche mit mir und hatte nicht
Knaben mit schönem Aussehen zur Bedienung; sondern bei
meinem Mahle waren eure Kinder züchtiger (und strenger)
gehalten, als beim Lagerhauptplatz (beim Generalstab im
Felddienst)." 3. Weiterhin sagt er ferner: „Meine Aufführung
in der Provinz war (jederzeit) so, dass der Wahrheit gemäss
Niemand wird sagen können, dass ich entweder auch nur
einen Pfennig mehr von ihm als Geschenk angenommen, oder
ihm durch meine Veranlassung irgend welchen Aufwand ver-
ursacht habe. Zwei Jahre bin ich in der Provinz gewesen.
Wenn (während dieser Zeit) irgend eine Buhldirne mein Haus
betrat, oder irgend Jemandes Sklave auf meine Veranlassung
hin verführt worden ist, sollt ihr mich für den schlechtesten
und verworfensten (Schelm) von allen (Erden-) Völkern halten
dürfen. Da ich mich (schon) von (jeder Ausschweifung mit)
ihren Sklaven so keusch (und fern) gehalten habe, danach
könnt ihr erwägen, auf welche Weise ihr annehmen könnt,
dass ich (erst) mit euren Kindern umgegangen bin." 4. Dann
heisst es da auch noch einige Zeilen weiter hin: „Als ich
daher, ihr edlen Römer, nach Rom abgereist bin, brachte ich
meine Geldkatzen, welche ich voll Silber mit fortgenommen
hatte, alle leer aus der Provinz wieder zurück. Andere
(freilich) schleppten ihre (Töpfe und) Krüge, welche sie voll
Wein gefüllt mit fortnahmen, alle voll Silber nach Hause zurück."
XV, 13, L. Ueber den unvermuthetcn Gebrauch einiger Zeitwörter, welche
in doppeltem Sinne (d. h. bald activ und bald passiv) gesagt uud von den
Grammatikern „verba communia'* genannt werden (d. h. Zeitwörter mit
gemeinsamer activer und passiver Bedeutung).
XV, 13. Cap. 1. (Die Deponentia) utor und vereor und
kommen, um sich daselbst in eigner Person um das Zunftmeisteramt zu
bewerben. Als ihn die Sittenrichter dieser Handlungsweise halber verklagt
hatten, hielt er in der Volksversammlung eine Rede zu seiner Vertheidi-
gung. Vergl. Gell. X, 3, 2 NB; Gell. I, 7, 7 NB und XI, 10, 3 NB.
XV, 13, L. S. Krüger lat. Grammat p 154 und 155 Deponentia mit
passiver Bedeutung; Seyferts lat. Sprachl. § 929 und § 2534.
Digitized by Google
XV. Buch, 13. Cap., § 1 — 4.
(283)
hortor und consolor sind verba communis (d. h. Zeitwörter
mit gemeinsamer activer, wie passiver Bedeutung), und können
deshalb auch in doppeltem Sinne gesagt werden, z. B. „vereor
teu, ich fürchte Dich und „vereor abs te", ich werde von Dir
gefürchtet, d. h. (eigentlich richtiger ausgedrückt): „tu me
vereris" (Du fürchtest mich oder Dich vor mir) ; so „utor te",
ich benutze Dich, oder: „utor abs te", ich werde von Dir
benutzt, d. h. (in dem Sinne von) „tu me uteris", Du be-
nutzest mich; ferner: „hortor te", ich ermahne Dich und
„hortor abs te", ich werde von Dir ermahnt, d. h. tu me hor-
taris, Du ermahnst mich; dann „consolor te", ich tröste Dich
und „consolor abs te", ich werde von Dir getröstet, d. h.
(eigentlich für) tu me consolaris, Du tröstest mich. So wer-
den auch „testor" (bezeuge) und „interpretor" (lege aus) in
abwechselnder Bedeutung (d. h. bald activ, bald passiv) ge-
sagt. 2. Es sind aber alle diese (besagten) Wörter im andern
Falle (d. h. in der andern, passiven Bedeutung) selten und
ungewöhnlich und es ist sehr die Frage, ob sie überhaupt
auch in dieser andern Bedeutung (sonst für gewöhnlich) ge-
braucht worden sind. 3. .Afranius sagt allerdings in seinen
„Consobrinis (Geschwisterkindern)" :
Den Kindern gilt hier weniger der Aeltern Leben,
Weil sie mehr Furcht als Ehrfurcht einzuflössen lieben (malunt metui,
quam vereri).
Hier steht „vereri" allerdings in der ziemlich ungebräuch-
lichen, passiven Bedeutung von „in Ehrfurcht gehalten werden
(wollen)". 4. So braucht auch Novius in seimer „Lignaria
(Holzhändlerin)" das Wort „utitur" ebenfalls in entgegen-
gesetzter, passiver Bedeutung:
Weil Hausgeräth die Menge, wird's auch nicht gebraucht, gekauft doch wird.
Quia suppellex multa, quae non utitur, emitur tarnen,
d. h. (es steht utitur hier für) quae usui non est, was un-
XV, 13, 1. consolor passive von Asinius Pollio bei Priscian VIII,
4, 18; Justin. XXII, 6 consolatis militibus, als den Soldaten Muth ein-
gesprochen worden war.
XV, 13, 4. Novius, so auch Gell. XVII, 2, 8. Der Name wird oft
mit Naevius verwechselt. S. Bernh. röm. Lit. Gesch. 74, 832 und 334,
desgl. 78, 354. üeber Naevius s. Gell. I, 24, 1 NB. S. Teuffels Gesch.
der röm. Lit. § 135, 1 ff.
Digitized by Google
(284)
XV. Buch, 13. Cap., §5 — 9.
nöthig, unnütz ist. 5. M. Cato im 5. Buche seiner Urge-
schichte sagt: „Er führte sein Heer, nachdem es einen Imbiss
genommen, kampfgerüstet und (cohortatum, zur Tapferkeit)
ermahnt heraus und stellte es in Sehlachtordnung auf." 6.
So lesen wir auch „consolor" nicht (nur) in der gewöhnlichen,
activen Bedeutung geschrieben, sondern (auch) in der andern
(passiven oder reflexiven), wie es sonst gewöhnlich nicht ge-
braucht wurde, in dem Briefe des Q. Metellus, den er, als er
sich in der Verbannung befand, an den Gnejus Domitius und
an den L. Domitius schrieb, worin es heisst: „Allein, da ich
nun eure Gesinnung gegen mich sehe, fühle ich mich un-
endlich getröstet (vehementer consolor) und eure Treue und
euer Muth schweben mir immer (als ein lebendiges Vorbild)
vor Augen." 7. Ebenso drückt auf dieselbe Weise M. Tullius
(Cicero), in seinem ersten Buche „über die Weissagung", Be-
wahrheitetes durch „testata" und Ausgelegtes durch „inter-
pretata" aus, so dass (hier) die Deponentia „testor" (ich
bewahrheite) und „interpretor" (ich lege aus) unbedingt für
verba communia (d. h. für Worter mit gemeinsam activer,
wie passiver Bedeutung) gehalten werden müssen. 8. So sagt
Sallust auf dieselbe Weise: „dilargitis proscriptomm bonis
(als die Güter der Proscribirten verschenkt worden waren)",
als ob das Wort (Deponens) largior (verschenke) unter die
verba communia gehöre. 9. Auch „veritum" (man hat ge-
fürchtet), sowie „puditum" (man ist mit Scham erfüllt worden),
und „pigitum" (man ist mit Widerwillen erfüllt worden) sehen
wir nicht nur von altern Schriftstellern (passive) unpersönlich,
ohne Beziehung auf eine Person oder Sache, (rein) als Subject
ganz unbestimmt gebraucht, sondern auch (sogar) von M.
Tullius (Cicero) im 2. Buche „vom höchsten Gut und höchsten
Uebel" (Cic. de finib. II, 13, 39), wo es heisst: „(widerlegen
will ich) zuerst die (Meinung) des Ar i stipp und aller Cyre-
naiker, die sich nicht entblödet haben (non est veritum), in
XV, 18, 6. üeber Q. Metellus Numidicus s. Geil. I, 6, 1 NB und
XV, 28, 3 NB.
XV, 13, 9. Aristippus aus Cyrene, Stifter der cyrenaischen, oder
(weil ihm das Ziel des Wünschenswerthen, die sinnlich angenehme Em-
pfindung, das Vergnügen, // ijtforTj, war) der daher benannten hedonischen
Schule, der Vorgängerin des Epicureismus, brachte seine Jugend in Athen
Digitized by Google
XV. Buch, 13. Cap., § 9-11. — 14. Cap., § 1.
(285
diejenige Lust, welche mit der grössten Annehmlichkeit die
Sinne erregte, das höchste Gut zu setzen." 10. Auch dignor
(ich würdige und werde gewürdigt), veneror (ich verehre und
werde verehrt), confiteor (ich erkenne an und werde an-
erkannt), ferner testor (durch Zeugniss darthun und dar-
gethan werden) sind für verba communia gehalten worden.
Wie sich ja dergleichen (Formen) auch bei Vergil angewendet
finden, z. B. (Aen. III, 475):
0 AnchiBes, von Venus der heiligen Liebe gewürdigt (dignate),
und (Verg. Aen. III, 460):
Jene (Juno) verehrt (venerata) wird günstigen Lauf Dir gewähren.
11. In den zwölf Tafelgesetzen steht im Betreff einer Summe,
die man bereits anerkannt und eingestanden hat, wörtlich:
„Ist Einer der Schuld überwiesen (geständig, aeris confessi)
und solche zu Recht gesprochen, so soll er 30 Tage Frist
haben (sc. bis zur Abtragung)." So steht auch noch in den-
selben zwölf Tafeln: „Wer sich herbeigelassen, als Zeuge
aufgerufen zu werden (testarier), oder (als libripens, Wage-
halter) Vollmachtsträger in Contracten zu sein, wenn er (nach-
träglich) das Zeugniss verweigert, der soll ehrlos sein und
nimmermehr wieder Zeugniss ablegen dürfen."
XV, 14, L. Dass Metellus Nwnidicus eine Redewendung aus griechischen
Vorträgen entlehnt hat.
XV, 14. Cap. 1. Ich habe mir eine bei Q. Metellus
Numidicus, im 3. Buche seiner Anklage(schrift) gegen den
in dem lehrreichen Umgange des Socrates zu. Seine ganze Lebens-
philosophie' findet Ausdruck in dem horazischen Verse (epp. I, 1, 18):
Et mihi res, non me rebus submittere conor, d. h.
Such* mir unterzuordnen die Dinge, doch mich nicht den Dingen.
Vergl. Hör. ep. I, 17, 13 u. 8. w. Aristipp lehrte erst in Aegina, dann
zu Syracus am Hofe des jüngeren Dionysios, zuletzt, wie es scheint, zu
Athen neben Plato, wo er nach Socrates Tode die socratische (hedonische)
Schule gründete. Er wird als der Erste genannt, der unter den Socratikern
Bezahlung für seine Lehrvorträge annahm und soll nach wanderungsvollem
Leben auf der äolischen Insel Lipara gestorben sein.
XV, 13, 11. Libripens vergl. Gell. XV, 27, 3 NB.
XV, 14, 1. Q. Caecilius Metellus, der wegen seiner glücklichen Krieg-
fuhrung gegen Jugurtha den Beinamen Numidicus erhielt, war ein Sohn
Digitized by Google
(286) XV. Buch, 14. Cap., §1 — 5.-15. Cap., § 1.
Valerius Messala vorkommende neue (ungewöhnliche) Redens-
art angemerkt. 2. Die betreifende Stelle aus seiner Rede
lautet also: „Als er nun erfahren hatte, dass ein so schweres
Verbrechen auch ihn zur Last gelegt werde und (bereits auch)
die Bundesgenossen eingetroffen seien, um unter Thränen
beim Seuat sich (über ihn) zu beklagen, dass man ungeheuere
Geldsummen von ihnen erpresst habe (sese pecunias maximas
exactos esse)." 3. Er sagt (auffälliger Weise): sese pecunias
exactos esse, d. h. sie seien angehalten worden zur Leistung
von Geldern, anstatt zu sagen: pecunias a se maximas
exactas, d. h. ungeheuere Geldsummen seien von ihnen ver-
langt (eingefordert, erpresst) worden. 4. Diese Ausdrucks-
weise schien uns einer griechischen Redewendung nachgebildet
zusein. Die Griechen sagen nämlich : eigen qa^exo f.ie agyuQiov
(es wird Geld von mir erpresst), dem entspricht ganz unser:
exegit me pecuniam (er forderte mir Geld ab). Wenn man
nun aber diese Redeweise als richtig zugeben kann, so muss
auch (im Passivum) gesagt werden können: exactus esse
aliquis pecuniam, d. h. Jemand sei angehalten worden zu
einer Geldleistung. 5. Auch hat offenbar Caecilius (Statius)
von dieser Redewendung Gebrauch gemacht in seinem „Hypo-
bolimaeo Aeschino (untergeschobenen Aeschinus)", wo er sagt:
Nichtsdestoweniger werde ich angehalten um jenen Zoll (exigor portoriuin),
was unbedingt so viel heissen soll, als: nihilominus exigitur
de me portoriuin, d. h. nichtsdestoweniger wird von mir der
Eingangszoll eingefordert.
XV, 15, L. Dnss die Alten gesagt haben „passis velis" (mit ausgespannten
Segeln) und „passis manibus" (mit ausgestreckten Händen) nicht von ihrem
Zeitwort „patior" (welchem eigentlich dieses Participium angehört).
XV, 15. Cap. 1. Von dem Wort pando (ich breite aus)
des (312/142 Consul gewesenen L. Caec. Metellus Calvus, ein Bruder des
Dalmaticus und Neffe des Macedonicus, hatte in Athen studirt und sich
nach der Sitte jener Zeit als junger Mann durch eine Anklage des Valerius
Messala bekannt gemacht. S. Lange röm. Alterth. § 140 p. 60.
XV, 14, 4. Medial gedacht: für sich eintreiben, erpressen, s. Buttmanu
gr. Gr. § 134, 7.
XV, 14, 5. Hypobolimaeus, der Untergeschobene, ein Stück des Me-
nander, von Caecilius nachgeahmt. S. Quinct. 1, 10, 18; cfr. Priscian. VI, 2,
p. 222; Vol. I Krehl; Non. sub. v. exigor.
Digitized by Google
XV. Buch, 15. Cap., § 1—4. — 16. Cap . § 1. (287)
bildeten die Alten das Perfectum passivi nicht pansum, son-
dern passum (ausgebreitet, auseinandergespannt), allein als
Verbum compositum mit der Praeposition „ex" (sagten sie
hinwiederum) nicht expansum, sondern expassum. 2. Cae-
cilius (Statius) in seinem „Gesellschaftsfrühstück (in Syna-
ristosis)"
Er hab' vom Dache gestern selbst herabgeschaut,
Doch als die Meldung er gethan, hab' man im Haus
(sofort des Bräutchens) rothen Schleier ausgespannt (flammeum ex-
passum sc. velum).
3. So sagt man auch, dass eine Frau im fliegenden Haare
(capillo passo) sei, gleichsam in langherabhängendem und auf-
gelöstem (expanso), und so sagen wir auch passis manibus
{mit ausgebreiteten Händen, d. Ii. offnen Armen) und velis
passis (mit aufgebreiteten Segeln), was so viel heissen soll,
als mit auseinandergestreckten (diduetis) Armen und mit
weit ausgespannten, vollen (distentis) Segeln. 4. Daher sagt
nun Plautus in seinem „miles gloriosus (Bramarbas II, 4,
6 und 7), nach Umlautung (Umwandlung) des Vocales a in e,
wie dies bei der Wortzusammensetzung gewöhnlich geschieht,
dispessis anstatt dispassis:
Vermuthlich wirst Du bald vor's Thor in dieser Stellung wandern,
Wenn Du mit ausgespreiztem Arm (dispessis manibus) den Galgen trägst.
XV, 16, L. Ueber die cigenthümliehe, seltsame Art von des Crotonieusers
Mflo Untergang.
XV, 16. Cap. 1. Der berühmte Fechter Milo von Croton,
der, wie in den Chroniken geschrieben steht, in der 1.
Olympiade mit dem Siegespreis gekrönt wurde, nahm ein
XV, 15,2. „Synaristosae" cfr. Athenaei VI, 12 p. 248; Plin.
H. N. 23, 9.
XV, 15, 3. Obgleich die Form expansum vorher vom Gellius für
unstatthaft erklärt worden war, bedient er sich ihrer erklärungsweise hier
trotzdem selbst.
XV, 10, 1. Milon aus Croton, ein durch seine Körperstärke be-
rühmter Athlet, 520 v. Chr., der mit der blossen Hand einen Stier tödtete,
ihn auf den Schultern forttrug und auch an einem Tage verzehrt haben
soll. S. Valer. Max. IX, 12 ext. 9; Ovid. in Ib. 611. 012; Strabo VI
p. 403; Pausan. VI, 14; Solinus 4; Suidas v. Mihav] Scholiastes Theo-
crit, f/tf. IV, 6.
Digitized by Google
1
(288) XV. Bach, 16. Cap., §2—4.-17. Cap., § 1.
bejammernswerthes, wundersames Ende. 2. Denn als er hoch-
bejahrt die Fechterkunst (schon) aufgegeben hatte, und zu-
fällig so ganz allein in den waldigen Gegenden Italiens reiste,
sah er ganz nahe am Wege einen Eichbaum, der in der Mitte
durch weit von einander stehende Spalten auseinander klaffte.
3. (Bei diesem Anblick) kam ihm damals nun vermuthlich
auch noch einmal die Lust an, den Versuch zu machen, ob
ihm wohl noch irgend einige Kräfte übrig geblieben seien.
Er steckte also die Hände in die Spalten des Baumes und
bemühte sich die Eiche auseinander zu ziehen und aufzu-
schlitzen. Nun hatte er zwar schon (den Baum) in der Mitte
von einander getheilt und mit grosser Anstrengung getrennt,
4. allein als (unglücklicher Weise) nach angestrengter, beinahe
(schon glücklich) vollbrachter Arbeit seine Arme abgespannt
waren und seine Kraft nachliess, kehrte die in zwei Theile
auseinander gehaltene Eiche in ihre gewöhnliche Richtung
zurück, und so wieder zusammengeschnellt und von Neuem
in Zusammenhang gekommen, blieben seine eingeklemmten
Hände (im Baume) stecken und der (arme) Mann (konnte sich
nicht wieder frei machen und) musste so ein Raub den wilden
Thieren werden.
XV, 17, L. Weshalb die angesehene Jugend Athens vom Flötenspiel
abliess, da sie doch diesen alten, von ihren Aeltern her gewöhnlichen
Gebrauch (der Erlernung) des Flötenspiels überkommen hatte.
XV. 17. Cap. L Als der junge Athener Alcibiades bei
seinem Onkel Pericles in allen schönen, freien Künsten und
Wissenschaften unterrichtet wurde, und Pericles die An-
ordnung getroffen hatte, den Flötenspieler Antigenidas kommen
XV, 17, 1. Plut. Alcibiad. p. 192.
XV, 17, L Pericles, geb. zu Athen, Sohn des berühmten Feldherrn
Xanthippus, des Besiegers der Perser bei Mykale, war unendlich reich
und einer der ausgezeichnetsten Staatsmänner Griechenlands. Er lebte
zur höchsten Blüthezeit griechischer Wissenschaft und Kunst (444 v. Chr.)
und erhielt eine vorzügliche Ausbildung durch Anaxagoras u. s. w. Nach
Cimons Tode wurde er gleichsam Herr von Athen und leitete beinahe
40 Jahre lang die Angelegenheiten Athens mit grossem Erfolg. Obgleich
Aristokrat widmete er seine Thätigkeit vorzüglich der Demokratie und war
ein ganz gewaltiger Redner. Athen verdankt ihm die schönsten Zierden
und Kunstwerke. Seine Politik war namentlich gegen Sparta gerichtet
Digitized by GoQgle
XV. Buch, 17. Cap., § 1 — 3. — 18. Cap., § 1.
(289)
zu lassen, um seinen Neffen im Flötenspiel zu unterrichten
(was damals zu einer feinen Erziehung gehörte), erhielt
Alcibiades die Flöte eingehändigt. Als er sie an den
Mund gesetzt und zu blasen angefangen hatte, schämte er
sich über die Gesichtsverzerrung, brach sie in Stücke und
warf sie von sich. 2. Als dieser Vorfall allgemein bekannt
worden war, wurde alsdann, nach Uebereinstimmung aller
Athener, die Unterweisung im Flötenspiel (als Bildungs-
bedingung) abgeschafft. 3. Dies steht im Gedenkbuche der
Pamphila im 29. Buche.
XV, 18, L. Wie (merkwürdiger "Weise) der Kampfesaustrag im Bürger-
krieg und des Gajus Caesar Sieg, bei dem er auf den pharsalischen
(Schlacht-)Feldern den Sieg gewann, durch die Weissagung des Priesters
Cornelius Remex an ebendemselben Tage in der italischen Stadt Patavium
(Padua) verkündigt und vorhergesagt worden ist.
XV, 18. Cap. 1. An eben demselben Tage, an welchem
Gajus Caesar und Cn. Pompejus in Thessalien im Verlauf des
und so wurde er der Urheber des verderblichen peloponnesischen Krieges
(431 v. Chr.). Er pflog ein vertrautes Verhältniss mit Aspasia, jener
geistvollen und schönen griechischen Berühmtheit, deren Freundschaft
selbst ein Socrates gesucht hatte, und ihr zu Liebe verstiess Pericles seine
Gemahlin. Als er durch die Pest seine beiden Söhne verloren hatte, trug
er in Folge dessen seinen mit Aspasia erzeugten Sohn in die Bürgerliste
ein. Um die Zeit der Pest starb er selbst 429 v. Chr. an einer schleichen-
den Krankheit.
XV, 17, 1. Ueber Alcibiades s. Gell. I, 9, 9 NB.
XV, 17, 3. Pamphila, die Tochter des Soteridas aus Aegypten oder
aus Epidaurus nach Suidas, Schriftstellerin und eine der gelehrtesten aller
Frauen des Alterthums, welche verschiedene Bücher verfasste, deren Titel
ebenfalls bei Suidas genannt sind. Aus ihrem Hauptwerke: „historische
Miscellen (av/iutxTtt iaxoQixit vnofivrjfjaTct)" wird hier das 29. Buch citirt,
von Diogenes (V, 2, 4) das 32. und nach Suidas soll das ganze Werk
aus 33 Büchern bestanden haben. Auch lieferte sie Geschichtsauszüge
(tTTiroual i<TTOQt(ov). Von ihrer grossen chronologischen Genauigkeit
zeugt besonders die massgebende Zeitbestimmung über Hellanikos, Hero-
dotos und Thucydides bei Gell. XV, 23, 2. Ueber Plato hat sie erzählt,
dass er von den Arkadern und Thebanern berufen worden sei, der neuen
Hauptstadt Megalopolis eine Verfassung zu geben, was keineswegs un-
wahrscheinlich ist. Diog. Laert. 3, 17.
XV, 13, L. Vergl. Plut. Caes. p. 730; Lucan. Vü, 192; Dio Cass«
42 p. 182; Jul. Obsequens de prodig. 125; Sidonius Apollin. 9, 191 etc.
Gel Hu s, Attische Nächte. II. 19
(290) XV. Buch, 18. Cap., § 1-3. — 19. Cap., § 1. 2.
Bürgerkrieges im offenen Treffen hart aneinander geriethen,
ereignete sich ein merkwürdiger Vorfall zu Patavium, in dem
jenseits des Po befindlichen Theil (von Gallia cisalpina), der
in Italien liegt. 2. Ein gewisser Cornelius, Priester und von
edler Abkunft, ein nicht nur wegen des grossen Pflichtgefühls
bei seinem Priesteramte verehrungswürdiger, sondern auch
durch seinen keuschen Lebenswandel gottgefälliger Mann,
gerieth plötzlich in ein geistiges Verzücken und sagte, dass
er in der Ferne sehe, wie der heftigste Kampf gekämpft
werde; und weiter noch, dass er (im Geiste ganz deutlich)
die Einen weichen, die Andern vordringen sehe; er rief laut,
dass er, ganz so als befinde er sich selbst mitten im Treffen,
mit eignen Augen sehe das Morden, die Flucht, die fliegenden
Pfeile und Geschosse, die Erneuerung des Gefechtes, den
Ueberfall, das Geächze (der Verwundeten), die Wunden (der
Gefallenen); und hernach rief er (in seiner Verzückung)
plötzlich laut aus, dass Caesar gesiegt habe. 3. Zu der Zeit
(dieses seines Paroxysmus) wurde zwar diese Weissagung für
unerheblich und unsinnig gehalten, bald nachher aber erregte
sie grosse Bewunderung, weil nicht nur Tag (und Stunde)
des Kampfes, der in Thessalien (aus)gekämpft worden war,
und weil nicht nur der Ausgang der Schlacht, wie er war
verkündigt worden, wirklich vollständig eintraf, sondern auch
alle wechselseitigen Umstände beim Kampfe und selbst der
Zusammenstoss der beiden Heere durch das Traumbild und
die Aussage des Weissagenden in Wahrheit dargestellt worden
war (und wirklich zustimmte). (Vergl. Plutarch: Jul. Caes.
cap. 47.)
XV, 19, L. Ein denkwürdiger Ausspruch des M. Varro, aus seiner Satire,
welche die Ueberschrift führt: „thqI ifeojuaTwv (über Esswaaren)".
XV, 19. Cap. 1. Es giebt nicht Wenige, auf die ein
Ausspruch von M. Varro Anwendung finden kann, der in
seiner Satire vorkommt, welche die Ueberschrift führt „von
Esswaaren {rregl ideofidvcüv)u. 2. Seine eignen Worte lauten :
„Wenn Du von all der vielen Mühe, die Du darauf ver-
wendest, dass Dein Bäcker*) Dir gutes Brot bereitet, auch
XV, 19, 2. *) Wohlhabendere Familien hielten sich unter ihren
Digitized by Google
XV. Buch, 19. Cap., § 2. - 20. Cap., § 1 — 4.
nur den zwölften Theil (dem Studium) der Philosophie widmen
wolltest, so würdest Du selbst schon lange (gut und) recht-
schaffen geworden sein. Alle, die nun Jenen (d. h. Deinen
Bäcker und seine Vorzüge) kennen lernen, zeigen (sofort)
Lust, (sich) ihn für Hunderttausende zu kaufen; Dich, wer
Dich (nur erst) kennen gelernt hat, Keiner für 100 Heller
(centussis)."
XV, 20, L. Einige Bemerkungen über des Dichters Euripides Abstammung,
Leben, Sitten und über sein Lebensende.
XV, 20. Cap. 1. Theopompus sagt, dass die Mutter des
Euripides als Feldgemüse - Händlerin ihren Lebensunterhalt
. sich erworben habe. 2. Bei seiner Geburt aber wurde dem
Vater von den Chaldäern geweissagt, dass dies Kind, wenn
es herangewachsen sein würde, in den Wettkämpfen als Sieger
hervorgehen werde (denn nach ihrem Horoskop sei dies seine
Bestimmung). 3. Der Vater habe das aber so gedeutet, dass
er das Kind Fechter solle werden (und in den gymnastischen
Künsten erziehen) lassen, und als nun des Sohnes Leib ge-
kräftigt, tüchtig geübt (und ausgebildet) worden war, brachte
er ihn nach Olympia, damit er sich daselbst unter den jugend- t
liehen Fechtern (einmal) im Kampfe versuchen sollte. Das
erstemal habe man ihn nun zwar wegen seines noch unreifen
Alters noch nicht zum Wettstreit zugelassen, später aber nahm
er an dem eleusinischen und theseischen Kampf-
spiel (persönlich) Theil und trug (auch) den Preis davon. 4.
Bald nachher dieser Leibesübung überdrüssig, wendete er
sich der tleissigen Ausbildung seines Geistes zu und wurde
Schüler und Zuhörer des Naturforschers Anaxagoras und
Sklaven immer noch eigene Bäcker,, obgleich vom Ende des 2. Jahrhunderts
v. Chr. an in Rom die Bäckerei auch schon als förmliches Gewerbe be-
trieben wurde. S. Sueton. Caes. 48; Senec. ep. 95, 24. — Centussis s.
Gell. II, 24, 4.
XV, 20, 1. Bezweifelt wird die Sache von Val. Max. III, 4 ext. 2.
SuidaB v. EvQtntörjs. üeber Theopompus 8. Gell. X, 18, 6 NB.
XV, 20, fc. üeber die Chaldäer s. Gell. XIV, 1.
XV, 20, 4. Anaxagoras, 500 v. Chr., einer der vorzüglichsten
ionischen Philosophen, nahm einige von einem geistigen Wesen bewegte
ürstoffe an und verwarf die Meinung der Schöpfung aus Nichts. Er stand
19*
Digitized by Google
(292)
XV. Buch, 20. Cap., §4 — 8.
des Rhetors Prodikos, in der Moral Philosophie aber des
Socrates Schüler. In seinem 18. Jahre machte er sich daran,
ein Trauerspiel zu schreiben. 5. Philochorus erzählt, dass es
auf der Insel Salamis eine versteckte und wildromantische
Grotte gebe (die er selbst besucht und gesehen habe), worin
Euripides (seine Trauerspiele) geschrieben habe. 6. Er soll
ein sehr abgesagter Feind fast aller Frauenspersonen gewesen
sein, entweder, weil er überhaupt einen angebornen Wider-
willen gegen den Umgang mit dem weiblichen Geschlecht
hatte, oder weil ihm die zwei Frauen, mit denen er sich
zugleich verheirathet hatte, was bei den Athenern nach
ausdrücklichem Beschluss gesetzlich erlaubt war, die Ehe
(gründlich) verleidet hatten. 7. Auch Aristophanes thut
dieses Hasses gegen das weibliche Geschlecht in „der ersten '
Thesmophorienfeier" (V. 453 u. s. w.) Erwähnung in folgenden
Versen :
Drum ist mein Rath und dringend fordr' Euch All' ich auf,
Den Mann ob dieser Unbill streng zu züchtigen;
Denn herbe Leiden fügt, ihr Frauen, er uns zu,
Wuchs unter herben Gartenkräutern er doch auf. ,
8. Alexander der Aetolier aber hat folgende Verse
Uber den Euripides verfasst:
Anaxagoras' Zögling, des Vollblut -Manns, ist finster und mürrisch von
Ansehn,
Und dem Scherz abhold und nicht einmal beim Weine versteht er
zu spassen:
Allein was er schreibt ist honigversüsst, wie Sirenengesänge bezaubernd
mit Pericles im vertrauten Umgänge. Euripides und Thucydides waren
seine Schüler.
XV, 20, 4. Prodikos, griechischer Sophist aus Julis auf Keos,
Zeitgenosse des Socrates, blühte 436 v. Chr. (Ol. 86).
XV, 20, 5. Von Aristoteles (poßt. 13) wird Euripides der tragischste
aller Dichter genannt
XV, 20, 6. Diog. Laert. II, 5, 11; Eurip. Hippolyt. 664 etc. Athe-
naeus XIII, 597.
XV, 20, 7. S. Aristoph. Acharn. 478—481; Plin. h. nat 22, 38;
Plutarch: Vergleich des Aristoph. und Menander 1.
XV, 20, 8. Alexander, genannt Aitolos, aus Pleuron in Aetolien,
ein tragischer Dichter, der in Alexandria unter Ptolemäus II. Philadelphos
lebte und zur Pleias (Gruppe von sieben tragischen Dichtern) gezählt wird.
Bekannter scheint er als Elegiker gewesen zu sein. Die übriggebliebenen
Digitized by Google
XV. Buch, 20. Cap., §9 — 11.
(293)
9. Als Euripides (einst) bei dem (macedonischen) König Ar-
chelaos, mit dem er im vertrautesten Freundschaftsverhältniss
stand, zu Tische gewesen war und erst Nachts von da zurück-
kehrte, wurde er von den Hunden, welche einer seiner (Neider
und)* Nacheiferer auf ihn gehetzt hatte, so übel zugerichtet,
dass von den Verwundungen sein Tod erfolgte. 10. Seinem
Grabe und seinem Andenken haben die Macedonier solche
Hochachtung bewiesen, dass sie (gelegentlich) zur Ehre seines
Ruhmes auch (durch folgende Inschrift) laut bekannten : „Nie
soll, Euripides, Dein Angedenken vergehn," weil sie stolz
darauf waren, dass der vortreffliche Dichter, der in ihrem
Lande den Tod gefunden, in ihrer Erde begraben lag. 11.
Als deshalb von den Athenern Gesandte an sie abgeschickt
Bruchstücke von seinen Elegieen verrathen Anmuth und Lieblichkeit der
Darstellung. Endlich wird er auch als Grammatiker genannt. — A. Nauck
Eurip. Studien I, S. 126 Anm. zeigt, dass die hier aus Alexander an-
geführten anapästischen Tetrameter dem Aristophanes gehören nach der
vita Eurip. Z. 63 (Merckl. p. 682 Anm. 7).
XV, 20, 9. S. Val. Max. IX, 12 ext. 4; Diogenianus und Apostolius
v. IIqo^qov xvvsg] Hyginus fab. 247. Athenaeus XIII, 597 theilt ein
Bruchstück des Elegieendichters Hermesianax mit, worin diese Mittheilung
Erwähnung findet und folgendermassen zusammenhängen soll: Euripides
hatte sich in die Schaffherin des Königs in Aiyai verliebt und konnte des
Nachts nicht schlafen. Indem er durch die Strassen der Stadt irrte, wurde
er von den Hunden des Amphibios , welche ein boshafter Feind auf ihn
hetzte, zerrissen. Die Stelle lautet:
Ferner behaupt' ich, der Mann, der stets seine Würde behütet,
Und von der Kindheit an gegen die Frauen zumal
Ilass und Verachtung geschöpft, der konnte, geschossen vom krummen
Bogen, die nächtliche Qual nimmer bemeistern, den Gram,
Sondern schweifte entlang macedonischen Gassen zu Aegae,
Musste der Schaffnerin nachschleichen des Königes, bis
Dich, Euripides, dort Dein Schicksal stürzt' in Verderben
Unter Amphibios Hunds -Meute der Dichter gerieth. —
Der makedonische Dichter Addaeos widerlegt (bei Suidas v. vnaCuixt)
dieses Märchen in folgendem Epigramm :
Dich, Euripides, biss kein Hundszahn, stach keine Bremse
Nach einem Weibe: Du warst heimlichen Lüsten so fremd!
Bist vor Alter gestorben, die Stadt Arethusa bewahrt Dein
Grab, Archelaos, der Fürst, ehrt Dich im Leben und Tod.
Aber Dein Grabmal ist nicht hier blos, sondern des Bakchos
Bühne, die Thymele ist's, die dem Kothurne gehorcht!
Digitized by Google
(294) XV. Buch, 20. Cap., § 11. — 21. Cap. — 22. Cap., § 1—5.
worden waren, mit der Bitte, ihnen zu gestatten, die Gebeine
des Dichters in seine heimische Erde nach Athen überführen
zu dürfen, verharrten die Macedonier einstimmig auf Ver-
weigerung dieses Verlangens.
XV, 21, L. Dass von den Dichtern die Sühne des Zens als höchst weise
und menschenfreundlich geschildert werden, die Kinder des Neptun hin-
gegen als ausserordentlich wild und menschenfeindlich (vergl. Phornutus
de nat. deor.).
XV, 21. Cap. 1. Die Dichter erwähnen die Kinder des
Zeus als ausserordentlich hervorragend durch ihre Tugend,
Weisheit und Tapferkeit, wie z. B. den Aeacus, den Minos.
den Sarpedon; die Söhne des Neptun aber schilderten sie
stets, als aus dem Meere erzeugt, als höchst wild und
ungeschlachtet und allen menschlichen Regungen abhold,
wie z. B. den Cyklopen, den Cercyon, den Sciron und die
Laestrygonen.
XV, 22, L. Erzählung von dem ausgezeichneten Feldherrn Scrtorius, von
seiner Schlauigkeit und seinen erfinderischen Täuschungsraitteln , deren er
sich bediente, um seine rohen und wilden Kriegshorden im Zaume zu
halten und für sich zu gewinnen.
XV, 22. Cap. 1. Sertorius, ein thatkräftig strenger
Mann und ausgezeichneter Heerführer, wusste sehr gut, wie
er mit seinen Heeresmassen umzugehen und sie in Unter-
würfigkeit zu erhalten hatte. 2. Dieser erlaubte sich in
höchst bedenklichen Lagen gegen seine Soldaten Lügen, wenn
ihm die Unwahrheit von Nutzen schien, zeigte ihnen erdichtete,
untergeschobene Briefe als wahre vor, brauchte (oft) einen
Traum zum Vorwand, nahm seine Zuflucht zu betrügerisch
falschen Eingebungen und Offenbarungen, wenn alle der-
gleichen Hülfsmittel ihm irgend wie zur Stimmung und Ge-
sinnung der Soldaten förderlich schienen. 3. Eine List (von
ihm) ist besonders bekannt und berühmt. 4. Eine weisse
Hindin (Hirschkuh) von aussergewöhnlicher Schönheit und
behendester Schnelligkeit war ihm von einem Lusitanier zum
Geschenk gemacht worden. 5. Nun Hess er nicht nach (und
XV, 22, 1. Ueber Sertorius s. Gell. II, 27, 2 NB.
XV, 22, 4. Plut Sertor. p. 578 cap. 11; Frontin. Stratag. I, 11, 18;
Val. Max. I, 2, 4.
Digitized by
XV. Buch, 22. Cap., § 5-10.
(295)
verstand es), Allen die Ueberzeugung beizubringen, diese
(Hindin) sei ihm durch göttliche Fügung verliehen worden
und werde auf Geheiss der Diana beseelt, mit ihm zu unter-
handeln, ihm Mahnungen und Winke zu ertheilen, und nütz-
liche Anschläge an die Hand zu geben, und wenn er irgend
einmal eine scheinbar ziemlich harte Verordnung und Zu-
muthung an die Soldaten zu stellen gezwungen war, liess er
verbreiten, dass ihm die Mahnung dazu durch die Hindin
ertheilt worden sei. Nach einer solchen Mittheilung ge-
horchten dann sofort Alle willig, gleichsam wie auf einen
Götterspruch. 6. Diese Hirschkuh hatte sich nun eines Tages,
als ein Ueberfall von Seiten der Feinde gemeldet wurde,
durch die Hast und den Wirrwarr erschreckt, eiligst auf die
Flucht gemacht und sich im nächsten Sumpfe verkrochen, und
als sie nachher (vergebens) wiedergesucht worden war, hielt
man sie für verloren und glaubte, dass sie umgekommen sei.
7. Allein nicht viele Tage nachher wird dem Sertorius ge-
meldet, dass die Hindin sich wieder gefunden habe. 8. Hierauf
befahl er dem Ueberbringer dieser Nachricht darüber strenges
Stillschweigen zu beobachten und untersagte ihm aufs Strengste,
auch nicht gegen einen Einzigen etwas verlauten zu lassen.
Zugleich aber ertheilte er ihm die Weisung, dass er sie den
folgenden Tag plötzlich in das Gemach hineinlassen sollte, wo
er selbst sich mit seinen Freunden aufhalten würde. Als
Tags darauf bei ihm seine Freunde (und Adjutanten) vor-
gelassen worden waren, erzählte er ihnen, dass es ihm im
Schlafe vorgekommen sei, als hätte sich die verloren geglaubte
Hindin wieder eingefunden, um ihm, wie es früher immer der
Fall gewesen war, Rath zu ertheilen, was geschehen müsse.
9. Darauf gab er dem Sklaven das verabredete Zeichen. Die
Hindin wurde freigelassen und sprang sofort in das Zimmer
des Sertorius. Ein Freudenruf erhob sich und es herrschte
(allgemeines) Erstaunen. Und eine solche Leichtgläubigkeit
unter diesen ungebildeten Leuten war dem Sertorius bei
wichtigen Angelegenheiten von ausserordentlichem Nutzen.
10. Man hat daher auch dem Andenken überliefert, dass von
den vielen Völkerschaften, welche mit dem Sertorius in Ver-
bindung standen, als er bereits in vielen Schlachten besiegt
worden war, dennoch nicht ein Einziger von ihm abfiel, ob-
Digitized by Google
(296) XV. Buch, 22. Cap., § 10. — 28. Cap. - 24. Cap.
gleich ein derartiger (roher) Menschenschlag (sonst stets)
höchst veränderlich zu sein pflegt.
XV, 23, L. Ueber die Lebensjahre (und das Zeitalter) der (drei) aus-
gezeichnetsten (griechischen) Geschichtsschreiber , des Hellanicus, des
Herodotos und des Thucydides.
XV, 23. Cap. 1. Die (drei ausgezeichnetsten) Geschichts-
schreiber (der Griechen), Hellanicus, Herodot und Thucydides
blühten fast zu derselben Zeit unter ausserordentlichem Ruhm
und waren (auch) ihren Altersjahren nach nicht sehr aus-
einander. 2. Denn Hellanicus scheint zu Anfang des pelo-
ponnesischen Krieges 63 Jahre alt gewesen zu sein ; Herodot
53 (und endlich) Thucydides 40 Jahre. So steht es im 21.
Buche der Pamphila geschrieben.
XV, 24, L. Welches Urtheil Vulcatius Sedigitus in dem Buche, welches
er (im Allgemeinen) über die Dichter geschrieben, (im Besonderen) über
die lateinischen Lustspieldichter gefällt hat.
XV, 24. Cap. 1. Sedigitus sagt (ganz unverhohlen) in
dem Buche, welches er über die Dichter schrieb, wie er über
die urtheilt, die Verfasser von (lateinischen) Lustspielen waren
und welchen er (dem Werthe nach) unter ihnen von allen
Uebrigen für vorzüglicher hält, ferner welchen Ehrenplatz er
jedem Einzelnen anweist, und giebt uns in folgendem Wort-
laut (seines poetischen Kanons) dies deutlich zu verstehen:
Sehr viele seh' ich schwanken über diesen Punkt,
Wem man im Lustspiel reichen soll den Ehrenpreis.
Den Knoten, werd' ich nicht getäuschet, lös' ich Dir,
So dass, wer anders meinen will, nichts meinen soll.
5 Die Palme geb' ich dem Caecilius Statius;
Der zweitf ist Plautus, der all' Andre übertrifft;
Der dritte Preis dem Naevius für seine Glut
Giebt's einen vierten, ihn empfängt Licinius;
Nach diesem lass' ich folgen den Attilius;
10 Am sechsten Platze folget dann Terentius;
Turpilius hat den siebenten, den achten Trabea;
Als Neunten setz' ich unbedenklich Luscius;
Als zehnten nenn' ich Alters halber Ennius.
XV, 24, 1. Ueber diese wunderliche Aufstellung s. Teuffels röm. Lit.
Gesch. § 15, 4 und § 134, 3. S. Ladewig über den Canon des Volcatius
8edigitus Neustr. 1843.
XV, 24, 1 v. 7. Wer Acht hat (qui servet), reicht den dritten Preis
dem Naevius.
Digitized by Google
XV. Buch, 25. Cap., § 1. 2. — 26. Cap., § 1. 2. (297)
XV, 25, L. lieber einige neue (ungewöhnliche) Wörter, welche uns in den
mimischen Gedichten des Gnaeus Matius aufstiessen.
XV, 25. Cap. 1. Gnaeus Matius, ein kenntnissreieher
Mann, hat in seinen mimischen Dichtungen gar nicht miss-
klingend das Wort „recentari (sich erneuern, sich verjüngen)"
gebildet, wofür die Griechen sagen: „avaveovftai (avaveoio&cu),
d. h. es erzeugt sich wieder, es entsteht wieder neu." Die
Verse, in denen sich das Wort vorfindet, lauten also:
Iam jam albicascit Phoebus et recentatur
Commune lumen hominibus voluptatis, cL h.
Schon naht der Lichtgott hell und ist wie neu verjüngt
Das allgemeine Licht zur Lust der ganzen Welt.
2. Derselbe Matius gebraucht in denselben mimischen Dich-
tungen das Wort „edulcare (süsser machen) versüssen" in
folgenden Versen:
Quapropter edulcare convenit vitam
Curasque acerbas sensibus gubernare, d. h.
Drum rathsam ist's, das Leben zu versüssen sich,
Und abzuwehren herbe Sorgen durch Vernunft (d. h. durch eigne
vernünftige Grundsätze oder durch Zerstreuung).
XV, 26, L. Wie Aristoteles den Syllogismus wörtlich erklärt hat, und
Wiedergabe dieser Frklärung durch lateinische Uebersetzung.
XV, 26. Cap. 1. Aristoteles hat in folgenden Zeilen eine
Erklärung von dem Syllogismus (Vernunftschluss) gegeben :
Ein Syllogismus (Vernunftschluss) ist ein ausgesprochener
Satz, in dem nach gewissen (gegebenen) Voraussetzungen noch
etwas Anderes als diese Voraussetzungen, mit Notwendigkeit
als Folge dieser Voraussetzungen sich ergiebt. 2. Es wird
nicht unpassend erscheinen, hier eine verfertigte, gleichlautende
(lateinische) Uebersetzung dieser Erklärung folgen zu lassen:
XV, 25, 1. recentare s. Nonius II, 167, 16.
XV, 25, 2. Nonius v. edulcare II, 106, 25.
XV, 26, 1. Syllogismus, wo aus der Annahme des Vorhergehenden
auch die des Darangeknüpften folgt. VergL Gell. II, 8, LNB; Plin. ep.
8, 3; Quintil. III, 6, 15; V, 10, 6; V, 14, 14 und 24; VII, 8 init.;
Aristot. Topic I, 1, 3; Cic ad Herenn. IV, 16.
Digitized by Google
(298) XV. Buch, 26. Cap., § 2. — 27. Cap., § 1. 2.
Ein Schluss ist eine Darstellung, worin, nach gewissen (vorher-
gegangenen) Annahmen und Zugeständnissen, noch etwas
Anderes ausser diesen Zugeständnissen als nothwendig sich
ergebende Folge hergeleitet wird.
XV, 27, L. Was man versteht unter den Ausdrücken „comitia calata"
und „curiata" und „centuriata" und „tributa41, und unter „concüium"
und ausserdem noch einiges Anderes der Art.
XV, 27. Cap. 1. Im ersten Buche des Laelius Felix*)
an den Q. Mucius steht, dass Labeo schreibt, calata**) seien
diejenigen Comitien***) genannt worden, welche auf Verord-
nung und im Namen der Priestergesammtheit gehalten werden,
um entweder den (Opfer-) König oder einen Einzelpriester
(Flamen, z. B. des Jupiters, des Mars, des Romulus u. s. w.)
feierlich einzuweihen. 2. Einige andere dieser comitia (Massen-
XV, 27, 1. *) Laelius Felix vergl. Geil. XIII, 14, 7 und Teuffels
Gesch. der röm. Lit 337, 7.
XV, 27, 1. **) comitia calata (i. e. convocata, von dem alten
Worte calare, x«Am>, rufen, zusammenberufen) hiessen im Anfang über-
haupt alle Comitia, weil das Volk zu den curiatis durch einen Lictor und
zu den centuriatis durch einen Hornbläser (Herold) berufen wurde.
Nachher aber wurde der Ausdruck nur von denen gebraucht, an welchen
Testamente verfertigt, oder Priester gewählt wurden. Da dabei nun aber
nur 17 Tribus des Volks versammelt (und es also keine eigentlichen
Comitien) waren, so nannte man sie auch concilia (Zusammenkünfte
des Volkes), welche nur von den Zunftmeistern veranstaltet wurden, denen
nicht das Recht zustand, das gesammte römische Volk (Universum populum)
zusammen zu berufen, wie es in den Comitien geschah. — Der (Opfer-)
König, rex sacrorum, war der erste und vornehmste unter den Opfer-
priestern. — Pro conlegio pontificum vergl. Liv. II, 27; XXXVIU, 36 j
Paulus p. 57, 20.
XV, 27, L ***) Lucius Ampelius in seinem Erinnerungsbuch
(lib. memorial.) sagt cap. 48: Die comitia haben ihren Namen von dem
Massengeleite (a comitatu et frequentia) und der gemeinschaftlichen Be-
theiligung (der Menge), wenn die Väter und die Volksabtheilungen zur
Wahl der Obrigkeiten oder Priester zusammenberufen werden. Es giebt
dreierlei Comitien, nach Curien, Tribus und Centurien. Curiata heissen
sie, wenn es sich um den Wechsel der Obrigkeiten handelt und die Wahl
eine gewöhnliche ist, so dass bloss das Volk stimmt; sind sie wichtigerer
Art, so heissen sie tributa; centuriata aber werden sie genannt, wenn
eine grosse Gefahr vorhanden, und dann werden sogar auch die Soldaten
zur Abstimmung zugelassen. Vergl. NB zu § 5.
Digitized by Google
XV. Buch, 27. Cap., § 2—4. (299)
Versammlungen und Zusammenkünfte) hiessen curiata, andere
(wieder) centuriata. Die curiata werden zusammenberufen
(calari in der Bedeutung von convocari) durch den mit diesem
Auftrag der Curienberufung betrauten (öffentlichen Diener
einer Obrigkeit, den) Lictor, die Centuriata aber durch den
Hornbläser (per cornicinem, d. h. eine Art Herold). 3. In den
sogenannten Calat-Comitien erfolgte gewöhnlich die Vollziehung
der feierlichen Lossagung von den Familiensacris (sacrorum
detestatio), oder die Verfertigung (und Bestätigung) von letzten
Willensbestimmungen (Testamenten). Es wurden nämlich drei
Arten von Formen bei dem Testamentsverfahren angenommen.
Das erste Verfahren war, wenn solche letzte Willeusmei-
nungen in den Calat-Comitien vor der Volksversammlung
angenommen wurden ; ein anderes (Verfahren der Testamente-
Abfassung) geschah in der Rüstung (in procinctu*), d. h.
in dem Augenblick, wo man einem gefährlichen Treffen ent-
gegenging) beim Schlachtaufruf der Helden zum Kampfesstrauss ;
die dritte Art ein Testament zu machen, bestand in der
Uebernahme des ( Erb-) Vermögens (per familiae mancipa-
tionem) unter Beobachtung der herkömmlich gesetzlichen
Form zur Erwerbung durch Scheinverkauf, wobei das Zu-
wiegen des Kaufpreises zur Anwendung kam (aes et libra**)
adhiberetur). 4. In demselben Buche des Laelius Felix steht
auch noch Folgendes geschrieben: „So wie Jemand nicht das
gesammte Volk, sondern nur einen Theil desselben zusammen-
berufen lässt, so darf man dies nicht mit dem Ausdruck
„(Volkszusammenkünfte) comitia" belegen, sondern muss dann
XV, 27, 3. *) Vergl. Gell. 1, 11, 3 NB. Procincta classis begreift das
römische Volk der Centuriat-Comitien in sich. S. Cic. nat. D. II, 3; de
Orat. I, 53, 228; JuL Caes. B. G. I, 39, 4.
XV, 27, 3. **) aes et libra. Da man früher kein Silbergeld hatte,
sondern nur Kupfermünze, so wurde diese zugewogen. Als man später
bereits geprägte Erzstücke hatte, und kein Zuwägen mehr nöthig war,
wurde trotzdem der Formalität wegen die Waage bei Geldzahlungen noch
gebraucht. Derjenige, welcher die Waage hielt, hiess libripens. Diese
Formalität wurde beobachtet bei herkömmlich gesetzlichen Erwerbungen
durch Kauf, Schenkung, Testament. S. Gaj. Instit. I, § 113 und 119;
Ulp. fr. 19, 3 und 20, 7; vergl. Plin. 33, 3 (13), 43; Priscian. VI, 18, 96
p. 287 Vol. I .Krehl; Gell. XV, 13, 11. Näheres in Pauly's Realencyklop.
Bd. I S. 69. Vergl. Gell. V, 19 bei der Adoption gebräuchlich.
Digitized by Google
(300)
XV. Buch, 27. Cap., § 4. 5.
sagen: „concilium" (d. h. Berufung zur Anhörung eines
Vortrags, nicht zur Abstimmung). Die Volkszunftmeister
aber können weder die Patricier berufen, noch über irgend
eine Angelegenheit bei ihnen eine Anfrage stellen. Daher
solche Gemeindebeliebungen auch eigentlich nicht Gesetze
(leges) genannt werden, sondern eben deshalb plebisscita, die
• nur auf (speciellen) Antrag der Volkszunftmeister gemacht
und angenommen wurden, und es waren früher die Patricier
an diese Verordnungen so lange nicht gebunden, bis endlich
der Dictator Q. Hortensius (im J. 413 d. St.) das Gesetz auf-
brachte, Kraft dessen alle römischen Bürger (Quirites) auch
an die Einrichtungen und Verordnungen gebunden sein sollten,
welche nur die Gemeine beschlossen*) hatte." 5. In
ebendemselben Buche steht auch Folgendes: „Wenn man
XV, 27, 4. Concilium vergl. Liv. 39, 15.
XV, 27, 4. *) Eine ähnliche Verordnung war schon früher von den
Consuln L. Valerius und M. Horatius gemacht worden, wie Liv. III, 55
(vergl. Vm, 12) meldet Vergl. Lange röm. Alterth. § 99 p. (93) 100 über
die Notwendigkeit einer definitiven Feststellung von der unbedingten
Gesetzlichkeit der Plebiscite, hervorgerufen durch den Widerstand der
Patricier. S. Dig. 1, 2, 2, 8; Gaj. 1, 3; Theoph. 1, 2, 5; Diod. 21, 33. —
Die Patricier konnten in rechtlicher Form nicht von den Tribunen be-
rufen werden, die nur das jus cum plebe agendi, nicht das jus cum
populo agendi hatten. Gaj. 1, 3; Inst. 1, 2, 4; Theoph. I, 2, 4; cfr.
Gell. X, 20, 5 NB. — Lange röm. Alterth. § 119 S. (392) 422 sagt: für
den Begriff der concilia im Gegensatz zu den Comitia ist das Haupt-
merkmal der Mangel der Leitung durch die Magistratur, welches Merkmal
Laelius Felix in seiner Definition ganz übersehen hat. Concilia plebis
hiessen die Volksversammlungen, wenn sie von den Tribunen geleitet
wurden, die anfangs durchaus nicht als magistratus populi Romani gelten
und selbst nachher noch, als sie es thatsächlich geworden und die Patricier
an den Versammlungen der Plebs theiinehmen Hessen, doch die staats-
rechtliche Stellung gegenüber dem populus gleich den Magistraten cum
imperio entbehrten und also die Patricier als solche nicht berufen durften.
S. Lange röm. Alterth. § 119 S (393) 423. Die Definition von plebiscita
hier bei Gellius (und bei Gajus 1, 3) ist ungenau. Der technische Aus-
druck für die (Bestimmungen der) Plebs ist sciscere (d. h. durch Votum
genehmigen und verordnen), während jubere im strengen Sprachgebrauch
nur vom populus gesagt wird. S. Cic. Flacc. 7, 15; Balb. 18, 42. Daher
die Definition bei Festus 293: scita plebei appellantur, quae plebs suo
suflragio sine patribus jussit, plebejo magistratu rogante; vergl. Fest. 330.
230. 233; Instit. 1, 2, 4; Theoph. 1, 2, 4. S. Lange röm. Alterth. § 129
S. (525) 571.
Digitized by Google
XV. Buch, 27. Cap., § 5.
die Abstimmung vornimmt nach dem ganzen Geschlechts-
complex (der 30 Curien, ex generibus hominum, d. h. s. v.
als nach gentes oder Gemeinschaften), so werden diese Ver-
sammlungen (des römischen Volkes) Comitien nach Curien
(comitia curiata) genannt; wenn die Abstimmung nach der
XV, 27, 5. Ex generibus. Genus = gens. S. Lange röm. Alterth.
§ 45 p. (216) 249.
XV, 27, 5. Comitien Messen bei den Römern die Bürgerversamm-
lungen, vorin das Volk, früher unter Vorsitz des Königs und nach Ver-
treibung der Könige unter Leitung eines Consuls, oder eines andern dazu
berechtigten Magistraten über Annahme oder Ablehnung eines fragweise
gestellten Vortrags (rogatio) abstimmte und durch Stimmenmehrheit zur
Entscheidung brachte. Nach den verschiedenen Abtheilungen des römi-
schen Volkes in Curien, Centurien und Tribus unterschied man comitia
curiata, c. centuriata und c. tributa; je nach den obrigkeitlichen Personen,
welche gewählt werden sollten, gab es: comitia consularia, praetoria,
aedilitia, censoria, pontificia, proconsularia, propraetoria und tribunitia.
Das Volk musste 17 Tage zuvor (per trinundinum, d. h. drei Nundinas
über) durch einen öffentlichen Anschlag (Edict) davon unterrichtet sein.
Die ältesten dieser Versammlungen waren die comitia curiata, so
genannt von den 30 Curien, von je drei Geschlechtern, der ursprünglich
allein berechtigten Altbürger (Patricier), welche unter den Königen bis
Servius Tullius die einzigen Bürger , waren. Jede der drei patricischen
Urtribus (Ramnes, Tities und Luceres) zerfiel also in zehn Curien oder
Abtheilungen. Die Versammlung fand statt auf dem zwischen dem Forum
und der Curia gelegenen Platze, der Comitium hiess, dem Sitzungsiocale
des vorher erst nach günstigen Anzeichen (Augurien) die Genehmigung
ertheilenden Senats. Dionys. Halic. II, 6. Sie beschäftigte sich mit der
Wahl der höchsten Würdenträger, üebertragung der Executivgewalt, lex
de imperio, Priesterinstallation, Entscheidung über Krieg und Frieden,
Criminalgerichtsbarkeit, Adoption (s. Gell. V, 19, 1 NB), Arrogation (s.
Gell. V, 19, 8 NB) und Testamenten (s. Gell. XV, 27, 3 NB). Um die
verschiedenen Racen zu verschmelzen, theilte die Politik der Könige das
gemeine Volk in Corporationen (Plut Num. 17; Plin. h. n. 34, 1), ver-
mehrte die Zahl der Tribus und veränderte dadurch ihre Verfassung.
Servius Tullius richtete sich nicht, wie ehedem, nach der alten Eintheilung
der durch den Ursprung unterschiedenen Tribus, sondern nach der der
vier neuen, nach den Stadtvierteln bestimmten Tribus. S. Dionys. 4, 14.
Um nämlich die Schranken niederzureissen , welche die verschiedenen
Klassen trennten, erfolgte durch Servius Tullius eine Anerkennung der
Plebes, d. h. man Hess zur grossen Unzufriedenheit der vornehmeren
Klassen Plebejer und Patricier eintreten und erhob Freigelassene zum
Range von Bürgern. Nun wurden die Staatsangelegenheiten durch comi-
tia centuriata entschieden, in weichen das Volk nach Centurien
Digitized by Google
(302) XV. Buch, 27. Cap., § 5.
Vermögensabschätzung (census) und nach dem Alter geschah,
hiessen sie Comitien nach Centurien (comitia centuriata) ; und
wenn endlich nur (nach der Bodenabtheilung, regionibus, also)
nach den verschiedenen Bezirken und Gegenden abgestimmt
wurde, hiessen sie Comitien nach Tribus (comitia tributa, in
stimmte. Diese Versammlungen auf dem Marsfelde ausserhalb des pomoe-
rium (städtischen Friedensbezirks s. Gell. XIII, 14) hatten eine militärische
Gliederung der römischen Bürgerschaft zum Zwecke. Sämmtliche Bürger
vom 16. — 60. Jahre stimmten hier unter Vorsitz der Consuln innerhalb der
Vennögensklassen und Centurie. Diese Einführung des Census und der
Comitien nach Centurien war vom Servius Tullius ein Meisterstück von
Staatsklugheit, und wurden dadurch die bisher unvermeidlichen Miss-
bräuche, Ungleichheiten, Mängel und Gebrechen in der Staatsverfassung
verbessert und abgestellt, dass dadurch den ärmeren Bürgern Erleichterung
verschafft wurde. Die Personensteuern erhob man nun nicht mehr gleich
stark und die Werbungen und Kriegsbeiträge geschahen nach Centurien.
Die Centuriae populi waren die 193 Centurien oder Abtheilungen, in
welche Servius Tullius die 6 Klassen des römischen Volkes (576 v. Chr.
177 u. C.) theilte.
Die erste Klasse, mit Vermögen von 100,000 Asses, umfasste
98 Centurien, die übrigen Klassen umfassten insgesammt nur 95 Centurien.
Die zu der ersten Klasse gehörigen römischen Bürger, als die reichsten,
vornehmsten und angesehensten unter den Patriciern und Rittern (cfr.
Gell. XIX, 8, 15) hiessen: classici (sc cives Gell. VI [VII], 13, 1).
Die zweite Klasse, mit 75,000 Asses Vermögen, umfasste 22 Cen-
turien, wovon zwei Centurien Waffenschmiede, Zimmerleute, Ingenieure
und andere Werkleute waren.
Die dritte Klasse, mit 50,000 Asses, ebenfalls 20 Centurien.
Die vierte Klasse, mit 25,000 Asses, 22 Centurien, wovon zwei
Centurien aus Musikern und Spielleuten bestanden.
Die fünfte Klasse, mit 12,000 Asses, 30 Centurien. Diese fünf
Klassen hiessen zusammen assidui (ansässig, wohlhabende, steuerpflichtige,
vergl. Gell. XVI, 10, 8 NB) oder locupletes (die Wohlhabenden, \ergl.
Gell. X, 5, 2 NB), im Gegensatz zur
sechsten Klasse, welche bekanntlich nicht gezählt wurde, da sie
die s. g. proletarios und capite censos, mit nur einer Comitie enthielt»
bei denen man nur auf ihre Kopfzahl und dass sie da waren, sehen
konnte. — Am Tage der Comitien selbst bezog der dabei Vorsitzende
Magistrat, nebst einem Augur, ein Zelt vor der Stadt, um die Auspicien
zu beobachten. Waren die Auspicien günstig, daun wurden die Comitien
gehalten, ausserdem mussten sie auf einen andern Tag verschoben werden
(Gell. XIII, 14). Vor Aufgang und nach Untergang der Sonne ward in
denselben nichts mehr vorgenommen. Wenn also abgestimmt werden
sollte, so fand sich jeder Bürger bei seiner Centurie ein, und das Loos
Digitized by Google
XV. Buch, 27. Cap., § 5. — 28. Cap., § 1.
(303)
denen das Volk tribusweise, ohne Unterschied des Ranges
und Vermögens stimmte). Die Centuriat - Comitien durften
nicht innerhalb des Stadtbezirkes (pomoerium, vergl. Gell.
XHI, 14) abgehalten werden, weil das (waffenfähige) Volk
(exercitus) nur ausserhalb der Stadt berufen werden durfte,
die Berufung innerhalb der Stadt aber nicht erlaubt war.
Deshalb pflegten die Centuriat - Comitien auf dem Marsfelde
abgehalten und das (waffenfähige) Volk zur Besetzung des
Wahlplatzes aufgefordert zu werden, des Schutzes und der
Sicherheit halber (und wegen Aufrechterhaltung der Ruhe
und Ordnung), so lange das Volk beim Stimmabgeben be-
schäftigt war.
XV, 28, L. Dass sich Cornelius Nepos irrte, da er schrieb, dass Cicero
(erst) 23 Jahre alt gewesen, als er die Verteidigung für den Sextus
Roscius führte.
XV, 28. Cap. 1. Cornelius Nepos, (bekannt) theils als
ein gewissenhafter Sammler von geschichtlich denkwürdigen
Notizen, theils als ein, mehr wie irgend wer, vertrauter
entschied, welche Centurie zuerst votiren sollte: und diese hiess dann:
centuria praerogativa. Liv. 10, 13; 26, 22. Endlich die comitia tributa,
erhielten ihren Namen von der Gliederung durch geographische Abtheilung
des römischen Gebietes, d. h. von den localen Tribus, in welche Servius
Tullius Stadt und Land getheilt hatte. Alle in den Tribus eingeschrie-
benen Burger waren berechtigt, diese Comitien zu besuchen, also Patricier
und Plebejer, je nachdem sie zu der betreffenden Tribus gehörten, während
sie bei den Centuriatcomitien nach dem Census (Vermögensabschätzung
klassificirt und) geordnet waren. Die Patricier besuchten die Tribut-
comitien selten, weil sie hier keinen Einfluss hatten. Die legislative Be-
fugniss, anfangs auf locale Gemeindeinteressen beschränkt, wurde später
durch die lex Valeria (449 v. Chr.), lex Publilia (339 v. Chr.) und lex
Hortensia (286 v. Chr.) auch auf wichtige Angelegenheiten ausgedehnt.
XV, 27, 5. Lange röm. Alterth. § 59 p. (343) 403: „wenn die comitia
centuriata als exercitus romanus (Varro 1. 1. 5, 88) oder einfach (wie hier
§ 5) als exercitus (vergl. Liv. 39. 15; Paul, unter justi p. 103; Macrob.
I, 16, 15; Serv. ad Aen. 8, 1) bezeichnet werden, so folgt hieraus, dass
die Heeresordnung ursprünglich für die Form der Comitien massgebend
war."
XV, 28, 1. Cornelius Nepos aus Oberitalien, befreundet mit Atticus,
Cicero und seinem jüngeren Landsmann Catullus. S. Teuffels röm. Lit.
Gesch. 195, 8.
Digitized by Google
XV. Buch, 28. Cap., §2 — 4.
Freund des M. Cicero. 2. Dieser hat sich trotzdem im ersten
Buche seiner Schriften, welche er über das Leben desselben
schrieb, offenbar einen Irrthum zu Schulden kommen lassen,
wenn er angiebt, dass Cicero im Alter von 23 Jahren seinen
ersten Prozess vor dem öffentlichen Gericht geführt, und die
Verteidigung von dem des Vatermordes angeklagten Sextus
Roscius übernommen habe. 3. Denn wenn man freilich die
Jahre zusammenzählt, vom Amtsantritt des Q. (Servilius)
Caepio und des Q. (Attilius) Serrano, unter deren Consulate
M. Cicero am 3. des Monats Januar das Licht der Welt
erblickte, an gerechnet bis zum Consulate des M. Tullius und
Cn. (Cornelius) Dolabella, unter denen er seinen Privatprozess
für den Quintius vor dem Richter Aquilius Gallus führte,
so ergeben sich (allerdings) 26 Jahre. Es ist aber ausser
allem Zweifel, dass er, ein Jahr nach der für den Quintius
geführten Verteidigung (im J. 673 d. St. oder 81 v. Chr., in
seinem 26. Lebensalter) den des Vatermordes angeklagten
Sextus Roscius (im J. 674 d. St.) unter dem Consulate des
Luc. (Cornelius) Sulla Felix (d. Glücklichen) und des Q.
(Caecilius) Metellus Pius*) (d. Pflichtgetreuen) ver-
teidigte und also schon 27 Jahre alt war. 4. Pedianus
Asconius bemerkt, dass in dieser Beziehung sich auch
Fenestella geirrt habe, weil sich bei ihm die Angabe ge-
XV, 28, 2. lieber Cicero's Lebensbeschreibung vom Cornel. s. Teuffels
röm. Lit. Gesch. 195, 4, 5.
XV, 28, 3. Gajus Aquilius Gallus, Schüler des Oberpriesters
Q. Mutius Scaevola, Cicero's College in der Quaestur und sein Freund,
zeichnete sich als Rechtskenner und Redner aus. S. Cic. P. Quintius 1 ;
Aul. Caecin. 27; Brut. 42; de offic. III, 14; vergl. Val. Max. VIII, 2, 2;
Teuffels röm. Lit. Gesch. 151 und 171, 1.
XV, 28, 3. *) Q. Metellus Pius, weil er mit Bitten kindlicher
Liebe die Rückkehr seines Vaters betrieb, war der Sohn des Q. Caecilius
Metellus Numidicus s. Gell. I, 6, 1 NB; App. b. c. 1, 33; Diod. 36, 9;
Aurel. Vict. 63; Vellej. 2, 15; Dio C. Fr. 95 B.; Cic. de or. II, 40, 167.
XV, 28, 4. Q. Asconius Pedianus, der berühmte Ausleger des
Cicero, war zu Patavium geboren, schrieb unter Claudius und Nero und
soll 88 n. Chr. gestorben sein. Seine Schriften sind verloren gegangen.
S. Teuffels röm. Lit Gesch. 290, 2.
XV, 28, 4. Lucius Fenestella, lebte unter Augustus und Tiberius,
schrieb Annalen, die den Zeitraum von der Königszeit an bis zum Unter-
Digitized by Google
XV. Buch, 28. Cap., §4—7.-29. Cap., § 1. 2. (305)
schrieben findet, dass Cicero im 26. Jahre seines Alters für
das Interesse des Sextus Roscius gesprochen habe. 5. Grösser
aber ist der Irrthum des Nepos, als der des Fenestella, wenn
man sich nicht (etwa die Möglichkeit) zu Gemüthe führen
will, dass Nepos, (nur) bewogen durch den Eifer der Liebe
und Freundschaft (für Cicero), und um seine Bewunderung
(für denselben) in ein noch helleres Licht zu stellen, (ab-
sichtlich) 4 Jahre weniger angegeben habe, um glauben zu
machen, dass (sein Freund) Cicero diese blühendste Rede für
den Roscius als ganz junger Mensch gehalten habe. 6. Dieser
Umstand ist sogar von den Verehrern beider (grossen) Red-
ner ins Auge gefasst und niedergeschrieben worden, dass
Demosthenes, wie Cicero in gleichem (Jugend-)Alter die
berühmtesten Reden in Rechtssachen gehalten haben, (De-
mosthenes) der Eine in seinem 27. Jahre gegen Androtion
und Timocrates, und der Andere (Cicero) sogar noch um ein
Jahr jünger (in einem Alter von erst 26 Jahren) die für den
P. Quintius und in seinem 27. Jahre die für den Sextus
Roscius. 7. Auch in der Zahl der Jahre, die Beide erlebten,
ist kein allzugrosser Unterschied, denn der Eine (Cicero)
wurde 63 Jahre und Demosthenes 60 Jahre alt.
XV, 29, L. Welcher ungebräuchlich neuen Wortfügung sich der Geschichts-
schreiber L. Piso bedient hat.
XV, 29. Cap. 1. Wenn man sagen will: ich heisse Julius,
so giebt es folgende zwei hinlänglich bekannte und gebräuch-
liche Redewendungen, man sagt entweder: mihi nomen est
Julio, oder mihi nomen est Julii. 2. Eine dritte, wirklich
gang der Republik umfassten und von römischen Schriftstellern oft genannt
werden (Plin. H. N. 33, 6). Er starb hochbejahrt, 21 n. Chr. s. Sen. ep.
10, 8, 31. Die unter seinem Namen herausgegebene Schrift über die
Priester- und Staats - Aemter der Römer (de sacerdotiis et magistratibus
Romanorum) ist ein späteres Machwerk des 15. Jahrh. (Ph. II. Külb.).
S. Teuffels röm. Lit. Gesch. 254, 3.
XV, 29, L. üeber L. Calpurnius Piso s. Gell. VII (VI), 9, 1 NB.
XV, 29, 1. In der Construction : mihi nomen est u. s. w. richtet sich
der Name selbst nach dem Dativ, in welchem die zu benennende Person
oder Sache steht und wird nicht als nähere Bestimmung von „nomen"
Gellius, Attische Nächte. II. 20
Digitized by Google
(306) XV. Buch, 29. Cap., § 2. — 30. Cap., § L 2.
ganz neue Wendung habe ich bei Piso im 2. Buche seiner
Jahrbücher gefunden. Die betreffende Stelle bei Piso lautet:
„Sein College L. Tarquinius sei in Sorge, weil er den Namen
Tarquinius führe (Tarquinio nomine esset) und er bitte ihn,
dass er sich aus freiem Antrieb sofort nach Rom begeben
möge." Er sagt: quia Tarquinio nomine esset, das ist
gerade so, als ob ich sage : mihi nomen est Julium (ich heisse
Julius oder ich führe den julischen Namen).
XV, 30, L. Der Ausdruck: petorrituni, als Bezeichnung für eine (gewisse)
Wagengattung, welcher Sprache er angehört, ob der griechischen oder der
gallischen.
XV, 30. Cap. 1. Alle die durch einen anderen Lebens-
beruf (gleichsam bereits) abgenutzt und vertrocknet, sich erst
später*) auf das Studium der Wissenschaften legen, wenn
sie noch dazu von Haus aus schwatzhaft und naseweis sind,
werden gar sehr leicht im Prahlen mit ihrem (bischen, spät
noch aufgerafften) Wissen läppisch und fad. 2. Von der Art
selbst flectirt, z. B. Sallust. Jug. 5 Scipioni cognomen fuit Africano.
Dichter und Spätere geben dem Namen als Attribut eine Adjectivform,
wie hier bei Piso: sum nomine Tarquinio. Das logische Verhältniss des
Kamens selbst erfordert eine grammatische Beziehung desselben auf
„nomen". Der Käme steht also im attributischen Verhältniss zu „nomen"
und richtet sich nach dem Casus dieses Wortes. So z. B. Cic. in Verr. IV,
53, 118: Fonti nomen Arethusa est. In Folge einer Attraction steht in
gewissen Fällen ein Wort in attributischer Beziehung und der dieser Be-
ziehung entsprechenden Congruenz in einem Worte, zu welchem es seinem
Begriffe nach kein Attribut ausmacht, wie z. B. in der] Redensart est mihi
nomen, indem der Name auf den Dativ der Person gezogen, und selbst in
Dativ gesetzt wird; also mihi nomen est Julio. Selten ist eine Abhängig-
keit des Namens von nomen im (attributiven) Genitiv, z. B. mihi nomen est
Julii. Plaut. Amph. Prol. 19 nomen Mercurii mihi est. Doch findet sich
diese Construction ganz regelmässig, wo das Praedicat nicht blos aussagt,
wer den Namen führe. Wir sagen: das Wort Frömmigkeit, der Lateiner
nicht, sondern nomen pietatis gravissimum est. Cic. Fam; I, 9, 1. hinc
nomen ductum est amicitiae Cic. Fin. II, 24, 78. Ebenso selten erscheint
der Name da, wo nomen nicht Nominativ ist, ganz unfiectirt, wie ein
Indeclinabile , z. B. Ov. Metam. 15, 96 vetus illa aetas, cui fecimus
aurea nomen.
XV, 30, 1. *) Vergl. Gell. II, 7, 3 oipiua&l«.
Digitized by Google
f
XV. Buch, 30. Cap., § 2-7. (307)
war allerdings auch jener (abgeschmackte) Mensch, der neulich
über den Ausdruck „petorrita" (d. h. eine Art offener, gallischer
Wagen) sein spitzfindiges Geschwätz vernehmen liess. 3. Denn
als man die allgemeine Frage aufstellte, welche Gestalt ein
solcher Wagen, den man „petorritum" nennt, habe und aus
welcher Sprache das Wort herstamme, liess es sich dieser
Mensch einfallen, nicht nur eine ganz andere und ganz falsche
Beschreibung von der Gestalt und Bauart eines solchen Wa-
gens zu erlügen, sondern auch zu behaupten, dass das Wort
ein griechisches sei und erklärte (in seiner Afterweisheit), dass
es (von Tterofiai, ich fliege und „rotaa, d. h. Rad gebildet sei
und) daher „geflügelte Räder" bedeute. Seine Ansicht war also,
dass das Wort petorritum (durch Verdoppelung des r und)
durch Abänderung des einzigen Buchstaben (o in i) gleichsam
aus petorrotum entstanden, 4. und behauptete, dass es so
(auch) von dem Valerius Probus geschrieben worden sei. 5.
Als ich deshalb sehr viele Bücher von den Abhandlungen des
Probus durchgesucht hatte, fand ich weder darin irgend eine
Andeutung geschrieben, noch glaube ich überhaupt, dass
Probus irgendwo darüber etwas geschrieben habe. 6. Allein
das Wort „petorritum" ist (durchaus) kein zweisprachliches
Wort (dimidiatum i. e. vox hibrida), d. fe. halb genommen aus
der griechischen und halb aus der lateinischen, sondern ganz
jenseits der Alpen entsprossen und ein ganz (echter, celtischer
oder) gallischer Ausdruck. 7. Dies steht in des M. Varro
14. Buche seiner „Gebräuche der Vorzeit in göttlichen (und
menschlichen) Dingen" ; an welcher Stelle Varro, nachdem er
über den Ausdruck „petorritum" gesprochen hat, auch noch
die Bemerkung hinzufügt, dass auch das Wort „lancea"
(Speer) kein celtisches, sondern ein spanisches Wort sei.
XV, 30, 2. petorritum, aus dem celtischen petoar, vier und rit, Rad,
ein gallischer Wagen mit vier Rädern (unser Holsteiner). Viele Wörter
kamen von Fremden, z. B. von Galliern, Spaniern, Puniern, mit den
Sachen selbst nach Rom. S. Bernhardy R. L. 29, 111). Vergl. Gell.
XX, 11, 1 NB.
XV, 30, 3. petorritum s. Fest S. 206 \
XV, 30, 7. lancea s. Paul. S. 118; Sisenna b. Non. 18, p. 554 sagt:
es sei ein Gewehr der Sueven (Schwaben).
20*
Digitized by Google
(308) XV. Buch, 31. Cap., § 1 — 4.
XV, 31, L. Was die Rhodier dem feindlichen Feldherrn Demetrius
(durch Gesandte) im Betreff jenes berühmten Bildes des Jalysus sagen
Hessen, als sie (in ihrer Hauptstadt) von ihm belagert wurden.
XV, 31. Cap. 1. Demetrius, ein berühmter Feldherr
seiner Zeit, der durch seine (praktische) Kenntniss und Ge-
schicklichkeit, eine Blokade ins Werk zu setzen, durch seine
Erfindsamkeit von Belagerungswerkzeugen, als Mittel zur
Einnahme von Städten, den Namen Städte-Eroberer (TIoIioq-
ytr/rrjg) erhielt, blokirte und berannte (einst) die in alten
Zeiten so berühmte Insel Rhodus und hatte es vor Allem auf
die ausserordentlich schöne und prächtige Hauptstadt ab-
gesehen. 2. So ging er nun damals eben gerade damit um, bei
dieser Belagerung einige öffentliche Gebäude, die sich ausser-
halb der Stadtmauern mit schwacher Besatzung befanden,
anzugreifen, zu zerstören und durch Feuer zu vernichten.
3. In einem von diesen Gebäuden befand sich jenes höchst
merkwürdige, von der Hand des berühmten Malers Proto-
genes angefertigte (Portrait-) Bild des (Fürsten) Jalysus,
welches herrliche und vortreffliche (Kunst-)Werk der vom
grimmen Neid erfüllte (Demetrius) den Rhodiern nicht gönnte.
