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1
Die Volksdichte
der Thüringer Triasmulde
Archiv Innsbruch, Carl Kaesemacher, Eugen Traeger,
Zentralkommission für Wissenschaftiiche ... ,
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4
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FORSCHUNGEN
ZUR DEUTSCHEK
LANDES- UND YOLKSKÜNDE
in AUFTRAGE DER *
CENTRALKOMMLSSION FÜR WISSENSCHAFTLICHE
LANDESKUNDE VON DEUTSCHLAND
HERAÜSOEGEBEN VOX
D“ A. KIRCHHOPF,
PBOFESSOR DER ERDKUNDE AN DER UNIVERSITÄT ZU HALLE.
SECHSTER BAND.
MIT « KARTEN, 5 LICHTDRCCKTAFELN UND 41 TEXTILLÜSTRATIOXEX.
STUTTGART.
VERLAG VON .T. ENGEL HO RN.
1892 .
/•
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Urnck der Union Deatscbe VerlsgegcsclUchaft in Stuttgart.
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Inhalt,
1. Die Ursachen der Ober Hächenges t a 1 1 u ng des norddeut-
schen Flachlandes, von Dr. Felix Wahn sch affe in Berlin.
Mit 5 Lichtdruckbeilagen und 25 Textillustrationen
*2. Die Volksdichte der Th Uri ngischen Triasm ulde, von Dr. C.
Kaesemacher in Marburg. Mit 1 Karte
3. Die Halligen der Nordsee, von Dr. Eugen Traeger in
Dresden. Mit 3 Karten und lü Textillustrationen
4. Urkunden über die Ausbrüche des Vernugt- und Uurgler-
gletschers im 17. und 18. Jahrhundert. Aus den Inns-
brucker Archiven herau.sgegeben von Professor Dr. Eduard
Richter in Graz. Mit 2 Karten
Seite
1—106
167—220
227-343
345-440
G34844
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Berichtigung.
Auf der Karte zur Abhandlung ,Die Volksdichte der
Thüringischen Trias“ (Heft 2 dieses Bandes der Forschungen)
findet sich Östlich von Weissenfels fiUschlich Muschelkalk
verzeichnet; ein Irrtum, der bei der Korrektur der Karte
übersehen wurde.
I)r. C. Kaesemacher.
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I Forscluui^^
zur (leutsclieiVTalides- und Volkskunde
im Aufträge der
Centralkommissiou für wissenschaftliche Lamieskmule von Deutsclilaml
herauagegeben von
Dr. A. Kirchhoff,
Profenaor der Erdkunde an der TniveroUkt Halle.
Sechnter Band.
Heft 2.
«•♦.»vrrrit
Die Volksdiclite
Thüringisclien Triasmulde
iu Marburg.
STUTTGART,
lie ,Foi‘scliuBgeu zur dcutbchen Landes- und Volkskunde' sollen dazu helfen,
lieiniischen landes- und rolkskundlielien Studien zu fördern, indem sie aus allen Gebid
1 derselben bedeutendere und in ihrer Tragweite über ein bloss örtliches Interesse hiiii
’ gehende Tbematil lieruusgreifen und darüber wissenschaftliche Abhandlungen heri
ragender Fachmänner bringen. Sie beschränken sich dabei nicht auf das Gebiet des Ifeutecj
Reiches, sondern so weit auf luitteleuropäischein Hoden von geschlossenen Volksgemeinsehal.'.
die deutsche Sprache geredet wird . so weit soll sich auch, ohne Rücksicht auf sUiatli'd* !
Grenzen, der Gesichtskreis unserer Sammlung ausdehuen. Da aber die wissenscha Wiche Sr 1
trachtung der Landesnatur die \V'eglas.sung einzelner Teile aus der physischen Einheit Mitte i
europas nicht wohl gestatten würde, so sollen auch die von einer nichtdeutscheu Bevölkerim: ;
eingenommenen Gegenden desselben samt ihren Bewohnern mit zur Berücksichtigung gelang«.
Es werden demnach ausser dem Deutschen Reiche auch die Länder des cisleithanischen Oest?-
reichs, abgesehen von Galizien, der Bukowina und Dalmatien, ferner die ganze Schweiz, Luxet
bürg, die Niederlande und Belgien in den Rahmen un.seres Unternehmens hineingezogen wert’«
Ausserdem aber sollen die Sachsen Siebenbürgens mit berücksichtigt werden und auch Arbeit:,
über die grösseren deutschen Volk.sinseln des Russischen Reiches nicht ausgeschlo.ssen sein.
Ujv<fr*i Sammlung ersclmint in zwiinglosen Heften von ungefähr 2 — 5 Bogen; jode-
Heft enthlW ‘eine TOUsli'^tEge TArbeit (ausnahmsweise von kürzeren auch mehrere) und ist fii
sich käufltcrr." Einn eutäpfeellt'nde Anzahl von Heften wird jedesmal zu einem Bande vereinig’
und iir,s(^ifiirt .jälj»lj*dv *.‘t«ai cin-‘ljand im Umfange von 4U— 4ö Bogen und zum Preise von
ungeCtlUC 'Jililrl».;
Bisher sind erschienen :
Band I.
Heft t. Iler Boden Mecklenburgs, von Prof. Dr. E. Geinitz in Rostock. 1S8-'
32 Seiten. Preis 80 Pfennig.
Heft 2. Die oberrheinische Tiefebene und ihre Randgebirge, von Direktor
Prof. Dr. Richard Lepsius in Darmstadt. Mit Uebersichtakarte des oberrheinischen
Gebirgssystems. 1885. 60 Seiten. Preis M. 2. —
Heft 3. Die Städte der Norddeutschen Tiefebene in ihrer Beziehung zui
ßodengestaltung, von Prof. Dr. F. G. Hahn in Königsberg. 1885. 76 Seiten
Preis M. 2. —
Heft 4. DasMünchenerBecken. EinBeitrag zur physikalischen Geographie
Sttdbayerns, von Chr. Grube r. Mit einer Kartenskizze und zwei Profilen im Text
1885. 46 Seitem. Preis M. 1. 60.
Hefts. Die m ec kl e nb u rgi sc h e n Hö h en r ü ck eu (G es ch ieb es t r e i f en) und ihre
Beziehungen zur Eiszeit, von Prof. Dr. E. Geinitz in Rostock. Mit zwei
Uebcrsichtskärtchen und zwei Profilen. 1886. 96 Seiten. Preis M. 3. 10.
Heft 6. Der Einfluss der Gebirge auf das Klima von Mitteldeutschland, von
Dr. R. Assm an n in Berlin. Mit 7 Karten und 10 Profilen. 1886. 78Seitcn. PreisM.5.50.
Heft 7. Die Nationalitäten in Tirol und die wechselnden Schicksale ihrer
Verbreitung, V. Prof. Dr. H. J. Bi d e rm an n in Graz. 1886. 87 Seiten. PreisM.2. 4Ö.
Hefts. Poleographie der cimbrischen Halbinsel, ein Versuch die Ansied-
lungen Nordalb ingions in ihrer Bedingtheit durch Natur und Ge-
schichte nachzu weisen, von Prof. Dr. K. Jansen in Kiel. 1886. 79 Seiten.
Preis M. 2. —
Band O.
Heft 1. Die N a t i o n a 1 i t ä ts • Ver h ä 1 tni ss e Böhmens, von Dr. L. Schlesinger.
Direktor in Prag. 1886. 27 Seiten. Preis 80 Pfennig.
Heft 2. Nationalität und Sprache im Königreiche Belgien, von K. Brämer, Geb.
Rechnungsrat in Berlin. 1887. Mit einer Karte. 128 Seiten. Preis M. 4. —
Heft 3. Die Verbreitung und Herkunft der Deutschen in Schlesien, von Prof
Dr. Karl Weinhold in Breslau. 1887 . 88 Seiten. Preis M. 2. 40.
Heft 4. Gebirgsbau und Oberflächengestaltung der Sächsischen Schweiz, von
Dr. Alfred Hettner. Mit 1 Karte. 1 Figuientafel und 6 Figuren im Text. 1887
1 1 1 Seiten. Preis M. 5. 25.
Heft 5. Neuere slavische Siedlungen auf süddeutschem Boden, von Prof
Dr. H. J. Bidermann in Graz. 1888. 41 Seiten. Preis M. 1.25.
Heft 6. Siedlungsarten in den Hoch alpen, von Prof Dr. Ferdinand LSwl
in Czernowitz. 1888. 51 Seiten. Preis M. 1.75.
Band 111.
Die Verbreitung und wirtschaftliche Bedeutung der wichtigeren Wald-
bauniarten innerhalb Deutschlands, von Direktor Prof. Dr. Bernard Borg-
greve in Hannövrisch Münden. 1888. 31 Seiten. Preis M. 1. —
Das .Meissnerland, von Dr. Max Jäschke. Mit 1 Figurentafel. 1888. 47 Seiten
Preis M. 1. 90. *
Das Erzgebirge. Eine orometrisch - anthropogeographische Studie von Oberlejirer
Dr .lobntines Burirkhardt in Reudnitz-Leinziir. Mit einer Karte. 1888. 79Seiten
DIE VOLKSDICHTE
DER
VON
D“ C. KiESEMACHER
IN MARBURß.
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L
MIT EINER KARTE.
STUTTGART.
VERLAG VON J. ENGELHORN.
1892.
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Druck der Union DeuUche Verlai^siKeeellscbaft in Stuttgart.
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Inhalt.
Sfit«
Begrenzung des Gebietes 171 (.51
Oberflächenlorm, Urographie, Hydrographie de« (.lebietes 173 171
Methode der Arbeit 179 fl3|
Die geologiechen Kurven 179 fl31
Die Volksilichte-Kurven 184 [181
Aetiologie 19.5 [291
Die Unterabteilungen der thüringischen Trias im allgemeinen . 19-^ [29]
Die Glieder der thüringischen Trift» im ein/.elnen 200 |:j41
Der buntsandstein 200 F!34l
Der Muschelkalk ‘204 f38]
Der Keuper 212 [461
Tabellen 220 [54)
Hchlusgworf 220 [60)
h
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Begrenzung des Gebietes.
Für die Begrenzung unseres Gebietes sind zwei Begriffe massgebend
und einschränkend: derjenige Thüringens als einer geographischen
Einheit, als eines geographischen Individuums, und derjenige der sich
innerhalb dieser geographischen Einheit in ihren charakteristischen
Unterabteilungen ausbreitenden Trias.
Der ersten Bestimmung zufolge ist demgemäss das triadische
Gebiet des sich südlich vom Thüringer Waldgebirge ausbreitenden
Thüringens, als des „äusseren“, von der Betrachtung der sich in dem
nördlich vom letztgenannten Gebirge gelegenen eigentlichen „inneren*
Thüringen ausbreitenden Trias auszuscheiden, einem Gebiet, welches
ullein der ersten von uns aufgestellten Forderung entspricht: so würde
sich unser Gebiet im wesentlichen zwi.schen Harz, Thüringer Wald-
gebirge, Saale und Werra ausdehnen, wenn auch der Verlauf seiner
Grenzen im einzelnen gewisse Abweichungen aufzeigt.
Im N und S des so ira allgemeinen eingeschränkten Gebietes
giebt der die plutoni.schen Gesteine des Harzes und Thüringer Waldes
um.säuuiende Zechsteinrand mit genügender Schärfe die Nord- und Süd-
Grenze des zu betrachtenden Gebietes wieder; der 0 und W jedoch ent-
behrt solcher auch äusserlich .sicher und klar erkennbarer Grenzlinien.
lin 0 dürften wir wohl die Grenzen unseres Gebietes am besten
von einem Punkt des die Vogtländische Terrasse umsäumenden Zech-
steingOrtels östlich Neustadt a. 0. entlang der Wasserscheide zwischen
Saale und Elster nach N über Eisenberg, 0.sterfeld zwischen Weissen-
fels und Zeitz hindurch nach erstgenannter Stadt an die Saale führen.
Eine Linie, welche sich zwar mit der östlichen Verbreifungsgrenze des
die ThUnnger Mulde nach aussen hin unisäunienden Buntsandsteines
iinnähernd nur iin N deckt, aber doch auch geologisch sich gut als
Ostgrenze unseres Gebietes begründet (Erläut. zur geol. Spezialkarte
von Preu.ssen etc.. Bl. Roda. erl. von E. Schmid. S. G, Bl. Bürgel:
Einfall der Schichten von SW nach NO). Von Weissenfels würden
wir am Ostrande der Thüringischen Grcnzplatte entlang der Saale bis
etwa in die Gegend ihrer Vereinigung mit der Salza folgen, um, uns
dann am Nordrand der Thüringer Muschelkalkplatte nach W wendend,
im Teutschenthaler und Eisleber TertiUrbecken vielleicht einen weiteren
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172 C- Kuesemaclier. | (i
sicheren NO-Grenzpiinkt unseres Gebietes zu erreiclieii (Erliiut. z. geol.
Speziiilknrte etc.. Bl. Schraplau: Kint'all der Muschelkalkschichten am
Hand der Thüringer Grenzplatte nach SO. Oredner, Phj'siognoniik
Thüringens, in der Zeitschrift f. d. ges. Naturw. VII, Berlin
S. 524 ft’. Erliiut. z. geol. Spezialkarte etc.. Bl. Teut.schenthal , S. 4,
erläut. von v. Fritsch). Damit «'ünlen wir den für die Nordgrenze
unseres Gebietes wichtigen „Hornbnrger Sattel“ und den ihn umsän-
menden Zechsteingürtel erreicht haben.
Dieser Begrenzung unseres Gebietes im X zufolge würde die
,Mansfelder Generalmulde“, welche, im SO oft’en, sicli mit der thürin-
gischen :GHieralmulde erst SW von Leijizig vereinigt, von unserem Ge-
biet anszuscheiden sein (Erliiut. z. geol. Spezialkart« etc.. Bl. Wettin:
,li« S H'ir'd das Gebiet der Mausfelder Hocbfliiche durch das Becken
der Mansfelder Seeen, bezüglich durch das Thal der Salza abge.schlo.ssen,
welcher eg als Abtln.ss des salzigen Seees in fast östlicher Hichtung
bis Cüllnie die SUdgrenze bildet, von liier sich nordwärts wendend bis
zu seiner Mündung in die Saale bei Salzniünde die Ostgrenze über-
nimmt“). zumal dieselbe auch wirtschaftliche Verhältnisse anfweist.
welche infolge des Kupferschieferbergbaues, der Förderung der Kohle,
der höchst intensiven mit industriellem Betrieb gepaarten und durch
die Kohle auch zu gewinnreicher selbständiger Verarbeitung ihrer Hoh-
produkte befähigten Landwirtschaft eine Volksverdichtung stellenweise
auf dem Lande herbeigeführt haben, wie .sie der Thüringer Mulde fremd
und nicht einmal in jedem ihrer (für sich berechneten) Stadtgebiete
(über ."lOdO Einwohner) anzutreft'en ist.
Dem Zechsteinrand des Harzes als Xordgrenze unseres Gebietes
nach W folgend, würden wir denselben zu verlas.sen haben etwa in
der Gegend der Wasser.scheiile zwischen llelme-ünstrut-Saale und Eller-
Huhme-Leine . um dem Zug der Uothenberge zu folgen und in der
Gegend von Xortheini einen wichtigen Wendepunkt des weiteren Ver-
laufes der Grenzlinie zu erreichen.
Wir betinden uns hier in einem geologisch bezüglich geotektonisch
höchst bedeutsamen Gebiete inscd'ern. als die für die Thüringer Mulde
so bezeichnende Sü-X\\ - Hichtung ihrer ^'erwerfung.sspalten in eine
nord-südliche bis nordost-südwestliche um.setzt oder vielmehr von einem
ganzen System in letzterwähnter Hichtung streichender, .sekundärer,
jüngerer Dislokation.sspalten unterbrochen wird (Mösta, Das Liasvor-
kommen bei .Flichenberg etc. v. Könen, ,Ueber geolog. Verh’ältni.sse,
welche mit Emporhebung des Harzes in Verbindung stehen“. Derselbe,
,Ueber Dislokationen und SW vom Harzrand“ in dem .lahrb. der
königl. preuss. geol. Landesanstalt 18H,‘5 u. 1884. t)tto Lang, „lieber
den Hau des Leinetbales“. Zeitschrift d. deutschen geol. Ges. VI. 18S().
S. 7!t!*. FIrört. z. geol. Spezialkarte von Preiissen etc.. Bl. Duderstadt :
.Schichteneinfall in tler Gegend der Huhmequelle nach XW“. — Die-
selbe Grenze für den W der Thüringer „Terras.se“, jedoch ohne Be-
gründung, zieht auch Xeiimann. .Deutsches Heich in geogr., statist..
tojiogr. Beziehung“, Berlin 187.’>, S. 78. Penck, „Das Deutsche Heich“
S. ;Ji;{, vgl. das Kärtchen).
Diese nordsüdlich .streichende .Bruchzone“ dürfte vielleicht ein nicht
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Die Volksdichte der Thüringischen Trinsniuhle.
173
unbrauchbares Kriterium für die Bestimmung des Verlaufes der West-
grenze unseres Gebietes bieten. Folgen wir demselben und wenden
uns der Grabenversenkung des Leinethaies und der ihm parallel nach
8 verlaufenden Verwerfungslinien entlang südlich, so erreichen wir in
der niedrigen Einsattelung von Eichenlierg eine Gegend, in welcher
diese bisher fast nur nord-südlich streichenden Verwerfungen zu einem
ganzen Schwarm sich in den verschiedensten Richtungen kreuzender
I lislokationsspalteu anwachsen, welchen diese Einsattelung ihre geringe
Höhe (ungeflihr 2ir) ni) und damit ihre für den Verkehr wichtige, zwischen
Werratbal und Leine- Wipperthal vermittelnde Stellung verdankt. Auch
das Werratbal aufwärts begleiten uns jene nord-südlich streichenden
Verwerfungen, welche hier andere west-östlich verlaufende Bruchlinien
unterbrechen und dadurch den hier merkwürdig gewundenen laiuf der
Werra bedingt haben, so dass aus diesem Grunde der Lauf der Werra,
dessen äussere Gestaltung die innere bedingende ür.sache ahnen lässt,
.sich vielleicht als gute, auch äusserlich erkennbare, Westgrenze Thü-
ringens bis zu dem Punkte empfehlen dürfte, an welchem derselbe von
dem Zechsteinrand am NW-Ende des Thüringer Waldes übersetzt wird.
Folgen wir dem Zechsteingürtel von der Gegend von Wartha aus längs
seines ganzen Verlaufes am Nordfuss des Thüringer Waldes und der
Vogtländer Terrasse . so erreichen wir den Ausgangspunkt unserer
<Trenzbestinunung für unser Gebiet östlich Neustadt a. 0.
Oberflächenform. Orographie, Hydrographie des Gebietes.
Innerhall) der im vorigen Abschnitt gezogenen Grenzen dehnt sich
ein seinem inneren Bau nach durchaus einheitliches Gebiet aus. welches,
ursprünglich muldenförmig gestaltet (Erl. zur geolog. S|)ezialkarte von
Preussen etc.. Bl. Stotternheim), seinen weiteren Ausbau durch nach
einem Gesetz wirkende zertrümmernde Kräfte und weiter durch Ab-
tragung und Erosion seine jetzige Obertlächengestaltuug erhalten hat.
Ks lässt sich unser Gebiet aks eine mit gegen die Horstgebirge des
Thüringer Waldes und Harzes aufgebogenen Rändern versehene Mulde
auffassen, welche jedoch mit iliesen Rändern nicht unmitttdbar den
Eruptivgesteinen des Harzes und Thüringer Waldes anlagert, sondern
von denselben durch einen ini Mittel lU km breiten, für den ost-west-
lichen Verkehr .so äusserst wichtigen Landstreifen getrennt ist. Zwi.schen
«liesen beiden Vorlandstreifen erhebt sich die Thüringer Muschelkalk-
platte, in welche das jüngste Glied der Tria.s beckenfürinig eingesenkt
ist. so dass also dieser Schichtenanordnung gemäss sich vom Rande
der Thüringer Mulde gegen ihre Mitte hin immer jüngere Formations-
glieder folgen würden. Der ursprünglich einheitliche Zusammenhang
des in der Muschelkalkplatte eingelagerten Keuperbeckens erlitt bald,
nach seiner Ablagerung durch die Entstehung jener NW-80 streichen-
den Verwerfungsspalten eine Störung, indem längs dieser Bruchlinien
auf der einen Seite ganze Landschollen in die Tiefe sanken und ,so
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174
C. Kaeseiiiaclier,
[»
mit ihren jüngsten noch nicht ganz ausgetrockneten und der Plastizität
entbehrenden Keuperablagerungen gegenüber den stehen gebliebenen
Landschollen in den Horizont älterer, härterer Gesteinsschichten gerückt
wurden“, welche ihrerseits eine mehr oder weniger steüe Aufrichtung
erfuhren und sich so als Höhenzüge in dem ehemaligen zusammen-
hängenden Keuperbecken darstellten. Infolge der Abtragung büssten
diese Höhenzüge bald die sie bedeckenden Keuperschichten ein und
teilten so als Muschelkalkquerriegel das ehemals einheitliche Keuper-
becken in mehrere einander parallel verlaufende Mulden , bis infolge
der weiteren Abtragung und Erosion der sich vor diesen Höhenzügen
aufstauenden Gewässer dieselben nacheinander durchsägt und die ge-
trennten Mulden zu einem grossen, vielfach verzweigten Keuperbecken
verbunden wurden, wie es sich heute unseren Augen darstellt.
In den allgemeinen Höhenverhältnissen zeigt unser Gebiet eine
allmähliche Abdachung von W und S nach N und 0. Während das
Eichsfeld in der Nähe von Dingelstedt eine Höhe von 517 m, in der
Coburg eine solche von 540 m, der Süden der Ilmplatte in den Reins-
bergen bei Plauen eine Höhe von 505 m, im Singer Berg bei Dörnfeld
552 m und die von der Ilmplatte nur durch das tiefeingeschnittene,
schluchtartige Thal der Saale, welche den einheitlichen Charakter beider
Hochflächen nur unvollkommen zu verwischen vermag, getrennte Saal-
platte im S südlich Münchenbernsdorf nur noch eine Höhe von 414 m
aufweist, erreichen diese östlichen Hochflächen nördlich und südlich
Naumburg oberhalb der Vereinigung der Unstrut und Saale nur noch
2()(i m und unterhalb letzterwähnten Punktes gar nur noch 204 m.
Gen N bezüglich NW hebt sich die thüringische Grenzplatte all-
mählich, bis zur flöhe der Eichstädter Warte. 207 m. um dann noch
weiter nördlich in der Nähe von Gatterstedt, 220 m, mit den Vorbergen
des Harzes zu verschmelzen. Gegen NO dacht sich die Thüringer
Grenzplatte zum Eisleber und Teutschenthaler Tertiärbecken schneller,
gen 0 zur Saale langsamer bis auf etwa 100 ni ab und geht so all-
mählich in das norddeutsche Flachland über.
Die zwischen den eben geschilderten Hochflächen die Verbindung
herstellendeu schon mehrfach erwähnten Querriegel nehmen an den
allgemeinen Höhenverhältnissen derselben und ihrer Abnahme nach O
teil. In ihrem äusseren Aufbau zeigen diese HöhenzUge äusserst ver-
schiedene Formen, welche von dem steilwandig, kammartig, streng ein-
heitlich sich erstreckenden Höhenzuge bis zum sanftgebuckelten Hügel-
rücken wechseln. Erstere Formen werden wir im allgemeinen bei
denjenigen Höhenzügen erwarten können, welche nach Abtragung der
sie ehemals bedeckenden weichen Keuperschichten mit ihren harten
Muschelkalkbänken der Erosion und Denudation erfolgreichen Wider-
stand geleistet haben, letztere bei denjenigen Höhenzügen, welche bis
auf das älte.ste Glied der Trias entblösst oder infolge ihrer sanften
Böschungen noch heute mit der jüngsten Formation.sunterabteilung und
mit Lehm und Löss bedeckt sind. Gemäss der Schichtenfolge iin
Thüringer Becken werden wir die letzteren Formen am Rande im Bunt-
sandsteingebiet und im Inneren , innerhalb der eigentlichen Thüringer
Hochfläche finden, während die ersteren Formen den letzterwähnte.s
iCTj uy Google
Die Volksdichte der Thüringischen Triasniulde.
fl
I7r,
Gebiet begrenzenden und durchziehenden MuschelkalkhühenzUgen eigen
sein werden. Im einzelnen freilich finden sich diese Formen an den
HöhenzUgen infolge der weit vorgeschrittenen Abtragung und Einebnung
nicht immer bestätigt, und weist der Buntsandstein und Keuper stellen-
weise Uber Erwarten schroffe, der Muschelkalk Uber Erwarten milde
Formen auf.
•lene ersterwähnten, steilen, kamraartigen Formen weist der im
DUn vom Eichsfelde sich abzweigende und in der Hainleite (ca. 4G5 m)
nach 0 bis zur SachsenlUcke fortsetzende Höhenzug auf, jedoch nur
in diesem westlichen Teil, während .seine östliche Fortsetzung in der
SchmUcke (386 m) und Finne (3.')7 m), auf welchen HöhenzUgen sich
der den eigentlichen Kamm bildende Muschelkalkrilcken bedeutend ver-
•schmälert. schon entschiedene Neigung zeigt, Plnteaucharakter anzu-
nehmen (Reischei), bis er schliesslich l>ei seiner Vereinigung mit der
Ilmplatte den völligen (.'harakter einer Hochfläche annimmt. Wesent-
lich zur Hebung seiner kammartigen Eigenschaft und seines Steil-
absturzes nach N in seinem westlichen Teil trägt das tiefe Erosionsthal
der Wipper bei, welches diesen Höhenzug von den mit ihm die .Eichs-
felder Pforte“ bildenden ebenso steil aufragenden Plateau des Ohm-
gebirges (Kälberberg, Bornberg 527 m) und den mit letzterem ehemals
zu.sammenhängenden Bleicheröder Bergen trennt.
Nicht in allen Teilen seiner Erstreckung lässt die für unsere
Gruppe bezeichnenden h’ormen erkennen der zweite sich vom Eichs-
feld nach S abzweigende Höhenzug, der Hainich. Derselbe zieht sich
in breiter, nur nach W etwas steilere Abhänge aufweiseiuler Lagerung
bis zum Behringer Wald (404 in. Reymann) hin; hier .spaltet sich derselbe
in zwei Höbenzttge, die östlich streichenden Haardtberge und den süd-
lich ziehenden Hainich ; letzterer schwillt erst jenseits des Nessedurch-
bruches zu bedeutenderer Höhe an und zeigt in dem 160 in hohen
Steilabstuiv, des Krahnberges (434 m, Assmann) zum Leinethal und
seiner weiteren südöstlichen Fortsetzung, dem schmalen Kamm der See-
berge (.bis 411 m“, Assmann), die .schroffen Formen des Muschelkalkes.
Auch der in östliclier Richtung vom Behringer Wald ziehende Zug der
Haardtberge weist erst in seiner östlichen Fortsetzung der Fahner- und
.\lacher Höhe einen steileren N- und NO-Abfall gegen die Gern hin
auf. Insbesondere spricht sich der steilere Nordabfall der Fahnerschen
Höhe gegenüber ihrer südlichen, sanften, vollständig dem Pfluge unter-
worfenen Abdachung schön durch seine Waldbedeckung aus, welche
um so mehr auffällt, als die ganze innere thüringische Mulde infolge
ihrer für Ackerland geeigneten Bodenbedeckung bis auf einige kleine
tJehölze sich vom Walde völlig entblösst zeigt. .lenseits der Gera findet
der Zug der Fahnerschen und Alacher Höhe im Steigerwald und der
Wagd (486 m, Reymann) seine Fortsetzung und weib^r im Riechheinier
Berg seine Verbindung mit der Ilmplatte.
Zu der zweiten oben aufgestellten Gruppe, welche die aus weniger
widerstandsfähigem Gestein aufgebauten und darum in ihrem äusseren
Bau weniger schroffe Formen aufweisenden HöhenzUge umfasst, würden
die Buntsandsteinhöhen am Rande und die Keuperhöhen in der Mitte
der Thüringer Hochfläche gehören. So im N die Bunt«nndsteinberge
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17 «
G. Kaeseniacher.
[10
lies sogen, hannöverschen Eichst'eldes, welches iin N von der .Mulde
des we.stlichen Harz Vorlandes" durch die llothenberge abgeschlos.sen
wird, so die östlich vom Ohingebirge und der Wasserscheide zwischen
Eller und Helme ostwärts .streichende Wind leite und Hohe Schrecke, so
auch die im S zwi.schen dem Hand der Thüringer Muschelkalkplatte
und dem eigentlichen Thüringer Waldgebirge gelegenen Buiitsandstein-
höhen . welche im Gegensatz zu den obenerwähnten nördlichen , zum
grö.ssten Teil dem Ackerbau unterworfenen, Bunisandsteinbergen einen
auffallend starken Nadelholzbe.stand aufweisen. (Grö.ssere Dürre infolge
<ler Lage im Windschatten des Thüringer Waldes, geringere Bewölkung,
A.s.smarm . .Der Einfluss der Gebirge auf das Klima von Mitteldeutsch-
land.“)
Den gleichen Charakter .sanftgerundeter Hügel zeigen im Inneren
der Thüringer Mulde die nur in ihrem westlichen Teil bei ihrer
.Abzweigung vom Eichsfelde aus .Muschelkalk, sonst aus Keuper mit
überlagerndem Lehm und Löss bestehenden Heilinger Höhen, welche
durchweg ihrer ehemaligen Waldbedeckung beraubt und zu Ackerland
verwanilelt worden sind (Heischel: Orohydr. Verhältnisse Thüringens).
Nur in der Weissenburg bei Gebesee erreichen die.se Höhen eine Er-
hebung von -ö8 m und einen steileren Abfall zur Lnstrutaue. während
die sich jenseits der Unstrut bis zum (iro.s.sen und Kleinen Ettersberg
und der Ilmplatte fortsetzenden Hügel den ihnen im übrigen eigentüm-
lichen Charakter aufweisen.
Dem Umstande zufolge, dass sicli die liöchsten Erhebungen der
'riiüringer Mulde an ihrem West- und Südrainl betinden. ist die Wasser-
scheide der der Saale und Weser zuströmenden Gewä.s.ser an den West-
rand unseres Gebietes gerückt, und wird der bei weitem grösste Teil
des .inneren“ Thüringens zur Saale, ein geringerer zur Weser ent-
wä.s.sert. That-sächlich linden wir so im \ beginnend, die Wasser.scheide
zwischen Saale und Weser vom südlichen Harzrand, von der Gegend
zwischen Sachsa und Scharzfels aus nach S über die Brehmer Höhen
westlich der Ohmberge, dem Westrande des oberen Eichsfeldes und
dem Bücken des Hainichs entlang verlaufen, bis sie sich im Fluss-
gebiet der Hörsel-Nesse mit weiter östlicher Ausbuchtung in das Herz
Thüringens verlegt, eine .Abweichung von dem geforderten Verlauf der
Wasserscheide, weiche erst durch jüngere euszeitliche V'orkomninis.se
hervorgerufen ist. Gemäss der allgemeinen nördlichen bis nordöstlichen
Abdachung unseres Gel)ietes. sehen wir die dassellie entwässernden
Flüsse nach N bis NO abströinen: So durchbricht die Saale auf kUrzi'stem
AAT'ge in einem engen, oft kaum 4— .A km breiten, mit bis lOU ni steil
zur Hochtläclie aufstrebenden Thalgehängen eingefa.ssten Flin.schnitte
den Mu.schelkalk der Ihn- und Saalplatte: so hat sich auch die Hm in
einer tiefen, fast durchweg engen Thalrinne in ilie Ilmplatte ihrer ganzen
Länge nach eingeschnitten. AA’enn wir aber auch so einen Teil der
thUringi.schen Flüs.se auf kürze.stem Wege sich nach der am Aussenrande
der Thüringischen Hochfläche gelegenen tiefsten Einsenkung Bahn brechen
sehen, so konnte doch auch der muldenförmige Bau derselben, die Senkung
der sie authauenden Schichten nach ihrem Inneren, vergl. oben S. 7,
nicht ohne .Anziehung uinl Einfluss auf die Gewässer ihrer Umgebung
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llj Die Volksiiiclite der Tliürinjfischen Triasimilde. 177
bleiben , und so vereinigen sich denn auch innerhalb der südlich der
Sachsenlücke gelegenen Niederung (Credner a.a.O. IDf) — lilU m, Keischel
a. a. O. 172 — 14D in) die Unstrut, die (lera, ja .selbst die Wipper mit ihren
Nebenbächen, um. in dem einen Flu.ssluuf der Unstrut gesammelt, die
sie von der tiefsten Einsenkung des Thüringer Zentralbeckens, dem
.Aufbruchsbecken“ dertloldenen Aue bei Artern (IJeischel a. a. 0. 12.')iu),
rrennende Ilainleite in der Sachsenlücke zu durchbrechen. Von hier
jedoch wenden sich die vereinigten Gewässer der Helme und Unstrut der
.\nzieliungskraft der .schon erwähnten bereits ausserhallj der eigentlichen
Thüringer Mulde gelegenen, nicht mehr 10(1 m erreichenden Niederungen
folgend nach O. um die sich ihnen entgegendäin inende Thüringer
Grenzjilatte in ihrer ganzen Breite in einem tiefen, mannigfach ge-
wundenen Thal zu durchbrechen.
Nicht ursprünglich zeigte die Wasserscheide der Saale und \\ erra
in ihrem südlichen Verlauf jene eigentümliche dem Innern Thüringens
.sich zuwendende Kinlnichtung: Es gab eine Zeit, wo die Wasserscheide
zwischen Elbe und Weser ihren oben geforderten Verlauf hatte, und
die Nesse-Leine, den Fahnerschen Höhenzug in der Einsattelung zwischen
Hall.stedt und Burgtonna durchbrechend, in die Unstrut mündete (Cred-
ner. .Uebersicht der geogn. Verhältnisse Thüringens und des Harzes.“
(Jotha 1843. Ders.. .Physiognomik Thüringens" in der Zeitschr. für die
ges. Naturw. VH. IS.'iii, S. .ö27 tf.).
Durch die nordi.schen Geschielie der Eiszeit jedoch wurde der
frühere Lauf der Nesse zugeschüttet, und dieselbe gezwungen, sich
einen anderen AusHuss aus den sic* umgebenden Höhen zu suchen. Sie
wandte sich nacli W, durchbrach den Zug des Hainichs zwischen Haina
und Mehlborn, vereinigte sich mit der Hörsei und führte so die Ge-
wiksser eines bedeutenden 'I’eils Inner-Thüringens der Weser von nun an
zu. Die im N un.serer \\ asserscheide abströmenden Gewässer .schlagen
eine der allgemeinen Neigung des Bodens ents|irecheiide westliche Kich-
tung ein. bis sie die nord-südliche Erhebungslinie des Göttinger Waldes
nnil seiner nönllichen Fortsetzung eine mehr nördliche Bichtung einzu-
schlagen zwingt, ln gleicher M’eise wird die Leine beeinlhi.sst. welche
zunächst auf kürzestem Wege von ihrem Ursprung in ost-westlicher
Bichtung am Bande der Muschelkalkplatte des Eichsieldes entlang dios-
send. der tiefen Flinsattehmg bei Eichenberg zustrebt, jedoch infolge
der grossen über Northeim-Gfittingen noril-südlicli streichenden Bruch-
zone ihre bisherige Bichtung in eine meridionale ändert, und er.st
nachdem sie sämtliche von unserer Wasserscheide westlich abtliessenden
Gewässer abgefangen hat. schon tief im norddeutschen Flachland in
die We.ser mündet.
•le nach dem Material, welches die Gewässer dei Thüringer Mulde
zu dnrchschneiden haben, ist auch die äussere Natur ihrer Thäler und
Binnsale verschieden; Wo sie härteres Material zu durchnagen liabeii.
i.st ihr Lauf, die weicheren Bänke und Klüfte des Ge.steins aufsuchend
und benutzend, eng. gewunden mit tiefer Thalung eingeschnitten, wie
ihn die Wipper und Helbe. w'ährend ihres Durchbruches durch den
Muschelkalk der Hainleite, wie ihn in gleicher Weise die Unstrut im
(Jebiet lies Muschelkalkes und die Saale und Ilm im Gebiet der öst-
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178 ('■ Kaeseiiiiicher, Die Volksdichte der Thüringischen Triasmulde. [12
liehen Hochfläche aufweisen. Wo jedoch die Gewässer das Gebiet der
von den weichen Keupermergeln und -Sandsteinen erfüllten mit dilu-
vialem Löss und Lehm überlagerten eigentlichen Thüringer Hochfläche
betreten, zeigen sie die Neigung, sich, ohne strenge Einhaltung ihres
Laufes, in mehrere Arme zu spalten, stellenweise zu versumpfen und
Brüche zu bilden, während sie zur Zeit der Frühlingshochwasser, eine
ausgedehnte Wasserfläche, die ihnen anlagernden Thalauen überfluten
und an jene Zeit erinnern, in welcher die jetzt durch die Flussläufe
und Erosion zu einem weitverzweigten Keuperbecken verbundenen
Keupermulden durch die ro.startig die westlich und östlich anlagernden
Hochflächen verbindenden Muschelkalkzüge zu ebenso vielen Seebecken
aufgedämmt waren. Da das Gebiet des Buntsandsteins infolge seiner
Ablagerung und Schichteneinordnuiig dem Rande der Thüringer Mulde
angehört, konnten sich ausgedehnte Gewässernetze innerhalb desselben
nicht entwickeln; .seine Flüs.schen haben nur eine geringe Länge und
umfassen, wo sie grösseren Fluss.sy.stemen angehören, nur den Oberlauf.
Infolge seines leicht zerstörtmren , namentlich im Gebiet des Unteren
Buntsandsteins höchst verwitterbaren Materials zeigen die ihn durch-
schneidenden FlU.sschen einen meist gradlinigen, der allgemeinen Nei-
gung des Bodens folgenden Verlauf ihres (terinnes: .so der Oberlauf
der Helme mit .seinen Quellbächen bis zum Eintritt in die Goldene Aue
(ItjO — 180 m, Reischei), so auch das linke Nebenflüsschen der Schwarza,
die Rinne in ihrem ganzen Entwä.sserungsgebiet. Nur wo im Bunt-
sandstein Rogensteinbänke oder die härteren Werksteinbänke feinkör-
nigen Sandsteins eingelagert sind, wie bei Nebra. oder wo die Erosion
so weit vorgeschritten ist, dass die das Bach- und Flussthal umgebenden
Buntsandsteinhöhen durch breite alluviale Thalauen, wie .stellenweise
im Hahle-, Eller- und Ruhmethal, voneinander getrennt sind, oder wo
das Buntsandsteingeljiet ausgeprägten Hochflächencharakter, wie auf der
südlichen Saalplatte, aufweist, zeigen die das Gebiet durchschneidenden
Bäche infolge des Umstandes, dass sie, sich den kleinsten Bodenneigungen
anpassend.’ mühsam ihr Bett suchen mUs.sen, oder innerhalb jener breiten
Alluvialablagerungeii bei fast jedem Hochwasser, welche namentlich in
den wenig bewaldeten Buntsandsteinbergen des NW heftig auftreten,
ihren Lauf ändern, ein gewundenes Bett, ja .sell)st Neigung zu lokalen
Torf- und Moorbildungen.
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Methode der Arbeit.
Die geologischen Kurven.
Dem Studium der Oberflächengestaltung und des Grundes und
Bodens der Thüringischen Triasniulde innerhalb der oben gezogenen
Grenzen diente in erster Linie die .geologische Spezialkarte von Preussen
und den thüringischen Staaten“ nebst den dazu gehörigen Erläuterungs-
heften , soweit dieselbe unser Gebiet betrifft und für dasselbe bereits
erschienen war. Für die noch nicht erschienenen Blätter traten als
Ersatz ein: B. Cotta, .Geognostische Karte von Thüringen“, 4. Bl. Dres-
den 1847. H. Credner, .Geognostische Karte des Thüringer Waldes,
nordwestliche Hälfte“, Gotha IS,'».^. Hoffmann, .Geognostische Karte
des Landes zwischen Magdeburg und Kassel“, Berlin IS.^'i.
Dem Studium der Oberflächenformen lagen zu Grunde die be-
treffenden Sektionen der Reymannschen topographischen Spezialkarte
von Mitteleuropa und W. Liebenow, Karte der Provinz Sachsen, Han-
nover 188ti.
Es musste darauf verzichtet werden, die geologischen Kurven von
der geologischen Spezialkarte von Preussen etc. auf das hydrographische
Netz der Liebenowschen Karte aufzuzeichnen, weil einesteils oben
erwähntes QueUenwerk noch nicht vollendet ist und andernteils die
Wiedergabe dieser Blätter in gehöriger Verkleinerung und mit richtiger
Auswahl und Verallgemeinerung der auf jener grossen Karte gebotenen
Einzelheiten, kurz die Herstellung einer geologischen Uebersichtskarte
von Thüringen auf Grund oben erwähnter Spezialkarte, eine die Thätig-
keit eines geübten Kartographen in Anspruch nehmende Arbeit sein
würde. (Sind doch auf jener grossen Karte häufig Gesteine eingezeichuet,
welche nicht zu Tage au.sgehen , deren Vorhandensein unter diluvialer
und alluvialer Bedeckung nur durch ihre Entblössung an Bachrändern
und tiefen Erosionsrinnen angedeutet wird.) Aus diesen Gründen wur-
den der Zeichnung der geologischen Kurven jene anderen oben erwähnten
gef)logischen Karten zu Grunde gelegt und die so eingezeichneten Kurven
mit den bereits erschienenen Blättern der geologischen Spezialk.arte von
Preussen etc. verglichen. Dabei wurden von nicbttriadischen Gesteinen
innerhalb unseres Gebietes nicht berücksichtigt: das Vorkommen des
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180
C. Kacseniaihcr,
.Iura bei Gotha und auf dem Moo.seberfj nördlich Ei.'ienach. dagefien
wurden die Ablagerungen des Rotliegenden, des Zechsteins, die Granit-
und GneisdurchbrUche am Kyffhäuser wegen der grösseren Erstreckung
und des allgemeinen Interesses in ihrer oberflächlichen Ausbreitung ein-
gezeichnet. Aus demselben Grande wurden auch die Niederungen der
Goldenen Aue auf der Karte wiedergegeben, während die jüngsten
Ablagerungen der , Thüringischen Hochfläche“, der Gera- und Unstrutaue
mit der Farbe des sie umgebenden Keupers überdeckt wurden. Fline
gleiche Behandlung erfuhr die diluviale Lehm- und Lössbedeckung der
Um-. Saal- und Thüringischen Grenzplatte, trotz der hohen Bedeutung,
welche dieselbe als ,wei.sser“ oder , grauer“ Boden für die Landwirt-
schaft der betrefienden Gegenden hat: Auch sie wurde mit der Farbt-
dos sie unterteufenden Gesteins überdeckt, um nicht durch die Wieder-
gabe solcher Details die Uebersichtlichkeit einer Karte so kleinen Ma-ss-
stabes wie der vorliegenden zu beeinträchtigen.
Nachdem so die geologische Unterlage festgelegt worden war.
wurde auf Grund dieser Zeichnung der Anteil, welchen die einzelnen
Staatsgebiete an den verschiedenen Gliedern der Trias haben und wie
dieselbe aus angehängter Tabelle (1) ersichtlich i.st, auf folgende Weise
ermittelt: Es wurden von den einzelnen Staafsgebieten , ihren äusseren
Grenzlinien und den innerhalb dieser letzteren verlaufenden geologischen
Formationsgrenzen möglich.st genaue Kopieeu auf Pauspapier genommen.
Diese Kopieen wurden dann auf möglichst lochfreies, homogenes Stanniol
mittelst eines Metallstiftes übertragen und mit einem Messer (da es
mit einer Schere oft unmöglich war, namentlich die oft sehr krausen
Grenzlinien mit genügender Genauigkeit auszuschneiden) ausgeschnit-
ten. Um den schliesslich trotz grösster Sorgfalt sich bei dem Auf-
zeichnen auf die Pause, bei dem Einritzen auf die Stanniolplatte und
bei dem Au.sschneiden einstellenden Fehler möglichst zu verringern,
wurden von jedem zu me.s.senden Gebiet drei Kopieen genommen und
ebensoviel Ausschnitte aus Stanniol gefertigt. Von jeder zur Verwendung
kommenden Stanniolphitte wurden ferner, und zwar aus verschiedenen
Ecken, um den .sich infolge der ungleichen Stärke des Stanniols ev.
später im Gewncht desselben einstellenden Fehler zu eliminieren und
einen möglichst richtigen Mittelwert zu erhalten , Flächen bekannter
Grö.sse gleichfalls in je. drei Exemplaren ausgeschnitten, welche im
Massstab der Karte eine gewisse .Anzahl von Quadratkilometern in der
Natur darstellten. Diese letzteren Ausschnitte dienten für die ersteren
als Ma.sseinheiten.
Diese so gewonnenen .Ausschnitte wurden auf dem physikalischen
Institut der königl. Universität Marburg auf einer äusserst empfind-
lichen Wage unter stündlicher Feststellung de.s Nullpunktes gewogen
(durch Herrn Dr. B. Koch, z. Z. .Assistent am physikalischen Institut),
und die Ergebnisse dieser Wägung von mir berechnet und zwar in
zweifacher W eise :
Diejenigen Gebiete, welche vollständig oder mit dem grössten
Teil ihres Areals zwischen die für die Thüringische Tria.smulde ge-
zogenen Grenzen fallen , wurden vollständig ausgeschnitten. Das Ge-
wicht ihres Gesamtausschnittes wurde ihrem aus den amtlichen Ver-
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1 Die Volksdichte der ThürinRischen Triasmulde. 1 H l
öftentlicliuntien hekiinnten Areal gleichgesetzt und dieses bekannte Areal
nach Verhältnis de.s Gewichtes der das Ganze zusanimensetzenden Teil-
ausschnitte auf diese letzteren ohne Anwendung jener oben an zweiter
Stelle erwähnten und als Masseinheit bekannter Grässe angefertigten
Ausschnitte verteilt. Es wurde auf diese Weise eine absolut genaue
Messung für diese Gebiete erzielt, indem der bei dem Aufzeichiien.
Einritzen und Ausschneiden begangene und auch der auf der nicht
absolut gleichen Stärke des Stanniols beruhende Fehler von voniherein
verhältnismiussig verteilt wurde.
Um jedoch diesen eliminierten Fehler zu ermitteln und so ein
Kriterium für die Genauigkeit des eingeschlagenen Messungsverfahrems
zu gewinnen, wurde ein zweiter Weg eingeschlagen: Es wurde mit
dem Gewicht jener ihrem Flächengehalt nach bekannten aus jeder
Stanniolplatte in drei Exemplaren genommenen Masseinheitsausschnitte,
welche im Massstab der Karte einen gewissen Flächengehalt in der
Natur darstellten, in das Gewicht eines jeden der ein ganzes Staats-
gebiet zusammensetzenden Teilausschnitte dividiert, und so direkte Werte
für ihre Ausdehnung gewonnen.
In diesem Falle stimmte jedoch der durch Addition der Teilflächen
für das ganze in Rede stehende Gebiet gewonnene Wert nicht mit dem
aus den amtlichen Veröttentlichungen ersichtlichen überein, sondern es
ergab sich da eine bald positive bald negative Differenz: d. h. der beim
ersten Verfahren von vornherein durch verhältnismä.ssige Verteilung
auf die Teilflächen eliminierte Fehler, welcher auf oben nuseinander-
gesetzten Gründen beruht, wurde ermittelt.
Folgende Tabelle giebt Aufschlu.ss über diesen Fehler, derselbe ist
berechnet in Prozenten der Gesamtfläche und in Bruchteilen derselben
zu unmittelbarem Vergleich mit der Genauigkeit des Planimeters. Nach-
träglich wurde dieser Fehler verhältnismä-ssig verteilt und damit die
gleichen Ergebnisse wie bei dem ersten Verfahren gewonnen.
Gemessene« Gebiet
1 Positiver Fehler
-f
Proz. 1 Bruchteile
der 1 der
Gesamt- Ges&int-
liache 1 fläche
K»‘gativer Fehler
Pro*. Bnjchteil».*
diT der
Ge.Hamt- Gosamt-
däi’be fläche
Kreis r.anRensiilza
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, Mühlhausen
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, Weissensee
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, Blankenhain
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, Weimar
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, Apolda
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, Büttstedt
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Digitized by GoOgle
182
C. Kaeieinacher,
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Positiver Fehler
Negativer Fehler
Gemessenes Gebiet
Pro».
Bruchteile
ProE.
Bruchteile
der
der
der
der
Gesinnt-
Gesamt-
Gesamt-
Geaaznt-
fläche
fläche
fläche
fläche
Kreis Naumbur>'
(»,10
, Sangerhausen
4,47
—
—
Sachsen-Gotha
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1.«
.4.-0. Rudolstadt |
—
, SUidtilm 1
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—
, Ober-Weissbach |
, Königsee 1
Rudolstadt U.-H.
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3.S*
A.-G. Amstadt
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2,4«
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, Gehren
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Kreis Erfurt
—
—
0,OS3
A.-G. Kranichfeld
—
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l.lt
Go
, Ilmenau
—
—
1,4»
’t*
äondersliHusen U.-H
—
—
4,aot
V»
Uenauigkeit des Planiraetere :
Grösste '!i7eo.
Geringste */>*“•
Mittlere '««o.
(Bauemfeind : Elemente der Vermessungskunde II. 197.)
Aus die.ser Tabelle geht hervor, dass der sich einstellende Fehler
vorwiegend in negativer Richtung auftritt, dass also ein gegen den
thatsächlichen Flächengehalt zu kleines Areal ermittelt wurde. Die
auffallend grosse positive Differenz heim Kreise Naumburg dürfte in
dem äusserst krausen Verlauf seiner Grenzlinien, welcher sich bei dem
verhältnismässig geringen Flächengehalt um so mehr äussern musste,
sowie auch wohl in einer fehlerhaften Wiedergabe der Grenzlinien auf
der Karte und in einer nicht tadelfreien Beschaffenheit des zur Ver-
wendung gekommenen Stanniolplättchens ihren Grund haben, da sonst
nirgends eine so grosse positive Differenz in obiger Tabelle erreicht
wird. Die nächstgrösste positive Differenz, die des Kreises Sangerhausen,
beruht auf einem anderen Verfahren und ist aus diesem Grunde bei der
Betrachtung obiger Tabelle au.szuscheiden.
Aus dieser Methode der Flächenermittelung kann man von vorn-
herein schliessen, dass der dabei begangene Fehler in Beziehung zu der
Länge und grösseren oder geringeren Krausheit der das Gebiet um-
gebenden Grenzlinien und der innerbalb der letzteren verlaufenden geo-
logischen Kurven stehen w’ird, dass er mit zunehmend krausem Verlauf
dieser Linien und zunehmender Fläche wachsen wird. Diesen Schluss
sehen wir in obiger Tabelle nicht bestätigt, wenn auch einige ungefähr
gleich gros.se Gebiete ungefähr denselben Grad der Genauigkeit auf-
weiseii, während wir grosse Gebiete verhältnismässig kleinen Gebieten
gegenüber eine sehr geringe Genauigkeit, ja fast gleich grosse Gebiete
wie den Kreis Querfurt und den Westkreis des Herzogtums Sachsen-
Altenburg eine Genauigkeit von 1 ; 21, bezüglich 1 : 108 aufweisen sehen!
Es dürfte dieses völlig regellose Auftreten und Wachsen des sich er-
gebenden Rechenfeblers wohl in dem üm.stand zu suchen sein . dass
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17 I l’i<‘ Volk>«liclitf iler ThUrin){isflii;ii ’J'iiasuiuldc. lg;j
un.sor (jii'hiet iillftitlialljt'ii von Kxklaveii und Kiiklavfii «luiTlisot/.t ist.
die. allemal zu den iluieii übergeordneten Staatsf{ebieten f^ezojfen. trotz
sorgsamsten Aussehneidens dus' Ergebnis der Heehnung und den dabei
entstehenden Fehler auch hinsichtlich seines gesetzniässigen Auftretens
wesentlich beeintlussen müssen, wozu noch lokale Verstärkungen der ja
nicht als abs(dut gleichmässig anzunehmenden Stannioljdatte. wie wohl
auch heim Kreise Naunihurg. das Ihrige beitragen nn'igen. Würde man
stets nur den Flächengehalt regelmässiger Figuren, etwa von Kreisen.
(Quadraten. Dreiecken u. s. w. zu ermitteln haben, so würde man eine
ganz bestimmte Formel für den dabei begangenen Fehler aufstellen
können: aus der oben geschilderten Natur der Fehlen|Uellen jedoch,
aus dem völlig regellosen Verlauf der Grenzlinien und ihrer sich jeder
Ge.setzmässigkeit entziehemlen Krausheit. aus der völlig unregelmässigen
Gestalt der zu messenden Figuren, geht hervor, dass man für die Grös.se
des im Mittel begangenen f'ehlers eine Formel wird nicht aufstellen
könnei]. sondern sich einfach mit der Feststellung des begangenen Feh-
lers wird begnügen müssen. Bei dieser Art der Flächenerinittelung ist
zu beachten, dass man. die Stärke des Stanniols als gleichmässig ange-
nommen. einen möglichst geringen und zwar wohl durchweg in negativer
llichtung auftretenden Fehler erzielen winl. wenn man zunächst das zu
me.ssende Gebiet im ganzen möglichst genau nusschneidet, und dann
dieses Ganze in die einzelnen, den verschietlenen Formationsgliedern
aiigehörigen 'feile zerlegt. Der in diesem Fall begangene Fehler wird
auf die Grenzlinien und den Umfang des Gebietes zu setzen sein, wäh-
rend der innerhalb des letzteren beim Ausschneiden der geologischen
Kurven begangene Fehler sich aufhebt. Auf diese Weise wurden alle
oben aufgezählten Gebiete ausge.schnitten . mit .\usnahme des Kreises
Sangerhaiisen. de.ssen Fläche in d»T Wei.se bestimmt wurde, dass zu-
nächst Au.sschnitte von den ihn zusammensetzenden Formatiousgliedern
genommen und dann diese Teilstücke zu dem Ganzen <les Kreises zu-
sainmenge.setzt wurden; hieraus ilürfte sich auch die bedeutenile positive
Ditterenz zur Genüge erklären.
Nachdem so der sich ergebende Fehler festgcstellt wonlen war.
wurde derselbe verhältnismässig innerhalb eines jeden Gebietes verteilt
und. je nachdem derselbe in negativer oder jxisitiver llichtung auftrat,
zu der ermittelten Fläche hinzugezählt oder von derselben abgezogen.
Bei dieser verhältnismässigen Verteilung des Fehlers wurde jedoch an-
genommen. dass die äusseren jedes Gebiet umfassenden Grenzlinien in
ihrem Verlauf hinsichtlich der grösseren oder geringeren Krainsheit
gleichartig seien, der hierbei begangene Fehler dürfte nur äiisserst
gering sein.
Zu dieser ziemlich zeitraubenden und mühsamen Methode der
Flächenbestimmung musste ich greifen, da mir ein brauchbares Plani-
meter nicht zur Verfügung stand, indem das auf dem )diysikalischen
Institut der Universität Marburg vorhandene und mir in lieben.s-
wUrdigster Weise zur Verfügung gestellte Planimeter noch nach alten
Kasseler Zollen und Linien graduiert, ausserdem viel gebraucht war
und daher auch in .seiner Zuverlässigkeit höchst zweifelhaft zu sein
schien.
KMrschuns;i‘n j:iir ilcntsrhsn Iiaiuif?.. laiil Volkskumlt-. VI. ü. l:"*
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184
C. Kaesi-inacher,
LIH
(Da, wo ruau in erster Linie ein Planimeter zu finden erwarten
sollte, in der geographischen Lehrmittelsammlung, war dasselbe nicht
vorhanden, da das geographische Institut infolge seiner kärglichen Do-
tierung noch nicht in der Lage war, sich ein solches Instrument an-
zuschatfen, ebensowenig wie einen Pantograph, der mir gleichfalls in
dankenswertester Weise vom physikalischen Institut zur Benutzung
überlassen wurde: beides Instrumente, die, wenn überhaupt vorhanden,
doch vor allem und zunächst in einer geographischen Lehrmittel-
sammlung zu suchen sein müssen.)
Die Flächenbestimmung mittelst Millimeter-Pauspapiers verschmähte
ich als bei grossen Flächen zu zeitraubend und ungenau , da in der
Summierung der vielen einzelnen kleinen das Ganze zusaramensetzenden
TeilstUckchen eine bedeutende Fehler- und Irrtumsquelle liegt, ausser-
dem selbst das genaueste Millimeter-Papier Ungenauigkeiten aufweist,
welche sich bei die.sem Verfahren summieren , und schliesslich beim
Abschätzen der kleinsten Bruchstückchen zu sehr die Subjektivität des
Abschätzenden ins Spiel kommt. Vergleichen wir die Genauigkeit des
eingeschlagenen Verfahrens mit der Genauigkeit des Planimeters, so
sehen wir, dass meist die geringste Genauigkeit desselben nicht erreicht
ist (in Ifi Fällen), dass sich in drei Fällen die Genauigkeit unseres
Verfahrens der mittleren des Planimeters nähert, und in einem Fall
die Maximalgenauigkeit des Planimeters sogar übertroffen wird. Eine
bedeutend grössere als die vorliegende Genauigkeit lie.sse sich erreichen
bei Verwendung eigens zu tUesen Zwecken angefertigter Stanniolplatten,
welche mit genügender Sorgfalt und Genauigkeit zu gleichmässiger
Stärke gewalzt wären, während ich mich der gewöhnlichen ohne be-
sondere Sorgfalt angefertigten Stanniolplatten bediente, da sich die von
mir zu diesem Zweck bestellten Platten als zu stark erwie.sen.
Die Ausdehnung der Thüringischen Triasmulde innerhalb der für
sie gezogenen Grenzen wurde .so (Tab. I) auf lld'J.ö.i-.s qkm bestimmt.
Von dieser Summe entfallen 0(i28,si qkm auf diejenigen Flächen, welche
unter verhältnismässiger Verteilung iles bei dieser Arealennittelung er-
wachsenden Fehlers bestimmt wurden. 17!t7,äs qkm wurden direkt
unter Anwendung der als Masseinheiteu bekannter Grösse aus jeder
Stanniolplatte angefertigten Sonderausschnitte ohne Berücksichtigung
und verhältnismässige Verteilung des dabei erwachsenden Fehlers er-
mittelt. Nehmen wir für letzteren nach un.serer Fehlertabelle den
höchsten Durchschnittswert, ”/o an, so würde die Ausdehnung der
Thüringischen Triasmulde innerhalb der ihr zugewiesenen Grenzen um
Sfi.iti qkm von ihrer thatsächlichen Erstreckung abweichen, was, auf
die Gesamtausdehnung unseres Gebietes bezogen, einen Fehler von
0,7 8 ”11 bedeuten würde.
Die Volksdichtekurven.
Die Zeichnung der Volksdichtekurven und die ihnen zu Grunde
liegenden Berechnungen beruhen auf den Ergebnissen der Volkszählung
vom 1.1 12. 188.') und der Ermittelungen der landwirtschaftlichen Boden-
H)| l*ie Volksdichte dt»r Thüringischen Triasmulde. 1
benutzung, wie dieselben in den stali.stischen Organen der einzelnen
Staaten verölFeiitlicht sind und von den hohen Ministerien dem Verfasser
in einer Weise zugänglich gemacht wurden, für welche denselben den
wärmsten Dank auszusprechen ihm hier gestattet sein mag !
Es kam an Quellenmaterial in dieser Hinsicht zur Verw'endung :
Für die preussischen Landesteile:
.Das Gemeindelexikon für das Königreich Preussen." Bil. Vll. (ie-
nieindelexikon der Provinz Sachsen; Bd. IX. Gemeindelexikon der Pro-
vinz Hannover: Bd. XI. Gemeindelexikon der Provinz Hessen-Na.ssau.
Für die braunschweigischen Landesteile:
.Ortschaftsverzeichnis des Herzogtums Braunschweig auf Grund
der Volkszählung vom 1.'12. 188.Ö.“
Für die thüringisclien Staaten im ganzen:
.Das Ergebnis der Volkszählung vom 1., 12. 188.^ im Grossherzog-
tum Sachsen- Weimar , im Herzogtum Sachsen-Altenhurg und in den
Fürstentümern Schwarzlnirg - Sondershausen . Schwarzburg - Rudolstadt,
Keuss j. L. und Keuss ä. L.“. herau.sgegeben vom Stat. Bureau Verein,
thüring. Staaten. Weimar 1887.
Für das Grossherzogtum Sachsen und das Herzogtum Sachsen-
Altenburg:
Die noch nicht veröffentlichte .Uebersicht des Flächengehaltes der
Gemeinden im Gros.sherzogtum Sachsen und Herzogtum Sachsen-Alten-
burg nach der Anbauerhebung vom .Jahr 1883. (Auf Bitten des Ver-
fassers wurde demselben diese Zusammenstellung in liebenswürdigster
Weise vom Stat. Bureau Verein, thüring. Staaten nach den L^rmate-
rialien besonders angefertigt.)
Für das Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt:
.Lfeber.sicht der Fläche der Gemeinde- und selbständigen Guts-
bezirke und Waldbezirke nach Kulturarten im Fürstentum Schwarzburg-
Rudolstadt aus <lein .lahre 188b.“ (Verhandlungen wegen einer Neu-
aufnahme des Landes sind im Gange.)
Für das Fürstentum Sch warzburg-Sondershausen :
.Zusammenstellung der Kulturarten in den Gemeinde- und selb-
ständigen Gutsbezirken des Fürstentums Schw’arzburg-Sondershaiisen aus
dem .lahre 1878.“ (Eine neuere Aufnahme des Landes ist nicht vor-
handen.)
Für das Herzogtum Sachsen-Gotha:
.Mitteilungen des Statist. Bureaus des herzogl. Staatsministeriums
über Landes- und Volkskunde in den Herzogtümern Koburg und Gotha.“
.Jahrgang 1874, Teil 1, enthaltend: Zusamraen.stellung der im .lahr 1883
ermittelten Ergebnisse der landwirtschaftlichen Bodenbenutzuug in den
Herzogtümern Koburg und Gotha. .Jahrgang 188ö, enthaltend: Die
Bevölkerung in den Herzogtümern Koburg und Gotha in den .Jahren
181t), 1834. 18.Ö2. 18bl. 18(i4, 18ö7, 1871. 187.^, 1880, 188.',.
Für ilas Herzogtum Sachsen- .M einingen :
.Die Anbauerhebung vom Sommer 1883.“
.Endgültige Ergebnisse der Volkszählung vom 1. 12. 188.Ö“ und
.Wohnstätten, zur Wohnung dienende oder bestimmte Gebäude.“
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18 Ü
Kiu-sfiiiiiclier,
i;2o
Au.sserdeiu wurden ein^eseheii :
Die eiii.'elilii>;i}ien Hände der .Statistik des Iteutsclieii Hcichs*.
Fr. Brachelli. Deutsclie Staatenkunde Jl. I8.'>7.
Mcitzeii. .Der Boden und die iandwirtscliat'tliehen Verhältnisse des jireiis-
sischeii Staates“. Berlin ISiiS.
IJeher das .Melioration.sprojekt der Unstrut in TliUrinjjeii iin Archiv för
Landeskunde des ])ren.ssischen Staates. 18Ö7.
A. Streu}', Der Bauern}'rnben u. s. w. in Peternianns Mitteilungen lHt»4.
S. 4:!.
U. Bei.sfhel. Beiträge zur Ansiedeluiigskunde von Mittelthüringen. Halle.
Di.ss. 1S8.'..
(ieognostische Besehreihung der zum Begierungshezirk .Merseburg ge-
hörigen Landesteile u. s. w. in Karstens Archiv für Bergbau und
Hüttenkunde ISdti. Bd. S. 2S.').
Freiesieben. Heognosti.sche Beiträge zur Kenntnis des Kuj>fer.«chiefer-
gebirges mit besonderer Bücksicht u. s. w. Kisleben 1807. 1809.
IHl.',.
Koch. 28jährige .Mittel der Temperatur von Erfurt, in den .lahrbttchern
der Akademie zu Erfurt. N. F.. 8. *•. 1877.
A. Noback. Ausführliche geogniph.-.statistisch-topograjdiische Be-
.schreibiiug des Begierungsbezirks Erfurt. 184<>.
Fenier wurde benutzt die einschlägige Litteratur aus der /usam-
men.stelluug : .Die lande.skundliche Litteratur für Nordthüringen, den
Harz und den provinziaksächsischeii wie anhaitischen Teil an der nord-
deutschen Tiefebene“ in den Mitteilungen des Vereins f. Erdkunde zu
Halle a. S. 188:t. soweit dieselbe dem Verfasser zugänglich war.
Kroufeld. Landeskunde von Sachsen-Weimar. ^Veilnar 1870.
A. Schinckels Histor.-topogr. Be.schreibiing des Hochstiftes Merseburg.
Halle 18.'i8.
V. Wintzingerode-Knorr. Statistische Uebersicht des Kreises Mühlhau-
sen. 18ti(>.
V. Beden, Das Königreich Hannover stati.stisch beschrieben. Hannover
18:10.
Statistische Be.schreibiing des Mausfelder (lebirgskreLses jiro l8t>2 — 1804.
nebst Nachtrag jiro 18.'>.'> — 18(i7. (Handschr. der Bibliothek des
Statist. Bureaus Berlin.)
V. Haustein. Statistik des Krebses Heiligenstadt. 1802 — (i4. neb.st Nach-
trag zur Volkszählung vom 1./12. 187Ö.
Statistik des Kreises Querfurt, bearb. vom königl. liundratsamt in Qiier-
furt. 18(il und 1877.
B. Sigismund, Landeskunde von Scbwarzburg-Bmbdstadt. Budolstadt
Fils. Höhenme.ssuugen in den Schwarzburgischen Oberherrschaften
Sonderslmusen. 1 8.'i.'i.
H. (luthe. Die Lande Braunschweig und Hannover.
Köster. Die deutschen Buntsandsteingebiete in den Forschungen für
deutsche Ijandeskunde V. 4.
Bei der Berechnung der Mitteldicbte für die Thüringiscbe Trias-
muble wurde in der Weise verfahren . dass alle diejenigen Gebiete.
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‘J1 I I>ie Volksdiclito der Thiirin^'ischen Triasimilde. 187
welche luit wenij^er als ")i> Froz. ilirer Gesanittlilclie iler Tiiüringischeii
Triasniulde inuerlialb der für dieselbe gezogenen (irenzen angehören,
ansgescliieden wurden. Deninacb wurden bei Be.stiniinung der Mittel-
dichte nur berücksichtigt: die Kreise Sangerhiuisen , Eckartsberga.
<^uerfurt, Naumburg, Nordhausen, Heiligenstadt. Worbis. Mühlhausen.
Langensalza. Wei.ssensee, Erfurt.. Höttingen, Huderstadt, Haalfeld exkl.
.\intsg. Gräfenthal. Verwaltungsbezirk VVeiinar und Ajadda. Sachsen-
( iotha . .Sachsen- Altenburg-Westkreis , Schwarzbnrg-H udolstailt ausge-
noniinen das Anitsg. Leutenberg. Schwarzburg-Sondershansen ausge-
nommen .\mt Gehren mit einem Fliicliengehalt von 1 l lhf,'*" ijkm und
einer ortsanwesenden Bevölkerung von 117d<i81 Einwohnern.
Es ergiebt sich somit als .Mitteldichte für die Thüringische Trias-
niuhle eine solche von auf 1 (ikm . welche, auf HlO abgerundet,
iliejenige des ganzen Deutschen Reiches um 1 d Einwohner auf 1 qkm
ill)ertritft. Es stimmt dieses Resultat auch gut mit der von Fenck für
das Thüringer Becken angegebenen Mitteldichte .von mehr als
(Fenck. üeut.sches Reich. Unser Wis.sen von der Erde 11. ,S. :57H), da
die höheren dünn besiedelten Höhen des Thüringer Wahles möglichst
unberücksichtigt gelassen wurden, so dass dafür der durch .seinen Städte-
gürtel und seine dichtere Besieclehmg am Nord- bez. Südfu.ss des
Thüringer Waldes und Harzes ausgezeichnete, für den west-östlichen
Verkehr .so wichtige Vorlandstreifen um so mehr seinen Einfluss in
positiver Richtung geltend machen konnte.
Interes.sant ist ferner die annähernde Uehereinstimmung des bei
iler Feststellung der Mitteldichte in Betracht gezogenen .Vreals von
1 1 4114 qkm mit dem für die Thüringische Triasmulde ermittelten
Flä<-hengehalt von 1 1 42.ö,ii3 qkm.
Es dürfte die,ser ümstatid zum Beweis dafür dienen, dass es ge-
lungen ist, die der Landesnatur und Eigentümlichkeit der Thflringi.schen
Triasmuhle nicht entsprechenden Gebiete ziemlich vollständig auszu-
scheiden. und da.ss Gebiete wie der Kreis Wei.ssenfels, Merseburg, der
.Saalkreis u. s. w., welche sich, wie aus beigegebener Taltelle (ll) er-
sichtlich ist, durch ihre Mittehlichte . durch die mittlere Grösse eines
tiemeindebezirkes u. s. w. von der Mitteldichte und mittleren .\real-
itrösse eines Gemeindebezirkes unseres Gebietes scharf unterscheiden,
mit Recht bei der Bestimmung der Mitteldichte unberücksichtigt ge-
lassen wurden. Es erreicht nämlich, um dies nachzuholen, die Zahl
der selbständigen tiemeindebezirke der im vorigen aufgezäbiten Staats-
gebiete eine Höhe von 20(i7 (den (Tcmeindebezirk im Sinne des preiis-
si.schen Gern. -Lex. und der übrigen stati.stischen Verötfentlicbungen ge-
nommen) und stellt sich somit die mittlere ,\realgrösse eines solchen
Gemeindebezirkes auf n <|krn.
Zur Erläuterung iler Tabelle (11) sei hier bemerkt, dass die in
Spalte 14 ff. der Tabelle bei den jireussischen und gothaischen Landes-
teilen stehenden Zahlen die mittlere Grösse eines Gemeindebezirkes in
dem Sinne geben, da.ss die Gemeindebezirke eines Namens, welche aus
Verwaltungsrüeksichten in Stailt- uml Landgemeinden in Guts- und
Forstbezirke getrennt worden sind, als ein (}emeindel)ezirk lietrachtid
wfirden sinil.
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188
C. Kttegemacher,
[■>■2
Nach Fc.st.stelluiig der Mittcldiclitc der Thüringischen Triasniulde
ergaben sich /wangslos die einzelnen Diclitigkeitsgnippen und zwar von
0 — '!’> auf 1 qkm als selir schwacli
2.">—
7'> «
1 ,
. .schwach
75 —
125 ,
1 ,
. normal
125-
175 .
1 ,
. stark
175 —
225 ,
1 .
. sehr stark
225 —
275 .
1 .
. dichtest
bevölkerte Gebiete, welchen dann noch diejenigen über auf 1 qkni
angeglie<lert wurden.
Auf Grund der oben angeführten statisti.schen Veröffentlichungen
wurde sodann für jeden einzelnen Geineindebezirk die mittlere Dichtigkeit
berechnet , die.selbe in die ihr übergeordnete Dichtegruppe eingeordnet
und auf der Liebenowschen Karte mit der für diese Dichtegruppe
gewählten Farbe au.sgezeichnet. Dass sich hierbei natürlich stellen-
wei.se Volksdichtegrade ergaben, welche thatsächlich nicht existieren,
liegt in der Natur der Berechnung, doch zeigte das auf diese Weise
auf der Karte entstandene Bild die feinsten Nüancen in der Volks-
verdichtung, bezüglich Auflockerung; auf das schönste trat die unter
der Mitteldichte zurückbleibende Dichte der eigentlichen Ackerbau trei-
benden Keupergebiete, der Ilm- und Saalplatte hervor. Deutlich zeichnete
sich der den Nord- und Südfuss des Harzes und Thüringer Waldes
begleitende, eine hohe lokale Verdichtung aufweisende Kranz von Ort-
schaften ab , welche den Verkehr zwi.schen dem Brotstotfe liefeniden
eigentlichen Thüringer Becken und den brotstotfarnien Gebieten ver-
mitteln. Sehr .schön zeigte es sich auch bei der Goldenen Aue. da.s.s
ihre dichte Besiedelung weniger auf ihrer ausserordentlichen Frucht-
barkeit und der dieselbe ausnutzenden Landwirtschaft beruht (nach
Penck. Deutsches Reich, S. 878. vermag reine Landwirtschaft und
Bodenbenutzung höchstens eine Bevölkerung von .">0 Köpfen auf
1 qkm zu erniihenr). dass sie vielmehr ihre hohe Volksverdichtung
der glücklichen Verbindung von Industrie und Landwirtschaft in den
kleinen Landstädten verdankt, dass ebenso die grosse Dichtigkeit auf
der östlichen Abdachung der niederschlagsarmen, weil im Wind- und
Kegenschatten der Finne und Wüste gelegenen Thüringer Grenzplatte
lediglich auf dem V^irhandensein von Kohlen und Wa.sser beruht,
welches die Verarbeitung der Rohprodukte der fruchtbaren Umgebung
ohne grosse Transportkosten in nächster Nähe des Lieferungsortes
in Brennereien. Brauereien. Zuckerfabriken u. s. w. auf wohlfeilem
VVege gestattet und dadurch wiederum eine die Intensität der diese
Rohprodukte liefernden landwirt.schaftlichen Bodenbenutzung steigernde
Rückwirkung ausübt. ohne jedoch eine Verdichtung der Bevölkerung in
diesen rein landwirtschaftlichen Bezirken herbeiführen zu können: kurz
es bot die.ses Kartenbild eine Fülle interessanter Einzelheiten, welche
jedoch der Uebersichtlichkeit der Karte wegen einer notwendigen ver-
allgemeinernden Zusaminentiussung bedurften. Die Ergebnisse dieser
Berechnungen wurden zusaminengestellt auf Tabelle II, Spalte 18 — 31.
Hierbei ist zu bemerken, da.ss die Spalten gerader Zahl den der betref-
fenden Dichte angehörenden Prozentsatz der Ortschaften, diejenigen
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23] We Volksdichte der Thüringischen Triasmulde. 189
ungerader Zahl den zu diesen Ort.schaften gehörenden Prozentsatz des
Hesanitareals angeben, unter der Voraussetzung der gleichmitssigen Ver-
teilung der Bevölkerung über die ihr zugehörende ganze Fläche hin.
In dieser Tabelle (II) wurden übereinstimmend mit der Karte, welche
die Städte über 501)0 Einwohner be.sonders behandelt zeigt, diese letz-
teren mit dem ihnen angehörenden Gebiet ausgeschieden.
Um die notwendige Verallgemeinerung und Zusammenfassung des
oben beschriebenen durch Berechnung der Volksdichte jeder Gemeinde
auf 1 qkm gewonnenen Kartenbildes zu erreichen, wurde nunmehr eine
grös.sere Flächeneinheit gewählt und die Summe der innerhalb ihrer
Grenzlinien gelegenen ortsan wesenden Bevölkerung auf sie bezogen,
und .so die Dichtigkeit einer jeden Flächeneinheit berechnet. Aus Be-
quemlichkeitsrücksichten hinsichtlich der Konstruktion wurde die Form
dieser Flächeneinheiten quadratisch gewählt, obwohl vielleicht in ge-
wisser Hinsicht das regelmässige Sechseck den Vorzug verdient (Gelbke,
Die Volksdichte des Mansfelder See- und Saalkreises. Halle, Diss. 1887),
namentlich aber sich in das später zu ziehende Kurven.sy.stem besser
einordnet als das Quadrat, welches leichter zu konstruieren und daher
bei Gebieten grösserer Ausdehnung vorzuziehen ist. Eingedenk der
Forderung, „die Berechnung.seinheit nicht zu klein zu wählen, um nicht
ein unentwirrbares Netz von Einzelheiten zu erhalten“ (Behiu und
Wagner, „Die Bevölkerung der Erde“ in Petermanns Mitteilungen,
Krg.-Heft 35, S. 92). wurde für die Grösse derselben ein Quadrat von
5 Meridianminuten Seitenlänge gewählt, mit einer mittleren Fläche von
35.»77 qkm, eine Grösse, welche auf den ersten Blick für die Berechnungs-
einheit als zu gross erscheinen könnte, jedoch mit Kücksicht auf jenes
erste Kartenbild gewählt wurde, zumal die durchschnittliche Grös.se einer
thüringischen Gemeinde auf ungefähr 5 qkm festgesetzt worden war.
Mit diesem Quadratnetz wurden sowohl die Blätter der Reymannschen
Spezialkarte als auch das in der Liebenowschen Karte gebotene hydro-
graphische Netz überdeckt, bezüglich war dasselbe in letzterem Fall
schon in dem behufs Eintragung der geologischen Kurven entworfenen
Netz vorhanden. Der Forderung der Aufgabe jeder Staats- und V'er-
waltungsgrenze wurde dadurch genügt, dass das Netz der gewählten
Berechnungseinheiten weit über die Grenzen der thüringischen Trias
ausgedehnt wurde. Hierdurch wurde es auch ermöglicht, den Verlauf
der Volksdichtekurven am Rande des Gebietes und Uber dasselbe hinaus
zu verfolgen und sie einzuzeichnen . ohne ihnen den geringsten Zwang
anzuthun. Bei der Berechnung der Volksdichte der einzelnen Quadrate
wurden die Dependenzen und Wohnplätze der Gemeinden als Weiler,
Vorwerke, Mühlen, Forsthäuser u. s. w.. soweit dieselben auf der Rey-
mannschen Karte zu ermitteln waren, den Quadraten, welchen sie ihrer
Lage nach angehörten, zugewiesen; nur in wenigen Fällen, in welchen
es nicht gelang, die Lage dieser Dependenzen festzustellen , wurden
ilieselben zu der ihnen übergeordneten Gemeinde geschlagen, um wenig-
stens mitverrechnet zu werden; es wurde mit diesem Verfahren aller-
dings ein Fehler begangen, aber ein Fehler, welcher meist nur in den
Dezimalen der Volksdichte der betreffenden Berechnungseinheit seinen
Ausdruck fand, aber niemals die Einordnung dieser Berechnung-seinheit
.:tju uy \jOOglc
in eine höhere 1 iichti^keitsgnippe veranhisste. als ihr zngekoninien wäre,
wenn die Einwohnerzalil der wegen mangelnder to]jographiseher Fest-
legung zur Hauptgeineinde geschlagenen Dependenz unberilcksichtigt
gebliel)en wäre, (iehörte eine Ortschaft infolge ihrer Lage auf der
Grenzlinie zweier (Quadrate oder auf dem Schnittpunkt zweier Linien
mehreren (Quadraten an, so wurde der auf jedes Quadrat entfallende
Teil abgeschätzt und diesem zugewie.sen. Es sei hoi dieser Gelegenheit
erwähnt, dass es liei der Verteilung der Dependenzen und Wohnplätze
einer Gemeinde auf die einzelnen Quadrate nicht möglich war, in allen
Teilen unseres Gebietes mit dersellien <Tenauigkeit zu verfahren, da die
verschiedenen oben angeführten statistischen Veröffentlichungen und
Ortschaftsverzeichuissc hinsichtlich der von ihnen in dieser llichtung
gel»otenen Einzelheiten nicht übereinstimmen. Am austVihrlichsten giebt
die Verteilimg der Dependenzen und , Wohnplätze“ iler Gemeinden das
, Gemeindelexikon für das Königreich l’reussen“; dann ilUrften die
statistischen Mitteilungen der Vereinigten thüringischen Staaten, des
Herzogtums Sachsen-Meiningen und .schliesslich, ids am wenigsten in
dieser llichtung ausführlich, die Mitteilungen des Herzogtums Sachsen-
Gotha folgen. Hinsichtlich der Dependenzen der grö.sseren. be.sonders
behandelten Städte (über .'lOOO Einwohner) wurde in der Weise ver-
fahren. da.ss dieselben in die verschiedenen ihnen zukommenden Be-
rechnungseinheiten verteilt uml die Summe ihrer Bewohner von der
eigentlich städtischen Bevölkerung abgezogen wurde.
Es erübrigt noch einiges zu sagen über die Art uml Weise iler
Behandlung der Städte der Thüringischen Triasmulde. Es ist zweifel-
los, diuss die Städte in einer Spezialarl>eit und auf einer Karte grösseren
Mas.sstabes in besonderer Wei.se behandelt werden müssen, nur etwa auf
einer W eltkarte, welche die Verdichtung und Auflockerung der Menschen
überhaupt zur Anschauung bringen soll, Berücksichtigung Hnden dürfen.
In der Thatsache der besonderen Behandlung der Städte stimmt man
überein, aber über die .Art und W'eise der be.sonderen Behandlung der
Städte ist man noch zu keinem einheitlichen Schluss gekommen, abge-
sehen auch davon, dass man die Grössenstufe . von welcher ab die
Städte eine ge.sonderte Behandlung fordern, völlig willkürlich festgesetzt
hat, iliesell>e dem »Takt“ eines jeden einzelnen überlassen blieb.
Bei dem Ausscheiden der Städte wird man von dem Gedanken
geleitet, diejenigen Elemente der Bevölkerung eines Landes auszu-
scheiden. welche nicht unmittelbar und in erster Linie ihre Existenz
und Lebensbedingungen auf die .Ausnutzung des Grundes und Bodens
gründen. Es ergiebt sich da el)en die Schwierigkeit, nur den Prozent-
satz der Bevölkerung einer Stadt, welcher diese Forderung stellt, zu
bestimmen. Bei dem weiteren Verfolg dieses (Tedankens ist es auch
klar, dass man nicht wohl daran thun wird, für die Städte das Ueber-
wiegen der Industrie als Kriterium für die Notwendigkeit ihrer Aus-
scheidung aufzustellen ; Es heisst damit ül)ereiustiinmend an mass-
gebender Stelle (Statistik des Deutschen Beiches. Bd.LAQl. S. IX u. X) :
-Und zwar ist die Grenze für den spezielleren Nachweis (betreffend
Zahl der Bevölkerung der grö.sseren AA'ohnorte) bei ‘2000 Einwohnern ge-
zogen. weil sich im grossen und ganzen in ihrer Nähe eine Scheidung
Dif Volksiliclite der Thüriiij^isehen Tihi-smulile.
101
<k*r Woliuorte von stiiiltischer und ländliclier Eigeiisclmt't vurinuten.
insbesondere als Hegel anneliinen lässt, dass in Orten von mehr als
■JtHJO Einwolineni Industrie und Handel sidion bedeutender liervortreteu,
während in den kleineren die Landwirtschaft für Leben und Interesse
iler Bewohner massgebend sei : dass dieses letztere nicht immer zutrift't,
namentlich wohl in den rheinischen, schlesischen und sächsischen
Inilustriebezirken. ist sicher, indessen in Ermangelung einer auf Unter-
suchung jedes einzelnen Falles beruhenden Klassifikation, muss man sich
mit einem solchen willkürlichen Schritt begnügen.“
Es geht liieraus zur Genüge das Willkürliche, Hohe und Unzu-
reichende dieser Ausscheidungssitte d(‘r Städte jenseits einer gewissen
Grösseugrenze hervor. Wie wenig man auch in der letzteren überein-
stimmt, geht aus folgendem hervor: Chavanne, Karte der Bevfilkerungs-
dichtigkeit von Frankreicli. scheidet l>ei einem Ma.ss.stab von 1 : .äOOOOdO
alle Orte über ÖOllO Einwohner vor der Kurvenzeichnung aus: Sprecher
von Bernegg, Verteilung der boilenständigen Bevölkerung im rheinischen
Ueutschland iin .lahre 182d bei einem Kartenmass.stali von 1 : lOOno(M),
gleichfalls alle Orte über .'»OUit Einwohner. ,weil die Zahl von ■'i(MK) Ein-
w'ohnern als Grenze für <lie bodenständige und die im engeren Sinne
städtische Bevölkerung sich auch als runde Zitier besoiiders emjdähl“.
Träger. Volksdichte Xiederschlesiens , Kiel 1888, S. 18, scheidet in
Hücksicht auf den Kartenmassstab 1 : .'iöUOOll alh' Orte über 80(10 Phn-
wohner aus. uinl endlich Gelbke, Die Volksdichte des Mansfelder See-
und Saulkrei.ses. (dine Hücksicht auf den Kartenmassstab von 1 : l^-ÖOOo
alle Städte über äOOO Einwohner. ,um ein mehr der Wirklichkeit
entsprechendes Kartenbild zu erhalten“.
Es stehen sich also hier die widerstreitendsten Ansichten gegen-
über. Sieht man als Urbedingung der Existenz der Bevölkerung (dnes
Landes die Landwirtschaft, die Bodenbenutzung im engeren Sinne an.
stimmt man dann darin überein, dass die Landwirtschaft als .solche nur
eine beschränkte Maximalzahl von Bewohnern auf 1 qkm, nehmen wir
mit Penck a. a. O. -öO auf 1 qkm an. zu ernähren vermag, .so würde
man, falls man nur diese Verhältnisse behandeln wollte, nur innerhalli
der (irenzen von 0 — .">() verschiedene Dichtigkeitsgnippen zu unter-
scheiden haben und jede höhere Dichte.stufe als nicht bodenständig
Bezeichnen müssen. Eine höhere Verdichtung der Bevölkerung ist nur
auf (jrund von Handel. Gewerbe und Industrie möglich. Ein .sehr
grosser Bruchteil aber dieser zunächst nicht bodenständigen Verdich-
tiiugsbedingungen dürfte sich bei eingehenderer Prüfung teils als
durchaus bodenständig, teils als mit der Bodenbenutzung in den engsten
untl unauflöslichsten Beziehungen stehend uusweisen. Die Zeiten sind
vorüber, wo jeder Bauer sein eigner Schmied, sein eigner \\’agner und
Fleischer gewesen ist, und es ist unbestreitbar. da.ss die landwirtschaft-
liche. die im engeren Sinne liodenständige. Bevölkerung im Abnehnien
Begriffen i.st. Dazu kommt, dass in neuester Zeit die Landwirtschaft
infolge des weitverzweigten und immer enger wenlenden Pasenhahn-
netzes u. s. w., der leichten unil schnellen Befrieiligung eines jeden Be-
dürfni.sses ihre existenzbedingende und -beeinflussende Bedeutung so gut
wie vollständig verloren hat, wenigstens in Kulturgegenden. Erwägen
U.oogle
C'. Kaeseniaclier,
1!»J
l>rt
wir ferner, das^": ein bedeutender Bruchteil des hohe Volksverdichtun);
herbeiführenden Handels-, Industrie- und Fabrikgewerbes sehr enge
Beziehungen zur Laudwirtscliuft hat. ja sogar stellenwei.se als durchaus
und echt bodenständig zu bezeichnen ist, kurz, dass der grösste Teil der
volksverdichtenden Faktoren doch auf Grund und Boden beruht, so
müssen wir zu dem Schluss kommen . dass der Prozentsatz der rein
städtischen Bevölkerung, welcher auszuscheiden ist. äu.sserst niedrig und
gering und dass das einfache Verfahren der Aus.scheidung einer Stadt
jenseits einer willkürlich gewählten Bevölkerungszitier in ihrem ganzen
Umfang zu verwerfen ist.
Freilich erwächst dabei, wie schon oben hervorgehohen , die
Schwierigkeit, in jedem Fall den nicht als bodenständig zu bezeichnen-
den Bevölkerungsquotienten zu ermitteln und festzustellen, welche
Zweige des Handels, des Gewerbes und der Industrie als bodenständig
zu bezeichnen sind. Ein Schritt zur Ueherwindung dieser Schwierigkeit
ist bereits in den für die einzelnen Gebiete vorgenommenen Berufs-
zählungen gethan , wenn auch zugegeben werden muss, dass diese
.Schwierigkeit vollständig zu überwinden kaum gelingen dürfte, da bei
Städten gewisser Grössenstufen, namentlich der höheren, die als boden-
ständig zu bezeichnenden und nicht bodenständigen volksverdichtenden
Faktoren sich so innig verbinden und durchdringen, dass in die.sen
Fällen eine Unterscheidung unmöglich und widernatürlich ist. Auch
ich hin deshalb zu der Ueberzeugung gekommen, dass die Städte hei
dem Entwurf von üichtekarten einer besonderen Behandlung zu unter-
werfen sind, dass jedoch die völlige Aus.scheidung ihrer Bevölkerung
thunlichst zu unterla.s.sen und zu beschränken ist. dass die Fe.stsetzung
•der Grenzlinie, jenseits welcher diese besondere Behandlung der Städte
stattzuhahen hat, in erster Linie von der Natur des betreffenden Ge-
bietes und der in ihm auftretenden volksverdichtenden Faktoren und
endlich von dem Mass.stah der Karte abhängig zu machen ist.
Aus diesem Gninde habe ich, zumal es eine Eigentümlichkeit der
thüringischen Lande ist. dass ein bedeutender Bruchteil ihrer Bevölke-
rung dem Handel , dem Gewerbe und der Industrie zuzuweisen ist (so
auch Penk a. a. (X), die Grenze, jenseits welcher ich die Städte mit
ihrem Gebiet einer besonderen Behandlung unterzogen habe, auf
."lOOd Einwohner festgesetzt.
Die Städte von mehr als .'»( 1(10 Einwohnern wurden folgender-
massen behandelt: Es wurde bei der Berechnung der Dichtigkeit des
platten Landes ihr Gebiet nicht nusgeschieden, sondern die Bevölkerung
ihrer Nachbarorte u. s. w. unter .">00(1 Einwohnern auch über ihr Gebiet
ausgebreitet: es wurde dies gethan, um den attrahierenden und die
V'olksdichte ihrer Umgebung erhöhenden Eintlu.ss dieser Städte mög-
lichst abzuschwächen, .so dass also dieser Bruchteil der Bevölkerung
über ihr Nachbargebiet nusgebreitet gedacht wurde. Sodann wurde,
um den aus der Karte ersichtlichen Mittelpunkt einer solchen Stadt,
ihr (Jebiet, dessen Lagerung und Anordnung aus der Karte nicht zu
ersehen war, konzentrisch gelagert gedacht, und um diesen Mittelpunkt
ein Kreis gezogen, dessen Fläche im Massstah der Karte genau dem
dieser Stadt in der Natur zukommenden Flächengehalt entspricht. Auf
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27 ]
Die VolksJiclite der Thüringisclien Triasmulde.
11»3
liieren Flächengehalt wurde .soduiui die Bevölkerung.szahl der Stadt
l)e/.ogen, die Dichte ihres Gebietes berechnet und du.sselbe mit der
betreffenden Farbe überdeckt.
Im übrigen bin ich durchaus im Sinne der von Delitz.scli (Volks-
dichte von Westdeutschland etc.) aufgestellten Forderung verfahren und
habe die Felder nicht von den Dörfern getrennt und die grösseren Wald-
imJ Riedllächen von der Berechnung nicht ausgeschieden. Denn wenn
man Moore. Heiden und Wälder grösseren Umfanges hei der Berechnung
der V'olksdichte ausscheiden. besonders berechnen und ihr Gebiet, »sobald
es der Kartenma.ssstab erlaubt“, mit der betreffenden Farbe überdecken
will (Träger a. a. O. S. 11), so thut man damit meines Erachtens teils
etwas Unstatthaftes, teils etwas Ueberflüssiges : Unstatthaftes, indem
man durch jene besondere Behandlung des Waldes, des Ackerlandes,
der Moore etc. nicht die gebotene und vorhandene topographische,
vom Bodenrelief abhängige Verteilung der einzelnen Kulturarten ver-
wendet, sondern in ganz unberechtigter Weise spezialisiert; nicht die
vorhandenen natürlichen Verhältnisse benutzt, sondern künstliche, ge-
machte an ihre Stelle setzt und auf diese Wei.se nicht ein Kartenbild
der Volksdichte des betreffenden Gebietes, sondern vielmehr eine Dichte-
karte seiner Ackerbau-, Waldgebiete ii. s. w. erhält. Ferner erreicht
man mit der Ausscheidung und besonderen Behandlung dieser Heide-,
Wald- und Moorgebiete nicht mehr, als man auch ohne diese Ausscheidung
erhalten würde. Allerdings werden grössere Gebiete eben geschilderter
Art am Bande ihrer Erstreckung, wenn sie nicht ausgeschieden und
besonders behandelt werden, eine nicht der Wirklichkeit entsprechende
Verteilung und Anordnung der Bevölkerung auf der Karte hew’irken.
Dieser die wahren V'erhältnisse einigermassen verdunkelnde Eintlu.Hs wird’
.sich jedoch bei grösseren Gebieten nur bis zu einer gewissen Grenze
iu das Innere erstrecken, indem dann mit voller Schärfe doch ihre
geringe Bevölkerungsdichte hervortritt und auf der Karte wiedergegeben
werden kann. Es wird eben der Uebergang zwischen den dichter und
dünner besiedelten Gebieten ein allmählicher, vermittelter sein . wäh-
rend bei Ausscheidung dieser Gebiete dieser Uebergang nicht vorhanden
sein wird . sondern sehr dichte und .sehr dünn bevölkerte Gebiete hart
and unvermittelt nebeneinander gestellt werden ; bei dein Fintwurf
mancher Dichtekarten freilich, welche sehr grosse heterogene Gebiete
wiedergeben, wird eine gesonderte in der geographischen Eigentümlich-
keit eines jeden Gebietes begründete Behandlung empfehlenswert und
geboten sein und so doch eine schroffe Gegenüberstellung dicht- und
dünnbevölkerter (iebiete stattfinden. Die Thüringische Triasmulde je-
doch umfasst nicht Gebiete solch heterogener Natur, so dass eine solche
i'pezialisierung geboten erschienen wäre.
Dass man bei einer solchen gesonderten Behandlung der einzelnen
• iebiete unter Umständen zu äusserst wunderbaren Ergebnissen kommen
kann, dafür nur ein Beispiel. Hätte ich obiger Forderung entsprochen,
so hätte ich die Volk.sdichte der einzelnen Triasglieder berechnen müssen.
Bekannt und aus jeder geologischen Karte ersichtlich ist, dass »der
Muschelkalk von Siedelungen gemieden wird und sich dieselben vor-
zugsweise an seinen Bändern finden“ (Cotta. Deutschlands Boden, S. H),
■y Google
1<I4 KiUwiiimhiT, Die Volksdielite der Tliürin;;i8elieii Tria^miilde. j-JS
indem so die Orte fruten Uaufrruiid Iniljen und zugleiOi in der Nähe
ihrer lUif Keuper gelegenen Felder liegen. Hätte ieli da das Miischel-
kalkgehiet be-'^onders behandeln wollen, so wäre auf tirund oben er-
wähnter Tbatsacbe ihm eine in Wirklitdikeit und an sich ilurchaus
nicht zukominende Hichtigkeit zugeschriehen worden.
Die besondere Behandlung der Wald-, Heide-, Moorgehiete u. s, «.
halte ich auch de.shalh für llhertlüssig , weil man hei iler Wiedergabe
der durch die Einzelberechnungen ermittelten Ergebnisse hinsichtlich
<ler thatsiichlichen Verteilung der Bevölkerung sich vor allen Dingen
nach dem Massstah der Karte zu richten hat. Sind nun ilie gesondert
behandelten Gebiete im Verhältnis zum Kartenmassstab zu klein, so hat
man sie umsonst besonders behandelt, weil man auf die Wiedergabe
iler feineren Details bei einer Karte kleinen Ma.s.sstabes verzichten muss,
um nicht ein Kartenbild zu liefern, welches jedem nicht genau in die
Arbeit Eingeweihten unverständlich bleiben mu.ss. Sind die gesondert
behandelten Gebiete gross, .so -hat man ihre besondere Behandhmii
wiederum umsonst vorgenommen, da iler Flinfluss dieser be.sonders bi-
handelten Gebiete sich iloch geltend gemacht hätte uml aus der Karte
ersichtlich gewe.sen wäre.
,\uc.h ohne die be.somlere Behandlung solcher Gebiete ist es zu
intere.s.sa Ilten Einzelergebni.ssen gekommen. So ist z. B. ilie auffallend
geringi* relative Volksdichte eines kleinen Gebietes innerhalb des Beckens
von Artern lediglich auf die weit ausgedehnten Biede und Biedwiesen.
welche noch heute alljährlich überHutet und nicht weniger als der
Mu.schelkalk von Ortscbaften gemieilen wenlen, zurückzuführen. ,\uf
derselben rr-sache benäht auch das schwach bevölkerte, die Verbindung
zwischen den dfiimbesiedelten Gebieten der Windleite, des Kyffhäusers
und der Wüste und dem <iuerfurter Plateau hersteilende. sütllich Sanger-
haiisen gelegene Stückchen iler Goldenen Aue.
Die Trennung der Goldenen .\ue in einen oberen (Xordhäuser)
unil einen unteren (Sangerhäu.ser) 'feil wird durch jenen kleinen auch
aus der Karte ersichtlichen sich W-O erstreckenilen flachen Bücken mitt-
leren Bunt.satidsteines hervorgerufen. So tritt auch mit genügender
Schärfe der fast nicht bevölkerte, trockene, im Wind- und Begenschatten
gelegene O.stabhang des Hainichs hervor, so auch das dünnbesiedelte
trockene, im Lee der Finne helegene Buntsandsteingebiet der Hohen
Schrecke, die .Auflockerung der Bevölkerung auf dem Steiger, südöstlich
von Erfurt, auf dem .dürren Waldgebiet der Heide“ östlich Saalfeld u.s. f
Es ist meines Erachtens demgemäss nicht nötig, besondere Kultur-
gebiete besondeisi zu behandeln, um auf der Karte fixierbare Einzel-
resultate zu erlangen, man hat sich vielmehr durchaus an die gegebenen
Obertlächenformen und die Bodenbeschalfenheit der Gegend und die
darauf beruhende Verteilung ihrer Kulturarteu und PHanzeiidecke ohne
jede willkürliche Siiezialisierung zu halten, es sei ilenn, «lass man sich
ilen Xachweis des (irundes für die Verilichtung bezüglich Auflockerung
der Bevölkerung der verschiedenen Kulturartcngehiete zur Aufgabe
gemacht hat.
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Aetiologie.
Die Unterabteilungen der thüringischen Trias im allgemeinen.
wir bei der Betradituiiij der Thilriiigischeii Triu-smulde und
der Vergleichung ihrer Untenibteilungeii luiteiimnder von dem noch
innerhalb der für sie gezogenen Grenzen liegenden Stückchen der Krei.se
Northeim-Osterode (2Sl,»s qkml. dessen Verteilung auf die einzelnen
Glieder der Trias wegen mangelnden Kartenmaterials unterlassen werden
musste, ab: hi.ssen wir ferner vorläufig auch noch die Goldene Aue als
eine rezente, sekumläre Bildung (8lil,2s qkml und die nichttriadischen
(»esteine des Kyft'häusers qkm) unberücksichtigt, so entfallen auf den
Buntsundstein i|km .'tti.Ts Proz.
Muschelkalk . = GT.iii , I ‘
Keuper 24ti:i.s; . --
Summa: lntilU).is qkm h'.bss l'roz.l
Hinsichtlich der Grösse des Keuper- und Muschelkalkgebiets vergl.
B. Cotta. Deutschlands Boden. S. ;271: , Dieses Meiden des Muschel-
kalkes ist auffallend, namentlich wenn wir .sehen, dass das ziemlich
grosse, aber sicher nicht grössere Keupergebiet 2ö Städte hat.*^
Diese HiO'.iü.ib <jkm (mit Ausschluss <d)iger Gebiete) sind bewohnt:
a) die Städte über .MMUi Einwohner mitgerechnet, von 1 1B179S
Einwidmern.
b) die Städte über .öoon Einwrdmer nicht mitgerechnet, von
7H(iti.'>(i Einwohnern.
Mithin entfallen auf die städtische Bevölkenmg ;i4.'»142 Ein-
wohner oder :{(t.49 Proz.. also fast ein Drittel der (iesamtbevölkerung.
obwohl die Grenze zwischen städtischer (also auszuscheidender) und
ländlicher (bodenständiger) Bevölkerung ziemlich hoch . d. h. a:if
.'>000 Einwfdiner festgesetzt wurde I Es dürfte diese Zahl ein Beweis
dafür .sein, dass mit Hecht diese Grenze so hoch angesetzt wurde,
ja vielleicht auch dafür, dass diese Grenze eventuell noch höher
hätte a)igesetzt werden können, und da.ss es durchaus unangebracht
ist. rein mechanisch die Grenze zwischen ländlicher und städtischer
(also auszuscheidender) Bevölkerung zu hestimmen. dass vielmehr
bei der Festsetzung der Höhe dieser Grenze in erster Einie und
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l‘tti
C. Kiiptiemacher,
[;jo
vor allem die Natur des betreftenden Landes bestimmend und aus-
schlaggebend ist! Diese letztere Rücksicht Hess es eben angebracht
erscheinen, mehrfach erwähnte Grenze verhältnismässig hoch anzusetzen,
da es zur Natur der Thüringischen Triasmulde gehört, neben rein länd-
licher, ackerbautreibender, „bodenständiger“ Bevölkerung einen hohen
Prozentsatz städtischer, d. h. Handel und Gewerbe treibender Bevölkerung
zu belierbergen, welcher Umstand unser Gebiet zu einem so dicht be-
völkerten un.seres Vbiterlandes macht! Würde die Grenze der städtischen
und ländlichen Bevölkerung niedriger, vielleicht bei ÖOUO Einwohnern
oder 2000 Einwohnern angesetzt worden .sein, so hätten all die kleinen
den Nord- und Südrand des Harzes und Thüringer Waldes umsäumenden
Städtchen fortfallen müssen, die ihre die Bewohnerzahl der Nachbarorte
übersteigende Volkszahl und ihre oft sehr hohe relative Volksdichte
ihrer Lage am Rande des Gebirges verdanken, die ihnen ermöglicht,
neben der Ausnutzung anderer Vorteile die billigen, durch die dem
Gebirge entströmenden Flü.s,schen und Bäche gelieferten Wa.sserkräfte
zu verwerten. So haben nachfolgende am Fusse des Harzes und Thü-
ringer Waldes belegene .Städtchen zum Teil ganz bedeutende Volks-
dichten :
Herzberg 204, Katzenstein 210. Lauterberg 2.'>0, Freiheit <>43.
Petershütte 51 <i (K reis Osterode).
Wiegersdorf .'IdO, Rothehütte 203 (Kreis Ilfeld),
Bleicherode 185. Ellrich 105, Salza 300 (Kreis Nordhausen).
Görsbach 182. Schinalzerode 2<)0, Dittichenrode 227, Emseloh 4(i4.
Triptis 231. Neustadt 433, Arnshaugk 475. Münchenbernsdorf 414, Als-
bach 0ti7, Goldisthal 800, Lichte a. W. <)!>2. üb. -Hammer 734 etc.
Von der Gesaintbevölkerung der Thüringischen Triasmulde ent-
fallen auf die einzelnen Triasglieder:
a) die Städt<> üb(‘r 50<)0 Einwohner mitgerechnet:
Bunt.sandstein .
408040
— 44,00 Proz.
Muschelkalk
. . . . 274015
24.S1 ,
Keuper .
. 350734
31.7» .
Summa: 1I317118
= 011,9!) Proz.
lie Städte über
5<)<)0 Einwohner nicht mitgerechnet
Buntsandstein .
... 350 30S
44.5 Proz.
Mu.schelkalk
. . . . 2205311
28,03 ,
Keuper . . .
27.4
.Summa: 780 (i5t)
00,9» Proz.
Vergleicht man diese Zahlen mit obigen, so ergiebt sich. da.<s
von den einzelnen Gliedern der Trias bewohnt werden:
iter Oesaratfläche: mit Städten : ohnedieseiben;
der Buntsandstein 39,7» Proz. - 44,oo Proz. — 44,.v Proz.
. Muschelkalk 37, i» . =— 24,si , 28,o.i ,
. Keuper . . 23.04 . ill,;» , 27,o*
Summa : 00,9» Proz. i<0,99 l’roz. - $10,93 Proz.
Diese Zusaranienstellung bestätigt den schon a priori möglichen
und natürlichen Schluss, dass der Bunt.sandstein innerhalb der Glieder
der Trias hinsichtlich seiner Bevölkerungszahl die bevorzugteste Stelle
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Die Volksdirhte der Thilringisclicn Trinsmuldo.
197
;ji]
eimiiiiiiiit , indem auf ihm fast die Hälfte der (iesamthevölkenmg der
Thüringischen Triasmulde wohnt. Diese Bevorzugung und hervorragende
Stellung dürfte weniger auf der dem Buntsandstein innewohnenden
volksverdichtenden Fähigkeit beruhen, als vielmehr auf seiner räum-
lichen Anordnung am Rande und an der Aussenseite der Thüringer
Mulde, auf dem Umshmd. dass am Nord- bez. SUdfuss des Harzes und
Thüringer Waldes jene beiden oben erwähnten W-0 streichenden für den
W'-O-Verkehr äusserst wichtigen . auf der Bildung des Thüringischen
Triasbeckens beruhenden Grabenversenkungen sich befinden, auf denen
sich wie Stationen einer Handelsstrasse die grösseren Städte ansiedel-
ten und sich um .so blühender entwickeln mussten, als ein grosser
Teil die.ser Städte zugleich die Vermittelung zwischen Ackerland und
Holzland, zwischen dem Brotstotfe liefernden und dem Brot.stoffe ver-
zehrenden Lande herstellen.
Ferner ist aus oben zu.sammeugestellten Zahlen ersichtlich, dass
der Buntsandstein unter den Gliedern der Trias sozusagen das am nor-
malsten bevölkerte Gebiet ist. d. h. da.ss sowohl mit Einschluss wie mit
Ausschluss des Bruchteils städtischer Bevölkerung der auf ihn entfallende
Prozentsatz der jedesmal in Betracht kommenden Gesamtbevölkerung
fast derselbe bleibt. Aus der räumlichen Anordnung des Bunt.sandsteins
innerhalb der Thüringischen Triasmulde geht schliesslich hervor, dass der
Anteil des Buntsandsteins an der städtischen Bevölkerung der Thürin-
gischen Triasmulde ein relativ grosser sein muss, und finden wir in der
That fa-st die Hälfte der städtischen Bevölkerung der Thüringischen
Triasmulde auf dem Buntsandstein wohnend, nämlich 42,7 7 Prozent!
Der Muschelkalk nimmt hinsichtlich seiner Volksdichte und des
auf ihn entfallenden Bruchteils der Ge.samtbevölkerung die letzte Stelle
unter den Gliedern der thüringischen Trias ein und erweist sich als
das der Volksverdichtung ungünstigste Gebiet derselben. Sein Gebiet
hat vermöge der Härte der seine Formation zu.sammen.setzenden Gesteine
der Erosion und Denudation bedeutenden Widerstand geleistet und
nimmt deshalb vorwiegend die Höhen unseres Landes ein — trockene,
rauhe, wasserarme Hochflächen, auf denen, wie auf <lem Eichsfeld,
stellenweise nicht einmal der Hafer reif wird und die einzig sichere
Frucht die Kartoffel ist ! Recht deutlich tritt die ärmliche Begabung
des Muschelkalkes für die Volksverdichtung durch den Umstand hervor,
dass über der thüringischen Trias, nämlich d7.i« Pro/, der Gesamt-
fläche noch nicht von * i der Gesamtbevölkerung derselben , nämlich
von 24,si Proz. (einschliesslich die Städte über .VJOD Einwohner) und
von etwas mehr wie ' i der Gesamtbevölkerung 2S.ns Proz. (die Städte
über -■>000 Einwohner ausgeschlo.ssen) bewohnt werden, dass also der
Bruchteil der bewohnten Fläche ab.solut in keinem V'erhältnis steht zu dem
dieselbe bewohnenden Bruchteil der Gesanitbevölkerung. Hinsichtlich
de.s Bruchteils der städtischen Bevölkerung, welche auf den Muschel-
kalk entfällt, finden wir vollständig Cottas Satz bestätigt (a. a. O. S. 3|.
,dass alle grösseren Mu.schelkalkgebiete auffallend von Ortschaften ge-
mieden werden“. Von der gesamten städtischen Bevölkerung der
Thüringischen Triasmulde entfallen nur l.o.cs Proz., also noch nicht U;
auf den Muschelkalk. Diese Zahl, an sich schon genügend Cottas Be-
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Kae.-eimuhei .
1*J8
|;J2
luuiptiiiig hewfi.seud. gewinnt noch an Hewei.skrai't. wenn wir die Karte
einsehen und uns klar niudien, wie diese Zidd /u stände gekt>nmien ist
lind dieser Bruchteil der städtischen Bevölkerung dem Musclielkalk zu-
geteilt wurde ! Es zeigt sich hei näherer Betraclitung. dass sich diese
Zalil fast vollständig aus den kleinen Anteilen der grösseren Städte
zusaminensetzt , deren Gebiet noch stellenweise in den Muschelkalk
hineinragt; dasselbe wurde mangels einer genauen Bestimmung der
eigentlichen Stadtgrenze von der Stadtbevölkerung gleichmässig bewohnt
gedacht und somit zum Teil noch dem Muschelkalk zugeschrieben, ob-
wohl in Wahrheit fast nicht eine Stadt mit ihrem eigentlichen Stadt-
häusergebiet auf dem Muschelkalk selb.st liegt, sondern nur wenige
-Dependenzen“ derselben. Einerseits dürfte dieser Umstand seine Er-
klärung in der geringen Ernährungslähigkeit des Muschelkalkes finden,
andererseits aber sollte er befremden, da gerade der Muschelkalk die
erste und Hauptbedingung für Siedelungen, namentlich grosse Sit.*de-
lungen erfüllt, indem er guten Baugrund und gutes Baumaterial liefert.
Da jedoch das Muschelkalkgebiet eine andere wichtige Leben.sbedingung
grosser Siedelungen nur äusserst mangelhaft erfüllt, indem es an Wasser-
armut leidet, auch infolge seiner OherHächenge.staltung von Verkelms-
wegen gemieden und wenn möglich umgangen winl. .so dürfte sich
die.se Armut des Muschelkalkes an grösseren Sieiielungen hinlänglich
erklären.
Eine höchst interessante Stellung nimmt in mehrfach erwähnten
Beziehungen der Keuper unter den Gliedern der Trias ein. Seiner Lage
nach füllt er die innersten tiefsten Stellen der 1'hüringischeii Triasmulde
aus und weist von allen Gliedern derselben die höchste Befähigung auf.
