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Full text of "Kurze Aufsätze"

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KURZE 
AUFSÄTZE 



Annette Kolb 



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ms? 



fcarbarb Coüeae Htbrarp 




BOUCHT FROM THE 

Andrew Preston Peabody 
Fund 

BEQUEATHED BY 

Caroline Eustis Peabody 

OF CAMBRIDGE 



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Kurze *•* 
Ausätze- 

UON 

ANNETTE KOLB, 



MÜNCHEN 1899. 

ZU BtZICHf N DURCH 

ULRICH PUTZE," 



Kurze»" 
Ausätze 

UON 

ANNETTE KOLB. 



ttÜNCHEN 1899. 

zu BczirHCN durch 

ULRICH PUTZE, 

DRITNNC'RSTRflSSC' 8. 



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SlUO.fi, ZZO 




/ 



Bnickmann' sehe Buch- und Kunstdrucke! ei München 



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INHALT. 



1. Der Zufall Seite f 

2. Der Frosch » 

3. Adam und Eva „19 

4. Le revenant „23 

$. L'Oracle „29 

6. Herbstlied „ n 

7. Der Walchensee „35 

8. Die Heruntergekommenen . . „39 
9- Skizze m 4$ 

10. Das Traumbuch »49 

Musikalisches: 

11. Eine musikalische Betrachtung „ $7 

12. Nemesis „63 

I}. Skizze über die Stellung des 

heutigen Pianisten .... „67 

14. Epilog „ 7/ 



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DER ZUFALL? 



tstsistststststslsfststs 



Was giebt es unvermeidlicheres, berechneteres und 
dabei natürlicheres wie den Zufall? 

Was ist abgefeimter und grausamer oder gütiger? 
Wir können ihn weder anklagen, noch ihm danken. — 
Nie können wir ihn überführen, ihm die Maske ent- 
reissen und sagen: »Dies hast du gewollt und über 
mich gebracht.« — Denn die natürlichste Verkettung 
der Dinge hat es herbeigeführt. 

Was sollen wir mit diesem raffinierten Zufall an- 
fangen, der unsere Schritte lenkt und doch nur als ein 
leerer Schleier in unsern Händen bleibt ? — Am besten 
ist es wohl, ihm zu vertrauen; allein man lernt dies 
nur nach Jahren, und nach geprüften Jahren. Erst 
treibt es uns, ihn gewaltsam herbeizuführen, unsern 
Willen dem seinen gegenüberzustellen, und dann erst 
wird der Zufall so recht feindselig und allmächtig! 

Was hängt er nicht alles an eine Begegnung ? Ob 
wir eine Minute früher oder später in diese Gasse 
bogen, mag über eine unbeschreibliche Reihe von Un- 
glückstagen entscheiden — sie von uns abwenden oder 
über uns bringen. 

»Es giebt keinen Zufall!« — sagt Schillers Wallen- 
stein. Aber damit sagte er schon zu viel; denn der 

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Zufall entzieht sich uns so fern, dass er nicht einmal 
diese Behauptung ermöglicht. 

Als ich in Paris anfing, mit dem Gedanken um- 
zugehen, ich wäre am liebsten wieder zu Hause, er- 
hielten wir eines Tages aus Marseille einen sorgfältig 
verpackten Schlüssel und einen Brief. Es war ein 
Angebot, die Wohnung einer Dame zu beziehen, während- 
dem diese im Süden weilte und ihr schöner Flügel wurde 
ganz besonders gerühmt, aber wir machten von all dem 
keinen Gebrauch, denn es kam so vieles dazwischen. 

Da plagte mich eines Morgens ein unverkennbares 
Heimweh. Wir wohnten in einer jener engen Strassen, 
die den Himmel versperren und die Menschen zusammen- 
drängen wie auf einem Schiff. Draussen war es 
regnerisch und schwül, und ich sehnte mich fort; da 
fühlte ich zufällig unter meinen Fingern den Schlüssel 
jener Wohnung, und um mich gewaltsam aus der 
Stimmung zu reissen, in der ich mich befand, machte 
ich mich zur Stelle auf den Weg nach diesem Hause. — 

Als ich aber dort die ziemlich hochgelegene 
Wohnung betrat, lag sie in so rabenschwarzer Nacht, 
dass ich alsbald wieder hinunterging, um mir bei dem 
Concierge ein Licht zu verschaffen. 

Dieser hatte indes seine Loge verlassen, und ohne 
auf ihn zu warten, zündete ich mir eine Kerze an 
und eilte wieder hinauf. — 

Auch nicht ein Schimmer des Tageslichtes drang 
in diese Räume! Eiserne, verriegelte Läden schlössen 
es gänzlich ab, und der Lärm von Paris klang da 

- 8 - 



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IstststslstsislslsfsUfs 



gar seltsam herein, denn öde war es hier! — Als hätte 
ein Unglück die Bewohner plötzlich vertrieben, so dass sie 
alles Hessen wie es war, nur dem Lichte wehrend, bevor 
sie flohen. Denn nichts war aufgeräumt. Im ersten 
Zimmer stand ein blauseidnes Bett aufgeschlagen und be- 
staubt, vom Baldachin hing eine lange Kordel zerrissen 
herab. Die Kerze beleuchtete nur immer dürftig eine ein- 
zige Stelle, aber im Vorübergehen sah ich Gegenstände ver- 
wahrlost herumliegen, zertrümmertes Krystall, zierliche 
Louis XV.- Möbel und einen offenen Schrank. Es war, 
als ob hier Diebe gehaust hätten, und als seien sie 
dann in der Hast über alles davongestiegen. So un- 
heimlich war der Anblick all dieser Zimmer, dass ich, 
ohne mich länger umzusehen, den Salon suchte, wo 
der Flügel stehen musste, um dann schleunigst wieder 
fortzukommen. Ich entdeckte ihn denn auch, zwischen 
zwei Fenstern stehend und von einer Decke geschützt. 
Als ich diese zurückschob, hob sich ein Schwärm von 
vielleicht tausend Flöhen und stieb in gerader Linie 
auf mich los. 

Ich fuhr zurück — w ahr scheinlich zu rasch — 
die Kerze verlosch! — 

Was dies für mich bedeutete, war mir sofort klar. 
Denn ich hatte im unverantwortlichen \md unbegreif- 
lichen Leichtsinn die Zündhölzer unten gelassen. — 

Nie aber würde ich in dieser Finsternis die Haus- 
thüre finden, und wenn ich sie fände, niemals unter- 
scheiden — den Weg zurück wusste ich nicht. Es 
waren so viele Zimmer gewesen und kein Gang. Alles 



ineinand geschachtelt, wie es in französischen Wohnungen 
oft ist. Ich tastete nach dem Schlüssel, aber der 
Schrecken hatte mir alle Erinnerung benommen. Ich 
fand ihn nicht mehr. 

Mit den Händen fuhr ich der Wand entlang bis 
zum Fenster, allein die Läden mussten einen eigenen 
Verschluss haben und schnitten mir in die Finger, ohne 
zu rücken. Behutsam ging ich vorwärts, vielleicht 
drang doch in irgend eine Kammer ein Schimmer von 
Licht und war von dort aus ein Zeichen möglich, aber 
überall war Finsternis und Staubgeruch als läge ick 
tief unter der Erde. 

Der Concierge würde den Leuchter kaum ver- 
missen, den ich unter vielen andern aus seiner Loge fort- 
nahm, keinesfalls aber auf mich geraten und die Meinen 
hatten keine Ahnung wohin ich gegangen war, denn 
als ich von Hause fortging war ich allein gewesen. — 
So war zwar meine Rettung lange noch möglich, noch 
grösser aber die Gefahr, dass ich hier verschlossen und 
vergessen bliebe. 