Die Rhodier schickten deshalb (in ihrer Besorgniss) Gesandte
an den Demetrius mit folgendem wörtlichen Auftrag: 4. „Was
in aller Welt kann Dich nur bestimmen, durchaus darauf zu
bestehen, durch Inbrandsetzen der Gebäude dieses herrliche
Kunstwerk in Asche zu legen und zu vernichten? Denn
wenn Du uns vollständig besiegt und unsere Stadt ganz er-
obert haben wirst, musst Du durch den Sieg ja ohnehin auch
das (herrliche) Bild unversehrt und wohlerhalten in Deine
Gewalt bekommen; solltest Du aber durch diese Berennung
XV, 81, L. Jalysus, Fürst auf Rhodus, erhaute die Stadt Jalysus,
die später ein Theil von Rhodus ward. Sein Bild von Protogenes s.
Diodor. Sic. 5, 57; Strab. 14, 652; Plut. Demetr. 22 p. 898; regg.
apophth. unter Demetr.; Aelian v. h. 12, 41; Plin. h. n. 30, 10; Vitruv.
X, 16.
XV, 31, 3. Protogenes, aus Kaunos auf Rhodos gebürtig, war
Zeitgenosse und berühmter Nebenbuhler des Apelles. S. Plin. 35, 36, 20
1. •
XV. Buch, 31. Cap., § 4. 5. (309)
uns nicht zu überwinden im Stande sein, so bitten wir Dich,
doch zu bedenken, wie es Dir doch durchaus nicht zum
Ruhme gereichen kann, dass, weil Du uns Rhodier nicht
durch (ehrlichen) Kampf hast besiegen können, Du den Krieg
gegen den todten Protogenes (und gegen sein unschuldiges
Meisterwerk) geführt hast." 5. Als er diesen Auftrag von
den Gesandten vernommen hatte, stand er von der Blokade
ab und Hess Bild und Stadt in Ruhe.
Digitized by Google
XVI. BÜCH.
XVI, 1, L. Aeusserung des Philosophen Musonius, würdig und nützlich
gehört und (als humanistischer Grundsatz) in Betracht gezogen zu werden )
ferner, dass vor vielen Jahren derselbe Grundsatz, gleiche (löbliche und
gemeinnützliche Gesinnung verrathend, (auch) vom M. Cato vor Numantia
den Rittern gegenüber ausgesprochen wurde.
XVI, 1. Cap. 1. Damals als ich noch ganz jung die
Schulen besuchte, hörte ich (einst) folgenden (wörtlich) von
mir beigefügten, griechischen, kurzgefassten Gedanken (evfrvfiT]-
tuariov), der für einen Ausspruch des Musonius galt ; weil ich
ihn für einen wahren und trefflichen Grundsatz halte und er
in kurzen und abgerundeten Worten zusammengefasst ist, so
vergegenwärtige ich mir ihn unendlich gern. 2. Er lautet:
„Wenn Du etwas Löbliches mit Mühe thust, so wird die
Mühe (schwinden und) vergehen, aber der Ruhm der löblichen
That wird (Dir) verbleiben; wenn Du aber etwas Böses mit
Vergnügen vollbringst, so wird zwar das Vergnügen schwinden,
aber die Schande Deiner bösen Handlung wird (Dir) ver-
bleiben." 3. Später habe ich ganz denselben Gedanken (des
alten griechischen Philosophen Musonius in lateinische Worte
gekleidet) in der Rede des Cato geschrieben gelesen, welche
er zu Numantia (559) an die (lockern, adligen jungen) Herren
XVI, 1, 1. üeber Musonius s. GelL V, 1, 1 NB.
XVI, 1, 8. Numantia, die berühmteste Stadt in Celtiberien (terra-
con. Hispanien), auf fast unzugänglichen Felsen erbaut und trotzdem durch
Scipio d. J. 133 v. Chr. erobert S. Appian. b. Hisp. 6, 48—98. Auf
ihren Trümmern erhebt sich Puente de Don Guarray (d. h. Soria). Der
noch nicht 40jährige Consul M. Cato wollte durch den musonischen
Spruch den ausgelassenen Reiterjunkern eine ernste, wohlgemeinte Er-
mahnung ertheilen und ihnen ins Gewissen reden.
Digitized by Google
XVI. Buch, l. Cap., § 3. 4. - 2. Cap., § 1—4. (311)
seiner Reiterei hielt. Obgleich derselbe Gedanke ein wenig
weitläufiger und nicht mit so kurzen Worten ausgedrückt ist,
als wie jener von mir angeführte, griechische, so dürfte er
trotzdem nicht weniger achtunggebietend erscheinen, zumal
er einer früheren Zeit angehört und sehr altehrwürdig ist.
4. Die Stelle aus der Rede lautet also: „Erwägt (dies ja) in
eurer Seele: wenn ihr mit Anstrengung etwas (recht und)
gut gemacht habt, so wird jene Anstrengung bald von euch
entweichen (und schnell vergessen sein), die gute That aber
wird, so lange ihr lebt, nicht verschwinden: dagegen wenn
ihr aus Hang zum Vergnügen (und zur Wollust) schlechte
Streiche gemacht habt, so wird die Wollust schnell von dannen
gehen; aber jener schlechte Streich wird ewig bei euch ver-
bleiben."
XVI, 2, L. Welche Regel die Dialektiker bei den Streitfragen und dia-
lektischen Disputirübungen aufstellen und was für einen Fehler dieses
Gesetz enthalte.
XVI, 2. Cap. 1. In der Dialektik soll es Regel sein,
wenn über irgend einen Gegenstand eine Frage vorgelegt und
darüber gestritten wird, und man auf das Antwort geben soll,
was man gefragt wird, dann soll man nichts weiter sagen,
als das allein, um was sich die (Beantwortung der) Frage
dreht, und also entweder (nur) mit ja, oder nein antworten;
denn die sich nicht genau an diese Regel halten und entweder
mehr oder anders antworten, als sie gefragt worden sind,
gelten für ungebildet und unwissend und (werden sofort als
solche verschrieen), welche die (nöthigen) Regeln und das
Verfahren einer wissenschaftlichen Erörterung nicht verstehen
und inne haben. 2. Diese von den Dialektikern aufgestellte
Vorschriftsmassregel muss zweifelsohne bei sehr vielen Streit-
übungen wohl beobachtet werden. 3. Denn als unbestimmt
und unentwirrbar muss sich eine (jede) gelehrte Unterredung
herausstellen (und wird dabei des Streitens kein Ende wer-
den), wenn man sich bei Fragen und Antworten nicht an
einfache, genaue Bestimmungen würde halten wollen. 4. Allein
es scheinen (ausnahmsweise doch auch wieder) Möglichkeits-
fälle gegeben, bei denen, wenn man ganz kurz (d. h. nur mit
ja oder nein) auf die vorgelegte (verfängliche) Frage ant-
4
Digitized by Google
(312) XVI. Buch, 2. Cap., § 4-10.
worten wollte, man (unbedingt überfahrt und) gefangen sein
würde. 5. Denn gesetzt, es stellte Einer wörtlich folgende
Frage: Ich verlange von Dir eine (kurze, bündige) Antwort:
„Würdest Du (wohl abgelassen und) aufgehört haben Ehe-
bruch zu begehen, oder nicht?" und Du wolltest nach dem
Gesetze der Dialektiker Dich nur dieser beiden, entweder
der bejahenden oder der verneinenden Antworten bedienen,
so wirst Du sofort in diesem Fangschlusse festsitzen (indem
man dann Deine bejahende oder verneinende Antwort auch
gleich in dem Sinne aufgreift), gleich als ob Du Dich (im
Allgemeinen) zu dem Verbrechen des Ehebruchs bekennst
[. . . . (und dass Du Dich nun von dieser Beschuldigung ganz
frei sprechen kannst) ] wird man sofort bei der Hand
sein in Abrede zu stellen. (Die in der Frage fehlende Vor-
aussetzung müsste also eigentlich unbedingt noch ergänzt
werden). 6. Denn wer etwas zu begehen, nicht aufhört (weil
er es noch nicht angefangen hat), braucht dies notwendiger
Weise ja überhaupt immer noch gar nicht gethan zu haben;
7. es ist also die .Art und Weise dieses Trugschlusses fehler-
haft und wird keineswegs so weiter (logisch) fortschreiten
können, dass gefolgert und der Schluss gezogen werden kann,
einer (bei dem die Annahme eines solchen Verbrechens gar
nicht vorliegt) begehe Ehebruch, der zugesteht, nicht auf-
gehört zu haben ihn zu begehen (blos weil er auf die ihm
vorgelegte Frage, eine einfach verneinende Antwort gab).
8. Was aber werden ferner die Vertheidiger obiger Regel bei
jenem kurzen Trugschluss angeben, bei dem sie sich unbedingt
gefangen geben müssen, im Fall sie auf die ihnen gestellte
(verfängliche) Frage mit nicht mehr (als mit ja oder nein)
antworten wollten? Denn gesetzt ich legte einem von ihnen
die Frage vor: 9. „Was Du nicht verloren hast, hast Du das,
oder hast Du es nicht? ich verlange jedoch, dass Du nur mit
ja oder nein antwortest" ; so wird jeder, der ganz kurz eine
dieser beiden Antworten giebt, sofort überlistet und gefangen
sein. 10. Denn wird von ihm in Abrede gestellt, dass er
nicht habe, was er nicht verloren hat, so ist man sofort dabei,
den Schluss zu ziehen, dass er keine Augen habe, weil er sie
XVI, 2, 10. VergL GelL XVm, 2, 9; Senec. ep. 45, 7 u. 49, 8.
Digitized by Google
XVI. Buch, 2. Cap., § 10— 13. — 3. Cap., § 1—3. (313)
nicht verloren hat; im Fall er aber zugestanden hat, dass er
(noch) habe, was er nicht verloren hat, so folgt sogleich der
Schluss, er habe Hörner, weil er sie nicht verloren habe.
11. Man wird daher bestimmter und vorsichtiger etwa also
antworten müssen: „Was ich gehabt, habe ich (noch), wenn
ichs nicht verloren habe." 12. Freilich entspricht eine solche
Antwort dann nicht der von uns oben erwähnten (dialek-
tischen) Vorschrift, denn die Antwort fällt dabei länger aus,
als derjenige erwartete, welcher die Frage (mit seiner Ab-
sichtlichkeit) stellte. 13. Deshalb wird gewöhnlich der obigen
Regel nach der Zusatz beigesellt, man solle auf (solche ab-
sichtliche) verfängliche Fragen (lieber gar) nicht antworten.
XVI, 3, L. Auf welche Weise, nach dem Ausspruch des (alten, berühmten)
Arztes Erasistratus es möglich wird, bei zufälligem Mangel an Speise, eine
Zeitlang die Nahrungsenthaltung ertragen und den Hunger überwinden zu
können und die betreffende Schriftstelle des Erasistratus über diesen auf-
gestellten Satz.
XVI, 3. Cap. 1. Ich war zu Rom sehr oft mit dem
Favorin ganze Tage lang zusammen, so fesselte dieser Mann
mit seinem ausserordentlichen Redezauber all' meine Sinne
und Gedanken, und wohin er auch gehen mochte, da begleitete
ich ihn, gleichsam von seiner Rede vollständig gefangen ge-
nommen; so schmeichelte er sich durch seine höchst ein-
nehmenden Gespräche ein. 2. Als er einst zu einem Kranken
gegangen war, um daselbst einen Besuch abzustatten, wohin
ich ihn ebenfalls begleitet hatte, und er dabei Vielerlei über
den Gesundheitszustand (des Patienten) zu den damals daselbst
gerade anwesenden Aerzten in griechischer Sprache*)
gesagt hatte, hörte ich ihn noch folgende (interessante)
Aeusserung thun: „Ja nicht einmal das darf uns wunderbar
vorkommen, dass der Kranke, obgleich er vorher immer
Appetit zum Essen hatte, jetzt nach auferlegtem, dreitägigem
Fasten, seine frühere Esslust ganz verloren hat. 3. Denn*
fuhr er fort, die schriftliche Bemerkung, welche uns Era-
sistratus hinterliess, ist doch so ziemlich richtig, (dieser
XVI, 3, 2. üeber Favorin s. Gell. I, 3, 27 NB. Er sprach meist
griechisch, vergl. Gell. II, 26, 7; XIII, 25, 4; XIV, 1, 32.
XVI, 3, 3. Erasistratos, sehr berühmter griechischer Arzt (300
Digitized by Google
(314)
XVI. Buch, 3. Cap., §3—8.
sagt nämlich:) den Hunger bewerkstelligen die leeren,
schlappen Eingeweidefibern, das Eingefallensein des Leibes
inwendig, das Leerheitsgefühl und Klaffen des Magens. Sind
nun alle diese Theile (d. h. Eingeweide, Leib, Magen) ent-
weder mit Speise gefüllt, oder durch anhaltende Enthaltsam-
keit zusammengezogen und sie haben sich geschlossen, so
wird, wenn der Ort (der Magen), in den die Speisen
aufgenommen werden, entweder (durch Nahrung) angefüllt,
oder (durch Enthaltung der Nahrung) zusammengezogen
wurde, auch der Trieb, Nahrung zu nehmen oder zu ver-
langen, gedämpft." 4. Nach der Angabe desselben Erasistra-
tus, fuhr Favorin fort, sollen auch die Skythen, wenn es die
Nothwendigkeit erheischt, ihren Leib fest mit Binden ein-
geschnürt haben, um den Hunger länger zu ertragen. Durch
dieses Einschnüren des Unterleibs glaubte man die Ess-
begierde vertreiben zu können. 5. Diese höchst ansprechen-
den Bemerkungen und noch viele andere der Art gab damals
Favorinus zum Besten ; 6. Als ich aber später des Erasistratus
erstes Buch von den Absonderungen (dimgiaecov) las, fand
ich in dem Buche die Schriftstelle selbst vor, welche ich von
Favorin hatte anführen hören. 7. Die darauf bezügliche
Stelle des Erasistratus lautet wörtlich also: „Wir glaubten
daher, dass in Folge des heftigen Zusammenschnürens des
Unterleibes der Hunger sehr stark sein müsse; denn auch
die, welche sich vorsätzlich eine mässige Kost (langes Fasten)
auferlegen, befällt wohl im Anfang ein (heftiges) Hungergefühl,
später aber nicht mehr." 8. Dann heisst es weiter unten:
„Auch die Skythen haben die Gewohnheit, wenn sie aus ge-
v. Chr.\ aus Julis auf Keos, war ein Enkel des Aristoteles, durch dessen
Tochter. Einige Zeit am Hofe des Seleukus Nikator, heilte er den könig-
lichen Prinzen Antiochus. Er drang bei seiner Heilmethode auf die
strengste Diät, indem er den Grund aller Krankheiten in dem Ueberfluss
an Nahrungsstoff suchte. S. Plin. h. n. 29, 3. Die Verrichtungen des
Gehirns und der Nerven unterzog er seiner besonderen Beobachtung, und
machte dabei höchst wichtige Entdeckungen. Ausserdem schrieb er noch
„über Gesundheitslehre (neQl tiov vyitivtov)" und über Lähmungen (thqI
Ttuv nttQtotbiv). Val. Max. V, 7 exfer. 1. Wie sein Lehrer Chiysippus
aus Knidos hielt er sehr wenig vom Aderlassen und Purgiren. Für seine
Heilung des Antiochus soll er nach Plinius 100 Talente (140,000 Thlr.)
bekommen haben.
Digitized by Google
XVL Buch, 3. Cap., § 8—10. - 4. Cap., § 1. (315)
wissen Umständen sich zu fasten zwingen, dann den Unter-
leib mit breiten Gürteln sich zusammenschnüren, damit sie
so der Hunger weniger belastige. So lange nun der Leib
ziemlich voll ist, hört deshalb darin auch das Hohlheitsgefühl
auf, deshalb spüren sie auch keinen Hunger, so lange nun
also der Leib zusammengepresst bleibt, hat er kein Leerheits-
gefühl." 9. In demselben Buche sagt Erasistratus, dass eine
gewisse unerträgliche Wirkung vom Hunger, welche die Grie-
chen „Heisshunger (ßovli/aog und ßovnuva, i. e. Fressgier)"
nennen, bei sehr kalten Tagen viel leichter vorkomme, als
wenn es heiter und ruhiges Wetter ist, und er gesteht, dass
die Ursachen eines solchen Zustandes, warum ein derartiges
Unwohlbefinden meist bei solcher (kalter) Witterung eintrete,
ihm bis jetzt noch nicht klar geworden sei. 10. Die Stelle,
worin er dies Bekenn tniss ablegt, lautet also: „Zweifelhaft
bleibt es immer und bedarf noch sehr der Untersuchung, so-
wohl bei diesem, wie bei dem Heisshungrigen, warum diese
Erscheinung mehr bei kalten Frosttagen, als bei warmer
Witterung eintritt."
XVI, 4, L. Unter welchen Förmlichkeiten und mit welcher ausdrücklichen
Formel der Kriegsherold (fetialis) des römischen Volkes den Krieg
denen anzukündigen pflegte, mit denen, nach dem allgemeinen Beschluss
des römischen Volkes, ein Krieg angefangen werden sollte; weiter noch
(Bericht), wie die abgefasste Eidesformel wörtlich lautete in Bezug auf die
unter den Soldaten bei Strafe verbotenen Diebstähle; ferner wie die aus-
gehobenen Soldaten vor Verlauf des vorherbestimmten (Stellungs-)Tages
an einem bestimmten Orte sich einzufinden hatten , ausgenommen bei ge-
wissen (besonders namhaft gemachten Entschuldigungs-) Gründen , wegen
deren dieser (Fahnen-)Eid nach Recht und Billigkeit nachgelassen wurde.
XVI, 4. Cap. 1. C. Cincius (Alimentus) schreibt
im 3. Buche (seines Werkes) „über das Kriegswesen", dass,
XVI, 3, 9. Siehe Therapeutik des Alexander Trallianus VIII, 6;
Aristot probl. sect VIII, 5; Hippocrat. aphorism. Sect. III, 12; vergl.
Xenoph. Anab. IV, 5, 7.
XVI, 4, L. S. Rein, Fetiales, in Paulis Realencyklopädie Bd. 8.
Stuttgart. 1844. S. 466. Fetiales, Bundespriester und Kriegsherolde,
denen die Aufrechterhaltung des Völkerrechtes 'oblag- Ihr Collegium
bestand aus 20 Priestern, deren Geschäfte waren: Waffenstillstand zu
schliessen, Genugthuung zu fordern (res repetere) und Bündnisse zu
Digitized by Google
(316)
XVI. Buch, 4. Cap., § 1. 2.
wenn der Kriegs- und Waffenherold (fetialis) den Feinden den
Krieg ankündigte, er (bei dieser Gelegenheit) einen Wurfspiess
(über die Grenze) nach dem feindlichen Gebiete warf und
sich dabei folgender ausdrücklicher Formel bediente: „Weil
das hermundulische Volk und die Männer des hermundulischen
Volkes gegen das römische Volk den Krieg begonnen und
sich (gegen dasselbe) vergangen haben, und weil das römische
Volk gegen das hermundulische Volk und die Männer des
hermundulischen Volkes den Krieg (ausdrücklich) beschlossen
hat: so kündige deshalb ich und das römische Volk dem
hermundulischen Volke und den hermundulischen Männern
den Krieg an und beginne ihn." 2. So steht auch in eben
dieses Cincius 5. Buche „über das Kriegswesen" Folgendes
geschrieben: „Wenn vor alten Zeiten eine Aushebung statt-
fand und die Soldaten eingeschrieben wurden, liess sie der
Kri^gstribun einen Eid (der Treue) auf folgende aus-
drückliche Formel leisten : „ „In der Armee unter dem Befehl
des Consuls C. Laelius, des Sohnes von C. (Laelius) und des
Consuls L. Cornelius, des Sohnes von P. (Cornelius) und auf
10,000 Schritte im Umkreise (des Lagers) sollst Du keinen
vorsätzlichen Diebstahl begehen , weder allein noch mit Meh-
reren, über den Werth eines Silberstückes (Denar, nummus)
auf den einen Tag; ausser einer Lanze, einem Lanzenschaft
(einigen Stückchen Holz), einer Rübe, Futter, einem Schlauch,
schliessen. Ihr Vorsteher, Oberherold, Oberbundespriester, hiess pater
patratus (Eidesvater). 8. Dionys. II, 72; Liv. I, 24; Varro 1. 1. V, 86;
Plutarch. Camill. 20; Härtung Relig. der Römer 2, S. 267 ff.; Göttlings
Gesch. der röm. Staatsverf. S. 195 ff.
XVT, 4, 1. C. Cincius Alimentus, lebte zur Zeit des 2. panischen
Krieges, in welchem er gleich anfangs in karthagische Gefangenschaft ge-
rieth. Liv. 21, 88. Er war ein höchst gebildeter Staatsmann und vorzüglicher
Annalist Livius nennt ihn einen äusserst sorgfältigen Forscher. Seine
Annalen, reich an antiquarischen Notizen, waren griechisch geschrieben.
Von anderen Werken kennt man noch die Aufschriften: „Von der Pflicht
des Rechtsgelehrten"; „vom Kriegswesen" ; „von der Gewalt derConsuln";
„über den Leontiner Gorgias". Macrob. Sat. I, 12; II, 9. Vergl. Bernh.
R. L. 101, 485; aber besonders Teuffels röm. Lit. Gesch. 116, 4.
XVI, 4, 1. Ueber diese jüngere und dann über die ältere Kriegs-
erklärungsformel (vergl. Liv. I, 24. 32. 38), wo neben dem Volke auch der
Senat erwähnt wird, s. Lange röm. Alterth. § 128 S. (516) 560.
Digitized by Google
» mm' ' J.
XVI. Buch, 4. Cap., § 2—5. (317)
Blasebalg oder einer Fackel, sollst Du Alles, was Du gefunden
oder aufgehoben hast, was nicht Dein sein sollte und mehr
als einen Silberdenar an Werth beträgt, an den Consul C.
Laelius, den Sohn des C. (Laelius), oder an den Consul
Lucius Cornelius, den Sohn des P. (Cornelius) ausliefern,
oder zu dem bringen, wohin einer von diesen Beiden es Dir
(zu tragen) befehlen wird, oder Du wollest innerhalb der
nächsten drei Tage anzeigen, was Du ohne diebische Absicht
gefunden oder aufgehoben, oder es dem rechtmässigen Be-
sitzer, dem dies nach Deiner Meinung gehört, zurückgeben,
wie Du glaubst, dass es recht gethan Bei."" 3. „Den aus-
gehobenen Soldaten wurde sonach ein Tag voraus bestimmt,
an welchem sie sich stellen und dem Consul bei ihrem Na-
mensaufruf antworten sollten; 4. dann wurde ihnen ein Eid
abgenommen, dass sie sich stellen wollten unter Hinzufügung
folgender Ausnahmefälle: „„Wenn nämlich nicht etwa einer
von den folgenden Entschuldigungsgründen einträte : Leichen-
bestattung eines (nahen) Anverwandten, oder die zehn Tage
des Sühnungsfestes bei der Familientodtenfeier (feriae
denicales), wofern sie nicht gerade (absichtlich) auf diesen
Tag (seines Eintreffens im Dienst) verlegt worden sind, nur
damit er sich an demselben nicht einzufinden brauche; ferner
die fallende Sucht (morbus sonticus), oder eine Vogelschau,
die man ohne Sündenschuld nicht verabsäumen durfte; oder
ein jährliches Opferfest, was nur gerade an diesem Tage nach
Vorschrift vorgenommen werden darf; Gewalt oder Feindes-
überfall; ein mit dem Gegner festgesetzter oder bestimmter
Gerichtstag: wenn bei Einem einer dieser Gründe eintritt,
dann soll er am Tag nach selbigem Tage, wo ein solcher
Grund ihn abhielt, kommen und sich bei Dem melden, welcher
in seinem Orte, Gaue oder seiner Stadt die Aushebung vor-
genommen hat." 11 5. Ebenso findet sich auch noch folgende
Stelle in demselben Buche: „Wenn ein Soldat sich an dem
ihm vorher bestimmt angesagten Tage nicht stellte und sich
XVI, 4, 4. .feriae denicales (von de-nex — den Tod betreffend)
Todtenfest zu Ehren eines Verstorbenen angeordnet, an dem sich die
hinterbliebene Familie durch Todtenopfer reinigte. — Morbus sonticus
(comitialis) , i. e. Epilepsie, welche die Comitien verhinderte s. Festus
unter prohibere. Gell. XX, 1, 27; Plut. Timaeus 85, B heilige Krankheit.
Digitized by Google
(318) XVL Buch, 4. Cap., § 5. 6. — 5. Cap., § 1-3.
auch nicht hatte entschuldigen lassen, wurde als (infrequens)
flauer Dienstversäumer (und fahneneidbrüchiger Deserteur,
Ausreisser) angegeben.44 6. Ebenso steht im 6. Buche Fol-
gendes geschrieben : „Die Reihen der Reiterei bei dem Heere
wurden Flügel (alae) genannt, weil sie um die grösseren
Heeresabtheilungen (legiones) zur Rechten und Linken, gleich
wie die Flügel an den Leibern der Vögel ihren Platz ein-
nahmen. Jede Legion bestand aus 60 Centurien (d. h. 6000
Mann), 30 Manipeln (jede aus 200 Mann), 10 Cohorten (jede
aus 600 Mann).
XVI, 5, L. Was das Wort: „vestibulum" bedeutet und über die (vielfachen)
Erklärungsarten dieses Ausdrucks.
' XVI, 5. Cap. 1. Es giebt sehr viele Wörter, deren man
sich im gewöhnlichen Leben bedient, ohne jedoch mit völliger
Klarheit sich bewusst zu werden , was sie so recht eigentlich
und der Sache gemäss bedeuten. Allein indem wir dabei
einer unbekannten und allgemein überkommenen Ueber-
lieferung, ohne vorhergegangene genaue Erwägung folgen, bil-
den wir uns (oft) vielmehr nur ein, das zu sagen, was wir be-
absichtigen, als dass wir es (wirklich) sagen. So geht es auch
mit dem Wort: „vestibulum", dem wir in der Unterhaltung
häufig begegnen, und was jedoch (sicher noch) nicht von
Allen, die sich dessen so ohne Weiteres bedienen, genug
geprüft wurde. 2. Ich habe nämlich bei einigen, keineswegs
ungelehrten Männern die Meinung vorgefunden, das Wort:
„vestibulum" bezeichne den vorderen Theil des Hauses, den
man gemeiniglich: Haushalle (atrium) nennt. 3. C. Aelius
Gallus sagt im 2. Buche „über die Bedeutung der auf das
bürgerliche Recht bezüglichen Wörter" : dass das „vestibulum"
XVI, 4, 6. Infrequens s. Fest v. infrequens; Serv. zu Verg. Aen.
4, 121; 9, 604.
XVI, 4, 6. Die römische Legion bestand aus 4200 — 6000 Mann,
wozu noch 300 Reiter kamen. Jede Legion hatte einen Adler als Heeres-
zeichen und wurde von einem Legaten befehligt; zwei oder mehrere
Legionen standen unter dem Befehle eines Consuls oder Praetors. Ueber
manipulus vergl. Lange röm. Alterth. § 64 p. (389) 458. Manipulus (als
Deminutivum von manus) die kleinste militärische Einheit bei der Heeres-
gliederung ursprünglich nicht aus 100 Mann bestehend.
XVI, 5, 3. Ueber C. Aelius Gallus s. Teuffels röm. Lit. Gesch. 205, 4.
Digitized by Google
■
XVI. Buch, 5. Cap., § 3—7. (319)
nicht im Hause selbst sich befinde und nicht einen Theil des
Hauses bilde, sondern einen leeren Raum vor der Hausthüre
vorstelle, über welchen*) hinweg der Eingang von der
Strasse her und der Zugang ins Haus bewerkstelligt wird;
rechts und links vor der Thüre und dem Hause (also: bis an
die Hausthür und den Palast) befinden sich zwei bis an die
Strasse reichende Flügel und die Thür selbst ist von der
Strasse weit ab(geschlossen) und der leere Hofraum liegt da-
zwischen. 4. Es ist schon oft die Frage aufgeworfen worden,
woher das Wort seinen Ursprung habe; was ich aber in
Schriften darüber gelesen habe, ist mir fast Alles ungereimt
und abgeschmackt vorgekommen. 5. Was ich jedoch mich
erinnere vom Sulpicius Apollinaris, einem Manne von
gründlichem Wissen, gehört zu haben, ist ohngefähr der Art:
die Partikel „vea, wie auch noch einige andere*), be-
deutet bald eine (Begriffs-)Erweiterung, bald eine (Begriffs-)
Verminderung. 6. Denn von (den beiden Wörtern) „vetus" und
vemens ist das eine von der Erweiterung des Altersbegriffes
gebrauchte „vetus" aus „veu und „aetas" zusammengesetzt
und syncopirt (d. h. durch Auslassung des a entstanden), das
andere vemens (aus ve und mens gebildet) wird (gleichsam a
mentis vi et impetu, also) von der Gewalt und dem Ungestüm
des geistigen Charakters gebraucht. Das aus der Partikel
ve und esca (Speise, Nahrung) zusammengesetzte: vescus
nimmt beide wesentlich verschiedene (und entgegengesetzte)
Bedeutungen an. 7. Denn in einem andern Sinne sagt
Lucretius: vescum salem (das zehrende Salz), von dem Be-
streben zu zehren (zu zerfressen), anders wieder braucht
XVI, 5, 3. Vestibulum, Vorplatz, Hof, Säulengang, Säulenreihe
(Peristyl). S. Vitruv VI, 8. Vergl. Varro L L 7, 81; Colum. 8, 3, 8;
9, 12; Isidor. 15, 7, 2.
XVI, 5, 3. *) per quem (sc. locum) aditus accessusque ad aedia est,
cum dextra sinistraque januam tectaque sunt viae juncta atque ipsa janua
procul a via est area vacanti intersita.
XVI, 5, 5. Ueber Sulpicius Ap. s. Gell. II, 16, 8 NB.
XVI, 5, 5. *) So die praepositio inseparabilis so und se z. B. in
sobrius = se-ebrius; socors = se-cors; securus = se-cura. Es zeigt
ve (==» male) ein fehlerhaftes zu wenig oder zu viel des im Simplex ent-
haltenen Begriffes an. Vergl. Gell. V, 12, 12 NB.
XVI, 5, 6. S. Paul. S. 368.
Digitized by Google
(320)
XVI. Buch, 5. Cap., §7—12.
Lucilius das Wort vescus, mit dem Begriff der Abneigung
gegen Speisen (des Widerwillens gegen das Essen). 8. Die-
jenigen also, welche vor alten Zeiten grosse Häuser erbauten,
liessen vor der Thür einen freien Platz, welcher zwischen der
Hausthüre und der Strasse mitten inne lag. 9. Auf diesem
Platze hielten sich Diejenigen, die dem Herrn des Hauses ihre
Aufwartung zu machen gekommen waren, auf, bevor sie vor-
gelassen wurden, (und) sie standen (daher) weder auf der
Strasse, noch befanden sie sich im Hause selbst. 10. Die
grossen, vor der Hausthüre freigelassenen Räumlichkeiten, allwö
die, welche (zur Cour) gekommen waren, standen, bevor sie ins
Haus eingelassen wurden, wurden also, wie ich schon erwähnte,
vom Stehenbleiben (consistio, Aufenthalt) an dem geräumigen
Platze und gleichsam von diesem Standort (stabulatio), vesti-
bula (ve-[= grandia]stabula, d. h. breite, weite Standplätze)
genannt. 11. Wir werden uns hierbei aber gleich auch merken
müssen, dass dieses Wort von den alten Schriftstellern nicht
immer in seiner eigentlichen Bedeutung gesagt worden ist,
sondern auch vermittelst einiger Uebertragungen , die jedoch
so bewerkstelligt wurden , dass sie von der eben von uns be-
sprochenen eigenthümlichen Bedeutung nicht weit abweichen,
wie die Stelle aus dem 6. Buche Vergils (Aen. 273) zeigt:
Vestibulum ante ipsum primisque in faucibus orci
Luctus et ultrices posuere cubilia curae, d. h.
Selber am Eingang nun, und im vordersten Schlünde des Orcus
Wählten der Gram und der Schwärm nachreuender Sorgen ihr Lager,
12. wo Vergil nämlich mit dem Worte vestibulum nicht den
vorderen Theil der Unterwelt bezeichnet, was uns ankommen
kann, als ob es so heissen sollte, sondern er bezeichnet (viel-
mehr) zwei (besondere) Plätze vor der Oeffnung und dem
Eingange in den Orcus, erstlich den Eingang (vestibulum)
und die Mündung (oder den vordersten Schlund „fauces"),
wovon er den Eingang (vestibulum) als gleichsam vor der
Wohnung der Todten und vor dem Innern des Orcus selbst
verstanden wissen will und den Schlund (fauces) als einen
schmalen Weg bezeichnet, durch den man zum Eingang
(vestibulum) gelangte.
XVI, 5, 7. vescus vielleicht unappetitlich.
XVI, 5, 10. S. Macrob. VI, 8.
Digitized by Google
XVI. Buch, 6. Cap., § 1—7.
(321)
XVI, 6, L. Was für Opferthiere „bidentes" genannt werden und woher sie
diese Bezeichnung erhalten ; endlich des P. Nigidius und des Julius Hyginus
Meinungen darüber.
XVI, 6. Cap. 1. Auf unserm Heimwege von Griechen-
land legte unser Schiff zu Brundusium an. Daselbst hielt
sich gerade ein von den Brundusiern aus Rom berufener,
lateinischer Sprachlehrer auf, der (in seiner Arroganz) Jeder-
mann es freistellte, ihn öffentlich auf die Probe zu stellen
und sich mit ihm (im Wettstreit) zu messen. 2. (Aus Neu-
gierde) verfügte auch ich mich sogleich zu ihm, des Zeit-
vertreibs halber, denn ich war geistig ganz erschöpft und
matt von der Beschwerlichkeit der Seereise. 3. Dieser las
(gerade) das 7. Buch von Vergils Aeneide plump und un-
geschickt, worin sich folgender Vers (93) befindet:
Centum lanigeras mactabat rite bidentis, d. h.
Hundert wolletragende, doppeltbezahnte weihte er nach Fug;j
4. und er forderte auf, dass Jeder, der etwas über jeden
beliebigen Gegenstand von ihm wissen wollte, ihn nur immer
fragen möchte. 5. Ich war erstaunt über das kecke Selbst-
vertrauen dieses nicht eben sehr gelehrten Menschen und
sage zu ihm: Du belehrst mich gewiss gern, lieber Meister,
warum diese Opfer „bidentes" genannt werden? 6. Er er-
widerte: Unter „bidentes" sind Schafe zu verstehen, und um
diese Schafe noch deutlicher zn bezeichnen, deshalb hat er
sie noch „wolletragend (lanigeras)" genannt. 7. Darauf ich:
nachher wollen wir gleich sehen, ob nach Deiner Aussage
nur Schafe mit diesem Beiworte „bidentes" belegt werden
und ob der Atellanendichter Pomponius in seinen „trans-
alpinischen Galliern'1 einen Irrthum beging, wenn er schrieb:
Mars, tibi voveo facturum, si umquam redierit,
Bidenti verre, d. h.
Dir, Mars, gelobe ich zum Opfer, kehrt ja er zurück,
Einen doppelbezahneten Eber.
XVI, 6, L. Opferthiere mussten fehlerfrei, gesund und fett sein, s.
Varro r. r. II, 1, 4; Cato r. r. 5; Plin. 8, 51, 77 § 206; Cic. ad Div. II,
16, 36; Serv. zu Verg. Aen. IV, 57; VI, 38. Auch durften sie nie als
Zugthiere angespannt gewesen sein (vergl. Macrob. Sat. Hl, 5, 6; Verg.
Aen. 6, 38; Georg. 4, 540; Hör. Epod. 9, 22 cfr. Horn. Od. in, 382) und
mussten ein bestimmtes Alter haben. Varro r. r. II, 4; Plin. a. a. 0.
Ge Iii us, Attische Nächte. U. 21
Digitized by Google
(322) XVI. Buch, 6. Cap., §8-14.
8. Nun aber habe ich an Dich die Frage gestellt, ob Du
wohl weisst, was es mit diesem Worte für eine Bewandtniss
hat. 9. Und Jener, ohne sich erst lange zu bedenken, ant-
wortete ihm mit ganz ausserordentlicher Dreistigkeit: Unter
solchen Schafen, die man „bidentes" nennt, sind diejenigen
zu verstehen, die nur zwei Zähne haben. 10. Ich bitte Dich,
sagte ich, wo in aller Welt ist Dir (wohl je) ein Schaf vor
Gesicht gekommen, das von Natur nur zwei Zähne hatte?
Denn hier ist wirklich ein Wunderzeichen, das man durch
Opferwerke sühnen muss. 11. Darauf erwiderte Jener auf-
gebracht und voller Zorn gegen mich : Es wäre weit besser,
Du fragtest mich über solche Sachen, die man nothwendiger
Weise (und mit Recht) von einem Grammatiker verlangen
kann; denn über Schafszähne fragt man Schafhirten aus
(opiliones, und nicht Grammatiker). 12. Ich musste über
den drolligen Einfall dieses Windmachers (herzlich) lachen
und verliess ihn. Allein Publius Nigidius sagt in seinem
Buche, welches er „über die Eingeweide (de extis)" veifasst
hat, dass man dieses Beiwort „bidentes" nicht nur Schafen
beizulegen pflegte, sondern allen zweijährigen Opferthieren,
hat jedoch (dabei) keine deutlichere Erklärung beigefügt,
warum sie „bidentes" genannt wurden. 13. Allein was ich
• überdies davon halte, ist die Ansicht, welche ich in einigen
auf das „Oberpriesterrecht'* sich beziehenden Erklärungs-
schriften verzeichnet fand, dass (nämlich) diese Opferthiere
anfänglich „bidennes", mit Einschiebung des Buchstaben d,
gleichsam anstatt bi-ennes (d.h. zweijährige) genannt worden
sind, dass das Wort aber durch langen Sprachgebrauch ver-
dorben wurde und man aus „bidennes" das Wort „bidentes"
gebildet habe, weil das Wort sich offenbar so leichter und
weicher aussprechen lasse. 14. Allein Hyginus Julius, ein
Bei einem Opfer durfte nichts fest gebunden sein. (Serv. zu Verg. Aen.
II, 134; cfr. Macrob. III, 5, 8.) Daher standen die Opferthiere auch
ungebunden am Altare, s. Serv. zu Verg. Aen. V, 774.
XVI, 6, 9. S. Macrob. Sat VI, 9 und die Erklärer zu Verg. Aen.
IV, .57.
XVI, 6, 12. Vergl. Gell. VII (VI), 6, 10. Nigidius in libro I augurii
privati.
XVI, 0, 13. S. Serv. ad Verg. Aen. 4, 57.
Digitized by Google
XVI. Buch, 6. Cap., § 14. 15. - 7. Cap., § 1-3. (323)
Mann, der das „Oberpriesterrecht" offenbar doch sicher ganz
genau gekannt hat, macht im 4. Buche seiner Abhandlung
über Vergil die schriftliche Bemerkung, dass solche Opfer-
thiere „bidentes" genannt wurden, welche ihres (Lebens-)
Alters wegen (per aetatem) zwei hervorragende Zähne haben.
15. Hier folgen seine eignen Worte: „Ein Opferthier, welches
„bidens" heisst, muss acht Zähne haben, aber zwei müssen
über die andern hervorragen, woraus man erkennt, dass sie
aus dem unreifen Alter in das reifere eingetreten sind." Ob
des Hyginus Ansicht wahr sei, dürfte nicht durch Beweis-
gründe , sondern mit sichtlichen Augen erkannt werden
können.
XVI, 7, L. Dass Laberius bei Bildung vieler Wörter willkürlich und
leichtsinnig verfuhr, und dass er sich vieler Ausdrücke bediente, bei denen
man sich fragen muss, ob sie wohl (echt) lateinisch sind.
XVI, 7. Cap. 1. Laberius ist in den von ihm verfassten
mimischen Dichtungen bei seiner Wortbildnerei gar (oft) sehr
willkürlich verfahren. 2. So sagt er „mendicimonium" (Bettel-
armuth), „moechimonium" (Ehebruch), so „adulterio" (Ehe-
brecher), „adulteritas" (Ehebrecherei) anstatt „adulterium" ;
so sagt er: „depudicavit" (hat entehrt, geschändet) für „stu-
pravit" und für „diluvium" braucht er „abluvium" (Wasser-
fluth), und in einer seiner mimischen Dichtungen, unter dem
Titel „Cophinus (xoyivog), der Korb" setzt er „manuatus est"
(hat sich weggelangt, weggefingert, d. h. gestohlen) für „fu-
ratus est"; 3. eben so nennt er in seinem „Walker (fullo)"
einen Dieb „manuarius" (Langfinger). Die Stelle lautet:
Manuari pudorem perdidisti, d. h.
Langfinger Du, Du hast ja alle Scham verloren.
und so finden sich bei ihm noch viele andere Wortneuerungen.
XVI, 6, 15. S. Fest v. bidentes; Serv. ad Verg. Aen. 4, 57; 6, 39;
Isidor. 22, 1.
XVI, 7, L. S. Bernhardy R. L. 78, 356. Die Wortbildnerei des
Laberius gab den philisterhaft nüchternen Grammatikern vielen Anstoss.
S. Teuffels röm. Lit. § 8, 11. Die Sprache der Mimen war, dem Stoffe
und Publicum entsprechend, plebejisch. Ueber die kühne Wortbildnerei
des Laberius s. ferner Teuffels röm. Lit. Gesch. 189, 7.
XVI, 7, 2. Covinus (celtisches Wort), Sichel - Kampf -Wagen ; Reise-
(Planen-)Wagen.
21*
(324)
XVI. Buch, 7. Cap., § 4—10.
4. Ebenso bedient er sich auch gemeiner, schmutziger Wörter
aus niedrigerem Volksgebrauch, wie z. B. in seinem Stück
„Die Gewebe-(Lebensfaden-)Schränke (staminaria)", da heisst's :
Tollet bona fide" vos orcus nudas in catonium (— elg to xartovtov)
Der Tod wird sicher euch nackt in die Unterwelt bringen.
5. So sagt er auch „elutriare lintea" (Laken auswaschen) und
„lavandaria" (Wäschstücke), welche man zum Waschen gegeben
hat, und „coicior in fullonicam" (sc. officinam, ich werde in
die Walkwerkstatt geworfen). Ferner: Was eilst Du so, was
läufst Du voraus , Heizerin (Caldonia , i. e. Badbestellerin) ?
6. Ebenso nennt er in seinem „Seiler (restio)K Die, welche
man gewöhnlich „talabarriones" nennt „talabamunculi"; 7.
ebenso in seinem „Scheidewegfest (in compitalibus)" sagt er:
malas malaxavi (ich habe die Kinnbacken geschmeidig ge-
macht, von naXctTttuo) ; 8. desgleichen in seinem „Gedächtniss-
schwachen (in Cacomnemone)" sagt er:
Dort der Tölpel (gurdus) ist's, von dem ich Dir erzählt, der aufnahm mich,
Als von Africa ich vor zwei Monden kam.
9. Ebenso in seiner Farce, welche die , Ueberschrift führt
„Geburtstagsfest (natalicius)", gebraucht er die Wörter : cippus
(Spitzsäule) und obba (Caraffine) und camella (dimin. von
camera, Schälchen) und pittacium (Anhängsel) und capitium
(Miederüberwurf), die Stelle lautet:
Induis
Capitium tunicae pittacium, d. h.
« — — Du hüllest Dich
in die Capuze, das Anhängsel der Tunica.
10. Ausserdem bedient er sich in der „Anna Peranna" der
Wörter „gubernius" für „gubernator" (Lenker), ferner „planus"
(nldvog) für sycophanta (Betrüger) und „nanus" (vävog, Zwerg)
für pumilio; obwohl auch M. Cicero in seiner Rede, welche
er für den Cluentius gehalten (cap. 26, 72), das Wort planus
(Ränkemacher) für sycophanta schriftlich verwendet hat.
XVI, 7, 9. Oder: natalicius sc. mimus, d. h. Geburtstagsschwank. —
Obba, vergl. Nonius p. 146, 8; u. 545, 1 (Napf).
XVI, 7, 10. Anna Peranna s. Gell. XIII, 23 (22), 4.
XVI, 7, 10. TcXävog proprie est erro, vagabundus a: nhiri], error,
vagatio. Accipitur etiam pro eo, qui decipiendi causa vagatur, impostore
nebulone, fraudulento sycophanta, fallaci.
Digitized by
XVI. Buch, 7. Cap., § 11—14. —8. Cap., § 1. 2. (325)
11. Ebenso hat er in seiner Komödie (zum Freudenfest
des 17. Decembers), genannt „Saturnalien", auch den Aus-
druck „botulus" (Blut-Wurst) gebraucht für „farcimen", des-
gleichen eine leichte Person „homo levenna" genannt, anstatt
„homo levis". 12. Ebenso nennt er in seiner „Geisterbeschwö-
rung (necyomantia)", so recht nach Pöbelart, einen Makler
„cotio", wofür die Alten den Ausdruck: arillator hatten.
Die betreffende Stelle des Laberius lautet also:
Duas uxores? hercle hoc plus negöti est: sed quid cotio?
_ Sex aediles viderat, d. h.
Der Weiber zwei? bei Gott, die Aufgab' ist zu gross: was sagt
der Makler?
Sechs Aedilen sah er stehn.
13. Endlich jedoch in seiner Posse, betitelt „Alexandrea'1,
bedient er sich ganz auf dieselbe Art, wie die Menge, aber
ganz richtig lateinisch eines griechischen Ausdrucks, denn er
verwerthet das Wort „emplastrum" (Pflaster) im sachlichen
Geschlecht (ovd-ereQtog) , nicht wie (heutigen Tages) einige
neubackene Halbwisser*), im weiblichen Geschlecht
(emplastra, emplastrae). 14. Ich lasse die betreffende Stelle
aus der Posse gleich folgen:
Quid est jus jurandum? emplastrum aeris alieni, d. h.
Was ist ein Eid? Es ist ein Schuld -Verband.
XVI, 8, L. Was der von den Dialektikern gebrauchte Ausdruck a$((üpa
bedeute, und wie dieser Ausdruck von nnsern (Philosophen) genannt (und
lateinisch ausgedrückt) wird; endlich einige andere «Ausdrücke, welche
beim ersten Unterricht in der Dialektik gelehrt werden.
XVI, 8. Cap. 1. Als ich mich in die Wissenschaft der
Dialektik einführen und einweihen lassen wollte, musste ich
mich erst mit den von den Dialektikern sogenannten „Vor-
übungen (elgaytayal , d. h. mit den vorbereitenden, wissen-
schaftlichen Einleitungen)'4 bekannt und vertraut machen.
2. Weil ich mich nun anfänglich mit den Axiomen (a&coiiara,
d. h. mit den [Ur-] Spruch -Sätzen oder entschiedenen Be-
XVI, 7, 11. Botularius, Wursthandler s. Sen. ep. 56, 8.
XVI, 7, 12. Cfr. Tac. Annal. II, 85. Arillator (s. Paul. Diac 20, 12)
Waarenmakler, oder cocio s. Plaut Asin. I, 3, 52 (208); Orelli 7216.
XVI, 7, 18. *) novicii semidocti vergl. Gell. XI, 7, 3 u. XV, 30, 1.
XVI, 8, L. Cfr. Diog. Laert. VII, 50.
Digitized by Google
(326)
XVI. Buch, 8. Cap., § 2—7,
hauptungen, wodurch eine unbedingte Meinungsäusserung
allemal zum Ausdruck gelangt) mich geistig beschäftigen
musste, welche M. Varro bald „profata" (Sprüche), bald wieder
„proloquia" (Aussprüche) nennt, war ich eifrig bemüht, mir des
gelehrten L. Aelius, der des Varro Lehrer war, Abhandlung
über die „Spruchsätze (de proloquiis)" zu verschaffen. Ich
ermittelte diese Schrift in der Bibliothek, die sich in dem
(von Vespasian gebauten) Friedenstempel befindet und las sie
(nun eifrig durch). 3. Allein der darin aufgezeichnete Inhalt
trägt weder zu gründlicher Belehrung, noch zu deutlicher
Unterweisung bei und scheint Aelius diese Schrift nur deshalb
verfasst zu haben, mehr um Anhaltspunkte für sich zu haben,
als in der Absicht Andere zu belehren (aliorum docendi
gratia*)). 4. Ich wendete mich nun nothgedrungen zu den
griechischen Schriften. Aus ihnen nun erfuhr ich folgende
wörtliche Erklärung des Begriffes a&wpa: Es bedeute (das
Wort) einen absolut unabhängigen (anschaulichen) Grundsatz,
nur durch sich selbst erklärt (der nicht erst braucht bewiesen
zu werden). 5. Ich habe (wohlweislich) unterlassen, die Stelle
(ins Lateinische) zu übersetzen, weil ich sonst neue und un-
statthafte Ausdrücke dazu hätte verwenden müssen, die wegen
ihrer Ungewöhnlichkeit dem Ohre wohl kaum erträglich
hätten sein können. 6. Allein M. Varro hat im 14. Buche
„über die lateinische Sprache" an den Cicero (von diesem
Wortbegriff : agiiofia, Ursatz) ohne die geringste Beanstandung
folgende Erklärung geliefert: „Unter einem Spruchsatz (pro-
loquium) wird eine Meinungsäusserung verstanden, in der
nichts vermisst wird." 7. Diese Erklärung wird deutlicher,
wenn wir erst dafür ein Beispiel werden angeführt haben.
Folgendes nun aber wäre ein solches a^Uo^ia oder proloquium,
wenn man lieber diesen Ausdruck brauchen will (d. h. also
ein vollkommen an und für sich deutlicher Ausspruch):
„Hannibal war ein Punier; Scipio zerstörte Numantia; Milo
ist wegen (Anklage des) Mordes verurtheilt worden; das
XVI, 8, 2. Ueber den Tempel der Friedensgöttin (Pax) und der darin
befindlichen Bibliothek s. Gell. V, 21, 9 NB. '
XVI, 8, 8. •) Bezüglich dieser Construction vergl. Gell. IV, 15, 1;
V, 10, 5.
Digitized by
XVI. Buch, 8. Cap„ § 8-11.
(327)
Vergnügen ist weder ein Gut, noch ein Uebel"; 8. überhaupt
jeder Ausspruch, der an sich einen ganz vollständigen und
abgeschlossenen, in Worten ausgedrückten Gedanken bildet
(also eine unbedingte Meinungsäusserung zum Ausdruck
bringt), wobei man zu erkennen giebt, dass dieser Gedanke
entweder wahr oder falsch sein muss, wurde von den Dia-
lektikern u::;< genannt, von dem M. Varro, wie ich bereits
erwähnte, „proloquium" und vom M. Cicero „pronuntiatum",
welcher Letztere jedoch sich des Ausdrucks „pronuntiatum"
für agicofia nur so lange bedienen will, „bis", wie er selbst
sagt, „ich einen bessern dafür gefunden haben werde". 9. Was
aber die Griechen unter einem (stetigen) Schlusssatz verstehen,
der bei ihnen avvtj^fievov af/o^a (angeknüpfter S.) genannt
wird und den einige römische Schriftsteller „adjunctum",
andere wieder „connexum" nennen, ein solcher (stetiger)
Schlusssatz ist z. B. folgender: „Wenn Plato herumgeht, so
bewegt sich also Plato; wenn es Tag ist, so ist die Sonne über
der Erde." 10. Ebenso versteht man unter (einer aus mehreren
Gliedern bestehenden Proposition) einer Schlussreihe, welche
die Griechen ovfine7t'ktypiivov nennen, wir Römer mit con-
junctum, oder mit copulatum bezeichnen, beispielsweise fol-
gende (logische) Satzverbindung: „P. Scipio, des (Lucius
Aemilius) Paulus Sohn war nicht nur zweimal Consul, son-
dern hielt auch einen feierlichen Einzug, verwaltete auch
das Censoramt, war in seiner Sittenrichterstellung auch Amts-
genosse des L. Mummius." 11. Wenn in einer solchen Schluss-
reihe (Satzverbindung) nur eine Unwahrheit sich vorfindet,
so sagt man doch, das Ganze sei falsch und unrichtig, ob-
gleich alles Andere auf Wahrheit beruht. Denn wenn ich zu
alledem, was ich Wahres über den Scipio sagte, hinzufügen
wollte : „endlich hat er auch den Hannibal in Africa über-
XVI, 8, 8. pronuntiatum s. Cic Tusc. I, 7, 14. Effatum Cic. Luculi.
s. acad. pr. II, 29, 95; de legg. II, 8, 20; Senec. ep. 117, 18; Gell. XIH,
14, 1. Enuntiatio Cic. Fat 1, 1; 10, 20; Quint. 7, 3, 2; 9, 1, 23.
XVI, 8, 9. Adjunctum, die Zusammenfügung zweier Sätze, von
denen der letztere aus dem ersteren folgt; im Bedingungsschluss (syllo-
gismo conditionali) der Vordersatz, weil dieser Syllogismus aus zwei Sätzen
besteht Siehe Diog. Laert VII, 50 Zeno.
XVI, 8, 10. üeber Scipio s. Gell. IV, 18, 8 NB.
Digitized by Google
(328)
XVI. Buch, 8. Cap., § 11 — 14.
wunden", was doch eine Unwahrheit sein würde (da diese
That doch der Vater seines Adoptiv -Vaters, der P. Cornelius
Scipio Africanus major vollbrachte), so würden sofort auch alle,
in Verbindung mit dieser Behauptung ausgesprochenen Sätze,
wegen dieses einzigen unrichtigen Zusatzes, eben weil sie zu-
sammen hingestellt werden, als nicht wahr gelten. 12. Nun
giebt es auch noch eine andere Art von Schlusssatz, welchen
die Griechen dieCevyftevov*) aif/wjua, wir (Römer) dis-
junctum proloquium nennen (d. h. streng geschiedener Gegen-
satz). Ein derartiges Beispiel ist : „Das Vergnügen ist entweder
ein Uebel, oder ein Gut, oder : es ist weder ein Gut, noch ein
Uebel." 13. Alle solche Sätze, welche (unter einander) streng
aus einander gehalten werden sollen, müssen sich gegenseitig
widersprechen, und solche Widersprüche, welche von den
Griechen awLKUneva genannt werden, müssen natürlich auch
unter sich das Gegentheil bezeichnen. Unter allen diesen
(neben einander aufgeführten) strengen Gegensätzen sind alle
übrigen falsch, nur einer muss wahr sein. ]4. Wenn nun
aber entweder keine der Aussagen wahr ist, oder alle, oder
mehrere als eine wahr sein sollten, oder die Gegensätze sich
nicht (direct) widersprechen, oder die Widersprüche sich nicht
gegenseitig ausschliessen , dann ist der logische Gegensatz
fehlerhaft und wird als solcher von den Griechen rtagadie-
tevy/uivov genannt (d. h. fehlerhafter Gegensatz), wie dies in
folgendem Beispiel der Fall ist, wo sich die Gegensätze nicht
(ausschliessen und) aufheben : Entweder läufst Du, oder gehst
spazieren, oder stehst. Diese Sätze bilden nun zwar unter ein-
ander entgegengesetzte Begriffe ; allein das Widersprechende in
diesen Begriffen steht nicht an und für sich im Widerspruch
zu einander (weil doch nur immer ein Fall als möglich an-
genommen ist). Denn die Begriffe: „nicht spazieren gehen,
nicht stehn und nicht laufen" bilden nicht Gegensätze unter
sich, weil man Gegensatz das zu nennen pflegt, was mit einem
andern als nicht zugleich bestehend, für möglich und wahr an-
genommen werden kann; denn es ist doch gewiss unmöglich,
in demselben Augenblicke zugleich entweder zu gehen, oder
XVI, 8, 12. *) S. Gell. II, 7, 22 und vergl. Geil V, 11, 8. Cic. acad.
n, 30, 97; Diog. Laert. II, 50 Zeno.
Digitized by Google
XVI. Buch, 8. Cap., § 15. 16. — 9. Cap., § 1. 2. (329)
zu stehen, oder zu laufen. 15. Aber nun mag es mit diesem
kurzen Probestück aus der Dialektik abgethan sein, 16. und
nur eine Ermahnung sehe ich mich veranlasst, noch hinzu-
zufügen: dass die Beschäftigung mit dieser Wissenschaft und
die Bekanntschaft mit ihren Grundsätzen zwar meist für ab-
scheulich und verächtlich, für unangenehm und unnütz pflegt
gehalten zu werden, allein, wenn Du darin erst einige Fort-
schritte gemacht haben wirst, dann wird Dir endlich auch
davon der Vortheil deutlich in die Augen springen, und die
Folge davon wird eine unersättliche Lernbegierde sein, wobei,
wenn Du ihr die Zügel schiessen lassest, für Dich die nicht
unbedeutende Gefahr zu besorgen steht, dass, wie so viele
Andere, auch Du in jenem Zauberkreise (dieser Wissenschaft)
und in den Wirbel Windungen der Dialektik, gleich wie bei
den Sirenenklippen, — (trotzdem) ein hohes Alter erreichst.
XVI, 9, L. Ueber die Bedeutung des in den Schriften der Alten sehr
häufig vorkommenden Ausdrucks: „susque deque" (auf und nieder, oben
und unten, drüber und drunter).
XVI, 9. Cap. 1. r Susque deque fero" (ich mache mir
nichts daraus, ich drehe deshalb keine Hand um), „susque
deque sumu (ich nehme es gleichgültig hin, ich halte es für
unbedeutend), oder „susque deque habeo" (ich achte es nicht,
denn in dieser Weise der Verbindung hört man den Ausdruck
verwerthen) ist eine Redensart aus der Umgangssprache
(selbst) gebildeter Männer, und findet sich dieselbe auch in
den Gedichten und Briefen der Alten sehr oft schriftlich
angewendet. 2. Es wird Dir aber leichter fallen, Leute
zu finden, welche diese Redensart (auffälliger Weise oft)
anwenden, als solche, die sie (richtig zu erklären wissen
und) verstehen. So zögern Viele von uns nicht, Wörter an-
zuwenden, die uns ziemlich fem liegen, bevor wir uns Rechen-
schaft über ihre (eigentliche) Bedeutung abgelegt haben.
XVI, 8, 16. Der Unterricht in der Philosophie begann mit der Logik
(Denklehre), dann folgte Physik (Naturphilosophie) und endlich haupt-
sächlich Ethik (Sittenlehre). Leider artete die Logik oft in sophistische,
spitzfindige Dialektik aus. Vergl. Diog. Laert III, 56; Euseb. praep. ev.
11. 2; Sext. Empir. adv. mathem. 7, 16; Epict diss. I, 17, 6; Quint. XII,
prooem; Plutarch. Fortschritt in der Tugend; Sen. ep. 71, 6; 88, 42.
Digitized by Google
(330) XVI. Buch, 9. Cap., § 8—6. - 10. Cap., § 1.
3. Es bedeutet nun aber „susque deque ferre" gleichgültig
sein und einen Vortheil nicht hoch anschlagen und auch bis-
weilen vernachlässigen und gering schätzen und es ist dieser
Ausdruck beinahe gleichbedeutend mit dem griechischen
adiayoQeiv (gleichgültig sein). 4. Laberius bedient sich dieser
Redeweise in seinem „Scheidewegfest (in compitalibus)" :
Nunc tu lentu's, nunc tu susque deque fers;
Mater familias tua in lecto adverso sedet,
Seryos sextantis*) utitur nefariis
Verbis.
Jetzt bist Du abgestumpft, machst jetzt Dir nichts mehr draus ;
Dir gegenüber sitzt Dein Weib im Ehebett
Und ein niederer Sklave wagt verruchte Red'.
5. M. Varro im „Sisenna" oder „über Geschichte" sagt:
„Hätten nicht alle diese Dinge einen ähnlichen Anfang wie
Ausgang, es würde (dann weiter) nichts zu bedeuten haben
(susque deque esset). 6. Lucüius in seinem 3. Buche:
Verum haec ludus ibi susque omnia deque fuerunt,
Susque et deque fuere, inquam, omnia, ludus jocusque;
lllud opus durum, ut Setinum accessimus finem:
Aiyi'Xinoi montes, Aetnae omnes, asperi Athones, d. h.
Doch dies dort war Spiel, wir hielten es Alles für nichts, ja
Hielten es Alles für nichts fürwahr, Spiel war es und Spass nur.
Doch hart gings uns auf, da im Land der Setiner wir waren:
All' aigilipisch Gebirg,> all' Aetna's, klippige Athos'.
XVI, 10, L. Was man verstand unter dem Ausdruck: „proletarii", was
unter: „capitecensi", desgleichen was in den Zwölftafelgesetzcn unter:
„adsiduus" und was die Entstehungsursache dieses (letztgenannten)
Ausdrucks sei.
XVI, 10. Cap. 1. Als eines Tages zu Rom Einstellung
XVI, 9, 4. *) Servos sextantis, ein (gemeiner) Sklav, so ein Hund
für einen Groschen. — Lectus ad versus, das Bett der Thür gegenüber,
(vergl. Propert. IV (V), 11, 85; Ascon. zu Cic. pro Mil. p. 43 Orell.), wo
es aufgestellt war. S. Paulus p. 94, 11; Hör. Ep. I, 1, 87.
XVI, 9, 6. Die Reise, die zu Fuss unternommen wird, ist zuerst
ganz gemächlich und leicht, bis sie zu dem am pomptinischen Gebirgsrand
hochliegenden Setia (jetzt Sezza), das (nach Juvenal. V, 34) durch seinen
Wein bekannt ist, hinansteigen, wo es jäh und steil geht, weshalb der
Dichter von ägilipischem Gebirge spricht (wobei er scherzweise das
homerische Beiwort hoher Felsen „aiyiXnp" braucht) und die Berge mit
•
Digitized by Google
-
XVI. Buch, 10. Cap., § 1 — 8. (331)
von allen öffentlichen Geschäften (otium*) in foro a negotiis)
und eine so recht festliche Festesfeier stattfand, wurde zu-
fällig unter allgemeiner Zustimmung das (3.) Buch von des
Ennius „Jahrbüchern" gelesen. In diesem kommen folgende
Verse vor:
Proletarier Roms schmückt man auf Kosten des Staates
Mit dem Schilde und schwerem Schwert zum Schutze der Mauern,
Für die Stadt und Gemeinwohl fleissig zu wachen.
2. Dabei wurde damals sofort die Frage in Anregung gebracht,
was das Wort „proletarius" zu bedeuten habe. 3. Als ich nun
unter der Versammlung einen Freund erblickte, von dem ich
wusste, dass er das bürgerliche Recht genau kannte, stellte
ich sofort die Bitte an ihn, mir doch den Ausdruck „prole-
tarius" zu erklären; 4. und als bei dieser Gelegenheit der
Betreffende mir zur Antwort gegeben hatte, dass er zwar in
der Rechtswissenschaft, aber nicht in der Grammatik be-
wandert sei, sagte ich ihm: gerade eben deshalb, weil, wie
Du selbst bekennst, Du in der Rechtswissenschaft bewandert
bist, gerade deshalb musst Du uns auch Aufschluss geben
können. 5. Denn Ennius hat diesen Ausdruck aus euren
Zwölftafelgesetzen entlehnt, worin, wenn ich mich recht er-
innere, Folgendes geschrieben steht: „Einem Wohlhabenden
(assiduo) soll Bürge (und Anwalt, vindex) sein ein Wohl-
habender; einem armen Bürger ferner (proletario) soll, wer
da immer will, ihm Bürge (und Anwalt) sein." 6. Gieb also
unserer Bitte nach und denke, dass alleweil nicht des Q.
Ennius Jahrbuch, sondern das Zwölf tafelgesetz gelesen würde,
und gieb uns eine Erklärung darüber, was in der betreffenden
Verordnung der Ausdruck „proletarius civis" zu bedeuten hat.
7. Ich würde das, sagte er nun, in der That vollständig
müssen erklären und auslegen können, hätte ich das Recht
der uralten Nachkommen eines Faunus und das (von Latiums
ältesten Urahnen) von den Aborigenern studirt. 8. Aber da
dem 8icilischen Aetna vergleicht und mit dem gewaltigen, weithin sich er-
streckenden Athos (Monte Santo, Agion Oros) in Makedonien. (Juvenal.
X, 17, 4. H. Düntzer.)
XVI, 10, 1. *) Während gewisser Feiertage oder Ferien durfte kein
öffentliches Geschäft vorgenommen werden.
XVI, 10, 4. Vergl. Bernh. r. L. 34, 130.
Digitized by Google
(332)
XVL Buch, 10. Cap., §8—10.
die Ausdrücke: ,,proletariiu und „adsidui" und „sanates",
dann „vades" (Bürgen) und „subvades" (Unterbürgen), ferner
„viginti quinque asses" (Strafe von 25 Asses), dann „taliones"
(Wiedervergeltungsrechte) und „furtorum quaestio cum lance
et licio" (d. h. Haussuchungsförmlichkeit wegen irgend eines
Diebstahls nach Herkömmlichkeit mit Schüssel und Gürtel) sich
verloren haben und jene ganze, alte Gesetzvorschrift der zwölf
Tafeln, ausser bei den Rechtshändeln in Centumviral-Sachen,
in Folge des aebutischen Gesetzvorschlages (bereits)
ausser Kraft getreten ist, so fühlte ich mich auch nur ver-
pflichtet, allein für das Interesse und die Kenntniss des
(heutigen) Rechtes und der Gesetze, wie auch nur für die
bei uns gebräuchlichen Ausdrücke einzutreten; 9. Gleich
darauf sahen wir zufällig den gelehrtesten Dichter unserer
Zeit, den Julius Paulus vorübergehen. 10. Als wir ihn be-
grüsst und unsere Bitte vorgetragen hatten, dass er uns doch
über den Sinn und die Entstehung dieses Wortes Auskunft
XVI, 10, 8. Adsiduus (=» dives, ein beständig wo sitzender =)
ansässiger, wohlhabender, steuerpflichtiger Burger, im Gegensatz der
Proletarü, der untersten Volksklasse, welche dem Staate nur mit ihrer
Nachkommenschaft (proles) nützen konnten (XII Tafeln; Niebuhrs röm.
Gesch. 1 S. 496 ff; Festus v. assiduus: Charisius I; Freunds Lexicon der
lateinischen Sprache und Doederlein lat Synon. III S. 312). — Sanates,
die amne8tirten Völker Roms, die als Clienten die Aecker der Vornehmen
(forctes = fortes) bebauten. — Viginti quinque asses s. Gell. XX,
1, 12. — Taliones s. Gell. X, 1, 14. — Cum lance et licio s. Gell. XI,
18, 9. — Centumvirales causae. Die Centumviri waren eine in vier
Collegien getheilte Unterbehörde, welche über Erbschaften, Vormund-
schaften u. 8. w. zu entscheiden hatte. — Lex Aebutia, ein Plebiscit
aus unbestimmter Zeit, welches verordnete, dass weder Der, welcher einen
Gesetzesvorschlag gemacht, des in demselben beantragten und beschlosse-
nen Auftrags, Geschäftes oder Amtes theilhaftig werden könne, noch ein
Verwandter oder College desselben. S. Cic contr. P. Servil. Rull, de
leg. agr. II, 8, 41. Dieses Gesetz hob also die legis actiones auf und
betraf die Ertheilung der Vollmacht und Besorgung einer Sache (curatio),
die sich keiner selbst anmassen durfte. Gajus IV, § 30.
XVI, 10, 8. Trotz der Einführung des Formularprocesses durch die
lex Aebutia dauerte die alte legis actio (vergl. Gell. XX, 10, 1 NB) vor
den ständigen Collegien noch eine Zeitlang fort, wie aus Gajus IV, 30 f.,
aus Cic. pro Caec. 33, 97 ; pro domo 29, 78 und aus Gellius hier zu er-
sehen ist, allein ebenso aus Gajus, dass man in den meisten Fällen den
Formularprocess vorzog. S. Lange röm. Alterth. § 132, 5 S. (563) 616.
Digitized by Google
XVI. Buch, 10. Cap., § 10—14.
(333)
geben möchte, liess er sich also vernehmen: Alle, die in der
römischen Gemeine die Bedürftigsten und Aermsten waren,
nicht mehr als mit 1500 Asses bei der Abschätzung (ihr Ver-
mögen) angeben konnten, wurden „proletarii" genannt; Die-
jenigen aber, die nicht (mehr) nach dem Vermögen, oder
doch nur nach ihrem sehr geringen Vermögensverhältnisse
abgeschätzt wurden, hiessen „capite censi" (Kopfsteuerbürger),
als äusserster (niedrigster) Vermögensbesitz aber bei der Ab-
schätzung der „capite censi" wurden 365 Asse angenommen.
11. Allein weil eignes Vermögen und ein eigner bürgerlicher
Hausstand als eine Gewähr der Sicherheit und des Unter-
pfandes für den Staat angesehen wurde, und dann gleichsam
ein sicherer Grund zur Vaterlandsliebe und ein sicheres
Bindemittel lag, deshalb wurden weder „proletarii", noch
„capite censi" zum Soldatenstand ausgehoben, ausser bei
äusserster Gefahr eines Aufruhrs, weil sie entweder nur einen
geringen, oder oft sogar keinen eignen Hausstand und Besitz-
thum (aufs Spiel zu setzen) hatten. 12. Die Klasse (der
Stand) der Proletarier stand einst der Stellung und dem
Namen nach mehr in Ehren als die „capite censi"; 13. denn
in den schlimmen Zeiten des Staates, als Mangel an (kampf-
fähiger) Jugend eintrat, wurden sie in höchster Eile zum
Kriegsdienst ausgehoben und ihnen die Waffen auf öffentliche
Kosten verabreicht, und sie wurden nun nicht mehr nach der
Abschätzung ihrer (steuerpflichtigen) Person (capitis) benannt,
sondern mit günstigerem Ausdruck nach der Bestimmung und
dem Dienst, den sie dem Staate dadurch erwiesen, dass sie
ihn mit Nachkommenschaft (fürs Heer und zum Landesschutz)
versorgten, weil, da sie dem Staate wegen ihres geringen
Vermögens nur wenig Unterstützung gewähren konnten, sie
doch durch Erzielung bedeutenden (Kinder-)Nachwuchses den
Staat (insofern von Nutzen waren, als sie ihn) bevölkern
halfen. 14. Wie Einige behaupten, soll zuerst C. Marius im
Kriege mit den Cimbern in den schlimmsten, bedrängtesten
XVI, 10, 10. Festsetzung des Minimalcensus von 1500 Assen (300
Libralassen) für die zum Legionsdienst verpflichteten Proletarier legt
Lange (röm. Alterth. § 101 p. [lOö] 115) in die Zeit 475/279. S. Cic. de
rep. 2, 22, 40; Non. 106 G.
XVI, 10, 14. S. Val. Max. II, 3, 1 ; Plut Mar. 9.
Digitized by Google
(334) XVI. Buch, 10. Cap., § 14-16. — 11. Cap., § 1. ?.
Zeiten der Republik, oder vielmehr, wie Sallust angiebt, im
Kriege mit Jugurtha (zur Verstärkung des Heeres) Rekruten
aus den capite censis (d. h. aus den niedrigsten, meist besitz-
losen Schichten des Volkes) ausgehoben haben ; da doch dieses
Verfahren zu keiner Zeit (je) vorher vorkam. 15. In den
Zwölftafelgesetzen wird der Ausdruck „adsiduus" gebraucht
zur Bezeichnung eines Reichen und eines, der ohne Wider-
rede seiner Pflicht nachkommt und leicht ein Opfer bringen
kann, weil er so genannt ist von aes-dare (d. h. Geld oder
Abgabe geben), sobald nämlich die Zeit der Noth eine solche
Abgabe zum Nutzen des Staates erforderte; oder von der
Beharrlichkeit und Ausdauer (ab adsiduitate) , Unterstützung
zu gewähren nach ihren bedeutenden Vermögensverhältnissen.
16. Die bezügliche Stelle des Sallust über den Consul C. Ma-
rius und über die „capite censi" lautet in seinem Geschichts-
werke über den „Jugurthischen Krieg" (86, 2) also: „Er
selbst hob indessen die Rekruten (Soldaten) aus, nicht nach
althergebrachter Weise, auch nicht nach Rang und Ansehen
(nec ex classibus) sondern wie Jeglicher Lust bezeugte , meist
Leute, die arm und ohne Eigenthum (capite censi). Dies
geschah, so bemerken Einige, in Ermangelung besserer (Mann-
schaften), Andere, aus einem Streben des Consuls nach Volks-
gunst, weil er von diesem Menschenschlage gefeiert und ge-
hoben worden war, und weil einem Manne, der nach Macht
strebt, der Dürftigste immer auch der Willkommenste ist"
XVI, 1 1 , L. Eine aas den Werken des Ilerodot entlehnte Erzählung von
dem Untergange der Psyllen, welche in den sandigen Küstengegenden von
Africa wohnten.
XVI, 11. Cap. 1. Der Volksstamm der Marsen in Italien
soll von einem Sohne der (durch ihre Zaubereien berühmten
Meernymphe) Circe seinen Ursprung haben. 2. Deshalb war
diesem Marsenvolke, wofern ihre Familienglieder noch nicht
XVI, 11, L. Diese Fabel erzählt Herodot den verlogenen Cartha-
gern nach. Ueber die Marsen s. Plin. h. n. 7, 2 § 7; 28, 2, 4 § 19;
28, 3, 6 § 30; Aelian. Hist an. 17, 27; Lucian. Philopseud. 9. 11; Suet.
Oct. 17.
XVI, 11, 2. Vergl. Plin. H. N. 28, 4, 5; Vergil. Aen. 7, 758; Sil.
Italic. 8, 496; Plin. Hist. N. VII, 2, 7. Vergl. Celsus V, 27, 3.
Digitized by Google
XVI. Buch, 11. Cap., §2—7.
(335)
mit fremden (Elementen und) Verbindungen vermischt und
entartet waren, durch eine gewisse natürlich angeborne Kraft
es verliehen, sowohl Bändiger giftiger Schlangen zu sein, als
auch durch Zaubersprüche und Kräutertränkchen Wunder-
kuren zu verrichten. 3. Mit dieser bevorzugten (Wunder-)
Kraft waren offenbar auch die sogenannten Psyllen aus-
gestattet. Nachdem ich nun (lange) in den alten Schriften
nachgesucht hatte, fand ich endlich im IV. Buche (cap. 173)
von Herodot folgende Erzählung über ihren Namen und ihre
Abstammung. Dieser erzählt also: 4. Die Psyllen seien einst
in Africa Grenznachbarn von den Nasamonen gewesen; der
Südwind habe einstmals in ihrem Lande sehr heftig und lange
geweht; 5. durch sein Wesen habe er in den von ihnen be-
wohnten Gegenden alles Wasser ausgetrocknet ; 6. Die Psyllen
(fort und fort) an Wassermangel leidend, gegen den Südwind
wegen seiner Ungerechtigkeit schwer entrüstet, hätten nun
(einmüthig) den Entschluss gefasst, dass sie sich mit voller
Rüstung auf den Weg machen wollten gegen den Südwind,
gleichwie gegen einen (wirklichen) Feind, um mit Kriegs-
gewalt das (entführte, ihnen zugehörige) Besitzthum zurück-
zufordern. 7. Dabei sei ihnen nun auf ihrem Wege der Süd-
wind mit langem (heftigem) Windzug entgegengekommen und
habe sie alle insgesammt, mit aller Mannschaft und aller
Ausrüstung durch üeberwehung ganzer Hügel und Berge von
XVI, 11, 3. Psyllen s. Sext. Empir. hypot. I, 82; Herodot. 4, 173;
Aelian Thiergesch. I, 57; Plut Cat. 56; Strab. 13, 588; 17, 814; Paus.
9, 28, 1; Suet Octav. 17; Plin. H. N. VII, 2, 5. Das sofortige Aussaugen
der Bisswunde wird noch jetzt als probat angesehen. Neuerdings em-
pfiehlt aber Prof. Lenz als bestes Mittel gegen den Kreuzotterbiss : sofort
Pulver auf die Wunde zu bringen und dasselbe anzuzünden. Der Schmerz
soll unbedeutend sein und das Gift sofort vernichtet werden.
XVI, 11, 7. Einer der kühnsten Reisenden der neuern Zeit, der 1863
an einer Verwundung durch Entladung seines Gewehres gestorbene Adolf
von Wrede (geb. 1807 zu Münster in Westfalen), wagte, von heissem
Forscherdrang geleitet, 1842 eine Entdeckungsreise in die glühenden,
sandigen Gegenden des Innern von Arabien. Des Arabischen mächtig, als
Beduine verkleidet, mitten unter fanatischen und misstrauischen Arabern,
die zurückgelegten Wegstrecken heimlich mit dem Compass aufnehmend,
gelangte er unentdeckt unter höchsten Schwierigkeiten und Gefahren
bis zur Stadt Saba, jenseits deren sich eine unermessliche Wüstenei
Digitized by Google
(336) XVI. Buch, II. Cap., § 8. — 12. Cap., §1-3.
Sand verschüttet. 8. Auf diese Art seien alle Psyllen bis
auf den letzten Mann umgekommen und so wäre (nachher)
ihr Gebiet von den Nasamonen in Besitz genommen worden.
XVI, 12, L. Ueber die Wörter, welche Cloatius Verus entweder ganz
treffend, oder ganz ungereimt und abgeschmackt auf Abstammung aus der
griechischen Sprache zurückgeführt hat.
XVI, 12. Cap. 1. In den Schriften, welche Cloatius
Verus überschrieben hat „von Wörtern, die von den Griechen
hergenommen", giebt er eine durchaus nicht geringe An-
zahl sorgfältiger, scharfsinniger, ausgesuchter Bemerkungen,
jedoch läuft dabei auch manches Unzuverlässige und Werth-
lose mit unter. 2. So sagt er : Errare (irren) ist hergenommen
von efjeiv (mühsam wandeln, elend gehen) und führt (zum
Beleg) eine Stelle aus Homers Hiade VIII, 164 an: i'$(>e,
xaxi? ylrp>ty d. h. troll Dich, feige Puppe, und ferner einen
Vers aus Homers Odyssee X, 72 an:
sqq* ix vr\a>v »iiooov tXtyxune fwöVrajv, d. h.
Wandre flugs von der Insel hinweg, Schandbarster der Menschen.
3. Ebenso, schreibt er, sei „alucinari1* (träumen) aus dem
Griechischen alveiv (irren Geistes sein) gebildet, woher nach
seiner Meinung auch wieder „elucus" (schläfriges Wesen), nach
ausdehnt, in welcher der Sage nach ein König von Saba mit seinem ganzen
Heere vom Sande soll verschlungen worden sein. In diese Wüste vor-
gedrungen, Hess er sich nicht abhalten, allein die verrufensten und ge-
fährlichsten Gegenden dieser unabsehbaren Einöde zu durchsuchen, mit
Zurücklassung der ihn begleitenden Beduinen, welche die Furcht vor
Geistern zurückschreckte. Er gelangte endlich an gefährliche Stellen, wo
ihm der Sand merkwürdig fein erschien; er näherte sich dem Rand einer
solchen Stelle und warf ein an einer 60 Faden langen Schnur befestigtes
Pfundgewicht so weit als möglich hinein. Das Senkblei versank augen-
blicklich , mit abnehmender Schnelligkeit und nach Verlauf von fünf
Minuten verschwand das Ende der Schnur, welches ihm beim Wurfe
entschlüpft war, in das Ahes verschlingende Grab dieser Sandabschlünde.
