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DIE 

MEISTERSÄNGER 
VON STRASSBURG 

VORTRAG 



Ernst Martin 



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DIE 



MEISTERSINGER 



VON STRASSBURG 



VORTRAG 



VON 



ERNST MARTIN 



Mit einer autographirten Zeichnung. 



STRASSBURG, 

BUCHDRUCKEREI R. SCHULTZ & COMP. 

1882. 



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DIE 



MEISTERSÄNGER VON STRASSBURG. 



Vor etwa hundert Jahren, am 24. November 1780, fand 
hier in Strassburg eine Feierlichkeit statt, welche, wie wir 
den Berichterstattern wohl glauben dürfen, auf alle Teil- 
nehmenden einen tiefen Eindruck machte. In der Herrenstube 
zur Luzerne (auf dem Alten-Kornmarkt, jetzt Nr. 18) waren 
die Meistersänger versammelt und hielten Schule, ihre letzte 
Schule. Als die Lieder zu Ende waren, erhob sich aus der 
zahlreichen Zuhörerschaft ein Knabe und dankte im Namen 
der Waisenkinder für die Wohlthat, welche die Meistersänger- 
gesellschaft ihnen erwiesen hatte, indem sie ihre bisherigen 
Einkünfte dem Stifte St. Marx für das Waisenhaus überliess. 

Ihren übrigen Besitz, ihre Handschriften und die bei 
ihren Festen gebrauchten Ausstattungsgegenstände, gaben die 
Meistersänger an die Stadtbibliothek ab. Leider sind diese 
Reliquien jetzt nicht mehr vorhanden. Wir müssen uns an 
die Mitteilungen halten , welche insbesondere Lobstein in 
seinen „Beiträgen zur Geschichte der Musik im Elsass (Strass- 
burg 1840) B darüber gegeben hat. Er erwähnt namentlich 
das Tabulaturbuch , welches die Kunstregeln der Meister- 
sänger enthielt und zwar so, dass wesentlich die Fehler 
gegen die Kunstregeln aufgezählt und für jeden die Berech- 
nung angegeben war, wie er bei der Preisverteilung ange- 
setzt werden sollte. Angehängt war ein Register über sämmt- 
liche Töne, d. h. über die Strophenformen der Meisterlieder, 
ein Register welches vom Jahre 962 anzufangen behauptete 
und „bis ans Ende der Welt unaufhörlich continuiert" 
werden sollte. Abgefasst waren diese Schriftstücke von zwei 
Meistersängern um das Jahr 1600, in welcher Zeit, wie 
wir sehn werden, überhaupt die Schule hier einen neuen 
Aufschwung nahm. Aus dieser Zeit stammte auch ein Buch, 
welches die Geschichte der Meistersänger enthielt, und 
glücklicherweise noch zum Abdrucke kam (Stuttgart, Liter. 



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Verein 1861), bevor die Handschrift selbst zu Grunde ging. 
Es ist dies das Buch „von der edlen und hochberühmten 
Kunst der Musica und wie die Meistersänger aufgekommen", 
welches Cyriacus Spangenberg 1598 verfasst hatte. 

Völlig zugänglich sind uns auch jetzt noch die Urkunden 
und Acten des städtischen Archivs. Sie geben uns namentlich 
über die spätere Geschichte unserer MeistersäDger Bericht 
(S. Strassburger Studien I, Strassburg 1882.) Dazu müssen 
wir natürlich heranziehen, was von der Geschichte und dem 
Wesen der Singschulen an anderen Orten überliefert ist und 
was durch vielfache Darstellungen, in neuerer Zeit auch 
durch eine Oper Richard Wagners, allgemein bekannt ge- 
worden ist. 

Fragen wir zunächst nach dem Ursprung des Meister- 
sanges, so geben uns die hiesigen MeistersäDger wesentlich 
denselben Aufschluss, den wir an anderen Orten empfangen. 
Die hiesige Singschule besass zwei Tafelbilder, welche sie 
bei ihren Festlichkeiten am Eingang aufzuhängen pflegte. 
Sie sind nach den Abbildungen bei Lobstein auf den bei- 
liegenden Tafeln wiedergegeben und zeigen eine wirklich 
kunstvolle und interessante Compositum. Auf der einen Tafel 
waren die zwölf auswärtigen, oder richtiger gesagt die zwölf 
alten Meister abgebildet, auf der anderen die zwölf ein- 
heimischen oder neuen Meister, diejenigen, welche gegen das 
Jahr 1600 hier die Singschule von neuem begründeten. 
Jede Gruppe sitzt in einem Garten auf einer runden Bank 
um einen Springbrunnen, die Einzelnen im Gespräch mit- 
einander, jeder durch seine Tracht ausgezeichnet. Unten 
stehen teils Zuhörer, teils allegorische Figuren, wie Orpheus, 
der durch Gesang und Saitenspiel die wilden Tiere bändigt. 
Im Hintergrunde zeigen sich anmutige Landschaften; auf dem 
Bilde der einheimischen Meister ist das Münster sichtbar. 
Darüber öffnet sich der Himmel : segnend erscheint bei den alten 
Meistern die Dreifaltigkeit, von singenden und spielenden 
Engeln umgeben, bei den jüngeren Gott Vater, von den 
Psalmisten verehrt. Die beiden Flügel eines jeden Bildes, 
welche, wie oft bei Altarbildern, aufgeschlagen wurden, ent- 
hielten biblische Darstellungen: Adam und Eva, Mariä Ver- 
kündigung, das jüngste Gericht und die Bändigung Satans 
durch den auferstandenen Christus. 

Dazu findet sich auf dem Bilde der alten Meister fol- 
gende Umschrift auf den Flügeln, die uns zugleich von der 



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Verskunst der Meistersänger in ihren unstrophischen Ge- 
dichten einen Begriff geben kann. 



Nach Chrisli Gburt als die Zahl war 
Neunhundert sechzig und vier Jahr, 
Dass Meistersang so Tobesam 
Inn gute Form und Wesen kam, 
Als Kaiser Ott der Erst von Macht 
Und Leo Pabst zu Rom der Acht 
Dise 12 Meister hochberühmbt 
Auss Teutschland nach Rom bestümbt 
Ihr Dichtgesang zu hören an, 
Üb icht Tadel und Mangel dran. 
Der Kaiser und Pabst lobt die Kunst, 
Thet der Singschul zu Rom durch 
Gunst 

Verehren eine Gron von Gold 
Die immer bey ir bleiben sollt. 
Die Poeten auss Griicia 



Ein Lorber Crantz verehrten da : 
Welche das best thetten im Singen, 
Gron und Crantz davon thetten 
bringen. 

