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Full text of "Memoiren aus dem spanischen freiheitskampfe 18081811 Ludwig von GrolmannAlbert Jean Michel RoccaMoyle ShererHeinrich von BrandtHenri DucorDon Juan Andrés Nieto Samaniego"

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Memoiren  aus 
dem 

spanischen 

freiheitskam... 

1808-1811 


Kircheisen,  Ludwig 
Theodor  Dietrich  ... 


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Memoiren  aus  dem  spanischen 
Freiheitskampfe 
1808-1811 


Ausgabe  A 


Bibliothek 
wertvoller  Memoiren 

Lebensdokumente  hervorragender 
Menschen  aller  Zeiten  und  Völker 

Herausgegeben  von 

Dr.  Ernst  Schultze 

7.  Band 


Hamburg 

Gutenberg-Verlag 

1Q08 


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Memoiren  aus  dem 
spanischen  Freiheitskampfe 
1808—1811 


Ludwig  von  Grolmann  -  Albert  Jean  Michel  Rocca  — 
Moyle  Sherer- Heinrich  von  Brandt- Henri  Ducor  — 
Don  Juan  Andres  Nieto  Samaniego 


Bearbeitet  von 

Friedrich  M.  Kircheisen 


1  —  3.  Tausend 


Hamburg 

Gutenberg-Verlag 

1908 


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fr  3  ^6 


Alle  Rechte 
vom  Verlag 
vorbehalten 


Cool 


Buchschmuck-Leisten  von 
Paul  Helms,  Hamburg  und 
Ernst  Liebermann,  München 


I>nic%  von  C.  Grambach  Eil  Leipzig 

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Inhaltsverzeichnis 

Inhaltsverzeichnis   s 

Vorwort  zu  der  »Bibliothek  wertvoller  Memoiren« 

von  Dr.  Ernst  Schultze   9 

Memoiren  aus  dem  spanischen  Freiheitskampfe  1808 

bis  1811  von  Friedrich  M.  10 rch eisen  .  ...  15 
Gesamteinleitung  von  Friedrieh  M.  Kircheisen    .   .  n 

1.  Ludwig  von  Orolman:    Aus  dem  Tagebuche 

eines  deutschen  Offiziers  über  seinen  Feldzug 

in  Spanien  1808    25 

Vorwort  von  Friedrich  M.  Kircheisen   27 

1.  Kapitel:  Der  Marsch  über  die  Pyrenäen   30 

2.  Kapitel:  Ankunft  der  großen  Armee.  Treffen  bei  Vitoria 

und  Bilbao   42 

3.  Kapitel:  Gefechte  bei  Valrnaseda,  Espinosa  und  Quintanilla  50 

4.  Kapitel:  Der  Escoria!.  Truppenschau  unter  Napoleon. 
Madrid   73 

5.  Kapitel:  Talavera.  Haft  der  Einwohner.  Übergang  über 

den  Tajo   88 

6.  Kapitel:  Rückmarsch  über  den  Tietar.  Szenen  in  dem  der 
Wut  des  Kriegers  überlassen en  Arenas.  Abberufung  aus 
Spanien  103 

2.  Albert  Jean  Michel  Rocca:  Memoiren  über  den 

Krieg  der  Franzosen  in  Spanien   113 

Vorwort  von  Friedrich  M.  Kircheisen   115 

1.  Kapitel:  Schlacht  bei  Burgas.  Einnahme  Madrids.  Valla- 
dolid.  Schlacht  von  Medellin   118 

2.  Kapitel:  Verfolgung  des  spanischen  Parteiführers  Marquis 
von  Portiere.  Kämpfe  in  Andalusien.  Rückkehr  nach 
Frankreich   149 

3.  Moyle  Sherer:  Kriegszüge  in  Portugal  und  Spanien  189 
Vorwort  von  Friedrich  M.  Kircheisen   191 


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1.  Kapitel :  Ankunft  der  englischen  Truppen  in  Lissabon. 
Land  und  Leute  in  Portugal.  Marsch  der  Engländer  nach 
Spanien  193 

2.  Kapitel:  Rückkehr  zum  Regiment.  Leben  im  Felde.  Krieg- 
führung der  Spanier.    Französische  Gefangene.  Gefecht 

bei  Buzaco  211 

3.  Kapitel:  General  Beresford  übernimmt  den  Befehl  Über 
Hills  Korps.  Reitergefecht  bei  Campo  Major.  Belagerung 
von  Oliyenzi  und  Badajoz.  Oefechte  bdAttwera  und  in 

den  Felsen  von  Montamm-i.    ALibi/rufiiiii;  nai-h  F-n.tjlaniJ  2j3 

4.  Kapitel:  Riie'.  :i  Portugal. 
Ein  Besuch  ja  Madrid.    Ruckzug  aus  der  Gegend  von 


Madrid.    Winterquartiere  256 

5.  Kapitel:  Übergang  über  den  Dnero.  Scharmützel  bei  Hör- 
masa.  Zerstör;  i;-  rgjg.  Schlacht  bei  Vitoria. 

Oefechte  auf  da  mahrne    .  266 


4.  Heinrich  von  Brandt:    Erinnerungen  aus  dem 

spanischen  Feldzug  279 

Vorwort  van  Friedrich  M.  Kircheisen  281 

1.  Kapitel:  Ankunft  der  Armee  in  Spanien.  Schlacht  von 
Tudela  1803.  Zweite  Belagerung  von  Zaragoza  1303— 1809  284 

2.  Kapitel:  Auimarsch  aus  Zaragoza  mit  der  Brigade  Habcrt. 
Oefechte  gegen  Perefia.  Besetzung  von  Monzon.  Rück- 
zug auf  Barbastro.  Rückmarsch  nach  Zaragoza.  Schlacht 
von  Santa  Maria  (15.  Juni  1809).    Schlacht  von  Belehrte 

(18.  Juni  1809).    Verfolgung  des  Feindes  auf  Adaniz .    .  323 


3.  Kapitel:  1809.  Ausbrechen  des  allgemeinen  Aufstandes  in 
Aragonien.  Kämpfe  mit  den  Guerillas.  Einnahme  von 
Nuestra  Senora  del  Aguila.  Besetzung  von  Paniza.  Be- 
setzung von  Almunia.  Oefechte  bei  El  Frasno.  Besetzung 
von  Calalayud  unter  General  Chlopicki.  Exkursionen  in 
die  Sierra  de  Molina.  Ein  kurzer  Liebestraum.  Abmarsch 
nach  der  Ribera  von  Daroca.  Einnahme  von  Nuestra 
Senora  del  Tremedad  am  25.  November  347 

4.  Kapitel:  1809—1810.  Streifeüge  in  der  Ribera  von  Darocs. 
Besetzung  von  Teruel  1809.  Marsch  nach  Almunia.  Rück- 
kehr nach  Calatayud.  Marsch  nach  Teruel.  Eintreffen 
des  Generals  Suchet  daselbsL  Besetzung  von  Teruel  1810. 
Oefecht  von  Villel.  Schwere  Verwundung.  Verunglückte 
Expedition  Suchets  nach  Valencia.  Belagerung  von  Teruel 
durch  Villacamua.  Heldenmütiger  Widerstand  der  Be- 
satzung. Entsatz  durch  die  von  Valencia  zurückkehrenden 
Truppen  379 


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5.  Kapitel:  1810.  Vereinigung  mit  der  Division  LevaL 
Märsche.  Emireifen  vor  Tortosa.  Blutiges  Oeiechl  an 
dem  Brückenkopf.  Teilweise  Einschließung  von  Torlosa. 
Die  Eskortierung  des  erkrankten  Generals  LewJ  nach  dem 
Hauptquartier.  Zug  nach  Beceyte.  Zerstörung  der  Stadt 
Gefecht  in  der  Pefla  Oolosa.    Auienthalt  im  Lager  bis 

Mitte  Dezember  396 

6.  Kapitel:  1810—1811.  Übergang  über  den  Ebro  bei  Jerta. 
Belagerung  von  Tortosa.  Eröffnung  des  Artilleriefeuers. 
Beginn  der  Unterhandlungen.  Energisches  Benehmen 
des  Generals  Suchet  Schwache,  unentschlossene  Hand- 
lungsweise des  Oouvemeurs.    Übergabe  der  Festung. 


Transport  der  Gefangenen  nach  Bayonne   .....  416 

5.  Henri  Ducor:  Gefangenschaft  und  Flucht  auf  den 

spanischen  Pontons  427 

Vorwort  von  Friedrich  M.  Kircheisen  429 

Leben  und  Leiden  auf  den  spanischen  Pontons.  Spanischer 
Fanatismus.  Bestürmung  des  Gefängnisses  von  Cabrera 
durch  die  Bewohner.  Flucht  431 

6.  Don  Juan  Andres  Nieto  Samaniego:  Belagerung 

von  Oerona  467 

Vorwort  von  Friedrich  M.  Kircheisen  469 

Belagerung  von  Oerona  471 


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Vorwort  des  Herausgebers 
zu  der 

Bibliothek  wertvoller  Memoiren 


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Seit  die  Menschen  in  staatlicher  Gemeinschaft  leben, 
haben  sie  dem  bunten  Wechsel  der  Geschehnisse,  den 
wir  „Geschichte"  nennen,  Interesse  zugewandt  In  ältester 
Zeit  waren  es  die  Stamm  es -Sagen  oder  Erzählungen  von 
Heldentaten,  was  die  Seelen  fesselte  und  erregte;  so 
ünden  wir  bei  allen  Völkern  den  Beginn  der  Dichtkunst 
durch  die  Entstehung  von  National-Epen  bezeichnet,  von 
denen  viele  noch  heut  unvergänglichen  Reiz  ausüben. 
Später  entstand  die  Geschichtsschreibung,  noch  später  die 
Geschichtswissenschaft,  die  kühl  und  unbestechlich  auf- 
zuzeichnen sucht,  wie  sich  die  Handlungen  der  Menschen 
zu  dem  wechselnden  Spiel  und  dem  blutigen  Ernst  der 
Geschehnisse  zusammenfügten,  und  wie  sie  so  die  Grund- 
lage aller  späteren  Geschichte  —  also  auch  der  unsrigen: 
—  wurden. 

Aber  neben  dem  ruhigen  Strome  dieser  kühlen,  leiden- 
schaftslosen Geschichtsschreibung  läuft  ein  anderer  Lite- 
raturquell frisch  sprudelnd  einher,  von  jener  viel  be- 
nutzt, weil  sie  ihn  gar  nicht  entbehren  könnte:  die 
Schilderung  eigener  Erlebnisse.  Im  klassischen; 
Altertum  noch  selten  geübt,  im  Mittelalter  wenig  gepflegt, 
kam  diese  Kunst  erst  in  den  letzten  drei  Jahrhunderten; 
zu  wirklich  voller  Entfaltung.  Staatsmänner  und  Feld- 
herren, Volksführer  und  -Verführer,  Eroberer  und  Ent- 
decker, Gelehrte  und  Künstler,  hervorragende  Frauen,  ein- 
fache Bürger  und  Soldaten  —  kurz  alle,  deren  Leben 
Elemente  enthielt,  welche  für  weitere  Kreise  Interesse 
bieten,  haben  einzelne  Episoden  ihres  Lebens  oder  auch 
ihren  ganzen  Lebenslauf  beschrieben;  oder  sie  haben  ihre 
Beziehungen  zu  berühmten  Persönlichkeiten,  denen  sie 
nahe  standen,  geschildert  und  uns  Einblicke  in  deren 
Leben  tun  lassen.  Viele  Tausende  solcher  Bücher  sind 
der  Nachwelt  überliefert  worden,  und  reicher  als  je  blüht 
dieser  Literaturzweig  in  der  Gegenwart. 

Für  die  Wissenschaft  der  Geschichte  (insbesondere 
der  Kulturgeschichte)  ist  er  von  unschätzbarem  Werte,  so 
vorsichtig  selbstverständlich  bei  der  Benutzung  einzelner 
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Memoirenwerke  verfahren  werden  muß.  Denn  natürlich 
drängen  sich  off  genug  Eigenliebe,  verletzte  Eitelkeit,  Un- 
wille über  arge  Behandlung,  Enttäuschung  über  uner- 
füllte Hoffnungen  oder  der  Wunsch,  sich  weiß  zu  waschen, 
vor  die  klare  und  gerechte  Schilderung  der  wirklichen 
Vorgänge  und  trüben  die  Zeichnung  mehr  oder  minder 
stark.  Aufgabe  der  Geschichtswissenschaft  ist  es,  solche 
gewollten  und  ungewollten  Entstellungen  nachzuweisen 
und  unparteiisch  das  wahre  Gesicht  der  Geschehnisse 
wiederherzustellen. 

Anderseits  sind  Memoiren  zuweilen  geradezu  die 
einzige  Quelle,  aus  der  sich  über  die  Geschichte  be- 
stimmter Zeiträume  überhaupt  schöpfen  läßt.  Und  was 
vielen  Memoiren  einen  so  besonderen  Reiz  verleiht  — 
einen  Reiz,  den  nur  verhältnismäßig  wenige  Werke  der 
reinen  Geschichtswissenschaft  ausüben  können  —  das  ist 
die  Anschaulichkeit  und  der  Stimmungsgehalt,  die 
von  ihnen  ausströmen.  Wir  mögen  schon  aus  den  Werken 
der  Geschichtsschreiber  ersehen,  welche  verheerenden 
Wirkungen  ein  Krieg  über  die  Lande  brachte,  wie  ein  ganzes 
Volk  sich  heldenmütig  gegen  den  Untergang  wehrte,  oder 
wie  in  Friede nszeiten  Wohlstand  und  Gesittung  sich 
mehrten.  Mit  wieviel  greifbarerer  Deutlichkeit  aber  er- 
kennen wir  dies  alles,  wenn  wir  aus  einer  guten  Selbst- 
biographie anschaulich  erfahren,  wie  diese  Ereignisse  dem 
Einzelnen  das  Schicksal  bitter  oder  angenehm  machten. 
Das  Leben  und  Treiben  in  Stadt  und  Land,  gewaltige  Un- 
glück ssch läge,  die  auf  ein  Volk  herniederfielen,  die  Ge- 
danken und  Ansichten  eines  Zeitalters,  seine  Art,  sich  zu 
freuen  und  Leiden  zu  tragen,  seine  Geselligkeit  und  seine 
öffentlichen  Einrichtungen  —  kurz  interessante  Begeben- 
heiten sowohl  wie  eigenartige  Zustände  treten  uns  mit 
besonderer  Klarheit  vor  Augen,  wenn  sie  uns  von  Augen- 
zeugen geschildert  werden. 

Häufig  rühren  wertvolle  Memoiren  von  Menschen 
her,  die  an  ihrem  Lebensabend  auf  ein  an  Schicksalen 
und  Erlebnissen  überreiches  Leben  zurückblicken,  und 
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denen  doch  unter  der  Schneelocke  noch  ein  jugendliches 
Herz  schlägt  Und  wenn  wir  auch  nicht  den  geringsten 
Grund  haben,  über  die  Oeschichts Wissenschaft  unserer 
Tage  so  schroff  zu  urteilen  wie  Goethe  über  die  Ge- 
schichtsschreibung seiner  Zeit,  für  den  sie  „etwas  Leichen- 
hartes",  „den  Geruch  der  Totengruft"  an  sich  hatte  — 
so  bleibt  doch  auch  jetzt  für  die  Mehrzahl  der  Gebildeten 
bestehen,  was  er  von  sich  über  die  starke  Anziehungskraft 
berichtete,  die  „alles  wahrhaft  Biographische"  auf  ihn 
ausübte.  In  jeder  Selbstbiographie  sah  er  eine  will- 
kommene Bereicherung  unseres  Wissens  vom  Menschen, 
und  über  den  Benvenuto  Cellini,  den  er  selbst  bearbeitete, 
äußerte  er:  „Er  ist  für  mich,  der  ich  ohne  unmittelbares 
Anschauen  gar  nichts  begreife,  von  größtem  Nutzen;  ich 
sehe  das  ganze  Jahrhundert  viel  deutlicher  durch  die 
Augen  dieses  konfusen  Individui  als  im  Vortrage  des 
klarsten  Geschichtsschreibers." 

Auch  Schiller  hat  den  Wert  guter  Memoiren  un- 
gemein hoch  veranschlagt.  Viele  Jahre  seines  Lebens  hat 
er  eine  bändereiche  „Sammlung  historischer  Memoires" 
herausgegeben,  und  wenn  diese  heute  auch  fast  ganz 
vergessen  ist,  so  ist  doch  das  Interesse  für  wertvolle 
Memoiren  geblieben. 

Um  so  sonderbarer  mag  es  anmuten,  daß  in  keinem 
Lande  der  Welt  seither  der  Versuch  unternommen  wurde, 
die  wertvollsten  Memoiren  aller  Zeiten  und  Völker 
in  einem  Sammelwerke  zu  vereinigen.  Wohl  gibt  es  eine 
Sammlung  von  Memoiren  zur  französischen  Geschichte 
—  wohl  eine  solche  zur  Geschichte  der  französischen, 
eine  andere  zur  Oeschichte  der  englischen  Revolution  — 
wohl  eine  Anzahl  anderer  Memoiren  Sammlungen  —  aber 
eine  umfassende  Sammlung  aus  der  ganzen  Weltliteratur 
ist  nicht  wieder  unternommen  worden.  Sie  ist  nicht  leicht 
herzustellen  —  und  je  geringeren  Umfang  sie  haben  soll, 
desto  schwerer.  Aber  sie  kann  von  allergrößtem  Interesse 
für  jeden  sein,  für  den  lebendige  Schilderungen  aus  Ge- 
schichte und  Kulturgeschichte  Reiz  besitzen. 

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Es  soll  nichts  in  diese  „Bibliothek  wertvoller 
Memoiren"  Aufnahme  finden,  was  nicht  allgemein 
menschlich  interessant  ist;  einem  Erzähler,  der  für  sich 
selbst  kein  Interesse  zu  erwecken  vermag  —  zu  welchem 
Zwecke  er  doch  keineswegs  beständig  im  Vordergründe 
zu  stehen  braucht  —  wird  sie  sich  nicht  öffnen.  Auch, 
wer  mit  der  Wahrheit  leichtfertig  umspringt,  mag  draußen 
bleiben.  Kleine  Irrtümer  werden  die  Bearbeiter  der  ein- 
zelnen Bände  in  Anmerkungen  richtig  zu  stellen  suchen, 
von  denen  auch  sonst  (zur  Aufklärung  schwieriger  Stellen, 
zur  Erläuterung  wenig  bekannter  Ort-  und  Zeitumstände) 
Gebrauch  gemacht  werden  wird.  Einleitungen  sollen  das 
ihrige  zu  demselben  Zwecke  beitragen.  Einzelne  Sätze 
oder  größere  Teile,  die  wenig  Interesse  bieten  und  ohne 
Schaden  für  das  Ganze  entbehrt  werden  können,  werden 
fortgelassen  werden.  Denn  die  „Bibliothek  wertvoller 
Memoiren"  ist  mehr  für  den  gebildeten  Laien  bestimmt  als 
für  den  Historiker  von  Fach,  der  doch  immer  nach  den 
Originalen  selbst  greifen  muß. 

Kein  Volk  hat  eine  reichere  Memoirenliteratur  ge- 
schaffen als  die  Franzosen.  Aber  auch  die  Deutsehen,  die 
Engländer,  die  Italiener,  die  Spanier,  einzelne  orientalische 
und  manche  andere  Völker  besitzen  köstliche  Lebensdoku- 
mente einzelner  Männer  und  Frauen.  Nur  ist  eben  vieles 
davon  —  selbst  für  das  eigene  Volk  —  so  vom  Staube  der 
Jahrzehnte  oder  Jahrhunderte  überdeckt,  so  gänzlich  in. 
Vergessenheit  geraten,  daß  eine  Wiederbelebung  nötig; 
ist.  Welche  Schätze  in  diesen  vergessenen  Me- 
moiren schlummern,  das  werden  schon  einige  der 
ersten  Bände  dieser  Sammlung  zeigen.  Hoffentlich  er- 
regen sie  das  gewünschte  Interesse  und  erfüllen  damit 
ihren  Zweck:  die  Neigung  für  die  Beschäftigung  mit  Ge- 
schichte und  Kulturgeschichte  zu  stärken  und  Hunderten 
Wissensdurstiger  Stunden  interessanter  Belehrung  zu  ver-. 
schaffen. 

Hamburg-Großborstel.         Dr  Ernst 

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Memoiren  aus  dem 
spanischen  Freiheitskampfe 
1808-1811 


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Einleitung. 

Die  Ursachen  der  Niederlagen  Napoleons  werden  ver- 
schiedentlich gedeutet.  Die  einen  —  und  ihre  Zahl  über- 
wiegt —  meinen,  der  russische  Feldzug  im  Jahre  1812 
und  der  Verlust  der  großen  Armee  habe  seinen  end- 
gültigen Sturz  vorbereitet,  die  andern  — -  ihre  Zahl  ist 
geringer  —  glauben,  daß  das  spanische  Abenteuer,  in  das 
sich  Napoleon  nicht  zum  wenigsten  auf  Anraten  Talley- 
rands  gestürzt  hatte,  den  Wandel  in  der  Gestaltung  der 
Staaten  Europas  am  Anfange  des  vorigen  Jahrhunderts 
hervorgebracht  habe. 

Es  wäre  indes  unkritisch  und  unhistorisch  gedacht, 
wollte  man  den  Untergang  einer  Weltmonarchie,  wie  die 
Napoleons  1.,  einem  einzigen  Ereignis  wie  etwa  dem  russi- 
schen Feldzuge  oder  dem  Kriege  auf  der  Pyrenäischen 
Halbinsel  von  1808—14  zuschreiben.  Natürlich  haben  noch 
ganz  andere  Faktoren  mitgewirkt,  um  ein  Leipzig  oder  ein 
Waterloo  vorzubereiten,  und  wenn  auch  der  Kaiser  aus 
beiden  Feldzügen  siegreich  hervorgegangen  wäre :  das 
Reich,  das  er  kunstvoll  aufgebaut,  würde  doch  einmal, 
sei  es  auch  erst  nach  seinem  Tode,  wieder  in  sich  zu- 
sammengebrochen sein. 

Soviel  ist  aber  gewiß,  daß,  wenn  der  französische 
Kaiser  den  spanischen  Feldzug  güu  klii  hi  r  geführt  hätte 
—  und  es  muß  gesagt  werden,  daß  dies  in  seiner  Macht 
stand  —  das  Ende  seiner  Herrschaft  noch  lange  hinaus- 
geschoben worden  wäre.  Hätte  er  nach  Beendigung  des 
österreichischen  Feldzugs  vom  Jahre  1809  die  Führung 

2  *  B»M7:  Spi.i.  frcil.titskampl.  17 

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des  Krieges  in  Spanien  selbst  übernommen  und  durch  sein 
großes  Staats  männisch  es  Genie  die  Gemüter  des  von  der 
fanatischen  Geistlichkeit  aufgestachelten  stolzen  spanischen 
Volkes  beruhigt  und  Karl  IV.  oder  seinen  Sohn  Ferdi- 
nand VII.,  wenn  auch  unter  Einschränkung  ihrer  Macht- 
befugnisse, auf  dem  spanischen  Thron  gelassen,  die  Eng- 
länder würden  gewiß  niemals  auf  der  Pyrenäischen  Halb- 
insel Fuß  gefaßt  und  der  Widerstand  auch  der  unruhigsten 
Provinzen  würde  nachgelassen  haben. 

Spanien  war  seit  den  Revolutions kriegen  mit  Frank- 
reich verbündet.  Plötzlich  erschien  am  5.  Okiober  1806 
in  Madrid  ein  Manifest,  das  die  Spanier  gegen  einen  nicht 
näher  bezeichneten  Feind  —  in  dem  aber  jedermann  Frank- 
reich erkennen  konnte  —  aufreizte  und  das  auf  Befehl 
Godoys,  des  allmächtigen  spanischen  Ministers,  veröffent- 
licht worden  war.  Während  sich  Napoleon  in  Preußen 
befand,  hatte  der  „Friedensfürst"  die  Gelegenheit  ergriffen, 
sich  mit  England  und  Portugal  zu  verständigen,  um  ge- 
gebenenfalls im  Süden  Frankreichs  einzufallen.  Indes  die 
Schlacht  von  Jena  machte  allen  Hoffnungen  Godoys  ein 
Ende,  und  sowohl  dieser,  als  auch  der  König  Karl  IV. 
ließen  nichts  unversucht,  um  Napoleon  über  ihre  wahren 
Gesinnungen  zu  täuschen  und  sich  bei  ihm  wieder  in 
Gunst  zu  setzen.  Napoleon  nahm  die  Entschuldigungen 
scheinbar  an;  als  er  jedoch  nach  der  Unterzeichnung  des 
Tüsiter  Friedens  nach  Paris  zurückgekehrt  war,  begann 
auch  er  sich  mit  den  Angelegenheiten  auf  der  Pyrenäi- 
schen Halbinsel  eingehender  zu  beschäftigen. 

Da  Portugal  dem  englischen  Handel  seine  Häfen 
nicht  verschlossen  hatte  und  dem  Kontinentalsystem 
Napoleons  nicht  beigetreten  war,  schickte  der  Kaiser  eine 
Armee  unter  Junot  nach  Lissabon,  das  dieser  sehr  bald  be- 
setzte. Kurze  Zeit  darauf  gingen  weitere  Truppen  aus 
Frankreich  ab,  scheinbar  unter  dem  Vorwande,  Junot  zu 
unterstützen.  Unterwegs  besetzte  man  die  spanischen 
Festungen,  es  wurden  neue  Verstärkungen  abgesandt,  und 
im  Jahre  1808  übernahm  Murat  selbst  das  Oberkommando, 
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nachdem  bereits  ein  großer  Teil  Spaniens  militärisch  be- 
setzt worden  war. 

Währenddessen  bereitete  sich  am  spanischen  Hofe 
eine  Thron  revolution  vor.  Oodoy,  der  seine  Stellung  er- 
schüttert sah,  veranlaßte  durch  allerlei  Machinationen  den 
schwachen  König  Karl,  seinen  Sohn  Ferdinand  vom  Hofe 
Iii  entfernen,  was  auch  geschah.  Nun  richtete  sich  der 
ganze  Haß  des  Volkes  mehr  denn  je  gegen  den  Günst- 
ling. Es  empörte  sich  offen  am  7.  Marz  1808,  und  um 
es  zu  beschwichtigen,  erklärte  der  König  seinen  Premier- 
minister aller  Ämter  für  verlustig.  Als  aber  auch  dies  nicht 
zur  Besänftigung  der  öffentlichen  Meinung  beitrug,  dankte 
er  am  19.  März  zugunsten  seines  Sohnes  Ferdinand  ab. 

Karl  IV.  und  seine  Gemahlin  Marie  Luise,  die  eine 
große  Schwäche  für  ihren  Günstling  und  Geliebten  emp- 
fand, waren  nur  auf  seine  Rettung  bedacht  und  baten 
Murat,  den  Schwager  des  Kaisers,  um  Rat  und  Schutz. 
Diesem  kam  die  Wendung  der  Dinge  sehr  gelegen,  und 
er  riet  dem  König,  seine  Abdankung  als  aufgezwungen 
zurückzunehmen  und  den  Kaiser  um  seine  Vermittlung 
zu  bitten.  Dieselbe  wurde  angenommen,  eine  Zusammen- 
kunft in  Bayonne  vorgeschlagen,  und  Vater  und  Sohn 
begaben  sich  dahin,  um  das  Urteil  des  mächtigen  Nach- 
barn zu  erfahren. 

Während  sich  die  Unterhandlungen  in  die  Länge 
zogen,  empörte  sich  die  spanische  Hauptstadt  am  2.  Mai 
gegen  Murat.  Napoleon  benutzte  diese  Gelegenheit,  um 
Ferdinand  VII.  wegen  des  vergossenen  Blutes  verantwort- 
lich zu  machen,  und  sowohl  Vater  als  Sohn  verzichteten 
auf  den  Thron  ihrer  Väter.  Zum  König  von  Spanien 
ernannte  der  Kaiser  seinen  ältesten  Bruder  Joseph. 

Diese  Vorgänge  bildeten  den  Anfang  des  nun  in 
seinen  Schrecknissen  hereinbrechenden  Kriegs,  der  sich 
sechs  lange  Jahre  hinziehen  und  mit  der  endgültigen  Ver- 
treibung der  Franzosen  aus  dem  Lande  enden  .sollte. 

Spanien  begriff  jetzt,  daß  Napoleon  nur  mit  ihm 
spielte,  und  der  Aufstand  brach  überall  los.  Man  stellte 

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Heere  auf,  die  größtenteils  aus  ungesckuhen  Sold.it.-i  be> 
standen,  u:><1  als  Joseph  uaih  .Madrid  m.irsi  Im rle.  stieß 
er  ulnull  aul  Ft'iiidlii'Iu-  lrupne:i.  die  ihm  den  Vt'i-g  'u 
versperren  suchten.  Duili  gelang  es  ihm,  den  Gegner 
uhfr  den  H.iufm  iu  nirfcn  und  seine  acut  H.iupKtjdt 
zu  erreichen  .  der  Madrider  Adel  unterwarf  si;  Ii  dem  neuen 
Herrscher,  und  es  schien,  als  wenn  sich  auch  das  Volk 
den  Verhältnissen  fügen  wollte. 

Da  traf  die  Kapitulation  der  Generale  Dupont  und 
Vedel  bei  Bailen  am  23.  Juli  1808  ein.  Das  Volk,  das 
nun  nicht  mehr  an  die  Unbezwin^lichkeit  der  Franzosen 
glaubte,  warf  die  Fesseln  ab,  um  mit  unge schwächten! 
Mut  den  Kampf  mit  dem  ihm  aufgezwungenen  Herrscher 
zu  wagen. 

Dupont  hatte  sich  mit  einem  Korps  von  3000  Mann 
von  den  spanischen  Generalen  Reding  und  Castafios  bei 
Andujar  in  die  Enge  treiben  lassen,  so  daß  er  sich  schließ- 
lich zur  Kapitulation  genötigt  sah.  Anstatt  sich  zu  dem 
in  der  Nähe  stehenden  General  Vede!  durchzuschlagen 
und  vereint  mit  ihm  zu  kämpfen,  gelang  es  dem  schlauen 
Spanier  Castafios,  durch  geschickte  Unterhandlungen  Vedel 
mit  in  die  K.'ipitLil.iiiiin  eiiizuhcgreifen,  und  beide  Korps 
streckten  am  23.  Juli  die  Warfen  unter  der  Bedingung,  daß 
die  Offiziere  und  ihre  Mannschaften  nach  Frankreich  zu- 
rückkehren dürften.  Die  Junta  indes  erkannte  die  von  ihren 
Generalen  abgeschlossene  Konvention  nicht  an  (ein  Beweis, 
wie  geringe  Begriffe  man  damals  in  Spanien  von  Kriegs- 
gebräuchen hatte),  und  man  transportierte  die  Gefangenen 
auf  die  Pontons  vor  Cadiz  und  später  nach  der  Insel 
Cabrera.  Von  den  17000  Soldaten,  die  in  Bailen  die 
Waffen  niederlegten,  haben  kaum  4000  nach  den  in  sechs- 
jähriger Gefangenschaft  ausgestandenen  schrecklichsten 
Leiden  und  Entbehrungen  ihr  Vaterland  wiedergesehen. 

Dieser  Sclilaj»  war  äußerst  verhängnisvoll  für  die  fran- 
zösische Soldatenehre.  Seit  Napoleon  an  der  Spitze  der 
Regierung  stand,  war  nichts  Ähnliches  vorgefallen.  Die 
Spanier  glaubten  nun  leichten  Kaufes  mit  ihrem  Bedrücker 
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fertig  zu  werden,  und  kaum  hatte  sich  die  Nachricht  in 
Madrid  verbreitet,  als  auch  Joseph,  wenige  Tage  nachdem 
er  seine  neue  Hauptstadt  betreten,  diese  wieder  verlassen 
mußte. 

Einige  Wochen  später  ereilte  auch  Junot  ein  dem  der 
Armee  Duponts  ähnliches  Geschick.  Die  Engländer  hatten 
ein  Heer  unter  Sir  Arthur  Wellesley,  dem  späteren  Herzog 
von  Wellington,  bei  Lissabon  ans  Land  gesetzt  und  griffen, 
von  der  portugiesischen  Armee  und  Bevölkerung  auf? 
tatkräftigste  unterstützt,  Junot,  der  Portugal  besetzt  hielt, 
an.  Er  konnte  dem  Feinde  nur  eine  weit  schwächere 
Heeresmachi  entgegenstellen  und  sah  sich  daher  im  August 
1308  zur  Kapitulation  von  Cintra  gezwungen,  wurde  aber, 
dem  Vertrage  gemäß,  mit  seinen  Truppen  nach  Frankreich 
befördert. 

Napoleon  war  außer  sich,  als  er  die  Mißerfolge  seiner 
Waffen  erfuhr.  Nachdem  er  sich  in  Erfurt  der  Unter- 
stützung Alexanders  I.  versichert  hatte,  übernahm  er  es 
selbst  den  Feldzug  in  Spanien  zu  leiten.  Mit  einem  starken 
Heere  überschritt  er  die  Pyrenäen,  und  nach  einigen  sieg- 
reichen Gefechten  zog  er  am  5.  Dezember  1808  in  Madrid 
ein.  Binnen  kurzem  stellte  er  die  Ruhe  in  der  Hauptstadt 
wieder  her;  die  Großen  des  Reichs  unterwarfen  sich  und 
leisteten  dem  neuen  Konig  den  Eid.  Der  Kaiser  selbst 
machte  sich  mit  einigen  Armeekorps  auf,  die  Engländer 
aus  Portugal  zu  verjagen,  indessen  mußte  er,  durch  den 
drohenden  Krieg  mit  Österreich  versiilam  nach  Frankreich 
zurückzukehren,  das  Oberkommando  dem  Marschall  Soult, 
einem  seiner  besten  Taktiker,  übergeben,  und  nach  Paris 
zurückeilen. 

Es  ist  nicht  meine  Absicht,  hier  einen  Abriß  des  ganzen 
Krieges  zu  geben.  Da  Sitge  und  Niederlagen  auf  zahl- 
reichen Kriegsschauplätzen  so  miteinander  abwechseln, 
so  würde  der  Leser  nur  ein  unklares  Bild  von  den  Vor- 
gängen bekommen,  wenn  ich  versuchen  wollte,  die  haupt- 
sächlichsten Ereignisse  der  nächsten  fünf  Jahre  in  einigen 
Zeilen  zu  skizzieren.  Den  französischen  Marschällen  ge- 
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lang  es  nach  und  nach,  des  Landes  Herr  zu  werden,  und 
im  Jahre  1810  konnte  man  fast  ganz  Spanien  als  von 
Frankreichs  Watten  erobert  betrachten.  Aber  Napoleon 
beging  einen  großen  Fehler,  daß  er  nach  Beendigung 
des  österreichischen  Feldzuges  nicht  selbst  nach  Spanien 
ging,  um  das  Land  völlig  zu  pazifizieren  und  seine  Ver- 
waltung zu  ordnen ;  denn  ein  größerer  Feind,  als  die 
Spanier  und  die  Engländer,  war  die  Uneinigkeit  unter  den 
Marschällen,  die  weder  einander  noch  dem  König  Joseph 
gehorchen  wollten.  Und  da  Napoleon  von  Paris  aus  die 
Befehle  Josephs  an  seine  Marschälle  oft  durch  andere  zu- 
nichte machte,  überhaupt  sich  unter  den  obersten  Heer- 
führern eine  schnell  um  sich  greifende  und  auch  den 
untern  Chargen  sich  mitteilende  Korruption  entwickelte 
und  jeder  nur  daran  dachte,  sich  zu  bereichern,  so  ging 
das  Eroberte  gar  bald  wieder  verloren. 

Unter  diesen  Umständen  konnte  sich  das  militärische 
Genie  eines  Wellington,  der  lange  Zeit  wegen  zu  geringer 
Truppen  macht  in  der  Defensive  zu  bleiben  gezwungen 
war,  aufs  glänzendste  entfalten.  Endlich,  im  Frühjahr  1813, 
sah  er  sich  an  der  Spitze  eines  über  100  000  Mann  starken 
Heeres,  mit  dem  er  die  des  Krieges  müden  und  geschwäch- 
ten Heere  der  Franzosen  über  die  Pyrenäen  zurückwarf. 

Der  Krieg  in  Spanien  war  ein  völliger  Völkerkrieg; 
es  fochten  nicht  allein  Spanier,  Franzosen,  Portugiesen 
und  Engländer,  sondern  auch  Deutsche,  Schweizer,  Ita- 
liener und  Polen  in  diesem  Kampfe,  in  dem  man  kein  Er- 
barmen kannte.  Nichts  ist  interessanter,  als  einen  solchen 
Krieg  aus  dem  Munde  von  Soldaten  oder  Subaltern  Offi- 
zieren kennen  zu  lernen,  die  die  Vorgänge  nicht  vom  theo- 
retischen Standpunkte  aus  aufgezeichnet,  sondern  ihre 
eigenen  Beobachtungen  und  Erlebnisse  im  Felde  und 
und  Lager  in  den  Vordergrund  gestellt  haben.  Ich  habe 
deshalb  aus  einer  Anzahl  der  interessantesten  Feldzugs- 
erinnerungen der  bei  diesem  Kriege  beteiligten  wichtigsten 
Nationen  die  besten  Stellen  herausgenommen  und  sie  in 
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einem  Bande  vereinigt.  Wir  lernen  nicht  allein  die  geg- 
nerischen Ansichten  kennen,  sondern  gewinnen  auch  einen 
tiefen  Einblick  in  die  Seele  eines  denkenden  Soldaten  und 
Subaltemoffiziers.  Der  Wert  solcher  Erinnerungen,  zu 
denen  ich  auch  noch  das  den  Anfang  bildende  Tagebuch 
Orolmans  hinzufüge,  obgleich  er  damals  bereits  Major 
war,  besteht  zum  großen  Teil  in  der  Frische  der  Dar- 
stellung, dem  Selbst  erlebten.  Der  Offizier  vom  Stabsoffi- 
zier aufwärts  wird  fast  immer  bemüht  sein,  die  großen 
Operationen  zu  erfassen,  wodurch  seine  eigenen  persön- 
lichen Erlebnisse  in  den  Hintergrund  treten  —  eine  Ab- 
sicht, die  sehr  wohl  verständlich  ist,  die  aber  ein  solches 
Werk  für  den  Laien  häufig  uninteressant  macht.  Der 
Soldat,  der  Unteroffizier,  der  Subalternoffizier  hingegen 
wird,  wenn  er  einmal  Feldzugserinnerungen  verfaßt,  diese 
stets  von  seinem  persönlichen  Gesichtspunkte,  aus  seiner 
Weht  heraus,  schreiben,  und  dies  verleiht  seinem  Werke 
Leben  und  Reiz. 

Ein  solches  Erinnerungswerk  wird  zwar  niemals  ein 
objektiv  geschriebenes  Geschichtswerk  im  wahren  Sinne 
des  Wortes  sein,  aber  gerade  in  der  subjektiven  Behand- 
lung des  Stoffes,  durch  das  Hervortreten  des  eigenen  Ichs, 
um  das  sich  alles  gruppiert,  durch  die  Schilderung  des 
Selbstgescliauten  und  -empfundenen,  durch  die  Erzählung 
der  einfachsten  menschlichen  Vorkommnisse,  eben  wie  sie 
Soldaten  zu  erleben  pflegen,  liegt  ein  großer  Reiz.  Aus 
all  diesen  Gründen  eignen  sich  diese  Feld  Zugserinnerungen 
zu  einer  für  die  weitesten  Kreise  bestimmten  Lektüre,  die 
uns  nicht  allein  mit  den  Unbilden  und  Ereignissen  des 
Krieges,  sondern  auch  mit  den  Sitten,  Gebräuchen  und 
Charaktereigenschaften  fremder  Völker  bekannt  macht. 

Alles  Nähere  über  die  hier  vereinigten  Werke  und 
ihre  Verfasser  findet  sich  in  den  besonderen  Einleitungen 
zu  den  einzelnen  Berichten. 

^f*^'         Kiedrich  M.  Kirche,.«,. 


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I. 

Aus  dem  Tagebuche 
eines  deutschen  Offiziers  über  seinen 
Feldzug  in  Spanien  1808 
von 

Ludwig  von  Orolman 


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Vorwort. 


Der  vorliegende  Auszug  aus  dem  „Tagebuche  eines 
deutschen  Offiziers  über  seinen  Feldzug  in  Spanien"  ist 
einem  Werke  entnommen,  dessen  Verfasser  sich  dem 
Kriegsdienste  aus  eigener  Wahl  widmete,  weil  ihm  der  Tod 
auf  dem  Schlachtfelde  als  höchstes  Ideal  erschien.  Sein 
Wunsch  blieb  nicht  unerfüllt,  und  die  Lücke,  die  der  tapfere 
Mann  im  Heere  hinterließ,  war  beträchtlich.  Das  wenige 
Geschichtliche,  was  über  diesen  badischen  Oberstleutnant 
und  Adjutanten  der  Infanterie  bekannt  ist,  sei  im  fol- 
genden wiedergegeben. 

Ludwig  von  Grolman  entstammte  einer  landgräflich 
hessischen  Adelsfamilie,  die  einige  Zeit  den  Adel  abge- 
legt, ihn  aber  später  wieder  angenommen  hatte.  Sein 
Vater,  der  Oberappellationsgerichts  rat  von  Grolman,  be- 
stimmte seinen  Sohn  zum  Gel  ehrten  beruf  und  richtete  die 
Ausbildung  des  Geistes  und  der  Fähigkeiten  des  Knaben 
danach.  Später,  im  rohen  Leben  des  Feldlagers,  sollte 
dem  jungen  Grolman  diese  Bildung  manche  genußreiche 
Stunde  verschaffen.  In  den  Schriften  der  Alten  suchte  er 
ästhetische  Zerstreuung,  und  Horaz  begleitete  ihn  bestän- 
dig auf  seinen  Feldzügen  in  Polen,  Spanien  und  Rußland. 

Noch  ein  Kind,  trat  der  vor  Verlangen  nach  dem 
Soldatenstand  Brennende  in  holländische  Militärdienste 
und  gab  seinem  Leben  somit  aus  eigenem  Antriebe  eine 
Wendung,  die  ihm  verhängnisvoll  werden  sollte.  Wie  jung 
er  gewesen  sein  mag,  als  er  zum  ersten  Male  den  bunten 
Rock  trug,  geht  aus  einem  kleinen  Erlebnis  hervor,  das  er 
selbst  gern  erzählt  Es  war  schauderhaftes  Wetter,  als 
sich  sein  Regiment  eines  Tages  auf  dem  Marsche  befand 
und  mehrere  Dörfer  passierte.  Da  ward  eine  gutmütige 
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Holländerin  das  kleine  Bürsehchen  gewahr,  das  da  mitten 
unter  den  sonnengebräunten  soldatischen  Gestalten  mar- 
schierte. „Ach,"  rief  sie  mitleidig  aus,  „muß  der  kleine 
Kerl  auch  schon  mit!"  Unserm  Helden  aber  waren  diese 
Worte  wie  Dolchstiche,  und  er  fühlte  zum  erstenmal,  daß 
man  nicht  nur  mit  dem  Willen  und  der  Tat,  sondern  auch 
mit  dem  äußern  Anschein  der  öffentlichen  Meinung  ge- 

6  Kurze  Zeit  nachdem  Holland  mit  England  und 
Preußen  seine  ewige  Allianz  geschlossen  hatten,  trat  Lud- 
wig von  ürolinati  in  hm  Jgnifiich  hessische  Dienste,  in 
denen  er  ungefähr  zehn  Jahre  verblieb.  Während  dieses 
Zeitraumes  geschah  in  seinem  Leben  nichts  Besonderes, 
was  der  Aufzeichnung  wert  gewesen  wäre.  Erst  mit  seinem 
Eintritt  in  kurbadische  Dienste,  im  Jahre  1303,  beginnt 
für  ihn  ein  :in  kriegs/ügen  reiches  Dasein. 

Das  mit  Napoleon  verbündete  Baden  sah  sich  ge- 
zwungen, seine  Militärmacht  zu  vergrößern,  und  so  er- 
öffnete sich  dem  jungen  Krieger  eine  glänzende  Lauf- 
bahn. Seine  Beförderung  ging  rasch  vonstatten ') ;  be- 
sonders ward  der  Feldzug  von  1806  und  1807  für  ihn  von 
Wichtigkeit,  da  er  den  Erbgroßherzog  von  Baden  als  per- 
sönlicher Adjutant  begleitete. !) 

Nicht  lange  sollte  er  nach  diesem  Feldzug,  in  welchem 
er  das  Waffen hand werk  in  seinen  erhabensten  und 
rohesten  Formen  kennen  gelernt  hatte,  der  Ruhe  pflegen 
können;  schon  ertönte  von  neuem  die  Kriegsfanfare  und 
rief  die  Badener  wiederum  als  Verbündete  des  großen 
Sehlachtenkaisers  nach  Spanien.  Nie  gewohnt,  zwischen 
Neigung  und  Pflicht  zu  schwanken,  und  den  Krieg  stets 


')  1803  wurde  er  Oberleutnant,  1804  Quartiermeisterleutnant, 
1305  Stabshauptmann;  Anfang  1308  trat  er  aus  dem  Oeneralstab 
aus  und  wurde  zum  Major  im  Regiment  Harrant  ernannt. 

!)  Grolman  schrieb  auch  ein  Tagebuch  über  den  Feldzug 
von  1806  unter  dem  Titel:  Tagebuch  über  den  Feldzug  des  Erb- 
groBherzogs  Karl  von  Baden,  1806—1807.  Bearbeitet  und  heraus- 
gegeben von  Friedrich  von  Wengen.  Freihurgim  Breisgau,  1987.  8". 

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von  der  Verstandsseite  auffassend,  konnte  es  seinem  tätigen 
Geiste  nicht  unangenehm  sein,  das  Garnisonleben  aufs 
neue  mit  dem  Biwak  zu  vertauschen  und  die  badischen 
Truppen  über  die  Pyrenäen  zu  begleiten. 

Die  Ereignisse  dieses  Kriegs,  an  dem  er  während 
der  letzten  drei  Monate  des  Jahres  1808  und  der  ersten  von 
1809  teilnahm,  beschreibt  Orolman  in  seinem  Tagebuche, 
aus  dem  hier  ein  Teil  vorliegt,  mit  großer  Treue.  Jedem 
aufmerksamen  Leser  muß  es  auffallen,  wie  sehr  er  bemüht 
ist,  sich  mit  diesem  Kriege,  den  er  im  Grunde  seines 
Herzens  verabscheuen  mußte,  wenigstens  nach  außen  hin 
auszusöhnen,  und  wie  schmerzlich  ihm  oft  das  Mißlingen 
dieses  Strebens  war.  Unter  all  den  rauhen  Männern,  die 
das  Kriegshandwerk  empfindungslos  gemacht  hatte  oder 
die  den  Militärberuf  nur  als  Mittel  zum  Zweck,  um  sich 
zu  bereichern  und  emporzukommen,  betriehen,  ist  er  wirk- 
lich eine  seltene  Erscheinung.  Dennoch  fand  er  unter 
seinen  Kameraden  manch  gl  eich  denken  den  Geist,  manches 
mitfühlende  Herz,  und  die  Übereinstimmung  ihrer  Grund- 
sätze half  ihnen  oft  über  das  Schlechte  und  Ungerechte 
hinweg,  das  sie  zu  tun  gezwungen  waren. 

Ganz  unerwarteterweise  wurde  Grolman  von  seinem 
Fürsten  aus  Spaniens  Bergen  wieder  an  die  Ufer  des 
Rheins  berufen.  Mancherlei  Auszeichnungen  und  Ehren 
erwarteten  ihn,  so  seine  Ernennung  zum  Oberstleutnant 
und  bald  darauf  zum  Gencraladjutantcn  der  Infanterie. 
Alle  seine  Wünsche  schienen  erfüllt,  und  er  hätte  sich  im 
Schatten  seiner  Lorbeeren  glücklich  schätzen  können,  wenn 
ihn  das  Jahr  1812  nicht  aufs  neue  ins  Kriegsgetümmel  ge- 
rufen hätte.  Diesmal  aber  sollte  er  nicht  wieder  zurück- 
kehren. Mit  Tausenden  seiner  tapferen  Gefährten  unterlag 
er  auf  den  russischen  Eisfeldern  den  unerbittlichen  Ele- 
menten des  russischen  Nordens,  wenn  auch  nicht  direkt, 
so  doch  mittelbar.  Er  starb  zu  Anfang  des  Jahres  1813 
in  Wüna  an  den  Folgen  einer  allgemeinen  Erschöpfung. 

F.  M.  K. 


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1.  Kapitel 
Der  Marsch  über  die  Pyrenäen 

Es  war  ein  Kurier  vom  König  Joseph  aus  Vittoria  an- 
gekommen, der  uns  mit  Eilmärschen  zur  Armee  beor- 
derte, deren  rechter  Flügel  in  Biscaya  sehr  bedroht  wurde. 
Ich  heilte  mich  also,  mir  die  notwendigen  Lagerbedürf- 
nisse anzuschaffen  und  die  übrigen  Vorbereitungen  zu 
treffen,  so  daß  ich  nur  wenig  Zeit  behielt,  mich  in  Bayonne 
umzusehen.  Es  geh'el  mir  sonst  recht  gut  in  dieser  nur 
eine  Stunde  von  der  See  gelegenen  Handelsstadt.  Sie 
ist  nicht  sehr  groß,  aber  volkreich.  Eine  Menge  von  Spa- 
niern, die  nicht  Augenzeugen  der  Katastrophe  ihres  Vater- 
landes sein  wollten,  hatte  sich  beinahe  aller  noch  übrigen 
Wohnungen  bemächtigt.  Der  Handel  lag  zwar,  wie  überall, 
danieder,  und  die  Gegenwart  des  Kaisers  hatte  durch 
strengere  Maßregeln  den  Druck  des  Seekrieges  erhöht. 
Dagegen  war  durch  die  Bedürfnisse  der  Armee  und  das 
viele  Geld,  das  die  durchziehenden  Truppen  verzehrten, 
auf  anderm  Wege  Bewegung  und  Leben  hervorgebracht 
worden  .  .  . 

Wir  mußten  den  13.  Oktober  bis  9  Uhr  morgens  ver- 
weilen, weil  wir  Brot,  Fleisch,  Munition  und  Kochgeschirre 
zu  empfangen  hatten.  Unsere  große  Bagage  ließen  wir  in 
Passourary  zurück.  Wir  gingen  einige  Stunden  zwischen 
beinahe  wirklichen  Dünen  und  fanden  dann  den  malerisch 
zerstreuten  Flecken  Bidars.  Der  Atlantische  Ozean  bran- 
dete eben  bei  voller  Flut  stolz  gegen  das  Gestade.  Seiner 
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Gewalt  spottend,  streckten  die  Pyrenäen  ihre  hohen,  steilen 
Felsen  weit  in  die  murrenden  Wogen.  Freundlich  stand 
die  Sonne  hoch  über  beiden  und  lächelte  die  kühnen 
Felsen,  die  schimmernden  Fluten  und  die  kleinen  Würmer 
an,  die  schweißtriefend  zwischen  beiden  wandelten,  um 
den  Tod  vom  Rheine  nach  dem  Tajo  zu  tragen  .  .  . 

in  Iran  hatten  wir  gleich  mit  dem  spanischen  Komman- 
danten im  Dienste  des  Königs  Joseph  Verdruß.  Unsere 
armen  Leute  waren  durch  ganz  Frankreich  marschiert, 
wo  man  ihnen  nichts  gegeben  hatte,  als  ihre  tägliche  Zu- 
lage von  fünf  So!s.  Vom  Eintritt  auf  den  spanischen  Boden 
an  hörte  diese  auf,  und  wir  sollten  dagegen  die  Rationen 
beziehen.  Nun  befanden  sich  die  Leute  plötzlich,  mitten 
in  der  Nacht,  hungrig  und  ermattet,  auf  dem  schon  durch 
französische  Sagen  verhaßten,  feindlichen  Boden  in  einem 
verwünschten  Kloster,  wo  ihnen  nur  der  Schmutz  und 
die  Läuse  ihrer  Vorgänger  begegneten  und  nicht  einmal 
sauberes  Stroh  zum  Lager  zu  finden  war.  Vom  Schweiß 
des  Pyrenäenmarsches  bedeckt,  schüttelte  sie  Fieberfrost 
in  den  dicken,  kalten  Mauern,  und  es  fand  sich  kein  Holz, 
um  den  neuen  Feind  zu  vertreiben.  Verzweiflungsvoll 
griffen  die  Leute  nach  Zäunen  und  Bauholz,  das  sich  in 
der  Nachbarschaft  befand.  Da  war  der  Kommandant  der 
Stadt  außer  sich.  Ich  verhalf  ihm  wieder  zu  dem  geraubten 
Holz  und  er  mir  zu  den  schuldigen  Rationen.  So  kamen 
wir  endlich  mitten  in  der  Nacht  auseinander,  um  den 
nahen  Morgen  zu  erwarten,  der  uns  tiefer  in  das  fremde 
Und  führen  sollte. 

Am  14.  kamen  wir  über  die  Flecken  und  Städtchen 
Oyarzun,  Hernani  und  Villabuena,  nach  einem  Marsch 
von  beinahe  acht  Stunden  Wegs,  nach  Tolosa,  der  Haupt- 
stadt von  üuipuzcoa. 

So  oft  wir  beim  weiteren  Marsch  auch  die  Stirne 
trocknen  mußten,  so  sehr  erheiterten  sich  unsere  Herzen 
M  dem  Anblick  des  lieblichen,  grünen  Pyrenäenlandes. 
In  der  Tat,  man  wird  wenige  Länder  in  Europa  finden, 
W  eine  kräftigere  Natur  von  kräftigeren  Menschen  be- 
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wohnt  und  mit  regerem  Fleiße  angebaut  wird  als  in  den 
baskischen  Provinzen,  vorzüglich  in  Guipuzcoa  und  Bis- 

Frei  und  ohne  Menschenfurcht  im  Reden  und  Handeln 
geht  der  Biseayer  munter  und  kraftvoll  einher.  Nicht  leicht 
sieht  man  jemanden  unbeschäftigt.  Wenngleich  die  Männer 
durch  ihre  braune  und  schwarze  Tracht  und  durch  die 
Mäntel  dem  Anschein  nach  etwas  von  der  Gravität  und 
Traurigkeit  der  übrigen  Spanier  annehmen,  so  sieht  man 
doch  an  ihrer  freieren  Bewegung  und  an  dem  lebhaften, 
nicht  niedergekehrten  Blick,  daß  sie  anderen  Geistes  sind. 
Die  Bauernmädchen  sind  keineswegs  so  traurig  wie  im 
übrigen  Spanien  gekleidet.  Sic  gehen  in  Hemdärmeln  und 
bunten  Miedern,  tragen  ihre  langen  schwarzen  Haare  in 
sehr  gut  stehenden  Flechten  und  haben  bunte  Tücher  um 
den  Kopf.  Eine  Menge  solcher  Mädchen  begegnete  uns 
und  bot  uns  Äpfel  feil.  Ihre  Munterkeit  und  die  auffallende 
Ähnlichkeit  ihrer  Tracht  mit  der  Kleidung  der  hessischen 
Bauernmädcticn  machte  uns  viel  Vergnügen.  Am  meisten 
fanden  wir  uns  aber  durch  die  herrliche  Straße  überrascht, 
die  auf  beiden  Seiten  mit  Quadersteinen  belegt  ist  und 
eine  Menge  kostbarer  Brücken  hat.  Sie  verfolgt  bald  im 
Tale  die  Ufer  des  Flusses,  bald  windet  sie  sich  mit  kunst- 
vollen Zickzacks  über  die  höchsten  lier^e  hin.  Sie  ist 
noch  kein  halbes  Jahrhundert  alt,  aber  der  tätigste  Beweis 
des  Gewerbfleißes  der  Biseayer. 

Die  Lage  der  Dinge  war  damals  für  die  französische 
Armee  noch  schlimm.  Der  König1)  bei  Vittoria  und  der 
Marschall  Moncey»)  hei  Pamplona  hatten  alle  Hände  voll 


6.  Juni  1808  den  spanischen  Thron  bestiegen.  (Vergleiche  auch 
die  Einleitung  zum  ganzen  Werk.) 

=)  Baron  Adrien  Jeannof  Moncey,  Herzog  von  Conegliano, 
1754—1842,  französischer  Marschall,  rückte  im  Jahre  1808  mit  dem 
3.  Armeekorps  in  Spanien  ein,  schlug  später  bei  allen  Treffen  die 
Insurgenten  von  Valencia  und  veranlaßte  sie,  sich  in  Valencia  selbst 
zu  verschanzen,  wo  er  sie  sieben  Stunden  lang  bombardierte.  Da 
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zu  tun,  um  den  gerade  gegen  sie  andringenden  Feind  ab- 
zuhalten; und  nun  war  Blake1)  mit  einer  20—30000  Mann 
starken  Armee  nach  Bilbao  vorgedrungen,  hatte  den  Gene- 
ral Verdier  vertrieben  und  drohte  gerade  gegen  Bayonne  zu 
marschieren.  Es  ist  unbegreiflich,  was  ihn  an  diesem  Marsch 
verhinderte.  Er  hätte  den  König  in  die  größte  Verlegen- 
heit versetzt  und  ihn  zum  Rückzug  in  die  Pyrenäen  ge- 
zwungen, noch  ehe  die  große  Armee  ankommen  konnte, 
die  damals  erst  anfing  über  die  Loire  zu  gehen.  Die  ihm 
gegenüberstehende  Division  war  wenigstens  nicht  geeig- 
net, ihm  ernstlichen  Widerstand  zu  leisten.  Sie  war  höch- 
stens noch  4000  Mann  stark  und  bestand  aus  den  Trüm- 
mern der  konskribierten  Legionen  des  vorigen  unglück- 
lichen Feldzuges.  Sie  war  drei  kleine  Stunden  von  Du- 
rango  auf  dem  halben  Wege  von  Bilbao  bei  Zornoza  auf- 
gestellt, und  es  stand  bei  dem  Feinde,  sie  zu  vernichten, 
wenn  er  nur  Mut  und  Feldherrn talent  besaß.  Die  Spanier 
ließen  indes  in  Unschlüssigkeit  die  beste  Zeit  verstreichen. 
Am  15.  endlich  rückten  sie  näher  gegen  Zornoza.  Das  ver- 
ursachte ein  kleines  Gefecht,  und  das  gerade  ankommende 
Regiment  Nassau  mußte  sogleich  auf  die  Berge  ausrücken 
und  blieb  daselbst  im  Biwak.  Hierdurch  gedeckt  fanden 
wir  es  besser,  konnten  unsere  Leute  in  ein  Kloster  einquar- 
tieren und  ein  paar  Tage  ausruhen  lassen.  Dann  fingen  wir 
an,  mit  den  übrigen  Truppen  den  Dienst  gegen  den  Feind 
zu  teilen.  Am  17.  kam  nämlich  auch  das  Regiment  Hessen 
nach  Durango,  und  am  folgenden  Tag  übernahm  General 
Leval')  das  Kommando  unserer  Division  und  des  ganzen 


er  sie  indes  nicht  bezwingen  konnte,  zog  er  sich  auf  Almanza 
zurück  und  begab  sich  auf  das  linke  EbrouFcr,  um  nach  Zaragoza 
zu  marschieren. 

J)  Joaquin  Blake,  spanischer  General  irländischer  Abkunft, 
1759-1827,  kommandierte  die  spanischen  Armeen  von  Oalicien. 

*)  Jean  Francois  Graf  Leval,  französischer  Divisionsgeneral, 
1761—1834,  kämpfte  fast  während  der  ganzen  Dauer  des  Krieges, 
von  1808—1814,  auf  der  spanischen  HalbinseL 

3      B.MI:  Spin.  Fielbeilsklmp!.  33 


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Das  Wetter  war  mehrere  Tage  anhaltend  schlecht,  und 
Durango  bot  uns  wenig  Unterhaltung  dar,  obgleich  es  eine 
ganz  angenehme  Stadt  der  Provinz  Biscaya  ist.  Ich  be- 
schäftigte mich  bei  den  wenigen  Hilfsmitteln,  die  ich  vor- 
fand, damit,  soweit  es  ging,  unsere  Leute  wieder  in  guten 
Zustand  zu  setzen.  Übrigens  lernte  ich  in  meinen  Wirts- 
leuten die  Nation  ein  wenig  kennen.  Sie  haßten  mich  zwar 
als  einen  ihrer  Feinde  unbeschreiblich  und  zwar  alle  zu- 
sammen, das  Stubenmädchen  nicht  ausgenommen,  das  alle 
Morgen  mit  saurem  Gesichte  kam,  mich  auf  baskisch  aus- 
zuscheren. Im-  ganzen  waren  es  aber  doch  mit  all  ihrer 
Bosheit  ganz  gutgeartete  Menschen,  die  einiges  Interesse 
an  mir  fanden,  weil  sie  glaubten,  sich  auf  meine  Kosten 
über  uns  lustig  machen  zu  können.  Sie  bestanden  aus 
einem  Don  —  mit  einem  langen  Namen,  der  mir  nicht 
gleich  wieder  einfällt  —  ein  Mann  von  etlichen  Dreißig, 
nicht  groß,  bräunlich  von  Gesicht  und  schwarz  von  Haaren ; 
aus  seiner  Frau,  etwas  jünger  als  er  und  gut  konserviert, 
von  beinahe  gleicher  Farbe,  mit  langen  schwarzen  Haaren 
und  den  schönsten  weißen  Zähnen ;  aus  seinem  Bruder, 
einem  ältlichen,  ganz  gemeinen  Bauersmann,  und  aus  ein 
paar  kleinen  Kindern  und  Mägden.  Der  Hausherr  war  viel 
gereist,  hatte  sonst  Handelsgeschäfte  getrieben  und  lebte 
nun  in  einem  ererbten  Hause  für  sich.  Er  trug  sich  wie  ein 
Mann  von  Stande  mit  feinem,  vorn  mit  Samt  verbrämtem 
Mantel  und  feinem,  dreieckigem  Hut.  Er  hatte  viele  Vor- 
urteile, war  in  Spanien  ziemlich,  aber  außerhalb  nicht  be- 
kannt, wußte  etwas  Bescheid  in  der  Geschichte  und  sprach 
gebrochen  Latein.  Diese  Sprache  findet  man  als  Ausstat- 
tung der  Klostererziehung  ziemlich  häufig  in  dem  Munde 
der  Männer  von  einiger  Bildung,  und  sie  hilft  dem  Fran- 
zosen fort,  der  noch  kein  Spanisch  versteht  und  vergebens 
nach  der  Analogie  mit  anderen  Ländern  auf  sein  Franzö- 
sier] gerechnet  hat  Der  Bruder  hatte  die  gemeine  braune 
Jacke,  den  groben  braunen  Mantel,  die  braune  Montera 
und  die  biscayischen  Gamaschen,  die  aus  einem  Streifen 
schief  geschnittenen  braunen  Tuchs  bestehen,  welchen  man 
34 


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um  das  Bein  windet  und  der  oben  und  unten  zugeschnallt 
ist;  aber  das  Auffallende  des  Unterschiedes  zwischen  bei- 
den Brüdern  verschwand,  als  ich  mich  näher  unterrichtet 
hatte  .  .  . 

Wir  Offiziere  hatten  in  Durango  beim  Oberst  unsere 
Tafel,  die  meist  von  den  Magazin  lieferungen  bestellt  wurde. 
Sonst  waren  wegen  der  Nähe  des  Feindes  die  Lebensmittel 
ziemlich  teuer  bis  auf  die  Baumfrüchte,  Äpfel,  Kastanien 
und  Nüsse.  An  Butter  fehlte  es  nicht ;  mein  Wirt  klagte  mir 
aber  nach  einigen  Tagen,  es  sei  nicht  mehr  auszuhalten: 
„Durch  die  Trennung  von  Bilbao  wird  das  öl  so  teuer  und 
selten,  daß  ich  beinahe  genötigt  bin,  das  Essen  mit  Butter 
anrichten  zu  lassen."  Der  Biscayer  hat  nämlich  das  öl 
ebensowenig  einheimisch  als  wir,  nur  etwas  näher,  er  muß 
es  aus  dem  südlichen  Spanien  kommen  lassen. 

Da  es  anhaltend  regnete  —  ein  Umstand,  der  in  dieser 
Stadt  den  Schmutz  nicht  vermehrte,  weil  ihre  engen 
Straßen  meistens  mit  Quadersteinen  gepflastert  sind  —  so 
befand  mau  sich  außerhalb  und  innerhalb  der  Häuser  nicht 
wohl.  Ein  spanisches  Haus  hat  nämlich  nicht  immer  einen 
Kamin,  geschweige  denn  einen  Ofen.  Die  Fenster  sind 
neistens  nur  mit  hölzernen  Läden,  höchst  seilen  niil  l.ikis 
geschlossen.  Will  man  nun  bei  hellem  lichtem  Tag  etwas 
sehen,  so  muß  man  durch  öffnen  der  Fensterläden  alle 
Widerwärtigkeiten  des  winterlichen  Wetters  zu  sich  herein- 
lassen. Dagegen  hat  man  kein  Mittel  als  den  Brasero,  das 
heißt,  eine  in  ein  viereckiges  hölzernes  Gestell  eingesetzte 
kupferne  Kufe  oder  Pfanne,  die  mit  glimmender  Asche  ge- 
füllt ist.  Sind  die  Kohlen  noch  nicht  verglimmt,  so  verbreiten 
sie  häßliche  Dünste,  die  Lungenübel  und  Stickungen  her- 
vorbringen. Die  große  Küche  in  der  Mitte  des  Hauses  ist 
dann  der  allgemeine  Zufluchtsort.  Um  ihr  wohltätiges 
Feuer  versammelt  sich  jung  und  alt,  besonders  abends. 
Auch  ich  fand  mich  oft  in  den  Stunden  ein,  die  mir  der 
Dienst  übrig  ließ.  Die  Dofia  fiel  dann  gewöhnlich  mit 
scharfem  Zahn  über  mich  her,  schalt  mich  und  den  Kaiser 
aus  und  wollte  sich  dabei  halb  krank  lachen.  Er  war 
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ernsthafter  und  tieler.  Oft  versicherte  er  mich,  ich  würde 
in  acht  Tagen  jenseits  der  Pyrenäen  sein,  wenn  ich  leben- 
dig hinüberkäme.  Ich  versprach  ihm  dagegen,  ihm  in 
ebenso  kurzer  Zeit  einen  Chesterkäse  aus  Bilbao  zu 
schicken,  den  er  besonders  zu  lieben  schien.  Ich  würde 
Wort  gehalten  haben,  wenn  ich  die  Gelegenheit  gefunden 
hätte.  Die  Leute  lebten  sehr  einfach.  Morgens  trank  jedes 
Familienglied  eine  große  Tasse  trefflicher  Schokolade, 

einem  großen  Glas  frischen  Wassers  bekam.  Mittags 
wurde  Suppe  und  ein  Ragout  gegessen,  abends  ein  ein- 
faches Gericht,  zum  Beispiel  gebackene  Fische.  Starke 
Getränke  kamen  nicht  vor,  nur  nahm  der  Hausherr  ein 
Glas  Likör  beim  Essen.  Dazwischen  wurden  den  ganzen 
Tag  Äpfel  gebraten,  auch  wohl  Kastanien.  Übrigens  ging 
es  ziemlich  ungeniert  zu.  Wenn  ich  kam,  machte  man  mir 
einen  Platz  beim  Feuer  zurecht;  die  Dona  setzte  sich 
einige  Mal  ganz  munter  mir  gegenüber,  legte  ihr  inter- 
essantes Bronzeköpf che n  in  den  Schoß  einer  Magd,  ließ 
sich  die  schönen  Haare  auseinandernehmen  und  —  die 
Läuse  suchen.  Gab's  was  Rechtes  zu  knacken,  so  schien 
ihr  dies  Spaß  zu  machen.  Dabei  unterhielt  sie  sich  durch 
allerlei  Anreden  aus  der  Schürze  der  Magd  mit  mir,  wovon 
ich  denn  gewöhnlich  nichts,  oder  falsch  verstand  und  aus- 
gelacht wurde.  Schimpfte  sie  nicht,  so  suchte  mir  wohl 
der  Mann  in  seinem  gebrochenen  Latein  ihre  Ausdrücke 
zu  erklären.  Wenn  es  dunkel  wurde,  hing  man  in  der 
Mitte  eine  Lampe  auf,  und  einige  Sefiores  aus  der  Nach- 
barschaft setzten  sich  zu  uns,  um  den  Zirkel  zu  vermehren. 

Die  Männer  waren  gewöhnlich  sehr  niedergeschla- 
gen, doch  funkelte  in  ihren  Augen  die  Hoffnung  auf  eine 
baldige  Erlösung.  Was  ich  ihnen  von  unserer  herbeiströ- 
menden Macht  sagte,  glaubten  sie  nicht  oder  widerlegten 
es  durch  hochmütige  Herausforderungen.  An  heimlichen 
Nachrichten  von  den  Insurgenten  fehlte  es  ihnen  nicht. 
Sonst  existierte  aber  kein  Mittel,  seine  Neugierde  zu  be- 
friedigen, als  das  Blatt,  das  der  König  in  Vittoria  drucken 
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ließ.  Dieses  brachten  sie  zuweiten  und  kommentierten 
es  bitter.  . 

Am  21.  fing  das  Wetter  an  erträglicher  zu  werden, 
ich  streifte,  soweit  es  die  Umstände  erlaubten,  hinter  den 
Vorposten  herum,  um  auf  dem  neuen  Boden  meine  mili- 
tärisch-topographische Neugierde  zu  befriedigen.  Übrigens 
beging  ich  manche  Unvorsichtigkeit,  ehe  ich  mich  daran 
gewöhnen  konnte,  mich  hinter  der  Front  nirgends  für 
sicher  zu  halten  als  in  der  Mitte  von  Bewaffneten.  Oft 
verschwanden  zwar  Leute  in  Biscaya,  und  man  erfuhr 
nie,  wohin  sie  gekommen  waren,  oder  sie  kamen  ver- 
wundet und  nackt  zurück  und  erzählten,  wie  man  aus 
Fenstern  und  Büschen  auf  sie  geschossen  und  sie  dann 
beraubt  hätte.  Ich  glaube  aber,  es  wird  jedem  braven 
Mann,  dessen  Herz  nicht  von  Natur  oder  durch  Erziehung 
und  Unglück  eingeschüchtert  ist,  so  gehen  wie  es  mir 
ging.  Ich  konnte  mitten  unter  den  Verrätern  mich  nicht 
daran  gewöhnen,  Verräterei  für  meine  Person  zu  fürchten. 

Um  halb  zwei  Uhr  kamen  wir  —  nach  einem  Aus- 
flug in  die  Umgegend  —  bei  unserer  Tischgesellschaft  an. 
Wir  ahnten  nicht,  daß  wir  in  den  ersten  Monaten  in 
keinem  Hause  mehr  schlafen  sollten.  Kaum  hatten  wir 
mit  einigen  Bissen  den  ersten  Hunger  gestillt,  und  schon 
senkten  sich  unsere  ermatteten  Augen  zum  Schlaf  —  da 
wurde  der  Gencralmarsch  geschlagen.  Ich  hatte  kaum 
Zeit,  die  Wäsche  zu  wechseln,  so  schnell  ging  es  zum  Tore 
hinaus.  General  Merlin1)  war  mit  seinem  Haufen  auf  allen 
Seiten  angegriffen  worden  und  hielt  sich  nur  mit  Mühe 
hei  Zornoza.  Wir  konnten  aber  auf  dem  abscheulich  elen- 
den Wege  an  der  Durango  nur  langsam  fortkommen.  Es 
war  schon  Nacht,  als  das  Regiment  Nassau  und  die  badi- 
schen VoKigeurs  bei  Zornoza  ankamen.  Wir  nahmen  mit 


s)  Antoine  Eugene  Merlin,  französischer  Brigadegeneral,  1765 
bis  1845.  Die  Schlacht  von  Zornoza  fand  am  29.  Oktober  zwischen 
dem  Marschall  Lefebvre  und  der  Armee  Blakcs  statt,  die  von  ersterem 
Sachlagen  wurde. 


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dem  badischen  Regiment  eine  Aushilfsposition  rechts  im 
Gebirge.  Hurcti  die  Pflicht  die  j/anzc  Nacht  in  der  tätigsten 
Anstrengung  erhalten  und  durch  herbslliche  Regenschauer 
abgekühlt,  hatte  ich  Zeit  genug,  mir  über  die  glückliche 
Wahl  des  Augenblicks  am  vorigen  Tage  einige  derbe 
Komplimente  zu  machen!  Am  25.  bezog  ich  mit  dem 
ersten  Bataillon  eine  Stellung  auf  einer  Höhe  rechts  rück- 
wärts von  Zornoza,  die  Front  gegen  Lcbano,  den  rechten 
Flügel  gegen  die  Kapelle  hin.  Ich  solite  verhüten,  daß 
der  Feind  nicht  die  rechte  Flanke  des  Generals  Merlin  um- 
ging, und  schickte  daher  starke  Abteilungen  vorwärts, 
rechts  ins  Gebirge.  Das  zweite  Bataillon  ging  nach  Du- 
rango,  wo  das  Regiment  Messen  in  Reserve  stand.  Unsere 
braven  Voltigeure  schössen  sich  den  ganzen  Tag  jenseits 
Zonioza  mit  dem  Feind  herum  und  hielten  ihn  in  Respekt. 
Wir  lebten  zum  ersten  Male  auf  gut  soldatisch  aus  dem 
Stegreif  von  geraubten  Hämmeln. 

Ohne  daß  ich  ahnte,  wie  es  bei  Zornoza  aussah,  visi- 
tierte ich  in  der  Nacht  ruhig  meine  Posten,  als  ich  Befehl 
zum  Rückzug  durch  das  Durangotal  erhielt,  ich  brauchte 
anderthalb  Stunden,  ehe  ich  meine  Leute  alle  wieder  zu- 
sammen hatte.  Dann  dauerte  es  wenigstens  ebenso  lange, 
bis  ich  durch  die  scheußlichsten  Wege  in  der  Dunkelheit 
in  dem  berühmten  Durangotal  herauskam  und  wieder  mit 
den  Meinigen  vereinigt  war.  Dort  fiel  ich  in  die  Nachhut 
und  kam  in  ziemlich  schlechtem  Zustand,  über  die  Maßen 
ermüdet,  bei  vollem  Tag  unweit  der  Stadt  an.  Es  ist  ein 
Unglück,  wenn  die  Generale  die  Gegenden  nicht  kennen. 
Hätte  man  mich  meinen  Rückzug  über  die  Höhen  machen 
lassen,  so  würde  ich  von  der  einen  Seite  die  ganze  Armee 
gedeckt  haben;  ja  seihst,  wenn  ich  angegriffen  worden 
wäre,  hätte  ich  gewiß  nichts  verloren.  So  half  ich  andern 
das  Spiel  verderben  und  wäre,  wenn  der  Feind  uns  an- 
gegriffen hätte,  leicht  verteidigungslos  vernichtet  worden. 

Der  Feind  hatte  seine  ganze  gegen  30000  Mann  starke 
Armee  noch  vor  dem  Abend  des  25.  dicht  vor  Zornoza  aus- 
gebreitet und  große  Massen  davon  links  gegen  Lebano  vor- 
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geschoben.  Es  war  hohe  Zeit,  einen  von  aller  Verteidigung 
entblößten  Kessel,  wie  das  Tal  von  Zomoza,  zu  verlassen, 
wollte  man  nicht  ganz  darin  aufgerieben  oder  von  Bergara 
abgeschnitten  werden.  Der  Marschall  Lefebvre6),  der  am 
25.  mit  Kurierpferden  von  Vittoria  angekommen  war,  sah 
dieses  noch  zur  rechten  Zeit  ein,  und  der  träge  Feind 
merkte  am  Morgen  des  26.,  als  er  uns  verschwunden  sah, 
zu  spät,  welchen  Vorteil  er  hatte  entschlüpfen  lassen.  Ich 
war,  nachdem  ich  mich  aus  dem  Kote  des  Durangotales 
herausgewunden  und  meine  Leute  beim  Zählen  auf  der 
Wiese  vor  der  Stadt  alle  wiedergefunden  hatte,  froh, 
meinen  Freund  P  anzutreffen,  der  mit  seinen  Ka- 
nonen im  Biwak  gebliehen  war.  Er  labte  mich  mit  einer 
Tasse  Schokolade,  und  ich  bekam  dadurch  Mut,  mich  an 
einem  Baum,  an  den  ich  einen  kleinen  Spiegel  einschlug, 
zu  rasieren.  Das  hätte  mir  beinahe  den  Hals  gekostet, 
denn  einem  bergischen  Dragoner  kam  diese  Idee  in  dem- 
selben Augenblick.  Er  schlug  sein  Spicgclchen  auf  der 
anderen  Seite  des  Baumes  ein,  der  nun  einmal  bestimmt 
war,  ein  ober-  und  ein  niederrheinisches  Gesicht  zugleich 
zu  spiegeln,  und  ich  hätte  mir  beinahe  den  Hals  abge- 
schnitten, weil  ich,  statt  in  meinen  Spiegel,  in  das  schwarze 
Gesicht  vor  mir  blickte,  das  die  komischsten  Grimassen 
machte. 

Nach  allerhand  vergeblichen  Märschen  bezogen  wir 
endlich  um  Mittag  ein  Lager  auf  dem  rechten  Flügel  der 
ersten  Linie  der  kleinen  Armee  von  höchstens  EOOO  Mann, 
die  sehr  buntscheckig  zusammengesetzt  war.  Der  Mar- 
schall ging  nach  Vittoria  zurück,  um  Hilfe  herbeizuführen. 
Wir  waren  eben  mit  Erbauung  der  Hütten  beschäftigt, 
als  der  Feind  unsere  etwas  weit  vorgeschobenen  Schützen 
und  Voltigeure  mit  Ungestüm  und  in  großer  Mehrzahl  an- 
griff und  anfangs  zum  Teil  über  den  Haufen  warf.  Sie 


•)  Francois  Joseph  Lefebvre,  Herzog  von  Danzig,  fran- 
lösischer  Marschall,  1755-1B2D,  befehligte  im  Jahre  1808  das 
3.  Armeekorps. 

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betrugen  sich  aber  sehr  brav  und  warfen  mit  Unterstützung 
der  Brukn ersehen  Kompagnie  den  Feind  gänzlich  zurück. 
Dieser  begnügte  sich  mit  dem  kleinen  Versuch,  ob  man 
vor  ihm  ausreißen  würde!  Wir  zogen  aber  unsere  Posten- 
kette näher  vor  uns  und  deckten  auch  unsere  rechte  Flanke, 
die  sich  an  Wald  und  Sumpf  anlehnte,  welche  sehr  hohe 
Berge  begrenzten.  Bald  sahen  wir  diese  mit  einzelnen 
Trupps  Bewaffneter  angefüllt  Ich  nahm  gegen  Abend  40 
Freiwillige,  machte  eine  äulkrät  mühsame  Rekognoszie- 
rung über  alle  Oebirgskuppen  in  unserer  rechten  Flanke, 
schlich  mich  bis  dicht  an  die  feindliche  Avantgarde  heran, 
stellte  um  Mitternacht  einen  großen  Posten  auf  den  Haupt- 
berg, der  alle  anderen  beherrscht,  und  kam  vor  Morgen 
ohne  Verlust,  aber  sehr  ermüdet,  in  die  Hütte  zurück. 

Am  27.  sahen  wir  in  unserem  etwas  erhöht  liegenden 
Lager  einer  komischen  Balgerei  zu,  die  gefährlich  hätte 
werden  können.  Die  Spanier  waren  im  Begriff,  ihre  Vor- 
posten dicht  an  die  unsrigen  heranzurücken.  Ein  leichtes 
Bataillon  breschte  auf  unserem  linken  Flügel  jenseits  des 
Durango  aus  einem  Eichenwäldchen  mit  solchem  Unge- 
stüm auf  die  hessische  Voltige urkompagnie,  daß  diese  in 
wenigen  Minuten  den  Berg  hinunter  war.  Der  komman- 
dierende General  Leval,  der  mit  seinem  ganzen  Gefolge 
eben  mühsam  den  Berg  erklommen  hatte,  wäre  beinahe 
vor  unsern  Augen  gefangen  genommen  worden  und  mußte 
zu  Fuß,  sein  Pferd  an  der  Hand  führend,  den  steilen 
Abhang  hinabspringen.  Mit  nicht  ungerechtem  Unwillen 
kam  der  General  fluchend  zu  uns.  Der  stolz  gewordene 
Feind  fing  eben  an,  auch  unsere  rechte  Flanke  zu  beun- 
ruhigen und  unsere  Pikclts  anzugreifen.  „Zeigen  Sie  den 
Hundsföttern,"  rief  der  General,  „daß  gute  Truppen  da 
sind ;  wir  sollen  uns  nicht  mit  ihnen  einlassen,  aber  zu 
hochmütig  dürfen  wir  sie  auch  nicht  werden  lassen."  Wer 
war  froher  als  wir,  daß  wir  auch  einmal  daran  durften? 
Mühsam  erklommen  unsere  geschlossenen  Kolonnen  den 
hohen  Bergrücken,  den  uns  der  Feind  längst  hätte  abge- 
winnen sollen,  auf  dem  aber  erst  wenige  Vortruppen  an- 
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gekommen  waren,   die  unsere  Voltigen rkuge In  in  einem 
Augenblick  verscheuchten.  Bald  hatten  wir  uns  längs  des 
prächtigen  Abhangs  entfaltet.  Der  Feind  hatte  eine  unter- 
geordnete Höhe  inne,  die,  aus  dieser  gegen  einen  Bach 
hervortretend,  eine  Art  Plateau  bildete.  Vier  Kompagnien 
warten  ihn  auch    hier  bald  herunter,  wahrend  wir  oben 
Feuer  anzündeten   und  türkische  Musik  machten. 
■  In  der  Nacht  wollte  ich  den  feindlichen  starken  Vor- 
posten auf  dem    gegenüberliegenden  hohen  Felsen  auf- 
heben was  mir  in  der  vorigen  Nacht  nicht  unmöglich  ge- 
Sdiai'en  harte.    Ich  konnte  aber  mit  meinen  Wagehälsen 
teils  in  der  Dunkelheit  keinen  Übergang  über  den  noch 
nicht  rekognoszierten  Bach  finden,  teils  auch  fanden  wir 
schon  die  Höhe   mit  einigen  Regimentern  besetzt. 


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2.  Kapitel 

Ankunft  der  großen  Armee.   Treffen  bei  Vittoria 
und  Bilbao 

Am  28.  wurden  wir  angenehm  durch  den  Anblick  der 
ersten  Truppen  der  großen  Armee  überrascht.  Die  zum 
1.  Armeekorps  gehörige,  aus  vier  schönen  Infanterieregi- 
menten] bestehende  Division  Vilatte  hatte  uns  der  König 
von  Vittoria  aus  zu  Hilfe  geschickt.  Das  27.  leichte  und 
63.  Linienregiment  lösten  uns  auf  unserer  schönen  Berg- 
feste ab.  Wir  waren  schon  im  Begriff,  wieder  auf  unseren 
alten  Platz  herunterzu rücken,  als  uns  der  Marschall'), 
der  von  Vittoria  gekommen  war,  Befehl  gab,  als  zweites 
Treffen  stehen  zu  bleiben.  Dieser  Umstand  war  für  uns 
sehr  vorteilhaft.  Der  Marschall  war  schon  durch  die  Ge- 
schicklichkeit unseres  Obersten  und  durch  den  Eifer  der 
beiden  Regimenter  ganz  für  uns  eingenommen.  Da  wir 
nun  auf  einer  Position  standen,  die  wir  selbst  erobert 
hatten  und  die  die  ganze  Gegend  beherrschte,  so  kam  der 
Marschall  täglich  zu  uns  und  gewann  uns  immer  lieber. 
Wir  ließen  es  uns  auf  diese  Art  ganz  gern  gefallen,  unser 
vergebens  erbautes  Lager  nur  von  weitem  sehen  zu  können 
und  auf  dem  kahlen  Felsen  den  nahe  gehofften  Angriff 
zu  erwarten,  zumal  wir  recht  angenehmes  Herbstwetter 
bekamen.  Unsere  Hoffnung  schien  um  so  begründeter, 
da   wir   auch   noch    das    holländische    Infanterie-  und 


')  Gemeint  ist  Lefebvre. 

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Husarem eg im ent  und  das  Bataillon  Primas  ankommen 
sahen.  Die  buntscheckige  Division  Merlin  wurde  dagegen 
auigelösi  und  marschierte  größtenteils  ab. 

Am  30.  kam  der  Divis ionsgeneral  Sebastian!8)  end- 
lich mit  den  vier  schönen  Infanterieregimentern  an,  die 
die  1.  Division  des  4.  Armeekorps  ausmachen  sollten. 
Nun  ließ  sich  der  Marschall  nicht  mehr  halten.  Mit  sicht- 
barer Freude  kam  er  zu  uns,  traf  seine  Dispositionen 
und  zeigte  den  Kommandeuren  ihren  Weg.  Er  ließ  dop- 
pelte Portionen  Branntwein  und  viele  Patronen  herbei- 
bringen. Jeder  Mann  bekam  61)  in  die  Tasche,  und  jedes 
Bataillon  noch  ein  mit  Munition  beladen  es  Maultier.  Alles 
blieb  übrigens  beim  alten.  Die  Division  Sebastian]  blieb  in 
der  Nacht  in  Kolonnen  im  Tal  in  der  Nähe  der  Straße 
liegen.  Unsere  Voltigeure,  auf  die  man  außerordentliche 
Zuversicht  hegte,  standen  vor  diesen  Kolonnen  dicht  an 
dem  Feind,  um  den  Neuankömmlingen  auf  dem  wohlbe- 
kannten Terrain  den  Weg  zu  bahnen. 

Mit  Tagesanbruch  standen  sämtliche  Kolonnen  dicht 
hinter  den  Vorposten  bereit.  Ein  neues  Hindernis  war  ein- 
getreten. Die  ganze  Gegend  war  in  einen  Nebe!  einge- 
hüllt, der  die  Ausführung  eines  mit  Ordnung  und  Über- 
steht geleiteten  Plans  verbot. 

Kaum  fingen  nach  ein  paar  Stunden  langen,  vergeb- 
lichen Wartens  die  Nebel  an,  durcheinanderzufließen 
und  durchsichtiger  zu  werden,  als  auch  der  Angriff  auf 
dem  linken  Flügel  mit  einem  heftigen  Geplänkel  begann. 
Nie  stand  wohl  ein  Häuflein  an  einem  so  wichtigen  Tag 
interessanter  postiert,  als  das  unsere.  Von  dem  vorsprin- 
genden, hohen  Plateau,  wo  links  und  rechts  die  beiden  Ko- 
lonnen  des  rechten  Flügels  standen,  konnten  wir  alle 


e)  Horace  Francis  Basti en  de  la  Porta  Graf  Sebastiani, 
hervorragender  französischer  General  und  Diplomat,  1772—1851, 
kämpfte  1808— 1811  in  Spanien,  wo  er  erst  die  1.  Division  des 
4,  Armeekorps  kommandierte  und  nach  der  Einnahme  Madrids  jum 
Oberbefehlshaber  desselben  Korps,  das  zur  Deckung  der  Stadt  be- 
stimmt war,  ernannt  wurde. 

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Stellungen  des  feindlichen  Vortrupps  und  jeden  Mann 
unserer  Armee  übersehen.  Vor  uns  am  Abhang  lagen  die 
Voltigeure  auf  Buchsen  Schußweite  von  den  feindlichen 
Vorposten,  die  jenseits  des  Wassers  standen.  Bei  uns 
waren  der  Marschall,  der  Divisionsgeneral  Leval  und  der 
Brigadeserierai  Pacthod'),  der  die  Kolonne  zur  Rechten 
kommandierte.  Alle  Generale  und  Stabsoffiziere  waren  zu 
Fuß,  mit  großen  Eiehenknifli.'in  ItcwiiiTnet,  die  unsere  Sap- 
prnrr  li,i;n'-i  rriuillcn.  Sit  hatten  uriili  zur  Verfertigung 
neuer  Knicken  Materialien  herbeigeschleppt,  die  nachher 
der  Mur  di  r  I  ruppen  unnc.n;»  machie.  Ktld  standen  aKe 
feindlicher:  Lager,  durch  den  Lac«  auf  dem  rechten  l  lußel 
aufgeschreckt,  unter  Waffen.  Wir  waren  den  zwei  Posi- 
tronen des  linken  I  lugcl«  «u  i'.ahe,  daß  ma:i  beinahe  die 
Leute  zählen  konnte.  Unsere  I  eure  ircuten  sich  im  voraus, 
bemerken  /u  Lomir:),  wir  unsere  llau^it/eiigi.inaieri,  die 
der  Feind  nicht  ahnte,  in  seine  Reihen  fliegen  wurden. 
IJrr  Marsihdll  seihst  war  mit  seiner  gewöhnlichen  Lebhaf- 
tigkeit im  Reden  und  Handeln  einer  der  wichtigsten  üegen- 
stände  unserer  Beobachtung. 

Endlich  war  unser  linker  Flügel  nach  Überwindung 
vieler  Schwierigkeiten  bis  auf  die  bestimmte  Höhe  vorge- 
drungen. Der  Marschall  schwang  seinen  Thyrsus.  Die 
/.uriii'li^elinits.'üi'ii  Donner  erti'-'iite!!  u:id  verbreiteten  durch 
ihr  Oesehoß  vor  unseren  Augen  Verwirrung  auf  beiden 
Positionen  der  überraschten  Feinde.  Die  Voltigeure  wa- 
teten durch  den  Bach,  und  das  Tiraillieren  begann.  Alle 
Kolonnen  drangen  zugleich  im  Geschwindschritt  mit  tür- 
kischer Musik  vor,  und  lauter,  unbefohlener  Jubel  rauschte, 
gleich  plötzlich  aufschwellenden  Meereswogen,  von  einem 
Flügel  zum  anderen. 

Ich  übergehe  die  weiteren  Einzelheiten  dieser  kleinen, 
aber  für  unseren  Ruhm  und  unser  militärisches  Bewußtsein 

s)  Graf  Michel  Marie  Paclhod,  geboren  1764,  focht  am 
10.  November  1808  bei  Espinosa.  Am  12.  Dezember  erstürmte  er 
mit  dem  27.  leichten  Iiifnmcrie  regime nt  und  dem  45.  Linienregiment 
das  Tor  von  Akala  beim  Angriff  auf  Madrid. 
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entscheidenden  Schlacht.  Der  Feind  wurde  ohne  großen 
Widerstand  aus  zwei  sehr  festen  Stellungen  geworfen. 
Die  Kolonnen  taten  keinen  Schuß  und  hielten  nicht  länger 
an,  als  nötig  war,  um  nach  durchwatetem  Bach  oder  nach 
erklommener  Höhe  oder  halb  rutschend  verlassenen  steilen 
Bergen  nicht  auscinanderzukommen  und  mit  den  benach- 
barten auf  gleicher  Höhe  zu  bleiben.  Außer  den  Volti- 
geuren  kamen  nur  diejenigen  Kompagnien  ins  Feuer,  die 
wir  abwechselnd  absandten,  um  Gefangene  zu  machen, 
oder  um  erstere,  die  wie  die  Hunde  auf  halb  fliehende, 
halb  widerstehende  Eber  hetzten,  zu  unterstützen.  End- 
lich stießen  wir  auf  die  ganze  spanische  Armee,  die,  ziem- 
lich stark  an  Zahl,  aber  ohne  Kavallerie  und  Artillerie, 
sich  auf  dem  beinahe  isolierten,  kahlen  Berge  vor  Zornoza 
aufgestellt  hatte.  Sie  hielt  in  drei  Linien  den  ganzen  vor- 
deren Abhang  des  langen  Bergrückens  besetzt  und  hatte 
zwischen  diesen  Linien  viele  Regimenter  als  Kolonnen 
aufgestellt.  General  Blake  ritt  dazwischen  herum  und  gab 
sich  viele  Mühe,  die  Ordnung  herzustellen.  Wir  mußten 
ein  wenig  anhalten,  da  unsere  Kolonne  so  nahe  am  Feind 
war,  daß  die  kleinen  Kugeln  hineinzutreffen  anfingen  und 
General  Pacthod  zur  Rechten  und  Sebastmni  zur  Linken 
noch  nicht  so  weit  waren.  Unsere  Voltigeurc,  einen  Augen- 
blick allein  dem  ganzen  Feuer  der  lYiuiiii-.-ben  ersten  Linie 
ausgesetzt,  mußten  ein  wenig  zurückgehalten  werden,  leb 
schickte  ihnen  die  Grenadiere  zu  Hilfe.  Statt  sich  als 
Unterstützung  hinter  sie  zu  stellen,  ließen  sie  sich  von 
blindem  Eifer  verleiten,  sich  wie  die  Tollen  aui  den  Feind 
loszustürzen.  Dadurch  verloren  sie  unnötig  viele  Leute, 
und  da  der  Kapitän  und  erste  Leutnant  verwundet  waren, 
geriet  der  zweite  zum  Glück  noch  unter  die  eben  ankom- 
menden äußersten  Voltigeurc  des  rechten  Flügels  von 
Pacthod  und  kam  erst  am  anderen  Tag  wieder  zu  mir. 
Dadurch  verlor  ich  nutzlos  für  das  zu  erwartende  Haupt- 
geiecht  meine  beste  Kompagnie.  Eine  andere,  die  ich 
nun  abschicken  mußte,  machte  mir's  nicht  viel  besser,  und 
ich  hatte  große  Mühe,  sie  wieder  an  mich  zu  ziehen. 

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Unterdessen  kamen  auch  auf  unserem  linken  Flügel 
die  Kolonnen  von  Sebasfiani  zum  Vorschein.  Die  vier 
Haubitzen,  die  sich  im  Tal  durchgearbeitet  hatten,  fingen 
an,  die  feindliche  Hauptstellung  zu  bewerfen.  Das  27. 
leichte  Regiment  ruckte  in  der  linken  Flanke  des  Feindes 
langsam  vor.  Alle  Voltigeure  des  rechten  Flügels  und  des 
Zentrums  waren  wieder  im  Feuer.  Der  Feind  fing  an, 
abzuziehen;  die  Voltigeure  kletterten  den  Berg  hinauf; 
alle  Kolonnen  folgten  im  Sturmschritt  Bald  wurde  Ver- 
wirrung und  Flucht  beim  Feinde  allgemein,  doch  konnten 
von  den  atemlosen  Volrigeuren  nur  wenige  noch  einge- 
holt und  gefangen  werden.  Der  Marschall  überschüttete 
uns  mit  Loheserhebungen  und  ließ  zur  Auszeichnung  mein 
Bataillon  und  eins  von  Nassau  für  die  Nacht  als  seine 
Leihwache  in  Zornoza  einrücken.  Die  übrige  Armee  biwa- 
kierte außerhalb  des  Orts,  der  von  Einwohnern  ganz  ver- 
lassen war.  Die  ermatteten  hungrigen  Soldaten  fielen 
etwas  unsanft  über  die  zurückgelassenen  feindlichen  Maga- 
zine her.  Ermüdung  und  ungleich  gestillter  Hunger  mach- 
ten dem  Lärm  zuletzt  ein  Ende. 

Am  1.  November  teilte  sich  die  Armee  in  drei  Ko- 
lonnen. Das  Hauptkorps  mit  der  Artillerie  und  allem 
Fuhrwerk  verfolgte  den  Lauf  der  Durango  und  des  Ybay- 
chalvals,  zwei  Regimenter  der  Division  Villatte  kletterten 
über  einen  nahen  Fußpfad,  der  quer  über  das  steilste 
Gebirge  führt,  die  Brigade  Pacthod  und  die  Division  Leval 
gingen  rechts  durch  bewohnte,  aber  auch  sehr  unwegsame 
Gegenden,  nämlich  durch  die  Dörler  Larrafaezua,  Lezema 
und  Zamudio,  aus  denen  der  Schrecken  die  unglücklichen 
Einwohner  entfernt  hatte,  die  jetzt  zum  erstenmal  den  grau- 
samen Feind  sahen.  Auch  diese  abgelegenen  Ortschaften 
hatten  das  Ansehen  von  Wohlstand,  das  der  Fleiß  der  Be- 
wohner täuschend  über  die  wilden  Täler  Biscayens  ver- 
breitet. Die  Kirchen,  deren  Heiligkeit  selbst  der  Wut  der 
raubgierigen  Soldaten  keinen  Einhalt  tat,  waren  reich  mit 
Gold  und  Silber  und  herrlichen  Meßgewändern  gefüllt.  Von 
der  spanischen  Armee  sahen  wir  nichts  als  Spuren  ihres 
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Rückzugs  und  ihrer  Flucht  Sie  war  noch  in  der  Nacht 
über  Bilbao  bis  Valmaseda  zurückgegangen.  Einzelne 
Leute  davon  schwärmten  noch  auf  unsern  Flanken  herum. 
Ich  ließ  eine  Anzahl  durch  Seilenpatrouillen  zusammen- 
treiben, arme  Teufel,  die  man  uns  im  Hauptquartier  nicht 
abnehmen  wollte  und  die  wir  daher,  wie  das  öfters  ge- 
schah, schließlich  wieder  laufen  ließen.  Ein  fanatischer 
Mensch  unter  ihnen  hätte  beinahe  noch  am  Abend  unsern 
Oberst  getötet,  wenn  das  Gewehr  nicht  versagt  hätte. 

Gegen  Abend  war  das  ganze  Armeekorps  in  der  Ge- 
gend von  Bilbao  angekommen,  wo  das  Hauptquartier  blieb. 
Wir  gingen  eine  Stunde  abwärts  mit  unserm  Regiment  auf 
den  Flaggenturmberg  (Punta  de  las  banderas),  auf  dessen 
windigem  Gipfel  wir  die  Nacht  biwakierten. 

Für  uns  war  es  schrecklich  zu  sehen,  wie  dieses  ganze 
schöne  Land  der  zügellosen  Plünderung  und  der  Wut  des 
betrunkenen  Soldaten  preisgegeben  war,  der  sich  die 
Hände  in  Arrak  und  Champagner  wusch  und  auf  Meß- 
gewändern schlief.  Ich  verließ  aus  diesem  Grunde  die 
besoffene  Bande  keinen  Augenblick,  da  niemand  bei  dem 
allgemeinen  schlimmen  Beispiel  mehr  Herr  darüber  war. 
Abends  trank  ich  mit  meinen  Offizieren  einen  ehrlich  er- 
kauften Punsch  auf  dem  Flaggenturm,  von  dem  wir  die 
bunten  Fahnen  wehen  ließen,  die  zum  Signalisieren  der 
Schiffe  bestimmt  sind  und  in  der  Stadt  gesehen  werden 
können.  In  der  Nacht  bekamen  wir  Marschorder.  Am 
Morgen  verließ  ich  unsern  schönen  windigen  Berg,  nach- 
dem ich  allen  Raub,  der  sich  im  Lager  befand,  hatte  ver- 
brennen lassen. 

Am  folgenden  Morgen  fand  der  Marschall  beim  Re- 
kognoszieren vor  Valmaseda  keinen  Feind.  Weiter  vorzu- 
gehen durfte  er  nicht  wagen,  weil  der  Kaiser,  der  unter- 
dessen in  Vittoria  angekommen  war  und  vom  Zentrum 
aus  seine  großen  Manöver  einleitete,  haben  wollte,  daß 
wir  den  Feind  in  dem  Defilee  der  Durango  durch  den  An- 
schein von  Furcht  noch  einige  Tage  hinhalten  sollten, 
während  er  vom  Ebro  her  zwei  Armeekorps  in  verschie- 
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denen  Richtungen  in  dc;i  Rücken  des  spanischen  linken 
Flugeis  schickte.  In  der  Tat,  hätte  der  Marschall  den  Ge- 
neral Blake  nicht  zu  früh  geschlagen,  so  wäre  dieser,  wie 
wir  14  Tage  nachher  erfuhren,  mit  seinem  ganzen  Armee- 
korps unser  gewesen.  Daher  kam  es  auch,  daB  die  Trup- 
pen des  Lefcbvreschcn  Korps  sehr  gelobt  wurden,  während 
der  Marschall  eine  Nase  erhielt.  Der  alte  Mann  verlor 
darüber  völlig  den  Kopf.  Statt  den  ganzen  Marsch  von 
Valmaseda  in  eine  Rekognoszierung  zu  verwandeln,  zieht 
das  Hauptkorps  nach  Bilbao  zurück  und  läßt  die  Division 
Villate  9  Stunden  Wegs  weit  ohne  Unterstützung  bei  Val- 
maseda stehen.  Ja,  er  vergißt  sein  bestes  Regiment,  das 
75.  von  der  Sebastianischen  Division,  das  er  am  3.  von 
Cuccurrea  aus  nach  Castro  Urdiales,  einem  von  Bilbao 
und  Valmaseda  gleichweit  entfernten  Seehafen,  detachiert 
hat.  Und  als  er  am  andern  Tag  zu  spät  sein  Versehen  inne 
wird,  kann  er  schon  keine  Nachricht  mehr  dahin  durch- 
bringen. Er  versucht  es,  eine  Abteilung  Dragoner  hinzu- 
schicken, denn  wir  hatten  nun  ein  französisches  Dragoner- 
regiment beim  4.  Armeekorps.  Dieses  gelangt  auch  fast 
bis  an  das  Biwak  des  75.  Regiments,  wird  von  dessen 
Voltigeuien  rekognosziert  und  entflicht,  weil  es  den  Feind 
zu  sehen  glaubt  Der  Feind,  von  allem,  was  vorgeht,  na- 
türlich aufs  genaueste  unterrichtet,  fällt  am  5.  über  das 
28.  Regiment  her,  das  nach  geendigter  Feld entd eckung 
sich  zum  Teil  auf  Marodierung  zerstreut  harte.  Er  schlägt 
es  und  nimmt  ihm  eine  Kanone  ab.  Vilatte  bleibt  nichts 
weiter  übrig,  als  hinter  der  Stadt  sein  zerstreutes  Regiment 
durch  die  drei  übrigen  aufzunehmen  und  sich  bis  Ouennes 
zurückzuziehen. 