Neuere Forschungen und Beobachtungen haben an andern Orten ganz
gleiche Erscheinungen ergeben. Die von Adolf von Wrede in einem
Werke hinterlassenen interessanten Aufzeichnungen hat Freiherr von
Maltzan herausgegeben unter dem Titel: Reise in Hadramaut, Beled Bery
Yssa und Beldel Hadschar von Adolf von Wrede.
XVI, 12, 1. Vergl. Bernh. r. L. 28, 105; TeufFels Gesch. der röm.
Lit 338, 5.
Digitized by Google
XVI. Buch, 12. Cap., §3 — 8.
(337)
Umwandlung des Buchstaben a in e, gebildet sein soll, mit
Bezug auf eine gewisse geistige Schläfrigkeit und Betäubtheit,
wie sie bei (gedankenlos) Hinträumenden sehr häufig vor-
kommt. 4. So nimmt er „fascinum" (Behexung) gleichbedeutend
mit „bascanumu (ßdo*avov) und „fascinare" (behexen) mit
„bascinare" (ßaoxaiveiv). 5. Alle diese Bemerkungen sind
treffend und wirklich sehr zweckentsprechend, aber im 4. Buche
sagt er : der sogenannte „faenerator" (Wucherer) ist gleichsam
yaivegdzcoQ, das will sagen von dem Scheinannehmen (yahe-
o&cu) in Bezug auf eine ziemlich unbefangene (gutherzige)
Miene, weil dieser Schlag von Leuten die Miene der Menschen-
freundlichkeit zur Schau trägt und ungemein zuvorkommend
ist gegen die, welche nothwendig Geld brauchen. 6. Und er
setzt noch hinzu, dass diese Bemerkung ein gewisser Gram-
matiker Hypsicrates gethan habe, dessen Bücher in der
That berühmt sind wegen der (darin angeführten) Wörter,
welche von den Griechen entlehnt sind. Mag dies nun aber
auch Cloatius selbst gesagt haben, oder wohl gar sonst ein
anderer unbekannter Windmacher, (ich bleibe dabei) es kann
keine abgeschmacktere Behauptung aufgestellt werden. 7.
Denn „faenerator" (Wucherer) erhielt nämlich, wie M. Varro
im 3. Buche seines Werkes „über die ächt lateinische Aus-
drucksweise (de sermone Latino)" geschrieben hat, seinen
Namen von „faenus" (Wucherzins), faenus aber (selbst) soll
nach seiner Angabe von foetus (Erzeugniss, Ertrag) und
gleichsam von foetura, das will sagen von dem Ergebniss des
(einträgliche) Zinsen gebenden und sich vermehrenden
(Geld-)Capitals herkommen. 8. Deshalb hätte, wie M. Varro
XVI, 12, 4. Fascinum, Behexung. Die Römer waren fest über-
zeugt von dämonischen Einwirkungen und Behexung mittelst des bösen
Blickes, üeber den Aberglauben des bösen Blickes bei den Alten siehe
Ber. der K. Sachs. Ges. d. Wiss. 1855. Hist. phil. Kl. S. 28 ff. (Jettatura,
der böse Blick, vermeintliche Behexung durch den Anblick). Man hatte
dafür als Schutzmittel verschiedene Amulette. Alte Weiber als Beschwöre-
rinnen versprachen Hülfe gegen die Hexerei, machten den Leuten allerlei
Blendwerk vor, um sie dafür auszubeuten. S. Plin. 28, 4, 7 § 35 u. § 39.
Ueber den amuletischen Phallus - Cultus der Römer vergl. Härtung, Relig.
der Römer H, S. 258 f.
XVI, 12, 6. Hypsicrates: S. Teuffels röm. Lit. § 156, 12.
XVI, 12, 7. S. Paul. S. 86, 94 u. Non. S. 54, 4.
Gell ins, Attiacl.o NAchto. U. 22
(338) XVI. Buch, 12. Cap., § 8. - 13. Cap., § 1—4.
erzählt, sowohl M. Cato, als alle seine übrigen Zeitgenossen,
das Wort „faenerator" ohne den Buchstaben a (also fenerator)
ausgesprochen, geradeso wie fetus und fecunditas ausgespro-
chen wurde.
XVI, 13, L. Was man unter „municipium" versteht, und inwiefern sich
dieser Wortbegriff von „colonia" unterscheidet und was „municipes"
heissen; ferner über die Abstammung und eigentliche Bedeutung dieses
Wortes; dabei auch, was der erhabene Hadrian im Senat über das Recht
und den Ausdruck „municipes" (gelegentlich erläuternd) sprach.
XVI, 13. Cap. 1. Die (beiden) Ausdrücke: „municipes"
(Municipal- Bürger) und „municipia" (M.- Städte) sind in der
Umgangssprache leicht gesagt und im Verkehr leicht gebraucht,
und doch wird man nur selten einen Solchen finden, der sich
dieser Ausdrücke bedient, ohne dabei völlig überzeugt sein
zu können, dass er auch verstehe, was er sagt: Allein in
Wirklichkeit heisst es meist etwas Anderes und etwas Anderes
wird gemeint. 2. Denn wie Wenige giebt es doch wohl
unter uns, deren Einer, obgleich er aus einer Colonie des
römischen Volkes stammt, nicht schon manchmal gesagt haben
sollte, dass er ein Municipalbürger und seine Landsleute
Municipalbürger seien, 3. wenn es auch gleich vernunftwidrig
und bei Weitem der Wahrheit entgegen läuft? So befinden wir
uns sogar in Unwissenheit darüber, was „municipia" heissen,
ferner, welche Rechte sie haben und inwiefern sie sich von
. einer Colonie unterscheiden, und bilden uns ein, dass die
Colonieen in einem bessern Verhältnisse (zu uns) stehen (und
mehr Vortheile gemessen) als die „municipia". 4. Ueber diese
zweifelhaften Schwankungen einer so allgemein angenommenen
Vermuthung hat der erhabene Hadrian in seiner Rede, welche
er über die Italicenser, denen er selbst entstammte, im
XVI, 18, L. S. Paul. Diacon. unter municipium S. 127. Municipien
hiessen bei den Römern die Städte', welche römisches Bargerrecht, aber
eigne Verwaltung und Gesetze hatten. S. Napoleons Geschichte Julius
Caesars L Bd. I. Buch 8. Cap. m p. 61 u. p. 64.
XVI, 18, 4. Die Stadt Italica war von den Scipionen in Spanien ge-
gründet worden, wie Appian von Alexandria im 6. Buche seiner iberischen
(spanischen) Kriegsnachrichten cap. 38 u. 66 berichtet Nach Besiegung
Spaniens hatte Scipio alle verwundeten italischen Krieger in einer Stadt
gelassen und diese Italica genannt
Digitized by Google
XVI. Buch, 13. Cap., §4—7.
(339)
Senat gehalten hat, mit höchster Ausführlichkeit gesprochen
und dabei offen seine Verwunderung zu erkennen gegeben,
dass sowohl die Italicenser selbst, als auch einige andere,
ganz alte Municipalstädte , worunter er auch die Uticenser
mit namhaft macht, obgleich sie doch noch nach ihren Sitten
und Gewohnheiten und nach ihren eignen Gesetzen leben
könnten, (nichtsdestoweniger) Verlangen trügen (und Alle
Anstrengung machten), statt der Gerechtsamen der Municipal-
städte, lieber das Recht der Colonieen zu erhalten und so in
Colonieen verwandelt zu werden. 5. Dabei erwähnte er aber
(ferner), dass die Praenestiner mit höchstem Bemühen vom
Kaiser Tiberius begehrt und erbeten hätten, dass sie aus dem
(Standesrecht) der Colonie in den Rang einer Municipalstadt
möchten aufgenommen werden, und dass Tiberius ihnen diese
Gnade zum Zeichen seiner Huld und Dankbarkeit gewährt
habe, weil er innerhalb ihres Gebietes, in unmittelbarer Nähe
ihrer Stadt, von einer lebensgefährlichen Krankheit wieder
genesen war. 6. Municipal-Bürger sind also römische Bürger
aus den Municipal - Städten unter Beibehaltung ihrer eigenen
Gesetze und eigenen Rechtspflege (Verwaltung), die nur das
(eigenthümlicji politische) Ehrenvorrecht*) mit dem
römischen Volke gemein haben und den Namen Municipal-
Bürger überhaupt von der Verpflichtungsübernahme zu ge-
wissen Diensten (gegen Rom, a munere capessendo) scheinen
erhalten zu haben, ohne an anderweitige Verbindlichkeiten,
noch an irgend eine Verordnung des römischen Volkes ge-
fesselt zu sein, wenn, wie gesagt, das (betreffende) Volk
solcher Municipalstädte nicht (erst durch Abstimmung) Selbst-
Genehmiger (einer fremden Verordnung) geworden war (nisi
in [ali]quam [legem] populus eorum fundus**) factus est,
d. h. eine fremde Verordnung autorisirt und sich so vorher
freiwillig seines eignen Vorrechtes begeben hatte). 7. Wir
XVI, 13, 6. *) manus honorarium, Ehrenvorrecht, wie z. B.
dass sie wie alle andern römischen Bürger den römischen Legionen ein-
verleibt und nicht unter die Hülfsvölker, wie die Bundesgenossen (socii),
ausgehoben wurden. Cfr. GelL IV, 4, 3 NB.
XVI, 13, 6. **) fundus. Vergl. Gell. XIX, 8, 12; Paul. Diac.
S. 89; Cic. Balb. 8, 19. S. Lange röm. Alterth. § 143 S. 109.
22*
Digitized by Google
(340) XVI. Buch, 13. Cap., §7—9.
wissen nun aber bestimmt, dass die Caeriten zuerst als
solche Municipal- Bürger ohne Stimmberechtigung ernannt
worden sind, und ihnen gestattet wurde, dass sie zwar
die ehrenvolle Auszeichnung des römischen Bürgerrechts ge-
nossen, dabei aber von Staatsdienstverpflichtungen und Staats-
lasten frei blieben, dafür, dass sie im gallischen Kriege die
Heiligthümer (der Stadt Rom) bei sich aufgenommen und
(treu) bewahrt hatten. Umgekehrt (d. h. in entgegengesetzter
Bedeutung) wurden „tabulae Caerites" die Listen und
Verzeichnisse genannt, worein die Sittenrichter Diejenigen
eintragen liessen, welchen sie wegen übler Aufführung der
Beschimpfung halber die Stimmberechtigung entzogen. 8.
Bezüglich der Colonieen aber herrscht ein ganz anderes Ver-
hältniss; denn sie kommen nicht (als Fremde) von aussen in
den römischen Staat(skörper), noch können sie sich auf einen
eignen (besonderen) Ursprung berufen, sondern sie sind aus
dem römischen Staatskörper selbst (entwachsen und) gleichsam
weiter verpflanzt und also an alle Rechte und Einrichtungen
des römischen Volkes gebunden, nicht aber an ihre Eigen-
mächtigkeit (und Willkür). 9. Obgleich nun dieses Verh.ält-
niss (bezüglich der Colonieen) mehr abhängig und weniger
frei erscheint, muss es (im Grunde genommen) doch für
würdiger und ansehnlicher gehalten werden, in Beziehung auf
den Glanz und das Ansehen der Würde und Herrlichkeit des
römischen Volkes, wovon diese Colonieen (Pflanzstädte,
XVI, 13, 7. Caeriten, Einwohner der Stadt Caere in Etrurien
(dem jetzigen Grossherzogthum Toscana), früher Agylla genannt und von
den Pelasgern gegründet. — Als die Gallier Rom einnahmen und ver-
brannten, flüchteten (365 d. St.) die Priester und Vestalinnen, nebst dem
heiligen Feuer und sonstigem heiligen Geräthe nach Caere, wo sie freund-
lich aufgenommen wurden; ilafür gaben die Römer den Einwohnern das
römische Bürgerrecht, jedoch ohne das Stimmrecht in den Comitiis. Weil
diese also nur das Bürgerrecht, nicht aber das Stimmrecht hatten, sagte
man später: in tabulas Caerites referri dann, wenn ein römischer Bürger
zur Beschimpfung wegen Ungebührlichkeiten vom Censor als Strafe (nota)
des Stimmrechtes beraubt, folglich den Einwohnern von Caere gleich
gemacht und unter die Aerarier versetzt und degradirt wurde. S. Strabo
V, 2 p. 337; Liv. V, 50 u. VII, 20; vergl. Festus 233; anders Paul. 127.
XVI, 13, 8. S. Servius ad Verg. Aen. I, 12.
Digitized by Google
XVI. Buch, 13. Cap., § 9. — 14. Cap., § 1 — 3. (341)
Tochterstädte) gleichsam eine Art Abbild und Abriss*)
im Kleinen vorzustellen scheinen; desgleichen auch, weil die
eigentlichen Gerechtsamen der Municipalstädte so sehr in
unklare Ferne gertickt und schon so in Vergessenheit ge-
rathen sind, dass man nun schon nicht mehr (sich auf sie
berufen und) sie in Anwendung bringen kann, weil man von
ihnen gar nicht mehr einen rechten Begriff hat
XVI, 14, L. Behauptung des M. Cato, daas zwischen „properare8 und
„festinare" ein Unterschied stattfinde; ferner über des Verrius Flaccus
unpassende Erklärung von der Ableitung [hv/tov) des Wortes „festinare".
XVI, 14. Cap. 1. Es nimmt den Anschein, als hätten
die (beiden) Wörter „festinare" und „properare" ein und die-
selbe Bedeutung und könnten beide in einer und derselben
Beziehung (d. h. eins für das andere) gebraucht werden. 2.
Nach M. Cato's Meinung findet aber dabei ein (wesentlicher)
Unterschied statt und hat er beide Wörter auf folgende Weise
(streng) geschieden, — seine eignen Worte hier sind der
Rede entlehnt, welche er „über seine eignen Vorzüge (de suis
virtutibus)" gehalten hat — „Etwas Anderes ist „properare"
(eilen), etwas Anderes „festinare" (hasten). Wer Eins nach dem
Andern bei Zeiten (rasch, mature*)) erledigt, (is properat)
der eilt; wer Vieles zu gleicher Zeit beginnt und nicht
vollendet (is festin at**)), der hastet." 3. Verrius Flaccus,
in der Absicht den Grund dieses Unterschiedes anzugeben,
erklärt sich so: Der Ausdruck „festinare" ist von dem Worte
XVI, 13, 9. *) In den Coloniestädten wurden die Aemter fast
ganz wie in Rom bestellt. Doch hiessen ihre Senatsmitglieder Decuriones
und die, welche die Consuln vorstellten, Duumviri. Die übrigen Behörden,
z. B. Aedilen, Censoren u. s. w., führten dieselben Namen und hatten
dieselben Verrichtungen, wie dieselben Magistratspersonen in Rom selbst
XVI, 14, 2. *) üeber mature s. GelL X, 11, 2 NB.
XVI, 14, 2. **) Die Fortsetzung dieses catonischen Fragmentes lautet:
„Meine Art ist immer gewesen, Eins nach dem Andern, an was ich mich
einmal gemacht hatte, auch zu erledigen." S. Jord. fr. or. 11, 4; desgl.
inc 11. Vergl. Fest. 8. 234, Non. S. 441, 23. S. Fronto (? Arusianus
Messius) de different vocab. Dergleichen ethische Synonimik ist über-
haupt im Geschmack unseres Redners Cato, der es mit dem einzelnen
Worte ebenso scharf und ehrlich nimmt, wie mit Gesinnungen. Otto
Ribbeck. -
Digitized by Google
(342) XVI. Buch, 14. Cap., §3 — 5.-15. Cap. — 16. Cap., § 1.
„fari" hergenommen, weil sehr nachlässige (oberflächliche)
Menschen, die nichts zu Stande bringen, es stets (mehr) mit
Worten, als mit Thaten halten. 4. Aber diese Erklärung ist
offenbar doch wohl zu sehr gewagt und ungereimt und
kann der (einzige, tibereinstimmende) Anfangsbuchstabe in
den beiden Wörtern doch wahrhaftig nicht von so grossem
Einflüsse sein, dass dieses einzigen Buchstaben halber zwei
so ganz verschiedene Wörter, wie „festinare" und „fari", die
selbe Abstammung sollten haben können. 5. (Uns) schien es
bequemer und näher zu liegen, „festinare" in Beziehung zu
bringen mit „fessum esse" (ermattet sein), denn wer durch
Beschleunigung vieler (auf einmal übernommener) Dinge sich
abgemüdet hat (und abstrapazirt) , der eilt dann nun nicht,
sondern hastet.
XVI, 15, L. Welch komische schriftliche Bemerkung (uns) Theoplirast
über die Hebhühner und Theopompus über die Hasen hinterlassen hat.
XVI, 15. Cap. 1. Theophrastus, der gescheid teste unter
den Philosophen, behauptet, dass alle Rebhühner in Paphla-
gonien zwei Herzen haben und Theopompus, dass in Bisaltia
die Hasen eine doppelte Leber haben sollen.
XVI, 16, L. Dass der Name Agrippa von der fehlerhaften, schweren und
ungünstigen Geburt (des Kindes) abgeleitet sei; dann noch über die
Göttinnen, welche „Prorsa" und „Postverta" genannt werden.
XVI, 16. Cap. 1. Kinder, die bei ihrer Geburt nicht
(wie gewöhnlich) mit dem Kopf, sondern zuerst mit den
Füssen zur Welt kommen, — welche Entbindung für die
schwerste und schmerzlichste gehalten wird, — werden
„Agrippae" genannt, ein aus den beiden Begriffen der
Schmerzhaftigkeit (aegritudo) und Fuss (pes) zusammen-
XVI, 15, 1. S. Athenaeus IX p. 390, C; Aelians Thiergeschichten
V, 27; X, 35; XI, 40. Ueber diese Fabel von der Leber der Hasen 8.
Beckm. zu den Mirab. Ausc. c. 132, S. 271; Plin. H. N. 70, 1.
XVI, 16, L. Vergl. Gell. I, 21, 8 NB.
XVI, 16, 1. Agrippa entweder von «yp« und Xnnog, oder nach
Doederlein Synon. IV, 424 u. VI, 13 von Xnnovs dya'Qwv. S. Servius
Aen. 8, 682 cl. Quint. I, 4, 25; Plin. 7, 6 (8), 1. 45. S. Plin. H. N. VII,
6, 1 ; Nonius 556, 31.
Digitized by Google
XVI. Buch, 16. Cap., §2-4.-17. Cap., § 1. (343)
gesetztes Wort. 2. Varro giebt aber an, dass die Kinder im
Mutterleib zu unterst mit dem Kopf, die Füsse nach oben
gekehrt, liegen; nicht nach Menschenart, sondern gleich dem
(Aeussern des) Baumes nach. 3. Denn die Aeste bezeichnet
er als die Füsse und beim Baume den Wurzeluntergrund und
den Stamm nimmt er als den Kopf an. 4. „Wenn nun also
die Kinder, sagt er, gegen das Naturgesetz zufällig sich mit
den Füssen gewendet haben, werden sie durch die aus-
gespreizten Arme gewöhnlich zurückgehalten und die Frauen
gebären dann schwerer (und schmerzhafter). Um dieser
Gefahr (der Schwergeburten) durch Gebete vorzubeugen,
errichtete man zu Rom den beiden Heilgöttinnen (Carmentes)
Altäre, von denen die eine Göttin „Postverta", die andere
„Prorsa" genannt wurde, theils je nach Ansehung der Be-
schaffenheit und dem Namen von der (natürlich) richtigen
oder unrichtigen Lage des Kindes im Mutterleibe." (Die Ge-
bete geschahen auf Grund zur Erflehung einer richtigen und
natürlichen Entbindung oder für Abwendung einer unregel-
mässigen Geburt.)
XVI, 17, L. Ueber die Ableitung und Bedeutung des Wortes „Vaticanus"
ager (vaticanisches Gebiet).
XVI, 17. Cap. 1. Sowohl das vaticanische Gebiet (Vati-
canus ager), so wie der Schutzgott dieses Gebietes sollen
XVI, 16, 1. Carmentis (Carmenta) Name zweier altitalischer Nym-
phen (carmen und canere Weissagung und Orakelspruche in Versen und
Liedern gebend), am palatinischen Hügel verehrt, deren eine Postvorta
(post- vertere, von dem sich fort und fort drehenden Schicksalsrade, was
" immer Neues bringt, das personificirte Vorauswissen, hier) eine Geburts-
göttin, besonders von Weibern verehrt wegen Wendung (vertere) und zwar
„der verkehrten Geburt"; deren andere Prorsa (Prosa, Porrima oder
Antevorsa, Göttin der regelmässigen, mit dem Kopf voranfolgenden Ge-
burten (pro -versus gerade ausgekehrt), daher wahrscheinlich Prosa, Rede,
die gerade schlicht vor sich hingeht. Carmentis s. Liv. I, 7, 8; V, 47, 2;
Verg. Aen. 8, 336 Serv. Ov. Fast. I, 499; H, 201; VI, 529; Hygin. Fab.
277; Solin. 1. — Postvorta s. Ovid. Fast. I, 635. — Plutarch. römische
Forschungen 56 (58), Carmenta von carens mente, die in der Verzückung
ihren Verstand verlor.
XVI, 17, L. Ager Vaticanus, das Gebiet in der Umgebung des
Vaticans, berüchtigt durch schlechten Boden, der daher auch schlechten
Wein erzeugte.
(344) XVI. Buch, 17. Cap., § 1. 2. — 18. Cap., § 1.
ihren Namen erhalten haben von den Weissagungen, welche
durch die Macht und Eingebung dieser Gottheit auf besagtem
Gebiete gegeben zu werden pflegten. 2. Aber ausser diesem
Grund giebt M. Varro in seinen Büchern „über Vorgänge in
göttlichen Dingen (Religionsangelegenheiten, in libris divi-
narum)" auch noch eine andere Ableitung dieses Wortes an.
Da sagt er: „Denn so wie Aius (die personificirte Warnungs-
stimme) als Namen einer Gottheit galt, und ihr (als solcher)
ein Altar errichtet wurde, welcher sich am Ende der neuen
Strasse befindet, weil daselbst die Stimme auf göttliche Ein-
gebung hin erklungen war: so heisst auch der Gott Vaticanus,
der ja über den ersten menschlichen (Lebens-) Laut gebietet,
weil Neugeborne die erste Silbe in dem Worte Vaticanus
(nämlich das einsilbige ua) als ihren ersten Lebenslaut ver-
nehmen lassen; deshalb braucht man das Wort „vagire"
(gleichsam uagire, ohngefähr wie unser deutsches: quäcken),
weil das Wort den Klanglaut eines (kleinen) Neugebornen
deutlich ausdrückt."
XVI, 18, L. Einige allerliebste, erwähnungswerthe und lehrreiche Be-
merkungen über den Theil der Geometrie, welcher Optik (Lehre vom
Sehen) genannt wird, dann einige andere über Klangtheorie K lang verbal t-
niss , Harmonik) und ebenso endlich über den dritten Theil , Metrik
(Rhythmik, Zeitmass).
XVI, 18. Cap. 1. Ein gewisser Theil der Geometrie
wird Optik (die Lehre vom Sehen) genannt, ein zweiter
bezieht sich auf das Gehör und wird Theorie des Klanges
genannt (xßvonxt^), die den Musikern gleichsam die
XVI, 17, 1. Der deus Vaticanus soll seinen Namen haben von
vagire (quacken, wimmern), dem ersten Kinderlaut (daher Vagitanus, s.
Preller röm. Myth, 8. 578 A. 4.) Mercklin 670.
XVI, 17, 2. Aius (Loquens oder Aius Locutius von aio oder loquor),
der ansagende Sprecher, d. h. die Stimme, welche die Römer vor der
Ankunft der Gallier warnte und anfangs nicht beachtet, dann aber, als
sich die Warnung bewährt hatte, als Gottheit in einem besonderen Tempel
verehrt wurde. Cic. div. I, 45, 101; II, 32, 69; Liv. V, 50, 5; cfr.
Hildebr. I no. 28. Augustin. de civit Dei IV, 8, 11. Plutarch: über das
Glück der Römer 5. ■
XVI, 18, 1. Optik wird derjenige Theil von der Lehre des Lichtes
und des Sehens genannt, welcher mathematischer Bestimmung fanig ist
Digitized by Google
XVL Buch, 18. Cap., § 1—6. (345)
Grundlage und Richtschnur in ihrem Kunstzweig dient. 2.
Jede von diesen beiden beruht, (die Optik) auf den Be-
stimmungen des Raumes und der Zielsentfernungen , (die
theoretische Musik, xavowxi?) in dem Verhältniss der Rhyth-
mik und Harmonie. 3. Die Optik lässt uns vieles Wunder-
bare erscheinen, z. B. dass in einem Spiegel ein Gegenstand
mehrmals vervielfältigt erscheint; ebenso, dass ein Spiegel in
eine gewisse Stellung gebracht nichts abbildet (wiedergiebt)
und wieder anders aufgestellt, die Gegenstände wiedergiebt;
wie auch, wenn Du senkrecht von oben in den Spiegel siehst,
Dein eignes Bild Dir so erscheint, dass der Kopf unten ist,
die Füsse nach oben gehen. Diese Wissenschaft giebt die
Gründe an, worauf die Augentäuschungen beruhen, dass Ge-
genstände, die man im Wasser erblickt, in unsern Augen uns
grösser vorkommen, und dass sie unserem Auge entfernter
und kleiner erscheinen. 4. Die theoretische Musik (%avoviy.rj)
beschäftigt sich mit den Massverhältnissen der Tonlängen und
der Tonentfernungen (Intervalle). Die gehörige und bestimmte
Dauer eines Tones heisst Tonmass (jvdyiog, Takt, Metrik);
das Verhältniss der (höher oder tiefer gelegenen) Töne zu
einander heisst Melodie (ßilog, Tonart, Harmonie). 5. Es
giebt auch noch eine andere Art von Klangverhältniss, welche
sich allein auf das Zeitmass bezieht und Metrik (ßetQixr},
Silbenmass) genannt wird, die dazu dient, dass man die (ge-
hörige) Zusammenfügung der langen und kurzen und mittel-
zeitigen Silben und das mit den Regeln der Geometrie über-
einstimmende Versmass mit Beihilfe des Gehörs genau abwägt.
6. „Allein diese Kenntnisse, fugt M. Varro hinzu, eignen wir
uns entweder überhaupt gar nie an, oder wir werfen sie eher
und einen Haupttheil der angewandten Mathematik ausmacht Kavovixj
sc. ttxvq sc. &ttüQ(a (ratio) ist derjenige Theil der theoretischen Musik,
der das Verhältniss der Töne zu einander festsetzt, also die Töne auf
der Tonleiter nach den verschiedenen aQfiov(tus abmisst und begreift
Harmonik, Rhythmik, Metrik. S. F. Bitsehl „Die Schriftstellern des M.
Terentiu8 Varro" p. 504; Vitruv. I, l;.vergl. Teuffels Gesch. der röm.
Lit. 164, 6, \
XVI, 18, 4. Die Stimme, gleichwie die poetische Rede, muss an und
für sich sowohl Rhythmus (modulatio) als auch Melos (sonus und canor)
haben.
Digitized by Google
(346) XVI. Buch, 18. Cap., § 6. - 19. Cap., § 1—8.
noch bei Seite, bevor wir eingesehen haben, warum wir sie
uns eigentlich aneignen sollen. Das Vergnügen, fährt er fort,
oder die Nützlichkeit solcher Kenntnisse, tritt (erst) in seinen
Folgen zu Tage, wenn man sie (theoretisch) vollständig inne
hat und ihrer Meister geworden ist, in ihren Anfängen aber
kommt ihr Erlernen uns albern und unangenehm vor."
XVI, 19, L. Eine aus dem (ersten) Buche llerodots entlehnte (märchen-
haft klingende) Geschichte über den Saitcnspieler Arion.
XVI, 19. Cap. 1. Herodot hat (uns im 1. Buche, cap. 23 ff.)
durch eine sehr wirksame und fesselnde Darstellung und
durch eine geschmackvolle und ungekünstelte Behandlungs-
weise im Ausdruck eine abenteuerliche Geschichte über den
berühmten Saitenspieler Arion mitgetheilt. 2. Dieser Arion
war in alten Zeiten (vetus) ein höchst berühmter Saiten-
spieler. 3. Seinem engeren Geburtsorte nach war er Me-
thymnaeer, seinem grösseren Vaterlande und der ganzen Insel
nach Lesbier. 4. Periander, der König von Korinth, hielt
diesen Arion seiner Kunstfertigkeit halber als Freund und
Liebling (hoch in Ehren). 5. Einst entfernte er sich jedoch
von da vom König weg, die berühmten (herrlichen) Litnder
Sicilien und Italien zu bereisen. 6. Als er dorthin kam, nahm
er in den Städten dieser beiden Länder Ohren und Herzen
Aller für sich ein und erwarb sich daselbst grosse Summen,
lebte in lauter Lust und Wonne und wurde von allen Leuten
geliebt. 7. Endlich bereichert mit grossen Geldsummen und
vielen Werthsachen (kostbaren Angedenken) beschloss er,
(schliesslich wieder) nach Korinth zurückzukehren. 8. Er
suchte sich also ein korinthisches Schiff mit korinthischer
Bemannung (für seine Rückreise) aus, weil die Korinther als
XVI, 19, 1. S. Hygin. Fab. 194; Servius ad Verg. Ecl. 8, 55; Soli-
nus, 12; Plutarch: Das Gastmahl der siehen Weisen 18.
XVI, 19, 3. Leßbos, Insel im agäischen Meere, war Geburtsort des
Pittacus, Alcaeus, Theophrastus, Arion und der Sappho.
XVI, 19, 4. Periander, Herrscher von Corinth, im 7. Jahrb. v. Chr.,
einer der sieben Weisen Griechenlands, ermordete im Jähzorn seine Gattin
Melissa und übte dann gegen seine ünterthanen grosse Bedrückungen aus.
Uebrigens beförderte er Handel, Schiffahrt, Künste und Wissenschaften.
Vergl. Herodot. I, 23; III, 48ft; V, 94 ff.
Digitized by Google
XVI. Buch, 19. Cap., § 8 — 16. (347)
seine Landsleute ihm bekannter und befreundeter waren.
9. Er befand sich bereits (auch schon mit Hab und Gut) auf
dem Schiffe, und dieses lief schon auf hoher See, da habe
(heisst es) die Schiffsmannschaft, getrieben von Raub- und
Geldgier, den Entschluss gefasst, den Arion ums Leben zu
bringen. 10. Als dieser nun seinen Untergang vor Augen
sah, da habe er dann all sein Geld und alles Uebrige (von
Werth) ihnen gegeben, damit sie's behalten sollten, und sie
gebeten, dass sie nur sein Leben schonen möchten. 11. Die
Schiffer hätten (darauf allerdings) insofern mit seinen Bitten
Mitleid gehabt, dass sie sich enthielten, ihm mit Gewalt eigen-
händig den Tod zu geben, hätten aber (nichtsdestoweniger)
verlangt, dass er sich nun sofort vor ihren Augen hinunter
ins Meer stürzen solle. 12. Der Unglückliche, so heisst es
weiter, gab nun in der Bestürzung alle Lebenshoffnung auf
und erbat sich hierauf schliesslich nur noch dies Eine, dass
sie ihm, bevor er in den Tod ginge, gestatten möchten, seine
(besten) Kleider sich anlegen, sein Saitenspiel zur Hand
nehmen und (erst noch) ein Trostlied seines Unterganges
singen zu dürfen. 13. Die wilden und unmenschlichen Schiffer
wandelt nun doch selbst die Lust an, ihn (noch einmal) zu
hören; seine Bitte wird ihm gewährt. 14. Bald darauf (er-
scheint er) nach seiner Gewohnheit bekränzt, angekleidet,
geschmückt, stellt sich auf dem Platze des äussersten Schiffs-
hintertheils auf und stimmt mit erhobenster, durchdringender
Stimme sein Lied an, sein (carmen i. e. vopov oq&iov, er-
habenes, rührendes) hohes Lied an, wie man sagt. 15. Am
Schluss seines Gesanges stürzte er sich mit seiner Leier und
seinem ganzen (angelegten Kleider-) Schmuck , wie er stand
und sang, hinab in die Tiefe. Die Schiffer waren durchaus
nicht im Zweifel, dass er umgekommen sein müsse, und ver-
folgten (ruhig) ihre Fahrt weiter, die sie eingeschlagen hatten.
16. Aber ein unverhoffter, wunderbarer, günstiger Umstand
XVI, 19, 14. Carmen orthium = vofxog oyd-tof, ein Rettungslied
zur Entfernung des Unglücks, Plut. sept. sap. conv. 18 p. 161 C; über
die Musik cap. 9. Eigentlich war dieser vofxog oQd-tog, eine Art von
Kriegsmusik, . mit hervortretendem, lebhaftem (Marsch-) Rhythmus , in
früherer Zeit, ohne Gesang, auf der Flöte (Clarinette) gespielt.
Digitized by Google
(348)
XVL Buch, 19. Cap., § 16—23.
trug sich zu. Ein Delphin schwamm plötzlich unter dem
Wasser herbei, legte sich unter den von den Wellen ge-
tragenen Unglücklichen und trug ihn auf seinem über die
Fluthen hinausragenden Rücken weiter und brachte ihn kör-
perlich wohlbehalten und im vollen Schmuck nach Taenarus
ins laconische (lacedämonische) Gebiet. 17. Darauf liabe
sich Arion von da geraden Weges nach Korinth begeben und
sei gerade so (in dem Anznge), in dem er von dem Delphin
ans Land gebracht worden war, wider Vermuthen vor den
König Periander erschienen und habe ihm die ganze Be-
gebenheit umständlich erzählt. 18. Der König habe aber der
Erzählung wenig Glauben geschenkt und 19. den Arion wie
einen Betrüger und Lügner in Gewahrsam setzen lassen, habe
aber trotzdem die Schiffer ausfindig machen und sie dann
unvermerkt, während Arion in der Nähe sich versteckt hielt,
ausfragen lassen, ob sie wohl an den Orten, woher sie jetzt
kämen, etwas über den Arion gehört hätten? 20. Diese
hätten nun angegeben, dass, als sie von dort weggereist
wären, er sich gerade in Italien aufgehalten habe, dass es
ihm dort ausserordentlich wohl ergehe und er durch die Zu-
neigung und den Enthusiasmus der Städte auf der Höhe
seines Glückes stehe und durch seine grosse Beliebtheit, wie
durch seine grossen Geldeinnahmen wohlhabend und glücklich
sei. 21. Während dieser ihrer (falschen) Aussagen sei Arion
(plötzlich) mit seiner Zither und in demselben Anzüge,
womit er sich in das weite (sturmbewegte) Meer hinaus-
gestürzt hatte, (aus seinem Versteck) hervorgetreten; 22. die
Schiffer, erstaunt und überführt, hätten nun (ihre abscheuliche,
schändliche) That nicht mehr leugnen können. 23. Dieses
(merkwürdige) Abenteuer erzählten die Lesbier, wie die Ko-
rinther und es diene als Beweis für (die Wahrheit) dieses
Märchens, dass (noch jetzt) bei (dem laconischen Vorgebirge)
Taenarus zwei eherne Figuren zu sehen wären, der schwim-
mende Delphin mit dem auf seinem Rücken sitzenden Men-
schen (dargestellt).
XVI, 19, 23. S. Solinus 7.
Digitized by
XVII. BUCH.
XVII, 1, L. Ausgesprochener Tadel des Gallas Asinius und des
Largius Licinns über einen Gedanken aus Cicero's Rede, welche er für
M. Caelius gehalten hat, und was vernünftiger und entsprechender Weise
sich gegen diese ganz albernen Menschen zur Vertheidigung des Gedankens
erwidern lasse.
XVII, 1. Cap. 1. So wie es lebende Geschöpfe gab,
Ungeheuer von Menschen, welche über die unsterblichen
Götter gottlose und betrügerische Ansichten verbreiteten, so
gab es auch einige so ungeheuerliche und so frevelhafte
(Subjecte) Personen, — unter diese gehören auch Gallus
Asinius und Largius Licinus, Verfasser des Buches mit der
bekannten, abscheulichen Aufschrift: „Cicerogeissel (Cicero-
mastix)", — Personen, die sich mit dem schriftlichen Urtheil
hervorwagten, dass Cicero (bisweilen) sehr sprachunrichtig
und unpassend und unüberlegt sich ausgedrückt habe. 2. Nun
sind zwar (diese und) andere ihrer Vorwürfe weder des Er-
wähnens, noch Anhörens werth, 3. indess wohlan, so lasst
uns doch einmal eine Betrachtung bei einer Stelle an-
knüpfen, wobei sich vor Allem diese Wortklauber selbst als
XVII, 1, L. Asinius Gallus, der Sohn des C. Asinius Pollio
(vergl. Gell. I, 22, 19), besass zwar nicht die Eigenschaften seines Vaters,
aber grosse Freimüthigkeit, wodurch er den Tiberius, dessen erste Gattin
Vipsania er heirathete, sehr beleidigte, weshalb er mehrere Jahre in Ge-
fangenschaft gehalten wurde, bis er (33) den Hungertod starb. Nach
Sueton (Claud. 41) verglich er in einer seiner Schriften seinen Vater mit
Cicero, zu Ungunsten des Letzteren. Er erbte gleichsam von seinem
Vater die Antipathie gegen Cicero. Auch die Manier des Sallust missfiel
ihm. Vergl. Gell. X, 26, 1 und Suet. ill. Gr. 10; desgl. Beruh, r. L. 46,
182 u. 117, 550 und Teuffels Gesch. der röm. Lit. 271, 8.
Digitized by Google
(350) XVH. Buch, 1. Cap., §4—8.
ganz überpfiffig vorgekommen sind. 4. Cicero in seiner Rede
für den M. Caelius (3, 6) schreibt so: „Denn was (dem M.
Caelius Rufus) in Bezug auf seine Keuschheit vorgeworfen
und was von allen den Anklägern nicht in der Form von
Beschuldigungsgründen, sondern (ihm nur) durch Ausrufungen
und durch Scheltworte offen vorgerückt wurde, das wird M.
Caelius niemals so schmerzlich empfinden, dass er bereuen
(d. h. sich darüber beklagen) sollte, nicht missgestaltet ge-
boren zu sein." 5. Denn nach ihrer Meinung hat sich Cicero
in dem hier von ihm gebrauchten Worte: paeniteat (dass er
bereuen sollte) nicht des richtigen Ausdrucks bedient, und
stehe, wie sie behaupten, derselbe hier geradezu unpassend.
6. Denn das Wort „paenitere", bemerken sie weiter, pflege
man nur dann zu sagen, wenn unsere eigenen Handlungen,
oder das, was nach unserem Willen und auf unser Anrathen
geschah, uns anfängt zu missfallen und wir darüber unsere
Meinung ändern; 7. Niemand aber rede richtig, der sich so
ausdrücke: „(paenitere) dass er bereue, dass er sich hätte
geboren werden lassen; oder bereue, dass er sterblich sei;
oder dass er durch eine zufällige Beschädigung oder Ver-
wundung an seinem Körper Schmerz empfinde." weil der-
gleichen Dinge nicht in unserem Willen, noch in unserer freien
Wahl liegen; sondern (Alles) dies wider unseren Willen und
durch die unabänderliche Macht (und Nothwendigkeit) der
Natur(-Gesetze) uns widerfährt: 8. so wie es doch wahrlich
auch, sagen sie weiter, nicht vom M. Caelius abhing, sich bei
seiner Geburt eine beliebige Gestalt zu verleihen, von der
XVIT, 1, 5. Der Vorwurf des Asinius und Licinus ist pedantisch,
da die besten Schriftsteller die Bedeutung des Wortes paenitere weiter
ausgedehnt haben. Cicero hat zur grösseren Hervorhebung seiner Scherz-
rede gerade absichtlich jenen Ausdruck gebraucht: ut eum paeniteat, non
deformen esse natum, d. h. dass es ihn (gleichsam) gereue (er sich über
sich beklage), nicht hasslich geboren zu sein. Der junge L. Sempronius
Atratinus hatte nämlich, wie Curiua Fortunatinus S. 92 Capperon. be-
richtet, den M. Caelius Rufus den schönen Jason (pulchellum Jasonem)
genannt, worauf Cicero (pro Cael. 8, 18) sodann die Clodia (die aus-
schweifende Schwester des P. Clodius, mit welcher L. Sempronius Atra-
tinus längere Zeit verbotenen Umgang gepflogen hatte), welche also selbst
nicht rein dastand und die Klage angestiftet hatte, die palatinische Medea
nannte.
____
Digitized by Google
XVII. Buch, 1. Cap., §8 — 11.
(351)
Cicero sagt, dass sie dem Caelius nicht gereue (sc. sich ge-
geben zu haben), als ob in diesem Umstände die Ursache zu
suchen sei, dass er Grund hätte, dies zu bereuen. 9. Dies
ist nach ihrer Behauptung der Sinn dieses Wortes und „pae-
nitere" wird (nach ihrer Meinung stets) unrichtig bei Dingen
verwendet, (wenn sie nicht in unserer Gewalt stehen) wenn
sie nicht von unserem freien Willen abhängen, obgleich ältere
Schriftsteller den Gebrauch dieses Wortes mit einer gewissen
Nuance der Rede weiter ausgedehnt und „paenitet" in dem
Sinne gesagt haben, wie von paene (beinahe) und von pae-
nuria (Mangel); allein dies gehört wo anders hin und soll
anderwärts besprochen werden. 10. Nun aber bei Erwägung
der allerwärts gebräuchlichen und bekannten Bedeutung (von
paenitere) enthält der von Cicero ausgesprochene Gedanke
nicht allein durchaus nichts Unpassendes, sondern ist sogar
höchst launig und scherzhaft (gebraucht). 11. Denn da die
Gegner und Widersacher des M. Caelius, weil er sich durch
körperliche Schönheit auszeichnete, seine Gestalt und sein
Aeusseres zu schamloser Verdächtigung mit aller Gewalt
herbeizogen, so benutzt Cicero dies als feine Anspielung auf
einen so abgeschmackten Beschuldigungsgrund, weil sie ihm
(was doch nicht von ihm selbst abhing) seine ihm von der
Natur zuertheilte (schöne) Gestalt zum Vorwurf machten, und
bedient sich (auf eine witzige Art) mit höhnischer Anspielung
dieses lächerlichen, falschen Grundes und sagt mit vollem
Bewusstsein: „non paenitet, d. h. nicht bereut es Caelius,
sich nicht missgestaltet haben geboren werden zu lassen",
um gerade in diesem Punkte, weil er sich so ausdrückte,
den Anklägern durch diesen ungerechtfertigten Vorwurf einen
Hieb zu versetzen und ihnen auf scherzhafte Weise deutlich
verstehen zu geben, dass sie ganz lächerlich handelten,
wenn sie gerade so dem Caelius sein Aussehen zum Vorwurf
machen wollten, gleich als ob es in seinem freien Willen
gestanden hätte, sich bei seiner Geburt seine Gestalt selbst
zu wählen.
XVII, 1, 9. S. Paul. S. 222 paenuria est id, quod paene minus sit,
quam necesse est.
Digitized by Google
(352) XVU. Buch, 2. Cap., § 1—5.
X VTU, 2, L. Einige bei der Lectiire eilends angemerkte Ausdrücke aus
des Q. Claudius (Quadrigarius) erstem Buche seiner Jahrbücher.
XVII, 2 Cap. 1. Wenn ich das Werk eines alten Schrift-
stellers las, war ich stets bemüht, um hernach mein Ge-
dächtniss zu stärken und anzuregen, (geistig) zu behalten
und zu erwägen, was (Alles) etwa in dem Buche geschrieben
stand, was in Bezug auf die zwei Beurtheilungsmöglichkeiten,
des Lobes oder des Tadels, bemerkenswerth erschien. Und
wahrlich, es war dies eine recht nützliche (Gedächtniss-)
Uebung, um nöthigenfalls durch Rückerinnerungen (und aber-
malige geistige Vergegenwärtigung) mir geschmackvolle Aus-
drücke wie Gedanken anzueignen. 2. So wie ich mir folgende
Stelle aus des Q. Claudius (Quadrigarius) erstem Buche seiner
„Annalen", wie ich mich erinnern konnte, wörtlich an-
gemerkt hatte. Ich las das Buch nämlich vor den letzt-
vergangenen zwei Tagen. 3. Da steht: „Die Meisten werfen
die Waffen weg und verbergen sich wehrlos im Schlupfwinkel
(illatrebant sese).w Der Ausdruck „illatrebant" schien (mir)
dichterisch (gewählt), aber durchaus nicht ungeschickt noch
rauh. 4. Dann heisst es weiter: „Die Lateiner, während dies
geschieht, auf ihren Muth sich verlassend (subnixo animo)."
Das Wort (subnixo) ist ein ganz bezeichnender und durchaus
nicht zufälliger Ausdruck, gleichsam für (sublimi) hoch-
erhabenen und hochaufgerichteten (festgestützten) Muth (supra
nixo), und bezeichnet die Erhabenheit des Muthes und die
(eigene) Vertrauensstärke, weil wir durch das, worauf wir
uns stützen, uns gleichsam (hoch) aufrichten und erheben.
5. Dann lautete eine Stelle: „Er befahl Jedem in seine Woh-
nung zu gehen und all das Seine zu gemessen (frunisci)."
Der Ausdruck „frunisci" (geniessen) war zwar schon zur Zeit
des M. Tullius (Cicero) ziemlich selten, später aber ganz
ausserordentlich selten, und von denen, die in der alten
XVII, 2, 1. Im Fall man hier die gewaltige Gedächtnisskraft des
Gellius in Zweifel ziehen, oder seine Anführungen aus der Erinnerung
Lügen strafen wollte, wendet Mercklin p. 687 dagegen ein, dass die mne-
monischen Leistungen des Alterthums nicht mit modernem Massstabe ge-
messen werden dürfen.
1
XVII. Buch, 2. Cap., §5—10. (353)
Literatur nicht bewandert waren, wurde ganz bezweifelt, ob
„frunisci" (überhaupt) ein gut lateinischer Ausdruck sei. b\
Das Wort „frunisci" ist aber nicht nur ein richtiges lateinisches
Wort, sondern sogar noch ein viel angenehmeres und lieblicheres
als (das einfache, gewöhnliche) „fruor", und wie „fatiscor" von
fateor (bekenne) abgeleitet wurde, so „fruniscor" von fruor.
7. Q. Metellus Numidicus, dessen lateinischer Stil doch für
tadellos und fleckenrein gilt, hat in seinem Briefe, welchen er
als Verbannter an Domitius schickte, also geschrieben: „Jene
sind alles Rechts und aller Ehre verlustig, ich entbehre weder
Wasser noch Feuer (wo ich mich jetzt befinde) und geniesse
(fruniscor) sogar noch den höchsten Ruhm." 8. Novius be-
dient sich dieses Wortes in seiner Atellanen - Posse , welche
„Parcus (der Knicker)" überschrieben ist, also:
Quod magno opere quaesiverunt, id frunisci non queunt.
Qui non parsit apud se, fhmitust, d. h.
Was sie mühsam zusammenscharrten, das können nicht gemessen sie.
Wer sich nichts zurückgelegt, hat genossen (das ird'sche Glück).
9. So sagt Claudius Quadrigarius noch : „Und die Römer ver-
sahen sich reichlich (copiantur) mit Waffen, mit grosser Zu-
fuhr und ungeheurer Beute." Das hier gebrauchte Wort
„sich reichlich versehen (copiari)" ist nur ein Lagerausdruck
und es dürfte schwer halten, ihn bei Römern zu finden, die
Privatsachen verhandeln, und hat man dieses Wort den ähn-
lichen Wortformen nachgebildet, wie „lignari" (Holz holen),
- „pabulari" (Lebensmittel und Futter auch für's Vieh versorgen,
endlich auch „aquari" (Wasser herbeischaffen). 10. Ferner seine
Ausdrucksweise: „sole occaso" (nach Sonnenuntergang) ist nicht
ohne lieblichen Reiz, wenn Einer kein niedriges und gemeines
Gehörorgan (d. h. Klanggefühl) hat. In den Zwölftafelgesetzen,
wo sich dieser Ausdruck geschrieben findet, heisst es: „Vor
Mittag soll man die Sache untersuchen , während die beiden
XVII, 2, 7. Q. Metellus Numidicus wollte lieber in die Ver-
bannung gehen, als auf das Gesetz des Volkstribuns C. Manlius Saturninus
(wegen Ackervertheilung) eingehen und schwören; vergl. Gell. VII (VI), 11, 3.
XVII, 2, 8. Novius (Naevius) vergl. Gell. I, 24, 1 und XV, 13, 4.
XVII, 2, 10. S. W. Rein in Paulis Real-Encyclop. Bd. II p. 228.—
Gerichtsverhandlungen wurden mit Sonnenuntergang geschlossen. Auct
ad Herenn. II, 13, 20; Priscian X, 5, 32; Festus 305, 28 M.
Gellius. Aitifche Richte. II. 23
Digitized by Google
(354) XVII. Buch, 2. Oap., § 10—14.
anwesenden Parteien sich auslassen (gegen einander). Nach
Mittag soll man der gegenwärtigen Partei den Prozess zu-
sprechen (d. h. im Fall die andere Partei nicht erschienen
sein sollte). Wenn beide Parteien (ambo i. e. actor et reus) zu-
gegen sind, sei der Sonnenuntergang (sol occasus) die äusserste
Frist der Verhandlung." 11. So sagt Claudius ferner noch:
„Wir wollen (es) unentschieden lassen (in medium relinquemus)".
Der gewöhnliche, ungebildete Mann sagt hier „in medio",
denn er hält das Andere für einen Fehler und glaubt, wenn
man die Redensart braucht : „in medium ponere1' (öffentlich aus-
stellen), sei dies auch eine unrichtige Wortverbindung, allein
jeder, der diese Worte genau betrachtet, wird diese Redensart
ganz bezeichnend und richtig finden, wie es ja auch kein
Fehler ist, auf Griechisch zu sagen: &eivai dg /Atoov (vor
Augen führen). 12. Weiter stand da: „Nachdem gemeldet
worden, dass man gegen die Gallier (in Gallos) gefochten,
brachte diese Nachricht die Bürgerschaft in heftige Auf-
regung." Gegen die Gallier durch „in Gallos" ist netter und
feiner ausgedrückt, als mit den Galliern (cum Gallis) oder
contra Gallos. Denn diese (beiden Wortverbindungen) sind
schwerfälliger und gewöhnlicher. 13. Ferner heisst es dort:
„Zugleich an Gestalt, Tapferkeit, Beredtsamkeit , Ansehen,
gleichwie an Energie und Selbstvertrauen zeichnete er sich
aus, dass leicht zu ersehen war, er besitze durch sich und
in sich ein bedeutendes Förderungsmittel (magnum viaticum,
d. h. alle die nöthigen Eigenschaften) zur Umwälzung des
Staates." „Magnum viaticum4' ist ein neu gebrauchter Aus-
druck für „magna facultas" (bedeutende Mittel), oder „paratus
magnus" (grosse Ausrüstung) und er scheint hierbei dem Bei-
spiel der Griechen gefolgt zu sein, welche „icpodtov" von der
ursprünglichen Bedeutung: „Reisebedarf" auch auf irgend
einen Vorrath in anderer Beziehung übertrugen (und ver-
wendeten) und oft den Ausdruck eq>oöiaaov für das sagen,
was man sonst ausdrückte durch „institue" (richte Dich ein)
und „instrue", (rüste Dich aus, versorge oder versichere Dich).
14. Dazu kommt auch noch eine (andere) Stelle des Claudius
Quadrigarius : „Denn M. Manlius, von dem ich bereits früher
XVII, 2, 14. M. Manlius 8. Gell. XVII, 21, 24; Liv. V, 47.
Digitized by Goo(
XVII. Buch, 2. Cap., § 14-17. (355)
gezeigt habe, dass er das Capitol vor dem Ueberfall der Gallier
errettet hatte und dessen vorzüglich (cumprime) tapfere
und siegbringende Dienstleistung im Vereine mit dem Dictator
M. Furius vor dem gallischen Feinde die Republik (deutlich)
kennen gelernt hat (389), dieser M. Manlius stand an Ab-
stammung, Ansehen, Tapferkeit im Krieg Keinem nach." Der
Ausdruck „adprime" (vorzüglich, besondere) ist häufiger, aber
„cumprime" seltener; das Wort ist von cumprimis abgeleitet
und steht für in primis (unter den Ersten und Vorzüglichsten,
dann adverbialiter gesagt: vorzüglich, besonders). 15. Ferner
steht da: „Dass er keine Reichthümer nöthig habe (divitias
opus esse)", also der Accusativ anstatt des Ablativs, wo wir
divitiis (opus esse) sagen würden. Aber das ist kein Sprach-
fehler, nicht einmal, wie man sonst zu sagen pflegt, eine be-
sondere (von der gewöhnlichen abweichende) Ausdrucksweise ;
denn es ist dies die gewöhnliche (einfache) Redeweise und die
Alten haben sich ihrer ziemlich oft bedient und (deshalb)
kann kein (besonderer) Grund (dafür) angegeben werden,
warum, den Ablativ zu gebrauchen und „divitiis opus esse"
zu sagen, richtiger sein sollte, als den Accusativ „divitias";
man müsste denn die neuen (aufgestellten) Grundsätze der
(jetzigen) Grammatiker für (unfehlbare) Orakelsprüche (re^ue-
v(ov tega) halten. 16. So findet sich auch folgende Stelle:
„Denn dies ist und bleibt doch im höchsten Grade eine Un-
gerechtigkeit von den Göttern, dass die Schlechteren (oft)
unbehelligter bleiben (von den Schicksalsschlägen, sich meist
einer dauernderen Gesundheit und eines höheren Alters er-
freuen) und dass sie (diese Allmächtigen) gerade immer die
besten Menschen nicht lange unter uns leben lassen (diur-
nare)." Ungewöhnlich ist hier der Ausdruck „diurnare" (lange
leben) für „diu vivere", aber das Wort ist nach derselben Wort-
form (gebildet), wonach wir sagen: „perennare" (viele Jahre
dauern). 17. Weiter heisst es: „Mit ihnen unterhielt er sich
(consermonabatur)." Bäurischer ist der Ausdruck „sermonari",
aber richtiger (als consermonari), gebräuchlicher hingegen ist
XVII, 2, 14. adprime s. Gell. VI (VII), 7, 7 und über M. Manlius
vergl. Gell. XVII, 21, 24 und Plutarch vom „Glück der Römer" cap. 12.
XVII, 2,19. Sanctitudo fani. Ueber fanum s. Gell. XIV, 7, 7 NB.
23*
Digitized by Google
(356)
XTO. Buch, 2. Cap., § 18—24.
„sermocinari", aber nicht so sprachrein. 18. Ferner: „Dass er
nun auch nicht das (einmal) thun wolle, wozu er damals rieth."
Hier sagt er „ne id quoqueu für „ne id quidem" (quoque),
was zwar nicht sehr häufig im gewöhnlichen Gespräch, aber
in den Schriften der Alten ungemein oft vorkommt. 19.
Ferner: „Die Heiligkeit (sanctitudo) des Tempels wird so
hoch gehalten, dass nie einer gewagt hat, sie zu verletzen."
Die andern Ausdrücke „sanctitas" und „sanctimoniau sind nicht
weniger gut lateinisch, aber ich weiss nicht, warum gerade
das Wort „sanctitudo" mir (trotzdem) würdevoller vorkommt.
20. Gerade so, wie M. Cato gegen L. Veturius den Ausdruck
„duritudo" (harte Unempfindlichkeit) für gewaltiger fand, als
wie „durities", denn seine Worte lauten: „Wer jenes (Menschen)
Schamlosigkeit kennt und seine Hartherzigkeit (duritudinem)."
21. Erwähnenswerth ist auch noch eine (andere) Stelle bei
diesem Claudius Quadrigarius : „Da die Samniter vom römi-
schen Volke ein so bedeutendes Unterpfand (arrabonem) in
den Händen hatten." Unter dem Ausdruck „arrabo'' (Angeld,
afäaßojv) versteht er 600 Geissein, und er bediente sich lieber
dieses Ausdrucks, als des gewöhnlichen „pignus", weil die
Wirkung dieses Wortes in dem Gedanken eine nachdrücklichere
und verschärftere ist. Jetzt rechnet man gewöhnlich das
Wort „arrabo" unter die niedrigen Ausdrücke. Aber noch für
viel (gewöhnlicher und) niedriger scheint der Ausdruck: „arra"
(Unterpfand, Angeld) zu gelten, obwohl den Ausdruck „arra"
die Alten auch oft gebrauchten und sehr oft (besonders)
Laberius. 22. Weiter steht geschrieben: „Sie haben die
elendesten Wegstrecken (vias) bereits zurückgelegt." Dann:
23. „Dieser Possendarsteller hat sich durch Müssiggangs-
angewöhnungen (otiis) zu Grunde gerichtet." In beiden Fällen
beruht die Feinheit im (Gebrauch des) Plural von „via" und
„otium". 24. Dann heisst es: „Wo Cominius hinaufgestiegen
war, stieg er (auch ungesehen) wieder hinab und schlug den
Galliern ein Schnippchen (verba Gallis dedit)." Quadrigarius
drückt dies durch die Worte aus, dass Cominius den Galliern
nichts als (leere) Worte gegeben habe, weil er Keinem irgend
etwas gesagt hatte und weil die Gallier, die das Capitol be-
lagerten, ihn weder hatten hinauf- noch hinabsteigen sehen.
Er brauchte also die Redensart: „verba dedit4' (er gab leere,
Digitized by Google
XVII. Buch, 2. Cap., § 24—27. — 3. Cap., § 1. 2. (357)
stumme, unhörbare Worte, d. h. er war verschwiegen), und
setzte sie in keinem andern Sinne, als wenn man sagt: „latuit"
(er täuschte) und „obrepsit" (hinterging die Gallier). 25. Weiter
heisst es: „Thalniederungen (convalles) und grosse Baum-
pflanzungen (arboreta) gab es." „Arboreta" ist ein eben nicht
sehr feiner Ausdruck, üblicher ist „arbusta". 26. (Endlich)
kommt da auch folgende Stelle vor: „Man war der Meinung,
dass die, welche draussen mit denen in der Burg unter
einander Unterredungsaustausch (commutationes) und Ein-
verständniss pflogen." Ungewöhnlich ist hier der Ausdruck
„commutationes", d. h. soviel als „collationes" (Unterredungen)
und „communicationes" (Mittheilungen), aber wahrlich weder
ungeschickt, noch unschön. 27. Dies Wenige, was mir vor
der Hand aus dem Buche nach dem Lesen noch im Ge-
dächtniss gegenwärtig war, habe ich geglaubt, mir hier an-
merken zu müssen.
XVII, 3, h. Eine Stelle aus dem 25. Buche des M. Varro „(Gebräuche
der Vorzeit) in (göttlichen und) menschlichen Dingen", worin er einen
homerischen Vers entgegen der allgemeinen Ansicht auslegt.
XVII, 3. Cap. 1. Bei einer Unterredung, welche ich über
die Zeitbestimmungen einiger zum Nutzen der Menschheit
gemachten Erfindungen anregte, äusserte ein nicht ungebil-
deter junger Mann, dass der Gebrauch des Spartum (des
Pfriemengrases) in Griechenland lange unbekannt gewesen
und erst viele Jahre nach der Einnahme von Troja aus Spa-
nien herübergebracht worden sei. 2. In der Absicht, diesen
Ausspruch zu verhöhnen, erhoben unter den Anwesenden zwei
eben nicht so recht gebildete Menschen ein Gelächter, ein
Paar Subjecte von dem Schlage, welche die Griechen mit dem
Ausdruck ayogaioi (Pflastertreter, Bummler) bezeichnen, und
erklärten Dem, der die Bemerkung ausgesprochen hatte, ganz
XVII, 2, 27. S. NB § 1 Mercklin's Bemerkung.
XVII, 3, 1. Spartum, iberische Grasart, Span, esparto, Schilf.
an&QTovy t6, Seil, Tau (eigentlich antfya), wickeln, oneigaa), drehe, winde;
Spiral) nicht ein Seil aus Spartum. In Spanien wurden Stricke und
Schifistaue aus Pfriemengras verfertigt, welche man zugleich auch zur
Züchtigung und Geisselung z. B. der Matrosen verwendete. Vergl. Horat
Epod. 4, 3. - S. Plin. H. N. 11, 8; 19, 7; 24, 49.
Digitized by Google
(358)
XVIL Buch, 3. Cap., §2—5.
offen ins Gesicht, dass er wahrscheinlich eine Ausgabe des
Homer müsse gelesen haben, in der zufällig folgender Vers
gefehlt hätte (aus d. Iliade II, 135):
Kai d'i) tforp« otogne vfüiv xai an äoift ktXvvrat) d. h.
Und schon verfaulen die Balken, die Taue der Schiffe zerreissen.
3. Darauf antwortete Jener ganz voller Zorn: meiner Ausgabe
fehlte durchaus nicht dieser Vers, euch sicherlich aber ein
(guter) Lehrer, wenn ihr euch einbildet, dass der Ausdruck
ojtÜQua (gewundene Taue) in dem (homerischen) Verse das-
selbe bedeute, was wir jetzt unter „spartum" (Schilfgras) ver-
stehen. 4. (Ueber diese Aeusserung) erheben Jene nun noch
ein viel tolleres Gelächter und machten keine Miene sich
ihrer Meinung zu begeben, wenn nicht von jenem (gebildeten,
jungen) Manne des M. Varro 25. Buch „(Gebräuche der Vor-
zeit) in (göttlichen und) menschlichen Dingen" herbeigeholt
(und ihnen die Stelle gezeigt) worden wäre, worin sich vom
Varro über diesen homerischen Vers folgende schriftliche Be-
merkung findet: „Ich bin der Ansicht, dass das (spanische)
Wort „spartum" (Riethgras, Schilfgras) ebensowenig mit dem
bei Homer vorkommenden Ausdruck oicdgra (Seile, Taue)
zusammenhängt, als mit dem Wort ou ägzoi*) (die Ge-
säten), womit die auf thebanischer Erde Geborenen (d. h.
aus den vom Cadmus in die Erde gesäten Drachenzähnen
hervorgewachsenen Erdensöhne) bezeichnet wurden. Denn
ein häufiger Verbrauch von Schilfgras (vom spartum) fing
sich erst an in Griechenland aus Spanien (herüber) zu ver-
pflanzen. Auch die Liburner bedienten sich dieses Hilfs-
mittels nicht, sondern diese fügten meistens ihre Schiffe mit
Riemen zusammen, die Griechen mehr mit Hanf- und Heede-
Werg und mit andern Saaterzeugnissen (die nicht wild wuchsen,
sondern gesät wurden), woher sie auch den Namen artdgta
(Gesätes) erhielten." 5. Auf diese (schriftliche) Bemerkung
des M. Varro hin, befinde ich mich durchaus in Zweifel
darüber, ob nicht die letzte Silbe in diesem Worte bei Homer
scharf zu betonen sei, nur, weil Wörter, wenn sie aus einer
allgemeinen Bedeutung in eine besondere von einer bestimmten
Sache übergehen, durch die Abänderung der Betonungen
unterschieden werden.
XVII, 3, 4. Sparti s. Apollodor. III, 4, 1; Ammiaii. Marc. 19, 8.
I
XVII. Buch, 4. Cap., § 1-5. (359)
XVII, 4, L. Was der Dichter Menander zum Dichter Philcmon sagte,
von dem er oft ungerechter Weise bei dramatischen Wettstreiten über-
wunden wurde, und wie (selbst) Euripides, dieser erhabene Trauerspiel-
dichter, von weniger verdienstlichen Dichtern besiegt wurde.
XVII, 4. Cap. 1. Menander wurde von Philemon, einem
ihm keineswegs ebenbürtigen Schriftsteller, in den drama-
tischen Wettkämpfen sehr oft durch (Schleichwege) Bestechung,
Gunst und Parteilichkeit besiegt. 2. Als Menander einst
seinem (bevorzugten) Gegner zufällig begegnete, begrüsste er
ihn mit den Worten: „Ich bitte Dich, nimm es mir nicht
übel, Philemon, aber gestehe mir ganz offen, schämst Du
Dich nicht, wenn Du mich besiegst?" 3. Auch Euripides
soll nach der Behauptung des M. Varro, obgleich er 75
Trauerspiele geschrieben hat, doch nur mit fünf den Preis
davon getragen haben, da ihn oft einige weit elendere Dichter
besiegten. 4. Nach Einigen soll Menander 108, nach Andern
109 Lustspiele (hinterlassen) haben. 5. Allein ich las von
dem höchst berühmten Schriftsteller Apollodor in seinem
Werke, welches die Ueberschrift führt: „Chronik, d. h. Ge-
schichtsbücher nach der Zeitfolge" folgende Verse über den
Menander:
Kephisier ist von Geburt er und Diopeithes' Sohn,
Hundert und fünf von ihm verfasste Dramen hat
er hinterlassen und starb zwei und funfeig Jahre alt
XVII, 4, 1. S. Quint. X, 1, 67 bis 72; Apulej. Florid. III, 16. —
Ueber Menander s. Gell. U, 23, 1. 7 NB.
XVII, 4, 1. Philemon, erster und ältester Dichter der neuen
Comödie, nach Suidas aus Syrakus, nach Strabo aus Pompejopolis in
Cilicien, lebte unter König Antigonus und sein Vater Dämon unter Ale-
xander d. Gr. Er war Zeitgenosse Menanders, aber etwas älter als dieser,
soll 97 Stücke geschrieben haben und 97 oder 99 Jahre alt geworden sein.
XVH, 4, 8. S. Suidas über Euripides.
XVII, 4, 5. Apollodorus, Athener, Sohn des Asklepiades und
Schüler des rhodischen Philosophen Panaetios, wie des berühmten Kritikers
Arißtarch. Er lebte unter König Ptolemaeos Euergetes II., schrieb eine
Chronik, wovon wahrscheinlich die noch jetzt vorhandenen drei Bücher
de origine Deor. ein Theil ist. Erwähnt wird er: Diodor. Sic I, 5;
Xm, 103. 108; Lucian. in Macrob. 23; Diog. Laert VUI, 2, 1; IX, 7, 6
Clemens Alexandr. Stromat. L
Digitized by Google
Xm Buch, 4. Cap., §6.-5. Cap., § L 2.
6. In ebendemselben Buche hat uns derselbe Apollodorus
schriftlich initgetheilt , dass Menander von allen den 105
Stücken doch nur mit 8 (seiner) Dramen den Preis davon
getragen hat.
XVII. 5, L. Dass es keineswegs auf Wahrheit beruhe, wie es einigen
kleinigkeitskrämerischen Künstlern der Rhetorik erscheint, dass Cicero in
seiner Schrift, welche er „über die Freundschaft" verfasste, sich einer
fehlerhaften IJcweisfiihrung bedient und das Bestrittene für das Erwiesene
(ttfi<fHJßr}T<wtuevov ävri ofioXoyovuivov i. e. ambiguum pro confesso)
gesetzt habe; sehr besonnene Untersuchung und Erörterung über diese
ganze Angelegenheit.
XVII, 5. Cap. 1. In der im Wechselgespräch abgefassten
Schrift, welche den Titel „Laelius, oder von der Freundschaft"
fuhrt, will Cicero beweisen, dass man die Freundschaft nicht
aus Hoffnung und Erwartung auf Gewinn, noch des Vorth eils
und der Belohnung halber pflegen soll, sondern, weil sie selbst
an und für sich und in sich den vollen Inbegriff der Tugend
und Rechtschaffenheit bildet, sei sie erstrebenswerth und be-
gehrenswerth , auch wenn keine Aussicht auf irgend welche
Vergütung und auf irgend welche Entschädigung durch sie
sollte erlangt werden können, und dies zu beweisen, bedient
er sich folgenden Gedankenganges und folgender Ausdrucks-
weise und legt die Worte dem weisen C. Laelius (cap. 9, 30),
dem vertrautesten Freunde des P. Scipio, in den Mund. 2.
„Wie denn? War etwa Africanus meiner bedürftig? Nein,
nicht im Geringsten, und auch ich nicht seiner, sondern ich
habe ihn in Bewunderung seiner Tugend, er dagegen hat mich
vielleicht wegen einer nicht ganz ungünstigen Meinung, welche
er von meinem Charakter hatte, liebgewonnen; das Wohl-
wollen ward durch (unseren) Umgang genährt; allein obschon
mannigfache und grosse äussere Vortheile die nothwendige
Folge davon waren, so gingen doch nicht von der Erwartung
dieser vVortheile) die ersten Regungen zur Werthschätzung aus.
Denn wie wir wohlthätig und freigebig sind, nicht um Dank
einzutreiben, — denn mit Wohlthaten treibt man ja nicht
Wucher, sondern man ist schon durch ein natürliches Gefühl
zur Freigebigkeit geneigt, — so halten wir die Freundschaft,
nicht gelockt von der Hoffnung auf Lohn, für erstrebenswerth,
sondern weil all ihr Vortheil eben in der Liebe beruht"
Digitized by
XVII. Buch, 5. Cap., §3—5.
(361)
3. Als diese Stelle in einem Kreise von gelehrten Männern
zufällig vorgelesen wurde, erhob sich ein gewisser rhetorischer
Sophist, kundig beider Sprachen, der griechischen wie latei-
nischen, ein allerdings nicht ganz unverdienstvoller Mann aus
dem Verbände jener spitzfindigen und kritteligen Lehrmeister,
welche man gewöhnlich „Kunstverständige oder Kunstkritiker
(icp/xot)" nennt, jedoch auch ebenfalls in seiner Er-
örterung (immerhin etwas) schwerfällig (gewissenhaft genau,
pedantisch): Dieser erhob sich also und sprach die Meinung
aus, dass Cicero sich hier keines ganz richtigen, noch
vollständig überzeugenden Beweisgrundes (aTtodeixTixov) be-
dient habe, sondern dass er den noch fraglichen (zweifelhaften)
Gegenstand selbst zum Beweisgrund der aufgestellten Frage
verwendet habe, und er bezeichnete diese fehlerhafte Art zu
schliessen mit einem griechischen (Kunst-) Ausdruck , weil
Cicero (wie er sich ausdrückte a(.tq>toßr]Tovii€vov avcl opoXo-
yov^tevov) das Bestrittene (Zweifelhafte) für das Erwiesene
angenommen hätte. 4. Denn Cicero, sagt er, setzt Wohl-
thätigkeit und Freigebigkeit (bei den Menschen) voraus, zur
Bekräftigung dessen, was er über die Freundschaft sagt, da
(es doch noch gar nicht ausgemacht ist und) sowohl gefragt
zu werden pflegt, als auch gefragt werden muss, in welchem
Falle Jemand (wirkliche) Freigebigkeit und Wohlthätigkeit
ausübt, nach welchem Plane oder in welcher (vorausgesetzten)
Absicht Jemand wohlthätig und freigebig ist? ob Einer etwa
gar nur (in der Absicht) wohlthätig ist, weil er einen Aus-
gleich (und Entgelt) seiner Gefälligkeit erwartet und, wie
dies bei sehr Vielen der Beweggrund zu sein scheint, weil
er Den, gegen welchen er sich wohlthätig und wohlwollend
erweist, wieder zu gleichem Liebesdienst gegen sich heraus-
zufordern denkt, oder, weil ihm Wohlwollen angeboren ist
und Wohlthätigkeit, wie Freigebigkeit an und für sich Ver-
gnügen gewährt, ohne irgend welchen Bemühungsanspruch
auf eine Wiedererkenntlichkeit, was fast nur höchst selten
vorkommt. 5. Seiner Meinung nach aber, sagte dieser Sophist,
XVII, 5, 3. Petitio principii, Aufstellung einer unerwiesenen
Behauptung als Grundsatz, also eine Scheinbegründung. — Technici
vergl. Quint. II, 13, 15.
Digitized by Google
(362)
XVn. Buch, 5. Cap., § 5 — 11.
müssten Beweisgründe (stets) klar und annehmlich oder aus-
gemacht sein und keineswegs zweifelhaft und Widersprüche
enthaltend, und nur ein solcher Satz verdiene, wie er sagte,
den Namen Schlusssatz (cc7t6dei^ig): weil eben das Zweifel-
hafte und Undeutliche sich nur durch das Unzweideutige (und
Gewisse) erklären und beweisen Hesse. 6. Und um nun noch
deutlicher zu zeigen, dass Wohlthätigkeit und Freigebigkeit
nicht als Beweis und Beispiel dürfe verwerthet werden für
Das, was man von der Freundschaft verlaugt, sagt er, kann
durch dasselbe Gleichniss und durch dasselbe Seitenstück zu
einer vernünftigen Ansicht umgekehrt auch die Freundschaft
zum Beweisgrund verwendet werden (was man von der Frei-
gebigkeit und Wohlthätigkeit verlangen kann), wenn z. B.
Jemand behauptet, die Menschen müssten wohlthätig und
freigebig sein, nicht wegen irgend einer Hoffnung auf Profit,
sondern (rein) aus Liebe und Eifer zur Rechtschaffenheit.
7. Es könnte nämlich Einer ganz ähnlich auch also sagen:
Denn sowie wir die Freundschaft nicht nur in der Hoffnung
auf Gewinn und Vortheil hochhalten, 'so sollen wir auch nicht
wohlthätig und freigebig sein aus (blosser) Absicht auf Gegen-
gefälligkeit. 8. Allerdings, fügte er hinzu, wird Einer sich so
ausdrücken können, allein es wird weder die Freundschaft
der Freigebigkeit, noch die Freigebigkeit der Freundschaft
als Beweisgrund gegenüber gestellt werden können, da über
beide gleichmässig die Frage offen bleibt, wie weit das Ver-
langen und die Ansprüche gehen können, welche man an
beide stellen darf. 9. In Betreff dieser Einwendungen schien
Einigen dieser sprachfertige Kunstkenner einsichtsvoll und
verständig gesprochen, allein offenbar die Wortbegriffe nicht
richtig und deutlich verstanden zu haben. 10. Denn wenn
Cicero von einem Wohlthätigen und Freigebigen spricht, so
versteht er darunter, ganz in dem Sinne, wie die Philosophen
diesen Ausdruck gebrauchen, nicht Denjenigen, der, wie er
sich selbst ausdrückt, mit seinen Wohlthaten Wucher treibt,
sondern einen Solchen, der Gutes thut, ohne dass irgend (eine
Nebenabsicht) ein heimlich versteckter Hintergedanke für
seinen eigenen Gewinn und Vortheil dabei im Spiele ist.
11. Also keines unverständlichen und zweideutigen Beweis-
grundes hat sich Cicero bedient, sondern eines ganz be-
XVII. Buch, 5. Cap, § 11 — 14.— 6. Cap., § 1. (363)
stimmten und einleuchtenden, zumal man ja doch bei Einem,
der in Wirklichkeit als wohlthätig und freigebig gilt, nicht
erst (lange) fragt, in welcher Absicht er wohl Freigebigkeit
und Wohlthat übt. 12. Denn mit ganz anderem Namen (als
mit dem „eines Wohlthätigen oder Freigebigen") muss man
(zweifelsohne) Einen bezeichnen , im Fall er bei ähnlichen
(Wohlthätigkeits- oder Freigebigkeits-) Handlungen eher an
seinen eigenen Vortheil, als an den des Andern denkt. 13.
Der (vorgebrachte) Tadel von diesem Silbenstecher hätte viel-
leicht noch einigen Grund gehabt, wenn Cicero sich so aus-
gedrückt hätte: „Gleichwie wir Wohlthätigkeit und Freigebig-
keit üben, nicht um Gegengefälligkeit (dafür) einzukässiren",
denn dann dürfte es scheinen, als könnte die Wohlthätigkeits-
austibung sich auch mit einem nicht (wahrhaft) Wohlthätigen
vertragen, wenn überhaupt diese (edle Neigung) nur erst
durch irgend einen Umstand veranlasst würde und nicht
(schon geboten wäre) durch den beharrlichen Herzenszug
selbst zu fortgesetzter Wohlthätigkeit. 14. Da nun aber
Cicero von (wirklicher, ächter) Wohlthätigkeit und Freigebig-
keit spricht, und darunter eben keine andern Regungen ver-
steht, als die, von denen oben die Rede war, so hat er sich,
so zu sagen, mit ungewaschenem Fusse und Mund daran
gewagt, die Rede dieses so höchst gelehrten Meisters zu
bekritteln.
XVII, 6, L. Uass Verrius Flaccus im 2. Buche seiner Schritt, welche
,,über dunkle Stellen des M. Cato" handelt, eine falsche Erklärung des
Begriffs „servus reeeptitius" gegeben hat.
XVII, 6. Cap. 1. Als Cato das voconische Gesetz be-
fürwortete, bediente er sich folgender Wendung: „Zuerst
brachte euch die Frau eine beträchtliche Mitgift*),
dann behält sie sich eine bedeutende Geldsumme vor, worüber
XVII, 6, 1. Ueber das voconische Gesetz s. Gell. VI (VII),
18, 8 NB und XX, 1, 23. Servus reeeptitius, welcher der Frau bei
der Uebergabe der Dos als ausschliessliches Eigenthum durch Stipulation
(contraetlich) vorbehalten ist, s. Fest 282, t> und Nonius 54, 9. — *) Magna
dos, beträchtliche Mitgift. S. Apulej. Apolog. 67. 88. p. 540 und 574;
Oud, Cod. Just. V, 4, 9; Tertult. ad uxor. II, 3.
Digitized by Google
(364) XVÜ. Buch, C. Cap., § 1—7.
dem Manne nicht selbständige Verfügung zustand; diese
Geldsumme streckt sie leihweise dem Gatten vor; später,
wenn sie erzürnt worden war, so trug sie ihrem sich vor-
behaltenen (und deshalb ihr allein eigenen) Sklaven (servum
recepticium) auf, auf Schritt und Tritt dem Gatten zu folgen
und ihn (um diese ihre eigene Summe) dringend zu mahnen."
2. Man warf nun die Frage auf, was unter einem „servus
recepticius" zu verstehen sei. Sofort beeilte man sich des
Verrius Flaccus Schriften über „dunkle (schwer ver-
ständliche) Stellen des M. Cato" aufzusuchen und
herbeizuschaffen. Da fand sich denn im 2. Buche die ge-
schriebene Bemerkung vor, dass unter „servus recepticius"
ein nichtswürdiger Taugenichts zu verstehen sei, der, obgleich
er (schon) verkauft worden war, wegen eines Fehlers zurück-
gegeben und zurückgenommen worden sei. 3. „Deshalb", heisst
es dort weiter, „erhielt ein solcher Sklave (von seiner Ge-
bieterin) den Auftrag, ihren Gatten aller Orten um das Geld
zu mahnen, damit durch diese Massregel die Kränkung grösser
und der Schimpf für den Gatten unangenehmer würde, weil
ihn ein solcher nichtswürdiger Bube (vor aller Welt) um
Rückerstattung der Geldsumme zur Rede stellen konnte."