Meine Wanderungen nach der Hausthüre begannen 
von neuem. Griffe ich sie, so wollte ich dort stehen 
und rufen. Allein ich fand sie nicht! 

Es Hess sich keine Thüre von der andern erkennen, 
kein Zimmer, keine Kammer. Einige waren versperrt. 
Wie in einer Falle irrte ich blind umher und wurde 
immer unfähiger, mich zu orientieren; denn von den 
Räumlichkeiten hatte ich die Verhältnisse nicht entnommen, 
und der Ausgangspunkt war mir längs verloren. 

- io — 



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fslslslststslslststslsls 



So musste ich mich meinem Schicksal ergeben. Die 
Zeit verging, un d w * e rings um mich, so war es jetzt 
auch in meinem Herzen Nacht. Aber statt der Ver- 
zweiflung harnen mir da plötzlich Gedanken: Was für 
einen Sinn hätte denn ein solcher Abschluss? Welche 
Deutung konnte ich meinem Tode abgewinnen? 

In meinem Leben konnte ich nichts entdecken, aber 
dies Leben selbst erschien mir du merkwürdigerweise 
wie ein arger Schuldbrief, und ich werde wohl nie 
mehr so tief und ruhig zu denken vermögen, wie in 
jenem so hoch über der Erde gelegenem Grab! 

Wie spät es geworden sein mochte ahnte ich nicht. 
Immer wieder begannen meine finsteren Wanderungen, 
mein Tasten nach Thüren und mein Rufen. Meine 
eigne Stimme versetzte mich in solche Angst, dass es 
wie wahnsinnig in meinen Schläfen pochte. Den Hunger 
sah ich schon als meinen Gefährten, und heiss und 
blutig drang mirs nun ins Gehirn. — Und wie be- 
täubt stiess ich zuletzt gegen eine scharfe Kante und 
empfand etwas Kaltes unter meinen Händen. 

Daraus schloss ich, dass ich mich wieder in einem 
Zimmer befand, denn dies fühlte sich wie ein marmorner 
Tisch. Ich fasste ihn mit der andern Hand: da durch- 
zuckte mich jäh eine wilde, triumphierende Lebensfreude. 
Was da meine suchenden Finger ergriffen hatten, war 
— eine Zündholzschachtel! 

Zitternd fachte ich eines an und starrte jetzt auf 
ein gespenstiges Wesen, das mit hohlen Augen unver- 
gesslich auf mich blickte. 

— ii — 



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Allein bevor die Angst noch ihre Klammern auf 
mich legen konnte, gewahrte ich den hohen Spiegel, vor 
dem ich stand, woran die schmale Marmorplatte an- 
gebracht war, an die ich stiess. Lange Kerzen Stacken 
da in Kandelabern, und mechanisch zündete ich sie an; 
von meinem eignen Bilde keinen Blick verwendend, denn 
wie von einem Drama war ich hier gefesselt. 

Das Entsetzen auf meiner Stirnc, die trostlose Er- 
gebenheit meiner Züge, die Todesahnung war auf meinem 
Gesichte geblieben. Obwohl ich mich gerettet wusste, 
immer starrte ich noch wie eine Verlorene. 

Was hinter diesen weitgeöffneten Augen vorgegangen 
war, wusste ich so wohl, der schon wie eingefallene 
Mund, warum er so bitter geschlossen war, das herab- 
gezogene Kinn, der zurückgehaltem Grimm. — Und 
dabei war mir's als erschaute ich das Selbsterlebtc nun 
zum erstenmale. 

So blieb ich vor dem Spiegel gebannt, bis meine 
Augen sich verkleinerten und die Farbe, als sei nichts 
geschehen, sich allmählich wieder einstellte. — 

Der Raum, in dem ich mich befand, war ein 
kleines Durchgangszimmer, und die Begebenheit so ein- 
fach und natürlich! 

Es hatte hier jemand eine Schachtel Streichhölzer 
vergessen. Weiter nichts 1 . 

Es war eben jener blinde und hundertäugige Zufall, 
jener unberechenbare Stern, der über unser Leben waltet 
und es erhält oder vernichtet. 

Den Schlüssel, die Thür und den Weg ins Freie 

— 12 — 



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hatte ich nun bald gefunden; wieder hinab in das 
rege Paris. 

Die Boulevards schimmerten im Abendrot, und die 
Knospen der Bäume waren nach dem Regen hold ge- 
schwellt. 




DER FROSCH. 



Ufslstslstslsislsfslsts 



Ein Frosch sass im nassen Grasse, befriedigt und 
wohl auf geblähet, denn er hatte eben gespeist, und da 
ihm das Ver schmauste wohl bekam, so fühlte er sich 
nicht ungeneigt zu philosophieren, zwinkerte behaglich 
mit seinen feuchten Augen und dachte: 

» Was ist doch die Welt so seriöse ! — und machen 
sie alle so fatale Mienen, statt das Leben frisch zu 
nehmen wie es ist! Ich bin zufrieden, und mir geht 
es gut; auch nehme ich die Dinge wie sie kommen /« 

Und obwohl er schon zu viel gegessen hatte, 
schnappte er noch im Übermute nach einer Fliege, die 
des Weges flog, und verzog dann sein breites Maul zu 
einem superiorem Lächeln: Es war doch wirklich alles 
zu dumm! 

So hockte er froh an des Teiches Rand, blickte 
in die laue Luft und hiess die Weltordnung gut. Libellen 
hingen und schwirrten, dicke Waldschnecken schleppten 
sich fort, ein Vöglein jammerte und eine hagere Katze 
schlich umher. Alles beobachtete und genoss der Frosch 
als heitrer Skeptiker und Bon-vivant und plumpste 
dann wieder in den Teich. 

Von Tag zu Tag aber gedieh er, zum Verderben 
zahlloser Mückchen, die enthusiastisch in der Sonne 

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schillerten. — Kein Wunder, wenn sich der Frosch da 
i hatten und seine Lebensanschauung sich zu einem 
immer insolenterem System abrundete! 

Und unumwölkt floss sein Dasein dahin, denn jeder 
ist selbst seines Glückes Schmied. 



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ADAM UND EVA. 



« 

- 19 ~ 



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Die Nacht senkte sich vor der Vertriehnen Augen, 
und nach harter Tagesmühe ruhten sie. 

Trauer umfloss der Gefallenen Antlitz, und ob 
des Menschengeschlechtes drang eiserne Schwermut auf 
sie ein. Keine Thräne hatte noch das Weib; es barg 
und vertiefte sich das Weh der Erde in ihrem Schosse 
zur Melancholie, und wortescheu verblieb der Mann, 
als er sich hingewiesen sah an die harte, unbekannte 
Scholle, an die unerbittliche Sonne und dem süssen Mond; 
aber der Welt Zukunft und Not starrte in seinem Geist. 

Dies Paar, ach! war der Atlas! 

Das Echo seiner Qual durchdrang den hellen 
Sinn der Griechen, und eine Weltkugel wälzten sie dem 
GOTTE auf die Schulter, allein ein Menschenpaar ist 
es gewesen, das einst die Last des Werdens kostete 
und trug. 



LE REVENANT. 



- 23 - 



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LE REVENANT. 