Ich  komme  zu  unserm  Rückmarsch  vom  4.  Er  wurde 
vor  Mittag  mit  den  Divisionen  Sebastian!  und  Leval  auf 
dem  alten  Wege  über  Ouennes,  Cuccurrea  und  Quadro 
nach  Bilbao  ausgeführt.  Wir  kamen  noch  bei  Tag  durch 
das  schöne  Defilee,  aber  bis  wir  in  die  Stadt  gelangten, 
wurde  es  wieder  Nacht.  Wir  sollten  nun  noch  jenseits 
ins  Biwak;  da  sich  aber  kein  Mensch  fand,  der  uns  an- 


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weisen  wollte,  und  für  nichts  gesorgt  war,  so  quartierten 
wir  uns  selbst  in  ein  paar  ausgeplünderte,  verlassene  Häu- 
ser am  östlichen  Ende  der  Stadt  ein.  So  fanden  unsere 
armen,  über  Gebühr  ermüdeten  Soldaten  doch  wenigstens 
einen  Fußboden,  auf  dem  sie  trocken  schlafen  konnten. 
Mich  nahm  der  Oberst  auf,  der  in  dem  großen  Hause 
eines  vornehmen  Spaniers  logierte,  welcher  geflüchtet  war. 
Ein  deutscher  Kaufmann  hatte  in  diesem  Hause  ein  Ge- 
schäft mit  Nürnberger  Waren  und  machte  den  Haushof- 
meister. 


4      B*MT:  Sjun-  FieiUdWampf. 


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3.  Kapitel 

Gefechte  bei  Valmaseda,  Espinosa  und  Quintanüla 

Am  Morgen  des  7.  waren  wir  eben  mit  besserer  Aus- 
stellung unserer  Vorposten  beschäftigt,  als  wir  Befehl  be- 
kamen, uns  mit  der  Armee  vorwärts  in  Bewegung  zu 
setzen.  Der  Marschall  hatte  nämlich  endlich  vom  Kaiser 
den  Befehl  dazu  erhalten.  Wir  sahen  die  andern  Divi- 
sionen in  das  Tal  des  Salcodons  rechts  abmarschieren. 
Nur  warteten  wir  wieder  vergebens  auf  Lebensmittel  und 
mußten  doch  noch  nachmittags  ohne  Brot  abmarschieren. 
Bald  hörten  wir  ein  heftiges  Feuer,  das  mit  einbrechender 
Nacht  still  ward.  Endlich  kamen  wir  wieder  im  Dunkeln 
bei  der  Armee  an.  Villate  stand  links  auf  dem  Berge  gegen 
Molinar,  Sebastiani  rechts  gegen  Ocharron,  und  wir  blieben 
wieder  in  Kolonnen  im  Tal  bei  Zalla.  Die  feindlichen 
Biwaks  zogen  sich  rechts  und  links,  soweit  man  sehen 
konnte,  bei  La  Errera  auf  den  Bergen  hin.  Mit  minderer 
Zuversicht  waren  die  Kolonnen  heute  vorgerückt.  Es 
schien  beinahe  gewiß  zu  sein,  daß  das  ganze  75.  Regiment 
das  Gewehr  hatte  strecken  müssen.  Unsere  Division  schien 
auszubleiben,  und  schon  sah  man  die  ganze  feindliche 
Avantgarde  auf  den  Höhen  von  Quennes  aufgestellt.  Was 
geschieht?  Kaum  hat  der  erste  Voltigeur  sein  Gewehr 
losgeschossen,  so  erscheint  in  unserer  rechten  Flanke  eine 
schwache  Kolonne.  Alles  stutzt.  Sind  es  Freunde  oder 
ist's  der  Feind,  der  vom  leichten  Siege  der  Übermacht 
zurückkehrt?  Da  glänzen  die  Adler  des  75.  Regiments 
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im  herbstlichen  Sonnenstrahl !  Alles  jauchzt,  und  das  58., 
unterstützt  vom  wiedergefundenen  75.,  steigt  kühn  den 
vom  Feinde  stark  besetzten  sltilen  Felsen  hinan  und  wirft 
ihn  aus  seiner  besten  Stellung.  Die  Dunkelheit  scheidet 
die  Streitenden;  von  weitem  winkt  den  Franzosen  die 
Palme  des  Sieges.  Der  brave  Oberst  Buquet  hatte  sich 
am  3.  ohne  große  Mühe  bei  Castro  festgesetzt.  Er  er- 
wartet vergebens  am  4.  und  5.  Befehle  vom  Marschall. 
Von  dem  unglücklichen  Vorfall  bei  Valmaseda  benach- 
richtigt, verläßt  er  doch  nicht  den  Platz,  der  ihm  ange- 
wiesen ist  Am  Abend  des  6.  war  er  von  einer  großen 
feindlichen  Macht  beinahe  eingeschlossen.  Ruhig  versam- 
melt er  abends  seine  Bataillonschefs,  zeigt  ihnen  die  ganze 
Gefahr  ihrer  Lage  und  beruft  sich  auf  die  Vorteile,  die 
Mut  und  Geschicklichkeit  verschaffen.  Am  7.  mit  anbre- 
chendem Tag  marschiert  er  in  schönster  Ordnung  ab.  Der 
erstaunte  Feind  sieht  zu  und  wagt  es  nicht,  sich  auf 
Hinten  Schußweite  zu  nahen.  Der  Oberst  und  sein  braves 
Regiment  hatten  es  verdient,  daß  ungewöhnliches  Glück 
ihrem  Heldensinn  lächelte.  Die  Un  entschlossen  he  it  des 
Marschalls  wäre  durch  den  Verlust  seines  besten  Regi- 
ments kaum  zu  hart  bestraft  gewesen. 

Am  8.  mußten  wir  wieder  bis  Mittag  harren.  End- 
lich ging  es  vorwärts,  hinfer  Scbastiani  im  Tal  durch 
La  Errera,  während  Villate  links,  sich  meistens  schla- 
gend, von  Berg  zu  Berg  kletterte.  Vor  Valmaseda  schien 
der  Feind  auf  furchtbaren  Positionen  ernstlich  Halt  machen 
zu  wollen.  Wir  kletterten  daher  eilig  über  den  Berg 
zur  Rechten  und  befanden  uns  bald  mit  den  Regimentern 
Baden  und  Nassau  am  Fuße  des  Berges,  auf  dem  der 
feindliche  linke  Flügel  stand.  Der  schickte  uns  ein  unge- 
heures Kleingewchrfeuer  entgegen,  wir  aber  gingen  toll- 
kühn drauf  los;  und  ehe  die  Kugeln  recht  einschlagen 
konnten,  liefen  die  Feinde  schon  auf  und  davon.  In  dem- 
selben Augenblick  war  Scbastiani  in  die  Stadt  gedrungen. 
Wären  wir  rechts  zwischen  Linares  und  Valmaseda  durch- 
gegangen, so  hätten  wir  einen  großen  Teil  der  feindlichen 
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Kolonne  vernichtet,  die  nach  dem  Saldojaberge  flüchten 
mußte.  Der  Adjutant  aber,  der  uns  führte,  wollte  nichts 
davon  hören,  und  wir  mußten  wieder  in  das  Salcedontal 
zurück  und  .so  in  die  unglückliche  Stadt,  in  die  sieh  mit 
-einbrecliender  Nacht  alles  drängle,  während  sie  allen 
Greueln  der  Plünderung  und  des  Mordes  preisgegeben 
war.  Es  dauerte  bis  tief  in  die  Nacht,  als  man  uns  end- 
lich die  Weinberge  jenseits  der  Stadt  anwies.  Man  mußte 
einen  steilen  Rerg  hinaufklettern,  der  mit  hundert  Mauern 
durchschnitten  war,  über  die  die  Weinranken  ein  so  festes 
Gespinst  gezogen  hatten,  daß  sie  außer  der  Axt  jeder  Ge- 
walt widerstanden.  Ich  legte  selbst  mit  unsern  Zimmer- 
leuten Hand  an  und  brachte  es  nach  einer  mehr  als  stun- 
denlangen Arbeit  kaum  dahin,  daß  ich  ein  Plätzchen  be- 
kam, um  mit  dicht  aiifEeschlnsscncn  Divisionen  mich  zu 
stellen.  Wir  verbrannten  und  verdarben  gewiß  für  20000 
Reichstaler  Weinstöcke  und  hätten  uns  gar  nicht  wehren 
können,  wenn  es  einer  Handvoll  Feinden  eingefallen 
wäre,  sich  an  uns  für  eine  gute  Anzahl  der  Ihrigen,  die 
wir  beinahe  ohne  Verlust  getötet  und  gefangen  genommen 
hatten,  zu  rächen.  Wir  hatten  zwar  ein  paar  gute  Ochsen 
zu  verzehren,  aher  unsere  Leute,  die  früher  mit  dem  Zwie- 
back nicht  hausgehalten,  hatten  gar  kein  Brot.  Mir  fehlte 
es  alle  diese  Tage  nicht  daran,  weil  ich  mich,  mit  den 
Vorteilen  des  leichten  firotes  bekannt,  hinlänglich  damit 
versehen  hatte.  Als  es  Tag  wurde,  fand  ich  ein  totes 
Pferd,  einen  toten  Spanier  und  die  Reste  eines  toten 
Ochsen  friedlich  nebeneinander  und  mitten  unter  uns 
liegend. 

Es  war  kaum  Tag,  so  mußten  wir  wieder  aufbrechen ; 
aber  wir  waren  nur  500  Schritte  marschiert,  so  mußten 
wir  nach  löblicher  Sitte  mitten  in  einem  schlammigen 
Hohlweg  Halt  machen,  weil  man  im  Hauptquartier  nicht 
fertig  werden  konnte.  Die  Stadt  hatte  schon  die  ganze 
Nacht  an  zwei  Orten  gebrannt.  Ein  Teil  meiner  Effekten, 
die  ich  im  Quartier  des  Obersts  hatte,  war  mit  verbrannt, 
und  mein  Pferd  hatte  man  mit  Not  gerettet.  Jetzt  gab 
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es  eine  fürchterliche  Explosion.  Die  besoffenen  Barbaren 
hatten  selbst  die  Pulverfässer  in  Brand  gesteckt,  die  auf 
dem  Markt  standen,  und  sie  waren  so  mit  den  benach- 
barten Häusern  in  die  Luft  geflogen.  Als  ich  sah,  wie  es 
hier  zuging,  ließ  ich  wieder  rechts  in  einem  Weinberg 
ciabrechen  und  Feuer  machen.  Wir  fanden  hier  noch  tole 
und  verwundete  Spanier,  Gegen  Mittag  kamen  wir  end- 
lich in  Bewegung,  doch  schien  dieser  Tag  recht  zur  Prü- 
fung unserer  Geduld  bestimmt  zu  sein.  Als  wir  nach  Ber- 
ran  kamen,  fanden  wir  uns  plötzlich  von  französischen 
Regimentern,  die  wir  noch  nicht  kannten,  durchkreuzt. 
Es  war  das  1.  Korps  unter  Marschall  Victor,  das  bei  Mi- 
linda und  Puenteiarra  den  Ebro  zweimal  überschritten 
hatte  und  über  Ordunna  und  Amurrio  gegen  Valmaseda 
marschierte,  um  dem  feindlichen  General  Blake  in  den 
Rücken  zu  fallen.  Dies  würde  vollkommen  geglückt  sein, 
wenn  wir  einen  Tag  später  angegriffen  hätten. 

Uns  half  kein  Widerstreben  j  wir  mußten  die  beiden 
Divisionen  durchlassen.  Endlich  kamen  wir  wieder  in  Be- 
wegung und  lagerten  uns  an  dem  waldigen  Abhang  eines 
Berges,  den  Cadagua  oder  Salcedonbach  vor  uns.  Das 
Hauptquartier  war  in  Nava,  zwei  Stunden  von  Valma- 
seda. Dieses  sonst  nahrungsreiche  Städtchen,  in  dem 
wir  so  üble  Spuren  zurückließen,  liegt  ganz  an  der 
Grenze  von  Biscaya,  und  wir  befanden  uns  nun  schon  in 
dem  nördlichen,  gebirgigen  und  kalten  Teil  von  Altcasli- 
lien,  der  die  Montana  oder  auch  Provinz  Laredo  genannt 
wird.  Ein  Mönch  mit  Silberhaaren  sollte  erschossen 
werden.  Eine  Grcnadierpatrouillc  hatte  den  zitternden 
□reis  aus  dem  Walde  herbeigeschleppt  und  behauptete, 
er  habe  auf  sie  geschossen.  Der  Unglückliche  war  aus 
der  Mord-  und  Brandstätte  von  Valmaseda  entflohen  und 
kraftlos  niedergesunken.  Die  Unmenschen  wollten  Geld 
von  ihm  und  fanden  nur  ein  ledernes  Beutelchen  mit 
einigen  Realen.  Ärgerlich  über  einen  so  geringen  Fund, 
steckten  sie  ihm  zwei  Patronen  hinein  und  brachten  ihn 
mit  diesem  vorgeblichen  Corpus  delicti  vor  die  Front. 

53 

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Es  kostete  uns  viele  Mülie,  die  Unmenschen  zu  entlarven 
und  den  armen  Pfaffen  aus  den  Henkershänden  zu  be- 
freien. Dagegen  war  man  in  anderer  Hinsicht  viel  zu 
nachsichtig.  Im  Hauptquartier  war  man  ärgerlich,  wenn 
Gefangene  gebracht  wurden :  man  ließ  sie  daher  fast  alle 
wieder  laufen,  und  in  wenigen  Tagen  standen  sie  uns 
wieder  als  glückliche  Spione  und  racheschnaubende  Krie- 
ger gegenüber.  So  bestrafte  die  Unmenschlichkeit  sich 
selbst.  Dali  Insubordination  und  Zügcllosigkeit  stets 
gleiches  Schicksal  haben,  beweist  die  Geschichte  der  fol- 
genden Tage. 

Victor10)  und  Lefebvre  verstanden  sich  nicht  ganz. 
Ersterer  schätzte  den  Feind  gering  und  behauptete,  wir 
hätten  leichte  Lorbeeren  gefunden,  letzterer  ärgerte  sich 
über  den  geringschätzigen  Ton  des  ersteren.  Nach  langem 
Zank  endete  die  Geschichte  damit,  daß  Victor  am  10.  seine 
Division  Villate  an  sich  zog  und  mit  3  Divisionen  den 
Weg  einschlug,  der  über  den  Monte  Cabrio  nach  Espi- 
nosa  führt.  Lefebvre  aber,  nun  sehr  geschwächt  und  bloß 
mit  zwei  Divisionen,  Sebastiani  und  Leval,  nahm  den  Weg 
an  dem  Cadaguabach,  der  über  Villarcayo  nach  Burgos 
führt.  Nach  10  Uhr  morgens  kamen  wir  endlich  in  Be- 
wegung. 

So  zogen  wir  denn  zum  erstenmal  wieder  durch  ein 
schönes,  blühendes,  größtenteils  weithin  offenes,  wohl 
bewohntes,  mit  allen  Arten  von  Herden-  und  Federvieh 
reichlich  versehenes  Land.  Die  Menschen,  bei  denen  noch 
keine  Plünderer  eingekehrt  waren,  schienen  die  Hand- 
voll Fremdlinge  nicht  zu  fürchten,  mit  denen  sie  lange 
ihren  Überfluß  teilen  konnten.  Weit  entfernt,  diese  großen 
Vorteile  zu  benutzen,  wollten  wir  uns  ihrer  selbst  be- 
rauben, nur  um  zerstören  zu  können.  Der  ganze  Zug 
glich  einer  großen  Jagd  auf  Schweine,  Enten,  Hühner. 

i«)  Victor  Claude  Pcnin,  genannt  Vi  clor,  Herzog  von  Belluno, 
fränkischer  Marschalt,  1764-1841,  befehligte  1308  bis  1311  das 
1.  Armeekorps  in  Spanien  und  erfocht  besonders  die  Siege  bei 
Espimisa,  L'clis  und  Medeilin. 
54 

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Eia  Regiment  steckte  in  dem  andern.  Es  fielen  wenigstens 
JOOOO  Schüsse,  und  wir  Stabsoffiziere  waren  nicht  weniger 
in  (Mahr  als  in  einer  Schlacht.  Der  eine  nahm,  der  andere 
warf  weg.  So  wälzte  sich  der  scheußliche  Bacchantenzug 
langsam  bis  über  Vallejo  fort 

Der  Marschall  hatte  indes  einen  Adjutanten  von  Victor 
mit  der  Nachricht  geschickt  bekommen:  das  1.  Armee- 
korps sei  zwar  durch  den  Paß  von  Nuestra  Senora  de 
Santelices  glücklich  über  das  Gebirge  gegangen,  aber  bei 
Aguera  auf  eine  starke  Vorhut  des  Feindes  gestoßen.  Es 
sei  zu  einem  sehr  blutigen,  lange  unentschiedenen  Qefecht 
gekommen.  Nun  stünde  er  dicht  vor  der  Armee  von  La 
Rumana  und  Blake,  die  der  seinigen  an  Zahl  überlegen 
wäre  und  eine  furchtbare  Position  innehätte.  Er  bäte 
sehr,  ihm  am  folgenden  Morgen  zu  Hilfe  zu  kommen. 

Nun  war  kein  Halten  mehr.  Der  Marschall  zog  aufs 
Geratewohl  fort.  Im  Dorfe  Quinlanilla  Sapciia  schlug  er 
endlich  sein  Hauptquartier  auf.  Wir  hatten  uns  unge- 
fähr um  zwei  Uhr  morgens  an  den  Bergrücken  ange- 
klammert, von  dem  der  Cernejabach  fließt,  und  sanken, 
meist  nüchtern,  um  die  mit  Mühe  errungenen  Feuer  in 
Schlaf. 

Kaum  war  es  Tag,  so  setzten  wir  uns  wieder  in  Be- 
wegung. Es  fehlten  aber  dem  Armeekorps  wenigstens 
1200  Mann,  die  durch  die  Unordnungen  des  vorigen  Tages 
zurückgeblieben  waren  und  bei  dem  abscheulichen  Nacht- 
marsch über  den  Magdalenenpaß  uns  nicht  mehr  erreichen 
konnten.  Unsere  sämtlichen  Maulese!  befanden  sich  da- 
bei, sowie  die  meisten  Handpferde.  Sie  hatten  sich  bei 
Cadagua  niedergelassen  und  wollten  mit  Tagesanbruch 
aufbrechen,  in  der  Hoffnung,  uns  bald  wieder  zu  erreichen. 
Die  Artillerie  hatte  uns  ohnehin  schon  abends  verlassen 
und  vor  dem  fahrbaren  Paß  von  Santelices  Halt  gemacht 
Am  11.  morgens  marschierte  sie  eilig  vorüber,  kam  aber 
auch  zur  Schlacht  zu  spät. 

Wir  waren  noch  nicht  lange  in  Bewegung,  als  wir 
den  Donner  der  Schlacht  hörten.  In  Aguera  fanden  wir 
5E> 

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viele  Verwundete.  Wir  wendeten  uns  nun  gerade  gegen 
Espinosa,  als  wir  erfuhren,  daß  der  Feind  schon  ge- 
schlagen sei.  Nun  blieben  wir  wieder  eine  Zeitlang  un- 
schlüssig bei  Aguera  liegen.  Unterdessen  kamen  einzelne 
Flüchtlinge  an,  die  uns  erzählten,  wie  übel  der  Feind 
in  unserm  Rücken  bei  Qiiintaniila  hauste.  Statt  nun  mit 
einigen  Regimentern  eilig  nach  Quintanilla  zurückzukehren 
—  was  nach  der  Richtung,  die  wir  doch  wieder  einschlu- 
gen, kaum  ein  Umweg  von  einer  Viertelstunde  gewesen 
wäre  —  marschierten  wir  alle  jenseits  des  Wassers  über 
Vi  II  as  ante  (von  dem  Quintanilla  ein  halbes  Stündchen  links 
ab  liegt)  nach  El  Rivero.  Von  da  ging  es  über  die  Trueba 
und  den  Bergrücken  von  Oayangas,  der  sich  majestätisch 
zwischen  der  Torme  und  Trueba  erhebt  und  eine  schöne 
Position  südlich  gegen  die  Ebene  von  Medina  und  Villar- 
cayo  bildet.  Hier  sahen  wir  den  Feind  auf  kaum  Kanonen- 
schußweite neben  uns  nach  Medina  marschieren.  Nur 
der  Marschall  sah  es  nicht,  und  andere  waren  zu  faul, 
es  ihm  zu  sagen,  oder  fürchteten  sich,  weil  er  schlechter 
Laune  war.  Er  schlug  sein  Hauptquartier  in  Villarcayo 
auf  und  deckte  sich  durch  die  Division  Sebastian!.  Die 
deutsche  Division  kam  abends  rechts  von  Villacanes 
ins  Biwak,  die  Nela  vor  der  Front  habend.  Medina 
zu  rekognoszieren,  oder  bis  an  die  Brücke  des  Ebro 
bei  Manzanedillo  vorzuschieben,  daran  hatte  niemand 
gedacht. 

Ich  hatte  mich  gegen  Mitternacht  sehr  ermüdet  an 
ein  Feuer  gelegt,  als  ich  zum  General  Leval  nach  Villa- 
canes gerufen  wurde.  Er  sagte  mir:  „Sie  haben  heute 
Ihren  Esel  verloren,  morgen  dagegen  kann  Ihnen  Rache 
und  Ehre  werden.  Der  Marschall  hat  von  dem  Vorfall 
in  unserm  Rücken  gehört  und  weiß  nicht  recht,  wie  er 
daran  ist.  Das  Schicksal  unserer  Artillerie  und  vieler 
Nachzügler  ist  uns  unbekannt.  Feinde  schwärmen  in  un- 
serer linken  Flanke  herum ;  in  der  rechten  gegen  Bedon 
ist  in  der  Nacht  ein  Korps  angekommen,  das,  nach  den 
Feuern  zu  urteilen,  8000  Mann  stark  sein  kann.  Fangen 
56 

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Sie  bei  diesem  an ;  rekognoszieren  Sie  die  ganze  Gegend 
und  sehen  Sie,  was  Sic  tun  können." 

Zu  dieser  hxpvililiun  wurden  mir  zugeteilt;  eineVol- 
C^rurhympagnie  von  Primas,  eine  von  Hessen,  eine  Gre- 
il ac.eikompagni  e  von  Nassau,  meint  Kompagnie  und  50 
hi  illa  n  dl  sehe  Husaren.  Letztere  fehlten  mir,  als  es  lag 
wurde,  und  es  dauerte  bis  S  Uhr,  ehe  man  mir  meldete, 
sit  iden  da  -  -  Bei  Bedon  fand  ich  wirklich  den  linken 
Miigel  des  1.  Korps,  das  hier  eine  Division,  eine  andere 
bei  Espinosa  und  die  dritte  bei  Lavega  aufgestellt  hatte. 
Der  ganze  lange  Bergrücken  von  Gayangos  bis  an  die 
Trueba  und  gegen  Quintanilla  hin  wurde  dann  durch- 
streift. Man  fand  die  höchsten  Felsenkuppen  noch  hier 
und  da  mit  Pelotons  zersprengter  Spanier  besetzt,  die 
sich  schnell  genug  aus  dem  Staube  machten,  weil  die 
Husaren  ihnen  in  diesem  Terrain  nicht  nach  konnten. 
Einer  wurde  noch  in  einer  kleinen  Redoutc  getötet.  Nach 
und  nach  sammelte  ich  noch  über  300,  durch  die  Be- 
gebenheiten des  vorigen  Tags  irregeleitete  Soldaten, 
die  ich  zum  Armeekorps  zurückschickte.  Die  Artillerie, 
die  die  Nacht  bei  Aguera  zugebracht  und  einen  blinden 
Lärm  erduldet  hatte,  war  in  Espinosa  zum  1.  Korps 
gestoöen. 

Die  Geschichte  von  Quintanilla  klärte  sich  so  auf. 
In  Medina  hatten  schon  seit  6  Tagen  das  spanische  Infan- 
terieregiment Immemorial  del  Rey,  200  Mann  Karabiniers 
von  Monteza  und  200  Dragoner  de  la  Reina  nebst  einigen 
Husaren  und  Jägern  und  5  Oeschützen  gestanden.  Diese 
hatten  von  La  Romana  den  Befehl  erhalten,  in  der  Nacht 
vom  10.  zum  11.  November  gegen  den  Paö  von  Nuestra 
Sefiora  von  Santclices  vorzugchen  und  so  dem  1.  Armee- 
korps, das  man  zu  schlagen  dachte,  den  Rückweg  abzu- 
schneiden. Ihr  Wog  führte  über  die  Höhe,  auf  der  sie  uns 
eben  gelagert  fanden.  Beim  Anblick  unserer  Feuer  mach- 
ten sie  nahe  an  unserer  linken  Flanke  Halt.  Sobald  wir 
die  Position  verlassen  hatten,  rückten  sie  auf  dieselbe 
vor.  Kaum  war  unser  Ende  verschwunden,  so  kamen 
57 

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die  Nachzügler  von  Cadagua  herunter  nach  Quintanilla. 
Sie  fielen  darüber  her,  massakrierten  jeden,  den  sie  er- 
reichten, Menschen  und  Esel,  und  nahmen  mit,  was  sie 
in  der  Geschwindigkeit  bekommen  konnten,  denn  sie 
zogen  sich  gleich  wieder  auf  die  Höhe  zurück,  wo  wir 
ihnen  die  Feuer  angezündet  hatten. 

Auf  diese  Weise  waren  nur  wenige  unserer  Leute 
zu  uns  nach  Aguera  entkommen ;  die  meisten  hatten  sich 
nach  Cadagua  zurückgeflüchtet.  Dreizehn  Mann  fand  man 
in  Quintanilla  ermordet,  worunter  mein  Bursche  mit  zehn 
Wunden.  Mein  Esel  lag  getötet  neben  ihm.  Zum  Glück 
hatte  der  Feind  wahrscheinlich  wegen  des  sich  immer 
mehr  entfernenden  Feuers  der  Schlacht  und  der  Nähe 
unserer  Kolonne  keinen  Mut  mehr,  sonst  hätte  er  mit 
seinen  400  Pferden,  denen  wir  kaum  etwas  entgegensetzen 
konnten,  uns  ungeheuren  Schaden  zufügen  können.  600 
bis  800  Soldaten  von  allen  Korps,  die  sich  gegen  Cadagua 
hin  wieder  gesammelt,  hatten  sogar  den  Mut,  unter  An- 
führung eines  Offiziers  und  eines  Arztes  geschlossen  durch 
Quintanilla  zu  marschieren.  Der  Feind  ließ  es  geschehen 
und  schickte  ihnen  nicht  einmal  eine  Kugel  nach.  End- 
lich, als  er  unsere  Kolonne  in  der  Richtung  von  Villarcayo 
erblickte,  erwachte  er  aus  seiner  Ungewißheit  und  mar- 
schierte parallel  mit  uns  nach  Medina.  Hier  brach  die 
feindliche  Kolonne  nachts  um  12  Uhr  auf,  ging  bei  der 
Martinsbrücke  über  die  Nela,  schlich  sich  nahe  an  den 
Vorposten  von  Villarcayo  vorbei  und  entkam  über  Man- 
zanedillo. 

Sobald  ich  alles  im  Rücken  im  reinen  hatte,  ging 
ich  auf  Medina  los  und  fand  da  keinen  Feind  mehr.  Ich 
ließ  die  Vornehmsten  des  Städtchens  zu  mir  ins  Biwak 
führen  und  fragte  sie  aus,  während  ich  Wein  und  Brot 
liefern  ließ.  Sobald  ich  mit  allem  im  reinen  war,  folgte 
ich  dem  Feind  auf  dem  Wege,  den  er  genommen  hatte. 
Wir  fanden  seine  fünf  Geschütze,  die  er  in  einem  Anfall 
von  panischem  Schrecken  verlassen  zu  haben  schien,  fn- 
zwischen  wurde  es  ganz  dunkel,  und  es  war  keine  Hoff- 
5S 


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nung,  etwas  weiteres  auszuführen.  Ich  ging  also  nach 
Villarcayo  und  erstattete  dem  Marschall  Rapport 

Ich  erzählte  ihm  alles,  was  ich  wußte,  wenigstens 
ebenso  derb,  als  ich  es  hier  vorgetragen  habe,  ungeachtet 
seine  Adjutanten  mich  einmal  um  das  andere  Mal  zupften, 
still  zu  sein.  Der  Marschall,  der  jetzt  erst  einsah,  welche 
Fehler  gemacht  worden  waren,  fluchte  wie  ein  Türke, 
schalt  über  unsere  ungeheure  Disziplinlosigkeit,  über  die 
Ungeschicklichkeit  seines  ücncralstabs  usw.  und  schwor 
mit  den  komischsten  Kraftausdrücken,  es  solle  anders 
werden.  Ich  käme  ihm,  fuhr  er  fort,  gerade  gelegen.  Er 
wolle  nicht  mehr  den  Feind  um  sich  herum  sehen,  ohne 
zu  wissen,  woran  er  sei.  Es  sollten  12  Voltigeurkom- 
pagnien  im  Korps  auserlesen  werden,  um  ein  eigenes 
Avantgarde regiment  von  2  Bataillonen  zu  formieren.  Eins 
davon  sollte  der  Bataillon  sehet  Pigne  vom  58.  Regiment, 
das  andere  sollte  ich  kommandieren.  Diese  zwei  Ba- 
taillone nebst  etwas  Kavallerie  sollten  als  ständige  Vor- 
hut des  4.  Korps  unter  dem  Oberbefehl  des  Oberst  Buquet 
vom  75.  Regiment  stehen  usw. 

Ich  erhielt  eine  schriftliche  Order  für  den  General 
Leval,  kam  um  Mittemacht  endlich  zu  ihm  nach  Villacanes 
zurück,  holte,  nachdem  ich  ihm  über  alles  Auskunft  ge- 
geben hatte,  die  badischen  und  nassauischen  Voltigeur- 
tompagnien  aus  dem  Lager  und  begab  mich  zu  dem 
Rendezvous  außerhalb  der  Vorposten  von  Villarcayo. 


59 

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4.  Kapitel 


Ernennung  zum  Kommandeur  des  2.  Volti'geur- 
bataillons.  Der  Marsch  gegen  Madrid 

Der  Marschall  erschien  am  13.  morgens  8  Uhr  per- 
sönlich und  bildete  das  1.  Bataillon  aus  den  Volt  igen  r- 
koinpagnien  des  28.,  32.  und  58.  Regiments,  das  2.  aus 
den  Voltigeuren  vom  75.  Regiment,  von  Baden  und  von 
Nassau.  Hierauf  hielt  er  eine  Rede,  die  wegen  ihrer  Ener- 
gie und  Sonderbarkeit  verdiente,  aufgezeichnet  zu  weiden, 
wenn  hier  der  Platz  dazu  wäre.  Dann  las  er  uns  ein 
fürchterliches  Kapitel  über  die  bisherige  Zügel losigkeit, 
Insubordination,  Raub-  und  Freßbegierde,  stellte  ein  wenig 
schmeichelhaftes  Bild  der  Franzosen  der  jetzigen  Zeit 
gegen  die  Franzosen  seiner  Zeit  (d.  i.  während  der  Revo- 
lution) in  den  ab  stech  endsten  Farben  auf,  ging  dann  zu 
unserer  Bestimmung  über,  die  Armee  aufzuklären  und 
zu  decken,  und  endlich  zu  den  Männern,  die  er  ausge- 
sucht habe,  die  Vorhut  wegen  der  guten  Eigenschaften, 
die  er  an  ihnen  entdeckt  habe,  zu  führen.  Darauf  stellte 
er  uns  Kommandeure  feierlich  vor  und  ließ  uns  mit  ein 
paar  kräftigen  Flüchen  abmarschieren. 

Wieder  eine  der  sonderbarsten  Situationen  meines 
bizarren  Lebenlaufs.  Nachdem  ich  alles,  was  ich  besaß, 
bis  auf  das  letzte  Taschentuch  und  selbst  die  Sporen  ver- 
loren hatte,  mit  übermüdeten  Pferden,  wovon  das  beste 
bald  krepierte,  selbst  durch  übertriebene  Anstrengung  bei- 
nahe abgestumpft,  in  halb  zerrissenen  Kleidungsstücken 
60 

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und  faulenden  Stiefelsohlen  einherging  —  befand  ich  mich 
auf  einmal  an  der  Spitze  eines  Bataillons,  das  zweierlei 
Sprachen  sprach  und  unter  Männern,  von  denen  ich  nie- 
mand kannte,  außer  meine  Landsleute. 

Eingedenk  der  scharfen  Lehren  des  Marschalls  hielten 
Mir  die  ersten  24  Stunden  vortreffliche  Mannszucbt.  Wir 
rekognoszierten  bis  zum  Ebro,  überschritten  ihn  bei  Man- 
ianedillo,  gingen  bei  Rampalaiz  wieder  auf  das  linke  Ufer 
und  blieben  hinter  den  Felsenriffen  von  Cudillos  del  Roxo 
im  Biwak,  nachdem  wir  uns  der  Front  der  Armee  bis  auf 
3  kleine  Stunden  wieder  genähert  hatten.  Tags  zuvor  hatte 
sich  noch  das  Korps  der  Studenten  von  Salamanca  in 
dieser  Gegend  durchgeschlichen. 

Am  14.,  wo  sich  auch  die  Armeekorps  endlich  in 
Bewegung  setzten,  marschierten  wir  ab,  als  wir  von  un- 
serer I leiht  die  Spil/en  der  Kolonnen  hinter  uns  erbüikten. 
Nach  4  kleinen  Stunden  Wegs  trennten  wir  uns  in  Quinta- 
nilla.  Der  Oberst  ging  mit  dem  1.  Balaillun  links  und  biwa- 
kierte auf  dem  Weg  von  Reinosa  bei  Viitus,  ich  marschierte 
rechts  auf  der  Chaussee  von  St.  Ander  anderthalb  Stunden 
vor  der  Armee  und  hc/ng  mein  Biwak  in  einer  felju;en 
Teilung,  wo  ich  eine  weite  Ktiene  vor  mir  hatte,  die 
durch  das  hohe  Gebirge  bfgrenrt  wird,  an  dessen  Kuß 
die  Virga  fließt.  Die  vorgeschobenen  l'atrouillen  brachten 
einige  Gefangeue  ein. 

Wir  brachen  am  10.  vor  Tag  mil  der  Avantgarde 
wieder  auf  und  erreichten  endlich  um  2  Uhr  Reinosa. 
Dieses  Städtchen  liegt  in  einer  der  höchsten  Gegenden 
von  Spanien  am  Ebro,  der  hier  nur  ein  schöner  Gebirgs- 
bach  ist  und  eine  Stunde  westlich  von  Reinosa  beim  Dorfe 
Fontiba  entspringt.  .  . 

Die  Engländer,  die  in  St.  Ander  erst  das  aus  Dänemark 
entwischte  Korps  des  Marquis  La  Romana11)  und  dann 

")  Marquis  de  La  Romana,  befehligte  im  Jahre  1807  die 
spanischen  Hillslruppen,  die  auf  N:i]im]c etn  Stile  mit  der  dänischen 
Insel  Fönen  standen.  Als  er  die  Vorgänge  von  der  Erhebung  des 
Öl 

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eine  Menge  Unterstützungen  allerart  für  den  spanischen 
linken  Flügel  ans  Land  gesetzt  hatten,  hatten  in  Reinosa 
einen  Hauptwaffenplatz  und  große  Magazine  angelegt. 
Auch  die  Spanier  hatten  da  eine  Menge  Geschütz  und 
Munition  zusammeiigschlcppt  und  daraus  den  großen  Re- 
servepark des  linken  Flügels  formiert.  In  dieser  Hinsicht 
konnten  alle  spanischen  Korps  nach  der  unglücklichen 
Schlacht  von  Espiitosa  keinen  andern  Plan  haben,  als  sich 
nach  Reinosa  oder  St.  Ander  zurückzuziehen.  Ebenso 
mußten  wir  unserseits  nichts  dringenderes  tun,  als  beide 
Orte  erreichen.  Hätten  wir  nur  am  12.  gleich  mit  beiden 
Armeekorps  den  Weg  nach  den  beiden  Städten  einge- 
schlagen, so  war  die  ganze  feindliche  Armee,  die  ohnehin 
sehr  unordentlich  retirierte,  verloren,  und  alle  Magazine 
und  aller  Kriegsbedarf  waren  unser.  Wir  haben  indes  ge- 
sehen, daß  man  drei  kostbare  Tage  mit  Untätigkeit  ver- 
lor. Da  hatte  denn  der  Feind  freilich  Zeit,  für  seine  Sicher- 
heit zu  sorgen.  Doch  kam  er  nicht  ganz  so  ungestraft  da- 
von, als  wir  zu  wollen  schienen.  Der  Kaiser  hatte  das 
spanische  Korps  vom  Zentrum,  das  von  Castaiios")  kom- 
mandiert wurde,  am  10.  November  bei  Burgos  geschlagen. 
Am  folgenden  Tag  mußte  der  Marschall  Soult,  Herzog  von 
Dalmatien,  mit  seinein  Korps  aufbrechen,  um  über  Ca- 
strocheriz,  Villadiego  und  Aquilar  del  Campo  der  Armee 
La  Romanas  und  Blakes  in  den  Rücken  zu  fallen.  Der 
Kaiser  selbst  machte  in  Burgos  Halt,  um  die  Operationen 
des  rechten  und  linken  Flügels  zur  Reife  kommen  zu 
lassen.  Seine  Kavallerie  breitete  sich  indessen  ungestraft 
über  die  Ebene  auf  dem  rechten  Ufer  des  Duero  bis 
Palencia  und  Valladolid  aus. 


sjianisdiui  Volkes  in  Madrid  erluhr,  gelang  es  ihm  in  geschickter 
Weise  seinen  Oberbefehlshaber  Bcrnadotic  zu  tauschen,  und  er 
schiffte  sich  auf  einer  englischen  Flotte  n.n-li  Spanien  ein,  um 
dort  gegen  den  Unterdrücker  seines  Vaterlandes  zu  kämpfen.  Er 
starb  schon  im  Verlaufe  dieses  Krieges,  im  Jahre  1811. 

,!)  Francisco  XaverCasi.ifios,  1756—1852,  Herzogvon  Bailen, 
Oberbefehlshaber  der  spanischen  Armee  von  Andalusien. 

o2 

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Nach  der  Schlacht  von  Espinosa  versammelte  der 
Feind  seine  flüchtigen  Scharen  teils  bei  Reinosa,  teils  bei 
St  Ander.  Er  wollte  sich  mit  dem  Hauptkorps  und  sämt- 
lichen Reserveparks  nach  Toro  im  südlichen  Leon  wenden, 
um  sich  mit  den  Engländern  zu  vereinigen  und  der  Haupt- 
stadt zu  Hilfe  zu  kommen.  Vier  bis  fünf  Stunden  hinter 
Reinosa,  in  der  Gegend  von  Mataparguera,  stießen  sie 
aber  auf  die  Soultsche  Avantgarde.  Da  blieb  ihnen  nichts 
übrig,  als  ihren  ganzen  Munitionspark  in  die  Luft  zu  spren- 
gen. Das  Geschütz  vergruben  sie  zum  Teil  in  Reinosa, 
zum  Teil  blieb  es  an  den  Straßen  liegen.  Alles  flüchtete 
nun  in  der  größten  Unordnung  nach  St.  Ander,  wo  wir 
3  Tage  früher  hätten  ankommen  können.  Am  Abend  des 
14.  trafen  schon  die  ersten  Truppen  des  Soultschen  Armee- 
korps in  Reinosa  ein.  Der  Marschall  schickte  uns  noch  in 
der  Nacht  eine  Rekognoszierung  entgegen,  die  den  Herzog 
von  Danzig  (Lefebvre)  in  Virtus  fand.  Die  Briefe  des 
Herzogs  von  Dalmaticn  (Soult),ä)  und  der  zugleich  mit- 
kommende Kurier  des  Kaisers  machten  nun  den  alten 
Mann  so  verlegen,  daß  er  den  ganzen  Tag  zwischen  der 
Wahl  der  Chaussee  von  Si.  Ander  und  Reinosa  hin  und 
her  schwankte  und  mich  so  die  Galoppade  machen  ließ, 
die  uns  für  nichts  und  wieder  nichts  ermüdete.  Freilich 
wäre  ein  schneller  Marsch  nach  St.  Ander,  wozu  wir  vor 
Soult  zwei  Tagemärsche  vorausgehabt  hätten,  das  ein- 
zige gewesen,  was  wir  tun  konnten.  Soult  jedoch  hatte 
verlangt,  wir  sollten  ihn  bei  Reinosa  ablösen,  um  seiner- 
seits diesen  Marsch  unternehmen  zu  können.  Letzteres  ge- 
wann am  Ende  bei  Lefebvre  doch  die  Oberhand,  und  so 
kamen  wir  nach  Reinosa.  Hier  fanden  wir  bereits  3  Divi- 
sionen des  Soultschen  Korps,  die  sich  nach  unserer  An- 


»)  Nicolas  Jean  de  Dieu  Soult,  Herzog  von  Dalmatien,  1709 
bis  1851,  einer  der  bedeutendsten  Marschälle  Napoleons.  Er  be- 
fehligte 1808—1812  die  Zentralarmee  und  dann  im  Sommer  1813 
in  Spanien,  doch  gelang  es  ihm  trotz  seines  Fcldhcrrntaltnts,  das 
durch  groBe  Habsucht  leider  sehr  in  den  Schatten  gestellt  wurde, 
nicht,  den  Krieg  zugunsten  Frankreichs  zu  beenden. 

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kunft  aul  dci  Straße  von  St  Ander  in  Bewegung  -.et/len. 
l>ie  4,  kam  am  Abend  nach  und  folgte  den  Tag  darauf. 

Wir  blieben  in  der  koligrn  Straße  des  Stadtiiiens 
liefen,  das  noch  immer  der  Plünderung  preisgegeben  war. 
l.*ntentrs  hatte  dir  Marschall  sich  von  Soull  überrede» 
lassen,  ihm  die  zwei  besten  deutschen  Regimenter  zur 
Kxpedition  von  St.  Ander  /u  leihen.  Baden  und  Nassau 
hatten  sich  gleich  von  Valdarroyo  rechts  gewendet.  Um 
Mittag  bekam  irh  die  Narhrirht  dunh  einen  Unteroifizier, 
der  mir  den  schriftlichen  Befehl  vom  General  Leval  brachte, 
sofort  die  Avantgarde  zu  verlassen  und  mit  den  deutschen 
Voltigeurkompagnien  in  St.  Ander  wieder  zu  ihm  zu  stoßen. 
Der  Marschall  wies  mich  schön  ab,  als  ich  ihm  diese 
Order  zeigte.  Es  war  also  entschieden,  daß  ich  auf  lange 
Zeit  gänzlich  von  den  Regimentern  getrennt  wurde.  Das 
war  mir  doppelt  unangenehm,  weil  ich  nun  auch  auf  keine 
großen  Lorbeeren  mehr  rechnen  konnte. 

Nachmittags  Malte  die  Sebasiianische  Division  uns  end- 
lich abgelöst,  aber  es  war  nicht  so  leicht,  mit  unserm  halbbe- 
soffenen  Voltigeurrejiiment  die  Stadt  zu  verlassen.  Wir  mar- 
schierten auf  der  Straße  von  Burgos  und  Palencia  weiter  und 
waren  bald  nur  noch  dreieinhalb  Stunden  von  Fombellida, 
einem  Dörfchen  im  rauhesten  Qebirge,  entfernt.  Das 
Soultsche  Korps  hatte  diese  Gegend  so  rein  gesäubert,  daß 
weder  Menschen  noch  Lebensmittel  mehr  zu  finden  waren. 

Zum  Glück  trieben  seine  Nachzügler  gerade  eine  große 
Schafherde  an  unserm  Biwak  vorbei.  Da  fielen  unsere 
Leute  darüber  her  wie  die  Gergesener  über  die  Schweine, 
und  die  Soultschen  wurden,  trotz  alles  Protestierens,  ein 
wenig  mehr  als  dezimiert. 

Wir  blieben  in  dieser  Stellung  ganz  ruhig  und  wurden 
nur  einmal  durch  einen  Haufen  zersprengter  Spanier  alar- 
miert, die  sich  zwischen  unsern  Posten  durchschlichen. 

Wir  schickten  eine  Kompagnie  zum  Rekognoszieren 
bis  Aquilar  del  Campo,  wo  sie  auf  Kavallerie  von  der 
Milhaudsehen  Division  stieß,  die  sich,  von  Burgos  kom- 
mend, hinter  der  Pisuerga  aufgestellt  harte.  Das  Soultsche 
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Korps,  mit  unsern  zwei  Regimentern  vereinigt,  hatte  unter- 
dessen St  Ander  ruhig  in  Besitz  genommen  und  den  Feind 
über  Santillana  und  Sanvicente  verfolgt,  wo  ihm  noch 
einiger  Schaden  zugefügt  wurde.  Von  hier  aus  hatte  Soult 
den  General  Leval  mit  den  beiden  deutschen  Regimentern 
südlich  nach  Potes  detachiert  und  war  selbst  gegen 
Asturien  vorgedrungen.  Der  Marschall  Lefebvre,  der  keine 
weitere  Order  vom  Kaiser  hatte,  wußte  nicht,  was  er  tun 
sollte.  An  die  Pisuerga  oder  noch  besser  den  Carrion  vor- 
zurücken und  sich  durch  ein  kleines  Korps  übers  nördliche 
Gebirge  Verbindung  mit  Potes  zu  verschaffen,  schien  in 
der  Tat  das  Natürlichste  zu  sein.  Dann  wäre  er  gleich- 
zeitig wieder  Herr  über  die  Division  Leval  geworden,  die 
er  sich  hatte  abschwatzen  lassen.  Es  mag  wohl  auch 
dem  Marschall  so  etwas  vorgeschwebt  haben,  als  wir  am 
21.  Befehl  erhielten,  Aquilar  del  Campo  zu  besetzen,  das 
ungefähr  7  Stunden  von  Reinosa  entfernt  ist  Die  Strafte 
führte  durch  die  wildesten  Gegenden  bis  Quintanilla,  wo 
die  Chaussee  südöstlich  nach  Burgos  abgeht.  Wir  folgten 
der  südwestlichen  und  fanden  in  Aquilar  del  Campo  noch 
die  angekündigte  Kavallerie,  die  sogleich  aufbrach,  um  die 
Pisuerga  entlang  zu  gehen.  Dieses  mit  Mauern  umgebene 
Städtchen  war  auch  beinahe  ganzlich  von  seinen  Ein- 
wohnern verlassen. 

Wir  lagerten  uns  vor  der  Stadt  in  einem  Nonnen- 
kloster an  der  Pisuerga  und  deckten  die  Brücke,  die  über 
dieses  hübsche  Flüßchen  führt.  Kaum  hatten  wir  uns 
mühsam  festgesetzt,  so  erschien  das  4.  Armeekorps,  um 
die  Nacht  bei  Aquilar  del  Campo  zu  bleiben.  Wir  mußten 
daher  wieder  aufbrechen  und  nördlich  an  der  Pisuerga 
hin  auf  marschieren.  Gleich  vor  der  Stadt  auf  dieser  Seite 
fanden  wir  ein  großes  Mönchskloster,  wo  sich  der  Mar- 
schall aufhielt.  Kaum  einige  Schritte  weiter,  wo  das  Tal 
enger  wird,  hatten  auch  die  Verwüstungen  des  Kriegs 
ein  Ende.  Wir  bezogen  unsre  Biwaks  dicht  vor  dem  Ort 
Cenera,  fanden  Lebensmittel  vollauf  und  behandelten  die 
Einwohner  noch  gerade  so,  daß  sie  nicht  zu  verzweifeln 

5      B«M7:  Spin.  Frcihcibtamtrf.  65 


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brauchten.  Wir  Stabsoffiziere  hielten  uns  in  einem  ganz 
ordentlichen  Hause  auf,  das  einem  Schulmeister  gehörte. 
Ich  fand  daselbst  die  Äneide  und  unterhielt  mich  angenehm 
beim  Schein  der  nächtlichen  Lampe. 

Am  22.  hatten  wir  einen  harten  Marsch.  Anfangs 
mußten  wir  lange  warten,  bis  das  Armeekorps  in  Bewe- 
gung war.  Dann  brachen  wir  auf  und  kamen  in  das 
Städtchen  Cervera.  Von  da  an  wurden  die  bergigen  Wege 
immer  abscheulicher.  Die  Sonne  brannte  bei  umwölktem 
Himmel  so  heiß  wie  bei  uns  mittags  im  Sommer.  Abends 
kamen  wir  endlich  zu  dem  Städtchen  San  Salvador  de 
Cantamuda.  Sebastiani  wollte  hier  mit  zwei  Regimentern 
übernachten.  Wir  mußten  daher  noch  in  der  Nacht  bis 
zum  Dorfe  Arenas  hinaufsteigen,  das  ganz  nahe  an  den 
Quellen  der  Pisuerga  liegt.  Es  wurde  uns  sehr  schwer, 
uns  in  dieser  gefährlichen,  noch  von  keinem  Feinde  vor 
uns  betretenen  Gegend,  die  noch  von  zerstreuten  Insur- 
gentenhaufen wimmelte,  bei  dunkler  Nacht  festzusetzen. 
Dazu  kam  die  große  Ermüdung  der  Leute,  von  denen  wir 
viele  hatten  zurücklassen  müssen.  Die  Kälte  war  dabei 
so  groß  in  diesen  hohen  Regionen,  daß  es  Eis  fror,  wel- 
ches Lastwagen  tragen  konnte,  wodurch  das  Biwak  nach 
der  Hitze  des  Tages  desto  unangenehmer  wurde. 

Um  Mittemacht  langte  ein  Offizier  vom  General- 
stab des  Fürsten  von  Neufchätel")  bei  uns  an.  Er  kam 
von  Burgos  und  hatte  Depeschen  für  die  Marschälle  Le- 
febvre  und  Soult.  Jenen,  der  eine  andere  Bestimmung 
erhielt,  hatte  er  in  Cervera  angetroffen.  Wir  mußten  ihm 
80  Mann  mitgeben,  um  ihn  nach  Potes  zu  begleiten,  das 
noch  4  Stunden  entfernt  war.  Von  hier  sollten  diese  am 
23.  nach  San  Salvador  zurückkehren  und  uns  am  24.  nach 


»)  Alexandre  Berthier,  Herzog  von  Neuchäte!  und  Fürst 
von  Wagram,  1753—1815,  war  zwar  nicht  der  begabteste  und 
bedeutendste  Marschall  Napoleons,  aber  ilprjenijje,  dtr  am  besten 
verstand  die  Befehle  seines  Obii-kTi  /irr  /\i;sliihrimg  iu  bringen. 
In  allen  Feldziigcn  war  er  Najuili-nsis  1  ioutrjilslabsclicf,  mit  Aus- 
nahme des  Feldzugfs  von  Waterloo. 

66 

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Carrion  fotgen.  Sie  kehrten  aber  nie  zurück;  General 
Uual  benutzte  sie  für  seine  Zwecke.  Die  zwei  Dragoner, 
die  wyt  törichterweise  in  Arenas  zurückließen,  um  sie  zu 
«warten,  wurden  ermordet 

Der  Marschall  hatte  den  Befehl  bekommen,  sich  bei 
Carrion  zusammenzuziehen,  um  der  englischen  Reserve- 
armee die  Spitze  zu  bieten,  während  der  Kaiser  an  den 
Duero  vorging  und  Madrid  bedrohte.  Hätten  wir  nun 
wenigstens  mit  den  zwei  Regimentern  in  San  Salvador 
und  mit  der  Avantgarde  bei  Arenas  den  Marsch  bis  Potes 
fortgesetzt,  uns  mit  den  daselbst  stehenden  zwei  deutschen 
Regimentern  der  Division  Leval  vereinigt,  dann  die  Straße 
nach  Leon  eingeschlagen  und  links  über  Saldafia  nach 
Carrion  eingebogen,  so  wäre  die  große  Rekognoszierung 
vorteilhaft  vollendet,  das  ganze  Land  zwischen  Asturien 
und  dem  Duero  vom  Feinde  gesäubert  gewesen  und 
dessen  Pläne  schwankend  gemacht  worden.  Statt  dessen 
erhielt  Leval  zwar  durch  den  Offizier  vom  Generalstab 
des  Fürsten  von  Neufchälel  den  Befehl,  wieder  zu  uns 
zu  stoßen,  aber  der  Herzog  von  Dalmatien  ließ  ihn  noch 
lange  nicht  los,  und  so  sahen  wir  auch  diese  Regimenter 
nicht  früher  als  in  Madrid  wieder. 

Am  23.,  sobald  es  Tag  wurde,  schüttelten  wir  das 
Eis  von  den  Locken  und  begaben  uns  auf  den  Rückweg. 
In  San  Salvador  und  Cervera  marschierten  wir  durch  das 
Armeekorps  durch,  das  uns  auf  dem  Fuße  nachfolgte.  Wir 
kreuzten  uns  mit  einer  neu  gebildeten,  dem  Herzog  von 
Dalmatien  zur  Hilfe  bestimmten  Division.  Durch  diese 
erhielt  der  Marschall  vom  Kaiser  strengste  Order  zu 
glimpflicherer  Behandlung  der  unglücklichen  Einwohner. 
Sie  wurde  wie  gewöhnlich  mit  sehr  gewichtigen  Worten 
veröffentlicht  und  in  den  ersten  Tagen  mit  ungemeiner 
Strenge  ausgeführt  Das  verschaffte  mir  das  lang  ent- 
behrte Glück,  wieder  einmal  Menschen  zu  sehen,  die  uns 
nicht  wie  die  wilden  Tiere  flohen. 

Am  24.  brachen  wir  vor  Tag  wieder  auf,  gingen 
nach  Buenavista,  ruhten  ein  wenig  beim  freundlichen 
5-  67 


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Strahl  des  jungen  Tags  aus  und  marschierten  dann  frisch 
vor  der  Arme«  her,  tlie  uns  in  einiger  Entfernung  folgte. 
Wir  kamen  sehr  bald  auf  jene  sehr  breiten,  halb  mit 
Gras  bewachsenen  Wen«,  worauf  dir  Schafherden  ihre 
Sommer-  und  Winterwanderungen  machen.  Wir  mar- 
schierten daher  fast  immer  in  ganren  Zügen,  was  die 
Ordnung  und  Schnelligkeit  unglaublich  beförderte. 

Wir  fanden  [las  I  and  /war  schlecht  behaut  und  ohne 
Bäume,  aber  die  Dorfer  waren  schon  und  hatten  ein  An- 
sehen vnn  Wohlhabenheit,  Was  das  schönsie  war,  die 
Leute  hatten  noch  keine  Franzosen  gesehen  und  wurden 
nicht  geplündert  Gutmütig  nahten  sie  sich  uns  und  teilten 
gern  mit  den  Soldaten  den  Überfluß  ihres  Weines. 

Der  Marschall  war  viel  unter  uns.  wurde  von  meinen 
Voltigeuren,  unter  denen  mehrere  Pfiffikusse  aus  Ver- 
sailles waren,  /um  Resten  gehahl  und  versprach  mir  den 
Orden,  Fr  ging  mit  der  Kavallerie  voraus  und  rekognos- 
zierte die  Ufer  brider  Flusse.  Lud  lieh,  als  es  Nacht  wurde, 
kamen  wir  nach  Zurucklegung  von  wenigstens  "/Stunden 
Wegs  in  die  leimrsisrhe  Stadl  Carrion  de  los  Condes,  die 
sich  mit  den  erhahenen  Dachern  einher  Klöster  stattlich 
auf  der  Hohe  ausnimmt,  deren  westlicher  Fuß  der  Carrion 
bespült.  Hier  nahm  das  Armeekorps  Steifung.  Ich  mußte 
noch  in  der  Nacht  mit  dem  2.  Avantgardchataillon  eine 
Stunde  bis  Torre  de  los  Molinos  vorrücken.  Bei  diesem 
kleinen,  aus  wenigen  Häusern  bestehenden  Dörfchen 
kamen  wir  endlich  bei  dunkler  Nacht  sehr  ermüdet  an. 
Ich  sah  das  Gefahrliche  meiner  prekären  Position  wohl 
ein,  mußte  mich  aber  einstweilen  s»  gut  als  möglich  decken. 
Die  Menschen  waren  bis  auf  einige  Greise  geflüchtet,  die 
ich  ju  schut/en  suchte.  Im  leeren  Pfarrhaus,  das  ich  ein- 
nahm, fand  ich  ein  paar  Retten,  viele  Heiligenbilder,  ver- 
schiedene Andarhlsbiicher,  einige  Schinken  und  Würste 
mit  spanischem  Pfeffer,  große  suße  /wiebeln  und  ein  paar 
Lumpen  von  Kleidern  —  sonst  nichts.  In  einem  Bauern- 
hause entdeckte  ich  auf  zwei  Tage  Brot  für  meine  Leute. 
Ein  Offizier  fand  zwei  baumwollene  schlechte  Halstücher, 
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wovon  ich  ihm  eins  abjagte,  weil  ich  schon  seit  14  Tagen 
kein  Taschentuch  hatte.  Die  Magd  des  Herrn  Pfarrers 
hatte  auch  noch  ein  Weiberhemd  für  mich  zurückgelassen. 
In  den  folgenden  Tagen  fand  ich  nicht  ohne  Mühe  Mittel, 
mir  durch  einen  Soldaten  des  75.  Regiments  die  sämtlich 
barfuß  gehenden  Pferde  beschlagen  zu  lassen.  Ein  Spion, 
der  sich  unter  uns  befand  und  die  drei  Sprachen  sprach, 
nihte  mir  unter  meine  bodenlosen  Stiefel  ein  Paar  auf- 
gefundene Sohlen,  und  so  war  ich  für  den  Kommandeur 
der  Avantgarde  des  linken  Flügels  ganz  brillant  ausge- 
stattet! 

Ich  brachte  den  25.  damit  zu,  mich  auf  diesem  äußerst 
gefährlichen  Punkt  erträglich  einzurichten  und  die  Oegend 
m  rekognoszieren.  Am  29.  November  setzten  wir  uns 
wieder  auf  der  großen  Straße  von  Valladolid  in  Marsch. 
Das  Land  ist  meist  platt  und  kahl;  die  Dörfer  sind  traurige 
Denkmäler  einer  versinkenden  Nation  .  .  .  Palencia,  die 
Hauptstadt  einer  Provinz,  ist  ein  altes,  enges  Nest  inner- 
halb hoher  Mauern  mit  hohen  Häusern  und  vielen  Klöstern. 
Wir  kamen  hier  auf  die  herrliche  Straße,  die  von  Valla- 
dolid ununterbrochen  über  Burgos  und  Vittoria  bis  an 
die  französische  Grenze  führt  Das  Korps  blieb  bei  der 
Stadt,  wir  jedoch  rasteten  eine  Stunde  weiter  in  dem  Dorfe 
Villa  Munal,  das  etwas  seitwärts  zur  Rechten  der  Straße 
jenseits  des  Carrion  liegt  Ich  verteilte  die  Bauernhäuser 
unter  die  Leute  und  blieb  mit  den  Offizieren  im  Nonnen- 
kloster. Hier  bekamen  wir  nach  langem  Protestieren  noch 
ein  ordentliches  Essen,  Wein  genug  für  uns  und  das  ganze 
Bataillon,  Haarmatratzen  zum  Lager  und  am  folgenden 
Morgen  Schokolade.  Das  1.  Bataillon  kampierte  auf  der 
Straße  in  Caladazanos. 

Am  30.  vereinigten  wir  uns  mit  dem  1.  Bataillon  und 
gingen  wieder  auf  der  Hauptstraße  dem  uns  immer  in 
einiger  Entfernung  folgenden  Korps  voraus  .  .  .  Dieses 
blieb  bei  dem  großen  Dorfe  Vaidestillas  auf  dem  linken 
Ufer  des  Andaja  eine  gute  Stunde  vom  Duero.  Hier  war 
auch  das  Hauptquartier  der  Kavalleriedivision.  Eine  Stunde 


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weiter,  im  schönen  Ort  Matapozuelos,  stand  der  General 
Barthelemy14)  mit  einem  Kavallerieregiment  Zu  diesem 
stießen  wir  und  wurden,  wie  das  in  solchen  Fällen  gewöhn- 
lich geschieht,  wegen  der  vermutlichen  Nähe  des  Feindes 
sehr  freundlich  empfangen.  Wir  ließen  jedoch  nach  Aus- 
stellung der  Vorposten  nur  eine  Kompagnie  biwakieren 
und  fanden  in  Häusern,  die  alle  das  Ansehen  von  Wohl- 
habenheit hatten,  recht  gute  Unterkunft.  Am  2.  gingen 
wir  mit  der  Kavallerie  mit  großer  Vorsicht  vor  und  re- 
kognoszierten die  ganze  Gegend  .  .  .  Wir  kamen  durch 
das  Städtchen  Olmedo,  wo  das  Korps  blieb,  und  setzten 
uns  eine  gute  halbe  Stunde  weiter  in  einem  kleinen  Dorfe 
namens  Aguasal  fest.  Die  Kavallerie  verbreitete  sich  über 
die  Dörfer  gegen  den  Eresma  hin.  Auch  in  diesem  kleinen 
Nachtquartier,  wo  wir  mit  dem  ganzen  Regiment  zusam- 
menblieben und  eine  geschickte  Position  fanden,  trafen 
wir  im  Innern  der  Häuser  auf  Wohlstand,  Reinlichkeit 
und  Zierlichkeit. 

Wäre  der  am  Abend  eintreffende  Kurier  früher  ge- 
kommen, so  hätten  wir  an  diesem  Tage  mehr  als  vier 
Stunden  Wegs  gemacht.  Er  brachte  die  Nachricht,  daß 
der  Kaiser  das  hohe  Guadarramagebirge  in  einer  sehr  glän- 
zenden Affäre  beim  Pali  Somosierra  bezwungen  hätte  und 
gerade  auf  Madrid  losgegangen  sei.  Wir  hatten  also  keine 
Zeit  zu  versäumen,  da  wir  unserseits  noch  drei  Tage- 
märsche von  diesem  Gebirge  entfernt  waren.  Wir  mach- 
ten daher  den  folgenden  Tag  einen  für  jene  sandigen  Wege 
forcierten  Marsch  von  mehr  als  9  Stunden.  Am  Morgen 
des  4.  hatten  wir  bald  das  in  mancher  Hinsicht  merkwür- 
dige Segovia  erreicht. 

Das  erste  Balaillon  der  Avantgarde  ging  durch  die 
Stadt  nach  einem  jenseitigen  Ort  auf  Vorposten,  während 
ich  bestimmt  war,  von  der  Zitadelle  oder  dem  Alcazar  Be- 


i4)  Nicolas  Martin  Baron  Barthdcrny,  franzosischer  Brigade- 
gcneral,  1765—1835,  zeichnete  sich  besondere  in  den  Jahren  1808 
und  lSu'j  in  den  spiuiisdien  fddzügen  aus. 
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sitz  zu  nehmen.  Das  Wort  „Alcazar"  ist  maurischen  Ur- 
sprungs, bedeutet  ein  festes  Schloß  und  hat  sicll  in  dieser 
Bedeutung  in  mehreren  alten  Städten  Spaniens  erhalten. 
Segovia  war  wirklich  sehr  fest  und  ist  noch  immer  einiger 
Verteidigung  fähig,  selbst  gegen  die  Stadt  hin,  von  der 
es  durch  ein  schönes  Glacis  getrennt  ist.  Seine  Festungs- 
werke sind  zum  Teil  in  den  Felsen  gehauen,  teils  mit 
hohen  starken  Mauern  und  zahlreichen,  vielgestalteten 
Türmen  künstlich  aufgebaut.  Ein  ungeheurer  stumpfer 
Turm  in  der  Milte  macht  die  Hauptpartie  aus. 

Ich  fand  einen  uralten  Gouverneur  mit  einigen  Inva- 
liden, die  sich  nicht  wehrten  und  so  freundlieh  als  mög- 
lieh behandelt  wurden.  Doch  dauerte  es  lange,  bis  ich  die 
Alten  dahin  brachte,  mir  alles  zu  öffnen,  aber  noch  länger, 
bis  ich  mich  in  diesem  großen  Labyrinth  von  Wohnungen, 
Gewölben  und  Festungswerken  zurecht  finden  und  ge- 
hörig einrichten  konnte.  Hier  war  der  Sitz  der  im  Jahre 
1764  gestifteten  und  seitdem  beträchtlich  verbesserten  ade- 
ligen Kadettenschule  der  Artillerie.  Was  ich  davon  sah, 
war  geeignet,  mir  diese  Anstalt  als  zweckmäßig  vorzu- 
stellen. Die  jungen  Leute  waren  zwar  samt  ihren  Lehrern 
in  der  Nacht  vor  Ankunft  der  Franzosen  geflohen,  und 
das  so  eilig,  daß  man  noch  einen  großen  Teil  ihrer  Kleider 
fand.  Aber  ihre  Bibliothek  und  mathematischen  Instru- 
mente und  noch  manche  Spur  von  ihrer  Einrichtung  ent- 
deckten wir.  Ich  muß  gestehen,  ich  hätte  gern  einiges 
aus  der  Bibliothek  mitgenommen,  besonders  die  spanisch- 
revolutionären Schriften,  die  hier  in  Menge  vorhanden 
waren.  Allein,  wie  durfte  wohl  ein  Mensch  an  so  etwas 
denken,  der  Pferde  ohne  Eisen,  Stiefel  ohne  Sohlen  und 
kaum  ein  einziges  Frauenhemd  zum  Wechseln  hatte!  Was 
aber  schlimmer  als  dieser  schon  wieder  eintretende  ent- 
blößte Zustand  war:  mein  Körper  fing  an,  den  übertrie- 
benen Anstrengungen  zu  erliegen.  Die  häufigen  Nacht- 
wachen und  der  weiße  castilianische  Wein,  der  für  meine 
Natur  Gift  war  und  doch  nicht  ganz  entbehrt  werden 
konnte,  hatten  mein  empfindliches  Nervensystem  dermaßen 
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angegriffen,  da8  der  Körper  bisher  nur  noch  dem  mäch- 
tigeren Impulse  des  erregten  Geistes  gefolgt  war.  Die  eben 
eingetroffene  Nachricht,  daß  die  siegreiche  kaiserliche 
Armee  am  2.  vor  Madrid  angekommen  sei,  ließ  keinen 
Zweifel  mehr  zu,  daß  sie  vor  uns  die  ganze  Arbeit  been- 
digen und  uns  bis  zur  Hauptstadt  keine  Feinde  mehr  zu 
bekämpfen  übriglassen  würde.  Während  alles  sich  freute, 
sank  ich  abends  zusammen  und  blieb  in  einem  Zustand 
von  völliger  Entkräftung  bis  zum  6.  morgens  10  Uhr 
liegen,  wo  der  Befehl  zum  Abmarsch  kam.  Ich  mußte 
mich  aufs  Pferd  heben  lassen ;  kaum  aber  hatte  ich  den 
Degen  gezogen,  so  fühlte  ich  auch  schon,  daß  ich  bebte. 


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5.  Kapitel 


Der  Escorial.  Truppenschau  unter  Napoleon.  Madrid 

Wir  bezogen  unser  Biwak  vor  Guadarrama  nach  zu- 
rückgelegtem Weg  von  8  Stunden  und  erhielten  die  Nach- 
richt, daft  der  Kaiser  nach  einigen  Gefechten  am  4.  in 
Madrid  eingezogen  war,  also  an  demselben  Tage,  an 
welchem  wir  nach  Segovia  gekommen  waren.  Da  die 
Engländer  sich  im  Escorial  hatten  sehen  lassen,  die  Bür- 
ger dort  sich  sehr  revolutionär  zeigten  und  das  Gebirge 
bewaffneten,  so  bekamen  wir  Befehl,  uns,  sobald  wir  das 
Gebirge  überstiegen  hätten,  nach  dieser  Gegend  zu  wen- 
den. Dies  lieft  sich  nun,  da  wir  so  spät  kamen,  am  6. 
nicht  mehr  ausführen.  Aber  am  7.  mit  Tagesanbruch 
brachen  wir  sogleich  mit  der  Avantgarde  dahin  auf.  In 
großer  Erwartung  näherte  ich  mich  dem  berüchtigten 
Königskloster,  dessen  Ruf  seit  dreieinhalb  Jahrhunderten 
die  ganze  Welt  erfüllt,  das  der  Spanier  mit  stolzer  Zuver- 
sicht „la  octava  maravilla  del  mundo"  (das  achte  Welt- 
wunder) betitelt  und  das  seinem  Stifter,  Philipp  II.,  über 
125  Millionen  Gulden  kostete.  Wir  fanden  im  Escorial 
schon  alles  getan.  Eine  Kavalleriedivision  unter  Lahous- 
saye1*)  war  abends  vorher  eingetroffen  und  hatte  samt- 


"|  Armand  Lebrun,  Baron  von  La  Houssaye,  französischer 
General,  1760-1816,  kämpfe  in  den  Jahren  1808-1812  in  Spanien. 
Im  Deiember  1808  nahm  er  lebhaften  Anteil  an  der  Belagerung 
Madrids  und  wurde  beauftragt,  sich  des  Escorials  zu  bemächtigen, 
w«  er  auch  ausführte. 

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liehe  aufrührerische  Einwohner  ins  Gebirge  verjagt  Wir 
zogen  daher  ruhig  durch  die  menschenleeren  Straßen  der 
Stadt,  die  ungefähr  wie  jede  Stadt  aussieht,  die  neuerdings 
durch  die  Nähe  einer  ktinijjlielieu  Residenz  entstanden 
ist.  Wir  lagerten  uns  auf  der  Terrasse  südlich  hinler  dem 
Kloster,  wo  man  am  Fuße  des  Berges  den  Flecken  Altes- 
corial  unter  sich  liegen  hat. 

Der  Marschall  war  gerade  nach  Madrid  gegangen 
und  hatte  das  Kommando  dem  General  Sebastiani  über- 
lassen. Dieser  löste  sogleich  die  Avantgarde  auf  und  be- 
fahl jedem,  zu  seinem  Regiment  zu  stoßen,  weil  dies 
bei  der  bevorstehenden  Revue  besser  wäre.  Was  sollte  ich 
nun  tun?  Mit  meinen  n.issauischen  und  badischen  Volti- 
geuren  fand  ich  mich  plötzlich  isoliert;  unsere  Regimenter 
fehlten  noch,  und  niemand  wußte,  was  aus  ihnen  ge- 
worden war. 

Bei  Sebastiani  und  seinem  Generalstab  fand  ich  wenig 
Gehör.  Ich  mußte  also  zusehen,  wie  ich  selbst  für  mich 
sorgte.  Der  verlassene  Ort  wurde  für  die  Nacht  unter 
das  Korps  verteilt.  Ich  mußte  die  fünf  Häuser,  in  denen 
ich  meine  Leute  unterbrachte,  beinahe  mit  dem  Bajonett 
erobern  und  behaupten.  Den  folgenden  Morgen,  als  wir 
gegen  Madrid  zogen,  folgte  ich,  der  bisher  den  Weg  ge- 
bahnt hatte,  unsicher  der'  Division  Sebastiani. 

Der  Marschall  hatte  beim  Kaiser  in  Madrid  nicht 
vorkommen  können,  war  grämlich,  stellte  sich  aus  Ärger 
darüber  krank  und  kam  nicht  zum  Vorschein.  Zum  Glück 
stieß  ich  auf  den  Artillerietrain,  der  aus  drei  Batterien 
bestand,  worunter  die  badische  war.  Diese  Batterie  war 
anfangs  den  Regimentern  Baden  und  Nassau  zur  Expe- 
dition nach  San  Ander  und  San  Vicente  gefolgt,  hatte 
dort  im  Gebirge  nicht  weiter  kommen  können  und  war 
endlich  auf  der  Straße  von  Reinosa  zum  4.  Armeekorps 
zurückgekehrt. 

Je  näher  wir  Madrid  kamen,  desto  höher  stieg  die 
Erwartung  der  Dinge,  die  da  kommen  sollten.  Wir  konn- 
ten höchstens  noch  eine  Stunde  von  der  Hauptstadt  ent- 
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lernt  sein,  da  erschienen  Adjutanten.  Die  Kolonne  bog 
links  ein,  ging  über  eine  Brücke  des  Manzanares,  kam 
wieder  auf  eine  Chaussee  in  schönem  Wald  und  folgte 
derselben  am  Flüßchen  aufwärts  in  nördlicher  Richtung. 
Das  unbestimmte  Gerücht  „der  Kaiser  kommt!  der  Kaiser 
kommt!"  lief  durch  die  Glieder.  Jeder  putzte  sich,  so 
gut  er  konnte,  im  Marsch;  die  Franzosen  ermunterten 
ihre  Leute  zum  Vivatrufen.  Endlich  sahen  wir  ein  Schloß 
vor  uns,  groß,  nicht  übel  gebaut,  doch  nicht  sehr  präch- 
tig; ein  hübsches  Städtchen  dahinter  mit  einem  Wald  um- 
geben und  zwischen  Hügeln  ein  grünes  Tal,  vom  Manza- 
nares erfrischt. 

Es  war  das  königliche  Lustschloß  El  Pardo,  wo  der 
Hof  gewöhnlich  die  drei  ersten  Monate  des  Jahres  zu- 
brachte. Ich  sah  das  Korps  auf  dem  freien  Platze  ordnen; 
nach  mir  fragte  niemand.  Vergebens  fragte  ich  Sebastian!; 
ich  erhielt  nur  ausweichende  Worte. 

Der  brave  Buquet  trabte  schweißtriefend  durch  die 
Glieder  seines  Regiments  und  rief  mir  zu:  „Helfen  Sie 
sich,  so  gut  Sie  können,  der  Marschall  kommt  nicht!" 
Ich  marschierte  daher  auf  meine  eigene  Faust  jenseits  der 
Chaussee  auf,  so  daß  mich  der  Kaiser  sehen  mußte.  Kaum 
war  ich  vorteilhaft  postiert,  so  kam  der  naussauische  Gene- 
ra! X.,  der  erst  seit  einigen  Wochen  beim  Korps  einge- 
troffen war,  und  bat  mich  dringend,  ihm  doch  zu  erlauben, 
sich  vor  meine  Voltigeurc  zu  stellen,  weil  er  sonst  kein 
Mittel  wüßte,  vom  Kaiser  gesehen  zu  werden.  Was  wollte 
ich  machen?  Der  Mann  nahm  mir  das  bißchen  Ehre,  das 
mir  von  Rechts  wegen  zufließen  mußte,  vorm  Munde 
weg.  Ich  habe  aber  nie  etwas  abschlagen  können,  worunter 
meine  Eitelkeit  litt,  weil  ich  die  größere  Eitelkeit  besitze, 
nicht  eitel  erscheinen  zu  wollen.  Ich  ließ  es  also  ge- 
schehen, erhielt  darüber  nachher  die  Vorwürfe  meiner 
Offiziere  und  hatte  sie  verdient,  weil  ich  mir  so  die  Ge- 
legenheit raubte,  ihnen  nützen  zu  können. 

Der  Kaiser  erschien,  gefolgt  vom  König  und  von 
seinen  Großen.  Ein  glänzender  Zug!  Ich  konnte  kaum 

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hoffen,  daß  er  bis  zu  uns  kommen  würde,  denn  wir  hatten 
in  der  Jahreszeit  der  kurzen  Tage  —  die  freilich  am  Man- 
zanares  weit  länger  sind,  als  am  Rhein  —  erst  vier  Leguas 
gegen  Madrid,  dann  anderthalb  zurück  gegen  El  Pardo 
marschiert.  Indes  lief  doch  alles  gut  ab.  Der  Kaiser  ging 
durch  die  ganze  Division,  ohne  sich  lange  aufzuhalten. 
Scbastiani  war  für  die  Seinigen  geschäftig.  Andere  er- 
hielten nichts.  Mit  Vergnügen  sah  ich,  daß  der  Kaiser 
unserer  Artillerie,  die  an  meiner  Seite  stand,  mehr  Auf- 
merksamkeit und  mehr  Lob  erteilte  als  andern.  Das  war 
mir  mit  Recht  eine  gute  Vorbedeutung.  Er  kam  mit  dem 
freundlichsten  Gesicht.  X.  präsentierte  sich  als  Komman- 
dierenden, erhielt  freundliche  Worte,  sollte  Auskunft  geben 
und  — -  wußte  nichts.  Ich  blieb  stumm.  Der  Kaiser  er- 
kannte mich  aber  und  sagte:  „Ah,  sind  Sie  auch  da? 
Sie  sind  gelobt  worden.  Wo  sind  Ihre  Regimenter?  wie 
stark  sind  sie?"  —  Und  zu  Pferde  schwang  sich  der 
Monarch  und  der  König  und  die  Fürsten  mit  ihren  Satel- 
liten und  begruben  uns  in  ihrem  Staub. 

Wir  aber  schrien  „Vivat!"  Auf  einmal  war  alles  wie 
tot.  Da  standen  die  Regimenter  und  sahen  sich  nachein- 
ander stumm  an.  Sdbastiani  war  mit  nach  der  Stadt,  und 
niemand  fragte  nach  10000  Menschen,  die  mitten  in  einem 
Wald  wie  vom  Himmel  gefallen  waren.  Endlich  suchten 
sich  die  Korps,  so  gut  sie  konnten,  Lagerplätze.  Auch  ich 
tat  ein  gleiches  und  fand  ein  hübsches  Plätzchen,  wo  ich 
mit  niemand  in  Kollision  kam.  Aber  da  war  kein  Holz, 
kein  Brot,  keine  Fourage.  Woher  nehmen?  Wir  wissen't 
nicht.  Frag  einer  den  S<5bastiani!  Der  war  in  der  Haupt- 
stadt! —  Und  in  Zeit  von  einer  halben  Stunde  loderten 
himmelhoch  die  Flammen  der  Lager,  und  mancher  Braten 
drehte  sich  am  Spieße.  Alle  Tische,  Stühle,  ja  selbst  Dach- 
sparren von  El  Pardo,  die  Ölkufen  nicht  zu  vergessen, 
nährten  die  Feuer  unserer  höllischen  Küchen.  In  keinem 
Hause  blieb  ein  Nagel  fest,  die  Pferde  standen  in  den 
Stuben  und  fraßen  das  zurückgebliebene  Stroh.  Kaum 
wurde  das  Hauptgebäude  des  königlichen  Schlosses  hinter 
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dreifachen  Wachen  verschont,  obgleich  der  König  darin 

Am  Q.  Dezember  war  es  schon  lange  Tag,  und  noch 
wußte  niemand,  was  aus  uns  werden  sollte.  Der  Marschall 
ließ  nichts  von  sich  hören.  Ich  war  es  meinen  Leuten 
schuldig,  mich  ihrer  anzunehmen.  In  Gottesnamen  ritt 
ich  also  nach  der  Hauptstadt,  die  zwei  gute  Leguas  davon 
entfernt  liegt.  Welch  ein  neues  Leben !  Nach  zwei  Monaten 
des  Entbehrens  mit  ungesohlten  Stiefeln  mitten  in  einer 
großen  Residenz,  wo  die  traurigen  Überreste  einer  ver- 
gebens versuchten  Verteidigung  schon  meist  verschwunden 
waren,  die  Kaufläden  sich  öffneten  und  die  Einwohner 
unter  dem  Schutze  der  Regierung  ihr  Eigentum  selbst 
behüteten.  Gedankenvoll  ritt  ich  durch  die  langen,  krum- 
men Straßen,  die  meist  von  französischem  Militär  belebt 
waren,  unter  dem,  düster  und  tief  in  die  Mäntel  gehüllt, 
einzelne  Spanier  herumschlichen.  Ich  fragte  nach  Gast- 
höfen. Man  wies  mich  in  mehrere.  Überall  aber  erhielt 
ich  zur  Antwort,  ich  könne  wohl  da  essen,  jedoch  nicht 
logieren,  weil  alles  besetzt  sei,  und  für  Pferde  habe  man 
gar  keinen  Stall.  Um  letztere  war  es  mir  hauptsächlich  zu 
tun,  denn  ich  wollte  ohnehin  nicht  nachts  dableiben,  son- 
dern nur  einen  Platz  haben,  wo  meine  armen  Tiere  fressen 
und  beschlagen  werden  konnten.  Endlich  machte  ich  eine 
Posada  de  Caballos  (Pferd  chcrbi'r!>e>  ausfindig,  wo  ich 
sie  in  einem  elenden  dumpfen  Mauleselstall  unterbrachte. 
Aber  noch  viel  mehr  Mühe  hatte  ich  den  Marschall  an 
einem  andern  Ende  der  Stadt  aufzufinden.  „Was  wollen 
Sie  von  mir,"  schrie  er  mir  mit  heiserer  Stimme  von 
seinem  Berte  aus  zu.  „Wollen  Sie  mir  auch  die  Ohren  Voll- 
wagen? Sie  können  sich  nicht  beschweren:  bekommen 
Sie  nicht  den  Orden?"  —  Und  nun  ging  eine  fürchterliche 
Strafpredigt  über  die  deutschen  Regimenter  los,  daö  sie 
noch  nicht  eingetroffen  wären.  Wir  hätten  strenge  Order 
bekommen.  „Wären  sie  nur  bei  der  Revue  gewesen!  Jetzt 
kriegen  sie  einen  Dreck!"  —  Ich  ließ  ihn  ausreden,  bis 
er  sanfter  wurde.  Dann  sagte  ich  ihm,  daß  die  Regimenter 
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wenigstens  nicht  seine  Ungnade  verdienten,  höchstens  der 
Divisionsgeneral,  dem  sie  gehorchen  mußten.  Und  warum 
er  uns  denn  im  Stich  ließe,  die  er  selbst  seine  lieben  Kinder, 
seine  Besten  genannt  habe?  Er  schwor,  das  solle  nicht 
geschehen,  und  er  wolle  schon  dafür  sorgen,  daß  meine 
Leute  in  Ehren  blieben,  daß  sie  eben  auch  mit  der  Division 
Sebastiani  einrücken  würden. 

Ich  hatte  durch  einen  mir  nachkommenden  Offizier 
die  Nachricht  erhalten,  daß  man  sie  nach  Rozas  geschickt 
hatte.  Der  Marschall  ließ  auf  der  Stelle  befehlen,  daß  sie 
in  die  Stadl  marschieren  sollten.  Ich  schickte  den  Befehl 
hinaus  und  beschäftigte  mich  indessen,  sie  unterzubringen. 
An  einem  Ende  der  Stadt  wurde  ich  in  ein  Kloster  ge- 
wiesen, das  ich  schon  ganz  von  einem  französischen  Regi- 
ment besetzt  fand.  Ich  erhielt  endlich  die  Anweisung  in 
die  Wallonenkaserne  am  andern  Ende  der  Stadt.  Die  war 
auch  besetzt,  aber  ich  fand  daneben  eine  andere,  die  ich 
aufbrechen  Heß  und  wo  ich  noch  die  Überreste  eines 
Insurjji.'nU'Nbatiiillou-;  b.' kämpft-]  luiißtc.  Darüber  ward 
es  tiefe  Nacht. 

Die  Kompagnien  waren  unterdessen  auf  einem  andern 
Weg,  als  dem,  wo  mein  Kundschafter  stand,  eingerückt, 
waren  lange  herumgeirrt  und  hatten  sich  endlich  beim 
Alkalatore  auch  in  einem  großen  leeren  Hause  niederge- 
lassen. Am  Ende  stand  ich  mitten  in  der  Nacht  in  den 
menschenleeren  Straßen  allein.  In  die  „Fontana  de  oro" 
(goldener  Brunnen),  wo  ich  zu  Mittag  gespeist  hatte, 
konnte  ich  nicht  zurückkehren,  weil  ich  wußte,  daß  man 
mich  nicht  unterbringen  konnte.  Ich  beschloß  also  wenig- 
stens meinen  Bedienten  mit  den  Pferden  aufzusuchen. 
Nicht  ohne  Mühe  war  ich  so  glücklich,  ihn  zu  finden, 
und  wurde  nach  langem  Klopfen  eingelassen.  Meine 
bleiche,  schwankende  Gestalt  und  die  Hand,  die  klüglich' im 
Qelde  wühlte,  erweichten  das  Herz  des  Spaniers  mehr 
noch  als  meine  gebrochene  spanische  Rede.  Er  trat  mir 
ein  ganz  erträgliches  Bett  ab.  Ich  hatte  Hunger  zum 
Sterben.  Er  bot  mir  seine  Küche  an,  die  ich  mit  Tränen 
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des  Dankes  annahm.  Es  war  ein  einziger,  ziemlich 
schmutziger  Topf,  der  beim  Feuer  stand.  Darin  befand 
sich  eine  Menge  jener  ganz  dicken  Erbsen,  die  eine  Haupt- 
kost  der  gemeinen  Spanier  sind.  Sie  stellen  sie  mit  ein 
wenig  Wasser  und  einem  Stückchen  Speck  ans  Feuer  und 
lassen  sie  so  ruhig  fortschmoren,  bis  der  eine  oder  der 
andere  aus  der  Hausgesellschaft  Hunger  hat  und  sich 
etwas  davon  nimmt  Ich  entsagte  diesem  köstlichen  Mab] 
ebenso  schnell  wieder,  als  ich  es  angenommen  hatte,  und 
sank  bald  auf  meiner  Matratze  in  die  Arme  eines  vom 
Fieber  geschüttelten  Schlafs  der  Entkräftung. 

Eine  Tasse  gute  Schokolade,  die  man  auch  beim 
armen  Spanier  nie  vergebens  sucht,  erquickte  mich  am 
andern  Tag.  Dann  begab  ich  mich  wieder  auf  die  Reise 
ins  Ungewisse,  um  meine  Leute  und  ganze  Stiefel  zu 
suchen.  Von  ersteren  fand  ich  endlich  einen,  der  mich 
zu  den  übrigen  führte,  wo  ich  auch  meine  zwei  andern 
Pferde  traf,  die  24  Stunden  lang  nichts  gefressen  hatten. 
Ich  ließ  in  dem  zerstörten  Hause  Einrichtungen  treffen, 
so  gut  sich's  tun  ließ,  und  schickte  nach  Lebensmitteln 
aus.  Ich  selbst  begab  mich  ins  Quartieramt,  wo  ich  viele 
Schwierigkeiten  fand,  um  mir  ein  Quartier  auszumachen. 
Da  traf  ich  endlich  auf  einen  der  Leute  des  Oberst  von 

P  ,  der  mich  benachrichtigte,  daß  sein  Herr  seit 

gestern  nacht  da  sei.  Ich  flog  in  das  Malthese rkreuz,  das 
geräumigste  Gasthaus  von  Madrid,  wo  ich  zu  meinem 
unbeschreiblichen  Entzücken  ihn  und  den  General  Leval 
zusammen  traf.  Ich  erfuhr,  daß  Marschall  Soult  sie  in 
Poles  zurückgehalten  und  erst  dann  freigelassen  habe, 
als  sie  auch  mit  den  stärksten  Märschen  uns  diesseits 
von  Madrid  nicht  mehr  einzuholen  vermochten.  Sie  seien 
am  9.  abends  bei  El  Pardo  angekommen  und  erwarteten 
das  Weitere. 

Während  ich  zu  meinen  Voltigeuren  lief,  um  ge- 
schwind einige  Besorgungen  zu  machen,  erhielt  ich  die 
Nachricht,  der  Oberst  sei  mit  dem  General  eiligst  zur 
Stadt  hinaus,  weil  der  Kaiser  die  deutschen  Regimenter 
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mustern  wollte.  Die  Voltigeure,  die  nach  Lebensmitteln  ge- 
schickt und  in  alle  Winde  zerstreut  waren,  konnte  ich 
jetzt  nicht  mehr  zusammenbringen.  Mir  selbst  gelang  es 
schwer,  meine  Pferde  in  einer  andern  Gegend  der  Stadt 
aufzusuchen.  Kraftlos  und  ungewiß  trabte  ich  gegen  El 
Pardo  hin.  Wohl  eine  Stunde  Wegs  mochte  ich  zurück- 
gelegt haben,  als  ich  auf  einen  Nachzügler  traf,  der  mich 
zum  Glück  unterrichtete:  die  Regimenter  seien  bei  dem 
Meierhof  Granja  über  den  Manzanares  gegangen.  Ich 
folgte  und  entdeckte  sie  endlich  auf  dem  Kamm  der  Höhen 
aufmarschiert,  die  gegen  Madrid  zu  in  Fluchtfeldern  ab- 
laufen. Die  Leute  sahen  von  den  anstrengenden  Gebirgs- 
märschen  schrecklich  aus,  waren  meist  ohne  Schuhe  und 
hatten  die  Hälfte  ihrer  Kameraden  in  Spitälern  zurück- 
gelassen. Zu  dieser  Revue  kamen  sie  beinahe  ganz  un- 
vorbereitet Der  Marschall,  zufrieden  mit  der  Verteidi- 
gung, die  General  Leval  bei  ihm  vorbrachte,  war  zum 
Kaiser  gelaufen,  um  seine  Gnade  für  die  Regimenter  Ba- 
den und  Nassau  anzurufen.  Der  Monarch  war  guter  Laune, 
erinnerte  sich  des  Rufs,  den  sich  beide  Regimenter  in 
den  früher  erwähnten  Gefechten  erworben  hatten,  und 
versprach,  in  Zeit  von  einer  Stunde  zu  kommen.  Daher 
diese  Übereilung,  denn  solche  Momente  muß  man  nicht 
versäumen.  Ich  hatte  kaum  Zeit,  das  Kommando  des 
1.  Bataillons  wieder  zu  übernehmen;  denn  schon  sah  man 
den  Kaiser  mit  seinem  ganzen  glänzenden  Gefolge  und 
den  Marschall  von  der  andern  Seite  den  Berg  hinaufspren- 
gen. Wir  mußten  mit  ganzen  Kompagnien  rechts  schwen- 
ken, die  Kolonne  schließen  und  ein  Glied  formieren.  Diese 
bequemste  aller  Methoden  zur  genauesten  Spczialrevue 
läßt  der  Kaiser  bei  allen  Truppen  anwenden,  die  er  einer 
besonderen  Aufmerksamkeit  würdigt.  Er  geht  dann  vor 
einem  Glied  nach  dem  andern  vorbei,  sieht  auf  der  Stelle, 
wer  an  der  Prima  plana  fehlt  und  fragt  danach  und  nach 
allen  andern  Dingen,  die  selbst  zum  kleinsten  Detail  gc- 

Er  ließ  sich  die  Leute,  die  sich  besonders  ausge- 

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zeichnet  halten,  vorführen  und  teilte  viele  Orlen  aus. 
Auch  r.ahm  er,  natürlich  mit  Zustimmung  der  deutschen 
Soüveianc,  mehrrrt-  Uii'irdi-riitinen  vor,  Die  beförderten 
Ofh/iere  wurden  vor  der  Front  proklamiert  und  von  ihren 
Kameraden  umarmt.  Alle  diese  für  den,  der  nicht  wie  ich 
an  den  Anblick  des  Kaisers  und  an  seine  Art  Und  Weise 
gewöhnt  war,  gar  wunderbar  erscheinenden  Dinge,  brach- 
ten die  übrigen  Kommandeure  mehr  oder  weniger  um 
die  Besinnung.  Eine  kleine  Dummheit  nach  der  andern 
kam  vor,  und  als  wir  nachher  manövrieren  mußten,  wo 
der  Kaiser  selbst  durch  den  Marschall  kommandierte  und 
oft  ganz  falsch  verstanden  wurde,  fiel  alles  so  schlecht 
aus,  wie  wohl  noch  nie  bei  Truppen,  die  zu  den  „Guten" 
gerechnet  werden.  Der  Kaiser  korrigierte  lächelnd  die 
Fehler  und  verließ  uns  nach  mehr  als  zweistündiger  Ge- 
genwart äußerst  gnädig.  Zur  Charakteristik  des  Ganzen 
gehört,  daß  er  ein  Bataillon  P...,  das  auch  zugegen  war, 
aber  ohne  seine  Schuld  an  den  Hauptgefcchten  keinen 
Teil  genommen  hatte,  nicht  eines  einzigen  Blickes  wür- 
digte. Auch'  wir  hatten  für  einige  Verwundete  und  Kranke, 
die  unter  die  Ausgezeichneten  gehörten,  keine  Belohnung 
erhalten  können.  So  weiß  dieser  einzige  Mensch  alles 
von  sich  abhängig  zu  machen !  Vergebens  läßt  der  Himmel 
seine  Sonne  scheinen,  wo  die  sein  ige  sich  verdunkelt. 
Oft  sollte  man  meinen,  auch  der  Himmel  gehorche  ihm 
und  die  Natur  kleide  sich  in  das  Oewand,  das  er  jedesmal 
braucht  Glücklich,  bewundert,  beneidet,  zogen  wir  noch 
vor  Abend  in  Madrid  ein.  Traurig  folgten  die  Männer 
von  P.,  versprachen,  sich  durch  Tapferkeit  zu  rächen  und 
hielten  Wort. 

Wir  kamen  bataillonsweise  in  Klöster.  Mir  fiel  das 
Th'eatiner  Mönchskloster  des  heiligen  Kajetan  in  der  Ge- 
sandtenstraße zu.  Die  armen  Mönche,  die  sich  den  Ver- 
wüste™ schon  entgangen  glaubten,  waren  so  überrascht, 
daß  sie  völlig  den  Kopf  verloren.  Meine  guten  Worte 
halfen  nichts.  Alles,  was  ich  für  sie  tun  konnte,  war,  meine 
Leute  noch  eine  Stunde  lang  unter  Gewehr  zu  lassen,  bis 

6      B*H7:  Span.  Freihethtampf.  81 


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sie  ihre  besten  Sachen  hinten  hinaus  geflüchtet  hatten. 
Ich  nahm  Kirche  und  Bibliothek  in  Schutz,  teilte  die  Zim- 
mer aus  und  führte  eine  strenge,  aber  nur  langsam  ihren 
Zweck  erreichende  Polizei  unter  einer  Horde  von  Men- 
schen ein,  die  seit  6  Wochen  die  Begriffe  von  Mein  und 
Dein  vergessen  hatten.  Krank  und  matt  sank  ich  endlich 
auf  dem  elenden  Lager  meiner  Zeile  in  Schlaf. 

Am  13.  erhielten  wir  morgens  10  Uhr  Befehl,  zur 
abermaligen  Revue  auszurücken.  Ich  stieg  gegen  die 
ärztliche  Vorschrift  zu  Pferd,  kam  abends  ermüdet  zurück, 
schlief  köstlich  und  war  in  einigen  Tagen  wieder  völlig 
hergestellt  .  .  .  Der  Artillerie  widmete  der  Kaiser  eine 
ganz  besondere  Aufmerksamkeit,  wodurch  mancher  in 
große  Verlegenheit  kam.  Am  Ende  mußte  alles  im  Sturm- 
schritt mit  Divisionskolonnen  vorbeimarschieren. 

Marschall  Lefebvre  marschierte  mit  den  Divisionen 
Sebastian!  und  Vaicncc17)  und  der  französischen,  badischen 
und  holländischen  Batterie  gegen  Talavera  ab.  Die  deut- 
schen Regimenter  der  Division  Leval  wurden  einstweilen 
zur  Garnison  von  Madrid  bestimmt.  Der  Zufall,  der  den 
größten  Teil  der  übrigen  Truppen  unvermutet  iin  nörd- 
lichen Spanien  lebhaft  beschäftigte,  hielt  uns  nachher  länger 
in  der  Hauptstadt  fest,  als  es  erst  Absicht  zu  sein  schien. 
Das  aus  Portugal  vorgerückte  englische  Armeekorps  hatte 
sich  nämlich  beim  Vorrücken  der  Franzosen  gegen  Madrid 
nach  Salamanca  gezogen.  Sobald  das  Korps  des  Herzogs 
von  Danzig  über  das  üuadarramagebirge  gegangen  war, 
faßten  die  Engländer  den  Plan,  nördlich  von  diesem  Ge- 
birge, auf  dem  rechten  Ufer  des  Duero  zu  operieren, 
wo  die  Umstände  dem  Beginn  ihrer  Operationen  sehr 
günstig  zu  sein  schienen.  Marschall  Soult  balgte  sich  in 
den  unzugänglichen  Gebirgen  von  Asturien  lind  Leon  mit 
den  Oberresten  der  spanischen  Nordarmee  unter  La  Ro- 


")  Jean  Baptiste  Cjrus  Marie  Adelaide  de  Thimbrune,  Oraf 
von  Valence,    1757-1822,    kommandierte  1808    eine  Division 
Kavallerie. 
82 

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nana  herum.  Die  ganze  ungeheure  Strecke  von  Leon 
bis  Segovia  war  nur  durch  leichte  Kavallerie  gedeckt. 
Während  das  in  Corufia  ausgeschickte  englische  Armee- 
korps auf  der  Straße  von  Leon  vorrückte  und  sich  mit  den 
Spaniern  in  Verbindung  setzte,  nahm  das  Armeekorps  von 
Salamanca  dieselbe  Richtung»  passierte  den  Duero  bei 
Toro,  rollte  die  leichte  Kavallerie  in  den  Ebenen  von 
Valladolid  usw.  auf  und  bewerkstelligte  ohne  Anstand 
seine  Vereinigung  mit  dem  nördlichen  Korps.  Mit  dieser 
furchtbaren  Macht  wollte  der  englische  Obergeneral 
Moore")  dem  Herzog  von  Dalmatien  in  die  linke  Flanke 
fallen  und  ihn  in  den  atlantischen  Ozean  werfen. 

Zum  Glück  hatte  der  Kaiser,  der  diese  Operation 
einigermaßen  vorausgesehen  und  gewünscht  hatte,  das 
Soultsche  Armeekorps  bis  auf  wenigstens  30  000  Mann 
verstärkt  Diese  vereinigte  der  Marschall  unweit  Saldanas 
und  stand  am  23.  angesichts  der  Engländer,  die  am  fol- 
genden Tage  seine  linke  Flanke  umgehen  und  forcieren 
wollten,  aber,  von  dem  Marsche  des  Kaisers  benachrich- 
tigt, sich  statt  dessen  zum  Rückzüge  gegen  Corufia  an- 
schickten. 

Der  Kaiser  ließ  zur  Deckung  des  Zentrums  —  oder 
des  ganzen  Strichs  vom  untern  Tajo  bis  zur  Mitte  des 
Ebro  —  nur  die  Korps  der  Herzöge  von  Beüuno  und 
Danzig  und  die  Kavallcriedivisionen  Lasalle1»),  Milhaud") 
und  Latour-Maubourg11)  zurück  und  ernannte  den  König 
Joseph,  der  noch  immer  nicht  in  Madrid  eingezogen  war 
und  im  Pardo  residierte,  zu  seinem  Stellvertreter  jenseits 
desGuadarramagebirges.  Er  selbst  brach  am  22.  Dezember 

le)  Sir  John  Moore,  hervorragender  englischer  General,  1776 
bis  1909,  kämpfte  im  Verein  mit  dem  Genera]  Baird  in  Portugal 
gegen  Soutt  und  fiel  schon  am  16.  Januar  1809  bei  Coruna  in  einem 
mörderischen  Kampfe. 

"-*')  Antoijie  Charles  Louis  Graf  von  Lasalle,  1775-1809, 
Edouard  Jean  Baptiste  Milhaud,  1766—1833,  Marie  Charles  ösar 
Fay,  Graf  von  Latour-Maubourg,  1756-1831,  bedeutende 
•  n  n,  i  i.-!  [  L.  Di  v  i  i  i  on  ige  nerale. 

6"  83 


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mit  sämtlichen  Garden,  mit  dem  Armeekorps  des  Herzogs 
von  Elchingen  und  mit  einer  Menge  Kavallerie  und  Ar- 
tillerie nach  Guadarrama  auf. 

Es  ist  keinem  Zweifel  unterworfen,  daß  die  Eng- 
länder, wenn  sie  in  die  Falle  gegangen  wären,  wenig  von 
ihrer  schönen  Armee  nach  ihrer  Insel  zurückgebracht  hät- 
ten. Dem  Kaiser  ging  aber  diesmal  alles  gegen  Wunsch. 
Die  Engländer  zogen  sich  beizeiten  langsam  und  in  schön- 
ster Ordnung  zurück,  und  das  Wetter  war  gerade  so 
schlecht,  wie  es  im  ganzen  Winter  nicht  gewesen  war  .  .  . 
Auf  dem  Guadarramagebirge  schneite  es  so  sehr,  daß 
Menschen,  Pferde  und  Wagen  stecken  blieben.  Als  die 
Armee  mit  unsäglicher  Mühe  jenseits  ankam,  trat  ein  un- 
aufhörlicher Regen  ein.  Der  Schnee  ergoß  sich  in  Strömen 
in  die  Täler,  überschwemmte  sie  und  riß  Brücken  weg. 
Die  Infanterie  konnte  kaum  durch  den  Kot  durchkommen 
und  mußte  öfters  bis  über  den  Gürtel  im  Wasser  waten. 
Darüber  wurde  die  Ungeduld  des  Kaisers  so  groß,  daß 
er  am  27.  in  Medina  de  Rioseco  mit  einigen  wenigen  von 
seinem  Gefolge  ankam,  ehe  noch  ein  einziger  Franzose  die 
Stadt  hatte  erreichen  können.  Diese  Ungeduld  wuchs,  als  er 
erfuhr,  daß  ihm  die  Engländer  entgangen  waren.  Er  konnte 
indes  nichts  tun,  als  ihnen  seine  behenden  Chasseure  von 
der  Garde  unter  den  Generalen  Durosncl-)  und  Lefehvre- 
Desnouettes  ")  nachzuschicken.  Ersterer  war  vorsichtig 
und  begnügte  sich  mit  einigen  eroberten  Wagen,  letzterer 
schwamm  kühn  durch  die  Esla.  Die  Engländer  verstanden 
keinen  Spaß,  schickten  ihm  von  Benavente  aus  einige  Ka- 
vallerieregimenter auf  den  Mals  und  nahmen  ihn  mit  vielen 
seiner  Braven  gefangen. 