Also durch diese zwölff mit Nahm 
DasGsangim Teulschenland aufkam, 
Welches soweit nun ist erschallen 
In vil Stell Gott zu Gefallen, 
Darinnen man yetzt hält Singschul, 
Lehrt Gottes Wort auf dem Probstul. 
Der woll mit Gnaden allzeit walten 
In unser Statt bey Jung und alten , 
Dass wir mit Gsang sein göttlich 
Nahmen 

Hie und dort mögen loben. Amon. 



Es versteht sich nun von selbst, dass diese Angabe von einem 
Anfange des Meistersanges unter Kaiser Otto I. nichts ist als eine 
durchaus sagenhafte und ungeschichtliche Ueberlieferung. Das 
haben denn auch die ersten Gelehrten, welche davon Kenntnis 
erhielten, sofort ausgeprochen. Kaiser Otto war als gerechter, 
strenger Richter durch die deutsche Sage gefeiert worden ; 
aber von irgend einer litterarischen Erscheinung, die man 
mit den Meistersängern in Verbindung bringen könnte, ist 
in seiner Zeit nicht die Rede. Und die zwölf alten Meister, 
die aufgeführt wurden , haben sämmtlich wenigstens 200 
Jahre nach Kaiser Otto gelebt, im 13. oder 14. Jahrhundert. 
Aber auch unter sich waren sie zeitlich so weit von einander 
getrennt, dass schon deshalb sie unmöglich gleichzeitig und 
von einander unabhängig die Kunst des Meistersangs gefunden 
haben können, wie berichtet wird. 

Immerhin sind die Namen der zwölf alten Meister für 
den Ursprung der Meistersänger von grosser Bedeutung. 
Indem sie unter ihren Stiftern Walther von der Vogelweidc, 
Wolfram von Eschenbach und andere ritterliche Dichter an- 
führen, erkennen die Meistersänger an, dass sie mit ihrer 
Kunst sich auf das engste anschliessen an die sogenannten 
Minnesänger, dass der Meistergesang nichts ist als eine Fort- 
setzung der ritterlichen Liederdichtung. Wollen wir also den 
Ursprung und das Wesen des Meistergesangs genauer kennen 
lernen, so müssen wir notwendig die Geschichte des Minne- 
sangs uns wenigstens in den Grundzügen vor Augen stellen. 

Die ritterliche Liederdichtung entwickelt sich zu gleicher 
Zeit mit der ritterlichen Erzählungspoesie, um 1180 etwa, 



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in der letzten Zeit Kaiser Friedrichs L, an den sich über- 
haupt die Erinnerung an die glänzendste Zeit des deutschen 
Mittelalters knüpft. Sie lehnt sich an fremde Vorbilder an, 
an die strophische Dichtung der französischen Ritter und an die 
lateinische der Geistlichen. Vorher hatte es wohl auch in 
Deutschland und zwar gewiss von jeher eine Liederdichtung ge- 
geben ; aber sie hatte sich in der Form nicht von der sonstigen 
Dichtung unterschieden, und im Ausdruck sich an die er- 
zählende Volkspoesie, an das Epos angeschlossen. Einfache 
kurze Zeilen, paarweise gereimt, im Reim ungenau, das war, 
wie für die Erzählung, so auch die Form für den Aus- 
druck der Liebe und des Hasses und für den lehrenden und 
mahnenden Spruch. 

Eine ganz andere Kunst der Strophe, eine ganz andere 
Lebhaftigkeit des Ausdruckes entnahm die ritterliche Liebes- 
dichtung dem lateinischen und dem französischen Vorbilde. 
Jenes wirkte zuerst, wirkte schon bald nach der Mitte des 
zwölften Jahrhunderts auf die deutsche Dichtung. Das zwölfte 
Jahrhundert brachte für den Clerus eine ganz neue Bildung 
durch die scholastische Philosophie, welche es unternahm die 
Dogmen der Kirche durch Vernunftschlüsse zu begründen. 
Natürlich steigerte diese wissenschaftliche Thätigkeit das 
Selbstgefühl der Studirenden. Die Geisteskraft der Einzelnen 
wurde in erhöhtem Masse in Anspruch genommen. Scharen- 
weise zogen auch aus Deutschland die Cleriker nach Paris, 
der Hauptstätte der neuen Wissenschaft. Es vertiefte sich 
auch das Studium der antiken Schriftsteller. Man lernte an 
den römischen Dichtern eine Freiheit des Denkens, eine 
Feinheit des Ausdrucks kennen, welche zur Nachahmung au- 
trieben. Es entstand eine neue lateinische Dichtung welt- 
lichen Inhalts, neben der schon früher immer geübten reli- 
giösen. Die politischen Kämpfe zwischen Kaisertum und 
Pabsttum regten zur Teilnahme an; und selbst Zechlieder 
und Licbeslieder erwuchsen in üppiger Fülle. Man übertrug 
so manches Beiwort, so manchen Gedanken aus der religiösen 
Anschauung in die weltliche. Rosen und Lilien, sonst nur zum 
Preise himmlischer Schönheit verglichen, wurden nun auch 
auf irdische Frauen übertragen. Die Augen des Herzens, von 
denen die Bibel spricht, dienten nun auch dazu, die entfernte 
Geliebte zu schauen. 

Solche Lieder führten nun von selbst zu einem Ge- 
brauche der deutschen Sprache in den künstlichen Formen 



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der lateinischen Dichtkunst. Man wollte auch ungelehrten 
Zuhörern verständlich sein und dichtete etwa eine deutsche 
Strophe mit dem ungefähren Inhalt des lateinischen Liedes. 
Für die Dichter der lateinischen Lieder weltlichen Inhalts 
lag ja oft der Uebertritt aus den bisherigen Lebenskreisen 
in freiere sehr nahe. Viele der Schüler verloren auf ihren 
Wanderungen das eigentliche Ziel, die Erlangung der 
Priesterweihe oder des Magistertitels aus den Augen. Sie 
wurden Sänger und Spielleute. Die fahrenden Schüler brachten 
dem alteinheimischen Stande der Spielleute einen neuen, ge- 
lehrten Zusatz. 