- 23 — 



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fslslslsfslslslstslslsts 



Une nuit je crus errer eu rbve dans des sitcles 
passe's, et je vis des homtnes et des femmes dans leur 
vie journaliere. Je vis des enfants joner, un laquais 
endormi sur un siege, puis des fruits dans une coupe 
tirange et soudain sur un balcon trempt de pluie 
une jeune dame enveloppee dans une grande rohe rose 
et une mante noire. 

Mott esprit alors fut pris d'un vertige ! — et sen- 
tant man rtve, je voulus nien soustraire en le secouant; 
mais lui aussi-töt, se faisant plus confus, devint si 
pesant, que le coeur oppresse, je le subis. — 

Alors je me vis appuyi contre une fenitre ä ogives 
ä la nuit tombante dans une salle. Brusquetnent tout 
au fond une portc sentrouvrit, et un chien s'ilanca, 
de ces beaux chiens de chasse! il s'arrhta inquiet, les 
yeux flambants ; puis d'un mouvement jeune et violent, 
fou de vie et de joie, il se retourna, se jeta vers la 
porte, et frappant le parquet bruyamment de sa queue, 
il attendit, guetta plutöt, pour stlancer sur un komme 
qui entrait. — 

Lorsque je vis cet komme qui entrait, je sentis mes 
levres trembler de tristesse. Hon eut dit la vie mime, 
et c'itait un mort! — 



Ah! si vous Yaviez vu s' avancer d'un pas rapide 
en totirnant vers sou chien une figure d'un contour si 
vif et d'une ciselure si itroite, que cette Ute si noire sc 
ditachait des tinebres comme une tache blanche, tant 
eile Hait ardente! Yillusion, je vous assure, vous eut 
gagni, tout comme nun: cas la vie affluait dans chacun 
de ses gestes ; ses yeux itaient chargis et lourds comme 
certaines fleurs, et sur cette figure fougueuse, le regard 
itait preocupt et rentri, comme pour se poser tres-loin 
sur une visioti qtti revenait toujours, et faisait sourire 
malgrl. lui, sa bouche songeuse et cruelle! — La mort, 
me disai-je, la mort! — 

Je me sentais si chetif pres de cet etre si beau, 
pourtant je vivais moi! nitait-ce pas mieux que ce 
splendide mirage? 

La mort!? — mais ce mot mime tombait vide 
devant un pareil revenant! 

Ce fut alors, quil marcha droit vers la fenitre, 
oü je me tenais et que mes yeux purent plonger dans 
les sietts pour, en eher eher l'lnigme. Mais hllasl quils 
Itaient loins, et comme mon coeur se serra ! une grande 
douleur fit tomber mes paupüres qui brülaient, et je 
sentis alors s'approcher de moi, et m f envelopper 
comme V ' haieine du Printemps ; je crus respirer toutes 
les aubipines des bois, et sentir un ciel, des sapins, 
et des ruisseaux clairs: je vis une truite tachetie de 
rose, et de Y herbe }ra\che et mouillie; et une si 
affreuse nostalgie passa dans mes veines, que j*itendis 
un bras iplori vers le spectre, dont la vie niavait 

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ainsi troubli. Mais lui, quoique sa main pesät sur 
mon ipaule, son regard, qui semblait diborder, se ditour- 
nait toujottrs. — Et, voulant jeter un cri cTan- 
goisse, qui ne fut quun souffle, je lui dis: tjt suis 
Iah et tout mon itre passa dans ces pauvres paroles! 
Lhomme tressaillit, et changeant d'attitude, sa main 
tomba. Mais en ce moment mime il y eut un bruit 
dans la cour, et je le vis se retourner, faire signe ä son 
chien, et sortir. Ni Yun ni Yautre ne m'ava\ent vu. — 

Et alors la Nuit se fit plus profonde, et mon coeur 
plus froid. Seul mon cerveau s'allumait et marcha. 

Regarde! dit-il ä mes yeux devenus fixes de terreur, 
regarde sous ces tknlbres croissans cette solle inconnue, 
et vois ces meubles bizarres! Que peuvent ils te rappeler? 

Rien! sonna-t-il. Puis toutes les roues de mon 
cerveau s 'ibranlerent avec une vitesse infernale, et j'en- 
tendis un glas frapper au fond de moi-mime : LE 
REFENANT, C'ÜTAIT MOIl i8 93 



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(sfslslslsfstslslstsists 



Elle itait gründe- et laide, une röche informe et 
nue, quelle fttt iclairie ou ä l'ombre, toujours triste. 

Un komme s'y Igara un soir, mais perdant pied 
aussitöt il mourut victime, liii fort et pensant, de cette 
gründe chose inerte et brüte, et personne ne la montait 
plus. Elle demenrait ä l'otnbre Ic plus souvent des 
grandes cimes autour, et le soleil m la lune ne l'aimaient. 
Seule la neige s'y plaquait lourde et compacte! 

Or en une nuit de lune et de Vent (le monde dejä 
itait vieux) quclque chose remua au fond du rocher, 
et Yemplit soudain, comme d'un profond soupir. Ce 
ne fut quun instant! quelques caillons roulerent et un 
peu de neige bleuätre sc ditacha. Ce fut Unit. 

Mais en cet instant si vagtte, et d'infinie lourdeur 
— le rocher stibit sa propre tristesse sourdement, comme 
la plante comme s'iveille l'alois du fond de sa torpeur, 
cest ainsi que sa propre Enigme yint saisir la montagne 
et lui rivila son Mystere, les liens occultcs, qui la 
liaient aux longs chagrins et aux incurables misfres, 
a tont ce qui est noir ou navrant dans la crlation. 

Tout cela l'enveloppa comme d'une Ombre Giante. 
Et un accord vibra en ce domaine silencieux! Une 
source s'agita affolie! eile mouta brillante et profonde 
jusque ä l'ivresse, pour tarir aussitöt. 



Mais la Terre — si rtveuse en ces nuits de Lüne 
et de Vent tressaillit et appela. Alors des milliers 
ctoinbres se dlgaglrent des plis de Tintbres et s'agi- 
tlrent autour du rocher iteint pour saluer l'Idle — le 
Symbole — V Oracle enfin qui venait de parier. i8gj 



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HERBSTLIED. 



Herbstlich sinkt der Tag nun. 

HerbstfarVnes Licht, so sanft wie süsser Ton, 

Zart wie bedeutsamer Traum, 

Der uns beglückend streifte in der Flucht. 

Ach weile, guter Herbst! 

Dein ist der tönendste Ton im Jahr! 

Musik der Dämmerung ist deine Stunde, 

Beruhigte Leidenschaft dein tiefer Blick. 

Ist Verfall dein Sinn? 

Oder lächelst du über den Tod? — 



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DER WALCHENSEE. 

I 



- 35 - 3 . 



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Die Berge zogen ihre hohen, sanften Linien in der 
bleichen Dämmerung. Ahnungsvoll schien jede Senkung, 
jede Matte, jeder Schatten, und stumm hielten die Tannen 
hart am Ufer Wacht. Und Lima zog langsam mit 
ihrem Gefolge weissgeballter Wolken hinter den Spitzen 
der Berge einher. 

Kein Sternengefunkel störte noch des Himmels Ruh'! 
Und wie tief kündete sich da die Nacht, wie fern 
schien da Aurora, als käme nimmer der frühe Tau, 
noch die strahlende Sonne zurück. 

nAchtt seufzte da eines Menschen Stimme, »käme 
nimmer der Morgen!« 

Doch plötzliches Entsetzen fasste ihn alsbald, und 
starre Angst trieb ihn dem Gestade entlang, war es 
ihm doch, als hätte er hier Schatten ins Bewusstsein 
gerufen und aufgescheucht, als sei ihm das verhängnis- 
volle Wort entfahren, das diesem See und dieser Natur 
geheimnisvoll zu Grunde lag, und als seufzte nun alles 
rings um ihn, von jeder Felswand rauschend und vom 
Strande wiederhallend, ein traumversunkenes und im 
Traum gefundenes Echo: 

Ach, käme nimmer der Morgen ! 
Käme nimmer der Morgen! 



