Paedagogisc
Wiener
Paedagogische
Gesellschaft
HARVARD UNIVERSITY
LIBRARY OF TBE
GRADUATE SCHOOL
OF EDUCATION
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PAED AGOGIS CHES JAHRBUCH
1886.
m
(DER PAEDAGOGISCHEN JAHRBÜCHER NEUNTER BAND.)
Herausgegeben
VON DER
Wiener Paedagogischen Gesellschaft.
Redigiert von M. Zens.
-■
-WIEN 1887.
Manz'sche k. k. Hof- Verlags- und Untv.-Buchhandlung
(Julius Klinkhardt & Co.)
I. Kolli. MARKT 7.
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BUCMOnUCKCAtl JUUUS KLINKMABOT, LCIPZlO.
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i
Vorwort.
Der neunte Band des Pädagogischen Jahrbuches will — wie
seine Vorgänger — einen Überblick geivähren einerseits über das
Leben und Streben in unserem Vereine, andererseits über die wich-
tigsten Momente in der Entwicklung des heimischen Bildungswesetis.
Dieser Absiclit entsprechend enthält das Buch im ersten Titeile Vor-
träge, Referate und Debatte -Skizzen aus den Verhandlungen der
Wiener Pädagogisclten Gesellschaft, im zweiten Theile dagegen die
weiter ausgreifenden Capitel „Schulchronik**, „Pädagogisches Vereins-
wesen** und „Thesen zu pädagogischen Themen**.
Ist unseren Jahrbüchern bisher eine wohlwollende Kritik von
Seite der Berufsgenossen und Fachblätter, soivie die Anerkennung
hervorragender Körperschaften zutheil geworden, wobei wir besonders
die materielle Unterstützung durch den hohen niederösterreichischen
Landtag dankbarst hervorheben, so dürfen wir uns der Hoffnung
hingeben, dass auch der neue Jahrgang unsere ernste Auffassung
der Erziehungs- und Unterrichtsfragen erweisen ein
Anrecht auf die freundliche Beachtung in weiteren Kreisen erringen
werde.
Wien, Jänner 1887.
T>ie %edacüon.
Der *Ausschuss der Wiener 'Pädagogischen Gesellschaft.
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Inhaltsverzeichnis.
Seite
/♦ Theil. Vorträge und Referate.
I. Der Humanist Äneas Sylvius als pädagogischer Schriftsteller. Von Dr. Ema-
nuel Hanmik i
II. Rede zur Pestalozzifeier. Von Dr. Ad<df Jofcf Pick 12
III. Pflege und Verwertung der Phantasie beim Unterricht. Von D. Simon . 28
IV. Aufgaben und Correcturen. Von Franz Steig! 38
V. Hölzeis Wandbilder für den Anschauungs- und Sprachunterricht. Von Eduard
Jordan 50
VI. Beiträge zur Methodik des naturkundlichen Unterrichts in der Volksschule,
Von Eduard Rybiczha . . ■ 5^
VII. Uber die Beschaffung frischer Pflanzen für den botanischen Unterricht.
Von Dr. Karl Rothe 62
VIII. F. Stcigl's Wandtabellen für den Zeichenunterricht. Von Gustav fürmer . 75
IX. Über Consei vierung der Lehrmittel. Von Julius Hof er ....... 78
//. Theil. Anhang.
I. Schulchronik. Von M. Zens 104
II. Da.s pädagogische Verein.swe.sen in Österreich - Ungarn. Zusammengestellt
von M. Zens 130
III. Thesen zu pädagogischen Themen. (Als Ergebnis der Berathungen in Lehrer -
vereinen, officiellen Conferenzen etc.) Zusammengestellt von AI. Zens . 150
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I. Theil.
Vorträge und Referate.
I.
Der Humanist Äneas Sylvius als pädagogischer
Schriftsteller.
Vortrag, gehalten am 3. März 1886 von Dr. Emanuel Hannak.
Wenn eine grosse geistige Bewegung in der Menschheit eintritt, so er-
fasst dieselbe häufig zuerst die höheren gebildeten Schichten der Gesellschaft,
und erst von da aus findet sie allmählich den Weg in die niederen
Kreise. Zugleich aber tritt bei dergleichen geistigen Revolutionen jederzeit
das Bemühen ihrer Parteigänger zutage , die neuen Errungenschaften ihrer
geistigen Arbeit in die Jugend zu verpflanzen, um in der künftigen Generation
Anhänger und Vorkämpfer ihrer Ideen zu erziehen.
So sehen wir, um ein bekanntes Beispiel anzuführen, dass die Auf-
klärung um die Mitte des vorigen Jahrhunderts zunächst in den höchsten
Schichten der französisch-englischen Gesellschaft sich verbreitete und auch
in Deutschland zuerst an, den Höfen der Fürsten Eingang fand. Um diese
geistige Richtung in weitere Kreise zu verbreiten, suchte man die Jugend der
höheren Stände für die neuen Ideen zu gewinnen , und deshalb schuf man
theoretische Anweisungen, wie die Jugend in diesen erzogen werden
könne, und errichtete Anstalten, in welchen eine solche Erziehung statt-
fand Rousseaus „Emil", der ebenso eifrig von den Gelehrten als an den
Höfen der Grossen gelesen wurde, ist das Evangelium der Aufklärung in der
Erziehung, und Basedows Philanthropinum in Dessau ist die erste und
wichtigste Erziehungsstätte dieser Richtung. Rousseau sowohl als Basedow
hatten bei ihren Bestrebungen hauptsächlich die wohlhabenden Kreise der
Gesellschaft im Auge, letzterer wendete sich geradezu an die regierenden
Häupter Europas, um mit deren Unterstützung seine „menschenfreundlichen"
Ideen ins Werk zu setzen.
Ganz ähnliche Erscheinungen traten im i5. Jahrhunderte zutage, als eine
neue, der Aufklärung sehr verwandte Geistesrichtung in Italien erstand und
Jahrbuch d. Wiener päd. Gei. 1
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die Gemüther der Menschen mächtig erfasste. Es ist dies der Humanis-
mus oder die Renaissance. Im Gegensatze zu der christlich-theologischen
Richtung des Mittelalters entwickelte sich infolge des Studiums der clas-
sischen Werke der Griechen und Römer eine neue Weltanschauung,
welche der christlichen Selbstabtödtung die Lebensfreude, der einseitigen
theologischen Bildung die profane Bildung entgegensetzte. Nach ihr hatte
nicht bloss das Leben im Jenseits, sondern vor allem auch das irdische Leben
der Menschen einen Wert, und darum bemühte man sich, dasselbe mit allen
Mitteln, die Natur und Kunst boten, zu verschönern.
Auch diese neue Richtung gewann zuerst an den Höfen der italienischen
Fürsten einen festen und sicheren Boden. Die Mediceer in Florenz, die
Visconti und Sforza in Mailand, die Gonzaga in Mantua, die Este in Ferrara,
die Päpste in Rom und die Patricier in Venedig schlössen sich ihr an und
waren ihre eifrigsten und freigebigsten Gönner. Um diese geistige Bewegung
zu verbreiten, gründete man besondere Akademien (Florenz und Neapel),
zog Gelehrte herbei und errichtete für sie Lehrstuhle, von denen aus die
neue Wissenschaft verkündet wurde. Aus allen Theilen Europas drängte
sich die wissbegierige Jugend herbei, um die neue Weisheit zu lernen. Bald
stellte sich das Bedürfnis ein, Theorien über die neuartige Erziehung
aufzustellen und besondere Institute zu gründen, welche die Jugend nach
den Principien des Humanismus erziehen sollten.
Unter den Theoretikern sind zunächst Pier Paolo Vergerio (geb.
»349» t ! 4 2 B) und Francisco Filelfo (geb. 1398, 71481) zu nennen. Ersterer
unterrichtete die Kinder des Fürsten Francesco von Carrara in Padua und
schrieb eine Abhandlung: „Ad Umbertinum de Carraria de ingenuis moribus
et liberalibus studiis adolescentiae liber" (bei Mena Script. Leon. Brunii),
letzterer lehrte hauptsächlich in Florenz und entwarf sowohl für den 14jährigen
Prinzen Philibert von Savoyen als auch für den mailändischen Prinzen
Gian-Galeazzo Sforza einen Erziehungsplan. Das bedeutendste theo-
retische Werk rührt aber von Mapheus Vegius (Mafeo Vegio, 1406 — 1458)
her, der bei der päpstlichen Curie in Rom bedienstet war und 6 Bücher „Über
die Erziehung der Jugend und ihre guten Sitten" (de educatione liberorum
et eorum claris moribus libri sex) schrieb. Von den praktischen Päda-
gogen, welche nicht so sehr durch ihre Schriften als vielmehr durch ihre
Thätigkeit als Lehrer und Erzieher glänzten, will ich nur zwei hervorheben.
Der eine ist Battista Guarino (1370 — 1460 , welcher zuerst in seiner Vater-
stadt Verona erfolgreich lehrte, dann am Hofe des Fürsten Nicolaus (III) von
Este in Ferrara dessen Sohn Lionello zu einem vorzüglichen Fürsten erzog
und hier sowohl öffentliche Vorträge hielt, als auch eine Privat-Erziehungs-
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anstalt einrichtete, die sich des besten Rufes erfreute. Von ihm sagt
Äneas Sylvius, „dass er Lehrer fast aller derer wurde, die in unserer Zeit
sich den Humanitätsstudien zuwandten". Der andere ist Vittorino da
Feltre (eigentlich Rambaldoni) (geb. 1378, f 1446), der zuerst in Padua,
dann in Venedig eine Art Gymnasium , mit dem er ein Pensionat verband,
leitete, dann aber zur Erziehung der Kinder Gian-Galeazzo Gonzagas
nach Mantua berufen, hier eine Erziehungsanstalt gründete, in welcher neben
den Kindern des Fürsten auch Söhne der angesehensten Familien Italiens,
ja selbst Deutschlands erzogen wurden , überdies aber in sein Haus arme
talentvolle Knaben, oft 70 an der Zahl, aus Liebe zu Gott (per l'amore di
Dio) aufnahm, damit diese zugleich mit den Kindern der Reichen sich aus-
bilden könnten.
Der Humanismus fand seinen Weg allmählich auch über die Alpen und
speciell auch in unser Vaterland, nach Österreich. Einer der ältesten Ver-
mittler dieser neuen Zeitrichtung ist Äneas Sylvius Piccolomini, der uns
insbesondere deshalb interessant erscheint, weil er auch unter den Theore-
tikern der Pädagogik angeführt zu werden verdient. Zunächst wollen wir
uns in kurzen Umrissen sein Leben vergegenwärtigen, um dann seine lite-
rarische Thätigkeit und speciell sein pädagogisches Werk zu würdigen.
Ä. S. ist unweit von Siena (zu Pienza) 1405 geboren, studierte zuerst in
Siena, dann in Florenz, wo er den schon erwähnten Filelfo hörte. Durch
diesen wurde er an Aurispa, der in Ferrara lehrte, und an Guarino
empfohlen. Er bereiste nun Oberitalien und widmete sich den humanistischen
Studien. Von einem Cardinal (Capranica) als Secretär gewonnen, reiste er
mit diesem nach Basel zum Concile und erscheint daselbst im Dienste ver-
schiedener Kirchenfürsten. Seine Redegewandtheit und sein weltmännisches
Auftreten lenkte die Aufmerksamkeit der versammelten Mitglieder des Con-
cils auf ihn, und er wurde zum Scriptor der Synode gewählt und häufig
zu Gesandtschaften verwendet. Bei einer solchen Gesandtschaft kam er nach
Wien, um Friedrichs IV. Bruder Albrecht zur Annahme der Krone zu be-
wegen. Bei der Wahl des Gegenpapstes Felix V. von Savoyen spielte er schon
eine hervorragende Rolle und wurde dessen Secretär. Er vertheidigte auch
die Wahl seines Herrn in einem grösseren Werke (Commentarien über das
Baseler Concil), das auf den Index kam. Da aber Felix V. sich keinen
grösseren Anhang zu verschaffen wusste, so kam auch sein Secretär nicht
zur Geltung. Darum versuchte es Ä. S. mit der Gegenpartei. Als Gesandter
des Concils zum Reichstage nach Frankfurt geschickt, wurde er dem Könige
Friedrich IV. empfohlen und von ihm zum Dichter gekrönt (1442) und trat
im folgenden Jahre als Secretär in die Reichskanzlei, deren Vorstand der in
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der Geschichte Albrechts II. schon hervorragende Caspar Schlick war. Er
wusste sich die Gunst dieses einflussreichen Kanzlers zu gewinnen und führte
am kaiserlichen Hofe ein lockeres Leben, wie er dies auch in seinen Studien-
jahren zuSiena und während seines Aufenthaltes in Basel gethan. Er war ein
Freund des Bacchus und leckerer Mahle und hatte eine Schwäche für schöne
Frauen, weshalb er besonders gern in Wien verweilte, wo, wie er beschreibt,
die Zucht der Frauen viel zu wünschen Hess. Aus dieser Zeit stammt auch
ein Liebesroman voller Lascivität (Euryalus und Lucretia), der viel Verbreitung
fand. Um die Mittel für ein bequemes Leben zu gewinnen, suchte er sich
einträgliche Pfründen zu verschaffen. Es gelang ihm auch, kleinere Pfarreien
zu erhalten, ohne dass er sich zum Priester weihen Hess. Er wollte sein bis-
heriges Leben nicht ändern, weil er meinte, dass die Enthaltsamkeit wohl
für Philosophen, aber nicht für Dichter passe, zu denen er sich mit Vorliebe
zählte (sum poeta non stoicus). Als ihm aber die Aussicht auf eine glänzende
Stellung winkte, brachte er auch das schwere Opfer, in den Priesterstand zu
treten. Schon während der Verhandlungen, welche Ä. S. mit dem Papste
Eugen IV. im Auftrage des Königs führte , wurde er von dem Papste zum
apostolischen Secretär erhoben und in Rom zum Priester geweiht.
Als* die Unterhandlungen einen für Rom günstigen Abschluss fanden, da*
Baseler Concil und sein Papst von Friedrich aufgegeben wurden, erhielt Ä. S.
zum Lohne für seine Dienste das Bisthum Triest (1447). Doch nicht lange
verweilte er in seinem Bistburoe. Obwohl sein Gönner Caspar Schlick in
Ungnade gefallen war (1448), wusste sich Ä. S. in der Gunst des Königs zu
behaupten. Friedrich IV. berief ihn wieder an seinen Hof und verwendete
ihn zu mancherlei Missionen. Wiederholt gieng er nach Mailand, um dies
Herzogthum für Friedrich zu gewinnen ; auch mit den Böhmen trat er wegen
der Auslieferung des j ungen Ladislaus in Unterhandlungen. Hauptsächlich
aber leistete Ä. S. seinem Herrn gute Dienste bei seiner Brautwerbung um
Eleonore von Portugal. Als er nach glücklichem Abschlüsse der Verhandlungen
nach Neus t ad t zurückkehrte (1451), erhielt er von Friedrich den Reichsfür-
stenstand und Sitz und Stimme als königlicher Rat. Früher schon
(1449) war er zum Bischof von Siena erhoben worden. Bei der Ankunft
Eleonorens in Livorno wurde sie von Ä. S. empfangen, und sie entschied
sich dafür, dass dieser sie zu ihrem Bräutigam geleite. Auf dem Zuge nach
Rom und bei der Kaiserkrönung Friedrichs und seiner Gemahlin stand Ä. S.
in erster Reihe. Er hoffte bei dieser Gelegenheit den Cardinalshut zu er-
halten. Dieser blieb zwar aus, aber er bekam zahlreiche Privilegien , nament-
lich Einkünfte von deutschen Stiftern durch den Papst zugewiesen und wurde
zum apostolischen Nuntiusfür Böhmen, Mähren, Schlesien, dieDiöcesen
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Aquileja und Salzburg und für Ungarn ernannt (1452). Bis zum Jahre 1455
verweilte Ä. S. am kaiserlichen Hofe. Er kam in vielfache Berührung mit
dem jungen Prinzen, später König Ladislaus Posthuraus, und leistete dem
Kaiser in den Verhandlungen mit den deutschen Fürsten, mit den Ungarn
und Böhmen treffliche Dienste. Nach dem Falle Constantinopels beschäf-
tigte ihn besonders die Türkenfrage , und er suchte im Sinne der päpstlichen
Curie die Deutschen für einen Türkenkrieg zu gewinnen. Auch der Reunion
der böhmischen Utraquisten wandte er sein Augenmerk zu. Nach der Wahl
des neuen Papstes Calixtus III. kam Ä. S. (i455) als Gesandter Friedrichs IV.
nach Rom und kehrte nicht mehr nach Deutschland zurück. Dadurch, dass
er den König Alfonso von Neapel für einen Kreuzzug gegen die Türken
gewann, verdiente er sich den langersehnten Cardinalshut; 1466 wurde er
zum Cardinalpresbyter von St. Sabina erhoben und im Besitze des Bis-
thums Siena belassen. Als Cardinal beschäftigte er sich vielfach mit la-
teinischen Arbeiten , war aber zugleich darauf bedacht , seine Verbindungen
mit der kaiserlichen, böhmischen und ungarischen Kanzlei dazu auszunutzen,
um sich die Einkünfte vieler Pfründen in Deutschland, Böhmen und Ungarn
zu verschaffen. Nach dem Tode Calixtus III. wurde er zum Papste gewählt,
als welcher er den Namen Pius II. annahm (1458). In dieser Stellung unter-
stützte er Friedrich IV. gegen dessen Feinde und arbeitete besonders eifrig
daran, einen Kreuzzug gegen die Türken zustande zu bringen. Nachdem er
Venedig und Burgund für diesen Plan gewonnen hatte, nahm er selbst das
Kreuz und zog nach Ancona, starb aber daselbst 1464, ohne sein Ziel erreicht
zu haben.
Wir sehen, dass Ä. S. von der bescheidenen Stellung eines Privatsecretärs
geistlicher Fürsten sich zur höchsten kirchlichen Würde emporgeschwungen
hatte. Weder Gelehrsamkeit, noch Sittenreinheit hatten ihm den Weg zu
dieser Würde geebnet, sondern vielmehr seine weltmännische Klugheit, welche
mit Consequenz ein bestimmtes Ziel im Auge behielt und zu dessen Er-
reichung jedes Mittel, das sich darbot, zu ergreifen verstand. Seine Ge-
schmeidigkeit gegenüber den Mächtigen, seine wohlberechnete Freundlichkeit
selbst gegenüber den Unbedeutenden , die aber doch mitunter zu Einfluss
gelangten, haben ihn emporgebracht. Daneben hat er seine Erhebung haupt-
sächlich seiner humanistischen Bildung und der geschickten Verwertung dieser
seiner Bildung zu danken. Er war kein gelehrter Humanist, dem die Wissen-
schaften einen bedeutenden Fortschritt zu danken hätten ; er verstand nicht ein-
mal das Griechische, stand daher auch, trotzdem dass er viele Jahre am kaiser-
lichen Hofe in Wien weilte, in keinerlei Beziehungen zu den gelehrten Professoren
der Wiener Universität. Aber er sprach und schrieb ein elegantes Latein
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und war begeistert für das römische Alterthum. Dazu besass er ein vor-
zügliches Rednertalent und neben der Gabe, leicht und geistreich zu schreiben,
die Gewandtheit, jede Sache, die er vertrat, mit allen rhetorischen und dia-
lektischen Mitteln zu vertheidigen. Er war das, was wir heute einen ge-
wandten und gutunterrichteten Journalisten bezeichnen. Und sowie
heutzutage Journalisten zu Hofraths- und Ministerstellen, in Republiken sogar
zur Regierung als Präsidenten gelangen, so gelangte der von dem damals
modernen Geiste des Humanismus durchdrungene Literat Ä. S. zum Papstthum.
Die meisten seiner Werke tragen an sich den Typus der damaligen Jour-
nalistik, wenn wir das damals eigenthümliche Literatenthum mit diesem Worte
bezeichnen. Es sind Reden, die er zumeist im Dienste verschiedener Herren,
deren Gunst er sich erwerben wollte, oder bei Missionen, zu denen man ihn
auserwählte, hielt; es sind geistreiche Briefe, die er an Hohe und Niedere,
Gelehrte und Ungelehrte richtete ; es sind Gedichte und zwar in den jüngeren
Jahren solche erotischen Inhalts, im Alter auch Hymnen auf die Jungfrau
Maria, Augustinus und andere Heilige, besonders zahlreich aber Gelegen-
heitsgedichte, Epitaphien und Epigramme; es sind prosaische Aufsätze
und Abhandlungen meist kirchlichen und politischen Inhalts im Dienste
derjenigen Partei, der er seine Feder verkaufte, so anfangs für, später gegen
das Baseler ConciljVertheidigungsschriften des Kaisers und des Papstes; seltener
sind Abhandlungen, die keine egoistischen Zwecke verfolgen (z. B. über die
Pferdezucht, das Landleben, das Glück u. a.).
Eine gTössereBedeutung hat er als Geschichtschreiber und Geograph.
Seine Geschichtswerke und zwar die Geschichte Friedrichs IV. und die
Geschichte Böhmens gehören zu den bedeutendsten Geschichtswerken
des Mittelalters, wiewohl in ihnen die historische Treue gegenüber der Kunst
der Darstellung in den Hintergrund tritt. Seine Autobiographie, Commen-
tarien betitelt, sind eine Art Tagebuch, welches hauptsächlich seine Reisen,
auf denen er sich als feiner Beobachter der Menschen und des Landes zeigt,
behandeln. Sie können demnach als Übergang zu seinen geographischen
Werken betrachtet werden, unter denen seine auf sorgfältigen Studien be-
ruhenden Werke Europa und Asia insofern als bedeutend bezeichnet werden
müssen, als durch sie die berühmten deutschen Kosraographen Seb. Frank
und Sebast. Münster angeregt wurden.
Für Deutschland und speciell für Österreich erscheint Ä. S. als der erste
bedeutende Prediger der neuen Richtung der damaligen Zeit, des
Humanismus. Zunächst wirkte er in seiner nächsten Umgebung und ver-
breitete unter seinen Collegen, den Schreibern in der Reichskanzlei, die Liebe
zu dem classischen Alterthum. Einer von ihnen, Tröster mit Namen,
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schrieb nach seinem Vorbilde literarische Abhandlungen, und der spätere
Oberstkanzler, Prokop v. Rabstein, wurde durch ihn für den Humanismus
gewonnen. Auch der Rathsschreiber von Nürnberg, Niclas v. Weil, war
sein begeisterter Verehrer und wurde durch ihn veranlasst, ein besonderes
Pensionat zu errichten, in welchem Jünglinge zum Theil an der Hand der
Schriften des Ä. S. in die classischen Studien eingeführt wurden. Der be-
deutendste Schüler des Ä. ist aber Joh. Hinderbach, der die Geschichte
des Ä. S. fortsetzte, am Hofe des Kaisers Einfluss gewann und zuletzt als
Bischof nach Trient kam.
Wie so viele Humanisten suchte auchÄ. S. den Humanismus bei Hofe
zu verbreiten und dadurch zugleich sich als Vertreter dieser Richtung eine
einflussreiche Stellung zu verschaffen. Deshalb schrieb er schon 1443 für den
Herzog Sigismund von Tirol eine Art Fürstenspiegel, in welchem er ihm
schmeichelte und ihn als einen nach dem Sinne der Humanisten herrschenden
Fürsten pries, um durch ihn im Besitze einer tirolischen Pfründe geschützt
zu werden. Seine wichtigste pädagogische Schrift ist aber sein Tractat
über die Kindererziehung an Ladislaus, den König von Ungarn und
Böhmen (tractatus de liberorum educatione editus ad Ladislaum Ungariae
et Bohemiae regem).
Diese Schrift datiert vom Jahre 1449. Wie wir aus ihr erfahren, war sie
bestimmt, als Weihnachtsgeschenk nach der Sitte der damaligen Zeit (also
sind die Christkindsgaben nicht erst, wie vielfach behauptet wird, neumodische
Einführung der Protestanten) dem damals erst 10 Jahre alten Prinzen gegeben
zu werden. Der ehrgeizige Verfasser hoffte hiedurch einerseits die Aufmerk-
samkeit König Friedrichs, unter dessen Vormundschaft ja Ladislaus stand,
wieder auf sich zu lenken, da er nach dem Sturze seines Gönners Casp. Schlick
die Gunst des Königs verloren zu haben glaubte, andererseits rechnete er
darauf, dass er, falls Ladislaus den Böhmen und Ungarn übergeben würde,
wie diese es forderten, bei ihm eine hervorragende Stellung erringen könnte.
Das Werk enthält nicht viel Neues, es ist compiliert aus Plutarch und Quin-
tilian mit Benutzung der Werke anderer Schriftsteller der Alten, die Ä. S.
häufig nach dem Gedächtnisse citiert. Es sollte nach diesem Werke der
junge Prinz zu einem Kenner und Pfleger des Humanismus erzogen werden,
wie dies seine Zeitgenossen Alfonso von Neapel, Lionello von Ferrara und
andere Fürsten und Fürstensöhne waren.
In der Einleitung weist Ä. S. nach, dass den Fürsten das Studium
der Wissenschaften nothwendig ist, und entwirft den Plan für sein Werk, dem-
gemäss es in vier Theile zerfallen soll, welche die vier Lebensalter: das
Knaben-, Jünglings-, Mannes- und Greisenalter des Königs, entsprechend den
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Idealen, welche dieses Zeitalter für einen König aufstellte, zu schildern hatten.
Doch wurde dieser Plan nicht durchgeführt. Das erhaltene Werk behandelt
bloss das Knabenalter und speciell die Art der Erziehung in diesem Alter.
Dieser Theil zerfällt wieder in zwei Abschnitte. Im ersten wird die Er-
ziehung des Körpers, im zweiten die des Geistes dargelegt.
Ehe der Verfasser von der körperlichen Erziehung spricht, legt er die
Notwendigkeit dar, bei der Auswahl der Erzieher Vorsicht anzuwenden und
nur tüchtige und ehrbare Männer auszuwählen, und fordert von diesen, dass
sie nicht durch Ruthen- und Stockstreiche, sondern durch Ermahnungen und
Vorstellungen die Kinder leiten.
In der Körperpflege dringt er auf Abhärtung, auf gute Manieren, auf
kriegerische Übungen (speciell für einen König) und empfiehlt besonders
Spiele zur Erheiterung des Gemüths. Hiernach fordert er Massigkeit in
Speise und Trank und glaubt insbesondere diese hervorheben zu müssen, weil
in Österreich, Ungarn und Böhmen gerade auf splendide Mahlzeiten grosser
Wert gelegt werde.
Zum zweiten Abschnitte übergehend, legt er zuerst den We rtderGeistes-
bildung dar und begründet die Nothwendigkeit philosophischer Studien für
die Könige. Hiernach spricht er über die Zeit, wann die Kinder zur Be-
schäftigung mit den Wissenschaften zuzulassen seien, und schliesst sich Quin-
tilian an, der schon in der zartesten Jugend, in der Wiege den bildenden Ein-
fluss der Mutter oder Wärterin fordert.
Darauf übergeht er zu den Gegenständen, in welchen christliche Knaben
zu unterweisen seien, und bespricht zuerst den Religionsunterricht und
die religiöse Erziehung, wobei er dem Zöglinge ans Herz legt, die Priester
nicht bedrücken zu lassen und selbst solche, die sich irgend welche Sünden zu
Schulden kommen Hessen, nicht als unwürdige Priester zu bezeichnen. Mit
dieser Bemerkung scheint auf die Lehren Wiclefs und der Hussiten hin»
gewiesen zu sein.
Als ein geeignetes Mittel zur Bildung erscheint ihm der Umgang, und
darum fordert er gutgesittete, die Wahrheit liebende Knaben, die ihm nicht
schmeicheln, als Gespielen für ihn. Sie sollten alle die lateinische Sprache,
einer aber das Ungarische und das Böhmische sprechen, damit er leicht diese
Sprachen erlerne. Denn für einen Herrscher sei es nothwendig, die Sprache
seines Volkes zu kennen. Weil gerade von der Sprache die Rede ist, so
schliesst der Verfasser eine Anweisung über die Ausbildung in der Sprache
an und stellt die Forderung, dass die Sprache kräftig, nicht weibisch schwach,
weder tremulierend, noch schreiend sei, dass die Worte deutlich mit den
richtigen Lauten ausgesprochen, die letzten Silben nicht verschluckt werden
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sollen. Um die Zunge zu üben, sollen besonders schwer aussprechbare Verse
memoriert und schnell recitiert werden. In seiner späteren Entwicklung soll
sich der Knabe in dem Vortrage von Reden üben und darin mit seinen
Altersgenossen wetteifern. Doch seien nur würdige Stoffe als Gegenstand
der Reden zu wählen und alle Selbstüberhebung, alle Beleidigung und nament-
lich alles Unziemliche von dergleichen Reden fernzuhalten. Neben der Aus-
bildung in der Sprache sei die Ausbildung des Gedächtnisses wichtig und
darum müssen Verse und Sprüche fleissig auswendig gelernt werden.
Nun folgt eine ausführliche Behandlung des Unterrichtes in der latei-
nischen Grammatik, welche den grössten Theil des Werkes umfasst und
auch zuweilen als selbständiges Werk des Ä. S. angeführt wird. Mit der
Grammatik wird zugleich die Poetik und Stilistik behandelt und namentlich
empfohlen, die Dichter und Redner der Lateiner zu lesen, wobei sich Ä. S.
gegenüber den Vorwürfen der Deutschen, dass durch die Leetüre der Dichter
die Sitten verdorben werden, zu vertheidigen sucht. Ein besonderes Gewicht
legt er darauf, dass die Fürsten und Könige im Schreiben unterrichtet
werden, und gibt eine Unterweisung im Schön- und Rechtschreiben.
An den Unterricht in der Grammatik hat sich der in der Rhetorik und
Dialektik anzuschliessen. Auch die Musik sei wegen ihrer Wirkung auf
das Gemüth zu lehren, doch sei namentlich hiebei ein sittlich ernster Lehrer
zu suchen und laseive Musik zu meiden. Darnach begründet Ä. die Wich-
tigkeit der Geometrie, Mathematik und Astronomie sowohl zur Aus-
bildung des Geistes, als auch für das praktische Leben und empfiehlt seinem
Zöglinge das Studium dieser Disciplinen.
Zuletzt befürwortet er das Studium der Philosophie und zwar nicht
der Naturphilosophie oder der Metaphysik, sondern der Moralphilosophie.
Durch diese lerne man die Pflichten gegen Gott, gegen die Mitmenschen und
gegen sich selbst kennen. Für dieses Studium eignen sich die Tusculanae
quaestiones des Cicero, sowie die philosophischen Schriften dieses Redners,
ausserdem Seneca und des Boetius berühmtes Werk de consolatione.
Dieser Auszug zeigt uns deutlich das Erziehungssystem der Hu-
manisten. Es sind zwar noch immer die sogenannten artes liberales des
Trivium und Quadrivium, welche als die Hauptgegenstände erscheinen, doch
wird das Trivium so sehr bevorzugt, dass das Quadrivium nur als unter-
geordneter Theil des Unterrichtes, gewissermassen als ein Anhang zu dem
Unterrichte in Grammatik, Rhetorik und Dialektik betrachtet wird. Wenn im
Mittelalter an das Quadrivium sich die Theologie anschloss, so schliesst sich
bei den Humanisten die Moralphilosophie und zwar hauptsächlich auf
Grund der philosophischen Schriften der Römer daran ; der Unterricht in der
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Religion erscheint auf die Haupttheile des Katechismus beschränkt. Diese
Kenntnisse sollen offenbar zugleich mit, ja vor der Grammatik dem Kinde
beigebracht werden. Deutlich tritt die neue Richtung der Erziehung in dem
Umstände zutage, dass der körperlichen Pflege besondere Aufmerksam,
keit zugewandt wird und dass mit Rücksicht auf die körperliche Ausbildung
dem Spiele eine wichtige Rolle unter den Erziehungsmitteln zufällt. That-
sächlich wissen wir, dass Vittorino da Feltre in seinem Institute zu Mantua
systematische Leibesübungen einführte und mit seinen Schülern Reisen und
Spaziergänge unternahm. In dieser Betonung des Körpers bei der Erziehung,
in dem Zurücktreten der religiösen Erziehung sind die charakteristischen
Merkmale des neuen Bildungswesens zu suchen. Aber auch in der Art der
Zucht offenbart sich ein Fortschritt Nicht durch Strenge, nicht durch den
Stock soll das Kind regiert werden, sondern durch Milde, durch Ermahnungen
und Vorstellungen. Wir sehen, wie sich in diesem Erziehungssystem schon
Grundsätze zeigen, die später bei Ratke, Comenius und Locke wieder her-
vortraten. Vielleicht dürfen wir in der Forderung des Ä. S., dass der Er-
zieher durch Vorstellungen (rationibus) auf die Sitten seines Zöglings ein-
wirken soll, schon das Raisonnieren erkennen, das Locke in seiner Abhand-
lung über die Erziehung empfiehlt. Indem Ä. S. die Berücksichtigung
der geistigen Anlagen des Kindes empfiehlt, den Umgang als wichtigen
Factor der Erziehung bezeichnet und namentlich auf ihn als den besten Weg
zur Erlernung der lateinischen und auch der damals modernen Sprachen ver-
weist, erkennen wir bei ihm Grundsätze, welche in späterer Zeit zuerst der
Franzose Montaigne vertrat, nach ihm Ratke deutlicher formulierte.
Ob der Tractat des Ä. S. bei der Erziehung des Königs Ladislaus von
Böhmen und Ungarn Berücksichtigung fand, wissen wir nicht Dieser Prinz
starb auch noch zu jung, als dass man an seiner Regierung die Früchte der
humanistischen Erziehung hätte sehen und erkennen können. Dagegen zeigt
sich uns eine höchst interessante Spur dafür, dass diese Abhandlung des
späteren Papstes Pius II. auf die Erziehung des grossen Kaisers
Maximilian nicht ohne Einfluss war. In der hiesigen Hofbibliothek ist ein
Codex, der eine Abschrift dieser Abhandlung enthält, vor welcher ein Brief
steht, den der Schüler und Verehrer des Ä. S., der Bischof Hinderbach von
Trient, an die Kaiserin Eleonore, die Mutter Maximilians, richtete. In diesem
Briefe gedenkt er eines Gespräches, das er mit der Kaiserin über die Unter-
weisung ihres Sohnes geführt, bei welchem auf dieses Werk des Ä. die Rede
kam, „der keinem der Schriftsteller, die über diese Dinge geschrieben haben,
nachgesetzt werden darf, da sich bei ihm alles, was sich auf die für einen so
grossen Prinzen nothwendige und zweckmässige Erziehung bezieht, zusammen-
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gestellt vorfindet." Er versprach ihr damals das Werk zu überschicken.
Dieses sein Versprechen löste er ein, indem er in Rom bei dem Neffen des
Ä. S., dem Cardinal Piccolomini, ein von der Hand des Verfassers corrigiertes
Exemplar vorfand, hievon eine Abschrift nahm und diese der Kaiserin zu-
gleich mit diesem Briefe sandte. — Wir werden also berechtigt sein anzunehmen,
dass bei der Erziehung Maximilians die von Ä. S. dargelegten Grundsätze
Berücksichtigung fanden, ja, dass seiner Erziehung der von Ä. S. entworfene
Plan zugrunde gelegt ward. Und wenn nun Maximilians Regierung in der
Geschichte des wissenschaftlichen Lebens seiner und aller Zeiten ruhmvoll
glänzt, wenn unter ihm der Humanismus in Österreich und speciell in Wien
erblühte, er selbst als Kenner und Förderer der humanistischen Studien die
grössten Verdienste um die Entwickelung der humanistischen Wissenschaften
in Deutschland sich erwarb, so ist dies zum Theile Ä. S. und seiner päda-
gogischen Schrift zu danken. Darum also beansprucht sie unser vollstes
Interesse.
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IL
Rede zur Pestalozzifeier.
Gehalten am 18. Jänner 1886 von Dr. Adolf Josef Pick.
1.
..Prüfet alles, behaltet das Gute, und
wenn etwas Besseres in euch selber
ist, so setxet es zu dem, was ich in
diesen Bogen in Wahrheit und Liebe
zu geben versuche, in Wahrheit und
Liebe hinsu."
Mit diesen Worten, geehrte Festgenossen, schlicht und einfach, bescheiden
und doch durchdrungen von der Wahrheit seiner Ansicht, beginnt und endigt
Pestalozzi, an dem wir uns heute wie alljährlich erbauen und kräftigen
wollen, seinen „Schwanengesang". Ich habe vor zwei Jahren von diesem
Platze aus seiner ersten Aufforderung: „Prüfet alles!" folgend, untersucht,
worin das liege, was Pestalozzi zu einem Markstein in der Geschichte der
Pädagogik mache, worin das zu suchen sei, wodurch er zum Copernicus der
Pädagogik geworden. Ich kann sein Andenken nicht besser feiern, als wenn
ich, seiner zweiten Aufforderung folge und — nicht „etwas Besseres", aber
doch wohl etwas „in Wahrheit und Liebe" hinzusetze, was zwar in den von
ihm gelegten Fundamenten enthalten ist, das aber weder er selber, noch —
so viel mir bekannt — einer seiner Jünger ausgesprochen hat.
Ichmuss mir gestatten, die Sätze zu wiederholen, in denen ich Pestalozzis
niemals genug zu würdigende Verdienste um die Pädagogik auszudrücken
versuchte. „Dass Pestalozzi", sagte ichdamals*), „zum Copernicus der Pä-
dagogik geworden, liegt
darin, dass er vor allem die Ausbildung der geistigen Anlagen der Men-
schen nicht als eine schöne Zier, sondern ebenso wie die Entwicklung
der körperlichen Anlagen als eine Nothwendigkeit der Menschen-
*) Rede zur Pestalozzifeier. Pädagogisches Jahrbuch. VII. Bd. 1884. Wien u.
Leipzig. S. 5.
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natur, nicht bloss als einen der Wege zum Glücke, sondern als einen
nothwendigen Bestandtheil des Menschenglückes selber ansah;
es liegt ferner darin, dass er, wie vor ihm keiner die gleiche geistige Natur
und die gleiche Berechtigung zur Ausbildung der körperlichen und
geistigen Anlagen aller Menschen betonte;
darin, dass er den Grundsatz aufstellte, nicht von aussen her sind die Gesetze
der Didaktik und Pädagogik abzuleiten ; nicht ein äusserliches, künstlich
construiertes Bildungsziel ist anzustreben, sondern jene müssen geschöpft,
dieses muss erschlossen werden aus der Natur des menschlichen Kör-
pers und Geistes;
darin, dass er dem entsprechend fand , dass die ersten Grundlagen jedweder
Erziehung, jedweden Unterrichts allüberall die gleichen seien, dass der
intellectuelle, wie der moralische Unterricht von dem auszugehen habe,
was zunächst auf die Sinne des Kindes einwirkt, dass von da aus
lückenlos fortzuschreiten sei, dass also die Pädagogik einzig in der
Kunst bestehe, dem Individuum den Weg abzukürzen, den die Welt-
geschichte, d. i. die Natur, die Menschheit geführt;
endlich und vor allem darin, dass er den richtigen Gedanken vollinhalt-
lich erfasste, dass das Wesen wahrer Bildung nicht in der Menge des
Wissens liege, sondern in dessen organischem lückenlosen Zusammen-
hange, hierdurch die naturgemässe, nicht künstlich aufgestellte
Abgrenzung des Wissenschaftsmaterials für die verschiedenen Berufs-
classen zu ermöglichen.
Diesen Grundsätzen entsprechend musste Pestalozzi von der Wohn-
stube aus den Sachunterricht, von dem Mutterherzen aus den mo-
ralischen Unterricht beginnen lassen, von diesem Standpunkte aus war
das Princip der Anschauung in jeglichem Unterricht ein einfacher Folgesatz."
Seit ich dies ausgesprochen, habe ich durch die Freundlichkeit eines
Collegen Gelegenheit gefunden, mehrere Denkreden auf Pestalozzi von
Diesterweg, wohl einem seiner bedeutendsten, wenn auch mittelbaren Jünger,
kennen zu lernen. Gestatten Sie mir, geehrte Festgenossen, dass ich zur
Vergleichung anführe, wie Diesterweg in seiner Rede: „Heinrich Pestalozzi.
Ein Wort über ihn und seine unsterblichen Verdienste für die Kinder und
deren Eltern, zu dem ersten Säcularfeste seiner Geburt" - Pestalozzis
Ansichten charakterisiert. Diesterweg sagt : *)
„Die Grundsätze der Erziehung sind nicht zu machen, sondern zu
suchen; sie liegen in der Menschennatur."
*) Adolf Diesterwegs ausgewählte Schriften, herausgegeben von Ed. Langenberg.
II. Bd. S. 84. Frankfurt a. M. 1877.
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14
„In der Menschennatur liegt ein lebendiger Trieb zur Entwickelung ;
sie ist eine organische Natur, der Mensch ein organisches Wesen."
„Die wahre Erziehung hat darum hauptsächlich Hindernisse aus dem
Wege zu räumen ; sie hat mehr negativ als positiv zu wirken."
„Die positive Wirkung besteht in Erregung; die Wissenschaft der Er-
ziehung ist Erregungstheorie. Die Entwickelung des Menschen beginnt mit
sinnlichen Empfindungen, durch sinnliche Eindrücke; ihr höchster Gipfel ist
intellectuell die Vernünftigkeit, praktisch die Selbständigkeit."
„Das Mittel zur Selbständigkeit und Selbstbestimmung ist die Selbst-
tätigkeit."
„Die praktische Tüchtigkeit ist viel mehr von dem Besitz geistiger und
leiblicher Kraft, als von Kenntnissen abhängig. Hauptaugenmerk in aller
Erziehung (die den Unterricht einschliesst) bleibt daher die Entwickelung der
(formalen) Kraft."
„Die Religiosität des Menschen ist weit weniger von dem Erlernen der
Sprüche und des Katechismus, als von der Gemeinschaft des Kindes mit
einer gottesfürchtigen Mutter und einem thatkräftigen Vater abhängig. Die
religiöse, wie die ganze Erziehung muss mit der Geburt des Kindes be-
ginnen; sie liegt vorzugsweise in den Händen der Mutter."
Ich freue mich, in diesen Worten Diesterwegs nachträglich eine Bestä-
tigung meiner Ansicht über Pestalozzi gefunden zu haben.
So hat uns denn Pestalozzi in seinen Grundsätzen eine für alle Zeiten
unverrückbare Richtschnur für die Methode der Erziehung gegeben, die, weil
naturgemäss, durch keine Änderung der Ansichten über die letzten Gründe
des Seins geändert werden kann. Ich habe vor zwei Jahren, wie ich hoffe,
mit Erfolg nachzuweisen versucht, dass selbst der extrem materialistische
Standpunkt Rolphs an diesen Grundsätzen nichts zu verrücken im Stande ist.
Eine elementare Bildung des ganzen Volkes nach Pestalozzischen Grund-
sätzen mit der äussersten Consequenz durchgeführt, müsste unsere
socialen Verhältnisse durchaus umgestalten, müsste einen bedeutenden Theil
des Wehes, unter dem nicht bloss die unteren Stände leiden, aus der Welt
schaffen.
Was nun aber Pestalozzi und seine Jünger bisher noch nicht gethan,
das ist, die Consequenzen aus den Grundsätzen voll zu ziehen, das ist, die
Normen abzuleiten, nach denen das Ausmass des Wissens abzuwägen ist, das
der Elementarbildung angehört. Halten Sie es nicht für anmassend, liebe
Festgenossen, wenn ich „in Wahrheit und Liebe" mir erlaube , diese Norm
abzuleiten. Ich muss mir jedoch gestatten, etwas weiter auszuholen.
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15
2.
„Und Phantasie besiegt die Lebeasklage,
Und zart, wie Persieos zartster Dichter spricht,
Entspriesst der Rose Duft gemeinem Lehm.''
Bulwer.
Durch den so vielseitig anregenden Vortrag, mit welchem unser Ehren-
mitglied (Dr. Dittes) uns in der zweiten Sitzung des laufenden Vereinsjahres er-
freut hat, ist meine Aufmerksamkeit auf ein Buch gelenkt worden, in dem sich,
wie ich schon aus einigen Anführungen in dem erwähnten Vortrag ersah, so viel-
fache Anklänge an Ansichten fanden, denen ich vor Jahren Worte geliehen, dass
ich nicht unterlassen konnte, das Werk selbst zu lesen. Es ist dies: „Prof.
J. Froschammer, Über die Organisation und Cultur der menschlichen Ge-
sellschaft", und ein volles Drittel des Werkes ist der pädagogischen Frage
gewidmet. Ich bin nun zwar der Ansicht, dass der Lehrer als solcher sich
nicht mit den Fragen nach dem Urgrund der Dinge, dem Ding an sich, be-
schäftigen müsse ; ihm genügt vollkommen eine gründliche logische Durch-
bildung und — gesunder Menschenverstand. Die metaphysischen Unter-
suchungen, selbst die Zurückführung pädagogischer Principien auf metaphysische
Grundsätze, sie dürfen natürlich sein Interesse erregen, sein Privatstudium
bilden — aber sie können ohne weiters dem Fachphilosophen überlassen
werden. Hier jedoch muss ich mir gestatten, Froschammers Anschauungen
anzuführen, so weit sie sich aus dem vorliegenden Werke erschliessen lassen;
denn die Grundlagen seines philosophischen Systems sind in anderen Werken
des Verfassers niedergelegt.
Als Grundprincip der Dinge, wenn auch nicht als das Ding an sich, so
doch als den Ausfluss desselben, setzt Froschammer die Weltphantasie, welche
als objective Phantasie die unendliche Mannigfaltigkeit der Gestaltungen
im All (einschliesslich des Menschen) hervorruft und im Menschen als sub-
jective Phantasie, zwar nicht im Gegensatze zu den Naturgesetzen, aber
zum Theil sie beherrschend, benutzend, mit freiem Willen den höchsten
Zielen , den Idealen nachstrebt. Ohne mich auf eine Würdigung dieses
Systems einzulassen, die ja hier nicht am Platze wäre, und die von mir, der ich
nicht Philosoph bin, nicht geliefert werden könnte, muss doch bemerkt wer-
den, dass für den Laien, namentlich für den Lehrer diese Anschauung etwas
Sympathisches hat im Gegensatz zu jener Schopenhauers, in dessen unbc-
wussten Willen und den hieraus folgenden Pessimismus sich der gesunde
Menschenverstand schwer hineindenken kann. Ich darf mir nicht gestatten,
durch längere Anführungen aus dem Werke die Gedanken Froschammers zu
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Iß
beleuchten. Ich muss mich mit sehr Spärlichem begnügen*): „Die Völker",
sagt Froschammer, „werden von ihren (der Phantasie) Gebilden, zumeist in
religiöser Art, ergriffen, gleichsam besessen, in stürmische fanatische Be-
wegung gebracht und leisten dabei das Grösste, Ausserordentlichste in der
Weltgeschichte, gehen aber auch an solchen Gebilden, wenn sie sich ver-
festigt haben und fix in dem Volksbewusstsein geworden sind , zugrunde , so
gut wie sie an Ideenlosigkeit, Nüchternheit, Geistlosigkeit zur Auflösung kom-
men, verkümmern und bedeutungslos werden." — „Auch im kleinen im ge-
wöhnlichen Leben und Wirken der Menschen ist die Phantasie unaufhörlich
vorhanden." — „Der**) psychische Organismus ist wie jeder Organismus ein
Ganzes, eine Einheit von harmonisch zusammenwirkenden verschiedenen
Gliedern oder Kräften, — wobei das alle durchwaltende, bindende und be-
lebende Princip eben die von der Naturgewalt gewissermassen frei gewordene
subjective Phantasie ist , die sich allenthalben als freier Grund und als wir-
kendes Agens bei jeder Art geistiger Thätigkeit erweist, da keine psychische
oder geistige Function ohne sie stattfinden kann, — selbst nicht das abstracte
Denken."
Sehen wir ab von dem metaphysischen Hintergrunde, so ist an alle
dem unstreitig wahr, dass die Phantasie es ist, durch welche zum grössten
Theile das geistige Leben des Individuums, der Völker, der ganzen Mensch-
heit beherrscht wird. Sie hat im Geiste nur eine Gegenkraft , durch welche
sie in das richtige Gleichgewicht versetzt werden kann, den gleich ihr in der
Natur des Menschen liegenden Drang nach Erkenntnis, nach Wahrheit. Die
Phantasie ist es, die an den Augenblick der Gegenwart die Vergangenheit
und Zukunft knüpft; sie vermag hiedurch uns zu erheben über Miseren der
Zeit; sie macht, dass wir noch mitleben mit den Lieben, die vor uns ge-
storben, und den Edlen, die vor uns gelebt; sie begnadigt den grossen Geist
und das grosse Herz mit dem Erschauen von Wahrheiten, die auf dem Wege
der Forschung erst spät gefunden werden, sie ist die Mutter der Begeisterung,
die Mutter der Ideale. Kein höheres, geistiges Gut wäre ohne sie möglich
und selbst die materiellen Genüsse weiss sie zu verschönern, zu veredeln.
— Aber sie ist es auch, die leider so leicht vom Pfade der Wahrheit —
meist uns unbewusst — abführt; sie ist es, die uns fremdes Thun mit anderem
Massstab messen lässt, als unseres; sie macht, dass der natürliche Drang
nach Wachsthum, nach unbegrenzter Erweiterung unseres Ich in die Irre
führt, dass wir uns meist mit dem Scheine des Wachsthums begnügen, uns
*) Prof. I. Froschammer: Über die Organisation und Cultur der menschlichen Ge-
sellschaft. München I885. S. 154.
**) Froschammer 1. c. S. 322.
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begnügen, als das zu gelten, was wir gern wären. Sie lässt uns Thränen
weinen bei dem Unglück des Helden auf der Bühne, ohne Einfluss auf unser
Thun und Lassen im Leben ; sie weckt die Sympathie und Anerkennung des
Aristokraten für einen Marquis Posa — auf dem Theater und lässt ihn ausser-
halb desselben rufen: „Ja, Bauer, das ist ganz was anderes."
Für die Erziehung und den Unterricht ergibt sich hieraus die schwere
Aufgabe, die Phantasie in richtige Bahnen zu leiten , sie nicht überwuchern
/.u lassen, ihr einen idealen Inhalt zu geben. Da ich, mein Thema ein-
schränkend, mich ausschliesslich mit den Principien des Unterrichts befassen
will, lasse ich unerörtert, wie das Beispiel mächtig auch auf die Phantasie wirkt,
wie sehr die Erziehung beeinflusst ist und leidet durch Affecte der Eltern
und der Umgebung, — und Affect ist ja — abgesehen von dem in körper-
licher Constitution liegenden mitwirkenden Temperament — nichts als ein
Uberwiegen der Phantasie über richtiges Denken. Ich ziehe nur die Con-
sequenzen für den Unterricht. Der Grosse, den wir heute feiern und dessen
trübe Lebensschicksale nicht zum geringsten in einer Überwucherung der
Phantasie ihren Grund haben, hat doch das richtige Mittel gegen ihre Übel
angegeben. Es heisst: Der Unterricht sei lückenlos. In der That, je
mehr wir unsere Schüler richtig, nicht flüchtig wahrzunehmen, richtig zu
denken gewöhnen, je mehr wir uns bestreben, Lücken zu vermeiden, die
dann von der Phantasie willkürlich ausgefüllt werden; desto weniger wird
Phantasie und Wahrheit in Conflict gerathen. Lassen wir uns also nicht
täuschen durch den Sehe in von Bildung; verhüten wir, dass durch die Schulen
Halbwissen verbreitet werde ; lassen wir den Unterricht in der Naturkunde
und Weltgeschichte nicht zu einem Conglomerat zusammengewürfelter
Notizen ohne Einheit ausarten ; legen wir nicht ins Lesebuch und den Sprach-
unterricht, dem vor allem die Pflege der Phantasie zukommt, hinein, was
nicht hinein gehört, und bieten wir Wahrheiten, zu deren Erfassen Reife ge-
hört, nicht zu einer Zeit, wo sie statt mit dem Verstände mit der Phantasie
gesehen werden.
Welcher Pädagog muss nicht oft staunend der riesigen Fortschritte ge-
dacht haben, welche die Kinder ohne Unterricht in den ersten Jahren
ihres Lebens machen, welche Fülle von Anschauungen sie gewinnen, eine
Fülle, welche in gleicher Zeit kein Schulunterricht erreicht. Und doch geht
die Natur tyrannisch ihren Weg ohne Rücksicht auf das junge Wesen, bringt
ihm ohne Wahl die Objecte entgegen , lässt es unrichtig wahrnehmen und
corrigiert das Falsche, ohne sich um eine Correctur zu kümmern. Wehe
dem Lehrer, oder vielmehr Wehe den Schülern eines Lehrers, der sich hierin
nach der Natur bilden wollte. Nur sie, die Allgewaltige, erreicht ihr Ziel,
Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1886. -
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ohne sich um Verständnis zu kümmern. Der Lehrer aber verfahre metho-
disch von Anfang an; er wird natur gemäss unterrichten, wenn er nicht
wird erreichen wollen, was nur die Natur, nicht er kann.
3.
Schon Ari»totelc» bezeichnet es alt eine aus-
gemachte Wahrheit, da« alle Menschen glück-
lich »ein wollen. Auch erschien ihm dieses
Verlangen als durchaus berechtigt weil in der
menschlichen Natur begründet; nur könne und
solle er lediglich auf dem Wege der Wahrheit
und Tugend Befriedigung finden.
Auch heute leuchtet die Wahrheit dieser ein-
fachen Sätze jedem unbefangenen Gemüthe
ein. Diltes.
Daher muss die Bildung des Menschen für
seine Berufs- und Standeslage dem Endzwecke
der Gcniessungen einer häuslichen Glückselig-
keit untergeordnet werden. Pestalozzi.
Ich glaube von keiner Seite einem Widerspruche zu begegnen, wenn ich
als Aufgabe und Ziel der Schule — des Unterrichts und der Erziehung —
den Satz aufstelle*): sie habe das Glück des Menschen oder, um der
Vieldeutigkeit dieses Wortes auszuweichen, das wahre Wohl derselben
zu fördern. Dass auch Pestalozzi ihr diese Aufgabe zuschrieb, beweist, ab-
gesehen von dem angeführten Ausspruch und zahlreichen anderen, sein ganzer
Lebenslauf. Ist er ja nur deshalb Lehrer geworden, weil er von dem Streben
durchdrungen war, das Elend der unteren Stände, das Elend des Volkes zu
mindern. Es wird sich also nur um die Frage handeln, worin das Glück,
das wahre Wohl der Menschen bestehe und was die Schule zu thun habe,
was sie thun könne, um zur Mehrung des Wohles beizutragen. Wir können
zur Beantwortung dieser Frage wiederum nur die Pestalozzischen Grundsätze
anwenden, d. h. wir dürfen dem Menschen nicht von aussenher ein Glück
aufoctroyieren wollen, wir müssen es aus seiner inneren Natur erschliessen.
Glücklich wird den Menschen machen, was seiner wahren, inneren Natur
entspricht, was dieser Befriedigung gewährt. Nun liegt in dem Menschen
das Streben, alle seine körperlichen und geistigen Kräfte zu stei-
gern, sein Ich ins Unbegrenzte auszudehnen, — ferner alles Un-
*) VergL zu diesem ganzen Abschnitt: „Pick, Über Schnlorganisation und Schul-
gliederung" in Dittes', „Pädagogium", Monatsschrift für Erziehung u. Unterricht. I. Jahrg.
S. 219 ff.
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bekannte, Fremde von sich zu weisen. Selbst in der Ausartung lässt
sich diese Natur seines Ichs erkennen: Geiz, Herrschsucht, Ehrsucht sind
nichts anderes als der unbewusste und ausgeartete Drang nach Erweiterung
des Ichs. Der Mensch sieht, was er hat und was er weiss, alsTheile seines
Ichs an. Fort und fort den Besitz zu mehren, sei's den materiellen, sei's
den geistigen, das ist, was ihn befriedigt. Alles, womit er in Berührung
kommt, seinem Ich anzubequemen, das Fremde von sich zu weisen oder
es erkennend in sein Ich aufzunehmen, gewährt ihm Ruhe und Sicherheit.
Er lässt keine andere Schranke gelten als jene, die ihm von einem anderen
Ich gesetzt wird, mit dem er sich als gleichartigen Theil eines Ganzen, eines
Kosmos fühlt.
Ist dies Menschennatur, und es lässt sich wohl nicht bezweifeln, dass
dem so ist, dann ist die Menschennatur allerdings egoistisch. Unumwun-
den spricht Froschammer es aus*): „Der Mensch ist ein Ich und muss
sich selbst fühlen, wahren, fördern. Seine Triebe und Strebungen sind in-
sofern mit Recht selbstisch". — Und an einer anderen Stelle **) : „Nach Glück
und Befriedigung, atso nach Glückseligkeit zu streben, ist demnach ein Recht
des Menschen als eines Naturwesens, dem durch sein Entstehen, seinen Ein-
tritt ins Dasein das Recht auf dieses und seinen normalen Genuss zutheil
geworden ist. Etwas anderes zu erstreben, für etwas ausser ihm Befindliches
zu wirken, ohne Rücksicht auf sich selbst, kann sein Lebenszweck nicht sein,
da dieser doch jedenfalls in ihm selbst liegen muss, wenn er nicht als blosse
Sache oder als blosses Werkzeug für fremde Zwecke dienen soll. In ihm
selbst aber kann das Ziel nur die eigene Glückseligkeit sein."
Nun, geehrte Festgenossen, gegen diese Thatsache lässt sich von keiner
Seite eine Einwendung erheben, höchstens von Seite der Offenbarung, von
dieser jedoch nur in dem Falle, als sie uns eine auf anderem Wege unzu-
gängliche Kenntnis über die Natur des Menschen und die Absichten des
Schöpfers mit ihm geben würde, welche uns eines anderen belehrt. Aber
abgesehen von dem Widerspruche, wie es nur überhaupt denkbar wäre, dass
der Allweise ein Geschöpf ins Leben rufen sollte zu einem Zwecke, welcher
mit der ihm gegebenen Natur in Disharmonie, ja in dem offensten Gegensatz
stünde, ist ja zweifellos — und ich stelle mich auf den strictesten orthodoxen
Standpunkt — , dass die Offenbarung mit der entwickelten Ansicht voll-
kommen in Einklang steht. Denn diese kann sich nur auf die Bibel stützen.
Die Bibel aber sagt: „Und Gott sprach: Wir wollen machen Menschen in
*) Froschamraer l. c. S. 335.
*) Froschammer 1. c. S. 351.
2*
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unserem Ebenbilde, und sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und
über das Geflügel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde
und über alles Gewürm, das sich regt auf der Erde. Und so schuf Gott den
Menschen in seinem Ebenbilde, im Ebenbilde Gottes schuf er ihn" (Genesis I.
26, 27). Man kann sogar in die Worte der Genesis (II. 19) „und (Gott) brachte
es (das Gethier) zu dem Menschen, um zu sehen, wie er es nennen werde"
keinen anderen Sinn legen, als den, Gott habe dem Menschen die gesammte
Natur als Object seiner Forschung übergeben. Eine ehrliche Orthodoxie
kann hieran nicht das Geringste ändern. Man lese nur unbefangen die
biblische Schöpfungsgeschichte, und man wird finden, dass auch die Bibel
Glückseligkeit als Ziel des Menschen aufstellt, sie zu fördern, muss also
auch vom Standpunkte der Offenbarung die Aufgabe der Erziehung sein.
Die Einwendung, ein derartiges egoistisches Princip dürfe nicht Richtschnur
für die Erziehung sein, ist hinfallig. Auf dem Egoismus ist eben unser gei-
stiges Sein aufgebaut, ihn ausrotten ist unmöglich, und wäre es, die Mensch-
heit würde entmenscht. Nur sei es der Egoismus, welcher der reinen
menschlichen Natur angemessen ist. Dieser nämlich kann ohne das
Glück anderer nicht bestehen, und so kommt man zu dem Schlüsse, dass
wir schon deshalb nach eigenem Glücke streben müssen, weil in einer Ge-
sellschaft, die sich auf humanen Principien aufbaut, unser eigenes Wohl zum
vollständigen Wohle aller nothwendig ist. Dass der unbedingte Altruismus
(d. h. das Streben, das Glück anderer zu seiner Lebensaufgabe zu machen)
ad absurdum führt, ersieht man nicht bloss daraus, dass es lächerlich wäre
anzunehmen, es solle immer ein jeder für das Glück des anderen sorgen, das
doch als ein in gewisser Beziehung aufgedrängtes , beim besten Willen ein
unvollkommneres sein müsste, es zeigt sich noch viel auffälliger durch fol-
gende Betrachtung. Der aus dem Egoismus hervorgegangene Altruismus wird
sich umsomehr dem Egoismus nähern, je näher uns die Person steht, die
sein (des Altruismus) Object bildet. Der verwandtschaftliche Altruismus,
namentlich der von Eltern zu Kindern, ist kaum noch so zu nennen. Es er-
gäbe sich hieraus die widersinnige Pflicht, dass wir unsern Mitmenschen eine
um so grössere Sorgfalt zuwenden müssten, je ferner sie uns stehen. Was
würde man dazu sagen, wenn ein Vater eines unbegabten Kindes, um nicht
egoistisch zu handeln, alle seine Sorge, alle seine Mittel einem fremden zu-
wenden würde, weil er ihm ferner steht und überdies für die menschliche
Gesellschaft ein wünschenswerteres Mitglied zu werden verspricht? — So
hoch also auch die Ziele der Menschheit als Ganzes zu halten sind, so warm
auch das Herz eines jeden, der den Namen Mensch verdient, für das allge-
meine Wohl schlagen wird, das Individuum muss sich doch Selbstzweck
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bleiben. Das biblische: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, setzt Liebe
zu sich selbst voraus.
Wenn man die Ziele und Aufgaben des Unterrichts von dem hier an-
gedeuteten Standpunkte beurtheilt , dann wird man über manches den Stab
brechen, was bislang als unantastbares Axiom gilt. Die Kürze der mir zu-
gemessenen Zeit gestattet mir leider nicht, die Schlussfolgerungen allseitig
zu begründen; — sie sind aber so sehr pestalozzisch, dass ich mir schmeichle,
' ass Sie, geehrte Festgenossen, sie nichtsdestoweniger als richtig anerkennen
werden. Bei Auswahl des Unterrichtsstoffes für die Elementarbildung müssen
besonders folgende drei Momente massgebend sein:
1. Es darf nie dem Kinde zugemuthet werden, seine Kraft auf etwas
zu verwenden, wodurch das Glück gefährdet oder beeinträchtigt würde,
das die Natur seinem Jugendalter zugemessen;
2. ferner nichts, was es nicht derart zur Anschauung und zum klaren
Begriff bringen kann, dass es ihm eine Quelle des Genusses, der Befrie-
digung werden könne;
3. nie sei der Grundsatz ausser acht zu lassen, dass die Schule nur
eine der Quellen der Bildung sei, sie suche nicht zu leisten, was sie
nicht leisten kann, nämlich alles Wissenswerte beizubringen, sie suche
den Drang nach richtiger Bildung zu wecken, den Trieb zur selbstän-
digen Fortbildung zu nähren, — ich möchte sagen, sie unterrichte so,
dass sie sich entbehrlich mache. Sie lasse nie das richtige und höchst
wichtige Axiom Pestalozzis aus den Augen: Das Leben bildet.
Als das Endziel aller Unterweisung, aller Erziehung ergibt sich also für
die Volksschule: eine bewusste Kenntnis des Verhältnisses, in
welchem der Mensch zu seinem Nebenmenschen steht, also
seiner Rechte und Pflichten als Mitglied seiner Heimats-
gemeinde, als Bürger seines Vaterlandes, — sodann] die Ein-
sicht in die Erscheinungen innerhalb des Gesichtskreises
seines Wohnortes und was damit im Zusammenhange steht.
Aufgabe der Elementarerziehung wird es also sein, den künftigen Bürger zu
einem richtigen Gebrauche seiner Muttersprache zu führen, ihn anzuleiten, die
Objecte und Erscheinungen der Natur, die ihm aufstossen, mit richtigem, ich
möchte sagen sinnigem Blick zu erfassen; sie wird ihn bekannt machen mit
den Einrichtungen seiner Heimatsgemeinde, den Institutionen seines Vater-
landes — freilich nur so weit, als seiner Jugend entsprechend, aber doch
gründlich genug, dass er dermaleinst, durch eigene Geistesarbeit weiterbauend,
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in öffentlichen Angelegenheiten als freier, sich selbst bestimmender Bürger
wirke und nicht zu blossem Werkzeuge ehrgeiziger Führer herabsinke. Alles,
was mit dieser Aufgabe nicht in nothwendigem Zusammenhange
steht, wird sie ausschliessen. Die Elementarerziehung, die
Volksschule hat das enge Gebiet der Heimat ihrem Schüler als
einen Mikrokosmus zum Bewusstsein zu bringen.
Ich muss mir erlauben, geehrte Festgenossen, nochmals auf das Werk
Froschammers zurückzukommen. So anregend dieses ist und ob er auch
alle Stufen des Unterrichts von dem Kindergarten bis zur Hochschule be-
spricht und auch in diesem Theile lebhaftes Interesse wachruft: von einer
exacten Charakterisierung der Ziele der Elementarbildung, der Volksschule,
die man doch von einem philosophischen Werke erwarten dürfte, ist auch
bei ihm keine Rede. Ja, hier wird Froschammer öfter die Kritik des prak-
tischen Lehrers herausfordern, so in dem, was er über die Methode der Er-
ziehung*) sagt. Er nennt die richtige Methode die organische, welche
die beiden Momente im Gleichgewicht festhalte, das der eigenen freien Ent-
wickelung und das der autoritativen Einwirkung, und meint, die Methode,
welche auschliesslich oder vorwiegend das zweite Moment im Auge halte —
er nennt sie die mechanische — sei vor Pestalozzi und Rousseau herrschend
gewesen, die ihr entgegengesetzte „dynamische 14 habe sich seit Pestalozzi und
Rousseau geltend gemacht. Er macht der letzteren den Vorwurf, sie begünstige
ausschliesslich oder zu sehr Verstandesthätigkeit, sowie Selbstbestimmung und
Selbsterfahrung. Nun, geehrte Festgenossen, dass dieser Vorwurf der Ein-
seitigkeit Pestalozzi nicht trifft, dass die Pestalozzische Methode den Namen
der organischen verdient, wird jeder anerkennen, der in den Geist der
Pestalozzischen Schriften eingedrungen. — Eine Stelle jedoch, die so sehr mit
meinen Ansichten harmoniert, kann ich mich nicht enthalten anzuführen**):
„Daher sollte dieser natürlichen Entwickelungsweise gemäss auch jetzt noch
das Volk wie die Jugend, mehr als geschieht, auf das hingewiesen werden,
woran die Urmenschheit sich geistig zuerst gebildet hat : auf den Himmel,
die Sterne, die Wolken, Wälder, Berge etc., speciell zu dem Zwecke
ästhetischer Anregung und Bildung (nicht bloss in prosaischer utilitarischer
Absicht)." Ich stelle diesen Worten meinen vor Jahren gedruckten Ausspruch
an die Seite: „Seine (des Volksschülers) Bekanntschaft mit dem Leben der
Natur innerhalb der engen Grenzen seines Gesichtskreises sollte eine so
intensive sein, dass sein Natursinn lebendig werde, dass ihm Wald und Flui
*) Froschammer 1. c. S. 375 ff.
•*) FroschAmmer 1. c. S. 266.
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liebe Bekannte seien, denen er auch der Schule entwachsen treu bleibt." Für
jene, welche noch immer in dem Studium und dem Umgang mit der Natur
ein bildendes Moment nicht zu finden vermögen, oder es wenigstens dem der
classischen und sogenannten humanen Studien weit nachsetzen, führe ich die
Worte an, die W. Jordan in seiner „Nibelunge" Siegfried in den Mund legt
(Siegfriedsage, 23. Gesang):
lu allen Dingen, in allem Dasein
Die gleiche Vernunft beglückt zu vernehmen,
Hier mehr, dort minder dem Menschen genähert;
In alle Sinne die Welt zu saugen,
Ganz Ohr und Auge, durchahnend, erinnernd,
Und immer von vom, von der Vorzeit Schwelle
Durch die wachsenden Zirkel endloser Zeiten
Empor zu steigen die Stufenleiter
Vom' Moosfleck des Steins bis zur Menschengestalt:
Das ergötzt mir den Geist auf solchen Gängen,
Das beschäftigt ihn schön in den Schauern des Urwalds.
4.
Der Mensch ist ein gesellschaftliches Lebewesen.
ArUtotele*.
Botaniker Unger, dessen Schüler zu sein ich das Glück hatte, wagte als
erster den Versuch, vorweltliche Landschaftsbilder zu entwerfen. Wir, seine
damaligen Hörer, sahen diese gleichsam entstehen. Das letzte Bild der Reihe
stellte die gegenwärtige Periode mit dem Auftreten des Menschen dar. Es
war dies vor mehr als dreissig Jahren; damals wurde die Existenz des Men-
schen vor der gegenwärtigen Schöpfungsperiode zwar schon behauptet, war
aber noch nicht erwiesen. Unger zeichnet eine üppige Tropenlandschatt,
eine Menschenfamilie im Vordergrunde. Als er das Bild seinem Collegtum
vorführte, erklärte er, er habe den Menschen gleich in der Familie auftreten
lassen, weU er sich seine Existenz ausser derselben gar nicht denken könne.
Mag nun auch die seither fortgeschrittene Forschung sich das Auftreten des
Menschen auf der Erde anders zurechtlegen — Positives weiss auch die
heutige Wissenschaft nichts darüber — , so viel ist gewiss, der Mensch sei
das, was er ist, geworden wie immer, der Mensch der Gegenwart ist auf den
höchsten wie tiefsten Culturstufen ein gesellschaftliches Wesen, und aller
Fortschritt der Menschheit ruht auf dieser seiner Natur. Für die mannig-
faltigen Bedürfnisse schon seines Leibes, mehr noch seines Geistes thun ihm
noth und bilden sich naturgemäss heraus die mannigfalrigsten , mitunter
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vorübergehenden, meist aber bleibenden Associationen, von der ersten, ur-
sprünglichsten, einfachsten, der Familie, bis zur höchsten, compliciertesten,
dem Staate. Jede dieser Schöpfungen wird zu einer moralischen Person, und
schon als solcher liegt in ihr der Drang nach Wachsthum, nach Erweiterung
ihrer Berechtigungs- und Machtsphäre. Fast ohne Ausnahme bildet sich nun
diese so gewordene, aus einem natürlichen Bedürfnis hervorgegangene Insti-
tution als etwas Selbständiges, als um seiner selbst willen Berechtigtes heraus
und tritt nur zu häufig in Gegensatz zu den Zwecken, um deretwillen sie ge-
worden. Es entwickelt sich sozusagen eine Associationsphantasie, die hier
um so wirksamer auftritt, als die subjective Phantasie jener Individuen, welche
zu Organen der Association werden, und vieler anderer, die in ihr leben, auch
abgesehen von Eigennutz, die erstere fördert. So wandelt sich Zweck in
Mittel, Mittel in Zweck um, so sind die Sprösslinge einer Familie um der
Familientradition willen, die Schüler um der Schule und der Lehrer willen
da etc. Zahlloses Wehe haben die Menschen aus diesem in der Natur der
Sache liegenden Wachsthum ertragen müssen. Schon die Familie mit der aus
ihr sich herausbildenden Familientradition und dem Familienstolz ist das Grab
gar vielen Glückes geworden. Da wird zu Gunsten der Familie der jüngere
Sprosse enterbt oder einem ihm widerstrebenden Berufe zugeführt, dort der
nach einem durch Alter heilig gewordenen Gebrauch als Träger der Familien-
ehre designierte Erbe in eine oft nicht mit minderem Wehe verbundene
Zwangsstellung gedrängt. Dass es bei dem höchsten Gesellschaftsgebilde, dem
Staate, nicht anders sein könne, ist einleuchtend, ebenso dass das Wehe hier
sich auf weitere Kreise erstrecken müsse. Der Staat, dessen erste Aufgabe ist,
der Hort der Freiheit für das Individuum zu sein, der dafür zu sorgen hat,
dass jedermann von seiner Freiheit nur so viel opfere, als für die Freiheit
aller nöthig, confisciert diese für sich, macht die Staatsangehörigen zuUnter-
thanen. nimmt die besten Jahre ihres Lebens für sich, für seinen Schutz in
Anspruch, wird nebenbei noch Fabrikant, Grossfuhrmann und Grosshändler
— und dies alles, ohne dass es zu jener unnatürlichen Form des Staates
kommen müsste, in welchem der Monarch sagt: L'dtat c'est moi. Aber dieses
Wachsthum über das ursprünglich dem Staate zukommende Mass ist nicht
nur ein natürliches, sondern dies allein macht, dass er aus dem Rechtsstaate
mehr oder weniger zum Culturstaate sich entwickelt, der die grossartigsten
Fortschritte der Menschheit im Gefolge hat. Natürlich erwächst endlich seiner
Machtfülle eine Opposition, welche, wenn es an der Zeit ist, freilich nicht
ohne einen Theil — aber doch nur einen Theil der fortschrittlichen Errungen-
schaften zu zerstören, die Grundlagen siegreich ändert, neue Normen aufstellt,
eine Umgestaltung herbeiführt, die wieder nach anderen Richtungen, allerdings
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mit ähnlichen Übeln behaftet, Grosses schafft, bis auch diese dem allgemeinen
Gesetze der Umwandlung verfällt.
Wir stehen gegenwärtig in der ganzen civilisierten Welt in einer Zeit, die,
fördernd auf die Erweiterung der Machtsphäre des Staates wirkend, ihm
immer neue und neue Aufgaben zuweist, — ja, kämen die extremen socia-
listischen Parteien zur Geltung, so würde ihm alle und jede Thätigkeit
zugewiesen, die aus dem Bedürfnisse der Menschennatur fliesst, so dass die
individuelle Freiheit gänzlich aufgehoben würde.
Halten Sie mich, geehrte Festgenossen, nicht für unzurechnungsfähig,
wenn ich bekenne, dass ich und mit mir jene noch wenigen Lebenden, welche
in dem Völkerfrühling des achtundvierziger Jahres für die höchsten Ziele der
Menschheit erglüht, ein anderes Staatsideal im Busen tragen, als dasjenige,
das dem Zeitgeiste des gegenwärtigen Europas entspricht. Wir tragen unser
Ideal tief in unserem Innern, wohl wissend, dass es nicht nur unmöglich ist,
sondern ein Verbrechen an der Menschheit wäre, wollte man es gegenwärtig
realisieren; — aber wir hegen auch die feste Überzeugung, ja, diese Über-
zeugung allein macht uns das Leben lebenswert, dass der ewige Fortschritt
der Menschheit zur Annäherung an das rein menschliche Ideal nur scheinbar
gehemmt, niemals erdrückt werden kann. Die Lehrer sind es, in deren
Hand noch weit mehr als in der Hand des Staatsmannes es liegt, für diesen
Fortschritt zu arbeiten.
Wie steht es nun mit Unterricht und Erziehung in der Gegenwart?
Vor vier Jahren habe ich von diesem Platze aus bei gleicher Veranlassung
gesagt*): „Wer heute die Schriften Pestalozzis liest, wird sich freuen müssen,
zu finden, wie weit günstiger die heutige Weltlage für die Gerechtsame des Volkes
ist, als bei Lebzeiten Pestalozzis. In anderer Weise, als sich Pestalozzi
dachte, hat sich dieser Fortschritt entwickelt, aber er ist unleugbar. Auch
unsere Schule ist nicht die Schule, die aus Gertruds Wohnstube hervor-
gegangen; sie ruht auf der Allgewalt des Staates. Aber jene Schule Glülphis
ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine Unmöglichkeit, so müssen wir
uns denn aufrichtig freuen, dass in dem Kampfe um dieselbe der Staat Sieger
geblieben. Ist auch nicht zu leugnen, dass hiedurch ihre Aufgabe, Men-
schen, glückliche Menschen zu bilden, etwas verrückt wurde, so wird
sie doch früher oder später sich dieser Aufgabe: bewusst werden, nicht ohne
von den reichen Mitteln zu profitieren, die sie durch die Verstaatlichung ge-
wonnen. Auch Pestalozzi müsste sich des grossen Aufschwungs freuen, die
sie in dieser Beziehung genommen. Ich brauche die Gefahren nicht anzu-
deuten, denen die Schule durch die Verstaatlichung entgangen."
*) Rede zur Pestalozzifeier. Pädagogisches Jahrbuch 1882, S. 37.
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Sind Sie, Hebe Festgenossen, auch heute noch derselben Zuver-
sicht? —
Meine unmassgebliche Ansicht über das richtige Verhältnis des Staates
zur Unterrichtsfrage kann heute auf Billigung nicht rechnen, ja noch mehr,
stünde ich im praktischen politischen Leben, ich würde mich hüten, den Ein-
lluss der Staatsgewalt auf die Schule mindern zu wollen. Aber ich sehe in
diesem Verhältnis mehr eine für den Staat sich ergebende Pflicht als ein
Recht. Diese Pflicht ist doppelter Art, einmal soll der Staat überall da
helfend beispiingen, wo andere Mittel nicht ausreichen, dann aber darüber
wachen, dass von Gesellschaften und Parteien die Schule nicht für Sonder-
zwecke ausgebeutet werde, dass mächtige Factoren der Gesellschaft nicht
durch moralischen Zwang, der gar oft ein unmoralischer ist, auf die Ent-
schliessungen der Eltern einwirken. Im übrigen aber soll der Staat die freie
Bewegung auf dem Gebiete der Schule, der Erziehung, nicht nur nicht ein-
schränken, sondern fördern.
Dies führt mich zur Frage des Privatunterrichts, der Privaterziehung.
Nicht unschwer lässt sich eine animose Strömung in der Lehrerwelt und
bei den Unterrichtsbehörden gegen den Privatunterricht und die Privaterziehung
erkennen. Die Gründe sind leicht ersichtlich, sie liegen nur zum Theil in der
waltenden Phantasie, die, wie oben bemerkt, jede Institution über das ihr zu-
kommende Mass wachsen lässt, sie liegen auch in der nicht abzuleugnenden
Thatsache, dass unser Wiener Privatunterricht, wie erst jüngst ein sehr geehrter
College ausgeführt, an groben Gebrechen leidet. Aber ich behaupte, wir
haben so viel wie gar keinen Privatunterricht; wir haben nur eine private
Dressur für das, was gesetzlich für Volks- und Mittelschulen als Ziel normiert
ist. Jener Privatunterricht, der, von überzeugungstreuen Männern getragen,
seine eigenen Bahnen einschlägt, jener Privatunterricht, dem fast der gesammte
Fortschritt der Pädagogik zu danken ist, kann unter den gegebenen Verhält-
nissen kaum bestehen. Der Lehrer aber, der es mit dem Fortschritt ernst
meint, wird zwar die Gefahren des Privatunterrichts nicht übersehen, er wird
jedoch, sei er selbst Privatlehrer oder stehe er im Staats- oder Communal-
dienst, wünschen, dass er (der Privatunterricht) fortbestehe, fortbestehe und
sich entwickele selbst auf die Gefahr des Missbrauchs von mancher Seite,
fortbestehe als ein nöthiges Gegengewicht gegen die Allgewalt des Staates,
die nur zu leicht an Stelle der Erziehung zum Menschen die zu einem gehor-
samen Unterthanen setzt, fortbestehe im Interesse des Fortschritts der Päda-
gogik. Ein Pestalozzi — er war ja, Stanz abgerechnet, sein lebelang Privat-
lehrer — macht mehr als gut, was eine ganze Schar von Privatlehrern und
Privatanstalten um des lieben Brotes willen sündigen. Dass ich mit dieser
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Behauptung auf Pestalozzischem Boden stehe, wird jeder Kenner seiner
Schriften einräumen müssen.