Aber was die Spielleute von der neuen Kunst an- 
nahmen, ward weit überflügelt durch die Leistungen der 
1 Ritter selbst. Es war das Zeitalter der Kreuzzüge; Begeiste- 
rung durchglühte auch die Laien, Begeisterung, welche neben 
dem Gottesdienst bald auch den Frauendienst in sich schloss. 
Zuerst in Südfrankreich, in der Provence wandte man sich 
der Kunstdichtung in der Nationalsprache zu. Die ersten 
Dichtungsformen schlössen sich auch hier an die lateinischen 
an; aber dieser Keim ging in den üppigen, feingebildeten 
Kreisen der französischen Ritterschaft bald zu voller Blüte auf. 

Und dieser neue Kunstgesang der Ritter verbreitete 
sich nun auch nach Deutschland; unter Kaiser Friedrich I. 
ertönten an den Hoffesten bald auch Lieder der neuen 
Kunstform in deutscher Sprache. In kurzer Frist entfaltete 
sich die volle Liederkunst: um 1200 dichtete Walther von 
der Vogelweide, bald darauf Wolfram von Eschenbach; ihre 
Werke bezeichnen den Höhepunkt des lyrischen wie der er- 
zählenden Dichtkunst des deutschen Mittelalters. 

Aber so rasch die neue ritterliche höfische Dichtkunst 
erblüht war, so rasch verblühte sie auch. Sie beruhte auf 
Grundlagen, die selbst nur künstlich waren: auf der vorwie- 
genden Geltung des Ritterstandes, dem doch in Deutschland 
weder der Reichtum noch der Kunstsinn des romanischen zu 
Gebote standen. Der gewaltige Kampf zwischen Kaisertum 
und Pabsttum endigte bald nach 1250 mit der völligen 
Ausrottung der Hohenstaufen. In diesem Kampfe waren alle 
Leidenschaften entfesselt worden. Als Deutschland keinen 
Herren mehr über sich sah, suchte jeder der Grossen an 
sich zu reissen, was er vermochte. Auch der einfache Ritter 
wollte selbständig sein, er wollte die Mittel zu einem 
glänzenden Leben, die er einst im Dienst des Kaisers auf 



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Kriegszügen erworben, jetzt auf Kosten der schwächern 
Nachbarn gewinnen. Für die untern Stände, vor allem für 
die Bauern, begann eine Zeit der schweren Bedrückung. 

Glücklich dass noch irgendwo der Schwache gesichert 
war, gesichert durch das treue Zusammenhalten mit dem 
Gleichstehenden. In dem allgemeinen Abschütteln jeder nicht 
übermächtig zwingenden Herrschaft hatten sich auch die 
Städte frei gemacht, und die freien Städte waren auch zu- 
gleich Freistätten für Arbeit und Ordnung. Es war die Zeit, 
von der der Dichter in seinem Lied an die Freiheit singt: 
„Hinter dunklen Wällen, hinter ehrnem Thor kann das 
Herz noch schwellen auf zu dir empor!" 

Und hieher flüchtete auch die Poesie. Draussen war 
es ihr schlimm und schlimmer ergangen. Die Ritter wandten 
sich immer mehr roheren Vergnügungen zu und die Fürsten 
erwiesen sich vielfach als unmilde. So Rudolf von Habsburg, 
der in seinen Kriegen den Sold für die Ritter besser zu 
gebrauchen wüste, als zur Bezahlung gespendeten Lobes. 
Und wenn auch andre Fürsten, namentlich auch die böh- 
mischen Könige, deutsche Dichter an ihrem Hofe hatten und 
sogar selbst dichteten, so war das nur ein Herbstsonnen- 
blick, der nicht mehr wärmte. 

Auch die Dichter selbst waren nicht mehr die der 
Blütezeit. Die damals genossene Gunst hatte Dichter und 
Sänger im Uebermasse hervorgerufen, welche jetzt der Karg- 
heit der Reichen gegenüber in bittere Not gerieten. Und sie 
gaben sich denn auch zu den schnödesten Diensten her; bis 
zu Spioneu der Raubritter sanken sie herab. Und selbst die 
bessern zankten sich um die wenigen Bissen, welche vom 
Tische der Vornehmen fielen. 

Der kalten Verständigkeit jener Zeit, wie sie nach der 
Begeisterung der Hohenstaufenperiode sich um so stärker 
geltend machte, waren die alten Ideale hohl geworden. Die 
Herrlichkeit des Reiches war dahin; das Lob der Ritterlich- 
keit verdienten nur noch Wenige; die Pracht und der Anstand, 
welche die Verbindung mit dem Süden mit sich geführt hatte, 
waren bald vorüber, nachdem jene Wege versperrt worden waren. 
Da blieb nur zweierlei von der alten Kunst übrig : für den Inhalt die 
Religion und Moral, für die Form die freilich in der Blütezeit 
wunderbar ausgebildete Zierlichkeit und Künstlichkeit. 

Und diese Reste zu erhalten, machten sich diejenigen 
zur Aufgabe, die allein noch höhere Ansprüche mit ihrem 



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Dichten verbinden konnten : die Gelehrten unter den Fahren- 
den. Bekanntschaft mit theologischer Wissenschaft, wenigstens 
mit den üblichen Bildern und Vergleichen ward verlangt 1 , 
für die Form aber Kenntnis der Musik, wie sie in der 
kirchlichen Uebung sich inzwischen weitergebildet hatte. 

Beides finden wir bei dem Dichter, der als der erste 
Meistersänger in vollem Sinne gelten kann. Heinrich von 
Meissen, genannt Frauenlob, starb zu Mainz 1318. Es ist 
bekannt, wie ihn die Frauen zu Grabe trugen, wie sie seine 
Ruhestätte mit Rosen schmückten und mit Wein begossen. 

Ihn nennen nun die Meistersänger überall als einen 
der Anfänger ihrer Kunst. Allerdings führen sie daneben 
noch andere Namen auf, auch solche aus der Blütezeit um 
1200, wie Walther und Wolfram. Aber es ist kaum wahr- 
scheinlich, dass sie diese Namen anderswoher kannten, als 
aus einem Gedichte, welches in den Meistersängerkreisen in 
höchsten Ehren gehalten wurde und hier eine beständige 
Weiterbildung erfuhr. Es ist der „Sängerkrieg auf Wartburg u , 
in Richard Wagners Tannhäuser benutzt. Auch den Forscher 
zieht dies in mehrfacher Hinsicht rätselvolle Gedicht immer 
von neuem an. 