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DIE 

HERUNTERGEKOMMENEN. 



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Als die Nacht hereingebrochen war und der kalte 
Zug durch die Fensterspalten blies, da wurde es auch 
stille in dem langen Gang, wo die Ahnenbilder hingen 
unverrückt an der dunklen Wand und die Finsternis 
über sich ergehen Hessen wie über ihre Gräber. Allein 
die Nachkommen dieser längst verblichnen Leute wohnten 
noch in dem alten Schloss und fanden keine Ruhe, 
denn sie wollten und wünschten mit der wilden Kraft, 
die sie von den Vätern geerbt! Währenddem die Nacht 
sich immer tiefer senkte, schlief da Keins. Alle hofften, 
fürchteten und sehnten sich zu sehr in diesen alten 
Mauern, als dass der Schlaf sich ihnen rettend nähern 
konnte. Den hielt der Hass und den die Liebe, alle 
aber hielt der Lebensdrang, die Heftigkeit des Wunsches 
und die trübe Ahnung des Unerfüllbaren wach. 

Die Väter hatten so froh genossen und so wilden 
Auges gelebt! Sie glichen sich alle in Miene und Blick, 
und Generationen hindurch verzehrten sich die schönsten 
Frauen in Liebe um dies Haus! 

Das Glück aber hielt treue W acht und zog goldene 
Gitter um seine Günstlinge. 

Einem breiten glänzenden Strome glich dies Ge- 
schlecht, der schimmernd die schönsten Lande durch- 



zieht, Wälder und hohe Gipfel, glänzende Städte und 
den ganzen Himmel lachend wieder spiegelt. 

Zöge sich doch mein Herz nicht zusammen, als 
ich dieses Vergleichs gedenke! Denn nach hundert 
Jahren erlosch ein Stern: der herrliche Fluss rauschte 
weiter; da veränderte sich sein Bett. Hoch und furcht- 
bar drangen kahle Felsenwände auf ihn ein, qualvoll 
türmte sich da das tiefe Gewässer und wütete gegen 
die hemmende Wand. 

Sein schrecklicher Schall tönte betäubend durch die 
Welt. Unerbittlich aber verengten sich noch die Thore, 
und der Fluss brach sich heulend seine Bahn. Als 
wilder undunkelter Bach stürzt er im Schatten dahin. — 



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SKIZZE. 



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tsfslsflslststslsfsfsfs 



Vor Jahren fiel mir ein Buch in die Hände, dessen 
Titel ich mich nicht mehr entsinnen kann, es war 
eine Übersetzung aus dem Griechischen und mit vielen 
Anmerkungen versehen, wovon eine einen alten Spruch 
citierte, der mir immer im Gedächtnisse blieb. Die 
Worte erinnere ich mir nicht, nur den Sinn, und 
der war folgender: 

* Nicht der Mann ist die Weisheit, nicht die Frau 
y>ist die Liebe: Die Frau ist Weisheit, der Mann ist 
»Liebe. Des scheinbaren Umtausches sich nicht be- 
i wusst, sucht der Mann in der Frau seine eigne Liebe, 
ydie Frau im Manne ihre Weisheit wieder.« 

Dieser Spruch schien mir nach und nach so 
manches Unerklärliche und Unvereinbare, das in jenen 
Beziehungen nicht zu begleichen schien, schärfer zu 
beleuchten. 

Ein i ganzer Mann« wird einer Frau in so ent- 
scheidenden Punkten überlegen sein, dass nur die tiefere 
Weisheit des schwächeren Teils ein Gleichgewicht her- 
zustellen vermag und in jener Weisheit allein die 
Möglichkeit liegt, den Blick dieses Mannes ganz wieder- 
zuspiegeln. 

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Ist dieser Spiegel getrübt oder zu stürmisch oder 
zu seicht, so wendet der Blick sich ermüdet ab und 
sehnt und sucht nach andern Augen, die wieder ver- 
sprechen und wieder enttäuschen. 

Umgekehrt sehen wir oft ganz unbedeutende Männer 
von einem weiblichen Wesen dauernd gefesselt, von 
dem sie nie Kenntnis gewinnen können, in dem aber 
die Weisheit verborgen liegt, die sie mit dumpfer Sehn- 
sucht erfüllt. Eine solche Frau, deren innere Entwick- 
lung ihren eigenen Weg zu folgen bestimmt war, sieht 
oft zu ihrem stillen Befremden einen ihr so fremden 
Mann so treu an ihrer Seite. 

Was nun mit jener Weisheit in dem alten Spruche 
gemeint war, ist sicher nicht die Lebensklugheit noch 
Schärfe oder Kraft des Geistes, denn die wohnen alle 
dem Manne viel thätiger inne. Sie wird wohl eher 
dem Meeresspiegel vergleichbar sein, der tiefer und 
beschaulicher wird, je mehr sich darin versenkt. — 

Jeder kennt jenes eigentümliche Gefühl, das ihn 
angesichts der gleichgültigsten Dinge anwandeln kann, 
ihn zwingt, innezuhalten und Gedanken einzulassen, 
die von aussen auf ihn einzudrängen scheinen und 
deren Bewandtnis er noch nicht erfasst. 

So stand ich einmal auf einem weiten, freien Feld 
und dachte an die Druiden, wie die Welt in ihnen 
wiederhallte, in sie drängend wie ein Strom, so dass 
sie ihr das Rätsel fast entrieten und, von ihrer Ahnung 
überwältigt, Wahrheiten stammelten — in undurchdring- 
lichen Worten. 

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islslstslsftsftsfslsls 



Da fiel mir — an schattend schauerlich un- 
zusammenhängend — der Don Juan ein! 

War etwa hier ein Gegensatz? — War hier 
etwas, was sich deckte? 

Ich weiss es nicht. — Aber mit einem Male begriff 
ich, wie sich der Zauber und die Tragik im Dasein 
zweier Geschlechter in jener dunklen Gestalt und ihren 
Opfern sublitnieren kannte, und ich begriff den klärenden 
Schein, den Mozart um sie wob. 

Trat in diesem Wesen irgend ein verborgenes Gesetz 
in Kraft und blieb das nie Erreichte auf weit ab- 
liegender Bahn und keinem fuglichem Gebiet verwiesen? — 

Lag etwa im Blicke der Veleda jene Ruh', die 
Don Juan in jedem schönen Auge suchte, jenem andern 
Zuge folgend, der die Liebe so unendlich adelt? — Und 
lag seine eigne Gewalt in seiner eignen Sehnsucht? - 



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DAS TRAUMBUCH. 



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DAS TRAUMBUCH. 



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Man wirft mir so gerne vor, dass ich nicht 
schreibe! — 

Aber erstens! 

Und zweitens gekört hiezu doch auch eint leid- 
liche Erfindungsgabe, und ich bin nur deshalb so leicht- 
gläubig, weil ich auf das Gegenteil von dem, was man 
mir sagt, von selbst gar nicht gerate; eine solche Ver- 
anlagung ist nicht eben produktiv! 