Volksmassen vermöge seiner ihm innewohnenden Fruchtbiirkeit und seiner
Lage zu verdichten. Demgemäss finden wir auch auf ihm die höchste
mittlere Volk-sdichte unter den Glieilern der thüringisiheii Trias. 89
bez. 14(» auf I ijkm! Ein Verhältnis, welches sich auch darin ausspricht,
dass 2:t Proz.. also noch nicht ' t iler Gesamtfläche der thüringischen
Trias von .‘{1,7 Proz. bezüglich 27. rs l-’roz. der Gesamtbevölkerung
bewohnt ist. Gemäss der dem Keuper innewohnenden Fruchtbarkeit und
volksverdichtenden Kraft wird der Anteil <lesselben an der städtischen
Bevölkerung und sein Keichtum an grösseren Siedehmgen ein sehr
grosser sein: Thatsächlich gehören dem Keuper 41.72 Proz.. bidnahe die
Hälfte der gesamten stäittisihen Bevölkerung an und tritt die hohe
Bevorzugung des Keupers in dieser Beziehung vielleicht noch mehr
hervor, wenn man bedenkt . dass dieser Bruchteil der .städtischen Be-
völkerung auf nur 22 Proz. der gesamten in Betracht komnieiiden Fläche
sitzt! Da jedoch die den Keuper zusanimensetzenden Schichten mit
ihren weichen, leicht zerstörbaren Mergelsandsteinen nur in den selteu-
sten Fällen guten Baugrund und gute Baumaterialien liefern, so finden
wir innerhalb des eigentlichen thüringischen Keujierbeckens keine grös-
sere tSiedehmg. zumal dasselbe, noch heute zeitweise von den dasselbe
durchziehenden Flüssen ülierflutet. oft auf weite Strecken hin nur eine
grosse Wasserfiäche darbietet; vielmehr ist. wie ein Blick auf die Karte
lehrt, die Anordnung der grösseren Siedehmgen eine ]»eripherische. am
Bande des Keuperbei'kens dem dasselbe begrenzenden Muschelkalkgebiet
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Die Volkadichte der Tliüringisehen Tiiaamulde. IDD
entlang, eine leicht erklärliche Thatsache, da auf die.se Weise den Städten,
auf der (irenze zweier verschiedenartig aiusgestatteter Uehiete liegend,
die Vorteile beider zu teil werden: guter naher Baugrund, Wasser, ein
fruchtbare.s , brotstottreiches Hinterlaml und die Lage ausserhallt de.s
Inuudationsgebietes der Flüsse des inneren Keu|ierbecken.s. An sich
würde das Keupergebiet arm an grösseren Siedelungen sein, da dieselben
lediglich an die Nähe des den Keuper unterteufenden Muschelkalkes
und den auf der Grenze beider Furniationen entstehenden Quellenhori-
zont gebunden sind und das Innere des Keuperbeckens als ein fast
ausschliesslich dem Ackerbau unterworfenes Gebiet fliehen. Letztere
Thatsache bestätigt uns ein Blick auf die Tabelle II der Bodenbenutzuug
und des Anteils der einzelnen Kreise an den Gliedern der Trias.
Es erweisen sich so als zum grössten Teil Keupergebiete :
Kreis Erfurt mit 7(1, is Proz.
„ Weis.sensee mit . . . ,
vielleicbt auch noch, wenn auch in geringerem Grade. Kreis Langensalza
mit Ö0,7 8 Proz. der Gesamtfläche. Von der Fläche dieser Kreise sind
im Kreis Erfurt Kl,:- Proz., W eissensee 8:1,3 h Proz. und Langensalza
78,nT Pro/., dem Ackerbau unterworfen. Die Volksdichte eben erwähnter
Kreise stimmt auch in hohem Grade mit derjenigen des Keupers Uber-
haujit überein, 87,5 auf 1 qkm:
Erfurt: DK.a?, WA'issensee 87. 1 3. Langensalza 87.3i.
Bei der Anordnung der Städte im Keuperbecken ist es bezeichnend,
dass dieselben den südlichen Hand des Keiiperbecktnis umsäumen, wäh-
rend der nördliche Hand von denselben völlig entblö.sst ist: dieselben
liegen, wie die.s Cotta bereits bemerkt, reihenweise, gebunden an die
Erhebungsliuien und drängen sich von der breiten Grundlage Mühl-
hausen-Apolda Staffel- und keilförmig nach S gegen den Thüringer
Wald hin vor in zwei Heihen, welche ihre Vereinigung und ihren
Schnittpunkt in Ohrdruf tinden: Mühlhausen, Langen.salza , Gotha =
Apolda, Weissensee, Erfurt, Arnstadt. Ohrdruf. Gemäss der von SO-
verlaufenden Streichrichtung der Erhebungslinien lässt sich auch
in dieser Hiclituiig eine reihenweise Anordnung der Keuperstädte be-
merken: Mühlhausen, Langensalza. Erfurt. Weimar. Weissensee. Apolda
= Gotha. Arnstadt. Ohrdruf!
Es zeigt diese Anordnung der Städte, ihr keilförmiges Vordringen
nach dem Thüringer Wald hin. und der völlige Mangel grösserer Siede-
lungen im N des Keuperbeckeus an der sanften Südabdachung des
Dün und der Uainleito noch heute sehr schön die Selbständigkeit und
Trennung des Keuperbeckens von dem nördlich des Dün, der llain-
leite u. s. w. gelegenen Gebiete, vielleicht seine Gravitation nach dem
S, dem Thüringer Wald hin, und seine Eigentümlichkeit als nördliches
Vorland des Thüringer Waldes, während sich das nördlich des DUn-
Hainleitezuges erstreckende Gebiet ebenso scharf auf diese \Veise als
südhches Vorland des Harzes kennzeichnet!
Korechnnpeii zur (Iriitsch' ii t.andr.s. mul Vulkskuude. VI.
14
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200
C. KiK-scmachcr,
Oie Glieder der Thüringischen Trias im einzelnen.
Der Buntsandstein.
(xeinii-ss der EntKtehung dc.s Buiitsandsteins und der ThUringi-schen
Mulde nberhaupt niiniut; derselbe als ein an den Ufern des ehemaligen,
das Tliüringer Becken aiisfilllenden Triasmeeres abgelagertes Gestein
die Bänder desselben ein und nmsäumt im N und S, dem Harz und
Thüringer Wald anlagenid. die eigentliche Thüringer Mulde je in einem
schmalen Bunde; im VV und 0 finden diese beiden den eben erwähnten
Horstgebirgen angelagerten Buntsandsteingürtel ihre V'^ereiniguug in
breiter hingelagerten Flächen, dort die Bnntsandsteinberge des hessi-
schen Wald- und Hügellandes, hier die sanftgebuckelte allmäblich sich
zum norddeutschen Flachlande abdachende Saalplatte bildend.
Infolge seiner Struktur als ein aus losen Quarzkörnern durch mehr
oder minder festes Cuement zusammengekittetes Konglomerat . welches
nur stellenweise durch lokale Einflüsse, durch erhöhten Eisengehalt
oder durch Infiltration der überlagernden Muschelkalkschichten eine
erhöhte Festigkeit erlangt, bildet der Buntsandstcin ein lockeres, der
Verwitterung und den abtragenden Kräften der Atmospbärilien wenig
Widerstand entgegensetzendes Gestein. Der Buntsaudstein weist dem-
gemäss durchweg sanfte, gerundete Fonnen auf, wie dieselben sich
namentlich in Hessen scharf von den ihnen aufgesetzten Basaltkuppen
abheben. Sebarf ausgeprägte, einheitlich ziehende Höhenzüge sind ihm
fremd, und wo sich dennoch solche bemerken lassen, nehmen dieselben
in breiter Lagerung das Land ein, wie z. B. der die Wasserscheide
von Buhme-Leine und Helme-Wipper mit dem Kyffhäuser verbindende
Höhenzug. Die dem ältesten Gliede des Bunteand.steins eingelagerten,
technisch wertvollen Bogensteinbänke üben auf die Oberfläcbengestaltung
einen gewissen Einfluss aus. doch nie in auffallendem Masse oder auf
weitere Strecken. Dagegen la.ssen die steil aufragenden Buntsandstein-
wände am rechten Wipperufer auffällig und in weiter Erstreckung die
dem Buntsandstein durch Infiltration des überlagernden Muschelkalkes
verliehene grössere Festigkeit erkennen!
Hieraus geht hervor, dass der Buntsand.stein die Grundbedingung
eines jeden Bodenbaues, die Bildung einer Bodenkrume von Grundschutt
zu erfüllen vermag. Diese an und für sich günstige V'eranlagung des
Buiitsandsteins für Ackerbau wird jedoeb dadurch wieder aufgehoben,
dass der durch Verwitterung entstandene Grundschutt') zu lose und locker
und das die lo.sen Quarzkörner ehemals verbindende Caement in so ge-
ringem Ma.sse vertreten ist, dass fa.st nirgends ein auch nur halbwegs
bündiger, nicht leicht fortführbarer und abschweminbarer Boden entsteht.
Intölgede.s8en bildet sich trotz der sanften Oberflächenformen des Bunt-
sandsteins nur selten eine mächtigere Grundschuttlage, da jeder auch
noch .«o schwache Begenguss auf diese lockeren, humusarmen Massen
') Fallou. IJrund und Hoden des Königreichs Sachsen etc., Dresden 18S(>.
und l’edologie.
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3:.)
I)ii‘ Volksdiclite der Tlidringiselien Tiiii»niulde.
•JOl
von höchstiT Wirkung sein muss, gerade stets die wertvollsten, frueht-
harsten Bestandteile des Bodens fortschweinnit, und auch äusserlich
seine Spuren in grösseren oder kleineren Wasserrissen zurücklilsst.
Kurz, die auf Buntsandstein belegenen Felder haben in einem hohen
Grade durch Abschwemmung zu leiden. Es ist klar, dass infolge dieser
Thatsnchen die auf Buntsand.stein belegenen Felder, be.sonders günstige
Lagenverhältnis.se ausgeschlossen, eine starke Düngung erfordern, um
ertragreich zu sein, um so mehr als jeder Begenguss gerade die frucht-
barsten, dem Boden oft mit grosser Mühe zugeführten Bestandteile mit
sich fortführt, was auch deutlich an den Bächen iles Buntsandstein-
gebietes sich erkennen lässt, da dieselben nach jedem Kegen, auch im
Frühjahr bei heftiger Schneeschmelze, eine intensiv rothy auiie Färbung _ /*_
infolge der feinen in Ma.sse von ihnen fortgeführten Sin1cstöfle:siitit’lunen. { } :■
All diese Umstände machen die Landwirtschaft im Buntsandstein-
gebiet, so namentlich in der Umgegend von DuderstadtV- Qn KtilimöT-
und Ellergebiet (.sehr tiefe, die Bewirtschaftung sehr erschwerende
Wa.sserrisse) äusserst ko.st.sjiielig . da dieselbe die höchsten Anforde-
rungen an das lebende und tote Inventar des Landwirtes infolge der
äusserst intensiven Abnutzung desselben stellt, wozu noch kommt, dass
nicht selten (wie namentlich in eben erwähnten (febieten) die Ernte-
aussichten durch ungünstige Witterungsverhältnisse, durch anhaltende
Dürre im Sommer, Nebel und Kegen im Herbst, frühen Eintritt des
Winters, welcher häufig den Hafer nur notreif werden lässt und die
Bestellung des Winterfeldes bis in den Dezember hineinzieht u. s. w.,
in hohem Grade beeintlu.sst und nicht selten völlig illusorisch gemacht
werden. Aus all diesem geht zur Genüge hervor, dass der Buntsand-
stein mehr für Forstwirt.schaft als für Landwirtschaft geeignet i.st, wenn
auch gewisse Feldfrüchte wie z. B. die Kartoffel auf ihm unter llm-
ständen sichere und hohe Erträge liefern.
,\us der Natur des Buntsandsteinbodens lässt sich von vornherein
schlie.ssen, dass derselbe dort, wo er infolge seiner Lage die Itlr die
Aufschliessung der in ihm enthaltenen mineralischen und pflanzlichen
Nährstoffe notwendige Feuchtigkeit nicht erhält , höchst ungünstige
Verhältnisse für die Landwirtschaft aufwei.sen und vorwiegeml der
Waldwirtschaft unterliegen muss, woraus dann wieder eine hedeutende
■Auflockerung der auf ihm wohnenden Bevölkerung folgt, Verhältnisse,
wie sie auf der Karte auf der Hohen Schrecke und Wüste thatsächlich
vorliegen! Diese Gebiete weisen die niedrigste Stufe der Volksver-
dichtuiig auf, weil sie, im Wiml- und Uegcnschatten der h'inne und
Schmücke gelegen, nur von wenigen durchaus an den Lauf der spär-
lichen das Gebiet durchrinnenden Bäche gebundenen Ortschaften be-
setzt sind.
■Aus dieser Betrachtung ist zu folgern, dass die unmittelbar nörd-
lich vom Thüringer Wald im Lee belegenen Bunt.saudsteingebiete andere
Verhältnisse aufweisen müssen, als diejenigen unmittelbar südlich
Vom Harz, da jene im Wind- und Kegenschatten der gro.ssen süd-
nördlich streichenden . der allgemeinen Abdachung des europäischen
Ic.stlandes folgenden Luftströmung liegen (Assmann a. a. 0.), während
die dem Harz vorgelagerten Buntsandsteingebiete bereits mehr dem
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•202
Kaesfiiiiiclii'r,
l:W
EinHuss (It-r sich am Harz wiederum stauenden liut'tströmun^; und der
sieli infolgedessen entwickelnden Steigungsregen unterliegen! Zwar tinden
wir ausgedehnte Waldgehiete sowohl auf dem nördlich wie südlich der
eigentlichen Thüringer Mulde gelegenen Buntsandsteingel)iet, aber ni
jenen Gegenden fehlt den M'ahlbeständen die Geschlossenheit und ein-
heitliche Natur, wie sie den Waldgehieten des Buntsnndsteins unmittel-
har nördlich vom Thüringer Wahl eigentümlich ist : dort durchdringen
sich mehr Ackerland und Wahllaml und weisen die Wi’ilder mehr ge-
mischte Bestünde auf, hier erstreckt sich vom Gerathai bis zum Saalthal
und darüber hinaus fast ein zusammenhängender, fast durchweg aus
Nadellndz bestehender Waldgürtel. Audi in dem Grade der Volks-
dichte. weither den einzelnen Gemeinden dieses und jenes Gebietes
; •. zukimi', :?{|)ljH’lii,‘n sich diese Verhältnisse sehr schön auf dem zur Kurven-
zeieh’nuhg 'der vairliegenden Karte entworfenen Hilfsblatte. auf welchem
.* • \ ;i{ip"‘’ej;ij:el5uir. Gemeinden in Grupiien zusanimengefasst mit der einer
'■jeden ‘zhk'o'iiinienden Farbe ausgezeichnet wurden, aus. indem <lie Ge-
meinden des Waldgebietes nördlich vom Thüringer Wald nur in wenigen
Fällen die Hichte von bO auf 1 ()km überschritten und so einen be-
merkenswerten. intere.s.santen (legensatz zu den in dem südlich vom
Harz auf Buntsaiulstein belegenen Wahlgebiets-Gemeinden bildeten !
Biese eben angedeuteten \’erhältni.sse dürften einige Zahlen unserer
Tabelle erläutern, wenn wir einige grössere Staatsgebiete aus dem
nördlichen und südlichen Teil der Thüringer Mulde, deren Grund und
Boden zum grössten Teil aus Buntsandstein besteht, einander gegen-
überstellen. Von den nördlichen Staatsgebieten seien ausgewählt die
Kreise Duderstadt und Worbis, die vollständig liez. zu 80,r,s l’roz. auf
Buntsandsteinl)oden liegen, von südlichen der Kreis Saalfeld. <ier Alten-
burger Westkreis und das A.-G. Bö.ssneck, Gebiete, deren (irund und
Boden zu 08,4; Proz., bez. 7o,i; Proz., bez, 01..'.4 Proz. aus Buntsandstein
besteht. Die Kreise Duderstadt und Worbis werden zu 13.3.-. bez.
23.7 6 Proz. ihrer Gesamtfläche von Wald bedeckt. Dem gegenüber
weisen die drei letzterwähnten Kreise eine Waldfläche auf, welche
lti,.'i6 Proz., -13, -6 Proz. und •!•'>. la Proz. des Gesamtareals einnimint.
Damit Uberein.stiminend steigt die Volksdichte der Buntsandsteingebiete
in den beiden ersterwähnten .Staatsgel)ieten bis zur Gruppe von 75 — 12.'»
auf 1 qkm (Worbis !*4,3. Duderstadt 11 2, na), während in »len drei letzt-
»■rwähnten Staatsgebieten der Bunt.sandstein diese Gruppe nirgends
erreicht !
Altenl»urger Westkreis .... (itt.i (7().4),
Saalfeld 58, ns.
Amt Pössneck 3ti,ii (154. i).
Hiermit ist wiederum interessant zu vergleichen sowohl der Prozent-
aiiteil der Gemeindeanzahl wie auch des ihnen zugehörigen (iebietes,
welches in beiden Staat.sgebietsgruiipen unter eine Dichte von 75 auf
1 qkm enttTillt !
Die Dichte von 75 auf 1 qkm erreichen nämlich von der Gesamt-
zahl der Gemeinden in den Kreisen Duderstadt und Worbis nicht
23,s, bez. 34.9 Proz., das diesen Gemeinden zugehörende Areal macht
15,4 bez. 27..-. Proz. des Gesamtgebietes dieser Kreise aus. Im Kreise
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;}7 1 Hie Volksiliclite der Thüringischen Triasimilde. 20i$
Saalt'eld, im Amtsgericht I’iissiieck und im Altenhurger Westkreis ent-
fallen von der Gesamtzahl der Gemeinden 71,o, 57, n und 7(),3 Prozent
auf die Diehtegruppe unter 75 auf 1 ([km! Der den Gemeinden in
oben erwähnten Staatsgebieten zugehörende Flächengehalt stellt sich
in Prozenten der Gesamtfläche auf Sl.s, (il.i und 77. i Prozent. Es
Weisen also die unmittelbar stidlich vom Harz zu bedeutendem Bruchteil
auf Buntsandstein belegenen Staatsgebiete gegenüber den unmittelbar
nördlich vom Thüringer Wald gelegenen einen auffallend geringen
Bruchteil von Gemeinden und dem zu diesen gehörigen Gebiet auf.
welcher unter der Mitteldichte der thüringischen Trias bleibt. Grund
für diese Thatsache dürfte die Leehige dieser letzteren Gebiete sein.
Aus diesen spärlichen Zusammenstellungen dürfte bereits hervor-
gehen. dass der Buntsandstein ein wenig für die Landwirtschaft, die
Grundbedingung einer jeden Volksverdichtnng. geeignetes Gebiet dar-
atellt. Wenn trotzdem sich auf unserer Karte stellenweise auch in
eigentlichem Buntsandsteingebiet Gegenden hoher Volksdichten finden,
so beruht das aut sekundären nicht auf unmittelbar der Natur des
Bodens sell)st innewohnenden Faktoren.
Die jenem vom Werrathal bei Witzcnhausen über die Kichenberger
Senke gegen Nordhausen und die Goldene Aue hinziehenden Strich
eigentümlich hohe. 125 Einwohner auf 1 qkm erreichende Volksdichte
dürfte wesentlich und in erster Linie auf dem Umstande beruhen, dass
hier um nördlichen Sieilabfall des Eichsfeldes einer jener wichtigen in
der Bodengestaltung und Entstehung der Thüringer Mulde begründeten
west-östlich streichenden V^erkehrswege die Thüringer Mulde rlurchzieht
und im höchsten Grade verdichtend auf die an dieser wichtigen Strasse
liegenden (fegenden wirkt. Sehr schön tritt auf der Karte die Wichtig-
keit und Bedeutung der Stadt Heiligenstadt in diesem dicht bevölkerten
•Striche hervor: sie .stellt gewissermassen die V^erbindung und Vermitte-
lung zwi.schen dem dicht be.siedelten westlichen, nach dem Werrathal
zu gravitierenden und den östlichen bereits der (.loldenen Aue zu-
neigenden Gebieten her. Dieser dicht besiedelte .Strich erstreckt sich
dann weiter nach 0 am Fasse des Harze entlang bis zum Saalthal hin
mit einer schmalen Unterbrechung, welche für den Buntsandstein höchst
bezeichnend ist: Es macht sich nämlich gerade an einer Stelle, an
welcher die fruchtbare Alluvialebene der (ioldenen .\ue von einer Bank
mittleren Bunt.sandsteins unterbrochen wird, zugleich auch eine augen-
blickliche Abnahme der die hohe Fruchtbarkeit und günstige Lage der
Goldenen Aue kennzeichnenden hohen Volksdichte bemerklich. Auch
die ähnlichen Verhältnis.se auf den unmittelbar nönllich dem 'riiüringer
ald anlageniden Buntsandsteingebieten dürften in erster Linie tiuf
dem auch hier west-ci.stlich ziehenden \'erkehrswege Iteruhen. Der
Grund für die auch hier stellenweise hohe X’olksdichte dürfte wie auch
am Fu.sse de.s Harzes in den am Fusst“ des Gebirges — einer wich-
tigen Verkehrsgrenze — liesonders zahlreichen, mannigtächen. äusserst
lebhiiften und schnell sich entwickelnden Industriezweigen zu suchen
sein. Auch hier i.st die Lage von Eisenach und Ohrdruf .sehr inter-
essant. indem diese Städte gerade an den Unterbrechungen liegen,
welche dieser dichtbesiedelte Gürtel aufweist . und so gewissermassen
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204
V. Kufseiiiaclier,
[38
ilie eijizeliieti Glieder zu einem Ganzen verknilpt'en und. ol)wolil bei der
Hereehnung der Volk.sdichte und bei der Kurvenzeichnung ausge.scliieden,
sich doch in dieselbe vollkonunen eingliedern und sich so als Binde-
glieder gleichartiger Gebiete kennzeichnen. Eisenach verbindet die
wichtige nord-südliche Strasse des Werrathaies mit den eine höchst
entwickelte und lebhafte Industrie aufweisenden und dicht besiedelten
Gegenden um Friedrichsroda , Waltershausen; Ohrdruf wiederum diese
letzteren Gebiete mit den ähidiche Verhältnisse darbietendeu Land-
strichen um Ilmenau und im unteren Schwar/.athal. W'eiterhin wird
die Brücke und der Uebergang in das mittlere Orlathal durch die Stadt
Sanlfeld gebildet. l)ie .«ich nördlich an diesen dichtbesiedelten Gürtel
anschlie.sseiiden Buntsandsteiiigebiete. wie diejenigen nördlich von Ilme-
nau und die Ruine von Paulinzella, .sowie jiniseits der Saale die Bunt-
sandsteingebiete des ,Holzlandcs" nördlich der Orla dagegen weisen
aus bereits erwähnten Gründen dieselbe Auflockerung der Bevölkerung
auf wie die nördlich sich an sie an.schliessenden öden, unfruchtbaren
Muschelkalkhöhen. Stellenweise finden sich in diesen Buntsandstein-
gebieten wie in der „Heide" nördlich Saalfeld und nördlich Neustadt a. 0.
Auflockerungen innerhalb der niedrigsten Dichtegruppe. Die am Saal-
thal zwischen Rudolstadt und .lena sich tindendeu inselfijrniigen Gebiete
höherer Volksdichte, sowie der die gleiche Volksdichte aufwei.sende Land-
strich vom Saalthal die Roda aufwärts, dürften wohl auf der Wichtig-
keit dieser beiden Thäler als \’erkehrs.strassen in nord-südlicher, bez.
west-östlich nach der Elster hingehender Richtung beruhen.
Da.ss die technische .\u.snutzung der brauchbaren W'erksteinbänke
des Buntsandsteins zu iMühl-. .Schleif- und PHastersteinen stellenweise
eine nicht unbedeutende Volksverdichtung hervorrufen kann, beweist
die kleine bis zum Unstrutknie bei Nebra sich erstreckende Zunge
dichter bevölkerten Gebietes. W'eun auch diese Volksdichte nicht allein
das Ergebnis dieser Verhältnisse sein mag. so l)ilden doch die in den
Steinbrücheu von Nebra. Laucha. W’angen. Vitzenburg und anderen
( )rten gebrochenen Steine einen bedeutenden . auf den Unstrutkähnen
verfrachteten, bis Magdeburg, ja Berlin und weiter gehenilen Ausfuhr-
artikel. <lessen Gewinnung, Bearbeitung und Vertrieb einen bedeutenden
Bruchteil der Bevölkerung jener Gegend beschäftigt und ernährt. Er-
nährt doch im Kreise Querfurt von DiOd Einwohnern 33.4 «die Industrie
der Steine und Erden“. Pb.s das .Baugewerbe“ und 14.:. der „W'asser-
verkehr". (Statist, des Deubsclten Reiches. N. F., Bd. 11. 1HS4.)
Der Muschelkalk.
„Als successive Bodeiusätze einer früheren allgemeinen W'asser-
bedeckung der Thüringer Mulde“ lagern sich die den Grund und Boden
derselben bildenden Gesteine konzentrisch aneinander an in der Weise,
dass man, vom Rande der Thüringer Triasniulde gegen die Mitte hin
vorgehend, stets jüngere Gesteine zu Tage ausgehend antrifl't.
Dem Buntsand.stein lagert sich nach innen, das innere eigentliche
Becken von allen Seiten umgebend, der Muschelkalk an. In breiter.
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Die V'olksdichte <.U*r ThOringiticlien Triasnuilcle.
205
;t9]
massiger Lagerung flankiert derselbe im W und 0 die Thüringer Mulde,
dort die Höhen des Eichsfeldes mit ihren Ausläufern, hier die nach
Norden sich allmählich senkende und mit der Thüringer Grenz|datte
verschmelzende Ilmphitte bildend. Im N und S der inneren Thüringer
Mulde finden diese grossen Muschelkalkgebiete ihre Verbindung in
><;hmalen , langgestreckten Höhenzügen, innerhalli deren jene früher
erwähnten, rostartig die östliche und we.stliche Flanke der Thüringer
Mulde verbindenden Muschelkalkquerriegel die Einheit derselben zu
unterbrechen scheinen.
Seiner Struktur nach zeigt der Minschelkalk , als ein in tieferem
Wasser abgesetztes Gestein , ein bei weitem feineres , innigeres und
festeres GütOge als der Buntsandstein — finden doch fast sämtliche
Fnterabteilungen des Muschelkalkes wegen ihrer Festigkeit techni.sche
Verwertung — und hat infolgedessen der Erosion und Denudation
weit erfolgreicheren Widerstand entgegenge.setzt als jener. Noch heute
bilden die höchsten Erhebungen am Bande wie im Inneren der Thü-
ringer Mulde Muschelkalkh(ihen, welche sich von ihrer Umgebung .scharf
durch ihre eigenartige Form abheben. Scharfe, zackige Bänder, steile
Abhänge, schmale, fast kammartig ziehende HöhenzUge sind, so fremd
diese Formen dem Huntsandstein sind, dem Muschelkalk eigen und
hissen sich am Ohmgebirge, am Dün. der Hainleite, Finne, Schmücke,
einem Höhenzug. ,der sich bis nach Eisenberg verfolgen Iä.s.st“, an den
.Vbhängen des Göttinger Waldes und Hainichs zum Werrathal, aus den
luehrerwähnten Bruchlinien. an denen die Schichtenköpfe zu Tage aus-
gehen. und an den tiefen Erosionsthälern der Unstrut, Wipper. Ihn und
Saale beobachten. Diese Thäler weisen, wo sie sich tief in den
-Muschelkalk eingegraben haben, oft fast .senkrechte, über 100 ni hohe,
steile Uferwände auf, die der menschlichen Kultur unzugänglich, ent-
weder mit undurchdringlichem Gestrüjip bewachsen sind, oder durch
die leuchtenden Farben ihrer kahlen Gehänge der Land.schaft ein eigen-
artiges Gepräge verleihend, die Augen des Wanderers schon von
weitem auf sich ziehen.
Infolge seiner au.sserordentlichen Festigkeit, seines innigen Ge-
füges und seiner äusserst langsamen Verwitterung in fast allen seinen
Unterabteilungen zeigt der Muschelkalk sich in einem höchst geringen
Masse günstig für die Landwirtschaft veranlagt, da es nur selten auf
seinen Feldern zur Bildung einer genügend tiefgründigen und huinoseu
Ackerkrume kommt. ,Die Verwitterung des Muschelkalkes durch Ein-
wirkung der atmosphärischen Niederschläge und durch Frost geht nur
äus.ser.st langsam vor sich und liefert meist nur spitze, scharfe Ge.steins-
trümmer" ohne eine milde Humusbeimischung. Zu dieser au und für
sich ungünstigen Veranlagung des Muschelkalkes kommt noch der
Lmstand, dass der Muschelkalk gleichfalls infolge der Geneigtheit .sei-
ner Schichten und Gehänge der Abschwemmung durch BegengUsse,
.Schneewasser u. s. w. in hohem Grade ausgesetzt i.st. und dadurch gerade
die feineren Verwitterungsprodukte entführt und die darunter liegenden
spitzen Gesteinstrümmer blossgelegt werden. Es muss dieser Umstand
für die auf Muschelkalk liegenden Felder von um so tiefer einschnei-
dender Bedeutung .sein, als die schwere Verwitterbarkeit des Gesteins
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C. Kiiesriimcher,
iOI)
[4lt
diese Verluste nicht oder nur in höchst unvollkonunenein Miisse zu
ersetzen vermag und infolgedessen an den auf Muschelkalk ansäs-
sigen Landmann hinsichtlich der Bearbeitung und Düngung des Bodens
die höchsten Anforderungen gestellt werden, denen derselbe aus später
zu erörternden Gründen nicht einmal immer zu genügen in der
Lage ist.
Zu dieser natürlichen ärmlichen Begabung des Muschelkalkes
kommt eine hochgradige Trockenheit und Dürre (vgl. dazu; Melchior
Nehl von Witstahl bei Merian. Topogr. sup.Saxon., Thuring. etc.. Frank-
furt ll).')0: .Thüringen scheint den Namen zu haben von Dürrungen.
deren es im Lande auf Höhen und Bergen sonderlich viel gieht. dahero
man die Bewohner Dürrengöver genannt von den dürren Gebilden oder
göven). Infolge der Geneigtheit der Muschelkalksehichten und der
dünnen, steinigen, humusarmen Krume flie.ssen die atmosphärischen
Niederschläge oberflächlich ah. die kostbarsten und fruchtbarsten Boden-
hestandteile mit sich führend oder sinken in den die Schichten des
Gesteins durchsetzenden Klüften und .Schluchten in die Tiefe, ohne der
dünnen V^erwitterungsdecke. welche die Feuchtigkeit infolge der höchst
durchlässigen Kigen.schaft des ,(irundes“ und der äusserst dürftigen
Beimischung des .Bodens* an Humus nur in sehr geringem Masse zu
halten vermag, zu gute gekommen zu sein. Viele der aiif Muschelkalk
liegenden Ortschaften leiden noch heute an dem empfindlichsten Wasser-
mangel, obwohl sowohl von seiten des .Staates wie der an Wasser-
mangel leidenden Gemeinden selbst alle nniglichen Opfer gebracht
worden sind, um diesen drückenden UebeI.stand zu be.seitigen und in
trockenen Sommern wenigstens Trinkwa.sser in genügender Menge zu
haben. Sind doch im Kreise Mühlhausen die auf Muschelkalk gelegenen
Gemeinden Struth und Eigenrieden gezwungen gewe.sen, erstere einen
92 Fiiss und letztere gar einen 142 Fuss tiefen Brunnen zu graben,
um nur Trinkwasser zu erhalten, und müssen doch noch heute zahl-
reiche Gemeinden auf der (Juerfurter uml Freiburger Hochfläche in
trockenen Sommern das Wasser für das Vieh oft stundenweit aus den
tief eingeschnittenen Flussthälern zu Wagen heranholen! Hin.sichtlich
des (irades der 'l'rockenheit weisen die Muschelkalkgebiete verschiedene
Verhältnisse auf. und werden diejenigen am ungünstigsten gestellt .sein,
welche im Wind- und Begenschatten oder auf den Südabhängen der
Höhenzüge gelegen sind, ein Umstand, der sich sowohl auf unserer
Karte wie auch in den Zahlen unserer Tabelle aussprechen wird. So
finden wir auf dem Ostabhang des ilainichs. weil im Wind- und Begen-
schatten belegen, ein äusserst troi-kenes Gebiet, dessen Dichte nicht
einmal überall die unterste gewählte Dichtestufe vtillig erreicht, ebenso
auf der Ilmplatte südöstlich Erfurt ein kleineres (iebiet auf dem Steiger
Wo die Karte in dieser Beziehung keinen Aufschluss zu geben vermag,
da auf ihr wegen des kleinen Ma.s.sstahes und der Vereinigung van
geologischen und Volksdichtekurven nur ein Teil der durch Bechming
gewonnenen Einzelheiten wiedergegeben wurde, treten die Zahlen hei-
gegebener Tabelle zur Ergänzung und Spezialisierung der Karte ein.
Dabei müssen natürlich (irebiete wie der (Juerfurter. Eckartsbergaer.
Merseburger Kreis u. a. unberücksichtigt bleiben, da hier der Muschel-
Die Volksdielite der Thiirimfisclien Triasmulde.
207
■Hl
kalk nicht eigentlich den .Boden", sondern, von einer mehr oder minder
mächtigen diluvialen Lehm- und Lössdecke überlagert, nur den .Grund"
bildet und daher hier andere V'erhältnisse vorliegen.
Wo sich eine söhlige Lagerung des Muschelkalkes auf grössere
Strecken findet, vermag er allerdings eine etwas mächtigere aber doch
immer nur unfruchtbare Ackerkrume zu liefern. Die Abschwemmung
ist hier auf ein Minimum beschränkt und kann sich daher Grundschutt
bilden. Da jedoch die Gewässer wegen der Undurchlä.s.sigkcit der
thonigen und lettigen (söhlig gelagerten Schichten) nicht abfliessen
können . so stauen sie sich und liefern so meist einen zähen . kalten,
äusserst schwer bearbeitbaren . na.ssen . galligen Boden . dessen Säure
und Strenge seine an und für sich vielleicht nicht unbedeutende Frucht-
barkeit in hohem Grade beeinträchtigt, abgesehen davon allerdings, dass
die Ertragfähigkeit solcher Gebiete meist infolge ihrer hohen exponierten
Lage durch klimatische Momente bedeutend beeinflus.st wird (Ifein-
holterode auf dem Eichsfeld). Von den eben geschilderten Eigen-
schaften des aus Muschelkalkverwitterungsmaterial zusammengesetzten
Bodens finden nur wenige und auch nur in seltenen Fällen Abweichungen
und .\usnahmen statt und findet sich neben einer genügend mächtigen
Ackerkrume das dem Getreide zuträgliche Ma.ss von Nässe. Ausnahms-
los fordert jedoch der Muschelkalk nach obigen Ausführungen eine
starke Düngung, um Ertrag zu liefern . der trotzdem nicht selten aus-
bleibt (Kefferhausen. Kreis Heiligenstadt). Eine genügend starke
Diliigung seinen auf Muschelkalk gelegenen Feldern zu geben, ist je-
doch der Landwirt nur unter Umständen in der Lage, z. B. in der
Nähe grösserer Städte, welche ihm billig die seinem .Acker nötigen
Itung.stoffe zu liefern vermögen. Denn wenn auch «lie auf Muschelkalk
gelegenen Felder nicht selten einen in der Beschalfenheit *) und Schwere
der Körner durchaus befriedigenden Ertrag liefern, so ist doch die auf
ihnen erbaute Strohmenge gering, da das Stroh infolge der kurzen
Wachstumsperiode, der dünnen Bodenkrume und der ungünstigen kli-
matischen Verhältui.sse nur kurz bleibt und zum grössten Teil zur
Fütterung des Viehes, zum geringsten zur Streu verwendet wird. Ist
es doch dem Landwirt des Eichsteides off erst Mitte .April l)is Mitte
Mai möglich, seine Frühjahrsbestellung vorzunebinen und hat das
•Sommergetreide bis zu seiner Ernte — Ende .luli liis .Anfang .Septem-
ber — eine Wachstumsperiode von nur lO.ö — 11.5 Tagen, die noch
d.azu durch die häufigen Nebel, Taue und Nieilerschläge in hohem Grade
beeinfiu.sst wird, welche die Ernte oft bis spät in den Herb.st hinaus
ausdehnen und das Getreide bisweilen nur Notreife erreichen lassen !
Infolge der oft langen Ausdehnung der Erntearbeiten kann mit der
Herbstbestellung erst spät begonnen werden — wird doch Weizen nicht
selten noch um W'eihnachten gesät I — Infolge der späten Herbstsaat
kann .sich das Getreide nur selten stark genug entwickeln und bestocken,
hat dann durch starke offene Fröste ohne Schneedecke zu leiden oder
') .\uf iliiaclielkalk (gewachsener Ko(;(jen und Weizen zeichnet sich durcli
eine besonders dünne Schale aus und wird von den (jrossen HandelsuiUhlen lieber
(fekauft als der dickscliali(;e russische RoirEren und Weizen.
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2()8 ^ ■ KaoseiiiiKhiT. [^42
erstickt zum grossen Teil numentlicli an den Nordlehnen der Felder
unter der lange liegenbleibenden Schneedecke !
Um daher den Ausfall in der Strohernte zu decken, muss der
Landwirt des Eichsfeldes, welches als Typus für tlie Muschelkalkgebiete
dienen kann . zu anderen Surrogaten greifen : Waldstreu . Moos und
nicht selten selbst Sägespäne. Es ist klar, dass durch diese Stolle die
Strohdilngung nur in höchst unvollkommenem Masse ersetzt wird , da
Waldstreu, abgesehen davon, dass dem Boden mit der in ihr enthaltenen
Gerbsäure unzuträgliche Stolle zugefOhrt werden, äusserst langsam ver-
wittert — wurden doch, nach den gütigen Mitteilungen eines Fach-
manns. in dem Boden eines mit Buchenwaldstreu gedüngten Ackers
noch nach sieben .lahren deutlich erkennbare Mengen un verwitterten
Bnchenlaubes festgestellt — und nur sehr geringe Mengen an Humus
liefert, was bei einem so armen, jeden Dünger schnell verzehrenden
Boden von um so tieferer Bedeutung sein muss. Diese Beraubung der
Wälder und des Waldbodens zu Gunsten der Aecker kann für die
Waldkultur selbst, zumal bei so ungünstigen Bodenverhältnis.sen. klär-
licherweise nur von äu.sserst schädlichem Einfluss sein.
Zu diesen eben geschilderten ungünstigen Verhältnissen der
Muschelkalkgebiete sei es endlich gestattet noch ein weiteres un-
günstiges Moment hinzuzufügen : Es ist dies der Mangel an guten
Wie.sen. Die wenigen Wiesen, welche vorhanden sind (Mühlhäuser Kreis
2,ä!> Proz., Kreis Langensalza 2.is Proz.. Sondershäuser ITnterherrschaft
0..-.S Proz. [!] der (iesamtflächet und. am Fuss der Muschelkalkberge
liegend, zum Teil erst kün.stlich durch Ablassen der ehemals dort vor-
handenen Seeen und Teiche ge.schaften worden sind, leiden in hohem
tirade durch Nils.se. infolge des Hervorbrechens von (Quellen an den
tiefer gelegenen Abhängen der Berge und liefern nur saures, höch.st
minderwertiges Gras, dessen an und für sich schon geringer Futterwert
nicht selten noch durch Verschlämmung durch die von den kahlen
Bergen herabstürzenden Sand und Schlamm mit sich führenden Wa.sser-
massen noch mehr verringert wird. Der Landwirt dieser Gegenden ist
daher zu bedeutendem Teil gezwungen, zur Holz- und Ackerweide zu
greifen, oliwohl in der letzten Zeit auch auf dem Flichsfelde der Futter-
ban bedeutend zugenommen hat!
Fis mag diese Verwendung vieler Berghänge zu Schafweide auch
zum guten Teil wohl mit darauf beruhen, dass durch die schlimme
Wirtschaft vergangener 'Lage (Eichsfeld, Erzbistum .Mainz. Königreich
Westfalen) viele Flächen dem Pfluge unterworfen sind, die ihrem
inneren Wert, ihrer Lage und den dadurch bedingten Boden- und klima-
ti.schen Verhältnissen nach sich nie zu Ackerland, sondern stets zur
Waldkultur nur eigneten, dass der Landwirt lange .lahre auf diesem
ärmlich ausgestatteten Boden Getreide baute und mit seinem bekannten
konservativem Sinn auch dann noch damit fortfuhr, als Getreidebau
auf diesen F’lächen überhau])t nicht mehr lohnte und unmöglich ge-
worden war. Als er sich dann dieser F]insicht nicht mehr verschlie.sseii
konnte, liess er die Flächen als Unland liegen oder besäte sie — im
günstigeren F'all — mit Gras, um sie als Schafweide zu verwenden.
[)ie Hufe der Herdentiere thaten dann da.s übrige, um diese Flächen
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43] l*!« Volksdielito der Thüringischen Triasmiiltle. 209
einer völligen Verödung und Verkarstung entgegenzut'ühren. Solche
meist durch eigene Schuld wertlos gemachte Gebiete wieder ertrag-
reich zu machen, indem man sie ihrer ursprünglichen Bestimmung, der
Holzkultur, wieder unterwirft, erfordert, wie man es heute zu .seinem
Schaden erfahren muss, ungeheure Opfer nach jeder Hichtung hin. Da
nun diese Opfer zu bringen der Lamimann jener ärmlichen Gebiete
selten oder nie, ausser etwa mit auf anderen Gebieten erarbeitetem Geld,
in der Lage war. .so unterblieb die Nachzucht von Holz ganz oder
wurde nur in höchst unvollkommener Weise betrieben . bis man in
un.seren Tagen von Staats wegen diese Opfer zu bringim sich entschloss,
um solche misshandelte Gebiete wie das Eichsfeld wieder einer besseren
Zukunft entgegenzuführen und gesundere Verhältnisse zu schatten. Aus
diesem Grunde .sehen wir auch in den am Kichsfeld beteiligten Gebieten
in den letzten .lahrzehuten die Ackerfläche in Ab- und die Waldfläche
in Zunahme begritten.
Das Ackerland hatte in den Kreisen Mühlhausen und Heiligenstudt
in den .Jahren 1837. 1849 und 18.'>2 eine Fläche iiine, wie aus bei-
«dehender Tabelle ersichtlich:
1837
1849
18.'i2
Fläche
Fläche
Fläche
in Morgen
in Morgen
in Moiyen
Kreis Mühllmusen . . .
. 104(>.')1 1
101831
1010.74
Kreis Heili(renstadt
. 1 90248 1
80089
80234
Umgekehrt sehen wir in den das Eichsfeld zu grösserem Teil
zusammen.setzenden Gebieten die Waldfläche zunehmen, ln den gleichen
■lahren stellte sich die Ausdehnung der Waldfläche
im Kreise Mühlhausen auf . 3;-t.i>48, 37.290, 37,300 Morgen
im Kreise Heiligenstadt auf . . 29,033, 31.378, .31,378
und endlich im Krebse Worbis auf 34.O0.Ö, .37,9.'>2, 38.018 ,
(V. Beck, -Das Eichsfeld und seine Bewohner“ im Archiv für Landes-
kunde der preussischen Monarchie“ 111. IH.äO. S. 114 tt.).
Es ist demnach der Muschelkalk hinsichtlich seiner Fruchtbarkeit
und Ausnutzbarkeit durch Bodenbau bei weitem schlechter gestellt als
der Buntsandstein. Dies beweist im allgemeinen sow’ohl die für den
Huntsandstein und Muschelkalk im ganzen ausgerechnete Mitteldichte
von 83,3 und 55 ,«m, wie dies auch aus der Gegenüberstellung der Mittel-
dichtezahlen dieser beiden Triasglieder in jedem einzelnen Staat.sgebiet
itervorgeht :
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210
(^ Kacseinncber,
[14
Tiihelle iler Mitteldichte des Buntsandsteins und
Muschelkalkes:
Ibintsand-
stein
Muscliel-
kalk
Krein Nonlhauseii
91), 5
di,7
, Worbis
94.J
8.S.,
. HeilidKnstadt ....
89,1
•'»7,9«
, .Mühlhausen ....
119.7
t>l,9
. (juerfurt .....
8i:,i
b.'i.i
. Wcissenfel.«
120.5
•iu,7
. Namnhur)?
82.5
79.S
Kiseimch
124.5
17.1
Weimar
99.7
48.0
Oothii
lÜO,.
47.7
.Altcnbur({, Westkrei« . . .
d9.i
19.1
Cniiiburtr
41, .
87,7
Kranichfeld
8,ti
47,07
Sondershausen . I'nterherrstdi.
39.«
Hudidstadt . Oberherrschaft
TO.s
.'>7.!)
Dass die V’erwaltungsbezirke Kranichfeld und (hiuihurg sich dieser
Tabelle nicht einordnen, dürfte auf besonderen Umständen beruhen: Iiu
Bezirk Kranichfeld nininit der Buntsandstein gegenüber dem Muschelkalk
nur ein ganz geringes Uebiet ein . während im Amt Camburg der
Muschelkalk dem Buntsandstein gegenüber deshalb dichter besiedelt
erscheint, weil sich auf ihm zu beiden Seiten der Saale die Ortschaften
häufen, welche auf dem bereits dem Aussenrand der Thüringer Trias-
mulde angehörenden Buntsandstein nicht so dicht bei einander liegen,
ein Umstand, der ersteres Gebiet dem letzteren gegenüber zu einem
dichter besiedelten macht.
Wie ausserordentlich ungünstig die Verhältnisse auf dem Muschel-
kalkboden liegen und welche bedeutende Auflockerung der Bevölkerung
auf ihm stattfindet, dürften folgende Zahlen beweisen, welche angeben,
welcher Prozentsatz von Gemeinden bez. Wohnorten mit dem ihnen
zugehörigen Gebiet in ilen zu bedeutenderem Teil auf Muschelkalk
gelegenen Staatsgebieten nur eine Mitteldi<'hte liis zu 7ö auf 1 qkni
erreicht (Spalte 2 und 0). Die erste Spalte giebt in diesen Staats-
gebieten die .\usdehnung des Musc.helkalkbodens an in Prozenten der
Gesamtfläche :
1
2
3
.Mühlhausen
6(i.«
44.«
4-5, 1
ban>;cn8alzu
49.5
82;«
78, fi
Kranichfeld
90.22
90.«
78.«
.\msladt
.59, «0
82.7
83.»
Sonderslmusen. l'nleiherrschuft .
.5:1, .0
Hii.3
80,1
Heiligenstadt
4:t,s
49.82
44.«
WtMinar
44.01
72.«
74,8
Wie bedeutend die Auflockerung der Bevölkerung auf dem Muschel-
kalk ist und wie extensiv der Bodenbaii auf ihm betrieben wird, nn'igen
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4.')J Kie Volksdiclite der Thllringisclien Triusiiiulde. 2 1 1
schliesslich noch folgende Zahlen beweisen . welche die Grösse einer
Gemeinde bez. eines \\'ohn])latzes auf dem Muschelkulkbixlen verschie-
dener Staatsgebiete angeben.
Es erreicht nämlich die Grösse einer Gemeinde be/,. eines Wohn-
platzes im:
Kreis Erfurt
7.1 ;
(|kni
■ Weissenfels ....
7.3. s
, Eckartsberga ....
!),mi
Kudolstadt. Unterherrschaft .
!(,i.i
Kreis Langen.salza ....
G.s.-.
f*
. Eisenach
!»,6 3
. Weissensee ....
St.« 7
, Mühlhausen . . . .
1 0,(1«
Herzogtum Gotha . . . .
10,1 11
m
Kreis Heiligen.stadt ....
10.3.-.
n
Sondershausen . Unterherrsch.
12,13
Kreis Nordhausen ....
lr»,9 3
«t
Wie überhaupt die menschlichen Siedelungen an das Vorhanden-
sein von Wasser gebunden sind . so sind sie dies auf einem Trocken-
gebiet. wie es der Miuschelkalk ist, ganz besonders. Es geht dies aus
dem Verlauf der Dichtekurven am Sildabhang des DUn, am Ostabhang
des Hainichs und im W der Ilmplatte hervor. Dieselben beweisen auf
das deutlichste das Gebundensein der Ortschaften an das Hervorbrechen
der Quellen an den unteren Muschelkalkgehängen.
Der Muschelkalk stellt nach all dem (ie.sagten ein Geliiet be-
deutender Volksauflockerung dar, dessen ärmliche, natürliche Begabung
noch durch seine vertikale .\nordnung und die darauf beruhenden kli-
matischen Verhältnisse in hohem Grade zu seinem Nachteil beeinflusst
wird. So .sehr auch der Muschelkalk als guter Baugrund anziehend
und verdichtend auf Volksmassen wirken könnte, so wenig wird er je-
doch von grösseren Siedelungen aufgesucht, die ihn entweder .völlig
meiden, oder sich nur am Bande finden. Dies dürfte seinen Grund
wohl we.sentlich in der lokalen Anordnung des Muschelkalkes innerhalb
der Thüringischen Mulde, ausserhalb der grossen Verkehrsstrassen haben,
welche eben dergleichen unwirtliche Gebiete thunlichst umgehen, zumal
dieselben auch infolge ihrer bedeutenden Erhebung nur ein Verkehrs-
hindernis bilden. Ueberall sehen wir deshalb den Muschelkalk von
Ei.seiibabnliuieu gemieden oder auf dem kürzesten ^V'ege geschnitten.
Der Muschelkalk erreicht daher nicht die Mitteldichte der Thü-
ringer Mulde. W'enn er dieselbe erreicht bez. überschreitet, so beruht
das entweder darauf, dass eine grössere Siedehmg von noch nicht
.'tOiiij Eiuwidinern eine kleine Insel grösserer Volksverdichtung auf der
Karte bervortreten Hess, wie das kleine Gebiet an der oberen lim
(•Stadtilm) oder auch darauf, dass der Muschelkalk, von Lehm und
Löss überlagert, wesentlich andere Verhältnisse aufwei.st und damit
meist eine Senkung und klimatische Begünstigung des Gebietes Hand
in Hand geht, wie dies auf der nördlichen Abdachung der Ilmplatte
und Thüringer Grenzplatte der Fall ist. Zwar entziehen sich diese
Gebiete als nicht unmittelbare und eigentliche INluschelkalkgeliiete unserer
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212
('. Krtfwimicln'r.
L4.i
Betraclituiijif. l <a sie jedoch noch der Thüringischen Triasniulde angehören,
so sei es auch ge.stattet. einen kurzen vergleichenden Blick auf beide
Gebiete zu werfen. Beide zeigen hinsichtlich ihrer Bodendecke dieselbe
Ausstattung: diluviale, oft eine bedeutende Mächtigkeit erreichende,
fruchtbare Lehm- und Lössbedeckung, beide die geringe vertikale Er-
hebung. Während jedoch das Querfurter Plateau im Wind- und Hegen-
schatten des Dün und seiner Fort.setzungen liegt, die mit ihrer aus-
gedehnten Waldbedeckung in hohem Grade verdichtend auf die mit
Wa.sserdampf beladenen Luftströmungen wirken, wei.st die Nordab-
dachuug der Ilmplatte diese Nachteile nicht oder nicht in demselben
Masse auf. Dazu kommt, dass das Querfurter Plateau fa.st völlig
aus.serhalb einer jeden Verkehrslinie liegt — andere Verhältnisse würde
entschieden der Anschluss der Sackbahn Eisleben-Halle-Querfurt nach
S an die Unstrutbahn oder nach 0 an die Saalbahn schatfen — , wäh-
rend die untere Ilmplatte den Sammelplatz wichtiger grosser Verkehrs-
stra.ssen bildet I Vereinigen sich doch innerhalb dieses Gebietes nicht
weniger als fünf wichtige, auch äusserlich durch Eisenbahnlinien ge-
kennzeichnete Strassenzüge : die Unstrutbahn aus der Goldenen Aue, die
Saalbahn von N und S, die Ilmbahn und endlich die Bahn aus dem
inneren Thüringer Becken von Sömmerda her. t.Imstände, die wohl
zur Genüge die verschiedenen Dichtegrade beider Gebiete erklären
dürften. Es stellt sich somit das Muschelkalkgebiet allenthalben als
dünnbesiedelt dar, welches, wenige Gegenden ausgenommen, in denen
das Vorhandensein von Verkehrsstra.ssen oder anderen sekundären Fak-
toren wirksam wird, die Mitteldichte Thüringens nicht erreicht. So
wenig aber der Muschelkalk durch Bodenbau ausnutzbar ist, so intensiv
wird derselbe techni.sch verwertet in fast allen seinen Schichten, zu
Pflastersteinen, Bausteinen und Striussenschotter. Wo er dicke, bänkige
Lagerung zeigt, wird er zu Werkstücken, Tränketrögen, Platten.
Schwellen u. s. w. verarbeitet. Namentlich wo er von einer mächtigen
Lehm- und Lössdecke bedeckt ist und hartes Baumaterial fehlt, wi.ssen
die Landleute ihn unter dieser Decke aufzufinden und als iiusserst ge-
schätztes Baumaterial zu verarbeiten. Doch liess sich hinsichtlich der
an diese technische Verwertung des Muschelkalkes geknüpften Industrie
nirgends ein merklicher volksverdichtender Einflu.s.s feststellen, ebenso-
wenig wie auch bei der Ausbeutung seines sekundären Produktes, des
Kalktuffes, der zwar überall als ein gesuchtes Baumaterial Verwendung
findet, aber bei seinem beschränkten und vereinzelten, meist wenig
mächtigen Vorhandensein nirgends einen erkennbaren Einfluss auf die
Dichte seiner Umgebung äus.serte.
Der Keuper.
Das jüngste Glied der Trias, der Keuper, ist als ein im grossen
und ganzen einheitliches Gebiet dem , schildförmigen *" Mu-schelkalk ein-
gelagert und nimmt mit einer mittleren Höhe von 150 — 200 m die
niedrigste Höhenstufe des 1'hüringer Landes ein (Hei.schel, Orobydr. Verh.
Tbüringens, giebt die mittlere Höhe des Mühlhäuser-Langensalzaer
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47 1 I***“ VolLsdiolitc der Thüringisehen Triasmulde. ‘21H
Beckens zu l'J-'« m. die der ürainnie- Wipjiacli-Gera-Schanibacli-
Edeiibach-Niederung zu 172 ni. die der Niederung von Wandersleben
l>is Sachsenburg zu 14!>ni; Cotta. Deut.schlan.ds Boden, die Mittelhöhe
der Thüringer Zentralimilde zu bOO — 700 Fus.« an).
Die Schichten dieser jüngsten Triasbildung finden sich nahezu
wagerecht (Credner, Uebersicht etc., S. 87, Oü) mit nur geringer .sattel-
tbrmiger Auf’biegung gegen den Band hin dein Muschelkalk an- bez.
ilbergelagert.
Ehemals durch die mehrfach erwähnten das Innere der Thüringer
Mulde durchziehenden Musehelkalkhöhenzüge in mehrere kleine Becken
getrennt, .stellt sich das Keupergebiet heute unseren Augen infolge der
Ero.sion als einheitliches dar. ln allen .seinen Unterabteilungen ist der
Keuper aus weichen, w’enig widerstandsfähigen Gesteinen zusammen-
gesetzt: Bunte Mergel, weiche Sandsteine mit stockförmigen Eiulage-
ningen von Gips- und Thonschichten durchsetzt, bilden einen Boden,
der fa.st in allen seinen Teilen an und für sich schon äusserst frucht-
bar ist und nur du. wo vorwiegend gipshaltige Mergel ihn durchsetzen,
einer Beimengung von Thon und Sand bedarf, um fruchtbar zu werden
(Cotta, Deutschlands Boden. S. tiO).
Infidge der ausserordentlichen Weichheit der den Keujier zu-
sammensetzenden Schichten bietet derselbe nirgends der V'^erwitterung
auch nur nennenswerten Widerstand, .sondern liefert allenthalben eine
tiefgründige, bauwürdige Krume, die um so wertvoller ist . als sie bei
der geringen Neigung der Schichten so gut wie nicht durch ,\bschwem-
muiig zu leiden hat und. infolge der jahrhundertelangen Benutzung
als .\ckerlund in höchster Kultur stehend, dem Landwirt hohe Flrträge
bei relativ geringen Ansprüchen an sein Kapital liefert. Infolge ilie.ser
Umstände bieten die Oberflächenforinen de.s Keuj)ers ähnlich dem Bunt-
sandstein ein äusserst einförmiges Bild : sanftes, breit hingelagertes, vmi
den .\lluvialauen der Bäche und Flüs.se durch.schnittenes Gehügel mit
nur äusserst geringen relativen Höhen, w'elches nur ganz vereinzelt
etwas steilere Abhänge aufweist und damit auch nur ganz unbedeutende
Schwierigkeiten der Bearbeitung des Bodens entgegensetzt, kennzeichnet
das Keupergebiet. Dasselbe weist an seinem Bande gegen den Muschel-
kalk hin längs den Bachläufen nur schmale Wiesenstreifen , dagegen
in seinen tiefstgelegenen Gegenden, dem Samtneigebiet fast sämtlicher
thüringischen Gewässer, weitausgedehnte, alljährlich überschwemmte
Kied- und Wiesenfiächen auf. Der Keujter zeigt demgemä.ss für den
Bodenbau eine äus.serst günstige Veranlagung. Credner, Uebersicht etc..
lOO ff., sagt darüber: „Die Verbreitung seiner Formation bestimmt
die Grenzen der eigentlichen Kornkammer dieses Landes. Die Gesteine
der Lettenkohlengruppe und ilie darauf ruhenden Wechsellager von
Mergel und Gips entsprechen den haupt.sächlichsten Anforderungen.
Welche an eine Gebirgsformation zu machen sind, .soll sie ein frucht-
bares Erdreich liefern: Da vereinigen sich Gesteine wie Mergelsandsteine,
welche durch Einwirkung der Atmosphärilien zu einer lockeren .‘Acker-
krume zerfallen, mit anderen, welche durch thonige und lettenartige
Be.schaffenheit , sei es ursprünglich, wie beim Schieferthon oder Gips-
thon, oder durch die Verwitterung hervorgebr.aeht. wie beim eisenschils-
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C. Kiie»(“iiiuclier,
L18
•J14
sigen Kalkstein oder Idoloinit. der allzugrossen Auflockerung des Bodens
ein Ziel setzen. Ausser diesem Aggregatzustand dieser Gesteine ist
auch die chemische Beschatfenheit dieses Bodens seiner Fruchtbarkeit
günstig. Hier wird schwefelsaure Knlkerde in geringen Mengen durch
Wasser aufgelöst, dort Chlornatriuni. dort mischt sich dann infolge der
N’erwitterung des iin Sandstein enthaltenen Glimmers und des Mergels
Kali hei und auch der Gehalt von kohlen.saurer Kalkerde und Eisen-
oxydulsalzen mag hefruchtend auf ihn einwirken. Zu dieser Frucht-
harkeit des Bodens kommt noch die geeignete Eigenschaft des Keupers,
als seine Unterlage, hinzu: Die Klüfte und Ablösungen der Mergel des
Gipses, des Dolomites und des Sandsteines, begünstigen den Abfluss
des überflüssigen Wassers, während die tieferen, thonigen Lagen der
Letteukohlengruppe ein natürliches Reservoir bilden, welches zahlreichen
(Quellen in der trockenen .lahreszeit die notwendige Xahrung liefert.
De.shalb zeichnen sich fast alle Niederungen zwischen den Höhenzügen
Thüringens, die ja wie oben ausgeführt, von Keuper erfüllt sind, durch
Fruchtbarkeit aus, nur in wenig Gegenden sieht man unfruchtbare
kahle Gehänge , in welchen die mächtigeren Lagen von reinem Mergel
zu Tage treten, wie z. B. an den Abhängen der Berge, auf welchen
sich die Ruinen der drei Gleichen erheben.“
Diese ausserordentlich reiche natürliche innere Begabung des
Thüringer Keuperheckeiis für Bodenbau wird aber noch vergrössert
durch die aus seiner lokalen, horizontalen wie vertikalen Anordnung
innerhalb der Tbüringer Mulde folgenden klimatischen Verhältnisse;
Fis stellt sich als eine Leeniederung dar. lin Wind- und Regenschatten
des Thüringer Waldes, Eichsfeldes und des Hainichs belegen, genies.st
es, durch die zahlreichen an der Grenze von Mu.schelkalk und Keuper
hervorbrechenilen tjuellen hinreichend bewikssert. allerdings eines relativ
geringeren Niederschlages hinsichtlich der .Menge, als die umliegenden
liandhöhen *), dafür aber einer gün.stigei'en V'erteilung dieser Nieder-
schläge. .lene heftigen, bedeutende Wasserniassen auf einmal nieder-
schlagenden Regengüsse sind dein Keupergebiet fremd , welches sich
dafür häufigerer Niederschläge und damit einer häufigeren, für die
Fruchtbarkeit seiner Felder wichtigen Benetzung erfreut. Daher sind
jene Nachteile, welche die Buntsandstein- und Mu.schelkalkhöhen durch
Abschwemmung ihrer dünnen Bodenkrume erleiden, auf den Fluren des
Keupers infolge seiner Oberflächenformen und Niederschlagsverhältnisse
auf ein äusserst geringes .Ma.ss beschränkt.
Hand in Hand mit diesen Niederschlagsverhältnissen geht eine
geringere Luftfeuchtigkeit, eine geringere Bewölkung, und damit eine
relativ hohe Luftheiterkeit, welche infolge der intensiveren Bestralilung
der Sonne von höchster Bedeutung für die Entwickelung des Chlorophylls,
') Meitzcn, Der Boden und die liindwirtscli. Verhältnisse des preuss. Btautes
fs. 134.
Winter Frühlini; Sommer Herbst
Thürin({en .... d.rs Par. Zoll, Par. Zoll. 8,47« Par. Zoll, .'i.oi Pur. Zoll.
Harz 7,»i , 7,»« , 11.4« , 7,ss ,
Thilrini^en im .lalir 22.;r. Pari.^er Zoll.
Harz „ , :l:’i,4j ,
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Die Volksdichtc der Thüringischen Triasmulde.
49]
2ir>
des Blattes und der Pflanze überhaupt sein muss (Meitzen a. a. ().,
Zahl der Sonnentage für Erfurt im März, April, Mai, .luni; höchste
Zahl 87, niedrigste :J4). Jene häufigen Nebel und schädlichen Taue,
die den Bodenbau auf dem Eichsfeld, wie überhaupt auf den höher
jielegenen Fluren Thüringens in so hohem Grade beeinträchtigen, sind
dem Keupergebiet fremd. Zwar begünstigt die tiefe Lage des Keuper-
beckens im Winter die Ansammlung eines „Seees eiskalter Luft* (,der
Abfluss der niederungsnahen Höhen“), doch wird der schädliche Ein-
fluss, den diese Kälte auf die Saaten hahen könnte, durch eine relativ
hohe Schneedecke (30 — 50 cm, Assmann) aufgehoben oder wenigstens
tjedeutend gemildert. Infolge dieser hohen Schneedecke bei niedriger
Temperatur bleiben die Saaten von dem für sie so ungemein schädlichen
häufigen Wechsel von Frost- und Tauwetter verschont bez. ist der-
selbe nur in sehr geringem Masse vorhanden (Meitzen a. a. 0., S. 142,
Frostwechsel für Erfurt 1849 — 1864:
Februar: durchschnittlich 6,s, höchste Zahl f>, kleinste Zahl 4,
März: „ 6,s«, , , 12, . , 3,
April. „ 3,6 i>, „ „ 8, „ „ 1),
Bereits Anfang März ist es dem Landmann möglich, seine Sommer-
saaten zu bestellen, die allerdings zuweilen von den sich bis in den
Mai hin einstellenden Frühjahrsfrösten zu leiden haben (Meitzen a. a. 0. :
Frühester Eintritt des letzten Frostes für Erfurt [1840 — 1864] 2. April,
spätester 6. Mai, durchschnittlich 10. April). Mit Ende Juli tritt die Ge-
treideernte ein und ist am Anfang bis Mitte September beendigt. Der
Landwirt des Thüringer Beckens kann so sein Winterfeld früh bestellen,
und in günstigem Fall bereits zugesät haben, wenn auf den Höhen des
Eichsfeldes der Hafer noch auf dem Halme steht! Rechnen wir daher
die Zeit der Vegetationsperiode zu 150 Tagen und ziehen wir in Be-
tracht, dass dieselbe von einer relativ hohen Wärme beherrscht wird
(Meitzen a. a. 0., S. 143, für Erfurt: Zahl der Tage zwischen dem
ersten und letzten Tage von 15" R. Tagesmittel:
Durchschnittszahl 07,
höchste Zahl 126,
niedrigste Zahl 71)
und das Thüringer Zentralbecken eine Mitteltempcratur von 0.:. auf-
weist, so erklärt sich wohl aus diesen wie allen übrigen berührten
Punkten zur Genüge die hohe Begünstigung des Thüringer Keuper-
beckens für Bodenbau:
,Das Land ist allenthalben fruchtbar von Gedayde, trägt den
be.sten W'eizen, Gerste, Hafer sambt allerhand schönen HüLsen-
und Gartenfrüchten ; um Erfurt, Jena (meridionale Erstreckung des
Saalthaies, starke Insolation), Klingen, Thoma und hin und wieder,
an anderen Orten wird ein ziemlich guter Wein gebaut* (Merian.
Top. sup. Sax., Thur., etc., Frankf. 1650, S. 10)
passt auch auf die heutigen Verhältnisse des Thüringer Zentralkeuper-
beckens.
• Es ist nach eben Gesagtem natürlich, dass fast das ganze Keuper-
gebiet dem Pfluge unterworfen und arm an Waldbedeckung ist.
Fonrhnngen zur deutschen Landes- und Volkskunde. VI. i. lö
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216
C. Ka^emacher,
[50
1
2
3 4
Kreis Mühlhausen
24,04
1)3,16
2.2,
24.34
Weimar
43.01
71, s«
4,60
14,44
Kreis Langensalza
50,1«
78,21
2,28
10,04
, Erfurt
70,18
79,t5
;‘t,o4
7,et
, Weissensee
9;L«o
83,2»
. 6,20
1.2«
(Spalte 1 giebt den Anteil des betreffenden Staatsgebietes an der
Keuperbedeckung, Spalte 2 die Ackerfläche, 3 die Wiesenfläche, 4 die
Waldtiäche in Proz. der Gesamtfläche an.)
Deutlich ist aus dieser Zusammenstellung ersichtlich, dass mit
dem Wachsen des Anteils dieser Staatsgebiete an der Keuperbedeckung
die Fläche des landwirtschaftlich benutzten Bodens zu-, die Waldbe-
deckung dagegen abnimmt!
Hierzu sei es gestattet, noch einige kleine Teilstaatsgebiete, die
zum Teil in eben zusamniengcstellter Tabelle schon mit enthalten sind
(Weimar) hinzuzustellen, die zum grössten Teil aus Keuperboden be-
stehen, für welche jedoch den numerischen Anteil an der Keuper-
bedeckung wegen Mangels an geeignetem Karten material zu bestimmen
unmöglich war.
Acker-
land
1
Wiesen
Holzg.
A.-G. Vieselbach
79.01
3,22
9,22
Herzogtum Gotha
79,69
4.07 1
7.91
A.-G. Apolda
, Gr.-Rudestedt
84,24
4,83 1
1 2,11
85,2 4 ■
.5,22 ;
1 2,41
Dass jedoch diese Waldarmut des Keupergebietes keine ursprüng-
liche , natürlich gegebene ist , sondern erst das Ergebnis jahrhunderte-
langer Kultur, welche alles durch Bodenbau nutzbare Gebiet dem
Waldbau entzog und dem Pfluge unterwarf (vgl. Eichsfeld!), geht aus
den Namen einiger Orte hervor, die jetzt in völlig waldfreier Gegend
liegen: „Herrnschwende, Abtschwende, Ober- und Niedertopfstedt geben
ihrer Etymologie nach den Beweis, dass diese Orte einst im W^ald be-
legen waren“ (Reischei, Orohj’dr. Verhält, u. s. w. S. 38, und v. Hagke,
Urkundl. Nachrichten über die Städte, Dörfer und Güter des Kreises
Weissensee, S. 375 u. 465).
Aus oben angeführter Tabelle lässt sich auch im allgemeinen
ersehen, dass auf das engste die Zunahme der Wiesenflächen mit der
vertikalen Anordnung dieser Gebiete zusammenhängt, d. h. dass je mehr
sich diese Gebiete dem zentralen Teil der Thüringer Mulde, dem Sammel-
gebiet der Thüringer Gewässer nähern, auch die Wiesenfläche in diesen
Gebieten zunimmt, um schliesslich im Kreise W^eissensec mit 6,so Proz.
der Gesamtfläche den höchsten Wert zu erreichen.
Hinsichtlich der Anordnung der Siedelungen sehen wir auch im
Keupergebiet die Thatsache auftreten, dass die Ortschaften das Zuviel
wie das Zuwenig von Wasser meiden. Mit nur geringen und seltenen
Ausnahmen sehen wir einerseits die Ortschaften des Keupergebietes an
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51]
Die Volksdichte der Thilringiechen Triasmulde.
217
die Wasserläiife gebunden, während sie andererseits das Ueberschwem-
mungsgebiet der Gera-Ünstrutaue ängstlich meiden und auf einer höheren
üferterrasse liegen. Aber auch diese Verhältnisse sind erst gewordene;
auch das Ueberschwemmungsgebiet dieser Flüsse war ehemals reicher
mit Siedelungen besetzt, als es jetzt den Anschein hat. Dies beweisen
die ehemals hier belegenen und nun verschwundenen Orte, z. B. Münster-
gehofen im Gerathai: „Alle noch vorhandenen Dörfer haben das Ueber-
schwemmungsgebiet gemieden und sich am Rande auf Lehm und Löss
niedergelassen, während die verschwundenen (alle bezeichnenderweise
auf „dorf“ endigend, wohl auf ungünstigem Boden sich anzubaueii
gezwungen) auf dem Ueberschwemmung.sgebiet selbst liegen, aber doch
wenigstens auf Erhöhungen. Noch vorhandene Rieddörfer: Schirmdorf,
Waltersdorf, Riethgen, auch auf Erhebungen liegend, aber doch den
Ueberschwemmungen häufig ausgesetzt“ (Reischei, Ansiedelungskunde
von Mittelthüringen, S. 45). Es wirken demnach die ausgedehnten,
noch heute alljährlich überschwemmten Ried- und Wiesenflächen in
gleicher Weise auf lockernd auf die Bevölkerung, wie die dürren Bunt-
sandstein- und Muschelkalkgegenden (vgl. das kleine Gebiet niederer
Volksdichte nördlich der Sachsenlücke inmitten eines Gebietes mit einer
Dichte von 250 — 275 auf 1 qkm). Das Keupergebiet wird demnach
vorwiegend landwirtschaftlich durch Bodenbau ausgenutzt, was auch die
Zahlen für die Arealgrösseu der Gemeinden bez. Wohnplätze andeuten.
Interessant ist in solchen Gebieten, in denen Buntsandstein sowohl wie
Keuper vertreten ist, der Umstand, dass das durch die Natur so reich
ausgestattete Keupergebiet doch eine ausgedehntere Lage seiner Ortschaf-
ten hat, als das ungleich ärmlicher au.sgestattete Buntsandsteingebiet,
welches aber dafür unmittelbar an den grossen westöstlichen Zugstrassen
nördlich des Thüringer Waldes und südlich des Harzes liegend, attra-
hierend und verdichtend auf die Bevölkerung gewirkt hat.
Vergleichstabelle der Arealgrösse der Buntsandstein- und
Keupergemeinden in den aus diesen Bodenarten zusammen-
gesetzten Staatsgebieten.
Buntsandstein
Keuper
die SlidU) über soOfl Kinwobner.
Ein-
Aus* 1
Ein-
Aus*
gesL'hlossen
f^eschlosspu
ecschlosBon
geschlossen
i|km
qkm
qkm
qkm
Kreis Ueiligenstadt
4.08
4,16» 1
4, SO
. Mahlbausen
—
6,18
8,188
8, es
, Eckartsherga
—
7,j.
—
6,18»
, Eisenach
3,484
4,111
—
3,88
Sachsen-Weimar (Rest)
4, OS
4,17
6,2»
6,s»
Sachsen-Gotha
—
.5,&S9
6.S0S
6,73
A.-G. Amstadt
—
3,8 18
5,448
5,78
Rudolstadt, Ü.-H
—
33,87
—
11.18
Sondershausen. U.-H
12,88
14,88 j
—
6,88
Mittelgrosse einer Gemeinde in diesen
Bezirken
5.19
5,88
6,88
6,88
Mittelgrosse ein. Gemeinde d. Buntsand-
stein- u. Kenpergebietes Oberhaupt
5.I9S
5, »so 1
6,884
6,880
Diyiiized bv (Google
C. Knesemacher,
•2 IR
Eine Ausniihnie von der oben aufgestelltcn Fordenmg der geringeren
Arealgrösse einer Buntsundsteingemeinde gegenüber einer, auf Keuper
bclegenen Gemeinde machen die Kreise Eckartsbergu , Eisenach, die
Rudolstiidter und Sondershäuser Unterherrschaft. Die Sonderstellung
dieser Gebiete wird jedoch sofort durch einen Blick auf die Karte er-
klärt. Derselbe zeigt, dass die Buntsandsteingebiete in Hede stehender
Verwaltungsbezirke einerseits abseits jener mehrfach erwähnten grossen
Verkehrsstrassen liegen und andererseits reine Waldgebiete sind. Infolge
dessen müssen die auf denselben belegenen Gemeinden die Keuper-
gemeinden an Arealgrösse ttbertreffen, da ja — besondere, auch hier
nicht vorliegende, Verhältnisse ausgeschlossen — die Ausnutzung des
Bodens durch Waldwirtschaft extensiver betrieben wird und weit weniger
Arbeit.skräfte zu beschäftigen und zu ernähren vermag, als diejenige
durch Ackerbau. (Das Buntsandsteingebiet des Kreises Eckartsbergu
nimmt das fast durchweg mit Wald be.standene Plateau der Finne und
Hohen Schrecke, dasjenige des Eisenacher Kreises die unmittelbarsten
Buntsandsteinvorberge des Thüringer Waldes ein; ebenso haben die
Buntsandsteingeineiuden der Sondershäuser Unterherrschaft die dicht-
bewaldeten zwischen Helme und Wipper sich ansbreitenden Vorberge
des Dün und der Hainleite besetzt, ln der Hudolstädter Unterherrschaft
wird die ausserordentliche Grösse einer Buntsandsteingemeinde durch
den eigentümlichen Verlauf der (ircnzen des Staatsgebietes und der
Verbreitung des Buntsandsteins hervorgerufen , indem so Göllingen als
einzige Gemeinde des ganzen 33.sv cjkm umfassenden Buntsandstein-
gebietes abge.schnürt wird.) Im übrigen zeigt jedoch vorstehende kleine
Tabelle, dass die mittlere Arealgrösse einer Buntsandsteingemeinde in
oben zusammengestellten Gebieten wie in der gesamten Thüringischen
Trias überhaupt hinter der mittleren Arealgrösse einer Keupergemeinde
zurücksteht.
Stellen wir alle Gebiete zusammen, die zu bedeutendem Teil
eine Keuperbedeckung aufweisen, so sehen wir, dass zwar der höchste
Prozentsatz der Gemeinden mit den ihnen zugehörigen Gebieten die
Mitteldichte Thüringens nicht erreicht (weil der Keuper landwirtschaft-
lich vorwiegend benutztes Gebiet darstellt), da.ss aber dann die nächste
Dichtigkeitsgruppe überall einen bedeutenden Prozentsatz der Gemeinden
bez. Wobnpiätze und ihrer Arealflächen umfasst und auch die höheren
und höchsten Dichtigkeitsstnfen einen immerhin bemerkenswerten Pro-
zentsatz in dieser Richtung aufweisen. Dabei ist wiederum anziehend,
zu sehen und scheinbar mit der sonstigen reichen Ausstattung des
Bodens nicht in Einklang zu bringen der auf die unterste Dichtigkeits-
stufe entfallende Prozentsatz der Gemeinden und ilrres Areals in den
Kreisen Weissemsee und Erfurt. Doch dürften sich diese Zahlen bei
ersterem Gebiete aus den ausgedehnten Ried- und Wiesenflächen und
bei letzterem auch noch aus seinem Anteil an den unfruchtbaren,
waldbedeckten und dünnbesiedelten Höhen des Steigers und der Wagd
erklären.
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Bip Volksdichte der Thilrinffischen Triasnmlde.
210
ö:t]
75
125 •
— 175
üeber 175
naf 1 qkm
auf 1 qkm
anf 1 qkm
auf 1 qkm
0
e
0 1
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0
0
des
der
Gemein*
den
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der
Uemein-
den
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(Jemein*
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der
Gemein*
den
Areals
Areals
Areals
Areals
Kreis Eckartaberga . .
"Ij
67,7
19.»
19.S
7.»
12.1
1.2
0.1
. Langensalza . .
82.»
73, e
17, s
26,3
—
—
—
—
. Weissensee . .
.54.1
40,6
39.»
51.«
2.«
0.»
2,.
7.3
, Erfurt ....
57.0
53.»
33, T
39,3
4.7
8.6
4,6
8,n
.saclisen- Weimar (Rest)
72.»
74..1
20.»
20,0
2.»
1.6
3.»
3,0
Sachsen-Gotha . . .
61.»
66.7
23.J
i
21,0
6.»
4.9
8,1
6.9
Da jedoch die Landwirtschaft und der Bodenlmu seihst bei den
günstigsten Verhältnissen (Gartenbau und Anbau von Handelsgewächsen
um Erfurt vielfach auf Keuper) immer nur eine beschränkte Anzahl
von Bewohnern zu ernähren vermag, so lässt sich hieraus allein die
Volksdichte von 75 — 125 auf 1 qkm des Keupergebietes nicht erklären.
Zu dieser blühenden Landwirtschaft kommt eine überaus lebhafte In-
dustrie, welche die Roherzeugnisse der Landwirtschaft verarbeitet und
dadurch den Bodenbau in Bezug auf Intensität und Extensität in
hohem Masse beeinflusst, ohne dass der Landwirt fürchten müsste, für
sein Getreide keine Abnehmer zu finden, da ihn in diesem Falle die
bequemen und weitverzweigten Bahnverbindungen in den Stand setzen,
seine Erzeugnisse an entfernteren Plätzen zu vielleicht besseren Preisen
auf den Markt zu bringen. Diese Möglichkeit dürfte jedoch in den
seltensten Fällen eintreten, da der lebhafte Betrieb der Industrie im
eigentlichen Thüringer Becken sowie einiger Zweige des Bodenbnues
z;ihlreiche menschliche Arbeitskräfte fordert, abgesehen davon, dass im
Keuperbecken selbst wie am Rande desselben grosse Städte liegen, die
vorwiegend dem Keupergebiet ihre Brotstoffe entnehmen dürften, um
sie teils selbst zu verbrauchen oder den nicht genügende Mengen von
Brotstoffen hervorbringonden Muschelkalk- und Buntsandsteingebieten
zuzuführen. Es besteht .somit hier zwischen Bndenbau und Industrie die
lebhafteste Wechselbeziehung. Ein wie bedeutender Bruchteil der Bevölke-
rung der Keupergebiete der Industrie angehört, dürfte aus folgenden
Ziffern hervorgehen. Die Zahlen sind entnommen der Berufsstatistik vom
5./Ö. 1882 in der Statistik des Deutschen Reiches, N. F., II, S. 1884.
Es gehören von lllOO Einwohnern folgender Gebiete der Industrie
einschliesslich Bergbau und Bauwesen (Spalte 1) und dem Handel,
V’erkehr und Gastwirtschaft (Spalte 2) an:
1
2
Mühlhausen, Landkreis ....
645
119
, Stadtkreis ....
372,.
89.«
Kreis Langensalza
827,0
58.«
, Weissensee
310,0
61,9
Erfurt, Stadtkreis
510,0
189,3
, Landkreis
242,3
51,4
Weimar
823,3
77
Apolda
410,.
76.4
L.-A. Gotha
294,1
52,0
Digitized by GOogle
220
C. Kaesemacher,
[54
Die technische Verwertung der im Keupergebiet vorkoramenden
Gesteine und Mineralien ist gering und nur von untergeordneter Be-
deutung. Zwar werden die Sandsteine und Gipse des Keupers zum
Brennen und Bauen an vielen Orten, wie bei Deinsdorf, Backleben,
Klein-Vargula, Gross-Urleben, Straussfurt, Dachwig, Walschleben und
a. a. 0. gebrochen, doch liefern die Gesteine des Keupers wegen ihrer
geringen Festigkeit immer nur ein Baumaterial von massiger Güte, das
nur in Ermangelung eines besseren Verwendung findet und stets nur
von lokaler Bedeutung ist. Ehemals wurden auch an verechiedenen
Stellen , wie z. B. bei Altenbeichlingen die Lettenkohlen führenden
Schichten des unteren Kohlenkeupers abgebaut, doch waren die erbauten
Kohlen von allzu geringer Güte und Mächtigkeit, als dass sie den Abbau
lohnten, so dass man bald von ihrem Gewinn abstand. An einigen
Orten verwendet man die roten Keupermergel zur Verbesserung des
Ackerbodens, z. B. bei Bollstädt. oder benutzt die graugrünen, leicht
zu einem zähen Thon zerfallenden Letten des Kohlenkeupers zur Ziegel-
fabrikation. Kurz, die technische Verwertung der Gesteine des Keupers
ist im ganzen von geringer Bedeutung, wenn auch eine lokale Bedeutung
einiger auf Ausbeutung seiner natürlichen Bodenschätze begründeter
Industriezweige, wie der Salinen bei Erfurt, Stotternheim, Buf leben,
Kreuzburg u. a. nicht geleugnet werden kann ; ebenso unbedeutend ist
auch die Ausbeutung der jüngsten Alluvialablagerungen des Keuper-
gebietes durch Torfstich und Vitriolsiederei. Nirgends konnte in letz-
terer wie ersterer Bichtung ein bedeutenderer oder auch nur merkbarer
allgemeinerer Einfluss auf die Verdichtung der Bevölkerung nachge-
wiesen werden. Hinsichtlich seiner natürlichen Bodenbegabung stellt
sich somit das Keupergebiet als das am meisten begünstigte dar, und
weist in seinen Bevölkerungsverhältnissen die grösste Gleichmässigkeit
auf, namentlich jenen dichtbesiedelten Buntsaudsteingebioten am Hüd-
fu.sse des Harzes und Nordabhang des Thüringer Waldes gegenüber.
Seine dichte, aber nicht übermässig dichte Besiedelung verdankt es als
eigentliches Nährgebiet Thüringens, dem intensiven durch Handel und
Industrie gestützten und gesteigerten Bodenbau und der glücklichen
Wechselwirkung und Verbindung dieser Erwerbszweige.
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55 ]
Die Volkedichte der ThüringiBchen Triasmulde.
Tabelle I.
Ausdehnung und Bewohner der einzelnen Triasglieder.
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Tabelle II.
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Die Volksdichte der Thüringischen Triasniulde
Tabelle 11.
Die den einzelnen Dichtegruppen ungehSrenden iiruuhteile der Gemeinden
mit ihrem zugehörigen Areal.
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75
( — 125
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175
— 2 S 6
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226 C- Kaesemacher, Die Volksdichte der Thüringischen Triasmiilde. f'ift
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Vorliegende Arbeit ist dem Interesse des Verfassers an seinei
engeren Vaterlande Thllringen, welches er in seinem südlichen Te
durch gelegentliche Wanderungen, in seinem nördlichen Teil durc
längeren Aufenthalt kennen zu lernen Gelegenheit hatte, entsprungei
Dieselbe wurde seiner Zeit bei einer hohen philosophischen Fakultä
der königl. Universität zu Marburg als Dissertationsschrift eiugereicl
und gelangte durch gütige Verwendung des Herrn Prof. I)r. Th. Fische
(Marburg) in den ,For.schungen“ zum Abdruck.
Obgleich demnach die Arbeit als eine Erstlingsarbeit den strengen
wissenschaftlichen Anforderungen der .Forschungen“ nicht oder nt]"
zum Teil genügt, so dürfte dieselbe vielleicht doch nicht jedes Werte
bar sein, da der Verfasser in ihr zu grossem Teil Selbstgeschaut
und Selh.sterfahrenes niedergelegt hat und durch eigene Anschauung
eines gros.sen Teils des behandelten Gebietes und persönlichen Verkeb
mit seinen Bewohnern so allgemeine Gesichtsjninkte gewonnen zu habeJ
glaubt, dass er dieselben auch auf diejenigen Gebiete, welche selbsj
kennen zu lernen ihm versagt war, überall da, wo es ihm auf Grunf
erreichbaren litterarischen und kartographischen Materials zulässig ei
.schien , angewendet hat. Wenn demgemn.ss auch die Gesichtspunkto,|
unter denen die Arbeit ges(^hrieben ist, vielleicht als allzu ein.seitij
erscheinen , so hat Verfasser es doch als durchaus im Sinne der ge-
stellten Aufgabe betrachtet, die ))riniären, .bodenständigen“ FaktorenJ
der Volksverdichtung bez. Auflockerung besonders stark zu betonenj
und die sekundären, historischen und diejenigen, welche nicht unmittel-
bar mit der Eigentümlichkeit des Grundes und Bodens Zusammenhängen,!
nur mehr zu streifen und etwa zur Erklärung vorhandener Verhältnissei
gelegentlich heranzuziehen, wenn dann ferner die Art und Weise der]
Ausmessung des Anteils der verschiedenen Verwaltungsbezirke an den
einzelnen Bodenarten, so genau und sorgfältig dieselbe auch ausgcfülirt
wurde, nicht genügen kann, so möge man dies entschuldigen mit Rück- '
sicht auf die unvollkommenen Hilfsmittel, welche dem Vei'fasser zur
Verfügung standen, mittels deren er immerhin nicht ganz unbrauchbare ||
Ergebnisse erzielt zu haben glaubt. 1
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HO Seiten. Preis M. 7. 50.
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niarks, Kärntens und Krains, nach ihren geschichtlichen und örtlichen Verhältnissen,
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üeberblicke, von Prof. J. B. Kordhoff in Münster. 1889. 35 Seiten. Preis M. 1.20.
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europa, von Dr. E. Schulze in Quedlinburg. 1890. 16 Seiten. Preis 60 Pfennig,
ifl 8. Der Seifenbergbau im Erzgebirge und die Walensagen, von Dr. H. Schurti
in Loschvvitz. 1890. 82 Seiten. Preis M. 2. 60.
ift 4. Die deutschen Buntsandsteingebi ete. Ihre Oberflächengestaltung und anthropo-
geographischen Verhältnisse, von Dr. Emil Küster in Berlin. 1891. 102 Seiten.
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tft 5. Zur Kenntniss des 'aunus, von Dr. W. Sievers in Giessen. Mit einer Karte.
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m C. er Thüringer Wald und seine nächste Umgebung, von Dr. Hermann
Pröscholdt in Meiningen. 1891. 51 .Seiten. Preis M. 1.70.
ift 7. Die Ansiedelungen am Bodensee in ihren natürlichen Voraussetzungen.
Eine anthropogeographische Untersuchung, von Dr. A. Sc.hlatterer in Freiburg i. B.
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Baud VI.
ft 1. Die Ursachen der Oberflächengestaltung des norddeutschen Flach-
landes, von Dr. Felix Wahnschaffe in Berlin. Mit 5 Lichtdtucktafeln und
F 25 Textillustrationen. 1891. 166 .Seiten. Preis M. 7. 20.
■ft 2. Die Volksdichte der Thüringischen Triasmulde, von Dr. C. Kaesemacher
t in Marburg. Mit einer Karte. 1892. 60 .Seiten. Preis M. 3.20.
Die weiteren Hefte werden unter anderem folgende Arbeiten bringen;
G. Berendt (Kbnigl. Landesgeologe und Professor an der Universität Berlin), Die nord-
deutschen Uistromsystcme.
ItR. Blasius (Braunschweig), t'ber Zugverhältnisse und Verbreitung der Vögel in Deutschland.
F- R. Credner (Prof, an der Universität (Jreifswald), Die Insel Rügen.
H. Haas (Privatdozent an der Universität Kiel), Der Boden von Schleswig-Holstein.
A. Jentzsch (Prof an der Universität Köni^berg), Der Boden Ost- und Westpreussens.
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■•tE, Petri (Prof, an der Universität St. Peti'rsburg), Die deutschen Kolonien ini europäischen
I I Russland. ^
.
Geographischer Verlag von J. Engelhorn in Stuttgart. ^ J
Anleitung zur Deutschen Landes- und Volksforschung
bMTb^itet TOD A. P«Hrk, ti. Benkvr. 1. Kickeahafea, R. AfttmaaB, 0. Drada, BT. RanikaU, O. KackarlM.
J. Uaakey P. KaaffaiaaB, t. Jaba, A. MvItxaB) W. (tSts.
Im Anftrag der Centralkommission für wissenechaftliche Landesknnde von DeatseUaod
henuMTairebM von
Alfred K i r c h h o f f .
Mit einer Karte ond 5 m Abbüdangen im Text. Preia Mark K . —
Bibliothek geographischer Handbücher.
Herausgegeben von Prof. Dr. Friedrich Ratzel in Leipzig.
Aiithropofjeogrraphie
od.r
Qnmdzüge der Anwendung der Erdkunde auf die Geschichte
von Dr. Friedrich Katzel,
Profpii.nr der Oeogrsphie u der Unlversittt Leipzig.
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Anthropogeographie.
Zweiter Teil:
Die geographlMt'he Verbreil niig des .HenMehen
von Dr. Friedrich Katzel.
• Fre i» Mark 18 . —
Handbuch der Klimatologie
von Dr. Julius Hann,
Direktor der meteorol. Zeutraiamtait niid rrofoMor ac der CDlversitlt ln Wien.
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Handbuch der Ozeanographie
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Prof. Dr. G. von Boguslawski, und Dr« Otto Krümmel^
cbtM. a»kU«aereraU«e !■ BjrdrofrapbiMbea AmI der Kal«. fr«f«»eor ■» der U&iveratUI oed Lehret «a dar ■arla«>
dvoDcbea Adaiiraliili la Berlin. Aksdrail« la KM.
Band T. Ktnroliche, physikalische und chemische Beschaffenheit der Oseane.
Von Dr. Georg von Boguslawski. Preis Mark 8. 50.
Band II. Die Bewegnngsformen des Meeres, von Dr. Otto Krümmel. Preis M. 15. —
Handbuch der Oletschcrkiinde
von Dr. Albert ilciin,
Professor der Geologie am Scbweizeiisohon Polytechnikum und der Dniveraitkt in Zttrioh. ,<
Preis Mark 13.50.
• Allgemeine Geologie
von I) r. Karl von Fritsch,
ProfOBdor au dar UnlveratlAt In Halle.
Preis Mark 14. —
Handbuch der Matliematischcn Geographie
von Dr. Siegmund (iniitlicr,
Professor an der teohniiu-hen Hocluchnle in Mflncheii.
Pre is Mark 1 6. —
Handbuch der Pflanzengeographie
von Dr. Oscar Drude,
Profi^or der Botanik an der technlMcbeti Hochaobule n. Direktor des KgL Botan. OarUnt za Dreadea.
Preis Mark 14. —
Handbücher zur deutschen Landes- und Volkskunde.
HeraoafceRvben von
der Centralkommission fOr wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland.
Band /.
Geologie von Deutschland und den angrenzenden Gebieten
von Dr. Richard Lepsius,
Professor an der technischen Hoobschole. Direktor der geologischen Landesanstalt zu Darmstadt.
l.Band. Das westliche und südliche Deutschland.
1. Lieferung. Preis M. 11. 50. — 2. Lieferung. Preis M. 7. —
Band III.
Die Gletscher der Ostalpen.
Von Dr. Eduard Richter,
ord. Profeaaor der Gcosranhle an der Univeraität Oras. •„*
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X’ UX ÖOXl Unheil
zur deutschen Landes- und Volkskunde
im Auftrag:« dnr
CentralkonmiisMon l^r wiMenschafÜiche Landeskuiuie von D^»ut8Chlaiul
herausge^eben von
Dr. A. Eirchhoff,
Prcf<M»or der Erdktinde au der ruivemltit Halle.
SechMerJiand.
Heft3.
Mit */<!) * k • n irni it Mtittii ■TtTiTr* »t tFtf f roYlJ • n • • tt« ii.«!.»**!« im«i« *m
STUTTGART.
VERLAG VON J. E N G E L H 0 K N.
1892.
ie .Korschungen zur <ieutj»chen Landes- uud Volkskunde“ sollen dazu belfeni di?
lieiiniscben landcs- und volksknndlichen Studien zu fördern, indem sie aus allen Gebietet
derselben bedeutendere und in ihrer Tragweite über ein bloss örtliches Interesse hinsc.-
gehende Themata herausgreifen und darüber wissenschaftliche Abhandlungen her.or
ragender Fachmänner bringen. Sie beschränken sich dabei nicht auf das Gebiet des Deutsch-t
Reiches, sondern so weit auf mitteleuropäischem Boden von geschlossenen Volksgemeinschaib:
die deutsche Sprache geredet wird, so weit soll sich auch, ohne Rücksicht auf gtaatlith^
Grenzen, der Gesichtskreis unserer Sammlung ausdehnen. Da aber die wissenschaftliche Be-
trachtung der Landesnatur die Weglassung einzelner Teile aus der physischen Einheit Mittel
europas nicht wohl gestatten würde, so sollen auch die von einer nichtdeutschen Bevölkertiic
eingenommenen Gegenden desselben samt ihren Bewohnern mit zur Berücksichtigung gelangtn
Es werden demnach ausser dem Deutschen Reiche auch die Länder des cisleithanischen Oestsr-
reichs, abgesehen von Galizien, der Bukowina und Dalmatien, ferner die ganze Schweiz, Luiea-
Imrg, die Niederlande und Belgien in den Rahmen unseres Unternehmens hineingezogen werder..
Ausserdem aber sollen die Sachsen Siebenbürgens mit berücksichtigt werden und auch Arbeit-:!
üVjer die grösseren deutschen Volksinseln des Russischen Reiches nicht ausgeschlossen sein.
Unsere Sammlung erscheint in zwanglosen Heften von ungefähr 2 — 5 Bogen; jed«
Heft enthält eine vollständige Arbeit (ausnahmsweise von kürzeren auch mehrere) und ist föi
sich käuflich. Eine entsprechende Anzahl von Heften wird jedesmal zu einem Bande vereinigt,
und erscheint jährlich etwa ein Band im Umfange von 4U— 4-i Bogen und zum Preise ro!
ungefähr 20 — 22 Mark.
Bisher sind erschienen :
Band 1.
Der Boden Mecklenburgs, von Prof. Dr. E. Geinitz in Rostock. 1SB5.
32 Seiten. Preis 80 Pfemiig.
Die oberrheinische Tiefebene und ihre Randgehirge, von Direktor
Prof. Dr. Richard Lepsius in Darmstadt. Mit Debersichtskarte des oberrheinische!!
Gehirgssystems. 1886. 00 Seiten. Preis M. 2. —
Die Städte der Norddeutschen Tiefebene in ihrer Beziehung rat
Bodengestaltung, von Prof. Dr. F. G. Hahn in Königsberg. 1886. 76 Seiten.
Preis M. 2. —
DasMOnchenerBecken. EinBeitrag zur physikalischenGeographie
Südhayerns, von Chr. Gruber. Mit einer Kartenskizze und zwei Protilen im Teil
1886. 46 Seiten. Preis M. 1. 00.
Die m e c k 1 enb u rg isc hen H öhen r ü ck e n (Geachiebestreifen) und ihr?
Beziehungen zur Eiszeit, von Prof. Dr. E, Geinitz in Rostock. Mit zwei
Uohersichtskärtchen und zwei Profilen. 1886. 96 Seiten. Preis M. 3. 10.
Der Einfluss der Gebirge auf das Klima von Mitteldeutschland, toc
Dr. R. A s B m a n n in Berlin. Mit 7 Karten und 10 Profilen. 1886. 78Seiten. PreisM.6.50.
Die Nationalitäten in Tirol und die wechselnden Schicksale ihrer
Verbreitung, V. Prof. Dr. H. .!. B i d e r m an n in Graz. 1886. 87 Seiten. PreisM. 2. 40.
Poleographie der cimhrischen Halbinsel, ein Versuch die Ansied-
lungen Nordalbingiens in ihrer Bedingtheit durch Natur und Ge-
schichte nachzuweisen, von Prof. Dr. K. Jansen in Kiel. 1886. 79 Seiten.
Preis M. 2. —
Band U.
Heft 1.
Heft 2.
Heft 3.
Heft 4.
Heft 5.
Heft 6.
Heft 7.
Heft 8
Heft 1. Die Nationalitäts-Verhältnisse Böhmens, von Dr. L. Schlesinger,
Direktor in Prag. 1886. 27 Seiten. Preis 80 Pfennig.
Heft 2. Nationalität und Sprache im Königreiche Belgien, von K. Brämer, Geb.
Reclmungsrat in Berlin. 1887. Mit einer Karte. 128 Seiten. Preis M. 4. —
Heft 3. Die Verbreitung und Herkunft der Deutschen in Schlesien, von Prof
Dr. Karl Weinhold in Breslau. 1887. 88 Seiten. PreisM. 2. 40.
Heft 4. Gehirgshau und Oherflächeng'estnltung der Sächsischen Schweiz, von
Dr. Alfred Hcttner. Mit 1 Karte, 1 Figurentafel und 6 Figuren im Text. 1887
111 Seiten. Preis M. 5. 25.
Heft 5. Neuere slavische Siedlungen auf süddeutschem Boden, von Prof.
Dr. H. J. Bidermann in Graz. 1888. 41 Seiten. Preis M. 1.25.
Heft 0. Sie dlungs arten in den Hochal]>en, von Prof. Dr. Ferdinand Löwl
in t’zeniowitz. 1888. 51 Seiten. Preis M. 1.75.
Band 111.
Heft 1. Die Verbreitung und wirtschaftliche Bedeutung der wichtigeren Wald-
baumarten innerhalb Deutschlands, von Direktor Prof. Dr. Bernard Borg
greve in Ilannövriscli Münden. 1888. 31 Seiten. Preis M. 1. —
Heft 2. Das Meissnerland, von Dr. Max Jäschke. Mit 1 FigurenUfel. 1888. 47 Seiten
Preis M. 1. 90.
Heft 3. Das Erzgebirge. Eine orometrisch - anthropogeographische Studie von Oberlehre.'
Dr. Johannes Burekhardt in Reudnitz-Leipzig. Mit einer Karte. 1888. 79 Seiten
DIE
HALLIGEN DER NORDSEE.
VON
D« EUGEN TRAEGER
IN IIRKSOKN.
MIT 3 KARTEN UND 19 TEXTII.LUSTKATIONEN.
STUTTGART.
VERLAG VON J. ENGELHORN.
1892.
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l>ruck ü«> Uuioii D«aUch(* VerU|^8g»^h«^llt>chaft in Stuttgart.
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Inhalt.
Soitc
Vorwort 231 [5]
1. Vorge*chicht<> 283 [7]
2 . Die gegenwärtige Beschaffenheit der Halligen 242 [16]
3. Die menschlichen Wohnstätten 248 [22]
4- Kirchen, Schulen und Aemt<‘r auf den Halligen 260 [34]
!>. Die Bewohner und ihre Lebensführung 270 [44]
6. Die Bewirtschaftung der Halligen 281 [55]
7. Die Watten 303 [77]
8. Die Sicherung der Halligen gegen ihre fortschreitende Zer-
störung 326 [100]
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V 0 r w o r t.
Wenn schon in der Provinz Schleswi^^-Holsteiii , ja selbst an
ihrer NordseekUste die Halligen so unbekannt sind, dass man nur
wenige Menschen findet, die einzelne dei-selben flüchtig besucht haben,
während sonst allgemein grundfalsche oder durch allerlei IrrtUmer ge-
trübte Vorstellungen von ihnen herrschen, die im günstigsten Falle auf
den pessimistischen Darstellungen Biernatzki’s beruhen, so darf es nicht
Wunder nehmen, dass die hier geschilderten kleinen Inseln im ent-
fernteren Gebiet des deutschen Vaterlandes oft sogar dem Namen nach
unbekannt sind, so vollständig, dass eines Tages die Frage an mich
gerichtet werden konnte, oh dieselben nicht an der Küste von Nor-
wegen lägen ! Die weitere Entwickelung des Seebäderwesens auf den
grossen Inseln im Wattenmeere beginnt darin allerdings Wandel zu
schallen, indem von Wyck aus die Halligen Oland und Langeness, von
Amrum aus Hooge auf Bootpartieen besucht zu werden pflegen; aber
es wird doch immer ein sehr geringer Bruchteil der besser situierten
Minderheit bleiben, der eins der merkwürdigsten Gebiete im ganzen
Deutschen Reiche durch eigene Anschauung kennen zu lernen im stände
ist. Indessen selbst diese wenigen finden nicht Zeit und Gelegenheit,
in die Eigentümlichkeiten der kleinen Halligwelt hinlänglich einzu-
dringen, um sich ganz klar darüber zu werden, was sie denn eigent-
lich daselbst gesehen haben, und darum halte ich es schon aus diesen
Gründen für meine Pflicht, meine auf neun Reisen nach den Inseln
und Küsten von Schleswig- Holstein gesammelten Beobachtungen, die
ganz besonders den Halligen gegolten haben, der Oeffentlichkeit zu
übergeben. Ich habe mica zu allen .lahreszeiten in jenen Gegenden
aufgehalten und zum Teil monatelang unter ihren gastfreundlichen Be-
wohnern gelebt, so dass ich wohl die Behauptung wagen darf, sie
gründlicher kennen gelernt zu haben, als andere Zeitgenossen; wenigstens
habe ich nicht Gelegenheit gehabt, einen zu ernfitteln, der sich gleich
mir die Mühe gegeben hätte, alle Inseln, Küsten und Watten daselbst
zu besuchen. Au.sserdem ermutigt mich der Umstand, dass ich überall
Interesse, oft genug sogar die lebhafteste Anteilnahme für die selt-
samen Eilande gefunden habe, wozu die Thatsache hinzukommt, dass
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OS keine Beschreibung derselben giebt, die ich als richtig und er-
schöpfend bezeichnen könnte, ganz abgesehen davon, dass die meisten
Schriften — den Stand in allen Ehren! — in dem spezifischen Dorf-
schulgelehrteustil geschrieben sind, der seinen reinsten Ausdruck in
.lohansens .Halligeubuch“ gefunden hat. Wäre Biernatzki in .seiner
Novelle .Die Hallig“ objektiver geblieben, .so könnte es sich nur darum
handeln, die in seinem Buche vorhandenen sachlichen Lücken zu er-
gänzen, denn die Schönheit seiner Halligschilderungen lässt sich schwer-
lich wieder erreichen, geschweige denn Ubertreffen; aber .so traurig,
wie er es darstellt, verläuft das Leben der Halligbewohner schlechter-
dings nicht. Darin bin ich jedoch mit ihm eines Wunsches, Mitgefühl
für ilie l)edauernswerten Inseln zu erwecken und die Aufmerksamkeit
aller Wohlgesinnten auf ihr tragisches Schicksal zu lenken, ohne dass
ich aber versucht hätte, deswegen einige Wahrheiten zu bemänteln.
Möchte ihnen noch in elfter Stunde, ehe sie ganz von ihren gegen-
wärtigen Plätzen verschwinden, Hilfe dargeboten werden, zum wenigsten
denen, die noch im stände sind, den aufzuwendenden öffentlichen Mitteln
mehr als ein Aequivalent zu bieten !
Ich habe der Arbeit keine streng wis.senschaftliche Form gegeben
und mich einer möglichst schlichten Darstellung zu bedienen gesucht,
mit der ich vor allen Dingen nur meine eigenen Wahrnehmungen
wieder/ugelien wünschte. Deshalb habe ich manches unbenutzt gelassen,
was mir doch nicht unbekannt war. Dazu gehört beispielsweise die
Lösstheorie für die Entstehung der Marschen, die möglicherweise für
diejenigen an der Südküste der Nordsee in Betracht kommt , wofür es
mir indessen aus Ünkenntni.s der Oertlichkeit an Urteil fehlt, nicht
aber meines Erachtens für die jUtländischen Marschen, die ich durchaus
für maritime Bildungen ansprechen muss, so dass ich mich ganz der
Guthe-Wagner.schen Erklärung angcschlossen habe. Wenn es mir mit
der gewählten einfachen Form gelingen sollte, einen grösseren Leser-
kreis für meine Schützlinge zu interessieren, dann will ich diesmal gern
auf eine andere Anerkennung verzichten.
Ich benutze die Gelegenheit, der Familie des verstorbenen Lehrers
Christiansen von Nordstraiidisch-Moor für ihre liebenswürdige Gast-
freundschaft und ihre .stete Bereitwilligkeit, mir förderlich zu sein,
auch öffentlich zu danken ; sehr verpflichtet fühle ich mich auch gegen
Herrn Lehrer .Jakobsen auf Hooge, der sich mir als aufopferungs-
tUhiger Freund erwiesen hat und in einem regen, für mich w'ertvollen
Briefverkehr mit mir geblieben ist. lleberhaupt besitze ich nur ange-
nehme Erinnerungen im Hinblick auf die Art und Weise, wie mir die
Halligbewohner allenthalben entgegengekommen sind. Den Herren
Photographen Koch in Schleswig und besonders Schensky auf Helgo-
land danke ich ergebenst für die Ueberlassuug von Aufnahmen zur
Herstellung von Textillustrationen.
Dresden, Februar 18!*2.
Eugen Traeger.
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1. Vorgeschichte *).
Seitdem die alten Herzogtümer Schleswig und Holstein in den
Verband des preussischen Staates übergegangen sind, besitzt derselbe
eine Anzahl von Inseln, die nördlich von der Halbinsel Eiderstedt der
>chles\vigschen Westküste vorgelagert sind, nämlich Röniö oder Köm,
auch Korn genannt, Sylt, Föhr, Amrum, Nordstrand, Pellworm und der
Schwarm der Halligen. Die vier erstgenannten gehören dem ehemaligen
Dünensaume an, der sich zu der Zeit, als England und Frankreich
zwischen Dover und Calais noch durch einen Isthmus verbunden waren,
von der Nordspitze Jütlands bis zu diesem aus leicht zerstörbarem
Kreidegestein bestehenden Damme hinzog. Als der letztere dem un-
aufhörlichen Anprall der gewaltigen Fluten des Atlantischen Oceans
nachgegeben hatte, begann für die Dünenkette eine Zeit der Zerstörung;
sie wurde von den bei südwestlichen Stürmen durch den neu ent-
standenen Kanal gepressten Wassermassen in eine Reihe von Inseln
zerlegt, die ehemals natürlich grösser und zahlreicher waren, als heutigen
Tages. Am stattlichsten haben sich auf preussischem Gebiet die Dünen
auf Sylt erhalten, wo dieselben am Roten Kliff die ansehnliche Höhe
von 4tj m erreichen; nur geringe Reste von ihnen besitzt Föhr an
-seiner Westküste, doch i.st der Charakter des Geestlandes die.ser Insel
als Dünengebiet deutlich ausgeprägt in der erhaltenen Flora und in
den Sandmassen, die ehedem von den beweglichen oder .fliegenden“
Dünen über das Land nach O.sten verweht wurden, ganz wie das auf
Sylt und Amrum noch heut beobachtet werden kann. Jenseits der
alten Dünenkette bildeten die von dem hohen GeestrUcken Jütlands ab-
flie.ssenden Gewässer, die nur stellenweise einen Ausweg in das Meer
fanden, weite Sümpfe und Moore, aus denen hier und da VValdbestände
und Heideflächen hervorragten. Man wird sich diese Sumpflandschaften
zwi.schen dem hohen GeestrUcken Jütlands, der mit seinen ausgedehnten
Waldungen in blauem Dufte den Horizont nach Osten abschloss, und
den DUnenbergen, die bei hellem Sonnenschein in leuchtender Weisse
von Westen her herUberschimmerten. als äusserst malerisch und reich
an Tier- und Pflanzenwelt vorstellen dürfen: denn die Scharen von
wilden Enten und Gänsen, die heute zur Herbstzeit die Watten be-
') V)il. Oiitlie-Wagner, Lehrbuch iler Geographie, -b. Aull., Ud. 2, ">33 fi.
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2.U
Eugen Traeger,
[8
Völkern, werden sich damals hier aufgehalten haben, wo sie Schutz vor
den Stürmen und reichliche Nahrung fanden; auch Mammute, Elche,
Wildschweine und gewaltige Hirsche haben sich hier getummelt, wie
vor Jahren ein interessanter Fund bei Husum bewiesen hat und wie
noch immer aus der Tiefe gegrabene Geweihe von mächtiger Stärke
bezeugen. Ebenso werden sich die ungeheuren Schwärme von Möven
und anderen Seevögeln, die ungestört in den von der Sonne durch-
wärmten DUnenthütern dem Geschäft des Brütens obliegen konnten,
gern hierher zurückgezogen haben, wenn die wild erregte See ihnen
den Aufenthalt verleidete und die Nahrung schmälerte. Hinsichtlich
Fig. !• DiinentandschaA auf Amrnm. Nadi einer Pfaotograpbie von F. Sc)H^nsky.
der Pflanzenwelt wird man nicht irren, wenn man sich neben zahl-
reichen anderen Arten von Sumpf- und Heidepflanzen Binsen, Schilf,
Schachtelhalm und Erika in üppigster Entwickelung vorstellt; bei
Grabungen auf den Watten fand ich in fettem, blauem Thon übel-
riechende Pflanzenschichten, aus denen sich breitgepresste, .sonst aber
wohl erhaltene Equisetaceen von ungewöhnlicher Stärke lostrenneu
Hessen , an anderen Stellen Erikaceen. Im allgemeinen werden die
Sümpfe Aehnlichkeit mit den Etangs an der We.st- und SüdkUste Frank-
reichs besessen haben.
Der Bruch der britannisch-gallischen Landenge brachte auch für
sie eine Periode grosser Umwälzungen ; denn da die festländischen Küsten
der Nordsee ein Gebiet säkularer Senkung bilden, d. h. eines so lang-
samen Hinabtauchens in das Meer, dass der Erfolg erst in Jahrhunderte
langen Zeiträumen wahrnehmbar wird, so vereinigte sich der Druck
der relativ .steigenden Meere.sgewässer mit den oft wiederholten Sturm-
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Dil? Halli>4en der Nordsee.
f|
2:jr.
fluten, so dass die Zugänge des Wassers durch die bereits zerbrochenen
Dünenketten erweitert und die dahinter liegenden Moore regelmässig
überschwemmt wurden. Ohne Zweifel muss sich dadurch die Flora
und Fauna der letzteren ra.sch verändert haben; denn das stark salz-
haltige Nordseewasser wird den zarteren Süsswassergebilden ihr wonniges
und beschauliches Stillleben bald unmöglich gemacht haben, und trost-
lose Oede und Erstarrung wird an die Stelle der wuchernden Produk-
tivität getreten .sein. Wenn man nun bedenkt, dass die Erregung der
Meeresbewegung sich iJöOmal so tief nach unten erstreckt, als die Wellen-
höhe an der Wasseroberfläche beträgt, wenn man ferner bedenkt, dass
die Nordsee nur eine durchschnittliche Tiefe von SD m besitzt, mithin
bei jedem Sturme bis auf den Grund aufgewühlt wird, und endlich,
dass die deutschen Ströme, vor allen die Elbe, ungeheure Massen feiner
und fruchtbarer Sedimente dem Meere zuführen, so wird es einleuchten,
dass jene Ueberschwemmungen im Laufe der Jahrtausende die Sümpfe
mit feinen Schichten fruchtbaren Bodens ausfüllten und ganz allmählich
den reichen Marschengürtel schufen , der so charakteristisch für die
Nordseegestade geworden ist. Am Ende der zweiten Periode war die
Landesphysiognomie also diese: Zwischen Dünensaum und Festlandsgeest
zahlreiche an Höhe allmählich über das normale Flutniveau gewachsene
Marschenflächen und -insein, bewohnt von germanischen Volksstämmen
in einzelnen, über das ganze Land zerstreuten Ansiedlungen auf niedrigen,
künstlich aufgeworfenen Hügeln; sie benutzen das Land während des
Sommers als Weide für ihre Herden und leben unter Bedingungen, von
denen Plinius in seiner Naturgeschichte lib. XVI ein wenig verlockendes
Bild entwirft*); der alte Dünensaum an vielen Stellen durchbrochen, und
durch die Lücken zum Teil tief in das Marschland eindringend eine
Anzahl von Flussrinnen, in denen bei Flutzeit das Salzwasser landein-
wärts strömt, bei Ebbezeit seewärts, gefolgt von dem inzwischen auf-
gestauten Süsswasser des Festlandes und der Marschniederung.