Geehrte Festgenossen, werte Freunde, liebe Berufsbrüder! Ich kann
meine heutigen Worte nicht anders ausklingen lassen, als in dem Tone, in
dem ich sie bei früheren gleichen Veranlassungen ausklingen Hess. Bewahren
wir Pestalozzis Andenken nicht bloss in unserem Geiste, tragen wir es in
unserem Herzen. Suchen wir in Pestalozzischem Geiste Einfluss auf das Volk
zu gewinnen, nicht um uns in das Gewirre der Tagesfragen da, wo es nicht
noth thut, zu mischen, sondern um gesunde Ansichten über Erziehung und
Unterricht zu verbreiten; suchen wir gleich ihm unser Glück — es ist ja das
höhere — mehr in der Arbeit für das Glück unserer Schüler, als in der mate-
riellen Stellung, die ja nie der Wichtigkeit unserer Aufgabe entsprechen kann;
arbeiten wir mit Pestalozzischer Uneigennützigkeit, mit Pestalozzischer Treue.
Möge es der Pädagogischen Gesellschaft immer mehr gelingen, seinen Geist
in ihren Mitgliedern stets lebendig zu erhalten und in weitere Kreise zu ver-
pflanzen, mögen wir uns alle des Namens Pestalozzianer würdig erweisen 1
Das walte Gott!
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III.
Pflege und Verwertung der Phantasie beim
Unterricht.
Vortrag, gehalten am 7. Jänner 1886 von D. Simon.
Das griechische Wort fj yavxaoia — von <pavia£(o, ich mache sichtbar,
erscheine — heisst ursprünglich das Sichtbarwerden, dann aber auch das
sichtbar Gewordene, das Bild, das sich die Seele von einem Gegen-
stande macht, von dem sie Eindrücke empfangen; endlich auch die Kraft
der Seele, sich vorhandene, abwesende, ja sogar auch nicht wirklich
existierende oder doch nicht sinnfällig werdende Gegenstände so
zu veranschaulichen, dass ein Bild eben dieser Gegenstände entsteht.
Jede Anschauung, die wir durch die Reizung der Sinne empfangen, ent-
hält, wie Kant uns lehrt, ein Mannigfaltiges an sich, besteht aus einer
Anzahl von Ein zelwahrnehraungen, die aber an sich noch gar kein
Bild geben; sie sind aus den einzelnen Eindrücken entstanden, die unsere
Sinne empfangen haben, und bilden ein Mannigfaltiges, ja, man könnte sagen,
ein Chaos sinnlicher Eindrücke; damit aber aus diesem die Einheit der An-
schauung werde, ist die Zusammenfassung, Synthesis, der Einzelwahrnehmungen
nothwendig; ohne diese Synthesis würden wir weder Vorstellungen des Raumes,
noch der Zeit a priori gewinnen können. Es geben daher die Eindrücke, die
ein Gegenstand auf unsere Sinne durch Ausdehnung, Farbe, Cohäsion etc.
macht, an sich noch kein Bild, keine Anschauung; erst die Zusammenfassung,
Einung und Ordnung dieser Einzeleindrücke bewirkt das; und die dabei wirkende
Seelenthätigkeit ist die Einbildungskraft, Phantasie im metaphysischen
Sinne des Wortes; sie vermittelt und ermöglicht die Verarbeitung der mannig-
faltigen Sinneseindrücke zu Bildern; sie liefert uns das Knochengerüste zu
aller theoretischen Erkenntnis, und erst aus den so gewonnenen Anschauungen
erhalten wir die Vorstellung. Diese ist zwar ein subjectiver Zustand der
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Seele, bezieht sich aber doch immer auf ein Vorgestelltes, welches den Inhalt
der Vorstellung ausmacht. Nun kann bekanntlich doch auch eine Vorstellung
erweckt werden von einem abwesenden, früher einmal wahrgenommenen
Dinge; das Vorgestellte ist in diesem Falle nicht etwas gerade in dem
Augenblicke Sinnfälliges, sondern hat etwas früher einmal Wahrgenommenes
zum Inhalt. Aber auch in diesem Falle ruft uns das Gedächtnis nur die
Einzelwahrnehmungen jenes abwesenden Gegenstandes zurück; und wieder
bedarf es der Mitwirkung jener Seelenkraft, welche diese gleichsam wieder
hervorgebrachten, reproducierten Einzeleindrücke zusammenfasst, ordnet;
das ist die reproductive Phantasie, die treue Begleiterin des Gedächtnisses.
Denn dieses letztere behält das, was im Bewusstsein war, und gibt es auf
Veranlassung wieder, wie es war. Je treuer das Gedächtnis ist, um so
genauer werden bekanntlich die reproducierten Eindrücke und die daraus ge-
schaffenen Vorstellungen sein. Je dauerhafter es ist, um so längere Zeit wird
es die alten Eindrücke aufbewahren, und umso mehr der letzteren wird es
zur beliebigen Reproduction aufspeichern. Bei grösserer Ansammlung solcher
Theilvorstellungen, aus denen die Bilder bestehen, beginnt, und zwar schon
in frühen Kindesjahren, eine andere, sehr erfolgreiche Seelenthätigkeit. Das
erneuerte Bewusstwerden einzelner Theile der Bilder, die man früher, und
zwar oft in sehr getrennten Zeiträumen, durch die Sinne empfangen, bewirkt
eine neue, vollkommen verschiedene Reihenfolge der Sinneseindrücke; die
Merkmale der einzelnen Theile werden vertauscht und zu einem neuen Bilde
geordnet; dazu werden Eigenschaften ganz verschiedenartiger Dinge entlehnt,
die wieder an anderen Gegenständen wahrgenommenen Thätigkeiten werden
herbeigeholt etc. In diesem wirklichen Chaos ist ganz besonders die oben
angeführte Thätigkeit der Seele vonnöthen, um die mannigfaltigen, durch das
Gedächtnis wiedergewonnenen Eindrücke zu ordnen, aneinander zu reihen.
Die Phantasie wird dabei vergrössern und verkleinern, verbinden und trennen,
hervorheben und zurückdrängen, kurz, als Regulator auftreten und neue
Bilder schaffen, die niemals zuvor mit den Sinnen wahrgenommen worden
waren. Wir nennen die also wirkende Phantasie die productive. ihre
Schöpfungen sind vollständig neue Bilder ; zerlegt man aber diese in ihre ein-
fachsten Bestandtheile, so bekommt man doch ausschliesslich solche Theile
von Vorstellungen, die ursprünglich mittels der Sinne ihren Einzug in die
Seele gehalten; der Blindgeborene erhält niemals eine Vorstellung von der
Farbe, der Taube nicht vom Klang; ohne vorhergegangene Sinneseindrücke
keine Thätigkeit der productiven Phantasie. „Nihil est in intellectu, quod
non prius fuerit in sensu." Aber je zahlreicher die sinnlichen Wahrnehmungen,
je lebhafter diese reproduciert werden, desto grösser und mannigfaltiger ist
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das Baumaterial der Phantasie, welche da in ihre wichtigste und er-
folgreichste Function eintritt. Denn sehen wir in der Unmöglichkeit,
neue, ursprüngliche Eindrücke ohne die Sinne zu schaffen, eine Begrenzung
der Thätigkeit der Phantasie; so bleibt ihr doch immerhin ein unermesslich
weites Gebiet, eine unendliche Macht!
Der Glaube kann Berge versetzen; die Phantasie hingegen kann die an-
muthigsten Berge in der ödesten Landschaft hervorzaubern, Berge von
Schwierigkeiten hinweghauchen; sie hat im AlteTthum den Olymp bevölkert
und mit dem Acheron gedroht, im Mittelalter das Fegefeuer und die Hölle
geschaffen ; sie schmückt die Welt Homers mit den wunderbarsten Gestalten,
sie führt den Meissel desPhidias, den Pinsel desZeuxis; sie zeigt dem grossen
Alexander die fernsten Welten und bahnt ihm den Weg dahin; sie fuhrt
Columbus über den Ocean und lässt in James Watt einen Wohlthäter der
Menschheit erstehen. Sie ist die holde Freundin der Einsamkeit, die sanfte
Trösterin in schweren Tagen. Sie befeuert den Arm zu kühnen Thaten und
macht den Mann zum Helden oder — zum Verbrecher; denn ihre vielgestal-
tende Thätigkeit wird nur dann zur Wohlthat, wenn sie vom Verstände
regiert wird und nicht im Dienste der Leidenschaft aufgeht. Sie erscheint
in den mannigfachsten Gestaltungen und Abstufungen; man spricht demgemäss
von einer lebhaften, rührigen, brennenden, lodernden Phantasie, oder auch
von einer wilden, verwilderten, unbändigen Phantasie. Gar oft macht sie die
ewigen Gesetze der Moral vergessen und schafft; Unholde, die frech über alles
hinweggehen, was eine tausendjährige Cultur geheiligt hat. Aber noch mehr,
sie erringt bei mangelhafter Functionierung des Nervensystems die alleinige
Herrschaft über den Geist, umhüllt diesen mit einem undurchdringlichen
Schleier und macht ihn unempfänglich für alle Einflüsse der Vernunft, ja für
jede Auffassung der Wirklichkeit. Die also umnachtete Seele fürchtet leib-
hafte Gespenster am hellen Tage, Feinde und Verfolger in den besten Freunden ;
bald wieder sieht sie Tausende von Unterwürfigen zu ihren Füssen, Kronen
schmücken das Haupt, die Grazien verschönen das Antlitz; die höchsten
Orden liegen unter dem Kopfkissen, die Schätze Indiens füllen den Palast;
alle Freuden der Welt sind ihr Theil ; nur der höchste Genuss des Daseins,
der der reinen Erkenntnis, ist dem Unglücklichen versagt. Dieser ent-
setzliche Zustand ist wohl manchen in die Wiege gelegt; aber bei vielen hat
die ins Ungemessene entwickelte Phantasie das Übel gezeitigt oder gar her-
vorgebracht. Darum ist in diesem Punkte die höchste Vorsicht, die sorg-
faltigste Beobachtung und das peinlichste Masshalten ein Gebot der Noth-
wendigkeit. Eltern und Erzieher, welche die Phantasie planlos und einseitig
entwickeln, so dass diese die alleinige Herrschaft über den Willen gewinnt
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und sich nicht mehr unter das wohlthätige Joch des Verstandes beugt, sind
für die traurigen Folgen bei ihren Schützlingen verantwortlich und begehen
eine schwere Versündigung. Aber auch diejenigen handeln nicht recht, welche
der segenspendenden Phantasie, der Quelle der reinsten Genüsse, der Be-
dingung jedes geistigen Bildungsfortschrittes, keinerlei Nahrung gewähren,
ihre Entwickelung hemmen, so dass sie vertrocknet, verdorrt; das geschieht
oft zu Gunsten der Verstandesentwickelung; — man spricht darum auch von
trockenen Verstandesmenschen, von einem Geschlechte ohne Phantasie, ohne
Sinn für die das Leben verschönende Kunst. Es ist die Aufgabe des er-
ziehlichen Unterrichts in diesem Punkte eine äusserst schwierige; all-
gemeine Grundsätze lassen sich dafür nicht aufstellen. Mir scheint vielmehr
ein Gedanke Theodor Hippels hier anwendbar. „Erziehen", so sagt er,
„heisst ausgleichen; erwärmen, wo Wärme fehlt; mit Schnee einreiben, wo
ihrer zu viel ist." Nirgends in der Erziehung wird die Individualität so sehr
berücksichtigt werden müssen, wie eben da. Verschiedene Kinder müssen
verschieden behandelt werden. Das Kind in dem einsamen Gehöfte, in der
menschenarmen Puszta, in dem abseits gelegenen Gebirgsdorf ist doch wahr-
lich anders veranlagt und wird sich daher auch ganz anders entwickeln, als
das Kind der Millionenstadt; und was dem einen gesunde, nahrhafte Geistes-
kost ist, kann für den andern überflüssig, schädlich, ja verderblich sein. Wir
alle schätzen die Märchen als Bildungsmittel, verabscheuen aber die Gespenster-
und Spukgeschichten. Wenn aber auch Märchen in der Seele eines nervösen
Stadtkindes ungewöhnliche Aufregung erzeugen, wenn es in diesen Gestalten
und Geschehnissen des Märchens ganz und gar lebt und webt, und ihn die-
selben wachend und träumend umgeben ; soll er dann auch noch neue Mär-
chen kennen lernen? Nicht anders verhält es sich mit dem unablässigen
Hinweis auf Gott, das Jenseits, verstorbene Anverwandte. Das ist eine pro-
fanierende Tändelei, und ich glaube, man täuscht sich über den Nutzen in
moralischer und religiöser Beziehung und übersieht den Schaden an der
intellectuellen Entwickelung. Es kommt vor, dass ein Kind sich nach einer
empfangenen Strafe oder nach Verweigerung eines Wunsches bei dem ver-
storbenen Brüderchen und dem lieben Gott zu sein wünscht. In einer
lustigen Geschichte von Habberton fragt ein Range: „Nicht wahr, lieber
Onkel, mein geliebter Bock wird auch in den Himmel kommen?"
Ich habe nicht gefunden, dass solche mit religiösen Vorstellungen voll-
gestopfte Kinder sich in der Schule durch Fleiss und Artigkeit auszeichnen;
im Gegentheil, manche von ihnen sind täppische Träumer oder Weltschmerzler,
manche aber auch Prachtexemplare von Heuchlern. Ungern berühre ich den
folgenden Punkt; denn ich mache mich auf grossen Widerspruch und Tadel
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gefasst, wenn ich meine Zweifel an der Erspriesslichkeit der Jugendlectüre,
wie sie vorläufig noch — nicht durchwegs, aber zum überwiegenden Theil —
beschaffen ist, ausspreche. Dem Bauernjungen gibt das Lesen jedes belie-
bigen Geschichtenbuches eine recht nützliche Anregung, reisst ihn aus dem
Stumpfsinn, macht ihn wissbegierig, vermehrt seinen Wortschatz; das will ich
nicht bestritten haben. Aber das Stadtkind, und zwar nicht bloss das reiche,
empfängt täglich und stündlich so zahlreiche neue Eindrücke, sieht, erfährt,
beobachtet so viel, dass seine Nerven kaum zur Ruhe kommen; braucht es
noch die Stimulantia der Kinderromane, in die es sich so sehr vertieft,
dass es darüber die Aufgaben vergisst, den Schulbeginn versäumt und
unwirsch wird, wenn die Mutter es stört? Man sehe nur den kleinen
Leser an, wie er sich in das Buch seiner Wahl und Neigung vergräbt! Seine
Augen treten aus ihren Höhlen und scheinen förmlich verglast zu sein; er
fühlt keinen Hunger und keine Schläfrigkeit; er will nur erfahren, wie es dem
Helden der Geschichte ergieng. So sitzt er stundenlang in einen Winkel
zusammengekauert! Mancher mag sich dabei die Augen verderben; das wird
aber auf das Kerbholz der Schule geschrieben, weil diese jetzt der Sünden-
bock für alles ist, auch für die Kurzsichtigkeit. Solche Kinder sind vollends
unfähig, in der Schule zu arbeiten ; ich weiss es beim Unterrichte genau, wann
der kleine Bücherfresser vollgelesen zur Arbeit kommt. Und was die mora-
lische Wirkung der spannenden Kinderromane betrifft, ist es gar nicht weit
her damit; die Nation, die ihrer Jugend die frömmsten Erzählungen zur
Leetüre bietet, Erzählungen in denen die Lehren der Sittlichkeit fingerdick
aufgetragen sind, ist auch die Nation der Ehebruchsdramen. Unsern Stadt-
kindern thäte vielmehr körperliche Bewegung noth, Übung im Gebrauche der
Glieder, aber — nebenbei bemerkt — ja nicht in einer staubigen, schmutzigen
Schulwerkstätte zur Scheinbeschäftigung, sondern in Gottes freier Natur ; die
eine Turnstunde wöchentlich thut's wahrlich nicht!
Also ich sage, wir brauchen die Phantasie der Stadtkinder nicht erst
künstlich anzureizen, aufzuregen; das geschieht ohne unser Hinzuthun von
anderer Seite mehr als genug. Wenn ich von einer Pflege der Phantasie
spreche, so denke ich dabei vielmehr an die Aufgabe der Schule, den Strom
der Phantasie einzudämmen, zu vertiefen, zu regeln, von krankhaften Über-
reizungen zu befreien und für eine nützliche Verwertung fruchtbar zu machen.
Phantasie und Gedächtnis sind ja die beiden wichtigsten Recipienten und zu-
gleich die Träger alles Wissens ; und ohne Heranziehung dieser beiden
Geisteskräfte gibt es, so behaupte ich, gar keinen anschaulichen
Unterricht.
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Seit Locke, geboren 1632, galt bei den grössten Geistern nicht die Specu-
iation, sondern die Induction, die Erfahrung, als die Quelle jeder Erkenntnis;
aber schon Bacon v.Verulam, geboren i56i, hatte gelehrt, dass wir nur so viel
wissen, als wir können (tantum scimus, quantum possumus), — dass das
Experiment das einzige Mittel zur Gewinnung von Kenntnissen sei. Aber erst
das Ende des achtzehnten Jahrhunderts sucht diesen Grundsatz für den
Elementarunterricht zu verwerten. Rousseau und Pestalozzi begegnen sich
in der Forderung, dass jedes Lehrobject unmittelbar und in seiner Ursprung-
liehen Beschaffenheit auf die Sinne der Lernenden wirke. Da nun aber die
Vorführung des Unterrichtsobjectes selbst doch nur in den allerseltensten
Fällen möglich ist, weil wir beispielsweise weder einen Löwen, noch einen
Gebirgssee in natura vorweisen können, greifen wir zum Modell, zur Abbil-
dung. Aus diesem ganz berechtigten Bedürfnisse hat sich eine schwunghafte
Industrie entwickelt, und mir scheint, dass da keineswegs zu wenig gearbeitet
wird. Im Gegentheile : „die Fülle hört nicht auf, sich zu vermehren." Kaum
gibt es einen Gau unseres lieben Vaterlandes, namentlich so weit die deutsche
Zunge klingt, wo nicht wenigstens ein Amtsbruder eine neue Lehrmittel-
ernndung gemacht hätte. Gewiss ist das löblich und auch in jenen seltenen
Fällen nützlich, wo Speculation und Gewinnsucht die Triebfedern der Arbeit
waren. Wenn wir uns über diese Fruchtbarkeit freuen, so sollten wir uns
doch darüber keiner Täuschung hingeben, dass gewisse „Lehrmittel" nur der
Schein dessen sind, was sie genannt werden, und dass ferner der übergrosse
Theil des Unterrichtsstoffes überhaupt nicht durch Versinnlichungsmittel seine
volle und richtige Darstellung erhalten kann. Ich will mich kurz fassen. In
diesem Saale ist von berufener Seite einmal die Mangelhaftigkeit der gang-
baren Kartenwerke hervorgehoben worden ; „von solchen Landkarten", hiess
es, „können die Schüler nimmer ein Bild der Terrainverhältnisse erlangen;
wir bedürfen neuer, besserer Arbeiten." Und zur Bekräftigung des Gesagten
werden andere Arbeiten vorgezeigt, die von den gerügten Fehlern frei sind.
Aber siehe da! es trifft sie — freilich von anderer Seite — wieder der Vorwurf
der Unzulänglichkeit. In solchen Fällen werden immer die Tadler recht be-
halten. Ich selbst habe mich durch Jahre bemüht, für den Unterricht in der
Geschichte passende „Anschauungsmittel" zu gewinnen: Porträts, Schlachten -
plane, Münzen, Medaillen und Gruppenbilder; ganz besonders liess ich mir
die Erlangung von Photographien historischer Persönlichkeiten angelegen
sein. Heute stehe ich nicht an, den Nutzen aller dieser „Lehrbehelfe' 4
für unbedeutend zu erklären. Wenn der vierzehnjährige Studiosus aus dem
Porträts Marats Gutmüthigkeit, aus den Zügen Cromwells Stumpfsinn heraus-
liest ; wenn er bei einem gut ausgeführten Stich Gustav Adolfs vor allem auf
Jahrbuch d. Wiener päd. Ges. 1886. 3
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den gestickten Halskragen aufmerksam macht — soll einem da nicht der
Glaube an die Wirkung solcher Lehrmittel entsinken? Sie können allenfalls
zur Belebung des Vortrages, zur Ausfüllung nothwendiger Erholungspausen,
zur Anknüpfung der Wiederholungen und Übersichten dienen; aber „An-
schauungen" geben sie nicht; und es besteht für mich kein Zweifel
mehr, dass viele sich über den Wert solcher „Versinnlichungsmittel", die
nichts von dem versinnlichen, was man gelehrt hat, in vollster Täuschung
befinden; die meisten, selbst wirklich geistreichen Erfindungen dieser Art, die
bei der ersten Vorführung in Fachkreisen freudige Bewunderung erregen, er-
weisen sich nach einigem Gebrauche nur als Förderungsmittel eines gewissen
„verbalen Realismus", den eben der geistbildende Unterricht vermeidet. Die
Schüler werden angeregt, freuen sich, scheinen sogar etwas gelernt zu
haben, behalten aber doch nur Worte. Wer davon nicht überzeugt ist,
erinnere sich nur an die rasche Abnützung und den häufigen Wechsel der
Anschauungsmittel für den astronomischen Unterricht.
Es gibt eben für eine grosse Anzahl von Begriffen, und zwar schon auf
der ersten Unterrichtsstufe, keine oder nicht für die Schule verwend-
bare Versinnlichungsmittel. Und wer weder die Menge noch sich selbst
täuschen, das heisst: an Stelle der Vorstellungen nicht Worte, statt der
Gedanken nicht Phrasen und blossen „Gedächtniskram" geben will, muss zu
einem anderen, verlässlicheren Mittel seine Zuflucht nehmen; er muss „Bilder"
entstehen lassen von Dingen, die nicht vorhanden sind, deren Theile aber
schon früher auf die Sinne gewirkt, Eindrücke in der Seele des Schülers
zurückgelassen haben ; er construiert also die zu veranschaulichenden Gegen-
stände mit rein geistigen Mitteln, lässt dieselben gleichsam vor dem geistigen
Auge des Schülers erstehen; und so kommen wir also zur naturgemässen
Anwendung und nutzbringenden Verwertung der Phantasie. Es wäre an-
massend, vor Fachmännern die Art auseinander zu setzen, wie das zu ge
schehen habe; ich erlaube mir nur, auf den hohen Wert der Phantasie für die
Zwecke des anschaulichen Unterrichtes im Gegensatze zu dem Scheinwert
und Unwert gewisser Lehrmittel hinzuweisen; über das Einpauken trockener
Definitionen sind wir ja doch hoffentlich hinaus. Ich gestatte mir zu diesem
meinem Zwecke folgendes Beispiel. Wir sprechen von Quell-, Fluss-, Mündungs-
seen. Der begeisterte Verehrer der schönen „Anschauungsbilder" hängt
Landschaften, wirkliche oder ideale, an die Tafel ; ich aber meine viel besser
zum Ziele zu gelangen, wenn ich den Schüler im Geiste dorthin führe, wo
ein Flussbett sich zum See erweitert, dann wieder dorthin, wo der See tief
unten zwischen Anhöhen liegt u. s. w. Frage ich nun, ob man den Quellsee
im Hochland oder im Tiefland findet u. s. w., so bekomme ich vielleicht
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doch eher von demjenigen eine richtige Antwort, der die Dinge mit dem
geistigen Auge geschaut, als von dem, dessen Blick auf bemalter Leinwand
haftete. Freilich erfordert dieser Vorgang eine gewisse Übung, die aber um
so nutzbringender ist, weil doch selbst der „Bilderverehrer" immer noch zu
unserer Art der Darstellung greifen muss, z. B. wenn er die Redefiguren eines
Gedichtes erklären will, wenn er von der Lebensweise, dem Nutzen und
Schaden der Thiere, von der Gewinnung der Erze und anderen Mineralien
spricht. Auch Rechnungsaufgaben aus dem praktischen Leben erfordern oft
eine solche Behandlung, weil ohne klare Vorstellung eines Dachvorsprunges
nicht berechnet werden kann, wie viel Dachziegel nöthig sind u. m. dgl. Von
Geographie, Physik brauche ich gar nicht zu reden. Diesem weiten Gebiete,
auf welchem wir die Phantasie als Helfer in der Noth anzurufen gezwungen
sind, entspreche auch eine sorgsame, vorsichtige und umsichtige Pflege der-
selben, aber ja keine zu starke Zumuthung an ihre Leistungsfähigkeit. Haben
wir nämlich ein Bild zu erzeugen, das die Schüler bisher noch nicht wahr-
genommen, so müssen wir uns überzeugen, ob die Theile, aus denen wir
es construieren wollen, oder ob die Dinge, die wir zu Vergleichen heranziehen
wollen, wirklich bekannt sind. Wir dürfen nicht von einem Quellsee reden,
bevor sie den Begriff „See" haben, nicht vom österreichischen Reichsrath,
bevor sie nicht klar wissen, was eine Völkervertretung überhaupt ist, nicht
etwa schlechtweg die gesetzgebende Gewalt nennen, ehe die Staatsgewalten
auseinander gelegt und erklärt sind. Da muss alles als bekannt Vorausgesetzte
völlig niet- und nagelfest in der Seele haften, wenn wir darin Unbekanntes,
Neues anlehnen wollen. Hier gilt gerade so wie bei den Verrichtungen des
Verstandes, der Vernunft der Grundsatz : Vom Leichten zum Schweren, vom
Nahen zum Fernen! Nicht übersehen darf man, dass das räumlich oder zeit-
lich näher Liegende darum nicht immer dem kindlichen Geiste auch thatsäch-
lieh verständlicher wäre! Das Verhältnis des römischen Consuls zum Senate
und zum Staate scheint mir, soweit es zum Verständnis der geschichtlichen
Thatsachen nothwendig ist, leichter erfassbar, als das des Wiener Bürger-
meisters zum Magistrat und zum Gemeinderath. Vergessen wir auch nicht,
dass vieles,, was uns Erwachsenen naheliegend und geläufig, darum nicht für
die Jugend sein muss!
Diese Geistesarbeit des Construierens von abwesenden und niemals für
die Anschauung gewonnenen Vorstellungen ist nach meinen Beobachtungen
für die Schüler schwieriger als das Urtheilen und Schliessen; man merkt es
vielleicht weniger, weil ein grosser Theil der Lernenden sich leider mit der
Einprägung des Wortes begnügt. Vollbracht muss aber diese Arbeit
werden; denn eine solche durch den logisch ordnenden Verstand controlierte
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Übung der Phantasie allein macht erst den ganzen Unterricht anschaulich
und daher fruchtbringend. Der Schüler sieht da alles, was seinem Sinne
unerreichbar ist, mit dem geistigen Auge der Phantasie, welche das Heer
früher gewonnener Vorstellungen mobil macht und aus denselben alles heraus-
holt, was sie braucht; aber sie schreitet nie aus, überhitzt sich nie; denn sie
wird vom Lehrer fortwährend verhalten, sich dem Verstände zu unterordnen.
— Nur muss man dem arbeitenden Kinde zu Hilfe kommen durch Lebhaftig-
keit der Darstellung, Sorgsamkeit in der Wahl des Ausdruckes, deutliches
Sprechen und namentlich durch öftere Pausen im Unterrichte. Bei der
Schilderung einer tropischen Gegend, eines folgenreichen, historischen Ereig-
nisses, eines gewaltigen Werdeprocesses, in jedem Sinne des Wortes, wird
der Lehrer, wenn er für den Beruf begeistert ist, mit seiner eigenen Phantasie
die vorzuführenden Bilder in hellstem Lichte schauen; die Dinge entwickeln
sich vor seinem geistigen Auge, er sieht auch jede Einzelheit der Erscheinungen,
sein Ohr vernimmt die gesprochenen Worte des geschichtlichen Helden, er
selbst ist das Medium, durch welches die Personen zum Schüler reden; dann
lauscht dieser mit gespannter Aufmerksamkeit der lebhaften Darstellung, die
ruhig und doch lebendig, messend und doch langsam sich entwickelt ; da wird
die Phantasie der Schüler zum Mitschaffen angeregt, die Bilder werden klar
geschaut und bleiben im Gedächtnisse haften. Dem letzteren aber, welches
dabei ungemein in Anspruch genommen ist, müssen Hilfen und Stützen ge-
boten werden; hört das Ohr einen neuen Ausdruck, einen fremden Namen,
eine Jahreszahl, so sehe das Auge dasselbe sofort an der Tafel ; auch leicht
hingeworfene Zeichnungen kommen zu statten. Aber die Hauptsache ist und
bleibt doch die allersorgfältigste Auswahl des Stoffes und die weiseste Be-
schränkung bei derselben. Wenn ich das an einem Beispiele darlegen soll,
so erlaube ich mir da auf meinen vor drei Jahren gehaltenen Vortrag über
die Behandlung der Verfassungskunde in der Bürgerschule hinzuweisen. Ich
führte in demselben aus, dass der Unterricht in den Staatsgrundgesetzen und
alledem, was man Verfassung nennt, dann allein Wurzel schlagen und ver-
daut werden kann, wenn das Interesse dafür geweckt und dadurch auch das
Verständnis angebahnt wurde mittels einer diesen Zweck scharf im Auge be-
haltenden Methode des Geschichtsunterrichtes. Innerhalb der drei
Jahre, in welchen letzterer ertheilt wird, sollen die Schüler an einfacheren
Staatsverhältnissen, wie sie das Alterthum bietet, die Begriffe „Staat", „Regie-
rung", die Pflichten gegen das Vaterland, die Beziehungen zwischen dem
Wohle des Staates und Individuums kennen leinen; denn mit der fort-
schreitenden Entwickelung der Cultur und der Erweiterung des Kreises derer,
die ihren berechtigten Einfluss auf die Führung der Staatsmaschine geltend
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machen wollen, wächst auch die Schwierigkeit, die staatlichen Verhältnisse zu
begreifen; und man kann behaupten, dass gerade die zeitlich und räum-
lich entfernteren Staatengebilde des Alterthums der jugendlichen
Fassungskraft am nächsten liegen, dass der chronologische Weg in
der Behandlung der Geschichte in Wirklichkeit vom Leichten zum Schweren,
vom Nahen zum Fernen führt, und dass daher die Lehre von der vaterländischen
Verfassung nur dann alle zum Verständnis nothwendigen Vorbegriffe auf-
gespeichert findet, wenn man die Erfassung von Staatseinrichtungen und
Staatsgrundgesetzen an mehreren Fällen — natürlich nur, soweit es nothwendig
und möglich ist — geübt hat. Wenn nun in allen Fällen, wo wir zur Aufbauung
neuer Begriffe die Mithilfe der Phantasie beanspruchen müssen, mit der nöthigen
Vorsicht und Umsicht gearbeitet wird; dann wird statt todten Gedächtnis-
krams allezeit frische, lebensvolle Anschaulichkeit den Unterricht erfüllen und
beleben; jede Begriffsbezeichnung wird mittels der Phantasie deutlich ver-
anschaulicht und somit bleibendes Eigenthum des Schülers. Mir scheint es,
dass nach dieser Richtung hin die allgemeine und specielle Methodik zunächst
ihre weitere Fortbildung erhalten müsste, damit das allseitig als richtig an-
erkannte Princip der Anschaulichkeit bis in seine letzte Consequenz durch-
geführt erscheine. Wo die Anschauung durch die Sinne nicht mehr
möglich erscheint, da tritt die Anschauung durch die wohl-
geschulte, richtig entwickelte und vor Ausschreitungen behütete
Phantasie in ihre Rechte.
Debatte. Zur Besprechung gelangten eine Reihe von Einzelheiten, als: Wichüg-
keit des Bildes zur Ergänzung der Beschreibung oder Schilderung im Geschichtsunterricht ;
Art nnd Weise, die Verfassungslehre zu behandeln; Wert und Umfang der den Land
und Stadtkindern darzubietenden Lectilre ; Massregeln gegen die Vorliebe der Jugend für
aufregende Lectiire u. s. w. — meist im Sinne des Vortragenden.
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IV.
Aufgaben und Correcturen.
Referat, erstattet am 7. April 1886 von Franz Steigl.
Dieses Referat wurde veranlasst durch den am 3. Juni i885 hier gehal-
tenen Vortrag des Vereinsmitgliedes Herrn Mikusch. Der erwähnte Vortrag
führte den Titel: „Über Aufgaben und Correcturen". Es muss jedoch gleich
bemerkt werden, dass die Thesen des Ausschusses, wie sie Ihnen heute vor-
gelegt werden , ganz wesentlich von jenen seinerzeit durch Herrn Mikusch
aufgestellten abweichen und deshalb gewissermassen als eine selbständige
Leistung aufzufassen sind. Zum besseren Verständnis des Falles und behufs
leichter Orientierung in der Sachlage gestatten Sie mir, ein paar Worte zur
Entstehung der vom Ausschuss aufgestellten Thesen, gleichsam als eine Art
Vorwort, zu sprechen.
Bekanntlich knüpfte sich an den Vortrag des Herrn Mikusch keine De-
batte ; es wurde aber der Ausschuss beauftragt, die Thesen Mikusch's zu be-
sprechen und über den Erfolg dieser Berathungen gelegentlich im Plenum zu
referieren. Der Ausschuss beschloss nun, sich nicht an die Mikusch' sehen
Thesen allein zu halten, sondern mehr selbständig in der Angelegenheit vor-
zugehen, weil betreffs dieser Thesen a) in den Meinungen der Ausschuss-
mitglieder grosse principielle Unterschiede auftraten, und b) weil die erwähnten
Thesen im Hinblick auf deren bedeutenden Umfang und im Hinblick auf die
darin enthaltenen zahlreichen Detail- und Ausführungsbestimmungen und Be-
gründungen weder ihrer Form, noch ihrem Inhalte nach verwendbar waren.
Um nun zum Ziele zu gelangen, wurde jedes Mitglied des Ausschusses ver-
anlasst, etwaige diesbezügliche Vorschläge, Fragen oder Thesen zu Papier zu
bringen und in einer nächsten Sitzung vorzulesen. Dies geschah auch. Da
zeigte es sich wiederum und in noch mehr auffallender Weise als früher schon
einmal, dass die Ansichten, betreffend die Aufgabenfrage, sehr unterschied-
liche, ja einander direct widersprechende seien. Der Ausschuss wählte nun
ein Subcomitö, bestehend aus den Herren Buchneder, Antoni und Steigl,
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wies demselben die schriftlichen Äusserungen zu und beauftragte es, ein Re-
ferat auszuarbeiten, eventuell neue Thesen aufzustellen. Das Comitl ent-
ledigte sich dieser seiner Aufgabe, indem es 6 Thesen aufstellte. Der letzten
Sitzung des Comites wurde auch HerrMikusch beigezogen. Hierauf erfolgte
eine Berathung der Thesen im Ausschuss der pädagogischen Gesellschaft, und
die Majorität desselben entschied sich für die Thesen, so zwar, dass das
Referat über dieselben auf die Tagesordnung der heutigen Plenarversamm-
lung gesetzt werden konnte. — Vorausgeschickt werden muss die Bemerkung,
dass das Comite' in seinen Thesen die Aufgabenfrage nur vom allgemeinen
Standpunkte aus, mit Ausschluss aller Detail- und Ausftihrungs-
bestimmungen, namentlich aller in die Methode der Lehrfächer eingreifenden,
ferner mit Ausschluss aller bloss definierenden oder begründenden
Sätze, behandeln und darstellen wollte.
Wie selbstverständlich wurde zuerst die Frage über den Wert und die
Stellung der schriftlichen Arbeiten im allgemeinen und ohne Rück-
sicht auf die Unterschiede zwischen Haus- und Schulaufgaben verhandelt.
Hiebei kam in Betracht, ob diesen Aufgaben ein besonderer erziehlicher
Wert zukomme oder nicht, und worin dieser" etwa bestünde. Die Frage
musste bezüglich ihres I. Theiles, da man dieselbe vom rein pädagogischen
Standpunkte und losgelöst von äusseren Verhältnissen ins Auge fasste, bejaht
werden; bezüglich des II. Theiles ergab sich, dass freie, selbständige
und selbstbestimmte Anwendung des geistig Erkannten und
technisch Erworbenen, kurz die Erzielung einer gewissen Selb-
ständigkeit des Zöglings der Hauptzweck aller schriftlichen Aufgaben
sei; und da dieser ein eminent erziehlicher genannt werden musste, so
konnte auch die Frage hinsichtlich der Nothwendigkeit solcher Aufgaben
nicht verneint werden. Auf diese Erkenntnis der Nothwendigkeit gründet
sich aber die Stellung eines jeden Faches im allgemeinen Schulerziehungs-
plan, daher auch der Aufgaben. Hieraus ergibt sich These i, welche
lautet: „Schrifdiche Aufgaben haben einen hohen pädagogischen Wert;
dieselben sind nothwendig, und es ist ihre Stellung im Schulerziehungs- und
Unterrichtsplan eine vollständig berechtigte." Herr Mikusch stimmte dieser
These bei, da dieselbe in ihrer allgemeinen Fassung seinen Ansichten nicht
zu widersprechen schien.
Bekanntlich unterscheidet man Haus- und Schulaufgaben. Es lässt
sich leicht nachweisen, dass die Zwecke beider Arten im wesentlichen
dieselben sind (siehe Begründung zur These i). Ein näheres Eingehen auf
dieselben, namentlich aber ein Vergleich beider, zeigt jedoch Folgendes : Die
Hausaufgabe verlangt bezüglich deren Ausarbeitung mehr Selbständig-
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keit, weil sie dem Schüler mehr Freiheit als die Schulaufgabe gestattet,
indem sie der freien Willensäusserung seitens der Zöglinge, z. B. in der Wahl
des Zeitpunktes, der Dauer der Bearbeitung etc., bedeutend mehr Spielraum
lässt, abgesehen davon, dass der Schüler durch dieselbe veranlasst wird, ohne
Bevormundung, ja ohne fortwährende Beaufsichtigung durch andere zu
arbeiten und sich dieser Arbeit aus eigenem Antrieb (da doch die Stunde,
in welcher die Aufgabe geschrieben werden soll, seiner Wahl anheimgegeben
ist) und, was besonders wichtig ist, ohne ängstliche Befangenheit hin-
zugeben ; sie zwingt aber auch den Schüler zur Überwindung jener geistigen
Trägheit, welche sich jeder freienEntschliessung entgegenstemmt, ebenso
zur Überwindung mancher äusseren Schwierigkeit : demnach kann die Haus-
aufgabe rücksichtlich ihres Zweckes gewissermassen als eine Fortsetzung,
Erweiterung und Ergänzung dessen angesehen werden, was als Zweck
der Schulaufgabe gilt Die Berechtigung derSchulaufgabe wird von niemandem
angezweifelt; dieselbe ist allgemein anerkannt, nicht so die Hausaufgabe.
Letztere ist jedoch bei Voraussetzung normaler Verhältnisse gleichfalls be-
rechtigt und zwar wesentlich deshalb, weil gemäss dem Obigen hier ganz be-
sonders wichtige erziehliche Momente in Betracht kommen und weü der Schul-
unterricht nicht soviel Zeit besitzt , um Schulaufgaben in genügender, d. h. in
solcher Anzahl zu geben, damit der Zweck der schriftlichen Aufgaben im
allgemeinen auch ohne Beihilfe der Hausaufgaben erreicht werden könnte,
wobei natürlich erst zu beweisen wäre, dass Hausaufgaben durch Schulauf-
gaben überhaupt ersetzbar seien. Ausserdem bildet das Aufgabenwesen,
welches sich zugleich und in Verbindung mit dem Schulwesen historisch ent-
wickelt hat und auch überall, wo Schulen bestehen, längst eingebürgert ist,
ein wertvolles Verbindungsglied zwischen Schule und Haus, und dies scheint
mir ein Moment zu sein, das wir Pädagogen in der jetzigen Zeit, welche so
viele Anzeichen eines immermehr schwindenden Interesses an der Schule
darbietet, nicht ausseracht lassen dürfen. These 2 lautet: „Dieselben (die
Aufgaben) gliedern sich in Haus- und Schulaufgaben, und beide verfolgen im
wesentlichen gleiche Zwecke."
Herr Mikusch erklärte sich gegen diese These, da durch dieselbe Haus-
aufgaben anerkannt werden, während er dieselben in seinen Thesen voll-
ständig verwirft. Gestatten Sie mir, in aller Kürze auf jene Thatsachen, welche
Herrn Mikusch zu seiner Anschauung brachten, einzugehen; es sind folgende:
a) die beim Bearbeiten der Aufgabe hie und da auftretenden Fälle von Be-
trug etc. und b) die thatsächlich vorkommenden Beispiele von physischer
Unmöglichkeit des Schülers, Hausaufgaben arbeiten zu können, letzteres aus
Mangel an Zeit, Raum oder den erforderlichen Mitteln und Behelfen.
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Dem lässt sich aber entgegenhalten: Beide Arten von Vorkommnissen
sind für das grosse Ganze des Schulwesens nur als Ausnahmen zu betrach-
ten, als extreme Fälle, auf welche vorkommendenfalls wohl Rücksicht ge-
nommen werden muss, die aber niemals eine Grundlage zur Aufstel-
lung allgemeiner Regeln abgeben können; denn dies Wesse doch nichts
anderes, als dem Pessimismus, der hier die erwähnten traurigen Ausnahmen
zur Regel machen will, und vor dem wir Lehrer uns in erziehlichen Fragen
ganz besonders zu hüten haben, als einem neuen leitenden Princip in die
Pädagogik Thür und Thor öffnen. Wenn Fälle, wie die von Herrn Mikusch
erwähnten, vorkommen, dann ist es des Erziehers Pflicht, sich zu fragen, wie
in diesen besonderen Beispielen und Verhältnissen vorzugehen sei; wem
könnte es aber einfallen, z. B. wegen der Schlechtigkeit und Verderbtheit
einzelner eine solche aller anzunehmen und solchergestalt die ganze Jugend
in Mitleidenschaft zu ziehen? Oder kann vielleicht angenommen werden,
dass die Hausaufgabe an sich, d. h. in allen Fällen, schädigend wirkt? Das
zu behaupten, könnte doch keinem vernünftigen Menschen einfallen, obgleich
nicht zu leugnen ist, dass in gewissen Verhältnissen des Schülers durch die
Hausaufgabe Schaden gestiftet werden könne. Wie muss dieselbe einge-
richtet werden, um letzteres zu vermeiden? Diese Frage wäre seitens des
Herrn Mikusch im Hinblick auf die von ihm gemachten Erfahrungen zu er-
wägen gewesen, und erst nachdem dieselbe auf befriedigende Weise zu be-
antworten unmöglich gewesen wäre, dann käme das strenge Abwägen der
Vor- und Nachtheile, des Nutzens und eventuellen Schadens der Hausaufgaben
für die ganze Schülermasse an die Reihe. Herr Mikusch half sich über alles
dieses mit einem kühnen salto mortale hinweg, indem er direct von den er-
wähnten Ausnahmsfällen zu dem allgemeinen Satz sprang : Die Hausaufgaben
sind schädlich und daher verwerflich.
Der Ausschuss war der Ansicht, dass durch eine entsprechende Or-
ganisation des Aufgabenwesens die von Herrn Mikusch vorgebrachten Fälle
minder- oder unschädlich zu machen sein werden; diese Anschauung findet
in den weiteren nachstehenden Thesen auch ihren Ausdruck.
These 2 entscheidet also priocipiell über die Zulässigkeit von Haus-
und Schulaufgaben, ohne irgendwelche besonderen Verhältnisse zu be-
rücksichtigen.
Die Aufgabe an sich wird bestimmt nach Art, Zahl und Umfang; hiebei
muss speciell die Hausaufgabe Rücksicht nehmen a) auf die Unterrichtsstufe,
b) auf die socialen Verhältnisse, in denen das Schulkind lebt, und c) auf die
Schulverhältnisse. Da alle diese Verhältnisse sehr mannigfach und überall
verschieden sind, so folgt daraus, dass allgemein giltige Bestimmungen dies-
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bezüglich nicht getroffen werden können; jede hieher gehörige Normierung
soll nur durch diejenigen vorgenommen werden, welche eine verlässliche
Kenntnis der Verhältnisse besitzen, und das sind in erster Linie die Lehrer,
resp. die Lehrkörper, weshalb diese Angelegenheit voll und ganz der
Local-Conferenz zugewiesen werden muss. Die 3. These, welche nur
Hausaufgaben behandelt, lautet: „Art, Zahl und Umfang der schriftlichen
Hausautgaben haben sich nach der Unterrichtsstufe, den socialen, sowie
Schulverhältnissen zu richten und sind von der Localconferenz festzustellen. 4 '
Herr Mikusch ist Gegner dieser These aus den bereits früher ange-
führten Gründen.
Betreffs der Schulaufgaben war das Co mite* und der Ausschuss der
Ansicht, dass diese einen wesentlichen Bestandtheil des Schulunterrichts selbst
ausmachen und deshalb als eine rein methodische und erziehliche Angelegen-
heit nur von dem einzelnen Lehrer richtig beurtheilt und bestimmt werden
können. Diese Anschauung findet in der 4. These, d. i. in der nachfolgend
angeführten, ihren Ausdruck: „Zahl, Art und Umfang der Schulaufgaben
weiden lediglich durch den jeweiligen Stand des Unterrichtes, namentlich
in Bezug auf das, was Zweck dieser Aufgaben ist, bestimmt, und es ist in
diesem Punkte jede Massnahme der pädagogischen Einsicht des Lehrers zu
überlassen."
Weshalb die Bestimmung der Hausaufgaben nicht dem einzelnen Lehrer,
sondern der Conferenz überlassen bleiben soll, wird klar, wenn man er-
wägt, dass bei ersteren auch ausserhalb des Unterrichts liegende Verhältnisse
und. zwar der Schüler und Lehrer berücksichtigt werden müssen, und dass
dieses jedenfalls sicherer, gleichmässiger und verlässlicher (namentlich be-
treffend das Zuviel oder Zuwenig der Aufgaben) durch die Conferenz geschehen
wird als durch den einzelnen Lehrer. Herr Mikusch stimmte dieser
These zu.
Ausser diesen vier Thesen über Aufgaben stellte das Gönnte" noch zwei
weitere auf, Fragen behandelnd, welche mit dem Aufgabenwesen untrennbar
zusammenhängen und welche die Gemüther gegenwärtig fast mehr bewegen
als die eigentliche Aufgabenfrage; die erste davon spricht sich über Beauf-
sichtigung und Nachhilfe wie folgt aus: „Eine Beaufsichtigung des
Schülers bei dem Bearbeiten der Aufgabe ist erwünscht, die vernünftige
Nachhilfe dabei nicht verwerflich." Die zweite (in der ganzen Reihe die
6.) These berührt Correctur und Classification der Aufgaben; sie lautet:
„Alle schriftlichen Aufgaben sind sorgfältig zu corrigieren, jedoch nur die
Schulaufgaben zu classifi eieren." Die erstere bedarf keiner weiteren Be-
gründung, da die Logik ihres Inhalts für dieselbe deutlich genug spricht.
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Was die Aufgabencorrectur anbetrifft, so unterliegt es wohl keinem Zweifel,
dass dieselbe nothwendig ist, falls ein Erfolg von den Aufgaben erwartet
werden soll. Über die Art der Correctur spricht sich diese These jedoch
nicht aus; es möge jede diesbezügliche Bestimmung dem Lehrer oder der
Conferenz überlassen bleiben.
Hinsichtlich der Classification von Autgaben sei darauf hingewiesen,
dass Zweifel über die Zulässigkeit der Schulaufgaben - Classification bis-
her nicht entstanden sind, wohl aber, und gegründete, was die Hausaufgaben
anbelangt.
Man wendet mit Recht ein, dass die Bedingungen, unter denen die Be-
arbeitung der Hausaufgabe bei den einzelnen Schülern erfolgt, sehr ungleiche
sind und dass deshalb eine gerechte, d. h. alle diese Bedingungen und mannig-
fachen Verhältnisse berücksichtigende Classification eigentlich unmöglich sei;
ferner dass andererseits jene Classification , welche dem Ideal in den Augen
des Erziehers am meisten entspräche, nach aussenhin, d. h. den Eltern gegen-
über, welche die in Betracht gezogenen Momente weder kennen, noch be-
urtheilen können , als die ungerechteste erscheinen müsste ; ferner zeigte es
sich, dass die meisten Übelstände, auf welche Herr Mikusch seine Venire
theilung der Hausaufgaben begründet, eigentlich nicht diesen Aufgaben, son-
dern der Classification derselben zur Last zu legen sind. Aus diesen Gründen
und in Erwägung, dass durch den Wegfall der Classification der Wert einer
Aufgabe nicht beeinträchltigt wird, beschloss der Ausschuss die Aufnahme
einer 6. These in der oben gegebenen Fassung. Das zur Bearbeitung der
Thesen eingesetzte Comite" schlug jedoch, von der Ansicht ausgehend, dass
die Entscheidung über die Classification der Hausaufgaben gleichfalls in den
Wirkungskreis der Localconferenz gehöre, für die 6. These folgende Fassung
vor: „Alle schriftlichen Aufgaben sind sorgfältig zu corrigieren; Schulauf-
gaben müssen auch classificiert werden." — Zum Schlüsse meines Referates
gestatten Sie mir noch die kurze Bemerkung: Wenn das Aufgabenwesen, so
wie es in den vorliegenden Thesen verlangt wird, den Verhältnissen der
Schüler und Lehrer angepasst wird, wenn die Correctur und Beur-
theilung derselben in richtiger Weise geübt werden: dann können auch
alle jene von Herrn Mikusch dargelegten Übelstände vermieden werden, ohne
von dem durch ihn empfohlenen, allerdings sehr probaten Mittel, nämlich
Auflassung der Hausaufgaben, Gebrauch machen zu müssen.
Debatte. Das hochwichtige Thema, das vorstehend umrissen erscheint, stand
wiederholt auf der Tagesordnung, d. h. wurde in mehreren Verhandlungsabenden der
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Besprechung unterzogeu. Zur Vervollständigung der Entwicklungsgeschichte setzen wir
vorerst die ursprünglich von Herrn Mikusch aufgestellten Thesen hieher. Sie lauten:
„1. i. Die schriftlichen Aufgaben der Schülei in der Volks- und Bürgerschule bilden
einen wesentlichen Bestandtheil jedes Unterrichtsfaches. 2. Sämmtliche Aufgaben werden
von den Schülern nur unter der Aufsicht des Lehrers ausgeführt. 3. Die Aufgaben werden
entweder in Frage- oder in Befehlsform an die Schüler gestellt. 4. Die Aufgaben haben
den Zweck, die Schüler ganz besonders zum selbständigen Denken und Arbeiten anzu-
leiten, die Aufmerksamkeit und Fassungskraft, das Reproductions- und Prodoctions-
vermögen der Schüler zu wecken und zu fördern. 5. Sie setzen den Lehrer mehr als
das mündliche Abfragen in den Stand, die Fähigkeiten und Kenntnisse seiner Schüler zu
controlieren, richtig zu beurtheilen und die Leistungen derselben zu vergleichen. 6. Nach
dem Zwecke werden unterschieden: a) Wiederholungsaufgaben, b) Prüfungsaufgaben.
7. Die Aufgaben werden tbeils in der Weise ausgeführt, dass die Schüler eine kleine
Anzahl von gegebenen Fragen sofort und kurz, theils so, dass sie eine oder mehrere
Fragen in bestimmter Zeit, mehr oder minder ausführlich und im Zusammenhange beant-
worten. 8. Die Wiederholungsaufgaben treten unmittelbar nach einer mündlichen oder
schriftlichen Prüfung ein und lehnen sich immer nach Inhalt und Form dieser an. 9. Ein
Theil der Wiederholungsaufgaben wird von den Schülern unter der Anleitung des Lehrers
derart corrigiert, dass die Schüler die Fehler zuerst anstreichen und dann corrigieren.
10. Ein anderer Theil der Wiederholungsaufgaben wird ausser der Unterrichtszeit vom
Lehrer durchgesehen, das Fehlerhafte angestrichen und von den Schülern in der Schule
corrigiert. 11. Die Prüfungsaufgaben werden von Zeit zu Zeit behufs Prüfung der Schüler
gegeben und umfassen das Wesentlichste des in einer bestimmten Zeit behandelten Lehr-
stoffes, werden streng beurtheilt und das Urtheil bei der Quartalsclassification vor allem
berücksichtigt.
II. Schriftliche Aufgaben über Haus werden aufgelassen; denn sie können nicht
unter der Aufsicht des Lehrers ausgeführt werden. Sie sind unmoralisch, weil sie Eltern
und Schulkinder häufig zu Täuschung, Betrug und Lüge geradezu verleiten. Sie über-
bürden die Schüler, sie schädigen in vielfacher Hinsicht die Gesundheit derselben und
vereiteln mehrfach den Zweck der Wochenferien. Sie geben dem Schüler Veranlassung,
unordentlich und unrein zu sein. Sie verleiten den Lehrer leicht zu falschem Urtheil,
zu Ungerechtigkeit und Härte. Sie verursachen den Schülern und deren Eltern häufig
arge Verlegenheiten und dem Lehrer vielfälligen Verdruss. Sie erfüllen nicht ihren Zweck.
Sie sind zumeist Ursache der Überbürdung der Schüler. Sie sind gesetzlich nicht gerecht-
fertigt (nirgends vorgeschrieben: „müssen"). An Stelle der schriftlichen Hausaufgaben
treten andere Aufgaben, theils zur Wiederholung des Gelernten, theils zur Anregung der
Selbstthätigkeit des Schülers. Solche Aufgaben sind: Übungen im Memorieren, im Reci-
tieren, Lesen, Einlernen der nothwendigsten Sprach- und Rechnungsregeln, ferner: ganz
besonders Beobachten von Naturobjecten und -Erscheinungen, der Thätigkeit der Men-
schen u. s. w. nach der Anleitung des Lehrers, nach pädagogischen Grundsätzen geregelte
Leetüre von Jugendschriften, Notizen über Beobachtetes, Erlebtes, Gelesenes und Gehörtes,
Turn- und andere Spiele nach den Angaben des Lehrers. Die schriftlichen Hausaufgaben
werden durch Schularbeiten ersetzt. Die Zeit hiezu wird gewonnen durch Wegfall der
Einübung der deutschen Currentschrift, an deren Stelle ausschliesslich die lateinische tritt,
und durch Vereinfachung der Orthographie, durch theilweise Verwendung der Unterrichts-
.stunden aller Unterrichtsdisciplinen , namentlich der Realien zu schriftlichen Arbeiten.
Der angeblich durch Hausaufgaben herbeigeführte Contact zwischen Schule und Haus
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wird durch die seitens der Eltern periodisch geübte Controle der Schülerarbeiten mehr
als - ersetzt.'*
Infolge der Aufstellung neuer Thesen von Seite des Ausschusses legte Herr Mikusch
folgende gekürzte Thesen vor:
1. Schriftliche Aufgaben haben einen hohen pädagogischen Wert; dieselben sind
nothwendig, und ihre Stellung im Erziehungs- und Unterrichtsplane der Volks- und Bürger-
schule ist berechtigt.
2. In der Volksschule werden schriftlich nur Schulaufgaben aus der Sprache,
dem Rechnen und den Realien gegeben.
3. In der Bürgerschule können aus denselben Gegenständen auch schriftliche
Hausaufgaben gegeben werden, sofern die häuslichen und Schulverhältnisse es allgemein
gestatten.
4. Die Aufgaben sind theils von den Schülern unter der Controle des Lehrers, theils
vom Lehrer zu corrigieren und zu classificieren.
5. Die Schüler der Volks- und Bürgerschulen erhalten Hausaufgaben, die nicht
schriftlich auszuführen sind, und die im Beobachten von Objecten und Erscheinungen in
Haus und Hof, Feld und Wald etc. bestehen.
6. Diese Aufgaben schliessen sich dem Unterrichte an, und es ist die Lösung der^
selben vom Lehrer stets zu berücksichtigen.
Dies der Stoff, welcher der Besprechung in der 136., 137. und 139. Plenarversamm-
lung der Wiener pädagogischen Gesellschaft zugrunde lag, und wir verzeichnen den
wesentlichen Inhalt der einzelnen Ausführungen nach der Reihenfolge, in der sie ge-
geben wurden.
M. Zens: Er spricht einleitend den Wunsch aus, dass es gelingen möge, aus den
vielfältigen Erfahrungen der praktischen Schulmänner eine günstige Lösung der brennenden
Frage zu finden. Er stellt sich nicht auf die Seite Mikusch', der in seinem Vortrage vom
Juni 1885 die gänzliche Abschaffung der Hausaufgaben gefordert hatte, findet es aber
doch sonderbar, dass Mikusch in seinen neuen, gekürzten Thesen seine vorjährigen For-
derungen ohne nähere Begründung verleugnet. Er flicht ein Grimm'sches Wort ein:
„Man darf mitten unter dem Greifen nach der reifen Frucht auch den Muth des Fehlens
haben" und bringt Belegstellen von mehreren Schulmännern, die in Zeitschriften oder
Broschüren (Otto Leisner -Leipzig im „Pädagogium", Februar 1885; Schulinspector
Willms -Tilsit: „Zur Neugestaltung der Schule", Berlin 1883; Amtsrichter Hartwich-
Düsseldorf: „Woran wir leiden", 1881; Wolgast-Hamburg im „Pädagogium", November
1885; Rector Landmann-Schweiz im „Pädagogium", November 1883; Dr. Fricke, Er-
ziehungs- und .Unterrichtslehre) entweder die vollständige Beseitigung oder doch die
Beschränkung der Zahl der Hausaufgaben fordern, woraus erhelle, dass verwandte Be-
strebungen sich früher und später gezeigt haben. Der Redner hält auch die Steigl'schen
Thesen, und zwar wogen ihrer allgemeinen Fassung, nicht geeignet, diejenigen zu be-
ruhigen, die unter der Last der Correcturen seufzen und deren Ruf nach Entlastung noch
vielfach Missverständnissen von Seite der Laien und der Collegen begegnet. Das Aufgaben-
und Correcturenwesen berühre die Kinder wie die Lehrer, und es müsse gestattet sein,
gegen eine Überbürdung auch im Interesse der Lehrer zu sprechen. Wenn auch die
These 3 (Steigl) sehr weitgehenden Bedürfnissen zu entsprechen vermöchte, so sei nach
dem Schicksale des diesbezüglichen Beschlusses der vorjährigen (Wiener) Bürgerschul-
lehrerconferenz an eine behördliche Einwilligung nicht zu denken. Redner spricht von
dem Correcturelend überhaupt, namentlich von der Lage der „Humanisten" an Bürger-
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schulen, die im günstigen Falle zwei Classen Deutsch" (wofür er nach seinen Erfah-
rungen eine steng gemessene Zeit von wöchentlich zehn Stunden Correctur feststellt), in
den neuen Parallelclassenungethümen aber oft dre i „Deutsch" zugewiesen erhalten. Da
der Lehrer in Wien ohne Nebenverdienst nicht standesgemäss leben könne, weder der
Garcon noch der Familienvater, so gehe bei fortgesetzter Überlastung alle Spannkraft
und ideale Berufsfreudigkeit verloren ; bei der sparsamsten Zeiteintheilung genügen die
Werktage nicht zur Aufarbeitung der Correcturen, die überdies keine geringe Aufmerk-
samkeit und Geistesfrische erfordern, „und so ist die sonntägige Correctur mein Gottes-
dienst." Er berührt auch das Wesen der „Subcorrectur", indem er auf die praktischen
Übungen am städtischen Lehrerpädagogium und auf einige Artikel in den „Fr. päd. Bl."
verweist, und bespricht das Missverhältnis zwischen der Mühe des Corrigierens und
dem dadurch erzielten Unterrichtserfolg. Angesichts der ungünstigen Verhältnisse müsse
der Lehrer bei jeder Thäügkeit auf den Wert und die Nothwendigkeit derselben achten
und jedes problematische Thun beiseite lassen. Es sei verhältnismässig leicht zu erweisen,
dass die Kinder unter einem Übermass von Aufgaben zu leiden haben, aber schwer halte
es, den Nichtbetroffenen von der dem Lehrer aufgebürdeten Last zu überzeugen; und
so werde der Lehrer wider seinen Willen gedrängt, sich abzufinden. Redner führt
dies des näheren aus. Eine von den Detailfragen, denen die allgemeine Fassung der
Thesen ausweicht, sei die Cl assen correctur. Es gebe auch nicht an, nur allgemein eine
, sorgfältige Correctur" zu verlangen und die Art dieser Correctur aus dem Auge zu
lassen, denn ob man mit der Art der Correctur zufrieden sein könne, beurtheile schliess-
lich nicht der Lehrer, sondern ein anderer. Redner gedenkt ferner eines Beschlusses
des oberösterreichischen Lehrervereins vom 5. August 1884 und spricht für den seiner-
zeitigen Antrag der Wiener Directorenconferenz, welch letztere unter Beistimmung der
Schulinspectoren monatlich eine Schul- und c i n e Hausarbeit für die Bürgerschulen fest-
stellten, während in den definitiven Lehrplänen die Zahl der Hausarbeiten verdoppelt
wurde, — berührt dann die vom Wiener Gemeinderathe aufgestellte Verhältniszahl 17 : 22
(17 wöchentliche Unterrichtsstunden für Humanisten, 22 für Realisten) und verlangt, dass
der Lehrer nur in zwei Classen „Deutsch" erhalte. Einsicht und Billigkeit in den Lehr-
körpern, wie Fürsorge und Wohlwollen in den höheren Kreisen werde namentlich bei
Vertheilung der Unterrichtsfächer und bei Zuweisung der wöchentlichen Stundenzahl zu
einem gedeihlichen Ziele führen. Redner kritisiert die Zahl und Art der vorgeschrie-
benen Aufsätze, wobei er der in der Zeitschrift „Bürgerschule" vom 15. December 1883
geforderten Detaillierung der Briefe und Geschäftsaufsätze : 14 Arten in der ersten, 22 Arten
in der zweiten, 37 Arten in der dritten Classe, überall im Plural — abgesehen von den
übrigen stilistischen Arbeiten — erwähnt, und vertritt den Standpunkt, dass alle jene Geschäfts-
aufsätze , die einer gesetzlichen Norm zu genügen haben, nicht Gegenstand der freien
Darstellung sein sollen; die müsse der Schüler gedruckt in die Hand bekommen, und
das gedruckte Formular soll er ins Leben mitnehmen, nicht aber seine mangelhaften
Stilübungen. Auch auf gewisse mechanische Arbeiten der Unterclassen, von dem Redner
„stigmographische Aufsätze" genannt, lenkt er die Aufmerksamkeit. Bezüglich der Classi-
fication wünscht er, entgegen der sechsten These (Steigl), dass es dem Lehrer über-
lassen werde, ob er die Hausaufgaben classificieren wolle, in jedem Falle aber seien der
Fleiss und die äussere Form zu beachten, zwei Dinge, die merkwürdigerweise aus den
neueren Formularien der Wiener Amtsschriften verschwunden sind. Redner wiederholt
seine positiven Forderungen (1. Nur eine Schul- und eine Hausaufgabe wöchentlich
für Bürgerschüler, 2. nur zwei Classen „Deutsch" für einen Lehrer) und schliefst,
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indem er bezugnehmend auf das Correcturelend sagt, dass dem Lehrer immer etwas
übrig bleiben müsse, mehr zu thun, als das Gesetz ihm vorschreibt; auch halte er es
nicht für möglich, dass die hohe Behörde es gleichgiltig ansehen könne, wenn infolge
einer ihrer Verfügungen dem Lehrer die stärkste Triebfeder seines Thuns, die Berufs-
freudigkeit, gehemmt werde ; ebensowenig könne er annehmen, dass eine hohe Schul-
behörde die Ansicht bestärken wolle, ein Lehrer könne auch ohne Berufsfreudigkeit seines
Amtes walten, wenn er nur sonst recht ruhig, folgsam und geschmeidig sich erweise.
O. Ehrhardt: Dieser Redner nimmt völlig den Standpunkt Mikusch* ein; er ver-
tritt dessen Thesen mit derselben Begründung und will namentlich deshalb die Haus-
aufgaben verwerfen, weil es viele arme Kinder gibt, denen es zu Hause an Raum, Licht,
Ruhe und Schreibrequisiten mangelt. Mit dem Hinwegfall der Hausaufgaben seien seiner
Ansicht nach auch die drückendsten Correctursorgen behoben.
M. Binstorfer: Er erklärt das Thema von tiefeinschneidender Bedeutung für Schule
und Lehrer; deshalb dürfe diese Frage nicht in einem Zuge auf dem Resolutionswege
abgethan werden. Er spricht für die schriftlichen Hausaufgaben, mögen die häuslichen
Verhältnisse welche immer sein. Herr Mikusch schliesse die Hausaufgaben für die Volks-
schule unbedingt aus, für die Bürgerschule nicht. Die häuslichen Verhältnisse seien an
Bürgerschulen nicht besser als an Volksschulen, eher an vielen Knabenbürgerschulen
schlechter als an einer Reihe von Volksschulen. Der Begriff „Schulverhältnisse" sei zu
unklar, der Einwurf Ehrhardts, dass auch die Dtsciplin gefährdet werden könne, vollends
unberechtigt. Desgleichen dessen Ausspruch: „Die Hausaufgaben sind für die Erreichung
der Unterrichtsziele belanglos"; entweder fördern sie den Schüler, oder sie hemmen ihn.
Die Hausaufgaben haben aber einen hohen erziehlichen Wert ; sie gemahnen den Schüler,
seine Pflicht auch dann zu erfüllen, wenn kein äusserer Zwang ihn antreibt, sondern die
innerliche Nöthigung. Wichtig sei, die Hausaufgabe sorgfältig vorzubereiten;
wenn zwischen dem Aufgebote an Kraft und dem Erfolge ein Miss Verhältnis bestehe, so
habe dies seinen Grund darin, dass die Leistungen der Schüler in qualitativer Beziehung
unzulänglich sind, da in quantitativer Beziehung an Bürgerschulen von Seite der Behörde
zu viel verlangt werde. Redner habe seinerzeit als Referent in der Directorcnconferenz
monatlich eine Hausaufgabe gefordert, die Behörde aber habe zwei festgesetzt; für
Volksschulen aber sei die Zahl der Aufgaben durch keine Vorschrift gebunden. Die
Überzahl der Aufgaben verleite die Schüler zur Sorglosigkeit: „Sie kommen aus dem
fehlerhaften Arbeiten nicht heraus; im sechsten, siebenten, achten Schuljahre kommen
FAler vor, die im zweiten ausgemerzt sein sollten." Ferner sei ein Unterschied zu
machen zwischen Sprach- und Rechenaufgaben. Eine Besserung ersieht Redner darin,
dass das Quantitative verringert, dagegen qualitativ entsprechend vorbereitet werde; es
müsse Zeit gewonnen werden, dass die Schüler eine Aufgabe schon in der Schule das
erstemal arbeiten können und dass daselbst die Arbeit corrigiert werde, die Haus-
aufgabe könne sich dann auf die hübsche, nette Ausführung beschränken. Schliesslich
stellt er folgende Thesen auf:
1. (Gleichlautend mit der i. These des Ausschusses.) Schriftliche Aufgaben haben
einen hohen pädagogischen Wert; dieselben sind nothwendig, und es ist ihre Stellung
im Schulerziehungs- und Unterrichtsplane eine vollständig berechtigte.
2. Dieselben gliedern sich in Schul- und Hausaufgaben.
3. Die Schulaufgaben haben hauptsächlich den Zweck, das Verständnis und die
richtige Anwendung des Gelehrten zu erproben.
4. Die Hausaufgaben haben hauptsächlich den Zweck, das in der Schule Gelehrte
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und von den Schillern Verstandene bis zur Erreichung einer gewissen Vollkommenheit
und Sicherheit einzuüben; sie haben aber auch den Zweck, den Schüler daran zu
gewöhnen, seine Pflicht als Schüler vollständig genau und pünktlich auch dann zu
erfüllen, wenn ohne jeden Zwang von aussen her lediglich die innere Nöthigung, das
Pflichtgefühl, den Antrieb dazu bilden muss.
5. Schulaufgaben können je nach Umstünden aus irgend welchen Unterrichtsgegen-
ständen gegeben werden, sind aber vorzugsweise aus dem Rechnen und aus der
Sprache zu geben.
6. Hausaufgaben sollen nur aus dem Rechnen und der Sprache gegeben werden.
7. Die Vorbereitung der Hausaufgaben aus dem Rechnen und der Sprache
muss mit Rücksicht auf die Verschiedenheit der Natur dieser Gegenstände ver-
schieden sein.
Die Vorbereitung der Hausaufgaben aus dem Rechnen wird nämlich in den
weitaus meisten Fällen als eine bloss mündliche vollkommen ausreichend sein.
Die Vorbereitung der Hausaufgaben aus der Sprache aber wird in den
weitaus meisten Fällen eine nicht bloss mündliche, sondern zugleich auch schriftiche
sein müssen.
8. Die schriftliche Vorbereitung der Hausaufgaben aus der Sprache soll
darin bestehen, dass jeder einzelne Schüler in der Schule selbst die Aufgabe auf Grund
der allgemeinen mündlichen Vorbereitung rein nach seiner Individualität und völlig selb»
ständig schriftlich behandelt und dass die dabei gemachten Fehler in der Schule selbst
ihre Correctur rinden, ehe der Schüler die Aufgabe der häuslichen Bearbeitung unter-
zieht. Eine vom Lehrer controlierte Theilnahme der Schüler selbst an dieser
Corrigierarbeit auf der Grundlage der Wechselseitigkeit ist zulässig.
Die häusliche Bearbeitung der Aufgabe wird sich also darauf beschränken,
dass der Schüler sich dabei bemüht, unter sorgfältiger Beachtung der erfolgten
Correcturen die Arbeit auch äusserlich so zu gestalten, dass das Ganze den Namen
einer ordentlichen Arbeit verdient.
Erst die nach der bezeichneten schriftlichen Vorbereitung der häuslichen
Bearbeitung unterzogenen Spracharbeiten werden vom Lehrer ausserhalb der Schul-
stunden corrigiert.
9. Um die für eine solche schriftliche Vorbereitung der schriftlichen Hausaufgaben
aus der Sprache nöthige Zeit in der Schule zu gewinnen, ist es unbedingt er-
forderlich, dass diese Hausaufgaben quantitativ sehr erheblich beschränkt werdet.
10. Was durch die geforderte quantitative Beschränkung der schriftlichen Haus-
aufgaben den Schülern rücksichtlich der Fülle und Mannigfaltigkeit der
schriftlichen Übungsstoffe verloren geht, soll durch eine umso ausgiebigere
Pflege der mündlichen Lösung aus Sprachaufgaben, insbesondere durch sehr
fieissige Übung im mündlichen Gedankenausdruck ersetzt werden.
Dr. A. J. Pick: Die Aufgaben werden ihren rechten Nutzen erst dann bringen,
wenn Schule und Lehrer entbürdet werden : die Schule durch Herabsetzung der Schüler-
zahl, der Lehrer dadurch, dass man ihm nicht so viele Unterrichtsstunden aufhalst. Selbst
mit 40 Schülern ist nur ein Minimum zu erreichen. Ein Lehrer, der in zwei, drei Classen
deutsche Aufgaben zu corrigieren hat, kann nicht mit voller Gewissenhaftigkeit arbeiten.
Man ist dem gegenüber machtlos, aber es muss angeführt werden.
A. Mikusch: In jeder Schule sind Schüler vorhanden, welche die Zeit nicht
haben, auch nicht den nöthigen Raum, das Licht etc.; die Schüler werden aber alle
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über denselben Kamm geschoren. Das erregt meine Bedenken. Man kann diese Ver-
hältnisse nicht immer genau ermitteln, noch weniger sie jederzeit würdigen. Ich lege
auf Schulaufgaben höheren Wert, als auf Hausaufgaben, die ich ganz geringschätze. Ich
wundere mich, dass die sämmtlichen Redner nicht zu dem Schlüsse gekommen sind:
„Fort mit den Hausaufgaben!"
E. Kröner: Es steht zu befürchten, dass beim Wegfall der häuslichen Schulaufgaben
die Eltern selber Aufgaben stellen und die Kinder gequält werden, was unter der päda-
gogischen Führung nicht geschehen würde. Orthographie und Grammatik bedürfen be-
sonderer Übung. In der jetzigen lehrerfeindlichen Zeit ist es bedenklich, die Forderung
nach Abschaffung der schriftlichen Hausaufgaben zu stellen. Die Hausaufgaben sind
auch das einzige Communicationsmittel zwischen Schule und Haus; sie werden günstige
oder ungünstige Bemerkungen, Freude oder Schmerz zur Folge haben, das hierin liegende
moralische Moment ist nicht zu unterschätzen. Redner befürwortet die Thesen des
Ausschusses.
K. Neuhausen: Die Lösung der Frage würde durch statistische Erhebungen
wesentlich gefördert werden; auf Grund solcher Nachweise müsste auch ein Einschreiten
bei den Behörden von Erfolg begleitet sein.
E. Jordan: Es genügt vorderhand,, die Hauptfrage festzuhalten und darüber ab-
zustimmen, ob Hausaufgaben nothwendig sind oder nicht Die Correctur kann mit bestem
Erfolge so gehandhabt werden, dass der Lehrer ein Dutzend Aufgaben vor den Kindern
durchbespricht, und zwar vom ersten bis zum letzten Wort.
F. Jäger: Keine Art der vorgelegten Thesen ist für sich ausreichend. Die Frage,
ob von jedem Schüler unter allen Verhältnissen die Aufgabe in gleichem Umfange zu
beanspruchen sei, muss verneint werden.
Der Referent F. Steigt: Die Ausführungen einiger Vorredner greifen vielfach auf
das Gebiet der Methodik über; die Ausschussthesen haben damit nichts zu thun. Die
gerügte allgemeine Fassung ist ein Vorzug dieser Thesen. Eine Überlastung von Lehrern
und Schülern wird durch die Conferenz verhütet werden.
Schliesslich wird darüber abgestimmt, ob Hausaufgaben nothwendig seien oder nicht,
und mit allen gegen vier Stimmen ausgesprochen i Die Aufgaben sind nothwendig.
Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1886.
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V.
Hölzeis Wandbilder für den Anschauungs- und
Sprachunterricht.
Referat, erstattet am 2. Juni 1886 von Eduard Jordan.
Wenn man ein Urtheil fällen will über den Wert von Anschauungsbildern,
so muss man sich vor allem den Zweck vor Augeu halten, dem derartige
Lehrmittel dienen sollen. Aufgabe des elementaren Anschauungsunterrichtes
ist, dass die Schüler anschauen, denken und sprechen lernen. Es
fragt sich nun, ob ein Anschauungsunterricht, der sich der Hauptsache nach
auf Bilder stützt, diese Aufgabe zu lösen vermag, und zu diesem Zwecke ist
es nothwendig, sich die methodische Behandlung und die praktische Benützung
der Wandbilder zu vergegenwärtigen. Sobald der Lehrer den Kindern ein
Bild vorführt, tritt an dieselben die Aufgabe heran, die auf demselben dar-
gestellten Gegenstände und Erscheinungen zu besehen und zu benennen; bei
dieser Thätigkeit bereichert sich der Geist des Kindes sehr bedeutend, es
werden viele neue Gegenstände benannt, nach Zahl, Grösse, Farbe, Gestalt,
Thätigkeiten und Eigenschaften geordnet; es kommt also zur Bethätigung des
Anschauungsvermögens auch eine ausgiebige geistige Thätigkeit, ein inten-
sives Denken, Urtheilen und Schliessen. Dass ein reichliches Sprechen mit
dieser Thätigkeit verbunden sein muss, ist ganz selbstverständlich. Bei der
Besprechung der Bilder ergibt sich ein grosser Reichthum von Sprachformen,
eine solche Fülle abwechselnder Ausdrucksweisen, wie sie kein Unterricht
sonst ermöglicht.
Es ist also unbestreitbar , dass diese Bilder hinreichenden Stoff zur An-
schauung, reichliche Gelegenheit zur Übung der Denkkraft und ausgiebigste
Veranlassung zu einem guten, ungezwungenen, inhaltsvollen Sprechen bieten,
dass also die Bilder vorzügliche Behelfe für einen erfolgreichen Betrieb des
Anschauungsunterrichtes sind.
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Es braucht wohl nicht erst gesagt zu werden, dass diese Bilder Gruppen-
bilder sein müssen, dass auf denselben nicht bloss Objecte, sondern Hand-
lungen, Geschehnisse dargestellt sein sollen, weil das Kind zunächst ein leb-
haftes Interesse für die Erkenntnis des Lebens, für die Einheit in der Natur
und für die Verkettung der Objecte derselben an den Tag legt. Für das aus
einer Lebensgemeinschaft herausgehobene Object, welches nicht handelnd,
lebend, schaffend auftritt, hat der Elementarschüler kein Interesse, kann keines
haben, weil er die Mannigfaltigkeit dieser Einheit, das Zusammenwirken der
einzelnen Organe derselben, die Stellung des Objectes im Naturhaushalte etc.
nicht zu erfassen vermag. Betreibt man trotzdem hie und da einen lediglich
an Objecte geknüpften Anschauungsunterricht, meint man den Zweck dieses
Unterrichts zu erreichen, wenn man eine Fülle von Merkmalen der Einzel-
dinge aufzählen lässt, so begeht man einen grossen pädagogischen Irrthum.
Da nun das Leben den Ausgangspunkt für den Anschauungsunterricht
bilden muss, so musste man naturnothwendig zum GruppenbUde greifen, weü
das Leben, die schaffende und zerstörende Natur nicht anders darzustellen ist.
Die Hölzeischen Wandbilder tragen nun den angeführten pädagogischen
Forderungen Rechnung; sie stellen das Leben in der Umgebung des Kindes
dar, sie bringen alltägliche Erscheinungen zur Anschauung, enthalten aber
zugleich Objecte genug, an denen auch der beschreibende Anschauungs-
unterricht getrieben werden kann.
Es sind zunächst die vier Jahreszeiten zur Darstellung gelangt, weil sie
die steten Begleiterinnen der Kinder sind, weil die Jahreszeiten des Kindes
Interesse in ganz besonderer Weise erregen, weil die Schüler jeden Tag neue
diesbezügliche Eindrücke, Beobachtungen und Anschauungen in die Schule
mitbringen, hier die Erscheinungen verstehen lernen und neue Anregung zu
weiterer, gründlicher Beobachtung empfangen und in die Natur mit hinaus-
nehmen. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass auf diese Weise Schule
und Leben in innigste Wechselbeziehung treten. Welch reichlicher Gewinn
für die Gemüthsbildung sich bei diesem Unterrichte ergibt , bedarf keiner
besonderen Betonung, und ebenso wenig ist ein Hinweis vonnöthen, dass
dem kindlichen Gemüthe gerade bei den Elementarschülern in besonderer
Weise Rechnung getragen werden muss.
Die Hölzeischen Bilder werden zur Lösung der Aufgabe des Anschauungs-
unterrichtes wesentlich beitragen, denn sie sind Kunstwerke im wahren Sinne
des Wortes, Gemälde und nicht blosse Schablonen, erhebende Stimmungsbüder,
welche jedoch trotzdem allen pädagogischen Forderungen ebenso gerecht
werden, wie den künstlerischen.
Wir sind überzeugt, dass unser Anschauungsunterricht sich mit Benützung
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dieser Bilder viel lebensvoller, anregender, frischerund erfolgreicher gestalten
wird, als das bisher der Fall war; wir sind auch überzeugt, dass die „Beschrei-
bung" des Einzelobjectes eine viel fruchtbarere sein wird, wenn dasselbe dem
Bilde entnommen, d. h. wenn es dem Kinde erst auf dem Bilde als ein
lebendes, handelndes Naturding entgegengetreten ist.