Als das Ergebnis der bisherigen Untersuchungen kann 
man hinstellen, dass dieses Gedicht nicht auf einmal und 
nicht von Einem Dichter verfasst ist. Wir haben zwei Haupt - 
teile zu unterscheiden. Als den ältesten Kern mögen wir 
ein Gespräch ansehn, in welchem Wolfram von Eschenbach, 
der Dichter des „Parzival", sich mit einer Figur aus dem Par- 
zival, dem Zauberer Klingsor, unterredet. Der Dichter ver- 
tritt die ungelehrten, aber frommen Laien, Klingsor die 
schwarze Kunst, welche tieferes, aber auch verderbliches 
Wissen gewährt. Klingsor legt Wolfram allerlei Rätsel vor. 
Vergleiche wie sie in der mittelalterlichen Theologie sich 
ausgebildet hatten : Wolfram aber findet überall durch seinen 
einfachen gläubigen Sinn die richtige Deutung. Da schickt 
Klingsor, um seinen Gegner durch Schrecken zu bezwingen, 
nächtlicher Weile den Teufel Nasion an Wolframs Bett. 
Aber auch dieser Versuchung erweist sich der fromme Dichter 
gewachsen und Nasion muss , wenn auch mit höhnischem 
Zurufe, weichen. Die Absicht des Ganzen ist deutlich genug: 
die ritterliche Bildung soll der geistlichen gegenüber gestellt 
werden, und eine gewisse Kühnheit der Erfindung, Kraft der Dar- 
stellung wird man dem Gespräche nicht absprechen können. 



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Ganz andern Charakter hat ein jüngerer Teil des Wart- 
burgkriegs, welcher übrigens durch seine letzten Worte auf 
den älteren hinweist und somit diesem gewissermassen als 
Einleitung dient. Dies ist der eigentliche Sängerstreit. Am 
Hofe des Landgrafen Hermann von Thüringen befinden sich 
danach Wolfram von Eschenbach, Walther von der Vogel- 
weide und andere Sänger, von denen wir zum Teil wissen, 
dass sie einer späteren Zeit angehören, wie z. B. Reinmar 
von Zweter, oder die wir überhaupt nicht historisch nach- 
weisen können, wie Heinrich von Ofterdingen. Dieser letzt- 
genannte streitet sich mit allen übrigen über den Fürsten, 
der am freigebigsten sei und dadurch am meisten das Lob 
der fahrenden Sänger verdiene. Alle übrigen nennen den 
Landgrafen Hermann, Ofterdingen allein den Herzog von 
Oesterreich. Lange wogt der Kampf hin und her, zuletzt 
stellt Walther von der Vogelweide mit einer Arglist, die wir 
dem wirklichen Dichter durchaus nicht zutrauen dürfen, dem 
Gegner eine Falle. Er fragt, ob Heinrich seinen Herzog mit 
der Sonne vergleichen will; und als dieser das zugesteht, 
ruft er triumphirend aus: „Nun gut, der Tag ist noch heller 
als die Sonne." Diese Behauptung beruht natürlich auf einem 
Sprichwort. Da nun für Landgraf Hermann der Vergleich 
mit dem Tage vorbehalten ist, so hat Heinrich von Ofterdingen 
verloren; vor dem Henker schützt ihn nur die Landgräfin, 
unter deren Mantel er flüchtet. Ofterdingen darf zu seiner 
Unterstützung den Zauberer Klingsor von Ungarland herbei- 
holen; und nun wird jener ursprüngliche Kern angeschlossen, 
worin Wolfram mit Klingsor disputiert, aber alles vorher- 
gehende völlig vergessen zu sein scheint. 

Nun ist aber gerade jener Eingang des Wartburgkriegs 
von grosser Bedeutung für das Wesen der Meistersänger. 
Der Wettstreit der Dichter, welcher von ihnen das beste 
Lob zu spenden verstehe, entspricht der Wirklichkeit inso- 
fern, als thatsächlich schon in der Blütezeit Eifersucht und 
gegenseitiges Herabziehn der Sänger nachweisbar ist, und 
selbst die grössten Dichter mit solchen Versuchen zu kämpfen 
hatten. Walther von der Vogelweide zürnt gewaltig über 
Gegner, welche seinen Minnesang verspottet und verkehrt, 
d. h. parodiert hatten; er selbst hatte sich durch spöttische 
Gegenstrophen an einem älteren Dichter, an Reinmar von 
Hagenau versündigt. Um so mehr finden wir solche „Kriege", 
wie sie genannt werden, gegen das Jahr 1300; insbesondere 



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hatte auch Frauenlob solche Streitigkeiten zu bestehn, wobei 
er allerdings allzuviel wagt, wenn er sich selbst über die 
besten Dichter der Vorzeit, über Wolfram und andre stellt. 

Solche Wettkämpfe im Dichten und Singen sind die 
Grundlage der meistersängerischen Schulen. Als Preise 
wurden Kränze ausgeteilt, eine wohl dem klassischen Alter- 
tum entlehnte Sitte. Auch der Titel eines „Meisters" wurde 
allmählich als Anerkennung für vorzügliche Leistungen ange- 
sehn. Das Wort, aus dem lateinischen „Magister" hervor- 
gegangen, hatte lange Zeit die Bedeutung eines akademischen 
Grades behalten, und wenn ältere Dichter, wie Gottfried von 
Strassburg ihn führen, so ist damit ihre gelehrte Bildung 
bezeichnet. Daneben aber war das Wort früh auch in wei- 
terer Bedeutung verwendet worden, indem ein kundiger 
Schiffslenker oder auch ein trefflicher Sänger so bezeichnet 
wurde. So kämpft Walther gegen die schlechten Poeten, 
welche die Lieder der „Meister" parodieren. Und so wendet 
ein Fortsetzer Wolframs von Eschenbach, der Verfasser des 
grossen „Titurel", das Wort Meistersang an, indem er sagt, 
seine Strophen seien durchaus gebaut „nach Meistersanges 
Orden", nach der Regel des Meistersanges. 

Auf zweierlei kam es also für den Meistergesang an: 
auf richtigen und künstlichen Vers- und Strophenbau, und 
auf gelehrten Inhalt. Für die letztere Forderung ist schon 
bezeichnend, dass man die Wettsingen ähnlich einrichtete 
wie die Disputationen an den Schulen. Der vortragende 
Sänger sass auf einem „Stuhl", auf einem Katheder. Ja der 
Ausdruck „Singschule" stellt überhaupt die Kunstübungen den 
gelehrten Uebungen völlig zur Seite. 