Solcher ältester Meeresströme nehme ich in unserem Gebiet 4 an:
') Die Stelle lautet: Pomit'enie arbores quacque mitiüribiis «ucis volujitatem
primae eibis attulerunt et necessario alimento delicias iniscere docuerunt,
intra praedictas constant. l’roxuuumi erat narrure glandif'eras quoque, cjuae primae
victum mortalium alueriint nutrices inopis ac l'erae sortis, ni praeverti cogeret
admiratio usu conperta, quaenam <{ualisque esset %ita sine arbore ulla, sine fru-
tice viventium.
Diximus et in Oriente quidem iuxta oceanum compluris ea in neressitate
gentis. Sunt vero et in soptentrione visae nobis Chaucorum qui maiores niino-
resque appellantur. Vasto ibi nieatu bis dicrum noctiumque singularum intervallis
eflusQS in immcnsum agitur occanns, operiens aetemam rerum naturae contro-
versiam, dubiunique terrae situm an partem maris. Hic, misera gens, tumnlos
optinent altos aut tribunalia exstructa inanibus ad experimenta altissimi aestus,
casU ita impositis navigantibus eimiles cum integant aquae circumdata, naufrngia
vero cum recesserint, fugientisque cum mari piscis circa tuguria vcnantur. Non
pecudein liic habere, non lacte ali ut Hnitimis, ne cum feris quidem dimicare
contingit omm procul abacto frutice. l’lva et palustri iunco l'unis nectunt ad
praetexenda piscibus retia, captumque manibus lutum ventis magis quam sole
siccantes terra cibos et rigentia eeptentrione viscem sua urunt. l’otus Bon nisi
ex imbre serxato scrobibua in vestibulo domus. Kt bae gentes. si vincantur bodie
a populo Romano, servire se dicunt! Ita est profecto: multia fortiina parcit in
|)Oenam.
Kugen Tracgfr,
[10
2;u;
1. die nördlich von dem jetzigen Sylt eindringende Lister Tiefe, zugleich
als Abfluss der bei Hoyer mündenden Wiedau; 2. die Hörnumtiefe im
Süden zwischen Sylt und Föhr-Amrum; 2. die Schmaltiefe im Süden
von Amrum mit den beiden jüngeren Zweigen der Norderaue zwischen
Föhr und Langeness und der Süderaue zwischen Langeuess und Hooge;
4. die Hever zwischen Eiderstedt und Pellworm-Nordstmnd , zugleich
als Ausfluss der Husumer Aue. Die heutige Norderhever ist ebenfalls
ein Gebilde aus jüngerer Zeit.
Aber auch die zweite Periode erreichte ihr Ende und es folgte
die dritte, in der wir uns noch heute befinden: Dasselbe Meer, welches
in schmalen Zugiingeii eindringend Neuland ge.«chaffen hatte, erweiterte
und vermehrte seine Strombahnen dergestalt, dass die bei Sturmfluten
hereingejagten Wassermassen ihre eigene Schöpfung wieder zerstören
mussten. Das Leben der Bewohner auf ihren niedrigen Werfthügeln
schwebt nun in steter Gefahr; ein Teil derselben wandert aus, andere
Stämme wandern ein, und es beginnt der 2<M)(I Jahre lange Kampf der
Nordsee mit dem Friesenlande . aus dem einzelne Episoden hervor-
gehoben werden mögen, die sich aus der langen Heihe von mehr als
200 Schreckensereignissen als besonders verderblich im Gedächtnis der
Menschen erhalten haben.
Wahrscheinlich veranlasste 110 v. Ohr. eine Sturmflut, welche
IMinius horrendum gravissimumque oceani diluvium nennt, die Oirabern,
sich mit den Teutonen nach besseren Wohnsitzen im gesegneten Süden
Europas umzusehen, wobei sie bekanntlich den Römern grossen Schrecken
einflössten, bis sie vereinzelt ge.schlagen und vernichtet wurden. Die
erste historisch fe.stgestellte Flut ist die des .Jahres .‘50:t n. Ehr., während
die ersten bestimmten Zahlen eines grossen Verlustes aus dem .Jahre
.MO überliefert werden, zu welcher Zeit in ganz Friesland über 0000
Menschen und eine noch grössere Anzahl von Vieh umgekommen sind.
Im .Jahre SIO wurden gegen 2001) Häuser an der Nordsee zerstört;
.seit diesem Ereignis bemühte man sich ernstlich. Schutzbauten zu er-
richten, nachdem die in Inselschnuren zerrissenen Dünensäume alle
schützende Kraft verloren hatten. Im August 1020 wurden viele Städte
und Dörfer ruiniert, und das Wasser soll gearbeitet haben, ,als wenn
es voll Feuer gewesen wäre“. 1114, nach anderen 1117 ,hat sich die
Hever dergestalt erhöhet“, dass sie die Deiche von Eiderstedt ver-
nichtete; 1102 den l.">. Februar sind an der Elbe und Weser viele
tausend Menschen und sehr viel Vieh ertrunken. In Dithmarschen
.strömte durch Einbruch der Deiche .so viel Wasser ein, dass im Kirch-
spiel Brunsbüttel nur 20 Personen am Leben geblieben sein sollen.
Die Sturmflut des Jahres 1170 erreichte in Holland die Stadt Utrecht;
die furchtbare Gewalt der Wogen wühlte den grossen Zuidersee in das
Land. Ebenso muss es im Jahre 1172 sehr traurig ausgesehen haben,
dann es wird u. a. gemeldet, dass viele besorgt hätten, Holland müsste
wohl auf ewig versinken. IIHI ertranken viele Menschen und Tiere:
, Kinder in Wiegen, Mulden und kleinen GefiLssen, Männer auf Haus-
balken trieben umher und .sollen in fremden Gegenden wohlbehalten
an Land gekommen sein.“ Wenn nun schon im Jahre 1200 00000
Menschen ihr Leben einbüssten, wie mu.ss es da vier Jahre später ge-
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11 ]
Die Halligen der Nordsee.
237
wesen sein, als ,die allergrösste Flut nach der sogenannten Sündflut“
hereinbrach, in welcher alle Marschländer überschwemmt und unzählige
Menschen und Tiere ertrunken sind! Darauf fand 121(i eine , erschreck-
lich grosse Flut statt, dass alle Marschländer unter Wasser standen
und in Eiderstedt und Dithmarschen, soweit dem Nordstrande, über
IDOUO Menschen ertranken“, und am 17. November 1218 herrschte
eine so gewaltige Sturmflut, dass in den Marschländern wohl 30 000
Menschen ihr Leben verloren. Die Kirchspiele Jadelef, Wardelef,
Aldessen und das ganze Land bei dem Hafen von Stössringen in Holland
sind damals , weggegangen * . , Vermutlich.“ heisst es dann weiter, ,ist
damals Nordstrand von Landbulligharde abgerissen worden und sind
die Kirchen St. Bartholumäi, St. Johannis, St. Mariä wie auch Rode-
kerk und andere untergegangen.“ Bekannt ist die Flut des Jahres
1277, welche durch den jähen Untergang von 33 Kirchspielen Raum
für den Dollart schaffte. Anno 1300 den 10. Januai- erhob sich ein
starker Sturm, jagte das Wasser vier Ellen hoch über die höchsten
Deiche, wütete schrecklich in allen Marschländern und riss die Länder
Dithmarschen. Eiderstedt und Nordstrand, die bisher so nahe zu-
sammengehangen hatten, dass nur je ein kleiner Strom dazwischen
war, gänzlich voneinander. Der Flecken Rungholdt auf Nordstrand
mit sieben Kirchspielen wurde verwüstet und bildet seitdem zwischen
Pellworm und Nordstrand das Watt gleichen Namens. Es ertranken
in dieser Gegend 7000 Menschen, in Nordstrand wurden 31 sogen.
Wehlen eingerissen, an der Hever .und ihren Enden“ gingen 28 Kirch-
spiele unter. Damals soll ein grosses Stück Moor von den niedrigen
Orten auf Nordstrand, die Holmersee (hohe Moorsee) genannt, auf-
gehoben und zwischen Witzwort und Ulversbüll in Eiderstedt nieder-
gesetzt worden .sein; das sei der wahre Ursprung des dortigen Moores.
Vermutlich ist damals die Hallig Südfall auf dem südlichen Teile des
Rungholdtwattes übrig geblieben. Es folgten nun wiederholte Sturm-
fluten, bis 13.*>4 (in der Sylvesternacht) eine entsetzliche Katastrophe
hereinbrach, wobei zwischen Elbe und Ripenerstjord 200 OOO Menschen
umgekommen sein sollen. Alle Deiche und Dämme wurden so zer-
schlagen , dass der Schaden in Menschengedenken nicht hat ersetzt
werden können; Iven Kniidsen sagt, dass sie die namhaftigste Flut
gewesen und Mandrenke genannt sei. Dithmarscher Annalen nennen
sie .De grote Mandrenke“. Dieser Name scheint Anklang gefunden
zu haben, denn so wird auch die Sturmflut vom 8. und 0. September
des Jahres 1302 genannt. .In dieser Flut ist der grösste Teil der
Menschen, die von der Pest im Jahre 13.51 übrig geblieben sind, im
westlichen Eiderstedt ertrunken; die Flut ging über alle Marschländer
und forderte ein Opfer von 200 DOO Menschen*. Wenn man nun fort-
während von solchen Zahlen hört, .so drängt sich die Vermutung auf,
dass die Schätzungen damaliger Zeit wiederholt wohl nur pessimistischer
Abrundung eine so erschreckende Höhe verdanken. Wo hätten denn
immer wieder in den sicherlich nicht dicht bevölkerten Küstengebieten
die Menschen herkommen .sollen, um allein von den Meeresfluten so
massenweise verschlungen zu werden! — Am 10. November 1404 überfiel
ein hohe Flut Land und Leute mit grosser Gewalt und .mit grossem
Kugen Traejrer,
112
2.1S
Krachen“; 140."> ertranken viele tausend Menschen in einer Springflut,
am H. November 1412 abermals MtKHt Menschen. Nach wiederholten
Ereignissen von geringerer Wut brach das Unglück vom 1. Februar
14:l(j über Friesland herein, die Allerheiligenflut, welche Pellworm
von Nord.strand losriss; zehn .Jahre später, am 17. April 1440. kamen
wieder gegen 100000 Menschen an den Nordseeküsten ums Leben, das
Kirchspiel Langenbrook bei Büsum ward vernichtet; 1470 ertranken
in ganz Friesland 80000 Menschen. Am 2. November 1582 erfolgte
die sogen, grosse Flut, welche in Eiderstedt 1100 Menschen verschlang,
in Nordstrand 1.500, nach anderen 1000, u. s. w. Das Wasser stand
damals 18 Fuss über dem Lande und ging 8 Ellen Ober alle Deiche.
Diese Notiz ist sehr interessant: danach erhoben sich die Deiche, wenn
man für eine Elle die gewöhnliche Länge von 2 Fuss ansetzt, nur
12 Fuss oder 4 m über das Land, und da dieses als ein Produkt der
See wenig Uber das Meeresniveau emporragt, .so ergiebt sich, dass die
Deiche mit etwa 4^s rn absoluter Höhe selbstverständlich zu niedrig
waren. Man begreift es kaum, wie nach so ungeheuren Verlusten und
trotz der beständig drohenden Gefahr immer noch an den Deichen ge-
spart werden konnte. — Eine ganze Reihe minder schrecklicher Er-
eignisse folgten nun bis zum 5. und 0. November 1570. Wenn diese
Daten richtig angegeben sind , so muss der Sturm mit seltener Stärke
und Ausdauer angehalten haben, denn schon am I . November trieb er
kolossale Wassermassen von Gröningen aus über und durch die Dämme
nach Flandern, wobei 20000 Menschen in Friesland, 10000(1 in den
anderen niederländischen Provinzen ertranken und das ganze Land wie
von rasender Sintflut gepeitscht wurde, so dass Brügge verschlungen
zu werden fürchtete — und das mitten im Kriege der Niederländer
gegen Spanien. Bis nach Dänemark hin sollen damals 400000 Menschen
hinweggeraflft worden sein! Ansehnlichen Schaden erlitten dann in
unserer Gegend am 21. August 1578 die Inseln Pellworm und Nord-
strand, von denen mehrere Köge untergingen; am 28. Januar 181 0
herrschte eine Flut, die mit derjenigen von 1570 verglichen wird; am
2(). Februar 1825 eine Eisflut, die ganz Pellworm und Nordstrand unter
Wasser setzte, wobei 18 Menschen ertranken, auf der Hallig Hooge,
die hier zum erstenmal erwähnt wird, 10 Personen.
Einen entscheidenden Zeitpunkt in der Geschichte der schleswig-
schen Westküste bildet der Sonntag des 11. Oktober 1084. Das Wasser
drang damals in Gegenden, wohin sonst nie eine Flut gekommen war.
Die finstere Nacht verbarg vielen nicht allein die Grösse der Gefahr,
sondern raubte ihnen auch alle Rettungsmittel. Viele trieben in ihren
Betten aus sicherem Schlafe fort, andere, durch das Brausen der schreck-
lichen Flut und des Sturmes geweckt, ertranken bei dem V'ersuche zu
fliehen oder ihre Güter zu bergen, wieder andere, welche sahen, dass
alle Fluchtversuche vergeblich seien, banden sich nebst Frau und
Kindern mit Stricken zusammen, .damit das, was Natur und Liebe ge-
bunden, die grausamen Wellen nicht trennen möchten“. Manche be-
gaben sich mit ihren Hausgenossen auf die Dächer, worauf sie wie in
einem Schifte herumgefUhrt wurden, welches aber bald von den Wellen
zerschlagen ward. Es war allenthalben ein kläglicher Anblick, un-
^'oogle
Die Halligen der Nordsee.
239
13J
zählige Tote trieben umher, Hausgerät aller Art bedeckte das wilde
Meer. In Süderdithmarschen ertranken 47 Menschen und 1195 Stück
Vieh, im Kirchspiel Lunden in Norderdithmarschen 1)5 Personen, im
Kirchspiel BUsum 168 Menschen und 1360 Stück Vieh, in und um
Kiepen 220 Menschen, auf Nordstrand und den Halligen 6408 u. s. w.
Der Verlust an Vieh in dieser Flut wird auf 50000 Stück berechnet.
Das schreckliche Ereignis ist noch heute in lebhafter Tradition der Insel-
friesen, da es besonders auch den Inseln bedeutenden Abbruch an Land
und Besitz verursacht hat. Das Unglück auf Nordstrand muss wahr-
haft jammervoll gewesen sein, denn nach einer anderen Notiz hatte
die ganze Insel damals nur noch lOOOO Einwohner, so dass also über
60% derselben ertrunken sind. Die Flut ist von entscheidendem Ein-
fluss auf die spätere Physiognomie der friesischen Utlande geworden
durch die Zertrümmerung von Nordstrand: Ein Teil seiner Bewohner
hatte sich auf ein hochgelegenes Moor in der Mitte des Landes ge-
flüchtet und fand sich nach der Katastrophe auf einer Insel wieder,
der heutigen Hallig Nordstrandisch-Moor, auch Klein- oder Hohes
Moor genannt, doch hat sich das Land mit der Zeit so gesenkt, dass
die Hallig letzteren Namen nicht mehr verdient ; weiter nördlich lag
der ehemalige Hamburger Hof als die jetzige Hamburger Hallig,
und wenn sich schon 1436 die Norderhever Tiefe zwischen Pellworm
und Nordstrand eingenagt hatte, so waren nun beide Inseln durch weite
Meeresflächen völlig voneinander geschieden. Wieder folgten nun eine
Reihe von mehr oder minder verderblichen Ueberschwemmungen bis
zum 25. Dezember 1717, wo ganz unerwartet die Flut noch höher
stieg, als 1634. Auf Hooge, wo sich 12u Haushaltungen befanden,
wurden 12 Häuser weggespült mit allem Hausgerät, 6<l andere gänzlich
ruiniert. Auf der Hallig Nordmarsch stand das Wasser eine Elle
hoch in der Kirche, 19 Häuser wurden völlig vernichtet, nur 11 blieben
unbeschädigt, die übrigen 48 „sind durchgespült und auf blossen Säulen
stehen geblieben“; 17 Menschen ertranken. Auf Langeness wurden
gleichfalls viele Häuser beschädigt, der Kirchhof durchgewUhlt, einige
Särge aus ihren Gräbern gerissen, 4 Menschen getötet. Auf Pellworm
kamen 76 Personen um, auf Klein-Moor 14, aufGröde3, aufOland
aber keine, wiewohl das Wasser an Häusern und VVerften grossen
Schaden anrichtete und die Mühle wegriss. Husum litt bedeutend: am
Morgen des Weihnachtstages stand das Wasser in der Stadt, ln Suder-
dithmarschen kamen zusammen 468 Menschen und 6539 Stück Vieh
um das Leben, 1967 Häuser wurden zerstört. Das Wasser soll bei
diesem Ereignis noch 2 — 3 Fuss höher gegangen sein, als 1634, ohne
aber so zerstörend gewirkt zu haben, wie damals, weil es nicht so
wütend erregt gewesen ist. W'enn nun weiter berichtet wird, dass am
25. Februar des folgenden .Jtihres eine neue Sturmflut stattfand, wobei
vollends „alles weggespült wurde, was das Jabr 1717 übrig gelassen
hatte“, so klingt das eben so unwahrscheinlich als die Angabe, die
Flut vom 31. Dezember 1726 habe diejenige vom Weihnachtstage
1717 sowohl an Höhe wie an Zerstörungswut übertroflen, denn dann
hätten die folgenden Fluten überhaupt kein Objekt ihrer Gewaltthätig-
keit mehr vorfinden können. Wütende Ereignisse fanden darauf wieder
240
Kugen Traeger,
[ 1 -»
am 11. September 1751 und am 7. Oktober 1750 statt; an letzterem
Tage wurden die Särge aus dem Friedhofe der Hallig Gröde heraus-
gerissen und damit die Wände des Predigerhauses eingestossen. Die
Halligen litten damals grossen Mangel an fri.schem Wasser. Höher
als die letzte Flut soll dann die vom 22. März 1701 gewesen sein (was
nicht mit den ferneren Angaben übereinstimmt) und wieder höher als
diese die vom 10. und 11. Dezember 1702. Noch in demselben Jahr-
hundert folgten andere Ueberschwemmungen, und die rasche Auf-
einanderfolge derselben von 1700 — 1800 bewirkte, dass die zahllosen
Deichbrüche nicht immer genügend, manchmal gar nicht ausgebessert
waren, wenn eine neue Flut hereinbrach, so dass die Gewässer weit in
das Land eindringen konnten. Zu erwähnen ist hier noch, dass die
dänische Regierung nach der Flut von 1034 die Bewohner von Nord-
strand aufforderte, ihre Deiche alsbald wieder herzustellen; da die
wenigen Ueberlebenden, deren Besitzstand ausserdem empfindlich ver-
mindert war, diesem Befehl nicht rechtzeitig nachkommen konnten,
berief die Regierung Holländer in das Land, die mit herrenlos ge-
wordenem Besitz ausgestattet wurden und dafür die Folgen der Kata-
strophe in kurzer Zeit beseitigten. Die Nachkommen der eingewanderten
Holländer sitzen heute noch auf Nordstrand und unterscheiden sich
durch manche Eigentümlichkeiten von den übrigen Bewohnern dieser Insel.
Die Höhen einzelner Fluten des 18. Jahrhunderts sind folgende:
1717 20 Fuss, 1751 20 Fuss 2 Zoll, 1750 20 Fuss 5 Zoll, 1791 20 Fuss
2 Zoll, 1702 20 Fuss 0 Zoll.
Die letzte mächtige Sturmflut fand in der Nacht vom 3. zum
4. Februar 1825 statt und würde bei der unerhörten Wut des Wassers
noch mehr Schaden verursacht haben, als die früheren, wenn nicht in-
zwischen die Deiche über den unzulänglichen Zustand der früheren
Zeit erhoben und verstärkt worden wären. Dennoch hat sie sehr viel
Unglück angerichtet und insbesondere auf den Halligen zahlreiche
Opfer an Menschenleben gefordert. Für Nordstrandisch-Moor hat
Biernatzki in seiner bekannten Novelle ,Die Hallig“ jene unübertreff-
lich schöne und ergreifende Beschreibung geliefert, welche mit dazu
beigetragen hat, dem sonst in seinen Halligschilderungen nicht ganz
zuverlässigen Buche zu seiner grossen und wohlverdienten Verbreitung
zu verhelfen.
Aus den vorstehend mitgeteilten ChronikauszUgen geht hervor,
dass sich ganz bestimmte Zahlen für die Entstehung jeder einzelnen
heute noch existierenden Hallig nicht bieten. Man hat sich die Ver-
breiterung der Meeresstrassen zwischen den alten Landflächen und Inseln
so allmählich erfolgend vorzustellen , dass die Bewohner selbst nicht
immer gewusst haben werden, von welchem Zeitpunkt an die Insulari-
tät ihres Landkomplexes zu datieren sei, oder aber manche Halligen
bestanden von Anfang an aus Marscbinseln. Das eine scheint mir nicht
zweifelhaft zu sein, dass in den guten alten Zeiten der Kampf gegen die
See nicht energisch genug geführt worden ist. Ein sonderbares Verhäng-
nis wollte es, dass gerade auf diesen gefährdetsten Wohngebieten des
europäischen Kontinents Stämme sassen, deren einzelne Mitglieder und
Gemeinden in egoistischer Verschlossenheit sich voneinander abzusondem
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15]
Die Halligen der Nordsee.
241
pflegten und selbst in den dringendsten Fällen kaum zu einmütigem,
ra.scbem Handeln zu bewegen waren. Millionen von Menschenleben
hat die Nordsee aus dem Schutze der Häuser herausgerissen und ver-
nichtet, noch mehr Millionen wertvoller Haustiere; gar nicht zu be-
rechnen sind die Schäden an beweglicher Habe der mannigfachsten
Art, an Deichen und Schleusen, an Häusern und vor allem an frucht-
barem Ackerlande, welches die wütende See zerstört und in öden Meeres-
grund verwandelt hat. Ein kleiner Bruchteil der unermesslichen Werte,
die hier verloren gegangen sind, und ein kleiner Bruchteil der Arbeits-
leistungen, die bei den fortwährenden Ausbesserungen der unzureichenden
Schutzwerke vergeudet worden sind, würde bei rechtzeitiger Anwendung
genügt haben, Leben und Wohlstand der Küstenbewohner sicher zu
stellen. Je kostbarer die Deiche, desto billiger das Leben hinter ihnen ;
heute büssen die Enkel für die Unterlassungssünden der Vorfahren!
Allerdings ist zu berücksichtigen, wie Eckermann in seiner sorgfältigen
Studie: „Zur Geschichte der Eindeichungen in Norderdithmarschen“
(Zs. der Ges. f. Schlesw.-Holst.-Lauenburgische Geschichte, Bd. 12,
S. tfll) hervorhebt, „dass der Deichbau der Jetztzeit gegen die früheren
Jahrhunderte dadurch in einer ausserordentlich günstigen Lage ist, dass
die veränderten Verkehrsverhältnisse das Heranziehen grosser Arbeiter-
mengen ermöglichen. In alter Zeit war jede Kommune bei den Ein-
deichungen auf ihre eigenen Kräfte angewiesen; nur bei ganz ausser-
gewöhnlichen Aufgaben wurden die benachbarten Harden und Kirchspiele
auf fürstlichen Befehl mit zu der Arbeit herangezogen“, aber eben
diese gegenseitige Abgeschlossenheit dem gemeinsamen Feinde gegenüber
bleibt beklagenswert.
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2. Die gegenwärtige Beschaffenheit der Halligen.
Unter einer Hallig i.st ein insularer Rest des in geschichtlicher
Zeit durch Sturmfluten, Eisgang und die Gezeitenströmungen zerrissenen
Marschlandes zu verstehen, welches das Meer ehedem in den Sümpfen
hinter den Dünen der jütischen Nordseeküste in horizontalen Schichten
abgelagert hatte. Diese Inseln sind noch heute schutzlos der fort-
schreitenden Zerstörung und den häufig eintretenden Ueberschwemmungen
durch die Meereswogen preisgegeben. Zur Zeit existieren noch folgende
Halligen:
1. Oland.
2. Langeness-Nordmarsch.
8. Gröde mit Apelland.
4. Habel.
iy. Hamburger Hallig.
t). Hooge.
7. Nordstrandisch-Moor , auch Klein-Moor (Lütt-Moor) oder
Hohes Moor genannt.
8. Norderoog.
!t. Pohnshallig.
10. Süderoog.
11. Südfall.
Von diesen hat die Pohnshallig ihre Inselnatur dadurch verloren,
dass sie in neuerer Zeit durch einen Damm mit Nordstrand verbunden
worden ist, zu dessen beiden Seiten sich bereits so viel Schlick an-
gesetzt hat, dass die Hallig als Aussen- oder Vorland von Nordstrand
betrachtet werden kann, wie Popphever bei Pellworm. In gleicher
W eise verwächst die Hamburger Hallig seit Beginn der 70er Jahre
durch eine 5000 m lange Faschinenlahnung mit dem Festlande, eben-
falls infolge des reichlichen Schlickansatzes. Beide nähern sich also der
Klasse der Festlandshalligen, die wie Jakobshallig, Meedhallig. Königs-
hallig u. s. w. bestimmt sind, dereinst durch feste Deiche in Köge
verwandelt zu werden. Verschwunden ist in den letzten Jahren die
Insel Beenshallig, welche bereits im Jahre 1882 nur noch 26 Ar Gras-
land besass, aber, längst unbewohnt, nur den Seevögeln als Ruhepunkt
diente; jetzt ist sie eine winzige, kahle Thonbodenklippe, von der bald
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Die Halligen der Nordsee.
243
l^j
keine Spur mehr vorhanden sein wird. Ueber die statistischen Ver-
hältnisse der übrigen Halligen giebt die folgende Tabelle Aufschluss:
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4:16.23.13
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2
Hooge
Hooge
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.539.62.18
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275
1G3
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Nord-
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Moor
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strand
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10.50
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32
8
8
9
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Gröde mit
Apelland
Gröde
(Jetzt nicht
mehr)
•2:14.76. 13
1266
120
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1035
98
33
7
7
35
207
5
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Alte Kirche
auf
Pellworm
99.92.22
539
51
7-2.6.5.14
417
39
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1
20
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6
Südfall
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zu
Pellworm
119.48.95
369
35
63.19.79
233
•22
5
1
1
0
•>
7
Olaod
Olami
(jetzt nicht
mehr)
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t»G3
56
57. 6-2. .54
486
39
34
11
11
24
78
8
Habel
Gröde
.35. 15. 15
117
11
17. 83. -25
60
5
10
2
2
beiGrikle
mitge-
rechnet.
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Norderoog
Alte Kirche
zu
Pellworm
12.hr,
84
8
16.96.—
63
(i
unbe-
wohnt
-
Betrachtungen hieran zu knüpfen, wie gross die Halligen früher
gewesen, scheint mir zwecklos zu sein, so lange nicht absolut sicheres
und gleichmässiges Material ermittelt wird, um daraus für bestimmte
Zeitabschnitte und für alle Halligen die Abnahme ihres Bestandes
zahlenmässig auszudrücken. Einige Angaben finden sich u. a. in dem
kurzen Abschnitt über die Halligen, den Jensen in seinem unlängst
erschienenen Buche über die nordfriesischen Inseln (Hamburg 1881)
aufgenommen hat. Die traurige Thatsache predigt verständnisvoll genug
das Unglück der Friesen, dass fast der ganze heutige Watten.saum ehe-
mals fruchtbares, bewohntes Land gewesen ist.
Eine Hallig steigt mit stark zerklüfteten und zerrissenen V 2 bis
1 b* m hohen Wänden senkrecht von dem Wattenplateau empor, welches
FoncJinngen zur deutschen Landes- und Volkskunde. VI. 3. I7
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Küpen Traeger,
244
[IS
rings um sie her bei Ebbezeit vom Meere verlassen und von der zurück-
kelirenden Flut wieder überschwemmt wird.
Wo die senkrechte Kante nur geringe Höhe zeigt, ist es die Folge
davon, dass sich das Watt in sanfter Neigung zu ihr emporhebt; an
solchen Stellen reicht die normale Flutwelle nicht bis zu ihr hinan.
Wo sie dagegen hoch über ein tiefliegendes Watt aufsteigt, steht
die Hallig bei jeder Flut sozusagen direkt im Wasser. An solchen
Stellen üben natürlich auch Wind und Wellen am erfolgreichsten
ihren zerstörenden Einfluss: die Kante wird an ihrem unteren Teile
unterwaschen, worauf das überhängende Erdreich nachstürzt. Solche
noch mit Gras bewachsene und mit seinen Wurzeln durchflochtene
Fif;. ü. Halligkaiite l>fi Kbbe. Nach eiiKT Autnabiiie von F. Sebonsky.
Schollen findet man zu jeder Zeit an den Kanten auf dem Watten-
boden vor.
Das Erdreich der Halligen besteht aus blätterartigen, dünnen
Schichten eines mehr oder minder fetten, sandfreien Lehm- und Thon-
bodens, dem zahllose eingelagerte Muschelschalen einen gewissen Kalk-
gehalt verleihen, mul der dem Wasser glücklicherweise einen ziemlich
zähen Widerstand entgegensetzt. Wäre das nicht der Fall, so würde
heute überhaupt keine der Inseln mehr existieren. Der Boden ist von
grösster Fruchtbarkeit und auf der ganzen, fast absolut horizontalen
Oberfläche mit einem feinen, aber kräftigen und au.sserordentlich dichten
Gras (Poa maritima und laxa) bedeckt, welches nur auf den halligartigen
Ländereien wächst, so lange sie den Ueberschwemmungen ausgesetzt
sind; sobald es durch Dämme vor denselben geschützt wird, ändert es
seine Beschaffenheit und nimmt das glänzendere Grün, die grössere Breite
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19] Die Hillligen iler Nordsee. 245
und Zartheit der Blütk-hen des Festlandgrases an. Dazwischen gedeiht
namentlich weiss blühender Klee und die Sude (Plantago maritima),
welche hin und wieder als Gemüse genossen wird, üeberhaupt zeigt der
Halligplan im Sommer eine grosse Mannigfaltigkeit des Pflauzenwuchses.
so dass es für einen Botaniker sich wohl der Mühe verlohnen dürfte,
die gesamte Halligeuflora festzustellen. Die notwendige Düngung des
Bodens besorgt das Meer, indem es bei jeder Ueberschwemmung eine
dünne Lage des mitgefUhrten fruchtbaren Schlammes sinken lässt, der
alsdann durch den Regen innig mit dem alten Boden verbunden wird.
Die Halligen ähneln also in der Beziehung dem Nilland, dass sie von
Jahr zu Jahr unmerklich an Höhe zunehmen.
S. Halligkante bei Ktei^nder Flut. Nach einer Aufnalirae von M. J. Koch.
Alle Halligen sind von einem System, mitunter sogar von einem
überraschend dichten Netz von Gräben durchschnitten, die unter dem
Namen von Gröpeln, Schloten und Prielen das Land entwässern. Teil-
weise sind sie so breit und tief, dass sie den weit in das Land ein-
fahrenden Wattenewern als Hafen dienen, teilweise so lang, dass sie
die Insel von einer Seite zur anderen durchqueren, wodurch z. B. Nord-
strandisch-Moor in drei Stücke zerlegt ist. Es wäre keine zu grosse
Arbeit, diese sehr gefährlichen Flutrinnen in der Mitte zu verstopfen,
wie man es mit solchen Durchgangsprielen zwischen Grude und Äpel-
land und zwischen Langeness und Nordmarsch gethan hat, aber es
geschieht nicht. Ursprünglich sind sämtliche Gräben von Menschen-
hand ausgehoben worden, um tiefer liegende sumpfige Stellen auszu-
trocknen: denn bei der mangelhaften Durchlässigkeit des Erdreichs
genügt eine ganz flache Einsenkung, um stehende Lachen zu erzeugen.
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Kugen Tracger,
[>0
welche das Gras verderben, so dass der Mensch überall helfend ein-
j^reifen muss. Mit dem letzten Spatenstich hört aber seine Macht auf,
denn nun ergreift die See Besitz von ihnen; das fliessende Wasser
greift die Wände und die Sohle der kleinen Abflussrinnen an, die
Seitenteile stürzen ein, und iin Laufe der Zeit entsteht ein Graben, der
unerwünscht an Tiefe und Breite zunimmt. So mündet einer in den
anderen, bis schliesslich die grossen Priele die See, respektive das Watt
erreichen, von wo aus bei Flutzeit das Meereswasser ihrer Bahn folgend
landeinwärts dringt, um mit dem Ebbestrom die Hallig wieder zu ver-
lassen. Der Wasserstand wechselt also in ihnen ununterbrochen, genau
so wie draussen im Wattenmeere. Ausser diesen Gräben mit beständigem
Strome giebt es eine Menge von solchen, in denen das Wasser an-
gespannt worden ist, um das Vieh vom Betreten der Werftböschungen
und vom Verlassen be.stimmter Weidefennen abzuhalten, wovon weiter-
hin noch die Rede .sein wird. Hier sei bemerkt, dass die Gräben ein
sehr lästiges Verkehrshemmnis bilden, weil selbst bei Hohlebbe immer
etwas Wasser in ihnen zurUckbleibt, vor allem aber, weil ihre Sohle
mit zähem Schlamm oder Schlick bedeckt ist. Nur wenige Stege führen
über sie hin. von denen die grösseren mit einem einseitigen Geländer
versehen sind, die grössten auf eingerammten Balkenpfeilern ruhen und
bis über Schritte lang sind. Daher ist auch hier der Verkehr an
bestimmte Pfade gebunden, die man namentlich in der Dunkelheit oder
bei dichtem Nebel aufmerksam verfolgen muss, wenn man sich nicht
in sehr unangenehmer Weise verirren will. Nur die Gräben verursachen
Umwege, denn die Schonung des Grases, selbst in der Zeit der Heu-
ernte, giebt durchaus keine Veranlassung, bestimmte Ländereien nicht
zu betreten; das Gras ist so elastisch, dass es sich sogleich wieder auf-
ricbtet, nachdem der schreitende Fuss es niedergedrückt hatte.
Eine andere Unterbrechung des grünen Halligplanes bilden eine
Unzahl von rundlichen, flachen Vertiefungen, die in der Regel eben-
falls mit Wasser gefüllt sind und nur nach längerer Trockenheit leer
stehen. Wie dieselben entstanden seien, lässt sich nirgends seitens der
Bewohner ermitteln; die Vermutung .scheint jedoch gerechtfertigt, dass
sie grösstenteils solche Stellen einnehmen, die ehemals eine der flachen
Bodensenkungen bildeten ; die.selben wurden nicht rechtzeitig entwässert,
ihr Boden durch das stagnierende Wasser erweicht und nach endlich
hergestellter Abflussrinne allmählich von dem fliessenden Wasser mit
fortgeführt. Auffallend könnten nach dieser Erklärung allerdings ihre
senkrechten Randflächen erscheinen; doch findet man überall die eigen-
tümliche Thatsache bestätigt, dass der Halligboden in möglichst senk-
rechtem Abbruche verschwindet, sowohl draussen an der Kante wie
in den Gräben und so auch wahrscheinlich in solchen Löchern.
Zu bemerken sind ferner unbewachsene, graue Stellen im Um-
kreise der menschlichen Wohnstätten, wo sie manchmal eine leider
recht ansehnliche Ausdehnung und Tiefe gewinnen. Hier ist das Gras
und das Erdreich abgehoben worden zu irgend welchen Ausbesserungs-
arbeiten. Diese Massregel ist nicht vorteilhaft für die Schonung des
Graslandes; es sollte sich doch wohl empfehlen, das Material für not-
wendige Erdarbeiten lieber von dem nächsten Watt oder Graben herbei-
Die Halligen der Nordsee.
247
21 ]
zuscliaflFen. Sicherlich müssten die Arbeiten dadurch erschwert und
verlangsamt resp. momentan verteuert werden, aber diesen einmaligen
Nachteilen steht bei dem jetzt beliebten Verfahren der dauernde gegen-
über, dass ansehnliche ertragreiche Flächen in hässliches Oedland ver-
wandelt werden.
An Muschel- und Sandbänken mangelt es nicht immer, nament-
lich in der Nähe der westlichen Gestade. Besonders auffallend als arg
verwildert ist die Hallig Nordmarsch, deren Bewohner auf die Instand-
haltung ihres Landes mehr Fleiss verwenden sollten. Auf derselben
Hallig finden sich auch weite Flächen, wo man Unkräuter derartig hat
aufkommen lassen, dass sie den Graswuchs geradezu verdrängt haben,
eine Saumseligkeit, die auch auf Nordstrandisch-Moor ihre bedauerliche
Wirkung geltend macht. In erfreulichem Gegensatz dazu zeigt sich
be.sonders die Hallig Langene.ss mit gut gepflegten Ländereien.
Endlich ist noch einer Flage zu gedenken, die namentlich auf
Hooge die Schönheit des Graslandes beeinträchtigt: ausgedehnte, dichte
Schwärme von Ameisenhügeln! Die Insekten wissen mit feinfühligem
Instinkt die höchstgelegenen Stellen ausfindig zu machen, wo sie sich
in wachsenden Kolonien ansiedeln. Trotzdem die Halligen so oft über-
schwemmt werden, mitunter tagelang hintereinander von jedem Hoch-
wasser, halten sie sich doch unbeschädigt in ihren Tiefbauten, weil das
Wasser in den dichten, fetten Boden während der Dauer einer Ueber-
schwemmung nicht tief genug einzudringen vermag. Das Abstechen
der Hügel, was hin und wieder als einzige Bekämpfung der Plage vor-
genommen wird, schadet ihnen auch nicht ern.stlich, und so vermehren
sie sich fröhlich und erobern immer mehr Terrain.
Aber trotz aller Mängel und Schäden ihrer Grasflur gewährt eine
Hallig einen reizenden Anblick. Wie eine freundliche Oase liegt sie
in der Wasser wüste oder in der öden, grauen Umgebung ihrer Watten-
gefilde, namentlich im Sommer ein liebliches Idyll von höchster An-
spruchslosigkeit. Glücklicher Friede ruht auf ihren grünen Matten, auf
denen sich die Herden tummeln, und gesellig sich aneinander schmiegend
erheben sich die einfachen, sauberen Häuser auf den gartengeschmückten
Werften, die den ebenen Plan überragen. Sie sind das Bemerkens-
werteste auf den Halligen, und zu ihnen lenken wir unseren Schritt,
die Gastlichkeit ihrer freundlichen Bewohner in Anspruch zu nehmen.
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3. Die menschlichen Wohnstätten.
Bei ihrer geringen Höhe und dem Mangel an schützenden Deichen
würden die Halligen natürlich unbewohnbar sein, wenn man nicht in
den Werften oder Warfen ein Mittel für die menschliche Besiedlung
gefunden hätte. Es sind künstliche Hügel von durchschnittlich 4 tu
absoluter Höhe, auf deren IMateau der Mensch sich und sein Vieh vor
den häutig eintretenden Ueber.schweinmungen sichert. Der Umfang
einer Werft richtet sich nach der Anzahl von Häu.sern, für die sie
ursprünglich bestimmt war, wobei begreiflicherweise auf dem mühsam
errichteten und teuren Fundament der Baum möglichst sparsam be-
messen wurde. Wenn jetzt die Werften nicht mehr eng bebaut er-
scheinen und manche Häuser auf mehreren Seiten von Gärten umgeben
sind, so liegt das daran, dass im Laufe der .Jahrhunderte allenthalben
Stellen eingegangen und die übertiUssig gewordenen Wohnhäuser ab-
gebrochen sind, weil das ihnen zugehörige Land auf den Watten vom
Meere verschlungen liegt. .Jede Werft steigt in sanft geneigter Böschung
vom Hallig]dan empor, um bei Hochfluten das Auflaufen der Wellen
zu erleichtern und ihre gefährliche Brandung zu schwächen; aufgeworfen
wird sie aus dem Halligbodeu ihrer Umgebung, nachdem man vorher
die Grasnarbe abgestochen hat, mit welcher später die Böschungsflächen
sorgfältigst belegt werden. Ehe aber die neue Werft bebaut werden
kann, vergehen ein bis zwei Jahre, um dem Hügel Zeit zu lassen, sich
in gehöriger Weise zu setzen. Nach ihrer Fertig.stellung zeigt eine
mittelgrosse Werft mit allem Zubehör folgende Einrichtung:
Das länglichrunde Plateau wird in der grösseren Achse durch
einen schmalen Weg in zwei Hälften zerlegt, die eine südlich, die
andere nördlich von ihm. Von den fünf Häusern, welche die Werft
tragen mag, stehen drei auf der südlichen Hälfte mit der Nordseite
an den Weg grenzend, die llauptfront nach Süden gerichtet. Vor jedem
Hause liegt ein Gärtchen, welches durch Staketzäune eingeschlosseu
ist und in der Breite des Hauses bis an den Rand der Werftoberfläche
reicht. Da das östliche und westliche Haus mit der Giebelfront nicht
bis an den 01)erflächenrand vorgerückt ist. so bleibt an diesen Enden
ein verfügbarer Raum übrig, der entweder von einem kleinen Stall-
gebäude, oder von einem Zaunverschlag eingenommen wird, dem Schaf-
hock, in welchem die Tiere bei drohender Ueberschwemmung geborgen
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•J3]
Die Halligen der Nordsee.
249
werden, oder der sonst zu irj^end welchen wirtschaftlichen Einrichtungen
Verwendung findet. Die nördliche Hälfte enthält zunächst ungefähr in
der Mitte den Fething, das hei.sst einen gleich bei der Werftanlage
Fjg. I. CtnindrifiH riner iiiittelgTORHPn Werft.
1. Wohnliäuser. 4. Fething.
'S. Schuppen und Stallgebüude. ttepfiasterte Steige und Acke.
a. Gärten. C. Werflahhang.
Ziune.
vorge.sehenen Teich, welcher zum Auffangen von Regen und Schnee
bestimmt ist, um in Notfällen mit seinem Wasservorrat auszuhelfen.
Oestlich und westlich von ihm liegt dann je eins der beiden anderen
Häuser, diese aber mit der nördlichen Hinterfront ziemlich dicht an
den oberen Rand gerückt, um auch hier vor der Südfront Platz für
einen Garten zu gewinnen. Kleinere Nebenanlagen wie Stallgebäude,
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250
Kugen Traeger,
L24
Zimmermannsschuppen, Schaf hock, Düngergrube sind auf der nördlichen
Hälfte ebenfalls vorhanden. Wie das obere Plateau, so ist auch die
Böschung bis an den Fuss der Werft, wo Gräben und Zäune sie ein-
schliessen, den Haushaltungen je nach der Grösse der einzelnen Stellen
zur Grasnutzung zugeteilt und für jedes Haus durch Querzäune ab-
gegrenzt. Die Aufgänge zur Werft, welche auch vom Vieh benutzt
werden, heissen Ack; sie sind gepflastert und zu beiden Seiten durch
Zäune eingeschlossen.
Dieselbe Werft bietet nach einer photographischen Aufnahme von
F. Schensky auf Helgoland folgenden Anblick:
Kig. J.
Daran möge sich noch der Grundriss der grössten Halligwerft,
die es gegenwärtig überhaupt giebt, anschliessen ; es ist die Hauswart
auf Hooge, auch sonst in jeder Beziehung die ansehnlichste und schönste
aller Werften.
Die Einrichtungen eines Hauses sind nach alten Erfahrungen den
gesamten örtlichen Verhältnissen angepasst. Man betritt es durch
eine horizontal in zwei Flügel geteilte Thür, welche in den Hausflur
oder die Diele leitet. Rechts und links von letzterer liegen die niedrigen
Wohngemächer nach der Südseite, während Küche, Keller, Speise-
kammer und Stallungen nach Norden zu untergebracht sind. Die
Wohnzimmer, meistens auch die hier unvermeidliche „gute Stube“, der
sogenannte Pesel, enthalten zweischläfrige Wandbetten, die durch Vor-
hänge oder HolzthUren verschlossen werden, so dass man von den
Betten selbst nichts bemerkt. Die Holzthüren sind entweder mit weisser
Oelfarbe augestrichen, oder mit Blumen und Blätterwerk, Schiffs- oder
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Die Halligen der Nordsee,
251
biblischen Bildern oder mit Sinnsprüchen geschmückt; doch verschwinden
die Malereien immer mehr und sind nur noch in älteren Häusern an-
zutreffen. Für jeden , der nicht daran gewöhnt ist, bilden die Bett-
Fig. 6, Die Hanswarf auf Hooge.
1. Wohnhäuser. 5. Fethinge.
Schuppen und Stülle. 6. üepllaaterte Wege und Aeke.
S. Annenhaus getnt abgebm-hen)« 7. Werflboschung.
4. Gärten 8. Fahrstrasse.
Zäune.
schränke keine angenehme Ruhestätte, weil der Luftwechsel in solchen
abgesperrten Ver-schlägen wenn nicht ganz verhindert, so doch sehr
verzögert wird; dagegen haben sie den Vorteil, dass die Zimmer stets
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1
252 • Eujjen Traeger, |26
in guter Ordnung erscheinen. Andere Wandnischen dienen als Schränke
oder zum Aufbewahren von Porzellan, Muscheln und Nippsachen, meist
aus fernen Ländern. Die Zimmerwände bestehen teils aus weiss ge-
strichenen Brettern , teils aus Mauerwerk ; die letzteren sind stets mit
kleinen quadratischen Kacheln aus Delfter Fayence bekleidet, die auf
wei.ssem Grunde ein blaues Bildchen enthalten , Darstellungen von
Schiffen, Brunnen, Vögeln und allerlei anderen Tieren, Jagdbildem,
Land.scharten , Stofl'en aus der Heiligen Schrift u. s. w. In einigen
Zimmern hebt sich aus diesen in buntem Wechsel gradlinig aneinander
Fijr. 7. Fothini;l>il(l von der Hanswarf auf Hoop*. aufgenommm von F. Schrnsky.
gereihten Bildchen eine grössere Komposition heraus, die aus einer
ganzen Anzahl von Kacheln zusammenge.setzt ist: ein Vollschiff, im
Schmuck der geschwellten Segel die schäumenden Wogen durchschnei-
dend, eingerahmt von Banken- und Puttenarabesken. Diese Bilder sind
wahrscheinlich von ehemaligen Schilfskapitänen au.sdrUcklich in Holland
bestellt worden , das machen Inschriften , die Uber den Mastenspitzen
angebracht sind, bis zur Gewissheit wahrscheinlich. Eine solche In-
schrift lautet bei.spielsweise :
Ao. 1750
Hiindoluur
gefoerd doer Skipper
liarend Frcderik Hansen
voor
De Heer John Notemann.
Man ersieht hieraus gleichzeitig, wie dauerhaft die Kucheln sind, denn
die glänzende Emaille dieses fast 150 Jahre alten Wandschmuckes ist
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Die Halligen der Nordaec.
253
fiisch erhalten wie auf allen holländischen VVandkacheln ; mit solchen,
die man in neuerer Zeit von anderen Orten bezogen hat, musste man
minder erfreuliche Erfahrungen machen. Tapeten eignen sich in der
feuchten Seeluft nicht zur Wandbekleidung, selbst dann nicht, wenn
sie auf einen mit Leinwand bespannten Rahmen gezogen werden; daher
bilden die Kacheln einen ausgezeichneten Ersatz. Ein Zimmer im
Schmuck derselben sieht höchst behaglich und reinlich aus, ist aber
nicht ganz billig herzustellen, so dass in ärmeren Hütten die Bretter-
wände vorherrschen. Am reichsten mit tadellos erhaltenen Kacheln
ausgestattet und deshalb der inneren Einrichtung nach ich möchte
sagen am vornehmsten erschien mir das „Königshaus“" auf Hooge, im
Besitz einer Familie Hansen, auch äusserlich das schönste aller Ilallig-
häuser, die ich gesehen habe. Den Namen verdankt es einem Besuch
des Königs Friedrichs VT. von Dänemark, der nach der .schrecklichen
Sturmflut vom Jahre 1825 persönlich nach Hooge kam, um sich durch
den Augenschein von den angerichteten V^erwU.stungen zu überzeugen,
und dabei durch stürmisches Wetter drei Tage auf der Hallig fest-
gehalten wurde. Er bewohnte damals mit den wenigen Herren seines
Gefolges das Hansen’sche Haus , welches glücklicherweise die Kata-
strophe ohne sonderliche Schädigung Überstunden hatte, und schenkte
den Eltern des jetzigen Besitzers seinen silbernen, innen vergoldeten
Trinkbecher, der später nach Föhr gekommen ist, wo er noch ver-
wahrt wird. Der ,König.spesel“ zeichnet sich auch noch durch hübschen
Oelfarbenanstrich der L)ecke aus, indem die Balken und die durch sie
gebildeten Felder mit freundlichen Hankengewinden bemalt sind. Den
sonstigen Wandschmuck jedes Halligzimmers bilden religiöse oder
Schiflsbilder, denn die Leute lieben es, eine Abbildung der Schiffe zu
besitzen , auf denen sie selbst oder ihre Angehörigen gefahren .sind.
Fremdländische Muscheln, Korallen, Münzen, chinesische Porzellane und
japanische Papier- oder Lackarbeiten findet man gleichfalls beinahe in
jedem Hause.
Teppiche fehlen; der weiss gescheuerte Fussboden wird täglich
mit frischem Sande bestreut, und nur in einigen Häusern finden sich
Läufer oder geflochtene Fussbodenmatten. Ziemlich selten sind auch
Sophas, sehr häufig dagegen Polsterstuhle. Die Ti.sche stehen gewöhn-
lich zwischen den beiden Zimmerfenstern am Wandpfeiler, in ein-
fenstrigen Stuben unter dem Fenster; es sind in der Regel Tische mit
etwa * 1 m breiter, 1 m langer Platte, aber mit zwei grossen Klappen,
die nach Bedarf angewendet werden. In Wohnräumen, die oft genug
recht klein sind, ist ein solcher Tisch sehr praktisch, da er mit herunter-
hängenden Klappen fast gar keinen Raum einnimmt. In vielen Häusern
findet sich eine Art Ersatz für das fehlende Sopha: lange Kasten längs
der Fensterwand, deren Deckel in Sitzhöhe sich befinden und als Bänke
benutzt werden, indessen der untere Raum zum Auf bewahren von
allerlei Hausgerät dient.
Die Küche enthält einen sehr geräumigen Herd aus Ziegelsteinen,
unter dessen Plattform sich der Backofen befindet. Derselbe ist durch
einen Holzdeckel in der Mitte des Unterbaues verschlo.ssen, und rechts
und links von ihm zeigen sich die Zuglöcher für zwei Feuerungsstellen.
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254
Eugen Traeger,
[28
Das Brennmaterial liegt auf eingemauerten Rosten über den Zügen,
die Kochgeschirre werden auf beweglichen Rosten darüber gesetzt, und
der Rauch zieht durch den Schornstein, der sich über dem Herd ver-
jüngt, ins Freie, bei ungünstigem Wetter mit Vorliebe in die Küche
und durch das ganze Haus. Unter dem Deckel des Backofens bemerkt
man im Fussboden eine Vertiefung, die gleichfalls durch einen Holz-
deckel verschlossen ist; darein setzt die Hausfrau ihre Füsse, während
sie auf dem Boden sitzend den niedrigen Ofen bedient. In der Küche
befindet sich auch der Eingang in den Keller unter einer Fallthür,
und neben ihr eine Speisekammer. Die hintere Herdwand ist durch-
1. Fonbt4*r.
2 . Thüren.
а. Kleine Stabe.
4. Vordiele (Hausflur).
5. Grosse Stulte.
б. Pesel.
7. 8. 9. Brttschränke.
10. Ofen.
11. Kammer.
12 . Küche.
13. Feuerherd.
14. Speisekammer.
15. Eingang xum Keller.
Itf. Fesler Kleiderschrank,
17. 18. 19. Viehatälle.
20. Rinne.
21 . Gang.
22 . 23. Schafställe.
24. Trepi^e.
brochen ; durch die OelFnung wird das glimmende Brennmaterial in
den Beilegerofen geschoben, der auf der anderen Seite der Herdwand
im Wohnzimmer steht. Solcher Ofen stellt einen eisernen Kasten von
der Form eines ParaUelepipedons dar, welcher mit dem einen Ende in
die Kaminwand eingelassen ist, mit dem anderen auf zwei Füs.sen im
Zimmer steht; da dieser Ofenkasten weder eine Thür noch ein Abzugs-
rohr für den Rauch besitzt, so gelangt durch ihn kein Rauch und
keine Asche in den Wohnraum, was natürlich sehr angenehm ist. Die
Kastenwände prangen immer im Schmuck irgend einer Darstellung in
Hochrelief, vorzugsweise aus der Heiligen Schrift, auch mit Jahreszahlen
ilirer Entstehung, die bis in das 17. Jahrhundert zurückreichen.
Die Stallungen sind in den Hallighäusern gedielt, weil man kein
Stroh zum Unterstreuen verwenden kann. Eine Rinne, hinter der zur
Reinlichhaltung des übrigen Stallraumes eine niedrige Bretterwand
aufgestellt wird, nimmt den Dünger auf, von wo er in eine Grube zur
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Die Halligen der Nordsee.
2 !»]
Aufbewahrung gelangt, um im Frühjahr eine Verwendung zu finden,
von der weiterhin erzählt werden soll. Wegen der fehlenden Streu
müssen die Ställe häufig gesäubert werden, und das geschieht auf den
Halligen in musterhafter Weise, vielfach durch Scheuem der Dielen.
Ueher dem Erdgeschoss des Hauses ruht das ziemlich hohe und
starke Dach , welches den Druck von oftmals äusserst wütenden
Stürmen auszuhalten hat. Es ist sorgsamst aus Rohrschauben zu-
1 . Fenster.
2. Hansthiiren
3. Innere Thören.
1 Vordiele oder Flur,
ft. Grosse Wohnstube.
«. Pesel,
t. Kammer.
H, Kleine Wohnstube.
9. Mädchenkammer.
10. Küehe.
11. Herd.
13. Sp^nsekammer.
13. Bettsohränke.
14. 15. Kleider- und Leinen- Wandsehrnuke.
16. Einle]?ei-bren.
17. Kamin.
18 Gang.
10. Treppen.
20 . Kuhstölle.
21. Schweinestall.
22. Schafstklle.
23. Diinger-Satiimelrinne.
sammengesetzt und auf dem First mit abgestochenen Rasenstreifen
belegt, die hin und wieder erneuert werden müssen. Sollte sich nicht
auch hier wie auf anderen Rohrdächern der First mit Strohschauben
abschliessen lassen? Im Interesse der Schonung des Gra.slandes, welches
gar nicht eifrig genug gehegt und gepflegt werden kann , wäre es
dringend zu wünschen , dass solchen unnötigen Zerstörungen Plinhalt
gethan würde; die alten Gebräuche sind nicht immer die besten!
Der ganze Raum unter dem Dach bildet ein grosses Bodengelass,
in dessen hinteren Teil das Heu eingelegt wird und wo der in jedem
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250 Eujjen Traeger, [^^30
Frühjahr übrig bleibende liest sich mit der Zeit zu einem festen Klampt
setzt. Das Halligheii hält sich jahrelang, sicherlich infolge seines Salz-
gehaltes, den es aus dem mit Seewasser getränkten Boden zieht. Seine
Dauerhaftigkeit macht es möglich, dass es in Notfällen selbst in feuch-
tem Zustande geborgen werden kann, wenn es schichtenweise mit dem
zur Ernte in allen Zeitungen empfohlenen Heusalz bestreut wird. Auf
dem Boden lagert ausserdem das trockene Brennmaterial und der
Vorrat an solchen Lebensmitteln , die möglichst trocken aufbewahrt
werden müssen.
Man baute früher ein Hallighaus in der Weise, dass man den
ganzen Bodenteil auf starke Pfähle oder Ständer basierte, so dass er
in Zeiten der Gefahr, wenn die dünnen Hausmauern eingestUrzt waren,
immer noch eine kräftige Stütze besass und manches Menschenleben
rettete. In neuerer Zeit ist das mehr und mehr abgekommen , ohne
dass dafür die Aussenmauern an Dicke zugenommen hätten. Wenn
man auch zugeben muss, dass hier ein Hausbau mit mancherlei sonst
nicht vorhandenen Schwierigkeiten verknüpft ist, auch der Schiffs-
transport für die sämtlichen Baumaterialien die Kosten ansehnlich er-
höht, so befremdet es doch, dass man die bewährten Ständer aufgeben
will, ohne durch gewaltiges Mauerwerk hinlänglichen Ersatz zu schaffen.
Seit dem Jahre 1825 ist ja eine ernstliche Katastrophe glücklicher-
weise nicht mehr eingetreten, aber die Möglichkeit einer solchen bleibt
doch niemals ausgeschlossen, und wenn sie eintritt, dann dürfte sich
die unangebrachte Sparsamkeit bitter rächen. Bemerkt sei noch, dass
alle inneren Hauswände nur dünn sind und mehr dem Zw'eck der
Raumeinteilung, als dem der Sicherheit und Wärmehaltung zu dienen
scheinen.
Zu jedem Hause gehört eine Cisterue, die vor demselben im
Grunde der Werft angelegt ist. um das vom Dache ablaufende Regen-
wasser aufzufangen. Sie ist au.s Ziegelsteinen aufgemauert, etwa 10 bis
12 Fuss tief, mit einem gleich gro.^sen Durchme.sser unten auf der
kreisrunden Sohle, verjüngt sich wie eine Flasche mit kurzem Halse
bis zu einer Mundweite von nur 2 Fuss und wird oben durch einen
Holzdeckel verschlossen ; zum Schöpfen bedient man sich eines Eimers
an einer Hakenstange. Wo keine Blechrinne am Dache angebracht
ist, läuft das Regenwasser zunächst in eine offene, gepflasterte Rinne
unter der Traufe herab und aus dieser vermittelst einer verdeckten
Rinne oder eines Siels in die Cisterne. Eine Menge kleiner Rohr-
stückchen , namentlich wenn nach langer Dürre das Dach recht aus-
getrocknet und spröde geworden war, gelangt mit dem Wasser in den
Brunnen hinab und bewirkt eine Färbung des ersteren, die von hellgelb
bis hellbraun variiert, je nach dem Alter und der Be.schaftenheit des
Bodensatzes; unterbleibt die Reinigung der Cisterne gar zu lange, so
entwickeln sich auch kleine Lebewesen darin , die sich mit den ihnen
eigentümlichen schnellen und zuckenden Bewegungen munter im Glase
tummeln, so dass einem aller Appetit auf ein Glas Wasser vergehen
kann. Man ist daher in solchem Falle auf gekochtes Wasser ange-
wiesen, während die helleren Nüancen, in denen man mit blossem Auge
keine Tierchen wahrnehmen kann , nicht so übel schmecken , als der
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31 1 Die Halligen der Nordsee. 257
jrlüeklicher situierte Festländer glauben könnte. Dagegen eignet sich
das Was.ser der zweiten Oisterne, die au.s Erdsooden aufgebaut wird
und mit dem Fething in Verbindung zu stehen pflegt, weder zum
Trinken noch zum Kochen, sondern nur zum Tränken des Viehes,
selbst dann nur, wenn sie in Ermanglung eines Fethings — denn nicht
jede Werft besitzt einen solchen — vom Dache aus mit Kegenwasscr
gespeist wird. Der Inhalt dieser Sooden- oder Fethingbrunnen er-
weist sich nach dem Baumaterial als etwas salzig, etwa wie Brack-
wasser. Eine dritte Art. von Brunnen , die sich auf Klein-Moor und
auf der Hamburger Hallig befindet, sind Artesische Brunnen, die
auf Kosten der preus-sischen Kegierung 30 — 40 m tief unter den
Meeresspiegel getrieben worden sind, wobei sie nach Durchstossung
der oberen Thonboden- und Moorschicht in fein- und schliesslich in
grobkörnigen Sand gelangten, aus dem ein eisenhaltiges Wasser ge-
pumpt wird.
Die Fethinge, deren auf grossen Werften zwei bis drei vorhanden
sind, während sie. wie gesagt, auf kleinen und ärmlichen Werften ganz
fehlen, reichen bis in den Boden der Hallig hinab und sind in ihrem
untersten Teile mit Brettern verschalt. In den Ecken der Wandung
befinden sich noch etwas tiefer gehende Tonnenbrunnen, um in Zeiten
der Not das wenige quellende Wasser zu sammeln. Bei günstigem
Wasserstande fliesst das Fethingwasser durch einen Siel in den Fething-
brunnen, bei ungünstigem wird es in den Siel und dadurch in den
Brunnen geschöpft; von dort aus werden die Viehtröge mittelst eines
Schwengeleimers gespeist. Die Tröge sind auf einigen Stellen aus
Sandstein gearbeitet, merkwürdigerweise ganz in der Form von Särgen.
Die Anlagen für die Viehtränke wechseln übrigens in mannigfacher
Weise, niemals aber werden die Tiere über die Fethingböschimg an
den kleinen Teich gelassen; zur Schonung der Böschung, zur Rein-
haltung des Wassers und zur \ü-rmeidung von Unfällen. Für den Fall,
dass ein Fething bei einer Sturmflut voll Seewasser läuft oder einer
gründlichen Reinigung bedarf, kann man seinen Inhalt durch eine
Sielanlage ablassen, während die gemauerten Cisternen ausgeschöpft
werden müssen. Trifft ein derartiger Unfall sämtliche Wasserbehälter
einer Hallig, so müssen die Leute sich Wasser vom Festlande oder
der nächsten grossen Insel holen ; trocknen sie bei langanhaltender
Dürre aus, so tritt eine ernstliche Kalamität ein, weil alsdann in der
ganzen Gegend dieselbe Not herrscht. Es ist ein Glück , dass es so
weit sehr selten kommt, weil die NordseekUsten zu den regenreichen
Gebieten Deutschlands gehören; aber sparsam muss man häutig mit
dem letzten Wasserrest umgehen.
Die Gürten auf den Halligen sind meistens klein, nur da, wo
eine Werft im Laufe der Zeit einen Teil ihrer Häuser verloren hat,
gewinnen sie an Ausdehnung; die ansehnlichsten und schönsten Gärten
besitzt die Familie Paulsen auf Süderoog. Es werden Küchenkräuter,
Kartoffeln, Rüben, Bohnen und Blumen gezogen, auch Schoten, Zwie-
beln, Kohl und Salat, ausserdem Stachel- und Johannisbeeren, Apfel-,
Birnen- und Hollunder- oder Fliederbäume. Die Beeren geraten bis
auf den schwachen Zuckergehalt recht gut. das Obst aber leidet unter
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258
Kugen Traeger.
1.32
den ewigen Winden und StQrnien, die es grossenteils vor der Reife
abschUtteln. Die grösste Mannigfaltigkeit an Gartengewächsen findet
sich ebenfalls auf Süderoog. Wo die Gärten gegen die wilden West-
stOnne einigermassen geschützt sind, gedeihen selbst die Bäume leid-
lich, erreichen aber niemals die Ausbildung wie unter milderen Himmels-
strichen; wo die Winde volle Gewalt über sie haben, fristen sie ein
mühseliges und bejammernswertes Dasein. Die Fruchtreife tritt all-
gemein vier Wochen später ein, als im mittleren Deutschland.
Nicht immer machen die Werften mit ihren Häusern und Gärten
den freundlichen Eindruck der Ordnung und Wohnlichkeit, den ich im
Vorstehenden geschildert habe. Ganz verwildert und verfallen zeigten
sich mir die Baulichkeiten und Werfteinrichtungen der Pohnshallig, als
ich sie im Herbste des Jahres 1884 besuchte. Wenn ich zutreffend
unterrichtet wurde, gehört die Hallig einem Bauern auf Nordstrand,
der vom Frühjahr bis Herb.st seine Heerden durch einen Hirten auf
ihr verpflegen lässt, während sie im Winter, gleich der Hamburger
Hallig, unbewohnt bleibt; aber trotzdem brauchten das Wohnhaus, die
Ställe und der Fething nicht den verkommenen Eindruck zu machen,
den ich empfing. Der Garten fehlte ganz, der sonst das Auge mit
seinen Gemüsebeeten und Sträuchem erfreut. Einen betrübenden An-
blick gewähren auch manche Häuser auf Klein-Moor, deren Dächer
zerzaust und mit wucherndem Moos bewachsen sind, deren Wohn-
zimmer, mit Lehm gedielt, in ihrer kläglichen Ausstattung den Anblick
der Hinfälligkeit des ganzen Hauses eher verschärfen als vermindern,
während die Stallschuppen unfähig erscheinen, die Tiere vor rauhen
Stürmen, Schnee und Kegen hinlänglich zu schützen. Das sind weh-
mütig stimmende Bilder, aber erschreckend wirkt es, wenn man die
Peterswarf auf Nordmarsch betritt, deren westliches Vorland von der
Nordsee verschlungen ist, so dass ihre wilden Wtisser bei jedem
Sturme an den kleinen Hügel branden. Als ich sie 188(i zum ersten-
male sah, erschien sie mir bereits rettungslos verloren : schon standen
die Pfähle der Schafhürden und der Zäune aut grauem Schlick, bei
Flut im Wasser, schon war der Halliggrund am FethingwaU zerrissen,
der Wall selbst geschwächt und mühsam durch Strohnaht geschützt.
Später fand ich die gefährlichsten Schäden etwas dauerhafter ausge-
bessert, aber die W'erft bildet dafür jetzt bereits eine Halbinsel und
dürfte dem nächsten wütenden Hochwasser kaum noch genügenden
Widerstand leisten, so dass die Bewohner genötigt sind, weiter land-
einwärts eine neue Werft aufzuschütten, woran gegenwärtig gearbeitet
wird. Die Peterswarf verfällt somit rapid dem Schicksal mancher
anderen Werft, deren klägliche Reste in düsterem Schweigen hinein-
starren in die Fluten, die unermüdlich an ihrer Vernichtung bis zum
völligen Verschwinden Weiterarbeiten. Mit steilen Erdmauerrr ragt ein
solcher abgebröckelter Hügel unmittelbar von dem Watt empor: aus
dem Inneren des ehemaligen Fethings führt manchmal noch der hölzerne
Siel am Boden hin, welcher bestimmt war, zufällig eingedrungenes
Seewasser aus dem kleinen Teiche wieder zu entfernen. Nun hat die
See sich für immer .seiner bemächtigt und strömt mit den wechselnden
Gezeiten ungehindert aus und ein. Nicht weit davon ragen die letzten
^ ‘-y Google
Die Halligen der Nordsee.
259
3.S]
Soodenringe ehemaliger Cisternen ein wenig über das Watt heraus,
auf welchem allerlei Trümmer von Bausteinen, Kacheln, Gefässen und
.-onstigen Wirtschaftsgeräten ordnungslos durcheinander liegen, ein
Beweis, dass das Haus nicht freiwillig von Menschenhand der Ver-
nichtung preisgegeben wurde. Als Reste der ehemaligen menschlichen
Heimstätte starren noch die abgebrochenen Eichenständer aus dem
verfallenen Hügel, in dessen eingesunkene Wandungen die Wogen
Schluchten und Höhlen eingenagt haben; in diese stürmen sie mit
schwerem Schlage hinein, um im Hintergründe derselben hoch in die
Höhe zu lecken, ruhelos thätig in unbarmherziger Zerstörungswut,
bis auch die letzten Spuren der alten Ansiedlung verschwunden sind.
Forschungen nur deutschen Landes- un.l Volkskunde. VI.
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4. Kirchen. Schulen und Aemter auf den Halligen.
Hooge ist die einzige H.-iilig, welche ausser Kirche und Pfarrhaus
noch ein besonderes Schulhaus besitzt. Ein solches unterscheidet sich
von einem anderen Hallighause nur dadurch, dass eins der Zimmer
Fig. 10. St'hulhaaa von Hooge nach einer Pboiographie.
als Schulstube eingerichtet ist, wodurch die Wohnung des Lehrers eine
Einschränkung erfährt. Ende der sechziger Jahre hatte Hooge noch
.'iO Schulkinder, jetzt nicht mehr 20, eins der vielen Beispiele fQr die
Abnahme der Bevölkerung auf den Halligen.
Das Pastorat bietet ebenfalls nur geringe Abweichungen von den
allgemein üblichen Hauseinrichtungen; doch ist seit kurzer Zeit als
besondere Eigentümlichkeit ein Telegraphenapparat mit einem Schrank
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35] Die Halligen der Nordsee. 201
für die Batterie von 70 Elementen hinzugekommen. Ueber die Hallig
Hooge läuft nämlich das Kabel, welche.? von Amrum über Hooge,
Pellworm und Nordstrand nach dem Festlande führt. Da nun die
Hallig häufig genug durch Eis von jeglichem Verkehr ahgeschnitten
wird, so wendete sich die Gemeinde an die zuständigen Behörden mit
der Bitte um Anschluss an das Kabel, und als diese Bemühungen
erfolglos blieben, an Se. Majestät den Kaiser, welcher sogleich die
Errichtung der Station befahl. Das wesentlichste Verdienst um die
Gemeinde erwarb sich hierbei der derzeitige Pastor, welcher sich er-
boten hatte, den Dienst an dem Apparat ohne jede Entschädigung auf
sich zu nehmen ; ausser ihm ist auch der Lehrer durch einen Beamten
in der Kunst des Telegraphierens unterrichtet worden, so dass einer
Unterbrechung des Dienstes hinlänglich vorgebeugt ist.
Die Kirche mit Kirchhof und GlockentUrmchen , das Pfai'rhaus
mit einem verhältnismässig grossen Garten und einem kleinen Neben-
gebäude nehmen eine Werft für sich ein , die wie eine Was.serburg
am Zusammenfluss zweier mächtigen Gräben angelegt und ausserdem
durch besondere Werftgräben eingeschlossen ist, wie der beigegebene
Grundriss zeigt:
Fij?. U. Kirchwerft von Hoo^e.
1. Kirchf‘. i. Pfarrhaus. 7. h Brunnen,
i. Frietihof 5. Stall. 9 . Werftahhang.
S. Glockeiitünucheu. 6. tiarteu. Zäune.
Wie man aus dem folgenden Bilde ersieht, stellt die Kirche ein
ganz einfaches, tumloses Gebäude vor, wie alle Baulichkeiten hier zu
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2(52
Kugen Traeger,
[;{(5
Lande mit den Giebeln nach Osten und Westen gerichtet. Dem Ost-
giebel vorgebaut ist in Form eines halben Sechseckes eine Apsis, die
ini Inneren der Kirche durch ein hölzernes Gitter von dem übrigen
saalartigen Raume abgeschlossen wird, in welchem sich zu beiden Seiten
eines Kreuzganges die Bänke für die Gemeinde befinden. Die Seiten-
lehnen der Bänke, die den zum Altar führenden Hauptgang begrenzen,
zeigen bescheidene Schnitzarbeiten, die wohl noch aus der Zeit der
Erbauung des jetzigen Gotteshauses stammen mögen, als dasselbe nach
der Sturmflut des Jahres 1634 errichtet wurde. Die Rückenlehnen
sind ohne Schmuck, die Sitzbretter ziemlich schmal, und darunter ist
Kig. 1?. Kirchwerft von Hooge. Nach einer Photographie von F. Schennky.
der Boden mit einer starken Lage weissen Meeressandes bedeckt,
während die Gänge und der Altarrauin mit Ziegeln gepflastert sind.
-\n der Nordwand hängt ein Kruzifix, von der Decke herab statt des
Kronleuchters ein VoUschiff’, ein dänisches Kriegsschiff mit dem Namen
Frederik VI. zur Erinnerung an den Be.such des Königs im Jahre 1825,
wie auch eine am Gitter des Altarraumes angebrachte Blechtafel mit
goldenen Buch.staben den Fürsten als Wohlthäter preist, welcher der
(ienieinde zur Wiederherstellung der von der Westseite her arg be-
schädigten Kirche eine Beihilfe von 2000 Thaler gewährte. Eine Pforte
fuhrt in der Weite des Hauptganges durch das Gitter in den Altar-
raum, geschnitzte Engelsköpfchen umschweben sie. Der Altar ist sehr
einfach ausgestattet, dagegen ist die Kauzei reich geschnitzt mit Scenen
aus dem Leben Christi und seiner Jünger. Die einzelnen Bildfelder
sind durch breite, flache Säulen voneinander abgetrennt, und unter
jedem Bilde befindet sich eine die Situation erläuternde plattdeutsche
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Die Halligen der Nordsee.
37]
263
Inschrift. Die ganze Kanzel soll einst als Strandgut auf Hooge ange-
konimen sein. Der einfache Taufstein, eine Bank für den Geistlichen
und den Lehrer, welcher letztere in Ermanglung eines Musikinstru-
mentes als Vorsänger den Gesang zu leiten hat, und Wandbretter
mit einer Anzahl von Kirchenkerzen, denen ein schwarzes Blechschild
zum Preise des Stifters angehängt ist, vervollständigen die Ausstattung
des kleinen Raumes. Die ganze innere Einrichtung einer Halligkirche
ist al-so so einfach wie möglich, desto grösser aber die Andacht der
kleinen Gemeinde. Niemals habe ich dort Personen bemerkt, die
nach dem Grundsatz
,lch liab’ die ganze Nacht kein Auge zugethan,
Drum will ich in die Kirche gehn
Und Wunder sehn.
Ob ich nicht da ein wenig nicken kann“
den Gottesdienst dazu benutzt hätten, sieh durch einen tiefen Schlaf
von den Strapazen der vorangegangenen Woche zu erholen, wie man
das in unseren Dorfkirchen jederzeit beobachten kann. So ist auch
die Beteiligung am Kirchengesange allgemein, doch muss man dabei
mehr den guten Willen, als die Schönheit der Ausführung anerkennen,
denn die fehlende sichere Stimmführung einer Orgel macht sich in der
Regel derartig geltend, dass man immer wieder daran erinnert wird;
Frisia non cautat. Die Plätze sind in der Weise verteilt, dass auf
den vorderen Bänken die Frauen und Mädchen sitzen, auf den übrigen
die Männer. Der auf unserem Bilde sichtbaren Südpforte der Kirche,
über welcher sich eine Sonnenuhr befindet, enispricht eine gegenüber-
liegende auf der Nordseite ; von Pforte zu Pforte führt ein Gang,
welcher den längeren Mittelgang in Kreuzform schneidet. Auf dem
Schnittpunkt wird bei Begräbni.ssen der Sarg niedergestellt und vom
Altar aus eingesegnet. Eigentümliche Gebräuche früherer Zeiten sind
verschwunden; was davon auf den nordfriesischen Inseln hier und da
noch erhalten ist. hat Ch. Jensen in dem erwähnten Buche zusainmen-
gestellt. Der die Kirche von Hooge umschliessende Friedhof weist
ebenfalls nichts Bemerkenswertes auf; nur die Namen auf den Leichen-
steinen und den Kreuzen zeigen, wie sehr noch die alten Friesennamen
in Gebrauch sind, denn hier und auf den anderen Halligen findet man
neben biblischen folgende für Männer: Bandik, Bonke, Boy, Broder,
Dethlef, Diedrich, Edlef, Frerk, Harro, Harry, Hatje, Hay, Hinrich,
•lens, Ipke, .Jürgen, Ketel, Knut, Lorenz, Magnus, Meinert, Melf,
Momme, Nahne, Nanning, Nom men, Sievert, Sönke, Thade, Thede,
They, Volkert, und folgende für Frauen: Antje, Brodine, Eike, Engel,
Engeline, Sabbe, Sabine, Sicke, Stinke, auch Katrin, Maike, Mande,
Mätjen u. a. Die Halligen Hooge und Oland erfreuen sich des Be.sitzes
einer kleinen Glocke, die in festen, oben durch ein Schutzdach um-
kleideten, spitz zulaufenden Balkenstühlen hängen. Da das Dach keine
Schalluken enthält, so wird der Ton leider sehr gedämpft. Wie
hübsch wäre es, wenn er sich frei entwickeln und seinen Sonntagsgruss
feierlich über die Hallig und die See erschallen lassen könnte.
Ganz anders als die Predigerhäuser von Hooge, Oland und Gröde
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Küpen Traeper.
2<U
L ;?8
zeigt sich dasjenige von Langeness, welches gar keine Aehnlichkeit
mit einem Hallighause besitzt. Mit seinem Schieferdach, seinen hohen
Fenstern und seinem wohlgefugten Ziegelrohbau ragt es wie eine fremde
Erscheinung in seine Umgebung. Die Räume sind diejenigen eines
.'tädti.schen Gebäudes, hoch, luftig, hell, mit tapezierten Wänden, aber
dem Klima und Standort nicht recht angemessen. Es enthält das grosse
Schulzimmer, weil bis vor wenigen Jahren, wo ein besonderer Lehrer
l)erufen wurde, der Pastor zugleich den Lmterricht erteilte. Im Jahre
1886 wurde die Schule noch von 36 Kindern der vereinigten Hallig-
gemeinden besucht. In demselben Jahre standen in den 9 Monaten
Fig. U. Oif* Werft mit der Kirche und dem (ilookenturmcheii von Oland.
Kuch einer Pbutographie von J. U. Koch io Sdileswig.*
von Januar bis September nur drei Todesfälle dem erfreulichen Ersatz
von 20 Geburten gegenüber, und doch geht auch hier die Bevölkerung
zurück, weil das schöne Land der See zum Opfer fällt. Von solchen
Halligen, die keinen eigenen Lehrer haben, müssen die schulpflichtigen
Kinder zum Besuche des Unterrichts in Pension gegeben werden.
Die Kirche von Langeness ähnelt derjenigen von Hooge, doch
fehlt das alte Kriegsschiff, welches vor mehreren Jahren beim Brande
des alten Pastorates gerettet werden sollte und dabei zu Grunde ging,
während die Kirche erhalten blieb. Auch hier ist der Altarraum von
der übrigen Halle durch ein Gitter abgeschlossen und die Kanzel mit
alten Holzschnitzereien geziert. Der Friedhof, welcher auf drei Seiten
die Kirche umgiebt, ist verhältnismässig sehr umfangreich, ebenso der
sehr hübsche Garten vor der Südfront des Pastorates. Dagegen fehlt
der Glockenturm, so dass hier, wie auf Klein-Moor, das Zeichen zum
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30]
Die Hallipen der Nordsee.
205
Beginn des Gottesdienstes durch eine Kirchenflagge gegeben wird.
Aut Oland und Gröde giebt es keine besondere Kirchwert't, vielmehr
hat jede der beiden Halligen jetzt nur noch eine grössere Werft, auf
der sich zugleich die Kirchenanlage befindet.
Die Einrichtungen sind die bereits geschilderten, interessante
Schnitzereien zieren die Kanzeln und teilweise das Gestühl, das Kriegs-
schiff als Symbol der Schiffahrt, die dem göttlichen Schutze empfohlen
sein soll, schwebt in der Mitte des Raumes. Während die Schnitz-
arbeiten in der Kirche von Gröde beachtenswert sind, fällt in der Kirche
von Oland ein altes, auf Holz gemaltes Oelbild auf: es stellt Christus
am Kreuze dar, angebetet von einem Geistlichen mit seiner Familie
und von einigen anderen Personen, Angehörigen eines Kapitäns, der
an der jütischen Küste Schiffbruch gelitten hatte und dem Verderben
glücklich entronnen war; man sieht das Wrack im Wogenschwalle am
Strande liegen, indessen andere Schiffe mit geschwellten Segeln durch
die Fluten brausen. Diese Dedikation an ein Gotteshaus erinnert einiger-
massen au die Horazischen Verse;
. . .Me tabula sacer
Votivä paries indicat uvida
.''uspendisse potenti
Vestimenta maris deo.
Auf dem Olander Kirchhof fallen auch einige alte Grabsteine auf,
von denen einer eine plattdeutsche Inschrift mit der Jahreszahl 1030
trägt, ein Stein, der sich durch seine reiche Arbeit auszeichnet. Die
mei.sten Gräber sind mit einfachen, schwarzen Kreuzen mit Nameus-
schilden geschmückt, wie dies auch sonst auf den Halliggräbern üblich
ist. Die Inschriften stehen auf der Rückseite. Zwei davon seien als
Probe hier mitgeteilt; sie enthalten in wenigen Worten eine Faniilien-
tragödie:
Du gingst BO plUtzlicb weg von mir
mein Sohn ich komme bald zu dier
die Wellen schlugen dich am Strand
mm ruhst du hier an Mutterhand.
Hier ruhst du Gattin meines Herzens
Du warst ja meine Freude hier
Doch Gott versfles mir meine Schmerzen
Gab mir ein liebes Kind dnfQr.
Die Hallig Nordstrandisch-Moor besitzt noch heut eine verödete
Werft mit Brunnen, auf der bis 1810 das alte Pastorat mit der Kirche
stand ; in jenem Jahre wurden beide Gebäude zerstört, und darauf eine
neue Kirche errichtet, die 1821 wieder das Opfer einer hohen Flut
wurde , worunter Nordstrandisch-Moor vor allen anderen Halligen zu
leiden hat. Hierauf soll das Pastorat nach den Angaben ihrer Be-
wohner nach Nordstrand verlegt worden sein , so dass Bieniatzki von
da an nur hin und wieder zur Sonntagsfeier herüber kam. Er hat
daher die Sturmflut von 1825, die er so klassisch zu schildern wusste,
gar nicht auf der Hallig erlebt. Die inzwischen vollständig wieder
ausgebesserte Kirche ward in der Schreckcnsnacht vom 3. zum 4. Februar
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'266 Eugen Traeger, [40
gleich den übrigen Gebäuden von Klein-Moor vollständig vernichtet,
nur ein Haus, in dem sich die von Biernatzki erzählte wunderbare
Rettung durch ein Weinfass ereignete, blieb stehen. Ich habe dieses
Haus oft besucht und unter der Luke gestanden, wo sich der merk-
würdige Vorgang abspielte; aber die Rettung betraf nicht den Pastor
Hold, d. h. Biernatzki, und seine Familie, sondern eine Familie Jakobsen,
deren Nachkommen noch heut jenes Haus bewohnen. Nach ihrer Er-
zählung trug sich das Ereignis folgendermassen zu : Der alte Strandvogt
Jakobsen hatte sich mit seiner Frau und seinem Sohne Nommen vor
den das untere Haus durchtobenden Wogen auf den Boden geflüchtet,
der nach dem Ein.sturz der westlichen Hauswände auf seinen Eichen-
ständern stehen blieb. Als nun Nommen von oben her bemerkte, dass
ein stattlicher Holzkoffer mit Leinenzeug forttreiben wollte, stieg er in
die eiskalten Fluten hinab, band den Koffer mit seinen Strumpfbändern
an eine Thürpfoste und bemerkte alsdann, dass die Wellen inzwischen
die Leiter fortgeführt hatten, so dass er nicht wieder auf den rettenden
Boden gelangen konnte. Die alten Eltern bemühten sich vergebens,
ihn mit den Händen hinaufzuziehen, denn er war ein grosser, schwerer
Mann, und so wäre er vor ihren Augen in dem eisigen Wasser erstarrt
und hinweggerissen worden , wenn nicht in der höchsten Not ein rie-
siges Weinfass, das nach einem Schiffbruche auf dem Meere umhertrieb,
gerade unter die Bodenluke gerollt und so aufgestellt worden wäre,
dass Nommeu sich auf den Fa.ssdeckel und von da auf den Boden
schwingen konnte. Kaum war das geschehen, so trieb eine hohe Welle
das Fa.ss wieder fort. — Eine neue Kirche ward aus Mangel an Mitteln
nach der Katastrophe nicht mehr errichtet, die Hallig vielmehr zu
OdenbUll auf Nordstrand eingepfarrt. Ein auf der ehemaligen Kirch-
werft erbautes Haus brannte später ab, und seitdem steht die Werft
verlassen. Der Straudvogt benutzt sie jetzt dazu, angetriebene Güter
auf ihr zu bergen.
Biernatzkis Nachfolger wurde 182,^ der Lehrer Christiansen, der
vor seiner amtlichen Anstellung schon als Hauslehrer auf der Hallig
thätig gewesen war. Als ich ihn 1884 kennen lernte, war er ein
ehrwürdiger Greis von 80 Jahren, in dessen Familie ich wiederholt die
freundlichste Gastlichkeit genossen habe. Er hatte damals nur noch
vier Schulkinder zu unterrichten, des Somitags aber einen Gottesdienst
abzuhalten, zu welchem sich die Teilneluner im Schulzimmer versam-
melten. Wie ein Patriarch .«tand er in seiner kleinen Gemeinde von
kaum 46 Seelen. ^Meister'" redeten ihn alle an; sie waren sämtlich,
selbst die älte.sten Personen, noch seine Schüler gewesen, und als er
am 14. März 1887 im Alter von mehr als 88 Jahren die Augen schloss,
hatte er eine Lehrthätigkeit von 6.') Jahren hinter sich, rüstig an Leib
und Geist bis kurz vor seinem Tode. Mit ihm schied eine für die
ganze llalligwelt charakteristische Persönlichkeit, von der ich allent-
halben nur mit grösster Achtung habe .sprechen hören. Von ihm
stammt ein Vers, den er selbst au sein Katheder mit weisser Farbe
geschrieben hat und der in etwas abgeänderter Form in einige Bücher
übergegangen ist:
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411
Die Halligen der Nordsee.
2G7
Hier auf dieser Inselseholle
ln dem weiten Oeean
Wird das Bibelbuch, das volle,
Jesu Schülern aufgethan;
Und der Schiftlierr samt den Leuten
Rudern auf der Scholle fort
Mit dem Lotsen gestern, heute.
Der sie führt zum rechten Port. Klein-Moor, Juli 183d.
Der alte Kirchhof von Nordstrandiseh-Moor liegt auf dem Watt. Noch
ragen aus dem tiefen Schlamm des morastartigen Schlickes die Wände
von Särgen hervor, deren Deckel längst abgehoben und fortgeschwemmt
sind. Umhüllt vom Wattenschlamuie ruhen die Skelette der Toten,
über deren Gebeinen nun Ebbe und Flut wechseln und die Wellen im
Sturme brausen, nachdem sie die Lebenden so oft mit Schrecken und
Verderben heimgesucht. Taschenkreb.se und Forren schlüpfen in die
Särge und haben vor langen Zeiten vielleicht die letzten Fleischreste
von den bleichen Knochen genagt, denn die Leichen erhalten sich
ausserordentlich lange in dem salzhaltigen Boden der Halliggräber. Ein
Griff durch die SchlickfUllung eines .solchen Sarges brachte einen Arm-
knochen, einen Halswirbel und den Oberkiefer des Skelettes an das
Tageslicht, die ich nun als Andenken an den trostlosesten aller Kirch-
höfe aufbewahre. Demselben Schicksal wird im Laufe der .Jahre der
gegenwärtige Friedhof verfallen, der mitten auf der Hallig in der Ebene
des Wiesenplanes, also ohne Werft, angelegt ist. Niedrige Grabhügel,
die zum Teil so eingesunken sind, dass man sie kaum noch bemerkt,
reihen sich aneinander; die meisten sind ohne jedes Erinnerungszeichen,
einige mit schwarzen Kreuzchen ohne Aufschrift, oder mit einem flach
eingelegten, schriftlosen Steine verziert. Ein Graben umschliesst die
Huhestätte der Toten, über die bei jeder Ueberschwemmung die Wasser
fliessen; wie Hilfe suchend strecken dann die kleinen Kreuze ihre Arme
aus, bis .sie hinabtauchen in die graue, trübe Flut.
Auf denjenigen Halligen, wo ein Geistlicher im Amte steht, nimmt
derselbe, wie sich von selbst versteht, den ersten Bang in der Gemeinde
ein. ln zweiter Reihe folgt der Lehrer, welcher insofern eine Aus-
nahmestellung bekleidet, als er in Abwesenheit eines Predigers, z. B.
hei \'akanzen oder in allen Fillen, wo letzterer verhindert ist, die zu
seiner Diöcese gehörenden Hal'igen zu Schifle zu besuchen u. s. w. ge-
wisse Pastorale Funktionen auszuüben hat. Der Pastor von Langeness
versieht nämlich zeitweise den Gottesdienst auf Oland und Gröde, der
von Odenbüll auf Nordstrand denjenigen auf Klein -Moor, was freilich
nicht regelmä.ssig geschehen kann. Dann veranstaltet der Lehrer einen
Gottesdienst, bei dem er nicht nur wie sonst als Vorsänger beteiligt
ist, sondern auch durch Vorlesung einer Predigt und daran sich an-
schliessendes Vaterunser die ganze feierliche Handlung leitet. Tritt ein
Todesfall ein zu einer Zeit, wo ein Geistlicher nicht zur Beerdigung
herbeigeholt werden kann, so nimmt der Lehrer die ganze Trauerhand-
lung vor, wie er auch berechtigt ist, in dringenden Fällen die Nottaufe
zu erteilen. — Zur Unterstützung für den J’astor und zur Beratung
mit der Gemeinde in kirchlichen Dingen werden auf den grössten Hal-
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268 Kugen Traeger, [42
ligen Kircheiiälteste gewälilt, die zugleich bei offiziellen Gelegenheiten
als Repräsentanten auftreten.
ln Verwaltungsangelegenheiten steht wie sonst ein Gemeindevor-
steher oder sein Stellvertreter an der Spitze, der im Ehrenamt den
Geschäftsverkehr mit dem Landratsamte zu erledigen hat. Er beruft
durch eine im Anschluss an den beendigten Sonntagsgottesdienst ver-
lesene Bekanntmachung, so oft es notwendig erscheint, die Gemeinde-
versammlung, an welcher die Gemeindemitglieder unter .seinem Vorsitz
teilnehiuen. Ich habe wiederholt Gelegenheit gehabt, derartigen Be-
ratungen beizuwohnen und die Sachlichkeit, Ruhe und Klarheit zu be-
merken, mit der die einzelnen Redner ihre Ansicht vortrugen.
Ausser dem Pastor, Lehrer und Gemeindevorsteher bekleidet der
Strandvogt eine Beamtenstellung. Er hat die Pflicht, darauf zu achten,
dass kein Strandgut veruntreut wird, also nichts von allen den Gegen-
ständen, welche die See an die Küste schwemmt. Bemerkt irgend
jemand einen angetriebenen Gegenstand, so darf er ihn nicht ohne weiteres
als herrenloses Gut an sich nehmen; er kann ihn liegen lassen, wenn
er die Mühe scheut, ihn in Sicherheit zu bringen, aber er muss sofort
dem Strandvogt Anzeige von dem Funde machen, wenn er ihn der
Bergung für wert erachtet hat: unterlässt er diese Anzeige, so macht
er sich eines Vergehens schuldig. Der Strandvogt inventarisiert die
gemeldeten Gegenstände genau und erstattet von Zeit zu Zeit dem Kgl.
Strandamt Bericht davon. Das Strandamt setzt das Kgl. Steueramt in
Kenntnis, welches auf Grund der Beschreibung bestimmt, ein wie hoher
Eingangszoll von den geborgenen Gütern zu entrichten sei, und nun
erteilt das Strandamt den Befehl, eine Öft'entliche Auktion zu veran-
stalten, die der Strandvogt anberaumt und als Vorsitzender abhält. Er-
zielt dabei ein Gegenstand die festgesetzte Steuer nicht, so bleibt er
unverkauft und wird der Vernichtung preisgegeben , weil niemand ein
Recht an ihn hat, so dass also auch der Finder für die ganze Mühe des
Bergens gar nichts erhält; erzielt er nur die Steuer, so wird er ver-
kauft; der Erlös fliesst der Steuerkasse zu, und der Finder geht aber-
mals leer aus; erzielt er mehr als die Steuer, so fällt letztere zunäch.st
an die Staatskasse, der Rest aber wird in drei Teile geteilt. Davon
bekommt einen der Finder als Bergelohn, einen der ehemalige Besitzer
als Entschädigung für sein verlorenes Eigentum, vorausgesetzt, dass
derselbe überhaupt ermittelt ist, und den dritten Teil erhält ebenfalls
die Staatskasse; ist der Besitzer nicht ermittelt, so fällt ihr auch der
zweite Teil zu. Ruht keine Steuer auf einem Objekt, so ersteht es
der Meistbietende, und mit dem Erlös wird in drei Teilen nach dem
angegebenen Modus verfahren. Es leuchtet ein, dass diese Bestimmungen
und die dadurch häufig genug vorkommende Unverkaufbarkeit des
Strandgutes oder der noch häufigere Belohnungsausfall für den Berger
Veranlassung geben, eine ganze Menge kleinerer Gegenstände ungenutzt
am Strande verkommen zu lassen — von der anderen Möglichkeit ganz
zu schweigen; Theorie und Praxis liegen hier wie so oft im Wider-
streit! Nun, nach wertlosen Dingen forscht auch keine Strandbehörde,
für Wertstücke aber ist das Gesetz durchaus notwendig, wenn auch
die Steuer manche schöne Hoffnung vernichtet. Gehört eine Hallig nur
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26»
43] Die Halligen der Nordsee.
einem Besitzer, so ist dieser Strandvogt, Berger und vielfach auch
Käufer in einer Person.
Es erübrigt noch, mit wenigen Worten der Postverbindungen zu
gedenken. Von Husum gehen regelmässige Dampfertouren nach Nord-
strand und Pellworm, welche die Postsachen und Passagiere befördern.
Von Nordstrand erfolgt die Weiterbeförderung nach Südfall über den
Schlick, nach Nordstrandisch-Moor durch einen zu diesem Zwecke an-
gestellten Postschiffer; von Pellworm ebenso über den Schlick nach
Süderoog und durch einen Postschifler nach Hooge. Oland erhält die
Postsachen über den Schlick von Ockholm; Nordmarsch- Langeness,
Gröde und Habel über den Schlick von Oland. Bei heftigen Stürmen
erleidet die täglich oder dreimal in der W^oche angeordnete Verbindung
Unterbrechungen, die in harten Wintern, wenn wilde Eismassen die
Watten und ihre Ströme bedecken, Wochen- und monatelang andauern
können. Dann erfahren manche dieser Inseln absolut nichts von dem,
was in der Welt vorgeht, wie z. B. auf Hooge der !)1. Geburtstag des
liochseligen Kaisers Wilhelm 1. noch gefeiert wurde, als derselbe
Iiereits nach Beendigung aller Trauerfeierlichkeiten im Mausoleum zu
rharlottenburg zur letzten Buhe beigesetzt war.
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5. Die Bewohner und ihre Lebensführung.
Die Bewohner Westschleswigs, die unter dem Namen der Nord-
oder Straudfriesen von der Eider bis Tondern die Marschen und die
Inseln des Wattenmeeres bevölkern, sind Mischlinge aus den alten Angel-
sachsen und den mit den eigentlichen Friesen nahe verwandten Ein-
wanderern, nachdem um 450 ein Teil der alten Bevölkerung den Zug
nach Britannien unternommen und dadurch Plate geschati'en hatte. Ihre
Sprache hat litterarisch nie eine hervorragende Bedeutung gewonnen ;
sie ist daher im Laufe der .Jahrhunderte so sehr vom Plattdeutschen
verdrängt worden, dass jetzt nur noch selten das Friesische gesprochen
wird, und wenn es geschieht, dann auf jeder einzelnen Insel und am
Festlaude mit bedeutenden Dialektabweichungen. Es steht dem Eng-
lischen so nahe, da.ss ein Friese und ein Engländer sich ohne weiteres
verständigen können und dass die Erlernung der vulgären englischen
Sprache, namentlich der Schiffersprache, einem Friesen gar keine
Schwierigkeiten bereitet. Ihre Familiennamen bestehen aus der Zu-
sammensetzung eine.s biblischen oder friesi.schen Vornamens mit der
Schlusssilbe sen = Sohn. Wie man sie .speziell auf den Halligen kennen
lernt, sind sie der Köiperbildung nach von mehr als mittlerer Grösse
und von kräftigem Bau, mehr Iniger und .sehnig als fleischig, mit blondem
bis hellblondem Haar und scharfen blauen Augen, selten braun oder
gar .schwarz. Der Gesichtsausdruck ist ruhig und ernst, dabei gut-
mütig und nicht ohne einen Zug von List; die starke Stirn drückt
Festigkeit, selbst eigensinnigen Trotz aus. Unter sich sind sie ge-
sprächig und lieben einen Scherz, doch nie bis zur Ausgelassenheit,
dagegen sind sie gegen Fremde wenn auch höflich, so doch zurück-
haltend, niemals aber von linkischer Scheu, weil sie .sich auf ihren
Keisen eine gewis.se Sicherheit erworben haben. Lernt man .sie näher
keimen, so fühlt man sich wohl unter ihnen, weil sie durchaus ehrlich,
wahrheitsliebend, zuverlässig, gefällig und ga.stfrei sind; Sittsamkeit,
ungeheuchelte Frömmigkeit und eine bemerkenswerte Wohlanständigkeit
treten zu diesen guten Eigenschaften hinzu. Lebhaft und temperament-
voll sind sie selten, wenn auch Sanguiniker nicht ganz unter ihnen
fehlen; dafür aber ist ihnen ruhige Beharrlichkeit und in Fällen der
Not kaltblütige Ent.schlos.senheit eigentümlich. Sie eignen sich deshalb
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Die Halligen der Nordsee.
271
4 :>]
von Natur zur Seefahrt: sie sind geborene Seeleute, die in dieser Be-
ziehung von keinem Volke der Erde übertroffen werden; das wissen
die Rheder am besten, die gern ihre Schiffe der Führung eines Friesen
anvertrauen. Es sind echte Germanen von unverfälschter Rasse und
Gemütsart.
Freundlichkeit und Gutmütigkeit ziert die Frauen, Zanksucht oder
gar Bösartigkeit tritt selten bei ihnen hervor, so selten, dass man diese
Ausnahmen nicht heranziehen darf, um sich ein allgemeines Urteil zu
bilden. In der Jugend sind sie wohlgewachsen und hübsch, eifrigst
bemüht, die Weisse und Reinheit ihrer Haut zu schüt?:ep, indem sie
niemals, namentlich nicht zur Arbeit, ohne Hut oder HeJgiijinuer .nebst-'
einem Tuch um den unteren Teil des Gesichts und ohne Handschuhe'-
die Werft verlassen; nur ausnahmsweise sind sie schön. .-Inl Alter sieht:
man es ihnen an, dass sie zeitlebens fleissig und oftmals schwer ge- ■
arbeitet haben, aber der gütige Gesichtsausdruck und das freundliche
Wesen bleibt ihnen ein verschönernder Schmuck im Greisenalter. Sie
sind liebevolle Mütter und ehrbare Hausfrauen, deren Sinn auf das
Praktische und auf das Wohlbehagen der Ihrigen gerichtet ist. Bei
ihnen finden Bibel und Gebetbuch noch eine gastliche Heimstätte, wo
sie nicht mit Staub bedeckt umherliegen, sondern fleissig benutzt werden.
Im Verhältnis zu ihrer geringen Zahl sind die Fälle von Geistes-
schwäche viel zu häufig unter den Inselfriesen. Bei ihrer einfachen
und gesunden Lebensführung kann das wohl nur darauf zurückzutühren
sein, dass alle Gemeindeglieder in einem näheren oder entfernteren Ver-
wandtschaftsverhältnis zu einander stehen, und somit zu wenig fremdes
Blut vererbt wird. Hier verbleibt nämlich den Töchtern nach dem
Tode der Eltern die Landstelie, während die Söhne mit einer Ent-
schädigung abgefunden werden ; letztere suchen daher vorzugsweise eine
der Erbtöchter heimzuführen, um auf der Hallig bleiben zu können.
Der an sich ganz gerechtfertigte Wunsch führt zu jenem Uebelstand,
der in dem Masse schärfer hervortreten muss, als die Auswahl unter
den wohlhabenden Mädchen abnimmt. Auffallend sind ferner die Em-
pfindlichkeit und die leicht erregte Verletzbarkeit der Inselfriesen, die
schwer wieder zu versöhnen sind, wenn sie sich durch einen .scharfen
Tadel oder ein hartes Wort beleidigt fühlen. Sie verkehren daher auch
unter sich in ruhigem, freundlichem Tone und erwarten von jedem,
insbe.sondere auch von einem Fremden dieselbe Höflichkeit, die sie ihm
gegenüber beobachten. Nie hört man auf den Halligen grobe Schimpf-
wortc, Flüche oder unan.ständiges Gezänk ; Personen, die sich nicht mit-
einander vertragen können, meiden lieber jeden Verkehr, als dass sie
sich gegenseitig erzürnen. Zwar blüht auch hier wie in der ganzen
Welt der .Klatsch“, doch wird er nie so scharf und hämisch oder gar
den guten Ruf untergrabend , wie sonst im lieben Vaterlande ; davor
behütet die Friesen ihre Besonnenheit und ihr Gerechtigkeitsgefühl.
In allem tritt das Massvolle ihrer Ausdrucksweise hervor: ein rasches
.Junge, Junge!“ oder .Dat wär“ drückt ihr Erstaunen aus, ,Dat is
gewiss“ eine Versicherung, die unbedingt Glauben beansprucht und
auch findet; ,Ja, dat glöw’ man!“ die lebhafte Zustimmung zu einer
treffenden Bemerkung; .sonderbar“ nennen sie eine Person, deren Ver-
E Ulfen 'IVaeger,
1413
272
stand sich in bemitleidenswerter VerfnssunR befindet u. s. w. Ein un-
bedeutender, aber doch charakteristischer Vorfall möge hier mitgeteilt
werden: Als auf einer Hallig die Fracht eines Marktschitfes gelöscht
werden sollte, und das Schiff bei Ebbezeit in dem tiefen, weichen
Schlamm eines Grabens lag, wollte ein erwachsenes Mädchen über die
Planke von Bord an Land gehen, wobei sie der junge, fremde Schiffer-
knecht in den Graben hinabzustossen versuchte. Sie entging aber der
ihr zugedachten Ungebühr durch einen geschickten Sprung, und trotz
ihrer Erregung wies sie dieselbe nur mit den Worten zurück: , Junge,
bist du unklug?“ Damit war die Sache erledigt. Der Lieblingsausruf
|^.der ist ,0ha!“ mit starker Betonung des a. ,Bandik,“ fragt
einer seinen jfachbar, ,brukst Du noch din Kor“ (Karre)? ,,Jo, Melf,
bhä -öKai!“ * ;’.Uütereinander reden sie sich mit Du an; ihre Mutter-
sprache Kat gar keinen Ausdruck für unser ,Sie“, wofür sie das platt-
deutsche ,Se* angenommen haben für den Verkehr mit Fremden, die
plattdeutsch mit ihnen sprechen. Des Hochdeutschen sind sie nicht
immer mächtig, wenn sie es auch verstehen; doch kann man sich ganz
gut verständigen, wenn man langsam hochdeutsch zu ihnen spricht und
sie bittet, langsam plattdeutsch zu antworten; denn sie haben eine
Menge von Ausdrücken aus dem Friesischen mit dem Plattdeutschen
zu einem Idiom vereinigt, an welches man sich erst gewöhnen muss.
Selbst denjenigen unter ihnen, welche sich ganz geläufig des Hoch-
deutschen zu bedienen wissen, merkt man es doch an, dass es ihnen
Schwierigkeiten, mindestens aber Unbequemlichkeiten bereitet. Das
Wort ,Herr“ lieben sie nicht sehr; wenn .sie es auch einem Fremden
gegenüber in der ersten Zeit noch anwenden, so ersetzen sie es doch
möglichst bald durch einfache Nennung seines Namens, oder durch
,der Mann“. In seiner Gegenwart frägt z. B. ein Friese den anderen;
„Wat seggt de Mann?“ Namentlich Kinder, die vor dem Verlassen
der Schule wenig oder gar nicht mit der Aussenwelt in Berührung treten,
wissen sich mit dem fremden Worte „Herr“ überhaupt nicht abzufinden.
Die Mutter schickt ein Kind, um den im Garten sitzenden Be.such zum
VesperkafFee zu bitten; dann sagt das Kind: ,N. N. möchte trinken
kommen.“ In derselben Weise reden die Kinder die Erwachsenen und
selbst ihre Eltern an, also immer in der dritten Person, niemals direkt.
In einigen bestimmten Verbindungen wird der Fremde, er mag sein,
wer er wolle, mit Du angeredet, z. B. wenn man ihm etwas zeigt:
„Sieh’ hier!“ oder wenn man ihm etwas vorsetzt: „Herr N. N., sei
so gut.“
Wie im allgemeinen bei den germanischen Anwohnern der See,
so findet sich auch bei den Halligbewohnem eine mit den Mannesjahren
zunehmende Langsamkeit und Bequemlichkeit; es ist fast unmöglich,
ihre schwerfällige Bedächtigkeit in Begeisterung zu verwandeln und
sie zu Privatleistungen hinzureissen , hei denen gemeinsames Handeln
unter Aufbietung persönlicher Opfer im allgemeinen Interesse erforderlich
wäre. Das ist ihr Hauptfehler, ihr nationales Unglück, welches sie im
Kampfe mit den Fluten der Nordsee durch schreckliche Verluste an
Menschenleben, Land und beweglicher Habe gebüsst haben. Auf den
grossen gesicherten Inseln und hinter den starken Deichen des Festlandes
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Die Halligen der Nordsee.
273
47]
macht sich diese Wirkung heutzutage weniger ftlhlhar, wohl aber immer
noch auf den Halligen, auf denen manches zur V'erbesserung des Lande.s
und damit auch der Einkünfte geschehen könnte, wenn rechtzeitiges
gemeinsames Handeln zu erzielen wäre. Die mei.sten von ihnen haben
einen Hang für das Seemannsleben und befahren in jüngeren .Tahren
als Matrosen, Schiffszimmerleute, Steuerleute und selbst als Kapitäne
auf fremden Schiffen den Ocean oder als selbständige Schiffer auf
ihren Ewern das Wattenmeer. Wenn sie dann die See ^bedanken“’,
sehnen sie sich nach Ruhe, und so fehlt es auf den Halligen an jungen
Männern. Sie sehen nach ihrer Rückkehr, wie sehr die Hallig in den
Jahren ihrer Abwesenheit gelitten und abgenommen hat und beklagen
die Zerstörung, trösten sich aber damit, dass sie von ihren Seefahrten
einigen baren Gewinn mit nach Hause gebracht haben und bedenken
nicht, dass sie inzwischen einen wichtigeren Gewinn hätten erarbeiten
können, wenn sie alle zusammen die Jahre der rüstigen Kraft zur Pflege
und Verbesserung ihres kleinen Heimatlandes verwendet hätten, soweit
ihre beschränkten Mittel dies überhaupt gestatten. Das ist der
Hauptnachteil ihres in vieler Hinsicht vorteilhaften socialen Wirt-
schaftssystemes, dass niemand ein unmittelbares Intere.sse daran zu
haben glaubt, etwas für den Grund und Boden zu thun. oder wenn es
einzelne empfinden, dass dann träge oder arbeitsunfähige Mitbesitzer
ihre Hilfe verweigern, so dass schliesslich die dringendsten und ren-
tabelsten Verbesserungen gänzlich unterbleiben.
Die Hallig bildet ein Kapital, die jährlichen Erträge der Vieh-
wirtschaft die Zinsen desselben. Wenn nun die Zerstörung dieser
Inseln in derselben Weise fortschreitet wie bisher, so muss man .sagen,
sie nehmen in lOl) Jahren etwa um die Hälfte ihres Bestandes ab.
Den Verlusten, welche sie auf diese Weise alljährlich nach Umfang und
Wert erleiden, stehen nun allerdings die Einnahmen der Abwesenden
entgegen; aber selbst gesetzt den Fall, sie glichen dieselben aus oder
überschritten sie gar, so bleibt doch immer zu bedenken, dass ein Teil
des erworbenen Geldes die Hallig wieder ohne wesentlichen Nutzen
verlässt, vor allem aber, dass der Landverlust gleichzeitig eine beständige
Verminderung der angestammten Bevölkerung bedingt, wofür die heim-
gebrachten Ersparnisse niemals Ersatz zu bieten vermögen. Man darf
indessen nicht unbillig sein und nicht vergessen, dass grosse Energie
dazu gehört, für Vorteile zu arbeikm, die man nicht handgreiflich ein-
heimsen kann, und ein ungewöhnliches Mass von Opfermut und Selbst-
verleugnung, für arbeitsunlustige oder -unfähige Gemeindeglieder seine
Kräfte einzusetzen; man muss au.sserdem berücksichtigen, dass auch
die emsigste gemeinsame Arbeit nur einen Teil der inneren Schaden
beseitigen, den wichtigeren Verlust an der Halligkante aber nicht auf-
zuhalten im stände wäre. Allein schon wegen der inneren Schäden wäre
die Anwesenheit von rüstigen Arbeitern und die Aufstellung eines
Modus, wie man die Entschädigung für ihre Leistungen auf die Gemeinde
verteilen könnte, von grösster Wichtigkeit.
In ihrer Kleidung bieten die Männer nichts Eigentümliches und
Charakteristisches. Dagegen haben die Frauen teilweise die alte male-
rische Friesentracht bewahrt. Sie besteht aus dunklem Kock, unten
, Google
274
Eugen Traeger,
L48
mit einem 3 — 4 Finger breiten blauen Streifen, grosser, faltiger
Schurze, die beinahe die ganze Figur umschliesst, und dunkler Taille
mit engen, am Oberarm gepufften Aermeln. Bei feierlichen Gelegen-
heiten wird auf dem llUcken im Kreuz eine silberne Filigranspange
angelegt, unten an jedem Aermel zwei grosse, runde, inwendig hohle
Silberknöpfe von origineller und kunstvoller Filigranarbeit, und auf der
Brust zu jeder Seite eine Reihe gleicher Silberknöpfe, zwischen denen
ein pompöser silberner Kettenscbmuck mit grossen silbernen und massiv
goldenen Medaillen prangt. Oft genug sind kleine Platten dieses
llauptschmuckes mit geschliffenen Steinen besetzt. Endlich tragen die
Frauen und erwachsenen Mädchen kunstvoll um das Haupt gewunden
ein dunkelfarbiges Tuch mit Perlen- oder
Seidenstickerei, dessen Enden mit seidenen
Franzen besetzt sind, die auch mitunter die
Stickerei vertreten; silberne Nadeln im Haar
mit kunstvoll gearbeiteten Knöpfen vervoll-
ständigen das Festgewand. Diese reizende
und höchst malerische Tracht, welche man
besonders auf Föhr noch beibehalten hat,
kleidet die Frauen ausgezeichnet; ein Friesen-
miidchen kann sich gar nicht vorteilhafter
präsentieren, als in ihrer Nationaltracht, und
es ist sehr bedauerlich, dass auch hier die
heimische Bevölkerung infolge des zuneh-
menden Verkehrs in den Seebädern und
ihrer häufigeren Besuche des Festlandes
auf den unglückseligen Gedanken verfallen
ist, die schöne Kleidungsweise ihrer Mütter
und Grossmütter schicke sich nicht für die
Enkelinnen und sei als bäurisch mit der
städtischen Kleidung zu vertauschen. Man
bedenkt gar nicht, dass die, ganze Körperhaltung und der Gesichts-
ausdruck des Städters ein wesentlich anderer ist, als bei dem Land-
bewohner und dass die Kleidung mit der Erscheinung harmonieren
muss. Ein , Salontiroler“ ist eine ebenso lächerliche Erscheinung, als
ein derber Tirolerbursch im Frack ; eine Friesin in städtischer Sonntags-
kleidung macht so gut wie gar keinen Eindruck, eine Friesin in ihrer
Nationaltracht ist etwas Charakteristisches, Einheitliches, Individuelles
und erregt das lnteres.se und das Wohlgefallen aller Welt.
In ihrer Lebensweise sind die Halligbewohner einfach und an-
spruchslos. Im Sommer bilden Reis, Milch und Mehlgerichte den
Hauptbestandteil ihrer Mahlzeiten, Fleisch kommt selten auf den Tisch,
Kartoffeln als eine angenehme Zuthat; Schwarzbrot und Käse spielen
eine grosse Rolle im Speisezettel. Früh und mittags wird Kaffee ge-
trunken, vermischt mit gebranntem Korn oder ganz aus solchem bereitet,
sonst Thee, der den Zweck hat, das fehlende Trinkwasser zu ersetzen,
nicht ein aromatisches, feines Getränk darzustellen. Schwarzbrot und
ungesäuertes Roggenbrot backen die Hau.sfrauen selbst, ausserdem recht
gutes Buttergebiick , welches in Blechbüchsen unter dein Ofen aufbe-
Fig. U.