Der  Kaiser  vereinigte  sich  jenseits  Valderas  mit  Soult, 
ging  nach  Benavente  und  dann  nach  Valladolid  zurück, 

«),  «)  Anleine  Jean  Auguste  Graf  Durosnel,  1771-1849  und 
Charles  Graf  Lefebvre-Desnouettes,  1773—1822,  beides  fran- 
zösische Oenerale.  Letzterer  zeichnete  sich  im  Kanipl  bei  Benavente 
im  Januar  1809  aus,  fiel  aber  in  die  Gefangenschaft  der  Engländer, 
aus  der  er  zu  entfliehen  wußte. 
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ohne  Madrid  wiedersehen  zu  wollen.  Soult  und  Ney  ver- 
folgten sozusagen  atemlos  die  Engänder,  die  ohne  Ver- 
lust bei  Coruna  ankamen  und  Anstalten  zur  Einschiffung 
machten.  Nur  das  spanische  Korps  von  La  Romana  konnte 
Soult  noch  erreichen  und  mit  beträchtlichem  Verlust  in 
die  Gallicischen  Gebirge  werfen.  Am  16.  Januar  lieferte 
er  die  merkwürdige  Schlacht  bei  Coruna.  Ungeachtet  die 
Engländer  ihre  beiden  ersten  Generale  darin  verloren, 
Moore  getötet  und  Baird  schwer  verwundet  wurden, 
schifften  sie  sich  doch  in  der  Nacht  vom  16.  zum  17.  ruhig 
ein.  Am  Morgen  des  17.  fanden  die  Franzosen  ihre  Ver- 
wundeten verbunden  auf  dem  Schlachtfeld  liegend,  jeder 
mit  einem  Fläschchen  Branntwein  und  etwas  Zwieback 
beschenkt 

Wir  waren  unterdessen  in  Madrid  auch'  nicht  in  der 
glänzendsten  Lage.  Der  Dienst  war  wegen  der  Entblößung 
an  Truppen  in  dieser  Gegend  ziemlieh  hart,  zumal  täglich 
ein  Drittel  der  Leute  auf  Arbeit  zu  den  Verschanzungen 
kommandiert  wurde,  die  man  beim  Retiro  anlegte.  Die 
Lebensmittel  waren  teuer,  wegen  der  beschwerlichen  Zu- 
fuhr aus  einer  Nachbarschaft,  die  teils  ruiniert,  teils  im 
Aufstande  war.  Die  Einwohner  legten  ihren  Haß  gegen 
uns  unverhohlen  an  den  Tag;  an  Umgang  mit  ihnen  war 
nicht  zu  denken.  Das  schöne  Geschlecht  verschloß  sich 
im  Innern  der  Familien,  nur  dann  und  wann  sah  man  in 
großen  alten  Wagen,  mit  schlechtgekleideten  Domestiken 
umgeben,  von  zwei  großen  Mulas  (Mauleseln)  gezogen, 
eine  schwarzäugige  Dofia  sich  von  einem  Hause  zum 
andern  beg«ben.  Nur  die  niedrigste  Klasse  suchte  unsern 
Umgang,  jene  unglücklichen  Verworfenen,  deren  Zahl  in 
Madrid  immer  groß  gewesen  sein  soll  und  sich  durch 
das  allgemeine  Elend  täglich  mehrte.  Trotz  aller  Vorsicht 
wurden  manche  unserer  Leute  ein  Opfer  dieser  verseuchten 
Elenden.  Mancher  wurde,  von  einer  Sirene  in  ein  abge- 
legenes Haus  gelockt,  daselbst  ermordet  und  dann  auf  die 
Straße  geworfen.  Es  gab  Spanier,  die  beim  Anblick  eines 
Franzosen  die  Wut  dermaßen  überkam,  daß  sie  ihm  auf 
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der  Siraße  den  Dolch  ohne  besondere  Veranlassung  ins 
Herz  stießen.  Viele  wurden  au!  der  Stelle  ergriffen  und 
ließen  sieh  dann  gewöhnlich  ruhig  hängen,  ohne  die  Miene 
der  stummen  Verachtung  abzulegen.  Viele  entsprangen, 
selbst  am  hellen  Talje ;  denn  erreichten  sie  nur  eine  Neben- 
straße, so  waren  sie  gerettet.  Ein  Spanier  wurde  gehangen, 
weil  er  einen  Franzosen  umgebracht  hatte.  Ein  Chasseur 
geht  ahnungslos  vorüber,  stutzt  und  betrachtet  die  braun- 
gekleidete Leiche  mit  verschränkten  Armen.  Da  kommt 
ein  Bürger  von  Madrid  des  Wegs,  ärgert  sich  über  die 
Neugierde  des  Franzosen,  sticht  ihn  sofort  tot  und  wird 
vergebens  verfolgt,  weil  er  gleich  in  den  Häusern  ver- 
schwindet. 

Unser  Leben  in  Madrid  erreichte  am  13.  Januar  plötz- 
lich sein  Ende.  Die  militärische  Verhältnisse  hatten  sich 
gänzlich  verändert.  Als  wir  nach  Madrid  kamen,  hatte 
der  Fürst  von  Isenburg,  der  bei  der  französischen  Armee 
als  Brigadegen  eral  stand,  das  Kommando  über  das  Regi- 
ment Baden  und  Nassau  oder  die  1.  Brigade  der  2.  Divi- 
sion des  4.  Korps  erhalten  und  blieb,  wie  uns  der  naive 
Marschall  Lefebvre  vorausgesagt  hatte,  bei  unserm  Ab- 
marsch wegen  des  Podagras  zurück. 

Der  Marschall  hatte  mit  den  beiden  andern  Divisionen, 
wie  schon  erwähnt,  einen  Zug  an  den  Tajo  unternommen ; 
wir  blieben  also  in  Madrid  bloß  den  Dispositionen  des 
Gouverneurs,  des  Generals  Belliard»)  und  der  beiden  Bri- 
gadegenerale, die  in  Madrid  und  im  Retiro  kommandierten, 
überlassen  .  .  .  Der  Marsehall  forcierte  am  24.  den  Tajo, 
hinter  dem  sich  noch  einige  Insurgetiteiihaufen  aufhielten. 
Er  ließ  nämlich  seine  Truppen  zugleich  über  die  Brücken 
von  Arzobispo  und  von  Almaraz  marschieren.  Bei  letz- 
terem fand  er  einigen  Widerstand,  wobei  sich  die  badische 
Artillerie  ganz  besonders  auszeichnete.  Dann  wandte  sich 

«)  Augusün  Daniel  Graf  von  Belliard,  bedeutender  franzö- 
sischer rjeneral,  1769-1832.  Er  war  die  rechte  Hand  des  Königs 

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der  Marschall,  als  sei  er  geschlagen,  mit  Zurücklassung 
der  eroberten  feindlichen  Geschütze  eiligst  wieder  auf 
das  rechte  Ufer,  durchwatete  mit  Gefahr  und  Verlust 
den  reißenden  Tietar,  ging  nach  Plasenci.i,  von  da  über 
das  hohe  Gebirge  Sierra  de  Gredos  nach  Avila  und  end- 
lich über  das  Guadarramagebirge  nach  Escorial,  von  wo 
er  gegen  den  10.  Januar  wieder  in  Madrid  eintraf.  Er 
hatte  seit  dem  24.  Dezember  keinen  Feind  gesehen,  aber 
viele  Leute  durch  Krankheit  und  Erschöpfung  verloren; 
auch  waren  einige  seiner  Bagage-  und  Munitions wagen 
stecken  geblieben  und  die  Hälfte  des  Trains  zugrunde 
gerichtet 

Der  Kaiser  rief  ihn  jetzt  zurück,  und  wir  schieden 
von  einander  unter  Äußerungen  wahrer  gegenseitiger  Zu- 
neigung. 


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6.  Kapitel 

Talavera.   Haß  der  Einwohner.   Übergang  über 
den  Tajo 

Unterdessen  hatte  das  1.  Korps  (Victor)  die  Gegend 
von  Madrid  und  Toledo  verlassen  und  sich  gegen  Cucnca 
gewendet,  wo  der  Herzog  von  lnfantado!i)  wieder  eine 
spanische  Armee  gebildet  hatte.  Die  polnische  Division, 
die  am  untern  Tajo  vom  Herzog  von  Danzig  zurückge- 
lassen worden  war,  war  nach  Toledo  gezogen  worden. 
Lasalle  fand  sich  mit  seiner  leichten  Kavallerie  am  untern 
Tajo  zu  schwach,  weil  sich  unterhalb  Cuestas  eine  feind- 
liche Armee  am  Ouadiana  zusammengezogen  hatte.  Gene- 
ral Leval  bekam  also  vom  König  Befehl,  mit  unserer 
1.  Brigade  und  der  badischen  Batterie  das  rechte  Ufer 
des  Tajo  unterhalb  Toledos  zu  besetzen.  Wir  brachen  am 
13.  gegen  Mittag  auf  und  gingen  drei  Stunden  weit  nach 
dem  großen  Dorfe  Mostoles. 

Wir  konnten  uns  gar  nicht  an  die  Vorsicht  gewöhnen, 
die  die  Bosheit  der  Einwohner  erforderte.  In  den  ersten. 
Tagen  kamen  nie  Meldungen  von  den  detachierten  Kom- 
pagnien. Und  zu  spät  lernten  wir,  daß  man  auch  auf  der 


Sl)  N.  de  Silva,  Herzag  von  Infantado,  spanischer  Staats- 
mann und  General,  1773—1841.  Er  begleitete  Ferdinand  VII.  nach 
Rayonnc  und  schloß  sich  darauf  Joseph  Bonapartc  an;  im  nächsten 
Juhre,  1809,  befehligte  er  ein  spanisches  Korps  und  wurde  bei  Udfs 
und  Tarragona  von  den  Franzosen  geschlagen,  worauf  er  von  der 
Junta  seines  Oberbefehls  entscUt  wurde. 
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Landstraße  nie  einen  einzelnen  Bewaffneten  abschicken 
dürfe.  Die  Ordonnanzen  wurden  ermordet.  In  der  Stadt 
selbst  ging  es  uns  nicht  besser.  Die  Einwohner  befanden 
sich  noch  in  ziemlichem  Wohlstand;  sie  hatten  erst  die 
Englander  gehabt,  die  Geld  brachten ;  dann  waren  die 
wilden  Haufen  der  aus  Madrid  flüchtenden  Insurgenten 
durchgezogen  und  hatten  einige  unbedeutende  Ausschrei- 
tungen begangen.  Die  bedeutendste  war,  daß  sie  ihren 
General,  Don  Benito  San  Juan,  in  der  Stadt  ermordeten. 

Das  Korps  des  Herzogs  von  Danzig  und  die  Lasalle- 
sche Kavallerie  waren  nicht  zahlreich  genug,  um  der  Stadt 
während  ihres  kurzen  Aufenthaltes  großen  Schaden  getan 
zu  haben.  Und  General  Leval,  der  mit  uns  kam,  war  ein 
guter  Mann,  der  die  Einwohner  nicht  mißhandelte.  Unsere 
Deutschen  wurden  in  strengster  Mannszucht  gehalten  und 
hielten  sich  ruhig  in  ihren  Klosterkascriicn,  ohne  c*w;i> 
vom  Einwohner  zu  fordern.  Die  Offiziere  wohnten  in 
den  Bürgerhäusern  und  hatten  ihre  Mahlzeiten.  Nur  die 
Häuser  des  Adels  wurden  etwas  mitgenommen,  da  ihre 
Eigentümer  geflüchtet  waren.  Man  war  uns  wirklich  Dank 
schuldig  I  Denn  andere,  die  nach  uns  kamen,  haben  es 
sicherlich  schlimmer  gemacht.  Trotz  dieses  guten  Beneh- 
mens geschahen  Vorfälle,  die  man  sich,  auch  bei  dem 
ungünstigsten  Urteil  über  die  Rachbegierde  der  Spanier, 
nicht  erklären  kann.  Auf  unsere  Schildwachen  —  die  meist 
nur  zur  Aufrechterhaltung  der  Ordnung  bestimmt  waren 
—  wurde  oft  geschossen.  Einige  wurden  schwer  verwun- 
det Auch  auf  Offiziere,  die  abends  durch  die  Straßen 
gingen,  fielen  einige  Male  Schüsse  aus  den  Fenstern. 

Ich  wohnte  in  einem  großen  Hause.  Ein  geräumiger 
Hof  stand  voll  Zitronen-  und  Pomeranzenbäumen,  deren 
zeitige  Früchte  man  von  der  Altane  aus  pflücken  konnte. 
Die  Sparsamkeit  der  Möbel,  die  Entblößung  von  Küche 
und  Keller  und  noch  mehr  die  Beschaffenheit  der  Men- 
schen, die  sich  für  Eigentümer  des  Hauses  ausgaben, 
brachten  mich  auf  die  Vermutung,  die  sich  auch  bestätigte, 
daß  der  wahre  Eigentümer  geflüchtet  sei  und  jene  sub- 
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slituiert  habe.  Es  war  nämlich  im  ganzen  Hause  nur 
ein  altes  Männchen  mit  einer  Frau  und  einer  einzigen 
Magd.  Das  Männlein  war  erstaunlich  demütig  und  höf- 
lich und  wußte  sich  außerordentlich  arm  zu  stellen,  worin 
er  im  Grund  recht  haben  konnte.  Es  brachte  nebst  dem 
Weiblein  den  größten  Teil  des  Tages  mit  And achts Übungen 
zu.  In  meiner  Stube  war  ein  Muttergottesbild  unter  einem 
Glas.  Vor  demselben  unterhielt  das  Männlein  beständig 
eine  brennende  Kerze,  einem  Gelübde  zufolge.  War  ich 
abwesend,  so  benutzten  die  guten  Leute  die  Zeit,  um  vor 
dem  Bilde  auf  den  Knien  zu  liegen.  Am  sonderbarsten  war 
die  Kleidung  dieses  komischen  Pärchens.  Beide  trugen 
einen  Anzug  aus  braunein  Kapuzinertuch  und  hatten  Stricke 
um  den  Leib.  Sie  gehörten  zu  einer  geistlichen  Kongre- 
gation, die  zwischen  den  Mönchen  und  den  weltlichen 
Menschen  ungefähr  in  der  Mitte  steht.  Doch  es  ist  Zeit, 
zu  unserer  militärischen  Lage  zurückzukehren.  Oeneral 
Lasalle,  der  sich  in  Person  in  Almaraz  aufhielt,  beschloß, 
sich  durch  eigene  Untersuchung  zu  überzeugen,  ob  die 
tröstlichen  Versicherungen  des  Marschalls  Jourdan«)  in 
Madrid,  daß  wir  von  keinem  Feinde  mehr  etwas  zu  be- 
fürchten hätten,  oder  ob  die  Nachrichten  der  Spione,  die 
ihn  in  großer  Anzahl  gesehen  haben  wollten,  die  rich- 
tigen seien.  Er  ging  daher  mit  ein  paar  Kavallerieregimen- 
tern über  die  Brücke  von  Almaraz  und  den  Engpaß  von 
Miravede,  um  sich  nach  Trujillo  zu  begeben,  bis  er  Ge- 
wißheit über  die  Mittel  bekommen  würde,  die  der  Feind 
gegen  uns  in  Bewegung  setzte.  Dieser  hatte  aber  unter- 
dessen ein  Heer  von  12—18000  Mann,  größtenteils  alte 
Linientruppen,  vereinigt  und  mit  guten  Pferden  aus  Anda- 
lusien und  mit  Artillerie  aus  der  Festung  Badajoz,  sowie 
mit  Zelten  und  andern  Feldrequisiten  versehen.  Ein  an- 


»)  Jean  Baptiste  Graf  von  Jourdan,  Marschall  von  Frank- 
reich, 1762— 1S33,  wurde  1803  Gencralstabschef  des  Königs  von 
Spanien,  welche  Stellung  er  (mit  Ausnahme  der  Jahre  1809—1812) 
bis  1814  innehatte. 
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deres  Heer  von  20000  bis  30000  Mann  hatte  sich  unter 
dem  Herzog  von  Infantado  im  Gebirge  der  Mancha  ge- 
sammelt. 

Da  nun  durch  die  Nachricht  von  der  Abreise  des 
Kaisers  nach  Paris  und  den  mächtigen  Kriegsrüstungen 
der  Österreicher  die  anfängliche  Niedergeschlagenheit  der 
Spanier  plötzlich  verschwunden  war  und  den  schwindelnd- 
sten Hoffnungen  Platz  gemacht  hatte,  so  beschlossen  sie, 
Infantado  über  Cuenca  und  Cuesta  über  Almaraz  allmäh- 
lich wieder  gegen  Madrid  vorrücken  zu  lassen.  Letzterer 
sollte  sich  vor  allen  Dingen  des  wichtigen  Postens  von 
der  Brücke  von  Almaraz  bemächtigen  und  daselbst  die 
Ii!  reichen  Vcrstiirkiäiigc-n,  dii:  seiner  harrten,  erwarten, 
wenn  ihm  das  Glück  nicht  sdmt'Kere  Fortschritte  gestattete. 
Der  Vortrab  dieser  Armee  kam  in  der  Gegend  von  Trujillo 
an,  als  Lasalle  über  den  Tajo  ging.  Beide  Spitzen  stießen 
noch  am  nämlichen  Tage  aufeinander.  Die  Spanier 
stutzten;  die  Franzosen  benutzten  den  Augenblick,  griffen 
an  und  nahmen  etliche  40  Kavalleristen  gefangen.  Dieser 
unbedeutende  Zufall  hatte  auf  die  ganze  feindliche  Expe- 
dition nachteiligen  Einfluß.  Die  leichten  Truppen  wichen 
schnell  nach  Trujillo  zurück  und  verbreiteten  die  Nach- 
richt vom  Anrücken  einer  französischen  Armee.  Dadurch 
wurde  der  spanische  Heerführer  wahrscheinlich  bewogen, 
zwei  Tage  Halt  zu  machen.  Lasalle  dagegen  ging  als 
Sieger,  ohne  einen  Mann  verloren  zu  haben,  über  den 
FluB  zurück  und  gewann  Zelt,  den  General  Leval  in 
Talavera  von  der  Gefahr  zu  benachrichtigen.  Dieser 
schickte  die  Holländer  nach  Arzobispo  und  das  andere 
nassauische  Bataillon  nebst  zwei  badischen  Kanonen  nach 
Almaraz. 

Die  Spanier  kamen  erst  am  26.  zum  Vorschein,  ließen 
sich  aber  den  ganzen  Tag  durch  die:  braven  nassauischeu 
Voltigeure  im  Paß  von  Miravede  aufhalten  und  wurden 
erst  gegen  Abend  Meister  der  Berge  des  linken  Ufers, 
die  den  Fluß  beherrschen.  Am  27.  bedeckten  sie  das  ganze 
Ufer  mit  Truppen  und  überschütteten  die  diesseits  hinter 

gi 

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der  Brücke  nachteilig  postierten  Nassauer  und  die  badi- 
schen Kanoniere  mit  einem  Kugelregen.  1  asallr.  der  mit 
seiner  Kavallerie  rückwärts  bei  Almarai  stand,  konnte 
hier  nichts  helien.  Ei  sah  vielmehr  ein,  il.ift  die  Spanier 
die  lirmke  beim  enteil  beherzten  Angriff  mit  Gewalt 
iichinen  muPile:i.  Lr  beschloß  djher.  sieh  soweit  /ururk/u- 
liehen,  bis  er  Unteritjtmnj;  ar.  Infanterie  und  Artillerie 
erhalten  würde.  Am  28.  vor  Tag  war  das  kleine  Korps 
au!  dem  vorteilhaften  Terra»)  hinter  Almaraz  aufgestellt 
und  bewerkstelligte  .seinen  Ruekz.u;;  ohne  Verlust,  nachdem 
die  Toten  begraben  und  die  Verwundeten  in  Sicherheit 
gebracht  worden  waren.  Tin  Unteroffizier  mit  drei  Mann, 
den  die  Nassauer  kurz  hinter  sich  gelassen  hatten,  um 
einen  Wagen  mit  Brot  nachzubringen,  wurde  von  den 
Einwohnern  des  Fleckens  ermordet.  Einen  verwundeten 
nassauischen  Offizier,  der  unterwegs  starb  und  in  Naval- 
moral  begraben  wurde,  gruben  die  Einwohner  auf  der 
Stelle  wieder  ans  und  hingen  ihn  a:i  einen  tiaum. 

Auf  die  Nachricht  von  diesen  Ereignissen  verließen 
wir  am  29.  Januar  11  Uhr  morgens  Talavera,  wo  bloß 
eine  Kompagnie  unseres  Regiments  zur  Deckung  der 
Brücke  und  des  Lazaretts  zurückblieb.  Es  war  schon 
dunkel,  als  wir  bei  La  Calzada,  einem  großen  Dorf  unter- 
halb Almaraz,  ankamen.  Hier  fanden  wir  das  zurück- 
gewichene Korps  und  wurden  mit  Jubel  aufgenommen. 
Man  war  nun  überzeugt,  mit  dieser  Handvoll  Leute  den 
Spaniern,  die  so  wenig  Unternehmungsgeist  zeigten,  die 
Spitze  hieteii  m  kiiniien.  Ui:d  wirklich,  wenn  der  gute 
Geist  der  Truppen  viel  zum  glücklichen  Udingen  der  Ge- 
fechte beiträgt,  so  hatten  wir  alle  Ursache,  darauf  zu 
hoffen.  Die  Kavallerie  von  Lasalle,  alle  Badener,  die 
Nassauer,  alle  waren  untereinander  wie  Brüder,  und  jedes 
Korps  für  sich  war  von  dem  größten  Vertrauen  zu  seinen 
Anführern  beseelt.  Nie  waren  Truppen  besser  miteinander, 
zumal  Franzosen  und  Deutsehe,  Kavallerie  und  Infanterie! 
Brüderlich  teilten  die  Franzosen  mit  uns  den  Platz  und 
die  Lebensmittel.  Lasalle  litt  nicht  einmal,  daß  wir  Dienst 
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gegen  den  Feind  taten  oder  biwakierten.  Unsere  Infante- 
risten waren  sämtlich  in  einem  großen  Kloster  zusammen 
und  hatten  nur  die  nötigsten  Sieherheits wachen  um  den 
Ort  „Wir  müssen  die  braven  Deutschen  schonen,"  sagte 
Lasalle,  „wenn's  gilt,  sind  sie  am  härtesten  dran." 

Am  31.  Heß  er  einige  hundert  Kavalleristen  über 
Navaimoral  bis  gegen  Almaraz  rekognoszieren.  Sie  fanden 
nur  etwas  feindliche  Kavallerie  in  der  Nähe  des  Orts. 

Die  Polen  waren  unterdessen  von  Toledo  nach  Tala- 
vera  gerückt.  Unsere  zurückgebliebene  Kompagnie  traf 
am  Abend  des  letzten  Januar  bei  uns  ein  und  sagte  uns, 
daß  die  Einwohner  von  Talavera  bis  zur  Ankunft  der 
Polen  nur  mit  Mühe  im  Zaum  zu  halten  gewesen  wären. 

Da  der  Feind  keine  Miene  machte  angriffsweise  vor- 
zugehen, und  wir  nun  auch  für  den  Notfall  in  Talavera 
einen  Rückhalt  hatten,  so'  konnten  wir  am  1.  Februar 
ausgedehntere  Quartiere  nehmen ;  Navaimoral  wurde 
wieder  besetzt.  Unser  Regiment  ging  eine  halbe  Stunde 
in  der  Ebene  seitwärts  nach  dem  kleinen  Dörfchen  Calde 
Ruela.  Die  unglücklichen  Einwohner  hatten  sämtlich  bei 
unserer  Annäherung  das  Örtchen  mit  beinahe  allen  ihren 
Vorräten  im  Stich  gelassen.  Wir  teilten  uns  in  die  leeren 
Häuser  und  gaben  strenge  Order,  nichts  zu  nehmen  und 
zu  verderben,  was  wir  nicht  notwendig  brauchten.  Alle 
Häuser  waren  innen  sehr  reinlich  und  hingen  voll  Heiligen- 
bildchen, meist  in  goldenen  Rahmen.  In  mehreren  Häusern 
fand  man  Pferdehaarmatratzen,  und  alle  Böden  lagen  voll 
herrlichem  Weizen,  den  der  fette  Boden  bei  Calzada  her- 
vorbringt .  .  .  Wir  besetzten  den  Gebirgsrücken  mit  hin- 
länglichen Wachen  und  patrouillierten  sie  von  allen  Seiten 
ab.  Da  fanden  wir  denn  in  einer  der  entlegensten  Falten 
der  Berge  die  Einwohner  des  Orts  bei  einer  Schäfer- 
hütte versammelt  Es  kostete  nicht  viel  Mühe,  die  armen 
Menschen  zu  veranlassen,  mit  uns  umzukehren  und  ihre 
eigene  Wohnung  mit  uns  zu  teilen.  Wir  fanden  auch  hier, 
daß  die  Einwohner  an  der  Grenze  von  Estremadura  sich 
besser  kleideten  als  im  Innern  Castiliens.  Das  einförmige 
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Schwarz  wird  mitunter  durch  helle  Farben  unterbrochen; 
man  sieht  viele  rote  Strümpfe  und  bei  den  Frauen  rote 
und  grüne  Leibchen. 

Am  3.  fand  eint'  große  Rekognoszierung  statt.  Mar- 
schall Virtor,  Herzog  von  Belluno,  war  im  Anmarsch 
gegen  Talavera  begrilfen,  nachdem  er  den  Herzog  von 
Infantado  unweit  Uclts  geschlafen,  seine  Armee  größten- 
teils vernichtet  und  über  10000  Mann  gefangen  hatte. 
Dies  ließ  uns  endlich  das  furchtsame  Betragen  Cuestas 
begreifen,  der  eine  Handvoll  Menschen  nicht  anzugreifen 
wagte,  die,  überall  von  Feinden  umgeben,  auf  einer  schma- 
len Erdspitze  gegen  ihn  vorgeschoben  war.  Unsere  Brigade 
ging  3  Stunden  vorwärts  nach  dem  großen  Dorfe  Pera- 
leda  und  detachierte  einzelne  Kompagnien  seitwärts  und 
vorwärts  nach  Valdehuncar  und  Belvis  de  Monroy,  um 
Tajo  und  Almaraz  zu  beobachten.  Die  Nassauer,  unter- 
stützt von  einem  Kavallerieregiment,  gingen  bis  Almaraz 
vor,  ohne  den  Feind  zu  finden.  Nassau  drang  bis  gegen 
die  Brücke,  indem  es  die  feindlichen  Piketts  vor  sich  her 
trieb,  kam  aber  unter  das  Kreuzfeuer  von  8  Geschützen, 
die  der  Feind  in  seinen  jenseitigen  Batterien  aufgestellt 
hatte,  und  verlor  dadurch  einige  Leute.  Die  1.  Brigade 
wurde  wieder  nach  Navalmoral  zurückgezogen,  nachdem 
man  sich  überzeugt  hatte,  daß  der  Feind  in  beträchtlicher 
Stärke  hinter  der  Brücke  stand  und  sich  verschanzte.  In 
Erwartung  des  Herzogs  von  Belluno  blieben  wir  mehrere 
Tage  in  dieser  Stellung  ganz  ruhig;  doch  waren  wir  sehr 
auf  unserer  Hut.  Paraleda  hatte  noch  seine  Einwohner, 
die  von  uns  so  wenig  als  möglich  gekränkt  wurden.  Wir 
hatten,  da  kein  Kloster  vorhanden  war,  unsere  Leute  in 
die  Bauernhäuser  gelegt,  ohne  daß  von  beiden  Seiten 
Klage  kam.  In  einem  Hause  fanden  wir  ein  Hackbrett 
(Lieblingsinstrument  des  spanischen  Volks);  auch  ent- 
deckten wir  einen  karikaturmäßigen  Alten,  der  ein  Vir- 
tuose im  Bolero-  und  Fandangospielcn  war.  Kaum  er- 
klangen die  Saiten,  begleitet  von  einem  äußerst  komischen, 
eintönigen  Oesang  des  estremadurischen  Künstlers,  so 
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konnten  einige  junge  Leute  der  Begierde  nicht  widerstehen, 
einen  Augenblick  die  Feindschaft  gegen  uns  zu  vergessen 
und  sich  ganz  dem  entzückenden  Tanz  hinzugeben. 

Unterdessen  war  das  1.  Armeekorps  wirklieh  in 
unserm  Rücken  angekommen.  Der  Marschall,  Herzog  von 
Belluno,  hatte  sein  Hauptquartier  erst  nach  Talavera,  dann 
nach  Oropesa  verlegt.  Wir  waren  als  4.  Division  unter 
sein  Kommando  getreten  und  bekamen  nun  Befehl,  die 
Brücke  von  Almarai,  es  koste  was  es  wolle,  zu  forcieren. 
Er  wollte  bei  Arzobispo  den  Tajo  passieren  und  den 
Feind  durch  das  Oebirge  in  der  rechten  Ranke  angreifen. 

Wir  gingen  am  10.  morgens  nach  Navalmoral  und 
vereinigten  uns  daselbst  mit  der  1.  Brigade,  der  badischen 
Artillerie  und  ein  paar  Kavallerieregimentern  der  Division 
Lasalle.  Die  Avantgarde  wurde  aus  den  primatischen, 
badischen,  hessischen  und  nassauischen  Voltigeuren  (zu- 
sammen rj  Kompagnien)  und  aus  einem  Zug  franzö- 
sischer Jäger  zu  Pferd  gebildet  und  unter  mein  Kom- 
mando gestellt. 

Ich  sollte  den  Feind  schnell  durch  den  Flecken  Al- 
maraz  vor  mir  hertreiben,  dort  einige  Einwohner  zu  fangen 
suchen,  um  Rache"  wegen  der  Oreueltaten  beim  ersten 
Rückzug'  der  Nassauer  zu  nehmen;  dann,  beim  Nach- 
rücken der  Division,  sollte  ich  soweit  gegen  die  Brücke 
vorrücken,  als  es  die  Umstände  ratsam  machen  konnten. 
Zum  Unglück  hatte  es  inzwischen  so  fürchterlich  geregnet, 
daß  unsere  Leute  vor  Nässe  zitterten  und  kaum  die  Ge- 
wehre zum  Losgehen  bringen  konnten.  Dieser  Umstand 
ist  für  einen  Anführer  leichter  Truppen  oft  schlimmer, 
als  wenn  man  ihm  die  Hälfte  seiner  Leute  nähme.  Bei 
dem  bravsten  Soldaten,  wenn  er  naß  und  hungrig  ist, 
meldet  sich  die  natürliche  künstlich  verscheuchte  Feigheit 
als  ungebetener  Gast.  Ich  empfand  dieses  heute  bei  meinen 
Leuten,  die  durch  die  schlechten  Wege  und  das  Hin- 
und  Herbewegen  durch  Berg  und  Tal  und  Wald  unend- 
lich ermüdet  wurden  und  gar  nichts  zu  essen  fanden ;  und 
es  Hei  mir  schwer  und  ermüdete  mich  doppelt,  sie  wieder 
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in  das  schon  gewohnte  Geleis  der  Bravheit  zurückzu- 
bringen. 

Ich  fand  Almaraz  verlassen,  doch  witterten  meine 
Spürhunde  noch  drei  Männer  aus,  die  sich  in  einem  Keller 
verborgen  hatten.  Ich  ließ  sie  an  das  Divisionskommando 
abgeben  und  trieb  nun  die  schwachen  feindlichen  Piketts 
vor  mir  her  bis  auf  die  Höhe  vor  der  Brücke,  wo  die 
Chaussee  sich  dreht  und  ein  Kreuz  steht  Da  dieser  Punkt 
wegen  des  jenseitigen  Feuers  gar  nicht  zu  behaupten  ist, 
so  ließ  ich  ihn  im  Besitz  des  Feindes  und  bemächtigte 
mich  dagegen  der  beiden  Berge,  die  ihn  und  die  Brücke 
von  beiden  Seifen  umklammern.  Hier  rekognoszierte  ich 
den  Feind  mit  dem  Divislonsgcncral  sehr  genau.  Er  hatte 
die  Brücke  jenseits  durch  einen  Querwall  verstellt,  durch 
den  nur  eine  schmale  Tür  führte,  die  in  einer  Höhe  von 
6  Fuß  mit  Erde  bedeckt  war.  Die  Kavalleriepatrouillen, 
die  man  bisher  zuweilen  von  Almaraz  gesehen  hatte,  konn- 
ten also  nur  einzeln  herübergekommen  sein,  das  Pferd 
hinter  sich  herführend.  Von  der  Brücke  lief  auf  beiden 
Seiten  eine  lange  Brustwehr  am  Ufer  hin.  An  der  Mitte 
des  Abhangs  war  eine  zweite  Linie  von  Batterien  mit 
S  Geschützen,  deren  Feuer  sich  kreuzte.  Oben  war  das 
Lager  unter  Zelten.  Es  erstreckte  sich  rechts  bis  gegen 
Valdecanas,  rückwärts  bis  Casas  de  Miravede  und  endigte 
links  im  Tal  des  Cancelejabachs.  Wir  hatten  den  Spaß, 
sozusagen  jeden  Mann  sehen  zu  können  und  recht  vornehm 
nach  Standeswürde  empfangen  zu  werden. 

Beide  Linien  waren  mit  Truppen  angefüllt,  die  ihre 
Gewehre  unaufhörlich  abfeuerten,  obwohl  kaum  eint  Kugel 
der  Vordersten  zu  uns  gelangen  kunnle.  Dagegen  warfen 
sie  uns  eine  .Menge  Haubitzgranaten  unter  die  Nase,  die 
uns  sehr  inkimimudierten,  aber  nichts  schadeten,  weil  wir 
uns  immer  zerstreuten.  Als  der  General  nach  Almaraz 
/uriiikgekrhrt  war,  schickten  sie  einige  Kompagnien 
heruber,  die  mich  von  dem  vordersten  Berg  verjagten, 
wo  ich  eben  nn  Begnlf  war,  verlorene  Posten  auszu- 

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Sobald  Ich  wieder  in  Verbindung  mit  meinen  Haupf- 
fruppen  war,  ließ  ich  die  Spanier  aufs  neue  auf  die  Brücke 
zurückwerfen,  darüber  wurde  es  Nacht.  Ich  traf  alle 
Sicherheitsmaß  regeln,  ließ  den  Berg  zur  Linken  durch  eine 
Kompagnie  aus  dem  Lager  von  Almaraz  unterstützen  und 
begab  mich,  von  Nässe,  Ermüdung  und  Hunger  erschlafft, 
zum  Hauptposten  an  der  Chaussee.  Um  Mittemacht  wollte 
ich  die  diesseitigen  spanischen  Piketts  aufheben.  Die  Sache 
mißglückte  jedoch,  wahrscheinlich  nur  weil  meine  Leute 
zu  abgespannt  waren.  Ich  mußte  auch  langsam  gehen,  da 
wir  den  andern  Morgen  ein  schweres  und,  wenn  die  Götter 
nicht  halfen,  unmögliches  Stück  Arbeit  vor  uns  hatten. 
Doch'  entdeckte  ich  bei  dieser  nächtlichen  Rekognoszie- 
rung, daß  die  Spanier  tüchtig  auf  der  Brücke  arbeiteten, 
und  schloß  daraus,  daß  sie  mit  der  Absicht  umgingen,  sie 
ins  Wasser  zu  stürzen.  Als  es  Tag  wurde,  sahen  wir  die 
Herren  wieder  hübsch  unter  den  Waffen  stehen.  Ich  hielt 
mich  ruhig  und  erwartete  Befehl  zum  ernstlichen  Angriff. 
Auffallend  war  es  mir,  von  der  spanischen  Armee,  die 
gegen  uns  über  12000  Mann  stark  war,  nichts  gegen  das 
im  Anmarsch  vorgeschobene  Victorsche  Korps  über  Valde- 
canas  abmarschieren  zu  sehen,  da  wir  doch  kaum  über 
4000  Mann  stark  und  durch  unüberwindliche  Naturhinder- 
nisse von  ihnen  getrennt  waren.  Da  die  Spanier  sahen, 
daß  ich  ruhig  blieb,  schickten  sie  einige  Kompagnien 
Herüber,  die  mich  herausforderten.  Ich  gab  mich  indes 
wenig  mit  ihnen  ab,  hielt  meine  Leute  außerhalb  des  feind- 
lichen Geschützt euers  und  ließ  den  Feind  nur  abweisen, 
wenn  er  sich  weiter  wagen  wollte. 

Um  9  Uhr  kam  Oeneral  Schiffer")  zu  mir  herunter 
und  sagte  mir  im  Vertrauen,  daß  der  Rückzug  an- 
getreten würde.  Der  Herzog  von  Belluno  hatte  den 
Marsch  über  die  Brücke  von  Arzobispo  aufgegeben, 


")  Konrad  Rudolf  Freiherr  von  Schäffer,  groBherzoglich  ba- 
discher  Oeneral,  1770— 183B,  führte  die  Rheinbundtruppen  auf  Na- 
poleons Wunsch  nach  der  Pyrenaischcn  Halbinsel. 
7      OwHT.  Span.  FrdWUfciiiipt-  97 

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weil  er  von  gefährlichen  Bewegungen  hinter  dem  Tietar 
gehört  hatte. 

Der  Feind  hätte  mir  auf  dem  Rückzug  Abbruch  tun 
können.  Ich  Heß  daher  seine  Vorposten  ganz  zurückwerfen 
und  stellte  die  meinigen  aus,  als  wollte  ich  die  Nacht  da- 
bleiben. Durch  diese  Anstalten  beruhigt,  ließ  der  Feind 
seine  Truppen,  die  seit  vorigem  Mittag  im  Gewehr  standen, 
größtenteils  ins  Lager  einrücken. 

Jetzt  erhielt  ich  Order  zum  Rückzug.  Alles  war  schon 
vorbereitet,  und  ich  kam,  nur  von  einer  feindlichen  Pa- 
trouille verfolgt,  ohne  Verlust  nach  Almaraz  zur  Division. 

Vor  der  Front  des  aufmarschierten  Korps  fand  ich 
die  ganze  Generalität  um  einen  Birnbaum  beschäftigt.  Ich 
wurde  sehr  gnadig  empfangen  und  eingeladen,  an  der  be- 
gonnenen Aufhärgefeierlichkeit  teilzunehmen.  Es  war 
nämlich  von  nichts  mehr  und  nichts  weniger  die  Rede, 
als  die  drei  armen  Teufel,  die  ihr  Unstern  am  vorher- 
gehenden Tag  in  meine  Hände  hatte  fallen  lassen,  an  den 
Birnbaum  zu  hängen.  Man  hatte  die  ermordeten  Nassauer 
in  verstümmeltem  Zustande  ausgegraben,  auch  waren  in 
einem  Keller  12  Polen  mit  ausgestochenen  Augen,  ab- 
geschnittenen Nasen,  Ohren  und  Fingern  usw.  gefunden 
worden,  die  sich  hier  wahr.schiin'ich  hei  der  Lefebvreschcn 
Expedition  besoffen  und  durch  die  Bauern  den  Zustand 
ihrer  Bewußtlosigkeit  verewigt  erhalten  hatlen.  Da  slanden 
die  drei  armen  Tröpfe  in  ihren  braunen  Jacken,  die  Hände 
auf  den  Rücken  gebunden,  den  Strick  schon  eng  genug 
um  den  Hals  gezogen,  sagten  kein  Wort  und  schnitten 
Gesichter.  Die  Nassauer  sollten  den  ersten  hängen.  Aber 
es  wollte  gar  nicht  recht  vonstatten  gehen,  und  er  fiel 
mehrere  Male  herunter.  Der  Chef  des  Gcneralstabs,  Oberst 

A  ,  ein  roher  Mensch,  rief  dem  General  Schäffer 

zu:  „General,  vos  gens  font  mal  leur  besogne!"  —  „Ce 
sont  de  mauvais  bourreaux,  mais  de  bons  soldats,"  ent- 
gegnete Schäffer  hastig. 

Unterdessen  hatten  die  französischen  Chasseure  schon 
Gelegenheit  gehabt,  zu  zeigen,  daß  sie  das  Handwerk 
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hesser  verstanden.  In  wenig  Augenblicken  hing  der  zweite 
Spanier  an  einem  andern  Ast.  Oberst  A.  applaudierte  und 
[orderte  nun  dieBadenser  auf,  sich  mit  dem  dritten  Spanier 
in  den  originellen  Wertkampf  der  Nationen  einzulassen. 
„Wer  soll  mich  denn  dann  durch  den  verdammten  Sumpf 
nach  Belvis  führen?"  rief  mein  Oberst  dagegen.  „HabenSie 
etwa  einen  andern  Boten?  Oder  soll  ich  mit  meinen 
müden  Leuten  wagen,  im  Kot  stecken  zu  bleiben?  Nicht 
wahr,"  rief  er  dem  schon  halb  erstickten  Spanier  ins 
Ohr,  „du  kennst  den  Weg  gut?  Du  nickst?  Wohlan  denn, 
den  Strick  vom  Hals  und  an  die  Hände  gebunden,  und 
marsch  mit  ihm  voraus.  Der  Kerl,  meine  Herren,"  wandte 
er  sich  zu  den  Franzosen,  „wird  heute  abend  ebensogut 
in  Belvis  hängen  und  vielleicht  noch  lustiger  als  hier." 
DaS  er  nicht  gehängt  wurde  und  wir  ihn  an  Ort  und  Stelle 
bringen  ließen,  bedarf  keiner  Erwähnung. 

Unsere  1.  Brigade  war  mit  der  Artillerie,  einem  Ka- 
vallerieregiment und  dem  Generalstab  in  Navalmoral,  die 
2.  hatte  Belvis  de  Monroy,  Casas  de  Belvis,  Millanes  und 
Valdehuncar  besetzt.  Die  übrige  Kavallerie  nahm  ihre 
Quartiere  nördlich  dergestalt,  daß  sie  den  Tietar  beob- 
achtete. 

Am  15.  zogen  wir  wieder  gen  Almaraz  mit  zwei  Ko- 
lonnen von  Navalmoral  und  Belvis  aus.  Das  erste  Korps 
ging  an  diesem  Tage  wirklich  bei  Arzobispo  über  den 
Tajo,  schickte  uns  aber  seinen  Artillerietrain,  um  unter 
unserm  Schutze  über  die  Brücke  von  Almaraz  zu  gehen. 
Wir  rückten  diesmal  mit  den  Regimentern  bis  auf  Kanonen- 
schußweite an  den  Feind,  der  seine  diesseitigen  Piketts 
eingezogen  hatte,  ohne  einen  Schuß  zu  tun.  Begierig,  was 
daraus  werden  sollte,  ging  ich  mit  den  Voltigeuren  ver- 
streut gegen  die  Brücke  vor.  Ein  Offizier  in  roter  Uniform 
{wahrscheinlich  ein  englischer  Oenieoffizicr)  war  jenseits 
mit  lebhaften  Anstalten  und  vielen  Menschen  und  Pferden 
beschäftigt.  Auf  seinen  Wink  zogen  die  Pferde  an,  und 
im  Augenblick  stürzte  die  Hälfte  der  Brücke  mit  schreck- 
lichem Geprassel  in  den  Abgrund. 
T  9Q 

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Der  Plan  zum  Angriff  für  den  folgenden  Morgen  war 
ungefähr  so:  in  der  Nacht  sollten  unter  dem  kleinen  Ge- 
wehrfeuer des  Feindes  am  vorderen  Abhang  der  beiden 
Berge,  die  die  Brücke  einfassen,  zwei  Batterien,  jede  von 
6  Geschützen,  aufgestellt  werden,  unter  deren  Kreuzfeuer 
wir  am  andern  Morgen  die  Brücke  bezwingen  sollten.  Die 
Batterien  kamen  ungeachtet  der  Schwierigkeiten  und  der 
Gefahr  der  Arbeit  bis  zum  Morgen  recht  gut  zustande. 
Eine  Menge  von  Säcken  und  Baumwolle,  die  die  Artillerie 
aus  Navalmoral  mitgebracht  hatte,  taten  hierbei  treff- 
liche Dienste,  indem  sich  die  Arbeiter  gleich  anfangs  da- 
durch gegen  das  feindliche  Feuer  zu  decken  wußten.  Diese 
Baumwolle  gehörte  einem  Pariser  Handelshaus,  das  wäh- 
rend der  Anwesenheit  des  Königs  Joseph  in  Madrid  und 
des  Herzogs  von  Abrantes  (Junot)  in  Lissabon  auf  diesen 
Artikel  im  großen  spekuliert  hatte.  Sie  kam  glücklich 
von  Lissabon  nach  Badajoz.  Als  sie  aber  in  vielen  Par- 
tien zwischen  hier  und  Madrid  unterwegs  war,  brach  die 
Revolution  in  Spanien  aus,  und  die  Baumwollen  wagen 
wurden  überall  aufgehalten. 

Am  16.,  als  es  Tag  wurde,  sahen  wir  den  Feind  mit 
vielen  Truppen  in  seiner  rechten  Flanke  gegen  Valdacanas 
abmarschieren.  Ein  Reservekorps,  das  stehen  blieb,  zog 
sich  außerhalb  unseres  Schicßbercichs  auf  die  Höhen  von 
Miravede  zurück.  Mit  Verdruß  sahen  wir,  daß  wir  dem 
Feind  in  keiner  Weise  etwas  anhaben  konnten.  Von  der 
Brücke  war  ein  Stück  von  mehr  als  80  Fuß  in  den  Ab- 
grund hinuntergestürzt.  Wie  konnten  wir  daran  denken, 
sie  wieder  herzustellen  in  einer  Gegend,  wo  es  kein  an- 
deres Holz  als  kleine  krüppelliafte  Encina  und  Korkeichen 
gibt?  Im  Arger  ritt  ich  zur  Batterie  rechts  hinüber.  Man 
fuhr  einige  Geschütze  noch  weiter  rechts  auf  die  Höhe, 
unterhalb  der  Brücke,  die  dem  Cancelejatal  gegenüber- 
liegt. Von  hier  aus  sandte  man  einige  Kugeln  in  das 
spanische  Lager,  das  dort  noch  stand.  Die  Spanier  fuhren 
ihr  Geschütz  auf  und  antworteten  eine  Zeitlang  tapfer. 
Darüber  wurde  ich  gerufen  und  ritt  nun  bene  relicta  par- 
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mula  aus  dem  unangenehmen  Gepfeife,  das  mir  schaden, 
aber  nichts  nützen  konnte,  ganz  gern  wieder  zu  unserm 
Lager  zurück,  wo  wir  recht  ossianisch  das  Feuer  von  tau- 
send Eichen  emporlodern  ließen. 

Am  17.  mittags  kam  endlich  der  Befehl  vom  Herzog 
von  Belluno,  die  Artillerie,  eine  Sappeurkompagnic  und 
ein  Kavallerieregiment  stehen  zu  lassen,  um  in  Almaraz 
Mittel  zur  Wiederherstellung  der  Brücke  vorzubereiten. 
Wir  sollten  der  Armee  des  Herzogs  eiligst  über  Arzobispo 
folgen. 

Wir  begingen  den  großen  und  hier  wirklich  unverzeih- 
lichen Fehler,  statt  des  breiten  Wegs  über  Navalmoral  die 
elenden  Nebenwege  über  Bilvis  de  Monroy,  Valdehuncar 
und  Peraleda  einzuschlagen.  Gleich  anfangs  liefen  wir 
uns  in  den  Sümpfen  fest.  Es  war  schon  Nacht,  als  wir  die 
steilen  Felsen  von  Belvis  zu  erklimmen  anfingen.  Da  pur- 
lelte  denn  einer  über  den  andern.  So  ging  es  fort  die  halbe 
Nacht  hindurch,  ohne  daß  man  in  den  engen  schmutzigen 
Wegen  bedeutend  vorwärts  kam.  Es  war  längst  Mitter- 
nacht vorbei,  als  wir  endlich  Peraleda  erreichten.  Wir 
hatten  nicht  mehr  als  höchstens  vier  Stunden  Wegs  zurück- 
gelegt und  waren  ermüdet  wie  von  einem  zehnstündigen 
Marsch.  Wir  waren  gezwungen,  unsre  armen  Leute  ein 
paar  Stunden  in  die  Häuser  treten  zu  lassen,  bis  der  Tag 
graute.  Dann  marschierten  wir  weiter  nach  Arzobispo, 
das  noch  fünf  kleine  Stunden  von  Peraleda  entfernt  liegt. 
Das  Städtchen  liegt  an  einer  freundlichen  kleinen  Ebene 
des  Tajo,  die  eine  herrliche  Vegetation  hat.  Wir  fanden 
es  von  allen  Einwohnern  verlassen,  trafen  aber  mit  den 
Holländern  wieder  zusammen,  die  hier  bisher  gehaust 
hatten.  Die  guten  Herren  hatten  sich  ordentlich  einge- 
richtet, buken  Brot  und  brannten  eine  Art  Branntwein, 
der  uns  bei  gänzlichem  Mangel  an  Wein  (seit  mehreren 
Tagen)  gute  Dienste  tat. 

Am  19.  gingen  wir  über  die  schmale  Brücke  auf  das 
linke  Tajoufer  und  schlugen  den  Weg  nach  dem  Engpaß 
des  Guadalupe sehen  Gebirgs  von  San  Vicente  ein.  Wir 
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durchwateten  den  Pedroso  und  kamen  über  Valdelaeasa 
nach  einem  Marsch  von  7  Stunden  ins  Lager  vor  Mohe- 
das.  Hier  stießen  wir  wieder  zum  braven  Lasalle,  der  in 
der  linken  Flanke  des  1.  Armeekorps  Posto  gefaßt  hatte. 
Er  empfing  uns  mit  seiner  gewöhnlichen  militärischen 
Herzlichkeit,  und  seine  Leute  teilten  ihren  ganzen  Vorrat 
mit  den  unsern.  Diese  hatten  mehr  Fleisch,  als  sie  ver- 
zehren konnten,  und  lobten  daher  die  gebirgige  Gegend 
außerordentlich. 


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7.  Kapitel 


Rückmarsch  über  den  Tietar.    Szenen  in  dem  der 
Wut  des  Kriegers  überiassenen  Arenas.  Abberufung 
aus  Spanien 

Am  20.  wollte  der  Marschall  dem  Feind  auf  dem 
linken  Ufer  der  Qaliia  eine  Schlacht  liefern.  Wir  sollten 
das  Guadalupesche  Gebirge  durch  den  Engpaß  von  San 
Vicente  übersteigen  und  jenseits  dem  fliehenden  Feind 
in  den  Rücken  fallen. 

Der  Plan  schien  kühn,  aber  unser  würdig  zu  sein. 
Mit  Freuden  ergriffen  wir  die  Waffen  —  aber  verwundert 
sahen  wir  uns  an,  als  wir,  statt  unsern  Weg  südlich  zu 
folgen,  in  dem  schmalen  Tal  nördlich  geführt  wurden. 
Unweit  Torlamoras  wurde  Halt  gemacht,  dann  gingen 
wir  nach  Mohedas  zurück  und  bezogen  das  alte  Lager. 
General  Merle  trug  mir  auf,  die  Vorpostenkette  gegen 
den  Paß  hin  mit  der  größten  Sorgfalt  und  Vorsicht  auszu- 
stellen. Kaum  war  ich  hiermit  einigermaßen  zustande  ge- 
kommen, so  wurde  ich  zum  Divisionsgeneral  Leval  nach 
Mohedas  gerufen.  „Wir  sind  hier  nicht  mehr  sicher," 
sagte  mir  der  General,  indem  er  mich  zur  Seite  nahm. 
„Ich  habe  sämtliche  Grenadierkompagnien  aus  dem  Lager 
herein  auf  den  Kirchhof  bestellt.  Daraus  formieren  Sie 
ein  Elitebataillon,  auf  das  ich  mich  im  schlimmsten  Fall 
verlassen  kann.  Umstellen  Sie  den  Ort  so  mit  Wachen  und 
Piketts,  als  hätten  wir  jeden  Augenblick  vom  Feinde  einen 
Oberfall  zu  befürchten."  —  Ich  ging  sogleich  ans  Werk, 
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organisierte  ein  prächtiges  Bataillon  und  rannte  mich  bis 
tief  in  die  Nacht  hinein  müde,  um  alle  verlangten  Anstalten 
zu  treffen.  Mit  Schweiß  bedeckt  kam  ich  endlich  zum 
General,  um  ihm  Rapport  abzustatten.  „Sie  haben  sich 
sehr  angestrengt,"  sagte  er,  „hätte  ich  gewußt  —  so  hätte 
man's  freilich  sparen  können.  Aber  setzen  Sie  Sich  und 
essen  Sie;  es  wird  noch  etwas  Braten  da  sein."  —  Ohne 
den  Sinn  dieser  abgebrochenen  Rede  ganz  zu  fassen,  fiel 
ich  hungrig  über  die  Bratenreste  her.  Darüber  kam  Lasalle 
und  fluchte  auf  gut  soldatisch  auf  die  schlechten  Vorbe- 
reitungen, auf  die  Unbestimmtheit  und  Zweideutigkeit  der 
Befehle,  auf  den  unbefohlenen  Rückzug,  statt  eines  be- 
herzten Angriffs. 

Ohne  den  Feind  auch  nur  zu  sehen  zu  bekommen, 
blieben  wir  in  unserm  Lager  ruhig  bis  zum  24.  General 
Leval  hatte  vom  König  Joseph  Befehl  bekommen,  über 
den  Tietar  zu  gehen  und  blutige  Rache  an  den  Rebellen 
und  Mördern  zu  nehmen.  Sobald  die  Armee  auf  das  linke 
Tajoufer  gegangen  war,  hatten  die  Gebirgsbewohner  jen- 
seits des  Tietars  den  Gehorsam  wieder  verweigert  Ein 
Detachcment  vom  25.  westfälischen  Dragonerregiment 
wurde  daher  nach  Arenas  geschickt,  um  die  Ordnung 
wieder  herzustellen.  Die  Einwohner  empfangen  sie  mit 
großer  Höflichkeit  und  Unterwerfung  und  bitten  sich  aus, 
in  guten  Quartieren  Gastfreundschaft  gegen  sie  ausüben  zu 
dürfen.  Und  richtig  geben  die  ehrlichen,  nuch  nicht  lange 
von  der  Heimat  entfernten  Hessen  in  die  Falle.  Kaum 
sind  sie  alle  in  Quartieren  vereinzelt  und  lassen  sich 
fröhlich  den  vorgesetzten  Wein  munden,  so  stürzen  die  Ein- 
wohner über  sie  her  und  ermorden  sie  jämmerlich.  Ein 
einziger,  der  einen  Ordonnanzritt  gemacht,  eben  ange- 
kommen war  und  sein  Pferd  noch  gesattelt  gelassen  hatte, 
hört  den  Lärm,  schwingt  sich  wieder  aufs  Roß,  sprengt 
mitten  durch  die  Mörder,  entkommt  glücklich  und  bringt 
die  Nachricht  von  dieser  entsetzlichen  Oreueltat . ,  . 

Die  Unruhen  hinter  dem  Tietar  wurden  jetzt  um  so 
bedenklicher,  da  die  10000  Mann  der  Armee  des  Infan- 
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tado,  die  Belluno  nach  Madrid  gefangen  geschickt  hatte, 
bis  auf  1500  Mann  entkommen  waren.  Sie  gingen  meist 
durch  das  Gebirge  nach  Plasencia  und  von  da  zur  Armee 
Cuestas.")  Nun  fingen  sie  an,  sich  mit  den  Insurgenten 
hinter  dem  Tietar  zu  vereinigen,  und  diese  verschanzten 
sich,  wie  man  hörte,  brachen  Brücken  ab  und  besaßen 
sogar  schon  Geschütz. 

Wir  marschierten  also  am  24.  über  den  Tajo  zurück. 
In  Arzobispo  ließen  wir  Primas;  die  Hessen  gingen  nach 
Talavera;  mit  Nassau,  Baden  und  Holland  marschierten 
wir  über  Oropesa  nach  Parillos  und  bezogen  zwischen  hier 
und  Montesclaros  nach  einem  Marsch  von  5  Stunden  ein 
Lager.  Einige  Voltigeure  wurden  noch  bis  Hontanaras 
vorgeschickt,  um  in  der  Stille  die  Brücke  zu  beobachten 
und  den  Feind,  wenn  sie  noch  stünde,  vom  weiteren 
Abbrechen  abzuhalten. 

Am  25.  brachen  wir  wieder  auf  und  hatten  nach  zwei 
Stunden  den  Tietar  erreicht.  Hier  stieß  noch  ein  Dragoner- 
regiment zu  uns,  das  von  Madrid  kam.  Es  konnte  uns 
offenbar  im  Oebirge  nichts  nützen,  aber  man  hatte  es, 
der  Gutmütigkeit  der  Deutschen  mißtrauend,  zur  Voll- 
ziehung des  Strafurteils  gegen  Arenas  auserlesen. 

Wir  fanden  die  Brücke  unbesetzt.  Die  feindlichen 
Vorposten  hatten  sich  bis  ans  Gebirge  zurückgezogen, 
das  hier  zwischen  seinem  Fuß  und  dem  rechten  Ufer  des 
Flusses  ein  Tal  von  der  Breite  einer  Viertelstunde  läßt. 
Mit  dem  Abgebrochensein  der  Brücke  hatte  es  auch  nicht 
viel  zu  bedeuten.  Sie  ist  von  Stein,  gewölbt  und  oben 
hoch  mit  Erde  aufgeschüttet  und  gepflastert.  Das  Pflaster 
und  die  Erde  hatten  die  Feinde  auf  der  rechten  Seite  weg- 
genommen und  dadurch  ein  großes  Loch  hervorgebracht. 
Das  eigentliche  Gewölbe  stand  aber  noch.  Es  wurde  uns 
also  leicht,  mit  der  Infanterie  einzeln  hinüber  zu  klettern 
und  mit  den  noch  vorhandenen  Materialien  das  Loch 


•»)  Qregorio  Garcia  de  la  Cutsta,  spanischer  General,  1740 
1*1812. 

105 


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wieder  zuzuwerfen.  Unsere  Leute  griffen,  obwohl  wir 
keine  Instrumente  hatten,  doch  brav  zu,  und  in  einer 
Stunde  konnte  auch  die  Kavallerie  hinüber.  Um  dem  un- 
erfahrenen Feind,  der  uns  von  seinen  Bergen  aus  zusah, 
zu  imponieren,  füllten  wir  die  ganze  Ebene  mit  Truppen 
an,  indem  wir  aus  jedem  Glied  ein  Bataillon  formierten 
und  demnach  18  Bataillone  aufmarschieren  ließen.  Am  Fuße 
des  Berges  bildeten  wir  uns  dann  schnell  wieder,  gingen 
durch  das  verlassene  kleine  Dörfchen  Ramacastanas  und 
fingen  an,  in  zwei  Kolonnen  den  Berg  zu  erklettern.  Auf 
dem  oberen  Absatz  stand  der  Feind  hinter  einem  Verhau 
und  Verschanzungen.  Er  empfing  uns,  ehe  noch  eine 
Kugel  uns  treffen  konnte,  mit  einem  lebhaften  Kleinge- 
wehrfeuer und  einer  Salve,  lief  aber,  als  er  uns  mit  dem 
Gewehr  im  Arm  ruhig  in  Kolonne  mit  gerichteten  Zügen 
vorwärts  marschieren  sah,  eilig  rückwärts  den  Berg 
hinunter. 

Die  Voltigeure,  die  nun  in  wenigen  Augenblicken 
durch  das  Verhau  gesetzt  waren,  konnten  nur  noch  einen 
Tambour  töten,  der  über  seine  Trommel  stürzte.  Wir 
hielten  uns  in  diesen  armseligen  Verschanzungen  nur 
einen  Augenblick  auf,  um  der  nachfolgenden  Kavallerie 
Platz  in  dem  unbedeutenden  Verhau  zu  machen.  Alles 
lachte,  als  wir  die  zurückgelassene  feindliche  Artillerie 
nun  betrachteten.  Sie  bestand  aus  zwei  Geschützen.  Das 
eine  war  ganz  aus  Holz  geschnitzt,  das  andere  war  ein 
Prozessionsböller,  auf  umgekehrten  Pflügen  befestigt,  die 
ihm  zur  Lafette  dienten.  Sie  hatten  diese  gewaltige  Waffe 
mit  Knöpfen,  Nägeln  usw.  ganz  voll  geladen ;  daher  pfiff 
uns  auch  der  Schuß  so  sonderbar  über  den  Kopf  weg. 
Natürlich  war  auch  die  ganze  Maschine  durch  den  Rück- 
stoß des  einzigen  Schusses  über  den  Haufen  gestürzt. 

Ein  schrecklicher  Anblick  bot  sich  uns  dar,  als  wir 
nun  mit  Geschwindschritten  auf  das  hübsche  Städtchen 
Arenas  losgingen,  das  am  Flüßchen  gleichen  Namens  liegt 
Die  sogenannten  Verteidiger  sah  man  regellos  zwischen 
wehrlosen  Greisen,  Weibern  und  Kindern  entfliehen.  Ihr 
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Jammergeschrei  hallte  im  Echo  der  Berge  furchtbar  wieder. 
Widerstand  gab  es  nicht.  Nur  auf  viele  tausend  Schritt 
sah  man  die  Elenden,  die  die  andern  durch  ihre  Prahle- 
reien zum  Aufruhr  verleitet  hatten,  ihre  Gewehre  abfeuern 
und  davonlaufen.  Einige  Traversen  und  Palisaden,  die 
wir  noch  auf  dem  Wege  fanden,  hielten  uns  gar  nicht 
auf.  Das  Korps  war  bald  in  der  Stadt,  wo  die  wenigen 
Unglücklichen,  die  vor  Krankheit  nicht  hatten  entfliehen 
können,  alle  jämmerlich  ermordet  wurden.  Das  Städtchen 
war  der  Wut  des  Kriegers  auf  jede  Art  preisgegeben. 

Zum  Glück  brauchte  mein  Auge  an  diesem  Jammer 
keinen  langen  Anteil  zu  nehmen.  Die  Regimenter  ließen 
nur  ihre  Grenadiere  zum  Schutze  der  Generale  zurück 
und  eilten  den  Flüchtlingen  auf  drei  verschiedenen  Seiten 
nach.  Das  Dragonerregiment  lagerte  sich  auf  der  Wiese 
beim  Ort.  Uns  traf  die  Reihe,  den  Feind  in  der  Haupt- 
richtung gegen  Arenas  zu  verfolgen.  Ich  führte  mein  Ba- 
taillon schnell  aus  der  Stadt  und  erkletterte  den  sehr  steilen 
Traubenberg,  während  die  Voltigeiire  von  Fels  zu  Fels, 
von  Kluft  zu  Kluft  mit  den  Menschen  eine  Art  Hasen- 
jagd trieben.  Überall  fanden  wir  geflüchtete  Effekten,  die 
die  Leute  im  Laufen  verloren  hatten.  Diese  zeigten  uns 
den  Weg  zum  spanischen  Lager,  das  auf  der  steilsten  Höhe 
verborgen  angebracht  und  umsonst  als  ein  sicherer  Zu- 
fluchtsort betrachtet  worden  war.  Es  bestand  aus  großen 
wohlgebauten  Erdhütten,  in  denen  unsere  Leute  viel  Beute 
machten. 

Sobald  es  anging,  berief  ich  die  vorgeschickten  Abtei- 
lungen von  der  schrecklichen  Jagd  ab.  Der  Divisionsgene- 
ral lieö  sagen,  man  solle  einige  Gefangene  lebendig  ein- 
schicken, um  Nachrichten  von  ihnen  zu  erhalten.  Meine 
Leute  hatten  eine  Mutter  mit  zwei  Töchtern  eingefangen. 
Die  Frau  war  französischen  Ursprungs  und  schien  mir 
schon  darum  gesichert.  Ich  schickte  sie  also  hinunter  und 
ließ  sie  dem  ältesten  Grenadicrkapitän,  einem  sehr  wohl- 
denkenden Mann,  empfehlen.  Dennoch  hatte  dieser  alle 
Mühe,  die  unglücklichen  Weiber,  die  durch  ihren  Anstand 
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schon  Achtung  und  Mitleid  einflößten,  zu  sichern.  Nur  mit 
Gefahr  seines  Lebens  barg  er  sie  beim  Divisionsgeneral. 

Schlimm  genug  war  es,  daß  wir,  um  Lebensmittel 
zu  erhalten,  unsere  Leute  nach  und  nach  in  die  Stadt 
hinuntergehen  lassen  mußten.  An  den  Sachen,  die  sie 
he  rauf  schleppten,  sah  man,  welcher  Wohlstand  in  dem 
Orte  geherrscht  haben  mußte.  Ich  brachte  die  Nacht  in- 
mitten kahler  Felsen  auf  den  wollüstigsten  neuen  Matratzen 
zu.  Die  Menge  des  trefflichsten  Weines,  der  in  dem  Ort 
war,  ist  kaum  glaublich.  Wir  hatten  ein  ganzes  Armee- 
korps ein  Vierteljahr  lang  damit  versehen  können.  Er 
floß  nicht  allein  in  den  Keilern,  sondern  auf  den  Straßen. 
Dadurch  wurde  denn  auch  die  Unordnung  immer  größer, 
denn  bald  war  die  ganze  Division  bis  auf  die  Offiziere 
betrunken. 

Um  8  Uhr  abends  ließen  sich  die  Dragoner  nicht 
mehr  halten.  Gleich  den  Furien  Feuerbrände  schwingend, 
stürzten  sie  in  die  Stadt.  In  wenigen  Augenblicken  war 
kein  Haus,  das  nicht  in  hellen  Flammen  stand.  Die 
Obersten  und  Generale,  die  sich  in  den  Häusern  eingenistet 
haften,  fanden  selbst  kaum  Zeit,  sich  mit  ihren  Pferden 
und  Effekten  in  dem  Schlößchen  zu  bergen,  das  bei  der 
Stadt  liegt  und  der  Königin  gehört  hatte.  Mehrere  Sol- 
daten, die  viehisch  besoffen  in  den  Häusern  eingeschlafen 
waren,  verbrannten  darin.  Die  Dragoner  zogen  ein  zittern- 
des Weib  aus  einem  Keller,  schändeten  sie  auf  der  Straße 
bis  zur  Ohnmacht  und  warfen  den  zuckenden  halbent- 
seelten Körper  in  die  Flammen  ihres  eigenen  Hauses. 

Diese  und  andere  Greuel  habe  ich  aus  dem  Munde 
meines  Obersten  und  des  Grenadicrkapitiiiis,  zweier  edler 
Männer,  die  Augenzeugen  waren  und  taten,  was  sie  konnten, 
um  das  Elend  zu  mindern,  ich  selbst  sah  von  dem,  was  unter 
dem  Schleier  der  fürchterlichen  Nacht  verübt  wurde,  nur 
das  Schöne.  Ermüdet  kam  ich  in  der  Nacht  von  den  Vor- 
posten zurück,  nachdem  ich  gegen  jeden  möglichen  An- 
griff Sich  erheits  maß  regeln  getroffen  hatte.  Unordentlich 
durcheinander,  mit  verstörten  Zügen  und  gesträubten 
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Haaren,  lagen  meine  Leute  hier  und  da  auf  dem  Felsen 
in  lethargischem  Schlaf.  Einzelne  taumelten  noch  herum, 
den  Weinschlauch  unterm  Arm,  oder  streckten  sich  am 
Feuer  und  schlürften  aus  dem  göttlichen  Bocksfelle.  Un- 
mutig über  mich  selbst  und  über  das  erbärmliche  Men- 
schenvolk stellte  ich  mich  allein  auf  des  Felsens  höchsten 
Gipfel  und  starrte  hinaus  in  die  weile  Nacht.  Frühlings- 
lüfte  wehten  sanft  und  freundlich.  Der  herrliche  südliche 
Himmel  mit  seinem  Slernenmeer  war  über  mir  ausgebrei- 
tet. Unter  mir  rauschte  das  Arenasfliilidicn.  Die  drei  Berge 
waren  durch  die  drei  Lager  mit  feurigen  Klumpen  be- 
deckt. Um  dieselben  zog  sich  ein  weiter  zusammenhängen- 
der Zirkel  von  Vorpostenfeuern.  Im  Städtchen  glänzte 
vorn  das  Schloß  von  vielen  Lichtern  erhellt  und  seitwärts 
das  Biwak  der  Dragoner.  Da  entwickelte  sich  vor  meinen 
Augen  die  fürchterlich  schöne  Szene  des  Anzündens  der 
Sfadt  In  kurzem  waren  die  Umrisse  jeden  Hauses  im 
Feuer  gezeichnet.  Gewiß,  es  würde  ein  Schauspiel  für  die 
Feste  der  Götter  Julians  gewesen  sein,  in  die  flammen- 
bedeckte Hölle  Konstantins  zu  sehen,  wenn  nur  Teufel 
darin  brieten  und  nicht  auch  arme  schwache  Menschen, 
die  ihr  eigener  Oott  verführte. 

„Feuerbrände!"  donnerte  ich  unter  meine  taumeln- 
den Bacchanten.  „Feuerbrände  herbei!  Ich  will  euch  ein 
Fest  geben,  wie  es  Nero  vergebens  an  den  sieben  Hügeln 
versuchte!  Feuerbrände!  In  zehn  Minuten  muß  das  ganze 
spanische  Lager  vor  der  Front  in  Flammen  stehen!"  Bald 
loderte  auch  hier  das  Feuer,  vom  Harz  der  Tannen  genährt, 
wetteifernd  zum  Himmel,  und  zu  gleicher  Stunde  sanken 
vor  mir  die  künstliche  Stadt  und  hinter  mir  die  echte  in 
Asche.  Ich  blickte  weit  um  mich  her.  Keine  Spur  des 
Feindes.  Auf  einer  einzigen  hohen  Kuppel  gegen  Arenas 
hin  brannten  feindliche  Feuer  in  der  Entfernung  von  drei 
Viertelstunden  Wegs  .  .  . 

Von  den  Beherztesten,  die  noch  auf  den  Beinen  waren 
—  denn  die  wirklich  Mutvollen  hclrinken  sich  nicht  so 
leicht  —  schickte  ich  eine  kleine  Schar  Freiwilliger  den 
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für  unersteiglich  gehaltenen  Felsen  hinauf,  wohin  sie  die 
Hoffnung  auf  neue  Beute  zog.  Ich  befahl,  den  Feind  zu  ver- 
jagen, aber  keine  Gefangenen  zu  machen.  Das  geschah. 
Man  hörte  nur  wenige  Schüsse.  Vor  Tag  kamen  meine 
Leute  zurück.  Sie  hatten  die  Spanier  überfallen  und  in 
wilder  Flucht  den  Berg  hinuntergcjagt.  Einen  hatten  sie 
getötet,  und  mehrere  Waffen  waren  zum  Lohn  dieses 
Wagestück?  in  ihre  Hände  gefallen. 

Am  26.  versammelte  sich  das  ganze  Korps  auf  der 
Wiese  vor  der  Brandstätte.  An  die  Bäume,  die  an  den 
Zugängen  lagen,  wurden  folgende  Zettel  angeschlagen : 
„La  villa  de  Arenas  es  castigada  por  aver  matado  algunos 
Caballeros  franccsesl"  (Die  Stadt  Arenas  ist  bestraft  für 
die  Ermordung  einiger  französischer  Reiter.)  8  Spanier 
wurden  vorgeführt,  die  unsere  Leute  noch  an  den  Bäumen 
aufhängen  sollten.  Sie  waren  nach  dem  Befehl  des  Divi- 
sionsgenerals, Gefangene  zu  machen,  von  verschiedenen 
Seiten  eingebracht  worden.  Man  hatte  sie  die  ganze  Nacht 
hindurch,  einen  nach  den  andern,  verhört,  ohne  zum  Ziele 
zu  kommen.  Sie  wüßten,  sagte  man  ihnen,  daß  sie  alle 
mit  ihren  Mitbürgern  das  Leben  verwirkt  hätten  —  der- 
jenige aber,  der  die  wahren  Urheber  des  Aufstandes  an- 
geben wollte,  solle  auf  der  Stelle  Freiheit  und  Leben  ge- 
schenkt bekommen.  Sie  hätten  ruhig  uns  Namen  von 
Leuten  nennen  können,  die  wir  ja  doch  nicht  in  unserer 
Gewali  hatten.  Aber  auch  dazu  waren  die  Starrsinnigen 
nicht  zu  bringen.  Keine  Bitten,  keine  Drohungen,  keine 
Mißhandlung  brachte  sie  aus  ihrem  schrecklichen  Schwei- 
gen. So  sahen  wir  sie  noch  morgens,  als  man  sie  uns 
mit  dem  Strick  um  den  Hals  übergab.  Ohne  einen  Laut 
von  sich  zu  geben,  ohne  mit  den  Wimpern  zu  zucken, 
starrten  sie  stumm  zu  den  Baumstämmen  hinüber,  an 
denen  sie  hängen  sollten.  Ihr  Glück  wollte,  daß  der  Divt- 
sionsgeneral  eben  Befehl  bekommen  hatte,  den  weiteren 
Streifzug  ins  Gredosgebirge  aufzugeben  und  auf  dem 
nächsten  Wege  nach  Talavera  zurückzukehren.  Talavera 
ist  aber  von  der  Brandstätte  von  Arenas  acht  gute  Stunden 
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entfernt  Da  war  also,  um  nicht  von  der  Nacht  überrascht 
zu  werden,  keine  Zeit  zu  verlieren,  zumal  unsere  Leute 
bleich  und  matt,  gleich  den  Schatten  derer,  die  sie  er- 
mordet hatten,  zwischen  den  Schutthaufen  herumschwank- 
ten. Die  Dragoner  machten  sich  vor  allen  Dingen  vorn- 
weg aus  dem  Staube  und  brannten  bis  zur  Tietarbrücke 
noch  alle  Häuser  und  das  ganze  Dörfchen  Ramacastafias 
ab.  Wir  machten  Miene,  die  8  Spanier  aufzuknüpfen,  als 
der  Generalstab  vorbeiritt.  Da  ließen  wir  sie  in  Gottes 
Namen  laufen  und  traten  unsern  Marsch  an  .  .  . 

Mit  dieser  eben  nicht  sehr  ehrenvollen  Expedition 
endete  mein  Feldzug  in  Spanien.  Mit  froher  Erwartung 
sah  ich  den  echteren  Taten  entgegen,  die  uns  jenseits 
des  Tajo  erwarteten,  sobald  die  Mittel  zur  Schlagung  einer 
Brücke  herbeigeschafft  sein  würden.  Heiter  teilte  ich  die 
Ruhe  in  Talavera  mit  meinen  Kameraden  und  half  ihnen 
sich  zu  schönerer  Tätigkeit  vorzubereiten.  Ich  war  wie 
vom  Donner  gerührt,  als  der  Major  von  Frank  plötzlich 
unter  uns  trat  und  sich  meldete,  daß  er  mich  abzulösen 
bestimmt  sei.  Er  brachte  mir  ein  schmeichelhaftes  Schrei- 
ben des  Erbgroß  he  rzogs  von  Baden  mit,  das  mir  meine 
Ernennung  zum  Flügeladjutanten  des  regierenden  Herrn 
und  den  Wunsch  kund  tat,  mich  schleunigst  in  Karlsruhe 
zu  sehen,  da  ein  Krieg  mit  Österreich  vor  der  Tür  sei. 
Zu  zaudern  war  hier  nicht.  Wehe  dem,  dem  das  Schick- 
sal einen  bestimmten  Weg  vorzeichnet  und  der  ihn  ein- 
zuschlagen Bedenken  trägt,  weil  sein  Gefühl  ihn  irgendwo 
festhält! 

Ich  gab  alle  meine  Pferde  weg,  kaufte  zu  meinem 
treuen  Maultier  noch  drei  andere,  machte  daraus  so  gut 
ich  konnte  einen  Postzug  und  bespannte  so  die  alte  Reise- 
kalesche, die  mein  Nachfolger  aus  Karlsruhe  mitgebracht 
hatte.  Am  4.  schied  ich  von  den  Offizieren  des  1.  Bataillons 
beim  Mahle,  dem  trotz  aller  meiner  Versuche  die  Fröhlich- 
keit entwich.  Wer  hätte  auch  bei  so  unzweideutigen 
Freundschaftsbeweisen  unerschüttert  hleiben  sollen!  Die 
Verse,  die  sie  nach  der  bekannten  schönen  Weise  sangen, 
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enthielten  ein  weit  übertriebenes  Lob,  aber  sie  sagten  mir, 
was  ich  sein  sollte,  durch  den  Mund  von  Menschen,  die 
es  damals  gewiß  redlich  meinten: 

Ein  Held,  wo  die  Feinde  sich  türmen, 
Ein  Freund,  wo  ein  Freund  sich  ihm  naht, 
Ein  Vater  dem  leidenden  Krieger, 
Der  treuste  der  Bürger  dem  Staat. 


112 


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2. 

Memoiren  über  den  Krieg 
der  Franzosen  in  Spanien 
von 

Albert  Jean  Michel  Rocca 


8       B-MTi  Spin.  FitibdttUmpI. 


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Vorwort 


Albert  Jean  Miche!  Rocca,  oder  wie  man  ihn  in  seiner 
Vaferstadt  nannte,  John  Roeca,  war  1787  oder  1788  als 
Sohn  des  späteren  Genfer  Staatsrats  Noble  Jean  Francis 
Rocca  und  Jeanne  Pernette  Picot  in  der  Stadt  Rousseans 
geboren.  Obwohl  die  Familie  Rocca  aus  dem  Piemontesi- 
schen  stammte,  genoß  sie  doch  seit  ihrer  Niederlassung 
im  16.  Jahrhundert  das  größte  Ansehen  bei  den  Genfer 
Bürgern,  wozu  woh!  auch  der  Umstand  beitragen  mochte, 
daß  einer  der  Ahnen  Roccas  sich  seine  Frau  aus  einer 
der  ältesten  Familien  der  Stadt  gewählt  hatte. 

John  Rocca  genoß  eine  sehr  sorgfältige  Erziehung, 
fühlte  sich  jedoch,  als  er  17jährig  die  berühmte  Knaben- 
erzi eh ungs anstatt  des  Professors  Vaucher  verließ,  unwider- 
stehlich zum  W  äffen  h  and  werk  hingezogen.  Wie  hätte  es  ■ 
auch  anders  sein  können  in  einer  Zeit,  wo  man  Ruhm 
und  Ehren  so  leicht  im  Kriege  erwerben  konnte!  Frank- 
reich und  Napoleon  waren  natürlich  sein  Ziel.  Die  damals 
vom  Kaiser  neuerrichtete  Ecole  Polytcchnique  in  Paris 
öffnete  dem  jungen  Manne  ihre  Tore,  und  kaum  20jäh- 
rig  nahm  er  als  Leutnant  an  dem  unglücklichen  Kriege  der 
Franzosen  in  Spanien  teil,  wo  Napoleon  seine  größten 
Fehler  als  Feldherr  und  Politiker  beging  und  dessen  Nie- 
derlagen zu  der  Erschütterung  seines  Thrones  beitrugen. 

Wie  jeder  Offizier,  der  nur  ein  wenig  über  die  Ur- 
sachen und  Wirkungen  dieses  Kriegs  nachdachte,  miß- 
billigte auch  der  junge  Rocca  die  Maßnahmen  Napoleons 
gegen  Spanien,  und  als  er,  fast  ein  Krüppel,  Ende  1810 
B-  115 

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nach  Frankreich  zurückkehrte,  war  er  froh,  wenn  auch 
um  teuren  Preis,  einen  Ka:ii->fp;at;  verlassen  zu  können, 
auf-  dem  sich  kern  ehrlicher  Soldat  mit  Rfgnsierun,;  um) 
Aufopferung  schlug. 

Mit  einem  verschlag  e.'en  Schenkel,  einer  Wunde  au 
der  Schulter  und  einer  am  Arm  kehrte  Rncca  1811  zu 
seinen  Eltern  nach  Genf  zurück.  Hier  hatte  er  durch  den 
Hui  seiner  Sch'inhe.r  -  ■  Friederike  lirim.  die  Freundin 
v:  ilei'  -l  K.pf.  den  ..ii 

]e  gesehen  und  gewisse  jugendliche  Abenteuer  die 
Aufmerks.inikfit  der  geistreichsten  Frau  der  dainaligi-n 
Zeit,  der  Verfasserin  des  Romans  Corinna,  auf  sich  ge- 
/oeen.  Frau  von  Stael  faßte  tmti  des  grölten  Altersunter- 
schiedes —  er  war  22  Jahre  junger  als  sie  eure  große 
und  starke  Leidinschdft  /u  dr:n  schonen  verwundeten  Hu- 
saren Offizier,  mit  dem  sie  sich  betmlidi  hauen  lu  ll.  K»cc;i 
selbst  verehrte  in  Frau  von  Stac'l  nicht  allein  die  große 
Schriftstellerin,  sondern  vor  allem  die  Frau  und  die  zärt- 
liche Mutter  seines  Sohnes.  Er  folgte  ihr  überall  auf 
ihren  Reisen  nach  Wien,  Moskau,  Petersburg,  Stockholm 
und  endlich  nach  England. 

Während  des  Winteraufenthaltes  1812/13  in  Schwe- 
den, der  für  beide  wenig  abwechslungsreich  war,  ent- 
standen die  „Memoiren  des  Krieges  der  Franzosen  in 
Spanien",  v.u  deren  Niederschrift  Rocca  von  Frau  von 
Stael  veranlaßt  wurde.  Wie  groß  der  Anteil  der  geist- 
reichen Frau  selbst  an  diesem  Werke  gewesen  sein 
mag,  aus  dem  hier  einige  Auszüge  gegeben  werden, 
ist  nicht  genau  zu  bestimmen.  Sicher  aber  war  er  nicht 
gering,  was  sehr  nahe  liegt.  Es  erschien  zum  erstenmal 
1814  in  England  und  noch  im  selben  Jahre,  nach  Napoleons 
Verbannung  nach  Elba,  in  Paris;  denn  wie  bekannt  war 
Frau  von  Stai.;l  die  größte  Feindin  des  Franzosenkaisers, 
und  ein  Buch,  das  wenn  auch  nicht  von  ihr  selbst,  so 
doch  von  einem  ihrer  nächsten  Angehörigen  verfaßt  war, 
hätte  ohne  Zweifel  Ungnade  vor  den  Augen  Napoleons 
gefunden.  Übrigens  wird  dieser  in  dem  Werke  Roccas 
116 

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weder  verleumdet  noch  ungerechtfertigter  weise  getadelt; 
die  Betrachtungen  des  Verfassers  über  den  spanischen 
Feldzug  sind  in  jeder  Beziehung  gerechtfertigt.  In  seiner 
knappen  militärischen  Erzählungs weise  liegt  ein  gewisser 
Reiz;  er  sieht  die  Dinge,  wie  sie  in  Wahrheit  lagen,  und 
nicht  durch  den  Schleier  einer  falsch  angebrachten  patrio- 
tischen Begeisterung,  wie  man  das  so  oft  in  Kriegserinne- 
rungen findet. 

Jean  Rocca  war  kein  langes  Leben  beschieden.  Von 
der  Mutter  erblich  mit  einem  Brust  übel  heiastet,  siechte  er 
kurz  nach  seiner  Verbindung  mit  Frau  von  Stael  während 
eines  langen  Krankenlagers  dahin.  Dazu  litt  er  noch  immer 
an  den  bei  Ronda  in  Andalusien  erhaltenen  Wunden,  und 
so  überlebte  er  seine  großi  Lciivuss.'.i-'Kitirtin  nur  um  einige 
Monate.  Der  Tod  ereilte  ihn  im  Januar  1818  in  Hyeres 
an  der  Riviera,  wo  er  Heilung  seines  Leidens  gesucht 
hatte. 

F.  M.  K. 


117 

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1.  Kapitel 


Schlacht  bei  Burgos.   Einnahme  Madrids. 
Valladolid.    Schlacht  von  Medellm 

Das  2.  Husarenrcgimcnt,  früher  Regiment  „Cham- 
boran"  genannt,  in  dem  ich  zu  dienen  die  Ehre  hatte, 
erhielt  im  Jahre  nach  dem  Feld/ug,  dci  mit  der  Schlacht 
bei  Friedland  und  dem  Frieden  von  Tilsit  endete,  den  Be- 
fehl, Preußen  zu  verlassen  und  nach  Spanien  zu  gehen. 

Wir  kamen  aus  dem  sandigen  Norden  Deutschlands, 
wo  wir  meist  mit  unterdrückten  Völkern  und  mit  Regie- 
rungen zu  tun  gehabt  hatten,  deren  Formen  vollkommen 
militärisch  waren.  In  Deutschland  hatten  wir  nur  Re- 
gierungen und  Heere  zu  besiegen,  auf  der  spanischen 
Halbinsel,  wo  wir  jetzt  Krieg  führen  sollten,  gab  es 
weder  Regierungen  noch  geregelte  Truppen  mehr.  Der 
Kaiser  Napoleon  war  in  Portugal  und  Spanien  einge- 
drungen, hatte  die  Monarchen  beider  Länder  in  die  Flucht 
gejagt  oder  gefangen  genommen  und  ihre  militärischen 
Kräfte  verstreut.  Wir  waren  nicht  etwa  gerufen  worden, 
um  gegen  Linientruppen  zu  kämpfen,  die  fast  überall  die 
gleichen  sind,  sondern  gegen  ein  Volk,  das  seine  Sitten, 
seine  Anschauungen  und  selbst  die  Natur  des  Landes  von 
allen  andern  Nationen  des  Kontinents  trennt.  Die  Spanier 
mußten  uns  um  so  mehr  einen  hartnäckigen  Widerstand 
entgegensetzen,  als  sie  glaubten,  die  französische  Regie- 
rung wollte  aus  der  spanischen  Halbinsel  einen  einzigen, 
118 

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der  französischen  Herrschaft  unwiderruflich  unterworfe- 
nen Staat  machen. 

Als  wir  jedoch  Ende  August  des  Jahres  1808  unsere 
preußischen  Kantonierungen  verließen,  um  uns  nach  Spa- 
nien zu  begeben,  hatten  wir  sehr  wenig  über  die  unvorher- 
gesehenen Hindernisse  nachgedacht,  auf  die  wir  in  einem 
für  uns  so  neuen  Lande  stoßen  könnten.  Wir  glaubten 
einer  leichten,  nicht  lange  währenden  Expedition  entgegen- 
zugehen :  als  Sieger  von  Deutschland  dachten  wir,  daß  uns 
von  nun  an  überhaupt  nichts  mehr  widerstehen  könne. 

Nachdem  wir  die  Elbe  und  die  Weser  überschritten 
hatten,  erreichten  wir  das  linke  Rheinufer  und  Frankreich. 
Seit  zwei  Monaten  sprach  man  von  einem  nahen  Kriege 
mit  Österreich,  und  als  wir  Preußen  verließen,  waren  wir 
alle  fest  überzeugt,  daß  man  uns  an  die  Donau  führte. 
Mit  tiefer  Traurigkeit  und  fast  mit  Tränen  in  den  Augen 
verließen  unsere  Husaren  Deutschland,  das  herrliche  Land, 
das  sie  erobert  hatten,  das  Land  des  Kriegs,  aus  dem  sie 
so  viele  ruhmvolle  Erinnerungen  mitbrachten  und  in  dem 
es  ihnen  sogar  bisweilen  gelungen  war,  sich  individuell 
beliebt  zu  machen. 

Wir  durchquerten  Frankreich  wie  ein  neu  erobertes 
und  unsem  Waffen  unterworfenes  Land.  Der  Kaiser  Napo- 
leon hatte  befohlen,  daß  seine  Soldaten  überall  gut  empfan- 
gen und  gefeiert  würden.  Deputationen  kamen  uns  an 
den  Toren  ihrer  guten  Städte  entgegen,  um  uns  zu  beglück- 
wünschen ;  Offiziere  und  Soldaten  wurden  sofort  nach 
ihrer  Ankunft  zu  prächtigen,  im  voraus  bereiteten  Ban- 
ketten geführt,  und  bei  unserer  Abreise  dankten  uns  noch 
die  Oberhäupter  der  Städte,  daß  wir  so  freundlich  gewesen 
waren  und  in  einem  Tage  das  Einkommen  von  mehreren 
Wochen  der  städtischen  Steuern  aufgezehrt  hatten. 

Unsere  Truppen  bestanden  (außer  Franzosen)  aus 
Deutschen,  Italienern,  Polen,  Schweizern,  Holländern,  ja 
selbst  Irländem  und  Mamelucken.  Alle  diese  Ausländer 
waren  mit  ihren  nationalen  Uniformen  bekleidet,  behielten 
ihre  Sitten  bei  und  sprachen  ihre  Sprache.    Doch  trotz 

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ilirsir  Verschiedenheit  der  Sitten  und  Ot-br.iurrn-  gelang 
es  der  Disziplin  auf  leichte  Weise,  alle  unter  der  Hand 
eines  einigen  tu  vereinigen.  Jene  .Männer  trugen  alle 
dieselbe  Kokarde,  hatten  einen  einzigen  Kriege uf,  ein 
einzige«;  I  cldgeschrei. 

Lmige  Meilrn  jrnseüs  von  li.ivynne  erreichten  »ir 
die  Bidassoa,  einen  kleinen  Flui),  der  die  Grenze  zu.schen 
Frankreich  und  den  l'yrenaen  rnklet.  Sobald  man  den 
Fiili  auf  spanischen  Hoden  gesetzt  hat,  merkt  man  im 
Lande  und  in  den  Sitten  der  Menschen  einen  großen  Wech- 
sel. Die  engen,  schmutzigen  Straßen  der  Städte,  die  ver- 
gitterten Fenster,  die  immer  fest  verschlossenen  Türen 
der  Häuser,  das  strenge  und  zurückgehaltene  Äußere  der 
Liinwuhner  aller  Stände,  das  Militrancn,  (las  sie  uns  all- 
gemein entgegenbrachten,  vermehrten  die  Niedergeschla- 
genheit, die  sich  unser  beim  Einzug  in  Spanien  unwill- 
kürlich bemächtigte. 

Wir  sahen  den  Kaiser  Napoleon,  ehe  er  in  Vittoria 
ankam.  Er  war  zu  Pferde.  Seine  einfache  grüne  Uniform 
bildete  einen  scharfen  Kontrast  zu  den  reichgekleideten 
Generalen,  die  ihn  umgaben.  Er  grüßte  jeden  Offizier  be- 
sonders mit  der  Hand,  als  wollte  er  sagen:  Ich  zähle  auf 
Sie!  —  Franzosen  und  Spanier  kamen  herbeigeströmt,  um 
ihn  zu  sehen;  jene  erblickten  in  ihm  allein  das  Heil  der 
ganzen  Armee,  die  Spanier  suchten  in  seinen  Blicken  und 
seiner  Haltung  das  Schicksal  ihres  unglücklichen  Vater- 
landes zu  lesen. 

In  den  letzten  Tagen  des  Oktober  vereinigte  sich 
allmählich  die  Armee  von  Deutschland  mit  der  franzö- 
sischen Armee,  die  der  König  Joseph  in  Spanien  be- 
fehligte. Erst  jetzt  erfuhren  wir  mit  nicht  geringem  Er- 
staunen durch  unsere  Waffe ngefihrlen  einen  Teil  der 
Kriegsereignisse  auf  der  Halbinsel  und  die  Einzelheilen 
der  unglücklichen  Affären,  die  die  Generale  Dupont')  und 


')  Oeneral  Oraf  Pierre  Dupont  de  l'Etang,  1765-1838, 
brach  kurz  nach  der  Unterzeichnung  des  Friedens  von  Tilsit  (7.  u. 
120 

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Junot  •)  zwangen,  in  Andalusien  und  Portugal  zu  kapitu- 
lieren, ferner  den  Marschall  Moncey11)  veranlaßten,  sich 
vor  Valencia  zurückzuziehen,  und  infolge  deren  sich 
endlich  die  ganze  Armee  auf  dem  linken  Ufer  des  Ebro 


ständisch,  und  er  beschloß,  sich  mit  einer  Division  von  8000  Mann 
nach  Cadii  ™  begeben.  Zuerst  schlug  er  30000  Insurgenten  bei 
Cordoba,  dessen  er  sich  bemächtigte.  Auch  hatte  er  noch  ver- 
miedene andere  Siege  im  v-er/cicllnun,  wurde  aber  bald  von  dem 
Marsch  der  Armee  Castaüos'  unterrichtet,  die  aus  40000  Mann 
Linie  ntror;peu  bestand.  Da  ei  ihm  Lfiiniüjjiidi  war,  einer  so  grollen 
Anzahl  Widerstand  zu  leisten,  zog  er  sich  auf  Andigna  zurück,  um 
sich  mit  der  Division  Vedel  zu  vereinigen.  Aber  der  in  spanischen 
Diensten  stehende  Schweizer  General  Reding  hatte,  indem  er  sich 
mit  seinen  17000  Mann  nach  Baden  wandte,  den  Franzosen  den 
Rückzug  abgeschnitten.  Dupont  zojjerti;  vidlek-h:  zu  lange  mit  dem 
Antritt,  doch  entfaltete  er  während  all  dieser  Kämpfe  viel  persön- 
lichen Mul;  schließlich  unter/cii-ticieti:  ii  den  verhängnisvollen  Ver- 
trag von  Baden,  28.  Juli  1808,  wofür  er  von  Napoleon  mit  einer 
fünfjährigen  Festungshaft  bestraft  wurde. 

'}  General  Andoche  Junot,  1771—1813,  wurde  am  1.  Februar 
1503  wegen  seiner  schnellen  Einnahme  Lissabons  von  Napoleon 
mit  dem  Titel  „Herzog  von  Abränlcs"  zum  Gouverneur  von  Portugal 
ernannt.  Er  mißbrauchte  diese  Stellung  durch  die  niedrigste  Er- 
pressung und  Plünderung  und  war  allgemein  verhaßt.  Da  er  nur 
über  wenige  Truppen  verfügte,  um  das  Land  im  Zaume  zu  halten 
und  sich  zu  verteidigen,  mußte  er,  als  ihn  Wellington  an  der  Spitze 
einer  überlegenen  Armee  angriff,  bei  Virneir'i  ai  ruck  weichen  und 
am  30.  August  1808  die  Kapitulation  von  Cinira  unterzeichnen. 

3)  Vergleiche  die  2.  Anmerkung  zum  1.  Fcldz.iigsbcrichte. 

')  Joseph  lu' fand  sich  mil  :;t:iiieiic  Ckncralsiab  und  seinen 
Garden  in  Vitoria.  Marschall  Moncey  beobachtete  in  Tafalla  die 
spanische  Armee  des  Generals  Palafox,  die  bei  Sanguesa  an  der 
Grenze  von  Navarra  und  Aragonien  stand.  Ney  hielt  Logrono  und 
Quardia  besetzt,  vor  ihnen,  in  der  Gegend  von  Tudela  am  Ebro, 
befanden  sich  die  spanischen  Armeen  unler  Castaäos  und  Palafox, 
nie  zusammen  40000  Mann  stark  sein  mußten.  Besseres  war  in 
Miranda;  er  hatte  in  dem  Fort  Pancorvo  eine  Garnison  zurück- 
gelassen. Seine  Stellung  war  durch  die  zahlreiche  Kavallerie  Lasalles 
121 


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Am  Q.  November  kam  das  kaiserliche  Hauptquartier 
in  Bribiesca  an.  Unter  den  Befehlen  des  Kaisers  kanto- 
nierte  die  ganze  Armee  in  der  Umgegend  der  Stadt.  Die 
Einwohner  des  Landes  waren  bei  unserer  Ankunft  in 
die  Berge  geflüchtet. 

Arn  Ii),  mit  T.'ijiesiinbruäi  ri'koy]ioszii_'rte  der  Mar- 
schall Soults)  mit  einer  Division  Infanterie  die  Stellung 
des  Feindes  in  der  Richtung  nach  Burgos.  Beim  Dorfe 
Gamonal  angekommen,  wurde  er  durch  eine  Salve  von 
30  Kanonen  empfangen.  Das  war  für  die  Franzosen  das 
Signal  zum  Angriff.  Soult  erwartete  gar  nicht  erst  den 
Resl  ik'r  ihm  folgen  ck-n  Armee,  sondern  eröffnete  sofort 


gedeckt.  Lefebvrc  liii.Lt  Dina;::;.i  heieizt.  Die  von  ihm  und  Besseres 
befehligtet!  Korps  standen  der  Armee  des  Zentrums  und  der  Linken 
der  Spanier  gegenüber,  die  von  Iii  K oli-rc  und  Blake  kommandiert 
wurden.  Das  bei  Burgos  stehende  spanische  Zentrum  war  gegen 
12—14000  Mann  stark.  Es  solIU-  ,i-.:r'li  ÜiiliO'l  Engländer  verstärkt 
werden,  die  in  Portugal  und  Coruüa  unter  Moore  und  Baird  vor- 
ruckten.  Dieses  Heer  war  zur  Unterstützung  des  in  Biscaya  stehenden 
linken  Flügels  des  Generals  Blake  und  dazu  bestimmt,  die  Verbin- 
dungen mit  den  spanischen  Armeen  in  Aragonien  und  Navarra  auf- 

Das  Heer  des  Generals  Blake,  obwohl  37000  Mann  stark, 
besaß  sehr  wenig  Kavallerie,  und  es  wagte  sich  daher  nicht  in  die 
Ebenen  bei  Mir.md.i  un:l  Vitoria.  Ks  halte  seine  Stellungen  zwischen 
Oiki  i"ri;u  luld  tnu;  auljji^eJiiTi.  um  s:di  Hill>:ii)S  /u  bemächtigen, 
und  war  in  den  Cieiiirijeti  /ivistlieii  Biscaya  und  der  Provinz  Alava 
bis  Zornozo  und  Archandiano  vorgerückt,  um  das  Land  aufzuwiegeln 
und  den  rechten  Kü^d  tk-s  Königs  Joseph  anzugreifen.  Die  spa- 
nischen Armeen  von  Navarra  und  Aragonien  sollten  dieselben  Be- 
«  i:i;iin^i  :L  yt^vn  d;i;  /rri-rum  und  die  Unke  der  Franzosen  raachen, 
um  sie  zu  zwingen,  sich  auf  der  Straße  von  Tolosa  zurückzuziehen. 
Das  waren  die  Absichten  der  Spanier  und  die  Lage  der  Dinge,  als 
Napoleon  das  Kommando  der  Armeen  in  Spanien  übernahm.  Am 
31.  Oktober  1808  hatte  Lefebvre  bei  Durango  die  Armee  Blakes 
angegriffen,  ihn  zurückgeworfen  und  war  am  nächsten  Tage  in 
Bilbao  eingezogen.  Victor  begab  sich  mit  seinem  Korps  am 
6.  November  von  Vitoria  nach  Orduna;  er  sollte  mit  Leföbvre  die 
Armte  dfs  rcclitu:  Kliii.nl,  formieren. 

(Anmerkung  des  Verfassers.) 

')  Siehe  die  13.  Anmerkung  zum  1.  Feld  Zugsberichte. 

122 


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das  Feuer  und  vernichtete  die  wallonischen  und  spanischen 
Garden,  welche  die  Hauptmacht  der  feindlichen  Armee 
bildeten.  Marschall  Bessieres5),  der  inzwischen  mit  der 
Kavallerie  angekommen  war,  überholte  den  Feind,  schlug 
ihn  noch  vollends  und  zog  kunterbunt  mit  den  Flücht- 
lingen in  Burgos  ein. 

Die  Stadt  war  vollkommen  von  ihren  Bewohnern  ver- 
lassen. Sie  war  nur  noch  eine  ungeheure  Einöde  und 
völlig  der  Plünderung  preisgegeben,  als  unsere  Truppen 
nach  der  Schlacht  dort  eintrafen.  In  dem  Viertel,  durch 
das  wir  einzogen,  hörte  man  allenthalben  das  Geschwirr 
der  Stimmen  der  Soldaten,  die  aus  allen  Richtungen  kamen, 
um  Lebensmittel  und  Geräte  aus  den  verlassenen  Häusern 
zu  schaffen.  Dabei  trugen  sie  ungeheure  brennende  Wachs- 
kerzen in  den  Händen,  die  sie  in  den  benachbarten  Klöstern 
gefunden  hatten.  Etwas  weiter,  in  einem  weniger  von 
unsern  Truppen  heimgesuchten  Teile  der  Stadt,  hörte  man 
das  unterdrückte  Jammern  der  Kranken  und  Oreise,  die, 
da  sie  nicht  die  Kraft  hatten,  zu  entfliehen,  sich  in  eine 
Kirche  geflüchtet  hatten,  wo  sie  in  großer  Anzahl  einge- 
pfercht waren. 

Am  II.  setzte  sich  unsere  leichte  Kavalleriebrigade 
bei  Sonnenaufgang  in  Marsch,  um  die  Gegend  am  Ar- 
lanzon  auszukundschaften.  Unweit  der  Ufer  des  Flusses 
entdeckten  wir  einige  Trupps  von  Bauern  und  Städtern, 
die  sich  hinter  den  Anhöhen,  oder  besser  zwischen  der 
steilen  Böschung  des  gegenüberliegenden  Ufers,  verbar- 
gen. Meist  sahen  wir  nur  ihre  Köpfe,  die  von  Zeit  zu 
Zeit  aus  dem  Gestrüpp  hervorguckten,  um  zu  sehen,  ob 
wir  vorüber  wären. 

Am  Tage  nach  der  Schlacht  von  Burgos  wurden  zahl- 
reiche Abteilungen  nach  allen  Richtungen  hin  zur  Ver- 


s)  Jean  Baptiste  Bessieres,  französischer  Marschall  und 
Generaloberst  der  Kavallerie  der  Kaisergarde,  1768—1813,  wurde 
im  März  1803  zum  Herzog  von  Istrien  ernannt  und  erhielt  das 
Kommando  des  zweiten  Armetkorrw  in  S|);isiifT],  wo  er  bedeutende 
Siege  erfocht. 