Über Gegebenes, Menschen wie Dinge, kann ich 
lange und eindringlich nachdenken, nur muss ich sie 
haben! — Aus der Luft greife ich nichts, denn eine 
unübersteigbare Kluft trennt mich von jener Fähigkeit 
zu schaffen, die so beglückend und erhebend sein muss 
und wohl deshalb so selten ist. 

Die einzige Genugthuung jedoch, welche mir diese 
endlich errungene Erkenntnis bot, war, dass ich mich 
frei sprechen konnte von aller Schuld, wenn keine 
Gedichte und keine Romane aus meiner Feder flössen, 
denn wie viel besser wusste ich als alle andern, dass 
ich keine zu stände brachte! 

Als ich aber hierüber noch nicht im Reinen war 
und mir die Menschen so manches versicherten, was 
mich nicht überzeugen konnte und doch sehr verdross — 



fasste ich einmal einen verzweifelten Plan, den ich auf 
die äusserste Spitze treiben wollte und einem Mann von 
Fach zu eröffnen beschloss. 

Ich Hess mich bei ihm meldin und erhielt einige 
Tage darauf ein zierliches Briefchen, worin er mich 
auf sein Landgut zu einer Unterredung berief. 

Nun hatte ich nachts bevor, folgenden Traum: Ich, 
die nie im Leben geritten war, sass plötzlich hoch zu 
Ross, ritt andern Reitern, die mich beschworen ein- 
zuhalten, voran, Hess mich dann langsam herabgleiten 
und stieg die Treppe zu unserm Hause hinauf 

Dann erwachte ich. — Da jedoch dieser Traum 
sehr lebhaft in meinem Gedächtnisse haften blieb, so 
schlug ich in meinem Traumbuch nach, ob eine Deutung 
darauf stünde und las folgendes: » Unterlasse nicht, 
was du vorhast!« Mir aber kam diese Weisung wirk- 
lich wie gerufen, denn schon lange wollte ich einen recht 
flagranten Beweis in Händen haben, der mich von 
niewer Leichtgläubigkeit endgültig kurierte. Derselbe 
Abend sollte mich ja noch belehren! 

Dann verliess ich mein Haus und nahm den Zug. 

Das Wetter war leuchtend, und zuletzt f ührte mein 
Weg auf einem schmalen Fusspfad durch ein hohes 
Kornfeld. 

Ganz ergriffen hielt ich da inne; denn die Welt 
war an diesem Tage zu schön, ihr Schein zu un- 
beschreiblich / 

Ovid's Verwandlungen berührten mich mit einem- 
male als naturgemäss, und mir war, als würde ich 

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selbst zu jenem singenden, Stimmenden Kornfeld, so sehr 
entzückte mich gerade an dieser Stelle das goldene Leben 
unserer Erde. 

Doch nur wenig Schritte trennten mich von der 
Besitzung, in der meine Autorität hauste, und nun 
erschien mir mein Plan erst recht in seiner ganzen 
Unausführbarkeit. 

Eine Stunde später ging ich denn auch sehr ge- 
messen denselben Weg wieder zurück: Zuerst war der 
Mann von Fach sehr ernsthaft drei Schritte zurück- 
gewichen und hatte mich angestarrt. — Aber in sein 
langes herzliches und eindringliches Lachen musste ich 
am Ende doch einstimmen. 

Träume ! dachte ich nun und wurde nachdenklicher 
mit jedem Schritt, denn manches schien mir doch recht 
befremdend auf der Welt. 

Wie kam es zum Beispiel, dass die Alten, diese 
klugen, spöttischen Griechen, denen die Wirklichkeit so voll 
genügte, solche Acht auf ihre Träume hielten, dass die 
Geschichte selbst sie uns ganz ernsthaft mit Daten und 
Thatsachen bringt? Vor jedem Schlachtenberichte stehen 
sie da als Avantgarde, und jeder Feldherr klügelt über 
den seinen! 

Nun denke man sich nur einen modernen Ge- 
schichtsschreiber Napoleons oder Bismarcks Träume 
und dann zum Schluss noch seine eignen verzeichnend. 
Und das mit der gebietenden Miene eines Plutarch! 

Wäre es möglich, dass hier etwas dahintersteckte 
und es uns verloren ging? 

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Sonst dienen uns doch die Alten so gerne als 
Vorbild, 

Wer aber würde sich heutzutage mit derlei be- 
fassen? Die eigentliche Bibliothek des Traumbuchs 
ist die Küche geworden und geschwätziges oder un- 
gebildetes Volk beratschlagen es. Nur ich besass noch 
eins, kraft jener Erfindungsunfähigkeit, jener Sucht zu 
glauben, und auf glaubwürdiges zu lauern. Alle 
Exzesse und Irrtümer stehen da offen. 

So dachte ich, von dem wogenden Kornfeld nicht 
länger impressioniert, im Dämmerlichte des sinkenden 
Tages einhergehend und eignem Grübelns. 

Da plötzlich unerwartet, ungeahnt — stand vor 
meinen bestürzten Augen nicht das Gelingen meines 
Planes — eine andre Erfüllung, die meinen Traum 
wachrief wie mit einem langgedehnten Ruf, und wie 
einen kalten Hauch empfand ich meine eigne Blässe, 



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MUSIKALISCHES. 



MOTTO: Wollen uir hoffen? 

Richard Wagner, X. Band. 




EINE MUSIKALISCHE 
BETRACHTUNG. 



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Vor einem mit Plakaten reich übersäten Kioske 
innehaltend, sagte kürzlich einer zu seinem Freunde: 

»Sieh doch die vielen Konzerte! Bis über die 
Wände hinaus klettern die Annoncen!^ 

»Das ist schön. U rief der andere. »Da hast du 
unser liebes kunstsinniges München!^ 

»Ja, da hast dusl* brummte wieder der eine. 

Und wie es so geht auf dieser Welt, als sie eine 
kleine Strecke weiter gegangen waren, fingen sie fürchterlich 
zu streiten an. In der Hitze jedoch gebieten wir selten 
über die überzeugenden Worte, selbst wenn wir im Rechte 
sind, und grad ein Philister hat da oft leichtes Spiel. 

Hier siegte denn auch der, dem beim Anblick der 
vielen Plakate das Herz freudiger schlug, und selbst- 
bewusst und heiter kehrte er nach Hause zur Gattin. 

Aber wie verdrossen ging der andre heim! Fiel 
ihm doch jetzt erst alles ein, was er im Eifer nicht 
fand; und wie sicher gestaltet sich nun seine Rede in 
den dunklen Strassen! 

Immer feuriger ging er einher, als müsste er 
Schritt halten mit seinen Gedanken, und sah recht 
närrisch dabei aus! 

Hier sei auch mir eine Bemerkung gestattet : Wage 

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ich mich zwar jetzt mit dem Sprüchwort : Kinder und 
Narren etc. vor, so werde ich allerdings dem Vorwurf 
grosser Alltäglichkeit nicht entgehen, bringt uns heute 
doch fast jeder Plato's finstre Höhle (die Höhle, ach, 
du lieber Gott, in der wir alle so gemütlich sitzen!), 
oder citiert jene grosse Neuigkeit von dem grössten 

Tragiker, nicht wahr, der zugleich etc Denn 

nur in solchen und ähnlichen Reminiscenzen ergehen 
sich nunmehr unsere gewandten Bücher und halten 
streng an die Devise unsres Jahrzehnts: 

* Kaviar für Alle;.. 
Vollends Sprüchwörter l 

Gut, so will auch ich das meine nicht zu Ende 
sagen, doch bitte ich euch, lasst uns hören, was der 
Narr erzählte: 

»Wie alt<L, rief er, »wie alt ist doch die Klage 
nach entschwundenen Zeiten! Kein Zauber beschwört 
Vergangnes herauf! Wie der Regen, den die Erde so 
begierig trinkt, um dann wieder trocken zu werden 
und hart, so verschwinden spurlos nicht geträumte, 
ach! erfüllte Ideale von der Welt! 