4. Allein mit Genehmigung und Erlaubniss Derer, die etwa
für die Erklärungs weise des Verrius Flaccus eingenommen
sein sollten, sei Folgendes gesagt: 5. Die Bedeutung des Be-
griffs „recepticius servus" in dem von Cato angegebenen Falle
ist eine ganz andere, als Verrius angegeben. Und dies wird
(aus Folgendem) Jedem leicht einleuchten; 6. denn dieser
Fall liegt zweifelsohne so: Wenn ein Weib ihrem Ehegatten
die Mitgift einhändigte, gebrauchte man zur Bezeichnung
dessen, was sie von ihrem Hab und Gut sich vorbehielt und
dem Manne (also) nicht mit (übergab und) abtrat, den Aus-
druck: recipere (sich vorbehalten, für sich zurückbehalten),
wie man heutigen Tages noch bei Veräusserung von Dingen,
welche man (sich) herausnimmt (bei Seite legt) und nicht mit
verkauft wissen will, sagt: recipi (d. h. dass sie vorbehalten
bleiben sollen). 7. Dieser Ausdruck findet sich auch bei
XVII, 6, 2. Verrins Flaccus de obscuris Catonis 8. Teuffels röm.
Lit Gesch. 118, 4.
Digitized by Google
XVn. Buch, 6. Cap., §7-11.-7. Cap., § 1. (365)
Plautus in seinem „Brautschatz" (Trinummus I, 2, 157 [194])
in folgendem Verse:
Das Hinterhaus behielt er sich vor (recepit) beim Hausverkauf,
d. h. als er das Haus verkaufte, veräusserte er den kleinen
Theil, der hinter dem Hause lag, nicht mit, sondern (behielt
ihn zurück, d. h.) behielt (ihn) sich vor. 8. Auch Cato selbst,
in der Absicht eine reiche Frau zum Gegenstande seiner Be-
trachtung zu machen, sagte: „Die (Ehe-) Frau giebt theils
ein grosses Heirathsgut (an den Mann ab), theils lässt sie
sich eine grosse Geldsumme im Voraus garantiren (recipit),
d. h. (sie giebt nicht nur ein grosses Heirathsgut, sondern
auch noch eine bedeutende Summe) an welcher sie jedoch
gleich das Eigenthumsrecht im Voraus fernerweit beansprucht
(retinet). 9. Von diesem ihren (eigenen eingebrachten) Be-
sitzthumsantheil (ex ea re familiari), den sie nach Uebergabe
des Heirathsgutes sich vorbehielt, giebt sie diese ihre Geld-
summe dem Ehemanne leihweise. 10. Wenn sie sich nun
zufällig einmal über ihren Mann erzürnt und sich vorgenom-
men hatte, diese (besagte) Geldsumme von ihm sich zurück-
zufordern, so bestimmte sie dazu, als (drängenden) Mahner,
den servus recepticius, d. h. ihren vorbehaltenen (Leibeignen)
Sklaven, den sie sich mit der noch übrigen Geldsumme vor-
behalten und nicht dem Heirathsgute einverleibt, sondern
zurückbehalten hatte: denn der Frau stand nicht das Recht
zu, einem Sklaven ihres Mannes Befehle zu geben, sondern
nur ihrem eigenen. 11. Ich erspare mir, zur fernerweiteren
Aufrechthaltung dieser meiner Ansicht alle weiteren Worte,
denn beide Ansichten liegen offen, jede für sich, da, sowohl
die, welche von Verrius aufgestellt wird, wie auch die von
mir. Jeder kann sich also nun selbst für diejenige von
beiden entscheiden, welche er für die richtigere hält.
XVII, 7, L. Folgende Stelle aus dem atinischen Gesetze: „Quod sub-
ruptum erit*}, ejus rei aeterna auetoritas esto, d. h. was (heimlich)
entwendet wird , an solcher Sache soll ewiger Eigenthumsanspruch ver-
bleiben", schien dem P. Nigidius und dem Q. Scaevola als eine getroffene
Vorkehrung ebensowohl in Betreff eines schon verübten, als eines noch
bevorstehenden Diebstahls.
XVII, 7. Cap. 1. Eine Stelle des alten atinischen
XVII, 7, L. *) Tempora des Passivs in vollendeter Handlung werden
Digitized by Google
(366)
XVIL Buch, 7. Cap., § 1 — 6.
Gesetzes lautet: „Was gestohlen (worden) sein wird, an
solcher Sache bleibt der Anspruch auf Eigenthum unverjährt,
oder findet kein Verjährungsrecht statt." 2. Wer wird sich
wohl einfallen lassen, aus dieser Stelle einen andern Sinn
herauszufinden, als dass dies Gesetz sich nur auf zukünftige
Fälle beziehe. 3. Q. Scaevola aber erzählt, dass sein Vater
(einst) zwei sehr gelehrte Männer, den Brutus und Mani-
lius zu Rathe gezogen habe, weil er in Zweifel darüber
war, ob dies Gesetz nur bei zukünftigen Diebstählen in
Kraft trete, oder auch bei vorher begangenen, weil die
Ausdrucksweise: ,,quod subruptum erit" eine doppelte Zeit-
annahme zuzulassen scheine, sowohl die vergangene wie die
zukünftige. 4. Daher schrieb P. Nigidius, der gelehrteste
Mann im römischen Reich, in Betreff der Ungewissheit und
Bedenklichkeit dieser beiden Männer im 24. Buche seiner
„Beispielsammlung über Grammatik" und war selbst auch
der Ansicht, dass eine deutliche Angabe der Zeit unbestimmt
gelassen sei; 5. aber er hat sich bei seiner Erklärung sehr
kurz gefasst und bleibt unverständlich, so dass man die ein-
zelnen Bemerkungen mehr zur Unterstützung seines Gedächt-
nisses hingeworfen sieht, als zur Belehrung und Unterweisung
der Leser. 6. Doch scheint er bei alledem damit haben
gebildet durch die Umschreibung des Particips mit dem Hülfszeitwort esse
Das Participium perf. pass. mit sum, eram, ero, esse, fuisse verbunden
wird zu den temporibus der forma passiva gerechnet. S. Zumpt. § 494, 3.
XVTT, 7, 1. Lex Atinia (de usucapionibus, seu de rebus furto
surrertis jion usu capiendis\ war ein Gemeinebelieben (plebiscitum), vom
Volkstribun Atinius gegeben (557 d. St.) 197 v. Chr., nach welchem Keinem
ein fremdes Gut unter dem Titel eines lang anhaltenden Besitzes ver-
bleiben, sondern der Eigenthümer allezeit sein Recht daran behalten sollte.
Cic. Verr. Act. II, lib. I cap. 42. Es war also eine Wiederaunrischung
von dem Usucapions -Verbote der gestohlenen Sachen nach den Zwölf-
tafelgesetzen. Vergl. Gell. XIV, 8, 2 NB.
XVII, 7, 3. ManiusManilius, 605 Consul, gehörte zum Freundes-
kreise des jüngeren Africanus. S. Teuffels röm. Lit. 139, 1. Ueber M.
Junius Brutus § 139, 2 bei Teuffei; über P. Mucius .Scaevola
§ 139, 4 ebendaselbst.
XVII, 7, 4. Ueber Nigidius s. Gell. IV, 9, 1 NB.
XVTI, 7, 5. Ueber des Nigidius Figulus (commentarii grammatici) 8.
Teuffels röm. Lit. Gesch. 196, 4; vergl. Gell. X, 5, 1; XIX, 14, 8.
XVn. Buch, 7. Cap. §6—8.-8. Cap., § 1. (367)
sagen wollen, dass das Wort „esse" und „erit", wenn jedes für
sich allein steht, auch jedes für sich seine bestimmte Zeit
angiebt und beansprucht, aber (als Hülfszeitwort) in Ver-
bindung mit dem Perfectum (passivi) verlieren sie ihren
eigenen Zeitbegriff und richten sich (anschliessend) nach dem
Perfectum. 7. Wenn ich also sage: „in campo est" (er ist
auf dem [Mars-] Felde), „in comitio est" (er ist in der [Volks-]
Versammlung), so bezeichne ich damit einen Zeitbegriff der
Gegenwart, ebenso wenn ich sage: „in campo erit" (auf dem
[Mars-] Felde wird er sein), so verlege ich den Zeitbegriff in
die Zukunft; allein wenn ich sage: „factum est" (es ist ge-
macht worden), „scriptum est" (es ist geschrieben worden),
„subruptum est" (es ist gestohlen worden) , so wird , obwohl
„est" der gegenwärtigen Zeit angehört, es doch mit der Ver-
gangenheit verschmolzen und verliert den Begriff der Gegen-
wart. 8. So, sagte er, verhält es sich auch mit der in dem
Gesetz enthaltenen Stelle: Wenn Du die beiden Wörter
trennst und für sich hinstellst, „subruptum" und „erit", dass
Du „subruptum" so auffassest, wie „certamen erit" (ein Kampf
wird stattfinden, oder „sacrincium erit" (ein Opfer wird statt-
finden), dann wird es scheinen, dass das Gesetz eine Bestimmung
für die Zukunft ausdrücke, fasst man aber die beiden Begriffe
„subreptum erit" (es wird gestohlen sein) als eng mit ein-
ander verbunden, nicht als zwei, sondern als (einen zusammen-
gehörigen Begriff als) ein Wort auf und zwar als einfach
zusammengehörige Passivform, dann ist in dem Worte eben-
sowohl das Verhältniss der vergangenen, als der zukünftigen
Zeit vor Augen gehalten (und bedeutet, was gestohlen werden
wird, als was gestohlen worden sein wird).
XVII, 8, L. Bei den gelehrten Unterredungen an der Tafel des Philo-
sophen Taurus pflegten gewöhnlich derartige Fragen verhandelt zu werden,
wie z. B. warum das Oel oft und leicht, Weine (schon) seltener, der
Essig aber fast nie gefriere ? Ferner, dass das Wasser in den Flüssen und
Quellen zufriere, das Meer aber nie gefriere?
XVII, 8. Cap. 1. Der Philosoph Taurus zog uns zu
Athen sehr oft gegen die Zeit des Tages, wenn es bereits
XVIT, 8, L Ueber Tischgespräche s. Geil. I, 22, 5; VII (VI), 13;
XVIII, 2; XIX, 9, 1 NB.
Digitized by Google
(368)
XVIL Buch, 8. Cap., §2—9.
schon zu dämmern angefangen hatte, zur Tafel. 2. Diese
(Abend-) Zeit ist nämlich dort die gewöhnliche, das Mahl ein-
zunehmen: Der wesentliche Theil des Mahles und das ganze
Hauptgericht bestand gewöhnlich aus einer einzigen Schüssel
von ägyptischen Linsen mit in kleinen Stückchen dran ge-
schnittenem Kürbis (Melonen) darin. 3. Als eines Tages die-
selbe Schüssel gebracht und auf die Tafel gesetzt wurde und
wir uns eben anschickten und in Erwartung standen (das
Mahl einzunehmen), gab Taurus vorher noch einem (grie-
chischen) Knaben den Auftrag, etwas Oel in die Schüssel auf
das Gericht zu giessen. 4. Dieser von Geburt attische Knabe
war höchstens 8 Jahre alt und voll der drolligsten, seiner
Jugend und seinem Volke angeborenen Einfälle. 5. Er bringt,
seiner (Aus-) Rede nach aus Versehen, eine leere samische
Flasche herbei, kehrt sie um, führt sie mit der Hand auf der
ganzen Fläche der Schüssel umher, wie er gewohnt war,
allein es kam kein Oel heraus. 6. Voller Unwillen und mit
zornigen Blicken besieht sich der Knabe die Flasche, schüttelt
sie ganz heftig und fährt (damit) wieder über die Schüssel
hin (allein es kommt kein Oel heraus). 7. Als wir Alle
darüber unvermerkt insgeheim lachen, sagt der Knabe (der
dies gemerkt hatte) zu uns auf griechisch und zwar ganz fein
attisch: „Ihr braucht gar nicht zu lachen, es ist wohl Oel
darin, allein ihr glaubt (wisst) nicht, wie gross heut in der
Frühe die Kälte war, daher ist das Oel gefroren." 8. Ich
nehme sofort die Peitsche, sagte Taurus mit lächelnder Miene,
gehst Du nicht eilends und holst Oel (herzu). Als nun aber
der Knabe zum Einkauf hinausgegangen war, benutzte Taurus,
durch die Verzögerung keineswegs sehr in Zorn gebracht, die
Zeit zu folgender Bemerkung: Die Schüssel bedarf unbedingt
noch Oel (ehe man ans Essen geht), doch, wie ich sehe, ist
die Speise auch noch ungeniessbar siedend heiss. warten wir
also mit Zulangen und versuchen wir unterdessen, da uns der
Knabe einmal bedeutet hat, dass das Oel zu gefrieren pflegt,
in Erwägung zu ziehen, warum das Oel zwar oft und leicht
gerinnt, Weine (aber nur) selten gefrieren? 9. Dabei sah er
mich an und (gab mir dadurch zu verstehen, dass er) wünschte,
XVII, 8, 8. S. Macrob. Sat. VIT, 12.
Digitized by Google
XVU. Buch, 8. Cap., § 10-17. (369)
ich sollte meine Meinung sagen. 10. Darauf antwortete ich,
dass meiner Muthmassung nach der Wein deswegen weniger
schnell gefriere, weil er mehr Wärmestoff bei sich führe und
von Haus aus feuriger sei , weshalb er auch von Homer
feurig*) genannt worden sei (al'&oxp olvog), nicht aber, wie
Einige meinen, von der (dunkelrothen) Farbe**). 11.
Es ist ganz richtig, wie Du sagst, erwiederte Taurus: denn
darüber ist man so ziemlich einig, dass der Wein, sobald man
ihn getrunken hat, den Körper erwärmt. 12. Allein fast
ebenso erwärmend ist auch das Oel und hat einen nicht ge-
ringeren Einfluss bei Erwärmung des Körpers. 13. Damit ist
(nun eigentlich) in Uebereinstimmung zu bringen, wenn näm-
lich alles Das, was wärmer ist, schwerer zum Gefrieren kommt,
dass dann Alles, was kälter ist, leichter gefriert. 14. Von
Allem aber am meisten ist der Essig kühlend (d. h. von kalter
Natur) und doch erstarrt er niemals (zu Eis). 15. Ob nun
vielleicht beim Oele der Grund des schnelleren Gerinnens
mehr in dessen Weichheit (Leichtigkeit, Mildheit) liegt? Es
scheint daher also alles Das leichter zu gerinnen und zu ge-
frieren, was eine grössere Weichheit und Leichtigkeit besitzt.
16. Daher, sagt er, sei wohl auch die Frage der Erörterung
werth, warum das Wasser in den Flüssen und Quellen zufriere,
das Meer aber überhaupt ungefrierbar sei? Obgleich, fährt
er fort, der Geschichtsschreiber Herodot (Melpom. IV, 28),
gegen die Ansicht fast Aller, welche diese Frage erörtert
haben, die schriftliche Bemerkung macht, dass das bosporische
Meer, welches das kimmerische genannt wird, und das
Meer, welches das scythische heisst, nach allen Seiten hin
gefriere und erstarre (und tragbar werde). 17. Während dies
Taurus vorgebracht, war unterdessen der Knabe (mit dem
XVII, 8, 10. *) Horn. II. I, 462; IV, 259; Odyss. IX, 360; XIV, 447.
XVÜ, 8, 10. **) Horn. Odyss. XII, 19, wo es mit Iqv&qos (röthlich)
verbunden ist. Athenaeus II, sect. 2 (35) und XI, sect. 13 (465). Cfr.
Plutareh: Tischreden VI. 7, 2 «r#oi//.
XVII, 8, 16. S. Herodot. 4, 12. 28 und Pompon. Mela 2, 1. Cim-
merium (mare), der kimmerische Bosporos (jetzt Strasse von Jenikale),
verband den maiotischen See (asowsches Meer) mit dem Pontos Euxinos;
er galt als Grenze Europas gegen Asien und hatte den Beinamen von den
alten Eimmeriern.
G eil in 8, Attische Nächte. H. 24
(370) XVII. Bach, 8. Cap., § 17. — 9. Cap., § 1—5.
Oele) zurückgekommen und die Schüssel abgekühlt, und es
war nun die Zeit zum Essen und Schweigen gekommen (tem-
pus*) edendi et tacendi).
XVII, 9, L. Ueber (Buchstabenzeichen und) Schreihkürzungeu (Abbrevia-
turen), welche sich in der Bricfsammlung des C. Caesar finden; dann noch
über andere Geheimschreibzeichen aus der alten Geschichte entlehnt; und
was unter einer laconischen axvruXt] (geheimen Depesche oder Zufertigung)
zu verstehen sei.
XVII, 9. Cap. 1. Es giebt von C. Caesar eine Samm-
lung von Briefen an den C. Oppius und Baibus Cornelius,
welche (beide Männer) während seiner Abwesenheit seine
Geschäfte besorgten. 2. In diesen Briefen finden sich an
einigen Stellen vereinzelte Buchstaben ohne Silbenvervoll-
ständigung (d. h. Schreibabkürzungen), von denen man glauben
könnte, dass sie ohne Zusammenhang hingesetzt sind, denn
aus diesen (einzelnen) Buchstaben (in diesen Briefen) kann
kein logischer Zusammenhang herausgebracht werden. 3. Es
fand aber unter diesen (Dreien) ein heimliches Ueberein-
kommen in Bezug auf die Veränderung der Buchstaben-Reihen-
folge (im Alphabet) statt, so dass ein Buchstabe des andern
Stelle und Bedeutung erhielt, indess jedem beim Lesen seine
richtige Stelle und die rechte Bedeutung wiedergegeben
wurde. 4. Freilich beliebte es vorher gegenseitig Denen, die
die dunkle, nur dem Eingeweihten verständliche Schreib-
fund Ausdrucks-) weise sich zurechtlegten (sich gegenseitig
darüber zu verständigen), wie ich bereits erwähnte, welcher
Buchstabe an die Stelle des andern gesetzt werden sollte.
5. Es giebt sogar eine von dem Grammatiker Probus
sehr sorgfältig abgefasste „Erklärungstabelle (als Schlüssel)
über diese geheime, in den Briefen des C. Caesar verwerthet©
XVII, 8, 17. *) Cfr. Gell. VII (VI), 13, 3. Erat initium loquendi
edendi finis.
XVII, 9, L. Chiffernsprache, System abgekürzter Wortzeichen
und Schriftzüge, erster stenographischer Versuch. Vergl. Bernhardy,B
röm. Lit 14, 50.
XVII, 9, 3. Ueber Caesars Geheimschrift s. Teuffels Gesch. d. röm.
Lit 192, 8; Paulis Realencyklopäd. Bd. V, S. 706 ff.
XVII, 9, 5. Ueber Valerius Probus s. Gell. I, 15, 18 NB; Teuffels Gesch.
der röm. Lit 295, 4 und Steup, de Probis grammaticis. Jena. 1870.
XVII. Buch, 9. Cap., §6—15.
(371)
Zeichenschrift." 6. Wenn die alten Lacedämonier aber den
Inhalt von Briefen, welche sie öffentlich an ihre Feldherren
geschickt hatten, vorsätzlich zu verhehlen und zu verbergen
beabsichtigten, damit, im Fall diese Briefe von den Feinden
aufgefangen würden, doch Niemand ihre Absichten errathen
möchte, schickten sie diese Briefe derartig abgefasst fort:
7. Man nahm zwei gedrehte Stäbchen, länglich(rund), von
(ganz) gleichem Umfange und von gleicher Länge, geglättet
und ganz gleich hergerichtet; 8. ein solches Stäbchen wurde
dem in den Krieg ziehenden Feldherren übergeben, das
andere behielten die Obrigkeiten zu Hause für sich (cum
jure atque cum signo d. h.) gerichtlich versiegelt zurück. 9.
Wenn nun die Absendung geheimer (wichtiger Depeschen)
Befehle nöthig wurde, so wand man einen mässig dünnen
Riemen von einer für den betreffenden Fall hinreichenden
Länge um dieses Stäbchen herum in einfacher spiraler Win-
dung, so dass die Ränder von dem Riemen, der umwunden
wurde, überall gleich angefügt und eng verbunden ganz genau
zusammenpassten. 10. Dann schrieben sie den Befehl auf
dem Leder(-Riemen) quer über die Fugenränder weg, so dass
die Zeilen (der Länge nach) von oben nach unten liefen.
11. War nun der Befehl so zu Ende geschrieben, so wurde
dieser (beschriebene) Riemen von dem Stäbchen abgewickelt
und dem Feldherrn, der um diese Erfindung wusste, zu-
geschickt. 12. Die Loslösung des Riemens aber (von dem
Stäbchen) erwies (nur) verstümmelte Buchstaben - Fragmente
und zertheilte die (Satz-) Glieder des Befehls und die (Buch-
staben-)Züge (bis zur Unkenntlichkeit) in die verschiedensten
Theile. 13. Wenn nun dieser Riemen(-Streifen) in die Hände
der Feinde gerieth, so konnte man aus dieser Schrift auch
nicht das Geringste vermuthen (und entziffern). 14. Allein
sobald ihn Der, an den er gerichtet war, erhielt, wickelte er ihn
von Anfang bis zu Ende auf seinen zu dem Zweck, wie er
wusste, dass er zu gebrauchen war, überkommenen gleichen
Stab, den er (allein) besass, und die Schrift vereinigte sich
durch dieses Aufwinden um das Stäbchen und passte wieder
genau zusammen und gestattete (also dem Empfänger), dass
der ganze Brief un verstümmelt und lauter und leicht »gelesen
werden konnte. 15. Diese Art von Zuschriften nannten die
24*
J-
(372)
XVH. Buch, 9. Cap., § 15 — 22.
Lacedämonier : axvzdlt] (Geheimschreiben oder geheime De-
peschenzufertigung, eigentlich : Briefstab). 16. Eine Nachricht
darüber habe ich auch in einem alten Geschichtswerke über
punische Begebenheiten gelesen, dass ein gewisser berühmter
Mann von eben daher — ich erinnere mich nicht deutlich
mehr, ob es der berühmte Hasdrubal, oder irgend ein Anderer
war — ein über geheime (Staats-) Angelegenheiten verfasstes
Schreiben auf folgende Weise (bei Uebersendung) zu verbergen
gewusst hat: 17. Dass er nämlich neue Schreibtäfelchen,
die noch nicht mit Wachs überzogen waren, hergenommen;
die Buchstaben, d. h. sein Schreiben auf das Holz über-
tragen habe, die Täfelchen aber alsdann, wie gewöhnlich,
mit Wachs habe bestreichen und überziehen lassen, und diese
Täfelchen gleichsam wie (noch) nicht beschriebene Dem über-
schickt habe, dem er dies Verfahren bereits (vorher) an-
gekündigt hatte; dass Dieser das Wachs wieder abgekratzt
und dann die auf dem Holze eingegrabene Schrift ohne An-
stoss (und Hinderniss) gelesen habe. 18. In den Urkunden
griechischer Geschichte wird auch noch ein anderer
versteckter und unvermutheter, mit aussergewöhnlicher (Hinter-)
List ausgeheckter Kunstkniff erwähnt; 19. Es gab einen ge-
wissen Histiaeus mit Namen, in Asien aus nicht geringem
Stande geboren. 20. Ueber Asien aber herrschte damals der
König Darius. 21. Als sich dieser Histiaeus (nun einst) am
Hofe des Darius in Persis befand, wollte er einem gewissen
Aristagoras einige Geheimnisse durch ein heimliches Schreiben
melden. 22. Dazu sinnt er sich folgendes wundersame Brief-
geheimniss aus. Er rasirt seinem Sklaven, der lange Zeit an
den Augen litt, das Haar vom ganzen Kopfe ab, gleichsam
als ob er ihn dadurch zu heilen gedächte und tätowirt nun
dessen glattgeschornes Haupt mit einer Art Buchstabenzeichen.
In diesen Schriftzügen theilte er diesem (Aristagoras) Das,
XVH, 9, 15. öxvTH/.rj, eigentlich: Stäbchen, Stöckchen, Briefstab.
Plut. Lysand. 19 ; Cornel. Nep. Pausan. III, 4. Solche Briefstäbe scheinen
nicht nur bei den Lacedämoniern, sondern auch bei andern Völkern im
Gebrauche gewesen zu sein. Pindar. Olymp. VI, 91 (155). — Suidas;
Plutarch: lakonische Denksprüche, Leonidas 15.
XVII, 9, 18. S. Ilerodot. V, 35.
XVII, 9, 19. S. Polyaen. I, 24.
Digitized by Google
XVIL Buch, 9. Cap., § 22— 27. — 10. Cap., § 1—3. (373)
was er ihm zu schreiben beabsichtigte, ausführlich mit. 23.
So lange, bis das Haar wieder gewachsen war, behielt er
diesen Menschen bei sich zu Hause. 24. Als dies geschehen
war, schickte er ihn zum Aristagoras, 25. und trägt ihm dabei
auf: „Wenn Du zu ihm gekommen sein wirst, sollst Du ihm
in meinem Auftrage melden, dass er Dir Dein Haupt, wie ich
es neulich selbst gethan habe, scheeren lässt. 26. Der Sklave
kommt, wie ihm befohlen worden war, zu Aristagoras und
überbringt ihm (pünktlich) seines Herrn Befehl. 27. Und
dieser vollbringt nun ungesäumt, was jener ihm (durch diesen
Sklaven) hatte heissen lassen, weil er wohl wusste, dass dieser
Befehl einen (besondern) Grund haben müsse. Und so ent-
deckte er den ihm heimlich überbrachten Brief.
»
XVII, 10, L. Favorins Urtheil über die Verse Vergils, worin er bei der
Beschreibung von den Gluthausbrüchen des Berges Aetna der Dichtung
Pindars gefolgt ist. Ferner seine Vergleichung und Beurtheilung der
Gedichte dieser Beiden über denselben Gegenstand.
XVII, 10. Cap. 1. Als der Philosoph Favorin im heissen
Sommer auf das bei Antium gelegene Landgut seines Gast-
freundes sich zurückgezogen hatte, und ich bisweilen von Rom
zu ihm auf Besuch kam, erinnere ich mich, dass er sich
(einstmals) ohngefähr folgendermassen über den Pin dar und
über den Vergil ausliess. 2. Er sagte also: Vergil soll
nach den Berichten seiner Freunde und Vertrauten in Bezug
auf seine Anlagen und Gewohnheiten die Bemerkung über
sich selbst geäussert haben, dass er nach Art und Weise der
Bären seine Verse (dichterischen Producte) zur Welt bringe.
3. Denn wie jenes wilde Thier seine Leibesfrucht ungestaltet
und ungeformt zur Welt bringe, und nachher sein Er-
zeugniss erst durch Belecken gestalte und bilde, ebenso
XVII, 10, 1. Pin dar, geb. 520 v. Chr. zu Theben, der erhabenste
lyrische Dichter, der so berühmt war, dass bei der wiederholten Zerstörung
Thebens durch die Spartaner und durch Alexander d. Gr. sein Haus aus
Hochachtung gegen ihn verschont blieb.
XVII, 10, 2. Cfr. Quintil. X, 3, 8 über das langsame Produciren
Vergils und Teuffels röm. Lit. Gesch. 221, 5.
XVII, 10, 8. Von der Bärin s. Plutarch : über die Liebe zu Kindern. 2.
(374)
XVÜ. Buch, 10. Cap., § 3—9.
seien seine Geistesproducte zuerst dem äusseren Ansehn nach
formlos und unvollkommen, aber nachher gebe er ihnen durch
fleissige Bearbeitung eine bestimmte Form und den richtigen
(wahren) Ausdruck. 4. Dass dieses offenherzige Geständniss
eines Mannes von so feinem Urtheil eine geistvolle Wahrheit
enthalte, dazu liefert ein augenscheinlicher Vergleich den
(besten) Beweis. 5. Denn Alles, was Vergil vollendet und
gehörig ausgearbeitet hinterliess, und woran er nach strenger
Prüfung und Auswahl selbst die letzte Feile anlegte, (das
Alles) hat sich wegen seiner dichterischen Schönheit (stets) des
Lobes im höchsten Grade zu erfreuen; 6. aber Alles, was von
ihm für eine spätere (kritische) Durchmusterung aufgeschoben
wurde und nicht vollendet werden konnte, weil der Tod ihm
zuvorkam, das ist dem Namen und dem Geschmacke eines so
höchst wählerischen Dichters durchaus nicht so ganz würdig.
7. Als er daher, von Krankheit hart bedrängt, den Tod vor
Augen sah, bat und beschwor er seine besten Freunde in-
ständig, sie möchten die Aeneide, da er sie (seines Erachtens
nach) noch nicht genug ausgefeilt hatte, vernichten. 8. Darin
befindet sich aber vorzüglich eine Stelle, welche offenbar hätte
umgearbeitet und verbessert werden müssen; es ist die ent-
worfene Beschreibung des (feuerspeienden) Berges Aetna.
Denn als er das Gedicht des alten Sängers Pindar, welches
eine Beschreibung dieses Berges und seines (vulkanischen)
Gluthausbruches enthält, nachahmen wollte, hat er derartige
Gedanken und Ausdrücke aufgethürmt, dass er gerade an
dieser Stelle mehr noch übertrieben hat und schwülstiger
(geworden) ist, als Pindar selbst, dessen Stil schon für zu
überladen und schwülstig gehalten wurde. 9. Damit ihr euch
nun aber selbst (gleich) ein Urtheil über meine Behauptung
bilden könnt, so will ich euch das Gedicht des Pindar (Pyth.
I, 21 [40] u. s. w.), welches (die Beschreibung eines vulkani-
schen Ausbruches enthält und) vom Berg Aetna handelt, her-
XVII 10, 7. Dem römischen Dichter Varius Rufus und dem Plotius
Tucca hatte der sterbende Vergil seine Aeneide übergeben, um frei damit
zu schalten nach eigenem Ermessen. S. Quint. 10, 3, 8 . Bernh. röm. Lit.
80, 369. Vergl. Macrob. Sat I, 24.
XVII, 10, 8. S. Macrob. V, 17.
Xm Buch, 10. Cap., § 9-12. (375)
sagen, so weit es mir noch im Gedächtniss ist. (Es heisst:
Die beschneite Aetna)
Welcher unnahbarer Feu'rgluth heilige Quelle entfliesst
tief von Grund aus. Aber die Stromfluth ergiesst bei Tage des glühen-
den Rauchs Aufdrang;
• Führt bei finstrer Nacht im Purpurschein
aufwirbelnder Flamme die Felsen weit ins grundlose Meerfeld, donnernd
mit lautem Gekrach.
Jenes Gräulthier*) sendet aus Abgründen die
Schrecklichsten Quellen desHephästos, ein staun würdiges Zeichen
zu schaun, ein Wunder der Wanderer Ohr anzuhören.
10. Vernehmt nun auch, fuhr er fort, die Zeilen aus Vergil
(Aen. III, 570 ff.), von denen ich eher behaupten möchte, dass
er sie (nur erst skizzirt und oberflächlich) entworfen, als dass
er sie vollendet habe:
Friedsam ruht vor der Wind' Androhn der geräumige Hafen;
Aber zunächst mit grausen Verwüstungen donnert der Aetna.
Oftmals strömt er zum Aether die schwarz vorbrechende Wolke, (atram-
nubem),
Welche mit Pech aufwirbelt den Dampf mit funkelnden Flocken (Turbine
fumantem piceo et candente favilla)
Und er erhebt Gluthklumpen und leckt mit der Flamme die Sterne;
Oftmals Grands und Gesteine, dem Schoosse des Berges entrissen;
Bäumt er strudelnd empor und geschmolzene Felsen zum Himmel
Drängt er mit dumpfem Gekrach und kocht aus dem untersten Grund auf.
11. Nun fuhr Favorin also fort: Gleich zu Anfang ist Pindar
der Wahrheit mehr gefolgt und hat eine getreue Schilderung
von dem geliefert, was die Erscheinung ergab und was an
Ort und Stelle die Wirklichkeit bot und was mit Augen be-
obachtet werden konnte, dass (nämlich) der Berg Aetna bei
Tage rauche, bei Nacht Feuer speie. 12. Während aber
XVII, 10, 9. *) Jenes Gräulthier d. i. Typhon oder Typhoeus
(als Symbol unterirdischer Naturerscheinungen durch Ausbruch vulkanischer
Berge), nach der Sage ein Ungeheuer, aus Drachen und anderem Gezücht
zusammengeballt, empörte sich gegen Zeus, welcher es bezähmte und
auf ihn die Last des Aetna wälzte. S. Strabo 5, 4, 9. **) Quellen
des Hephästoa sind die Lavaströme. Vergleiche ähnliche Schilderungen
bei Aeschyl. Prometh. 350 — 373 und Lucret. VI, 681 u. s. w.
XVII, 10, 10. Ueber Redaction und Emendation der Aeneide durch
L. Varius und Plotius Tucca s. TeufFels Gesch. der röm. Lit. 224, 2.
XVII, 10, 11. Strabo VI, 2 p. 421 sagt: Bei Nacht leuchten helle
Blitze aus dem (Berges-) Gipfel und den Tag über ist er von Rauch und
Wolken umgeben.
Digitized by Google
XVII. Buch, 10. Cap., § 12 — 19.
Vergil seinen Hauptwerth darauf legt, nach geräuschvollen,
tosenden Worten zu suchen, hat er ohne irgend welche Unter-
scheidung beide Tageszeiten vermischt. 13. Aber jener grie-
chische Dichter führt in seiner klaren, (lebendigen) Schilderung
(das Bild) vor, wie Feuerbäche aus tiefstem Grunde aus-
gespieen werden, wie Ströme von Rauch hervorquellen, wie
gilblich durchwundenes Feuergeknäul (flammarum fulva et
tortuosa volumina), gleich feurigen Schlangen auf der Meer-
fluth Ebenen dahintreiben. 14. Aber unser Vergil, in der
Absicht Pindars Worte: §oov witvov cu&cova (d. h. die
glühende Strömung des [Rauch-] Dampfes, oder des glühenden
Rauches Aufdrang) wiederzugeben, hat dies auf eine weniger
feine und sehr weitläufige Art bewerkstelligt durch: atram
nubem turbine piceo et favilla fumantem (d. h. die schwarze
Wolke in pechschwarzem Wirbel und glühender Asche
dampfend); 15. auch was Pindar „xqowovq" (Quellen des
Hephästos) genannt hatte, hat Vergil durch „globos flammarum"
(Gluthklumpen) sehr hart und ungenau (av.vQcog) übersetzt.
16. Ferner, sagte Favorin, ist auch der Ausdruck: „sidera
lambit" (leckt die Sterne, züngelt nach den Sternen) ein über-
flüssiger und unnützer Zusatz (von Vergil). 17. Auch ist
folgende Ausdrucksweise unerklärlich und fast unbegreiflich,
wenn er sagt : nubem atram fumare (dass die schwarze Wolke
dampfe) turbine piceo et favilla candente (von pechschwarzem
Wirbel und glühender Asche). 18. Denn, sag te er,das, was
glänzt, raucht doch gewöhnlich nicht, noch kann es schwarz
sein; wenn er nicht etwa gar „candenti (favilla)" in dem
gewöhnlichen und ungebräuchlichen Sinne gesagt hat für:
„ferventi favilla" (glühend heisse Asche), nicht aber im Sinne
von: feurig glänzender und hellstrahlender. Denn „candens"
wird selbstverständlich vom Glanz (a candore) gesagt, nicht
aber von der Wärme (a calore). 19. Vergils Beschreibung
aber betreffend, dass Gestein und Felsstücke ausgespieen und
emporgeworfen werden und dass diese (Massen) schmelzen
und dröhnen und sich hoch in den Lüften aufthürmen, davon,
sagte Favorin, steht weder etwas im Pindar geschrieben, noch
hat man je dergleichen sagen und erzählen hören, und unter
allen wunderlichen Beschreibungen bleibt diese (schon) die
allerwunderlichste.
XVII. Buch, 11. Cap., § 1—3.
(377)
XVII, 11, L. Wie Plutarch in seinen Tischgesprächen (VII, 1) die An-
sicht Plato's über den Zustand (die Beschaffenheit) und Verrichtung des
Magens und der Luftröhre, welche die rauhe Arterie {rQttxiia oder Luft-
ader) genannt wird, entgegen der Meinung des Arztes Erasistratus,
vertheidigt hat, indem er sich dabei auf den Ausspruch des alten
(berühmten) Arztes Hippocrates bezieht.
XVII, 11. Cap. 1. Wir haben schriftliche Nachrichten
sowohl von Plutarch, als auch von einigen andern Gelehrten,
dass der berühmte Arzt Erasistratus sich über den Plato
deshalb tadelnd ausgesprochen, weil er behauptet hat, das
Getränk fliesse nach der Lunge und nachdem es diese genug
befeuchtet habe, liefe es durch dieselbe, weil sie (schwamm-
artig, porös und) sehr durchlöchert sei, wieder ab und von
da fliesse es (erst) nach der (Harn-) Blase hin. Auch be-
haupten sie, dass (der Dichter) Alcaeus Urheber dieser
falschen Ansicht gewesen sei, der in seinen Gedichten ge-
schrieben hätte:
Netze die Lunge mit Wein! Der Sirius leuchtet am Himmel.
2. Erasistratus selbst aber spreche die Ansicht aus, es gäbe
gleichsam zwei kleine Rinnen oder Röhrchen, welche von der
Rachenhöhle ab herunter gingen und durch die eine derselben
würden alle Speisen und Getränke nach dem Magenmund
geführt und geleitet, von da kämen sie in den Magengrund,
der auf griechisch (rj -/.acio xoiMa, d. h.) Unterleib genannt
wird, und hier würde nun Alles verkocht und verdaut und
von da gingen die trockneren Excremente (das aus dem
Genossenen Verdaute) in den Darmkanal, der auf griechisch
Y.6Xov (Mastdarm) genannt wird ; alle Flüssigkeiten aber durch
die Nieren in die (Harn-) Blase. 3. Durch das andere Röhr-
chen aber, welches auf griechisch : rgaxeta a^regia (die rauhe
XVII, 11, L. S. Gell. XVI, 3, 8 NB über Erasistratus.
XVII, 11, 1. S. Macrob. Sat VII, 15. — Pia t. Timaeus p. 70, C. —
Alcaeus, einer der neun berühmtesten lyrischen Dichter der Griechen,
aus Mytilene auf Lesbos (612 v. Chr.), Zeitgenosse und Liebhaber der
Sappho. Die alcäische Strophe ist von ihm erfunden Der hier angeführte
Vers findet sich Plutarch, Tischreden VII, 1, 1 ; vergl. Plutarch : über Isis
und Osiris 38; und Quint X, 1, 63. Er vertheidigte sein Vaterland nicht
weniger mit dem Degen, als mit der Feder, sowohl gegen die Athener, als
gegen die innerlichen Tyrannen.
Di
(378) XVII. Buch, 11. Cap., § 3-6.
Luft- [Ader-] Röhre) genannt wird, komme die durch den
Mund geschöpfte Luft in die Lunge und von da wieder nach
dem Mund und nach der Nase zurück ; 4. und auf demselben
Wege werde auch der Durchzug für den Laut und die Stimme
bewerkstelligt; und damit nun von dem Getränk und von
dem trockenen Essen, das seinen Weg nach dem Magen
nehmen soll, nichts aus dem Munde hineinfalle oder hinein-
fliesse in das Röhrchen, durch welches man Athem holt, und
damit durch einen solchen .Unfall der Athmungsweg nicht
versperrt werden könne (weil man sonst ersticken müsse, aus
dem Grunde) sei durch die weise Einrichtung und Vorsorge
der Natur bei diesen beiden Oeffnungen eine Klappe an-
gebracht, welche entyliorxig (gleichsam Nebenzunge, d. h.
Kehldeckel) genannt wird, gleichsam eine bewegliche Fall-
thüre, die sich abwechselnd schliesst und öffnet; 5. Diese
ImyluxTiG, (Kehldeckelvorrichtung) bedecke nun während des
Essens und Trinkens und schütze die rauhe Luft-Ader-Röhre
(ttjv Tgaxelav ccQTrjgiav), damit von der Speise oder von dem
Getränke nichts hineinfallen könne in jenen Durchzugskanal
des (wie Ebbe und Fluth) auf- und niedersteigenden Athems;
und deswegen fliesse (offenbar) auch nichts Flüssiges in die
Lungen, weil ja der Eingang zur Luftröhre verschanzt sei.
Dies ist nun diese Einwendung des Arztes Erasistratus gegen
den Plato. 6. Allein Plutarch meldet in seinen Tisch-
gesprächen • (VII, 3), dass eigentlich H i p p o c r a t e s *) als der
Urheber von Plato's Ansicht anzusehen sei; überdies wären
XVII, 11, 4. Vergl. Plutarch's Tischreden VII, 1, 3. Heutigen Tages
unterscheidet man ganz richtig die Luftröhre, deren weiterer Eingang der
Kehlkopf ist, und die Speiseröhre, deren Eingang der Schlund ist: XaQvyg
und (fd^vy^
XVII, 11, 6. *) Vergl. Galenus de Plac Hippoer. et Plat IV. —
Philistion, ein gelehrter Arzt, Zeitgenosse des Socrates (nicht zu
verwechseln mit dem fast um eben diese Zeit lebenden Komödienschreiber
Philistion von Nicaea), war Lehrer des Eudoxos von Knidos und des
Chrysippos von Knidos. Nach Andern soll er nicht ein Lokrer, sondern
Sikuler sein. — Dioxippos, von der Insel Kos, war ein Schüler des
grossen Hippocrates. S. Plin. Hist N. 20, 12; Athen. 12, 3; Plut Symp.
7, 1, 3; Widersprüche der Stoiker 29. Hekatomnue, König von Carien,
Bruder der Aspasia, berief ihn zu sich, um seine Prinzen von einer
schweren Krankheit zu heilen; er versprach dies unter der Bedingung zu
Digitized by Google
XVII. Buch, 11. Cap., § 6. - 12. Cap., § 1. (379)
die (beiden) alten und berühmten Aerzte, sowohl der Lokrer
Philistion, wie auch der Hippokratiker Dioxippus der-
selben Ansicht gewesen; auch sei jener Kehldeckel, von dem
Erasistiatus gesprochen hat, nicht deshalb an jener Stelle
angebracht, damit nicht (beim Hinunterschlingen) irgend
etwas in die Luftröhre gleiten könne, — denn es schiene eine
gewisse Anfeuchtung auch für Erquickung und Benetzung der
Lunge nützlich und nothwendlg zu sein, — sondern diese
Klappe sei angebracht, um gleichsam als Einhaltthuerin und
Bestimmerin (nach eigener freier Massnahme) das abzuwehren
(was schädlich ist), oder beizumischen, was zum Nutzen für
die Gesundheit ist; dass diese Klappe zwar alle Speise von
dem Eindringen in die Luftröhre abhalte und sie auf den
Weg nach dem Magen hinweise, hingegen das Getränk zwi-
schen Magen und Lunge vertheile, und was von dem Ge-
tränk durch die Luftröhre in die Lunge abgelassen werden
solle, dass sie dies nicht zu schnell und auf einmal, sondern
durch diese Art von Damm aufgehalten und gehemmt, nur
langsam und nach und nach durchlasse und alles Uebrige
(von Speise und Trank) durch die andere (Speise-) Röhre
nach dem Magen hin ableite.
XVII, 12, L. Uebcr seltsam wunderliche Lehrsätze, welche die Griechen
ä&o^ovs (unerwartete, unvermuthete) nennen, von Favorin zum Zweck der
Redeübung abgehandelt.
XVII, 12. Cap. 1. Unter den Alten machten sich nicht
nur Sophisten, so wie auch Philosophen an die Erörterung
von wunderlich seltsamen, oder, wenn Du den Ausdruck lieber
willst, unerwarteten Lehrsätzen, welche die Griechen un-
vermuthete und unerwartete Streitpunkte [adogovg (neu aio-
■rcovg) vTto&eoetg] nennen, sondern auch unser Favorin ver-
breitete sich sehr gern über dergleichen Fälle, weil er meinte,
dass sie geeignet seien zur Erweckung der geistigen Anlagen,
oder zur Uebung des Scharfsinns, oder zur (leichteren) Be-
thun, wenn der König von dem Kriege mit seinen Landsleuten abstehen
wolle. S. Strabo 14, 656; Diodor Sic 14, 98; 15, 2; Arr. Anab. 1,23, 7;
Isoer. 4, lb'2.
XVII, 12, 1. Ueber Favorin s. Philostrat des alteren Lebensbeschrei-
bungen der Philo8. I, 8.
■
(380) XVH. Buch, 12. Cap., § 2— 5. - 13. Cap., § L
wältigung vorkommender Schwierigkeiten, 2. wie z. B. die
Fälle, wo er sich Mühe gab, das Verdienst (des Schwätzers)
Thersites nachzuweisen; dann, wo er das aller vier Tage
(d. h. an jedem vierten Tage) wiederkehrende Fieber (febrim
quartis diebus recurrentem) in Schutz nahm; Fälle, für die
er in der That immer viele geistvolle und nicht leicht zu
findende (höchst originelle) Auslegungen nach beiden (ent-
gegengesetzten) Möglichkeiten hin (sowohl für, wie dawider)
vorzubringen wusste und die er aufgezeichnet uns in seinen
Schriften hinterlassen hat. 3. In seinem Loblied des (vier-
tägigen) Fiebers lässt er auch den Plato als Zeugen auf-
treten, von dem er folgende schriftliche Bemerkung anführt:
Wer nach überstandenem , viertägigem Fieber genesen und
wieder in den vollen Besitz seiner Kräfte gelangt ist, wird
sich nachher einer ganz ununterbrochenen, dauerhaften Ge-
sundheit zu erfreuen haben. Und bei Gelegenheit dieses
Lobliedes bringt er wahrlich in einem Sprüchlein ein herr-
liches Wortspiel an. 4. Er versichert dabei: der Ausspruch
(aus Hesiod. opp. et d. 825) hat sich seit Menschengedenken
bewährt :
Bald stiefmütterlich handelt der Tag, bald mütterlich wieder.
Durch diesen Vers soll angedeutet werden, dass es nicht alle
Tage gleich gut gehen könne, sondern an dem einen gut,
und am andern schlecht. 5. Da dies aber nun, sagt er,
nicht zu ändern sei, so dass im menschlichen Dasein das
Wohl- oder Ueb elbefinden im steten Wechsel begriffen sein
müsse, um wie viel beglückender ist das Fieber, das zwei
Tage aussetzt, bei welchem zwei Mütter mit nur einer Stief-
mutter abwechseln (juia itrjtQvia, dvo /LujTegeg).
XVII, 13, L. Wie vielerlei verschiedene Bedeutungen die Partikel „quin"
hat und dass sie in den Schriften der Alten oft sehr unverständlich ist.
XVII, 13. Cap. 1. Die Partikel „quin", welche die Gram-
XVII, 12, 2. Thersites, der hässlichste Mann vor Uion und ein
frecher bösartiger Schreier, von Odysseus zum Ergötzen des Volkes ge-
züchtigt, als er den Agamemnon lästerte (Horn. II. II, 212 ff.), nnd von
Achilles getödtet (Horn. Ii. II, 220). — Quartis diebus vergl. Gell. IX,
4, 6 NB. Savigny Uber Ordinalzahlen.
XVII, 12, 8. Vergl. Plat Timaeus p. 86.
Digitized by Google
XVII. Buch, 18. Cap., § 1-8.
(381)
matiker Bindewort nennen, scheint die Rede unter ver-
schiedenen Beziehungen und Bedeutungen logisch zu verbinden.
2. Denn man legt ihr einen andern Sinn bei, wenn wir sie
gebrauchen beim Ausschelten oder beim Fragen, oder beim
Ermahnen, z. B. „quin venis (warum kommst Du nicht, d. h.
mache, dass Du endlich kommst)? quin legis (warum liesest
Du nicht, d. h. Du musst doch wohl lesen)? quin fugis
(warum fliehst Du nicht, d. h. warum machst Du nicht, dass
Du fliehst)?" In anderer Bedeutung wird diese Partikel
gesagt, wenn man z. B. folgende Behauptung aufstellt: „Es
ist kein Zweifel (non dubium est, quin), dass M. Tullius
(Cicero) unter Allen der beredteste ist" ; noch eine andere
Bedeutung hat die Partikel in der Zusammensetzung zweier
offenbar entgegengesetzter Gedanken: „Nicht etwa deshalb
tibernahm Isocrates keine gerichtliche Vertheidigung , (quin)
als ob er dies nicht für nützlich und ehrenvoll gehalten
hätte." 3. Diese Bedeutung des Wortes stimmt ganz mit der
Stelle im 3. Buche der Urgeschichte von M. Cato überein,
wo es heisst: „Ich beschreibe diese Völker nicht etwa des-
halb zuletzt, (quin) als ob sie nicht (auch) tapfer und unter-
nehmend seien." 4. Im 2. Buche seiner Urgeschichte ge-
braucht M. Cato diese Partikel in einer nicht viel anderen
Bedeutung, wo er sagt: „Ihn insgeheim geschändet zu haben
(dieses Bewusstsein) , hielt ihn durchaus nicht ab , (quin) dass
er nun nicht auch noch öffentlich seinen guten Ruf preis
geben sollte." 5. Ausserdem habe ich die Bemerkung ge-
macht, dass Quadrigarius im 8." Buche seiner Jahrbücher diese
Partikel höchst unverständlich gebraucht hat. Ich lasse hier
seine eigenen Worte folgen: „Er kommt nach Rom, (vix
superat, quin) mit grosser Mühe erreichte er es kaum (d. h.
es war noch unsicher), dass ihm (vom Senat) ein feierlicher
Einzug zugestanden wird." 6. Ebenso lautet im 6. Buche
der Jahrbücher desselben (Quadrigarius) eine andere Stelle:
(paene factum est, quin) Beinahe geschah es (d. h. es fehlte
nicht viel), dass sie das Lager verliessen und dem Feinde
wichen." 7. Nun lasse ich aber hier durchaus nicht ausser
Acht, dass mir unüberlegter Weise Einer einwenden könne, in
der Erklärung dieser Stelle liege ja gar keine Schwierigkeit,
8. Denn „quin" stehe an beiden Stellen für „ut", und es sei
Di
(382) XVII. Buch, 13. Cap., § 8 — 11. — 14. Cap., § 1. 2.
vollständig gleichgültig, ob man so sagt: „Er kam nach Rom ;
nur mit grosser Mühe erreicht er es noch, (ut) dass ihm ein
feierlicher Einzug gewährt wird"; und an der andern Stelle:
„Es fehlte nicht viel, (ut) dass sie das Lager verliessen und
dem Feinde wichen." 9. Mögen immerhin Die, welche so schlag-
fertig sind, diese (billige) Zuflucht nehmen zu Umwandlungen
bei Ausdrücken, die ihnen unverständlich sind, nur sollen sie
mit etwas Bescheidenheit zu diesem Ausfluchtsmittel da greifen,
wo es möglicher Weise angeht und hinpasst. 10. Wem aber
unbekannt geblieben sein sollte, dass diese Partikel eine ver-
bundene und zusammengesetzte sei und (noch nicht ein-
leuchten will, dass sie) nicht nur verbindende Kraft (d. h. als
Conjunction gebraucht wird), sondern auch von einer be-
stimmten Bedeutung ausgegangen sei, der wird nie im Stande
sein, die Bedeutungen und die Vielseitigkeit dieser Partikel
begreifen zu lernen. 11. Da dies aber Sache einer weiteren
(und gründlicheren) Erörterung bleiben muss, so wird Der,
welcher Zeit (und Lust) hat, das Weitere darüber in des
P. Nigidius „Erklärungsschriften" finden, welche die „gram-
matischen" überschrieben sind.
XVII, 14, L. Einige artige, aus den Mimen des Publius (Syrus)
gesammelte Sinnsprüche.
XVII, 14. Cap. 1. Publius (Syrus) schrieb mimische
Schauspiele und wurde für würdig erachtet, dem Laberius
darin ziemlich gleich geschätzt zu werden. 2. Allein die
Schmähsucht und der Hochmuth des Laberius beleidigte (und
verdross) den Gajus Caesar so sehr, und veranlasste ihn zu
der ganz offenen Erklärung, dass er die Schauspiele des
Publius weit angenehmer und vortrefflicher finde, als die des
XVII, 13, 10. Quin, zusammengesetzt aus qui und ne (für non),
wird x«r' anoxonrjv (nach WeglassuDg) gesagt für qui-ne.
XVII, 14, L. S. Teuffels röm. Lit. Gesch. 208, 2. 3 Publius Syrus.
XVII, 14, 1. Publius Syrus, ein geborner Syrer, später Sklave,
dann Freigelassener, vom Caesar sehr begünstigt, verfasste Mimen, woraus
wir noch jetzt eine Sammlung von Sprüchen besitzen. S. Gell. Vm,
15, L. NB; Sueton de viris R. illustr. IV de poetis 22; ed. Doergens p. 98.
Vergl. ßernh. röm. Lit. 78, 357.
XVII, 14, 2. S. Teuffels Gesch. der röm. Lit. 189, 7.
Digitized by Google
XVII. Buch, 14. Cap., § 3. 4. - 15. Cap., § 1. 2. (383)
Laberius. 3. Von diesem Publius sind sehr viele lehrreiche
und zum allgemeinen Nutzen für die Unterhaltung (im ge-
wöhnlichen Leben) höchst geeignete Sinnsprüche im Umlauf.
4. Von diesen Sinnsprüchen einige folgen zu lassen, jeden ein-
zelnen in einen Vers zusammengefasst, gewährt mir wahrlich
besonderes Wohlgefallen.
1. Ein schlechter Rath, der sich nicht ändern lasst (Publius Syrus v. 392).
2. Durch Geben thut sich selber wohl, wer Würd'gem giebt (P. S. 72).
3. TragM Nur verschulde nicht, was Du nicht ändern kannst (P. S. 218).
4. Wer mehr, als recht ist, darf, (oft) mehr, als recht ist, will (P. S. 142).
5. Statt Reisefuhrwerk gilt ein munterer Gefährt' (P. S. 124).
6. Die Redlichkeit ist guten Rufes Bettlerkleid (P. S. 240).
7. Des Erben Weinen ist verkapptes Lachen (P. S. 261).
8. Zu oft beleidigte Geduld wird Wuth (P. S. 243).
9. Wer zweimal Schiffbruch litt, geb' nicht die Schuld dem Meer* (Neptun)
(P. S. 804).
10. Behandle so den Freund, als könnt' d'raus werden leicht ein Feind
(P. S. 810).
11. Du meidest neues, trägst das alte Unrecht Du (P. S. 762).
12. Es wird Gefahr nur immer durch Gefahr besiegt (P. S. 507).
13. Durch zu viel Streit verlieret man die Wahrheit (oft) (P. S. 475).
14. Die Bitt' ist halb gewährt, wenn Du sie freundlich abschlägst
(P. S. 527).
XVII, 15, L. Wie der Akademiker Carneades, als er die Lehrsätze des
Stoikers Zeno widerlegen wollte, (vorher) Nieswurz zur Reinigung des
Magens nahm (um den zu behandelnden Stoff schärfer zu durchschauen);
dann über die natürliche Heilkraft des weissen und schwarzen Nieswurzes.
XVII, 15. Cap. 1. Als der Akademiker Carneades die
Bücher des Stoikers Zeno widerlegen wollte, reinigte er
(zuvor) den oberen Theil des Körpers durch (den Gebrauch
vom) weissen Nieswurz, damit von den im Magen befind-
lichen, verdorbenen (unreinen) Säften nicht etwa sich etwas
auf den Wohnsitz seines Geistes übertrage und so die Aus-
dauer und Kraft seiner geistigen Beurtheilung schwäche;
2. mit so grosser Fürsorge und so ernster, eigener Vor-
bereitung ging dieser geistvolle Mann an die Widerlegung
XVII, 14, 3. S. Macrob. H, 7.
XVII, 14, 4. v. 1. Publ. Syrus 392 (386); Varro R. R. III, 2 2; cfr.
Gell. IV, 5, 5. —
XVII, 15, t S. Plin. 25, 21, 4; Val. Max. 8, 7 ext 5.
(384)
XVIL Buch, 15. Cap., §3 — 7.
dessen, was Zeno geschrieben, 3. und als ich diese Bemerkung
in der griechischen Geschichte gelesen hatte, machte ich mich
sofort daran, zu erfahren, was es mit dem weissen Nieswurz,
wie da geschrieben stand, für eine Bewandtniss habe. 4. Da
erfuhr ich denn, dass es zwei Arten von Nieswurz gebe,
kenntlich am Unterschied der Farbe, der weissen und
schwarzen , dass aber diese Farbenunterschiede nicht im
Samen des Nieswurzes zu suchen, auch nicht in dem Busch-
(oder Kraut-) werk, sondern in der Wurzel; durch den weissen
Nieswurz erfolge eine Reinigung des Magens und des Ober-
körpers durch Erbrechen, durch den schwarzen finde eine Aus-
spülung des sogenannten Unterleibes statt (durch Stuhlgang
oder Leibesöffnung); beiden aber soll die Kraft innewohnen,
dass sie alle schädlichen Säfte, in denen die Ursachen für
alle Krankheiten zu suchen sind, (aus dem menschlichen
Körper) entfernen. 5. Man müsse aber vorsichtig verfahren,
um nicht Gefahr zu laufen, weil, nachdem durch dieses
(drastische) Abführmittel im Allgemeinen der Weg zur Ent-
fernung aller Unreinigkeiten aus dem Körper geöffnet worden
ist, auch die Säfte mit verloren gehen, auf denen der Fort-
bestand des ganzen Lebensorganismus beruht, und weil, nach-
dem jede Grundlage einer natürlichen Ernährung eingebüsst
worden ist, der menschliche Körper erschöpft und geschwächt
zu Grunde geht. 6. Plinius Secundus schrieb in seiner Natur-
geschichte, dass der Nieswurz auf der [phocäischen Halb-]
Insel [in der Stadt] Antieyra mit dem höchsten Erfolg an-
gewendet werde. Deshalb habe sich auch der Volkstribun
Li vi us Drusus, als er an der fallenden Sucht (Epilepsie,
morbus comitialis) litt, zu Schiffe nach Antieyra begeben und
sei, wie Plinius sagt, deshalb daselbst durch einen Nieswurz-
trank vollkommen von dieser Krankheit geheilt worden. 7.
Ausserdem las ich auch geschrieben, dass die Gallier für
XVII, 15, 6. 8. Suet Calig. 29; Hör. Sat. II, 3, 82 seq. 166; de art.
poet. 300 seq. — In (insula) urbe Antieyra s. Pauly's Realencyclop. I,
S. 1106 Antieyra.
XVII, 15, 6. Der Volkstribun Livius Drusus war mit G. Gracchus
Eugleich Zunftmeister und ebenfalls ein eifriger Verfechter der Acker-
gesetze. Er wurde ermordet, weil er den italischen Bundesgenossen das
Bürgerrecht verschaffen wollte. Plin. 25, 21, 4; cfr. Gell. IV, 4, 3 NB.
mißt - s
• • * .
XVII. Buch, 15. CapM § 7. — 16. Cap., § 1 — 4. (385)
ihre Jagden ihre Pfeile mit Nieswurz(saft) tränken, weil das
damit getroffene, getödtete Wild zarter für die Tafel wird;
allein aus Vorsieht vor der Schädlichkeit dieses Nieswurzes
soll man die durch solche (giftgetränkte) Pfeile verursachten
Wunden sehr weit und tief auszuschneiden pflegen.
XVII, 16, L. Dass die politischen Enten ein wirksames Kraftmittel ent-
halten zur Verdauung ron Giftstoffen; ferner auch noch über die Ge-
schicklichkeit des Königs Mithridates in Zubereitung solcher Arzneimittel.
XVII, 16. Cap. 1. Die pontischen Enten sollen sich
gewöhnlich (nur) von giftigen Speisen nähren. 2. Auch
schreibt Lenaeus, des C. Pompejus Freigelassener, dass
Mithridates, jener berühmte König von Pontus, in der Heil-
kunst und in der damit einbegriffenen Arzneimittellehre sehr
bewandert gewesen sei und gewöhnlich das Blut von den
pontischen Enten mit den Arzneien, welche die Verdauung
von Giften und ihre Schadlosmachung bewirken sollen, zu
vermischen gewusst habe, und dass dieses Blut gerade das
allerwirksamste sei bei Bereitung solcher Gegen-(Gift-)Mittel.
3. Durch den fortwährenden Gebrauch solcher Mittel habe
dieser Fürst vor einer (möglichen) heimlichen Vergiftung durch
Speisen sich sicher gestellt, 4. dass er sogar nicht nur
mit Wissen (und Willen), sondern auch, um (den offenbaren
XVII, 15, 7. S. Plin. 25, 25.
XVII, 16. 1. Pontische Enten s. Plin. 25, 3, 1; 29, 33, 2. Diosco-
rides II, 97. Scribonius Largus Designatianus de compositione medica-
mentorum 187.
XVII, 16, 2. Lenaeus Pompejus, ein Freigelassener des grossen
Pompejus, den er auch, wie es scheint, auf den meisten Kriegszügen als
Arzt begleitete, war zugleich Grammatiker und wurde von dem Feldherrn
nach Besiegung des Mithridates, des ebenso mächtigen als gelehrten
Königs von Pontus beauftragt, die in den Geheimzimmern desselben auf-
gefundenen Schriften über die Arzneimittellehre in die lateinische Sprache
zu übersetzen. S. Sueton. Gram. 15. Er schrieb zuerst unter den Römern
über die Heilmittellehre und es gelangte diese Wissenschaft seiner Zeit
zuerst durch ihn nach Rom. Aus diesem Werke ist wahrscheinlich bei
Plinius 25, 3, 1 die Bemerkung über Mithridates und das seiner Erfindung
zugeschriebene Gegengift, genommen. Vergl. Plin. 15, 39 (30); 23, 77;
Galenus de Antidot. II, 1. 2. 9; Celsus V, 23; Scribon Long. Designat.
170; Serenus Sammonicus de medicina cap. 60.
Gellins, Attische Nachte, n. - 25
Digitized by Google
(386) XVII Buch, 16. Cap., § 4— 6. — 17. Cap., § 1. 2.
Beweis zu liefern und) damit zu prahlen, oftmals das kräf-
tigste und schnell wirkende Gift eingenommen habe und
nichts destoweniger sei es (stets) ohne Nachtheil (für seine
Gesundheit) gewesen. 5. Als er daher später in der Schlacht
besiegt, nach den entferntesten Grenzen seines Reichs ge-
flüchtet war und (zwar) zu sterben beschlossen, aber das
allerstärkste Gift zur Beschleunigung seines Todes vergeblich
angewendet hatte, habe er sich genöthigt gesehen, seinem
Leben (noch) mit dem Schwerte ein Ende zu machen. 6.
Das ausserordentlich berühmte Gegengift dieses Königs, wel-
ches man jetzt noch hat, wird heute noch (nach ihm) das
Mithridatische genannt.
XVII, 17, L. Daas Mithridates, der König von Pontus, 25 Sprachen (ver-
standen und) fertig gesprochen habe; dass Quintus Ennius gesagt habe,
er besitze einen dreifachen Geist (tria corda habere sese ) , weil er drei
Sprachen genau verstand, die griechische, die oskische und die
lateinische
XVII, 17. Cap. 1. Weil Q. Ennius drei Sprachen zu
sprechen verstand, das Griechische, das Oskische und das
Lateinische, so sagte er, er besitze einen dreifachen Geist.
2. Allein Mithridates, der (eben erst erwähnte gelehrte)
berühmte König von Pontus und Bithynien, der vom Cn.
Pompejus im Treffen völlig tiberwunden worden war, verstand
vollständig 25 Sprachen von Völkern, die unter seiner Bot-
mässigkeit standen; und nie bedurfte er eines Dolmetschers,
wenn er zu den Leuten von allen diesen Völkern zu sprechen
hatte, sondern sobald es die Notwendigkeit erheischte, dass
Einer von ihm angesprochen werden musste, wusste er stets
in der Mundart und der Ausdrucksweise des Betreffenden
nicht weniger leicht und zierlich sich auszudrücken, als ob er
sein Landsmann sei.
XVII, 17, L. Die Osker waren ein Volk Campaniens am Liris,
zwischen Latium und Samnium. Dieser umbrische Stamm hiess bei den
Griechen Ausoner oder Opiker (Osker). Vergl. Liv. X, 20, 8; Macrob.
Sat. VI, 4, 23 und Teuffels röm. Lit. Gesch. § 9, 6.
XVII, 17, 2. S. Plin. 7, 24, 1; 25, 3, 2; Solinus 7; Valer. Max.
VIII, 7 ext 16.
XVII. Buch, 18. Cap., § 1. — 19. Cap., § 1-3. (387)
XVII, 18, L. Mittheilung des M. Varro, dass der Geschichtsschreiber
C. Sallustius vom Annius Milo im Ehebruch ertappt, durchgepeitscht und
(erst) nach Erlegung einer (bedeutenden) Geldsumme entlassen worden sei.
XVII, 18. Cap. 1. M. Varro, in seinen Schriften, wie in
seinem Leben ein Mann von grosser Zuverlässigkeit und sehr
besonnen, schrieb in seiner Abhandlung, welche den Titel
führt: „Der (kindlich) Fromme, oder über den Frieden (Pius
aut de pace)", dass der Geschichtsschreiber jenes ernsten und
strengen Tones, C. Sallustius, in dessen Geschichte wir (in
Bezug auf die Laster) wahrhaft censorische Bemerkungen ge-
äussert und durchgeführt sehen, (einst) vom Annius Milo im
Ehebruch sei ertappt, und wie er sagt, tüchtig durchgepeitscht
und erst nach Erlegung einer bedeutenden Geldsumme
wieder losgelassen worden sei.
XVII, 19, L. Was der Philosoph Epictet nichtswürdigen und lasterhaften
Leuten zu sagen pflegte, welche die Lehren der Philosophie mit Eifer
treiben; ferner, wie er den Rath ertheilte, sich (vorzüglich) zwei Worte tief
ins Herz zu schreiben, als besonders höchst heilsam (für unsere Herzens-
bildung und Besserung des Lebenswandels).
XVII, 19. Cap. 1. Wie ich aus dem Munde Favorins
erfuhr, hat der Philosoph Epictet (oft) geäussert, dass die
Meisten, welche sich den Anschein geben, nach gründlicher
Erkenntniss zu streben, nur unter diejenige Sorte von Welt-
weisen zu rechnen sind, die es (avev tov rtgarreiv, utxgt tov
Xsyeiv, d. h. nur ohne That, nicht übers Reden hinaus, das
will sagen, nicht ihren Thaten, sondern blos den Worten nach
sind. 2. Viel gewaltiger klingt nun aber, dem Wortlaut nach,
Epictets (eigener) Ausspruch, wie ihn uns Aman in seinem
Werke, welches er über „die Vortragsmaterien" dieses (grossen
Philosophen) verfasste, schriftlich hinterlassen hat. 3. Denn
als Epictet, so berichtet Arrian, einen Menschen bemerkt
hatte, der aller Scham bar, von ungestümer Leidenschaftlich-
keit, voll sittlicher Verderbniss, frech, vorlaut und für alles
XVII, 18, L. Ueber Sallust vergl. Beruh, röm. Lit. 104, 493 und
Teuffels Gesch. der röm. Lit. 203, 1.
XVII, 19, 3. Vergl. Arrians Epictet II, 19 und Gell. I, 2, 8 etc. Pytha-
goras bei Plutarch. über Kindererziehung cap. 17. Epictet zieht gegen die
(pi loooyoi anoaxxoi zu Felde, qui sola barba et pera id nomen tuebantur.
25*
Di
(388)
XVII. Buch, 19. Cap., §8 — 5.
Andere, nur nicht ftlr die Ausbildung seines Geistes (und auf
Besserung seines Herzens) bedacht war, wie Epictet also sah,
dass solch ein Mensch auch die Vorschriftjen und Lehren der
Philosophie mit Eifer betrieb, sich mit Physik beschäftigte,
sieh auf Einübung der Dialektik legte und viele andere der-
artige (schwierige) wissenschaftliche Lehrsätze beschnoperte
und durchstöberte, rief er Götter und Menschen um Hülfe
an und unter den vielen Ausrufen liess er dieses Subject mit
folgenden Worten hart an: „Du Mensch, Du, wo legst (Du
doch diese Kenntnisse) hin? Bedenke doch, ob das Gefäss*)
auch rein ist (wohinein Du sie legst); denn wenn Du das
Alles nur in Deinem Eigendünkel aufnimmst, so ist es (so
gut, wie) verloren; wenn sie (in diesem unreinen Gefäss
Deines Geistes) verfaulen, werden sie in Pisse verwandelt,
oder in Essig, oder in gar noch etwas Schlechteres, als diese
(Dinge sind)." 4. Es kann aber nichts Ernsteres und nichts
Wahreres gesagt werden, als in diesen Worten liegt; wodurch
dieser grösste unter den Philosophen deutlich zu erkennen
geben wollte, dass die Vorschriften und Lehren der Philosophie,
sobald sie in das Herz und die Seele eines heuchlerischen
und entarteten Menschen übertiiessen , wie in ein unflätiges
und schweinisches Gefäss, sie umstehen, verderben und ver-
unglimpft werden, und was er selbst nach Cyniker-Art (mit
einem schmutzigen und ziemlich bissigen, xvviy.wt€qov) Aus-
druck bezeichnet, zu Pisse, oder wohl gar noch in etwas
Schlechteres (und Gemeineres) als Pisse verwandelt werden.
5. Ausserdem pflegte eben dieser Epictet, wie wir von dem-
selben Favorin erfuhren, zu behaupten, dass es (besonders)
zwei Laster gebe, welche unter allen die unerträglichsten
und hässlichsten wären, nämlich: die Unduldsamkeit und die
Unenthaltsamkeit , wenn man entweder Unrecht (und Be-
leidigungen), die man soll ertragen lernen, nicht erdulden und
tragen kann, oder: dass wir uns der Dinge und der Ver-
gnügungen nicht entschlagen, deren wir uns doch eigentlich
XVII, 19, 3. *) Bei Plutarch, über die Erziehung der Kinder 17, lautet
eine räthselartige Mahnung des Pythagoras: Wirf nicht Speise in einen
Nachttopf, d. h. dringe die Lehren der Weisheit nicht dem Lasterhaften
auf: denn diese Lehren sind die Speise der Seele, diese aber werden
durch die Laster der Menschen verunreinigt.
XVn. Buch, 19. Cap., § 6. — 20. Cap., § 1 -4. (389)
sollen enthalten können. 6. Wenn sich daher nur Einer fol-
gende zwei Worte ins Herz schreiben und zu seiner Selbst-
beherrschung und zur Beobachtung seiner selbst verwerthen
will, der wird grösstentheils fehlerfrei bleiben und sein Leben
in ungetrübtester Ruhe verleben. Diese beiden Worte seien,
wie er sagte : Leide und meide (ave^ov xai aiti^ov , sustine
et abstine).
XVII, 20, L. Eine aus dem Gastmahl des Plato entlehnte Stelle, dem
Wohlklang und Gefiige der Worte (im Original so) geschmackvoll und
melodisch (als möglich) angepasst, der Uebung halber in die lateinische
Sprache übersetzt.
XVII. 20. Cap. 1. Bei dem Weltweisen Taurus wurde
(einst) das Gastmahl des Plato gelesen. 2. Von dem Einen
unter den Gästen (welche bei Plato redend eingeführt wer-
den), von dem Pausanias, gefielen uns gerade die Worte, wo
er, als die Reihe an ihn kam, die Liebe preist; ja gerade
seine Worte gefielen uns so sehr, dass wir uns Mühe gaben,
sie im Gedächtniss zu behalten. 3. Die Worte nun, so viel
ich mich erinnere, lauten (Plat. Sympos. 180, E und 181)
also: „Denn jede Handlung verhält sich also: an und für
sich ist sie, inwiefern sie ausgeführt wird, weder schön noch
hässlich. Was wir z. B. jetzt (bei diesem Gastmahle) thun:
trinken, singen, sprechen, davon iat nichts an und für sich
schön, sondern wie es bei der Ausführung gethan wird, zu dem
wird es: denn schön und recht gethan, wird es schön, nicht
recht aber, wird es hässlich. Auf diese Weise nun ist auch
das Lieben und der Eros nicht durchaus schön und werth
gepriesen zu werden, sondern Der, welcher anspornt schön
zu lieben. * 4. Als diese Worte gelesen worden waren, und
Taurus nun zu mir sagte: Höre, Du junger Redner, —
so nannte er mich anfangs, als ich eben erst in seine
Schule aufgenommen worden war, meinend, ich sei einzig
zur Erwerbung und Ausbildung der Beredtsamkeit nach
Athen gekommen, — siehst Du wohl, sagte er, diesen reich-
haltigen, flimmernden und abgerundeten Vernunftschluss
(it>i}vprhua) , durch bündige und glatte Harmonie mit einer
xvii, 20, 4. Mv/inm s- W l> 4» 2NB-
(390)
XVII. Buch, 20. Cap., §4—9.
gewissen gleichförmigen (Rede-) Wendung (eingekleidet und)
zusammengekettet? 5. Kannst Du mir wohl aus den Schriften
eurer Redner eine so passend und so harmonisch zusammen-
gefügte Rede anführen? Indess, sagte er, rathe ich (Dir),
Du mögest diese Satzgliederung Dir nur so beiläufig besehen
(videas oöov TtdqeQyov). 6. Denn, (was ich für nöthiger halte)
man muss bis ins Heiligthum des platonischen Geistes vor-
dringen, d. h. die Wichtigkeit und Bestimmtheit der Gründe,
die Würde und Erhabenheit der Gedanken auf sich wirken
lassen, nicht erst lange bei der Lieblichkeit und Anmuth
seiner Ausdrücke, noch bei der Schönheit und dem Reiz
seiner Ausdrucksweise verweilen. 7. Diese Mahnung des
Taurus in Bezug auf die Harmonie in der platonischen Rede,
weit entfernt mich zu entmuthigen, reizte mich vielmehr an,
den Versuch zu wagen, in einer lateinischen Uebersetzung die
Feinheit der griechischen Darstellung zu erreichen; 8. und
wie es eine Art kleiner und werthloser Geschöpfe giebt, die
ausgelassen und muthwillig Alles nachahmen, was sie hören
und sehen, ebenso habe auch ich mich unterfangen, das, was
ich in des Plato Rede so sehr bewundern musste, wenn auch
nicht zu erreichen zu suchen, so doch einen Schattenriss da-
von zu liefern. So mag also hier beispielsweise seinen Platz
linden, was ich jenen herrlichen (unerreichbaren) Worten des
Originals nachgebildet habe. 9. Mit jeder Handlung, heisst
es bei Plato, verhält es sich überhaupt folgendennassen:
„Sie ist, an und für sich betrachtet, weder unanständig (un-
löblich), noch anständig (löblich), wie dies z. B. der Fall ist
bei unsern gegenwärtigen Verrichtungen, wo wir trinken,
singen, Unterhaltung pflegen. Denn nichts ist an diesen
(Verrichtungen) an und für sich rühmenswerth : auf welche
Art aber in der Ausübung diese (unsere Verrichtung) ge-
schieht, als solche erscheint (und geräth) sie; denn wenn
sie recht und löbli.ch vollzogen wird, dann wird sie löblich,
wenn aber weniger recht, wird sie schlecht: so nun auch
das Lieben. Also ist nun auch nicht jede Liebe anständig,
nicht jede lobenswerth, sondern nur die, welche bewirkt,
dass wir unsere Neigung auf einen würdigen Gegenstand
lenken."
*
XVII. Buch, 21. Cap., § 1. (391)
XVII, 21, L. (Chronologisches Verzeichniss) in welchen Zeitpunkten seit
Roms Erbauung vor dem zweiten (pnnischen) Krieg mit den Carthagera
die berühmtesten griechischen und römischen Männer (gelebt und)
geblüht haben.
XVII, 21. Cap. 1. Um eine kurze Uebersicht von den
ältesten Zeiten, ebenso wie von den berühmtesten Männern,
die in diesen Zeitabschnitten geboren wurden, zu geben, um
gesprächsweise in der Unbesonnenheit zufällig nicht eine un-
bedachtsame Aeusserung über das Lebensalter und das Leben
berühmter Männer zu thun, — wie neulich einmal ein un-
besonnener (anaidevtog) Sophist, welcher vor aller Welt
darüber einen Vortrag hielt, dass der Philosoph Carneades
von dem König Alexander, dem Sohne des Philippos, ein
Geldgeschenk empfangen habe, ferner behauptete, dass der
Stoiker Panaetius zur Zeit des älteren Africanus gelebt
habe, — um uns nun also, sage ich, vor (ähnlichen groben)
Irrthümern in der Zeit- und Lebensgeschichte zu bewahren,
deshalb fühlten wir uns veranlasst, einen Auszug zu ver-
anstalten aus den sogenannten Chroniken (d. h. Geschichts-
büchern nach der Zeitenfolge), in welchen Zeitabschnitten
einige berühmte griechische und zugleich römische Männer
gelebt haben, die sich durch ihren Geist, oder durch ihr
Regiment seit Erbauung Roms vor dem 2. punischen Krieg
hervorgethan und ausgezeichnet haben; und diese meine, an
mannigfaltigen und verschiedenen Orten zusammengetragenen
Auszüge, will ich nun hier der Reihe nach aufführen. Denn
XVII, 21, 1. Panaetios von Rhodos, geb. 180 v. Chr. Seine philo-
sophische (Bildung erhielt er in Athen von Diogenes Babylonios (s. Gell.
VI [VII], 14, 9) und dessen Schüler Antipatros aus Tarsos. Hierauf begab
er sich nach Rom, wo er mit Laelius, Polybios und dem jüngeren Scipio
Africanus in Verbindung trat und diesen auf seiner Gesandtschaftsreise
durch Asien und nach Aegypten zu Ptolemaios Physkon (143 v. Chr.)
begleitete. S. Plut. mor. ot* pakim« etc., dass ein Philosoph sich vor-
züglich mit Fürsten unterhalten müsse, cap. 1. Später kehrte er an des
Antipatros Stelle, als Vorsteher der stoischen Schule nach Athen zurück
und starb daselbst hochbejahrt. Sein berühmtes Werk „über die Pflichten"
hat Cicero grösstenteils in seine ähnlich betitelte Schrift aufgenommen.
Vergl. Gell. XIII, 28 (27), 1. Ueber seine Bekanntschaft mit P. Cornelius
Scipio Aemilianus Africanus minor s. Gell. VI (VII), 11, 9 NB.