123 

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ioljiui'i;  des  Feindes  .ihjirii'tiickt,  ii.r  die  Vernichtung  einer 

Armee  vollständig  zu  machen.  d>e  ein  lekhter  Sieg  wohl 
/eistreut  halte,  die  ahei  noch  n.dit  total  aufgerieben  sein 
konnte.  10000  Mann  Kavallerie  und  21)  Geschütze  der 

leichten  Anil'erie  sel/trn  weh  in  Hcwi^un^,  um  sich  über 
l'iasencia,  Leun  und  Zamora  auf  die  Nachhut  der  engli- 
schen Aimce  zu  stutzen,  die  man  in  Valladojd  glaubte. 
Sfiult  begab  sich  uher  V;i;ar;.i><>  und  fienios.i  i;n  Rucken 
der  Armee  auf  die  Unke  der  Spanier,  Eine  Division  In- 
fanteiie  besetzte  auf  einem  direkteren  Weg  die  Schluchten 
des  Gebirges  be;  St.  Ander.  Aoer  trotz  de.-  Geschwindig- 
keit  ihres  .Marsches  trafen  diese  Iruppen  den  I  euid  tiicht 
mehr  an.  Das  Heer  des  Generals  Blake1),  das  seit  der 
Affäre  am  Durango  auf  dem  Rückzug  begriffen  war,  hatte 
vergebens  versucht,  sich  in  Guenes  und  Valmaseda  zu 
sammeln.  Vom  Marschall  Victor  gegen  Espinosa,  vom 
Marschall  Lefebvrc  gegen  Villarcayo  hin  verfolgt,  war  es 
endlich  am  10.  November  bei  Espinosa  nach  einem  zwei- 
tägigen Kampfe  vollkommen  vernichtet  worden.8) 

Am  15.  November  vereinigte  siel)  unsere  Naupthri- 
g;ide  bei  Lerroa  mit  dern  Armeekorps  des  Marschalls  Ney1'), 
dem  sie  seit  dieser  Zeit  provisorisch  beigesellen  war.  Am 
16.  begab  sich  Neys  Korps  von  Lerma  nach  Aranda.  Immer 
verließen  die  Einwohner  bei  unserm  Herannahen  ihre  Be- 
hausungen und  nahmen  die  kostbarsten  Sachen  mit  sich 
in  die  Berge.  Verwüstung  und  Verzweiflung,  die  gewöhn- 
lich siegreiche  Armeen  zurücklassen,  schienen  uns  überall 
vorangegangen  zu  sein. 

Das  Armeekorps  des  Marschalls  Ney  brach  am  20. 


')  Siehe  die  3.  Anmerkung  zum  1.  Feldzugsberichte. 

»)  Bei  Espinosa  de  los  Monteros  in  der  Provinz  Burgos  siegten 
am  10.  und  II.  November  IS0S  Iniü'Ki  Fran/uien  unter  Marschall 
Victor  über  45000  Spanier  unter  La  Rotnana  und  Blake. 

«)  Marschall  Michel  Ney,  1769-1815,  Herzog  von  Elchingen 
und  Fürst  von  der  Moskiva,  In Miliare  (Ins  ü.  Armeekorps  n:ul 
nahm  an  den  Operatiuticn  dfs  fr;iri/iisiichen  Heeres  zur  Eroberung 
Madrids  teil. 
124 

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morgens  von  Arauda  wieder  auf,  und  wir  marschierten 
/äpi  Tage  am  Due'o  flufiaufw.irts,  ohne  Nachrichten  vom 
r'ernd  zu  erhalten  und  ohne  einem  lehendcn  Wesen  /.u  be- 
gegnen. Plot/Uch  bemerkten  wir  am  21.  kurz  vor  Sunnen- 
aulgang  einige  Unsicherheit  in  den  Bewegungen  unserer 
Aufklarer,  Sogleich  forniit'rten  wir  die  Schwadionen.  und 
kurze  Zeit  darauf  wurde  unsere  Vorhut  in  ein  Gefecht 
mit  einem  fi-indliilien  Korps  verwiikt-H,  das  11c  ohne  Muhe 
zurück  warf,  Wir  machten  ein  paar  Gefangene  und  drangen 
in  Almazan  ein. 

Neys  Armeekorps  verbrachte  die  Nacht  im  Biwak  vor 
den  Mauern  dieser  Stadt,  die  von  ihren  Einwohnern  ver- 
lassen war.  Es  war  bereits  zu  spät,  eine  regelmäßige 
Lebensmittelverteilung  vorzunehmen,  und  man  konnte 
leidet  nicht  eine  halbstündige  Plünderung  verhindern.  Noch 
.im  selben  Abend  sandten  wir  Abteilungen  von  je  25  Hu- 
saren zur  Rekognoszierung  nach  verschiedenen  Richtungen 
aus.  Das  Detachcment,  das  auf  der  Straße  von  Siguenza 
rekognoszierte,  kam  während  der  Nacht  zurück  und  brachte 
Gepäck  und  einige  Gefangene.  Am  folgenden  Tage,  dem 
22.  November,  brach  das  Korps  Neys  nach  Soria  auf,  wäh- 
rend unser  Husaren  reg  iment  allein  in  Almazan  gelassen 
wurde,  um  die  Verbindungen  mit  Burgos  über  Aranda  auf- 
rechtzuerhalten und  das  feindliche  Korps,  das  mau  in  der 
Gegend  von  Siguenza,  Medüiaceli  und  Agreda  vermutete, 
zu  beobachten. 

Aber  am  24.  abends  erhielten  wir  den  Befehl,  Almazan 
zu  verlassen.  Wir  marschierten  eine  Nacht  und  einen  Tag, 
ohne  Rast  zu  machen,  und  stießen  auf  Neys  Korps  gerade 
in  dem  Augenblick,  wo  er  in  Agreda  auf  der  Straße  von 
Soria  ankam.  Die  Infanterie  wurde  in  der  Stadt  einquar- 
tiert, die  leichte  Kavallerie  an  einen  etwas  entfernt  lie- 
genden Ort  auf  der  Straße  von  Cascante  geschickt,  um  die 
Position  (Ilt  Armee  zu  decken.  Wir  glaubten  uns  sehr 
nahe  im  Rücken  des  spanischen  linken  Flügels. 

Agreda  war  öde  und  verlassen.  Vergebens  ließ  der 
General  Stabschef  unserer  Brigade  einen  Führer  suchen, 
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und  wir  waren  genötigt,  uns  auf  der  Suche  nach  der  uns 
bezeichneten  Kantonicrinig  einzig  und  allein  nach  der  Karte 
zu  richten.  So  verbrachten  wir  den  größten  Teil  der 
Nacht  in  Märschen  und  Gegenmärschen.  In  diesem  ver- 
lassenen Lande,  dessen  ganze  Bevölkerung  gegen  uns  war, 
trafen  wir  nur  selten  menschliche  Wesen,  die,  selbst  wenn 
sie  uns  auch  zu  täuschen  suchten,  uns  einige  vage  Infor- 
mationen Über  die  Feinde  geben  konnten. 

Wir  erfuhren,  aber  leider  zu  spät,  daß  die  Armee  der 
Generale  Castanos  und  Palafox  am  23.  bei  Tudela  voll- 
kommen geschlagen  worden  war.1")  Wären  wir  nur  einen 
Tag  früher  in  Agreda  angekommen,  so  hätten  wir  dort 
die  zerstreuten  Kolonnen  der  Spanier,  die  sich  auf  Madrid 
zurückgezogen,  getroffen  und  gefangen  genommen.  Nicht 
ein  Franzose  zweifelte  damals,  dali  so  rasche  Siege  das 
Schicksal  der  Spanier  entscheiden  würden.  Wir  glaubten 
—  und  ganz  Europa  mit  uns  —  daß  wir  nun  weiter  nichts 
zu  tun  brauchten,  als  nach  Madrid  zu  marschieren,  um 
die  Unterdrückung  Spaniens  zu  vollenden  und  das  Land 
auf  französische  Art  zu  organisieren,  d.  h.  die  Eroberungen 
mit  Hilfe  der  besiegten  Feinde  zu  vermehren. 

Am  26.  November  begab  sich  Ney  mit  seinem  Korps 
über  Cascanti  nach  ßorja.  Eine  Division  des  Oenerals 
Maurice  Mathieu")  ging  uns  einen  Tag  voraus  und  machte 
auf  ihrem  Marsche  eine  Menge  Gefangene.  Am  27.  kamen 
wir  nach  Alagon,  einem  4  Meilen  von  Zaragoza  gelegenen 
Flecken,  dessen  zahlreiche  Türme  wir  schon  von  weitem 


Josef  Palafox  y  Mel/i,  spanischer  General  und  1803 
Generalkommandant  von  Aragonicn,  geboren  1760,  nickte  am 
23.  November  1803  mit  CastaSos  bis  Tudela  vor  und  wurde  von 
den  Franzosen  unter  Lannes  geschlagen. 

")  Maurice  David  Joseph,  Graf  Mathieu  de  la  Redorte, 
französischer  General,  1768—1333,  wurde  1808  nach  Spanien  ge- 
sandt, wo  er  sich  besonders  in  der  Schlacht  bei  Tudela  auszeichnete 
und  das  Zentrum  der  spaiiiscb;!]  Armee  äiiriTigk'.  Am  nächsten 
Tage  wurde  er  auf  seiner  Verfolgung  de*  Feindes  bei  ßorja  ver- 
wundet 

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erblickten.  Die  Aragonier  hatten  sich  durch  die  letzten 
Niederlagen  ihrer  Armeen  durchaus  nicht  entmutigen  lassen 
und  waren  entschlossen,  sich  in  Zaragoza  zu  verteidigen. 
Sie  hatten  sich  zwar  nicht  mit  regelrechten  Befestigungen 
umgeben  können,  aber  aus  jedem  Hause  hatten  sie  eine 
Festung  gemacht  Jedes  Kloster,  jedes  Haus  erforderte 
einen  besonderen  Sturm.  Und  diese  Art  von  Befestigung 
ist  vielleicht  die  beste  von  allen,  um  eine  Belagerung 
in  die  Länge  zu  ziehen. 

Palafox  hatte  sich  mit  einem  Korps  von  10  000  Mann, 
die  er  aus  der  Schlacht  von  Tudelals)  noch  gerettet  hatte, 
in  die  Stadt  geworfen,  und  diese  selben  Soldaten  der  Armee 
von  Aragonien,  die  wir  fast  ohne  Anstrengung  auf  freiem 
Felde  vernichtet  hatten,  leisteten  als  Bürger  in  den  Mauern 
ihrer  Hauptstadt  einen  Widerstand,  der  fast  ein  Jahr 
anhielt. 

50  000  Bauern  eilten  bewaffnet  herbei,  um  Zaragoza 
zu  verteidigen.  Von  allen  Seiten  stürzten  sie  sich  in  die 
Stadt,  selbst  mitten  durch  unsere  siegreichen  Kolonnen 
hindurch,  immer  befürchtend,  zu  spät  dort  anzukommen, 
wohin  der  Impuls  ihres  Herzens  und  die  Liebe  zu  ihrem 
Vaterlande  sie  riefen. 

Der  Charakter  der  Spanier  dieser  Provinzen  ähnelt 
in  nichts  dem  anderer  europäischer  Nationen.  Ihr  Patrio- 
tismus ist  ganz  religiös,  wie  bei  den  Alten,  wo  kein  Volk 
sich  der  Verzweiflung  hingab  und  trotz  der  Niederlagen 
niemals  gestand,  daß  es  besiegt  worden  war,  so  lange  die 
Altäre  der  schützenden  Qötter  unversehrt  blieben.  Die 
Völker  Spaniens  waren  meist  nur  von  diesem  religiösen 
Patriotismus  belebt  und  besaften  nicht  die  geringste  prak- 
tische Kenntnis  von  Disziplin  und  Kriegsgesetzen.  Leichten 
Herzens  verließen  sie  ihre  Fahnen  nach  einer  erlittenen 
Niederlage  und  fühlten  sich  nicht  im  geringsten,  verpflich- 
tet, das  dem  Feinde  gegebene  Versprechen  zu  halten. 
Aber  sie  hätten  nur  ein  Interesse,  einen  Wunsch:  sich 

")  Siehe  die  10.  Anmerkung  in  diesem  Berichte. 

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durch  alle  möglichen  Mittel  für  das  Schlechte  zu  rächen, 
das  die  Franzosen  ihrem  Vatcriande  zufügten. 

Das  Armeekorps  des  Marschalls  Lannes11)  blieb  in 
Aragonien,  um  die  Belagerung  von  Zaragoza  zu  bewerk- 
stelligen, während  Ney  seine  eilige  Verfolgung  der  Trüm- 

inur  d(_T  Airü^t  Castanns'  furtsetzte,  iik  sich  auf  (juadala- 
jara  und  Madrid  zurückzogen.  Am  28.  schnitt  die  Division 
der  Vorhut  die  Nachhut  der  Spanier,  die  das  Defilee 
von  Buvierca  am  Jalon  verteidigen  wollte,  in  zwei  Hälften. 

Sobald  die  Armee  wieder  aufgebrochen  war,  kamen 
die  Bewohner  wieder  von  den  nahen  Bergen  herab  und 
aus  allen  Richtungen  herbei,  als  wären  sie  aus  dem  Erd- 
boden gewachsen.  Unsere  Soldaten  konnten  sich  nicht 
einen  Augenblick  von  der  Heerstraße  entfernen  oder  hinter 
ihren  Kolonnen  zurückbleiben,  ohne  sich  der  Qefahr  aus- 
zusetzen, von  den  Bauern  ermordet  zu  werden.  Und  wir 
wagten  nicht,  wie  in  Deutschland,  allerorts  Ambulanzen 
zu  bilden  oder  gar  unsere  Kranken  einzeln  in  die  Hospi- 
täler zu  schicken. 

Am  2.  Dezember  kantonierten  wir  in  der  Gegend  von 
Alcala  de  Henares,  wo  wir  auf  eine  Schwadron  polnischer 
Lanciers  stießen,  die  der  Marschall  Bessieres  von  St. 
Augustin  geschickt  hatte,  um  bei  Guadalajara  den  Feind 
auszukundschaften.  Von  ihnen  erfuhren  wir,  daß  die  Vor- 
hut des  Zentrums  vor  Madrid  angekommen  sei:  wir  be- 
fanden uns  nur  noch  drei  Meilen  von  der  Hauptstadt  ent- 
fernt. 

Napoleon  war  am  22.  November  von  Burgos  nach' 
Aranda  aufgebrochen,  um  nötigenfalls  die  Bewegungen 
zu  beobachten  und  zu  unterstützen,  die  seine  Linke  am 
Ebro  gegen  die  Rechte  der  Spanier  machte.  Am  30., 
sieben  Tage  nach  der  Schacht  bei  Tudela,  war  er  mit 
der  Armee  des  Zentrums  direkt  nach  Madrid  marschiert 


«)  Jean  Lannes,  Herzog  von  Montebello,  1760-1809,  siegte 
bei  Tudela  über  Casiriiiuä  v.nd  P;i[a:o\  und  leitete  dann  die  berühmte 
Belagerung  von  Zaragoza. 
128 

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und  hatte  das  Korps  des  Marschalls  Soult  in  der  Nähe 
von  Asturien  gelassen,  um  die  Trümmer  der  spanischen 
Armee  von  Qalicien  zu  beobachten. 

Am  1.  Dezember  wurde  das  kaiserliche  Hauptquartier 
in  St  Augustin  aufgeschlagen,  und  am  selben  Tage  ver- 
einigte sich  das  Armeekorps  Neys,  dem  unser  Regiment 
beigegeben  war,  mit  dem  Heere  des  Kaisers  über  Guadala- 
jara und  Alcala.  Am  2.  Dezember  in  der  Frühe  schob  der 
Kaiser  das  Gros  seiner  Armee  vor  und  kam,  nur  von  seiner 
Kavallerie  gefolgt,  auf  den  Höhen  vor  der  Hauptstadt 
Spaniens  an. 

Madrids  Einwohner  hatten  erst  8  Tage  vor  der  An- 
kunft der  französischen  Truppen  an  ihre  Verteidigung  ge- 
dacht, und  man  merkte  allen  ihren  Mitteln  die  Über- 
stürzung und  Unerfahrenheit  an.  Die  Häuser  an  den  Ecken 
der  Hauptstraßen  waren  mit  bewaffneten  Leuten  ange- 
füllt, die  sich  hinter  Matratzen  an  den  Fenstern  aufhielten. 
Nur  der  Retiro")  war  mit  etwas  größerer  Sorgfalt  ver- 
schanzt worden. 

Nach  Kriegsgebrauch  ging  noch  am  selben  Morgen 
ein  Adjutant  des  Marschalls  ßessieres  nach  Madrid,  um 
die  Bewohner  zur  Übergabe  aufzufordern.  Als  er  ihnen 
aber  vorschlug,  sich  den  Franzosen  zu  ergeben,  fielen  sie 
wütend  über  ihn  her,  und  er  verdankte  sein  Leben  nur 
dem  Schutze  der  spanischen  Linientruppen. 

Napoleon  verwandte  den  Aherid  darauf,  die  Umge- 
bung der  Stadt  auszukundschaften  und  seinen  Angriffs- 
plan zu  bestimmen.  Die  ersten  Infanteriekolonnen  waren 
um  7  Uhr  abends  eingetroffen,  eine  Brigade  des  1.  Armee- 
korps, unterstützt  von  4  Kanonen,  marschierte  gegen  die 
Vorstädte,  und  die  Schützen  des  16.  Regiments  bemäch- 
tigten sich  des  großen  Friedhofs,  nachdem  sie  die  Spanier 


'*)  Ehemaliges  Lustschloss,  das  den  spanischen  Königen  zum 
Frühlingsau  Enthalt  diente.  Bei  der  Bombardierung  Madrids  durch 
die  Franzosen  war  der  Haupiangriff  auf  den  Retiro  gerichtet,  und 
seint  Zerstörung  [Ohrte  die  Übergabe  Madrids  herbei. 
9      B.M7:  Span.  rnflKiufcampl.  129 


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aus  einige»  in  der  Nähe  befindlichen  Häusern  vertrieben 
hatten.  Die  Nacht  ward  zur  Aufstellung  der  Artillerie 
und  zu  allen  Vorbereitungen  für  den  Sturm  des  nächsten 
Tages  benutzt. 

Ein  bei  Sonio  Sierra  gefangen  genommener  apani- 
scher Offizier,  den  der  Fürst  von  Neuchätel  um  Mitter- 
nacht nach  Madrid  schickte,  kam  einige  Stunden  später 
wieder  zurück  und  meldete,  daß  die  Einwohner  darauf  be- 
harrten, sieh  zu  verteidigen,  und  am  3.  um  9  Uhr  morgens 
begann  die  Kanonade. 

30  Kanonen  schössen  unter  den  Befehlen  des  Generals 
Cernamont  die  Bresche  der  Mauern  des  Retiro,  während 
20  Geschütze  der  Garde  und  einige  leichte  Truppen  an 
einer  andern  Stelle  einen  fingierten  Angriff  machten,  um 
die  Aufmerksamkeit  des  Feindes  abzulenken  und  ihn  zu 
zwingen,  seine  Kräfte  zu  zersplittern.  Die  Voltigeure  der 
Division  Villate  drangen  durch  die  Bresche  in  den  Garten 
des  Retiro  ein,  bald  folgte  ihnen  auch  ihr  Bataillon,  und 
in  weniger  als  in  einer  Stunde  waren  die  4000  spanischen 
Linicnsoldaten,  die  das  Schloß  an  seinen  Hauptpunkten 
verteidigten,  über  den  Haufen  geworfen.  Um  11  Uhr  be- 
reits hielten  unsere  Soldaten  die  bedeutendsten  Posten 
des  Observatoriums,  der  Porzellanfabrik,  der  großen  Ka- 
sernen und  des  Hotels  Medinaceli  besetzt  Als  Herren 
des  ganzen  Retiro  konnten  die  Franzosen  in  wenigen 
Stunden  Madrid  überschauen. 

Nun  hörte  die  Kanonade  auf;  der  Fortschritt  der 
Truppen  wurde  an  allen  Punkten  aufgehalten,  und  man 
schickte  einen  dritten  Parlamentär  in  die  Festung.  Es 
war  für  den  Kaiser  von  Wichtigkeit,  die  Hauptstadt  des 
Königreichs,  das  er  für  seinen  Bruder  bestimmte,  zu 
schonen,  denn  man  kann  auf  den  Ruinen  wohl  ein  Feld- 
lager, aber  keinen  Thron  errichten.'1)  Die  Einäscherung 
Madrids  konnte  in  allen  andern  Städten  des  Landes  einen 

")  Vergleiche  die  1.  Anmerkung  zum  1.  Fddzugsberichle  und 
im  übrigen  die  Einleitung  zu  dem  ganzen  Werke. 
130 

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verzweifelten  Widerstand  hervorrufen,  und  übrigens  wären 
unsere  Armeen  durch  seine  Vernichtung  ungeheurer  Hilfs- 
quellen beraubt  worden. 

Um  5  Uhr  nachmittags  kamen  der  General,  Chef  der 
Militärjunta,  und  Don  B.  Yriarte,  Deputierter  der  Stadt, 
mit  dem  französischen  Parlamentär  zurück.  Sie  wurden 
ins  Zeit  des  Fürsten  von  Neuchätel16)  geführt,  wo  sie  ver- 
langten, daß  man  ihnen  einen  Waffenstillstand  während  des 
4.  bewillige,  damit  sie  Zeit  gewännen,  das  Volk  zur  Über- 
gabe zu  bereden.  Mit  sichtbarer  Heftigkeit  warf  ihnen 
Napoleon  die  Nichtbefolgung  des  Vertrags  von  Baden11) 
und  die  Metzeleien  der  französischen  Gefangenen  in  Anda- 
lusien vor.  Er  wollte  durch  diesen  gemachten  Zorn  die 
spanischen  Abgesandten  erschrecken,  damit  sie  nachher 
ihre  Furcht  den  Männern,  die  sie  befehligten,  mitteilten. 
Der  Kaiser  wünschte  lebhaft,  die  Übergabe  Madrids  möchte 
den  Anschein  einer  freiwilligen  Unterwerfung  haben,  und 
man  war  allgemein  überzeugt,  ganz  Spanien  werde  dem 
Beispiel  der  Hauptstadt  folgen. 

Indes  die  Einwohner  weigerten  sich,  die  Waffen 
niederzulegen,  und  fuhren  fort  von  den  Fenstern  der  Häu- 
ser am  Prado  auf  die  Franzosen  zu  schießen.  Durch  die 
Gefangenen,  die  von  Zeit  zu  Zeit  gemacht  wurden,  er- 
fuhr man  den  Orad  der  allgemeinen  Aufregung  und  Wut, 
die  in  der  Stadt  herrschten.  50  000  bewaffnete,  disziplin- 
lose Einwohner  rasten  auf  den  Straßen  herum,  stürmisch 
Befehle  verlangend  und  ihre  Anführer  des  Verrats  an- 
klagend. Endlich  am  4.  Dezember,  um  ü  Uhr  morgens, 
kamen  der  spanische  Oeneral  Moria  und  Don  F.  de  Vera 
nochmals  ins  Zelt  des  Fürsten  von  Neuchätel,  und  um 
10  Uhr  ergriffen  die  französischen  Truppen  von  Madrid 
Besitz. 

Der  Kaiser  blieb  mit  seiner  Garde  auf  der  Höhe  von 


1B)  Marschall  Bcrlhier,  Napoleons  Generalstabsdief.  Vergl. 
die  14.  Anmerkung  mm  1.  Feldzugs  berichte. 

")  Näheres  in  der  Einleitung  und  den  eiuieiienden  Bemerkun- 
gen des  5.  Berichtes  dieses  Buches. 

9-  131 


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Chamartin.  Seiner  gewohnten  Taktik  gemäß  sandle  er 
noch  am  Tage  der  Einnahme  Madrids  zahlreiche  Korps 
nach  allen  Richtungen,  um  dem  Feind  nicht  Zeit  zur  Re- 
kognoszierung zu  lassen  und  um  nach  einem  großen  Er- 
eignis aus  dem  Erstaunen  und  der  Bestürzung,  die  fast 
immer  die  Kraft  des  Siegers  verdoppeln  und  die  des  Be- 
skyteu  für  AuijL-iiliÜckc  kihitit-i],  Nutzen  zu  ziehen. 

Unser  Husarenregiment  hatte  den  2.,  3.  und  4.  De- 
zember in  der  Umgegend  von  Alcala,  3  Meilen  von  Ma- 
drid, verbracht.  Am  5.  erhielten  wir  den  Befehl,  uns  zu 
früher  Stunde  nach  dem  Hauptquartier  zu  begeben,  um 
gemustert  zu  werden.  Kaum  waren  wir  einige  Minuten 
auf  einer  Wiese,  neben  dem  Schlosse  Chamartin,  als  wir 
plötzlich  den  Kaiser  Napoleon  ankommen  sahen.  Er  war 
vom  Fürsten  von  Neuchätel  und  von  5  oder  6  Adjutanten 
begleitet,  die  ihm  kaum  folgen  konnten,  so  schnell  ritt 
er  dahin.  Alle  Trompeten  crlclarspcn  ,  der  Kaiser  stellte  sich 
100  Schritt  vor  dem  Zentrum  unseres  Regiments  auf  und 
verlangte  vom  Oberst  die  Liste  der  Offiziere,  Unteroffiziere 
und  Soldaten,  die  militärische  Auszeichnungen  verdient 
hätten.  Der  Oberst  des  Regiments  nannte  sie  sogleich  alle 
bei  Namen,  und  der  Kaiser  sprach  leutselig  mit  ein  paar 
einfachen  Soldaten,  die  ihm  vorgestellt  wurden.  Dann  sich 
an  den  General  wendend,  der  die  Brigade  kommandierte, 
zu  der  wir  gehörten,  stellte  er  rasch  zwei  oder  drei  sehr 
kurze  Fragen,  und  da  der  General  ein  wenig  verwirrt 
wurde,  warf  Napoleon,  ohne  das  Ende  der  angefangenen 
Rede  abzuwarten,  sein  Pferd  herum  und  verschwand 
ebenso  schnell,  wie  er  gekommen. 

Nach  der  Revue  machten  wir  uns  auf  den  Weg  nach 
Madrid.  Dumpfes  Schweigen  war  auf  die  stürmische  und 
geräuschvolle  Bewegung  gefolgt,  die  am  Tage  vorher  inner- 
halb und  außerhalb  der  Mauern  der  Stadt  geherrscht  hatte. 
Die  Straßen,  durch  die  wir  zogen,  waren  verlassen,  und 
auf  den  Plätzen  hatte  man  noch  nicht  die  zahlreichen 
Nahrungsmitteljsescliäitc  wieder  gcüf.'net.  Nur  die  Wasser- 
träger hatten  ihre  gewohnte  Tätigkeit  nicht  unterbrochen. 
132 


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Als  wir  uns  der  innern  Stadt  näherten,  bemerkten  wir 
verschiedene  Spanier,  die,  in  ihre  großen  Mäntel  gehüllt,  an 
den  Ecken  der  Plätze  standen,  wo  sie  gewöhnlich  zu- 
sammenkamen. Sie  schauten  uns  düster  und  niederge- 
schlagen an;  in  ihrem  ungeheuren  Nationalste.!;  hielten 
sie  es  kaum  für  möglich,  daß  Soldaten,  die  nicht  Spanier 
waren,  Spanier  besiegen  konnten.  Als  sie  zufällig  in 
unsern  Reihen  Pferde  sahen,  die  wir  der  feindlichen  Ka- 
vallerie abgenommen  hatten,  erkannten  sie  sie  sofort  an 
ihrer  Gangart  und  wurden  dadurch  aus  ihrer  Verblen- 
dung gerissen.  Dann  flüsterte  einer  dem  andern  zu : 
„Este  caballo  es  espaiio!"  (dieses  Pferd  ist  spanisch),  als 
wäre  das  der  einzige  Beweis  unsereJ  Erfolge  gewesen. 

Unser  Regiment  blieb  fast  einen  ganzen  Monat  in 
der  spanischen  Hauptstadt.  Obwohl  scheinbar  große  Ruhe 
herrschte,  hielten  wir  uns  doch  immer  bereit,  aufs  Pferd 
zu  steigen,  und  unsere  Tiere  waren  stets  gesattelt,  als 
befänden  wir  uns  auf  Vorposten  angesichts  des  Feindes. 
Wie  man  sagte,  waren  1100  entschlossene  Spanier  nach 
der  Kapitulation  in  der  Stadt  verborgen  geblieben  und 
bereiteten  sich  vor,  die  Einwohner  aufzuwiegeln,  um  alle 
Franzosen  bei  der  ersten  günstigen  Gek-geiihcit  niederzu- 
machen. 

Napoleon  hielt  in  Madrid  nicht  wie  in  andern  Städten 
Europas  öffentlichen  Einzug.  Man  behauptete,  er  sei  durch 
die  Formen  der  Etikette,  die  er  gegen  seinen  Bruder 
Joseph  aufrechterhalten  mußte,  den  er  schon  als  Herr- 
scher betrachtet,  daran  gehindert  worden.  Immer  mit 
seiner  Garde  auf  den  Höhen  von  Chamartin  kampierend, 
gab  er  täglich  für  Spanien  Dekrete  aus  und  erwartete  die 
baldige  Unterwerfung  des  Königreichs  und  die  Unter- 
drückung des  Schreckens,  den  unsere  raschen  Siege  hervor- 
gerufen haben  mußten. 

Wenige  Tage  nach  der  Einnahme  Madrids  erhielt  ich 
den  Befehl,  zum  Marschall  Lefebvre  einen  offenen  Brief 
des  Generals  Lasalle  zu  tragen,  der  sich  vor  uns  in  Tala- 
vera  befand.  Der  Marschall  sollte  diesen  Brief  lesen  und 
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ihn  dann  direkt  an  den  Fürsten  von  Neuchätel  befördern. 
Ich  trat  den  Marschall  Leffcbvrc  gegen  Abend  in  Magueda, 
gerade  als  er  von  Casarubios  ankam.  Um  seine  Adjutanten 
zu  schonen,  befahl  mir  der  Marsehall,  meinen  Weg  fort- 
zusetzen und  die  Briefe  selbst  ins  kaiserliche  Hauptquar- 
tier zu  bringen.  Ich  war  genötigt,  mein  Pferd  in  Magueda 
zu  lassen,  und  bestieg  ein  Maultier,  das  der  Generalstabs- 
chef mir  vom  Alcalden18)  des  Orts  geben  ließ. 

Bald  machte  ich  mich  auf  meinem  großen  störrischen 
Esel,  dem  man  die  Mähne  abrasiert  hatte,  durch  die  stock- 
finstere Nacht  auf  den  Weg.  Ein  spanischer  Bauer,  der 
mir  als  Führer  diente,  ritt  vor  mir  auf  einem  Maultiere, 
das  dem  mehligen  glich.  Als  wir  beinahe  eine  Meile 
zurückgelegt  hatten,  fiel  mein  Führer  plötzlich  von  seinem 
Tiere,  und  dieses  galoppierte  davon,  wahrscheinlich  um  in 
sein  Dorf  zurückzukehren.  Ich  glaubte,  der  Bauer  sei  durch 
seinen  Fall  ohnmächtig  guu  orde  n,  und  stieg  ab,  um  ihm 
Hilfe  zu  leisten.  Aber  vergebens  suchte  ich  ihn  an  der 
Stelle,  wo  ich  ihn  hatte  fallen  sehen  —  er  war  in  das 
dichte  Gestrüpp  geschlüpft  und  verschwunden.  Nun  be- 
stieg ich  wieder  mein  Maultier,  wußte  indes  nicht,  wie 
ich  allein  meinen  Weg  finden  würde.  Da  das  widerspen- 
stige Tier  nicht  mehr  scinni  Gefähnni  vor  sich  traben 
hörte,  wollte  es  weder  vorwärts  noch  rückwärts  gehen. 
Je  mehr  ich  ihm  die  Sporen  gab,  desto  störrischer  wurde 
es;  Schlage,  Flüche,  Drohungen  —  nichts  half.  Endlich 
stieg  ich  ab  um  meinen  Holzsattel  etwas  enger  zu  schnal- 
len. Da  machte  das  verwünschte  Tier  einen  Seifensprung, 
ich  erhielt  einen  Stoß  vor  die  Brust  und  ward  zu  Boden 
geworfen.  Mein  Maultier  galoppierte  ebenso  wie  sein 
Gefährte  davon  und  verschwand  in  einem  Seitenweg.  Als 
ich  mich  von  meinem  Schlage  ein  wenig  erholt  hatte, 
rannte  ich  ihm  aus  Leibeskräften  nach,  von  dem  Geklirr 
geleitet,  das  ein  Steigbügel  meines  Sattels  machte,  der 


>«)  Alkalde  bedeutet  in  Spanien  soviel  wie  Schultheis  oder 
Bürgermeister. 
134 

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auf  dem  Boden  schleppte.  Als  ich  ungefähr  eine  halbe 
Meile  gelaufen  war,  fand  ich  meinen  Sattel,  dessen  sich 
das  Maultier  entledigt  hatte.  Ich  nahm  ihn  auf  den  Rücken 
und  kam  bald  in  ein  großes  Dorf,  wo  die  Vorhut  einer  der 
Brigaden  des  Marschalls  Lefebvre  eben  angelangt  war. 
Sogleich  Heß  ich  mir  vom  Alcalden  ein  Pferd  und  einen 
Führer  geben  und  machte  mich  wieder  auf  den  Weg, 
diesmal  sorgsam  darauf  beJacht,  nicht  von  der  Seite  meines 
Führers  zu  weichen. 

So  kam  ich  um  1  Uhr  in  der  Nacht  im  kaiserlichen 
Quartier  von  Chamartin  an.  Der  Fürst  von  Neuchätel 
wurde  von  einem  seiner  Adjutanten  geweckt,  ich  übergab 
ihm  die  Briefe  und  wurde  noch  am  selben  Abend  um 
11  Uhr  mit  neuen  Depeschen  für  den  Marschall  Victor  zu 
meinem  Armeekorps  zurückgeschickt 

Als  ich  midi  einige  Meilen  jenseits  von  Aranjuez  be- 
fand, sah  ich  von  weitem  zwei  spanische  Bauern,  die 
eben  einen  französischen  Soldaten  geknebelt  hatten  und 
ihn  ins  Gebüsch  schleppen  wollten,  um  ihn  zu  erdrosseln. 
Ich  gab  meinem  Pferde  die  Sporen  und  hatte  das  Otück, 
noch  zur  rechten  Zeit  anzukommen,  um  den  Unglück- 
lichen befreien  zu  können.  Es  war  ein  Infanterist,  der 
am  Tage  vorher  aus  dem  Krankenhaus  von  Aranjuez  ge- 
kommen war.  Von  Mattigkeit  erschöpft,  hatte  er  sich  ein 
wenig  niedergesetzt,  während  seine  Kameraden  weiter 
marschierten.  Ich  begleitete  ihn  bis  zu  seinem  Detache- 
ment,  das  nicht  weit  davon  Halt  gemacht  hatte,  und  setzte 
dann  meinen  Weg  fort. 

Nichts  war  schrecklicher  als  der  Anblick,  der  sich 
jetzt  meinen  Augen  darbot.  Bei  jedem  Schritte  stieß  ich 
auf  verstümmelte  Körper  von  Tags  zuvor  ermordeten  Fran- 
zosen und  auf  blutige  Kleiderfetzen,  die  hier  und  da  herum- 
lagen. Die  noch  frischen  Spuren  im  Sand  deuteten  auf 
den  Kampf,  den  einige  der  Unglücklichen  bestanden,  und 
auf  die  langen  Qualen,  die  sie  erlitten  hatten,  ehe  sie 
starben. 

Ich  hatte  in  Toledo  dem  Marschall  Victor  meine  De- 
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peschen  übergeben  und  war  zu  meinem  Regiment,  am 
Tage  bevor  es  sich  in  Garnison  nach  Madrid  begab,  zurück- 
gekehrt. Inzwischen  war  am  21.  Dezember  im  kaiserlichen 
Quartier  in  Chamartin  gemeldet  worden,  daß  einer  der 
Posten  des  Generals  Franchesr  in  der  Nacht  vom  12. 
zum  13.  bei  Rueda  genommen  worden  war  und  daß 
englische  Kavallerieabteilungen  bis  an  die  Tore  von  Valla- 
dolid  das  Feld  behaupteten19) 

Als  Napoleon  von  dieser  Bewegung  der  Engländer 
hörte,  brach  er  sogleich  am  nächsten  Tage  mit  seiner 
Qarde  und  dem  Korps  Neys  von  Madrid  auf,  um  ihnen 
den  Rückzug  auf  Coruna  abzuschneiden.  Am  23.  war  er 
in  Villacastin,  am  25.  in  Tordesillas,  am  27.  in  Medina 
de  Rioseco,  und  am  27.  morgens  stellte  sich  seine  aus 
drei  Schwadronen  Jäger  zu  Pferd  bestehende  Vorhut,  die 
der  General  Lefcbvre*1)  befehligte,  vor  Benavente  auf, 
wo  sich  die  englische  Armee  befand. 

Da  der  General  die  Brücke  über  die  Esla  abgebrochen 
fand,  durchwatete  er  den  Fluß  und  warf  die  vorgeschobe- 
nen Posten  der  Engländer  bis  an  die  Tore  der  Stadt  zurück. 
Aber  in  der  Hitze  der  Verfolgung  vergaß  er,  seine  Jäger 
wieder  zu  vereinigen  und  sieh  aufzuklären,  und  wurde  so 
mit  der  Kavallerie  der  feindlichen  Nachhut  in  ein  Gefecht 
verwickelt.  Die  französischen  Jager  waren  gezwungen, 
wieder  über  den  Flulf  zurückzugehen;  60  verwundete  oder 
kampfunfähig  gernachte  Soldaten,  unter  denen  sieh  auch 
der  General  befand,  blieben  in  den  Händen  der  Engländer. 
Die  französischen  Jäger  stellten  sich  nun  am  gegenüber- 
liegenden Ufer  in  Schlachtordnung  auf  und  bereileten  sieh 

»)  Sie  gehörten  zur  Armee  des  Generals  Moore,  der  am 
13.  Dezember  Salamanca  verlassen  hatte,  um  sich  mit  den  1300O 
Lii;;Ij[|Jl.'[-j]  zu  ie;eiiiij;e:i,  die  J..:r  General  flaird  von  Villafranca 
herbeiführte.  Er  gedachte,  mit  den  spanischen  Truppen  des  Generals 
La  Romana  einen  Angriff  gegen  Souit  zu  unternehmen,  der  mit 
15  000  Mann  die  Flecken  Ouardia,  Soldafias  undSahugun  besetzt  hielt. 

(Anmerkung  des  Verfassers.) 

*>)  Gemeint  ist  Lef  ebvre-DeBnouettes. 

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auf  einen  verzweifelten  Angriff  vor,  um  ihren  gefangenen 
Befehlshaber  zu  befreien.  Plötzlieh  ließen  die  Engländer 
in  die  Nähe  der  abgebrochenen  Brücke  zwei  Kanonen  der 
leichten  Artillerie  auffahren  und  schössen  auf  die  franzö- 
sischen Schwadronen,  die  nun  gezwungen  waren,  sich 
zurückzuziehen. 

Die  englisch -spanischen  Armeen  waren  von  dem 
Marsche  des  Kaisers  gerade  in  dem  Augenblick  unterrich- 
tet worden,  als  sie  sich  anschickten,  den  Marschall  Souit 
im  Dorfe  Carion  anzugreifen.  Sie  zogen  sich  daher  schnell 
auf  Astorga  und  Benavente  zurück  und  zwar  auf  den 
Straßen  von  Mayorga,  Valencia  und  Mancilla.  Aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  wären  die  englisch-spanischen  Heere 
von  den  Dcfilees  von  Gaücien  abgeschnitten  worden,  wenn 
die  französische  Armee  in  ihrem  Marsche  durch  den  frisch- 
gefallenen Schnee  in  der  Sierra  üuadarrama  und  durch 
die  übergetretenen  Gebirgsflüsse  nicht  bedeutend  aufge- 
halten worden  wäre. 

Napoleon  kam  am  30.  Dezember  in  Benavente  an. 
Er  rückte  nicht  weiter  jenseits  von  Astorga  vor,  kam  mit 
seinen  Garden  am  7.  Januar  nach  Valladolid  und  wenige 
Tage  später  war  er  schon  wieder  in  Frankreich,  um 
Kriegs  Vorbereitungen  gegen  Österreich  zu  treffen.11)  Ney 
blieb  in  Astorga,  um  die  Defilees  von  Galicien  zu  beob- 
achten, und  Soult  setzte  seine  Verfolgung  der  Armee  des 
Generals  Moore  gegen  Corufia  fort. 

Am  16.  Januar  wurden  die  Englander  gezwungen, 
ehe  sie  sich  einschifften,  vor  Corufia  eine  Schlacht  zu 
liefern.  Die  Affäre  war  blutig  und  sehr  umstritten.  Zuerst 


!1)  Da  die  von  Naiwlcan  im  Prcflburgcr  Friedens  vertrage  vom 
26.  Dezember  1805  auferlegten  Bedingungen  viel  zu  hart  waren, 
entschlofl  sich  Österreich,  auls  neue  die  Walten  zu  ergreiten,  und 
hielt  den  Augenblic  k  für  jirci^ni  t,  a!;  Ivmolcun  seine  ganze  Heeres- 
nacht in  Spanien  stehen  hatte.  Aber  man  hatte  nicht  mit  der  Schnel- 
ligkeit Napoleons  gerechnet,  der  mit  Riesenschritten  herbeieilte  und 
den  Erzherzog  Karl,  der  kaum  erst  Niederbayern  erreicht  hatte, 
üben-aschte. 

137 

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gewannen  die  Franzosen  Terrain,  aber  gegen  Ende  des 
Tages  nahmen  die  Engländer  ihnen  die  starke  Stellung 
wieder  ah,  deckten  so  die  Verankerung  ihrer  Flotte  und 
schifften  sich  während  der  Nacht  vom  16.  zum  17.  ein. 
General  Moore  wurde  während  der  Schlacht,  gerade  als 
er  ein  zurückgeworfenes  Korps  wieder  zum  Angriff  führte, 
von  einer  Kugel  getroffen. 

Am  13.  Januar  verlief!  unser  Regiment  Madrid,  um 
sich  mit  dem  1.  Armeekorps  zu  vereinigen.  Am  14.  über- 
nachteten wir  in  Ocana.  Am  15.  trafen  wir  drei  Meilen 
von  letztgenannter  Stadt  auf  spanische  Gefangene,  die 
von  Ucles")  kamen  und  die  man  nach  Madrid  brachte. 
Viele  der  Unglücklichen  brachen  vor  Erschöpfung  zusam- 
men, andere  starben  vor  Entkräftung ;  wenn  sie  nicht 
mehr  weiter  konnten,  wurden  sie  unbarmherzig  erschossen. 
Diese  blutige  Order  war  als  Repressalie  dafür  gegeben 
worden,  daß  die  Spanier  die  gefangenen  Franzosen  aufge- 
knüpft hatten.  Aber  so  barbarische  Maßnahmen  gegen 
wehrlose  Feinde,  die  schon  durch  ihre  Schwäche  geschützt 
sein  mußten,  konnten  in  keinem  Falle  durch  die  Notwen- 
digkeil von  Repressalien  gerechtfertigt  werden.  Die  ebenso 
grausamen  wie  unpolitischen  Maßnahmen  entfernten 
immer  mehr  die  dauernde  Unterwerfung  besiegter  Völker 
von  dem  großen  Ziele  der  Eroberung. 

Besonders  zog  einer  der  unglücklichen  Spanier  un- 
sere Aufmerksamkeit  auf  sich.  Er  lag  tödlich  verwundet 
auf  dem  Rücken.  Sein  langer,  schwarzer,  mit  ein  paar 
grauen  Haaren  untermischter  Schnurrbart  und  seine  Uni- 
form ließen  erkennen,  daß  er  ein  alter  Soldat  war.  Er 
gab  nur  noch  unartikulierte  Laute  von  sich,  fortwährend 
die  Namen  der  Jungfrau  und  aller  Heiligen  auf  den  Lippen. 
Wir  suchten  ihn  mit  Branntwein  zum  Leben  zurückzubrin- 
gen, aber  er  starb  kurz  darauf. 


»)  Bei  Udes  hatte  am  13.  Januar  I80Q  ein  Gefecht  »t>t%e- 
funden,  in  welchem  Marschall  Victor  über  den  spanischen  General 
Herzog  von  Infantado  siegte. 
138 

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In  Cuenca  vereinigten  wir  uns  mit  unserm  Armee- 
korps und  kantonierten  einige  Tage  in  der  Gegend  von 
San  demente  und  Belmonte,  um  unsere  Artillerie  zu  er- 
warten, die  nur  mit  Mühe  ein  oder  zwei  Meilen  täglich 
machen  konnte.  Der  Regen  des  Winters  hatte  die  Wege 
so  schwierig  gemacht,  daß  man  sehr  oft  die  Gespanne 
vop  mehreren  Geschützen  vereinigen  mußte,  um  nur  ein 
einziges  vorwärts  zu  bringen. 

Darauf  durchquerten  wir  das  Land  Don  Quichotes, 
um  uns  nach  Consucgra  und  Madridejos  zu  begeben.  Wir 
blieben  länger  als  einen  Monat  in  der  Provinz  La  Mancha, 
wo  wir  teils  die  Häuser  bewohnten,  teils  auf  freiem  Felde 
kampierten ;  immer  aber  war  unsere  Lebensweise  dieselbe, 
nur  daß  wir  anstatt  von  einem  Haus  zum  andern  zu  gehen, 
unsere  Feuer  verließen,  um  die  der  Kameraden  aufzu- 
suchen. Hier  verbrachten  wir  lange  Nächte  mit  Trinken 
und  Plaudern  über  die  gegenwärtigen  Kriegsereignisse, 
oder  wir  lauschten  den  Berichten  über  die  vergangenen 
Feldzüge. 

Unser  Armeekorps  verließ  La  Mancha  ungefähr  um  die 
Mitte  des  Monats  Februar,  und  die  unter  den  Befehlen  des 
Oenerals  S6bastiani")  stehenden  Truppen  rückten  an,  um 
in  der  Gegend  von  Toledo  die  Trümmer  der  Armee  des 
Herzogs  von  Infantado  zu  beobachten.")  Wir  schickten 
uns  an,  Talavera,  Arzobispo  und  Almaraz  am  rechten 
Ufer  des  Tajo  angesichts  des  spanischen  Heeres  von  Estre- 
madura  zu  besetzen.  Diese  Armee  war  am  24.  Dezember 
in  Arzobispo  gegenüber  von  Almaraz  vom  Marschall  Le- 
febvre  zerstreut  worden,  hatte  sich  jedoch  unter  den  Be- 
fehlen des  Oenerals  Cuesta  wieder  organisiert  und  ver- 
stärkt. Sie  hatte  den  Franzosen  die  Brücke  von  Almaraz 
wieder  genommen  und  deren  HauptpftÜer  gesprengt,  was 


«)  Sebastian!  sollte  mit  dem  4.  Armeekorps  die  Provinz 
La  Mancha  bis  zum  Guadiana  besdzen,  um  das  genommene  Madrid 
zu  decken.  Vergl,  die  8.  Anmerkung  zum  1,  Feldzugsberichte. 

")  Vergl.  die  25.  Anmerkung  zum  I.  Feldzugabe  richte. 

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den  Marsch  unserer  Truppen  vollkommen  aufhielt  und 
uns  in  die  Notwendigkeit  versetzte,  unter  dem  Feuer  des 
Feindes  eine  neue  Brücke  über  den  Tajo  zu  schlagen. 
Wohl  besaßen  wir  noch  zwei  andere  Brücken,  eine  bei 
Arzobispo  und  die  andere  bei  Talavera,  aber  sie  waren 
damals  für  die  Artillerie  nicht  gangbar. 

Victor  schlug  sein  Hauptquartier  in  Almaraz  auf,  um 
die  Arbeiten  besser  übersehen  und  das  Konstruieren  der 
Flöße  überwachen  zu  können.  Ein  Teil  unserer  leichten 
Kavallerie  ging  aufs  linke  Ufer  über,  um  den  Feind  zu 
beobachten  und  {Rekognoszierungen  gegen  seine  rechte 
Flanke  am  ibor  vorzunehmen.  Wegen  der  Schwierigkeit, 
uns  Lebensmittel  und  Fourage  zu  verschaffen,  mußten  wir 
sehr  oft  unsere  Kanton  ierungen  wechseln.  Die  Einwohner 
hatten  fast  das  ganze  Land,  welches  das  Heer  okkupierte, 
verlassen.  Sie  hatten  die  Gewohnheit,  vor  ihrer  Flucht 
alles,  was  sie  nicht  mitnehmen  konnten,  an  einem  ent- 
legenen Ort  ihrer  Wohnungen  einzumauern;  und  so  be- 
gannen unsere  Soldaten  sogleich  bei  ihrer  Ankunft  wie 
Architekten  erst  die  äußeren  Wände,  dann  die  inneren 
Räume  zu  durchsuchen,  um  zu  sehen,  ob  man  nichts  ver- 
mauert hätte.  Manchmal  fand  man  unter  der  Erde  ver- 
graben gefüllte  Weinkrüge.  Auf  diese  Weise  gewöhnten 
wir  uns  daran,  vom  Zufall  zu  leben,  und  verbrachten  ganze 
Wochen  ohne  Brot,  ja  sogar  ohne  uns  Gerste  für  unsere 
Pferde  verschaffen  zu  können. 

Endlich,  am  14.  März,  waren  unsere  Flöße  fertig,  aber 
wir  konnten  unter  dem  Feuer  der  Feinde  sie  weder  ins 
Wasser  lassen  noch  eine  Brücke  bauen.  Zuerst  mußten 
die  Spanier  aus  der  starken  Stellung  verdrängt  werden, 
die  sie  gegenüber  von  Almaraz  einnahmen. 

Am  15.  März  überschritt  ein  Teil  des  1.  Armeekorps 
bei  Talavera  und  Arzobispo  den  Tajo,  um  sich  auf  die 
Flanke  und  in  den  Rücken  der  spanischen  Stellung  zu  be- 
geben. Die  deutsche  Division  unter  den  Befehlen  des 
Generals  Leval  griff  zuerst  den  Feind  am  Morgen  des  17. 
beim  Dorfe  Messa  de  Ibor  an.  3000  Mann  dieser  Division, 
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die  keine  Kavallerie  besaß,  warfen  mit  dem  Bajonett  8000 
hinter  einem  Berge  verschanzte  und  von  6  Kanonen  ver- 
teidigte Spanier  über  den  Haufen.  Der  ganze  18.  wurde 
noch  dazu  verwendet,  die  Feinde  von  Valdecaiiar  zurück- 
zudrängen und  sie  von  Stellung  zu  Stellung,  von  Felsen 
zu  Felsen  bis  zum  Berge  Miravette  zu  verfolgen.  Unser 
Regiment  befand  sich  mit  der  Division  Viüatc.  auf  dein 
linken  Flügel  der  Armee.  Wir  marschierten  den  Ibor 
stromaufwärts,  überall  mühelos  die  Spanier  zurück- 
werfend, die  nirgends  standhielten,  sobald  sie  sich  um- 
gangen sahen. 

Am  IQ.  März  machte  die  ganze  Armee  Rasttag,  wäh- 
rend man  die  Flölie  ins  Wasser  ließ.  Die  fliegende  Brücke 
war  schon  in  der  Nacht  konstruiert  worden,  und  man 
begann  noch  am  selben  Tag  die  Artillerie  hinüberzube- 
fördem.  Die  Truppen  blieben  auf  dem  rechten  Ufer  des 
Tajo,  und  am  20.  vereinigte  sich  das  ganze  Heer  bei 
Tnijffla 

Die  beiden  Armeen  verbrachten  die  Nacht  in  un- 
mittelbarer Nähe.  Am  folgenden  Tag  setzte  sich  der  Feind 
eine  Stunde  vor  Sonnenaufgang  in  Bewegung,  und  wir 
tojgtcn  ihm  hald  .  .  .  Zwei  Stunden  vor  Einbruch  der 
Nacht  stieß  die  Schwadron  der  Avantgarde  vom  10.  Chas- 
seurregiment  auf  die  feindliche  Nachhut,  die  sich,  als  sie 
sich  bedrängt  sah,  sofort  auf  das  spanische  Armeekorps 
zurückzog.  Von  zu  großem  Eifer  hingerissen,  Meli  der 
Oberst  uiivorsichtigerwcise  das  ganze  Regiment  angrdfen, 
das  die  spanische  Kavallerie  zwei  Stunden  lang  auf  der 
Chaussee  zwischen  tannenbewachsenen  liüje'n  verfolgte. 

Nicht  weit  von  Mi;ija(!;>s  stellten  die  Spanier  mehrere 
Schwadronen  ihrer  besten  Kavallerie  im  Hinterhalt  auf, 
die  unversehens  über  die  Chasseure  unserer  Vorhut  her- 
fielen, die  vereinzelt  und  ohne  Ordnung  in  großen  Zwi- 
schenräumen marschierten.  Unsere  Reiter  wurden  von 
der  Überzahl  erdrückt;  ihre  durch  den  heftigen  Angriff 
erschöpften  Pferde  konnten  sich  nicht  zum  Widerstand 
sammeln,  und  die  Feinde  machten  in  wenigen  Minuten 
141 

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mehr  als  150  der  tapfersten  Chasseure  des  10.  Regiments 
kampfunfähig.  General  Lasalle,  der  von  dem  Vorgefalle- 
nen unterrichtet  wird,  lieft  uns  eilig  zu  ihrer  Unter- 
stützung vorrücken,  aber  wir  kamen  zu  spät;  wir  sahen 
nur  noch  von  weitem  die  Staubwolken,  welche  die  sich 
zurückziehenden  Spanier  aufwirbelten.  Der  Oberst  des 
10.  Regiments,  der  mit  der  Zusammen-ziehung  seiner  Chas- 
seure  beschäftigt  war,  raufte  sich  vor  Verzweiflung  die 
Haare  beim  Anblick  der  auf  dem  Boden  umherliegenden 
Verwundeten.  Als  die  Nacht  hereinbrach,  kehrten  wir 
zurück,  um  hinter  der  Stelle,  wo  der  Kampf  stattgefunden 
hatte,  unsere  Biwaks  aufzuschlagen. 

In  der  Nacht  vom  27.  zum  28.  setzte  sich  die  ganze 
Armee  in  Bewegung-,  um  gegen  den  Feind  zu  marschieren. 
Schon  seit  mehreren  Tagen  erwartete  uns  der  General 
Cuesta  in  den  Ebenen  vor  Medellin  und  hatte  im  voraus 
die  vorteilhafteste  Stellung,  um  seine  Armee  aufzustellen, 
von  Genieoffizieren  rekognoszieren  lassen. 

Die  Spanier,  denen  das  Glück  in  regelrechten  Schlach- 
ten so  oft  untreu  war,  suchten  sich  durch  alle  möglichen 
Mittel  die  Sicherheit  zu  verschaffen,  die  ihnen  fehlte.  Sie 
betrachteten  das  Scharmützel  von  Miajadas  als  eine  gute 
Vorbedeutung,  auch  stützten  sie  sich  auf  den  alten  Aber- 
glauben, den  sie  an  das  Andenken  der  Siege  ihrer  Vor- 
eltern über  die  Mauren  in  derselben  Ebene  knüpften.  Die 
Franzosen  hingegen  kümmerten  sich  nicht  um  ihre  Hoff- 
nungen, sondern  vertrauten  wie  gewöhnlich  ganz  dem 
Siege  selbst 

Um  11  Uhr  morgens  debouchierten  wir  aus  Medellin, 
um  uns  in  Schlachtordnung  aufzustellen.  Die  leichte  Ka- 
vallerie Lasalles  wurde  auf  dem  linken  Flügel  aufgestellt, 
im  Zentrum  befand  sich  die  deutsche  Infanteriedivision, 
und  auf  der  Rechten  stand  der  General  Latour-Maubourg 
mit  seinen  Dragonern.  Die  Divisionen  Villate  und  Ruffin 
bildeten  die  Reserve.  Die  drei  Divisionen  unserer  ersten 
Linie,  waren  hinler  der  Armee,  welche  aus  zahlreichen 
Detachements  bestand,  gelassen  worden,  um  die  Verbin- 
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düngen  aufrechtzuerhalten,  und  sie  waren  nur  7000  Mann 
stark.  Der  Feind  stellte  uns  eine  Linie  von  mehr  als 
34  000  Mann  entgegen. 

Die  deutsche  Division  begann  den  Angriff.  Darauf 
griffen  das  2.  und  4.  Dragonerregiment  die  spanische 
Infanterie  an,  wurden  indes  mit  Verlust  zurückgeworfen, 
und  die  Deutschen  blieben  allein  inmitten  des  Handge- 
menges. Sie  bildeten  ein  Karree  und  leisteten  während  des 
Restes  des  Kampfes  gegen  die  verdoppelten  Anstrengungen 
des  Feindes  kräftigen  Widerstand. 

Nur  mit  Mühe  stellte  der  Marschall  Victor  die  Schlacht 
wieder  her,  indem  er  2  Regimenter  der  Division  Vilattc 
vorrücken  ließ.  Zuerst  versuchte  die  feindliche  Kavallerie 
vergebens,  unsern  rechten  Flügel  zu  vernichten,  dann 
stürzte  sich  ein  Teil  derselben  auf  unsere  Linke.  Da  diese 
fürchtete,  eingeschlossen  zu  werden,  war  sie  gezwungen, 
eine  Rückwärtsbewegung  zu  machen,  um  sieb  an  den 
Guadiana  zu  lehnen.  Zwei  Stunden  lang  zogen  wir  uns 
langsam  und  schweigend  zurück,  alle  50  Schritte  eine 
Wendung  machend,  um  dem  Feinde  unsere  Front  zu  zeigen 
und  ihm  das  Terrain  streitig  zu  machen,  bevor  wir  es 
verließen.  Durch  das  fortwährende  Pfeifen  der  Kugeln 
über  unsern  Köpfen  und  das  Aufprallen  der  Geschosse 
hindurch,  die  den  Boden  um  uns  herum  aufwühlten,  hörte 
man  nichts  als  die  Stimmen  der  Befehlshaber.  Sie  erteilten 
ihre  Befehle  mit  um  so  größerer  Ruhe  und  Kaltblütigkeit, 
je  mehr  uns  der  Feind  bedrängte.  Aber  je  weiter  wir 
uns  zurückzogen,  desto  mehr  schrien  die  Spanier.  Ihre 
Schützen  waren  so  zahlreich,  so  kühn,  daß  sie  manchmal 
die  unsern  zwangen,  sich  in  ihre  Reihen  zurückzuziehen. 
Von  weitem  schrien  sie  uns  zu,  daß  sie  keinen  Pardon 
geben  würden  und  daß  die  Ebene  von  Medellin  das 
Grab  der  Franzosen  sein  sollte. 

Als  die  feindliche  Kavallerie  in  Flintenschuß  weite  von 
uns  entfernt  war,  zogen  sich  die  Schützen  beider  Teile 
zurück,  und  man  sah  in  dem  Zwischenräume,  der  uns  von 
den  Spaniern  trennte,  nichts  als  die  Pferde  der  Toten  — 
143 

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von  Freunden  wie  Feinden  —  die,  meist  verwundet,  nach 
allen  Richtungen  liefen. 

Die  Spanier  hatten  unserer  einzigen  Schwadron  sechs 
Eliteschwadronen  tuli^ensj^rlikkt,  die  in  gedrängten  Ko- 
lonnen marschierten;  an  ihrer  Spitze  befanden  sich  Lan- 
ders. Plötzlich  setzte  sich  diese  ganze  Masse  in  Trab,  um 
uns  anzugreifen,  während  wir  zurückgingen.  Da  ließ  der 
unsere  Schwadron  kommandierende  Ri.tmeister  seine  vier 
aus  1 2(1  Husaren  bestehenden  Züge  eine  halbe  Rechts- 
wendung im  Schritt  raachen.  Als  diese  ausgeführt  war, 
richtete  er  ebenso  ruhig,  als  befänden  wir  uns  auf  dem 
Exerzierplätze,  die  Linie.  Die  spanischen  Reiter  wurden 
von  einer  solchen  Kaltblütigkeit  in  Erstaunen  gesetzt,  daß 
sie  unwillkürlich  ihrem  Trab  Einhalt  taten.  Diesen  Augen- 
blick der  Zögerum;  benutzte  der  Kommandant  und  ließ 
sofort  zum  Angriff  blasen. 

Unsere  Husaren,  die  inmitten  all  der  Drohungen  und 
Flüche  der  Feinde  eine  feste  Schweigsamkeit  bewahrt  hat- 
ten, übertönten  jetzt  mit  einem  einzigen  weithinschallenden 
KriegsruF  die  schrillen  Trompetenstöße.  Von  Schrecken 
erfaßt  machten  die  spanischen  Lanciers  Ha:t,  drehten  sporn- 
streichs um  und  rannten  so  die  Schwadronen  ihrer  armen 
Kavallerie  über  den  Haufen.  Der  Schrecken  hatte  sie 
vollkommen  gepackt,  und  sie  wagten  sich  einander  kaum 
anzuschauen,  weil  jeder  in  dem  andern  einen  Feind  ver- 
mutete. Unsere  Husaren  jagten  ihnen  nach  und  säbelten 
sie  ohne  Widerstand  nieder.  So  verfolgten  wir  sie  bis 
zur  Nachhut  ihrer  Armee.  Als  die  Trompeten  zum  Sam- 
meln bliesen,  verließen  wir  den  Feind,  um  von  neuem 
unsere  Schwadron  in  Schlachtlinie  zu  stellen.  Kurze  Zeit 
nach  unserm  Angriff  war  die  [fan;t  spanische  Kavallerie 
von  der  Rechten  und  Linken  versehwunden. 

Die  Dragoner  hatten  sich  um  ihre  Elitekompagnien 
zusammengezogen  und  benutzten  nun  die  U nen! schlössen- 
heil,  die  sie  bei  der  spanischen  Infanterie  bemerkten,  die 
ihre  Kavallerie  fliehen  sah,  zu  einem  glück'i:hen  und  glän- 
zenden Angriff  auf  das  Zentrum  der  Spanier.  2  Regimenter 
144 

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der  Division  Villate  griffen  gleichzeitig  mit  Erfolg  die 
Rechte  der  feindlichen  Infanterie  bei  den  Höhen  von  Min- 
gabril  an.  im  Handumdrehen  war  die  Armee  vor  uns 
wie  vom  Winde  getriebene  Wolken  verschwunden.  Alle 
Spanier  flohen  und  warfen  ihre  Waffen  weg,  und  die 
Kanonade  brach  ab.  Unser  ganzes  Kavallerickurps  machte 
sich  nun  an  die  Verfolgung  des  Feindes.  Die  Infanterie 
folgte  uns  in  einiger  Entfernung,  alle  verwundeten  Feinde 
mit  dem  Bajonette  niederstechend.  Die  Wut  der  Soldaten 
richtete  sich  besonders  gegen  diejenigen  Spanier,  die  keine 
Uniform  trugen. 

Husaren  und  Dragoner  kamen  bald  mit  ungeheuren 
Kolonnen  von  Spaniern  zurück,  die  sie  der  Infanterie  über- 
gaben, um  sie  nach  Medellin  zu  bringen.  Diese  selben 
Männer,  die  uns  so  sicher  vor  der  Schlacht  den  Tod  ver- 
sprachen, marschierten  jetzt  mit  gesenktem  Kopfe,  nieder- 
geschlagen an  der  Seite  unserer  Truppen.  Bei  der  gering- 
sten drohenden  Bewegung  unserer  Soldaten  drängten  sie 
sich  alle  auf  einmal  nach  der  Mitte  ihrer  Kolonnen,  wie 
die  Schafe,  wenn  sie  die  Stimme  eines  sie  verfolgenden 
Hundes  hören.  Jedesmal,  wenn  sie  einem  Korps  franzö- 
sischer Truppen  begegneten,  riefen  sie  mit  Anstrengung: 
„Vive  Napoleon  et  ses  troupes  invindbles !" 

Ein  Oberst,  der  ein  Höfling  und  Adjutant  des  Königs 
Josephs  war,  sah  die  Gefangenen  vor  der  Front  der  Re- 
gimenter defilieren  und  befahl  ihnen  auf  spanisch  „Vive 
le  roi  Joseph!"  zu  schreien.  Zuerst  sah  es  aus,  als  ver- 
stünden es  die  Gefangenen  nicht,  dann  nach  kurzem 
Schweigen,  brachen  alle  in  den  gewohnten  Ruf  aus:  „Vive 
Napoleon  et  ses  troupes  invincibles!"  Da  wandte  sich 
der  Oberst  an  einen  einzigen  und  wiederholte  ihm  drohend 
den  Befehl,  den  er  gegeben.  Der  Gefangene  rief:  „Vive 
le  roi  Joseph!"  Im  selben  Augenblick  trat  ein  spanischer 
Offizier  hervor,  der  dem  Branche  gemäß  nicht  entwaffnet 
worden  war,  näherte  sich  dem  Soldaten  und  durchbohrte 
ihn  mit  seinem  Degen.  Unsere  Feinde  wollten  wohl  die 
Macht  unserer  siegreichen  Waffen  anerkennen,  aber  nicht, 

10     B-MT:  Spin.  Freihtilstampf.  145 

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selbst  nicht  in  ihrer  Niederlage,  die  Autorität  eines  Ge- 
bieters, den  sie  sich  nicht  erwählt  hatten. 

Ich  kehrte  ein  wenig  vor  Mitternacht  nach  Medellin 
zurück.  Die  Franzosen  hatten  ungefähr  4000  kampfun- 
fähige Leute,  während  die  Spanier  12000  Tote  und  IQ 
Kanonen  auf  dem  Schlachtfelde  ließen.  Wir  machten 
7 — 8000  Gefangene,  aber  von  diesen  kamen  kaum  2000 
in  Madrid  an,  denn  in  ihrem  eigenen  Lande  ward  es 
ihnen  leicht,  zu  entfliehen.'*)  Um  die  Aufmerksamkeit 
der  französischen  Eskorten  abzulenken,  kamen  die  Be- 
wohner der  Städte  und  Dörfer  ihnen  in  großen  Mengen 
entgegen,  und  trugen  Sorge  ihre  Häuser  offen  zu  lassen. 
Die  Gefangenen  mischten  sich  dann  unter  die  Menge  oder 
warfen  sich  in  die  Häuser,  deren  Türen  sich  schnell  hinter 
ihnen  schlössen. 

Vierzehn  Tage  nach  der  Schlacht  bei  Medellin  hatte 
sich  die  spanische  Armee  von  ihren  Verlusten  wieder  er- 
holt und  hielt,  fast  30000  Mann  stark,  die  Pässe  der  Ge- 
birge vor  uns  besetzt.  Der  Oeneral  Sebastiani  rückte  in 
La  Mancha  jenseits  von  Santa-Cruz  de  la  Mudela  nicht 
vor,  und  unser  Armeekorps  blieb  zwischen  dem  Tajo  und 
dem  Ouadiana  in  Kanton ierung.  Wir  konnten  uns  nicht 
zu  weit  vom  Flusse  fortwagen,  ohne  uns  der  Oefahr  auszu- 
setzen, hinter  uns  die  spanischen  Truppen  sieh  von  neuem 
sammeln  zu  sehen,  die  uns  die  einzige  Verbindung,  die 
wir  mit  Madrid  durch  die  Brücke  von  Almaraz  noch  be- 
saßen, abschneiden  konnten.  Übrigens  hatten  wir  lange 
Zeit  keine  Nachricht  von  Soults  Korps,  das  nach  Portugal 
zurückgekehrt  sein  mußte  und  mit  dem  wir  uns  durch 
unsere  Rechte  vereinigen  sollten. 

Seit  dem  Feldzuge  in  Österreich  und  der  Abreise  des 
Kaisers  Napoleon  erhielten  die  französischen  Heere  in 

«)  Rocca  ist  hier  nicht  ganz  exakt:  Victor  besaB  ein  Korps 
von  beinahe  23000  Mann,  eine  Zahl,  die  diejenige  der  Spanier 
weit  überstieg.  Das  ganz  natürliche  Resultat  blieb  nicht  aus; 
7000  Spanier  blieben  auf  dem  Sehlachtfeld  und  2000  wurden  gc- 
fanefn  genommen. 
146 

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Spanien  keine  Verstärkungen  mehr,  um  ihre  täglichen 
Verluste  wieder  auszumerzen.  Anstatt  sich  zu  konzen- 
trieren, hatten  sie  sich  immer  mehr  auf  der  Halbinsel  aus- 
gebreitet Auf  allen  Punkten  schwach,  weil  sie  sich  zu 
sehr  verteilt  hatten,  erschöpften  sie  sich  durch  ihre  eigenen 
Siege,  im  Süden  und  im  Norden  Spaniens  verloren  sie  bei 
den  aufständischen  Bauern  jenen  Ruf  der  Unbesiegbarkeit, 
der  mächtiger  war  als  alle  wirkliche  Stärke,  der  sich  so 
viele  Völker  unterworfen  hatten. 

König  Joseph  kommandierte  seit  der  Abreise  des 
Kaisers  als  Oberbeichtshaber.  Er  glaubte,  er  könne  in 
Spanien  wie  in  Neapel  die  Völker,  welche  die  Gewalt  un- 
serer Waffen  unterdrückte,  durch  die  seinem  Charakter 
eigene  Sanftmut  an  seinen  Thron  fesseln,  und  hatte  die 
Armeen  allerorten  vorrücken  lassen,  einzig  und  allein  in 
der  Absicht,  neue  Provinzen  einzurichten  und  über  ein  aus- 
gedehnteres Land  zu  regieren.  Auf  diese  Weise  stellte  er 
die  militärische  Sicherheit  der  Armeen  von  Galicien  und 
Portugal  bloß,  von  denen  man  volle  5  Monate  keine  Nach- 
richt erhielt 

Im  April  verließ  unser  Armeekorps  (Victor)  zeitweise 
seine  Quartiere  am  Guadiana  zwischen  Merida  und  Me- 
dellin  und  näherte  sich  dem  Tajo  bei  Alcantara,  um  sich 
mit  der  Division  Lapisse'5)  zu  vereinigen.  Diese  hatte  un- 
nützerweise die  Festung  Ciudad  Rodriga  zur  Obergabe 
aufgefordert.  Eine  Division  von  Viciors  Korps  begab  sich 
nach  Alcantara  und  überschritt  am  14.  Mai  den  Fluß  nach 
einem  unbedeutenden  Gefecht  mit  der  portugiesischen  Mi- 
liz. Sie  machten  am  folgenden  Tage  eine  Rekognoszierung 
in  der  Richtung  von  Castello  Branco.  Da  sie  aber  erfuhren, 
daß  8000  Engländer  und  Portugiesen  Abrantes  besetzt 
hielten,  vermuteten  sie,  daß  die  Expedition  des  Marschalls 


")  Divisionsgenera]  Lapisse  zeichnete  sich  besonders  bei 
Madrid  und  in  der  Schlacht  bei  Talavera  de  la  Reina  am  27.  und 
2B,  Juli  1809  aus,  wo  er  an  der  Spitze  seiner  angreifenden  Division 
tödlich  getroffen  wurde. 

10*  147 


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Soult  auf  Lissabon  nicht  geglückt  war,  und  kehrten  um. 
Nun  vereinigte  Victor  sein  Korps  in  der  Gegend  von  Tru- 
jillo  zwischen  dem  Ouadiana  und  dem  Tajo,  um  sieh 
seiner  Verbindungen  durch  die  Brücke  von  Almaraz  zu 
sichern,  Madrid  zu  decken  und  die  Armee  Cuestas  zu 
beobachten.  Das  vierte  Armeekorps,  das  der  General  Se- 
bastiani  befehligte,  blieb  seit  der  Affäre  von  Ciudad  Real 
in  La  Mancha. 

Am  20.  Mai  erhielten  die  Offiziere  und  Unteroffiziere 
aller  vierten  Schwadronen  der  ganzen  Kavallerie  vom 
Kriegst  in  ister  den  Befehl,  iii  die  Depots  ihrer  Regimenter 
zurückzukehren,  um  neue  Schwadronen  zu  formieren.  Ich 
verließ  infolgedessen  Spanien  und  ward  bei  meiner  An- 
kunft in  Frankreich  gegen  die  Englander  an  die  flandrische 
Küste  geschickt. 


148 


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2.  Kapitel 


Verfolgung  des  spanischen  Parteiführers  Marquis 
von  Portiere.    Kämpfe  in  Andalusien.  Rückkehr 
nach  Frankreich 

Gegen  Ende  des  Jahres  1803  kehrte  ich  nach  Spa- 
nien zurück,  meinem  Regiment  ein  Detachement  von  80 
Husaren  zuführend.  Es  bildete  einen  Teil  des  aus  5000 
Mann  bestehenden  Korps,  welches  der  General  Loison 
befehligte. 

Am  16.  Dezember  setzten  sich  die  Generale  Loison 
und  Solignac")  von  Vitoria  und  Miranda  aus  in  Marsch 
und  begaben  sich  gleichzeitig  auf  das  andere  Ufer  des 
Ebro  nach  Logrono,  um  dort  den  Marquis  Porliere26)  zu 
überraschen.  Zahlreiche  Quadrillen  dieses  Parteiführers 
schnitten  uns  auf  dem  Wege  von  Bayonne  nach  Madrid 
die  Verbindungen  ab,  indem  sie  täglich  Streifzüge,  Ott  bis 
an  die  Tore  der  Städte  Burgos,  Bribiesca,  Pancorvo,  Mi- 
randa und  Vitoria,  machten. 

Die  Infanteristen  hatten  ihre  Bagage  zurückgelassen, 
ja  sogar  ihre  Tornister,  um  in  den  Bergen  gewandter 
marschieren  zu  können. 


")  Louis  Henri  Graf  von  Loison,  1771—1816,  und  Barun 
Jean  Baptiste  Solignac,  1773— IBM,  nahmen  beide  als  Divisions- 
gcnerale  an  mehreren  Schlachten  in  den  spanischen  Feldzügen  teil. 

'6)  Juan  Diaz  Porliere,  genannt  cl  Marqucsilo,  1775  bis 
1815,  war  zuerst  Anführer  der  Guerillas  und  dann  Oberbefehls- 
haber der  Asturier,  ein  Amf,  das  er  bis  zur  Wiedereinsetzung 
Ferdinands  VII.  auf  den  Thron  Spaniens  bekleidete. 

140 

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Am  17.  gegen  4  Uhr  nachmittags  war  Logrono  in 
Sicht  Die  Truppen  des  Generals  Solignac  stellten  sich 
gleichzeitig  mit  den  unsrigen  vor  der  Stadt  auf.  Sie  be- 
setzten sogleich  die  Tore  und  Eingänge,  die  sich  auf  dem 
rechten  Uler  des  Ebro  befinden,  während  wir  uns  der 
Brücken  bemächtigten.  Einen  Augenblick  schmeichelten 
wir  uns,  die  Parteigänger  in  Logrono  eingeschlossen  zu 
haben.  Aber  bald  darauf  drangen  wir  in  die  Stadt  ein, 
ohne,  zu  unserer  großen  Verwunderung,  einen  einzigen 
Schuß  tun  zu  müssen. 

Der  Marquis  von  Portiere  war  am  Morgen  von  unserm 
Marsch  in  Kenntnis  gesetzt  worden  und  hatte  sich  über  die 
geschlängelten  Wege  in  den  Hochgebirgen  von  Castilien 
gerettet.  Die  Bewohner  der  Stadt,  Männer  wie  Frauen, 
standen  an  den  Fenstern,  um  uns  ankommen  zu  sehen ; 
ein  Ausdruck  allgemeiner  Zufriedenheit  und  Genugtuung 
war  auf  ihren  Gesichtern  zu  lesen.  Sie  freuten  sich,  daß 
uns  der  Marquis  von  Portiere  entwischt  war,  aber  sicher 
nicht  darüber,  daß  sie  französische  Truppen  wiedersahen ; 
denn  sie  wußten  aus  Erfahrung,  daß  wir  kamen,  um  die 
rückständigen  Kontributionen  einzutreiben. 

Wir  waren  gezwungen,  2  volle  Tage  in  Logrono  zu 
bleiben,  um  uns  über  den  Feind  zu  informieren,  dessen 
Spur  wir  vollkommen  verloren  hatten.  Endlich,  am  21., 
erfuhren  wir,  daß  der  Marquis  von  Portiere  den  Weg  nach 
Soto  eingeschlagen  habe.  Die  in  den  Bergen  gelegene 
Stadt  war  der  Sitz  einer  provinzialen  Junta  und  schloß 
Waffen-,  Munitions-  und  Kleidermagazine  in  sich.  Von 
neuem  machten  wir  uns  auf  die  Verfolgung  der  Partei- 
gänger, indem  wir  die  Najerilla  aufwärts  marschierten.  Die 
Division  des  Generals  Loison  verbrachte  einige  Stunden  der 
Nacht  in  einem  Dorfe  am  Fuße  des  Gebirges,  io  Meilen 
südlich  von  Soto.  Ein  detachiertes  Korps,  bestehend  aus 
meiner  Husarenabtcilimg,  150  polnischen  Landers  und  200 
Voltigeuren,  setzte  die  Verfolgung  des  Feindes  fort,  ich 
klärte  mit  einer  Vorhut  von  25  Husaren  diesen  Marsch  auf. 

Wir  marschierten  durch  enge,  schwierige,  schneebe- 

150 

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deckte  Wege  und  stießen  mit  Sonnenaufgang  auf  die  feind- 
liche Nachhut,  von  der  wir  einige  Oefangene  machten. 
Darauf  hielten  wir  mehrere  Stunden  Rast,  um  unsere 
Pferde  zu  füttern  und  dem  General  Loison  Zeit  zu  lassen, 
uns  zu  folgen.  Zu  Mittag  machten  wir  uns  wieder  auf 
den  Weg  am  linken  Ufer  eines  kleinen  Flusses  entlang, 
der  gegen  Soto  hin  fließt 

Als  wir  eine  Viertelmeile  von  der  Stadt  entfernt  waren, 
empfing  uns  plötzlich  eine  Salve  von  30—40  Flinten- 
schüssen, und  wir  sahen  bewaffnete  Bauern  hinter  den 
Felsen  hervortreten,  hinter  denen  sie  sich  verschanzt  hat- 
ten. Sie  rannten  mit  aller  Kraft  von  den  Bergen  herab  nach 
Soto.  Wir  machten  Halt,  um  die  Infanterie  und  den  Major 
zu  erwarten,  der  uns  kommandierte.  Da  wir  keinen  Platz 
finden  konnten,  um  uns  auf  den  Höhen  in  Schlachtord- 
nung aufzustellen,  blieben  wir  im  Gänsemarsch  auf  dem 
engen  Wege,  den  wir  gekommen  waren. 

Soto  liegt  am  Ende  eines  engen  Tales,  das  ein  Ge- 
birgsfluß  durchfließt.  Auf  der  andern  Seite  der  Stadt  er- 
hebt sich  ein  steiler  Berg,  an  dessen  Flanke  man  einen  ge- 
krümmten Weg  konstruiert  hatte.  Auf  diesem  Wege  sahen 
wir  die  Parteigänger  vor  uns  ihren  Rückzug  bewerk- 
stelligen. Die  Beamten  der  Junta  von  Soto  und  eine 
große  Anzahl  Geistliche,  in  schwarze  Mäntel  gehüllt,  schrit- 
ten voran  und  erreichten  bald  den  Gipfel  des  Berges. 
Ihnen  folgten  der  Schatz  und  das  Gepäck,  das  auf  Maul- 
tiere geladen  war,  die  im  Gänsemarsch  hinterein  ander- 
gingen. Darauf  kamen  Soldaten  in  Uniform  und  eine  große 
Menge  mit  Jagdflinten  bewaffneter  Bauern,  die  ohne  jeg- 
liche Ordnung  marschierten.  Eine  Masse  Einwohner  jeden 
Geschlechts  und  Alters  beeilte  sich,  kunterbunt  mit  den 
Parteigängern,  aus  der  Stadt  zu  kommen.  Die  Bewegung 
dieser  großen  Menge  Menschen,  die  sich  gegenseitig  dräng- 
ten, um  die  Höhen  zu  erklimmen,  bot  dem  Auge  ein  sehr 
malerisches  Bild. 

Sobald  die  Spanier  uns  gewahr  wurden,  kam  Unord- 
nung in  ihren  Zug,  und  sie  beschleunigten  zuerst  ihren 
151 

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Marsch.  Da  sie  aiwr  später  saiiui,  daß  wir  mir  eine  wenig 
zahlreiche  Vorhut  bildeten,  beruhigten  sie  sich,  und  das 
ganze  Gebirge  hallte  von  ihren  langgezogenen  hohlen 
Schreien  wider.  Die  uns  zunächst  Befindlichen  hielten  in 
ihrem  Marsch  inne  und  stellten  sieh  auf  die  Felsen,  von 
wo  aus  sie  auf  ur.s  ziehen  und  uns.  ?unrlen:  „Kommt 
doch,  wenn  ihr  es  wagt,  die  Bnganlen  in  der  Nahe  711  he- 
sehen!*'  Sr>  nannten  nainhch  unsere  Soldaten  sie,  wegvn 
ihrer  regellosen  Arl  /u  kämpfen. 

Der  Major  vom  2ti  I  icienre)-imcnt,  der  u:is  befehligte, 
hielt  die  Steihini!  des  Feindes  in  der  fvonl  für  unangrnf- 
bar  und  beschloß,  sie  7U  umgeht-:!.  15(1  unserer  Voltigeure 
stiegen  in  den  Unlilwr^  hinab,  durch  wateten  den  Kluß 
vor  unsern  Augen,  erklimmen  mit  nmßer  .Miihe  den  Kegen- 
uherliegendcn  Berg  und  schössen  eii'i,;e  7eit  auf  den  f'eind, 
ohne  ji'diiili  Hoden  zu  gewinnen.  Da  ihre  Munition  bald 
zur  Neige  ging,  zogen  sie  sich  hinter  eine  kleine  Kapelle 
auf  dem  Gipfel  zurück  und  schickten  zwei  Leute  zu  uns, 
um  uns  von  ihrer  I.atrt  zu  unterrichten.  Das  Geschrei  und 
die  Flintenschüsse  der  Spanier  vermehrten  sich,  denn  sie 
hatten  gesehen,  daß  unsere  Voltigeure  uns  um  Unter- 
stützung gebeten  hatten,  wir  sie  ihnen  aber  nicht  schicken 

kiiriitci. 

Der  Iii  Uni  eiste  r  de:  feindlichen  Kavallerie  rückte  auf 
halbe  Hnte:isi  huHweitc  mr  <lie  Truppe,  die  er  am  Ein- 
gänge der  Stadt  befehligte  und  schickte  sich  an.  den  kom- 
mandierenden Offizier  der  fra-ii  .isischen  Husarenvorhut 
durch  Beschimpfungen  herauszufordern.  Er  ließ  sein  Pferd 
tanzen  und  hieb  uut  seiutin  Saliel  uin  sich,  wie  um  >.u 
/eigen,  daß  er  ihn  zu  handhaben  verstünde.  Zuerst  be- 
trachtete der  rlusamiotfi/lur  ihn  zk-nuch  kalt,  dann  aber, 
durch  seine  Prahlereien  und  durch  das  Geschrei  der  Spa- 
nier, deren  Kühnheit  immer  größer  wurde,  ungeduldig 
gemacht,  ritt  er  allein  den  engen,  steilen  Weg  hinab,  der 
nach  Soto  führt.  Der  feindliche  Rittmeister  machte  schleu- 
nigst kehrt,  als  der  Offizier  einige  Sehritte  vor  ihm  an- 
kam, und  dieser  kehrte  zu  seinen  Reitern  zurück. 
152 

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Indes  wurde  der  Major  des  26.  Regiments  von  Minute 
zu  Minute  unruhiger;  der  General  Loison  kam  nicht,  der 
Tag  neigte  sich  zu  Ende,  und  wir  hörten  keine  Schüsse 
mehr  vom  Gipfel  des  gegenüberliegenden  Berges,  erhielten 
auch  keine  Nachricht  von  unsern  Volügeuren. 

Als  die  Nacht  hereinbrach,  hörten  wir  den  Tambour 
der  Spanier  zum  Sammeln  blasen  und  sahen  darauf  das 
Feuer  eines  sehr  lebhaften  Gefechts,  das  sich  am  Ende  des 
Tales  zwischen  zwei  T nippe nabt eilungen  abspielte,  die 
sich  den  Übergang  über  den  Fluß  streitig  machten.  Darauf 
folgte  tiefe  Stille. 

Die  Nacht  und  die  Entfernung  vermehrten  noch  unsere 
Besorgnis.  Wir  glaubten,  unsere  Voltigeure  seien  vom 
Gipfel  heruntergestiegen,  um  sich  mitten  durch  die  Feinde 
hindurch  einen  Weg  zu  bahnen,  und  fürchteten,  daß  sie, 
von  der  liberzahl  erdrückt,  sich  in  der  grüHlen  Gefahr  be- 
fanden. Der  Major  scbiikte  ihnen  daher  mrin  Detaihement 
zu  Hilfe.  Als  wir  in  die  Stadt  eindrangen,  stießen  wir 
anstatt  auf  Heinde  auf  die  Division  des  Generals  Loison, 
Lr  hatte,  durch  die  Fuhrer  irregeleitet,  einen  sehr  langen 
und  ganz  andern  Weg  eingeschlagen,  als  wir.  Das  Gefecht 
das  uns  von  weitem  si>  mörderisch  erschienen  war,  harte 
/wischen  unsern  Vultigeurcn,  die  tatsächlich  nach  dem 
Aufbruch  des  Feindes  in  die  Stadt  hinabgegangen  waren, 
und  den  Grenadieren  der  Vorhut  Loisons  staltgefunden; 
glücklicherweise  erkannten  sie  sich  schon  nach  der  zweiten 
Ladung.  Die  Nacht  verhinderte  sie,  ihre  Schüsse  genau 
zu  richten,  und  so  verlor  jede  Abteilung  nur  einen  einzigen 
Mann. 

Soto  war  von  seinen  Einwohnern  verlassen.  Bald 
hallte  die  Luft  von  dem  dumpfen  Geschrei  der  Soldaten 
wider,  welche  die  engen  Straßen  durcheilten  und  die 
Türen  der  Häuser  einschlugen,  um  sich  Lebensmittel  und 
ein  Obdach  zu  verschaffen.  Plötzlich  brach  auf  der  Höhe 
Feuer  aus:  wir  hörten  die  Mauern  mit  Getöse  zusammen- 
stürzen. Kurze  Zeit  darauf  fand  eine  Explosion  statt, 
und  man  sah  die  brennenden  Trümmer  eines  Gebäudes 
153 

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in  die  Luft  fliegen.  Das  Feuer  hafte  mehrere  Kisten  mit 
Kartuschen  erfaßt,  welche  die  Feinde  unter  Stroh  versteckt 
hatten,  da  sie  sie  nicht  mitnehmen  konnten. 

Bei  Sonnen  au  [gang  verließen  wir  Soto  und  verfolgten 
noch  zwei  Tage  lang  die  Spur  der  Parteigänger  über  Man- 
silla  und  Cervera.  Als  wir  indes  keine  Hoffnung  mehr 
hatten,  sie  zu  erreichen,  nahmen  wir  im  Flecken  Arnedo 
Quartiere  und  kehrten  dann  nach  Logrono  zurück. 

Fast  einen  ganzen  Monat  blieben  wir  in  der  Provinz 
La  Rioca,  währenddem  der  General  Loison  die  rückstän- 
digen Kontributionen  eintrieb.  Dann  machten  wir  uns 
aufs  neue  auf  der  Straße  von  Burgos  auf  den  Weg,  um 
zu  unserm  Regiment  in  Andalusien  zu  stoßen. 

Die  Andalusitr  und  Spanier  sind  im  allgemeinen,  wie 
die  Orientalen,  sehr  mäßig  inmitten  des  Überflusses;  und 
zwar  sind  sie  es  aus  religiösem  Prinzip.  Sie  betrachten 
die  Unmäßigkeit  als  einen  Mißbrauch  der  von  Gott  be- 
willigten Gaben  und  verachten  diejenigen  tief,  die  sich 
ihr  hingeben. 

In  ihrer  Art,  Krieg  zu  führen,  findet  man  noch  heute 
eine  so  treffende  Ähnlichkeit  mit  den  Völkern  an  den 
Ufern  des  Nils,  daß,  wenn  man  in  einer  Geschichte  des 
Feldzugs  von  Ägypten  den  arabischen  Namen  spanische 
unterschöbe,  man  den  Bericht  der  in  Spanien  vorgefalle- 
nen Ereignisse  zu  lesen  glauben  würde. 

L>ie  nationalen  und  lokalen  Truppen  oder  die  Massen- 
crhebu:igcn  in  Spanien  kämpfen  ohne  Regel,  indem  sie 
wilde  Schreie  ausstoßen.  Sie  besitzen  heim  Angriff  aul 
freiem  Frldi-  jrnrs  l  ngfstum,  jene  ir.it  Ve'/weillung  und 
Fanatismus  gemischte  Wut,  welche  die  Araber  auszeichnet. 
Sehr  oft  verzweifeln  sie  auch  wie  diese  zu  früh  an  ihrem 
Gelingen  und  überlassen  das  Schlachtfeld  dem  Feind  ge- 
rade in  dem  Augenblick,  wo  ihnen  der  Sieg  sicher  ist 
Wenn  sie  aber  hinter  Mauern  und  Verschanzungen  kämp- 
fen, dann  ist  ihre  Entschlossenheit  unerschütterlich.  In 
Spanien  wie  in  Ägypten  konnten  unsere  Soldaten  keinen 
Schritt  hinter  ihren  Kolonnen  zurückbleiben,  ohne  ao 
154 


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gleich  ermordet  zu  werden.  Endlich  hegten  die  Spanier 
des  Südens  denselben  tiefen  Haß  und  besaßen  auch  die 
bewegliche  Phantasie  der  Orientalen.  Wie  sie,  waren  sie 
manchmal  durch  das  geringste  Gerücht  einer  Niederlage 
entmutigt  und  bei  der  leisesten  Hoffnung  auf  Erfolg  auf- 
ständisch. Die  Spanier  wie  die  Araber  ließen  sich  oft  gegen 
ihre  Gefangenen  zu  den  scheußlichsten  Greueltaten  hin- 
reißen, manchmal  aber  übten  sie  auch  die  edelste  und 
großmütigste  Gastfreundschaft  gegen  sie. 

Nachdem  wir  Andujar,  Cordoba,  Ecija  und  Carmona 
durchquert  hatten,  kamen  wir  in  Sevilla  an,  wo  wir  vom 
Marschall  Soult  den  Befehl  erhielten,  zu  unseren  Regiment 
in  Ronda  zu  stoßen,  einer  10  Meilen  von  Gibraltar  gele- 
genen Stadt  Wir  waren  ganz  erstaunt  über  die  tiefe  Ruhe, 
die  in  den  Ebenen  von  Andalusien  herrschte;  die  meisten 
der  großen  Städte  hatten  an  den  König  Joseph  Deputa- 
tionen gesandt  Aber  diese  Ruhe  war  nur  scheinbar  und 
nur  in  den  Gegenden  vorhanden,  wo  die  Franzosen  zahl- 
reiche Truppen  harten.  Die  Bewohner  der  Provinzen  Mur- 
cia, Granada,  Ronda  sowie  der  Gebirge,  die  Andalusien 
umgeben,  durchschneiden  oder  es  von  Esfremadura  und 
Portugal  trennen,  hatten  alle  gleichzeitig  die  Waffen  er- 

Wir  verließen  Sevilla  am  18.  März,  um  in  Utrera  zu 
übernachten,  und  am  19.  begaben  wir  uns  nach  Morön, 
einem  am  Fuße  des  Gebirges  von  Ronda  gelegenen 
Flecken.  Die  Bewohner  Moröns  waren  eben  im  Begriff, 
sich  am  nächsten  Tag  mit  ihren  Nachbarn,  den  Berg- 
völkern zu  vereinigen,  die  sich  seit  langem  schon  in  Massen 
erhoben  hatten.  Der  größte  Teil  der  Bevölkerung  ver- 
sammelte sich  bei  unserer  Ankunft  auf  dem  großen  Platze 
der  Stadt  Die  Männer  sahen  uns  mit  einem  Ausdruck 
von  verhaltener  Wut  an  und  schienen  mit  ihren  Augen 
unsere  kleinsten  Bewegungen  zu  verfolgen,  nicht  etwa 
um  eine  harmlose  Neugier  zu  befriedigen,  sondern  um 
sich  an  den  Anblick  von  Feinden  zu  gewöhnen,  die  sie 
in  kurzem  zu  schlagen  hofften,  und  sich  auf  diese  Weise 
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von  jener  Furcht  vor  dem  Unbekannten  zu  befreien,  welche 
so  großen  Einfluß  auf  Völker  hat,  die  eine  starke  Hin- 
bildungskraft besitzen.  Mehrere  Frauen  trugen  Kleider 
aus  englischem  Stoff,  auf  dem  die  Bildnisse  des  Königs 
Ferdinand  VII.  und  der  spanischen  Generale  gemalt  waren, 
die  sich  im  Kriege  gegen  die  Franzosen  hervorgetan  hatten. 
Als  wir  die  Entschlossenheit  und  den  aufrührerischen  Oeist 
sahen,  der  in  dem  Flecken  herrschte,  faßten  wir  den  Ent- 
schluß, uns  alle  zusammen  in  drei  benachbarten  Gasthöfen 
einzuquartieren.  Denn  wenn  wir  uns  zerstreut  hätten,  um 
die  Nacht  in  den  Häusern  der  Einwohner  zu  verbringen, 
wie  wir  das  in  den  Ebenen  ruhig  tun  konnten,  so  wären 
wir  wahrscheinlich  alle  ermordet  worden  .  ■  ■ 

Nachdem  wir  Morön  verlassen  hatten,  gingen  wir 
ins  Gebirge  von  Ronda,  um  in  Olvera  zu  übernachten. 
Wie  an  den  andern  Tagen  war  ich  meinem  Detachement 
vorausgeritten,  um  Quartiere  zu  machen.  Ein  Husar  und 
ein  junger  Brigadier,  den  ich  provisorisch  unter  den  Re- 
kruk:it  ausgewählt  hatte,  damit  er  mir  als  Quartiermacher 
diene,  begleiteten  mich.  Da  uns  die  Vorhut  bald  eingeholt 
hatte,  fürchtete  ich,  nicht  genügend  Zeit  zu  haben,  um 
die  Quartiere  und  Lebensmittel  noch  vor  der  Ankunft 
des  Detachements  vorzubereiten.  Wir  konnten  uns  nur 
langsam  vorwärts  bewegen,  weil  der  Weg  felsig  und 
schwierig  war  und  unsere  Pferde  schon  einen  Marsch 
von  mehreren  Monaten  hinter  sich  hatten.  Ich  gab  daher 
mein  Pferd  dem  Husaren  und  bestieg  das  eines  Führers, 
den  wir  aus  Morön  mitgenommen  hatten.  Darauf  ritt  ich 
meinen  Begleitern  voraus  und  gelangte  allein  in  die  Nähe 
von  Olvera.  Ein  tiefes,  kahles  Tal,  in  das  ein  steiler 
Weg  hinabführt,  trennte  mich  von  dem  Flecken,  der  zwi- 
schen Felsen  auf  dem  Gipfel  eines  das  Land  beherrschen- 
den Berges  gelegen  ist  Je  näher  ich  dem  Orte  kam, 
desto  verwunderter  fragten  sich  die  auf  den  umliegenden 
Feldern  zu  8  oder  10  arbeitenden  Bauern,  was  wohl  die 
Ursache  meines  Kommens  sein  möge,  und  bald  darauf 
verließen  sie  ihre  Arbeit,  um  mir  in  dem  engen  Wege  zu 
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folgen.  Die  Bewohner  Olveras  hatten  mich  längst  bemerkt 
und  kamen  in  Menge  auf  die  Felsen,  um  mich  zu  beob- 

Ich  fing  an  zu  fürchten,  daß  sich  keine  Franzosen 
in  dem  Orte  befänden,  wie  ich  zuerst  angenommen  hatte, 
und  machte  am  Ende  des  Tales  Halt,  erstaunt  über  die 
immer  mehr  wachsende  Bewegung,  die  ich  bemerkte. 
Einen  Augenblick  zögerte  ich,  ob  es  nicht  besser  sei,  um- 
zukehren, aber  dann  glaubte  ich,  den  Entschluß  fassen  zu 
müssen,  auf  gut  Glück  weiter  vorzugehen.  Das  Pferd, 
das  ich  bestiegen  hatte,  war  von  dem  eben  gemachten 
Ritt  erschöpft,  und  der  Weg,  den  ich  hätte  zurücklegen 
müssen,  sehr  abschüssig.  Außerdem  kam  dicht  hinter  mir 
ein  Trupp  mit  Hacken  bewaffneter  Feldarbeiter.  Diese 
hatten  mich  bald  eingeholt  und  fragten  mich,  aus  welcher 
Provinz  ich  sei,  wohin  ich  ginge  und  was  für  Nachrichten 
ich  brächte.  Aus  ihren  Fragen  ersah  ich  sogleich,  daß 
sie  mich  für  einen  Soldaten  in  spanischen  Diensten  hiel- 
ten. Meine  dunkelbraune  Uniform  war  die  Ursache  ihres 
Irrtums.  Ich  hütete  mich  wohl,  sie  aus  ihrem  Irrtum  zu 
reißen,  denn  ich  wußte  nicht,  ob  ich  es,  ohne  mein  Leben 
zu  riskieren,  tun  könnte.  Ich  hoffte,  bis  zur  Ankunft  meiner 
Abteilung  Zeit  zu  gewinnen,  und  ließ  die  Bauern  glauben, 
daß  ich  ein  im  Dienste  der  Junta  stehender  schweizerischer 
Offizier  sei  und  nach  Gibraltar  ginge.  Und  um  sie  in  gute 
Laune  zu  versetzen,  fügte  ich  hinzu,  daß  der  Marquis  von 
La  Romana  soeben  einen  großen  Sieg  hei  Badajos  davon- 
getragen habe.  Die  Bauern  nahmen  die  Nachricht  mit 
großer  Gier  auf  und  wiederholten  sie  sich  gegenseitig. 
Dabei  überhäuften  sie  die  Franzosen  mit  tausend  Ver- 
wünschungen, was  mir  eine  traurige  Idee  von  dem  Schick- 
sal gab,  das  mich  erwartete,  wenn  man  mich  entdeckte. 

Nun  fragte  ich  meinerseits  die  mich  Umgebenden, 
ob  diese  verfluchten  Franzosen  nicht  auch  in  ihrem  Orte 
wären,  und  sie  antworteten  mir,  der  König  Joseph  sei  mit 
all  seinen  Garden  von  Gaucin  zurückgeworfen  worden  und 
habe  Ronda  seit  mehreren  Tagen  verlassen,  das  schon 
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von  1U0O0  Bergbewohnern  besetzt  sei.  In  Roiida  aber 
wollten  wir  zu  unserm  Regiment  stoßen!  Wenn  diese 
Stadt  wirklieh  in  die  Hände  der  Feinde  gefallen  war, 
würde  unser  Detachement  in  diesen  Bergen  vollkommen 
vernichtet  werden.  Die  Bauern  machten  vor  einer  Quelle 
Halt,  um  zu  trinken,  und  ich  setzte  meinen  Weg  nach 
dem  Berge  allein  fort. 

Bald  gewahrte  ich  fünf,  wie  Soldaten  bewaffnete  und 
ausgestattete  Männer,  die  sich  beeilten,  mich  auf  einem 
Seitenweg  zu  überholen.  Sie  kamen  vor  mir  in  Olvera 
an.  Da  sich  laute,  wilde  Rufe  hören  ließen,  zweifelte  ich 
nicht,  daS  die  fünf  Männer  die  Nachricht  von  der  nahen 
Ankunft  meiner  Abteilung  verbreitet  und  entdeckt  hatten, 
daß  ich  ein  französischer  Offizier  war.  Noch  einmal  blieb 
ich  unschlüssig  stehen.  Die  Bewohner,  die  mich  vom 
Felsen  aus  beobachteten,  bemerkten  meine  Unent- 
schlossenheit,  und  ihre  Rufe  verdoppelten  sich.  Es  waren 
sehr  viele  Frauen  darunter,  deren  spitze  Stimmen  sich  unter 
die  der  Männer  wie  das  Pfeifen  des  Windes  im  Sturm 
mischten.  Ich  entschloß  mich,  vorwärts  zu  gehen,  denn 
ich  wußte,  daß  ich  verloren  war,  wenn  ich  versucht  haben 
würde,  umzukehren. 

Bald  sah  ich  einen  Corregidor"),  einen  Alcalden  und 
zwei  Geistliche  auf  mich  zukommen.  Ihnen  gingen  fünf 
oder  sechs  Personen  voran,  an  deren  Spitze  ein  junger 
Mann  marschierte,  der  wie  ich  später  erfuhr,  der  „Qra- 
cioso"30)  des  Dorfes  war.  Er  sagte  mit  spöttischer  Miene 
auf  spanisch  zu  mir:  „Die  Frauen  von  Olvera  lieben  wie 
es  scheint  die  Franzosen  sehr;  sie  empfangen  sie  ausge- 
zeichnet." Und  darauf  machte  er  lachend  noch  mehrere 
ähnliche  Scherze.  Einer  seiner  Gefährten  fragte  mich  mit 
lauter  Stimme,  wie  groß  die  Anzahl  der  Franzosen  sei. 


Ein  Corregidor  war  in  Spanien  eine  Art  Landrichter,  d.  h. 
die  vom  König  eingesetzte  erste  obrigkeitliche  Person  in  einer  Stadt. 

M)  „Gracioso"  bedeutet  soviel  wie  Spaßmacher,  besonders 
die  komische  Person  im  spanischen  Lustspiel, 
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die  mir  folgten.  Ich  antwortete,  es  wären  wenigstens  200. 
Aber  sofort  antwortete  er  mir  grob:  „Es  ist  nicht  wahr; 
kaum  hundert  sind  es,  Sie  inbegriffen.  Die  fünf  Männer, 
die  eben  im  Dorfe  angekommen  sind,  haben  sie  auf  dem 
Wege  von  Moron  gesehen."  Nun  war  es  mir  klar,  daß 
sie  wußten,  wer  ich  war.  Da  näherten  sich  mir  der  Corre- 
gidor  und  die  Geistlichen,  und  ich  glaubte,  auf  ihren 
finstern  Gesichtern  die  Absicht  zu  meiner  letzten  Ölung 
zu  lesen.  Inmitten  des  Tumults  unterschied  ich  deutlich  die 
Worte:  „Man  muß  ihn  hängen,  er  ist  ein  Franzose;  es 
ist  der  Teufel  selbst,  es  ist  der  leibhaftige  Satan!" 