Dass die Hölzeischen Wandbilder auch für den Grassmannschen An-
schauungsunterricht eine vorzügliche Grundlage, einen passenden Ausgangs-
punkt bilden, habe ich in meinen „Materialien für den Anschauungsunter-
richt"*) des näheren erörtert und kann von einer eingehenden Besprechung
absehen, umsomehr, da es ja nicht schwer einzusehen ist, dass die Bilder
für alle Gruppen der Grassmannschen Begriffskategorien reichlichen Stoff
bieten. Für das Benennen der Gegenstände, die Unterscheidung der Theile
eines Ganzen, für die Vermittlung von Begriffen über die Zahl, den Ort, die
Farbe, Form, Grösse etc., finden sich zahlreiche Ausgangspunkte, und es
wird der Grassmannsche Unterricht nur an Naturgemässheit, Kraft und Leb-
haftigkeit gewinnen, wenn er sich auf diese Wandbilder stützt, dieselben als
Ausgangspunkte der Besprechungen benützt.
Damit habe ich Ihnen das Noth wendigste über den Wert und die Ver-
wendung der Hölzeischen Wandbilder gesagt, und ich hoffe, dieses neue
Lehrmittel werde überall mit Freuden begrüsst werden und recht viel Segen
stiften.
*) Wien, bei Ed. Holzel. Vier Bändchen: Frühling, Sommer, Herbst und Winter,
40 kr.
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VI
Beiträge zur Methodik des naturkundlichen
Unterrichts in der Volksschule.
Vortrag, gehalten den 3. Februar 1886 von Eduard Rybiczka.
Es ist eine bekannte Thatsache, dass die jetzige Welt nur zu sehr an
Gedankenleere leidet und die jämmerliche Blasiertheit bei unserer Jugend
von Jahr zu Jahr zunimmt. Unsere Stadtjugend langweilt sich und sucht
die Langweile durch pikante Leetüre zu vertreiben, statt die freie Zeit
in der freien Natur zu verbringen. Es wird von einem neun- bis zehnjährigen
Jungen bis in die Nächte hinein gelesen, und die Eltern billigen es, weil „das
Lesen bildet"; daher kein Wunder, wenn man das Bedürfnis nach Verlegung
des Unterrichts auf eine spätere Stunde fühlt. Unsere Stadtjugend ist einmal
zum Zimmerhocken verurtheilt; die grossstädtischen Verhältnisse, die gegen-
wärtige Culturentwickelung bringen es mit sich, das Glück erlisten, erraffen,
erjagen zu suchen.
Welche Folgen stellen sich ein? Blutarmut, Nervosität und, weiss Gott,
was für Übel treten frühzeitig auf, und der herbeigerufene Arzt verordnet
kräftige Kost (Eier, Rothwein) und frische Luft. Bei dem gegenwärtigen
Concurrenzlernen kann aber das letztere Mittel nicht angewendet werden,
urasomehr kommt das erstere bei wohlhabenden Leuten zur Anwendung.
Wenn der Vater sonntags einmal seine Familie spazieren führt und dabei
die Sorgen seines Geschäfts vergessen und Mensch sein will, so sieht er vor
allem nach einem guten Gasthause, die Reisegesellschaft jubelt ihm zu, und
die Zeit wird beim edlen Nass zugebracht, die unausbleibliche Folge ist —
der blaue Montag.
Bei unserem feinen Reisepublicum treffen die Worte Rossmässlers zu:
„Man wird von einem Reisehunger hinaus in die Welt getrieben, und wenn
man nicht jeden Tag ein paar grossartige Ansichten verschlungen hat, so
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legt man sich ungesättigt in das Gasthof bett. Warum gibt es denn so wenig
Reisefeinschmecker? Weil man für den feinen Wohlgeschmack der nicht
grossartigen, sondern mehr bescheidenen Natur kein Organ hat. Man hat
sich gewöhnt, die Natur, ich möchte sagen, en gros zu betrachten, weil wir
nicht gelernt haben, ihre grossen Züge in ihre feinen Einzelheiten zu zerlegen.
Man hat auch kein Auge und kein Herz für seine heimatliche Natur, und es
ist namentlich der geringe Verkehr mit der Natur, wodurch wir an Ungeübt-
heit der Sinne, an Schwerfälligkeit im Auffassen leiden, und es ist kein ge-
ringer Vorzug der Naturvölker, dass bei ihnen die Sinne meist in einem
Grade geschärft sind, dass wir, wenn wir davon hören und lesen, es kaum
glauben wollen. 4 ' (Ich erinnere an Humboldts „Fels der Mutter".) Heut-
zutage, nach fünfundzwanzigjähriger Vergangenheit dieses Ausspruches, wird
von erfahrenen Schulmännern constatiert, dass der rechte Sinn für die Natur
sowohl hei der Jugend, als auch bei den Erwachsenen in keineswegs höherem
Grade vorhanden ist als früher.
Vergessen wir nicht, dass die Verrohung bei manchen Landbewohnern
in stetigem Zunehmen ist. Müssen wir nicht Augenzeugen sein, mit welchem
Barbarismus der Vogelfang, das Nesterausnehmen betrieben wird, mit welchem
Vergnügen ein Frosch, eine Kröte, eine Schlange gesteinigt wird, mit welchem
Eifer dem Maulwurf nachgestellt wird?
Diesen krankhaften Zuständen muss die Schule mit allen ihren Mitteln
entgegentreten. Und nachdem die täglichen Erfahrungen lehren, dass wir
eben in der Periode des papierenen Zeitalters leben, wo die Bücherweisheit
und das Einpauken eine grosse Rolle spielen, hingegen jedes Interesse für
die alltäglichen Naturerscheinungen bei unserer Jugend in den Keimen zu
ersticken droht, so ist die Schule umsomehr verpflichtet, durch einen an-
regenden, rationellen naturkundlichen Unterricht den Schüler so zu beein-
flussen, dass er selbst freudig und ausharrend die Dinge in der Natur an-
schaut, die Erscheinungen beobachtet und so in die richtige Bahnen gelenkt
werde.
Das bei jedem Kinde anzutreffende Interesse für die Natur dauernd wach
zu erhalten und zu heben, die Jugend zu einem freudigen Heimischwerden
in der sie umgebenden Natur anzuleiten, führt ein stetiges Beobachten der
Natur zum erwünschten Ziele. Das Endresultat eines auf richtige Anschauung
und auf sinnige Beobachtung gegründeten naturbeschreibenden Unterrichts
lässt sich in die Worte einkleiden: „Erkenntnis der wunderbaren Einfachheit
in der unendlichen Mannigfaltigkeit der Naturdinge." Von diesem Grundsatze
ausgehend, dürfte kaum nothwendig sein, daraufhinzuweisen, dass die Be-
trachtung des Heimatlichen der des Entfernten voranzugehen hat. Der Nestor
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der europäischen Naturwissenschaft sagt: „Hier berühre ich wiederholt den
Vorzug jenes Wissens, das einen heimatlichen Ursprung hat, dessen Möglich-
keit recht eigentlich an unsere irdische Existenz geknüpft ist."
Fragt nach Erscheinungen, die tagtäglich in einfachem Verlaufe wahr-
zunehmen sind, dann wird es nicht vorkommen, dass, wenn im naturgeschicht-
lichen Leitfaden ein Affe als erster Säugethierrepräsentant in Wort und Bild
steht, die Schüler von diesem viel mehr wissen, als von einem Hasen.
Forscht man nach der Ursache, wie weit die Schule an den in der Ein-
leitung gekennzeichneten Missständen schuld ist, so muss zugestanden werden,
dass viele Lehrer der niederen wie höheren Schulen für die heimischen Natur-
erscheinungen selbst nicht so erwärmt sind, dass sich von ihnen auf die
Schüler freudiges Selbstschauen in der Natur übertragen könnte. Wir müssen
noch weiter gehen und sagen, der Kampf um das Dasein ist es, der manchen
Lehrer entmuthigt und ihm jede Begeisterung benimmt. Nicht minder darf
aber der Einfluss des Zeitgeistes, des Elternhauses, der Ungunst örtlicher
Verhältnisse unterschätzt werden.
Diesterweg hält mit Recht für die Pflicht eines Lehrers der Erd- und
Naturkunde, dafür zu sorgen, dass, was er spricht, er der Sache, nicht
bloss dem Worte oder den Wörtern nach kenne. Es ist daher eine uner-
lässliche Eigenschaft des Lehrers der Weltkunde, dass er die Welt mit eigenen
Augen gesehen und beobachtet habe. Er muss eine hohe Anschauung von
der Natur, richtige Begriffe von dem Zweck des Zusammenlebens haben.
Warum wird so wenig beobachtet ? Weil „Leistungen" das Losungswort der
Lehrer ist.
Will aber der Lehrer Belehrungen an die Kinder richten, so ist es zu-
nächst für ihn die Hauptaufgabe, sich von den Vorstellungen und Vorkennt-
nissen seiner Zöglinge zu überzeugen. —
Der Rudolstädter Arzt B. Sigismund hat im Jahre i856 statistische
Erhebungen über den geistigen und körperlichen Entwickelungsprocess des
Kindes angestellt. Stoy begann 1864 eine psychologische Statistik der Schüler
anzulegen, 1869 Bartholomäi, 1878 Lange, 1880 Hartmann. Um ein Bild von
dem gesammten Vorstellungskreis der Kinder zu bekommen, musste eine alle
Zweige der kindlichen Erfahrung umfassende Liste von Fragen aufgestellt
werden. Von 1000 in Berlin eintretenden Schulkindern kannten 777 den
Regenbogen, 602 einen Schmetterling, 533 ein Kartoffelfeld, 406 ein Ähren-
feld, 387 eine Schafherde, 264 eine Eiche', 460 eine Wiese, 364 einen Wald,
462 den Sonnenuntergang etc. Die Vergleichung der Antworten der Knaben
mit denen der Mädchen ergab, dass den Knaben mehr Vorstellungen aus der
heimatlichen Umgebung zur Verfügung stehen als den Mädchen. Die Stadt-
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kinder bringen weniger Anschauung aus Wald und Feld, von Berg und Thal,
von Gewässern und ihren Bewohnern mit zur Schule, als die Dorfkinder. Die
aus dem Kindergarten kommenden Schüler sind vorstellungsreicher als die
aus der Familie kommenden.
Wie sieht es aber bei uns in Wien diesbezüglich aus? Wien hat eine
beneidenswerte Umgebung wie kaum eine Stadt der Welt. Wenden wir uns
nach welcher Richtung immer, so haben wir Gelegenheit, bei einer nur kurzen
Wanderung das Mannigfaltigste zu beobachten, zu studieren. Allein mit dem
Erfahrungs« und Vorstellungskreis der Kinder sieht es auch nicht besser aus
als in Berlin. Einige Beispiele aus meiner Erfahrung will ich anführen. Von
circa 5o Schülern der fünften Classe halten 21 (d. s. 42%) den Fischmarkt
nicht gesehen, 35 (d. s. 70 w / 0 ) waren noch nicht in Schönbrunn (Thiergarten)
gewesen, 40 (d.s. 80%) hatten noch keine Quelle gesehen, und man braucht
nur über Sievering hinauszugehen (i 1 /« Stunde), und welche Mannigfaltigkeit
von Abwechselung in der Natur bietet sich dar! Quelle und Bach, Wasser-
scheide, Mulde, Berg und Hügel etc.
Vorstellungsarm kommen unsere Kinder zur Schule. Sie haben aller-
dings mehr gesehen und erfahren, als sie in Worten ausdrücken können, die
Anschauungen jedoch, die nicht durch Worte fixiert werden, haben im all-
gemeinen wenig Wert, weil sie in der Regel zu undeutlich gewonnen wurden.
Es muss daher die doppelte Sorge der Schule sein, dass die Zöglinge viele
und wertvolle Vorstellungen aus dem Bereiche der Natur erlangen, diese aber
auch verwerten. Die Schule hat ihren Zögling so zu beeinflussen, dass er
selbst freudig und ausharrend die Dinge in der Natur anschaut und die Er-
scheinungen beobachtet Der pädagogische Wert der Beobachtungen liegt
aber nicht in der Menge derselben, die Hauptsache ist, dass sie den Schüler
selbständig macht; doch muss ihm von irgend einer Seite die Anregung ge-
geben werden. Den Unterricht fördern die Beobachtungen des Schülers, weil
diesem dann die Reproduction mannigfaltiger eigener Ergebnisse möglich ist,
die allein das Verständnis anderer eröffnen können. Waren die bei verweilender
Betrachtung empfangenen Eindrücke scharf, dann gehen auch die Reproduc-
tionen leicht und sicher von statten und vermitteln die Apperceptionen, d. h. der
Schüler kann sich ein richtiges Bild von den Erscheinungen und Dingen
manchen, die der Lehrer nennt und charakterisiert, ohne dass sie selbst den
Sinnen vorgeführt zu werden brauchen. Viel mehr Apperceptionsbilfen als
man glaubt, enthält die Heimat; dieselben aufzusuchen, verlohnt sich gewiss
der Mühe; und haben die Schüler sie gewonnen, dann weiss der Lehrer,
worauf er bauen kann, er erspart Zeit, weil vieles schon da ist, was sonst
zum Verständis erst herbeigeschafft werden müsste.
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Der Schüler, dem das Beobachten zur Gewohnheit wird, lernt nicht nur
Einzelnheiten dem Äussern nach kennen, er lernt auch speculieren, ganz von
selbst und auf solider Grundlage. Als einen Fehler der Pädagogik bezeichnet
Herbart, „den Geist ungeübt im Speculieren zu lassen bis in die Jahre, wo
ein ungestümes Verlangen nach Überzeugung sich von selbst entwickelt und
trotzig das erste Beste ergreift, um sich zu befriedigen." (Man muss selbst-
verständlich mehr Fragen nach dem „warum?", nach dem causalen Zusammen-
hang stellen.)
Niemand wird ferner gering schätzen, dass bei den freien Beobachtungen
durch ständiges Anschauen von Formen, Linien, Farben und Bewegungen
die ästhetische Naturbeobachtung des Schülers begründet, ihm die Kunst
durch die Natur erschlossen wird. „Das Ästhetische entsteht uns erst in der
verweilenden Betrachtung. Zuerst sieht der Schüler nur die Masse wie andere
Massen, das Bunte, das Kontrastierende, das Bewegte ist für ihn schön; hat
er sich daran satt gesehen, dann trifft man ihn in einer völlig ruhigen, doch
auch völlig regsamen Stimmung, welche das Erwachen des ästhetischen Inter-
esses bedeutet." (Herbart.)
Es rückt nun die Frage heran, wo man solche Beobachtungen pflegen
soll, wie und wann sie angestellt werden sollen, und welche Mittel etwa uns
noch zum anschaulichen Unterricht führen könnten. Vor allem verdient der
Schulgarten genannt zu werden. Die Bedeutung und der pädagogische
Wert eines Schulgartens scheint immer mehr eingesehen zu werden, und ich
verweise auf Dr. E. Schwab: „Ein Beitrag zur Lösung der Aufgabe unserer
öffentlichen Erziehung" (Das Wasserbecken im Schulgarten). Das Ideal ist
ein Grundstück am Schulhause. Leider finden wir noch Schulen auf dem
Lande, wo man eines solchen Gartens entbehren muss, umso mehr bleibt
dies ein frommer Wunsch für uns städtische Lehrer. Deshalb muss die kürz-
liche Anregung von Seite unseres geschätzten Mitgliedes Dr. K. Rothe, die
Errichtung eines botanischen Gartens zum Zwecke des naturkundlichen Unter»
richts für sämmtliche Unterrichtsanstalten Wiens anzubahnen, mit Freude be-
grüsst werden. Da wir aber nur mit vorhandenen Factoren rechnen können,
so wird man wenigstens einen Hofraum zur Verfügung haben, in welchem
einige Kisten und Töpfe mit Erde aufgestellt werden, und fehlt auch dieser,
so greift man zur Blumenzucht im Zimmer, um doch die Entwickelung von
keimenden Samen, das allmähliche Emporwachsen der Pflanzen, das Entfalten
der Knospen und Blüten verfolgen zu können.
Der naturkundliche Unterricht muss vorzugsweise ein Anschauungs-
unterricht sein, nur wenn manche Pflanzen und Thiere nicht zu beschaffen
sind, so hilft man sich durch Abbildungen. Auch kann ein Lehrer, der Sinn
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und Verständnis für die Natur hat, gar mancherlei in die Schule bringen,
ich meine z. B. lebende Thiere, als: Schildkröten, Schlangen, Salamander,
Fische etc. Es ist mir schon oft vorgekommen, dass Kinder, die schon oft und
viel über ein Thier gehört und gelesen haben, es doch nicht beim Vorzeigen
in der Schule erkannten. Das Vorstellungstalent und die Phantasie unserer
Kinder ist auf ein Minimum zu beschränken, daher keine Beschreibungen der
Pflanzen, wenn nicht Zweige, Früchte da sind, keine langen Reden und Aus-
einandersetzungen über Naturobjecte, wenn man sie nicht selbst oder wenig-
stens ihre Abbildungen besitzt. Deshalb ist es von nicht zu unterschätzendem
Werte, wenn der Lehrer seine Geschicklichkeit im Zeichnen auch beim natur-
kundlichen Unterricht zu verwerten weiss. Auf grosse Eleganz kommt es
nicht an, am besten sind ganz einfache Skizzen, die zum Festhalten des
Gesehenen von den Schülern gleich oder später als Repetitionsaufgaben nach-
gezeichnet werden. Eine Zeichnung ist in vielen Fällen schneller fertig und
anschaulicher, als eine Beschreibung mit Worten. Als bestes und vortreff-
liches Mittel, das zur Beobachtung führt, dienen Excursionen. Professor
Dr. K. Rothe äussert sich darüber in seiner Methodik folgendermassen :
„Alles, was bisher über die Mittel und Wege gesagt wurde — dabei meint er
Schulgarten, Abbildungen, Aquarien etc. — Naturgegenstände zur Betrachtung
vorzuführen, ist mehr oder weniger Surrogat und kann die Beobachtung der
freien Natur nicht ersetzen. Man sollte den naturgeschichtlichen Unterricht
eigentlich ins Freie verlegen , um wirklich mit den Schülern das Leben und
Wirken der Natur beobachten zu können, man hätte dann zugleich den Vor-
theil, den Kindern reine Luft mit in den Kauf zu geben."
Es gab eine Zeit bei uns, wo es von den Behörden gestattet und gern
gesehen war, mit der Jugend Ausflüge zu machen. Welchen Zweck die Aus-
flüge hatten, brauche ich nicht zu erörtern. — Wäre es aber nicht vorteil-
hafter für unsere Jugend, an heissen Schulnachmittagen eine Excursion in den
nahen Prater oder bei entfernten Bezirken in den nahegelegenen Wald zu
gehen? Wäre es nicht angezeigter, an trüben Wintertagen unsere kleinen
Kinder von der zweiten Classe an in ihrer nächsten Heimat (Gang über die
Ringstrasse, Schulviertel etc.) herumzuführen, anstatt dass man sie bei Gas-
licht zwei, ja vier Stunden zum Nachtheil ihrer Gesundheit in dumpfigen
Zimmern festhält? Kurzsichtigkeit ist heutzutage das Lamento, deshalb
wurden die carrierten Theken verbannt. Wir müssen aber fordern: Licht,
Licht ! — Fragt man einen Schüler der dritten Classe, ob er den Weg in den
nächstgelegenen Bezirk wisse, so weiss er ihn nur auf der Karte, da er nur
auf der Karte in dem besagten Bezirke war. Schliesslich brauche er es auch
nicht zu wissen, müsse er einmal hingehen, so werde er schon den Weg
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erfragen. Aber wozu tordern wir auf der Karte etwas, was in der Praxis
nicht verwertet wird? Der Lehrer möge sich in der Schule abmühen, wie er
wolle: hat das Kind keine Anschauung von dem erklärten Gegenstande, so
wird es das erstrebte Ziel nicht erreichen. Wie nun jede Regel ihre Aus-
nahme hat, so ist es auch hier. Es gibt Unterrichtsmaterien, die sich der
anschaulichen Behandlung entziehen und doch besprochen werden müssen.
Aber bei alledem bleibt es Grundsatz des naturkundlichen Unterrichts, dass
die Anschauung derDeduction vorausgehe, und dass die Beobachtung immer
das erste sein muss.
Dass die Excursionen nicht lehrplanmässig eingeführt sind, hat seinen
Grund darin, dass man sie entweder als Zeitverbummeln hält, oder weil sie
für die Lehrer unbequem sind. Dr. K. Rothe lässt in seiner Methodik nur
zeitweilig Excursionen zu, weil im Freien von allen Seiten Eindrücke auf die
Jugend wirken, wodurch der Unterricht im Freien wohl nicht die erhofften
Resultate bringen würde. Dagegen sagt Scheller in „Theorie und Praxis des
Volksschulunterrichts" (von Rein, Pickel und Scheller) : „Uns gilt Unterricht in
der Schulstube und im Freien gleichwertig, wo der eine oder der andere am
Platze ist, hat er einzutreten." Derselbe gibt auch eine ausführliche Dar-
stellung der naturkundlichen Excursionen. — Piltz äussert sich in seinen Bei-
trägen zur Methodik über Naturbeobachtungen des Schülers : „Jede Excursion
muss ein ganz bestimmtes Ziel im Auge haben, und die Schüler selbst müssen
wissen, welches die Hauptaufgabe der einzelnen Excursion sei. Noch mehr
als der Unterricht im Zimmer bedarf der Unterricht im Freien sorgfältiger
Vorbereitung des Lehrers, da für beide Theile die Gefahr der Zerstreuung
nahe liegt: für den Schüler, dessen Blick in rascher Folge hunderterlei an-
zieht, was durch Farbe, Bewegung, Geräusch auffällt; für den Lehrer, dem,
je bewandter er ist, desto mehr der gemeinsamen Betrachtung und Besprechung
wert erscheint. Die Disciplin, deren Aufrechterhaltung den ganzen Einfluss
der Persönlichkeit des Lehrers erfordert, muss streng sein, darf aber nicht
in militärische Formen ausarten."
Beobachtungen, welche während des ganzen Schuljahres sowohl im
Hause, als auch in der Schule gemacht werden sollen, wären z. B. die An-
gaben der täglichen Temperatur der Luft, Aufgang und Untergang der Sonne,
so auch des Mondes, Morgen- und Abendröthe, Regenbogen, Gewitter,
Wetterleuchten, Temperatur des Wassers, Beginn des Eisganges, Ankunft der
Schwalben, die Aufblühzeit der Pflanzen etc. Ferner werden einige aus der
Einzelbeobachtung gezogene Monatsresultate geschrieben: Höchster Wärme-
grad, niedrigster Wärmegrad, mittlere Temperatur des Monats, vorherrschende
Windrichtung, stärkste Winde — wann?—, Anzahl der Tage mit Niederschlägen.
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mit Gewitter etc. In der obersten Volksschulclasse wäre der tägliche Baro-
meterstand zu beobachten. Dabei kann eine Arbeitstheilung unter den Schülern
derselben Classe eintreten, sowohl beim Beobachten, wie auch beim Auf-
schreiben. Weiters ist zu beobachten: Die Höhe der Sonne am Mittag und
zu anderen Stunden. (Dazu diene ein Brett von i m Kantenlänge, diesem sei
ein I dm langer, zur Brettfläche genau lothrechter Stift eingefügt. Als Schatten-
beobachtungsort muss ein den Sonnenstrahlen allseitig ausgesetzter Ort nahe
am Schulhause gewählt werden.) Das Schätzen und Messen, alle Grössen-
Schätzungen in der Stube und im Freien und das Bekanntmachen mit den
durch Farben, Helligkeit und Dunkelheit und Gestalt hervorgerufenen
Täuschungen, denen das Auge unterworfen ist. Natürlich muss sich der
Lehrer möglichst viele zuverlässige Zahlen über Dimensionen, die er in der
Umgegend schätzen will, verschaffen. — Das Beobachten an einer einjährigen
Pflanze (Namen, Standort, Bodenart, ob der Boden vorherrschend feucht oder
trocken ist; das Keimen derselben, Entwickelung des Stengels, Blüte) etc.
Eine ausführliche Behandlung über Beobachtungen gibt Ernst Piltz in
seiner Schrift „Beitrag zur Methodik des Unterrichts in der Heimats- und
Naturkunde". (Derselbe : - „700 Fragen und Aufgaben für Naturbeobachtungen
des Schülers in der Heimat. 4 ' Wenn auch diese Aufgaben stufenmässig geord-
net sind, so wäre es doch lohnend, dass nicht nur für jede Stufe der Volks-
schule die Fragen gruppiert würden, sondern auch: in solche, welche die
Schüler selbständig lösen könnten, in solche, die der Anleitung des Lehrers
bedürfen, in solche, die nur von einzelnen Schülern beantwortet werden
sollen, endlich in solche, die unter der Anleitung des Lehrers auf Spazier-
gängen zu lösen sind.)
Der Schüler müsste sich auch ein Notizheftchen anlegen. Natürlich
würde es falsch sein, wenn man alle möglichen Naturbeobachtungen auf-
schreiben Hesse, da dies viel zu zeitraubend wäre; es sei nur dahin zu wirken,
dass der Schüler, der sich Notizen macht, dies mit einer förmlichen Gewissen
haftigkeit thue. Dabei lasse der Lehrer die volle Freiheit walten. So gering
an Wert solche Aufschi eibungen manchem erscheinen, so ist es doch von
Wichtigkeit, Classenannalen für Naturbeobachtungen zu führen. Das Selbst-
erfahren, das Selbsthandanlegen hat einen Wert nicht nur für die Schule,
sondern auch für das Leben.
Wenn ich von dem eigentlichen naturkundlichen Unterrichte vielleicht
scheinbar abgewichen bin, so findet man den Grund darin, dass ich Heimat-
kunde und Naturkunde in einen Gegenstand in der Volksschule verschmolzen
wissen will. Über die Behandlung des Thierreichs, Pflanzenreichs finden sich
Behelfe, Methodenbücher in ausführlicher und ausgezeichneter Behandlung
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vor. Der officielle Lehrplan verlangt denAnschluss ans Lesebuch; trotzdem
sind aber keinem Lehrer die Flügel derart gebunden, dass er nicht in der
Classe Anregungen zu Naturbeobachtungen geben könnte.
Und so schliesse ich mit dem Ausspruche Rossmässlers : „Durch ge-
schichtliche Behandlung des Unterrichts über die Natur rnuss diese dem
Schüler zur Heimat werden, in der ein Fremdling zu sein ihm eine Schande,
ein Schade ist."
Debatte. Der Vortragende wünschte folgende zwei Punkte einer Besprechung
unterzogen zu sehen: l. dass von Seite der Pädagogischen Gesellschaft für eine behörd-
liche Begünstigung der Excursionen gewirkt werde, und 2. dass in Anbetracht des Um-
Standes, dass sich der naturkundliche Unterricht lehrplanmassig an das Lesebuch anzu-
lehnen habe, statt der für die Schulen des ganzen Reiches geschriebenen Lesebücher —
neue, den Ortsverhältnissen angepasste Lesebücher geschaffen werden mögen. Nach
längerer Debatte wurde die erste These angenommen in dem Sinne, dass Excursionen
überhaupt zur Belebung des Unterrichts und zur Erreichung des Unterrichtszieles zu be-
günstigen seien, die zweite These dagegen abgelehnt, vorzugsweise wegen der darin
liegenden methodischen Frage, inwieweit das Lesebuch als ein Realienbuch das metho-
dische Verfahren des Lehrers beeinflussen dürfe. Übrigens fand die Ansicht des Vor-
tragenden auch beredte Verfechter.
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VII.
Über die Beschaffung frischer Pflanzen für den
botanischen Unterricht
Vortrag, gehalten am 18. November 1885 von Dr. Karl Rothe.
Als Lehrer findet man beim Unterricht oft recht viel Schwierigkeiten zu
überwinden, die dem Laien ganz unverständlich sind, und doch ist jeder-
mann darüber ungehalten, wenn in der Schule nicht alles ganz glatt abgeht.
Eine solche Schwierigkeit für den Lehrer der Naturgeschichte ist die Be-
schaffung von Lehrmitteln. Ohne dieselben ist der Unterricht gar nichts
wert. Aber Lehrmittel kosten viel Geld; ihre Herbeischaffung und Verwendung
ist mit Aufwand an Zeit verbunden, und über beides kann der Lehrer gerade
nicht im Übermass verfügen. Wenn daher auch einzelnen Lehrern und ein-
zelnen Lehranstalten hübsche Lehrmittelsammlungen zu Gebote stehen, so
leidet doch im allgemeinen der Unterricht noch sehr an dem Fehlen ge-
nügender Naturgegenstände. Der Einzelne wird sich deren stets nach den
ihm in seinen Verhältnissen dargebotenen Mitteln verschaffen, rauss aber
oft unverhältnismässig grosse Mühe aufwenden, um zum gewünschten Ziel zu
gelangen. Der Lehrer und somit auch die Schule würden daher in hohem
Grade gewinnen, wenn zur Beschaffung mancher Lehrmittel sich andere Lehrer
mit ihm vereinigen könnten, oder wenn gar noch andere Factoren ihn unter-
stützten, wie etwa die Gemeinde oder der Staat.
Für heute möchte ich die sehr verehrte Versammlung auf die grossen
Schwierigkeiten hinweisen, welche der Belebung des botanischen Unterrichts
in einer grösseren Stadt dadurch entgegenstehen, dass jeder Lehrer darin
seinen Bedarf an frischen Pflanzen sich selbst decken muss, ohne dabei von
irgend einer Seite eine Unterstützung zu erlangen, und ich möchte Ihnen,
geehrte Coliegen, einen Gedanken mittheilen, der mich seit einigen Jahren
beschäftigt, und Sie ersuchen, denselben zu prüfen, und wenn möglich, in
geeigneter Weise zu unterstützen.
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Soweit es nur thunlich ist, soll man nach frischen Pflanzen unterrichten
Man bedarf also für jede Lehrstunde frischer Pflanzen und sollte deren
soviel haben, dass jeder Schüler wenigstens ein Exemplar in die Hand be-
kommen könnte, welches er beim Unterricht betrachten und zergliedern kann.
Wäre es möglich, ein zweites Exemplar zu geben, das zur Anlage eines
kleinen Herbariums verwendet würde, so hätte der Schüler auch Gelegenheit,
bei häuslicher Wiederholung die betrachteten Arten noch einmal zu sehen,
auch später bei zusammenfassender Wiederholung und Gruppierung könnte
er die Erinnerung an das Erlernte durch dieses Hilfsmittel auffrischen, was
ihm durch kein Lehrbuch ersetzt werden kann.
Auf dem Lande oder in einer kleineren Stadt ist das Herbeischaffen von
frischen Pflanzen ohne Mühe thunlich. Ein Spaziergang in Feld, Wiese und
Wald liefert in einer halben Stunde die hinreichende Menge von Exemplaren.
Selbst bei ungünstigem Wetter kann man stets Pflanzen in genügender Aus-
wahl erhalten, umso eher, als ja auch die Schuljugend mehr mit der Natur
vertraut ist und den Lehrer mit Vergnügen in dem Sammeln der nöthigen
Pflanzen unterstützt.
Anders ist es in Städten von grösserer Ausdehnung. Hier erfordert ein
Gang ins Freie stets mehrere Stunden, ja, einen ganzen Nachmittag. Hier
hat man auch Fahrgelegenheiten nöthig, um aus dem Bereich der Häuser an
solche Plätze zu gelangen, wo man seinen Unterrichtsbedarf entnehmen kann,
ohne auf Widerspruch seitens der Grundbesitzer zu stossen. Wo soll da der
Lehrer die Zeit hernehmen, um wöchentlich zweimal für seine starken Classen
zu botanisieren, und wer soll, wenn er zum Heimtragen der Pflanzenpäcke
sich Begleitung mitnimmt, die Kosten zahlen, die im einzelnen zwar klein
sind, durch die öftere Wiederholung immerhin anwachsen? Ist nicht der
Lehrer auch häufig durch die ihm so sehr nöthige Privatbeschäftigung fast
ganz ausserstande, regelmässig die nöthigen Excursionen ins Freie zumachen?
Und finden sich auch immer Schüler, die ihn unterstützen, theils ihn begleiten,
theils allein sich auf den Weg machen, um für den Unterricht Pflanzen zu
sammeln? Meine Erfahrung belehrt mich wenigstens, dass in Wien die Jugend
hierfür weit weniger Interesse zeigt, als in kleineren Orten, und dass dieses
Interesse, wenn man von einzelnen Ausnahmen absieht, immer mehr abnimmt,
je älter die Schüler werden. Für den botanischen Unterricht an höheren
Classen konnte ich eher noch den Überschuss davon verwenden, was die
Schüler der unteren Classen gesammelt hatten.
Immer hat aber das Botanisieren der Jugend ohne die Gegenwart des
Lehrers einiges Missliche. Vor allem ist der Lehrer dabei sehr dem Zufall
preisgegeben, ob die Schüler ihm auch gerade solche Arten bringen, wie sie
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dem Gang seines Unterrichts entsprechen. Trotz vorhergehender ausführ-
licher Erklärung und Besprechung entspricht das Gebrachte nicht immer ganz
den Wünschen des Lehrers. Andererseits ist auch die Jugend im über-
grossen Eifer, ausgiebig und vollkommen die Zufriedenheit des Lehrers zu
erwerben, oft geneigt, sich Übergriffe gegenüber den Besitzern von Wiese und
Wald, ja auf Feldern und in Gärten zu Schulden kommen zu lassen, welche
gelegentlich zu unliebsamen Erörterungen führen können, wenn man nicht in
der Wahl seiner ausgesandten kleinen Botaniker recht vorsichtig ist. Endlich
ist nicht ausseracht zu lassen, dass die kleinen Botaniker in der Nähe Wiens
gelegentlich Gefahren ausgesetzt sind seitens solcher arbeitslosen Individuen,
bei deren Begegnung auch Erwachsene gut thun, auf ihrer Hut zu sein.
Wenngleich meist die schnellen Füsse der Jugend sie der Gefahr entrücken,
kam es doch unter anderem vor, dass vor etwa zwei Jahren auf dem
Galizynberge ein kleiner Botaniker gewaltsam seiner Uhr beraubt wurde.
Tritt gar schlechtes Wetter ein, und hält solches längere Zeit an, so
wird die Pflanzenbeschaffung noch schwieriger. Hätte man Schulgärten, so
könnte man in diesen einige Pflanzen für besondere Fälle aufziehen. Man
pflanzt statt dessen wohl auch in Töpfe oder Kistchen gewisse Gewächse,
die in einem Lichthofe oder an einem Fenster gedeihen. Die Möglichkeit,
an denselben die Entwicklung der Pflanzen, das Keimen, Blühen und Reifen
zu zeigen , empfiehlt diese Pflanzenzucht gewiss. Pilze lassen sich selbst im
Keller züchten, und man gewinnt so für manche Stunde passende Objecte,
besonders für mikroskopische Betrachtung. In grösserer Ausdehnung geht
das aber nicht an. Die Pflege der Pflanzen erfordert übrigens auch nicht
wenig Zeit.
Seit einigen Jahren kann man einzelne Pflanzen für den Unterricht käuf-
lich erwerben. In den Markthallen, besonders aber auf dem Naschmarkt
kann man recht viel Pflanzen für den Unterricht erhalten. Sie sind freilich
verhältnismässig theuer und entbehren häufig einiger zur Betrachtung auch
wichtiger Theile, da die die Blumen sammelnden Weiber meist nur auf die
Blüten achten und dieselben zu Sträussen binden, ohne daran zu denken,
dass man auch unversehrte Blätter, Zwiebeln, Wurzeln u. a. braucht. Auf
besonderen Wunsch, auf Bestellung, erhält man wohl auch passende Exem-
plare, doch hängt das stets von der Gefälligkeit der betreffenden Lieferantin
ab und dem Grade der Gunst, die man sich durch klingende Gegenleistung
zu erwerben hat.
Es darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass Wien einen botanischen
Garten hat, dessen Leitung mit anerkennenswerter Bereitwilligkeit einzelnen
Schulen die Möglichkeit gewährt, ihren Bedarf in bescheidener Weise von
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dort zu holen. Würde man aber für eine Classe von 40— 5o Schülern soviel
Exemplare einer Pflanzenart verlangen, dass jeder Schüler ein Exemplar in
der Hand haben könnte, so würde man wohl kaum aus dem botanischen
Garten der Universität befriedigt werden können.
Wir sehen wohl, die Beschaffung der Pflanzen für den Unterricht ist
nicht ganz leicht, und es ist vielleicht nicht zu gewagt, es als eine dringende
Nothwendigkeit hinzustellen, dass noch in einer anderen Weise eine Möglich-
keit gefunden werde, dem Bedürfnis der Schule nach frischen Pflanzen zu
entsprechen. Der Zweck meiner heutigen Mittheilung ist es nun, eine solche
Möglichkeit zu finden, wie sie zum Gedeihen des botanischen Unterrichts
unumgänglich nöthig ist. Längst schon schwebte mir eine solche Möglichkeit
vor und gestaltete sich im Laufe der Zeit in verschiedener Form. Unter
anderem dachte ich mir einmal, es gibt in einer Stadt wie Wien gewiss genug
Individuen, denen mit einem kleinen Verdienste gedient wäre und die hin-
reichende Kenntnis der Pflanzenwelt besitzen, um die Aufgabe lösen zu
können, für die Schulen das nöthige Material an Pflanzen zu sammeln und
nach Wunsch und Bedarf den Lehranstalten zuzubringen. Doch auch ein solcher
Modus würde wieder nur einzelnen Lehrern helfen, im grossen und ganzen
bliebe der alte Übelstand bestehen. Um hier zu helfen, genügt es nicht,
wenn der Einzelne sich hilft und zufrieden ist, wenn nur seinem Bedürfnis
Genüge geleistet wird. Soll dem Unterricht durchgreifend geholfen werden,
so müssen andere Factoren mitwirken und dem Lehrer beistehen, es muss
eine Gesammtheit eintreten, um das Interesse des Ganzen zu wahren, es
muss also die Gemeinde oder der Staat selbst unterstützend eintreten,
wenn der Schule wirklich und durchgreifend geholfen werden soll.
Beseelt von solchen Gedanken, verfolgte ich ähnliche Bestrebungen, wo
ich sie wahrnahm, und da wurde denn wiederholt meine Aufmerksamkeit auf
die Hauptstadt des Deutschen Reiches hingelenkt. Bald da, bald dort las
ich in den Zeitungen über einen botanischen Garten in Berlin, welcher den
Schulen der Stadt alle nöthigen Pflanzen liefern solle. Schwer ist es indessen,
solchen Zeitungsnachrichten nachzugehen, da sie so oft mit der Papierschere
aus einem Blatte in das andere wandern, ohne dass eine Quelle zu erkennen
wäre, aus welcher man sich genauere Kenntnis verschaffen könnte.
Eine Bemerkung in dem Vorworte eines vorzüglichen kleinen botanischen
Lehrbuches über den Berliner botanischen Garten und die von demselben
ausgehende Pflanzenvertheilung veranlasste mich zu einer Anfrage an den
Verfasser desselben. Dieser, Herr Schulrath Zwick in Berlin, antwortete mir
sogleich in der liebenswürdigsten Weise und verschaffte mir ein Schriftchen,
welches über das Vorgehen in den Berliner Schulen die gewünschte Auf-
jahrbuch d. Wiener päd. Ges. 1886. 5
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klärung geben könnte; es führt den Titel: „Der Schulgarten. Beschrei-
bung der im Schulgarten des Humboldthains der Stadt Berlin
für Schulzwecke angebauten Pflanzen, nebst einem Vorwort
über Bedeutung und Einrichtung von Schulgärten im allgemeinen.
Für Lehrer und Pflanzenfreunde von C. L. Jahn, Lehrer etc. Mit
einem Plane. Berlin 1883, L. Öhmigke's Verlag."
Ganz konnte mich jedoch dies Schriftchen nicht befriedigen, obschon
darin, besonders in dem beigegebenen Vorwort, vieles darüber mitgetheilt
wird. Was mir aber nach Durchsicht des genannten Werkes noch unklar
geblieben war, suchte ich durch directen Verkehr mit dem Verfasser zu er-
fahren. Derselbe hatte die Güte, eine Reihe von Fragen, die ich ihm brief-
lich vorgelegt hatte, in ausführlicher Weise zu beantworten, so dass ich
es für meine Pflicht halte, dem Herrn Jahn für seinen eingehenden Beriebt
meinen herzlichsten Dank hiermit öffentlich auszusprechen. Den Briefen des
Herrn Jahn, sowie seinem oben genannten Werke sind die hier mitgetheilten
Daten zumeist entnommen.
Es sei mir nun erlaubt, der sehr verehrten Versammlung darüber Mit-
theilung zu machen, welche ungemein wichtige Beihilfe der botanische Unter-
richt in Berlin durch die in Rede stehende Einrichtung erfährt. Doch kann
ich nicht umhin, vorher noch auf einen Umstand aufmerksam zu machen,
welcher diese Einrichtung möglicherweise für die Zukunft noch nothwendiger
machen wird, als sie es bis jetzt schon wäre.
Die im heurigen Jahre so lebhaft erörterte Frage über die Verlegung der
Ferien auf die Zeit vom 1. Juli bis letzten August hat durch die heuer so hohe
Temperatur in den letzten Wochen des Schuljahres gewiss noch im Kreise
der Schulmänner Anhänger gewonnen, welche bisher an der Zweckmässigkeit
einer solchen Änderung zweifelten oder gar entgegengesetzter Ansicht waren.
Wir müssen also wohl mit der Möglichkeit rechnen, in Zukunft das Schuljahr
am 30. Juni schliessen zu sehen. Kein Unterrichtszweig wird aber durch
einen solchen früheren Schluss des Schuljahres empfindlicher betroffen, ja,
man kann wohl sagen, geschädigt, als der naturgeschichtliche Unterricht,
besonders der botanische Theil desselben. Die Pflanzenwelt vollendet
ihre Entwickelung nach wie vor und lässt sich nicht aus Anlass der Hitze-
ferien früher zeitigen. Der Unterricht muss aber die Entwickelung der
Pflanzenformen abwarten, um sie benutzen zu können. Verliert man nun die
14 Tage des Juli, die Zeit, in welcher die Pflanzen bei uns in vollster Ent-
wickelung sind, so entbehrt man dieselben im botanischen Unterricht in
empfindlicher Weise. Freilich gewinnt man andererseits die 14 Tage im
September wieder. Doch ist das nur ein ungenügender Ersatz, da die im
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Herbst noch blühenden Pflanzen kaum den Wert der Frühlings- und Sommer-
pflanzen haben. Meist sind es schon stark im Niedergang befindliche Exem-
plare, die auch nicht leicht in einer dem Unterrichtsbedürfnis entsprechenden
Menge beschafft werden können. Dann aber sind es auch häufig solche
Formen, welche einen sehr zusammengesetzten Bau haben und daher zum
Anfang des botanischen Unterrichts sich weniger eignen, als die Frühlings-
pflanzen, wie das Schneeglöckchen, die Schlüsselblume, Anemone u. a., welche
so recht eigentlich zum Beginn des botanischen Unterrichts einladen. Sollen
wir Lehrer also nicht in dem Erfolg des Unterrichts eine wesentliche Ein-
busse erleiden, so müssen wir einerseits darauf bedacht sein, durch Änderung
in der Vertheilung des Lehrstoffes dem drohenden Übel zu begegnen, anderer-
seits aber auch suchen, wie wir in der dem botanischen Unterricht bleibenden
Zeit des Schuljahres erfolgreich den Schwierigkeiten begegnen, welche der
Beschaffung von Pflanzen für den Unterricht entgegenstehen.
Für Berlin bestand neben dem in Rede stehenden Übelstand noch ein
anderer, welchem gegenüber wir Wiener uns nicht zu beklagen haben. Da
aber beides in einem innigen Zusammenhange steht, so muss ich darauf eben-
falls eingehen, wenn es gleich nicht so unmittelbar mit dem botanischen
Unterricht zusammenhängt. Dem Erzieher und dem Menschenfreunde geht
es ebenso nahe. Die schöne Umgebung unserer Stadt macht es der Jugend
doch nicht gar zu schwer, die freie Natur aufzusuchen. Und wenn auch die
schönen Spielplätze, welche das ehemalige Glacis mit dem tiefen Graben um
die innere Stadt der Jugend darbot, durch die Erweiterung der Stadt bis auf
einige kleine Reste dem ungehinderten Spiele der Jugend entzogen sind, so
haben sich statt dessen wohlgepflegte Gartenanlagen erhoben und breite
Strassen, in welchen man, ohne vor die Linie gehen zu müssen, reine Luft
athmen und einen erholenden Spaziergang machen kann. Selbst in den Vor-
orten verbaut man nicht die ganze Fläche, sondern lässt hie und da ein
Plätzchen frei, auf welchem Bäume gepflanzt werden, so dass der müde
Arbeiter sich im Schatten derselben ausruhen kann. Klein und gross tum-
melt sich an solchen Plätzen gern herum, es ist doch ein Etwas. Sehr zu
wünschen wäre freilich, dass dieses Etwas nicht gar so klein wäre und mit
der Erweiterung der Vororte in passender Weise ergänzt würde. Wie schön
wäre es z. B., wenn zwischen strahlenförmig sich ausdehnenden Häusermassen
auch häuserleere Strecken vom Linienwall aus sich nach aussen erstrecken
würden, die durch Bepflanzen mit Alleen, mit Gebüschen und durch Anlage
von Rasenplätzen und Blumenbeeten verschönert werden könnten, um einen
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naturgemässen Weg aus der Stadt in die freie Natur zu bilden, in welche man
jetzt nur auf staubiger Strasse oder mit Benützung eines oft überfüllten Wagens
der Tramway oder der Omnibusgesellschaften gelangen kann.
Es ist nun sehr lehrreich, zu sehen, wie in einer nicht grösseren Stadt
als Wien, in einer Stadt, welche von weit weniger günstigen Naturverhält-
nissen umgeben ist, die Möglichkeit geboten ist, dass jung und alt sich nach
anstrengender Arbeit auch im Freien erholen kann, ja, dass nebenbei auch
jeder, den es interessiert, die Schönheit der Pflanzenwelt beobachten kann,
selbst in der baumlosen Sandebene, wie sie die Hauptstadt des Deutschen
Reiches umgibt, ja, selbst die Kenntnis aller Pflanzenformen sich erwerben
kann, welche in dem Klima Norddeutschlands überhaupt gedeihen.
Berlin besass früher — bis Ende der 40 er Jahre — nur den im Westen
der Stadt gelegenen schönen Thiergarten als einzigen Erholungsort im Waldes-
schatten. Es ist natürlich, dass derselbe vorzugsweise nur von den Bewohnern
der angrenzenden Stadttheile benutzt wurde. Die Bewohner der östlichen
Stadtgegend, welche noch dazu meist dem Arbeiter- und Handwerkerstande
angehören, konnten sich und ihren Familien nur höchst selten oder nie den
Genuss verschaffen, dem Staub und der Hitze der Strassen zu entfliehen und
behaglich in einem Walde sich zu ergehen oder auf einem Wiesenplane mit
Spielen sich zu erheitern. Dieser Ubelstand trat bereits im Anfang der
30er Jahre hervor und steigerte sich mehr und mehr, da die stark zunehmende
Bevölkerung durch den inneren Ausbau und die Erweiterung der Stadt nach
Osten hin immermehr von jenem Erholungsorte abgedrängt wurde.
Um einem so tiefgefühlten Übelstande abzuhelfen, beschlossen die Väter
der Stadt Berlin im Jahre 1840 zum Andenken des Tages, an welchem vor
100 Jahren ihr König Friedrich II. den Thron bestieg, die Anlage eines Er-
holungsortes im Freien zu schaffen, welcher im Osten der Stadt liegen sollte
und den Namen Friedrichshain erhielt. Jetzt ist dieser Hain ein schatten-
reicher, viel besuchter Lieblingsort für alt und jung geworden. Während
die ersteren auf den zahlreichen Bänken Erholung suchen und finden, tummelt
sich die Jugend auf eigens angelegten Spielplätzen herum, und es ist ausser-
dem ein grosser, wohlgepflegter Rasenplatz vorhanden, auf welchem die
Jugend an den Nachmittagen Mittwochs und Samstags von 4 — 6 Uhr unter
der Aufsicht und Leitung von besonders dazu angestellten Lehrern in ge-
selligem Spiele sich unterhält.
Mein Gewährsmann hatte sich damals der Mühe unterzogen, die vielen
in- und ausländischen Ziersträucher dieser Anlagen zu bestimmen und ein
Werkchen zu veröffentlichen, in welchem sie beschrieben waren, um ihre
Kenntnis auch weiteren Kreisen zugänglich zu machen. Zum Theil ist diese
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mühevolle Arbeit indessen dadurch gegenstandslos geworden, dass durch die
später nothwendig gewordene Verbreiterung der Wege und die massgebend
gewordene Ansicht, im Friedrichshain nur deutsche, beziehungsweise euro-
päische Gewächse zu erhalten, die aussereuropäischen Sträucher meist ent-
fernt wurden. In dem Friedrichshain wurde auch später ein Schulgarten an-
gelegt, in welchem nur heimatliche Pflanzen gepflegt werden — es ist das
gewissermassen eine Ergänzung des grösseren Schulgartens, von dem nun
die Rede sein soll.
Es folgten nämlich der ersten grösseren Schöpfung nach und nach
andere. Nicht allein an dem Umfang der Stadt, auch auf den bisher kahlen
Plätzen derselben wurden Gartenanlagen errichtet. Sogar auf den Höfen der
neuerrichteten Schulen wurden deren angelegt. Eine der bedeutendsten und
die für uns interessanteste ist der Humboldtshain, dessen Anlage von der
Communalbehörde im Jahre i865 beschlossen wurde, um auch den Bewohnern
der nördlichen Stadttheile dieselbe Wohlthat zutheil werden zu lassen. Zur
Anlage dieses Parks wurde am 30. December desselben Jahres noch in den
äusseren Theilen der Spandauer Vorstadt eine Landfläche von etwa 86 Morgen
um den Preis von 129750 Thaler angekauft. Diese Fläche wurde durch einige
angrenzende städtische Grundstücke erweitert, um dem Platze entsprechende
Grösse und Gestalt zu geben. Dieselbe beträgt nun nahezu 138 Morgen, was
nach unserem Masse etwa i5o Joch oder 241 Hektar beträgt.
Ehe der Plan zur Ausführung kam, nahte der hundertjährige Geburtstag
Alexander von Humboldt's, der am 14. September 1769 zu Berlin geboren
wurde. Es ist begreiflich, dass eine Stadt stolz auf einen solchen Sohn sein
wird, haben ja doch nur wenige Forscher der Neuzeit in solch' umfassender
und vielseitiger Weise auf die Entwickelung der Naturwissenschaften ein-
gewirkt. Durch seine Thätigkeit hat Humboldt wohl mit Recht den Anspruch
auf den Dank der Menschheit sich erworben. Die Vertreter der Stadt Berlin,
in welcher Humboldt geboren ist, so lange gelebt und gewirkt hat, wollten
nun diesen Tag nicht ohne Zeugnis dankbarer Erinnerung vorübergehen
lassen. Sie beschlossen daher, zur Ehre seines Gedächtnisses dem in Aus-
sicht genommenen Nordpark den Namen Humboldtshain zu geben und
darin die Bildsäule des berühmten Gelehrten, eine Colossalbüste, aufzustellen,
diesen Hain aber nicht nur denen zu widmen, welche zur Erholung die
Mauern der Stadt verlassen, sondern an dieser Stelle auch einen bota-
nischen Garten anzulegen, der sowohl für den begrenzten Wirkungs-
kreis einer Hochschule dienen, als auch für die Bedürfnisse aller höheren
und niederen Schulen der Stadt sorgen sollte, ja für jeden Besucher, der sich
wissenschaftlich mit Botanik beschäftigen will, Anregung und Belehrung
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gewähren könnte. — Der 18. September 1869 wurde in diesem Sinne zu einer
communalen Feier ausersehen, deren Mittelpunkt die Grundsteinlegung zur
Humboldtsäule war. An dieser Feier betheiligten sich die Mitglieder des
Magistrats, die Stadtverordneten und Communalbeamten, auch sämmtliche
Gilden und Gewerke in festlichen Aufzügen, sowie Tausende von Bürgern
und Einwohnern.
Den Plan zu dem Garten entwarf der städtische Gartendirector Meyer,
welcher auch die Anlagen im Friedrichshain eingerichtet hatte. Es galt dabei,
die schon erwähnten Bedingungen zu erfüllen, d. h. vorzugsweise dem Unter-
richt zu dienen, dabei aber auch im grossen und ganzen den Ansprüchen des
Schönheitssinnes zu genügen.
Demnach wurden, um Luft und Licht freien Zugang zu gestatten, Rasen-
plätze angelegt, darunter ein grosser, mit einer Eichenallee umgebener Spiel-
platz für die Jugend, ganz so wie im Friedrichshain. Mit dem Rasen wech-
seln wohlangeordnete Gehölzmassen in der Weise , dass auf Erzielung einer
möglichst grossartigen Wirkung des Landschaftsbildes gesehen wurde.
Eingedenk dessen, dass A. v. Humboldt der Begründer der Pflanzen-
geographie und Pflanzenphysiognomik ist, wurden in dem nach ihm benannten
Haine alle im dortigen Klima ausdauernden Holzgewächse angepflanzt und
zwar nach pflanzengeographischen Grundsätzen geordnet. Zwischen den
Baumalleen sind Weinreben gepflanzt, frühe Sorten, welche zur Vermehrung
dienen sollen und den Zweck haben, an Lehrer vertheilt zu werden, welche
die Reben an passenden Wänden der Schulhöfe anpflanzen sollen. Stauden
und Sommerblumen sind in passenden Gruppen vertheilt. Alle Pflanzen sind,
wie in anderen botanischen Gärten, mit Namensbezeichnung versehen, so
dass die reifere Jugend in dem Garten bequem studieren kann , aber auch
jedermann zu seiner Unterhaltung und Belehrung Gelegenheit findet. An
Holzpflanzen allein sind gegen 2000 Arten angepflanzt, fast die gesammte
Dendrologie von Koch ist vertreten. Daneben hat man ein Gewächshaus
für die botanische Abteilung gebaut, ein Wohnhaus tür den Gartendirector
und den Obergärtner des Hains, und eine zu Unterrichtszwecken bestimmte
Halle. Neben diesen Wohnhäusern liegt der eigentliche Schulgarten, der
wichtigste Theil des Ganzen und derjenige Theil, durch welchen der Hum-
boldtshain seinen hohen Wert für die Schulen hat. Dieser Garten ist sehr
einfach in seinem Plane. Er besteht aus einem Rechteck, das durch einen
-breiten Mittelweg in zwei Hälften getheilt ist. Jede derselben enthält vierzig
Beete von solcher Breite, dass man bequem von den sie trennenden schmalen
Wegen fremde Eindringlinge (Unkraut) entfernen, dass man eben die Pflanzen
auch pflegen und pflücken kann, ohne die Beete betreten zu müssen. Auf
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den 80 Beeten sind, nach natürlichen Familien geordnet, etwa 1200 Pflanzen-
arten angebaut, in einer ihren Bedürfnissen möglichst genäherten Weise. Jede
Art ist wieder durch den botanischen Namen bezeichnet, so dass man sie
leicht auffinden und betrachten kann. Das Abpflücken selbst ist nicht
gestattet.
Der Garten umfasst die in der Mark Brandenburg wildwachsenden Ge-
wächse und die wichtigsten Vertreter fremder Gegenden, soweit sie ver-
breitete Handelsproducte liefern, durch auffallende Merkmale für den Unter-
richt besonders wichtig sind oder endlich in den Privatgärten allgemein ver-
breitet sind.
Über diesen Garten kann man sich in dem vorhin genannten Werkchen
des Lehrers Jahn vollkommen orientieren. Man findet in demselben
die kurze Beschreibung aller aufgenommenen Pflanzen, von denen einzelne
in den gebräuchlichen Büchern keine Erwähnung finden, obschon sie wichtig
genug sind. Dieser Theil des Gartens enthält übrigens nur Kräuter, kerne
Kxyptogaraen, keine Holzpflanzen und keine Wasserpflanzen. Das Vorwort
zu Jahn's Beschreibung des Schulgartens enthält daneben noch manche wich-
tige Bemerkung, so manchen guten Rath für Lehrer und Schulbehörden, dass
man wünschen möchte, dass das anspruchslose kleine Buch recht weite Ver-
breitung finde.
Was nun die Betheilung der Schulen mit Pflanzen aus dem Schulgarten
des Humboldtshains anbelangt — sie ist bereits seit dem Jahte 1877 ein-
geführt — hat man die Stadt Berlin in drei Cyklen eingetheilt, von denen jeder
zweimal wöchendich durch besondere Wagen mit Pflanzen betheilt wird. Der
erste Cyklus erhält am Montag und Donnerstag, der zweite am Dienstag und
Freitag, der dritte am Mittwoch und Samstag die Pflanzen, und nach dieser
Vertheilung sind auch in allen Berliner Schulen die Lehrstunden für Botanik
gelegt.
Alle Gemeindeschulen und alle höheren Lehranstalten erhalten die
Pflanzen unentgeltlich. Die Privatschulen haben i5 — 5o Mark zu entrichten,
je nachdem sie weniger oder mehr Pflanzen beziehen, und ob sie dieselben
abholen oder sich zusenden lassen. Jede Classe erhält 2 — 3 Arten, von jeder
werden etwa 5o Exemplare abgegeben.
Im Communalblatte wird regelmässig bekannt gemacht, welche Pflanzen
in der nächsten Woche zur Vertheilung gelangen. Nachdem sodann die
Lehrer mit Postkarte ihre Wünsche bezüglich der Arten und der Zahl von
Exemplaren erklärt haben, werden die Pflanzenbündel ihnen regelmässig
geliefert.
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Im Jahre i883, über welches die speciellen Angaben meines Gewährs-
mannes vorliegen, begann die regelmässige Vertheilung der Pflanzen am
23. April, da früher nur wenig Pflanzen zur Blüte gelangt waren. Die
Lieferungszeit dauerte bis Ende September. In jenem Jahre wurden
225 Schulen mit frischen Pflanzen versorgt. Darunter befanden sich i52 Ge-
meindeschulen, 26 Privatschulen, 38 städtische höhere Lehranstalten, 4 könig-
liche Lehranstalten, 2 jüdische Schulen, 1 Blindenschule und 1 Taubstummen-
anstalt.
Wöchentlich werden 5 Arten für jede Schule geliefert, 6 Arten für die
höheren Schulen. Von jeder Art werden i5o— 200 Exemplare gerechnet, so
dass im ganzen über 400000 Pflanzen zur Vertheilung kamen.
Die Kosten für das Ganze trägt die Stadt. Sie hat Grund und Boden
gekauft, die Gebäude hergestellt, sie hat eine Anzahl von Beamten angestellt,
so z. B. steht die Lieferung der Pflanzen unter besonderer Aufsicht eines
städtischen Oberlehrers, an welchen Reclamationen etc. zu richten sind. Für
die Unterhaltung des Gartens sind jährlich 56oo Mark (3360 fl.) ausgesetzt,
eine gewiss geringe Ausgabe für einen so grossartigen Erfolg.
Zum Humboldtshain führen die Pferdeeisenbahn und mehrere Omnibus-
linien, so dass selbst die entfernt wohnenden Besucher ihn leicht erreichen
können. Rings um den Hain entstehen fortwährend neue Strassenviertel.
Dabei ist der Besuch des Gartens für Lehrer mit ihren Schülern ebenfalls
unentgeltlich und wird daher fleissig geübt. Die die Aufsicht habenden
Gärtner geben jede nöthige Auskunft.
An diese Mittheilungen, welche leider noch in einigen Beziehungen
nicht ganz vollständig sind, möchte ich nun noch ein paar Worte fügen,
welche die mögliche Einrichtung eines solchen Gartens für Wien befürworten
sollen.
Wir haben bei Wien den schönen Prater, in der Stadt viele wohlgepflegte
Anlagen, auch manchen Park innerhalb und ausserhalb der Linie. In jüngster
Zeit hat man begonnen, an der Türkenschanze einen neuen Park anzulegen.
Es würde also wohl nicht schwer fallen, an irgend einem Orte auch für einen
solchen Schulgarten einen Platz zu finden. Der Platz an der Sternwarte
würde sich in mancher Hinsicht dazu eignen, wenn dort auch Wasser zu
finden wäre. So aber eignet sich wohl kaum ein Platz dazu besser, als der
Prater. Am linken Ufer des Donaucanals, unterhalb der Sophienbrücke
wäre Platz genug, um einen Garten zu errichten, der alle Wiener Schulen
mit Pflanzen versehen könnte. An dieser Stelle, denke ich mir, würde ein
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botanischer Garten den besten Platz haben. Man könnte die vorhandenen
Bäume verwenden und in passender Weise ergänzen, die Zwischenräume mit
Gebüschen bepflanzen, man könnte Gräben und Teiche anlegen zum Ziehen
von Wasserpflanzen und zur Begrenzung des Gartens, man würde dort reich-
lich Platz finden für .die Zucht von Gewächsen, um unsere Wiener Schulen
auf das beste mit solchen Lehrmitteln zu versehen.
Dass an jenem Platze auch durch die Nähe der Lehrerbildungsanstalt
dafür gesorgt wäre, dass die heranwachsenden Jünger unseres Standes ein
grösseres Interesse für die Natur, speciell für die Pflanzenwelt gewinnen
können, als es ihnen jetzt bei der Schwierigkeit in der Erwerbung der bota-
nischen Kenntnisse durch eigene Beobachtung möglich ist, kann als ein
Hauptvorzug dieses Platzes noch geltend gemacht werden.
Wenn es gelänge, auf diese Weise einen — ohnedies dem Gemeinwohl
bestimmten — Grund kostenfrei zu erlangen, können die sonstigen Kosten
gewiss kein Hindernis bilden. Für die Baulichkeiten wurden in Berlin
210000 Mark (126000 fl.) gezahlt. Die jährlichen Unterhaltungskosten sind
nur mit 56oo Mark angegeben. Dieser jährlich wiederkehrende Betrag würde
nicht 1 ganz einen Kreuzer für jedes Pflanzenexemplar betragen.
Möchten daher diese wenigen Worte nicht ungehört verhallen und
möchten sich doch berufene Männer finden, welche im Stande sind, mass-
gebende Factoren für diese Idee zu gewinnen. Hat unser Kaiser Franz
Josef doch schon früher einmal zu Gunsten des bestandenen Thiergartens
einen beträchtlichen Grund geschenkt, so darf man vielleicht wieder hoffen,
Se. Majestät würde einem so gemeinnützigen Unternehmen seine Huld zu-
wenden. Und wäre das erreicht, so würden unsere Stadtväter gewiss nicht
anstehen, ihren Kindern und ihren Lehrern zu Liebe die Summen zu be-
willigen, welche zur Ausführung der nöthigen Baulichkeiten und zur Unter-
haltung des Gartens jährlich erforderlich sind.
Ich stelle daher den Antrag, eine geehrte Versammlung wolle be-
schliessen:
1. Es ist wünschenswert für den botanischen Unterricht an den Wiener
Schulen, dass ein botanischer Garten errichtet werde, aus welchem
für alle Schulen der Stadt die zum Unterricht nöthigen frischen
Pflanzen geliefert werden können.
2. Der Ausschuss werde damit betraut, die Art und Weise dieser Ein-
richtung näher zu studieren und die nöthigen Schritte zur Erreichung
eines solchen Zieles zu thun.
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Nachbemerkung. Wie aus einer seither erschienenen, für den Lehrer
sehr interessanten Schrift vonVirchow und Guttstadt: „Die Anstalten
der Stadt Berlin für Gesundheitspflege und naturwissenschaft-
lichen Unterricht" zu entnehmen ist, bewähren sich die Berliner Schul-
gärten alljährlich in bester Weise. Im Jahre i885 wurden etwa 2 Millionen
Pflanzenexemplare vertheilt; in der eben genannten Schrift werden die Namen
von 131 Arten aufgezählt, welche an alle Schulen versendet wurden, wogegen
andere Arten nur einzelnen Schulen zugute kamen.
Debatte. Die vorstehenden Ausführungen erregten lebhaftes Interesse, nament-
lich der Hinweis auf Berlin, wo die dargelegte Idee bereits verwirklicht ist. Principiell
ward keine Einwendung gegen die Vorschläge Dr. Rothe's erhoben; von einer Seite
wurde der Wunsch laut, bei Anlage des Gartens auch ein Bassin für einige Wasserthiere
in Aussicht zu nehmen. Bedenken wurden nur nach der allerdings wesentlichen Seite
geäussert, ob sich ein passender Platz und die nöthigen Mittel auftreiben lassen, um den
Plan zu verwirklichen. Dem gegenüber nannte der Vortragende zwei geeignet erschei-
nende Plätze im k. k. Prater, die mit verhältnismässig geringen Kosten in den projec-
tierten Schulgarten umgewandelt werden könnten. Die Versammlung einigte sich dahin,
die Anregung Dr. Rothe's in einem Memorandum dem Löbl. Gemeinderathe von Wien
vorzulegen, ein Beschluss, der vom geschäftsführenden Ausschusse — unterstützt durch
ein besonderes Comite — sofort zur Durchführung gebracht wurde.
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VIII.
F. Steigl's Wandtabellen für den Zeichen-
unterricht.
Referat, erstattet am 18. November 1885 von Gustav Türmkr.
Die Wandtafeln für den Zeichenunterricht sind eine ganz neuartige
Erscheinung. Bis jetzt wurden derartige Tabellen bei uns in Österreich noch
nicht angewendet ; vielleicht nicht so sehr, weil man den Wert solcher Tafeln
für den Zeichenunterricht bisher unterschätzte, als aus dem Grunde, weil der
Ausführung dieser Idee bedeutende Hindernisse im Wege stehen mochten.
Vorliegende Wandtabellen sind bestimmt für den Zeichenunterricht an Volks-
und Bürgerschulen, an Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten, Gewerbe-
schulen, Gymnasien und Unterrealschulen. Sie zerfallen in zwei Serien zu
12 und i5 Tabellen, von denen die erstere zunächst für die erste Classe der
Bürgerschule berechnet ist, die zweite für die zweite Classe. Die erste Serie
enthält von Blatt 1 — 6 incl. geometrische und Übergangsformen, von Blatt 7
bis 12 freie Formen, letztere hauptsächlich Blattformen (Linden-, Hopfen-,
Eichen-, Platanen- und Weinblatt). Die Blattformen bieten ziemlich grosse
Schwierigkeiten und wurden nur deshalb der ersten Serie angereiht, weil nach
Beendigung der ersten Bürgerschulclassen viele Schüler austreten und somit
die Forderung vollkommen begründet ist, dass im ersten Jahre bereits ein
abgeschlossenes Ganze geboten werde. Die zweite Serie (bestimmt für die
zweite Classe) berücksichtigt die verschiedenen Stilarten : Blatt 1 — 9 gibt die
Elemente des griechischen Stiles (Blume, Kelch, Palmette, Blumenband), in
Blatt 10—12 ist die Renaissance, in Blatt 13 der arabische Stil und in Blatt 14
und i5 das Mittelalter vertreten.
Die Wandtafeln sollen nicht den ausschliesslichen Zeichenstoff bieten,
sondern nur die festen Anhaltspunkte. Sie sollen vielmehr theils durch
vorangehende Übungen vorbereitet, theils durch eingeschobene Zeichnungen
verbunden werden. Sie sollen ferner das Vorzeichnen an der Tafel keines-
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wegs ersetzen oder überflüssig machen, vielmehr demselben vorangehen und
es vorbereiten. Die Wandtabellen haben ihrer eigentlichen Bestimmung nach
als Anschauungsobjecte zu dienen und sollen den Mittelpunkt der einleitenden
Besprechung einer Form bilden. Unter stetem Hinweis auf die Wandtafel
wird die darzustellende Form in ihre Hauptbestandteile zerlegt und diese
selbst nach Zahl, Form, Anordnung und Ähnlichkeit besprochen, sowie die
anzuwendenden Hilfslinien aus der Natur des Ornamentes und gleichsam als
Endergebnis der Besprechung abgeleitet. Die Wandtabelle darf jedoch keine
Hilfslinien enthalten, um durch dieselben nicht den Gesammteindruck zu
stören. Erst nachdem die Form in der angegebenen Weise besprochen
wurde, gehe der Lehrer daran, dieselbe an der Schultafel zu zeichnen, wobei
die nöthigen Winke über rein technische Angelegenheiten gegeben werden.
So wird die Form erst analytisch behandelt, dann genetisch vorgeführt. Mit
dem Fortschreiten des Unterrichts soll allerdings das Vorzeichnen an der
Wandtafel immer mehr zurücktreten, sich allmählich auf die schwierigsten,
ganz neuen Formen beschränken, um schliesslich der Wandtabelle vollständig
das Feld zu räumen. Auf diese Art wird durch die Wandtabelle in ent-
sprechender Weise das Zeichnen nach der Vorlage vorbereitet und ermöglicht.
Besondere Erwähnung verdient die Ausführung der Tabellen in Farben. Diese
haben einen mehrfachen Zweck zu erfüllen: die Auffassung der Form zu er-
leichtern und das Interesse an dem darzustellenden Objecte zu erwecken und
zu steigern. Durch Anwendung der Farbe gelangt die Fläche erst zur richtigen
Geltung. Eine blosse Contourzeichnung verleitet den Schüler zur irrigen Vor-
stellung, als sei die Fläche die Neben-, die Contour die Hauptsache, während
es doch umgekehrt ist. Der Umriss ist nur die Begrenzung der Fläche, diese
der eigentliche Inhalt, das Wesen. Der Schüler hat demnach bei Wiedergabe
einer Form stets die Fläche, nicht bloss den Umriss im Auge zu behalten.
Ist die Fläche richtig erfasst, dann ergibt sich der Umriss von selbst. In der
Contourzeichnung erscheint die Fläche als etwas Leeres, als ein Nichts, der
Umriss hingegen springt in die Augen; anders bei der farbigen Darstellung
der Fläche: hier tritt diese in den Vordergrund, während die Contour in die
angemessene Schranke verwiesen wird. Es ist noch besonders zu betonen,
dass der Schüler nicht immer das farbig dargestellte Ornament auch in Farben
darstellen solle, noch weniger gerade in der Farbe der betreffenden Tabelle,
vielmehr bleibt das ganz dem Ermessen des Lehrers überlassen. — Die
Lebendigkeit der Darstellung wird durch Anwendung der Farbe wesentlich
erhöht infolge des Eindruckes, den Farben auf das Gemüth im allgemeinen
ausüben, ganz besonders jedoch auf das kindliche Gemüth; der Gleichgi lügst e
wird durch ein in Farben ausgeführtes Vorbild aus seinem Phlegma aufgerüttelt
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und mit Macht für den Gegenstand gewonnen, ein Umstand, der von nicht
zu unterschätzender Bedeutung ist. Abgesehen von den angeführten Momenten
ist die farbige Darstellung noch im Interesse der Lebenswahrheit und Treue
des vorgeführten Objectes gelegen ; ein farbiges oder gar polychromes Orna-
ment kann nur in Farben und zwar in den der wirklichen Anwendung ent-
sprechenden Farben mit voller Lebenswahrheit dargestellt werden. Ferner
sei noch auf den Vortheil hingewiesen, der bei solcher Darstellung in Hin-
sicht auf Geschmacksbildung und Entwickelung des Farbensinnes erwächst;
ohne entsprechende Beispiele ist alles Sprechen über Farbenzusammenstellung
und Farbenharmonie fruchtlos und ermüdend, während ein ganz flüchtiger
Hinweis auf das in den passenden Farben ausgeführte Vorbild genügt, um
das Nöthigste über die Farbenharmonie bleibend einzuprägen. — Werden die
Forderungen, die an eine Wandtabelle zu stellen sind, zusammengefasst, so
ergibt sich, dass dieselben genügend gross, vollkommen lebenswahr, in ge-
schmackvoller Ausführung und ohne störende Hilfslinien sein sollen; alle
diese Forderungen sehen wir an den vorgeführten Wandtabellen erfüllt, wes-
halb dieselben sich in der Hand des gewandten Lehrers gewiss mit grösstem
Erfolge verwenden lassen. Es muss noch ausdrücklich hervorgehoben werden,
dass ein Massenunterricht im Zeichnen ohne Anwendung der Wandtabelle
sich überlebt hat und den Forderungen des modernen Zeichenunterrichts
durchaus nicht mehr genügt.
Mit Erlass des h. Ministeriums für Cultus und Unterricht vom 10. Jänner 1886,
Zahl 22873, wurden F. Steigl's Wandtabellen approbiert für den Gebrauch an Volks-
und Bürgerschulen, Mittelschulen, gewerblichen Fortbildungsschulen, Gewerbeschulen,
Lehrer- und LehrerionenbUdungsanstalten.
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IX.
Über Conservierung der Lehrmittel.
Vortrag, gehalten am 5. Mai 1886 von Julius Hofer.
Bevor ich auf das Thema der heutigen Besprechung eingehe , bitte ich
Sie, geehrte Gesellschaft, mir einige Bemerkungen zu gestatten. Vorerst sei
betont, dass ich einen wesentlichen Unterschied mache zwischen Lern-
mitteln und Lehrmitteln; nur letztere können in den Rahmen unserer Be-
trachtung gezogen werden. Bei der Behandlung des erwähnten Stoffes werde
ich mich, um nichts zu übersehen, an die Lehrgegenstand-Scala halten, die
in unseren Amtsschriften gebräuchlich ist. Ferner ersuche ich noch, im
Auge zu behalten, dass der Stoff unserer Betrachtung ein sehr umfangreicher,
die Zeit aber , die mir gegönnt, eine äusserst gemessene ist ; daher ich mich
möglichst kurz fassen muss. Schliesslich bitte ich Sie, geehrte Anwesende,
an meine Arbeit keinen zu strengen Massstab zu legen und überzeugt zu
sein, dass ich bestrebt war, etwas wirklich Praktisches zu bieten.
Ehe ich die Lehrmittel, die bei den einzelnen Disciplinen in Verwendung
stehen, besprechen, sei es mir gestattet, die Vorbedingungen einer zweck-
entsprechenden Lehrmittelsammlung, die sich theils auf das Local, theils
auf den Ankauf von Objecten beziehen, ins Auge zu fassen.
A. Das Local. Trockene und helle Räume sind die ersten Be-
dingungen einer Lehrmittelsammlung, denn nicht selten wird durch eine
ungeeignete Localität und durch mangelhaft präparierte Objecte der Keim
des Verderbens in die Sammlungen gelegt. Von zerstörendem Einflüsse
auf unsere Sammlungen sind:
a) Die Feuchtigkeit. In Parterrelocalen können Spirituosen, Petre-
facten und Mineralien , mit Ausnahme der Salze , untergebracht werden.
Wollen wir aber ausgestopfte Thiere daselbst aufbewahren, so müssen solche
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Erdgeschosse besonders trocken sein. Die Feuchtigkeit ist in zweifacher
Richtung verderblich, bei den Pflanzen wegen der Zerstörung des Chlorophylls
und der Farben, bei Thieren wegen der raschen Förderung der Fäulnis. In
solchen Parterrelocalen stelle man die Kasten, die mit Füssen versehen sein
müssen, nie ganz an die Wand, denn die anstehenden Schränke nehmen die
Feuchtigkeit der Mauer an, leiten sie ins Innere und verderben schliesslich
selbst.
b) Die Beleuchtung. Es ist nicht gleichgiltig, in welcher Stärke das
Licht auf die Objecte fallt. So wohlthätig die Sonne für alles Lebendige
wirkt, ebenso nachtheilig kann sie auf die Objecte der Sammlung sein. Die
Erfahrung lehrt, dass das Licht alle todten Naturkörper entfärbt. Am meisten
leiden durch dasselbe Schmetterlinge , Fische , Amphibien und Pflanzen,
weniger Käfer, Vögel, Säugethiere und die meisten Mineralien« Man ver-
meide, dass die Objecte direct von der Sonne beschienen werden ; auch reflec-
tiertes Sonnenlicht wirkt nachtheilig auf die Präparate.
c) Die Luft. Am besten wäre es, wenn wir die Naturalien in luftleere
Räume geben könnten. Da dies nicht möglich, so sorge man, dass die Luft
immer frisch und trocken sei, weil sich in feuchtwarmer Luft stets Gährung
und mithin Schimmelpilz einstellt, der bald alles überzieht und von feineren,
compliciert gebauten Körpern schwer zu entfernen ist. Der Sauerstoff ver-
bindet sich mit dem Fett der todten Naturkörper und bildet Fettsäure, durch
welche unsere Sammlungen sehr leiden. Ich werde mir erlauben, über die
Beseitigung dieses Übels bei der trockenen Conservierung einiges anzu-
führen.
d) Die Wärme. Sehr schädlich ist den trockenen Präparaten die
Wärme, welche, besonders in Verbindung mit Feuchtigkeit, die Fäulnis fördert.
Man trockne Präparate lieber im Luftzuge, als am Ofen; auch das Trocknen
an der Sonne ist nicht anzurathen, doch mehr wegen des in anderer Hinsicht
schädlichen Lichtes, als wegen der Wärme.
e) Die Insecten. Die Insecten treten meist nur in Pflanzensamm-
lungen auf. Nebst fleissigem Nachschauen — der in dem Kästchen unten
oder auf dem Pflanzenpapiere liegende Mulm verräth den Feind — schützt
am besten Naphthalin, dessen Anwendung bei dem Abschnitt „Insecten-
sammlung" näher besprochen wird.
B. Der Ankauf. Bei Naturalien, die durch Ankauf oder Tausch er-
worben werden, ist besondere Vorsicht geboten. Besonders ausgestopfte
Thiere, Häute und Bälge können oft inficiert sein, ohne dass es sofort be-
merkt wird. Häute grosser Säugethiere dürfen keine schadhaften
Stellen zeigen; man untersuche besonders, ob die Haare noch festsitzen.
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Knochen, die in der Haut stecken, leiden oft an Fettsäure, deren zer-
störende Wirkung zuerst an den Füssen zu erkennen ist. Ein solcher Knochen
wird in Schwefeläther gelegt, oder (wenn das nicht möglich, weil das Object
zu gross ist) man bestreicht die schadhaften Stellen mit weissem Thon
(Pfeifenerde), wäscht sie hierauf wieder ab und lässt den Knochen dann einige
Zeit an der Sonne stehen. Beim Ankauf von Skeletten sei man vorsichtig,
da sich Ausschwitzungen von Fett oft erst nach Wochen zeigen. Weisse
Bälge (Eisbären, Eisfüchse, Robben), welche einen schmutzig gelben Anflug
zeigen , sind , weil von Fettsäure ergriffen, nicht zu kaufen, da dieser Fehler
meist nicht behoben werden kann. Bälge der kleineren Säugethiere
dürfen keine schadhaften Stellen aufweisen, und es müssen die Haare auch am
Bauche festsitzen. Bei ausgestopften Vögeln untersuche man besonders die
Füsse und den Schnabel und überzeuge sich, ob nicht Deck- oder Schwung-
federn fehlen. Gegerbte Häute haben die Elasticität verloren, daher sind
sie unbrauchbar. Will man sie als Häute aufbewahren, so darf man nicht
übersehen, dass sie dann vergiftet werden müssen. Seltene Thiere, die
schlecht ausgestopft sind, kaufe man, wenn ein Umstopfen möglich ist; sind
solche Thiere zu dick ausgestopft, so dürfte ein Umstopfen wegen der ver-
zerrten Haut kaum ein verwendbares Exemplar liefern. Ausgestopfte
Schlangen, Fische etc. sind nicht zu empfehlen, da gewöhnlich die
Schilder und Schuppen nicht mehr festsitzen. In Bezug auf die übrigen Thiere
dürften Rathschläge für den Ankauf überflüssig sein.