Digitized by Google
(392)
XVII. Buch, 21. Cap., § 1—5.
nicht etwa das habe ich mir zur (besondern) Aufgabe ge-
stellt, mit strenger und genauer Ausführlichkeit und Sorgfalt
(vergleichsweise) ein chronologisches Verzeichniss von den
hervorragendsten Männern bei beiden Völkerschaften zu-
sammenzustellen, sondern nur die Absicht verfolgt, diese
meine „Nachtgedanken" einigermassen auch mit einigen
leichthingeworfenen Blüthchen aus dem Bereich der Geschichte
(zur Ausschmückung) zu bestreuen. 2. Es schien mir aber
genügend, in diesem Abschnitt von den Zeiten derjenigen
wenigen (berühmten) Persönlichkeiten zu sprechen, nach deren
Zeitalter mit grosser Leichtigkeit auch über die meisten
andern, von mir übergangenen (ungenannten) Persönlichkeiten
eine Muthmassung aufgestellt werden kann. 3. Ich mache
also den Anfang mit dem berühmten Solon; denn in Betreff
des Homer und Hesiod gilt es fast bei allen Schriftstellern
für ausgemacht, dass sie (Beide) entweder fast zu derselben
Zeit gelebt haben, oder dass Homer nur ein wenig älter ge-
wesen sei, dass sie Beide vor Erbauung der Stadt Rom, als
zu Alba noch die Familie der Silvier regierte, gelebt haben
und zwar, nach der schriftlichen Aufzeichnung des Cassius
[Hemina] im ersten Buche seiner Jahrbücher bei der be-
treffenden Stelle, wo vom Homer und Hesiod die Rede ist,
mehr als 160 Jahre nach dem trojanischen Kriege, allein, wie
Cornelius Nepos im 1. Buche seiner Chronik über Homer ge-
sagt hat, ohngefähr 160 Jahre vor Erbauung Roms. 4. Solon
also, Einer aus der berühmten Zahl jener (sieben griechischen)
Weisen, hat, wie wir erfuhren, den Athenern ihre Gesetze
gegeben, zur Zeit als zu Rom (der König) Tarquinius der
Aeltere bereits 33 Jahre regierte. 5. Während der Regierung
des Servius Tullius (zu Rom) war Pisistratus Alleinherrscher
XVII, 21, 3. S. Gell. III, 11, 2; Senec. ep. 88, 5; Pausan. Beschrei-
bung Griechenlands IX, 30; Sextus Empirie, adv. mathemat I, p. 41;
Tzetzes Chil. XII, 165; Hieronym. Chronicon. Eusebii Über Homer und
Hesiod. — üeber Solon s. Gell. XI, 18, 5; Plutarch Solon S. 85;
Herodot I, 29; Diog. Laert. I, 2, 1 ff.; Aelian. vermischte Erzählungen
Vin, 10; Justin, ü, 7, 4; Val. Max. V, 3 extr. 3. Ueber CasBius Hemina
s. Teuffels röm. Lit Gesch. 138.
XVII, 21, 5. Diog. Laert. I, 2, 4. 6. 18; Plutarch. Solon p. 95 f.;
Polyaen. I, iäO, 1.
Digitized by Google
XVII. Buch, 21. Cap., § 5-11. (393)
(Tyrann) von Athen, nachdem Solon vorher sich in die frei-
willige Verbannung begeben hatte, (aus Verdruss), weil man
ihm nicht hatte glauben wollen, als er dies vorher gesagt
hatte. 6. Später kam der Samier Pythagoras nach Italien,
als der Sohn des Tarquinius, welcher den Beinamen des
Hochmüthigen führte, die unumschränkte Gewalt (zu Rom)
inne hatte; 7. zu derselben Zeit wurde zu Athen Hipparchus,
Sohn des Pisistratus und Bruder des Tyrannen Hippias von
Harmodius und Aristogiton ums Leben gebracht (vergl. Gell.
XIV. 6, 3 NB). 8. Archilochus aber war, nach dem Bericht
des Cornelius Nepos, schon damals, als Tullius Hostilius
zu Rom regierte, durch seine Gedichte allgemein bekannt
und berühmt. 9. Im 260. Jahre nach Roms Erbauung,
oder nicht lange nachher wurden nach überliefertem Be-
richt die Perser besiegt von den Athenern in der berühm-
ten marathonischen Schlacht unter dem Oberbefehl des Miltia-
des, der nach diesem (errungenen) Siege von dem (undank-
baren) athenischen Volke verurtheilt wurde und im Staats-
gefängniss den Tod erleiden musste. 10. Damals lebte zu
Athen auch der berühmte Tragödiendichter Aeschylus. 11.
Zu Rom erzwang sich fast um eben diese Zeit die Volks-
Gemeine durch Aufruhr (und durch ihren Auszug auf den
heiligen, aventinischen Berg) die Wahl ihrer Zunftmeister
•
XVII, 21, 6. Pythagoras, ein Schüler des Pherecydes, lebte unter
der Regierung (v. 534 — 509 v. Chr.) des älteren Tarquin. S. Gell. I,
1, 1 NB ; Cic. Tusc. IV, 1, 8; Liv. I, 18; de orat. III, 34, 139; Solinus 16.
XVII, 21, 7. S. Gell. IV, 2, 10; Thucydides I, 20; VI, 54 ff.; Pausan.
I, 8. 23. 29; Plin. VII, 23; XXXIV, 9 (4), 2; Senec. de benef. VII, 14, 5;
de ira II, 23, 2; Athen. XV, Sect. 50 (695); Cicero Tusc. I, 49.
XVII, 21, 8. Archilochus, der berühmte griechische Jambendichter
lebte wahrscheinlich 688 v. Chr. Dass er unter Tullus Hostilius geblüht
habe, ist nicht ganz verbürgt. Vergl. Herodot I, 12; Cic. Tusc. I, 1;
Horat. de art poet. 79.
XVII, 21, 9. S. Com. Nep. Miltiad. 4 ff.; Dionys. Halic. V; Herodot.
VI, 102 ff.; Pausan. I, 32; VII, 52; Thucydid. I, 73; H, 34; Plutarch.
Aristid. p. 321; Diog. Laert I, 2, 8.
XVH, 21, 11. S. Liv. HI, 30; Eutrop. I, 12; Aurel. Vict. de vir. illust
18, 6; Dionys. Halicarn. VI, 96. — Plutarch Coriolan p. 223 f.; vom Glück
der Römer p. 318 cap. 5; Flor. I, 22, 3; Aurel. Vict de vir. ÜL 19, 3;
Liv. II, 34; Valer. Maxim. V, 8, 2.
Digitized by Google
(394) XVII. Buch, 21. Cap., § 11 — 17.
(Tribunen) und Wohlfahrtspolizei (Aedilen); nicht lange her-
nach fiel Cn. Marcius Coriolanus, verfolgt und gereizt von den
Volkszunftmeistern, von der Republik ab, ging zu den da-
maligen Feinden (seines Vaterlandes), zu den Volskern über
und führte gegen das römische Volk den Krieg. 12. Wenige
Jahre nachher wurde der (Perser-) König Xerxes von den
Athenern und den andern mit ihnen verbundenen Griechen
unter dem Oberbefehl des Themistokles (am 23. Septbr. 484
v. Chr.) in einer bei Salamis gelieferten Seeschlacht besiegt
und in die Flucht geschlagen. 13. Ohngefähr vier Jahre nach
dieser Begebenheit wurden unter den beiden Consuln Mene-
nius Agrippa und M. Horatius Pulvillus im Kriege mit den
Vejentern bei dem Flusse Cremera 306 Personen von der
patricischen Familie der Fabier mit ihren (4000) Hörigen
insgesammt von den Feinden umringt und kamen so ums
Leben. 14. Unmittelbar nach dieser Zeit that sich der
Agrigentiner Empedokles (s. Gell. IV, 11, 10 NB) durch
seine Kenntniss in der Naturwissenschaft hervor. 15. Zu
Rom aber wurden um diese Zeit (451 v. Chr., in Folge der
lex des Tribunen C. Terentillus), wie bekannt, die zehn Männer
gewählt zur Abfassung der (durch Herkommen geheiligten)
Gesetze ; und es wurden von ihnen im Anfang zehn Gesetzes-
Tafeln angefertigt, denen bald noch zwei andere beigefügt wur-
den. 16. Hierauf begann in Griechenland (durch Eifersucht
zwischen Athen und Sparta) der grosse peloponnesische Krieg,
welchen (uns) Thucydides (ausführlich) beschrieben. Er be-
gann ohngefähr so im 323. Jahre nach Roms Erbauung (und
dauerte 28 Jahre, also bis 351 d. St.). 17. Um eben diese
Zeit war Aulus Postumius Tubertus Dictator zu Rom, der
XVII, 21, 12. Thucyd. I, 73 f.; Pausan. VII, 52; Strabo IX, p. 603;
Plutarch Themistocl. p. 114; Cornel. Nep. Themist. 2; AeschyL
Pers. 380 ff.
XVII, 21, 13. Liv. H, 49. 50; Dionys. Halic. 17, 9; Flor. I, 12, 2;
Aurel. Vict. de vir. ill. 14; Diodor. Sicul. X, p. 40; Katrop. I, 14; Senec.
de benef. IV, 30, 2.
XVII, 21, 14. Diog. Laert. VIII, 2; Suidas und Hesychius Lex. unter
Empedocles.
XVII, 21, 15. Liv. 8, 33 ff.; Florus I, 24, 1; Dionys. Halic. 17, 9;
Aurel. Vict. de *ir. ill. 21; Eutrop. I, 16, 1; Orosius II, 13; Gell. XX, 1,3.
XVII, 21, 17. Liv. IV, 29, 5. 6; Valer. Max. II, 7, 6; cfr. VI, 9, 1;
Digitizec
XYn. Buch, 21. Cap., § 17-24. (395)
seinen eigenen Sohn (grausamer Weise) mit dem Beil hin-
richten Hess, (zur Sühne der verletzten Disciplin,) weil er
wider den Befehl (seines Vaters) gegen den Feind gefochten
hätte. Die Feinde der Römer waren damals die Fidenater.
18. In dieser Zeit lebten, auch berühmt und gefeiert, die
tragischen Dichter Sophocles und hernach Euripides, dann der
Arzt Hippocrates und der Philosoph Democrit, mit denen
Socrates, der zwar einige Jahre nachher geboren wurde und
also etwas jünger war, aber doch noch zu gleicher Zeit ge-
lebt hat. 19. Als nun darauf zu Rom die Kriegsobersten
den Staat mit consularische r Gewalt regierten, so um
das Jahr 347 nach Eroberung der Stadt, wurden von den
Lacedämoniern den Athenern die 30 Tyrannen octroyirt
(vorgesetzt) und in Sicilien hatte der ältere Dionysius die
Alleinherrschaft, und wenige Jahre nachher wurde Socrates zu
Athen zum Tode verurtheilt und musste im Gefängniss den
Giftbecher trinken. 20. Aber fast um dieselbe Zeit war
M. Furius Camillus zu Rom Dictator und besiegte (als solcher)
die Vejenter, 21. und nicht lange Zeit darauf begann der
sennonische Krieg, 22. als die Gallier Rom einnahmen, mit
Ausnahme des Capitols. 23. Nicht lange nachher wurde auch
der Astrolog Eudoxus in Griechenland gefeiert und die Lace-
dämonier wurden von den Athenern bei Korinth unter dem
Oberbefehl des Phormio besiegt. 24. M. Manlius aber, der
(geweckt durch das Geschnatter der Gänse) die Gallier bei
Belagerung des Capitols, als sie schon auf die steilen An-
Diodor. Sicul. XII, p. 115; Gell. I, 13, 7; IX, 13, 20. - Ueber die Fide-
nater 8. Liv. IV, 17 f.
XVII, 21, 19. Kriegsobersten mit consularischer Gewalt s. Liv. IV, 6 f.;
Dionys. Halic. XI, 60. — 30 Tyrannen s. Com. Nep. Lysander 1. Plutarch.
Lysand. 15. — Ueber Socrates 8. Diogen. Laert. II, 5, 21.
XVII, 21, 20. S. Liv. 5, 19 ff; Plutarch Camill. p. 30; Eutropius
I, 18, 1. Ueber Vejenter Val. Max. I, 6, 3.
XVII, 21, 22. Einnahme Roms, mit Ausnahme des Capitols, durch
die Gallier. S. Gell. V, 17, 2; Polyb. I, 6; Liv. 5, 34; Plutarch Camill.
cap. 27. vom Glücke der Römer, cap. 12; Florus I, 13; Val. Max. 1, 5, 1 ;
Verg. Aen. 8, 652; Ovid. Fast 6, 351; Martial. 13, 74: Augustin. de civ.
dei II, 22; III, 17; Veget. de re milit. 4, 26; Orosius II, 19.
XVII, 21, 24. Liv. 5, 48; Florus I, 13, 13 ff.; Plutarch. CamiU. p. 147;
Aurel. Victor, de vir. 01. 24, lff.; cfr. Gell. XVII, 2, 14. 24. — Manlius
Digitized by Google
(396)
XVII. Buch, 21. Cap., § 24 — 29.
höhen hinangekrochen waren, heruntergeworfen hatte, wurde
des angesponnenen Planes, die königliche Würde an sich zu
reissen, überwiesen und deshalb zum Tode verurtheilt. Da-
her wurde er, nach Angabe des M. Varro, von dem tarpe-
jischen Felsen herabgestürzt, nach der schriftlichen Ueber-
lieferung des Cornelius Nepos hingegen zu Tode gepeitscht.
25. In demselben Jahre, welches das siebente nach Wieder-
befreiung der Stadt war, soll nach dem Bericht der Welt-
weise Aristoteles geboren worden sein. 26. Einige Jahre
nachher, nach dem Kriege mit den sennonischen Galliern, haben
die Thebaner die Lacedämonier unter dem Oberbefehl des
Epaminondas bei Leuctra überwunden. 27. Kurze Zeit nach-
her pflegten zu Rom in Folge eines Gesetzes des Licinius
Stolo die Consuln aus dem niedern Volke (aus der niedern
Klasse der Gemeine) gewählt zu werden, da dies vorher nicht
zu Recht bestand und ein Consul (bis dahin) immer nur aus
den patricischen Geschlechtem genommen wurde. 28. Ohn-
gefähr ums Jahr 400 nach Erbauung der Stadt erlangte
Philippus, der Sohn des Amyntas und Vater des Alexander,
die unumschränkte Gewalt von Macedonien, auch wurde zu
derselben Zeit (ihm sein Sohn) Alexander geboren. 29. Wenige
Jahre darauf begab sich der Weltweise Plato an den Hof
des jüngeren Dionysius, des Alleinherrschers von Sicilien.
zum Tode verurtheilt s. Liv. 6, 20; Plut Camill. p. 147; Aurel Vict de
vir. illustr. 24, 5.
XVII, 21, 25. üeber Aristoteles s. Diog. Laert. V, 1.
XVII, 21, 26. Schlacht bei Leuctra im J. 371. S. Polyb. II, 39. 41 ;
IV, 18; Diodor. Sic. XV p. 369 f.; Aelian. verm. Erz. VII, 14; Justin.
VI, 8; Cic. Epist. ad Fam. V, 12, 16; Orosius III, 2; Val. Max. III, 2,
extr. 5; Cornel. Nepos Epaminond. 6. 10; Pausan. I, 3 13. 29; III, 6;
IV, 32; IX, 6. 13. 14; Strabo VIII p. 590; IX p. 634; Plutarch. Pelopid.
p. 288f.; Agesil. p. 512; Artax. p. 1022; Liebesgeschichten p. 774 cap. 3;
ob ein Greis Staatsgeschäfte p. 786 cap. 6. 27; Politische Lehren p. 808
cap. 13. —
XVn, 21, 27. Licinius Stolo s. Gell. VI (VII), 3, 40 NB; Liv. 6, 34ff.;
Florus I, 26, 4.
XVII, 21, 28. Diodor. Sicul XVI p. 406; Plutarch. Alexand. p. 662.
XVII, 21, 29. Plato zum Dionysius a. Plin. h. n. VII, 31 (30), 1 ;
Diog. Laert. III, 14 ff.; Aelian verm. Erz. III, 17; IV, 18; Plutarch. Dion
p. 962; Cic. de Orat. III, 34, 139; Athenaeus XI, sect. 116 (507); Diodor.
Sic. XV p. 332; Appulej. de dogm. Piaton. I.
n»r vi ■ " *
XVU. Buch, 21. Cap., § 30—36. (397)
30. Einige Zeit nachher besiegte Philipp (von Macedonien) die
Athener in einer grossen Schlacht bei Chaeronea. 31. Darauf
suchte der Redner Demosthenes durch Flucht aus dem
Scblachtgetümmel sein Heil; und als ihm Jemand über diese
schimpfliche Flucht bittere Vorwürfe machte, wusste er sich
scherzhafter Weise durch jenen bekannten Vers auszureden
und zu entschuldigen:
Wer flieht, der kann noch schlagen sich zum zweitenmale.
32. Hierauf kam Philippus durch Nachstellung ums Leben.
Alexander aber (sein Sohn), der nun an die Regierung ge-
langte, ging zur Unterjochung der Perser nach Asien und nach
dem Orient. 33. Ein anderer Alexander aber, mit dem Bei-
namen Molossus, kam nach Italien in der Absicht, mit dem
römischen Volke Krieg zu führen, — denn schon hatte der
Ruhm von der Tapferkeit und dem römischen (Kriegs-) Glück
bei auswärtigen Völkern angefangen (im hellsten Lichte) zu
strahlen, — allein bevor er noch eine kriegerische That voll-
bracht, starb er. Dieser Molossus soll, wie wir erfuhren, als
er nach Italien hinüberging, gesagt haben, er zwar gehe zu
den Römern, gleichsam wie nach einem Tummelplatz von
lauter Männern (Mgamng) , sein macedonischer (Namens-
vetter und) Nebenbuhler aber zu den Persern, gleichsam
wie nach einem Tummelplatz von nur lauter Weibern (yvvai-
xuvmg). 34. Als darauf Alexander der Macedonier den
grössten Theil des Orients unterjocht und 11 Jahre regiert
hatte, starb er. 35. Nicht lange nachher schieden auch der
Weltweise Aristoteles und bald darauf der Redner Demo-
sthenes aus dem Leben. 36. Fast um dieselbe Zeit wurde das
XVII, 21, 30. Niederlage bei Chaeronea 338 v. Chr. s. Liv. 35, 46;
Pausan. I, 25; VII, 15; Strabo IX p. 634; Diodor. Sic. XVI p. 475;
Plutarch. Camill. p. 138; Demosth. p. 859; Aelian. VI, 1; VIII, 15;
Xü, 53.
XVII, 21, 33. Alexander Molossus war der Sohn des Neopto-
lemus und König von Epirus, und seine Schwester Olympias war die Mutter
von Alexander d. Gr., dessen Vater der macedonische König Philipp war.
S. Li?. VIII, 4. 17. 24; Justin. XII, 2; Plut. vom Glück der Römer, 13;
von Alexander des Gr. Glück oder Tapferkeit I, 8.
XVII, 21, 35. Diogen. Laert V, 1, 7.
XVII, 21, 36. Vergl. Gell. XX, 1, 40; Flor. I, 16; Liv. IX, 10 ff.;
Cic. de or. 1, 40, 181; 2, 32, 137; pro Caec 34, 98.
Digitized by Google
(398)
XV1L Buch, 21. Cap., § 36-41.
römische Volk in einen heftigen und langwierigen Krieg mit
den Samnitern verwickelt und ihre beiden Consuln, Tib. Vetu-
rius und Sp. Postumius wurden auf dem ungünstigen Terrain
(in den Engpässen) bei Caudium von den Samnitern einge-
schlossen und unter's Joch geschickt, erst nach einem abge-
schlossenen, schimpflichen Vergleich entlassen; wegen dieser
beschämenden Schmach wurden die beiden (unglücklichen
Consuln) auf Befehl des römischen Volkes durch die Fetialen
den Samnitern überlassen und nicht wieder zurückgenommen
(noch ausgelöst). 37. Ohngefähr im Jahre 470 nach Er-
bauung der Stadt fing man den Krieg mit dem Könige
Pyrrhus (von Epims) an. 38. Zu derselben Zeit waren die
beiden Philosophen, der Athener Epicur und Zeno von Citium,
berühmt. 39. Um dieselbe Zeit verwalteten C. Fabricius
Luscinius und Q. Aemilius Papus das Sittenrichterarat in
Rom, und sie waren es, die den P. Cornelius Rufinus, der
zweimal Consul und sogar Dietator gewesen war, aus dem
Senate stiessen, und als Grund für ihre censorische Rüge
den vermerkten, weil sie erfahren hätten, dass er wegen
einer Gasterei 10 Pfund (verarbeitetes Silber, d. h.) Silber-
geschirr verwendet habe. 40. Ferner im 490. Jahre nach
Erbauung der Stadt Rom unter dem Consulat des Appius
Claudius, der den Beinamen Caudex (Klotz) führte und ein
Bruder vom Appius dem Blinden war, und seines Mitconsuls
Marcus Fulvius Flaccus nahm der erste punische Krieg seinen
Anfang, (welcher zwischen Karthagern und Römern aus Eifer-
sucht wegen Sicilien entstand). 41. Kurz darauf wurde der
Dichter Callimachus von Cyrene zu Alexandrien am Hofe
XVn, 21, 37. Liv. VII, 29; Val. Max. II, 7, 15; Florus I, 18;
Plutarch. Pyrrhus; Justin. 18, 1; Plin. 8, 6, 1; Eutrop. II, 1; Aurel. Vict.
de vir. illustr. 35; Augustin. de Civ. Dei III, 17; Orosius IV, 1.
XVR, 21, 38. Ueber Epicur s. Gell. IX, 5, 2 NB; über Zeno Gell.
I, 2, 3 NB.
XVII, 21, 39. GeU. IV, 8, 7; Val. Max. II, 9, 4,
XVII, 21, 40. Entstehungsursache war Eifersucht zwischen Carthagern
und Römern wegen Sicilien. S. Florus II, 2; Eutrop. II, 3; Aurel. Vict.
vir. ill. 37 ff.; Polyb. I; Augustin. de Cic. D. III, 18; Orosius IV, 8;
Silius Italic. VI; Appian. Libyc,
XVII, 21, 41. Ueber Callimachus s. Gell. IV, 11, 2.
•
u
XVII. Buch, 21. Cap., § 42 - 45. (399)
des Königs Ptolemaeus [Philadelphia] berühmt. 42. Nicht
mehr als 20 Jahre nachher, als unter den Consuln Claudius
Cento, dem Sohne von Appius dem Blinden, und unter dem
M. Sempronius Tuditanus der (erste) Friede mit den Puniern
(Carthagern) war geschlossen worden, begann der Dichter
L. Livius (Andronicus) (514/240) unter Allen zuerst zu Rom
Stücke (zu schreiben und) aufzuführen, fast mehr als 160
Jahre nach dem Tode des Sophocles und Euripides und ohn-
gefähr 52 Jahre nach dem Hinscheiden des Menander. 43.
Auf die beiden Consuln Claudius und Tuditanus folgten
Q. Valerius und C. Manilius, unter deren Consulate, wie
M. Varro im ersten Buche „von den Dichtern" schreibt, der
Dichter Q. Ennius geboren wurde; wo auch noch steht, dass
Ennius in seinem 67. Jahre das 12. (vielmehr wohl das 18.)
Buch seiner Annalen geschrieben habe, und dass dies Ennius
in diesem Buche selbst melden soll. 44. Im 519. Jahre nach
Roms Erbauung gab Sp. Carvilius Ruga zu Rom auf Anrathen
seiner Freunde zu allererst das Beispiel einer willkürlichen
Ehescheiduug mit seiner Frau, weil sie unfruchtbar sei und
weil er vor den Censoren (wie er zu seiner Entschuldigung
anführte) eidlich versichert hatte, er habe sich ein Weib nur
genommen, um Nachkommenschaft zu erzielen. 45. In eben
diesem Jahre führte der Dichter Cn. Naevius seine Lustspiele
vor dem Volke auf, und M. Varro sagt in dem eben vorhin
XVn, 21, 42. Ueber den Dichter Livius s. Gell, m, 16, 11 NB; Yal.
Max. II, 4, 3 und den Geschichtsschreiber Livius VII, 2 ff. Vergl. Teuffels
röm. Lit. Gesch. § 92, 1 und 2; Cic. Brut. 18, 72; Sen. 14, 50; Tusc. 1, 1, 3.
XVII, 21, 43. Ennius, geb. 515 d. St. = 239, sprach drei Sprachen
(Gell. XVII, 17, 1) und stand im vertraulichen Verhältniss mit Scipio
Nasica. Cic. de or. II, 68, 276.
XVII, 21, 43. Duodevicesimum librum, cfr. Gell. XIII, 21, 14 und
Bernh. röm. Lit. NB 306; Cic Tusc. I, 1; Brut. 18, 72; Teuffels röm.
Lit. Gesch § 99.
XVD, 21, 44. S. Gell. IV, 3, 2 NB; X, 23, 4. Vergl. Teuffels Gesch.
der röm. Lit. 127, 1, wo eine Schwankung zwischen dem J. 519 und 524
angegeben ist.
XVII, 21, 45. Den ersten Aufschwung der Literatur Hessen gebildete
Männer erst mit dem zweiten punischen Krieg beginnen, wie hier Porcius
Licinius und Horaz. Epp. II, 1, 62; vergl. Teuffels röm. Lit. Gesch. § 89
u. 93, 2 u. 133, 3 und Gell. XIX, 9, 13.
Digitized by Google
(400)
XVII. Buch, 21. Cap., § 45 — 50.
erst angeführten ersten Buche „von den Dichtern" über ihn,
dass er im ersten punischen Kriege im Felde gedient habe,
und fügt hinzu, dass Naevius diese Thatsache selbst in seiner
Dichtung erwähne, welche er über diesen Krieg verfasst hat;
allein Porcius Licinius behauptet, dass Naevius erst später
sich auf die Dichtkunst gelegt habe, in folgenden Versen:
Erst im zweiten Römerkrieg begab die Mus' beschwingten Schritts
Sich hinein zum wilden rauhen Kriegervolk des Romulus.
46. Ohngefähr 15 Jahre nachher wurde der Krieg gegen die
Punier (wieder) aufgenommen. 47. und nicht lange nachher
blühten M. Cato als Staatsredner und Plautus als Bühnen-
dichter. 48. Zu derselben Zeit wurden der Stoiker Diogenes,
der Akademiker Carneades und der Peripatetiker Critolaus
von den Athenern wegen Staatsangelegenheiten an den Senat
des römischen Volks entsendet. 49. In nicht langer Zeit
nachher wurde Q. Ennius und neben ihm Caecilius und dann
Terentius und nachher Pacuvius, und als Pacuvius bereits
sehr alt war, Accius berühmt, aber alsdann noch weit be-
rühmter Lucilius durch seine Herabsetzung und Verkleinerung
der Gedichte von jenen (seinen Vorgängern). 50. Allein ich
bin schon etwas zu weit gegangen, da ich mir als Ziel für
meine kurzen Bemerkungen den zweiten punischen Krieg
gesetzt hatte.
XVII, 21, 46. Dieser entstand wegen Spanien und Veranlassung gab
die Zerstörung von Sagunt. Florus II, 6; Aurel. Vict de vir. flL 42;
Appian Libyc; Cornel. Nep. Hannibal; August de Civ. D. III, 19;
Flutarch im Fabius, Scipio Marcellus, Hannibal, Flaminius; Eutropius III;
Orosius IV.
XVII, 21, 48. Vergl. Gell. VI (VII), 14, 9.
XVII, 21, 49. C. Lucilius kritisirte. S. Teuffels röm. Lit. Gesch. 132,7.
XVIII. BUCH.
XVIII, 1, L. Gedankenaustausch, gepflogen zwischen (zwei) Philosophen,
einem stoischen und andererseits einem peri patetischen , unter dem
Schiedsrichterspruch des Favorin; desgleichen Verhandlung der von den
Beiden aufgeworfenen Frage , wie gross der Einfluss der Tugend sei bei
Vollendung und Verwirklichung zur Glückseligkeit des Lebens, und wie
weit (bei dieser Verwirklichung) die Macht der sogenannten irdischen
Güter in Betracht kommt.
XVIII, 1. Cap. 1. Unter den Freunden des Favorin be-
fanden sich zu Rom zwei nicht unbertihmte Weltweise, deren
Einer Anhänger der peripatetischen Lehre war, der Andere
der stoischen Schule angehörte. 2. Als wir (einst) Mehrere
zusammen uns mit dem Favorin zu Ostia befanden, war ich
Zeuge, als diese (Beiden) einen leidenschaftlichen und eifrigen
Streit begannen zur Aufrechterhaltung ihrer (beiderseitigen,
verschiedenen) Lehrsätze. 3. Wir gingen aber gerade am
Ufer spazieren, als es bereits zu dämmern anfing, zur Früh-
jahrszeit (oder Neujahrszeit, aestate anni novi). 4. Und da
äusserte nun der Stoiker die Ansicht, dass die Glückseligkeit
des Lebens für einen Menschen nur allein durch (den Seelen-
adel) der Tugend, das höchste Elend aber allein durch Laster
(und Bosheit) bewirkt werden, selbst in dem Falle, dass alle
übrigen sogenannten körperlichen und äusserlichen (irdischen)
Güter der Tugend (d. h. dem Tugendhaften) abgehen und
mangeln, der Lasterhaftigkeit (d. h. dem Lasterhaften) aber
zu Gebote stehen sollten. 5. Der Peripatetiker andrerseits
gab nun zwar zu, dass das Elend des Lebens allein aus
Seelenverderbniss (Laster) und Bosheit entstehe, allein seiner
XVIII, 1, 5. S. Aristot. Nikom. Ethik. I, 3.
Gel Ii us, Attische Nächte. II. 26
Digitized by Google
•r -
(402) XVIII. Buch, h Cap., § 5-11.
Ansicht nach reiche die Tugend allein durchaus nicht hin,
das ganze Mass des Lebensglückes auszufüllen, weil ein
vollständig unverletzter Zustand (integritas) des Körpers,
Gesundheit, wohlgestaltete äussere Erscheinung, einiges Ver-
mögen, ein (unbescholtener) guter Name und alle sonstigen
leiblichen und Glücksgüter für nothwendig erachtet werden
(müssen) zur Vollendung unseres Lebensglückes. 6. Dagegen
erhob seinerseits der Stoiker laute Einwendung und sprach
seine Verwunderung darüber aus, dass der Peripatetiker,
gleichsam als wenn er zwei sich ganz entgegengesetzte Dinge
annähme, er (trotzdem) in beiden (Möglichkeits-) Fällen den
Einfluss und das Wesen eines Gegensatzes nicht aufrecht er-
halten (viel weniger zugestehen) wolle, obgleich (er nicht
bestreite, dass) ja Laster und Tugend Gegensätze bildeten,
wie auch Elend und Glückseligkeit (einander) ebenfalls ent-
gegengesetzt seien; 7. und obgleich sein Gegner in dem
Glauben stehe, dass zwar Bosheit (und Laster) zur Vollen-
dung des Elends im Leben sehr viel Einfluss ausübe, er
nichts destoweniger aber doch auch nebenbei noch die Be-
hauptung festhalten wolle, dass Tugend allein zur Verbürgung
und Erlangung von Lebensglück nicht ausreichend sei. 8.
Denn das sei doch ein ganz gewaltiger Widerspruch und
stimme nicht mit einander überein, sagt er, wenn sein Gegner
die Behauptung aufstelle, dass ein Leben, wenn ihm die
Tugend mangele, keineswegs als ein glückliches angesehen
werden könne, und er doch dabei zugleich auch wieder der
Tugend die Eigenschaft absprechen wolle, dass nur sie ganz
allein schon ein glückseliges Leben bewerkstelligen könne,
und wenn er den Werth (und Vorzug), welchen er der ab-
wesenden Tugend beilege und einräume, ihr wieder entziehen
wolle, wenn sie anwesend ist. 9. Hierauf erwiederte der
Peripatetiker in der That sehr artig: Mit Deiner gütigen
Erlaubniss bitte ich Dich, mir doch die Frage zu beantworten,
ob Du glaubst, dass das ein Eimer Wein sei, woran ein
Mass fehlt? 10. Keineswegs kann man das, erwiederte der
Stoiker, einen Eimer Wein nennen, an dem ein Mass fehlt.
11. Als der Peripatetiker sich mit dieser Antwort zufrieden
erklärt hatte, fuhr er also fort: Man kann also dreist sagen,
dass ein Mass einen Eimer vorstellt, weil, wenn das eine
Digitized by Google
— t
»
XVIII. Buch, 1. CapM §11 — 16.-2. Cap., § l. (403)
Mass (daran) mangelt, nicht von einem Eimer die Rede sein
kann, wenn das Mass aber hinzukommt, dann erst ein Eimer
(vorgestellt) wird. So ungereimt nun die Behauptung sein würde,
dass dies eine Mass einen Eimer abgebe, eben so ungereimt
ist es, zu sagen, dass allein durch die Tugend ein glückliches
Leben (uns) bereitet werde, weil, wo die Tugend gänzlich
fehlt, an ein glückliches Leben niemals zu denken ist. 12.
Hierauf sah Favorin den Peripatetiker an und sagte zu ihm :
Es wird zwar Deine spitzfindige Erklärung mit dem (besagten)
Eimer Wein, deren Du Dich bedient hast, (vielseitig) in den
Büchern abgehandelt, allein, wie Du weisst, kann dieser sehr
treffliche Trugschluss (captio) mehr für einen feinen Scherz
gelten, als für einen stichhaltigen oder schicklichen (und gleich-
berechtigten) Beweis. 13. Denn wenn ein Mass (am Eimer) ver-
misst wird, so ist dies zwar die Ursache, dass der Eimer nicht
das richtige Mass enthält (d. h. nicht vorschriftsmässig gefüllt
ist), sondern, wenn man das (eine) Mass nimmt und zugiesst,
so macht dies eine Mass allein noch keinen Eimer aus, son-
dern ergänzt nur, was an dem Eimer noch fehlte. 14. Allein
die Tugend ist nach der Meinung der Stoiker nicht blos ein
Zusatz, eine Vermehrung oder ein Ergänzungsmittel, sondern
sie selbst ist einzig und allein der (wahre) Inbegriff von der
Glückseligkeit des Lebens, und deshalb macht ihr Besitz
allein die wahre Glückseligkeit des Lebens aus. 15. Ueber
solche und viele andere dergleichen geringfügige und ver-
wickelte Gegenstände tauschten diese beiden Philosophen ihre
beiderseitige Meinung aus, gleichsam wie vor dem Amtsstuhl
des Schiedsrichters Favorin. 16. Allein als man schon anfing
die Lichter anzubrennen und die Dunkelheit immer mehr zu-
nahm, begleiteten wir den Favorin bis nach seiner Wohnung
und zerstreuten uns, als er dahin abgegangen war.
XVIII, 2, L. Mit welcherlei Wettstreit durch (aufgeworfene) Fragen wir
un8 zu Athen die Kurzweil am Saturnusfest zu beleben pflegten; dabei
auch noch Schilderung und Veranschaulichung einiger ergötzlicher
Trugschlüsse und Räthsel.
XVIII, 2. Cap. 1. Wir feierten zu Athen das Fest der
XVIII, 1, 13. Vergl. Gell. XVIII, 2, 10 NB.
26*
Digitized by Google
(404)
XVIII. Buch, 2. Cap., § 1 — 6.
Saturnalien in ganz sittsamer Heiterkeit, nicht etwa, wie
es so gewöhnlich heisst, durch Nachlassen geistiger Thätig-
keit, — denn nachlassen in geistiger Thätigkeit heisst gleich-
sam dieselbe entlassen, wie sich Musonius ausdrückt, —
sondern, indem wir unsern Geist ein wenig Erheiterung und
Zerstreuung gewährten, durch angenehme schickliche Lock-
mittel in der Unterhaltung. 2. Ich aber und sehr Viele meiner
römischen Landsleute, die wir nach Griechenland gekommen
waren und dieselben Vorlesungen wie auch dieselben Lehrer
besuchten, vereinigten uns (schliesslich immer) bei einem
(heitern) Mahle. 3. Da setzte nun auch Derjenige, welcher,
sobald die Reihe an ihm war, für ein kleines (frugales) Mahl
zu sorgen hatte, (jedesmal) auf Lösung und Beantwortung
irgend einer aufgestellten Frage ein griechisches oder latei-
nisches Buch eines alten Schriftstellers und einen geflochtenen
Lorbeerkranz als (Prämien-) Preis aus, und so viele Personen
zugegen waren, ebensoviele Fragen stellte er auf und sobald er
sie alle aufgestellt hatte, entschied das Loos (ordnungsgemäss)
den Gegenstand und die Gelegenheit als Sprecher aufzutreten.
4. So wurde nun (allemal) die Lösung einer (vorgelegten) Frage
mit einer solchen (Lorbeer-) Krone und einem Preise (einer
Buchprämie) belohnt, eine nicht gelöste aber wurde an Den
übergeben, der dem Loose nach an die Reihe kam, und dies
Verfahren wurde im Kreise herum auf gleiche Art aufrecht
erhalten. 5. Wenn Keiner die Frage löste, so wurde der
Kranz stets demjenigen Gott feierlich zugesprochen, dessen
Fest man (gerade) beging. 6. Es kamen aber derartige Gegen-
stände zur Frage, wie z. B. irgend eine dunkle Stelle eines
alten Dichters, die leicht und ohne viel Kopfzerbrechen
zu lösen, oder die Untersuchung (einer Thatsache) aus
der alten Geschichte, oder eine Rechtfertigung irgend eines
allgemein missverstandenen Lehrsatzes aus der Philosophie,
oder die Erklärung und Auflösung eines sophistischen Trug-
schlusses (captionis sophisticae solutio), oder die Erforschung
eines noch ungewöhnlichen (fraglichen) und seltneren Wortes,
XVm, 2, 1. Ueber Saturnalia s. Gell. II, 24, 3 NB; Macrob. Sat I, 5;
über Musonius 8. Gell. V, 1, 1NB; über Tischgespräche s. Gell.
T, 22, 5; VII (VI), 13; XVII, 8; XIX, 9, 1 NB.
XVIII. Buch, 2. Cap., § 7 — 9. (405)
oder endlich auch die (nähere) Bestimmung eines höchst
dunklen Zeitfalls (tempus) bei einem an sich ganz klaren
Worte. 7. So erinnere ich mich noch ganz deutlich der,
neulich erst bei derartiger Gelegenheit, aufgeworfenen sieben
Fragen, von denen die erste die (mündliche) Auslegung fol-
gender, in den Satiren des Ennius befindlichen Verse betraf,
worin der Dichter ein und dasselbe Wort in vielfacher Be-
deutung immer wiederholt und kunstgerecht verflochten hat.
Ihr Wortlaut ist folgender:
Nam qui lepide postulat alterum frustrari,
Quem frustratur, frustra eum dicit frustra esse; nam qui
Sese frustrari quem frustra sentit, qui frustratur,
Is frustra'st, non ille est frustra; d. h.
Sei es auch scherzweis', wer zu betrügen den Andern sich anmasst,
Wen er betrügt, den hält er trüglich betrogen; denn merkt wer,
Dass ihn trügrisch Einer betrüget, (bei dem Betrüge)
Dann der Betrüger betrogen nur bleibt, unbetrogen doch Jener.
8. Die zweite Frage war: wie wohl das verstanden und auf-
gefasst werden müsse, was Plato (de rep. V, 457. C.) damit
meinte, wenn er in der von ihm schriftlich entworfenen Re-
publik sagt: xoivag zag yvvaixag, d. h. dass die Weiber Ge-
meingut seien, und wie er hat auf die Idee kommen können,
das Gekose mit Knaben und Mädchen als Lohn für die tapfer-
sten Männer und für die hervorragendsten Kriegshelden zu
bestimmen? 9. Drittens wurde folgende Frage aufgegeben :
In welchen Worten wohl das Verfängliche jener bekannten
Trugschlüsse liege, und wie sie ausgelegt und aufgelöst werden
könnten, wiez. B. wenn man sagt: Was Du nicht verloren hast,
XVIII, 2, 7. In solcher lärmenden Spielerei und im Ungeschmack
solch klappender Assonanzen gefiel sich Ennius. Vergl. Gell. XIX, 10, 12;
Bernh. röm. Lit. 70, 304. Denn wer scherzweise einen Andern zu be-
trügen sich unterfangt, (is) frustra dicit, eum frustra esse, quem frustratur,
d. h. der behauptet trüglich (= irrthümlich) , dass Der betrogen sei, den
er zu betrügen beabsichtigt; denn (si qui sentit, aliquem frustra sese
frustrari) wenn ein solcher (Betreffender) merkt, dass irgend so ein Mensch
trüglich ihn selbst zu betrügen sucht, is frustra est, qui frustratur, so ist
Der (vielmehr schon) betrogen, welcher den Betrug anspinnt, nicht Jener
wird betrogen.
XVIH, 2, 9. Vergl. Gell. XVI, 2, 10 u. XVIII, 13, 8; Sen. ep. 45, 7
u. 49, 8; Diodor. Sic. II, 108. 111; Diog. Laert. VII, 44. 187; Quinct.
I, 10, 5.
Digitized by Google
(406)
XVIU. Buch, 2. Cap., §9 — 13.
das hast Du noch; nun hast Du Hörner nicht verloren, folg-
lich hast Du sie noch ; ferner : was ich bin, das bist Du nicht ;
(ich bin ein Mensch), folglich bist Du kein Mensch. 10. Des-
gleichen fragte man sich auch, was wohl die Auflösung von
jenem Trugsehluss (sophisma) sei, der da lautet: wenn ich
lüge und gestehe ganz offen, dass ich lüge, lüge ich dann,
oder sage ich die Wahrheit? 11. Die folgende (vierte) Frage
war diese: Warum die Patricier an den megalensischen Fest-
tagen, das gemeine Volk aber an den cerealischen sich ein-
ander abwechselnd zu Gaste bitten (mutitare, s. Gell. II, 24, 2)
und beschenken? 12. Hierauf wurde (fünftens) auch gefragt,
wer von den alten Dichtern sich des Ausdrucks: „verant"
bedient habe, welches so viel heissen soll als: „vera dicunt"
(d. h. sie sagen die Wahrheit)? 13. Die sechste Frage war
die, was für eine Art von Kraut es sei, welches flesiod in
dem bekannten Verse erwähnt habe (opp. et. d. 40 ff.)
Thörichte! welche nicht wissen, dass mehr als das Ganze die Hälft' ist
Noch dass Lilienknoll' und Malve so herrliche Kost beut,
XVIII, 2, 10. Sophisma (verfängliche Rede, Wortspiel), tyivdopevog,
Lügenschluss. Cic. de div. II, 4; vergl. Senec. ep. 111. — Cic. Acad.
II, 29: Sagst Du, Du lügst und sagst damit die Wahrheit, so lügst Du;
Du sagst aber, Du lügst und sagst damit die Wahrheit, also lügst Du. —
Wenn Du sagst, Du lügst und damit, dass Du sagst, Du lügst, die Wahr-
heit sagst; so sagst Du die Wahrheit; also sprichst Du die Wahrheit.
Räumte man dies ein, so bewiesen die Stoiker auf folgende Weise das
Gegentheil ; Sprichst Du, Du lügst und sagst damit die Wahrheit, so lügst
Du; nun sagst Du aber, Du lügst und sprichst damit die Wahrheit, folg-
lich lügst Du. — Der durch Anhäufung der Gründe gebildete (spitzfindige)
Trugsehluss: oajQtir rjs, Sorites (s. Gell. I, 2, 4), rein lateinisch: acervus,
acervalis, lautet ohngefähr so: Wenn ein Haufen aus Körnern besteht, so
ist die Frage: Das wievielste Korn macht einen Haufen? oder bei der
Wegnahme des wievielsten Kornes hört ein Haufen auf. ein Haufen zu
sein? Cic. de div. II, 4. Vergl. vorher Gell. XVIU, 1, 13.
XVIU, 2, 11. Ueber die megalensischen Spiele und über Cerealien
s. Gell. II, 24, 3 NB.
XVIII, 2, 13. Hesiod empfiehlt durch diesen Ausspruch eine einfache
und sparsame Lebensweise. Die spätere Zeit aber glaubte in diesen
Worten einen tiefern Sinn finden zu müssen und behauptete demnach, es
würden hier Kräuter genannt, welche gleichsam als Präservative gegen
Hunger und Durst gebraucht werden könnten. Vergl. Plut. Gastmahl der
sieben Weisen p. 157, E. Hesiod sagt nur, dass man auch bei einer
Digitized by Google
XVIII. Buch, 2. Cap., § 13. 14. (407)
und ebenso, was Hesiod darunter verstanden wissen will, wenn
er sagt, dass die Hälfte mehr als das Ganze sei? 14. Die
(siebente und) letzte von allen diesen Fragen war, ob die
massigen Kost glücklich sein könne. DerMalve (/ial&xrit malva) bedienten
sich die Dürftigen bei Griechen und Römern statt des Lattigs s. Dioscor.
XI, 109. — Die Lilienknolle vom äcKf ofolog (Goldwurz), ein zum Zwiebel-
geschlecht gehöriges Wiesenkraut, mit schönen Blüthen von starkem
Geruch, der Lilie gleichend, wovon die Knollen an der Wurzel (nach
Theophrast. Geschichte der Pflanzen VII, 12) ebenfalls den ärmeren Leuten
zur Kost dienten. Davon waren die Stengel gekocht und der Samen ge-
röstet ebenfalls geniessbar. S. Plin. 22, 32. Aus beiden Kräutern machte
man, wie Proclus erwähnt, ein Decoct («JU^/o?, i e. Hunger vertreibend,
sättigend), das sich sehr lange hielt und den Aermeren eben zur Nahrung
diente. Hör. Od. I, 31, 16 sagt:
me pascunt olivae,
Me cichorea levesque malvae, d. h.
Mir sind Oliven
Speise, Cichorien mir und Malven. —
In Bezug auf den tiefsinnigen Spruch „die Hälfte mehr als das Ganze"
ist Folgendes zu bemerken. Hesiod hatte mit seinem Bruder Perses be-
reits das väterliche Erbtheil get heilt, trotzdem verwickelte ihn der hab-
süchtige Bruder noch in einen Erbtheilstreit, welcher durch die Partei-
lichkeit der Richter zum Nachtheil für den Dichter entschieden wurde.
Durch diesen nachtheiligen Rechtsspruch glaubte man den Dichter un-
glücklich zu machen. Perses vergeudete dem ihm zuerkannten, grössten
Vermögenstheil sehr bald, während Hesiod mit seinem geringeren Ver-
mögen durch weise Verwaltung im Stande war, den verarmten Bruder
noch zu unterstützen. Denn massiges Vermögen fordert zum Fleiss und
zur Sparsamkeit auf, üeberfluss aber fuhrt zur Trägheit und Schwelgerei.
S. Plin. 21, 68; 22, 32. Darauf also bezieht sich der Ausspruch. S.
Plat. de repbl. V, 466, C; de legg. III, 677 (38), E und V, 743 (237) B;
Xen. Cyrop. VHI, 4; beim Diogenes Laert. I, 4, 2 bedient sich Pittakus,
einer der sieben Weisen dieses Ausspruchs, als ihm die Mytilener einen
Acker schenken wollten, er jedoch nur einen Theil davon annahm. Vergl.
Plut. moral. „wie soll der Jüngling die Dichter lesen", 14, wo es besser
Unrecht leiden, als Unrecht thun bedeutet. Eine scherzhafte Anwendung
dieses Sprüchworts auf das Brustbild des Quintus Cicero findet sich beim
Macrob. Saturn. II, 3. Da dasselbe nämlich nicht das rechte Verhältniss
gegen die kleine Statur des Quintus hatte, so sagte Cicero: frater meus
dimidio major est, quam totus, d. h. mein Bruder ist (im Bilde) um die
Hälfte grösser, als in der Wirklichkeit Vergl. Lucret. V, 116—118:
Würde nach wahrer Vernunft der Mensch sein Leben beherrschen,
Dann war's grosser Reichthum für ihn bei gleichem Gemüthe
Massig zu leben; denn nie gebricht es, wo Wenig von Nöthen.
Digitized by Google
(408) XVIII. Buch, 2. Cap., § 14 — 16. — 3. Cap., § 1.
Wörter „scripserim", „venerim", „legerim" als Formen der ver-
gangenen Zeit zu betrachten, oder als solche der zukünftigen
zu verstehen seien, oder gar für beide zugleich? 15. Nach-
dem alle diese Fragen in der von mir angegebenen Reihenfolge
vorgebracht und jede einzelne nach (besagter) Ausloosung be-
sprochen und beantwortet war worden, erhielt Jeder von uns
sein Preisbuch und seinen Kranz zum Geschenk; nur die ein-
zige Frage, welche das Wort „verant" betraf, blieb unbeant-
wortet. 1 6. Es hatte sich nämlich für den Augenblick Keiner
darauf besonnen, dass dieser Ausdruck vom Q. Ennius im
13. Buche seiner Jahrbücher in folgendem Verse war gesagt
worden :
Sprechen Wahrheit (verant) vollkommen die Seher,
Wenn sie uns die Dauer des Lebens verkünden?
Der also für Beantwortung dieser Frage ausgesetzte Kranz
wurde demnach (weil sie nicht gelöst worden war) dem Gotte
dieses Festes, dem Saturn, feierlich geweiht.
XVIII, 3, L Was nach der Angabe des Redners Aeschines in seiner Rede,
worin er den Timarch wegen seiner Schamlosigkeit und Unverschämtheit
verklagt hat, (einst) die Lacedämonier über einen höchst annehmbaren
Vorschlag, den ein ganz verworfener Mensch gethan hatte, beschlosseu
haben sollen.
XVIII, 3. Cap. 1. Aeschines, sicher wohl der heftigste,
wie klügste unter den Rednern, die in den Volksversamm-
Psalm 37, 16. Das Wenige, das ein Gerechter hat, ist besser, denn das
grosse Gut vieler Gottlosen. Vergl. auch noch Plutarch: vom Gesicht im
Monde cap. 25.
XVIII, 2, 14. Vergl. Bernh. röm. Lit. 28, 108.
XVIII, 3, 1. Aeschines, drei Jahre nach dem (398 v. Chr. er-
folgten) Tode des Socrates, in Athen geboren, berühmter griechischer
Redner, Gegner des Demosthenes, der ihn aber übertraf und besonders
in der Rede: de Corona, beschämend besiegte und ihn ins Exil brachte.
Er ging nach Rhodus, lehrte daselbst und begann seine Wirksamkeit
damit, dass er seinen Zuhörern erst seine eigene gehaltene Rede und dann
die Gegenrede des Demosthenes (de Corona), welche seine Verbannung
veranlasst hatte, vorlas. Als die Rede des Demosthenes mit mehr Beifall
aufgenommen wurde, als die seinige, sagte er: Wie viel grösser würde
euer Beifall gewesen sein, hättet ihr er3t seine Rede ihn selbst halten
hören. Hierauf begab er sich nach Samos, wo er aüch starb. S. Plin.
h. n. 7, 31 (30), 1.
*
i
*
i
/ XVHI. Buch, 3. Cap., § 1— 1>. (409)
lungen der Athener glänzten, hat in jener heftigen, vorwurfs-
reichen und giftigen Rede, worin er den Timarchus wegen
seiner Unverschämtheit hart und empfindlich anklagte, uns
mitgetheilt, dass (einst) ein hochstehender, durch seine Tugend
und sein hohes Alter ehrwürdiger Staatsbürger von Lacedämon
seinen Mitbürgern gelegentlich einen edlen und ausgezeich-
neten Rath gegeben habe. 2. Das lacedämonische Volk, sagte
er, rathschlagte einstmals über eine höchst wichtige Staats-
angelegenheit (und überlegte eben in der Versammlung), was
wohl nützlicher und anständiger Weise zu beschliessen sei.
3. Da erhob sich Einer, um seine Meinung zu sagen, ein
Mensch, der zwar wegen der Unsittlichkeit seines frühern
Lebenswandels höchst verrufen war, sich jedoch durch seine
Zungen- und Redegeläufigkeit gar sehr auszeichnete. 4. Der
Rath nun, den dieser Mensch gab, und der, wie er rieth, un-
bedingt befolgt werden müsse, wurde auch von allen Andern
(gut) aufgenommen und ganz erwünscht gefunden und war
nahe daran, nach Wunsch dieses Menschen, zum Volksbeschluss
erhoben zu werden. 5. Da nahm noch zur rechten Zeit Einer
aus jenem Senatorencollegium, — welche die Lacedämonier
in Folge der Ehrwürdigkeit ihres Alters und Ansehens gleich-
sam als Schiedsrichter und Berather der Staatsordnung ver-
ehrten, — die Sache (zu guter Letzt) in die Hand und ge-
reizt und erzürnt im Gemüth sprang er auf und hub also an :
Welcher Grund, oder endlich welche Hoffnung wird euch, ihr
Lacedämonier, übrig bleiben, (zu glauben,) dass unsere Stadt
und unser Staat noch länger im Wohlstand sich befinden und
unbezwinglich werde dastehen können, wenn (es mit uns schon
dahin gekommen ist, dass) wir Menschen von solcher Ver-
gangenheit und solchem Lebenswandel zu unseren Rathgebern
gebrauchen? Denn im Fall nun auch dieser sein Rath (an
und für sich) zufriedenstellend und ehrbar ist, so muss ich
euch doch bitten (und beschwören), ihn nur ja nicht durch
eine Beziehung und Gemeinschaft zu solchem höchst gemeinen
Urheber entwürdigen zu lassen. 6. Und als er dies gesagt
hatte, rief er einen Mann auf, der sich zwar vor Allen an
XVIII, 3, 5. S. Plutarch : vom Hören cap. 7 ; lakonische Denksprüche
28; politische Lehren 4; ob ein Greis Staatsgeschäfte treiben soll p. 801.
Digitized by Google
(410) XVIII. Buch, 3. Cap., § 6— 8. - 4. Cap., § 1. 9.
Tapferkeit, Muth und Rechtschaffenheit auszeichnete, jedoch
unberedt und eben kein Zungenheld war. Diesen (Ehrenmann)
hiess er nun, nach einstimmigem Verlangen Aller, jenen ganz
gleichen Vorschlag des beredten (aber schlechten und erbärm-
lichen) Menschen, so gut er konnte, (aufs Neue) wörtlich
wiederholen, damit nur jede Erwähnung und Erinnerung des
(unwürdigen) Vorgängers ausser Spiel bliebe, der Beschluss
und die Verordnung des Volkes aber dadurch (wie) auf Ver-
anlassung dieses einen (ehrwürdigen Mannes) abgefasst werde,
weil dieser ihn von Neuem zum Ausdruck gebracht hatte.
7. Und so wie der weise Greis gerathen hatte, geschah es.
8. Man nahm den guten Rath an, nur der ver ach tun gs würdige
Urheber wurde (mit dem achtungswerthen) gewechselt.
XVIII, 4, L. Wie Sulpicius Apollinaris einen Menschen, der sich rühmte,
dass nur er allein die Geschichtswerke des Sallust gründlich verstehe,
zum Besten hatte, durch die (plötzlich) ihm gestellte Frage, was wohl jene
Worte bei Sallust zu bedeuten hätten: incertum, stolidior an vanior
(unbestimmt, ob unzuverlässiger oder lügenhafter).
XVIII, 4. Cap. 1. Nachdem ich bereits das verbrämte
Oberkleid der Kinderzeit ausgezogen (kurz die Kinderkleider
gewechselt, praetextam et puerilem togam) hatte, und mir
nun als junger Mann recht gediegene Lehrer zu verschaffen
gedachte, führte mich der Zufall auf die Schustergasse zu
den Buchhändlern, als gerade in einer Versammlung vieler
Männer der zu meiner Zeit vor Allen berühmte Apollinaris
Sulpicius einen Grossthuer und Prahler mit seiner Belesenheit
in den Werken des Sallust zum Besten hatte und ihn nach
jener bekannten Manier witzigster Ironie, deren sich (einst
auch) Socrates gegen die (abgeschmackten) Sophisten bedient
hatte, verhöhnte. 2. Denn als dieser Unverschämte laut
äusserte, dass er der alleinige und einzige (gute) Vorleser und
Erklärer des Sallust sei, und öffentlich sich breit machte, dass
er nicht etwa nur ganz äusserlich und oberflächlich den Ge-
dankengang (dieses Schriftstellers) durchforsche und durchprüfe,
XVIII, 4, L. Ueber Sulpicius Apoll, s. Gell. II, 16, 8 NB. ,
XVIII, 4, 1. Ueber toga praetexta s. Gell. I, 23, 13 NB. Vergl.
Sueton. de gramraat. 25; Quinct decl. 340; Mocrob. I, 6, 10; Plin.
33, l, 4. § 10.
Kj by Goo<
XVIII. Buch, 4. Cap., §2—6.
(411)
sondern auch durch und durch , so zu sagen , Mark und
Blut der einzelnen Ausdrücke durchschauen könne, da ergriff
Apollinaris die Gelegenheit, ihm zu sagen, dass er alle Hoch-
achtung und Verehrung vor seinen Kenntnissen habe, und
fuhr (wörtlich) so fort: Ei, mein lieber Tausendsasa, da kommst
Du mir ja gerade ausserordentlich erwünscht mit Deiner Durch-
forschung von dem Mark und Blut (d. h. von der Quintessenz
in) der sallustischen Ausdrucksweise. 3. Gestern nämlich
wurde ich gefragt, was die Stelle im 4. Buche seines Ge-
schichtswerkes zu bedeuten habe, welche eine schriftliche Be-
merkung über den Cn. Lentulus enthält, von dem es ungewiss
gewesen sein soll, ob er, (wie sich Sallust wörtlich ausdrückt)
stolidior an vanior (unzuverlässiger oder lügenhafter) gewesen
sei; 4. und alsbald führte er auch gleich die (ganze) Stelle
aus Sallust wörtlich an, sie heisst: „Aber sein Amtsgenosse
Cn. Lentulus aus patricischem Geschlecht, mit dem Beinamen
Clodianus, — es ist nämlich unsicher, ob dieser mehr un-
zuverlässig, oder mehr lügenhaft war, — veröffentlichte das
Gesetz von der Eintreibung der Geldsummen, welche Sulla
den Güterkäufern (auf eigne Faust) erlassen hatte." 5. Apol-
linaris versicherte also, wie gesagt, ganz offenherzig und im
vollen Ernste, dass er (selbst) diese an ihn gestellte Frage
(Tags vorher) nicht zu lösen (und zu beantworten) im Stande
gewesen sei, was die beiden Ausdrücke: „vanior et stolidior"
heissen sollten, da doch Sallust die beiden Ausdrücke so ge-
schieden und einander entgegengesetzt zu haben scheine, als
ob sie einander« ganz entgegengesetzte und verschiedene wären
und nicht nur einen und denselben Fehler bezeichnen sollten,
deshalb wiederholte er abermals seine Bitte, ihm doch Auf-
klärung über die Bedeutung und Abstammung beider Wörter
zu verschaffen. 6. Hierauf gab Jener durch Aufsperren des
Mundes und durch Verziehen der Lippen (mit verächtlicher
Miene) zu erkennen, dass er sowohl über die aufgeworfene
Frage, als auch über den Fragsteller selbst gering denke und
sagte: Ich pflege wohl, wie ich bereits erklärte. Mark und
Blut (d. h. das .Beste und Feinste, den Kern) ausser Brauch
gekommener Ausdrücke zu durchdringen und klar zu Tage
zu legen, aber nicht von solchen, welche bereits allgemein
ausgequetscht und breitgetreten sind. Denn Der müsste ja
Digitized by
(412)
XVIII. Buch, 4. Cap., §6 — 11.
noch dümmer und alberner (stolidior et vanior) sein, als be-
nannter Cn. Lentulus selbst, der nicht wüsste, dass die Wörter
„vanitas" und „stoliditas" eben nur denselben (einen) Fehler
der Dummheit bezeichnen (sollen). 7. Nach dieser Erwiderung
brach er mitten in der Unterhaltung ab (liess die Frage ganz
ruhig dahingestellt) und wollte sich sofort auf den Weg machen.
8. Wir hielten ihn aber endlich noch zurück und drangen in
ihn , dass er sich doch über die Verschiedenheit, oder, wenn
er dies für richtiger halte, über die Aehnlichkeit dieser bei-
den Wörter ausführlicher und deutlicher erklären möchte, und
vor Allen bat ganz besonders auch noch Apollinaris, seinem
Verlangen nach Aufklärung darüber doch nichts vorzuent-
halten. 9. Da Jener denn nun wohl zu merken anfing, dass
man geradezu Scherz mit ihm treibe, schützte er dringende
Geschäfte vor und machte sich (eilig) aus dem Staube. 10. Wfir
aber erfuhren nachträglich vom Apollinaris, die eigentliche
Bedeutung des Wortes „vanus" sei nicht die, wie es im ge-
wöhnlichen Leben gesagt wird, in dem Sinne von unwissend,
stumpfsinnig, geckenhaft, sondern, wie es ja auch die gelehr-
testen, alten Schriftsteller gesagt hätten, von Leuten, die ver-
logen und unzuverlässig und Unbedeutendheiten und Albern-
heiten für Wichtigkeiten und Wahrheiten auf schlauste Weise
zurechtzulegen (und an den Mann zu bringen) wissen: unter
„stolidi" würden aber nicht sowohl Dumme und Unverständige
gemeint, als vielmehr sauertöpfische, lästige und widerliche
Menschen, welche die Griechen mit den Ausdrücken belegten :
tuox&rjgoi xai (poQTty,ol (gemeine und unverschämte Subjecte).
11. Die wahre Bedeutung und ihre Abstammung fänden sich,
wie er sagte, in den Werken des Nigidius angegeben. Ich
schlug dort nach und fand daselbst (die) Beispiele von den
ursprünglichen Bedeutungen dieser beiden Wörter und merkte
sie mir an, um sie hier meiner Aufsatzsammlung der attischen
Nachtgedanken einzuverleiben und glaube, dass ich sie auch
(bereits) schon an irgend einer Stelle diesen meinen
Abhandlungen beigefügt habe.
XVIII, 4, 10. S. Fest. S. 317 Stolidus.
XVIII, 4, 11. Vielleicht VIII, 14.
XTHI. Buch, 5. Cap., § 1—6.
(413)
XVIII, 5, L. Dass Q. Ennius im 7. Buche seiner Jahrbücher sich der
Schreibweise bedient hat: „quadrupes eques" (der vierfüssige Reiter) und
nicht, wie Viele lesen wollen: „quadrupes equus", (das vierfüssige Pferd).
XVIII, 5. Cap. 1. Mit dem Rhetor Antonius Julianus,
einem Manne von grosser Biederkeit und blühender Beredt-
samkeit, suchte ich nebst einigen ihm befreundeten Jünglingen
zu Puteoli die Lust und Freude der Sommerferien durch an-
genehme wissenschaftliche Beschäftigung und in züchtigen und
anständigen Vergnügungen hinzubringen. 2. Da machte man
gerade zur Zeit dem Julianus die Mittheilung, dass ein Vor-
leser, ein nicht ungebildeter Mann, eben im Theater vor der ver-
sammelten Menge mit ausdrucksvoller und wohltönender Stimme
die Jahrbücher des Ennius vorlese. 3. Kommt, sagte er also,
wir wollen uns gleich auf den Weg machen, um diesen uns
noch unbekannten Ennius-Kenner und Bewunderer (Ennianista)
zu hören . mit diesem Titel hört er sich nämlich gern nennen.
4. Als wir ankamen, hatte er bereits seine Vorlesung unter
grossem Beifallssturm begonnen — er las aber das 7. Buch
aus des Ennius Jahrbüchern — und das Erste, was wir (vor-
tragen) hörten, waren folgende Verse, bei deren Vortrag er
sich eines Fehlers schuldig machte:
Denique vi magna quadrupes ecus atque elephanti
Proiciunt sese, d. h.
Endlich drängt galoppirend [ das Rossj mit aller Gewalt sich
< anstatt
I. der Reiter]
Vor und auch Elephanten,
und als er nachher noch einige wenige Verse hinzugefügt
hatte, trat er unter allgemeinem Beifall und Lob ab. 5. Beim
Herausgehen aus dem Theater sagte Julianus zu uns: Was
haltet ihr wohl von diesem Vorleser und von seinem galop-
pirenden (vierfüssigen) Pferde? Denn in der That so las er
(ganz klar und deutlich) „quadrupes ecusu (anstatt quadrupes
eques). 6. Glaubt ihr nun wohl, dass, hätte dieser Mensch
nur irgendwie einen Lehrer oder Ausleger von einigem Werthe
gehabt, er dann gesagt haben würde: quadrupes equus (vier-
füssig, galoppirend Pferd) und nicht vielmehr: quadrupes
eques (galoppirender Reiter, i. e. Mann zu Ross im Galopp)?
XVHI, 5, 2. Vergl. Bernh. röm. Lit. 11, 28.
(414)
XVIII. Buch, 5. Cap., §6 — 10.
Denn noch ist es Keinem eingefallen, der sich aufmerksam
und gewissenhaft mit der alten Literatur beschäftigt hat, (zu
behaupten,) dass diese Lesart so vom Ennius selbst herrühre
und hinterlassen wurde. 7. Da nun aber Viele zugegen waren,
die versicherten, dass Jeder von ihnen bei seinem Sprach-
lehrer „quadrupes equus" gelesen habe und sie neugierig wur-
den, was die Worte: quadrupes eques (vierfüssiger Reiter)
heissen sollten, sagte Julian : Ich wünschte wohl, theure Jüng-
linge, dass ihr den Q. Ennius ebenso aufmerksam gelesen haben
möchtet, als es P. Vergilius gethan, der in seinem Gedichte
„von dem Landbau" (III, 115) diesen ennischen Vers (offenbar)
im Auge hatte und für das Wort „equus (Pferd)" (ebenfalls)
„eques (Reiter)" setzte in folgenden Versen:
Zaumzeug erfand der Lapith pelethronschen Gebirgs und die Kreisung
Fest auf den Rücken geschmiegt, dass mit Kunst der gewappnete Reiter
(eques sub armis)
Durch das Gefild hintrabt, im stolzeren Schritte sich tummelt
An dieser Stelle, wenn man nicht etwa nur auf ungeschickte
und unpassende Weise übertrieben spitzfindig sein will, kann
das Wort „eques" in keinem andern Sinne genommen werden,
als für „equus" stehend; 8. denn in alten Zeiten verstand man
meistens unter „eques" sowohl den Maun, der auf dem Pferde
sass, als auch das Pferd, auf dem der Reiter sass (also Mann
und Ross). 9. Deshalb wurde mit dem Worte „equitare", wel-
ches Zeitwort von (dem Genitiv des Wortes) „eques" abgeleitet
und gebildet worden ist, sowohl ein Mann bezeichnet, der
eines Pferdes (zum Reiten) sich bediente, als ein Pferd, das
den Mann trägt. 10. Lucilius, ein der (echt) lateinischen
Ausdrucksweise ganz kundiger Dichter, setzt „equitare" mit
(homogenem Object) „equum", in folgenden Versen:
Quis hinc currere equum nos atque equitare videmus,
His equitat curritque: oculis equitare videmus;
Ergo oculis equitat, d. h.
Dieses, wodurch wir sehen, dass laufe und reite das Pferd dort,
Dadurch reitet und läuft's: Wir sehn mit den Augen es reiten;
Also reitet es auch mit den Augen.
XVIII, 5, 7. S. Macrob. Sat VI, 9; Junius Philarch. ad Verg.
Georg. III, 115.
XVIII, 5,7. Die L a p i t h e n , Bewohner Thessaliens und des Pelethron,
sollen zuerst die Kunst erfunden haben, Pferde zu bändigen und zuzureiten.
XVIII. Buch, 5. Cap., § 11. 12. - 6. Cap., §1-3. (415)
11. Allein, fuhr er fort, ich war mit diesen Beispielen durch-
aus noch nicht zufrieden gestellt und um in meinem Urtheile
nicht unsicher und zweifelhaft zu bleiben, sondern ganz klar und
sicher zu werden, ob Ennius wirklich „equus" oder „eques"
geschrieben habe, schonte ich, um diesen einzigen Vers nach-
zusehen, weder Mühe noch grosse Kosten, mir eine Ausgabe von
höchst ehrerbietigem Alter zu leihen, eine Ausgabe, von der
so ziemlich feststand, dass sie von Lampadio's eigner Hand
verbessert worden war, und da fand ich denn auch in dem be-
treffenden Verse die Lesart „eques", nicht aber „equus" be-
stätigt. 12. Diese und viele andere dergleichen ebenso licht-
volle, als belehrende Bemerkungen gab uns damals Julianus
(öfters) zum Besten. Aber ich habe dieselben später auch
in sehr bekannten und verbreiteten Erklärungsschriften ver-
zeichnet gefunden.
XVIII, 6, L. Dass Aelius Melissus in seinem „über die eigentlich sach-
gemassc (reine) Ausdrucksweise (de loquendi proprietate)" handelnden Werke,
welchem er bei seiner Veröffentlichung den (pomphaften) Titel „Füllhorn
(cornu copiae)" beilegte, eine weder des Sagens noch Hörens würdige
Angabe macht, woselbst er seine Meinung abgiebt, dass sich die Ausdrücke
„matrona" und „materfamilias" durch den allergehaltlosesten Unterschied
unterscheiden sollen.
XVIII, 6. Cap. 1. Aelius Melissus nahm zu meiner Zeit
unter den damaligen Grammatikern (zwar) den höchsten Rang
ein, zeichnete sich jedoch wissenschaftlich mehr durch (markt-
schreierische) Prahlerei und Spitzfindigkeit (oo<fioTeia) , als
durch Sorgfältigkeit aus. 2. Ausser seinen vielen anderen
Schriften verfasste er auch noch ein Buch, welches gleich bei
seinem Erscheinen den Ruf umfassender Gelehrsamkeit sich
errang. 3. Die Ueberschrift dieses Buches bildet ein ganz
besonderes Lockmittel für die Leser, denn es verspricht ja
Aufschluss „über die eigentlich sachgemässe (reine) Ausdrucks-
weise (de loquendi proprietate)". Wie sollte sich nun aber
XVIII, 5, 11. C. Octavius Lampadio besorgte nach Suet de
grammat. 2 (die Recension der) Textausgaben des naevischen bellum
Punicum. S. Sueton v. H. Doergens.
XVIII, 6, L. Aelius Melissus, berühmter Grammatiker zu Rom
und Zeitgenosse des Gellius. S. Doergens Suet. grammat. 3 u. 21 NB.
Plin. h. n. 33, 29 ; 28, 62; Mommsen r. G. II, S. 464.
Digitized by Google
(416)
XVIII. Buch, t). Cap., §3 — 8.
Einer einbilden und schmeicheln dürfen, rein und richtig
sprechen zu können, wenn er nicht vorher mit dem Inhalt
dieses Werkes von Melissus sich ganz vertraut gemacht hat?
4. Aus diesem Werke ist folgende Stelle: „matrona heisst
eine Frau, die einmal geboren hat, eine aber, die mehrmals
niedergekommen war, hiess materfamilias, so wie eine
Sau, die einmal geworfen hat, porcetra heisst, und eine,
die öfter geworfen: scrofa." 5. Ob Melissus nun aber diesen
(sonderbaren) Unterschied über die beiden Begriffe „matrona"
und „materfamilias" selbst ausgeklügelt und sich zusammen-
gereimt, oder ihn bei irgend einem Andern geschrieben ge-
lesen hat, dazu bedarf's wahrlich erst noch der Wahrsager.
6. Denn in Betreff des Ausdrucks „porcetra" (d. h. eine SauT
die einmal geworfen hat) lässt sich allerdings Pomponius
als Gewährsmann anführen, bei dem eine Posse dieses Wort
als Ueberschrift trägt. 7. Allein, dass man eine Frau „ma-
trona" genannt haben soll, die nur erst einmal geboren
hatte, und eine nicht „materfamilias", wenn sie nicht öfters
niedergekommen war, dürfte wohl durch keinen Vertreter
( oder Gewährsmann) unter den alten Schriftstellern festgestellt
werden können. 8. Denn es möchte vielleicht doch bei
Weitem mehr Wahrscheinlichkeit für sich haben, was zu-
verlässige „Ausleger alter Wörter (vocum antiquarum enarra-
tores)" berichten, dass eine Frau ganz mit Recht dann
„matrona" genannt worden sei, die durch Verheirathung
in die Gewalt des Mannes gekommen war, so lange sie in
XVIII, tf, 4. S. Paulus S. 125; Serv. ad Verg. Aen. XI, 476 und
Nonius p. 442, 9 unt. matrona. — Scrofa (yQouyds), eine Sau, die
Junge geworfen hat und zur Zucht gehalten wird, ein Mutterschwein, eine
Muttersau. Varro r. r. II, 4, 2. 4; Colum. VII, 9, 2.
XVIII, 6, b\ L. Pomponius Bononiensis, 90 v. Chr., erster
Atellanendichter, s. Gell. X, 24, 5 NB.
XVIII, 6, 8. *) Vergl. Gell. XVIII, 9, 4 de usu antiquae lectionis
von Velius Longus.
XVIII, 6, 8. Durch drei verschiedene Arten von ehelicher Verbindung
(usus , confarreatio und coemptio s. Gell. III, 2, 13 NB) kam bei den
Römern die Frau aus der Gewalt des Vaters in die Gewalt des Mannes,
Cic. pro Flacc. 34. Die einfachste, leichteste Art der ehelichen Verbindung
ohne weitere Festlichkeiten, wozu es nur der Einwilligung des Vaters be-
durfte, oder dessen, der seine Stelle vertrat, war die, dass eine Frau mit
XVDI. Buch, 6. Cap., § 8. 9.
(417)
dieser Ehe lebte, selbst wenn sie noch keine Kinder zur
Welt gebracht hatte, und dass sie so genannt worden sei
vom Mutter-Namen, nicht weil sie diesen Namen durch eine
bereits erfolgte Niederkunft schon zu eigen hatte, sondern in
der Hoffnung und Erwartung, ihn in der Folge zu bekommen.
9. Von diesem Begriff „Mutter (mater)" ist ja auch selbst
der Name „matrimonium" hergenommen; „materfamilias" soll
aber allein die genannt worden sein, welche (per coemptionem)
in die Gewalt und das Eigenthum (in manu mancipioque)
des Mannas überging, oder auch (im Fall die sich Ver-
einem Manne ein ganzes Jahr zum Zweck eines zu schliessenden Ehe-
bündnisses (matrimonii causa) zusammenlebte, ohne drei Nächte von ihm
abwesend zu sein. Auf diese Art wurde sie des Mannes gesetzmässige
Frau und durch Verjährung sein Eigenthum, weil bei gewöhnlichen be-
weglichen Sachen durch die Besitzdauer eines Jahres das Eigenthumsrecht
an dem Besitze rechtlich erworben wurde. Man nahm also ein frei-
geborenes Frauenzimmer zu sich und wenn man mit ihr ein ganzes Jahr
im Ehestande gelebt, ohne dass die Frau zur Verjährungsunterbrechung
einmal drei Nächte lang von ihrem Manne entfernt gewesen war, oder wie
es in den zwölf Tafeln hiess s trinoctiom usurpatum ieret, so ward sie als
rechtmässige Ehefrau, usu, angesehen. Ovid. Fast, in, 395. Der Mann
erhielt dadurch das volle Recht über das Vermögen seiner Frau und sie
kam wie eine Tochter in seine Gewalt. S. Dion. Hai. II, 25. Wenn sie
also durch die usucapio nicht in die Gewalt ihres Mannes kommen wollte
(non convenire in manum mariti), so hielt sie sich drei Nächte lang von
ihm entfernt. S. Gell. III, 2, 12. Sie blieb nun in der Gewalt ihres
Vaters und unter dem Schutze ihrer Verwandten und wurde nicht mater-
familias (gesetzmässige Frau), sondern matrona. Aus eben dieser
Ursache wurde sie auch nicht Erbin ohne ein Testament (ab intestato)
und der Mann empfing nicht alle ihre Güter als Morgengabe. Cfr. Heinecc.
ad Inst. Just. L. I tit 1 § 14; Cic. Top. 3, 14; Serv. zu Verg. Aen. XI,
476. S. Plaut. Trin. III, 2, 65 [691]; Liv. X, 23.
XVIII, 6, 9. manus im engeren Sinne s. v. a. potestas und man-
cipium, die Gewalt des Hausvaters überhaupt, im eigentlichen Sinne aber
die Gewalt des Mannes über seine Frau. S. Savigny II, 499. Eine Frau,
die früher sui juris gewesen, erlitt durch die in manum conventio eine
capitis deminutio, verminderte also ihre Rechtsfähigkeit und trat aus der
angeborenen Familie in die des Mannes über. Sie gehörte dem Gatten
wie eine Tochter an (filiae loco) und war ganz in dessen Familie und
Agnationsverband übergetreten. Sie wurde Schwester ihrer eigenen Kinder
und ihrer Stiefkinder. — Dadurch bekam sie Erbrechtsansprüche in der
Familie ihres Mannes. Gaj. II, 159; HI, 3. 14. 40; Ulpian. XXII, 14.
23, 3; XXIX, 1; Dion. Halic. II, 25.
Göll ins, Attische Nflchte. II. . 27
(418) XVIII. Buch, 6. Cap., §9.-7. Cap., § 1 — 3.
bindenden noch in väterlicher Gewalt waren) in die Gewalt
und das Eigenthum Dessen, in der ihr Ehegatte stand; weil
sie nicht nur in die eheliche Verbindung getreten, sondern
auch in die Verwandtschaft des Ehegatten und an die Stelle
seines natürlichen Erben gekommen war.
XVIII, 7, L. Auf welche Weise Favorinus sich ausliess über das un-
geschliffene Benehmen (eines Grammatikers) bei der Bitte um eine Aus-
kunft „über die Doppelbedeutungcn gewisser Wörter"; ferner Angabe, wie
viel Bedeutungen das Wort „contio" hat.
XVIII, 7. Cap. 1. In Rom gab es einen berühmten
Grammatiker Domitius, der ein gelehrter Mensch war und,
weil er in seinem Wesen etwas Ungefüges und Eigensinniges
hatte, den Beinamen Insanus (der Unwirsche, Heftige, Ver-
driessliche) erhielt. 2. Als unser Favorin , in dessen Beglei-
tung ich mich befand, diesem Domitius (einst) zufällig am
Tempel der Weissagerin (apud fanum Carmentis) begegnete,
richtete er die Frage an ihn : Ich bitte Dich, gelehrter Mann,
sage mir doch, ob ich Unrecht gethan habe, als ich das Wort
„contiones" brauchte, in der Absicht lateinisch das Wort:
de^yogiat (Volks -Staats -Reden) wiederzugeben? Ich bin
nämlich noch nicht im Klaren und möchte gern wissen, ob
Einer von den Alten, die sehr gewählt sprachen, das Wort
„contio" in dem Sinne von : Rede und Vortrag gebraucht hat.