Plötzlich  brachen  die  Rufe  zu  meiner  großen  Ver- 
wunderung ab,  und  ich  sah  die  Spanier  sich  zerstreuen. 
Der  Brigadier,  der  Husar  und  der  Führer,  die  ich  zurück- 
gelassen hatte,  waren  auf  der  gegenüberliegenden  Hohe 
erschienen,  und  die  auf  den  Felsen  stehenden  Bewohner 
des  Ortes  hielten  sie  von  weitem  für  die  Vorhut  meines 
Detachements.  Sofort  benachrichtigten  sie  durch  Oesten 
und  Worte  die  mich  umgebende  Menge,  die  furchtsam  aus- 
einanderstob. 

Der  Corregidor  sagte  zu  mir,  wie  um  sich  wegen  des 
Vorgefallenen  zu  entschuldigen,  ich  sollte  den  Rufen  einiger 
Betrunkener,  die  sich  einen  Spaß  daraus  machten,  die 
Bevölkerung  aufzureizen,  keine  Bedeutung  beimessen.  Und 
als  ich  fragte,  was  die  fünf  bewaffneten  Männer  im  Dorfe 
zu  suchen  hätten,  antwortete  mir  einer  der  Geistlichen 
in  süßlichem  Tone  und  mit  leiser  Ironie,  daß  jene  Männer 
Vogeljäger  seien  und  ihre  Tornister  Wild  enthielten.  Ich 
war  gezwungen,  mich  mit  diesen  Entschuldigungen,  so 
schlecht  sie  auch  waren,  zufrieden  zu  geben,  und  stieg 
von  meinem  Pferde,  um  zu  Fuß  mit  den  Geistlichen  und 
dem  Alkalden  nach  dem  Rathause  zu  gehen,  wo  wir  Quar- 
tierscheine ausfertigen  wollten. 

Der  mir  folgende  Brigadier  ließ  den  Husaren  und 
mein  Pferd  am  Eingange  des  Dorfes  zurück  und  kam  bald 
im  Galopp  an  die  Türe  des  Hauses,  in  welchem  ich  mich 
befand,  angesprengt  Kaum  war  er  vom  Pferde  gestiegen, 
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als  die  Spanier  sich  in  die  benachbarten  Straßen  stürzten 
und  wie  Wütende  schrien.  Sie  hatten  eine  zahlreiche 
Truppe  erwartet,  als  sie  aber  nur  einen  einzigen  Mann 
sahen,  erkannten  sie  ihren  Irrtum  und  kamen  zornig  aus 
ihren  Häusern  heraus.  Ihre  Wut  war  so  groB,  daß  sie  sich 
gegenseitig  über  den  Haufen  rannten.  Ich  trat  sogleich 
auf  den  Balkon  heraus,  rief  meinem  Brigadier  zu,  herauf- 
zukommen, was  er  auch  tat,  und  dann  schlössen  wir  uns 
beide  in  den  Ratssaal  ein  und  verbarrikadierten  uns.  Das 
Volk  hielt  sich  ein  wenig  unten  auf,  um  sich  des  Pferdes, 
des  Mantelsacks  und  der  Pistole  des  Brigadiers  zu  be- 
mächtigen, dann  stürmten  die  Anführer  der  Meute  die 
Treppen  herauf  bis  zu  dem  Zimmer,  in  dem  wir  uns 
mit  dem  Corregidor  und  den  beiden  Priestern  be- 
fanden, und  schrien  uns  durch  das  Schlüsselloch  zu, 
uns  zu  ergeben. 

Vorerst  ließ  ich  ihnen  durch  den  Corregidor,  den  ich 
in  meiner  Hand  hatte,  befehlen,  still  zu  sein,  dann  sagte 
ich  ihnen,  daß  unser  Dctach  erneut  bald  da  sein  würde, 
ferner  daß  wir  ihnen  unser  Leben  teuer  verkaufen  würden 
und  daß,  wenn  sie  versuchen  sollten,  einzudringen,  ihr 
Beichtvater  das  erste  Opfer  ihrer  Wut  sein  würde.  Da 
ich  fürchtete,  sie  möchten  die  Türe  eindrücken,  trat  ich 
einige  Schritte  bis  zu  dem  engen  Eingang  des  Nebenzim- 
mers zurück,  immer  den  Pfarrer  am  Arme  festhaltend, 
um  mich  im  gegebenen  Falle  seiner  als  Schild  zu  bedienen. 
Ich  zog  meinen  Säbel,  befahl  dem  Brigadier  dasselbe  zu 
tun  und  im  Hintergrunde  des  Zimmers  zu  bleiben,  um  zu 
verhindern,  daß  der  Vikar  und  der  Corregidor  mich  nicht 
erfassen  konnten.  Bald  verdoppelte  sich  das  wilde  Ge- 
schrei und  die  Einwohner,  die  mit  uns  parlamentiert  hat- 
ten, wurden  durch  andere  zurückgedrängt  Gegen  die 
Tür  dröhnten  dumpfe  Schläge,  und  es  war  vorauszusehen, 
daß  sie  nicht  mehr  lange  der  Wucht  dieser  Masse  Menschen 
widerstehen  konnte.  Ich  sagte  daher  zu  meinem  Geist- 
lichen: „Verzeihen  Sie  mir,  mein  Vater:  Sie  sehen,  daß  es 
mir  unmöglich  ist,  dem  Pobel  zu  widerstehen;  ich  bin  ge- 
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zwungen,  Sie  mein  Los  teilen  zu  lassen,  und  wir  werden 
zusammen  sterben !" 

Von  der  Gefahr,  welcher  der  Pfarrer  und  er  selbst 
ausgesetzt  war,  erschreckt,  trat  der  Vikar  auf  den  Balkon 
heraus  und  schrie  den  Einwohnern  zu,  daß  ihr  Beicht- 
vater unvermeidlich  sein  Leben  einbüßen  werde,  wenn 
sie  sich  nicht  augenblicklich  zurückzögen.  Als  das  die 
Frauen  hörten,  heulten  und  schrien  sie,  und  die  Menge 
zog  sich  sogleich  zurück,  so  groß  und  echt  war  die  Ver- 
ehrung des  Volkes  für  die  Priester. 

Der  Brigadier  und  ich  hielten  noch  eine  Zeitlang  diese 
Art  von  Blockade  aus,  bis  der  Platz  plötzlich  ganz  ruhig 
ward  und  man  nur  das  Getrampel  der  Pferde  meines  Deta- 
chements  vernahm,  das  sich  in  Schlachtlinie  unterhalb  des 
Dorfes  aufstellte.  Nun  begaben  auch  wir  uns,  in  Beglei- 
tung des  Corregklors  und  des  Pfarrers,  die  wir  als  Deckung 
mitnahmen,  zu  unserer  Abteilung.  Ich  erzahlte  meinen 
Kameraden,  was  mir  begegnet  war,  und  riet  ihnen,  noch 
am  selben  Tage  nach  Ronda  zu  gehen,  nachdem  wir 
unsere  Pferde  gefüttert  hätten.  Aber  der  Bataillonsadju- 
tant,  der  uns  befehligte,  wollte  trotz  aller  meiner  Vor- 
stellungen in  Olvera  übernachten  und  sagte  mir  mit  einem 
gewissen  Vorwurf  in  der  Stimme,  daß  man  noch  niemals 
Linientruppen  gesehen  habe,  die  sich  durch  Bauern  in  Ver- 
legenheit bringen  ließen.  Der  Offizier  kannte  eben  die 
Spanier  nicht,  denn  er  war  erst  kürzlich  von  Frankreich 
gekommen. 

Wir  schlugen  unser  Biwak  auf  einer  mit  Mauern  um- 
gebenen Wiese  auf,  die  zu  dem  Gasthof  an  der  Dorfstraße 
gehörte.  Die  Einwohner  verhielten  sich  für  den  Rest 
des  Tages  scheinbar  ruhig  und  lieferten  uns  Lebensmittel. 
Aber  anstatt  eines  jungen  Rindes,  das  ich  verlangt  hatte, 
brachten  sie  uns  einen  in  vier  Teile  gehackten  Esel.  Die 
Husaren  fanden  das  Kalb,  wie  sie  es  nannten,  ein  wenig 
fad  im  Geschmack,  aber  erst  lange  danach  erfuhren  wir 
den  Betrug  durch  die  Bauern  selbst.  Sie  schrien  uns 
nämlich  oft  nach:  „Ihr  habt  einen  Esel  in  Olvera  ge- 
ll    H.M7:  Span.  FrEitieiWninpi.  161 


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gessen!"  Ihrer  Meinung  nach  war  dies  die  gröbste  Be- 
leidigung, die  einem  Christen  menschen  zuteil  werden 
konnte. 

Gegen  Abend  des  nächsten  Tages  nahmen  sie  eine 
immer  drohendere  Haltung  an  und  begaben  sich  in  großer 
Anzahl  auf  die  Felsen.  Bald  bildeten  sie  eine  enge  Hecke 
um  den  Eingang  unseres  Biwaks.  Dort  blieben  sie  un- 
beweglich, die  geringste  unserer  Bewegungen  beob- 
achtend. 

Ein  wenig  vor  Einbruch  der  Nacht  näherte  sich  der 
Pfarrer  unserm  Biwak  und  verlangte,  mich  zu  sprechen. 
Er  teilte  mir  mit,  daß  er  ausgezeichnete  Quartiere  für  un- 
sere Befehlshaber  habe  bereiten  lassen,  und  bestürmte 
mich  sehr,  daß  ich  meine  Kameraden  veranlassen  sollte, 
sie  zu  beziehen.  Seine  Absicht  war,  wie  wir  später  er- 
fuhren, uns  gefangen  zu  nehmen,  in  der  Hoffnung,  daß 
unsere  Soldaten  in  Verwirrung  gerieten,  wenn  sie  sich" 
am  nächsten  Tag  ihrer  Offiziere  beraubt  sähen. 

Ich  wies  dies  Anerbieten  natürlich  zurück.  Darauf 
bat  er  mich,  doch  wenigstens  allein  zu  ihm  zu  kommen, 
er  wolle  mich  gut  behandeln.  Ich  fragte  meine  Kameraden 
um  Rat,  und  wir  kamen  überein,  daß  ich  allein  ins  Dorf 
gehen  solle,  um  den  Einwohnern  zu  zeigen,  daß  wir  keine 
Rachepläne  hätten,  und  ihnen  so  jeden  Gedanken  an  einen 
Überfall  auf  uns  zu  benehmen.  Meine  Kameraden  wurden 
zu  diesem  Vorschlag  wohl  auch  durch  die  Hoffnung  veran- 
laßt, daß  ich  ihnen  ein  gutes  Abendessen  schicken  werde. 
Ich  kehrte  zum  Pfarrer  zurück  und  forderte  sein  geheiligtes 
Ehrenwort,  daß  er  mir  keinen  Schaden  zufügen  wolle. 
Er  gab  es  mir  auf  der  Stelle,  und  um  ihm  mein  vollkomme- 
nes Vertrauen  zu  beweisen,  schnallte  ich  in  seiner  Gegen- 
wart meinen  Säbel  ab,  übergab  ihn  der  Schildwache  und 
folgte  ihm  ohne  Waffen. 

Wir  gingen  zusammen  durch  das  Dorf;  alle  Ein- 
wohner, an  denen  wir  vorüberkamen,  grüßten  ehrerbietig 
meinen  Führer  und  schauten  mich  darauf  mit  drohender 
Miene  an.  Wenn  sie  aber  zu  sehr  in  meine  Nähe  kamen, 
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um  mir  Angst  zu  machen,  wies  sie  der  Geistliche  nur  mit 
einem  einzigen  Bück  zurecht,  so  groß  war  die  Macht,  die 
ihm  das  heilige  Amt,  das  er  bekleidete,  verschärfte. 

Wir  erreichten  bald  sein  Haus,  wo  wir  von  der  Wirt- 
schafterin empfangen  wurden.  Sie  war  ein  großes  Mäd- 
chen von  35  bis  40  Jahren.  Zuerst  setzte  sie  uns  Schoko- 
lade und  Biskuit  vor,  nachher  servierte  sie  die  Abendmahl- 
zeit auf  einem  Tisch  neben  dem  Kamin  in  der  Küche.  Ich 
ließ  meinen  Kameraden  zu  essen  schicken  und  setzte  mich 
zu  Tisch.  Der  Pfarrer  setzte  sich  mir  gegenüber,  die  Wirt- 
schafterin an  seiner  rechten  Seite,  fast  unter  dem  Schorn- 
stein, der  sehr  hoch  war.  Nach  kurzem  Schweigen  fragte 
mich  der  Pfarrer,  ob  ich  nicht  morgen,  ehe  ich  den  Ort 
verließe,  in  die  Messe  ginge,  und  ich  antwortete,  ich  sei 
nicht  katholisch.  Bei  diesen  Worten  verfinsterten  sich  seine 
Züge,  und  seine  Wirtschafterin,  die  noch  niemals  einen 
Ketzer  gesehen  hatte,  sprang  wie  von  der  Tarantel  ge- 
stochen in  die  Hohe  und  stieß  unwillkürlich  einen  langen 
Seufzer  aus.  Nachdem  sie  nachher  schnell  mehrere  Ave 
Maria  gemurmelt  hatte,  sah  sie  den  Pfarrer  fragend  an,  um 
zu  wissen,  welchen  Eindruck  sie  beim  Anblick  einer  solch 
entsetzlichen  Erscheinung,  wie  die  eines  Ketzers  war, 
empfangen  sollte.  (Die  Volkse rzählungcn  und  Bilder  eini- 
ger Kirchen  des  Landes  stellten  nämlich  die  Ketzer  als 
feuerspeiende  Wesen  dar.)  Als  die  Wirtschafterin  indes 
den  Pfarrer  ruhig  die  Unterhaltung  wieder  aufnehmen  sah, 
erholte  auch  sie  sich  von  ihrem  Schrecken. 

Nach  dem  Abendbrot  lud  mich  der  Geistliche  ein, 
bei  ihm  zu  übernachten,  indem  er  mir  Sagte,  daß  ich  wohl 
Sehr  müde  sein  müsse.  Er  wolle  mir  schon  ein  Bett  geben, 
das  unser  Biwak  aufwöge.  Als  er  sah',  daß  ich  mit  der 
Antwort  zögerte,  fügte  er  hin/u,  es  sei  gut,  man  ließe  erst 
die  Menge  sich  verlaufen,  und  ich  müßte  wenigstens  einige 
Stunden  warten.  Ich  begann  allmählich  zu  fürchten,  daß 
er  mich  in  seinem  Hause  zurückhalten  und  den  Einwohnern 
überliefern  wollte.  Später  sagte  man  mir,  daß  dies  wirk- 
lich seine  Absicht  und  er  der  Chef  des  ganzen  Aufstandes 
U*  163 


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war.  Aber  lange  Zeit  danach  kam  ich  zur  Überzeugung-, 
daß  er  mich  wahrscheinlich  nur  vor  dem  verhängnisvollen 
Schicksal,  das  die  Dorfbewohner  und  er  meinem  Deta- 
chement  zugedacht  hatten,  bewahren  wollte. 

Da  es  in  seiner  Macht  lag,  mich  zu  verraten,  wenn 
er  wollte,  hütete  ich  mich  wohl,  ihm  Mißtrauen  entgegen- 
zubringen. Ich  sagte  ihm  daher,  daß  ich  sein  Anerbieten 
annähme  und  mich  vollkommen  sicher  fühlte,  da  ich  ja 
sein  heiliges  Ehrenwort  habe.  Doch  bäle  ich  ihn,  mich 
spätestens  in  zwei  Stunden  zu  wecken,  weil  meine  Kame- 
raden leicht,  wenn  sie  mich  nicht  vor  Mitternacht  zurück- 
kehren sähen,  ihr  Biwak  verlassen  und  das  Dorf  an  allen 
Ecken  anzünden  könnten.  Der  Pfarrer  führte  mich  in  ein 
Nebenzimmer,  ich  legte  mich  zu  Bett,  was  uns  sehr  selten 
in  Spanien  passierte,  und  er  ging  mit  der  Lampe  hinaus, 
mir  eine  gute  Nacht  wünschend. 

Die  tiefe  Finsternis  trug  nicht  gerade  dazu  bei,  meine 
Lage  als  eine  rosige  erscheinen  zu  lassen.  Ich  bereute, 
mich  meines  Degens  entledigt  /w  haben,  den  ich  wie  einen 
treuen  Gefährten,  der  mir  einen  guten  Rat  hätte  geben 
können,  vermißte.  Unter  meinen  Fenstern  horte  ich  das 
Gemurmel  der  Einwohner,  die  vorübergingen.  Von  Zeit 
zu  Zeit  öffnete  der  Pfarrer  ein  wenig  meine  Tür,  steckte 
seinen  weißen  Kopf  hindurch  und  beleuchtete  mich  mit 
der  Lampe,  um  zu  sehen,  ob  ich  schlafe.  Ich  tat  so,  als 
wenn  ich  tief  in  Schlaf  versunken  wäre,  und  er  zog  sich 
leise  zurück. 

Da  hörte  ich,  wie  vcrschk-ileiR'  Miimicr  in  das  Zimmer 
nebenan  eintraten.  Sie  sprachen  zuerst  sehr  ruhig,  aber 
nachher  wurden  sie  lauter  und  sprachen  alle  auf  einmal. 
Darauf  trat  wieder  Stille  ein,  als  fürchteten  sie,  mich  er- 
weckt zu  haben.  Nun  fingen  sie  an,  sich  mit  leiser  Stimme, 
aber  sehr  lebhaft  zu  unterhalten.  In  dieser  Ungewissen  und 
seltsamen  Lage  verbrachte  ich  zwei  Stunden,  während 
deren  ich  überlegte,  was  ich  tun  sollte.  Endlich  entschloß 
ich  mich,  den  Pfarrer  zu  rufen,  der  sofort  kam.  Ich  sagte 
ihm,  daß  ich  augenblicklich  zu  meinem  Detachement  zu- 
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rückkehren  wolle,  und  ohne  mir  zu  antworten,  stellte  er 
seine  Lampe  auf  den  Tisch  und  verließ  mich,  wahrschein- 
lich um  die  in  seinem  Hause  befindlichen  Spanier  zu  be- 
fragen, was  er  mit  mir  machen  solle. 

Inzwischen  sah  ich  mit  großer  Freude  denjenigen 
unserer  Unteroffiziere  in  mein  Zimmer  treten,  der 
Spanisch  sprach.  Der  Corregidor  begleitete  ihn.  Meine 
Kameraden  seien  in  der  größten  Besorgnis  über  mein 
Schicksal,  sagte  er,  und  hatten  ihn  sescik'kt,  um  sich  über 
meinen  Verbleib  zu  informieren.  Ferner  teilte  er  mir  mit, 
daß  mich  die  Einwohner  schon  als  ihren  Gefangenen 
betrachteten,  daß  sie  uns  am  nächsten  Tag  angreifen 
wollten  und  schwüren,  keiner  von  uns  solle  ihnen  ent- 
kommen. Ich  zog  mich  eiligst  an  und  forderte  aufs  neue 
den  Geistlichen  auf,  sein  Wort  zu  halten,  indem  ich  hinzu- 
fügte, daß  meine  Kameraden  drohten,  die  Waffen  zu  er- 
greifen, wenn  ich  nicht  bald  zurückkäme.  Zu  meinem 
Glück  waren  die  Vorbereitungen  zum  Aufstande  des  Dor- 
fes noch  nicht  ganz  vollendet  Der  Pfarrer  wagte  nicht, 
mich  noch  langer  zurückzuhalten.  Er  rief  den  Corregidor, 
einen  Alcalden  und  einige  Männer,  die  uns  in  ihre  Mitte 
nahmen  und  uns  durch  die  Menge  hindurch  zu  unserm 
Biwak  geleiteten. 

Der  Unteroffizier,  den  mir  meine  Kameraden  sandten, 
war  ein  Normanne  und  tapfer  wie  keiner.  Er  verbarg 
unter  dem  Scheine  der  vollkommensten  Gutmütigkeit  alle 
List,  die  man  gewöhnlich  seinen  Landsleuten  zuschreibt. 
Er  hatte  sich  bei  den  Bewohnern  von  Olvcra  als  Sohn  eines 
in  Frankreich  mit  Karl  IV.  als  Gefangener  zurückgehal- 
tenen Offiziers  der  wallonischen  Garden  eingeführt  und 
erzählte  ihnen,  er  sei  gezwungen  worden,  mit  uns  zu 
dienen,  suche  aber  schon  lange  eine  Gelegenheit,  zu  deser- 
tieren. Die  Spanier  dieser  Gegend  waren  gleichzeitig  listig 
und  leichtgläubig  wie  Wilde.  Sie  glaubten  alles,  was  unser 
Unteroffizier  sagte,  bedauerten  ihn,  gaben  ihm  Geld  und 
vertrauten  ihm  einen  Teil  ihrer  Pläne  an.  Durch  ihn  er- 
fuhren wir  denn,  daß  die  Bewohner  der  umliegenden 
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Dörfer  sich  in  großer  Anzahl  am  nächsten  Tage  versam- 
meln sollten,  um  uns  in  i-iimm  g cflüi räicht'n  Delikt:  auf 
der  Straße  von  Honda  anzugreifen. 

Am  nächsten  Tage,  als  wir  gerade  aufbrechen  wollten, 
kamen  der  Geistliche  und  der  Corregidor  in  unser  Biwak, 
um  uns  um  ein  Zeugnis  zu  bitten,  das  den  Franzosen  be- 
weisen sollte,  wie  rücksichtsvoll  sie  uns  behandelt  hätten. 
Sie  hofften,  daß  die  drohende  Hallung  der  Bewohner  uns 
veranlaßte,  ihrem  Wunsehe  nachzukommen.  Aber  wir  ant- 
worteten, daß  wir  ihnen  das  Zeugnis  nicht  früher  aus- 
stellen würden,  als  bis  sie  uns  die  Waffen  zurückerstattet 
hätten,  die  sie  von  dem  Pferde  des  Brigadiers  genommen, 
der  mit  mir  im  Rathause  eingeschlossen  gewesen  war. 

Der  Corregidor  und  der  Pfarrer  schlugen  wieder 
schweigend  Ihren  Weg  nach  dem  Dorfe  ein,  und  kaum 
waren  sie  fort,  so  ließen  sich  Alarmrufe  hören.  Die  Be- 
wohner hatten  6  Husaren  und  2  Hufschmiede,  die  unvor- 
sichtigerweise ihre  Pferde  in  der  Dorfschmiede  beschlagen 
hatten,  niedergemacht.  Nun  begann  das  Gefecht.  Wir  be- 
stiegen eilig  unsere  Pferde,  und  das  Oros  unseres  Deta- 
chements  folgte  unserm  Hefehlsliaber  nach  dem  Orte,  den 
man  auf  Flintenschulhveite  vom  Dorfe  entfernt  zum  Sam- 
meln gewählt  hatte.  Ich  blieb  im  Biwak  und  behielt  zehn 
Husaren  bei  mir,  um  den  Rückzug  zu  decken  und  das 
Gepäck  zu  schützen,  das  man  noch  nicht  auf  die  Maul- 
tiere hatte  laden  können,  weil  die  spanischen  Führer  wäh- 
rend der  Nacht  ausgerissen  waren. 

Bald  kam  einer  meiner  Kameraden  zurück,  um  mir 
zu  sagen,  daß  unsere  Nachhut  auf  dem  Punkte  sei,  ein- 
geschlossen zu  werden,  und  daß  die  Spanier  ein  sehr 
lebhaftes  Musketenfeuer  von  den  Felsen  und  Fenstern 
der  am  äußersten  Ende  des  Dorfes  liegenden  Häuser,  an 
denen  wir  vorbei  mußten,  gegen  das  Detachement  ent- 
wickelt hätten.  Da  wir  keine  Hoffnung  auf  Hilfe  hatten, 
entschlossen  wir  uns,  uns  einen  Weg  mitten  durch  die 
Feinde  zu  bahnen.  Mein  Pferd  erhielt  eine  Kugel,  die 
ihm  den  Hals  durchbohrte,  und  es  stürzte  zu  Boden, 
166 

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aber  ich  riß  es  mil  aller  Kraft  wieder  in  die  Höhe  und 
erreichte  glücklich  das  Detach erneut.  Kurz  darauf  traf  eine 
Flintenkugel  meinen  Kameraden  in  den  Arm.  Wir  sahen 
fast  alle  Husaren  fallen,  die  uns  folgten.  Frauen  oder  viel- 
mehr entfesselte  Furien  stürzten  sich  mit  gräBlichem  Ge- 
heul auf  unsere  Verwundelen  und  stritten  sich  um  sie,  um 
sie  auf  die  grausamste  Weise  zu  Tode  zu  quälen.  Sie 
stachen  ihnen  Messer  und  Scheren  in  die  Augen  und  wei- 
deten sich  mit  wilder  Freude  an  dem  Anblick  ihres  Blutes. 
Die  Übertreibung  ihrer  gerechten  Empörung  gegen  die, 
welche  ihr  Land  überschwemmten,  hatte  sie  vollkommen 
entartet. 

Unser  Detachement  war  während  der  ganzen  Zeit 
unbeweglich  geblieben.  Die  Einwohner  wagten  sich  nicht 
von  den  Felsen  und  aus  ihren  Häusern  zu  entfernen, 
und  wir  konnten  mit  unsern  Pferden  nicht  zu  ihnen  ge- 
langen, um  unsere  Kameraden  zu  rächen.  Wir  nahmen 
daher  unsere  Verwundeten  in  die  Mitte  unserer  Truppe 
und  setzten  uns  langsam  in  Bewegung. 

Da  wir  uns  keinen  Führer  hatten  verschaffen  können, 
schlugen  wir,  ohne  zu  wissen,  wohin  wir  gingen,  den 
ersten  Weg  ein,  der  von  der  Straße  abzweigte,  auf  der 
die  Bergbewohner  Verschanzungen  angelegt  hatten,  und 
irrten  so  erst  einige  Zeit  auf  gut  Glück  in  den  Feldern 
herum.  Endlich  sahen  wir  einen  Mann  auf  einem  Maul- 
tier aus  einem  Bauerngehrift  herauskommen.  Ich  rannte 
ihm  nach,  erwischte  ihn  und  stellte  ihn  zwischen  zwei 
Husaren  der  Vorhut,  ihm  befehlend,  uns  nach  Ronda  zu 
führen,  wenn  er  nicht  niedergesäbelt  werden  wollte.  Ohne 
diesen  Bauern  hätten  wir  niemals  unsern  Weg  in  dem  uns 
unbekannten  Lande  finden  können.  Auf  diese  Weise  hatten 
wir  stets  zu  kämpfen,  nicht  gegen  militärische  und  vorher- 
gesehene Schwierigkeiten,  wie  sie  sich  in  jedem  ge- 
regelten Kriege  finden,  sondern  gegen  zahllose  Hinder- 
nisse, die  aliein  aus  dem  nationalen  Geist  entspringen. 

Bald  sahen  wir  Ronda  vor  uns  liegen.  Unsere  Freude, 
dem  Ende  unseres  Marsches  nahe  zu  sein,  wurde  durch 
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den  Anblick  neuer  in  den  Wäldern  verschanzter  Feinde 
getrübt,  die  auf  uns  ein  sehr  lebhaftes  Feuer  eröffneten. 
Wir  waren  in  größter  Besorgnis  und  fürchteten,  die  Stadt 
möchte  von  den  Franzosen  verlassen  worden  sein.  Aber 
bald  sahen  wir  zu  unserer  lebhaften  Freude  Husaren  von 
unscrm  Regiment  uns  entgegenkommen;  auch  sie  harten 
uns  von  weitem  für  Feinde  gehalten. 

Der  König  Joseph  war  nur  wenige  Tage  in  Ronda 
geblieben.  Er  hatte  als  Garnison  250  Husaren  unseres 
Regiments  und  300  Mann  Infanterie  seiner  Garde  in  der 
Stadt  gelassen  und  bei  seiner  Abreise  unserm  Oberst 
mit  dem  Titel  des  Gouverneurs  die  unbegrenztesten  Voll- 
machten über  die  umliegenden  Provinzen  erteilt  Die  ab- 
solute Macht,  die  mit  diesem  glänzenden  Titel  verbunden 
war,  hätte  sich  über  alle  Provinzen  im  Umkreis  von  15 
bis  20  Meilen  erstrecken  können,  aber  die  Schmuggler 
der  Sierra  hielten  unsere  Macht  in  den  engen  Grenzen  der 
Mauern  von  Ronda,  wo  wir  nicht  einmal  ruhig  schlafen 
konnten  wegen  des  Mißtrauens,  das  man  den  Bewohnern 
der  Vorstädte  entgegenzubringen  gezwungen  war. 

Als  die  Nacht  eingebrochen  war,  sahen  wir  eine 
Menge  Feuer  nach  und  nach  auf  den  benachbarten  Bergen 
auflodern;  der  Feind  hatte  um  die  Stadt  herum  Stellung- 
genommen,  um  uns  am  nächsten  Tage  anzugreifen. 

Seit  einer  halben  Stunde  hörten  wir  zu  wiederholten 
Malen  ein  Alphorn  blasen,  dessen  Ton  aus  dem  kleinen. 
Tal  außerhalb  der  Festung  zu  kommen  sehten.  Wir  scherz- 
ten über  diese  formwidrigen  Töne,  ohne  zu  ahnen,  was 
die  Ursache  dazu  war,  als  ein  Husar  von  einem  unserer 
vorgeschobenen  Posten  angesprengt  kam  und  dem  Oberst 
meldete,  daB  ein  Parlamentär  der  Feinde  empfangen  zu 
sein  wünschte.  Der  Oberst  befahl,  ihn  hereinzuführen,  und 
bald  darauf  brachte  ihn  der  Soldat  mit  verbundenen  Augen 
herbei.  Er  schlug  uns  vor,  uns  zu  ergeben,  da  der  General 
der  Insurgenten  mit  15  000  Mann  alle  Ausgänge  besetzt 
halte,  durch  die  wir  versuchen  könnten  zu  entkommen. 
Er  habe  vor  einigen  Tagen  eine  Zufuhr  von  50  000  Kar- 
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tuschen  erhalten,  die  uns  zugedacht  seien,  und  er  wüßte, 
daß  wir  uns  nicht  lange  in  der  Fesf  ung  verteidigen  könnten, 
da  wir  fast  gar  keine  Munition  mehr  hätten.  Das  war 
allerdings  wahr:  die  Soldaten  der  Infanterie  besaßen  jeder 
nur  noch  drei  Kartuschen.  Unsere  Husaren  konnten  von 
ihren  Säbeln  in  den  Felsen  keinen  Gebrauch  machen, 
und  ihre  Pferde  waren  ihnen  meist  im  Wege,  ohne  ihnen 
nützlich  zu  sein. 

Der  Oberst  antwortete  dem  Unterhändler,  daß  wir 
uns  vor  allen  Dingen  erst  mal  zu  Tisch  setzen  wollten,  und 
gab  mir  ein  Zeichen,  den  Ankömmling  in  das  Zimmer  zu 
führen,  wo  das  Mittagsmahl  hergerichtet  war.  Der  Parla- 
mentär war  ein  junger  Mann  mit  einem  ziemlich  hübschen 
Gesicht.  Er  trug  einen  runden  andalusischen  Hut  und  eine 
kurze  Jacke  aus  braunem  Tuch  mit  einem  hellblauen  Vor- 
stoß. Das  einzige,  was  ihn  von  dem  andern  unterschied, 
war  eine  Schärpe  nach  der  Mode  des  Landes,  deren  Enden 
mit  einigen  Silberfäden  durchwirkt  waren. 

Im  ersten  Augenblick  war  er  sehr  erstaunt,  sich  in 
seiner  bescheidenen  Ausstattung  inmitten  eines  Kreises 
von  Offizieren  zu  sehen,  die  mit  Gold  und  Stickereien  über- 
laden waren.  Und  als  wir  alle  auf  einmal  uns  anschickten, 
unsere  Säbel  abzuschnallen,  ehe  wir  uns  setzten,  zeigte  er 
eine  gewisse  Besorgnis,  da  er  offenbar  den  Grund  dieser 
Bewegung  nicht  kannte.  Ich  glaube,  er  dachte,  wir  wollten 
ihn  ermorden,  weil  einige  Tage  vorher  die  Bewohner 
eines  benachbarten  Dorfes  einen  Schöffen  der  Stadt  Ronda 
massakriert  hatten,  den  wir  ihnen  als  Unterhändler  ge- 
sandt hatten. 

Ich  beruhigte  ihn  sogleich  darüber  und  lud  ihn  ein, 
«ich  ebenfalls  seiner  Waffen  zu  entledigen  und  sich  wie 
wir  zu  Tisch  zu  setzen.  Der  spanische  Offizier  wich  zuerst 
nicht  von  der  Mäßigkeit  ab,  die  seine  Nation  charakteri- 
siert Als  wir  aber  auf  seine  Gesundheit  tranken,  tat  er 
uns  Bescheid  und  kam  bald  so  in  Eifer,  daß  er  uns  die 
Spitze  bieten  wollte.  In  der  Mitte  der  Mahlzeit  waren  wir 
nur  noch  „Kameraden",  beim  Dessert  nannten  wir  uns 
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„Brüder".  Wir  schworen  uns  ewige  Freundschaft,  und 
unter  andern  Zeichen  der  Zuneigimg  versprachen  wir  uns, 
uns  bei  unserer  ersten  Begegnung  in  einem  besonderen  Ge- 
fecht zu  schlagen. 

Nach  der  Mahlzeit  schickte  mein  Oberst  den  spani- 
schen Parlamentär  wieder  zurück,  ohne  ihm  eine  Ant- 
wort gegeben  zu  haben.  Ich  wurde  beauftragt,  ihn  bis 
zu  den  feindlichen  Vorposten  zu  begleiten,  und  bat  ihn, 
sich  die  Augen  selbst  zu  verbinden.  Ein  Husar  stellte 
sich  an  seine  Rechte,  um  sein  Pferd  am  Zügel  zu  führen; 
ich  selbst  ging  links,  und  wir  schlugen  zusammen  den 
Weg  nach  Gibraltar  ein,  auf  dem  er  gekommen  war.  Als 
wir  an  unserm  Hauptposten  vom  herkamen,  wurden  wir 
von  dem  Trompeter  des  Parlamentärs  und  einem  alten 
königlichen  Karabinier  eingeholt,  der  ihm  als  Ordonnanz 
diente.  Es  war  der  einzige  Karabinier,  den  es  in  der  ln- 
surgentenartnee  gab,  und  mau  hatte  ihn  geschickt,  um  dem 
Unterhändler  wegen  seiner  neuen  Uniform  eine  besondere 
Ehre  an  zutun.  Sehr  erstaunt  war  ich,  als  ich  ihn  seinen 
Offizier  herrisch  fragen  hörte,  warum  er  ihn  denn  so  lange 
habe  warten  lassen. 

Als  wir  zu  dem  ersten  spanischen  Posten  am  äußer- 
sten Ende  der  Vorstadt  gelangten,  sagte  ich  dem  Parlamen- 
tär Lebewohl  und  kehrte  zurück,  um  meinem  Oberst  Be- 
richt zu  erstatten. 

Man  hielt  einen  Kriegsrat,  und  es  wurde  beschlossen, 
daß  wir  die  Stadt  verlassen  sollten,  um  Munition  in  Cant- 
pillos  zu  erwarten,  einem  7  Meilen  von  Ronda  am  Aus- 
gange des  Gebirges  gelegenen  Flecken.  Hier  in  der  Ebene 
mußte  uns  unsere  Kavallerie  nötigenfalls  das  Übergewicht 
über  die  Bergbewohner  gehen,  wie  zahlreich  sie  auch  sein 
mochten.  Wir  hatten  nur  sehr  wenig  Vertrauen  zu  den 
300  Mann  der  Garde  des  Königs  Joseph,  die  wir  mit  uns 
hatten,  denn  dieses  Korps  war  gröntenteils  aus  spanischen 
Deserteuren  gebildet. 

Bald  erreichten  wir  Cam pillos  und  sahen  an  der  Art, 
wie  uns  die  Einwohner  empfingen,  daß  die  Nachricht 
170 

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von  unsern  Verlusten  in  Olvera  und  unsertn  Ruchzug  von 
Remda  uns  vorausgeeilt  war.  Als  ich  mich  nach  meinem 
Quartier  begab,  wurde  ich  sehr  schlecht  von  meinem 
Wirt  empfangen;  mein  Diener  hatte  von  ihm  ein  Zimmer 
für  mich  verlangt,  worauf  er  ihm  ein  dunkles,  feuchtes 
Loch  zeigte,  das  nach  einem  Hinterhof  hinausging.  Da 
man  bei  unserer  Ankunft  keine  Lebensmittel  hatte  verteilen 
können,  Ließ  der  Alcaldc  einen  Befehl  veröffentlichen,  durch 
welchen  er  den  Einwohnern  einschärfte,  den  Soldaten 
Kost  und  Wohnung  zu  geben.  Der  Husar,  der  mir  als 
Ordonnanz  diente,  gab  dem  Herrn  des  Hauses  durch 
Zeichen  zu  verstehen,  uns  etwas  zu  essen  zu  geben. 
Ich  sah  den  Wirt  mit  spöttischer  Miene  einen  sehr 
kleinen  Tisch  hereinbringen,  auf  dem  etwas  Brot  und 
Knoblauch  lag.  Dann  hörte  ich  ihn  zu  seiner  Frau 
sagen :  „Das  ist  lange  gut  genug  für  diese  Hunde 
von  Franzosen,  wir  brauchen  sie  nicht  rücksichtsvoll 
zu  behandeln,  denn  sie  sind  geschlagen  worden.  Jetzt 
retten  sie  sich,  aber  wenn  es  Gott  und  der  heiligen 
Jungfrau  gefällt,  so  ist  keiner  von  ihnen  noch  in  zwei 
Tagen  am  Leben."  Ich  tat,  als  hörte  ich  diese  Ver- 
wünschungen nicht,  um  ihn  nicht  merken  zu  lassen, 
daß  ich  Spanisch  verstand. 

Ich  ging  fort  und  kam  nach  einer  Stunde  wieder  in 
mein  Quartier,  wo  ich  5  Individuen  des  Dorfes  um  das 
Feuer  herumsitzen  und  Zigarren  rauchen  fand.  Wie  ich 
erfuhr,  versammelten  sie  sich  jeden  Abend  bei  meinem 
Wirt,  der  mit  Tabak  handelte.  Mein  Husar,  der  ein  wenig 
von  ihnen  entfernt  sali,  erhob  sich,  als  ich  eintrat,  und 
bot  mir  seinen  Stuhl  an.  Ich  nahm  ihn  an  und  rückte  ein 
wenig  näher  zum  Feuer;  sogleich  waren  die  Spanier  still. 
Um  sich  zu  versichern,  ob  ich  Spanisch  verstünde  oder 
nicht,  fragte  mich  der  eine,  ob  ich  denn  nicht  recht  müde 
sei.  Und  obwohl  ich  ein  Oesicht  machte,  als  könnte  ich 
ihn  nicht  verstehen,  fügte  er  lachend  hinzu:  „Sie  haben 
in  den  letzten  zwei  Tagen  tüchtigen  Gebrauch  von  Ihren 
Sporen  gemacht."  Ich  antwortete  nicht;  nun  glaubten  sie, 
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daß  ich  nicht  ein  Wort  Spanisch  verstände,  und  setzten 
ihre  Unterhaltung  fort. 

Sie  sprachen  mit  grenzenloser  Begeisterung  von  den 
tapferen  Bcrghewohiiern,  die  uns  aus  Rontla  verjagt  hätten, 
und  erzählten  mit  den  größten  Einzelheiten  von  einem 
sein1  mörderischen  zivülfstündigeu  Gefecht,  das  am  Tage 
vorher  in  den  Straßen  derselben  Stadt  stattgefunden  haben 
sollte.  Wir  hätten  wenigstens  600  Mann  verloren,  sagten 
sie;  dabei  waren  wir  im  ganzen  nur  550.  Auch  versicher- 
ten sie,  daß  der  General  der  Insurgenten  uns  spätestens 
in  zwei  Tagen  angreifen  werde,  daß  die  Bewohner  des 
Dorfes  die  Waffen  ergreifen  und  die  verdammten  Ketzer, 
die  noch  schlimmer  als  die  Mauren  seien,  vernichten  woll- 
ten. Denn  die  Fs-anzüseii,  sagU-ii  sie,  glaubten  weder  an 
Gott,  noch  an  die  Mutter  Maria,  noch  an  den  heiligen 
Anton,  ja  nicht  einmal  an  den  heiligen  Jakob  von  Ga- 
licien  und  scheuten  sich  nicht,  in  den  Kirchen  mit  ihren 
Pferden  zu  wohnen.  Endlich  behaupteten  sie,  daß  ein 
Spanier  drei  Franzosen  aufwöge,  und  einer  fügte  hinzu: 
„Ich  töte  6  mit  einer  Hand." 

Nun  stand  ich  auf  und  rief  ihnen  zweimal  hinter- 
einander zu:  „Poco  a  poco",  was  auf  deutsch  „Sachte, 
sachte"  bedeutet.  Sie  waren  wie  versteinert,  als  sie  auf 
diese  Weise  erfuhren,  daß  ich  ihre  ganze  Unterhaltung 
mit  angehört  hatte.  Ich  verließ  sie,  um  meinen  Oberst 
von  dem  eben  Gehörten  in  Kenntnis  zu  setzen.  Er  be- 
fahl sofort  dem  Alcalden,  die  Stadt  zu  entwaffnen.  Die 
Einwohner  gaben  ihre  schlechten  Waffen  her  und  behielten 
die  guten,  was  meist  in  solchen  Fällen  geschieht. 

Nach  meinem  Quartier  zurückgekehrt,  fand  ich  keinen 
einzigen  von  meinen  Politikern  mehr  vor,  sie  waren  alle 
davongelaufen.  Auch  mein  Wirt  hatte  sich  versteckt.  Seine 
aufs  äußerste  erschrockene  Frau  hatte  in  meiner  Ab- 
wesenheit versucht,  meinen  Husaren  zu  besänftigen,  und 
ihm  den  besten  Wein  vorgesetzt,  während  er  vorher  nur 
Wasser  bekommen  hatte.  Dieser,  der  nicht  wußte,  daß  alle 
die  Fürsorge  der  Angst  entsprang,  war  über  die  so  unver- 
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hoffte  Gunst  sehr  erstaunt;  er  empfand  sogar  ein  wenig 
Eitelkeit,  denn  ich  traf  ihn  damit  beschäftigt,  seinen  fürch- 
terlichen Schnurrbart  mit  größerer  Sorgfalt  als  sonst  zu 

Die  Frau  beeilte  sich,  meinen  Sähel  zu  nehmen,  so- 
bald ich  ihn  abgelegt  hatte,  und  trug  ihn  mit  großem  Eifer 
in  das  schönste  Zimmer,  als  wenn  er  in  meinem  Namen 
davon  Besitz  ergreifen  sollte.  Dann  kam  sie  wieder  und 
bat  mich  mit  zitternder  Stimme,  ich  sollte  doch  um  Himmels 
willen  nicht  auf  ihren  Mann  böse  sein ;  er  sei  ein  ehr- 
licher Mann,  ein  Mann  mit  einem  guten  Herzen,  obwohl 
er  mich  nicht  zum  besten  empfangen  habe.  Ich  beruhigte 
sie  und  sagte,  ihr  Mann  könne  aus  seinem  Versteck  wieder 
hervorkommen,  ich  würde  ihm  nichts  Böses  zufügen,  unter 
der  Bedingung,  daß  er  mich  von  allem  unterrichtete,  was 
er  über  die  Pläne  der  Feinde  und  über  die  der  Einwohner 
erführe.  Um  ihn  zu  erschrecken,  fügte  ich  hinzu,  daß  ich 
ihn  hängen  lassen  würde,  wenn  er  es  nicht  täte;  und  legte 
mich  schlafen. 

Am  nächsten  Morgen  stand  ich  sehr  früh  auf,  und  als 
ich  die  Türe  meines  Zimmers  öffnete,  fand  ich  meinen 
Wirt  davorstehend,  der  mich  erwartete,  um  mit  mir  Frieden 
zu  schließen.  Noch  ehe  er  ein  Wort  zu  mir  gesprochen 
hatte,  präsentierte  er  mir  eine  Tasse  Schokolade  mit  Bis- 
kuit,  die  ich  mit  sehr  herablassender  Miene  annahm ;  dann 
sagte  ich  ihm,  daß  ich  von  nun  an  mein  Verhalten  ganz 
nach  dem  seinen  richten  werde.  Er  antwortete  mir  mit 
einer  tiefen  Verbeugung,  er  und  sein  ganzes  Haus  ständen 
mir  zur  Verfügung. 

An  diesem  Tage,  dem  15.  Marz,  erfuhren  wir,  daß  die 
Serranos3')  am  vorhergehenden  Tage,  eine  Stunde  nach 
unserm  Abmarsch,  in  Ronda  eingezogen  waren  und  sich 
zu  einem  Angriff  auf  uns  in  Campillos  vorbereiteten. 

Am  IG.  schickte  unser  Oberst  ein  aus  1110  Husaren 
und  40  Mann  Infanterie  bestehendes  Detachement  ab,  um 


")  Scrraiio  ™  Bergbewohner. 

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den  Feind  zu  rekognoszieren.  An  dieser  Expedition  nahm 
auch  ich  teil.  Zwei  Stunden  vor  Sonnenaufgang  setzten 
wir  uns  in  Bewegung  und  stießen  auf  die  Bergbewohner 
4  Meilen  vor  Campillos;  wir  machten  zwei  Flintenschuß' 
weiten  davon  entfernt  Halt,  um  ihre  Stellung  und  ihre 
Zahl  zu  prüfen.  Diese  taxierten  wir  auf  ungefähr  4000. 
Und  als  wir  dann  unsere  Rekognoszierung  beendet  hatten, 
schlugen  wir  ruhig  den  Weg  wieder  ein,  den  wir  ge- 
kommen waren. 

Als  die  Serranos  uns  umkehren  sahen,  glaubten  sie, 
wir  fürchteten  uns  vor  ihnen.  Sie  stießen  daher  laute 
Schreie  aus,  kamen  alle  auf  einmal  und  ohne  die  geringste 
Ordnung  zu  beobachten  von  den  Bergen  herab  und  ver- 
folgten uns  eine  Stunde  lang  in  einer  felsigen  und  unweg- 
samen Gegend.  Frauen,  nach  der  Mode  des  Landes  in 
hellblauen  und  roten  Kleidern,  waren  uns  in  Massen  ge- 
folgt und  hatten  sich  auf  den  Felsen  niedergelassen,  um 
von  einem  sichern  und  nahen  Platz  aus  das  Gefecht  zu 
beobachten,  das  ihrer  Vermutung  nach  in  kurzem  be- 
ginnen mußte.  Sogleich  sammelte  unser  Peloton  seine 
Schützen  und  begann  die  Brücke  zu  überschreiten.  Da 
erhoben  sich  die  Frauen  alle  miteinander  und  sangen  eine 
Hymne  an  die  Jungfrau  Maria.  Das  war  das  Signal  zum 
Angriff.  Die  hinter  den  Felsen  verborgenen  Spanier  über- 
schütteten uns  sogleich  mit  einem  Regen  von  Kugeln  aller 
Tragweiten,  aber  wir  setzten  unsern  Marsch  über  die 
Brücke  unter  dem  Feuer  des  Feindes  fort,  ohne  darauf 
zu  antworten.  Da  sich  jedoch  unser  Peloton  der  Nach- 
hut zu  sehr  bedrängt  sah,  machte  er  eine  Wendung,  und 
die  Husaren  der  ersten  Linie  richteten  ein  gut  unterhal- 
tenes Karabinerfeucr  auf  die  zunächst  befindlichen  Ser- 
ranos. Sie  töteten  zwei,  was  die  Kühnheit  der  Menge  ein 
wenig  abschwächte. 

Am  andern  Tage  fand  ein  Detachement  von  50  Hu- 
saren die  Serranos  auf  der  andern  Seite  der  Holzbrücke 
gelagert,  oberhalb  des  Dorfes  Teba.  Unsere  Absicht  war, 
sie  in  die  Ebene  bei  Campillos  zu  locken,  um  sie  nieder- 
174 


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zusäbeln.  Denn  da  die  Insurgenten  größtenteils  nur  mit 
Jagdflinten  bewaffnet  waren,  hatten  sie  in  den  Bergen, 
wo  wir  sie  mit  unsern  Pferden  nur  sehr  schwer  verfolgen 
konnten,  immer  große  Vorteile  vor  uns  voraus.  In  der 
Ebene  hingegen  gestattete  ihnen  ihre  ungeregelte  Art  zu 
kämpfen  nicht,  den  Stoß  unserer  Kavallerie  auszuhalten, 
so  gering  sie  auch  an  Zahl  war. 

Gegen  zehn  Uhr  morgens  sah  ich  meinen  Wirt  in 
großer  Eile  herbeikommen.  Auf  seinen  Lippen  spielte 
ein  glückliches  Lächeln,  und  er  rieb  sich  vergebens  die 
Augen,  um  eine  Träne  hervorzubringen.  Er  sagte  mir, 
alles  sei  für  uns  verloren,  unsere  Posten  seien  zurückge- 
worfen worden,  1500  Bergbewohner  kämen  wutschnau- 
bend in  die  Ebene  herab,  uiti  uns  cinzii^dilicljcn,  während 
die  aufständischen  Bewohner  uns  im  Zentrum  der  Stadt 
angriffen.  Und  er  schloß  inich  eng  in  seine  Arme,  als  hätte 
er  Mitleid  mit  dem  Schicksal,  das  mir  bevorstand. 

Und  in  der  Tat,  im  selben  Augenblick  ließen  sich 
Flintenschüsse,  verworrene  Rufe,  Trompetentöne  und 
Trommelwirbel  hören.  Von  allen  Seiten  lief  man  zu  den 
Waffen.  Ich  bestieg  sofort  mein  Pferd  und  sammelte  mein 
Detachement  In  demselben  Augenblick  kam  der  Oberst 
herangesprengt  und  befahl  mir,  die  zurückgeworfenen 
Posten  zu  unterstützen.  Wir  machten  in  der  Ebene  einen 
Angriff,  der  auch  glückte;  40  unserer  Husaren  säbelten 
einige  100  Insurgenten  nieder.  Diejenigen,  welche  die  um- 
liegenden Höhen  besetzt  hielten,  ergriffen  in  der  höchsten 
Bestürzung  die  Flucht.  Darauf  zogen  wir  uns  zurück,  und 
die  Ebene,  die  noch  kurz  zuvor  von  dem  Geschrei  einer 
Bande  Schützen  widerhallte,  lag  schweigend  mit  den  Fein- 
den übersät  da,  welche  die  Todessichel  dahingemäht  hatte. 

Während  wir  aufgesessen  waren,  um  die  Feinde  zurück- 
zuwerfen, hatten  die  Einwohner,  die  überzeugt  waren,  daß 
wir  alle  vernichtet  seien,  unsere  verspäteten  Soldaten  in 
den  Straßen  ermordet.  Unsere  Husaren  fielen  daher  bei  der 
Rückkehr  ins  Dorf  über  alle  bewaffneten  Einwohner  her, 
und  man  konnte  nur  mit  Mühe  die  Plünderet  aufhalten. 

175 

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Am  19.  März  kam  der  General  Peremont  aus  Ma- 
laga, um  sich  mit  drei  Bataillonen  Infanterie,  einem 
polnischen  Regiment  Landers  und  zwei  Kanonen  mit 
uns  zu  vereinigen.  Wir  erhielten  die  uns  fehlende 
Munition,  und  am  20.  um  sechs  Uhr  in  der  Frühe 
brachen  wir  alle  miteinander  auf,  um  von  Ronda  Besitz 
zu  ergreifen. 

Der  Oberst  ließ  sein  Regiment  am  Fuße  des  Berges, 
auf  dessen  Gipfel  Teba  gelegen  ist,  und  stieg,  gefolgt 
von  nur  50  Husaren,  ins  Dorf  hinauf.  Die  von  unserm 
Nahen  unterrichteten  Einwohner  hatten  sich  alle  mit  ihren 
kostbarsten  Sachen  in  die  Felsen  geflüchtet;  hier  und  da 
verlorene  Kleidungsstücke  deuteten  auf  eine  plötzliche 
Flucht. 

Fast  zwei  Stunden  brachten  wir  im  Dorfe  zu,  ohne 
ein  einziges  menschliches  Wesen  zu  entdecken,  das  man 
zu  den  Einwohnern  hätte  schicken  können,  um  sie  zu 
beruhigen  und  ihnen  sagen  zu  lassen,  daß  wir  nichts 
Böses  mit  ihnen  bezweckten  und  ihnen  verziehen,  wenn 
sie  dem  König  Joseph  eine  Kontribution  zahlten.  Wir 
wollten  uns  in  ihnen  keine  unversöhnlichen  Feinde  schaffen 
und  sie  durch  eine  harte  Strafe  zur  Verzweiflung  treiben, 
durften  aber  ihre  Erhebung  nicht  ganz  ungestraft  lassen. 
Wir  schlugen  folgenden  Ausweg  ein,  um  sie  aus  ihren 
Verstecken  herbeizulocken.  Die  Husaren  verbrannten 
feuchtes  Stroh  in  den  Öfen  einiger  Häuser;  dadurch  ent- 
stand ein  dicker  Rauch,  der  durch  den  Wind  in  die  Berge 
getrieben  wurde  und  die  Einwohner  überzeugte,  daß  wir 
ihr  Dorf  anzündeten.  Sie  beeilten  sich,  uns  eine  Deputation 
zu  schicken,  und  bald  sahen  wir  den  Alcalden  kommen, 
gefolgt  von  4  der  reichsten  Grundbesitzer  des  Dorfes. 
Er  trug  einen  roten  Mantel  und  einen  betreßten  Frack. 
Ohne  Zweifel  hatte  er  sich  mit  allen  Abzeichen  seiner 
Würde  herausstaffiert,  weil  er  glaubte,  sich  auf  diesem 
Gang  zu  den  Franzosen  dem  Tode  zur  Rettung  seines 
Dorfes  zu  weihen.  Der  Alcalde  versprach,  die  Einwohner 
würden  die  ihnen  auferlegte  Kontribution  zahlen. 
176 

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Am  21.  setzten  wir  uns  mit  Tagesanbruch  in  Bewe- 
gung, um  nach  Ronda  zu  marschieren,  wo  wir  ohne  Wider- 
stand einzogen.  Die  Insurgenten  verließen  bei  unserer 
Ankunft  eiligst  die  Stadt  und  warfen  ihre  Flinten  und 
Mäntel  in  die  Straßen,  um  das  Gebirge  auf  Seitenwegen 
zu  erreichen.  Die  Nachzügler  wurden  von  den  Husaren 
unserer  Vorhut  niedergesäbelt. 

Wir  wurden  in  Ronda  von  einem  Teil  der  Einwohner 
wie  Befreier  empfangen.  Die  Parteigänger  hatten  nämlich 
während  unserer  Abwesenheit  auf  dem  großen  Platze 
einen  Oalgen  errichtet,  um  die  Bürger  der  Stadt  zu  be- 
strafen, welche  die  Franzosen  begünstigt  hatten.  Und  wenn 
wir  nur  einen  Tag  später  angekommen  wären,  hätten 
mehrere  den  Tod  erlitten:  auf  diese  Weise  befriedigte  man 
persönlichen  Haß  unter  dem  Vorwande  öffentlicher  Be- 
strafung. 

Die  Bergbewohner  waren  an  demselben  Tage,  an 
dem  wir  Ronda  verließen,  in  die  Stadt  mit  großem  Geschrei 
eingezogen  und  hatten  vor  Freude  darüber  ihre  Flinten  in 
den  Straßen  abgeschossen.  Alle  Einwohner  aus  einem 
Dorfe  kamen  zusammen  an,  marschierten  ohne  die  ge- 
ringste Ordnung,  gefolgt  von  ihren  Frauen,  die  sich,  wie 
ich  schon  bemerkt  habe,  von  den  Männern  nur  durch  die 
Kleidung,  durch  ihre  höhere  Gestalt  und  durch  etwas 
mehr  Rauheit  unterschieden.  Sie  behaupteten,  ihre  Männer 
hätten  Ronda  von  den  Franzosen  erobert,  und  alles,  was 
in  der  Stadt  wäre,  gehörte  ihnen.  Alles,  was  sie  in  den 
Häusern  fanden,  luden  sie  auf  Esel,  und  die  Damen  hörten 
nicht  früher  auf  zu  plündern,  als  bis  ihre  Tiere  unter  der 
Last  der  Beute  fast  zusammenbrachen.  Mehrere  Schmuggler 
stahlen  die  Pferde  und  den  Mantelsack  eines  englischen 
Leutnants,  ohne  daß  dieser  die  Schuldigen  bestrafen  lassen 
konnte.  Die  Gefängnisse  wurden  gesprengt,  und  die  Ge- 
fangenen rächten  sich  im  selben  Moment  ihrer  Befreiung 
an  ihren  Richtern  und  Anklägern.  Schuldner  erzwangen 
mit  Gewalt  von  ihren  Gläubigem  Quittungen  und  ver- 
brannten alle  Papiere  der  Staatskanzlei,  um  die  Akten 

12     B.M7:  Spin.  F.clhtltikampl.  177 

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der  Hypotheken  zu  vernichten,  welche  die  Einwohner 
auf  den  Besitzungen  der  Bergbewohner  stehen  hatten. 

Der  Oberbefehlshaber  der  Serrafios  hatte  Ronda  nicht 
früher  erreichen  können  als  6  Stunden  nach  unserm  Ab- 
marsch. Er  versuchte  zuerst  mit  Hilfe  seiner  sogenannten 
geregelten  Truppen  eine  Art  Ordnung  in  die  Stadt  zu 
bringen,  da  ihm  das  aber  nicht  gelingen  wollte,  griff  er 
zu  folgender  List.  Durch  den  öffentlichen  Ausrufer  Heß 
er  verkünden,  daß  die  Franzosen  kämen,  und  im  Hand- 
umdrehen waren  die  Bergbewohner  gesammelt,  und  die 
Einwohner  der  Stadt  hatten  Zeit,  sich  in  ihren  Häusern  zu 
verbarrikadieren. 

Der  General  Peremont  war  mit  seiner  Brigade  nach 
Ronda  gekommen,  um  eine  Expedition  bis  ins  Innere  des 
Hochgebirges  zu  machen,  mußte  indes,  ohne  etwas  unter- 
nommen zu  haben,  wieder  nach  Malaga  zurückkehren. 
Er  erfuhr  nämlich,  daß  diese  Stadt  während  seiner  Ab- 
wesenheit von  andern  Ins  urgenten  banden  angegriffen 
worden  war,  und  unsere  Husaren  blieben  wiederum  In 
Ronda  mit  200  braven  polnischen  Infanteristen,  die  man 
uns  an  Stelle  des  Gardcbatnillons  des  Königs  Joseph  gab. 

Die  Insurgenten  hatten  ihr  Lager  auf  den  Gipfeln 
des  nahen  Gebirges  aufgeschlagen  und  beobachteten  Tag 
und  Nacht,  was  in  der  Stadt  vorging.  Sie  verbrachten 
ganze  Tage  damit,  unsere  Vorposten  zu  beunruhigen,  aber 
sobald  wir  gegen  sie  marschierten,  zogen  sie  sich  zurück, 
um  bald  darauf  wieder  zum  Vorschein  zu  kommen.  Wenn 
die  Serrafios  sich  zum  Angriff  vorbereiteten,  stießen  sie 
laute  Schreie  aus,  um  sich  zum  Kampfe  zu  ermuntern,  und 
schössen  lange  Zeit  auf  uns,  bevor  nur  eine  Kugel  uns  er- 
reichen konnte  .  .  .  Der  liebste  Zeitvertreib  der  Arbeiter 
der  Stadt  war,  sich  hinter  die  Felsen  zwischen  die  Oliven- 
bäume zu  stellen  und  ganz  gelassen  auf  unsere  Schild- 
wachen zu  schießen,  indem  sie  dazu  ihre  Zigarren  rauch- 
ten. Am  Morgen  zogen  sie  mit  Handwerkszeug  beladen 
aus  der  Stadt,  als  wenn  sie  an  ihre  Arbeit  gingen ;  ihre 
Flinten  Satten  sie  hinter  den  Felsen  oder  In  Bauern  gehörten 
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verborgen,  und  am  Abend  kamen  sie  ohne  Waffen  zurück, 
um  in  unserer  Mitte  zu  ruhen.  Wir  konnten  keine  zu 
strengen  Untersuchungen  vornehmen,  aber  wenn  man  den 
Befehl  des  Marschalls  Soult  gegen  die  Insurgenten  hätte 
ausführen  wollen,  so  hätte  man  die  ganze  Bevölkerung 
des  Landes  zum  Tode  verurteilen  müssen.  Obwohl  die 
aufständischen  Spanier  schnell  dabei  waren,  die  franzö- 
sischen Gefangenen  lebendig  zu  verbrennen,  waren  unsere 
Soldaten  nur  sehr  selten  gegen  die  Spanier  unerbittlich, 
die  sie  mit  den  Warfen  in  der  Hand  erwischten. 

Die  Detachements,  die  Ronda  verließen,  um  irgend- 
welche Expeditionen  oder  Rekognoszierungen  zu  machen, 
waren  von  dem  Augenblick  ihres  Abmarsches  bis  zu  ihrer 
Rückkehr  von  einer  dichten  Wolke  von  Schützen  umgeben, 
und  jede  Zufuhr  von  Lebensmitteln,  die  wir  von  außerhalb 
hohen,  kostete  uns  das  Leben  einiger  Männer.  Unsere 
Reiter  waren  auf  diesen  Expeditionen  nicht  immer  stark 
genug,  um  die  Feinde  zurückzuwerfen,  und  wir  suchten 
daher  ihre  Wachsamkeit  zu  täuschen,  indem  wir  lange 
Umwege  machten,  um  die  gefährlichen  Defilees  zu  ver- 
meiden; oft  aber  mußten  wir  uns  mitten  durch  die  Insur- 
genten hindurch,  die  fortwährend  die  Stadt  umgaben,  einen 
Weg  bahnen. 

Am  1.  Mai  nahm  ich  an  einem  Detachement  von  vierzig 
Husaren  teil,  das  von  einem  Rittmeister  befehligt  wurde. 
Wir  sollten  klares  Stroh  vier  Meilen  von  Ronda  in  den 
Bauernhöfen  holen,  die  sich  in  der  Nähe  des  Dorfes 
Setenil  befinden.  Einige  hundert  Bauern  und  Maultiertrei- 
ber, welche  die  Esel  und  Maultiere  trieben,  waren  mit 
uns.  Wir  hatten  uns  morgens  um  fünf  Uhr  auf  den  Weg 
gemacht,  und  der  Rittmeister  und  ich  marschierten  an  der 
Spitze  der  Truppe.  Als  wir  eine  halbe  Meile  von  der  Stadt 
entfernt  an  einem  gefährlichen  Defilee  vorbeikamen,  sag- 
ten wir  uns  beide  sehr  erstaunt,  die  Feinde  müssen  sehr 
schlecht  unterrichtet  sein,  daß  sie  noch  keinen  Hinterhalt 
an  diesen  Ort  gelegt  haben;  sie  könnten  uns  viel  Übles 
zufügen,  ohne  selbst  das  geringste  zu  riskieren.  Da  sah 
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ich  in  der  Entfernung,  zuerst  in  Staub  gehüllt,  dann  aber 
immer  deutlicher,  rechts  von  uns  4  oder  5  bewaffnete  Män- 
ner, die  sich  im  Tale  nach  dem  Dorfe  Ariate  zu  bewegten. 
Ich  teilte  dem  Rittmeister  sofort  mit,  daß  ich  Feinde  sähe 
und  sie  an  ihrer  ungeordneten  Art  zu  marschieren  erkannte. 

Ein  Unteroffizier  behauptete,  die  Männer,  welche  man 
im  Tale  unterscheide,  seien  Maultiertreiber,  die  nach 
Ossuna  zurückkehrten  und  am  vorhergehenden  Tag  unter 
Eskorte  von  200  Mann  Infanterie  Biskuit  und  Kartuschen 
nach  Ronda  gebracht  hätten.  Ich  hingegen  verharrte  auf 
meiner  Ansicht,  daß  die,  welche  ich  sah,  Feinde  seien, 
und  fügte  hinzu,  daß  ich,  wenn  ich  der  Chef  der  Abtei- 
lung wäre,  direkt  auf  sie  losmarschieren  würde,  um  sie, 
während  sie  sich  noch  in  der  Ebene  befänden,  anzugreifen ; 
denn  wenn  wir  zurückgeworfen  würden,  so  wäre  unser 
Rückzug  gesichert,  während  wir  so  unsern  Marsch  nicht 
fortsetzen  könnten,  ohne  uns  der  Gefahr  auszusetzen,  auf 
unserm  Rückzug  in  einem  Defilee  angegriffen  zu  werden, 
was  für  die  Kavallerie  sehr  ungünstig  sei.  Aber  der  Ritt- 
meister war  nicht  meiner  Ansicht;  wir  setzten  unsern 
Weg  fort  und  gelangten  bald  in  die  Nähe  des  Dorfes  Se- 
tenil. 

Als  wir  mit  Fouragicrcn  fertig  waren,  schlugen  wir 
wieder  denselben  Weg  ein,  den  wir  gekommen  waren. 
Wir  ließen  die  Maultiere  vor  uns  zwischen  einer  Vorhut 
von  zwölf  Husaren  und  dem  Gros  des  Detachements  her- 
gehen, an  dessen  Spitze  der  Kapitän  und  ich  marschierten. 
Auf  zwei  Fliutcnschußwciten  an  dem  Defilee  angekommen, 
das  wir  am  meisten  fürchteten,  bemerkte  ich  einen  Bauer, 
der  mit  einer  großen  Axt  Zweige  von  einem  Olivenbaume 
abschlug.  Ich  ritt  meiner  Abteilung  voraus  und  näherte 
mich  dem  Bauer,  um  ihn  zu  fragen,  ob  er  keine  Ser- 
rafios  gesehen  habe.  Wie  ich  nachher  erfuhr,  war  er 
selber  einer  und  schnitt  die  Zweige,  um  uns  den  Weg  im 
Defilee  zu  versperren.  Er  antwortete  mir,  daß  seine  Ar- 
beit ihm  nicht  gestattete,  sich  mit  dem  zu  beschäftigen, 
was  um  ihn  her  vorgehe.  Auch  der  Rittmeister  hatte  in 
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demselben  Augenblick  einen  5  bis  6jährigen  Jungen  ge- 
fragt, der  ihm  mit  zitternder  und  leiser  Stimme  geantwortet 
hatte,  als  fürchte  er,  gehört  zu  werden.  Bald  sahen  wir 
unsere  Vorhut  und  die  Spitze  des  Zugs  der  Maultiere  am 
andern  Ende  des  Delilees  herauskommen  und  den  gegen- 
überliegenden Berg  ersteigen.  Wir  hatten  nur  noch  einen 
engen  schlüpfrigen  Weg  zurückzulegen,  wo  man  im  Gänse- 
marsch gehen  mußte.  Er  war  -1—500  Schritte  lang  und 
von  sehr  dichten  Gartenhecken  umgeben.  Der  Rittmeister, 
an  dessen  Seite  ich  marschierte,  sagte  mir  wie  am  Morgen, 
wir  könnten  uns  glücklich  schätzen,  daß  der  Feind  uns 
in  diesem  Defilee  nicht  aufgelauert  hätte.  Aber  kaum 
hatte  er  diese  Worte  beendet,  als  vier  oder  fünf  Schüsse 
hinter  den  Hecken  abgegeben  wurden.  Sie  töteten  die  drei 
letzten  Maultiere  des  Zugs  und  das  Pferd  des  Trompeters, 
der  vor  uns  ritt  Unsere  Pferde  machten  sofort  Halt. 

Der  Rittmeister  mußte  zuerst  vorüber,  aber  das  Pferd, 
das  er  ritt,  hatte  einem  Offizier  gehört,  der  einige  Tage 
vorher  bei  einer  ähnlichen  Gelegenheit  getötet  worden 
war,  und  das  Tier  zögerte.  Als  ich  das  sah,  gab  ich  dem 
mehligen  die  Sporen  und  überholte  den  Rittmeister.  Mein 
Pferd  sprang  über  das  des  Trompeters,  sowie  über  die 
Maultiere,  die  mit  ihrer  Last  dalagen,  und  ich  ritt  allein 
durch  das  Defilee.  Die  hinter  den  Hecken  verborgenen  Ser- 
raüos  glaubten,  mein  Detachement  folge  mir  in  unmittel- 
barer Nähe  und  feuerten  ihre  ganze  Ladung  auf  einmal  auf 
mich  ab.  Ich  wurde  indes  nur  von  zwei  Kugeln  getroffen, 
wovon  ich  die  eine  in  den  Schenkel,  die  andere  in  den 
Oberkörper  erhielt 

Einige  Augenblicke  später  folgte  mir  der  Rittmeister, 
kam  heil  und  ganz  auf  der  andern  Seite  des  Defilees  an, 
und  von  der  ganzen  Abteilung  wurden  nur  die  letzten  vier 
Husaren  getötet,  weil  die  Feinde  einiger  Minuten  bedurf- 
ten, um  ihre  Flinten  wieder  zu  laden,  um  noch  ein  zweites 
Mal  Feuer  zu  geben.  Dem  Unteroffizier,  der  am  Ende 
des  Detachements  ritt,  ward  sein  Pferd  getötet,  er  selbst 
aber  stellte  sich,  als  wenn  er  tot  wäre,  schlüpfte  dann  in 
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das  Gebüsch  und  kehrte  um  Mitternacht  nach  Ronda  zu- 
rück, ohne  verwundet  worden  zu  sein. 

Als  wir  auf  der  andern  Seite  des  Defilees  unser  Deta- 
chement  wieder  gesammelt  und  geordnet  hatten,  sagte  ich 
meinem  Obersten,  daß  ich  verwundet  sei,  meine  Kräfte 
sich  erschöpfen  fühle  und  auf  einem  sehr  abschüssigen, 
aber  äußerst  kurzen  Wege  nach  Ronda  zurückkehren 
wolle.  Er  riet  mir  jedoch,  bei  dem  Detachement  zu  bleiben, 
das  einen  Umweg  vun  einer  halben  Meile  im  Tale  machen 
sollte,  um  sich  nicht  unnütze rweise  einem  zweiten  Angriff 
auszusetzen.  Allein  ich  fühlte,  daß  ich  einen  so  langen 
Marsch  nicht  aushalten  würde,  und  betrat  den  abschüssigen 
Seitenweg  in  Begleitung  eines  Husaren,  der  mein  Pferd 
am  Zügel  führte.  Da  ich  sehr  viel  Blut  verlor,  war  ich 
gezwungen,  alle  meine  Kräfte  zusammenzunehmen,  um 
nicht  ohnmächtig  zu  werden.  Denn  wenn  ich  vom  Pferde 
gefallen  wäre,  so  hätte  man  mich  gewiß  erstochen.  Ich 
hielt  mich  mit  den  Händen  am  Sattelknauf  fest  und  machte 
vergebliche  Versuche,  mein  Pferd  zu  einer  schnelleren 
Gangart  zu  veranlassen,  denn  ich  hatte  nur  ein  Bein,  das 
ich  gebrauchen  konnte.  Das  arme  Tier  konnte  nicht 
schneller  und  strauchelte  bei  jedem  Schritt:  es  war  eben- 
falls von  einer  Kugel  getroffen. 

Eine  Viertelmeile  vor  der  Stadt  konnte  mein  Pferd 
kaum  noch  vorwärts.  Der  Husar  ritt  im  Oalopp  davon, 
um  den  Posten  zu  benachrichtigen,  der  auf  dem  Berge 
stand,  und  ich  tat  noch  ein  paar  Schritte  allein  vorwärts. 
Vor  meinen  Augen  flimmerte  es,  und  kaum  hörte  ich  noch 
die  Schüsse,  welche  die  Bauern  in  dem  nahen  Wald  von 
weitem  auf  mich  abgaben.  Endlich  kamen  mir  Soldaten 
zu  Hilfe  und  trugen  mich  in  der  Decke  meines  Pferdes 
nach  meinem  Quartier. 

Meine  Wirtsleute  kamen  mir  entgegen  und  wollten 
nicht  leiden,  daß  man  mich  ins  Militärkrankenhaus  brächte, 
wo  gerade  eine  Epidemie  herrschte.  Dort  hätte  ich  wahr- 
scheinlich, wie  viele  andere,  den  Tod  anstatt  Heilung  ge- 
funden. Meine  Wirte  hatten  mich  bis  dahin  mit  kalter, 
182 

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zurückhallender  Höflichkeit  behandelt,  da  sie  in  mir  einen 
der  Feinde  ihres  Landes  sahen.  Aus  Rücksicht  für  dieses 
patriotische  Gefühl  war  ich  gleichfalls  gegen  sie  wenig 
mitteilsam  gewesen.  Als  ich  aber  verwundet  war,  bewiesen 
sie  mir  das  lebhafteste  Interesse  und  behandelten  mich 
mit  jener  Großmut  und  Barmherzigkeit,  die  den  spani- 
schen Charakter  so  sehr  auszeichnet.  Sie  sagten  mir,  daß 
sie  mich,  seitdem  ich  ihrem  Lande  keinen  Schaden  mehr  zu- 
fügen könnte,  als  zur  Familie  gehörig  betrachteten,  und 
ohne  sich  auch  nur  einen  Augenblick  während  meiner 
HMägigen  Krankheit  gehen  zu  lassen,  verschwendeten  sie 
wirklich  an  mich  alle  nur  mögliche  Sorgfalt 

Am  4.  Mai  kamen  die  Insurgenten  zu  früher  Stunde, 
um  Ronda  mit  größeren  Kräften  als  je  anzugreifen.  Die 
Kugeln  sausten  so  nahe  an  dem  Fenster  vorbei,  an  dem 
mein  Bett  stand,  daß  man  gezwungen  war,  mein  Bett  in 
das  Zimmer  nebenan  zu  schieben.  Bald  kamen  der  Haus- 
herr und  seine  Frau,  um  mir  mit  erzwungener  Ruhe  zu 
verkünden,  daß  die  Insurgenten  schon  am  Ende  unserer 
Straße  seien  und  immer  mehr  Terrain  auf  unserer  Seite 
gewännen.  Die  alte  Stadt  werde  wohl  bald  mit  Sturm 
genommen  werden.  Sie  wollten  alle  Vorsichtsmaßregeln 
ergreifen,  um  mich  vor  der  Wut  der  Serraüos  bis  zur  An- 
kunft des  Generals  Lcrrano  Valdenebro,  ihres  Verwandten, 
zu  schützen.  Hastig  versteckten  sie  darauf  meine  Waffen, 
meine  Uniformen  und  alles,  was  die  Aufmerksamkeit  der 
Feinde  auf  sich  hätte  ziehen  können.  Dann  transportierten 
sie  mich  mit  Hilfe  ihrer  Dienstboten  in  ein  oberes  Stock- 
werk des  Hauses  hinter  eine  kleine  der  Jungfrau  Maria 
geweihte  Kapelle,  denn  sie  betrachteten  diesen  heiligen 
Ort  als  ein  unverletzliches  Asyl.  Meine  Wirtsleute  holten 
noch  schnell  zwei  O  eist  liehe,  die  sich  an  die  Haustür  stell- 
ten, um  den  Eingang  zu  verteidigen  und  mich,  wenn  es 
nötig  sein  sollte,  durch  ihre  Gegenwart  zu  schützen. 

Eine  alte  Dame,  die  Mutter  der  Hausherrin,  blieb 
mit  mir  allein  und  betete.  Je  nachdem  die  Rufe  der  Kämp- 
fenden und  das  Geknatter  der  Feuerwaffen  verkündeten, 
183 

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daß  die  Gefahr  sich  vermehrte  oder  verringerte,  drehte  sie 
die  Perlen  ihres  Rosenkranzes  schneller  oder  langsamer 
herum.  Gegen  Mittag  entfernte  sich  das  Feuern  allmäh- 
lich und  bald  horte  es  ganz  auf.  Der  Feind  wurde  auf 
allen  Punkten  zurückgeschlagen,  und  meine  Kameraden 
kamen,  mir  das  Gefecht  zu  erzählen. 

Einige  Tage  darauf  erhielt  das  2.  Husarenregiment 
den  Befehl,  sich  nach  Santa  Maria  m  begeben;  es  wurde 
durch  das  43.  Linien  regiment  ersetzt,  und  ich  blieb  als  ein- 
ziger von  meinem  Korps  in  Ronda  zurück.  Ich  kannte 
keinen  der  Offiziere  der  neuen  Garnison  und  erhielt  seit- 
dem keine  andern  französischen  Besuche  als  den  eines 
Oberfeldwebels  der  Infanterie,  der  von  Zeit  zu  Zeit  zu 
meinen  Wirtsleuten  kam,  um  sich  zu  erkundigen,  ob  ich 
noch  nicht  gestorben  oder  abgereist  sei;  er  wartete  näm- 
lich ungeduldig  auf  mein  Quartier. 

Nach  der  Abreise  meiner  Kameraden  verdoppelten 
meine  Wirisleute  ihre  Fürsorge  und  Aufmerksamkeit  noch 
für  mich.  Sie  brachten  mehrere  Stunden  des  Tages  in 
meinem  Zimmer  zu,  und  als  ich  meiner  Genesung  ent- 
gegenging, luden  sie  jeden  Abend  einige  ihrer  Nachbarn 
ein,  die  an  meinem  Bett  plauderten  oder  auch  Musik 
machten,  um  mich  ein  wenig  zu  zerstreuen;  sie  sangen 
nationale  Lieder  und  begleiteten  sich  dazu  auf  der  Gitarre. 

Am  18.  Juni  stand  ich  zum  ersten  Male  auf  und  war 
genötigt,  die  traurige  Kunst,  an  Krücken  zu  gehen,  zu  er- 
lernen, denn  ich  konnte  das  eine  Bein  nicht  mehr  ge- 
gebrauchen. Mein  erster  Weg  war  zu  dem  Pferd,  das  mit 
mir  verwundet  worden  war,  aber  es  erkannte  mich  nicht 
gleich,  und  daran  merkte  ich,  wie  sehr  ich  mich  verändert 
haben  mußte,  ich  verlieft  Ronda  am  22.  auf  einem  Muni- 
tionswagen, der  unter  starker  Eskorte  Kartuschen  aus 
Osuüa  holte.  Ich  trennte  mich  von  meinen  Wirtsleuten  mit 
demselben  Bedauern,  das  man  empfindet,  wenn  man  «um 
erstenmal  das  Elternhaus  verläßt. 

Von  Osuna  ging  ich  nach  Ecija  und  von  da  nach 
Cordoba.  Zwei  bis  dreihundert  Mann  starke  Truppen  von 
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spanischen  Parteigangern  durchzogen  das  Land  in  allen 
Richtungen.  Wenn  sie  verfolgt  wurden,  zogen  sie  sich 
in  die  Gebirge  zurück,  die  Andalusien  von  La  Mancha 
und  Estremadura  trennen,  oder  auch  in  die  Berge  an  den 
Küsten.  Diese  Parteigänger,  Guerillas  genannt,  dienten 
dazu,  die  im  Lande  herrschende  Gärung  zu  unterhalten, 
und  sie  sicherten  die  Verbindungen  zwischen  Cadiz  und 
dem  Innern  Spaniens.  Man  machte  das  Volk  glauben,  der 
Marquis  La  Romana  habe  die  Franzosen  unterhalb  Tru- 
jillo  geschlagen,  oder  besser,  die  aus  Gibraltar  gekomme- 
nen Engländer  hätten  sie  in  der  Nähe  des  Meeres  voll- 
kommen vernichtet.  Diese  geschickt  ausgestreuten  Ge- 
rüchte, so  unwahrscheinlich  sie  auch  waren,  wurden  stets 
mit  großer  Begeisterung  aufgenommen. 

Nachdem  ich  Andalusien  hinter  mir  hatte,  durchreiste 
ich  La  Mancha,  wo  ich  genötigt  war,  mich  mehrere  Tage 
auf  jeder  Station  aufzuhalten,  um  die  Rückkehr  der  Es- 
korten abzuwarten,  die  regelmäßig  Munifion  zur  Bela- 
gerung nach  Cadiz  brachten.  Die  Kommandanten  des  Post- 
verkehre  konnten  nur  für  den  notwendigsten  Dienst  der 
Armee  Eskorten  hergeben,  denn  sie  verloren  oft,  um  nur 
einen  einzigen  Kurier  einige  Meilen  weit  zu  begleiten, 
mehrere  Soldaten. 

Dem  König  Joseph  war  es  nicht  möglich,  regelmäßige 
Steuern  zu  erheben;  vergebens  schickte  er  im  ganzen 
Lande  fliegende  Korps  umher  —  die  Einwohner  retteten 
sich  in  die  Berge  oder  verteidigten  sich  wohl  auch  in 
ihren  Wohnorten.  Die  Soldaten  plünderten  die  Dörfer, 
aber  die  Kontributionen  wurden  nicht  eingezogen.  Manch- 
mal zwar  bezahlten  die  Friedlicheren  für  alle,  doch  wurden 
sie  nachher  sehr  hart  von  den  Anführern  bestraft,  weil  sie 
bei  der  Ankunft  der  Franzosen  nicht  geflohen  waren. 
Durch  derartige  Gewalttätigkeiten  waren  die  Bewohner 
von  La  Mancha  und  der  umliegenden  Provinzen  aufge- 
reizt, und  die  Zahl  unserer  Feinde  wuchs  von  Tag  zu  Tag. 
Auch  Neucastilien,  das  ich  auf  meiner  Reise  berührte,  war 
nicht  ruhiger  als  die  Provinz  La  Mancha.  Beinahe  wäre 
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es  den  Parteigängern  gelungen,  den  König  Joseph  in  einem 
seiner  Landhäuser  bei  Madrid  gefangen  zu  nehmen,  und 
oft  entführten  sie  an  den  Toren  und  in  den  Straßen 
Madrids  die  Franzosen. 

Ich  selbst  blieb  in  Madrid  ungefähr  einen  Monat, 
da  ich  auf  Reisegelegcnheit  warten  mußte.  Wenn  man 
von  Bayonne  kam,  war  es  leicht,  in  die  Hauptstadt  zu  ge- 
langen, weil  man  immer  unter  Eskorte  der  zahlreichen 
Detachements  reiste,  die  zur  Verstärkung  der  Armeen 
geschickt  wurden ;  um  aber  die  Erlaubnis  zu  erhalten,  nach 
Frankreich  zurückzukehren,  mußte  man  ein  Krüppel  sein. 
Die  Gesundheitsräte  hatten  die  strengsten  Befehle  er- 
halten, und  man  gewährte  nur  den  verwundeten  Offizieren 
und  Soldaten  Urlaub,  die  keine  Hoffnung  mehr  auf  Hei- 
lung hatten.  Zu  denen,  die  nach  Frankreich  zurückge- 
schickt wurden,  gehörte  auch  ich,  und  ich  war  sehr  froh, 
um  welchen  Preis  es  auch  sein  mochte,  einen  Krieg  ver- 
lassen zu  können,  der  ungerecht  und  ruhmlos  war  und 
in  dem  ich  im  Innern  meines  Herzens  unaufhörlich  das 
Schlechte  fühlte,  das  mein  Arm  zu  tun  gezwungen  war. 

Ich  verließ  Madrid  mit  einer  ungeheuren  Karawane 
von  außer  Dienst  gestellten  Offizieren,  die,  nur  von  einer 
Eskorte  von  75  Infantcriesulüalen  begleitet,  nach  Frank- 
reich gingen.  Wir  bildeten  ein  Peloton  Offiziere,  der 
von  dem  ältesten  Verwundeten  befehligt  wurde,  um  wenig- 
stens bewaffnet  zu  sterben,  wenn  man  uns  angriff;  denn 
wir  waren  außerstande  uns  zu  verteidigen.  Viele  von  uns 
waren  gezwungen,  sich  auf  ihren  Pferden  festzuschnallen, 
um  sich  darauf  zu  halten. 

In  unserm  Zuge  befanden  sich  auch  zwei  Wahnsinnige. 
Der  eine  war  ein  Husarenoffizier,  der  den  Verstand  infolge 
schwerer  Kopfwunden  verloren  hatte.  Er  ging  zu  Fuß, 
weil  man  ihm  sein  Pferd  und  seine  Waffen  genommen 
hatte,  da  man  befürchtete,  er  werde  entfliehen  und  Scha- 
den anrichten.  Aber  trotz  seines  Irrsinns  hatte  er  die 
Wurde  seines  Grades  und  den  Namen  seines  Regiments 
noch  nicht  vergessen.  Eines  Tages  wurde  unser  Zug 
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während  des  Marsches  angegriffen.  Es  gelang  dem  Irr- 
sinnigen, seine  Wächter  zu  täuschen,  er  fand  seine  alte 
Kühnheit  wieder  und  stürzte  sich,  mit  einem  einfachen 
Stock  bewaffnet,  den  er  das  magische  Zepter  des  Königs 
von  Marokko,  seines  Vorgängers,  nannte,  auf  den  Feind. 

Der  andere  unserer  Irrsinnigen  war  ein  alter  flämi- 
scher Musiker  der  leichten  Infanterie,  in  dessen  Gehirn 
der  heiße  spanische  Wein  für  den  Resl  seiner  Tage  eine 
unverwüstliche  Fröhlichkeit  zurückgelassen  hatte.  Er  hatte 
seine  Klarinette  gegen  eine  Violine  eingetauscht,  die  er 
sät  seiner  Kindheit  spielen  konnte,  und  nun  marschierte 
er  in  der  Mitte  unseres  traurigen  Zugs,  unaufhörlich  spie- 
lend und  tanzend. 

Niemals  trafen  wir  auf  unserm  langen,  schweigsamen 
Marsch  einen  vereinzelten  Wanderer,  nur  alle  zwei  bis 
drei  Tage  begegneten  wir  Munition szügen  oder  einigen 
Eskorten,  die  mit  uns  unter  den  Trümmern  der  verlassenen 
Häuser  übernachteten,  deren  Fenster  und  Türen  heraus- 
genommen waren,  um  der  französischen  Armee  als  Feuer- 
holz zu  dienen. 

Je  näher  wir  Frankreich  kamen,  desto  mehr  liefen 
wir  Oefahr,  von  den  Parteigängern  gefangen  genommen 
zu  werden.  Auf  jeder  Station  fanden  wir  daher  Detache- 
ments,  die  aus  verschiedenen  Gegenden  der  Halbinsel  ge- 
kommen waren,  um  mit  uns  zu  marschieren.  Bataillone, 
ganze  bis  auf  einige  Mann  reduzierte  Regimenter  trugen 
niedergeschlagen  ihre  Adler  und  Fahnen,  um  sich  in  Frank- 
reich, in  Italien,  in  der  Schweiz,  in  Deutschland  und  in 
Polen  zu  rekrutieren.  Unser  Zug  verließ  Spanien  Ende 
Juli,  20  Tage  nachdem  die  Festung  Cuidad  Rodrigo  in 
Salamanca  in  die  Hände  der  Franzosen  gefallen  war. 


187 

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3. 

Kriegszüge  in  Portugal  und  Spanien 
von 
Moyle  Sherer 


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Vorwort. 


Der  Verfasser  dieser  „Erinnerungen  aus  Spanien" 
gehört  sowohl  dem  Soldaten-  als  dem  Schrittst  eil  erstände 
an,  denn  er  veröffentlichte  außer  den  verschiedenen  Me- 
moiren seiner  Feldzüge  und  Reisen  auch  mehrere  Ro- 
mane und  eine  Biographie  Wellingtons. 

Moyle  Sherer  ist  1789  als  der  jüngste  Sohn  Joseph 
Sherers  in  Southampton  in  England  geboren.  Er  verließ 
mit  IQ  Jahren  das  Winchester  College  und  trat  in  das 
34.  Regiment,  jetzt  Border-Regiment,  ein.  Kurz  darauf, 
im  Jahre  1E0Q,  wurde  sein  Armeekorps  nach  Portugal 
beordert  und  in  den  spanisch-französischen  Krieg  ver- 
wickelt. Als  junger  Leutnant  nahm  Sherer  an  den  Ge- 
fechten von  Albuera,  Arroyo  los  Molinos  und  Vitoria 
teil.  Im  Sommer  1813,  als  Souit  bemüht  war,  die  Eng- 
länder zu  zwingen,  die  pyrenäische  Halbinsel  zu  ver- 
lassen, ward  Sherer  im  MayapafS  gefangen  genommen 
und  nach  Frankreich  gebracht,  wo  er  zwei  Jahre  haupt- 
sächlich in  Bayonne  lebte.  Seit  dieser  Zeit  war  seine 
Gesundheit  erschüttert,  und  er  erlangte  sie  nie  vollständig 
wieder.  Trotzdem  war  er  bis  1836  in  der  englischen 
Armee  aktiver  Offizier,  um  sich  dann  vollständig  vom 
militärischen  Leben  zurückzuziehen  und  als  Privatmann 
und  Schriftsteller  auf  der  Ciaverton  Farm  bei  Bath  zu 
leben.  Dort  ist  er  denn  auch  hochbetagt  im  Winter  1369 
gestorben. 

Sherer  ist  sozusagen  der  Tonangeber  für  die  Militär- 
memoiren in  England  gewesen,  die  vor  ihm  sehr  selten 
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waren,  nach  ihm  aber  stark  in  Mode  kamen.  Er  ver- 
fügt über  großes  Talent,  Eindrücke,  Volkscharaktere  und 
-gewohnheiten  zu  schildern,  und  weif)  uns  sein  bewegtes 
Leben  im  Felde  anziehend  zu  erzählen.  Als  weitgereister 
Mann  —  er  sah  später  Indien,  Ägypten,  Italien  —  ver- 
steht er  es,  Menschen  und  Ereignisse  mit  scharfem  Blicke 
zu  erfassen,  und  keine  Szene,  mag  sie  für  den  gewöhn- 
lichen Menschen  auch  noch  so  unbedeutend  sein,  entgeht 
seinem  geübten  Schriftstellerblick.  Seine  Beobachtungen 
über  die  Eigenheiten  der  Portugiesen  und  Spanier,  die 
er  gründlich  studiert  zu  haben  scheint,  sind  von  großem 
Interesse,  und  die  von  ihm  erstrebte  Unparteilichkeit  be- 
rührt angenehm,  obwohl  sie  ihm  nicht  immer  vollständig 

Ich  hoffe  mit  dem  vorliegenden  Auszug  eine  gute 
Wahl  getroffen  zu  haben,  um  dem  Leser  von  den  Verhält- 
nissen auf  der  spanischen  Halbinsel  —  durch  die  Brille 
eines  Engländers,  eines  Freundes  des  unterjochten  Volkes 
gesehen  —  ein  genügendes  Bild  zu  geben.  Das  diesem 
Auszug  zugrunde  liegende  Originalwerk  „Recollections 
of  the  Peninsula"  erschien  zum  ersten  Male  in  London 
1823  und  erlebte  viele  Auflagen.  Übersetzt  wurde  es  ins 
Deutsche  zuerst  1832. 

F.  M.  K. 


192 


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1.  Kapitel 


Ankunft  der  englischen  Truppen  in  Lissabon.  Land 
und  Leute  in  Portugal.    Marsch  der  Engländer 
nach  Spanien 

Es  war  in  der  ersten  Woche  des  Junis  im  Jahre 
1809,  als  ich  mich  in  Porthsmouth  einschiffte,  um  mich 
meinem  Regiment,  das  bereits  nach  Portugal  abgesegelt 
war,  anzuschließen.  Am  zehnten  Morgen  nach  meiner 
Abreise  aus  England  fuhr  das  Schiff,  das  mich  trug,  von 
einem  günstigen  Winde  getrieben,  unter  dem  Felsen  von 
Lissabon  hin  und  ankerte  nach  wenigen  Stunden  im 
Hafen,  dem  Schlosse  Beiern  gegenüber,  ungefähr  eine 
halbe  Stunde  von  der  Küste  entfernt. 

Bald  sammelten  sich  Boote  vom  Ufer  um  unser 
Schiff,  und  ich  lehnte  mich  über  seinen  Rand,  um  zum 
ersten  Male  auf  Eingeborene  von  Portugal  zu  blicken. 
Die  schwarzbraune  Gesichtsfarbe,  der  nackte,  stämmige 
Hals,  das  ausdrucksvolle  Auge,  die  weißen  Zähne,  ver- 
bunden mit  ihrem  lebhaffen  Wesen,  all  das  überrascht 
den  Engländer  sehr;  auch  ihre  Kleidung  ist  ihm  ganz 
neu,  und,  wie  mir  scheint,  sehr  malerisch.  Kurze  Pump- 
hosen von  weißer  Leinwand,  eine  rote  Schärpe  und  die 
nackten  Beine  und  Arme  bezeichnen  den  auffallenden 
Unterschied  zwischen  den  Bootsleuten  des  Tajo  und  den 
Schiffern  an  der  Temse. 

Die  britischen  Truppen  in  Lissabon  hatten  sich  zu 
dieser  Zeit  alle  im  Prinzenparke,  einer  großen,  sorgfältig 

13      B«M7:  Span.  Frelhtibkimpf.  193 

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gepflegten  Anlage  oberhalb  <let    Vorstadl    Hdcm,  ge- 

In  einem  alten,  verfallenen  Hause,  dem  ein/lj-rn  Ge- 
b.iudr  in  ..der  hei  dem  Lager,  hielt  die  Tischgesellschaft 
meines  Heimen!?  r.odi  ihre  fröhlichen  Sit7imj;rn.  und 
hier  genossen  wir,  um  einen  kunstlos  aus  Fässern  und 
nreltern  rrruhl.lfn  I inh.  aul  ,Ma nielsacken.  Sternen  und 
'[»rmtlrrn  gel.ifjtrl,  den  Abc:id  weit  mehr,  als  es  oft 
.in  einer  ht-wr  versorgten  1  alel  und  in  dem  bequemsten 
Speisezimmer  der  Fall  gewesen  war.  Die  Unterhaltung 
drehte  sich  nicht  mehr  auf  dieselbe  trage  und  einförmige 
Weise  um  Schilderungen  törichter  Verschwendung  und 
ermüdender  Vergnügungen  —  die  Würde  unseres  Be- 
rufes, die  natürlich  hei  suHioil  Schildcrutijren  verdunkelt 
wird,  stieg  wieder  im  Glänze  ihrer  schönsten  und 
stolzesten  Farben  vor  uns  auf.  Neue  Aussichten  und 
frische  Hoffnungen  gaben  dem  Gespräch,  das  durch  treff- 
lichen Wein  gewürzt  wurde,  eine  Lebhaftigkeit  und  einen 
Reiz,  hei  denen  die  Zeit  schnell  verstrich,  und  es  war 
Mitternacht,  als  ich  mein  Zelt  betrat.  Hier  lud  mich 
ein  Lager  von  frisch  gesammeltem  Heidekraut,  worauf 
mein  Tornister  als  Kopfkissen  und  ein  leinenes  Tuch 
als  Decke  lag,  zum  Schlafe  ein ;  ich  war  jedoch  viel  zu 
glücklich,  um  schlafen  zu  können. 

Die  Nacht  war  heiß,  ich  öffnete  den  Vorhang  meines 
Zeltes,  zur  alle  Wände  desselben  auf,  warf  mich  auf 
mein  Heidebett  und  überliefl  mich  wachenden  Träumen . . . 

Um  vier  Uhr  früh  erfrischte  ich  mich  durch  langsames 
Ankleiden  in  der  freien  Luft,  und  um  fünf  Uhr  stand 
das  Heer  unter  Waffen,  um  vom  General  Catlin  Craw- 
ford  gemustert  zu  werden. 

1070  Bajonette,  Männer  von  schöner,  kräftiger  Ge- 
stalt, sammelten  sich  unter  unseren  Fahnen.  Mein  Re- 
giment hat  nie  sehr  im  Felde  gelitten,  obgleich  es  an 
rühmlichen  Gefahren  ehrenvollen  Anteil  genommen  hat 
Aber  ach,  wie  viele  unterlagen  Krankheiten,  Strapazen 
und  dem  Schwerte,  wie  wenige  von  diesen  Männern  sind 
194 

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jetzt  noch  am  Leben !  Wir  bekamen  jährlich  neue 
Leute  zur  Ergänzung;  auch  sie  sind  größtenteils  ver- 
schwunden. 

Als  unsere  Musterung  vorüber  war,  machte  ich  mich 
mit  einigen  Begleitern  auf,  um  einen  Tag  in  Lissabon 
zuzubringen.  Von  der  Brücke  von  Alcantara  führte  uns 
eine  ununterbrochene  Straße  durch  die  Vorstädte  in  die 
Stadt.  i 

Alle  Dinge,  die  mich  umgaben,  waren  mir  so  neu, 
daß  es  mir  unmöglich  ist,  den  eigentümlichen,  aber  an- 
genehmen Eindruck  zu  schildern,  den  sie  auf  mich 
machten.  Unter  einem  Volke  umherzugehen,  das  an  Ge- 
sichtsbildung, an  Farbe  und  Kleidung  so  sehr  von  den 
Einwohnern  Englands  abstach,  immer  den  Klang  einer 
Sprache  zu  hören,  die  ich  nicht  verstand,  und  zu 
sehen,  mit  welch  ehrfurchtsvoller  Neugier  man  mich, 
als  einen  britischen  Offizier  betrachtete,  obgleich  ich  nur 
ein  jugendlicher  Fremdling  war:  all  dies  war  mir  zu- 
gleich neu  und  ergötzlich.  Die  malerische  Kleidung  der 
gemeinen  Landleute,  die  langen  Reihen  beladener  Maul- 
tiere, die  Kabriolette,  die  von  Ochsen  gezogenen  Karren, 
roh  und  altertümlich  in  ihrer  Bauart,  wie  man  sie  auf 
den  Titelkupfern  in  den  ältesten  Ausgaben  von  Vergils 
Qeorgica  sieht,  die  Wasserträger,  die  Limonadenver- 
käufer und  vor  allem  die  Mönche  und  Klosterbrüder  in 
der  Kleidung  ihrer  Orden,  die  Bauart  der  Häuser,  die 
schönen  Eingänge,  die  zierlichen  Balkone,  die  seltenen 
und  schönen  Gewächse,  die  in  ihnen  aufgestellt  sind  — 
alles  bildete  um  mich  her  ein  Gemälde,  das  trotz  seiner 
Wirklichkeit  eine  Theatertäuschung  zu  sein  schien.  Auf 
dem  kleinen  San-Paulo- Platze  machten  wir  Halt  und  früh- 
stückten in  einem  hellen,  freundlichen  Zimmer,  das  auf 
den  Strand  hinausging.  Hier  hatte  ich,  meinen  Kaffee 
schlürfend,  die  Aussicht  auf  den  schönen  Hafen,  der  mit 
Fahrzeugen  angefüllt  war,  während  viele  Piloten  und 
Fischerbarken  mit  ihren  schönen,  dreieckigen  Segeln  auf 
und  nieder  fuhren  und  in  der  Nähe  des  Ufers  Hunderte 
13-  195 


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von  schmalen,  netten  Booten,  mit  weißen  oder  gemalten 
Schirmdächern,  Reisende  von  einer  Gasse  zur  andern 
zu  den  entfernteren  Vorstädten  Alcantara  und  Beiern 
brachten.  Das  ganze  Gemälde  ward  von  einer  Sonne 
erhellt,  wie  man  sie  nur  in  einem  südlichen  Klima  sieht; 
ihr  Licht  war  so  glänzend,  daß  es  alles,  worauf  es 
fiel,  zu  beleben  schien.  Unmittelbar  unter  dem  Fenster 
unseres  Kaffeehauses  verrichteten  einige  Mauren,  deren 
es  in  Lissabon  viele  gibt,  ihre  in  Erstaunen  setzende 
Arbeit  als  Lastträger.  Ihre  herkulischen  Gestalten,  ihre 
kleinen  Turbane  und  auffallenden  Züge  und  ihre 
wundersame  Kraftäußerung  im  Heben  und  Tragen  un- 
geheurer Lasten  boten  uns  ein  neues,  ungewohntes  Schau- 
spiel dar. 

Obgleich  wir  täglich  einen  Marschbefehl  erwarteten, 
blieb  unser  Regiment  doch  fast  einen  Monat  in  diesem 
Lager.  Unter  Wanderungen  nach  Lissabon  und  Beiern 
und  täglichen  Streifereien  in  der  Nachbarschaft  verlebte 
ich  diesen  Zeitraum  sehr  angenehm. 

Indes  bedauerte  ich  mit  vielen  anderen,  daß  wir  in 
Lissabon  verweilen  mußten,  während  wir  vor  Ungeduld 
brannten,  vorwärts  zu  marschieren.  Aber  die  Zeit  nutzlos 
mit  Gedanken  und  Schwatzen  über  Dinge  zuzubringen, 
denen  ich  nicht  abzuhelfen  vermochte,  war  nie  meine 
Gewohnheit.  Alles,  was  mich  umgab,  hatte  überdies  zu 
viel  Mannigfaltigkeit  und  Neuheit,  als  daß  ein  Gefühl 
von  Überdruß  und  Unzufriedenheit  lange  in  meinem  Busen 
hätte  wohnen  können. 

Ich  wünschte  sehr,  vor  unserm  Abmarsch  Cintra  zu 
besuchen,  das  alle  Reisende  so  gerühmt  haben  und  das 
v,;l.'.i';i  seiner  roniniiiisclKn  Schönheit  hei  den  Ein wollncrii 
von  Lissabon  zum  Sprichwort  geworden  ist.  Wir  waren 
unserer  sechs  und  verließen,  nachdem  wir  auf  zwei  Tage 
Urlaub  erhalten  hatten,  in  drei  anständigen  Fuhrwerken 
um  4  Uhr  morgens  unser  Lager.  Unseren  Rückweg  nach 
Lissabon  nahmen  wir  durch  Oeyras,  eine  Stadt,  die  des- 
halb berühmt  ist,  weil  sie  dem  großen  Marquis  von 
106 


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Pombai1)  den  Graferititel  gegeben  hat,  und  wo  das  Haus 
und  die  Gärten,  die  er  lange  bewohnte,  noch  jetzt  gezeigt 
werden. 