Fmsiii in ihnr Nationaltracht
Die Halligen der Nordsee.
275
49]
wahrt zu werden pflegt und Gästen zum Kaffee oder Wein vorgesetzt
wird, die runden Knerkens, Bäckers, Judenbärte und wie es sonst ge-
nannt wird. Weissbrot aus Weizenmehl mit oder ohne Rosinen wird
aus grösseren Orten bezogen. Ein sehr beliebtes Gericht bilden die
sogenannten Foitchen oder Pförtchen aus feinem Mehl mit Eiern, Zucker
und Rosinen hellbraun in Butter gebraten; ferner Stachel- und Jo-
hannisbeergrütze mit kalter Milch, weisser Gries mit Zucker, Zimt und
Rosinen, wozu versüsster Wein gereicht wird. Zucker, Rosinen und
Backpflaumen werden überhaupt mit Vorliebe verwendet, die beiden
letzteren auch als Zuthat zu Weinsuppen, so dass das Hauptmerkmal
der Halligküche süsse Speisen bilden, wie überhaupt hier im deutschen
Norden. Süsse Suppen aus Holunder- oder Fliederbeeren werden mit
Zwieback, den man nach Belieben mit der Hand zermalmt und dazu
thut, gleich den Weinsuppen kalt genossen. Wenn man im Sommer
Fleisch auf den Tisch bringen will, muss es gelegentlich zu Schiffe
von der nächsten grossen Insel oder dem Festlande mitgebracht werden,
denn nur selten wird zu dieser Zeit ein Lamm geschlachtet, in welches
sich meist einige Familien teilen. Im Spätherbst und Winter hingegen
findet allgemeines Schweineschlachten statt, denn jede Haushaltung
mästet wenigstens eins dieser nützlichen Rüsseltiere. Da dies haupt-
sächlich mit Milch und Roggenkleie geschieht, so ist das Fleisch über-
aus zart und wohlschmeckend; ein gut geräucherter Schinken hier zu
Lande ist eine wahre Delikatesse. Mitunter wird gleichzeitig ein Schaf
geschlachtet, um sein Fleisch bei der Wurstbereitung zu verwerten.
Eine solche Wurst, die stark geräuchert und dann gebraten war und
in der das Hammelfleisch überwog, entsprach zunächst nicht ganz
meinem Geschmack, vor allem aber war sie so fest, dass man einen
Hammel damit hätte erschlagen können. So wie hier geschildert, leben
nun freilich nicht alle Familien; im Sommer z. B. während der wochen-
langen Heuernte, wo die Zeit ausgenutzt werden muss und die Frauen
auf dem Felde zu thun haben, giebt es in vielen Haushaltungen selbst
mittags nur Schwarzbrot mit Butter und Zucker oder Käse nebst Thee
oder Kaffee. Eine angenehme Unterbrechung der einfachen Kost ver-
ursachen im Herbst die Erträge der Vogeljagd, welche verschiedene
Arten sehr wohlschmeckender Strandläufer, Enten und mitunter auch
Gänse liefert. Ausserdem werden hin und wieder einige Fische erbeutet,
und in grossen Mengen die bekannten kleinen Krebschen, die an der
Ostsee Krabben, an der Nordsee Porren genannt werden. Diese kleinen
Geschöpfe sind für eine Hallighausfrau geradezu unentbehrlich ; aus
ihnen bereitet sie eine nahrhafte Suppe, oder feingehackt mit Ei, Mehl,
geriebenem Zwieback und Butter die sehr beliebte Porrenfrikandelle,
oder mit Essig und Pfeiler einen Salat; auch werden sie in Butter
gebraten, wobei sie jedoch schwer verdaulich sind. In Ma.ssen legt
inan sie, natürlich aus der Schale gezogen, in Salz ein, um sie für den
Winter zu konservieren. Am besten schmecken sie in Seewasser ge-
kocht frisch vom Feuer, in welchem Zustande sie die Fremden selten
voi^esetzt bekommen, weil sie sofort nach dem Fange gekocht werden
müssen. Einen Teil der abgezogenen Schalen verspeisen die Hühner,
Forschangen zur deutschen Landes- und Volkskunde. VI. 3. 19
Google
•270
Eujjen Traeger,
[50
um ihr Bedürfnis an Kalk zu stillen, einen Teil auch die Schweine.
Uebrigens bleibt die Nordseeporre beim Kochen grau, während die
Ostseekrabbe rot wird ; sie ist auch in jeder Zubereitung schwerer ver-
daulich als die letztere, aber von stärkerem Seewassergeschmack.
Im Gebrauch von geistigen Getränken sind die Halligbewohner
anerkennenswert mä.ssig. Bier, welches in kleinen -Literflaschen
bezogen wird, findet man höchst selten in einem Hause, selbst in den
wenigen Wirtshäusern nicht immer, die auf grösseren und besuchteren
Halligen der Fremden wegen unterhalten werden. Dagegen legt jede
Hausfrau Wert auf den Besitz von einigen Flaschen Wein, entweder
Cider- oder Cheres- und Portwein. Unter sich trinken sie bei besonderen
Veranlassungen Rum mit Thee als Theepunsch, auch Grogg; Veran-
lassung bieten erwiesene Gefälligkeiten, Geschäftsabschlüsse, Ausübung
der Gasthchkeit u. s. w. Der Genuss von Branntwein gilt hier für
gemein und verächtlich : er wird eigentlich nur für die fremden Arbeiter
ange.schafft, die ihn während der Heuernte beanspruchen. Daher be-
gegnet man auf den Halligen niemals den Jammergestalten, deren
Haltung und Gesichtsausdruck die unglücklichste aller Leidenschaften
verraten. Hofl'entlich bleibt dieser schöne Vorzug den Halligbewohnern
dauernderhalten; auf ihm beruht ganz wesentlich dasehrbare, gesittete
Wesen, was den Verkehr mit diesen einfachen Menschen so ange-
nehm macht.
Wenn früher noch mancherlei alte Gebräuche bei hervorragenden
Familienereigni.ssen geübt wurden, die Jensen in seinem Buche über
die nordfriesischen Inseln gesammelt und beschrieben hat, so sind diese
auf den Halligen, man kann sagen, gänzlich verschwunden. Das wenige,
was sich etwa noch erhalten hat, knüpft sich vorzugsweise an die Be-
deutung ihrer Bewohner als einer seem'ännischen Bevölkerung. So
bittet ein von langer Fahrt zurückgekehrter Seemann den Pastor, am
nächsten Sonntag nach der Predigt ein öffentliches Dankgebet für ihn
zu sprechen, wofür er eine kleine Summe zu zahlen pflegt. Hier möge
eine Hochzeit geschildert werden, die in jüngster Zeit in einem gut
situierten Hallighause gefeiert wurde.
Am Morgen des Hochzeitstages wehten von den Schiffen der
Hallig die Flaggen, auch war ein bunt beflaggter Mastbaum vor dem
Hause der Braut errichtet. Die Trauung fand nachmittags in der
Kirche statt, wohin sich alle geladenen Gäste, etwa 40 Personen, in
feierlichem Zuge mit dem Brautpaar an der Spitze zu Fuss begaben,
denn eine Benutzung von Wagen zu diesem Zwecke ist auf einer Hallig
nicht möglich. Die Braut trug hierbei ein schwarzes Atlaskleid, den
Myrtenkranz, weissen Schleier und weisse Handschuhe. Nach Beendi-
gung der gottesdienstlichen Handlung kehrten alle Gäste in das
Hochzeitshaus zurück. Nachdem die Gäste Platz genommen hatten,
wurde zunächst Kaffee mit Back werk gereicht, nur heimisches Ge-
bäck von bester Zubereitung, worauf sich die Männer eine Pfeife
oder eine Zigarre anzUndeten. Als die Sonne unterging und der
Leuchtturm von Amrum sein blitzendes Licht aus der Feme herüber-
strahlen liess, wurden die Flaggen unter Gewehrschüssen niedergeholt,
die Gä.ste nahmen ihre Plätze ein, und abermals unter einer Salve von
Diyiii^ed by CjOOgle
51]
Die Halligen iler Nordsee.
277
Gewehrschüssen wurden die Zimmer des Hauses festlich erleuchtet.
Zunächst wurde nun den Gästen Theepunsch mit Backwerk gereicht,
idsdaun Wein, der die nötige Stimmung hervorrief, um eine Reihe von
Toasten auszubringen, ja, man räumte sogar die Tafeln beiseite und
gab sich bei den Klängen einer Harmonika einem Tänzchen hin.
Gegen 11 Uhr erreichte dieses Vergnügen sein Ende, die Tafeln
wurden wieder aufgestellt und das Abendessen begann, bestehend aus
zweierlei Braten mit Kompott, Thee und Weissbrot. Später erschienen
grosse Bowlen, und zum fröhlichen Becherlupf ertönte manches heitere
Lied und manche launige Rede, die dem natürlichen Humor der Nord-
deutschen Ausdruck verlieh. Plötzlich aber liess die melodische Har-
monika ihre verlockenden Weisen wieder erklingen, und wieder folgten
ihr Jung und Alt im beseligenden Rhythmus des Tanzes, bis gegen
3 Uhr des Morgens die letzte Erquickung verabreicht wurde, bestehend
in Kaffee oder Thee mit belegten Brötchen, worauf die Sieger das
Feld räumten und dem geschlagenen Brautpaar Gelegenheit zu ehren-
vollem Rückzüge gaben.
Solche grosse Gesellschaften sind auf den Halligen etwas höchst
Seltenes, auch bei Hochzeiten, die im Durchschnitt bedeutend einfacher
gefeiert werden. Sonst kommen die Erwachsenen nur im kleinen Kreise
zum ,Upsatten“ zusammen und bewirten sich einfach und prunklos; früh
geht man auseinander mit erleichtertem Herzen und leichtem Kopf, denn
die Arbeit des nächsten Tages verlangt, dass man früh wieder auf dem
Platze steht. Unangenehm ist die Heimkehr, wenn man einen weiten
Weg in der Finsternis zurückzulegen hat und wenn eisiger Wintersturm
Uber die schneebedeckte Hallig braust; dann gilt es beim schwachen
Scheine einer Laterne sorgsam auf die schwer erkennbaren Fusspfade
zu achten, dass man nicht vom Wege abkomme und in die mit Eis
und Schnee trügerisch verhüllten Gräben gerate. Schon mancher ein-
geborene Halligbewohner ist bei rauhem Wetter in finsterer Winter-
nacht in grosse Not gekommen und froh gewesen , wenn ihn besorgte
Angehörige gesucht und nach qualvollem Umherirren nach Hause ge-
leitet haben. Daher meidet man Besuche auf entfernten Werften und
verlässt die eigene Werft überhaupt nicht, wenn Unwetter toben oder
dichter Nebeldampf die Hallig umhüllt.
Von hervorragender Bedeutung für die Halligfamilien sind die
Besuche der grossen Herbst- und Frühjahrsmärkte in Husum, wohin
sie die Erträge ihrer Viehwirtschaft an Butter, Käse, Fellen und Wolle,
sowie den Thran und die Felle erlegter Seehunde bringen und wo sie
alles einkaufen, was sie an Lebens- und Genussmitteln brauchen.
Wenn die Zeit herannaht, dann setzt sich jede Familie mit einem
Schiffer ihrer Insel in Verbindung, der für eine massige Vergütung
die Beförderung der Personen und Waren übernimmt. Dann wird
eifrig überlegt und aufgeschrieben, was angeschaffl werden muss für
den langen Winter, welche Preise dafür zu zahlen sind und was dann
noch übrig bleibt für weniger notwendige Genussmittel oder für kleine
Geschenke an Kinder und Verwandte, die den Markt nicht be.suchen
können. In der Kegel erhalten einige Kinder von dem Pastor oder
Lehrer die Erlaubnis zur Marktreise, um bei der Besorgung der vielen
278 Eugen Traeger, [52
Einkäufe hilfreiche Hand zu leisten. Für diejenigen unter ihnen,
welche sie zum erstenmal antreten sollen, ist das natürlich ein höchst
wichtiges und bedeutungsvolles Ereignis. Herangewachsen auf der
kleinen Heimatsscholle, auf der es von der Welt und vom Leben so
gut wie nichts kennen gelernt hat, spielt Husum, „die graue Stadt am
grauen Meere“, wie Theodor Storm sie in einem Gedichte nennt, in
der Phantasie des Halligkindes eine bedeutende Rolle. Schon die See-
fahrt auf den durch Baken wie eine Landstrasse bezeichneten Watten-
.strömen vorbei an der traurigen Beenshalligklippe , an Pellworm.
Nordstrand und den Schwesterhalligen, die es hierbei in grösserer
Nähe als sonst zu sehen bekommt, das immer klarer hervortretende
Festland mit dem hohen Seedeich und dem blauen Geestrücken im
Hintergründe, belebt von Ortschaften, die so ganz anders aussehen.
als eine der heimischen Werften, mit schlanken, hohen Kirchtürmen
und ganzen Hainen von Bäumen aller Art, das alles ist für das Kind
Gegenstand des höchsten Interesses. Und nun die Einfahrt in die enge,
hohe Schleuse von Husum mitten durch den gewaltigen Deich, die
Hafenanlagen, der mächtige Dampfbagger mit seinem rasselnden Räder-
werk, den unermüdlich kreisenden Schöpfeimern und den Schlamm-
schuten, und nun gar die drehbare Eisenbahnbrücke, über die vieUeicht
gerade das höchste W'under der kindlichen Vorstellung, ein Eisenbahn-
zug, donnernd hinüberfährt — nein, es ist nicht zu sagen, was Husum
für eine merkwürdige und bedeutende Stadt ist ! Dann geht das Kind
mit den Erwachsenen in die Stadt, besieht mit ihnen die staunens-
werten Auslagen der Schaufenster, tritt schüchtern mit in den Laden
ein, wo die Auswahl so schwer fällt, und mischt sich schliesslich
freudestrahlend auf dem Marktplatz in das Getümmel und den musi-
kalischen Lärm der bunten Jahrmarktsbuden, wo nie gesehene, ver-
lockende Dinge in solcher Fülle geboten werden! So ziehen die ehr-
baren Halligleute drei bis vier Tage in Husum umher und besorgen
bedächtig, aber ausdauernd ihre vielen Geschäfte. Die Kaufleute wissen
die Kundschaft der Halligen zu würdigen, denn wo eine Familie ein-
mal gut gekauft hat, da geht sie sicher wieder hin und bringt Freunde
und Bekannte mit. Dadurch hat manches Geschäft einen sehr nennens-
werten Umsatz, und die Bedeutung Husums als der lebhaftesten
Handelsstadt an der Westküste Jütlands beruht hauptsächlich auf
ihrem Verkehr mit den friesischen Inseln. Auch die Gastwirte sehen
die ehrlichen, bescheidenen Leute gern kommen, die wenig Ansprüche
machen, nie tumultuieren und in ihrer Gesamtheit trotz ihrer mäs-
sigen Lebensführung einen nicht zu verschmähenden Profit gewähren.
Haben die sämtlichen Parteien eines Schiffes ihre Besorgungen er-
ledigt, dann wird mit dem nächsten günstigen Winde die Rück-
reise angetreten, bei der man sich doch wieder freut, aus dem un-
ruhigen Treiben der Stadt in die gewohnten kleinen Verhältnisse und
den Kreis der zurückgebliebenen Angehörigen einzutreten, die Vorräte
mit ihnen vom Schiffe in das Haus zu schaffen und zu prüfen, die
Geschenke zu verteilen und dann die regelmässigen Arbeiten wieder
aufzunehmen.
Bei ihrer Abgeschlossenheit ist es ein grosses Glück, dass sich
Di^iii^cö by CjOO^Ic
Die Halligen der Nordsee.
279
53]
die kleinen Inseln eines überaus gesunden und kräftigenden Klimas
erfreuen. Die vorherrschenden drei westlichen Winde tragen beständig
die frische, reine Seeluft Uber ihre flachen Ebenen, und selbst die öst-
lichen Winde, deren Kraft vor dem Erreichen der NordseekUsten schon
durch den jütischen Geestrücken gebrochen worden ist, fahren über
hinlänglich breite Wasserflächen hinweg, um bis zu ihrem Eintreffen
auf den Halligen einen weiteren Teil ihrer 'Schärfe verloren zu haben.
Die grossen Inseln sind gegen die Westwinde durch ihre Dünen oder
Deiche geschützt, in deren Windschatten die Ansiedelungen ruhen, und
selbst Föhr, dessen ehemalige Dünen teils auf Amrum liegen, teils
auf dem Wattengrunde, so dass nur noch an einigen KUstenpunkten
schwache Ueherbleibsel derselben zu erkennen sind, ist gross und hoch
genug, um namentlich den östlicheren seiner Ortschaften einigen Schutz
zu gewähren; die Halligen hingegen liegen offen und frei dem vollen
Anprall des Windes ausgesetzt, und so ist ihr Klima ein wenig rauher,
als das der übrigen Inseln. Im Sommer ist das ein Vorzug, weil
man alsdann den leisesten Hauch empfindet. Während über Pellworm
und Nordstrand Windstille lagert und die Sonne das von hohen Deichen
eingeschlossene Land wie einen Kessel durchglüht, geht über die Halligen
immer noch ein kühlendes Lüftchen und wäre es nur dasjenige, welches
die heisse Sonne selbst durch den Gegensatz der Land- und Wasser-
erw'ärmung erregt ; wirklich drückend heisse, windstille Tage sind daher
auf diesen Eilanden, besonders auf den westlicheren, etwas höchst
Seltenes. Im Winter dagegen, wenn die Watten ringsumher von Eis
starren, ist die Kälte der Stürme ein Feind, der den Menschen bis in
sein Haus verfolgt, denn kaum ein Hallighaus ist hinlänglich dagegen
verwahrt: die Wohlthat der dicht schliessenden Doppelfenster ist hier
wie Oberhaupt im nördlichen Deutschland unbekannt; die Fugen der
einfachen Fenster und der Thüren klaffen, der offene Kamin gewährt
dem Winde Eingang, und so herrscht bei Sturm ein Zug in einem
Hallighause, den nur die einheimische Bevölkerung nicht zu empfinden
scheint. V’erzärtelt ist dieselbe also durchaus nicht. Dazu kommt nun
die nahezu absolute Staubfreiheit ihrer Inseln, die mit der dichten
Kasendecke oder an entblössten Stellen mit dem fetten Thonboden be-
deckt sind, welcher selbst in den trockensten Sommern nicht zu Pulver
zerfällt; ausserdem giebt es hier keine Landstra.ssen mit regem Wagen-
verkehr, der das Erdreich in fliegenden Staub verwandeln könnte ; die
Watten bringen gleichfalls nicht ein Atom davon hervor, und daher
lä.sst sich keine reinere, gesündere Luft denken als die der Halligen.
Innere Krankheiten kehren infolgedessen selten auf ihnen ein, selbst
Epidemieen ziehen in der Regel an ihnen vorüber oder verlassen sie
bald wieder. Bedarf man des Arztes in schweren Fällen, so mu.ss der-
•selbe zu Schiffe von der nächsten ärztlichen Station geholt werden.
TriflFt es sich so, dass gerade heftige Stürme rasen, so kann der Kranke
tagelang darauf warten; aber selbst im günstigen Falle vergeht ein
halber Tag, ehe ihm ärztliche Hilfe zu teil wird, dann wieder ein halber
Tag bis zum Eintreffen der ersten Medizin. Ist die Hallig von Eis
umschlossen, so ist ärztliche Hilfe überhaupt nicht zu erlangen; reicht
alsdann die häusliche Pflege nicht aus und erliegt der Kranke seinem
280 Eugen Traeger, Die Halligen der Nordsee. ^.54
Leiden, so wird sich auf den grösseren Halligen ein schlichter Sarg
zimmern lassen, um die Leiche auf dem heimischen Friedhofe zu be-
statten. In dieser Lage befinden sich Langeness, Hooge, Klein-Moor,
Oland und Gröde, auf den übrigen mus.s die Leiche bis zur Wieder-
herstellung der Verbindungen irgendwie aufbewahrt werden, wa.s
glücklicherweise mehr im Bereiche der Möglichkeit als der Wirklich-
keit liegt.
Zu bemerken bleibt hier noch, dass auf einigen Halligen der
Zeitpunkt eines Begräbnisses abhängig ist von dem Wasserstande der
Gräben. Denn da über dieselben, wie wir gesehen haben, nur schmale
Stege hinüberführen , so muss mit dem Leichenbegängnis gewartet
werden bis zum Eintritt der Hohlebbe, um den Sarg durch die Gräben
hindurchzutragen; oder aber er wird bereits längere Zeit vor der fest-
gesetzten religiösen Handlung in die Kirche gebracht und bis zur
eigentlichen Bestattung auf dem Kreuzungspunkte der beiden Gänge
niedergesetzt.
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6. Die Bewirtschaftung der Halligen.
Wenn eine Hallig nur einer Familie gehört, wie Norderoog,
Süderoog und SQdfall, so sind die Besitzverhältnisse natürlich sehr ein-
fach. Anders ist es auf den grossen Halligen ; dort hat sich auf Grund
uralter Erfahrungen und eines echt germanischen Gerechtigkeitsgefühles
das merkwürdigste Besitzsystem herausgebildet, welches seinesgleichen
schwerlich wiederfinden dürfte. So viel Verständiges und Unverstän-
diges, so viel Richtiges und Falsches in innigem Gemisch bisher über
die Halligen geschrieben worden ist, so oft hat man gerade den inter-
essantesten und wesentlichsten Punkt in ihrer Beschreibung mit Still-
schweigen, im günstigsten Falle mit einer kurzen gelegentlichen Notiz
abgefertigt, ofienbar deshalb, weil bisher nur nach flüchtigen Besuchen
sofort zur Feder gegriffen worden ist. Kaum ein Gebiet verlockt so
sehr wie eine Hallig zu dem Glauben, man sei genügend über den
Charakter und die Eigentümlichkeiten des Landes orientiert, wenn man
einen Gezeiten Wechsel von wenigen Stunden daselbst zugebracht hat,
weil die ganze Insel sich so bequem übersehen und anscheinend mit
einem Bhck verstehen lässt, dass man nur noch der Besichtigung
eines Hauses zu bedürfen glaubt, um ein kompetenter Beurteiler der
ganzen Halligwelt zu sein. Ich habe im Gegenteil die Erfahrung ge-
macht, dass das volle Verständnis dieser romantischen Inseln erst nach
wiederholten und langwierigen Besuchen aller Halligen gewonnen
werden kann, weil eine jede ihre Eigentümlichkeiten besitzt und weil
eine längere persönliche Bekanntschaft dazu gehört, die ernsten Insel-
friesen zu genaueren und freiwilligen Aufschlüssen über sich und ihre
Heimat zu bewegen. Die Besuche der Fremden, welche im Sommer von
den Bädern aus in ganzen Bootsladungen eintreifen und sich oft durch
wenig rücksichtsvolles Benehmen missliebig machen, sehen die Hallig-
bewoliner nicht immer gern; sie verletzen zwar die Gastlichkeit nicht,
aber sie bleiben solchen Forschern gegenüber verschlossen und miss-
trauisch, so dass dieselben nur das erfahren, was sie mit ihren eigenen
Augen sehen; hier fahren immer noch die Fremden am besten, die den
Insulanern mit Ruhe und Höflichkeit entgegentreten. Ich bin somit in
der Lage, in diesem Abschnitt Neues und Unbekanntes niitzuteilen, was
manchen Landwirt und Nationalökonom besonders interessieren dürfte.
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282
Eugen Traeger,
[fiG
Vergleicht man in der Uebersichtstabelle auf Seite 243 [17] die
Kolumnen IV und VII, so ergiebt sich bei den einzelnen Halligen für
den kurzen Zeitraum von 0 Jahren folgender Abnahmekoeffizient ihres
Nutzlandes :
1) A. Langeness mit Butwehl
12
Prozent
B. Nordmarsch
14,s
2) Hooge
20,3
n
3) Nordstrandisch-Moor
23,1
4) Gröde mit Apelland
23,2
5) Süderoog
27,3
(5) Südfall
47,1
n
7) Oland
32.1
n
8) Habel
49,2
0) Norderoog
27,8
Hierbei muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Vermessung
von 1882 bald nach einer sehr heftigen Sturmflut erfolgte, als noch
grosse Landteile mit Sand, Schlamm und Muscheln bedeckt erschienen,
wovon später wieder vieles abgerüumt wurde. Die Hallig Hooge z. B.
ist sicherlich von 1873 — 1882 nicht von G77 auf .539 ha zurflck-
gegangen, wie folgender Umstand vermuten lässt; Es befindet sich auf
dieser Hallig ein ,Erd-Buch oder Vermessuugs- Register .... aufge-
nommen im Jahre 1804“ . . ., wonach Hooge damals noch 1748 De-
math Flächeninhalt besass, das Demath = 21(5 Quadratruten, eine Rute
= 1(5 Fuss. Rechnet man das Meter zu 38' i Zoll, so sind diese 1748
Demath = 05(> ha, mithin hat Hooge von 1804 — 1873 um 273 ha
abgenommen, d. h. jährlich um 4 ha, während es von 1873 — 1882
um 138, d. h. jährlich um 15 ha abgenommen haben müsste, was
ich für sehr unwahrscheinlich halte. Immerhin ist auch im ersten
Falle die Abnahme eine so merkliche, dass diejenigen Landbesitzer,
deren Eigentum am Strande läge, ziemlich ra.sch verarmen müssten,
jedenfalls schneller als diejenigen, deren Ländereien weiter im Innern der
Hallig liegen. Um das zu verhüten und die ganze Gemeinde den Verlust
tragen zu lassen, ist das Land in folgender Weise eingeteilt worden:
Zu jeder Werft gehörte seit alten Zeiten der Teil des gesamten
Halliglandes, der in ihrem Umkreise liegt. Je grösser eine Werft,
desto grösser war auch ursprünglich das ihr zugeteilte Land. Es
wurde durch Gräben gegen die Nachbarländereien abgegrenzt, um das
weidende Vieh an Grenzüberschreitungen zu verhindern. So bildeten
die Bewohner einer Werft eine Genossenschaft für sich, ihr Besitz
einen Warf- oder Werftbohl, an dessen Spitze jährlich der Reihe nach
wechselnd ein Bohlskurator trat, um die Ordnung aufrecht zu erhalten.
Die Bohlsgenosseu teilten das ihnen zugehörige Land in zwei Hälften,
von denen die bessere zum Mede- oder Mähland, die andere zur Weide-
fenne bestimmt wurde. Beide Arten von Ländereien wurden ebenfalls
durch Gräben voneinander abgetrennt.
Je nach seiner Grösse kann nun ein Bohlsbezirk eine Anzahl von
Vieh ernähren. Der Berechuung liegt die Erfahrung zu Grunde, da.s.s
man für eine Kuh ein Nutzgras, d. h. je 1 ha Land braucht. Einer Kuh
gleich gerechnet werden 2 Starken oder jährige Kälber, oder 6 junge
Digitized by Google
Die Halligen dev Nordsee.
283
57]
Kälber, oder 4 Schafe, oder 8 Lämmer ; für eine Quie oder zweijährige
Starke rechnet man 4 Kälber, d. h. also *;s Nutzgras. Im Kaufbrief
einer jeden Stelle, im Medebuch und Fennbrief ist genau festgesetzt,
wie viel Nutzgräser ihr zustehen, wie viel Vieh sie also halten kann;
danach bemisst die Haushaltung den Weidebeschlag für den Sommer
und danach erhält sie zur Heubereitung ihr Medeland, von letzterem
aber nicht in jedem Sommer gleich viel, sondern abwechselnd etwas
mehr oder weniger. Trifft es sich so, dass eine Stelle in einem Jahre
viel und gutes Medeland bekommt und dass gleichzeitig grosse Frucht-
barkeit herrscht, so wäre es thöricht und unüberlegt, den ganzen Ernte-
Uberschuss verkaufen zu wollen, weil dieselbe Stelle im nächsten Jahre
vielleicht wenig Land bei dürftigem Graswuchs zu beanspruchen hat.
Die Besitzer müssen also das Heu für solche Fälle aufbewahren und
können nur dann einen Teil verkaufen, wenn sie wiederholt hinterein-
ander reichliche Ernten gehabt haben, oder nur einen Teil des Vieh-
standes unterhalten, zu dem sie eigentlich berechtigt wären. Letzteres
kommt sehr oft vor und die Stellenbesitzer nehmen dann entweder
im Sommer fremdes Vieh gegen eine ziemlich geringe Entschädigung
(12 — 18 M. für das Nutzgras) in Gräsung, oder sie üben ihr volles Weide-
recht überhaupt nicht aus, in welchem Falle der Vorteil des unbenutzt
gelassenen Weidelandes der ganzen Fenngemeinschaft zu gute kommt.
Die Verteilung des Medelandes ist eine so komplizierte, dass in Streitig-
keitsfällen kein Mensch im stände ist. Recht zu sprechen, der nicht
gründlich in die verwickelte Berechnung eingedrungen ist, und das
lässt sich wohl nur von Halligbewohnern aussagen. Sie wählen des-
halb aus ihrer Mitte ein Schiedsgericht von drei Männern, deren Ent-
scheidung massgebend bleibt, wenn überhaupt eine Verständigung erzielt
werden soll. Der Verteilung liegt folgender Gedanke zu Grunde:
Jedem Bohlsmitglied wird in jedem Jahre ein Teil des guten und
ein Teil des schlechteren Medelandes zugewiesen, aber so viel, dass in
einem bestimmten Turnus von Jahren die Menge des zuerteilten Landes
den Durchschnitt erreicht, welchen jeder Stellenbesitzer nach seinem
Kaufbriefe verlangen kann. Diesem Gedanken zuliebe, der dem Ge-
rechtigkeitssinne der Halligfriesen alle Ehre macht, wird das Medeland
in eine Menge von Parzellen zerlegt, die streifenförmig in einer vor-
geschriebenen Himmelsrichtung angeordnet werden. Nach ihren Mede-
büchem, worin die Einteilung auf Fuss und Zoll berechnet und die
Lage des Landstreifens genau bezeichnet ist, teilen die Bohlsgenossen
im Frühjahr die Mede unter sich. Es wird zunächst die Breite des
ersten Streifens längs der Grenze am Kopf- und Fussende festgestellt
und an beiden Enden durch ein Dohl bezeichnet, d. h. ein in den Erd-
boden geschnittenes Loch; neben das Dohl werden mit einem Messer
die Anfangsbuchstaben des Besitzernamens eingeschnitten, und so geht
es weiter Streifen für Streifen, bis die ganze Fläche aufgeteilt ist.
Die Breite der Streifen wechselt sehr; es giebt solche, bei denen sie
nur 2 Fuss beträgt.
Um nun zu zeigen, wie kompliziert und genau die Verteilung ist,
mögen einige Auszüge aus MedebUchern folgen, denen ergänzende Zu-
sätze in Klammern beigefügt sind.
(iliZtu tjy kjOOgle
Eugen Traeger,
284
[58
Verzeichnis, wie die Schaffenne und das Medeland auf Ok-
kalodswarf geteilt wird.
Ich habe 1889 angefangen, Uber Schaffenne und Medeland Buch
zu führen und zwar aus einem Buche von L. Lewesen, welcher früher
auf Okkalodswarf gewohnt hat; ferner hat unser früherer Schullehrer
Hemsen mich genau Uber die Verteilung unterrichtet; ferner hat die
verstorbene Tina Nommen Lews auf Okkalodswarf mir auch wegen der
Verteilung gesagt, und ich habe es aufgeschrieben.
Seit 1839 bis 1852 sind die Schifften ’) von mir selbst in der
Schaffenne und im Medeland aufgeschrieben und sind richtig nach dem
Buche für uns und unsere Erben und die sonstigen Besitzer auf Okka-
lodswarf. Kann nur nach diesem Buche geteilt werden.
Verzeichnis, wie die Schaffenne geteilt wird in den Jahren
1853, 1855, 1857, 1859 u. s. w.
1853 sind folgende [Schifften] in der Schaffenne:
Nr. 1. Das Schifft nächst der Okkalodswarf; ein Schwesterteil
erhalten [diejenigen], die ein Schifft in 8 teilen, nächst an der W arf ; ein
Schwesterteil erhalten Verhäuss-Schiffl genannt, das zweite Schwester-
teil von der Warf [d. h. das zweite Schwesterteil erhält die Interessenten-
schaft, welche , Verhäuss-Schifft“ genannt wird].
Nr. 2 Volkert H. für Hinrich W.;
Nr. 3 die Interessenten, die ein Schifft in 8 teilen ;
Nr. 4 oder Mühlenstockschifft genannt die Interessenten, die ein
Schifft in 8 teilen;
Norder- und SUdertrinhallig [trin = rundlich] erhält Bandix B.
und giebt ‘/s Teil aus [heraus] an die Interessenten, die ein Schifft in
8 teilen, und Bandix B. erhält wieder von denen ‘s Teil und von
den 8 Teilen 3'/* Teil.
In den Jahren ist niemals eine Zugift in der Schaffenne, sondern
die Schifften von der Schaffenne laufen über auf Trinhallig als das
süderste Schwesterteil. Auf SUdertrinhallig ist ein Dohl, in der Mitte
zwischen Norder- und SUdertrinhallig ist ein Dohl, das norderste
Schwesterteil [hat] ein Dohl — danach muss gemäht werden.
[Im Original besitzt dieser ganze Absatz ftist gar keine Gliederung
durch Satzzeichen; nur vor .sondern“ und .als“ steht ein Komma. Die
letzte Hälfte soll die Himmelsrichtung der Schifften bestimmen.]
1855 [werden die Schifften] in der Schaffenne wie folgt [verteilt]:
Nr. 1 Volkert H.;
Nr. 2 die Interessenten, die ein Schifft in 8 teilen;
Nr. 3 dieselben;
Nr. 4 Bandix B., giebt aus;
Norder- und SUdertrinhallig: 1 Schwesterteil [die Interessenten],
die ein Schifft in 8 teilen, nämlich SUdertrinhallig; 1 Schwesterteil die
Interessenten , Verhäuss-Schifft“ genannt.
') Schifften oder Umschifften sind die der Grösse und Lage nach jährlich
wediselnden Parzellen. Sie werden auch Hruderteil genannt, welches in zwei
Schwesterteile zerftlllt. Das Adverb .umschifft* bedeutet wechselweise, der Reihe
nach.
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59]
Die Mailigen der Nordsee.
285
1857 ... in der Schaffenne wie folgt:
Nr. 1 die Interessenten, die ein Schiflft in 8 teilen;
Nr. 2 dieselben;
Nr. 3 Bandix B., giebt */•'• aus;
Nr. 4 1 Schwesterteil, die ein SchifiFl in 8 teilen, das süderste ;
1 „ ,Verhäuss-Schiift“, das norderste;
Norder- und Südertrinhallig: Volkert H.
1859 in der Schaffenne wie folgt:
Nr. 1 nächst Okkalodswarf die Interessenten, die ein Schifft in
8 teilen;
Nr. 2 Bandix B., giebt ** aus;
Nr. 3 1 Schwesterteil, die ein Schifft in 8 teilen ;
1 „ die Interessenten „ Verhäuss-Schifft“ genannt;
Nr. 4 oder Mühlenstockschifift Volkert H.
Norder- und Südertrinhallig, die ein Schifft in 8 teilen.
1801 in der Schaffenne wie folgt:
Nr. 1 Bandix B., giebt */» aus:
Nr. 2 1 Schwesterteil, die ein Schifft in 8 teilen;
1 , die Intere.ssenten „ Verhäuss-Scliifft“’ genannt;
Nr. 3 Volkert H.;
Nr. 4 die Interessenten, die ein Schifft in 8 teilen ;
Norder- und Südertrinhallig dieselben.
Dieses Schifft oder Bruderteil ist jedes zehnte Jahr auf derselben
Stelle, ein Schwesterteil aber jedes zwanzigste Jahr. Da dieses Schifft
1861 rund gewesen ist, kommt es wieder in die Schaffenne [d. h. e.s
steht dem Werftbohl zu einer neuen Verteilung wieder zur Verfügung].
1863 wird geteilt nach dem Jahre 1853,
1865 . , . , , 18.5.5,
1871 1861.
Nun ist es wieder rund gewesen [nämlich da.s Medeland der „Schaffenne“].
1873 wird geteilt nach dem Jahre 1863,
1875 , , , „ , 1865,
1881 1871.
Nun Lst es wieder rund gewesen.
Die Jahreszahl 1853, 1855 u. s. w. kann nur benutzt werden, ist
einerlei, ob 1853 oder 1863 benutzt wird; es ist dasselbe Schifft, weil
es jedes zehnte Jahr auf dieselbe Stelle kommt, nämlich ein Schifft
oder Bruderteil; ein Schwesterteil aber nicht.
[Das Schema der Einteilung ist also dieses ; Wenn die 5 Interes-
senten A, B, C, D, E die 5 Schifften 1, 2, 3, 4, 5 unter sich wechseln
sollen, so erhält
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Kugen Traeger,
[(30
28(3
im I. II. III.
A . . 1 5 4
B . . 2 1 .")
(J . . ;3 2 1
D . . 4 :3 2
E . . .') 4 3
IV. V. Jahr
3 2
4 3
5 4
1 5
2 1 ]
Verzeichnis, wie die Schaffeniie verteilt wird in den Jahren
18.54, 18.56, 18(30 n. s. w. [nämlich] die 4 Schifften oder Bruderteile oder
8 Schwesterteile.
Norder- und Südertrinhalhg wird in diesen Jahren als Zugift auf
jedes Schifft verteilt wie folgt:
18.54.
Nr. 1 nächst Okkalodswarf erhält Bandix B., giebt nichts aus
vom Schifft und erhält das sUderste Bruderteil auf Trinhallig als Zugift.
Nr. 2 1 Schwesterteil, die eine Schifft in 8 teilen,
1 , Bandix B., Broder D., Marten B. und er-
halten das nächstsüderste Bruderteil auf SUdertrinhallig als Zugift.
Nr. 3 Broder D. und Broder T., als Zugift das nächste norderste
Bruderteil.
Nr. 4 Broder D. und Volkert H., als Zugift das norderste Bruder-
teil auf Nordertrinhallig.
V^olkert H. bekommt \s aus einem Schwesterteil von Broder D.
und giebt von seinem Drittel wieder 'i4 Teil an Broder D. aus.
185(3 in der Schaffenne wie folgt:
Nr. 1 nächst Okkalodswarf Broder D. und Volkert H. mit einem
Schwesterteil süderst; Volkert H. bekommt nämlich */s aus einem
Schwesterteil von Broder D. und giebt davon ’ n Teil wieder an Bro-
der D. aus. Das zweite Schwesterteil bekommt Broder D. allein; er-
halten als Zugift das süderste Bruderteil auf SUdertrinhallig;
Nr, 2 Broder D. und Broder T. und erhalten [als Zugift] das
nnchstsUderste Bruderteil auf SUdertrinhallig;
Nr. 3 Bandix B., giebt nichts aus;
Nr. 4 1 Schwesterteil, die ein Schifft in 8 teilen ;
1 , Bandix B., Broder D., Marten B. und er-
halten als Zugift das norderste Bruderteil auf Nordertrinhallig.
1858 in der Schaffenne wie folgt:
Nr. 1 1 Schwesterteil, die ein Schifft in 8 teilen,
1 , Bandix B., Broder D., Marten B. und er-
halten als Zugift das sUderste Bruderteil auf SUdertrinhallig;
Nr. 2 Bandix B., giebt nichts aus, erhält als Zugift das nächst-
sUderste Bruderteil auf SUdertrinhallig;
Nr. 3 1 Schwesterteil Broder D. und Volkert H.; nämlich das
sUderste, da bekommt Volkert H. */s Teil aus und giebt */i4 Teil wieder
an Broder D. aus;
das zweite Schwesterteil Broder D. allein;
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Die Halligen der Nordsee.
287
ül]
erhalten [also alle unter No. 8 prenannten Interessenten] das nächst-
norderste Bruderteil auf Nordertrinhallig als Zugii’t ;
Nr. 4 Broder T. und Broder D., erhalten als Zugift das norderste
Bruderteil auf Nordertrinhallig.
Dieses Schifft oder Bruderteil ist jedes achte Jahr auf derselben
Stelle, ein Schwesterteil aber jedes sechzehnte Jahr. Da dieses Schifft
18.Ö8 rund gewesen ist, kommt es wieder in die Schaffenne: 18t>0 wird
das Schifft oder Bruderteil geteilt nach dem Jahre 1852 und ist auf
derselben Stelle [wie 1852], jedes Schwesterteil aber wechselt, weil es
nur jedes sechzehnte Jahr auf derselben Stelle ist. Also, wie gesagt,
18()0 wird geteilt nach dem Jahre 1852,
18()2 . , . , , 1854,
1804 , , , , . 185(),
186(3 , , , , , 1858.
Nun ist es wieder rund gewesen. 1868 kann es geteilt werden nach
dem Jahre 1860 oder 1852, einerlei nun so fort. Ferner muss bemerkt
werden, dass in diesen Jahren die Schifften nicht überlaufen sollen auf
Trinhallig, sondern von Norden oder [vom] Mühlenstock nicht weiter
[als] bis zum grossen Rondel, von Süden .... der Schaffenne bis zum
Legens auf Südertrinhallig.
[Die vorstehend entwickelte Verteilung bezog sich nur auf einen
Teil des Mählandes der Okkalodswarf, der auch im Gemarkungsbuche
der betreffenden Hallig , Schabsfenne“ genannt wird. Die zweite Ab-
teilung wird schlechtweg ,Medeland“ genannt und bietet in den Zu-
giften zu jedem Schifft ein neues Moment.]
Verzeichnis, wie das Medeland auf Okkalodswarf verteilt
wird in den Jahren 1853, 1855, 1857, 1859.
Das Medeland ist [enthält] 4 Schifften oder 4 Bruderteile oder
8 Schwesterteile , nämlich :
ein Schifft Süderlätig genannt, gänzlich am Ufer,
, , Norderlätig
, , Kleiderhörn ,
, , Verskoog
Zu diesen Schifften gehört Zugift, nämlich zu Süderlätig das nächst-
norderste Bruderteil auf dem Medeland; zu Norderlätig gehört das
norderste auf dem Medeland. Das norderste wird gerechnet von unserer
Fenne, wo früher ein Damm mit Pfählen und Brettern gewesen, und
dann folgt das nächstnorderste, und dann folgt das uächstsüderste und
dann folgt das süderste Zugift; das liegt nächst dem Verskoog. Zu
Kleiderhörn gehört das süderste Bruderteil, zu Verskoog das nächst-
süderste Bruderteil als Zugift.
1853 wird das Medeland verteilt wie folgt:
Süderlätig: Bandix B., giebt nichts aus, erhält als Zugift das
nächstnorderste Bruderteil auf dem Medeland.
Norderlätig: 1 Schwe.sterteil Bandix B.. Broder D., Marten B.
l , die ein Schifft in 8 teilen.
Erhalten als Zugift das norderste Bruderteil auf dem Medeland.
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288
Eugen Traeger,
[Ö2
Kleiderbörn und Verskoog erhalten Broder D., Broder T. und
Volkert H. Davon bekommt Broder T. und Volkert H. seinen Anteil
auf Kleiderbörn im Osten, und Broder D. und Volkert H. auf Verskoog.
weil das wechselt und weil Broder T. das letzte Mal 1849 Verskoog
gehabt hat, [während] Broder D. und Volkert H. Kleiderbörn [hatten],
Volkert H. bekommt jedesmal aus einem Schwesterteil von Broder D.
Sie erhalten als Zugift das sQderste und nächstsUderste , also zwei
Bruderteile auf dem Medeland.
1855 wird das Medeland verteilt:
Norder- und SUderlätig erhalten Broder D., Broder T., Volkert H.
Süderlätig erhält Broder T., Norderlätig Broder D. und Volkert H.,
weil es wechselt, und weil Broder T. das letzte Mal 1851 Norderlätig
gehabt hat, die beiden anderen Süderlätig. Volkert H. bekommt •/» aus
einem Schwesterteile von Broder D. und giebt Teil wieder aus.
[Sie] erhalten als Zugift das norderste und nächstnorderste, [also] zwei
Bruderteile auf dem Medeland.
Verskoog erhält Bandix B. und giebt nichts aus ; als Zugift er-
hält [er] das nächstsUderste Bruderteil auf dem Medeland.
Kleiderbörn: 1 Schwesterteil Bandix B., Broder D., Marten B.
1 , die, welche ein Schifft in 8 teilen;
«als Zugift erhalten [sie] das süderste Bruderteil auf dem Medeland.
1857.
Süderlätig: 1 Schwesterteil Baudix B., Broder D., Marten B.
1 „ die, welche ein Schifft in 8 teilen ; als
Zugift das nächstnorderste Bruderteil auf dem Medeland.
Norderlätig: Bandix B., giebt nichts aus, erhält als Zugift das
norderste Bruderteil auf dem Medeland.
Verskoog: Broder T.
Kleiderbörn: Broder D. und Volkert H. Dieser bekommt */s von
Broder D. aus einem Schwesterteil und giebt den ’/n Teil wieder au.s.
Verskoog erhält zwei Schwesterteile; davon bekommt Broder T.
1 V* Schwesterteile und Broder D. */* Schwesterteil. Als Zugift erhalten
sie das süderste und nächstsUderste Bruderteil auf dem Medeland.
1859.
Süder- und Norderlätig erhalten Broder D., Broder T., Volkert H.
Broder T. erhält seinen Anteil auf Norderlätig, nämlich 1 */* Schwester-
teile, und Broder D. *,* Schwesterteil. Broder D. und Volkert H. er-
halten SUderlätig; Volkert H. bekommt */s aus einem Schwesterteil von
Broder D. und giebt *i4 Teil wieder aus an Broder D. Als Zugift
erhalten sie das norderste und nächstnorderste Bruderteil auf dem
Medeland.
Verskoog: 1 Schwesterteil Marten B., Bandix B. und Broder D.,
1 , die, welche ein Schifft in 8 teilen. Als
Zugift das nächstsUderste Bruderteil auf dem Medeland.
Kleiderhöm erhält Bandix B. , giebt nichts aus; als Zugift das
süderste Bruderteil auf dem Medeland.
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ü3]
Die Hnlligen der Nordsee.
289
Die Schifften sind jedes achte Jahr auf derselben Stelle, ein
Schwesterteil jedes sechzehnte Jahr. Da dieses Schifft 1859 rund ge-
wesen ist, kommt es wieder auf das Medeland.
1861 wird geteilt nach dem Jahre 1853,
1803 , , , , , 1855,
1805 , , ■ , , , 1857,
1867 , , , , , 1859.
Nun ist es wieder rund gewesen.
1869 kann es geteilt werden nach 1861 oder nach 1853; nun so
fort, so kann niemals ein Irrtum entstehen.
Verzeichnis, wie das Medeland auf Okkalodswarf verteilt
wird in den Jahren 1854, 1856, 1858, 1800, 1802.
Das Medeland ist in diesen Jahren [in] 5 Schifften oder 5 Bruder-
teile oder 10 Schwesterteile [zerlegt], nämlich:
1 Schifft SUderlätig,
1 , Norderlätig,
1 , Verskoog,
2 SchifFlen hei dem Damm. Auf diese 5 Schifften gehört Kleider-
höm als Zugift, nämlich:
Suderlätig erhält das wester.ste Bruderteil,
Norderlätig erhält keine Zugift,
Verskoog erhält das nächstwesterste Bruderteil;
1 Schifft bei dem Damm, das norderste, erhält das oberste Bruder-
teil als Zugift,
1 Schifft bei dem Damm, das süderste, erhält das nächstoberste
Bruderteil von Kleiderhörn als Zugift.
1854 wird das Medeland verteilt, wie folgt:
Suderlätig erhält Volkert H., als Zugift das westerste Bruderteil
von Kleiderhörn;
Norderlätig: 1 Schwesterteil das Verhäuss-Schifft,
1 , die, welche ein Schifft in 8 teilen,
ohne Zugift;
das norderste Schifft bei dem Damme erhält Bandix B., giebt [s Teil
aus an die, welche ein, Schifft in 8 teilen; als Zugitt bekommt B. das
oberste Bruderteil von Kleiderhörn ;
das süderste Schifft bei dem Damme erhalten die , welche ein
Schifft in 8 teilen, als Zugift das nächstoberste Bruderteil;
Verskoog erhalten die, welche ein Schifft in 8 teilen. Zugift ist
das westerste Bruderteil von Kleiderhörn.
1850 wird das Medeland verteilt, wie folgt:
Suderlätig erhalten die, welche ein Schifft in 8 teilen; als Zugift
das westerste Bruderteil von Kleiderhörn;
Norderlätig erhält Volkert H. ohne Zugift;
das norderste Schifft bei dem Damme:
1 Schwesterteil zunächst an dem Damme das Verhäuss-Schifft
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290 Eugen Trueger, [04
1 Schwesterteil die, welche ein Schifft in 8 teilen. Zugift ist das oberste
Bruderteil von Kleiderhörn;
das sUderste Schifft bei dem Damme erhält Bandis B. ; er giebt
’/5 Teil aus an die, welche ein Schifft in 8 teilen. Als Zugift erhält
er das nächstoberste Bruderteil von Kleiderhörn’;
Verskoog erhalten die, welche ein Schifft in 8 teilen, als Zugift
das nächstwesterste Bruderteil von Kleiderhörn.
1858 wird das Medeland geteilt, wie folgt:
SUderlätig: die ein Schifft in 8 teilen;
Norderlätig: dieselben, als Zugift das westerste Bruderteil von
Kleiderhörn, keine Zugift für Norderlätig;
das norderste Schifft bei dem Damme erhält Volkert H., als Zu-
gift das oberste Bruderteil von Kleiderhörn ;
das süder.ste Schifft bei dem Damme:
1 Schwesterteil [die Genossenschaft] Verhäuss-Schifft genannt;
1 Schwesterteil die, welche ein Schifft in 8 teilen; als Zugift das nächst-
oberste Bruderteil.
Verskoog erhält Bandix B., und giebt ',5 Teil aus an die, welche
ein Schifft in 8 teilen; als Zugift erhält er das nächstwesterste Bruder-
teil von Kleiderhörn.
1800 wird das Medeland geteilt:
SUderlätig erhält Bandix B., als Zugift das westerste Bruderteil
von Kleiderhörn; er giebt Teil aus an die, welche ein Schifft in
8 teilen;
Norderlätig erhalten die, welche ein Schifft in 8 teilen, ohne Zugift ;
das norderste Schifft hei dem Damme die, welche ein Schifft in
8 teilen; als Zugift das oberste Bruderteil von Kleiderhörn;
das süderste Schifft bei dem Damme erhält Volkert H. ; als Zugift
das nächstoberste Bruderteil von Kleiderhörn.
Verskoog: 1 Schwesterteil erhält Verhäuss-Schifft,
1 , die, welche ein Schifft in 8 teilen; als
Zugift das nächstwesterste Bruderteil von Kleiderhörn.
1802.
SUderlätig: 1 Schwesterteil das Verhäuss-Schifft,
1 , die, welche ein Schifft in 8 teilen;
als Zugift erhalten sie das westerste Bruderteil von Kleiderhörn.
Norderlätig erhält Bandix B. und giebt ‘/s Teil aus an die, welche
1 Schifft in 8 teilen; hierzu gehört keine Zugift;
das norderste Schifft bei dem Damme erhalten die, welche ein
Schifft in 8 teilen ; als Zugift das oberste Bruderteil von Kleiderhörn ;
das sUderste Schifft bei dem Damme erhalten dieselben ; als Zugift
das nächstoberste Bruderteil von Kleiderhörn.
Verskoog erhält Volkert H.; als Zugift das nächstwesterste Bruder-
teil von Kleiderhörn.
1804.
SUderlätig erhält Volkert H., als Zugift das westerste Bruderteil
von Kleiderhörn;
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« 5 ]
Die Halligen der Nordsee.
291
Norderlätig: 1 Schwesterteil das Verhäuss-SchiflFt ;
1 , die, welche ein Schift't in 8 teilen.
ohne Zugift;
das norderste Schüft bei dem Damme erhält Bandix B. und giebt
\s Teil aus an die, welche ein Schifft in 8 teilen; als Zugift das oberste
Bruderteil von Kleiderhöm;
das süderste Schifft bei dem Damme erhalten die, welche ein Schifft
in 8 teilen; als Zugift das nächstoberste Bruderteil von Kleiderhöm.
Verskoog erhalten die, welche ein Schüft in 8 teilen ; .ils Zugift
das nächstwesterste Bruderteil von Kleiderhöm.
1886 wird geteilt nach dem .Jahre 185(i.
1868 . , , , . 18.58,
18p , . . , . 1864,
1876 , , . , , 1866 oder 1856, einerlei.
Die ein Schifft, Bruderteil oder Schwesterteil und den */* Teil
von Bandix B. aus seinem Schüft erhalten [die, welche ein Schifft in
8 teilen], sind im Jahre 1858 folgende:
Bandix B. . . erhält von den 8 Teilen 8*/* Teile.
Broder D. .. . .,.,2 ,
Ferdinand H 1 '/* .•
Marten B. . . . . . , , *(* ■
Lenken Sönkens . . , . , V* *
8 Teile.
Da.s Verhäuss-Schifft bilden ini .Jahre 1858 folgende: Broder
D. ; Volkert H. ; Bandix B. ; Johannes, F. Johans Vater. Das Schifft
wird nach dem Buch von Melf H. B. geteilt.
Es folgt nun das Ergebnis einer genauen Vermes.sung der Schifften
aus dem Jahre 1849, ferner der Verteilungsmodus der Schifften zum
Scholensaramein [Scholen oder Schollen sind auf der Weide trocken ge-
wordener Dünger, der zura Brennen verwendet wird], und dann heisst es:
Im Jahre 1869 waren wir Interessenten auf Okkalodswarf ge-
nötigt, den achten Teil unserer Fenne abzusetzen, und es wird wohl
nie der Fall sein, den abgesetzten Teil wieder zu benutzen. Es haben
jetzt in der Fenne:
Broder D.
6 Nutzgras
6*’ 48 oder
7 Lammsgras.
Harro J. 1). .
0
n
8”;iis ,
8-8 ,
Hinrich A. .
4
t»
•2*”«o» .
2*^
“ ( • 1*
Bandix B.
7
»
Marten B.
0
5*/i8
ö *,i 0
Sonke .1. . .
(1
w
19
Nutzgras
.5*;s Lammsgras.
Ich kann mich von den MedebUchem nicht trennen, ohne noch
einige Auszüge mitzuteilen, die ich auf einer anderen Ballig genommen
habe. Vielleicht erregen dieselben die Teilnahme einiger Leser in
demselben Grade, wie sie die meinige gefesselt haben, und diesen glaube
Fortchungen zor dentHchen Lande« und VolkHknnde. VI. s. 2()
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202
Ku);;en Traeger,
ich mit solchen Mitteilungen einen Dienst zu erweisen; andere Leser,
die sich nicht dafür interessieren, können sie unbeschadet des Zu-
sammenhanges überschlagen.
Lorenz Jensens ITmschitft wird zunächst in 2 Teile geteilt, dann
wird die eine Hälfte in 1(5 Teile geteilt und davon bekommen wir einen
sechzehntel Teil zu unserer Hälfte. Alsdann wird unsere Hälfte in
.') Teile geteilt; davon bekommen Andreas Lorenzen, .lohn Hennings,
Meinert johansen einen Teil und zwar Andreas Lorenzen die Hälfte.
John Hennings und Meinert Johansen zusammen die andere Hälfte. Die
übrigen 4 Teile werden wieder in 5 Teile geteilt; davon bekommen
Nommen E. Lorenzen und Momme Petersen .‘5 Teile, .John Hennings und
Meinert Johansen 1 Teil, Peter Melfesens Erben 1 Teil. Dieser Teil wird
wieder in ö Teile geteilt; davon bekommt Daniel Levsen .‘1 Teile, Nommen
E. Lorenzen 1 Teil, Hans J. Lorenzens Witwe und Konsorten 1 Teil.
Die übrigen ‘*/i6 Teile von der ersten Hälfte werden in 0 Teile
geteilt; davon bekommt Hans J. Lorenzens Witwe 7 Teile. Ketel
Andresen 1 Teil, Nommen E. Lorenaen 1 Teil.
ln die Das ganze Harebett Hans J. Das ganze Harebett Hans J.
4 Stücke Lorenzens Witwe mit Kon- Lorenzens Witwe mit Kon-
sorten die Westerseite, wir mit Sorten die Osterseite, wir mit
1884 unseren Konsorten die (Jster- unseren Konsorten die Wester-
1889 Seite seite
1894 1885 j 1890
1899 1895 I 1900
Das grosse Umschifft wird in 5 Teile geteilt: John Hennings
4 Teile, Ketel Brodersen 1 Teil :
das Stück bei das Harebett die die d kleinen das Harebett die
Bandixwarf Westerhälfte Stücke 1 Osterhälfte
1882 188H 1887 1888
1892 189d 1897 1 1898
Letztere Einteilungsbestimmung für die einzelnen Jahre ist etwas,
was kein Mensch verstehen kann, der nicht selbst dabei aktiv beteiligt
ist; das können die Leute auch nicht mit Worten einem Fremden bis
zur Beseitigung jedes Zweifels erklären, sie können es nur in der Praxis
richtig ausüben. Daher auch die Unmöglichkeit für einen preussischen
Richter, in etwaigen Streitigkeitsfällen bei solcher Verteilung zuverlässig
Recht zu .sprechen; er muss die Entscheidung den Schiedsmännem der
Hallig überlassen.
Eine andere Verteilung von wunderbarer Feinheit ist folgende:
Auf Norddahl bei Hunnenswarf sind 4 Köhre ; davon nehmen wir
1 Köhr, der in 8 Teile geteilt wird. Der eine Teil wird in 2 Teile
geteilt; davon bekommt Andreas Lorenzen 1 Teil, der andere wird in
8 Teile geteilt, von denen Knut Bonken 2 Teile, Daniel Levsen 1 Teil
bekommt. Die übrigen 2 Teile [des Köhrs] werden in 7 Teile geteilt:
davon bekommt
Nomnien E. Lorenzen ... 1 ‘;s Teil,
Momme Petersen ,
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Die Halligen der Nordsee.
29:$
r,7|
Hans .1. Loreiizen ....
Feter H. Lev.sen 1
Knut Boiiken und John Henning.s ;5 ‘,s ,
davon jeder die Hälfte ; es wird aber nicht geteilt, sondern sie benutzen
es jeder 4 Jahre
wie folgt:
Knut Bonken
bekommt die
John Hennings bekommt die
:$V3 Teile
3 ‘.'S
Teile
1880
1881
1884
1885
1882
1883
1886
1887
1888
1889
1892
1893
1890
1891
1894
189.5
Bei dem Ufer
Norden gegen Hans
Peters Hörn
Süden gegen Hans
Peters Hörn
Bei der Werfte
1880
1881
1882
1883
1884
188.3
1886
1887
1888
1889
1890
1891
1892
1893
1894
1895
189t)
1897
1898
1899
Noch von den 4 Köhren auf Norddahl nehmen wir jedes Jahr
1 Köhr, der wird in 7 Teile geteilt:
Noinmen E. Lorenzen . . . 1*3 Teil,
Momnie Petersen "3 ,
Hans J. Lorenzen ,
Feter H. Levsen 1 ,
Knut Bonken und John Hennings :J‘,3 ,
davon jeder die Hälfte; es wird aber nicht geteilt, sondern sie benutzen
es jeder 4 Jahre wie folgt:
John Hennings
3*'3
bekommt die
Knut Bonken
bekommt die
feile
3 >3
Teile
1880
1881
1884
1885
1882
1883
1886
1887
1888
1889
1 892
1893
1890
1891
1894
1895
189t)
1897
1898
1899
Norderst gegen Hans
Peters Hörn
Süders gegen Hans
Peters Hörn
Bei der Werft)’
Bei dem Ufer
1880
1881
1882
188.3
I8S4
1885
1S86
1887
1888
1889
1890
1891
1892
1893
1891
1895
1896
1897
1898
1899
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294 Eu(?en Traeger, [68
Noch einen von den vorher genannten 4 Köhren auf Norddahl
nehme ich, John Hennings, jedes Jahr allein:
Süden gegen Hans
Peter» Uöm
Bei der Werfte
Hei dem Ufer
Norderst gegen Hans
Peters Hörn
1880
1881
1882
1883
1884
1885
1886
1887
1888
1889
1890
1891
1892
1893
1894
1895
189b
1897
1898
1899
Noch einer von den 4 Köhren auf Norddahl wird in 21 Teile
geteilt; davon bekommt
Daniel Levsen . . 13 Teile,
Andreas Lorenzen ... 4 ,
John Hennings .... 2
Meinert Johansen ... 2 ,
Bei der Werfte
Bei dem Ufer
Norderst gegen Hans
Peters Hörn
Süders gegen Han»
Peters Höm
1880
1881
1882
1883
1884
1885
1886
1887
1888
1889
1890
1891
1892
1893
1894
1895
1896
1897
1898
1899
Aus dem allen ersieht man, wie genau auf den Halligen ge-
rechnet wird und welches Kombinationstalent ihren einfachen Bewohnern
eigen ist. Sie haben es ausgebildet in dem ehrenhaften Be.streben.
den Kampf um die Existenz' gegenüber der unaufhaltsam vernichtenden
See wie eine gleichm'ässig abgewogene La,st auf die Schultern aller
Gemeindemitglieder zu verteilen. Die obigen Auszüge sind den Mede-
büchern mittelgrosser Werften von ö — (i Grundstellen entnommen und
daher verhältnismässig durchsichtig; erheblich schwieriger gestaltet
sich die Sache auf grossen Werften von 10 und mehr Grundstellen,
wo entsprechend mehr Bohlsgenossen, Köhre, Schifften, Zugiften und
Genossenschaften wie das hier erwähnte , Verhäuss-Schifft“ oder ,die
Interessenten, die ein Schifft in 8 teilen“, zu berücksichtigen sind.
Und doch wäre auch da die Verteilung relativ immer noch einfach,
wenn nicht im Laufe der Zeit der ursprüngliche Besitzstand durch
Kauf und Erb.schaftsregulierungen sich immer wieder veränderte und
komplizierte. Daher kommt es auch, dass ein Gemeindemitglied nicht
bloss in seinem engeren Bohlsbezirk Mählandsschifften zu beanspruchen
hat, sondern auch in anderen Bezirken auf manchmal sehr entfernt
liegenden Fennen, was für die Beschleunigung der Ernte nicht gerade
forderlich ist.
Nachdem im Frühjahr alle Ländereien auf Fuss und Zoll genau
verteilt sind, wird das Gras namentlich in der Nähe der Kante von
Muscheln und sonstigen Verunreinigungen der See sorgfältig gesäubert
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Die Halligen der Nordsee.
295
t)9j
und vom Tage Johannis ab beginnt das Mähen. Da fUr diese Arbeit
auf den Halligen meistens nicht hinreichende Kräfte vorhanden sind,
so vereinigen sich mehrere Landbesitzer, um fremde Arbeiter zu mieten,
von denen immer je 4 einen Plog (Pflug) bilden, an dessen Spitze als
primus inter pares der Yormähder steht, mit dem die Reihenfolge der
Parzellen besprochen und die Höhe des Lohnes vereinbart wird. Auf
den gprossen Halligen sind mehrere solcher Pflüge erforderlich, die von
Stelle zu Stelle gehen, bis man ihrer nicht mehr bedarf.
Die Landstreifen gehen, wie wir gesehen haben, über die ganze
Wiesenfenne hinweg und ihre Breite wird durch je 2 Dohle an jedem
Ende bezeichnet. Bevor der Streifen gemäht wird, muss er in gerader
Linie von dem Nachbarlande abgegrenzt werden, und das geschieht in
folgender Weise : An dem einen Dohl wird entweder ein Mann aufge-
stellt oder ein Pfahl eingeschlagen, an das entgegengesetzte Dohl tritt
der Besitzer der Mede und zwischen diese beiden festen Punkte ein
dritter Mann in der Mitte der langen Linie; durch Winke wird der
letztere so dirigiert, dass schliesslich alle drei genau in einer Linie
stehen. Nun schreitet der Besitzer mit einem grossen Tuch voll Gras
so auf den Mittelpunkt zu, dass ihm dieser den Endpunkt beständig
verdeckt, und le^ nach je 2 oder Schritten eine Handvoll Gras
nieder. Hat er den Mittelpunkt erreicht, so wird noch einmal genau
Richtung genommen und dadurch eine so gerade Grenzlinie hergestellt,
dass sie mit der Schnur kaum richtiger festgelegt werden könnte.
Zeigen die Linien nach dem Mähen des Streifens Krümmungen gegen
da.s zu beiden Seiten stehen gebliebene Gras, so trifft die Schuld daran
die Mäher; doch kommt das selten genug vor, vielmehr hat man seine
Freude daran, wie genau die oftmals mehrere hundert Schritte langen
Linien eingehalten sind.
Wenn die Witterung im Frühjahr regnerisch und nicht zu kalt war,
so erreicht das Gras bis Johannistag eine Höhe von etwa einem Fuss;
war sie nicht so günstig, so bleibt der Wuchs mehr oder minder da-
hinter zurück, und das kann auf schlechtem Boden so weit gehen, dass
sich das Abmähen kaum noch lohnt. Auf gutem Boden giebt selbst
8 — 9 zölliges Gras erstaunlich reichliche Erträge, weil dasselbe, wie
schon gesagt, so ausserordenÜich dicht steht. Von der Mitte des Mai
bis zur Ernte gewährt eine Hallig ein überaus liebliches Bild: gleich-
massig über weite Fluren zieht sich das schöne, feine Rasenkleid, das
im Winde zierlich hin und her wogt und Ober welches Millionen kleiner
Blumen gestreut sind, die einen süssen, würzigen Duft verbreiten.
Auf anderen Fennen weiden friedlich die stattlichen Rinder und wei.ss-
wolligen Schafe in grossen bunten Herden, und in der Luft wiegen
sich mit melancholischem Schrei oder ihrem eigentümlichen Lachen
die herrlich gefiederten anmutigen Möven und mit ihrem lieblichen
Gesänge unzählige Lerchen, dazwischen auch Stare, Seeschwalben und
muntere Austernfischer mit ihrem raschen Fluge. Die letzteren sind
die Lieblinge der Halligfriesen, von denen sie ,Lieweii“ genannt werden.
Niemand stört sie zur Brütezeit, wo sie ziemlich zutraulich werden,
im Gegenteil legen die Kinder gern den brütenden Vögeln Hühnereier
in das Nest, aus denen dann etwas eher als die eigenen Küchlein das
.-j u. .
uy
Google
Eu((en Trae^er,
29(i
[7(t
junge Hühnchen ausschlüpft. In der sonnigen, klaren Luft eines
schönen Junitages überblickt man von der Höhe einer Werft diese.'-
ganze entzückende Bild des Friedens, eingerahmt von den blauen
Wassern der Nordsee, die zur Flutzeit sich dicht an die Hallig schmiegen
und in zahllosen Gräben den bunten Wiesenplan durchschlängeln. Je
weiter die Ernte dann fortschreitet, desto häutiger unterbrechen die
bereits gemähten Streifen den reizenden Plan. Auf ihnen sieht man
das Gras bis unmittelbar an den Boden weggeschnitten, ja. es kommt
oft genug vor, dass die scharfe Sense noch eine dünne Bodenschicht
wegnimint. Das ist nur auf dem Grunde und in dem Seekliina einer
Hallig ohne Schaden für den Nachwuchs möglich; auf dem Festlande
würde bei so genauem Mähen die Gefahr eintreten. dass in nach-
folgender Trockenheit die schutzlos gelassenen Wurzeln verdorren
könnten. Das gemähte Gras bedarf zum völligen Trocknen 1 bis
.‘1 Wochen, je nachdem es rein oder mit Süden und anderen schwer
trocknenden Blattgewächsen vermischt ist. Da alles Gras immer mög-
lichst nach den hoch gelegenen Stellen gebracht werden muss, um bei
hohem Wasserstand nicht von der See erreicht zu werden, so macht
hier die Ernte viele Mühe und Arbeit; erleichternd wirkt dagegen die
Festigkeit und glatte Horizontalität des Bodens sowie die bis an den
Grund reichende Grasschur. Wenn das Heu fertig ist, so wird es in
lange Streifen zusammengerecht und mit den umgekehrten Rechen zu-
sammengeschoben, eine Arbeit, die man auch mit Hilfe von Pferden
verrichtet. Mehrere Haufen werden dann in Heulaken zu Bündeln
von etwa •>(( Pfund verpackt und nach der Stelle getragen, wo die
Dieme errichtet werden soll; das besorgen vielfach die Frauen und
Mädchen, welche die sauberen Bunde auf dem Haupte tragen und mit
den Händen im Gleichgewicht halten. So wandeln sie, den Karyatiden
gleich, nicht ohne Anmut dahin und schichten den duftigen Erntesegen
in die Dieme, von der aus ihn einige Tage später die Männer mit Hilfe
von Pferd und Wagen nach der Werft besorgen; dort wird er abgeladen,
und während das Gespann von neuem hiuausfährt, tragen die Haus-
genossen abermals in Laken dsis Heu auf den Boden und legen es
zum festen ^Klampt“" ein. So herrscht auf der ganzen Hallig rege
Thätigkeit, die Häuser stehen verlassen, denn die ganze Familie, selbst
Greise von mehr als Jahren, sind auf dem Felde beschäftigt. Es ist
die einzige Zeit des Jahres, wo die Hallig belebt erscheint; sowie die
Ernte beendigt ist, gehen nur die weidenden Herden darüber hin, sonst
selten ein Mensch, den ein Geschäft zur Nachbarwerft führt. Nur
nebensächlich will ich doch nicht unterlassen, einen der vielen Irrtümer
richtig zu stellen: Zur Zeit der Heuernte finden sich thatsächlich Pferde
auf den Halligen, die eigens zu diesem Zweck vom Festlande gemietet,
selten gekauft werden : sie werden von den gutmütigen Halligleuten
ausgezeichnet behandelt und gepflegt, niemals überanstrenget oder
geschlagen, und .sehen daher nach der Erntearbeit meistens besser
aus als an dem Tage ihrer Ankunft. Haben sie ihren Zweck erfüllt,
so werden sie wieder abgeliefert, weil man im übrigen Teile des
Jahres keine Verwendung für sie hat. Nur auf einzelnen Halligen
(Südtäll, SUderoog) bilden Pferde dauerndes Eigentum, um den ge-
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71 J Die Halligen der Nordsee. 21*7
schäftlichen Verkehr mit der nächsten grossen Insel über den Schlick
zu bewerkstelligen.
So werden die einzelnen Schifften gemäht, geschwählt (der Aus-
druck für das Rechen des Heus), die Diemen aut'ge.setzt und einge-
fahren. Kein Halliglandbesitzer kann sein sämtliches Medeland auf
einmal mähen las.sen, vielmehr gehen die Pflüge von Stelle zu Stelle,
damit jeder auf seinem Laude anfangen könne. Ausserdem wäre das
zu gefährlich, weil dann eine einzige Sturmflut den ganzen .lahres-
ertrag hinwegschwemmen würde, so dass man lieber eine Parzelle nach
der anderen vomimmt, um durch ein derartiges Ereignis nicht gar zu
schwer getroffen zu werden. Auf diese Weise kommt die Mitte,
manchmal auch das Ende des August heran, ehe die Ernte vollendet
ist, und wenn es auch manchem scheinen möchte, da.ss die Leute ihre
Arbeit vereinfachen und beschleunigen könnten, so wird man unter
aufmerksamer Berücksichtigung der eigentümlichen Verhältnisse schliess-
lich doch gestehen müssen, dass ihre auf uralter Praxis beruhende
Methode die einzig richtige ist.
Auf allen Halligen wird nur Heu, niemals Grummet eingeheimst;
das Frühjahr beginnt zu spät, das Gras ist erst Ende Juni oder Mitte
Juli ausgewachsen, die eine Ernte nimmt zu viel Zeit in Anspruch,
und im September beginnen bereits die wütenden Stürme, welche häufig
das ganze Land unter Wa.s.ser setzen. Der Nachwuchs bleibt daher
Allgemeingut, indem das Vieh von den sommerlichen Weidefenneu
nach der Ernte auf die Medefennen gelassen wird, auf denen inzwi.schen
wieder frisches Gras gediehen ist.
Die Benutzung des Weidelandes wird durch die Fennbriefe
geregelt, wie diejenige des Mählandes durch die Medebücher. In
welcher Weise der Fennbrief die Grasnutzung reguliert und den Warf-
bohl vor etwaigen Uebergrilfen eines böswilligen oder ungenügend
unterrichteten Mitgliedes .sichert, möge der Leser aus dem Inhalte eines
derartigen Dokumentes er.sehen; es lautet:
Da der alte Fennebrief für Ockelützwarfsbohl aus Händen ge-
kommen oder die Vereinbarung unter den Interessenten veraltet ist,
.so haben wir Unterzeichneten derzeitigen Interessenten des erwähnten
Bohls uns veranlasst gefunden, über folgendes eine Vereinbarung zu
treffen :
§ 1. Es hat gegenwärtig in der zum besagten Bohl gehörenden
Fenne oder Gemeindeweide:
Melf Haus Baudix’ Witwe
7
Nutzgras
1 Kalbsgras
n
Lamm.sgras,
Claus Petersens Witwe .
1
f*
3
w
1
ff
Lenken Bonkens
(t
3
r
u
*
Hinrich Wolf ....
o
5
(1
ff
Bandix Boysen ....
()
^1
0
1
ff
Broder Tadsen ....
2
3
ff
1
ff
Marten Brodersen . .
0
ff
7>
ff
0
ff
Sönke J. Baudixen . .
0
ff
2
ff
1
ff
Die Fenne ist gross:
Nutzgras
1 Kalbsgras
(I
Lammsgras.
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298
Euf^en Traeger,
[72
§ 2. Auf einem sogenannten Nutzgras oder der Gräsung i^r
eine Kuh können 2 Starken oder jährige Kälher, 4 Schafe, 6 Kälber,
oder 8 Lämmer weiden. Eine Quie, die 2 Jahre alt ist, braucht
4 Kalb.sgras. Pferde und Gänse werden nicht geduldet.
S 3. Den 11. Mai wird das Hornvieh auf die Weide gebracht
und um Martini oder den 11. November wieder davon genommen.
Wenn jedoch sämtliche Interessenten darüber einverstanden sind, so
kann ersteres früher und letzteres später statttinden.
§ 4. Von Neujahr bis zum 11. Mai dürfen nur 1*/» Schafe auf
1 Nutzgras oder 3 Schafe auf 2 Nutzgras gehalten, werden. Wer
mehr hält, muss für jedes Schaf 2 Mk. und zwar .sogleich, erlegen,
welche der Bohlsinteressentschaft zu gute kommen.
§ 5. Die Lämmer von den einjährigen Schafen sowie diejenigen,
welche nach dem 11. Mai faUeu, geben frei.
§ 6. Bis zum 11. Mai können die Schafe ungehindert sowohl
auf dem Medeland als auf der Fenne weiden.
7. Um zu verhindern, dass keine fremden Schafe oder solche,
für die kein Land vorhanden ist, auf die Weide kommen, so soll nicht
nur jedes Schaf oder Lamm um Mai mit einem .sogenannten Fennmerk
versehen werden, sondern es soll auch im Winter regelmässig ein-
mal und zwar um Neujahr und im Sommer wenigstens zweimal — das
erste Mal den 18. Mai — Nachzählung gehalten werden.
§ 8. Es soll regelmässig ein Zuchtbock gehalten werden vou
einem der Interessenten auf Ockelützwarf ; die Haltung desselben geht
rund. Dieser Bock hat freie Gräsung.
»5 0. Die Soden sowohl zu den Häusern als anderen [Arbeiten]
müssen an den gewöhnlichen Stellen genommen und die Löcher wieder
ausgefüllt werden.
§ 10. Der Bohlskurator ist dafür verantwortlich, dass dieser
Vereinbarung genau nachgelebt werde, und sollte derselbe sich in dieser
Rücksicht Fahrlässigkeit zu Schulden kommen lassen, so soll er 3 Mark
Brüche erlegen, welche der Interessentschaft zufallen.
So geschehen . . . den 22. März 1847.
Ein Zusatz dazu vom 1. Dezember 1863 lautet:
Für den alten Fennebrief, der verloren gegangen, wurde im .Jahre
1847 ein neuer gemacht [der vorstehend mitgeteilte]. Da aber 1859
der achte Teil der Fenne abgesetzt wurde, so enthält dieser Fennbrief
die Bestimmungen, worüber die Interessenten des Ockelützwarfbohls
sich 1847 und 18.59 vereinigt haben.
§ 1. Es hat gegenwärtig in der zum genannten Bohl gehörenden
Fenne oder Gemeindeweide
Broder V. D. .
7 Nothsgras [Nutzgras]
6’’/« Lammsgras,
Hans H. D.
«t
3‘“/i6
Hinrich A. . .
»
7*"/7«
Bandix B. . .
H
9
Marten B. . .
Sönke J. . .
Grö.sse der Fenne:
22 Nothsgras [Nutzgras j
3“/3S
Lammsgras.
Die übrigen Bestimmungen entsprechen denen der ersten Redaktion.
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731
Die Halligen der Nordsee.
21 '! ►
Also 1847 enthielt die Fenne Nutzgras, 18(i8 nur noch
22*.» und 18(i0 ca. 1!)*;S. Das entspricht einer ziemlich gleich mässigen
Abnahme der Weidefenne um 22"in in 22 .Jahren, we.shalb die Bohls-
geno.ssen sich von Zeit zu Zeit gezwungen sehen, einen Teil der
Fenne , abzusetzen“, wobei jedes Mitglied, wie wir gesehen haben,
einen Teil seiner Nutzgräser, mithin auch des Weidebeschlages ver-
liert. So geht schlie.ssiich eine Stelle nach der anderen ein, sie kann
ihre Besitzer nicht mehr ernähren; dann verkaufen dieselben den Rest
ihres Landes und ihr Haus zum Abbruch, um mit dem geringen Erlös
die Hallig zu verlassen. Alte Leute freilich bleiben dann meistens
auf ihrer mütterlichen Hallig und beschliessen auf ihr den Rest ihrer
Tage, indem sie erforderlichen Falles aus dem Armensäckel der Ge-
meinde das als Unterstützung erhalten, was sie nicht mehr verdienen
können. Das ist die traurige Perspektive, die sich allen Halligfamilien,
der einen früher, der anderen später eröffnet , das macht auch die
Halligfriesen ernst und nachdenklich.
Die Pflege des Viehes ist im Sommer sehr einfach, denn Kühe
und Schafe bleiben alsdann Tag und Nacht auf der Weide; nur auf
Halligen, welche den Ueber.schwemmungen am meisten ausgesetzt
find, wie Nordstrandisch - Moor, wird das Vieh auch in stürmischen
Sommerzeiten jeden Abend nach den Werften in Sicherheit gebracht.
Zum Melken begeben sich auf manchen Halligen die Frauen auf das
Feld, auf anderen werden die Kühe nach der Werft getrieben. Auf
den grössten Halligen unterhält jeder Warfbohl einen Hirtenknaben,
der aufzupassen hat, dass die Herde nicht trotz der Gräben auf uner-
laubte Fennen geht, und der die Kühe am Morgen. Mittag und Abend
/.um Melken und gleichzeitig zum Tränken herbeischaff’t. Viel Mühe
verursacht den Hirtenknaben die Hitze des Sommers; denn während
die Schafe an heissen Tagen die Köpfe zusammenstecken und apathisch
stehen bleiben oder sich an einem Grabenrand niederducken, rennen
die Rinder mit hochgehobenen Schwänzen in wildem Galopp umher
und mit Vorliebe auf das nächste Watt, wo sie im Wasser oder
feuchten Schlick Kühlung finden; bei ihrer Rückkehr auf die Hallig
geraten sie dann leicht jenseits eines Grenzgrabens auf reserviertes Land
und müssen dann immer wieder auf ihre Weide zurückgetrieben werden.
Sind die Bohlsgenossen sich darin einig, so wird auch in milden
Wintern das V'ieh bei Tage auf die Fenne gela-ssen, weil es natürlich
die frische Grasnahrung dem Heu vorzieht, ja. auf Nordstrandisch-
Moor liess man die Schafe sogar bei Schnee hinaus, weil die Tiere
den.selben mit den Vorderfiissen wegscharren und begierig das Gras
darunter suchen. Im allgemeinen bleibt aber die Pflege im Stalle die
Regel. Ueber den Krippen, die in manchen Ställen fehlen, befinden
sich Luken in der Bodendecke, durch welche das Heu den Tieren von
oben herab vorgeworfen wird. Aller Dünger gelangt in eine Grube
und aus dieser im Frühjahr auf die Werftböschung, wo er zusammen-
hängend ausgebreitet wird. Dort laugt ihn der Regen aus und düngt
dadurch die Böschung; die festen Bestandteile bleiben zurück, trocknen
allmählich durch Sonne und Wind, werden mit dem Spaten in vier-
eckige Stücke zerlegt und als sogenannte Ditten in Haufen zusammen-
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Kugen Triieger,
[74
;<00
ffeatellt, um nach dem völligen Auatrocknen ala Brennmaterial ver-
wendet zu werden. Daa i.st nun allerding.s gerade keine beneidens-
werte Herdfeuerung, wenn man alle Speisen bei oft'enem Feuer zube-
reiten muss; aber so schrecklich unappetitlich, wie es zunächst den
Anschein haben könnte, sind sie auch wieder nicht, weil sie nach
monatelangem Aufenthalt in Regen, Wind und Sonne so gut wie allen
Heruch verloren haben, so dass sie dem Torf nicht wesentlich nach-
stehen. Wie dieser verbreiten sie eine Menge Rauch und brennen
ohne Flamme. Die Leute sind auf die Ditten angewiesen, weil der
Torf, den sie an Ort und Stelle stechen, noch schlechter brennt,
besserer Torf gekauft und zu Schilfe herbeigeschafft werden muss,
Holz und Kohle aber so teuer zu stehen kommen, dass sie nur zum
Aufzünden oder zur Erzielung einer lebhaften Flamme in beson-
deren Fällen verwendet werden. Daher sind auch alle Schifften, wie
wir auf Seite 291 (Ob) ge.sehen haben, „zum Scholensammeln“ eingeteilt.
Auf den beiden noch besetzten Pastoraten ist der Küchenherd nach
städtischem Muster eingerichtet, verteuert dadurch aber die Hauswirt-
schaft ganz bedeutend.
Da der Husumer Frühjahrsmarkt in die volle AVoche nach dem
Pfingstfest fällt, so werden die Sch<afe entweder unmittelbar vor oder
nach dem Fest gewaschen und geschoren; diejenigen Schafe jedoch,
welche auf die AVeidefenne einer anderen AA^erft in Grasung gegeben
werden sollen, kommen schon einige Tage vor dem 11. Mai an die
Reihe. Zur Schwemme dient entweder ein dazu geeigneter Halliggraben
oder das AA'att in der Nähe des Strandes. Die Tiere werden also mit
Seewasser gereinigt, welches zu dieser Zeit noch sehr kühl zu sein
pflegt, so dass eine gute Konstitution bei Mensch und Tier dazu ge-
hört, die Procedur mit ungetrübtem Humor durchzumachen. Entweder
werden Arbeiter hierfür gemietet, die pro Stück l.A Pfg. erhalten,
oder die Bewohner einer Hallig besorgen es selbst. Am Tage nach
der AA'äsche findet die Schur im Freien statt, grösstenteils durch die
Frauen. Ein einjähriges Schaf liefert 4',j — .A*,* Pfund, ein 3 — 4jähriges
r>*/s — 8 Pfund AVolle ä 92 — 9ti Pfg., und zwar ist diejenige der Hallig-
•schafe qualitativ der AVolle der Marschschafe überlegen, quantitativ
unterlegen; nur ist es ein Uebelstand, dass Seewasser zur Wäsche ver-
wendet wird, welches den AA^ert der schönen, langhaarigen Wolle
herabsetzt, Besser wäre es wohl, die Halligen nähmen denselben Modus
an, welcher auf anderen Inseln beobachtet wird, dass man nämlich die
Wäsche in hölzernen Bottichen mit Süsswa.sser vornimmt. Wie die
Sache jetzt liegt, muss die Halligwolle infolge ihres Salzgehaltes be-
sonders verarbeitet werden, ja, viele Fabrikanten weisen sie überhaupt
zurück, um ihre Maschinen zu schonen. Vielleicht tritt man dem Ge-
danken der SUsswasserwäsche hier oder dort einmal versuchsweise näher.
Auf eines möchte ich in diesem Abschnitt die Halligbewohner
noch aufraerk.sam machen : Mit grossem Bedauern habe ich gehört,
dass oft genug Teile der Heuernte durch Ueberschwemmungen fortge-
führt werden. Bei demjenigen Heu. welches noch ungediemt am Boden
liegt, werden .sich derartige Unfälle nicht vermeiden lassen; wohl aber
will es mich bedünken, dass man die zum Einfahren fertig gestellten
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t
75] Die Halligen der Nordsee. 301
Diemen retten könnte, wenn inan in der Längsrichtung ein Tau dar-
über spannte, von welchem mehrere Seitentaue zum Schutz der
Diemenflanken herabgingen. Durch Steine oder einfache Pflöcke Hessen
sich die strafifgespannten Taue am Boden befestigen, und dadurch wäre
die Dieme voraussichtlich gegen das Fortgeschweramtwerden gesichert.
Netze würden vielleicht noch geeigneter dazu sein, freilich auch kost-
spieliger: aber wenigstens die Anschaffung von Schutztauen sollte keine
FamiUe versäumen: eine einzige durch sie gerettete Dieme würde die
Kosten des ganzen Bedarfes für eine Wirtschaftsstelle bezahlt machen
und die ganze Heuernte würde aufliören, ein Gegenstand steter Sorge
zu sein, so oft stürmische Luft den Horizont drohend verdüstert.
Zu den regelmässigen WHrtschaftsarbeiten gehört auch das bereits
erwähnte Kleien im Frühjahr, worunter alle Erdarbeiten zu verstehen
sind, also da.s Schlämmen und die Wasseranspannungen in Grenzgräben,
das Ausheben schmaler Abzugsrinnen zur Entwässerung tiefliegender
Stellen, die Herstellung von Fahrdämmen durch Gräben und Löcher
für die Erntewagen und die Renovationen an den aus Soden zusammen-
gesetzten Stirnpfeilem der festen Stege und Brücken. Bei letzteren
wie überhaupt bei allen Stegen sind ferner die Laufplanken und Ge-
länder nachzusehen und auszubessern, auch die Vorkehrungen in gutem
Stand zu erhalten, mit denen die Stege am Boden befestigt werden
müssen, damit sie bei Ueberschwemniungen nicht flott werden. V'or
der Heuernte werden auch die kleineren Boote kalfatert, mit denen
auf günstig gelegenen Gräben ein Teil des Heues eingefahren wird;
Zäune erhalten neue Latten und Stackete, Fethinge und Bninnen be-
dürfen hin und wieder einer gründlichen Reinigung, die Dächer der
Ausbesserung. Gärten sind zu bestellen u. s. w. Im Frühjahr ist auch
der W'^eidebeschlag zu regeln; wer mehr Vieh zu halten wünscht, als
ihm auf seinem Bohl zukommt, der mietet Gräsung auf anderen
Werften, wo eine arme Familie nicht so viel beschlagen kann, als sie
berechtigt wäre. Auch von anderen Inseln wird Weidevieh in Gräsung
genommen und im Herbst wieder abgeliefert, ebenso die Pferde für
die Heuernte; anderes wird im Frühjahr gekauft, im Herbst verkauft,
so dass Viehtransporte häufig genug Vorkommen. Entweder erfolgen
sie zu Schiffe, oder bei Ebbezeit über den Schlick. So hat Südfall
Landverbindung mit Nordstrand, Süderoog mit Pellworm. Norderoog,
welches jetzt allerdings von seinem Besitzer unbenutzt bleibt und der
Verwilderung überlassen wird, mit Hooge, die.ses wieder mit Pellworm,
jedoch auf einem ungünstigen Wattenwege, Langeness mit Oland,
Oland, Hamburger Hallig, Nordstrandisrh-Moor mit dem Festlande,
Habel mit Gröde, Gröde mit Oland; doch bleibt ein solcher Transport
über die Watten immer etwas Gewagtes und Beschwerliches. Es sei
hier noch erwähnt, dass eine Halligkuh Tn — 8.5 Thaler. ein Mutter-
schaf in — 12 Thaler gilt; sie werden nicht so schwer wie in der
Marsch, aber sie liefern reichliche Milch und vortreffliches Fleisch.
Eine Hallig von der Grösse Hooges, welche in runder Zahl (die
folgenden Zahlen sind fast alle nur approximativ) 500 ha = 2000
preussische Morgen besitzt, von denen etwa die Hälfte auf Mede-, die
Hälfte auf Weideland zu rechnen ist. bringt 700— 75n Fuder Heu
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30‘J Kugen Traeger, Die Halligen der Nordsee. [70
zu 13 — 14 Zentner im Werte von 15 M., d. h. für 10 — 11000 M. Rechnet
man den Ertrag der Weide mindestens ebenso hoch, so wird man den
Wert des jährlichen Graswuchses mit 21 — 22000 M. nicht zu hoch
anschlagen. Davon sind die Löhne für die Mäher mit 1800 M., die
Miete 'und der Transport für 5 Pferde mit 400, die Beschatfung und
Instandhaltung der Erntewagen, Heulaken, Hirtenlöhne etc. mit etwa
tjO(), die Arbeiten an Wegen, Gräben und Brückendämmen, das sogen.
Kleien im Frühjahr mit .500, zusammen etwa 3500 M. in Abzug zu
bringen, so dass noch 18000 M. tür Wiesen- und Weidewachs ver-
bleiben, worin dann auch der Arbeitslohn für die Gemeindemitglieder
selbst enthalten ist. Nun wird der Reinertrag einer Kuh hierzulande
auf 00, der von 4 Schafen auf ebensoviel Mark berechnet, worin aber
die eigene Arbeit veranschlagt und in Abzug gebracht worden ist:
ziehen wir nur die Löhne für die sehr vereinzelten Dienstmädchen,
den Futterverbrauch nebst den Unkosten für Milchgeschirr und andere
direkte Ausgaben von dem wirklichen Milch-, Käse- und Butterwert,
sowie von dem Erlös für die Kälber ab und berechnen wir die Nah-
rungsmittel, welche die Familien ihren Kühen verdanken, aus dem Ge-
sichtspunkt, dass dafür andere Lebensmittel nicht von auswärts für
teures Geld bezogen zu werden brauchen, so wird man mit gutem
Gewissen für jede Kuh einen Reinertrag von lOO M. in Ansatz
bringen dürfen. Hooge hält gegenwärtig 100 Stück Rindvieh und
reichlich 000 Schafe, also der Wertschätzung nach 250 Stück Rind-
vieh mit einem Ertrag von 25 000 M. Dazu kommt noch der Ver-
dienst von den Watten und dem Strande an Fischen, Porren, Vögeln.
Eiern und Seehunden, sowie an Strandgut, die Verdienste der Schiffer,
der Wert des heimischen Brennmaterials und der Gartenprodukte zu-
sammen sicherlich nicht unter 3000 M., so da.ss sich die auf ihre
natürliche Ausstattung gründenden Gesamterträge der Hallig auf
mindestens 40 000 M. beziffern, an denen 44 Haushaltungen mit 144
Personen beteiligt sind. An Wahrscheinlichkeit gewinnt diese Rech-
nung durch den Umstand, dass schreiende Armut auf den Halligen
unbekannt ist und dass jede FamiUe so viel hat, als sie zum Lebens-
unterhalt braucht, die einen in bequemer, die anderen in knapperer
Weise. Für die Gemeinde, deren Arbeitsleistung in der obigen Summe
mit in Rechnung gesetzt ist, liefert also die Hallig Hooge einen Er-
trag, welcher den Zinsen eines Kapitals von einer Million Mark ent-
spricht. während sich der Verkaufswert sämtlicher Hofstellen auf rund
200 Ooo Mark beziffert.
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7. Die Watten.
Unter Watten versteht man dasjenige zusammenhängende amphi-
bische Gebiet im Bereiche von Meeresküsten, welches regelmässig bei
Hochwasser von den Fluten überschwemmt wird, bei Niedrigwasser in
ausgedehnten Flächen als Land hervortritt. Kein Küstengebiet enthält
wieder so ansehnliche und zum Typus ausgebildete Watten, als das
der Nordsee. Wir haben es in un.serem Gebiet ursprünglich nur mit
einer Gattung zu thun, den lehm- und thonreichen, flachen Gefilden,
welche an Stelle der ehemals vom Meere aufge.schichteten und später
wieder vernichteten Marschen zurückgeblieben sind. Fast in dem ganzen
Gebiete ruht der lehmige Thonboden auf Mooruntergrund, nur stellen-
weise auf Sand; er ist sehr weich und an der Oberfläche in einen
ungemein feinen, äusserst leicht erregbaren Schlamm aufgelöst, in
welchen man namentlich an dem Zusammenfluss zweier Wattenströme
metertief versinken kann. Diese obere weiche Schicht nennen die
F’riesen Schlick, den fetten Thon des Untergrundes Klei. Sie liefert
das Material, welches langsam, aber stetig von den Westwinden und
den nach den Küsten gerichteten Strömungen am Festlande abgelagert
und systematisch aufgefangen wird , um Neuland zu gewinnen. Die
weichen oder Schlammwatten werden, wenn ich so sagen darf, in der
Güte ihrer Bodenbeschaflenheit beeinflusst durch verschiedengradige
Sandbeimischungen, und zwar haben mich zahlreiche Wanderungen auf
den schleswig-holsteinischen Watten von Hoyer bis zur Klbmündung
beobachten lassen : Je weiter von der offenen See und den starken
Strömen entfernt, de.sto schlammiger und weicher, je mehr ihrer un-
mittelbaren Einwirkung ausgesetzt, desto sandiger und fester sind im
allgemeinen die Watten. Das beruht auf folgenden Ursachen; Der
Boden der Nordsee ist in grosser Ausdehnung mit Sand und Moor
bedeckt, in der Nähe der Mündungen von Eider, Elbe, Weser und
Ems jedoch mit den fruchtbaren, feinen Sedimenten, welche die Flüsse
aus dem Binnenlande mitbringen und für welche August Meitzen im
ersten Bande seines klassischen Werkes »Der Boden und die landwirt-
schaftlichen Verhältnisse des preussischen Staates'* höchst interessante
Zahlen zusammengestellt hat. Die Hauptmasse derselben setzt sich
im Mündungsgebiet der genannten Flüsse ab, die feinsten und leichtesten
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Eugen Traeger,
;{(l4
[7H
Teile aber erhalten sich lange schwebend und werden weit nach Norden
und Osten getragen , bis sie endlich sinken oder sich an irgend einem
festen Punkte ansetzen. Dauernder Ruhe erfreuen sie sich aber nirgend.s.
weil jeder starke Sturm die See, wie wir gesehen haben, bis auf den
Grund aufwUhlt, also jahraus, jahrein Sand und Schlamm nach ihren
Ostkilsten führt. Der Sand sinkt natürlich schneller wieder, als der
leichte Schlamm, und bildet deshalb längs der Grenze der Watten und
des ständigen Wassers die Düneninseln und die grossen Aussensande.
von denen die letzteren immer höher wachsen, so dass einige bei
ruhiger, normaler Flut nicht mehr überschwemmt werden; der feinere
Sand gelangt noch weiter auf die äusseren Watten, wo er den festen
Schlick bildet, die übrigen Sedimente bis auf die innersten Watten,
wo sie so lange ein unstetes Dasein führen, bis sie in der Nähe der
Deiche mit menschlicher Hilfe zur Sesshaftigkeit gebracht werden. Der
Wind unterstützt die Ausbreitung des Sandes, und so schreitet derselbe
allmählich ebenfalls von Westen nach Osten vor, sehr zum Nachteile
der künftigen Koogsländereien , die in bedeutender Ausdehnung noch
vom Meere zurückerobert werden müssen, indem der Sand mit zu-
nehmend dicken Lagen den ursprünglichen fruchtbaren Schlamm be-
deckt und der Fürsorge des Menschen entzieht. Ansehnliche Flächen
sind schon jetzt anscheinend für immer künftiger Ackerwirtschaft ent-
zogen, so z. B. in der Umgebung der Halligen Knudshörii. Norderoog-
sand, Süderoogsand u. a. Dagegen w’ürden grosse Flächen fester Watten
sich noch zur Kultur eignen, entweder durch Ab.schürfen des Sandes
da, wo er schon zu mächtige Lagen abgesetzt hat, oder durch Unter-
pHUgen, wo er nur wenige Zentimeter stark den Schlick überzieht. Durch
das Vordringen des Sandes geht auch die Hallig Norderoog einem
eigentümlichen Schicksal entgegen. Sie liegt auf einem Wattenplateau,
welches nach Westen, also nach der offenen See zu, den gewaltigen
Norderoogsand bildet. Wind und Wellen haben den Sand auf drei
Seiten dermassen um die Hallig aufgehäuft, dass er sie mit einem
niedrigen Dünenwall umschliesst, auf dem sich eine freudig gedeihende
Dünentlora angesiedelt hat. Die Folge davon ist, dass die Hallig nur
noch nach Osten hin Abfluss hat in der hochliegenden flächen Mün-
dung eines Grabens, der gleich seinen Nebenarmen im Inneren der
lns(d tiefer geht, als dort am Ausfluss, .so dass die Hallig der Ver-
sumpfung preisgegeben ist. Ihre fortschreitende Umwandlung iu ein
sumpfiges Dünenthal macht .sich bereits deutlich bemerkbar durch das
Verschwinden des feinen Halliggrases, an dessen Stelle Riedgräser,
Schachtelhalme und Binsen sich ausbreiten. Die Hallig ist .schon seit
langen Jahren unbewohnt; nur die Stelle ist an ihrem nördlichen Saum
noch zu erkennen , wo sich ehedem die Werft mit den Süsswasser-
behältern erhob. Gegenwärtig befindet .sich auf ihr noch ein hölzernes
Häuschen , das zum Schutze gegen Ueberschwemmungen auf starken
Pfählen ruht, wie ein Pfahlbau der Vorzeit, und nur selten als mensch-
liche Zufluchtsstätte dient. Die ganze Hallig ist bereits so ertragslos,
dass von ihrer Bewirtschaftung in jUng.ster Zeit Abstand genommen
worden ist, wobei ich dahinge.stellt sein lassen will, ob eine energische
und fleissige Hand nicht auch jetzt noch eine Rente aus ihr zu ziehen
, Google
Die Halligen der Nordsee.
■fl
30 '»
vermiiclite ; so liegt sie denn in träumerischer Oede und hiich.st male-
rischer V'erwilderung da, belebt von Seevögeln, die sich gern im Schutz
ihrer holten Dünen- und Sumpfpflanzen bergen. Namentlich im Herbst
unterscheidet sich der Anblick, den sie bietet, auffallend von dem einer
jeden anderen Hallig; denn während die übrigen im grossen und ganzen
unverändert eine grüne Grasflur zeigen, färben sich auf ihr die höch.st
mannigfaltigen Arten der sonst auf einer Hallig nicht vorkommenden
Flora mit den verschiedensten Farbentönen. Die ganze Insel ist dann
von wundersamer Melancholie, von einem malerischen und poetischen
Zauber umflossen, den man in dieser charakteristischen Eigentümlich-
keit in der Nordsee nicht wiederfindet.
Die Farbe der Schlammwatten ist ein trübes, dunkles Grau, die
der sandigen Watten ein helles Grau und die der hohen Aussensande
fast weiss. Auf den meisten Watten findet man traurige üeberreste
ehemaliger Wohnstätten : Bausteine, zerschlagenes Geschirr, Stücke von
Kacheln, alte Hausgeräte u. s. w. Auf vielen erkennt man noch die
alte Feldereinteilung in lange, breite Beete, wie dieselbe auf Nordstrand,
Pellworm und in manchen Marschen noch heute üblich ist, nirgends
aber mit so verblüffender Deutlichkeit, wie in der Umgegend von Hooge
und Nordstrandisch-Moor, trotzdem Jahrhunderte verronnen sind, seit
die alten Ackerfluren in starre Einöde verwandelt und vom Meere
verschlungen sind. Ich bin auch der Ueberz.eugung, dass der über-
wiegende Teil der Wattenpriele der Hand des Menschen seinen Ursprung
verdankt; nur die gewaltigen Tiefe (Einzahl „das Tief“ von „dat
Deep“), auf denen sich heut die grössere Schiftahrt bewegt, dürften
alte Strombetten von natürlicher Entstehung sein. Torf (von den Friesen
Tuul. Terrig, auch Darg genannt) tritt an vielen Stellen in dem ganzen
Gebiete zu Tage; er i.st nahezu schwarz und treibt oft in grossen,
unheimlichen Klumpen auf der See umher, namentlich nach heftigen
Stürmen. Selten findet man grosse Bernsteinstücke, häufig dagegen
kleine Stückchen, letztere besonders in der Nähe der In.selkanten in
einer Anschwemmung von brauner, feinzerriebener, lockerer Humuserde.
Einen bedeutsamen Fund machte ich auf dem Watt südlich gegen Ost
der Hallig Klein-Moor, wo sich die Üeberreste eines früheren Waldes
erhalten haben, eine grosse Anzahl von Baumstümpfen, die nur wenig
über den tiefen Schlamm herausragen und zwar in der Nähe von
grossen Torfstichen, die längst bis an den Hand mit Schlick aus-
gefüllt sind.
Viel freundlicher als die Schlammwatten sind die mit festem
Sandschlick bedeckten, über die man bequem .■ichreitet. Auf ihnen
bemerkt man immer die zierlichen Kanneluren, welche die Wellen auf
sandigem Grunde zu erzeugen pflegen, und zu Millionen die kleinen
wurmartig gewundenen Erdhäufchen , welche die Anwesenheit des
F'ischersandwunnes (Arenicola marina) verraten. Die hohen Sande sind
da, wo sie vom Flutwasser erreicht werden, in der Hegel auffallend
fest, namentlich kurz nach dem Abfluss des Wassers; die Oberfläche
der höher liegenden Teile, welche nur bei au.ssergewöhnlich steigender
Flut überschwemmt werden, die also meistens der Einwirkung der
Sonne und des W'indes ausgesetzt bleiben , sind lockerer. Triebsand
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;{()() Eugen Traeger, [HO
findet sich in einzelnen Prielen, doch liegt er nirgends so tief, dass
Unglücksfälle durch ihn verursacht werden. Die Friesen reden von
,fliessendem Sande“, den sie seines Fischreichtunis wegen zu schätzen
wissen.
Während des Hochwassers, d. h. im Mittel etwa 3 Stunden vor
und nach dem Kentern des Stromes, sind die Watten ^Meeresgrund
und mit Wasser bedeckt, wobei die Dauer ihrer halbtäglichen Ueber-
schwemmungsperiode abhängig ist von ihrer Höhenlage. Bei zunehmen-
dem Wasserabfluss tauchen immer weiter sich ausdehnende Gefilde
empor, und wenn Hohlebbe oder Tiefwasser eingetreten ist, dehnen
sich quadratmeilengrosse Landflächen aus, Uber die man in vielen Fällen
von Insel zu Insel oder von Insel zu Festland zu Fuss und zu Wagen
gelangen kann, während man bei Hochwasser auf denselben Fischen
ertrinken würde; denn schon der normale Unterschied der beiden Ge-
zeitenphasen beträgt hier über 3 m. Niemals läuft ein Watt völlig
trocken, es bleiben immer eine Unzahl grosser und kleiner Lachen
zurück, die entweder ohne Abfluss stehen bleiben, oder durch Rinnsale
bis zur Wiederkehr der Flut langsam entwässert werden. Mehrere
Rinnsale fliessen zusammen und bilden flache Gräben , die ihrerseits
wieder in grössere Priele münden, bis diese schliesslich in eines der
mächtigen Tiefe auslaufen, in welchen in ewigem Wechsel die Fülle
der gesammelten Kbbwasser in die freie See, und umgekehrt die Flut-
welle auf die Watten strömt. Es ist also nicht notwendig, dass ein
SUsswasserfluss in den Wattenströmen seine Fortsetzung finde, um sie
bei bedeutender WasserfUlle zu erhalten, sondern ihre Stromstärke ist
in erster Linie von der Ausdehnung und den Neigungsflächen ihres
eigenen Stromgebietes abhängig. Die Fähigkeit, ja die Notwendigkeit,
selbständige Stromsysteme auszubilden, kommt zu den übrigen charakte-
ristischen Eigenschaften der Watten als sehr bemerkenswert hinzu. E.<
finden sich auf ihnen gerade .so gut Wasserscheiden, wie auf dem Fest-
lande, und man würde finden, wenn man den Verlauf derselben auf
Karten festlegen wollte, dass die Linien sich in denselben Zickzacken
und Krümmungen hinziehen, wie dort. Wo also ein Festlandsfluss einen
Wattensauin durchqueren muss, entsteht die Frage, ob man seiner
Länge die Breite dieses Saumes und ob man seinem Stromgebiet den
Teil desselben hinzurechnen soll, aus dem er l)ei Niedrigwa-sser noch
Zuflüsse enthält, namentlich wenn dieselben ebenfalls Fortsetzungen
von Festlandsflüssen darstellen.
Durch ihre Flüsse sind die Wattengebiete gegliedert und zu
grösseren Plateaux voneinander abgegrenzt, die oft einen be.sonderen
Namen führen ; wenn aber auch das ganze Plateau einen solchen nicht
hat, dann jedenfalls immer einzelne Teile, so dass es der einheimischen
Bevölkerung nicht schwer fällt, sich über irgend eine bestimmte Gegend
zu verständigen. Jede Insel bildet den au.sgedehnten Gipfel eines solchen
Wattengefildes ersten oder zweiten Ranges, ersten Ranges dann, wenn
es zwischen tief einschneidenden Strömen liegt, so dass das Ganze
.selbst bei Hohlebbe eine grosse Insel für sich bildet, zweiten Ranges,
wenn ein flacher Priel den Zusammenhang mit dem Hauptplateau nur
scheinbar unterbricht.
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81]
Die Halligen der Nordsee.
:iü7
Wie von den Gräben der Halligen, so wird man auch von den
Wattenprielen, die übrigens auch Gate oder Gatte, Leien, Loome oder
Lohen genannt werden, behaupten können: je mächtiger, desto älter
sind sie. Jahrein, jahraus ändern sie ihr Strombett, nicht nur hinsichtlich
der Tiefe durch Bildung von Löchern, oder Schlamm-, Sand- und Muschel-
bänken, sondern auch hinsichtlich ihrer Lage und Breite. So tritt die
nördlich von Hooge strömende Süderaue in höchst bedrohlicher Weise
immer näher an die Hallig heran, ebenso das zwischen ihr und der
Insel Pellworm liegende Rummelloch und an die Westseite von Nord-
strandisch-Moor die Norderhever. Gewöhnlich sinken die Watten mit
geringen Neigungswinkeln zur Sohle der Flussbetten ein , stellenweise
aber kommen auch jähe Steilabfälle von ziemlicher Höhe vor, häufig
auch tiefe Löcher in der Sohle, die es notwendig machen, beim Waten
in den Prielen einigermassen vorsichtig zu sein.
Wanderungen auf den Watten sind je nach deren physischer Be-
schaffenheit mehr oder weniger beschwerlich. In schlammigen Schlick
sinkt man tief ein und ermüdet wegen der Zähigkeit desselben. Auf
festem Sandschlick geht man im allgemeinen bequem, doch muss man
auch hier darauf eingerichtet sein, beständig durch Wasser zu mar-
schieren. Man thut daher gut, solche Kleidung anzulegen, an der das
scharfe Seewasser nicht mehr allzuviel verderben kann; denn da hier
fast immer Luftzug herrscht, so wird man namentlich bei raschem Gehen
schon durch das Spritzwasser weiter hinauf durchnässt, als es die seichten
Lachen an sich bedingen. Die Inselbewohner betreten die Watten barfuss,
so lange es die Temperatur nur irgend gestattet; bei grosser Wasserkälte
bedienen sie sich ihrer harten und schweren Seestiefel, die sie gern zu
borgen bereit sind. B’Ur Fremde, deren Fuss weder an das eine noch an
das andere gewöhnt ist, halte ich beides nicht für empfehlenswert.
Wer die Watten kennen lernen will, bediene sich weicher Wollstrümpfe
und fest sitzender Drillichschuhe mit Ledersohle; solche Schuhe sind
leicht, drücken nicht und halten lange aus. Natürlich bekommt man
in ihnen sofort nasse Füsse, aber das schadet nichts, so dass man
stundenlang ohne Nachteil im Seewasser umhergehen kann, wenn man
nur nach Bedarf warm gekleidet ist, ja, ich glaube, mit Bestimmtheit
die Erfahrung gemacht zu haben, dass das Scblicklaufen wegen der
energischen Verdun.stung auf den salzgetränkten Watten der Gesund-
heit in hohem Grade zuträglich und unter Umständen dem freien Baden
in der See vorzuziehen ist. Man hat in den Schuhen auch den Vor-
teil, dass man nicht vor jedem Priel umzukehren braucht, in welchem
sich die hohen Seestiefeln mit W'asser füllen würden, so dass man sich
in seiner Bewegung frei und unabhängig fühlt.
Gefährlich sind Schlicktouren in der Nähe von Inseln nicht, selbst
dann nicht, wenn die Flut den Wanderer erreicht. Das W'asser steigt
in ti Stunden und 12 Minuten um reichlich 3 m, in einer Stunde also
durchschnittlich */* nii vorgerückter Flutzeit etwas langsamer als im
Beginn, wo es bei ruhigem W'^etter mit einer Geschwindigkeit von
20 cm in der Sekunde über schwach geneigte Felder emporläuft. Man
ist also in der Lage sich zurückzuziehen, ohne in Verlegenheit zu ge-
Porschongen zur dentscbp-ii Landes- and Volkskunde. VI. 3. 21
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:$08 Kugen Traegei-, [82
raten. Hat man sich aber weit hinausgewagt und dabei Priele durch-
schritten, die sich bei steigender Flut zuerst mit Wasser ftlllen, so
wird der Rückzug etwas schwieriger. In ernstliche Gefahr kommt
man bei finsterer Nacht oder bei plötzlich aufsteigendem Nebel, der
nur in den Sommermonaten zu fehlen pflegt. Dann verschwindet die
Hallig so vollständig, dass es ein glücklicher Zufall bleibt, wenn man
■sie von selbst wiederfindet. Die Angehörigen machen vielmehr die
Nachbarn auf die Gefahr aufmerksam, begeben sich mit ihnen vor-
sichtig an den Strand und blasen dort die weithin schallenden Nebel-
hörner, bis der Schlickläufer in Sicherheit gebracht ist. Die Schreck-
nisse der Lage vom Nebel überraschter Personen hat Biernatzky in
seiner , Hallig“ ganz unübertrefflich geschildert. Ich will hier einen
Vorgang kurz berichten, der .sich vor einer Reihe von Jahren bei
Nacht auf dem Schlick zwischen Nordstrand und Südfall zugetragen
hat. Der Besitzer der genannten HaUig hatte sich eines Tages zu
Wagen mit seiner Frau und seinen Kindern nach der grossen Insel
begeben und einen Verwandten zurückgelassen mit dem Aufträge, des
Abends eine brennende Laterne hinter einem Fenster aufzustellen.