3. Darauf versetzte Domitius in strengem Tone und düsterer
Miene: Nun hört aber doch wahrhaftig alle Gemüthlichkeit
gänzlich auf (nulla prorsus bonae salutis spes reliqua est),
wenn auch ihr grossen Lichter unter den Philosophen euch
erst noch um die Wörter und ihre genaue Bedeutung be-
kümmert. Ich werde Dir aber ein Werk schicken, worin Du
XVIII, 7, L. Quem in modum Favorinus tractaverit intempestivum
q. d. v. a. quaer entern; allein nicht der Grammatiker stellte die Frage,
sondern Favorin!!
XVIII, 7, 2. Ueber Carmentis s. Gell. XVI, 16, 1 NB.
XVIII, 7, 3. Bernh. röm. Lit. 123, 570 sagt: Die Persönlichkeit der
meisten Philosophen erschien gleich mittelmässig im Leben, wie in ihrer
Darstellung. — Bei Plutarch: politische Lehren cap. 5 lautet ein Vers
des Euripides (Fragm. 977 ed. Nauck):
0 wäre sprachlos doch der Sterblichen Geschlecht.
XVIII. Buch, 7. Cap., §3 — 5.
(419)
finden kannst, was Du suchst. Ich bin nämlich ein Gramma-
tiker (mich kümmert nur die Wirklichkeit), mein ganzes
Streben ist nur auf die Kenntniss des Lebens und der Sitten
gerichtet; ihr Philosophen freilich seid nach dem Ausspruch
des M. Cato wahrhaftig reine todte Wörterbücher (mera mor-
tualia), denn ihr nutzt den Wörtchenkram und sonstigen häss-
lichen, unnützen, gehaltlosen Krimskrams gerade so aus, wie
die Klagelaute der Leichen-Miethweiber. Ach, rief er, möch-
ten doch alle Menschen stumm sein, die Schlechtigkeit würde
dann weniger Unterstützung (und Helfershelfer) aufzuweisen
haben. 4. Als wir uns (nun von ihm) entfernt hatten, sagte
Favorin: Wir kamen dem Manne nicht recht gelegen. Ich
glaube aber, dass er eben wieder einmal eine Anwandlung
(von böser, übler Laune) hatte (emo^aivea^ai). Ihr müsst
jedoch wissen, sagte er, dass dergleichen Verdrossenheit (und
Missstimmung), welche man (im Griechischen) gewöhnlich mit
dem Worte ^elayxolia (Trübsinnigkeit und Schwermüthigkeit)
bezeichnet, nicht gerade niedrigen und geringen Geistern zu
eigen ist, sondern dass eine solche (heftige) Auf wall ung*)
fast immer für das Anzeichen eines (Riesengeistes oder Geistes-)
Heros gelten kann und meist den sichersten Beweis von einem
freimüthigen Geständniss der Wahrheitsliebe ablegt, freilich
ohne jedwede Rücksichtnahme auf Zeit noch Mass. Allein
was haltet ihr wohl von diesem, seinem (letzten) Ausspruch,
den er über die Philosophen gethan? Glaubet ihr nicht, dass,
wenn diese seine Aeusserung ein Antisthenes, oder ein Dio-
genes gethan hätte, dieselbe (dann von uns Allen) für (ewig)
denkwürdig würde gehalten worden sein? 5. Bald nachher
aber schickte er dem Favorin auch wirklich das versprochene
Buch. Ich glaube, es war das des Verrius Fl accus, worin
folgende, auf obige Frage bezügliche Stelle vorkam : dass das
Wort „senatus" sowohl vom Orte, als auch von Personen zu
verstehen sei ; das Wort „civitas" sowohl in örtlicher Beziehung
vom Staat und von der Stadt, wie auch von der allgemeinen
Gerechtsamkeit (dem Bürgerrecht) und endlich vom gesamm-
ten Bürgerthum (als Staatsgemeinde) gesagt werde; auch die
XVIII, 7, 4. *) Vergl. Aristot. probl. 30, 1.
XVIII, 7, 5. Ueber Verrius Flaccus s. Gell. V, 17, 1 NB.
27*
(420)
XVm. Buch, 7. Cap., §5 — 9.
Wörter „tribus" und „decuriae" brauche man bezüglich des
Orts, dann des Rechts, und endlich der Personen ; 6. das Wort
„contio" aber bezeichne eine dreifache Beziehung : erstlich den
Ort und die (erhöhte) Tribüne, von wo aus geredet würde,
7. wie Cicero in seiner Rede sagt, welche den Titel führt:
„contra contionem Q. Metelli (gegen den Vortrag des Q. Me-
tellus)", wo es heisst: „Ich stieg hinauf auf die Rednerbühne
(escendi in contionem), es fand ein grosser Volksauf lauf statt" ;
sowie ferner derselbe M. Cicero in seinem „Redner (orat. 50,
168)u sagt: „ich hörte oft ganze Versammlungen (contiones)
Beifall rufen, wenn (nur) die Worte einen passenden (harmo-
nisch klingenden) Schlussfall hatten. Denn das Ohr erwartet,
dass die Gedanken in Worten schicklich (periodisch) verknüpft
werden;" 8. ferner bezeichne das Wort contio ebenfalls die
Versammlung des anwesenden, beiwohnenden Volkes; des-
gleichen auch noch die Rede selbst, welche an das Volk
gehalten würde, wofür ich freilich in dem Buche keine Bei-
spiele verzeichnet fand. Ich aber zeigte später dem Favorin
auf sein Verlangen die von mir bei Cicero, wie ich schon
oben erwähnte, und auch die bei den besten unserer alten
Schriftsteller aufgefundenen (und ausgezogenen) Beweisstellen
für alle diese (verschiedenen) Bedeutungen. 9. Worauf es aber
XVIII, 7, 6. Contio eine Zusammenziehung von conventio, cfr.
Gell. XIII, 16, 1 (XV, 27, 4).
XVIII, 7, 7, In Folge der Wendung: escendere in contionem von
dem Auf- und Hinausgange auf die Rednerbühne des Forums, um zum
Volke zu sprechen, scheint hier Verrius Flaccus eine besondere Bedeutung
von contio für Rednerbühne angenommen zu haben. Klotz lat Lex. be-
hauptet, dass dies mit Unrecht geschehen sei. Derselben Meinung ist
auch Lange röm. Alterth. § 134 S. (604) 665, welcher zeigt, dass der
Grund dieses Missverständnisses nur darin zu suchen ist, dass Gellius in
der Redensart escendere in contionem den präpositionalen Ausdruck local
aufgefasst hat«
XVIII, 7, 8. S. Cic. Flacc. 7, 16; Sest 59, 127. In den römischen
Volksversammlungen (Comitia, wie Contionen) verweilte das Volk stehend,
die Griechen in den ihrigen sitzend. S. Lange röm. Alterth. § 119 S. (398)
429. — Reden, in denen der Magistrat dem coetus populi adsistentis die
Mittheilungen machte, wegen deren er das Volk berufen hatte, und die je
nach Umständen ruhig oder mit Geschrei angehört wurden, wurden gleich-
falls Contiones genannt, so z. B. Cicero's 2. und 3. Catilinaria. S. Lange
röm. Alterth. § 134 S. (604) 666 weitere Beispiele.
XVni. Buch, 7. Cap., §9.-8. Cap., § 1. 2. v_
hauptsächlich ankam, zu erforschen, dass das Wort „contio"
in dem Sinne von Vortrag und Rede gesagt worden sei, da-
für lieferte vollständigen Beweis die Ueberschrift jenes Werkes
von Tullius (Cicero), das von M. Cicero (selbst) überschrieben
worden ist: „contra contionem Q. Metelli (d. h. gegen den
Vortrag des Q. Metellus)", womit in der That nichts weiter
gemeint sein kann, als eben die besagte, vom Metellus ge-
haltene Rede.
XVIII, 8, L. Dass Sätze oder Verse mit gleichem Ausgangsreime und
andere derartige Gleichklänge (6fj.oioriX€VT(t xal o/LtoionTUTa), welche
gewöhnlich für Redeschmuck gehalten werden , läppisch seien und von
Lucilius in einigen seiner Verse für Kindereien erklärt werden.
XVIII, 8. Cap. 1. Lucilius hat im 5. Buche seiner Satiren
wahrlich auf höchst geistvolle Weise darauf angespielt, wie es
nichts Einfältigeres, Ungeschickteres und Kindischeres geben
könne, als jene ähnlichen Endklänge (6f.ioioTiXevra), jenes Gleich-
klangsgekhngle (iGo/.axuXr^xa), jenes (anklingende) Ausgangs-
gereime (TtaQioa) und viele andere derartige (absichtlich ge-
suchte) Schnörkeleien {pixoi67vxvnct) , welche jene geschmack-
losen (pedantischen Schöngeister, auuqoAciKoC) , die gar so
gern für Nacheiferer des Isocrates gelten möchten, bei An-
ordnung und Aufstellung der Ausdrücke (in ihrer Anmassung)
ohne End und Ziel und auf ekelhafte Weise an den Mann
zu bringen suchen. 2. Denn nachdem Lucilius sich gegen
den Freund in Klagen ergangen hat, dass er ihn während
seines Krankseins nicht besucht habe, fügt er launiger Weise
Folgendes hinzu:
Quo me habeam pacto, tarn etsi non quaeris, docebo;
Quando in eo numero mansti, quo in maxima nunc est
Pars hominum, ut periisse velis, quem visere nolue-
ris, cum debueris. Hoc „nolue" et „debueris" te
Si minus delectat, quod au^vov et Eisocratium est
Oxkrjgov que simul totum ac ovfijuetQaxidities,
Non operam perdo. Si tu hie [." ], d. h.
Wie ich befinde mich jetzt, ich verkünd* es, obgleich Du mich nicht fragst,
Da Du gerad' es so machest, wie's jetzt von den Meisten gemacht wird,
XVIII, 8, L. Vergl. Quintil. 9, 3, 76—80. ^otonxtaxu , Gleichheit
der Casus- Endungen. Sext. Empir. adv. Math. II, 57; Plut mor. Ob die
Athener im Kriege oder in der Weisheit berühmter, 8.
Digitized by Google
(422) XVm. Buch, 8. Cap., §2.-9. Cap., § 1. 2.
Dass Du den Tod lieber wünschest dem, dem Du nicht wünschtest
ihn, wenn Du
Müsstest besuchen ihn nicht Wenn dies mein „Wünschtest und
Müsstest"
Dir etwa wen'ger behagt, nur weil's isocratisch, unkunstrecht («rf/rov)
Lastig (oyltiiKtv) dazu vielleicht und ganz ausserordentlich kindisch
((Jvfi/JttoftxtöjiSts),
Geb' ich es gerne Dir preis. Wenn Du hier
XVIII, 9, L. Was bei M. Cato der Ausdruck „insecenda" (ansagen, nennen)
bedeutet; dass man nicht „insequenda" lesen müsse, wie Viele meinen,
sondern vielmehr „insecenda".
XVIII, 9. Cap. 1. In einem alten Buche, worin die
„Rede des Marcus Cato" stand, die er „im Betreff des Ptole-
maeus (Euergetes IL) gegen den Therm us" gehalten, stand
Folgendes geschrieben: „Allein wenn er dies Alles aus Heim-
tücke (und Niedertracht) that, Alles aus Habsucht und Geld-
gier that, (lauter) solche verruchte Verbrechen, wie uns (der-
gleichen) weder durch Hörensagen, noch durch Lecture be-
kannt geworden, so muss man ihm die härteste Strafe für
seine (Frevel-) Thaten zuerkennen [ ]." 2. Man hat
vielfach gefragt, was der Ausdruck „insecenda" heissen soll.
Da befanden sich nun unter den Anwesenden zwei Männer, der
Eine ein Halb wisser, der Andere ein wissenschaftlich Gebil-
deter, d. h. Jener ein Sprachlehrer, Dieser ein (wirklich) Ge-
lehrter. Diese Beiden nun waren unter einander verschiedener
Ansicht, und der Grammatiker (das eben besagte Sprachlehrer-
XVUI, 8, 2. Der Dichter Lucilius schreibt nach überstandener
Krankheit an einen Freund, der sich wahrscheinlich viel mit Rhetorik
befasste. Er ergeht sich im Scherz über die rhetorischen Vorschriften des
Isocrates (436 — 338 v. Chr.) zunächst in Bezug auf die Gleichklänge in
„wünschtest und müsstest" (im Lateinischen : nolucris und debueris). Diese
rhetorischen Regeln missbrauchten viele geistlose Pedanten {anuooxctkoi)
auf die lächerlichste Weise. «Vf/ror, i.e. unkünstlerisch; 6/lrjQor, lästig;
avfiu iiQaxi tfi&t ?, kindisch.
XVIII, 9, 1. Ptolemaeus VII. von Aegypten, Euergetes IL, genannt
Physkon (Schmeerbauch) , Nachfolger seines Bruders Philometor. Justin.
38, 8; Strabo 17, 795 IT.; Athen. 4, 184; 12, 549. — Q. Minucius
Thermus hatte sich als Consul in Ligurien die schändlichsten Grausam-
keiten zu Schulden kommen lassen. S. NB zu Gell. X, 3, 17 und XIII,
25 (24), 12.
XVIII. Buch, 9. Cap., §3—5.
(423)
Individuum) behauptete [ ], 3. sagte, es müsse „inse-
quenda" heissen und nicht „insecenda", weil „insequens" die
Bedeutung enthalte [ ] und nach Ueb erlief erung in-
.seque gleichsam (soviel) heisse (als): perge dicere und
insequere, d. h. fahre fort zu erzählen und setze weiter fort
(die Erzählung), wie es ja auch bei Ennius in folgenden
Versen geschrieben steht:
Inseque, Musa, manu Romanorum induperator
Qu od quisque in hello gessit cum rege Philippo, d. h.
Sage, o Muse, mir an die eigenhändigen Thaten
Unserer Führer des Heers im Krieg mit Philippus dem König.
4. Der Feingebildetere versicherte, es liege hier durchaus
kein Fehler vor, sondern sei ganz richtig und sprachrein ge-
schrieben, und man müsse dem nicht ungelehrten Velius
Long us Glauben schenken, welcher in seiner Erklärungs-
schrift, die er „über den Gebrauch einer veralteten Ausdrucks-
weise (de usu antiquae lectionis)" verfasste, schreibt, es sei
bei Ennius nicht „inseque" zu schreiben, sondern „insece" und
deshalb seien von den Alten insectiones (Erzählungen) genannt
worden, was man durch „narrationes" bezeichnet und auch
Varro habe folgenden Vers des Plautus aus den Menaechmen
(Zwillingen, V, 7, 57 [1015]):
Nihilo + minus esse videntur sectius, quam somnia, d. h.
Denn mir scheint dies Alles gar nichts Andres, als ein Traum zu sein,
so erklärt: nihilo magis narranda esse (videntur), quam si ea
essent somnia, d. h. um nichts mehr (d. h. ebensowenig) erzählens-
werth sei es, als ob Alles ein Traum (Trugbild) sei. Darüber
stritten sich also nun die (Beiden) mit einander. 5. Ich bin
der Ansicht, dass vom M. Cato „insecenda" und vom Q. Ennius
„insece" geschrieben worden sei, (beide Male) ohne „uM. Ich
fand nämlich in der Bibliothek zu Patrae (in Achaja) eine
XV IH, 9, 3. Insece s. Paul. S. 111 und Placidus p. 477: insequis,
narras, refers et interdum pergis. — Induperator = imperator, vergl.
Gell. I, 25, 17 NB indu = in.
XVIII, 9, 4. Die Erklärungsschrift des Velius iLongus „de usu
antiquae lectionis" war eine Sammlung von altertümlichen Wörtern und
Structuren. .m S. Bernhardy röm. Lit. 56, 227. Vergl. Gell. XVIII, 6, 8
„vocum antiquarum enarratores" und Teuffels Gesch. der röm. Lit. 338, 2.
XVIII, 9, 5. S. Teuffels röm. Lit. Gesch. § 92, 0.
i »
(424) XVIIL Buch, 9. Cap., § 5—10.
Ausgabe von der Odyssee des Livius Andronicus, eine Aus-
gabe von glaubwürdigem Alter, wo im Anfangsvers das Wort
insece ohne „u" geschrieben stand:
Virum mihi, Camena, insece versutum, d. h.
Sag* an, Camena, mir den Helden, den verschmitzten,
(offenbar) eine Nachahmung des bekannten homerischen Verses
(des Anfangsverses der Odyssee):
avÖQtt poi üvv£7i6, Movoa, nokvrQonov, d. h.
Nenne mir, Muse, den Mann, den vielgewandten.
Ich schenke also hierin mein volles Vertrauen der Ausgabe
von so hohem Alter und so grosser Glaubwürdigkeit. 6. Denn
das aus dem Plautus entlehnte Beispiel : sectius quam somnia
(anders als Träumereien) kann nichts dafür, noch dagegen
beweisen. 7. Wenn gleich ich sehr gern glauben will, dass
die Alten nicht inseque, sondern insece (also c für qu oder k)
sagten, weil es sich weicher und leichter aussprechen Hess,
so scheint doch mit den beiden Ausdrücken ein und derselbe
Begriff, eine und dieselbe Bedeutung verbunden werden zu
müssen. 8. Denn im Sprachgebrauch unterscheiden sich aller-
dings sowohl „sequo" und „sequor", als auch „secta" und
„sectio", allein bei genauerer Betrachtung wird man leicht
von beiden einen und denselben Ursprung (der Abstammung)
und eine und dieselbe Stammbedeutung herauserkennen. 9.
Auch die Lehrer und Erklärer griechischer Ausdrücke sind
der Ansicht, dass das Homerische:
avJQa pot. „tvv£ntu Movoa, nenne mir Muse den Mann (aus Odyssee 1,1)
und
taners vvv pot, Movoac, nennet anjetzt mir, Musen (aus Iliade II, 484),
also dieses Ausdruckspaar „twene und Honm" entsprechend
durch das lateinische Wort „inseque" ausgedrückt sei; denn
sie sagen, in dem einen (zwene) sei nur das v verdoppelt, in
dem andern (eofcere) das g zugesetzt worden. 10. Sie nehmen
aber auch an, dass das Wort Ikiy, was Wörter (verba) oder
Rede (Lied, Spruch, versus) bedeutet, nicht anders woher
seine Abstammung habe, als von &ce<j&at, (sequi, folgen) und
XVIII, 9, 10. Inseco, wahrscheinlich vom Griechischen *Vrw und
€ff7rw, i. e. dico, gleichwie üno^iat, oder lano^iai das Lateinische
sequor ist.
xl by Google
XVHI. Buch, 9. Cap., § 11. — 10. Cap., § 1-5. (425)
■
von utzüv (secere, dicere, fari, sagen, ansagen). 11. Ganz
ebenso brauchten unsere Altvordern für die Begriffe : narratio-
nes sermonesque (Erzählungen und Unterhaltungen) den (für
uns archaistischen) Ausdruck: insectiones.
XVIII, 10, L. Dass Diejenigen sich irren, die glauben, dass bei Ermittlung
eines Fieberkrankheitsgrades der Schlag der Blutadern untersucht werde
und nicht vielmehr der der Pulsadern.
XVIII, 10. Cap. 1. Ich hatte mich mitten im heissen
Sommer auf das im attischen Gebiete, bei dem sogenannten
Flecken Cephisia gelegene Landgut des höchst berühmten und
hochgestellten Herodes (Atticus) begeben, einer wälder- und
quellenreichen Aue. 2. Daselbst hatte ich mir (durch eine
Erkältung) den Durchfall zugezogen in Begleitung eines sehr
heftigen Fiebers und lag (deshalb ernstlich) krank darnieder.
3. Als nun ebendahin der Philosoph Calvisius Taurus mit
einigen Andern seiner Schüler und Anhänger von Athen
heraus mich zu besuchen gekommen waren, sass gerade der
Arzt, den man in dieser Gegend (für mich) ermittelt hatte, an
meinem Lager und stattete dem Taurus auch sofort Bericht
ab, an was für einer Beschwerde ich litt, und unter welchen
Krankheits - Stadien .(Verläufen) und Unterbrechungen das
Fieber käme und auch wieder nachlasse. 4. Als dieser Arzt
da gesprächsweise bemerkte, dass es mit meinem Leibes-
befinden schon etwas besser gehe, sagte er noch zum Taurus :
Du kannst ja das Alles selbst gleich in Erfahrung bringen,
eav aiprj avxov wjg (pleßog, was in unserer Sprache ganz und
gar nichts Anderes heisst, als: wenn Du ihm nur an seine
Blutader fühlen willst. 5. Als die mit dem Taurus herbei-
gekommenen Gelehrten diese einfäjtige Aeusserung gehört,
wie er Blutader für Pulsader sagte, und an ihm, als an
einem nichts weniger als tüchtigem Arzte Anstoss genommen
hatten und dies durch (unruhiges) Gemurmel und durch ihre
(lächelnde) Miene offen zu erkennen gaben, sagte Taurus in
seinem gewöhnlichen besänftigenden und höchst milden Tone :
Wir sind versichert, lieber, guter Mann, dass Dir nicht unbe-
kannt sein kann, was man Blutader und was man Pulsader
nennt, weil die Blutadern ihrem eigensten Wesen nach (für
sich) keine Bewegung haben und nur (bei Aderlässen) zur
Digitized by Google
(426)
XVm. Buch, 10. Cap., §5 — 11.
Blutabzapfung aufgesucht werden, die Pulsadern aber durch
ihre Beschleunigung und Heftigkeit die Beschaffenheit und
den Grad der Fieber(krankheiten) anzeigen; 6. allein ich
sehe wohl, dass Du mehr nach allgemeinem Gebrauch, als
aus Unkenntniss so Dich ausgedrückt hast, denn ich habe
nicht Dich allein, sondern auch noch viele Andere irriger
Weise die Blutader für die Pulsader nennen hören. 7. Lass'
uns nun vor allen Dingen erfahren, dass Du im Heilen (und
Curiren) geschickter bist (elegantiorem esse te), als im
Sprechen, und mit der Götter gütiger Hülfe thue der Krank-
heit Einhalt und mache uns vor Allem sobald als möglich
unseren lieben Freund wieder gesund und kräftig. 8. Wenn
ich nun später einmal an den diesem Arzte widerfahre-
nen Vorwurf mich erinnere, habe ich oft bei mir gedacht,
dass es nicht nur für einen Arzt schimpflich sei, sondern
auch für jeden frei gebildeten und anständig erzogenen Men-
schen, wenn er nicht einmal Das, was zur richtigen Vor-
stellung und Kenntniss über unseren Körper unbedingt erfor-
derlich ist, was uns gar nicht so tief und so verborgen liegt,
sich anzueignen verstand, und was uns nach dem Willen der
Natur zum Schutz unserer Gesundheit so einleuchtend und so
sichtbar nahe gelegt ist. Daher habe ich, soviel ich immer
von meiner Zeit erübrigen konnte, mich auch mit solchen
Werken über Medicin befasst, die ich für geeignet zu meiner
Belehrung hielt, und glaube daraus mir so Vielerlei zu Nutze
gemacht zu haben, was sowohl der Verwerthung zu menschen-
freundlichen Zwecken nicht fern liegt, als auch Beziehung hat
auf die Blutadern und Pulsadern, und fasse es in folgende
Erklärung zusammen: 9. Die Blutader (vena), von den Aerzten
ayyeiov genannt, ist ein Behältniss für das mit geistigem
Hauch vermischte und vermengte Blut, worin jedoch mehr
Blut, weniger feine Luft enthalten ist : Die Puls-(Schlag-)Ader
(arteria) aber ist das Behältniss für den geistigen Hauch,
vermischt und vermengt mit Blut, worin jedoch den über-
wiegenden Theil der geistige Hauch bildet und den minderen
das Blut. 10. Der Pulsschlag (aqmyfiSg) ist ein natürliches
und unwillkürliches Bewegungsvordrängen oder ein Bewegungs-
nachlassen im Herzen und in der Pulsader. 11. Diese Er-
klärung nun ist von den alten Aerzten in griechischer Sprache
XVin. Buch, 10. Cap., § 11. — 11. Cap., § 1—4. (427)
gegeben worden und der Pulsschlag von ihnen genannt wor-
den: eine unvorsätzliche Ausdehnung oder Zusammenziehung
der Pulsader und des Herzens.
XVIII, 11, L. Ausdrücke ans den Gedichten des Furius Antias, vom
Caesellius Vindex unkluger Weise getadelt. Anführung der Verse,
worin die vermeintlichen (fehlerhaft gehaltenen) Ausdrücke sich vorfinden.
XVIII, 11. Cap. 1. Nach meinem Dafürhalten kann ich
durchaus nicht mit dem (allerdings) keineswegs ungebildeten
Grammatiker Caesellius Vindex einerlei Ansicht sein. 2. Aber
das ist doch wohl auch eine leichtfertige und plumpe Bemer-
kung, wenn er schreibt, dass der alte Dichter Furius (Antias)
die lateinische Sprache durch gewisse eigentümliche Wort-
bildungen verunglimpft habe, die, wenigstens mir, weder der
Berechtigung und Freiheit eines Dichters zuwiderzulaufen,
noch dem Ausdrucke und Klange nach garstig und unlieblich
zu sein scheinen, wie dies allerdings wohl bei einigen andern
hart und widrig klingenden Wortbildungen von unseren (sogar)
berühmten Dichtern der Fall ist. 3. Die vom Caesellius
(Vindex) getadelten Wortformen des Furius sind folgende:
dass er das in Koth verwandelte Erdreich mit dem Worte
lutescere (verkothen, moorbodig werden) nennt; ferner, dass
eine Finsterniss nach Art der Nacht entstanden sei, bezeich-
net er durch das Wort: noctescere (umnachten) und die alten,
früheren Kräfte Wiedererlangen, nennt er virescere (sich
kräftigen, erstarken), und wenn der Wind das dunkelblaue
Meer anfängt zu kräuseln, braucht er dafür den Ausdruck:
purpurare (dunkelbraun anschillern) und für den Begriff:
reich werden, sagt er: opulescere. 4. Ich füge die betreffen-
XVIII, 11, L. Aulus Furius von Antium, Freund und Studien-
genosse des Q. Lutatius Catulus (s. Gell. XIX, 9, 14 NB), dichtete Annalen.
Er ist nicht zu verwechseln mit Furius Bibaculus, der nur unter die
Lyriker gehört. S. Bernhardy röm. Lit 79, 366. — Caesellius Vin-
dex, ein angesehener Schriftsteller über Orthographie. Becker im
Philologus IV, p. 80 fg. auch vom Charisius I, 2 erwähnt und schon Gell.
III, 16, 11.
XVIII, 11, 3. Vielleicht aus seinen commentariis lection. antiq. vergl.
Gell. VI (VII), 2, 1 (Teuffeis) NB.
Digitized by Google
(428) XVIII. Buch, U. Cap., § 4. — 12. Cap., § 1. 2.
den Verse aus den furianischen Gedichten, in denen sich
diese Ausdrücke vorfinden, hier bei:
1. Sanguine diluitur tellus, cava terra lutescit.
Vom Blute durchweicht sich der Boden, tief hinein verkothet (wird
moorig) das Erdreich.
2. Omnia noctescunt tenebris caliginis atrae.
Alles beginnt sich zu umnachten vom Dunkel einer undurchdringlichen
Finsterniss.
3. Increscunt animi, virescit volnere virtus.
Es steigern sich die Muthbegierden, aus Verwundung erstarkt (erblüht)
Tapferkeit
4. Sicut fulica levis volitat super aequora classis,
5. Spiritus Eurorum viridis cum purpurat undas.
Leicht wie ein Blässhuhn fliegt die Flotte über des Meeres Spiegel hin,
Während das Wehen der Südostwinde die meergrünen Wogen dunkel-
braun schillern und glitzern lässt
6. Quo magis in patriis possint opulescere campis.
Damit sie um so reicher werden könnten auf vaterländischen Gefilden.
XVIII, 12, L. Dass unsere Alten die Gewohnheit gehabt haben, die
Passivfonn zu verändern nnd in die Activform zu verwandeln.
XVIII, 12. Cap. 1. Auch dies wurde für eine besondere
Einheit im Ausdruck gehalten, dass man für Zeitwörter, die
(gewöhnlich) in der Passivform gebräuchlich waren, (lieber)
die Activformen setzte und diese wechselsweise wieder unter
einander (in der Bedeutung) vertauschte. 2. Juventius
sagt in einem Lustspiele:
Pallium!
Fldcci facio ut splendeat. —
Der Mantel
Dass er glänzend rein, ich frag' nichts d'rum.
ist das nicht bei Weitem schöner und lieblicher, als wenn er
gesagt hätte: ne maculetur (dass er nicht besudelt wird)?
XVILI, 11, 4. Ueber A. Furius aus Antium s. Teuffels röm. Lit
Gesch. 133, 4 und 189, 9. Bibaculus oder Vivaculus s. W. Teuffei zu
Hör. Sat II, 5, 40 S. 135.
XVm, 11, 4 v. 4. Fulica, Blässhuhn, griechisch: (palaQti oder
tpaXr}Q(s genannt. S. Plat. Sympos. Cap. 1 p. 172, A. Ein wegen seiner
Schnelligkeit bekannter Sumpfvogel.
XVHI, 12, 2. Juventius s. Bernh. röm. Lit 76, 346 und ganz be-
sonders Teuffels röm. Lit. Gesch. § 113.
W&tu --j. : • ■ £ '^g-.äk-S'r. Digitized by Google
XVm. Buch, 12. Cap., § 3-9.
(429)
3. Nicht unähnlich sagt auch Plautus:
— Quid est hoc? rugat pallium,
Amictus non sum commode.
Was soll mir das? Zerrunzelt (zerknittert) ist der Mantel,
Gehörig bin ich nicht umhüllt (drapirt).
4. Ebenso braucht Plautus den Ausdruck „pulverare" nicht in
dem Sinne von dem, was stäubt, staubig macht, sondern was
staubig (bestaubt) ist:
Exi tu, Dave, age, sparge; mundum hoc esse vestibulum volo.
Venus Ventura est nostra, non hoc pulveret
Hinaus geh', Davus, sput' Dich, fege, schmuckvoll will ich den Eingang
haben,
Gleich wird mein Herzlieb da sein, ich will nicht, dass er bestäubt ist
5. In seinem Eselsspiel (Asinaria. III, 1, 35. [539]) sagt er
„contemples" für „contempleris" (betrachte):
Meum caput contemples, si quidem e re consultas tua.
Betracht' mein (greises Mutter-) Haupt, wenn Rath Du suchst für Deine
eigne Angelegenheit
6. Cn. Gellius sagt in seinen Jahrbüchern (sedare, sich be-
ruhigen, intransitiv anstatt sedari oder sedare se): „Als der
Sturm sich gelegt hat (sedavit), opferte Atherbal einen Stier."
7. M. Cato in seiner „Urgeschichte" (braucht augere für augeri
oder se augere, zunehmen): „Dahin kam viel zusammen-
gelaufenes Volk vom Lande, dadurch vermehrte sich (schwoll
an, auxit = aucta est) ihre Macht." 8. M. Varro in seinen
Schriften, die er an den Marcellus „de lingua latina (über die
lateinische Sprache)" verfasst hat, sagt: „Im vorigen Worte
bleiben die Wortaccente lang, wie sie waren, die übrigen
wechseln (mutant = mutantur)." Der Ausdruck: reliquae
mutant für mutantur findet hier eine höchst feine Verwerthung.
9. Als eine ähnliche Ausdrucksweise kann auch noch eine
Stelle in desselben Varro's 7. Buche „divinarum (d. h. seiner
Schrift über Bestimmungen und Ursachen am Himmel und auf
Erden)" gelten, wo (mutare ebenso gebraucht ist und) es
heisst: „Was für ein Unterschied ist (quid mutet) zwischen
zwei Königstöchtern, kann man zwischen Antigone und
XVHI, 12, 6. S. Polyb. I, 49 f.; Liv. 28, 30. Es gab Zwei Namens
Atherbal 249/505; 206/548; s. Historie Rom. rell. v. H. Peter 1, 174 NB. 30,
XVHI, 12, 9. Den Namen Antigone führten drei Königstöchter. So
Digitized by Google
(430) XVIII. Buch, 12. Cap. § 10. — 13. Cap., § 1. 2.
Tullia deutlich sehen." 10. Beispiele, wo die Passivform
(als Deponens) für die Activform gebraucht ist, finden sich
fast in allen Schriften der Alten vor, ich führe (daher) nur
noch folgende wenige an, die mir jetzt gerade noch einfallen :
muneror te (ich beschenke Dich) für munero; significor (be-
zeichne) fürsignifico; sacrificor (opfere) für sacrifico ; assentior
(stimme ' bei) für assentio ; faeneror (treibe Wucher) für
faenero; pigneror (nehme zum Pfand) für pignero; und noch
viele andere derartige, welche, so wie sie mir beim Lesen
vorkommen, von mir sollen aufgezeichnet werden.
XVIII, 13, L. Durch welche Erwiderung der Philosoph Diogenes sich
Genugthuung verschaffte, als er von einem gewissen Dialektiker durch ein
unverschämt keckes Trugschliisschen (sophismation) auf die Probe
gestellt wurde.
XVIII, 13. Cap. 1. Während der Feier der Saturnalien
(am griechischen Carneval) vertrieben wir uns zu Athen
durch eine Art heiteres, anständiges Würfelspiel die Zeit
folgendermassen. 2. Wenn wir so mehrere Studien- (und
Gesinnungs-) Genossen beisammen waren, zur Zeit der Bade-
stunden, ersannen wir uns (allerhand) Trugschlüsse, so-
genannte Sophismen aus und jeder von uns, wenn die
hiess erstlich die Tochter Eurytions, Gattin des Peleus, dem sie* die
Polydora gebar und die sich aus Verzweiflung das Leben nahm, als sie
erfuhr, dass ihr Gemahl Peleus die Sterope, des Akastus Tochter, heirathen
wolle. Die zweite Antigone, von der hier die Rede ist, war jenes Muster
von aufopfernder Kindes- und Geschwisterliebe, die stete Begleiterin ihres
unglücklichen, blinden Vaters und welche ihre Brüder Eteokles und Poly-
neikes begrub, wofür sie ihr Onkel Kreon dem Tode weihte. Die dritte
Antigone ist Laomedos' Tochter, welche schöner sein wollte als Hera,
wofür sie in einen Storch verwandelt wurde. — Zwei Töchter des
Königs Servius Tullius führten den Namen Tullia. Tarquinius Superbus
hatte, der Sage nach, die eine zur Frau, ein sittsames Wesen, die andere
war, an seinen Bruder Aruns verheirathet , ein herrschsüchtiges Weib.
Diese brachte ihren Mann um, und jene wurde von Tarquinius beseitigt.
Darauf heiratheten sich Beide und mit Hülfe dieses ehrgeizigen Weibes
wurde der Tod des Servius Tullius (534 v. Chr.) veranlasst Liv. I, 46.
Sie liess geflissentlich ihren Wagen über die Leiche ihres von ihrem Manne
ermordeten Vaters gehen; sie starb im Exil. Diese letztere Tullia stellt
er hier also der Antigone, der Tochter des Oedipus, gegenüber.
XVHI, 13, 2. Ueber Sophismata s. Gell. XVHI, 2, 10 NB; Senec.
ep. 111.
XVIII. Buch, 13. Cap., § 2—8. (431)
Reihe an ihn kam, gab solche Trugschlüsse zum Besten
und warf sie, gleichsam wie Knöchel oder Spielwürfel, mitten
in die Unterhaltung hinein. 3. Für einen solchen gelösten
Trugschluss, oder für einen nicht recht verstandenen wurde
eine Silber(groschen)münze als Belohnung oder Strafe fest-
gesetzt. 4. Für die eingesammelten Strafgelder, gleichsam
als Spielgeldgewinn, wurde zum Besten aller Theilnehmer
am Spiele (schliesslich) stets ein kleines Mahl angerichtet.
5. Diese Trugschlüsse hatten ohngefähr Aehnlichkeit mit fol-
genden, obgleich sie sich nicht so recht geschmackvoll und
weniger fein im Lateinischen darstellen lassen, z. B. „Was
Schnee ist, ist kein Hagel, Schnee ist aber weiss, folglich ist
Hagel nicht weiss." Ebenso ein anderes, sehr ähnliches Bei-
spiel : „Was ein Mensch ist, das ist kein Pferd ; ein Mensch
ist aber ein lebendes Geschöpf (Thier), folglich ist ein Pferd
kein lebendes Geschöpf." 6. Jeder, der nun nach der Spiel-
ordnung zur Widerlegung und Entkräftung des Trugschlusses
aufgerufen worden war, musste nun also sagen und erklären,
in welchem Satztheile, oder in welchem Worte das Verfäng-
liche (d. h. der Fehler) enthalten wäre, was zugegeben und
zugestanden werden müsste, was nicht; wenn er die richtige
Erklärung nicht getroffen hatte, wurde er jedesmal mit einer
Silbermünze bestraft. Dies Strafgeld ging dann stets dem
Mahle zu Gute. 7. Hier muss ich aber des Vergnügens hal-
ber noch erzählen, wie fein und witzig dereinst Diogenes
einen Dialektiker aus der Philosophenschule des Plato ab-
lohnte, als ihn dieser als Schabernack mit einer solchen Art
des oben von mir erwähnten Trugschlusses blosszustellen (und
auf's Glatteis zu führen) gedachte. Der Dialektiker hatte
nämlich dem Diogenes die Frage gestellt: 8. „Was ich bin,
das bist Du nicht;" als Diogenes dies zugestanden und Jener
hinzugefügt hatte: „ich aber bin ein Mensch;" als Diogenes
auch diesen Satz als wahr anerkannt hatte, und nun dagegen
der Dialektiker zu schliessen wagte: „also bist Du kein
Mensch," erwiderte Diogenes (in aller Ruhe): Dieser Schluss
trifft zwar nicht zu, wenn Du ihn jedoch zur Wahrheit machen
willst, beginne nur den ersten Satz mit mir.
XVHI, J3, 8. Vergl. Gell. XVIII, 2, 9.
Digitized by Google
(432) XVIII. Buch, 14. Cap., § 1 — 6. — 15. Cap., § 1.
XVIII, 14, L. Welches Zahlenverhältniss die Ausdrücke hemiolios
(Tjutokioc, anderthalb) und epitritos {InlroiTog, vier Drittel) angeben; ferner,
wie unsere lateinischen Schriftsteller nicht gewagt haben, die beiden
Ausdrücke ins Lateinische zu übertragen.
XVIII, 14. Cap. 1. Für gewisse Zahlenverhältnisse, wo-
für die Griechen ganz besondere, bestimmte Wortbezeichnungen
haben, giebt es in der lateinischen Sprache keine entsprechen-
den Ausdrücke; 2. die lateinischen Schriftsteller aber, welche
über die Rechenkunst geschrieben haben, bedienten sich da-
bei der griechischen Bezeichnungen und wollten dafür nicht
erst in unserer lateinischen Sprache (besondere, neue) Aus-
drücke bilden, weil dies nur auf abgeschmackte Weise hätte
geschehen können. 3. Mit welchem Zahlenbegriff hätte man
im Lateinischen z. B. hemiolios (anderthalb) oder epitritos
(4/3) wiedergeben sollen? 4. Der Begriff hemiolios (andert-
halbig) begreift aber ein Ganzes und davon noch seine Hälfte,
wie z. B. (3 zu 2) 3/2 oder (15 zu 10) 15'10 oder (30 zu 20) 30/20
5. Der Ausdruck epitritos (4/3) bezeichnet einen Zahlenbe-
griff ganz genommen und dazu seinen dritten Theil genommen,
wie z. B. (4 zu 3 i. e.) 43 oder (12 zu 9) x% oder (40 zu
30) 4%o- 6« Die Bemerkung und Erwähnung dieser beiden
Ausdrücke schien mir deshalb von wesentlichem Nutzen zu
sein, weil Die, denen die Bedeutung dieser Zahlenverhältnisse
unbekannt geblieben sind, (ohne dieselben) gewisse feine, in
den Büchern der Philosophen vorkommende Berechnungen nie
werden begreifen können.
XVIII, 15, L. Wie sich M. Varro bemüht hat eine eigentümliche Er-
scheinung seiner allzu peinlichen und pedantischen "Wahrnehmung bei
heroischen Versen nachzuweisen.
XVIII, 15. Cap. 1. Die»Metriker (Lehrer über den Vers-
bau) haben darauf aufmerksam gemacht, dass im sogenannten
XVHI, 14, 4. i] n 1 6 Xtos, anderthalbig, bezeichnet das Verhältniss
von drei zu zwei, wenn die grössere Zahl die kleinere einmal ganz und
die Hälfte enthält, denn 8 enthält 2 und die Hälfte 1 = 2/2 -f V* — */*
oder 1V8.
XVin, 15, L. Versus herous, epischer Vers, Vers des Helden-
gedichtes (Hexameter).
XVIII. Buch, 15. Cap., § 1. 2. (433)
langen (sechsfüssigen) Verse, d. h. im Hexameter und im
sechsfüssigen Jambenvers die beiden ersten Füsse, sowie die
beiden letzten Füsse, beide für sich aus ganzen ungeteilten
Wörtern bestehen könnten, bei den mittleren (Versfüssen)
aber könne dies nie stattfinden, sondern diese beständen
immer aus Wörtern, die entweder selbst getheilt, oder aus
Theilen verschiedener Wörter gemischt wären. 2. Auch
Marcus Varro hat in den Büchern seines „wissenschaftlichen
Lehrgebäudes (seiner Encyclopaedie, in libris disciplinarum)"
geschrieben, dass er bei dem Hexameter streng (das Gesetz)
beobachtet habe, dass der fünfte Halbfuss überhaupt stets
mit dem vollen Worte schliesse (also ein Abschnitt und Ein-
schnitt, d. h. eine Caesur stattfinde) und dass die ersten
fünf Halbfusse in gleichbedeutendem Verhältniss bei der Bil-
dung des Verses ständen, wie die späteren sieben anderen,
und er setzt auseinander, dass dies nach einem geometrischen
Grundsatz so sein müsse.
XVm, 15, 2. Vergl. Muret var. lect XI, 6.
Gellius. Attische Nächte. II. 28
Digitized by Google
XIX. BUCH
XIX, 1, L. Entgegnung (und Verantwortung) eines gewissen Philosophen
auf die Frage (eines Zudringlichen), weshalb er bei einem Seesturm blass
geworden sei.
XIX, 1. Cap. 1. Wir fuhren zu Schilf von Cassiope nach
Brundusium über das ungestüme, fürchterliche und stürmische
ionische Meer. 2. Fast während der ganzen auf unsere erste
Tagesfahrt folgenden Nacht wüthete der Sturm von einer Seite
her und hatte Wellen über Wellen (in den Schiffsraum) hinein-
getrieben. 3. Alle unsere Reisegefährten weinten und jam-
merten während dem, und hatten mit dem (Kiel-) Wasser im
Schiffsraum ihre (grosse) Noth, bis endlich der Tag anbrach.
Allein die Gefahr und Sturmeswuth liess in keiner Hinsicht
nach, im Gegentheil wurden die Wirbelwinde noch häufiger,
der Himmel umzog sich pechschwarz und dampfendes Nebel-
geknäuel stieg auf und gewisse fürchterliche Wolkenbildungen,
welche man Wettersäulen (Wasserhosen, wyiavaq) nennt,
schwebten über unserem Haupte und drohten uns Gefahr
und schienen unser Schiff in den Abgrund versenken zu wollen.
4. Auf demselben Schiff befand sich auch ein berühmter
stoischer Philosoph, den ich zu Athen kennen gelernt hatte,
ein Mann von nicht geringem Ansehen und der seine jugend-
lichen Schüler mit steter Aufmerksamkeit zu fesseln verstand.
5. Von diesem verwendete ich in so grosser Gefahr und bei
einem solchen Aufruhr des (wolkenschwangeren) Himmels und
XIX, 1, 1. Cfr. Gell. Xn, 5. — Cassiopea, Stadt auf der Insel
Corcyra, heute: Corfu. Ueber Brundusium 8. Gell. IX, 4. 1 NB. —
Sich auf das ionische Meer zu begeben, galt als ein kühnes Wagniss, s.
Lucian. Hermotim. cap. 27, woher das griechische Sprüchwort: tnl (unde
7fM(iv, d. h. auf einer Binsenmatte schiffen, oder das Unmögliche möglich
machen; s. Plut. „Warum Pythia die Orakel pp." cap. 22.
XIX. Buch, 1. Cap., §5 — 10. (435)
des (wildaufgeregten) Meeres kein Auge, denn ich war be-
gierig, zu erfahren, in welcher geistigen Verfassung er ver-
harren und ob er gelassen und unerschrocken bleiben würde.
6. Da sah ich auch diesen Mann zaghaft und schreckensbleich,
welcher, obwohl er zwar keine Wehklagen, wie die Anderen,
noch irgendwie dergleichen (Jammer-) Laute ausstiess, sich
aber dennoch durch Entstellung seiner (Gesichts-) Farbe und
seines Aussehens von den Anderen nicht viel unterschied.
7. Allein wie nun der Himmel sich (endlich wieder) auf-
geklärt, des Meeres Ungestüm nachgelassen und die heftige
Gefahr ausgetobt hatte, trat kan den Stoiker ein (uns) un-
bekannter Grieche heran, der, wie jeder sofort aus dessen
grossem Staat und itusserlichem Glanz seiner Umgebung und
Dienerschaft erkennen konnte, ein (reisender) reicher Asiate
sein musste, kurz ein Mensch, der (mit allem Comfort über-
flüssig gesegnet) kein leibliches und geistiges Vergnügen sich
zu versagen wusste, mit einem Worte, ein wahrer Wollüstling
an^Leib und Seele. 8. Dieser nun machte es sich gleichsam
zum Spass [und sagte: Wie kommt es doch, dass Du als ein
Philosoph bei der Gefahr, in der wir schwebten, Dich fürch-
tetest und erbleichtest, ich aber weder in Furcht gewesen, noch
blass geworden bin? 9. Darauf erwiderte der Philosoph nach
kurzem (Schwanken und) Bedenken, ob er den Menschen
(überhaupt) wohl einer Antwort würdigen sollte, also: Wenn
es den Anschein gehabt hat, als ob ich bei diesem fürchter-
lichen Gewittersturm ein wenig entsetzt gewesen, so bist Du
(mir wenigstens eigentlich) nicht werth , von diesem meinen
Entsetzen den Grund zu hören. 10. Es soll Dir aber dennoch
jener Aristipp [ ], jener berühmte Schüler des Socrates
für mich antworten, der unter ähnlichen Umständen einst
ebenfalls von einem Menschen ganz Deines Gelichters zur
Rede gestellt, wie ein Philosoph erschrecken könne, da es
doch für ihn keine Furcht gebe? (ganz ruhig) antwortete:
(zwischen ihnen Beiden fände ein grosser Unterschied statt
und) sie hätten Beide (durchaus) nicht die gleiche Ursache
(zur Furcht), „denn Du magst allerdings wohl für Dein er-
XIX, 1, 10. S. Diogen. Laert. II, 7, 4 und Aelian, vermischte Nach-
richten IX, 20. Ueber Aristipp s. Gell. XV, 13, 9 NB.
28*
Digitized by Google
(436)
XIX. Buch, L Cap., §10—17
bärmliches Nichtsnutz - Leben nicht weiter sehr in Sorge zu
sein brauchen, ich aber glaube alle Ursache zu haben, für
das Leben eines Aristipp (d. h. für mein Leben) besorgt zu
sein." 11. Durch diese Erwiderung schaffte sich der Stoiker
(sofort) den reichen Asiaten vom Leibe. 12. Als wir aber
später in die Nähe von Brundusium kamen und Wind- und
Meeres-Stille eingetreten war, (fasste ich mir ein Herz und)
fragte ich den Stoiker, was wohl der Grund seiner Furcht
gewesen sein könne, den er Jenem, von welchem er in so un-
würdiger Weise war angesprochen worden, anzugeben sich
nicht für verpflichtet gefühlt habe? 13. Er antwortete mir
(auf meine bescheiden vorgetragene Frage) ganz gelassen und
freundlich: Weil Du Verlangen trägst, den Grund zu hören,
so lass* Dir erklären, wie über einen zwar ähnlichen, vorüber-
gehenden und kurzen, aber notwendigen und natürlich er-
klärbaren Schrecken unsere alten Stifter der stoischen Secte
geurtheilt haben, oder lies "es [(hier) lieber (gleich selbst),
denn wenn Du es liest, fuhr er* fort, wirst Du es leichter
glauben und eher behalten. 14. Darauf holte er sofort aus
seinem (Reise-) Bündelchen das fünfte Buch von Epictets ge-
lehrten Untersuchungen hervor, welche, von Arrian gesammelt
und geordnet, zweifellos mit den Schriften des Zeno und
Chrysippus völlig übereinstimmen. 15. In diesem Buche las
ich nun, in griechischer Sprache, wie sich von selbst versteht,
folgenden geschriebenen Gedanken: Die sinnlichen Wahr-
nehmungen, welche die Philosophen (pavraolag (Erscheinungen,
Eindrücke) nennen, wodurch die menschliche Seele gleich
beim ersten Erscheinen des an die Empfindung herantreten-
den Eindrucks berührt wird, hängen nicht von unserem
freien Willen ab und stehen nicht in unserer Willkür, son-
dern drängen sich mit der ihnen (innewohnenden) Kraft und
Gewalt den Menschen als wahrnehmbar auf. 16. Allein die
(erst durch unser Nachdenken und unsere Ueberlegung zu
gewinnenden) Aeusserungen unserer Billigung, Zustimmung,
unseres Beifalls, welche man ovyxara&tOEig (subjective Ueber-
zeugungen) nennt, wodurch sich eben diese Eindrücke (als
gut, oder verwerflich) erkennen und beurtheilen lassen, hängen
ganz allein von dem freien menschlichen Willen ab und er-
folgen nur nach der Menschheit Belieben. 17. Wenn also
Digitized by Google
XIX. Buch, L Cap., § 17 - 20. (437)
(unvorhergesehen) ein furchtbarer Knall entweder vom Him-
mel, oder von einem Einsturz erfolgte, oder plötzlich eine
Nachricht von irgend welchem Unglück eintraf, oder irgend
etwas (anderes) derartiges (Unangenehmes) sich ereignete, so
kann es wohl durchaus nicht ausbleiben, dass auch der Weise
in seiner Seele erschüttert wird, dass er zusammenschreckt und
erblasst, nicht in dem vorgefassten Glauben an irgend ein
vorhandenes Uebel, sondern allein durch die plötzlichen und
unerwarteten äusseren Eindrücke, die den vollen Gebrauch
seines Verstandes und seiner Vernunft zuvor einnehmen und
verhindern. 18. Bald jedoch (wenn der erste überraschende
Einfluss überwunden ist) wird der Weise dergleichen Ein-
drücke, d. h. solche schreekenerregende , sinnliche Wahr-
nehmungen nicht anerkennen (sie ihres Einflusses berauben,
sie verachten und verlachen), er wird nach dem Ausdruck
der Philosophen: ov ovy-Aatazi&seai (den Eindrücken seine
Zustimmung versagen) und ovöi 7tQoge7tido^aCu (ihrer Mei-
nungsbeeinflussung nicht beitreten), sondern sie verwerfen und
von der Hand weisen und er wird «ich (nachträglich) über-
zeugt halten, dass für ihn dabei nichts zu fürchten sei.
19. Und diesen Unterschied giebt man also an zwischen der
Seele und Empfindung eines Unweisen und eines Weisen, und
dass der Unweise sich einbildet, es sei wirklich Alles so ent-
setzlich und furchtbar, wie es ihm beim ersten Eindruck auf
seine Sinne vorkommt, und dass er diese Ureindrücke, als
wären sie mit Recht zu fürchten, auch durch seine Zustim-
mung anerkennt (d. h. ihnen eine Macht über sich einräumt)
und wie es heisst: sie ngooeTzidogatei (d. h. einer Meinungs-
beeinflussung preisgiebt und sich davon abhängig macht), denn
dieses Ausdrucks bedienen sich die Stoiker (speciell), wenn
sie über diesen Gegenstand Erörterungen anstellen. 20. Der
Weise aber, wenn er ja auf kurze Zeit und flüchtig seine
XIX, 1, 17. Zeno leugnete also keineswegs, dass der Schmerz ein
Uebel sei, sondern verlangte nur vom Weisen, ihn zu überwinden, wie
dies aus dieser Stelle des Arrian deutlich hervorgeht.
XIX, 1, 18. Zeno selbst verstand unter der Apathie nur die Macht
des Weisen, sich zur Herrschaft über die Sinneseindrücke zu erheben.
S. Gell. XII, 5, 10.
XIX, 1, 19. S. Cic. Tusc IV, 6.
Digitized by Go
(438) XIX. Buch, 1. Cap., § 20. 21. — 2. Cap., § 1. 2.
Farbe und Miene wechselt (verändert hat), räumt doch den
ersten (Eindrücken keine Unterthänigkeit ein (oder ov ovy-
xorrar/^erai stimmt ihnen nicht bei), sondern bietet die volle
Kraft auf und sucht Meister seiner Besinnung und seiner Mei-
nung zu bleiben, die er stets über dergleichen Erscheinungen
gehabt hat, wie über Dinge, die keineswegs zu fürchten sind,
sondern (den Menschen) nur unter falschem Scheine und eitler
Furcht Schrecken einjagen." 21. Das waren also nach den
Grundsätzen der Stoiker die Gedanken und Aeusserungen
des Philosophen Epictet, welche ich in den von mir genann-
tem Buche las, und ich glaubte, sie deshalb anführen zu
müssen, damit, wenn bei solchen, wie von mir gedachten, zu-
fällig vorkommenden Ereignissen wir einmal Einen heimlich
sollten im Innern erschrecken und gewissermassen blass werden
sehen, "wir dies nicht etwa (sofort) dem Unverstand und der
Feigheit der Menschen zuschreiben, und bei einer (ähnlichen)
kurz vorübergehenden (Gemüths-) Bewegung dies mehr der
angeborenen (menschlichen) 'Schwachheit zu Gute halten, als
nach dem blossen Schein der Vorkommnisse zu urtheilen.
XIX, 2, L. Dass von den fünf Sinnen der Mensch vor Allem zwei mit
den Thieren gemein hat. f Ferner, dass zwar jedes übertriebene Vergnügen,
welches vom Gehörsinn oder Gesichts- oder Geruchsinn herrührt, schändlich
und verächtlich, allein das, welches] vom Geschmacks- und Gefühlssinn
ausgeht, das allerabscheulichste sei, weil diese zwei den Menschen mit den
Thieren gemein sind, die übrigen nur den Menschen eigen.] 5*
XIX, 2. Cap. 1. Der Mensch hat fünf Sinne, welche die
Griechen alo&rjaeig (Empfindungsvermögen) nennen, durch
deren Vermittelung Geist oder Körper offenbar (Lust und)
Vergnügen empfängt, sieheissen: Geschmack, Gefühl, Geruch,
Gesicht, Gehör. 2. Jedes durch alle diese Sinne unmässig
genossene Vergnügen gilt (zwar immer) tftir schimpflich und
lasterhaft; allein eine durch den Geschmacks- oder Gefübls-
sinn vermittelte , übertriebene (Sinnes-) Lust ist nach dem
Urtheile aller verständigen Männer bei Weitem die abscheu-
lichste (und ekelhafteste), und alle Diejenigen, welche sich
XIX, l,t21. Cfr. Gell. XII, 5, 10.
XIX, 2, 1. Cfr. Gell. VI (VII), 1, 1; Macrob. Sat. II, 8.<
Digitized by
XIX. Buch, 2. Cap., § 2—5. (439)
diesen beiden thierischen Gelüsten geweiht haben, bezeichnen
die Griechen gerade mit den (zwei) entehrendsten Laster-
namen, entweder als (zügellose) Verschwender (axQaTeig),
oder als (ausschweifende) Wollüstlinge (axokdotovg) , wofür
wir die lateinischen Ausdrücke: incontinentes (Unenthaltsame),
oder intemperantes (Unmässige) brauchen: denn wenn man
den griechischen Ausdruck : axolaoroi recht genau übersetzen
will, wird man nur ein ungewöhnlich auffallendes, sprach-
widriges Wort zu Tage fördern. 3. Diese beiden Vergnügungen
des Geschmacks und Gefühls, d. h. die ausschweifenden Nah-
rungs- und Geschlechtstriebgelüste haben die Menschen mit
den Thieren gemein und deshalb wird Jeder unter die Zahl
des rohen Viehes und der wilden Thiere gerechnet, der sich
durch diese thierischen Gelüste (wie ein Sklave) hat fesseln
lassen. 4. Die übrigen Vergnügungen, welche durch die Ver-
mittelung der drei anderen Sinneswerkzeuge (Gehör, Gesicht,
Geruch) herrühren, sind offenbar den Menschen nur allein
eigen. 5. Ich füge hier eine Stelle des Philosophen Aristoteles
über diesen Gegenstand bei, damit besonders das Ansehen
dieses berühmten und herrlichen Mannes uns von solchen
entehrenden (unwürdigen) und verrufenen (sinnlichen) Ge-
lüsten zurückschrecke*). „Warum werden die", sagt er, „mit
dem Ausdrucke aTtgareig (Unmässige) belegt, welche sich zu
sehr von dem Vergnügen des Gefühls und Geschmacks be-
herrschen lassen? Weil sie einestheils bezüglich der Liebes-
lust solche Wollüstlinge sind, anderntheils bezüglich der Lust
an der Feinschmeckerei (und Völlerei). Für einige dieser
Feinschmecker liegt nun der (höchste) Genussreiz auf der .
Zunge, für andere in der Kehle (oder in dem Schlünde),
weshalb Philoxenus**) sich auch den Schlund des Kranichs
zu haben wünschte; (den auf Gesicht und Gehör beziehend-
XIX, 2, 5. *) S. Aristot. ,'problem. 28 (29), 7 und ethic Nicom.
VII (VIII), 4.
XIX, 2, 5. **) Philoxenus von Cythere, berühmter Dithyramben-
dichter, Schüler des jüngeren Melanippides , wurde vom Dionysius von
Syrakus wegen seiner Freimüthigkeit in die Steinbrüche geworfen. Er
verspottete den Tyrannen in seinem Satir- Drama „Kyklop". (Ael. var.
hist. X, 9 ; Diodor. Sic. 15, 6.) Uebrigens hatte er den Ruf eines Schlem-
mers und Liebhabers witziger Einfälle.
Digitized by Google
(440) XIX. Buch, 2. Cap., §5—8.-3. Cap. § 1.
liehen Vergnügungen giebt man nicht solche entehrende Namen)
sollte das nun wohl nicht (fj) daher rühren, weil (jene beiden
Sinne und) die damit zusammenhängenden Vergnügungen uns
und den übrigen Thieren gemeinsam sind? Insofern sie uns
nun mit den Thieren gemein sind, sind sie um so schimpf-
licher und allein verächtlich, so wie wir auch einen von
solcher (gemeinen Ergötzlichkeit) Beherrschten tadeln und
ihn Verschwender {a-AQaxrj) und Wollüstling (av.olaoxov) nennen,
weil er sich von der niedrigsten Sinneslust bezwingen lässt.
Von diesen fünf Sinnen sind es nur die zwei von mir vorher-
genannten (des Gefühls und des Geschmacks), deren sich auch
die übrigen Thiere erfreuen, denn in Bezug auf die Anderen
werden sie entweder im Ganzen gar nicht freudig gestimmt,
oder davon doch nur zufällig berührt." 6. Wie kann also
ein Mensch, der nur irgend etwas menschliches Schamgefühl
aufzuweisen hat, Freude empfinden an der Fleischeslust und
Völlerei, die er mit dem Schwein und dem Esel gemein hat?
7. Socrates sagte daher, viele Menschen wollten nur deshalb
leben, um zu essen und zu trinken, er aber trinke und esse
nur, um zu leben. 8. Hippocrates aber, dieser mit göttlicher
Weisheit und Erkenntniss begabte Mann, urtheilte so über
die fleischliche Vermischung, dass er sie zu einer der häss-
lichsten Krankheiten in Beziehung brachte, welche bei uns
die Comitialkrankheit, d. h. Fallsucht (Epilepsie) heisst; denn
nach Ueberlieferung werden ihm die (bekannten) Worte in
den Mund gelegt: {xt}v ovvovoiav eivai hixqciv E7iiXr]iplav,
d. h.) Die fleischliche Vermischung sei eine kurze Fallsucht
(Epilepsie).
XIX, 3, L. Dass ein kaltes Lob beschämender sei, als ein bitterer Tadel.
XIX, 3. Cap. 1. Der Philosoph Favorin that den Aus-
spruch, dass ein spärliches und kaltes Lob weit schlimmer
XIX, 2, 7. S. Diog. Laert IL, 5, 16; bei Plut Wie der Jüngling die
Dichter lesen soll, p. 22 cap. 4; Athenaeus IV sect 48 (158).
XIX, 2, 8. Cfr. Menag. ad Diog. Laert kVIin, p. 410; Clemens
Alexandrien Paedagog. lib. IL Man schreibt diesen Ausspruch auch dem
Democrit zu.
XIX, 3, 1. S. Plutarch: über die Böswilligkeit Herodot's 4. „Mit
Digitized by Google
XIX. Buch, 3. Cap., § 1. 2. — 4. Cap., § 1-5. (441)
(verletzender und beschämender) sei, als ein gehässiger und
harter Tadel ; 2. weil, sagt er, Derjenige, welcher lästert und
tadelt, wenn dies in einem sehr heftigen und bitteren Tone
geschieht, um so mehr für einen offenbaren Feind und (par-
teiisch) ungerechten Richter gehalten wird und deshalb meist
keinen Glauben findet; allein Der, welcher sparsam und mit
Rückhalt lobt, wird, weil er zwar für einen Freund dessen
gilt, den er zu loben beabsichtigt, trotzdem aller Ursache
(zu einem Lobe) beraubt scheinen und (nichts weiter als)
Veranlassung geben, (an die Vermuthung) zu glauben, dass
er nichts habe entdecken können, was er mit Recht zu loben
sich berechtigt fühle.
-
. XIX, 4, L. Warum ein unvermutheter Schreck Durchfall nach sich zieht
und ferner weshalb das Feuer den Drang zum Harnlassen verursacht.
XIX, 4. Cap. 1. Die Schriften des Aristoteles, welche
den Titel führen: „problemata physica (d. h. naturwissen-
schaftliche Räthselfragen)," sind von allerhand geistvollen und
feinen Bemerkungen angefüllt. 2. Darin ist von ihm auch
die Frage aufgestellt worden, wie es wohl kommen möge, dass
Die, auf welche ein unvermutheter Schreck über ein gewaltiges
Ereigniss hereinbrach, meist sogleich vom Durchfall befallen
würden. 3. Ebenso fragt er, warum immer der Fall eintrete,
dass Einen , der länger in der Nähe des Feuers stand , der
Drang zum Harnlassen befalle. 4. Und in Bezug auf einen
heftigen und unaufhaltsamen Durchfall bei einer (gehabten)
Furcht oder einem Schrecken giebt er als Ursache an, weil
jede Furcht und jeder Schreck einen frosterregenden (algi-
ficum, oder wie Aristoteles sagt: xpvxQ07T.oi6%) Zustand erzeuge,
oder durch seinen Kältegrad das ganze Blut und die (Blut-)
Wärme von der Hautoberfläche des Körpers ganz und gar
wegdränge und vertreibe und dabei zugleich bewirke, dass
Die, welche in Furcht und Schrecken gerathen, durch das
Entweichen des Blutes aus dem Gesichte, auch blass aus-
sehen müssten. 5. Ferner sagt Aristoteles, Blut und Wärme
Widerwillen loben ist um nichts hilliger, ja vielleicht gar noch schlimmer,
als mit Vergnügen tadeln."
XIX, 4, 1. S. Aristot. problem. 7, 3 und 27, 9; Merckl. p. 671.
Digitized by Google
(442) XIX. Buch, 4. Cap., § 5. 6. — 5. Cap., § 1—4.
im Innersten zusammengedrängt, bewirken meist den Reiz
zum Durchfall. 6. Ueber den häufigen Drang zum Harnen,
in Folge von Nahestehen am Feuer hervorgerufen, findet sich
in dem Werke noch folgende Bemerkung von ihm vor: „Das
Feuer löst das, was (durch die Kälte) fest geworden und
geronnen (d. h. zu Eis geworden) ist, wieder auf, gleichwie
die Sonne den Schnee auflöst."
XIX, 5, L. Eine aus des Aristoteles Schriften entlehnte Bemerkung, dass
der Gebrauch des Schneewassers zum Trinken höchst schädlich sei, und
dass sich aus Schnee Eis bildet
XIX, 5. Cap. 1. Ich und einige andere meiner Alters-
genossen und Freunde, (alle) Anhänger und Schüler der Be-
redtsamkeit und Philosophie, waren in der heissesten Jahres-
zeit zu unserem Freunde, einem reichen Manne, nach Tibur
auf's Land gegangen. 2. Unter uns befand sich ein guter,
ehrlicher Peripatetiker, ein äusserst gelehrter Mann und
ausserordentlich eifriger Verehrer "des Aristoteles. 3. Wie
dieser nun sah, dass wir häufig Wasser von geschmolzenem
Schnee tranken, wies er uns zurecht und schalt uns deshalb
sehr ernstlich aus und stützte seine Warnung auf die an-
sehnlichen Zeugnisse der berühmten Aerzte und vor Allem
auf das des um die menschliche Gesundheitspflege höchst
verdienten und vielerfahrenen Philosophen Aristoteles, der
sich darüber aussprach, dass allerdings den Früchten und
Bäumen das Schneewasser zuträglich und befruchtbar, den
Menschen aber durch übermässigen und häufigen Genuss un-
gesund sei, Grund zur Auszehrung lege und den innersten
Eingeweiden heimliche und langwierige Krankheiten einpflanze.
4. Er wurde zwar nicht müde, uns diese kluge, wohlgemeinte
Vorsichtsmassregel immer und immer wieder vorzuhalten,
allein da nun trotz dessen dem Schnee wasser- Trinken kein
Ende gemacht wurde, holte er aus der tiburtischen Bibliothek,
welche damals im Tempel des Hercules ganz reichlich mit
Büchern versehen war, ein Werk des Aristoteles hervor und
brachte dies zu uns mit und sagte: (wenn ihr mir nicht
XIX, 5, 1. Vergl. Macrob. Sat. VII, 12.
XIX. Buch, 5. Cap., §4—10.
(443)
glauben wollt, so) schenkt wenigstens den Worten und Er-
mahnungen dieses höchst weisen Mannes Glauben und hört
auf, euere Gesundheit (mit aller Gewalt) zu Grunde zu richten.
5. In diesem (herbeigeholten) Buche stand nun ausdrücklich
bemerkt, dass Schneewasser zum Trinken höchst schädlich
sei, so wie auch das in noch weit grösserem Masse festere
und härtere Eis, welches im Griechischen ngvorcdlog heisst,
und es stand dabei auch folgende Ursache davon angegeben:
6. Weil, wenn das Wasser sich durch die Kälte der Luft ver-
härtet und gefriert, es nothwendiger Weise nicht ausbleiben
kann, dass eine Verdunstung stattfindet und gleichsam ein
gewisser Theil der ganz feinen Luft aus dem Wasser aus-
gepresst wird und entweicht. 7. Dasjenige also, was ver-
dampft, ist im Wasser der leichteste (feinste) Theil ; es bleibt
aber nun nur das Schädlichere, das Unreinlichere und das
Ungesundere zurück, und dies nimmt durch den (kalten) Luft-
druck zusammengepresst das Aussehen und die Farbe von
weissem Schaum an. 8. Allein ein gut Theil von dem, was
gesünder ist, werde verflüchtigt und aus dem Schnee ver-
dampft, dafür spricht der Beweis, weil seine Masse kleiner
und geringer wird als sie war, bevor sie zu Eis gefror. 9. Ich
habe die betreffende kurze Stelle aus dem Buche des Aristo-
teles gleich ausgezogen und füge sie hier bei: „Warum das
Wasser aus Schnee und Eis ungesund ist? Weil von der hart
gewordenen (gefrorenen) Wassermasse die feinsten Theile ver-
dunstet werden und die leichtesten (flüssigsten) Theile ver-
dampfen. Beweis (dafür dürfte sein), weil die Masse weniger
wird, als sie vorher war, sobald das Hartgewordene (Ge-
frorene) wieder geschmolzen ist. Da nun also das der Ge-
sundheit Zuträglichere entwich, so ist nothwendig, dass das
Zurückgebliebene schlechter (und ungesunder) sei." 10. Als
wir dies gelesen hatten, so war man der Ansicht, dass man
einem so ausserordentlich weisen Manne, wie dem Aristoteles,
alle Ehre widerfahren lassen (und seinen Rath unbedingt be-
folgen) müsse, und deshalb erklärte ich dem (Genuss vom)
Schnee(wasser) Krieg und Hass; die Anderen Hessen sich
mit diesem Getränke freilich nur auf einen sehr verschieden-
artigen (zweifelhaften) Waffenstillstand ein (d. h. Einer oder
der Andere tibertrat doch bisweilen noch das Verbot).
(444) XIX. Buch, 6. Cap., § 1—3. — 7. Cap., § 1.
XIX, 6, L. Wie das Schamgefühl das Blut nach den äussersten Theilen
des Körpers ergies>st und ausbreitet, die Furcht und der Schreck aber
dasselbe zurückzieht
XIX, 6. Cap. 1. In den „(naturwissenschaftlichen Räthsel-)
Fragen" des Philosophen Aristoteles steht Folgendes geschrie-
ben: „Warum wohl Die, welche sich schämen, roth werden,
und Die, welche sich fürchten (oder erschrecken), blass, da
doch diese Gemüthsbewegungen einander so ähnlich sind?
Etwa weil das Blut Derer, die sich schämen, aus dem Herzen
nach allen anderen Theilen des Körpers hin sich ergiesst und
folglich auf der Oberfläche erscheint, und bei Denen, die sich
fürchten, (oder erschrecken, das Blut) nach dem Herzen hin-
strömt und folglich von allen übrigen (Körper-) Theilen sich
wegzieht?" 2. Als ich zu Athen dem Taurus diese Stelle vor-
gelesen und zugleich die Frage vorgelegt hatte, was er wohl
über die angegebene Ursache dächte, antwortete er mir:
Aristoteles hat wohl ganz treffend und richtig gesagt, was
geschieht, wenn das Blut sich (nach den Körpertheilen hin)
ergiesst, oder wenn es sich (wieder) zurückzieht, allein warum
dies also geschieht, davon hat er nicht gesprochen. 3. Denn
es kann doch ferner noch gefragt werden, warum die Scham-
haftigkeit eine Ergiessung von Blut veranlasst, die Furcht (und
der Schreck) aber ein Zurückziehen desselben, da das Scham-
gefühl eine Art von Furcht ist und ihrem Begriffe nach so
erklärt wird: Furcht vor wohlverdientem Vorwurf. Diese
Erklärung geben nämlich die (griechischen) Philosophen:
Scham ist Furcht vor gerechtem Tadel (aioxtvr] botlv q>6ßog
dwaiov xpoyov).
XIX, 7, L. Was das Wort „obesnm" bedeutet und einige andere alter-
thümliche Ausdrücke.
XIX, 7. Cap. 1. Der Dichter Julius Paulus, ein echter
Biedermann und in der alten Geschichte und Literatur un-
XIX, 6, 1. Vergl. Cic. TuscuL IV, 8.
XIX, 6, 2. S. Macrob. VII, 11.
XIX, 7, L. ob es um (von obedo, passiv;), angegessen, mager;
(medial:) fest, feist
XIX, 7, 1. Der Dichter Julius Paulus bei Gellius schon I, 22, 9;
V, 4, 1; XVI, 10, 9 erwähnt. S. Teuffels röm. Lit Gesch. 349, 4.
Digitized by Google
XIX. Buch, 7. Cap., § 1 — 5.
(445)
gemein bewandert, besass auf vaticanisehem Gebiete ein (be-
scheidenes) unbeträchtliches Erbgütchen. Dorthin lud er uns
oft zu sich ein und bewirthete uns freundlich und reichlich
mit Gemüse (Kohl) und Obst (von seinem Selbsterbauten).
2. Als ich nun mit dem Julius Celsinus an einem milden Herbst-
tage auch einmal bei ihm (im Hause) gespeist hatte, und bei
Tafel die Alcestis des Laevius hatte vorlesen hören und wir
uns (später) beim nahen Sonnenuntergang auf dem Rückwege
zur Stadt befanden, da wiederholten wir uns die (eigentüm-
lichen) Wendungen und Wortformen, die in dem Gedicht des
Laevius' vorgekommen und uns als neu und auffällig erschie-
nen waren. Wenn nun irgend ein bemerkenswerther Ausdruck
vorgekommen war, von dem wir glaubten, auch einmal Ge-
brauch machen zu können, so prägten wir ihn unserem
Gedächtnisse ein. 3. Eine solche, uns damals nun noch im
Gedächtniss hängen gebliebene Stelle war z. B. folgende:
(Da sah ich ihn)
Corpore pectoreque undique obeso ac
Mente exsensa kurdingemulo
Senio obpressum, d. h.
Ganz abgezehrt den Körper und die Brust ringsum,
Empfindungslosen Geistes, langsam ächzend
Vom Alter hart gebeugt
Wir bemerkten hier den mehr eigenthümlichen, als gewöhn-
lichen Gebrauch des Wortes „obesus" (in der Bedeutung von:
benagt), also für dürftig, hager, abgezehrt, denn im Allgemeinen
wird der Ausdruck: „obesus" im uneigentlichen oder ent-
gegengesetzten Wortsinn (axvQiog r} zcto*) avr Lcpqao iv)
gebraucht, für: reichlich genährt (angefressen) und fett
(gefressen). 4. So hatten wir uns auch gemerkt, dass er
„oblitera gensu (das vergessene Geschlecht) gesagt hatte, für
„obliterata"; 5. ferner, dass er Feinde, weil sie das Bündniss
brachen, „foedifragi" (Bundesbrüchige) und nicht „foederifragi"
XIX, 7, 2. Ueber Laevius s. Gellius II, 24, 8 NB und Teuffels röm.
Lit Gesch. 148, 5.
XIX, 7, 3. *) xaj* anifpQaaiV) im entgegengesetzten Wortsinn, d.h.
eine Benennung, die mit dem Wesen des Benannten im Widerspruch
ßteht, z.B. novxog tvfrivog statt u&ivos, oder bellum (schön oder Krieg),
der nicht schön ist.
Digitized by Google
(446) XIX. Buch, 7. Cap., §6 — 16.
genannt hatte; 6. so auch, dass er die rothprangende Morgen-
röthe (Aurora) mit dem Beiwort „pudicolor" (schamfarbig,
d. h. schamroth) belegte und den (äthiopischen Mohrenkönig)
„Memnon nocticolor" (nachtfarbig, statt schwarz) nannte; 7.
so sagte er auch „dubitanter" (mit Bedenken) für „forte" (ohn-
gefähr), und von „sileo" (schweige) sagte er (das syncopirte
Participium) „silenta loca" (verschwiegene Orte), dann auch
noch „pulverulenta" (bestäubt, vergl. Gell. XVIII, 12, 4 pulvero,
bestäubt sein und stäuben) und „pestilenta" (der Gesundheit
verderblich) und so auch : „carendum tui est" (man muss deiner
entbehren) anstatt: te (Ablativ: Dich entbehren) und „magno
impete" (mit grossem Ungestüm) für „impetu"; 8. ebenso
brauchte er den Ausdruck: „fortescere" (tapfer werden) für
„fortem fieri" ; 9. so auch das Wort „dolentia" (Schmerz) für
„dolor" und „avens" (begierig, gern) für „libens" ; 10. so auch
„curis intolerantibus" (passive) für „intolerandis" (von unerträg-
lichen Sorgen) und ebenso „manciolis tene illis4' (an diesen zarten
Händchen halte) für „manibus", und so sagte er auch: „quis
tarn siliceo" (sc. corde est, d. h.) wer ist so kieselhart(en
Herzens)? So brauchte er das Wort „fiere" und sagte „inpendio
infit" (es fängt an kostspielig zu werden) anstatt zu sagen:
„fieri inpense incipit"; 11. und dann sagte er weiter: „acci-
pitret" (nach Habichtart zerreisst oder zerfleischt) anstatt
„laceret". 12. Mit solchen Betrachtungen über die laevische
Ausdrucksweise vertrieben wir uns also während des Weges
die Zeit. 13. Denn alle anderen Ausdrücke, die uns zu sehr
poetisch und dem Gebrauch in der ungebundenen Rede ferner
zu stehen schienen, liessen wir ganz ausser Acht, wie z. B.
die Ausdrücke , deren er sich in Bezug auf den Nestor be-
diente, wie z. B. trisaeclisenex (der drei Geschlechter [alte]
Greis) und „dulciorelocus iste" (der mit süssem Munde Re-
dende, d. h. der liebliehe Redner); 14. ebenso wie er von
hochangeschwollenen und grossen Fluthen sagt „multigrumi"
(sehr aufgehäuft); 15. und bei den von Kälte erstarrten (ver-
härteten, gefrorenen) Flüssen: sie hätten eine onychinische
(d. h. marmorne oder alabasterne) Decke; 16. und was er
XIX, 7, 10. Manciolis tene illis vergl. Eur. Alcest. 381: tnl rofJ*
7r«fJ«ff etc.
Digitized by Google
XIX. Buch, 7. Cap., § 16. — 8. Cap., § 1—3. (447)
sonst noch, scherzend und spielend, für vielfache Ausdrücke
(erfand und) erdichtete; wie endlich zuletzt noch jener Aus-
druck, wo er seine Tadler genannt hat: subducti supercilii
carptores, d. h. Augenbrauenüberstülpungs-Tranchirer.
XIX, 8, L. Untersuchung, ob die Wörter „harena" (Sand), „coelura"
(Himmel), und „triticum" (Waizen) sich auch im Plural gebraucht finden
und nebenbei auch über den Ausdruck „quadrigae" und „inimicitiae" und
ausserdem über noch einige andere (bei denen es sich ebenfalls fragte, ob
sie sich im Singular gebraucht vorfinden.