Als  unsere  Wagen  ins  Lager  fuhren,  wurden  wir 
von  der  freudigen  Nachricht  begrüßt,  daß  Befehle  an- 
gekommen wären,  in  zwei  Tagen  nach  Spanien  aufzu- 
brechen. Der  nächste  Tag  verging  unter  geschäftiger 
Vorbereitung.  Unser  schweres  Gepäck  war  in  England 
zurückgelassen  worden,  und  wir  bekamen  neuen  Befehl, 
uns  aller  Dinge  zu  entledigen,  die  nicht  durchaus  not- 
wendig wären.  Ich  hatte  gemeinschaftlich  mit  einem 
Kameraden  ein  kleines,  leicht  beladenes  Maultier,  das 
zwischen  uns  hertrabte,  aber  in  der  Einfalt  unseres  Eifers 
trugen  wir  unsere  Tornister  selbst.  Immer  vier  von  uns 
bildeten  einen  kleinen  geselligen  Tischklub;  zum  Labsal 
hatten  wir  ein  Flaschenfutter  bei  uns,  aber  weder  Offi- 
ziere noch  Gemeine  durften  Zelte  haben.  Niemand,  außer 
Stabsoffizieren  und  Adjutanten,  war  beritten.  Ein  mit 
Feldkesseln  beladenes  Lasttier  für  jede  Kompagnie,  die 
wenigen  Lasttiere  der  Offiziere  und  der  Zug  des  Brigade- 
Pflegeamts  bildeten  unser  ganzes  Gepäck. 

Am  Morgen  des  28.  Juli  brachen  wir  in  früher  Stunde 
unsere  Zelte  ab.  Die  Leute  erhielten  auf  drei  Tage  Vorrat, 
und  gegen  7  Uhr  verließ  unser  Regiment  den  Platz,  um 
sich  nach  Santarem,  einer  gegen  10  Meilen  über  dem 
Tajo  gelegenen  Stadt,  einzuschiffen,  wohin  wir  zu  Wasser 
gebracht  werden  sollten.  Nie  werde  ich  die  Empfindungen 
vergessen,  die  mich  ergriffen,  als  wir  durch  die  Straßen 
von  Lissabon  marschierten.  Sie  waren  mit  Menschen 


')  Dom  Sebastian  Joseph  Carvalhoe  e  Mello,  Graf  von  Oeyras, 
Marquis  von  Pombai,  logg— 1782,  war  portugiesischer  Staats- 
mann. Er  stammte  aus  einer  armen  Adels  (am  die,  gelangte  aber 
liald  (Iure]]  seine  herv^rragem!'.:!!  F;i[iigk(:iU:n  un-l  -"in  liebens- 
würdiges. Wesen  zu  großem  Einfluß  heim  König  Josef  II.,  der 
ihn  mit  Amtern  und  Würden  überhäufte.  17S5  wurde  er  von  ihm 
mm  Grafen  von  Oeyras  und  später  mm  Marquis  von  Pombai 
ernannt. 

197 


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angefüllt,  in  den  Fenstern  drängten  sich  Gesichter  mit 
den  freundlichsten  und  seelenvollsten  Blicken.  Laute, 
lange  und  (ortwährende  „Vivas"  tönten  von  allen  Seiten, 
Schals,  Tücher  und  Hände  winkten  von  jedem  Balkon, 
und  die  Frauen  warfen  Blumen  und  Kränze  auf  unsere 
Häupter.  Es  war  ein  erfreulicher  Anblick,  die  Portu- 
giesen so  öffentlich  ihre  Freude  ausdrücken  zu  sehen, 
und  ich  bin  überzeugt,  daß  das  Volk  mit  wenig  Aus- 
nahmen den  Oedanken  verabscheute,  sich  unter  Frank- 
reichs Joch  zu  beugen.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich, 
sondern  sogar  gewiß,  daß  es  unter  den  höheren  Klassen 
einige  Menschen  gab,  die,  durch  Erziehung  verdorben, 
durch  Furcht  gehlendet  und  nicht  durch  Teilnahme  oder 
Vaterlandsliebe  angetrieben,  den  französischen  Waffen 
Widerstand  zu  leisten,  die  Rückkehr  der  Franzosen  so- 
wohl erwarteten  als  ihnen  auch  Erfolg  wünschten.  Sie 
bildeten  aber  einen  sehr  unbeträchtlichen  und  wertlosen 
Teil  der  Bevölkerung.  Ich  stütze  diese  Meinung  nicht 
auf  die  „Vivas"  einer  Volksmenge,  die  unsere  schönen 
und  wohlgerüsteten  Truppen  anstaunte,  sondern  auf  alles, 
was  ich  seit  meiner  Landung  beobachtet  hatte. 

Vom  Kai  des  Handelsplatzes  sprangen  unsere  Leute 
in  die  Boote,  und  unsere  kleine  Flotte  segelte  bald  unter 
günstigem  Winde  den  Flull  hinauf.  Es  muß  für  diejenigen, 
die  auf  dem  Kai  und  längs  der  Ufer  standen,  ein  er- 
götzlicher Anblick  gewesen  sein,  unsere  schönen  Krieger- 
scharen zu  sehen.  Die  blanken  Waffen,  der  glänzende 
Hutschmuck  und  die  scharlachrote  Kleidung  der  britischen 
Soldaten,  die  in  offenen  Barken  zusammengedrängt  waren, 
müssen  einen  schönen  Eindruck  gemacht  haben.  Auch 
wir  staunten  ein  Schauspiel  an,  das  in  der  Tat  ein  ganz 
anderes,  aber  höchst  friedliches,  höchst  liebliches  war. 
Das  nördliche  Ufer  des  Flusses,  von  Lissabon  bis  Villa- 
franca, bietet  eine  ununterbrochene  Reihe  von  ländlichen 
Schönheiten  dar.  Klöster,  Kapellen,  Gärten  und  Wein- 
berge, Wälder  und  Wiesen,  Herden  und  Gruppen  von 
Landleuten,  alles  in  bunter  und  fröhlicher  Mischung, 
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fesseln  das  Auge  und  sprechen  das  Herz  an.  Hier  sah 
man  in  ihren  kühlen  und  schattigen  Kreuzgängen  kleine 
Gruppen  von  Mönchen  in  der  schwarzen  und  malerischen 
Kleidung  ihres  Ordens  uns  beobachten,  als  wir  vorüber- 
fuhren. Dort  eilte  eine  glückliche  Familie,  Eltern,  Kinder 
und  Diener,  auf  ihre  Gartenterrasse  am  Rande  des  Wassers 
und  begrüßte  uns  mit  Lächeln  und  Vivatrufen,  während 
man  ein  wenig  weiter,  im  Hintergrunde,  eine  einsame 
Nonne  bemerkte,  die  aus  dem  hohen  Gitterfenster  ihres 
Klosters  auf  das  seltsame  und  glänzende  Schauspiel  blickte 
und  sich  schnell  zurückzog. 

Als  wir  am  Morgen  eine  Stunde  gearbeitet  hatten 
und  fanden,  daß  wir  zu  Wasser  wenig  oder  gar  nicht 
vorwärts  kamen,  stiegen  wir  ans  Land  und  marschierten 
nach  Santarem.  Das  Regiment  wurde  für  die  Nacht  in 
ein  Kloster  einquartiert  und  mir  ein  Privathaus  ange- 
wiesen. An  dessen  Tür  begegnete  mir  der  Eigentümer, 
ein  anständiger,  wohlgekleideter  Mann  von  ungefähr 
60  Jahren  und  von  freundlichem  Benehmen.  Cr  führte 
mich  in  ein  sauberes  Zimmer  mit  einer  hübschen  Kammer. 
Ich  war  mit  Staub  und  Schmutz  bedeckt  und  wollte  die 
Wohnung  als  zu  gut  für  mich  ablehnen ;  wie  groß  aber 
war  meine  Überraschung,  als  mein  Wirt  mir  selbst  Wasch- 
wasser brachte  und  seine  gute  Gattin  mir  Schokolade 
vorsetzte,  die  sie  selbst  auf  einem  Schenkteller  herbei- 
trug. Ich  befürchtete,  sie  möchten  wegen  meiner  zwei 
Epauletten  meinen  Rang  verkannt  haben,  und  erklärte 
ihnen,  daß  ich  nur  ein  schlichter  Leutnant  sei.  Indes 
sie  kannten  meinen  Rang  sehr  wohl,  erzeigten  mir  aber 
nicht  weniger  Aufmerksamkeit.  Sie  durchlüfteten  mein 
Zimmer  mit  Rosenwasser,  nahmen  meinen  Tornister  mit 
eigenen  Händen  ab  und  verließen  mich  dann,  damit  ich 
mich  durch  Waschen  und  Ankleiden  erfrischen  und  mich 
von  der  Verwirrung  erholen  konnte,  in  die  mich  ihre 
herzliche  und  höfliche  Aufnahme  versetzt  hatte.  Am 
Abend  speiste  meine  Gesellschaft  hier,  und  der  achtbare 
Wirt  beschenkte  uns  mit  kostbarem  altem  Wein  und  den 
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auserlesensten  Früchten.  Und  als  wir  Bedenklichkeiten 
zeigten,  besiegte  er  sie  mit  wahrer  und  aufrichtiger  Gast- 
freundlich keit;  wir  drangen  ihm  dagegen  sechs  Flaschen 
trefflichen  Sautemc  auf,  die  der  Überrest  unseres  kleinen 
Vorrats  von  französischen  Weinen  waren. 

Dies  war  meine  Aufnahme  in  dem  ersten  Quartier, 
das  ich  in  Portugal  gehabt  habe,  und  auf  diese  Weise 
empfingen  die  Portugiesen  aller  Klassen,  je  nachdem  ihre 
Mittel  waren,  im  Anfang  des  Kriegs  auf  der  Halbinsel 
die  britische  Armee.  Reiche  und  Arme,  Geistliche  und 
Laien,  Hidalgos  und  Landleute,  alle  zeigten  Eifer, 
uns  zu  dienen,  und  Bereitwilligkeit,  uns  zu  ehren. 
Auf  unseren  früheren  Märschen  öffnete  man  Haus, 
Kloster  und  Hütte  bei  der  Annäherung  unserer  Truppen; 
die  besten  Zimmer,  die  saubersten  Kammern,  die 
schlichten,  einzigen  Betten  wurden  mit  unverstellter 
Freude  den  vom  Marsche  ermüdeten  Offizieren  und  Sol- 
daten eingeräumt.  Mit  Bedauern  muß  ich  gestehen,  daß 
die  Sitten  meiner  zurückhaltenden,  aber  wohlwollenden 
Landsleute  bald  eine  Veränderung  in  der  gütigen  Stim- 
mung dieses  Volkes  hervorbrachten.  Als  sie  sahen,  daß 
viele  von  uns  sich  benahmen,  als  hätten  sie  ein  Recht 
darauf,  und  daß  ihre  ehrerbietigen  Artigkeiten  und  freund- 
lichen Dienstleistungen  für  Äußerungen  der  Huldigung 
angenommen  wurden,  die  dem  Mute,  dem  Reichtum  und 
der  Macht  der  britischen  Nation  gebührten,  als  die  Ein- 
fachheit ihrer  Sitten,  ihre  Mäßigkeit,  die  Sparsamkeit  in 
ihrer  Lebensordnung,  die  Eigentümlichkeit  ihrer  Kleidung 
und  ihre  religiösen  Vorurteile  zu  Gegenständen  des 
Spottes  und  Gelächters  wurden,  als  sie  Auftritte  ge- 
meiner Trunkenheit  unter  uns  sahen  und  zuweilen  der 
rohen  Beschimpfung  ungezogener  und  hochfahrender  Eng- 
länder ausgesetzt  waren:  als  dies  sich  alles  ereignet  hatte, 
fingen  sie  an,  die  Ansprüche  der  einzelnen  auf  ihre  Ach- 
tung zu  prüfen. 

Sie  wurden  sehr  bald  enttäuscht,  und  der  Geist,  den 
wir  in  ifnuin  iri-weckt.  zeigte  sich  111  v^rsühietU'iH'n  Hand- 
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lungen  der  Vernachlässigung-,  Unhöflichkeit  und  selbst 
der  bitteren  Empfindlichkeit.  Die  Engländer  werden  nicht 
nur  in  Portugal,  sondern  in  ganz  Europa  als  ein  freies, 
aufgeklärtes  und  tapferes  Volk  bewundert,  aber  sie  können 
sich  nicht  beliebt  machen ;  sie  sind  nicht  damit  zufrieden, 
groß  zu  sein,  sie  wollen  auch,  daß  man  sie  für  groB  hatte 
und  so  nenne.  Sie  können  sich  nicht  mit  guter  Laune 
in  die  Sitten  anderer  Völker  schicken  noch  wollen  sie  sich 
herablassen,  sich  mit  der  harmlosen  Selbstliebe  freundlicher 
Fremdlinge  zu  versöhnen ;  schmeicheln  können  sie  nie.  — 

Bei  Anbruch  der  Dämmerung  stellte  sich  unser  Regi- 
ment in  der  Ebene  unter  der  Stadt  Santarem  in  Ordnung 
und  begann  seinen  Marsch  nach  Golegao,  einem  großen, 
gegen  vier  Wegstunden  entfernten  Dorfe. 

Mit  einem  kleinen  Vortrabe  traf  ich  an  der  Spitze 
des  Regiments  in  Golegao  ein,  eben  als  die  Frühglocke 
die  Einwohner  zum  Gebete  rief.  Auf  den  Besuch  des 
öffentlichen  Gottesdienstes  hält  man  in  ganz  Spanien 
und  Portugal  mit  der  größten  Ordnung,  und  keine  Be- 
schäftigung oder  Lebensweise  darf  diese  heilige  Pflicht 
stören.  Zur  Messe  gehen  die  Maultiertreiber,  ehe  sie 
ihre  Tiere  beladen,  und  aus  der  Tür  der  Kapelle  ziehen 
die  Landleute  zu  ihrer  täglichen  Arbeit.  Selbst  die  Ver- 
wandlung der  Nacht  in  den  Tag,  eine  Maßregel,  die  wegen 
der  außerordentlichen  Hit/.e  nötig  ist,  trägt  den  Reiz  der 
Neuheit  an  sich.  Ich  erhielt  in  einer  schlichten,  aber 
reinlichen  Hütte  ein  gutes  Quartier  und  gastfreundliche 
Bewirtung,  und  wir  brachen  mit  der  Nacht  wieder  auf. 

Als  der  kühle  Abendtau  auf  unser  Biwak  in  der 
Nähe  des  Dorfes  Gaviao  sich  herabsenkte,  kam  ein  Stabs- 
offizier mit  einem  Kurier  angesprengt  und  stieg  vor  dem 
Quartier  unseres  Generals  ab.  Es  wurde  bald  unter  uns 
bekannt,  daß  eine  emstliche  und  blutige  Schlacht  von 
unsern  Waffengefährten  bei  Talavera3)  geliefert  worden 


»)  Lora"  Wellington  siegte  bei  Talavera  de  la  Rcina  am  27. 
und  28.  Juli  1809  über  die  Franzosen  unter  Joseph  Bonaparte. 

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war.  Unzusammenhängen  de  Gerüchte  sprachen  von 
einem  teuer  erkauften  Siege,  einem  schweren  Verluste 
und  einem  darauf  erfolgten  Rückzüge.  Ich  erinnere  mich 
wohl,  wie  wir  uns  alle  um  das  Feuer  versammelten,  um 
zu  horchen  und  zu  mutmaßen  und  über  den  glorreichen, 
aber  blutigen  Sieg  zu  sprechen.  Wir  bedauerten  natür- 
lich alle,  daß  wir  an  der  Ehre  eines  solchen  Tages  keinen 
Anteil  gehabt  hatten,  und  sprachen  lange  und  mit  unend- 
lichem Vergnügen  von  dem  Blutbade.  So  seltsam  es 
scheinen  mag,  Soldaten,  und  sie  nicht  allein,  sprechen 
von  den  Metzeleien  eines  Schlachtfeldes  mit  einem  Ge- 
fühle, das,  wenn  es  auch  die  lebhaften  Schläge  eines 
fröhlichen  und  sorglosen  Herzens  unterbricht,  doch  zu 
den  freudigsten  Regungen  gehört 

Zwei  Stunden  vor  Tagesanbruch  rief  die  Trommel 
zum  Abmarsch,  und  wir  erreichten  zu  früher  Stunde  Niza; 
aber  schon  war  die  Sonne  so  brennend  heiß,  daß  ich  in 
wenigen  Augenblicken  dreimal  zu  Boden  sank.  Während 
eines  kurzen  Halts  warf  ich  mich  auf  das  ausgedorrte 
Gras,  und  der  Schlaf  überwältigte  mich;  der  Hut  fiel  mir 
vom  Kopfe,  und  die  brennenden  Sonnenstrahlen  trafen 
gerade  auf  mein  entblößtes  Haupt.  Durch  den  Ton  des 
Horns  geweckt,  erhob  ich  mich  schnell,  sank  aber  so- 
gleich besinnungslos  nieder.  Meine  Kameraden  riefen 
mich  durch  die  gewöhnlichen  Mittel  wieder  ins  Leben 
zurück,  auf  meinen  Versuch  zu  stehen  kehrte  der  An- 
fall aber  zweimal  wieder. 

Durch  eine  dreitägige  Ruhe  in  Niza  erholte  ich  mich 
völlig  und  war  imstande,  alle  meine  Pflichten  wieder  zu 
erfüllen.  Während  dieses  kurzen  Zeitraums  hatten  die 
Truppen  zu  meinem  Glück  Halt  gemacht  Am  vierten 
Morgen  machten  wir  uns  auf  den  Marsch,  setzten  bei  Villa 


Letzterer,  mit  einem  Heer  von  35000  Mann,  verlor  17  Kanonen 
und  7200  Tote  und  Verwundete;  die  Engländer,  die  23000  Mann 
besaßen,  verloren  5300,  während  die  20000  Spanier,  die  kaum 
mit  in  den  Kamp!  verwickelt  wurden,  nur  geringe  Verluste  er- 
litten. 
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Velha  über  den  Tajo  und  verfolgten  unseren  Weg  nach 
Zarza  la  Major,  der  ersten  Stadt  an  der  spanischen  Grenze, 
auf  der  Straße  nach  Plasencia.  Diese  Bewegung  wurde 
ohne  Sir  Arthur  Wellesleys')  Vorschrift  gemacht  Sie 
hatte  zum  Zweck,  Soults  Armee  abzulenken,  von  deren 
Ankunft  in  der  Nachbarschaft  von  Corio  und  Plasencia 
man  Nachricht  erhalten  hatte,  und  die,  wie  man  glaubte, 
nach  ihrem  Rückzüge  von  Talavera  einen  Angriff  auf 
die  britischen  Truppen  unternehmen  würde,  der  bei  der 
Anzahl  von  Verwundeten,  womit  sie  belastet  war,  nicht 
sogleich  nach  der  Schlacht  folgen  und  nur  mit  besonderer 
Schwierigkeit  ausgeführt  werden  konnte.  Das  Land,  durch 
das  unser  Marsch  ging,  nachdem  wir  über  den  Tajo  ge- 
setzt waren,  besaß  nichts  Merkwürdiges,  aber  der  Weg 
von  Niza  nach  Villa  Velha  ist  wahrhaft  romantisch,  und 
der  Fluß,  der  an  dieser  Stelle  schmal  und  tief  ist  und 
sich  grollend  zwischen  hohen  und  abschüssigen  Ufern 
hindrängt,  die  zu  einem  dunkeln,  öden  Oebirge  aufsteigen, 
bildet  ein  großartiges,  gewaltiges  Gemälde. 

Täglich  biwakierten  wir.  Es  ist  ein  angenehmer  An- 
blick, eine  Heeresabteilung  auf  ihrem  Ruheplatz  an- 
kommen zu  sehen.  Das  Lager  wird  gewöhnlich,  wenn 
es  die  Umstände  erlauben,  am  Rande  eines  Waldes  und 
in  der  Nähe  eines  Flusses  oder  Baches  aufgeschlagen. 
Die  Truppen  machen  in  offenen  Kolonnen  Halt,  die  Waffen 
werden  zusammengestellt,  Feldwachen  und  Schildwachen 
geordnet  und  auf  ihre  Posten  geschickt,  und  in  zwei 
Minuten  scheint  alles  zu  Hause  zu  sein.  Einige  holen 
große  Steine,  um  Feuerplätze  herzustellen,  andere  eilen 
mit  Flaschen  und  Kesseln  nach  Wasser,  während  der 
Wald  von  den  Schlägen  der  Axt  widerhallt.  Unter  den 
entfernteren  Bäumen  sieht  man  die  Offiziere  zerstreut, 


»)  Sir  Artur  Wellosly,  Herzog  von  Wellington,  berühmter 
englischer  Fddherr,  1769— 1652,  hatte  von  1S09  an  den  Oberbefehl 
über  die  britischen  und  portugiesischen  Truppen.  Später,  1813,  be- 
fehligte er  auch  das  spanische  Heer. 

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einige  mit  Umkleiden,  andere  damit  beschäftigt,  sich  von 
einigen  Ästen  ein  Obdach  für  die  Nacht  zu  bauen,  und 
andere  wiederum  ihr  Feuer  anzündend,  während  man 
die  Tätigsten,  mit  Brot  beladen,  aus  dem  Dorfe  zurück- 
kehren oder  einen  Vorrat  frischer  Milch  von  einer  in  der 
Nähe  weidenden  Ziegenherde  herbeitragen  sieht. 

Die  Unbequemlichkeit  eines  Lagers  lehrte  mich,  auf 
das  nächste  mich  zu  freuen,  und  ich  lernte  —  eine  selt- 
same Lehre  für  den  Gedankenlosen  — ,  daß  Wald  und 
Wasser,  Schatten  und  Gras  üppige  Genüsse  darbieten. 
Ich  sah  jeden  Abend  die  Sonne  untergehen,  sah  sie  jeden 
Morgen  in  ihrer  Pracht  aufgehen,  und  fühlte,  daß  selbst 
mein  Dasein  ein  Segen  war.  Es  ist  in  der  Tat  auffallend, 
wie  bald  sieh  weichlich  erzogene  Menschen  an  alle  Dinge 
gewöhnen  können.  In  eine  Decke  oder  einen  Mantel 
gehüllt,  das  Haupt  auf  einen  Stein  oder  einen  Tornister 
gelehnt,  vom  Tau  der  Nacht  bedeckt  oder  vom  Gewitter- 
regen durchnäßt,  schläft  mancher  Jüngling,  :1er  von  Kind- 
heit auf  an  ein  Zimmer  mit  Teppichen  und  an  ein  Flaum- 
bett mit  Vorhängen  gewöhnt  ist. 

Als  wir  über  den  Fluß  Elja  setzten,  der  an  der 
Straße,  die  wir  zogen,  Portugal  und  Spanien  scheidet, 
versprach  ich  mir  viel  Vergnügen  von  einer  Stadt,  die 
von  Spaniern  bewohnt  wird,  die,  wie  ich  wußte,  an 
Sprache,  Sitten,  Gebräuchen  und  Kleidung  sich  sehr  von 
den  Portugiesen  unterscheiden ;  und  auf  diesen  Unter- 
schied hielt  man  aus  volkstümlichem  Stolze  an  den 
Grenzen  so  strenge  wie  anderswo.  Unsere  Heeresab- 
teilung  rückte  nahe  an  die  Stadt  Zarza  vor  und  nahm 
ihre  Stellung  auf  einer  nackten  Felshöhe,  die  gegen  eine 
halbe  Stunde  von  der  Stadt  entfernt  und  ihr  gegenüberlag. 
Keine  Seele  kam  uns  entgegen,  niemand  folgte  uns  in 
unser  Biwak.  Alles  war  still,  wie  um  Mitternacht,  aber 
die  Nachmittagssonne  schien  brennend  heiß  herab.  Kaum 
war  mein  Regiment  auseinandergegangen,  als  ich  zur 
Stadt  eilte,  und  ich  war  einer  der  ersten,  die  sie  betraten. 
Die  Straßen  waren  verlassen  und  die  Häuser  verschlossen, 
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die  Kirche  allein  stand  offen,  aber  den  Silberschmuck 
des  Altars  hatte  man  entfernt. 

Ich  wendete  mich  sdtwLirts  in  einen  Garten  und  sah 
an  einem  jenseitigen  Ende  einen  Landmann,  der,  als  er 
mich  bemerkte,  die  Flucht  ergriff  und  sich  verbergen 
wollte.  Ich  holte  ihn  ein,  und  als  ich  ihn  durch  Worte 
und  Gesten  beruhigt  hatte,  wurde  er  gesprächig.  Ich  horte 
von  ihm,  daß  die  Einwohner  von  Zarza  die  Franzosen 
diesen  Morgen  erwartet  harten,  und,  ihre  Ankunft  fürch- 
tend, alle  in  der  Nacht  entflohen  waren,  einige  nach  Al- 
cantara,  andere  in  die  Wälder  und  Gebirge.  Ich  kaufte 
ihm  einige  Bisam-  und  Wassermelonen  ab  und  gab  ihm 
eine  Kleinigkeit  mehr,  als  sie  wert  waren,  was  ihn  höch- 
lichst zu  überraschen  und  zu  erfreuen  schien. 
'  Die  Ereignisse  dieses  Morgens  machten  einen  tiefen 
und  bleibenden  Eindruck  auf  mich.  Zwar  erlebte  ich 
seitdem  Schrecknisse,  die  mich  wohl  hatten  lehren  können, 
eine  Begebenheit  zu  vergessen,  die,  wie  ich  nachher  fand, 
nicht  ungewöhnlich  war,  aber  die  ersten  Eindrücke  sind 
zu  mächtig,  um  je  vergessen  zu  werden. 

Am  nächsten  Morgen  kehrte  unser  General  von  einer 
Zusammenkunft  mit  General  Beresford')  zurück,  der  in 
der  Nahe  von  Penagarcia  und  Penamacor  mit  einer  Ab- 
teilung Portugiesen  stand,  und  an  demselben  Abend  zogen 
wir  wieder  über  die  Elja  und  betraten  aufs  neue  Por- 
tugal —  eine  Bewegung,  die,  wie  ich  glaube,  wegen  der 
Macht  und  der  Nähe  des  Feindes  für  ratsam  erachtet 
wurde,  denn  wir  hatten  nur  sechs  Bataillone  und  waren 
durch  keine  Reiterei  und  Artillerie  unterstützt.  Wir 
nahmen  jetzt  unseren  Weg  wieder  nach  Alentejo.  Eines 
unserer  Lager  auf  diesem  kurzen  Rückzüge  wurde  in 
Einer  der  wildesten  und  malerischsten  Gegenden  auf- 
geschlagen. Auf  dem  halben  Wege  zwischen  Villa  Velha 
und  Niza  windet  sich  die  Straße  durch  ein  tiefes  und 


*)  William  Carr,  Viscount  ot  Beresford,  1768—1854,  über- 
nahm später  das  Kommando  über  Hills  Korps. 

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enges  Tal,  das  auf  allen  Seiten  van  wild  gestalteten 
Felsenhöhlen  eingeschlossen  ist;  durch  dieses  fließt  ein 
kleiner  Bach,  der  von  den  Höhen  in  das  rauhe  Bett  eines 
winterlichen  Waldstroms  fällt  und,  das  reinste  Wasser 
führend,  wie  ein  Silberfaden  sanft  sich  hinschlängelt.  Hier 
machten  wir  bei  Anbruch  der  Nacht  Halt,  nachdem  wir 
fast  19  Stunden  unter  den  Waffen  gewesen  waren.  Die 
Höhen  steigen  auf  allen  Seiten  des  Tales  so  steil  und 
senkrecht  empor,  daß  es  unmöglich  ist,  ein  regelmäßiges 
Lager  hier  zu  bilden,  und  die  Leute  wurden  alle  in 
Gruppen  auf  die  Hügel  verteilt. 

Wir  hielten  14  Tage  Rasf  in  Niza  und  lagerten  in 
einem  Walde  bei  der  Stadl.  Am  7.  September  brachen 
wir  auf  und  marschierten  in  die  Kantonierungen  im 
spanischen  Estremadura.  Unser  Weg  ging  über  Port- 
alegre, Elvas,  Badajoz  und  Talavera  Real. 

Die  leichte  Brigade  unter  General  Crawford  wurde 
zu  dieser  Zeit  in  Portalegre  einquartiert.  Die  Regimenter, 
aus  denen  sie  bestand,  waren  sehr  schön  und  so  gut  als 
möglieh  geordnet.  Sie  hatten  die  Kränkung  erlitten,  erst 
am  Tage  nach  der  Schlacht  mit  Wellingtons  Armee  auf 
dem  Felde  von  Talavera  vereinigt  zu  werden.  Ich  wohnte 
hier  der  Musterung  des  23.  Regiments  bei,  das  so  all- 
gemein und  mit  Recht  bewundert  worden  ist.  Wir 
setzten  unseren  Mersch  am  nächsten  Tage  fort,  hielten 
bei  Arrouches,  einer  kleinen  unbedeutenden  Stadt,  und 
rückten  von  da  am  nächsten  Morgen  zu  einem  Biwak 
unter  den  Mauern  von  Elvas  aus.  Nahe  bei  der  letzten 
Stadt  starben  zu  Ende  des  Marsches  zwei  Leute  von 
unserem  Regiment  vor  Hitze  und  Müdigkeit.  Das  Thermo- 
meter stieg  im  Laufe  dieses  Tages  im  Freien  auf  100° 
Fahrenheit.s)  Elvas  ist  eine  feste  Grenzstadt  und  rühmt 
sich  des  Schutzes  eines  unbezwinglichen  Außenwerkes 
(La  Lippe),  das  man  für  ein  Meisterwerk  in  der  Be- 


«)  100  Fahrenheit  =  37,33  Celsius. 

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festigungskuust  ansieht.  In  dieser  Stadt  waren  die  Hospi- 
täler für  unsere  Armeen  errichtet  worden,  und  als  ich 
durch  die  Straßen  wanderte  oder  an  den  Klöstern  vor- 
überging, die  man  dazu  bestimmt  hatte,  ruhten  meine 
Blicke  beständig  auf  Männern,  die  in  der  letzten  Schlacht 
von  Talavera  verwundet  worden  waren.  Die  Grüße  dieser 
tapferen  Dulder  erwidernd,  fühlte  idi  meine  Wenige  wie 
Scharlach  erglühen.  Was  hätte  ich  nicht  damals  für  das 
stolze  Vorrecht  gegeben,  den  Offizieren  beigezählt  zu 
werden,  die  über  diese  Männer  den  Befehl  im  Felde  der 
Ehre  gehabt  hatten,  und  die  jetzt,  ihre  verkrüppelten 
Beine  auf  Krücken  stützend  oder  ihre  zerschmetterten 
Arme  in  schwarzseidenen  Tüchern  tragend,  gemächlich 
im  kühlen  Schatten  herumwandelten,  mit  dem  zufriedenen 
Blick,  der  immer  das  Gefühl  der  wiederkehrenden  Gesund- 
heit anzeigt  und  den  hier  das  Bewußtsein  der  edeln 
Sache,  die  sie  auf  das  Leidensbett  gestreckt  hatte,  doppelt 
anziehend  machte. 

Ich  folgte  einer  Oruppe  derselben  in  den  Laden  eines 
maurischen  Marketenders  namens  Tarnet,  der  der  ganzen 
britischen  Armee  unter  der  Bezeichnung  „der  Türke" 
wohlbekannt  war.  Dieser  Mann  handelte  mit  allem,  was 
Offiziere  im  Dienste  brauchen  konnten,  und  war  weit 
höflicher,  als  ich  je  einen  Marketender  getroffen  habe. 
Während  ich  hier  einige  Einkäufe  machte,  horchte  ich  auf- 
merksam auf  die  Unterhaltung  um  mich  her.  Sie  hatte 
viel  Anziehendes  für  mich,  denn  die  Leute  sprachen  von 
unseren  politischen  Verbindungen  mit  Spanien,  von  dem 
militärischen  Charakter  der  Spanier  und  von  dem  Er- 
folge des  Krieges ;  aber  ich  gestehe,  ich  errötete  über  ihren 
Mangel  an  Kenntnissen  und  Unbefangenheit  Die  Ver- 
achtung, womit  sie  über  spanische  Tapferkeit  sprachen, 
war  nicht  nur  lieblos,  sondern  unverdient.  Der  edle, 
unerschrockene  Eifer,  mit  dem  die  Spanier  zuerst  zu  den 
Waffen  griffen  und  furchtlos  dem  Manne,  dem  sich  Italien, 
Österreich,  Preußen  und  Rußland  unterwarfen  und  die 
Siegespalme  reichen  mußten,  den  Fehdehandschuh  hin- 
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warfen;  die  heldenmütige  Ausdauer,  mit  der  sie  Be- 
schwerden, Entbehrungen  und  Niederlagen  erduldeten; 
die  unerschütterliche  Entschlossenheit,  mit  der  sie,  ob- 
gleich täglich  geschlagen,  sich  immer  wieder  den  sieg- 
reichen Scharen  eines  tapferen  und  geschickten  Feindes 
ent^L';;\' [ist eilten  und  von  einem  Felde  flohen,  um  sich 
auf  einem  anderen  als  bereitwillige  Opfer  darzubieten; 
der  beispiellose  Heldenmut,  mit  dem  Zaragoza  und  einige 
andere  Städte  von  ihren  Einwohnern,  ohne  Rücksicht 
auf  Alter  und  Geschlecht,  verteidigt  wurden:  all  das  sind 
Tatsachen,  die  meinen  Landsleuten  bekannt  sein  mußten 
und  deren  sich  der  unparteiische  Soldat  und  der  gerechte 
Mann  stets  mit  freudiger  Begeisterung  erinnern  wird. 
Sicherlich  war  ich  jn  der  Wahl  der  Oesellschaft  unglücklich 
gewesen,  denn  ich  glaube,  in  keinem  europäischen  Heere 
gibt  es  so  viele  gebildete  und  unbefangen  denkende 
Männer  wie  in  dem  unsrigen.  Die  britische  Armee  darf 
jedoch  nicht  für  die  Torheit  und  Unwissenheit  vieler 
verantwortlich  gemacht  werden,  die  durch  die  Zulassung 
in  die  Reihen  des  Heeres  zu  sehr  geehrt  worden  sind. 
Wir  dürfen  nicht  auf  alle,  die  unsere  Schlachten  gekämpft 
haben,  mit  der  eiteln  Hoffnung  blicken,  Helden  zu  be- 
gegnen; wir  werden  nur  Menschen  finden. 

fch  verließ  die  Stadt,  sehr  zufrieden  mit  allem,  was 
ich  gesehen  und  gehört  hatte,  aber  etwas  traurig,  daß 
es  mir,  trotz  all  meiner  Aufmerksamkeit  und  meines 
Herumschlenderns  in  der  Nähe  seines  Quartiers,  nicht 
gelungen  war,  Wellington  zu  erblicken,  den  ich  bis  jetzt 
noch  nie  gesehen  hatte.  Meine  Waffen gefährten  hatten 
wieder  einen  Garten  neben  dem  Biwak  gefunden,  und 
nach  einem  sehr  vergnügten  Abend  legte  ich  mich  auf 
eine  Binsendecke  nieder,  die  ein  Gärtner  für  mich  aus- 
gebreitet hatte,  und  bereitete  mich  zum  Schlafe  vor,  ohne 
selbst  den  Mantel  über  mich  zu  decken.  So  ist  das 
Klima  in  Spanien. 

Wir  erreichten  Torremajor,  das  für  unsere  Brigade 
bestimmte  Dorf,  in  zwei  Tagen,  indem  wir  bei  Talavera 
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die  Nacht  hindurch  biwakierten.  Einige  Regimenter  von 
Hills  Korps'),  zu  dem  unsere  Brigade  gehörte,  lagen 
bei  Montijo,  einer  auf  unserer  Straße  gegen  vier  Stunden 
von  Torremajor  gelegenen  Stadt,  unter  anderen  das 
29.  Regiment  Es  war  das  erste  wegen  seiner  Tapferkeit 
ausgezeichnete  Regiment,  das  ich  unter  den  Waffen  ge- 
sehen habe.  Nichts  aber  konnte  schlechter  sein  als  seine 
Kleidung:  man  harte  sie  ausflicken  müssen,  und  da  man 
kein  rotes  Tuch  erhalten  konnte,  so  hatte  man  graues, 
weißes  und  sogar  braunes  dazu  genommen.  Trotz  diesem 
ungünstigen  Aussehen  aber  konnte  kein  Soldat  ohne  Be- 
wunderung auf  diese  Männer  blicken.  Die  vollkommene 
Ordnung  und  Reinlichkeil  in  ihren  Waffen  und  in  ihrer 
Ausrüstung,  ihre  gerade  Haltung  bei  der  Musterung  und 
ihr  fester,  ungezwungener  Schritt  beim  Marschieren  über- 
traf alles,  was  ich  von  der  Art  gesehen  hatte.  Kein 
Regiment  von  irgend  einem  Heere  oder  einem  Volke, 
das  ich  seitdem  Gelegenheit  hatte  zu  sehen,  ist  dem 
Begriffe,  den  ich  mir  von  einem  musterhaften  Fußvolke 
machte,  nähergekommen,  als  das  2Q.  Regiment. 

Am  4.  Oktober  wurde  unser  Korps,  das  General 
Hill  befehligte,  von  Lord  Wellington  in  der  Ebene  von 
Montijo  gemustert.  Wir  hatten  eine  Stunde  bis  zu  diesem 
Ort  zu  marschieren  und  mußten  lange  warten,  bisWelling- 
ton  kam.  ich  war  sehr  aufgeregt  und  begierig  den  Helden 
zu  sehen,  und  als  er  langsam  die  Linie  abritt,  die  Männer 
mit  scharfem,  forschendem  Blicke  musternd,  hatte  ich 
die  bequemste  Gelegenheit,  meine  Neugierde  zu  be- 
friedigen. Sein  Gesicht  überraschte  mich  sehr,  und  in 
seinen  blitzenden  Augen,  seiner  vorstehenden  Nase  und 
seinen  zusammengepreßten  Lippen  sah  ich  die  Geistes- 
gegenwart und  unerschütterliche  Entschlossenheit  ausge- 


>)  Rowland,  Viscount  Hill  of  Hawkstone,  Baron  Hill  von 
Almarez,  1772—1842,  befehligle  von  1808—1814  in  Spanien;  über- 
nahm  1S0Q  den  Oberbefehl  über  Pagets  Division,  der  verwundet 
worden  war.  Er  war  besonders  bei  Ciudad  Rudrigo  und  bei  Sala- 
manca  181-i  von  bedeutendem  Nutzen  für  Wellington. 
14      B*M7:  Spin,  frtihtitsfcrapf.  209 


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prägt,  die  zu  den  wichtigsten  Eigen  schalten  eines  Heer- 
führers gehören  und  wodurch  der  Name  dieses  großen 
Feldherrn  einen  so  verdienten  Ruhm  erlangt  hat 

Ich  kehrte  nach  der  Musterung  in  meine  Wohnung 
zurück,  verlebte  einen  sehr  vergnügten  Abend,  sprach 
von  nichts  als  von  Krieg  und  Wellington,  wurde  noch 
dieselbe  Nacht  aufs  Krankenbett  geworfen  und  war  nach 
Verlauf  einiger  Tage  an  der  Pforte  des  Todes.  Meine 
Jugend,  ein  kräftiger  Körperbau  und  lebendiger,  hoff- 
nungsvoller Mut  setzten  mich  indes  in  den  Stand,  die 
Krankheit  zu  besiegen,  und  nach  drei  Wochen  war  ich 
auf  dem  Wege  der  Genesung.  Meine  alte  Wirtin,  die 
während  meiner  Krankheit  manche  Stunde  vor  dem 
kleinen  Heiligenschreine  in  ihrer  Kammer  zugebracht  und 
täglich  für  die  Gesundheit  und  Bekehrung  des  jungen 
Ketzers  gebetet  hatte,  war  äußerst  erfreut  und  betrachtete 
meine  Genesung  als  einen  wunderbaren  Beweis  der 
Macht  ihres  Heiligen  und  als  ein  befriedigendes  Zeichen 
ihrer  eigenen  Würdigkeit 


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2.  Kapitel 

Rückkehr  zum  Regiment   Leben  im  Felde.  Krieg- 
führung  der  Spanier.     Französische  Gefangene. 
Gefecht  bei  Buzaco 

Gegen  Ende  des  März,  als  ich  meine  Gesundheit 
völlig  wiedererlangt  hatte,  ging  ich  zu  meinem  Regiment 
zurück.  Das  Heer  des  Generals  Hill,  zu  welchem  ich 
gehörte,  lag  zu  dieser  Zeit  in  Kantonierungen  verfeilt 
in  der  Provinz  Aiemiejo.  Der  General  hatte  sein  Haupt- 
quartier in  der  Stadt  Portalegre,  wo  zwei  Brigaden  und 
die  Hälfte  der  zweiten  Infanterieabteilung  lagen.  Mein 
Regiment  stand  in  Alegrete,  einer  kleinen  Stadt,  die  sehr 
romantisch  in  einer  wilden  und  malerischen  Gegend,  drei 
Stunden  von  Portalegre  und  in  der  Richtung  nach  Al- 
buquerque  lag.  Meine  Reise  glich  einer  Lustfahrt.  Wir 
bildeten  eine  kleine  fröhliche  Gesellschaft,  die  aus  lauter 
Genesenen  bestand,  und  durch  die  Erfahrung  etwas  ge- 
witzigt, nahmen  wir  viele  kleine  Bedürfnisse  und  zur 
Bequemlichkeit  dienende  Dinge  mit,  die  wir  im  vorigen 
Jahre  nicht  berücksichtigt  oder  verachtet  hatten: 

Ich  war  wieder  auf  der  Promenade,  aber  ach,  wie 
manches  liebe  Gesicht  suchte  da  mein  Auge  vergebens! 
In  dem  Zeitraum  von  vier  kurzen  Monaten  hatte  mein 
Regiment  fast  400  Soldaten  begraben,  alle  in  der  Blüte 
ihres  Lebens  und  im  kräftigsten  Mannesalter.  Alle  waren 
als  Opfer  der  ungesunden  Jahreszeit  im  spanischen  Estre- 
madura  gefallen.  Die  Offiziere  unseres  Korps  hatten  im 
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Verhältnis  zu  den  Gemeinen  keinen  so  großen  Verlust 
gehabt,  da  sie  imstande  waren,  besser  zu  leben,  denn 
zu  jener  Zeit  fanden  keine  regelmäßigen  Verteilungen 
von  Wein  und  geistigen  Getränken  an  die  Soldaten  statt, 
und  der  Wein,  den  man  zuweilen  erhielt,  war  sehr 
kraftlos.  Überdies  war  großer  Mangel  an  Chinarinde  in 
den  Hospitälern,  und  viele  Kranke  starben  dieses  Mangels 
wegen.  Ein  Grund  von  großer  politischer  und  militäri- 
scher Bedeutung  mußte  ohne  Zweifel  Lord  Wellington 
veranlassen,  eine  Stellung  einzunehmen  und  zu  behaupten, 
die  für  die  Gesundheit  und  Kraft  seines  kleinen  Heeres 
so  überaus  verderblich  war. 

Den  ganzen  April,  Mai  und  Juni  hindurch  blieben 
wir  in  fester  Stellung,  außer  daß  wir  einmal  aufbrachen 
und,  gegen  zwei  Stunden  vordringend,  ein  paar  Nächte 
biwakierten,  weil  eine  leichte  Kolonne  von  der  Armee 
des  Generals  Reynier1),  der  damals  im  spanischen  Estre- 
madura  den  Oberbefehl  führte,  einige  unbedeutende  Be- 
wegungen gemacht  hatte.  Der  Feind  zog  sich  aber  zu- 
rück, und  wir  bezogen  wieder  unsere  ruhigen  Quartiere. 

Am  30.  Juni  wurde  unser  Regiment  aus  seiner 
Stellung  abberufen  und  schloß  sich  seiner  Brigade  in 
Portalegre  an.  Alle  Erscheinungen  berechtigten  zu  dem 
Glauben,  daß  der  Kampf  eröffnet  werden  sollte.  Wir 
blieben  hier  14  Tage,  und  ich  war  hinsichtlich  meines 
Quartiers  sehr  glücklich.  Mein  Wirt,  ein  ehrwürdiger 
alter  Stiftsherr  von  freundlichem  Benehmen  und  guter 
Bildung,  gab  mir  ein  treffliches  Zimmer  und  erlaubte 
mir  den  Zutritt  in  ein  kleines  Kabinett,  worin  er  eine 
hübsche  Sammlung  von  französischen  Schriftstellern  und 
einige  schöne  Ausgaben  von  Klassikern  hatte.  Die 
Fenster  meiner  Kammer  gewährten  die  reizendste  Aus- 
sicht, und  alle  meine  Bedürfnisse  und  Wünsche  waren 
befriedigt,  wenn  ich  die  natürliche  Sehnsucht  ausnehme, 


')  Jean  Louis  Ebeneier  Graf  Reynier,  französischer  Ar- 
tilleriegcneral,  1771 — 18]  J,  kommandierte  1810  das  2.  Armeekorps. 
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ins  Feld  zu  rücken,  um  der  stolzen  Erfahrung  eines 
Kriegers  teilhaftig  zu  werden. 

Zu  jener  Zeit  hatten  die  Heere  Junots  und  Neys, 
unter  dem  Befehle  Massenas*),  ihre  Stellung  auf  oder 
bei  dem  Agueda.  Neys  Truppen  setzten  indes  die  Be- 
lagerung von  Ciudad  Rodrigo  fort.  Reynier  lag  mit  dem 
zweiten  Korps  des  französischen  Heeres  im  spanischen 
Estremadura  in  Kantonierung,  mit  großen  Vorbereitungen 
beschäftigt,  die,  wie  es  schien,  den  Zweck  hatten,  uns 
in  Alemtejo  zu  bedrohen  und  zu  bewachen.  Am  13.  Juli 
rückten  wir  in  ein  Feld,  nahe  bei  Alpalhao,  wo  wir  fünf 
Tage  hielten,  in  der  Erwartung,  daß  Reynier,  der  sich 
damals  dem  Tajo  näherte,  über  den  Fluß  setzen  würde, 
worauf  wir  schnell  eine  entsprechende  Bewegung  machen 
wollten.  Wir  wurden  hier  alle  gemustert,  und  ich  harte 
das  Vergnügen,  zum  ersten  Male  eine  große  Abteilung 
Portugiesen  unter  den  Waffen  zu  sehen.  Die  Leute 
waren  ausnehmend  schön,  und,  wenn  man  die  kurze 
Zeit  in  Betracht  zog,  die  seit  Ihrer  Einrichtung  ver- 
flossen, in  sehr  guter  Ordnung.  24  Linienregim enter, 
6  Regimenter  leichter  Infanterie,  10  Regimenter  Reiterei 
und  eine  verhältnismäßige  Menge  trefflicher  Artillerie 
bildeten  damals  das  vaterländische  Heer  von  Portugal; 
seine  gesamte  Macht  mochte  sich  bis  auf  35000  Mann 
belaufen.  Von  dieser  Anzahl  waren  jedoch  viele  Regi- 
menter noch  nicht  hinlänglich  vorbereitet,  ins  Feld  zu 
ziehen,  und  blieben  daher  in  Garnison.  Die  Gesamt- 
macht der  schlagfertigen  Briten  und  Portugiesen  mochte 
58000  Mann  nicht  übersteigen;  darunter  waren  25000 
Portugiesen.  Gegen  8000  Briten  und  6000  Portugiesen 
befehligte  der  General  Hill.  Alle  übrigen  Heeresab- 
teilungen standen  unter  Wellingtons  unmittelbarem  Be- 
fehle und  hatten  die  vorteilhafteste  Stellung  dem  von 


>)  Andre  Massena,  Herzog  von  Rivoli,  Fürst  von  Eflling, 
französischer  Marschall,  1753—1817,  hatte  1810  den  Oberbefehl 
über  die  Armee  von  Portugal. 

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Massena  befehligten  Heere  gegenüber.  Es  ist  jedoch  nicht 
meine  Absicht,  dem  Leser  eine  berufsmäßige  Beschreibung 
der  Feldzüge  zu  geben,  sondern  ihm  nur,  so  treu  ich 
kann,  die  mannigfaltigen  Freuden  eines  tätigen  Feld- 
lebens zu  schildern,  die  auf  mich  einen  tiefen  Eindruck 
machten,  wiewohl  ich  mehr  ein  Reisender  und  ein  Mann 
von  Gefühl,  als  ein  unterrichteter  Soldat  bin. 

Doch  hehren  wir  in  unser  Feldlager  zurück.  Am 
18.  Juli  brachen  wir  abermals  auf,  marschierten  vor  Niza 
vorbei  nach  dem  Tajo,  setzten  über  diesen  Fluß  bei 
Villa  Velha  und  verfolgten  unsern  Weg  durch  Saniadas 
und  Castello-Branco  nach  Atalaya,  einem  ansehnlichen 
Dorfe  am  Fuße  der  prächtigen  Bergreihe,  die  den  Namen 
Sierra  da  Estrella  führt  und  in  deren  nördlicher  Gegend 
unsere  Hauptmacht  unter  Wellingtons  Befehl  lag.  Durch 
die  Entbehrungen,  die  sie  im  vorigen  Jahre  erlitten  hatten, 
gewitzigt,  zogen  unsere  Offiziere  jetzt  sehr  gut  versorgt 
ins  Feld;  viele  von  uns  waren  beritten,  die  meisten  führten 
Zelte  mit  sich,  und  da  die  Erfahrung  uns  gezeigt  hatte, 
was  wirklich  nützlich  war,  so  hatten  wir  uns  während 
unserer  freien  Zeit  viele  kleine  Dinge  verschafft,  die 
den  Aufenthalt  im  Lager  angenehmer  machen  sollten. 
Mein  Waffengefährte  und  ich  besaßen  unser  Zelt,  unsern 
Feldtisch,  Stühle,  Strohmatratzen,  Flaschen futter  usw.,  und 
mochten  wir  auch  in  den  wildesten  und  einsamsten 
Gegenden,  von  allen  Städten  und  Flecken  entfernt,  bi- 
wakieren —  unsere  Mahlzeiten  wurden,  nachdem  sich 
unsere  Diener  an  das  Leben  gewöhnt  hatten,  mit  der 
größten  Ordnung,  Reinlichkeit  und  Bequemlichkeit  be- 
reitet und  aufgetragen,  wenn  das  Wetter  schön  war  und 
kein  Befehl  zum  Abmarsch  oder  zur  Rüstung  dazwischen 
kam.  Hatte  unser  Regiment  eine  Viertelstunde  Halt  ge- 
macht, so  wurde  unser  Zelt  aufgeschlagen;  der  Kessel 
befand  sich  über  dem  Feuer,  unter  einem  schattigen  Baume 
wurde  das  Frühstück  mit  dem  Teezeug  ausgebreitet,  die 
Ziege  gemolken,  und  wir  saßen  zufrieden  bei  unserem 
fröhlichen  Mahle.  Auch  das  Mittagsmahl  ließ  einem 
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mäßigen  Manne  wenig  übrig,  was  er  hätte  wünschen  oder 
worüber  er  hätte  murren  können,  wenn  auch  keine  große 
Mannigfaltigkeit  in  den  Speisen  war;  denn  im  Felde  sieht 
man  gewöhnlich  nur  zwei  Gerichte,  nämlich  Suppe  und 
Fleisch  oder  ein  irländisches  Schmorgc rieht,  mit  Reis, 
Kürbis,  Tomaten  und  einer  Flasche  gutem  Landwein. 

Im  Biwak  bei  Villa  Velha  lagerten  wir  uns  eine 
Stunde  von  einem  spanischen  Korps  entfernt,  das  unter 
dem  Befehl  des  Generals  Carrera  stand  und  nach  Badajoz 
marschieren  wollte.  Es  war  ein  überaus  schönes  Regi- 
ment, wiewohl  durch  Niederlagen  völlig  in  Unordnung 
gebracht  und  fast  verzagt  aus  Mangel  an  jener  Hoffnung 
und  Aufmunterung,  die  nur  das  Kriegsglück  dauernd  ein- 
zuflößen vermag.  Sie  hatten  an  der  unglücklichen  Schlacht 
bei  Alba  de  Tormes  teilgenommen  und  waren  kürzlich 
beugen  dts  Talk;  von  Cim.Kul  Rodrigo  jii'wesi'ii.3)  Auf 
uns  sahen  sie  mit  dem  Blick  der  Verachtung,  den  ihre 
Unwissenheit  als  Soldaten  und  ihr  Eifer  als  Spanier 
einigermaßen  entschuldigen  muBten.  Sie  wußten  wenig 
oder  gar  nichts  von  regelmäßiger  Kriegsführung,  sie 
wußten  nur,  daß  wir  seit  der  Schlacht  bei  Talavera  keinen 
Schuß  an  ihrer  Seite  getan  hatten,  daß  unsere  Waffen- 
gefährten vor  zwei  Jahren  unter  dem  General  Moore 
durch  Galizicn  geflohen  waren,  ohne  zu  fechten,  und 
ihre  ängstlichen  und  verächtlichen  Blicke  sagten  uns  deut- 
lich, daß  sie  befürchteten,  wir  möchten  bei  der  Annäherung 
Massenas  mit  gleicher  Eile  durch  Portugal  zurückkehren. 
Es  kränkte  mich,  dies  alles  zu  beobachten,  ich  schrieb 


»)  Am  28.  November  1800  wurden  die  Spanier  unter  Del 
Parque  vom  General  Marchand  bei  Alba  de  Tormes  geschlagen 
und  verloren  3000  Mann,  teils  in  Oalicien,  teils  bei  Ciudad  Rodrigo. 
Diese  Stadt  wurde  im  Juni  1810  von  Ney  mit  50000  Mann  besetzt, 
aber  die  Besatzung,  4000  Spanier  unter  dem  tapferen  Andreas 
Herrasti,  ergab  sich  erst  am  9.  Juli,  da  es  vergeblich  war,  gegen 
eine  solche  Obcrmacht  Widerstund  zu  leisten.  Im  Januar  1812 
wurde  Ciudad  Rodrigo  von  den  Engländern  unter  Wellington  den 
Franzosen  wieder  abgenommen. 

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aber  vieles  der  gereizten  Stimmung  zu,  worin  die  aus- 
gestandenen Leiden  und  Gefahren  sie  versetzt  haben 
mußten,  und  ich  vergab  ihnen  von  Herzen. 

Der  General  Carrera,  der  sie  befehligte,  saß  mit 
mehreren  ihrer  höheren  Offiziere  unter  einigen  Bäumen 
und  rauchte  seine  Zigarre.  Sein  Haupt  war  unbedeckt, 
und  er  trug  einen  leichten  gewöhnlichen  Leibrock.  Er 
war  ein  überaus  schöner  Mann,  und  als  unsere  wohl- 
gerüsteten Truppen  an  diesem  Platze  vorüber  auf  ihre 
Posten  zogen,  betrachtete  er  sie  mit  schweigendem  und 
empörendem  Stolze.  Er  besaß  keine  Kenntnisse,  war 
aber  ein  feuriger  junger  Krieger  und  ein  wahrer  Freund 
seines  Landes.  Im  Jahre  1811  oder  1812  fiel  er  in  den 
Straßen  von  Murcia,  mit  Säbelwunden  bedeckt,  nachdem 
er  kurze  Zeit  mit  fünf  französischen  Dragonern  einen 
höchst  ungleichen  Kampf  geführt  hatte. 

Ich  erwähne  das  Zusammentreffen  mit  den  spanischen 
Truppen,  um  zu  zeigen,  was  für  Anführer  sie  oft  hatten 
und  wie  wenig  Ordnung  und  Plan  in  dem  Marsche  und 
den  Bewegungen  der  Krieger  war,  die,  wie  man  wohl 
sagen  kann,  zerstreut  in  ihrem  Biwak  durcheinander- 
liefen, ohne  regelmäßige  Stellung  oder  eine  Spur  von 
Mannszucht  und  Aufsicht,  und  den  Befehlen  von  Gene- 
ralen unterworfen,  die  vielleicht  in  den  meisten  Fällen 
von  Vaterlandsliebe  angetrieben,  aber  selten  von  Urteils- 
kraft geleitet  wurden. 

Am  17.  August  rückte  unser  und  ein  anderes  Ba- 
taillon in  ein  Lager  bei  San  Domingo,  gegen  ein  und  eine 
halbe  Stunde  von  Sarzedas  entfernt,  zur  Unterstützung 
einiger  Truppen  leichter  Infanterie  und  Reiterei,  die  vor 
uns  lagen  und  Castello  Branco  und  die  umliegenden 
Dörfer  besetzt  hielten.  Wir  hatten  ein  sehr  vergnügtes 
Biwak ;  die  Bäume  waren  groß  und  schön,  ein  klarer 
Bach  von  süßem  Wasser  floß  an  unseren  Linien  vorbei, 
und  die  Leute  erhielten  bequeme  und  reinliche  Baracken. 
Unser  General  hatte  eine  kleine  Kapelle  an  der  Seite 
der  Landstraße,  das  einzige  Gebäude  in  unserer  Nähe, 
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eingenommen,  und  Landleute,  die  gehört  hatten,  daB 
unsere  Mannszucht  streng  sei  und  daß  wir  alles  frei- 
gebig bezahlten,  kamen  bald  aus  einer  Entfernung  von 
zwei  bis  drei  Stunden,  um  Markt  in  unserem  Lager  ab- 
zuhalten. Sie  versorgten  uns  mit  Vorräten  an  Brot,  Milch, 
Eiern,  Geflügel,  Honig  und  trefflichem  Landwein.  Wer 
einmal  zwei  bis  drei  Wochen  lang  nichts  als  seinen  Teil 
Rindfleisch  und  harten  Zwieback  genossen  hat,  wird  sich 
nicht  wundern,  daß  ich  diese  Kleinigkeiten  erwähne,  und 
wer  nie  im  Felde  gedient  hat,  mag  bei  ihrer  Erwähnung 
lächeln,  vorausgesetzt,  daß  er  es  mit  guter  Laune  tut 
und  mich  zuletzt  entschuldigt. 

Während  wir  hier  lagerten,  spielte  sich  vor  unserer 
Front  ein  Reitergefecht  ab,  wobei  einige  von  unserm 
13.  leichten  Dragoner-Regiment  einen  feindlichen  Fou- 
ragiertrupp  gefangen  nahmen.  Die  Gefangenen  wurden 
an  unserem  Lager  vorbei  ins  Hauptquartier  gebracht 
Ich  hatte  bis  jetzt,  obgleich  ich  schon  ein  Jahr  im  Lande 
war,  noch  keinen  französischen  Soldaten  gesehen  und 
machte  mich  allein  auf  den  Weg,  um  der  Eskorte  ent- 
gegenzugehen. Ich  wußte  nicht,  wie  es  kam,  aber  ich 
machte  mir  seltsame  Vorstellungen  von  dem  Aussehen 
französischer  Soldaten.  Was  ich  zu  sehen  erwartete,  kann 
ich  nicht  genau  sagen,  gewiß  aber  nicht  Männer  von 
schöner,  frischer  Gesichtsfarbe  und  von  schlanker,  wohl- 
gebildeter Gestalt.  So  waren  jedoch  die  Gefangenen ; 
es  waren  Jäger,  gegen  60  an  der  Zahl,  in  netten,  grünen 
Uniformen  und  überaus  gut  stehenden  Mützen.  Einige 
von  ihnen  schienen  niedergeschlagen  und  traurig,  andere 
erbost  und  ungehalten  zu  sein,  die  meisten  aber  blickten 
mit  furchtloser  und  unbefangener  Neugier  um  sich  her, 
während  ihre  lachenden  blauen  Augen  nichts  weniger 
als  Grausamkeit  verrieten.  Es  gab  zwar  unter  ihnen 
nur  wenig  Franzosen,  aber  wenn  auch  Deutsche,  waren 
sie  doch  Soldaten  des  französischen  Heeres,  marschierten 
und  fochten  mit  ihm  und  waren  Feinde,  denen  wir  oft 
begegneten.  Ein  großer  Teil  von  Napoleons  Reiterei 
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bestand  aus  Deutschen,  und  selbst  die  numerierten 
Regimenter  Frankreichs  aller  Waffen  enthielten  Italiener, 
Belgier,  Holländer  und  andere  Fremdtruppen.  Sie  waren 
daher  gleichsam  Proben  der  Feinde,  mit  denen  wir 
kämpfen  sollten. 

Unter  ihnen  war  ein  Mann,  dessen  furchtbare  und 
wilde  Gesichtszüge  ich  in  der  Tat  nie  vergessen  werde. 
Er  war  von  mittlerer  Größe,  stark  und  kräftig,  sein  Haupt- 
haar und  sein  ungeheurer  Schnurrbart  waren  vollkommen 
weiß,  sein  Gesicht  bleich,  seine  Augen  klein  und  etwas 
rot,  und  der  Ausdruck  seines  Blickes  war  ebenso  na- 
türlich als  mitleidslos.  Seine  Kameraden  schienen  ihn 
zu  scheuen,  und  auf  meine  Fragen  erfuhr  ich,  daß  er 
aus  einer  österreichischen  Provinz  gebürtig  sei.  Seine 
Sprache,  sagten  sie,  wäre  ihnen  kaum  verständlich,  er 
sei  ein  vollkommener  Wilder,  aber  tapfer  und  ein  gutes 
Futter  fürs  Pulver.  Ich  schauderte  bei  den  Gedanken, 
daß  ein  solcher  Mann  Soldat  war.  Vor  einem  solchen 
Bösewichte,  dachte  ich,  wird  das  weinende  Weib  ver- 
geblich knien,  diesen  einmal  erhobenen  Arm  wird  das 
Lächeln  des  hilflosen  Säuglings,  der  Seufzer  des  ver- 
wundeten Kriegers  nie  vom  Todesstreiche  zurückhalten. 
Er  war  der  einzige  Verwundete  unter  dem  ganzen  Haufen, 
denn  man  hatte  wenig  oder  keinen  Widerstand  geleistet; 
aber  ein  solcher  Mann  mußte  kampfunfähig  gemacht 
werden,  ehe  er  entwaffnet  werden  konnte. 

Am  2.  September  kehrte  unser  Bataillon  nach  Sar- 
zedas  zurück.  Am  12.  brachen  wir  auf  und  marschierten 
nach  Sobreira  Formosa,  wo  wir  fünf  Tage  blieben.  Das 
Land  war  zwar  gebirgig,  die  Luft  aber  drückend  heiß. 
Wir  fanden  jedoch  Schutz  unter  großen  Kastanienbäumen, 
den  schönsten,  die  ich  je  gesehen  habe. 

Ganz  nahe  bei  uns  hatte  sich  eine  portugiesische 
Heeresabteilung  gelagert.  Als  sie  ihre  Abendparade 
hielt,  ging  ich  an  ihrer  Linie  entlang.  Der  Augenblick 
schien  sich  zu  nähern,  wo  wir  wahrscheinlich  neben- 
einander fechten  sollten,  und  von  ihrer  Kraft  hing  die 
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Fortsetzung  des  rühmlichen  Kampfes  auf  der  Halbinsel 
ab.  Die  Grenadiere  der  Brigade  von  Algarve  zogen  be- 
sonders meine  Aufmerksainkeii  auf  sich.  Es  waren  alle 
schöne  Soldaten,  und  ihre  braune  Oes iehls färbe,  ihre 
schwarzen  Schnurrbarte,  ihre  großen,  dunkeln  Augen 
gaben  ihnen  ein  wahrhaft  martialisches  Ansehen.  Ich 
hörte  sie  zum  ersten  Male  ihr  Abendlied  singen.  Die 
Leute  standen,  während  die  Sonne  unterging,  im  Kreise 
um  ihre  Offiziere  und  sangen  ihr  Abendgebet  in  einer 
Melodie,  die  für  mich  neu,  anziehend  und  feierlich  war. 

Am  Morgen  des  17.  setzten  wir  uns  wieder  in  Be- 
wegung und  marschierten  eilig  nach  dem  Mondego,  an 
dessen  südlichem  Ufer,  nahe  bei  Ponte  de  Murcella,  wir 
Halt  machten.  Auf  unserem  Wege  setzten  wir  bei  Villa 
del  Rey  über  den  Zezere.  Unser  Biwak  bei  dieser  Stadt 
war  im  höchsten  Grade  jämmerlich.  Der  Regen  goß 
in  Strömen  herab,  und  das  Zelt  gewährte  kaum  Schutz. 
Donner  und  Blitz,  die  unser  Vieh  erschreckten,  und  ein 
heftiger,  an  unser  Zelttuch  schlagender  Wind  vollendeten 
unser  Elend. 

Doch  bei  einem  vergnügten  Sinne  und  aufgeweckten 
Lebensgeistern  leidet  man  nichts  und  achtet  solche  Un- 
annehmlichkeiten nicht.  Ich  erinnere  mich,  daß  mein 
Warf  engefährte  mir  etwas  Glühwein  machte,  und  ich 
kroch  dann  unter  meine  Decke,  warf  ein  Wachstuch  über 
mich,  und  es  gelang  mir,  das  Ungewitter  und  seine  Un- 
annehmlichkeiten in  einem  tiefen  Schlafe  zu  vergessen. 

Mit  der  Sonne  erhob  ich  mich,  aber  welche  Ver- 
änderung belohnte  unsl  Der  Morgen  war  himmlisch, 
das  Wetter  mild,  alle  Bäume  und  Felder  glänzten  von 
Regentropfen,  und  die  Natur  zeigte  ein  heiteres  und 
frisches  Antlitz.  Unser  Marsch  ging,  nachdem  wir  den 
Zezere  durchwatet  hatten,  während  der  ersten  zwei  Stun- 
den durch  ein  schönes,  wohl  an  gebautes  Land,  mit  vielen 
reinlichen  Hütten  und  Weinbergen,  die  rot  von  Früchten 
waren.  Als  wir  dahinzogen,  brachten  die  Landleute  Wein 
und  Pfirsiche,  Pflaumen  und  Trauben,  die  sie  für  einen 
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geringen  Preis  an  die  Offiziere  verkauften  und  freigebig 
an  die  Gemeinen  verschenkten. 

Unsere  Leute  hatten  zuletzt  nur  einen  kleinen  Teil 
Brot  erhalten,  und  obgleich  sie  fröhlich  und  guter  Laune 
waren,  so  wurden  sie  doch  durch  diesen  erzwungenen 
Marsch  etwas  ermüdet.  Nie  werde  ich  die  Worte  ver- 
gessen, die  einer  von  unsern  Leuten  an  seinen  Kameraden 
richtete,  während  sie  stolpernd  in  der  Finsternis  vor  mir 
her  sich  fortarbeiteten;  sie  schildern  auf  tiefsinnige  Weise 
den  Anteil  des  Soldaten  am  Feldzuge.  „Wilm,"  sagte 
er,  „das  Parlament  und  die  großen  Herren  zu  Hause 
wissen  alles,  was  die  Armee  und  der  große  Feldherr 
unternimmt,  aber  sie  wissen  nichts  von  dem  einzelnen 
Soldaten;  sie  wissen  z.  B.  nicht,  daß  du  verdammt  müde 
bist  und  daß  ich  kein  Brot  erhalten  habe."  —  Es  liegt 
mehr  in  diesen  Worten,  als  man  anfangs  zu  hören  glaubt, 
und  der  nachdenkende  Mensch  kann  mit  Nutzen  dar- 
über philosophieren. 

Wir  schlugen  am  23.  unser  Lager  bei  einem  kleinen 
Dorfe  hinter  der  Sierra  de  Murcella  auf  und  blieben 
drei  Tage  hier  liegen.  Unsere  Feldwachen  erhielten  ihre 
Posten  nahe  am  Kamme  dieses  ungeheuren  Gebirges, 
von  wo  sie  nordöstlich  einen  weiten  und  schönen  Land- 
strich übersahen. 

Am  26.  brachen  wir  wieder  auf,  setzten  über  den 
Mondego,  erstiegen  die  hohe  Sierra  de  Buzaco  und  standen 
bald  in  Schlachtordnung  rechts  von  Wellingtons  Heere. 
Unsere  Stellung  dehnte  sich  gegen  vier  Stunden  längs 
dem  felsigen  Bergrücken  hin,  und  der  Boden,  den  wir 
besetzten,  senkte  sich  da,  wo  unsere  Nachhut  stand,  zu 
einem  Abhänge  und  verbarg  auf  die  trefflichste  Weise 
unsere  Stellung  sowie  die  Stärke  unserer  Heeresmacht. 
Mein  Regiment  hatte  kaum  die  Waffen  zusammengestellt, 
als  ich  zu  dem  Rande  des  Berges  ging,  auf  dem  wir 
lagen,  in  der  Hoffnung,  etwas  vom  Feinde  zu  entdecken; 
ich  hatte  indes  keine  Ahnung  von  dem  prächtigen  Schau- 
spiel, das  mich  erwartete.  Soweit  das  Auge  reichte, 
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verkündeten  der  Glanz  des  Stahles  und  die  von  der 
Reiterei  und  Artillerie  aufgewirbelten  Staubwolken  das 
Anrücken  eines  unermeßlichen  Heeres,  während  un- 
mittelbar unter  mir,  am  Fuße  der  steilen  Höhe,  bereits 
seine  Vorposten  autgestellt  waren.  Tausende  lagen  be- 
reits in  ihren  Biwaks.  Im  langsamen  Zuge  folgend  nahm 
Kolonne  auf  Kolonne  den  ihr  angewiesenen  Platz  ein, 
und  immer  mehr  schwoll  die  ungeheure  schwarze  Masse 
an.  Die  Anzahl  der  Feinde  war  nach  der  niedrigsten 
Berechnung  75000  Mann,  und  diese  Macht  war  in  drei 
abgesonderte  starke  Kolonnen  geteilt,  während  man 
hinter  ihrem  Flügel  in  beträchtlicher  Entfernung  ein 
großes  von  ihrer  Reiterei  gebildetes  Lager  sehen  konnte. 
Das  ganze  Land  im  Hintergründe  schien  von  ihrem  Nach- 
zuge, ihrem  Feldhospital  und  ihrem  Heeres-Verpflegungs- 
amte  bedeckt  zu  sein.  Es  war  ein  französisches  Heer. 
Hier  lagen  die  Männer  vor  mir,  die  vor  beinahe  zwei 
Jahren  die  ganze  englische  Küste  in  Schrecken  gejagt, 
die  Italien  erobert,  Österreich  überwältigt,  in  den  Ebenen 
von  Austerlitz  gesiegt  und  in  einem  Tage  auf  dem 
Schlachtfelde  von  Jena  Preußens  Macht,  Stolz  und  Kriegs- 
ruhm gedemütigt  hatten!  Morgen,  dachte  ich,  werde 
ich  zum  ersten  Male  das  Schlachtgetösc  hören,  das  Nieder- 
metzeln sehen  und  die  Ehre  eines  schwer  erkämpften 
Sieges  teilen  oder  zu  den  Gefallenen  gehören.  Langsam 
kehrte  ich  zu  meinem  Rcgimcutc  zurück,  und  als  der 
Abend  unter  anziehender,  lebhafter  Unterhaltung  ver- 
flossen war,  legten  wir  uns,  obgleich  wir  weder  Ge- 
päck noch  Feuer  hatten,  zur  Ruhe.  In  unsere  Mäntel 
gehüllt,  die  felsige  Oberfläche  des  Berges  zum  Kopf- 
kissen und  den  Himmel  zu  unserm  Baldachin,  durch- 
schliefen oder  verbrachten  wir  vielmehr  die  Nacht  mit  den 
mannigfaltigsten  Oedanken. 

Zwei  Stunden  vor  Tagesanbruch  stand  das  Heer 
unter  Waffen,  aber  die  zwei  Stunden  vergingen  schnell 
und  ruhig.  Endlich,  als  der  Tag  graute,  ließen  sich  ein 
paar  entfernte  Schüsse  zu  unserer  Linken  hören.  Sie 
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wurden  durch  Kanonendonner  und  das  rasche,  heftige, 
unaufhörliche  Rottenfeuer  der  Musketen  erwidert.  Wir 
erhielten  Befehl,  aufzubrechen  und  die  angegriffenen 
Truppen  zu  unterstützen.  Hills  ganzes  Korps,  gegen 
14000  Mann  stark,  bildete  sich  zu  einer  offenen  Ko- 
lonne und  marschierte  in  festem  doppeltem  Geschwind- 
schritt und  in  größter  Ordnung  links  ab. 

Als  wir  uns  bis  auf  eine  halbe  Viertelstunde  einem 
der  Angriffspunkte  genähert  hatten,  von  dem  der  Feind 
eben  durch  das  74.  Regiment  vertrieben  wurde,  sah  ich 
mich  nach  der  Nachhut  unserer  Truppen  um.  11 000  Mann 
folgten  uns,  alle  vor  unsern  Augen,  alle  in  offener  Ko- 
lonne, alle  mit  Qeschwindschritt  anrückend.  Wir  hielten 
genau  im  Hintergründe  des  Platzes,  von  dem  das  74.  Re- 
giment in  schönster  Ordnung,  die  Fahnen  von  Kugeln 
durchlöchert,  zurückkehrte.  Hier  flogen  einige  Bomben 
über  unsere  Linie,  die  indes  keinen  Schaden  anrichteten, 
aber  wir  hatten  nicht  die  Ehre,  in  den  Kampf  verwickelt 
zu  werden.  In  diesem  Augenblick  wurde  der  erste  Ver- 
wundete, den  ich  im  Felde  sah,  an  mir  vorübergetragen. 
Es  war  ein  schöner  junger  Engländer  in  portugiesischen 
Diensten,  der  hilflos  in  einem  leinenen  Tuche  dalag,  beide 
Beine  von  einer  Kanonenkugel  zerschmettert.  Er  sah 
bleich  aus,  und  große  Schweißperlen  standen  auf  seiner 
Stirn,  aber  er  sagte  nichts  —  sein  Schmerz  schien  unaus- 
sprechlich. Ich  wünschte  ihm  heimlich  den  Tod,  ein 
Wunsch,  der,  wie  ich  glaube,  nicht  lange  unerfüllt  blieb. 

Um  diese  Zeit  kam  Wellington  mit  einem  zahlreichen 
Generalstabe  herangesprengt  und  erteilte  unmittelbar  vor 
unserer  Linie  dem  General  Hill  seine  Befehle,  so  daß 
ich  deutlich  hören  konnte,  was  er  sagte.  „Wenn  sie 
wieder  auf  diesem  Punkte  einen  Angriff  machen,  Hill,  so 
geben  Sie  ihnen  eine  Ladung  und  dringen  mit  dem  Ba- 
jonett auf  sie  ein;  lassen  Sie  aber  Ihre  Leute  sie  nicht 
zu  weit  den  Hügel  hinab  verfolgen."  —  Ich  war  über 
diese  Befehlsweise  sehr  überrascht,  die  so  entschieden, 
so  männlich  und  so  frei  von  jedem  Zweifel  war,  daß 
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der  Angriff  zurückgewiesen  werden  könnte,  und  sie  be- 
stärkte sehr  das  Zutrauen.  Lord  Wellington  einfaches 
Benehmen  in  der  Erteilung  der  Befehle  und  beim  An- 
führen ist  ganz  so,  wie  es  einem  erfahrenen  Manne  ge- 
ziemt. Er  hat  nichts  Barsches,  nichts  Prahlerisches,  nichts 
Wichtigtuendes  oder  Auffahrendes  an  sich;  seine  Be- 
fehle im  Felde  sind  kurz,  bündig,  deutlich  und  zweck- 
mäßig. 

Die  Franzosen  machten  jedoch  den  ganzen  Tag  hin- 
durch keine  Bewegung  gegen  uns.  Ihre  beiden  ver- 
zweifelten Angriffe  waren  glücklieh  zurückgeworfen  und 
ihr  Verlust,  mit  dem  unsrigen  verglichen,  sehr  bedeutend. 
Von  der  Höhe,  die  vor  unserer  jetzigen  Stellung  lag, 
konnten  wir  sie  besser  als  den  Abend  vorher  übersehen ; 
Waffen- Ausrüstung,  Uniformen,  alles  war  zu  erkennen. 
Sie  waren  damit  beschäftigt,  ihre  Verwundeten  fortzu- 
schaffen. Da  aber  nichts  von  ihren  Truppen  aufbrach, 
glaubte  man  allgemein,  sie  würden  morgen  ihre  An- 
griffe erneuern.  Unsere  Leute  gingen  im  Laufe  des 
Tages,  um  Wasser  zu  holen,  an  einen  kleinen  Bach 
hinab,  der  zwischen  den  sich  gcgcnüheistelienden  Heeren 
lag,  und  man  konnte  sehen,  wie  französische  und  eng- 
lische Soldaten  aus  demselben  Flusse  tranken  und  sich 
sogar  hinüberbeugten,  um  sich  die  Hände  zu  reichen. 
Ein  Gemeiner  von  meinem  Regimente  tauschte  sogar 
die  Mütze  mit  einem  feindlichen  Soldaten,  als  Zeichen 
der  Achtung  und  des  Wohlwollens.  Als  die  Sonne  unter- 
ging, wurden  unsere  Feldwachen  den  Hügel  hinunter- 
geschickt, und  ich  sah  deutlich,  daß  sie  mitten  unter 
den  toten  Kriegern  aufgestellt  wurden,  die  am  Morgen 
gefallen  waren.  In  unserer  nächsten  Umgebung  erinnerte 
jedoch  nichts  an  die  stattgehabte  Schlacht,  denn  der  Ver- 
lust auf  unserer  Seite  traf  nur  einen  kleinen  Teil  unseres 
Heeres  und  war,  in  Anbetracht  des  Umfanges  unserer 
Linie,  so  unbedeutend,  daß  man  wenig  oder  gar  keine 
Spuren  davon  sah.  Nicht  so  auf  Seiten  des  Feindes. 
Da  er  indes  besonders  auf  seiner  Flucht  vom  Hügel 
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herab  gelitten  hatte,  so  lagen  seine  Toten  an  dessen 
Abhänge,  von  wo  sie,  wie  gesagt,  ihre  Verwundeten  ab- 

Jedermann  hegte  die  volle  Überzeugung,  daß  der 
Morgen  einen  allgemeinen  und  blutigen  Kampf  herbei- 
führen würde.  Unsere  Linie  bereitete  sich  ununterbrochen 
vor,  die  Soldaten  lagen  mit  ihrem  Riemenzeug  um 
den  Leib  in  einer  regelmäßigen  Kolonne,  Vorder-  und 
Hinterreihen  Kopf  an  Kopf,  und  jeder  hatte  seine 
Flinte  neben  sich.  Früh  um  drei  Uhr  erhoben  wir 
uns  und  standen  auf  unserm  Posten  unter  den  Warfen. 
In  einer  Art  Schlucht  zwischen  zwei  der  rohen,  unge- 
stalteten Felsenrücken,  die  sich  auf  dem  Gebirge  erheben, 
nahm  mein  Regiment  mit  einem  andern  Bataillon  seine 
Stellung  ein.  Diese  Schlucht  wurde  als  der  verwund- 
barste Punkt  der  ganzen  Linie  betrachtet,  und  man  glaubte, 
der  Feind  würde  seinen  Hauptangriff  darauf  richten. 
Gegen  halb  vier  Uhr  schickten  die  Feldwachen  die  Nach- 
richt, der  Feind  trete  unter  die  Waffen.  Die  Feldwachen 
wurden  augenblicklich  in  aller  Stille  eingezogen,  und  ein 
Stabsoffizier  blieb  auf  der  Lauer.  Gegen  fünf  Uhr  eilte 
er  den  Berg  herauf,  und  als  er  bei  dem  Befehlshaber 
unserer  Linie  vorbeikam,  sagte  er:  „Machen  Sie  sich 
bereit,  Sie  kommen  ganz  gewiß  dran!  Eine  starke  Ko- 
lonne ist  eben  bis  zum  Fuße  der  Anhöhe  herangerückt, 
und  Sie  können  sich  jeden  Augenblick  auf  einen  An- 
griff gefaßt  machen."  Mein  Herz  schlug  rasch,  sehr 
rasch;  vielleicht  waren  die  wenigen  Augenblicke  meines 
Daseins  bereits  gezählt.  Ein  solcher  Oedanke  wird  und 
muß  im  ersten  Augenblick  furchtbarer  Erwartung  in  der 
Seele  eines  jeden  Mannes  aufsteigen,  der  noch  nie  ge- 
fochten hat,  aber  er  ist  weder  gefährlich  noch  verächt- 
lich und  dient  eher  dazu,  die  Entschlossenheit  eines 
männlichen  Heizens  zu  kräftigen  als  wankend  zu  machen. 
Und  jetzt,  dachle  ich,  als  der  erste  Klang  einer  feindlichen 
Iromiiele  mein  Ohr  traf,  jetzt  kommen  sie!  Aber  nein, 
er  schwiefl,  der  schauerliche  Klang,  und  verkündigte  nui 
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einen  Bolen  mit  der  Waffenstillstaiidsfahne,  der  eine  un- 
bedeutende Nachricht  brachte. 

Die  Sonne  stieg  auf,  aber  nicht  über  einem  blutigen 
Schlachtfelde,  denn  die  französischen  Soldaten  zogen  sich 
in  ihre  Stellung  zurück  und  schienen  den  ganzen  Tag 
damit  beschäftigt,  Baracken  zu  bauen.  Gegen  Abend  sah 
man  etwas  Bewegung  unter  ihnen,  und  um  Mitternacht 
wußte  man  gewiß,  daß  sie  alle  aufgebrochen  waren,  um 
in  unsern  rechten  Flügel  einzudringen.  Wir  machten  uns 
nun  sofort  auf.  Von  unserm  gefährlichen  Standorte  herab- 
steigend, setzten  wir  über  den  Mondego  und  marschierten 
nach  der  Höhe  San  Miguel.  Wir  empfanden  natürlich 
alle  eine  große  Enttäuschung,  so  viele  Strapazen  erlitten 
zu  haben,  ohne  die  süße  Belohnung  zu  erlangen,  nach 
welcher  Jugend  und  Ehrgeiz  sich  ewig  sehnen.  Viele 
Monate  sollten  indes  noch  vergehen,  ehe  uns  das  schätz- 
bare Recht  zuteil  wurde,  den  wichtigsten  und  gefahrvollen 
Pflichten  unseres  Berufes  Genüge  zu  leisten. 

Keine  Lehre  in  der  Kriegskunst  aber  war  vielleicht 
unterrichtender  und  anziehender,  als  dieser  merkwürdige 
Feldzug.  Unser  Heer,  an  Zahl  und  Ausrüstung  dem 
feindlichen  nachstehend,  konnte  seine  Hoffnungen  nur 
auf  die  klugen  Maßregeln  und  die  geschickte  Führung 
eines  weisen  und  starken  Feldherrn  stützen. 

Von  dem  Augenblick  an,  wo  Almeida  fiel'),  erregten 
Wellingtons  Anordnungen  und  Bewegungen  allgemeine 
Bewunderung.  Trefflich  bediente  er  sich  des  einzigen 
Vorteils,  den  man  mit  einer  Armee,  wie  die  unsrige  war, 
vielleicht  erlangen  konnte.  Er  ließ  uns  durch  eine  schnelle 
und  geschickte  Bewegung  eine  so  feste  und  gebieterische 
Stellung  bei  Buzaco  einnehmen,  daß  wir  ebenso  ge- 
schützt vor  der  Artillerie  als  unerreichbar  für  die  Reiterei 


')  Die  Grcii/lVshmC!  AInu-uLi  iii'l  im  Jahre  1810  den  Fran- 
zosen unter  Massena  infolge  Esplosion  eines  Pulvermagazins  in 
die  Hände,  aber  am  8.  Mai  1811,  von  Wellington  mit  20000  Mann 
bedroht,  sprengten  die  Franzosen  Almeida  in  die  Luft  und  ver- 
ließen es. 

15       B.M71  Spin.  FieihciUkimpf.  225 


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des  Feindes  waren.  Hier,  vom  hohen  Rücken  eines  ihrer 
vaterländischen  Gebirge,  zeigte  er  zuerst  den  portu- 
giesischen Truppen  die  Schlachtordnung  ihrer  furcht- 
baren Bedrücker,  und  dann  übertrug  er  ihnen  die  leichte 
Arbeit,  an  der  Seite  der  britischen  Krieger  einen  der 
verzweifelten  und  hoffnungslosen  Angriffe  zurückzu- 
weisen, die  seine  Kenntnis  des  französischen  Charakters 
ihn  erwarten  ließ.  Durch  dieses  Meisterstück  der  Kriegs- 
kunst und  klugen  Politik  wurden  die  Portugiesen  mit 
einem  Vertrauen  zu  ihrem  Anführer  und  zu  sich  selbst 
erfüllt,  das  sie  in  der  Folge  nicht  wieder  verließ.  Lord 
Wellington  sah  aber  deutlich,  daß  das  Kriegsgeschick, 
da  man  um  einen  so  mächtigen  Satz  spielte,  wie  es 
die  politische  Existenz  eines  Volkes  war,  nie  von  den 
rühmlichen  Wagnissen  eines  Kampfes  abhängig  sein 
dürfte.  Sobald  ihm  also  die  Stellung  bei  Buzaco  nicht 
mehr  haltbar  schien,  beschloß  er  sich  zu  den  Linien  in 
Lissabons  Nähe  zurückzuziehen,  das  längst  sorgfältig 
befestigt  worden  war,  um  den  Sitz  der  Regierung  und 
die  Hauptstadt  des  Landes  zu  verteidigen.  Um  jedoch 
diesem  Verteidigungs plane  Wirksamkeit  zu  geben,  war 
es  nicht  nur  nötig,  das  verbündete  Heer  zu  den  Linien 
von  Torres  Vedras  zurückkehren  zu  lassen,  sondern  das 
ganze  Land  zwischen  diesen  Linien  und  der  Grenze  mußte, 
weil  man  voraussah,  daß  es  in  Feindes  Hände  fallen 
würde,  von  allen  Einwohnern  verlassen  und  sorgfältig  von 
allen  Dingen  entblößt  werden,  die  zum  Unterhalt  der  Feinde 
oder  zur  Förderung  ihrer  Fortschritte  dienen  konnten. 

Meine  Feder  versagt  mir  den  Dienst,  ich  fühle,  daß 
keine  Schilderungsgabe  dem  Leser  die  schmerzlichen  Vor- 
gänge, die  traurige  Verwüstung  darzustellen  vermag,  von 
denen  wir  auf  unserm  Marsche  vom  Mondego  zu  den 
Linien  täglich  Augenzeugen  waren.  Wohin  wir  kamen, 
war  der  Aufruf  uns  vorausgegangen,  der  die  Einwohner 
nötigte,  ihre  Häuser  zu  verlassen  und  ihr  kleines  Eigen- 
tum hin  wegzuschaffen  oder  zu  zerstören.  Die  Dörfer 
waren  verlassen,  die  Kirchen,  die  so  oft  als  Zufluchts- 
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statten  dienten,  standen  leer,  die  Hütten  auf  den  Bergen 
waren  offen  und  unbewohnt,  die  Mühlen  im  Tale,  noch 
gestern  so  geschäftig,  standen  still. 

Wir  biwakierten  am  4.  bei  Tomar.  Die  Flanken 
unserer  Linie  waren,  als  wir  von  hier  abmarschierten, 
im  wahren  Sinne  des  Wortes  mit  der  fliehenden  Be- 
völkerung des  Landes  bedeckt.  Am  Abend  des  6.  machten 
wir  bei  Santarem  Halt.  Scharen  von  Einwohnern,  die 
bis  zu  unserer  Ankunft  noch  nicht  glauben  wollten,  daß 
man  den  Feind  soweit  vordringen  lassen  würde,  bereiteten 
sich  nun  mit  schweigender  und  trübsinniger  Eile  zur 
Flucht  vor. 

Am  folgenden  Morgen  zogen  unsere  Kolonnen  durch 
die  Stadt  und  verfolgten  auf  der  StraBe  von  Lissabon 
ihren  Weg.  Oleich  unterhalb  der  Stadt  war  das  Ufer 
des  Flusses  mit  Flüchtlingen  angefüllt,  die  auf  die  Über- 
fahrt warteten.  Nachmittags  erreichten  wir  Alhandra,  eine 
kleine  hübsche  Stadt  am  Ufer  des  Tajo,  gegen  4  Stunden 
von  Lissabon.  Sie  lag  unmittelbar  vor  dem  rechten  Flügel 
unserer  berühmten  Linien  und  war  von  einer  Brigade 
unseres  Heeres  während  der  ganzen  Zeit,  wo  die  Fran- 
zosen vor  ihnen  gestanden  hatten,  als  eine  Art  Vorposten 
benutzt  worden.  Auch  diese  Stadt  war  verlassen,  und 
wir  kamen  zu  unserm  großen  Tröste  unter  Obdach,  denn 
das  Wetter  fing  an,  naß,  kalt  und  unangenehm  zu  werden. 
Mein  Waffengefährte  und  ich  wurden  in  die  Sakristei 
einer  Kirche  einquartiert.  Das  Zimmer  war  hoch,  ge- 
räumig und  düster.  Zwölf  lebensgroße  Bildsäulen,  Heilige 
vorstellend,  waren  in  Nischen  rings  an  den  Wänden 
aufgestellt.  Man  hatte  ihnen  die  schwarze  Kleidung  des 
Klosterordens  angelegt  und  mit  ihren  glänzenden  Augen, 
ihren  wehenden  Gewändern  und  im  Schimmer  unserer 
Lampen  schienen  sie  zu  leben,  sich  zu  bewegen  und  auf 
uns  zu  zürnen.  Aber  so  lustigen,  hungrigen  und  müden 
Männern  wie  wir  konnten  sie  nicht  die  Laune  verderben, 
den  Appetit  rauben  oder  den  Schlummer  verscheuchen. 
Unsere  Mäntel  und  Decken  waren  außerordentlich  feucht, 
15'  227 


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wodurch  unsere  nächtliche  Ruhe  etwas  gestört  werden 
konnte.  Zu  unserm  Glücke  indes  hatten  die  Geistlichen 
in  den  Schubfächern  der  Sakristei  viele  ihrer  Gewänder 
gelassen,  und  so  schliefen  wir,  über  und  unier  uns 
glänzende  schwere  Priesicrröcke  gebreitet,  so  fest  wie 
ein  Domherr  in  den  Versammlungszimmern  von  York 
oder  Durham. 

Am  Tage  nach  unserer  Ankunft  in  diesem  Orte 
wurden  einige  Gefangene  gebracht,  die  man  in  einem 
Rciterscharmiitze!  bei  Azimbuja  aufgegriffen  hatte.  Sie 
gehörten  zu  den  schweren  Dragonern,  und  ihr  Ansehen 
schien  mir  eil  sehr  martialisches  zu  sein.  Der  metallue 
Heim  mit  dem  hohen  Kegel,  dem  Roßschweife  und  dem 
Aufschlage  von  Tigerfell  machte  sie  sehr  schön,  und  die 
dicken  steifen  Schnurrbarte  der  abgehärteten  Männer,  die 
alle  verwundet  waren,  standen  gut  zu  diesen  kriegerischen 
Helmen. 

Gegen  Q  Uhr  am  Abend  des  10.,  als  ich  in  mein 
seltsames  Bett  stieg,  erhielten  wir  Befehl,  sogleich  gegen 
anderthalb  Stunden  rückwärts  und  links  zu  marschieren, 
um  einige  befestigte  Höhen  zu  besetzen.  Der  Regen 
ist  in  Portugal  fast  so  häufig  als  in  tropischen  Ländern, 
und  er  goß  in  dieser  Nacht  in  ununterbrochenen  mächtigen 
Strömen.  Auch  war  es  ungewöhnlich  finster,  und  ich 
glaube,  wir  tappten  6  Stunden  lang  auf  unserm  Wege 
fort,  als  wären  es  viele  Meilen.  In  einem  kleinen  Bcrg- 
dorfe,  wo  wir  Halt  machten,  erhielt  ich  mit  meinen  Kame- 
raden eine  kleine  Hütte,  aber  der  Raum  war  so  be- 
schränkt, daß  wir  weder  liegen  noch  sitzen  konnten,  und 
wir  blieben  zusammengedrängt  stehen,  bis  der  Tag  an- 
brach, wo  wir  uns  in  die  armseligen  Hütten  verteilten. 
Die  Posten  und  Batterien  in  der  Nachbarschaft,  deren 
Verteidigung  man  uns  auf  drei  Tage  übertragen  hatte, 
waren  keineswegs  in  vollkommenem,  dienstfähigem  Zu- 
stande, da  in  einigen  zu  jener  Zeit  kein  Geschütz  auf- 
gefahren  und  in  den  andern  nicht  für  den  nötigen  Kriegs- 
bedarf gesorgt  worden  war, 


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S«  oft  ich  mich  an  dk*se  Periode  de*  f'eM/nge* 
ermneie,  mufi  ich  mich  wundern,  daH  .Massein  nicht  ver- 
suchte, uns  aus  unsere!  Stellung  iu  verdrängen.  Die 
Iran/osische  Infanterie,  die  uir  uns  bei  llu/aco  vereinigt 
lag,  hatte  ohne  grolle  Anstrengung  am  10.  unsere  Linie 
erreichen  und  sie  an  diesem  oder  dem  folgenden  Tage 
angreifen  können  .Meine  Meinung  ist.  dafi  der  Femd, 
wenn  er  enisi blossen  gewesen  iure,  alles  dem  grollen 
Zwecke  tu  opfern,  unsere  I  mu-n  /u  durch  Ii  rechen  und 
gegen  Lissabon  vor'irrui  ken,  höchst  w.ihrM'heinliih  seine 
Ahn;ht  erreicht  haben  «uide.  F*  ist  nicht  nt  leugnen, 
dafl  unsere  Stellung  duich  ungeheure  Schanzen  und  Batte- 
rien gestliuf/t  war,  drah  war  s.e  sehr  ausgedehnt,  und 
ihre  Verteidigung  wurde  weder  von  Wellingtons  Oe- 
schi.Uichkeit  noch  von  der  Tapferkeit  de*  Heeres  ab- 
gehangen haben. 

Am  1't  marnhie rte  r:irm  liignnfr.t  « leder  nach 
liucellas.  Neben  diesem  Ort  zog  sich  die- zweite  Ver- 
teidigungslinie hin,  und  da  mm  den  Ort  für  einen  wich- 
tigen Punkt  ansah,  so  wurden  sechs  engliiihe  li.n.nllone 
als  Keserve  hineingelegt. 

In  der  Nacht  des  14  November  zog  sich  der  feir.d 
aus  der  Slrllung  /uru.  k,  die  er  s<>  lange  uns  gegenüber 
behauptet  hatte,  und  am  15.  brach  unsere  Heertsab- 
teilung  gegen  Mittag  von  Bu;ellas  aul.  U'u  marschie.-ten 
seihs  Stunden,  kamen  durch  Alhandr.i,  ViUafrauca  und 
Villanova  und  marinen  lifi  (.aregada  H.lt. 

Als  wir  uns  Viilaframa  näherten,  waten  unsere  I  mir 
eilng  bemüht,  Spuren  der  Fuiuoscn  aufzufinden.  Hier 
war  ein  l'fad  von  ihren  Posten  getreten,  d.i  hatte  die 
Hauptmacht  ihrer  Feldwache  gelegen,  dort  waren  zwei 
Kanonen  aufgepflanzt ,  stall  .ier  S.inds.nke  mii-i  Sihan/- 
korbe  halte  man,  um  eine  Batterie  zu  bilden,  große  be- 
malte Cjaiteukubel  aufgehäuft,  von  denen  die  Pflanzen, 
die  sie  einst  zierten,  abgis./i  i:.  i.  «  ■:<.:i  Am  Eingänge 
von  Villafranca  war  die  StralJe  verratumdl ;  Kisten,  W'eiu- 
fa-ser  und  .Matratzen  bildeten  du-  srllsjme  Vtrschauzung. 

2z'i 

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Hier  an  einem  der  ersten  Häuser  zeigte  ein  Kreidestrich 
an,  dali  es  das  Quartier  einer  französischen  Grenadier- 
kompagnie  gewesen  war,  dort  hatte  ein  Bataillonchef  ge- 
wohnt, in  jenem  Hauschen  mit  den  grauen  Fensterläden 
war,  wie  man  aus  einem  Gekritzel  über  der  Tür  ersah, 
ein  Oberst  des  Getieralstahes  einquartiert  gewesen.  Kurz, 
wohin  man  blickte,  sah  man  Stellen,  die  noch  gestern 
von  Feinden  bevölkert  gewesen  waren,  von  Männern, 
die  eine  andere  Kleidung  trugen,  eine  andere  Sprache 
sprachen  und  für  eine  andere  Sache  fechten  und  bluten 
wollten. 

Es  war  spät  am  Abend,  ais  wir  in  Caregada  an- 
kamen, und  die  Stadt  war  bereits  mit  unsern  Truppen, 
besonders  Artillerie  und  .Reiterei,  angefüllt.  Alle  Häuser 
und  Ställe  waren  besetzt  und  in  letzteren  erhielten  nur 
einige  von  unsern  Offizieren  und  Gemeinen  mit  großer 
Mühe  Zutritt.  Der  weit  größere  Teil  von  uns  jedoch 
brachte  die  finstere,  schauerliche  Nacht  auf  den  Straßen 
zu.  Wir  machten  große  Feuer,  ohne  sehr  gewissenhaft 
in  der  Wahl  des  Holzes  zu  sein.  Alte  Bretter,  Pfosten, 
Türen,  Fensterläden  wurden  ohne  Zaudern  verbrannt. 
Viele  von  uns  ließen  sich  aus  den  besetzten  Häusern 
Stühle  holen,  und  so  saßen  wir  in  müßiger  Ruhe  bis 
zum  Tagesanbruch  um  unsere  Feuer. 

Wir  marschierten  am  folgenden  Morgen  nach  Azim- 
buja,  wo  wir  erfuhren,  daß  der  Feind  seine  Stellung 
bei  Santarem  genommen  und  Wellington  bei  Cartajo  Halt 
gemacht  hatte.  Unsere  Division  unter  General  Hill  sollte 
sogleich  auf  das  südliche  Ufer  des  Tajo  übersetzen.  Gegen 
400  Franzosen,  die  von  unserer  Vorhut  gefangen  ge- 
nommen worden  waren,  wurden  durch  Aziinbuja  nach 
Lissabon  gebracht.  Es  waren  alles  Infanteristen,  aber 
größtenteils  schwache  und  kränkliche  Nachzügler,  außer 
einigen  unvorsichtigen  Plünderern,  die  allein  das  Ansehen 
von  Soldaten  hatten. 

Am  IQ.  wurden  wir  durch  die  Boote  der  Flotte,  die 
zu  diesem  Zweck  mit  einigen  Offizieren  und  Seeleuten 
230 


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den  Fluß  heraufgeschickt  worden  war,  über  den  Tajo 
gesetzt.  Der  Admiral  Thomas  Williams  und  Kapitän 
Berestord  hatten  die  Aufsicht  über  die  Oberfahrt  der 
Truppen,  und  dieser  wichtige  Dienst  wurde  mit  der  ge- 
wohnten Ordnung,  Pünktlichkeit  und  Regelmäßigkeit  aus- 
geführt Von  dieser  Zeit  bis  zu  Ende  Februar  standen 
wir  in  Atmeirin],  einer  kleinen,  eine  Stunde  vom  Unken 
Tajoufer  entfernten  Stadt,  die  Santarem,  dem  Hauptquar- 
tiere des  französischen  Heeres,  gerade  gegenüberlag.  Der 
Aufenthalt  in  Almeirim  würde  unerträglich  langweilig  ge- 
wesen sein,  aber  durch  die  Stellung  der  beiden  Heere 
einander  gegenüber  wurde  er  überaus  anziehend. 

Als  ich  eines  Tages  mit  drei  oder  vier  Kameraden 
am  Rande  des  Flusses  spazieren  ging,  bemerkten  wir 
am  jenseitigen  Ufer  eine  ziemliche  Menschenmenge  und 
einige  französische  Offiziere.  Sie  grüßten  uns  mit  den 
Worten:  „Bonjour,  messieursl",  und  es  knüpfte  sich  bald 
eine  Unterhaltung  an.  Sie  waren  außerordentlich  höf- 
lich, sprachen  mit  dem  größten  Lobe  von  Romana9),  der 
kürzlich  gestorben  war,  und  nannten  ihn  „le  seul  general 
espagnol  digne  de  son  grade".  Sie  fragten  nach  Lord 
Wellington,  äußerten,  er  hätte  Wunder  von  Tapferkeit 
getan,  und  priesen  ihn  wegen  seiner  geschickten  Leitung 
des  Feldzugs.  Es  herrschte  die  heiterste  Laune  in  unserer 
Unterhaltung,  und  wir  neckten  uns  unaufhörlich.  Sie 
fragten  uns,  wie  uns  der  Bacallao  und  Acete*)  statt  des 
englischen  Roastbeefs  munde,  und  wir,  was  sie  in  San- 
tarem ohne  die  Restaurants,  Cafes  und  Theater  ihres 
teuren  Paris  anfingen.  Sie  erwiderten  lachend,  sie  hätten 
ein  Theater,  und  fragten,  ob  wir  nicht  heute  abend  her- 
überkommen wollten,  um  das  Stück  zu  sehen,  was  ge- 
spielt würde,  es  hieße:  „['Entree  des  Francais  dans  Lis- 
ten."  Ein  Freund  von  mir  erwiderte  schnell,  er  empfehle 
ihnen  lieber  die  Wiederholung  eines  andern  Stückes:  „La 


')  Siehe  11.  Anmerkung  im  ersten  Bericht  (Orolman). 
«)  Bacallao  —  Schellfisch;  Acete  «=  Essig. 

231 

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fuite  des  Francais!"  Lautes  und  allgemeines  Gelächter 
erschallte  —  der  Witz  war  zu  gut,  als  daß  er  nicht  hätte 
treffen  sollen.  Ihr  General  hielt  es  jedoch  nicht  für  an- 
gebracht, noch  länger  zu  verweilen.  Er  zog  seinen  Hut, 
grüßte  uns  in  vollkommen  guter  Laune,  stieg  die  Anhöhe 
hinauf,  und  alsbald  zerstreute  sich  die  ganze  Gruppe. 