Als nun das Gefährt bei der Heimkehr in finsterer Nacht das Watt
wieder erreicht hatte, bemerkten die Insassen wirklich ein Licht unge-
fähr in der Richtung ihrer Hallig und fuhren guten Mutes auf dasselbe
zu. Die Luft war unruhig, die Dunkelheit so dicht, dass man mit
Ausnahme jenes Lichtscheines nichts bemerken konnte. Ob es dem
Manne infolgedessen ganz entgangen ist, dass er nicht den gewohnten
Weg fuhr, oder ob er es doch bemerkte und trotzdem den seinigen
innehielt, weil ihn die Laterne in Sicherheit wiegte, genug, er kam
statt nach der Hallig in immer tiefer strömendes Flutwa-sser ! Welche
Versuche er dann gemacht haben mag, demselben durch Aenderung
der Fahrrichtung zu entgehen, hat man nie in Kenntnis gebracht;
der Thatbestand am folgenden Morgen Hess nur folgendes vermuten :
Als er eingesehen hatte, dass in der grauenvollen Finsternis an ein
Entrinnen aus dem von allen Seiten den Wagen umrauschenden Flut-
strom nicht mehr zu denken sei, spannte er die Pferde aus und über-
liess sie ihrem Schick.sal; dann legte er die Bodenbretter des Wagens
quer über die Leitern und flüchtete mit den Seinen auf diese unsichere
Zufluchtsstätte, wo sich alle mit einem Tau umschlangen, um von den
Wellen, die der zunehmende Wind höher und höher trieb, nicht einzeln
herabgespült zu werden. So fühlte die arme Familie die Flut uner-
bittlich an sich emporsteigen, während die Leuchte, die sie nicht hatten
erreichen können, ruhig aus der Ferne herüberschiramerte. Als dann
die beiden Kinder zu ertrinken drohten, hoben die Eltern sie auf ihre
Arme und sich gegenseitig stützend, kämpften sie in schrecklicher
V'erzweiflung, bis die Wucht der .schweren Wogen sie herabriss und
ihre Jammerrufe im Gurgeln des Wassers erstickten. So fand man
das leere Wagenge.stell in der Nähe des Heverstromes, die Familie er-
trunken auf den Watten liegend, die Pferde aber ruhig grasend am
Deiche von Nordstrand, wohin sie instinktiv den Weg gefunden hatten.
Im Strome lag der Zollkreuzer vor Anker, der in der Nacht vorschrifts-
mässig seine Latenie am Signalmast gehisst hatte — an der Hallig
Die Halligen der Nordsee.
8aj
3t >9
waren die Unglücklichen vorUbergefahren, denn dort war das Fenster
nicht erleuchtet worden! —
Ein anderer Vorfall, der sich während eines meiner Aufenthalte
auf Klein-Moor zutrug, nahm glücklicherweise keinen so beklagens-
werten Ausgang. Mehrere Männer und ein schwächliches Mädchen
hatten im Oktober Vieh Uber den Schlick nach dem Festlande getrieben
und ebenfalls die Anweisung hinterlassen, vor dem Schlafengehen eine
brennende Laterne an ein Fenster zu stellen, damit sie während der
nächtlichen Ebbezeit den Rückweg fänden. Nun erhob sich gegen
Abend ein so stürmischer Wind, dass die Halligleute die Heimkehr
der Ihrigen in derselben Nacht für ausgeschlossen hielten und deshalb
die Laterne nicht anzündeten. Wirklich trugen die Abwesenden auch
anfänglich Bedenken dagegen ; da aber in weiter Entfernung von der
Ausgangsstelle ihres Wattenweges, wohin sie sich in später Stunde für
alle Fälle schon begeben hatten, kein Obdach zu finden war, ent-
schlossen sie sich doch dazu, in der Hoffnung, auch ohne Laterne die
Hallig zu erreichen. Sie durchschritten daher den schlammigen Graben,
der sich dort zwischen Watt und Festland hinzieht, wurden aber nach
längerer W'anderung vom Flutwasser erreicht, welches infolge des
stürmischen Windes eher als der ortsüblichen Berechnung entsprechend
hereinströmte. Von da ab gingen sie beständig in dem bereits sehr
kühlen Wasser, einen Weg von mehr als einer halben deutschen Meile,
wobei das Mädchen so schwach wurde, dass die Männer es abwechselnd
tragen mussten. Zu solchen Schwierigkeiten kam noch der Umstand,
dass die Leute nicht in gerader Linie gehen durften, da der Schlick-
weg ein Knie bildet, welches sie am Tage nach bestimmten festen
Punkten der Umgegend sicher zu erkennen vermögen, in der Nacht
nur, wenn ihnen das Licht einer Laterne auf der Hallig zu Hilfe
kommt. Da ihnen dieses Orientierungsmittel fehlte, .so entstand zu
allen Misslichkeiten ihrer Situation noch Meinungsverschiedenheit über
die innezuhaltende Richtung, was bei der Beschaffenheit der W’atten
und der Lage der Tiefe von entscheidender Bedeutung war. Glück-
licherweise gewann hier die richtige Meinung den Sieg und rettete die
kleine Gesellschaft, welche anderenfalls dem Untergange mit grösster
W'ahrscheinlichkeit nicht entronnen wäre. Ich habe am Morgen die
Ruhe bewundert, mit welcher der Vorfall besprochen wurde, trotzdem
die Gemüter sämtlicher Bewohner von tiefgehender Erregung durch-
ilrungen waren.
Um die Aufzählung der gewöhnlichen Möglichkeiten, wie Un-
glücksfälle beim Schlicklauf entstehen, zu vervollständigen, sei es mir
gestattet, ein persönliches Erlebnis mitzuteilen. Es beruht auf Mangel
an Vorsicht, woran es hierbei eigentlich niemals fehlen sollte: die Er-
fahrung lehrt aber, dass gerade dadurch am häufigsten Schlickläufer
in Gefahr geraten. Um meine Beobachtungen über die der See zu-
nächst liegenden Watten zu vervollständigen, fuhr ich eines Tages im
August nach Wyck auf Föhr, schickte die Schiffer nach Amrum, wo
sie mich erwarten sollten, und besuchte einen Freund. Als ich mich
am nächsten Morgen in mein schon oft bewährtes WattenkostUm kleiden
wollte, riet mir derselbe, seine wasserdichten Seestiefel zu benutzen.
Kugen Traeger.
;ilo
[84
und trotzdem mir dieselben nicht richtig passten, Hess ich mich doch
bereden und wanderte an den Strand, um im Vertrauen auf meine
Seekarte und die genaue mündliche Beschreibung des Weges allein
Uber den Schlick zu gehen, wie ich das in anderen Fällen schon ge-
than hatte. Zwar bemerkte ich bereits bei dem ersten unbedeutenden
Priel, den ich durchschritt, da.ss die Flut ganz gegen die Berechnung
meines Freundes zurUckkehrte, da ich aber durch Aufschub meines
V’’orhabens einen vollen Tag verloren hätte und überdies das Watt
sehr hoch liegen sollte, so ging ich raschen Schrittes den GrasbUscheln
nach , den sogen. Sticken , welche hier zur Bezeichnung des vielfach
geschlängelten Weges eingepflanzt sind. Ich will nicht mit allzu
ausführlicher Beschreibung der mir unvergesslichen Stunde ermüden
und nur hervorheben, dass ich wegen des frischen Windes und des
reichlichen Spritzwassers sehr bald alles Gepäck auf die Schultern
packen und um den Hals befestigen musste, um es vor Nä.sse zu
schützen, wobei ich fand, da.ss ich viel zu viel an sich brauchbarer
Dinge bei mir hatte. Bald zog sich auch bei dem steten Schreiten im
Wasser das Stiefelleder zusammen und drückte mir die Füsse wund
und schliesslich blutig, dazu füllten sich die bis über die Kniee reichenden
Schäfte bis an den Rand mit Wasser, die Grasbüschel am Wege
wogten hin und her und verschwanden allmählich und doch sollten sie
mich zu den kleinen Holzkreuzen leiten, welche die Furt durch das
Amrumtief kennzeichnen! Da gab es keine Schonung für die schmer-
zenden Füsse, ein Gefühl wahrer Angst beflel mich, weil ich nirgend«
einen Menschen sah, der mir im Notfälle hätte zu Hilfe kommen
können, und so drängte ich mich trotz aller Ermüdung durch das immer
höher steigende schwere Wasser, bis ich von Seewasser und Schweiss
ilurchnässt endlich die hoch überschwemmte Furt und damit das
rettende Gestade erreichte. Erst wenn man selbst solche Momente
und Empfindungen kennen gelernt hat, vermag man sich ganz in die
Lage bedrohter Schlickläufer zu versetzen.
Am schwierigsten und gefährlichsten gestaltet sich ein derartiger
Marsch im Winter, wo die Watten mit Eis bedeckt sind und bei
ruhigem Wetter Nebel drohen; man unternimmt ihn dann nur in wirk-
lich dringenden Fällen, wenn die Schiffahrt eingestellt ist. Besser ist
es dabei noch, wenn eisiger Nord- oder Ostwind den Wanderer um-
braust, weU er keinen Nebel auf kommen lässt; aber das beständige
Auf- und Absteigen über das Gewirr der Schollen und der hoch-
getürmten Barren, namentlich aber das Passieren der Wattenströme
ist dann mit bedeutenden Schwierigkeiten verknüpft, die ich ebenfalls
nach eigenem Versuch zu beurteilen vermag.
Vom volkswirtschaftlichen Standpunkte aus bei weitem das In-
teressanteste und Wichtigste auf den Watten sind die Arbeiten, welche
seit alten Zeiten zur Gewinnung von Neuland und zum Schutze des
gewonnenen ausgeführt werden. Sie zerfallen im wesentlichen in drei
Klassen: Deichbauten mit oder ohne Steindossierung, Buhnenbauten
und Schlickfanggräben. Wie bemerkt, werden die feinsten und frucht-
barsten Schlammteilchen ununterbrochen nach den Festlandsküsten ge-
führt. Hier legt man niedrige Erdlahnungen quer gegen den Strom
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85] Halligen der Nordsee. 8] 1
an, oft in der Länge von mehreren Hundert Metern. Zum Schutz
werden dieselben an der Oberfläche vermittelst eines gabelförmigen
Instrumentes mit einer Strohbestickung versehen, wobei die Arbeiter
Strohseile wie die Fäden eines Netzes verschränken und mit der Gabel
in kurz voneinander entfernten Stichen in den Boden hineindrucken;
das Ganze hat also Äehnlichkeit mit der gestopften Stelle eines
Strumpfes. Zwischen den Lahnungen setzt sich mit der Zeit so viel
Schlick an, dass sie schliesslich ganz verschwinden und erhöht werden
mUssen. Das geschieht entweder in der Weise der ursprünglichen An-
lage, oder durch Buchenfaschinen, aus denen man auch von vornherein
Buhnen errichtet. Hat die Schlickablagerung zwischen den Werken
eine solche Höhe erreicht, dass sie nicht mehr beträchtlich von der
Flut Überschwemmt wird, so wird sie durch etwa */» m tiefe Gräben
in parallele Beete abgeteilt, der Grabenaushub mitten daraufgeworfen
und alsdann gewartet, bis sich die Gräben von neuem mit Schlamm
gefüllt haben. Indem man so von Zeit zu Zeit an den Gräben und
Beeten arbeitet, steigen die letzteren allgemach Uber die normale Flut
empor und werden von dem Queller (Salicornia herbacea) in Beschlag
genommen, einer sehr wasserreichen, salzhaltigen Pflanze, deren dunkel-
grüne Zweiglein aus länglichen, runden Gliedern bestehen, die wie bei
einem Kaktus eins aus dem anderen hervorspriessen. Der Queller ist
immer der Vorbote der Neulandsvegetation und durch die bindende
Kraft seiner Wurzeln für die Beständigkeit der Anschlickungen von
grossem Wert; er macht dem Halliggrase Platz, sobald das Land eine
Höhe erreicht hat, bei der die Graswurzeln nicht mehr dauernd von
See Wasser getränkt werden. Der entgegengesetzte Vorgang tritt bei
der Verwandlung von Halligland in Meeresboden ein.
Hat man durch Kombination von Buhnen oder Schiengen und
Lahnungen mit den Schlickfanggräben eine hinreichende Menge von
Neuland so weit Uber das normale Flutniveau emporgehoben, dass das
Halliggras den Queller vollständig verdrängt hat, so i.st es reif zur
Anlage eines Kooges. Vorausgesetzt, dass die Fläche gross genug ist,
um das aufzuwendende Kapital zu rentieren, wird das Land gegen die
See durch einen Sommerdeich abgesperrt, d. h. einen Deich etwa von
der halben Höhe und Stärke der 0 — 7 m hohen See- oder Winter-
deiche. Der Sommerdeich hat nur den Zweck, den dahinter liegenden
Sommerkoog gegen die minder gewaltigen Sturmfluten der Sommer-
monate zu schützen und dadurch seine Benutzung als Weideland zu
ermöglichen, während er von Menschen noch nicht bewohnt wird. Die
höheren Sturmfluten des Herbstes und Winters hingegen dringen oft
Uber die niedrigen Dämme hinweg und füllen den Koog mit Was.ser,
für dessen Abfluss durch selbstbätige Schleusen bei der Deichanlage
Vorkehrung getroffen ist. Das Prinzip einer solchen ist höchst einfach;
die beiden Thore lehnen sich im konvexen Winkel, dessen Scheitel der See
zugekehrt ist, aneinander. Das aus dem Koog abfliessende Wasser öffnet
sich bei Ebbezeit, sobald es den Druck von aussen zu überwinden
vermag, die Thore von selbst , während die steigende Meeresflut sie
gleich^lls durch den eigenen Druck wieder schliesst, sich also den Zu-
gang zu dem Koog selbst versperrt. Nach Vollendung eines Sommer-
I by Google
Kugen Traeger,
:$12
(86
deiches fährt inaii mit Buhnenbauten und Schlickfanggräben auf dem
Watt unverdrossen fort, bis abermals ein so breites Vorland erobert
ist, um die Eindeichung eines neuen Sommerkooges zu rentieren, worauf
der früher errichtete Sommerdeich zu einem vollen Seedeich ausgebaut
wird, hinter welchem sich der Mensch ansiedelt, um entweder in
der nunmehrigen Marsch Acker- oder Weidewirtschaft zu treiben.
Wer die Kosten der Landgewinnung und der Deichanlagen trägt,
dem fliessen auch die Erträge aus dem Verkauf der Koogsländereien
zu. Das Verhältnis dieser beiden Faktoren zu einander ist natürlich
kein konstantes , sondern je nach den zu überwindenden Schwierig-
keiten beim Bau und je nach der Vorzüglichkeit des Koc^landes
wechselnd. Einige Zahlen dafür entnehme ich von Eckermann a. a.
0. S. 08 und 00: danach beträgt die Deichlänge für den König-
Christian VIII-Koog von 500 dithmarsischen Morgen rund 74(10 m und
hat 1845 etwa 351000 M. gekostet; die Deichlänge des Wesselbumer
Kooges von 780 dithm. Morgen 10 570 m bei einem Kostenaufwand
von 954600 M. im Jahre 1802; der 2.3488 rhein. Fuss (rund 7800 m)
lange Deich für den 748 dithm. Morgen grossen Karolinenkoog kostete
im Jahre 1800 etwa 304 000 M. Das ergiebt im ersten Falle etwa
47,5 M., im zweiten 90 und im dritten 4(i,5 M. für das laufende Meter,
dagegen bei dem 1872 — 73 eingedeichten Kaiser-Wilhelm-Koog 117,5M.
Der Verkauf des Wesselburaer Kooges brachte rund 2220000 M.; voraus-
gesetzt. dass von seiner Gesamtfläche nicht noch rund 140 dithm. Morgen
ftlr den Deichfuss in Abrechnung zu bringen sind, brachte der Morgen
also etwa 2850 M., anderen Falles 3470 M. Welche von beiden Mög-
lichkeiten die grössere Wahrscheinlichkeit für sich hat, vermag ich
einstweilen nicht zu entscheiden ; ich habe nur in Erinnerung, dass jetzt
der dithm. Morgen (d. h. mehr als 1 ha, etwa 5 preu.ss. Morgen)
gut kultivierten Marschlandes 4500 — 5000 M. Wert gilt. Schon diese
wenigen Angaben dürften aber einen Anhalt bieten zur ungefähren
Vorstellung der enormen Schätze, welche zur Zeit noch auf dem Meeres-
gründe der Watten ruhen, wenn man die gewinnbare Fläche derselben
an der schleswig-holsteinschen Küste auf nur 10 Quadratmeilen ver-
anschlagt. Hier sind die Arbeiter, welche in sauren Wochen auf den
schlammigen Gefilden graben, recht eigentlich Schatzgräber im Sinne
des Götheschen Gedichtes, und hier harren der preussischen Regierung
noch Triumphe, die denjenigen mindestens gleichzustellen wären, welche
Friedrich der Grosse sich durch seine „Eroberungen im Frieden“ er-
worben hat.
Alle Seedeiche, welche ohne breites Vorland oder ohne vorge-
■schobene Sommerdeiche unmittelbar der vollen Gewalt des Meeres aus-
gesetzt sind, werden am Fusse durch eine starke, mit Zement gefugte
Granitdossierung umkleidet, deren Zweck und Bedeutung ohne weiteres
einleuchten. Wo die Brandung nicht direkt auf den Deich zustürmt,
begnügt man sich mit der erheblich billigeren Stroh bestickung, welche
freilich immer wieder ausgebessert werden muss, namentlich nach eis-
reichen Wintern. Dass die Deiche noch in unserem Jahrhundert nicht
die volle Höhe und Mächtigkeit besa.sseu, um Katastrophen zu verhüten,
lassen nachträgliche Verstärkungen stellenweise ganz deutlich erkennen.
: u'
Google
87]
Die Halligen der Nordsee.
313
Wir haben bei der Gliederung der Watten bereits die Ströme
und ihre Bedeutung für den Zu- und Abfluss der Meeresgewässer be-
trachtet. Wer diese ungemein intere.ssanten Wasserstrassen in ihrer
ganzen Grossartigkeit beurteilen lernen will, soweit dies ohne den un-
mittelbaren Augenschein möglich ist, der studiere die prachtvollen
Karten, welche das hydrographische Amt der Kaiserlichen Admiralität
auf Grund der sorgfältigen Vermessungen S. M. Kanonenboot „Drache“.
Kapitän Holzhauer, im Massstabe von 1:100 0()0 herausgegeben hat
(S. Schroppsche Kartenhandlung in Berlin) und unter beständiger
Kontrolle aller Veränderungen hält. Nr. 70 und 71, Sektion I und
II, behandelte unsere Gegend unter Eintragung einer Menge von Tiefen-
angaben, aller wichtigen Seezeichen (Baken, Tonnen, Bojen), der Feuer-
schifi'e und Leuchttürme, der Wattenbeschaffenheit, Buhnenanlagen,
Deiche u. s. w., so dass man diesen herrlichen Blättern getrost zu
Schiffe, zu Lande und auf dem Schlick folgen kann. Man wird bei
ihrer Betrachtung zur Erkenntnis kommen, mit welchen Schwierigkeiten
hier die Schiffahrt zu kämpfen hat, und welche genaue Bekanntschaft
mit dem Fahrwasser dazu gehört, um einen Ewer oder Dampfer sicher
durch alle Fährlichkeiten zu steuern. Was auf dem Lande Chausseen
und Feldwege, das sind auf den Watten die Tiefe und Priele. Die
schleswigschen Inseln würden teilweise ganz unbewohnbar, teilweise
wenigstens von allem Frachtverkehr abgeschnitten sein, wenn die
Wasserstrasseu der Watten sie nicht in Verbindung mit dem Festland
und der freien See brächten. Da sie in den mannigfachsten Win-
dungen sich hinziehen, so werden sie in jedem Frühjahr, sobald das
Eis verschwunden ist, durch Baken abgesteckt, junge, sclilanke, bieg-
same Birken, welche in den Schlick fest hineingebohrt werden, so dass
sie als Wegweiser durch die Wasserfläche führen, aus der sie für den
unkundigen Fremden anscheinend zwecklos herausragen. Wenn nun
die Schiffer ihre Sorgfalt lediglich auf die Innehaltung des Fahrweges
zu richten hätten, .so wäre die Fahrt ira Wattenmeere noch nicht .so
schwierig; es kommt aber die Abhängigkeit vom Winde, von den Ge-
zeiten, von den Stromrichtungen und von der Stromstärke hinzu, mit
denen jeder Wattenschiffer rechnen können muss. Es ergeben sich
daraus mannigfache Kombinationen, zumal in ein und demselben Tief
die Stromrichtung wechseln kann, wie z. B. auf dem W'ege von Husum
nach Klein-Moor, wobei man erst nach Westen, dann nach Norden und
dann wieder nach Westen fährt. Auch die Breite der Ströme ist von
grosser Bedeutung, die bei notwendigem Kreuzen besonders hervortritt.
Die vorliegende Arbeit ist nicht der Ort, über das wunderbare
Phänomen der Gezeiten, welche für die Watten mit ihren Inseln eine
so massgebende Bolle spielen, ausführlich zu handeln. Die Ergebnisse
der noch nicht abgeschlossenen wissenschaftlichen Untersuchungen über
diesen merkwürdigen Vorgang sind andererseits zu schwieriger Art,
um sie mit wenigen Worten auseinanderzusetzen. Eingehende Abhand-
lungen darüber finden sich in den grösseren Lehrbüchern der geo-
graphischen Wissenschaft, in möglichst kurzer und klarer Form auch
in Professor Dr. Krümmels „Ozean“, das Wissen der Gegenwart, Band
.52, mit vielen Illustrationen, ein Bändchen, welches jedem wissbegierigen
jiii^cO by CjOO^lc
314
Kagen Traeger,
[88
Leser angelegentlichst zu empfehlen ist. Ich will hier nur bemerken,
dass auf den Inseln und Küsten Schleswig- Holsteins ein Volkskalender
verbreitet ist, der für jeden Tag die Kulminationen der Gezeiten, also
den Eintritt von Hoch- und Niedrigwasser für Cuxhaven angiebt, und
dass die Anwohner der Nordsee den für diesen Ort berechneten Zeiten
des Stromkentems eine Hafenzeit von 40 — 60 Minuten, je nach der
Lage ihres Ortes, hinzufOgen. Da die Flutwelle nicht eine genau die
Hälfte eines Tages umfassende Periode hat, sondern von 12 Stunden
24 Minuten, so ergiebt sich, dass für jeden Tag das Eintreffen der
Welle um 48 Minuten verschoben wird, d. h. theoretisch, während in
der Praxis die Stürme noch weitere unberechenbare Verschiebungen
bewirken. Die Höhe der W'elle hängt ganz wesentlich von der Stellung
des Mondes und der Sonne zum Meridian des Ortes ab: gehen beide
Gestirne zur selben Zeit durch den Meridian (Syzygien, Neu- und
Vollmond), so hat der Ort Springflut, stehen sie 90® voneinander ab
(Quadraturen, erstes und drittes Viertel), so hat er , taube Gezeiten*.
Diese Extreme verhalten sich zu 'einander wie 9 -4- 4:9—4. Zwischen
ihnen liegen die Höhen der mittleren Flutwelle im 1., 3., 5. und 7.
94-4
Oktanten, die sich zu jenen Extremen verhalten, wie — ~ — . Die
Zahlen 9 und 4 ergeben sich aus dem Umstande, dass bei der 387 mal
grösseren Nähe des Mondes als der Sonne zur Erde die Mondflut
2 '/«mal grösser ist als die Sonnenflut. Auch das sind nur theoretische
Werte, welche durch die Richtung, Dauer und Stärke des Windes
evident beeinflusst werden.
Anhaltende Stürme sind eine ganz gewöhnliche Erscheinung in
der Nordsee. Wehen dieselben aus Osten, so haben sie für unsere
Gegend den Erfolg, die Gewässer nach der freien See hinauszudrängen,
so dass die Schiffe mit niedrigem Wasser zu kämpfen haben; Nord-
wind wirkt ähnlich, wenn auch nicht so energisch. Anhaltende West-
stürme verursachen ein bedeutendes Steigen der Fluten, ohne aber
gePährlich zu werden. Noch grösser ist die W'irkung tagelanger Süd-
weststOrme, bei denen die Gewässer des Atlantischen Ozeans durch den
englischen Kanal in die Nordsee dringen und an ihren östlichen Ge-
.staden derartig anschwellen, dass die Halligen und die hohen Sande
bei jeder Flut überschwemmt werden. Hierbei herrscht das einfache
Gesetz: Je näher dem Festlande, desto höher der Wasserstand. Man
kann sehr hohes Wasser an den Festlandsdeichen emporsteigen sehen,
ohne dass die westlicheren Halligen überschwemmt werden, w'ährend
die östlicher, also n'äher am Festland gelegenen „untergehen“, wie die
Bewohner mit anfechtbarer Logik sich ausdrücken. Dauernder Nord-
westwind bringt minder hohes Wasser für den schleswigschen Archipel,
wie südwestlicher. Vereinigen sich Stürme aus einer der westlichen
Himmelsrichtungen mit Springfluten während der Syzygien, so ist der
Effekt derselben merklich grossartiger, als zur Zeit der Quadraturen
und Oktanten; aber auch dann sind die Sturmfluten immer noch nicht
gefährlich, wenn nur der Wind konstant in derselben Richtung bleibt
Andererseits habe ich gesehen, dass bei ruhigem und freundlichem
Wetter eine Hallig überschwemmt wimde; das kann eintreten, wenn
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Die Halligen der Nordsee.
315
89]
im Atlantischen Ozean rasende Stürme toben, von denen unsere Inseln
nicht erreicht werden, so dass man hier nur eine Wirkung verspürt,
ohne die Ursache zu bemerken. Nimmt der Wind während der Ebbe-
zeit an Stärke zu, so kann man mit Sicherheit auf sein weiteres An-
schwellen und auf hohen Wasserstand bei wiederkehrender Flut rechnen,
denn mit dem Strome kommt der Wind; lässt er bei Ebbe nach und
steigert seine Kraft nur mit dem Hereinströmen der Flut, so ist das
in der Regel ein Zeichen für allmähliche Abnahme der stürmischen
Witterung; legt er sich während des Flutstromes ein, so ist auf ruhiges
Wetter zu rechnen.
Drei Bedingungen müssen erfüllt werden, um eine wirklich ver-
nichtende Sturmflut zu stände zu bringen: ein stetig wehender starker
Sturm aus Südwest von der Stärke nicht unter 0 — 10 der 12teiligen
Skala, der mindestens einen Tag oder eine Nacht während der Syzygien
angehalten hat, muss vor Beginn der Springflut plötzlich und mit un-
verminderter Gewalt nach Nordwest umspringen. Dann werden die
ungeheuren Wassermassen, welche nach dem östlichen Nordseegestade
in Bewegung und bereits hoch gewachsen waren mit dem Bestreben,
sich nach Norden einen Ausweg zu bahnen, plötzlich gestaut und
zurOckgetrieben , wobei sich ihnen die weit vorspringende Halbinsel
Eiderstedt entgegenstellt. Die Folge davon ist ein ganz ausserordent-
liches Anschwellen der Fluten, die schon bei dem vorhergehenden Hoch-
wasser die Halligen überschwemmt hatten und während der darauf
folgenden Ebbezeit nicht wieder in die gewohnten Strombetten zurück-
getreten waren. Eine Hallig, die bei rasendem Sturm noch während
der Hoblebbe unter Wasser steht, ist ein Anblick, der selbst die kalt-
blütigen Friesen mit Be.sorgnis erfüllt: so beginnen Ereignisse, wie
diejenigen des Jahres 1825 und zahlreiche spätere, die mit gleichem
Verderben zu drohen schienen wie im ,Jahre 1882, wo selbst auf Hooge
das Seewasser die Gärten vor den Häusern erreichte. Es ist nur ein
Glück, dass die Bedingungen für eine vollkommen ausgebildete Sturm-
flut selten im entscheidenden Augenblick Zusammentreffen, und dass
die grÖ8.ste Fluthöhe und damit die grösste Gefahr für die menschlichen
W’ohnstätten die Dauer von wenigen Stunden nicht überschreiten kann:
denn der Stuiin mag selbst mit der Wut eines Orkanes toben, er ist
nicht im stände zu verhindern, dass der wieder einsetzende Ebbestrom
Erleichterung schafft. Wenn dann bei der Rückkehr des Hochwassers
die Wogen sich abermals über die Halligflur ergiessen, ist die eigent-
liche Gefahr bereits vorüber; die Gewä,sser haben inzwischen ihren
Strom nach Süden gerichtet und Abfluss gefunden.
Sobald aller Erfahrung gemä.ss eine kritische Lage nicht bevor-
steht, ist eine der häufig eintretenden schwächeren Sturmfluten ein
wundervolles und imposantes Schauspiel. Begiebt man sich zu Beginn
derselben auf ein Watt, .so sieht man das Wasser mit grösserer Ge-
schwindigkeit als sonst herannahen, so dass man, einmal erreicht,
binnen wenigen Sekunden weit über die Knöchel umrieselt ist; mit
wahrer Hast windet es sich um jede Erhöhung, wie eine Schlange, die
züngelnd dahinschiebt, und bildet sofort kleine Wellen, die mit jedem
Augenblick grösser werden. Sowie es die Halligkante erreicht, be-
•ized by GoogL
Kugen Traeger,
81 li
[90
)^nnt eine Brandung, die mit schnell vermehrter Wucht an die senk-
rechte Erdwand schlägt, gierig in alle die kleinen Buchten hineinjagt
und anfangs nur Tropfen und Schaum, später ununterbrochene Wasser-
stQrze Uber das Land schüttet. Gleichzeitig steigt die Flut in sämt-
lichen Gräben , die schliesslich abweichend von dem gewöhnlichen
Wasserstande bis an den Band gefüllt und in Verbindungen, die sonst
nicht zu bemerken sind, das grüne Land durchziehen. Alle Löcher
und niedrigen Stellen treten als Teiche hervor, vereinigen sich und
bilden flache Seen mit geringem Wellenschläge, und sowie nun die
Gräben über ihre Ufer treten, steht in wenigen Minuten die ganze
Fik- !*>• HaUif; bei StarmÜut.
Hallig unter Wasser, eine leicht bewegte Fläche, aus der die einzelnen
Werften wie Miniaturinseln hervorragen, indessen an der Luvseite der
überschwemmten Insel die gewaltig erstarkte Brandung ihren Gischt
emporschleudert und während der ganzen Dauer des Ereignisses die
Umrisse des Landes erkennen lässt. Wütend braust der Sturm, dass
man kaum im Freien stehen kann, hoch gehen draussen im Tief die
Wogen mit schaumgekrönten Häuptern und überschlagen sich, eine
wirre, sprühende Wassermas-se, zu welcher der seiner ganzen Ausdeh-
nung nach deutlich unterscheidbare Halligsee einen auffallenden Gegen-
satz bildet, eine ruhige Wasserinsel mitten im wilden Meere. Bald
aber schlagen die wachsenden Fluten auch auf ihm Wellen mit über-
stürzenden Kämmen, besonders in den breiten Gräben, steigen höher
hinauf an den Werften und gehen an der Leeseite der Hallig un-
merklich in die Bewegung der Wattengewässer über. Fliegende Wolken
jagen am Himmel dahin, aus deren zerrissenen Ballen die Sonne zeit-
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!)1] Die Halligen der Nordsee. 317
weilig die merkwürdige Wasserlandschaft mit warmem Lichte Uber-
straldt. Auf der Höhe aller Werften sieht man die weissen Schafe
und Lämmer, die man nicht in die Ställe und Hocke getrieben hat,
still gelagert oder auf der kleinen Grasflur weidend, welche oben an
der Werft noch vom Wasser frei geblieben ist. Ganze Schwärme von
Vögeln aller Art, mit Ausnahme der scheuen Enten und Gänse, die
andere Zufluchtsorte suchen, ziehen sich zu den menschlichen Wohn-
stätten zurück und stehen oder laufen vor den Thüren der Häuser
umher. Tritt man heraus, so erheben sie sich mit brausendeu Flügel-
schlägen, um doch bald wieder in der Nähe des sonst so ängstlich
gemiedenen Menschen den sicheren Boden zu gewinnen. Nur einzelne
Möven wiegen sich hin und wieder auf den Wogen, und nichts gleicht
in der Tierwelt der Anmut, mit welcher sie sich trotz des rasenden
Sturmes zierlich auf das Wasser niederla.ssen, ganz im Gegensatz zu
der ungeschickten Hast der Enten und Gänse. In ungewohnter Niedrig-
keit sieht man die Deiche der grossen Inseln aus den Fluten ragen
und die Brandung an ihnen und an den Kanten der Nachbarhalligen
hoch emporspritzen. So genies.st man einige Stunden lang ein Schau-
spiel von eigentümlicher, unvergesslicher Schönheit, wovon das bei-
gegebene Bild, dessen Original sich auf Amrum befindet, eine Vor-
stellung gewähren möge, welche die Phantasie kühnlich erweitern kann,
ohne sich der Uebertreibung schuldig zu machen. Nur sei bemerkt,
dass ein über die überschwemmte Hallig segelndes Schiff sowohl auf
unserem Bilde als in der Beschreibung Biernatzkys eine Zugabe bildet,
die ganz in das Gebiet erdichteter Romantik zu verweisen ist.
Von nicht zu unterschätzender wirtschaftlicher Bedeutung ist die
Jagd auf den Inseln und Watten der Nordsee. Dieselbe erstreckt sich
auf Porren, Fische. Vögel, deren Eier und auf Seehunde. Die Porren,
denen nebenbei bemerkt unsere Kolonie Kamerun ihren Namen ver-
dankt, leben in unglaublichen Massen in den Wattengewässern und ziehen
sich bei Ebbezeit teils in den Schlick zurück, teils in die Priele, wo ihnen
der Mensch nachzu.stellen vermag. Jede Hallig hat ihren Porrenpriel, der
bei Hohlebbe einen nur geringen Wasserstand enthalten darf. Dorthin
begeben sich ganz besonders in der entlasteten Zeit nach der Heuernte
bis zum Beginn des November Männer und Frauen mit Netzen, Körben
und Säcken oder Eimern. Am Ufer angelangt, werden die Säcke und
Eimer zurückgelassen , die Körbe an einem Strick über die rechte
Schulter gebunden, so dass sie dem Fi.scher an der linken Seite hängen,
und nun begiebt er sich mit dem Netz in das Wasser. Solches Porren-
netz besteht aus einer handbreiten, etwa meterlangen Holzleiste mit
schwachgeschärfter Schneide und einem halbkreisförmig darüber sich
wölbenden Reifen, woran das beutelartige eigentliche Netz befestigt
ist. Eine 1 ‘/* m lange Stange verbindet die Mitte der Leiste mit dem
Scheitel des Reifens und dient dazu, die Leiste dicht am Grunde des
Priels hinzuschieben. Dadurch werden die Porren vom Boden aufge-
schreckt und geraten in den Beutel, aus dem sie des Wa.sserdruckes
wegen nicht mehr entrinnen können. Die Ergiebigkeit des sehr amü-
santen »Porrenstreichens“ ist verschieden, bei Gewitterluft kaum loh-
nend, bei bedecktem Himmel mit warmem Wetter und warmem Wasser
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Kugen Traeger,
[92
ai8
manchmal überraschend reichlich. Tiefer als bis an den Leib pflegt
man nicht zu waten, wiewohl gerade die grössten Porren sich mit Vor-
liebe im tieferen Wasser bergen, aber der Fang wird dann unbe<]ueni
und quantitativ benachteiligt.
Fische finden sich in nur geringer Menge in den Wattenprielen,
während sie in früheren Zeiten gute Erträge geliefert haben sollen :
die einheimische Bevölkerung macht den steigenden Dampfschifisver-
kehr und die Zunahme der Seehunde dafür verantwortlich, welche
letzteren ausserordentlich kräftige Schwimmer und geschickte Fischer
sind und pro Tag und Kopf 5 — 10 Pfund Nahrung zu sich nehmen.
Mit Netzen stellt man den Fischen hier nicht nach, sondern mit sogen.
Fischgärten, Stecheiseu und -Händen. Fischgärten legt man auf ge-
neigten W'attenflächen aus Faschinenreisem in der Wei.se an, dass man
aus heckenartig dicht in den Schlick gesteckten Zweigen die lang-
gestreckten Schenkel eines Winkels bildet, an dessen Scheitelpunkt
sich ein Durchlass und dahinter ein Netz befindet; die Reiserhecke ist
nur so hoch, dass sie hinreichend vom Flutwasser überschwemmt werden
kann. Die Fische im Bereiche der Einhegung ziehen sich mit dem
zurUckweichenden Ebbewasser immer weiter nach dem Durchlass hin
und gelangen schliesslich in das Netz, aus dem sie den Ausweg nicht
wieder finden. Es leuchtet ein, dass das eine höchst bequeme Fang-
methode ist, aber sie hat den Nachteil, dass die mühsame Anlage im
Winter vom Eise zerstört zu werden pflegt, wenn man sie nicht
freiwillig entfernt. Wegen der hierdurch immer wieder verursachten
Muhe resp. Kosten wird sie von den Halligbewohnern nicht mehr an-
gewendet, vielmehr beschränken sie sich auf die beiden letztgenannten
Methoden. Sie wissen, dass der Butt sich am liebsten in lockerem
«fliesscndem“ Sande aufhält, wo er sich niederlegt und bald mit Sand
überrieselt wird, aus dem er nur mit dem Kopf hervorlugt. Es gehört
ein scharfes Auge und ein geübter Blick dazu, den Fisch in dieser
Lage unter dem Wasser und Sande zu erkennen, da er bei seiner
flachen Körperform und der dem Sande sehr ähnlichen Färbung sich
fast gar nicht aus seiner Umgebung hervorhebt. Trotzdem bemerken
ihn die Leute mit grösster Sicherheit, nähern sich ihm vorsichtig und
treffen ihn geschickt mit dem Stecheisen, einem Instrument von der
Form eines Rechens, dessen scharfe eiserne Zinken senkrecht nach
unten gerichtet und mit Widerhaken versehen sind, an denen der auf-
gespiesste Fisch hängen bleibt Die hiermit verbundene Grausamkeit
wird gemildert, wenn man das Tier sofort durch einen Messerschnitt
tötet, und dann entbehrt diese Art von Fischerei eines gewissen Reize.s
nicht, eben weil es dabei auf persönliche Geschicklichkeit ankommt.
Ich habe beobachtet wie ein gew'andter junger Frie.se mit einem kurzen
Messer in gar nicht langer Zeit ein vollständiges Mittagsgericht au.'
dem Sande herausstach, teilweise sogar mit der blossen Hand an das
Ufer warf. Die Beute wird auf Schnüre gereiht, die man durch die
Kiemen zieht, und beim Verkauf nach , Stieg“ zu 20 Stück bewertet.
Weniger angenehm ist die dritte Art bei der man in einem der
schlammigen Halliggräben watet und mit den Händen den weichen Grund
vorsichtig durchwühlt, um schnell die in ihm verborgenen Fische, be-
S
< - Cioogle
93]
Die Halligen der Nordsee.
319
sonders Aale, zu greifen; sie ist ausserdem anstrengend, weil man fort-
während in gebückter Stellung beharren muss. — Muscheln werden
von den Halligbewohnem höchst selten genossen; Austembänke fehlen
bei ihren Inseln ganz und kommen erst bei Amrum, Föhr und Sylt vor.
Die Jagd auf Vögel wurde früher mit Netzen ausgeübt. Im Herbst
kommen zu den zahlreichen, zur Gattung der Regenpfeifer (Limosa)
und Austernfischer (Haematopus) gehörenden V'^ögeln, welche das ganze
Jahr über auf den Inseln des Wattenmeeres bleiben und sehr wohl-
schmeckend sind, ungeheure Schwärme von wilden Enten und Gänsen,
die sich bis zum Beginn des strengen Frostes hier aufhalten. Man
errichtete also ehedem auf den Wattengefilden zwei hohe eiserne Stäbe
oder Lanzen im Abstand von 25 — 30 m bei einer Höbe von über 4 m
imd spannte zwischen ihnen das an straflfgezogenen Tauen lose hängende
grossmaschige Netz aus, in welchem sich die hastig fliegenden Vögel
verwickelten und fingen. Der Instinkt lehrte sie indessen allmählich
die Gefahr erkennen und vermeiden, so dass der Ertrag die aufgewen-
deteu Kosten und Bemühungen schliesslich nicht mehr lohnte. Jetzt
suchen einzelne Jäger die Jagd mit dem Gewehr auszuüben, wobei man
sehr vorsichtig sein muss, weil man höchstens am Boden hinkriechend
oder in einem der Gräben watend einige Deckung findet; aber auch so
kommt man nur zum Schüsse auf Regenpfeifer und Austernfischer, so
gut wie nie auf Enten und Gänse. Weit lohnender als die Jagd bei
Tage ist die bei Nacht. In finsteren Herbstnächten, wenn heftige
Stürme und Regengüsse die Fluten peitschen, bindet sich der Schütze
eine Laterne vor die Brust, die Helligkeit vor ihm her verbreitet, wäh-
rend er selbst im Dunkeln bleibt. Mit dem Gewehr und einem Stock
bewaffnet, bcgiebt er sich au die Halligkante oder auf das Watt, wo
die von dem Unwetter eingeschüchterten Vögel in dichten Gruppen
zusammenhocken und von dem strahlenden Lichtschein derartig geblendet
werden, dass man dicht an sie herantreten und sie mit dem Stocke er-
schlagen kann oder, wenn sie in dem unbestimmten Gefühl einer
drohenden Gefahr ängstlich hin und her laufen , leicht zu schiessen
vermag; denn die Tiere fliegen in solchen Nächten nicht gern vom
Boden auf. Der Knall eines Flintenschusses scheucht zwar einen Teil
der Vogelscharen empor, verdirbt aber nicht die weitere Jagd, weil man
.selbstverständlich gegen den Wind geht, in dessen gewaltigem Brausen
das kurze Geräusch schnell verhallt. So hat derselbe Friese, den ich
schon gelegentlich des Fischstechens erwähnte, in wenigen Nachtstunden
t>6 Stück Enten, Gänse und grosse Regenpfeifer erlegt, die ihm reichlich
fiO Mark einbrachten. Aber selbst wenn man nicht die Sicherheit und
Geschicklichkeit, welche zu solchen Erfolgen notwendig ist, besitzt und
sich auf die Anwendung des Gewehres beschränkt, wird man doch nie-
mals ohne einige Ausbeute von einer Jagd zurückkehren, die infolge
der eigentümlichen Scenerie allein auf dem Watt in wilder Sturmnacht
zu dem Seltsamsten gehören dürfte, was es auf dem Gebiete des edlen
Weid Werkes giebt.
Ausser ihrem Fleisch und zum Teil auch ihren Federn liefern die
Vögel, einschliesslich der Möven und Seeschwalben, ihre wohlschmecken-
den Eier. Zwar legen viele von ihnen in kunstlo.se Nester auf dem
iicd by Google
320
Kugeii 'l'raegei-.
[!M
Halligboden oder an der Ut'erkante, die Hauptnieuge aber zieht sich
nach entlegeneren Orten zurück, wo sie sich ungestörter fühlen. Be-
rühmt waren deshalb seit alter Zeit die herrlichen Lister Dünen auf Sylt,
worüber C. P. Hansen in seinen zwar breiten und ordnungslosen, aber
doch lesenswerten Monographieen ausführliche Mitteilungen gemacht
hat. Auch auf anderen Inseln befanden sich bevorzugte Brutstätten,
zu denen in neuerer Zeit seit ihrer Verödung und Versumpfung Nor-
deroog hinzugetreten ist. Ungeheure Schwärme sämtlicher Arten von
Scevögeln finden sich hier im Frühjahr ein und legen solche Mengen
von Eiern, dass man auf dem Dünenwall der Hallig kaum gehen kann,
ohne einige zu zertreten. Das systematische Sammeln derselben bildet
Jetzt die Haupteinnahme des Inselbesitzers, der eifrig darauf achtet,
dass kein Fremder sein Eigentum betritt. Nun hat zwar die preussische
Verwaltung ein Gesetz gegen das Ausnehmen der Mövennester erlassen,
doch glaube ich, dass eine Sylter Notiz in der Kieler Zeitung vom
1. Juni 1887 allgemein das Richtige trifit, wenn sie sagt: ,Seit dem
Erlass des Schongesetzes von 1870 ist das Ausnehmen der Möveneier
in unseren Dünen verboten. Früher war es ein angenehmes Pfingst-
vergnügen, früh morgens nach den Lister Dünen zu wandern, um dort
Eier zu suchen. Die Eier der Möven wurden damals bis zum 15. Jum
ausgenommen, so dass also die erste und zweite Brut den Vögeln ge-
nommen wurde. Auf diese Weise erwuchs vielen Sy Item eine nicht
unerhebliche Einnahme, da jährlich an 50000 Stück allein in den Lister
Dünen gesammelt wurden. Dieser nicht unbedeutende Ertrag war es,
welcher die Sylter ein Mittel finden lie.ss, das dritte Gelege der Möven
vor Feinden zu schützen, so dass also die Tiere nach dem 15. Juni
durch Wachehalten in den Dünen von Störung verschont blieben. Bei
dieser Praxis hat man bemerkt, dass die Zahl der Möven sich nicht
verminderte, sondern vermehrte. Nach Erlass des Gesetzes wird auch
das Bmtgeschäft überwacht; weil aber zu keiner Zeit das Ausnehmen
der Eier gestattet ist, so wird das Gesetz häufig übertreten und von
den Betreffenden nicht darnach gefragt, ob sie das erste, zweite oder
letzte Gelege zerstören. Man hat so beobachtet, dass nach Einführung
der neuen Praxis die Zahl der Möven abgenommen hat. Thatsache ist.
da.ss von den jungen Möven, die aus dem ersten und zweiten Gelege
ausgebrütet werden, viele durch die herrschende Frühjahrskälte in den
Dünen zu Grunde gehen. Sie erreichen den Strand nicht, finden also
keine Nahrung, und die alten Möven, die neuem Brutgeschäft obzu-
liegen im Begriff sind, kümmern sich nicht um sie. Den Vögeln bringen
also diese beiden Gelege fast gar keinen Zuwachs ihrer Zahl, und auch
die dritte Brut verläuft nicht ungestört. Es wäre daher zu wünschen,
dass bald zum wirklichen Schutz der Vögel die Schonvorschriften, welche
die Möven betreffen, nach früher ortsüblichen, bewährten Regeln ge-
ordnet würden.“
Das höchste Vergnügen, welches die Nordsee dem Jagdliebhaber
zu bieten vermag, ist unstreitig die Seehund.sjagd , gleichzeitig einer
der lohnendsten Nebenerwerbe für die einheimische Bevölkerung. Jede
der grossen Inseln Sylt, Föhr und Amrum, auf denen sich die sehr
bekannten Seebäder befinden, hat ihre hervorragenden Seehundsjäger.
Cioogle
Die Halligen der Nordsee.
321
9.S]
deren Namen in der Touristenwelt denselben Klang haben, wie die-
jenigen berühmter GebirgsfOhrer. Auch die Halligen haben ihre ge-
schickten Jäger, die von SUderoog und Hooge aus den ,Fang“ betreiben,
jedoch ledighch in ihrem eigenen Interesse. Auf Suderoog sind es Mit-
glieder der Familie des Inselbesitzers, auf Hooge ist es der Schiffs-
zimmermann Holdt, dessen Geschicklichkeit in jeder Art von Watten-
jagd schon wiederholt zu erwähnen war. Wenn ich mit ihm an einem
sonnigen, warmen Sommertage hinausfuhr nach einem der grossen
Aussensande bez. einer der Sandbänke oder ,Plaats“, die nur während
der Ebbe auf einige Stunden emportauchen, so war schon die Fahrt
an sich auf den dort draussen herrlich blauen, klaren Wassern, die sich
in gewaltigen Strömen zwischen den schimmernd hellen, sauberen Sand-
feldem nach der offenen See hinziehen, ein beneidenswertes Vergnügen.
Fig. IH. Seebund^jai^d
Hier draussen arbeitet nicht bloss der Strom, sondern auch die ewig
stehende Brandung an der Veränderung der Konturen; melodisch und
weich tönt an windstillen Tagen das Plätschern ihrer ruhelosen Wellen
durch die schweigende Ein.samkeit der unbeschreiblich schönen , feinen
Seelandschaft, in der sich ausser den Seehunden und den grossen silber-
grauen Lachniöven nichts Lebendiges regt, während zu anderen Zeiten
ihr dumpfer Donner wie ein gewaltiges Sausen und Brausen meilen-
weit dringt und den nahenden Sturm verkündet. Auf solchen Ausflügen
bestand unsere Ausrüstung ausser den Gewehren und Patronen in dem
4 — m langen Haken mit haarscharfer Spitze, einem scharfen, langen
Messer, den Jagdanzügen und dem Proviant auf einen Tag. Wir sassen
in einer offenen kleinen .lolle, in deren Schlepptau ein noch kleineres
Ruderboot lief, kleideten uns während der Fahrt in den grauen Anzug
und legten in angemessener Entfernung von dem au.sersehenen Ort die
Jolle in einem der grossen Ströme vor Anker, nahmen einen tüchtigen
Imbiss und bestiegen dann mit dem Jagdgerät und einer Flasche voll
Thee oder Kaffee das Ruderboot, welches uns an das Gestade trug.
Hier wurde auch das Boot verankert, und nun marschierten wir in
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Kugen Traeger,
;V22
[9li
raschem Schritt nach der Stelle, wo wir eine Herde von Hunden (in
einem Falle von 70 — 80 Stück) in behaglicher Geselligkeit liegen sahen.
Dann brannte wohl die Sonne glühend heiss auf den schimmernden
Sand hernieder, dass Gesicht, Hals und Hände sich kupferrot färbten,
aber man achtete dessen nicht : nur immer schnell vorwärts, einer dicht
hinter dem anderen, um nicht zu sehr aufzufallen, zuletzt in gebückter
Stellung im Laufschritt und endlich, wenn man der längst aufmerksam
gewordenen Herde nahe war, im schnellsten Galopp, dass sich die Hunde
mit wildem Schnauben und Pusten brausend in die Fluten stürzten.
Das ist der Moment, wo man sich plötzlich dicht am Gestade auf den
feuchten Sand niederwirft, die Gewehre im Schatten des Körpers, dass
ihre blanken Läufe nicht in der Sonne funkeln, und wo der Friese
rasch die Kappe über das Haupt zieht, um sofort die Bewegungen eines
liebebedürftigen Seehundes nachzuahmen. Dieser jähe Wechsel der
Situation ist von bethörender Wirkung für die Seehunde, die bald
wieder emportauchen und nun mit Staunen an Stelle der heranstürmen-
den Feinde zwei an.scheinend gemütliche Familienmitgheder harmlos
daliegen sehen. Mindestens einer der neugierigsten kann es sich daher
nicht versagen, das Hätsel zu ergründen, er kommt immer näher bis
schliesslich unmittelbar an den Strand und besieht sich genau die
Metamorphose. Inzwischen haben die Jäger die Hähne gespannt, und
derjenige, welcher am günstigsten liegt, richtet sich ein wenig empor,
legt vorsichtig an und zielt nach dem Kopfe des Tieres, welches dar-
über in neues Erstaunen gerät und den Schützen noch einige Sekunden
lang ansieht. Wollte man jetzt schiessen, so würde man mit ziemlicher
Sicherheit seine Beute verlieren, denn der Schuss von vom in Hals und
Gesicht wirkt nicht sofort tödlich, so dass der Hund jählings in die
Tiefe fährt und entkommt, um später irgendwo zu verenden; vielmehr
wartet man, bis er den Kopf wendet und sich anschickt, mit einem
letzten Seitenblick niederzutauchen. In diesem kurzen Augenblick
schiesst man ihn seitwärts in das Gehirn, wodurch er entweder .sofort
getötet oder doch so besinnungslos wird, dass man rasch herzuspringen
und ihn mit dem langen Haken an den Strand ziehen kann, wo ein
Kolbenstoss ihn schnell von jeder Qual befreit.
Mau richtet sich bei den Jagdausilügen so ein, dass man mit ein-
setzendem Ebbestrom hinausfährt, um einmal die mit demselben Strom
nach der otfenen See ziehenden Robben anzulocken und dann wieder
die mit der Flut auf die Watten zurückkehrenden. Hat man daher
bei der ersten Gelegenheit Erfolg gehabt, so lässt man seine Beute
verbluten, wäscht sie und den hlutbespritzten Strand rein, denn vor
Weiss und Rot scheuen die Tiere, und benutzt sie als Lockmittel für
den zweiten Zeitraum. Sehr oft gelingt das in gewünschter Weise
namentlich den Jungen gegenüber, während die Alten sich viel schwerer
täuschen lassen. So hat Holdt allein an einem Tage 0 Stück geschossen,
während er anderer.seits wiederholt gar nicht zu Schüsse kam. Auch
vom Boote aus hat er mehrere Junge, die übrigens schon nach 3 — 4
Wochen etwa I m lang sind und 30—40 kg wiegen, geschossen und
glücklich mit dem Haken an Bord gezogen. Mitunter kommt es vor,
da.ss sie bis auf den Sand zu ihrem toten Gefährten heraufkommen, wo
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<(7] Die Halligen der Nordsee. ;32:J
luan sie einfach erschlägt ; das hat den Vorteil , dass man dann auch
noch der Mutter habhaft werden kann , die , durch keinen Schuss er-
schreckt, beim Auftauchen ihr Kind am Strande erblickt und ihm nach-
folgt. Nach heftigen Winden ist die Jagd am günstigsten, weil viel-
fach die Jungen im Wellengänge ihre Mutter verloren haben und mit
dem Kopf über dem Wa.sser umherschwimmen, um sich derselben durch
einen halb knurrenden, halb heulenden Klagelaut bemerkbar zu machen;
in dem ängstlichen Gefühl ihrer Verlassenheit und infolge ihrer Neu-
gierde und Ünerfahrenheit lassen .sie sich leicht anlocken. Sind da-
gegen die Alten bei ihren Kleinen, so suchen sie dieselben auf alle Art
von den Jägern zurUckzuhalten, ja wir haben sogar bemerkt, wie eine
Mutter deswegen ihr gar zu voreiliges Kind biss ; als auch das vergeb-
lich war, blieb sie zurück und tauchte nach dem Schüsse unter, der
den Ungehorsam de.sselben mit dem Tode bestrafte.
Die Beute wird entweder an Ort und Stelle abgefellt oder, wenn
das Boot in der Nähe liegt, in ihrem natürlichen Zustande mit nach
Hause genommen. Die Specklage unter dem Fell ist 2 — 3*/» cm dick,
wird säuberlich samt dem Fell vom Fleisch und dann vom Fell gelöst,
um in Stücke zerschnitten zu Thran ausgebraten zu werden. Das Fleisch
selbst junger Hunde ist sehr dunkel und bleibt unbenutzt, während es
im hohen Norden zur Nahrung dient; dasjenige der alten ist nahezu
schwärzlich. Das Fell wird mit den Haaren nach unten straff auf-
gespannt, bis es getrocknet ist, erscheint aber nie wieder so schön, wie
bei Lebzeiten seines angestammten Besitzers. Der Ertrag eines Tieres
beläuft sich im Durchschnitt auf (5 Mark, davon je die Hälfte auf das
Fell und den Thran (das Liter 50 — üO Pfg.), und da Holdt im Jahre
1891 80 Stück erlegt hat, so ergiebt das eine Bruttoeinnahme von rund
500 Mark. Im ganzen mögen wohl jährlich auf den Schleswig-Holstein-
schen Watten 4 — 500 Seehunde erbeutet werden.
Es erübrigt nur noch, kurz die Ei.sgebilde auf den Watten zu
besprechen, um die Charakteristik dieser eigentümlichen Gefilde zu ver-
vollständigen.
Beobachtet man die Einwirkung des Frostes auf stillstehendes
Meerwasser, so bemerkt man, dass es in feinen Nadeln krystallisiert,
in denen sich ein nur noch schwacher Salzgehalt befindet. Sie bilden
eine immer zäher werdende breiartige Masse, welche jeder Erregung
des Wassers sich anschmiegt und in leicht bewegtem Wasser schneller
in wirkliches Eis verwandelt, als in ganz stillem, wo der Brei bei
mässigem Frost sich derartig verdichtet, dass er einem eindringenden
Stocke einen gewissen Widerstand leistet, bis er ganz geronnen ist.
Bei scharfem Froste schliessen sich die senkrecht angeordneten Nadeln
sehr bald aneinander, so dass bei geringem Winde die Kälte schon
während einer Flytzeit dünnes Eis zu bilden vermag, welches in spiegel-
blanker Fläche sich ausdehnt, bei Ebbe auf die Watten niedersinkt und
zerbricht, von der zurückkehrenden Flut gehoben und noch mehr zer-
brochen wird, aber doch wieder zusammenfriert. Bei massiger Kälte
geht die Eisbildung vorzüglich bei Ebbe in den zurückgebliebenen
Lachen vor sich, aus denen das Flutwasser die frisch entstandenen,
noch wenig konsistenten Schollen emporhebt und forttreibt, und so
Fortchungen zur deutschen Landes und Volkskunde. YI. 3. 22
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324
Kusen Traeger,
[dH
folgen Neubildungen und Erstarkung der älteren, bis das Treibeis zum
Stehen kommt. Auf alle Fälle entsteht also trotz des ewigen Wechsels
des Wasserstiindes und der Strömungen im Wattengebiete Eis ron
fa-seriger Struktur und — der Trübung des Wassers entsprechend —
von grauem Bruch, welches bei anhaltendem Nord- und Ostwind und
damit verbundener Kälte nicht bloss die ruhigeren Wasserflächen, son-
dern auch die lebhaften Ströme überzieht, so dass das Auge zuletzt
nichts mehr als eine zusammenhängende Eismas.se erblickt, unter welcher
der Wechsel von Ebbe und Flut sich unbemerkbar vollzieht. Sie bildet
natürlich keine ganz ebene, auch keine ununterbrochene Fläche, aber
sie ertötet doch jegliches Leben und breitet die starre Hube des Todes
über die mit Schnee verhüllte trostlose und doch so bezaubernde Winter-
landschaft , die namentlich bei schräger Beleuchtung in wunderbarer
Schönheit prangt. Dieses Bild ändert sich bedeutend, sobald West-
stürme hohes Wa-sser bringen: die ganze ungeheure Masse hebt sich
höher und kracht in dumpfem Grollen, aber sie hält zunächst noch
zusammen, bis wiederholte Angriffe von Sturm und Wellen sie unter
donnerartigeiii Getöse zersprengen, die Schollen knirschend und dröhnend
gegeneinanderschlagen und Übereinanderschichten, bis ganze Eisberge
und -Wälle von 2 — 4 m Höhe entstehen, die nicht mehr ruhelos uni-
hergejagt werden. In solchen Zeiten werden auch mächtige Barren an
die Halligkante gepresst und ruinieren sie mehr als alle Sturmfluten des
Sommers; selbst auf die Halligflur erheben sie sich bei lleberschwem-
mungeu und bleiben dort liegen, bis die wärmeren Lüfte des Früh-
jahrs sie zum Schmelzen bringen. Das Hinundhertreiben der über-
einandergeschichteten Ei.smassen ist eine der Ursachen , weshalb man
auf den VVatten keine hervorragenden Unebenheiten antriflfl: sie werden
von den scharfkantigen, am Boden hingeschobenen Schollenkonglo-
meraten förmlich abgeschliflen.
An der Unterfläche alles W^atteneises bildet sich mit der Zeit eine
dicke, angefrorene Bodenschicht, weil es so oft bei Ebbe auf dem
Schlick aufsitzt und jedesmal ein wenig von demselben mitnimmt. Je
länger also der Winter dauert, desto dicker wird mit dem Eis zugleich
die anhaftende Schlickkruste, die der Phantasie einen Anhalt bietet,
sich die riesige Transportfähigkeit der nordischen Eismassen zu ver-
gegenwärtigen, welche die als erratische oder Wanderblöcke bekannten
Felstrümmer bis an das mitteldeutsche Gebirgssystem trugen, oder schon
vorher Uber dem ganzen Gebiet des jetzigen norddeutschen Tietlandes
sinken Hessen. Es liegt auf der Hand, dass die Watten alljährlich
einen beträchtlichen Materialverlust erleiden würden, wenn die Schollen
ihre Geburtsstätte verliessen und in der ofi^enen See zum Schmelzen
kämen. Das ist aber glücklicherweise unmöglich; denn der Ostwind,
der sie mit dem Flutstrom hinaustreibeu könnte, bringt regelmässig
Kälte bei niedrigem Wasserstande und hält dadurch das Eis fest, der
Westwind aber, welcher Tauwetter verursacht, wirkt dem Plutstroni
entgegen und treibt das Eis mit dem Ebbestrom wieder auf die Watten,
so dass es dort seine Auflösung erleidet, also auch den anhaftenden
Schlick dem mütterlichen Grunde zurUckgiebt. So sehr also auch Strom
und Wind die Lagerungsverhältnisse des Schollengewirres fortwährend
Cioogle
Die Halligen der Nordsee.
!l!>]
:J25
verändern, so bleibt es doch bis auf einen kleinen Teil, der glücklich
die freie See erreicht und ein Wanderleben beginnt, im Wattengebiet,
mitunter monatelang, wobei von einem Schiffsverkehr selbstverständlich
keine Rede sein kann. Eine Sturmflut in dieser Zeit, eine sogen. Eis-
flut, ist das gefarlichste , was es für die Halligen und die Seedeiche
giebt, denn die Wucht der massiven, von rasender Gewalt umher-
geschleuderten Schollen wirkt wie Sturmböcke auf Mauerwerk.
Wenn man einen Marsch über das Watteneis bei Ebbe macht,
so hat man sich zu hüten, dass man bei dem Springen von einem Block
auf den andern nicht ausgleitet, oder, wenn Schnee die Fugen und
Löcher verhüllt, dass man dabei nicht in solche gerät und zu Falle
kommt, wobei man sich in den scharfltantigen Spalten sehr übel ver-
letzen kann. Be.sonders schwierig ist der Uebergang über tiefere und
breitere Gräben, denn an ihren Ufern liegt das Eis in wirrem Chaos
auf die Kante gestellt und übereinandergestürzt, so dass es gut ist,
wenn sich zu einem Schlicklauf in dringenden Fällen zwei oder drei
Personen verbinden, die sich gegenseitig unterstützen können, um ein
der .Jahreszeit wenig entsprechendes Bad zu vermeiden. Auch die Eis-
wälle, die sich mit unter Hunderte von Metern lang in mehr als Mannes-
höhe auf dem Grunde festgesetzt haben, bieten einige Schwierigkeiten
und lassen die rücksichtslose Kraft bewundern, mit der die schweren
Blöcke über- und durcheinandergequetscht .sind. Es ist äusser.st inter-
essant, ein solches wildes Eismeer zu durchwandern, denn es giebt eine
kleine Vorstellung von dem, was die Nordpolfahrer über die imposante
Grossartigkeit der arktischen Natur zu erzählen wissen; ja, die Ver-
gleichbarkeit erstreckt sich so weit, dass man mit voller Schärfe nach
dem Wasserhimmel und dem Eisblink oben in den Wolken die Grenze
zwischen den meilenweiten Eisablagerungen und dem in düsterem,
dunklem Grau die Watten bei Ebbe begrenzenden Meere verfolgen
kann, wie der Nordpolfahrer sich nach diesen Anzeichen durch die
furchtbaren Packeisma.s.sen einen Weg zu bahnen sucht.
Das sind die Nordseewatten, ein Gebiet, dem sich nichts auf der
Erde vergleichen lässt!
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8. Die Sicherung der Halligen gegen ihre fortschreitende
Zerstörung.
Der Grund, welcher mich veranlasste. immer wieder die Halligen
uufzusuchen und ihre nähere und fernere Umgebung möglichst genau
kennen zu lernen, war der, dass mir schon auf meiner ersten Tour die
traurige Thatsache mit erschreckender Deutlichkeit vor Augen getreten
war, wie unaufhaltsam Eis und Wellengang au der Vernichtung ihres
Bestandes arbeiten. Man kann darüber sehr wohl durch die Hilfsmittel
des Studierzimmers unterrichtet sein und je nach dem wissenschaftlichen
Interesse, welches man daran nimmt, einen gewissen Grad von Teil-
nahme empfinden, aber man wird doch nie zu der Intensität des Mit-
gefühls gelangen , als wenn man selbst Augenzeuge davon ist , wie
Stück für Stück von dem Lande abbröckelt und sich langsam in ruhelo>
umhertreibende Atome auflöst. Dass hier ganze Gemeinden unthätig
Zusehen müssen, wie ihnen der Grund und Boden unter den Ftlssen
entschwindet, weil es jetzt zu spät ist, aus eigenen Mitteln ihren an-
gestammten Besitz zu sichern, das erhöht die Tragik der Situation.
Was die Vorfahren versäumt haben , sind heut die Enkel zu leisten
ausser Stande, nicht weil es an sich unmöglich wäre, sondern weil die
erforderlichen Schutzmassregeln ihre Kräfte übersteigen. Darum habe
ich keinen sehnlicheren Wunsch, als dass die öffentliche Teilnahme
und in letzter In.stanz die preussische Staatsregierung sich der Halligen
annehmen !
Seit alten Zeiten war es das Recht der Kommunen gewesen, das
Vorland an ihren Kögen als ihr Eigentum zu betrachten und nach
Gefallen einzudeiclien. Seit dem Jahre 1015 jedoch begann man, die
Au.ssendeiche als landesherrlichen Besitz zu betrachten, den die Fürsten
gegen Zahlung von Geld an einzelne Personen oder ganze Gemeinden
zur Eindeichung vergaben (Eckermann a. a. O. S. 38). Fürstliche Kom-
mi.ssäre erschienen bei den Deichbauten, bestimmten die Trace derselben
und schlichteten die vielfachen Streitigkeiten. So ist allmählich aus
der anfänglichen Regalität ein wirkliches Eigentumsrecht entstanden,
wenigstens für gewisse Kü.stenstrecken, welches Preussen bei Antritt
seiner Regiening mit übernommen hat. Es ist nämlich zu bemerken,
dass an der Westküste von Schleswig-Holstein die öffentlich-rechtlichen
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101 ]
Die Ualligeo der Nordsee.
327
Verhältnisse ganz verschieden sind und dass aus.serdem verschiedene
Abmachungen privatrechtlicher Natur vorliegen, welche lokale Anord-
nungen bedingen. Unbestritten ist das Anwachsreclit des Fiskus in
den Kreisen Süderdithmarschen, Eiderstedt, Husum und Tondern, so-
weit nicht Nordstrander Landrecht gilt und soweit nicht an einzelnen
Stellen ein Verkauf des An wachsrechtes stattgefunden hat. Ersteres i.st
der Fall auf Nordstrand und denjenigen Inseln der Kreise Husum und
Tondern, welche vor 1864 zu Schleswig gehört haben. Auf Nordstrand
ist die Frage praktisch geworden, als die Landschaft im .lahre 1866
den Morsunikoog eindeichte und indem sie noch jetzt fortwährend
Landgewinnungsarbeiten ausfUhrt ; das Eigentum der gewonnenen Län-
dereien wird der Landschaft nicht bestritten. Verkauft ist die Anwachs-
gerechtigkeit vom Fiskus an verschiedenen Uferstrecken des Kreises
Eiderstedt, während ihm im Kreise Norderdithmarschen kein Anwachs-
recht zusteht. Im Kreise Tondern hat er die Anwüchse bis zur
Winterbedeichung an den Deichverband verpachtet, welcher die
Anwachsarbeiten ausfUhrt; im Kreise Hadersleben sind die Anwüchse
einzelnen Gemeinden gegen eine geringe Pacht und die Verpflichtung,
jährlich gewisse Landgewinnungsarbeiten auszuführen, auf längere
Jahre überla.ssen.
Die neuen Deiche sind zunächst von demjenigen zu unterhalten,
der die Bedeichung ausfuhrt; bei den SUderdithmarscher Kögen hat
aber der Fiskus beim Verkauf der Koogsländereien diese Last auf die
Käufer übertragen und sich nur das Eigentumsrecht am Deich Vor-
behalten. Dem dahinter liegenden grossen Deichverbande sind diese
Köge nicht angeschlossen, wohl aber die neuen Köge in den übrigen
Kreisen, sowohl die vom Fiskus, wie die von Privaten und Kommunen
bedeichten, mit Ausnahme des kleinen Dockkooges bei Husum. Ein
solcher Anschluss erfolgt aber in der Begel erst längere Zeit nach der
Bedeichung, wenn sich der neue Deich als widerstandsfähig erwiesen
hat. In solchem Falle liegt dem Fiskus bez. dessen Käufern nur die
gewöhnliche Unterhaltung des Deiches ob, während bei umfangreichen
Arbeiten der grosse Deichverband eintritt.
Wo also der Staat, wie im Kreise Husum, auf seine Kosten
Neuländereien gewinnt und bedeicht, trägt er naturgemäss auch den
Erlös aus dem Verkauf neuer Köge davon, wofür er iindrerseits be-
deutende Mittel auf die mannigfachsten Wohlfahrtseinrichtungen in
jenen Gegenden verwendet. Rühmliches hat Preussen in den bisherigen
2.^ Jahren seiner Herrschaft geleistet, nicht bloss an den Festlands-
küsten, sondern auch an den früher sehr stiefmütterlich behandelten
Utlanden. Millionen hat es auf die Erhaltung derselben verwendet (auf
Sylt allein nahezu 2 Millionen) durch Erd- und Faschinenlahnungen,
Steindossierungen , Deichbauten , DUnenbepflanzungen , wie es auch
unermüdlich für die Schiffahrt durch Unterhaltung und Vermehrung
der Leuchttürnie und Feuerschiffe, der Orientierungs- und Ilettungs-
baken, der Seetonnen und Bojen, durch beständige Vermessung de.«
Fahrwassers, Herausgabe von guten Seekarten und nötigen Falles durch
Baggerarbeiten .sorgt. Zwar hat es die alte Steuer- und Militärfreiheit
der Inselfriesen aufgehoben , worüber anfangs trotz der milden Nor-
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:528
Eugen Tnieger.
[102
mierung der auferlegten Lasten grosse Missstimmung herrschte, doch
ist diese bald der besseren Erkenntnis gewichen, dass Preussen zwar
höhere Anforderungen an seine llnterthanen stellt, als mancher andere
Staat, dass es dafür aber auch von keinem in der Tüchtigkeit seiner
Verwaltung übertrofifen wird. Ausserdem hat es den Gemeinden die
Zahlung der Gehälter für Geistliche und Lehrer erleichtert, hat ihnen
regelmässige und ausgiebige Post- und Telegraphenverbindungen ge-
schaffen, bei der die Postverwaltnng sehr zweifelhafte Geschäfte oder
sogar Zuschüsse macht, und hat endlich auch seine Aufmerksamkeit
den Halligen zugewendet. Im Jahre 1871 {wenn anders man mich
über das Jahr zutreffend unterrichtet hat) kaufte die Regierung nach
dem Goldregen der französischen Kriegsentschädigung die Hamburger
Hallig und verband sie unter der Amtsführung des wohlwollenden und
ungemein thätigen Bauinspektors Matthiessen durch eine 4 — .oOOO m
lange Lahnung mit dem Festlande, die 1872 in ihrer ersten Anlage
vollendet war und seitdem ansehnlich erhöht werden konnte, weil der
Schlickansatz so rasch vor sich ging, dass jetzt auf der ganzen Strecke
bereits grosse Flächen vorhanden sind , in denen die Ansiedlung des
Quellers künftige Koogsländereien erkennen lässt. Gleichzeitig wurde
die westliche Halligkante mit Granitböschung versehen, und nach Nord-
osten ein System von Erdbuhnen mit Strohbestickung angelegt, zwischen
denen mittelst der Schlickfanggräben schon grüne Weideflächen neu
gewonnen sind. Die Hamburger Hallig ist dadurch unter Matthiessen
und seinem Amtsnachfolger eine wahre Hochschule für derartige Watten-
arbeiten geworden, welche hoffentlich die Anregung für weitere Ar-
beiten bei den Halligen geben wird. Matthiessen selbst wendete schon
seine Aufmerksamkeit der Hallig Langeness-Nordmarsch zu, da ihm
die grosse Gefahr sehr wohl bekannt war, welcher dieselbe namentlich
im südwestlichen Teile ausgesetzt ist. Er begann daher westlich von
dem breiten Südpriel auf Nordmarsch bis zur Werft Hilligenlei eben-
falls mit einer Steineinfassung der Uferkante, welche die sonst rettungs-
los dem Untergang verfallene Werft bis an ihr Plateau umschliesst
und bis auf weiteres sichert. Von dort aber beabsichtigte er quer Ober
das traurig verwüstete und zerrissene Land einen Steindamm nach der
Nordküste hinüberzuführen, weil er es für unlohnend hielt, die Kosten
eines so teuren Werkes an wahres Oedland zu wenden. Anders aber
dachten die Besitzer desselben , welche ihre Fennen und ihre .schwer
bedrohte Werft (die auf Seite 258 [32] erwähnte Peters werft) gleich
der Hilligenlei geborgen wissen wollten. Als ihnen dies nicht gewährt
werden konnte, verweigerten sie die Hergabe von Grund und Boden für
die Fortsetzung des Schutzwerkes, und da ausserdem die Gemeinde eine
Einigung nicht herbeizuführen verstand , so zog Matthiessen nach
langem Unterhandeln seine Hand aus dem Spiel und brach den Bau
ab. Vielleicht wäre er der Retter der Halligen geworden, wenn er
nicht gleich bei seinem ersten Versuch auf so hartnäckigen Widerstand
und auf eine so bedauerliche Indolenz einer ganzen Gemeinde gestossen
wäre. Seitdem ist für die Erhaltung der Halligen nichts mehr ge-
schehen, wogegen die Landabnahme eine ganz bedeutende gewesen ist.
Infolgedessen wurde ich im September 1881* an geeigneter Stelle per-
jOGgle
103]
Die Halligen der Nordsee.
329
sönlich vorstellig, fand aber gegen meinen Plan, wenigstens die beiden
grossen und wertvollen Halligen Hooge und Langeness-Nordmarsch
durch Schutzbauten zu sichern, entschiedene Abneigung. Ich begegnete
1. der Ansicht, dass sich auf den schleswigschen Watten aller-
dings noch sehr viel vortreffliches Land gewinnen la,sse, dass
die Eroberung aber von der Festlandsküste ausgehen müsse,
von wo aus die Werke immer weiter nach der See vorzu-
schieben seien.
Das ist unleugbar richtig, soweit es sich um die dem Festlande
nahe gelegenen Wattensäume handelt. Der Grundsatz ist aber unhalt-
bar, wenn er auf die Erhaltung der Halligen angewendet wird. Sein
Sinn ist offenbar der, dass das Festland mit seinen mächtigen Deichen
die feste Basis bilden müsse, an welche sich das ganze System der
Sicherungsma.ssregeln anzulehnen habe. Was bedeutet aber in diesem
Falle „feste Basis“ ? Doch wohl jedes ausgedehnte und durch Natur
oder Kunst derartig fundamentierte Bollwerk, da.ss selb.st die gewal-
tigsten Elementarereignisse nicht im stände sind, es von seinem Platze
zu verdrängen. Nach dieser Definition wird man zugeben, dass die
heutigen kolossalen Seedeiche ausreichend kräftige Stützpunkte bieten,
so dass nicht nur das Festland, .sondern auch solche Inseln wie Pell-
worm und Nordstrand als feste Basen betrachtet werden können. Dann
aber erhebe ich den An.spruch, auch den Halligen dasselbe Zugeständnis
zu machen. Alle Festlandsmarschen nebst Pellworm, Nordstrand, zum
Teil Föhr u. s. w., sind erst zu gesicherten Oertlichkeiten durch die Hilfe
des Menschen geworden ; sie würden genau so gefährdet sein wie die
Halligen, wenn sie nicht künstlich zu dem gemacht wären, was sie
jetzt bedeuten. Die Logik ist also folgende: Weil die Niederungen
der Küsten durch widerstandsfähige Schutzwerke zu festen Lokalitäten
hergerichtet sind , deshalb muss man sie als Stützpunkte betrachten,
von denen aus dem Meere entgegengearbeitet werden kann, und weil
die Halligen jeglicher Sicherungsvorkehrungen entbehren, deshalb muss
mit ihrer Erhaltung gewartet werden, bis man von dort aus zu ihnen
vorgedrungen ist. Die Anfechtbarkeit einer solchen Argumentation liegt
auf der Hand: man mache doch auch die Halligen künstlich zu festen
Punkten , und sie werden ihre Köllen gerade so gut spielen , wie die
langen Linien der übrigen künstlichen Basen. Ich will mich in das
System der Wattenbearheitung nicht einmischen, aber das eine will
und muss ich aussprechen : Wenn man mit der Erhaltung der Halligen
warten will, bis man Schritt für Schritt vom Festlande aus zu ihnen
vorgedrungen ist, dann unterliegt es keinem Zweifel, dass man zu spät
kommt und da.ss die schönen, fruchtbaren Inseln bei fortgesetzter
Schutzlosigkeit das ihnen in aller Gemächlichkeit zugedachte goldene
Zeitalter nicht mehr erleben werden!
Wenn ich nun aber auch versuche, mich ganz der erwähnten
.\nsicht anzuschliessen , dann will es mir doch folgerecht und zweck-
mässig erscheinen, dass endlich Anstalten getroffen werden, um Oland
in derselben Weise mit dem Festlande zu verbinden, wie dies Matthiessen mit
der Hamburger Hallig gethan hat. Die Möglichkeit der Arbeit ist selbst
für einen der Gegend Unkundigen ersichtlich, wenn er einen Blick auf die
Di^iii^cö by CjOO^lc
Kugen Traeger,
[104
Admiralitätskarte wirft und die Lage beider Inseln miteinander ver-
gleicht; man sieht dann, dass bei der bereits vorhandenen Lahnung
ein allerdings nicht bedeutender Friel durchdämmt werden musste.
Was hier also ohne Gefahr für die Lahnung geschehen konnte, das
bildet überhaupt keinen Hinderungsgrund für die Verbindung mit (31and.
Nachdem man so glänzende Erfolge bei dem Matthiessenschen Werke
heranreifen gesehen hat, wäre es schon ein Akt wirtschaftlicher Klug-
heit, auf der vorgeschrittenen Bahn energisch weiter zu schreiten, statt
Jahr auf Jahr verrinnen und die Situation der Hallig sich verschlimmern
zu lassen. Ich halte die Lage derselben für den gedachten Zweck für
ebenso günstig, als die der Hamburger Hallig; denn wie diese ihre
Schlickzufuhr aus den Verzweigungen zweier gewaltiger Wattenströme
empfängt, der Norderhever und der SUderaue, so Oland von der Norder-
und Süderaue. Desgleichen ist ihre Entfernung vom Festlande, gemessen
von dem Vorsprunge des Süderkooges, nur um etwa 300 m grösser,
als die der Hamburger Hallig, was bei einer Strecke von rund öOOO m
nicht in Betracht kommt. Von leichter Ausführbarkeit bedünkt mich
ferner die Verbindung von Habel mit Gröde und diejenige der beiden
weit nach Westen vorspringenden Landzungen von Gröde und Apelland.
Die Kosten der Buhnenanlageii dürften sich hier auf zusammen
.">000 Mark belaufen, die sich sehr bald durch die Sicherung und Ver-
mehrung des Landbestandes rentieren werden. Die weitere Verbindung
von Habel mit dem Festlande würde freilich durch den dazwischen-
liegenden Priel einigermassen verteuert werden, aber dafür ist die Ent-
fernung vom Festlande um etwa .">00 m geringer, was den Nachteil
ausgleicht. Das sind Arbeiten, die nicht nur für die Erhaltung der
genannten Halligen von grö.sster Wichtigkeit, sondern auch nach dem
gegebenen guten Beispiel leicht ausführbar und für die Zukunft höchst
gewinnbringend sind; es ist gar nicht anders möglich, als dass so
zwischen den Lahnungen neue, gewaltige Köge entstehen, deren Wert
sich nach vielen Millionen beziffern wird. Es gilt nur, die Sache
endlich einmal fest ins Auge zu fassen und mit entschlossener That-
kraft vorzugehen. Die Bitte der Halligen dürfte wohl zu beachten sein,
dass die von der Stantsregierung ausgeworfenen Mittel nicht bloss am
Festlande und den grossen Inseln verwendet werden, sondern dass auch
für sie etwas geschehe, selbst wenn die Erfolge erst in späteren Jahren
und mit einiger Unbequemlichkeit wahrgenommen werden. Lange
genug hat der Zustand der Verwahrlosung gedauert und vieles ist nicht
mehr gut zu machen; darum ist es hohe Zeit, dass dieser schon so
oft erhobene Vorwurf von der preussischen Regierung genommen
werde, der es sicherlich nicht an gutem Willen felilt, den alten
Wahlspruch zur That werden zu lassen; Suum cuique!
Auf jeden Fall wird die gegenwärtige Amtsführung entweder für
den Schutz der Halligen eher hinderlich als förderlich sein, oder sie
wird ihre Anschauungen prinzipiell ändern müssen, denn ich begegnete
betrüblicherweise
2. der Ansicht, dass es nicht im Interesse der Kgl. Wasserbau-
Verwaltung liege, die Halligen zu schützen, weil dieselben das
Material für die Anschlickungen am Festlande lieferteni
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105] Halligen der NordBue. 0;jl
Ich will mich bemühen, diesem Keulensclilage gegenüber gleich-
mütig und sachlich zu bleiben. Vielleicht ist er nur das Ergebnis eines
augenblicklichen Einfalles, aber mitunter äussern sich tief verborgene
Gedanken in einem flüchtigen Augenblick, und jedenfalls habe ich mit
dem Ausspruch zu rechnen. Ich nehme zunächst an, er drücke that-
sächlich bestehende Verhältnisse aus ; dann muss ich indes.sen die An-
sicht aus.sprechen, dass das gegenwärtig beobachtete Verfahren einen
Akt der Hartherzigkeit einschliesst. Das heisst einfach, sich auf Kosten
eines anderen bereichern und wenn nicht geradezu des Raubes, so doch
der Hehlerei sich schuldig machen. Dazu sind die Halligen unter
keinen Umständen da, sie sind kein herrenloses Gut, an dessen kosten-
freier Translokation aus einer schlechten Geschäftsgegend in , Prima-
lage“ der Regierung gelegen sein könnte. Sie befinden sich vielmehr
seit Jahrhunderten in angestammtem und vererbtem Besitz, und es wäre
schon kläglich genug, wenn sich kein Mittel finden Hesse, ihren Bestand
gegen die Raublust des Meeres zu sichern; aber nun gar mit ver-
gnügtem Lächeln und Händereiben vom sicheren Festlande aus zuzu-
sehen, wie die Wellen sie sachte abschweifen und gefällig zwischen den
fiskalischen Buhnen am Strande niedersetzen, darüber ein Urteil zu
fällen, überlasse ich getrost dem Leser, aber ich protestiere entschieden
dagegen im Interesse der Gerechtigkeit und der misshandelten Halligen!
Mir fehlt freilich der volle Glaube, dass das in der wahren Absicht
der preussischen Regierung liege, denn wenn mir auf meinen Einwand
erkl^ wurde, dass schon wiederholt zu Gunsten der Halligen Vor-
stellungen gemacht worden seien, so will es mich nach den anderen
Leistungen der Regierung und nach dem Beispiel Matthiessens bedUnken,
dass es wesentlich wohl darauf ankonimt, die Vorlage sicher zu be-
gründen und entschlossen zu vertreten.
Auf meinen ferneren Einwand, dass nicht bloss die HalHgen den
Schlick für die Neuanlandungen lieferten, sondern dass die Nordsee
überhaupt so reich daran sei, dass sie auch trotz ihrer Sicherung noch
Material genug bieten werde, ward mir
3. die Versicherung zu teil, dass das eine irrige Ansicht, die
Nordsee in jenen Gegenden vielmehr frei von SinkstofFen sei;
Wasserproben, in der Nähe von Amrum geschöpft, hätten ganz
reines, klares Wasser ergeben.
Das mag sein. Bei ruhigem Wetter braucht man nicht von
Husum bis Amrum zu fahren, um die zeitweilige Klarheit des Wassers
zu konstatieren, das kann man schon weiter binnenwärts haben. Wenn
inan aber bei kräftigem Winde auf einem der kleinen Segelschifle die
grossen Ströme selbst westlich von den Halligen befährt, so findet man
das Wasser erstaunlich reich an Beimengungen der verschieden.sten
Art. welche beweisen, dass von aussen her die Watten ihre Hanpt-
schlickzufuhr erhalten. Aber ich habe oft genug bei Bootfahrten und
Schlicktouren selbst bei freundlichem Wetter beobachten können, welche
Mengen an SinkstofFen der immer energische Gezeitenstrom namentlich
in den ersten Stunden nach dem Einsetzen des Flut- und in den letzten
des Ebbe.stromes mit sich führt. Am freiesten davon ist das ungefähr
zum Stehen gekommene Hochwasser. Wenn man also etwa unter
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Kugen Traeger.
[106
:i:v2
tsolchen Verhältnissen Wasserproben entnimmt, so kann man möglicher-
weise dazu gelangen, den Glauben an den Schlickreichtum der Nord-
see-Küstengewässer zu verlieren. Ich bin indessen der Ansicht, dass
die blosse Existenz der Halligen den schlagendsten Beweis für das
Gegenteil bildet: die Halligen hätten ja überhaupt nicht entstehen
können, wenn die See das Material nicht von aussen herbeigeschafft
hätte ! Es heisst Ursache mit Wirkung verwechseln, wenn man sie
jetzt als notwendiges Substrat für künftige Anschlickungen betrachten
will. Zahlreiche wissenschaftliche Werke sprechen sich über den Schlick-
reichtum der Nordsee aus; wenn es dessen noch bedarf, so füge ich
den in dieser Arbeit bisher genannten das klassische „Handbuch der
Ingenieur-Wissenschaften* hinzu, welches demnächst in dritter Auf-
lage erscheinen wird, und wo L. Franzius im Bande wiederholt
darauf zu sprechen kommt. Ich sollte aber meinen, dass es für eine
so allgemein bekannte Thatsache, von der sich jeder Besucher der
Nordsee durch den Augenschein überzeugen kann, gar keines ge-
schriebenen Beweises bedarf, so wenig, wie für die Existenz der
Nordsee selbst. Um.soweniger will mir die Beweiskraft jener W'asser-
proben einleuchten.
Gesetzt indessen, es wäre doch so, die Halligen allein hoferten
den Schlick für die Anlandungen am Festlande. Dann gestatte ich
mir, darauf hinzuweisen, dass den Inseln nachträglich ganz bedeutende
Enischädigungen ausgezahlt werden müssen, denn man braucht nur zu
berechnen, wieviel Land in einer bestimmten Reihe von Jahren ein-
gedeicht worden i.st, um den ganzen Reinertrag oder doch wenigstens
bis auf die üblichen 10%, welche zwischen Verlierer und Finder aus-
gewechselt werden, an sie abzuführen, worein die verschiedenen Inseln
sich nach ihrem Grössen- und Abbruchsverhältnis zu teilen haben.
Wenn man das jedoch nicht mehr kann, so ist es Pflicht der Regierung,
dafür zu sorgen, dass fürderhin die Inhaber aller wegen Landverlust
eingehenden Halligstellen in den neuen Kögen unter billigen Bedin-
gungen angesiedelt werden ; denn ihr Grund und Boden ist es, der dort
als jungfräuliche Neuraarsch der Kultur entgegenreift. Das ist eine
Forderung, zu der notwendig die citierte Behauptung führen muss.
Ferner wurden
4. die grossen Schwierigkeiten hervorgehoben, die einzelnen Ge-
meinden zu Opfern und zur üebernahme von Personal- und
Reallasten bei den Schutzwerken zu bewegen.
Das ist ein Punkt, den ich leider nicht bestreiten kann ; ich
komme darauf noch weiterhin zu sprechen.
Auf die Frage, in welcher Weise ich mir den Schutz der Halligen
vorstelle, erklärte ich, dass mir an besonders gefährdeten Stellen
Steinböschungen erforderlich schienen, an anderen Faschinen werke.
Zugegeben, dass der hervorgehobene Kostenpunkt für die ersteren
in Erwägung zu ziehen bleibt, hielt ich schon von Anfang an
den Einwand
5. Buschwerk spränge überall da, wo es ohne ständige Wa-sser-
bedeckung der Einwirkung des Frostes und Eises ausgesetzt
sei. wie Glas.
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Die Halligen der Nordsee.
1U7]
für pessimistiiich, weil ich allenthalben bei den Buhnenbauten am Fest-
lande und bei den grossen Inseln Buchenfa-schinen in Verwendung ge-
funden hatte. Da mir indessen als Nichttechniker ein sicheres Urteil
darüber fehlte, trug ich den Fall dem in weiten Kreisen als Autorität
auf dem Gebiete der Wattenarbeiten bekannten Ober- Baudirektor
Herrn Franzius in Bremen vor, der mir darüber folgende Entscheidung
zugehen Hess;
,Der Faschinenbusch muss aus gutem Lauhholzbusch be-
stehen, welcher bei täglicher Wasserbedeckung sich, abgesehen
von kleinen Verlusten durch Wellen, Eis etc. recht gut einige
.lahre hält. Ich habe in den drei letzten Jahren der Unter-
weserkorrektion jährlich reichlich 401)000 Kubikmeter solcher
Faschinen verarbeitet, jedoch aus besonderen Gründen die daraus
hergestellten Dämme nie hoch aus dem Wasser hervortreten
lassen, sondern meist nur etwa ' ü m über Niedrigwasser. Der
Faschinenbusch verträgt jedoch eine Anwendung bis zur Hoch-
wassergrenze; freilich wird er, je höher gelegt, desto eher
mürbe. Ein Zerspringen wie Glas ist mir absolut neu.“
Damit ist also die Verwendbarkeit der Faschinen, die auch bei
den hier erforderlichen Bauten täglich regelmässige Wasserbedeckung
erfahren würden, erwiesen; es kommt nur darauf an, dieselben mög-
lichst zweckmässig anzulegen.
Die vorstehende Polemik richtet sich gegen einen Herrn, zu dessen
amtlichem Arbeitsfeld die HalUgen gehören; ich habe sie nicht ver-
meiden können, um zu zeigen, welcher Gefahr die Inseln ausgesetzt
•sind , wenn derartige Ansichten massgebend bleiben , und um mein
Vorgehen zu motivieren, weshalb ich an die öflFentliche Meinung und
besonders an die wohlwollende Fürsorge hoher Staatsbehörden appelliere,
damit sie noch in elfter Stunde die Rettung der bedauernswerten Inseln
bewirken. Bereits unter dem Öl. Oktober 18Hi) richtete ich eine aus-
führliche Eingabe an das Ministerium für Landwirtschaft, L)omänen
und Forsten in Berlin, worin ich zunächst um die Sicherung der beiden
grössten und wertvollsten Halligen bat. Am 14. November desselben
.lahres erhielt ich darauf folgende Antwort:
Euer Wohlgeboren erwidere ich ergebenst auf die gefällige,
den Uferschutz für die beiden Halligen Hooge und Nordmarsch-
Langeness betreffende Eingabe vom -31. Oktober d. J., von welcher
ich mit Interesse Kenntnis genommen habe, dass die Sorge für den
Schutz der Meeresufer , soweit es sich nicht um Eindeichungen han-
delt, ressortgemäss der allgemeinen Staatsbauverwaltung obliegt. Ich
habe daher Ihre Eingabe dem Herrn Minister der ötl’entlichen Ar-
beiten zum weiteren Befinden befürwortend übersandt.
Der Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten
(gez.) Frh. v. Lucius.
Nach einem Dankschreiben an Se. Excellenz richtete ich ein
Gesuch an den Staatsminister v. Maybach, dass auch er seine Teil-
nahme der Angelegenheit zuwenden möge, und schickte eine Abschrift
der Eingabe nach Hooge , worauf sowohl diese Gemeinde wie die von
Langeness-Nordrnar.sch sich meiner Bitte anschlossen unter Anerkennung
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334 Kugen Traeger, [l(.l8
der Richtigkeit meiner Darlegungen. Darauf vergingen mehr als zwei
Jahre, ohne da.ss eine Antwort erfolgt oder etwas äusserlich Bemerk-
bares in der Sache geleistet worden wäre. Hen- v. Maybach gab seinen
Posten auf und an seine Stelle trat ein Amtsnachfolger, zu dem nun
die Inselgemeinden mit Hoffnung und Vertrauen emporblicken. Eine
Gemeindeversammlung zu Hooge hatte mich im Sommer 1891 damit
betraut, auch dem neuen Minister über den Stand der Dinge Bericht
zu erstatten, was ich aus bestimmten Gründen noch aufschob ; da über-
raschte die petitionierenden Gemeinden und mich eine Zuschrift fol-
genden Inhaltes:
Berlin, den 23. Dezember 1891.
Ew. Wohlgeboren erwidern wir auf Ihre Eingaben vom 31. Ok-
tober und 20. November 1889, betreffend Sicherung der Halligen
Hooge und Langeness-Nordmarsch, ergebenst, dass ich, der Minister
der öffentlichen Arbeiten, inzwischen die Frage des Halligenschutzes
seitens der Provinzial-Behörde einer Prüfung habe unterziehen lassen,
deren vorläufige Ergebnisse es uns zweckmässig erscheinen lassen,
vor weiterer Stellungnahme zunächst die Ergebnisse der im nächsten
Jahre bei der Hamburger Hallig stattfindenden Vermessungen ab-
zuwarten.
Der Minister der öffentlichen Arbeiten. Der Minister für Landwirtschaft,
(gez.) Th ielen. Domänen und Forsten.
In Vertretung.
(gez.) V. Marcard.
Wir begrüssen dieselbe nach dem langen Zeitraum banger Un-
gewissheit als eine hoffentlich verheissungsvolle Offenbarung. Nur will
es scheinen, als haben die eingeholten provinzial-behördUchen Gutachten
recht wesentlich auch die Kentabilitätsfrage betont, worauf vielleicht
der Hinweis auf die vorzunehmenden Vermessungen derNeuanschlickungen
an der Hamburger Hallig deutet. Sicherlich ist im allgemeinen jener
Punkt bei der Verwendung öffentlicher Gelder nicht ganz ausser acht zu
lassen; hier aber, wo es sich um Sein oder Nichtsein handelt, kann er
nicht den Ausschlag geben. Ich glaube zuversichtlich, dass der Staat
für den Augenblick ein sehr schlechtes Geschäft machen wird; es han-
delt sich eben klar ausgesprochen um einen Akt der Grossmut, um ein
Geschenk, wenn man will, um eine freiwillige Entschädigung für die
jahrhundertelange Materialabgabe, welche die Halligen unfreiwillig an
die eingedeichten Festlandsköge geleistet haben. Der direkte Nutzen
aus den erbetenen Schutzwerken wird den Halligen zufallen, die Haupt-
leistung der Allgemeinheit; aber der indirekte Vorteil wird .sie für ihr
Opfer ebenfalls entschädigen.
Die Hallig Hooge ist am stärksten auf ihrer ganzen Nordseite
bedroht, und dementsprechend öffnen sich auch die bis 100 m breiten
Mündungstrichter ihrer Priele dorthin. Streckenweise fällt die hohe
Kante hier unmittelbar in das tiefe Wasser der starkströmenden Süderaue
ab, im übrigen Verlaufe auf ein Watt, welches nur in schmalem Saume
bei Ebbezeit trocken läuft. Die Hallig würde wahrscheinheh schon zu
den kleinen ihrer Art gehören, wenn nicht glücklicherweise gerade an
der getahrdetsten Stelle ein schwerer, fetter Lehm lagerte, der dem
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DÜ! Halligen der Nordsee.
Zerstörung.swerk den zähesten Widerstand entgegensetzt. Ist das nicht
allzu breite Lehmlager aber weggespUlt, dann wird hier der Land Ver-
lust erschreckende Dimensionen annehmen. Ich glaube, dass auf eine
Erstreckung von nahezu 4000 m ein sehr solides Schutzwerk notwendig
sein wird, teilweise unter Anwendung von Stein, im übrigen von starken
Faschinen. Wie der Süderaue dabei das weitere Andrängen an die
Hallig zu wehren ist, wage ich nicht zu entscheiden ; vermutlich durch
Betonversenkungen, durch die man die Strömungen der ünterelbe bei
Hamburg reguliert. Es gilt vorzüglich die Kirchwerft von Hooge zu
retten, deren gefährdete Lage aus der Karte ersichtlich ist, die aber
demjenigen besonders eindringlich vor Augen tritt, der bei einer Sturm-
flut die Scenerie beobachtet. Kaum 200 m breit schiebt sich an der
NordkOste eine schmal auslaufende Landzunge zwischen den mächtigen
Kirchpriel und die freie See; sie nimmt von Jahr zu Jahr an Breite
ab, und ist sie erst fortgeschwemmt, dann rollen die Wogen mit un-
gehemmter Gewalt an die Werft heran, welche ausser dem Gotteshause
und dem Pastorat die Gräber der Toten birgt, und keine Mühe dürfte
dann mehr im stände sein, das vor Verwüstung zu bewahren, was
sonst den Menschen als unverletzliches Heiligtum gilt. Welche Gefühle
regen sich, wenn man auf einem der trostlosen, vernichteten Friedhöfe
steht, über die jetzt die Flut auf den Watten hinweggeht. In das Mit-
leid mischt sich der Unmut über die erbärmliche Kleinlichkeit der Ge-
sinnung vergangener Geschlechter, die sich nicht zu Entschluss und
That aufraflen konnten, trotzdem es nicht an Erkenntnis der drohenden
Gefahr gefehlt hat, die unablässig an die Hütten pocht. Was soll das
Gebet in den Kirchen, dass Gott die Eilande .schütze, wenn die Men-
■schen die ihnen verliehenen Geistesgaben nicht zur Benutzung der Mittel
verwenden wollen, die ihnen die Vorsehung an die Hand gegeben hat!
Es wäre kläglich, wenn unsere Zeit, die von Humanitätsbestrebungen
Uberquillt, wiederum achtlos an den Halligen vorUbergehen wollte, das
Auge vertieft in Kassenbücher und Kostenanschläge, statt mit offenem
Bück die hilfsbedürftige Lage von Hunderten treuer Menschen zu er-
fassen und sich der idealen Gebote der Näch.stenliebe bewusst zu
werden !
Wie überall bei den hiesigen Inseln befindet sich auch die Ost-
seite von Hooge in der günstigsten Lage. Hier würde die Halligkante
auf etwa 2500 m schutzlos bleiben können, denn hier nimmt das Land
eher zu als ab; es käme nur darauf an, durch flache Buhnen dem
reichlichen Schlickansatz einen festen Halt zu bieten, um die schönsten
Erfolge zu erzielen, wahrscheinlich sogar eine Verzinsung der anzu-
legenden Kapitalien. Dagegen leidet die Südseite unter der Nähe des
Rummelloches, welches hei ansehnlicher Tiefe den Flutstrom zunächst
gerade auf die Hallig zu, dann parallel zu demselben lenkt. Das Watt
zwischen ihr und dem Strom ist schmal und tiefliegend, die Einwirkung
von Wasser und Eis auf das Land sehr beträchtlich, so dass es in
geraden Linien abgeschweift wird. Hier dürften nach meiner Laien-
auffassung starke Buhnen den Strom fernzuhalten haben, die so lange
sorgfältig ausgebessert werden müssten, bis auch sie der hin und her
treibende Schlick in weiche Polster gehüllt hätte. Nach Südwesten
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Eugen Traeger,
:r.M
[1H>
dehnt sich ein mehrere tausend Schritte breites, hochliegendes Watt
aus, welches bei normalem Hochwasser nur wenige Fuss mit Wasser
bedeckt wird und sich in unmerklicher Steigung /.um Inselrand erhebt
der es bloss um 1 — 2 Fuss überragt. Dennoch erleidet die Hallig hier
einen so bedeutenden Abbruch, dass die Stelle einer ehemaligen Werft,
von der 18<iß noch ein Stück am Ufer lag, 188!> bereits 180 m vom
Lande entfernt war. Der Grund für eine .so rapide Abnahme ist in
der minder schweren BodenbeschafFenheit zu suchen. Hier würden
ziemlich flache Faschinenbuhnen, teilweise sogar schon Erdlahnungen
mit Strohbestickung genügen. An der Westecke, wo das Amrumer
Telegraphenkabel Hooge betritt, befindet sich zwar ein kleines Tief
unfern des Ufers, doch erhebt sich jenseits desselben das hohe Sand-
watt Knudshörn, welches einigen Schutz gewährt. Das schmale Watt
zwischen dem Tief und der Hallig erhebt .sich ebenfalls bis auf etwa
2 Fuss zur Kante, so dass auch hier die Schutzwerke verhältnismässig
leicht anzulegen sind.
Dieses eine Beispiel möge genügen, um ungeflähr die Art der er-
forderlichen Anlagen darzuthun. Die Ausführung im einzelnen bleibt
selbstverständlich Sache der Techniker, die in jedem Falle nach den
Strom- und Terrainverhältnissen ihre Entscheidung werden treffen
müssen. Aehnliche Ansichten hatte ich bereits in der Ministerialeingabe
nebst den Gründen auseinandergesetzt, mit denen ich die hervorgeho-
benen amtlichen Einwände bekämpfte. Lim nun das Urteil eines Sach-
verständigen darüber zu hören, schickte ich im -luli des vorigen Jahre.s.
also zu einer Zeit, wo ich sie noch in beschaulichen Aktenschlummer
versunken wähnte, eine wörtliche Abschrift an Herrn Oberbaudirektor
Franzius, der mir zu meiner gro.ssen Freude und Genugthuung ein
ausführliches Gutachten zugehen Hess, dem ich folgendes entnehme:
.Was diese Eingabe anlangt, so hat dieselbe meinen Beifall und
zwar namentlich auch in den sachlichen Meinungsäusserungen. Sie
werden sehen, dass dieselben gut stimmen mit meinen in Kap. XVIII
des Hl. Bandes der .Ingenieur-Wissenschaften* *) über die Bildung und
Erhaltung der Seeufer, Inseln etc. geäusserten Ansichten und Ratschlägen.
Insbesondere verweise ich auf S. 130 dieses Bandes (2. Aufl.), woselbst
ich die Erhaltung der Nordseeinseln im allgemeinen als ebenso nütz-
lich für die dahinterliegende Marsch, wie für die Schiffahrt etc. be-
zeichnet habe.
Was ich im Kap. XVI S. 8 über .Schlickgehalt des Meeres* ge-
sagt habe, möchte ich mit Bezug auf die Wattenflächen der schleswig-
holsteinischen Westküste, also auch der Gegend der Halligen, dahin
ergänzen, dass zweifellos dort, und zwar im allgemeinen je südlicher
desto mehr, eine grosse Menge Schlick sich im Seewasser finden muss,
wenn auch zeitweilig vereinzelte Wasserproben klar ausfallen mögen.
Die Nähe der grossen deutschen Flussmündungen mit ihrem unendlichen
Schlickreichtum und die veränderlichen Winde und Strömungen bedingen,
dass zu manchen Zeiten grosse Schlickmengen in jene Küstengegend
') Dieses teure und daher seltene Werk war mir damals noch unzugänglich,
also unbekannt gewesen.
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111] Die Halligen der Nordsee. 337
geraten. Diese werden auch ihre Ablagerung finden, sobald ihnen nur
Gelegenheit dazu geboten wird; dazu kommt bei Sturm eine Menge
Sand, der nur angehägert zu werden braucht, um Erhöhungen zu bilden.
Was nach meiner An.sifht mit verhältnismässig nicht zu grossen
Kosten geschehen kann, um die meisten Halligen zu erhalten und sogar
zu vergrössern, ist im allgemeinen weniger eine direkte Ulerdeckung,
als vielmehr eine Anhägerung des treibenden Schlickes und Sandes an
die Ufer der Inseln durch buhnenartige Werke. Die direkten Ufer-
deckungen kosten verhältnismässig zu viel, sie müssen, da sie bis über
Hochwasser zu reichen haben, im wesentlichen aus Stein hergestellt
werden, um nicht in kurzer Zeit zu vergehen. Dabei verhüten sie nicht
eine Abschwemmung des Vordergrundes oder Wattes und kommen an
manchen Stellen dadurch nach einiger Zeit zum sicheren Einsturz, wenn
sie nicht wieder mit neuen Opfern befestigt werden. Anders würden
buhnenartige Werke sich ver-
halten. Die.se müssen, von dem
festen Ufer ausgehend, annähernd
rechtwinkelig möglichst weit in
das abfallende Watt hineinragen
und, wenn auch erst nach und
nach, mit quer sich anschliessen-
den Dämmen versehen werden.
Ich gebe eine schematische
Skizze hierneben , da ich ohne
vorliegende Peilungen nicht wa-
gen darf, z. B. der mir mitge-
teilten Karte der Hallig Hooge‘)
bestimmte Linien zu entwerfen.
Solche Buhnen, die inan sich
mindestens .'>00 m, besser über 1000 m lang zu denken hat, dürfen in
der ersten Herstellung gar nicht hoch über die W'attenfläche hervor-
stehen, um sowohl billig als auch nicht zu sehr dem Wellenschlag und
dem Eisangriff ausgesetzt zu sein Etwa 0,.'> — 0,0 m Höhe über dem
Watt genügt, und zwar sind sie bei geschützter Lage nur aus einem
Erddamm mit Strohbestickung, bei gefährdeterer Lage aber besser aus
Faschinenbusch herzustellen, während der teure Steinbau höchstens auf
die obersten Anschlüsse an das feste Ufer zu beschränken ist, aber
auch erst nach vorgenommener Erhöhung des übrigen Dammes; es ist
nämlich darauf zu rechnen, dass die Dämme in einigen .lahren nahezu
völlig mit SinkstofiFen bedeckt sein werden, worauf es au der Zeit sein
wird, sie wieder zu erhöhen, um neue Ablagerungen zu gewinnen.
Faschinendämme würden in der Hegel nur aus 3 — 4 quer oder
.schräg zur Längenrichtung des Dammes gelegten Faschinenschichten
bestehen, welche durch 2 parallele, aus Pfählen mit Eisendraht her-
gestellte Zäune fest- und niedergehalten werden. Die Pfähle müssen
je nach der Festigkeit des Bodens (je weicher, desto länger) 1,.5 — 2, .5 m
') Vom Verfasser auf (iruiid der Uemeindefimenkiirte im Massstab von
1 : 10000 zusammengestellt.
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338
Kur™ Traeger,
[112
lang sein, jeder am oberen Ende mit einem Querpflock versehen, unter
welchem sich der verzinkte Eisendraht um sie herumschlängelt; sie sind
in der Längs- wie in der Querrichtung des Dammes um etwa 30 — 40 cm
gleich weit vou einander entfernt, so dass sie von oben gesehen in
regelmässigen Quadraten stehen. Es sind also neben einander 4 ver-
zinkte Eisendrähte von 3 mm Dicke vorhanden, welche genügende
Sicherheit gewähren — abgesehen von vereinzelten Angriffen, deren
Folgen eben auszubessem sind *). Ein solcher Damm kostet nach Ana-
logie hiesiger ähnlicher Arbeiten (seil, bei der Unterweser-Korrektion)
für das laufende Meter höchstens 2 Mark, also für 500 m Länge rund
1000 Mark. Da aber, um eine merkliche Wirkung zu erzielen, min-
destens einige lOOO m solcher Dämme nötig sind, so ist mit Erfolg
nur ans Werk zu gehen, wenn man mindestens 8 — 10000 Mark zur
Fig. iH (^aci'Kchnitt.
Verfügung hat und sie planmässig au einer Hallig verwendet. Wird
der Anfang mit geringeren Mitteln gemacht, so ist zu fürchten, dass
durch den geringeren Erfolg der Nutzen der ganzen Arbeit zu wenig
hervortritt und — die Fortsetzung unterbleiben wird. Nach der mir
vorliegenden Karte der Hallig Hooge würde aber selbst ein Aufwand
von 10 — 15 000 Mark nur zur Hälfte genügen, um die ganze Insel
ringsum mit Buhnen zu versehen ^), welche sich noch gegenseitig unter-
stützen. Denn diese Art Buhnen wirken nur auf die Erhöhung der
zwischen ihnen liegenden Flächen, wenn sie nicht mehr als etwa um
das l'sfache ihrer Länge von einander entfernt sind. Die Länge der
Buhnen zu 500 m gerechnet, reichen also z. B. 10 Stück bei ihrer
Divergenz nach aussen hin nur aus, um ca. (!0o0 m des jetzigen Insel-
raudes zu schützen. Diese böse Sache, dass man bei massigen Mitteln
immer nur einen Teil der betreffenden Hallig sichern und mit neuem
Anwachs versehen kann, macht die zweckmä.ssige Verwendung der
Gelder vielleicht ebenso schwierig, wie ihre Aufl)ringung; denn um den
Streit zu vermindern, vor wessen Grund die Buhne angelegt werden
und wem der zu erwartende neue Boden zufallen soll , darüber muss
') Vergl. zu dem hier gewilhlteu Beispiel das iilienius interessante Kap. XVIII
des edierten Werkes, speziell den Abschnitt B. Künstliche Unif^estaltcing der Ufer,
.Seeulerbau, und dazu die Abbildungen auf Tafel IV.
' *) Der Umfang von Hooge betrug 18t<9 nach meiner Messung etwa 11500 m.
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Die Halligen der Nordsee.
von Anfang an ein Statut festgesetzt werden. Wie .sollen sodann die
Mittel Zusammenkommen ? Die Besitzer der Halligen sind wahrschein-
lich unvermögend, mehr zu leisten, als Hilfe bei der Ausführungsarbeit.
Dabei können sie aber als wassergewohnte Leute ganz vortreflliehe
Dienste thun und mehr als den halben Arbeitslohn ersparen. Hierzu
müssten sie sich zweifellos verpflichten, sowie auch dazu, nach besten
Kräften für die Unterhaltung der Werke zu sorgen."
Herr Franzius wendet sich dann dem grösseren Problem zu. die
Halligen dadurch zu sichern, dass man durch .Anschluss aller Inseln an
das Festland das ganze Wattengebiet unserer Gegend in einer Aus-
dehnung von rand lOO qkm zurückerobere. Ich behalte mir vor, dieses
Thema au einer andern Stelle zu erörtern. Die Aufgabe lässt sich ohne
Frage lösen, nur glaube ich. dass die Geneigtheit, an das Riesenwerk
heranzugehen, in absehbarer Zeit nicht zu erlangen sein wird, und da.ss
die Schwierigkeiten wegen der zum Teil ganz gewaltigen Strömungen
so gross sein und die merkbaren Erfolge des stolzen Unternehmens sich
derart verzögern würden, dass die Halligen inzwischen weitere grosse,
nicht wieder zu ersetzende Verluste erleiden müssten. Aus diesen
Gründen scheint es mir wünschenswert, zunächst einmal direkt bei den
grösseren Halligen den Anfang zu machen und dann von einem weiteren
Gesichtspunkte an die Frage heranzutreten, deren Lösung dem Unter-
nehmer, sei es mm der Staat oder eine konzessionierte Gesellschaft,
unleugbar unermessliche Gewinne abwerfen muss. Einstweilen versäume
ich nicht, Herrn Oberbaudirektor Franzius für .seine Mühwaltung und
für die rege Teilnahme, welche er dem Schutz der Nordseeinseln jeder-
zeit entgegenbringt, den aufrichtigsten Dank auszusprochen. Möchten
endlich seine klaren und eindringlichen Darlegungen , mit denen er
diesen wichtigen Gegenstand befürwortet hat *), Gehör finden !
ln der Voraussetzung, dass die Halligbewohner in irgend einer
Weise zur Beteiligung an den Arbeiten herangezogen werden dürften,
habe ich bereits im November 1880 ein Lastenverteilungsstatut ent-
worfen, welches sich auf die Regelung persönlicher Arbeitsleistungen
bezieht. Der Gedankengang desselben ist folgender:
„Da es sich um Sicherung von Landbesitz handelt, so muss nach
meiner Auffassung dieser auch die Grundlage einer richtigen und ge-
rechten Lastenverteilung bilden, nicht die Anzahl von Personen, die zu
einer Hofstelle gehören ; denn sonst kann es Vorkommen, dass eine oder
zwei Personen grossen Landbesitz haben, also vom Staat auch grosse Vor-
teile durch den Uferschutz ernten, während daneben einer kinderreichen,
aber minderbegüterten Familie ein geringerer Vorteil daraus erwüchse,
dass aber trotzdem jene vermögenden Besitzer kleine Lasten trügen, die
ärmeren aber grosse. Deshalb machen Sie zu Ihrem Grundsatz:
1. Wem viel Land erhalten wird, der muss viel leisten,
wem wenig erhalten wird, der braucht auch nur wenig
dagegenzusetzen.