Wer ist es gewahr^ dass Schritt für Schritt das 
Licht fällt, dass Kühle und Dunkelheit überroll ein- 
brechen, dass rasch und unbemerkt eine Epoche von uns 
scheidet? — Erst wenn sie sich x ganz unsem Augen 
entrückte, erst dann wird die Verlorne im wahren Relief 
vor uns stehen. Aber wie Walther von der Vogelweide 
um zartere Minne, so werden wir umsonst darum klagen! 
Und inzwischen stellen wir uns blind und taub und 

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lassen die Verwilderung um sich greifen! Nur ein 
sehendes Auge sieht die verlöschenden Fackeln, und nur 
dem feinen Ohre ist das wirre Gekreische vernehmbar.* 

(Schade, dass der Mann seine Reden nicht schön und 
symetrisch aufzubauen wusste! Seine Gedanken machten 
wilde Sprünge, und kamen dann im Bogen wieder.) 

»Wisst ihr, « rief er da plötzlich, » dass jener that- 
sächliche Plan, sich per Eisenbahn bequem auf die 
Jungfrau zu begeben, nichts arideres ist als ein Symbol 
unsrer Zeit? 

Denn nichts Höheres bedeuten unsre täglichen Kon- 
zerte, unsre Drehorgelorchester, und unsre ganze nivel- 
lierte Kunst. Überall ist der Pöbel ausgebrochen, zwar 
ein wohlgenährter, gut gekleideter und siegreicher Pöbel, 
aber erst recht der des Coriolan! 

Es haben uns doch die Besten gesagt und die 
wenig Grossen bewiesen, wie aristokratisch die Natur ver- 
fährt, wie scheu und sparsam sie ihre vornehmste Blume, 
die der Kunst, auf ihren höchsten Gipfeln treibt, mir 
ganz Bevorzugten nach harter Mühe erreichbar. 

Was deutet uns ein zusammengepresster staubiger 
Büschel Edelweiss, an einer Strassenecke schreiend feil- 
geboten ? Aber steil wie das Edelweiss und geheimnissvoll 
wie die Aloe ist die Kunst! Pöbelhaft war es daher 
von uns, sie mit Gewalt erstürmen zu wollen, und ein 
grober und hässlicher Wahn lag dieser -»Massen- 
bewegung« zu Grunde. — 

Denn als wir allesamt anfingen sie zu duzen, was 
war da natürlicher, als dass uns die Kunst entfloh? 

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Ihren letzten müden Strahl, an dem wir zehren, halten 
wir nun für den * Margenschein kommender Acren lt, 
und keiner sieht, keiner weist auch nur von fern auf 
unsem deutlichen Perfall. 

Ob wohl je die Menschen vor einem solchen W ende- 
punkt gestanden sind? 

Ob ein ähnliches Phänomen die Griechen einst 
zu Grabe läutete? und ob nach Überwucherung der 
damaligen Kräfte ein ähnliches Schlingkraut die Erde 
überzog? 

Wer wüsste es zu sagen!? Blühten nicht damals 
die Redner und Bildhauer plötzlich in frecher Überzahl, 
just wie jetzt Kapellmeister und Solisten ? 

Ehe man sich dann versah, verklang das ganze 
hohe Lied in Düsterkeit und Barbarei. Sind wir etwa 
wieder da angelangt? — Das wäre wohl auch hier 
die Frage! 

y>Aber nichts wiederholt sieht, murmelte der Mann. 

Er war auf der Brücke angelangt, und der rasche 
Fluss schien ihm neue Einfälle zuzutreiben, denn er 
stand lange und sann, wie wohl der Mann beschaffen 
sein müsste, der unsre abwärts gehende Fahrt zu hemmen 
vermöchte und neues Land eroberte. 

Über diesen gewaltigen Geist dachte der gute Kerl 
lange nach und ging dann brav nach Hause. 



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NEMESIS. 

Eine zeitgemässe Betrachtung. 



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Dass die Welt ihre grossen Menschen so vielfach ver- 
kannte, trug besonders für die Kleinen schlimme Folgen. 

Denn die Grossen kommen über kurz oder lang 
darüber hinweg (seis nur, indem sie das Leben über- 
winden!), und ihre Landsleute halten dann frohlockend an 
ihre Namen als an ihr Eigentum fest ; und starben diese 
Grossen im Elend, so trägt das Schicksal und der Ein- 
zelne die Schuld, denn die Allgemeinheit rettet sich ja stets. 

Dass es das ewig selbe Spiel bleibt, übersieht man, 
und klüger wähnen sich die Menschen jedesmal geworden, 
wenn sie pietätvoll ihren grossen Toten Säulen, Monu- 
mente und Brunnen errichten. 

Aber die Rache gräbt unermüdlich, und alles rächt 
sich tausendfach! 

Weil der Flecken nun so klar am Tage liegt, wie 
taub und blind wir für uusre Helden waren — glaubt 
ihr, darum sei er getilgt und der urteilslose Unverstand 
samt seinen Folgen abgeschafft? 

Ein Unterschied ist freilich da : der Vielbescholtne 
krankt nunmehr an seinem üblen Ruf, darf nicht 
mehr schelten — wagt es nicht — und lässt geschehen. 
Flugs dehnen sich da kleine Menschen himmellang, und 
bleibt die Menge scheu vor ihren Produktionen, so ver- 
zagen sie nicht mehr, denn die berühmtesten Forbilder 

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schweben ihnen vor, und die Tradition der Verkannten 
haben sie ja für sich! 

» Wirklich! '& fragen sie mit einem unendlichen 
Lächeln, erneut Werk gefällt euch nicht?«* 

Da blickt einer zaghaft zum andern, und einer 
nickt, und kleinmütig nicken sie alle, denn sie sind die 
junge Generation und büssen für den Unverstand der 
alten: umgekehrt! 

Das grosse eine Merkmal des Schönen, dass es 
zwanglos um sich greifen und unfehlbar, sei ihre Zahl 
vorerst noch so gering, die Herzen treffen muss — auf 
dieses eine Merkmal, das doch zugleich auch unsre 
eigne Würde rettet, auf dies pochen wir nicht mehr, 
denn unsre Augen sind nicht unschuldig genug, und 
unsre Vergangenheit ist zu sehr getrübt! 

Den Lohn tragen wir nun davon ! Auf dem schonen 
Erdreich, dem wir keine Frucht entnahmen, schiesst 
das Unkraut so munter wie nur je empor, und auf 
geweihtem Acker kauert dieselbe alte Schlange! 

Und die grossen Menschen? 

Je nun, man weiss vorerst nie, wo sie stecken, und 
sie haben nach wie vor ihre MüK . Auch sind die 
Zeichen nicht günstig. Aber vielleicht wirft uns die 
Flut der Zeit wieder einen ans Land, der den Weg 
wüsste aus all den verschlungenen Pfaden heraus und 
sich zur Stunde grämt, weil ihn der breite Fluss des 
Irrtums überrauscht! 



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EINE SKIZZE ÜBER DIE 

STELLUNG DES KLAVIERS 
UND DER 
HEUTIGEN PIANISTEN. 