Am  21.  Februar  entstand  tiniger  Lärm,  weil  ein  Teil 
des  Feindes  zu  einer  großen  Insel  im  Tajo  übersetzte, 
die  ungefähr  eine  Stunde  oberhalb  Santarems  und  Al- 
piacas,  einer  kleinen  Stadt  am  südlichen  Ufer,  lag.  Sie 
wollten  jedoch  nur  Fourage  holen  und  zogen  wieder 
ab,  ohne  zu  wagen,  mit  Alemtejo  Verkehr  anzuknüpfen; 
wir  aber  besetzten  hierauf  die  Insel  mit  einem  Posten, 
um  sie  gegen  fernere  Angriffe  zu  schützen. 


232 


3.  Kapitel 


General  Beresford  übernimmt  den  Befehl  über  Hills 
Korps.  Reitergefecht  bei  Campo  Major.  Belagerung 
von  Oüvenza  und  Badajoz.  Gefechte  bei  Albuera 
und  in  den  Felsen  von  Montanches.  Abberufung 
nach  England 

Es  war  jetzt  olfenbar,  daß  ein  zweiter  Feldzug  er- 
öffnet würde,  und  daß  wir  die  engen  Schranken,  die 
wir  seit  Oktober  innegehabt  hatten,  verlassen  sollten,  um 
neue  und  anziehendere  Schauplätze  zu  sehen. 

Am  ö.  gegen  Mittag  marschierten  wir  in  der  heitersten 
Stimmung  von  Alpiasa  ab.  Nach  einem  viertägigen 
Marsche  durch  ein  schönes  Land  machte  unsere  Brigade 
in  einem  kleinen,  sauberen  Dorfe  Halt,  das  zum  Bezirk 
Alemtejo  gehörte.  Ich  habe  vergessen  zu  erwähnen,  daß 
der  Befehl  über  alle  am  südlichen  Ufer  des  Tajo  stehenden 
Truppen  in  Abwesenheit  des  Generals  Hill,  der  zur 
Wiederherstellung  seiner  Gesundheit  in  die  Heimat  zu- 
rückgekehrt war,  dem  General  Beresford  anvertraut 
worden  war.  Dieser  war  auf  Wellingtons  Befehl  mit 
einem  großen  Teil  seiner  Truppen  aufgebrochen,  um 
Wassens  zu  verfolgen,  der  sich  nach  Tomar  zurückzog, 
WO  er,  wie  man  aus  seinen  ersten  Bewegungen  schloß, 
eine  Heeresmacht  zu  sammeln  beabsichtigte.  Der  fran- 
zösische Feldherr  nahm  jedoch  seinen  Weg  nach  dem 
Mondego  und  wurde  von  der  Hauptmacht  der  Ver- 
2ü3 

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bündeten  verfolgt,  die  Wellington  persönlich  anführte.  Die 
beabsichtigten  Unternehmungen  unseres  kleinen  Heeres 
im  spanischen  Estremadura  wurden  natürlich  durch  diese 
Vorkehrungen  bis  zur  Rückkehr  des  Generals  und  seiner 
Truppen  aufgeschoben.  Während  dieses  kurzen  Zeit- 
raums blieben  wir  in  unseren  ruhigen  Kantonie  rangen. 

Am  IS.  desselben  Monats  waren  wir  wieder  in  Be- 
wegung und  marschierten  über  Portalegre  nach  Arönches, 
wo  wir  drei  Tage  blieben.  Als  Massena  am  5.  von  San- 
tarem  aufbrach,  hatten  wir  den  Plan,  auf  dem  südlichen 
Ufer  der  wichtigen  [-Vstiuig  ISndajoz  im  spanischen  Estre- 
madura zu  Hilfe  zu  eilen,  die  damals  vom  Herzog  von 
Dalmatien  belagert  wurde.  Dieser  Plan,  den  wir  gewiß 
ausgeführt  hätten,  wurde  durch  den  Befehlshaber  der 
Festung  vereitelt1),  der  sie  plötzlich  einem  ■  schwachen 
feindlichen  Trupp  unter  den  entehrendsten  Bedingungen 
übergab.  Gleich  nach  dem  Falle  von  Badajoz  folgte  die 
Belagerung  und  Einnahme  von  Campo  Major,  einer 
Festung,  die  keines  Widerstandes  fähig  war  und  aus  der 
wir  selbst  den  Feind  zwei  Tage  nach  seinem  Einzüge 
vertrieben. 

Am  Nachmittag  des  25.  machten  wir  in  einem  sehr 
angenehmen  Biwak  an  den  Ufern  des  Caya  Halt  Wir 
lagerten  uns  in  einem  reizenden,  von  Hügeln  einge- 
schlossenen Tale,  an  dessen  Seiten  das  Fußvolk  sich  ver- 
teilte, während  die  Reiterei  die  grünen  Ebenen  an  den 

l.Iftni  des  Flussts  einnahm. 

Am  Multen  des  2b.  marsdiierleu  wir  gegen  Campo 
Major,  und  als  wir  ungefähr  eine  Stunde  von  seinen 


')  Marschall  Soult,  Hering  von  Dalmatien,  belagerte  Badajoz 
im  Februar  1811  und  zwang  den  feigen  Gouverneur  der  Festung, 
Iraas,  nachdem  er  die  spanische  Armee  von  Estremadura  unter 
Mendizabal  in  der  Schlacht  von  (iebora  am  19.  Fehruar  geschlagen, 
zur  Obergabe  am  11.  März.  Erst  am  6.  April  1812  eroberte  Wel- 
lington die  Festung  ivitdi-r  und  ^dringre  mit  ihr  auch  in  Besitz 
Portugals.  Die  Engländer  verloren  bei  dieser  hartnäckigen  Belage- 
rung über  3000  Tote  und  7000  Verwundete. 
234 

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Mauern  entfernt  waren,  machten  wir  Halt,  um  die  Reilerei 
vorzulassen.  Es  waren  gegen  2000  Mann ;  sie  zogen  in 
flottem  Trabe  reihenweise  an  uns  vorüber.  Ihre  Pferde 
waren  in  schönem  Zustande  und  fielen  zuweilen  mit  einem 
stolzen  Bäumen  in  einen  leichten  Galopp. 

Wir  wußten,  daß  wir  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
einen  tüchtigen  Strauß  mit  den  Feinden  zu  bestehen  haben 
würden,  die  natürlich  die  Stadt  räumen  und  sich  nach 
Badajoz  zurückziehen  mußten.  Aber  die  Beschaffenheit 
des  Bodens  war  so  günstig  für  ein  Reitergefecht,  daß  es 
schien,  als  wenn  sich  der  Kampf  gänzlich  auf  diese 
Truppen  beschränken  würde.  Unsere  Vei  mutuiigcn  waren 
begründet;  kaum  wurden  die  Franzosen  unser  gewahr, 
als  sie  sich  schnell  hinter  die  Stadt  zurückzogen.  Vier 
Regimenter  von  ihrer  Reiterei  stellten  sich  unsern  Leuten 
gegenüber,  während  ihre  Infanterie  —  eine  Abteilung 
von  ungefähr  1200  Mann  —  mit  einigen  Geschützen  ihren 
Rückzug  begann.  Unser  13.  leichtes  Reiter -Regiment 
machte,  von  den  Portugiesen  unterstützt,  einen  glänzen- 
den Angriff  auf  die  feindlichen  Dragoner.  Unsere  Leute 
zeigten  großen  Mut,  aber  der  Kampf  wurde  unserseits 
mit  so  wenig  Geschicklichkeit  geführt,  daß  die  Franzosen 
den  Rückzug  ihres  Fußvolks  und  Geschützes  sicherten, 
indem  sie  zwar  einen  Verlust  erlitten,  der  indes  nicht 
so  schwer  als  der  unsere  war.  Unsere  schöne  schwere 
Reiterbrigade  gelangte  nie  vor  den  Feind,  und  unsere 
Infanterietruppen  folgten  langsam  im  Hintergrunde.  Alle 
hundert  Schritte  sahen  w  ir  Spuren  dieses  schlechtgeführten 
Kampfes,  der  bis  zu  den  Toren  von  Badajoz  fortgesetzt 
wurde,  in  deren  Nähe  einige  von  unsern  Leuten  sich 
gefangen  nehmen  ließen. 

Trotz  den  an  einem  solchen  Tage  erweckten  stolzen 
Gefühlen  ist  es  kränkend  für  den  mutigen  und  peinlich 
für  den  gefühlvollen  Soldaten,  mit  kaltem  Blute  zu  folgen 
und  das  traurige  Schauspiel  mit  anzusehen,  das  die  auf 
dem  Wege  verstreuten  Toten  und  Sterbenden  darbieten. 
Unter  anderm  ist  mir  besonders  folgendes  noch  erinner- 
235 

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lieh.  Einige  Schritte  von  der  Straße  entfernt  sah  ich  einen 
schönen,  ganz  nackten  Leichnam  liegen,  dessen  Gesicht 
zu  Boden  gekehrt  war.  Ich  wußte  nicht,  wie  es  kam, 
aber  der  Leichnam  sprach  gewaltig  zu  Herzen;  er  sah 
so  trostlos,  so  ergeben,  so  verlassen  aus.  Ein  englischer 
Dragoner,  der  ein  verwundetes  Pferd  führte  und  zwei 
Gefangene  brachte,  von  denen  der  eine  eine  Menge  Säbel- 
hiebe auf  der  Wange  und  der  Schulter  hatte,  ging  an 
mir  vorüber,  als  ich  den  Toten  betrachtete.  „Erinnerst 
du  dich,  mein  Freund,"  fragte  ich  ihn,  „was  hier  vor- 
gefallen ist?"  —  „O  ja,  Herr;  die  Franzosen  standen 
hier  in  Front  und  wir  griffen  sie  an  und  schlugen  sie  in 
die  Flucht;  dieser  Mann  aber,  der  ein  Offizier  war,  suchte 
sie  zum  Stehen  zu  bringen  und  wurde,  denke  ich,  von 
unserm  Adjutanten  niedergehauen."  —  In  diesem  Augen- 
blick beugte  sich  einer  der  französischen  Reiter  herab 
und  rief:  „C'est  le  colonel!"  —  „Comment  diahle,1'  sprach 
der  andere.  —  „C'est  bien  iui,"  erwiderte  sein  Kamerad, 
„il  est  mort.  Ah!  qu'il  etait  brave  soldat;  ce  vilain  champ 
de  bataille  n'est  pas  digne  d'une  teile  victime."  Sie 
gingen  vorüber.  So  geht  es  im  Kriege, 

An  demselben  Tage  geriet  ein  französischer  Offi- 
zier durch  den  Sturz  seines  Pferdes  in  unsere  Gefangen- 
schaft. Er  war  von  der  erlesenen  Kompagnie  des 
26.  Dragoner-Regiments,  ein  schöner  junger  Mann  mit 
einem  äußerst  zarten  Gesicht.  Ein  Sergeant  brachte  ihn 
an  unserer  Division  vorüber,  die  eben  Halt  gemacht  hatte. 
Nie  werde  ich  die  traurige  Niedergeschlagenheit  ver- 
gessen, die  in  seinen  Zügen  lau.  Der  Zügel  hing  am 
Halse  seines  Pferdes  herab,  und  der  Offizier  saß  gedanken- 
voll im  Sattel,  ohne  auf  seine  Umgebung  zu  achten.  Als 
er  an  uns  vorüberkam,  nahmen  einige  unserer  Offiziere 
den  Hut  ab,  und  er  erwiderte  den  Gruß  mit  einem  sehr 
höflichen  Schwenken  seiner  Bärenfellmütze,  aber  ich 
merkte,  daß  seine  Augen  mit  Tränen  gefüllt  waren.  Einige 
Schritte  hinter  uns  mußte  er  an  einer  portugiesischen 
Heercsabteilung  vorbei,  deren  Offiziere  sich  hervor- 
23ü 


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drängten,  um  ihn  mit  einer  Art  triumphierender  Neugier 
zu  betrachten.  Obwohl  er  mir  den  Rucken  zukehrte,  sah 
ich  doch,  daß  das  seinen  ganzen  Stolz  und  Mut  wieder- 
erweckte, denn  er  setzte  sich  aufrecht  in  seinem  Sattel, 
ergriff  die  Zügel,  spornte  sein  Pferd  an  und  ritt  langsam 
und  stolz  an  Ihnen  vorüber. 

Aber  zurück  zu  meinem  Bericht.  Nachdem  wir  den 
ganzen  Tag  in  Bewegung  gewesen  waren  und  uns  bald 
an  dem  Anblick  gefangener  Soldaten  und  aufgegriffener 
Pferde,  bald  an  unsern  Dragonern  ergötzt  hatten,  die 
den  sonderbaren  Inhalt  der  erbeuteten  Felleisen  aus- 
packten, lenkten  wir  wieder  unsern  Weg  nach  Campo 
Major  und  lagerten  uns  unter  seinen  Mauern. 

Am  nächsten  Tag  marschierten  wir  nach  Elvas,  wo 
wir  bis  zum  1.  April  blieben.  Von  da  zogen  wir  nach 
Borba,  einer  hübschen,  sechs  Stunden  von  Elvas  gelegenen 
Stadt,  die  ihres  Weines  wegen  berühmt  ist.  Während 
wir  hier  in  Kantonierung  lagen,  waren  unsere  Ingenieure 
eifrig  beschäftigt,  bei  Jurumenha  eine  Brücke  über  den 
Quadiana  zu  bauen.  Diese  Arbeit  ging  wegen  des  großen 
Mangels  an  Baumaterial  nur  langsam  vonstatten  und 
wurde  durch  die  starken  und  plötzlichen  Anschwellungen 
des  Flusses,  welche  das  Schmelzen  des  Schnees  verur- 
sachte, sehr  erschwert.  Endlich  war  jedoch  die  fliegende 
Brücke  geschlagen,  und  unser  Heer  gelangte  sicher  und 
ohne  Hindernisse  in  der  Nacht  des  5.  April  ans  spanische 
Ufer. 

Am  6.  marschierten  wir  ein  paar  Stunden  und  lagerten 
uns  auf  einer  mit  Cistus  bedeckten  Ehene.  In  einem 
kleinen,  nicht  weit  von  uns  gelegenen  Dorfe  wurde  das 
Hauptquartier  aufgeschlagen.  Hier  fiel  ein  ungewöhnliches 
Ereignis  vor,  das  schwer  zu  erklären  ist.  Ein  feindlicher 
Trupp  hatte  die  Wachsamkeit  der  portugiesischen  Aulien- 
posten  getäuscht  und  eine  englische  Dragonerschwadron 
überrascht,  die  sämtlich  gefangen  genommen  wurde.  Diese 
Dragoner  waren  24  Stunden  zuvor  auf  der  Grenzfeld- 
wache gewesen  und  hatten  gewünscht,  vom  Dienste  be- 
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freit  zu  werden,  obwohl  sie  sehr  nahe  an  der  Linie  der 
Feldwachen  hielten,  eine  Anordnung,  die,  verbunden  mit 
dem  gänzlichen  Mangel  an  Vorsicht  auf  seifen  der  Außen- 
posten, ihre  Gefangennahme  herbeiführte.  Doch  dies  war 
nicht  alles :  der  Feind  kam  bis  ins  Quartier  des  Marschalls 
Beresford.  Sie  nahmen  einige  Pferde  aus  den  Ställen 
des  Oeneralstabs,  zogen  sich  aber  unangefochten  wieder 
zurück,  als  sie  den  Alarm  hörten,  den  eine  Unteroffiziers- 
wache  gab.  Wären  sie  dadurch  nicht  aufgeschreckt 
worden,  so  hätten  sie  sich  wahrscheinlich  unseres  ganzen 
General stabs  bemächtigt. 

Am  Morgen  des  8.  brachen  wir  wieder  auf,  um  auf 
Oüvenza  zu  marschieren,  wohin  der  Feind  eine  kleine 
Besatzung  gelegt  hatte.  Diesen  Ort  brauchten  wir  sehr 
nötig  als  Waffenplatz,  denn  die  Franzosen  hatten  eine 
starke  Besatzung  in  Badajoz,  die  unser  Vordringen  be- 
nutzen konnte,  um  unsere  Verbindungen  abzuschneiden, 
und  aus  derselben  Ursache  hatten  wir  auch  bei  Juni- 
menha  einen  Brückenkopf  gebaut. 

Unsere  Marschordnung  am  Morgen  des  8.  war  sehr 
schön.  Wir  rückten  in  vier  parallelen  Kolonnen  vor,  die 
durch  einen  wohlabgemessenen  Zwischenraum  getrennt 
waren.  Die  beiden  Flügelkolonnen  bestanden  aus  Reiterei, 
die  durch  Avantgarden  und  Flankenreiter  geschützt  waren, 
die  beiden  mittleren  Kolonnen  aus  Fußvolk  mit  ihren 
Kanonen.  Die  Plänkler  des  13.  Dragoner-Regiments  zogen 
auf  einer  Anhöhe  zu  unserer  Linken  hin  und  beobachteten 
die  Straße  von  Badajoz,  während  die  Avantgarde  der 
schweren  Reiterei  zu  unserer  Rechten  eine  der  Straßen 
verfolgte,  die  unmittelbar  nach  der  Stadt  Olivenza  führten, 
welche  unsere  Annäherung  durch  ihre  Kanonen  ver- 
kündete. Die  Beschaffenheit  der  Gegend,  durch  die  wir 
zogen,  erlaubte  allen  Kolonnen,  sich  einander  deutlich 
zu  übersehen,  und  wir  bekamen  alle  die  Festung  fast 
in  demselben  Augenblick  zu  Gesicht.  Auf  den  Höhen 
haltend,  von  denen  man  sie  außerhalb  der  Schußweite 
übersah,  hatten  wir  eine  unbegrenzte  Aussicht  auf  die 
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Festung,  während  die  Aufforderung  zur  Übergabe  in  die 
Stadt  geschickt  wurde. 

Da  der  Gouverneur  die  Bedingungen  verwarf,  wurde 
General  Cole1)  mit  der  vierten  Division  abgeschickt,  die 
Belagerung  zu  beginnen,  und  am  Nachmittag  des  10. 
rückte  das  Heer  vor. 

Ich  befand  mich  beim  Nachtrabe,  und  da  die  Haupt- 
macht zwei  Stunden  vor  uns  aufgebrochen  war,  erreichten 
wir  das  Biwak  erst  bei  Anbruch  der  Nacht.  Die  Nacht 
war  äußerst  finster,  und  schon  durch  diesen  Umstand 
würden  die  üblichen  Wachtfeuer  an  sich  einen  schönen 
Anblick  geboten  haben,  aber  sie  waren  überdies  größten- 
teils in  hohlen  Korkbäumen  angezündet,  und  das  rote 
Feuer  in  den  phantastischen  Höhlungen  mit  verzehrenden 
Flammen  lodern  zu  sehen,  welche  die  Zweige  beleuchteten 
und  alles,  die  Truppen  und  ihre  Pferde,  wie  mit  Purpur 
Übergossen,  war  ein  so  malerisches,  ein  so  bezauberndes 
Schauspiel,  daß  man  es  kaum  beschreiben  kann. 

Olivenza,  das  nur  eine  Besatzung  von  400  Mann 
hatte,  ergab  sich,  sobald  wir  das  Geschütz  darauf  richteten, 
Und  wurde  von  den  Belagerern  eingenommen;  wir  übrigen 
zogen  einige  Stunden  südwärts.  Bei  los  Santos  de  Mai- 
mona fiel  ein  anderes  Gefecht  zwischen  unserer  Kavallerie 
und  einem  kleinen  feindlichen  Reitertrupp  vor.  Die 
Unsrigen  töteten  und  verwundeten  mehrere  Feinde  und 
machten  gegen  70  Gefangene,  waren  aber  nicht  in  dem 
Grade  glücklich,  als  sie  es  hätten  sein  können,  wenn 
sie  flinker  gewesen  wären.  Die  Gefangenen  waren  fran- 
zösische Husaren,  schön  gekleidet  und  ausgerüstet,  vor- 
züglich die  vom  10.  Regiment.  Dieses  Korps  trug  hell- 
blaue oder  französischgraue  Pelzjacken,  die  mit  weißen 


")  Sir  Oalbraith  Lowry  Cole,  britischer  General,  1772-1842, 
kommandierte  die  berühmte  4.  Division  der  englischen  Armee,  die 
stets  mit  der  3.  und  der  leichten  DMsmn  ven-uirgt  war,  Wellingtons 
drei  besten  Divisionen,  deren  Abwesenheit  er  es  zuschrieb,  daß  er 
bei  Burgos  zurückgeworfen  wurde.  Cole  sollte  die  kleine  Festung 
Olivenza  belagern,  die  sich  ihm  am  15.  April  18]  1  ergab. 

239 


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Schnüren  und  schwarzem  Pelz  besetzt  waren.  Ihre  Mützen, 
Stiefel  und  Wehrgehänge  saßen  vortrefflich,  ihr  Haar  war 
auf  eine  nicht  ungefällige  Weise  geflochten,  und  ihr  ganzes 
Ansehen  soldatisch. 

Wir  lagen  einige  Tage  bei  Zafra,  einer  hübschen, 
sauberen  Stadt  an  der  Straße  nach  Andalusien.  Mit  froher 
Hoffnung,  daß  wir  bald  triumphierend  über  die  Sierra 
Morena,  jene  wild  majestätische  Oren?scheide  des  süd- 
lichen Spaniens,  marschieren  würden,  blickten  wir  in  die 
nahe  Zukunft.  Die  Turme  des  schönen  Sevilla  schienen 
sich  schon  vor  uns  zu  erheben,  und  im  Qeiste  wandelten 
,wir  bereits  in  den  romantischen  Gegenden  an  den  Ufern 
des  Ouadalquivir.  Erst  mußte  jedoch  Badajo/  genommen 
werden,  eine  Festung,  deren  Besitz  uns  höchst  wichtig 
war,  mochten  wir  nun  Kriegs  Unternehmungen  in  Spanien 
oder  die  bloße  Verteidigung  Portugals  im  Sinne  haben. 

Wir  brachen  am  3.  Mai  aus  unserer  Kantonierung 
auf,  und  am  Abend  desselben  Tages  kam  unsere  Di- 
vision bei  Talavera  Real  an,  einer  fünf  Stunden  von  Ba- 
dajoz  entfernten  Stadt.  Der  Tag  brach  am  4.  eben  an, 
als  die  Avantgarden  aller  Kolonnen,  die  zur  Belagerung 
von  Badajoz  bestimmt  waren,  jede  kleine  Höhe  um  die 
Stadt  besetzten  und  sie  einschlössen.  Der  Himmel  war 
wolkenlos  und  heiter,  die  Morgenluft  mild  und  angenehm. 
Die  feindlichen  Feldwachen  s  ch  arm  fitz  eiten  wacker  mit 
unserer  Avantgarde,  und  man  schoß  Kugeln  und  Bomben 
aus  der  Stadt,  jedoch  mit  wenig  oder  gar  keinem  Erfolg. 
Die  Besatzung  schickte  die  wenigen  Dragoner  aus,  die 
sie  besaß,  um  unsere  Heeresmacht  auszukundschaften, 
und  dirse  I  eute  ver rieht eleu  ihr  Ami  mit  einer  unver- 
Klenhliihen  Kaltblütigkeit  un.l  Kühnheit.  Fmitfe  von  ihnen 
sah  ich  nur  einen  Pistolenschuß  »cit  von  unsern  Planklern 
herum reilen,  und  einer  galoppierte  fast  ebenso  nahe  bei 
einer  Kulunnt-  vorbei,  nicht  weit  von  der  Hohe,  wo  mein 
Regiment  stand.  Die  Mauern  von  Hadajoz  waren  mit 
Zuschauern  angefüllt,  und  vom  üipfel  des  Sehlosses  wehte 
nihu!  die  dreifarbige  Kalme,  die  über  halb  Europa 
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Schrecken  verbreitet  hatte.  Unser  Regiment  lag  vier  Tage 
in  einer  kleinen  engen  Schlucht,  zwar  vor  dem  feind- 
lichen Feuer  geschützt,  aber  innerhalb  der  Schußweite 
der  Stadt. 

In  der  Nacht  des  8.  eröffneten  wir  die  Laufgräben, 
jedoch  in  so  beträchtlicher  Entfernung,  daß  wir  keinen 
Verlust  erlitten,  sondern  die  erste  Parallele  eröffnen  und 
uns  vor  Tagesanbruch  decken  konnten.  Eine  Belagerung 
hat  viel  Anziehendes ;  die  täglich  fortschreitenden  Arbeiten, 
die  mit  Soldaten  angefüllten  Laufgräben,  das  Feuer  der 
Batterien,  der  schöne  Anblick  der  Bomben  und  Granaten 
bei  Nacht,  das  Rufen  der  feindlichen  Schildwachen,  der 
Klang  ihrer  Trommeln  und  Trompeten,  alles  verleiht  einem 
solchen  Unternehmen  einen  Reiz  und  eine  Lebendigkeit, 
die  in  beständiger  Aufregung  erhalten.  Die  Arbeiten  eines 
Belagerungsheeres  sind  indes  sehr  hart  und  ermüdend, 
und  ich  weiß  nicht,  wie  es  kommt:  der  Tod  in  den 
Laufgräben  tragt  nie  den  Stempel  des  Ruhms,  der  das 
Andenken  der  im  tapferen  Kampfe  Gefallenen  verklärt. 

Die  täglichen  Heldentaten  der  Nordarmee  unter  Wel- 
lington und  der  Sieg  Grahams1)  bei  Barrosa  machten  uns 
unruhig  und  mißmutig,  wenn  wir  unser  ungünstiges 
Schicksal  damit  verglichen.  Denn  bis  jetzt  hatten  wir 
nur  mit  Entbehrungen,  Drangsalen  und  Krankheiten  zu 
kämpfen  gehabt.  Als  wir  indes  am  13.  nachmittags  uns 
in  unserm  ungefähr  zwei  Stunden  von  den  Laufgräben 
entfernten  Lager  ausruhten,  überraschte  uns  der  Befehl, 
uns  in  Bereitschaft  zu  halten,  um  gleich  auf  den  ersten 
Wink  aufzubrechen.  Bald  verbreiteten  sich  Gerüchte,  daß 
Soult  an  der  Spitze  einer  bedeutenden  Macht  in  Eil- 
märschen anrücke,  um  Badajoz  Beistand  zu  leisten,  daß 


')  Thomas  Graham,  Lord  Lynedodi,  1778—1843,  kämpfte 
als  Divis ionsgenera]  von  1B08— 1813  in  Spanien.  In  der  Schlacht 
von  Barrosa  befehligle  er  eine  4500  Mann  starke  englische  Division 
gegen  7000  Feinde  und  schlug  die  Franzosen  mit  einem  Verlust  von 
2000  Mann,  6  Geschützen,  1  Adleri  seine  eigenen  Verluste  beliefen 
sich  auf  1100  Verwundete  und  Tote. 

16      B-MT:  Span.  Prriheitlluii.pl.  241 


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ein  Regiment  Spanier  unter  dem  Befehle  Blakes  von  Aya- 
monte  heranmarschiere,  um  sich  mit  uns  zu  vereinigen, 
daß  die  Belagerung  augenblicklich  aufgehoben  werden 
müsse  und  daß  man  in  kurzem  eine  Schlacht  erwarten 

Wir  brachen  daher  am  14.  auf  und  marschierten  in 
der  Richtung  nach  Valverde,  übernachteten  und  setzten 
am  15.  mittags  unsern  Weg  nach  Albuera  fort,  das  wir 
gegen  5  Uhr  abends  erreichten.  Unsere  Reiterei  hatte 
sich  bereits  hierher  zurückgezogen,  da  sie  am  Morgen 
von  der  feindlichen,  die  ihr  an  Zahl  bedeutend  über- 
legen war,  aus  Santa  Marta  vertrieben  worden  war. 

Albuera,  der  Schauplatz  eines  mörderischen  Kampfes, 
verdient  eine  Beschreibung.  Es  ist  ein  kleines  unbe- 
deutendes Dorf,  unbewohnt  und  verfallen,  und  liegt  an 
einem  Flusse,  von  dem  es  seinen  Namen  hat  Ober  den- 
selben führen  zwei  Brücken,  die  eine  ungefähr  200  Schritt 
rechts  vom  Dorfe,  breit,  schön  und  aus  Steinen  gebaut, 
die  andere  an  der  linken  Seite,  klein,  eng  und  unbequem. 
Der  Fluß  ist  nur  knietief,  seine  Ufer  sind  links  von  der 
schmalen  Brücke  abschüssig  und  uneben,  und  auf  dieser 
Seite  würde  es  für  die  Artillerie  und  Kavallerie  schwierig, 
wenn  nicht  unmöglich  gewesen  sein,  überzusetzen;  aber 
zur  Rechten  der  Hauptbrücke  ist  der  Fluß  für  jede 
Truppenart  zugänglich.  Der  Feind  hatte  an  der  andern 
Seite  des  Flusses,  nicht  ganz  eine  halbe  Stunde  entfernt, 
einen  großen  Wald  inne  und  stellte  seine  Feldwachen 
ganz  in  unserer  Nähe  auf.  Der  Raum  zwischen  dem 
Walde  und  dem  Flusse  war  eine  Ebene,  aber  auf  unserer 
Seite  erhob  sich  der  Boden  beträchtlich,  obwohl  es  noch 
keine  Anhöhe  genannt  werden  konnte,  denn  von  Albuera 
nach  Valverde  ist  jeder  Zoll  des  Bodens  für  die  Kavallerie 
gunstig  -  ■  kein  Raum,  keine  Schlucht  hindern  ihre  Be- 
wegungen. 

Am  Morgen  des  Id.  wurden  unsere  Truppen  auf 
folgende  Weise  geordnet.  Das  spanische  Hrer.  das  sich 
am  Abend  des  15.  mit  uns  vereinigle,  stand,  vom  üeneral 
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Blake  angeführt,  zur  Rechten  in  zwei  Linien;  sein  linker 
Flügel  lehnte  sich  an  die  Straße  von  Valverde,  an  der  Im 
Rücken  einer  Anhöhe,  welche  von  der  Hauptbrücke 
emporstieg,  der  rechte  Flügel  unserer  zweiten  Division 
autgestellt  war,  während  der  linke  sich  auf  der  Straße 
von  Badajoz  auf  einer  Anhöhe  hinter  dem  Dorfe  hinzog. 
General  Hamiltons  portugiesische  Abteilung  deckte  den 
linken  Flügel  des  Ganzen.  General  Cole  kam  mit  zwei 
Brigaden  der  4.  Division  —  der  Füsilierbrigade  und  einer 
portugiesischen  —  kurze  Zeit  vor  dem  Kampfe  an  und 
bildete  mit  denselben  unsere  zweite  Linie.  Der  Feind 
nötigte  uns  jedoch  bald,  diese  Stellung  zu  ändern. 

Um  8  Uhr  morgens  begann  er  sich  in  Bewegung 
zu  setzen,  und  indem  er,  durch  zwei  Reiterkolonnen  ge- 
deckt, das  Dorf  und  die  Brücken  bedrohte,  ließ  er  die 
Hauptmacht  seines  Fußvolks  über  unsern  rechten  Flügel 
hinaus  den  Fluß  passieren  und  griff  mit  großer  Übermacht 
und  Heftigkeit  diese  Flanke  an.  Der  größte  Teil  der 
Spanier  bildete  rasch  eine  Front,  um  den  Angriff  abzu- 
wehren, wurde  aber  nach  kurzem  tapferem  Widerstande 
überwältigt  und  in  die  Flucht  geschlagen.  Der  Feind 
beherrschte  und  bedrohte  jetzt  unsere  ganze  Stellung; 
das  Feuer  seiner  Artillerie  war  heftig,  aber  zum  Glück 
für  uns  nicht  gut  gerichtet  Es  war  jetzt  durchaus  not- 
wendig, um  jeden  Preis  die  wichtige  Stellung  wieder- 
zuerlangen, die  die  Spanier  unglücklicher-  aber  nicht 
scliimpfuchcrweise  verlassen  harten.  Die  drei  Brigaden  des 
Regiments,  das  Stewart  befehligte,  nickten  unier  diesem 
General  im  Ursrh windschritt  vor.  Die  1.  oder  rechte 
Hrigade,  vom  Oberst  t.olborne')  angeführt,  wurde  dabei 
unter  den  ungünstigtlen  Umstanden  mit  in  den  Kampf 
verwickelt.  Als  sie  an  den  Feind  herankam,  teilte  sie 
sich,  feuerte  und  war  eben  im  Betriff,  tapfer  mit  dem 
Bajonett  in  die  starken  Kolonnen  seines  FuBvofks  ein- 


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zudringen,  als  ein  Trupp  polnischer  Landers,  der  in  diesem 
unglücklichen  Augenblicke  in  ihren  Rücken  gesprengt 
war,  sie  überfiel  und  ein  entsetzliches  Blutbad  anrichtete. 
Das  31.  Regiment,  welches  sieh  nicht  entwickelt  hatte, 
entging  diesem  Schicksal,  und  die  dritte  Brigade  unter 
Oeneral  Houghton,  sowie  die  zweite  unter  Oberst  Aber- 
croriiby1)  rückten  nacheinander  vor  und  erneuerten  den 
Kampf.  Mit  Hilfe  der  Füsilier-Brigade  unter  dem  Ritter 
Myers  ward  das  Glück  dieses  blutigen  Tages  wieder- 
hergestellt, und  die  Franzosen  flohen  nach  allen  Rich- 
tungen vom  Sc  hl  achtfei  de. 

Ich  darf  nicht  unerwähnt  lassen,  daß  während  des 
ganzen  Tages  ein  heftiges  Scharmützel  bei  dem  Dorfe 
stattfand,  das  von  einem  leichten  deutschen  Infanterie- 
regiment unter  Generalmajor  Alten1)  besetzt  gehalten  und 
behauptet  wurde.  General  Lumley!)i  der  die  Reiterei 
der  Verbündeten  befehligte,  legte  große  Geschicklichkeit 
an  den  Tag  und  vereitelte  jeden  Versuch  der  feindlichen 
Reiterei,  unsern  rechten  Flügel  anzugreifen,  obwohl  sie 
der  unsern  weit  überlegen  war  und  wiederholt  alle  ihre 
Kräfte  aufbot,  ihren  Zweck  zu  erreichen. 

Die  portugiesischen  Truppen  hatten  —  mit  Ausnahme 
einer  Brigade  —  wenig  Anteil  an  dem  Gefecht,  und  eine 
große  Anzahl  der  spanischen  Truppen  kam  überhaupt 
nicht  ins  Feuer.    Den  heftigsten  Kampf  hatten  die  Eng- 


s)  Oberst  Alexander  Abercromby,  1784—1853,  wurde  mit 
24  Jahren  schon  Ubrrstleulnant  vom  28.  Regiment  und  nach  Portugal 
zur  Unterstütiung  Wellingtons  nach  der  Schlacht  von  Talavera  ge- 
sandt. Er  focht  in  den  Schlachten  von  Busaco,  Torres  Vedras  und 
als  Oberst  bei  Albuera;  ferner  bei  Arroya  de  Molinas  und  nahm 
teil  an  dem  Sturm  auf  die  Forte  von  Almarez. 

f)  üiaf  Karl  von  Alten,  1764—1840,  Generalmajor  in  eng- 
lischen Diensten  und  spur  ki,l.  I:  innoveranischer  Oeneral,  leistete 
an  der  Spitze  der  berühmten  „light  division"  in  Spanien  hervor- 
ragende Dienste.  In  der  Schlacht  von  Albuera  kommandierte  er 
eine  englische  Brigade. 

')  Sir  William  Lumiey,  1760-1850,  kommandierte  mit  Btres- 
loid  die  vtibiindete  Kavallerie. 
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länder  zu  bestehen;  sie  verloren  4103  Verwundete  und 
Tote,  mit  Einschluß  von  120  Mann  der  deutsehen  Legion.1) 
Die  Portugiesen  verloren  400,  die  Spanier  1800  Mann; 
die  Oesamtsumme  betrug  also  ungefähr  6300  Mann.  Die 
Franzosen  büßten  wenigstens  0000  Soldaten  ein.  Soult 
besaß  gegen  240O0  Mann,  und  wir  waren  ihm  vielleicht 
im  ganzen  an  Zahl  überlegen,  doch  waren  es  nur  7000 
Engländer.  Die  zwei  britischen  Brigaden,  die  sich  an 
diesem  Tage  besonders  auszeichneten,  waren  die  vom 
Ritter  Myers  befehligte  Füsilier- Brigade  und  die  3.  Bri- 
gade der  zweiten  Division,  angeführt  vom  General 
Houghton. 

□er  Sieg  war  gewiß  nicht  nutzlos,  denn  durch  ihn 
wurde  die  Absicht  des  Marschalls  Soult,  Badajoz  zu  Hilfe 
zu  kommen  und  unsere  Truppen  aus  Estremadura  zu 
verdrängen,  gänzlich  vereitelt.  Aber  er  hatte  auch  noch 
einen  höheren,  edleren,  unsterblicheren  Nutzen:  er  gab 
ein  glänzendes  Beispiel  von  britischem  Heldenmut,  er- 
teilte den  stolzen  Legionen  Frankreichs  eine  furchtbare, 
unvergeßliche  Lehre,  und  als  Soult  an  der  Seite  seines 
kaiserlichen  Herrn  auf  dem  Schlachtfelde  von  Waterloo 
dahinritt  und  der  Jubel  der  englischen  Krieger  sein  Ohr 
traf,  hatte  er  Aibuera  nicht  vergessen. 

Soviel  im  allgemeinen  über  die  Schlacht.  Jetzt  will 
ich  erzählen,  was  sich  vor  meinen  Augen  ereignete,  und 
wenn  es  möglich  ist,  die  Gefühle  schildern,  die  mich 
an  diesem  Tage  bewegten. 

Eine  Stunde  vor  Tagesanbruch  standen  wir  unter 
Waffen.  Es  war  ein  herrliches  Schauspiel,  die  Gesamt- 
macht der  französischen  Reiterei  in  der  Ebene  ausge- 
breitet zu  sehen,    Sie  kehrte  jedoch  bald  in  den  Wald 


a)  Inlolge  der  Elbkonvention  wurde  im  Jahre  1803  ein  eng. 
lisch-deutsches  Trappenkorps  unter  dem  Namen  „Kings  German 
Legion"  aus  HaimiHvrauem  irruhkl,  il.is  von  1S<J:>  an  fast  an 
allen  Feldzügen  der  Engländer  mit  Auszeichnung  (eilnahm,  1816 
wurde  die  Legion  aufgelost,  und  aus  ihr  entstand  die  hannoversche 

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zurück  und  stellte  wie  zuvor  ihre  Feldwachen  aus.  Als 
unser  Bataillon  auseinandergegangen  war,  frühstückte  ich 
und  machte  mich  gleich  nachher  auf  den  Weg,  die  spani- 
schen Truppen  aufzusuchen;  ich  ließ  mir  an  diesem  Tage 
wenig  von  einem  allgemeinen  Treffen  träumen.  Der 
Knall  einiger  Schüsse  aber  hieß  mich  umkehren,  und  ich 
fand,  daß  unsere  Linie  hastig  nach  den  Waffen  griff  und 
der  Feind  in  Bewegung  war.  Das  Scharmützeln  währte 
gegen  anderthalb  Stunden,  und  unsere  Division  verlor 
durch  einige  ins  Blaue  abgefeuerte  Schüsse  mehrere  Leute. 
Bald  aber  verkündete  uns  das  fortwährende  Rottenfeuer 
der  Musketen  auf  unserm  rechten  Flügel,  begleitet  von 
wiederholten  Kanonenschüssen,  daß  der  wirkliche  An- 
griff auf  jener  Seite  stattgefunden  hatte.  Die  Brigaden 
unserer  Division  wurden  nacheinander  aufgefordert  diesen 
Flügel  zu  unterstützen.  Wir  bildeten  eine  offene  Kom- 
pagniekolonne in  halber  Entfernung  und  rückten  in 
schnellem  Doppelschritt  nach  dem  Schau  platze  des 
Kampfes.  Ich  erinnere  mich,  daß  in  rascher  Folge  viele 
Kugeln  und  Bomben  über  unsere  Köpfe  und  durch  unsere 
Reihen  flogen,  ohne  uns  indes  großen  Schaden  zuzu- 
fügen. Nur  ein  Kapitän  vom  29.  Regiment  war  durch 
eine  Kugel  schrecklich  verstümmelt  worden  und  lag  ge- 
rade auf  unserm  Wege.  Wir  gingen  nahe  an  ihm  vor- 
über, und  er  kannte  uns  alle.  Den  herzbrechenden  Ton, 
in  dem  er  uns  bat,  ihm  Wasser  zu  bringen  oder  ihn  zu 
töten,  werde  ich  nie  vergessen.  Aber  wir  konnten  ihm 
auf  dem  Marsche  keine  Hilfe  leisten,  denn  an  diesem 
entscheidenden  Tage  blieben  die  Verwundeten,  die  nicht 
weiter  konnten,  unbeachtet  auf  dem  Platze  liegen,  wo 
sie  gefallen  waren.  Alles  war  in  Eile  und  im  Kampfe. 
Jeder  Arm  wurde  auf  dem  Felde  gebraucht.  Als  wir 
durch  die  zerstreuten  und  weichenden  Spanier  kamen 
und  in  Schlachtordnung  mitten  durch  sie  dem  Feinde 
entgegenrückten,  sprengte  ein  junger  spanischer  Offizier 
von  sehr  edlem  Aussehen  auf  mich  zu  und  bat  mich  mit 
stolzer  Besorgnis,  ich  möchte  meinen  Landsleuten  sagen, 
240 


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die  Spanier  hätten  den  Befehl  zum  Rückzug  erhalten  und 
nicht  die  Flucht  ergriffen. 

Das  mörderische  Musketenfeuer  währte  lange.  Immer 
näher  kamen  wir  dem  Feinde,  und  als  wir  20  Schritte 
von  ihm  entfernt  waren,  erhielten  wir  Befehl  zum  An- 
griff. Wir  hatten  aufgehört  zu  feuern,  erhoben  das  Feld- 
geschrei und  fällten  unsere  Bajonette,  als  ein  Trupp  feind- 
licher Reiterei  hinter  einer  Anhöhe  sichtbar  wurde,  der 
unser  Ungestüm  benutzen  zu  wollen  schien.    Allein  das 
französische  Fußvolk,  durch  das  Geschrei  aufgeschreckt, 
das  immer  den  Angriff  verkündigt,  war  bereits  gewichen 
und  hatte  ungefähr  60  Schritte  von  uns  einige  Kanonen 
und  Haubitzen  im  Stich  gelassen.  Da  wir  sie  wegen 
der  Nähe  ihrer  Reiterei  nicht  verfolgen   konnten,  so 
machten  wir  Halt  und  fingen  an,  auf  sie  zu  feuern.  Das 
Blutbad  war  einige  Augenblicke  hindurch  fürchterlich. 
Jeder  Schuß  traf,  und  vergebens  suchten  die  feindlichen 
Offiziere  ihre  fliehenden  Soldaten  aufzuhalten.  Kein  Re- 
fehl wirkte  mehr.    Zwar  nahm  ein  Teil  ihrer  Artillerie 
eine  entfernte  Stellung  ein,  die  unserer  Linie  sehr  schadete, 
aber  wir  bewegten  uns  nicht  iriiher,  als  bis  wir  unsere 
ganze  Munition  verbraucht  hatten.  Dann  zogen  wir  uns 
in  der  vollkommensten  Ordnung  nach  einem  vor  ihrem 
Geschütze  gedeckten  Platze  zurück  und  legten  uns  in 
einer  Linie  nieder,  bereit,  jeden  neuen  Angriff  mit  dem 
Bajonett  abzuwehren.  Während  wir  langsam,  aber  immer 
weiter  vordrangen,  lagen  bald  unsere  Toten  und  Ver- 
wundeten hinter  uns,  und  wir  kamen  unter  die  feind- 
lichen  und  spanischen  Toten,  die  beim  ersten  Angriff 
gefallen  waren.  Wir  schritten  über  sie  und  die  Sterbenden 
hinweg,  ohne  auf  sie  zu  achten. 

So  unglaublich  es  scheinen  mag,  General  Beresford 
hielt  offenbar  eine  Erneuerung  des  Angriffs  am  17.  für 
möglich,  denn  er  ließ  uns  zwei  Stunden  vor  Tagesan- 
bruch unter  die  Waffen  treten  und  traf  Anordnungen, 
die  auf  nichts  Geringeres  deuteten  als  auf  die  Absicht, 
vorwärts  zu  rücken.  Hätte  der  General  das  schreck- 
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liehe  Blutbad  geahnt,  das  wir  in  den  Reihen  der  Feinde 
angerichtet  haften,  und  die  darauffolgende  Verwirrung; 
und  l 'ii/.ufiii'Lk'iihat  i:t?  i'miziisischeii  Heere  bemerkt,  so 
würde  er  vermutlich  in  den  Wald  eingedrungen  sein, 
wohin  sich  der  Feind  am  Abend  zurückgezogen  hatte, 
und  auf  diese  Weise  den  vollkommensten  Sieg  errungen 
haben,  der  je  bis  dahin  auf  der  Halbinsel  erfochten  worden 
war.  Man  sagt,  Blake  habe  sehr  darauf  gedrungen.  Unser 
Heer  war  am  Abend  des  16.  sicher  einem  Kampfe  ge- 
wachsen, denn  wir  waren  durch  eine  britische  Brigade, 
die  der  Oberst  Kemmis  befehligte,  nach  dem  Kampfe 
verstärkt  worden.  Der  Verlust  unserer  leichten  deutschen 
Bataillone  war  unbedeutend  gewesen;  unsere  portu- 
giesischen Truppen  waren  noch  ganz  frisch,  ebenso  zwei 
spanische  Regimenter,  und  die  Reiterei,  die  unter  der 
geschickten  Leitung  des  Generals  Lumley  stand,  hatte 
wenig  oder  keinen  Verlust  gehabt.  Hätte  Wellington  an 
diesem  Tage  den  Befehl  geführt,  er  würde  Soults  Armee 
gänzlich  geschlagen  und  alle  seine  Geschütze  erobert 
haben,  und  die  Männer,  die  in  den  Reihen  jener  beiden 
ausgezeichneten  Brigaden  kämpften,  würden  vielleicht 
jetzt  nicht  die  Kränkung  erlitten  haben,  unbemerkt  und 
ohne  Auszeichnung  neben  den  glücklichen  Helden  von 
Waterloo  einherzugehen. 

Am  17.  wagten  wir  den  ganzen  Tag  nicht,  über  den 
Fluß  zu  gehen,  sondern  standen  da  und  sahen  auf  die 
feindlichen  Feldwachen  und  Außenposten,  die  keck  auf 
der  kleinen  Ebene  zwischen  uns  und  ihrem  Biwak  auf- 
gestellt waren.  Am  18.  zogen  sie  sich  zurück.  Um  die 
Fortschaffung  ihrer  Verwundeten  zu  erleichtern,  ver- 
nichteten sie  den  Inhalt  vieler  Karren  und  Vorratswagen, 
und  unsere  Reiterei  und  leichte  Infanterie  folgte  ihnen 
in  respektvoller  Entfernung.  Nicht  eher  als  am  19.,  also 
drei  Tage  nach  der  Schlacht,  nahmen  wir  von  dem  Walde 
Besitz,  wohin  sich  der  Feind  nach  seiner  blutigen  Nieder- 
lage in  der  giiilitun  Verwirrung  geflüchtet  hatte. 

Unsere  Verwundeten  wurden  so  schnell  wie  möglich 

248 


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nach  Valverde  gebracht,  aber  die  Feldlazarette  boten  nach 
dem  Treffen  Szenen  dar,  bei  deren  Erinnerung  einen' 
schaudert.  Nie  werde  ich  die  kleine  Kapelle  vergessen, 
die  mit  Verwundeten  angefüllt  war,  von  denen  viele  .im- 
putiert werden  mußten  und  in  schmutzigem  unbehag- 
lichem Zustande  auf  den  harten  Steinen  lagen,  selbst 
des  Strohes  entbehrend.  AU  dies  war  unvermeidlich,  denn 
wir  hatten  nichts  für  sie  zur  Hand,  und  wegen  Mangels 
an  Fuhrwerk  mußten  sie  warten,  bis  unsere  eigenen  Leute 
fortgeschafft  waren. 

Denselben  Tag  ging  ich  noch  einmal  nach  dem  mit 
Toten  bedeckten  Teile  des  Schlachtfeldes.  Die  Ge- 
bliebenen lagen  noch  gräßlich  verstümmelt  und  unbeerdigt 
da,  nur  hier  und  da  bemerkte  mau  ein  leicht  aufgeworfenes 
Grab,  wo  einige  Offiziere  oder  Soldaten  ihren  Freunden 
die  letzte  Ehre  erwiesen  hatten.  Sehr  überraschte  mich 
ein  rührender,  wenn  auch  einfacher  Beweis  der  Nächsten- 
liebe unserer  Verbündeten ;  die  Hände  einer  großen  An- 
zahl Leichen  waren  von  den  Spaniern  ineinandergelegt 
worden,  als  wären  sie  zum  Gebet  gefaltet,  eine  Sitte, 
die  sie  abergläubischerweise  bei  der  Ausstellung  ihrer 
Toten  für  wichtig  halten. 

Am  22.  marschierten  wir  nach  Solano  und  nahmen 
am  23.  unsere  alten  Quartiere  in  Alemdralejo  wieder  in 
Besitz.  Wir  fanden  hier  300  verwundete  französische 
Soldaten,  die  man  in  einem  Kloster  zurückgelassen  und 
unserm  Schutze  empfohlen  hatte.  In  den  verschiedenen 
Kantonierungen  des  Heeres  wurden  unter  gleichen  Um- 
ständen einige  hundert  Oefangene  gemacht;  aber  General 
Gazan  brachte  4000  Verwundete  sicher  nach  Sevilla.  Unser 
General  Stewart  widmete  den  in  Alemdralejo  zurück- 
gelassenen Feinden  große  Aufmerksamkeit.  Er  besuchte 
fast  täglich  ihre  Hospitäler  und  überzeugte  sich  persön- 
lich, ob  man  sie  gut  pflege.  Ich  selbst  war  mehr  als 
einmal  bei  diesen  Besuchen  zugegen.  Die  Dankbarkeit 
der  Unglücklichen  drückte  sich  deutlich  auf  ihren  Zügen 
und  in  allem  aus,  was  sie  sagten.  Wenn  sie  von  ihren 
249 

. 


Befehlshabern  sprachen,  nannten  sie  Soult  blutdürstig  und 
geizig  und  sagten,  es  wäre  ihm  gleichgültig,  ob  er  seine 
Leute  opfere;  all  sein  Trachten  ginge  nach  Würden  und 
Reichtum. 

Am  25.  Mai  hatte  General  Lumley  einen  glänzenden 
Kampf  bei  Usagre  mit  der  feindlichen  Kavallerie.  Da 
er  ihn,  wie  immer,  mit  Mut  und  Geschicklichkeit  führte, 
schlug  und  zerstreute  er  sie,  obgleich  sie  ihm  an  Zahl 
weit  überlegen  waren,  hieb  einige  Reiter  auf  der  Stelle 
nieder  und  machte  gegen  100  Gefangene.  Sie  bestanden 
aus  lauter  französischen  schweren  Dragonern,  von  denen 
viele  am  Kopfe  und  im  Gesicht  schwere  Wunden  hatten. 
Mit  wenig  Ausnahmen  waren  es  alles  schöne,  kriegerisch 
aussehende  Männer,  die  offenbar  eine  lange  Reihe  von 
Jahren  gedient  hatten. 

Während  der  ganzen  Zeit,  wo  wir  in  Almendralejo 
verweilten,  wurde  die  Belagerung  von  Badajoz  unter  der 
persönlichen  Leitung  Wellingtons  von  zwei  Abteilungen 
der  Nordarmee  fortgesetzt,  die  zu  unserer  Verstärkung 
von  Beira  gekommen  waren.  Es  wurden  zwei  tapfere 
Angriffe  auf  das  Fort  San  Christoval  gemacht,  dessen 
Besitz  die  Übergabe  der  Festung  sicherte.  Unsere  Truppen 
zeigten  großen  Mut,  wurden  indes  zurückgeworfen,  weil 
sie  auf  Hindernisse  stieften,  die  keine  Tapferkeit  be- 
siegen konnte. 

Am  10.  Juni  ward  die  Belagerung  aufgehoben,  denn 
man  erhielt  die  Nachricht,  daß  Marschall  Marmont  im 
Begriff  sei,  die  Gegend  von  Ciudad  Rodrigo  zu  verlassen 
und  sich  mit  Soult  zum  Entsatz  von  Badajoz  zu  ver- 
einigen. Wir  zogen  uns  daher  am  11.  von  Alemdralejo 
zurück,  biwakierten  am  14.  und  15.  bei  Albuera,  setzten 
am  17.  drei  Stunden  südlich  von  Badajoz  über  den  Gua- 
diana  und  marschierten  auf  Elvas  zu.  An  demselben  Tage 
sah  ich  auf  dem  Marsche  einen  Trupp  des  estremadu- 
rischen  Korps,  das  ein  gewisser  General  Downie  —  ein 
Engländer,  der  ehemals  Kommissar  in  unsern  Diensten 
gewesen  war  —  ausgehoben,  gekleidet  und  seinem  Be- 
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fehle  unterstellt  hatte.  Nie  sah  ich  etwas  Seltsameres 
und  Lächerlicheres  als  die  Kleidung  dieser  Soldaten ;  sie 
sollte  eine  Nachahmung  der  alten  spanischen  Tracht  sein. 
Der  aufgekrämpte  Hut,  das  geschlitzte  Wams  und  der 
kurze  Mantel  hätten  sich  wohl  auf  der  Bühne  sehr  gut 
ausgenommen,  aber  für  ein  rauhes,  rasch  eingenommenes 
Biwak  schienen  sie  abgeschmackt  und  unpassend.  Mitten 
in  unserm  Mißmut  konnten  wir  uns  des  Lachens  nicht 
enthalten,  wenn  wir  an  die  armen  Teufel  dachten,  die 
in  ihrer  phantastischen  Kleidung  demselben  heftigen 
Regenschauer  ausgesetzt  waren,  der  unsere  Feuer  aus- 
löschte, den  Boden  erweichte  und  uns  bis  auf  die  Haut 
durchnäßte. 

Am  18.  zogen  wir  in  Elvas  ein,  um  uns  zu  trocknen 
und  eine  Nacht  unter  Obdach  zu  ruhen.  Viele  von  unsem 
verwundeten  Offizieren  und  üemtintn  lügen  im  Lazarett 
oder  in  Quartieren  in  der  Stadt,  und  der  Tag  war  natür- 
lich ein  Freudentag  für  uns.  Es  war  seltsam  anzusehen, 
wie  in  den  gefüllten  Räumen  der  Hospitäler  englische 
und  französische  Soldaten  hilflos  nebeneinanderlagen  oder 
hier  und  da  mit  freundlicher  Miene  sich  Liebesdienste 
erwiesen.  Ihre  Bedürfnisse  und  Gedanken  teilten  sie  ein- 
ander, wie  ich  bemerkt  in  spanischer  Sprache  mit,  die 
vielen  französischen  Soldaten  geläufig  war  und  von  unsern 
Leuten  gut  verstanden  wurde,  wenn  es  allgemeine  Dinge 
betraf. 

Am  19.  marschierten  wir  nach  den  Ufern  des  Caya 
und  nahmen  unsere  Stellung  in  einem  Orte,  der  Torre 
de  Moro  heißt  und  ungefähr  zwei  Stunden  von  Elvas 
unmittelbar  an  der  Grenze  liegt.  Hier  blieben  wir  bis 
zum  21.  Juli  und  führten  ein  regelmäßiges,  gesundes 
und  angenehmes  Lagerleben.  Fast  alle  Truppen  des  ver- 
bündeten Heeres  lagen  in  Campo  Majo  zerstreut  oder 
biwakierten  in  solchen  Stellungen,  daß  sie  schnell  zu- 
sammengerufen werden  konnten.  Ich  glaube,  wir  würden 
gewiß  an  den  Ufern  des  Cayo  gefochten  haben,  hätte 
der  Feind  gewagt,  über  den  Fluß  zu  setzen.  Seine  über- 
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legene  Stärke  aber,  besonders  an  Reiferei,  machte  es 
uns  unmöglich,  in  den  Ebenen  des  spanischen  Estre- 
madura  etwas  zu  unternehmen. 

Am  22.  Juni  unternahmen  Soult  und  Marmont  eine 
starke  Rekognoszierung.  Da  jedoch  ihr  Zweck,  Badajoz 
zu  schützen,  erreicht  wurde,  zeigten  sie  weiter  keine  An- 
griffsbewegungen  mehr.  Gegen  Mitte  Juli  kehrte  Mar- 
mont mit  seinen  Truppen  nach  Norden  zurück,  und  Lord 
Wellington  setzte  bei  Villa  Velha  über  den  Tajo.  In 
Alemtejo  überließ  er  seine  Truppen  dem  General  Hill 
und  begab  sich  nach  Beira. 

Unsere  Division  lag  vom  22.  Juli  bis  zum  3.  Sep- 
tember in  Villa  Vicosa,  einer  schönen,  wohlgebauten  Stadt, 
gegen  fünf  Stunden  von  Elvas  gelegen.  Von  Villa  Vicosa 
zogen  wir  nach  Portalcgre,  einem  heliebten  und  oft  be- 
suchten Quartier.  Um  diese  Zeit  nötigten  uns  die  Be- 
wegungen einer  französischen  Division  unter  General 
Gerard'J),  der  bei  Merida  über  den  Guadiana  gegangen 
war  und  den  Norden  von  Estrcmadura  heimsuchte  und 
plünderte,  ins  Feld  zu  rücken.  Die  Truppen  wurden 
daher  am  22.  Oktober  bei  dem  Dorfe  Codiceira  in  ein 
Biwak  zusammengezogen.  Das  Wetter  war,  wie  ich  mich 
erinnere,  in  dieser  Nacht  so  rauh,  daß  zwei  portugiesische 
Soldaten  an  der  Wirkung  des  heftig  herabströmenden 
Regens  im  Lager  starben. 

Nach  einigen  Märschen  und  Waffen  Übungen,  die  gut 
und  ruhig  abliefen,  kamen  wir  am  27.  in  der  Dämmerung 
bei  dem  Dorfe  Alcuescar  an,  das  nur  zwei  Stunden  von 
der  kleinen  Stadt  Arroyo  de  Molinos  entfernt  ist,  wo 
Gerards  Truppen  in  dieser  Nacht  unbesorgt  schliefen. 
Sechs  Stunden  lang  lagen  wir  vollkommen  bewaffnet  und 
ohne  Wachtfeuer  im  Biwak  und  marschierten  am  28. 
früh  um  2  Uhr  in  tiefer  Stille  auf  einer  engen  schlechten 
Straße  nach  Arroyo  de  Molinos.    Vi  7  Uhr  machten  wir 


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in  der  Nähe  der  Stadt  und  an  einer  Stelle  Halt,  die  für 
uns  sehr  günstig  war.  Hier  wurden  wir  in  drei  Kolonnen 
geteilt.  Die  erste  Brigade  wurde  geradeaus  nach  der 
Stadt  geschickt,  die  unsrige  marschierte  mit  einer  Ab- 
teilung Portugiesen  schnell  auf  einem  Umwege  nach  der 
rechten  Seite  von  Arroyo  und  machte,  in  Nebel  und  Regen 
gehüllt,  einige  Schritte  von  der  Landstraße  entfernt  Halt, 
die  dem  Feinde  allein  zum  Rückzüge  übrigblieb  und 
auf  der  er  sich  eben  marschfertig  machte,  ohne  unsere 
Annäherung  zu  ahnen. 

Das  Geschrei  der  ersten  Brigade,  die  in  die  Stadt 
eindrang  und  die  feindliche  Nachhut  mit  dem  Bajonett 
vertrieb  oder  gefangen  nahm,  verkündete  dem  Feinde 
die  drohende,  unerwartete  Gefahr.  Er  wollte  sich  schnell 
zurückziehen,  aber  vergebens;  unsere  Reiterei  sprengte 
vorwärts,  zerstreute,  tötete  seine  wenigen  Reiter  oder 
nahm  sie  gefangen,  die  nach  einem  Versuche,  sich  zur 
Linken  des  Fußvolks  zu  sammeln,  das  einen  Augenblick 
eine  verteidigende  Stellung  annahm,  in  großer  Verwirrung 
flohen.  Ungefähr  200  Schritte  hinter  der  Stelle,  wo  die 
feindlichen  Kolonnen  standen,  erhob  sich  die  felsige  rauhe 
Sierra  de  Montanches.  Nach  dieser  eilten  sie,  als  sie 
unsere  Brigade  rasch  anrücken  sahen.  Wir  folgten  ihnen 
auf  dem  Fuße  nach,  wurden  mit  ihnen  in  den  Felsen 
handgemein  und  machten  hei  jedem  Schritt  Gefangene, 
bis  wir  von  der  Verfolgung  abstanden,  da  sich  unsere 
Anzahl  wegen  Erschöpfung  verminderte  und  wir  mit  den 
Waffen,  Kriegsvorräten  und  Tornistern  belastet  waren, 
während  die  feindlichen  Flüchtlinge  das  alles  von  sich 
warfen.  Ein  Kavalleriegeneral,  der  Fürst  von  Aremberg 
—  Oberst  des  Jägerkorps  und  ein  Verwandter  Napo- 
leons — ,  ferner  ein  Generalstabschef,  zwei  Oberstleut- 
nants, 30  Offiziere  und  gegen  1200  Gemeine  wurden  zu 
Gefangenen  gemacht.  Dies  und  die  Eroberung  einer 
halben  Geschützbrigade,  sowie  all  ihres  Gepäcks  war  der 
Lohn  für  unsere  Mühe  und  Entbehrungen,  und  wir  kehrten 
frohen  Herzens  nach  Arroyo  zurück.  Die  Franzosen  er- 
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litten  einigen  Verlust  durch  das  Feuer  der  ersten  Bri- 
gade und  das  Geschütz,  das  diese  bei  sich  hatte.  Für 
uns  aber  war  das  Oetecht  in  dem  Gebirge  eher  be- 
lustigend, als  blutig  und  gefährlich,  denn  obwohl  einige 
feindliche  Grenadiere,  ehe  sie  sich  ergaben,  ihre  Mus- 
keten auf  uns  abfeuerten,  sn  war  doch  unser  Verlust 
sehr  unbedeutend  und  die  Gefahr  zu  gering,  um  davon 

Hier  lernten  wir  den  französischen  Charakter  so 
recht  kennen.  In  der  feindlichen  Division  hieß  eins  der 
Regimenter  das  34.,  im  britischen  Heere  war  es  eben- 
falls das  34.  Regiment,  das  die  Verfolgung  unternahm 
und  sich  völlig  mit  dem  Feinde  vermischte.  Als  die  fran- 
zösischen Offiziere  ihre  Säbel  abgaben,  umarmten  einige 
die  Offiziere  des  englischen  Regiments  und  riefen:  „Ah, 
messieurs,  nous  sommes  des  fr&res,  nous  sommes  du 
34me  regiment  —  Vous  etes  des  braves  —  les  Anglais 
se  battent  toujours  avec  loyaute  et  traltent  bien  leurs 
prisonniers.    Ah,  messieurs,  la  fortune  de  la  guerre  est 

Die  gefangenen  Truppen  waren  auffallend  schöne 
Männer  und  zu  dem  Dienst  auserlesen,  den  sie  verrichtet 
hatten.  Gerard  selbst  entkam  mit  dem  kleinen  Reste 
einer  Brigade,  und  wäre  die  erste  Brigade  seiner  Division 
nicht  um  5  Uhr  morgens  unter  dem  Befehle  des  Generats 
Remond  abmarschiert,  so  hätte  sie  wahrscheinlich  das- 
selbe Schicksal  ereilt,  welches  die  unter  Gerards  un- 
mittelbarem Befehle  stehenden  Truppen  erlitten.  Soult 
ließ  ihn  verhaften,  als  er  zur  Südarmee  stieß,  und  er- 
stattete dem  Kaiser  einen  strengen  Bericht  von  seiner 
Nachlässigkeit  und  seinem  Verhalten.  Aber  Gerard  war 
ein  Liebling  Bonapartes  und  zog  sich  ohne  den  Verlust 
seines  Kopfes  oder  seines  Amtes  aus  der  Schlinge.  Na- 
poleon kannte  den  Charakter  seiner  Offiziere  und  wußte, 
wann  und  wem  er  verzeihen  sollte  und  wessen  Dank- 
barkeit und  Verdienste  ihm  nützlich  sein  würden. 

Nach  diesen  Unternehmungen  kehrte  unsere  Division 

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nach  Portalegre  zurück,  und  gegen  Ende  November  er- 
hielt ich  Befehl  aus  England,  nach  Indien  aufzubrechen. 
Ich  mußte  also  für  eine  Zeitlang  ein  Regiment,  einen 
Dienst  und  ein  Land  verlassen,  an  denen  ich  mit  inniger 
Liebe  hing.  Trauernden  Herzens  trat  ich  mit  einem 
Waffengefährten,  der  ebenfalls  bestimmt  war  sich  dem 
ersten  Bataillone  anzuschließen,  am  Morgen  des  27.  No- 
vember meine  freudlose  Reise  nach  Lissabon  an. 


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4.  Kapitel 

Rückkehr  zu  den  britischen  Truppen  in  Portugal. 
Ein  Besuch  in  Madrid.    Rückzug  aus  der  Gegend 
von  Madrid.  Winterquartiere 

Am  29.  Dezember  1811  war  ich  vom  Tajo  aus  nach 
England  gesegelt  und  zu  Anfang  August  1812  landete 
ich  noch  einmal  am  Kai  von  Lissabon,  nachdem  ich 
der  Verbannung  nach  Indien  durch  eine  glückliche  und 
willkommene  Beförderung  entgangen  war.  Die  Nachricht 
von  dem  glorreichen  Siege  bei  Salamanca')  begrüßte  mich 
bei  meiner  Ankunft.  Die  Freude  der  Portugiesen  über 
diesen  Sieg,  der  für  ihre  Truppen  ebenso  rühmlich  war 
als  für  die  unsrigen,  kannte  keine  Grenzen.  Messen,  Auf- 
züge, Illuminationen  und  die  Theatervorstellungen,  die 
einen  Abend  nach  dem  andern  vor  einem  zahlreichen 
Publikum  gegeben  wurden,  zeugten  von  ihrem  Patrio- 
tismus. Die  außerordentliche  Geschicklichkeit,  die  Wel- 
lington bei  dieser  denkwürdigen  Schlacht  an  den  Tag 
gelegt  hatte,  mußte  in  dem  Herzen  eines  Soldaten,  der 
im  Begriff  war,  unter  seinem  Befehle  wieder  das  Feld 
zu  betreten,  stolze  und  schmeichelhafte  Ahnungen  er- 


i)  Am  22.  Juli  1812  siegten  die  Engländer  und  Spanier  unter 
Wellington  bei  Arapiles  in  der  Nähe  von  Salamanca  über  Mamiont 
Die  Kräfte  waren  ziemlich  gleich,  jeder  hatte  ungefähr  42000  Mann. 
Die  Franzosen  verloren  8000  Tute  und  Verwundete,  7000  Ge- 
lungene, 2  Adler  und  12  Kanonen. 
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wecken,  und  trotz  allen  Ohren  bläsereien,  die  ich  in  Eng- 
land anhören  mußte,  blickte  ich  mit  der  zuversichtlichen 
Erwartung  in  die  Zukunft,  daß  diesen  merkwürdigen  Krieg 
ein  ehrenvoller  und  rühmlicher  Ausgang  krönen  würde. 

Als  eifriger  Bewunderer  des  spanischen  Charakters 
hatte  ich  auch  meinen  Olauben  an  die  Tapferkeit  und 
Beharrlichkeit  dieses  Volkes  nicht  ganz  erschüttern  lassen. 
Zwar  wurden  die  spanischen  Heere  fast  in  jedem  Treffen 
geschlagen,  und  von  den  spanischen  Festungen,  obwohl 
sie  oft  tapfer  verteidigt  wurden,  fiel  eine  nach  der  andern 
in  die  Hände  des  Feindes,  aber  daran  waren  meist  der 
Mangel  an  Klugheit  bei  einigen  ihrer  Anführer  und  Ver- 
räterei bei  den  andern  schuld,  deren  gerühmten  Talenten 
sie  blindlings  die  Leitung  ihres  Mutes  anvertrauten. 
Spanien  nämlich,  das  Land  und  das  Volk,  leistete  noch 
Widerstand;  die  Einwohner  der  von  Franzosen  besetzten 
Städte  und  Flecken  sammelten  Geld  zu  diesem  Zwecke 
und  waren  immer  bereit,  ihren  bewaffneten  Brüdern  nütz- 
liche Nachrichten  zukommen  zu  lassen.  Die  mutigen  Ge- 
birgsbewohner, verabschiedete  Soldaten  und  begeisterte 
Freiwillige  aus  allen  Teilen  Spaniens  versammelten  sich 
um  entschlossene  Anführer,  und  ihre  unermüdlichen  und 
kühnen  Anstrengungen  für  die  Sache  wurden  teilweise 
von  höchst  nützlichen  Erfolgen  gekrönt. 

Die  Nachricht  von  der  Schlacht  bei  Salamanca  trieb 
mich  an,  so  schnell  als  möglich  zu  meinem  Regimente 
zu  stoßen,  das  General  Hill  noch  befehligte.  Denn  dieses 
Ereignis  und  Wellingtons  Vorrücken  ins  Innere  Spaniens 
mußten,  wie  sich  denken  ließ,  entweder  Soult  nötigen, 
die  Belagerung  von  Cadiz*)  aufzugeben  und  sich  aus  An- 
dalusien zurückzuziehen,  oder  ein  feindliches  Unternehmen 
unsererseits  zur  Folge  haben,  um  die  südlichen  Gegen- 
den von  der  Gegenwart  des  Feindes  zu  befreien.  Ich 
verließ  Lissabon  und  reiste,  zum  Glück  ohne  eine  Ab- 


")  Soult  belagerte  Cadiz  vergebens,  das  von  8000  Engländern 
unter  dem  Oencral  Graham  verteidigt  wurde. 

IT     BwM7:  Span.  Fttihcititimpf.  257 


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teilung  anzuführen,  nach  Estremadura.  In  der  Nähe  von 
Abräntes  begegnete  ich  einem  Trupp  von  3000  bei  Sa- 
lamanca  gemachten  Oelangenen.  Sie  waren  durch  den 
langen  Marsch,  das  heiße  Wetter  und  den  Mangel  an 
Schuhen  und  andern  Bedürfnissen  ersdiöpft  und  konnten 
weder  sprechen  noch  Liehen,  um  ihren  Mißmut  zu  ver- 
bergen. Nie  s;i!i  ich  ni^LT^eschlagenere  Franzosen.  Sie 
wimien,  wns  ihren  Arger  nach  zu  vermehren  schien,  von 
400  tölpischen,  schlecht  gekleideten  portugiesischen  Sol- 
daten geführt,  und  die  stol/e  und  wichtige  Miene,  womit 
diese  die  Bewegungen  der  „Vainqueurs  d'Austerlitz"  an- 
ordneten,  war  wirklich  lic'iisti^end.  Es  ist  nicht  edel, 
über  gefallene  Feinde  zu  frohlocken,  aber  schwer,  sie 
zu  bemitleiden,  wenn  unsere  Blicke  auf  Szenen  der  Zer- 
störung und  Verwüstung  fallen,  die  von  denen  ange- 
richtet wurden,  deren  Erscheinen  vielleicht  sonst  eine  für 
sie  günstige  Teilnahme  in  uns  erwecken  würde. 

Endlich,  in  Zafra,  konnte  ich  wieder  meine  Regi- 
mentskameraden umarmen.  Wohin  er  auch  wandern  mag, 
ein  Regiment  ist  stets  für  den  ledigen  Mann  die  beste 
Heimat.  Ich  erfuhr  hier,  daß  Lord  Wellington  am  12. 
triumphierend  in  Madrid  eingezogen  war  und  daß  Joseph 
Bonaparte  sich  nach  Valencia  zurückgezogen  hatte.1)  Soult 

ir. ,j eilte  V.'ir!:.c;-!'i!'iii'vei>,  An.hlusien  m  räumen,  und  mau 
vermutete,  daß  er  durch  Granada  und  Murcia  marschieren 
und  wahrscheinlich  sich  mit  dem  König  vereinigen  weide. 

Am  28.  August  marschierten  wir  auf  der  Straße  von 
Sevilla  nach  Bienvenida.  Am  (olgenden  Tage  zogen  wir 


»)  Der  Sieg  von  Salamanca  erschütterte  die  französische  Herr- 
schaft in  Spanien.  Josephs  Armee  des  Zentrums,  15000  Mann, 
ülU'ito  i:ilr;  7iit-;ll!;;;,1i:  rl.  s!.k  Irs  k'fcTiru  \v:ir,l,  (hl'i  WdÜTiJüir] 
auf  Madrid  ruckte,  und  der  König  und  sein  Hof  mufften  fliehen. 
Er  helahl  den  Rückzug  aul  Valencia,  wo  er  sich  mit  der  siegreichen 
Armee  Suchcts  decken  konnte.  Am  12.  August  zog  Wellington 
triumphierend  in  Madrid  ein  und  zwang  am  nächsten  Tag  die  in 
dem  Tort  Bucn  Hc'.\rn  7[Tii:-!;.',".-:::Ksc[icn  12(10  Mann  Garnison,  die 
Waffen  niederzulegen. 
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nach  llerena  und  hörten  hier,  daß  Oberst  Skerret  in  Se- 
villa eingezogen  sei  und  die  Franzosen  den  Weg  nach 
Cordoba  genommen  hätten.  Unser  Marsch  nach  Süden 
wurde  bei  der  kleinen  Stadt  Ayllones  unterbrochen,  und 
wir  zogen  uns  auf  dem  Guadiana  über  Maguilte,  el  Cam- 
pillo  und  Zalamea  nach  Quintana  zurück,  wo  wir  3  Tage 
Halt  machten.  Dann  marschierten  wir  nach  einem  Dorfe, 
5  Stunden  von  dem  Guadiana  entfernt,  und  verweilten  hier 
7  Tage,  um  die  Befehle  Wellingtons  zu  erwarten. 

Am  13.  September  war  das  Heer  wieder  in  Bewegung, 
tiiiil  meine  Brigade  marschierte  ;Ki c!i  :1er  Stadt  Medellin. 
Am  14.  ging  es  nach  Escurial  und  am  15.  nach  Santa 
Cruz.  Dann  ging  es  weiter  nach  Naval  Moral,  wo  wir 
einer  reisenden  spanischen  vornehmen  Familie  begegneten 
—  ein  sehr  ungewöhnlicher  Anblick.  Die  Frauen  und 
Dienerinnen  saßen  in  einem  schweren,  altmodischen 
Wagen,  der  von  Schnitzwerk  und  Vergoldung  bedeckt 
war.  Er  wurde  von  8  Mauliieren  gezogen,  die  wiederum 
von  2  schonen  Männern  geführt  wurden.  Tn  Wahrheit 
lenkten  sie  sie  nur  mit  der  Stimme,  indem  sie  ihre  Namen 
riefen,  worauf  die  Tiere  mit  großer  Gelehrigkeit  durch 
ihre  Bewegungen  zu  antworten  schienen.  Die  Männer 
der  Gesellschaft  ritten  mit  den  Dienern  zusammen,  alle 
im  freundlichen  Gespräch  begriffen.  Wie  ich  oft  bemerkt 
habe,  sind  die  Spanier,  so  hoch  auch  ihr  Rang  sein  möge, 
überaus  gütig  und  freundlich  gegen  ihre  Diener  und  Unter- 
gebenen. In  der  Tat  haben  auch  die  niederen  Klassen 
viel  natürliche  Sitten,  und  es  gibt  nichts  Widriges  und 
Abstoßendes  in  ihrer  Sprache  oder  ihrem  Benehmen.  Sie 
haben  nichts  Gemeines  in  ihrer  Freiheit  und  nichts  Knech- 
tisches in  ihrer  Ehrfurcht.  Ich  saß  oft  um  das  Feuer 
einer  Posada  unter  Spaniern  aller  Klassen,  die  der  Zu- 
fall zusammengeführt  hafte,  und  freute  mich  stets  über 
die  allgemeine  gute  Laune  und  das  leichte,  unbefangene 
Benehmen  der  Landleute. 

Talavera  de  la  Reina,  wo  wir  am  27.  Halt  machten, 
ist  oder  war  vielmehr  eine  schöne  Stadt  und  berühmt 
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wegen  ihrer  Seiden-  und  Por/.dlanfabriken.  Aber  die  Lage 
der  öffentlichen  Angelegenheiten  erlaubte  uns  nicht  lange, 
hier  zu  verweilen.  Im  Norden  widerstand  Burgos  mit 
Erfolg  allen  Versuchen,  es  zu  erobern,  und  das  von  Clause! 
befehligte  Heer*),  das  hinter  dem  Ebro  eine  sichere 
Stellung  eingenommen  hatte,  fing  an,  wieder  Mut  und 
Vertrauen  zu  fassen  und  diejenigen  unserer  Truppen  zu 
bedrohen,  die  die  Belagerung  der  Festung  unterstützten 
und  leiteten.  Auf  unserer  Seite  rückte  Soult,  der  sich 
in  Almanza  an  der  Grenze  von  Valencia  mit  Joseph  Bo- 
naparte vereinigt  hatte,  mit  großer  Heeresmacht  nach 
Madrid  vor,  während  Ballesteros5),  der  einen  wichtigen 
Dienst  hätte  leisten  können,  wenn  er  Soult  auf  seinem 
Wege  bedroht  und  seine  Truppen  mit  den  unsrigen  am 
Tajo  vereinigt  hätte,  hartnäckig  in  Granada  verweilte. 
Ballesteros  war  ein  Mann,  dem  es  weder  an  Mut  noch 
an  Geschicklichkeit  fehlte,  aber  sein  dummer  Stolz  ließ 
es  nicht  zu,  von  Wellington  Befehle  zu  empfangen.  Seine 
lächerliche  Eitelkeit  schadete  der  Sache  sehr  in  einem 
der  entscheidendsten  Augenblicke  und  machte  es  uns  un- 
möglich, im  Herzen  Spaniens  zu  bleiben  oder  Madrid 
zu  verteidigen.  In  der  Nacht  des  22.  Oktober  marschierte 
unsere  Brigade  von  Yepes  nach  Aranjuez.  Am  26.  setzten 
wir  über  den  Tajo  und  manövrierten  bis  /.um  30.  an 
diesem  Flusse  und  dem  Jarama.  Der  Feind  machte  am 
30.  einen  Versuch,  sich  in  Besitz  der  Puente  Carga  am 
Jarama  zu  setzen,  wurde  indes  von  einer  englischen  Bri- 
gade unter  Oberst  Skerret  mit  einem  unbedeutenden  Ver- 
luste auf  beiden  Seiten  vertrieben. 


<)  Gral  Bertrand  Clause!,  1772—1842,  führte  als  Divisions- 
gencral  im  Jahre  1810  ein  Heer  aus  Portugal  zunick,  übernahm 
dann,  1812,  nachdem  Mannont  in  der  Schlacht  von  Salamanca  ver- 
wundet worden  war,  den  Oberbefehl  über  dessen  Korps  und 
deckte  1813  den  Rückzug  nach  Frankreich. 

')  Francisco  Ballesteros,  1770—1832,  kämpfte  in  den  spa- 
nischen Freiheitskriegen  tapfer  für  die  Sache  seines  Volkes.  1811 
wurde  er  Generalleutnant. 
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In  der  Nacht  des  30.  begannen  wir  unsern  Rückzug, 
und  am  31.  früh  um  9  Uhr  zog  unsere  Division  unter 
den  Mauern  Madrids  hin.  Ich  hatte  die  Stadt  noch  nie 
gesehen,  und  es  war  daher  sehr  ärgerlich,  daß  Befehl 
erteilt  wurde,  niemand  dürfe  die  Reihen  verlassen  und 
niemand,  welchen  Grund  er  auch  haben  möge,  die  Stadt 
betreten.  Ich  brannte  vor  Neugier  und  würde  einer  Mus- 
ketensalve  getrotzt  haben,  um  Madrid  zu  sehen.  Ich  bin 
zwar  ein  Freund  der  Disziplin,  aber  ich  konnte  nicht 
widerstehen.  Unbemerkt  stahl  ich  mich  von  meiner  Ko- 
lonne weg,  setzte  über  eine  Brücke  und  ritt  eine  halbe 
Stunde  auf  den  Straßen  und  Plätzen  herum.  Nur  eine 
halbe  Stunde! 

Ich  stieg  auf  dem  großen  Platze  ab  und  ließ  mir  in 
einem  weiten  Saale,  der  mit  Madrider  Herren  angefüllt 
war,  Kaffee  geben.  Einer  von  ihnen  näherte  sich  mir 
und  sagte  mit  Tränen  in  den  Augen:  „Ich  weiß,  die 
Engländer  sind  brave  und  treue  Untertanen  —  ich  weiß, 
dieser  Rückzug  ist  eine  notwendige  Maßregel,  aber 
warum,  warum  kamen  sie  hierher,  wenn  sie  nicht  auf 
bleibenden  Besitz  rechnen  konnten?  Sie  wissen  wenig 
von  dem  Kummer  und  Elend  der  Einwohner  Madrids. 
Wenige  Stunden  noch,  und  wir  können  der  Rache  der 
Todfeinde  Spaniens  preisgegeben  sein.  Die  Verräter  in 
diesen  Mauern  haben  uns  wohl  bewacht,  sie  werden  jede 
Handlung  der  Vaterlandsliebe  als  ein  Verbrechen,  jedes 
,Viva'  als  ein  Geschrei  des  Aufruhrs  gegen  die  verhaßte 
Regierung  Josephs  darstellen."  —  Das  Herz  blutete  mir 
hei  diesen  Worten;  ich  konnte  nur  erwidern,  daß  die 
Politik  der  Franzosen  nicht  gestatten  würde,  alle  Beleidi- 
gungen zu  rächen,  daß  diese  ihren  eigenen  Aufenthalt 
für  unsicher  halten  und  unsere  baldige  Rückkehr  erwarten 
müßten,  wir  aber  bei  unserm  Vorrücken  nie  daran  ge- 
dacht hätten,  die  Hauptstadt  auf  eint  so  kränkende  Weise 
zu  verlassen,  wozu  wir  nur  durch  das  törichte  Benehmen 
ihres  Landmannes,  Ballesteros,  gezwungen  wären.  Er 
drückte  mir  die  Hand  mit  einem  „Viva  mil  aiios",  und 
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ich  bestieg  raein  Pferd  und  war  bald  seinen  Blicken  ent- 
schwunden. 

Ära  6.  machten  wir  für  einen  Tag  auf  den  Höhen  von 
Cantaraciila  Halt,  erreichten  Alba  de  Tormes  am  Abend 
des  7.,  und  am  8.  wurde  das  ganze  Heer  der  Verbündeten 
in  und  bei  Salamanca  und  längs  dem  Ufer  des  Tormes 
aufgestellt,  so  daß  einige  Briten  und  eine  Abteilung  Por- 
tugiesen auf  dem  rechten  Flügel  die  Stadt  Alba  besetzt 
hielten.  Die  französischen  Truppen  aus  dem  Norden, 
Süden  und  der  Mitte.  Spaniens,  die  uns  auf  der  einen 
Seite  von  Burgos,  auf  der  andern  von  Madrid  aus  ver- 
folgt hatten,  kamen  nach  und  nach  anmarschiert  und 
stellten  sich  uns  gegenüber.  Man  glaubte  allgemein,  daß 
Wellington  es  zu  einer  Schlacht  kommen  lassen  würde. 
Am  10.  machte  eine  Kolonne  Infanterie  mit  Kanonen  einen 
Angriff  auf  die  Stadt  und  das  Schloß  Alba,  wurde  aber 
zurückgeworfen.  Am  14.  Heß  Souli,  der  für  Joseph  be- 
fehligte, eine  ungeheure  Armee  oberhalb  Albas  über  den 
Tormes  setzen.  Unsere  Division  zog  sich  darauf  aus  dieser 
Gegend  auf  ihren  rechten  Flügel  zurück  und  rückte  näher 
gegen  Salamanca  heran.  Vor  einem  hohen,  felsigen  Berg- 
rücken, hinter  dem  unsere  Division  in  geschlossenen, 
dichten  Kolonnen  aufgestellt  war,  sahen  wir  das  Fuß- 
volk des  Feindes  eine  kleine,  waldige  Anhöhe,  ungefähr 
eine  Stunde  von  uns  entfernt,  besetzen.  Sie  zeigten  gegen 
5000  Reiter  in  der  Ebene  vor  uns,  während  hinter  uns 
unsere  ganze  Reiterei  aufgestellt  und  zum  Kampfe  bereit 
war.  Es  wurde  ein  wenig  gescharmützelt  und  geschossen, 
aber  sonst  fand  nichts  von  Belang  statt. 

Am  15.  bei  Tagesanbruch  stand  unser  ganzes  Heer 
in  Schlachtordnung;  unsere  Division  hatte  ihren  Posten 
hinter  den  Arripeten,  und  jeder  erwartete  einen  heißen, 
und  allgemeinen  Kampf.  Die  Franzosen  hatten  90000 
Mann  und  fast  200  Geschütze.  Unsere  Division  war  bei 
dem  glorreichen  Sieg  bei  Salamanca  nicht  dabeigewesen 
und  verlangte  sehnlichst  nach  einer  Schlacht,  denn  die 
Leute  glaubten  natürlich,  daß  ein  glänzendes  und  erfolg- 
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reiches  Gefecht,  auf  weit  großartigere  Weise  und  auf 
demselben  Boden  geliefert,  ihnen  ein  Recht  geben  würde, 
von  dem  Felde  von  Salamanca  mit  Soldatenstolz  zu 
sprechen.  Diese  Ruh m es eif ersucht,  dieser  Ehrgeiz  ist  im 
Felde  gewöhnlich,  und  ich  brauche  kaum  hinzuzufügen, 
von  nicht  zu  berechnendem  Vorteil  für  Herrscher  und 
Oberbefehlshaber.  Soult  hatte  jedoch  keine  Lust  zum 
Kampfe;  er  lehnte  die  Herausforderung  ab,  manövrierte 
zu  unserer  Rechten  und  nötigte  uns,  indem  er  unsere 
Verbindung  mit  Portugal  bedrohte,  zum  Rückzüge.  Es 
ist  klar,  daß  Wellington,  der  vom  8.  bis  zum  15.  all  seine 
Macht  am  Tormes  zusammenzog,  begierig  einen  allge- 
meinen Kampf  wünschte  und  erwartete.  Man  hat  in  der 
Tat  gesagt  und  es  ist  wahrscheinlich,  daß  er,  wenn  er 
Soults  Weigerung  geahnt  hätte,  den  Kampf  zu  beginnen, 
am  Morgen  des  15.  den  Angriff  selbst  begonnen  haben 
und  kühn  gegen  die  Höhen  von  Mozarbes  angerückt  sein 
würde.  Nicht  früher  als  um  10  Uhr  morgens  wurde  der 
Befehl  zum  Rückzug  gegeben,  der,  hätte  er  ursprünglich 
in  Wellingtons  Absicht  gelegen,  ohne  Zweifel  6  Stunden 
früher  angetreten  worden  wäre. 

Gegen  2  Uhr  nachmittags  machte  unsere  Kolonne 
eine  Rechtsschwenkung  und  gelangte  auf  die  Landstraße 
von  Ciudad  Rodrigo  und  marschierte  nach  Agueda.  Gegen 
Mittag  goß  der  Regen  in  Strömen  und  durchnäßte  uns 
bis  auf  die  Haut,  er  war  aber  nicht  ohne  Nutzen,  denn 
er  verbarg  auf  wunderbare  Weise  unsere  Bewegungen. 

Da  wir  in  unserm  Biwak  unsere  Waffen  nur  eine 
Viertelstunde  von  uns  entfernt  zusammengestellt  hatten, 
waren  wir  sogleich  wieder  in  Schlachtordnung.  Der  Feind 
machte  einen  Flintenschuß  weit  von  uns  Halt.  Die  Reiter 
waren  gegen  2000  Mann  stark,  alle  mit  großen  weißen 
Mänteln  bedeckt,  was  sich  sehr  schön  ausnahm.  Es  war 
gewiß  ein  Anblick,  der  bei  anderer  Gelegenheit  wert  ge- 
wesen wäre,  eine  Mahlzeit  darum  stehen  zu  lassen.  Aber 
hungrig  und  erschöpft,  wie  wir  waren,  kam  uns  der  Lärm, 
den  sie  verursachten,  sehr  ungelegen.  Sie  ließen  uns 
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ungestört  durch  das  Dort  und  über  die  Ebene  unsern 
Ruckzug  nach  dem  Walde  nehmen,  wo  unsere  Division 
lag,  denn  da  sie  keine  Kanonen  hatten,  würde  es  ein 
gefährliches  Unternehmen  gewesen  sein,  gegen  ein  rüstiges 
Bataillon  Fußvolk  etwas  zu  wagen.  Zur  Linken  des  Dorfes 
warfen  sie  jedoch  6  Schwadronen  zurück,  hatten  ein  un- 
bedeutendes Sdia ["iiiitzcl  mit  einigen  unserer  Reiter,  die 
hastig  aus  ihrem  Lager  sprengten,  und  zogen  sich  hierauf 
zurück,  um  für  die  Nacht  Mantilla  und  die  Höhen  zu 
besetzen. 

Am  17.  mußten  wir  in  unserm  Biwak  wegen  einer 
Kanonade,  die  sehr  entfernt  von  uns  gegen  die  rechte 
Kolonne  gerichtet  war,  zwei  Stunden  lang,  vor  Kälte 
zitternd,  unter  den  Waffen  stehen,  worauf  wir  unsere 
Ration  kochten  und  uns  in  einem  Sumpfe,  wo  uns  das 
Wasser  fast  bis  an  die  Knöchel  ging,  zur  Ruhe  legten. 
An  demselben  Tage  wurde  Sir  Edward  Paget"),  unser 
zweiter  Befehlshaber,  gefangen  genommen,  als  er  ruhig 
in  einem  Zwischenräume  zwischen  zwei  Divisionen  ritt, 
von  denen  die  eine  hinter  ihm  marschierte.  Einige  pol- 
nische Lanciers,  die,  auf  Abenteuer  ausgehend,  durch  den 
Wald  an  unserer  Flanke  herumgeschweift  und  auf  die 
Landstraße  herabgekommen  waren,  hatten  ihn  unbemerkt 
durch  das  Gestrüpp  fortgeschleppt. 

In  der  Nacht  des  18.  hörte  der  Regen  für  kurze 
Zeit  auf,  aber  eben  als  wir  uns  zur  Ruhe  legen  wollten, 
wurde  jedem  Manne  eine  Hand  voll  Mais  gereicht,  den 
sie  alsbald  zwischen  zwei  großen  Steinen  zu  zerreiben 
anfingen  und  dadurch  einen  solchen  Lärm  verursachten, 
daß  wahrscheinlich  niemand  im  ganzen  Lager  schlafen 
konnte.  —  Der  Verlust  unseres  Heeres  auf  diesem  Rück- 
züge war  sehr  bedeutend,  gaiin  ähnlich  einer  durch  einen 


4)  Henry  William  Paget,  Earl  of  Uxbridge,  Marquis  von 
Anglesey,  englischer  General  und  Staatsmann,  1763—1851.  In 
Spanien  war  er  Befehlshaber  der  englischen  Reservekavallerie  und 
unterstütite  die  Operaii™en  dos  (.H'ticnls  Moerc  mit  großem  Ge- 

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allgemeinen  Kampf  verursachten  Niederlage,  und  wir  ver- 
dankten es  nur  der  Nachlässigkeit  der  Franzosen,  die 
uns  nie  ernstlich  zusetzten,  daß  er  nicht  noch  größer  war. 

In  der  Nacht  des  20.  wurde  unsere  Division  südlich 
von  der  Sierra  de  Francia  in  die  OebirgsdÖrfer  verteilt, 
und  wir  machten  hier  auf  8  Tage  Halt.  Hier  wurde 
uns  auch  unser  Gepäck  ausgeliefert  und  wir  waren  unter 
Obdach.  Am  23.  marschierte  Hills  ganzes  Korps  nach 
der  Coria,  wo  wir  bis  Mitte  Mai  in  einem  kleinen  Dorfe 
in  Winterquartieren  lagen. 


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5.  Kapitel 

Übergang  über  den  Duero.    Scharmützel  bei  Hor- 
masa.   Zerstörung  des  Schlosses  Burgos.  Schlacht 
bei  Vitoria.    Gefechte  auf  den  Majahöhen.  Meine 
Gefangennahme 

Der  20.  Mai  fand  uns  wieder  im  Felde  am  Flusse 
des  Puerto  de  Banos  biwakierend.  Die  Sonne  schien  heiß 
auf  unsere  Zelte  im  Tale,  während  unmittelbar  über  uns 
in  ungeheurer  Höhe  die  schneeige«  und  schmutzigen 
Felsen  der  Sierra  de  Bejar  sich  erhoben.  Wir  zogen  durch 
eine  anziehende  Gegend  nach  Salamanca,  wo  wir  am 
26.  ankamen.  Der  feindliche  Nachtrab,  bestehend  aus 
400  Reitern  und  3000  Mann  Infanterie  mit  vier  Kanonen, 
räumte  die  Stadt,  als  wir  uns  ihr  näherten.  Wir  aber 
marschierten  nicht  in  die  Stadt,  sondern  durchwateten 
eine  halbe  Stunde  rechts  von  ihr  den  Tormes.  Die  Fran- 
zosen feuerten  einige  Schüsse  auf  unsere,  an  der  Spitze 
befindliche  Kavallerie  ab,  die,  nachdem  sie  den  Fluß  über- 
schritten hatte,  sich  in  Schlachtordnung  stellte.  Die  Fran- 
zosen zogen  sich  darauf  eiligst  längs  dem  Tormes  nach 
Bahila  Fuente  zurück.  Sie  wurden  von  unserer  Reiterei 
und  Artillerie  verfolgt,  beschossen  und  stark  bedrängt, 
wohei  sie  einen  Verlust  von  200  Toten  und  Verwundeten 
und  ebensoviel  Gefangenen  erlitten.  Wir  waren  an  diesem 
Tage  mit  der  Heeresabteilung  vereinigt,  die  unter  Wel- 
lingtons Befehl  marschierte,  der  bei  dem  Gefechte  mit 
dem  feindlichen  Nachtrabe  persönlich  zugegen  war. 
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Unsere  Division  lagerte  sich  an  demselben  Abend 
in  einem  Walde  bei  Orbada,  ungefähr  8  Stunden  von 
Salamanca.  Hier  und  in  die  Umgegend  verteilt  machte 
iler  rechte  Flügel  Halt,  während  der  linke  infolge  der 
geschickten  Anordnung  Wellingtons  auf  dem  Wege  von 
Miranda  und  Carvajales  sich  dem  rechten  Flügel  des 
Feindes  näherte.  Am  4.  Juni  waren  wir  wieder  in  Be- 
wegung und  am  5.  setzten  wir  bei  Toro  ohne  Hindernis 
über  den  Duero,  denn  der  Feind  war  vertrieben  und  in 
Schrecken  gesetzt.  Er  sah  sich  genötigt,  das  Ufer  des 
Flusses  ohne  Schwertstreich  zu  verlassen  und  sich 
schleunigst  zurückzuziehen,  nachdem  er  die  Brücken  zer- 
stört hatte. 

Wir  sahen  den  Feind  nicht  früher  als  am  12.  Er 
hatte  sich  so  geschickt  zurückgezogen,  daß  wir  keinen 
Plünderern  begegnet  waren  und  seit  dem  Gefecht  von 
Toro  keine  Gefangenen  gemacht  hatten.  Unser  Marsch 
und  unsere  Bewegungen  am  12.  waren  sehr  interessant. 
Das  Korps  des  Generals  Hill  brach  um  5  Uhr  morgens 
von  Manzana  auf  und  rückte  in  zwei  Kolonnen  vor  — 
die  rechte  nach  Celada,  die  linke,  bei  der  ich  mich  be- 
fand, über  Juntana  nach  Homillo.  Die  Feinde  schar- 
mützelten  tüchtig  mit  unserer  Reiterei  bei  Hormasa,  einem 
kleinen  Dorfe  am  Flusse  gleichen  Namens,  und  machten 
einen  kurzen  Halt,  um  den  Rückzug  der  Hauptmacht 
ihres  Nachzugs  zu  decken.  Dann  rückten  sie  langsam 
auf  die  Anhöhen  oberhalb  Hornillos,  wohin  wir  ihnen 
folgten.  Sie  bestanden  aus  vier  Schwadronen  und  drei 
Bataillonen.  Ihre  Infanterie  bildete  eine  Linie  auf  diesen 
Höhen.  Als  wir  an  ihrer  Flanke  hinaufstiegen,  zog  sie 
sich  zurück,  indem  sie  ihre  Richtung  etwas  veränderte, 
aber  immer  noch  Front  gegen  uns  machte.  Als  sie  end- 
lich merkten,  daß  wir  sehr  zahlreich  waren  und  tüchtige 
Reiterscharen  aufzustellen  hatten,  zogen  sie  sich  in 
Karrees  zusammen,  setzten  über  den  Fluß  Arlanzon,  ver- 
banden sich  mit  der  übrigen  Mannschaft  des  vom  Grafen 
Reille  befehligten  Korps,  und  alle  nahmen  den  Weg  nach 
267 

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Burgos.  Die  Troppen  bewegten  sich  sehr  schnell  und 
sicher  und  machten  ihren  Rückmarsch  in  der  schönsten 
Ordnung  angesichts  unserer  Reiterei  und  unter  dem  Feuer 
unserer  Kanonen,  das  indes  wenig  Wirkung  hatte. 

Unsere  Fußkolonnen  kehrten  ebenfalls  zurück  und 
lagerten  sich,  nachdem  sie  starke  Feldposten  auf  den 
Höhen  zurückgelassen  hatten,  am  Ufer  der  Hormasa.  Eine 
dieser  Feldwachen  befehligte  ich.  Gegen  Abend  fing  es 
stark  zu  regnen  an  und  goß  einige  Stunden  lang  fort. 
Wir  hatten  nichts  zu  essen,  und  auf  den  nackten  Höhen 
gab  es  kein  Brennholz.  Der  Morgen  brachte  jedoch  ein 
wenig  Trost,  denn  als  ich  in  der  Dämmerung  mit  meinem 
Fernrohre  das  ferne  Schloß  von  Burgos  betrachtete,  hatte 
ich  die  Freude,  es  plötzlich  in  dicken  weißen  Rauch  ein- 
gehüllt zu  sehen,  und  der  Knall  einer  furchtbaren  Ex- 
plosion verkündete  mir,  daß  der  Feind  es  angezündet 
hatte  und  es  folglich  verlassen  würde.  In  10  Minuten 
folgte  eine  zweite  Explosion,  und  in  ungefähr  einer  Viertel- 
stunde konnte  ich  deutlich  die  nackten  Trümmer  erkennen. 

Ein  großes  französisches  Heer  sammelte  sich  jetzt 
am  Ebro,  denn  Joseph  war  mit  allen  Truppen,  die  in 
Madrid,  Segovia  usw.  gestanden  hatten,  schnell  durch 
den  Engpaß  von  Somosierra  nach  Avanda  und  Burgos 
gerückt  und  im  Begriff,  sich  uns  gegenüber  in  Schlacht- 
ordnung aufzustellen.  Obgleich  kein  Burgos  mehr  zu 
belagern  oder  zu  blockieren  war,  so  war  es  doch  un- 
möglich gewesen,  den  Engpaß  von  Pancorvo  zu  bezwingen 
und  bei  Miranda  über  den  Ebro  zu  setzen.  Wellington 
rückte  ebenso  schleunig  auf  einer  unbelebten  Straße  links 
vor,  ging  darauf  bei  Puente  de  Arenas  über  den  Ebro 
und  marschierte  gerade  gegen  Vitoria,  wohin  sich  der 
Feind  zurückzog.  Unsere  Abteilung  rückte  am  Abend 
des  13.  nach  Villarejo. 

Um  </<3  Uhr  am  Morgen  des  21.  betraten  wir  die 
von  Miranda  nach  Vitoria  führende  Landstraße,  und  nach- 
dem wir  durch  die  kleine  Stadt  Puebla  unter  dem  Lebe- 
hoch der  Einwohner  und  mit  klingendem  Spiel  und 
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fliegenden  Fahnen  marschiert  waren,  machten  wir  nach 
einer  halben  Stunde  angesichts  des  französischen  Heeres 
Haft,  das,  zum  Kampfe  bereit,  eine  sehr  feste  Stellung 
eingenommen  hatte.  Sein  rechter  Flügel  stand  bei  der 
Stadt  Vitoria,  das  Zentrum  hatte  das  Zadorratal  inne, 
und  sein  linker  Flügel  lehnte  sich  an  die  Höhen,  die 
sich  über  Puebla  erheben. 

Mit  Ausnahme  der  sechsten,  die  in  Medina  aufge- 
halten wurde,  waren  alle  Divisionen  des  englisch-portu- 
giesischen Heeres  und  alle  spanischen  Truppen  unter  dem 
Befehl  Qirons,  Longas  und  Murillos  im  Felde  gegen- 
wärtig. Wir  waren  nicht  weniger  als  74000  Mann  und 
die  Franzosen  ungefähr  60000  mit  einer  zahlreichen  Ar- 
tillerie. 

Das  Korps  des  Generals  Hill  begann  den  Kampf 
und  griff  den  linken  Flügel  des  Feindes  an.  In  dem 
Augenblick,  wo  wir  durch  Puebla  kamen,  wurde  eine 
spanische  Brigade  unter  Murillo  auf  die  Höhen  geschickt, 
und  bald  darauf  marschierten  auch  das  71.  Regiment, 
eine  leichte  Kompagnie  und  ein  Bataillon  portugiesischer 
Jäger  zur  Unterstützung  dahin.  Diese  Truppen  hatten 
lange,  ehe  der  Kampf  allgemein  ward,  eine  harte  Arbeit 
zu  bestehen  und  erlitten  großen  Verlust,  endlich  aber 
gelang  es  ihnen,  von  den  wichtigen  Höhen  Besitz  zu 
nehmen,  indem  sie  den  Feind  vertrieben  und  zurück- 
warfen. 