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Religion.
Bei diesem Unterrichtsgegenstand stehen Karten und Anschauungs-
tafeln in Verwendung. Bezüglich der Karten werde ich mir erlauben, bei
dem Capitel „Geographie" einige Andeutungen zu geben.
Anschauungsbilder (Tabellen). Diese sollen auf festen Carton
gespannt und mit einem Firnis überzogen werden, damit der Staub keine
Anhaltspunkte finde und die Anschauungstafeln, ob sie nun in die Hände
der Schüler gegeben werden oder nicht, durch Schmutz nicht unbrauchbar
werden. Der Lack darf die Tabelle nicht glänzend erscheinen lassen, weil
sonst der Reflex die Anschauung beeinträchtigt , ja geradezu unmöglich
machen kann. Ein solcher Lack wird erhalten, indem man fein geschabtes
Wachs in Terpentinöl löst. Sämmtliche Tabellen sollen mit diesem Lacke
bestrichen sein.
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Unterrichtssprache und Anschauungsunterricht.
Ausser Tabellen kommen hier noch Naturkörper, Modelle von Thieren,
Gerätschaften etc. in Action. Was diese Anschauungsmittel betrifft, so
erlaube ich mir, bezüglich der Conservierung derselben auf die Andeutungen
unter der Überschrift „Naturgeschichte, Physik und Chemie" zu verweisen.
Geographie und Geschichte.
Die Anschauungsmittel, welche den Unterricht in der Geographie unter-
stützen, sind: Wandkarten, Reliefkarten, Globen, Anschauungsbilder, Photo-
graphien. Die Wandkarten sind entweder in Mappen gelegt oder auf Stäbe
gespannt. Sowohl die einen, als auch die anderen finden ihre Verehrer.
Die Karten in Mappen haben die Übelstände, dass das Papier an
den Ecken leicht aufsteht, selbe also fortwährend einer Reparatur unterzogen
werden müssen, und dass das Zusammenlegen dieser Karten in den meisten
Fällen nicht sehr einfach ist. Würde man nun diese Karten nicht aus 12 oder
16 Blättern herstellen, sondern nur aus 4 (Grösse der Niernberger'schen Noten-
tabellen), so wäre das Zusammenlegen erleichtert, und da dann weniger
Ecken wären, würde es auch weniger Reparaturen geben.
Die Karten mit Stäben müssen in einem Kasten untergebracht werden,
um sie vor Staub zu schützen. Könnte man die Karten aufgerollt und hängend
in einem Kasten aufbewahren, so wäre es entschieden das Beste. Das ist
aber nicht leicht möglich, weil einerseits der Kasten zu grosse Dimensionen
haben müsste, andererseits aber das Heraussuchen der verlangten Karte viel
Zeit und Mühe beanspruchen würde. Die Karten müssen also gerollt auf-
bewahrt werden. Aber wie? Lehnt man die Karten in einem Kasten auf-
einander, so leiden die zuerst hineingestellten durch die Last der nach-
folgenden, sie reiben sich aneinander, werden so im Laufe der Zeit in Papier
und Leinwand mürbe und nehmen bald ein trauriges Ende. Ein fernerer Vorschlag
wäre, die Rückwand des Kastens mit je zwei in einer Wagrechten befestigten
Nägeln zu versehen, auf welche die Karten gelegt werden sollen. Bei dieser
Art der Aufbewahrung ist nun zu beachten , dass die Stellen der Karte , wo
dieselbe auf den Nägeln ruht, das ganze Gewicht der Karte zu tragen haben
und dadurch so arg ins Mitleid gezogen wird, dass die Karte an dieser Stelle
bald unbrauchbar wird. Ein anderer Vorschlag : Die Rückwand des Kastens
werde mit einer Reihe Nägel (Entfernung 2 dm) in wagrechter Richtung ver-
sehen. Jede Karte wird nun hineingestellt und an einen Nagel gelehnt.
Jahrbuch d Wien. päd. G«i. 1886. 6
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Hierbei ruht die Karte auch an einem Nagel, aber nur an einer Stelle und
nicht mit dem ganzen Gewichte, dessen grössten Theil wohl der Boden des
Kastens zu tragen hat. Am zweckmässigsten dürfte es sein, die Stäbe der
Karten um ungefähr 2 dm länger machen zu lassen, als die betreffende Karte
breit ist. Die Stäbe werden nun auf jeder Seite ungefähr 1 dm vorstehen.
Die Karte wird gerollt und dann in den Kasten gegeben , auf dessen Rück-
wand in mehreren Reihen je zwei in einer Wagrechten befestigten Nägel in
einer solchen Entfernung angebracht sind, dass nur die vorspringenden Enden
der Stäbe darauf zu ruhen kommen. Zugleich wird bei jeder Karte an der
Seite oder in der Mitte des Kastens oder auf der Karte selbst der Name der
betreffenden Karte angebracht werden.
Reliefkarten sollen mit einem dauerhaften Lack überzogen sein und
in einem gut verschliessbaren Carton aufbewahrt werden.
Glo ben, Tellurien, Planetarien müssen gegen Staub und Feuchtig-
keit mit einem Überzuge versehen werden. Dazu dürfte sich Gaze, ein
dünner, durchsichtiger Stoff, am besten eignen.
Anschauungsbilder (Photographien). Von den Anschauungs-
bildern wurde schon früher gesprochen; Photographien müssen namentlich
vor Sonnenlicht geschützt werden.
Für den Unterricht in der Geschichte haben wir bis jetzt nur Ta-
bellen und Anschauungsbilder. Diese sollen wie alle Tabellen und
Anschauungsbilder überhaupt mit einem matten Lack (siehe „Religion") über-
zogen sein , damit der Reflex die Anschauung nicht hindert und der Staub
weniger Anhaltspunkte findet. So ist auch die Möglichkeit gegeben, diese
Bilder durch einige Zeit in dem betreffenden Lehrzimmer zur Anschauung
ausgestellt zu lassen. Sind solche Bilder unter Glas und Rahmen, so ent-
steht ein Lichtreflex, und es ist das Umreichen der Bilder wegen der Schwere
und leichten Zerbrechlickeit des Glases sehr erschwert.
Naturgeschichte.
A. Zoologie.
Trookene Aufbewahrung, a) Säugethiere und Vögel. Ausser
den zu Beginn angeführten schädlichen Einflüssen, welchen Naturalien unter-
liegen, verdient die Fettsäure besondere Beachtung. Alle Fette, animalische
wie vegetabilische, erleiden nach längerem Zutritt der Luft eine Veränderung,
indem der Sauerstoff der Luft eine Zersetzung derselben bewirkt, wodurch
das Fett ranzig wird. Später tritt bei den animalischen Fetten eine allmähliche
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Verkohlung hinzu, wodurch eine stinkende Schmiere sich bildet. Häute, die
uns wegen ihres Fettgehaltes bedenklich erscheinen, bestreiche man mit
Thon, Kreide oder Gips, wodurch das Fett aufgesogen wird. Auf solche
Weise können Häute vor der Zerstörung durch Fettsäure gesichert werden.
Haare und Gefieder vom Fett zu reinigen, benützt man calcinierte
Soda, indem man dieselbe auf die betreffenden Stellen streut und mit Baum-
wolle einreibt. Diese Procedur darf aber nur bei trockenen Objecten vor-
genommen werden, weil Feuchtigkeit das Natron löst und schmierig macht.
Auch können Haare und Gefieder entfettet werden, indem man sie mit
Benzin und darauf mit Weingeist wäscht. Oft wird zur Reinigung Arsenik-
seife verwendet. In diesem Falle entsteht arsenikhaltige Fettsäure, woraus
sich Arsen -Wasserstoffgas bildet, das gesuniheitsgefährlich ist und in den
Lehrmittellocalen einen üblen Geruch hervorruft.
Weisse Haare, weiches Gefieder, Nester, feine Gespinste
und getrocknete Insecten, deren frühere Conservation mangelhaft war,
können durch Arsenikräucherung geschützt werden. Zu diesem Behufe bedient
man sich einer grossen Kiste, die sich hermetisch verschliessen lässt. Die
zu räuchernden Gegenstände werden an der unteren Seite des Deckels be-
festigt, während man am Boden über Spiritus ein Stückchen Arsenik an-
bringt. Der Spiritus wird angezündet und die Kiste geschlossen. Durch
die Hitze verdampft der Arsenik und erzeugt einen weissen Dampf, der nicht
zu stark werden darf, weil er sich sonst als weisses Pulver an das Object
ansetzt. Nach Verlauf eines Tages Öffnet man das Behältnis und nimmt die
Objecte heraus.
Will man wissen, ob angeschaffte Bälge vergiftet sind, verfährt man
folgendermassen: Man nimmt aus dem Innern des Balges ein Stückchen
Faserhaut, macht ein in Holzspan glimmen und legt auf die glimmende Kohle
das Häutchen. Bei der geringsten Spur von Arsenik entwickelt sich ein
starker knoblauchartiger Geruch, während sonst nur ein brenzlicher Fett-
geruch entsteht.
Terpentin, Kampher, Rosmarinöl und andere stark riechende Dinge, die
als „Mottenvertreiber" gelten, bewähren sich nicht. Insectenpulver , das im
Haushalte zur schnellen Vertreibung von lästigem Ungeziefer sehr geschätzt
wird, kann da, wo es sich um eine beständige Conservierung handelt, nicht
in Betracht kommen. Kreosot und Holzessig können zum Balsamieren
dienen, sonst aber machen sie die Faserhaut zu fest und brüchig (Wursthaut).
Kupfer- und Eisenvitriol eignen sich ganz und gar nicht. Erstens geht die
Geschmeidigkeit der Haut verloren, und zweitens lehrt die Erfahrung, dass
sie die Insectenlarven nicht tödten. Kalk und Asche hat man häufig verwendet,
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um das Fett an Häuten zu zerstören. Diese Stoffe verbinden sich aber mit
dem Fette zu Fettseife und zerstören das Gewebe der Häute gänzlich. Was
nun die Hitze als Mittel zur Vertilgung der Motten anbelangt, so werden
letztere wohl bei 70—80° C. getödtet; aber wie erscheinen die Ob}ecte?
Die Farbe schwindet, das Fett trieft aus den Knochen, und Stück für Stück
zerbricht.
b) Reptilien, Amphibien und Fische lassen sich am besten in
Flüssigkeiten aufbewahren, nur behalten sie ihre glänzenden Farben nicht.
Von den Schildkröten werden nur die Schalen trocken (vergiftet) aufbewahrt.
Alle Schuppen- und Schilderträger müssen vor dem Einlegen mit concen-
trierten Lösungen eingespritzt werden, da ihre Körperbedeckung die Ein-
wirkung der Flüssigkeit, in die sie eingelegt werden, verhindert.
c) Insecten werden separat besprochen.
d) Spinnenthiere. Diese kann man in schwächerem Spiritus, dem
etwas Alaun zugesetzt ist, aufbewahren, aber nicht inGlycerin, da sich sonst
nach und nach die Schüppchen der Haut ablösen.
e) Krustenthier e; kleinere werden in Spiritus aufbewahrt, grössere
werden trocken erhalten. Von Zeit zu Zeit können dieselben mit einem
Firnis (Owen'scher Lack) , bestehend aus 100 g Gummi arabicum und 6 g
Traganth in i.5 / Wasser aufgelöst , wozu noch 100 g Spiritus , 20 Tropfen
Terpentinöl und 1.3 g Quecksilberchlorat kommen, bestrichen werden.
f) Würmer werden in Alaunspiritus aufbewahrt.
g) Mollusken. Die Gehäuse oder Schalen werden trocken conserviert
und bedürfen keiner besonderen Sorgfalt.
h) Strahlthiere werden entweder in Spiritus oder trocken aufbewahrt
und, mit dem Owen'schen Lack (siehe Krustenthiere) überzogen, in Papp-
kästchen aufgestellt.
i) Quallen und Polypen. Quallen lassen sich in einer 5—7 % Lösung
von doppelt chromsaurem Kali aufbewahren. Polypen müssen theils in
Flüssigkeiten aufbewahrt werden, theils können sie wie die Pflanzen zwischen
Papier gelegt oder auf Pappendeckel aufgeklebt werden , wenn sie zuvor ge-
hörig gepresst und getrocknet wurden.
Conserviermittel für die Aufbewahrung in Flüssigkeiten. Die
einhüllenden Conserviermittel bezwecken, die in dieselben eingelegten Ob-
jecte in möglichster Naturtreue zu erhalten. Diese Art der Conservierung
fordert am wenigsten Zeit und Arbeit; auch sind die betreffenden Gegen-
stände vor verschiedenen Gefahren geschützt. Es entsteht nun die Frage :
Welche Objecte sollen in Flüssigkeiten aufbewahrt werden ? In conservierende
Flüssigkeiten müssen jene Objecte eingelegt werden, die kein Skelet haben,
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und solche, bei denen man neben dem Skelette noch weiche Theüe auf-
bewahren will. Grosse Thier- und Pflanzenkörper können wegen räumlicher
Hindernisse hier wohl nicht in Betracht gezogen werden. Für dieses Capitel
dürfte es sich empfehlen, nicht die Objecte, sondern die verschiedenen flüs-
sigen Conserviermittel in Besprechung zu ziehen. Solche Flüssigkeiten sind :
Alkohol, Carbolsäure, Glycerin, Äther, die Lösungen von Zucker, Kochsalz
und Alaun; Öle und Balsame.
a) Alkohol. Absoluter Alkohol ist zum Einspritzen der Thierkörper
vor dem Einlegen ganz geeignet, aber als Einlegeflüssigkeit zu stark und muss
in letzterem Falle mit destilliertem Wasser oder reinem Regenwasser ent-
sprechend verdünnt werden. Die richtige Mischung wird gefunden, indem
man eine Probe derselben auf ein gehobeltes Brett giesst und anzündet;
hinterlässt die abgebrannte Probe einen feuchten Fleck, so ist der richtige
Mischungsgrad gefunden. Eine Mischung von zwei Theüen gewöhnlichem
Spiritus mit einem Theüe Wasser eignet sich für die meisten Wirbelthiere.
Grössere und wasserreiche Objecte können in stärker concentrierte Flüssig-
keiten eingelegt werden. Sind Objecte, weil sie vorher in starkem Spiritus
gelegen, hart, so muss die Einlegeflüssigkeit bedeutend verdünnt werden;
sind sie weich, so wird der Wassergehalt verringert. Es muss aufmerksam
gemacht werden, dass der Spiritus die Objecte Im Laufe der Zeit entfärbt,
was am besten durch eine Zugabe von Alaun zu dem verdünnten Spiritus
hintangehalten werden kann, nur darf der Zusatz von Alaun nicht beträchtlich
sein, da derselbe bei grosser Kälte herauskrystallisiert (16—20^ auf »/, kg Wasser) .
Wird der Spiritus mit der Zeit dunkler (mit Alaun weniger) oder selbst braun,
so sind die Farben der Objecte längst verflogen , weil er zu stark genommen
wurde. Diesen Spiritus lässt man abklären, schüttet den Bodensatz weg,
setzt gestossenen Alaun zu und kann ihn so zur Aufbewahrung wieder ver-
wenden; auch kann er mittels Filtration durch Pulver von Holzkohlen farblos
gemacht werden.
b) Carbolsäure. Als fäulnis widriges Mittel steht sie oben an. Carbol-
säure von 4 — 10 % ist vollständig genügend , um das Verwesen organischer
Stoffe zu verhindern. Die Mischung von Carbolsäure mit Glycerin (3 : 100)
ist ein vorzügliches Conserviermittel, worin sich namentlich die Farben der
Objecte durch lange Zeit erhalten.
c) Glycerin hat sich bis jetzt zum Aufbewahren kleinerer Objecte
trefflich bewährt. Wasserreiche Thiere halten sich gut in demselben, während
andere wieder verschrumpfen. Dies macht eine Mischung des Glycerin mit
Wassser oder Weingeist nothwendig. Bemerkt man also, dass ein Gegen-
stand im Glycerin verschrumpft, so nehme man ihn heraus und lege den-
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selben so lange In reines Wasser, bis er wieder seine volle Form hat, und
verdünne alsdann das Glycerin, das als Einlegeflüssigkeit dienen soll, mit
Wasser.
d) Äther. Diesen verwende man bei solchen Objecten, die sich in
hermetisch verschlossenen Behältnissen befinden. Man gibt einige Tropfen
nach jedesmaligem Öffnen in den abgeschlossenen Raum und verhindert so
durch den entstehenden Dunst alle Schimmelbildung, die möglicherweise ent-
stehen könnte, und iödtet zugleich die zufällig eingebrachten schädlichen
Insecten.
e) Zucker. Die farblose Abkochung desselben ist ein besonderes
Aufbewahrungsmittel für Polypen, Quallen, Nachtschnecken, weiche Blüten
und Früchte. Diese Abkochung muss mit Alkohol vermengt werden , weil
sich bei starker Verdünnung Gährung zeigt, im anderen Falle aber der Zucker
kandiert.
f) Kochsalz (See- und Steinsalz). Dieses hat die schätzenswerte
Eigenschaft, das Object langsam und vollständig zu durchziehen, während
z. B. Alaun und andere Salze viel zu heftig wirken und sich durch starke
Zusammenziehung der Haut den Weg nach dem Innern versperren und so
Fäulnis im Innern der Objecte bewirken.
g) Alaun ist den Skeletten sehr nachtheilig, aber in Verbindung n.it
anderen Stoffen, wenn es sich um Erhaltung der Farben handelt, ganz un-
erlässlich.
h) Öle und Balsame. Von den Ölen wird nur in seltenen Fällen das
Erdöl für kleine Objecte angewendet, wo es sich darum handelt, durch
möglichst geringe Wasserentziehung den Gegenstand in Naturtreue zu con-
servieren. Balsame (Lösungen von Harz in starkem Alkohol) eignen sich
nur für mikroskopische Objecte.
Gläser für Spirituosen. Die Hohlgläser, welche man bei der Con-
servierung in Flüssigkeiten benützt, sollen, abgesehen von der Reinheit des
Glases, eine cylindrische Form, leichte Zugänglichkeit und möglichst dichten
Verschluss besitzen. Die Gläser haben entweder eingeriebene Glasstöpsel
oder sind mit aufgeschliffenen Deckeln zum Aufkleben versehen. Das Glas
füllt man mit der zweckdienlichen Flüssigkeit, gibt das Object so hinein, dass
die wesentlichen Merkmale bequem zu sehen sind, füllt Flüssigkeit nach, wo-
bei man zu achten hat, dass keine Blase bleibt. Hierauf dreht man den
Stöpsel ein. Wird ein Deckglas benutzt, so wird dasselbe, nachdem es vor-
her angehaucht wurde, so aufgelegt, dass es über den Rand des Gefässes
nicht vorschaut; auch darf es nicht zu dick sein, weil sonst die Betrachtung
durch dasselbe an Natürlichkeit verliert. Zum Aufkleben benützt man auf-
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gelöste Guttapercha oder Gummi elasticum. Dieses Verschlussmittel, das
man auch in Gummifabriken erhält, kann man auf folgende Weise darstellen:
Die genannten Stoffe werden in kleine Stücke geschnitten und unter fort-
währendem Umrühren über Kohlenfeuer geschmolzen. Hat sich ein zäher
Brei gebildet, so mischt man etwa 1 / 3 des Gewichtes Talg oder */ 4 Leinöl
dazu, worauf die Masse, wenn sie knotenfrei ist, längere Zeit aufbewahrt
werden kann. — Die Glasgefässe reinigt man am besten mit Schlämmkreide
und feuchtem Leder; zum schliesslichen Abreiben nimmt man Leinwand oder
Fliesspapier.
Skeletsammlung. Sehr empfehlenswert ist es, einzelne Knochen
für sich zu sammeln, z. B. verschiedene Gebisse, Schädelknochen, Wirbel,
Fussknochen etc. Durch solche Sammlungen ist die Möglichkeit geboten,
auch die innere Seite der Knochen, z. B. der Schädelknochen, bequem zu
untersuchen. Kleine Skelette bringt man unter Glas, grosse lässt man
gewöhnlich frei stehen. Ob das Skelet weiss wird oder wegen seines Fettes
noch lange gelb bleibt, hängt von der Lebensweise, dem Alter, der Todesart
und der Jahreszeit, in der das Thier verendet ist, ab. Ein altes Thier wird
weisser, als ein junges. Gänse, Enten, Wasserfrösche, überhaupt Wasser-
thiere schwitzen, nachdem sie aufgestellt sind und das Wasser verdunstet ist,
noch viel Fett aus. Die Erfahrung lehrt, dass Thiere, die im Winter oder
Frühjahr verendet sind, länger gelb bleiben, als diejenigen, die im Herbste
verendeten. Haben Skelette im Laufe der Zeit durch Staub und Schmutz
gelitten, so nimmt man eine Lösung von Pottasche (i : 20), die durch Kochen
mit Ätzkalk ätzend gemacht worden ist. Von dieser Lösung verdünnt man
einen Theil in 5 Theilen Wasser, kocht den Knochen darin 2 — 3 Stunden,
dann in reinem Wasser, kühlt ihn allmählich ab und trocknet ihn endlich im
Schatten. Vergilbte Knochen reibe man mit fein geschlämmtem Bims-
stein und Wasser ab und trockne sie. Eine sehr wirksame Methode besteht
darin, die Knochen in eine Mischung von frischem Chlorkalk (einen Theil) und
Wasser (vier Theile) zu legen und sie nach einigen Tagen zu waschen und
zu trocknen. Grosse Skelette schwitzen oft noch nach Jahren Fett aus.
Das einzige Mittel ist das Anbohren der einzelnen Knochen an den Kopf-
enden und das Ausspritzen des Markes durch heisses Wasser. Auch piesse
man die Markröhre mit Gips aus, wodurch das letzte Fett vollständig ab-
sorbiert wird. Kleine Knochen lege man in Terpentinöl, Benzin oder
Schwefeläther.
Insectensammlung. Die Kästchen für Insectensammlungen müssen
überaus exact ausgeführt werden. Man lasse dieselben aus altem Tannen-
holz anfertigen, denn es hat sich oft gezeigt, dass anscheinend trockenes
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Holz sich später wirft und so Spalten entstehen lässt, durch welche Raub-
insecten einwandern können. Die mit Glas versehenen Deckel müssen
äusserst genau schliessen und sind zum Abheben eingerichtet. Das Abheben
des Deckels ist aus zwei Gründen vortheilhaft, einmal wegen des bequemeren
Handhabens des Kästchens während der Benutzung, und dann, weil der
Verschluss viel dichter gemacht werden kann, als bei solchen, wo der Deckel,
an Charnieren laufend, sich in Bogenform öffnet. Das Auslegen der
Kästchen geschieht mit Kork, Filzpappdeckel, Agavenmark oder Torf, wobei
man darauf sehen soll, dass dem Kleister etwas arseniksaures Natron bei-
gemischt werde. Man überfülle die Kästchen nicht, da bei dem Um-
stecken leicht Exemplare beschädigt werden. Hat man von einer Art mehrere
Exemplare, so ist es zweckmässig, einige so anzustecken, dass die Bauch-
seite nach oben gekehrt ist, wodurch das ofte Ausnehmen vermieden wird.
Man sondere in Schachteln die häufig in Gebrauch kommenden von solchen,
die selten benutzt werden. In jedes Kästchen kommt in eine Ecke ein
Reagenzgläschen mit Naphthalin oder Naphthalin in Papier eingeschlossen
und mit einer Nadel befestigt. Alle drei Monate wird dasselbe erneuert.
Sollte sich aber doch noch ein Frass zeigen, so genügt es, reichlich Naphthalin
in den freien Raum des Kästchens zu streuen und 1—2 Tage die Schachtel
gut zu schliessen, um alles Lebendige darin zu tödten. Hiebei darf das
Naphthalin nur in gereinigtem Zustande verwendet werden; es erscheint
dann als eine glänzend weisse krystallisierte Masse von feinen Blättchen;
unreines Naphthalin färbt das Papier des Kästchens gelb oder braun.
Naphthalin ist dem Schwefelalkoholäther wegen seiner bequemeren Hand-
habung, seiner festen Form, seines weniger widerlichen Geruches, seiner
Ungefährlichkeit in der Nähe des Feuers und seines langsamen Verdunstens
vorzuziehen. Quecksilber eignet sich nicht; die flüssige Form bedingt, dass
es leicht verloren geht, sich in Spalten des Bodens setzt, allmählich ver-
flüchtigt und die Luft mit giftigen Dünsten erfüllt.
Eiersammlung. Vogeleier werden durch Ausblasen ihres Inhaltes
entleert; ihre Farbe wird hiebei etwas verändert. Diese entleerten Eier
müssen ausgewaschen werden, weil Rückstände in denselben Raubinsecten
anlocken. Man spritzt mittelst einer Spritze Wasser oder eine dünne Lösung
von arseniksaurem Natron bis zur Hälfte ein, schüttelt und bläst die Flüssigkeit
wieder heraus. Darauf legt man die Eier mit der Öffnung nach unten auf
Stroh oder Papierschnitzel und lässt sie so trocknen. Nun schütze man die-
selben vor der Einwirkung des Lichtes, welches zarte Nüancen schnell
zerstört.
Amphibieneier. Manche lassen sich ausblasen wie Vogeleier,
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schrumpfen aber dabei zusammen. Um das zu verhindern, füllt man die-
selben mit Weingeist und lässt sie einige Zeit in demselben liegen, worauf
sie in der Regel ihre Form besser behalten, sonst aber füllt man sie mit
trockenem Sand und bewahrt sie trocken auf.
Fischeier halten sich am besten in Glycerin, Insecteneier ebenso,
oder man tödtet sie durch Hitze und bringt sie sammt dem Blatte, dem
Stengel etc., auf dem man sie gefunden, in die Sammlung.
Die Eier sollen in dunkle Cartons gelegt werden. Die Anwendung von
Baumwolle ist unstatthaft. Mehl oder Kleie als Unterlage sind wurra-
erzeugend. Das Aufkleben der Eier ist unpraktisch.
Nestersammlung. Um das Leben mancher Thiere vollständig zur
Anschauung bringen zu können, ist eine solche Sammlung gewiss von Be-
deutung. Bei manchem Baue, der aus Sand, Erde oder einer Verbindung
von beiden, aus morschem Holz oder dergleichen besteht, ist es not-
wendig, demselben eine gewisse Festigkeit zu geben. Nester der Schwalben,
Spechte, Erdspinnen, Ameisen, Wespen etc. werden mit schwachem Leim
oder mit Gummi, dem man Arsenik zugesetzt hat, getränkt. Diese Operation
muss geschehen, bevor man den Bau der Natur entnimmt. Die Nester wer-
den auf Brettchen gestellt und vor Staub geschützt; besonders schöne oder
seltene Exemplare sollen unter einem Glassturz aufbewahrt werden.
Aquarien und Terrarien, Insectarien. Lebende Thiere sind
natürlich den ausgestopften oder in Spiritus conservierten Objecten vor-
zuziehen; sie zeigen richtigere Form, Farbe und Stellung, kurz: sie zeigen das
Leben. Die kleinen, meist scheuen Wasserbewohner sind in Aquarien viel
besser zu beobachten, als in der Natur selbst, und oft war es nur auf diese
Art möglich, wissenschaftliche Beobachtungen anzustellen. Die Sorge für
diese lebenden Thiere ist ungleich grösser: denn viele Factoren müssen be-
rücksichtigt werden, um den Thieren dieselben Verhältnisse zu bieten, unter
denen sie im Freien zu leben gewohnt sind. Wir werden hier nur von Süss-
wasseraquarien reden. Meerwasseraquarien sind für Binnenländer mit vielen
Beschwerlichkeiten verbunden. Es gehört dazu nicht bloss die Beschaffung von
Seethieren, deren Transport oft schon grosse Schwierigkeiten bietet, sondern
auch die des passenden Seewassers, denn beispielsweise gedeihen nicht alle
Thiere aus dem Mittelmeere in Nordsee- oder Ostseewasser, und umgekehrt,
weil der Salzgehalt und die Temperatur in den Meeren verschieden sind.
Kleine Meerwasseraquarien sind also viel zu theuer, um einige Thiere darin
zu halten, auch kann man keine richtigen Betrachtungen anstellen, weil die
Thiere nicht vollständig naturgemäss leben können.
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a) Form. Was nun die Form der Aquarien anlangt, so unterscheidet
man Kelch- und Kastenaquarien. Erstere sind halbkugelige Gläser, die
aber möglichst wenig gekrümmte Wände haben sollen, da in solchen die Licht-
brechung nicht so stark ist, mithin die Gestalt der Inwohner nicht so verzerrt
erscheint, als in dickwandigen oder mehr bauchigen Gefässen. Zweckmässiger
sind die Kastenaquarien, die von hellen, farblosen Glastafeln umfasst sind.
Die Stäbe, welche die Gläser halten, und der Boden müssen verzinnt sein,
um das Rosten zu vermeiden. Die Befestigung der Gläser geschieht mit
einem Kitt, bestehend aus Gipsbrei, Quark und Mennig.
b) Wasser. Dasselbe muss hell und ohne Geruch sein und eine Tem-
peratur von 12 — 15° R. besitzen; steigt die Wärme, so muss Brunnenwasser
zugesetzt werden, aber ohne plötzliche Abkühlung. Quell- oder Brunnen-
wasser, welches sandigem Boden entstammt, eignet sich am besten zur
Füllung der Aquarien. Regenwasser ist wegen seiner chemischen Reinheit
anderem Wasser vorzuziehen. Bach- und Flusswasser hat den Nachtheil,
dass sich in ihm Süsswasseralgen zu üppig entwickeln und dann die Wände
durch einen grünen Überzug undurchsichtig werden. In Bezug auf Farbe und
Geruch soll das Wasser öfter geprüft werden. Die Farbe wird geprüft, indem
man in ein helles Glas Aquariumwasser gibt und in ein zweites Glas reines
Wasser von derselben Art, womit das Aquarium gefüllt wurde. Ist ersteres
trüber, so ist es zu erneuern. Was den Geruch anlangt, so ist es übel, wenn
man den Geruch des Wassers schon wahrnimmt. Vielleicht sind in diesem
Falle schon etliche der Inwohner verloren. Man fängt die Thiere mit einem
Netze heraus, thut sie einstweilen in ein anderes Behältnis, in dem sich
Wasser von derselben Temperatur befindet, und reinigt das Aquarium gründ-
lich durch öfteres Erneuern des Wassers, bevor man es wieder bevölkert.
Es dürfte genügen, wenn das Wasser im Winter alle zwei Monate, im Sommer
aber alle dreiWochen erneuert wird. Diese Manipulation geschieht am einfachsten
mit einem Winkelheber, der an dem ins Wasser tauchenden Ende mit einem
Nesseltuch verbunden werden muss, damit besonders zarte Thierchen des
Aquariums nicht von der Strömung mitgerissen werden. Sterben häufig
Thiere im Aquarium ab, so wird die Erneuerung des Wassers öfter noth-
wendig, und es ist dann gut, von Zeit zu Zeit mit einem Blasebalge Luft in
das Wasser zu blasen. Unreinigkeiten beseitige man mit einem Haken, ohne
dabei das Wasser zu trüben.
c) Temperatur. Es wurde schon erwähnt, dass die Temperatur 12 bis
i5° R. betragen soll. Da das Einhalten derselben von besonderer Wichtig-
keit ist, so thut man gut, ein Thermometer an der Aussenseite des Aqua-
riums anzubringen. Steht das Aquarium in der Nähe des Fensters, wie das
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in den meisten Fällen vorkommt, so hat man allzugrossem Temperatur-
wechsel vorzubeugen. Starker Sonnenschein werde vermieden, Morgensonne
ist erwünscht. Im Sommer, wenn die Sonne hoch steht, kann man das
Aquarium selbst an einem dem Sonnenscheine ausgesetzten Fenster haben,
nur darf nicht die ganze Nachmittagssonne darauf liegen. Je mehr man am
Aquarium Licht und Luft haben kann, ohne dass es sehrerwäimt wird, desto
besser. Es darf nicht in der Nähe des geheizten Ofens und überhaupt nicht
in einem stark geheizten Zimmer stehen.
d) Bepflanzung. Soll sich das Leben in diesem Gelasse aber nicht
bloss als ein Leben im Wasser entfalten , so müssen wir auch dafür sorgen,
dass die Thiere über das Wasser aufsteigen können, und dies wird am besten
durch ein hineingegebenes Stück Kalktuff so ermöglicht, dass dieser Stein
inselartig über die Wasseroberfläche hervorragt. Zur Bepflanzung des Aqua-
riums eignen sich Teich-, Graben- und Moorpflanzen, besonders das Tausend-
blatt, das zur Reinigung des Wassers viel beiträgt und zahllose Infusorien für
die Inwohner des Aquariums beherbergt. Andere Aquariumpflanzen sind:
Wasserlinse, Wassersporn, rauhes Hornblatt, Wasserminze, Wasserhahnenfuss,
gemeine Froschlöffel, Sumpfsimse, Wassersüssgras etc. — Pflanzen, die über
die Oberfläche des Wassers hinauswachsen, gewähren noch den Vortheil, dass
sie dem Aquarium einen gewissen Schmuck verleihen; dazu gehört unter
anderem das pfeilblätterige Pfeilkraut
e) Bewohner. Für ein Aquarium eignen sich solche Thiere, welche
nicht an fliessendes oder sehr kaltes Wasser gewöhnt sind. Räuber sind nicht
geeignet: Egel als Feinde der Fische, Wasserschnecken nicht in grosser An-
zahl, weil sonst die Gewächse leiden; von Fischen keine Barsche, Hechte,
Quappen, weil durch ihre Gefrässigkeit bald alles Lebende daselbst ver-
nichtet würde.
f) Fütterung. Ein Hauptfehler, den man zu begehen pflegt, besteht
darin, dass man zu viel füttert, weil man sich freut, die Inwohner nach dem
Futter schnappen zu sehen. Futter gebe man genügend, aber nicht zu reich-
lich; es soll nur so viel gegeben werden, als von den Inwohnern auf einmal
aufgezehrt werden kann, sonst verfaulen die Reste und verderben das Wasser.
Die zweckmässigste Nahrung sind Ameisenpuppen, gewöhnlich Ameiseneier
genannt, welche hell, nicht dunkel sein sollen (sonst ist es ein Zeichen, dass
sie ein in Bildung begriffenes Insect enthalten, das für junge Fische unver-
daulich ist). Regenwürmer schneide man in Stücke. In Ermangelung der-
selben kann man gehacktes Fleisch, Oblaten oder auch Weissbrot verwenden.
Das Terrarium ist für Schlangen, Laubfrösche, Salamander aller Arten,
Eidechsen, Schildkröten etc. bestimmt. Es besteht aus einem fest gebauten
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Behältnis, dessen Boden mit Zinkblech belegt ist. Die Wände und die Decke
sind aus feinem Drahtgitter gefertigt. Der Boden wird etwa 2 cm hoch mit
Sand bedeckt, worauf man Moos oder Heu gibt, das öfter erneuert werden
muss. Einen Theil des Bodens lässt man als Sandboden und stellt ein
Näpfchen mit Wasser darein; ein verkrüppelter Ast dient als Kletterbaum.
Man stelle das Terrarium so, dass es von der Morgen- oder Abendsonne
getroffen werden kann. Als Einwohner eignen sich Spinnen, Eidechsen*
Schlangen, Frösche, Blindschleichen u. dgl.
Es ist den Thieren zuträglich, sie im ungeheizten Zimmer ihren Winter-
schlaf halten zu lassen. Über den Winter kann man das Terrarium auch in
ein massig erwärmtes Zimmer stellen und hier seine Bewohner mit Fliegen
und Regenwürmern munter erhalten.
Insectarien haben die Form der Terrarien. Der Boden derselben wird
zur Hälfte mit einem Stück Rasen bedeckt, den man täglich anfeuchtet. Der
übrige Theil des Bodens ist mit lockerer Erde und Sand belegt. In einer
Ecke befindet sich ein Schälchen, das täglich mit frischem Wasser gefüllt
wird. Belaubte Zweige der Pflanzen, welche den Inwohnern als Nahrung
dienen, müssen hineingegeben werden. Solche Pflanzen können auch in
Töpfen gezogen werden. Ausser den Raupen und den aus ihnen entstehenden
Puppen und Faltern lassen sich auch Käfer, Heuschrecken, Grillen, Netz-
flügler etc. halten. Für Licht und fortwährenden Luftwechsel muss beson-
ders gesorgt werden.
B. Botanik.
Die Lehrmittel für diesen Unterrichtszweig sind: Frische Pflanzen,
trockene Pflanzen (Herbarien), Samen- und Holzsammlungen und
endlich Modelle und Tabellen.
a) Frische Pflanzen müssen natürlich möglichst bald nach dem Sam-
meln benützt werden. Längere Zeit werden die Pflanzen frisch erhalten, wenn
man das Wasser täglich 1—2 mal erneuert und rostiges Eisen in dasselbe legt.
b) Herbarium. Ein Herbarium ist ein unentbehrliches Mittel zur Er-
werbung botanischer Kenntnisse. Keine auch noch so genaue Beschreibung
oder Abbildung kann die Natur ersetzen. Die Objecte für dasselbe werden
beim Sammeln in eine Botanisierbüchse aus Blech oder Weidenruthen, besser
aber in eine „Botanisiermappe" gebracht. Man thut gut, die einzelnen
Pflanzen sofort in Fliesspapier einzulegen, weil man dann daheim viel Mühe
und Zeit erspart. Zu Hause thut man die Pflanzen in frisches Wasser, bis sie
ihr früheres Aussehen wieder erlangt haben. Dem Wasser setzt man salpeter-
saures Natron zu; ebenso behandelt man jene Pflanzen, die noch Blüten
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öffnen sollen. Haben die Objecte nun das ursprüngliche Aussehen erreicht,
so werden sie, zwischen grosse Bogen Löschpapier eingelegt, einem mässigen
Drucke ausgesetzt und durch öfteres Erneuern des Papieres möglichst schnell
trocken gemacht. Starkes Pressen und schnelles Trocknen erzielen die
schönsten Resultate. Gut ist es, dieses Löschpapier mit arseniksaurem
Natron zu tränken, weil durch solche Vergiftung die Objecte gegen Insecten-
frass widerstandsfähig gemacht werden. Hat man ein etwa i dm hohes
Quantum aufgeschichtet, so legt man ein Brett darauf, auf welches man nun
wieder Schichten von Pflanzen anhäuft. Ist diese Arbeit beendigt, so werden
die Pflanzen mit einem Brette bedeckt, auf das man einen grossen Stein oder
ein etwa 10 kg schweres Gewicht legt. Nun lasse man das Ganze einen Tag
lang pressen. Am nächsten Tage vertausche man die feucht gewordenen
Papiere gegen trockene und wiederhole dieses Verfahren, bis die Pflanzen
steif geworden.
Saftreiche Pflanzen (Distel, Cactus, Aloe, Orchideen etc.) können
nach der angegebenen Art nicht behandelt werden, weil viele derselben
zwischen Fliesspapier fortwachsen oder faulen. Diese spaltet man mit dem
Messer oder taucht sie in siedendes Wasser, wodurch ihre Zellen platzen.
Moose und Flechten werden auf die gewöhnliche Art zwischen Papier
behandelt oder mit dem Stein oder Holz, worauf sie sitzen, aufbewahrt.
Pilze. Kleinere und weniger fleischige Pilze trocknet man im Sande.
Man giesst feinkörnigen, sehr warmen, aber nicht brennend heissen Sand in
ein Gefäss , so dass der Boden desselben bedeckt ist. Nun stellt man die
Pflanze kopfüber hinein und schüttet langsam den warmen Sand wieder nach,
bis der ganze Pilz bedeckt ist. Nach zwei Tagen befreit man das Object,
das nun trocken ist und seine Gestalt behalten hat. Sollte der Pilz noch
feucht sein, so wiederhole man den erwähnten Vorgang. Sand, der an dem
Objecte klebt, wird nun mit einem Pinsel entfernt. Zweckmässig ist es,
durch den Strunk ein Holzstäbchen zu stecken, um dem Pilze eine aufrechte
Stellung geben zu können. Grössere Pilze spaltet man oder nimmt eine ganz
dünne Längsschnitte aus der Mitte, so dass die Form des Hutes, die Lage
der Lamellen etc. zur Anschauung gebracht werden.
Früchte sind entweder trockene, die so wie Samen auf bewahrt werden,
oder fleischige, die am besten in Weingeist oder einer Kochsalzlösung auf-
bewahrt werden.
Samen werden in gut verschliessbaren Gläsern oder Kästchen gegen
Staub geschützt.
Die Sammlung von Holzarten beansprucht keine besondere Aufmerk-
samkeit.
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Die aufbewahrten Pflanzen sollen dem Sonnenlichte so wenig als mög-
lich ausgesetzt werden, da sonst die Farbe leidet. Beim Umwenden der
Bogen vermeide man jede Reibung oder Biegung. Die Blätter sollen lose
aufeinander liegen, so dass das Abheben in horizontaler Lage geschehen
kann. Gegen Schimmel und lnsectenfrass wirken Lavendel und Kampher
wenig, der Geruch des Petroleums wirkt etwas besser. Das Eintauchen der
Pflanzen in Arseniklösung ist geradezu gesundheitsschädlich, da diese Dünste
beim Durchsehen des Herbariums eingeathmet werden. Das beste Mittel ist,
die Pflanzen vor dem Einlegen in ein mit Arseniklösung vergiftetes Wasser
zu stellen, so dass die Pflanze das Gift durch die untere Schnittfläche, die
unter Umständen geschaffen werden muss, einsaugt. Zu Pilzsammlungen, die
eine beliebte Brutstätte für verschiedene lnsecten sind, legt man in den gut
verschliessbaren Kasten einen Streifen Wollstoff, der mit Carbol getränkt ist.
Modelle sind gegen Staub zu schützen. Für Tabellen gilt, was schon
früher über dieselben gesagt wurde.
Als Anhang zu dem Gesagten erlaube ich mir noch, auf die Scheli vsky-
sche Imprägnierungsmethode aufmerksam zu machen, welche eins be-
deutende Beschleunigung des Austrocknungsprocesses bewirkt. Nach dieser
Methode behandelt, behalten die Pflanzen ihre ursprünglichen Farben, sowie
ihre Biegsamkeit, und es wird das Herbarium zugleich vor dem Insectenfrasse
bewahrt. Nach dieser Methode werden die Pflanzen mit einem Stoffe im-
prägniert, der eine schnelle Austiocknung bewirkt und zugleich dem Kali, das
in der Pflanze zurückbleibt, die Fähigkeit benimmt, Feuchtigkeit aufzunehmen,
wodurch die Schimmelbildung vermieden wird. Werden die Pflanzen nach
dieser Methode behandelt, so dürfen dieselben nicht nass eingesammelt
werden. Man breitet dieselben so aus, dass die einzelnen Blüten und Blätter
zur Geltung kommen, und trocknet sie unter der Presse. Waren die Objecte
etwa 3—10 Minuten unter der Presse, so kann die Imprägnierung vorgenommen
werden. Saftreiche oder dickfleischige Pflanzen müssen mehrmals unter die
Presse kommen, wobei das Einlagepapier stets erneuert werden muss. Sind
die Objecte zum Imprägnieren geeignet, d. h. haben dieselben möglichst viel
Feuchtigkeit abgegeben, so lege man sie in die Imprägnierhefte. Das Papier
dieser Hefte ist vom Imprägnierstoff getränkt. Auf diesen Bogen werden die
Pflanzen sorgfältig ausgebreitet und ungefähr eine Stunde einem mässigen
Drucke ausgesetzt. Hierauf nehme man die Schelivsky'sche Flüssigkeit,
rüttle dieselbe auf und giesse etwas davon in ein Schälchen. Pflanze für
Pflanze wird nun von der Blätterbasis und dem Stempel an gegen die Spitze
des Blattes mit einem zarten Pinsel bestrichen. Sehr zarte Pflanzen und
Blüten bestreiche man nicht; das Einlegen in die Imprägnierhefte genügt für
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diese. Die Hefte werden nun aufeinander gelegt und durch 3 — 4 Stunden
einem starken Drucke ausgesetzt. Hierauf lege man die Objecte auf weisses
Fliesspapier, wobei man beim Abheben recht vorsichtig sein muss, und setze
sie wieder einen Tag der massig drückenden Presse aus.
Es muss hier noch erwähnt werden, dass an warmen, schönen Tagen
die ganze Procedur schneller durchführbar ist, als an regnerischen Tagen.
Sollten einzelne Blüten ihre Farben eingebüsst haben, so genügt es, auf die
Blüte ein Stück weisses Fliesspapier zu legen, welches man vorher mit
10 — 12 fach verdünnter Salpetersäure bestrichen hat; wirkt nun ein mässiger
Druck auch nur wenige Secunden, so erhält die Blüte ihre Farbe wieder.
Sollte die Blüte zu dunkel sein, so war das Papier zu wenig bestrichen, oder
der Druck der Presse war zu lang; ist die Blüte zu blass, so war das Papier
zu stark angefeuchtet, oder die Presse hat zu kurze Zeit gewirkt. Hierbei
mache ich aufmerksam, dass die grünen Pflanzentheile mit dem Pinsel oder
dem Papier, das mit Salpetersäure getränkt ist, nicht in Berührung kommen
dürfen, weil sie sonst ihre Farbe verlieren. Sind die Objecte völlig trocken,
so kommen sie in das Herbarium. Man legt die Pflanzen am besten lose
auf weisses Papier oder befestigt sie mittelst schmaler Papierstreifen, wobei
man darauf achte, dass weder Blüten noch Blätter überdeckt werden dürfen.
Wenig zu empfehlen ist, die ganze Pflanze aufzukleben, weil sie durch Krüm-
mungen des Papiers leicht gebrochen werden kann. Wie nun das Herbarium
geordnet werden soll," kann nicht in den Rahmen unserer Besprechung ge-
zogen werden. Näheres über die eben angeführte Methode findet man in
„Schelivsky, Anleitung zur Conservierung der Pflanzen. Leipzig, A. Mentzel's
Verlag. i8 7 5."
Aufbewahrung. Das Herbarium muss in einem gut schliessenden
Kasten, in einem trockenen Zimmer untergebracht werden, wo es gegen
Staub und Sonnenschein geschützt ist. Um den Kasten besser verschliess-
bar zu machen, sollen die Ränder der Thür mit Tuchstreifen belegt sein.
C. Mineralogie.
Mineralien- und Petrefaotensammlung. Die Einrichtung einer
Mineraliensammlung ist so einlach, dass kaum etwas darüber zu sagen
ist. Die einzelnen Stücke kommen gereinigt in Schächtelchen, welche in
systematischer Reihenfolge aufgestellt werden, und man sorge, dass der Staub
abgehalten bleibt, was am besten geschieht, indem man die Kastenthüren mit
Tuchstreifen versieht, damit sie genau schliessen. Die Mineralien durch An-
kleben zu befestigen, ist nicht zu empfehlen, weil man dieselben dann zum
Experimentieren nicht gut verwenden kann. Etiketten bringe man auf dem
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Schächtelchen an, aber nie auf dem Objecte, weil bei kleineren Stücken viel
von dem Minerale verdeckt wird. Wenn Mineralien selbst bei gutem Ver-
schlusse staubig werden, so müssen sie abgewischt oder gebürstet werden,
wobei wegen der feinen Ecken und Kanten der Krystalle besondere Vorsicht
geboten ist. Salze und solche Mineralien, die aus der Luft Feuchtigkeit auf-
nehmen, müssen immer in gut verschlossenen Gefässen aufbewahrt werden.
Petrefacten müssen vor Staub besonders geschützt werden, weil das
Reinigen derselben wegen der oft sehr zarten Construction der Objecte viel
Mühe und Sorgfalt verlangt.
Geometrische Körper und Krystallmodelle.
Bei dem Unterrichte in der Geometrie sind geometrische Körper unbedingt
erforderlich. Für den Unterricht in der Mineralogie sind die Krystallmodelle,
da das Mineral selbst diese Formen selten vollkommen zur Anschauung bringt,
sehr wichtig. Selbst dann, wenn von einem Mineral die Krystallform vor-
handen, ist es angezeigt, Modelle vorzuführen, weil die Schüler dabei ihre
ganze Aufmerksamkeit der Form zuwenden; ebenso ist es wertvoll, wenn die
Modelle von gleicher Grösse und Farbe sind, so dass nur die Form den
Unterschied bildet. Modelle sind auch meist grösser, als die natürliche
Krystallform , und so kann es möglich gemacht werden , alle Ecken und
Kanten zu zeigen, was beim Mineral selten der Fall sein dürfte. Man hat !
hohle Modelle aus Carton und massive aus Holz, Thon, Gips etc. Die
Modelle sollen mit Lack überzogen werden, damit der Staub weniger Anhalts-
punkte finde. Was nun schliesslich die Krystalle am Minerale selbst anlangt,
so möchte ich nur betonen, dass manche, welche Wasser, gewöhnlich Krystall-
wasser genannt, chemisch gebunden enthalten, sehr geneigt sind, das Wasser
an die Luft abzugeben, zu verwittern (Soda, Glaubersalz, Vitriole). Diese
müssen daher in gut verschlossenen Gefässen und in kühlen Localitäten auf-
bewahrt werden.
Physik und Chemie.
Die physikalischen Apparate bedürfen einer besonderen Aufmerksamkeit.
Da Licht, Luft, Feuchtigkeit, Wärme, Kälte und verschiedene Ausdünstungen
auf die Stoffe, aus welchen die Apparate hergestellt sind, oft in kurzer Zeit
so einwirken, dass die Experimente misslingen — eine Störung, die oft pein-
lich empfunden wird — so ist eine solche Sammlung durch zweckmässige
Aufbewahrung und sorgfältigste Reinigung vor Schaden zu schützen. Es
wird sich nun empfehlen, wegen der Mannigfaltigkeit der Apparate nicht
diese selbst, sondern die Stoffe zu besprechen, aus denen diese Lehrmittel
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hergestellt sind Glas reinigt man mit Putzkreide, die mit Wasser zu einem
dünnen Brei angemacht wird. Das Glas wird bestrichen und hierauf mit
Leder oder Leinwand abgewischt. Angestrichene Holzgegenstände
wäscht man mit lau gemachtem Regenwasser und einem Wollfleck, dann mit
kaltem Regenwasser und einem Schwämme und wischt sie gleich wieder ab.
Sollten Flecken nicht schwinden, so ist es gut, dem lauen Wasser einige
Tropfen Salmiak zuzusetzen. Seife darf man nicht verwenden, da bei öfterem
Gebrauch derselben der Anstrich leidet. Eisengegenstände reibt man
mit grauem Sand und Stroh und Lauge. Messing putzt man mit Stearinöl
und frischem, zerstossenem Wiener Kalk und einem Wollfleck ; auch die so-
genannte Laibacher Erde, mit Spiritus angemacht, eignet sich vollkommen.
Pulverreste, die in Vertiefungen haften bleiben, werden mit einem Bürstchen
entfernt. Stahl und Alpacca macht man ebenfalls mit Laibacher Erde und
Spiritus glänzend. Britanniametall putzt man mit Holzasche und Tafelöl.
Silber und Neusilber, welches bei seltenem Gebrauche fleckig und glanz-
los, oder bei Steinkohlenheizung schwärzlich geworden ist, putzt man mit
gebrannter Magnesia und Wasser. Matte Stellen können mit dickem Seifen-
wasser, dem man einige Tropfen Salmiak zugesetzt, wieder glänzend gemacht
werden. Zinn und Weiss blech reibt man mit Schachtelhalmen und heisser
Lauge und trocknet sie hierauf an einem warmen Orte. Kupfer putzt man
mit Sauerteig, reinigt es gleich darauf mit kaltem Wasser und trocknet es an
einem warmen Orte. Diese Arbeit muss rasch geschehen, weil sich sonst durch
die Essigsäure Grünspan bildet. Blei wird wie Zinn, Platin wie Silber be-
handelt. Porzellan wäscht man mit heissem Wasser und einem Leinwand-
lappen und spült es mit lauem Wasser ab. (Leder siehe „Turnen 44 .) Die
Kasten für die physikalischen Apparate müssen unbedingt in einem sehr
trockenen Locale untergebracht werden; es dürfen in diesen Kasten weder
Präparate noch Chemikalien aufbewahrt werden, auch muss der Verschluss
der Kastenthüren mittelst Tuchstreifen geschehen, damit der Staub abgehalten
bleibt. Über Chemikalien ist nicht viel zu sagen. Ein guter Verschluss
der Gläser ist eine Hauptbedingung für die Erhaltung der Stoffe und — auch
für das Wohlbefinden des dabei Beschäftigten. Ein eigenes Laboratorium
wäre sehr erwünscht. Bezüglich der Geräthe verweise ich auf die Be-
sprechung der Rohstoffe zu physikalischen Apparaten.
Arithmetik.
Bei diesem Unterrichtsgegenstande stehen als Lehrmittel in Gebrauch:
Rechenapparate, Hohlmasse (meist aus Weissblech), Gewichte (aus
Eisen oder Messing) und Wandtafeln.
Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1886. 7
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Was nun die Rechenapparate anbelangt, so sind dieselben in grösserem
Massstabe ausgeführt, so dass sie in einem Schranke nicht leicht untergebracht
werden können; dieselben müssen fleissig abgestaubt und an einem sicheren
Standorte vor Beschädigung bewahrt werden. Die Hohlmasse und Gewichte
sind meist aus Weissblech, Eisen oder Messing angefertigt, und ich erlaube
mir daher, auf das Capitel von der Conservierung der physikalischen Appa-
rate zu verweisen. Was nun schliesslich die Tabellen anlangt, so sollen die-
selben, wie schon erwähnt, mit einem matten Lack überzogen werden.
Zeichnen.
Beim Unterrichte im Zeichnen bedienen wir uns der Holz- und Draht-
modelle, der Gipsmodelle und der Vorlagen.
Die Holz- und Drahtmodelle sind gewöhnlich weiss angestrichen
und sollen gefirnist sein, damit der Staub keine Anhaltspunkte findet. Bei den
Holzmodellen muss der weisse Anstrich öfter erneuert werden, weil die
durch Staub eingetretene Beeinträchtigung der weissen Farbe leicht unrichtige
Anschauung verursacht. Drahtmodclle bedürfen keiner besonderen Auf-
bewahrung. Die Gipsmodelle müssen in einem Schranke aufbewahrt und
fleissig vom Staube gereinigt werden. Es ist zweckmässig, diese Modelle mit
einem glanzlosen Lack zu überziehen. Ein solcher Lack wird erhalten, wenn
man Kopallack mit Terpentin mischt. Haben die Gipsmodelle durch Staub
ihre Farbe eingebüsst, so kann man sie wieder weiss erhalten, indem man
dieselben mit weissem Leim, der sehr dünnflüssig sein muss, überzieht und
nach dem Trocknen mit Farbe bestreicht, die man durch Verreiben von
Kremserweiss in Terpentinöl herstellt; dieser Mischung setzt man Damarlack
bei, wodurch der Glanz vermieden wird. Vorlagen sind unter Glas und Rahmen
am besten verwahrt , nur muss darauf gesehen werden , dass die benutzten
Gläser blasen- und schuppenfrei sind.
Gesang.
Lehrmittel für diesen Unterrichtsgegenstand sind: Geige, Harmonium
und Notentabellen.
Was nun diese Disciplin anbelangt, so kann ich nach den Rathschlägen
von Fachmännern bemerken: Um eine Geige so weit als möglich in gutem,
brauchbarem Zustande zu erhalten und frühzeitige Reparaturen zu vermeiden,
soll dieselbe in einem mit Tuch oder Flanell gefütterten Kasten unter-
gebracht werden. Dieser Kasten ist an einem Orte von möglichst gleich-
mässiger Temperatur aufzubewahren. Auf solche Art schützt man die Geige
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nicht nur vor Staub, sondern auch vor raschem Temperaturwechsel, welcher
höchst nachtheilig auf sie wirkt. Zu grosse Hitze im Sommer, sowie die
Stubenwärme im Winter üben einen nachtheiligen Einfluss aus, denn sie
machen das Holz spröde und trocknen die Saiten aus, was zur Folge hat,
dass die letzteren ihren sanften Ton verlieren. Im Sommer sind auch die
Fliegen für eine ohne Futteral aufbewahrte Geige nachtheilig, indem sie die-
selbe nicht bloss äusserlich beschmutzen, sondern auch durch die Schall-
löcher ins Innere kriechen und dort ihren Unrath absetzen, wodurch die
Poren des Holzes verstopft werden und so die Elasticität des Holzes leidet.
Hat man kein Futteral, so sorge man wenigstens dafür, dass die Geige an
einer völlig trockenen Wand aufgehängt werde, wo sie weder von der Sonne
beschienen wird, noch der Zugluft ausgesetzt ist. Grösste Reinlichkeit ist
überhaupt ein Haupterfordernis für die Conservierung einer Geige. Man
wische auch den Colophoniumstaub unter den Saiten fleissig ab. Um aus
dem Innern einer Violine den Staub zu entfernen, gibt man von Zeit zu
Zeit eine Handvoll erwärmter Gerstenkörner durch die Schallöcher hinein
und schüttelt das Instrument. Der Staub hängt sich an die Körner und
wird so beim Ausschütten derselben entfernt. Man sorge dafür, dass die
Violine immer mit gleichen, nicht einmal mit stärkeren, ein andermal mit
schwächeren Saiten bezogen wird. Derartige Veränderungen bringen einen
Wechsel in der Spannung der einzelnen Theile hervor und gereichen dem
Instrumente nicht zum Vortheil. Vorräthige Saiten werden mit Mandelöl
benetzt, in eine Schweinsblase eingeschlagen und in einer Blechbüchse auf-
bewahrt. Um die auf einer Violine aufgespannten Saiten lange gut und
wohlklingend zu erhalten, wische man sie öfter mit einem Taffetstück, das
mit Mandelöl angefeuchtet ist, ab. Dadurch bleiben die Saiten geschmeidig
und behalten den sanften Ton. Ausserdem schützt aber das Öl die Saiten
auch vor der Feuchtigkeit der Luft und der Finger. Vor dem Spielen
wischt man das Öl von den Saiten mit einem feinen wollenen Tuche ab,
namentlich dort, wo sie mit dem Bogen gestrichen werden. Der Violin-
bogen leidet im Laufe der Zeit durch Staub und Schweiss. Um die Haare
desselben von anhaftendem Fette und Schmutze zu reinigen, werden sie
mit warmem Seifenwasser gewaschen. Die weissen Bogenhaare mit Schwefel-
dämpfen zu bleichen, ist nicht zu empfehlen, da die Dauerhaftigkeit und
Elasticität der Haare dadurch leiden. Wird der Bogen nicht benützt, so
muss die Spannung nachgelassen werden. Das Harmonium soll gegen
Temperaturwechsel, Zugluft, Staub und Feuchtigkeit geschützt werden. Von
den Tabellen gilt das früher Gesagte.
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Turnen.
Hier dürfte es sich empfehlen, über die Conservierung der Rohstoffe,
aus welchen die Turngeräthe verfertigt werden, zu sprechen. Solche Stoffe
sind: Holz, Eisen und Stahl, Rindsleder, Seile, Matratzenstoff, Papiermache
und Kautschuk.
Holz, das gewöhnlich mit einem Anstrich von Terpentin oder amerika-
nischem Colophonium verseheu ist, bedarf keiner besonderen Fürsorge.
Eisengeräthe sollen mit einem Anstrich versehen sein, weil das Eisen (da
Turnlocale meist im Souterrain liegen) leicht rostet. Zum Anstrich dieser
Gegenstände eignet sich besonders Kopallack mit Beinschwarz. Stahl muss
glänzend erhalten bleiben (siehe physikalische Apparate). Da das Leder
unter dem Einfluss von Feuchtigkeit bald zugrunde geht, so tränkt man es
mit Fett und zwar gewöhnlich mit Thran. Man setzt dem Thran eine Ab-
kochung von Eichenrinde 1:2 zu, scheidet die wässerigen Theile ab und setzt
auf 5o kg etwas Kreosot hinzu. Vor dem Schmieren muss man das Leder
anfeuchten (in trockenes Leder dringt das Fett nicht ein, weil die Poren ver-
schlossen sind), und nun lässt man das Fett an einem mässig warmen Orte
einziehen. Seile schützt man vor dem Verderben, indem man sie vor Hitze
bewahrt und an einem trockenen, luftigen Orte aufbewahrt. Matratzen,
die meist, um Staub zu vermeiden, bespritzt werden, dürfen nach dem Ge-
brauche nicht übereinander gelegt oder mit der befeuchteten Seite an die
Wand gelehnt oder gehängt werden. Papiermache" und Kautschuk be-
dürfen keiner besonderen Conservierung.
*
Reparaturen. Oft kommt man in die Lage, kleine Reparaturen selbst
vornehmen zu müssen, und für diese Fälle dürfte es nicht überflüssig sein,
wenn ich mir erlaube, einige Rathschläge zu geben.
Vor allem kommt Kleister in Verwendung. Diesen erzeugt man auf
folgende Art: Man lässt Kleisterstärke eine Stunde in kaltem Wasser liegen.
Nachher wird kochendes Wasser unter fortwährendem Umrühren zugesetzt,
was so lange geschieht, bis scheinbar der Kleister die nöthige Consistenz hat,
wobei man berücksichtigen muss, dass er beim Erkalten immer dicker wird.
Wird der Kleister klumpig, so seihet man ihn durch ein Sieb. Sauer gewor-
dener Kleister kann wieder verwendbar gemacht werden, indem man Lösch-
papier einige Stunden darin liegen lässt. Beim Aufkleben von Papier auf
Pappendeckel achte man, dass der Pinsel immer an der Wand des Topfes
abgestreift werden muss, sonst erhält man eine ungleichmässig starke Kleister-
schicht, wodurch der Überzug uneben wird.
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Leim. Um den Leim aufzulösen, schlägt man die Leimblätter in ein
Tuch ein und bricht sie so in kleine Stücke, sonst fliegen feine Theiichen
herum und gehen verloren. Die Stückchen legt man auf einige Zeit in kaltes
Wasser, und wenn dieselben weich geworden, wird der Leim heiss gemacht;
dabei muss fleissig umgerührt werden, damit er nicht „anbrennt".
Löthen. Hiezu ist Löthwasser nöthig; dies erzeugt man aus rother
Salzsäure, in die man bis zur Sättigung Zinkabfälle thut, und welcher Lösung
man Salmiak in dem Verhältnis von 5 : x zusetzt. Die zu löthenden Metall-
stücke werden an den Löthstellen mit einer Feile metallisch rein gemacht,
mit Löthwasser bestrichen und etwas dünn gehämmertes Zinn dazwischen
gelegt. Die Theile werden dann mit einer Zange zusammengehalten und über
einer Flamme bis zum Schmelzen des Zinnes erhitzt. Die unebenen Theile
können mit einer Feile weggenommen werden, worauf die Löthstellen mit
Fett bestrichen und dann geputzt werden (siehe physikalische Apparate).
Glasröhren von mässiger Stärke werden gebogen, indem man die
betreffende Stelle über einer offenen Spiritus- oder Gasflamme unter bestän-
digem Drehen der Glasröhre erwärmt und allmählich biegt. Spitzen an
Glasröhren werden erzeugt, indem man die Glasröhre an einer passenden
Stelle erhitzt und dann beide Enden langsam auseinanderzieht. Um Glas-
röhren abzuschneiden, ritzt man die Bruchstelle mit einer Feile, schlägt die
Röhre in ein Tuch ein und bricht sie ab, wobei man die Daumen möglichst
nahe zur Bruchstelle hält. Das Sprengen des Glases erfolgt mittelst der
Sprengkohle. Sprengkohle wird bereitet, indem man i g Fichtenharz mit 2 g
Weingeist in einer Reibschale zerreibt, sodann 6 g Wasser und 6 g fein-
gestossenes arabisches Gummi zusetzt, gut verreibt und endlich gepulverte
Holzkohle (10 g) beimengt, bis eine teigartige Masse entsteht, aus der blei-
stiftdicke Stengelchen gebildet werden. Die Stelle, wo das Glas getrennt
werden soll, wird mit einer Feile geritzt, und von dieser Stelle führt man die
glühende Sprengkohle langsam weiter, wobei man immer mässig auf die
Kohle bläst. Um einen Glascylinder abzuschneiden, feilt man die betreffende
Stelle ein, wickelt einen dünnen Spagat um dieselbe und reibt mit dem Spagat,
indem man die beiden Enden desselben festhält. Durch diesen Vorgang wird
das Glas warm. Gibt man auf die geritzte Stelle einen Tropfen kalten
Wassers, so springt das Glas in der Runde ab.
Zubereitung der Korkstöpsel. Kork kann nur mit scharfen Instrumenten
behandelt werden. Die Abrundung der Stöpsel macht man durch den Druck
mit der Hand oder mit der Feile. Löcher durch Kork erzeugt man, wenn kein
anderes Mittel zur Verfügung steht, mit einem glühenden Draht. Die Löcher
vergrössert man mit einer runden Feile.
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Schaden durch Oonserviermittel. Wir sagen, die Objecte müssen
gegen schädliche Einflüsse, namentlich gegen Aasfresser vergiftet werden. Es
ist daher nicht zu wundern, wenn die Frage auftritt, wie man sich gegen das
verwendete Gift schützen könne.
Nachdem man sich überzeugt hatte, dass die verschiedenen stark riechen-
den Stoffe gegen das zahllose Heer der zerstörenden Insecten nutzlos sind,
griff man zu den Dörröfen, in welchen alles Lebende getödtet werden sollte,
wobei die Objecte aber sehr litten. Man fand, dass die Naturalien aus dem
Thier- und Pflanzenreiche nicht anders erhalten bleiben können, als durch
Vergiftung mit Arsenik. Es liegt sehr nahe, dass jeder Mensch bei der Nennung
des Wortes „Arsenik" einen innerlichen Schauer empfindet, weil er weiss,
dass Tod und Verderben dessen sichere Bundesgenossen sind.
Wenn Objecte mit Arsenikseife behandelt oder conserviert wurden, so
fand die Erfahrung, dass namentlich in den Schränken der Sammlungen, wo
ausgestopfte Wirbel thiere aufgestellt sind, durch Entbindung des Kamphers aus
der Arsenikseife sich ein arsenikhaltiges Stickgas in grosser Menge entwickelt
und für die Gesundheit der an diesen Schränken Beschäftigten nachtheilig
werden muss. Man verwende nur arseniksauren Thon. Dieser wird bereitet,
indem man zu gesättigter Arseniklösung trockenen Thon in kleinen Stücken
hinzuthut, bis ein dünner Brei entsteht. Bei Anwendung dieses Conservier-
mittels findet eine Arsenikverdunstung nicht statt, wenn die Objecte voll-
kommen trocken in den Schrank gebracht werden. Arsenik in Pulverform ist
gefährlich, daher ein Vergiften der Objecte in dieser Weise ganz unstatthaft.
Reinigung der Sammlungen. Wenn nach dem Angeführten eine mög-
lichst vollständige Conservation der Objecte für den Unterricht angestrebt
wird, wodurch viel Mühe und Zeit erspart wird, so haben wir doch noch
immer Staub und Schmutz und die Folgen der Abnutzung im Auge zu be-
halten. Daher sind wir zur öfteren, gründlichen Reinigung der Objecte und
Locale gezwungen. Es ist zu empfehlen, dass zuerst die Objecte und dann
das Local gereinigt werde. Ausklopfen der Objecte oder Anschlagen an die
Insectenkasten, um den Staub zu entfernen, hiesse die Sammlung geradezu
vernichten wollen. Dazu sei bemerkt, dass alles Ausklopfen nur gegen die
aussen befindlichen, nicht aber gegen die im Innern des Präparates lebenden
Insecten gerichtet sein kann. Nur Borstbesen, Flederwisch und Blasebalg
dürfen angewendet werden. Was soll aber mit Objecten geschehen, die be-
reits angegriffen sind? Die unentbehrlichen ausgestopften Thiere, die gelitten,
legt man in arseniksauren Sand (man nimmt ausgewaschenen Sand und
feuchtet ihn mit arseniksaurem Natron an) und lässt die Objecte einige Tage
darin liegen, um sie dauernd zu vergiften. Die entbehrlichen Objecte gehen
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für die Sammlung verloren. Umstopfen wird nur rathsam sein, wenn es sich
um seltene Objecte handelt, denn das Umstopfen bleibt immer hinter den
Erwartungen zurück. Nach dem Reinigen der Objecte folgt die Reinigung
der Schränke und Glasscheiben (siehe Reinigung der Rohstoffe im Abschnitt
„Physik und Chemie").
Bezugsquellen. Wenn ich zum Schlüsse noch einige Wiener Firmen
anführe, die ich zu Lieferungen von Lehrmitteln bestens empfehlen
kann, so glaube ich, dadurch dem Wunsche mancher Collegen nach-
zukommen:
Adam Jos. Aug., Thierausstopfer, I., Habsburgergasse 7.
Eger L., Dr., Mineralien-, Naturalien- und Münzen -Comptoir, VII.,
Breitegasse 9.
Ei ss Jos., Mechaniker, VI., Stümpergasse 10.
Fe ssler Aug., Schulwandtafelfabrik, Hernais, Gerlgasse 46.
Grund Karl & Sohn, Modelle, IV., Hauptstrasse 5i.
Hauck W. J., Mechaniker, IV., Kettenbrückengasse 20.
Hodek, Ausstopfer, VI., Mariahilferstrasse 5i.
Lenoir& Forster, chemisch-physikalisches Institut, Mineralien, Skelette,
VI., Magdalenenstrasse 14.
Müller Jos., Nadler, IL, Karmelitergasse 2.
Pichler A. Witwe & Sohn, Lehrmittelanstalt, V., Margarethenplatz 2.
Röder Philipp, Droguist, IV., Wienstrasse i5.
Schuster M. S. Karl, Naturalienhändler, VI., Gumpendorferstrasse 62.
Seidler R. O., pädagogisch-technisches Institut, VIII., Piaristengasse 42.
Strobach J., Lehrmittelanstalt, L, Weihburggasse 7.
Strubecker & Holluber, Droguisten, I., Rothenthurmstrasse 7.
Voigt Jos. & Co., Droguist „zum Hund", L, Hoher Markt 1.
Schliesslich sei noch der permanenten Lehrmittel-Ausstellung
der Stadt Wien, VII., Westbahnstrasse 25, erwähnt, einer Institution, die
wirklich volle Anerkennung verdient, weil daselbst jedem Interessenten die
Möglichkeit geboten ist, nicht nur die neuesten Lehrmittel zu sehen, sondern
sich auch von der Verwendbarkeit derselben zu überzeugen.
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ANHANG
i.
Schulchronik.
Von M. Zens.
Das für Österreich wichtigste Ereignis im Laufe des letzten Schuljahres ist der
Wechsel in der Leitung des Ministeriums für Cultus und Unterricht. Mittelst Allerhöchster
Handschreiben, dat. Gödöllö, am 5. November 1885, wurde Se. Excellenz Freiherr von
Conrad über sein Ansuchen von dem Posten des Ministers für Cultus und Unterricht in
Gnaden enthoben, „in Anerkennung der durch eine lange Reihe von Jahren in verschie-
denen Dienstleistungen mit patriotischer Hingebung geleisteten treuen Dienste" mit dem
Grosskreuz des Leopold-Ordens ausgezeichnet und als lebenslängliches Mitglied in das
Herrenbaus des Reichsrathes berufen, andererseits Dr. Paul Gautsch von Franken-
thurn zu seinem Nachfolger ernannt.
Dr. Paul Gautsch von Frankenthurn, der Sohn eines Staatsbeamten, wurde
1851 geboren, trat als Zögling in die Theresianische Akademie, vollendete 1873 die
juridisch-politischen Studien an der "Wiener Universität und wurde bald darnach zum
Doctor der Rechte promoviert. Er begann seine Laufbahn im Staatsdienste als Con-
eipient der niederösterreichischen Finanzprocuratur; 1874 vom Minister Streraayr zur
Dienstleistung in das Ministerium für Cultus und Unterricht berufen, rückte er zum
Ministerialconcipisten vor und wurde November 1875 der Leitung des Präsidial-
bureaus betraut. 1878 erhielt er Titel und Charakter eines Ministerial-Vicesecretärs,
1879 wurde er zum wirklichen Ministerial-Vicesecretär ernannt. Dr. von Gautsch blieb
auch uoch unter Minister Baron Conrad Vorstand des Präsidialbureaus, bis ihm 1881 unter
gleichzeitiger Ernennung zum Regierungsrathe die Direction der Theresianischen Akademie
übertragen wurde. Anlässlich der Vereinigung der Orientalischen Akademie mit der
Theresianischen wurde Dr. von Gautsch im Jahre 1883 zum Hofrathe befördert, endlich
wurde ihm schon im ersten Jahre seiner Ministerwirksamkeit die Geheimrathswürde
verliehen.
Die durch den Wechsel in der obersten Leitung der Unterrichtsbehörde bedingte
Veränderung ist zwar durch die Stimmen der politischen und fachlichen Presse vielfach
gekennzeichnet worden, hat sich aber am entschiedensten in den seither erschienenen
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Verordnungen und in den Äusserungen des Ministers im' Parlamente ausgeprägt. So
sprach er im Abgeordnetenhause über die Schulerbibliotheken, über die Pirquet 1 sehen
Vorschlage zur Reform der Mittelschulen (siehe die „Thesen"), über das „Supplenten-
elend" und endlich zum Titel „Volksschulen", hier mit der inhaltsreichen Bemerkung,
dass er als Mitglied der gegenwärtigen Regierung und gerade deshalb fortfahren werde,
im Interesse der Schule zu wirken und damit das Blühen und Gedeihen der Volksschule
in Österreich zu fördern. Se. Excellenz unternahm auch wiederholt Inspectionsreisen,
wobei namentlich Hoch- und Mittelschulen, auch einzelne Volks- und Bürgerschulen mit
einem Besuche beehrt wurden.
Von den gesetzgebenden Körperschaften nimmt zunächst der Heichatag unsere
Aufmerksamkeit in Anspruch. Die Schule und ihre Lehrer sind bei verschiedenen
Anlässen von einzelnen Abgeordneten besprochen, resp. kritisiert worden. In offen
feindseliger Weise trat Graf Belcredi als Redner in der Adressdebatte des Herren-
hauses auf. Es wäre eine müssige Arbeit, hierüber weitläufig zu sprechen oder einen
Einklang für unüberbrückbare Gegensätze zu suchen; jeder Lehrer Österreichs hat längst
seinen Platz gewählt, aber es ist immer gut, solche Stimmen im Gedächtnisse zu bewahren. —
Im Budgetausschusse des Abgeordnetenhauses war es Abg. Kaltenegger, der gegen
die Lehrer Stellung nahm; er sprach über die von manchen Lehrern betriebene Agitation
in politischen Dingen und bat den Minister, dass er dagegen einschreite und, wenn ein-
fache Mittel nicht fruchten sollten, mit einem Gewaltstreiche vorgehe. Die Abgg. Dr.
Bareuther und Dr. Heilsberg wiesen diese allgemeinen Beschuldigungen — Abg. Kalten-
egger hatte keinen einzigen besonderen Fall angeführt — mit gebürender Schärfe zurück.
Es ist leider schon seit längerer Zeit üblich, namentlich in politischen Blättern, irgend
einen belastenden Einzelnfall auf das Kerbholz des ganzen Standes zu schreiben. — Die
vom Abg. Czerkawsky gewünschte Anstellung ständiger Schulinspectoren erklärt der
Minister für unthunlich, reichs- und landesgesetzlicher Bedenken wegen. — In der
Adressdebatte des Abgeordnetenhauses trat Abg. Kfepek warm für die Bildung des
Bauernstandes ein: „Ein erhöhter Bildungsgrad ist die erste Grundbedingung zur Er-
haltung eines kräftigen Bauernstandes. . . Wir deutschen Bauern in Böhmen betrachten
ein zweckmässig eingerichtetes Schulhaus mit einem tüchtigen Lehrer als höchste Zierde
unserer Dorfschaften, wir betrachten die Schule aber auch als die erste Grundbedingung
der Existenzfähigkeit unserer Nachkommen." Die Abgeordneten aus dem slavisch-
nationalen Lager verlangten weitere Zugeständnisse im nationalen Sinne. Abg. Kürst
Liechtenstein steuerte auf die confessionelle Schule los, die seine Partei „in kluger Be-
rücksichtigung der Umstände, aber auch unter rascher Benützung jeder günstigen Gelegen-
heit" herzustellen strebe. Neben anderen liberalen Rednern sprach auch Abg. Ed. Suess,
welcher der Majorität die Anklage entgegenschleuderte, dass sie ihre Majorität benützt
habe, um unser Schulgesetz, das Mittel zur Bildung und Aufklärung des Volkes, zu zer-
rütten ; die liberale Partei habe das Schulgesetz gegeben zur Steigerung der produetiven
Thätigkeit des Volkes, die Majorität aber habe es, angeblich im Interesse der Bauern,
zerstört.
Eine Frage von weittragender Bedeutung wurde im Abgeordnetenhause vom Abg.
Freih. v. Pirquet aufgerollt, die Frage der Mitte lsc hui reform in dem Sinne, dass
statt der Zweitheilung in Gymnasien und Realschulen — die sowohl für den Staat als
auch für das Individuum nachtheilig sei — eine Einheitsschule mit einem Untercurs
„Gymnasium" und einem Obercurs „Lyceum" eingeführt werde. Der Minister nannte
diese Bestrebungen den alten Kampf zwischen der humanistischen und realistischen
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Richtung; seiner Ansicht nach könne die Tüchtigkeit, welche in der Mittelschule er-
worben werden soll, nur durch die humanistischen Studien erreicht werden. In ähn-
lichem Sinne äusserte sich Se. Excellcnz, als Graf Bloome im Herrenhause eine Reform
der Mittelschulen im katholischen Sinne forderte. — Abg. Dr. Menger sprach für die
Wiederaufnahme des Unterrichts im Mittelhochdeutschen in den Lehrplan der Gymnasien. —
Abg. Dr. Beer erklärte die Überbürdungsklage als nicht berechtigt, tadelte die Überfüllung
der Classen und die Art der Mittelschullehrerbildung. („Ich bin ein grosser Freund des
Lehrstandes, ich gehöre ihm selbst an, aber ich glaube, dass unsere Mittelschullehrer in
den einzelnen Disciplinen wohl bewandert, in pädagogisch-didaktischer Beziehung jedoch
ungeschult vor die Kinder treten. . . Und nun sehen Sie, welche grosse Sorgfalt man für
die pädagogisch-didaktische Bildung unserer Volksschullehrer aufwendet, und wie
gering mit pädagogisch -didaktischen Kenntnissen ausgerüstet die Mittelschullehrer die
Universität verlassen.") Dr. Beer gedachte gelegentlich auch der Bürgerschule, die bei
zweckentsprechender Ausgestaltung in erster Linie berufen sei, den unnatürlichen Andrang
zu den Mittelschulen abzuschwächen.
Im nieder österreichischen Landtage wandten sich die Abgg. Dumba und
Dr. Ed. Suess gegen den Antisemitismus einzelner Lehrer; der letztere empfahl eine
strengere Handhabung der Disciplinarvorschriften gegen „Schullehrer, die ihrem Stande
nicht zur Ehre gereichen", nötigenfalls solle „Grausamkeit" geübt werden. Einige
Wiener Blätter, so das „Illustrierte Extrablatt" und das „Fremdenblatt", benutzten diese
Gelegenheit, um in sattsam bekannter Form den Lehrern allerlei Schmeicheleien zu
sagen. — Der n.-ö. Landtag bewilligte den Leitern einclassiger Schulen eine Functions-
/ulage von 40 fl., dann den Lehrern, welche an Schulen dritter Gehaltsciasse 10 Jahre
zubringen, eine Jahreszulage von 50 fl., die nach weiteren 5 Jahren auf 100 fl. erhöht
wird (Gesetz vom 30. Juli 1886), endlich wurde in einer Resolution die weitere Regelung
für die kommende Session in Aussicht gestellt. — Der n.-ö. Landtag beschloss die Er-
richtung einer Besserungsanstalt für beiläufig 200 jugendliche Corrigenden männlichen
Geschlechts im Alter vom 14. bis 18. Jahre, doch solle der Staat einen Zuschuss leisten.