Neben diesen Ausdrücken begegnen jedoch andere, 
welche auf eine frühere Verbindung hinweisen, in welcher die 
Spielleute zusammen standen mit den Fechtern. Schon im 
frühen Mittelalter begegnen wir dieser für uns widerwärtigen 
Menschenklasse, Leuten, welche ihr Leben für Geld hingaben 
und bereit sein mussten auf Befehl ihres Herrn mit jedem 
beliebigen anzubinden. Natürlich waren sie in der Regel nur 
mit dem Fechtunterricht betraut, welcher in ritterlichen 
Kreisen nie fehlte. Nun finden wir in der Liederdichtung 
auch der älteren Zeit Vergleiche aus dem Fechterwesen. Es 
ist die Rede vom „Schild" und vom „Schwert" des Gesanges. 
Eine besonders künstliche Wendung wird mit einem „Schirm- 
schlag", einem Fechthieb verglichen. Und hieraus erklärt 



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sich wohl auch ein Ausdruck für Meisterlied, welcher sonst 
rätselhaft ist. Ein durchaus untadelhaftes neues Lied wird 
„Bar" genannt. In älterer Form begegnet „Baranf.Dies ist nun 
nichts anders als ein Parierhieb: es wird also das Meister- 
lied mit einem vollkommen gelungenen Schlag des Fechters 
verglichen. 

Bei den Wettsingen konnte natürlich die Entscheidung 
über den Sieg nicht wie beim Wettfechten durch die augen- 
scheinliche Niederlage des einen Teiles gegeben werden. 
Selten wohl hätte ein hartnäckiger Streiter mit den Waffen 
des Liedes sich als besiegt anzuerkennen nötig gehabt. Dies 
Urteil musste natürlich durch Dritte, durch Unparteiische 
gefällt werden. Nun finden wir einen Ausdruck für die Ur- 
teiler im Meistergesang, welcher ursprünglich eine allgemei- 
nere Bedeutung gehabt haben muss: den Ausdruck „Merker 
In der Blütezeit des Minnesangs heissen so die Aufpasser, 
besonders solche, welche die auf verbotenen Wegen wandeln- 
den Liebhaber erspähen und verraten. In einer freundlicheren 
Auwendung finden wir das Wort in den dichterischen Kreisen 
für diejenigen gebraucht, welche ein Gedicht mit Kunst- 
verstand beurteilen und dem Dichter seine Fehler zeigen. 
Aus dieser Bedeutung entwickelte sich der Name der Kunst- 
richter bei den Meistersängern, der „Merker", welche zu 
viert hinter einem grünen Vorhang die Fehler des Sängers 
aufzeichnen und dadurch bestimmen, welcher Sänger das 
Beste gethan habe. 

Wann sich nun alle diese Einrichtungen in so fester 
Weise ausgebildet haben, wie wir sie im sechzehnten Jahr- 
hundert vorfinden, ist nicht wohl festzustellen. Im vierzehnten 
finden wir allerdings zuweilen den Begriff des Streites in 
sehr herber Weise zum Ausdruck gebracht. Wir haben 
Meisterlieder, in welchen der Dichter ausspricht, dass er in 
einen fremden Kreis eintritt und in der Regel wohl auf gute 
Aufnahme hofft; freundliche Begrüssung erfolgt darauf im 
Namen jenes Kreises selbst. Solche Lieder heissen „Em- 
pfahung", Empfang. Aber es kommen auch höhnisch heraus- 
fordernde und scharf abweisende Lieder vor: diese heissen 
dann „Reizung" und „Schändung". 

Immerhin war schon eine bestimmte Ordnung des 
Meistersanges vorhanden, als Kaiser Karl IV. sich veranlasst 
sah, gegen die Spielleute einschränkende Bestimmungen zu 
treffen. In der That war deren Zudringlichkeit eine wahre 



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Last geworden. Nach älterer Anschauung verlangte es die 
Ehre jedes grösseren Hauses, insbesondere bei Festlich- 
keiten, sich durch das fahrende Volk preisen zu lassen; und 
auf jeden Fall konnte man sicher sein, dass die Fahrenden 
demjenigen, welcher sich ihnen gegenüber karg zeigte, durch 
Spottlieder übel mitspielen würden. Insbesondere erschienen 
die „ Sprecher", die fahrenden Dichter in dieser Hinsicht äus- 
serst verdächtig. 

Während aber Karl IV. diese Träger der Dichtung zu 
unterdrücken strebte, bestätigte er die Meistersänger und 
verlieh ihnen ein Wappen mit den Farben des Reichs und 
seines eigenen Landes Böhmen. Es war die Schule in Mainz, 
welche so ausgezeichnet wurde und welche auch einen gol- 
denen Kranz als angebliches Geschenk des Kaisers Otto, auf- 
bewahrte, um die Sieger im Wettsingen damit zu krönen. 
Mainz, das „goldene" Mainz, wie es im Mittelalter genannt 
wurde, ist der Mittelpunkt des Meistersangs von 1300 ab, 
in seiner ersten Periode. 

Einen neuen Aufschwung, der in mancher Beziehung 
zugleich eine Abänderung mit sich brachte , scheint der 
Meistersang in Nürnberg um 1450 genommen zu haben. Um 
diese Zeit finden wir in Nürnberg die zwölf Meister zu- 
sammen, welche dort als die „alten" bezeichnet wurden: Veit 
Pogner, Sixtus Beckmesser und andere Namen, welche dann 
Richard Wagner für seine Oper benutzt hat. Allerdings auch 
von Augsburg singt um diese Zeit ein Feind der Stadt, ein 
Vertreter der ritterlichen Kreise: „Sie haben gemacht ein 
Singeschul und setzen oben auf den Stuhl, wer übel redt von 
Pfaffen." 