Nun besteht Ihr Landbesitz eigentlich nur in der Nutzniessung in
der Form von Mede- und Weideertrag. Das Medeland wechselt jähr-
') Vergl. a. a. ü. üd. 3 , .S. 1 : 34 — 1:17 der 2 . .4uH.
Forschungi-ii znr dPnUiclieii Landi‘!i. und Volkskunile. Vl. 3.
•J:!
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Eugen Traeger,
[114
;i40
lieh nach Lage und FlUchengrösse. während das Weideland bis auf die
notwendig werdenden Absetzungen dasselbe bleibt; ersteres eignet sich
daher nicht als Bereehnungseinheit für die Lastenverteilung und letzteres
aus dem Grunde nicht, weil es nicht genau die Hälfte eines Stellen-
besitzes bildet. Es bleibt daher als in Betracht kommende Grösse nur
die Weidegerechtigkeit, die auf Grund des Kaufbriefes an einer Stelle
haftet, und deshalb sei Ihr Grundsatz
2. die Weidegerechtigkeit bildet die Berechnungseinheit
der Lasten Verteilung für jede Grundstelle.
Für den Fall, dass Handarbeit bei den Werken von Ihnen ver-
langt wird, bleibt es ein grosser Uebelstand, dass zahlreiche Wirt-
schaften von Frauen oder älteren Männern besorgt werden, die sich
körperlich nicht immer dazu eignen, so dass nur eine beschränkte An-
zahl Ihrer Gemeindemitglieder in Betracht kommt. Gesetzt, Sie müssten
täglich 10 Arbeitskräfte stellen, so würde die Reihe sehr häufig an jede
arbeitsfähige Person kommen, während die alten und schwachen un-
berührt blieben und doch für sich oder ihre auswärts lebenden Erben
an den Wohlthaten des Uferschutzes Anteil nähmen. Sie müssen also
eine bestimmte Reihenfolge der Hofstellen nach der
örtlichen Lage oder durch das Los feststellen,
4. auf Grund der Kaufbriefe ein bestimmtes Verhältnis
ermitteln, in welchem jede zu den geforderten Lei-
stungen beizutragen hat und darnach
5. für jeden Tag die Stellen der Reihe nach zu den Ar-
beiten heranziehen und zwar so, dass täglich die von
den Behörden auferlegte Bedingung erfüllt werden
kann.
Wo nun auf grossen Stellen zu wenige oder gar keine dazu ge-
eignete Personen vorhanden sind, müssen die Besitzer für ausreichende
Stellvertretung Sorge tragen. Für diesen Fall müssen Sie
t>. einen bestimmten Lohn vereinbaren, der einem Stell-
vertreter zu zahlen ist.
7. Zur Schlichtung von etwa entstehenden Streitigkeiten
wird ein Schiedsgericht gewählt, dessen unparteiischer
Entscheidung Folge geleistet werden muss.
8. Personen ohne Grundbesitz brauchen natürlich auch
keine Hilfsarbeit zu leisten; die Gemeinde hat zu
entscheiden, ob dieselben als Stellvertreter zuzu-
lassen sind.“
Dieses im ersten Entwurf der Form nach ein wenig abweichende
Statut schickte ich nach Hooge und Langene.ss-Nordmarsch ; in beiden
Gemeinden wurde es beraten und verworfen. Die Gemeinde Hooge
begründete die Ablehnung folgendermassen :
»Von den dauernd anwesenden 20 männlichen Grund-
besitzern sind 7 wegen hohen Alters oder Gebrechlichkeit arbeitsunfähig:
es bleiben also nur 13 arbeitsfähige Männer übrig, von denen wiederum
einige neben ihren laufenden Wirtschaftsarbeiten wenig Zeit übrig be-
halten. Es ist daher für die kleine Gemeinde nicht möglich, sich zu
verpflichten, eine bestimmte Zahl von Hilfsarbeitern zu .stellen. Es
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Die Halligen der Nordeee.
841
i 15]
bliebe demnach die Frage übrig, den Gnindbesitz pro Hektar mit einem
gewissen Beitrage zu den Unkosten zu besteuern, doch ist dabei zu
berücksichtigen, dass von den 87 Hofstellen 9 — 10 mit nicht unbe-
deutenden Hypotheken belastet sind, so dass es den Besitzern schon
schwer fällt, die Zinsen dafür aufzubringen.“
Trotzdem erbot sich die Gemeinde, wenige tausend Mark Umlage
zu erheben, und in ähnlichem Sinne beschloss Langeness-Nordmarsch.
Ausser den oben angeführten Gründen gegen die persönliche Arbeit
kommt noch der sehr schwer wiegende, dass mindestens 2 von den für
die Bauausführung geeigneten Sommermonaten die ganze Halliggemeinde
bei der Heuernte in Anspruch genommen ist, im Mai bei der Schaf-
schur, im September bei der Verproviantierung für den Winter. Man
ersieht aus allem, dass sich eine wesentliche persönliche Beihilfe seitens
der Leute nicht erwarten lässt und dass die Grossmut eine entscheidende
Rolle bei der Bewilligung der Schutzwerke wird spielen müssen. Immer-
hin darf man den Halligbesitzem einige Opfer nicht ersparen, denn
ihnen und ihren Kindern erwächst daraus eine bedeutende Wertsteige-
rung des Landes. Wie diese wichtigen Fragen zu regeln sind, das
bleibt Sache der speziellen Verhandlungen, zu denen Männer heranzu-
ziehen sein werden, die mit den Bewohnern, ihrer Sprache und ihren
Verhältnissen genau bekannt sind. Ich möchte nur noch betonen, dass
selbst die Aufwendung grösserer Summen, als die vorstehend berech-
neten, nicht gescheut werden dürfen, denn der Bestand der Halligen
ist für die grossen Inseln Pellworm und Nordstrand, sowie für die Fest-
landsküsten von ausserordentlicher Bedeutung. Wenn man bei heftigen
westlichen Stürmen auf einem der hohen Seedeiche steht und die ge-
waltige Wucht der Brandung beobachtet, welche trotz der geringen
Tiefe des Wattenmeeres erzeugt wird, so bemächtigt sich unwillkürlich
der Gedanke des Beschauers : Wie würden die Wogen hier erst wüten,
wenn sie in völlig freier Bahn durch die gewaltigen Seethore heran-
■stOrmen könnten und wenn nicht die Halligen als Wellenbrecher
sich ihnen entgegenstellten! Uas ist in der That eine Funktion dieser
Inseln, die gar nicht hoch genug angeschlagen werden kann und deren
völlige Bedeutung man erst ermisst, wenn man auf einer Hallig bei
Sturmflut die Luv- und Leeseite miteinander vergleicht. Um der
teuren Seedeiche willen erscheint es schon geboten, die Flalligen zu
erhalten, denn zweifellos werden nach ihrem Verschwinden grosse
Summen auf die schwierigere Instandhaltung der Dämme zu verwenden
■sein, Summen, mit denen man jetzt bequem die wichtigen
Inseln retten kann. Es ist ferner zu bedenken, da.ss dann auch die
Anschlickungen am Festlande, auf die, wie wir gesehen haben, .so
grosser Wert gelegt wird, unmöglich in demselben raschen Tempo er-
folgen können wie jetzt, wo das V'orhandensein der Halligen den Wellen-
stoss vermindert und das Ablagern der SinkstofFe in dem ruhigeren
Wasser begünstigt. Die Erhaltung der Halligen ist eine der Grund-
bedingungen für die Rückeroberung der Husumer Wattenbucht! Wenn
allein schon diese beiden Umstände genügen sollten, die Schutzarbeiten
je eher, desto besser zu beginnen, so kommt noch dazu, dass sich die
Halligen vorzüglich zur Errichtung von Sanatorien eignen. Es ist un-
Google
;{42 Kiigeii Traeger, [11(>
möglich, eine .staubfreiere Luft für menschliche Wohnstätten zu finden,
als auf ihnen, und wenn die nötigen V'orkehrungen in die Wege ge-
leitet werden , so wird es vom segensreichsten Erfolge sein , leidenden
und schwachen Personen Gelegenheit zu schafien. bei Fisch- und Porren-
täng, Bootfahrten und den überaus gesunden Schlicktouren ihre Gesund-
lieit wiederherzustellen. Das alles bietet sich in keinem der bisherigen
Wattenseebäder in derselben günstigen Weise, so dass die Halligen
auch zur Errichtung von Ferienkolonieen zu empfehlen sind. Auf solche
Weise sind die freundlichen Inseln im stände, das Geschenk, welches
ihnen nach langen Zeiten der Prüfung zu teil werden möge, durch
wichtige Gegengaben zu vergelten. Möge endlich der Druck der Schwer-
mut von ihren treuen Bewohnern genommen werden, die mit inniger
Liebe an ihrer merkwürdigen Heimat hängen und die gewissermassen
auf der See geboren und mit ihr von Kindheit an vertraut, der deut-
schen Kriegs- und Handelsmarine schon manchen tüchtigen Seemann
herangebildet haben.
Ich schliesse meine Bitte für die Halligen mit dem tief empfun-
denen Liede der Frau Andresen in Wyck , einer Tochter der schönen
Hallig Hooge:
Dem Weltmarkt fi-m uml seiuem bunten Leben
Liegt im Gewände unscheinbar und Rchlicht
Hin Land, der Meeres welle preiegegebnn.
Die sch&umend sich an seinen Ufern bricht.
Treu werd' ich meine Liebe stets bewahren
Dem kleinen racerumniuschten Inselland :
Ks ist das I.and, wo einst vor vielen .Jahren
Die Wiege meiner treuen Mutter stand.
Wo ihr des Lebens schöner Krühlingsmorgen
Gelacht, wo Klternliebe sie umfing
Und wo in Sorgen sie ihr Glück geborgen,
Als heimatlos sie in die Fremde ging.
Scheint auch ein Fleckchen Erde so verlassen,
So klein und unbedeutend unsrem lilick,
Es kann das tiefste Menschenelend fassen
Und tragen kann's das höchste Mensehenglöck !
■Mich zieht's oft mächtig nach dem kleinen Laude
Und Frieden suchend bin ich hingecilt;
Es knüpfen der Erinn'rung heil’ge Bande
Mein Herz daran, und gern hab’ ich geweilt.
Heut stund ich wieder dort am Strand und schaute
Hinaus aufs Meer und lauschte seinem Klang,
Das. unterbrochen auch von keinem Laute.
■Mir seine schwerinutsvolle Weise sang.
Doch sah ich — mich beschlich ein banger Schauer —
Um mich nur Bilder der Vergänglichkeit;
Mein Ländchen, ach, ich denke dran mit Trauer,
Dass schutzlos es dem Untergang geweiht!
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I>ie Hallif^fn der Nordsee.
Sein l'i'er ist zerklüftet und zerrissen,
Die Welle rollt ins Land mit ^ier’ger Lust.
Als sehne sich das Meer, es zu umschliessen
Und wild liiniibzuzieh'n an seine Brust,
Noch bebt es nicht, ob hoch sich Wogen türmen,
Noch bietet es der Heimat sichern Port
So vielen, die, vertraut den Meeresstiirmen,
Ihr Brot und Glück und Frieden fanden dort.
Wie lange noch? Wer löst der Zukunft Siegel
Dem Fragenden, dass sie ihm Antwort beut?
Denn unaufhaltsam regt die mächt'gen Flügel
Die grosse Weltenwandlerin. die Zeit. —
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Goo^l|
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Triirtfrr. dtr llalligni der Nordare Beil.tg«
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7
Icft 4.
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Heft 5.
Heft 1.
Heft 2.
Heft 3.
Heft 4.
Hea 5.
Hea 6.
Heft 7.
Heft 1.
Hea 2.
Die Kurieche Neluuug uuU ihre Uewuhner, von Prof. Dr. Adalbert ßezzen-
berger in Königsberg i. Pr. Mit einer Karte und aclit Teitillastrationen. 1888.
140 Seiten. Preis M. 7. 50.
Die deutsche Besiedlung der Östlichen Alpeuländer, insbesondere Steier-
marks, Kärntens und Krains, nach iliren geschichtlichen und Örtlichen Vcrh<nissen,
von Prof. Or. Franz von Krones in Graz. 1889. 176 Seiten. Preis M. 5. 60.
Band IT.
Hans, Hof, Mark und Gemeinde No r d wes t fal ens im historischen
Ueberblicke, von Prof. J. B. Nordhoff in Münster. 1889. 35 Seiten. Preis M. 1.20.
Der Rhein in den Niederlanden, von Dr. H. Blink in Amsterdam. Mit einer
Karte. 1889. 70 Seiten. Preis M. 4. 20.
Die Schneedecke, besonders in deutschen Gebirgen, von Prof. Or.
Friedrich Ratzel in Leipzig. Mit einer Karte und 21 Textillustrationen. 1889.
173 Seiten. Preis M. 8. —
Rechtsrheinisches Alamannien; Grenze, Sprache, Eigenart, von Prof.
Dr. A. Birlingerin Bonn. Mit 12 Textillustrationen. 1890. 119 Seiten. PreisM.4.80.
Zur Kenntnis der niederen Tierwelt des Riesengebirges nebst ver-
gleichenden Ausblicken, von Dr. Otto Zacharias in Cunnersdorf. Mit 6 Text-
illustrationen. 1890. 35 Seiten. Preis M. 1. 50.
Baud V.
Näh rp f 1 an z en M itt el eu rop a 8, ihre Heimat, Einführung in das Gebiet
und Verbreitung innerhalb desselben, von Dr. F. HOck in Friedeberg.
1890. 67 Seiten. Preis M. 2. 20.
lieber die geographische Verbreitung der SUsswasserfiscbe von Mittel-
europa, von Dr. E. Schulze in Quedlinburg. 1890. 16 Seiten. Preis 50 Pfennig.
Der Seifenbergban im Erzgebirge und die Walensagen, von Dr. H. Schnrtz
in Loschwitz. 1890. 82 Seiten. Preis M. 2. 60.
Die deutschen Buntsandsteingebiete. Ihre Oberflächengestaltung und anthropo-
geogmphischen Verhältnisse, von Dr. Emil Küster in Berlin. 1891. 102 Seiten.
Weis M. 3.20.
Zur Kenntniss des Taunus, von Dr. W. Sievers in Giessen. Mit einer Karte.
1891. 55 Seiten. Preis M. 3. 60.
Der Thüringer Wald und seine nächste Umgebung, von Dr. Hermann
PrSscboldt in Meiningen. 1891. 51 Seiten. Preis M. 1.70.
Die Ansiedelungen am Bodensee in ihren natürlichen Voraussetzungen.
Eine anthropogeographische Untersuchung, von Dr. A. Schlatterer in Freiburg L B.
Mit einer Karte. 1891. 69 Seiten. Preis M. 3. 60.
Band
Die Ursachen der Oberflächengestaltung des norddeutschen Flach-
landes. von Dr. Felix Wahn sch affe in Berlin. Mit 5 Lichtdrucktafeln und
25 Textillustrationen. 1891. 166 Seiten. Preis M. 7. 20.
Die Volksdichte der Thüringischen Triasniulde, von Dr. C. Kaesemacher
in Marburg. Mit einer Karte. 1892. 60 Seiten. Preis M. 3.20.
Die weiteren Hefte werden unter anderem folgende Arbeiten bringen:
Dr. G. Berendt (KOnigl. Landesgeologe und Professor an der Universität Berlin), Die nord-
deutschen Urstromsystcme.
Dr. R. Blasius IBraunschweig), Über Zugverhältnisse und Verbreitung der VSgel in Deutschland.
Dr. R. Credner (Prof, an der Universität Greifswald), Die Insel Rügen.
Dr. H. Haas (Privatdozent an der Universität Kiel), Der Boden von Schleswig-Holstein.
Dr. A. Jentzsch (Prof, an der Universität KSnigsberg), Der Boden Ost- und Westpreussens.
Dr. C. M. Kan (Prof. a. d. Univ. Amsterdam), Die Eigentümlichkeiten des niederländischen Bodens.
Dr. A. von Koeneu (Prof, an der Universität Göttingen), über die Dislokationen und Störungen,
welche den Bau der deutschen Mittelgebirge bedingen.
Dr. R. Lepsius (Prof, an der technischen Hochschule und Direktor der Grossherzogl. hess.
geolog. Lundesanstalt zu Darmstadt), Der Bau des Rheinischen Schiefergebirges.
Hofrat Dr. Th. Liebe (Landesgeologe und Prof, in Gera), Der Zusammenhang zwischen den
orographischen und hydrographischen Verhältnissen OstthOringens und dessen geolo-
gischem Schichtenaufbau.
Dr. A. Makowsky (Prof, an der technischen Hochschule zu Brünn), Dos Höhlengebiet des
Devon in Mähren.
J. Matzura (Brünn). Die deutschen Kolonisten iio Herzogtume Teseben und Auschwitz.
Prof. Dr. L. Ncumann (Privatdozent an der Universität Freibnrg), Abhängigkeit der Volks-
verdichtung in Baden von der Höhe.
Dr. E. Petri (Prof, an der Universität St. Petersburg), Die deutschen Kolonien im europäischen
Russland.
Geographischer Verlag von J. Kngelhorn in Stuttgart.
Anleitung zur Deutschen Landes- und Volksforschung
bearbritet von A. Penrk, ti. Beekf^r, M. Kitch«nhftf4>n, U. Akmiiaiib, O. Brnde, W. Xar«ha1l, 0. Za«harla%;. .
J. Kanke, ¥. KaalTmann. t. Jaha, A. Vcltiea, W. 4iöta.
Im Auftrag der Centralkommission für wissenschaftliche Landeskunde von Dentschlaiii
herausifeircten von
A I f r c d K 1 r c h h u f f.
Mit ein**r Kart»* und M Abbil(liinf;«*n iin Text. Preis Mark Ifi. —
Bibliothek geographischer Handbücher.
Heriiusgegeben von Prof. Dr. Friedrich Ratzel in Leipzig.
Aiithropoffco^raphie
oder
Qnm'tzüge der Anwendung der Erdkunde auf die Geschichte
von Dr. Friedrich Ratzel,
Proffssor der (ieographie an ilfr ITniversiUl IrfipzlR.
i’reis Mark 10. —
Anthropogeographie.
Zweiter Teil:
Die Keof^raplilNelie Verbreitunii' de» .^eii»elien
von Ür. Friedrich Ratzel.
Pre is Mark 18 . —
Handbuch der Klimatologie
von Dr. .Iiiliiis ilann,
Direktor der mateorol. Z»*QtralaiiatAU tind Profeasor an der rniversUAt in Wien.
Preis Mark l.i. —
Handhiieli der Ozeanographie
von
Prof. l>r. G. von Bogu.slawski, und Dr. Otto Krümmel,
eh«in HaktlaRavoratiDtl tm Hydrof> m•«h«’n Ao»l der Kai«. ProfMiRr an d«r Uoivaralllt und L«br«r an dtr Mariftr-
daaUcheo Admiraiit .a ft«rlin, Akadeni* in Kl«l.
Band I, Käumlirhs, physikalische und chemische Beschaffenheit der Ozeane.
Von Dr. Georg von Bogualawski. Preis Mark 8. 50.
Band I f. DieBewegnngsfoniien des Meeiw v,.n Dr. Otto Krflmmel. Preis M. 1-5. —
Handbuch der Gletseherkiinde
von Dr. Albert lieim,
Professor der Geologie am Schweizerisciieii PoLyteohniknm und der Universität in Zürieii.
Preis Mark 13.50.
Allgemeine Geologie
von Dr. Karl von Frit.sch,
ProfeisKor au der UntTorHltat ln Halle.
Preia Mark 14. —
Handbuch der .Mathematischen Geographie
von Dr. Sicginiind Günther,
Professor an der teehnieihen Hochschule in München.
Preis Mark Iti. —
llaiidhuch der Pflanzengeographie
von Dr. Oscar Drude,
Professor der Botanik an der lechutsehon Iluehgohulo u. Direktor des Kgl. ßotan. Gartens za Dresden.
Preis Mark 14. —
Handbücher zur deutschen Landes- und Volkskunde.
Herausgegeben von
der Centralkommission fOr wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland.
H<ind /.
Geologie vou Deutschlaud uud deu augreuzeudeu Gebieten
von Dr. Richard Lepsius,
Professor an der tochnischen Ilochachnle, Direktor der geologischen Lsndesiinsult zn DumsUnlt.
1 . Band. Das westliche und südliche Deutschland.
1. Lieferung. Preis M. 11. .50. — 2. Lieferung. Preis M. 7. —
Band III.
Die Gletscher der Ostalpen.
Von Dr. Eduard Richter,
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(»cf>i?r»T)hie rti
Forscliimgen
zur deutschen Landes- und Volkskunde
Im Aufträge der
Centralkoxmuission für wifisenichaflHche Landeskunde von Deutschland
berausgegeben von
Dr. A. Eirchhoff,
Froteuor dar Erdkunda an dar UniaaralUt Halla.
Sechster JBntul, j
Heft 4.
Urkunden über die Ausbrüche
im 17. und 18. Jahrhundert
Aus den Innsbrucker Archiven herausgegeben
Dr. Eduard Richter,
Ordantl. Ptofaaaar dar Eidknnda an dar rniTarsItit Ort«.
Mit 2 Karten.
WC«-
STUTTGABT.
VERLAG VON J. ENGELHORN
lie .Forschungen zur deuUcheii Landes- und Volkskunde* sollen dazu helfen,
^ heimischen lundes- und volkskundlichen Studien zu fördern, indem sie aus allen Gebiq
derselben bedeutendere und in ihrer Tragweite Uber ein bloss Örtliches Interesse
gehende Themata herausgreifen und darüber wissenschnftliche Abluindlangen he
ragender Fachmünner bringen. Sie beschränken sich dabei nicht auf das Gebiet des Deut
Reiches, sondern so weit auf mitteleuropäischem Boden von geschlossenen Volksgemeinech
die deutsche Sprache geredet wird, so weit soll sich auch, ohne ROoksicht auf stnatli
Grenzen, der Gesichtskreis unserer Sammlung ausdehnen. Da aber die wissenschafUtche
truchtung der Landesnatnr die Weglassung emzelner Teile aus der physischen Einheit Mi*'
europas nicht wohl gestalten wQrde, so sollen auch die von einer nichtdeutschen BevSIke
eingenommenen Gegenden desselben samt ihren Bewohnern mit zur Berücksichtigung g^la
Es werden demnach ausser dem Deutschen Reiche auch die Länder des cialeithanisäen 0
reichs, abgesehen von Galizien, der Bukowina und DaJmatieu, ferner die ganze Schweiz, Li
bürg, die Nietierlande und Belgien in den Rahmen unseres Unternehmens hineingezogen wer
Ausserdem aber sollen die Sachsen Siebenbürgens mit berücksichtigt werden und auch Arlx
Ober die grösseren deutschen Volksinseln des Russischen Reiches nicht ausgeschlossen sein, .
Unsere Sammlung erscheint in zwanglosen Heften von ungefähr 2 — 5 Bogen :
Heft enthült eine vollständige Arbeit (ausnahmsweise von kürzeren auch mehrere) und i
sich käuflich. Eine entsprechende Anzahl von Heften wird (in der Regel johrgangsweis^j
einem Bande vereinigt. ‘
Bisher sind erschienen:
Band I.
Heft 1. Der Boden Mecklenburgs, von Prof. Dr. K. Geinitz. Preis 80 Pfennig.
Heft 2. Die oberrheinische Tiefebene und ihre Randgebirge, von Prof.
L e p B i u 8. Preis M. 2. —
Hefts. Die Städte der Norddeutschen Tiefebene in ihrer Beziehung
Rodengestaltung, von Prof. Dr. F. G. Hahn. Preis M. 2. —
Heft 4. Das Münchener Becken. Ein Beitrag zur physikalischen Qeograpl
Sfidbayerns, von Chr. Gruber. Preis M. 1. (JO.
Hefts. Die mecklenburgischen Höhenrücken (Geschicbestreifen) und il
Beziehungen zur Eiszeit, von Prof. Dr. E. (3einitz. Preis M. 8. 10.
Heft 6. Der Einfluss der Gebirge auf das Klima von Mitteldeutschland,
Dr. R, Ass mann. Preis M. 6.50.
Heft 7. Die Nationalitäten in Tirol und die wechselnden Schicksale ibi
Verbreitung, von Prof. Dr. H. .1. Bidermann. Preis M. 2.40.
Hefts. Poleographie der cimbrischen Halbinsel, ein Versuch, dieAnsi^
lungen Nordalbingiens in ihrer Bedingtheit durch Natur und
schichte naohzu weisen, von Prof. Dr. K. Jansen. Preis M. 2. —
Rand II.
Heft 1. Die Nationalitäts-Verhältnisse Böhmens, von Dr. L. Sohlesinger.
80 Pfennig.
Heft 2. Nationalität und Sprache im Königreiche Belgien, von Geb. Rechnung
K. Brämer. Preis M. 4. —
Heft 3. Die Verbreitung und Herkunft der Deutschen in Schlesien, von Prof.-
K. Weinhold. Preis M. 2.40.
Heft 4. Gebirgsbnu und Oberflächeugestaltung der Sächsischen Schweis, von^
A. Hettner. Preis M. ö. 25.
Heft 5. Neuere slavische Siedlungen auf süddeutschem Boden, von Prof.
H. J. Bidermann. Preis M. 1.25.
Hefts. Siedlungsarten in den Hochalpen, von Prof. Dr. Ferdinand Löf
Preis M. 1.75.
Band lU.
Heft 1. Die Verbreitung und wirtachaftliche Bedeutung der wichtigeren Wg
haumarten innerhalb Deutschlands, von Prof. Dr. B. Borggreve. Preis M. l
Heft 2. Das Meisinerland, von Dr. M. Jäschke. Preis M. 1.90.
Heft 3. Das Erzgebirge. Eine orometrisch - autliropogeographische Studie von Oberle
Dr. Johannes Burgkbardt. Preis M. 5. 60.
Heft 4. Die Kurische Nehrung und ihre Bewohner, von Prof. Dr. A. Bezienberl
Preis M. 7. 50.
Heft 5. Die deutsche Besiedlung der östlichen Alpenländer, intheeondere Sb
marke, Kärntens und Krains, nach ihren geschichtlichen und örtlichen VerhäHni!
von Prof. Dr. F. von Krones. Preis M. 5. 60.
FortMUott^ Mtf Mte 1 <im t<a
URKUNDEN ÜBER DIE AUSBRÜCHE
DES
IM 17. UND 18. JAHHHÜNDEHT.
.\ÜS DEN INNSBRUCKER ARCHIVEN HERAUSGEGEBEN
VON
DR EDUARD RICHTER,
ORDESTL. PROF. DER ERDKUNDE AN DER UN1VER.SIT.\T GRAZ.
MIT ZWEI KARTEN.
exc5e-
STUTTGART.
VERLAG VON .T. E N G E L II 0 R N.
1892.
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Druck der Uniou Deutsche VerlagsgeseUscbaft iii Stuttgtut.
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Inhalt.
Seile
Vorrede 349 [5]
KinleituDg 352 [8]
I. Ausbruch des Vernagtgletschers 1600 und 1601 356 [12]
II. Ausbruch des Vemagtgletschers 1676 — 16.81 371 [27]
III. Ungewöhnliche Anstauung des (iiirgler Eissees 1716 — 1724 . . 410 [66]
IV. Eisseebildung am Gurgier und Vernagtgletscher 1770 — 1774 . . 421 [77]
.Anhang. Ueber die Hilfsmittel bei künftigen .Au.“brüchen des Ver-
nagtsees 437 [93]
Erläuterungen zu den Karten 440 [96]
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Vorrede.
Die erste bestimmte Nachricht, dass in den Innsbrucker Archiven
umfangreiche Akten über die Ausbrüche des Vernagtgletscher.s und
Gurglergletschers vorhanden sind, verdanke ich meinem geehrten Kol-
legen, Herrn Prof. Dr. Franz v. Wieser in Innsbruck. Es war
allerdings schon aus Stellen bei Stotter, Die Gletscher des Vernagt-
thales (S. 17) und Sonklar, Oetzthaler Gebirgsgruppe (S. l.’il) er-
■sichtlich, dass diese Autoren Einsicht von Akten genommen hatten,
welche ihrem ganzen Umfange nach nicht bekannt geworden sind.
Bei dem steigenden Interesse, welches die Geschichte der Gletscher-
schwankungen gewonnen hat , seitdem die Wahrscheinlichkeit von
Klimaschwankungen erwiesen ist, glaubte ich nicht mehr länger zögern
zu dürfen, wennmöglich von diesem merkwürdigen Materiale Kenntnis
zu erlangen.
Durch das Entgegenkommen der k. k. Statthalterei in Innsbruck
war es mir gestattet, sämtliche dort vorhandenen ,Gletscberakten“ in
meinem Wohnsitze zu benutzen; von einigen Stücken, welche sich im
Ferdinandeum zu Innsbruck befinden und nicht versandt werden durften,
Hess Herr Dr. Oswald Redlich für mich Abschriften anfertigen.
Es ist mir eine angenehme Pflicht, den beiden genannten Herren, .sowie
Herrn k. Kat Dr. David S c h ö n h e r r und Herrn Mu.seumskustos
Dr. Fischnaler meinen besten Dank für ihr Entgegenkommen aus-
zusprechen.
Schon der Umstand, dass diese Akten bereits von früheren Autoren
gesehen worden sind — man weiss allerdings nicht, in welchem Um-
fange — , deutete darauf hin, dass neue, bisher unbekannt gewesene
Vorstossperioden aus denselben sich nicht herausstellen würden. So
ist es auch. Trotzdem erschien mir und dem Herausgeber dieser
Sammlung die Veröffentlichung nicht überflüssig. Es hat sich erst
vor kurzem bei Untersuchungen der Duellen über Glet.scherschwan-
kungen in der Schweiz sehr deutlich gezeigt, wie viel gerade bei
solchen Nachrichten auf den Wortlaut ankommt. Ein allgemein zu-
gänglicher, fehlerfrei veröffentlichter Text i.st erst eine sichere Basis
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Kduard Richter.
R.50
['i
für die mancherlei, gelegentlich ziemlich weit hinausgebauten Folge-
rungen , welche .sich auf diese kurzen Mitteilungen gründen müssen.
Weiter will ich nicht verhehlen, da.ss auch eine praktische, vielleicht
darf ich sagen, eine gemeinnützige Absicht mich dazu bewogen hat.
die Veröffentlichung dieser alten Schriftstücke anzustreben. Au.sbrüche
des Hofensees und anderer Eisseeen werden sich auch in Zukunft er-
eignen , wie sie sich in der Vergangenheit wiederholt haben. Jede
neue Generation steht aber mit der gleichen Ratlosigkeit diesen un-
heimlichen Erscheinungen gegenüber: man erkennt weder ihren Ur-
sprung noch ihr Wesen, man erschöpft sich immer wdeder in den-
selben zwecklosen Abhilfsvorschlägen und verliert dadurch Zeit und
Mittel für das, was wirklich mit Nutzen geschehen könnte. Die Er-
eignisse, die sich in den letzten Jahren im Martellthale zugetragen
haben, und die darüber entstandene Litteratur liefern hierfür den
sprechendsten Bew'eis. Vielleicht kann es dazu helfen, der Zukunft
solche Erlebnisse zu er.sparen, wenn die Erfahrungen, die man in drei
Jahrhunderten über diese Dinge gemacht hat , in einem handlichen
Büchlein vereinigt, den nachlebenden Generationen zum Gebrauch und
zur Lehre hinterlassen werden.
Aktenmässige Quellen für Thatsachen der physi.schen Geographie
sind bekanntlich nichts Häufiges. Können die folgenden , dem .jahr-
hundertelangen Schlafe des Archiven entrissenen Briefe und Berichte
zum Teil sehr einfacher Menschen, untergeordneter Beamten, armer
Landgeistlicher, ja schlichter Bauern vielleicht schon deshalb ein ge-
wisses lntere.sse in Anspruch nehmen, .so bin ich überzeug^:, dass jeder
Leser auch den kulturgeschichtlichen Reiz empfinden wird, der gerade
in die.sen schlichten, vom Momente bestimmten Briefen und Anord-
nungen liegt. Der einfache, aber keinesw^egs schlecht oder langsam
wirkende Apparat der damaligen Verwaltung tritt uns deutlich ent-
gegen ; sie braucht sich gegenüber ihren Nachfolgern nicht zu schämen.
Wir sehen Sachverständige oder solche, welche dafür gehalten wurden,
nicht ohne Klagen über die Beschwerden des Unternehmens und das
gewöhnlich herrschende schlechte Wetter sich zum Gletscher verfügen;
wir hören Abhilfsvorschläge mancherlei Art ; die vernünftigsten Ansichten
werden in der Regel von denen geäussert, die den Dingen am nächsten
stehen ; die Höhergestellten denken meist weniger praktisch als die
Niedrigeren. Der Stil des Schreibens, aber auch des Denkens und
Handelns ändert sich in den zwei Jahrhunderten, welche unsere Quellen
um.spannen. Die Berichte werden weitschweifiger, die Sprache glatter,
der Satzbau durchsichtiger ; rein theoretisches, wissenschaftliches Interesse
mischt sich in die prcukti.schen Fragen. Endlich tritt die gedruckte
Broschüre ein und wendet sich an das grosse Publikum. So hier zum
erstenmal 1773 mit Walchers „Eisberge in Tyrol“, und damit ist
natürlich unsere Aufgabe zu Ende.
Es sind vier Katastrophen, von welchen unsere Akten handeln.
Drei Ausbrüche des Vernagtgletschers, die erste um ItitJO, die nächste
um 1080 und eine um 1770; ferner ein drohender Ausbruch des Gurgler-
gletschers um 1718. Den Hauptteil bilden eigentliche Akten; Berichte
der Pfleger von Petersberg und Castellbell, Berichte der abge.sandten
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7 | Urkunden über die Ausbrüche des Vernagt- und Gurgiergletschers. 351
Kommissäre; Briefe der Pfarrer von Sölden und anderer Geistlicher,
Berichte, welche von Innsbruck an den kaiserlichen Hof erstattet wurden,
und ähnliches. Ein selbständiges Stück bildet die sogen. Chronik des
Benedikt Kuen von Lengenfeld ; eine sehr merkwürdige Aufzeichnung
eines Privatmannes über die Ausbrüche des Vernagt- und Gurgier-
gletschers und andere Hochwasserverheerungen und die Mittel zu ihrer
Abwehr, aus dem Anfänge des vorigen Jahrhunderts.
ln dem Folgenden sind nur die älteren und wichtigeren Stücke
vollinhaltlich abgedruckt; Wiederholungen und weniger wichtige, z. B.
rein admini.strative Stücke sind nur im Auszüge gegeben, besonders
aus den Akten von 1770 — 1772, wo bereits der Reiz des Altertüm-
lichen fehlt. Da die vorliegende Sammlung alle Quellen enthält, welche
wir Uber die Geschichte der tirolischen GletscherausbrUche überhaupt
besitzen, so ist den vier einzelnen Aktengruppen eine kurze Geschichte
der jeweiligen Katastrophe vorausgeschickt, wie sie sich nach dem vor-
liegenden Materiale darstellt.
Zur Art des Abdruckes ist zu bemerken, dass eine Vereinfachung
der alten Orthographie nach den Regeln, welche für die Au.sgabe der
österreichischen WeisthUmer aufgestellt sind, vorgenommen wurde.
(So wurde das fast überall vorherrschende h nach k weggela.ssen u. dgl.)
F'Ur die Mithilfe bei Erklärung abgekommener Ausdrücke sage ich
Herrn Dr. Oswald Zingerle in Graz besten Dank.
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Einleitung.
Es erscheint gegenüber dein Leserkreise, für welchen die .For-
schungen“ bestimmt sind, überflüssig, über die Ausbrüche des Ver-
nagtgletschers sich ausführlicher zu verbreiten. Es wird genügen,
daran zu erinnern, dass der Vernngtferner ein stattlicher Gletscher von
etwa 1700 Hektaren Flächeninhalt ist, der im hintersten Oetzthale.
auf der linken (nordwestlichen) Seite des Hauptthaies, hier Rofenthal
genannt, in einer ausgedehnten Mulde liegt. Da die Einmündungsstelle
des Vemagtthales, das er erfüllt, schon 21.Ö8 m hoch liegt, ist dessen
ganzes Becken mit Eis bedeckt, und wenn die Gletscher hohen Stand
haben, reicht die Eiszunge bis in das Hauptthal und sperrt dasselbe ab.
Da weiter rückwärts noch die Abflüsse des Hochjoch- und Hinterei.s-
gletschers und mehrere kleine Bäche in das Rofenthal einmünden, so
besitzt dieses einen recht stattlichen Bach, und wenn nun das Eis des
Vernagt sich quer Über das Thal legt, so wird dieser Bach zu einem
See angestaut. Dies geschieht besonders im Frühling, wenn die Wasser
stärker zu flie.ssen anfangen und die etwa im Vorjahr gebildeten Durch-
lässe durch den Eisdaram durch ihre Nichtbenutzung im Winter bei
fortdauernder Gletscherbewegung .sich geschlossen haben.
Es wird also die Seebildung nicht bloss in dem ersten Jahre
eintreten, in welchem das Eis des Vernagtgletschers die Sohle des
Rofenthales erreicht hat, sondern sie kann sich eine Reihe von Jahren
hintereinander wiederholen. Denn der See bleibt nicht unverändert
bestehen, solange der Eisdamm vorhanden i.st — wie etwa ein See,
der durch einen Bergsturz angestaut wurde, so lange vorhanden bleibt,
bis der Überfliessende Bach sein Rinnsal durch den sperrenden Hügel
gesägt hat — , sondern die Eisseeen pflegen einen Sommer nicht zu
überdauern. Es wäre eine falsche Vorstellung , wenn man glauben
würde, der Eissee drücke etwa die ganze vorgelagerte Eisniasse
weg und sprenge so seine Banden — obwohl diese Meinung seit dem
17. Jahrhundert immer wiederkehrt. Der Vorgang ist vielmehr der,
dass die Gewässer des Sees durch die im ganzen ziemlich unver-
ändert bleibende Eismasse einen Ausweg finden, teils durch Spalten
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0] Ed. Richter, Urkunden über die Ausbrüche des Vernagt- u. Gurglergletschers. 353
und bei späteren Ausbrüchen durch die Bruchstücke früher vorhandener
Durchlässe, teils wohl auch zwischen Eis und Boden, unter Wegräu-
mung des leicht zu entfernenden Grundmoräneninaterials. Wiederholt
wurde der Ablauf des Sees eingeleitet durch dessen Ueberlaufen über
den niedrigsten Punkt des vorliegenden Eisdarames, gewöhnlich die
Stelle, wo das Ende der Eiszunge an der gegenüberlegenden Thal-
wand ansteht. Das Ueberlaufwasser gräbt sich rasch ein immer tieferes
Rinnsal ins Eis und kann so den Seespiegel allmählich zum Sinken
bringen. Dieser günstige Fall trat beim Vernagtgletscher im Jahre ItiOl
und 1772 — 1774 ein; der See verschwand allmählich; es erfolgte also
kein Ausbruch. Derselbe Vorgang führte aber beim Getrozgletscher
im Jahre 1818 zu einer sehr verheerenden Katastrophe, indem der
künstlich angelegte Ueberfallkanal sich so rasch vertiefte und er-
weiterte, dass der See in wenigen Stunden sich entleerte. Darauf
kommt es aber, wie sich versteht, eben an, innerhalb welcher Zeit
das Seewasser abströmt. Die Gerinne unserer Hochgebirgsbäche sind
nur für recht engbegrenzte Wassermengen eingerichtet und können
nicht jenes Vielfache ihres mittleren Standes aufnehmen, wie die
Flüsse des Tieflandes. Dazu kommt, dass sie im Sommer, wenn die
Eisseeen ablaufen, meist ohnedies einen hohen Stand haben und häufig
durch Gewitter und lange Regenperioden dem Uebertreten schon recht
nabe .sind. Gerade die regulierten Strecken auf flacheren Thalstücken
werden durch die starke Geschiebeführung rasch erhöht und dort
kommen dann Verlegungen der Flussläufe und dauernde Inundationeii
tiefliegender Striche häufig vor.
So hängt ein Damoklesschwert über dem ganzen Oetzthal und
in geringerem Grade auch über dem Innthale, so lange der See im
Rofenthal angestaut ist. Wie gross die V'erheerungen werden können,
dafür liefern die nachfolgenden Aktenstücke die sprechendsten Beweise.
Stieg doch am 15. Juni 1845 bei dem ersten Ausbruch der letzten
Periode der Inn bei Innsbruck, 140 km vom See entfernt, noch um “s m.
Wir dürfen kaum hoffen, über den Vernagtgletscher noch weiteres
Material zu finden, denn mehrere in den Tiroler archivalischen Schätzen
sehr bewanderte Gelehrte haben sich für mich bereits vergeblich be-
müht. Freilich wäre es höchst wichtig für die Geschichte der Klima-
schwankungen, von älteren Vorstössen etwas zu erfahren. Aber die
Hofthungen sind gering. In den vorliegenden Akten über den Aus-
bruch von 1599 — 1601 findet sich kein Verweis auf frühere Aus-
brüche. Wohl aber war 1678 der Ausbruch von 1601 und 1770 der
von 1678 noch im Gedächtnis der Menschen.
Aus der vorliegenden \'eröffentlichung ergiebt sich abermals mit
Sicherheit, dass Sonklars Behauptung, in der Schrift von B. Kuen
sei ein schwacher Ausbruch für 1626 angegeben, unrichtig ist. Sonklar
hat ofl'enbar 162(5 anstatt 1676 gelesen. Wir haben also nur vier histo-
risch beglaubigte Vorstösse des Vernagt: von 15!I9, von 1677, von 1770
und 1845, welche zu Ausbrüchen geführt haben, und einen schwächeren
um 1820, wobei das Gletscherende das Rofenthal nicht erreichte. Wie
sich dieselben in die Reihe ähnlicher Katastrophen bei anderen Glet-
schern und in die sonstigen Nachrichten über Gletscherhochstände ein-
■ zed by
354
Eduard Richter,
[10
ordnen, das habe ich in meiner Schrift »Geschichte der Schwankungen
der Alpengletscher“, Zeitschr. d. Deutsch, u. Oesterr. Alpenvereins XXll,
Bd. 18H1, darzustellen versucht. Da ich das hier verötfentlichte Material
bei Abfa.ssung derselben bereits in Händen hatte, so mag vorliegende
Schrift als eine Sammlung von Belegen für jene gelten.
Es findet sich ferner in meinem Buch.e »Gletscher der Ostalpen“,
S. 145 — 150, eine Geschichte des Veruagtgletschers. Diese wird durch
das Vorliegende in manchen Einzelheiten berichtigt, be.sonders für den
ersten Vorstoss; für die neueren Ereignisse kann ich ein für allemal
darauf verweisen.
Eben-so Hesse sich die Frage nach den Ursachen dieser merkwürdigen
Katastrophen mit einem Verweis auf S. 151 — 152 desselben Buches
abthun. Es erscheint aber doch nicht Uberflü.s.sig, zu betonen, dass
gegenwärtig jeder Grund geschwunden ist, in den Vorstössen des Ver-
nagt etwas Ausserordentliches zu sehen, das anderswo nicht vorkommt
und einer eigenen Erklärungsweise bedürfte. Die Messungen der Volums-
verminderung bei Kückgäugen und der Vermehrung bei Vorstössen.
wie sie besonders in den Ostilpen durch Finsterwalder, Seeland und den
Verfasser gemacht worden sind, haben erwiesen, dass die Maasse, die
sich am Vernagt vorfinden, Uber diejenigen bei anderen grossen und
stärker schwankenden Gletschern nicht hinausgehen. Vor allem be-
merkenswert aber ist die Thatsache, dass in allen Vorstosszeiten des
Vernagtgletscher.s auch für eine Ueihe anderer Alpengletscher ähnliche
Bewegungen verbürgt sind. Dadurch werden diese Vorgänge als 83*01-
ptome erkennbar, die aus einer und derselben Ursache hervorgehen.
nämlich aus einer Klimaschwankung.
Zur besseren Uebersicht mögen die betreffenden Daten nochmals
hier kurz wiedergegeben werden ’). Es sind Gletschervorstösse bekannt
ausser vom Vernagt:
Für die Vorstossperiode um lOOO:
Beide Grindel waldgletscher D30O — 1602,
Rutorgletscher 1504 — 1606,
Getrozgletscher 15!I5,
Glarnergletscher I608 — 1610.
Vorstossperiode um 1680:
Rhonegletscher 1677,
Rutorgletscher Df70 — 1680.
Allalingletscher 1680.
Vorstossperiode um 177o;
Suldengletscher 1760,
HUfigletscher 1760,
Beide Grindelwaldgletscher 1768 — 1770,
Gurglergletscher 1770.
') Genaueres: Geschichte der Schwankungen der Alpengletscher S. 7— D'
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1 1 j Urkunden über die Ausbrüche des Vemagl- und Gurglergletschers. iJoT)
Allalingletsclier 1772,
ülacier des Bossons 1770,
Macugimgngletscher 1780,
Biesgletseher 178(i.
Ausserdem eine Anzahl weniger gut verbürgter Notizen Uber vor-
sclireitende Bewegungen kleinerer Gletscher der Westalpen.
Die Zeiten um 1820 und 1845 sind als solche allgemeiner und
grosser Vorstösse der Alpengletscher längst bekannt, so dass es nicht
nötig erscheint, hier Einzelheiten zu wiederholen.
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I. Ausbruch des Vernagtgletschers 1600 und 1601.
Die vorliegenden Schriftstücke waren bisher unbekannt, aus-
genommen den ersten Bericht des Bauschreibers Jäger, der in die
sogen. Fuggerschen Zeitungen übergegangen, von mir dort aufgefunden
und in der Zeitschrift des Deutsch, u. Oesterr. Alpenvereins 1877, S. 104,
veröflFentlicht worden i.st. Doch fehlen dort viele Einzelheiten, auch
der Name des Schreibers. Alles übrige ist vollkommen neu: Stotter
(Die Gletscher des Vernagtthales , Innsbruck, Wagner, 1846, S. 19)
wusste von der Existenz dieser Akten, konnte ihrer aber nicht habhaft
werden; er sagt: , Schon damals untersuchte eine Kommission der
Regierung die Sachlage ; ihre Berichte konnten aber nicht aufgefunden
werden.“
Fast sämtliche Stücke gruppieren sich um einen Bericht der Inns-
brucker Regierung an Kaiser Rudolf II. vom 80. Juli 1001; die meisten
sind überhaupt nur als Beilagen zu ihm erhalten geblieben. Er wurde
daher an die Spitze gestellt.
Ueber den Ausbruch von lOOo besassen wir bis zu jener Ver-
öffentlichung von 1877 nur zwei kurze Quellen.stellen ; die eine ist der
einleitende Satz der weiter unten abgedruckten sogen. Chronik des
Ben. Kuen (S. 381 |37|): , Erstens ist zu wissen, dass anno ItiOO, wie
man von unseren voreitern gehöret, so ist der grosse ferner hinter Rofen,
nachdem derselbe sich seiner natürlichen gewohnheit nach im thal
herunter gesetzet, am phngstag von Jacobi ausbrochen“ etc. Ausserdem
steht auf der Burglechnerschen Karte von Tirol: ,Der grob ferner und
see hat innerhalb zwaier als 1509. und 1000. jar sich daher gesezt,
ist im Sommer des 1601. Jahr lang gewesen 025, breit 175, tieft'
OO klafter; diser weil er vast klüff'tig und brichig thuet er allgemach
abseihen, zerschmelzen und ausrinnen.“ Die Herkunft dieser Notiz
aus dem Bericht des Bauschreibers Jäger (siehe Nr. 2) ist unver-
kennbar *).
Aus diesen Quellen ergiebt sich nun folgender Gang der Dinge.
') Die Burgl ec hn ersehe Karte ist erschienen 1611; es ist eine in Holz
geschnittene Karte Tirols in 12 BliUtem, recht unvollkommen in der Wiedergabe
des Flussnetzes und der Gebirge. Sie hat an der Stelle des Vernagtgletschers einen
viereckigen ausgesparten Raum, in welchem die obige Notiz, auf einem eigenen
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1:}J Kd. Richter, Urkunden über die Ausbrüche des Vernagt- u. Gurgiergletschers. 357
Der Beginn des bedenklichen Gletscherwachsens wird für 159i>
angegeben. Wahrscheinlich hat aber der Gletscher im Winter von
15t»0 auf IbOO schon die Sohle des Rofenthales erreicht, da löOO
schon der erste Ausbruch stattfand. Die eigentlichen Anfänge des Vor-
rückens müssen also um einige Jahre, vielleicht bis 1595, zurückver-
setzt werden; 1599 hat er sich schon , dahin gesetzt*. Am 2U. Juli ICOtl
erfolgte ein Ausbruch, welcher 20099 fl. Schaden verursachte. Dar-
nach dauerte das Anwachsen des Gletschers noch fort, so dass er im
Jahre ItiOl sechsmal so gro.ss war, als das Jahr zuvor. Man fürchtete
auf das lebhafteste einen neuen Ausbruch, ganz Nordtirol wurde alarmiert,
aber das Unheil ging vorüber. Am 12. Juli begann der See über-
zulaufen; das ablaufende Gewässer floss etwa 20 Schritte oberflächlich
und stürzte dann in eine Kiskluft, um erst am unteren Ende der quer-
gelagerten Eisraasse auszutreten. Bis 11. August war der See um
13 Klafter gesunken; die früher schwimmenden Eisblöcke sassen am
Grunde fest; die Ausflussöffnung sah wie ein Gewölbe aus und war
anderthalb ,.genieine Land.sknechtspiesse* hoch. Am 9. September
fand sich der Gletscher selbst wirklich verkleinert, „gesessen“; von
hinten her war ein riesiges Thor zu sehen, welches sich unter den
halben Ferner hinein erstreckte; der See wurde in 4 Tagen um
12 Schuh (4 m) seichter und war dem Verschwinden nahe.
Unter den vorliegenden Berichten müssen wir (mit dem Mark-
grafen von Burgau S. 305 [21]) dem der Abgesandten der Stadt Inns-
bruck, des Metzgers ,Püpele“*und des Bergknappen Griesstetter
entschieden den V'orzug geben; diejenigen des Bauschreibers Jäger
zeichnen sich durch Verzagtheit und Uebertreibungen aus und sind
von der falschen Auffassung beherrscht, dass die in dem See umher-
schwimmenden Eisblöcke den Eisdamm überwältigen und wegdrücken
könnten. Als er im September den eingesunkenen Gletscher sieht,
tröstet er sich damit, dass nun die Eismasse in dem engen Thale so
fest „eingespannt und versperrt“ sei, da.ss sie „ausser grosser Gots-
gewalt sich davon nit bewegen würdet“ ’).
Der Vorstoss von 1600 scheint keine Beachtung seitens der Be-
hörde gefunden zu haben; man wurde wahrscheinlich überhaupt erst
durch den Ausbruch selbst und den angerichteten Schaden auf die
Sache aufmerksam.
Eine Stelle im Regierungsbericht vom 30. Juli 1601 lässt es un-
entschieden, ob mit „dem vor disem auch im Etzthal gewachsenen
Ferner“ nicht am Ende ein noch früherer Vorstoss als der vom Vor-
jahre (1600) gemeint sei. Doch wird die genaue Angabe der Schaden-
zifl’er, dann der Umstand, dass der Ausbruch von 1600 durch Ben.
Kuen mit genauer Tagangabe verbürgt ist, doch geraten erscheinen
lassen, nur an das Jahr 1600 zu denken.
Blättchen gedruckt, aufgeklcbt ist. Die Holzatöcke sind jetzt iiu kunsthigtorischen
Hofmuseum in Wien ausgestellt. Ks giebt auch eine Ausgabe in Kupferstich von
1629. Nälieres über den Autor findet sich Chmel, Geschichtsforscher, II. Bd.,
1841, S. 312.
’) Infolge dieser -Anschauung hält Jäger auch den im Jahre 1601 besich-
tigten Eiswall für einen anderen als den von 1600.
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358 Kcluard Kichter, [14
Ich habe bei iler Veröffentlichung des Berichtes aus den Fugger-
schen Zeitungen geglaubt, die Nachricht des Ben. Kuen auf das Jahr ItiOl
beziehen zu sollen. Durch die hier vorliegenden Berichte, die so au.s-
fUhrlich erzählen, weshalb 1(501 kein Ausbruch stattgefunden hat, wird
dargethan, dass der .Ausbruch vom 20. Juli im Jahre 1000 und nicht
1001 stattgefunden hat.
Die Abschmelzung und Zerstörung des Eisdammes im Rofenthal
scheint rasch vor sich gegangen zu sein , da wir Nachrichten über
weitere Ausbrüche nicht linden. Man wird annehmen müssen, dass die
Eismasse kleiner war, als bei den Ausbrüchen von 1078 und 1845, wo
sich die Seebildung und Entleerung mehrere Jahre hindurch wiederholte.
Sämtliche im ersten Abschnitt abgedruckten Aktenstücke ent-
stammen dem Innsbrucker Statthaltereiarchiv und tragen die Signatur
A VII. 19.
I. Bericht der oberösterreichischen [) Regierung an Kaiser Rudolf II.
vom 30. Juli 1601.
Allerdurchleuchtigister, großmechtigister Kaiser, allergenedigister
herr! Euer kaiserlichen majestät seien unser underthenigiste gehorsami.ste
dienst jederzeit zuvor. Derselben geben wir hiemit ganz underthenigist
zu vernemen, demnach ungefär bei zwai jaren hero hinter dem Etz-
thal, so 12 meil von Ynnsprugg und sechs meil wegs im Etzthal ist,
aus den alda gewesten steten kalten und großen schneen im gericht
Castelbel, als in zwai meil weges hinter dem gericht Petersperg ain
merklicher großer ferner von eyß und dann ein großer see von dem
Wasser, so derselb ferner angeschwellet und aufgehalten, entstanden,
auch vilerlei hin und wider davon geredet und spargiert worden, al.s
ob derselb dermaßen zuenemme, und so erschröcklich groß werde, das
dadurch Ynnsprugg, Hall und Schwaz in solcher Gefahr sein, das sel-
bige ort, da bemelter see ausbrechen, von dem gewalt des gewessers
ertrenkt und zerflößet werden sollen — haben wir, die camer, nit under-
lassen und E. kais. Majestät hofpauschreiber Abraham Jäger sarabt
dem hofzimmermaister Georgen Scheiber, auch den archenbereutter -)
Christian Lindacher abgefertigt, disen entstandnen see und ferner
alles fleis zu besichtigen und zu bedenken , ob und was gestalt die
hievon besorgend gefar abzuwenden, und ob es, wie das gemain ge-
schrai gelaut, mit der gefar fürgebender oder besorgender maßen be-
schaffen seie oder nit.
') Tirol und Vorarlberg hiessen frUlicr in der Amtssprache, Oberösterpeich,
im Gegensatz zu Innerösterreich (Kiirnlen-Krain-Stciennark), Niederösterreich
(band ob und unter der Knns) und Vor der Österreich (die Besitzungen in Schwaben
und Elsass).
Arche = Uferschutzbau.
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15] Urkunden über die Ausbrüche des Vemagt- und Gurglerglctschers. 351*
Darauf hat uns bemelter hofpauschreiber den ailften hujus nach
mittentag mündlich erzelt, wie er und bemelte jene zuegeordnete an-
gedeuten see und ferner befunden, und die Sachen dermaßen so er-
schröcklich fUrbracht, alls ob derselb see den dreizehenden eiusdem
ausbrechen, und sintemal der gefahr durch kain menschlich mittel, hilf
oder rath, so alles vergebens sein solle, nit mer zu begegnen, hiervon
solcher jamer und verderben volgen, das es unib ain große summa
gelts unwiderbringlichen schaden verursachen mechte ; mit fUrwand
das, weil der vor disem auch ini Etzthal gewachsen und auf-
gerissne ferner über zwainzig tausend gülden schaden ge-
than, hab man leuchtlich zu erachten, was dieser ferner, der
wol sechs mal so groß, als obbemelter gewesen, und gar er-
schröcklich seie, welcher sonders zweifei durchs Etzthal, als daselbst
er seinen lauft nach dem Ynstrom richten mechte, in zwai hundert
häuser, vil schöner grünt und pöden, auch pruggen, archen, weyer
und stege weckreißen , verflößen und wann ainmal ain solcher gewalt
auf den Ynstrom körnen, derselb alsdann sonderlich da sich archen,
pruggen, ennß- *), alber- und andere paum oder tails der hergetragnen
heuser an den großen pruggen und rechen, deren es etliche über den
Yn hin und wider habe, aulegen solle, für jamer, schaden, verderben
und unwiderbringlichen nachthail verursachen, und man dahero anderer
gefahr nit enthebt sein würde; auch sovil andeuttung gethan, das
nichts anderes, dann allain gott den allmechtigen umb abwendung
seiner derenthalb angedroeten straff durch processionen und creuzgenge
zu bitten noch überig seie. Inmassen die gerichtsunderthanen zu Peters-
perg ime mit flehen und wainen gebetten sich irer disfals mit creuz-
gengen und christlichen gebetten zu gott dem herrn mitleidenlich zu
erbarmen, ob sy der erschröcklichen großen gefar entlediget und durch
göttliche Verordnung etwa andere mittel geschickt werden mechten.
Hierüber wir nit allein, wie es hiemit fürnemlich gestaltet, schrift-
lichen bericht von ime pauschreiber abgefordert, wie er uns dann den-
selben noch selbigen abent zuegestelt, so E. kais. Mjst. mit A. sig-
niert heiligend allergenedigist zu ersehen, sonder au die nachgesezten
oberkaiten des Ober- und Undern Ynthals, so vil diser gefar under-
würfftg sein mechten, wie der einschluß mit B. literieret ausweiset, den
zwelften dito bevelch ausgefertigt, das aller orten processionen und
creuzgenge angestelt, auch sonst alle notwendige Verordnung gethan,
damit auf’n fall je bemelter see ausbrechen [sollte], dem wasser sovil
menschlich und muglichen begegnet und merrom schaden Vorkommen
werden solle. Wie wir dann auch selbst alspald den oberzelten drey-
zehnden diß ain procession von hie in die clostcrkirch geen Wildau
aldort ain predigt hievon zu halten, derohalben wir dem prediger ain
abschrift der beylag mit A. überantworten lassen, angestelt und dieselb
in großer menig volcks von alten und jungen, auch gehst- und welt-
liche personen mit eifer und andacht verrichtet worden.
V'olgends den neunzehnten dito haben uns N. hurgermai.ster und
rath alhie erinnert, wie das sy der obtragenden sorge halber zu etwas
') cnnQbäume, die langen Kriickenliölzer.
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3(30 Kduard Richter, |^lti
merer erkundigung Petern Pipele mezger, welcher die weg und
genge wol wailä, und dann Martin Grießstetter arezknappen von
Hetting so der gepürge und ferner wol erfaren, den vierzehenden
diß zu bemelten ferner und see abgefertigt, auch aigentlichen augen-
sehein und die umbstend fleißig einzunemen bevolhen, die betten inen,
wie der einschluß mit C. verzaichnet, relation irer Verrichtung gethan.
d.u'aus die Sachen gefar was geringer befunden.
Wann uns dann seidhero , Ir fürstliche gnaden herr Marggraf
Carl in Burgau etc. berichten lassen, daß sy selbst auch den augen-
schein obgemelts ferners und sees eingenommen und genediglich er-
bietig seien uns beschaffenheit der Sachen zu communicieren, haben wir
die Regierung, E. kais. Mjt. oberoesterr. Regiments-Rath Herrn Daniel
Felixen Freyherrn zu Spaur und Vallör etc. sambt dero oberoesterr.
Regiments-Secretarii Hannsen Reicharten zu irer fürstl. Gnaden ab-
geordnet, ire auch was deßhalb bishero bei uns fUrkomen referieren,
so wol beiliegenden abriß, so auf des j)auschreibers anzaigen gemacht
worden mit D *) signiert, fürweisen lassen. Was gestalt uns hierüber
bemelter Freyherr zu Spaur schriftliche relation übergeben und ir fürstl.
Gnaden fürschlag seien, diesen ferner und see abbruch zu timen, das
bringt der einschluß mit E. merers mit sich, und sein wir albereit
dahin entschlo.ssen, etliche knappen und holzwercks-arbeiter, welche
sich auf clausen, wa.ssergepew, gepürg und prechen derselben versteen
dahin abzuordnen und zu bestellen, ob durch ir arbait und fiirsichtig-
kait dem see zu nierern auslauffen des wassers und zerfreß- oder
zerfallung des ferners geholfen werden mechte ; und wie oder was-
maßen es sich ferner erzaigen und anlassen wirdet, das solle E. k. Mjt.
hinach gehorsamist berichtet und verstendiget werden; wie wir dann
bemelten pfleger zu Petersj)erg so wol dem Innhaber | von] Castelbel *)
nochmalen besieht hierüber einzunemen und ire bedenken, was gestalt
der Sachen zu helfen sein mechte zugeben, nit unterlassen wellen. E.s
ist auch beiliegendes mit F. des pflegers von Petersperg bericht ober-
zelten 13. huius datiert, so er uns derenthalben zugesandt und mit G.
welcher gestalt wir die hueten und wachten widerumben abzustelleii
verordnet und bevolhen, und thuen darbei E. kaiserl. Mjt. etc. etc.
Datum Innsprngg den 30. .Tulii 1(101.
Euer Kaiserl. Majestät
unterthenigiste
gehorsamiste
N. Presidenten, Regenten und
Camer-Räthe oberoesterreichischer
Landen.
') Der „Riß“ D ist nicht mehr vorhanden.
’) Oer grössere Teil des Oetzthales his über Sölden hinauf gehörte zum
Gericht Petersberg, dessen Gerichtssitz im 17. Jahrhundert auf dem Schloss Peters-
berg bei Hainiingen , später in Silz im Obcrinnthal war; Vent aber, und daher
auch das Rofenthal mit dem Vernagt . gehörten mit dem Schnalserthal zum Ge-
richt Castelbell im Ktschthal. Das Schloss Castelbell liegt zwischen Katurns und
Schlanders am linken Etschufer.
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17] Urkunden über die Ausbrüche des Venmgt- und üurglergletscliers. 361
2. Bericht des Bauschreibers Abraham Jäger (Beil. A).
Besicht und bericht des groben erschröckliehen Wunderwerks, .so
sich hindcr dem Ozthal im gericht Petersperg, auf dem Achpach mit
wachsung eine.s ferners und angeschweltem see, welclier innerlialb
zwayen, alb IH). und 1600. .Jarn dahin gesezt, und noch täglichen in
die hoch, länng, und braitte aufsteigen thuet, begeben hat.
Erstlichen hat sollicher ferner sein anfang und ur.sprung ob dem
PUzenthalerjoch, davon er sich in das gemelt tUeffe thal und pachrunst
begibt, und erströckt, und solches thal dermaben von grund auf mit
einem tham oder perg geformiert wie ain runde grobe pabtey, un-
gefährlich dem perg Ysel zue VVilthan zue vergleichen, eingcfillt und
überstiegen, — als nembüch in die hoch unzt auf dem obristen grad
in die 100 werchclafter , brait gegenüber von ainem perg zum andern
in die l.jO werchclafter, und in die leng 3.ä0 werchclafter. Was aber
den übrigen ferner, so daran stobt und gegen gemeltem Püzenthalerjoch
begreitft und in sich halt, ist durch eingefallnes grobe.s schnee- und
regenwetter zue besichtigen underlassen worden.
Sollcher ferner ist auch nit, wie andere mit ganzem eiß glatt
gewachsen, sondern mit lauterm krackgstell '), spUzen, zUnnen, wasser-
stubnen, zwerchklüfteu *) und selzamen färben, das man sich darob ni
genueg verwundern kan.
Nachvolgendts hat solcher ferner ain schwölle und ain .see ge-
macht, da vor Zeiten anderst nichts alb ein schöne alben und grab-
poden, wunn und waidt gewebt: der ist lang werchclafter, brait
gegenüber von ainem perg zu de.m andern . wo er am braiti.sten ist
i7-"> werchclafter, dietf des Hanns Haffners'*) gewiß anzeigen und wor-
zaichen nach in die 60 clafter, und wöxt noch in die höcli in 24 stun-
den , das ist tag und nacht, eines manns hoch. Darein gehen von
hinden her zween grosse päch , einer genannt der Eyspach , von dem
Eibferner und der andere der Fiorenbach genannt aus dem obern Joch-
ferner, jeder ungefährlich der clainen Sil zue Insprugg zu vergleichen.
Alsdann sein andere nebenpäch ainer aus dem Creuzferner und der
ander aus dem Grabengröben ferner, auch beede der klainen Sill
zue vergleichen, die alle, sommer und winter iren stetten gang haben,
darneben aber in maßen wie andere päch, grob anlautfen. Mehr sein
in die siben kleine päch, deren namen zu benennen unvonnöten, weil
sy allein Sommerszeiten, wann grosse blazregeu chomen, darein rinnen.
So nun sollche päch alle miteinander in sollchen see geen, ent-
gegen aber kain wa.sser nit durch bemellten ferner heraus- oder durch-
tringt, ist es ainer grossen gefar zu besorgen. Und hat der See unter
0 Krack = Riß, Spalte. ’) Quergpaltcn.
b Der Rofener Bauer; der Rofenliof ist da.s oberste Haus im Tliale, kaum
eine .Stunde vom (iletaclier entfernt.
*) UrabengrOben : Graue Gräben.
Dieser Bericht fand sich etwas gekürzt und ohne Namen des 4'erfa.sscrs in
den sogen. Fuggerschen Zeitungen, den in der Wiener Hofbibliothek aufljewuhrten
politischen Korrespondenzen des Hauses Fugger. Danach wurde er von mir
zum Druck gebracht in der Zeitschr. d. Deutsch, u. Üesterr. Alpenvereins 1877, 8. 104.
Foraclmngen zur <Unt.«chpn I.amlrs- unil Volkskunde. VI. 4 -.7
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Eduard Ricbter,
118
3t)2
andern die aipenschall. dafi er den ferner mit dem dringt und schwecht.
und der eisschilei und korackh, so groli als das höchste hauß zue Yns-
prugg zu vergleichen, ausm grundt heraus würftt und hinder sich trägt,
wie dan derselben eisschüel, und große stück, so vil darinnen rinnen
und schweben sein, das sy ainer statt groß wol zu vergleichen; dar-
durch der ferner überg’wölltigt , das er sich in die lenng nimmer er-
halten kan. Allein Gott der allmechtige wöll sein göttliche gnad darzue
geben, wie wir dann starker hoffnung sein, das er sich gegen der
linggen hand, am perg nach und nach übergehen und verzören würdet.
Dieweil dann alle menschliche hilf und arbait durchaus vergebens und
umbsonst, pitten die arme underthanen im gericht und herrschaft Peters-
pcrg gaistlich und weltlich oberkait, von ihrentwegen zuo erbitten und
zu ermahnen gegen Gott ein christliches gebett und procession fUr-
zunemen, daß er sollches groß erschröckliches Wunderwerk und für-
genomene straff und schröckeu gnedigelich abwenden wölle.
Dat. Innsbruck, 11 tag Julii 1001.
3. Rundschreiben der oberösterreichischen Regierung an die Be-
hörden des Innihales (Beilage B).
12. .Juli 1001. Es werden unter Mitteilung von Daten aus dem
Berichte Beil. A die nachstehenden Behörden zu Bittgängen und An-
dachten, sowie zur Bäumung des Flussbettes, Entfernung gefährlicher
Holzmassen von den Ufern und zur Ausstellung von Wachen
aufgefordert.
Die Pfannhausamtleute und die Stadt Hall.
Der Pflegsverwalter zu Battemberg.
Der Pfleger u. Landrichter zu Schwaz.
Der Pfleger zu Thaur. Der Landrichter zu Sonnenburg.
, , zu Hertemberg. , Richter zu Wilthau.
. , zu Petersberg. „ , zu Ombras.
, , zu Botemburg.
Hauptmann, Richter und Stadt Ratemberg.
, , , , Kuefstein.
Die Statt Insprugg; der Richter zu Stambs.
(Die Ausstellung der Wachen wird am 00. Juli widerrufen.)
.\ II 111. Erklärung der Ortsnamen. Innsbruck und Hall sind als bekannt
vorauszusetzen.
Kettenberg, Gericbt am rechten Ufer des Inn; das Gebiet erstreckte sich
von Voldcrs bis Werberg; das jetzt ganz vertällcne Scliloss stand oberhalb Kolsaas.
Thaur, Gericht am linken Innufer, das Gebiet vom Müllnergraben bei Inns-
bruck bis zum Vomperliiich umfassend. Das Schloss stund nördlich des Dorfes
Thaur bei Hall.
Hertenberg. Gericht auf beiden Ufern des Inn.s. von Stams bis gegen Zirl
und nordwärts bis zur Laodesgrenze sich ausdehnend. Das Schloss H. steht gegen-
über Telfs.
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Urkunden über die Ausbrüche des Vernngt- und (Jurglergletscliers.
Uetersberg, Gericht ivuf beiden Ufern des Inn, nördlich bis gegen Ehr-
wald reichend, südlich das Oetstbal. mit Ausnahme des obersten Teiles, umfassend.
Das Schloss Petersberg befindet sich zwischen Ilaimingcn und .Silz am rechten Innufer.
Kotemburg. Das Gericht lag am linken Innufer und umfasste die Gegend
um den Achensee bis zur Landesgrenze; das Schloss befindet sich am rechten
Innufer gerade gegenüber Jenbach.
Sonnenburg. Die Herrächaft S. umfasste die westliche Umgebung von
Innsbruck, in früherer Zeit auch den Boden der Stadt Innsbruck selbst; das Schloss
stand bei Natters über den Engen der Sill.
Wilthon, auch Wüten oder Wiltau, jetzt A’orort von Innsbruck, be-
kannte Abtei.
Ombras, gewöhnlich Ambras, Schloss bei Innsbruck; die Herrschaft um-
fastst das unmittelbar südlich angrenzende Gebiet.
Eattenberg, Kufstein, Städte; Schwaz, Markt im Unterinnthal;
Stambs, Abtei im Öberinnthal.
4. Schreiben des Pflegers von Petersberg an die oberösterreichische
Regierung.
ly. Juli 1601. Der Pfleger von Petersberg entschuldigt .sich, dass
er Uber den See nichts gemeldet, ,weil es ohnedieli ein lautpares
geschrei“ gewe.sen; ,auch alle uien.schliche hilfo unmeglich* und es
höchst lebensgefährlich sei, sich dem Ferner zu nähern. Der Hofner
sei bestellt Nachricht zu geben, wenn sich etwas ereigne. Bittgänge
und Prozessionen würden ohnedies vorgenomraen ; so sei die Gemeinde
Oetz nach Seefeld gewallfabrtet.
5. Bericht des Petter Puppel, Metzger zu Innsbruck, und Martin
Griesstetter, Erzknappe aus Hötting (Beil. C).
Am montag 16. dito zu mittag sein sy bede hinein konien vorm
ferner, das eifiwerk besichtigt, gar mit henden angritten; das sei also
einem geschröf gleich angelegen, dali man leichtlichen darüber auf gar
in die höhe im eiß steigen kUnte. Die höhe de.s ferners heraus gegen
dem thal ist ob vier kirchthurn und der ferner hinein gegen dem see . . .
Das taal vom ferner heraus, wo der ausgang des wa.sser vom ferner
rinnen muß, auf 1 ','2 meil weges lang heraus bis geen Plattey|sei]
über ain chlaftler nit brait in ainem gar tieflen taal, zwischen ainem
harten gebürg und velsen , das es nirgent aufreißen kan sonder durch
die enge geen mues. Der ferner hat große braite clüfften, alle zwerch
übern ferner von abent gegen morgen , darob wasen und große stain
ligen, so die kelten durch die clütften heraus wUrtft.
') Kälte.
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Eduard Richter,
[20
301
Vor weniff tagen erst vers-chine wochen sein die spiez des feruers
nach an/.uigung des Hofners und ander der ende hausenden pauern in
200 chlaft’ter zwerchs *) brait stuckweis hinein in den See gefallen,
durdurch und weil auch sonsten vorher nach und nach viel große stuck
eys aines Imuü groß und theils deiner hinein gefallen, die das wasser
in see zurugg triben, doch am ferner innen herzue sei das wasser noch
in 7i) claftter tieft’; aber hinein gegen der alben verlier sich die tiefte
und seien sovil eißkuollen darin, das mann jezt nur etliche iQcken hin
und wieder sehe, und es kainen see mor gleiche. Die mehreren eiß-
knollen schwimen noch im see, wie sy beede dann dieselben kuollen
mit dem stecken bewegt und angritfen haben.
Das gebtlrg vom ferner hinein bis an die p’dch. .so darein rinnen
und sich der geschwelt see endet, sei baider orthen gar sehröfig, das
man hart fürgeen kan, wie sy daun vom ferner hinein bis zu end des
sees ain ganze stund zu geen gehabt. Die breite aber des sees, wie er
jezt geschatfen, wo er am bretisten bei 100 schriteu und sj)izt sich
imer zue hineinwerz, am ferner aber sei der see noch sehr trieb.
Die päch, .so hinten in see rinnen, geen auch .aus einem alten
ferner.
Der Ursprung wo sich der ferner so den see geschwelt genomen,
ligt zwischen mittag und abent gegen vier uhr und der see nach dem
thal hinein auch zwischen mittag und abent gegen zwei uhr.
Gegen morgen senk sich der ferner gegen den endtern “) pürg. da
er sich angelegt und das thal eingenomen, auch den p.ach geschwolt.
Und am neg.stverschienen ptingstag “) sei der see etwas weniges
übergangen, alsdann zwischen morgen und mitnacht hab der see ain
runst gewunnen und rinn ain pach , faßt halb wie die groß Sill zwi-
schen dem pürg und ferner überaus, vaßt auf 30 schrit sichtbar, doch
rinnen die ledigen eißschiel im see hernach und körnen für den runst.
daß er sich bißweilen sperre, doch wider aufgee. Alßdann verfall der
ausrinnend pach durch den ferner ab, daß man ine nit mer sehe, aber
rauschen höre, und hernach weit herfornen unten aiuer schneelänen
rinn diser neu pach gar trüb wider aus und komb durchs (iztal durch
die genielten tieft'en velsen heraus in Ynstromb.
Vaßt mitten im see auf der linggeu seiten hineinwerts sei ain
stecken, durch ain schnaider gesteckt und inen zaigt worden, daran
sy mit äugen gesehen und gemerkt, daß der see in ainer stund, weil
.sy darbei umbgungen um ain zwerche handt “) und in 24 stunden umb
4's werchschueh abseiche.“) Also daß jezt durch den neuen runst fast
zweimal sovil wasser außrinut als von allen einriunenden pächen (außer
des pachs der unteren alten ferner unsichtbar herab in den see falt)’)
darein kombt. und wirt sich dem ansehn nach der runst und ausgang
nach und nach tieft’er ausfressen, daß ires erachtens sich der see all-
gemach abseichen und verlieren, der ferner auch weil er so vaßt clüfflig
') über die Quere. ’) jen.seitigen.
’) Donnerstag 12. Juli. *) Öchneelawine.
“) handbreit. absinke, ubiaufu.
■) d. i. der Vernagtbacli.
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21J Urkunden über die Ausbrüche des Vernagt- und Gurglergletschers. ;{Gr)
und brüchig bald zerschmelzen wirt, das sich (iott lob kaines sondern
auhbruchs oder Schadens bei diesem ferner und seegewässers halb der
zeit nit mer zu besorgen.
6. Bericht des Grafen Spaur über eine Audienz beim Markgrafen
von Burgau. (Beil. 0.)
Daniel Feli.x Graf zu Spaur und Valor begiebt sicli im Auf-
trag der oberöst. Regierung am .luli nach Ambras zum Mark-
grafen Karl V. Burgau *), wird von diesem, als er nach zwei Stunden
vom Fischen zurUckkam, auf der ,.pruggen beim Aichwaldel“ in Audienz
empfangen. Spaur legt ihm den Ki.ss und Bericht des Bauschreibers .läger
und der Abgeordneten der Stadt Innsbruck vor; der Markgraf lächelt
über die Behauptung des Jäger, es sei lebensgeialirlich , sich dem
Ferner zu nähern, und findet den Bericht der Abgeordneten der Stadt
viel besser. Er selbst habe den Ferner besucht und gefunden, da.ss
er nicht im Gericht Petersberg, sondern im Gericht Castellbell liege.
Man solle Leute hinschicken , die mit Stangen mit scharfen Eisen
den Runst linker Hand am Felsen erweitern und die Ei.sstilcke zer-
schlagen, die sich vorlegen.
7.
!•. August. Kaiser Rudolf II. bestätigt den Empfang der ersten
Meldung vom 30. Juli und billigt die Anordnung von Proze.ssionen
und die Anwendung der vom Markgrafen von Burgau angeratenen Mittel.
8. Schreiben Karls Markgrafen von Burgau an die oberösterreichische
Regierung.
Von (Jottes Genaden, Carl Marggraf des hl. röm. Fteiches zu Burgaw,
Landtgraff zu Xellenburg.
L^nsern gnedigen grues zuvor, wolgeboren edle ersaine gelerte
liebe besondere. Uns hat der vest unser pfleger zu Sanct Petersperg
und lieber getreuer Daniel Ilaidenreich von Pidenegg etc. euren
den J. dib an ine abgangenen bevelch, darinnen ir inie deü in den
Etzthal und dem gericht Castlbell entstandnen gefärlichen ferners und
sees halber fernere besieht und beratschlagung anzu.stellen auferlegt,
') Markgraf Kar! v. Burgau, der zweite Sohn des Erzherzogs Ferdinand
von Tirol und der Philippine Welser, geh. 1.562, gest. 161>^.
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Kiluard Kicliter,
:W()
iii oripinali uiiderthennig zuegeschickt mit angelieftler gehorsamer bit.
weil er iiit allein für sein person sich zu diser Sachen merer er-
knndigung und ahwendung gefahr nit genugsam erfaren oder geschickt,
sondern auch in unserer herrschafft S. Petersperg, seiner Verwaltung,
niemands befinde der zu diser beratschlagung fürstendig sein mechte,
wir wolten euch dahin ersuechen, damit er diser comißion erlassen
würde.
Wann dann nit weniger, daß angeregter unser pfleger zu diser
Verrichtung erforderter maßen nit qualificirt und wir zu besichtigung
obgemelten ferners und sees diejenige personen, so man hierzue in der
gannzen herrschaft S. Petersperg für die verstendigisten geachtet mit uns
gefüert, dieselbigen aber berait ir guetbeduncken gesaget und be.sorg-
lichen jetzo aufs neue ain merers nit würden zu raÜien oder fUrzu-
bringen wissen, also berueren wir nochmals auf unserer vorig mainung.
nemblich, das man zu diser beschaw und beratschlagung solche per-
sonen abordnen solle die der ferner- , auch berch- *) und pergarbait
wie nit weniger der clausenschlagen • I und wassergebew erfaren und
geübt seien, welche dann vil beider und leichter als andere diß orths
ain fügsames und ersprießliches micl finden werden möchten. Im fal
auch mergemelter unuser pfleger neben andren durch euch erkießenden
commissarien hierzue assistenz hilft' und befUrderung laisten kan, ist
nit zuwider: das er dardzue jedoch ohne beschwerliche Unkosten ge-
zogen und gebraucht werde. Welches wir Euch unserer notdurfft nach
sowol auch auf gehorsames anhalten unseres pflegers nit bergen wellen.
Und sein Euch mit gnaden vorders wol gewogen. Gegeben in der
Parißaw den 11. Augusti Ao. liiOl.
Carl.
Georgius W.agnor.
9. Herrn Maximilian Hendls Gerichtsinhabers von Castellbell , Be-
richt, den Ferner betreffend. (Beil. E.)
Wolgeboren etc. Deren bevelch vom dato d. 4. ist mir am
7. diß verschlossen zukomen unnd ich hab dene mit ehrerbietung em-
pfangen, eröffnet und inhalts vernomen, wegen des hinder dem Etzthal
entstandenen großen ferners und davon angeschwellten sees , welliches
halben Euer Gnaden so vil erinnerung beschehen, man zehen oder
zwanzig starker personen die der ferner, auch prech- und pergarbeit
sowol der clausenschlagen und wassergebey erfahren , mit .starken
Stangen, so mit gehertetem eisen versehen, dahin wo der see den nmst
albereits gegen den perg auf der linggen seiten gemacht, verordnet
wurden, das der runst mehrers erweitert und die eißschiel *) so sich dafür
anlegen zerstos.sen, das das wasser fest außgefüert und der ferner zum
') soll wohl heissen : brccharbeit. *) Schlcussenbauten. *) Eisschollen.
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23]
Urkunden über die Ausbrüche des Vcrnagt- und Gurglergletscbers. 367
zerfallen gebracht werden möchte, und damit aber E. Gnaden dilä feniers
und sees, der im gericht Castelbel entstanden, noch mehreren bericht
empfahn, so soll ich den see und ferner alles fleiti besichtigen und
in beratschlagung ziehen , ob durch gelierten fUrschlag oder wie und
was gestalt selbige zum ablauffen des wassers und weckbringung ohne
sondere gefahr zu verordnen und mehrerer nachtl oder schaden fUr-
komen werden mechte, und was ich die Sachen in beratschlagung bringen
und obgeherte oder bei andern dergleichen see und ferner erfarner
personell erkundigen werde, das ichs Eu. Gnaden alli dann zestunden
an ainiches einstellen grünt- und austierlich berichte, diü auch alsbalt
und ou allen verzug miglichisteu anliegen nach zu werk bringe und an
mir nichts erwinden lasse, damit Pi. Gnaden ehist so möglich mein
bericht und bedenken hieriber empfahen und weiter notwendige be-
stellung zu thuen wissen. Auf solliches und wie ich mich iniglichkeit
nach zuvorderLst der gehorsam schuldig erkenn , hab ich umb so vil
mer auli be.sonndern threuen mitleiden und beherzender geferligkeit villes
und grobes darauf gostandnen verderben und schadenb an alles an-
sehen aller andern angelegenheiten und sorgesaraer uubequemblichkeiten
mich hirin ganz willig bomuet, und nit mit geringer gefar und aller-
dings meins leibs unvermigen (in Gottes namen) an das joch und ferner
gewagt und begeben. Weylen ich aber in den gcrichten Schlanderü
uud Castlbell, meiner inhabung, bei der eil den neg.sten an der band
dergleichen beriemte werchleit weder zum durcharbaiten der ferner
und .steingebirg noch clausen zu schlagen gar nit befunden, darauf ich
wol mein nachfrag gehabt, so hab ich, an der zeit nichte zu verlieren,
verschienen freitag den zehenten gleich den negsten in der nächne,
meinen pruedern herrn Cristoff Sigmundt Hendl und zu Schnahs
meinen anwalt Adamen Rainer, auch den closterrichter Cr ist an
Mayr e n samt G e o r g M a y r n am Sch ualshof, U 1 r i c h n \V e y t a 1 1 e r
zu Überhof und Lorenzen Rainer an der Leiten zu mir gezogen, so
sich auch hierzue ganz willig und gehorsam gebraucht. Mit den-
selben bin ich negst ver.schinen sambstag den aindlefften diü bei
allem groben ungewiter, regen und geschneib yber das joch und ferner
gar zu den ferner und see (mit Gottes gnad und dem sey lob gesagt)
yber gelangt und körnen, daselbsten ich neben meinen zu mir gezogenen
leiden die beschaffenheit des sees und ferners von ainem end an das
ander, uud gar hin gen Rotfen werts ergangen und alles angelegenen
vleiti abgesehen, in acht genomben und sovil befouden , das es sich
Gott lob zu ainem gueten abgang geschickt und dati schon dermalen
das zusanien gesamblte wassers gehebten sees oder ploders *) vil we-
niger worden, weder wie die menng groß ainmal beisamen gewest ist.
So auch der Christian Mayr, cloßterrichter und Adam Rainer, anwalt,
wie es noch Zusehen dahin das wasser gereicht, den augenschein ge-
habt gwissen und gezaigt haben, das es vor dreyen Wochen verschinen,
da sy am gebUrg und iren daselbst bei den gemachten see zu baiden
seiten habenden waidn bei iren vieh, oxen und schaf auch bei dem
') Nachteil.
ploder = Wassergraben, Wasseransammlung (Schöpf, Tiroler Idiotikon).
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Kduaril Richter,
[24
:5t!S
ferner und .«ee gewest seien, so weit wie es noch den leten von ab-
gesignen wasser vor äugen Init, voll mit wasser gewest sei, und die-
selbe tieffe, sofer jezten das wasser, wie wiers befunden schon ab-
gerunnen ist , aigentlich abgemessen nach den poden hinein , bilä anb
wasser, dreyzehen gueter Heischclafftcr, da vil eilischielen und solliche
stuck vom ferner wie heiser groß und kleiner jezten ligen thuen, so
zuvor alle auch am wasser geschwebt und jezt nach und nach zergen
und abnemen; dah ain sollich anzaigen und hoffnung gibt, daß die-
selben eißschielen und stuk mit der zeit alle sich verlieren und daß
daselbst einrinnent wasser zu ainem seinen alten runst und außgang
körnen werden niige. Denn dieselben eißschielen und stuck ganz
unbeweglich und an den ich mit den stab und stecken schieben und
wegen lassen, ain gewisses anzaigen geben, das sy gar nit mer im
wasser schweben, sonder auf den poden und grund sich gelegt bahn
und das wasser in kainer sollichen menig oder tieffe nit mer ist , das
es die eiüschiellen und knollen nur erheben, oder fortpringen kinde
Daher sich ainicher firlegung und Verhinderung des ainrunst zu be-
sorgen seie, so hat im das wasser schon durch den ferner perg, von
Schnalß her auf der gerechten hand, unden auß ain sollichen außgang
gemacht, das es alberait zu ent des ferners gegen den Kofenhof wider
auf sein alten runst kombt und jezt der ablauf schon der drite theil
Wassers mer ist, weder der einrunst in sce oder ploder. Und das loch
ausgefressenen ausrunst durch den poden und unsäglich dicken ferner
ist in aines gewelbs gestalt zu sehen und von wasser anderthalber
geniainer landsknecht spieß hoch ; da daß wasser yezt stäts sein vel-
ligen runst zufrißt und erweitert darob der mechtig ferner, und gar
nit zu gedenken ist, das es einfal und sich da was fürlegen solle, weil
auch diejenigen schiel, so noch am ploder liegen darzue kein solliches
sehen oder große nit haben , wie auch der gwalt des Wassers nit mer
so mächtig anzusehen, das sich ainiches fOrlegens zu besorgen, son-
dern der runst und ausgang je mer pesser und bequemblicher zu richten
und zu schicken sich ansehen laßt: also das mentschlich davon zu
discuriren, mer zu hotten, das es mit götlicher hilf nach und nach also
abgeen werde, weder zue befirchten sei heiriges jars weder ainichn
grossen gewalt oder schaden daher zuervolgen , das auch der ferner
nit mer gegen den ploder her wuxen und aufnemen kann, sonder es
gibts das ansehen und der augenschin, daß er sich mit ganzer macht
durch daß tal gegen Hofen werts hinaus ziehen thuet, an wellicheii
ort der runst anzesechen in die zwainzig werchclalfter wol hoch und
tieff auch gar eng ist, daselbst sich der ferner niechte fürlegen: aber
sich des zu getrosten ist das der jezige genoinben außgang schon
etliche kirchthürm hoch abwerts die heche *) hat und sich alspalt
durchfressn und sein runst in der tieffe durchaus offen halten werde,
daß es sich daselbst wie erwegen und davon geredt wirdt nit leicht
weiter schwellen oder verhalten solle. Allein dienet anjezten daß w.arm
weter sovil zeit, damit derselbige eingarig ainmal in ainen runst zu-
sammen körnen thete. Und zu verhietung vor äugen gesehner großen
') heche = Höhe.
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2')| Urkunden über die AusbrOche des Vernagt- und GurglergleUchers. 3(59
gewalt und vieler groüer darauf steender gfar verderben nachtl und
schaden ist got der allinechtige uinb solliches ainmiettiglich zu pitten
und sich mit andechtigen procession zu versientien sonsten ist mcntsch-
licher hilft', wie es da das unbequemblich ansehen hat, bei uns kain
mitel zu erdennken oder zu erhoffen, wie es auch gar ain Unmöglich-
keit durch leiten mit stangen den eißschiel und großen ferner stucken
zu wem, die gleichwol sich jetzt angesetzt und nit mer am wasser
schweben kinden. Und clausen ze schlagen würt auch nit vil anderß
weder daß gebllrg, so one daß gar eng und zu baiden seiten alles ain
felsen ist, helfen migen, allein das ain großer uncosten darauf gewent
würdt. Also daß es, wie ich den augenschein die beschaft’enhaiten und
alles ansehen geringen mainen verstand nach befind und den mit den
zu mir gezogenen personen genuegsam darüber rath gehabt, nur dem
allmechtigen got zu befelhen etc. etc. . . . wie dan die leit im Schnalß
da es von jar zu jar nur wilder wird und durch aufnembung der
ferner vie, gieter und waiden so gar verwilt und verderbt werden, bey
sollichem erzaigen jo mer herter hausen und also auch zu bedenken
sein. Getliche bewärung sey mit unß. Amen.
Castlbell den 14. Augusti anno 1001.
E. Gnaden u. Gonsten
gehorsam williger
M. Hendl.
10. Zweiter Bericht des Abraham Jäger.
Wolgeboren, Edl gstreng veßt etc.
Darauf geben E. Gn. wir gehorsamblich zuvernemen, daß wir
uns den 9. diß Monats Septembris samt dem Georg Wurmbser
Ffanhaußambts-Zimmermaister, desgleichen Michael Gr ä sei und
Melchior Wann er als clausen- und wassergepeu erfarne, item
Ch ristoffen Hopfgart ne r Salzpergsoffiziersverwandten in groben
regen und schneewetter auch leibe.sgeferlich weg auf den augenschein
vertiegt und solchen ferner alles fleiß besichtigt und in acht genomen.
daß er bei weitem nit mehr den form und gestalt, wie er vor gewest
bekommen und den gueten theil durch das seewasser, so auf der
linggen hande übergegangen und durch andere clüft't eingetrungen.
gesessen und dermaßen in der enge zwischen des velsig geschürf
und gewendt abgespant und versperrt, daß er außer großen gotsgewalt
sich davon nit bewegen würdet, so hat er underhalb gegen dem Ecz-
thal Werts durch die abfallenden wasser in der tieffe auf dem grundt
ein solchen au.sgang genummen, welcher ausgang sich auf den halben
’) versöhnen.
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.‘i70 Kd.Hichter, Urkunden über die Ausbrüche des Vernagt- u. üurglergletschers.
ferner hinein erstrecken thut, dardurch der see weit über halbes, und
erst seit initwoch den ">. dieli unxt auf dato uinb zwelf werchschuech
flesser ') und seichter, desgleichen der ferner uinb 11*0 schrit kirzer wor-
den: darauli w'ohl zu erkennen, daß in kurzer zeit wils got, diser see
gar ausgeen und abnemen w'ürdet, und obwolen bisweilen etliche stück
und eißschüll vom ferner in die pachrunst verfallen, so ist aber ein
solches geräck- *) und clufftwerch vorhanden, daß das wasser alspald
ein andern ausgang zu der alten pachrunst bekomen kan wie dann
bißher und noch teglich got lob, unib halbes mehr wasser daraus, als
darein rint. Im fall als je sich um den winter hinumb etwas verlegen
und abermals zu einen see aufschwellen thete, hielten wir darfür allen
anzeigen nach , daß es alles gefrieren und zu einem ferner wachsen
würde, in niassen der hinder große eißferner sich anfangs auch also
begeben, und erzaigt hat. Das man aber die pachrunst. darain die eiß-
schuel in ferner fallen die.selben zerstos.sen wolte, das ist aller werck-
niaister sow'ol auch unser erkantnus, daß es unmenschlich und nit müg-
lichen, und da es je sein müsste, wüirde es ohne leibes- und lebens-
gefar derjenig so daran arbeiten wolten, nit abgehen, und etwa vil-
leicht gegen diser anfallenden Winterszeit zu merer Verhinderung der
rechten pachrunst geraichen. Und dann mit dem claußwerk ist dem
gehaltenen r.atschlag nach , und wie sich die sach ansehen läßt von
dises ferners oder sees wegen durchaus nicht, weder darvor noch dar-
hinder, da gleich alle preparation vorhanden were, nichts fürzunemen,
.sonder vilmer aus allerhand unglegenhait diß orts abzusteen und Got
dem allmechtigcn zu vertrauen und demüetig zu biten sein gütlich vor-
genomne w'erk widerumben zu verenden und gar abzustellen.
Solches etc. . . . Datum D). vorbemeltes Septembris ao. ItiOl.
Euer etc. unterthenige gehorsame
Abraham .Jäger.
G. Aichorn.
.Jacob Ilueber.
II.
.‘Jo. September. Die oberösterr. Regierung .sendet den Bericht
des A. Jäger und Genossen vom 10. September an Kaiser Rudolf uud
meldet das Vorübergehen der Gefahr.
') flesser, flezzer = flacher, s. Schmeller, bair. Wörterb. S. 800.
■) Oerack = Krak = Spalte.
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n. Ausbruch des Vernagtgletschers 1676—1681.
Die Duellen für diese» Ereignis, welche liier insgesamt zum
erstenmal veröfi'entlicht werden, waren den älteren Autoren, Walcher und
Stotter, nur zum Teil bekannt. Sie be.stehen nicht nur aus aufgesam-
melten amtlichen Stücken, wie das für die Katastrophen %on IbUO und
1770 der Fall ist. sondern zum grö.sseren Teil aus Privatbriefen und
Aufzeichnungen. Sie zerfallen in drei Gruppen. Die erste bilden drei
Briefe, welche im .Juli lt)78 von Augenzeugen der furchtbaren Ver-
heerungen geschrieben worden sind. Zwei stammen von einem
Kapuzinerpater, welcher damals vom Bischof von Brixen nach Vent
im Oetzthal abgesandt worden war, um die verzagt gewordene Be-
völkerung zu beruhigen und jene gottesdienstlichen Handlungen vor-
zunehnien, welche man angesichts der vollkommenen Machtlosigkeit
menschlicher Hilfe als den einzigen Hettung.sanker betrachtete. Der
dritte Brief ist von einem Bewohner Umhausens, Georg Has.spichler,
offenbar an den Verfasser der beiden ersten Briefe, dessen Namen
wir nicht wissen, geschrieben worden. Der Pater hat den Gletscher
und See vor dem Ausbruch zweimal genau besichtigt und giebt eine
sehr lebendige Beschreibung desselben; der Brief Hasspichlers be-
handelt vornehmlich die angerichteten Schäden.
Das Hauptstück dieser Abteilung ist aber die sogen. Chronik
des Benedikt Kuen aus Eengenfeld. Wir haben hier eine Auf-
zeichnung vor uns, welche von zwei offenbar angesehenen Einwohnern
Lengenfelds herrührt, von Johann Kuen dem Vater und seinem
Sohn Benedikt Kuen. Die schrecklichen Ereigni.sse der .lahre Di78
bis 1(181, welche das (Jetzthai zu einer unbewohnbaren Wüstenei
zu machen drohten, haben auf Vater und Sohn offenbar einen tiefen
Eindruck gemacht. Johann Kuen erscheint in den weiter unten ab-
gedruckten amtlichen Berichten über die Kommission vom Jahre 1(181
al.s anerkannter Vertreter seiner Standesgenossen ; er ist der einzige
Bauer, der beigezogen und befragt wird, er antwortet im Namen
der Uebrigen. Der Sohn war damals 13 Jahre alt; er erzählt, dass
er al.s Kellner die langen Gespräche seines Vaters mit dem Kuraten
und anderen angesehenen Männern über diese Unglücksfälle und Ge-
fahren und die Mittel zu ihrer Abhilfe belauscht und das Gehörte
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;172
Kdimrd Richter,
[28
sich tief ins (iedikhtihs eingeprägt hübe. .Johann Kuen, der Vater,
verfasste nun im Jahre KJHJ, nachdem die Ausbruchsgefahr voröber-
gegangen war, einen kurzen Bericht Uber das Erlebte. Uber die Ver-
änderungen am Ferner, Uber die angerichteten Schäden und über
die Abhilfsversuche. Melir als JO Jahre danach, — der Vater war
wohl .schon tot — begann der Sohn eine Fortsetzung zu schreiben.
Er ergänzte die Nachrichten seines Vaters Uber die Ereignisse von
1078 — 81 mit mancherlei Einzelheiten, berichtete Ul)er einige spätere
Hochwässer verschiedener Veranlassung, dann über die Bewegungen
am Gurglergletscher 1717 — 1724; endlich handelt er ausführlich
Uber die Gründe, weshalb die Hochwässer im Oetzthal und beson-
ders in Lengenfeld so grosse Schäden anrichteten; findet er dieselben
in der ungeschickten Behandlung der Wasserläufe und Schutzbauten,
nnd giebt nun Ratschläge, vornehmlich in der Art, dass er seine
eigenen Erfahrungen und die gro.ssen Erfolge mitteilt, die er auf
seine Weise vorgehend erzielt habe. Die ausgesprochene Absicht
beider Schreiber, sowohl des Vaters als des Sohnes ist, den Nach-
kommen wertvolle und teuer erkaufte Erfahrungen zu sichern, und
sie zu rechtzeitiger Thätigkeit zu ermahnen. Die wichtigen Absätze
sind durch Zeugen beglaubigt. Es geht ein anmutender Hauch von
Klugheit und Thatkraft durch diese schlichten Zeilen. Nicht immer
und überall mag die Bauernschaft so trefl'liche Führer und Vertreter
besitzen.
Die Ghronik zerfällt, wie sich aus dem Gesagten ergiebt. in
eine Reihe von Ab.schnitten. deren Abfassung durch Jahre voneinander
getrennt ist. Es fehlt daher auch nicht an Wiederholungen, be-
sonders über die Ereigni.sse von 1678; doch sind sie nicht derart,
dass man Stücke ausscheiden könnte. Da ein Abs, atz .sich auf die
Ereigni.sse am Gurgierferner 1717 — 10 bezieht, worüber ein eigenes
Kapitel die.ser Schrift handelt, so hätte es nahe gelegen, dieses Stück
dorthin zu stellen. Doch schien es besser, den Zusammenhang nicht
zu zerreissen. Die Chronik zerfällt in folgende Ab.schnitte:
1. Aufzeichnung des Johann Kuen über die Ereignisse von
167(i — 1681, also vornehmlich die Ausbrüche des Stausee.«
in Vernagt und die angerichteten Schäden; ausserdem über
ilen Muhrgang im Fischbach bei Lengfelden am 1 7. Juli
1678, geschrieben H)8J.
2. Nachträge hierzu von Benedikt Kuen, geschrieben 1715.
J. Nachricht über einen Muhrgang im Wietenbach bei Sölden.
Aufstauung und Ablatif der Ache. Ge.schrieben wahrschein-
lich 1 72.5.
4. Nachricht über die Ereigni.sse am Gurglergletscher von
1717 — 1719; geschrieben in dem letzten .Jahr.
5. Fortsetzung hierzu bis 1724.
6. lieber die Ursachen der Vermuhrungeu und ihre Abhilfe,
geschrieben 1722.
7. Abermalige Betrachtungen über die Ausbrüche des Fisch-
l)achs 1678 und 1701, über die Arbeiten am Fischbach und
die dabei angewandten Mittel. Geschrieben angeblich 1715.
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2*.lJ Urkunden über die Ausbrüche des Vernugt- und Gurglergletscliera. ;}7!{
Es befinden sich im Ferdinandeum zu Innsbruck njelirere Hand-
schriften dieser Aufzeichnung. Da dieselben aber nicht ausgeliehen
werden dürfen, so liegt diesem Abdruck eine Abschrift zu Grunde,
welche 1770 wahrscheinlich nach dem Original zu Lengenfeld von
einem Mitglied der damaligen Gletscherkommission, dem Weginspek-
tor .Johann l’eter Hürn, genommen wurde, offenbar zur Be-
nutzung bei der damals eingetretenen Wiederholung derselben Er-
eignisse. Diese Abschrift befindet sich im k. k. Statthaltereiarchiv
in Innsbruck. Eine weitere Handschrift liegt zu Hueben im
Oetzthal.
Die dritte Abteilung der hier abgedruckten Schriftstücke bilden
zwei amtliche Gutachten aus dem Jahre 1(581. Ein Ti.schler in Inns-
bruck Namens Hu eher hatte drei Projekte zu Klausenbauten vorge-
legt, und der Hofbaumeister Martin Gum pp den \’orschlag eines
Ableitungsstollens gemacht. Es wurde nun von der Hegierung eine
Kommission, bestehend aus dem Kammerrat Joh. Paris von Wolfs-
thurn, dem Bergrichter Jeremias Hamblmayr und dem genanntem
Gum pp in das Oetzthal entsandt, wo gerade der See wieder eine sehr
bedrohliche Höhe erreicht hatte. Man nahm Hueber, den oben-
genannten .Johann Kuen, den PHeger von Petersberg und mehrere
andere Personen mit sich, begab sich zum Stau.see und prüfte die
verschiedenen l^rojekte. Hamblmayr und Gumpp verfassten dann ein
sehr ausrührüches Gutachten, W'olfstiiurn ein kürzeres, oder eigent-
lich nur ein BegleiUschreibeu zu jenem. Diese beiden Stücke, von
denen das erstere sehr viele interessante Einzelheiten enthält, liegen
in Abschriften im Ferdinandeum; sie sind ebenfall.s hier zum ersten-
mal gedruckt. Sie kommen beide zu dem Schlüsse, da.ss sämtliche
Projekte unausführbar seien; dass man dafür lieber den Cnterthanen
durch Steuernachlässe auf helfen, ihnen aus den ilerr.schaft.swäldern
neue Gründe an weisen, und die für jene Projekte etwa verfügbaren
Summen den Geschädigten schenken solle. Ausserdem möge
man besonders dem Zustand des Bachgerinnes und den Uferscliutzbauten
sein Augenmerk zuwendeii. Wie man sieht, hat man auch im 1 7. .Jahr-
hundert verstanden, den Nagel auf den Kopf zu treffen. Leider wissen
wir nicht, ob man auf diesen ausgezeichneten Hat eingegangen ist.
# *
*
Nach den folgenden Aufzeichnungen stellt sich die Geschichte des
damaligen Vor.sto.sses in folgender Weise dar.
1(57(5 hörte mau zuerst, dass der Gletscher sich ins Thal herab
vergrössere. Im Herbst 1(577, nach .Joh. Kuen (B. 1571; zu Weihnachten
oder Neujahr nach Zeugnis des von der Obrigkeit bestellten Auf-
sehers Andreas Kuprian von Arinelen, wurde die Zwerchwand, das ist die
der Mündung des Vernagtthales gegenüberliegende Berglehne erreicht,
und begann die Anstauung des Bees. Nach Angabe des Kapuziners
soll die Ausfüllung des Thaies erst im März oder April 1078 ge-
schehen .sein und die Bildung des Sees erst im Mai begonnen haben.
Am 1(5. Mai besichtigte der Kapuziner die Lokalität und verfa.sste Plan
und Beschreibung. Am 21. Mai nachts 8 Uhr ist der See unversehens
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374
Eduard Richter,
[30
abgelaui'en. und das Wasser in vier Stunden mit grossem Geräusch, aber
ohne Schaden zu machen, bei Vent vorbeigeflossen. Am nächsten Tag
zeigte sich das Becken leer, und die Bäche liefen unter dem Gletscher
durch.
Aber Ende Juni verschloss sich der Ausgang wieder. Am
"27. .luni war der See 74-t Ellen (500 m) lang, 250 Schritte (190 m)
breit, die Eismasse 885 Schritte (060 m) laug; das Gewässer stieg
innerhalb zweier Stunden um mehr als eine Spanne. Am 0. Juli war
der See schon 1380 Ellen (ca. 1000 m) lang und 100 Klafter (200 m)
tief, und stieg in drei Stunden um V Eilen. Der Eisdamm über-
ragte den See auf der Hofenbergseite noch um 41 Ellen, war ,aber
noch um 78 Ellen niedriger als vor Jahren gewest“. Die
Spuren des 78 Jahre vorher eingetretenen Hochstandes waren also noch
kenntlich. In der Bichtung thalahwärts gegen Vent fehlten noch
400 Ellen von der damaligen Ausdehnung. Vom 0. — 12. Juli stieg das
Wasser um 14 EUeri und begann neben der Zwerch wand Uberzulaufen.
Am 14. besichtigte der Kapuziner den Ferner abermals, und zwar
auch das Firnfeld; am 16. Juli erfolgte der Ausbruch, welcher nach
allen Schilderungen wohl einer der schlimmsten gewesen sein muss, der
sich jemals ereignet hat. Benedikt Kuen sagt, am 10. Juli in der
Nacht sei der Au.sbruch erfolgt, vor anbrechendem Tag am 17. sei das
Wasser schon in Huben gewesen, und morgens früh in Lengenfeld.
Zur gleichen Stunde brach eine Muhre aus dem bei Lengenfeld mün-
denden Sulzthal und vollendete die Verheerung. Der ganze Thalboden
von Lengenfeld glich einem See. Es waren am V'ortage starke Ge-
witter gewesen, und diese waren nicht l)loss die Ursache des Muhr-
bruchs, sondern ohne Zweifel auch des Fernerausbruches, indem die
Zufuhr grosser und verhältnismässig warmer Wassermengen die Pforten
des Eisdammes zu eröffnen vermochte.
Den bestimmten Angaben des Kapuziners über die kurze Schwell-
zeit des Sees, etwa vom 20. Juni bis 10. Juli, steht eine Behauptung
des früher erwähnten Cuprian gegenüber, der See habe sich schon
seit Weihnachten gestaut. Es kann nicht zweifelhaft sein, wer hier
mehr Glauben verdient, ganz abgesehen davon, dass der Pater am
nächsten Tage, Cuprian fast 40 Jahre danach sein Zeugnis ablegt.
Der Pater zeigt sich überall als ein sehr verständiger und umsich-
tiger Beobachter.
Im Jahre 1C7‘.I brach der See wieder aus, aber ohne Schaden.
Im .Jahre Ui80 erfolgte am 14. Juni ein sehr verheerender Abfluss.
Im Jahre 1081 staute sich der See wieder, nach Ramblmayr seit
10. Oktober 1080; aber der Eisdamm war schon auf ein Drittel der
Höhe vom Jahre 1078 zusammengesunken und eine feste spaltenfreie
Eismasse geworden. Der See war dem Ueberfliessen nahe, als auf
Veranlassung Joh. Kuens zwölf Mann aus Lengenfeld einen Graben in
da.s Eis hackten (8. — 10. .Juli). Durch ihn begann der See abzuflie.ssen.
und das Wasser grub sich zwischen Fels und Eis seine Bahn immer
tiefer, so dass nach einigen Tagen der See um vier Klafter gesunken
war. Nach Ramblmayrs Ansicht wäre dies ohne den Graben auch
geschehen und diese Arbeit völlig überflüssig gewesen.
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31] Urkunden über die Ausbrüche des Vernagt- und Gurglergletachers.
In den nächsten Jahren bildete sich der See immer wieder und
füllte sich bis zum Ueberlaufen: das überströmende Wasser vertiefte
dann allmählich sein Rinnsal so weit, dass der ganze See ohne Schaden
ablief. Schon 1083 „lebte man ohne Sorgen“. Erst 1712 ver-
schwanden aber die letzten Eisreste im Thale. Sie hatten sich also
genau so lange gehalten, als die des letzten Vorstosses in unserem
.Jahrhundert, nämlich 34 Jahre (1078 — 1712, 184.') — 79).
Dass man den „gottlosen Buben“ , der durch seine Hexerei den
gleichzeitigen Ausbruch des Ferners und der Muhre im Fischbach ver-
anlasste, deshalb hingerichtet hat, ist für das 17. .Jahrhundert nicht
verwunderlich.
I. Brief eines Kapuziners an J. Kuen in Lengenfeld, Fend (?)
1. Juli 1()78.
Ehrnvester firuember insonders viellgeliebter Herr Kuen.
Das wir von unsern P. Superior von Ymst auf der herren supli-
cation die erlaubnis bekomen haben, dass wUr statts bis auf .Tacobi ')
allhie zuverbleiben, wirdt der herr zweifelsohne schon Wissenschaft
haben. Mit die.sem aber können wir nit unterlassen, dennselben die
bescbaffenheit und zuestand des jetztigen ferners zu überschreiben, daü
solcher schon etlich tag widerumen nit mehr ausgeht. Wir haben
zwar vermeint, weill das wasser etwas klain ist gangen, es kombe von
der kälte her; nachdem wir .aber vergangenen sarastag ein aignen man
hineingescbickt zu besichtigen, hat er uns leider die be.se zeitung ge-
bracht, dali schon viell wasser darhinter ist. Derohalben habe ich
mich alsbald mit der gemain unterredt, einen kreizgang hinein anzu-
stellen, welches dann ge.striges tag ’/a stundt nach dem gottesdienst
mit begleitung Ol) persohnen beschechen; weillen es aber stäts ge-
regnet, haben wir wegen des bö.sen wegs und gefahr nit gar zu dem
wasser darhinter kommen können, sondern vorher unser andacht ver-
richtet, gleichwohl den Audree Sauter und un.seres hochf. Herrn Michaels
sein knecht darzue hineinge.schickt, welche daß wasser recht besichtiget
und uns bedeitet, dati der ploder, oder besser zu.sagen der anwachsende
see schon 7l)<) schritt lang, und dati bewuste bergl so mitten im thal
steht, schon völlig mit wasser bedeckt. Anheint aber sein wir Selbsten
mit der allhiesigen gemain hineingegangen, welche den steig darzue
neben dem gebUrg ausgebes.sert haben für die durchreisenden und hirten,
und solches mit betruebten herzen und äugen sehen missen. Wir haben
die länge des sees mit einen kneuelfaden abgemessen und befundten
744 eilen und die breite des .see negst an den ferner mochte beiläufig
2-M) schritt sein; die breite des ferner aber von dem hinteren thal gegen
Koflen und Vendt, all wo das was.ser durchlaufen sollte, ist nach aus-
') 2.5. .luli.
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Kduard Kichter,
37i)
ia-2
messung an dem gegenstehenden berg geratli 88.") schritt lang; haben
auch an einen orth 120 eilen weit von dem endt des see wo er an
ferner anstolit, die tiefe des wasser abgemessen und 10 eilen tief be-
funden, darauß /u schließen, wie tief er in der mitte und zu end an
ferner sein mueß. So haben wir auch observiert, die 2 stundt, als
wir alldortcn gewest, da das wasser mehr als ein guete spanen hoch
gewachsen. Aus diesem ist dan zuersehen, in was mau vor einer gefahr
ist, sonderlich weillen wie man fUrcht, der ferner von dem wachsen
noch nicht abliißt. Wir haben uns zwar beflissen, mit Verrichtung des
gottesdiensts, gebett, und anderen geistlichen Übungen diesen übel zu
begegnen, so last sich aber wider den willen gottes nicht streiten;
allein haben wir auch diese guete hofnung zu dem liebreichen gott,
als welche sich auch -schon zu 2 mahlen in diesen un.s gnedig erzaigt.
daß erste mahl ist bekant, daß andere mahl an S. Veitstag*) als die
gemaind von sölden mit dem kreiz alhie gewest, und thails solches
selbst gesehen hernach aber bald wider amsgebrochen, er werde uns
auch disraahl durch die verdinst seines lieben sohnes Jesu Christi,
und firbitt der Jungfrau Maria, auch aller heiligen barmherzig sich
erzeigen, und etwa einen gueten ausgang verleichen. Solches dann
zu erlangen ist wohl vonnöthen daß die ganze gemain im gericht mit
ihrem eifrigen gebett die such ihnen auch bestermaßen lasse angelegen
sein; welches wir unserseits auch nit ermanglen wohlen, damit wir
hofentlieh den herrn mit nechsten ein bößere Zeitung überschreiben
können. Der herr kan auch dise beschaßenheit denen von Umhausen
und Öz bericliten, welches wir mit beiliegendem briefe unseru P. Su-
perior auch bedeutet.