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Es ist in jüngster Zeit förmlich zur Redensart 
geworden, die Pianistenfrage kurz damit abzufertigen, 
indem man sagt: »Das Klavier interessiert mich nicht. « 
Was aber schlimmer ist wie Redensarten, und was 
mancher wohlgeschulte Pianist in München zu seinem 
bitteren Nachteil erfahren musste : Das Wort wird zur 
negativen That: er sieht nämlich sein Konzert mit 
knapper Not von Freunden und Bekannten, etlichen 
alten Leuten und den obligaten Kritikern besucht, die 
am nächsten Morgen ihr Bedauern über den »leeren 
Raum<k zu Drucke bringen — und das eigentliche 
Publikum bleibt weg. 

Der Künstler selbst wird diese seine moderne Un- 
popularität natürlich nicht ohne Erbitterung wahr- 
nehmen und sich nicht sehr erbaulich über die alte 
Musikstadt und ihr gepriesenes Entgegenkommen äussern. 

Nun gehe ich von jener alten paradoxalen Wahr- 
heit aus, dass sich zwar in der Masse Irrtum und 
Unverstand wie von selbst potenzieren, dass aber trotz- 
dem das Publikum in seinen Sympathien [recht behält, 
und es sich jedenfalls der Mühe lohnt, nach dem 
Grunde zu forschen, wenn es sich einer öffentlichen 
Kundgebung gegenüber hartnäckig abgeneigt verhält. 

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Ich möchte hierin für das Münchner Publikum sogar 
eine gewisse Unbeirrbarkeit beanspruchen, und gewiss 
birgt diese Stadt ein nennenswertes Kontingent wirk- 
licher Musikkenner. Ohne mit dem Finger darauf 
weisen zu können, fühlt man es bei Gelegenheit deut- 
lich durch, und dieses Kontingent sichert dort dem 
Grossen und Echten, selbst wenn es neu und ungewohnt 
ist, fast immer den Sieg. 

Nun ist München merkwürdigerweise eine geradezu 
pianistenfeindliche Stadt geworden, und ohne die Gründe 
ihrer Abneigung lange zu analysieren, ist sie ihnen im 
vornherein abhold; ja, die Pianisten zählen dort all- 
gemach zu den verdrossenen Typen, und es ist jetzt 
Mode, die einst so Gefeierten trotz ihrer bedeutsamen 
Haartracht zu ignorieren. 

Da jedoch eine Abneigung, um sich selbst gerecht 
zu werden, stets motiviert werden sollte, so sä hier der 
Versuch gemacht, die eigentümliche Stellung zu be- 
zeichnen, welche das Klavier heutzutage in künstlerischer 
Hinsicht einnimmt, und welche wir am besten gleich 
im voraus eine » schiefe Stellung«, nennen wollen, um 
das Wort später erläutert zu sehen. 

In der Musik sind wir anerkanntermassen das 
erste Volk der Welt. Was wir aber mit dem Klavier 
angefangen haben, oder vielmehr, was wir daraus 
werden Hessen, damit ist wieder einmal ein Beweis ge- 
liefert, wie leicht uns der simple gute Geschmack im 
Stiche lässt! 

Wir Deutsche stehen überhaupt mit dem Geschmack 

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und was er im höheren Sinne bedeutet: Formensinn 
und Grazie, auf etwas gespanntem, misstrauischem Fusse 
und fühlen uns nicht ungeneigt, dies alles als frivol 
zu taxieren. Kommt uns aber dann einmal der künst- 
lerische Takt abhanden, so sind wir uns zwar wohl 
unsres künstlerischen Ernstes, aber eben weil wir des 
Taktes vergassen, unsrer Schwerfälligkeit nicht bewusst — 
und nur so ist es möglich, dass ein Übel, ein grober 
Irrtum, der sonst unsrer ganzen Richtung widerspricht, 
sich auf eine wirklich ungeheuerliche Art auswachsen 
und verbreiten konnte. 

Auf besagte Weise ist nun in dem musikalischen 
Deutschland das Klavier von seiner ursprünglichen Be- 
stimmung abgekommen, hat sich eine Stellung angemasst, 
die ganz und gar nicht die seine ist, und wurde, nachdem 
es auf diesem neuen Boden das Publikum eine Weile 
verblüffte, von demselben verpönt. — 

Diesem beklagenswerten Verfall — die Folge rein 
äusserlicher Gründe — sollten wir nach Kräften ent- 
gegenwirken. 

Unsre grössten Klassiker haben nicht umsonst in 
edler Würdigung dieses Instruments ihre herrlichen 
Meisterwerke dafür geschaffen. Aber leider ist es ebenso 
wahr, dass sie dabei kaum einen unsrer modernen 
Pianisten, wie sie jetzt landläufig sind, als Exekutant 
im Auge hatten, noch dass sie dieselbe Idee vom Klavier- 
spiele hatten wie er! Eine ganz kleine Sylbe trennt 
hierin die alte von der neuen Zeit: Sahen unsre Meister 
im Klavier ein stets verfügbares! Mittel, die mannig- 

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fachsten reichsten Tongebilde auf dem dürftigen Holze 
zu resümieren und zur Wiedergabe zu bringen — ein 
ideales Abstraktum — ein unschätzbares Mittel zum 
Zwecke musikalischer /Reproduktion, so sieht hingegen 
der moderne Virtuos in seinem Instrument lediglich ein 
Produktionsfeld. Nicht Mittel ist es ihm, sondern 
Zweck, und zwar sich selbst will er produzieren! 
Über einen so unkünstlerischen Standpunkt ist weiter 
kein Wort zu verlieren. 

Nennt man mir aber Franz Liszt als Beleg für 
die Berechtigung des modernen Pianisten, so werde ich 
erwidern, dass er eine Einzelerscheinung, ein ganz 
für sich gehendes musikalisches Phänomen vorstellt 
wie die Duse etwa für die Bühne, beide aber in dieser 
Hinsicht gläch wenig berufen, Bahnen zu eröffnen, 
denn es sind künstlerische Typen, deren Wert und Reiz 
eben in ihrer Eigentümlichkeit beruhen. Liszt 's Mähne 
auf einem anderen Köpflein ist ebenso unbefugt, als es ver- 
mutlich die Mimik der Duse bei einer anderen Schau- 
spielerin wäre, denn auch diese findet ihre Berechtigung 
in einer ganz individuellen künstlerischen Beschaffen- 
heit, aber gewiss nicht als künstlerisches Moment! — 

Und dieser Vergleich, wenn er sich nicht voll- 
kommen deckt, mag immerhin dazu dienen, den Fall 
näher zu beleuchten: So wie die grosse Tragödin ihre 
eigne Individualität auf der Bühne in tausend Nuancen 
schillern und erklingen lässt, mithin nicht die eigent- 
lichen Heldencharaktere, wie sie unsre grossen Geister 
schufen, zur Gestaltung bringt, sondern auf dem näch- 

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sten, oft sogar dem nächstbesten Wege ihre ganz per- 
sönliche Empfindungsweise, ihre moderne Seele zur Mit- 
teilung bringt, so verlässt auch der Pianist auf dem 
klassischsten aller Instrumente das ursprüngliche Gebiet, 
und nicht so sehr musikalische Werke, als seine eigne 
Person führt er uns vor, um sie unsrer Aufmerksam- 
keit aufzudrängen. Die moderne Klavierlitteratur ist 
nicht anders als im engsten Bündniss mit jenem Irr- 
tum entstanden, den Virtuosen als Alleinherrscher vor 
seinem dadurch fraglich gewordenen Instrument hinzu- 
stellen, und beide hiemit zu vernichten. 