Also diese Singschulen geben dem Geiste Ausdruck, 
der sich in den Städten im Gegensatz zu Adel und zu 
Geistlichkeit entwickelt hatte. Wir dürfen noch genauer be- 
stimmen : die Singschulen aus dem Ende des Mittelalters sind 
in den Händen der Handwerker. Daraus erklärt sich das 
Zunftmässige, das sie in dieser Zeit an sich tragen, die 
strenge Sonderung der Meister, der Dichter und Sänger von den 
Schülern. Es versteht sich nun leicht, dass auch die Sangeskunst 
der Schulen etwas handvverksmässiges annahm, dass es vor allem 
auf die äussere Form ankam, dass ein freier und selbstän- 
diger Geist kaum zur Entfaltung gelangen konnte. Ausdrück- 
lich wurde alle Neuerung beschränkt. Wohl galt es als die 
eigentliche Aufgabe der Dichter, neue Lieder zu dichten; es 



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wurde später, als der Druck sich verbreitete, sogar verboten 
Lieder zu singen, welche bereits gedruckt waren. Aber die 
Grundsätze, nach denen gedichtet und nach denen beurteilt 
wurde, fanden jetzt ihre endgiltige Festsetzung in den „Tabu- 
latoren". Indem man vor allem die Fehler bezeichnete, welche 
vermieden werden sollten, war es augenscheinlich, dass man 
auf selbständige Leistungen, auf eigene Gedanken weniger 
Wert legte. Die Freiheit, welche nach Schillers Bestimmung 
der Grund aller Schönheit ist,« war entschieden ausser Be- 
tracht gelassen. 

Und doch werden wir dankbar anerkennen müssen, 
dass in jener Zeit, da einerseits alles Volkstümliche der 
Roheit anheim gefallen war, andererseits die von Italien ein- 
dringende Wiedererweckung der griechisch-römischen Kunst 
übermächtig das Einheimische zu verdrängen drohte, dass 
inmitten dieser doppelten Gefährdung der altüberlieferten 
Kunstdichtung die Handwerker sich ihrer annahmen und mit 
redlichem Bemühn den Sinn für ein edleres Vergnügen fest- 
zuhalten suchten. Und wenigstens Hans Sachs, der gefeiertste 
aller Meistersänger, hat zugleich als Dichter wohl das beste 
geleistet, was dem sechzehnten Jahrhundert überhaupt be- 
schieden war. 

Diese neue Strömung, dieser handwerksmässige Meister- 
gesang, drang weiter, drang auch in unsere Stadt ein. 1492 
vereinigten sich sechzehn Liebhaber der edlen Kunst, Kürschner, 
Steinmetzen, Bäcker und andere Handwerker. Sie stellten ihre 
Tabulatur auf und liessen eine Krone für die Sieger im Wett- 
streit anfertigen. 

Auch im übrigen Elsass verbreitete sich der Meister- 
gesang während des sechzehnten Jahrhunderts. Hagenau und 
Weissenburg hatten ihre Schule. Ganz besonders sind wir 
über die von Colmar unterrichtet. Ihr Stifter war der als 
Romanschreiber und Dramatiker thätige Jörg Wickram. Er 
kaufte 154C eine Handschrift, welche aus Mainz stammte und 
welche die grösste und älteste Sammlung von Meisterliedern 
enthielt. Diese Handschrift hat später eigene Schicksale ge- 
habt. In der Revolutionszeit verschwunden, wurde sie für die 
Sammlung der alten Heldenlieder, welche Karl der Grosse 
veranstaltet hatte, ausgegeben und natürlich eifrigst gesucht. 
Endlich tauchte sie in Basel wieder auf und kam von da 
nach München. Ihr war beigelegt die Tabulatur, welche Jörg 
Wickram aufgesetzt hatte. Unter anderen Bestimmungen wird 



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darin bemerkt, dass die Mitglieder der Freiburger Sänger- 
schule von den Colmarern nicht als Gäste, sondern als An- 
gehörige betrachtet werden sollten, ein Zeugnis für die damals 
bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zwischen den 
Städten an beiden Ufern des Rheins. 

Ferner lag den Colmarer Handschriften ein Liederheft 
bei, welches uns wieder in unsere Stadt zurückführt. Es ent- 
hält eine Anzahl Meisterlieder, welche 1591 und in den 
nächsten Jahren hier vorgetragen worden sind. Um diese 
Zeit beginnt nämlich wieder eine neue Wendung in der Ge- 
schichte der Meistersänger. Strassburg ist, wie früher Mainz, 
dann Nürnberg, die Stätte einer neuen Periode des Meister- 
gesangs, die von 1600 an begann. Es beteiligten sich hier 
an der Singschule eine Anzahl von Männern mit gelehrter 
Bildung, und zwar ausgesprochener Massen aus religiösen oder 
confessionellen Gründen. Um diese Zeit war die Reformation, 
welcher bekanntlich die Stadt Strassburg sich völlig an- 
geschlossen hatte, durch die Gegenströmung, an deren Spitze 
die Jesuiten standen, bereits auf das schwerste bedroht. Die 
Wolken, welche im dreissigjährigen Kriege sich so verderben- 
bringend entladen sollten, hatten sich schon gesammelt. Da 
galt es, alle Kräfte zur Abwehr zu vereinigen. Mit dem Hand- 
werker trat der Geistliche in nähere Verbindung und die 
Meistersängerschule ward der gemeinschaftliche Boden. Daher 
die Bestimmung, die wir allerdings auch anderwärts treffen, dass 
bei der dichterischen Behandlung biblischer Stellen Luthers 
Bibelübersetzung stets verglichen werden sollte und eine Ab- 
weichung von diesem Texte nicht gestattet wurde. Ganz be- 
sonders deutlich tritt diese confessionelle Richtung in dem 
schon angeführten Buche des Cyriacus Spangenberg aus Mans- 
feld hervor, der als ein streng lutherischer Prediger seine 
Heimat verlassen musste und hier in Strassburg eine Zuflucht 
fand. Nicht ohne Grund bringt er die Choräle der lutherischen 
Kirche in Verbindung mit den Meisterliedern. Sind doch diese 
Choräle, wie die Lieder der Meistersänger, durchweg nach 
dem Prinzip der Dreiteiligkeit gebaut, so dass die Melodie 
in zwei Teilen, den sogenannten Stollen, wiederkehrt, in 
einem dritten, dem Abgesang, ausweicht. Wollte man sich 
eine Vorstellung von den Leistungen der Meistersängerschule 
machen, so hätte man sich wohl einen Sänger zu denken, 
der einen Choral vortrüge; nur dass der Einfachheit der 
Choräle gegenüber die Meisterlieder unvergleichlich künstlich 



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erscheinen würden, da sie oft mit endlosen Coloraturen ver- 
ziert sind. 