(Hier folgt im Original eine schematische Zeichnung, welche aber neben der bei-
gegebenen Karte entbehrlich ist.)
2. Brief desselben Kapuziners an einen seiner Ordensobern.
Imst.? (18. Juli).
Admodum reverende obtemperande pater!
Ich habe zwar P. P. jüngsthin de dato 1. Juli ein wenige in-
formation samt einen anfältigen entwurfl’ wie der besorglichen .schäd-
liche ausbrechende ferner den 27. Juni sieh befunden, zugeschickt;
so ist mir aber bald darauf von P. Sabino ein andres schreiben eiu-
gelofeii, welches jener wenig tagen ein merckliche und schädliche Ver-
änderung, mit Vermehrung des verschlossen gewäsers mitgebracht.
Dann wie er den 0. Juli samt einen abgeordneten man von dem ge-
richt Petersperg und noch 3 anderen mänern die beschatfeuheit des
gewässers und daranstoßenden ferners mit schnueren abgemessen, und
wie es ungefehr der augenschein mitgebracht, wo mau sonst nit zue
') lo. Juni.
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33] Urkunden über die Ausbrüche des Vernagt- und Gurgiergletschers. 377
komen können, haben sie befunden, dass es sich in lU tagen, wegen
den vorigen bericht mercklich vereiidert, und auf diese weis befunden:
1. Die breite des femers dardurch das wasser laufen und durch-
brechen inueü 840 eilen.
■J. Die lenge des sees von dem ferner an bis zu anfang, da es
sich schwöllet allwo von den gebürgen zur rechten und lincken 2 an-
dere darein laufen 1380 eilen.
3. Die tiefe des see kan man eigentlich nit wissen, jedoch nach
aussag der mäner so erkandtnus des orthes und dem gebürg nach
haben, wo es am tiefsten 100 claffter. Unter und zwischen dem
ferner hat das wasser hineingefre.ssen, bei GO eilen so vill man säclien
können. Die 3. stundt so sie darbei gewesen ist das wasser in die höche
eine halbe eilen und 3 fingerbreit gewachsen, an den berg aber hinauf
eilen hoch gestiegen.
4. Die breite des sees liegst bei dem ferner 450 schritt lang, in
der mitten hiniber 250 schritt, und zu anfang wo es sich geschwöllt
bei dem eingang des gewässers 25 schritt, nach bedüncken der gegen-
wertigen, weillen man es aigentlich nit wissen noch beikomen können.
Sonsten waxt der ferner nach allen seiten, außer wo das gewässer
davon stoßt, von welchem orth immerdar gar große stuck in das wasser
herunter fallen und zurugg schwimen.
Auf der lincken handt, wo er völlig den berg angew'achsen an,
vom .see 41 eilen höcher und hat noch zu wachsen bis an den
orth wo er vor jahren gewest 78 eilen; zur rechten haiid aber
herauswerts gegen Vendt zue hette er noch zu wachsen und sich aus-
zubreitten bei 400 eilen. Sonsten ist er voller klUft und höllen, und
zu besorgen, daß er nicht lang dem wasser wird widerstehen können,
sondern stündlich eines leidigen bruches zu gewärtigen haben. Den
G. bis 12. Juli ist das wasser 14 eilen höcher gestiegen und seinen
ausgang neben dem ferner und gebürg, wo er sich angesezt genommen,
alwo es bis 10. dits in disen stand coutinuirt.
Den 12. dieses bin ich mit P. Martiano von hier nach Vendt
gangen und den 14. alle vier mit einander samt einen man von lengen-
feldt, so den bruch zu beobachten von selbige kirchspieU dahin ge-
schickt worden, den ferner besichtiget, daß gewässer und dessen aus-
gang in obbedeiten stand befunden, so gleichwohl bei 2 spannen ge-
fallen. Darauf haben wir uns über ein eißlännen *), so zu unterst in den
pach, hinüber auf daß andere gebürg gelassen, und den Ursprung des
ferners hinaufwärts auf daß gebürg bei 3 stunden zuegangen, daß wir
ihne allenthalben, soviel man vor dem gesicht erreichen können über-
sehen. jedoch kein end oder anfang, wo er unter den jöchern und
köpfen hervor bricht nit finden können; gleichw'ohl mit diesen unter-
.schiedt, daß wie wir ihne den 10. M.ay, daß die hoche gebürg noch
alle mit schnee bedeckt, das erste mahl als eine mit schnee bedeckte
haidt Übersechen; anjetzto voller klüft, spitz und schroten, als ein wildes
eißmöhr, wie beiliegender entwurf ausweist, angetroffen, so wohl entsetz-
lich anzusechen, einen umkreis soviel sich dem gesicht nach präsentiert,
') Eislawine; ein Lawinenrest bildete eine Brücke.
Forschungen rur ileutsohen I.andos- iiiicl Volkskunde. VI. 4.
20
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378
Eduard Richter.
[34
würde kein both in einen tag umlaufen können, wan er schon schnur-
gerod daruiuen solle gehen , dan es ein unglaubliche weite einnimbt
und weih der liebe Gott wie weit er sich noch hinein in die höche
oder ebne selbiger gebürg erstreckt.
Gerstert um 0 uhr i.st das gewä-sser mit solchen gewalt frühezeit
hergebrochen durch das Özthal daß allein in selbigen kirchspill alle
7 pruggen fortgerissen, den ganzen boden überschwemmt so noch heunt
mehrerentheils unter wasser gestandten, zu Tumpen ein stund weiter
hinein haben sich die leuth auf die dächer ihrer häuser in eil salvieren
müssen ; was weiter ins thal hinein für elend sich ereignet, würdt die
zeit leider geben, weilen man anjezo weder hin noch her kann, .son-
dern über die jöcher und gebürg sich verfüegen muß, bis prugge und
steeg geschlagen w'erden; fürchten wohl ein großes eilend anzuhören,
sonderlichen weillen außer des hau , so erst sambstag selbiger ortben
meisten eingebracht worden, alle frucht noch in feldt und zu grundt
gangen .
Ob der ferner neben den berggüßen au.sgebrochen,_ haben wir
noch kain nachricht. aber sorge .sehr. Daß ganze arme Ozthal mueß
einen großen schaden gelitten und dieses gewässer viel arme betrüebte
leith gemacht haben, denen es nicht allein haus und städl, sondern
grund und boden hingefUehrt, verderbt und überschüttet, es sein auch
allhie zu Ymst und aller orthen herum die bäch ser angeloffeii
gewesen.
Erklärung des , Risses“ (siehe Karte 1).
Anno 1Ü78 der monath märtz und aprill hat der herunter-
sitzende ferner das thal völlig verschlossen und sich bei A an dem
gebürg gegenüber angesetzt. Im monat Mai hat sich das wasser weillen
es verschlossen hinter dem ferner angefangen zu schwöllen und 14 tag
verschlossen geblieben in welcher zeit es das berglein D mitten in dem
thal ganz bedeckt*). — Den Ib. Mai Dominica b. post Pasch, habe ich
zu V'endt in St. .Jacoben Cappellen den ersten gottesdienst gehalten,
den 10. darauf nach verrichten gottesdienst in begleittung zweier männer
Michael Sandter zu Vendt, und Georg Gstrein zu Rofen, so die leiste
häuser, dem ferner mit fr. Ludowico zuegangen und weillen wir liucker
seiten wegen gefahr der abfalenden schneelähuen an dem gächen ge-
bUrg uns nit hineinwagen können, haben wir uns rechter hand auf
dem gebürg nechst dem ferner von 0 gegen M so hoch wür wegen
des Schnees können, bei 2 stunden hinaulgezogen, allwo wür wohl
übersehen können, und alldorten weillen wir gerastet, diesen einfältigen
abriß entworfen -).
Den 24. may nachts um ',i* 8 Uhr ist das ganze gewässer un-
versehens mit großen gewalt hergebrochen, und bis in die halbe nacht
bei 4 stundten mit großem geräusch zu Vendt durchpassiert, doch gott-
lob noch mit leidentlichen schaden.
') Dieses Herglcin D ist gegenwärtig nicht mehr zu ermitteln ; wahrschein-
lich ein seitdem verschwundener Oeröllhaufen.
’) Sie gingen auf das l’hittei.
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351 Urkunden über die Ausbrüche des Vcrnagt- und Ourglergletschers. 379
Den 25. dito haben wir un.s nach den hl. gotte.sdieust .«amt 0
andern persohnen auf winterseithen ’) von P gejren Q und R hinter den
ferner völlig hindurchgela.ssen und weillen es kalt wetter, ist er ganz
still gewesen, da sonsten bei warmem gewitter alles unruhig und
ein wandt und schroffen nach dem andern umfahlt, anderen hingegen
heruntter wachsen, haben damals gottlob befundten daß alles gewässer
völlig ausgangen und die ordinäry anderen, so sich allerseits in selbi-
gen thal und gebürgen so wohl aus den ferner als briinnen und schnee-
wasser versamblet, ihren ordentlichen gang zu unterst durch den ferner
gehabt, doch welches verwunderlich, hat man nit können erfahren oder
spüren, wo dieses gewässer seinen ausgang mueß genommen haben,
da es doch nicht einen pichsenschuß weith , durch ein lähnnä so fast
mann hoch gebrochen, und anfangs darüber ausgeloffen. Also vor
diesmal mit göttlicher hilf der erste wasserbruch, ohne sonderbare ge-
fahr und schaden ausgangen®).
3. Brief von G. Rasspichler in Umhausen an einen Kapuzinerpater.
28. .Juli 1078 (Ferdinandeum I. h. 17).
Wohlehrwürdig in gott geistlich hoch und wohlgelehrter Herr Pater!
Des Herrn Patern mir zugesandes bricfl hab ich dero 27 diß zu-
recht erhalten, darauf nit underlassen kennen mein geehrten P. ..P. in
der eil zu berichten, wie daß der allmechtige Gott daß ganze Özthal
durch den großen und ungestimen fehrner und ander vielfeltigen zue-
wä.sser erströcklichen schaden gethan, so gleichsam nit wohl zue schrei-
ben ist. und .soviel mier bewust ist. gleich hernach zuvernemen haben :
.als erstens hat es die pruggen außer der hochen zue Hofen, so auf die
14. anlaufen, alle miteinander vertiert •’) daß kein gleichheit wohl mehr
zuersehen ist. Zu Vendt ist daß handtschmitl, die sagen ■'), ain kästen^)
auch den Kofner ire zwenn holz häufen samt etwas gcthrait und grünt
vertiehrt worden. Zue Winterstöll .auch dort heraus hat es zween auch
zimlich vill gieter”) auch gethrait von dannen genummen. Zu Zwisl-
.‘<tain ist ain behausung, 'i städl ') samt der zugehör, auch viel gieter
gethraidt abwöckgenummen worden, ln Söldner kirchspill, was bei
den poden hinaus ligt hat es auch etliche behausungen, stadl. stallung
ganz ruiniert auch ganz zerrissen worden und die gieter samt den wög
') Auf der Schattenseite, d. i. am rechten Bachufer, wo gejicnwürtig der
Saumweg geht.
Der Sinn dieser Stelle dürfte folgender sein: man sali keine bc'sondere
.Vu-sbruchsüffnung im Gletscher (offenbar war der .See hauptsächlich in wenig auf-
fallenden Kanülen unter dem Gletscher durehgeflossen) hingegen konnte man an
einem I.awinenrest, der weiter unten den Bach Oberbrückte, wahmchmeii, wie hoch
das Wasser gewesen.
’) weggeführt. *) SiigmOhle. *) kästen = auf 4 Pfählen errichtete Vor-
ratshäuser. “) Güter -- - Grundstücke. ’) .'^cheune.
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Eduard Hichter,
3Ö(J
L36
und stög verreiit*) und auch yherschitet worden. Alsdann: an der Frugg.
Ober- und Uuter-Arinbelen *), in der Winckl, auch Flaten sein 8 oder S*
behausungen samt stadl und stallung, auch etwas gaiß und (salva venia)
Schwein ganz verrenth worden; auch die gieter den mehren tail alle mit
einander verderbt, ain oder zwen große rinst dardurch gemacht und solches
orth wohl iiit mehr zu bewohnen sein wirdt, maßen allda vorhero vill
armen leith gewest sein, und namens ein pauer Balthaßer Kuperian.
I wie I andere leith vorgeben noch in gietern, gezimber ’), getreidt und
schulden auf die 14 000 f. in allen schaden verursachet haben soll;
weiter auch auf der Huebe. Ober- Unter- Astlen, Haumholf *) seint da-
selbs zween durchprich beschöchen und allda die leuth an sonntag
vor tageszeit überfallen, daß soUiche 4 ganze tag und nacht darinnen
verbleiben niießen, daß ihnen kain hilf nit zuekumen könen, aber end-
lich aus der großen gefahr erlödiget worden: und nit mehr als zwei
kinder verloren haben, auch inen an gezimer, gietern, getraid, etwas
klainvich ainen großen mechtigen schaden verur.sachet ; doch etwas
gieter widerumen zu putzen sein werden. Den dorff Ober-Lengefeldt
aber het der ferner zwar nit großen schaden verursachet, allein der
Vischpach auch auf derselbige stund inen ein schrecklichen schaden
zuegefiegt, als den anwaldt sein obere wirths behausung, peuitel *).
garten und sunst noch viell gieter samt der nuzung außer den schaden
der schulden von etlich tausent gülden schaden zuegefiegt und anjetzt
der pach noch heint dato durch seinen stadl herunder lauft.
Wie nit weniger den geistlichen Herrn Franz Jäger seinen
widum“) halbentheile die mauern hinthan gefallen auch das sumerheißl.
die ainsiglerey ') samt seinen garthen und andere Sachen mehrere ganz
hiuweckgenomeii. Weil auch allda noch 7 behausung, stadl und stal-
lung, schmiten, 2 mihlen, pleuill *) auch viel scheuen gietern übel ver-
derbt, verrent und grob mit stainern überschit worden, daß wolil ein
schröcken ist anzusehen; auch 7 oder 8 dothe körpper auf den freit-
holf verfiel t und aus dem gotte.shaus alles blinderen “) müssen. Durch
daß undtere kirchspiel hinunter sein 3 prich geschehen und ihnen vill
getraidt verdörbt, aber die gieter gleii'hwolil widerumen zu puzen sein
wirdt. ln dorf Umhausen hat das fernerswasser 3 große pruggen.
auch vill tlieill- und gemain holz hingenommen, wie auch der dorfpach
in gietern auch in ainer behausung ongefehr bey 2000 f. schaden ge-
than; auf Niderthey hat diser pach auch um etlich hundert gülden
schaden verursachet.
Hopfegarten, Osten, Dumppen scindt auf die 7 behausung ver-
dörbt und eingefallen, allda auch an grundt und poden viel gar ver-
renth, thail überschidt, daß solches wohl ein großen summa geldtes
wird anlaufen.
') verrent = ül>errannt.
*) Armelen zwischen Hohen und Sölden. Die Namen finden sich fast sämt-
lich in der .Spezialkurte.
•) gezimber = gezimmcr. ') jetzt Huhnhof.
pennt, uh^egrenztes Grundstück. “) widum = Pfarrhaus,
b Einsiedelei. ’) pleuil oder pleull = Stampfmühle.
”) plündern, d. h. forttragen, ausräumen.
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:J7] Urkunilen über die AusbrOclie des Vernagt- und Gurglergletechei's. 381
Ferners zue Habigeii, ()z, und Ozer inihl seindt auch etlich be-
hausung, 2 mahlmiblen, ain hanierschmiten ruiniert und eingefallen,
auch an gietern getraidt gar großen schaden verursachet, und die wög
und stög von Höchlrain hinein unzt nacher Vendt auf die 15 stund
lang der niehrer thailes ganz verderbt worden, daß man noch fahrn.
reithen noch gehen kan, auch nit wohl an etlichen orthen zuniachen
sein wirdt. Also mein, Ihro wohl Ehrwürden schon erachten, was für
großen und unausbleiblichen schaden erfolgt ist (und wan es gott wolle
verbieten) bey dißen zuverbleiben hat, maßen mein vielgeehrter Herr
Pater des ferners wie auch des Ozthales guete Wissenschaft haben
werden. Bedancke uns auch ganz unterthenig gegen den P. P. und
allen lieben auch guetherzigen P. Cappuc. daß solche den ganzen Oz-
thal mit dessen heiligen gebett und mößopfer auch andere guthe ermanun-
gen beigestanden sein ; es wird solches in kainer vergößenheit geslölt
werden. Für dißmahl nit mehr, allain thue ich mich, auch die meini-
gen samt den ganzen (3zthal den P. P. in seinen h. gebeth und möß-
opfer befehlen auch unter den schuz des allerhöchsten, actum in eill
Umliauseii in Özthal den 28. .July 1078.
D. F. Patern
allzeit guet
Georg Rasspichler.
4. Chronik des Benedikt Kuen von Lengenfeld.
Nach einer beglaubipften .\bschrift des Job. Peter HOm von 1770, 1. September.
Cam. Cat. 1 , 64. Ausserdem wurden 2 Abschriften in der Bibliothek des Ferdi-
nandeums. Dip. 72!) und 1013 verglichen.
1. Der hernach kommenden Jüngern
weit des kirchspieles Lengenfeld und etwann auch einen ganzen ehr-
samen Ezthal zu gedächtniß und auch zu einer gewahrming ist gut
gemeint wegen des schädlichen ferners zu Vernack hinter Vendt und
Rofen liegend verzeichnet worden, wie folgt:
Erstens ist zu wissen das anno lOOli wie man von unsern vor-
eitern gehöret, so ist der grosse ferner hinter Rofen (wie gemehlt)
nachdem derselbe sich seiner natürlichen gewohnheit nach in das thal
herunter gesetzet, am pfinstag vor Jakobi obbemelten Jahres |20. Juli]
ausgebrochen, durch das Ezthal hinaus in feldern große schaden ge-
than, die weg und strassen ruiniert, und alle brücken hinweg genom-
men, wie dann das wasser dazumahlen im kirchspiel Lengenfeld von
Rethlstain unzt an die Lener Kohlstatt die güter überschwemmt.
Zum änderten anno 1076 ist leider die rede erschollen, daß dieser
ferner abermahlig in völligen erwachsen von berg herunter erscheine,
müssen denn selbiger anno 77 an herbst sein gewächs gegen den berg
außer den grauen graben hinüber völlig erreicht, hierdurch das wasser
wie ein mauren aufgehalten, und versammelt: folgends ein grosser see
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382 Kduiird liichter, [;(3
sich hintersezen müssen. Darauf iin monat may etwa.s weniges; aber
im monat 17. juli 1(578 dieser ferner sich zerspaltet, und das gewässer
völlig und erschröcklicli mit vorangehendem stinkenden nebel mit sausen
und prausen herausgebrochen, dazumahlen viel häuser, weeg. strassen
und brukeu im Ezthal verrennet worden, also das man mit grosser mühe
hat müssen mit zutragen den hohen Tauferberg ‘) steigen und wandeln.
Zum dritten; dabey ist sonders zu merken das eben an vorge-
melten 17. juli 1(578 mit jämmerlichen muer-“) und wassergrösse, auch
der Fischbach (also genannt) von Grieli heraus gerumppelt, das er durch
zweymaliges ausbrechen der archeu das löbl. Sauet Catarina gotteshaus
sammt den thum in äulierste gefahr gesetzet: der priester mit dem
höchsten gut, Venerabile Sacramento, sich kümmerlich aus der kirchen
über die freithofmauren salviert, zwey tag und nacht unter offenen
liimmel sich müssen aufhalten. Ist auch dazumahl die freithofmauren
untergraben, auch zum theil verwesene , als auch unverwesene todten-
körper aus den gräbern bei zwölf oder nochmehr aus ihren geseg-
neten ruhbett hinweggeschwemmt worden. Da ist auch der wohl-
erbaute widum, die beyliegenden gärten, auch fast alle häu.ser, stadl
und kästen auf Oberlengenfeld theils ganz, theils halb ruiniert, auch
alle nächst gelegene felder mit vielen steinwerk und letten“) überschüttet
worden. Es waren dazumahl ein großes eilend und seyfzen, gleich
wohl neben diesen allen hat die göttliche güte jederzeit sonderbar
spihren lassen, daß unser gebeth gnädiglich erhöret W'orden; was wir
aber in diesem elend und gefahren für werk der andachten veiTichtet,
sind gewesen wie folgt:
Viertens, und nemlichen aus gnädiger licenz Ihr fürstl. gnaden
herrn herrn Faulini bischof zu Brixen, ist von dreyen priestern und
curaten in Ezthal auf den obersten berg des ferneranfanges, dann auch
zu unterst auf den eiß, als auf einer ringmauren das hl. meß-opfer
sammt einer eifrigen predig in gegenwart der proeeßion von zween
communiteten als Lengenfeld und Seiden verrichtet worden , wobey
sich sehr viel personen von den äußeren kirchspielen eiferig und an-
dächtig eingefunden haben. Es sind auch zwey ehrwürdige herrn ca-
puciner von Imbst etwelche wochen lang zu Vendt verblieben, welche
täglich das h. meßopfer um dieser gefahr-abwendung verrichtet. Item
sind auch zu unterschiedlichen orten andächtige kreuzgäng angeordnet,
auch absonderlichen durch die kleinen kinder klägliche Umgang ge-
halten worden. Die gnädige ersprießung solcher gethanen andächtigen
werken ist sonderbar zu sehen gewesen, sintemahlen bei so vielen leibes-
gefahren, so zum theil bei der nacht in auslaufung des wa.ssers, dann
auch bey so vielfältigen gefärlichsten arbeithen der brücken, stegen
und archwerken, doch (Gott lob) alle mit dem leben davon gekommen,
und obschon etwelche in das wasser gefallen, doch glücklich wieder-
umen amsgekommen, welches vielmehr für ein mirakul, als wunderbar-
lichen zu erachten gewe.sen. Ein einziges junges kind in der wiegen
U
’) Der 'l'autererbor;! ist ein Bergvorsprung an der rechten Thalseite, zwisclien
Inhausen und Lengcnt'eld.
’) muer = Muhre, Bclilamuistrom. •) leiten = Lehm, Schlamm.
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Urkunden über die Ausbrüche des Vernngt- und Gurgiergletschers. 383
ZU Untera.stlen hat anstatt unser das baad austrinken müssen, und als
ein unschuldiges versöhnopfer sein unschuldiges leben dargegeben.
Fünfftens, das jahr hernach anno 1679 ist dieser ferner auch ge-
brochen, aber Gott sey lob, kein sonderbare Schäden fürUber gegangen.
Es haben auch die bauersleith wiederumen zimmlich von ihren gütheren
angefangen besseren. Aber das volgende jahr hernach anno 1680 in
hernach volgender wassergrölie das rogle *) erdreich von selbigen ge-
besserten gütheren wiederum bis auf den liechten sand hinweg genommen.
Sechstens, anno 1680 hat ermelter ferner noch nit nachgelassen
zu wachsen, sondeni sich aberniahlen ganz zugeschlossen, und am
Sanct Veitstag abend wiederumen durch seinen ausbruch erbärmliche
schaden in häusern, städlen, gütheren, weg und brücken, in ganzen Ez-
thal und bey dem land*) verursachet, massen dann viel häuser, stadl, weg
und brücken auch güther sehr viele und schröcklich hinweggerissen
worden. Und so dieses gewässer auf einmahl were gänzlichen ausge-
brochen, so hät er nit nur das ganze Ezthal, sondern auch das untere
Yhnthal können ruiniren und erbärmlich zu leid legen.
Siebendens, anno 1681 stunde man abermahlen in höchsten sorgen
eines nochmaligen ausbruches; dazumahlen kommet im frühling ein person
von sich selbsten von Innsbruck, mit naraen Paul Hueber, hofti.schler
daselb.sten , begehret mit etwelchen personen von hier aus Lengenfcld
einen augenschein einzunehmen, ob etwann ein mittel zu finden dieses
Unheil und nachkonftigen au.sbruch vorzubügen und ahzuhelfen; wie
dann solcher augenschein bis auf Vendt erfolgt, allda gab ermelter
Hueber seinen rath und einschlag*), eine klausen von puren großen
stein und köpfen mit zwey coiialen und eisernen schußthiren wohl
verwahrter zu erbauen, wodurch das wa.sser .aufgehalten, und solches
.sowohl die herbringende stein nach und nach abgelassen wurden. Und
weilen hierzu wegen des viel herbringenden holzes und Unrates sonsten
kein taugliches ort erfunden, sollte diese klausen ausser dem Gärapl
von Vendt heraus zwischen selbigen schroten hoch und breit zu ge-
niegen vest erbauet werden.
Welches des lluebers sein rath und einschlag denen Ezthalern
sehr wohl gefallen, und wohl möglichen zu sein einhellig erachtet,
beynebens aber sich beklagt, daß sie die zu diesem werk notwendigen
kosten nicht zu bezahlen wissen. Ist hierüber solches an Ihro lloch-
fürstl. Durchleicht zu Innsbruck gelanget und um die Spesen unter-
thänigst gebethen , auch volgendes von dero.sclben vermittelst einer
cominißion auch ein augenschein unzt auf den ferner erfolgt; wenn
aber diese cominißion den kosten von herrschaft zu spendiren nit ein-
rathen wollen, hat dieses klausen-gebäu hinterstellig'’) bleiben müssen.
Achtens, selbiger zeit ist der ferner stark nieder gesessen, hart und
blau geworden, der see aber so hoch erschienen, als würde das wa.sser
in wenig tagen überschlagen, hat man von Lengenfcld aus 12 mann
einen graben auf den ferner zu hacken den 8. july hinein geschicket.
'i rogel — locker. ’) 14. .Tuni. ’) I5ei dem Land = ausser den Bergen.
■*) einschlag = Rat, Auskunftsmittel. schussthüren = Fallthüren.
'l hinterstellig unausgeführt.
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M84
Kduaril Richter,
[40
welches Gott lob glücklich ubgegangen und das wasscr nach und nach
durch den fernergraben hinabgerunnen, also das man iztiger zeit dies-
fahls ohne gefahr und sorg leben thut, die beschädigte Sachen und
guter wiederumen mit trost und freuden durch harte arbeit reparirt,
und soviel möglich verbessert worden.
Der allgütige Gott, als der beste arbeiter wolle unser arbeit
gnädiglich segnen, und die zukünftige weit vor dergleichen Unheil und
betrUbnissen gnädigst bewahren. Amen.
Also bezeugen und geben bericht:
Franciscus .läger,
curatus
.Johann Kuen, anwald,
Thoman Holzknecht
Steuerträger, alle zu Lengenfeld.
Dieses Veraeichniß i.st beschehen im nionat
juny lt)83.
■J. Weiterer Bericht.
Der herabgewachsene Ferner ist alsdann etlich dreiüig jahr auf
dem thal gelegen, und das lezte eiß anno 1712 eingefallen, und gar
verschmolzen. Um diese zeit ist auch ein widum zu Vendt für einen
priester gemacht und anno 1711) das kirchl abgebrochen, und neü er-
bauet worden.
Der erste priester, so alldorten eingesetzet worden, wäre mit namen
Mathias Gerstgraßer von Parttschins gebürtig. Dieser hat mir, Bene-
dicten Kuen bedeutet, er hätte bei einen thuinherrn in einen buch ge-
lesen, daß die ferner ira dreyzehnten saeculo seinen anfang genommen,
weillen etliche gar kalte Jahr auf einand gefolget; ich laß es in seinem
werth , aber zu einer solchen grüße sind sie erst im letzten säculo
erw.achsen. Benedict Kuen.
ln der aufschreibung von ausbruch des ferners ist noch diese
weitere nachricht beyzulegen. Das angedeute kind so zu Unter Astlen
in der kaminer in der wiegen ertrunken, hat den Michael Schöpf zu-
gehört, und ist auf dem Bichl begraben worden; denn wie damahl als
anno l(i78 das erste mahl der bruch im ferner den 1(5. jul_y frUhezeit
in der nacht beschehen, auf die Hueben aber ist es den 17. dies vor
anbrechendem tag kommen, hat viel holz und eiß hergebracht; so bald
man das getös gehöret, hat man die leuth aufgewecket, die kinder und
das (respectu) vieh in Sicherheit zu bringen. Man hat zwar alle wochen
eine eigene person von hier zum ferner geschicket und die beschalfen-
heit der löblichen obrigkeit und folgends der gnädigen herrschaft
benachrichtigen müssen; und dieweilen der bericht wäre, es müs.se in
kurzer zeit ein ausbruch erfolgen ; als hat man das hey etwas früh-
zeitiger abgemäet und eingebracht, das vieh in die alben getrieben
und sonsten sich vorgesehen. Damahl hat sich begeben, daß ein cru-
citix bey der Fundes-brucken und die zwey geschnitzelten nehenbilder
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41] Urkunden Ober die Ausbrüche des Vcrnagt- und Gurglergletschers. 385
zu Völß *) daninten aufgehebet und schiel- unverletzt befunden, auch
bemach erkennet worden, daü sie aus dem kirchl ob der Hueben sein,
so man wieder sie her gebracht, und alle drey wiederumen in das neu
erbaute kirchl auf bemelter llueben zu oberst des altars ehrerbietig
gestellt hat, allwo sie annoch verehret werden.
Der hof Oberlengenfeld so vorhin ganz mosig war, ist schier
völlig unter das wasser gesetzet worden, und wie ein see erschienen,
das ferner-wasser bis an das untere wirthshaus herzugegangen, ln
die peut hinein sind eißknollen, auch mobilien, und varnussen mit vielen
holz geschwemmet, und der hof um anderhalb oder schier zwey eilen
mit letten ausgefillet worden.
Wie damahl der Fischbach gemueret und durchgebrochen, aucli
anno 1701 wiederum stark gemueret hat, wird man bey dem Benedict
Kuen in seine Schriften weitläufiger verzeichnet finden.
Durchbruch von ferner-wasser sind folgende geschehen: für Ar-
raelen und Winckel heraus ist es allenthalben gerunnen; sodann war
der erste neben Platten in die Hueber besten güther mit größten Schä-
den ; dieser wurde wiederumen aufgekehret *), das änderte mahl aber hat
es nochmahlen allda durchgerissen, und ist nit mehr aufgekehrt worden.
Der andere gegen den Ilueber kirchl, dritter in hof Oberlengenfeld;
vierter nächst unter den bUhl zu Prantach genannt; es hat noch et-
welche kleine durchbruch im kirchspiel gemacht, so aber allda ausge-
lassen worden.
Auf Nößlach hat es den runst auch besser ausgerisseii. des-
wegen sind seithero die semter •') und achrunst-*) so tief worden, also
zwar, daß man es bis gegen den Goltesguth hinauf noch alle Jahre
spihren mag.
Dieses bezeugen Ruprecht Kupprian, Steuerträger, Christian Xeu-
i-auter genannt Nostl, und Christian Ennemoser alle drei zu Hueben:
verner: Peter, Christian, Simon Schöpf, Florian Neurauter und Bene-
dict Kuen zu Oberlengenfeld, den letzten tag 1715.
Der ehrsame Andreas Kupprian zu Armelen als dortmahligen
gebrauchten bothen, alle wochen die gestalt von ferner zu bringen,
die löbl. herrschaft zu berichten, hat dies auch noch bedeutet: die Ver-
schließung des Ferners und aufhaltung des wassers hab angefangen
angevehr um Weihnacht oder neujahr, und hab bis zum ausbruch den
17. july, sechs einhalb monat den see versammelt, der bach aus Ver-
nack herab aber sey allzeit ausgegangen.
5. Nachricht von W i e t e n b a c h
Anno 1725 den 18. juny hat dieser Wietenbach nächst au.sser
den Kaiserhof zu Seiden gelegen, bei eingefallenen warmen .Südwind.
*) Völ« bei Innsbruck, Fundenbrücke unterhalb Umhausen.
*) aufgekehrt = zurückgeleitct.
•) das Wort war mir nicht auffindbar, vielleicht Zusammenhang mit semt,
Binse, vielleicht auch nach hs. 1013 .sänder*. von Sand.
achruns = das Rinnsal der Ache, d. i. des Thalbaches.
') Dieser Bach kommt unterhnlb Sölden auf der rechten Thalseite von
Wildkahrfemer (Spezialkarte).
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Eduard Richter,
142
;{8tJ
und grossen regen, stark gemueret und zwar dergestalten, dali er die
ach wie groü sie damahlen gegangen, bei anderthalb oder gegen zwei
stunden lang aufgehalten, und völlig geschwellet und einen solchen
see gemacht, der schier gar gegen der Schmidhofer Brucken hinauf
gereichet. Alsdann ist das wa.sser übergangen und hat auch beiläufig
in anderthalben oder gegen zwei stunden die mueren durchgefressen,
und ist dieser see ausgegangen. Es hat einen starken und grobeji
wasserguti geben, hat durch Ezthal aus fünfzehen brücken und zween
steeg. auch zu Möz ') von selbiger brücken ein joch hinweggerissen. Auf
der Uneben hat es einen durchbruch gemacht, sonsten sind etwas
kleine, aber (gottlob) grobe hanptschäden nit ge.schehen. Die weg und
Strassen aber, hat es durch Ezthal hinaus mächtig zerrissen. Auch
hatte man zu Innsbruck wasser genug, oder gar zu viel ; es ist an der
Ihnbrucken oben angegangen, und hat es darunter durch hart er-
•sclilingen können; ist ein theil wasser in die stadt hinein, auch bein
Brigelbau in das Bauschreiberamt gerunnen, und hat am neuen Zucht-
haus ein eck ruinirt, und den leuthen zu Innsbruck sorgen genug ge-
macht. Defigleichen ist es auch zu Hall hergegangen, und hat von
brücken und .sonsten die menge holz mit gebracht; an diesen tag sind
alle wasser großgegangen.
Dieser aufhalt von der muehren, und wieder durchfressung der
Ach ist beschehen zu morgen Montag um und G uhr; hieher auf
Lengenfeld ist es gekommen bald nach sieben- und auf Telfis -) unge-
vehr um 2 uhr.
Der Fischbach hat auf diesen tag auch gemuheret in der klammen
das rinnwerk, und die brücken hinweggerissen, auch die archen ziem-
lich angegriffen und ruinirt, jedoch vor den durchbrechen (Gott lob)
wie vormahls errettet worden, dabei aber den runst ziemlich aufge-
tillet, und arbeit zugerichtet. Die drei brücken, als bey Kropf bichl,
der hohe Steeg, und gegen Neülach, sind verblieben, und hat es in
diesem wasserguß nit hinweggenommen, jedoch beschädigt.
4. Nachricht vom Ferner in G u r g 1.
Anno 1717 hat hinter Gurgl in Langthal, der Fenier so ordi-
nary auf dem thal lieget, durch sein wachsen den durchgang auf dem
boden, oder den schlunt versperret und also einen see bey IGOO schritt
lang, item 50Ü breit, und etwann gegen GO klafter tief (ungevehr und
beläufig, weilen man es in den unebenen thal nit recht hat abmessen
können) versammelt, hat grossen schröckcn und viel gespräch gemacht;
ist auch ein Commission von Ihnsbruck und werkverständige leuth hinein-
geschicket worden. Den letzten tag juny aber hat es seinen schlunt
von selbst wieder eröffnet, das wasser beiläufig in 18 stunden in ziem-
lich und namhafter grösse abgeflossen , durch Gurgeln heraus die
brUckeln und etwas grund hinw’eggerissen, zum Kaiser und zu Asch-
bach auch die brücken hin. Im überigen hat es nicht gethan, und
Ware ein gute hilf, das auf diesen tag kühl wetter und auf dem
') Möz im Innthal bei Stanis. *) Telfs iiii Innthal.
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48j Urkunden über die Ausbrüche des Vernugt- und Gurglergletschers.
hohen gebürg ein wenig schnee gefallen wäre, mithin die andern
Wässer gar klein gerunnen, und hat man nichts finden oder erfragen
können, das vorhin (wie etliche spargiert) mit diesen ferner in Lang-
thal etwas denkwürdiges mit Wahrheit vorbeigegangen wäre, zu malen
er zu einer solchen höhe und grobe erst in diesen letzten saeculi er-
wachsen.
Im herbst darauf als ira monat october ist der au.sgang wieder-
uminen zugewachsen, und das wasser geschwellt. Im soramer darauf
als anno 1718 hat es einen groben und schröckbaren see abgeben,
das Ezthal in grobe forcht gesetzet; es sind viel leuth hineingegangeu
sich um ein mittel zu berathen; es hat auch etliche wochen alle samstäg
der wohlehrwürdige herr Jacob Kopp pfarrer zu Seiden, auf dem ferner
das h. mebopfer verrichtet und ist wiederum eine Commission von Ihns-
bruck hineingereiset, weilen man aber weder mit hackung am eis, noch mit
bauung eines klaubwerks in Kietreien *) oder sonsten für zulenklich
oder gew'ib nicht hat erachten können, auch da man den grossen kosten,
item die ungewiesheit des wcrks, und uneinhelligkeit des gemeinen
Wesens bedenket, auch erwogen dab die.ser sehr grobe ferner, von so
harten und glatten eis auf einmal nit ausbrechen werde, ist also aus
dem bauwerk nichts daraus geworden, und hat die löbliche Commission
eingerathen und befohlen, man .soll die semter*) und ruust fleibig räumen,
so viel möglich in die gräde linie richten, und die archen bauen auch
luehrer jahr anhalten und fortsetzen, das übrige mit andacht und guten
werken Gottes allmacht überlassen. Alsdann ist dieser see ganz voll
geworden, und den lö. tag juli zum übergehen gekommen, sodann hat
es den berg nach gemächlich niedergefressen, und ist der see in et-
lichen Wochen ohne schaden ganz glücklich abgeflossen. Dem all-
mächtigen Gott sei höchstens dank gesagt, dab er unser unw'Urdiges
gebeth und werk so mildreich erhöret hat.
Von menge des wassers, und grosse des sees kann man bei einen
gleichen nit viel noch minder etwas gewisses sagen, wohl aber für gewib
melden, dab dreimahl soviel wasser gewesen als damahl, wie der den
letzten Juni (wie vorgemeldt) ausgegangen ist, und hat den see hinter
den llofner ferner den ansehen nach gleich zugetrotfen.
Darauf hat er sich noch einmahl also gefillet, auch wieder-
umen wie das erste mahl im Augu.st monat übergangen, und wie vor
nach hand gemächlich und glücklich nieder gefresen.
Es ist zu wissen, dab dieses ein alter ferner von hartem und
glattem eis ist, hingegen der zu Kofen wäre ein neu gewachsener
ferner und also ganz mirb, auch nicht so breit und stark ins thal vor-
gelegt, als wie dieser. Dahero mag ein ur.sach sein, dab dieser den
ausbrechen nit also unterwürfig wäre als wie der zu Rofen.
5. Weiter zur n a c h r i c h t.
Wenn schon der see übergangen und glücklich nieder ge-
fressen hat, so ist doch das wasser niemahl völlig, oder auf dem
') Kühtrain-Schlucht zwischen Sölden und Zwieselstein.
’) hs. 1013 hat „sänder“. ’) nämlich das .Tahr vorher. 1717.
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3S8 ?]duanl Richter, [^44
t^rund ausgegangen, sondern alle jalire ein guter theil von see ver-
hlieben.
Desgleichen auch in ferner zu Hofen, ist ebenmässig ein guter
theil noch verblieben, sowohl zu statten gekommen, und dieses fillen,
(Ibergehen und niederfressen hat es hernach etwelche jahre getrieben,
also zwar, dati mau es nicht mehr geachtet hatte.
Anno 1724 als er widerumen ganz voll und den übergehen nahent
wäre, hat sich begeben, daß das wasser unten im eis einen schluft' ge-
funden, und ist den 10. juli zum ausgehen gekommen, und ist als-
dann beiläutig in fünf tagen und nacht abgeflossen und etwas ein ploder
wie zuvor als der halbe see dennoch verblieben. Es wäre zu allem
glück wie zuvor kühles wetter, und hatte auf den spitzen der bergen
angeschnieben, daß also alle wasser klein giengen, mithin ohne schaden
ertrag vorbeigangen; in den ausgehen aber, haben die Gurgier ein Un-
gleichheit gemörket, also hat man gemuthmasset , das sich in den
schlunt oder ausgang müssen eisknoilen fürgelegt haben *).
1). Noch weiter wirdet dieser ferner beschreibung
angehiinget, und den nachkommenden zu einem getreuen rath (so
konftig wohl in obacht zu nehmen) durch mich Benedicten Kuen bei-
gesetzet. Als nemlichen was die meiste ursach gewesen, daß die ferner-
eiß und auch der Fischbach in diesem kirchspiel Lengenfeld und in
ganzen Ezthal, so merkliche schaden verursacht haben, welche schaden
aus Verordnung der gnädigen herrschaft specifice beschrieben worden,
und sich in allem beioffen haben: im jahr 1(578 in den drei kirch-
spielen, als:
Umhausen . . . 45 000 fl.
Lengenfeld . . . 115 001) H.
Seiden .... 22000 fl.
182 000 fl. '
Dann erstlich waren alle wässerrunst so hoch, und mit grieß und
stein dermassen angefillet, das man schier aller orten das wa.sser in
einer solchen höhe, sogar zu friedsamen wa.sser Jahren, hart mehr ge-
liert hat, und waren die gUter und böden dabei gar niederig, auch
mosig und von durchschlagen vielgeblaget, wie alle die älteren wohl
wi.ssen und noch itzo davon sagen thun. Und dieses aus folgenden
Ursachen. Als von Seiden item von Wietenbach und sonsten aus allen
bächen, verer von bergen und länen, forderist auch aus Grieß und
Fischbach kommet die menge stein und muerwerk ; sodann i,st das
kirchspiel ziemlich weit und eben, and also der auffillung mächtig
unterworfen, und haben die vorältern das räumen der stein und senter,
auch das wasser zusammen zufUhren und in die grade lienie zu richten
vellig unterlassen und nicht beobachtet; mechte die ursach sein, daß
’) In der ha. 1013 folgt : ,Anno 1740 hat Christian Gstrein den ferner in Gurgl
uligeiucssen und er war im thal nach heraus sOO klafter, die breite des see 14ö kl.,
•lie tiefe 06 kl., die breite zu hinterst des see ‘2.-| kl. und die länge 500 kl.“
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45] rrkunden Uber die AusbrUche des Vemagt- und (iurglergletschcrs. 389
sie nit verstanden, etwaind auch (wie noch der meiste tadl), die ein-
helligkeit gefählet, oder auch an guter anstalt, item an geld. Vorsteher
und regenten gemangelt, auch das werk durch das ganze kirchspiel zu
groli und ohnmöglich gewesen, und auf Neßlach ein tiefere erött’iiung
zu machen niemanden eingefallen, und das jetzige steinsprengen dort-
mahlen auch nicht bekannt wäre.
Dahero erfolget, das .soviel durchbrüch in die kostbahren güther
und linden böden mit leider .so grossen schaden ge.schehen, welcher
Übel man der zeit (gottlob,) nit so stark mehr unterworfen ist, sondern
dem vorzubeugen, und abzukommen schon mittel vorhanden sind.
Als weilen durch ausbruch des ferners die Ach von selbsten die
enge und den ersten ablauf auf Neßlach tiefer und weiter ausgerissen,
mithin das grieß*) einen auszug bekommen, und seithero etlich 40 Jahre
und noch de facto der achrunst alleweil tiefer worden.
Mag auch ein ursach sein, weilen das was.ser auf der Hueben zu
weit auseinander rinnet, und das meiste grieß darohen liegen lasset
und nicht hinunter bringet.
Sodann ich diesen übel auf den Fischbach und sonsten abzu-
komnien viel nachgedenket und endlich die straffbäum , samt den wii-
geln und wällen*) durch aufzug erfunden, auch die stein -ketten und
großen seiler herbeigeschaffet habe, mag auch die räumung mit diesen
werk ein großen und nüzlichen beytrag thun, wie dann hievon ein weit-
läufigere beschreibung bey meinen .Schriften zufinden sein wird.
Und ist mit diesen werk nicht allein der Fischbach in ein
nuzbare tiefe und guten stand gebracht, auch mithin die archen
vest und stark erbauet, sondern auch auf der Ach damit stattlichen
nutzen geschöpft, und diese in tieferen und graden gang gebracht wor-
den. Wie sich denn die tiefe des runstes von der Grißlänen an bis
auf Neßlach so schön angezeiget. daß man sich von wasser-gißen wenig
mehr zu förchten hat, und hat auch bey der Grießlänen ob man schon
bis dato nur einmahl geraumet, ein schöne besserung gezeiget “).
Wann dann der ferner zu Kofen zu seiner zeit, als jeden säcculi.
wiederum wie vor mit seiner gefahr nit ausbleiben wird, und man kein
mittel dafür haben kann , als diene hiemit der jetzigen und nachkom-
menden weit, mit diesen getreuen rath.
Nemmlich: sie sollen mit allen ernst und Heiß darauf gedenken
und darob sein, daß man den runst und die sennter nit mehr wie die
vorältern so hoch und voll lassen werden, sondern mit räumen in
iztiger tiefe erhalten und in ein noch bo.ssern stand richten; als man
muß das wasser in geraden gang zusammenführen, so bringet es das
grieß fort, und fillet nit mehr auf, auch die grobe stein und ange-
legte pflüster'*) räumen. Dann für sich .selbst und ohne hilf greifet das
gries — Flussgchotter.
’) »traffbüiime, wohl Streifhäuine, zwei leiterartig verlnindene Ballveu. wie
man sie zum Abladen der Fässer von Wagen benutzt. Die übrigen Apparate sind
mangels einer genauen Beschreibung schwer vorstellbar.
*) ürie.slänen; Dehn im Gries- oder Sulzthal ob Lengenfeld.
') ptiöster. wohl so viel als pflaster; wenn sich an <lie gepllasterten Schutz-
bauten etwas angelegt hat. so soll das weggeräumt werden.
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390
Kduard Richter,
[40
Wasser diese angepflästerten sennter nit mehr an, hingegen aber wann
ein hilf geschiehet, so nimmt es sie leicht hinweg, und wird dies mittel
(weil also die gefahr zu wenden ist) schon nach und nach auf die
Hueben und obere gefährliche orten auch kommen.
Es könnten auch austheilungen gemacht werden, das die gemein-
schaft stück fiir stück jeden sein gebihr die Ach räumen und in guten
sichern stand erhalten sollte. Noch besser geschehete es aber, wenn
ein getreuer regent sich darum annehmete, und liehe durch arbeiter
dieü um den lohn verrichten, und den lohn mit der Steuer oder son-
sten anlegen (wie mit den Fischbach nuzbarlich geschehen) und mechte
es wiederumen die intressenten selbst verdienen. Auch könnte ein ehr-
sames kirchspiel auf Netilach die große stein sprengen und ein noch
mehrer eröfifnung thun lassen.
Wün.sche also glück dazu, das man diesen getreuen anschlägen
nachglebe und denen nachkommendeu die sorg und gefahr abgehebet
werde. Verzeichnet zu Lengenfeld mit wohlgefälligen rath und gut-
heissen verschiedener ehrsamen nachbaurn von diesen kirchspiel.
Den Oten marti im 1722igsten jahre, durch mich
F. S.
Benedict Kuen.
Diese vorstehende beschreibuugen von fernem sind auch zu finden
bey den kirchspiels Schriften in trüchele*), derzeit im obern Wirtshaus,
die nachstehende beschreibung von Fischbach aber, ist nit dabei, son-
dern in diesen brief beigesetzet worden.
7. Nachricht vom Fischbach.
Als man zählte im jahr Christi gebürt 1078 den 17 tag july, ist
morgens frühe das wasser von ausbruch des ferners angekommen, den
hof Lengenfeld fast völlig unter wasser gesetzet, und wie ein großer
see erschienen, das wasser bis an das untere wirthshaus herzugegangen,
und in die pennt allda eisknollen, mobilien und viel holz hinein ge-
.schwemmt, auch der hof um anderthalb- oder schier um zwey eilen
mit leten aufgefillet worden ; mithin diesen mosigen hof ganz drucken“)
gemacht, wie dann von diesen ein weitläufigere beschreibung verfasset
und zum Steuer und kirchspiels schritten geleget worden.
Eben auf diese stund und tag ist der Fischbach mit jämmer-
lichen muerwerk und wassergrösse angekommen, weillen auf den Grieß-
bach ein mächtig große mueren eingefallen, daß es ob den Gotte.sliaus
bey der kircharchen einen durchbruch gemachet, die kirchen bey
S. Catarina, sammt den thurn in größte gefahr gesetzet, der priester
sich mit den Venerabile und höchsten gut des altars sich kümmerlich
aus der kirchen salviret, zwei tag und nächt unter offenem himmel in
') die Truhe wo die Gemeinde-Akten aufbewahrt werden.
•) drucken = ti-ocken.
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tT) Urkunden über die Ausbrüche des VernagU und (iurglerjflctschers. 391
der peut bey den berg sich auf halten müssen : hat auch dazumahl die
freithofmauren eingerissen und bei zwölf oder mehrer verwesene und
unverwesene tode leiber hinweggenommen, wie auch von nachfolgenden
gemauerten häusern ein seiten eingefällt: als das obere wirtbshaus,
item der vidum, auch das nächste haus bey der kirchen, und das untere
beckerhaus. Die hölzene häuser, stadl und kästen auf Überlengenfeld
sind schier alle verderbet und untergraben worden, das holzgewerk aber
hat gehebet*), weil es ineinand gebauet wäre und war das ausblünderen-)
in diesen nit nöthig gewesen. Es sind die angelegenen güter mit häu-
tigen stein- und muerwerk überschittet worden. Es wäre dazumahl
ein grolies elend und könnte wegen ausbruch des Ferners niemand zu
hilf kommen, als die von Grieti und Purgstein kommen sind, hat man
genug zu thun gehabt, das liebe Gotteshaus zu retten. So dann ist
noch ein durchbruch hinter der oberen mihi in peutl geschehen, und
hat man bei aller dieser wassergrössen vermeinet es werde allhier
nicht mehr zu wohnen sein, und aus kummer die rettung und wöhr
zu wenig ergriffen; zumahlen auch die voreitern das holz bey den
Fischbach so schlecht geachtet, das also in der noth so wenig vor-
handen wäre, das man hätte eine rettung thun können, wie auf der
untern seiten mit hilf der untern drei gemeinden geschehen ; Uber dieti
sind beede gemeinden in stritt gerathen, darüber hat eine löbliche
Obrigkeit ein beschau gethan, und Vergleichbrief verfas.set; sie hat
auch wohlmeinende und vernünftige rüthe dargethan, man sollte den
bach in der Dornau (allwo anizto der pleul stehet) wo er alldort
von runst gebrochen, in die gräde einrichten, und mithin die würf®)
und krummen büg umgehen; darzu aber die l'nterlengenfelder uit zu
vermögen gewest. Zu dieser zeit hat man angefangen den bach be.sser
zn verwahren und die grossen werker bei den durchbrüchen (so dort-
mahlen noch schlecht waren) vöst zu erbauen. Das wa.sser hat eine
geraume zeit mit durchschlagen und springen die güther an unter-
schiedlichen orten verderbet, bis der runst tiefer worden.
Dies alles habe ich Benedict Kuen als damahl ein knab von drei-
zehn Jahren und kellner in allen und jeden angehöret und gesehen,
und die Jahr hienach auch die aeltisten nachb.aurn von beeden gemein-
den mit meinen vater Johann Kuen amvald (selig) in gegenwart des
wohl ehrwürdigen herrn Franci.scus J.aeger wohl verordneten Curaten
allhier zum öfteren diesen traurigen discurs führen hören, nemlich mit
unsern Fischbach stehet es wohl recht übel, so lang der bach so hoch
rinnet, verderbet er die güther, und zur zeit der mueren könne es nit
anders sein, als mit grobe Schäden, durchbröchen und unfried darzu
anrichten. Die grosse stein aus den runst zu bringen ist ein arbeit
gar zu gefährlich, und alle innliaber und so viel arme leuth darzu zu
bringen ist schier unmöglich. An diesen groben steinen verleget sich
das muerwerk, und lillet alles an; etwann solang wir leben kann wohl
') gehebet = ausgehalten.
Ausplündern, die Kahrnisse aus dem Hause räumen. .Plündern* wird
noch heute in Tirol in «liesem friedlichen Sinne gebraucht. Siehe oben.
’) würf =: Wendungen de.s Baches.
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Eduard Richter,
[48
892
rulie sein . unsere kinder und nachkonimeu aber Werdens leider mit
schaden und armuth erleben. Dieses und voriges hab ich wohl in acht
genommen und nicht mehr vergessen.
Anno 1701 den 3ten sebtemer ist durch wolkenbrüchen an sechs
orten inneren in Fischbach gebrochen and hat gar stark- und vieles
herausgebracht; durch gottes gnad aber und mit hilf der leuthen, und
weil auch der herbst vorhanden, vor den durchbröchen errettet worden.
Der runst ist bis halb im NeUraut hinab mit stein und gries ange-
Hllter schier drucken gestanden, und das wasser allenthalben durch die
archen hinaus verfloüen. Den wasser und grieti durch stören und
krazen fortzuhelfen und zu steueni hat nicht verfangen, obschon im
kirchspiel volk genug da wäre, sondern man mühe ein anderes mittel
vornehmen. Das übrige wasser bat man ob der brücken hinaus
und durch den einfang hinabgeleitet; alsdann von der Ach herauf
ein wähl ') mitten durch den runst ausgetragen, das wa.sser darein
gefällt, da hat es angefangen zu fressen, und die gröhten stein
hat man ausgeräumet; nach diesen hab ich auf eiu neues mit allen
fleih gedacht wie man die grohe stein aus den rUnst und auf die
archen zu bringen, und hab endlich mit langen nachdenken die straft-
bäum und wägeln sammt der wällen und sail erdenket, welches trefl-
lich angeschlagen, und ursach ist, dass der bach und die archen itzt
in so guten stand, und die durchbrüch nit sogar mehr zu förchten
sein ; aber das mueren und auffillung des runstes wirdet inskonftig
nicht airsbleiben. Als wirdet den nachkommenden diese erinnerung
gegeben, und zur nachricht dienen. Also soll man in fall der noth nit
so zaghaft sein, sondern beherzt hand anlegeu, dann die groben stein
soll man fleihig hinaus räumen und nit zu viel zum archen hinzulegen,
weillen sie in der muerzeit wieder hinein kommen, und das gries sich
daran verleget; item den bach wohl in der tiefe führen und nit achten,
wenn etliche sagen die archen fallen hinein; dann in der zeit der ge-
fahr hat man nit das einfallen sondern das austillen verspirret, und
wann andereweil etwas fallet, so folgt darauf ein besseres gebäu, und
mehrere Versicherung. Item den runst nit zu weit und so viel möglich
grad führen, das wasser beisammen und in der gräde ist am sicher-
sten und bringet wenig mühe. Weiteres soll das holz und die lärch
bei den bach und an borg mit allem fleih gespahret und gehoyet*) wer-
den. im nothfall ist das holz der beste schätz und kann man junge
auch ansetzen, wie ich dann auf Niederau bei der Ach viel gesetzet
hab, die anizto schon ziemlich groh. und in wassergissen der beste
trost sein können.
Verner folgte diese erinnerung, da der bach oder runst wieder
voll ein mueren sollte ^), (so Gott gnädig verhüten wolle) wird das be.ste
mittel sein, das man durch den Neuraut herauf ein stoh von liger-
haften steinen an die archen hinzustohen, mithin kann maji die raum-
stein darunter und darauf, auch die archen breiter und höher machen
und haben die vorältern gemeldet, der Neüreuth sein also ver eben
worden, das man bey der bach und archen nit allein ein weeg, son-
') wähl = Wusserffraben. *) geliegt. ’) voll Mulire, zugescliüttet.
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49] Urkunden über die Ausbrüche des Vernagt- und Gurgiergletschers. 398
(lern auch weittereu jreraum zmu umkehreii, niederlegen und andern
Versicherungen oflen las.sen solle, und haben nach der zeit die inn-
wohner nur von Selbsten gar hinzugereitet. Sodann hat die nachbar-
schat't Oberlengenfeldt nächst Unterfi.schbachbrucken ein solchen stoh
stein hingeleget, mit diesen beding, da.s solche im fall der noth sollen
weck gefUhret und dahin gebracht werden, wo noth er.scheint damit
zu retten; und dies würde gut sein, wann man an mehreren orten
hinab ein vorrath legen will, weilen das holz doch so weit von der
hand ist. Letzlichen bedanke ich mich gegen der ehrsamen nachbar-
schaft, dah sie so willig und gehorsam gewesen und mit ihrer mühe
und arbeit diesen gefährlichen Fischbach, (welcher den vorältern so viel
schaden, sorgen und kummer gemacht) in so guten .stand gesetzet
haben. Gott verleihe ihnen, und allen abgestorbenen die ewige ruhe.
Amen.
niese aufschreibung hab ich verzeichnet in beisein der beschai-
den Simon, Christian und Peter Schöpfen, auch Florian Neurauter und
Chri.stian Kueu, als welche in all vor ernennten begebenhcit und
arbeiten mit und beigewesen und dieses bezeigen thun, und Selbsten
erfahren haben. V'erer Thoman Hörer, .Joseph Köder, und .Jacob Höll-
rigl. im monat jaunuarv anno ITl.ö.
Benedikt Kuen.
Die werkgezeuger zum bachraumen, als die straß'bäum, das
wägeln, wällen, seil und schöfseiler, item die 2 steinketten, topelt-
und einfache, grosse und kleine bögen, das waglätl mit eisen ange-
stossen, beschlagene höbdreml *), dragscheitter und dergleichen, hab
ich Selbsten erdenket und um mein eigenes geld machen lassen und
bezahlet. Auch nach der hand mehr und mehr vörtF) daran erfunden
und machen lassen , und hat mir nichts derein gegeben. Al.so gehört
es auch mir eigenthümlich zu meinen, Henedicten Kuens händen.
Scithero und ein zeit hernach hab ich auch die kircharchen ganz
vöst erbauet, auch ein Wasserleitung zur kirchen und zu meinen haus
angeordnet, item 2 wasser sprizen, sowohl feuer haggen, leitter und
dergleichen machen lassen, und für mich Selbsten bezahlet.
Benedikt Kuen,
Dass gegenwertige abschrifft dem original von worth zu worth
gleichförmig attestiert:
lliembingen den 1. Sept. 1770
.lohan Peter Hürn
(L. S.) kk. Weeg-lnspector in Ober Inthal.
') hübdreml = Hebebaum, bögen = Traggestelle. *) Vorteile.
ForecbuDgeo zur deutücheu Laudes* und Volkskunde. VI. 4
27
Kduard Richter,
[50
:i!»4
5. Bericht von Joh. Paris von Wolfenthurn.
Untertirdnifrste relation des feniers zu hintrist des Oetztliales an ihm
lioclifürstliche Durchlaucht Carl Ilerzotr zu Lothringen, Haar etc..
August 1081.
Demnach euer hochfürstl. Dhlt. vermig der untern 11. dies denen
haiden hochlöbl. wesen zuekomnen decrets sich gnädigst resolvirt,
und befohlen haben, dali der rüm. kais. majestüt rath und pergrichter,
auch waidmeister zu Schwaz .leremias Kamhlmayr und Martin
Gumpj) Oö. hofpaumeister mit zueziehung des Paulen Huebers ge-
nant Ebentischlers allhier, auch des pflegsverwalters zu Petersperg Jo-
hann Kudolfen .Schmidts, und Johann Kuens, anwalten zu Lengen-
teldt sich nach dem fernersee zu innrist des Ozthals begeben sollen,
daselbs den augenschein einzunemben. wie der jezt und ins komftig
hesorglich ausbrechenden wassersgefahr durch hiezue erforderliche ge-
peyen, oder anderwertig abgeholfen werden möchte, und hienach, in-
deme man in zweit! gestanden, ob möchten diseiben ratione erfindender
vor.schlög sich iiit vereinparcn kUnen — , euer hochfürstl. Durchlaucht
Uber diese genedigst ertbailte Verordnung annoch mir in gnaden an-
befelhen lassen, mich mit denen obenamhsten dahin zu verfiegen, auf
(lall derselben vorschlög angehört, die unterthunen derentwillen mit
ihren etwa habenden bedenken vernomben ; auch welches mitl vor an-
dern zu mehreren be.stand und Sicherheit zu ergreifen mit allen uinb-
ständen reiflich Überlegt und folgendes euer hochfürstl. Dhlt. verere
relation gehorsambist erstatt werden küne: habe ich zu unterthauigi-
sten Vollzug de.ssen auf die den 12. Juli mir beschechne intimation nit
unterlassen, gleich alsohaldeii noch selbigen nachmittag mit obemllteii
abzuraisen dahin, und an orth und end zu begeben. Und nun zu ge-
horsambster erstattung meiner relation euer hochfürstl. Dhlt. in unter-
thanigkeit anfiegend, wie erstlich dieser ferner derzoiten beschaffen,
wan und woher selbiger seinen ursj)rung habe, wie es sich anjetzto
mit der gefahr des ge.schwölten wassers, des ein geraumbe zeit hero
besorgten durchbruchs erhalte, dali ein solches euer hochfürstl. Dhlt.
aus ermeltes pergrichters und tiumppens hiebei folgendtcr und ein-
gangs wohl gedachten o ö. weesen gehor.samb erstatte relation mit
austierlichen entwurf angeregtes fehrners jeziger distanz, grölite und
beschattenheit des hiervon verursachten sees gnädigst zu vernemben
belieben wolle, inmaljen ein solches euer hochfürstl. l)hlt. aus dem so-
wohl zu papier, als in wirklichen modell, oder grundtlegung allbereit
gnädigst ersechen haben w'erden, also derentwillen ich dessen weitere
beschreibung für unnothwendig erachtet.
Soviel aber die zu abwendung künftig besorglicher wasserscheden
von denenseiben gethane vorschlög anbehingend, bezicclit sich zwar
eingangs ermelter Haniblmayr auf sein Gumppens gegebnen Vorschlag,
des durch das seithengebürg vermeinten fierenden canals oder stnllens,
dafür haltend, wan ein mitl ergriffen werden möchte, das aufschwöl-
lende Wasser am friehling und warmer Sommerszeit nach und nach aus-
zufiehren, man aller gefahr befreit sein würde, .\lldiweilen er aber
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39')
51] Urkunden über die Ausbrüche des Vernagt- und Gurglergletschers.
hingegen angebracht, dati solcher stollen wenigist liflü Hafter lang in
harten felsen, mul zwahr zu eintiehrung ries luftes oder wetters mit
ausbrücheu getiehrt werden niieüte, auch vor ungefehr Ki jahr und
zwar ohne oder 30()it0 11. nit ausgebauet werden kunte. zumahlen
der fölsen zerkloben. und das durch die Hilft oder sonsten beim ein-
gaug durchtringende wasscr den canal winterszeith völlig mit eis an-
tillen, und besorglich den ganzen sunier (in deine es unter der erden
oder in dergleichen stollen vortan költer) nit zergehen würde, er also
erachtet, dali dieses niitl, worauf sich keinesw'eegs sicher zu verlassen,
nit zu appraehendieren wäre . . . Wie ich dan mit einmembung des
augenscheins auch Selbsten gesehen, und wahrgenomben, dati sowohl
wegen der bei diesem vor.schlag erzöhlt obhandenen Ursachen als auch
propter situm loci es sich nit jiracticieren lassen, sondern der Unkosten
ohne einiche frucht und nuz umbsonst aufgewent würde.
Zu dem andern, durch besagten llueber inventierten modum des von
ihm an einem der drei unterschiedlich vorge.'chlagnen orthui zu pauen
verniainten, und von oft gedachten pergrichti*V in seiner relation weit-
leitig ausgefiehrten Hausen gepeyes zu komben, habe ich anfänglich
von erzöhlten anwalt zu Lengenfeldt samt etwelchen daselbs anwesen-
den nachpeni die erölfnung ihrer meinung über disen endtöckten Vor-
schlag begehrt, auch in enneltes anwaltes beantwortung so vill ver-
nomben, daü ihnen (wie er, pergrichter gleichfahls ad notam genoniben
hat) kainer aus sein Huebers vorschlüg angenemb und dienstlich sein
wollen mit vorgebung diser motiven und Ursachen, weillen des ersten
orths auüer Zwihlstaiu das thal selbiger refier hinein bis im runst
hinab mit zu vill holz und pauimverk versechen, er von dahero befierch-
tete, es möchte .so vill holz und wurzw'erck herfiehren, daü andurch der
clausen ausrunst verlegt, und bevorab indeme das orth zum fürpau
auch gar zu kurz, durch die schwöllung die innere güeter überschwembt
würden. An dem andern orth auüern Gämpl ') aber die fölsen gahr
zu maar-) und ritigs “) gebürg, auch thails orthen die relier gahr
sandtechtig sein, also dali solches fernerwasser seiner arth nach die
stain und sand mitlerzeit herab in die tiefe ziechen, und ebenlähls die
clausen antillen, oder wenigist die vermainte canal oder ausgang ver-
legen, auch daselbs durch solchen j)au denen nachpeni zu Fend und
Hofen der weeg, dessen sie Winterszeit wegen der schneelänen auf den
bach heraus sich bedienen, um ihr holz daselbs hinein bringen mielien,
andurch nit zu land und leit kombeten. verspcrt würde*). Von dem
ineristen orth aber ist sowohl er, anwalt. als der Faul llueber selbs
gewichen. Wie dann darauf hin von mir sie verers befragt worden,
was sie nachpern dan für ein anderes mitl zu geben wi.ssen, darniit
ihnen nach dein verlangen geholfen werden mechte, haben sie mir ge-
antwortet sie wollten sich mit andern ihren niitnachpern diesfalls unter-
‘) Lokalität 2 km unter Vent. iiianr= mürbe. *) zum abreiten, abrutschen
geneigt, h sandig.
■'') Noch gegenwärtig führt der Winterweg ins innerste Oetzthal durchaus
auf dem Grunde der Thalfurche, aul den Schneemassen, welche ilen bach überwölben,
trotzdem dieser buch den ganzen Winter fliesst und sogar eine überra.schend grosse
Wassermenge führt. .Mitteil. d. Iteutsch. u. Oe.»terr. .Alpenvereins ISJil.
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390
Kiiuiird Kichter,
reden, und inner 8 ta^ ilir inainung sclirif'tlich einschicken, welche aber
initlst eines von oft l)edeiten pHegsverwalter zu Petersberg allererst den
zweiten dies laufenden luonaths augusti mir eingesant. und allda bei-
gelegten *) Originalschreibens zu verneniben koniben, dati dieselbe von
ihrer obiger erklärung gewichen, und umb aulhehrens von dem Hueber
herauher Fendt auf den Gämj)l vorgesehlagen clausen paues (vermuet-
lich aus sein, Huebers eifriger persvadierung, so ich bereits vermörkt.
und genugsam!) abnemben mieläen, um hiedurch ein verhofteuder starker
recompens zu erlangen, dessen er sich gegen mir selbs vernemben lassen)
ansuechung getlian haben.
Gleichwie nun aber gar zu wahr, dali dieses fernerwasser seiner
art und natur nach solcher gestalten scharpf und eingriffig, dal.': selbi-
ges, wie augenschein gegeben, von dem seiten-gebürg solche grobe
stain ledig gemacht und in den runst herabgezogen, dati es von men-
schenhiind zu inovieren unmiglich scheint, wie würde es nun mit einer
dergleichen von ihm Hueber, zu ))auen vorhabende drucknen mauer
einen bestand haben, wafl dem erschröcklichen gewalt dieses reisenden
Wassers dergleichen respective clain stain und mauer directe entgegen
gebaut würden? Und gesezt, daü durch dergleichen schwöllung der erste
impetus des gewässers verhintert würde, wan herentgegen der canal
allen ausgang mit sand und stain, pilumb und wurzwerk, wie es in
wenig stunden geschecliete, verlegt, angefüllt, und bis zum übergehen
steigen solte: alsdan erst aus dem klainen Ubl ein grobes entstünde,
da der hinterher durchdringende gewalt des so vill versamblenten ge-
wüssers mit guten thails verflössung der maueren an unterschiedlichen
orten, und Iieraustiehrung der stain auf einmal ausbrechete, wie leichf-
lich zu erachten, dali bei verlegten ausgang des canals ein solche starke
menge des so starck druckenden wassers sich in die länge gew'ililich
nit wurde kinden sperren lassen.
Allermalien dan oftgedaehter pergrichter und Martin Guni])p aus
diesen und in ihrer relation nunmehr eingefiehrten Ursachen sowohl
den vorgeschlagcnen canal oder pergstollen, wegen desselben un-
gewisser Versicherung, als auch vermig sein Huebers andeiten pev
■iOU schuech lang, und 200 schueeh hoch aufzutiehren vorgesehlagen,
und sein paumeisters Überschlag noch über die .öOOOO f. Unkosten er-
fordernde mauer nit für thuenlich angesehen, also kan ich auch unib
so vill weniger hierzue einrathen, weillen ich nicht siche, dali einem so
unerhört reissenden wasser-gewalt durch ein dergleichen machina ein
genugsam!) versicherter gegen-gewalt, (bevor aber, weillen es ein namli-
hafte summa gelt erforderte, die er Hueber bei weithen nit zu ver-
gieteu vermöchte), gesetzt werden kirnte, sondern villmehr gefehr-
licher als es zuvor gewesen, da liansechen gewinen würde, indeme dieser
zumahl aus!)rechende gewalt all dise von der clausen in weeg liegende
stain mit sich durch die engen klainen hinausfiehren, und hiermit, wan
es sonst nit geschecliete, alsdann erst recht die herausliegenden güefer
überschütten würde, zudeine auch dabei zu considerieren. dali die grobe
anno 107'J^) beschechene ruin des Ozthals nit alleinig von die.sen
') fehlt hei (len Akten. ’) trockenen. soll heissen ItiTS.
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5;?] Urkunden über die Ausbrüche des Vcmagt- und »iurglergletschers. ;J97
geschwülten ferner wasser. sondern auch und zwar guetentheils von denen
gesainbten zuepächen causiert worden, deren sicli einer bei Fendt, aber
einer die Gurgier ach. und nit weniger einer hinter Lengenfeld aus
dem tlial heraus, der Fischpach genant, befinden, welche alle drei von
denen andern grofien fernem herkuniben, und jedwederer wo nit gröber,
doch wenigist so grob, als der jetzt befundene ausgang des ferner-
und seewas.sers zu hinterst des thales seint, zu geschweigen der klei-
neren, deren Uber die 40 dem thal nach heraus bis zuui yiinstroin
sich befinden, welche wan gleich niitlst dieses clausenj)aues das ge-
schwüllte seewas.ser hinterhalten würde, nicht destoweniger bei be-
schechenden wolkenbrüchen oder stiiten regenwetter causierter anlaufung
ungehindert solcher clausen {warmit in dergleichen fahlen denen her-
aubigen Ozthalern nicht geholfen würde) danoch groben schaden, wie es
zu Lengenfeldt durch den einzigen Fischpach beschechen, verursachen
kunte, dan dieser von oben des dorfs herab auf eine seiten die ge-
mauerte häuser von grund hinwekgerissen, und auch die todtenleiber
bei der kirchen aus den grobem verflöst hat, bei welcher beschatfen-
iieit dan ich der gehorsam unfUrgreiflichen meinung wäre, gleichwie
in anno ItiOl bei dazuniahl auch äuberist besorgten durchbruch, und
scliadens von denen aldahin abgeordnet gewesten pauverständigen, von
welchen die sach sehr lamentierlich beschrieben worden, kain reine-
dium oder mitl nit hat erfunden werden künen, dem mit mentsch-
licher band abzuhelfen, .sonder einzig alles der allmacht und Vorsich-
tigkeit Gottes mitist dazuniahl im Ozthal, als alhier verlobter unter-
schidlicher creizgüng und andacbten hat mieben empfolhen werden,
— dab also bei gerfihrlichen zuständen (so aber aniezo wegen des
Wassers auch continuierenden ausbruchs und verstöckung des eib zinib-
lichcrniaben auber gefahr ist) kein andere hilf und zuelangliches mitl
nit zu sein finde, als dab die unterthanen in Ozthal von aubricht- und
haltung ihrer verlobten creizgängen und haltung heiliger messen, wie
auch aller dem Yhnthal lierabliegender ort mitist des andächtigen ge-
beths die rettung zu erbithen vordrist erineret ; alsdan der pfiegsver-
walter zu Petersperg gnädigst befehlt werden möchte, einen taug-
lichen mann, dem dies ferners eigenschaft und natur bekant, jeweils zu
wetterlieher zeit zu einnenibnng des augenscheins hinein zu schicken,
und die beschafi'enheit des waclisens oder abnehmens und ausrun.st des
Wassers, auch ob und was für gefahr sein möchte, quatcmberlich umb-
ständlich alher zu berichten, damit alsdann nach befundenheit des ab-
oder zunembes des ferners und eib mit fruezeitigen eibh.aeken, oder
anderen rnitlen der runst und ausgang fort und fort offen behalten
werden kunte; dann, da man zuewartete, liis das ferner eil.'; sich aug-
mentiert, und zuegenomben hätte, so würde alsdann ein Unmöglichkeit
sein durch das erwachsene eib, so anjetzo in die duttll schritt länge
|hat|, mit hacken dem geschwollten wasser einen verhiltlichen ausrunst
zu machen.
Und damit leztstlich syo unterthanen niitlst beständiger ver-
archung des runst durch das thal heraus ihre künftige zeitb durch
lange arbeith herfürbringende güeter desto besser versicheren künten,
wäre ich der gehorsamen doch ganz unraabgeblichen meinung, dab
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398
Kduard Kichter.
[54
allein (lenen gescliüdiglen unterthanen in ansehung. dali nur au ver-
fleseten gUetern über die zweimal hunderttausend gülden denen selben
schaden beschecheu, zu bereits in wertschaft bewilligten ‘JUOu f. noch so
viel in den gleichen mitl nachdenkung zu einer baihilf aus landsfürstl.
milde in gnaden gcndcht; mithin auch ein löbl. tirol. Landschaft mit
Zurückhaltung der steuern auf eine gewisse zeith über die bereits be-
schechene nachsechung noch ein ersprieüliche initleidentliche hilf zu
ertheileii erineret; wie nit weniger neben der gerichtsherrschaft zu Peters-
jierg die trau abtissin im Kiemsee an denen grund und zinsgilten, ab-
sonderlich aber das kloster Stambs (welches die meiste zins, zechent
und alle pfarren, so ein namhaftes tragen, genielien,) von ihren daselbs
habenden einkünften zu einer ersprieülichen beihilf und billichmätiigen
gegengang oder nachsechung der gilten auf etlich jahr, und über dieses
an seithen der landesfürstl. herrschaft annoch denen armen und meh-
reres betriingten unterthanen anstatt der verflesten güeter und häuser
andere neue grundt-aussteckung, an denen dem herrschaftlichen holz-
gewax unschädlichen orthen, (deren ich viel gesechen und gar wohl Heg-
lich, und ohne schaden beschechen kirnte, darumben sie mich auch
angesueclit, und nochmals des unterthanigisten bittens seint) ausgezeigt
werden möchten, woraus dann erfolgen wird, dali, da sie forderist recht
zusamben halten, und der schadlos dem geschädigten aus nachperlichen
initleiden mit arbeit einander an die hand gehen würden, sie mit auf-
tiehrung der zwar kostbaren archen-gebäu (wie sie dann bereits theils
orten gethan) sich in bälde zimblicher niaüen versichern und die ru-
nierte güeter in wenig Jahren wiederumb trächtig und fruchtbar machen,
und sich erschwingen kunten. Welches alles zu gehorsambster er-
stattung der gnädigist anbegehrten relation bringen, und mich darbei
in dero hochfUrstl. Ilulden u. Gd. mich gehorsarabist empfolchen wollen.
Euer hochlürstlichen Durchlaucht etc.
Auf dem äusseren Umschlag steht: Helation über den am 12. .luli
Ao. 1081 eingenomenen augenscheins des grossen ferners zu hinterist
in Etztlmll.
Gleichzeitige Kopie.
6. Bericht des kaiserlichen Rates und Bergrichters Jeremias Rambl-
mayer und Hofbaumeister Martin Gumpp über einen im Juni 1681
genommenen Augenschein am Ferner.
Hochgeborn , hoch und wohl geborn. wohledl geborn , hochgelehrt«,
gnädig und gebiethende herrn herrn!
Auf euer Eccll. und Gnaden im dato 8. dies laufenden monats aus-
gefortigten mir endsunterschriebnen iiergrichter zu Schwaz durch aignen
den 1'). zu morgends frühe eingehändigten gnädigen befelch, des hauL-
sächlichcn Inhalts . wasmaljen der hochfürstl. Dhlt. Carl hei'zogcn zu
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55] ^ rkumlen über die Ausbrüche des Vemagt- und Ciurglergletschers.
Lotringen Baar etc. geliorsanib.ster bericht eingelaiigt, ob solte wegen
des besorgenden ausbruchs dos hinter den ferner ini Etzthal aufschwel-
lenden wa.ssers, grobe gefahr obhanden sein, danenhero, damit dero-
■selben zeitlich vorgebogen werde, ich sambt zwen verständigen i»erg-
knain'en mich ohne zeitverlierung nacher Insprugg verfiegen, und bei
Euer Eccellenzen und Gnaden umb weiter instruction anmelden solte,
habe ich mich zu gehorsamben Vollzug sambt Matheusen Senhofer,
und Georgen Kränperger knappen noch selbigen tag nacher Ins-
prugg begeben, und gehöriger orten gehorsaml)lich angemeldet.
Wie dann den andern tag höchstgedachte Ihre hochfUrstl. Durch-
laucht mündlichen gnädigist nnbefolchen, daß ich besagter pergrichter,
und ich a r t i n Gumpp, hofpaumeister sambt Paulen Hueber ius-
gemain Ebentischler genant, auch besagter zwen knappen uns in zue-
zug des pHegsver Walters zu Petersperg herrn Geörgen Ruedolph
Schmidt und des gerichtsanwalts zu Lengenfeld beriehrter herrschaft
Petersperg .lohannesen Kain (I) uns in ernantes Ezthal , und zu den
daselbs befindenden ferner begeben, wie und was gestalten aller ge-
fahr mit ablasseu des aufgeschwülten wussers vorgebogen, auch künf-
tiges aufschwellen und ausbrechen besagten wassers verhint. und ab-
gewendet werden möchte, zu beowachten, wie gemehlt mündlich gnä-
digi.st euer Excll. und Gd. aucii dergleichen uns schriftlichen in dato
11. dies laufenden nionats mit diesem anhang uns gnädig aubefolchen,
daß wir darUberhin, wie ein und anderes verricht worden, gehorsambe
relation erstatten .sollten, zumalen aber ein zweitfl entstanden, ob
mechten wir uns untereinander ratione erfindend- und vor.schlagenden
mitleu, beriehrter gefahr zu verhinten, nicht vereinbahren können, als
haben aber höchst berierter ihrer liochfürstl. Dlht. sich weiters gnä-
digst resolvieret, daß der Sachen zum besten, der röm. kais. Majest.
etc. etc. o. ö. hofkamerrath, und pfandsinhaber der herrschaft Uotten-
burg ') am Yhnn, ihro Gnaden der herr herr .Johann Paris von
und zum Wolfsthurn etc. sich auch zum beriehrten ferner verfiegen,
aldorten alle notwendigkeiten observieren, unsere meinungen conside-
rieren, und was entliehen zu Sachen jetzt und in das kömftig dienstlich
erscheinen möchte, dessen parere darüber erstatten solte.
Hierauf sich ob wohlgedacht ihro Gnaden herr herr von Wolfs-
thuru sambt herrn Matheusen Hofhauser o. ö. kofkamer-secretari deu
12. miehrgernelten gegenwärtigen monaths vormittag auf den weg nacher
Ezthal begeben, mit der wir uns solcher gestalt auch dahin verfieget,
daß man insgesambt in zuezug vorangedeiten pflegs Verwalters zu Peters-
berg, und dem gerichtsanwalt zu Lengenfeld neben unterschiedlichen
gerichtsunterthanen (deren da umb kürze willen einzufieren unterlassen
worden), in dem also genanten dörtl zu Vendt im gericht Castlbell
ohngefehr anderthall) stunds weegs weit heraußer des ferners den
14. dies übernachtet, alwo ich pergrichter solchermaßen unpeßlich
worden, daß ich ainsmals weiters nicht als in das negste ein halbe
.stund Wegs befindte dörfl Rofen gehen kineii, aldorten ich mich ains-
mals auf halten mießen; ihro gnaden obwohlgedachter kaiserliche
') .Siehe oben 8. ;5(l3 [!!)).
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400
Eduard Richter,
[50
coniiläari von Wolfsthurn aber und all andere bei^ezogne haben sich den
1'). juli vormittag hin und auf das verlangte zihl und end, id est auf
obgenielten ferner begeben , und allen nothwendigeu augenschein ein-
genomben. Nachdem aber ich hofpaumeister samt Paulen Hueber
tischler auch ohngefehr ein halbe viertl stund wegs weit zu oftbe-
sagten ferner komben, und selbigen zum genQegen vor äugen gesechen,
habe ich meine weg wegen zuegestrichnen bledigkeiten des kopfs und
magens derweilen nicht weiters zu avancieren getraut; unterdessen bin
ich pergrichter gottlob wiederum!) zu solchen kröften komben, daß ich
den noch vor mir gehabten weg bis auf den ferner besteigen und zu-
rugglegen mögen; gestalten ich dann auf selbigen in allem und jeden
sambt wohlgedacht ihro Gnaden herrn comißari und all’ anderen zue-
gezogenen genuegsamblich besichtigen und beobachten können. ^Vie
nun solcher ferner an disem ort beschaffen, das habe ich pergrichter
etwas weitläufig oder specialiter zu beschreiben darumbeu für noth-
wendig zu sein erachtet, weillen sich derselbe von Jahr zu Jahren aus
allen umbstenden und vernombner beschaffenheiten verändert, vermin-
dert., oder vermehrt, also euer Excellenzeu etc. der jetzigen gegen-
wirtigkeit sichern nachricht gehaben, auch die nachkömbling. zu welchen
Zeiten der jetzigen begebenheit leng.st vergessen, und dergleichen casus
gleichwie dermahlen und in längst verweilten s ec hzehen hundert
ersten Jahr sich zuegetragen in künftigen zeithcn noch begeben
möchten, von der gegenwertigen gestalt, und besciiaffenheit, und der
mithin getierten vorgeschlagnen rettungsmitl und was vor verhie-
tungen dargegen gewest, auch nachricht haben, und sich ins künftige
auf ain oder andere weis desto leichter darinen richten, und finden
künte.
Beschreibung des orts, alwo der große ferner anno 1077
nach Martini ’) weiter extendiert, und dadurch die Schwellung
eines alda durchfließenden wassers verursachet, auch wie be-
riehrter fehrner an diesen ort derzeitcn beschaften, und das
Wasser geschwelter gefunden worden.
Dieser ferner oder ewiges eiß erströcket sich in nachfolgende
gerichter, oder herrschaften : als erstens, w'o derselbe, wie hernach niel-
dung geschieht, das wasser schwillt, in die herrschaft Castelbcll, ander-
tens in das daran liegende Etzthal in der herrschaft Petersperg, drit-
tens in das Pizthal in der herrschaft Ymbst, viertens in das Kauner-
thal in gericht Landegg, fünftens in das land Thaufers, sechstens in
das thal Pflers (!) gegen Vintschgau, siebentens in das gericht Särent-
hein; 8. in das thal Pflers gegen gericht Störzing, 0. in das Langen-
thal in das gericht Stubay ; und bat sich gemeldter ferner zu hinterist
obgenielten Ezthal ein stund weegs hinter dem dörfl Roten, und in
derselben paurnen alben in obbemelten gericht Castellbell bis auf
martini 1077 an drei unterschiedlichen orthen zu obrist des gebürgs
(wie in beiliegenden abriß und model lit. A bei den numeris 1 : 2
und d angezeigt wird) dergestalten befunden, daß von selbigen gebürgs-
’) Martini: 1 1. November.
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57] Urkunden über die Ausbrüche des Vernagt- und Gurglergletschers. 40l
höche vorher, wie noch dato, drei päch jedoch nach gestalt der
jiilirs zeithen größer und kleiner beständig . . . Vorgeraeltes lG77iste
jahr aber hat sich benielter ferner oder eis Xo. 4 von beriehrten ge-
birgshöche Xo. 1 al.s von initternacht gegen mittag durch sell)iges thal
herab, unzt an die andere abseithen des bergs No. .5 auf dreithausend
schritt lang e.xtendiei'et, und in haubthal hinein und heramswerts von
Xo. G und 7 auf viertausend schritt auseinander gebreitet, den alda
vormals gehabten weeg oder .samschlag in üschmals *) No. !•: völlig
verlegt, also daß solches eis, wiewohlen es gegen anno 1G78 damals ich
hofpaumeister allda auch augenschein eingenomben, allbereit umb zwen
thail höcher gewest, dermahlen danocht von 50 bis auf GO claftern
hoch sich befunden, und dardurch denen zwen eben von diesen ferner
herkouienden aus(lü.ssen Xo. 2 et 3 (die sich zusamben fiegen) deren
au.srunst, wie wür berichtet worden, von Galli “) verschienen bis
eingang gegen wertigen monats juli des jahres verhintert, und con-
sequenter das wasser Xo. 8 auch einsmals auf 50 bis IJO clafter hoch
durch das allda auf 1000 .schritt brait befindende thal oder alben,
wo eine ganze stund wegs weit zurugg hineingeschwelt und wiewohlen
auf des anwalden zu Lengenfehl .Johannesen Kain verordnen ihr
13 Personen zwen ganze, und etwas am dritten tag bei den Xo. ö. eis
gehackt, so hätten dieselben, wie er anwald gemeldet, allein so viel
ausgerichtet, daß das wasser 2 oder 3 tag zwischen den gebürg und
dem eis hinunter habe angefangen aus zu rüneu, welches, da mau nicht
eis gehackt hätte, in obbedeiten tagen von selbsten übergangen, und
auszurinen angefangen hätte.
Und seitmalen das aufgeschwelte wasser (so in etlich tagen
-4 werkchifter tietf niedergesunken und ausgerunnen) so weit es an
den aufstehenden eis hinauf goraicht, selbiges gleichwohlen etwas an-
gegritl'en, hinzuegetrieben, und zerschmelzt hat, sonderlich bei jetzt
warmen zeith und haißen Sonnenschein, als ist daraus erfolgt, daß dan
an und ober dem wasser gestandene und noch stehendte eis über-
schwer worden und die greste stücken von demselben hinab in das
aufgeschwellte wasser gefallen, deren auf ungefähr 1000 schritt weit
hinein vicll in solchem wasser liegen gewest, unter welchen das greste
wenigist 150 schritt lang und 100 braitt, ob dem wasser gesehen wor-
den. so vor angefangenen wassers ausrunst in selbigen herumbgerunen.
Es seint in der zeit, als man auf den ferner herumbgangen, an ver-
schiedenen orten eiseinbrUch beschechen, und zwar ein nambhaftes
stuck unter denen ainen knappen Georgen Kränperger genannt,
also daß er mit selbigen ins wasser zu fallen in gefahr gewest, aber
noch mit glich und großen schricken darvun entsprungen.
Und ob zwar zu gegenwärtiger zeit unter dem eis so mit Xo. G
und 7 bezeichnet, beständig ein wasser ausgerunnen in der greße als
die Sill, wan sie zu Insprugg in mittelmäßiger greße fürrinnet, so
körnet solches nit alles von denen aufgeschwellten was,ser her, sonder
rOnet ein gueter theil von des ferners höche Xo. 1 : durch selbiges
') .Schnals: also bestand danial.s schon ein Saum weg über das Hocbjocli.
’j liallus: Id. Oktober.
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402
Eduard Kiehter,
tlial unter und mitten durcli das eis klUfte zerthailter über zwerch, des
andern thails hinab bis an das ander geheng des gebürg No. und
vereiniget sich mit des aufgeschwelten M'assers ausrunst. Wan aber
dieses wasser das eis rechter liand (zu verstehen gegen den thal hin-
einwert.s) durcbfressen, und seinen riinst diiliin nemben würde, das eis.
wie ao. 1<)78 zweymahl höcher als der zeithen aufwachsete, welches
Gott verbieten woll und dargegen schneller die gefahr des ausbrechens
unvergleichlich gröüer sein würde: solang aber das eis in jeziger ge-
stalt, id est bei •41'ÜÜ .schritt oder nur halb .so braith verharrete, selbiges
stark genug sein würde, die darhinter betiudendte schwährn des auf-
schwellenden Wassers aufzulialten ; jedoch ist dannoch zu besorgen, es
möchte bedeithes wasser unter oder neben dem eis durch da.s gebürg
aus dringen. Dieweilen aber das orth oder thal, über welches emieltes
eis gewachsen zimblich felsig, so vermeinen wir, dali ein so großes loch
nit werden werde, durch welches alles aufgeschvvelte wa.sser .auf ein-
mahl herausrünen kunte, und wan gleichwolen ein großer gewalt wasser
ins künftig ausbrechen möchte, raüeße consequenter erfolgen , daß sich
da.s nach und nach ausrünende wasser durch da.s auf 10 stund weeges
lange Ezthal ausbraiten. den gewalt verliehren; auch ehe unten der
ei-ste guß von aufgeschwelten wa.sser in Yhnstrom reichete, hinter dem
ferner zum nachrünen kein wa.sser mehr sein würde; dannenhero unseres
dafürhaltens in Yhnthal dieses fehrners oder aufschwellenden Wassers
halben ainiche gefahr [nicht] obhanden, auch ins künftig eben dies, aU
wie an euer Gn. ervolget, hofentlich zuegewarten, daß endlich das auf-
geschwelte wasser von Selbsten über und nach und nach aus rünen.
mithin das eis in ausrunst niderfressen und sich selbsten auslähren würde.
Vorschlag und meinungen, wie und was gestalten künftig
besorgende ausbrilch des aufschwöllcnden wassers und daraus
folgenden schaden kunt oder möchte vorgebogen, und selbige
verbietet werden, auch was vor Ursachen dargegen sich be-
zaigen, daß obige meinungen nicht werkstellig gemacht werden
künen.
So viel die abwendung besorgenden ausbruchs und erfolgenden
schaden anbehingt, erhöhe ich hofpaumeister in diesen fall meine den
12. 31ai verschienenes ItiTO jahr erstattete gehorsambe relation wie
nemblichen, da es perg, verständige auch vor guet hielten, der Sachen
am besten geholfen, wan ein canal durch das .seitengebürg ausgehaut
würde, mit welcher meinung ich pergrichter zu Schwaz auch contir-
miere, dan wan ein initl ergriffen werden möchte, daß das wasser
No. 1 2 et 3 oder doch, w'as in winter gefrieret und aufgeschwellet.
an frieliug nach und nach ausrinen, man hierdurch aller gefahr befreit
sein und bleiben künte; hinentgegen aber ist zu considerieren, damit
das eis in seiner ausbraitung, aucli die allerseiths abschießende große
schneelänen den anfang und das end solches canals oder stollens nit
überzieche oder ver.stöcke, daß selbiger allerwenigist OOd pergclafter
lang sein, und von No. 11 bis 12 in einen harten leisen über zwerch
desselben fallen ausgeschlagen werden müeße; weillen man so tief
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5^*J Urkunden über die Ausbrüche des Veinagt- und (iurglergletschers. 4ü3
hinein das weiter (zu verstellen der luft) ohne aushruch toppeiter stollen
gefiehrt nicht bringen kunte, so inilelie man von No. lü unzt 11 bei
ohngefehr 200 clal'ter lang, oder so weit es nützlichen sein kunte, die
erde von der ganze de.s gebürgs herdan neinben, und den runst des
was.sers in felsen au.shauen. alsdann demselben wiederunib beständig zu-
machen, damit die schneelänen wie vor gemehlt denselben nit verlilnen
kunten. Die andern 400 oder inehrer clafter aber mießen, wie ge-
nieldt durch die völlige ganze des gebürgs au.sgesehlagen, und ein to]i-
pelter stollen (zumalcn die ausbrüch wegen des eis nicht rat.-amb
gefiert werden) damit man das wetter oder den luft fortan inithin-
bringen, und das liecht zur arbeith brenent erhalten kunte, welches
alles mein, pergrichters dafUrhalten, wan man zu ge.schweigen des an
tag, und in felsen einhauenten wmsser gr.abeus die übrige länge als
■loO oder mehr clafter jedes jahr mit tag und nacht abbeißen oder ar-
beiten 2-'> pergclaftern in ganzen gebUrg ausschlagen kunnte (so denoch
in solcher zeit ungewiss obs erthuenlich sein würde) selbiges nushauen
allein wenigist 10 jahr anbetretfen, und über 20 bis 30 000 il. Un-
kosten erfordern würde, unter welcher zeit oder Verfertigung dieses
durch.schlages und canals viel und große schaden in Ezthal an grund,
gUetern und in anderen wasser weg luitlst des aufsclnvellenden wassers-
ausbruchs geschechen kunten. Dieses alles unangesechen , i.st weiter
in obbacht zu uemben, daß der felsen an disen orten mit seinen fallen
aufstechend, und krücklilich (zu verstehen zerkloben) ist, durch welches
kruckh oder klüfte sich das was.ser oder die feuchtigkeit auf den canal
oder stollen hineinziechen, und derselbe voll mit eis anwaxen würde,
und wan dieses nit ervolgete, der canal oder stollen aber winter und
soininer orten verblibe, das wetter oder der wind, wie gemeiniglich in
dergleichen fällen zu geschechen pfleget, durchstreichen tete, so würde
unfehlbar erfolgen, wan das zu winters Zeiten von No. 2 et 3 durch
das tlial heraus rinende wasser seinen ausgang durch besagten canal
haben müeßte, derselbe alsgleich voll mit eis angewaxen, darzue die
au dergleichen hochgebürgigen orten groß fallende tiefe schnee und
das windwehen nambhafte lieförderung geben würde. Wan man auch
gedanken schöpfen wollte zu winters zeifen den canal an beeden orthen
zue zu machen und hei den eingang des wassers selbigen dergestalten
zue zu richten als wie ein claußthor, w'elclies, wan man es eröfl'neter
haben will, ein mann mit einem druck eröttnen und einen nanib-
haften gewalt wasser durchrinnen lassen kann , so wäre man nicht
versichert, daß die große kälte und das eis eine .solche zuerichtung
gedulten und selbige nicht zerreißen tete; wan sodan nur sogar ein
weniges wässerle durchdringen möchte, würde selbiges in solchen canal
den ganzen winter hhidurch voll mit eis anwaxen machen, zu ge-
.schweigen der vorangedeiten kröckh oder klUft, dardurch wie gemeldt
die feichtigkheit dringen, auch eis in solchen canal verursachen, welches
eis besorglich den ganzen sumer, weil es auf solchen canal fortan
kälter als heraußen sein, nicht zergehen w'ürde, danenhero wir der
gehorsamb und unterthanigen meinung sein, daß sich ein solcher canal,
welches wie sonsten vernünftig gnädig zu erachten daß beste initl
wäre, fruchtbarlich, oder daß man sieh mach angewendten Spesen
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Eduard Richter,
404
[00
gewili darauf verlassen kunnte, zu gebrauchen schwerlich wird zu ver-
richten oder machen lassen.
Es hat zwar vor einverleibter mit uns auf diesen augen.scheiu
geschickter Paul Hueber insgemain Ebentischler genant zu Insprugg
wonend drei unter.schiedliche vorschlög gethan, als nernblich und erstens,
daü aulier Zwilüstein am also genanten Lenersegg im berierten Ezthal
ungefehr if oder 4 stund wegs auLier des ferners , alwo sich die bei-
den seitengebürg ziemblich eng zusamben hegen, und hinter besagten
Lenersegg die refier etwas anleg auch mehrers ausgebraiter sich er-
zeigen, also, dali alldorten ein nambhafte menge des wassers auf be-
halten, und von dessen furi madt und schwach gemacht werden kirnte,
von denen alldort liegenden ledigen großen stuck und stain in des
pachs runst zwischen bedeiten seitengebllrgeu ein truckene mauer der-
gestalt aufzuhehren, daß dieselbe 'JOO schritt dick und ‘dOO schuech
hoch, aucli mit ain oder ander mehr canalen solchermaßen begabt sein
solle, daß man das wasser durch selbige nach belieben, rinen lassen
oder sie zuegemachter behalten kunte, welches werkh er auf P> bis
20000 tl. Unkosten angeschlagen.
Zum andern von Zwilßstein ungefähr 3 stundt weegs besser
heraus ’) in thal auf Gäiupel genant, daselbsten das wasser durch eine
felsige, tiefe dam durchrünen niueß und beede felsige seitengebürg
höcher und enger als am Lenersegg sich befinden, und das wasser wan
allda ein gleichförmige mauer im selben runst gemacht leichter auf-
gehalten, auch auf der alldort befindenten weite zurugg gesch wellet
werden kunte, welche mauer, oder fürbau er Hueber auf lOftOO fl.
Unkosten eracht und bestünde.
Der dritte Vorschlag irideme, weillen das vom ferner aufge-
schwellete wasser zwischen zweien aufstehenden felsen, als in einen
von der natur begabten resjiective starken canal herausrinnen mueß,
und das gebirg daroben auf der einen seitheu felsig, daß alldorten
große stuckh herdan gesprengt oder gebrochen, und in des wassers
runst zwischen besagten zweien .staiuwenden in großer und namhafter
menge zu hinterist der nachpauren zu Hofen haimbfelder, und anfang
der Kölner alben, .so bei einer halben stund heraußer des ferners sein
würde, herabgelassen werden sollte, damit hierdurch des ausbrechen-
den wassers gewalt gethemet, und verhinteret werden kunte; von
welchen Vorschlag aber er Hueber Selbsten entliehen gewichen, vor-
wendend dies thal würde zu klaiu sein das völlig aufschwallende wasser
aufzuhalten.
Nun haben ihro Gd. vor wohlgedacht erherr comissari vorbeschriebe-
nen anwalt zu Lengenfeld, und verschiedenen nachpauren da.selbs diese Vor-
schlag eröffnet, und deren dabei zu erinderen habende inainung dar-
über zu vernemben begehrt, worauf oftbedeiter anwalt .Johannes Kuen
sich mit seinen nachpauern unterredet, und angebracht, sie verstunden
sich auf so wichtige gebei nicht, künen und wollten auch der gnädig-
sten herrschaft nicht maß und Ordnung geben und seie ihr einzige
hott'nung und verlangen: ain löbliche herrschaft wenle ein solches mitl
ü muss heis-son hinein.
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(51] UrkuBikn über die Ausbrüche des Vernagt- und Gurglergletschers. 405
erdenken, und ergreifen, damit sie von des ferners Wassers ausbruch
sicher sein kunten, jedoch vermeinten sie, wan am Lenersegg lierauher
Zwilßstain ain mauer oder reppör gemacht würde, es möchte das wasser
so viel holz daran Heren, daß etwas dahin zu pauen nicht thunlich
wäre, es würde dieser pan ihrer meinung nach zu kurz sein, und die
inderen gUeter verderben.
Aber das ort auf dem Gamppl genant, liielten sie für tauglich,
wan anderst das velsige gebirg daselbst bestendig wäre: dahin würde
weniger holz komben, und die heraußigen güetern kunten besser ver-
sichert werden; allein wan an ein oder andere obgemelten orten ein
solches gebey aufgefiehrt würde, kunten die zu hinterist im thal zu
Fend und Kofen wohnende Castlbellische imterthanen Winterszeiten
nicht oder doch viel beschwerliclier zu land und leuten körnen, indem
sie auf des baches runst ein aus- und eingang den weg darumben
suechen und nemben mießen, weillen die schneelänen ihnen keinen
andern gedulten. Den dritten Vorschlag belangt, vermeinten sie: der
pau wäre zu nachend beim fern, also das spatium zu kurz, und wan
man alldorten in des bachs runst viel große stück und stein legen,
der ferner aber mit gewalt ausbrechen thäte, so würde das wasser
übergehen und nur ehenter schaden verursachen.
Weilen dan aus disen allen so viel abzunemben gewest, daß aus
sein, Huebers Vorschlägen, keiner dienstlichen, haben aber obgemelter
herr comißari was dann sie nachbauern vor einen andern Vorschlag zu
geben wüsten, damit ihnen dem verlangen nach geholfen werden kunte,
es anzaigten; hierüber sie gemeldet, sie wollten .sich mit andern ihren
nachpauren , die es sowohl als sie berührt, unterreden und in acht tagen
ihr meinung schriftlichen einreichen. Wan dan euer Excll. und Gd.
über sein Huebers gethanen vorschlögen unser meinung auch verlangen
möchten, als haben wir solche volgender maßen beisetzen wollen.
Und ist zwar nit ohne, daß der pachrunst am Leners egg zu
unterist ungefehr 15 schritt weith also im grundt eng genueg sein
werde, was dahin zu bauen; wan aber ein zwaihundert schritt dicke
mauern auch zwaihundert sclniech hoch aufgefiehrt, und beede seiten-
gebürg dergestalten begriffen, daß dem wasser der ausrunst entzwischen
beriehrter mauer, und den abseitenen nicht durchdringen sollte, wurde
die mauer in derselben höche bei ungefehr 400 schritt brait sein
müeßen, und ein solche machina aufzufUhren mehr als 50 00D fi.
kosten.
Soviel aber den andern und dritten Vorschlag nemblichen auf dem
Gampels, und in Rofneralben anbetritft, conlirmiercn wir uns mit der
pauern vorein verlaibter meinung, und was noch weiter von uns folgt.
Über dieses alles seint auch maimmgen gewest, man möchte denen
aufgesch weiten wasser einen ausrunst machen, wan durch den ferner
oder eis ein runst ausgehaut würde; in maßen viel der gedanken waren,
daß durch anheuer vorgenombenes eishauen das wasser seinen ausrunst
gewUnen.
.Auf solche verschiedene Vorschlag und meinungen thuen euer
E.vcell. und Gd. wir erhollend berichten, daß dermalen von ferner
heraus das wasser .so groß gerunnen, als wie die Sill zu Yhnsprugg,
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40(J
Eiluaril Richter,
[02
wan sie mitlinäljit( rinnen tliuet, gewest und ist am gestatten zu beedeu
seithen abzuneniben gewest, wan vorher der ausbrucdi ervolgt, diis wasser
gewilj zechen mal grelier gerunuen , als anjetzt , bei denen es nicht
geblieben , zumalen drei stimdt herauher des ferners durch ein auch
drei stundt langes werckthal ^), Gurgl genant eben ein so grolies wasser
(welches gleichmäbig von groben ferner lierkombt) als aus dem see
geflossen, gerunnen. Wan dan solches bei schönem weiter geschechen,
kann man leicht erachten, wie es zuegehen wird, wan wolkenbrüch
oder langwieriges weiter sich zuetragen, und was vor gewässer nur
allein aus diesen zwei thälern, zu geschweigeu anderen groben werck-
piichen von beeden auf 4 oder b stundt hocben abseithen der gebirg
Uber 2(1 zusamben komben, welche durch das Ezthal hiuausrinnen
mileben, und unmöglich sein wird selbige aiifzuhalten. Und gesetzt,
es würde sein lluebers vor.schlng gemäb ein oder mehr dnickene
mauern aufgefiehrt, und dardurch dem wasser an selbigen orten sein
habende furi verhintert, so kan und niueb ein jeder vernünftig er-
achten, \van so viel wasser zusamen kombt, dasselbige in wenig stunden
den davor liegenden jdatz mit sand und stain , sonderheitlich , wan es
ganze jiaumb mit tiehrt, gleichwie ain muer vor einer mihi anfilleii,
und der mauer gleich hoch steigen, und zurugg gehen würden, wan
auch entlieh diese antillung auf ein oder mehr ervolgendte wassergrebe
nit gescheche, so würdet doch solches in ein oder etlichen Jahren gewili
beschechen, und wan auch dieses sich nit zuetragen, sondern das wasser
sein. Huebers, tiehrenden meinung nach sich durch die mauern zer-
theilter ziechen, oder dringen würde, so mllebte in etwas anhaltenden
wassergreb , wan das wasser zurugggeschwelter sich befinden thiit . ja
ervolgen, dab durch die mauer so viel dringen als aus den gebttrgeu
fort anher rinnen thäte, und sonst gewöhnlich an dem ort, wo die
mauer hiugebaut worden, vorhero durchgerunnen ist; welches berait
ein solche gestalt hätte als wan ein gartner ein giebgeschür voll
wasser hätte, so er durch den rohr oder durch den kolben ausgieben
wollte und wiewohlen das wasser vermitl des kolben durch viel löcher
ausrinnen thuet, so ist doch sein ausrunst in der quantität eben so
viel, als wan es durch den rohr ausgegossen würde; wan so den solches
wasser in grober menge durch die mauer, oder die darein zu machen
vermeinte canal durchgedrungen, so rinnt selbiges wie abermal ver-
nünftig zu gedenken, wiederuinb abwerts seinen schnellen runst fort,
also und dergestalten , ob wäre an diesen oder jenen ort niem.ils kein
mauer gestanden; zu geschweigeu, wan an solchen werk etwas brechen
sollte, ob nit aus ainer gefahr des ferners ausbruch wohl zechen gefahr
oder schaden verursachet würden, dan solche neue starkfliebende wasser
sich einmal nit sparen lassen, wie kunte dan ein dergleichen kostbares
gebey, welches bei drei stund hinter oder inerhalb den ort l’rugg ge-
nant, allwo das wasser einen pauern, Valentin Cuprian genant, allein
umb I KIOOH. schaden gethan, in etwas dienstlichen sein, welches ein
ganz gleiche mainung mit anderwo orten hätte, .so vor oder hinter
diese mauern sich befinden, und viel noch weiter entlegen seint.
') soll wohl heissen , zwerch-* = querthal.
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(j:JJ Urkunden über die Ausbrüche des Vernagt- und Ciurglergletschers. lo7
Bellaiigende das eishaus •), beziechen wir uns auf das, was der
anwalt zu Lengenfeldt hiervon gemeldet, auch vor ihne einverleibt
worden, und geben in gehorsamb gnädig zu bedenken, wan der Vhn-
ström ein eisstoli von ungefelir einer halben stund wegs lang macliet,
das eis etwo 2 klafter auf das aller mehriste dick ist, man es vor ein
Ungleichheit haltet, der sacheu zu helfen, oder inen einen solchen eis
einen runst nuszuhauen, ohngeachtet d.as wasser die eisstUcker hinweck-
führcn thäte; wie kant man dan einen runst in diesen so groli und
dicken eis hauen, welche auf 4000 schritt lang, und, wan hier-
durch etwas geholfen werden sollte, wenigist lUt bis 40 klaftern tief
sein mttelite, zu geschweigen mau solches eis, wie es anno 107S umb
2 theil höher waxen wünie und wan man am frieling solches eis hauen
anfangen wollte, daselbsten das wasser noch nit gar hoch angestiegen,
man unfehlbar auf 20 oder mehrer klaftern tief eis hauen müebte, ehe-
unter man das wasser erreicht hätte, und were niemals sicher, ob nit
ein schneibwetter komete, und denen runst in einer stundt voller schnee
anwähnete-); wollte man dan die Sachen auf mitten des suinmers an-
steheu lassen , so ist die zeit zu kurz ein solche arbeit zu verrichten,
und nachdeme die hiz oder sonnen recht in das erdreich komben, die
gefahr des ausbrechens, ain, oder andernwegs bleiben, oder unter wäh-
render arbait stündlich zu gewarten sein.
Kurze beschreibung des Ezthal.
Dieses ort hat den namen mit der that, indem die beederseits
auf (wie gemeldt) 4 bis .ö und noch mehr stund hoche gebirg fast
allenthalben dcrgestalten geartet und mit schenen albnen begabet. das
man die ez ’) mit dem vich besuechen und genietien kan. Es erstreckt
sich solches thal auch von hintersten ferner bis heraus in Yhnstromb
auf 10 stundt wegs lang, hat viel uambhaftc schöne Heck fehler ge-
habt, welche aber an unterschiedlichen orten in verschienen 1078 und
1070 jahr von ausbruch des ferners, wie vorderist zu Zwiülstain zu
Sechen, bis dahin keine sonderbare zwerchbäch darzue komben, dan
besser im thal heraus durch die darin rinende zwerchbäch, dem (der
kleinen, so wenig sand oder stain tragen zu geschweigen) zu beeden
seiten mehr als 10 seint, hinweckgcrent und andere überschüttet wor-
den . also dali der .schaden auf viel tausend gülden sich erstrecken
thuet, und obzwar zu gegenwärtiger zeit wegen forcht des hinter dem
ferner aufge.schwellten wassersausbruchs berait alle pruggen abgezogen,
und die ordinari .straüen unwandelbar gewest, theils unterthanen dem
häuser auf den Hachen land stehen lassen und sambt ihrem vich in
schlechten li litten am fueli beederseits gehengen der gebirg gewohnt,
so seint doch gleichwohlen die in verschienen 1078 und anno DITO
entstandenen Schäden nicht von des ferners ausbruch allain, sondern
vermitls der dazuekomcnen, von langwierigen regenwetter angeloflenen
zwerchpäch , welche sowohl als der hauptpach hin und wieder in die
gsteten grillen, zu beeden seiten durch das tlial große plaicken *)
') des Eishauens. von wi-hen. ’) ez oder oetz = Weide. ') plaike:
.Xbnitsehiin>r.
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4()8 Eduard Hichter, | iji
gemacht, und verursacht, daß nainbhafte abseiten von pergen mit großen
steinen und stucken, auch ganzen paumben in des pachs runst gesessen,
die sicli hin und wieder verlegt, und vorgedachte ausbrUcli und scliaden
verursachet: welche ausbriich zu Lengent'eldt, und Ästen mit hinweck-
getlesten. schene, fruchtbare traidböden und feldem. alwo die mindiste
anzeigung gewest, daß deren enden einsnials ein wasser gerunnen, alte
archen entpldst, also daß das wa.sser seinen vor etwo 100 und mehr
Jahren gehabten runst derzeiten wieder dahin genomben. Und hat
beriehrter herr pflegsverwalter zu Petersberg angebracht, daß ein gott-
loser pue *) anno 1078 durch das Ezthal gehend, von vorgedachten Valtin
Kuprian zu Prugg, alwo er übernachtet, nicht nach verlangen tractiert
worden, durch zaubere! und des teifels hilf bei den ferner den au.s-
bruch , und in Lengenfelder thal ein weiter auf ein zuetrefl'ende zeit
gemacht, also daß das ausgebrochnen fernere wa.sser und der pach zu
Lengenfeldt gleichsamb, als wie zwei clauß wasser, die mit Heiß ge-
schlagen oder geöfthet worden wären, zusamben getroffen, und mehr
beriehrter schaden noch größer gemacht; die ursach .«eines wissen.«
seie. daß obgenielter pue zu Meran eingezogen, auch daselbst hin-
gerichtet worden, von denen ihme herrn pflegsverwalter sein aus.sag
und bekantnuß zuegesant worden, umb huerUber rechtliche kundschaft
einzuziehen, inmaßen er alle begebenheiten nach laut angedeiter be-
kanntnuß gleichförmig und wahr zu sein befunden, welch alles Euer
Excell. und Gd. vor geraumber zeit weitleifiger gehorsamblich berichtet.
(iehor.«amblich und unmaßgebliches guetachten.