XIX, 8. Cap. 1. Wenn mir (damals) zu Rom als ganz
jungem Menschen", bevor ich mich nach Athen begab, vom
Besuche meiner Lehrmeister und ihrer Vorlesungen einige
freie Zeit übrig blieb, versäumte ich nie, besuchshalber, mich
zum Fronto Cornelius zu verfügen und seine öfteren ge-
lehrten Unterredungen mit anzuhören und aus den Vorräthen
seiner kostbaren Kenntnisse Nutzen zu ziehen. Und ich kann
nicht anders sagen, so oft ich ihn besuchte und seine Vor-
träge hörte, kehrte ich fast immer veredelter und gebildeter
zurück (d. h. nahm ich stets neue Anregung zu meiner
geistigen Veredlung und Vervollkommnung mit fort). 2. Von
solchem Einfluss war eines Tages auch seine Unterredung
über einen zwar leichten Gegenstand, aber durchaus nicht
unwichtig für Solche, welche sich ernsthaft mit der latei-
nischen Sprache beschäftigen. 3. Denn als da einer seiner
Freunde, ein wohl unterrichteter Mann und berühmter Dichter
erwähnte, dass er endlich von der Wassersucht ganz befreit
worden sei und zwar durch Anwendung von heissen Sand-
massen (arenis calentibus), da entgegnete ihm scherzhafter
Weise Fronto: Vom (leidigen) Krankheitsübel bist Du nun
allerdings erlöst, aber vom Sprachübel bist Du noch nicht
erlöst. Denn Gajus Caesar, jener beständige (lebenslängliche)
Dictator, der Schwäher des Gnaeus Pompejus und Begründer
XIX, 7, 16. Der altertümlichen Poesie waren kolossale Anschich-
tungen von Wörtern eigen. S. Bernh. röm. Lit. 7, 14.
XIX, 8, 3. Die Schrift Caesars de analogia war gewissermassen eine
lateinische Grammatik. S. Gell. I, 10, 4; IV, 16, 8; IX, 14, 25; Suet.
Caes. 6; Cic. Brut 72, 253; Cic. Attic. 6, 2; Quint. I, 5, 13; I, 6, 1;
I, 6, 8. Vergl. Teuffels Gesch. der röm. Lit. 192, 4.
(448)
XIX. Buch, 8. Cap., §3 — 6.
des Namens und Geschlechtes aller späteren Caesaren, ein
Mann von hervorragenden Anlagen, der sich unter allen seinen
Zeitgenossen durch die grösste und untadeligste Sprachreinheit
auszeichnete, dieser bedeutende Mann ist in seiner an den
M. Cicero verfassten Schrift über „Analogie (stilistische Einheit)"
der Ansicht, dass es ein grosser Sprachfehler sei, „harena"
(Sand) in der Mehrheit zu verwerthen, weil „harena" nie
im Plural gebraucht werden dürfe, wie auch weder „coelum"
(Himmel), noch „triticumu ( Waizen) ; 4. dagegen soll man stete
„quadrigae" (Viergespann) im Plural brauchen, wenn gleich
dies Fuhrwerk nichts bezeichnet, als eine« Koppel von (vier)
zusammengeschirrten Pferden; dasselbe gilt auch beziehentlich
der Wörter „arma" (Waffen) und „moenia" (Mauern) und
„comitia" (Volks -Versammlungen) und „inimicitiae" (Feind-
schaften), wo die Pluralform die allein richtige ist, (und
darauf sagte Fronto:) hast Du nun, Schönster der Dichter,
etwas dagegen zu erwidern, wodurch Du Dich sowohl zu
entschuldigen, als auch deutlich darzuthun vermagst, dass
dies kein Fehler sei (sc. harenae im Plural gebraucht zu
haben)? 5. Jener erwiderte: In Betreff der Wörter „coelum"
und „triticum" leugne ich allerdings nicht, dass sie immer nur
im Singular gebraucht werden müssen, und ebensowenig be-
streite ich, dass in Betreff der Wörter: arma, moenia und
comitia stets nur die Pluralform für richtig zu halten sei,
jedoch über „inimicitiae" und „quadrigae" wollen wir nachher
sprechen. 6. Allein, werde ich mich nun auch schon in Be-
zug auf (die Pluralform von) „quadrigae" dem massgebenden
Beispiele der alten Schriftsteller fügen, so will mir doch nicht
einleuchten, was G. Caesar für einen Grund gehabt haben
kann, in Abrede zu stellen, warum das Wort „inimicitia" nicht
gerade so gut im Singular von den Alten soll gebraucht
worden sein, oder von uns soll gebraucht werden dürfen, wie
die Wörter: inscientia (Unwissenheit), impotentia (ZügeWosig-
keit), injuria (Ungerechtigkeit)? Da ja auch Plautus, dieser
Stolz und diese Zierde der lateinischen Sprache, „delicia"
im Singular (mxwg) gebraucht hat für die (gebräuchlichere)
Pluralform (im Poenulus oder Karthager I, 2, 152 [364]) für
deliciae:
mea voluptas, mea delicia, d. h.
(Du) meine Lust, (Du) meine Wonne.
Digitized by
XIX. Buch, 8. Cap., §6—10. (449)
Ebenso braucht Q. Ennius in seinem höchst denkwürdigen
und berühmten Buche die Singularform von inimicitia:
Eo ego ingenio natus sam,
-)- Amicitiam atque inimicitiam in frontem promptam gero, d. h.
Geboren bin ich mit der Eigentümlichkeit,
Man sieht die Freundschaft offen mir geschrieben an die Stirne, wie die
Feindschaft.
Wer hat nun, ich bitte Dich, (ausser Caesar) sonst noch ge- ,
schrieben, oder behauptet, der Plural von „harena" sei nicht
gut lateinisch? Und deshalb bitte ich Dich (zugleich), dass,
wenn Du die Schrift des Gajus Caesar nicht bei der Hand hast,
sie sofort (Dir) mögest herholen lassen, damit Du Dich selbst
deutlich überzeugen kannst, dass er diesen Satz als unumstöss-
lich aufstellt. 7. Aus dem also herbeigeholten ersten Buche
„über die Analogie" prägte ich mir folgende wenigen Worte
meinem Gedächtnisse „vom Gebrauch der Numeri" ein. 8.
Als er nämlich vorausgeschickt hatte, dass die Pluralform
weder bei „coelum", noch bei „triticum", noch bei „harena"
zulässig sei, fährt er fort: „Du bist der Ansicht, das Wesen
der betreffenden Dinge bringe es so mit sich, dass wir sagen
können, eine Erde (eine Welt) und mehrere Welten, ferner
eine Stadt und mehrere Städte, dann auch ein Reich und
mehrere Reiche; und nun (sagst Du) sollten wir die Plural-
form von „quadrigae" nicht in den Singular verwandeln und
auch den Singular von „harena" nicht in den Plural umändern
können?" 9. Nach dem Vortrage dieser Stelle wendete sich
Fronto an jenen Dichter und sagte: Scheint es Dir nun
richtig, dass G. Caesar über die Form des Wortes (harena),
Deiner Ansicht entgegen, ganz klar und ganz bestimmt sich
ausgesprochen und erklärt habe? 10. Darauf entgegnete der
Dichter, durch diese schriftliche Beglaubigung überführt:
Wenn mir jetzt noch die Möglichkeit gegönnt wäre* mich an
Caesar selbst, als an den Urtheilsspruch eines höheren Richters
wenden zu können, so würde ich auch jetzt immer noch mich
(gern) von dem nur schriftlichen Zeugnisse des Caesar los-
zuwetten bereit sein. Da er selbst aber (durch seinen Tod)
tiberhoben ist, uns über seine Meinung Aufschluss zu geben, so
müssen wir jetzt Dich (speciell) schon ersuchen, uns zu sagen,
worin nun eigentlich der Fehler zu suchen wäre, wenn man
„quadriga" im Singular, oder „harenae" im Plural sagen wollte.
Gel Hu s. Attische Säclite. II. 29
Digitized by Google
(450)
XIX. Buch, S. Cap., § 11-14.
11. Darauf antwortete Fronto also: Der Ausdruck quadrigae,
obgleich darunter nicht mehrere Wagen, sondern nur ein
Viergespann zu verstehen ist, enthält immerhin doch den
Begriff einer Mehrheit, weil vier zusammengespannte Pferde:
„quadrigae" genannt werden, gleichsam als „quadrijugae" (vier
angeschirrte), und der Inbegriff von mehreren Pferden ver-
trägt sich durchaus nicht mit dem Einheitsbegriff der Singular-
form. 12. Und hinwiederum im entgegengesetzten Falle gilt
dieser nämliche Grund auch von dem Singular des Wortes
„harena"; denn da „harena" im Singular gebraucht eine
Masse und Menge der allerkleinsten Bestandtheile bezeichnet,
so würde „harenae" als Plural unklug und unüberlegt gesagt
erscheinen, gleich als wenn dieses Wort eine • Erweiterung
durch die Pluralform bedürfe, da doch schon im Singular
dieses Wortes ein wesentlicher Mehrheitsbegriff enthalten ist.
Allein ich habe dies nur angeführt, sagte er, nicht um als
selbständiger Begründer für das Zurechtbestehen dieses Aus-
spruches und Gesetzes mich aufzuwerfen (non ut hujus sen-
tentiae legisque fundus subscriptorque fierem, d. h. nicht
also, um etwa nun diesen Ausspruch und dieses Gesetz ge-
nehmigen, autorisiren und begünstigen zu helfen), sondern
nur, um mich vor dem Vorwurf zu sichern, als hätte ich die
Meinung eines so gelehrten Mannes, wie des Caesar, unerbitt-
lich (a7zagafiv&r]Tov) blosstellen wollen. 13. Denn da „coelum"
(Himmel) immer im Singular (hrtiüg) gesagt wird, „mare"
(Meer) und „terra" (Erde) nicht immer, auch „pulvis" (Staub)
und „ventus" (Wind) und „fumus" (Rauch) nicht immer, warum
haben nun die alten Schriftsteller bisweilen „induciae" (Waffen-
stillstand) und „caeremoniae" (heilige Religionsgebräuche) auch
im Singujar gebraucht, niemals aber die Wörter „feriae" (Fest-
Feier-Tage), „nundinae" (Jahrmarkt) und „inferiae" (Todten-
opfer) und „exsequiae" (Leichenbegängniss) (anders als im
Plural)? Warum braucht man bei den Wörtern „mel" (Honig)
und „vinum" (Wein) und allen übrigen derartigen Begriffen
die Mehrzahl und sollte sie bei „lacte" (= lac, Milch) nicht
brauchen? 14. Es ist aber nicht möglich, sag1 ich, dass in
einem Staate, wo Geschäfte sich auf Geschäfte häufen und
die (volle) Thätigkeit der Menschen so in Anspruch genom-
men ist, alle diese Fragen aufgeworfen und bis in die klein-
n
XIX. Buch, 8. Cap., § 14— lö. - 9. Cap., § 1. ^451)
I
sten Einzelheiten ausführlich und erschöpfend gelöst werden
können. Doch fürwahr, ich merke eben, dass ich euch durch
diese meine (Neben-) Bemerkungen (bereits) zu lange auf-
gehalten habe, während euch vielleicht, was ich nicht wissen
kann, ein wichtigeres Geschäft obliegt. 15. Geht also jetzt
nur (euerem Berufe nach) und wenn ihr zufällig wieder ein-
mal etwas freie Zeit habt, dann fragt abermals bei mir nach,
ob irgend einer der Redner, oder der Dichter, d. h. nicht
etwa ein untergeordneter, sondern ein mustergiltiger und
massgebender (classicus adsiduusque aliquis scriptor), selbst-
verständlich aus jener älteren Schriftsteller-Reihe, irgend ein-
mal [„quadriga" (im Singular) und „harenae" (im Plural) ge-
sagt hat. 16. Dergleichen Untersuchungen über Ausdrücke
empfahl uns Favorin ernstlich an, ich glaube nicht deshalb,
weil er der Meinung war, dass sich Beispiele davon in irgend
welchen Schriften |der Alten vorfinden könnten, sondern um
durch Aufsuchen seltener Ausdrücke in uns (die Anregung
und) das Streben in Thätigkeit zu erhalten, nur mit höchster
Aufmerksamkeit zu lesen. 17. Das einzige Wort also, was
höchst selten vorzukommen schien, das Wort „quadriga" im
Singular gebraucht, fand ich in dem Buche der Satiren des
M. Varro, welches die Ueberschrift trägt: „Exdemeticus".
18. Mit weniger Eifer habe ich allerdings nachgesucht, ob
das j Wort „harena" in der Mehrheit (7tlt]dvvTiy.a)g) gesagt
worden ist, weil ausser dem G. Caesar, so viel wenigstens ich
mich erinnere, keiner der wissenschaftlich Gebildeten dies
Wort so angeführt hat.
XIX, 9, L. Welche allerliebste Entgegnung Antonius Julianus bei einem
■Gastmahle einigen Griechen|gegenüber (sofort) in Bereitschaft hatte.
XIX, 9. Cap. 1. Ein junger Asiate aus dem Ritter-
stande, von erfreulichen Anlagen, mit Gütern des Herzens
und des Glückes reichlich gesegnet, mit einer angeborenen
XIX, 8, 15. Adsiduus (s. Gell. XVI, 10, 8 NB) nicht von ab asse
dando, sondern von ab assidendo, ansässig. Vergl. Cic. de repbl. 2, 22;
top. 2, lOfc Varro bei Non. 48. G.{; Quint. 5, 10, 55; Charis. 75 K; Paul. p. 9.
XIX, 9, 1. Reiche £ feingebildete Leute liebten es, wenn sie einen
Kreis gleichgesinnter Freunde um sich versammelten, auch Männer ein-
29*
Digitized by Google
(452)
XIX. Buch, 9. Cap., §2—6.
besonderen Neigung und Vorliebe für Musik, gab eines Tages
seinen Freunden und Lehrern auf einem Landgütchen vor
der Stadt ein Gastmahl zur Feier des Jahrestages, an dem
er zuerst das Licht der Welt erblickt hatte. 2. Zu diesem
(Geburtstags-) Schmause hatte sich auch der Rhetor Antonius
Julianus eingefunden, Lehrer für Öffentliche Unterweisung der
Jugend, an dessen Aussprache und spanischem Dialekt man
(zwar) sofort den Ausländer erkannte, (aber) ein Mann von
blühender Beredtsamkeit und vielbewandert in der alten Ge-
schichte und Literatur. 3. Als nun dem Essen ein Ende ge-
macht worden war und man gleich darauf (die Gelegenheit zum
Trinken und zur Unterhaltung ergriff und) zum Becher und
zur Unterredung überging, äusserte dieser den Wunsch, man
möchte doch den ausgezeichneten Künstlerchor, den sich der
junge Asiate hielt und der aus Knaben und Mädchen bestand,
welche trugen und Cither spielten, herbeiholen. 4. (Dieser
Vorschlag fand allgemeinen Anklang) und nachdem die Jüng-
linge und Jungfrauen eingetreten waren, (begannen sie ihre
Vorträge und) sangen uns auf angenehme Weise viele ana-
creontische und sapphische und einige andere liebliche und
anmuthige Liebes-Gedichte (iXeyeTa tQu/tixd) neuerer Dichter
vor. 5. Vor allen andern aber wurden wir entzückt durch die
allerliebsten, anmuthigen Verse des alten, greisen Anacreon.
Ich schreibe sie hier nieder, um mir durch das Wohlbehagen
am Ausdruck und am Klange (dieses lieblichen Gedichtes auf
einen silbernen Becher) für meine anstrengenden, rastlosen
Nachtstudien einige Erholung zu bereiten. 6. (Die Verse
lauten :)
L Hephaestos, bild' aus Silber
Mir in getriebner Arbeit —
Nicht eine Waffenrüstung;
— Denn was soll ich mit Kämpfen? —
zuladen, welche das Mahl durch witzige und geistreiche Unterhaltung
würzten. Cic. Famil. 9, 24, 3; Juvenal. 9, 10. Vergl. Plutarch, Tisch-
gespr. I, 1, 5; Gesundheitsvorschriften 20; Tischgespräche V, prooem.
§ 5; cfr. Gell. I, 22, 5; VII (VI), 13; XVII, 8; XVIII, 2.
XIX, 9, 4. Die Kömer haben ihrer Elegie nicht die umfassende
Bedeutung der Griechen gegeben, sondern beziehen sie nur auf Trauer-
und Liebesgedichte. Diog. Laert. 3, 1 § 23 — 33 aus Aristippus. VergL
Gell. XIX, 11, 2 und Bernh. röm. Lit. 92, 429 u. 430.
XIX. Buch, 9. Cap., §6 — 7
(453)
5. Nein einen weiten Becher
Und auch so tief als möglich;
Auch bilde mir auf jenem *) —
Nicht Sterne, nicht den Wagen**),
Orion nicht, den Grausen;
10. — Was frommt mir der Plejaden,
Was des Bootes Sternbild? —
Weinstöcke bilde lieber
Und Trauben an den Stöcken;
Dabei von Gold als Kelt'rer
15. Zusammt dem schönen Bacchos
Den Eros und Bathyllos***).
7. Bei dem Gastmahle befanden sich mehrere Griechen, (sonst
ganz) freundliche Leute, die auch die Erzeugnisse unserer
(römischen) Literatur recht genau kannten. Diese gaben sich
(nach dem Vortrage des reizenden anacreontischen Liedchens)
alle erdenkliche Mühe, den Rhetor Julianus (zu necken), her-
auszufordern und aufzuziehen, wie einen völligen Ausländer,
und wie eine (sogenannte) Einfalt vom Lande, da er ja aus
Spanien stamme, nur ein Schreihals sei, nichts besitze, als
eine wilde und (nur) auf Streit hinauslaufende Redegeläufig-
keit und der nichts lehre, als Fertigkeiten in einer Sprache,
die jeden Reiz und aller Aninuth eines Schönheitsideales
(Veneris) und geistigen Aufschwunges (Musae) entbehre, und
aller Minuten richtete man an ihn die Frage, was er wohl vom
Anacreon und allen andern derartigen Dichtern halte ? und ob
es wohl einen lateinischen Dichter gebe, der so gleichmässig,
ruhig dahinfliessende, auserlesen poetische Feinheiten (aufzu-
weisen und) zu Stande gebracht hätte? Ausgenommen etwa
einiges Wenige von Catull, sagten sie, oder auch noch Einiges
XIX, 9, 6 *) # 7. Wie auf dem Schilde des Achilleus, Horn. IL
XVJll, 483 u. s. w. — **) v. 8. Orion heisst der Grause (arvyvog), weil bei
seinem Auf- und Untergange wilde Stürme wüthen. Verg. Aen. I, 535;
IV, 52; VII, 719; Horat. Ep. X, 10. — ***) v. 16. Bathyllos, Anakreons
Liebling.
XIX, 9, 7. Ueber Laevius s. Teuffels Gesch. der röm. Lit. 148, 5
xl 6 und Gell. XIX, 7, 2 NB.
XIX, 9, 7. Ueber Hortensius [Hortalus] s. Gell. I, 5, 2 NB.
XIX, 9, 7. C. Memmius Gemellus, Redner und Verfasser ero-
tischer Werke, berühmt durch Lucretius, der ihm sein Gedicht widmete.
8. Meyer in Brut 70 p. 204 und vor allem Teufiels Gesch. der röm.
Lit. § 31, 1.
(454)
XIX. Buch, 9. Cap., § 7 — 10.
von Calvus (s. Gell. IX, 12, 10 NB). DennLaevius (setzten
sie hinzu) schuf nur Verwickeltes, Hortensius Anmuthloses,
Cinna Witzloses, Memmius Ungefälliges und endlich die
andern Alle Kunstloses und Missklingendes. 8. Darauf nun
trat Jener (als es ihm doch zu toll geworden war, wenn gleich
Spanier, doch) für die vaterländische Sprache wie für Herd
und Altar, d. h. wie für sein theuerstes Besitzthum ein, und
im Innersten aufgebracht, Hess er seinen Unwillen in folgenden
Worten freien Lauf: Ich für meinen Theil habe euch (so in
meinen Gedanken) recht geben müssen, dass ihr in solch aus-
gekünstelter Schwelgerei und (so ausgefeimter) Schelmerei
selbst den (prachtliebenden Weichling) Alcinous den Rang
abliefet, so wie auch in den wollüstigen, üppigen Genüssen
der Lebens- und Nahrungsweise, ebenso aber auch uns (erst
recht) in den mancherlei Liederspielereien besiegtet. 9. Allein
damit ihr uns, d. h. die ganze lateinische Nation, wegen Mangel
an Liebreiz nicht gleichsam (so zu sagen) als wahrhaftig nur
so ganz ungebildete und einfältige Menschen verurtheilt, so
bitt' ich, erlaubt mir, mein Haupt mit dem Mantel bedecken
zu dürfen, wie dies (einst) bei einer weniger sittsamen Rede
Socrates gethan haben soll, und höret und erfahret zugleich,
dass auch unsere älteren Dichter, noch vor denen, die ihr eben
namhaft gemacht habt, von Liebeslust und Liebesleid erglüht
gewesen (poetas amasios ac venereos fuisse). 10. Darauf, rück-
wärts gebeugt, mit verhülltem Kopfe, mit möglichst lieblicher
Stimme, sang er Verse von dem altern Dichter Valerius Aedi-
tuus, desgleichen von Porcius Licinus und von Quintus Catulus.
Und nach meiner Meinung kann nichts Griechisches oder
XIX, 9, 8. Alcinous, der aus der homerischÄi Sagen bekannte
Phäakenfurat, erscheint schon in einem platonischen Wortspiele [nlxtpog]
als Weichling. Polit. X p. 614 B. (M. Hertz, Rhein. Mus. 1848 S. 634.)
XIX, 9, 9. Plat. Phaedr. 237, A. sagt Socrates: Verhüllt werde ich
sprechen, damit ich auf's schnellste die Rede vollende, und nicht, wenn
ich Dich ansehe, vor Scham in Verlegenheit gerathe.
XIX, 9, 10. Ueber Valerius Aedituus und Porcius Licinus
s. Bernh. röm. Lit. 92, 430 u. 41, 159; und besonders Teuffels Lit. Gesch.
§ 113, 2 und 133, 2 u. 3; (Porcius Licinus) Gell. XVII, 21, 45. — Quint.
Lutatius Catulus, ein leidlicher Uebersetzer und Nachahmer des
Callimachus. S. Bernh. röm. Lit. 43, 167; dazu noch Teuffels Gesch. der
röra. Lit 138, 4 und 146, 4.
XIX. Buch, 9. Cap., § 11 — 14. - 10. Cap., § 1. (455)
Lateinisches gefunden werden, was artiger, zarter, feiner, be-
stimmter sein könnte, als diese Verse. 11. So z. B. die des
Aedituus:
Nehm' ich auch gleich mir vor, Dir des Herzens Qual zu gestehen,
Immer das flehende Wort mir auf der Lippe erstirbt.
Heiss überläuft es mich plötzlich und plötzlich erstickt mir die Stimme,
Stumm und im Sehnen erstirbt zwiefach aus Liebe das Herz.
12. So fügte er auch noch einige andere Verse dieses Valerius
Aedituus hinzu, die bei Gott nicht weniger lieblich klingen,
als die vorigen:
Sag*, was trägst, Phileros, Du voran eine Fackel mir? spar' sie.
Deutlich beleuchtet mein Ziel schon mir das Feuer der Brust;
Denn diese Gluth des Feuers verlöscht kein Sturmesgetose,
Noch ein wissender Strom, der sich vom Himmel ergiesst.
Doch nur Venus allein, die den Brand mir im Herzen entzündet,
Venus allein nur hat ihn zu verlöschen die Macht.
13. So recitirte er auch folgende Verse des Porcius Licinus:
Kommet ihr Hüter der Schafe, wie Lämmer, jüngeren Stammes,
Suchet ihr Feuer? so kommt, fühlet die Gluth eines Manns.
Durch meine Nähe entbrennet der Wald und jegliches Wesen,
Was auch das Auge erblickt, überall lodernde Gluth.
14. Folgende Verse waren vom Q. Catulus:
Es entfloh meine Seele und sicherlich bei Theotimus
Weilt sie, wie immer; bei ihm fand sie ja stets ein Asyl.
Zwar untersagt hab' ich streng', nicht einzulassen den Flüchtling,
Sondern, sollt' er sich nah'n, ihn zu verjagen sofortj
8uchen ging ich ihn gern, doch furcht' ich selber die Netze,
Rathen nur kannst in der Noth, Du mir o Venus allein.
XIX, 10, L. Dass der in dem Volksmunde übliche Ausdruck: praeter
propter (eigentlich: entfernter oder näher, d. h. 'mehr oder weniger —
ungefähr oder so und so) auch dem Enjnus eigen war.
•
XIX, 10. Cap. 1. Ich entsinne mich des Besuchs, den
ich und der Numidier Celsinus Julius dem Fronto Cornelius
abstatteten, der eben wieder sehr schwer von Fussgicht ge-
XIX, 9, 13. Vergl. JGell. XVII, 21, 45; desgl. Teuffels frörn. Lit.
Gesch. 133, 3 über Porcius Licinus.
XIX, 9, 14. üeber Q. Lutatius Catulus s. Teuffels röm. Lit. Gesch.
133, 4.
XIX, 10, 1. S. Renaissance und Rococo v. M. Hertz. Berlin. 1865.
Digitized by Google
I
(456) XIX- Buch, 10. Cap., § 1-8.
plagt war. Und als wir vorgelassen worden waren, trafen
wir ihn auf einem griechischen Ruhebett (o/upTtodiov) liegend
an und rings um ihn sassen viele Männer, die sich durch ihre
Gelehrsamkeit, oder durch ihre Abkunft, oder ihre Lebens-
stellung auszeichneten. 2. Darunter befanden sich auch
mehrere, für seine neuen Badeanlagen herzugezogenen Archi-
tekten, welche ihm ihre verschiedenen, auf Pergamentblättern
entworfenen Pläne von Badeeinrichtungen zur Ansicht vorlegten.
3. Als er sich nun aus allen diesen (vorgelegten) Entwürfen
einen einzigen Prachtplan zur Einrichtung von Sommer-Bädern
auserlesen hatte, fragte er, wie viel wohl der Kostenüberschlag
zur Ausführung des Bauwerks betragen würde? 4. Und da
nun ein Baumeister gesagt hatte, es schienen ohngefähr
300,000 Sesterzien (= 15,000 Gulden) dafür nöthig zu sein,
fügte Einer von den Freunden des Fronto hinzu: und praeter
propter (ohngefähr, etwa) noch andere 50,000 (Sesterzien =
2500 Gulden). 5. Da brach Fronto (plötzlich) die Unterhand-
lungen ab, welche er bezüglich des Kostenaufwandes für Ein-
richtung der Bäder eben aufzunehmen angefangen und wen-
dete sich nach seinem Freunde hin, der die Nebenbemerkung
gemacht hatte: dass praeter propter (ohngefähr, etwa) noch
andere 50,000 Sesterzien nöthig sein würden, und fragte
[diesen, was das wohl für ein Wort sei : praeterpropter ].
6. Und jener Freund erwiderte^ Das Wort ist nicht meine
Erfindung, sondern Du kannst es aus vieler Leute Mund hören.
7. Was dieses Wort aber bedeuten soll, das wirst Du Dir
nicht von mir, sondern von einem Grammatiker müssen er-
klären lassen, und dabei zeigte er auch sogleich mit dem
Finger nach einer Stelle hin, wo ein Grammatiker sass, dessen
Vorträge einen nicht unbedeutenden Ruf in Rom genossen.
8. Der Grammatiker, welcher wegen dieses unverständlichen,
obgleich in aller Munde gebräuchlichen Wortes in Verlegen-
heit gebracht worden war, sagte: Wir bekümmern uns hier
um etwas, was die Ehre einer Untersuchung gar nicht einmal
XIX, 10, 3. Es wurde ungeheurer Aufwand getrieben durch Auf-
führung prächtiger Palaste, Landhäuser, Parks, durch Tafelgenüsse und
Gastgelage. Vergl. Sen. ep. 90, 48; 114, 9; Yitruv. 6, 5; VaL Max. IV, 4;
Juven. 7, 178; Mart. 12, 50; Hör. Sat. I, 6, 100 ff.
Uigitize
Kj by G
o(
XIX. Buch, 10. Cap., § 9-13.
(457)
verdient; 9( denn ich wüsste wahrlich nichts, was so sehr
gewöhnlich und (dabei) weit gebräuchlicher im Munde von
Handwerkern [als von Gelehrten] wäre, wie dieses Wort.
10. Allein Fronto, dem man in Wort und Miene eine heftige
Erregung anmerkte, sagte: Scheint Dir, Hochweiser, wirklieh
ein Wort so unanständig und tadelnswerth, dessen sich sowohl
M. Cato, als M. Varro und der grösste Theil der älteren
Schriftstellerwelt als noth wendig und echt lateinisch bedient
hat? 11. Dabei machte ausserdem auch noch Julius Celsinus
sofort darauf aufmerksam, dass sogar auch im Trauerspiel
des Q. Ennius, welches Iphigenia heisst, dasselbe Wort, wor-
über man eben Auskunft begehrte, geschrieben stehe, dieses
Wort, welches von den Grammatikern mehr getadelt als er-
klärt zu werden pflege. 12. Fronto Hess deshalb sofort des
Q. Ennius Iphigenia herbeibringen. In einem Chore dieses
Trauerspiels lasen wir folgende bezüglichen Verse:
Wer die Muse nicht zu brauchen
Weiss, der hat viel härtre Müh', als wenn ihn dränget Müh' um Müh'.
Wem Beschäftigung Bedürfhiss, thut das Ein' nach Andern ab,
Schafft in thät'gem Eifer stets, erquickt dabei sich Geist und Herz.
Doch in trag5 unthät'ger Muse, weiss der Geist nie, was er will,
Gleich sich's bleibt, im Haus' nicht heimisch, noch im Felde fühlt man sich ;
Bald geht's hierhin, bald solFs dorthin, ist man da, verlangt man fort,
Unstät schweift umher die Seele und das Leben verläuft so so (praeter
propter).
13. Der Vortrag dieser Stelle war erfolgt. Drauf wandte sich
alsdann Fronto an den schon ganz verlegenen Grammatiker
mit den Worten: Hast Du wohl vernommen, mein allerbester
Lehrmeister, dass auch Dein Ennius sich dieses Ausdrucks
bedient hat und zwar in Verbindung mit einer Reihe ebenso
emster Gedanken, wie nur die ernstesten Verweise der Phi-
losophen es immer sein können? Wir bitten daher, sage
XIX, 10, 12. VergL über Ennius Gell. XVIH, 2, 7 NB. Man ist
noch in Zweifel, ob die römische Tragödie einen Chor gehabt hat, obwohl
sich unter den erhaltenen Trauerspiel -Bruchstücken aus Ennius, Naevius,
Accius, Pacuvius u. s. w. auch Chor -Fragmente finden. So mögen wohl
die den Griechen entlehnten, römischen Trauerspiele einen Chor gehabt
haben, und Hör. A. P. 193 ff.; Cic. pro Rose. Am. 24, 66 und in Pis. 20, 46
lassen einen Chor annehmen. Die Tragödien des Seneca, welche allerdings
einen Chor haben, waren wohl mehr zum Vorlesen, als für die Bühne
bestimmt. (A. Forbiger.)
Digitized by Go
(458) XDL Buch, 10. Cap., § 13. 14. — 11. Cap., § 1—3.
uns, da es sich um ein Wort bei Ennius handelt, was wohl
hier der eigentliche Sinn des (betreffenden) Verses ist:
Incerte errat animus; praeter propter vi tarn vivitur,
Unsicher irrt der Geist; so verlebt man das Leben (mehr oder weniger,
drüber, drunter, soso).
14. Der Grammatiker aber, triefend von Angstschweiss und
ganz blutroth, da (ausserdem) Viele lang und anhaltend
lachten, erhob sich und sagte im Weggehn: Späterhin will
ich Dir, lieber Fronto, aber auch nur Dir ganz allein Auf-
klärung geben, damit diese Unwissenden (Ignoranten) es
nicht hören und erfahren. Es wurde nun überhaupt der
Streit über den [Ausdruck aufgegeben und wir brachen Alle
zugleich mit auf.
XIX, 11, L. Erwähnung einiger Verse des Plato, auf seine Liebe bezüglich,
welche er in seiner Jugend zum Zeitvertreib verfertigt, als er schon mit
ernsteren Entwürfen beschäftigt war.
XIX, 11. Cap. 1. Berühmt sind folgende zwei griechische
Verschen, und von vielen gelehrten Männern als denkwürdig
erachtet worden, weil sie sehr lieblich und von reizender Kürze
sind. 2. Ja es giebt sogar viele alte Schriftsteller, welche
behaupten, dass sie von Plato selbst herrühren, und dass
er sich, als er noch jung war, in solchen (leichten) Spielereien
gefiel, obgleich in dieselbe Zeit auch schon das Vorspiel zu
den Entwürfen von seinen ernsteren Plänen fiel. (Die Verse
lauten:)
Als ich den Agathon küsste, da flog meine Seel' auf die Lippen,
Kam so von Sehnsucht gequält überzuflattern bereit
3. Dieses Distichon hat ein junger Dichter, ein Freund
von mir, etwas willkührlich und frei in mehrere Verse über-
tragen, die ich gleich hier beifüge, da sie mir der Erwähnung
gar nicht unwerth schienen:
1. Wenn ich mit halboffnem Mund'
Zärtlich küss' mein trautes Lieb,
Und des Athems süssen Duft
Schlürf' aus offner Lippen Thor,
XIX, 11, 2. S. Macrob. Sat. II, 2.«
XIX, 11, 3. Vergl. Teuffels Gesch. der röm. Lit 359, 8.
XIX. Buch, 11. Cap., § 3. — 12. Cap., § 1-3. (459)
5. Wagt sich krank und liebeswond
An die Lippen meine Seel',
Mucht' erspähn in seinem Mund
Eine Zugangsöfihung sich;
Durch der weichen Lippen Rand
Ringt sie nach dem Uebergang,
10. Schnellte gern hinüber sich.
Hätt' ich eine Pause hier,
War' es auch die kleinste nur,
In der Kussvereinigungl
Anzubringen mir gewagt,
War' von Liebesgluth bethört,
Schnell hinüber sie geflohn,
Hätte gleich verlassen mich.
15. Doch ein grosses Wunder da
Wäre sicherlich geschehn,
Dass ich selbst gestorben zwar,
Lebte fort in Liebchens Seel*,
XIX, 12, L. [Vortrag des Herodes Atticus über die Gewalt und das
Wesen des Schmerzes, und Bestätigung seiner Meinung durch das Beispiel
eines dummen Bauers, der mit den Brombeersträuchern (ganz ebenso auch)
die fruchttragenden Bäume verschnitt.
XIX, 12. Cap. 1. Ich hörte (einst) den gewesenen Consul
Herodes Atticus zu Athen einen Vortrag in griechischer
Sprache halten, worin er fast alle Männer meiner Zeit insge-
s an mit an Bedeutsamkeit, an Gedankenfülle, an Feinheit und
Klarheit im Ausdruck bei Weitem übertraf. 2. Er sprach sich
(dabei) aber gegen die von den Stoikern angenommene Un-
empfindlichkeit , oder Leidenschaftlosigkeit (cvtdd-eia) aus,
weil ihm von einem Stoiker der Vorwurf war gemacht wor-
den, als trüge er mit zu wenig Weisheit und mit zu geringer
Männlichkeit den Schmerz über den Tod seines geliebten
Sohnes. 3. In diesem Vortrage, so weit ich mich noch er-
innere, war folgender Hauptgedanke vertreten: Dass über-
haupt kein Mensch, der gesunde und natürliche Empfindungen
habe, frei sein könne von allen diesen Gemüthsbewegungen,
Leidenschaften (rcd&tj) genannt, wie z. B. frei von Kummer,
XIX, 12, 1. Vergl. Gell. IX, 2, 1 ad Herodem — Graeca facundia
celebrem; und Philostr. vit. soph. II, 1.
XIX, 12, 2. S. Gell. XII, 5, 10.
Digitized by Google
(460)
XIX. Buch, 12. Cap., §3—7.
von Verlangen, von Furcht, von Zorn, von Wollust (dass Einer
überhaupt ohne Schmerz) sei; und gesetzt auch, er könnte sich
von allen diesen (Leidenschaften) frei ringen, so möchte dies
trotzdem noch lange nicht zur Verbesserung seiner Umstände
beitragen, weil in seinem geistigen Empfinden (höchstens nur)
eine Erschlaffung und Erstarrung eintreten würde, beraubt .
der Unterstützung gewisser Anregungen, wie eines vor allen
Dingen höchst nothwendigen Einflusses. 4. Er sagte nämlich,
dass diese geistigen Empfindungen und Leidenschaften, wenn
sie alles Mass überschreiten, dann allerdings in Laster aus-
arten, an und für sich aber eng verbunden und verknüpft
stehn mit Erhaltung einer gewissen Frische und Munterkeit
für den Geist und für's Herz; 5. und deshalb eben, wenn
wir unkluger Weise überhaupt alle diese (angebornen) Leiden-
schaften zerstören, läuft man Gefahr, auch die mit ihnen ver-
wachsenen guten und nützlichen Eigenheiten Preis zu geben
(und zu verlieren). 6. Nach seiner Meinung müsse man also
diese (angebornen) Leidenschaften zügeln und beherrschen
lernen und sie auf eine kluge und bedachtsame Weise zu rei-
nigen (und zu sondern) verstehen, damit man nur alles Das
entferne, was fremdartig und widernatürlich erscheint und
was uns nur zu unserem Schaden und Nachtheil anklebt, da-
bei es allerdings aber nicht so weit treiben, dass uns in der
That nicht etwa widerfahre, was, wie man sich erzählt, einem
unverständigen und ungebildeten Thracier bei Verwaltung
seines erkauften Grundstücks begegnet sei. 7. Er (erzählte
uns den betreffenden Fall und) fuhr also fort: Als ein Thra-
cier, vom entferntesten Auslande, der nichts von der Land-
wirtschaft verstand, einst in eine Gegend, wo mehr Bildung
(und Cultur) herrschte, hingezogen war, rein aus Verlangen
nach einem vernünftigen (gesitteteren) Leben, kaufte er
sich ein auf Oel- und Weinbau eingerichtetes Grundstück.
Er, der also noch nicht viel von der Wein- und Baumzucht
verstand, sieht einmal zufällig, wie sein Nachbar hoch und
breit aufgeschossenes Brombeergesträuch abschnitt, ferner
Eschen fast bis zum höchsten Gipfel beschnitt, Weinreben-
schösslinge vertilgte, welche sich aus den Wurzeln der Stämme
über der Erde ausgebreitet hatten, ferner die an den Obst-
oder Oelbäumen aufgeschossenen und hervorgewachsenen
Digitized by Google
XIX. Buch, 12. Cap., § 7 — 10. — 13. Cap., § 1. (461)
>
Räuber (d. h. Wurzelsprossen) ausputzte, und so trat er an ihn
heran und fragte ihn, warum er doch nur so viel^Holz und
Zweige abschneide. 8. Ich thue das, antwortet der Nachbar,
damit mein Acker sauber und rein werde und seine Bäume
und Reben fruchtbarer und ergiebiger werden. 9. Jener dankt
freundlich für die erhaltene Auskunft und entfernt sich freu-
digen Herzens, weil er sich einbildet, als habe er nun schon
die ganze landwirtschaftliche Wissenschaft sich zu eigen
gemacht. Darauf nimmt er alsbald auch Sichel und Beil zur
Hand, und sofort stutzt der arme, unerfahrne Wicht alle seine
Weinstöcke und Oelbäume, und das vortrefflichste Baumlaub-
werk und die üppigsten Weinrebenschösslinge ßchneidet er
aus, und zugleich reisst er alles Gebüsch und Gesträuch,
das am Ertrag von Obst und Früchten sich fruchtbar hätte
erweisen können, sammt den Dornensträuchern und Brombeer-
stauden, der Reinigung des Ackers halber aus: sehr bald
aber sollte er durch schlechten Ertrag (und übles Lehrgeld)
gewitzigt werden und bekam für seine Dreistigkeit (Voreilig-
keit) und in der festen Einbildung, einen Fehler zu begehen,
(wenn er nicht eine ähnliche Procedur, wie sein Nachbar, vor-
nehmen würde) durch seine unzeitige (schlecht angebrachte)
Nachäfferei eine derbe Lehre. 10. Gerade so, sagte Herodes
Atticus, geht es auch den Verfechtern dieses stoischen Moral-
princips von der Leidenschaftslosigkeit. Sie, die sich das An-
sehn geben wollen, als ob sie ganz ruhig und unerschrocken
und unerschütterlich seien, während sie nichts von einem Ge-
lüste, nichts von Schmerz, nichts von Zorn, nichts von Freude
zeigen, verstümmeln sich alle Triebfedern und jede Spann-
kraft zur geistigen Regsamkeit und werden dadurch, in dem
Stumpfsinn und der Gefühllosigkeit eines gleichgültigen und
gleichsam entmannten Lebens, alt und schwach.
■
XIX, 13, L. [Dass Zwerge im Lateinischen „pumilioncs" heissen, im
Griechischen „varoi" genannt werden.]
XIX, 13. Cap. 1. Fronto Cornelius und Festus Postumius
und Apollinaris Sulpicius standen zufällig zusammen am Ein-
XIX, 12, 10. Cfr. Gell. XII, 5.
(462) XIX. Buch, 13. Cap., § 1—4.
gange des kaiserlichen Palastes im Gespräch begriffen. Auch
ich befand mich ebendaselbst mit einigen Anderen und lauschte
voller Wissbegierde ihren Gesprächen, welche sie über Kunst
und Wissenschaft hielten. 2. Da richtete Fron to an den Apollinaris
die Frage : Gieb mir doch Auskunft, (bester) Lehrmeister, da-
mit ich weiss, ob ich recht gethan habe, zur Bezeichnung für
Leute von sehr kleiner Gestalt (worunter man Zwerge ver-
steht) den Ausdruck „nani" {vdvoi) zu vermeiden und sie dafür
lieber „pumiliones" zu heissen, weil ich mich erinnerte, dieses
letztere Wort in den Schriften der Alten gelesen zu habenT
aber der Meinung war, dass der Ausdruck „nani" niedrig und
gewöhnlich sei. 3. Dies Wort, erwiderte Apollinaris, hört man
zwar sehr oft im Munde der ungebildeten Menge, doch trotz-
dem ist es kein gewöhnlicher (ordinärer) Ausdruck und ist
anerkanntermassen griechischen Ursprungs, denn die Griechen
bezeichneten mit dem Ausdruck „vavot" Wesen von kurzem und
niedrigem Körperbau, die nur ganz wenig die Erde überragen,
und sie bedienten sich wahrscheinlich absichtlich dieses Aus-
drucks, indem sie nach einem gewissen etymologischen, der
Bedeutung des Wortes angemessenen Gesetze verfuhren (so
dass also die Kürze des Wortes der Kürze seines Begriffs
entspricht), und wenn mir das Gedächtniss nicht ganz untreu
ist, so steht das Wort (vdvoi) in einem Lustspiel des Aristo-
phanes, welches den Titel 'OkvMdeg (Lastschiffe) führt, ge-
schrieben. Allein, hättest Du immerhin nur (lieber Fronto)
dem Worte die Ehre erwiesen, es zu gebrauchen, so würde
es durch Dich mit dem Bürgerrecht beschenkt (sich eingebür-
gert haben) oder doch sicher in eine römische Anpflanzung
sich gastlich eingeführt und sich bei Weitem mehr Beifall
errungen haben, als alle die vielen Ungebührlichkeiten und
schamlosen Zotereien, welche von Laberius in die latei-
nische Umgangssprache eingeschmuggelt worden sind. 4. Da
nun wendete sich Festus Postumius an Fronto's Freund, einen
lateinischen Grammatiker und sagte: Du hast eben mit uns
die Aeusserung des Apollinaris vernommen, dass „nani" ein
XIX, 13, 2. S. Paul. S. 177; Aristot. histor. an.^, 24 (?VH?, 24);.
Problem. X, 14; Suidas vdvoi.
XIX, 13, 8. Ueber Laberius s. Gell. XVI, 7, L. u. § 10 NB.
Digitized by
7
XIX. Buch, 13. Cap., § 4. 5. — 14. Cap., § 1. 2. (463)
■
griechisches Wort sei. Gieb uns nun also Aufschluss, ob es sprach-
lich richtig sei, wo es im Lateinischen gewöhnlich auch von
Mäulchen (Mauleselchen) und Pony's (Pferdchen) gesagt wird
und bei welchem Schriftsteller sich der Ausdruck gebraucht
findet. 5. Darauf ergriff der Grammatiker, der durch vieles
Lesen sehr in der alten Literatur bewandert war, das Wort
und sagte: Im Fall ich nicht etwa ein (sündhaftes) Verbrechen
begehe, wenn ich in Gegenwart des Apollinaris ein Urtheil
über irgend ein lateinisches oder griechisches Wort abzugeben
wage, so will ich mich unterfangen, Dir, lieber Festus (Apol-
linaris), auf Deine Frage eine Antwort zu ertheilen. Ich be-
haupte nämlich (nichtsdestoweniger), dass es ein (ganz gutes)
lateinisches Wort ist, welches man in den Gedichten des
Helvius Cinna (cfr. Gell. IX, 12, 12 NB), dieses sehr bekann-
ten und ausgezeichneten Dichters findet. Und nun führte er
die betreffenden Verse desselben an, die ich hier beisetze,
da ich sie gerade noch im Gedächtniss habe:
At nunc me Genumana per salicta
Bigis reda rapit citata nanis, d. h.
Nun im Galopp das Pony(-Stuten-)paar an dem Wagen
Führt durch (üppiges) Weidengebüsch dahin mich.
XIX, 14, L. [Dass M. Varro und P. Nigidius, die gelehrtesten Römer
ihres Zeitalters, Zeitgenossen des Caesar und Cicero gewesen; dass des
Nigidius Sammlungen (gelehrter Abhandlungen über grammatische Be-
obachtungen, commentarii [grammatici] ) wegen ihrer Unverständlichkeit
und Schlichtheit nicht (sehr) in die Oeftentlichkeit dringen (weil sie schon
ein schärferes Urtheil voraussetzen).
XIX, 14. Cap. 1. Das Zeitalter des M. Cicero und des
Gajus (Julius) Cäsar hatte (ausser Diesen) wenige Männer von
hervorragender Beredtsamkeit aufzuweisen ; allein zwei Männer
besonders hatte es, welche (durch ihr encyclopaedisches
Wissen) durch Verzweigung ihrer mannigfaltigen und ver-
schiedenen Kenntnisse in Wissenschaften und Künsten, die ja
den Inbegriff aller Verfeinerung und Gesittung der gesammten
Menschheit bilden, als (zwei erhabene) Stützen und Säulen
dastehen, (ich meine) den M. Varro und den P. Nigidius.
2. Nun sind zwar des Varro schriftlich begründete Denkmäler
von wissenschaftlichem und geschichtlichem Inhalt (wegen
Digitized by Google
(464) XIX. Buch, 14. Cap., § 2—7.
ihrer ausserordentlichen Klarheit und Verständlichkeit) all-
gemein in die Oeffentlichkeit gedrungen und vielfach im Ge-
brauch; 3. aber A es P. Nigidius (grammatische) Notizen-
sammlungen wollen (durchaus) keinen ähnlichen Anklang
finden und werden wegen ihrer Unverständlichkeit , ihrer
schlichten, trocknen Kürze, gleichsam als wenig nützlich, un-
beachtet gelassen. 4. Ganz so verhält es sich auch mit den
Bemerkungen, in seinen Abhandlungen, die er (ganz speciell)
„sprachwissenschaftliche (grammatische)" nennt und die ich
erat vor Kurzem gelesen habe, woraus ich hier Einiges bei-
spielsweise zur Erklärung (und Anerkennung) seiner Schreib-
weise entlehnt habe. 5. Als er nämlich über das Wesen und
die Stellung der Buchstaben, welche die Grammatiker „Selbst-
lauter (Vocale)" nennen, Erörterungen anstellte, drückte er
sich mit demselben Wortlaut aus, welcher hier folgt und den
ich nur deshalb keiner weitläufigeren Erläuterung unterziehe,
um dem eignen Urtheil der Leser nicht vorzugreifen.
(Es heisst nämlich daselbst): 6. (Bei Doppellauten stehen a
und o stets zu Anfang, aber i und u sind immer angefügt.
Der Vocal e folgt bald, wie in Aemilius, bald geht er voran,
wie in Euripus. Ein Irrthum ist es, wenn Jemand glaubt,
dass folgende Wörter mit einem u anfangen, wie z. B. Va-
lerius, Vennonius, Volusius (wo u Consonant ist und vau be-
deutet) ; oder folgende mit einem i (als Consonant, gleich dem
hebräischen jod), z. B. jampridem (schon längst), jecur (Leber),
jocum (Spiel), jucundum (angenehm), denn diese beiden Buch-
staben am Anfang sind hier (durchaus) keine Vocale (sondern
Consonanten). 7. Eine andere Bemerkung aus diesem Buche
lautet also: „Mit der Zusammenstellung der Buchstaben n
und g hat es noch ein anderes Bewandtniss, wie z. B. in
folgenden Wörtern: „anguis" (Schlange); „angari" (Eilboten,
ayyaQog, ein persisches Wort); und dann wieder in folgenden
Wörtern: „ancora" (Anker) und „increpat" (rauscht) und
XIX, 14, 3. Vergl. Gell. X, 5, 1 ; XVII, 7, 5 NB über die commen-
tarii grammatici des Nigidius, Abhandlungen über grammatische Ob-
servationen.
XIX, 14, 6. ae und oe = dem griechischen m und oc als Diphthonge
mit zwei hörbaren Vocalen ausgesprochen.
XIX, 14, 7. S. Priscian. I, 7, 39 p. 37 Kr.; Fab. Marius Victorinusl.
Digitized by Google
t
XIX. Buch, 14. Cap., § 7. 8. (465)
„incurrit" (anstürmt) und „ingenuus" (frei geboren), denn in
allen diesen Wörtern ist es kein reines, eigentlich richtiges n,
sondern ein vermischtes (d. h. palatinum, Gaumen-, Kehl-,
Nasal-Laut); denn dass es nicht (der eigentliche, reine Zungen-
laut) n ist, beweist sich durch die Zunge selbst, weil, wenn es
der richtige Buchstabe (Halblauter) n sein sollte, die Zunge
den Gaumen berühren müsste." 8. An einer anderen Stelle
heisst es: „Ich habe die Griechen (durchaus etwa) nicht des-
halb eines so groben Unverstandes bezüchtigen wollen, dass
sie für das u zwei Vocale (o und v) brauchen, nur weil die
Unseren sich eine eben so grosse Ungereimtheit zu Schulden
kommen} liessen, dass sie i (= ei) aus e und i (zusammen-
gezogen sprechen und) schreiben. Das Erste.musste man,
zum Zweiten war man nicht gezwungen."
XlXj 14, 8. Iphigenia, ilyiyivtm und Thalia, Galeict, sprachen also
ei wie L — Hic wurde früher heic geschrieben; quis früher queis (=*
quibus); die Accusatirendung omneis für omnis, später omnes und arteis
für artis, später artes. Vergl. Gell. XIII, 21 (20), 1 NB.
Gellius, Attische Nackte. II. 30
Digitized by Google
1
XX. BUCH.
XX, 1, L. Unterredung zwischen dem Rechtsgelehrten Sextus Caecilius
und dem Weltweisen Favorin über die Gesetze der Zwölftafeln.
XX, 1. Cap. 1. Sex tu s Caecilius war hinlänglich
berühmt durch seine theoretischen Kenntnisse, durch seine
praktischen Erfahrungen und durch sein Ansehn in der Rechts-
gelehrsamkeit und in Auslegung und Deutung (aller) Gesetze
des römischen Volkes. 2. Als wir einst auf dem Vorhof des
kaiserlichen Palastes warteten, um dem Kaiser (unsere Auf-
wartung zu machen und) unsere Ehrerbietung zu bezeigen,
trat zufällig der Weltweise Favorin (an den Caecilius) heran
und liess sich in meiner und vieler Anderer Gegenwart (mit
ihm) in eine Unterhaltung ein. 3. Im Lauf ihrer Unter-
haltung nun geschah der Gesetze von den Zehnmännern
Erwähnung, welche diese zehn Männer auf Anordnung des
römischen Volkes zur Aufstellung und Regelung der Gesetze
(ejus rei gratia) für das Staats- und Privat- Recht abgefasst
und in Zwölftafeln eingetheilt hatten. 4. Als Sextus Cae-
cilius die Behauptung ausgesprochen, dass diese Gesetze eine
auserlesene, wohlgeprüfte Gesetzsammlung aller möglichen
Städte und mit gründlicher Genauigkeit und voll-
endeter Kürze im Ausdruck abgefasst wären, versetzte
• ■
XX, 1, L. Vergl. über diesen Abschnitt: K. Fr. Goschel „Zerstreute
Blätter«. Schleus. 1835. II. Th. S. 205 ff.
XX, 1, 1. üeber Sextus Caelius s. Teuffels Gesch. der röm. Lit 356, 3.
XX, 1, 3. S. Gell. XI, 18, L. NB und XVII, 21, 15; Tac. Annal.
m, 27, 1.
XX, 1, 4. Leges eleganti atque absoluta brevitate verborum scriptae,
vergl. Diodor. XII, 26: ßQaxeus x«l «m^ltTtas ovyxfipivT). S. Teuffels
röm. Lit Gesch. § 84, 4.
Digitized by Google
XX. Buch, L Cap., §4—7.
(467)
Favorin : Mit dem grössten Theile dieser Gesetze mag es sich
allerdings wohl so verhalten, wie Du sagst, denn ich habe
selbst diese Zwölftafelgesetze mit nicht geringerem Eifer
(und Interesse) durchgelesen, als jene berühmten zehn Bücher
des Plato „über die Gesetze". Allein ich muss doch be-
kennen, dass ich darin Manches gefunden habe, was mir ent-
weder überaus dunkel, oder höchst hart (und grausam),
Manches wieder, was mir dagegen entweder zu mild und zu
nachgiebig, oder keineswegs so, wie es geschrieben steht, aus-
führbar und stichhaltig (consistentia) erschienen ist. 5. In
Bezug auf die dunkeln Stellen, erwiederte Sextus Caecilius,
möchte ich durchaus nicht die Schuld auf Rechnung der Ver-
fasser wälzen, als vielmehr auf die Unwissenheit derer (Leser),
die sie nicht verstehen, obwohl auch selbst diese, welche das
Geschriebene nicht recht (mehr) verstehen, eigentlich (billiger
Weise) ebenfalls auch wieder zu entschuldigen sind. 6. Denn
durch die Länge der Zeit hat die damals gebräuchliche Aus-
drucksweise, haben die damals üblichen Sitten und Gebräuche
allerhand Abänderungen erlitten, unter welchen Verhältnissen
der Sprache und Sitten (dieser Gesetzesbuchstabe) der Sinn
und Inhalt dieser Gesetze abgefasst wurde. Im 30Osten Jahre
nach Erbauung der Stadt Rom wurden die Tafelgesetze zu-
sammengestellt und aufgeschrieben, von welcher Zeit an bis
auf den heutigen Tag nicht viel weniger als beinahe auch
schon wieder 700 (wohl nur 600) Jahre verflossen sind.
7. Was aber kann in diesen Gesetzen wohl als ein harter,
gefühlloser Erlass angesehen werden? Man müsste denn das
für ein hartes Gesetz erkennen, welches einen auf recht-
mässige Weise bestellten, eingesetzten Richter, oder unpar-
teiischen Schiedsmann, dem bei seiner Entscheidung nach-
XX, 1, 6. Vergl. Gell. XVII, 21, 15; Liv. III, 44—58. Da GellioB
wohl zur Zeit des Antoninus dies schrieb, waren ohngefähr 900 Jahre
seit Roms Erbauung verflossen, also bleiben nur 600 übrig, nach Abzug
der 300.
XX, 1, 7. 8. Gell. XI, 18, 7; Mos. et rom. leg. Coilat. VII, 2. 3;
II. Moses (Exodus) cap. 22, 2. 3. Nach dem römischen, griechischen und
mosaischen Gesetze konnte ein nächtlicher Dieb h «uto^w^w, i. e. in
manifesto von dem Gegner, der sein Eigenthum vertneidigte , getödtet
werden, was beim furtum diurnum nur ausnatunsweise er^au^ war-
(468)
XX. Buch, i. Cap., § 7-11
gewiesen werden kann, dass er sich hat bestechen lassen, (sein
Vergehen) mit dem Kopfe (Tode) büssen Hess, oder welches
einen (ertappten) offenbaren Dieb der Knechtschaft des Be-
stohlenen überlässt, den nächtlichen Dieb aber rechtlich er-
laubt zu tödten. 8. Sag1, ich bitte Dich, sag' mir doch, Du
aller (Gerechtigkeit und) Weisheit beflissener Mann, ob es
nicht auch Deine feste Ueberzeugung ist , dass die Treulosig-
keit eines solchen Richters, der, allen göttlichen und mensch-
lichen Satzungen zuwider, seinen (heiligen) Eidschwur für
Geld feil hält, oder ob die unerträgliche Dreistigkeit eines
olfenbar überwiesenen, augenscheinlichen Diebes, oder die
heimtückische Gewalttätigkeit eines nächtlichen Wegelagerers
nicht (mit vollem Rechte) die Todesstrafe verdiene? 9. Ver-
schone mich, sagte Favorin, damit, über solche Fragen meine
Meinung zu sagen. Du weisst ja, dass ich (als Akademiker,
vergl. Gell XI, 5, 3) gemäss den Grundsätzen meiner Secte,
der ich zugethan bin, mich mehr auf Untersuchungen, als auf
Entscheidungen einzulassen pflege. 10. Allein das ganze rö-
mische Volk kann doch gewiss nicht für einen leichtsinnigen
und keineswegs zu unterschätzenden Richter gelten, welchem
alle diese Vergehungen zwar strafwürdig erschienen, die darauf
gesetzten Strafen aber allzuhart vorkamen, denn es hat sich
ja geduldig gefallen lassen, dass diese Gesetze, eine so über-
mässige Strafe betreffend, als vermodert und veraltet ausser
Kraft traten und ausstarben (emori). 11. So wie es auch
jene grausam rohe Verordnung stark missbilligte, dass, wenn
Jemand, der vor Gericht gerufen worden, von Krankheit oder
vom Alter sehr angegriffen war, also sich zu schwach fühlte,
hinzugehen, ihm nicht ein Wagen (zurecht gemacht und)
geliefert wird, sondern er selbst sich aufmachen und auf ein
(Saum-) Thier sich setzen lassen muss und so aus seinem
Hause vordenPraetor*)(= Consul) an den Gerichtsort zum
XX, 1, 11. Ein Wagen (arcera) 8. die Erklärung davon Gell. XX,
1, 29. Der Gerichtsort war der offene Marktplatz oder das Comitiara
nach dem Grundsatz der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit beim Criminal-
▼erfahren. S. Aue. ad Herenn. 2, 13, 30; Plaut. Poen. III, 6, 12; Varro
L 1. V, 155 (p. 1-54 Sp.).
XX, 1, 11. *) Praetor. Nach Vertreibung der Könige wurde Zweien
das Imperium consulare (gewissermassen das collegialische) im Gegensatz
Digitized by
XX. Buch, 1. Cap., § 11 — 13. (469)
Verhör auf diese (ungewöhnliche) neue Art der Beerdigung
(gleichsam als eine lebendige Leiche) gebracht wird. Denn
wodurch soll man es entschuldigen können, dass Einer, der
durch Krankheit entkräftet und also nicht in der nöthigen
Verfassung ist* , in eigener Person (zur Gerichtsstätte sich zu
verfügen und) den nöthigen Bescheid vor Gericht zu geben,
auf ein Saumthier geladen, auf Veranlassung der Gegenpartei
zur Gerichtsstätte gebracht werden darf? 12. In Betreff
meiner früheren Bemerkung aber, dass einige viel zu gelind
zu sein scheinen, kommt Dir nicht auch das allzu schwach und
gelind und gleichsam verwaschen (dilutum) vor, was in Be-
treff der Ahndung (und Bestrafung) einer Beleidigung (und
Körperbeschädigung, injuria) folgende Verordnung enthält:
„Wer seinem Nebenmenschen eine Beleidigung (Körper-
schädigung) zufügt, soll zur Busse 25 Asse erlegen." Denn
wer ist wohl so mittellos, dass ihn 25 Asse von der ver-
sucherischen Lust, (im Uebermuth) Andern eine Beleidigung
zuzufügen, abschrecken sollten? 13. So erzählt uns auch
euer (grosser) Rechtsgelehrter Q. Labeo da, wo er in seinen
Erklärungsschriften zu den Zwölftafelgesetzen, gelegentlich
gerade dies Gesetz missbilligt, folgenden interessanten Fall:
Lucius Veratius war ein ausserordentlich unverschämter Mensch
und von entsetzlich ruchloser Bosheit. Dieser machte es sich
zur besonderen Kurzweil , freigeborenen Menschen mit seiner
flachen Hand (muth williger Weise gern) Maulschellen zu ver-
abreichen. Dabei folgte ihm überallhin immer ein Sklave .
mit einem Beutel voll solchen Kleingeldes und von diesem
zum imperium regium verliehen. Die Inhaber dieses imperium worden
als Vorsteher des Staates praetores genannt, Cic. de legg. 3, 3, 8; Liv.
3, 55; 7, 3; 30, 43; Fest. 161; Paul. 223; Plin. 18, 3, 12; Gell. XI, 18, 8;
Lange röm. Alterth. § 08 p. (424) 496.
XX, 1, 12. Mos. et Rom. Leg. Collat II, 5; Fest. p. 363, 4, M.;
Gajus III § 223; Dig. 47, 10, 7 § 8 u. L. 8; Cod. Just. 4, 4, 9.
XX, 1, 13. S. Gell. I, 12, 1 u. 18 NB und VI (VII), 15, 1. - Die
eigentlichen Richter sind die judices. Die recuperatores dagegen
waren ausserordentliche Richter für summarische Rechtssachen. Einen
anderen Gegensatz bildeten die arbitri, die von der Obrigkeit bestellten,
ordentlichen Richter. Favorin spricht nur von den Recuperatoren in
den Injurien -Processen, welche die allzugrosse Nachsichtigkeit der Zwölf-
tafelgesetze nöthig gemacht hätte.
Digitized by
(470)
XX. Buch, L Cap., § 13 — 16.
Hess er Jedem, den er abmauschellirt hatte, sofort die in dem
Tafelgesetz darauf gesetzte Strafe (d. h. die besagten) 25 Asse
auszahlen. Deshalb, fügte Favorin hinzu, fanden sich später
die Prätoren auch bewogen, diese Gesetzesbestimmung abzu-
schaffen und sich nicht weiter danach zu richten, sondern
verordneten die Ernennung und Einsetzung von Obmännern
(recuperatores , d. h. Rechtsverhelfer) zur Beleidigungsab-
schätzung (und Erkenntniss der Strafhöhe). 14. Wiederum
scheinen einige unter diesen Gesetzen, wie ich bereits
bemerkt, gar nicht rechtsbeständig durchführbar zu sein,
wie z. B. das Gesetz von der Wiedervergeltung, welches,
wenn mich das Gedächtniss nicht täuscht, wörtlich also lautet :
„Hat Einer eines Anderen Gliedmassen verstümmelt und sich
(deshalb) mit ihm nicht in Güte vertragen (und ausgeglichen),
so soll ihm ein Gleiches geschehen." 15. Abgesehen von der
Härte und rohen Grausamkeit einer solchen (erlaubten) Straf-
(massregel) ist auch nicht einmal die (strenge) Durchführung
einer ausreichend gerechten Wiedervergeltung denkbar. Denn
gesetzt, es wäre also Einem ein Glied gebrochen worden und
er wollte nun Diesem, nach dem Wiedervergeltungsrecht,
eben so eins zerbrechen, so frage ich, ob er bei einer solchen
Gliederbeschädigurig eine völlige, nach der Wage abgemessene
Gleichheit in der Verletzung wird bewerkstelligen können?
Dabei würde sich also gleich zu Anfang (wie Jeder einsehen
muss) eine unüberwindliche Schwierigkeit einstellen. 16. Wo-
fern nun aber Einer dem Anderen absichtslos ein Glied ge-
brochen hat? Was nämlich in (offenbarer) Absichtslosigkeit
(imprudentia, aus blossem Versehen) geschah, muss doch nun
(unbedingt auch) in (aller) Absichtslosigkeit wieder vergolten
(und ausgeglichen) werden; weil ja zufällige und vorsätzliche
Verletzungen nicht unter dieselbe Kategorie, d. h. unter An-
wendung auf gleichen Fall und Umstand, der Wiedervergeltung
fallen (da dies sonst nicht als eine völlige gleiche Wiederver-
geltung betrachtet werden könnte). Wie soll Einer es er-
möglichen, die Absichtslosigkeit (imprudentem) nachzuahmen,
wenn ihm bei Ausübung der W'iedervergeltung das Recht der
XX, 1, 14. S. Aristot. ethic.^Nicom. V, 8; Festus p. 363 M. talionis.
Vergl. II. Moses cap. 21 v. 24.
Digitized by Co
XX. Buch, 1. Cap., § 17—20.
(471)
Absichtlichkeit und Vorsätzlichkeit nicht frei steht, sondern
nur das der Absichtslosigkeit und Zufälligkeit (weil er das,
was aus Versehen geschehen ist, auch nur wieder aus Ver-
sehen soll vergelten dürfen, so dass also jede Beimischung
von Vorsätzlichkeit fern bleiben muss). 17. Im Fall nun aber
die Verletzung auch wirklich absichtlich erfolgt wäre, braucht
der Schuldige durchaus noch nicht zu leiden, dass ihm eine
härtere und bedeutendere Beschädigung zugefügt werde. Wie
dergleichen aber durch Wage oder Mass soll vorgesehen
(oder verhütet) werden können, ^versteh' ich nicht ausfindig
zu machen. 18. Nein, auch noch weiter (würden sich Schwie-
rigkeiten bei Ausführung dieses Gesetzes herausstellen), ge-
setzt nun, die Ausgleichung (des Schadens) hätte statt ge-
funden, allein mehr oder anders (als die betreffende Partei
erwartet hatte), so wird daraus wieder* eine neue Art von
lächerlicher Grausamkeit entspringen, welche die entgegen-
gesetzte Berechtigung abwechselnder Wiedervergeltung (nur
stets) erneuerte, und so würde sich eine gewisse Wechsel-
seitigkeit des Wiedervergeltungsrechtes (und Anspruches) in
seinem Umfange bis in's Unendliche erweitern und erneuern,
f 19. Denn über jene (gesetzlich erlaubte) Grausamkeit, welche
mehreren Gläubigern erlaubt, den Körper ihres Schuldners
zu zerschneiden und unter sich zu theilen, wenn dieser Un-
glückliche wegen seiner Geldschuld verurtheilt und jenen
(Gläubigern) von den Richtern zugesprochen worden ist, mag
ich gar nicht weiter nachdenken, und es erfüllt mich schon
mit Widerwillen, diesen Fall überhaupt nur zu erwähnen.
Denn was kann empörender und grausamer scheinen, was
mit dem Wesen des Menschen mehr in grellerem Wider-
spruche stehen, als dass man die Gliedmassen eines armen,
mittellosen Schuldners durch Zerstückelung (bei lebendigem
Leibe) verkaufen konnte, gerade so, wie man heut zu Tage
ihre Güter zerstückeln (und verkaufen) kann. 20. Hier er-
fasste Sextus Caecilius den Favorin mit beiden Händen und
XX, 1, 19. S. Quintil. III, 6, 84; Tertullian. Apolog. 4. Vielleicht
(472) XX. Buch, L Cap., § 20—23.
sagte: Du, wahrhaftig, bist in der Jetztzeit der einzigste und
gründlichste Kenner nicht nur (aller) griechischen Vorgänge,
sondern auch der römischen (Rechts-) Geschäfte. Denn welcher
unter den Philosophen hat wohl die Lehrsätze seiner Schule
so durch und durch inne, als Du unsere Gesetze der Zehn-
männer genau kennst? 21. Allein ich muss Dich doch bitten,
auf einen Augenblick von Deinem akademischen Streitwagen
herabzusteigen und einmal abzustehen von der euch beliebi-
gen Neigung, je nach Gefallen etwas als. iiTthümlich hinzu-
stellen, oder es in Schutz zu nehmen und (mit mir) jetzt
recht ernstlich in Erwägung zu ziehen, wie es mit den
Einzelheiten (dieser Satzungen) sich verhält, die Du Deine
Tadel unterzogen hast; 22. auch verachte mir deshalb nur
nicht gleich diese alterthümliche Gesetzsammlung, weil in
vielen Stücken das römische Volk aufgehört hat, sich nach
diesen Bestimmungen zu richten. Denn Du weist ganz sicher
selbst recht wohl , dass die gesetzlichen zweckentsprechenden
Hülfs- und Heilmittel, (wenn sie wirksam und heilsam sein
sollen,) sich immer und immer wieder umwandeln und ver-
ändern, je nach den Sitten der Zeit, je nach den Bedürfnissen
und Entwicklungsstufen der Staatsverfassung, ferner je nach
den jedesmaligen Verhältnissen und Rücksichten in Bezug
auf die Bedürfnisse der Gegenwart und endlich je nach den
mancherlei Aufwallungen und dem Hange zu fehlerhaften
Ausschreitungen, denen vorgebeugt und abgeholfen werden
soll, und dass also (alle staatlichen Satzungen) nicht auf dem-
selben Punkt und in derselben Beschaffenheit verharren
dürfen , ohne durch die Strömung der Verhältnisse und des
Zufalls (d. h. durch besondere Sturmperioden) nicht gerade
so der Abänderung unterworfen zu sein, wie die Gestalt und
das Aussehen des Himmels und des Meeres. 23. Was nun
konnte z. B. wohl heilsamer scheinen, als jener Gesetzes-
Vorschlag des Stolo, den Besitz einer vorgeschriebenen
Anzahl von Hufen Landes betreffend? Was) nützlicher als
der Gemeinbeschluss des Voconius, die Einschränkung
von den Erbschaften der Weiber betreffend?! Was hielt man
einst für so nothwendig zur Abwehr der Ueberhandnahme
XX, 1, 23. üeber lex Voconia s. Gell. VI (VII), 13, 3 NB und
Digitized by
XX. Buch, 1. Cap., § 23 — 27. (473)
bürgerlicher Prunkliebe und Vergnügungssucht, als die Hei-
nis che und fannische Verordnung und desgleichen noch
mehrere andere Aufwandsgesetze? Und doch sind sie
alle in Vergessenheit gerathen und in den Schatten gestellt
durch die ausserordentliche Wohlhabenheit des Staates, der
gleichsam (wie ein wild aufgeregtes Meer) durch seinen
Wogenschwail (Alles) überfluthet (und die Ufer durchbricht).
24. Aber warum dünkt Dich gerade dies eine Gesetz un-
menschlich, was mir wenigstens nach meiner Meinung unter
allen das allermenschlichste und rücksichtsvollste zu sein
scheint (ich meine das Gesetz: „wenn Einer einen Andern
vor Gericht fordert"), welches einem Kranken oder einem
Hochbejahrten von Dem, auf dessen Veranlassung er vor Ge-
richt erscheinen soll, ein Saumthier (jumentum) stellen litsst?
25. Es betrifft also die Gesetzesstelle: „wenn Einer einen
Andern vor Gericht ruft". Der (vollständige) Wortlaut der
Stelle ist folgender: „Wenn Einer einen Andern vor Gericht
ruft (so soll dieser unbedingt erscheinen); wenn er (aber) an
Krankheit oder Alterschwäche leidet, so soll Der, welcher ihn
vor Gericht ruft, ein Saumthier [oder Joch, jumentum] geben; »
will das Jener nicht (annehmen), so soll er ihm einen be-
deckten Wagen [arcera] zu stellen nicht gehalten sein."
26. Oder meinst Du etwa, dass hier unter dem Worte: Krank-
heit (morbus) eine schwere, lebensgefährliche Unpässlichkeit,
verbunden mit heftigem Fieber und Schüttelfrost, zu ver-
stehen sei, und unter dem Ausdruck: Saumthier (jumentum)
allein ein einzelnes Lastthier gemeint sei, auf dessen Rücken
man reitet? und du meinst also, dass es deshalb doch weniger
menschlich gewesen sei, einen Kranken und Siechen, der zu
Hause (eigentlich) das Bett hüten sollte, auf ein Joch zu
setzen und so nach dem Gerichtshof hinzuschleppen ? 27. Nein,
mein lieber Favorin, so verhält es sich keineswegs. Denn in
XVII, 6, 1. Ueber lex Licinia und Fannia s. Gell. H, 24, 3 NB.
Niemand sollte mehr als 500 Hufen (jugera) Landes besitzen. Nach Liv.
7, 17 war Stolo der erste, welcher sein eigenes Gesetz übertrat und deshalb
bestraft wurde.
XX, 1, 25. S. Cic. de legg. H, 23; Horat Serm. I, 9, 76; Non.
Marceil. I, 20 p. 486.
Digitized by Google
(474) XX. Buch, 1. Cap., § 27—30.
diesem Gesetze ist nicht die Rede von einer mit Fieber ver-
bundenen oder sonstigen gefährlichen Krankheit, sondern von
einem Leiden an Kräftemangel und Siechthum; keineswegs
aber, wo sich eine Gefahr für's Leben herausstellt. Uebrigens
benennen die Verfasser jener Gesetze an einer andern Stelle
eine schon heftigere Krankheit, welche (leicht) einen gefähr-
lichen Ausgang nehmen kann, nicht (schlechtweg) an und für
sich mit dem (einfachen) Worte: Krankheit (morbus), sondern:
morbus sonticus (d. h. bedenkliche, gefährliche Krankheit).
28. Auch hat das Wort „jumentum", d. h. Joch, nicht allein
die Bedeutung, die man ihm jetzt giebt, sondern bedeutet
(geradezu) auch einen Wagen (vectabulum), welcher von vor-
gespannten Zugthieren ( junctis pecoribus) gezogen wurde ; denn
unsere Alten bildeten das Wort „jumentum" von „jüngere"
(binden, zusammenspannen, koppeln), also gleichsam (Koppel-)
Gespann. 29. „Arcera" aber hiess ein von allen Seiten be-
deckter und wohlverwahrter (siechkorbartiger) Wagen, gleich-
sam eine mit Decken und Teppichen wohlverwahrte Arche,
worin sehr gebrechliche und altersschwache Leute bequem
liegen und fortgeschafft werden konnten. 30. Welche Härte
und Grausamkeit scheint Dir nun also noch in diesem Gesetze
enthalten zu sein, wenn die Gesetzgeber die Bestimmung vor-
sahen, einem armseligen oder hülflosen Menschen, der viel-
leicht schwach und krank auf den Füssen war, oder wegen
eines anderen Zufalls sich (persönlich) nicht einstellen konnte,
dass ihm dann, wenn er vor Gericht gefordert worden war,
einWagen (plostrum)*) zugeschickt werden musste ? Wenn
gleich dabei auch nicht gesagt ist, dass sie verordneten, einen
ganz prächtig und bequem (delicate) eingerichteten Wagen
zu stellen, weil ein beliebiges (bequemes) Fuhrwerk jedem
XX, 1, 28. Jumentum s. Nonius I, 54; Varro 1. 1. V, 140.
XX, 1, 29. Arcera s. Nonius I, 55; Varro 1. 1. V, 135.
XX, 1, 30. •) plostrum = plaustrum. Au und o wechseln in einigen
Wörtern, z. B. plaudo, plodo, Claudius, Clodius, lautus, lotus, und au
wird wie bei den Franzosen — o ausgesprochen. Der Rathsherr Menstruus
Florus hatte einst dem Vespasian gesagt, er dürfe nicht plostrum, sondern
müsse plaustrum sprechen. Als ihm darauf Vespasian einmal wieder be-
gegnete, so rief er ihm spottweise zu: lieber Flaurus, statt Florus.
Digitized by Google
XX. Buch, 1. Cap., § 80—84.
(475)
gebrechlichen Menschen (als Beförderungsmittel) schon hin-
länglich genügen kann. Und dies verordneten sie deshalb,
damit die (Ausrede) Vorschützung und Entschuldigung mit
Körperkrankheit nicht einen fortwährenden Grund zum Aus-
bleiben abgeben möchte für Die, welche (gern) sich jeder
rechtlichen Verpflichtung zu entziehen und gerichtliche Ver-
sammlungen und Termine zu umgehen (und abzulehnen) suchen.
31. Allein fasse dies an und für sich selbst (mit mir einmal)
in's Auge. Zugefügte Beleidigungen (und Körperverletzungen)
bestrafen mit 25 As (heisst es in dem Gesetze). Jedoch nicht
alle (solche) Beleidigungen im Allgemeinen Hessen sie mit
einer so niedrigen Geldstrafe ablösen und abbüssen (wie Du
irriger Weise glaubst), mein Heber Favorin, obwohl unter
dieser geringen Anzahl von As die schwere grosse Goldmünze
(das Pfund-As) zu verstehen war, denn zur damaligen Zeit
waren im Staate die pfündigen (d. h. die 1 Pfund schweren)
Asse gebräuchlich. 32. AUein stärkere (Beleidigungen, und)
Körperverletzungen, z. B. wegen eines zerbrochenen Beines,
gleichviel ob sie einem freien Manne, oder einem Sklaven
zugefügt worden waren, ahndete man mit einer viel höheren
Geldbusse. 33. Bei einigen Beleidigungen bestimmte man
aber auch sogar das Recht der Wiedervergeltung. Dieses
Wiedervergeltungsrecht hast Du, verehrtester Mann, zwar
kurz vorher unbilliger Weise angegriffen und mit Deiner
liebenswürdigen, geistvollen Sprachgeschicklichkeit getadelt
und hast die Bemerkung fallen lassen, dass es nicht einmal
stichhaltig und durchzuführen sei, weil es (Ausgleichung gegeu
Ausgleichung, d. h.) eine voüständig gleichmässige Wieder-
vergeltungs-Ausgleichung nimmermehr geben könne und weil
(also) eine ähnliche (gröbliche) Körperverletzung bis zur völ-
ligen wagerichtigen Gleichheit durch Wiederverletzung (und
Revanchenahme) am Thäter, wie Du sagst, nicht würde mög-
lich werden können. 34. Du hast ganz recht, lieber Favorin,
dass eine (vollständige) Ausgleichung höchst selten und nur
mit der grössten Schwierigkeit wird herzustellen sein. Allein
die gesetzgebenden Zehnmänner wollten überhaupt nur durch
dieses Gesetz der Wiedervergeltung dem allerwärts möglichen
frevelhaften Muthwillen thätlicher Beleidigung und Verletzung
Einhalt gebieten und vorbeugen und hatten die Ueberzeugung,
Digitized by Google
(476)
XX. Buch, 1. Cap., § 84—37.
dass die Menschen durch die Furcht (vor den schrecklichen
Folgen des Wiedervergeltungsrechtes) im Zaum gehalten wer-
den müssten; auch war es nicht ihre Meinung, so ganz ge-
naue Rücksicht zu nehmen auf Den, der einem Andern eine
körperliche Beschädigung zugefügt hatte und sich trotzdem
doch nicht von der Wiedervergeltung loskaufen wollte, dass,
mochte nun die Beschädigung wissentlich oder unwissentlich
geschehen sein, sie darauf sehen zu müssen glaubten, wie sie
die Wiedervergeltung an dem Thäter entweder gewissenhaft
nach der Schnur abmessen, oder genau auf der Wage abwägen
sollten: denn es kam ihnen (bei Abfassung des Gesetzes)
vielmehr nüV darauf an, nicht auch noch Zufälligkeiten in
Erwägung zu ziehen, sondern (bei dem Beschädigten) in die-
sem Falle der körperlichen Wiederverletzung des Beleidigers
nur eine ehrliche Absicht und Neigung vorauszusetzen (dem
Beleidiger die Beleidigung nur in gleichem Maasse entgelten
zu lassen), weil man die massvolle Einschränkung des Willens
zwar zu verbürgen im Stande sei, den Zufall bei einem Stoss
(oder Schlag und Hieb) Niemand in seiner Gewalt habe.