In jenem jetzt in München befindlichen Liederhefte sind 
zum Teil auch die Noten, und zwar ganz nach unserem 
System verzeichnet. Für einen Musiker und Sänger wäre es 
ein leichtes, den Genuss eines dreihundert Jahre alten 
Meistergesanges auch einem heutigen Zuhörerkreise zu ver- 
schaffen. Hier kann nur der Text eines Meistergesanges vor- 
gelegt werden, mit welchem ein aus Villach in Kärnten 
stammender Meistersänger, Zehenthoffer, zu Johanni 1591 
die zu Strassburg neubegründete Sängerschule eröffnet hat. 
Freilich wird man im Namen dieses Dichters von vorn herein 
um Nachsicht bitten müssen. Die Sprache jener Zeit ist nicht 
ganz die heutige: manche Formen und Wendungen erscheinen 
uns veraltet, manche Reime ungenau. Und überdies soll nicht 
geleugnet werden, dass die Künstlichkeit des Strophenbaus 
auch auf Inhalt und Ausdruck ungünstig gewirkt hat. Der 
Gedankengang ist etwa folgender. Der Dichter begrüsst die 
Sänger und die Gäste. Letztere seien wohl meist der Messe 
wegen gekommen. Im Gedränge, im Feilschen möge man nicht 
vergessen, wie vergänglich alles irdische Gut sei, wie die Zeit 
schwinde, wie die Welt ihrem Untergange sich nähere. Die 
Vorboten dieses Untergangs, wie die mittelalterliche Sage sie 
ausführlich sich vorgestellt hatte, sollen den Inhalt des Wett- 
singens bilden. Nun mahnt der Dichter die Sänger, sich zu 
beeilen und ihre Namen den Merkern abzugeben, damit diese 
nach dem Lose die Reihenfolge bestimmen könnten. 

Folgendes ist nun der Wortlaut seines Gedichts: 



In dess Folczen Chorweiss. 

Ein Singschulkhunst. 



1. 



In siessen 
Gott griessen 
Euch merkhen thue : 
Gott griess dazue 
Euch Singer all : 
Gott grie9se auch zu mall 
Euch lieben freunde die 
Ir wohnet hie 
In diser Statt 
Geratt 

Oder seitsunst bekhumen 



Die feil ist bar 

Zu diser Johanns mess. 

Gott griesse euch hohes 

Und niders standts zugleich I 

Gott griesse euch 

Frauen und man 

Kortan , 

Gott griess euch all ir Trumen ! 



Es vermant uns S. Paulus fein 
Im sibenden capitel sein 



Der ersten Corinther, ich mein, 
Und meldet also heiter : 



Zu khramen 
Allsamen 
Mancherley wahr 



Die Zeit ist khurz alhie auff ort. 



Ich sag euch lieben Brueder wert, 



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Darumb so merkhet unbeschwert 

Dise Meinung auch weiter. 

Welche da vill 

KhaulTen nit will, 

Das sie nicht anders stellen sich 

Dan als besdssen sio es nit ; 



Und die diser weit brauchen mit, 
Die sollen auch 

Zuesehen das sie der weit brauch 
Nicht missbrauchen thun yppiglicb. 
Dan das wesen der Welt 
Vergbet mit allem gut unnd gelt. 



Und diser 
Gewiser 
Hegel inhalt 
Zu folgen balt, 
Ist es le nott gwest noch, 
So ist es iez nott hoch , 
Da die gottlose weit 
Dem gut und gelt 
Bey tag und nacht 
Mit macht 

So hefftig thut nach streben. 

Sie khauflet 
Unnd lauffet 
Nicht anders als 
Wan sie einsmals 
Ewig in diser zeit 
Müste bleiben bereit : 
Unnd vergisset dabey 
Der Regel frey 
S. Pauli die 



Wie nemblich 
Bequemblich 
Solchs alles woll 
Euor lieb soll 

Nach diser schulkhunst mein 
Von uns anhören fein. 
Da wir dan auch zugleüch 
Fein wollen eüch 
Anzeigen, was 
Doch das 

Für blinde leite seyen, 

Die teglich 
Unseglicn 
In diser weit 
Nur nach dem gelt 
Rennen und lauffen sehr, 
Weil die weit nicht lang mehr 
Khönne haben bestandt: 
Sonnder zuhandt 
Soll alle stundt 



Er hie 

Uns in gemein thut geben. 

Damit man nun sehen mög, das 
Dio zeit ia sehr khurcz sey furbas, 
So wollen iczundt gleichermas 
Unser etliche singen 
Von den vorbotten, welche der 
Ehbrecherischen weit nunmehr 
Iren letzten undergang schwer 
Anzeigen unnd mitbringen. 
Dan gleicher weiss 
Wie da mit fleiss 

Ein sterbender mensch den der Tott 

Bläzlich hinrichten will gerat, 

Siben warer vorbotten hat, 

Die im sein endt 

Vor äugen bilden thun behendt : 

Also hat die weit voller nott 

Siben vorbotten auch 

Die ir das endt anzeigen rauch. 



3. 



Zu grundt 

Und boden ghen von neyen. 

Darumb seit liebe freundt zumall, 
Gebetten, ir wollet euch all 
Fein still erzeigen mit dem schall 
Und solchs anhören eben. 
Nun khombt auch her, irsingerfrisch, 
Last uns den merkhern über tisch 
Unser nammen wakher und risch 
Ins los geschriben geben I 
Khombt, da hengt ganz 
Ein hübscher khrancz. 
Der lachet uns an freundtlich gar : 
Khombt her und last uns sehen doch 
Wer in davon wirt tragen noch : 
Kombt, es haben auch sunst 
Ellich liebhaber der singkhunst 
Was zu versingen geben dar. 
Khombt das die freundt nicht lang 
Warten auff des gesangs anfang. 

Dise schul ist gehalten worden zu Strassburg den 5 Sonlag nach 
Trinitatis im 1591 jar oben in der Johanes mess. 

Johannes Zehenthoffer. 

Mag uns nun auch diese Poesie der Meistersänger allzu 
ernst und zugleich etwas verkünstelt erscheinen ; in jener Zeit 
fand sie den Beifall auch der Obrigkeit. 1598 wurde die 
Singschule von neuem durch den Rat bestätigt in einer Ur- 
kunde, die mit ihrem väterlich mahnenden und anerkennenden 



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Ton die Milde des damaligen Stadtregiments bezeugt. Der 
Rat bewilligte sogar den Meistersängern eine jährliche Unter- 
stützung. Und diese Summe erhöhte sich noch durch einige 
Legate der nächstfolgenden Zeit. 