Denn wie thatsächlich das schönste Klavier unter 
den Jonglerien und der schaudervollen Gewandtheit 
eines Virtuosen zur unmusikalischen Plage wird, so 
denkt man auch heute unwillkürlich bei dem Worte 
»Musiker« an einen Geiger, Cellisten oder Sänger und 
nicht sobald an den Pianisten, der mitsamt seinem 
Instrument und seiner pompösen Spezial-Litteratur aus 
diesem Bunde ausgetreten zu sein scheint, seitdem er 
sich auf dem kolossalen Irrtum einschiffte, ein eignes, 
selbständiges Gebiet — die künstlich angelegte Klavier- 
see, zu befahren wähnte, und nun auf einer Sandbank 
festgesessen liegt, von der er nicht sobald wieder flott 
fährt, es sei denn, dass ihn die Musiker selbst wieder 
zu Ehren bringen und aus dem unförmlichen, verun- 
glückten Dampfer wieder jenes ideale Schifflein bauen, 
als welches es einst an einem mächtigen Baue festge- 
ankert lag, und mit ihm und durch ihn das unend- 
liche Meer der Töne zu befahren, die Fähigkeit erhielt. 



In diese seine ursprüngliche so edle und produktive 
Abhängigkeit sollten mir es zurückführen, da es in 
zDemuU so viel erreicht. Nur so könnte es seine alte 
Würde wieder erhalten, und in uns die alte Freude und 
die alte Begeisterung wieder erwecken. 



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Was auch kommen mag auf dieser Welt, immer 
gestaltet sich eine Zeit neu und ungeahnt. Unsre Erde 
trägt keine Propheten, und nur durch ihre Unergründ- 
lichkeit sind die Orakel so wahr. Wer erträumte wohl 
je das nächste Geschlecht? Woran keiner dachte, das 
geschieht, wo der Fluss am ruhigsten floss, dort tritt 
er über. 

Tausende von Jahren belehren uns nicht über ein 
einziges, das sich noch nicht entrollte, unzählige von 
Schicksalen lassen unser eigenes stets neu. Die Not- 
wendigkeit schafft mit ihren blinden Augen, zu Tage, 
andre Mächte fördern wieder, was ihr trotzt, und so 
liegt die Welt unausgefochten im Kampf. 

Oft schon, glaube ich, wurde als das grbsste Un- 
heil des Christentums das Pharisäertum erwiesen, jene 
unheilvolle Macht, die von Grund auf, anscheinend 
auf alle Zeiten, den Charakter verunstaltete, den das 
neue Zeitalter erhielt. Wie unendlich viel, und wie 
unendlich wenig das Dogma verrät, diese These wurde 
nie aufgestellt, die Pharisäer umstanden das neue, wie 
das alte Testament; und so wurde es uns verdunkelt 
bis zur Unkenntlichkeit und entfremdet. 

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Jenes Unwesen selbst, verlor aber im Laufe der 
Zeit alle Macht; und da es tief in der Erde sitzt und 
in den Menschen wohnt, sann es auf eine neue Stätte. 
Wo aber fand es den Boden, den es nun zu sterilisieren, 
das Ding, das uns nun zu entfremden galt? Wo 
anders, als da, wo das Gute hingeflüchtet war, un- 
angetastet, köstlich und steil, hoch über unsren Häuptern, 
und doch verborgen. Mit schlauem Zerstörungssinn 
erblühte es da inmitten der Kunst! 

Gut meinende Seelen, die aber vom Schweigen des 
Pythagoras nichts ahnten, hatten selbst dem verderblichen 
Heere die schmale Bresche verraten und wurden die 
ersten Pfähle auf jenem schrecklichem »chetnin battu«, 
den jetzt die Mode so verwegen und unbefangen betritt. 

Hier müssen wir einen Augenblick zurückgreifen. 
Bekanntlich war es Grillparzer, der Beethoven 's Grab- 
rede hielt; nun wurden ihm kurzsichtigerweise und 
nach Wagners Erscheinen folgende Worte daraus noch 
nachträglich verwiesen : 

»Beethoven 's Nachfolger«, schloss der unmusikalische 
Dichter«, wird von vorn anheben müssen, denn er selbst 
hat geendet, wo die Kunst endet.« Und dabei ahnte 
Grillparzer wohl gar nicht, wie wahr er sprach! 

In der That hub Beethoven' s Nachfolger von vorne 
an und erklomm einen Berg, um auch er — und dies 
ist bedeutsam — zu enden, wo die Kunst endigt. 

Wo sie aber zu Ende ist, dort behauptet wie eine 
wahnsinnige tote Karrikatur die heutige Musik ihren 
unredlichen Platz. 

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Wagner, dieser einfache Mann, der ohne Stil, nur 
von Gedanken gedrängt, sie so gross und unschuldig 
niederschrieb, hätte er doch den Missbrauch seiner tiefen, 
weittragenden Worte geahnt. — Mit Siegeln nur hätte 
er dann seine Bücher vermacht! 

Denn die göttlich stillen Seen, die ein Adler er- 
schaute, sind nun ihrer Einsamkeit entweiht und von der 
lauten Menge umlagert. Eine so schauderhafte Vulgari- 
sation, eine so triviale Gier, hohe Gefilde zu um- 
formen, hat sich ihrer bemächtigt, dass alles Urteil be- 
fangen liegt, und keiner seine eignen Worte mehr spricht. 
Die Halbgebildeten, die Ungebildeten, sie stürzen alle 
voran. In dieser eitlen Wut ist jedes Unterscheidungs- 
vermögen gelähmt, einer ist der schwächere Abdruck 
des andern, und alle halten sich krampfhaft an die- 
selbe Schnur. Nie aber verklingt das letzte hohle 
Wort! 

Ein Abhang im Schatten, ein Fels in der Dämme- 
rung tönt voller als heutige Musik! 

Ach! käme doch einer, der unsre Geheimnisse 
in ihre alten Schleier hülle, bis wir gelernt haben, sie 
wieder zu verschweigen. 

Fielleicht werden wir dann die Früchte ernten, 
die wir so jäh herunterrissen, vielleicht gelangen wir 
dann auf Umwegen ans Ziel, vielleicht erschliessen sich 
uns dünn neue Aussichten, ein neues Land und neue 
Bewandtnisse. 

Betrachten wir es genau: Das hehrste Sujet der 
Menschheit haben unsre grossen Geister scheu umschifft, 

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und ihre unbeschreiblich zarte Jüngerschaft haben sie 
nicht gesagt oder nicht zu sagen vermocht. 

Wir aber wissen wohl in aller Stille, dass durch 
sie von Ferne eine Gestalt sich uns nähert, die uns so 
unerklärlich und unf assbar bleibt. 

Wir fühlen in der beglückenden Harmonie eines 
Plato, in Shakespeare 's Tiefe, in Goethe's Erhabenheit, 
im Fluge Beethovens, in Mozart' 's Klang, in Wagner' 's 
Blick, in der Sensibilität eines Schopenhauer (um ein- 
mal all die armen Abgedroschenen zu nennen!); wir 
fühlen, dass aus allen grossen Gemütern etwas ausgeht, 
was uns mit einer seltsamen Ahnung durchschauert 
betreffs eines, Gott sei Dank, noch nicht zu oft ge- 
nannten Namens. 

Aber welches Genie schwänge sich auf eine so 
schwindliche Brücke und ergriffe den intangibelsten 
aller Fäden?! — 



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