Unter derselben Bedingung wurde auch in die Errichtung zweier Besserungsanstalten für
verwahrloste Kinder im Alter von 8 — 14 Jahren (für 200 Knaben und 200 Mädchen)
gewilligt. — Zu Gunsten (?!) der Gemeinde Wien beschloss der n.-ö. Landtag, die Anzahl
der Classenzimmer an Volksschulen bis 18, an Bürgerschulen bis 12 zu gestatten. Es
wäre gut, das Thema der Classenhäufung dem im nächsten Jahre zu Wien tagenden
hygienischen Congress vorzulegen, gleichzeitig mit den bisher erschienenen Vorschriften
über die rasche Entleerung bei Feuersgefahr, über die Sicherung der das Schulhaus ver-
lassenden Kinder etc. . . . Die Wiener Lehrerschaft hat, vertreten durch die Vereine
„Pädagogische Gesellschaft", „Bürgerschule" und „Volksschule", gegen diesen Gesetz-
entwurf (betreffend die Vermehrung der Classenzahl an einer Schule) beim hohen Unterrichts-
ministerium Vorstellung erhoben. — Der böhmische Landtag hat die Bitten der Lehrer
in Betreff der Gehaltsrcgulierung abgewiesen, trotzdem er die Berechtigung derselben be-
stätigte; die anerkennenden Worte, die der deutsche Abg. Müller den Lehrern widmete,
vermochten dieses Schicksal nicht abzuwenden. — In gleicher Weise wurden die Hoffnungen
der mährischen Lehrer durch den mährischen Landtag vereitelt. — Der oberöster-
reichische und der böhmisch e Landtag bewilligten für die Industriallehrerinnen eine
Begünstigung in Krankheitsfällen. — Der Landtag von Ober- und Nieder- Schlesien be-
willigte den Leitern einclassiger Schulen 40 fl. Functionszulage (Gesetz vom 1. Mai 1886).
— Der tirolische Landtag hat einen lehrerfreundlichen Antrag in der Gehaltstage
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gewobntermassen abgeschlachtet. Wie lange noch sollen die Tiroler Lehrer unter den
schwierigen und traurigen Verhältnissen ausharren, wenn jede ihrer Petitionen spurlos
verschwindet? Das „Katholische Volksblatt" macht sich sogar das „Vergnügen", das
einemal den Lehrern zu empfehlen, sich an die Reichsregierung zu wenden, das andere-
mal aber zu erklären, „dass ein Appell der Tiroler Lehrerschaft an Se. Excellenz den
Herrn Minister f. C. u. U., geeignet wäre, diese mit der Landesvertretung vollständig zu
entzweien."
Die Reformen, welche der Minister in Angriff genommen, beziehen sich auf alle
Gebiete des Schulwesens. Zunächst kommen die Hochschulen in Betracht, bezüglich
deren besondere Erlässe a) an die juridischen Professoren-Collegien, b: an die akade-
mischen Senate sämmtlicher Universitäten , c) an das Professoren-Collegium der medi-
cinischen Facultät in Wien gerichtet wurden, damit diese Körperschaften über eine Reihe
einschlägiger Fragen ein Gutachten erstatten. Durch Ministerial-Verordnung vom 24. Jänner
1886 werden die Fristen für die Immatriculation und Inscription der Universitätsstudierenden
sowie für Einholung der Frequenzbestätigung seitens derselben bestimmt. Die M.-V. vom
9. April 1886 erhöht die Taxe für die Immatriculation als ordentlicher Studierender an
einer Universität auf vier Gulden.
Mit M.-V. vom 30. December 1885 wurden hinsichtlich der Maturitätsprüfungen an
Gymnasien und Realschulen die Bestimmungen über Prüfungstermine und Repro-
bationsfristen theilweise abgeändert. — Ein M.-E. vom 26. Jänner 1886 untersagt für
Mittelschulen diejenige Rangordnung der Schüler, welche bisher in der Locationsnummer
des Zeugnisses ihren Ausdruck fand. — Nach M.-E. vom 9. März 1886 hat an Mittel-
schulen die Sittennote „musterhaft" zu entfallen, so dass „lobenswert" als erste Note
erscheint; als zweite Note ist „befriedigend" zu gebrauchen, die übrigen Noten reihen
sich absteigend an, wie bisher. Auch die Fortgangsnote „ausgezeichnet" entfällt, „vorzüg-
lich" rückt an die erste Stelle vor. — Mit M.-V. vom 12. Juni 1886 wird das Schulgeld an
den Staats- Mittelschulen für je ein Semester bestimmt: a) für Wien mit 25 fl., b) für Orte
ausser Wien mit mehr als 25000 Einwohnern mit 20 fl., c) für alle übrigen Orte mit
15 fl. — Die M.-V. vom 22. Juni 1886 regelt die Bestellung von Supplenten (Hilfslehrern)
an den vom Staate erhaltenen Gymnasien, Realschulen und Lehrer-(Lehrerinnen-)Bildungs-
anstalten. — Das Gesetz vom 8. Juli 1886 eröffnet Nachtragscredite : 10000 fl. für neue
Supplentenstellen (aus Anlass der Verwendung definitiv angestellter Lehrpersonen als
Bezirksschulinspectoren), 9000 fl. auf Dienstalterszulagen der Supplenten an Mittelschulen,
1200 fl. an Dienstalterszulagen der Supplenten an Lehrer- und Lehrerinnen-Bildungs-
anstalten. — Ein anderes Gesetz vom 8. Juli 1886 bestimmt eine Dienstalterszulage von
200 fl. für Supplenten (Hilfslehrer) an den vom Staate erhaltenen Mittelschulen, Lchrer-
und Lehrerinnen -Bildungsanstalten. — Durch Gesetz vom 1. Mai 1886 werden einige
Bestimmungen des Realschulgesetzes für Niederösterreich, desgleichen durch Gesetz vom
1. Mai 1886 für Böhmen abgeändert.
Für das Volksschulwesen von hoher Bedeutung sind die Ministerial-Vcrordnungen
vom 31. Juli 1886, womit a) ein neues Organisationsstatut für Lehrerbildungs-
anstalten, b) das Statut für die Bürgerschullehrer-Curse, c) eine neue Vorschrift
für die Lehrerbefähigungsprüfungen aufgestellt werden.
a) Die erste Verordnung tritt mit Beginn des Schuljahres 1886,87 in Kraft. Die
Landesschulräthe haben im Einvernehmen mit den Lehrkörpern der Lehrerbildungs-
anstalten Übergangsbestimmungen zu treffen. Die neuen Auflagen der an den Lehrer-
bildungsanstalten eingeführten Lehrbücher sind nach den fortan geltenden Lehrplänen
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geändert herzustellen und dem Ministerium zur Approbation vorzulegen. Hilfsbücher zum
Bestimmen von naturgeschichtlichen Objecten, sowie zum Unterrichte in der speziellen
Methodik bedürfen, insoweit solche Bücher zum Handgebrauche der Zöglinge bestimmt
werden sollen, der Genehmigung der Landesschulbehorde.
b) Die zweite Verordnung gilt als Durchführung des § 42 des Gesetzes vom 2. Mai
1883, und es tritt dieses Statut mit Beginn des Schuljahres 1887/88 in Wirksamkeit. Die
Landesschulbehörden haben die bezüglichen Bedürfnisse in eingehende Erwägung zu
ziehen und alljährlich bis spätestens Ende Jänner die betreffenden Anträge (enthaltend
die Lehrpläne, die Vorschläge zur Bestallung der Lehrer, den erforderlichen, im einzelnen
dargelegten Aufwand etc.) in abgesonderten Berichten zu stellen, und es sind die ersten
diesbezüglichen Berichte bis Ende Jänner 1887 vorzulegen.
c) Durch die dritte Verordnung tritt die Prüfungsvorschrift vom 5. April 1872 sammt
allen Nachträgen ausser Kraft, und die neue Prüfungsvorschrift hat bereits vom November
18SÖ an Giltigkeit. Die bestehenden Prüfungscommissionen sind als aufgelöst erklärt,
und die Landesschulbehörden haben bis Mitte September 1886 die Anträge wegen Er-
nennung der neuen Prüfungscommissionen zu erstatten.
Durch die neuen Verordnungen sind zwar manche dringende Wünsche der
Lehrerschaft, so z. B. das Prüfungswesen betreffend, erfüllt worden, doch bewahrheiten
sich jene Zeitungsnachrichten nicht, welche meinten, dass keine Herabminderung der
1. ehrziele, sondern nur eine Verschiebung in einzelnen Fächern erfolgt sei, und dass dit*
Änderungen nur darauf hinausliefen, die notwendigen Kenntnisse zu vertiefen und zu
festigen. Die Reform ist in Wirklichkeit ein weiterer Schritt auf dem Wege der Schul-
gesetznovelle. Schon die Art und Weise der Zusammensetzung und des Arbeitens der
Enquete, die zur Finalisierung der Entwürfe zusammengerufen wurde, war auffällig. Von
Volks- oder Bürgerschullehrern kein einziges Mitglied, die Lehrerbildner fast unberück-
sichtigt! Auch von schriftlichen Gutachten ward nichts vernommen I Und sämmtliche
drei, so umfangreichen Materien wurden von der Enqu&te in vier Sitzungen erledigt! Über
den wesentlichen Inhalt derselben sei Folgendes angeführt. Die Bedingungen zum
Eintritt in die Lehrer-(Lehrerinnen-)Bildungsanstalt bleiben fast unverändert (15. Lebens-
jahr, amtlich beglaubigtes Gesundheitszeugnis). Aufnahmswerber, welche sich mit dem
Maturitätszeugnis einer Mittelschule ausweisen, werden bei entsprechendem Alter sofort
in den obersten Jahrgang zugelassen. Die Jahresprüfungen entfallen. Die Notenscala
ist die an Mittelschulen übliche. Im Lehrplan und Stundenausmass zeigt sich ein Grund-
zug, der auf das Praktische gerichtet ist, aber auf Kosten der allgemein-wissenschaft-
lichen Schulung der künftigen Lehrer. Der vierte Jahrgang betreibt fast ausschliesslich
„specielle Methodik" in den einzelnen Gegenständen und zwar nach den behördlichen
Lehrplänen; das für die wissenschaftliche Ausbildung des Jünglings günstigste Jahr wird
dadurch eingebüsst. Der gesammte theoretische Wissensstoff wird zugestutzt und oben-
drein die Zahl der Lehrstunden herabgesetzt. Die „Pädagogik" hat wöchentlich nur noch
2 Stunden (genauer: 1. Jahrg. o, II. Jahrg. 2, III. Jahrg. I.Sem. 8, 2. Sem. 2, IV. Jahrg.
2 Stunden), d. h. ihr gehen im Jahre circa 40 höchst nothwendige Lehrstunden verloren.
In „Geschichte" entfallen 40 Stunden jährlich; um hier das „Wichtigste" und „Wesent-
lichste" „abzurunden", werden Lehrer und Schüler nicht zu der berüchtigten Tabellarisier-
methode gedrängt werden ? Die Mathematik büsst ein : die Lehre von den quadratischen
Gleichungen, von den Logarithmen und die Trigonometrie — jährlich um 80 Stunden
weniger als früher. Naturgeschichte und Naturlehre verlieren zusammen wöchentlich
2 Stunden, das sind 80 Stunden im Jahre. Dagegen treten als obligate Lehrfächer ein
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„Landwirtschaft" und Musik mit besonderer Berücksichtigung der „Kirchenmusik", letz-
tere mit acht Stunden per Woche (Violinspiel in Parallelabtheilungen, Ciavier- und
ürgelspiel in Gruppen von 8 — io Zöglingen). Und doch können nur ein Viertel aller
Lehrer zu Organistenstellen gelangen, ein Percentsatz, der wohl auch bei „freier" Musik-
betreibung zu erreichen wäre. Bei der Reifeprüfung entfallen die schriftlichen Arbeiten
aus Naturgeschichte, Chemie u. dgl.
Die Lehrbefähigungsprüfungen werden von amtlichen Commissionen im Mai und
November am Standorte der Bildungsanstalten vorgenommen. Für die Zulassung zur
ße fähig ungsprüfung wird ein umfangreiches Verfahren angeordnet: das Gesuch des Can-
didaten geht durch die Schulleitung und das Inspectorat an den Bezirksschulrath, von
hier bei befriedigend ausgewiesenem Schuldienste an die Prüfungscommission, sonst
zurück oder eventuell an den Landesschulrath. Die Prüfung ist vorwiegend praktisch,
„ohne dass auf Einzelnes Wert gelegt wird." Die mündliche Prüfung ist öffentlich. Das
Zeugnis wird nur ein allgemeines Urtheil über Befähigung oder Nichtbefähigung enthalten,
welches bezeichnet wird durch „mit Auszeichnung befähigt", „befähigt", „nicht befähigt".
Die Classification aus den einzelnen Gegenständen wird nur im Prüfungsprotokolle an-
geführt. Dasselbe gilt auch für die Lehrbefähigungszeugnisse an Bürgerschulen; für die
letzteren bleiben die Prüfungen ziemlich unverändert, nur werden die detaillierten, speciell
für den betreffenden Ort geltenden Lebrpläne als Richtschnur dienen. Die Prüfungstaxe
beträgt für Volksschulen io fl., für Bürgerschulen 12 fl. (früher 5, resp. 10 fl.).
Die Bürgerschullehrcurse endlich dauern — ein Jahr, d.h. zehn Monate, und der
Zutritt zu denselben ist nur jenen Lehrern erleichtert oder ermöglicht, die der Zufall an
dem Standort eines solchen Curses mit einer Anstellung bedacht hat. (Die Bürgerschul-
section des deutsch-österreichischen Lehrerbundes forderte zweijährige Curse und zwar
nach § 42 des R.-V.-G. an einer Hochschule. Eine Erweiterung der Lehrerbildungs-
anstalten auf 5 Jahre würde das gesteckte Ziel eher erreicht haben ; bei der Ausführung
wird das Ungenügende der neuen Curse vollauf zutage treten.)
Auffällig war, dass die politischen Blätter diesen bedeutsamen Umgestaltungen
gegenüber sich ausserordentlich schweigsam verhielten.
Ein M.-E. vom 16. December 1885 verpflichtet die Schulleiter und Directoren der
Volks- und Bürgerschulen, ebenso die Directoren der Mittelschulen, „sämmtliche Bücher,
welche der Schülerbibliothek an der ihrer Leitung anvertrauten Schule einverleibt
sind, insoferne dies nicht bereits geschehen ist, sowie auch die dieser Bibliothek künftig
zuzuweisenden Druckschriften (und Bildwerke) einer eingehenden Revision zu unter-
ziehen und dafür zu sorgen, dass alle Bücher, welche ihrem Inhalte nach in patriotischer,
religiöser oder sittlicher Richtung irgendwie Bedenken erregen sollten, sofort ausgeschieden,
beziehungsweise ferngehalten werden." Die Vollendung dieser Untersuchung wurde auf
den 1. Mai 1886 anberaumt. Der Erlass rief eine lebhafte Bewegung in Lehrerkreisen
hervor. Viele glaubten, der Absicht des Ministers am besten dadurch zu entsprechen,
dass sie sämmtliche Bücher einer neuerlichen Durchsicht unterwarfen, damit auch jene
Werke ausgeschieden würden, welche unter dem früheren Regime eine durchaus nicht
fahrlässige - dafür bürgt schon der vielfache Beaufsichtigungsapparat — aber doch minder
scrupulöse Beurtheilung erfahren hatten. Für die Wiener Volks- und Bürgerschulen lag
noch der besondere Fall vor, dass erst im vergangenen Jahre infolge der Reorganisation
und Trennung der Volks- und Bürgerschulen die Bibliotheken der verschiedenen Schulen
eine durchgreifende Veränderung erlitten und jede Schule eine grosse Zahl fremder Bücher
110
(die Bürgerschulen gaben die für die Unterstufe eingestellten Bücher ab, die Volksschulen
die aus ihren aufgelösten Oberclassen wegfallenden Bibliothekswerke) zugewiesen erhielt.
Da eine solche Riesenarbeit nach dem vorhin genannten Bestreben in der kurzen Frist
nicht zu bewältigen gewesen wäre, so suchte die Lehrerschaft nach einem Auswege. Die
Vereine „Mittelschule" und „Realschule" in Wien überreichten hohenorts Eingaben be-
treffs Einsetzung eines eigenen Ausschusses zur Prüfung der für die Schulbibliotheken
passenden Bücher, wurden aber abschlägig beschieden; denselben Misserfolg hatte eine
vom Ausschusse des deutsch - österreichischen Lehrerbundes eingebrachte Bitte um
Fristerstreckung. Auch im Abgeordnetenhause wurde die Angelegenheit und zwar vom
Abg. Fuss einer Besprechung unterzogen, worauf der Minister sofort erwiderte, dass er
auf der ungesäumten Durchführung seiner Anordnungen entschieden beharren werde. Der
Minister erinnerte hiebei, dass er selbst im Erziehungsfache thätig gewesen und niemals
im Zweifel war, was für Bücher der Jugend in die Hand zu geben seien: „Ich war
niemals engherzig, aber immer gewissenhaft!"
Dass die Lehrerschaft, namentlich die Vereine, ebenso die Fachblätter, seit jeher
der Jugendliteratur rege Aufmerksamkeit geschenkt hat, ist bekannt; auch die Art und
Weise der Zusammenstellung der Bibliotheken, specicll welch geringen Einfluss die Lehrer
auf dieselbe nehmen konnten, ist nicht unbekannt. Bezüglich der genannten Vereinsthätigkeit
kann z. B. an die Arbeiten des Vereins „Volksschule" in Wien erinnert werden (Be-
urtheilungen von deutschen Jugend- und Volksschriften. Ein Wegweiser für Eltern, Lehrer
und Bibliotheksvorstande. Wien, i 11.). Von Seite der Schulbehörden wurde eine negative
Kritik insoferne geübt, als sie eine Anzahl ur geeigneter Bücher ausdrücklich mit einem
Verbot belegten. — Solche behördliche Erlässe wurden wiederholt von privater Seite in
eigenen Verzeichnissen zusammengestellt und von der Lehrerschaft pflichtmässig beachtet.
(Schulrath A. Peter: Verzeichnis von geeigneten und nicht geeigneten Jugendschriften;
Troppau, Buchholz & Diebel, 40 kr. — Karl Bornemann: Die wichtigsten Verord-
nungen und Erlässe österreichischer Schulbehörden, welche auf Schülerbibliotheken Be-
zug haben, nebst einem ausführlichen Verzeichnis der von den genannten Behörden zur
Aufnahme in die Schulbibliotheken für ungeeignet befundenen Jugendschriften; Znaim,
25 kr. — Josef Kugler: Wegweiser und Catalog zur Revision der Schülerbibliotheken;
Wien, 50 kr. — Verzeichnis der von den k. k. Schulbehörden zur Aufnahme in die öster-
reichischen Schülerbibliotheken für ungeeignet befundenen Jugendschriften, nebst den darauf
Bezug habenden wichtigsten Verordnungen und Erlässen ; Brünn, 20 kr.) — Das umfang-
reichste Werk über Jugendschriftenbeurtheilung ist: P. Engelbert Fischer, Chorherr
des Stiftes Klosterneuburg: Die Grossmacht der Jugend- und Volksliteratur (12 Bände
in 4 Abtheilungen; 1. — 3. Abthlg. ermässigt 16 fl., 4. Abthlg. 4 fl. 80 kr.). Die Berufs-
stellung des Herausgebers zeigt zugleich die besondere Richtung dieser Kritiken an.
Übrigens sind es wirkliche Besprechungen der einzelnen Bücher, was von einer anderen,
auch zu einer gewissen Berühmtheit gelangten Bücherkritik nicht gesagt werden kann.
Es ist das die Zusammenstellung von P. J. Pauholzer (Kritischer Führer durch die
Jugendliteratur ; Wien, i.u. 2. Theil 1 fl. 60 kr.; 3. Theil nicht erschienen, 4. Theil 60 kr.),
die zuerst in den von ihm redigierten „Christlich-pädagogischen Blättern" erschien. Dieses
Büchlein nun wird von gewisser Seite als der eigentliche Leitfaden für die Bücherrevision
angesehen und empfohlen. So hat der Bischof Johannes von Evaria in Feldkirch —
entsprechend dem vom vorarlbergischen Landesschulrathe einstimmig gefassten Beschlüsse,
dass auch die Seelsorger zur Mitwirkung in dieser Angelegenheit heranzuziehen seien — die
ihm unterstehenden Geistlichen aufgefordert, sich an der Durchsicht der Schülerbibliotheken
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zu betheiligen, und auch in dem Falle, als dieselbe schon durchgeführt sein sollte, eine
sorgfältige Revision vorzunehmen. „Da man bei den Seelsorgern eine genaue Kenntnis
der so umfangreichen Jugendliteratur nicht voraussetzen, und da der Seelsorger die ganze
Schülerbibliothek nicht durchlesen kann, macht das Generalvicariat auf ein kleines Ver-
zeichnis unzulässiger Bücher aufmerksam," auf das vierte Heft von J. Panholzer, welches
über 1200 Jugendschriften beanständet. „Befindet sich in einer Schülerbibliothek ein
anstössiges Buch, so liegt eine Gefahr, vor welcher der Herr mit so erschütterndem
Ernste warnt (Matth. 18, 6), äusserst nahe, — die Gefahr, dass eines von den Kindern,
die an ihn glauben, geärgert werde."
Eine behördliche Kegelung erfuhren ausserdem noch die nachfolgenden Gegen-
stände. Ein M.-E. vom 14. Februar 1886 ordnet an, dass die Ansuchen um Schul-
besuchserleichterungen für Kinder aus Landgemeinden, welche in Städten oder
Märkten eingeschult sind, beim Gemeindevorstand der betreffenden Landgemeinde münd-
lich eingebracht werden können. — Das Gesetz vom Ii. Juli 1886 enthält einige Ände-
rungen der steiermärkischen Landesgesetze vom 8. Februar 1869 und 4. Februar 1870,
namentlich die Bestimmung, dass in Hinkunft nicht mehr der Ortsschulrath, sondern der
Bezirksschulrath die vom Gesetze vorgeschriebenen Strafen wegen schlechten Schulbesuchs
verhängen wird. — Das h. Ministerium hat entschieden, dass Candidaten, welche für die
zweite (beziehungsweise dritte) Fachgruppe an Bürgerschulen approbiert sind, bei einer
Prüfung für die dritte (beziehungsweise zweite) Fachgruppe lediglich von der neuerlichen
Prüfung aus Pädagogik dispensiert werden dürfen. — Nach M.-E. vom 30. September 1885
an den h. Landesschulrath für Böhmen entscheidet bei der Aufnahmsprüfung für die
Lehrerbildungsanstalt nicht eine ungenügende Note über die Aufnahme, sondern das Urthcil
der Lehrerconferenz auf Grund der Prüfungsresultate, umsomehr, als Zöglinge des I.Jahr-
ganges, welche innerhalb der ersten drei Monate nach erfolgter Aufnahme sich als un-
fähig erweisen, entfernt werden können. (Eine ähnliche Bestimmung findet sich auch im
neuen Organisationsstatut, § 9.) — Der M.-E. vom 13. November 1885 streicht die
Haushaltungskunde aus der Reihe der Unterrichtsgegenständc der Bildungscurse für
Arbeitslehrerinnen (§ 83 des neuen Statuts). — Die M.-V. vom 16. December 1885 bringt
die Vorschriften über den Gebrauch der Lehrbücher an Volks- und Mittelschulen in Er-
innerung, um einen unnöthigen Wechsel hintanzuhalten und jede ungerechtfertigte Aus-
lage zu ersparen. — Nach M.-E. vom 23. October 18S5 sind Duplicatc von Schulnach-
richten, Jahres- und Entlassungszeugnissen der allgemeinen Volks- und Bürgerschulen
stempelpflichtig (1 fl. per Bogen), desgleichen nach M.-E. vom 1. Februar 1886 die Duplicate
von Semestraizeugnissen der Mittelschulen, wenn dieselben auf Ansuchen der Parteien
ausgestellt werden. — Laut M.-V. vom 17. April 1886 erhalten Lehr- und Lesebücher
fortan nur unter der Bedingung die Zulässigkeitscrklärung zum Lehrgebrauche, wenn be-
stimmte Personen als Verfasser oder Herausgeber auf dem Titclblatte namentlich genannt
sind; dagegen werden Bücher, welche anonym erscheinen oder als von Vereinen verfasst
oder herausgegeben bezeichnet sind, von vornherein abgewiesen. — Nach M.-E. vom
7. December 1885 werden fortan vom 15. Juni bis 1. November jeden Jahres keine
Zulässigkeitscrklärungen von Büchern zum Lehrgebrauche an Volksschulen ertheilt. —
Mit M.-V. vom 27. Mai 1886 wird den Lehrern der allgemeinen Volks- und Bürgerschulen
der Verschleiss von Schulbüchern untersagt. — Die M.-V. vom 19. December 1885 ver
bietet auf Grund eines Gutachtens des k. k. Obersten Sanitätsrathes den Gebraucb
liniierter, schräge Richtungslinien enthaltender Schreibmaterialien in den Schulen. —
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Der M.-E. vom 28. April 1886 ordnet an, dass in Volksschulen gleicher Kategorie min-
destens in einem und demselben Schulbezirke gleichförmige Schreib- und Zeichenrequisiten
allmählich eingeführt werden. — Ein Erlass des U.-M. verbietet für Volksschulen die
Ertheilung eines indirecten Unterrichts in der Naturgeschichte. — Ein M.-E. vom 21. Sep-
tember 1886 ermächtigt die Landesschulräthe von Niederösterreich und Böhmen, die
Einführung des Handfertigkeitsunterrichts als unobligaten Lehrgegenstand an Volksschulen
unter gewissen Beschränkungen zu gestatten. — Der Minister entschied in einem strittigen
Falle (zwischen dem böhmischen Landesschulräthe und dem Bischof von Königgrätz),
dass das Schulgebct laut zu beten sei, doch sollen nur solche Gebete gewählt werden,
welche beiden Religionsbekenntnissen gemein sind. Den Religionslehrern bleibt es aber
überlassen, zu Beginn und am Schlüsse des Religionsunterrichts mit ihren Schülern Gebete
ihrer Confession zu verrichten. — Der steiermärkische Landesschulrath erklärte, dass unter
«ler im § 24 der Sch.- u. U.-O. enthaltenen „entsprechenden Aufsicht" über jene Kinder,
welche zur Strafe in der Schule zurückbehalten werden, nur die Beaufsichtigung durch
Lehrpersonen verstanden werden kann. — Von mehreren Seiten wurde die Verlegung
der Ferien auf die Monate Juli und August angeregt; ein in diesem Sinne vom böhmischen
Landesschulräthe hohenorts vorgelegter Bericht (alle übrigen Landesschulräthe haben sich
gegen eine Verlegung ausgesprochen) wurde vom U.-M. nicht genehmigt. — Eine andere
Neuerung, die Verlegung des Unterrichtsbeginns von 8 auf 9 Uhr vormittags, ist vorerst
für jene Classen der Wiener und Prager Mittelschulen angeordnet worden, deren Stunden-
zahl nicht über 24 beträgt; einige Ortsschulräthe in Wien verfügten die gleiche Anord-
nung für die zwei untersten Classen der Volksschule. Im Wiener medicinischen Doctoren-
Collegium fand eine Besprechung und Abstimmung zugunsten einer derartigen Verlegung
statt. Der niederösterreichischc Landesschulrath hatte sein Gutachten im verneinenden
Sinne abgegeben. Der Sanitätsrath in Prag sprach sich für die Beibehaltung der bis-
herigen Unterrichtsstunden aus. Die Stadtvertretung von Graz hatte die Verlegung be-
schlossen, der Stadtschulrath aber lehnte die Änderung ab mit der Begründung, dass sie
weder den Interessen der Mehrzahl der Eltern und Kinder, noch jenen des Unterrichts
entsprechen würde. — Der n.-Ö. L.-S.-R. hat den Ortsschulräthen bekannt gegeben, dass
eine Sistierung des Nachmittagsunterrichts^wegen grosser Sommerhitze in Zukunft nicht mehr
stattfinden [dürfe und nöthigenfalls durch späteren Beginn des Unterrichts den sanitären
Übelständeu zu begegnen sei. — Ein M.-E. vom 28. November 1885 erklärt den 19. No-
vember (als Tag des Allerhöchsten Namensfestes Ihrer Majestät der Kaiserin) für Volks-,
Bürger- und Mittelschulen frei. — Nach M.-E. vom 6. Mai 1886 sind die vom internationalen
Gönnte" für Masse und Gewichte festgestellten Abkürzungszeichen für Myriameter und
Quadratmyriameter mit um, beziehungsweise mot« fortan einzuführen. — Ein Gesetz vom
5. Jänner 1886 gebietet für Galizien die Versicherung der Schulgebäude gegen Brand-
schaden. — Ein M.-E. an den mährischen L.-S.-R. spricht aus, dass dem Gemeinde-
vorstande auf Disciplinarangelegenheiten der Volksschullehrer kein Einfluss und somit
diesbezüglich auch kein Recursrecht zukomme. — Ein M.-E. vom 28. April 1886 eröffnet
anlässlich eines besonderen Falles, dass Äusserungen, welche in der Öffentlichkeit nicht
zugänglichen Sitzungen der Bezirksschulräthe vorkommen, nur durch einen Missbrauch
des Amtsgeheimnisses zur Kenntnis auswärtiger Personen gelangen, indem sich die
Amtsverschwiegenheit naturgemäss auf die ganze Berathung und Beschlussfassung zu
erstrecken hat.
In fünf Provinzen wurden heuer die offici eilen Landeslebrerconfereiizen
einberufen. Die IV. niederösterreichische L.-L.-C. am 9., 10. und 11. September
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leitete L.-S.-I. Scholz. Zur Verhandlung gelangten: i. Der Sprachunterricht auf Grund-
lage der Lesebücher*, Referent Binstorfer. 2. Die Kartenskizze im Dienste des geo-
graphischen Unterrichts *, Ref. A. Hofer. 3. Über Jugendlectüre *, Ref. Kugler. Anträge
wurden gestellt über : Revision der Schul- und Unterrichtsordnung (Tomberger), Natural-
wohnungen und Quartiergelder in den Wiener Vororten (Vororte-Lehrer), Verlängerung
der Hauptferien an einigen Orten (Tomberger), Remuneration des Turnunterrichts, Ab-
kürzung der militärischen Präsenzpflicht für mit sehr gutem Erfolge absolvierende Schüler
(Jost), Einsetzen der Fleissnote in die Schulnachricht, Schülernationale.
Die IV. oberösterr. L.-L.-C. in Linz tagte am 12., 13. und 14. October 1. J.
Vorsitzender: L.-S.-I. Kretschmeyer. Tagesordnung: I.Referate und Erledigung gestellter
Anträge. 2. Sommerferialcurs im Handfertigkeitsunterricht für Lehrer, Ref. Girjcek-Ried.
3. Detaillehrpläne für den Geschichtsunterricht, Ref. Aichberger-Linz. 4. Lesebücher für
Volksschulen, Ref. Stupöck. 5. Über den verkürzten Unterricht im 7. und 8. Schuljahre.
(Die Conferenz spricht sich gegen denselben aus.) 6. In welcher Weise ist der Fort-
bildungsunterricht für die der Schulpflicht entwachsene Jugend einzurichten, um eine all-
mähliche allgemeine Verbreitung desselben anzubahnen und zu sichern, welche Mittel
und Wege sind zur Erreichung dieses Zieles zweckmässig und nothwendig?* Ref. Hödl.
Die IV. salzburgische Landeslehrerconferenz fand am 19., 20. und 2i.Iuli 1886
statt. Vorsitzender: L.-S.-I. K. Werner. Tagesordnung: 1. Die Gruppierung und das
Stundenausmass für die verschiedenen Schulkategorien, Ref. Erben. 2. Der Sprachunter-
richt, Ref. John. 3. Referate über den Unterricht im Rechnen, Schreiben, Singen und
Zeichnen, Ref. John. 4. Über Turnen, Ref. Erben. 5. Über die Behandlung der Realien,
Ref. Prennsteiner. 6. Verfassen der Formularien, Ref. Emprech tinger.
Die IV. steirische L.-L.-C. war am 5. September 1. J. in Graz versammelt.
Vorsitzender: L.-S.-I. J. A. Rofcek. Tagesordnung: 1. Wie lässt sich durch die Schule
die Erkenntnis auf landwirtschaftlichem Gebiete am wirksamster, fördern ? * Ref. Kanzian-
Gleichenberg. 2. Der heimatkundliche Unterricht in der Volksschule (dessen Aufgabe,
Materiale, Methodik)*, Ref. Seyfert-Graz. 3. Lehrgang bei der Behandlung des deutschen
Sprachfaches an Volksschulen mit slovenischer Unterrichtssprache, Ref. Cvathe-Luttenberg.
4. Worauf hat sich die belehrende Thätigkeit der Volksschule in Absicht auf die Gesund-
heitspflege zu erstrecken? Ref. Wladaf-Strass. 5. Hilfs- und Anschauungsmittel für den
naturkundlichen Unterricht auf der Oberstufe der Volksschule, Art und Weise ihrer Be-
nützung, Ref. Fellner-Graz.
Auf der Trgesordnung der IV. mährischen L.-L.-C. in Brünn, bei welcher
L.-S.-I. Dr. Nowak den Vorsitz führte, standen: I.Verhandlung, betreffend die bisherigen
Erfahrungen über die Schulbesuchserleichterungen.* 2. Verhandlung über die Hebung
des Turnunterrichts, mit besonderer Berücksichtigung des militärischen Turnens, Ref.
C. Kuczera. 3. Vortrag des B.-S.-I. Worel über die Lehrmittel für Naturgeschichte und
für die geometrische Formenlehre. 4. Die Errichtung von Fortbildungsschulen*, Ref.
Marschall-Brünn. 5. Der Unterricht in der Muttersprache und in der Orthographie, Ref.
Föhner-Olmütz. 6. Über den Gebrauch der Reliefkarten beim Schulunterricht, Ref. Czulik-
Brünn. — Zhanel-Schimnitz referierte wegen Verbotes der Theilnahme an Tanzunterhaltungen
seitens der Kinder. Mehrere Anträge wurden gestellt, u. a. von Pirnos: Die Landes-
lehrerconferenz möge sich durch ihren ständigen Ausschuss mit der Bitte an den hohen
k. k. Landesschulrath wenden , derselbe wolle beim hohen mährischen Landtage seinen
Einfluss dahin geltend machen, dass dieser endlich einmal die alljährlich sich wieder-
holenden und gewiss sehr begründeten Bitten der mährischen Lehrerschaft erhöre und
Jahrbuch d. Wiener päd. Ges. 1886. 8
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eine allgemeine und durchgreifende Regelung ihres Diensteinkommens vornehme, und
rechtzeitig, jedenfalls aber noch vor der nächsten Landtagssession, mit dem hohen Landes-
ausschusse in einen, die Gehaltsfrage fördernden Verkehr trete. Gleichzeitig spreche
die Landeslchrerconferenz ihre Überzeugung dahin aus, dass die ungünstige Besoldung
der mährischen Lehrer ganz besonders als Ursache des in Mähren immer fühlbarer
werdenden Lehrermangels angesehen werden müsse, und dass demselben nur durch eine
den Zeitverhältnissen angemessene Regelung des Diensteinkommens der mährischen Lehrer
gesteuert werden könne, da alle anderen zu diesem Zwecke angewendeten Mittel nur
einen zweifelhaften Wert haben. (Angenommen.)
*
Das Verhältnis der Lehrerschaft zur Fresse blieb auch heuer so unerquick-
lich wie im Vorjahre, nur mit dem Unterschiede, dass die Lehrer die nun einmal vor-
handene Lage wie ein unvermeidliches Übel milder beurtheilen oder fast unbeachtet
lassen. So oft die Lehrerschaft über irgend eine Frage von allgemeiner Bedeutung sich
zu äussern hatte, that sie dies offen und wahr, ohne nach rechts oder links zu schauen,
stand jedoch leider nur selten im Einklang mit den Machern der ,, öffentlichen Meinung"!
Liberale Wortführer und Zeitungen haben so und so oft ausgerufen, dass nur charakter-
volle Männer mit freier Stellung und selbständiger Meinung zur Erziehung berufen seien;
wenn aber diese Charakterfestigkeit, die freie Stellung und selbständige Meinung in
Widerspruch gerathen mit den wechselnden politischen Anschauungen der betreffenden
politischen Partei? Wir erlauben uns darauf hinzuweisen, dass gewisse gewünschte „freie"
Meinungsäusserungen schon unter der Herrschaft der Geistlichen gestattet waren. Im
Ernste aber sprechen wir mit unserem Heinrich Deinhardt: „Von den Lehrern, welche
der sogenannten öffentlichen Meinung niemals entgegenzutreten wagen, so wenig wie der
Meinung der Vorgesetzten, ist es am besten, zu schweigen." Es geht übrigens auch
zeitweilig eine schöne Phrase, ein gefälliges Wort für diese oder jene Lehrerinteressen
ins Land; solange indessen nicht vom ersten Leitartikel bis zur letzten Zeile des Tage s-
notizlers ein schulfreundlicher Geist waltet, so lange können wir auch die vereinzelten
Gefälligkeiten nur als Gratisinserate betrachten , die der Spender im eigenen Interesse
darzubieten die Gewogenheit hat. — In nächster Erinnerung sind uns die Stimmen über
den letzten Lehrertag oder die erste Hauptversammlung des deutsch-österreichischen
Lehrerbundes. Zwar haben die grösseren Journale über die Versammlung selbst in objec-
tiver Weise berichtet — die vom Ausschüsse angebotenen unentgeltlichen Berichte waren
zumeist vorweg abgewiesen worden — doch Hessen sich die ,,Ncue freie Presse", die
„Wiener allgemeine Zeitung", dann die „Morgenpost" etc. die Gelegenheit nicht ent-
wischen, wegen der Züchtigungsfrage das bekannte Lied in bekannter Weise zu blasen.
Und auch die „Wehrzeitung" gesellt sich in Bezug auf die Feindseligkeit gegen die Lehrer
zu den „grossen" Blättern, sie trifft ganz dieselbe Gegenwartsmusik und weiss ihre fach-
liche Stellung mit einem besonderen hautgoüt zu beurkunden, indem sie vorschlägt, die
Lehrer drei Jahre ins Heer zu stecken, damit sie lernen, Disciplin zu halten, damit sie
lernen, ohne Prügel eine musterhafte Disciplin zu erzielen. Die Disciplin in einem Heeres-
körper und die Disciplin in einer Schulclasse! Ist die Einsicht eines zwanzigjährigen
Jünglings gleich hoch mit der eines Kindes? Und gibt es beim Militär keine „körper-
lichen" Strafen mehr, kein „Krummschliessen" und „Anbinden"? — Auch die erste Rede
des neuen Unterrichtsministers ward zum Anlass, und zwar für notorische Regierungs-
organe („Presse", „Extrablatt"), die Lehrerschaft in verletzender Weise anzugreifen. Das
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„Vaterland" knüpft an den Erlass bezüglich der Schulerbibliotheken an und weint Thränen,
dass die böse Lehrerschaft in patriotischer, moralischer und religiöser Beziehung so wenig
erhoffen lasse! Auch die Verlegung des Schulanfanges von 8 auf 9 Uhr, welche von der
Lehrerschaft nicht befürwortet wurde, bot Gelegenheit zur Abkanzelung; hei, wie da das
„Extrablatt" und die „Wiener Communalzeitung" aus dem Häuschen geriethen! — An-
lasslich mehrerer abfälliger Berichte über die Wiener Bürgerschullehrer-Conferenz beschloss
der Verein „Bürgerschule" am 27. Mai 1. J., den Reportern einzelner, den Lehrern feind-
lich gesinnter Tagesjournale den Zutritt zu den Versammlungen zu versagen. Das Fach-
blatt „Bürgerschule" bemerkt hiezu u.a.: „Wir hielten es unter unserer Würde, auf das
Treiben, welches ... in den Extra- und allgemeinen Zeitungen wahrzunehmen war, zu
reagieren; dies umsomehr, als wir glauben, dass es ganz anderen Factoren zu-
kommt, die Entstellung officieller Verhandlungen, wie es die unter dem Vorsitze eines
k. k. Functionärs abgehaltenen Conferenzen doch ohne Zweifel sind, zu berichtigen." —
Von den Provinzblättern führen wir das „Prager Abendblatt" an, welches den
deutsch-böhmischen Landeslehrerverein und dessen Organ, die „Freie Schulzeitung", mit
den gehässigsten Angriffen bedachte; doch ward den unsauberen Verdächtigungen die
verdiente Abfertigung zutheil, auch viele Zweigvereine drückten in öffentlichen Kund-
gebungen ihre Entrüstung über das Verhalten des „Prager Abendblattes" aus und ver-
sicherten den Centralausschuss des L.-L.-V. und die Leitung der „Freien Schulzeitung"
ihres vollen Vertrauens. — Die Affaire mit dem „Prager Abendblatt" steht nicht ver-
einzelt da; mit Vorliebe sucht man gerade jene Institutionen und Personen anzugreifen,
welchen man den grössten Einfluss auf die Gesinnungen und EntSchliessungen in der
Lehrerwelt zumisst. Zu den ersteren gehören natürlich Vereine und Fachblätter; und
wie heuer die „Freie Schulzeitung", so war vor kurzem die „Zeitschrift des oberöster-
reichischen Lehrervereins" unter Wohlbach an der Reihe, und in jüngster Zeit — Dittes.
Allerdings hat das Pamphlet, welches Adolf Kolatschek durch den Keichardt'schen Verlag
in Leipzig in die Welt setzen Hess, die beabsichtigte Wirkung nicht hervorgebracht, aber
es gibt uns einen Einblick in die Schwierigkeiten, mit denen der erste Director des Wiener
Pädagogiums zu kämpfen hatte. Es wäre auch traurig und beschämend, wenn es nur
eines Zeitungsartikels oder einer Broschüre bedürfte, um das Vertrauen der Lehrerschaft
zu den Besten der Ihrigen zu erschüttern. Das müssten es die Lehrer ein für allemal
aufgeben, in ihren eigenen Augelegenheiten ein gewichtiges Wort reden zu wollen. Der
Verfasser der beregten Schrift ist übrigens dieselbe Persönlichkeit, die den Wiener Lehrern
die Wahlberechtigung mit der Begründung streitig zu machen suchte, dass nach germa-
nischem Staatsrechte den Unfreien (d. h. hier den Lehrern) kein Wahlrecht gebüre. Es
sei diesbezüglich eine Stelle eingefügt aus dem Berichte über die Generalversammlung
der Wr. pädagogischen Gesellschaft vom 15« October 1886, veröffentlicht durch Schrift-
führer Franz Steigl in den „Freien pädagogischen Blättern" Nr. 49: „Schliesslich will
ich (d. i. der Obmann, der den Rechenschaftsbericht erstattete) von den weiteren Ereig-
nissen des vergangenen Jahres, die unsere Gesellschaft mehr oder minder berührten, nur
noch das Erscheinen eines Buches von Ad. Kolatschek anführen, betitelt: ,Das Wiener
Pädagogium in den Jahren 1868 — 1881.' Der Ausschuss würde über dieses Werk mit
Stillschweigen hinweggehen können, wenn nicht in dem genannten Buche ein Artikel
unseres Jahrbuches über Dr. Dittes direct und die Mitglieder der Gesellschaft indirect
»»»gegriffen worden wären, da ja die Gesellschaft Herrn Dr. Dittes zu ihrem Ehren-
mitgliede ernannt hat. Der Ausschuss fühlt sich nicht bewogen, auf den Inhalt des unser
Ehrenmitglied bekämpfenden Buches weiter einzugehen, hält dagegen dafür, dass es
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angezeigt sei, auszusprechen, dass die Mitglieder der Wiener pädagogischen
Gesellschaft das Wirken des Dr. Dittes noch immer in derselben Weise
beurtheilen, wie zu der Zeit, da sie ihn zu ihrem Ehrenmitgliede ernann-
ten, und dass sie ebensowenig ihre Meinung über die Biographie im Jahr-
buche 1882 geändert haben. Ich bitte, dieser Erklärung Ihre Zustimmung geben
zu wollen und ohne Debatte darüber abzustimmen. (Wurde mit grossem Beifalle an-
genommen.)" — Gewisse politische Blätter vergassen natürlich des Kolatschek'schen
Buches nicht; zwar gehen jahraus jahrein viele, oft die herrlichsten Schöpfungen mensch-
lichen Geistes an solchen Blättern und ihren Recensenten spurlos vorUber, aber — sagen
diese — wer kann dafür, wenn das Pikante nicht herrlich ist! Welche Abfertigung dem
Autor des genannten „Werkes" in Fachzeitschriften („Freie pädagogische Blätter 4 ', „All-
gemeine Deutsche Lehrerzeitung", „Pädagogische Zeitung" in Berlin, „Frankfurter Schul-
zeitung", „Neue badische Schulzeitung" u. a.) zutheil geworden, sei hier nicht weiter
ausgeführt. — Auch das Blatt „Mittelstrasse", Organ, des gleichnamigen Bauernvereins
in Niederösterreich, hält es für nöthig, auf die Lehrer loszudreschen (Juli-Nummer). Es
wird gut sein, die fortschrittlichen Landwirte gelegentlich aufmerksam zu machen, dass
es noch andere und gediegenere Blätter gibt, die bäuerliche Interessen vertreten (z. B.
der „Deutsche Landwirt" in Leitmeritz, B.), und dass ein Zurückgreifen auf die alten
Schulverhältnisse in erster Linie die Bauern selbst in der empfindlichsten Weise schädigen
müsste. — Eine ungeahnte Wirkung erzielte das clericale „Vorarlberger Volksblatt"
mit einem ähnlichen Schauerartikel. Es hatte nämlich der „Bludenzer Anzeiger" Uber
die 33. Hauptversammlung des Vorarlberger Lehrervereins berichtet, die Tendenzen und
die Thätigkeit des Vereins lobend anerkannt und den Wunsch auf ferneres Gedeihen
mit „Das walte Gott!" geschlossen. Diesen Ausdruck an solcher Stelle zu gebrauchen,
brandmarkte das „Volksblatt" als eine „Gotteslästerung" etc. Die Wirkung blieb nicht aus :
der Verein erhielt sofort aus Bludenz 27 neue beitragende Mitglieder angemeldet! — Noch
gedenken wir der „Heimat", die ihrer ersten Taktlosigkeit eine zweite angereiht, indem
sie in Nr. 50 eine Illustration „Ein österreichischer Dorfschullehrer" mit einer wenig
schmeichelhaften Erläuterung brachte. Neben diesem „Familienblatt" hat auch das
„Daheim" in Nr. 42 die deutschen Volksschullehrer herabgewürdigt. Die Lehrerschaft
weiss, was sie mit solchen Familienblattern zu thun hat!*) — Für die materiellen Be-
strebungen der Lehrerschaft hat sich nur die „Deutsche Zeitung" einmal in einer Notiz
eingesetzt, die übrigen Blätter nicht. Auch bei anderen Gelegenheiten schwiegen die
Zeitungen, wie z. B. beim Erscheinen so mancher tief einschneidenden ministeriellen
Erlässe. Doch wir brechen ab. Die österr. Lehrerschaft wird es im Gedächtnisse be-
halten, wer sie wiederholt angegriffen hat und in welcher Art dies geschehen ist. —
Im Budgetausschusse des Abgeordnetenhauses erhob der ehemalige Unterrichts-
minister, Abg. Jireczek, Anklagen gegen die Mittelschulprofessoren, welche er unverblümt
der Bestechlichkeit beschuldigte. Diese allgemeinen Beschuldigungen erregten einen
Sturm von Unwillen und Entrüstung; die im n.-ö. Landesschulrath aus diesem Anlasse
eingelangten Verwahrungen wurden von diesem an das h. U.-M. geleitet mit dem Beisatze,
dass die von den Mittelschullehrern ausgesprochenen Wünsche die vollste Berücksich-
tigung verdienen, da das strenge Ehrgefühl des Lehrstandes sich in glänzender Weise
manifestiert habe.
*) Wir halten es an gar keiner Stelle für ungehörig, unsern P. K. Rosegger und
seine Monatsschrift „Hei mg arten 41 bestens zu empfehlen. Jährlich 3 fl. 60 kr.
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Die Fehde, welche seit Jahren zwischen den Anhängern und den Gegnern der
Herbart -Ziller' sehen Schule zur offenen Entfaltung gelangt ist, hat eine solche
Steigerung erfahren, dass es bereits schwer fällt, die Grenzen der sachlichen und der
persönlichen Erörterungen festzuhalten. Es ist nicht gut, alles zu wiederholen, was die
eine Partei der anderen angethan; wer aber auf die allgemeinen Verhältnisse der Volks-
schule zu achten hat, der wird hievon die besonderen Bedürfnisse bei der Gelehrten-
oder Prinzenerziehung scheiden. Die Methodik wird doch immer nur durch die Praxis
genährt, d. h. von den Praktikern ausgeübt, und die sichere Unterlage, die diese ihrer
Thatigkeit zu geben suchen, finden sie nicht in philosophischen Streitigkeiten. Er-
klärlich, dass sich die Lehrer an jene Männer anschliessen, die, aus der Volksschule
hervorgegangen, diese emporgehoben und getragen haben, nicht aber an jene, die über
sie spotten. Für eine grosse Zahl der Lehrer haben sich übrigens Dr. W. Rein, A. Pickel
und E. Scheller ein wirkliches Verdienst erworben dadurch, dass sie in ihren „Schul-
jahren" (Theorie und Praxis des Volksschulunterrichts nach Herban'schen Grundsätzen)
gezeigt haben, wie die „wissenschaftliche" Pädagogik ihre Lehren in die Praxis umzu-
setzen gedenkt; abgesehen von der confessionellen Ausprägung lässt dieses Werk ersehen,
welcher Wert oder Unwert der Sache zukommt, inwieweit das bisherige Unterrichtsverfahren
mit dem der „Wissenschaftlichen" übereinstimmt oder nicht, was daran neu ist oder alt, was
selbstverständlich, was möglich und was unmöglich ist. Auf die gegnerischen Äusserungen
von Dr. Dittes (im „Pädagogium"), Dr. Bartels (Die Anwendbarkeit der Herbart-Ziller-
Stoy'schen didaktischen Grundsätze), Dr. Wesendonck (Die Schule Herbart-Ziller und ihre
Jünger vor dem Forum der Kritik) u. a. können wir an dieser Stelle nicht weiter eingehen.
Das berufstreue Wirken der Lehrerschaft hat auch schöne äussere Erfolge zu ver-
zeichnen. Welche Opfer an Zeit und Mühe die Lehrer über ihre amtliche Verpflichtung
hinaus den Schulinteressen zuwenden, erhellt aus dem regen Vereinsleben, ganz beson-
ders aber aus den Verhandlungsgegenständen, dann aus dem Ernst und der Gründlich-
keit, mit der die Debatten geführt werden ; die beiden folgenden Abhandlungen , über
das Vereinswesen und die Thesen-Sammlung, bringen hiefür vollwichtige Belege. — Eine
Ehrung des ganzen Standes erblicken wir in der Berufung des Volksschullehrers Johann
Krainz in Eisenerz zur Mitwirkung an dem Werke Sr. kaiserlichen und königlichen
Hoheit, des Kronprinzen: „Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort
und Bild." Krainz wird darin das Capitel „Volkskunde" bearbeiten. — Der ungarische
Unterrichtsminister Trefort lässt ein statistisches Werk zusammenstellen, welches die
literarische Thatigkeit der gesammten Lehrerschaft des Landes (Hoch-, Mittel- und Volks-
schulen) darlegen soll. — Eine grosse Anzahl von Lehrern wurde durch das Vertrauen
ihrer Mitbürger in communale Vertretungskörper berufen. — Bei den im vergangenen
Jahre stattgehabten Ausstellungen errangen auch Mitglieder der österreichischen Lehrer-
schaft einen Siegespreis ; wir nennen die Weltausstellung zu Antwerpen, die Gewerbe-,
Industrie- und landwirtschaftliche Ausstellung in Kaaden, die omithologische Ausstellung
in Wien, die Bienenausstellung in Kaaden, die Obst-, Blumen- und Gemüseausstellung
in Horn.
Von Bedeutung ist auch die schriftstellerische Thätigkeit der Lehrerschaft.
Eine grosse Zahl didaktischer Werke und ungezählte Beitrage in den Fachblättern stammen
aus Lehrerkreisen. Ganz besonders müssen wir hier auf das Feld der Erziehung und
der Erziehungsschriften weisen, wofür nicht jeder Journalist den „Befähigungsnachweis"
zu erbringen vermag; hier ist der Lehrer heimatberechtigt. „Österreichs
deutsche Jugend", herausgegeben vom deutschen Landeslehrerverein in Böhmen
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(Reichenberg, jährlich 2 fl. 40 kr., redigiert von F. Rudolf), und die für die Erwachsenen
berechnete Erziehungszeitschrift ,, Schule und Haus", herausgegeben von den städt.
Übungsschullehrern Jos. Eichler und Ed. Jordan (Wien, III. Bezirk, Beatrixgasse 28,
jährlich 2 fl. ö. W.) bieten in ihrer vorzüglichen Durchführung glanzende Belege für
unsere Behauptung. Kein Lehrer sollte unterlassen, seine diesbezüglichen Erfahrungen
oder Productionen nach der einen oder anderen Richtung hin zu verwerten, d.h. durch
die genannten Schriften der Öffentlichkeit zukommen zu lassen.
Hieher zu zählen sind die zumeist von Lehrervereinen oder über Anregung der-
selben herausgegebenen Heimats- oder Bezirkskunden; die betreffenden Karten hiezu
liefert bekanntlich das militär-geographische Institut zu Wien. Von den jüngsten Be-
arbeitungen sind zu nennen die der Bezirke Rumburg, Teplitz, Taus; andere sind in
Vorbereitung, so Leitmeritz, Aussig. Der o.-ö. Lehrerverein wird eine Landeskunde von
Oberösterreich erscheinen lassen.
Wohlwollend klingen die Worte des preussischen Unterrichtsministers v. Gossler,
die derselbe im Abgeordnetenhause äusserte : „Ich habe oft ausgesprochen, dass mir die
Volksschule der liebste Theil meines Ressorts ist. Kein Stand hat mehr die Kraft in
sich, allen berechtigten und unberechtigten Angriffen zu widerstehen, kein Stand ist
pflichteifriger in der Erfüllung seines Berufes als der Lehrerstand, und keiner findet mehr
Befriedigung in der Ausübung seines Berufes selbst. Meine Stellung zur Volksschule
und zu ihren Lehrern ist bekannt, sie ist nach wie vor dieselbe sympathische." —
Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur Ein Schritt. Den Elementarlehrern des
Fürstenthumes Reuss-Greiz ist verboten worden, in öffentlichen Localen Seat zu spielen;
ferner sollen sie auch nicht mehr an öffentlichen Tänzen theilnehmen. In Spandau wurde
einem Lehrer ein Jagdschein ausgestellt, nachdem derselbe in der Handhabung der
Schusswaffe von der Polizei geprüft und seine Schule durch den Kreisschulinspector
revidiert worden war; doch wurde die Einschränkung gemacht, dass die Ausübung der
Jagd nur in den Ferien und dann auch nicht am Orte der amtlichen Wirksamkeit ge-
stattet sei. • —
Die Aufführung der Theaterstückchen „Die Schulprüfung zu Schlemmeritz" und
„Das Abenteuer zweier Schulmeister" wurde wegen der in den beiden „dramatischen
Werken" enthaltenen Schmähungen gegen den Lehrstand verboten in — Hanau. — Die
unpassenden „Conferenzarbeiten" wurden in Mähren abgeschafft.
Die in Lehrerkreisen wiederholt und unter Kundgebung verschiedener Meinungen
behandelte Militärfrage (Einjährig-Freiwilligen-Dienst) hat durch das h. k. k. Reichs-
Kriegsministerium eine vorläufige Erledigung gefunden. Dasselbe hat nämlich auf das
bezügliche Ansuchen des n.-ö. Landeslehrervereins erwidert, dass es nicht in der Lage
ist, sich für die Gleich Stellung der Lehrerbildungsanstalten mit den Mittelschulen aus-
zusprechen (Gründe: Die Lehrer würden durch den Präsenzdienst ihrem eigentlichen
Berufe entrückt, auch würden bei dem Umstände, dass nicht ein jeder Lehrer Einjährig-
Freiwilliger werde, für eine und dieselbe Kategorie Wehrpflichtiger verschiedene Be-
günstigungen geschaffen), und dass Lehrer und Lehramtscandidaten zur Ablegung der
Reserveofficiersprüfung nicht zugelassen werden können, weil nach der Beförderungs-
vorschrift eine mindestens einjährige active Dienstleistung erforderlich ist. Trotz dieser
ablehnenden Haltung müssen die Lehrer auf ihrer Forderung beharren und zwar im
Interesse des Standes. Mit der Zeit werden sich die Meinungen schon klären, wenn nur
genügend viele Lehrer aus eigener Erfahrung zu der Sache sprechen können; dann wird
man auch dem Beschluss des deutsch-pädagogischen Vereins in Prag zustimmen, der
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zugunsten des Einjährig-Freiwilligen-Rechtes die Verzichtleistung auf die durch § 27 des
Wehrgesetzes gewährte Begünstigung ausspricht. In Bayern ist der Einjährig- Freiwilligen
Dienst den Lehrern gestattet, ohne dass die Bestimmungen der Wehrordnung, wonach
Volksschullehrer und Candidaten des Volksschulamtes nach kürzerer Übung in den Waffen
zur Reserve beurlaubt werden können, hiedurch abgeändert worden ist.
Ein anderes Recht, das neuerlich vom Grazer Lehrerverein gefordert wurde, sucht
die Lehrerschaft zu erlangen, das Recht, auch im Landesschulrathe einen Ver-
treter aus dem Kreise der Elementarlehrer zu besitzen, ferner, dass bei Besetzung von
Hauptlehrerstellen an den Lehrerbildungsanstalten auch auf tüchtige Volks- und Bürger-
schullehrer Rücksicht genommen werde.
Die nationalen Strömungen bewirken im ganzen Reiche ein fortwährendes
Anwachsen der nationalen Sprachen auf Kosten der deutschen, die früher unbestritten
als Staatssprache galt, ferner ein Eindringen der Landessprachen in den höheren Unter-
richt. Die „Sprachenverordnungen" haben in neuerer Zeit namentlich in Böhmen, Mähren
und Schlesien, dann in den slovenischen Landestheilen manche folgenschwere Umgestaltung
nach sich gezogen. Galizien ist bekanntlich auch in Bezug auf sein Schulwesen autonom,
daher die polnische Unterrichtssprache die deutsche, wo eine solche bestanden, zurück-
gedrängt hat, wie dies im Osten des Landes mit der ruthenischen geschehen ist.
Infolge der nationalen Kämpfe hat auch die Lehrerschaft harte Anfechtungen zu
erleiden. Aber nicht das Publicum allein hasst mit der fremdsprachigen Schule den
fremdsprachigen Lehrer, sondern es tritt nicht selten die äusserst betrübende Thatsache
auf, dass aus den eigenen Berufskreisen heraus der Kampf sich Nahrung holt. Als einen
bezeichnenden Einzelnfall heben wir heraus die in einer Broschüre des Katecheten an
der deutschen Schule zu Budweis gegen die deutschen Lehrer erhobenen Beschuldigungen ;
der dortige pädagogische Verein hat dieselben kräftig zurückgewiesen. Von den traurigen
Verhältnissen, unter denen die Lehrer an den Sprachgrenzen zu wirken haben, lässt sich
nicht leicht ein auch nur annähernd richtiges Bild entwerfen.
Der in Kärnten ausgebrochene Zwiespalt zwischen Stadt- und Landlehrern,
der die Auflösung des Landeslehrervereines im Gefolge hatte, lässt die Gefahr erkennen,
welche der Lehrerschaft droht, falls sie diese Trennung weiterschreiten liesse. Die
Lehrer, die so brüderlich zusammengehalten, als es sich um Abweisung der Suess'schen
Vorschläge bezüglich der zweifachen Lehrbefähigung (für Stadt- und für Landschulen)
handelte, werden hoffentlich zu vermeiden wissen, was einer solchen, von gewisser Seite
— divide et impera! — so sehnlich herbeigewünschten Theilung in die Hände arbeiten
könnte. Eine grosse Aufgabe fällt in dieser Beziehung den Fachblättern zu, die bei auf-
tauchenden Differenzen beruhigend, aufklärend oder vermittelnd eingreifen sollten. —
Ein Wort Vernalekens, das dieser im abgelaufenen Jahre bei einer Jubiläumsfeier
ehemaligen Schülern zurief, mag hier am Platze sein : „Geistige Regsamkeit und collegialer
Sinn ist unserem Stande doppelt noth wendig. Ich freue mich immer, wenn ich bei
österreichischen Officieren das kameradschaftliche Verhältnis selbst bei verschiedenen
Graden wahrnehme, wogegen die Zerfahrenheit und kleinliche Rechthaberei in manchen
Lehrerkreisen oft beklagt wird." — Beachtenswert ist auch eine Anregung, welche Rector
Langner in einem Breslauer Lehrervereine gab. Er rieth die Einsetzung eines aus Rectoren
und Lehrern gebildeten Ehrenrathes an, da es höchst bedauerlich und beklagenswert
sei, wenn zuweilen wichtige Differenzen zwischen Collegen oder zwischen Lehrern und
Leitern entstehen und ohne jeden Versuch einer gütlichen Beilegung sogleich der Be-
hörde amtlich zur Kenntnis gebracht werden.
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Ein Erlass des böhmischen Landesschulrathes warnt unter nachdrücklichem Hin-
weis auf § 54 der Schu lgese tz -N o vell e davor, dass in den Lehrerkreisen beim
Auftreten in der Öffentlichkeit sich ein Bestreben geltend mache, welches leicht
geeignet wäre, die Lehrpersonen ihrem eigentlichen Berufe zu entfremden und die Inter-
essen der Schule, sowie das Ansehen des Lehrerstandes zu schädigen. — Der Anspruch
auf die Dienstalterszulage ist in allen Kronländern von dem „entsprechenden Erfolge"
abhängig; hierüber entscheiden nach dem Ausspruch des Unterrichtsministers und des
Verwaltungsgerichtshofes die Schulbehörden nach freiem Ermessen.
Die serbischen Lehrer wurden vom Uuterrichtsminister aufgefordert, sich aller
politischen Agitationen, durch welche sie ihrer eigentlichen Aufgabe entzogen werden
(kein ungewöhnlicher Ausdruck mehr!), zu enthalten.
Der Lehrermangel ist in allen Provinzen im Zunehmen begriffen. Im Jahre 1880
belief sich die Zahl der Lehramtszöglinge auf 11 997, 1881 auf 9953, i885 auf 6188.
An der deutschen L.-B.-A. in Brünn ist die Zahl der Zöglinge seit 10 Jahren von 220
auf 68 gesunken. Ganz natürlich; wer wollte sich zu einem Stande drängen, der so
Uberreich mit Ptlichten und so karg mit Rechten bedacht ist! Da ist es nun freiüch
erklärlich, warum Schulbehörden, wie z. B. der mährische Landesschulrath, auf die stärkere
Frequenz der Lehrerbildungsanstalten durch eigene Erlässe hinzuwirken streben; aber
wer könnte es auf sich nehmen, unter den heutigen Verhältnissen und Aussichten einen
Vater aufzumuntern, seinem Sohne diese „Laufbahn" zu empfehlen?
Die Ertheilung von Privatunterricht ist in Berlin amtlich geregelt worden; in
Zukunft darf niemand Privatunterricht erlheilen, der hiezu nicht die behördliche Ge-
nehmigung erhalten hat.
Die Lösung der Lehrerinnenfrage kann durch solche Vorfälle, wie der in
Turnau, wo der B.-S.-R. für einen Directorposten ein 24jähriges Fräulein präsentierte,
das kaum 5 Jahre im Schuldienste thätig war, während an derselben Anstalt wirkende
Fachlehrer mit 16 und 19 Dienstjahren zurückgestellt wurden, nur erschwert werden. Es
scheinen da an manchen Orten ganz eigene Verhältnisse obzuwalten.
Die städtischen Behörden in Nordhauseu beschlossen, in Zukunft von der An-
stellung weiblicher Lehrkräfte möglichst abzusehen, da gerade die eifrigsten und tüch-
tigsten Lehrerinnen von frühzeitigem Siechthum und baldiger Pensionierung betroffen
werden; damit wolle man aber ihre sonstige vorzügliche Verwendbarkeit im Mädchen-
pensionate, in der Familie und im Kindergarten durchaus nicht bestreiten.
Das neue französische Schulgesetz enthält die Bestimmung, dass der Elementar-
unterricht ausschliesslich von weltlichen Lehrern ertheilt werden soll.
Aus Preussen liegt die Nachricht vor, dass das U.-M. beabsichtigt, Privatanstalten
für die Vorbildung von Lehrerinnen, „für welche ein Bedürfnis und eine Garantie ihres
Fortbestehens nicht mehr vorhanden ist", die Berechtigung, Entlassungsprüfungen zu
halten, nicht mehr zu ertheilen. — Von Seite der Berliner Lehrerinnen wird dahin
gewirkt, dass jede Lehrerin, die Unterricht ertheilen will, nicht nur den Befähigungs-
nachweis, sondern auch den Nachweis der Dürftigkeit führen muss, damit nicht fernerhin,
wie dies bis jetzt geschah, vermögende und wohlhabende junge Damen nur zum Ver-
gnügen oder als Mittel zur Erlangung eines Nadelgeldes Unterricht ertheilen und die
Preise für die Unterrichtsstunden hcrabdrücken.
* *
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Für die Sache des Fortbildungsschulwesens hat sich heuer im deutschen
Theile Böhmens eine lebhafte Bewegung geäussert, die auch vom Centraiausschusse des
deutschen L.-L.-V. in Böhmen nach der Richtung hin unterstützt wurde, dass er den
Zweigvereinen angelegentlich empfahl, diese Frage zu studieren.
Die Agitation hat bereits weite Kreise gezogen, besonders sind die am n. Aprl
in Kaaden aufgestellten 7 „Grundsätze für das Fortbildungschulwesen auf dem Lande" *
geeignet, den Ausgangspunkt diesbezüglicher Berathungen zu bilden. Die „Freie Schul-
zeitung" veröffentlicht auch S. 317 eine von Grumbach zusammengestellte Liste von
25 literarischen Werken, die sich mit diesem Gegenstande befassen. — In Oberöster-
reich nehmen die Bestrebungen zur Einführung der obligaten Fortbildungsschule ihren
ungehinderten Fortgang. Der von bewährten Freunden des Fortschrittes veranstaltete
3. o.-ö. Volksbildungstag zu Ried fordert neuerdings den obligaten Fortbildungs-
unterricht bis zum 17. Lebensjahre im Anschluss an eine wenigstens siebenjährige Schul-
pflicht. (In Sachsen hat sich die obligatorische Fortbildungsschule so fest eingebürgert,
wie die achtjährige Schulpflicht, an der zu rütteln niemand wagen darf.) Auch der
deutsch-österreichische Bauern tag, der am 20. März zu Wien im Sophiensaale
abgehalten wurde (mehr als 3000 Landwirte aus allen deutschen Gauen Österreichs),
sprach sich für eine zweckentsprechende Einführung von landwirtschaftlichen Fortbil-
dungsschulen aus. Wenn auf solche Weise das Wort Dr. Dittes : „Aus dem Volke
selbst heraus, durch unabhängige Bauern und Bürger muss der Anstoss zur Einführung
der obligatorischen Fortbildungsschule heute gegeben werden" in Erfüllung geht, dann
darf man einem endlichen Gelingen hoffnungsfreudig entgegensehen.
Zu den Volksbildungsmitteln gehören auch die sogenannten „Bauernabende".
Von mehreren Seiten wird darauf aufmerksam gemacht, dass es sich für die Veranstalter
empfiehlt, immer einige unterhaltende Erzählungen in Reserve zu halten, desgleichen Lieder,
besonders Volkslieder, bei denen das Publicum als Chor mitsingen kann. Roseggers
„Heimgarten" bietet für Erzählungen in Prosa und Poesie eine unerschöpfliche Fund-
grube. Die Bildungsabende müssen, wie Schlinkert sagt, volksthümliche Erholungs-
stunden werden, sie müssen den Landleuten zugleich Theater, Concerte etc. ersetzen. —
Das „Provinz-Schulblatt" fordert für Orte mit namhafter Arbeiterbevölkerung Arbeiter-
abende analog den Bauernabenden. Auch eine Cenlralisierung aller auf das Volks-
bildungswesen gerichteten Bestrebungen wurde von Grumbach in der „Fr. Sch.-Z." be-
antragt und hiefür die „Gesellschaft zur Verbreitung von Volksbildung" in Berlin, die
aus einer grossen Zahl verschiedenartiger Bildungsvereine besteht, als Vorbild auf-
gestellt. —
Die Frage des Handfertigkeitsunterrichtes wurde namentlich in den Lehrer-
vereinen lebhaft berathen, begegnete aber verschiedenen Ansichten, so dass eine Ent-
scheidung in der gegenwärtigen Zett als verfrüht bezeichnet werden müsste. — Neben
den drei Handwerkerschulen in Jaromierz, Kladno und Imst sollen, wie der U.-M.
ankündigte, noch eine ganze Reibe derselben errichtet werden, so in Eger, Linz, Iglau,
Klagenfurt, Jungbunzlau, Wollin, Kolin und Kuttenberg. Die Besorgnis, dass in kleineren
Städten die älteren „Bürgerschulen" durch die Handwerkerschulen verdrängt werden,
liegt sehr nahe. — Die kroatische Landesregierung ordnete in Ausführung des § 80 des
neuen Gewerbegesetzes an, dass jede Gemeinde, in welcher sich mehr als 50 Lehrlinge
befinden und in der für dieselben keine besondere Schule besteht, durch Errichtung eines
eigenen Lehrcurses zu sorgen habe. Diese Anstalten sollen zwei Abtheilungen haben,
die erste mit einer, die zweite mit drei Classen. — In Kroatien wurden sieben
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Holzschnitzereischulen und zehn Korbflechtschulen eröffnet; die Lehrer hiezu
wurden aus Wien und VSetin in Mähren berufen.
Der Verein „Bürgerschule" richtete eine Petition an das Abgeordnetenhaus um
Schaffung eines Gesetzesparagraphen, der aussprechen solle: „Alle Stellungspflichtigen,
welche die drei Classen einer öffentlichen Bürgerschule mit gutem Erfolge absolviert
und eine gute Note aus dem Turnen haben, werden, unbeschadet ihrer weiteren Militär-
dienstzeit , nur zu einem zweijährigen Präsenzdienste herangezogen." In Betreff des
militärischen Turnens verzeichnet Mohaupt in der „Fr. Sch.-Z." (Nr. 26 ex 1885
und Nr. 28 ex 1886) die für oder gegen dasselbe gerichteten Beschlüsse der Lehrer-
vereine. — Die „Schülerbataillone" in Frankreich sind in Auflösung begriffen;
die in dieser Beziehung gemachten Erfahrungen dürften auch in anderen Ländern Be-
achtung finden. —
Zum Zwecke der billigen Beschaffung von Lehrmitteln bat man in Böhmen an
mehreren Orten „Lehrmittelsammelstellen" ins Leben gerufen; auch wurde in
Vorschlag gebracht, solche Stellen im Anschluss an die Lehrervereine zu errichten.
(Grurnbach-Grasengrün vertritt in der Fr. Sch.-Z. Nr. 13 die Errichtung von Dorf-
museen, Lange-Fürstenfeld in No. 19 von Bezirksmuseen.) Lehrmittel verabfolgen
umsonst: Die k. k. Bergwerksdirectionen in Idria, Pribram, Schwaz etc.; die k. k.
Salinenverwaltung Hallstadt (die genannten Stellen meist nur für Mittelschulen); Herr
Michael Junger, k. k. Bergwerksbeamter in Klausen, Tirol (Mineralien) ; die k. k. General-
direction für österreichische Staatseisenbahnen (ausgemusterte galvanische Elemente, so-
weit eben vorräthig); die geologische Reichsanstalt in Wien; das Museum Francisco-
Carolinum in Linz ; die Firma Kuhn & Comp, in Wien, Stephansplatz (Herstellung der
Stahlfedern), das fürstlich Salmsche Eisenwerk zu Blansko; der Stadtrath von Karlsbad
(Sprudelsteine etc. an deutsche Mittel-, Fach- und Bürgerschulen); die Lehrmittel-
sammelstelle Schlackenwerth (die Porzellanerzeugung). Der Landes - Obstbaumverein
in N.-Ö. stellt den Schulgärten Edelreiser, Beeren, Pflanzen und Sträucher unentgeltlich
zur Verfügung , Wildlinge , Obstbäume etc. um den halben Kostenpreis. Die Samen-
controlstation der k. k. Landwirtschaftsgesellschaft in Wien (I. Bezirk, Singerstrasse 2),
dann die Controlstation zu Kaaden (Ackerbauschule) mögen für den Schulgarten hier
angemerkt sein. Die Firma Ignaz Mayer in Wien (I., Augustinerstrasse 8) gibt Samen-
sortiments (zus. 89 Sorten) an Schulgärten ab um den geringen Preis von 4 fl. Der
botanische Schulgarten in Berlin lieferte im vorigen Sommer an 150 Gemeindeschulen,
28 höhere Lehranstalten und 16 Privatschulen etwa 6 Millionen Pflanzenexemplare, und
zwar wöchentlich durchschnittlich 368 Pakete zu circa 150 Exemplaren mit durch-
schnittlich 6 Arten. (Siehe den Vortrag Dr. C. Rothe's S. 62.)
Die von Ed. Jordan in Wien angeregte Idee der Bilderfibel für die Hand der
Kinder (ausgeführt auf Grund der Hölzel'schen Wandbilder für den Anschauungs- und
Sprechunterricht — siehe Vortrag V, Seite 50) fand sowohl in Wien , wie auch an
anderen Orten Freunde und Gegner. In Wien, wo der Gedanke in mehreren Vereinen
lebhafter Sympathie begegnete, wurde der Gegenstand von Amtswegen auf die Tages-
ordnung der Bezirksconferenzen gesetzt, die in der Überzahl ablehnend stimmten. Ebenso
meldeten die Fachblätter von auswärts Meinungsäusserungen für und gegen das neue
Lehrmittel, so dass derzeit ein endgiltiges Unheil der Lehrerschaft nicht verzeichnet
werden kann. (Siehe den Vortrag „Über Anschauungsunterricht" von Ed. Jordan im
„Pädagogischen Jahrbuche 1883".)
Eine neue Rechenmaschine wurde von Lehrer Potucek in Smichow (bei Prag)
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— mit 20 Kugeln — zusammengesetzt ; ein M.-E. vom 1. Mai 18S5 gestattet dessen
Verwendung in der Schule.
Als Ersatz Tür Schiefertafeln, hölzerne Schulwandtafeln etc. liefert Adolf Oidtmann
in Linnich Glas tafeln aus Gussglas; diese neuen Tafeln sollen viele Vorzüge vor den
alten haben und für alle in Anwendung befindlichen Schreib- und Zeichenmaterialien
verwendbar sein.
Der internationale hygienische Congress in Genf hat die Obliegenheiten der Schul-
ärzte, für deren Einführung in neuester Zeit gewirkt wird, festgesetzt. Einige der auf-
gestellten Punkte, z. B. bezüglich der ansteckenden Krankheiten, sind bereits geregelt;
andere können auch von Nichtärzten ausgeführt werden, z. B. zu erweisen, dass die
Schülerzahl zu gross, die Bänke zu niedrig, die Beleuchtung ungenügend, die Beheizung
nicht entsprechend sei etc.; wieder andere endlich, wie z. B. die Messung der Kinder,
dürften für die Sache belanglos sein. Wenn aber auf das Gutachten des Schularztes
hin alle Mängel und Fehler beseitigt werden, so können wir nicht dringend genug die
Einsetzung der Schulärzte befürworten.
In hygienischer Richtung bildet ein in Genf errichtetes grosses Schulhaus mit nur
Parterreräumlichkeiten einen auffälligen Gegensatz zu den drei- und vierstöckigen Schul-
kasernen Wiens. — In Berlin wurden die Schulrectoren ermächtigt, den Unterricht von
Ii Uhr an zu erlassen, wenn das Thermometer um 10 Uhr im Schatten 25O C. zeigt.
Der Wiener Gemeinderath richtete eine Eingabe gleichen Inhaltes an das hohe U.-M.
Die Schulbäder in Göttingen — der Gedanke stammt nach dem „Hannov. Volks-
schulboten" von dem dortigen Bürgermeister Merkel — finden Nachahmung; äusserst
bedenklich erscheint uns aber die Einrichtung, dass während der Unterrichtszeit gebadet
wird. Eine von Berlin entsendete Deputation prüfte die Göttinger Einrichtungen und
fällte ein so günstiges Unheil, dass an drei Berliner Doppelschulen Bäder eingerichtet
wurden. Magdeburg wird die neu zu erbauenden Volksschulen mit Brausebädern ver-
sehen. — An den Mädchenschulen der Stadt Brüssel wurde der theoretische Unter«
rieht im Kochen, Waschen, Bleichen, Laugen und Plätten eingeführt. — In Berlin
wurden vier grosse öffentliche Spielplätze eingerichtet, wo die Knaben unter Aufsicht
von Lehrern spielen sollen; die Knaben wollen aber nicht beaufsichtigt sein und spielen
— an anderen Orten. Auch Hamburg will Spielplätze herstellen. — In München wurde
der Versuch gemacht, an einzelnen Schulen Eisbahnen für ärmere Schüler zu errichten;
man hofft dadurch allerlei Strassenunfug zu verhüten. Wie weit durch derartige Ein-
führungen die Grenzen zwischen der häuslichen und der Schulerziehung verrückt werden,
lässt sich vorderhand nicht sagen; dass aber unsere Schulen sich von den altgriechischen
Gymnasien wesentlich unterscheiden, dürfte niemand bezweifeln.
Hie und da liest man von einem Verbote der Kinde rbällc — Jean Paul nennt
sie den Vorreigen tum Todtentanze — sowie des Besuches öffentlicher Tanzmusiken durch
schulpflichtige Kinder und Lehrlinge und von der dem Lehrer auferlegten Pflicht, mit
allen Erziehungsmitteln in dem genannten Sinne zu wirken. Nicht die Kinder sind zu
bestrafen, sondern die Eltern, die ihnen die Theilnahme an solchen Vergnügungen ge-
statten, und darum fällt dieser Gegenstand in die Machtbefugnis der Polizei! — In
St. Pölten wurde die Verwendung schulpflichtiger Kinder als Treiber bei Jagden amtlich
verboten und gleichzeitig ein Strafsatz von I— 100 fl. aufgestellt. — Das Tabakrauchen
wurde allen Personen unter 17 Jahren bei Strafe von 1—9 Mark verboten in — Ober-
*
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labnstein. — In Berlin wurde die Verwendung von Kindern auf der Bühne im Interesse
der Ausbildung derselben eingeschränkt.