Weillen dan auß vor nach längs erzelten gründlichen verhinterungs-
ursachen die Sachen sich dergestalten bezaiget, ob man zwar mit langer
zeit und großen Unkosten einen canal oder «tollen au.s.schlagen , sehr
ungewiß sein würde, daß selbiger genuzt werden kunte; die aufzutieren
vorgeschlagne mauern , oder clausen auch sehr große Unkosten erfor-
deren, und nicht oder doch wenig dienstlich oder fruchtbar; in dem
eis einen runst auszuhauen unerschwingliche unkösten unmöglich sein
würde, auch nach gestalt und beschaffenheit der .Sachen und ort ainich
dienstliches mitl noch bishero zu ersinnen gewest und be.sorglich nicht
erfunden werden möchte, daß das liebe Ezthal vor dem ausbruch diese«
und ander dazue kombenden wässern vor .«chäden vollkommen bewahrt
und versichert werden könte:
Als seint wir gehorsamen und unterthänigen mainung alles dem
allmögenden gott zu empfehlen, und da.s forderist die geinaiuden
in Ezthal zu beihaltung derjenigen andachten, welche ihre vorvordem
und sie selbsten umb abwendung des femers waxtumb, dardurch c.au-
sierende was.sersch wellen, darüber erfolgenden ausbrechen und besorgende
schaden verlobt und versprochen haben, erinderet werden sollten; gleich-
wie nun sein göttliche allmacht ge.schechen lassen, daß ein .«o große
machina in einen winter hervorgewaxen, also auch könne durch fleißiges
gebett sein göttliche güete bewegt werden, damit diese gewalt eis in
so kurzer oder noch kürzerer zeit, als es gewaxen, sich wieder ver-
') pue = Buße.
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05]
l'rkumien über die Ausbrüche des Vernugt- und Gurglergletschers. 4o9
lieren, und hinweckgehen ; zu welchen es (gottlob) ein zimbliches guetes
ansechen hat, seit malen beriehrtes eis umb zwei theil minderer sich
befindet, als es vor zwei Jahren gewest, weillen solcher ferner immer
mehr und mehr zum abnemben scheint, das eis störcker würdet, auch
keinen solchen gewalt wasser mehr zu fassen hat, man auch diesfalls
außer sonderbarer verhängnuß gottes kein gefahr zu befürchten hat.
Und damit dem wa.sser durch vorgemetles Ezthal ein beständiger runst
kunte gemacht werden, wären wir der weiter gehorsamben meinung,
denen anwanenden unterthanen aus landesfürstlicher milde so viel bei-
hilf raichen zu lassen, als man sonsten zu auffiehrung ein oder
andern gebeys dargeben hätte, und weillen dieses ein sanderbare
sich eintiehrende, an keinen ort erhörte begebenheit, auch offenbar und
am tag ist, daß viel grundgüeter solchermaßen hinweggeflest werden,
daß man die niindiste gleichnuß soeben kann, obwären vor diesen da-
selbst gestanden, daß ein löbl. landtschaft mit gewisser maß und be-
scheidenheit auf gwis benante zeit an der ordinari Steuer ein nach-
sechen thäte, und weillen zusambt der gerichtsherrschaft zu Petersperg
die frau abtissin in Kiemsee in diesen Ezthal nambhjifte scheue gründ
und zUnsgülten, anliegend das closter Stambs auch alle pfarren, ein
großes einkomens allda hat, das beriehrte stüft, und grundherrschaften,
an 'deren zu forderen habenden raichung auch etwas nachlasseten und
sowohl sie, grund- und pfarrherrn, als forderist löbliche landschaft
denen geschädigten ein mitleidentliche beihilf reichen selten, wan dar-
über hin die nicht beschädigte mitnachpauern im beriehrten Ezthal
auch ein nachparliches mitleiden mit arbeit oder in andersweg trüegen,
so würde unseres dafürhaltens erfolgen, daß man, wie oben angedeit,
dem wasser ein beständigen run.st mit ausfiehrenden archen, wie sie
schon beraits thails orten gethan, machen, und die ruinierte Örter deste
ehend und verhotfentlich wieder in wenig Jahren trächtig und fruchtbar
machen kunte, welches alles in consideration aller umbstehend unser
einfältigen meinung nach das beste mitl sein würde. Jedoch wird alles
euer Excell. und Gn., auch obwohlgedacht kay. may. landfürstlichen
herrn comißari ihro Gn. herrn von Wolfsthurm (titl.) hochvernünftig
weitern nachgedenken gestellt, und hiemit diese unsere gehorsambe
relation beschlossen. Euer Excell. und Gn. thuen wir uns gehorsamb
und unterthanig empfehlen
dato den 1. Juli ao. 1081.
euer Excell. und Gn.
Unterthanig gehorsambe
Jeremias Ramblmayr,
kays. rath, auch pergrichter
und Waldmeister zu Schwaz;
Martin Gumpp.
kays. oö. hof-camer-paumeister.
Forschungon zur deutschen Landes- und Volkskunde. VI. 4. 28
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III. Ungewöhnliche Anstauung des Gurgier Eissees 1716—1724.
Die vorliegenden Akten sind olfenbar der ganze Bestand an Be-
richten und Erledigungen, welche beim Guberuium in Innsbruck in
dieser Angelegenheit zusammen gekommen sind. Mit dem betreffenden
Abschnitt aus B. Kuens Aufzeichnungen (s. oben S. 386 [42]) geben sie
ein treues und lebhaftes Bild der Sache. Um nichts Ueberflüssiges zu
bringen , ist der grössere Teil der Stücke im Auszuge wiedergegeben
und nur besonders charakteristische Stellen sind im vollen Wortlaut
mitgeteilt. Sämtliche Stücke waren bisher ungedruckt und , wie ich
glaube, auch unbekannt. Die späteren Autoren Walcher und Stotter
kennen nur die Stelle aus Kuen.
Die Geschichte dieser Ereignisse am Gurglergletscher ist deshalb
von Wichtigkeit, weil Sonklar die Nachrichten, die er bei Walcher
(Eisberge von Tirol, Wien 1773) fand und die von Kuen stammen, so
verstanden hat, als hätte sich der Gurglergletscher erst im .lahre 1716
vor den Ausgang des Langenthales gelegt, was eine seither unverändert
gebliebene Verlängerung des Gurglergletschers um 1600 — 1800 m be-
deuten würde. Ein solcher unerhörter Vorgang wäre für die Geschichte
der Gletscherschwankungen und daher auch des Klimas von grosser
Bedeutung. Ich habe schon in den »Gletschern der Ostalpen* S. 162
nachzuwei.sen gesucht, dass Sonklar seine Quellen falsch verstanden
hat. Der Gurgler-Eissee hat sich von jeher gebildet und nur in jenen
Jahren infolge eines ausdrücklich verbürgten starken Anwachsens beider
Gletscher, sowohl des Gurglers als der Langthalers, eine aussergewöhn-
liche Höhe erreicht. Diese Auffassung wird durch die vorliegenden Akten
in allen Stücken bestätigt.
Ausserdem scheint noch die Notiz besonders bemerkenswert, dass
angeblich schon »vor 300 .Jahren der Ferner mit grossem Schaden
ausgebrochen sei*. Dies führte uns in Zeiten zurück, von denen alle
anderen Nachrichten fehlen; aber schon Kuen bezweifelt die Angabe;
er habe nichts ermitteln können, »dass vorher mit diesem Ferner in
Wahrheit etwas Denkwürdiges vorbeigegangen wäre“.
Beim Gurglergletscher ist bekanntlich die Sachlage ganz anders
als beim Vcrnagtgletscher. Nicht das Hauptthal wird durch einen
von der Seite herabkommenden Gletscher vorübergehend abgesperrt.
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(57] Ed. llichti;r, Urkunden über die Ausbrüche des Vcmagt- u. (iiirglerglctschers. 411
sondern der Ausgang eine.s Seitentlmles wird durch den das Hauptthal
regelmä.ssig und fortwährend erfüllenden Gletscher dauernd verlegt.
Der Ablauf des Seitenthaies muss also immer unter dem Hauptglet-
•scher durch erfolgen. Im Winter verschlielit sich in der Regel dieser
.\usgang, und so bildet sich alljährlich ein See. Wir kennen in den
.\lpen noch zwei solche Seen : den Rutorsee ’) und den Märjelensee -).
Ihr Stand ist ein sehr wechselnder. In der Regel füllt sich der Mär-
jelensee bis zum Ueberluufen, das bei ihm nach einem anderen Thale
hin erfolgen kann. Auch der Rutorsee läuft über seine rechte Um-
rahmung, einen niedrigen Felsriegel, über. Ausserdem finden aber
beide Seeen in der Regel noch einen Ablauf unter dem Eise des
Hauptgletschers, meistens ohne allzu grosse Hochwässer, da die lange
Balm im Inneren und am Grunde des grossen Gletschers den Ablauf
verzögert.
Der Gurglersee kann keinen seitlichen Ueberfall finden, sondern
ist stets auf den unterirdischen Abfluss angewiesen; bleibt dieser un-
gewöhnlich lange verschlossen, so muss er über den Hauptgletscher
hin überlaufen, was dann alsbald zur Eintiefung eines Grabens an der
Berührungsfläche von Eis und Fels und zur raschen Erniedrigung des
Sees führt.
Vom Rutorsee werden einzelne recht schlimme Ausbrüche ge-
meldet; durch den Gurglersee ist aber noch niemals eine solche Ver-
heerung verursacht worden, wie etwa durch den Vernagtsee lü78
fider 1 84ö.
Auch die nachfolgenden .\kten haben nichts Derartiges zu be-
richteu. Sie besagen aber ausdrücklich etvvas anderes, wa.s wis.sen-
schaftlich viel interessanter ist: nämlich dass damals sowohl der Gurgler-
als der Langthalergletscher in sehr energischem Vorrücken begriffen
waren. Dadurch wird uns für diese .lahre eine Vorrückungsperiode
der Alpengletscher sichergestellt, w’elche sonst nur durch eine einzige
Xachricht aus Grindelwald verbürgt ist “).
Das Thatsächliche , das unsere Quellen enthalten , ist in diesem
Falle nicht, wie in dem vorher mitgeteilten, in einem Wust ander-
weitiger Mitteilungen vergraben, und ich kann kurzweg auf den Text
selbst verweisen. Im Frühsommer 1717 wurde die Bevölkerung des
Oetzthales durcli die Nachricht von einer aussergewöhnlichen Grösse
des Sees erschreckt. Dieser war ItiOO Schritte lang, 500 breit und
70 Klafter tief. Eine Komrai,s.sion erschien, aber während sie sich
noch in Sölden befand, lief der See zum Teil ab, am 00. .luni. Die
Zerstörungen beschränkten sich auf das Tlial von Gurgl und waren
nicht sehr bedeutend. Die Kommission empfahl die Herstellung eines
Abzugsgrabens am rechten Gehänge des Seitenthaies, um das Wasser
des von rückwärts herströmenden Baches an dem Seebecken vorbei-
zuleiten, ferner Herrichtung der Wasserläufe im üetzthal und üeber-
') Biirotti, II lai'o clel Rutor. Kolletino <1. Club alpine Ilaliano 1880,
Seite 4:1.
•) Gos.set, Der Märjelensee, Jahrbuch des Schweizer .Vlpenklubs 1887,
Seite 340.
’) tieschichte der Schwankun^'en der .Mpenplet.'cher, S. 9.
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412
Eduard Richter,
108
wachung. Am 0. August war der See leer und der Bach floss durch
ein 1 * 2 Klafter hohes Eisthor ab. Aber schon am 14. Oktober ver-
stopfte sich dieses wieder und die Seebildung begann von neuem.
Den ganzen Winter laufen die Nachrichten vom Wachstum des Sees
und auch des Gletschers. Am 17. Mai war der See 1100 Schritt, am
14. Juli 1700 Schritt lang, 050 breit und 100 Klafter tief. Der rührige
Pfarrer von Sölden, Jakob Kopp, las alle Samstag auf dem Ferner
Messe — noch heute trägt der „Steinerne Tisch* die eingehauene
Jahreszahl 1718 — und untersuchte selbst die unzugänglichen Klammen,
w'elche der Gurgierbach nach seinem Austritt aus dem Ferner durch-
flie.sst. Der Gedanke, diese Felsengen durch hineingestürzte grosse
Fclsblöcke noch um so viel zu verengen, dass ein rascher Abfluss
unmöglich werde, scheint ganz sachgemäss; es fragt sich nur, wie
immer bei diesen Dingen, ob die Kosten nicht das zulässige Ma.ss
überschritten hätten, indem sie grösser wurden als der Wert der ge-
fährdeten Güter.
Aber schon am 10. Juli wurde man aller Sorgen enthoben, in-
dem der See, wie Kopp sich anschaulich ausdrückt, ein Rad zu machen
begann, das heisst durch einen Wirbel auf der Oberfläche verriet sich
der beginnende Ablauf in der Tiefe. Das drohende Unheil, das offenbar
im Oetzthal wie im Innthal gro.sse Aufregung hervorgerufen hatte, zog
ohne den geringsten Schaden vorüber. Am 1. August war die Höhe
des Sees auf die Hälfte gesunken. Als er voll gewesen, wurde er
dem Kofnersee von 1078 an Inhalt gleich gesetzt. Nun wiederholte
sich Anschwellen und Ablaufen des Sees alljährlich; 1724 war der
Stand wieder besonders hoch; aber auch diesmal lief der See am 10. Juli
unter dem Eise ohne Schaden ab. Von da ab verstummen die Nach-
richten für 50 Jahre.
Amtliche Korrespondenz über das Anwachsen des Gurgier Ferners
1717 und 1718.
(Innsbr. Archiv (.'am. Cateu 64, Nr. 1.38, Miscell.)
1717.
1. 26. Juni. Thomas Aigner, Pfleger von Petersberg zu Silz,
berichtet an die Innsbrucker Regierung, er habe durch eigenen Boten
aus Sölden Nachricht erhalten, „weichermaßen der sogenante
Gurgier ferner, so dem hören sagen nach vor 300 Jahren mit
verursachtem groben Schadens ausgeprochen, unvermueth und
allererst vor 3 tagen gewahrnetermaßen auf 1000 schritt lang und
500 schritt prait auch 70 claffter dieff einen see gemacht, und nur
30 claffter bis auf die pegin des herwerts sinkenden falls abgeet, und
man nicht wissen kan, obe durch die schneelanen die darein fließenden
wasserflüss der ordinari durchgang versteppet worden“. Man hat daher
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()0] Urkunden Aber die Ausbrüche des Vemngt- und (Jurglergletschers. 413
wäcliter aufgestellt, und ,creutzgeng, gebeterund lesenlassung hl. nie.ssen“
ungeordnet.
2. 27. Juni. Kreditiv der o.ö. Regierung für den kais. Hat
und Lehen.sekretür Jakob Cyriak Lachemayer und Hofbaunieister
Gumpp, welche zur Besichtigung des Gurgler-Ei.ssees und zur Vorkehrung
der möglichen Abhilfen abgesandt werden. Die Behörden werden an-
gewiesen, sie mit jeder Art Dienstleistung zu unterstützen.
3. 30. Juni. Sölden, <! Uhr früh. J. Cyriak Lachemayer meldet,
dass er mit den Herren Gumpp, Thomas Aigner, Thomas und Jo.seph
Hirn gestern abends hier angelangt sei. ln der Nacht sei plötzlich
die Ache .sehr hoch gestiegen und die morgens gegen Gurgl abge-
schickten Boten konnten nicht weit ins Thal hinein Vordringen, da
die Brücken weggerissen waren. Der Bach aus dem Gurglerthal komme
sehr hoch und bringe BrUckenhölzer und die Trümmer einer Sagemühle
mit sich. Bei Sölden sei noch keine Ueberschwemmung eingetreten.
Man glaube, der See habe einen Ablauf gefunden, und hofle, es werde
alles ohne Schaden vorUbergehen. Weiter möge „Euer Excellenzen zu
ilero gnedigen Notiz dienen , daLi dieser jezige nicht derjenige ferner
seie , so in dem zu Innsprugg sich befindendeit inodell entwortfen und
anno 1078 ausgebrochen, sondern selbiger in dem Fendter thall und
von disem in die 0 stunden weiter in einem anderen thall von hier
rechter hand hinein gelegen, seithero aber nach denen schon erhaltenen
zerschidenen sicheren nachrichten von Selbsten völlig vergangen und
jezto ohne wasser; verfolglichen man despectu de.ssen ausser aller sorg
und gefahr seie. Wo hingegen in dem Gurglerthal, wo der jezige
ausbruch beschichet, sich das wasser durch den daran über zwerch sich
schon vor menschen gedenken angelegten ferner von dem durch-
geflossenen kleinen und mer andern zwerchpächen zusamen gesezt, so
noch das lezt verflossene jahr eine alm gewesen, in welcher die ge-
meinde Schnalh mit irem galt- und schafvieh die wunn und waid ge-
suechet hat.“
4. 2. Juli. Sölden. Lachemayer berichtet, dass er sich am 1. Juli
auf grossen Umwegen (gegen Timbl zu) — „da bei der ordinari straOen
niemand hinein konnte“, zu dem „villberühmten“ Ferner begeben, wo
man um 1 Uhr mittags anlangte. Der See füllt ein Thal, „wo jezto
das ausgebrochene Wasser, vorhero aber der Schnalser galt und schaf-
alben wäre“. Unterwegs wurde beobachtet, dass nicht nur verschiedene
heupiller ') und städtl weggeschwembt , sondern auch hie und da die
güter vermuhrt waren. „Dieser ferner ist eine von lauter eis zu-
sammengesetzte ungemeine, ein ganzes langes großes breites und tiefes
thall völlig schließende machina und alleinig bis an obgedachten see
Uber ein stund laug, so sich sodan in einem stuck von dorten rechter
') Filler: die auf den Wiesen stehenden kleinen hBhemen .Scheunen. Stadl:
eine grö,ssere Gattung.
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414
Eduard Hichtor,
[70
hand nocli weiters über O stund weit bis an das höchste joch ziehet
und an selbiges ansclilieljet. von dar man in l’asseyer und gen St. Peter
auf Tyroll kommen kann.“ An diesem Kerner liegt links das Thal und
der See, welcher 1(500 Schritt lang und bOO Schritt breit ist, und dar-
über abermals ein grosser Ferner, der bis zum höchsten Joch reicht.
l>a aus diesem Ferner ein Bach austiiesst und ausserdem (5 Seiten-
bäche .und selbes wasser seinen ehemaligen auslauf in den unteren
ferner von einiger kurzen zeit hero nit mehr gehaben kinde“, .so ist
das wasser 7(i Klafter tief angewacbsen und hatte nur mehr 30 Klafter
zu steigen, um übereufHessen. Was dagegen zu machen sei, .sei schwierig
zu sagen, .da der status subterraneus eines so ungeheuren groüen
ferners niemand bekannt sein kann“. Für heuer sei zwar kein Aus-
bruch mehr zu fürchten ; trotzdem solle ein zuverläs.siger Mann alle
8 oder 14 Tage den Sommer hindurch und auch ganz zeitlich im Früh-
jahr nachsehen u. s. f. , bis sich die Oefahr verliert .und mitler zeit
der hinterne sich an den hervordern ferner anschliehen und mithin das
tbal einfillen thete, w o r z u e e i n i g e r m a ß e n e h o f f n u n g s e i n d e r f f e.
in dem e der alte jager, so bereits U be r 4 (} j a h r se I b ig e r
enden die jägerei besueclit, affirmiret, daß in solcher
zeit sothaner oberer ferner sieb immer mehr er s herab
in das tbal gezogen habe“. Ausserdem wird (nebst Herstellung
aller ^Vas.serbauten im Oetzthal) noch empfohlen, am Gehänge einen
Abzugsgraben machen zu lassen, w’ekhen 100 Mann in 8 Tagen wohl
fertig iiringen könnten, um alles Wasser auf den Ferner hinauszuleiten,
wo e.s zwischen Berg und Eis einen Hunst eröffnen konnte.
(Es liegt noch ein Konzept ähnlichen Inhaltes, aber unvollendet , bei, dd. .''fdden
2. .luli).
5. 13. Juli, liecbnuugslegung des .loh. Cyr. Lachemayr.
Empfang am 27. Juni 1717 30(t fl. — kr.
Ausgaben :
Den 27. ejusdem bin ich mit einem bedienten, so
mir mein pagage getihret, zu pferd von Innsbruck ab-
gereist, und habe selbige nacht einen poth von der
Petnaw *) an herrn pHeger zu Silz mit einem schreiben
abgescbickt, daß der Thoma.s und Jo.sef 1 lirn der cameral-
verordnung zu folge sich anderen tags in aller frühe
allda einfinden sollen ; dem pothen bezahlt ....
L)en 3(1. Junii habe einen pothen von Sölden im
Oetzthal nach Innsbruck mit einem vorberiebt wegen
des ausgebrochenen was.sers abgesclückt und deine be-
zalt lohn
Dene zwei paiiern so ich von Sölden weiter hinein
in das Oetzthal geschickt wegen des ausgehrochenen
ferners zu recognoscieren , indeme selbes alle jiruggen
und stög weg genomben, so 1 's tag ausgewesen, ge-
geben
— fl. .71 kr.
2 fl. — kr.
2 H. - kr.
‘) über- und l'nter-l’eltneu zwischen Telfs und Zirl im Oberinnthal.
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71] Urkunden über die Ausbrüche des Veniagt- und Gurglergletschers. 41.')
Am 30. Junii den H. Curaten zu Sölden auf
mittag bei der coniission gespeist, so aucli hinach mit
H. Curaten aus Fend jeweils nachmittag komen und
mit wein und brot bedient worden 3 fl. — ki\
Als die comission mit herrn paumeister Gumppon.
herrn pfleger zu Petersberg, dem Thoma.s und .Josef
Hirn mit verschidenen zugezogenen bauern den 1. .lulii
sich durch grobe umbweg über die gebirg zu dem
Gurgier ferner um 4 uhr in der frühe begehen , und
erst umb 1 uhr nachmittag allda angelangt, nachts
aber erst um S uhr auf Unter Gurgl zurugg komen
und al daselbs Uber nacht verbleiben inieben, ist al-
dorten und für jenes , was man aus Sölden an flei.sch
und wein mittragen la.ssen, aufgangen 12 fl. 40 kr.
Sodann betrefiend meine po.stgelder vor mich und
mein pferd von 27. Junii bis '). Juli 1717, da hoch-
löbl. hofkamer von dises mahl wegen des groben
strapazzo und gehabter .sehr mühesamb- und gefähr-
licher perggäng nit ein niedrigeres passieren würde,
bevorab da mithin durch die kosten eines aktuarii
erspart worden, vor 0 teg ii 0 fl .'j-1 fl. — kr.
Das kostgelt den bedienten und de.ssen pferdt
ii 2 fl 18 11. — kr.
Dem zugegebenen Thomas Hirn und für dessen
pferdt habe für 0 tag bezahlt kostgelt ä 2 fl. . . . 12 fl. — kr.
De.ssen bruder .Josef Hirn ä 1 fl 0 fl. — kr.
Xach disen ausgal>en zusamen 110 fl. 37 kr.
Weichenmassen erscheinet, dab raitgeber wider-
umben zurugg hinauf zu geben habe 180 fl. 23 kr.
0. 15. Juli. Der Pfleger von i’etersberg meldet, dass für dieses
Jahr keine Gefahr einer Verstopfung des Ausflusses vorzuliegen scheine,
es sei aber notwendig, eine Person zur Aufsicht zu bestellen.
7. 27. Juli. Die Regierung beauftragt die l’fannhausverwaltung
in Hall, den Untorthanen im Oetzthal von Zweystein l.iis Gurgl das
nötige Holz für Archen und Brücken unentgeltlich anzuweisen, und
8. 27. Juli, teilt dies dem Pfleger von Petersberg mit.
0. 3. August. Der Pfleger von Petersberg meldet, dass nach
Bericht des bestellten Aufsehers der Abflu.ss seinen gewöhnlichen Weg
genommen habe und an beiden Orten die Oefl'nung 1 Klafter breit
und hoch sei. Die Kosten der Aufsicht bitte er vom Umgeld abziehen
zu dürfen.
10. 16. August. Dem Cyr. Lachemayr wird der verlangte Be-
trag angewiesen.
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4U>
Kduard Richter,
[72
11. 29. Anglist. Der Pfleger meldet unveränderten Stand der
Dinge. Der Aufseher bekomme jedesmal für Besichtigung und Bot-
schaft bis Sölden 30 kr.; der Bote von Sölden bis Silz 1 fl.
12. 4. September. Das Bancalitäts-Zahlamt bestätigt auf vor-
gedrucktem Formular 189 fl. 23 kr. von Cyriak Lachemayer zurück-
erhalten zu haben.
13. 16. September. Der Pfleger Th. Aigner von Petersberg
meldet: ,Die eingeschickte nachricht bestetet abermals sowol des fer-
ners waxens als den durchlauff des Gurgier paches, und wann dises
gewäx also continuiert und die aigenschafft dem Fender ferner
gleich haben soll, so wird sich außwög mit der jares frist durch einen
gröber oder mildern außpruch eissern raießen. Ob eine oder andere
andacht derentwillen von Gurglthaller oder Söldnern geschieht oder
nit, werde ich deßen mich berichts erhollen.“
14. 4. Oktober. ,In gehorsaraben notilicieren den fernerstand,
welcher noch im waxen fortfahrt, doch der durchgang des pache.s offen
sich erhaltet.“ Th. Aigner von Petersberg.
l.ö. 20. Oktober. Curat Jacob Kopp von Sölden schreibt an
Cyriak Lachemayr, dass er seinen Brief vom 17. September erst am
U). Oktober erhalten habe. Der Auslauf ist seit 14. Oktober verstopft,
der See 401) Schritt lang.
1<). 28. Oktober. Der Pfleger berichtet, «daß durch das bis
anhero continuirte femer-gwax der ein-, durch- und ausgang des or-
<linari-paches anwiderumb genzlich verschloßen worden, das sich der
see schon vom neuen auf 350 .schritt hereinwerts in die leng auf-
geschwelt und der ferner störckher herauswerts als hinein anwaxet.“
17. 30. Oktober. Der Pfleger wird beauftragt, zu .sehen, ob die
Ableitung der Seitenbäche nicht noch dieses Jahr oder Joch im nächsten
Frühling sogleich ins Werk gesetzt werden könne. Die Unterthanen
sollen ihr nahe am Inn gelegenes Holz entfernen.
(Konzept von der Hand C. Lachemayers.)
18. 30. Oktober. Der gleiche Befehl ergeht an das Gericht
Hörtenberg und die Städte Innsbruck und Hall.
19. 30. Oktober. Bericht des C. Lachemayer an seinen Amts-
vorgesetzten in selbem Sinne mit der Klausel ; „Conforniatio in tohini
cum laudabili voto scripto. Datum 30. octobris 1717. N. C.“
20. 30. Oktober. Die Ptännhaus- Beamten in Hall werden be-
aufti'agt, die Holzlagerstätten zu sichern, resp. zu räumen.
21. 20. November. Der Pfleger berichtet: «Seit vor 14 tagen
eingeschickten gehorsamben bericht hat der bestölte abermahlen an-
Digitized by Google
7;5] Urkunden über die Ausbrüche des Vemagt- und Gurglergletschers. 417
gezeigt, (las der ferner 7 klatfter in die heche gewaxen, als selbiger
beim augenschein gewesen, in die lenge 50 schrit, und 7 schrit in die
hoeche der see sich erstiegen;“ mit dem Beisatz, dass die Nachbarn,
Anwalt und der Wirt nach Beratung gefunden, dass in diesem Jahr
bei schon gefrostiger Zeit nichts mehr zu machen sei.
1718.
1. 15. Jänner. Thomas Aigner, Pfleger in Silz, meldet an die
Innsbrucker Regierung, dass der zur Beobachtung des Ferners bestellte
Jäger Prugger angezeigt habe, dass er ,mit leib- und lebensgefehr-
licher beschwernuß“ bei dem Gurgierferner den Augenschein ein-
genommen und gefunden habe, ,daß das eiß in Langenthal hinein
dergestalten herwerts gegen den letzten heisem stark in die heche
waxe , das wan dieses darmit continuiere , das die darein fließenden
Wässer hart bis auf Jacoby (25. Juli) solches thall einfillen würden
könen.“
2. 1. April. Derselbe meldet, dass nach Angabe Erhard Prug-
gers, ,der ferner in gewäx sowol yber sich in die lenge und breite
gestiegen, aber nicht sovill und so yach als vergangenen hörbst: türffe
aber bei einfahlender wörmbe und regenweter störcker waxen“.
J. 17. Mai. Derselbe meldet: ,In conformität des von Gurgl
aus erhaltenen berichtes seie der ferner-see 1100 schritt in die lenge
gewaxen und mangle noch 540 schritt, das selbiger die fertige erlange '),
ob aber der außpruch frUer oder spöter als um Maria haimbsuchungs-
föst (2. Juli) geschehen möchte, und wie grob oder glirapfiger es damit
ablauffen türffe, steet aus götlicher dispostiori zue erwarten.“ . . .
l. 30. Juni. Gew’althab und Gemeinleut im Kirchspiel Lengen-
feld schreiben an G. Rastpichler, Anwalt in Umhausen, .sie hätten
gehört, dass der Femersee in Gurgl so schrecklich angewachsen sei,
dass “die Gemeinde Sölden am Tag Mariä Heimsuchung (2. Juli) einen
Kreuzgang zum Fernersee beabsichtige. Sie hätten nun beschlossen,
an diesem Tage auch etliche Männer zum Ferner zu senden, und laden
die von Umhausen ein, dasselbe zu thun, damit man sich beraten
könne, ob man nicht „kunte auf den ferner etwan mit hacken ain
runst zu machen durch menschliche hand geholfen, oder ain nutz dur-
mit geschafft werden“.
5. 2. Juli. Die Gemeinde Sölden meldet nach Silz: ,es ist
heunt als den 2. .Juli 1718 ain ehrsambes kirchspil Sölden zu dem
dermahlen sehr gefährlich bewusten femersee widerumb mit procession
und aller andacht und eufler hineingegangen alwo seine ehrwUrden
') Bis er vollendet sei, d. h. die grösste mögliche Länge bis zum Lang-
tlialer Ferner erreicht habe.
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418
Kcluard Kicht«,
[74
geistlicher lierr Jacob Kopj), curat alda. für und unib allgnädigiste ab-
wendung der darunter innhahenen höchst beforchtenden schaden cele-
briert und das entsötzlich große aufgehaltene ferner gewässer benedicirt,
hochgeweiclite saehen zur Verhinderung des höchst besorglichen ybls *)
hinein geworfen.“ Von jeder Gemeinde waren 2 — 8 Abgeordnete an-
wesend, welche über Abhilfe beraten und den Barthne Grasniayr von
Habaichen -) vom Oetzer Kirchspiel bevollmächtigten, an die Behörde
zu berichten und Anträge zu stellen.
b. 3. Juli. Die Gemeinde ümhausen erteilt demselben die gleiche
Vollmacht.
T. 4. Juli. Thomas Aigner berichtet an die Innsbrucker Regie-
rung, dass B. Grasmayer, Glockengiesser aus Ilabichen, als Bevoll-
mächtigter von vier üetzthaler Kirchspielen bei ihm gewesen sei und
über den bedrohlichen Stand des Feriiersees berichtet habe.
8. 6. Juli. Brief des Kuraten Kopp von Sölden an den Hegie-
rungssekretär Lachemayr: , Benachrichtige , wie daß das thal bei dem
bewußten ferner allbereits mit waßer angefilt seie und werde in
kirze, wann es nit unterdessen sein ordinari außlaulf oder ablautf ge-
winnet, zum ybergehen kumen. Ich habe schon zum drittenraahl al-
dorten auf dem eiß celebriert und all geistliches zu Verhinderung alles
ybls vorgewendet : habe aber anbei nichts erkennen kinden , noch
weniger von anderen verstendigen personell, deren schon vill und offt
dort gewest, hören und vernemben mögen, daß nemblich durch mensch-
lich band etwaß namhafftes verbessert und der bevorstehenden gefahr
kendte benomben werden.“
„Als gester den 5. Juli bin ich mit Jacob Getrein und Paul
Sauter mit groser miehe der Gurgier ach oder den Gurgier eißpach
zum ferner durch stain-klupenen “) (alwo bißhero niemand zuvor hin-
derung deß ferners gewässer.s etwaß in obacht genomben) hinein-
gegangen umb zue besechen, ob nit ein ort oder stain-klupeneii hinder
Gurgl wäre, durche welche daß der beförchtliche wasser kunte auf-
gehalten und verhindert werden. So haben wir aldort hinder Gurgl
androffen ein stain-klupene yber zwei chirchthurm hoch und were auch
diße enge clupeneii durch menschliche handen , vorderist wenn man
mit etlichen centner pulver daraiisezete, nicht mit gar großen Unkosten
auß- oder aufzuvillen , daß alsdan ein stund weit hinein das wasser
ge.sch wollet, und aufgehalten wirde. Unterdessen kundt es auch con-
tinuo durch die mit stein eingefilte clupenen durchseichen, vielleicht,
Gott geh’ es ohne einzige nachtheiligkeit der .schöden und ybls. Vann
man aber nur gleich und feist dorzue thete, ehe und zuvor der ablauf
des gewoltigen gewässers villeicht, Gott verhiet’ es, mit groser iiacli-
theiligkeit der schöden beschehete; habe auch hier in Ozthal und Silz
die leith dessen wegen erinnern lassen anheunt.“
‘) l’ebel-i. *) Habichen bei Oetz. ‘) .Steiiikluppen : Felsenspalt (Sehmeller).
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751 Urkunden über die Ausbrüche des Veniagt- und Ourgtergletschers. 419
9. 8. Juli. Rat- und Lehen.sekreüir Jakob Cyriak Lache-
niayr von Ehrnheimb wird von der oberö.sterr. Regierung beauftragt,
sich in Begleitung des „oö. Hofcamnier pauniaister.s und Inseigneur’s
Gumpp ad locuin quaestionis“ zu begeben, wo er schon „eins.sinahls
augenschein eigenommen
10. 9. Juli. Jakob Cyriak Lachemayr erklärt, er sei nicht in
der Lage, , einen .so gefehrlichen und beschwerlichen weg nochmals
daliin zu machen, bevorab da bei dem so hoch gestigenen wasser wenig
oder gar nitt mehr zu reniediren sein wirdet.“
11. 9. Juli. Der obige Befehl ergeht jetzt an Franz Anton
Lachemayr von Ehrnheimb, oberösterreichischen Regiment.ssekretär.
12. 9. Juli. Kreditiv für den Regimentssekretär Lachemayr
und Hofbaumeister Gumpp. (Liegt in Fase. Vll, 19, bei KiOl.)
IJ. 15. Juli. Sölden, 12 Uhr mittags. Bericht des Franz Ant. Lache-
mayr an die oberösterr. Regierung, dass er mit Gumpp und einem
Aktuar am Dl. in Sölden angekommen und sich am 14. zum Ferner
begeben habe. Der Augenschein zeigte, dass der im Vorjahr ,selb.st
gemachte Auslauf“ verschlos.sen und der See 1700 Schritt lang,
050 Schritt breit und Uber 100 Klafter tief sei und in 0 Tagen werde
übergehen müssen, da er alle zwei Stunden um 2 Zoll tiefer werde.
Bei einem Ausbruch würde nach Herrn Gumpps Meinung zwar nicht
das Innthal, wohl aber die näch.st der Ache gelegenen Häuser des
Oetztlials Schaden nehmen. Eine menschliche Hilfe sei bei so später
Zeit und hohem Wasserstand nicht mehr möglich.
14. 16. Juli. »Jagl Kopp, indignus sacerdos in Sölden“, schreibt
an F. A. Lachemayr, „ich versichere sie, daß an heut, gottlob als den
10. Julii umb 1 Uhr nachmittag der fernersee rundherumb ein rad
macht *) in der bewußten tietfen neben den berg, und gehet durch
negst an entlegenen eißklutft so vil wasser heraus, beilaifig in quontität
als sonsten der für ordinari pach pflegt abzulauffen . . . villeicht wird
morgen oder aufs lengst in 2 oder 3 tagen ein besseres zue benach-
richtigen sein. . . .“
15. 17. Juli, 10 Uhr vormittags. Thomas Aigner berichtet an
die Innsbrucker Regierung: „Aus dem kirchspill Lengenfeld ist ein in
der nacht aus- und zu mir eigens geschickter bot um 10 ur ankumben,
wellicher referiert, das der ferner rechter seiten herauswerts ainen aus-
gang von der größten höche des eiß-gewäx an , aines hochen hauß
darunter mit einem so mitlme.ssigen gewässer genumben, das die sait,
fertigem “) auspruech erhöcht und verpö.ste “) archen noch urab ein
’) Es zeigte sich offenbar ein Wirbel auf der Oberfläche, wa.s auf einen
Ablauf am (irunde hindeutete.
Fertig = vorjährig. ’) Verpöste — verbcs-erte.
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420 Etl. Richter, Urkunden über die Ausbrüche des Vemagt- u. Gurglergletscliers. [7 6
dritten tliaill ohne besorgenden schaden des yberlaufes ertriegen : und
ain solcher troststand die l)eschatlenheit zaigt, das man der so grob
darauf gehabten sorg enthöbt zu sein verhoffet ; jedoch aber nicht ver-
gewiü sein köne, das nicht ein grosserer eißpruch beschöche, und volg-
lichen ain störkeres gewässer durchtringe, das es an gietern ain nachteil
oder ruinierung verursachen möchte dörfen; mit weiter vermelden, das
auf obbeschribne weiß sich niemand eingepUldet, das diser große fernersee
einen so verender- und glimpflichen ereisserten auspruch bekuniben
hete sollen, weillen dergleichen wöder von vorherigen secolo noch
verschienen 40. oder fertiges jahr nit ervolgt ’) und der liebe
got augenscheinlich vorstöllen will, daß menschliche vorsöch- und hand-
anlögung diser wunderparlichen aigenschafft oder natur des femers ver-
göbens seie.“
10. 17. Juli, Stambs. Lachemayr sendet den Brief des Curaten
Kopp und des Pflegers von Petersberg an die Regierung.
17. 28. Juli. Der Pfleger zu Silz sendet ein Schreiben von
Franz Schöpf an die Regierung, worin dieser anzeigt, dass nach An-
gabe des Prugger der See am 17. Juli seinen Ausgang gemacht; der
See sei nicht übergangen, .sondern habe sich links bei dem Berg an
dem Ferner ein Loch gemacht, sei seither um 12 Klafter „geses.sen“
und sinke täglich und nächtlich um eine Klafter.
18. 1. August. Schreiben von J. Kopp an F. A. Lachemayr.
,Veneriere bestens daß an mich erlassene schreiben und diene zue gueter
nachricht, daß von ferner, bey welichen wöchentlich ainmal pflege zu
celebrieren, 17 clatfter den berg nach gerechnet und also albereits die
helfte deß gewä.ssers ohne einigen schaden abgelaufien; wir auch bester
hoönung, weil er successive ganz sanfil und langsam zwi.schen eiss und
felseu einen rechtlichen graben niderfrUst, daß übrige werde auch,
gliebts Gott*), ohne nachtheiligkeit eines einzigen creizers Schadens
abgehen, dermahlen es hat sich seithero ser vil eis in den see hinein-
gesenkt und fallen auch immerdor große stttek eiß in den außgefreßnen
graben hinein : so sieht man auch zu Zeiten auß den eißberg oder eiß-
wand in den erdeiten graben schene prunnquel hinein springen . . .“
Womit etc.
') Wahrscheinlich Beznji; auf die Ausbrüche des Vernagtgletschers von 16T8
(40 .lahre) und 1601 und auf den .Ausbruch de« Cfurglersees vom Vorjahre,
*) Wenn es Gott beliebt.
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IV. Eisseebildung am Gurgler- und Vernagtgletscher
1770—1774.
Ueber riiese JJrei^isse besitzen wir das bekannte Buch: „Nach-
richten von den Eisbergen in Tyrol, von Jos. Walcher, aus der G. J.,
der Mechanik ötfentlichen Lehrer an der Universität zu Wien. Wien,
Kurzböck 1773“. Walcher hat im August 1772 den Ferner be.sucht,
hatte auch Kenntnis von den bis dahin abgegebenen Gutachten und
anderen offiziellen Aktenstücken. Trotzdem bietet das vorliegende
Aktenmaterial vieles Neue. Es ist zwar nicht ganz vollständig. Einige
Berichte (1770 — 1772), welche in späteren Akten erwähnt werden, sind,
wie es scheint, nicht mehr vorhanden. Anderes ist so umfangreich
und weitschweifig, dass es nur in starker Kürzung wiederzugeben war.
So besonders die Berichte und Vorschläge des Haller Salinendirektors
v. Menz, welcher neben den Professoren Weinhard und Walcher
als Hauptperson erscheint, ohne dass gerade behauptet werden könnte,
seine Vorschläge und Projekte hätten sich durch Geschick und Aus-
führbarkeit ausgezeichnet. Am interessantesten sind die Briefe des
Anwaltes Pruntl von Sölden, vor allem dadurch, dass sie uns auch
über die Ereignisse der Jahre 1773 und 1774 Kunde bringen, von
welchen wir bisher nicht das Geringste gewusst haben. Ausserdem
sind die vorliegenden Akten noch besonders lehrreich für die Frage
nach den Hilfsmitteln gegen den Seeausbruch, v. Menz wollte offenbar
um jeden Preis irgend etwas erfinden, die Gefahr abzuwenden, und hat
alle möglichen Vorschläge gemacht, so auch das Einschie.ssen des Eis-
dammes mit Kanonen und anderes von gleichem Werte. Ja, man
hat sogar durch mehrere Monate hindurch nicht ohne bedeutenden
Geldaufwand den Versuch durchgeführt, durch menschliche Arbeitskräfte
das aus dem Vernagtthal herabrückende Eis zu beseitigen, um so dem
Rofenbache den Weg frei zu erhalten. Es versteht sich, dass diese
Mühe gänzlich verloren war.
Schliesslich kam man, wie immer, zu dem Ergebnis, dass nichts
anderes zu machen sei, als abwarten, auf Gott vertrauen und das Bett
der Ache in einen solchen St.md zu versetzen, dass es eine grosse
Wassermenge aufzunehmen vermöge.
Die Geschichte dieser Katastrophe stellt sich nun nach den vor-
liegenden Akten .so dar, dass schon 1770 eine aussergewöhnliche An-
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42-2
Kduard Richter,
[78
Stauung des Gurgier Ferners stattgefunden hat, dass aber diese Gefahr
schon im nächsten Frühling 1771 durch die weit drohendere in den
Hintergrund gedrängt wurde, welche durch das Anwachsen des Ver-
nagtgletschcrs zu entstehen im Begriffe war. Im August 1771 er-
reichte der Gletsclier den Boden des Bofenthales; vom November ab
begann die Bildung des Sees. Dieser stieg während des Sommers 1772
fortwährend und erreichte die Grösse früherer Perioden. Einer Nach-
richt Prantls zufolge kam es aber zu keinem Ausbruche , sondern der
See flos.s an der niedrigsten Stelle des Eisdammes, wo sich dieser an
die gegenüberliegende Bergwand anschliesst, über, und vertiefte den
Ablauf selbst so stark, dass der Seespiegel bedeutend sank. Das-
selbe wiederholte sieh im .Tuli 177;1 und Ende .Juni 1774, .so da.ss es
bei dieser Vorsto.ssperiode zu keinem verheerenden Ausbruche kam.
Ob aber zur Abwendung des Schadens nicht vielleicht doch die
energischen Mas.sregeln Menz’s entscheidend beigetragen haben, der die
Regulierung und Räumung des Achenbettes und die Abtragung und
Erhöhung der Brücken mit allem Nachdruck betrieb und dabei, wie
es scheint, von den Gemeinden sehr thätig unterstützt wurde, das
wird man unentschieden lassen müs.sen. Wenigstens ist am 2.3. Juli 1773
der See in 5 Stunden um 30 Klafter — der Berglehne nach gerechnet —
gesunken , was wohl mehr ein Ausbruch als ein Ablauf genannt zu
werden verdient. Trotzdem geschah kein Schaden; wie man annehmen
kann, wegen des guten Zustandes des Flussbettes.
1770.
1. 3. Oktober. Job. Peter Hürn, k. k. Weginspektor in Miem-
bingen, meldet, dass er am 7. September im hohen Aufträge den
Langthaler Ferner und See, , welcher verwichenen Sommer einen
fürchterlichen au.sbruch angedroht, .sich hernach aber wiederumben
ohne cau.sierten schaden successive abge.siechen“, besucht habe.
„Der große Gurgier haupt- oder .sogenannte Arch Ferner liegt
eine ganze Stund lang bis zu ob bemelten Langthaler See und hat zum
anfang .^0, zu hinterist aber bei 2.50 Klafter in die Breiten, dann
2R0 Klafter in der liechen; der See ist de facto noch 500 Klafter lang,
war aber 1500 Klafter lang, 240 in der Breite und 30” tief. Sonst
rinnt derselbe zu Michaeli oder Galle zeit (2fb September, 16. Oktober *)
ganz aus, da aber heuer ein .spätes Frühjahr gewesen, so wurde der
Abfluß um 14 Tage später eröffnet und der See um so viel höher ge-
.staut. “
Das einzige Heilmittel für die Zukunft sei die Aiflegung eines
Kanals längs der rechten Thalseite, vor allem aber Gebet und gute
Werke, wie nach Aussage des Mesners Jakob Kneißls „anno 1718
bei dem See das hl. Meßopfer mit Beiwohnung sein des Kneißl.s selb.st
und vielem Volkes das processionsweis hineingegangen abgehalten
worden ist.“
') Das i«t offenbar ein Missverstäminiss; um diese Zeit schliesst sich der
.\u,sf;ang wieder; der .\blauf erfolgt Juni oder Juli.
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79] Urkunden über die Ausbrüche des Vernagt- und (.iurglergletscliers. 42*5
2. 3. Oktober. Verreclniung desselben Joli. Peter Hilrn, k. k.
W eginspektors :
Tage Dieten sambt Pferdtlohn ä fl 15 fl.
Für mein Vetter .loli. Hürii, herrscbaftl. holzlit'er.ant
ebenfnlls 5 Tag sambt Pt'erdlohn ä 2 fl lU fl.
Dem Anwalt zu Sölden, Christ. Präntl, 2 Tagschichten
ä 1 fl. 80 kr 8 fl.
Dem •.lacob Kneihl ebentalLs 2 Tagschichten ... 2 fl.
30 fl.
1. 3. Juni, eingelangt 7. Juni. Der Richter von Petersberg, Joh.
Kirchmayr, berichtet, da.ss, sowie im Vorjahr der Laugthaler Ferner,
so heuer nach Bericht des Anwalts zu Sölden, Ch. Präntls, der sog.
Vernagg oder Hofner Ferner, der sich in 7 Gerichte erstrecken soll *),
dem Üetzthal grosse Gefahr drohe, so wie er 1(378, 1080 u. 1081
.mitls eines ausbruches nicht nur im Oz- und Innthal sondern w'ohl
noch weiters die bedaurungswirdigste schaden und Unglück verursacht
und eine übergroüe anzahl menschen in das elend gestürzet hat. Er
soll verfloßeneri herbst und winter in eine erstaunliche höhe und breite
sich ausgestrecket haben, zugleich auch gegen abend in das thal herab
bei einem starken büchsen.schuß firgewachsen sein“. Der Pfleger hat
ein lOstündiges Gebet angeordnet und macht aufmerksam, daß von Silz
nach Sölden 10 Stunden zu reiten und dann noch 8 Stunden zu gehen
sei auf sehr schlechten Wegen.
(Kill In(!or.?at vom 7. Juni ordnet die Aushebung der die früheren Unglüeksfiille
betreffenden .Akten an.)
2. 7. Juni. Bauschreiber Keuner, Weginspektor Hürn und der
Richter in Petersberg werden beauftragt, Augenschein zu nehmen und
Bericht zu erstatten.
8. 15. Juni, praes. 18.0. Kirchmayr berichtet, dass er .sich mit
Hürn und Neuner zum Ferner begeben habe, unter Begleitung des Isidor
Klotz von Vent (Gericht Cn.stellbell), und des Joseph, Georg und Ignaz
Gstrein und Jos. Fiegl von Rofen (Gericht Schloss Tirol) “). Vom
Grobengröber-, Hochjoch- und Eisferner läuft der Bach durch das Thal,
der Veniagtferner ist in 7 Tagen bei 25 Klafter gewachsen und fehlen
nur noch lOO Klafter, bis das Thal ge.sperrt ist. Noch ist an den Felsen
zu sehen, wie hoch der Ferner im Jahr 1080 81 das Wasser geschwellt,
nämlich 25 Klafter. Der Ferner grenze an die Kurzrä.s.ser Ferner
(Gericht Naudersberg) und das Matscher Thal (Gericht Mals). Oben
ist er eine Stunde breit, unten 10 Klafter; die Höhe des Eisstockes
betrage 70 Fuss; , obschon ansonsten ein ziemlicher bach herausrinnt
so brichet aujetzo nur zu Zeiten ein starker guß mit großer gewalt
heraus, welcher ziemliche eisstöck mit sich ins thal führet, welche eben
’) Vgl. den Bericht von Ramblmajr vom Juli 1681.
^ Der befreite Rofenhof gehörte zum (Bericht auf Schloss Tirol.
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Eduard Richter,
[80
bei eingenomenem augenschein das tha! , mithin auch den ausfluh des
Wassers gesperrt haben, jedoch hat das was.ser wiederum seinen aus-
gang gefunden. Es wurde ein lOstündiges gebet und allwöchentliche
berichterstattung angeordnet. “
4. 16. Juni. Schreiben des Anwalts von Sölden, Christ. Prantl.
an den ,wohledl gestrengen herrn Joh. Ignätzy Khürchmayr, pöst
meritiertesten richter“ etc. Der Aufseher (Faul Plörer) berichtet, dass
der Ferner vom 12. bis 15. Juni 0 — 10 Schritt herabwärts dem Thal zu
und ebenso viel in die Breite und auch etwas in die Höhe gewachsen
und zugenommen habe; hingegen ist das durch herabgefallene Brocken
„aufgeschwellte Sel)l“ nicht mehr vorhanden.
5. 18. Juni. Ausführlicher Bericht des Michael Neuner, Bau-
schreibers, über die am 10. — 15. Juni mit Kirchmayer und Hirn vor-
genommene Besichtigung des Vernagtgletschers (s. oben). Am 10. ist
man von Innsbruck abgereist, am 11. zu Sölden eingetroffen und am
12. nach Vent und zum Ferner gegangen. Beschreibung der Lage
wie bei Kirchmayr. Vom Queranstoss bei der Zwerch wand bis zuni
Eisferner sind 2500 Klafter. Der „Fernagger Ferner“ hat sich von
oben auf 800 Klafter lang ganz zerspalten und von dem Haupt-
eisstock getrennt, wovon täglich abbricht, „so dati der bach den
see anzulegen verleitet wird ')“. Die beigezogenen Nachbarn von
Vent und Rofen wussten noch von ihren Vorfahren, dass der Ferner
anno 1000, 1076 und 1()80 nur aus dem „Mitterthal am grad gegen
Kurzraser-Langdauferer Bezirk conlinierend abgebrochen, da sie nun-
mero aber vor äugen sechen, daß dießmal die benachbarte rechts-
seitige an das Kaunserthal und linkseits an Matsch-Malser gericht an-
stössige ferner zugleich gespalten, mithin zum bröchen sich alle drei
vereinbahret“, so sei die Gefahr einer höheren Aufschwellung um zwei
Drittel vergrössert *). *
Man vermutet, dass die Bewegung noch .schneller werden wird,
weil das Eis jetzt das „precipituose Gebirg“ erreicht. „Diese 800 klafter
in die höhe sich erstreckende ferner-spaltung macht verwunderliche be-
wegungen, es pauraet sich öfters stuckweis in die höhe, senket sodann
nieder, und gibet durch einen fichterlichen thon , als obe es in einen
tiefen abgrund verfalle. Die durch den verfall gemachte Öffnung schließt
sich ohnverzüglich mit dem nachsitzenden , ohngefehr 70 — 80 schuch
hohen, aufrecht stehenden, ohngeheir großen eißstöcken am fueß zu-
sammen , behaltet aber obenauf eine eröffnete kluft. Endlich ziehet
sich das unter disen eiß befündliche wasser, meistens aber winde herab
gegen dem ausbruch, Überwerfen einen ziemlichen teil mit einer solchen
force und ungestimmen krachen, daß dise Wirkung ganz billich der
') Diese .\uffassung des Gletschervorstosses . als eines Abrei.s.«ens des Glet-
schers von seiner oben in den Uergen gelegenen Wurzel, findet sich noch bei Beda
Weber.
’) Diese Angabe würde besagen, dass 1600 und 1070 nur der Guslarleruer
(nach der jetzigen Bezeichnung) angewachsen sei, jetzt aber beide .4rnie. Das
erscheint aber höchst unwahrscheinlich.
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S) ] Urkunden über die Auslirüche des Vernagt- und Gurgiergletschers. -t25
krnt't des pulvers verglichen werden kann. Es fallet .sodann mit
gröfitem ungestimm bey 100 klafter lang durch das precipitiose geblirg
hinab, prellet an das jenseitige hoche steingebürg und verkittet sich
zu einem ganzen eisstock, wordurch dem pach der durchzug benohmeii
wird. Die bewegungen in diesen ge.spalten eila continuiren zu ö oder
langist 10 minuten , die herabbröchung aber erfolgt nach 3 oder
4 stunden.“ Es möge eine öftere Berichter.stattung eingerichtet und
dem boten nach Silz an.statt 3 H. 43 kr. nur 3 fl. 1-3 kr. gegeben
werden.
ti. 21. Juni. Der Salinendirektor .1. .1. Menz erklärt sich bereit,
bei der einberufenen Konferenz zu erscheinen.
7. 21. Juni. Protokoll der am 21. Juni 1771 zu Innsbruck ab-
gfhaltenen Konferenz. Anwesend : Excellentissimus Gubernii superioris
Äustrie, Con.siliarius comes ab Enzenberg, de Lauharting et de Conforti ;
ferner der Münz- und Salzamtsdirektor .1. .1. Menz; Professor Matheseos
P. Weinhart, II. Gubernialschreiber Neuner und Richter zu Petersperg
Kirchmayr.
Die Berichte werden nochmals vorgelesen. Weinhart legt die
Anichsche Mappe vor. Es wird beschlossen, keine Kosten zu scheuen,
um einer solchen Landesverderbung vorzubeugen, eine neuerliche Kom-
mission soll geschickt w'erden; Menz erklärt sich dazu bereit; P. Wein-
hart lehnt wegen Unvermögen und höherem Alter ab. Es wird eine
Kopie der Anichschen Karte mitgegeben und die Kommission mit weit-
gehenden Vollmachten nusgestattet. Die Ko.sten der früheren Kommission
werden genehmigt mit 7ti fl. 24 kr.
8. 27. Juni. Protokoll der Kommissionsverhandlungen am „Fern-
agger oder Rofner Ferner“.
Kommissionsmitglieder: „Ihro gnaden Herrn o.ö. Comercien-Ratli,
Salz- und Münzamts Director .loh. .Jos. Menz von Schennfeld; Ihro Hochw.
Frz. Xaveri Waldner S. .1. ; lg. .Ad. Keiner, Salzversilberer; Job. M. Keiner,
kais. Hof bau- Amts-Bauschreiber ; Carl Holzhauer, k. Waldmeister; .loh.
Ign. Kirchmayr, Richter zu Petersberg; Weginspektor P. Hürn; Georg
Holzhamer, Salzbergsoffizier , Phil. AVUrtheuberger , de.sgl. ; .loh. Mayr.
Salzamtsziinmenneister; .loh. Hürn, Hof-Holzlieferant; Actuanteme Franz
Curl Tausch, k. Salzamtsrath u. Pfanneninspektor.“ In presentia: „Ihr.
Hochw. H. Curat v. Fent. Jos. Ant. Piint; Ihr. Wohl Ehrw. H. Caplon
V. Kiederthey, Barthol. Heis.sler; der Anwalt v. Sölden, Ch. Präntl;
Job. Kiipprian, Joseph Weiss und (’hr. Eneraoser von Lengeiifeld;
Clirist. Storcherr, herrschftl. Waldhüter, und Paul Holzknecht von
LRnhausen; Paul Ploner v. Sölden; Augustin Griesser von Fendt; Jos.
Georg und Ignatz Gstrein von Rofen; Peter Gritsch, Wahlhüter, und
Antoni Hueber, Gerichtsdiener von Silz.“
Aus dem ausführlichen und weitläufigen Protokoll ist folgendes
bemerkenswert; Der Bach ist .schon wieder vom Eis (5 Klafter hoch
überwölbt; hat aber darunter freien Ausfluss. Der Gletscher ist noch
2.30 Klafter entfernt und um 17<t Klafter höher. Die Breite des Ferners
Forschungen zur rtput»chen Landes- und Volkskunde. VI. 4,
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42ti
Eduard Richter,
[82
beträgt 1 10 Klafter, die Höhe 30 — 40 Klafter; dann kommt ein Stück
etwas flacher, 300 Klafter lang; Breite 225 Klafter, Dicke oO Klafter.
Dann ,bis zu einem aufstehenden schrofen, oder mitterkeil bezeiget sich
die läge etwas güh und stickler*) zu sein, wohin die Länge 300 Klafter
und Breite gegen 1000 Klafter migesehlagen wurde; die dicke ist wegen
seiner verführlicheu läge nicht wohl zu schätzen gewesen. Von dannen
ziehen sich zwei bis drei ferner link.s und rechts gegen abend , mitter-
nacht und morgen auseinander, welche wegen weitschichtigkeit nicht be-
augen.scheint und in anschlag zu bringen möglich waren.“
Die Kommission stellt folgende Fragen:
1. Wie die Ferner entstehen?
Antwort: ,l)ati .sothane ferner auf den höchsten gebUrgen, deren
gipfel bis in eine gewisse höche des luftkreih mit schnee und eili be-
decket sind, und in diesen nächst daran gelegenen thällern, alwo vieler
schnee geschmolzen, und hernach zu eth gefrieret, entstehen.
2. Ob eine Gefahr bei dermaliger Lage des Ferners
vorhanden oder zu befürchten sei?
Antwort: Jetzt nicht, aber ilann wenn der Ferner den Bach ab-
dämmt.
3. Wie «der Wachsthum des Ferners seye“?
Entstehe von dem versessenen Wasser, welches Klüfte verursache
und .sodann zusammen gefriere.
4. Weiters «wie der angegebene Wachsthuni beschehe?“
«Xachdeme der eylistock hauptsächlich von der erdenwärme und
von denen daran liegenden hochen jöchern dem sothanen eis.stock zu-
fliehenden wiLssern aufgeleset werde, so samlet sich das wa.sser unter
dem eisstock, hebet und bäumet solchen in die höhe, worauf seine
eigene große und schwere selben kluft zu machen zwinget, deme dann
ein kluft nach der anderen längen- weih dergestalten nachfolget, daß
von solchen klüften und abgelösten eyü-keil immerhin klein und größere
stück wegen beihabenden plano inclinato dem Üiall nach hinabschieben
oder drücken, und also dieser gespaltene eyßstock successive in die thall
hinunter geschoben werde, bestehe dahero der angebende wachsthuni
durch eigenen abbruch und nachschub deren eyß-keil.“
5. Wie der Gefahr abzuhelfen sei?
Wenn der Ausfluss einmal ge.sperrt ist, solle man längs des Berges
einen Kanal graben.
1). Ob dermalen etwas zu machen sei?
Einstimmig: Nein.
7. Was im Thal bei androhender Gefahr zu thun wäre?
Beten; den Bach räumen; die Hölzer vom Ufer entfernen: die
zu niederen Brücken sollen abgelegt oder erhöht werden; die gefähr-
deten Gebäude übersetzt waren.
Am 28. verfügte sich die Kommission nach Gurgl, am 29. nach
gehörter hl. Meß nach dem Gurgier Ferner. Anwesend die obigen,
nebst Barth, u. Peter Kueissl, Martin und Jos. Sauter und Ch. Gstrein.
Stickel = steil.
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88 ]
Urkunden Ober die Ausbrüche des Vernagt- und (iurglerglctschirs. 427
Die Lage der Gletscher und des Sees, der 1(500 Schritt lang und
ö(»l hreit und 50 Klafter tief ist, wird beschrieben.
Die Gefahr beruhe darin , dass gegen andej'e .Jahre das Wasser
in minderem Mass abfliesse, und dürften die Oeftnungen verlegt oder
verfroren oder verdrückt worden sein. Wenn das Wasser noch 8 Klafter
steigen sollte, würde es Uberfliessen ; ein Ausbruch wäre nicht zu fürchten,
weil der Ferner fest zwischen Felsen verkeilt sei und nicht mitgerissen
werden könnte *). Es wurden aber Steinmändel gesetzt, um zu beob-
achten, ob der Ferner gegen den See oder umgekehrt wachse, auch
ein Stock zur Beobachtung des Steigens oder Fallens eingesetzt; sollte
der See noch einige Klafter steigen, .so müsste von 20 — 80 Arbeitern
ein Kanal durch den EishUgel gemacht werden , 280 Klafter lang und
0 Klafter tief. Sonst müsste , durch einen harten Schrofen* eine Ab-
zapfung erfolgen.
Darauf begab sich die Kommi.ssion noch am selben Tag nach
Sölden ; am 80. vormittags bi.s Lengenfeld , abends nach Silz. Dort
wurde noch eine Sitzung gehalten und beschlossen, den Hürn zu be-
auftragen, mit einem Meisterknecht (zu 1 fl. 12 kr. Lohn) und 12 seiner*)
Arbeiter (ä 80’ kr.) die Abräumuug der in den Bach fallenden Eis-
blöcke vorzunehmen; weitere Taglöhner könnten zu 28 kr. aufgenommen
werden. Sämtliche Kosten der Botenlöhne etc. werden auf Anfrage
des Kichter.s von Petersberg von der Regierung übernommen.
,Am 1. .luli ist die Commission nach angehörter hl. Meß von
Silz abgefahren und eodem abends in Hall wiederum angelangt.*
Frz. Carl Tausch, m. p.
1772.
I. 17. Februar, llauptbericht von Menz. Nach Erwähnung
nicht mehr erhaltener Berichte vom 2!*. .Juli, 18. und 28. August und
5. September 1771 wird abermals der Befund vom 27. .Juni 1771
wiederholt. (Neu ist hier nur die Notiz, dass die letzten .Jahre
sehr kalt waren und dass ein Modell der Gegend angefertigt wurde.)
Der Weginspektor Hürn ist inzwischen gestorben.
Die Hürnschen Arbeiter haben bis Ende Oktober gearbeitet; als
sie abziehen mussten , war nach Bericht des Uomanus Hürn vom
27. Oktober der Stand folgender: Die Höhe des in das Thal hinab-
geschobeiien Ferners war 44 Klafter, so da.ss also noch 270 auf den
Stanil von 1(570 fehlten; in der Thallinie ist der Ferner 202 Klafter lang
und fehlen also noch 400 Klafter auf die »ehemaligen markzeichen seiner
H57G erreichten breite“. Den 11. Oktober »hatte sich anbei die un-
angenehme begebenheit ereignet, daß dieser herabtreibende ferner zu
oberst eine wasser-verhältnuss und mit solcher eine große muhr auszu-
brechen verursachete, welche ruggwärts in dem thal in den see gefallen
das thal heftig mit muhr angelüllt und den ausfluß des thalwa-ssers
') Man stellte sieh also auch jetzt wieder den .Xusbruch mit einer He-
seitigung des Kisdammes verbunden vor, wie einst .\brahani Jäger.
Johann Hürn wird als Holzmeister bezeichnet.
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428
Kduaril Hichter,
[84
iindurcli gänzlich gelicmiuet. worauf diesses gehemmte wasser in denen
ilarauf gefolgten tagen einen see aschwellete von 77 Klafter tief (wohl
hreift') und 2ön Klafter lang. Es hat aber das wasser hinnach abermahl
einen neuen durchgang gesuchet, und auch würklich wiederum auli-
geflos.sen, also daü den obbesagten 27. Oktober der see nicht mehr
größer war, als 12 Klafter tief und 2<><> Klafter lang. Die grüße des
sees anno l()7ü ist gewesen 71 Klafter tief, 117n Klafter lang und
200 Klafter breit.“
Weiters sei nach Bericht vom 16. November 1771 bei grösserer
Kälte alles zusammengefroren und der See :JU Klafter hoch und
400 Klafter laug angewachsen ; am 7. Februar sei die Nachricht ge-
kommen, der See und Ferner sei weiter gewachsen, doch könnten Zahlen
nicht angegeben werden.
Menz beantragt ferner, dass längs des Berges an der rechten Thal-
seite ein Kanal ausgehauen werden soll, der dann sich durch das Wasser
vertiefen müsste, und zwar möglichst früh im .Jahre. Ferner sollen alle
Wasserbauten im Oetzthal erneuert und verbessert werden; er lobt die
Arbeiten der (ienieinden Huben, Lengenfeld und Sölden sehr und be-
antragt für Huben eine Unterstützung. Zugleich werden die Konten
für die Kommission (.von der alles zehrte“) und eine Kechnung von
Kirchmayr über HO H., von Komans HUrn über lh)4 tl. 20 kr. vorgelegt.
2. 24. April. Brief des Anwalts in Sölden, Chr. Prantl, an Pater
X. Waldner S. .1.
1771 den 27. Juny ist der Veniagg ferner noch allerwenigst
2 bies 800 klafter in dem berg daroben gewe.st; den letzten augusti
darauf aber (allwo ich abermal die Gelegenheit und Ehre gehabt, mit
[tit. I herrn gubernialrath v. Sternbach, item [tit.] herrn v. Lachartinger,
commercial rath und H. Antoni Ho.schmann, H. Peter Hirn, nun seelig,
und 11. richtet- zu Petersberg zu solchen ferner hinein zu reisen), also
innerhalb 0 Wochen ist bedeuteter Vernaggferner obbemeldte 2 bies
800 klafter sounenseithen durch den berg herab-, sodann auf den thal.
der ebene herunter bey 120 bies 1.80 klatller in die breite- und in die
höhe an das geschrötf oder felseu an der Nederseite *) etlich 20 klafter
in berg hinauf gewachsen und grösser worden und seithero, als be.-;agt
hdzte august unzt dato, ist solcher V'ernaggferner, als eine nunmero
fürliegende sperr, wie mir der diesfällig aufgestellte wochenbodt refe-
rirt. und mein derentwillen zu jetzt und künftigen wyssen und erfahren
formierendes protocoll umständlich mit mehreren zeiget, einer woche
oder anderen zuhilf, doch nicht allzeitiglich in die breite, das ist aus
und ein ungefähr 8 bies 0 und in die höche bei 1 's klafter gewachsen
und grö.sser worden : als daß sich de facto der fürliegende Vernagg-
ferner auf der ebene oder thal herunter als eine fürlicgende sperr, in
die breite über 400 bies 460 klafter und in die höhe gegen liO bies
70 klafter zeige, und das hintere gewässer ist ungefehr .seit allerheiligen
.als 1. November 1771 wegen solcher sperr und kälte der zeit im ganzen
*) J. h. an der Seite iler Zwerchvvaml ; l’ranll denkt wolil an den weiter
unten tlialauswäi-ts stehenden Nöderkogel.
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8öj Urkumlen über die Ausbrüche des \'emagt- und (.tuiglerxletschers. 429
winter nicht mehr au.s«rekomnien, sondern unzthero *) alles geschlossen
und befindet sich nunniehro der darhinter liegende und unztdato an-
gewachsene see bereits bey 900 klafter lang, und ungefehr gegen etlicli
00 bis 10 klafter tief. Mithin allem an.sehen nach und bei nunmehro
als frühlingszeit als anhoffend wärmeren weiter und ibigsam melirer
zunehm- und anwachsenden gewüsser wird solcher ferner und see gegen
nächstkommenden St. Veits- (l.ö. .Juni) oder längstens St. Peterstag
(29. .luni) hinaus wo nicht grösser, doch die alte grosse, volle und tiefe
erreichen, wie de anno 1079, 1080, 1081 wäre, zu welch erstbesagter
zeit sich der see bey 71 klafter senkltief gezeiget, item 1100 klafter
lang und bey l.jO klafter in der breite befanden hat. Die Unruhen
von krachen, .schwöllen und sau-sen des ferners seien auch anjetzto .sehr
stark, daü man es zu zelten gar zu die Rofner hiiuser heraus höre.
Im verflossenen monnt Fehruary ist der fenier zum ruhegesten
gewest, auch zum wenigsten gewachsen, die gefahr wachset von woche
zu Woche mehr an, also zwar, daLs wir auf heüriges jahr laider allen
menschlichen ansehen nach nichts gutes zu hoffen haben, der gro.sse
Gott kann zwar noch alles zum besten lenken, dieses «aber zu erhalten,
wirdet ohne zweifei vieles bitten und beten erfordern.
Sölden in Otzthal 24. April 1772.
P.S. Wegen nunmehriger höche, grösse und breite des Vernagg-
ferners thut er oft viele täge seinen eigenen mitfilhrend- und bringenden
bach einsperren, das ist. in die scharten oder klüfft und löcher solchen
ferners hineinwerfen, dal.t auch von diesen bach zu zelten dermahlen
gar kein wasser auskommt. Wie ohne zweifei bekandt, ist von ver-
flossenen Sommer H. Romanus Hirn etlich Wochen bei dem ferner
gewest und bereits vor I I lägen ist er abermahl hineingegangen. So
hat er auch die sach durchaus also erzeblet, wie ich allda sie über-
schrieben, und aus mein protocol oder wochen bodten entnommen habe,
ja H. Hirn hat sich Uber diesen Zunahme des ferner und see sehr ver-
wundert seit dem herbst.
Gehorsamster Christ, l’rantl,
anwaldt allda.
3. 8. Juni. Brief desselben an P. Waldner.
Das mehrere und hauptsächliche von Roffner Vernaggferner liab
ich euer hochwUrd. schon bereits vor .ö wochen überschrieben und
bedeyte anbey zur weiteren Information, daü nemlich seithero solcher
ferner als eine fürliegende sperr, abermals in der breite gegen Uofen
heraus bei d.'J klafter, und zweifelsohne ebensoviel hineinwerts in den
see, folgsam diese '> wochen bies dato in die besagte breite bey
Ol) klafter, in die höhe aber solcher zeit nur bey .4 bies 4 klafter ge-
wachsen und gestiegen seye, der dahinter angesetzte see zumalen nimmt
bey nun mehro langen tagen und wärmeren wettcr auch sehr zu und
kommet mit steigen oder wachsen in die höche dem ferner anjetzo weit
vor. und, wie ich schon das vordere mahl Uber.schrieben , auch noch
') bi.ilier.
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Eduard Hichter,
4ao
[80
de facto von mir und anderen personell mehr dafür gehalten wird, dali
solcher see l>is St. Peterstag hinaus die grüße erreichen könne, wie
dieser de annis lti78 re.spective bies 1081 gewest.
Der see ist dermalen schon hoch in die 40 klafter, bey der .sperr
am tiefsten und gegen 100 klafter lang. Ihro hoch würden (ja jeder-
männiglich) würde sich anietzo mit erstaunung verwundern, wann sie
die derinalige läge, und zu- und umstünd besagten ferners und see zu
dato sehen sollten. Nur ein einzige öfnung scheinet, allermeniglicher
inuthmassung nach, noch in etwa.s übrig zu seyn, wann die derinalige.
von ungefähr 10 bies 15 klafter linker hand hineinwerts an der wand
oder gebUrg sich befindende scharte von fürliegenden sperr-ferner nicht
zugeschoben, und zugedruckt würde, daß sodann der see durch solche
scharten und aus- und durchbruch, oder, (jod gebe es, den gelimpf liehen
ausgang bekommete, ein glück in etwa.« zu seyn. Da aber solche scharten
noch zugeschoben werden sollte, und der see zum völligen übergehen
über den ferner gezwungen würde, erachtete man den ausbruch solichen
sces hierorts weit für gefährlicher und schädlicher zu werden.
Der grosse Gott kehre alles zum besten in diesen beschwärlichen
umständen.
Sölden im Oetzthal den 8. Juni.
Christ. Prantl, Anw'alt.
4. 26. Juni. Bericht von Menz au die Kegieruug.
Am 20. sei ein Bericht von Kirchmayer, Hürn und Prantl ein-
gelaufen, wonach der Ferner schon die Höhe von 1070 erreicht und
auch der See bis auf 10 — 12 Klafter gleich sei. Das Projekt, einen
Kanal auszuhauen, sei nicht ausführbar gewesen wegen der Lebens-
gefahr der Arbeiter, da der Ferner immer in Bewegung sei. Er
schlage daher vor, mit .‘5 oder 1 Kanonen den Kanal einzuschiessen:
wie weit eine Kanonenkugel in einen Flisklumpen eindringe. ,das
müßte das wohllöbliche Militär die Meinung mit mehr Verläßlichkeit
abgeben können“. Doch muss auch dieser Gedanke aufgegeben werden,
da es nicht möglich wäre, Kanonen hinzubringen. L)ie Sprengung einer
Mine sei mit gleicher Gefahr verbunden. Menz hofft, da der Ferner
dort, wo man den Graben längs der Zwerchwand ausheben wollte, am
niedrigsten steht, dsuss der See dort überflies.sen und selbst den Kanal
austiefen werde. Er wiederholt seine Anträge, betreflend die Schutz-
bauteu im Thale, Abtragung der Brücken, Herstellung eines vor Üeber-
schwemmung sicheren Steiges durch das ganze Thal.
.5. 3. Juli. Menz und Tausch berichten, dass der Kichter in
Silz gemeldet habe, es sei in 8 — 10 Tagen ein Ausbruch zu erwarten,
da das Eis .schon faul sei und in gleicher Höhe mit dem Bache
stehe. „Da das Eis auf dem Wasser schwimmt, so ist bei der jetzigen
Höhe des Sees zu fürchten, dass das Wasser den ganzen Ei.sblock
heben könnte.“ ^lan hätte zu der gefährlichen Arbeit den Kanal ein-
zuhauen, „etwas köckere ledige leith nehmen sollen, selbe auch mit
gutem tuglohn und anderen Versprechungen anf'rischen sollen“. Jetzt ist
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87] Urkunden über die Ausbrüche dee Vemagt- und Gurglergletschers. 431
freilich alles zu spät und sei nur die sofortige Abtragung von 22 Brücken
anzuordnen.
0. 20. Juli. Kirchmayr berichtet, das.^t er mit Hürn, Präntl,
Herrn Baron v. Schrödern und k. k. Umgeldseinnehnier v. Ingram
(welche als „Militioten-Musterungs-Kommi.ssüre“ sich in der Nähe be-
fanden). am 11. sich zum Ferner begeben habe. Derselbe sei jetzt bei
500 Klafter lang und 75 Klafter hoch, also so gross wie 1(>78. Dem
See konnte man nicht beikommeu, weil die Lawinengefahr zu gross war.
Doch wurde er auf 130 Klafter Breite, */i Stunde Länge und 50 bis
Oll Klafter Tiefe geschätzt. Der Ausbruch werde nach Meinung des
Hürn und IVäutl in 0 — 8 Wochen geschehen. Die Bewegungen des
Ferners seien wie im Vorjahr, es bricht bald da. bald dort ein in die
Höhe gehobenes Eisstück und verfällt in den Klüften. Das Flis sei
in allen drei Thälern bis auf die Jöcher hinauf mehr zerrissen als das
vorige .lahr, und daher zu fürchten, wenn auch durch einen Ausbruch
der jetzige Ferner wegge.schobon werde, dass sich gleich ein neuer
bilden werde. Die Abtragung und Erhöhung der Brücken etc. .sei
verfügt; Arbeiter an den Ferner zu stellen sei überflüssig, sie könnten
nichts thun, als dem Wachsen des Ferners und Sees zusehen.
Zu verbleiben haben folgende Brücken: Die Bofner-, Venter-,
beide W'interstaller-, die Seiter-, die Buitner-, die Haselbuitner-, die
Wohlfärter-, Oberschlechner-, der hohe Steg, die Kofler-, die Acher-
bacher-, die Ilabicher-, die Santnerbrücke.
Zu erhöhen: Die Kreizstabler-, die untere Zwisclsteinerbrücke.
Abzubrechen: Die fiampler-, Wälileler-, die obere Zwiselsteiner-,
Khueteuer- , Windauer-, Hechenauer-, Kaj'serer-, Asp.aeher-, beide
Winkler-, die Böhler-, die Hueber-, die Gotsguter-, die untere Schleimer-,
die Biehler-, die Mö.sslacher, die Fundeser-, die Ilopfgartner-, Obertünip-
ner-, die obere und untere Brandtnor-, die Oebner-, die Brunauer-
brücke 'I.
7. 10. August. Kirchmayr berichtet: Vom 4. — 8. August .■<ei
der See um ’ i Klafter gefallen, am 8. um 12 Uhr hat aber ein vorgefal-
lener, sehr grosser Eisklumpen den Au.sgang des Wassers so versperrt,
da.ss dermalen kein einziger Tropfen au.sflie.ssen kann. Kirchmayr
glaubt aber, das Wasser werde seinen Ausgang bald wieder finden.
Gegen Vent zu sei der F'erner um 3 Klafter gewachsen.
8. 11. August. Menz sendet über Auftrag alle Akten an das
Gubernium zurück.
li. 16. August. Besuch des P. Jos. M'alcher, Professor der
Mathematik in Wien, beim See. Walcher, Nachrichten von den Eis-
bergen in Tirol, S. 25.
’) l'ie angcfreUenen Brücken bestehen heute noch und ihre Lage ist auf
der Specialkarte leicht festzustellen.
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4:32
Eiluard lüchter.
[88
10. 31. Oktober. Erlass der böhniisch-ö.sterreicliischeii Hot kanzlei
an das Guberniuin in Innsbruck, worin zwei Gutachten des Matlieniatik-
jtrofessors Joseph Walclier übersandt worden, ferner die Räumung und
Instandhaltung der Flussbetten im Oetzthal, Erhöhung der niedrigen,
Entfernung der überflüssigen Brücken etc. etc. (wie stets) angeordnet
wird. Der Kreishauptrnuun im Oberinnthal, die Gerichtsobrigkeit und
Gemeinden werden beauftragt, darüber zu wachen ; die Gemeinden selbst
.sollen zur Arbeitsleistung herangezogen werden, damit nicht immer
neue Kosten für das Guberniuin auflaufen , sowohl an Beiträgen als
für Kommissionen. (Am l’asseyrer See soll auf Kosten der Gemeinden
für 2500 — 3000 fl. der von Walchcr vorgeschlagene Damm gebaut
werden.)
11. 23. November. Obiges Hofdekret wird in entsprechender
Form vom Gubemium dem Kreishauptmann mitgeteilt.
1774.
1. 12. Juni. Bericht des Anwalts Prantl an den Pfleger in
Petersberg.
Auf Veranstaltung der Petersbergerschen gerichtsvorstehung wögen
den ferner und see zu Roten zu hinterst im Otzthall bei nunmehro aber-
mals anscheiiienter groü gefor von 12. Juni 1774.
1) Von dem hintern gewässer fliesset und kombett gar nichts mehr
aus und dis schon ungefehr seit neijahr da alles geschlossen ist.
2) Der see raicht und langet schon in die hintere 2 Hochjoch-
und Langtauferer ferner *) nit allain daran an, sondern etwas in besagte
2 ferner hinauf. Item.
3) Ein eigener, der sogenannte Vernaggfenicrpach, ist in tham-
ferner auch meriste zeit eiugespörrt, mithin öbenmeliig noth wendig ver-
porgene wasser.stüben und kleinere see machen muelj, so auch mit den
haubtsee ausprechen kennten.
4) Bemelter spör- und tham-ferner ist diesen verflossenen winter
biti anhero noch zimblich gewaxen, also dali er an vihlen orthen die
alten zaichen erreicht, so er zurugg gelassen; und an thaills orth aber
sogar schon neuen grund und boden angrifl'en und in besitz genoui-
ben hat.
5) Die scharten liei der Zwerchwant ist noch zu dato *) etwas oder
fast wie ferten noch offen und kan allen anziichen nach der .see
innerhalb 14 tagen durch bemelte schartten fliessen oder ybergehen.
Ist also schliesslichen und zum ersprießlichsten.
()) Daß man zu abwendung dieser so großen abmal anscheinen-
den gefahr bitte und bette. Mit menschlicher hilff ist bei den ferner
und see nichts zu thuen.
') .letzt Hintereisgletscher. -) Zwei Punkte auf dem a bezeichnen nach
älterem Gebrauche nicht blos ae, sondern auch das helle a, im Gegensatz zum
tiefen österr. bayrischen a; so auch in .Präntl“.
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so] Urkunden über die Auslirüclie des Vernaj^- und tiurglergletscher«. 4:j3
2 . Bericht desselben vom 22. Juni.
1) Ist zu dato noch alles geschlossen, das von hinteren gewässer
gar nichts ausgehent, sondern alles im see verhalten bleibet. Sein aigener,
das ist der Vemaggfeiaier pach aber hat de facto meriste zcith seinen
ausgang und rechten abHulj.
2) Weil, wie ich in vordere mein bericht v. 12. .dis aiigefirth.
der tham- und spörr-ferner die gresse wie von alten erreicht, .so würdet
auch ohne zweiffl der see solliche raaaljregeln nemben. Und wäre
ilieser see de anno 1081 in der lenge 1100 klaSfer, in der dieffe bei
der spörr ungefehr 00 bili 70 klatfter senkltieff und in die breite 100
u. 50 klafl'ter gewest.
3) Seit besagt 12. huius bili heint dato ist der see den perg nach
und mit sennkltieff gemeint, gestigen oder gresser geworden .30 schritt.
Und hat
4) sollicher see noch zu steigen und zu waxen bili er nur die
fertige gre.sse und heehe oder tietfe erreiche 10 schritt.
5) Der see senket von tham- oder eitiferner gleich wie ferten
wiederam vihl und grobe stuck hinein, al-so zwar, dali wenigstens das
fünftel vom see mit sollichen eisstuck bedöckt ist. Und dreibet diese
der vintschgerwind *) an tham heraus, und wann der bayrische wint -)
gehet an die 2 hinteren Hochjoch und Langtaufenier ferner hinauf den
see hinein.
Die gefahr scheinet wohl von tag zu tag gefehrlicher und grelier
zu werden.
Die dermählig schieinige vergresserung des sees sind merist tails
die warmen tage daran ursach.
Sölden, den 22. Juny 1774zig.
4. Bericht desselben vom 29. Juni.
Wögen den see und ferner hinter Roten vom 20. Juny 1774zig.
1) An verflossenen St. Johannstag als den 24. Juny wäre wie
allgemein bekannt sehr starckes rögenwetter also zwar, dab alle pilch
und gewässer gros aufgeschwollen und angeloft'en. Mithin allgemain vihl
Wasser gewest. Dem groben Gott sei dank, sollichen tag aber ist der
fernersee ganz ruehig und ohne ausflub gespörter noch verblil)en,
hingögen
2) Gottlob die sonttagnacht (wonit noch etwas mehr sambbtagnacht)
als den 20. huius hat der see bei der Zwerchwannt gleich wie ferth und
vorferten abermal einen gelimpflichen durchgang und gerechten .abflub
durch den tham- oder spör-ferner erhalten, also zwar das hieb 12 uhr
mittages innerhalb 12 oder 1.3 stunden der see den perg nach und mit
senkltieft' gerechnet bei 4 klaöter abgeflossen, zu wöllicher zeit zum
glick auch alle ybrige gewä.sser schon um vihles kleiner giengen, als
am beröten St. Johannes tag. Mithin dieser 12stündige abflub oder
aubbruch keine .schaden nirgends verursachet, ungeachtet solliche
') Vintsehgei- = VintschgiUier = Südwind. *) Nordwind.
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4:54 Eduard Ricliter. [‘Ml
12 stunt das liaubhvasser die Acli genannt durch das Oetzthall zieinblich
gros gang.
l!) Seitli 12 uhr besagt lotsten Sontag bili auf ungefähr 0 ulir
abends allj St. I’eter.sabent den 28. di.s ist fast allzeith die Öffnung des
abfiusses doch kleuer verbliben, als die bemeltcn 12 stunt, und diü
doch innerhalb .sollicher nenter zeith, nemblich von 12 uhr mittags
als 2tl. biü auf göster als 28. Jun_y biü (» uhr abeuts der see weiter
abgeflossen und gesössen bei 1 \i klafter allzeith den perg nach geraith.
Und hat angöster auf den abent der see noch die Öffnung gehabt und
glaublich noch auf die gegenwertige stunt. Entkoniben und fallen
zwar zu zaiten ain und andere eisstuck vor oder in die öft’nung des
tham. so stuntweis den auljgaiig oder abfluü heniben, doch bei jeztiger
warmer soinberszeit ist hoffnung daü der abfluß oder Öffnung des thauis
die meiste zeit offen verbleibe.
4) Der see hat den abfluß erhalten, vor selber so hoch an-
gewaxen, das in die scharten bej" besagter zwerch-want zum übergehen
gekomben ist. Und hete der see noch bey 5 bil.i 6 klafter steigen und
waxen mießen bis das seewasser dorth außgeflossen wehre. Und wann
dieses geschöhen , so hete der see den alten zaichen und spuren nach
ungefehr die gre.sse erraicht, wie de anno 1*181. Ma.ssen der tham- und
spörferner (wie ich schon in meinem lotsten bericht angefieret) seinen
alten zirgßl und thaills orten noch weiter erraichet. Was fertiges jar,
biß es zum abfluß komben ist, war heier der see umb G klafter hecher
gestigen und grosser geworden als ferten.
N o 1 1 a.
ln meinen dißföllig tiehrenten und der nachweit zum weiteren
wissen verlassenten prothocoll von verflossenen 177;! jar hal)e wögen
den hergang des fertigen ferner und see außimuches einverleibt und
mithin zur information allda beifügen wollen diese
F 0 r m a 1 i a.
Vor heurig 177;!ten somber ist der see umb .5 biß G klafter
hecher gestiegen und grosser worden, als fertig 1772tes jahr. Ungefehr
1*1. oder 11. .July soUich heirig somber hat es bei der Zwerchwant
eine wenige Öffnung gemacht, das der see ganz gemächlich von bedeitem
11. bis 12. .Jully bei 1.3 klafter, den perg nach gerechnet, abgeflos.sen
so allhier in Sölden in der Ach wasser, das es gresser gegangen, auch
zum öffteren verspihret worden, den 23. bedeite monats .lully, alß den
tag nach Magdalena, um 1* uhr morgens hat der see abermahl bei be-
sagter zwerch want eine noch größere Öffnung gemacht, also zwar, daß
sollicher see innerhalb .ä stunden 30 klafter wasser auch den perg nach
gemeint, abgeflossen, wölliches gewässer gögen 12 uhr mittags anhero
zu Sölden gekomben und biß gegen .ö und G uhr abends gethauert.
Zum glick sint all andere gewU.sser dazumal ganz klain gangen weill
es den vordem als Magdalenatag in die perg herabgeschniben und
mithin zimblich kalt gewest. Und hat dieses gewässer nirgends (ausser
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91] Urkunden über die Ausbrüche des Vernagt- und (iurglergletseliers. dij.")
zu Wohlfart allda in Sölden) nit vihl oder zu sagen gar keinen schaden
verursachet.
Gott göbe, das es dieses jar auch so glicklich ablaufe. Eine
grosse hilff ist es, das wohl etwas wasser von see schon abgeflosseu,
doch sint wir annoch nit auüer völliger gefahr, aber in guetter hoffiiung.
dir. Prantl. anwaldt.
4. Bericht desselben vom 7. Juli wögen den Bofner ferner und
see zu hinterist in Otzthall.
1) Wie ich schon da.s vordere mahl berichtet, das der fenier-
haubtsee, durch den tham den ‘Ji>. verfloüenen monates Juny, eine
ölfnung und ainmahlen biü auf den II. dis monats Juli einen ganz ge-
limpfen abfluß erhalten habe, also zwar, das der see innerhalb diser
8 oder 9 tagen wenigstens ITj biß 1(! klafter den perg nach und nit
senkltieff gemeint, abgeflossen, llingögen
den 4. .Jully als sontag ist gleich anfangs morgens bis
gögen ü uhr abents, auch allzeith ein zimblicher abfluß von see
gewest. Umb besagt 0 uhr abents hat das gewässer alhier zu
Srdden sehr angefangen noch grosser zu waxen und zu steigen; auch
solliche wassergre.sse und ferner sees außpruch von sollicher zeit an
biß den anderen tag alß montag gögen (i biß 7 uhr fast in völlig
gleicher greße gethauert. Und ist innerhalb sollicher zeit, das ist von
li uhr abents bis gögen (i uhr morgens also in 12 .stunden der see
bey 31 claffter abgeflossen und klener worden.
Hey wöllichen abfluß oder auspruch des hauptsees es ohne zweiffl
in thara ain und andere verporgene klener see und wasserstuben
(.so der Veniagg pa^h gemacht) mit ausgelaßen und durchgeflossen sein
werden, dann ansonsten allen ansöchen nach nur in den liaubtsee allain
nit soviel wasser hete sein kennen, wie in altem sith 9 tagen daraus
gang, da doch der .söllige haubisee noch nit genzlich abgeflossen, son-
dern noch soviel als der achte thaill wasser zurugg verblieben ist. Wann
3) sollicher fernersee den 17. Sept. 1772 oder doch nur an
verflossenen St. .lohanns tag (an wöllichen tegen wögen vihlen regen-
wötter ohne denen ybervall vihl und grosses was.ser wahre) und an-
statt in besagten 8 oder 9 tegen und 12 stunden, wie vor alts dem
vernemben nach ge.schöchen sein solle, in 3 biß 4 stunden ausgeprochen
und abgeflossen wehre (so der große Gott gnedig verhietet hat) ist
ganz nit zu erachten , was es nit allein in ganzen ( )zthall sondern
auch in Ihnthall vor große .schaden gethan haben würde.
4) Vor heur ist man zwar aus aller diesfölliger gefahr, wUr es
aber auf da.s negste jar widerumb gehent, weis der liebe Gott. Und
fliesset noch de facto aus den annoch vorhandenen klain see immer
[mehr] wasser daraus, alß darein, mithin noch klener würdet. Aber
der tham und .spörferner liget noch auf heintig tag dahero.
b) Und schließlichen erachte die weitere berichterstattung wögen
den ferner nit mehr nöttig zu sein, mithin dise unterlas.se und vor
heuer beschliesse.
Christ. Friintl, anwaldt.
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4;{tl KU.Ricliter, Urkunden über die Ausbrüche des Vernäht- u. riurglerfrletschers. fy2
30. Juni. Xota der k. k. Gubernialbuchhalterei, worin die Diäten
der Konimis.sion von 1770 und 1772, dann die HOrnschen Arbeiten,
da.s Abbrechen und Wiederaufbauen von 22 Brücken (ä 12 H. im Ak-
kord) geprüft und nach Herabsetzung mehrerer Diäten u. dgl. mit
1!>20 H. öd bä kr. zur Auszahlung angewiesen werden. Davon sind
0(ii) H. .')2 kr. Diäten.
Als Beilagen finden sich bei diesem Akte:
1) Eine Kopie des Protokolls vom 27. .Juni 1771.
2) Ein Text zu einem nicht vorhandenen Modell. (Hier steht:
linker Hand um diese Gegend hoch auf dem Berg daroben
befindet sich der sogen, brüchige Eisferner, so auch zu
seinen Zeiten los bricht. Der See wird auf 7 Millionen
Kubikklafter oder über l.öOO Millionen Kubikschuh berechnet.)
:5) Sämtliche Quittungen der Diätare (alle aus dem August 1770).
1) Spezifikationen von Menz, Kirchinayr u. a. ; besonders von
Bom. Hürn.
.'i) Bericht von Menz vom .'). Oktober 1770 über Auszahlung
sämtlicher obiger Posten.
(') Nota der Buchhaltung über einige Differenzen mit dem
Salzamt bezüglich der Währung der zu bezahlenden Posten.
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Anhang.
Uebor die Hilfsmittel bei künfti^^eii Ausbriielieii des A eriim:tsees.
,\Vanii dann der Ferner zu Uofen zu seiner Zeit, als jedem Saeculo,
wiederum wie vor, mit seiner Gefahr nicht ausbleiben wird, und man
kein Mittel dafür haben kann ; also diene ich hiernit der jetzijren und
nachkommenden Welt mit diesem getreuen liath, nämlich sie sollen mit
allem Ernst und Fleiü darauf gedenken und darob sein, dass man den
Kunst nit mehr hoch und voll lasse werden, sondern mit räumen in
der jetzigen Tiefe erhalte und in noch besseren Stand bringe.“
Die.se Worte des treft'lichen Kuen sind noch heute das jmssendste
Motto, welches man einer Betrachtung Uber die Hilfsmittel voraus-
schicken kann , die bei einem abermaligen Vorstoss des Veniagtglet-
schers angewendet werden sollen. Ebensowenig als Kuen zweifelt der
Verfasser daran, dass das kommende 20. .Jahrhundert so gut wie das
1!'., IS. und 17. einen solchen erleben wird. Durch den Nachweis
von 2.'ijährigen Klima.schwankungen . denen sich auch die Gletscher-
bewegungen anschliessen , ist dies noch viel gewisser geworden, als
es jemals war. Die Au.ssichten sind zwar gering, dass schon die jetzige
schwach ausgeprägte Periode des Gletscherwachstums in den West- und
Mittelalpen auch den V'ernagtgletscher wieder in das Kofenthai treiben
wird, um .so mehr, als er auch bisher immer erst in der zweiten oder
dritten kühlen Periode wieder sich stärker geregt hat. Dass er dies
aber entweder im zweiten Dezennium oder um die Mitte des 20. Jahr-
hunderts wirklich tliun wird , das kann man nach unserer jetzigen
Kenntnis mit Sicherheit erwarten. Immerhin ist die Wahrscheinlichkeit
nicht gross, dass dann noch jemand aus der Zahl derer leben wird,
welche noch die Keste des letzten Vorstos.ses im Kofenthai gesehen
und betreten haben. Gerade deshalb drängt es aber den Schreiber
dieser Zeilen, die Ansichten auszusprechen, welche er sich während
einer viel.jährigen Beschäftigung mit dem Problem des Vernagt-
gletschers gebildet hat. die Ansichten darüber nämlich, was bei einer
abermaligen Seebildung im Kofenthaie zur Kettung des Oetzthales ge-
.sebehen könnte. Bis dahin werden die durch einen starken Ausbruch
gefährdeten Werte viel grösser sein, als sie je zuvor waren. Es wird
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Eduard Richter,
i;J8
[t»4
eine Falir^trasse vorhanden sein, die mit grossen Kosten angelegt wurde,
es werden solidere Brücken und mancherlei Gasthöl'e und andere An-
stalten für den Fremdenverkehr da sein, welche gewiss nicht alle mit
Rücksicht auf die drohende Gefahr postiert sein werden. Man wird
auch dann im letzten Augenblicke Kommissionen und Sachverständige
berufen, die achselzuckend erklären werden, dass sich nichts mehr
machen lasse, und diejenigen, welche die kühnsten Vorschläge au.s-
hecken, werden nicht wissen, dass ihre Projekte schon vor 2(>0 oder
.Jahren als unausführbar erkannt worden sind , wenn nicht ein
glücklicher Finder neben Walcher und Stotter auch dieses Büchlein in
irgend einer Bibliothek „entdeckt“.
Denn so steht die Sache auch meiner Meinung nach, dass keines
von allen den Projekten, die überhaupt in Betracht kommen können,
hier ausführbar ist. Es sind dies;
1) Ein Ab/.ugskanal durch den Felsen der Zwerchwaud. Würde
man jetzt auch nicht Iti .Jahre brauchen, ihn durchzutreiben , .so ist
doch die Gefahr der Vereisung des Stollens ohne Zweifel vorhanden und
schon von Ramblmayr richtig erkannt worden. Auch die Verlegung
des Mundloches durch Lawinen oder EisstOcke ist wahrscheinlich.
2) Ein Abzugsgraben über das Eis hin. In den ersten .Jahren,
so lange der Gletscher in starker Bewegung und zerklüftet ist, ist
dies unausführbar. Unter allen Umständen bleibt es ein bedenk-
liches Mittel, wie das Beispiel des Getrözgletschers zeigt. Ist der
Eisdamm aber einmal fest, so erlblgt das Ueberlaufen und Durebsägen
der Eismasse auch ohne künstlichen Graben. Auch das Venezsche
„Uinnwerk als Eissäge“ *) ist am Anfänge, wann die Abhilfe am
nötigsten, unausführbar.
3) Klausenbauten. Meiner Ansicht entbehrt das Oetzthal solcher
Stellen, die dazu so wohl geeignet wären, als die Klamm beim Zuläll-
brückel im Martellthal. Auch hier wird mau übrigens erst sehen
müssen, wie sich die Sache bewährt. Man hat da einen festen Fels-
rücken als Hemmung der Gewässer und einen Tunnel als Durchlass.
Niemals kann eine Mauer das ersetzen. Ist sie aber nicht Uber allen
und jeden Zweifel fest, dann ist sie schlimmer als der Ferner; denn
ihr „Ausbruch“ ist nicht an 3.0jährige Perioden gebunden, sondern
kann bei jedem Gewitter erfolgen.
Ich bin also ganz der Meinung Ramblmayrs; da kein Hilfsmittel
volle Sicherheit gewährt, so mag man sich die Ko.sten sparen oder
vielmehr sie eintretenden Falles auf zwei andere Dinge aufwenden :
erstens möglichst vorzügliche Herrichtung des Bettes der
.\che, und zweitens Entschädigung der Ueberschwemmten.
Das Achenbett muss zur Aufnahme eines sehr grossen Wa.sserstandes
vorgerichtet werden. Da bekanntlich nicht blo.ss Gletscherausbrüche,
sondern fast im selben Grade Gewitter und lange Regenperioden Hoch-
wasser hervorbringen , hätte man damit für einen noch viel häutiger
eintretenden Fall vorgesorgt. Man sollte aber von dem Grundsatz
ausgehen, schwer Haltbares überhaupt nicht halten zu wollen. Grund-
‘) Siehe Mitteil. cl. deutsch, u. österr. .Gpenver. jssg, Xr. 24.
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95J rrkunden über die Ausbrüche des Vemagt- und tiurglergletschets. 4:3!)
stücke, die bei gewissen Wa.sserstiinden nicht mehr zu .schützen .sind,
sollte man bedingt auf'geben, d. h. hinter ihnen Hochwasserdäiuine
errichten, ihre Nutzung als ein unsicheres Gut betrachten und für
den Fall der Vermuhrung den Besitzer entschädigen. Die dazu nötigen
Suranien könnten leicht an vergeblichen Schutzbauten erspart werden,
die man nach diesem Grundsätze vorgehend eben nicht mehr errichten
würde. Im übrigen soll aber das Gerinne tief und breit, die Brücken
hoch gehalten werden. Ich zweifle nicht im geringsten daran, dass
eine Bachregulierung so gemacht werden kann, dass alle Hochwässer,
auch die SeeausbrUche , ohne Schaden durchzugehen vermögen. Frei-
lich nicht, wenn man jeden Wiesenfleck, der kaum einige Hundert
Gulden wert ist, erhalten will und dafür Tausende auslegt.
Mein Rat ginge also, wenn ich einen neuen Vernagtausbruch
erleben würde, dahin: keine Klausen, keine Kanäle, überhaupt
keine Arbeiten am Gletscher, sondern dort nur eine genaue Beob-
achtung im wissenschaftlichen und praktischen Interesse, telegraphische
Signalisierung der Ausbrüche; hingegen eine solche Herriclitung des
Bachbettes, dass es das kommende Hochwasser aufzuuehmen vermag;
daher Enteignung und Entschädigung der Besitzer unhaltbarer Grund-
stücke schon vor dem Ausbruch; keine vergeblichen Anstrengungen
für Unhaltbares; schliesslich Entschädigung der doch in Verlust Ge-
fallenen.
März 1802. Richter.
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Erläuterungen zu den Karten.
Die beiden Karten, deren Vorlagen ich der (iüte de.s Direktors
des k. und k. inilitiirgeographischen Institutes, des Herrn Generaliuajor
lütter von Arbter, verdanke, .stellen den Zustand der Glebscber dar.
wie er im .lalire 18S8 bei der sogen. Keainbulierung der Aufnahme
von 1870 .sieh gezeigt hat.
Da die Gletscher gegenwärtig noch immer im Hiickgange sind,
so sind ihren Enden lange, auf den Kurten durch braunen Ton ge-
kennzeichnete Geröllfelder vorgelagert. Ihre Grenze gegen das mit
grauem Tone Uberdruckte Vegetationsgebiet bezeichnet die Ausdehnung
der Eisbedeckung beim letzten Hochstande um 18.Ö0, der nach allen
Anzeichen sich von den Hoch.ständen des 17. und 18. .Tahrhundert>
nur ganz unwesentlich unterschieden haben kann. Bei allen hat der
Vernagtgletscher dieselbe Gestalt besessen, die lange, schmale Zunge,
die sich bis ins Hofenthal erstreckt, mit einer hammerfönnigeii Ver-
breiterung in die.sem. Von b bis a erstreckte sich stets der den .See
absperrende Eiswall, der , Dammferner*'. Bei c mündet der Vernagt-
bach in den Hofenbach: hier beginnt die Absperrung. Der See er-
streckte sich von h bis gegen d. wo bei Hochständen das gemeinsame
Ende des Hintereis- und Hochjochgletschers sich befindet. Die Bucli-
.stai)en H. M, (), 1’ und U beziehen sich auf die Be.schreibung des Glet-
schers S. .‘178 — 88:1 [84 — 80] : die Ziffern / — Ji* auf die S. 400 — 401
|50— .'.7J.
Auf der Karte des Gurgier Eissees bezeichnet der kleine ein-
gezeichuete Seespiegel den Seerest, der Jetzt alljährlich nach Ablauf
des im Frühling sich bildenden grösseren Sees während dos Sommers
übrig bleibt. Zur Zeit von Hochständen füllt sich der ganze Haura
zwischen Gurglcr- und Langthalergletscher , dessen Ende dann freilich
vorwärts des Punktes i'ö/6' liegt. Mit a — (t ist die Stolle bezeichnet,
wo nach dem Projekte HUrns (.S. 4:12 [78]) ein Abzugsgraben für den aus
dom Laiigthalerferner strömenden Bach gemacht werden .sollte. Bei b
ist die Stelle, wo der See stets seinen Ausgang findet; bei c — c be-
finden sich die auch vom Verfa.sser besuchten .Steinkluppenen“.
Pfarrer Koj.p im Jahre 1718 eine Klause angelegt wissen wollte
(.S. 11(5 |72J).
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r ^ ^
Band IV.
Sefl 1. Haus, Hof, Mark und Gemeinde Nord Westfalens im historischen
Ueberblicke, von Prof. J. B. Nordhoff. Preis M. 1.20.
Heft 2. Der Rhein in den Niederlanden, von Dr. H. Blink. Preis M. 4.20.
Beft 3. Die Schneedecke, besonders in deutschen Gebirgen, von Prof. Dr.
Friedrich Ratzel. Preis M. 8, —
Beft 4. Rechtsrheinisches Alamannien; Grenze, Sprache, Eigenart, von Prof.
Dr. A. Birlinger. Preis M. 4.80.
peft 5. Zur Kenntnis der niederen Tierwelt des Riesengebirges nebst ver-
gleichenden Ausblicken, von Dr. Otto Zacharias. Preis U. 1.50.
Baud V.
Heft 1. Nährpflanzen Mitteleuropas, ihre Heimat, EinfObrung in das Gebiet
und Verbreitung innerhalb desselben, von Dr. F. HOck. Preis M. 2.20.
Heft 2. Heber die geographische Verbreitung der SUsswasserfische von Mittel-
europa, von Dr. E. Scholze. Preis 50 Pfennig.
Heft 3. Der Seifenbergban im Erzgebirge und die Walensagen, von Dr. U. Schar Iz.
Preis M. 2.60.
Heft 4. Die deutschen Buntsandsteingebiete. Ihre OberHäcbengestaltung und anthropo-
geographiichen Verhältnisse, von Dr. Emil Khstcr. Preis M. 3.20.
Heft 5. Zur Kenntniss des Taunus, von Dr. W. Sievers. Preis M. 3.60.
Heft 6. Der Thüringer Wald und seine nächste Umgebung, von Dr. H. PrSscholdt.
Preis M. 1.70.
Heft 7. Die Ansiedelungen am Bodensee in ihren natürlichen Voraussetzungen.
Eine anthropogeographiscbe Untersuchung, von Dr. A. Schlatterer. Preis M, 3.60.
Band >1.
Heft 1. Die Ursachen der Oberflächcngestaltung des norddeutschen Flach-
landes, von Dr. Felix Wahnschaffe in Berlin. Mit 5 Lichtdmcktafeln und
25 Textillustrationen. 1891. 166 Seiten. Preis M. 7.20.
Heft 2. Die Volksdichte der Thüringischen Triasmulde, von Dr. C. Kaesemacher
io Marburg. Mit einer Karte. 1892. 60 Seiten. Preis M. 3. 20.
Hefts. Die Hali igen der Nordsee. Von Dr. Eugen Traeger in Dresden. Mit 3 Karten
und 19 Texüllustratiftnen. 1892. 117 Seiten. Preis M. 7.50.
Heft 4. Urkunden Ober die Ausbrüche des Vernagt- und G urgl er glets c h ers
; ira 17.. und 18. Jahrhundert. Von Professor Dr. Eduard Richter in Graz.
! Mit 2 Karten. 1892. 96 Seiten. Preis M. 7. —
Die weiteren Hefte werden unter anderem folgende Arbeiten bringen :
[Dr. G. Berendt (KOnigl. Landesgeologe und Professor an der Universität Berlin) Die nord-
‘ deutschen Urstromsysteiue.
^r.R. Blasius iBruunschweig), f'ber Zugverhältnisse und Verbreitung der VCgel in Dentscbland.
ffir. R. Credner (Prof, an der Universität GreifswaldJ, Die Insel Rügen.
p>r. 0. Fol 1 m an n (Coblenz), Die Eifel.
^r. H. Haas (Privatdozeut an der Universität Kiel), Der Boden von Schleswig-Holstein.
t)r. F. HOck (Luckenwalde). Verbreitung der NadoIholzpÜanzen des norddeutschen Tieflandes.
A. Jentzsch (Prof, an der Universität KOni^pberg), Der Boden Ost- ttnd Westpreussens.
I)r. C. M. K an (Prof. a. d. üniv. Amsterdam), Die Eigentümlichkeiten des niederländischen Bodens.
Dr. F. Klookmann (Dozent «n der Hergakadeinie zn Clausthal), Bau und Entstehung des
Uarzgebirges.
ir. J. Kloos (Prof, an der technischen Hochschule zu Brannsehweig), Die Höhlen des Harsgebirges,
'r. A. von Koenen (Prof, an der CniversiLät Göttingen), Über die Dislokationen und Störungen,
welche den Bau der deutschen Mittelgebirge bedingen.
Dr. R. Lepsins (Prof, an der technischen HocWhule und Direktor der Grossherzogl. hess.
i> geolog. Landesanstalt zu Dannstadt), Der Bau des Rheinischen Schiefergebirges.
Bofrat Dr. Th. Liebe (Landcsgeologe und Prof, in Gera), Der Zusammenhang zwischen den
opCTaphischen und hj-drographischen Verhältnissen OstthOringens und dessen geolo-
gischem Schiciltenaufbau.
pr. A. Makowsky (Prof, an der techniVhen Hochschule zu Brünn), Das HOfalengebiet des
Devon in Mähren.
L Matzura (Brünn), Die deutschen Kolonisten im Herzorfume Teschen und Auschwitz.
Jr. L. Neumann (Prof, an der Universität Freiburg), Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden.
)r. E. Petri (Prof, an der Universitilt St. Petersburg), Die deutschen Kolonien im europäischen
Russland.
>r. A. Sauer (Heidelberg), Ban und Entstehung des Erzgebirges.
’rof. Dr. P. Schreiber (Direktor der Königl. .Sächs. Meteorol. Zentralanstalt zn Chemnit; i.
Klimatographie des Königreichs Sachsen.
J>r. A. Simon (Auerbach), Die Verkehrsstrassen in Sachsen und ihr Einduss auf die .Simuil-j
k,. entwickeluuil bis zum Jahre 1500. ^
*
1.1
Güosraphischer Verlag von J. Engel hör n in .Stuttgart.
Anleitung zur Deutschen Landes- und Volksforschung
t>e4rb«itat von A. Pcirkt Berktr, H. Kftfhenlisg«», 11« O. Drnde. W. X«rsh»ll» O. Ztchariai.
J. Baake, F. Kaaffinaaa, l'.iaba, A. Beltsea, W. (iftti.
Im Anftrag der CentralkommissioD für wiBsenschaftliche Landeskunde von DentscUand
rtM .
Alfred Kirchlioff.
Mit einar Kart« nnd M Abbildunm-n im Text. Prellt Mark 16, —
Bibliotkek geographischer Handbüchero
Herausgegeben von ffof. Dr. Friedrich Ratzel in Leipzig.
Aiithropojseographle
oder
önmdzüge der Anwendung der Ei’dkunde anf die Geschichte
von Dr. Friedrich Kntzcl,
Profeuor der Oeogrtpbie an der Cuiversitlt Leipzig.
Preis Mark 10. —
Anthropogeograpliie.
Zweiter Teil:
l>le g«OKra|»hlj*(‘lie %'4‘rltrvltuiiK (leN neiiiarlieii
von Dr. Friedrich Ratzel.
Pre is Mark 18 . —
Handbuch der Klimatologie
von Dr. Juliu.s llann,
Direktor der mat«orol. ZootralauUlt uotf PrnfeMor an d<»r UolvertiiUt la Wien.
\ Prei s Mark 15. —
Handbuch der Ozeanographie
von
Prof. Dr. G. von Boguslawski, und Dr. Otto KrQmincl,
• t«« SektioBivoretaD^ !■ BjrdrafrapUiMh»« Ami dar K<Oa. fr o f aaaa r ao dv UamratU« aod UkNr an dar Mann*«
dnuebao AdMlnltUi^ia Barlitt. Ak«d«aiia !■ Rtal.
Band /. Rinmliche, phyeikaliMhe nnd chemische Beschaffenheit der Ozeane.
Voa Dr. Georg von Boguslawski. Preis Mark 8.50.
' Bund ll. Die Bewegungsforinen d es Meeres, Von Dr. Otto Krümmel. Preis M. 15. —
Handbuch der Gletscherkunde
von Dr. Albert Heim,
Profsssor dar ONlogie am Sebweissrisehen Potyteebuikam und der DnivenitiU in Zdricb.
Preis Mark 13 . .50.
A 1 1 g e in e i II e Geologie
von D r. K a r I V o n F r 1 1 8 c h,
Profaaaor ati dor .rnlvarKUkt lo UalU.
Preis Mark 14. —
Handbuch der Hatheiuutischen Geographie
von Dr. Siegmund (iilnthcr, '
Professor un der tei'bnischen lIocbKlials in Mttncben.
Preis Mark 16. —
Handbuch der Pflanzengeographie
von Dr. Oscar Drude,
Professor dor Botanik ao der tcclmlHChtD nocbaobule u. Direktor de« KgL Botaa. Garlene za Dreaden
; Preis Mark 14. —
flaiidbUclier zur deutschen Landes- uud Volkskunde.
Heraasgegeben von
der Cehtralkommission fOr wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland.
Bund /.
Geologie von Deutschland und den an^enzenden Gebieten
von Dr. Richard l.epsius,
Profeuor an der tecimlecben Uoohacbule, Direktor der geul'igischea Landesanetalt zu Darmetadt,
1 . Band. Das westliche und südliche Deutschland.
l.Liefemng. Preis M. 11.50. — 2. Lieferung. Preis M. 7. — .S. Lieferung. Preis M. 14. —
Bund IJI.
Die Gletscher der Ostalpen.
Von Dr. EduurJ Richter,
Digitized by Google
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