In dieser glaubten nun aber auch die Meistersänger 
sich neuen Aufgaben zuwenden zu können. Der Aufschwung 
der Strassburger akademischen Bühne, welche klassische und 
neugedichtete Stücke in griechischer und lateinischer Sprache 
aufführte, verfehlte nicht auch in der übrigen Bürgerschaft 
den Trieb zu theatralischen Aulführungen wach zu rufen. 
Seit 1003 unternehmen die Meistersänger deutsche Vor- 
stellungen, und die Eingaben an den Rat über diese Unter- 
nehmungen lassen die weitere Geschichte der Meistersänger 
Strassburgs ziemlich eingehend verfolgen. Als Dichter solcher 
Stücke für die hiesigen Meistersänger erscheint besonders 
thätig Wolf hart Spangenberg, der Sohn jenes Predigers 
CyriacuB Spangenberg. Nur einzelnes von diesen Stücken ist 
durch den Druck erhalten. Von den Komödien darunter muss 
man sagen, dass der Faden zu diesen Geweben etwas grob 
gesponnen ist. In der einen, welche „ Glückswechsel " betitelt 
ist, wollen ein Bauer, ein Landsknecht und ein Geistlicher 
ihren Beruf vertauschen ; die beiden letzteren verabreden sich, 
den Bauern dabei um sein Geld zu betrügen; durch das Ein- 
greifen anderer, und zwar weiblicher Personen, verlieren sie 
aber auch das ihrige, und der Bauer Liendle erscheint zuletzt 
als der allein Gewinnende. 

Wir begreifen, dass die Obrigkeit nicht immer gern die 
Erlaubnis zu solchen Aufführungen gab, um so mehr, als deren 
Ausgelassenheit bald mit dem Elend des dreissigjährigen Kriegs 
in grellen Widerspruch trat. Erst nach dem westfälischen 
Frieden tritt wieder eine freundlichere Stimmung ein. Man 
erkennt, wie der Rat es jetzt für notwendig hält, alle Kreise 
der Bürgerschaft zusammen zu halten. Schon drohte ja die 
Gefahr, von Frankreich überwältigt zu werden, eine Gefahr, 
welche 1681 sich verwirklichte. 

Damit war auch das Schicksal der Meistersänger ent- 
schieden. Die neuen Machthaber hatten für sie wenig Neigung, 
wenig Rücksicht. Der Prätor Klinglin liess die Gesuche, 
die Fortführung ihres Theaters zu gestatten, durch den Rat 
mit herben Worten zurückweisen. Die Handwerker sollten, 
so meinte er, lieber arbeiten, etwas verdienen und dadurch 
sich und ihre Familie ehrlich machen. 



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Trotz dem Eingehen des Theaters der Meistersänger 
dauerten ihre Singschulübungen selbst fort. Noch fast ein 
ganzes Jahrhundert nach der Uebcrgabe Strassburgs bestand 
der Meistergesang, freilich oft verhöhnt und in der Zahl der 
Mitglieder beständig abnehmend, bis endlich die matt ge- 
wordene Flamme erlosch. 

Und freilich, es war inzwischen ein Tag aufgegangen, 
der auch stärkere Lichter erbleichen liess. Seit der Mitte des 
vorigen Jahrhunderts, seit dem Erscheinen des „Messias" von 
Klopstock traten mit immer steigender Kraft Dichter hervor, 
die die deutsche Litteratur dem Besten zur Seite stellten, 
was die Weltlitteratur jemals geleistet hat. Vor allem war es 
Goethe, der die Kluft schloss, welche seit der Renaissance- 
zeit die Gelehrten vom Volke trennte. Er verband das Herr- 
lichste, was wir von den Griechen lernen konnten, mit dem 
uralten poetischen Zuge des deutschen Volkes. Gerade sein 
Aufenthalt in Elsass brachte ihn mit unserer Volkspoesie in 
innige Berührung; hier sammelte er die Lieder, deren Wert 
ihn Herders Lehre hatte erkennen lassen. Die Roheit der 
alten Zeit, die übertriebene Künstlichkeit einer späteren, sie 
waren fortan unmöglich : nur wo Inhalt und Form sich völlig 
deckten, konnte seitdem das Kunstwerk als vollkommen gelten. 

An den Meistergesang konnte man nur noch mit litterar- 
historischem Interesse denken oder etwa mit der Wehmut 
des Vaterlandsfreundes, der im Untergang auch dieser Ein- 
richtungen ein Stück des alten Volksgeistes dahin schwinden 
sah. In diesem Sinne erinnert der grösste Dichter, den das 
Elsass seit der Revolution gehabt hat, erinnert Arnold im 
„Pfingstmontag" an die Meistersänger, und lässt am Schlüsse 
seines vaterländischen Dramas die einzelnen Personen mit 
Berufung auf die Meistersänger sich in Liedern aussprechen. 

Noch etwas später ward das Andenken der Strassburger 
Meistersänger erneut und zwar durch zwei Männer, die wir 
noch heute unter uns sehen und verehren. Im Jahre 1838 
erschienen die Gedichte eines jungen Drechslermeisters, Lieder, 
die mit grosser Formgewandtheit, mit herzlichem Gefühl und 
am rechten Orte auch mit gutem Humor das aussprachen, 
was der Verfasser teils persönlich erlebt, teils mit seinen 
Stadtgenossen zusammen empfunden hatte. Zu diesen Ge- 
dichten von Daniel Hirtz schrieb der Gelehrte, den die 
Universität heute als ihren Senior mit Stolz nennt, schrieb 
Eduard Reuss ein Vorwort, in welchem er in geistvoller Weise 



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den Vergleich des lebenden Dichters mit den alten Meister- 
sängern durchführt, einen Vergleich, der darin durchaus zu- 
trifft, dass auch hier tüchtige Handarbeit und edle, geistige 
Erholung sich verbanden. 

Möge — dieser Wunsch sei zum Schlüsse vergönnt — der 
Meistersang in dieser seiner Verjüngung auch in aller Zu- 
kunft unserer Stadt nicht fehlen! 



(Als Beilage «um Jahresbericht dos Vollubildungsvereins für EUasa-Lolbringeu 

gedruckt.) 



Strassburg, Buchdr. U. Schultz u. Comp. — 31J83. 



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