Rechtsanwalt Dr. Ponfick, Vorstandsmitglied des Pestalozzi-, des Gefängnis- und
des Armenvereins zu Frankfurt a. M., erklärt dieFeriencolonien für arme kränk-
liche Kinder als einen socialen Schaden (Fr. päd. Bl. Nr. i, 20. Jahrg.), empfiehlt
dagegen die Gründung von Arbeiterheimen, Kinderheimen, Übergabe von verwahrlosten
Zöglingen an gesellschaftlich gleichstehende, aber einen geregelten Haushalt führende
Familien, endlich Hospitäler, Erholungsanstalten und Bäderasyle für wirklich kranke
Kinder. — Suppenanstalten zur Verabreichung einer warmen Speise an die über
Mittag im Schulhause verbleibenden Kinder sind neuerdings an vielen Orten, meist im
Gebirgslande, eingeführt worden.
Die in Bayern seit circa 30 Jahren bestehende siebenjährige Schulpflicht sollte nach
einem Beschluss der Abgeordnetenkammer gegen eine sechsjährige vertauscht werden;
die Kammer der Reichsräthe jedoch versagte die Zustimmung.
Die im sächsischen Landtage beantragte Abschaffung des Schulgeldes an den
Volksschulen des Landes wurde verworfen; der Cultusminister hatte sich wegen der in
der Neuerung liegenden socialistischen Tendenz (?) dagegen ausgesprochen.
In Belgien wurden seit dem 20. September 1884, dem Tage, da das clericale
Schulgesetz Geltung hat, 3316 Lehrer mit Gehaltsverminderung bedacht; 880 Lehrkräfte
wurden einfach ihrer Stellen enthoben und mit einer geringfügigen Wartegebür abge-
fertigt. Von 1933 Primarschulen wurden 877 gänzlich aufgehoben, 228 Kindergärten
und 1079 Fortbildungsschulen schonungslos unterdruckt, andererseits 1465 Klosterschulen
als öffentliche Schulen erklärt. — Vom 13. — 15. September vorigen Jahres hielten die
Lehrer Belgiens eine Versammlung in der Fremde, nämlich zu Antwerpen; hiebei
ward ein Protest gegen das belgische Schulgesetz beschlossen. Allewaert, der Inspector
des Antwcrpner Schulwesens, beleuchtete die bedauerlichen Übergriffe, die seit Erlass
dieses Gesetzes geschehen waren; auch wurde ein Unterstützungsfond zugunsten der ent-
lassenen Lehrer gegründet.
Die Bürgerschaft der Stadt Hamburg beschloss, eine besondere Behörde für
Zwangserziehung zu errichten, um solche Kinder, welche sich eine strafbare Hand-
lung zuschulden kommen Hessen , dann jene , welche von Haus aus verwahrlost und
in der Schule oft gar nicht mehr zu leiten sind, durch eine Zwangserziehung zu bessern.
Diese Behörde wird auch entscheiden, ob die Zwangserziehung in einer gesitteten Familie
oder in einer Besserungsanstalt erfolgen soll; die Kosten trägt der Staat.
Berlin hat für circa 200 Knaben (laut Gesetz vom 13. März 1878) die Zwangs-
erziehung durchzuführen, und es soll nach dem Muster des „Rauhen Hauses" in Hamburg
auf städtische Kosten ein Erziehungshaus errichtet und mit dem Rummelsburger
Arbeitshause in Zusammenhang gebracht werden. Bisher hatte man verwahrloste Knaben
ausschliesslich Familien anvertraut, welche ausserhalb der Stadt Berlin wohnten, doch
soll sich diese Einrichtung nicht bewährt haben.
Die Stadtgemeinde Prachatitz in Böhmen hat — fern von jeder gewinnsüchtigen
Absicht, bloss im Hinblicke auf die Erhaltung ihrer bedrohten deutschen Lehranstalt, des
k. k. Realgymnasiums — ein Studentenheim errichtet. Die Anstalt wird von einem
Gemeinderath geleitet und vom Lehrkörper beaufsichtigt; der Pensionsbetrag beträgt
25 fl. monatlich und ist berechnet für Leitung und Beaufsichtigung, Wohnung, gute und
kräftige Kost, Benützung der Möbelstücke, der Hausbibliothek und des Claviers.
125
Der deutsche Sohulverein hielt seine Hauptversammlung am 14. Juni zu Salz-
burg ab. Er zählt 11 14 (darunter 85 Frauen- und Mädchen-) Ortsgruppen, 38 Vereins-
schulen und 43 Kindergärten, ausserdem unterstützt er 41 Schulen und 21 Kindergärten,
so dass zusammen 143 Schulinstitute mit beiläufig 300 Classen sich der Wohlthaten des
Vereins erfreuen. Bareingänge des letzten Jahres: 279889 fl M Ausgaben 228531 fl.;
Vereinsactiven Ende 1885: 420302 fl. — Infolge der Ablehnung des in der Teplitzer
Hauptversammlung von der Ortsgruppe St. Martin gestellten Antrages, dass Schulen
israelitischer Cultusgemeinden vom deutschen Schulverein nicht unterstützt werden
dürfen, löste sich ein Theil der Ortsgruppen Schönerer'schen Richtung los und gründete
einen eigenen „Schulverein für Deutsche", der seinen Sitz in Graz hat. (Obmann
Moriz Richter; 102 Ortsgruppen mit circa 7000 Mitgliedern.)
Der neue „slovenische Cyrill- und Methudverein" hielt am 5. Juli zu Laibach
seine erste Hauptversammlung ab und gedenkt analog dem deutschen Schulvereine für
die slovenische Sprache zu wirken. — Auch die Franzosen haben seit zwei Jahren einen
Schulverein: „L'alliance francaise", der für die Ausbreitung der französischen
Sprache in den Nachbargebieten und fremden Ländern thätig ist.
Auf confessioneller Grundlage erstand im abgelaufenen Jahre der katholische
Schulverein in N.-Ö. Er stellt sich die Aufgabe, katholische Schulen erst in N.-Ö.,
dann im ganzen Reiche zu gründen. Der Verein, der unter dem Protectorate des Cardinal-
Fürsterzbischofs von Wien steht, hat die vierclassige Hermann'sche Privatschule in Wien
erworben und hiemit seine Wirksamkeit eröffnet.
Von den zwei bedeutsamsten, regelmässig wiederkehrenden Versammlungen der
Lehrer Deutschlands, der allgemeinen deutschen Lehrerversammlung und dem deutschen
Lehrertage, wurde der letztere, der sechste in der Reihe, in den Pfingsttagen zu
Hannover abgehalten. Die Leitung führte der Vorsitzende des deutschen Lehrervereins,
Gemeindeschullehrer Tiersch aus Berlin, ihm zur Seite sassen als Stellvertreter Wanner
aus Hannover und Beeger aus Leipzig. Etwa 100 Delegierte und 6—700 sonstige Theil-
nehmer erschienen als die Vertreter von 24000 Vereinsgenossen (die deutschen Lehrer-
tage sind grundsätzlich nur Delegiertenversammlungen).
Der erste Vortrag behandelte die Frage: Soll die Schule Sache der Reichsgesett-
gebung werden ? (Referent Beeger-Leipzig.) Über die aufgestellten Thesen, die wir ihrer
Wichtigkeit wegen nachfolgend anführen, soll erst in 2 Jahren, am 7. Lehrertage, ab-
gestimmt werden. Beeger vertritt:
„1. Wie es nicht in der Verfassung des deutschen Reiches vorgesehen ist, so hegt
es auch nicht im Interesse der deutschen Schule, dass ein Reichsschulgesetz erlassen
werde.
2. Wie aber verschiedene Reichsgesetze schon jetzt die Schule in einigender Weise
beeinflussen, so und noch mehr muss durch gewisse allgemeine Bestimmungen
direct darauf hingewirkt werden, dass überall in genügender Weise für das Gedeihen der
Schule gesorgt, die Interessen des Reiches dadurch gewahrt und die Beziehungen der
Angehörigen der verschiedenen deutschen Staaten untereinander in Betreff der Schule
möglichst gefördert werden.
3. Diese Bestimmungen haben sich zu erstrecken auf das Minimum und Maxi-
mum des Lehrziels, der Schuljahre und der Unterrichtsstunden, auf gewisse allgemeine
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Anordnungen bezüglich der Schulgebäude, auf die Schulzeugnisse, die Classificierung der
Schulen, die Disciplin und das Strafrecht, das Lehrerbildungswesen, die staatsrechtliche
Stellung der Lehrer und ihre Anstell ungsberechügung innerhalb des deutschen Reiches,
die Militärpflicht, sowie die minimalen Grensen der Besoldungs- und Pensionsverhältnisse
der Lehrer, ingleichen in Betreff der Zulässigkeit der Privatschulen, — während Be-
stimmungen über die Abgrenzung zwischen den Rechten des Staates und der Gemeinde,
ebenso über die Schulunterhaltungspflicht nicht unbedingt erforderlich sind, solche in
Bezug auf Schulordnungen, Schulvorständc, Ortsschulaufsicht etc. aber der Gesetzgebung
der Einzelstaaten überlassen werden können. Vor allem muss durch ein Reichsgesetz
ausgesprochen sein, dass in jedem Staate die Verhältnisse der Schule durch ein Gesetz
festzustellen sind, wie endlich auch gewisse Bestimmungen vorhanden sein müssen, durch
welche das Oberaufsichtsrecht des Reiches über das Schulwesen der Einzelstaaten ge-
regelt wird."
Hierauf hielt Schmarje-Altona den Vortrag: „Der Religionsunterricht nach den
Grundsätzen Pestalozzis." Die hierin aufgestellte Forderung, dass im Religionsunter-
richte nichts gelehrt werden dürfe, was dem menschlichen Verstand und den gesicherten
Wahrheiten der Wissenschaft widerspreche, insonderheit seien die Wundererzählungen des
alten und neuen Testamentes nicht anders als historische Thatsachen zu behandeln,
nimmermehr als Glaubenssätze — wurde hart angefochten; eine Abstimmung unterblieb
auch hier. Sodann ward Beschluss gefasst über das zu errichtende Kehr-Denkmal und
das zu gründende Kehr-Stipendium für pädagogische Preisarbeiten. Am zweiten Ver-
handlungstagc sprachen Helmcke-Magdeburg „Über die Stellung des Lehrers in der
Schulvcrwaltung" und Paulsen-Hamburg über die Bedeutung der pädagogischen Tages-
presse.
Zur 10. Hauptversammlung des Allgemeinen deutschen Vereins für das
höhere Mädchenschulwesen, welche am 5. und 6. October d. J. in Berlin statt-
fand, erschien u. a. der preussische Staatsminister v. Gossler und sprach seine Freude
an den Bestrebungen des Vereins aus, sowie seine Sympathie mit der weisen Mässigung,
mit welcher der Verein an seinen idealen Zielen arbeite. Weise Vorsicht und Selbst-
beschränkung — äusserte er — müsse der ganzen Mädchenschulfrage gegenüber an-
gewendet werden, da man nicht nur den Erfordernissen der modernen Zeit, sondern auch
der germanisch-christlichen Tradition, welche das Weib zur Trägerin der nationalen Ideen
und des Hauses mache, gerecht werden müsse. Zur Verhandlung gelangten: Die Reform-
bewegung auf dem Gebiete des fremdsprachlichen Unterrichtes (Dr. Rauch); Normal-
lehrplan für die Berliner höheren Mädchenschulen (Schornstein und Wöbeken).
Die 3. Hauptversammlung des allgemeinen deutschen Privatschullehrer-Ver-
eins fand am 3. October v. J. in Leipzig unter dem Vorsitze des Directors Dr. Barth
statt; dem Vereine sollen künftighin nur Lehrer an Privatschulen angehören dürfen. —
Die pädagogische Centraibibliothek in Leipzig, die Comeniusstiftung, umfasst
bereits über 37000 Bände.
Der Verein zur Gründung eines Curhauses für Lehrer und Lehrerinnen deutscher
Nationalität in Karlsbad zählt 924 beitragende, 101 ständige und 22 gründende Mit-
glieder und hat ein Vermögen von nahe 5000 fl. ö. W. Wichtig ist, dass die Fortdauer der
Rechte eines in den Ruhestand getretenen Mitgliedes ausdrücklich anerkannt wurde. Der
Verein hat seine humanitäre Wirksamkeit insofern begonnen, als er in der heurigen
Saison 12 nach Karlsbad gekommenen Mitgliedern besondere Vereins vortheile, be-
stehend in unentgeltlicher ärztlicher Behandlung und in Freibädern, dann Befreiung von
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der Cur- und Musiktaxe zugewendet hat. Der Verein, hat 10 Ortsgruppen, w orunter die
stärkste die Wiener mit 166 Mitgliedern ist. Eine grössere Zahl der Mitglieder des
Vereins recrutiert sich aus Deutschland; dort hat man ähnliche Ideen bereits vielfach
verwirklicht und weiss deshalb den Nutzen solcher Vereinigungen zu schätzen. Bei
uns spielt da gar zu oft die „Ungunst der Zeiten" eine grosse Rolle; oder ist's etwas
anderes ?
In Paris hat Fräulein Lambrecht, Privatlehrerin (40 rue St. Ferdinand aux Ternes),
einen Verein deutscher Lehrerinnen gegründet; er ist dem Londoner Verein nach-
gebildet.
Im Entstehen begriffen ist ein „Deutscher Einheitsschulverein", der von
einer Anzahl deutscher Hochschul- , Gymnasial- und Rcallehrcrn ausgeht , welche den
Zweck verfolgen, die Frage der Einheits- (Mittel-) Schule rascher erledigen zu helfen.
Der Verein soll einen Organisationsplan und feste methodische Grundsätze ausarbeiten,
namentlich das Verhältnis der Einheitsschule zu den übrigen Bildungsanstalten (Volks-
schule, Mittelschule, Fachschule, Hochschule) feststellen und alle nöthigen Schritte zur
Verwirklichung dieser Pläne unternehmen. Die constituierende Versammlung wurde auf
den 5. October 1. J. in Hannover anberaumt. (Programme versendet Gymnasiallehrer
F. Hornemann in Hannover.) Siehe pag. 105 den Antrag Pirquet.
Die internationale Stimmton-Conferenz in Wien hat (November 1885) stimmen-
einhellig beschlossen: Es soll ein einziger internationaler Normal-Stimmton bestehen.
Dieser Stimmton soll dasjenige A sein, dessen Höhe durch 870 einfache (oder 435 ganze)
Schwingungen in der Secunde bestimmt wird. Die zur Darstellung dieses Tones er-
forderliche Stimmgabel wird nach wissenschaftlichen Regeln in der Weise construiert,
dass dieselbe bei einer Temperatur von 15O Q den Normalton gibt. Die Annahme und
Einführung der Normalstimmung soll eine allgemeine und obligatorische sein; insbesondere
soll sie sich auf alle öffentlichen und Privatlehranstalten, in welchen Musik gepflegt wird,
und in gleicher Weise auch auf Musikvereine, Theater etc. erstrecken. Die näheren Be-
stimmungen über die Durchführungsfrist, die Herstellung der Stimmgabel u. a. enthält die
Broschüre: Beschlüsse und Protokolle der internationalen Stimmton Conferenz in Wien
1885. Wien, k. k. Schulbücherverlag. (40 kr. ö. W.)
Einen vielversprechenden Anfang hat der Lehrerhaus -Verein in Wien ge-
nommen ; constituiert im Mai d. J., zählt er schon circa 1000 Mitglieder und über 4000 fl.
Vermögen. Er setzt sich die Erbauung eines Lehrerhauses zum Ziele, welches nach § 2
der Satzungen in sich schliessen soll:
a) unentgeltliche Localitäten für die in Wien sesshaften Lehrervereine, sowie für
Lehrerversammlungen überhaupt,
b) eine pädagogische Centraibibliothek,
c) eine permanente Lehrmittelausstellung,
d) Bureaus für alle Zweige der wirtschaftlichen Selbsthilfe, als: Lebensversicherung,
Pensionswesen, Witwen- und Waisenversorgung etc.,
e) unentgeltliche Absteigquartiere für die Wien besuchenden Lehrpersonen — nach
Massgabe des vorhandenen Raumes.
Der Verein hat mit den Herausgebern des Erziehungsblattes „Schule und Haus"
ein Übereinkommen geschlossen, demzufolge die letzteren einen beträchtlichen Theil des
Abonnementsbetrages an den Verein abgeben ; der Ausschuss des Lehrerhauses aber
wandte sich an die deutsche Lehrerschaft Österreichs , dass sie die Erziehungsschrift
unterstütze und zu verbreiten suche, nicht nur deshalb, damit dem Lehrerhausvereine ein
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reichlicher Gewinn zufalle, sondern dass deren vornehmster Zweck: ein Bindeglied
zu bilden zwischen Schule und Familie, Einsicht und Hilfen zu bieten in
allen Fragen der körperlichen und geistigen Erziehung — voll und ganz
erfüllt werde. (Im abgelaufenen Jahre betrug die Abgabe an den L.-H.-V. die Summe
von 348 fl.) Möchte doch jeder Einzelne an diesem Zeichen collegialen Sinnes und
schaffenden Gemeingeistes Antheil haben, dann wird das geplante Werk rasch erstehen
und eine geradezu unberechenbare Bedeutung für die Lehrer Österreichs in sich bergen!
(Siehe den Vereinsbericht.)
Die Wir tschaft ssection des Berliner Lehrervereins hat im Jahre 1885 von ver-
schiedenen Geschäftsleuten an Rabatt (ähnlich der Einrichtung bei den Wiener Consum-
vereinen) 30000 Mark erhalten und an seine Mitglieder (3000 an der Zahl) vertheilt. —
Auch der Hamburger Volksschullehrerverein hat einen Wirtschaftsverband. — Die Buch-
handlung des Pestalozzivereins der Mark Brandenburg zu Eberswalde hat im verflossenen
Jahre 3802 Mark Provision an den Pestalozziverein und 7605 Mark an das Waisenhaus
gezahlt.
Personalien. Aus dem Leben schieden: Am 2. Juli 1886 in Fürth der päda-
gogische Schriftsteller und langjährige Redacteur der „Bayerischen Lehrerzeitung" Ober-
lehrer F. W. Pfeiffer; der Jugendschriftsteller Otto Hoff mann am 28. Jänner d. J.
zu Rybnik (Pr.- Oberschlesien) nach langjähriger Krankheit; die Jugendschriftstellerin
Isabella Braun, die am 12. December ihren 71. Geburtstag gefeiert hatte, am
2. Mai zu München (der Bezirkslehrerverein Neuburg a. d. Donau [Bayern] wird ihr ein
Denkmal errichten); der em. k. k. Landesschulinspector , Hofrath C. M. Enk von der
Burg, hochbetagt, am 2t. Octobcr 1885 zu Salzburg; Landesschulinspector Heinrich
Schramm am 4. Februar zu Wien (als Inspector der gewerblichen Lehranstalten wurde
er mit der Organisation der gewerblichen Fortbildungsschulen und der „allgemeinen
Handwerkerschulen" betraut); Landeschulinspector Dr. Josef Maresch aus der Buko-
wina zu Prag. — Dem Erfinder des Telephons, dem verstorbenen Lehrer Philipp
Reis, ist in seinem Geburtsorte Gelnhausen ein Denkmal gesetzt worden ; dasselbe wurde
am 23. August 1885 enthüllt. — Der VI. deutsche Lehrertag beschloss , dem im Vor-
jahre verschiedenen Schulratbe Dr. Karl Kehr ein würdiges Denkmal in Elgersburg
oder Gotha zu setzen; Beiträge nimmt der Cassier, Lehrer B. Germer, Leipzig, Kocb-
strasse 19, II, entgegen. — In Yfferten wird ein Pestalozzi-Denkmal errichtet; Bei-
träge nimmt entgegen der Präsident des Comit^s Dr. V. Briefe zu Yfferten (Yverdon) in
der Schweiz. — Die Verwaltung des deutschen Schulmuseums erliess einen Aufruf, Ma-
terialien für ein „Diesterweg- Museum" zusammenzustellen, um die hundertste Wieder-
kehr seines Geburtstages zu feiern. Beiträge an: A. Rebhuhn, Berlin O., Andreas-
strasse 27. — Am 29. Jänner 1. J. feierte der Geheime Regierungs- und Schulrath
Dr. Lorenz Kellner in Trier, seinen 75. Geburtstag. Seine zahlreichen Schriften,
bekanntlich vom Standpunkte des strenggläubigen Katholiken verfasst, haben weite Ver-
breitung gefunden, namentlich sein dreibändiger „Praktischer Lehrgang für den gesammten
deutschen Sprachunterricht", der bisher in 16 Auflagen erschienen ist. — Die Feier des
75. Geburtstages war auch der Frau Bertha Marenholtz-Bülow, der begeisterten
Verfechterin der Lehren Fröbels, beschieden. — Der „allgemeine deutsche Sprachverein"
gibt eine „Zeitschrift" heraus, welche von Dr. Hermann Riegel in Braunschweig
geleitet wird. — Die von Kehr gegründeten „Pädagogischen Blätter", namentlich
129
in Seminarlehrerkreisen bekannt, sind von Seminardirector G. Schöppa (Delitsch) über-
nommen worden. — Schulleiter Matthäus Schmidtbauer in Schwanenstadt hat nach dem
Abgange E. Wohlbachs nach Wien die Redaction der „Zeitschrift des oberöster-
reichischen Lehrervereins" übernommen. — Die Klagenfurter „Pädagogischen
Stimmen", redigiert von Fürpass, theilten das Schicksal des kärntischen Landeslehrer-
vereines. Seit i. Jänner 1. J. erscheinen „Pädagogische Mittheilungen" als halb-
monatliche Beilage zur „Kärntner Allgemeinen Zeitung", redigiert von Unterlehrer Hugo
Moro in St. Lorenzen im Gitschthale (Post Hermagor). — Das „Provinz-Schul-
blatt", halbmonatliche Beilage zur Korneuburger „Landpresse", erscheint seit Juni nicht
mehr; auch die „Schulzeitung" der „Grazer Tagespost" ist eingegangen. — Die israel.
Gemeindezeitung (Israelitischer Lehrerbote) wechselte am i. April neuerdings die
Leitung; nunmehr erscheint sie in Prag, geleitet von Jakob B. Brandeis. — Josef Rill,
Redacteur des Magyar Paedagogiai Szemle (Ungarische pädagogische Revue), hat auch
die Redaction des amtlichen „Volksschullehrerblattes", des Neptanitök Lapja, über-
nommen (das letztgenannte Blatt wird vom ungarischen U.-M. sämmtlichen ungarischen
Lehrern unentgeltlich zugesendet). — Die „Elsass-Lothringische Volksschule"
erscheint seit Ende 1885 nicht mehr ; dem Redacteur, Lehrer Alexandre in Strassburg,
war nämlich von dem kaiserl. Oberschulrath eröffnet worden, „dass Ihre Betheiligung an
der Herausgabe der genannten Wochenschrift mit Ihren Amtspflichten und mit dem
Interesse des öffentlichen Dienstes nicht länger vereinbar sei, und dass Sie dieselbe ein-
zustellen haben." Dem Blatte, resp. seinem Redacteur, wird eine entschiedene, recht-
schaffene Haltung nachgerühmt, und das Abschiedswort des letzteren an die Leser
spricht die Mahnung aus, der Lehrerstand von Elsass-Lothringen möge „mit offenem und
freiem Blick auf die heilige Sache sehen, damit er der heutzutage so oft drohenden
geistigen Bevormundung nicht schlafend in die Arme falle!"
Der Zeitungskatalog für 1886 weist in Deutschland 135 pädagogische Zeit-
schriften aus, wovon 95 ausschliesslich im Dienste der Volksschule stehen. — In Ungarn
erscheinen an Schulzeitungen: 41 in ungarischer, 4 in deutscher (Schul- und Kirchen-
bote für das Sachsenland — Kronstadt; Neue ungarische Schulzeitung — Neusatz ? Ungarischer
Schulbote — Budapest; Nepiskola, Volksschule — Felsdlövö, d. i. Oberschützen), 5 in
s lavischer und 5 in rumänischer Sprache, zusammen 55.
Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. »886.
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IL
Das pädagogische Vereinswesen in Österreich-
Ungarn.
Die collegialcn Vereinigungen der Lehrerschaft erproben ihre segenbringende Wirkung
namentlich in der Gegenwart, in der Zeit des Schwankens und des Wechsels. Ohne
Verein stehen die Bildner der Jugend vereinsamt nicht nur im abgelegenen Gebirgs-
dorfe, sondern auch mitten im Gewühl der Grossstadt, und hier wie dort bedarf es des
Zusammenstehens und Aneinanderschliessens. Hier wie dort findet in diesen Tagen der
wirtschaftlichen Depression die Leistung des Lehrers nicht die ihr gebürende Wür-
digung, hier wie dort erwachsen aus privaten und öffentlichen Verhaltnissen Hindernisse
und Schranken. Es wird aber auch wieder anders, wieder besser werden mit den frei-
heitlichen, nationalen, wirtschaftlichen und journalistischen Zuständen. Es wird eine
Zeit der Beruhigung kommen, die ersehnte Zeit der ungestörten Entfaltung unseres
Schulwesens, und mit ihr die gerechtere Wertschätzung unserer Arbeit. Und sollte es
auch noch lange, sehr lange bis zu jenem Frühlingstage währen: solange wir uns nicht
selbst verlassen, sind wir nicht verlassen. Ais ein dringendes Bedürfnis sind die Lehrer-
vereine entstanden, als ein unentbehrliches Bedürfnis stehen sie heute neben den anderen
gesellschaftlichen Vereinigungen und werden in alle Zukunft ihre Zauberkraft bewähren :
die Bedürftigen stützen, die Zaghaften ermuthigen, die Standhaften stärken, die Feinde
entwaffnen!
Der deutsch-österreichische Lehrer bund, gegründet am 13. August 1884
(Troppauer Lehrertag), umfasst gegenwärtig die Landeslehrervereine von Böhmen, Nieder-
:11t von M. Zens.
,,E» kann in unserer Zeit kaum eine wichtigere
Schulangelegenheit geben als die äussere und
innere Hebung des Lehrerstandes: von
ihr hängt das Gedeihen der Schule und selbst
die Pflege und Blüte der Pädagogik, unserer
Berufswissenschaft, ab. Möge daher jeder ein-
zelne Lehrer im Anschluss an das Ganze
eine Bürgschaft seiner Ehre und Wohlfahrt, sowie
eine Grundbedingung der vollen Entfaltung seiner
Kraft und des nachhaltigen Erfolges seiner
Wirksamkeit erkennen !''
Dittes (Pädagogium. VIII, xx.Heft).
131
Österreich, Mähren, Oberösterreich und Salzburg, dann 18 steirische, io schlesische
und 7 kärntische Lehrervereine, endlich je I Verein aus Krain und Tirol mit zusammen
circa ioooo Mitgliedern. Die erste Vollversammlung desselben fand am 5., 6. und
7. September d. J. in Wien statt und erledigte folgende Tagesordnung : I.Bestimmungen
über den Rechtsschutz der Mitglieder des d.-ö. L.-B.*; Ref. Binstorfer. 2. Über
die Erweiterung der Dbciplinarmittel in der Volks- und Bürgerschule*; Ref. Wawrzyk.
3. Soll die Lehrerschaft ministerielle Verzeichnisse geeigneter und nicht geeigneter
Jugendschrilten anstreben? 41 Ref. Kraft. 4. Abänderung der Satzungen; (Ref. Mikusch.
Die Landeslehrervereine hatten früher je 3 Mitglieder zur Abgeordnetensitzung zu ent-
senden; in Zukunft können sie für je 200 Mitglieder einen Vertreter abordnen, ausser-
dem ist eine Übertragung der Stimmen in der Art gestattet, dass ein Abgeordneter sechs
Stimmen vertreten darf.) Der Mitgliedsbeitrag wurde mit 10 kr. per Kopf und Jahr, für
Einzelmitglieder mit 1 fl. festgesetzt. 5. Vorschläge zu einer einheitlichen Vereinfachung
der deutschen Rechtschreibung*; Ref. Herbe. 6. Wahl des Ausschusses: Obmann
Katschinka; Stellvertreter Binstorfer und Jessen ; Schriftführer Herbe, Huber, Zens ; Cassier
Holczabek ; Ausschussmitglieder Frisch (Klagenfurt), Mikusch, Pape, Rudolf (Reichenberg),
Lemberger (Wr. Neustadt), Wawrzyk. Schliesslich fand der von Forstner-Steiermark gestellte
Antrag Annahme, dass in Zukunft an deutschen Schulen nur Lehrer von deutscher Ab-
kunft angestellt werden sollen. — Die Versammlung war von rund 600 Herren und
Damen besucht. Als Vertreter des Wiener Gemeinderathes , welcher dem Bunde einen
Barbetrag von 500 fl. zur Verfügung stellte und demselben die Prachtlocalitäten im neuen
Rathhause zur Abhaltung der Sitzungen einräumte, erschien der Obmann der gemeinde-
räthlichen Schulsection , Gemeinderath Dr. Vogler; ausserdem von Seite der Gemeinde
Magistratsrath ChwaJofsky. Von dem Unterrichtsminister war ein Schreiben eingelangt,
in welchem er für die an ihn ergangene Einladung dankt und sein Fernbleiben ent-
schuldigt. Kein Reichstags- oder Landtags abgeordneter hat sich an der Versammlung
betheiligt. Als Abgeordnete der französischen Regierung waren erschienen die General-
inspectoren L. Jost und M. Picauts. Auch Dr. Dittes wohnte den Verhandlungen bei
und betheiligte sich in hervorragender Weise an der Debatte über die Disciplinarmittel,
wobei er namentlich die vom Referenten verfocht ene körperliche Züchtigung erfolgreich
bekämpfte. — Mit der Bundesversammlung standen im Zusammenhange die am ersten
Tage abgehaltene Abgeordnetenversammlung, dann die Bürgerschulsection (1. Thema:
Über die Heranbildung von Bürgerschulfachlehrern*; Ref. M. Camuzzi. 2. Thema: Sind
die den absolvierten Zöglingen der österreichischen Knabenbürgerschulen gewährten
Rechte genügend?* Ref. Jos. Winkler), eine Lehrmittelausstellung, die Kindergarten-
section und ein Festcommers. — Der Erfolg des Bundestages lässt sich nicht einzig und
allein durch die Höhe der Theilnehmerziffer ausdrücken. An solchen Versammlungen
nehmen im Geiste viele Tausende Antheil, und diese geistige Antheilnahme vermag unter
Umständen die persönliche Anwesenheit mehr als aufzuwiegen. Hauptsache ist, dass
der Bund neue Anregungen ausgestreut und damit ein Zeichen seines Bestehens und
seiner Lebenskraft gegeben hat, mögen nun die äusseren Verhältnisse solchen Massen-
kundgebungen hold oder abhold sein. Für viele der Werke, die die Lehrer zu verwirk-
lichen streben, ist jetzt die Zeit der Samenlegung; und wenn auch die Saat noch über-
wintern, müsste, endlich wird sie doch aufspriessen und zur köstlichsten Frucht reifen!
Anlässlich der Versammlung des d.-ö. Lehrerbundes fand eine Sitzung desRedacteur-
verbandes statt; in derselben wurde eine Erweiterung dieser Vereinigung zu einem
Verbände pädagogischer Schriftsteller Österreichs beschlossen und auf den
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132
nächsten Tag, den 6. September d. J., eine Anzahl von Personen eingeladen, an der
provisorischen Constituierung sich tu betheiligen. Die von F. Frisch-Klagenfurt aus-
gearbeiteten Statuten wurden von dieser Versammlung genehmigt, sodann F. Frisch als
Proponent zur Einreichung der Satzungen bevollmächtigt. Der Jahresbeitrag soll sich
auf i fl. für die ordentlichen, 5 fl. für die unterstützenden Mitglieder belaufen;
in die Vereinsleitung wurden gewählt als Obmann Dr. Dittes, als dessen Stellvertreter
Frisch, als Schriftführer Ambros und Kraft. — In das abgelaufene Jahr fällt auch die
Gründung besonderer evangelischer Lebrerv ereine. Der am 14. Juni in Wiener-
Neustadt gegründete E v angelische Lehrerverein des niederösterreichischen
Seniorates A. C. setzt sich als Zweck: a) Die Erstarkung und Fortentwickelung des
evangelischen Schulwesens auf gesetzlicher Basis; b) die Pflege der wissenschaftlichen
und praktischen Pädagogik im evangelischen Sinne; c) die Hebung der Stellung des
evangelischen Lehrerstandes in rechtlicher, socialer und materialer Beziehung. (Ausschuss :
Wachowski, Eckardt, Macher, Ebenberger, Antonius.) Am gleichen Tage wurde in Prag
ein Evangelischer Lehrerverein für Böhmen und Mähren gegründet und die
Theilung in eine deutsche und in eine czechische Abtheilung beschlossen. Die hiezu
nöthigen Vorbereitungen waren von Director Eckhardt getroffen worden.
Am 9. und 10. August versammelte sich zu Prag auf der Sophieninsel der Con-
greaa czechischer Lehrer und Schulfreunde. Der Obmann des Centraivereins
der czechischen Landeslehrerschaft, Josef Kräl-St. Peter in Prag, begrüsste die Ver-
sammlung als Vorsitzender, wobei er die Hoffnung aussprach, dass im Schulwesen
Czechen und Deutsche einträchtig zusammenwirken mögen. Schulinspector Fabkowiö
aus Agram und Landesschulinspector Gerstmann aus Lemberg überbrachten die Grüsse
der kroatischen und polnischen Lehrerschaft. Zur Verhandlung gelangten: 1. Über die
Schulaufsicht* (Kobr-Raudnitz) ; 2. die Reorganisation der Lehrerbildungsanstalten und
der Lehrbefähigungsprüfungen* (Ruiicka - Weinberge); 3. die Oberbürdung der Schul-
jugend* (Skala - Prag). — Die Versammlung hatte, Berichten in den Fachblättern zu-
folge, gegen 2000 Theilnehmer, insbesondere fiel die Anwesenheit czechischer Berufs-
politiker, der Abgeordneten Dr. Ed. Gregr, Tilscher, Graf Kaunitz, Mustacky, auf, und
grosse Begeisterung herrschte, als die Redner aus Kroatien und Galizien auftraten. Ein
Bankett schloss die Festtage, wobei Dr. Gerstmann-Lemberg die ungewöhnliche Disciplin
bei den Berathungen rühmte und die Notwendigkeit des einheitlichen Zusammenwirkens
aller Lehrkräfte, sowohl der Volks- und Bürgerschullehrer, als auch der Mittelschul- und
der Hochschulprofessoren betonte, worauf Professor Tilscher-Prag in ähnlichem Sinne
erwiderte.
Die Sympathien, die der am 8. Mai l J. gegründete Lehrerhausvere-Ln (siehe
Chronik) namentlich in Wien und Umgebung gefunden, berechtigen zu den schönsten
Hoffnungen in Bezug auf die Actionsfähigkeit dieses Vereins. Obmann desselben ist
K. Huber (Wien, L, Esslinggasse 10), Cassier Director F. Pehm (II., kleine Sperlgasse 2).
Nach § 4 der Satzungen gehören dem Vereine an:
A. als ordentliche Mitglieder jene Lehrpersonen an den öffentlichen Volks-, Bürger-
und Mittelschulen und anderen öffentlichen Lehranstalten, welche
a) einen jährlichen Beitrag von mindestens 50 kr. entrichten, oder
b) ein für allemal einen Beitrag von 5 fl. erlegen (ständige Mitglieder) ;
B. als Förderer solche Personen oder Corporationen (Lehrkörper etc.), welche
a) einen jährlichen Beitrag von mindestens 2 fl. entrichten, oder
b) ein für allemal 20 fl. erlegen;
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C. als Gönner alle jene Personen oder Corporationen, welche
a) einen jährlichen Beitrag von 5 (1. leisten, oder
b) ein für allemal 50 fl. in die Vereinscasse zahlen;
D. als Stifter jene Personen oder Corporationen, welche dem Vereine mindestens
100 fl. zuwenden.
Der niederösterreiohische Landealehrerverein zählt gegenwärtig 31 Zweig-
vereine mit 2336 Mitgliedern (gegen 26 Vereine mit 2008 Mitgliedern im Vorjahre) unter
folgender Leitung: Obmann Huber, Stellvertreter Ernst und Tomberger, Schriftführer
Mikusch, Mussil und Schwarzböck, Cassier Wurst. Der Ausschuss wartete mit rühmens-
werter Thatkraft und Ausdauer sowohl der rein pädagogischen Interessen, wie auch der
materiellen seiner Mitglieder und unternahm den Versuch, durch Ausgabe von „Mit-
theilungen" (erschienen November, März, April, Juni) ein innigeres Aneinanderschliessen
der Mitglieder herbeizuführen. Nächst den Ausschussarbeiten gaben die Delegierten-,
dann die Hauptversammlung Zeugnis von dem regen Geiste, der den Verein beseelt. —
Die Delegiertenversammlung fand am 2. Mai in Wien statt. Hiebei besprach der Ob-
mann die allgemeinen Schulverhältnisse im Hinblicke auf die politische Lage und gab
dem lebhaften Bedauern Ausdruck, dass die Abgeordneten Dumba und Suess sich im
n.-ö. Landtage so abfällig über einen Theil der Lehrerschaft geäussert haben. Der be-
deutendste Verhandlungsgegenstand war das Ausschussreferat von G. Ernst über den
Entwurf einer Prüfungsordnung für Volks- und Bürgerschulen. Im wesentlichen
wurde gefordert, dass bei der Lehrbefähigungsprüfung ein grösserer Nachdruck auf die
praktische Prüfung gelegt und der Abklatsch der Reifeprüfung beseitigt werde, dass
die schriftliche Prüfung sich erstrecke auf die Abfassung je eines Aufsatzes a) aus
Pädagogik, b) aus österreichischer Schulgesetzgebung und Schulverwaltung, — die münd-
liche Prüfung dagegen auf allgemeine Pädagogik und Didaktik, dann auf die specielle
Methodik aller Volksschulgegenstände sich zu beschränken habe; für die praktische
Prüfung werden zwei Probelectionen a) aus Sprache oder Rechnen, b) aus den Realien
oder Fertigkeiten , jede mindestens in der Dauer von einer halben Stunde , gefordert.
(Das vollständige Referat war in den April-Mittheilungen abgedruckt.) Die Vorlage wurde
angenommen und an das h. M. f. C. u. U. geleitet. Tomberger beantragte hierauf eine
Eingabe an den h. L.-S.-R., die Ertheilung von Privatunterricht durch geprüfte Lehrer
betreffend. (Angenommen.) Auch Hubers Vorschläge, den behördlichen Schutz des
Lehrers berührend, fanden Annahme. Endlich erfolgten geschäftliche Mittheilungen und
mehrere Anregungen (Statutenänderungen, Kremser Volksbildungsverein, Delegierten-
stellvertreter etc.)), die an den Ausschuss gewiesen wurden. — Zur Beherbergung der
Hauptversammlung war das freundliche Städtchen Horn ausersehen, und die Bürger
schaft, sowie der dortige Zweigverein „Freie Schule' 4 hatten für die 421 Theilnehmer,
die am 17. Juli zusammentrafen, in bester Weise vorgesorgt. Die Verhandlungen
begannen mit den trockenen , aber immerhin wichtigen Rechenschaftsberichten (die
Unterstützungscasse zählt 2098 fl.), Versicherungsangelegenheiten und Ausschusswahlen
(vollständige Wiederwahl). Hierauf hielt Prof. Tomberger einen Vortrag über das Lehrer-
bildungswesen in Österreich * und befürwortete hiebei neben der in der Delegierten-
versammlung aufgestellten Prüfungsordnung eine andere Vertheilung des Lehrstoffes in
der L.-B.-A., versicherte jedoch nachdrücklich, dass hiedurch das Niveau der geistigen
Bildung nicht erniedrigt, sondern im Gegentheile durch die zweckmässigere Lehrstoff-
vertheilung erhöht werden solle; nur für Mathematik liess er eine minder wesentliche
Verkürzung gelten. In diesem Sinne wurden nach einer längeren und lebhaft geführten
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Debatte die vorgelegten Theten genehmigt. Hierauf hielt Oberlehrer Ernst einen be-
geisternden Vortrag Uber „Stellung und Aufgabe des Lehrerstandes im Schul- und öffent-
lichen Leben." Eine Reihe von Anträgen Uber: Förderung des Provinz-Schulblattes, Hau-
sieren der Kinder, Halbtagsunterricht, Verbot von Buchumschlägen aus Zeitungspapier,
Ausmerzung der Fremdwörter — wurden theils sofort angenommen, theils dem Ausschusse
zur Berathung zugewiesen.
Wiener pädagogische Gesellschaft. XII. Vereinsjahr. Hauptpunkte der
Tagesordnung; 127. Plenarversammlung (zugleich Generalversammlung): Mens sana in
corpore sano (M. Zens); Neuwahl des Ausschusses. 128. Plenarversammlung: Über
Eudämonismus (Dr. Dittes). 129. Plenarversammlung: Über die Beschaffung frischer
Pflanzen für den botanischen Unterricht (Dr. Rothe); Referat über die neuen Steigl* sehen
Wandtabellen für den Zeichenunterricht (G. Türmer). 130. Plenarversammlung: Noch
ein Wort über den astronomischen Unterricht (Dr. Pick); Referat über das Lehrerhaus
(A. Fischer); Debatte zu dem Vortrage der 129. Plenarversammlung. 131. Plenar-
versammlung: Pflege und Verwertung der Phantasie beim Unterricht (D. Simon); Debatte
zu dem Referat Fischers (die Versammlung erklärte die Gründung eines Lehrerhauses zur
Hebung der geistigen und materiellen Interessen der Lehrerschaft für eine Notwendigkeit,
versprach die Förderung der Erziehungszeitschrift „Schule und Haus" und beschloss,
dem Lehrerhausverein als „Gönner" beizutreten; die Geldmittel hiefür wurden durch
eine Sammlung aufgebracht) und dem Vortrage der 130. Plenarversammlung. 132. Plenar-
versammlung: Pestalozzifeier. Festrede, gehalten von Dr. Pick. 133. Plenarversamm-
lung: Beiträge zur Methodik des naturkundlichen Unterrichtes in der Volksschule (E.
Rybiczka); Debatte zum Vortrag Simon; Referat Uber die pädagogischen Jahresberichte
Deutschlands (J. Wawrzyk). 134. Plenarversammlung: Der Humanist Aneas Sylvins
als pädagogischer Schriftsteller (Dr. Hannak); das Wiener Lehrerpädagogium (Referent
M. Zens befürwortete folgende Resolution: „Die 134. Plenarversammlung der Wiener
Pädagogischen Gesellschaft ersieht in dem Wiener Lehrerpädagogium eine nothwendige
und segenbringende Institution ; deshalb bittet sie den hochlöblichen Gemeinderath, dass
er alle Versuche entschieden zurückweise, welche dahin abzielen, dieses Denkmal seiner
Fürsorge für die geistigen Bedürfnisse einer vorgeschrittenen Zeit zu zerstören, und dass
er den berechtigten Einfluss auf die Bildung der Lehrer der Haupt- und Residenzstadt
sich nicht entwinden lasse." Die Resolution fand einstimmige Annahme und wurde
dem Wiener Gemeinderathe unterbreitet); Debatte zum Vortrag der 133. Plenarver-
sammlung. 135. Plenarversammlung: Über Sprechen und Lesen (St. Müllner); Fort-
setzung der Debatte über den Vortrag Rybiczkas; Referat über Aufgaben und Correc-
turen (Fr. Steigl). 136. Plenarversammlung: Über Conservierung der Lehrmittel (Julius
Hofer); Debatte zum Referat Uber Aufgaben. 137. Plenarversammlung: Referat über
die neuen Hölzel'schen Bilder für den Anschauungsunterricht (E. Jordan); Fortsetzung
der Debatte über Aufgaben. — Der Verein überreichte dem Gemeinderathe von Wien
ein umfassendes Memorandum, betreffend die Anlage eines botanischen Gartens für Schul-
zwecke. — Ausschuss des letzten Vereinsjahres: K. Huber, Obmann; Dr. A. J. Pick
und Aug. Hofer, Stellvertreter; M. Zens, F. Steigl, K. Neuhauser und G. Türmer,
Schriftführer; K. Salava, Cassier; E. Rybyczka und K. Platzer, Bibliothekare; J. Antoni,
F. Buchneder, A. Fischer, F. Pehm und V. Trautzl, Ausschüsse. Sitzungslocal : I. Bezirk,
Fichtegasse 3 (städt. Pädagogium). Bibliothek und Büreau des Ausschusses: I. Bezirk,
Renngasse 20.
Verein „BiirgerBChule." Obmann: Gmeinböck. Vereinsorgan: „Die Bttrger-
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schule 14 , Ii. Jahrgang, redigiert von M. Sedlalc Vorträge: Schülerbibliotheken (Kraft),
über die Entwicklungsgeschichte des Thierreiches (Trautzl), Übelstände an der Volks-
und Bürgerschule ^Mayer; der Verein richtete diesbezüglich ein Memorandum an das
h. U. M. *) und an den 1. B.-S.-R.). Der Verein nahm Stellung zu den Bezirksschul-
rathswahlen, dann neuerdings zur Lehrerinnenfrage, ferner zur Verschiebung des Unter-
richtsbeginnes (Zustimmung für die i.unda. Volksschulciasse), gegen die schulfeindliche
Presse , sprach seinen Dank aus dem Abg. Richter für seine Thätigkeit im n.-ö. Land-
tag, sowie dem 1. Wr. Gemeinderathe für die Gehaltsaufbesserung, richtete eine Eingabe
an das h. H.-M., die Benützung der Bahnennässigung betreffend, bereitete die Bürger-
schulsection der i. Bundesversammlung vor und unterzog endlich seine Statuten einer
Umgestaltung.
Der Verein „Die Volksschule" (Obmann Alexander Schopf) behandelte im
23. Vereinsjahre: das Wiener Lehrerhaus (hiefür eine Spende von 1000 fl. genehmigt),
die Bezirksschulrathswahlen (Ref. Rosenkranz), die Lebensversicherung (Schopf), die
Hölzel'schen Bilder zum Anschauungsunterricht (Jordan), den Handfertigkeitsunterricht
(Urban), über Reinhaltung des Luftkreises um Schulen und in denselben (Dollmeyer),
über Dr. Tuiskon Ziller (Krenberger), die Erziehung Schwachsinniger (Antensteiner), die
Bilderfibel (Jordan; einstimmig gefasste Resolution, beantragt von A. Winter: „Der
1. Wiener Lehrerverein „Die Volksschule" spricht seine Überzeugung aus, dass die
Bilderfibel in der Hand des Schülers ein geeignetes Mittel zur Belebung, Vertiefung und
zum erfolgreichen Betriebe des Anschauungsunterrichtes bildet, und hofft, die mass-
*) Die darin gestellte Bitte lautet dahin : „Das hohe k. k. Ministerium für Cultus und
Unterricht möge geruhen, gnädigst zu veranlassen, dass die zur Förderung der öster-
reichischen Bürgerschule im allgemeinen, besonders aber der Bürgerschule in Wien, ge-
troffenen Verfügungen und erflossenen gesetzlichen Bestimmungen ihrem vollen Inhalte
nach zur Durchführung gebracht werden.
Insbesondere bittet der Verein „Bürgerschule", dass:
1. die Zahl der geprüften definitiven Fachlehrer an jeder Wiener Bürgerschule in
Gemässheit des Gemeinderathsbeschlusses vom 12. Februar 1884 so bemessen werde,
dass auf jede Lehrkraft ständig thatsächlich nur 17 bis 22 Unterrichtsstunden entfallen;
2. in Anbetracht des an den Knabenbürgerschulen sich ansammelnden, im Ver-
hältnis zu den übrigen Schulkategorien Österreichs qualitativ schlechtesten Schülermaterials,
welcher Umstand besondere Vorkehrungen zur Ermöglichung einer intensiveren Ein-
wirkung in erziehlicher Beziehung erheischt, der § 12 des n.-Ö. Landesgesetzes vom
5. April 1870 auch femer in Kraft bleibe und die demselben direct widersprechenden
und trotzdem bereits seit zwei Jahren andauernden Zustände an den Wiener Bürger-
schulen abgeschafft werden;
3. in einer Gasse möglichst wenig Lehrkräfte unterrichten, um eine intensivere
Wahrnehmung des erziehlichen Momentes in der Schule zu ermöglichen;
4. ein und derselbe Lehrer nicht dasselbe Fach in der Parallelabtheilung derselben
Ciasse zu lehren habe und nicht gezwungen werde, in Gegenständen anderer Fachgruppen
Unterricht zu ertheilen;
5. die Bürgerschullehrer nicht verpflichtet werden sollen , im Turnen , im Gesang,
im Schreiben unentgeltlich Unterricht zu ertheilen;
6. für Supplierungen auch in derselben Weise wie an den Volksschulen durch
Bestellung von Aushilfslehrern vorgesorgt werde."
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gehenden Behörden werden zur Einführung eines solchen Lehnnittels nach Möglichkeit
beitragen"), über den Anschluss des Vereins „Volksschule 4 ' an solche grössere Vereine,
die sich mit dem Wohle der Schuljagend befassen (Schopf; Beschluss: Der Verein „V."
trete jenen grösseren Vereinen, welche sich mit dem Wohle der Jugend beschäftigen, als
Mitglied bei und sende auf Grund der Mitgliedschaft Vertreter in die Versammlungen
dieser Vereine). Alle unabhängig von den Verhandlungsthemen gestellten „Anträge"
gi engen an den Ausschuss zur Berichterstattung.
Verein der Lehrerinnen und Ersieherinnen in Österreich. Präsidentin:
Luise v. Stahl- Almasy. Stellvertreterinnen : Marie Schwarz, Minna v. Mayr. Der Verein
betrachtete es im abgelaufenen Jahre als Hauptaufgabe, aus allen Kräften dahinzu wirken,
dass die Gleichstellung der Lehrerinnen im Verhältnisse zu den männlichen Lehrkräften
aufrecht erhalten bleibe. Zu diesem Zwecke wurde ein Schreiben an die einzelnen Mit-
glieder der Finanz- und Schulsection des Wiener Gemeinderathes abgeschickt, das eine
Ergänzung zu der im März 1885 abgesendeten Petition bilden sollte und worin aus-
geführt wurde, dass die den Lehrern zugedachte Gehaltsaufbesserung nach dem Grund-
satze „Gleiche Pflichten, gleiche Rechte!" auch den Lehrerinnen zukommen möge. Da
dieses Schreiben keine Wirkung in den betreffenden Sectionen erzielte, so richtete die
Vereinsleitung am Vortage der Entscheidung über die Gehaltsfrage der Wiener Lehrer-
schaft noch ein Schreiben an die Gemeinderäthe Wiens, in welchem die Idee zum Aus-
druck gebracht wurde, dass die Gehaltserhöhung, um thatsächlich den Bedürfnissen
Rechnung zu tragen, wenn sie keine allgemeine sein könne, nur den verheirateten
Lehrern zufallen solle. Auch dieser Schritt blieb erfolglos. Nun fasste die Plenarver-
sammlung den Beschluss, eine allgemeine Lehrerinnenversammlung zu veranstalten. Diese
berieth am 14. Februar im Gemeinderathssaale des neuen Rathhauses Uber eine Petition a) an
den h. n.-ö. Landtag, des Inhalts, „dass der § 10 des Landesgesetzes aufrecht erhalten
bleibe und die Lehrerinnen an der Aufbesserung der Bezüge wie die Lehrer Anspruch
haben", b) an den l. Gemeineinderath, „die am 22. December 1885 den männlichen
Lehrpersonen bewilligte Aufbesserung der Bezüge auch den Lehrerinnen zuzuerkennen."
Die erste Petition (Ref. M. Schwarz) wurde sofort zustimmend erledigt, die zweite aber
(Ref. A. Prohaska) an eine Delegiertenversammlung zur Umarbeitung verwiesen. Eine
neuerliche allgemeine Lehrerinnenversammlung, die sich an die Plenarversammlung vom
27. April anschloss, genehmigte auch diese ziemlich umfängliche Eingabe. Ausserdem
gelangten zur Verhandlung: Die Gründung einer Pensionscasse für nicht pensions-
berechtigte Lehrerinnen (Marie Schulmeister); die Methode des astronomisch-geographischen
Unterrichtes (Dr. A. J. Pick); die Bezirksschulrathswahlen ; die Bildungsideale der Mensch-
heit (Dr. E. Hannak) ; Nervosität, Erziehung und Unterricht (Dr. Gauster) ; der Grödner
und seine Sprache (Eugenie Wohlmuth). Der Vermögensstand im Nominalwerte 24 200 fl.,
d. s. gleich 22055 Curswert.
Der oberösterreichische Lehrerverein (39 Zweigvereine mit 926 Mitgliedern)
hielt seine Generalversammlung am 21. Juli ab. Tags vorher wurde die Tagesordnung
durch die Delegierten der Zweigvereine vorberathen. Der Bericht des Ausschusses
(Schriftführer Aichberger) berührt u. a. das Hinscheiden des Ehrenmitgliedes, k. R. Franz
Böhm, dann den unerwarteten Weggang des k. k. L.-S.-I. Josef Berger (nach Böhmen
versetzt) und des Directors der k. k. L.-B.-A., Schulrath Eduard Kittel (nach Olmütz
versetzt). Als Ausdruck der Hochachtung übersendet der Lehrerverein an den Herrn
Landesschulinspector eine künstlerisch ausgestattete Adresse ; Herrn Schulrath Kittel wurde
für seine Verdienste um die Lehrerschaft der Dank des Vereins durch eine Ausschuss-
137
deputation ausgesprochen. Ferner verabschiedete sich der Redacteur des Vereinsorgan es,
Herr Ernst Wohlbach, der eine Bürgerschullehrerstelle in Wien angenommen hat. Zur
Verhandlung gelangten: der Anschluss an den Ersten a. ö. Beamtenverein (Holzhaider),
die Gründung und Verwaltung eines zu schaffenden Hilfsfonds (Strauss) und die Recht-
schreibfrage (Fischer). Beschlossen wurde: die Herausgabe eines Kalenders und Schema-
tismus (bereits sind iooo Exemplare vorbestellt), dann einer Landeskunde von Ober*
Österreich, die Verwendung des Antiqua-Druckes im Vereinsorgan und eine Beitragsleistung
zum Radetz ky-Denkmalfonds. — Obmann Stupöck-Linz. Vereinsorgan: Zeitschrift des
o.-ö. Lehrervereines; Redacteur: Schmidtbauer in Schwanenstadt.
Der Salzburger Landeslehrervereln hatte am 19. Juli zu Salzburg seine General-
versammlung. Obmann Klinger erstattete den Rechenschaftsbericht über das Triennium
von 1883 bis 1886. Der Stand der Mitglieder beträgt 287 (nur 34 Mitglieder des activen
Lehrstandes fehlen), die sich auf 17 Bezirksvereine vertheilen. Geschäftsführer Simmerle
berichtete in Angelegenheiten des Beamtenvereins. Ein von Oberlehrer Burgschwaiger
in der Versammlung des Jahres 1883 gestellter Antrag behufs Erbauung eines Curhauses
in Gastein wird, nachdem der Ausschuss die Unmöglichkeit der Ausführung erkannt, ab-
gelehnt. Auf Antrag Simmerles wird P. Heinrich Schwarz zum Ehrenmitgliede ernannt,
ferner über Antrag Emprcchtiuger's der Ausschuss beauftragt, in der Gehaltsfrage die
notwendigen Schritte zu unternehmen. Neuer Ausschuss: Obmann L. SchefTler, Stell-
vertreter M. Emprechtinger, Schriftführer C. Sprengseis, Cassier Frz. Hiersche, Redacteur
P. Simmerle (Vereinsorgan : Zeitschrift des Salzburger Lehrervereins) ; Ausschüsse
Klinger, Bietzacher und Lösch.
Der ateiermarkisobe Lehrerbund sah sich veranlasst, mit Rücksicht auf
die steiermärkische Landeslehrerconferenz und die Vollversammlung des deutsch-öster-
reichischen Lehrerbundes für heuer von der Abhaltung einer Hauptversammlung Umgang
zu nehmen und nur eine Delegiertenversammlung auf den 4. September nach Graz ein-
zuberufen. In derselben wurde zunächst der Jahresbericht zur Kenntnis genommen, nach
welchem der Lehrerbund 32 Vereine mit circa 1000 Mitgliedern zählt, weiters die
„Pädagogische Zeitschrift" (19. Jahrgang, Redacteur Ferdinand Fellner) zum Bundes-
organe wiedergewählt und eine Zahl von Anträgen berathen und angenommen: 1. a) Der
steiermärkische Lehrerbund wirke dahin, dass dem Leiter der einclassigen Schule die
ihm gebärende Functionszulage zuerkannt werde ; b) derselbe unternehme massgebenden
Ortes Schritte, dass den definitiven Unterlehrern und Unterlehrerinnen Quinquennalzulagen
bewilligt werden, und c) derselbe strebe dabin, dass die vierte Gehaltsciasse endgiltig
entfalle." 2. „Es habe das Bundesdirectorium sich mit den verschiedenen Landeslehrer-
vereinen ins Einvernehmen zu setzen , welche Schritte zu unternehmen seien , dass die
militärdiensttauglichen Lehrer nach ihrer zweiten Exercierperiode zur Unterofficiers-
prüfung zugelassen werden; dass dieselben hauptsächlich in den Militärkanzleien Ver-
wendung finden; dass die schon dienenden Lehrer während der Waffenübung „tourfrei"
werden möchten." (Lehrerverein Frohnleiten.) 3. „Der steiermärkische Lehrerbund
wolle die geeigneten Schritte einleiten, dass auch ein Mitglied aus dem Volks- und
Bürgerschullehrerstande in den hohen steiermärkischen Landesschulrath berufen werde."
(Grazer Lehrerverein.) — In die Bundesleitung wurden fast alle bisherigen Functionäre
wiedergewählt, und zwar besteht das Directorium aus: Fr. Böhm (Obmann), Fr. Zill
(Stellvertreter), Fr. Weber (Cassierer), Fr. Solln er und Ferd. Fellner (Schrift-
führer), sämmtlich in Graz; dann aus den Ausschussmitgliedern G. Schopper-Bruck,
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P. Logar-Mürzzuschlag, Cl. Pro 11- Gleisdorf, G. Stoppe r - Radkersburg, R. Honig-
Marburg und V. Kotzmu th -Haidin.
Der im Jahre 1869 gegründete kärntische Landeslehrerverein hat zu bestehen
aufgehört. Die mit der vorjährigen Generalversammlung entstandenen Meinungsver-
schiedenheiten hatten den Austritt von 8 Ausschussmitgliedern zur Folge, so dass der
Ausschuss nicht mehr beschlussfähig und statutarisch niemand zur Einberufung einer
neuen Versammlung berechtigt war. Trotzdem berief der Zweigverein „Umgebung
Klagenfurt " eine Hauptversammlung auf den Osterdienstag nach Klagenfurt ; zur
selben Zeit wurde von anderer Seite eine Vereinsversammlung für den 18. März
ausgeschrieben. Beide Versammlungen fanden statt. In der letztgenannten Zusammen-
kunft sollte die Gesinnung der Landlehrer zum Ausdruck gelangen; deshalb wurde
auch darauf gesehen, dass möglichst viele Landestheile im neuen Ausschusse Vertretung
finden, obwohl hiedurch der Zusammentritt desselben wesentlich erschwert und die
gründliche Vor- und Durcharbeitung der Vereinsangelegenheiten wenn nicht gehindert,
so doch nicht gefördert wird. (Als Obmann wurde Peter Benedicter, als Schriftleiter Hugo
Moro gewählt.) Die erstgenannte Versammlung jedoch meinte, dass der alte Verein nach
dem Statut nicht mehr zu Recht bestehen könne, erklärte sich als constituierende Ver-
sammlung eines (neuen) kärntischen Lehrerbundes und erwählte DirectorDr. Brandl
zum Obmann und Prof. Braumüller zum Redacteur des herauszugebenden Vereinsorganes.
Wirklich . wurde der alte L.-L.-V. kurze Zeit darnach behördlich aufgelöst.
Die erste Hauptversammlung des Lehrerbundes trat am 4. October in Klagenfurt
zusammen , und es gelangten die von den Obmännern der Zweigvereine und den Aus-
schussmitgliedern vorbereiteten Statuten zur Annahme. Den neuen Ausschuss werden
bilden: a) sämmtliche Obmänner der Zweigvereine, b) 10 Mitglieder, gewählt von der
Hauptversammlung; dieser gesammte (weitere) Ausschuss wählt 8 Functionäre und
2 Beisitzer als engeren Ausschuss. Der Mitgliedsbeitrag und die Bestellgebür für das
Vereinsblatt werden künftighin nicht miteinander verbunden, demnach die Mitglieder
nicht verpflichtet sind, das Vereinsorgan zu halten. — Hoffen wir nun, dass jedes
trennende Hindernis baldigst hinwegßeschafft und die Sache einer gedeihlichen Ent-
wicklung zugeführt werde! Eine hierauf bezügliche Darlegung von F. Frisch im „Öster-
reichischen Schulboten" Nr, 11 schliesst mit den Worten: „Wenn ich dieser Affaire
eine besondere Aufmerksamkeit widmete, so geschah es nicht bloss um deswillen, weil
sie für die Lehrer Kärntens von grosser Bedeutung ist, sondern auch, weil ich den
Lehrern anderer Kronländer eine lehrreiche Geschichte erzählen wollte. Die Moral liegt
darin obenauf."
Die Vollversammlung des krainischen Landealebrervereina fiel auf den 30. De-
cember. Obmann Prof. Linhart wies auf die rege Vereinsthätigkeit während des ver-
gangenen Jahres hin und sprach sodann „über die Schulgartenfrage in Krain." Schriftleiter
Joh. Sima berichtete über neu zusammengestellte Formularien für die Amtsschriften. —
Die Plenarversamrolung vom 17. Februar fasste folgenden Beschluss: „Anlässlich der
in der Landtagssitzung vom 19. Jänner d. J. von dem Abgeordneten Herrn Dr. Poklukar
vorgebrachten Äusserung über den landwirtschaftlichen Unterricht und über die Leitung
des mit der k. k. Lehrerbildungsanstalt verbundenen Schulgartens fasst die Versammlung
des krainischen L.-L.-V. folgende EntSchliessung : Der krainische L.-L.-V. drückt sein
Bedauern aus, dass ein Mitglied der krainischen Lehrerschaft in seiner Berufstätigkeit
so abfällig beurtheilt wurde, ohne dass von berufener Seite weder ein Widerspruch er-
hoben, noch auch eine Untersuchung über den den Angriffen zugrunde liegenden
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Thatbestand eingeleitet worden ist." Mit Beziehung auf die bezeichneten Angriffe ver-
öffentlichte Prof. Wilh. Linhart eine geharnischte Abwehr in Nr. 4 der Laibacher Schul-
zeitung. Es sind slovenisch-nationale Triebkräfte, die sich in diesen Angriffen thätig
zeigten.
Die 6. Generalversammlung des Tiroler Landeslehrervereins (Bozen, am
15. Juni) war nicht beschlussfähig wegen der zu geringen Anzahl der anwesenden Ver-
einsmitglieder , eine Thatsache , die umsomehr auffiel , als die zahlreichen Sections-
conferenzen, die dieser Verein hält, immer sehr gut besucht sind. Da die zur Beschluss-
fähigkeit mangelnden 3 Stimmen nicht eintrafen, so wurde keine Neuwahl des Ausschusses
vorgenommen, sondern nur Bericht erstattet: a) über die Geschäftsgebarung und das
Vereinsorgan „Tiroler Schulfreund" (redigiert von Josef Wassermann-Innsbruck),
b) über die Schritte, welche die tirolische Lehrerschaft zur Regelung ihrer Rechtsver-
hältnisse zu unternehmen habe (Dir. Greif-Cavalese), c) über die Führung der Amts-
schriften (Winterle-Bozen).
Die 33. Hauptversammlung des Lehrervereins des Landes Vorarlberg fand am
28. November 1885 in Dornbirn statt. Der Verein zählt 9 Ehrenmitglieder, 3 corre-
spondierende, 168 wirkliche und 259 unterstützende. Es wurden im letzten Jahre
4 Wanderversammlungen abgehalten, 116 Exemplare Fachzeitschriften waren im Umlauf,
die Vereinsvorstehung wurde wiedergewählt. Prof. Zösmair sprach über die Erklärung
und Schreibung vorarlbergischer Ortsnamen, Lehrer Alge über die an den Volksschulen
des Landes in Gebrauch stehenden Lesebücher, wobei namentlich die neuere fünftheilige
Ausgabe der Heinrich'schen Lesebücher günstige Beurtheilung fand. Für Fachzeitschriften
wurden eingestellt: 200 fl. für Jessen's „Fr. pädagog. Blätter", 100 fl. für den „Tiroler
Schulfreund", 100 fl. für die „Allg. deutsche Lehrerzeitung". Schliesslich wurden zu Ehren-
mitgliedern ernannt: Bürgermeister Dr. Waibel in Dornbirn, Fabrikbesitzer Karl Ganahl
in Feldkirch und Fabrikbesitzer Johann Gassner in Bludenz. — Die Wanderversammlung
zu Bezau am 14. August 1886 bat eine Resolution des Lehrers Heiss, betreffend den
Beitritt zum deutsch-österreichischen Lehrerbund, abgelehnt (!).
Der deutsche Landeslehrerverein in Böhmen. Mit der Hauptversammlung
in Krummau (siehe unten) schloss der deutsche L.-L.-V. in Böhmen zum zwölftenmale
den Kreis seiner jährlichen Thätigkeit ab. Seit 5 Jahren ist Reichenberg der Sitz der
Bundesleitung, und diese Periode ist reich an Erfolgen. Bei Übernahme der Geschäfts-
leitung zählte der Bund 41 Zweigvereine mit 2523 Mitgliedern, jetzt 60 Zweigvereine mit
über4ooo ordentlichen Mitgliedern. Der deutsche Landeslehrerverein in Böhmen
vereinigt nun in sich alle bestehenden deutschen Lehrervereine Böh-
mens, eine Thatsache, die für sich allein schon genügt, dem Standesbewusstsein , der
Eintracht und Sinneseinhelligkeit der deutschen Lehrerschaft Böhmens das glänzendste
Zeugnis auszustellen. Der Centralausschuss bestand im abgelaufenen Jahre aus: Obmann
B.-L. Franz Rudolf, Stellvertreter B.-D. Em. Reinelt und B.-D. Karl Güttier, Schriftführer
V.-L. Reinhold Erben, B.-L. Josef Gerüer, B.-L. Moriz Mautner, Zahlmeister V. L. Josef
Ölkrug, Stellvertreter V.-L. W. Sluke, Mitglieder: V.-L. Josef Jahne, V.-L. Friedr. Legier,
O.-L. Jul. A. May, B.-D. Josef Michler, B.-L. Josef Pohl, B.-D. Anton Schubert und
B.-D. Karl Wanka. Als solcher vertrat er den Verein nach aussen hin, leitete die lite-
rarischen Unternehmungen und besorgte den Verkehr mit den Zweigvereinen. Er hielt
während des Jahres 5 ordentliche Sitzungen ab, denen jedesmal Besprechungen des engeren
Ausschusses, gebildet aus den Reichenberger Mitgliedern, vorangiengen. Zur Verhandlung
gelangten u. a.: 1. Die Errichtung landwirtschaftlicher F or tbildun gs-
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— , — _i
schulen. Die Frage gelangte im Ausschusse wiederholt und auch in den Sitzungen
der Zweigvereine zur Besprechung. Die Anschauungen in den Zweigvereinen waren ge-
theilt. Einige forderten die obligatorische Einführung der landwirtschaftlichen Fort-
bildungsschulen ; die Mehrheit aber schloss sich den Anschauungen des Centraiausschusses
und seines Referenten B.-L. Kögler an, der unter Berücksichtigung der Verhältnisse
vorderhand nur für die nichtobligatorische, aus der Initiative der Gemeinde hervor-
gehende Fortbildungsschule eintrat. Die Angelegenheit bleibt noch weiterer Berathung
offen. —
2. Die Frage der materiellen Besserstellung unseres Standes im
weiteren Sinne, sowie insbesondere die Gehaltsfrage waren wiederholt Gegenstand
der Berathung. Erstere führte zur Gründung eines Wirtschaftsausschusses. Dieser
soll ein Vereinigungspunkt der Lehrerschaft zur Erörterung aller wirtschaftlichen Fragen
sein; er hat die Aufgabe, den Collegen mit Rath und That beizustehen, wenn es sich
um Beschaffung eines Nebeneinkommens für die Lehrer, um Gründung von Consum-
verbänden, Erwirkung von Ortszulagen etc. handelt. Diese Arbeiten wurden der Lehrer-
section Warnsdorf übertragen. Um Regelung der Gehaltsfrage wurde auch heuer
eine Petition an die Landesgesetzgebung gerichtet, worin die Beschlüsse der Komotauer
(vorjährigen) Hauptversammlung zum Ausdrucke gelangten. Die Erfolge waren sehr
gering. Der Landtag des Königreichs Böhmen anerkannte die Dringlichkeit der Gehalts-
aufbesserung, fand sich aber aus „finanziellen" Gründen zu einer durchgreifenden Re-
gelung der Lehrergehälter nicht bewogen. Es wurden bloss die §§ 26 und 30 des Gesetzes
vom 19. December 1875 ausser Kraft gesetzt und dadurch den definitiv angestellten
Unterlehrern Dienstalte rszulageu eingeräumt. Ein weiteres Bröcklein wurde den
Industriallehrerinnen gereicht, indem ihre Remuneration von 20 auf 25 fl. per Stunde
(bisher 16—20 fl.) erhöht und sie berechtigt wurden, dieselbe auch dann zu beziehen,
wenn sie durch Krankheit mehr als 6 Monate vom Schuldienste abgehalten werden.
3. Das Vereinsorgan. Die „Freie Schulzeitung" (Schriftleiter Friedrich Legier,
Verwalter Josef ölkrug) vollendet wie der L.-L.-V., als dessen geistige Waffe sie zu
Schutz und Wehr geschaffen wurde, heuer den 12. Jahrgang. Trotz des erhöhten Preises,
der mit dem wöchentlichen Erscheinen zugleich eintreten musste, ist die Zahl der Be-
steller gegen das Vorjahr eine grössere geworden, indem dieselbe von 1320 auf 1400
stieg. Die Haltung des Blattes, der reiche und mannigfaltige Inhalt fanden sowohl seitens
der Leser, als auch seitens des Centraiausschusses volle Anerkennung. Die energische
Art der Abwehr, die dem amtlichen „Prager Abendblatt" wegen seiner Anfeindungen
der deutschen Lehrer Böhmens und des ganzen Vereins zutheil wurde, brachte dem
Schriftleiter vielfachen Dank und volle Zustimmung ein. Der Bestellpreis beträgt pro
Jahrgang für Mitglieder 4 fl. 50 kr., für Nichtmitglieder 5 fl.
4. „Österreichs deutsche Jugend" (Schriftleiter Franz Rudolf, Verwalter
Reinhold Erben). Die „Jugendzeitung" beschliesst heuer den 3. Jahrgang und zählt
gegenwärtig 4400 Abnehmer (gegen 4000 im Vorjahre und 3000 im ersten Jahre ihres
Bestandes). Es ist ein Beweis für die Beliebtheit und Gediegenheit dieser Monatshefte,
dass sie jährlich an Verbreitung gewinnen. Die Schriftleitung ist aber auch unausgesetzt
bemüht, sowohl durch Gewinnung von neuen, tüchtigen, berufenen Mitarbeitern, als auch
durch Ankauf vorzüglicher Bilder das Werk in Wort und Bild immer mehr zu vervoll-
kommnen. Der Preis des Jahrganges (12 Hefte) beträgt wie im Vorjahre 2 fl. 40 kr.
Bei der Anwesenheit des Herrn Unterrichtsministers Dr. Paul Gautsch von Frankenthurn
in Reichenberg überreichte die Deputation, die Se. Excellenz namens des deutschen L.-L.-V.
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begrüsste, demselben auch einen Band der Jugendzeitung mit der Bitte, diesem Unter-
nehmen sein Wohlwollen zu gewähren. Se. Excellenz nahm das Buch an und gab die
Versicherung, das Werk der Einsicht zu unterziehen.
5. Der Lehrerkalender des deutschen L.-L.-V., der nun zum fünftenmal
erschienen ist, erfreut sich in gleicher Weise wie die voranbesprochenen Unternehmungen
der Sympathien der Collegen. Die ersten 4 Jahrgänge sind in 9400 Exemplaren ver-
breitet und haben der Hilfscasse mehr als 3000 fl. eingebracht. Die Herausgabe des
Kalenders besorgt im Auftrage des Centraiausschusses Herr M. Mautner.
6. Die Hilfscasse. Das Erträgnis aus den literarischen Unternehmungen fliesst
in die Hilfscasse. Durch diese Mittel und durch die bei Lebensversicherungen der
Vereinsmitglieder erzielten Abschlussprovisionen und endlich durch freiwillige Beitrags-
leistungen der opferwilligen Collegen ist das Vermögen in den letzten 5 Jahren von
28. 11. 25 kr. auf volle 10000 fl. gestiegen. Die Benützung der Hilfscasse seitens der
Vereinsmitglieder steigert sich mit jedem Jahre. Von den eingelaufenen 287 Gesuchen
wurden 246 willfährig erledigt. Die gewährten Vorschüsse beziffern sich mit 11751 fl.;
als nicht rückzahlbare Unterstützungen sind 915 fl. ausgefolgt worden.
7. Die Hauptversammlung des deutschen L.-L.-V. fand in den Tagen des
24. und 25. August in Krummau statt. Die alte „Herzogsstadt" an der Moldau ist
eigentlich ein ungünstig gelegener Ort für die Hauptversammlung eines so grossen Vereins,
der zwar über das ganze Land verbreitet ist, aber in der nördlichen Hälfte die grosse
Zahl seiner Mitglieder hat. Wenn nun trotzdem eine so weit im Süden gelegene Stadt
gewählt wurde, so hat das seinen guten Grund. Indem man mit den Versammlungsorten
wechselt und alle Tbeile des Landes berücksichtigt, will man immer neue Kreise der
Vereinsgenossen heranziehen, sie mit den Bestrebungen des Bundes bekannt machen und
ihre Interessen mit den gemeinsamen des Bundes in Einklang bringen. Es ist ein Be-
weis von der verständnisvollen Auffassung dieser Umstände durch die Collegen, wenn
in Krummau trotz der Abgelegenheit und unbequemen Verkehrsverhältnisse sich über
400 Theilnehmer zu den Berathungen einfanden. In der Sitzung des weiteren Ausschusses
waren von den 60 Zweigvereinen mehr als zwei Drittheile vertreten, nämlich 41, während
vom Centralausschusse 8 Mitglieder von 15 anwesend waren. Den Vorsitz führte in
Abwesenheit des Obmannes der 1. Stellvertreter Herr Em. Reinelt. Der Verlauf der
Verhandlungen war ein glänzender. „In allen Berathungen zeigte sich jener treffliche
Geist, der wohl in den Nebensächlichkeiten verschiedene Meinungen zutage treten lässt,
aber in der Hauptsache eines Sinnes und eines Herzens ist." — Den ersten Vortrag
hielt Herr Dr. Tupetz, k. k. Professor an der deutschen Lehrerbildungsanstalt in Prag,
über das Thema „Lehrerbildung". Seine Vorschläge lauten: 1. Bezüglich der Vor-
bildung des Zöglings gibt Redner der in der Bürgerschule erfolgten den Vorzug.
Nachdem aber ein Hürgerschüler bereits mit 14 Jahren absolvieren kann, so trete eine
Lücke ein, da sich ihm die Lehrerbildungsanstalt erst mit dem erlangten 15. Lebensjahre
öffnet. Diese Lücke wäre am betten in der Weise auszurollen, dass die Lehrerbildungs-
anstalten 5 Jahrgänge zählten. So würde auch der Überbürdung der Zöglinge vor-
gebeugt. Weitere sollte den Bürgerschulen das Recht eingeräumt werden, auf das Ab-
gangszeugnis des Schülers die Bemerkung setzen zu dürfen, ob sich der Zögling zur
Aufnahme in die Lehrerbildungsanstalt eignet oder nicht. Die Lehrer der Bürgerschulen
sollten auf fähige Köpfe unter ihren Schülern Einfluss nehmen, das« sie sich dem Lehr-
amte zuwenden. 2. Um die materielle Lage der Lehramtszöglioge zu heben, sind durch
den Staat feste, nicht nur zur Zeit des Lehrermangels gewährte Stipendien zu gründen.
142
3. Wegen des Ausmuses des Unterrichtsstoffes herrschte bisher eine Überlastung; diese
werde durch das neue Statut für Lehrerbildungsanstalten etwas gemildert, was zu be-
grüssen ist. Da der 4. Jahrgang nunmehr fast ganz der Einführung in die praktische
Lehrtätigkeit gewidmet wird, so dürfte es sich empfehlen, die Reifeprüfung schon
mit Schluss des 3. Jahrganges vorzunehmen.
Den zweiten Vortrag hielt B.-L. Herr Franz Mathe-Prag über das Thema: „Die
Militärpflicht der Lehrer." Seine Thesen lauten:
In Erwägung, dass die Lehrer infolge der ihnen durch den § 27 des WehrgeseUes
gewählten Begünstigung in der Erfüllung ihrer Militärdienstpflicht dazu verurtheilt sind,
während ihrer ganzen 12-, bezw. 22jährigen Dienstzeit auf der niedrigsten Stufe militä-
rischer Rangordnung stehen zu bleiben, wodurch nicht nur das Ansehen des ganzen
Standes in mehrfacher Richtung empfindlich geschädigt wird, sondern auch der Eifer der
hiedurch Betroffenen in der Erfüllung ihrer militärischen Pflichten unwillkürlich herab-
gedrückt werden muss;
in fernerer Erwägung, dass es der Heeresverwaltung nur erwünscht sein kann, ein
gebildetes, an Pflichttreue gewöhntes, von patriotischem Geiste erfülltes Element fester
in den Heeresverband einzufügen, wodurch bei der allgemeinen Wehrpflicht die patrio-
tische Erziehung des Volkes nur gewinnen könnte;
in weiterer Erwägung, dass der Absolvent einer k. k. Lehrerbildungsanstalt in seiner
allgemeinen Bildung dem absolvierten Handels- und Gewerbeschüler wohl mindestens
gleichgestellt werden muss;
und in endlicher Erwägung des Umstandes, dass die Heeresverwaltung einem Stande
nicht eine zweifache Begünstigung gewährt, spricht sich die Hauptversammlung des
deutschen Landeslehrervereins in Böhmen dahin aus:
Die Lehrer sollten unter Verzichtleistung auf die ihnen durch den § 27 des Wehr-
gesetzes gewährten Begünstigungen anstreben, dass die Lehramtscandidaten bezüglich der
Berechtigung zum Einjahrig-Freiwilligen-Dienste den übrigen Mittelschülern gleichgestellt
werden.
Diesen Sätzen stellte Herr J. Weyrauch-Saluschitz b. Saaz die folgenden entgegen :
Die Hauptversammlung des deutschen Landeslehrervereins in Böhmen spricht sich
für die Aufrechterhaltung des § 27 des Wehrgesetzes vom 2. December 1882 aus. Es
ist jedoch anzustreben:
1. dass im Verordnungswege durch das k. k. Reichs-Kriegsministerium die Veranlassung
getroffen werde, jenen Lehrersoldaten, welche die hiezu nöthige Eignung besitzen,
die Beförderung zum Unterofficier auch während der Waffenübungsperiode zu er-
möglichen ;
2. dass jenen wehrpflichtigen Lehrern und Lehramtscandidaten, welche unter Verzicht-
leistung auf die Begünstigung des § 27 die Berechtigung zum Einjährig-Freiwilligen-
Dienste anstreben, die Bewilligung hiezu ertheilt werde.