35. Wenn sich dies nun so verhält, wie ich sagte, und
wie das Verhältniss der Billigkeit (und Gerechtigkeit) es
bestätigt, so waren vorher Deine Bemerkungen über die
(möglicher Weise) wechselseitig wiederkehrenden Wiederver-
geltungs - Ansprüche doch sicher mehr spitzfindig, als auf
Wahrheit gegründet. 36. Verharrst Du aber dennoch bei
Deiner vorgefassten Meinung, dass diese Strafart auch hart
und grausam sei, so bitte ich Dich, zu bedenken, worin wohl
die Absonderlichkeit dieser Gesetzesstrenge besteht, wenn
man Dir nur (mit Recht) dasselbe thun kann, was Du doch
(ungescheut) einem Anderen angethan hast (si idem fiat in te,
quod tute in alios feceris)? Zumal da Dir auch noch die
Möglichkeit geboten ist, Dich mit dem Anderen zu vergleichen
und abzufinden, und Du nicht nöthig hast, dieses Wieder-
vergeltungsrecht über Dich ergehen zu lassen, wenn Du Dir
(aus Hartköpfigkeit) dasselbe nicht selbst erwählst. 37. Was
für ein prätorisches Edict hältst Du nun aber in Betreff der
Beleidigungsabschätzung für löblicher und zweckdienlicher?
Auch möchte ich nicht, dass Du Dir dabei verhehlst, dass
dieses Wiedervergeltungsrecht unbedingt und notwendiger
Digitized by Googl
XX. Buch, 1. Cap., § 37 — 41.
(477)
Weise nur nach (gewissenhafter) richterlicher Abschätzung in
Ausübung gebracht zu werden pflegt. 38. Denn wenn der
Beklagte, der sich (mit dem Beleidigten oder Beschädigten)
nicht hatte gütlich vergleichen wollen, nun gar auch noch
keine Anstalt traf, dem die Wiedervergeltung anordnenden
Richter sich zu fügen, so verurtheilte der Richter, nach Ab-
schätzung des Streitobjects, die beklagte Person zu einer Geld-
strafe, und so beschränkte, wenn dem Beklagten theils das
Abkommen zu hart erschienen war, theils auch das Wieder-
vergeltungsrecht als zu streng vorkam, sich die Gesetzes-
strenge auf die Geldbusse. 39. Nun bleibt mir nur noch
übrig, Dir auf die Ansicht zu antworten, dass Dir das Gesetz
bezüglich der Zerschneidung und Theilung des Körpers von
dem Schuldigen, als zu grausam und unmenschlich erschienen
ist. Durch gewissenhafte Ausübung und strenge Beobachtung
aller Arten von Tugenden hat sich das römische Volk vom
kleinsten Ursprung bis zum Gipfelpunkt einer so grossen
Machtvollkommenheit emporgeschwungen, aber vor alle»
Dingen vorzüglich und hauptsächlich dadurch, dass es Treue
und Glauben streng beobachtete und sowohl gegen den ein-
zelnen Menschen, als auch im Allgemeinen hoch und heilig
hielt. 40. So hat das römische Volk (oft) selbst seine Con-
suln*), seine hervorragendsten ehrenwerthesten Männer, zur
Bestätigung seines gegebenen öffentlichen Wortes in Fein-
deshänden gelassen, und so erachtete es auch für drin-
gend, den in Schutz genommenen Hörigen**) (Clienten)
werther und theurer zu halten, als selbst die eigenen näch-
sten Angehörigen und sogar gegen Blutsverwandte in Schutz
zu nehmen, und es galt kein Verbrechen für schändlicher,
als wenn Einem konnte nachgewiesen werden, seinen Hörigen
(Clienten) Gewinnes halber der Uebervortheilung Preis ge-
geben (ihn mit Trug umstrickt und dem Spott und der Be-
leidigung biossgestellt) zu haben. 41. Allein diese Treue (das
einmal gegebene Wort) verordneten unsere Vorfahren nicht
nur bei gegenseitigen Verpflichtungen, sondern auch bei Ver-
XX, 1, 40. *) Vergl. Gell. XVü, 21, 36. — **) Vergl. Gell. V, 13, 2. 4;
Dion. 2, 10; Plut. Kom. 13. Gegen den Clienten brauchte ein Patron nie
Zeugniss abzulegen. S. Lange röm. Alterth. § 42 p. (186) 216.
(478)
XX. Buch, 1. Cap., § 41-45.
trägen in Privat- und Staatsangelegenheiten als heilig und
unverbrüchlich, besonders aber (in Geldangelegenheiten, d. h.)
bei dem im Handel und Wandel geliehenen Gelde. Denn
sie meinten, dass dieses Schutz- und Zufluchtsmittel, dessen
das Leben eines Jeden im Allgemeinen bei (eintretender)
zeitweiser Mittellosigkeit (und bei vorkommendem Mangel
an baarem Gelde höchst nöthig bedarf und unmöglich ent-
behren kann, (dem Verkehr) ganz würde entzogen werden,
wenn die Treulosigkeit und Wortbrüchigkeit der Schuldner
ohne harte Ahndung (ihr Spiel treiben und) schadlos durch-
schlüpfen könnte. 42. Den wegen einer bereits anerkannten
Geldschuld Verurtheilten wurden 30 Tage Zeit gegeben zur
Auftreibung der Schuldsumme, welche sie abzutragen hatten,
43. und diese (30) Rechtsfrist -Tage nannten die Decemvirn
die gesetzmässigen (justi), also gleichsam einen Zeitraum der
Gerichtshemmung (Justitium, i. e. juris stitium, von jus und
sisto), d. h. gleichsam einen Stillstand und ein Ruhen des
Processes unter den Parteien, während welcher Zeitfrist mit
dem Beklagten auf Grund dieses Rechtsverhältnisses vor der
Hand kein weiterer Anspruch angestrengt werden konnte;
44. wenn aber (nach Ablauf dieses Termines) sie die Schuld
noch nicht in Ordnung gebracht hatten, so wurden sie vor
den Praetor bestellt und von diesem den Gläubigern, denen
sie zugesprochen worden waren, feierlich in aller Form des
Rechts überantwortet und konnten sogar auch mit Ketten
und Banden gefesselt (in die Knechtschaft abgeführt) werden.
45. Die Gesetzesworte lauten, glaub' ich, so: „Hat Einer die
Schuld eingestanden und ist solche zu Recht gesprochen (d. h.
hat die Verurtheilung in Rechtsform stattgefunden), so soll er
30 gesetzmässige Tage (Frist zur Abtragung der Schuld) haben.
XX, 1, 42. Vergl. Gell. XV, 9, 10; XV, 13, 11; Savigny röm. R.
Bd. IV p. 467. Die Zwölftafeln geben jedem verurtheilten Schuldner
30 Tage Zeit zur Zahlung und diese Regel war noch zur Zeit der
klassischen Juristen in voller üebung.
XX, 1, 44. Vergl. Liv. VIII, 28 am Schluss.
XX, 1, (42 u.) 45. Savigny röm. R. Bd. VII p. 13. Die Wirkung
des gerichtlichen Geständnisses schliesst sich an die Wirkung des rechts-
kräftigen Urtheils, und kann zusammengefasst werden in dem Ausdruck;
confessio pro veritate accipitur. Der aufgestellte wichtige Grundsatz über
XX. Buch, 1. Cap., § 45—48.
(479)
Nach Ablauf derselben soll Hand an ihn gelegt und er vor das
Gericht gebracht werden, wenn er diesem Rechtserkenntnisse
nicht Folge leistet, oder Einer vor Gericht sich (nicht) für
ihn verbürgt, soll er (vom Gläubiger) abgeführt werden
können und kann gebunden werden, entweder mit einem
Riemen, oder mit 15 Pfund schweren Fusschellen, nicht
darunter, aber so jener (Gläubiger) es will, auch mit schwe-
rerem. Will er (der Schuldner) es, kann er auf eigene Kosten
leben ; will er sich nicht selbst beköstigen, so soll ihn Der, der
ihn in Fesseln halten läset, täglich ein Pfund Mehl reichen lassen
müssen. Will er, so darf er ihm auch mehr verabreichen
lassen." 46. Indessen stand aber dem Schuldner das Recht
zu, sich mit dem Gläubiger zu setzen (zu vergleichen) und
kam kein Vergleich zu Stande, so dauerte die Gefangenschaft
60 Tage fort. 47. Innerhalb dieser 60 Tage wurde er (der Schuld-
ner) an drei unmittelbar hinter einander folgenden Markttagen
vor den Praetor (= Consul) an Gerichtsstelle geführt und es
wurde öffentlich bekannt gemacht, einer wie grossen Schuld
halber er war verurtheilt worden. Allein am dritten Markt-
tage verurtheilte man ihn zum Tode, oder er konnte (von dem
Gläubiger) jenseits der Tiber über Land (d. h. ausserhalb der
Stadt auch) als Sklave verkauft werden. 48. Von Seiten der
Gesetzgeber wurde, wie ich bereits bemerkte, diese, durch
ihr zur Schautragen der höchsten Strenge, so entsetzliche
die Kraft des gerichtlichen Geständnisses des Beklagten hat seine Quelle
in der hier angeführten Vorschrift der Zwölftafeln zu suchen, also in
dem Geständniss einer bestimmten Geldschuld: aeris confessi etc. worin
das Geständniss dem rechtskräftigen Urtheil an die Seite gesetzt wurde,
Vergl. GeU. XV, 18 11. — Manus injectio vergl Plaut Cure V, 2,
23 — 27; Persa IV, 9, 8— 10; Hör. Sat. I, 9, 74—78 und Porphyr, zu
Hör. Sat. I, 9, 65; Festus 313, 7 M.; Gajus IV, 21—25. Lange röm.
Alterthümer § 38 p. (154) 180: „Die durch manus injectio entstehende
Gewalt unterscheidet sich von der, die durch Mancipation entsteht, da-
durch, dass der Gewalthaber ein Recht nicht bloß an dem Erwerb, sondern
auch an die Person des ihm Unterworfenen hat.
XX, 1, 47. Nundinae (für novendinae, nono quoque die, d. h.) aUe
8 Tage (oder jeden neunten) wiederkehrenden Tage dienten den Land-
bewohnern dazu, ihre Waaren und Erzeugnisse nach der Stadt zu bringen
und ihre sonstigen Angelegenheiten zu besorgen. S. Lange röm. Alterth.
§ 51 p. (264) 314. Vergl. § 11 NB dieses Abschnittes über den Praetor.
(480)
XX. Buch, 1. Gap., § 48—53.
und durch ihre aussergewöhnlichen Schreckmittel (geheimes)
Grauen erweckende Verfügung der Todesstrafe nur (als ein
äusseres Schreckbild) erlassen zur Heilighaltung der Treue
und des gegebenen Wortes. Waren jedoch mehrere Gläubiger
vorhanden, denen der beklagte Schuldner war zugesprochen
worden, so wurde den Gläubigern von Gesetzes wegen erlaubt,
den Leib des ihnen zugesprochenen Schuldners zu zerschnei-
den, wenn sie wollten, und unter sich zu vertheilen. 49. Und
damit Du nicht glaubst, ich furchte wegen ihrer Gehässigkeit
etwa Deinen Vorwurf, will ich Dir gleich die betreffenden Ge-
setzesworte selbst anführen; sie lauten: „Am dritten Markttage
mögen sie ihn (den Schuldner) in Stücke zerschneiden: mögen
sie ihn dann nun aber in grössere oder kleinere Stücke zer-
schnitten haben, soll ihnen das ohne Gefährde sein und nicht
zur Schuld angerechnet werden (se fraude esto).u 50. Es
könnte freilich nichts Grausameres und Unmenschlicheres ge-
dacht werden (als diese Verordnung), wenn dieses ungeheuer-
liche Strafgesetz nicht in der alleinigen Voraussicht, wie es
doch ganz offenbar ist, laut und drohend verkündet worden
wäre (und man nicht gleich angenommen hätte), dass man
es nie dahin würde kommen lassen (dasselbe wirklich in An-
wendung bringen zu sehen.) 51. Und doch ist die Schlechtig-
keit heutigen Tages so weit gediehen , dass wir sehr . oft
Schuldner (ihren Gläubigern) zugesprochen und in Fesseln er-
blicken, weil sie sich aus der Strafe (und Schande) der Fesse-
lung gar nichts mehr machen. 52. Ich habe aber auch weder
gelesen, noch gehört, dass in alten Zeiten irgend wer (Schul-
den halber) sei zerstückelt worden; weil die Grausamkeit und
Härte einer solchen strafgesetzlichen Drohung unmöglich konnte
(ohne Eindruck bleiben und) verachtet werden. 53. Oder
glaubst Du wohl, mein lieber Favorin, wenn man nicht
auch jenes (andere) Strafgesetz wegen falscher Zeugenaus-
sagen aus den Zwölftafelgesetzen (abgeschafft und) in Ver-
gessenheit gerathen lassen hätte, oder, wenn auch heutigen
Tages noch, wie früher, Einer, der falsch Zeugniss abgelegt
zu haben überführt worden ist, vom tarpejischen Felsen
herabgestürzt würde, dass (dann) immer noch so Viele (lügen
und) falsches Zeugniss ablegen würden, wie wir sie jetzt zu
sehen bekommen ? Denn von jeher ist Härte und Strenge bei
XX. Buch, 1. Cap., § 53 — 55. — 2. Cap., § 1. (481)
Bestrafung der Frevelthaten das beste Zuchtmittel (disciplina)
und die beste Anweisung zu einem guten und geziemenden
Lebenswandel gewesen. 54. Auch ist mir die Geschichte von
Mettus Fuffetius Albanus durchaus nicht unbekannt
geblieben, obgleich ich nicht viele Geschichtsbücher lese, der,
weil er seinen mit dem König des römischen Volkes (Tullus
Hostilius) abgeschlossenen Vertrag und seine Zusage treulos
gebrochen hatte, gebunden, durch zwei nach entgegengesetzten
Richtungen angetriebene Viergespanne zerrissen (d. h. gevier-
theilt) wurde; eine schreckliche und grausame Bestrafung,
wer leugnet das? Allein bedenke, was unser herrlichster
Dichter (Vergil. Aen. VIII, 643) sagt:
Ach! hätt'st Du Albaner beharrt in der Treue.
55. Während Sextus Caecilius in unserem Beisein Dies und
Dergleichen mehr und unter lautem Beifall und Lob des Fa-
vorin vorgetragen hatte, geschah die Meldung, dass der Kaiser
nun (Aufwartung und) Besuch empfange, und s$ schieden wir
aus einander.
XX, 2, L. Was wohl die Bedeutung sei des in der Rede des M. Cato
gebrauchten Wortes: „siticines" (Leichenbläser, Leichenmusikanten).
XX, 2. Cap. 1. Der Ausdruck „siticines" steht in der
Rede des M. Cato geschrieben, welche den Titel führt: „Die
Macht der alten Behörde ist nach Antritt der neuen zu Ende.u
Da kommen die Ausdrücke vor: „Siticines (Leichenbläser)
XX, 1, 54. Mettus Fuffetius, Häuptling der Albaner, der im Kriege
mit Rom unter dem dritten Könige Tullus Hostilius der Sage nach den
Vorschlag that, den Streit durch einen Zweikampf zu entscheiden, wobei
Drillinge von beiden Seiten kämpften, von römischer Seite die Horatier, von
albanischer Seite die Curiatier. Der Sieg ward den Römern. M. Fuffetius,
Verrath sinnend und die geheime Absicht hegend, die Albaner wieder frei
zu machen, wurde deshalb später auf Befehl des T. Hostilius von Pferden
zerrissen. Liv. L, 23, 28; Dionys. Halte. III, 41; Val. Max. VII, 4, 1;
Flor. I, 3, 7. 8; Polyaen. VHL 5; Frontin Stratagem. H, 7, 1; Aurel.
Vict. II, 7, 1; Claudian. cons. IV. Honor. IV, 402 und de bell. Gild. 254;
Orosius U, 5; Plutarch: Parallelen gr. und röm. Geschichten 7.
XX, 2, 1. Siticines, s. Non. p. 54, 26, bestanden aus Tuba-, Horn-
und Flötenbläsern. Ihre Zahl wurde durch die Zwölftafeln auf zehn
beschränkt. Vergl. Cic. de legg. II, 23, 29. Metallinstrumentalisten, liticines
s. Varro 1. 1. IV, 16, extr.; Ammian. 14, 2; Stat. Silv. 4, 7, 19.
Gclli us, Attische Nä hte. II. 31
Digitized by Google
(482) XX. Buch, 2. Cap., §1 — 3.-3. Cap., § 1-3.
und „liticines" (Zinkenbläser) und „tubicines" (Trompeten-
Tuba-Bläser)". 2. Allein Caesellius Vindex gesteht in seiner
„Erläuterungsschrift alter Ausdrücke", dass er zwar sehr
wohl wisse, dass „liticines" Leute messen, die Zinken blasen
und „tubicines" solche, die Trompete (oder Tuba) blasen;
was das aber für ein Instrument sein solle, auf welchem die
„Siti eines" blasen, gesteht er mit offenherziger Aufrichtigkeit
zu, nicht zu wissen. 3. Ich habe aber in des Capito Atejus
„Notizensammlung" gefunden, dass Diejenigen „siticinesu ge-
nannt wurden, welche bei einer Leichenbestattung zu musi-
ciren pflegten (apud sitos canere soliti), d.h. bei aus dem
Leben Geschiedenen und am Grabe der Verstorbenen (apud
Tita funetos et sepultos) und dass diese Musiker eine eigene
Art von Tuba hätten, worauf sie bliessen, ganz verschieden
von den anderen Tubabläsern.
XX, 3, L. Weshalb der Dichter L. Accius in seiner Sammlung „nützlicher
und belehrender Aufschlüsse (in pragmaticis)" das Wort : „sicinnista" (Tänzer
des Sicinnium) für einen dunklen und schwer verständlichen Ausdruck
gehalten hat.
XX, 3. Cap. 1. Diejenigen, welche man im gewöhnlichen
Leben mit dem Namen : „sicinnistae" belegt, werden von den
Sprachgebildeteren mit einem doppelten n (geschrieben und)
ausgesprochen. 2. „Sicinnium" ist nämlich eine Art alten
Tanzes. Und während man (früher) beim Singen fort und
fort Tanzbewegungen machte, bleibt man jetzt während des
Gesanges stehen. 3. Der Dichter L. Accius hat sich dieses
Wortes in seinen „(geschichtlichen) belehrenden Aufschlüssen
(in pragmaticis)" bedient und sagt, dass die „sicinnistae"
einen dunklen Namen führten, und ich glaube, dass er den
Namen deshalb dunkel (nebulosum) nennt, weil ihm die Ab-
stammung des Wortes „sicinnium" unbekannt (und deshalb
nicht verständlich) war.
XX, 3, L. Ueber L. Accius s. Gell. II, 6, 23 NB. — aCxivvig, ein
dem satyrischen Drama eigener Tanz, der sich durch schnelle, aber ein-
fache und ungekünstelte Bewegungen auszeichnete. Aristoteles n€Ql xoqmv
bei Athen. XIV, 630 B; vergl. Athen. I, 20 f.
Digitized by Google
XX Buch, 4. Cap., §1—3.-5. Cap., § 1. (483)
XX, 4, L. Dass es unehrbar und schimpflich sei, Neigung und Umgang
mit Schauspiel -Künstlern zu pflegen, und die darauf bezüglichen Worte
des Philosophen Aristoteles.
XX, 4. Cap. 1. Ein reicher Jüngling, Schüler des Philo-
sophen Taurus, fand seine grösste Lust und höchstes Ergötzen
am Umgang mit ungebundenen Leuten, wie z. B. Possen-
reissern, Schauspielern und Flötenbläsern (tibicines, Musi-
kanten). 2. Diese Art von Künstlern wurde auf griechisch :
oi neqi tovJiopvoov regrircM, Bacchuskünstler (d.h. ohngefähr:
theatralische Bühnen-Künstler, Tonkünstler und Schauspieler)
genannt. 3. Taurus, welcher beabsichtigte, diesen seinen
jungen Schüler von dem 'näheren und vertrauten Umgange
mit Bühnenkünstlern abzuziehen, sandte ihm eine wörtlich
ausgezogene Stelle aus des Aristoteles Schrift, welche tiber-
schrieben ist: „allgemein gehaltene Streitfragen (über allerlei
Wissenswerthes, TtgoßX^ara iyxmlia)*, und trug ihm ernstlich
auf, dass er diese Stelle täglich einmal (für sich) lesen sollte;
sie lautet: „Warum wohl Bacchuskünstler (Thespisanhänger,
Schauspieler) in den meisten Fällen frech und lasterhaft sind?
(Etwa) weil sie sehr wenig Antheil nehmen an Wissenschaft
und Philosophie und weil sie den grössten Theil ihres Lebens
auf ihren nöthigen Kunst- (und Brot-) Erwerb verwenden
und weil sie ihre meiste Zeit theils in Unenthaltsamkeit hin-
bringen, theils wieder in Noth, und Beide (Ausschweifung und
Noth) bilden die Veranlassung (und Triebfeder) zur Schlechtig-
keit und Lasterhaftigkeit."
XX, 5, L. Abschriften der (beiden) in die Oeffentlichkeit gedrungenen
Briefe von dem König Alexander und dem Philosophen Aristoteles, und
gleichzeitige Uebersetzung der beiden Schriftstücke.
XX, 5. Cap. 1. Der Philosoph Aristoteles, Lehrer des
(berühmten) Königs Alexander, soll einer zweifachen Methode
XX, 4, L. Bei Schauspielern gingen selbst attische Redner, wie ein
Demosthenes, in die Schule. Daher gab es wohl auch Geachtete unter
dem Schauspielerstande, da sie selbst vom Staate zu öffentlichen Gesandt-
schaften gebraucht wurden. So unterhandelten die beiden berühmten
attischen Schauspieler Aristodemus und Neoptolemus den Frieden zwischen
Philipp von Macedonien und Athen. Demosth. de coron. 232. Der Schau-
spieler Theodorus erhielt ein Denkmal, Pausan. I, 37, 2.
31*
Digitized by Google
.1
(484) XX. Buch, 5. Cap., § 1 - 6.
*
bei seinen wissenschaftlichen und künstlerischen Belehrungen,
die er seinen Schülern zu Theil weiden Hess, sich bedient
haben. Die eine Unterrichtsart umfasste die von ihm so-
genannten äusseren (exoterica, iganeQixa) Lehrgegenstände
(d. h. die gemeinen und allgemein fasslichen, für den all-
gemeinen Zuhörerkreis bestimmten, philosophischen Wissen-
schafts-Vorträge) , die andere umfasste die für den Zuhörer
bestimmten höheren Unterrichtszweige (acroatica, axQoarixa
[s. ioaneQixa]). 2. Die äusseren (exoterica) hatten zum
Zweck Einübung der Rhetorik, Ausbildung des scharfen
Denkens (i. e. Logik) und Kenntniss (der allgemeinen Moral
und) des Staatsrechtes. 3. Die «für (auserwählte) Zuhörer-
kreise bestimmten Unterrichtszweige wurden: höhere (axpoa-
T*xa, die subtilere Gelehrsamkeit betreffende) genannt, wobei
die tiefere und gründliche Kenntniss der Philosophie eine
Hauptrolle spielte, und Alles, was mit Betrachtung der Natur
und mit dialektischen Erörterungen in enger Beziehung stand.
4. Dieser für auserwählte Zuhörer berechneten Unterweisung,
welche ich mit dem Namen crKgoaniyta (acroatica) bezeichnete,
widmete er in seinem Lycium (Schulgymnasium) die Morgen-
zeit und er liess zu diesem Unterrichte nicht so ohne Wei-
teres Einen zu, wenn er seine geistigen Anlagen und den
Vorunterricht und den Fleiss und die Ausdauer im Lernen
nicht erst genauer Prüfung unterzogen hatte. 5. Allein jene
allgemeinen (äusserlichen) Vorlesungen (igwreQiTtag, auditiones)
und Sprechübungen veranstaltete er in den Abendstunden
an demselben Orte (des Unterrichts), und er stellte gewöhn-
lich der . Jugend ohne alle 'Auswahl den Besuch (dieser Lehr-
stunden) frei und nannte dies den Nachmittags- (oder Abend-)
Spaziergang (deihvov negl/tcerov) und jenes den Morgen-
Spaziergang (eiod-ivbv sc. ttbqlttcctov) \ denn zu beiden Tages-
zeiten pflegte er seinen Unterricht während des Spazierganges
zu ertheilen. 6. Auch seine Bücher, die beziehentlichen Er-
klärungsschriften seines ganzen Unterrichtsstoffes, theilte er
(noch) besonders ein, so dass die Einen hiessen: exoterici
(äusserliche Schriften, welche die gemeinen und allgemein
fasslichen philosophischen Wissenschaften vortrugen) und die
andern akromatische (für den Zuhörer bestimmte, esote-
rische, d. h. innere, geheime, welche die tiefer eindringende
Digitized by Google
XX. Buch, 5. Cap., § 7 - 10. (485)
Gelehrsamkeit zum Zweck hatten). 7. Als nun der König
Alexander erfahren hatte, dass von Aristoteles auch seine,
für höhere Unterrichtszwecke bestimmten Schriften heraus-
gegeben (und veröffentlicht) worden seien, entsandte der
grosse Feldherr, der zu dieser Zeit beinahe das ganze, von
den Waffen (des Kriegs) schwer heimgesuchte Asien inne
hatte und ausserdem selbst dem König Darius in sieggekrön-
ten Schlachten (noch) hart zusetzte, (nichtsdestoweniger) mit-
ten im höchsten Geräusche der Waffen einen Brief an den
Aristoteles (mit dem Bemerken), dieser habe durchaus nicht
recht daran gethan, dass er seine höheren Wissenschafts-
zweige, in denen er selbst von ihm unterrichtet worden sei,
nun durch öffentliche Herausgabe seiner Werke allgemein be-
kannt gemacht habe (und es heisst in dem Briefe) wörtlich:
8. „Denn in welcher Hinsicht werde ich mich nun noch vor
allen Anderen auszeichnen können, wenn das, was ich von
Dir gelernt habe, jetzt überhaupt Gemeingut Aller wird.
Denn ich will mich ja überhaupt lieber durch Weisheits-
kenntniss auszeichnen, als durch Macht und Reichthum.41
9. Aristoteles gab ihm eine Rückantwort des Inhaltes: „Er-
fahre, dass die akromatischen Bücher, über deren Herausgabe
Du Dich beklagst und bedauerst, dass sie nicht gerade so
wie Geheimnisse verborgen geblieben sind, (eigentlich) weder
als herausgegeben betrachtet werden können, noch auch als
nicht herausgegeben, weil sie ja doch nur Denen allein ver-
ständlich sind, die mich selbst gehört haben." 10. Die Original-
formulare von den beiden Briefen habe ich aus dem Werke
des Andronicus entlehnt und hier beigeschrieben. Beson-
deres Wohlgefallen fand ich aber in den beiden Briefen
an der überaus schlichten Schreibart von unübertrefflichster
Kürze [ ].
XX, 5, 7. S. Plutarch: Alexander cap. 7.
XX, 5, 10. Der Philosoph Andronicus aus Rhodos hat nach Plutarch
(Sulla 26) des Aristoteles Schriften von dem Grammatiker Tyrannion,
welcher Cicero's Kinder unterrichtete, gekauft und zu Rom zuerst bekannt
gemacht Strabo XV, p. 608 giebt ausführliche Nachricht über das
ungünstige Schicksal, welches die Schriften des Aristoteles und Theo-
phrast traf.
Digitized by Google
(486) XX. Buch, 5. Cap., § 11 — 13. — 6. Cap., § i.
11. Alexander dem Aristoteles Wohlergehen.
Du hast nicht wohl daran gethan, dass Du Deine akro-
matischen (für höhere Unterrichtszwecke bestimmten) Vor-
lesungen herausgegeben hast. Denn was habe ich dann
künftig vor den Anderen noch voraus, wenn die Lehren, in
denen ich unterrichtet wurde, nun Gemeingut Aller werden ?
Ich wünsche wenigstens lieber in den edelsten Wissen-
schaften (und Kenntnissen), als in Macht (und Ansehen)
Andere zu übertreffen. Lebe wohl.
12. Aristoteles dem König Alexander Wohlergehen.
Du schriebst mir wegen der akromatischen (mündlichen)
Vorträge und bist der Meinung, ich hätte sie geheim halten
sollen. So wisse denn, dass sie (zwar) herausgekommen
sind, und eigentlich doch auch (wieder) nicht herausgekom-
men sind. Denn verständlich sind sie doch nur Denen
allein, die mich gehört haben. Lebe wohl, König Alexander.
13. 'Bei den griechischen Worten: gvvetoi yag elatv (denn
verständlich sind sie) fragte ich mich, ob ich wohl für den
griechischen Ausdruck %wevoi eben auch nur (bei der latei-
nischen Uebertragung) ein lateinisches Wort gebrauchen
sollte, fand aber kein anderes entsprechendes dafür, als:
„cognobilis", was M. Cato im sechsten Buche seiner „Ur-
geschichte" geschrieben hat, wo es heisst: So, meine ich näm-
lich, sei die Auffassungsart verständlicher (cognobiliorem
[cognitionem esse]).
XX, 6, L. Es ist die Frage aufgeworfen und untersucht worden , ob es
richtiger sei, zu sagen: „habeo cnram vestri" (ich habe Sorge um Euch)
oder „vestrum**.
XX, 6. Cap. 1. Da ich als junger Mensch die Vorträge
des Apollinaris Sulpicius häufig besuchte, fragte ich ihn, unter
welcher Bedingung gesagt würde: „habeo curam vestri" (ich
XX, 5, 11. Aristoteles bezog vom Alexander einen Gehalt von 800
Talenten (= 700,000 Thlr.).
XX, 6, 1. Hier, zu Ende seines Werkes, lasst Gellius erst einen Vor-
trag des Sulpicius Apollinaris folgen, den er als junger Mensch mit an-
hörte. Er muss also die Vertheilung seines Materials willkürlich vor-
genommen und arrangirt haben. Vergl. die Bemerkung zu (II, 26, 1) dem
Vortrag des Fronto über Farben, den er in reiferen Jahren mit anhörte.
XX. Buch, 6. Cap., § 1. 2.
(487)
hege Sorge für euch) oder „misereor vestri" (ich fühle Mitleid
mit euch)? und wie ihm wohl der nicht gebeugte Fall (d. h.
der Nominativ) von „vestri" zu heissen scheine? 2. Dieser
ertheilte mir nun also darauf folgende Antwort : Du stellst da,
sagte er, eine Frage an mich, die ich mir selbst auch schon
öfters vorgelegt habe, denn es scheint in der That nicht
„vestri" heissen zu müssen, sondern „vestrum", wie ja auch die
XX, 6, 2. Nostri, vestri; nostrum, vestrum. Nostrum und
vestrum ist der Genitivus pluralis von nos und vos; nostri und vestri
aber der Genitiv von dem als Substantiv gebrauchten Neutro: nostrum
und vestrum.
Bei nostri und vestri denkt man a^o an einen unbestimmten Be-
griff, enthalten in dem Substantiv: nostrum und vestrum, dessen Pluralitat
man als ungetheiltes Ganze zu betrachten hat.
Bei nostrum und vestrum aber ist der Begriff bestimmt, wie bei
vos und nos, und die Pluralitat wird als aus einzelnen Subjecten zu-
sammengesetzt gedacht:
1) wenn durch das pronomcn der Singularis bezeichnet werden soll
(wo also auch nos statt ego steht), so steht auch der Genitiv im Singular,
z. B. vive nostri memor, lebe meiner eingedenk;
2) bei Verbis und Nominibus, wo an keine Theilung gedacht wird
und die Personen als Ganzes aufgefasst werden, steht nostri und vestri.
Wird dies von einer kirchlichen Gemeinde gesungen, so ist nicht jeder
Einzelne, sondern die ganze Gemeine als Eins gedacht und es geht dann
diese Fürbitte, als echt christlich, auf Alle zugleich. Bei miserere
nostrum wären die Personen einzeln gedacht, also : erbarme Dich unserer,
der Einzelnen;
3) wo an eine Theilung zu denken ist und die Personen also einzeln
gedacht werden, steht nostrum und vestrum. Man kann nicht sagen:
nemo nostri oder multi vestri, weil hier nicht an ein unzertrenntes
Ganze gedacht werden kann. Pars nostrum heisst ein Theil von uns,
d. h. mehrere Leute, und muss da gesetzt werden, wo diese Menge als
eine Vielheit gedacht wird; durch pars nostri aber wird ein Theil von
uns, d. h. von unserem Körper, von unserem Wesen angegeben, z. B.
Sen. quaest. nat II, 3: pars est nostri manus. nostrum und vestrum,
partitiv =■ inter nos, ex vobis. nostrum und vestrum (vom Pronom.
person.) wahrscheinlich zusammengezogen oder syncopirt aus nostrorum,
nostrarum und vestrorum, vestrarum, wie hier bei Gell. XX, 6, 12, welche
Formen bei Komikern auch noch für nostrum und vestrum vorkommen;
vergl. Gell. VI, 3, 16; VI, 19,5; XI, 10, 2; XII, 5, 7; aliquis nostrum (—ex
nobis) Einer von uns, mit Einschliessung unserer selbst; aliquis nostrorum
(ex nostris), Einer von den Unserigen, mit Ausschluss von uns (oder euch).
Liv. I, 55. Imperium summum Romae habebit, qui vestrum primus
(welcher unter euch zuerst) osculum matri tulerit! Cicer. Catilin. IV, 9, 19.
Digitized by Google
(488) XX. Buch, 6. Cap., §2 — 7.
Griechen sagen: im/uelovficu vpwv (ich trage Sorge um euch)
und wifiopat v^wv (ich kümmere mich um euch), und drückt
man (offenbar) an dieser Stelle vfitov geeigneter durch „vestrum"
aus, als durch „vestri", wovon der Nominativ, welchen Du den*
ungebeugten Fall nanntest, „vos" heisst. 3. Doch finde ich an
vielen Stellen nostri und vestri gesagt und nicht nostrum
oder vestrum. So sagt L. Sulla im zweiten Buche seiner
Geschichte (rerum gestarum libro II): „Wenn es irgend wie
möglich ist, dass ihr auch jetzt euch unserer erinnert (ut
etiam nunc nostri vobis in mentem veniat) und ihr über-
haupt glaubt, dass wir mehr euere Mitbürger als euere
Feinde zu sein werth sind und weit eher für euch, als gegen
euch zu kämpfen verdienet, so dürfen wir das weder unserem
eigenen, noch dem Verdienste unserer Vorfahren zuschreiben
(sondern haben das ganz allein euch und euerem guten Bei-
spiele zu danken)." 4. Terenz sagt in seinem Phormio
(I, 3, 20):
Ita plerique ingenio sumus omnes, nostri nosmet paenitet, d. h.
So sind wir Alle von Natur mit unserer Lage unzufrieden.
5. Afranius in seiner „togata (sc. fabula, d. h. in einem seiner
röm. Nationaldramen)" :
Nescio qui nostri miseritus tandem deus, d. h.
Nicht seh' ich ab, welch' eine Gottheit unsrer endlich noch
Sich soll erbarmen.
6. Ferner Laberius in seiner „ Necyomantia (Todtenbe-
schwörung)" :
Dum diutius retinetur, nostri oblitus est, d. h.
Weil er zu lang* zurückgehalten wird, hat unsrer er vergessen.
7. Es unterliegt keinem Zweifel, dass in allen den angeführten
Beispielen: nostri oblitus est (er hat unserer vergessen) und
nostri miseritus est (er hat sich unserer erbarmt) das „nostri"
in demselben Beugefall gesagt ist, den man in folgenden
Redensarten mit „meiu wiedergesagt findet: mei paenitet (ich
Habetis ducem memorem vestri, oblitum sui, ihr habt hier einen Führer
vor euch, der an euch Alle denkend, sich selbst dabei vergisst;
4) wo man die Sache sowohl als getrenntes Ganze, wie auch als un-
getrenntes denken kann, ist Beides statthaft, z. B. miserere nostri, als
Fürbitte auf Alle zugleich; miserere nostrum, auf Jeden von uns, jeden
Einzelnen.
Digitized by Google
XX. Buch, 6. Cap., § 7 — 12. (489)
bin mit mir unzufrieden), mei miseritus est (er hat Mitleid
mit mir gehabt) und mei oblitus est (er hat meiner vergessen,
nicht an mich gedacht). 8. Der auf die Frage „wessen?" be-
zügliche Beugefall, der von den Grammatikern sogenannte
Genitiv „mei" wird von dem Nominativ (des Pronomen subst.
personal.) „ego" abgeleitet, dessen Plural „nos" heisst. Gerade
so wird „tui" von „tu" abgeleitet, dessen Plural ebenso
„vosu heisst. 9. Gerade so hat Plautus in seinem „Pseudulus
(Lügenmaul, I, 1, l)u sich in folgenden Versen dieses Beuge-
falles (mei) bedient:
• -
Könnt' ich von Dir, dem Schweigenden, erfahren, Herr,
Was für ein Kummer so erbärmlich an Dir nagt,
Ich sparte zweien Menschen die Beschwerde gern (labori - parsissem) :
Mir (mei), Dich zu fragen, und Dir (tis = tui), zu erwiedern mir.
Mei te rogandi et tis respondendi mihi.
Der Genitiv „mei" kommt in dieser Stelle bei Plautus nicht
von (dem Pron. possessiv.) „meus" her, sondern von (dem
Pronom. personal.) „ego". 10. Im Fall Du also Dich der
Redensart bedienen willst: „pater mei" (Vater von mir) für
„pater meus" (mein Vater), gerade so wie die Griechen sagen :
6 JTcmye fiov, so wirst Du Dich zwar etwas ungewöhnlich, aber
allerdings sprachrichtig und ganz in der Art ausdrücken, wie
Plautus gesagt hat: „labori mei", der Mühe von meiner Seite,
für „labori meo" (meiner Mühe oder Beschwerde). 11. Dieselbe
Regel gilt auch beim Plural, wonach Gracchus (ganz richtig)
gesagt hat: „misereri vestrum" (Mitleid haben mit euch) und
wonach M. Cicero (pro Plane. 6, 16 und 7, 17) gesagt hat:
„contentio vestrum" (Wettstreit unter euch) und „contentione
nostrum" (durch den Streit unter uns); feiner auf gleiche Art
hat sich auch Quadrigarius im elften Buche seiner Annalen
wörtlich so ausgedrückt: „Wann, C. Marius, wirst Du wohl
Mitleid haben mit uns und mit dem Staat (te nostrum et
reipublicae miserebitur) ?" Was mag also wohl die Ursache
gewesen sein, dass (in den oben angeführten Stellen) Terentius
gesagt hat: „paenitet nostri" und nicht „nostrum" und Afra-
nius: „nostri miseritus est" und nicht „nostrum"? 12. Ich
wtisste, sagte Sulpicius Apollinaris, wahrhaftig deshalb keinen
anderen Grund aufzufinden, als der langbestehende, alte
Sprachgebrauch, der es nie allzuängstlich nahm und nicht
Digitized by Go
(490) XX. Buch, 6. Cap., § 12 — 15. — 7. Cap., § 1. 2.
eben jedes Wort genau überlegte. Denn so findet man auch
sehr oft noch „vestrorum" für „vestrum" vor, wie z. B. in
des Plautus „Hausgespenst (Mostellaria I, 3, 123 [279]), in
folgendem Verse:
Verum illud esse maxima adeo pars vestrorum intelligit, d. h.
Wahr ist's, der grösste Theil von euch weiss das sogar,
da er doch nichts Anderes sagen wollte, als „maxima pars
vestrum"; so steht auch „vestri" bisweilen für „vestrum".
13. Aber ohne Zweifel wird Jeder, der vollkommen sprach-
richtig sich ausdrücken will, vielmehr „vestrum*1 sagen müssen,
als „vestri". 14. Und deswegen muss man es als ein höchst
ungeschicktes Verfahren von Denen bezeichnen, welche in
sehr vielen Ausgaben des Sallust die ganz richtige Lesart
(„vestrum" durch ihre Correctur in „vestri") verdorben haben.
Denn da die Stelle in seinem Catilina (33, 2) so lautete:
„Oft haben die Vorfahren von euch (majores vestrum) sich
des römischen Volkes erbarmt," so strichen sie das „vestrum"
aus und schrieben „vestri" darüber. Daher hat sich in
manche Ausgaben der Zuwachs (indoles) dieses (allgemein
gebräuchlichen Sprach-) Fehlers eingeschlichen. 15. Diese
gegen mich ausgesprochenen Bemerkungen des Apollinaris
habe ich mir wohl gemerkt und sie damals gleich, nachdem
ich sie gehört hatte, aufgeschrieben.
XX, 7, L. Ueber die Verschiedenheit der Angaben in Bezug auf die
Anzahl von Niobe's Kindern.
XX, 7. Cap. 1. Wunderlich und fast lächerlich ist der
Widerspruch , der sich bei den griechischen Dichtern in der
Sage findet über die Angabe der Anzahl von Niobe's Kindern.
2. Denn Homer sagt, dass die Zahl ihrer Knaben und Mäd-
chen zweimal sechs (also zwölf) gewesen sei (Horn. H. 24, 603) ;
Euripides giebt (Phoen. 159) ihrer zweimal sieben (also vier-
zehn) an; Sappho zweimal neun (also achtzehn); ferner Bac-
chylides und Pindar zweimal zehn (also zwanzig); einige andere
Schriftsteller aber behaupten, dass es im Ganzen nur drei
gewesen seien.
XX, 7, 1. S. Aelian. vermischte Erzähl. XII, 36; Apollo dor. III, 5, 6.
Digitized by
XX. Buch, 8. Cap., § 1 — 7.
(491)
XX, 8, L. Von der zusammentreffenden Beeinflussung (ov/LinT(oo(cc) des
wechselnden und abnehmenden Mondes auf einige Dinge.
XX, 8. Cap. 1. Der Dichter Annianus pflegte die Zeit
der Weintraubenlese gewöhnlich auf seinem Landgute, welches
er im faliscischen Gebiete (in Etrurien) besass, heiter und
ergötzlich zu verleben. 2. Während dieser Zeit lud er mich,
sowie auch einige andere Freunde zu Gaste (zu sich ein).
3. Als wir nun auch eines Tages bei ihm zu Tische waren,
kam von Rom eine grosse Menge Austern an. Als man sie
aufgetragen hatte und es zwar viele, aber nicht (alle) voll
und nur mager waren, sagte Annianus, das ist ganz natürlich,
der Mond ist jetzt abnehmend. Daher ist auch die Auster,
sowie noch einige andere Dinge, mager und ausgesogen.
4. Als wir weiter fragten, welche andere Dinge auch noch
mit abnehmendem Monde schwänden, sagte er, erinnert ihr
euch denn nicht des Ausspruches von unserem Lucilius, der
da lautet:
Austern nähret der Mond, er füllet die Igel des Meeres,
Mehret dem Vieh und den Mäusen die Därme.
5. Alle diese Dinge aber, welche bei zunehmendem Monde
fett werden (gliscunt), nehmen nun eben auch bei abnehmen-
dem Monde wieder ab. 6. Auch die Augen der Katzen (aelu-
rorum oculi) verändern sich je nach dem Mondwechsel und
werden deshalb entweder weiter oder kleiner. 7. Noch viel
wunderbarer ist aber die Bemerkung, welche ich bei Plutarch
im vierten Buche seines Commentars zum Hesiod las: Die
Zwiebel grünt, keimt und schiesst hervor bei abnehmendem
Monde, dagegen bei zunehmendem trocknet sie ein. Das
soll auch die Ursache sein, wie die ägyptischen Priester be-
XX, 8, 1. Titus Annianus, lebte unter Hadrian und war Ver-
fasser von Fescennien. S. Bernhardy röm. Lit. 92, 436.
XX, 8, 4. Vergl. Horat Sat. II, 4, 30.
XX, 8, 5. Vergl. Plin. II, 41, 2 u. IX, 50, 3. — gliscere, von
glis, L e. Haselmaus, ein Thierchen, welches den ganzen Winter über
schläft und dann fetter ist. Martial. XIH, 59; Seyfert. lat. Gramm.
§ 1598.
XX, 8, 6. «rkovQos, Kater. S. Hygin. astron. II, 28 u. Juvenal. 15, 7.
Digitized by Google
(492) XX. Buch, 8. Cap., §7.-9. Cap., § 1-4.
haupten, weshalb die Pelusioten die Zwiebel nicht ge-
ni essen, weil sie allein unter allen Gemüsen (und Küchen-
kräutern) dem entgegengesetzten Wechsel des Abnehmens und
Zunehmens unterworfen ist, zuwider (lern Zu- und Abnehmen
des Mondes.
XX, 9, L. An welcher Art von Ausdrücken Antonius Julianus sich zu
ergötzen pflegte, die in den mimischen Gedichten standen, welche Cn.
Matius in Betreff seiner Unbescholtenheit und Uneigennützigkeit verfasste,
wo er die Redensart gebraucht: numquam vestimenta a populo posci
(niemals Kleider vom Volke fordern).
XX, 9. Cap. 1. Antonius Julianus versicherte, sein Ohr
werde durch die neuen Wortbildungen des gelehrten Cn. Matius
ausserordentlich ergötzt und angenehm berührt; 2. als der-
gleichen bezeichnete er auch die, welche er uns aus dessen
Mimiamben anführte:
Sinuque amicam refice frigidam caldo
Columbulatim labra conserens labris, d. h.
Und die erstarrte Geliebte am heissen Busen zu neuem Leben erweck',
Nach Täubchenart heftend Lipp' an Lippe.
3. Ebenso erwähnte er auch folgende angenehme und feine
Wortbildung :
Iam tonsiles tapetes ebrii fuco,
Quos concha purpura imbuens venenavit, d. h.
Nun auch geschorne Teppiche über und übervoll von rother Farbe,
Welche die Purpurschnecke benetzend mit Purpur gefärbt hat [ ]
4. [Desgleichen auch jenes:
Dein coquenti vasa cuncta dejectat;
Nequamve scitamenta pipulo poscit, d. h.
D'rauf vor die Füsse wirft dem Koch er alle Schüsseln
Fordert aber trotzdem dann noch unter Schimpfen Leckerbissen, dieser
Nichtsnutz.]
XX, 8, 7. Zwiebel. S. Plutarch. über Isis und Osiris 8. — Pelu-
sio ten (d. h. Koth freunde). Pelusium, grosse ägyptische Stadt, an einer
der Nilmündungen, erbaut von Peleus, Vater des Achilles, und durch ihre
Linsen und Linnen berühmt; Schlüssel Aegyptens von Osten her. Der
Ortsname, Pelusium, d. h. Kothstadt, beruht theils auf der Anspülung des
Nilschlammes, theils, dass es mitten in Sümpfen und Morästen liegt Im
A. T. heisst sie Sin, jetzt: Tineh.
XX, 9, i. TJeber Antonius Julianus s. Gell. I, 4, 1 NB.
XX, 9, 3. Hier findet dem Lemma nach eine Lücke statt
Digitized by Gc«
XX. Buch, 10. Cap., § 1—4. (493)
XX, 10, L. Was die Formel (Redensart) zu bedeuten hat: ex jure manum
consertum (d. h. [Aufforderung streitender Parteien], um auf dem Wege
Rechtens [gegenseitig] anzulegen die Hand, nämlich an den streitigen
Gegenstand).
XX, 10. Cap. 1. Die Worte: ex jure manum consertum
(um nach Rechtsgebrauch [gegenseitig] anzulegen die Hand)
stammen noch aus den alten Rechtsklagen her und werden
noch heutigen Tages von dem Praetor gebraucht (quum lege
agitur, d. h.) wenn die gerichtliche Eigenthumsanspruchs- Ver-
handlung nach einer (gewissen) gesetzlich bestimmten Verfah-
rungsart (der legis actiones) beginnt und die Klagver-
folgung wegen Behauptung des Eigenthums angestrengt wird.
2. Ich erkundigte mich einst zu Rom bei einem Gramma-
tiker, einem Manne, der in aller Munde und eine grosse
Berühmtheit war, was die Bedeutung dieser Worte sei. Dar-
auf hin sah mich dieser (Gelehrte) mit verächtlichem Blicke
an und sagte: Du bist entweder im Irrthume, junger Mann,
oder erlaubst Dir einen Scherz, denn wisse, ich ertheile Unter-
richt (zwar) in der Sprachwissenschaft, aber ertheile nicht
Rechtsbescheide. Hast Du mich also- etwas zu fragen über
Vergil, Plautus, Ennius, nur zu, so frage immerhin. 3. Ge-
rade aber aus Ennius, sagte ich, sind die Worte, lieber Doc-
tor, worüber ich Dich frage, denn Ennius hat sich dieser Worte
bedient. 4. Als nun jener höchlichst verwundert war und be-
XX, 10, L. Ex jure manum conserere. Kunstausdruck zur Bezeich-
nung des (scheinbaren) symbolischen Gewalt actes, den die streitenden
Parteien unter sich vornahmen, zur Behauptung des Eigenthumsrechtes
an einer Sache. S. Heinecc. Ant R. IV, 6, 24 p. 681 edit. Haub.; W. Rein
röm. Privatrecht S. 461 folg.; Savigny Zeitschrift für gerichtl. Rechtsw.
Bd. III, H. 3 p. 421.
XX, 10, 1. Die legis actiones (vergL Gajus Instit IV § 11 ff.)
waren die nach ältestem Recht gesetzlich bestimmten Verfahrungsarten für
die Verfolgung von Rechtsansprüchen. — Vergl. Pompon. in enchirid. jur.
Digest. Hb. I, tit. 2. 1. 2 § 6; desgl. Hugo Lehrb. der Gesch. des röm.
Rechts 8. 308 fg. (XI. Aufl.); Bethmann- Hollweg Civilprozess S. 5 ff.;
Rudorff röm. Rechtsgesch. U S. 75 ff.; v. Keller „d. röm. Civilprozess
8. Aufl. S. 46 ff.
XX, 10, 1. Cic. pro Mur. 12, 26; 14, 30.
XX, 10, 2. Vergl. Gell. XIU, 20, 1; XVHI, 4, 1; XIX, 7, 2; XIX,
10, lff; XIX, 13, 1; Teuffels röm. Lit. Gesch. 353, 1.
Digitized by Google
(494) XX. Buch, 10. Cap., § 4-7.
hauptete, dass diese Worte den Dichtern ganz fern lägen,
am allerwenigsten aber in den Gedichten des Ennius zu fin-
den sein könnten : da nun sagte ich folgende Verse aus dem
achten Buche der Annalen (weil ich doch das Buch nicht zur
Hand hatte) aus dem Kopfe her, denn ich hatte sie mir, als
besonders auffallend, vor anderen zufällig gemerkt; sie lauten :
Pellitur e medio sapientia, vi geritur res;
Spernitur orator bonus, horridus miles amatur.
Haut doctis dictis certantes nec maledictis,
Miscent inter sese inimicitias agitantes.
Non ex jure manum consertum, sed magis ferro
Rem repetunt regnumque petunt, vadunt solida vi, d. h.
9 (Wenn der Schlachtruf ertönt)
Scheucht aus dem Kreis man die Weisheit fort: es entscheidet Gewalt nur;
Nichts gilt der Redner, der gute, geliebt wird der Krieger, der rauhe;
Nicht in gelehrten Lehren, vielmehr in Schmähungen eifernd,
Mischen erbitterten Herzens sie unter sich Hader und Feindschaft.
Nicht nach dem Recht anlegend die Hand, nein trotzend dem
Schwertstahl,
Fordern Ersatz sie und Herrschaft und treten mit roher Gewalt auf.
5. Als ich diese Verse des Ennius hergesprochen hatte, sagte
der Grammatiker, nun glaube ich Dir schon. Allein Du
kannst auch mir nun glauben, dass Ennius nicht aus Dich-
tungswerken diese Ausdrucksweise gelernt (und entlehnt hat),
sondern von irgend einem Rechtsgelehrten. Geh also auch
Du dahin und hole Dir Rath darüber aus der Quelle, woher
sich Ennius Raths erholte. 6. Ich folgte nun also dem Rathe
dieses Lehrmeisters, der in Bezug Dessen, was er mir eigent-
lich selbst hätte sollen erklären können, mich dahin verwies,
wo (er wusste, dass) ich mir sicher würde Auskunft holen
können. Ich glaube daher, dieser Aufsatzsammlung Dasjenige
beifügen zu müssen, was ich von Rechtsgelehrten und was ich
aus deren Büchern in Erfahrung gebracht habe, weil (ich
deutlich fühle, dass) die, welche noch mitten im Getriebe der
Welt und Menschen leben, durchaus nicht unbekannt sein
dürfen mit dem bei Civilsachen sehr häufig vorkommenden
Gerichtsausdruck (manum conserere, d. h. [gegenseitig] Hand
anlegen). 7. Denn einen an Ort und Stelle vorliegenden
Gegenstand, über den gesetzlich (gerichtlich) gestritten wird,
sei es ein Acker, oder sonst etwas Anderes, mit seiner Gegen-
partei zugleich mit der Hand anfassen und an dem Gegen-
Digitized by Google
"I
XX. Buch, 10. Cap., § 7-9. (495)
stand nach Fug und Recht mit der vorgeschriebenen, feier-
lichen Formel Anspruch erheben, das heisst man: vindicia
(d. h. gerichtliche Beanspruchung oder Inanspruchnahme).
8. Das Anfassen mit der Hand an dem betreffenden Gegen-
stande und Orte geschah in Gegenwart des Praetors in Folge
des Zwölftafelgesetzes, wo also geschrieben steht : „si qui in
jure manum conserunt, d. h. wenn die betreffenden (Parteien)
nach altem Formularprocess zur Eröffnung des Eigenthums-
processes) an Gerichtsstelle Hand anlegen (sc. an eine Sache)."
9. Als aber später die Prätoren nach der Erweiterung der
italischen Gebietsgrenzen (nach Ausdehnung ihres Gerichts-
sprengeis, d. h. ihres amtlichen Geschäftskreises) durch Ueber-
häufung der in ihrer Civilgerichtsbarkeit vorkommenden Pro-
cesse zu sehr in Anspruch genommen waren und es (dieser
ihrer Geschäftsüberhäufung halber) mit grossen Schwierigkeiten
verknüpft war, wegen (Entscheidung von) Eigenthumsrechts-
ansprüchen weitläufige Reisen zu unternehmen, so wurde die
Bestimmung getroffen, obgleich im Widerspruch mit der nach
den Zwöltafelgesetzen (ursprünglich herrschenden Sitte), jedoch
nach gegenseitig stillschweigender Uebereinkunft (der Partein),
dass die Streitenden nicht vor Gericht (in jure) in Gegenwart
des Praetors durch Handanlegen den Eigenthumsprocess er-
öffneten (d. h. zu eröffnen brauchten), sondern sich aufforderten,
nach Rechtsbrauch (ex jure auch in Abwesenheit des Praetors)
die Hand anzulegen (an das Streitobject), d. h. der Eine rief den
Anderen im Wege Rechtens (ex jure) auf zur Handanlegung
an den streitigen Gegenstand und so begaben sich (deshalb)
die beiden Parteien nun zusammen (allein und ohne den Praetor
nach dem streitigen Grundstück hin, etwas Erde davon, als
wie (ohngefähr) eine Scholle (oder eine Hand voll zu holen
und) nach der Stadt vor Gericht zum Praetor zu bringen und
an dieser (Handscholle, d. h.) Hand voll Erde gleichsam wie
XX, 10, 7. Die Verfolgung eines Rechtsanspruches hiess vindicatio,
d. h. Gewaltankündigung.
XX, 10, 9. Cic. ad Div. VII, 13. Die streitenden Parteien gingen
auf den Acker, um welchen der Streit entstanden war, und brachten davon
eine Hand voll Erde mit zum Richter, worüber gerade, wie über den
ganzen Acker, so lange gestritten wurde, bis einem Jeden das Seine wieder
zuerkannt worden war.
*
Digitized by Google
(496) XX. Buch, 10. Cap., § 9. 10. - 11. Cap., § 1.
um das ganze Grundstück, um den ganzen Grundbesitz (den
symbolischen, feierlichen Streit der Besitzergreifung zu begin-
nen und) ihre Rechtsansprüche zu begründen. 10. Wenn da-
her En nius anzudeuten beabsichtigt, dass man nicht, wie es
wohl sonst gebräuchlich war, in Gegenwart des Praetors, durch
die (althergebrachten) gesetzlichen Rechtsmittel, auch nicht
(durch das neuaufeekommene Verfahren), um auf dem Wege
Rechtens (ex jure, in Abwesenheit des Praetors) Hand anzu-
legen (sc. agi oder rem repeti d. h. jetzt sich zu seinem Rechte
zu verhelfen pflegt und so das gesetzliche Eigentumsrecht
an einer Sache sich zu erwerben sucht), sondern (auf ganz
ungesetzlichem Wege) durch Krieg und Schwertstreich und
durch offenbare und rohe, handfeste Gewalt [ ];
was er scheint gemeint zu haben, wenn er jenen bürgerlichen,
in Privatprocessen und bei der Sklavenfreilassung (vim— fe-
stucariam, scheinbaren, symbolischen) Gewaltact, welcher
nur den Namen nach (vindico = vim dico i. e. drohe Ge-
walt an, und der Ceremonie wegen) und welcher nicht wirk-
lich mit der Hand vollzogen wurde, vergleicht mit der (an-
deren) kriegerischen, selbst Blut nicht scheuenden, wirklichen
Gewaltthätigkeit.
XX, 11, L. Was das bei M. Varro vorkommende Wort: „sculna" zu
bedeuten habe.
XX, 11. Cap. 1. P. Lavinius hat ein Buch verfasst,
welches vielen Fleiss verräth und die Ueberschrift führt: „über
XX, 10, 10. Bei Cic. ad Div. VII, 13 sagt Ennius: (ich höre) man
entscheidet bei euch die Händel über Mein und Dein viel lieber mit
dem Degen, als durch Formeln, d. h. durch einen ordentlichen, gesetz-
massigen Prozess. Savigny röm. Rt Bd. V p. 61. Arten der Klagen sind:
actiones civiles , honorariae. Hier die legitimae actione.? sind die alten
legis actiones. Die civiles actiones haben eine legitima oder civilis causa,
d. h. einen im Civilrecht anerkannten Rechtsgrund. Die honorariae waren
von den Praetoren oder Aedilen in Kraft ihrer Juris dictionsbefugnisse
eingeführt. — Vis festucaria. Festuca (Grashalm) Freiheitsruthe, war
ein Stäbchen, womit der Praetor den Sklaven berührte, der frei erklärt
werden sollte.
XX, 11, L. Sculna syncopirt aus seculna Sequester, i. e. Schieds-
richter.
XX, 11, 1. P. Lavinius s. Macrob. Sat ni, 8. Vergl. Bernh. röm.
Digitized by
XX. Buch, 11. Cap., § 2—5.
(497)
niedrige Ausdrücke (de verbis sordidis)". 2. Darin schreibt er,
dass „sculna" (synkopirt) gewöhnlich gesagt werde für „se-
culna", wofür die, welche sich gewählter ausdrücken, das
Wc\rt „Sequester" gebrauchen. 3. Beide Wörter sind aber
(offenbar) von „sequor" abgeleitet, was soviel heissen soll,
dass beide Theile vertrauensvoll der Vermittlung des erwählten
Schiedsrichters folgen. 4. Dass sich das Wort „sculna"
aber im „Intelligenzblatt (in logist orico)" des M. Varro ge-
schrieben findet (in dem Abschnitt), welcher den Titel führt:
„ ,atus (oder über Kinderzucht) u, darüber belehrt uns dieser
P. Lavinius ebenfalls in seinem Buche. 5. Was aber (bis nach
erfolgtem Streitaustrag) bei einer Mittelsperson (Sequester)
zur Verwahrung niedergelegt wird, dafür brauchte man (von
der Substantiv - Form : sequestrum, den Dativ) sequestro als
Adverbium und sagte so: sequestro (zur Verwahrung, ver-
wahrungshalber) positum (niedergelegt). Cato sagt „im Be-
treff des Ptolemaeus gegen Thermus" : „bei den unsterblichen
Göttern, wollet (euch) nur ja nicht und . .
Lit 59, 240. Nur in traulicher Correspondenz (wie in Cicero's Briefen),
oder in einer drolligen Spielart, wie die Satura Menippea des M. Varro
war, vernahm man dergleichen verba sordida. Vergl. Gell. XV, 80, 2 NB.
8. Teuffels röm. Lit. Gesch. 338, 6.
XX, 11, 4. Logistoricum (loyioioQixtv), Witz-, Intelligenz - Blatt.
Eine verloren gegangene Schrift des M. Varro, scharfsinnige Gedanken
und merkwürdige Anecdoten enthaltend. Fr. Ritsehl : „Die Schriftstellerei
des M. Terentius Varro" sagt p. 543 : logistorici, philosophische, namentlich
ethische, jedoch mit einem reichhaltigen Beiwerk historischer Belege
durchwirkte und mehr populär als systematisch gehaltene Discurse —
Catus aut de liberis educandis, i. e. Catus oder über die Kindererziehung,
s. Gell. IV, 19, 2. Vergl. Gell. IV, 19, 2 NB in Teuffels röm. Literatur-
geschichte.
Gell i n h , Attische Nächte. U.
32
Verbesserungen und Nachträge.
I. Band.
S. V, Z. 18 v. u. L Plautus.
S. XIV, Z. 6 v. u. 1. eines Ludwig Mercklin.
S. 2, Z. 12 v. u. I. epistulae morales.
S. 3, Z. 12 v. o. 'Eltxwv, der Musenberg.
S. 3 — 4, Anmerk. naQ^ya vom Dichter L. A. Accius. [M. Hertz.]
S. 4, Z. 5 v. u. L Laertius.
S. 5 zu § 12 Anmerkung ist das Doppelcitat so zusammenzuziehen:
Mus. der A. W. S. 313 — 583. Ausführlicher darüber: Schuster in act.
societ. philol. Lips. Bd. HL
S. 11, Z. 16 v. u. L Titus Antoninus; desgl. S. 43, Z. 1 Anm. v. u.
S. 12, Z. 1 v. u. L Cic. de div. II, 4.
S. 14, I, 2, 8 NB L Horn. Odyss. IX, 39.
S. 15, I, 2, 10 NB sind die Worte nach [Länder] zu streichen und
dafür zu setzen: vergl. Gell. XV, 23; XVII, 21, 3.
S. 25, Z. 23 y. u. 1. ßrjTOQtxij.
S. 30, I, 5, L. NB 1. Paeania.
S. 31, Z. 7 v. u. L erlangte.
S. 33, Z. 1 v. u. 1. Sext Empir. adv. Mathem. II cap. 12 (ed. Fabr. 291);
cap. 49 (p. 299); cap. 68 (302); vergl. cap. 36 (297).
S. 37, Z. 5 v. u. L Publius Syrus und Cn. Matius.
S. 42, Z. 18 v. o. 1. Gnomonik.
8. (46-) 47, Z. 1 v. o. L [ruhig] gestimmt.
S. 47, I, 11, 5, Z. 18 v. o. L Argiver.
B. 53, Z. % v. o. 1. e patris potestate.
S. 58, Z. 22 v. o. 1, 13, 11 e. Mylattenser oder Mylassenser. [M.IIertz.]
S. 59, I, 14, L. 1. Fabricius Luscinus; desgl. S. 60 und 239.
S. 62, €qxos ocforrwj', d. h. Zahngitterreihe, als genitiv. explicativus
zu fassen, mit Bezug auf ein Gedicht Solons [Bergk poet. lyr. Graec.
Solon. eleg. 27 an Kritias], wo er von der jüngsten Kindheit als einer
Zeit spricht, wo man die Zähne wieder verliert.
S. 68, I, 17, 1 Xanthippe; desgl. S. 69.
S. 71, I, 18, 2 NB Z. 4 v. o. 1. experientiam.
S. 73, I, 19, 3 Ammian. Marcell. XXIII, 3 [von- den cumanischen
Büchern].
Digitized by Google
Verbesserungen und Nachträge. I. Band.
(409)
S. 79, I, 22, 4 NB Z 3 L II, 18, 7 NB.
S. 80, I, 22, 7 Anm. L de jure c.
S. 99, Z. 5 v. u. 1. intenderetur.
S. 101, II, 4, 3 Anm. Gavius (oder Gabius) ßassus schrieb mindestens
sieben (Gell. XI, 17, 4) Bücher de origine verborum et vocabulorum
(Gell. XI, 4, 3 ff.; III, 19, lf.; V, 7), ferner de verborum significatione
(Macrob. Sat. III, 18, 2), commentarii (Gell. III, 9, 1; Iü, 18, 3 f.), de diis
(Macrob. Sat. I, 9, 18; vergl. Iü, 6, 17; Lydus de mens. IV, 2; Quinctil.
Inst. I, 6, 36 und Lactant. Inst div. I, 22, 9). Da er nach Gellius III, 9, 8
das sejanische Pferd noch zu Argos sah, dessen letzter Eigenthümer C.
Cassius im J. 711/42 den Tod fand, so scheint er dieser (oder spätestens
der augusteischen) Zeit anzugehören. S. Kretzschmer, de fönt Gell. p. 99 f.
Kr muss also vor Quinctilian gelebt haben und kann daher nicht der von
Plinius Ep. ad Traj. 21 f. und 86 erwähnte Statthalter von Pontus unter
Trajan sein. (Macrobius nennt ihn nirgends Statthalter von Pontus.) Vergl.
auch 0. Jahn's Persius S. 213 nebst S. XXVIII f. NB 1.
S. 106, Z. 18 v. o. nach Vergil einzuschalten: (Aen. VI, 438).
S. 107, Z. 28 v. o. rutulisch.
S. 113, Z. 2 v. u. 1. Tertullian, de anima üb. cap. 42 (Vol. IV p. 300
ed. Semler).
S. 117, II, 12, 1. S. K. Fr. Göschel, Zerstreute Blätter IL Theil
S. 212. Schleusingen 1835.
S. 120, II, 13, 5. Im J. 133/621; s. Plut Tib. Gracch. 13; Appian
b. civ. I, 14.
S. 125, Z. 4 v. u. 1. Sulpicius.
S. 127, Z. 1 v. u. 1. Diomedcs, art. grammat lib. II. de accentibus
p. 428 P. [p. 433, 15 Keil.]
S. 140, Z. 6 v. u. 1. Actium.
S. 141, II, 22, 28 s. Historie. Rom. rell. von H. Peter I p. 80 (93);
Apul. de mundo 14; cfr. Senec. quaest nat V, 17, 5; Strabo I, 2 p. 29;
Plut Sert. 17; ferrareae s. Liv. 34, 21, 7.
S. 149, II, 24, 3, Z. 23 v. u. 1. ftey«X>].
S. 154, n, 26. S. K. Fr. Göschel, Zerstreute Blätter II. Th. S. 212.
Schleusingen 1835.
S. 160, Z. 2 v. u. 1. XafMQov.
S. 161, Z. 19 v. o. 1. ttrjltoif).
S. 174, Iü, 2. S. K. Fr. Göschel, Zerstreute Blätter II. Th. S. 215.
Die Römer lebten nicht nach abstracten mathematischen Stunden von
gleicher Länge und Zeitdauer, sondern nach den Stunden, wie sie die
Zeit bescheert; s. Göthe XXVII, 70 ff. über die neuere römische Zeit
S. 178, Z. 8 v. o. 1. coemptione.
S. 181, Z. 17 v. o. 1. Scrattae.
S. 182, III, 3, 10. S.Rhein. Mus. Neue Folge V. Jahrg. S. 216-227:
Dossenus und Plautius, zwei erdichtete röm. Komiker v. F. Ritter. 1846.
S. 184, Z. 10 v. o. 1. Dass man nicht ganz alte Leute, aber selbst
auch Männer des mittleren Lebensalters [ohne Bart] vorgestellt sieht.
S. 184, HI, 4, 3 NB 1. P. Ticinius Mena.
32*
Digitized by Google
(500)
Verbesserungen und Nachträge. L Band.
S. 192, Z. 22 v. o. L narbonischen.
S. 198, Z. 9 v. u. 1. wie überhaupt besser, immer: Pythagoreer.
S. 210, Der lat. Vers nach Horn. Oriyss. II, 99.
S. 211, III, 16, 13 u. NB 1. Attius und Tettius. [Martin Hertz.)
S. 214, in, 10, 23 NB 1. Masurius.
S. 218, S. Göschel: Zerstreute Blätter II. Th. S. 213.
S. 224, IV, f, 20 NB 1. Aelier.
S. 235, IV, 5, 4. In area Volcani s. Fest. 290.
S. 236, IV, 6, 2. Im J. 655/99 v. Chr. A. Postumius (AlbinusJ.
S. 238, IV, 7, 3 NB. Vergl. Dr. Laur. Lorsch: Ueber den Scipio des
Ennius Rhein. Mus. V. Jahrg. 1836, S. 420.
S. 239, IV, 8, 1 NB 1. Luscinus.
S. 248, IV, 11, 7 1. von einigen älteren Leuten, der Zeit des Pytha-
goras etwas näher stehend. [Martin Hertz.]
S. 249, IV, 11, 8 1. st („Leben und Treiben des Pythagoras:)
„llv&ayoQtinvoa [Pythagorasblaustrumpf Vergl. Juvenal VI, 434 ff. und
Pers. Sat. prol. 14: peiaseium melos, d. h. Elsterdicht'rin Singsang. Schon
damals gab es Damen, welche Elegien strickten, Dramen nähten und Epen
spannen [W. S. Teuffel].
S. 249, Z. 10 v. o. tilge (man).
S. 250, IV, 11, 4 NB Pythagoras. Vergl. Tertullian. de anima lib.
cap. 28 (vol. IV, 273 ed. Semler).
S. 255, IV, 16, 2 1. Ejus anuis causa, opinor, etc.
S. 258, Z. 1 v. o. 1. Praeposition.
S. 260, IV, 18, 3 NB, Z. 2 1. Aurel. Vict. de vir. ill. 49, 17.
S. 263, Zum Stammbaum der Seipionen ist einzuschalten : P. Cornelius
Scipio Africanus (Sohn des Africanus prior), ebenfalls grosser Redner (s.
Cic Brut. 20), augur und aedilis curulis (s Vellej. I, 10), schwächlichen
Körpers, adoptirte den Sohn des L. Aemilius Paulus.
S. 276, Z. 24 v. o. § 12 1. fidem.
S. 294, V, 13, 6 s. Plut. Caesar 2 steht: Junius statt Juncus.
S. 298, Z. 3 v. o. tilge (geworden).
S. 298, V, 15, 2 s. Sext. Emp. Pyrrh. hypotypos. III, 6, 38; Tertull.
de anima lib. cap. 5 (vol. IV p. 218 ed. Semler).
S. 300, NB Z. 9 v. u. 1. stereoskopische.
S. 313, V, 21, 6. S. Peter: Hist. R. rell. I, 236 NB 90. Ex Sinnio
Capitone has auctoritates translatas esse a Gellio suspicatus est Hertz:
Sinn. Cap. p. 17.
S. 319, Z. 16 § 5 1. cum pectore.
S. 321, VI, 3, 1 NB, Z. 6 v. o. 1. Kynoskephalae.
S. 323, Z. 2 v. u. 1. 4. und 5. Dekade.
S. 346, Z. 4 v. o. 1. tendo.
S. 355, Z. 1 v. o. 1. peripatetisch ; desgl. 356 u. ff. Peripatctiker.
S. 356, IV, 14, 10 1. Die des Diogenes massvoll und besonnen.
S. 358, Z. 14 v. o. 1. Tartessus; — Z. 19 v. o. 1. Thasus.
S. 362, Z. 3 v. u. 1. Bestätigung.
Digitized by
Verbesserungen und Nachträge. L u. II. Band. (501)
S. 362, VI, 18, 2 1. Cic offic. I, 13 u. s. w.; vergl. Zonar. IX, 2
p. 201 Bon. und Peter: Hist R rell. I p. 45.
S. 372, VII, 1, 1, Z. 3 v. o. ! und auch nicht, dass des Menschen
Schicksale durch u. s. w. — Z. 4 v. o. tilge (nicht).
S. 390, Z. 6 v. o. 1. Megarenser.
S. 392, Z. 5 v. o. 1. wollen wir da bei allen (den anderen) pp.
S. 401, Z. 3 v. u. 1. starb 527 v. Chr.
S. 403, VIII, 1, L., Z. 10 v. o. 1. noctu futura.
S. 405, VIII, 11, L. 1. Xanthippe.
II. Band.
S. 9, Z. 8 v. o. 1. erklärlichen.
S. 13, Z. 3 v. o. 1. peripatetisch.
S. 13, Z. 7 v. o. § 7 1. Plato (im Philebos) hat etc.
S. 17, Z. 16 § G v. o. 1. lasciva.
S. 18, IX, 9, 12. S. Kretzschmer de A. Gell font. I p. 90; Steup
de Probis grammat. p. 78.
S. 27, IX, 13, 4 NB. Aus Claudius auch Liv. VII, 9, 6.
S. 50, X, 6, 4, Z. 1 v. u. 1. Otacilius Crassus.
S. 52, X, 9, 1, Z. 6 v. o. 1. forfices.
S. 86, Im J. 216/538 u. c. S. Peter: Iiistor. R. rell. I p. 78; Val.
Max. IX, 5 extr. 3; Liv. 22, 51; Flor II, 0 (I, 22), 19; Plut. Fab. 17, 26.
S. 92, X, 27, 3, Z. 9 v. u. 1. zum Ausdruck kam.
S. 101, Z. 3 v. o. 1. potestate.
XI, 3, 3 1. Allein meiner Meinung nach irrt Jeder, der glaubt,
dass diese Ausdrucksweisen entweder im Allgemeinen sich ähnlich und
gleich, oder immer verschieden sind.
S. 102, XI, 5, 1, Z. 3 v. o. 1. axtnuxoL
S. 103, Z. 1 v. o. 1. durch die Gegenstände.
S. 108, XI, 15, 1, Z. 3 1. „amorabunda" von amorabundus (liebe-
geneigt) u. s. w.
S. 120, XI, 15, 8, Z. 16 v. o. 1. laetabundus.
S. 147, Z. 2 V. 0. L ctvaXyrjottt.
S. 149, XII, 7, 2, Z. 7 v. o. 1. (sein Stiefkind).
S. 155, XH, 10, 7 NB Zusatz: S. Rhein. Mus. Neue Folge V. Jahrg.
S. 220. Dossenus -= Dorsenus i. e. persona a dorsi gibbere dicta; cfr.
Senec. ep. 89; Die Weisheit des [Bucklichen] Dossenus war sprüchwörtlich
geworden.
S. 168, Z. 9 v. 0. 1. nenQatpiiVrjv.
S. 185, XIII, 13, 1. Vergl. M. Hertz: Renaissance und Rococo.
S. 35. Berlin 1865.
S. 190, XIII, 15, 4 quia — a minore imperio maius aut maiore conlega
rogari iure non potest, eigentlich wörtlich: weil von einer geringeren
Staatsgewalt eine höhere oder der Amtsgenosse eines höheren Magistraten
[maiore (als Dativ = majori) conlega] nur widerrechtlich oder illegal in
den Wahlcomitien bestätigt werden kann. — Erst steht in § 4: Praetor,
esti conlega consulis und §6: conlegam esse praetorem consuli, also
Digitized by Google
(502)
Verbesserungen und Nachträge. II. Band.
einmal der Genitiv und zweimal der Dativ. S. Fr. Ritsehl, opusc. philol.
II, 623. 776; Bücheler, Grundriss der lat Declinat. p. 55, Dativ; Neue,
Formenlehre I S. 192 fiF. ; vergl. Mommsen, Staatsrecht II, 1, 562 tresviri
aere etc.
8. 192, Xm, 16, 1 ist contiouem habere = contionari, wie aus § 3 (10)
und aus Gell. XVIII, 7, 8 deutlich hervorgeht.
S. 195, Z. 6 v. o. 1. ossara.
S. 217, Z. 1 v. o. 1. er sagt da: „Vieles zwar hat mich abgemahnt
hier (vor dem Volke) aufzutreten, (meine) Jahre u. s. w.
S. 220, XIII, 25, 31 1. Bisweilen mögen sich wohl auch hervor-
ragende Schriftsteller finden lassen, die so geschrieben haben, dass sie
entweder 60 ohne Weiteres und in ihrer Fahrlässigkeit „praeda" für
„manubiae" und umgekehrt „manubiae" für „praeda" gesetzt, oder sich
durch irgend eine bildliche Ausdrucksweise eine Wortvertauschung erlaubt
haben, was unter Umständen (ausnahmsweise) wohl Einigen gestattet ist,
(z. B. den Dichtern), zumal wenn sie dabei geschickt und kunstgerecht zu
Wege gehen.
S. 227, XIII, 31, 3 vergl. das griech. Sprüchwort: rfjg Xav&avoootjs
fiovaixfjs koyost i. e. occultae musicae nulluni esse respectum.
S. 241, XIV, 2, 1 ut homo adulescens (25 Jahre alt s. Dig. XL11,
1, 57. L, 4, 8); Teuffei Gesch. der röm. Lit S. 823 § 360, 2.
S. 256, Z. 14 v. u. Anm. 1. ptvog.
S. 258, Z. 14 v. o. XIV, 7, 3 1. Oppianus.
S. 290, Z. 2 v. o. XV, 18, 11. in dem jenseits des Po gelegenen
Theile von Italien (Gallia cisalpina).
S. 302, Zu 9 v. u. 1. mit nur einer Gentarie.
— Z. 8 v. u. 1. ward in denselben beziehentlich nichts mehr
vorgenommen.
S. 306, XV, 30, 1 NB 1. Gell. XI, 7, 3
S. 329, Z. 1 v. u. 1. Plut. Fortschritt in der Tugend cap. 7.
S. 331 § 5 1. adsiduo.
S. 335, Z. 13 v. o. 1. Wehen (sc. des Süd -Windes).
Pierer'flche Hofbuchdruckerei.
Stephan Getbel * Co. in Alteuburg.
»
Digitized by Google
ü!H!.\i,iSJ™°F MICHIGAN
3 9015 06694 8103
DO NOT REMOVE
OR