Die Versammlung entschied sich für keinen der Redner, sondern bestimmte, dass
die Frage diesmal von der Tagesordnung abzusetzen und neuerlich in den Vereinen,
namentlich von den berufenen Lebrersoldaten eingehend discutiert werde. — Zur mate-
riellen Besserstellung der Lehrer Böhmens sprach Herr F. Legier. Er spricht sich gegen
den Normalgehalt von 500 fl. und gegen einen Concretualstatus im Volksschullehrerstande
aus. Seine Schlussanträge lauten:
1. Die Hauptversammlung des deutschen Landeslehrervereins zu Krummau beauftragt
den Centralausschuss mit der Ausarbeitung und Vorlegung einer Petition an den
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143
h. Landtag Böhmens um sofortige Aufhebung der IV. Lehrergehaltsclasse unter
Betonung der dringenden Notwendigkeit, dass die Beziige der übrigen 3 Gehalts-
classen, sowie die der Bürgerschullehrer ausserdem, soll dem § 55 des R.-V.-Ges.
Genüge geschehen, mindestens um je 100 fl. zu erhöhen wären.
2. Die Hauptversammlung ermächtigt den Centralausschuss, alle ihm geeignet erschei-
nenden Mittel zur Erreichung oben genannter Besserstellung der Lehrer Böhmens
zu ergreifen, und verpflichtet die einzelnen Zweigvereine, die nach dieser Richtung
hin zu treffenden Massnahmen des Centraiausschusses aufs kräftigste und angelegent-
lichste zu unterstützen.
Diese Anträge wurden mit allen gegen eine Stimme angenommen. Diese eine
Stimme (Herr O.-L. Haustein-Neusattel) hatte folgenden Gegenantrag eingebracht:
Die IV. Gehaltsciasse sei, als der Lehrerschaft unwürdig, ehethunlichst aufzuheben
und mit der Aufhebung derselben die Einführung des Concretualstatus von 500 fl. an
mit einer dreimaligen Vorrückung um je 100 fl. nach 10 zurückgelegten anrechenbaren
Dienstjahren nebst 6 Quinquennien von je 50 fl. sofort anzubahnen. Für Unterlehrer
und Bürgerschullehrer sei ein ähnlicher Modus zu schaffen.
Von weiteren Beschlüssen der Hauptversammlung erwähnen wir, dass Reichenberg
neuerdings als Sitz der Vereinsleitung und diese selbst auch einstimmig wiedergewählt
wurde. Für den aus dem Ausschusse infolge seines Dienstantrittes an der Bürgerschule
in Fünfhaus scheidenden Herrn J. Jahne wurde Herr Karl Sywall-Reichenberg gewählt.
Fassen wir zum Schluss die Ereignisse des letzten Jahres zusammen, so können
wir mit vollem Rechte sagen, der deutsche L.-L.V. hat sowohl in der Gesammtheit, als
in seinen Theilen die ihm zukommenden Aufgaben richtig erfasst und viele einer erfolg-
reichen Lösung zugeführt. Eines Herzens und eines Sinnes waren Bundesleitung und
Mitglieder, und in schönster Harmonie verfloss das 12. Vereinsjahr. Möge dieses schöne
Verhältnis auch in den kommenden Jahren in ungestörter Kraft bestehen! —
Der Deutsche pädagogische Verein in Prag hat seinen vormaligen Obmann,
Bürgerschuldirector Schubert, „in Ansehung der hohen Verdienste, die er sich durch
die ausgezeichnete achtjährige Leitung des Vereins erworben, und der er sich immer
mit voller Hingebung gewidmet, ferner in Anbetracht seiner hervorragenden schulmänni-
schen Fähigkeiten und seiner Charaktereigenschaften zum Ehrenmitgliede ernannt; des-
gleichen Asmus Christian Jessen, den treuen Wächter auf der Hochwarte des öffent-
lichen Schulwesens, den mannesmuthigen Vorkämpfer für alle hohen Ideen auf dem
Gebiete des Unterrichts- und Erziehungswesens, in Anerkennung seiner ausserordentlichen
Verdienste, die er sich als pädagogischer Schriftsteller und Herausgeber der »Freien
pädagogischen Blätter« erworben." — Der pädagogische Verein des Landbezirkes Reichen-
berg ernannte Dr. F. Dittes zum Ehrenmitgliede.
Der israelitische Lehrerverein in Böhmen hat in seiner 13. General-
versammlung beschlossen, das h. U.-M. zu bitten: „Ein h. k. k. M. f. C. u. U. geruhe
die israelitischen Lehrer an Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht von dem Nachweise
einer zweijährigen Verwendung im praktischen Schuldienste an einer öffentlichen oder
mit dem öffentlichkeitsrechte ausgestatteten Volksschule zu dispensieren und es bei der
bisherigen Praxis bewenden zu lassen, wonach die israelitischen Lehrer auch nach einer
zweijährigen zufriedenstellenden Verwendung im praktischen Schuldienste an Privatvolks-
schulen ohne öffentlichkeitsrecht zur Befähigungsprüfung zugelassen wurden."
Der deutsch mähriaohe Lehrerbund umfasst 24 Zweigvereine mit 1300 Mit-
gliedern (Obmann: Michel-Brünn). Am 26. April fand zu Brünn eine von 20 Vereinen
144
beschickte Abgeordnetenversammlung statt. Der Vorsitzende, Bürgerschullehrer Pirnos,
berichtete ausführlich über die in der Gehaltsfrage unternommenen Schritte, die aber
leider wegen des Widerstandes der Grossgrundbesitzer im Landtage erfolglos waren, doch
haben die schulfreundlichen Landtagsabgeordneten gerathen, wieder und wieder zu peti-
tionieren und mit einem Th eile zufrieden zu sein, da eine durchgreifende Auf besserung
auf einmal nicht durchzuführen sei. Ferner hat der Ausschuss hohenorts um Abschaffung
der sogenannten Conferenzarbeiten angesucht; die Bitte wurde endlich bewilligt. Die
Versammlung beschloss sodann folgende Eingaben: i. an das h. U.-M. um ein officielles
Verzeichnis der „geeigneten" Jugendschriften; 2. an den h. Landtag, die Gehaltsfrage
betreffend; 3. an den b. L.-S.-R., um Theilung der officiellen Landeslehrerconferenz in
eine deutsche und czechische Section; 4. um Abänderung, event. gänzliche Weglassung
des im Steuerbogen (Steuerbüchel) vorkommenden Ausdruckes „8-pcrc. Lehrer-Gehalts*
beitrag"; 5. an den h. Landtag, um Regelung der Rechtsverhältnisse der zu Kriegs-
diensten einberufenen Lehrer. Die anderweitigen Beschlüsse betrafen die Aufhebung der
Gradbezeichnung in den Lehrbefähigungszeugnissen, die Vertretung der Volksschule im
Landesschulrathe durch ein Mitglied aus dem Kreise der Volks- und Bürgerschullehrer,
die Bemessung der Pension für jedes einzelne Dienstjahr und die Herabsetzung der
Dienstzeit von 40 auf 30 Jahre, die Herabsetzung des Beitrages für den deutsch- öster-
reichischen Lehrerbund, endlich die Bürgerschulen betreffend: die Feststellung einer
Zahl von höchstens 24 wöchentlichen Unterrichtsstunden, Entlohnung der Überstunden
mit je 50 fl. pro Jahr, Zutheilung der Unterrichtszeit nach den Unterrichtsfächern.
Vereinsorgan: „Freie deutsche Blätter für Erziehung und Unterricht", halbmonatlich, 2 fl.
pro Jahr; Redacteur H. Hanaczek-Brünn.
In Brünn erfolgte die Bildung eines neuen Vereins, „Bürgerschule 14 genannt,
welcher nicht nur die Brünner Bürgerschullehrer, sondern im Laufe der Zeit alle Bürger-
schullehrer Mährens zu vereinigen hofft.
Der österreichiach-schlesiBche Landeslehrerverein zählt 18 Mitgliedsvereine
mit 750 Mitgliedern und 27 Einzelmitglieder; er hielt die diesjährige Delegiertenversamm-
lung am 31. October zu Troppau ab. Den Rechenschafts- und Cassabericht, sowie den
Bericht über das Vereinsorgan „Schlesisches Schulblatt", 15. Jahrg. (Redacteur
A. Meixner), erstattete Prof. A. Meixner, den Bericht über das Versicherungsgeschäft (mit
dem Beamtenverein in Wien) Prof. J. Hanel. Aus dem Rechenschaftsberichte geht her-
vor, dass der Centralausschuss eine Petition an den schlesischen Landtag richtete um
Übernahme der Lehrerdotationen auf den Landesschulfonds. Hierüber beschloss der Landtag
zwei Gesetze: das eine betr. die Bewilligung einer Functionszulage von 40 fl. für die
Leiter einclassiger Volksschulen, das zweite betr. die Übernahme dieser Functions-
Zulagen, sowie der Dienstalterszulagen der Lehrer auf den Landesschulfonds; beide
Gesetze erhielten die A. h. Sanction. — Über eine andere an den Landtag gerichtete
Petition beschloss dieser: „i. dass die k. k. Regierung ersucht werde, dahin zu wirken,
dass für Schlesien zur Verhütung der Trunkenheit ein Reichsgesetz geschaffen werde,
welches in jenen Landestheilen Anwendung zu finden hat, in welchen die Regierung die
Einführung desselben im Verordnungswege bestimmt; 2. der Landesausschuss wird beauf-
tragt, die nothwendigen Vorarbeiten behufs Errichtung zweier Rettungsanstalten für
verwahrloste Kinder zu machen und dem Landtage in dessen nächster Session die
auf die Errichtung solcher zwei Anstalten im Lande abzielenden Anträge vorzulegen." —
Obmann : Dr. J. Mich; Stellvertreter: A. Meixner und J. M. Wendt; Schriftführer: Bayer,
Schob: und Wolf; Hauptagent: J. Hanel.
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145
Der „Verband Pensi o nsz ulagecasse schlesischer Lehrerwitwen und
-Waisen", begründet vom L.-L.-V., hielt seine Generalversammlung am 3i.October ab.
Er zählt 183 ordentliche Mitglieder mit den Gesammtbeiträgen des Jahres von 621 fl.
Vermögensstand: 8791 fl. 72 kr. Am 1. Jänner 1887 erhält jede Witwe mit Kindern
(7 an Zahl) an Dividende 963.24 kr., eine Witwe ohne Kinder 64 fl. 17 kr.; denselben
Betrag erhalten 2 Waisen. Obmann: A. Meixner; Stellvertreter: J. Pleban.
Der im Juli abgehaltene galizische Pädagogentag hat sich für eine theilweise
Reform der Landes-Schulgesetzgebung, für die Reorganisation der Lehrerseminarien, für
eine den praktischen Bedürfnissen mehr entsprechende Umgestaltung der Dorfschulen
und für die Errichtung gewerblicher Fortbildungsschulen in Lemberg und Krakau aus-
gesprochen. Ein gegen die Überbürdung der Schulen in den städtischen Volksschulen
gerichteter Vorschlag wurde dem Vorstande der Pädagogischen Gesellschaft zur Begut-
achtung und Berichterstattung für die nächste Jahresversammlung überwiesen.
Die im April zu Krakau abgehaltene Generalversammlung des Vereins der Lehrer
höherer Schulen behandelte die Frage der Überbürdung der Mittelschüler und be-
schloss folgende Resolution: 1. Der Lehrplan, wie er für die Mittelschulen besteht, kann,
wenn er gehörig ausgeführt wird, nicht die Quelle einer wirklichen Überbürdung der
Jugend sein; 2. die Erscheinungen der überbürdung lassen sich nur sporadisch consta-
tieren und haben ihre Quelle in der ungenügenden Vorbereitung eines bedeutenden
Theiles der Schuljugend und in der nicht harmonischen Behandlung aller Lehrgegen-
stände durch die Lehrer Einer Classe. Ferner wurde mit 75 gegen 43 Stimmen ein
Beschluss gefasst zu Gunsten der Einführung von Uniformen für die Mittelschüler.
Der Bukowinaer Landeslehrerverein hielt am 23. und 24. Juli zu Radautz unter
dem Vorsitze des Schulraths Demeter Isopescul die Generalversammlung ab. Etwa
150 Vereinsmitglieder waren erschienen und nahmen den Rechenschaftsbericht entgegen.
Hierauf sprach B.-S.-R. Vas-Hadikfalva über den Betrieb der Bienenzucht, Kaminski-
Czernowitz über die Anlage von Schulgärten, Reus-Krasna über den Gebrauch der
Rechenbücher an ein- und zweiclassigen Volksschulen, Dubensky-Czernowitz über die
Frage, wie dem Übel der verfehlten häuslichen Erziehung vorgebeugt werden könne,
Chodakowski-Itzkany über landwirtschaftliche Fortbildungscurse, Wotta-Czernowitz über
die Art, wie der Lehrer zur Lehrerbildung beitragen kann. Anträge wurden eingebracht:
wegen Abkürzung der Dienstzeit der Lehrpersonen auf 30 Jahre, wegen Einbeziehung
der Pension der Unterlehrer in die 3. Gehaltsciasse, wegen Errichtung von Internaten an
der L.-B.-A. — Vereinsorgan: „Bukowiner pädagogische Blätter", Redacteur: Johann
Hlibowicki.
Ungarn. Über eine ausgiebige Vereinsthätigkeit im verflossenen Jahre lässt sich
blutwenig berichten. Einige Lebhaftigkeit kam indes doch in die Lehrerkreise zufolge
des in Aussicht gestellten III. ungarischen Landeslehrertages. Die vom Ministerium aus-
gegebenen Themata (siehe weiter unten) mussten besprochen werden, weil nur jene
Vereine die Ermächtigung hatten, Delegierte in den Lehrertag zu senden, welche wenig-
stens ein Drittel der Themata durchberathen und Sr. Excellenz behufs Einsichtnahme
zugesandt hatten. Der Lehrertag wurde aber nicht abgehalten aus — Sparsamkeitsrück-
sichten! Da waren unsere allgemeinen Lehrertage wohl billiger! Das Executivcomite
des III. allgemeinen ungarischen Lehrertages hat noch nicht capituliert ; soweit die Stim-
mung eines grossen Theiles der Lehrerkreise zu erkennen ist, dürfte die Abhaltung des
IV. allgemeinen ungarischen Lehrertages nicht in all/.u weite Feme gerückt sein, es sei
denn, der Staat käme mit seiner 3. Versammlung eher daher.
Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1886. 10
14(5
Im allgemeinen ist keine Besserung zu verzeichnen. Auf die Action der 70 er Jahre
folgt nun Reaction, jede Confession zieht sich in ihr eigenes Haus zurück; Schulter an
Schulter wird wenig geleistet.
Die Thätigkeit in den Elementarlehrervereinen hatte auch die Lehrer und Lehrerinnen
der höheren Volks» und Bürgerschulen zur That angespornt, so dass schon im Jahre 1875
ein Bürgerschullehrerverein begründet wurde, welcher sich zur Hauptaufgabe ge-
stellt hatte, die Bürgerschule zu einer Art Mittelschule zu erheben. Die meisten damaligen
Lehrer (es gebürt ihnen der Titel tanar, d. i. „Professor«') der Bürgerschule kamen von
der Universität, und es ist hierin der Grund zu suchen, weshalb sie sich in den Kreisen
der Volksschullehrer nicht wohl fühlten, ja sich solchen Collegen gegenüber sehr zurück-
haltend benahmen, welche aus den Bildungsanstalten für Volks- und Bürgerschullehrer
hervorgegangen waren. Da sich die letzteren aber von Jahr zu Jahr vermehrten, so war
es vorauszusehen, dass die, zwei entgegengesetzten Anschauungen huldigenden Parteien
sich nicht vertragen werden. Es traten denn die verschiedenen Richtungen auch gar
bald zutage. Die aus dem Seminar hervorgegangenen Zöglinge fanden die Umgestaltung
der Bürgerschule in eine Mittelschule weder im Gesetz begründet, noch aber vom national-
ökonomischen Standpunkte aus für berechtigt ; zugleich gaben sie ihrer Ansicht, wonach
die Mädchenschulen womöglich mit weiblichen Lehrkräften versehen werden mögen,
immer mehr und mehr Ausdruck. So trat denn die Spaltung ein, und die letztgenannte
Partei rief 1883 einen Verein ins Leben: „A felsö nep6s polgäri-iskolai tanitök 6s tani-
tönök orszägos egyesülete" (Landesverein der Lehrer und Lehrerinnen für höhere Volks-
und Bürgerschulen). Das Programm betonte neben dem bereits Bezeichneten noch ganz
besonders, dass die Bürgerschule den Anforderungen des praktischen Lebens zu ent-
sprechen habe. Auch die Errichtung von Industrie- und kaufmännischen Fachschulen
wurde ins Auge gefasst. Dass die Ansichten dieser Fraction zeitgemässe waren, beweist
das grosse Interesse , das dem neugegründeten Vereine entgegengebracht wurde.
Gegen 350 Mitglieder traten dem Vereine sofort bei, die Zahl derselben übersteigt seit-
dem 500. Die Vereinsthätigkeit ist eine recht lebhafte, das monatlich zweimal erschei-
nende Vereinsorgan legt ein schönes Zeugnis ab von dem Wirken seiner Lehrer auch
ausserhalb der Schulwände; sogenannte politische Schulfragen kommen selten vor, da-
gegen wird das Hauptaugenmerk auf die zweckmässige Anwendung und Vertheilung des
Lehrplanes, beziehungsweise des Lehrstoffes und auf die Disciplin gerichtet. Behufs
Ausbreitung seiner Ideen hält der Verein seine in die grossen Ferien fallenden Vereins-
sitzungen alljährlich in einer anderen Provinzialstadt ab. Die heurige (III.) Hauptsitzung
hat zu Miskolcz im Borsoder Comitat stattgefunden, und es entsprach dieselbe den an
sie geknüpften Erwartungen im vollsten Masse. Die Intelligenz eines grossen Theiles
des Comitates hatte an der Sitzung theilgenommen, so dass der Verein in dem Beschlüsse
bezüglich der Abhaltung fernerer Wander Versammlungen nur bestärkt ward. In
der letzten Sitzung wurde verbandelt über die Wahrnehmungen, welche man in letzterer
Zeit in den Bürgerschulen gemacht, ferner über das Seelenleben der Frauen vom
pädagogischen Standpunkte aus betrachtet; endlich über die Erweiterung der mit Lehr-
werkstätten zu verbindenden Handarbeiten der Bürgerschulmädchen. (Hierbei wurde ganz
besonders des langjährigen und segensreichen Wirkens der hervorragenden Mädchen-
erzieherin Therese Karacs gedacht.) — Ausschuss: Bürgerschulpräparandie-Director
Stefan Gyertyänffy-Ofen, Obmann; Dr. Aron Kiss, Stellvertreter und Redacteur; Dr. Elek
Ker6kgyärtö, Secretär; Josef Balö, Schriftführer; Gregor Miklös, Cassier.
Der Eötvösfonds hat in den 11 Jahren seines Bestandes 20430(1. zur Vertheilung
147
gebracht, und zwar erhielten 264 Lehrerfamilien bisher theils Stipendien für ihre studie-
renden Kinder, theils aber Unterstützungen. Confession und Nationalität waren nie
ausschlaggebend bei der Vertheilung ; dort wurde geholfen, wo sich eben die dringlichste
Notwendigkeit herausstellte. Von den Betheilten waren: n7 römisch-katholisch,
55 augsburgisch, 51 reformiert, 4 griechisch-katholisch, 4 unitarisch und 33 mosaisch.
Ausserdem wurden zweimal bei Überschwemmungen ganz ansehnliche Summen auf Ini-
tiative des Eötvösfonds für verunglückte Lehrerfamilien gesammelt. Endlich sei noch
erwähnt, dass seit 8 Jahren 2 Universitätshörer, u. z. Lehrersöhne, für Hilfeleistung
beim genannten Fonds bisher 1920 fl. an Honorar bezogen. — Capitalisiert wurden in
eben dem Zeiträume nahezu 24000 fl. — Nachdem die Mitgliedertaxe per Jahr nur t fl.
beträgt, sollte man meinen, dass sich in Ungarn kein einziger Lehrer finden sollte, der
dem Fonds nicht beigetreten wäre, und doch: wie weit, wie unendlich weit ist es noch
dabin ! Von den 22 bis 23 000 Lehrern Ungarns dürfte sich kaum mehr als ein Siebentel
daran betheiligen I Und doch wird immer gelärmt, geklagt, gejammert etc.! Auch das
„schöne Geschlecht" ist nicht in dem Masse vertreten, wie man es bei den weichherzigen
Naturen doch gewiss erwarten sollte! Ein grosser Theil der katholischen Lehrer wurde
allerdings dem Eötvösfonds entzogen ; der von dem hohen Clerus für diese geschaffene,
resp. initiierte Fonds beträgt zur Zeit bereits 45000(1.!
Eine grössere Betheiligung an dem Eötvösfonds wäre auch aus dem Grunde geboten,
weil ein Theil der Beiträge seit ca. 2 Jahren auch dem Landeslehrerwaisenhause
zugute kommt. — Leider war im verflossenen Jahre keine Beisteuer des Unterrichts-
ministers zu verzeichnen.
Im Landeslehrerwaisenhause zu Ofen (in unmittelbarer Nähe und auch theil-
weisen Verbindung mit dem Volks- und Bürgerschullehrerseminar, dem sogenannten und mit
Vorliebe genannten „Pädagogium") sind bereits 15 Lehrerwaisen untergebracht. Waisen-
vater ist der durch seine Tüchtigkeit und Humanität vortheilhaft bekannte Seminarprofessor
Suppan. Ein Waisenmädchen (die 16. Waise) hat in der Lehrerinnenpräparandie zu Ofen
Unterkunft gefunden. Gebe Gott, dass der Ausspruch des Ministers, wonach es sein
Wunsch und Wille sei, an jeder Staatspräparandie ein Lehrer Waisenhaus einzurichten,
je eher in Erfüllung gehe!
Wichtigere Ministerialerläss e.
Die Gesundheitslehre wurde in den höheren Volks- und Bürgerschulen als
obligater Lehrgegenstand angeordnet; damit sie auch in Mittelschulen gelehrt werden
könne, wurden besondere Lehrcurse eröffnet. In den Akademien für Jus verlangt der
Minister, dass die Gesundheitslehre jährlich in wenigstens 2—3 Stunden vorgetragen werde.
Hinsichtlich der Militärpflichtigkeit der Lehrer und Lehr amtscandi-
taten erliess der Honvldminister einen Erlass, dessen § 45 folgendermassen lautet:
,, Behufs gesetzlicher Beurlaubung ist nothwendig: a) das mit wenigstens »genügendem'
Calcül versehene Zeugnis des letzten Jahrganges, resp. der Beendigung einer Volks- oder
Bürgerschulpräparandie ; b) ein Zeugnis der betreffenden Schulbehörde, in welchem das
Wirken an einer öffentlichen Volks- oder Bürgerschule nachgewiesen wird ; die Professoren
an Lehrerbildunganstalten, sowie die Bürgerschullehrer haben ihr Diplom vorzuweisen.
Diese Begünstigung tritt jedoch nur dann in Rechtskraft, wenn der Betreffende in jenem
Lande der Monarchie als Lehrer oder Lehramtscandidat wirkt, dessen Landes-Bürger er
zugleich ist." Für die Zöglinge von Lehrerbildungsanstalten ist dieser Erlass nur so lange
rechtskräftig, solange ein Mangel an angeste'lten Lehrkräften fühlbar ist und bis er nicht
zurückgezogen wird.
10*
148
Erlass des Industrie- und Handelsministers vom 23. März 1886: „In solchen Ge-
meinden, in welchen Industrieschulen noch nicht existieren, sind die Strafgelder zum
Vicegespan des Comitates als Industriebehörde 2. Ranges einzusenden, wo sie als Comitats-
Industrieschulfonds hinterlegt werden ; dort aber, wo eine Gemeinde sich erklärt, in kürzester
Zeit eine solche Schule zu gründen, wird die Summe zu ihren Gunsten verwaltet. Über
die Gelder des Industrieschulfonds hat die Behörde 2. Ranges alljährlich im Monat
November dem Ministerium ihre diesbezüglichen Ausweise einzusenden.
Der Minister für C. u. U. empfahl den königl. Schulinspectoren neuerlich die Ver-
breitung und Weiterentwicklung der Schulsparcassen.
Am 4. Mai 1886 verständigte der Minister die Schulinspectoren davon, dass aus
Sparsamkeitsrücksichten.* 1. Ersatzcurse zur Erlernung der ungarischen Sprache in diesem
Jahre nicht stattfinden und das Gesetz die weitere Abhaltung solcher Curse überhaupt
nicht mehr vorschreibt; 2. die Landeslehrerversammlung diesmal wegfällt ; 3. den Lehrern
und Lehrerinnen an Staats- und staatlich unterstützten Gemeindeschulen in diesem Jahre
die bei Besuchen von Lehrerversammlungen üblich gewesenen Tagesdiäten nicht aus-
gefolgt werden können.
Die vom Ministerium für die Verhandlung in der III. Landeslehrerversammlung
bestimmten Themen lauten: 1. Volksschulhygiene. 2. Uber die Benützung der Lese-
bücher. 3. Der Wiederholungsunterricht, das Lesebuch hierar auf dem Lande und in
den Städten. 4. Zeit, Material und Methodik des Handfertigkeitsunterrichts mit Berück-
sichtigung unserer volkswirtschaftlichen Verhältnisse. 5 Der Unterricht der Erwachsenen
im Interesse der Aneignung der ungarischen Sprache. 6. Material und Methodik des
naturgeschichtlichen Unterrichts in der Volksschule in Verbindung mit der Volkswirtschaft,
der Hausindustrie und den Handfertigungsübungen. — Nur solche Vereine, in denen
wenigstens ein Drittel dieser Thesen verbandelt worden, hätten sich an der Landes-
versammlung betheiligen dürfen.
Die Matrikeln der Israeliten können hinfort nur nach einer neueren Verordnung
geführt werden, weshalb Bezirke behufs Matrikelführung errichtet werden.
Die israelitischen Schüler an Mittelschulen können an Samstagen nur dann des
Schreibens und Zeichnens enthoben werden, wenn sie mittelst Ministerialerlasses diese
Begünstigung erlangen; die Schüler baben^ aber am Samstag in der Schule zu sein.
Überhaupt ertheilt der Minister diese Begünstigung nur Söhnen von Rabbinern, dann
Jünglingen, welche sich dem Rabbinerstande widmen.
Bezüglich der portofreien Briefe gelangte vom Ministerium des Innern am
21. März 1886 folgender Erlass herab: Briefe werden an Behörden und Ämter nur dann
portofrei befördert, wenn die Adresse in amtlicher Sprache verfasst, der Bestimmungsort
ungarisch ausgesetzt und mit der Clausel „Portofrei" versehen ist.
Siebenbürgen. Nach einer Pause von 13 Jahren trat der IV. siebenbürgisch-
sächsische Lehrertag in Kronstadt zusammen. Die Vorversammlung tagte am 20. August,
setzte die Tagesordnung fest und nahm die Wahl der Functionäre vor. Den Vorsitz
führte Stadtpfarrer Franz Obert. Nach mehrfachen Begrüssungen kamen folgende Vor-
träge zur Verlesung: Die hauptsächlichsten Forderungen des erziehenden Unterrichts, die
Bewahranstalt auf dem Lande (Antrag auf Errichtung von Volkskindergärten) und Me-
thodik des ungarischen Sprachunterrichts. In Bezug auf den letzten Gegenstand, den
Eduard Morres-Kronstadt behandelte, wurden folgende Thesen angenommen: 1. Der
magyarische Sprachunterricht soll den Schüler dahin bringen, dass er über die in seinem
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nächsten Umkreise vorkommenden Dinge und Veränderungen sich in magyarischer
Sprache möglichst genau ausdrücken und seine Gedanken in derselben auch schriftlich
darstellen könne. 2. Als Mittel dient nicht irgend eine Grammatik, sondern die unmittel-
bare Einführung in den fremden Sprachschatz, aus dem die grammatischen Formen erst
allmählich abgeleitet werden. 3. Die Auswahl des Unterrichtsstoffes richtet sich nach
den übrigen in deutscher Sprache schon behandelten Gegenständen. Namentlich kommen
hiebei natur- und heimatkundliche Stoffe in Betracht; doch werden auch erzählende
Stücke, Nationalgeschichtliches und Poetisches herangezogen. (Weitere Punkte besprechen
die Methode des ungarischen Unterrichts.) Diesen Thesen war folgende Resolution voran-
gestellt: „Indem der IV. siebenbürgisch- sächsische Lehrertag darangeht, über die
Methodik des magyarischen Sprachunterrichts zu berathenj, muss er sich zunächst im
Principe rückhaltlos und mit voller Entschiedenheit gegen die zweisprachige Gestaltung
des Volksschulunterrichts aussprechen und tritt nur mit schwerem Herzen und grossen
pädagogischen Bedenken an die Berathung dieses Gegenstandes heran."
III.
Thesen zu pädagogischen Themen.
(Als Ergebnis der Berathungen in Lehrervereinen, officiellcn Conferenzen etc.)
Zusammengestellt von M. Zens.
1. Die nationale Bildung in der deutschen Schule.
A. Von der nationalen Erziehung im allgemeinen.
1. Hinweis auf das gesunde Nationalgefühl der Engländer, welches dieser Nation
die Kraft verleiht, ihren Einfluss über die ganze Erde auszudehnen.
2. Mangel an nationaler Erziehung wirkt hemmend auf den Fortschritt, was wir
bei den Völkern im Osten sehen.
B. Die nationale Erziehung in der Schule.
1. Aufgabe der deutschen Volksschule ist es, bei unserer Jugend die Liebe zum
eigenen Volksstamme, zum deutschen Volke, wachzurufen und grosszuziehen und sie zu
Nationalcharakteren zu erziehen, ohne Prahlerei und ohne dass nationale Hetzereien in
die Schule gebracht werden.
2. Die Mittel zum Zwecke: a) Durch den Unterricht in der Muttersprache.
a) Das Kind muss durch die gemeinsame Schriftsprache mit deutscher Gesinnung
und deutschem Geiste erfüllt werden.
ß) Dem mündlichen Gedankenausdrucke muss eine grosse Berücksichtigung zutheil
werden.
y) Das deutsche Lesebuch sei kein Conglomerat von allem Möglichen, sondern ein
wirklicher Schatz für Schule und Haus, der das ewig Gute und Schöne enthält, was
die Deutschen von ihren Dichtern und Denkern als Eigenthum überliefert erhalten haben.
Deutsches Lied und deutsche Weisen müssen das unverlierbare Eigenthum der Jugend
werden und sollen Raum in unseren Lesebüchern finden.
(f) Die deutsche Schrift ist Eigenthum der deutschen Nation. Es ist ein Miss-
brauch, statt unserer schönen, vaterländischen deutschen Schriftzeichen die lateinischen
gebrauchen zu wollen.
*) Kernige Denksprüche sollen geistiges Eigenthum der Schüler werden. Sinnige
Sprüche bringen Leben in die Schönschreibstunde. Der Spruch: „Deutsch sein heisst
in Kaiser Josefs Landen : österreichisch sein zu jeder Zeit", wird gewiss jedes Schüler-
heft zieren.
151
b) Durch den Unterricht in der Heimatkunde und Geschichte,
o) Der Schüler muss die Verwandten seines Volkes und auch deren Wohnplätze
kennen.
ß) Kenntnis des eigenen Volkes, aus welcher sich der echte und rechte Patriotismus
entwickelt. In solchem Patriotismus wurzeln die deutschen Tugenden, die der römische
Geschichtschreiber Germaniens so hoch gepriesen hat.
y) Schulerfeste, die ein nationales Gepräge haben und an denen das Volk theil-
nimmt, sind für die nationale Erziehung von grosser Bedeutung.
C. Schluss.
1. Deutschen Geist und Sinn in der Schule zu pflegen und ihn zu immer höherer
Entfaltung zu bringen, ist eine Pflicht der deutschen Volksschullehrer. Eingedenk der
Worte unsers grossen Dichters: „Nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr Alles
freudig setzt an ihre Ehre", dürfen wir uns dieser Pflicht um so weniger entschlagen,
als wir ja wissen, dass die deutsche Ehre in ihrem weiten Rahmen die grösste Schöpfung
des 19. Jahrhunderts, die freie Schule, umfasst
2. Die deutsche Schule kann nicht stille stehen. Wir müssen weiter bauen auf
dem Grunde, den die Väter der deutschen Pädagogik gelegt, zum Segen der kommenden
Geschlechter, und damit immerdar von der Eiche gilt:
„Kein Sturmwind ist mich zu beugen stark,
Kraft ist mein Stamm, und Kraft mein Mark."
(Aufgestellt in der Versammlung des Kaplitzer Bezirkslehrervereins am 15. Juli
1886; Ref. Kienzl-Gallein.)
2. Die wissenschaftliche Pädagogik.
1. Es gibt kein pädagogisches System, welches auf Unfehlbarkeit Anspruch er-
heben könnte.
2. Jeder Pädagogik, welche sich auf Grundlage der Psychologie und Ethik in
systematischer Gliederung aufbaut, gebürt das Prädicat „wissenschaftliche Pädagogik".
(Aufgestellt im Lehrerverein „Dittes" zu Sechshaus am 15. Mai 1886; Ref. Mandl-
Hietzing.)
3. Moralische Gebrechen der Jugend, Ursachen und Heilung
derselben.
1. Die Verwahrlosung eines Theiles der Jugend ist Thatsache, die Klagen hierüber
sind jedoch vielfach Ubertrieben.
2. Haupt Ursachen der Verwahrlosung sind:
a) Verwahrlosung der Erziehung im Elternbause,
b) der ungehinderte Besuch des Theaters, der Gasthäuser, schlüpfriger Gesangs-
productionen und das vorzeitige Rauchen,
c) das schlechte Beispiel eines Theiles der erwachsenen Bevölkerung,
d) der zunehmende Alkoholismus,
e) das immer mehr zutage tretende sociale Elend,
f) die Schandpresse und die geradezu schmachvolle Volks- und Jugendliteratur,
die von gewissenlosen, eigennützigen Leuten ohne jede Controle unter das
Volk und unter die Jugend gebracht wird,
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152
g) rücksichtslose, gegenseitige Bekämpfung der verschiedenen religiösen und
politischen Parteien,
h) Unzulänglichkeit der gesetzlichen Mittel zur Heranbildung einer sittlichen
Jugend und zur Verhinderung sittlicher Gebrechen.
3. Mittel zur Pflege einer besseren Jugenderziehung:
a) Verbesserung der häuslichen Erziehung und das gute Beispiel der Erwachsenen,
b) Verbreitung populärer Erziehungsschriften,
c) öffentliche populäre Vorträge über Erziehung mit Anführung von Beispielen
aus dem Leben (im Sinne Salzmann's) und Errichtung von Volkslesehallen,
d) eifriges Studium der besten Erziehungswerke, besonders auch der Psychologie,
von Seite der Lehrer und häufigere Behandlung von Erziehungsfragen auf
den Lehrerversammlungen,
e) Einführung einer praktischen Erziehungslehre an allen höheren Mädchen-
schulen,
f) Errichtung von Rettungshäusern für verwahrloste Knaben und Mädchen, so-
wie von sogenannten Kinderhorten, ferner Schaffung von Spielplätzen für die
Jugend,
g) behördliche Untersagung des Gasthaus- und Theaterbesuches, sowie des Tabak-
rauchens seitens der Schuljugend,
h) gesetzliche Verfügungen, nach welchen über Schüler, die sich durch Wider-
setzlichkeit und Roheit vergiengen oder die sich grobe sittliche Vergehen zu-
schulden kommen Hessen, eine angemessene Strafe zu verhängen ist.
(Angenommen in der Bezirkslchrerconferenz in Graz am 3. Juli 1886; Ref. Joh.
Drescher-Graz.)
4. Die Überbürdung der Schuljugend.
In Erwägung,
dass gegenwärtig durch die Lehrpläne der Volksschulen eine solche Menge Unter-
richtsstoffes vorgeschrieben wird, dass dadurch nicht nur die eigentliche Aufgabe der
Volkschule, die formale Bildung und Erziehung, in den Hintergrund gedrängt wird, son-
dern dass durch die übermässige geistige Beschäftigung schon von zartester Jugend an
und durch den Mangel der nöthigen Erholung die Schuljugend an Leib und Seele leidet;
dass dies in noch höherem Masse von der weiblichen Jugend gilt, bei der die
Folgen desto verheerender auftreten, je schwächerer physischer Constitution dieselbe ist,
je rascher sich dieselbe entwickelt, und je früher sie es nothwendig hat, dass ihre Er-
ziehung für das Leben vorbereitet sei;
dass die Anzahl der Schulstunden — ohnehin schon sehr gross — noch bedeutend
erhöht wird durch unobligate Lehrfächer, besonders durch die zweite Landessprache und
durch andere fremde Sprachen, die nie Gegenstand des Volksschulunterrichtes sein
sollen, viel weniger dann bei der Jugend des zartesten Lebensalters;
dass die Jugend, nachdem sie sechs und mehr Stunden in der Schule gesessen ist,
statt zur Erholung oft noch zu Hausaufgaben und zu Privatunterricht in verschiedenen
Gegenständen und zu anderen geistigen Arbeiten angehalten wird:
erklärt die am 6. August 1886 in Prag tagende Vollversammlung czechischer Lehrer und
Schulfreunde, dass es im Interesse einer erspriesslichen und menschenfreundlichen
Erziehung nothwendig sei :
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1. dass die Lehrpläne auf ein unter allen Umständen erreichbares Minimum be-
schränkt werden, und dass der Lehrerschaft es vorbehalten bleibe, dieses Minimum nach
den örtlichen Umständen zu bestimmen;
2. dass die Zahl der Unterrichtsstunden an Volks- und Bürgerschulen in der
i. Classe 16, in der 2. Classe 18, in der 3. Classe 20, in der 4. Classe 22, in der
5. Classe 24 und in den höheren Classen 26 Stunden nicht Ubersteige;
3. dass der Unterricht in unobligaten Lehrfächern so viel als möglich beschränkt
werde, und dass die zweite Landessprache in sprachlich gemischten Gegenden bloss in
wenigstens fiinfclassigen Volksschulen, und da erst mit der 4. Classe beginnend, als
unobligater Gegenstand zugelassen werde;
4. dass Hausaufgaben für die Schule gänzlich entfallen, und dass der häusliche
Privatunterricht auf das geringste Mass beschränkt werde, damit den Kindern nach der
Schularbeit genügend Zeit zur Ruhe und Erholung bleibe;
5. dass der weiblichen Jugend mehr Zeit zu den fürs Leben nöthigen häuslichen
Arbeiten gegönnt werde; aus diesem Grunde mögen allzu weit gehende Anforderungen
bei dem Unterrichte in weiblichen Handarbeiten beschränkt werden, und es möge Ein-
halt gethan werden ihrer überflüssigen Sucht nach Vielsprachigkeit;
6. dass der übermässigen geistigen Beschäftigung ein Gegengewicht gegeben werde,
indem die Schüler in entsprechenden Räumlichkeiten, besonders in freier Natur, plan-
mässig im Turnen geübt werden, und indem ihnen nach jeder längeren geistigen An-
spannung die nöthige Ruhe und Erholung geboten werde.
(Angenommen vom czechischen Lehrertage zu Prag, August 1866; Ref. Skäla-Prag.)
5. Welche Gefahren bergen öffentliche Produotionen und
SchauauBstellungen der Kinder P
A. Die frühzeitige Einführung der Jugend in öffentliche Vergnügungen und Ver-
anstaltungen bezeugt den Mangel wahrer Religiosität, echter Gemüthsbildung und häus-
lichen Sinnes.
B. Bei Veranstaltung öffentlicher Productionen und Schauausstellungen der Kinder
durch die Schule ist Vorsorge zu treffen, dass solchen Unternehmungen der Charakter
erziehlicher Massregeln gewahrt bleibe.
C. Obige Veranstaltungen (besonders Kinderbälle und die Mitwirkung von Kindern
beim Theaterspiele) beeinflussen nachtheiligst die sittliche Jugenderziehung :
1. Sie schwächen das natürliche Wohlwollen der Kinder und pflanzen Neid und
Härte in ihre Herzen.
2. Sie stumpfen die Freude an einfachen Vergnügungen ab und legen den Keim
zu verderblichen Neigungen und Leidenschaften wie oberflächlicher Bildung, Jagd nach
dem Scheine, Gefallsucht, Eitelkeit, Genusssucht u. s. f.
3. Sie erzeugen falsche Lebensansichten und zerstören die sittliche Kraft zu ernster
Pflichterfüllung.
4. Sie erzeugen Frühreife und find die Ursachen körperlichen und geistigen
Siechthums.
5. Sie sind die Quellen zur Unzufriedenheit mit dem Lebenslose und die Brücken
zum Lebensüberdrusse.
(Aufgestellt im Schluckenau-Hainspacher freien Lehrerverein am 25. März 1886;
Ref. Reichelt-Schluckenau.)
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6. Über Ausstellung von Schülerarbeiten.
1. Die Absicht der Ausstellungen ist die, das Volk durch den Augenschein die
Segnungen der Neuschule wahrnehmen zu lassen und es hiedurch für die Sache der
Schule zu gewinnen,
2. Da nur Äusseres, Mechanisches, nicht das Innere, das geistig Bedeutsame aus-
gestellt werden kann, entsprechen die Ausstellungen nur theilweise ihrem Zwecke, sie
gewähren bloss eine Einsicht, ein Urtheil über die Leistungen der Schüler im Schreiben,
Zeichnen und in den weiblichen Handarbeiten; jedoch einen Einblick in die Werkstätte
des Geistes vermögen sie nie und nimmer zu gewähren.
3. Indem von einem Jahre zum anderen nicht immer wesentliche Fortschritte,
selbst in den Äusserlichkeiten aufgewiesen werden können, so sind wir gegen die häufige
Veranstaltung von Schülerarbeitenausstellungen, weil dadurch das Interesse schwindet
(Angenommen in der zu Jungbuch am 3. Juli 1886 abgehaltenen Versammlung des
Trautenauer Bezirkslehrervereins; Ref. Walters.)
7. Nutzen belehrender JugendBchriften ; welche Mittel stehen dem
Lehrer bu Gebote, um das Lesen sohlechter Schriften oder Büoher
seitens der Schüler hintanzuhalten P
A. 1. Die belehrenden Jugendschriften fördern den Unterricht, indem sie zur
Befestigung und Erweiterung der erworbenen Kenntnisse dienen.
2. Die Schüler werden durch belehrende Jugendschriften gewöhnt, das Lesen nicht
als blossen Zeitvertreib, sondern als eines der wichtigsten Mittel zur Erwerbung von
Kenntnissen zu betrachten.
3. Durch Abwechslung in der Darbietung belehrender und gemütbbildender Jugend-
schriften werde die Lesefreudigkeit wachgerufen.
4. Die belehrenden Jugendschöffen tragen zur Hebung der allgemeinen Volks-
bildung bei, indem sie häufig auch von den Angehörigen der Schüler gelesen werden.
5. Die belehrenden Jugendschriften geben den besser begabten oder fleissigeren
Schülern Gelegenheit, sich mehr Kenntnisse anzueignen, als die Schule bieten kann, da
diese auf die Begabung der Mehrzahl der Schüler Rücksicht nehmen muss.
6. Die belehrenden Jugendschriften geben dem Lehrer Gelegenheit, die Vorliebe
einzelner Schüler für bestimmte Fächer zu erkennen und zu berücksichtigen.
7. Die belehrenden Jugendschriften regen in den Schülern das Streben an und
befähigen sie, auch nach dem Austritte aus der Schule sich durch die Leetüre fortzu-
bilden.
B. Mittel, die dem Lehrer zu Gebote stehen, das Lesen schlechter Schriften und
Bücher hintanzuhalten:
1. Der Lehrer leite die Schüler an, nur an den Idealen des Wahren, Guten und
Schönen sich zu erfreuen.
2. Der Lehrer gebe den Schülern nur gute Bücher in die Hand und gewöhne sie
an ein aufmerksames, richtiges Lesen.
3. Der Lehrer gewöhne die Schüler daran, kein Buch ohne Einwilligung seitens
der Eltern oder des Lehrers zu lesen.
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4- Der Lehrer bekämpfe das Viellesen, durch welches die Leetüre schlechter
Schriften und Bücher begünstigt wird, indem er seine Schüler zur genauen Beobachtung
bestimmter Vorgänge in der Natur und im Menschenleben, zur Ausfuhrung von Bewegungs-
spielen, Handfertigkeiten u. dgl. anleite.
5. Die Eltern sollen zur Überwachung der Leetüre ihrer Kinder herangezogen und
auf gute Jugendschriften aufmerksam gemacht werden.
6. Der Lehrer suche dem Lesen schlechter Schriften und Bücher Uberhaupt ent-
gegenzutreten, indem er einerseits die Schulbibliothek den Mitgliedern der Gemeinde zu-
gänglich mache, anderseits aber auch zur Förderung der Volksbibliotheken beitrage und
auf ihre Einrichtung entsprechend Einfluss nehme.
7. Die Lehrerschaft richte an die hohen Schulbehörden das Ersuchen, dass hiezu
auch die Hilfe anderer Factoren in Anspruch genommen werde.
(Beschlossen von der IV. n.ö. Landeslehrerconferenz zu Wien, September 1886;
Ref. Jos. Kugler-Wien.)
8, Die JugendsohriftenfTage.
1. Es ist zur vollen Erfüllung der erziehenden Verpflichtung des Lehrers unbedingt
nöthig, dass die freie Wahl der Leetüre für die Jugend sein Vorrecht bleibt.
2. Ein von der Lehrerschaft ausgehendes Verlangen nach einer Approbation der
Jugendschriften würde dem Ansehen derselben abträglich sein; denn damit würde sie
nur die eigene Unvermögenheit, richtig zu urtheilen , und die Unverlässlichkeit ihres
Unheiles eingestehen.
3. Auch auf die Förderung der Jugendschriftenliteratur wirkt die Approbation nicht
günstig ; denn die der Verbreitung solcher Werke bereiteten Hindernisse wirken lähmend
auf die Schaffenslust der Autoren und Verleger, und die bei ihrem Entstehen aus ge-
schäftlichen Gründen gebotene Rücksichtnahme auf die für die Approbation jeweilig
massgebenden politischen Strömungen oder persönlichen Ansichten schädigt den inneren
Wert solcher Schriften.
4. Um dem Urtheile der einzelnen Lehrpersonen einen Ruckhalt zu bieten und
dadurch ihre Verantwortlichkeit zu verringern, um endlich zu einem Verzeichnisse all-
gemein anerkannter guter Jugendschriften zu kommen, das bei Anlegung neuer und bei
Vervollständigung bereits bestehender Schulerbibliotheken sehr erwünscht ist und das
sein Entstehen der Thätigkeit der in erster Linie dazu Berufenen, der Lehrer, verdankt,
empfiehlt es sich, dass die einzelnen LandeslehrerveTeine unter Mitwirkung ihrer Zweig-
vereine solche Verzeichnisse von geeigneten und nichtgeeigneten Büchern anlegen und
behufs Zusammenfassung derselben zu einem einheitlichen dem deutsch-österreichischen
Lehrerbund überlassen.
(Beschlossen von der Hauptversammlung des deutsch-österreichischen Lehrer-
bundes zu Wien, September 1886; Ref. Jos. Kraft- Wien.)
8. Über die Erweiterung der Erziehungsmittel in der Volks- und
Bürgerschule. (§ 24.)
Resolution. In Anbetracht des Umstände», dass die gegenwärtig zulässigen Dis-
ciplinarmittel sich nicht für alle Fälle als zureichend erweisen, was von allen in der
Praxis stehenden Lehrpersonen, selbst von denjenigen, die Gegner der körperlichen
Züchtigung sind, behauptet und zugegeben wird;
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in Anbetracht des weiteren Umstandes, dass die Schule als Stellvertreterin des
Elternhauses das Züchtigungsrecht aus dem Grunde beanspruchen darf, weil es dem
Elternhause von keiner Seite bestritten wird und gesetzlich zuerkannt ist;
in Anbetracht des Umstandes, dass der Unterrichtserfolg beeinträchtigt, die Autorität
des Lehrers untergraben wird, wenn die Schule nicht in der Lage ist, absichtliche Ver-
letzungen der Schulordnung seitens der Schaler mit Strenge zu ahnden;
in Anbetracht des weiteren Umstandes, dass die Jugend in so manchen Fällen von
Seite des Elternhauses gegen die Anordnungen der Schule geradezu aufgereizt wird, und
dass die Schule infolge des Schulzwanges sich dieser verwahrlosten Elemente nicht
entledigen kann und darf;
in Anbetracht des ferneren Umstandes, dass sich zahlreiche Stimmen sowohl im
Publicum wie in der Tagespresse über die Roheit und Frechheit eines nicht gar geringen
Theiles der Schuljugend vernehmen lassen und Schutz für die wohlerzogenen Schüler
durch eine Verschärfung der Disciplinarmittel fordern;
in Anbetracht des weiteren Umstandes, dass in Deutschland, in dem Lande mit
dem bestorganisierten Schulwesen der ganzen Welt, die beschränkte körperliche Züch-
tigung gestattet ist;
in Anbetracht aller dieser Umstände erklärt die heutige Delegiertenversammlung
des deutsch-österreichischen Lehrerbundes:
1. Die Schule kann des Rechtes der körperlichen Züchtigung nicht gänzlich
entbehren; § 24 der Schul- und Unterrichtsordnung ist deshalb sinngemäss abzu-
ändern;
2. dieses Recht, dessen Ausübung als letztes Disciplinarmittel unter gesetzlich
genau bestimmten Formen zu erfolgen hat, wird für Fälle boshaften Muthwillens,
hartnäckigen Trotzes, der Widerspenstigkeit, Roheit, Frechheit, Lügenhaftigkeit,
Unredlichkeit, Schamlosigkeit gefordert;
3. die Feststellung der gesetzlichen Bestimmungen soll von den berufenen
gesetzgebenden Factoren auf Grundlage eines pädagogisch-juridisch-medicinischen
Gutachtens erfolgen.
(Aufgestellt vom Ausschusse und genehmigt von der Abgeordnetenversammlung des
deutsch-österreichischen Lehrerbundes zu Wien, September 1886; Ref. Wawrzyk-Wien.)
10. Beform unserer Rechtschreibung.
1. Die deutsche Rechtschreibung bietet in ihrer heutigen Gestalt das Bild äusserster
Zerfahrenheit. Sie entbehrt jeder einheitlichen Grundlage; es mangelt ihrem Ge wirre von
Regeln und Ausnahmen das nothwendige Moment der Einfachheit, weshalb ihre Erlernung
sowohl für Kinder als Erwachsene mit den grössten Schwierigkeiten verbunden ist. Es
erscheint daher aus pädagogischen und allgemein culturellen Gründen als Gebot der
Nothwendigkeit, mit allen Kräften eine einheitliche Vereinfachung derselben anzustreben.
2. Vom Standpunkte einer gesunden Pädagogik kann berechtigten Anspruch auf
allgemeine Anerkennung nur jene Rechtschreibung erheben, welche aus den Bedürfnissen
der Schule und des Volkes hervorgegangen und auf die in allen Ländern mit deutschen
Schulen beim Unterrichte gewonnenen Erfahrungen begründet ist.
3. Die Finführung einer auf Erfahrungen von Schulmännern gegründeten, einheit-
lich vereinfachten deutschen Rechtschreibung soll durch eine von den Regierungen aller
Länder mit deutscher Volkssprache einzusetzenden Commission , bestehend aus Sprach-
forschern, Regierungsvertretern und Schulmännern erfolgen.
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Mittel zur Erreichung dieses Zieles.
1. Der deutsch-österreichische Lehrerbund schafft seine, die Anschauungen der
Mehrheit seiner Mitglieder zum Ausdrucke bringende Vorlage einer vereinfachten Recht-
schreibung in der Weise, dass zuerst die Gutachten der ßundesvereine eingeholt, diese
dann vom Bundesausschusse nach einheitlichen Gesichtspunkten geordnet und von ihm
und der folgenden Abgcordnetenversammlung zur Vorlage für die Vollversammlung vor-
bereitet werden, in welcher darüber der letzte Beschluss gefasst wird.
2. In ähnlicher Weise sollen die Lehrer des deutschen Reiches, die deutscheu
Lehrer der Schweiz und aller anderen Länder ihre Systeme vereinfachter Rechtschreibung
ausarbeiten.
3. Eine Confercnz von Schulmännern aller betheiligten Länder soll die geschaffenen
Systeme in ein einziges vereinigen.
4. Die Regierungen aller betheiligten Länder sind zu bitten, eine Commission, aus
Sprachforschern, Regierungsvertretern und Schulmännern bestehend, einzusetzen, welche
mit Zugrundelegung der von der gesammten deutschen Lehrerschaft des Continentes ge-
schaffenen Vorlage eine einheitlich vereinfachte deutsche Rechtschreibung allgemein zur
Einführung zu bringen hat.
(Beschlossen von der Hauptversammlung des deutsch-österreichischen Lehre r-
b und es zu Wien, September 1886; Ref. G. Herbe-Wien.)
11. Gesichtspunkte für die Aufstellung von Lehrplänen.
1. Die jährliche Unterrichtszeit für je eine wöchentliche Stunde beträgt mit
Berücksichtigung der Ferialtage durchschnittlich 37 Stunden; doch kommen auf manche
Wochentage, z. B. auf Donnerstag und Samstag, nur 35 — 34 Stunden. Hiebei sind
weder die besonderen israelitischen Feiertage, noch auch die Pausen berücksichtigt.
(M. Hauptvogel.)
2. Der Wiederholung, Einübung und Einprägung der meisten Unterrichts-
stoffe muss mindestens die Hälfte der Unterrichtszeit gewidmet werden. (M. Hauptvogel.)
3. Der Umfang des Lehrstoffes ist thunlichst zu beschränken, um der Ver-
tiefung des nothwendigen und des einen grösseren Bildungswert enthaltenden Stoffes
mehr Raum zu geben. (Friedr. Erben.)
4. Der Stoff des Anschauungsunterrichts solle unter Berücksichtigung der
Jahreszeiten vertheilt werden. In der 2. Classe habe sich derselbe im Sinne der Con-
centration an die einzelnen Gegenstände anzulehnen. Der Lesestoff sei im Anschauungs-
unterricht gehörig vorzubereiten und auf die bezüglichen Lesestücke im Lehrplane für
den Anschauungsunterricht hinzuweisen. (Aug. Hackel.)
5. In den besonderen Lesestunden seien vorzugsweise gemüth- und ckarakterbildcnde
Lesestücke zu behandeln, Musterstücke, welche anziehende Ereignisse aus dem Natur-
und Menschenleben poetisch darstellen. Die Anzahl der Lesestücke sei so zu bemessen,
dass neben den nothwendigen Übungen im geläufigen, laut- und sinnrichtigen Lesen die
behandelten Musterstücke zum frei verfügbaren Eigenthum der Schüler gemacht werden
können. Unter den für die Behandlung vorzugsweise geeigneten und zu bezeichnenden
Stücken sei dem Lehrer die Wahl zu lassen. (M. Hauptvogel.)
6. In der Sprachlehre ist das Hauptgewicht zu legen und die meiste Zeit zu
verwenden auf diejenigen mündlichen und schriftlichen Übungen, durch welche häufig
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vorkommende Sprech- und Schreibfehler beseitigt werden sollen. Mit der Erfüllung dieser
ihrer Hauptaufgabe im Sprachunterricht — richtiges Sprechen und Schreiben — hat die
Volksschule soviel zu thun, dass ihr zur Verfolgung einer ihr fremden, untergeordneten
Aufgabe, nämlich durch fortwahrendes Analysieren zu erzielende Vorbereitung für die
Mittelschule, gar keine Zeit erübrigt. (M. Hauptvogel.)
7. Die Aufsatzübungen seien nur ihrer Gattung und Zahl nach im Lehrplane
ersichtlich zu machen; die besondere Wahl und die Reihenfolge der Arbeiten sei dem
Lehrer zu überlassen. (Aug. Malley.)
8. Es stehe dem Lehrer frei, in der 1. und 2. Classe entweder alle Rechnungs-
arten an eine bestimmte Zahl anzuschliessen oder nacheinander vorzunehmen. (Aug.
Hackel.)
9. Die Gehör- und Stimm Übungen seien nicht nur auf der Unterstufe vorzu-
nehmen, sondern auf der Mittel- und Oberstufe fortzusetzen. (M. Hauptvogel.)
(Beschlossen in der Versammlung des deutschen pädagogischen Vereins in Prag
am 5. Mai 1886.)
12. Die Frage im Unterriohte.
1. Die Krage ist für den Unterricht von ausserordentlich grosser Bedeutung.
2. Damit die Frage ihrem Zweck vollkommen entsprechen kann, muss sie-.
a) spracbrichtig, b) deutlich und bestimmt, c) der Bildungsstufe der Schüler an-
gemessen und d) geistbildend sein.
3. Die besten Fragen sind die, von welchen der Schüler die wenigsten Wörter zur
Bildung der Antwort verwenden kann.
4. Die Wiederholungsfragen sind wesentlich verschieden von den bei der Dar-
bietung des Lehrstoffes gestellten Fragen.
5. Zu vieles Fragen ist von Nachtheil.
6. Auf der Oberstufe — bei Wiederholungen auch auf der Mittelstufe — trete nach
Thunlichkeit an Stelle der Frage der Befehlsatz.
7. Das beste Mittel zur Ausbildung in der Fragekunst ist die schriftliche Be-
arbeitung ausführlicher Lehrproben.
(Aufgestellt in der Bezirkslehrerconferenz des Stadtbezirkes Graz am 3. Juli 1886
von Joh. List.)
13. Die Bedeutung und Art des Religionsunterrichts in der Volks-
schule.
1 . Die Religion ist wegen ihres sittlich bildenden Gehaltes als der wichtigste
Unterrichtsgegenstand der Volksschule zu betrachten und muss als solcher auch mit der
grössten Sorgfalt und Einsicht ertheilt werden.
2. Der Religionsunterricht muss in gleichem Masse die Gesinnung, die Erkenntnis
und das Handeln beeinflussen.
3. Im Religionsunterricht ist in erster Linie das Mass der kindlichen Fassungskraft
zu berücksichtigen.
4. Um dies dem Lehrer zu ermöglichen, muss der vorgeschriebene Lehrstoff auf
das Wichtigste beschränkt werden.
5. Dieser reducierte Religionsstoff ist den Kindern in einer ihrer Bildungsstufe an-
gemessenen Form in thunlichstem Anschluss an das Bibelwort zu vermitteln. Methodisch
bearbeitete Religionsbücher für die- Volksschule sind anzustreben.
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6. Der Religionsunterricht soll nicht eine Isolierung, sondern eine innige Verknüpfung
mit dem sonstigen Wissen und Können anstreben.
(Aufgestellt in der am 22. Juli 1886 zu Reichenberg abgehaltenen Versammlung
des evangelischen Lehrervereins für Böhmen und Mähren; Ref. Mikulec-Reichenberg.)
14. Die Behandlung dea Sprachunterrichts auf der Grundlage der
Lesebücher für österreichische Volks- und Bürgerschulen.
Allgemeines.
A.
I. Die Behandlung des Sprachunterrichts auf der Grundlage des Lesebuches ent-
spricht einem hochwichtigen pädagogischen Principe, nämlich dem der Concentration des
Unterrichts, und sichert, soweit sie auf dieser Grundlage ungezwungen durchführbar ist,
dem Sprachunterrichte von vornherein den Charakter eines allseitig und deshalb harmo-
nisch bildenden Unterrichts.
II. Von den verschiedenen Zweigen des Sprachunterrichts lassen sich nur der
Sprech-, Lese-, Rechtschreib- und Aufsatzunterricht, und vom Grammatikunterricht nur
die Wortbildung und die Lautlehre vollständig, ungezwungen und unmittelbar an das
Lesebuch anschliessen, während die Wort- und Satzlehre nur theilweise, und zwar einer-
seits nach der Seite der Übung hin in beschränktem Masse , und andererseits nur rück-
sichtlich der Feststellung grammatischer Begriffe, nicht aber auch rücksichtlich der Ab-
leitung der grammatischen Gesetze ungezwungen und unmittelbar an das Lesebuch sich
anschliessen lassen.
III. Die Behandlung des Sprachunterrichts auf der Grundlage des Lesebuches
bedeutet keineswegs den Betrieb dieses Unterrichts unter ausschliesslicher Benützung des
vom Lesebuche dargebotenen Materials, sondern nur die möglichste Ausnützung der Be-
ziehungen zwischen dem Lesebuche und den verschiedenen Zweigen des Sprachunterrichts,
ist also ganz gut damit vereinbar, dass das vom Lesebuche dargebotene Material durch
anderweitig beschafftes nach Massgabe des Bedürfnisses entsprechend ergänzt wird.
B. Forderungen bezüglich der Einrichtung der Lesebücher, insofern dieselben die
Grundlage für den Sprachunterricht abgeben sollen.
I. Auf der Unter- und Mittelstufe soll in den Lesebüchern von der Beobachtung
der auf den Gebrauch grosser Anfangsbuchstaben bei den Anfangsworten der Verszeilen
sich beziehenden Regel aus didaktischen Rücksichten abgesehen werden.
II. Für die 1., 2. und 3. Bürgers chulclasse sollen die Lesebücher unter anderem
auch biographische Notizen, die hervorragendsten deutschen Dichter im allgemeinen und
die bedeutendsten vaterländischen Dichter im besonderen betreffend, für die 3. Bttrger-
schulclasse aber sollen sie auch Proben der allerwichtigsten Versarten, Strophenformen
und Dichtungsgattungen enthalten.
Besonderes.
Sprech-, Lese-, Grammatik- und Aufsatzunterricht.
Wahrend der ganzen Schulzeit des Kindes ist auf die Pflege des mündlichen
Ausdruckes das grösste Gewicht zu legen und ist hiebei vorzüglich das Lesebuch als
Hauptmittel zu benützen.
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Grammatikunterricht.
I. Die von grammatischen Reflexionen absehende blosse Übung im richtigen Ge-
brauche der Sprache soll auf der Unterstufe die ausschliessliche (die Plenarversammlung
beschloss, statt „ausschliessliche« zu setzen: „wesentlichste") Vertretung des Gram-
matikunterrichts bilden.
Die der Mittel- und Oberstufe zufallende Ableitung der grammatischen Gesetze ist
am einfachsten und zweckmässigsten an planmässig und übersichtlich geordneten Beispiel-
sätzen durchführbar.
Die Erprobung des Verständnisses dieser Gesetze aber soll soviel als möglich an
das Lesebuch geschlossen werden.
II. Das Anschliessen grammatischer Übungen und Erörterungen an wahrhaft
poetische und an solche Prosastückc, die vermöge ihres Inhalts einen tiefen Eindruck
auf das Gemüth der Kinder machen , muss als (die Plenarversammlung setzte hier ein :
,, im allgemeinen") unzulässig bezeichnet werden, da derartige Übungen und Erörte-
rungen die ästhetische und moralische Wirkung solcher Stücke unbedingt beeinträchtigen.
III. Die Verwendung approbierter Sprachbücher für die Hand der Schüler ist nicht
ausgeschlossen.
IV. Der Gebrauch der lateinischen Terminologie ist in der allgemeinen Volks- (die
Plenarversammlung fügte hinzu: „und Bürger-") Schule nicht nothwendig.
(Angenommen von der IV. n.-ö Landeslehrerconferenz zu Wien, September 1886;
aufgestellt vom Referenten Director M. Binstorfer.)
15. Die neuere Methode beim Sprachunterrichte.
1. Ein Sprachbewusstsein, ausgebildet durch Reflexionen über die Sprache, kann
von der Volksschule niemals angestrebt werden.
2. Ein vollständiges Lehrsystem der Grammatik ist für den kindlichen Geist un-
möglich ganz erfassbar.
3. Die gelungene Nachahmung eines Musters hat einen viel grösseren Wert als die
Einlernung der schönsten Regel.
4. Beim Sprachunterricht ist immer von dem Erfahrungskreise, den die Schüler in
ihrer Muttersprache gewonnen haben, auszugehen (analytisches Verfahren).
5. Die für den Volksschüler nöthige Sprachkunde soll grösstentheils aus den Stoffen
des Lesebuchs geschöpft werden.
6. Die Schüler arbeiten unter Anleitung des Lehrers auf Grund des Sprach- oder
Lesestückes, welches auch inhaltlich einen Wert haben muss, an der Selbstauffindung
der unentbehrlichsten Regeln und grammatischen Lehrsätze (heuristisches Verfahren.)
7. Durch diese für den Lehrer schwierige analytisch-heuristische Methode ist es
dem Schüler ermöglicht, auf eine natürliche, leichtfassliche und interessante Weise seiner
Muttersprache in Wort und Schrift mächtig zu werden.
(Aufgestellt in der Versammlung des Gratzner Zweigvereins am 10. December 1885
Ref. Märten-Strobnitz.)
16. Der Unterricht in den Geschaftsaufsätzen.
I. In jeder Schule sollen die Kinder wenigstens im Abfassen von Geschäftsbriefen,
öffentlichen Anzeigen, Rechnungen, Empfangscheinen, Quittungen, Schuldscheinen, Wech-
seln, Eingaben und Gesuchen unterwiesen werden.
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2. Die Kinder sind anzuleiten, Briefadressen und Correspondenzkarten zu schreiben,
ferner Blankette von Postanweisungen, Postbegleitadressen, Rechnungen und Wechseln
richtig auszufüllen und endlich Urkunden (im weiteren Sinne des Wortes) in der üblichen
Form anzufertigen. Hiebei darf es an der nöthigen Belehrung über den Gebrauch der
Brief- und Stempelmarken nicht fehlen.
3. Die Unterweisung im Briefschreiben und im Abfassen von Geschäftsaufsätzen ist
auf das gan/e Schuljahr so zu vertheilen, dass in jedem Quartale ein oder der andere
Aufsatz schriftlich oder mündlich eingeübt werden kann.
(Angenommen vom Lehrerverein Tannwald am 10. April 1886; Ref. Thomas-
Tannwald.)
17. Der heimatkundliche Unterricht in der Volksschule, dessen
Aufgabe, Material, Methodik.
Vorbemerkung: Unter heimatkundlichem Unterricht verstehe man den geo-
graphischen Anschauungsunterricht über den Ort und dessen Umgebung.
1. Der heimatkundliche Unterricht ist als Vorschule für den geographischen Unter-
rieht aufzufassen. Seine Aufgabe ist eine dreifache: a) an geographischen Objecten der
Heimat die Grundbegriffe der Geographie zu veranschaulichen ; b) durch kartographische
Darstellung der heimatlichen Gegend und durch Vergleichung von Karte und Wirklich-
keit das Kartenverständnis anzubahnen; c) den Schülern eine angemessene Kenntnis der
Heimat zu bieten, dadurch ihren Heimatsinn zu stärken und so den Grund zu einer
lebendigen Vaterlandsliebe zu legen.
2. Damit der Lehrer die geographischen Momente des Schulortes und dessen Um-
gebung für den heimatkundlichen Unterricht gehörig auszubeuten in der Lage ist, muss
er bestrebt sein, die heimatliche Gegend genau kennen zu lernen. Es muss wissen, wo
er diesen und jenen geographischen Grundbegriff am besten veranschaulichen, diese
oder jene geographische Thatsache dem kindlichen Geiste am leichtesten verständlich
machen kann.
3. Es ist ein ganz unrichtiges Verfahren, wenn man, dem Standpunkte der älteren
Geographie entsprechend den heimatkundlichen Unterricht damit beginnt, dass man die
Grenzen, die Grösse und Einwohnerzahl etc. des Ortes oder Bezirkes mittheilt, dann die
Berge, Thäler, Flüsse, Bäche, Teiche etc., die wichtigsten Ortschaften, Kirchen, Burgen
mit einer Anzahl von Merkwürdigkeiten aufzählt. Alles, worauf der heimatkundliche
Unterricht ein Gewicht legen kann, soll vielmehr auf Wanderungen, die der Lehrer mit
seinen Schülern theils wirklich macht, theils nur auf der Umgebungskarte unternimmt,
nach der Reihenfolge, wie sich die Einzelheiten darbieten, besprochen werden. Erst am
Schlüsse des Schuljahres werden die wesentlichsten und wissenswertesten Einzelheiten
des heimatlichen Kreises, welche im Laufe des Unterrichts besprochen worden sind, zu
einem Gesammtbilde gruppiert.
4. Der Lehrgang für die Einführung in das Kartenverständnis muss folgende Stadien
aufweisen: Plan des Schulzimmers, Grundriss des Schulhauses mit den dazu gehörigen
Räumlichkeiten (Schulhof, Schulgarten, Turnplatz etc.), Plan des Schulortes, Karte der
Umgebung. Jedes dieser Unterrichtsstadien ist durch entsprechende Übungen (Vor-
übungen) gehörig vorzubereiten.
5. Der Plan des Schulzimmers und der Grundriss des Schulhauses sollen vor den
Augen der Schüler von dem Lehrer auf die wagrecht liegende Schultafel gezeichnet
Jahrbuch d. Wiener pid. Ges. 1886. 1 1
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werden. Der Plan des Schulortes und die Karte der Umgebung sind für den gedeih-
lichen Unterricht in der Heimatkunde unbedingt erforderlich. Wo die Herstellung der-
selben nicht auf eine andere Art besorgt wird, soll der Lehrer selbst die Anfertigung
derselben in die Hand nehmen.
6. Bei der Herstellung des Ortsplanes und der Umgebungskarte ist der Schulzweck
im Auge zu behalten und daher jede Überladung mit für die unterrichtlichen Zwecke
Überflüssigen Einzelheiten zu vermeiden. Der Massstab muss ein möglichst grosser und
einfacher und die Zeichnung derart kräftig sein, dass die Einzelheiten auch von den
entferntesten Sitzen der Classe erkannt werden können. Die Terraindarstellung soll dem
Auge des Kindes möglichst plastisch erscheinen.
7. Es ist anzustreben, dass auch für die Hand der Schüler Umgebungskarten in
der Ausführung der Wandkarten, aber in entsprechend verkleinertem Massstabe auf
mechanischem Wege hergestellt werden. Zeichnung und Schrift der Handkarten müssen
ebenfalls deutlich und für die normale Sehweite berechnet sein.
8. Bei der unterrichtlichen Behandlung des Ortsplanes und der Umgebungskarte
kommt es im grossen und ganzen auf das Vergleichen von Karte und Wirklichkeit an.
Daher soll der Lehrer mit seinen Schülern, welche womöglich Handkarten bei sich haben
sollen, Wanderungen in die Umgebung unternehmen, wobei sich dieselben von der Richtig-
keit der kartographischen Darstellung am leichtesten überzeugen können.
9. Die Meinung, dass der Ortsplan und die Umgebungskarte zu dem Zwecke vor-
handen sein müssen, damit die Schüler daran ihren Schulort und dessen Umgebung
möglichst eingehend kennen lernen, ist eine falsche. Vielmehr sollen die Schüler deshalb
eine hinreichende Kenntnis ihres Schulortes und der heimatlichen Gegend besitzen, damit
es ihnen möglich ist, Plan und Karte mit der Wirklichkeit zu vergleichen und so all-
mählich ein genügendes Verständnis für die kartographische Darstellung zu erlangen.
Ebenso ist es unrichtig, wenn man auf historische Daten, auf Dinge rein statistischer
Natur, auf sogenannte Merkwürdigkeiten etc. ein zu grosses Gewicht legt, da dieselben
in den seltensten Fällen geeignet erscheinen, in geistbildender Weise den späteren geo-
graphischen Unterricht vorzubereiten, vielmehr oft nichts anderes sind als purer Memorier-
stoff, unverstandener und auf dieser Stufe wohl auch unverständlicher Gedächtniskram.
10. Obwohl die Hauptarbeit der Heimatkunde der Mittelstufe zufallt, so ist doch
auch in den höheren Schuljahren das geographische Anschauungsmaterial, welches die
heimatliche Umgebung bietet, bei sich ergebenden Gelegenheiten zu unterrichtlichen Zwecken
zu verwerten, insbesondere, wenn es sich darum handelt, schwierigere geographische Er-
scheinungen zu erklären, falsche Anschauungen zu berichtigen und unklare Begriffe auf-
zuhellen. Ebenso kann ein Einblick in das Gemeindeleben und die Gemeindeverfassung
erst auf den oberen Jahresstufen mit Erfolg geboten werden.
(Angenommen von der IV. steirischen Landeslehrerconferenz zu Graz am 5. Sep-
tember 1886; Ref. Seyfert-Graz.)
18. Das geographische Charakterbild in der Volksschule.
I. Ein vortreffliches Mittel zur Veranschaulichung und Belebung des geographischen
Unterrichts in der Volksschule sind die geographischen Charakterbilder, d. b, anschau-
liche Schilderungen von besonders wichtigen oder charakteristischen Theilen der Erd-
oberfläche.
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2. Je nachdem dabei das eine oder das andere Moment desselben in Betracht kommt
oder besonders in den Vordergrund tritt, zerfallen die geographischen Charakterbilder in
drei Arten:
a) Natur- (Landschafts-), b) Cultur- und c) Städtebilder.
3. Bei den einzelnen Arten der geographischen Charakterbilder sind folgende
Punkte zu berücksichtigen:
ad a) (Naturbilder):
1. Name, Lage, Begrenzung (event. Grösse und Theile) des Objects;
2. allgemeiner Eindruck desselben mit Hervorhebung der charakteristischen
Merkmale;
3. Bodengestalt und Bewässerung;
4. Pflanzen- und Thierleben;
5. sonstige Eigentümlichkeiten,
ad b) (Culturbilder):
1. Name, Lage, Begrenzung (event. Grösse und Theile) des zu schildernden
Gebietes ;
2. die Bewohner — Grund der Ansiedlung (Geschichtliches);
3. Veränderungen, welche der Mensch an der Natur vornahm, um sie seinen
Zwecken dienstbar zu machen ; Folgen derselben ;
4. Producte aus dem Thier-, Pflanzen- und Mineralreiche;
5. Industrie (Handwerk, Fabriken) und Handel (die wichtigsten Ein- und Aus-
fuhrartikel, Handelsplätze, Verkehrswege und Verkehrsmittel);
6. geistige Cultur (Religion, Unterrichts- und Bildungsanstalten),
ad c) (Städtebilder):
1. Name (event. Ursprung) und Lage;
2. Beschreibung der Stadt und ihrer Umgebung mit besonderer Berücksichtigung
des landschaftlichen Charakters;
3. Bewohner derselben (Zahl, Religion, Nationalität, Hauptbeschäftigung,
Bildung etc.).
4. Bei der Behandlung der geographischen Charakterbilder in der Schule be-
achte man Folgendes:
a) Nicht der ganze geographische Lehrstoff darf in Bilder aufgelöst werden,
sondern dieselben sind nur hie und da in den Unterricht einzustreuen;
b) stets muss an Bekanntes (an die Heimat oder an bereits vorgenommene Bilder)
angeknüpft und das Neue mit dem Früheren verglichen werden;
c) Ausgangspunkt für die Besprechung soll in der Regel die Karte sein, nach
welcher das Charakterbild zu entwickeln ist;
d) Naturbilder sind in der Regel auf Grund von Ansch auungen vorzunehmen;
wo die unmittelbare Anschauung unmöglich ist, muss sie durch Betrachtung
guter Abbildungen ersetzt werden;
e) die Besprechung muss immer nach einem bestimmten Schema vorgenommen
werden ; dies erleichtert nicht nur das Auffassen, sondern auch die schriftliche
Wiedergabe des betreffenden Bildes. Auch darf bei der Besprechung nur das
mitgetheilt werden, was die Schüler nicht selbst aus der Karte entnehmen können;
f) die einzelnen Bilder müssen kurz und verständlich sein.
5. Der Stoff für die Charakterbilder, soweit derselbe nicht der eigenen Anschauung
oder dem Lesebuche entnommen werden kann, ist aus geeigneten Werken zusaminen-
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zustellen; doch muss derselbe den Verhältnissen der Schule uud der Fassungskraft der
Schüler gemäss ausgewählt und bearbeitet werden.
(Aufgestellt in der Bezirkslehrerconferenz zu Graz am 3. Juli 1886; Ref. Ambroi-Graz.)
19. Der heimatkundliche Unterricht in der Volkssohule, dessen
Aufgabo, Material und Methode.
I. Die Aufgabe der Heimatkunde ist, die Kinder allmählich auf den später selb-
ständig auftretenden Unterricht in den Realien (Geographie, Geschichte, Naturkunde)
vorzubereiten.
II. Der Unterrichtsstoff (Material) soll an jeder Schule in einem, in concentrischen
Kreisen im Anschlüsse an das Lesebuch ausgearbeiteten detaillierten Lehrplane vor-
liegen.
III. Auch soll eine nach pädagogischen Principien ausgewählte Bilderreihe aus der
Geschichte des Wohnortes in jedem Schularchive hinterlegt werden.
IV. Von den Methoden hat die synthetische Methode die alleinige Berechtigung im
Rahmen der Volksschule. Gleichwohl ist die zeichnende oder construclive Methode als
Dienerin der ersten im raschen Fortschreiten begriffen. Das Kartenzeichnen ist ein
kennzeichnendes Merkmal des neuen geographischen Unterrichts.
V. Gedichte und Lieder zur Belebung des heimatkundlichen Unterrichts, zur Stärkung
des Patriotismus und zur Förderung der Gemütsbildung sollen passend verwertet werden.
(Aufgestellt in der zu St. Ruprecht am 29. August 1886 staltgefundenen Bezirks-
lehrerconferenz der Bezirke Weiz und Gleisdorf; Ref. Klotzinger- Weiz.)
20. Die Kartenskizze im Dienste des geographischen Unterrichts.
1. Die graphische Darstellung ist behufs sachgemäßer Einführung in das Ver-
ständnis der Landkarte für den ersten geographischen Unterricht unerlässlich ; Tür die
mittleren und höheren Stufen des Unterrichts in dieser Disciplin ist sie ein wertvoller
methodischer Behelf.
2. Die graphische Darstellung ist stets nur Mittel zum Zwecke, dient zur leichteren
Erfassung und Einprägung des Lehrstoffes, darf aber niemals zum Selbstzwecke werden.
3. Die Anwendung dieses Hilfsmittels ist einerseits durch die relative Wichtigkeit
des zu behandelnden Stoffes, andererseits durch die dem Unterrichte zugemessene Zeit,
sowie durch weise Erwägung beider Momente im Zusammenhalte naturgemäss von selbst
begrenzt. Vorzugsweise sind die orohydrographischen Verhältnisse zu berücksichtigen.
4. Die Kartenskizze soll das Resultat einer Reihe von Anschauungen, Über-
legungen, Vergleichungen und Schlüssen unter steter methodischer Anleitung des Lehrers
sein, daher sie auch gleichzeitig mit dem Unterrichte entstehen und in naturgemässer
Weise entwickelt werden soll.
5. Die Kartenskizze sei so einfach als möglich und stets der Leistungsfähigkeit
des Schülers entsprechend gehalten, damit durch die mechanische Ausführung derselben
der Unterricht mit Rücksicht auf die dazu aufgewendete Zeit nicht geschädigt werde.
6. Die Kartenskizze soll als ein Product des Massenunterrichts von allen Schülern
gleichzeitig während des Unterrichts ausgeführt werden.
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7< Hilfen, welche zur leichteren Erzielung einer annähernd richtigen geographischen
Skizze etwa gegeben werden, müssen möglichst einfach gehalten sein und dürfen das
Gedächtnis des Schülers nicht mit Unnützem und Gesuchtem beschweren.
8. Nicht alles, was der Lehrer auf der Schultafel zur Erläuterung des geographischen
Unterrichts zeichnet, werde auch von dem Schüler als Object der Reproduction aus dem
Gedächtnisse verlangt. Diese Forderung beschränke sich nur auf das Wichtigste.
(Angenommen von der IV. n.-ö. Landeslehrerconferenz zu Wien, September 1886;
aufgestellt von Director August Hofer- Wien.)
Kartenskizzen, auf denen nur diejenigen geographischen Gegenstände, welche die
Schüler sich einprägen sollen, verzeichnet sind, und zwar nicht nur ohne Namen, sondern
auch ohne Anfangsbuchstaben, sind ein zweckförderliches Hilfsmittel beim
geographischen Unterricht,
Durch sie wird die Auffassung und Einprägung der Länderformen, der Ge-
birgslage und -Richtung, der Flussläufe, der Ortslage etc. gefördert, das zeitraubende ,
ruhestörende und zerstreuende Aufsuchen auf den gedruckten Karten vermieden,
die Wiederholung erleichtert.
Bei aller Würdigung der Vortheile dieser Skizzen darf aber nicht ausseracht gelassen
werden, dass sie nicht Selbstzweck, sondern nur ein Hilfsmittel sind und dass ihr
Nutzen ein beschränkter ist. So z. B. können durch die Skizzen auf keinen Fall gute
gedruckte Karten der Bodenform, dieses grundlegenden Theiles der Geographie, ent-
behrUch gemacht werden.
In Erwägung nun, dass es zweifelhaft ist, ob die Auffassung der meistens ganz
unregelmässigen Länderformen und Flussläufe — ihrem bildenden Werte nach übrigens
sehr gleicbgiltige Dinge — dadurch wesentlich gefördert wird, dass der Lehrer sie
während des Unterrichts nach und nach an der Schultafel vorzeichnet und die Schüler
sie dann nachzeichnen (massgebende Pädagogen, z. B. Kehr, bezweifeln dies); — in
Erwägung, dass die Anfertigung halbwegs richtiger Skizzen die Leistungsfähigkeit
der Schüler übersteigt — und unrichtige müssen nicht nur vom geographischen, sondern
auch vom erziehlichen Standpunkte aus verworfen werden; — in endlicher Erwägung,
dass diesem methodischen Behelf unter diesen Umständen jedenfalls die Hälfte der für
den geographischen Unterricht bestimmten Zeit gewidmet werden müsste, so dass dann
unmöglich die Zeit erübrigte, um den selbst auf ein Minimum beschränkten Lehrstoff
dieses Gegenstandes entsprechend einüben und durch öftere Wiederholungen im Geiste
der Schüler befestigen zu können: erklärt der deutsche pädagogische Verein in Prag,
dass es für die Förderung der Ziele des geographischen Unterrichts am zweckmässigsten
sei, wenn den Schülern stumme Karten in die Hand gegeben werden, auf denen der
Massstab, die Breiten- und Längenlinien, die Länderformen, die Bodengestaltung, die
wichtigsten Flüsse, die Seen und das Meer verzeichnet sind.
Im Interesse der möglichsten Ausnützung der Unterrichtszeit ist es gelegen, dass
der Lehrer die Ländergrenzen und wichtigsten Flüsse vor dem Unterricht an die Schul-
tafel zeichne oder dass ihm Tafeln mit schwacher Vorzeichnung dieser Linien zur Ver-
fügung gestellt werden.
(Im deutschen pädagogischen Verein zu Prag aufgestellt von M. Hauptvogel.)
21. Kartenskizzen.
22. Hilf s- und Anschauungsmittel für den naturgcsohiohtlichen
Unterricht auf der Oberstufe der Volksschule — Art und Weise ihrer
Benützung.
Zu den naturgeschichtlichen Hilfs- und Anschauungsmitteln zählen:
1. Die naturgeschichtlichen Excursionen, der Schulgarten, Aquarien und Terrarien,
Naturproducte, Präparate, Modelle, Abbildungen, öffentliche Sammlungen und Anstalten,
das Lese- und Lehrbuch, die Bibliothek für Lehrer und Schüler.
2. Die Aufstellung von Normalverzeichnissen der naturgeschichtlichen Lehrmittel
für die verschiedenen Schulkategorien ist aus mehrerlei Gründen nicht möglich.
3. Die wesentlichsten Grundsätze bei Benützung naturgeschichtlicher Lehrmittel sind:
a) Sind von dem zu behandelnden Objecte verschiedenartige Anschauungsbehelfe
vorhanden, so sollen dieselben in der in These 1 angegebenen Reihenfolge
benutzt werden.
b) Lebende Objecte sollen in ihren verschiedenen Entwickelungsphasen an-
geschaut werden.
c) Der Lehrer verhalte die Schüler, die angeschauten Objecte selbst zu sammeln,
warne aber vor Thierquälerei und Sammelwuth.
d) Die naturgeschichtlichen Objecte sollen wiederholt zur Anschauung gebracht
werden.
e) Bei naturgeschichtlichen Excursionen, bei Arbeiten im Schulgarten, beim Vor-
zeigen kleiner Objecte im Schulzimmer halte der Lehrer strenge Disciplin.
f) Die Schüler müssen veranlasst werden, ihre gewonnenen naturgeschichtlichen
Kenntnisse und Fertigkeiten auch schriftlich auszudrücken.
g) Auswendiglernen naturgeschichtlicher Stoffe des Lehr- und Lesebuchs ist
verwerflich.
h) Kleinere Arbeiten der Schüler im Schulgarten werden als Bestandtheile des
naturgeschichtlichen Unterrichts betrachtet.
(Angenommen in der Bezirkslehrerconferenz zu Leoben am 17. Juli 1886; Ref.
Trebentschek-Donawitz.)
23. Unsere Zeiohenmethode.
Der Lehrer hat auf jeder Stufe auf Grund eines eigens ausgearbeiteten, logisch
aufgebauten Speciallehrganges vorzugehen. Die Grundoperationen und Elementarformen
sind zum festen geistigen Eigenthum der Schüler zu machen. Der Blick ist unverwandt
auf die Anleitung zum selbständigen Arbeiten der Schüler zu richten. Die eingehende
Besprechung der zu zeichnenden Form, insbesonders mit Rücksicht auf die Darstellungsart,
ist niemals ausseracht zu lassen. Das stigmographische Zeichnen ist zu verwerfen.
(Ref. Matzer -Josefstadt.)
Thesen: I. Das stigmographische Zeichnen ist, wenn überhaupt, nur auf der
Unterstufe zu dulden, auf der Mittel- und Oberstufe jedoch entschieden zu verwerfen.
Ebenso verwerflich ist das Zeichnen einer Form mit Hilfe eines unterlegten Quadrat-
netzes.
2. Ein Gebilde darf nicht früher gezeichnet werden, bevor es nicht sowohl in
Bezug auf Form als Darstellung erklärt worden ist.
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3. Der Gebrauch von Wandtafeln hiebei ist sehr zu empfehlen und die Einführung
solcher anzustreben.
4. Als Vorbilder sollen nur praktisch verwendbare Formen gewählt werden. Ins-
besondere sind die stilistischen Grundmotive zu verwerten. Elementare Erklärungen, die
Kunst und das Kunstgewerbe betreffend, sind hiebei einzuflechten.
5. Zur Förderung des letzten Zieles ist die Anschaffung von Vorlagen und Modellen,
Kunst und Kunstgewerbe betreffend, die lediglich als Anschauungsmittel zu dienen haben,
anzustreben.
6. Die Farbenlehre isf von der Unterstufe an als Anschauungsunterricht zu be-
treiben. Es ist wünschenswert, dass wenigstens einige Schüler der Oberstufe das An-
legen mit Farben als Ersatz fdr das zeitraubende und augenschädigende Schraffieren üben.
(Angenommen vom „Deutschen pädagogischen Verein im deutschen Königinhofer
Schulbezirke" am 5. Juni 1886; Antragsteller Neumann-Kukus.)
24. Zehn Gebote für den Gesangunterricht.
1. Sorge während der Gesangstunde für besonders reine Luft.
2. Halte die Zimmertemperatur während dieser Stunde lieber unter 14 0 R. Das
Singen macht warm. Wird nach der Gesangstunde das Local verlassen, so gewähre
den Kindern vor Schluss der Stunde Zeit zur Abkühlung.
2« Lasse womöglich im Stehen singen.
4. Dulde weder, dass die Kinder beim Tiefsingen das Kinn herabdrücken, noch
beim Hochsingen hinaufstrecken; richte auch ein besonderes Augenmerk darauf, dass
deine Schüler die hohen Töne nicht — wie's meist geschieht — stärker herausbringen
als die tiefen.
5. Lasse beim Singen überhaupt nicht brüllen. Pflege das Leisesingen. Treffen
deine Kinder leise zu singen, ohne mit der Stimme zu fallen, so hast du dir damit bei
jedem Sachkenner ein gross' Bildel eingelegt.
6. Lasse möglichst oft einzeln singen.
7. Unterscheide genau zwischen Sopran und Alt.
8. Schone mutierende Stimmen, besonders Altstimmen.
9. Versäume ja nicht, die Gesangstunde für Athemübungen zu benutzen, indem
du — Sccunden zählend — einen Ton aushalten lassest , zunächst schwach oder stark,
dann aber auch crescendo oder diminuendo. Übe dies fleissig — womöglich mit jedem
einzelnen Schüler.
10. Sei ein Thomas gegenüber der Entschuldigungsforrael „. . hat kein musikalisches
Gehör." Such's nur zu wecken und zu bilden!
(Aufgestellt in den „Hygienischen Episteln" der „Fr. Schulzeitung" vom 30. Jänner
1886.)
25. Über Registrierung bei der Orgel.
1. Jedes achtfüssige Register kann allein gebraucht werden.
2. Eine achtfüssige Manualstimme kann mit jeder anderen Stimme desselben Ton-
masses verbunden werden.
3. Man kann auch mehrere achtfüssige Register zu gleicher Zeit wirken lassen.
4. Im Manual müssen die achtfüssigen Stimmen vorherrschen.
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5- Die Zahl der vierfüssigen Register verhalte sich zu der Zahl der achtfiissigen
wie 1:4, 1:3 oder höchstens 1 : 2.
6. Zu den sechzehn- und achtfiissigen Manualstimmen füge man wenigstens eine
vierfussige Stimme, da sonst ein zu dunkler Orgelton entsteht
7. Zu zwei oder mehreren achtfiissigen Registern trete kein offenes vierfiissiges von
weiter Mensur, weil soust dieses jene überschreit.
8. Ein zweifüssiges Register ist nur dann zu ziehen, wenn mehrere achtfüssige und
ein oder zwei vierfussige Register die entsprechende Unterlage bilden und ausserdem zur
Milderung der zweifüssigen Stimme Quinte 2ä/ 9 Fuss beigesellt wird.
9. Zungenstimmen können bei vollem Werke und sonst nur in Verbindung mit
achtfiissigen Labialstimmen benutzt werden.
10. Im Pedale müssen die sechzehnfüssigen Stimmen überwiegen. Das Verhältnis
der sechzehnfüssigen Stimmen zu denen der achtfüssigeu sei ebenfalls wie 1:4 oder 1:3.
11. Eine zweiunddreissigfüssige Pedalstimme muss mit sechzehn- und acht-, selbst
vierfüssigen Stimmen verbunden werden.
12. Zu einer oder zwei achtfüssigen Manualstimmen muss im Pedal ein sechzebn-
füssiges oder ein sechzehn- und ein achtfüssiges Register gezogen werden.
13. Schwer ansprechende Stimmen (z. B. Gambo, Quintation etc.) sind durch leicht
ansprechende zu unterstützen.
14. Eine Nebenstimme darf weder im Manual noch im Pedal tiefstes und für ge-
wöhnlich auch nicht höchstes Register sein.
15. Terzen- und gemischte Stimmen kommen erst dann zur Anwendung, wenn nach
Erschöpfung der übrigen Mittel der Orgelton die für den betreffenden Zweck zu wünschende
Frische und Scharfe noch vermissen lässt.
(Aufgestellt im Troppaucr Bezirlrslehrerverein am 19. November 1885 von L. Riedl.)
1. Das gesammte Mittelschulwesen bleibt Sache des Staates. In allen deutschen
und böhmischen Mittelschulen wird die zweite Landessprache obligat gelehrt; doch können
Schüler auf Ersuchen der Eltern oder deren Stellvertreter von dem Erlernen der zweiten
Landessprache befreit werden.
2. Die Organisation des Volksschulwesens steht auf Grund der allgemeinen Reichs-
bestimmungen den nationalen Landtagscurien zu.
Das böhmische Volksschülwesen wird von der böhmischen, das deutsche von der
deutschen Landescurie gesetzlich geregelt.
3. Zur Bestreitung des Aufwandes für das Volksschulwesen wird durch das ein-
fhessende Schulgeld, durch Vermächtnisse und durch eine von den Curien zu bestimmende
Schulumlage ein böhmischer und ein deutscher Landesschulfond gebildet.
4. Das bisher für das Schulwesen beider Nationen bestimmte Vermögen wird vom
Landesausschusse verwaltet und davon alljährlich drei Fünftel dem böhmischen und zwei
Fünftel dem deutschen Landesschulfond zugewiesen.
5. Deutsche Gemeinden zahlen ihre Schulbeiträge (Schulumlage) in den deutschen,
böhmische in den böhmischen Landesschulfond. In den national gemischten Gemeinden
ist die Majorität der Bevölkerung für die Leistungen zum nationalen Landesschulfond
ausschlaggebend.
26. Zur Organisation des Schulwesens.
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6. Die Grossgrundbesitzer zahlen ihre Schulbeitrage in den Landesschulfond jener
nationalen Curie, der sie ihrer Parteistellung nach im Landtage angehören.
7. Weist in einer Gemeinde eine nationale Minorität durch fünf aufeinander folgende
Jahre 30 schulpflichtige Kinder auf, so kann die betreffende Landtagscurie für diese
Gemeinde eine besondere Schule errichten; doch dürfen in Gemeinden, in welchen
Volksschulen für beide Nationalitäten bestehen, schulpflichtige Kinder der einen Natio-
nalität in die Schule der anderen Nationalität nicht aufgenommen werden.
(Aufgestellt in der Sitzung des österreichischen Abgeordnetenhauses am 26. März
1886 vom Reichsrathsabgeordneten Heinrich.)
27. Zur Reorganisation der Mittelsohulen.
1. Die bisherige Zweitheilung der Mittelschulen ist zu verlassen. Statt derselben
wäre einzuführen ein Untercurs „Gymnasium" einheitlich für alle Schulen, ein Obercurs
„Lyceum", welches je nach dem Berufe des Schülers in etwa vier parallele Fach-
abtheilungen zu zerfallen hätte.
2. Die todten Sprachen wären besser als Hilfswissenschaften aufzufassen und dem«
entsprechend zu behandeln. Der Unterricht in der griechischen Sprache wäre bloss für
Schüler der philologischen Fachabtheilung obligatorisch. Durch entsprechende Anord-
nung des Lehrstoffes in den anderen Disciplinen könnte auch das wiederholte Zurück-
greifen auf denselben Gegenstand vermieden werden.
3. Infolge der hiedurch erzielten ausreichenden Entlastung des Schülers könnte
auch die Pflege der so wichtigen modernen Sprachen in den Rahmen des Lehrplanes
aufgenommen werden. Entgegen der bisher an den Realschulen bestehenden Übung
wäre jedoch die Methodik des Unterrichts dahin abzuändern, dass dem Ziele: „Freier
Gebrauch der Sprache im mündlichen Verkehr", möglichst nahegekommen werde.
4. Die Maturitätsprüfung endlich hätte in ihrer gegenwärtigen Gestalt zu entfallen.
Eine Abschlussprüfung könnte allenfalls aus den in der Fachabtheilung des Lyceums zum
Vortrage gelangenden Gegenständen stattfinden; hiebei wäre jedoch das Hauptgewicht
auf die richtige Auffassung des Gegenstandes zu legen und wären alle Gedächtnis-
leistungen zu vermeiden. Ein nach Ablegung einer solchen Fachprüfung erlangtes Reife-
zeugnis aus irgend einer Lycealabtheilung würde den Abiturienten zum Besuche der
Hochschule berechtigen.
(Aufgestellt in der Sitzung des österreichischen Reichsraths am 30. März 1886 vom
Abg. Frhru. v. Pirquet.)
28. Über die Lehrerbildung in Österreich.
A. Die Lehrerbildungsanstalten betreffend.
1. Die vollständigen Bürgerschulen (resp. die achtclassigen Volksschulen) bilden
die geeignetste Vorbereitung für die Lehrerbildungsanstalten.
2. Die Lehrerbildungsanstalten schliessen sich unmittelbar an die Bürgerschulen an.
Demnach wären die Vorbereitungsclassen an jenen Anstalten, wo sie nicht bestehen, ein-
zuführen, resp. zu reactivieren.
3. In die Vorbereitungsciasse der Lehrerbildungsanstalten werden die Schüler aus
den ad 1 bezeichneten Schulen nach vollendetem 14. Lebensjahre und auf Grund einer
Aufnahmsprüfung aufgenommen. Diese Aufnahmsprüfung erstreckt sich auf alle Gegen-
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stände der Bürgerschule, wobei auf tüchtige Kenntnisse in der Unterrichtssprache und im
Rechnen das Hauptgewicht zu legen ist.
4. Die Vorbereitungsciasse ist mit den vier Jahrgängen der Lehrerbildungsanstalten
organisch zu verbinden.
5. Der im Organisationsstatute von 1874 enthaltene Lehrplan für die Lehrer-
bildungsanstalten ist vollständig und zwar nach folgenden Principien zu ändern:
a) Die wissenschaftlichen Lehrfächer (mit Ausnahme der theoretischen Pädagogik)
sind auf die Vorbereitungsciasse und den I. und II. Jahrgang (event. auf das
I. Semester des III. Jahrganges) zu beschränken und müsste der bezügliche
Lehrstoff in diesen 3 (31 / 2 ) Jahren vollständig absolviert weiden.
b) Im III. und IV. Jahrgange findet in einer beschränkten wöchentlichen Stunden-
zahl die Wiederholung und Zusammenfassung des wissenschaftlichen Lehrstoffes
statt. Dagegen treten hier hauptsächlich auf: Erziehungs- und Unterrichts-
lehre, Erziehungsgeschichte, Schulgesetzkunde, spccielle Methodik aller Lehr-
fächer, Hospitieren, Lehrversuche und Probelectionen.
c) Der Lehrstoff aus den wissenschaftlichen Fächern wird auf die Vorbereitungs •
classe und den I. und II. Jahrgang der Lehrerbildungsanstalten zweck-
entsprechend vertheilt. Insbesondere werden Theile des grammatischen, geo-
graphischen, geschichtlichen, mathematischen und naturkundlichen Stoffes aus
dem I. Jahrgange in die Vorbereitungsciasse, aus dem II. in den I. Jahrgang
und der Rest aus dem III. und IV. Jahrgauge in den II. Jahrgang verschoben.
Die Erziehungslehre wäre aus dem II. in den III. Jahrgang zu verlegen.
d) Der Lehrstoff aus der Mathematik ist gegenüber dem jetzigen Ausmasse zu
beschränken
6. Durch die ganze Bildungsdauer ist auf die Charakterbildung der Zöglinge das
grösste Gewicht zu legen.
7» Die Schaffung verschiedener Kategorien von Lehrern, etwa für Stadt und Land,
durch Herabsetzung des Lehrzieles und der Bildungsdauer für die Landlehrer ist der
gleichmässigcn allgemeinen Volksbildung abträglich, schädigt das Ansehen des Lehr-
standes und fördert zum Nachtheile des Schulwesens das Kastenwesen im Stande der
Elementarlehrer.
B. Die Lehrbefähigungsprüfungen betreffend.
8. Die Lehrbefähigungsprüfung für Volksschullehrer soll den Nachweis liefern, ob
und welche Lehrgabe der Candidat besitze, wie weit die bereits erworbene praktische
Lehrbefähigung reiche, ob also der Candidat zur selbständigen Wirksamkeit im Lehr-
berufe geeignet erscheine.
9. Die wissenschaftliche (theoretische) Ausbildung der Volksschullehrer wird durch
das an der Lehrerbildungsanstalt erworbene Reifezeugnis documentiert.
10. Demnach soll die Lehrbefähigungsprüfung vorwiegend eine praktische und nur
im beschränkten Sinne eine theoretische sein.
11. In der zweijährigen Probepraxis hat sich der Lehrer durch die praktische Aus-
übung seines Berufes ganz und gar dem Studium der praktischen Erziehungs- und
Unterrichtsmethode, sowie der einschlägigen Literatur zu widmen.
12. Die Lehrbefähigungsprüfung für Volksschullehrer zerfällt in eine mündliche und
schriftliche. Die schriftliche Prüfung besteht in der Abfassung zweier Aufsätze, die sich
auf die allgemeine Pädagogik und auf die Schulgesetzgebung und Verwaltung beziehen.
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Die mündliche Prüfung erstreckt sich:
a) auf die allgemeine Pädagogik und Didaktik;
b) auf die specielle Methodik aller Gegenstände, die in der Volksschule gelehrt
werden ;
c) auf zwei Probelectionen von je einer halben Stunde. Dieselben haben sich
zu beziehen i. auf ein Thema aus dem Sprachfache oder dem Rechnen,
2. auf ein Thema aus den Realien oder über eine der Fertigkeiten.
C. Die Bildung der Bürgerschullehrer betreffend.
13. Die im Sinne obiger Vorschläge (ad 1 — 7) reformierten Lehrerbildungsanstalten
bieten auch den Bürgerschullehrern eine ausreichende Grundlage zur weiteren Fortbildung.
14. Die Lehrbefähigungsprüfung für Bürgerschullehrer bleibe in ihrem gegen-
wärtigen Umfange aufrecht. Sie setze aber grundsätzlich die Lehrbefähigung für Volks-
schulen voraus.
15. Für jene Volksschullehrer, welche sich zu Bürgerschullehrern qualifi eieren
wollen, wäre die in der Schulgesetznovelle vom 2. Mai 1883 (§ 42) vorgesehene Er-
richtung von besonderen Lehrcursen eine wesentliche, wenn auch nicht unbedingt noth-
wendige Hilfe.
(Aufgestellt von Professor Fr. Tomberger in der Generalversammlung des n.-ö. Landes-
lehrervereins in Horn, am 17. Juli 1886.)
29. Die Reorganisation der Lehrerbildungsanstalten und
Lenrbefähigungsprüfungen.
Weil die gegenwärtige Lehrerbildung in den Lehrerbildungsanstalten und die Vor-
nahme der Lehrbefähigungsprüfungen den praktischen Bedürfnissen der Volksschuliehrer
nicht genügend entsprechen, sowie in Anbetracht der in dieser Hinsicht beabsichtigten
Reformen, verlangt die am 10. August 1886 in Prag tagende Vollversammlung czechischer
Lehrer und Schulfreunde:
1. dass an den Lehrerbildungsanstalten kein Unterschied yemacht werde in der
Bildung der Land- und Stadtlehrer;
2. dass den Erziehungswissenschaften und der Unterrichtskunde an den Lehrer-
bildungsanstalten eine grössere Pflege gewidmet werde;
3. dass durch Übungsschulen, die an Classenzahl hinreichend erweitert sind, und
noch auf andere Weise dafür gesorgt werde, dass die Lehramtskandidaten eine praktische
Unterweisung gemessen im Unterrichten an Schulen verschiedener Kategorien;
4. dass die Lehrbefähigungsprüfungen beschränkt werden auf eine praktische
Prüfung aus der Erziehungs- und Unterrichtslehre, aus der Unterrichtssprache und aus
der Kenntnis der Schulgesetze;
5. dass zur Hintanhaltung irrthümlicher Voreingenommenheit bezüglich der Be-
fähigung der einzelnen Lehrer in den Zeugnissen weder die Grade der Befähigung, noch
Noten aus den einzelnen Lehrgegenständen angeführt werden;
6. dass als Hauptlehrer an den Lehrerbildungsanstalten nur erprobte Lehrpersonen
angestellt werden, die durch längere Zeit an einer öffentlichen Volksschule gewirkt haben.
(Angenommen vom czechischen Lehrertage zu Prag, August 1886; Ref. Ruftcka-
Königl. Weinberge.)
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30. Über die Heranbildung von Bürgerschul-Fachlehrern.
1. Die Errichtung von Bildungsstätten für Bürgerschullehrer ist eine unbedingte
Notwendigkeit.
2. Solche Bildungsstätten seien Bestandteile der Hochschulen.
3. Zum Besuche der Facheurse seien nur Candidaten berechtigt, welche sich mit
einem an einer Lehrerbildungsanstalt erworbenen Reife- oder Lehrbefähigungszeugnisse
ausweisen können.
4. Die Einrichtung dieser Curse kann folgende sein:
a) Der Curs ist zweijährig.
b) Der Unterricht in den Fachwissenschaften wird von den Hochschul-Professoren
ertheilt.
c) Für Pädagogik sind eigene Lehrkanzeln zu errichten.
d) Für die specielle Methodik der einzelnen Fachgegenstände sind erprobte
Bürgerschullehrer heranzuziehen.
e) Die Candidaten sind zu verpflichten, an den von den Landesschulbehörden
bestimmten Bürgerschulen zu hospitieren und ihre Lehrversuche zu machen.
f) Aus den Fachgegenständen haben die Candidaten zu bestimmten Zeiten zu
colloquieren.
5. Zur Lehramtsprüfung für Bürgerschulen werden nur Candidaten zugelassen,
welche sich über den Besuch eines solchen Curses ausweisen können.
Ausnahmen können mit Bewilligung des Ministeriums nur dann stattfinden, wenn
der Candidat eine mindest fünfjährige tüchtige Thätigkeit an einer Volksschule nach-
weisen und das Lehrbefähigungszeugnis für Volksschulen beibringen kann.
6. Zur Anstellung au einer Bürgerschule hat der Bewerber ausser der Beibringung
des Befähigungszeugnisses eine mindest zweijährige Thätigkeit an einer Volksschule nach-
zuweisen.
(Aufgestellt in der Bürgerschul-Section der Bundesversammlung zu Wien, September
1886, von M. Camuzzi-Graz.)
Die Bürgerschul-Section beschloss folgende Resolution:
„Die Facheurse zur Heranbildung von Bürgerschullehrern seien von zweijähriger
Dauer und entsprechend dem §42 des Reichsvolksschulgesetzes mit den Hochschulen
zu verbinden. Zum Besuche derselben seien in der Regel nur jene Candidaten be-
rechtigt, welche das Zeugnis der Reife und das Lehrbefähigungszeugnis für Volksschulen
besitzen."
31. Sind die den absolvierten Zöglingen der österreichischen
Knabenbürgerschulen gewährten Rechte genügend P
Damit die Knabenbürgerschule an Bedeutung und Frequenz gewinne, müssen den
Zöglingen, welche die Anstalt vollständig und mit gutem Erfolge absolviert haben, Rechte
eingeräumt werden, die das Institut der Bevölkerung schätzenswert erscheinen lassen.
Demnach wäre anzustreben:
1. Es haben an allen gewerblichen, land- und forstwirtschaftlichen Schulen, zu
deren Besuch die vollständige Mittelschule nicht gefordert wird, die Abiturienten der
Bürgerschule bezüglich der Aufnahme den Vorzug. In Bezug auf andere Anstalten
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(Handelsakademien u. a.), zu deren Besuch eine absolvierte vollständige Mittelschule
nicht gefordert wird, sollen dieselben den absolvierten Untermittelschülern gleich ge-
halten werden.
2. Es möge im Wege der Gesetzgebung verordnet werden : Stellungspflichtige,
welche alle 3 Classen einer öffentlichen Bürgerschule mit gutem Erfolge absolviert und
eine gute Note aus dem „Turnen" haben, werden — unbeschadet ihrer weiteren Militär-
dienstzeit — zu einem nur zweijährigen Präsenzdienst beigezogen.
(Angenommen von der Bürgerschul-Section der Bundesversammlung zu Wien,
September 1886; Ref. Jos. Winkler- Wien.)
32. Über die Schul aufsieht.
Damit sich das czechische Volksschulwesen von nationalen und religiösen Reibereien
so weit emaneipiere, um sich selbständig nach seinem culturellen Zwecke entwickeln zu
können, dann, damit die Lehrerschaft die gehörige Vertretung in der Schulverwaltung
erhalte, verlangt die am 9. August in Prag tagende Vollversammlung czcchischer Lehrer
und Schulfreunde, indem sie sich zugleich auf ihre Beschlüsse aus den Jahren 1870 und
1880 beruft:
1. dass sämmtliche czechische Volks- und Bürgerschulen bloss czechischen Schul-
räthen unterstehen, insbesondere
a) dass czechische Ortsschulräthe in Orten, wo sich czechische und deutsche
Schulen befinden, allein aus Angehörigen czechischer Nationalität bestehen,
und dass die Vertreter der Gemeinde in diesen Schulräthen bloss von den
czechischen Steuerträgern gewählt werden;
b) dass sämmtliche czechische Schulen, wo sich czechische und deutsche Schulen
befinden, nicht nur einem czechischen Bezirk sschulinspector , sondern auch —
insoweit für dieselben nicht ein eigener czechischer Bezirksschulrath errichtet
werden kann — dem nächsten czechischen Bezirksschulrathc zugewiesen
werden;
?. dass die Lehrerschaft der Volks- und Bürgerschulen in allen Schulräthen ver-
treten sei:
a) im Ortsschulräthe durch den Schulleiter oder den Director der Ortsschule;
b) im Bezirksschulrathe durch drei von der Bezirkslehrerconferenz gewählte Mit-
glieder, und zwar wären zwei Mitglieder aus der Lehrerschaft der Volks-
schulen und ein Mitglied aus der Lehrerschaft der Bürgerschulen zu wählen,
wobei den Mitgliedern der Lehrerbildungsanstalten kein Wahlrecht zukäme;
c) im Landesschulrathe durch Mitglieder, welche die Landeslehrerconferenz aus
der Mitte der Volks- und Bürgcrschullehrer zu wählen hätte;
3. dass zu Bezirksschulinspectoren berufen werden:
a) für Volksschulen bloss Mitglieder der Lehrerschaft an Volksschulen;
b) für Bürgerschulen bloss Mitglieder der Lehrerschaft an Bürgerschulen. Zu
letzterem Zwecke wären einige Bezirksschulinspectoren zur Aufsicht über
sämmtliche Bürgerschulen zu berufen;
c) jeder Bezirksschulinspector sei verpflichtet, über den Erfolg einer Schul-
inspection ein Protokoll zu verfassen, das auch der betreffende Lehrer zu
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unterschreiben hätte. Dieses Protokoll bilde die Grundlage des ämtlichen
Gutachtens, das der Schulinspector über die Thätigkeit des Lehrers den
Schulbehörden erstattet.
(Angenommen vom czechischen Lehrertage zu Prag, August 1886; Ref. Kobr-
Raudnitz.)
33. Für die Hausoonferenzen.
1. Es ist wünschenswert, in die Tagesordnung jeder Conferenz einen Punkt auf-
zunehmen, vielleicht unter dem Titel „Erfahrungen aus dem Schulleben", bei welchem
die Mitglieder der Conferenz Gelegenheit haben, über manches, was ihnen am Herzen
liegt oder worüber sie eine Aufklärung wünschen, sich auszusprechen. Gerade dieser
Punkt der Tagesordnung kann , von den Conferenzmitgliedern richtig aufgefasst und
gehötig ausgenützt, für die Schule von grösstem Nutzen sein.
2. Bei der Auswahl der Referate hat man darauf zu sehen, dass dieselben in der
Regel den besonderen Verhältnissen der Schule angepasst, also nicht zu allgemeiner
Natur sind. Übrigens ist es nicht nöthig, bei jeder Conferenz ein grösseres Referat zur
Besprechung zu bringen. Es hat nämlich einen viel höheren Wert, wenn einige Gegen-
stände möglichst gründlich und unter Theilnahme aller Conferenzmitglieder durchberathen
werden, als wenn in jeder Conferenz ein Referat vorgetragen und von den Mitgliedern
einfach zur Kenntnis genommen wird. Der Wert der Confercnzen liegt ja nicht so sehr
in den Referaten als solchen, sondern vielmehr in dem Interesse, welches man den ein-
zelnen Gegenständen allseitig entgegenbringt.
3. Der sicherste Gradmesser dieses Interesses ist eine mehr oder weniger lebhafte
Debatte, welche sich an die vorgetragenen Referate anschliesst und in welcher die
Verhandlungsgegenstände von den verschiedensten Seiten beleuchtet werden. Natürlich
muss verhütet werden, dass dieselbe bei grösseren Meinungsverschiedenheiten über die
Grenzen rein sachlicher Erörterung hinaus auf das Gebiet persönlicher AngrifTe hinüber-
schweife oder in einen unangemessenen Ton verfalle, weil aus solchen Keimen leicht
Parteiung im Lehrkörper und persönliche Entfremdung erwächst , die möglichst hintan-
gehalten werden soll, was übrigens dem richtigen Takte und der Besonnenheit des
Conferenzleiters gewiss gelingen wird. Zur Erzielung einer fruchtbringenden Debatte
muss der Schulleiter stets für eine interessante Tagesordnung sorgen und dieselbe
wenigstens acht Tage vorher den Mitgliedern des Lehrkörpers bekannt geben, um diese
in den Stand zu setzen, über die Verhandlungsgegenstände nachzudenken. Auch ein
Vorgang, welcher an einigen hiesigen Schulen eingehalten wird, dürfte hiebei gute Dienste
leisten. Dort wird nämlich die Debatte über ein Referat nicht gleich, sondern erst in
der nächsten Hausconferenz vorgenommen und mittlerweile das Referat den einzelnen
Mitgliedern zur Durchsicht überlassen. Ferner soll der Schulleiter selbst jederzeit,
wenigstens im allgemeinen über die zur Verhandlung kommenden Gegenstände orientiert
sein und zwar sowohl des guten Beispieles wegen, als auch deshalb, um die Debatte
leichter und sicherer leiten zu können.
4. Der Schulleiter ist verpflichtet, die beim Hospitieren in den einzelnen Classen
gemachten Wahrnehmungen in den Hausconferenzen mitzutheilen und darauf bezügliche
Rathschläge zu ertheilen. Die richtige Erfüllung dieser Pflicht, welche den Schulleitern
unter keiner Bedingung erlassen werden kann , beansprucht nicht nur viel Zeit und
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Mühe, sondern ist auch sonst mit grossen Schwierigkeiten verbunden. Es erfordert
nämlich viel Takt und Lebensklugheit, um bei solchen Mittheilungen je nach dem Grade
der Bedeutung des besonderen Anlasses und nach dem Charakter der Person stets und
mit Sicherheit den richtigen Weg und angemessenen Ton zu finden. Wenn einerseits
hiebei jede Lehrperson die Bemerkungen des Schulleiters mit einer der Höhe des gemeinsam
erstrebten Zweckes würdigen Bescheidenheit aufnehmen muss, so darf andererseits der
Schulleiter nie vergessen, dass der wirkliche Einfluss solcher Erinnerungen weniger von
seiner amtlichen Stellung an sich, als von dem Gewichte abhängt, welches gereifte Er-
fahrung, Übersicht des Ganzen und treffender Blick für das Einzelne, selbständiges und
sicheres Urtheil in allen Fragen der Erziehung und des Unterrichts seinen Überzeugungen
und Ansichten zu geben vermögen.
5. Die Mittheilung der Wahrnehmungen des Schulleiters muss stets eine rein
sachliche sein, auch muss er dahin streben, dabei nicht nur zu tadeln und dann etwa
jenen Vorgang, den er beobachtet wünscht, vorzuschreiben, sondern er muss
trachten, für seine Anschauung durch beredte Auseinandersetzung und klare Begründung
bei seinen Mitarbeitern Überzeugung zu bewirken; er muss verstehen, nicht nur anzu-
ordnen, sondern nöthigenfalls umzustimmen.
Bei der Arbeit eines Lehrkörpers kommt es ja nicht so sehr auf äussere Ordnung,
als vielmehr auf freudiges Zusammenwirken an, und dieses lässt sich nur durch Ver-
ständigung und Überzeugung erzielen. Für alle Fälle mache sich der Schulleiter zur
Regel, niemals den Namen desjenigen zu nennen, der ihn zu einer Ausstellung oder zu
einem allgemeinen Winke den besonderen Anlass gegeben. Was nur einzelne Lehr-
personen angeht, bespreche er mit diesen unter vier Augen und mache in der Conferenz
höchstens dann davon Mittheilung, wenn wiederholt gegebene Rathschläge keine Be-
achtung fanden. Die Erstattung förmlicher Inspectionsberichte, in welchen das Vorgehen
der einzelnen Lehrpersonen einer mehr oder weniger eingehenden Kritik unterzogen
wird, gehört nicht in den Wirkungskreis eines Schulleiters ; auch ist es nicht nothwendig,
über die beim Hospitieren gemachten Wahrnehmungen dem Stadtschulrathc separate
Berichte vorzulegen, da das Wichtigste davon ohnehin in die Protokolle der Haus-
conferenzen aufgenommen werden muss.
6. Nicht übersehen darf werden, dass die ordnungsmässig zustande gekommenen,
innerhalb des Rahmens der bestehenden Gesetze und Verordnungen liegenden Beschlüsse
der Hausconferenz auch vom Schulleiter befolgt werden müssen, und dass dieser nur
dann das Recht hat, die Fassung eines Beschlusses zu verhindern oder die Ausführung
zu sistieren, wenn derselbe seiner Ansicht nach dem Gesetze zuwiderläuft oder das
Interesse der Schule gefährdet; in diesem Falle ist der Schulleiter aber verpflichtet,
alsogleich die Entscheidung des Stadtschulrath.es einzuholen.
7. Die Protokolle der Hausconferenzen sollen ein möglichst treues Bild der in
den Conferenzen geleisteten Arbeit bieten; sie sollen daher auch die Mittheilungen des
Schulleiters, sowie eine Skizze der allfällig stattgefundenen Debatte enthalten. Selbst-
verständlich hat man sich bei Abfassung der Protokolle, sowie bei den Referaten, welche
denselben beigelegt werden, der vorgeschriebenen Orthographie zu bedienen; auch sollen
die Protokolle stets leserlich geschrieben, eventuell in Abschrift vorgelegt werden.
(Erlassen vom Stadtschulrathe Graz.)
176
34. Die bisherigen Erfahrungen über die Schulbesuchs-
erleiohterungen.
1. Die allgemeinen Schulbesuchserleichterungen sind nicht nothwendig; dieselben
haben das Schulwesen arg geschädigt.
2. Auf die Schulzeugnisse sei bei Eintritt ins bürgerliche Leben mehr Gewicht zu
legen, als es bisher der Fall war.
3. Es möge bei den betreffenden Factoren dahin gewirkt werden, dass die Schul-
geldzahlung aufgehoben werde.
(Angenommen von der IV. mährischen Landeslehrerconfercnz in Brünn am 9. Sep-
tember 1886; aufgestellt von Machacz.)
An einzelnen Schulen auf dem Lande ist der Schulbesuch in
den Sommermonaten überhaupt, insbesondere aber an den Vor-
mittagen, ein schlechter; woran liegt die Ursache und welche
wären dagegen anzuwenden?
Ursachen.
I. Die alte Gewohnheit, Kinder überhaupt
nur im Winter, oder im Sommer unregel-
mässig, in die Schule zu schicken.
II. Schulpflichtige Kinder von 6— I2jahren
werden im Sommer, hauptsächlich während
der Haue-, Mahd- und Schnittzeit (Feld-
arbeiten) zum Haushüten, event. zum Be-
aufsichtigen kleiner Kinder verwendet.
III. Das Verwenden der Schulkinder zum
Viehhüten (Strickweide), sowie zu verschie-
denen häuslichen und Feldarbeiten, wozu
häufig auch fremde schulpflichtige Kinder
aufgedingt werden.
IV. Wegen Mangel an Arbeitskräften oder
auch aus Ersparnisrücksichten müssen Kinder
von 10 — 12 Jahren oft schon die Stelle kost-
spieliger Dienstboten und Taglöhner vertreten.
V. Wirkliche Armut mancher mit zahl-
reicher Familie gesegneter Eltern; daher
diese ihre schulpflichtigen Kinder in Dienst
geben, damit sie sich ihr Brot verdienen; des-
gleichen auch sogenannte Findelkinder ärme-
rer Volksclassen.
VI. Zu früher oder auch zu später Beginn
des Unterrichts am Vor- und Nachmittage.
Mittel.
I. Gegen Gewohnheit werde mit Ernst
und Strenge vorgegangen.
II. Hinweis auf Unglücksfälle, Diebstähle,
wo Kinder sich allein überlassen waren, so-
wie auch auf moralische Gebrechen; unter
Umständen — Strafen.
III. Belehrungen über den Wert der Stall-
fütterung oder Einfriedung einer Viehweide,
sowie über die Nachtheile der Strickweide.
Besprechung dieses Gegenstandes in den
landwirtschaftlichen Filialen ; strengere Hand-
habung der diesbezüglichen Gesetze.
IV. Hinweis auf die Entkräftung unserer
heutigen Jugend durch frühzeitigesVerwenden
derselben zu schweren Arbeiten.
V. Verhalten der Gemeinden zur Unter-
stützung ihrer armen Schulkinder. Gewinnung
von Wohlthätern für arme Schulkinder.
VI. Verlegung des Beginnes der Unter-
richtszeit u. z. den örtlichen Verhältnissen
gemäss. — Die Erfahrung hat gezeigt,
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dass durch Verlegung der Unterrichtszeit,
namentlich des nachmittägigen Unterrichts,
i der Schulbesuch sich an manchen Schulen
besser gestaltete.
VII. Belehrung über den Wert der Schule;
strengeres Handhaben des Schulaufsichts-
VII. Geringschätzung der Schule, Theil-
nahmslosigkeit mancher Eltern (Eltern-Stell-
vertreter), überhaupt Unbildung; ferner Ver- j gesetzes.
zärtelung, falsche Liebe der Eltern zu ihren
Kindern, wodurch diesen oft die Freude
zum Schulgehen benommen wird.
VIII. Unthätigkeit oder gar zu oberfläch- yill. Strengeres Vorgehen gegen saum-
liche Behandlung der Schulversäumnisse von se üg e Qrtsschulräthe von Seite höherer
Seite einzelner Ortsschulräthe und zu wenig SchulbeWbrden. Reges Mitwirken von Seite
Selbsthilfe von Seite des Lehrers (Lehrerin). des Lehrfcs (Lehrerin) zur Erreichung eines
regelmässfon Schulbesuches durch Selbst-
hilfe. \
(Aufgestellt in der zu Hartberg am 15. Juli 1886 ytattgefundenen Bezirkslehrer-
conferenz für die Schulbezirke Hartberg, Pöllern, Vorau und Friedberg; Ref. Maurer-
Kraindorf.)
36. Zur Keform des Kindergartens.
1. Der Kindergarten in seiner gegenwärtigen äusseren Gestaltung und inneren
Einrichtung ist reformbedürftig.
2. Die Verbesserungen gehen auf Grund der gemachten Erfahrungen dahin:
a) Die eigentliche Bedeutung und das Streben des Kindergartens näher zu
kennzeichnen als Vorbereitungsanstalt für die Schule;
b) eine einheitliche, gleichmässige Organisation der Kindergärten, sowie ein
einheitliches Vorgehen der Kindergärtnerinnen herbeizuführen;
c) alle die kindliche Fassungskraft übersteigenden Anforderungen bei Spiel und
Beschäftigung zu vermeiden, Einfachheit, Natürlichkeit, Masshalten in allem
anzuempfehlen.
(Für die Kindergarten-Section der Bundesversammlung zu Wien, September 1886, auf-
gestellt vom Ausschusse des Vereins für Kindergärten in Österreich; Ref. Therese Winkler.)
37. Zur Hebung der Stellung der Kindergärtnerinnen.
1. Es ist wünschenswert, dass in jenen Fällen, wo der Kindergarten mit einer
Schule in Verbindung steht, die Kindergärtnerinnen auch den Local-Conferenzen zu-
2. Es ist anzustreben, dass die an öffentlichen oder privaten Kindergärten wirkenden
Kindergärtnerinnen als Mitglieder der Bezirks-Lehrerconferenzen der Volkschullehrer an-
gesehen werden und zum mindesten bei denselben berathende Stimme haben.
3. Daraus folgt, dass auch die Bezirks-Lehrerbibliotheken den Kindergärtnerinnen
zugänglich gemacht werden müssen und dass bei deren Zusammenstellung auf die Be-
dürfhisse dieses Leserkreises Rücksicht genommen werden rauss.
Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1886. 12
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Begründung: Durch den regen Verkehr zwischen den Lehrpersonen und den
Kindergärtnerinnen kann die Fröbelsache nur gefördert werden; denn es werden Vor-
urtheile beseitigt, das Kindergartenwesen vor Abirrungen gesichert und der Anerkennung
desselben als eine erwünschte und zweckmässige Vorbereitung für den Schulunterricht
Vorschub geleistet. Die Lehrer können durch genaue Bekanntschart mit dem Vorgehen
im Kindergarten ihren Unterricht dem entsprechend gestalten und so den Übertritt von
der einen Anstalt in die andere vermitteln, so dass das Kind nicht durch gegenteiliges
Vorgehen zu Schaden kommt. — In den Bezirks-Lehrcrconferenzen werden auch Ver-
handlungen über Fröbels Erzichungs- und Unterrichtsprincipicn gepflogen; ebenso wird
daselbst über die Erziehungsrcsultate des Kindergartens geurtheilt, ohne dass es den
berufensten Vertreterinnen der Fröbelsache — den Kindergärtnerinnen — möglich ist,
ihre Anschauungen und ihre Erfahrungen kundzugeben. Um dies zu ermöglichen, sollten
sie, da sie doch an der elementaren Bildung einer grossen Zahl von Staatsbürgern
bedeutenden Antheil haben, an den Conferenzen der Lehrerschaft des ganzen Bezirks
theilnehmen und mitrathen dürfen. Durch die Vertiefung des pädagogischen Wissens
der Kindergärtnerinnen, wozu ja die Conferenzen ein gutes Mittel sind, würde ihr Vor-
gehen an Sicherheit gewinnen und das Ansehen des ganzen Standes gehoben werden. —
Die dritte Forderung ist nur eine Consequenz der zweiten ; durch ihre Erfüllung »oll es
den Kindergärtnerinnen, welchen überhaupt keine grossen materiellen Mittel zu Gebote
stehen, ermöglicht werden, auf eine billige Weise sich fortbilden zu können.
(Aufgestellt für die Kindergarten-Section der Bundesversammlung zu Wien, Sep-
tember 1886, von Jos. Kraft-Wien.)
38. In welcher Weise ist der Portbildungsunterricht für die der
Schulpflicht entwachsene Jugend einzurichten, um eine allmähliche
allgemeine Verbreitung desselben anzubahnen und zu sichern?
Welche Mittel und Wege sind zur Erreichung dieses Zieles
zweckmässig und noth wendig?
Resolution: Die IV. oberösterreichische Landes -Lehrerconferenz spricht sich
dahin aus, dass unter den jetzigen ungünstigen Schulverhaltnissen, da an den meisten
Schulen des Landes nur ein sechsjähriger Alltagsunterricht besteht, an einen wahrhaft
gedeihlichen Fortbildungsunterricht nicht gedacht werden kann, und spricht die dringende
Bitte aus, dass mindestens die siebenjährige Alltagschulbesuchspflicht an den Volks-
schulen des Landes wieder zur That werde.
Thesen: Der Fortbildungsunterricht lässt sich allmählich allgemein einführen und
sichern :
1. durch unausgesetztes Hinarbeiten der Lehrer bei den Schülern der Oberclassen
und Obergruppen, beziehungsweise der Abtheilungen mit verkürztem Unterrichte auf den
Eintritt der zur Entlassung aus der Schulpflicht gelangenden Schüler und Schülerinnen
in den Fortbildungscurs ;
2. durch Gewinnung der Genossenschafts vorstände, der Gemeindevorsteher, der
Geistlichkeit, der Ortsschulräthe, der Ortsschulinspectoren, der Ärzte, Forstleute, Guts-
herren und Verwalter und anderer einflussreicher Personen des Schulsprengels für die
Einwirkung auf die fortbildungsbedürftigen jungen Leute zum Zwecke des Eintritts in die
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Curse. Die Gewinnung der vorstehenden einflussreichen Persönlichkeiten für die Unter-
stützung des Fortbildungswesens wäre zunächst Sache der Bezirksschulinspectoren ;
3. durch Einrichtung der Curse nach localen Verhältnissen und Bedürfnissen;
4. durch vielfachen Verkehr des Lehrers mit dem Elternhause;
5. durch Aufmunterung der belehrenden Vorträge für das Volk, bei welcher
immer auf die Erwärmung des Volkes für die Institution der Fortbildungscurse Rücksicht
genommen werden sollte;
6. durch Veranschaulichung des Unterrichts in den Cursen, wo und wie es immer
geht, insbesondere aber durch die fleissigste Verwertung der Schulgärten und Schul-
bienenwirtschaften für den Zweck des Fortbildungsunterrichts, weiters durch öftere Ex-
cursionen in Musterwirtschaften, Fabriken, Werkstätten etc. ;
7. durch die Leetüre und Erklärung landwirtschaftlicher Zeitschriften im Curse;
S. durch die Besiehung des Unterrichts auf die Bedürfnisse des häuslichen, ge-
werblichen und landwirtschaftlichen Lebens und durch das Anregen zur praktischen
Anwendung der im Curse aufgefrischten und neu gewonnenen Kenntnisse ;
9. durch die Wiedereröffnung des landwirtschaftlichen Lehrcurses für Lehrer in
RiUlhof;
10. durch ein zweckmässigeres, für die heimatlichen Verhältnisse besser passendes
Lesebuch, als es das Erzingersche ist und durch Einführung eines Lesebuches für
Mädchen-Fortbildungscurse ;
11. durch ausgiebigere Remunerationen für die Lehrer der Fortbildungscurse und
zwar mindestens im Betrage von 50 kr. per Unterrichtsstunde.
(Angenommen in der Landes-Lehrerconferenz zu Linz am 14. October 1886;
Ref. Hödl.)
39. Die Errichtung von Fortbildungsschulen.
1. Die Volksschule kann ohne Beeinträchtigung ihrer Aufgabe die Schulkinder für
einen besonderen Beruf nicht vorbereiten.
2. Es ist zweckmässig, aus pädagogischen und nationalökonomischen Gründen, Fort-
bildungsschulen zu errichten.
3. Der Unterricht der Fortbildungsschulen schliesst sich an den Unterricht der
Volksschulen an, und es haben denselben alle Kinder bis zum zurückgelegten 16. Lebens-
jahre zu besuchen mit Ausnahme jener Kinder, welche eine Mittelschule oder eine andere
Lehranstalt frequentieren.
4. Die Lehrer werden aus Volks- und Bürgerschullehrern gewählt und erhalten
für ihre Mühewaltung eine entsprechende Remuneration.
(Angenommen in der IV. Landes-Lehrerconferenz zu Brünn am 10. September 1886;
Ref. Marschall-Brünn.)
40. Über das Fortbildungsschulwesen auf dem Lande.
1. Die Fortbildungsschule auf dem Lande ist eine Fortsetzung der Volksschule
und schliesst sich eng an diese an; sie dauert 2 Wintersemester a 5 Monate, gewährt
allgemeine Bildung, und je nach örtlichen Verhältnissen tritt die landwirtschaftliche oder
gewerbliche Seite in den Vordergrund.
2. Die Fortbildungsschule kann nur in ihrer obligaten Form sichere Erfolge
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gewährleisten und die eingeleiteten Massregeln und Ausgaben rechtfertigen, doch soll
das Entlassungszeugnis der Fortbildungsschule zu zweijähriger Präsenzdienstpflicht
berechtigen.
3. Die bestehenden Fortbildungscurse (Obstbaueurse) für Lehrer sind von den
Landes- und Bezirksschulbehörden nach Thunlichkeit zu fördern. Insbesondere soll der
rege Besuch dieser Curse durch Gewährung von Stipendien an die Besucher derselben
gehoben werden.
4. Die Lehrer der Fortbildungsschulen sind nach der von ihnen ertheilten Stunden-
zahl zu entschädigen, und es darf für je eine Lehrstunde nicht weniger als 50 Kreuzer be-
messen werden. Die Leiter der Fortbildungsschulen beziehen eine entsprechende Functions-
zulage.
5. Die Förderung des landwirtschaftlichen Vereinswesens von Seite der Lehrer-
schaft, die Errichtung von Dorf- und Orts - Fortbildungsvereinen (landwirtschaftlichen
Ortsv e reinen) , Abhaltung von Bauernabenden und belehrenden Unterhaltungen werden
der Entwicklung des ländlichen Fortbildungsschulwesens sehr günstig sein.
6. Die Erhaltung der Fortbildungsschulen auf dem Lande und die Besoldung der
Lehrer haben der Staat, das Land, der Bezirk und die Gemeinde in derselben Weise zu
tragen, wie die Ausgaben für das bestehende Volksschulwesen gedeckt werden.
7. Die Errichtung von freien Lehnnittelsammelstellen ist im höchsten Grade
wünschenswert. Um den Austausch von Lehrmitteln zu erleichtern, möge der Erlass des
h. k. k. Landesschulraths vom 31. August 1876, Z. 9260, betreffend die Portobehandlung
der Sendung von Lehrmitteln dahin eine Änderung erfahren, dass auch Industrieproducte,
Mineralien, Modelle etc. zum postfreien Versand zwischen den Schulleitungen kommen
dürfen.
(Angenommen in einer freien Versammlung von Lehrern der Bezirke Kaaden,
Komotau, Karlsbad, Saas und Plan am 8. Mai 1886; Ref. Grumbach-Grasengrün. —
Genehmigt von den Lehrervereinen Saaz, Joachimsthal, Karlsbad.)
4L Organisationsgrundsfitse für landwirtschaftliche Fortbildungs-
schulen.
1. Für die Hebung und Förderung eines rationellen landwirtschaftlichen Betriebes
können Fortbildungsschulen von grosser Bedeutung werden. Sollen dieselben aber ihrem
Zwecke entsprechen, so dürfen sie keine ausschliesslich landwirtschaftlichen Fortbildungs-
schulen sein, sondern sie müssen allgemeine Fortbildungsschulen werden mit landwirt-
schaftlichem Charakter.
2. Eine solche Fortbildungsschule ist nur dort zu errichten, wo die Schulgemeinde
sie ausdrücklich wünscht, und wo sich Lehrer rinden, die ein wirkliches Interesse für
die Sache hegen und ihre fachliche Vorbildung biezu nachweisen.
3. Der Nachweis über die Befähigung ist durch Zeugnisse über gemachte Vor-
studien oder durch eine abzulegende Prüfung zu erbringen.
4. Für diese Fortbildungsschulen ist ein Lehrplan zu entwerfen, der sich auf den
Unterricht in der Muttersprache, im Rechnen, in der geometrischen Formenlehre und in
der Landwirtschaft erstrecken muss.
5. Auf Grund dieses Lehrplanes ist die Herausgabe eines Lehr- und Lesebuches
zu veranlassen, welches als Leitfaden für den gesammten Unterricht zu gelten hat.
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6. Der Unterricht erstreckt sich auf zwei Jahrescurse, von denen jeder 5 Monate
umfasst, und zwar vom 1. November bis 31. März. — Jede Woche sind 6 Schulstunden
zu ertheilen, die auf 3 verschiedene Tage der Woche vertheilt werden.
7. In diese Fortbildungsschulen werden Knaben aufgenommen, welche das
14. Lebensjahr zurückgelegt und die Volksschule mit gutem Erfolge absolviert haben. —
An mehrclassigen Volksschulen können die Zöglinge event. in zwei Abtheilungen unter-
richtet werden.
8. Jeder Lehrer erhält für seine Mühewaltung eine jährliche Remuneration von
mindestens 50 fl. ö. W.
9. Die Kosten für die Fortbildungsschulen werden durch das Zusammenwirken
der Gemeinden, der landwirtschaftlichen Vereine und der Bezirksvertretungen aufgebracht,
öffentliche Mittel des Landes und des Staates sollen nur im äussersten Falle in Anspruch
genommen werden.
10. Unbeschadet des staatlichen Oberaufsichtsrechtes steht die Errichtung und Leitung
der Fortbildungsschulen dem Landesculturrathe für das Königreich Böhmen zu, der das
Nähere im Einvernehmen mit den k. k. Behörden festsetzt.
(Aufgestellt von G. Kögler -N.- Gabel in der „Fr. Schulzeitung 4 '.)
42. Wie lässt sioh durch die Schule die Erkenntnis auf land-
wirtschaftlichem Gebiete am wirksamsten fördern P
Thesen:
1. Mit Rücksicht auf den langsam, aber stetig vorwärtsschreitenden Niedergang
unserer ländlichen Bevölkerung in wirtschaftlicher Beziehung, welcher eine Besserung der
bestehenden Verhältnisse dringend heischt, mit Rücksicht ferners auf den Umstand, dass
die Volksschule für den weitaus grössten Theil der Bevölkerung die einzige Stätte der
Bildung und Belehrung ist, ist es nothwendig, dass durch die Volksschule die Erkenntnis
auf landwirtschaftlichem Gebiete gefördert werde.
2. Diese Aufgabe kann die Volksschule lösen durch eine richtige Beziehung der
einzelnen Unterrichtsgegenstände auf landwirtschaftliche Verhältnisse innerhalb des Rahmens
der ministeriellen Lehrpläne.
3. Soll die Volksschule ihrer Aufgabe, die Erkenntnis auf landwirtschaftlichem
Gebiete zu fördern, nachkommen können, so ist es nothwendig, dass
a) die Persönlichkeit des Lehrers die geeignete sei;
b) in den Volksschullesebüchern auf den landwirtschaftlichen Lesestoff mehr
Rücksicht genommen werde;
c) an jeder Schule die entsprechenden Lehr- und Anschauungsmittel für den
landwirtschaftlichen Unterricht vorhanden seien;
d) mit jeder Volksschule ein nach den gegebenen Verhältnissen entsprechend
eingerichteter Schulgarten in Verbindung stehe;
e) der Lehrer von Zeit zu Zeit mit seinen Schülern pädagogische Spaziergänge
in die nächste Umgebung des Schulortes unternehme.
4. Bei Schülern, welche in den letzten 2 Schuljahren weitgehende Schülbesuchs-
erieichterungen gemessen, ist die Volksschule ausser Stand gesetzt, die Erkenntnis auf
landwirtschaftlichem Gebiete wirksam zu fördern.
5. Soll die Volksschule ihre Aufgabe, die Erkenntnis auf landwirtschaftlichem
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Gebiete zu fördern, jedoch vollständig erfüllen können, so muss sich an dieselbe un-
bedingt eine obligatorische landwirtschaftliche Fortbildungsschule anschliessen.
6. Durch persönlichen Verkehr mit den Eltern und durch Vorträge in landwirt-
schaftlichen Vereinen kann der Lehrer ebenfalls sein Scherflein zur Förderung landwirt-
schaftlicher Erkenntnis beitragen.
Anträge :
1. Zur Erzielung eines einheitlichen Vorgehens bei der Auswahl des auf die land-
wirtschaftliche Erkenntnis Bezug nehmenden Unterrichtsstoffes möge ein Comite' mit der
Verfassung einer diesbezüglichen detaillierten Lehrstoffvertheilung auf Grund der landes-
schulräthlichen Lehrpläne betraut werden.
2. Es möge angestrebt werden, dass zur geeigneten Ausbildung des Lehrers in
landwirtschaftlicher Beziehung
b) die landwirtschaftlichen Fortbildungscurse für Lehrer auch in Zukunft ab-
gehalten werden und
b) an jeder Volksschule eine kleine landwirtschaftliche Bibliothek zur weiteren
Fortbildung des Lehrers eingerichtet werde.
3. Es möge eine Bestimmung geschaffen werden, durch welche entweder die Orts-
schulräthe bemüssigt werden, die zur Anlage und Erhaltung der Schulgärten nothwendigen
Geldmittel herbeizuschaffen, oder aber, durch welche sämmtliche Schulgärten als staat-
liche oder Landes-Culturstationen erklärt werden, welche aus einem zu bildenden gemein-
samen Fonde zu dotieren wären.
(Aufgestellt in der Bezirkslehrerconferenz der Schulbezirke Gleisdorf -Weiz am
29. August 1886; Ref. Pröll- Gleisdorf. — Sämmtliche Thesen und Anträge wurden auch
bei der in Graz am 5.-7. September d. J. abgehaltenen IV. steiermärkischen Landes-
lehrerconferenz angenommen.)
43. Über den Wert und die Einrichtung eines Schulgartens in Graz.
1. Der Schulgarten der Stadt dient in erster Linie als Lehrmittel der Natur-
geschichte im allgemeinen, dem Unterrichte in der Pflanzenkunde im besondern.
2. Er möge enthalten:
a) den botanischen Theil, der eine möglichst vollständige Sammlung von Cultur-
gewächsen und sonst wichtigen Pflanzen repräsentieren soll; diejenigen von
ihnen, welche in den Schulen vorzugsweise den Gegenstand der Besprechung
bilden, werden in grösserer Anzahl gebaut;
b) eine kleine Gemüseabtheilung für Mädchen, insbesondere für die älteren,
denen hier die Küchengewächse in ihrem unveränderten, natürlichen Zustande
vorgeführt werden;
c) eine kleine Baumschule und ein Sortiment von Beerenobststräuchern, sowohl
zum theoretischen Unterrichte, als auch um die Erziehung dieser Gewächse
zu lehren und zu veranschaulichen.
Der ganze Raum möge in angemessener Weise durch Zierpflanzen ausgeschmückt
werden.
3. Die Fläche soll im Minimum 800 wä betragen.
4. Der Garten soll in der Hand eines aus Lehrkräften der Schule gebildeten
Comites sein, das den Plan überträgt und späterhin die Arbeiten leitet. Der Director
der Schule ist der Obmann des Comites.
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5. Ein eigener Gärtner ist der hohen Kosten wegen nicht anzustellen; doch ist
ein verständiger Berufsgärtner zu gewinnen, der die erste Einrichtung im Einverständ-
nisse mit dem Comite durchführt, der später rathend und helfend zur Seite steht.
6. Die Schuljugend ist nach Massgabe der Verhältnisse zu den Gartenarbeiten
heranzuziehen.
(Aufgestellt in der Vollversammlung des Grazer Lehrervereins am 12. Februar 1886;
Ref. Meli.)
44. Die Lehrervereine.
1. Die Lehrervereine sind Bildungsanstalten für den Lehrer, eine mächtige Quelle
geistiger Auffrischung, der Berufsfreudigkeit und Collegialität , und dadurch ein Haupt-
förderungsmittel für das Interesse der Schule.
2. Durch Erfüllung der Vereinszwecke wird das Standesbewusstsein gehoben,
welches zur Freiheit und Selbständigkeit des Lehrers beiträgt.
3. Der Lehrerverein übt auch einen wohlthuenden Einfluss auf das Volk aus.
Welche Aufgabe haben die Lehrervereine?
1. Wahre brüderliche Wechselseitigkeit unter den Mitgliedern zu wecken.
2. Den Eifer in der Schulthätigkeit zu wecken, zu nähren und zu fördern und
zwar durch Besprechung der Unterrichtspläne, durch pädagogische, didaktische und
methodische Unterredungen.
3. Den Lehrstand zu vertheidigen gegen unbegründete Angriffe.
4. Hilfe zu leisten zur Vervollkommnung der pädagogischen Literatur durch Be-
urtheilung verschiedener Jugendschriften.
5. Die wechselseitige Berührung der Lehrer mit den Bürgern zu unterstützen.
6. In weiteren Kreisen die pädagogischen Bestrebungen der Lehrer durch öffent-
liche Vorträge bekannt zu machen.
Was ist die Ursache der Lauheit in denLehrervereinen, und welche Mittel würden
das Vereinsinteresse wieder wecken?
Ursachen der Lauheit sind:
1. die grosse Ausdehnung der Bezirke;
2. die Schalheit mancher Conferenzen, woran die Vereinsleitung, die Referenten,
die übrigen Theilnehmer oder alle zusammen schuld sein können;
3. das mehrfach noch mangelnde Standesbewusstsein der Lehrer;
4. der Mangel der unbedingt nothwendigen Eintracht im Lehrstande;
5. der schädliche Einfluss des Umstandes auf die) Unabhängigkeit des Lchrstandes,
dass die Schule ein Object ist und bleiben wird, um dessen Bevormundung sich die
verschiedenen Parteien fortwährend streiten;
6. in Fällen auch der Umstand, dass Väter grosser Familien genöthigt sind, die
Ausgaben einzuschränken, indem sie sich nebst mancher Unterhaltung auch hie und da
einen Conferenzbesuch versagen.
Mittel, das Vereinsinteresse zu wecken und zu beleben.
1. Der Vereinsleitung, resp. der Versammlung obliegt es, solche Verhandlungs-
gegenstände auf die Tagesordnung der Vereinssitzung zu setzen, welche
a) wissenschaftlich oder pädagogisch fortbildend und
b) auch anregend und interessant sind.
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2. Der Referent übernimmt mit dem Referate die Pflicht, eine vollkommene Arbeit
zu liefern, eine Arbeit, die fortbildend und anregend wirkt and in den Vereinsmitgliedern
Liebe für die Conferenzen erweckt und erhält.
3. Alle Theilnehmer sollen dem Referate aufmerksam zuhören, damit eine frucht-
bare Debatte ermöglicht wird.
4. Da bei jedem Ding Ordnung nothwendig ist, so hat sich jedes Vereinsmitglied
der Vereinsdisciplin unbedingt zu unterwerfen und aufrichtig bestrebt zu sein, dem
Vereins-, resp. Standesinteresse nach besten Kräften zu dienen.
5. Eine heitere, aber standeswürdige Unterhaltung im collegialen Kreise nach der
Vereiusversanimlung.
(Angenommen in der 3. Hauptversammlung des Gonobitzer Lehrervereins am
10. Juni 1886; Ref. Leitgeb.)
45. Bestimmungen über den Beohtssohutz der Mitglieder des
doutaoh-österreiohischen Lehrerbundes.
I. Bestimmungen über den Rechtsschutz im allgemeinen.
A. In Betreff der Verpflichtung und Berechtigung der zur Wahrung der Lehrer-
rechte berufenen Factoren, sowie des allfällig einzuhaltenden Instanzenganges.
1. Die Wahrung der Rechte der einzelnen Lehrpersonen, welche mit deren beruf-
lichen Stellung zusammenhängen, ist in erster Linie Sache dieser Lehrpersonen selbst.
2. Wenn die Kräfte des Einzelnen hiezu nicht ausreichen, so obliegt der Schutz
der gefährdeten Rechte jenem Vereine, dem der Einzelne unmittelbar (d. h. nicht durch
einen anderen Verein) angehört, also dem Orts- oder Bezirks-, resp. Zweigvereine.
3. Reichen die Kräfte auch dieses Vereins für die Lösung der gestellten Aufgabe
nicht aus, so hat der Verein nächsthöherer Ordnung, dem der betreffende Verein an-
gehört, also der Landes- und in letzter Linie endlich der Reichsverein einzutreten.
4. Im Falle der Zustimmung zum Standpunkte des Gesuchstcllers kann derjenige
Verein, dem die Angelegenheit zunächst vorgelegt wird, selbständig die Angelegenheit
zu Ende führen, oder dieselbe unter Befürwortung des bezüglichen Gesuches an eine
höhere Vereinsinstanz weiterleiten.
5. Im Falle der Ablehnung seines Ansuchens steht dem Gesuchsteller das Recht
der Berufung an eine höhere — bis zur höchsten — Vereinsinstanz zu.
6. Jedes (schriftlich einzubringende) Ansuchen ist von den verschiedenen Vereins-
instanzen möglichst rasch und zwar unter allen Umständen so rasch zu erledigen, dass
nicht Verjährung eintritt.
7. Die Ausübung des Petitionsrechtes steht zu:
a) in Rechtsangelegenheiten der Gesammtlehrerschaft: dem Lehrerbunde;
b) in Rechtsangelcgenhciten der Lehrerschaft einer Provinz: dem betreffenden
Landeslehrervercine ;
c) in Rechtsangelegcnheiten der Lehrerschaft eines Ortes oder Bezirkes: dem
Orts-, resp. Bezirksvereine.
8. In Fällen zweifelhafter Competenz ist die Entscheidung des Bundesausschusses
einzuholen.
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9. Die übrigen Formen des Rechtsschutzes, resp. der Wahrung der rechtlichen
Interessen der Lehrerschaft und zwar:
a) die private oder öffentliche Ertheilung von Auskünften oder Rathschlägen,
b) die Veröffentlichung von Erklärungen (Resolutionen),
c) die Unterstützung einzelner Mitglieder des Lehrerstandes in Civil- oder Straf-
processen
unterliegen keiner Competenzbeschränkung.
B. In Betreff derjenigen Momente, welche für die Einbürgerung der Institution
des Rechtsschutzes von besonderer Bedeutung sind.
1. In die Satzungen der verschiedenen (Orts-, Bezirks-, resp. Zweig- und Landes-)
Vereine ist bei Gelegenheit einer Änderung der Satzungen eine Bestimmung aufzunehmen,
welche dem Einzelnen den nöthigen Rechtsschutz gewährleistet.
Etwa in folgender Form:
„Rechte der Mitglieder.
Jedes Mitglied ist berechtigt, im Bedarfsfalle zu verlangen, dass seine posi-
tiven Rechte principieller Art, insoweit dieselben mit seiner beruflichen Stellung
zusammenhängen oder in Zusammenhang gebracht werden, durch die Gesammt-
heit geschützt werden."
2. Die behördlichen Entscheidungen in Rechtsangelegenheitcn der Lehrerschaft
werden im Bundesorgane (in der Fachpresse) veröffentlicht.
3. Der Bericht über die Thätigkeit des Lehrerbundes und seiner Zweigvereine in
Angelegenheit des Rechtsschutzes hat einen ständigen Punkt der Tagesordnung der Jahres-,
resp. der Hauptversammlung dieser Vereine zu bilden.
II. Bestimmungen über diesen Rechtsschutz im besonderen, d. h. durch
den deutsch-österreichischen Lehrerbund als Reichs verband.
Der deutsch-österreichische Lehrerbund sorgt für den Rechtsschutz seiner Mitglieder
nach Massgabe folgender Bestimmungen:
(A. Unmittelbar.)
1. Der Lehrerbund (bez. dessen Ausschuss) zieht nur jene Rechtsfälle in Behand-
lung, welche von principieller Bedeutung sind, und welche ihm von solchen Vereinen
oder einzelnen Lehrpersonen, die ihm unmittelbar angehören, zur Behandlung vorgelegt
werden, oder welche im Wege der Berufung (Appellation) an ihn gelangen.
2. In allen Fällen, welche den Beistand eines rechtskundigen Mannes erheischen,
wird vor der Beschlussfassung des Bundesausschusses das Gutachten des ständigen
Rechtsanwaltes des deutsch-österreichischen Lehrerbundes eingeholt.
3. Die Kosten des Rechtsschutzes werden in allen Fällen, in denen der Bundes-
ausschuss die Behandlung der bezüglichen Rechtsfrage auf dem Processwege beschltesst,
einzig und allein aus der Bundescasse bestritten.
4. Der ständige Rechtsanwalt des deutsch österreichischen Lehrerbundes hat in
den Civil- und Strafprocessen, für deren Anstrengung sich der Bundesausschuss aus-
gesprochen hat, die Vertretung selbst zu übernehmen oder einen Rechtsfreund zu
empfehlen, der in der nächsten Nähe des Processortes wohnhaft ist. Im letzteren Falle
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hat der ständige Rechtsanwalt namens des Lehrerbandes mit dem betreffenden Rechts-
freunde die nöthigen Vereinbarungen in Angelegenheit des Honorars zu pflegen.
5. Der ständige Rechtsanwalt des deutsch-österreichischen Lehrerbundes hat allen
Mitgliedern dieses Bundes, welche sich in Rechtsfragen direct an ihn wenden, gegen ein
massiges Entgelt, das von diesen Mitgliedern zu entrichten ist, juristischen Rath zu
ertheilen.
(Beschlossen von der Hauptversammlung des deutsch-österreichischen Lehrer-
bundes zu Wien, September 1886; Ref. M. Binstorfer-Wien.)
46« Wie si ohern wir unserem Bunde immer grössere Erfolge P
I. Veranstaltungen, um dem Bunde immer grössere Erfolge zu sichern, sind not-
wendig, und die Versammlung des weiteren Ausschusses anerkennt als solche
1. seitens der sechzig Zweigvereine:
A. pünktliche Erledigung aller Zuschriften des Centraiausschusses;
B. Unterstützung der Hilfscassa durch
a) Verbreitung der Jugendzeitung,
b) rechtzeitige Einzahlung der Jahresbeiträge,
c) durch Schaffung ständiger Abnehmerlisien für den Lehrerkalender,
d) besondere Veranstaltungen, mittels welcher die Hilfscassa die Unter-
stützung seitens des Publicums gewinnt;
C. als ständige Programmspunkte der Zweigvereinsversammlungen sind auf
jede Tagesordnung zu setzen die Bestrebungen und erzielten Erfolge im
Dienste
a) der „Freien Schulzeitung",
b; der Versicherung beim Beamtenverein,
c) von „Österreichs deutsche Jugend",
(1) des Lehrerkalenders und
e) der Hilfscassa;
D. Einführung der vom Centralausschusse geschaffenen oder befürworteten
Lehr- und Lernmittel;
E. Veröffentlichung der in den Zweigvereinsversammlungen behandelten
Themen, angenommenen Thesen und gefassten Resolutionen in der
„Freien Schulzeitung";
F. freundschaftliche Zusammenkünfte mit anderen Zweigvereinen behufs
Gedankenaustausches und Pflege amtsbrüderlicher Gesinnung; endlich
G. Gründung und Erhaltung von Redactionscomit£s behufs Anbahnung und
Pflege des Verkehrs mit der Tagespresse im Dienste der Schule.
2. Als solche Veranstaltungen des Centraiausschusses betrachtet die heute tagende
Versammlung ausser den bereits bestehenden und noch zu schaffenden litera-
rischen Unternehmungen desselben:
A. Zuweisung desselben Behandlungsstoffes an mehrere Vereine;
B. die moralische und materielle Unterstützung der Zweigvereine, sowie ein-
zelner Mitglieder;
(B. Mittelbar.)
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C. die Vermittlung von Auskünften, Gutachten und Zuweisungen durch den
Wirtschaftsausschuß der Centralleitung ;
D. die Pflege freundschaftlicher Beziehungen zum deutsch-österreichischen
Lehrerbunde unter gewissenhafter Wahrung des Standpunktes, der Grund-
sätze, der unantastbaren Einheit und Selbstverwaltung des Landeslehrer-
vereins; endlich
E. Benützung aller dem Centralausschusse zukommenden Anregungen und
Wünsche im Dienste der Schule und der deutsch-böhmischen Lehrerschaft.
II. Der weitere Ausschuss spricht ferner den Wunsch aus, die gesetzgebenden
Körperschaften, die hohen Schulbehörden, insbesondere die k. k. Bezirksschulinspectoren,
ferner die Vertreter der Lehrerschaft in den Schulbehörden mögen den Bestrebungen des
deutschen Landeslehrervereins auch fürder ihre wohlwollende und geneigte Unterstützung
gewähren.
(Angenommen in der Delegiertenversammlung des deutschen Landeslehrervereins in
Böhmen zu Krumau am 24. August 1886; Ref. Mautner-Gablonz.)
1. Der leitende Grundsatz der pädagogischen Presse muss die wissenschaftliche
und die didaktische Fortbildung der Lehrer sein. Ihr Standpunkt ist derjenige der
classischen Pädagogik.
2. Die Fachpresse muss ein verlasslicher Führer durch die pädagogische Literatur
sein. In Besprechung pädagogisch-literarischer und methodischer Werke hat sie ledig-
lich pädagogischen Rücksichten zu folgen.
3. In Erörterung pädagogisch-didaktischer Zeitfragen hat sie den Lehrern voran-
zugehen, hat also zu orientieren und zu referieren.
4. In unseren Tagen hat die pädagogische Presse auch die Aufgabe, den Strömungen
auf dem Gebiete der Schulpolitik aufmerksam zu folgen und, wenn nöthig, mit sach-
gemässer Entschiedenheit entgegenzutreten. Auch hat sie die Bestrebungen der Lehrer
bezüglich der socialen und materiellen Besserstellung zu fördern.
5. Die schul- und lehrerfeindlichen Auslassungen der politischen Presse darf sie
nicht unbeachtet und nicht unbeantwortet lassen.
6. Die pädagogische Presse Österreichs hat die beachtenswertesten Erscheinungen
der ausländischen Fachpresse übersichtlich mitzutheilen.
7. Die pädagogische Presse hat sich vorbereitend mit jenen Themen zu beschäf-
tigen, welche auf die Tagesordnung grosser Lehrerversammlungen kommen sollen.
8. Die pädagogische Presse hat dahin zu wirken, dass die ihr zukommenden Vereins-
und Versammlungsberichte nicht Schablonen- und phrasenhaft wie bisher, sondern
mehr kritisch und möglichst kurz abgefasst werden.
9. Die Redacteure haben die Pflicht, etwaige Polemiken in den Grenzen sachlicher
Erwägungen zu halten und sie nicht in gereizte Ausfälle persönlicher Natur ausarten
zu lassen.
10. Ein pädagogisches Ccntralorgan, dessen Schaffung von mancher Seite an-
gestrebt wird, verspricht keinen Fortschritt im pädagogischen Presswesen.
Wohl aber ist zu wünschen, dass einige der unbedeutenden Blätter aufgehoben werden,
um eine fortschreitende Entwickelung der übrigen zu ermöglichen.
47. Die pädagogische Presse.
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11. Die dann noch fortbestehenden Provinzzeittchriften müssten dahin streben, auch
ausserhalb der betreffenden Kronländer Interesse zu erwecken.
12. Bei der Auswahl der zu abonnierenden Zeitschriften mögen die Lehrer nur
diejenigen berücksichtigen, welche wirklich berücksichtigungswert sind oder wenigstens
den Keim zu tüchtiger Entwicklung in sich tragen.
So löblich auch die materielle Förderung solcher Blätter ist, deren Reinertrag
wohlthätigen Zwecken dient, so muss doch die Erfüllung der besonders in den Thesen i
und 2 ausgesprochenen Forderungen in erster Linie massgebend bleiben filr die Beurtheilung
einer pädagogischen Zeitschrift.
(Aufgestellt im Badener Lehrerverein in der Versammlung am 20. Mai 1886 von
Konrad Appel-Voslau.)
L Der Deutsche pädagogische Verein iu Troppau strebt die Unterhaltung einer
Erziehungs- und Unterrichtszeitung in schulfreundlichen Blättern an.
II. Die Erziehungs- und Unterrichtszeitung hätte ihre Aufmerksamkeit folgenden
Tunkten zuzuwenden:
1. den innigen Verkehr zwischen Schule und Haus zu fördern;
2. für eine tüchtige Jugend- und Volksbildung Stimmung zu machen;
3. die gesammelten Erfahrungen auf dem Gebiete der Kinder- und Jugenderziehung
zum Gemeingut vieler zu machen;
4. für die Würdigung des Lehrstandes, für die Wahrung und Förderung seiner
Interessen einzustehen ;
5. ungerechtfertigten Angriffen gegen die Schule oder den Lehrstand entgegen-
III. Zur Erreichung dieses Zieles ist es nothwendig, dass in den einzelnen Lehrer-
vereinen Redactionscomites gebildet werden, welche zum Zwecke eines einheitlichen
Vorgehens Fühlung untereinander zu nehmen und die Wahl eines Centraiorgans zu
treffen hätten.
(Aufgestellt in der Plenarversamralung des Deutschen pädagogischen Vereins in
Troppau am 3. April 1886; Ref. Jilg-Troppau.)
Nachtrag. S. 110, Z. 21 v. o. ist einzuschalten: „Katalog für die Schüler-
bibliotheken österreichischer Gymnasien mit deutscher Unterrichtssprache. Herausgegeben
vom Vereine „Mittelschule" in Wien. Wien 1881. 80 kr." — „Verzeichnis einiger
Werke für Schülerbibliotheken. Lehrerkalender für Kärnten, 1886."
48- Schule und Haus.
zutreten.
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