Meine  Brigade  marschierte  gegen  das  Dorf  Subijana 
de  Alava  in  der  Front  der  Linie,  mit  der  Absicht,  es  mit 
dem  Bajonett  anzugreifen.  Als  wir  uns  näherten,  feuerte 
der  Feind  auf  uns  aus  14  Geschützen,  aber  nur  mit  ge- 
ringem Erfolg.  Ich  konnte  nicht  annehmen,  dafl  er  auf 
einen  so  wichtigen  Posten,  wie  das  Dorf  war,  ohne  Kampf 
verzichten  würde,  und  als  wir  ganz  nahe  waren,  glaubte 
ich  jeden  Augenblick,  mit  einem  mörderischen  Kleinge- 
wehrfeuer begrüßt  zu  werden  und  den  Feind  hervor- 
brechen zu  sehen.  Ich  hatte  daher  meine  Leute  vorbe- 
reitet, auf  einen  solchen  Angriff  zu  achten.  Im  Dorfe 
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war  jedoch  keine  Seele,  nur  ein  Wald  einige  Schritte  zu 
seiner  Linken  und  die  Klüfte  darüber  waren  mit  leichter 
französischer  Infanterie  angefüllt.  Bald  war  ich  mit  meiner 
Kompagnie  zwischen  den  Klüften  in  ein  lebhaftes  Schar- 
mützel verwickelt  und  verlor  von  38  Mann  etwa  11  Tote 
und  Verwundete.  Die  Engländer  Scharmützeln  nicht  so 
gut  wie  die  Deutschen  oder  Franzosen.  Unter  mir  sah 
ich  zu  meinem  Schmerze,  wie  die  anderen  Regimenter 
unter  dem  Feuer  der  französischen  Regimenter  litten. 

Es  war  gegen  2  Uhr,  als  die  4.  leichte  Division  auf 
einer,  Nanclares  gegen  üb  erliegen  den  Brücke  über  den 
Zadorra  setzte  und  kühn  gegen  das  feindliche  Zentrum 
und  die  Stadt  Arinez  vorrückte.  Um  dieselbe  Stunde 
eroberte  die  3.  und  7.  Division  die  Brücke  von  Puentes, 
griff  den  rechten  Flügel  des  Feindes  an  und  schlug  ihn. 
Die  ganze  Zeit  hindurch  unterhielt  die  Artillerie  auf  beiden 
Seiten  ein  mörderisches  Feuer;  als  jedoch  dieses  er- 
schlaffte, schien  sich  der  Feind  zum  Rückzug  vorzube- 
reiten und  verließ  bald  in  großer  Verwirrung  Dorf,  Höhen 
und  Stellung,  Wir  verfolgten  ihn  rasch,  aber  mit  wenig 
Nutzen  und  machten  am  Abend  in  einem  Biwak,  eine 
Stunde  von  Vitoria,  Halt.  Hier  liefen  alle  Augenblicke 
Nachrichten  von  dem  allgemeinen  Erfolge  der  Schlacht 
ein,  und  wir  fanden,  daß  General  Graham  mit  den  unter 
seinem  Befehle  stehenden  britischen  und  spanischen  Di- 
visionen die  Franzosen  nach  einem  harten  Gefechte  von 
Gamarra  Mayor  und  Abejuco  vertrieben  und  von  der 
Straße  nach  Bayonne  abgeschnitten  hatte,  und  daß  sie, 
all  ihr  Gepäck  und  Geschütz  im  Stiche  lassend,  in  der 
Richtung  nach  Pamplona  geflohen  waren.  150  Geschütze, 
415  Bombenkisten,  ihre  Kriegskasse  und  über  3000  Fuhr- 
werke, Lastwagen  und  Karren,  mit  Lebensmitteln,  Schätzen 
und  Beute  beladen,  waren  in  unsere  Hände  gefallen.  Wir 
hatten  gegen  5000  Tote  und  Verwundete  verloren,  und 
der  Verlust  der  Franzosen  war  nicht  viel  beträchtlicher. 
Ich  gestehe,  ich  war  mit  dem  Erfolge  nicht  zufrieden 
und  hatte  tüchtigere  und  weniger  hochklingende  Vorteile 
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erwartet.  Es  ist  wahr,  die  Eroberung  all  ihres  Geschützes 
und  Gepäcks  war  ein  glänzender  Triumph  und  würde 
in  diesen  Tagen  (1823),  wo  Generale,  um  dessen  habhaft 
zu  werden,  ein  Heer  geopfert  haben  würden  mit  Staunen 
und  Bewunderung  angesehen  werden.  Ich  für  meinen 
Teil  hätte  lieber  von  großen  Verlusten  in  den  feindlichen 
Reihen  gehört  und  eine  tüchtige  Kolonne  Oefangener  ge- 
sehen. Man  lachte  mich  aus  und  nannte  mich  unvernünftig, 
aber  dasselbe  Heer,  welches  seines  Geschützes  beraubt 
und  von  seinem  Gepäck  entblößt  war  und  12  Tage  nach 
dem  Siege  nach  Frankreich  getrieben  wurde,  fing  18  Tage 
darauf  die  Feindseligkeiten  wieder  an,  überfiel  uns  in 
den  Pässen  der  Pyrenäen,  drang  bis  auf  eine  Stunde  von 
Pamplona  vor  und  kämpfte  für  die  Befreiung  dieser 
Festung.  Wenn  ich  jedoch  nach  allem  überlege,  daß 
unser  Heer  in  45  Tagen  von  Portugal  nach  den  Grenzen 
Frankreichs  zog,  also  eine  Entfernung  von  400  englischen 
Meilen  zurücklegte,  so  erkenne  ich  darin  mit  Bewunderung 
Wellingtons  Talent  und  sollte  vielleicht  über  meine  ge- 
täuschte Erwartung  hinsichtlich  des  Sieges  bei  Vitoria 

In  dieser  Schlacht  litt  ein  Regiment  von  unserer  Di- 
vision, das  71.,  sehr  stark,  indem  es  400  Mann  und  seinen 
tapferen  Befehlshaber,  den  achtbaren  Oberst  Cadogan»), 
verlor.  Dieser  tapfere  Offizier,  erzählt  man,  habe,  töt- 
lich  verwundet  und  seiner  Lage  sich  völlig  bewußt,  ge- 
beten, daß  man  ihn  auf  einen  erhöhteren  Standpunkt 
bringe  als  der  war,  wo  er  fiel;  damit  er  dem  Kampfe 
zuschauen  und  zum  letzten  Male  sehen  könnte,  wie  unsere 

')  Der  Autor  spricht  von  der  Jetztzeit,  er  meint  also  das 
Erscheinungsjahr  der  englischen  Ausgabe,  die  im  Jahre  1823  er- 

')  Oberst  Henry  Cadogan,  1780-1813,  befehligte  bei  Vi- 
toria 1813  die  71.  Hochländer.  Er  hatte  Befehl,  die  Höhen  über 
dem  Dorfe  Puebla  zu  stürmen,  wo  sieh  die  französische  Nachhut 
befand.  Er  war  ein  allgemein  beliebter  und  von  Wellington  be- 
sonders bevorzugter  Offizier. 

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siegreichen  Truppen  vorrückten.  Ein  solcher  Zug  von 
Patriotismus  würde  sich  in  der  griechischen  oder  römi- 
schen Geschichte  gut  ausgenommen  haben;  so  wie  er 
ist,  bleibt  er  nur  eine  Kriegs anekdote,  die  man  mit  Ver- 
gnügen erzählt  oder  anhört,  ohne  daß  sich  Manner,  die 
Augenzeugen  gewesen  sind,  darüber  wundern,  wie  mit 
Wunden  bedeckte  gemeine  Soldaten  mit  einem  Freuden- 
rufe verschieden. 

Am  Morgen  des  22.  marschierte  das  Heer  vorwärts, 
nachdem  von  jedem  Regiments  eine  Kompagnie  mit  einem 
Hauptmann  in  Vitoria  zurückgelassen  worden  war.  Auch 
ich  wurde  zu  diesem  unangenehmen  Dienste  bestimmt. 
Auf  den  Straßen  der  Stadt  war,  wie  sich  denken  läßt, 
nichts  als  Lärm  und  Verwirrung.  Hier  brachten  Karren, 
die  ohne  Unterschied  mit  französischen,  englischen  und 
portugiesischen  Verwundeten  angefüllt  waren ,  ihre 
stöhnende  Ladung  in  die  zu  Hospitälern  bestimmten 
Klöster,  dort  ritten  Offiziere,  verwundet  und  bleich,  mit 
blutbefleckten,  schmutzigen  Uniformen  langsam  ihren 
Quartieren  zu,  während  ihre  Burschen  die  Pferde  am 
Zügel  führten  und  oft  ihre  zusammensinkenden  Herren 
aufrichteten ,  denen  jede  Bewegung  unerträgliche 
Schmerzen  zu  verursachen  schien.  Da  standen  einige 
Gruppen  französischer  Gefangener,  neugierig  aus  der 
Türe  der  Kirche  schauend,  worin  sie  eingeschlossen 
waren.  Dort  hielten  unsere  Kommandos  in  den  Straßen, 
Befehle  erwartend,  während  lange  Züge  von  den  zum 
Heeresverpflegungsamte  gehörenden  Maultieren  mit  Zwie- 
back beladen  an  uns  vorüberzogen,  um  dem  Heere  zu 
folgen.  Zum  Tore  marschierten  spanische  Truppen  ein, 
die  die  Besatzung  von  Vitoria  bilden  sollten,  und  auf 
den  Gesichtern  der  Einwohner  drückte  sich  Überraschung 
aus,  da  ihnen,  nachdem  sie  so  lange  unter  französischer 
Herrschaft  gestanden,  ihre  gegenwärtige  Lage  neu  und 
ihre  Befreiung  fast  unglaublich  schien. 

Zwei  oder  drei  Tage  lang  mußte  ich  mit  meiner 
stark  vom  Kampfe  erschöpften  Mannschaft  die  Kanonen 
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und  Bombenkisten  sammeln,  die  auf  den  Straßen  und 
Feldern  nördlich  von  der  Stadt  zerstreut  lagen.  Wir 
brachten  174  Kanonen  zusammen,  darunter  waren  90  Feld- 
stücke, deren  Mündung  vom  kürzlichen  Gebrauche  ver- 
dorben waren.  Der  Boden  war  fast  eine  Meile  weit  mit 
den  Trümmern  der  Wagen,  Karren,  Kisten  und  des  Ge- 
päcks bedeckt,  und  hier  und  da  waren  ganze  Felder  buch- 
stäblich weif}  von  den  dick  umhergestreuten  Papieren. 
Um  Oeld  oder  Kostbarkeiten  zu  finden,  hatten  die  Sol- 
daten alles  durchwühlt;  sie  hatten  das  Futter  der  Kutschen 
zertrennt  und  die  Polster  aufgeschnitten,  alle  Briefkästen 
der  verschiedenen  militärischen  Ämter  erbrochen  und  alle 
Papiere,  Berichte  und  amtliche  Urkunden  zerstreut,  die 
vielleicht  seil  Jahren  aufgehoben  worden  waren. 

Am  5.  Juli  brachen  die  Truppen  unserer  Division 
wieder  auf,  um  sich  mit  dem  Heere  zu  vereinigen.  Mein 
Regiment  und  die  Brigade  lagen  jetzt  auf  einige  Zeit 
hinter  den  Höhen  von  Maya  im  Biwak.  Ein  steiler,  be- 
schwerlicher Weg  von  drei  Viertelstunden  trennte  uns 
von  den  Höhen,  die  wir  verteidigen  sollten  und  auf  die 
wir  täglich  eine  Feldwache  von  80  Mann  stellten.  Un- 
gefähr eine  halbe  Stunde  hinter  dem  Posten  lagen  die 
leichten  Kompagnien  der  Brigade,  um  die  Verbindungen 
zu  decken  und  Unterstützung  zu  leisten. 

Am  25.  Juli  erstürmte  und  eroberte  der  Feind  mit 
großer  Übermacht  den  Paß  von  Maya,  und  es  herrschte 
große  Verwirrung  an  diesem  heißen  Tage.  Es  war  ein 
Überfall  und  auch  kein  Überfall.  Insofern  war  es  einer, 
weil  die  Truppen,  die  die  rechte  Seife  dieser  Höhen  ver- 
teidigen sollten,  drei  Viertelstunden  entfernt  waren  und 
nicht  schnell  genug  ankommen  und  sich  ordnen  konnten. 
Nur  ein  Regiment  kam  in  der  Tat  noch  beizeiten  an, 
um  auf  dem  wichtigen  Platze  zu  kämpfen,  und  dieses 
Korps  war  atemlos  vor  Anstrengung  und  mußte  gruppen- 
weise fechten,  als  es  ankam.  Es  war  aber  auch  kein 
Überfall,  weil  nie  ein  Kampf  von  der  Feldwache  und 
den  leichten  Kompagnien  regelmäßiger  geführt  wurde, 

IS       BwMT:  SpU.  FrOiKKxampI.  273 


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als  der  vom  25.  Juli.  Ich  selbst  werde  diesen  Tag  nicht 
so  leicht  vergessen,  denn  er  führte  mich  in  die  Hände 
.  der  Feinde  und  machte  mich  der  Ehre  verlustig,  den 
britischen  Fahnen  zu  folgen,  als  sie  furchtlos,  ja  trium- 
phierend in  den  schönsten  Provinzen  des  südlichen  Frank- 
reichs vordrangen. 

Ich  frühstückte  an  diesem  Tage  in  einer  hübschen 
Laube  am  Ufer  eines  Gebirgsflusses.  Um  7  Uhr  löste 
ich  die  Feldwache  auf  den  Mayahöhen  ab  und  hörte  von 
ihrem  Kapitän,  daß  er  bei  Tagesanbruch  einen  Reitertrupp 
und  eine  Infanterie-Abteilung  über  eine  entfernte  Hügel- 
fläche hätte  ziehen  und  verschwinden  sehen.  leb  bat  ihn, 
davon  einen  besonderen  Bericht  zu  machen,  wenn  er  ins 
Lager  käme,  was  er  auch  tat.  Bald  darauf  kam  ein  Unter- 
generalquartiermeister, ritt  eine  Strecke  vorwärts  und 
sagte,  daß  man  allerdings  gegen  anderthalb  Stunden  weit 
im  Tale  eine  Kolonne  sehen  könnte,  daß  es  indes  nur 
eine  Veränderung  des  Biwaks  oder  eine  unbedeutende 
Bewegung  wäre. 

Ich  dachte  anders,  und  die  Folge  lehrte,  daß  ich  mich 
nicht  irrte.  Indes  wurden  die  leichten  Kompagnien  von 
diesem  Offizier  heraufgeschickt,  eine  Maßregel,  die,  wie 
man  sehen  wird,  schwach  und  ungenügend  war.  In 
weniger  als  zwei  Stunden  waren  meine  Feldwachen  und 
die  leichten  Kompagnien  im  heißen  Kampfe  mit  dem 
feindlichen  Vortrabe  begriffen,  der  ganz  aus  Vottigeur- 
kompagnien  bestand,  die  durch  keine  Tornister  belästigt 
wurden.  Ein  ausgewählter  Offizier  führte  sie  an.  Die 
Leute  fochten  hitzig,  aber  wir  machten  ihnen  das  Terrain 
streitig  und  töteten  viele  von  ihnen.  Wir  hatten  die  Stellung 
selbst  dann  noch  nicht  verlassen  —  obwohl  wir  etwas 
gewichen  waren  — ,  als  wir  uns  mit  den  eilig  heran- 
rückenden Truppen  des  rechten  Flügels  unserer  Brigade, 
meines  eigenen  Regiments,  vereinigten. 

Die  Scharen  des  Feindes  wuchsen  jedoch  mit  jedem 
Augenblick  und  bedeckten  die  unmittelbar  vor  uns  und 
um  uns  liegende  Oegend. 
274. 

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Der  Kampf,  wenn  man  überhaupt  von  einem  Kampfe 
sprechen  kann,  war  jetzt  sehr  ungleich  und,  wie  sich 
denken  läßt,  kurz  und  blutig.  Ich  sah  zwei  Drittel  meiner 
Feldwache  und  viele  aus  den  leichten  Kompagnien  und 
meinem  Regimente  vernichten.  Unter  andern  braven 
Opfern  fiel  auch  unser  Qrenadierhauptmann,  der  mit 
Wunden  bedeckt  war,  unser  Oberst,  ebenfalls  schrecklich 
verwundet,  und  viele  andere.  Ich  indes,  der  ich  dieses 
Blutbad  überlebte,  wurde  gefangen  genommen.  Ich  ver- 
danke die  Erhaltung  meines  Lebens,  das  mir  In  diesem 
heißen  Augenblick  gleichgültig  war,  nur  der  Dazwischen- 
kunft  eines  französischen  Offiziers,  der  die  Musketen  der 
von  ihm  angeführten  Sektion  senken  ließ,  die  bereits  zu 
meiner  Vernichtung  angelegt  waren  und  mich  sicherlich 
dem  Tode  geweiht  hätten,  denn  ich  war  nur  sechs  oder 
sieben  Schritte  von  ihnen  entfernt.  Der  wackere  Mann 
umarmte  mich  und  sagte  ungefähr  folgendes:  „Un 
Fran^ais  sait  respecter  les  braves."  Darauf  befahl  er  einer 
Ordonnanz,  mich  zum  Grafen  Erlon  zu  bringen.1) 

Die  Abteilung,  die  mich  gefangen  hatte,  bestand  aus 
dem  8.  und  75.  Regiment  der  französischen  Linientruppen, 
□roßer  Gott,  welch  plötzliche  Veränderung!  Noch  vor 
wenigen  Minuten  hatte  ich  „vorwärts"  gerufen  und  rufen 
hören  und  jetzt  schrie  alles  um  mich:  „En  avant,  en 
avant,  vive  Napoleon,  vive  l'empereur!"  —  Ich  war  mitten 
unter  den  Franzosen,  die  hastig  und  ungestüm  an  mir 
vorübereilten.  Niemand  beschimpfte  mich,  niemand  ver- 
suchte, mich  zu  plündern.  In  einer  Schlucht  aber,  die 
voll  schurkisch  lauernder  Plünderer  war,  die  stets  die 
Memmen  und  Räuber  eines  Heeres  sind,  wurde  ich  von 
einem  Burschen  beraubt,  der  sich  mir  erbot,  freiwillig 
den  Kampfplatz  zu  verlassen  und  mich  fortzubringen.  Das 
Herannahen  einiger  leicht  verwundeter  Soldaten,  die  von 
der  Front  kamen,  und  eines  Sergeanten  veranlaßten  ihn, 


')  Jean  Baptiste  Oral  Drouet  d'Erlon,  franiasischerQenerai, 
1765-1844,  befehligte  1813  die  Armee  des  Zentrums  in  Spanien. 
18'  275 


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mit  seiner  Beute  davonzulaufen.  Der  Sergeant  führte 
mich  zum  Grafen  Erlon,  der  auf  einem  naheliegenden 
Berge  zu  Pferde  hielt  und  von  einer  großen  Menge  Stabs- 
offiziere umgeben  war.  „Un  capitaine  anglais,  general," 
sagte  mein  Führer.  Der  Graf  nahm  augenblicklich  den 
Hut  ab  und  redete  mich  auf  die  höflichste  und  schmeichel- 
hafteste Weise  an.  Er  stellte  nicht  die  geringsten  Fragen, 
sondern  sprach  mit  dem  größten  Lobe  von  dem  tapferen 
Widerstande,  der  ihm  geleistet  worden  wäre. 

Es  war  eine  seltsame  Szene  —  überall  um  mich 
französische  Gesichter  und  Uniformen.  Zwei  Reserve- 
kolonnen hielten  gleich  hinter  dem  Grafen.  Die  Fran- 
zosen, die  ich  hier  sah,  waren  nicht  entwaffnet  und  zer- 
lumpt, sie  zeigten  keine  mißmutige  Miene  oder  verstellte 
unpassende  Fröhlichkeit.  Ihre  Kleidung  war  fast  neu, 
ihre  Ausrüstung  vortrefflich  und  ihr  ganzes  Aussehen  rein- 
lich, rüstig  und  kriegerisch. 

Einer  von  den  Stabsoffizieren  des  Generals  stieg  vom 
Pferde  und  bot  mir  aus  seiner  Flasche  zu  trinken  an, 
was  ich  indes  ablehnte. 

Der  Feind  erlitt  großen  Verlust;  jeden  Augenblick 
kamen  Verwundete  vorüber,  und  auf  den  Höhen  lagen 
viele  Tote  und  schwer  Verwundete.  Auch  brachte  man 
kleine  Trupps  gefangener  Engländer  von  der  linken  Seite 
der  Mayahöhen  und  vom  Nachtrab,  wo  die  unsrigen  noch 
ohne  Beistand  tapfer  und  in  zerstreuten  Haufen  kämpften. 
Der  Graf  schickte  mich  bald  fort  und  sagte,  er  habe  kein 
Pferd  für  mich,  aber  die  Stadt,  wohin  er  die  Gefangenen 
beordert  hätte,  sei  nicht  weit  entfernt.  Darauf  wandte 
er  sich  an  den  Sergeanten  und  befahl  ihm,  sich  gegen 
die  gefangenen  englischen  Offiziere  —  denn  es  wurden 
noch  zwei  andere  gebracht,  während  ich  bei  ihm  war  — 
so  zu  betragen,  als  er  es  gegen  Franzosen  gleichen  Ranges 
tun  würde. 

Hinler  der  Reservckolonne  waren  alle  gefangenen 
Engländer  versammelt,  und  ich  traf  hier  einen  Waffen- 
gefährten, einen  Leutnant  von  unserer  leichten  Kompagnie, 
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der  sich  an  diesem  Tage  sehr  ausgezeichnet  hatte  und 
wenige  Minuten  nach  mir  in  einer  andern  Gegend  des 
Kampfplatzes  gefangen  genommen  wurde.  Er  war  ein 
sehr  vertrauter  Freund  von  mir,  und  es  schmerzte  mich 
tief,  ihn  unter  solchen  Umständen  wiederzusehen. 

Unser  Trupp  brach  nun  unter  einer  sehr  kleinen 
Bedeckung  auf,  denn  da  an  Flucht  nicht  zu  denken  war, 
so  wurden  wir  eher  geführt  als  dirigiert.  Wir  waren  im 
ganzen  140  Engländer,  aber  nicht  mehr  als  40  von  einem 
einzigen  Regimente,  und  nur  4  Offiziere.  Auf  unserm 
Marsche  begegneten  wir  noch  mehr  französischen 
Truppen,  die  die  enge  Gebirgsstraße  heraufzogen.  Keiner 
der  Soldaten  ließ  es  sich  einfallen,  uns  zu  beleidigen ; 
viele  Offiziere  grüßten  uns,  obwohl  hier  und  da  ein  mit 
Orden  behangener  Offizier  mit  ungeduldiger,  strenger 
Miene  seinen  Schnurrbart  drehte.  Amüsant  war  es,  mit 
welcher  Schnelligkeit  sich  ein  lügenhaftes  Gerücht  in  den 
feindlichen  Reihen  verbreitete.  Einer  der  übrigen  eng- 
lischen Offiziere  und  ich,  die  man  als  Bataillonsoffiziere 
gefangen  nahm,  trugen  volle  Epauletten.  Als  nun  die 
ersten  Abteilungen  der  französischen  Brigade  an  uns  vor- 
überzogen, hörten  wir  sie  sagen :  „Deux  chefs  de  ba- 
taillon  prisonniers,"  als  jedoch  der  Nachtrab  herankam, 
riefen  sie:  „En  avant,  l'affaire  va  bien;  deux  bataillons 
pris  aux  ennemis!"  Vergeblich  sagte  ich:  „Je  ne  suis 
que  capitaine."  Das  Geschrei  „Vive  Napoleon,  deux  ba- 
taillons pris  aux  ennemis!"  dauerte  fort.*)  — 


')  Der  Verlasser  bricht  merkwürdigerweise  seine  Feldzugs- 
erinnerungen so  kurz  ab,  daß  man  annehmen  könnte,  er  habe 
das  Werk  nicht  vollendet  oder  die  Absicht  gehabt,  seine  ferneren 
Lebensschicksale  in  einem  weiteren  Bande  folgen  zu  lassen.  Er 
hat  aber  keine  weiteren  Aufzeichnungen  darüber  hinterlassen,  und 
wir  müssen  uns  mit  diesem  eigentümlichen  Schluß  begnügen. 


277 

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4. 

Erinnerungen 
aus  dem  spanischen  Feldzug 
von 

Heinrich  von  Brandt 


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Vorwort 


Der  Geschichtschreiber  hat  zwei  Hauptbedingungen 
zu  erfüllen,  aber  sehr  selten  geschieht  dies:  mit  ruhiger 
Gleichmäßigkeit  Menschen  und  Dinge  zu  beurteilen  und 
ohne  Vorurteil,  vor  allem  aber  ohne  Parteilichkeit  die 
Ereignisse  zu  schildern.  Beides  ist  bei  dem  preußischen 
General  und  Militärschriftsteller  Heinrich  von  Brandt,  dem 
Verfasser  der  Kriegserinnerungen,  der  Fall,  aus  denen 
hier  ein  Auszug,  die  Erlebnisse  auf  der  Pyrenäischen  Halb- 
insel schildernd,  vorliegt. 

Diese  Memoiren  besitzen  eine  seltene  Schärfe  der  Be- 
obachtung und  haben  viel  zu  dem  Urteil  beigetragen, 
das  man  jetzt  über  die  Napoleonische  Armee  und  die  Ur- 
sachen ihrer  Niederlagen,  hauptsächlich  in  Spanien,  fällt. 
Besonders  interessant  und  geistreich  ist  die  Vorführung 
der  einzelnen  leitenden  Persönlichkeiten,  die  Brandt  mit 
scharfer  Kritik  zeichnet,  sowie  seine  Beobachtungen  über 
Sitten  und  Zustände  des  spanischen  Landes  und  Volkes, 
Klares  Denken,  Belesenheit  und  reiche  Kriegserfahrung, 
das  sind  die  besonderen  Merkmale  des  für  die  Geschichte 
und  zur  Belehrung  so  überaus  nützlichen  deutschen 
Memoiren  werk  es,  wie  es  deren  leider  bei  uns,  im  Verhält- 
nis zu  unsern  französischen  Nachbarn,  nur  wenige  gibt. 

In  kurzen  Worten  sei  hier  die  Biographie  des  Ver- 
fassers zusammengefaßt.  Heinrich  von  Brandt  kam 
1789  in  Lakiin  In  Westpreußen,  wo  sich  seine  auf  der  Reise 
befindlichen  Eltern  vorübergehend  aufhielten,  zur  Welt 
Mit  16  Jahren  bezog  er  die  Universität  zu  Königsberg  in 
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Ostpreußen,  um  auf  Wunsch  seines  Vaters  Rechtsgelehrter 
zu  werden.  Aber  die  großen  politischen  Ereignisse  der 
damaligen  Zeit  interessierten  ihn  mehr  als  die  staubigen, 
vergilbten  Pandekten,  und  als  das  Unglück  über  Preußen 
hereinbrach  und  der  König  im  Jahre  1807  eine  Bekannt- 
machung erließ,  die  jedem  jungen  Manne  von  Bildung  den 
Eintritt  in  die  provisorischen  Bataillone  als  Offizier  ge- 
stattete, da  war  Heinrich  von  Brandt  einer  der  ersten,  die 
sich  meldeten.  Er  trat  als  Fähnrich  (damals  die  niedrigste 
Offizierscharge)  in  das  2.  westpreu Bische  provisorische 
Bataillon;  doch  sah  er  den  Kriegsschauplatz  in  Preußen 
nie,  da  mittlerweile  der  Frieden  von  Tilsit  geschlossen 
worden  war.  Das  Unglück  Preußens  ging  ihm  zwar  nahe, 
doch  war  er  auch  von  der  Größe  Napoleons  ergriffen;  es 
schien  ihm,  „daß  er  alle  Helden  Plutarchs  überflügelt  und 
daß  selbst  Alexander  und  Cäsar  ihm  weichen  müßten". 

Die  Schöpfung  des  Qroßherzogtums  Warschau  (1807) 
erfuhr  Heinrich  von  Brandt  aus  den  Zeitungen.  Oleich- 
zeitig  horte  er  durch  die  Briefe  der  Seinigen  von  der  Lage 
der  deutschen  Bewohner,  die  nichts  weniger  als  angenehm 
war.  Denn  um  die  Bewohner  zu  ängstigen,  die  noch 
Kinder  oder  Verwandte  in  Preußen  hatten,  ward  das  Räu- 
mungsrecht in  Anwendung  gebracht.  Sein  Vater  riet  ihm 
daher,  den  Abschied  aus  dem  preußischen  Heere  zu 
nehmen,  was  der  Sohn  ungern  tat.  Er  mußte  indes  ge- 
horchen und  reichte  sein  Abschiedsgesuch  mit  der  Be- 
gründung ein,  er  wolle  sich  „dem  Dienst  des  neuen 
Landesherrn  nicht  entziehen". 

Nachdem  er  einige  Monate  ohne  Anstellung  gewesen 
war,  erhielt  er  eines  Tages  vom  Marschall  Davout,  dem. 
Gouverneur  von  Warschau,  den  Befehl,  als  Unterleutnant 
in  die  ii  engt  bildete  Weichs  eil  cgi  on  einzutreten.  Mit  diesem 
Regiment  machte  er  von  1808  bis  zum  Frühjahr  1812  den 
Feldzug  in  Spanien  mit  und  begab  sich  dann,  ebenfalls  mit 
der  Weichs ellegion,  nach  Rußland.  Auf  dem  verhängnis- 
vollen Rückzüge  des  französischen  Heeres  würde  Brandt 
schwer  verwundet,  von  den  Russen  gefangen  genommen, 
282 

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und  nach  Moskau  gebracht.  Nach  seiner  Heilung  wurde 
er  als  nissischer  Untertan  <ler  polnischen  Armee  einver- 
leibt, in  der  er  bis  zur  Rückgabe  seiner  Heimat  an  Preußen, 
1815,  blieb. 

Darauf  ward  der  nunmehrige  Hauptmann  als  Lehrer 
in  das  Kadettenkorps  und  die  allgemeine  Kriegsschule 
nach  Berlin  berufen  und  1829  zum  Major  im  Oeneralstab 
ernannt.  Seine  Beförderungen  gingen  nun  rasch  vorwärts, 
und  1857  nahm  er,  nachdem  er  viele  Ehrenämter  bekleidet 
hatte,  als  General  der  Infanterie  den  Abschied,  um  sich 
ganz  der  Militär  schrittst  ellerei,  die  er  schon  in  früheren 
Zeiten  gepflegt  hatte,  zu  widmen.  Er  wirkte  auf  diesem 
Gebiete  noch  ein  Jahrzehnt  und  starb  am  23.  Januar  1868 
in  Berlin. 

Seine  Erinnerungen  gab  sein  Sohn,  der  Major  Hein- 
rich von  Brandt,  kurz  nach  dem  Tode  des  Vaters,  1869 
in  zwei  Bänden  heraus;  die  zweite  Auflage  erschien  1870; 
1882  folgte  noch  ein  dritter  Band.  Auszüge  aus  den  Feld- 
zügen in  Spanien  und  Rußland  wurden  vom  Baron  Ernouf 
im  Jahre  1877  ins  Französische  übersetzt. 

Die  Schreibweise  Brandts  ist  teilweise  mit  veralteten 
und  französischen  Ausdrücken  angefüllt,  die  sehr  gut  durch 
bessere,  deutsche,  ersetzt  werden  konnten,  ohne  der  Ori- 
ginalität des  Buches  zu  schaden.  Ich  habe  dies  in  sehr 
vorsichtiger  und  beschränkter  Weise  getan  und  hoffe  so 
zur  Erleichterung  der  Lektüre  des  interessanten  Werkes 
beigetragen  zu  haben. 

F.  M.  K. 


283 

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1.  Kapitel 


Ankunft  der  Armee  in  Spanien.  Schlacht  vonjTudela 
1808.  Zweite  Belagerung  von  Zaragoza  1808—1809 

Unsere  Ankunft  in  Pamplona  fiel  gerade  in  die  Pe- 
riode der  großen  Operationen,  welche  Napoleon  gegen 
die  spanische  Armee  vorbereitete.  Die  Armeen  von  Estre- 
madura  und  Galicien  waren  bereits  vernichtet.  Marschall 
Lannes  war  von  Burgos  aus  entsandt  worden,  um  einen 
Schlag  gegen  die  Armeen  von  Andalusien  und  Aragonien 
unter  Castaüos  und  Don  Jose  Palafox1),  die  am  Ebro 
standen,  zu  führen.  Die  beiden  spanischen  Generale  waren 
voller  Siegeszuversicht  vorgerückt.  Ihr  Plan  war,  den 
Feind  von  allen  Seiten  zu  umgarnen  und  gänzlich  zu  ver- 
nichten. Sie  hatten  Tudela  bereits  erreicht,  aber  in  einer 
gewissen  Selbstsucht,  welche  man  oft  in  ähnlichen  Fällen 
findet,  es  verschmäht,  ihre  Armeen  zu  vereinigen.  Lannes, 
beauftragt,  gegen  sie  zu  marschieren,  hatte  das  3.  Korps 
unter  Marschall  Mo ncey,  die  Division  Lagrange  des6.Korps 
und  einige  Brigaden  Kavallerie  zusammengezogen.  Wir 
waren  mit  mehreren  anderen  Truppenteilen  über  Tafalla, 
Olite,  Peralta  auf  Milagro  dirigiert  worden,  wo  wir  unseren 
Regimentern  einverleibt  wurden.  Nach  nur  kurzer  Rast 
wurde  nach  Lodosa  marschiert,  in  dessen  Nähe  das  ganze 
Korps  vereinigt  war.    Mein  Regiment  kam  zur  ersten 


J)  Siehe  Anmerkung  12  des  1.  Berichts  und  Anmerkung  10  des 
2.  Berichts. 
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Brigade  (Habert)  der  ersten  Division  (Grandjean)  des 
3.  Korps. 

Unser  Marsch  war  zu  eilig,  um  Betrachtungen  zu 
gestatten.  Zwischen  Pamplona  und  Tafalla  berührten  wir 
den  Schauplatz  der  Taten  der  beiden  Minas'),  den  später 
so  berühmt  gewordenen  Wald  von  Tafalla,  welchen  die 
Franzosen  endlich  ganz  niederhieben,  um  den  Spaniern 
die  Gelegenheit  zu  Hinterhalten  zu  entziehen.  Der  Mar- 
schall Lannes  hatte  am  21.  November  seine  Truppen  von 
Lodosa  auf  Calahorra  und  Alfaro  in  Bewegung  gesetzt, 
während  Marschall  Ney  mit  seinem,  dem  6.  Korps,  dem 
Feinde  den  Rückzug  auf  Madrid  abschneiden  sollte,  wenn 
Lannes  gesiegt  haben  würde.  Der  Letztgenannte,  der  am 
23.  November  schon  lange  vor  Tagesanbruch  die  Kolonnen 
von  ihren  Biwaks  in  Bewegung  gesetzt,  rekognoszierte 
an  der  Spitze  der  von  den  Spaniern  gefürchtefen  polnischen 
Ulanen  den  Feind.  Obwohl  leidend,  sprengte  er  rüstig 
vor  dieser  unübertrefflichen  Truppe  einher.  Er  fand  den 
General  O'Neil  mit  der  Armee  von  Aragonien  auf  den 
Höhen  von  Tudcla,  während  Castanos  mit  der  Armee  von 
Andalusien  über  eine  Meile  davon  bei  Tarazona  und  Cas- 


')  Francisco  Espol  y  Mina  und  Xavier  Mina,  Onkel  und 
Neffe.  Ersterer,  geboren  1784,  gestorben  1835,  war  Oberbefehls- 
haber der  Armee  von  CatiLontai.  Die  militärische  Kameic  tiL-tr;it 
er  eigentlich  durch  einen  Zufall,  Sein  Neffe,  Xavier  Mina,  geboren 
1739,  erschossen  1817,  der  mit  19  Jahren  das  Studium  in  Logrono 
aufgab,  um  ein  Guerillaheer  zu  organisieren,  fühlte  bald,  daß  er 
dieser  Aufgabe  nicht  gewachsen  war  und  rief  seinen  Onkel  zu  sich. 
Bald  darauf  wurde  Xavier  gefangen  genommen  und  Francisco  ver- 
trat  ihn  als  Führer  der  Guerillas.  Von  da  an  datiert  sein  mili- 
tärischer Ruhm.  Die  Art  des  Krieges,  auf  den  er  sich  zuerst  be- 
schränkte, bestand  darin,  die  Straße  von  Bayonne  bis  Madrid 
scharf  zu  beobachten;  er  ließ  in  der  Tat  kein  Detachement,  keinen 
Transport  vorüber,  ohne  ihn  anzugreifen  und  führte  dabei  be- 
deutende Unternehmungen  aus.  Ebenso  fügte  sein  kühner  Neffe 
den  Franzosen  viel  Schaden  zu,  besonders  verbreitete  er  in  der 
Provinz  Navarra  Schrecken  unter  den  Feinden,  weniger  durch 
Waffentaten,  als  durch  Grausamkeiten,  die  sich  seine  Leute  zu- 
schulden kommen  tieften. 

285 

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cantc  stand.  Der  Marschall  erkannte  alsbald,  daß  es  ihm 
möglich  sein  würde,  die  eine  und  die  andere  Armee  zu 
schlagen,  ohne  daß  sie  einander  zu  Hilfe  kommen  könnten. 
Er  warf  sich  daher  mit  der  Division  Maurice  Mathieu  und 
der  Brigade  Habert  auf  Palafox,  sprengte  dessen  Zentrum 
und  ließ  durch  diene  Lücke  die  Kavalleriedivision  Lcfebvre- 
Desnourttrs  dringt  n,  ilrn  rechlen  Hügel  des  spanischen 
Generals  attackieren,  uml  nötigte  die  heroischen  Sieger 
von  Zaragoza,  wie  die  Spanier  die  Arationier  nannlen, 
zur  schleunigsten  Flucht.  D.inn  führte  der  Marschall  eint 
Frontveräiidcrune  .ius.  um  sich  auf  Castanos  zu  werfen. 
Dieser  aber  tvarlrtr  ilcn  Angriff  nicht  ah,  sondern  zog  sich 
SLhlfump.1  /urüik,  worüber  er  späler  von  der  Junta  des 
Verrats  angeklagt  ward.  Nur  eine  spanische  Division,  die 
von  La  Pena,  die  bei  Bailen  eine  Rolle  gespielt,  kam  zum 
Kampf,  wt'^ei  sie  stark  litt  und  gänzlich  zersprengt  ward. 

Der  Bericht  gab  an,  daß  der  Feind  4000  Tote  und  im 
Ebro  Ertränkte,  30  angespannte  Geschütze  mit  den  dazu- 
gehörigen Muiiitionswagen  und  viele  Gefangene  verloren 
habe.  Unser  Verlust  soll  nur  40  Tote  und  ein  halbes 
Tausend  Verwundete  betrafen  haben.  Man  folgte  dem 
Feinde  bis  Alagon,  von  wo  man  sich  aber  wegen  Mangel 
an  Lebensmitteln  wieder  zurückziehen  mußte.  Der  Weg 
bis  dahin  war  mit  Leichen  bedeckt,  welche  die  Luft  noch 
wochenlang  verpesteten,  weil  niemand  daran  dachte,  die- 
selben zu  begraben.  Es  waren  größtenteils  unmontierte 
Freiwillige,  denen  die  verfolgende  Reiterei  keinen  Pardon 
gegeben. 

Die  Schlacht  hatte,  alle  Gefechte  mit  den  verschie- 
denen Abteilungen  eingerechnet,  ziemlich  vom  Morgen 
bis  zum  Abend  gedauert,  ohne  daß  jedoch  die  einzelnen 
Truppenteile  länger  als  ein  bis  zwei  Stunden  im  Feuer 
gewesen  waren.  Die  Brigade  Habert,  bei  der  mein  Re- 
giment stand,  die  mit  der  Division  Maurice  Mathieu  die 
Höhen  von  Tudela  angriff,  halte  schon  auf  eine  unglaub- 
liche Entfernung,  als  die  Kolonnen  noch  in  Marschordnung 
waren,  einige  Verwundete.  Später  jedoch,  als  man  die 
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vereinigten  Voltigeure  vorzog  und  diese  durch  Angriffs- 
kolonnen unterstützen  ließ,  blieb  das  hintere  Treffen,  in 
dem  mein  Bataillon  sieh  befand,  so  außer  Berührung  mit 
dem  Feinde,  dal!  nur  der  Kanonendonner  und  ab  und  zu 
eine  Kugel,  welche  über  Jie  Köpfe  hinsauste,  bemerken 
ließ,  daß  auch  wir  uns  aui  einem  Schlachtfelde  befänden. 
Die  Spanier  machten  zwar,  vom  Terrain  unterstützt,  ab 
und  zu  Versuche,  sich  wieder  zu  formieren ;  in  dem  Oliven- 
walde von  Tudela  selbst  kam  es  zu  einem  lebhaften  Ti- 
railleurgefecht,  aber  im  allgemeinen  war  die  Haltung  des 
Feindes  so  erschüttert,  daß  die  Vortruppen  überall  hin- 
reichten, die  Entscheidung  herbeizuführen.  Das  3.  Korps 
(Moncey)  verfolgte  die  flüchtigen  Aragonier  auf  der  Strafte 
von  Zaragoza,  die  Truppen  von  Andalusien  wurden  auf  die 
Straße  von  Borj'a  und  Calatayud  geworfen,  doch  kein  Ney 
war  da,  um  sie  in  Empfang  zu  nehmen,  worüber  im  Lager 
viel  gesprochen  wurde.  Das  Hauptresultat  der  Schlacht 
war,  daß  etwa  28000  Franzosen  eine  spanische  Armee 
von  40000  Mann,  stolz  auf  die  Ereignisse  von  Zaragoza 
und  Baden,  ohne  sonderliche  Anstrengung  in  Zeit  von 
einigen  Stunden  gänzlich  aus  dem  Felde  geschlagen  und 
auseinandergesprengt  hatten.  Die  Einleitung  der  Schlacht 
und  diese  selbst  waren  so  schnell  und  überraschend,  daß 
mir  von  der  ganzen  Sache  nur  eine  flüchtige  Erinnerung 
geblieben. 

Ich  war  zur  Kompagnie  eines  Kapitäns  Matkowski 
gekommen,  der  ein  wackerer,  braver  Mann  war  und  sich 
meiner  freundlichst  annahm.  Selbst  literarisch  gebildet  und 
unterrichtet  —  er  hatte  früher  in  Krakau  studiert  — ,  wäre 
mir  sein  Umgang  gewiß  sehr  nützlich  geworden,  aber 
leider  sollte  er  uns  nur  zu  bald  entrissen  werden. 

Wir  hatten  durch  den  weiten  Marsch  eine  gewisse 
Kriegs  brauch  barkeit  erlangt,  und  so  hatte  man  sich  nicht 
gescheut,  uns  den  verschiedenen  Regimentern,  ich  möchte 
sagen  noch  während  des  Marsches  zur  Schlacht,  einzuver- 
leiben. Die  Organisation  des  französischen  Nachschub- 
systems war  überhaupt  so  gut,  daß  man  den  Ersatz  un- 
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mittelbar  nach  seiner  Ein  rangierung  kaum  von  den  alten 
Soldaten  zu  unterscheiden  wußte.  Er  hatte  von  den  älteren 
Mannschaften  vielleicht  noch  den  Vorzug,  dienstbeflissener 
als  diese  zu  sein.  Der  Geist  in  den  Regimentern  der  Legion 
war  ein  echt  kriegerischer  und  ward  durch  die  strenge 
Mannszucht,  welche  der  Oberst  Chlupicki1)  aufrecht  zu 
erhalten  wußte,  noch  gehoben. 

Die  ersten  Flüchtlinge  vom  Schlachtfclde  waren  schon 
1  Stunden  nach  der  Schladil  in  Zaragoza  angekommen 
und  hatten  diese  IS  spanischen  Leguas  also  beflügelten 
Schrittes  zurückgelegt.  Der  Schrecken  über  die  erlittene 
Niederlage  war  um  so  großer,  als  sie  den  Spaniern  gegen 
alle  Erwartung  gekommen.  Viele  ßrwcjhner  der  Um- 
gegend, die  sah  den  Franzosen  feindlich  bewiesen,  eilten 
Sicherheit  in  Zaragoza  zu  suchen,  und  es  sollen  sich  in 
den  ersten  Tagen  nach  der  Katastrophe  über  100000 
Menschen,  unter  denen  besonders  viele  Frauen  und  Kinder, 
daselbst  befunden  haben.  Hätte  man  von  Alagon,  das  wir 
am  27.  erreichten,  unsern  Marsch  auf  Zaragoza  fortgesetzt, 
so  wäre  unter  den  ersten  Eindrücken  des  Schreckens 
ein  Abkommen  mit  Palafox  möglich  gewesen ;  indes  Mar- 
schall Lünnes,  die  Seele  des  Unternehmens,  erkrankte 
heftig,  mußte  das  Oberkommando  abgeben,  und  Moncey 
kehrte  mit  seinen  Truppen  —  aus  Mangel  an  Lebens- 
mitteln, wie  es  hieß  —  zurück,  während  Ney,  voller  Be- 
sorgnis, auf  Castanos  zu  stoßen,  in  Borja  Halt  machte. 

Den  30.  endlich,  nachdem  der  Kaiser  seine  Marschälle 
wiederholt  energisch  zum  Vorgehen  aufgefordert,  er- 
schienen diese  vor  Zaragoza.')  Als  die  Truppen  der  Stadt 
ansichtig  wurden,  brachen  sie  in  ein  lautes  Freudengeschrei 
aus.  Die  Schlacht  von  Tudela  und  die  eilige  Flucht  der 
Spanier  hatte  ihnen  den  Mut,  welchen  die  früheren  Er- 


*)  Joseph  Chlopicki,  polnischer  General,  1771—1854,  kämpfte 
von  1808—1811  in  Spanien  unter  Napoleon. 

»)  Dies  war  die  zweite  Belagerung  von  Zaragoza,  vom  21.  De- 
zember  1808  bis  21.  Februar  1809;  die  erste  hatte  vom  Juni  bis 
August  1808  stattgefunden. 
288 

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eignisse  sehr  niedergeschlagen,  wiedergegeben,  und  das 
treffliche  Betragen  der  Division  Lagrange  und  der  Ka- 
vallerie, die  aus  alten,  erprobten  Soldaten  bestanden,  hatte 
sichtlich  belebend  auf  den  Geist  des  3.  Korps  eingewirkt. 
Man  war  voller  Siegeshoffnung.  Als  daher,  statt  frisch  an 
die  Arbeit  zu  gehen,  bald  darauf  wieder  der  Rückzug  nach 
Alagon  angetreten  wurde,  äußerte  sich  eine  allgemeine 
Unzufriedenheit.  Ney  hatte  nämlich  unmittelbar  nach 
seinem  Eintreffen  von  Zaragoza  auf  der  Straße  von  Madrid 
den  Befehl  erhalten,  die  Zerstreuung  des  Korps  von  Ca- 
stahos  zu  vollenden,  und  kehrte  demgemäß  nach  Cala- 
tayud,  von  wo  er  gekommen,  zurück.  Moncey,  der  sich 
schon  des  Monte  Torrero  bemächtigt  hatte,  ging,  da  er 
sich  nach  Neys  Abmarsch  für  zu  schwach  hielt  etwas  zu 
unternehmen,  wieder  auf  Alagon  zurück,  wo  die  Truppen 
biwakierten  oder  in  den  benachbarten  Ortschaften  küm- 
merlich untergebracht  wurden.  Mein  Bataillon  stand  in 
Mallen  in  einem  Kloster,  von  wo  abwechselnd  Detache- 
ments  zum  Vorpostendienst  und  anderweitige  Kommandos 
abgegeben  wurden.  Von  den  Entbehrungen,  denen  die 
Truppen  hier  ausgesetzt  waren,  kann  man  sich  kaum 
einen  Begriff  machen.  Es  war  empfindlich  kalt;  entweder 
wehte  ein  kalter,  scharfer  Wind,  der  Land  und  Menschen 
erstarrte  und  austrocknete,  oder  es  regnete  in  Strömen. 

Die  ganze  Landschaft  von  Lodosa  bis  Zaragoza  war 
mit  Ausnahme  Tudelas  gänzlich  ausgeplündert.  Fenster- 
läden, Türen  und  das  Hausgerät  waren  verbrannt;  einzeln 
stehende  Häuser  waren  niedergerissen,  und  wo  die 
Truppen  länger  verweilt,  hatte  man  die  Oliven  Pflanzungen 
zur  Feuerung  verbraucht.  Die  Einwohner  waren  meistens 
entflohen.  In  diesen  ruinenartigen  Oebäuden  wohnten  wir 
und  lagerten  auf  dem  bloßen  Fußboden  oder  auf  notdürftig 
ausgeschlagenem,  halb  gebrochenem  Hanf.  Von  Stroh 
war,  da  die  Spanier  nach  Art  der  Mauren  das  Getreide  ge- 
winnen, keine  Rede.  Wer  hier  und  dort  vielleicht  eine 
alte  wollene  Matratze  erwischte,  ward  als  besonders  be- 
günstigt angesehen.  Ebenso  schlecht  war  die  Verpflegung. 

19      BuMT.  Spin,  Prtihtmkis.pf.  289 


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Gewöhnlich  waren  die  Brotportionen  nicht  ausreichend 
und  wurden  unregelmäßig  geliefert,  zu  1  bis  2,  mitunter 
auch  3  Pfund.  Fleisch  erhielt  man  alle  Tage,  d.  h..  etwa 
30  Mann  einen  bereits  geschlachteten  Hammel,  dessen 
innere  Teile  ganzlich  lehlten  ;  dafür  aber  war  er  innen  und 
außen  oft  mit  einem  grünen  Schimmel  überzogen.  Ab  und 
zu  wurden  weiße  Bohnen  und  Reis  geliefert.  Wein  war 
anfangs  im  Überflusse  da,  ebenso  öl,  aber  bei  der  Unord- 
nung in  allen  Zweigen  der  Verwaltung  gingen  auch  diese 
Artikel  bald  aus,  und  man  war  froh,  wenn  man  später 
für  Geld  eine  Flasche  schlechten  Wein  erhalten  konnte. 
Dabei  war  der  Dienst  im  höchsten  Grade  angreifend.  Die 
Truppen,  die  nicht  anderweitig  bi^ctiiifiigt  waren,  standen 
oft  die  Nächte  hindurch  unter  den  Waffen.  Regelmäßig 
traten  gegen  Abend  einige  Kompagnien  unters  Gewehr, 
und  um  3  und  4  Uhr  morgens  wurde  dies  auf  die  ganze 
Armee  ausgedehnt.  Die  Waffen  wurden  dann  nicht  eher 
aus  der  Hand  gelegt,  bis  die  immer  sehr  starken  Patrouillen 
zurückgekehrt  waren.  Die  Zeit  zum  Abkochen  war  spär- 
lich bemessen.  Unsere  Soldaten  ertrugen  dies  leidlich,  die 
neueren  französischen  Regimenter  aber,  aus  denen  das 
Korps  größtenteils  bestand,  hatten  viele  Kranke. 

U  ahrrnd  wir  io  im  Lager  und  in  den  Kantonnement* 
d:r  Tage  verlebten,  wurde  der  nötige  Bclagerungspark  zu- 
sammengebracht. Das  5.  Korps  unter  .Marschall  Monier 
(Ifv'/og  v.in  Treviso),  das  in  Spanien  eingerückt  war, 
hatte  din  Htlchl  erhalten.  si-!i  auf  Zaragoza  zu  dirigieren. 
Den  l'l  Dr/vmtifr  br.uli  die  gar./e  Armee  gegen  Zaragoza 
auf,  iie  ging  zu  hfidcn  Seiten  des  T.bro  und  des  Kaiser- 
kanals m  mehreren  Kolonnen  vor.  und  nur  einige  tausend 
.Mann  blichen  auf  der  StnV  von  Tudela  zurück,  uin  die 
lazarettc,  Magazine  und  Verbindungen  i\i  decken.  Den 
20.  Dezember  nachmittags  waren  uir  wieder  angesichts  der 
Stadt.  Die  Soldaten  aber,  durch  die  verschollenen  vorher- 
gehenden Uuik/ugi  «tut/ig  gemacht,  heben  diesmal  keinen 
Jtihel  crsclialli  n.  man  hörte  im  (irgeiueil  hier  und  dort  die 
Ansieht  laut  weiden,  dali  mar.  morgen  wohl  wieder  zurück- 
290 

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kehren  werde.  Aber  man  sollte  bald  sehen,  daß  es  diesmal 
mit  der  Sache  Ernst  war.  In  der  Nacht  selbst  hatte  Mar- 
schall Moneey  den  Angriff  auf  den  Monte  Torrero  vorbe- 
reitet. Nachdem  einige  Batterien  am  21.  früh  das  dort  er- 
richtete Fori  Buena  Vista  eine  Zeitlang  beschossen,  ging 
die  Division  Grandjean  zum  Sturm  vor.  Die  erste  Brigade 
unter  General  Habert  umging  die  Stellung,  während  die 
zweite  einen  Scheinangriff  auf  die  Front  machen  sollte. 
Die  erstere,  bei  der  auch  unser  Regiment  stand,  kam  hier 
an  einen  gewölbten  Gang,  den  Baranco  de  la  Muerte 
(Schlucht  des  Todes),  über  den  der  Kanal  von  Tudela  fuhrt 
und  den  die  Spanier  verbarrikadiert  Lind  ;ui  seinem  Aus- 
gang stark  besetzt  hatten.  Die  französischen  Voltigeure 
des  14.  Regiments  schössen,  um  die  Besatzung  zu  verjagen, 
ohne  sich  sehen  zu  lassen,  schräg  in  die  Wölbungen,  und 
da  die  Kugeln  ebenso  wieder  abprallten,  so  wurde  der 
Feind,  der  dies  Feuer  nicht  erwidern  konnte,  vertrieben 
und  verließ  den  Posten.  Herr  dieser  Passage,  drang  der 
Genera!  Habert  auf  dem  linken  Ufer  der  Huerba  vor  und 
stellte  sich  zwischen  Monte  Torrero  und  Zaragoza  selbst 
auf.  Der  Feind,  hierdurch  für  seinen  Rückzug  besorgt 
gemacht,  verließ  Buena  Vista  mit  Zurücklassung  einiger 
Geschütze.  Auch  fiel  eine  Fahne  vom  Regimente  Murcia 
in  unsere  Hände.  Im  Zentrum  nahm  die  Division  Morlot 
den  Brückenkopf  der  grollen  Schleuse.  Um  II  Uhr  war 
man  Herr  der  ganzen  Position  von  Monte  Torrero,  welche 
die  Besatzung  bis  aufs  äußerste  zu  verteidigen  versprochen 
hatte.  Unser  Verlust  soll  aus  etwa  20  Toten  und  einigen 
50  Verwundeten  bestanden  haben. 

Abends  verbreitete  sich  in  den  Biwaks  die  Nachricht, 
daß  der  Angriff  auf  die  Vorstadt  zun'icks-esdilagcn  worden 
sei  und  die  Franzosen  dabei  viele  Leute  verloren  haben 
sollten.  Diese  Kunde  machte  einen  um  so  schlimmeren 
Eindruck,  als  man  wußte,  daß  die  Division  Gazan  aus 
lauter  Kerntruppen  bestand.  Auch  sprach  man  davon,  daß 
es  durch  das  nicht  zeitgemäße  Eintreffen  der  Division 
Suchet  auf  dem  ihr  bestimmten  Punkte  der  Garnison 
19*  291 


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von  Monte  Torrero  ermöglicht  worden  sei,  sich  zurück- 
zuziehen. 

Später  abends  ward  die  Division  Grandjean  auf  der 
Straße  von  Valencia  etabliert  und  hatte  ihre  äußersten 
Wachen  am  Ebro  selbst.  Sie  stand  mit  der  Division  Mus- 
nier,  die  Monte  Torrero  und  Umgegend  besetzt  hielt,  in 
Verbindung.  Die  Division  Morlot  hatte  ihre  Stellung  zu 
beiden  Seiten  der  Straße  von  Madrid  und  lehnte  sich  an 
die  Division  von  Suchet,  deren  Posten  bis  an  den  Ebro 
standen,  so  daß  auf  diesem  Ufer  Zaragoza  vollkommen 
eingeschlossen  war.  Das  Hauptquartier  des  Marschalls 
kam  nach  der  Karthause  la  Concepcion,  etwa  eine  Meile 
von  der  Stadt,  auf  der  Straße  von  Valencia.  Der  Rücken 
der  Belagerer  war  durch  Kavallerie,  die  man  meilenweit 
vorgeschoben  hatte,  gedeckt. 

Den  22.  ward  ein  Parlamentär  nach  der  Stadt  ge- 
schickt, und  man  erzählte  sich,  daß  Palafox  alle  Anträge 
stolz  zurückgewiesen.  —  Während  dieser  Vorbereitungen 
schoß  man  sich  tüchtig  herum.  Die  benachbarten  Bauern 
kamen  in  hellen  Haufen  zu  jeder  Tageszeit  von  allen 
Seiten  heran  und  unterhielten  ein  lebhaftes  Feuer,  be- 
sonders um  San  Jose,  während  die  Bewohner  der  Stadt 
die  Olivenbäume  vor  der  ganzen  Front,  vom  Ebro  bis  zum 
genannten  Kloster  hin,  abzuhauen  bemüht  waren.  Auf 
Monte  Torrero  richtete  der  Feind  ein  starkes  Feuer  aus 


Von  diesem  Zeitpunkt  der  Belagerung  hörte  die  Ver- 
bindung unter  den  verschiedenen  Lagern  fast  auf,  man 
hörte  nur  ab  und  zu  voneinander;  vom  andern  Ufer  erfuhr 
man  fast  nichts  mehr.  Alle  Truppen  waren  auf  einen  ganz 
bestimmten  Wirkungskreis,  den  vor  sich,  angewiesen.  Nur 
wenn  man  beim  Patrouillieren  auf  Kameraden  der  anderen 
Divisionen  stieß,  konnte  man  sich  begrüßen  und  Nach- 
richten austauschen.  Freilich  hatten  wir  auch  mit  uns  über- 
reich zu  tun.  Der  Anfang  der  Belagerung  hatte  nach  der 
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Versicherung  alter  Offiziere  insofern  etwas  Eigentümliches, 
als  der  Oiivenwald,  in  dem  Zaragoza  lag  und  der  nur 
stellenweise  bis  auf  Flintenschuß  weite  von  den  Werken 
gelichtet  war,  erst  von  den  Feinden  gesäubert  werden 
mußte.  Diese  aber  erschienen  immer  sehr  zahlreich,  lösten 
sich  häufig  ab  und  ließen  unsern  Soldaten  keinen  Augen- 
blick Ruhe.  Unser  Regiment  verdankte  es  einem  beson- 
deren Umstände,  daß  es  dem  Feinde  nicht  allein  das 
Gleichgewicht  halten,  sondern  sich  ihm  auch  bald  über- 
legen zeigen  konnte.  Es  gab  nämlich  eine  Menge  Leute 
aus  dem  ehemaligen  Neuostpreußen,  aus  den  Brüchen  des 
Narew,  die  vortrefflich  mit  dem  Gewehr  umzugehen  ver- 
standen. Da  mehrere  der  erschossenen  Spanier  bedeutende 
Summen  bei  sich  hatten,  so  fanden  diese  Schützen  bald  so 
viel  Vergnügen  an  dieser  Menschenjagd,  daß  sie  darin 
eine  wahre  Meisterschaft  erlangten  und  unsere  Front  ziem- 
lich frei  von  den  Insulten  der  aragonischen  Bauern  hielten. 
Übrigens  war  der  Dienst  unglaublich  anstrengend.  Zu  den 
Belage rungs arbeiten  allerart  waren  viel  Menschen  erforder- 
lich; das  Einrichten  der  Lagerplätze  nahm  gleichfalls 
die  Leute  in  Anspruch;  hierzu  kam  der  U/achtdien  st,  die 
täglichen  Rekognoszierungen  —  man  kann  sich  also 
denken,  wie  angespannt  wir  waren. 

Den  24.  abends  wurde  ich  zum  Oberst  beschieden. 
„Ich  habe  den  Befehl  erhalten,"  sagte  er  zu  mir,  „einen 
Offizier  nach  Alagon  zu  schicken,  um  dort  alle  zurück- 
gebliebenen Soldaten  der  Legion  zu  sammeln,  diese  in  ein 
Detachement  zu  formieren  und  dies  zur  Disposition  des 
Kommandanten  dort  zu  stellen.  Gelegentlich  soll  es  mit 
den  ersten  Transporten  von  Lebensmitteln  wieder  zurück- 
kehren. Sie  werden  dort  zugleich  eine  Zufuhr  von  Be- 
kleidungsstücken aus  Pampig  na  erwarten  und  diese  zur 
Ablieferung  hierbei  in  Empfang  nehmen.  Sie  nehmen  von 
hier  niemanden  als  Ihre  Ordonanz  mit  und  schließen  sich 
einem  Detachement  des  14.  Regiments,  das  morgen  früh 
nach  Alagon  geht,  an.  Ich  hoffe,  Sie  entledigen  sich  Ihres 
Auftrages  zu  meiner  Zufriedenheit.  —  Melden  Sie  sich  bei 
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Ihrem  Vorgesetzten  und  reisen  Sie  glücklich  —  hoffentlich 
sehen  wir  uns  bald  wieder." 

Ich  kann  wohl  sagen,  daß  mir  dieser  Auftrag  sehr 
unangenehm  war.  Der  Ad  jutanf  major,  dem  ich  meine  An- 
sicht hierüber  mitteilte,  sagte  mir  aber,  dafi  dieser  Dienst 
zu  den  Kommandos  de  fati^ut-  gehöre,  welche  reglements- 
mäßig von  unten  anfingen,  und  daß  ich  als  jüngster  Offizier 
des  Regiments  mich  daher  schon  fügen  müsse. 

Am  19.  Januar  1809  langte  ich  im  Lager  wieder  an 
und  ward  freundlich  empfangen.  Einige  Kameraden 
nahmen  mich  in  ihre  Hütte  auf  und  teilten  ihre  Vorräte, 
die  eine  längere,  gereiftere  Erfahrung  sie  hatte  sammeln 
lassen,  mit  mir.  Sozusagen  unter  dem  Feuer  der  Festung 
gelagert,  hatte  man  sich,  so  gut  es  ging,  eingerichtet.  Die 
höheren  Offiziere  waren  in  den  Trümmern  niedergeschos- 
sener Garten-  und  Winzerh.Huser  untergebracht.  Offiziere 
und  Soldaten  lagerten  in  Erdhütten,  nach  Bedürfnis  größer 
und  kleiner.  Es  waren  vier  Fuß  tiefe,  längliche  Erdlöcher, 
die  man  flach  überdacht  und  mit  Baumzweigen  eingedeckt 
hatte.  Später  wurden  aus  der  Stadt  Bretter  und  Bänke 
herausgeschleppt,  so  daß  es  behaglicher  bei  uns  aussah. 
Regnete  es  jedoch,  so  lagen  wir  wie  in  einem  Pfuhle,  und 
es  bedurfte  längerer  Zeit  und  Umdeckungen,  um  einiger- 
maßen der  Feuchtigkeit  wieder  Herr  zu  werden.  Mit  der 
Verpflegung  war  es  wie  früher.  Sie  ward  jedoch  dadurch 
erleichtert,  daß  eine  Menge  Menschen  aus  den  franzö- 
sischen Baskenprovinzen  mit  Lebensmitteln  herbeigeströmt 
waren,  von  denen  man  alles  kaufen  konnte.  Der  Dienst 
war  noch  immer  sehr  beschwerlich,  mit  unwesentlichen 
Veränderungen  so,  wie  ich  ihn  früher  geschildert  habe. 

In  der  Nacht  vom  21.  zum  22.  Januar  kam  ich  in  die 
Tranchec  auf  Wache.  Wir  rückten  mit  der  Reveille  aus 
und  wurden  durch  den  daselbst  kommandierenden  Major 
verteilt.  Ordonnanzen  von  den  verschiedenen  Regimentern 
führten  die  neuen  Wachen  auf  ihre  Plätze.  Wenngleich 
ich  schon  oft  bei  Tage  mit  meinen  Kameraden  in  der 
Tranchee  gewesen  war,  so  konnte  ich  mich  dennoch  nicht 
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zurechtfinden.  Ich  hatte  25  Leute  von  meinem  Bataillon 
bei  mir.  Rechts  neben  mir  stand  ein  französischer  Posten 
von  20  Mann,  unter  einem  allen  Sergeanten  vom  14.  Re- 
giment. Der  gute  Mann  kam,  unmittelbar  nachdem  wir 
die  Wache  bezogen,  zu  mir,  um,  wie  er  sagte,  die  Ver- 
bindung zu  unterhalten.  Er  lud  mich  ein,  ihn  zu  begleiten, 
um  mich  zu  orientieren,  und  da  er  mir  wohl  ansehen 
mochte,  daß  meine  Weisheit  in  diesen  Dingen  nicht  weit 
her  war,  so  übernahm  er  bald  die  Rolle  eines,  ich  darf 
wohl  sagen  sehr  verständigen  Mentors. 

Bei  Tage  war  der  Dienst  in  den  Laufgräben  eigentlich 
interessant.  Es  kamen  alle  Augenblicke  Offiziere  von 
hohem  Rang:  General  Dedon6),  der  die  Artillerie  kom- 
mandierte, General  Lacoste1)  vom  Geniekorps,  der  General 
der  Trancheen,  Habert'),  und  viele  andere.  Gegen  Abend 
wurde  das  Feuer  stärker.  Nachts  hatte  man  links  von  San 
Jose,  nach  der  Huerba  zu,  einen  Abstieg  gemacht,  um  über 
dies  Flüßchen  einen  Übergang  zu  gewinnen.  Das  Gehen 
und  Kommen  der  Arbeiter  und  ihr  Anstellen  führte  mannig- 
faches Geräusch  herbei  und  veranlaßte  den  Feind,  zu 
feuem.  Doch  die  dunkle  Nacht  und  der  ziemlich  starke 
Regen  begünstigte  uns,  und  wir  hatten,  trotz  der  Nähe 
der  Stadtmauern,  fast  gar  keine  Verluste. 

Gegen  Morgen  fing  das  Feuer  an,  von  Santa  Engraria, 
d.  h.  von  unserer  Linken  her,  stärker  zu  werden,  und  es 

')  Franfois  Louis  Ded  on- Duelos,  franzosischer  Divisions- 
general,. 1762-1830. 

E)  Graf  Lacoste,  Brigadegeneral  des  Geniekorps  undAdjutant 
Napoleons,  war  bei  Zaragoza  mit  der  Direktion  der  Bc  lagern  ngs- 
arbeiten  beauftragt,  wollt i  er  jjrclie  Kiiti;:!:iit  ai: 'wickelte.  Am  Tage 
vor  der  Obergabe  wurde  er  von  einer  Kugel  in  den  Laufgräben 
getötet 

')  Pierre  Joseph,  Baron  Habert,  1773-1825,  französischer 
Genera),  befehligte  im  3.  Korps  der  Armee  von  Catalonien  und 
Aragonien,  aber  obwohl  er  nur  Brigadcgencral  war,  führte  er  fast 
immer  eine  Division  an.  Bei  Zaragoza  befehligte  er  verschiedene 
Stürme  mit  Erfolg  und  bemächtigte  sich  im.li  Einschließung  der 
Stadt  des  Monte  Torrero  durch  tir.  ^ujiVronii'iLilich  kühnes  Manöver, 
wobei  ihm  drei  Kanonen  in  die  Hände  fielen. 

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gab  mehrere  Verwundete  unter  unseren  Arbeitern,  wäh- 
rend meine  Wache  keinen  Mann  verlor,  wenngleich 
mehrere  Standsäcke  von  den  Kanonenkugeln  weggerissen 
wurden  und  die  Flintenkugeln  gar  tüchtig  über  uns  weg- 
pfiffen. 

Mein  alter  Sergeant  und  Nachbar  besuchte  mich,  noch 
ehe  wir  ins  Lager  zurückgingen,  und  riet  mir,  einige  Stellen 
der  Laufgräben,  welche  er  mir  näher  bezeichnete,  mit 
Vorsicht  zu  passieren,  da  sie  nicht  gut  defiliert  wären. 
Ich  folgte  dem  Rate  meines  Mentors  und  fuhr  gut  dabei, 
denn  an  einer  dieser  Stellen  wurde  später  ein  Offizier, 
der  unvorsichtig  gewesen  war,  erschossen. 

Den  23.  ward  ich  zur  Reserve  kommandiert.  Das  Ba- 
taillon, bei  dem  ich  stand,  mußte  24  Stunden  in  Bereit- 
schaft bleiben  und  durfte  nicht  abhängen.  Im  Lager  selbst 
herrschte  Unruhe  und  Besorgnis.  Man  sprach  davon,  daß 
die  Belagerung  wohl  wieder  aufgehoben  werden  könnte. 
Die  Armeen  von  Valencia  und  Catalonien,  hieß  es,  hätten 
sich  vereinigt  und  seien  im  Marsch  auf  Zaragoza,  abends 
verb rettete  sich  jedoch  die  Nachricht,  Marschall  Lannes  sei 
angekommen  und  werde  das  Kommando  übernehmen.  Das 
gab  den  Franzosen  irischen  Mut,  und  sie  versicherten, 
daß  die  Dinge  bald  eine  andere  Wendung  nehmen  würden. 
Bis  jetzt,  hieß  es,  lütten  das  3.  und  5.  Korps  jedes  in 
seinem  eigenen  Interesse  gehandelt,  das  5.  hätte  sich  damit 
begnügt,  den  Brückenkopf  zu  blockieren  und  sich  sonst 
wenig  um  die  Belagerung  gekümmert,  deren  ganze  Last 
auf  dem  schwachen  3.  Korps  gelegen. 

Gegen  Abend  hörte  man  von  allen  unseren  Batterien 
ein  lebhaftes  Feuer,  und  wir  erfuhren,  daß  dies  zu  Ehren 
eines  Sieges  geschehe,  den  der  Marschall  Victor  über  den 
Herzog  von  Infantado  bei  Ueles  davongetragen.8)  Diese 
Nachricht  trieb  eine  Menge  von  Offizieren  in  die  Tran- 
cheen,  sei  es,  um  zu  sehen,  was  die  Spanier  tun  würden, 
sei  es,  um  etwas  Näheres  über  das  Gefecht  zu  hören. 


*)  Vergleiche  Anmerkung  22  des  2.  Berichts. 

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Als  ich  mich  einer  Gruppe  näherte,  gewahrte  ich 
den  General  Lacoste  im  Gespräch  mit  einem  mir  unbe- 
kannten Manne  in  grünem  Überrock  mit  goldenen  Knöpfen, 
ohne  Degen.  Beide  hatten  Fernrohre  und  schienen  sich 
genau  die  Stadt  anzusehen. 

Aus  der  ehrerbietigen  Stille,  die  man  beobachtete, 
folgerte  ich,  daß  der  Fremde  der  Marschall  Laiines  sei, 
den  ich  bei  Tudela  nur  flüchtig,  in  einen  Mantel  gehüllt, 
galoppieren  gesehen  hatte.  Ich  hatte  mich  nicht  geirrt. 
Die  ernsten  Züge  des  noch  jungen  Marschalls  machten 
einen  lebhaften  Eindruck  auf  mich  —  ein  Haarzopf,  wie 
ihn  die  Chasseurs  de  la  garde  trugen,  gab  ihm  einen  eigen- 
tümlichen Anstrich.  Nachdem  er  längere  Zeit  einiges  mit 
dem  General  Lacoste  gesprochen,  was  wir  nicht  hören 
konnten,  sagte  er  verständlich,  da  ein  heftiges  Kanonen- 
und  Gewehrfeuer  von  den  Spaniern  auf  der  ganzen  Front 
eröffnet  worden  war,  mit  lauter  Stimme:  „Ons'estapercu 
de  nous,  allons  nous  en",  worauf  er  durch  die  sich  ehr- 
erbietig öffnende  Gruppe  schritt,  ohne  jedoch  unsere 
Grüße  zu  erwidern.  Unter  stetem,  anstrengendem  Dienst 
schleppten  sich  die  Tage  dabin. 

Am  26.  Januar  donnerten  unsere  Batterien  den  ganzen 
Tag  gegen  die  Stadt  —  die  Spanier  erwiderten  dies  Feuer, 
was  uns  aber  wenig  Schaden  tat. 

Abends  spät  verbreitete  sich  die  Nachricht,  daß  wir 
an  einem  anderen  Punkte  der  Belagerung  große  Vorteile 
errungen  hätten,  die  auf  den  Gang  der  Begebenheiten 
wohl  Einfluß  haben  würden.  Diese  Lagerneuigkeiten 
wurden  in  der  Regel  morgens  bei  der  Maketenderin,  einer 
braven,  vortrefflichen  Frau,  ausgetauscht.  Wir  genossen 
hier  unser  Frühstück,  das  meistens  aus  einer  Suppe  von 
schlechtem  Mehl,  noch  schlechterem  Zucker  und  Wein  und 
nur  ausnahmsweise  aus  einer  Tasse  Schokolade  bestand. 
Die  Frau  hatte  sich  aus  Steinplatten,  welche  man  aus  der 
Stadt  genommen,  einen  Herd  gebaut,  der  mit  Olivenholz 
geheizt  ward.  Eines  Tages  entdeckte  jemand  eine  Inschrift 
darauf  —  wir  entfernten  die  Asche  und  fanden,  daß  es  ein 
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Leichenstein  sein  müsse.  Er  war  halb  zerbrochen,  aber 
die  Schlußworte:  percussus  morbo  decessit  qui  intus  jacet 
ließen  keinen  Zweifel.  Seit  dieser  Entdeckung  wurde  jener 
Platz  weniger  besucht.  Wir  waren  von  Gefahren  umgeben, 
und  doch  scheuten  wir  uns,  auf  einem  Leiehensteine  unser 
Essen  bereitet  zu  sehen.  Wunderbarer  Kontrast  in  der 
menschlichen  Natur!  — 

Der  27.  sollte  in  den  Annalen  der  Belagerung  als  ein 
blutiger  Tag  bezeichnet  werden.  Morgens  früh  wußte  man, 
daß  General  Vattier  bei  Alcaniz  bedeutende  Erfolge  über 
die  Insurgenten  errungen  hatte.  Dann  zeigte  eine  offizielle 
Bekanntmachung  dem  Korps  an,  daß  Marschall  Mortier 
an  der  Spitze  der  Division  Suchet  die  Spanier  bei  Licinena 
geschlagen  und  die  Ruhe  in  den  insurgierten  Teilen  der 
Provinz  wiederhergestellt  habe. 

Das  Feuer,  das  vom  Morgen  ab  gegen  die  Stadt  statt- 
gefunden hatte,  erreichte  allmählich  eine  größere  Stärke. 
Nach  9  Uhr  traten  die  Regimenter,  wie  es  hieß,  zum 
Sturm  an.  400  Voltigeure  des  14.  französischen  und  des 
2.  polnischen  Regiments,  unter  Oberstleutnant  Stahl,  ver- 
sammelten sich  hinter  der  Ölmühle,  die  unweit  der  Stadt 
liegt.  Sie  waren  zum  Sturm  auf  die  Bresche,  die  in  der 
Gartenmauer  des  Klosters  Santa  Moniea  gelegt  war,  be- 
stimmt. Eine  zweite,  schwächere  Kolonne  sollte  sich  der 
Bresche  in  der  Nähe  der  Batterie  Palafox,  dem  Kloster 
San  Jose  gegenüber,  bemächtigen.  Eine  dritte  Kolonne 
wurde  gegen  die  Casa  de  Gonzales,  ein  einzeln  stehendes, 
aber  mit  der  St;idt  durch  Werke  verbundenes  Haus,  ge- 
richtet. Hierzu  war  ein  Bataillon  des  Weichselregiments 
unter  Oberstleutnant  Bayer  bestimmt.  Außerdem  sollte  im 
Zentrum  auf  das  Kloster  Santa  Engracia  ein  Sturm  unter- 
nommen werden.  Von  den  drei  Angriffen  auf  unserer 
Front  glückte  nur  der  in  der  Nähe  der  Batterie  Palafox. 
Man  bemächtigte  sich  der  Bresche  und  einiger  Straßen  in 
der  Nähe. 

Die  Voltigeurkolonne  unter  Oberstleutnant  Stahl  ge- 
langte zwar  bis  zur  Bresche,  fand  sie  aber  zu  hoch,  um 


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sie  mit  Leichtigkeit  in  Masse  ersteigen  zu  können,  und 
erhielt,  als  ihr  dies  endlich  doch  gelang,  so  heftiges  Ar- 
tillerie- und  Flintenfeuer  von  allen  Seiten,  daß  sie  zurück- 
weichen mußte  und  nur  auf  der  Bresche  selbst  eine  kleine 
Verschanzung  vorbereiten  konnte.  Die  Voltigeure  hatten 
Wunder  getan  —  trotz  zweier  Minen,  die  sprangen,  voll- 
führten sie  ihren  Auftrag,  aber  sie  konnten  das  Unmög- 
liche nicht  leisten.  Oberstleutnant  Stahl  und  ein  anderer 
Offi/ier  wurden  schwer  verwundet 

Der  Angriff  auf  die  Casa  Gonzales,  bei  dem  ich  per- 
sönlich mitwirkte,  mißglückte  gänzlich.  Zwar  erreichten 
wir  das  Gebäude  und  drangen  in  dasselbe  ein,  aber  das 
Feuer,  das  wir  von  der  nahen  Stadtmauer  erhielten,  war 
so  heftig,  daß  die  Truppen  die  Casa  wieder  verlassen 
mußten.  Der  Oberstleutnant  Bayer  erhielt  bei  dieser  Ge- 
legenheit einen  Schuß  durch  die  Backe.  Mein  braver  Ka- 
pitän ward  schwer  verwundet  und  gefangen  genommen; 
mit  einem  Zuge  rechts  detachiert,  hatte  ihm,  ganz  nahe 
dem  Oebäude,  eine  Fiintenkugel  ein  Bein  zerschmettert. 
Einige  Soldaten  hatten  versucht,  ihn  zu  retten,  waren  aber 
ebenfalls  verwundet  oder  getötet  worden,  und  erst  als  wir, 
ich  kann  wohl  sagen  recht  unordentlich  in  die  Laufgräben 
zurückeilten  und  uns  wieder  rangierten,  vermißten  wir  ihn. 

—  Marschall  Lannes  soll  aus  einer  Batterie  der  Sache  zu- 
gesehen und  geäußert  haben :  „Qu'on  avait  trop  demande 
de  ces  gens."  Der  Angriff  auf  Santa  Engracia  dagegen 
hatte  einen  glänzenden  Erfolg  gehabt,  der  größtenteils  der 
ausgezeichneten  Führung  des  Obe'rst  Chlopicki  zu  danken 
war,  wofür  er  vom  Korpschef  Junot,  aus  besonderer 
Anerkennung,  zum  Kommandanten  des  Klosters  ernannt 
wurde.  Zwar  waren  auch  hier  durch  den  übersprudelnden 
Mut  einiger  Offiziere  frrtümer  vorgefallen,  die  Menschen- 
leben genug  kosteten ;  aber  man  sah  von  allem  ab,  weil 
der  Hauptschlag  gelungen  war.  Die  Spanier  hatten  be- 
deutende Verluste  erlitten,  man  hatte  ihnen  viele  Kanonen 

—  ich  glaube  zwischen  15  und  18  —  genommen,  gegen 
600  Mann  getötet  und  sich  im  Festungsgürtel  festgesetzt; 

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aber  auch  wir  hatten  gegen  100  Tote  und  Verwundete, 
worunter  mehrere  Stabsoffiziere.  So  jung  und  unerfahren 
ich  auch  war,  so  fiel  mir  spater  doch  manches  in  der  An- 
ordnung des  Ganzen  auf. 

Der  Angriff  auf  den  Garten  von  Santa  Monica  war 
von  mehreren  Seiten  her  flankiert,  und  die  armen  Volti- 
geure  erhielten,  als  sie  vorrückten,  von  vorne  sowohl  als 
auch  von  der  Batterie  Palafox  und  der  Casa  de  Gonzales, 
also  von  beiden  Seiten,  Feuer.  Dann  war  die  Bresche  sehr 
unzugänglich,  und  als  die  Tapferen  dennoch  nach  großen 
Verlusten  in  den  Garten  gelangten,  wurden  sie  dort  von 
einem  solchen  Kugelregen  empfangen,  daß  ein  Fort- 
sehreiten zu  den  Unmöglichkeiten  gehörte. 

Der  Angriff  auf  die  Casa  de  Gonzales  war  zum  min- 
desten übereilt.  Zwar  hatte  man  eine  Art  von  Bresche 
geschossen,  aber  auch  sie  war  fast  noch  unpassierbar. 
Sowie  wir  in  das  Hans  uinilrinKeii,  crliifltcn  wir  von  allen 
Seiten  her,  von  den  Mauern  der  Stadt,  aus  den  Stuben, 
aus  allen  Ecken  und  Winkeln  des  Hauses,  so  viele 
Schüsse,  daß  selbst  die  entschlossensten  Leute  nicht 
standhalten  konnten.  Wäre  es  mit  der  Wegnahme  des 
Hauses  abgetan  gewesen,  so  hätte  dies  freilich  erreicht 
werden  können,  aber  das  Festsetzen  darin  blieb  un- 
möglich. Hätten  alle  Stürme  zu  einer  bestimmten  Stunde 
stattgefunden  und  besser  ineinandergegriffen,  so  wären 
die  Spanier  nicht  in  der  Lage  gewesen,  einander  unter- 
stützen zu  können. 

Wahrscheinlich  traten  gegen  den  Befehl,  wie  es  bei 
solchen  Gelegenheiten  immer  zu  geschehen  pflegt,  die 
so  unheilvoll  wirkenden  Verzögerungen  ein. 

Abends  bemächtigten  wir  uns,  wenn  auch  nur  für 
kurze  Zeit,  der  Casa  de  Gonzales  und  fanden  elf  Leichen 
der  Unseligen  abscheulich  verstümmelt  in  einem  unteren 
Geschosse.  Man  hatte  einzelnen  die  Hände  abgehauen, 
anderen  waren  glühende  Ladestöcke  durch  die  Waden  ge- 
steckt, an  manchen  schamlose  Verstümmelungen  verübt. 
—  Wenn  es  wahr  ist,  was  ein  Arzt  wissen  wollte,  daß  diese 
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sich  auf  ihren  Posten  zu  orientieren.  Das  Regiment, 
welches  die  Wache  hatte  und  einen  Angriff  machte,  mußte 
zugleich  immer  die  Arbeiter  geben,  das  abgelöste  blieb  als 
Reserve  in  der  Stadt.  So  befand  sich  jeder  Truppenteil  auf 
einem  bestimmten  Terrain,  was  um  so  nötiger  war,  als  die 
engen,  winkligen  Straßen,  in  denen  die  Spanier  nur  zu  gut 
Bescheid  wuBten,  viele  Irrungen  und  Verluste  herbei- 
führten. 

Am  28.  wütete  auf  der  ganzen  Linie  ein  heftiger 
Kampf.  Ich  hatte  an  diesem  die  Wache  in  der  Ölmühle, 
von  wo  man  das  Augustinerkloster  und  Santa  Monica  aus 
vier  Morsern  bewarf.  Wenngleich  aus  jedem  derselben 
alle  Viertelstunden  eine  Bombe  geworfen  ward,  so  war 
ich  doch  am  anderen  Tage  fast  taub.  Am  20.  fand  ein  neuer 
Angriff  auf  letzteres  statt  —  aber  auch  dieser  scheiterte. 

Man  schoPi  Brefdii',  s[irr:i^k'  Mine  auf  Mine,  aber  man 

kam  nicht  von  der  Stelle.  Erst  am  30.  gelang  es  einer 
Grenadierkompagnie  des  14.  Regiments  unter  Hauptmann 
Hardy,  sich  des  oberen  Gartens  und  der  Kirche  selbst 
zu  bemächtigen.  Das  Debouchicren  scheiterte  zwar  einst- 
weilen, doch  wurde  ein  Versuch  der  Spanier,  das  verlorene 
Terrain  wiederzunehmen,  abgewiesen. 

Am  1.  Februar  durchlief  die  Nachricht,  daß  der 
General  Lacoste,  der  das  Indern eurkorps  beim  Angriff  be- 
fehligte, durch  einen  Schuß  tödlich  getroffen  und  unmittel- 
bar darauf  verschieden  sei,  die  Lager  wie  ein  Lauffeuer. 
Da  war  niemand,  der  des  vortrefflichen  Mannes  Dahin- 
scheiden nicht  mit  Wehmut  und  einiger  Besorgnis  ver- 
nommen hätte.  Kenntnisreich,  durch  und  durch  Soldat, 
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Leutseligkeit  mit  weiser  Strenge  verbindend,  verstand  er, 
mit  dem  gemeinen  Manne  umzugehen  und  sich  seine 
Liebe  zu  gewinnen.  Wo  er  erschien,  atmete  alles  Vertrauen 
und  Hingebung,  und  jeder  ging  gern  mit  erneuter  Kraft 
an  die  Arbeit. 

Oberst  Rogniat1),  der  spater  durch  seine  Angriffe  auf 
Napoleon  in  Frankreich  so  bciLichiigt  geworden  und  durch 
seine  „Remarques"  in  Deutschland  seinerzeit  eine  ge- 
wisse Berühmtheit  erlangt  hat,  war  sein  Nachfolger  im 
Amt.  Er  war  bei  den  Soldaten  nicht  so  gern  gesehen. 
Seine  strengen  Zuge,  ein  gewisses,  ich  möchte  sagen  vor- 
nehmes Übersehen  der  handelnden  Individualitäten,  be- 
sonders in  den  niederen  Sphären,  hatten  ihm  keine  Zu- 
neigung verschafft. 

Je  tiefer  wir  in  die  Stadt  eindrangen,  eine  desto 
ernstere  Wendung  nahm  der  Kampf.  Es  ward  ein  Bar- 
rikadenkrieg, bei  dem  nun  Feuer  von  allen  Seiten,  aus  den 
Kellerluken,  den  vermauerten  und  mit  Schießscharten  ver- 
sehenen Fenstern,  uns  allen  Ll.igen  und  von  den  Dächern 
bekam.  Da  es  unmöglich  war,  auf  der  Straße  vorzudringen, 
sprengte  man  die  I  iiiuscr,  \  u suchte  sieh  in  den  Trümmern 
festzusetzen  und  von  hier  dann  vorwärts  zu  kommen.  Als 
man  sah,  daß  dies  zu  viel  Menschen  kostete,  lud  man  die 
Minen  schwach,  legte  nur  die  Wände  nieder  und  ver- 
schaffte sich  so  den  Eingang  in  ein  Haus  und  drang  dann, 
indem  man  die  Zwischenmauern  einsehlug  oder  mittels 
l'eurden  öffnete,  weittr  vor.  Line  H;i  Up  [Sache,  hierbei  war 
es,  sich  sofort  in  den  gesicherten  Besitz  des  ganzen  Hause5 
zu  setzen  und  sorgfältig  die  Umgebung  zu  untersuchen. 
Es  kam  vor,  dal!  die  Spanier  absichtlich  ein  Hans  räumten, 
um  es  später,  von  günstig  gelegenen  Lokalitäten  aus,  um 


»)  Baron  Joseph  Rogniat,  1767-1840;  er  schrieb  „Con- 
sidtotions  sur  l'art  de  la  guerre",  Paris  1810,  und  widmete  dies 
Werk  Napoleon.  Dieser  versah  es  mit  sehr  scharfen  widerlegenden 
Anmerkungen,  woraul  Rogniat  mit  der  anonymen  Schrift:  „Response 
aux  notes  critiques  de  Napoleon,  sur  l'ouvrage  inti(ul£:  „Consj. 
■Jerations,  etc.",  Paris  1823,  antwortete. 
302 


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so  nachdrücklicher  beschießen  zu  können.  Oft,  wenn  man 
sich  in  der  ersten  Etage  bereits  eingenistet  hatte,  erhielt 
man  durch  den  Fußboden  des  zweiten  Stockwerks  oder 
vom  Dache  her  plötzlich  Feuer,  oder  es  wurden  Granaten 
von  oben  herunter  geworfen.  Die  zahllosen  Winkel  in 
diesen  Baulichkeiten  alter  Art  gaben  vortreffliche  Gelegen- 
heiten zu  Versteeken.  Vorzugsweise  waren  die  Dächer 
uns  gefährlich.  Die  leichten  Aragonier  in  ihren  Bast- 
schuhen kletterten  darauf  wie  Katzen  umher,  und  oft, 
wenn  man  in  einer  bereits  schon  seit  Tagen  in  unseren 
Händen  befindlichen  Lokalität  ruhig  an  einem  schwach 
glimmenden  Feuer  saß,  erhielt  man  von  irgendeinem  Dache 
her  ein  paar  Kugeln  zugeschickt.  Die  Fensterläden  waren 
gewöhnlich  stark  zerschossen.  Es  gab  deren  viele,  die  so 
durchlöchert  waren,  daß  sie  wie  ein  Sieb  erschienen.  Traf 
es  sich  nun  so,  daß  die  Spanier  die  eine,  wir  die  andere 
Seite  der  Straße  besetzt  hatten,  so  lauerte  der  Tod,  mau 
körnte  sagen,  an  jedem  Fenster.  Sowie  sich  nur  etwas 
rührte,  schlugen  ein  paar  Kugeln  ein.  Es  gehörte  eine 
wahre  Kunst  dazu,  durch  die  labyrinthischen  Verbindungen 
der  zerstörten  Häuser  und  durch  die  zahlreichen  Hinter- 
halte, die  sich  überall  befanden,  sieh  durchzuwinden. 

Hatte  man  ein  Haus  eingenommen,  so  kam  es  vor 
allen  Dingen  darauf  an,  die  Fenster  und  Türen  mit  Sand- 
säcken zu  blenden,  sich  der  Treppen  zu  versichern,  Ver- 
bindungen zu  eröffnen,  sich  mit  einem  Worte  darin  fest- 
zusetzen, bevor  man  daran  denken  durfte,  weiter  vorzu- 
gehen. Die  Vernachlässigung  dieser  Vorsichtsmaliregeln 
führte  gewöhnlich  große  Verluste  herbei.  Nachdem  wir 
dies  wiederholt  gesehen,  verbot  der  Marschall  durch  einen 
Tagesbefehl  alle  Scharmützel,  gebot  die  größte  Vorsicht 
und  befahl  besonders:  „Qu'ä  mesure,  qu'on  se  sera  em- 
par£  d'une  maison,  on  s'y  ctablisse  avant  de  passer  ä  une 
aulre."  Ebenso  sollten  die  Truppen,  die  sich  in  den  Ge- 
bäuden festsetzten,  durch  Reserven  abgelöst  werden.  Die 
Sappeure  und  Mlneure  waren  es  besonders,  die  sich  hier 
in  ihrer  ganzen  Glorie  zeigten.  Sie  waren  überall,  wo 
303 

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Gefahr  drohte:  an  den  Spitzen  der  Sturmkolonnen,  in  den 
Kellern,  wo  der  spanische  Mineur  arbeitete,  auf  den 
Dächern,  wo  feindliche  Schützen  lauerten,  in  Hausern, 
wo  man  die  Petarden  anhängte,  Mauern  sprengte,  Kom- 
munikationen schuf  usw.  Die  Soldaten  hatten  zu  ihnen 
ein  blindes  Vertrauen,  und  wenn  ich  den  verfehlten  An- 
griff auf  Santa  Monica  und  die  Casa  de  Gonzales  aus- 
nehme, der  viel  besprochen  und  getadelt  ward,  so  ist, 
glaube  ich,  diesem  herrlichen  Korps  nichts  vorzuwerfen. 
Man  konnte  die  Schnelligkeit,  mit  der  sie  die  Verhältnisse 
beurteilten,  die  Rüstigkeit,  mit  der  sie  an  die  Arbeit  gingen, 
nicht  genug  bewundern.  Sowie  sie  nur  die  Anzeige  er- 
hielten, daß  man  irgendwo  Geräusch  hörte,  waren  sie  bei 
der  Hand.  Hier  ward  eine  Petarde  angehängt,  dort  ward 
ein  Sack  Pulver  hingelegt,  nilig  mit  Sandsäcken  verdämmt, 
mit  Zündung  versehen  und,  ehe  man  es  erwartete,  flog 
ein  Stück  Mauer  in  die  Luft,  stürzte  eine  Wand  ein.  Oft, 
wenn  wir  in  ein  Haus  gedrungen,  hier  die  Zwischenmauern 
kreneliert  und  mit  Gewehren  wie  gespickt  fanden  und  es 
aufgeben  mußten,  weiter  vorwärts  zu  kommen,  sprengten 
sie  dergleichen  Lokalitäten  schon  in  die  Luft,  ehe  man 
daran  dachte,  daß  sie  mit  den  Vorbereitungen  dazu  fertig 
sein  konnten ;  oder  sie  fanden  .Mittel,  die  Verteidiger  durch 
Granaten,  ilie  sie  von  oben  her  auf  sie  tierahrullon  lieflen, 
zu  vertreiben.  Die  größten  Schwierigkeiten  hatten  sie  zu 
überwinden,  wenn  es  damit  ankam,  in  den  Fundamenten 
der  Kirchen  urd  Kloster  vorzudringen.  Hier  sah  man  sie 
ott  stundenlang  arbeiten,  ohne  daft  sie  von  der  Stelle 
kamen.  Am  meisten  mullte  man  ihre  Fertigkeit  in  Auf- 
ti.'idunr;  «eeigntter  Ansrkl.iTe  hik'.  Ililismittel  bewundern, 
um  den  Feind  aus  vorteilharten  Lokalitäten  zu  vertreiben. 
Kamen  wir  zum  Beispiel  an  eine  starke  Mauer,  hinter  der 
man  die  Spanier  wußte,  sr>  arbeitete  man  diese  bis  auf 
eine  geringe  Starke  ah,  stür/te  sie  dem  Feinde  urplötzlich 
auf  den  Kopf  und  drang  im  Oetümmel  nach. 

Als  die  Spanier  sahen,  dalt  man  ihnen  s<>  zusetzte, 
besonders  ihnen  mittels  der  Mineure  tätlich  näher  rückte, 


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kamen  sie  auf  den  Oedanken,  die  Häuser  anzustecken  und 
so  unsere  Fortschritte  zu  hemmen.  Sie  hingen  überall 
kleine,  in  Harz  getauchte  Reisigbündel  an  Fenster,  Tür- 
pfosten und  Baikune  und  zündeten  diese  an,  ehe  sie  ein 
Oebäude  verließen.  Dies  war  oft  sehr  nachteilig,  ver- 
hinderte tagelang  jeden  Fortschritt  und  raubte  uns  eine 
kostbare  Zeit,  welche  die  Spanier  anwendeten,  sich  ander- 
weitig festzusetzen.  Glücklicherweise  waren  die  Oebäude 
meist  von  Stein,  und  so  konnte  dies  gefährliche  Abwehr- 
mittel nicht  in  seiner  ganzen  Furchtbarkeit  in  Anwendung 
gebracht  werden. 

Bis  zu  den  ersten  Tagen  des  Februar  waren  auf 
unserer  Angriffsseite  —  attaque  de  droite  —  trotzdem 
ziemliche  Fortschritte  gemacht  worden.  In  der  Nähe  des 
Waisenhauses  jedoch,  das  den  Coso'°),  die  Hauptstraße 
Zaragozas,  beherrscht,  fanden  wir  den  lebhaftesten  Wider- 
stand, und  erst  nach'  einigen  Tagen  ward  es  möglich,  uns 
in  einem  Oebäude  daselbst  festzusetzen.  Von  meinen 
Leuten  wurden  dabei  7,  von  den  mir  zur  Unterstützung 
gesandten  Franzosen  8  getötet. 

Der  7.  Februar  war  für  mich  einer  der  fürchterlichsten 
Tage  der  Belagerung.  Die  Spanier  hatten  das  Hospital 
des  Waisenhauses  verlassen,  weil  sie  durch  unsere  Mi- 
neure,  welche  sie  arbeiten  hörten,  in  die  Luft  gesprengt 
zu  werden  fürchteten.  Wir  drangen  auch  bald  nach  — 
aber  der  Anblick,  der  sich  uns  hier  darbot,  war  schreck- 
lich. Wir  fanden  die  Lagerstätten  mit  zwei  und  drei  Toten, 
die  an  dem  stark  herrschenden  Typhus  gestorben  waren, 
belegt,  außerdem  den  Fußboden  voller  Leichname.  Kaum 
hatten  wir  uns  im  Oebäude  ausgebreitet,  als  die  Flammen 
von  dem  einen  Flügel  her  uns  entgegen  schlugen,  und  in 
einigen  Augenblicken  stand  das  Gebäude,  da  alle  Vorbe- 
reitungen zum  Feuer  getroffen  waren,  in  voller  Olut.  Es 
blieb  nichts  übrig,  als  diesen  Ort  des  Schreckens  alsbald 
wieder  zu  verlassen.  Noch  lange  nachher,  als  das  Hospital 


»)  Die  Hauntstrafle,  welche  die  ganze  Stadt  durchzieht. 

20       B.M7:  Spin.  FreiMIlfempf.  305 

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niedergebrannt  war,  erfüllte  ein  brenzlichcr  Fettgeruch, 
der  um  so  unangenehmer  auffiel,  da  wir  wußten,  was  ihn 
bewirkt  hatte,  die  Atmosphäre. 

Der  S.Februar  verging  unter  dem  heftigsten  Kampfe, 
bei  dem  fast  alle  Truppenteile  der  Division  mitwirkten. 
Ein  Angriff  auf  den  Coso,  der  viele  Stunden  lang  hin  und 
her  schwankte,  endete  damit,  daß  wir,  nachdem  die  Spanier 
gegen  das  Hauptgehäude,  in  welches  wir  uns  eingenistet, 
Geschütze  aufgefahren,  ihn  mit  Verlust  von  mehreren 
Offizieren  und  vielen  Leuten  aufgeben  mußten. 

Was  die  Soldaten  bei  diesem  erbitterten,  grauenvollen 
Kampfe  einigermaßen  ermutigte,  war  der  Umstand,  daß 
sie  auch  ihre  Kameraden  auf  den  anderen  Fronten  in 
vollster  Tätigkeit  wußten  und  so  die  Möglichkeit  vor  sich 
sahen,  den  Feind  immer  mehr  und  mehr  zu  umgarnen. 

Ein  Versuch  jedoch,  uns  schon  jetzt  mit  der  jenseitigen 
Attacke  in  Verbindung  zu  bringen,  scheiterte  gänzlich; 
denn  der  Angriff,  den  man  von  der  Ölmühle  her  machte, 
um  sich  der  Batterien  der  Vorstadt  zu  bemächtigen,  ward 
blutig  zurückgewiesen.  Man  hatte  jedoch  die  Genugtuung, 
dal)  unsere  Truppen  sich  eines  der  Hauptpunkte  auf  dem 
jenseitigen  Ufer,  des  Jesuitenklosters,  bemächtigten. 

Eine  detaillierte  Beschreibung  des  Kampfes  zu  geben, 
bleibt  unmöglich  —  es  war  ein  ewiges  Geknatter,  durch 
Kanonenschläge  und  Minenexplosionen  unterbrochen. 
Hier  und  dort  schlugen  helle  Flammen  auf,  an  anderen 
Orten  versperrte  ein  dichter  Rauch  jede  Aussicht  Ver- 
wundete begegneten  einander  auf  allen  Kommunikationen. 
Aber  daß  der  Angriff  die  Oherhand  gewonnen  hatte,  ging 
aus  allem  hervor. 

Zur  Zeit  dieser  Ereignisse  war  ich  mit  50  Leuten  in 
der  Nähe  des  Coso  auf  Arbeit.  Wir  waren  beschäftigt, 
eine  Barrikade  zu  bauen,  um  eine  Verbindung  von  einer 
Reihe  der  Häuser  der  Straße  zu  der  anderen  herzustellen. 
Grenadiere  des  Regiments  deckten  uns,  alle  Fenster  rechts 
und  links  waren  besetzt.  Plötzlich  sahen  wir  Rauch,  hörten 
ein  gewaltiges  Zischen  und  Rauschen,  und  unmittelbar 
30o 


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darauf  erhielten  wir  aus  nächster  Nähe  einige  Kartätschen- 
schüsse. Die  Spanier  hatten  uns  gegenüber  ein  Haus  ge- 
sprengt und  von  einem  vorbereiteten  Emplacement  da- 
hinter uns  beschossen.  Alles  ergriff  die  Flucht.  Nur  der 
Grenadierkapitan  des  Regiments,  Ball,  ein  geborener  Wol- 
hynier,  ein  Mann  ohne  jegliche  literarische  Bildung,  aber 
von  den  gefälligsten  Formen  und  allen  als  vortrefflicher 
Mensch  und  Offizier  bekannt,  mit  dem  ich  gerade  im  Ge- 
spräch begriffen  war,  blieb  stehen.  „Sieh  da!"  rief  er  aus, 
„da  lauft  ja  alles  fori,  auch  die  Herren  Grenadiere!"  Und 
dann  schritt  er  ruhig,  als  wenn  gar  nichts  vorgefallen 
wäre,  auf  die  Verschanzung  zu,  neben  der  der  Durchbruch 
auf  die  Straße  angebracht  war.  Als  wir  uns  demselben 
näherten,  schob  er  mich  mit  den  Worten:  „Das  ist  ein 
Kommando  de  fatigue,  das  fängt  von  unten  an,  und  da 
müssen  Sie  vorangehen,"  in  die  Mauerlücke  hinein,  sah 
sich  dann  nochmals  um  und  folgte  mir.  Darauf  ordnete  er 
die  Leute  und  machte  ihnen  Vorwürfe,  ohne  Kommando 
ihren  Platz  verlassen  zu  haben.  Merkwürdigerweise  hatten 
wir  nur  drei  Tote  und  keine  Verwundete,  obwohl  die 
Straße,  auf  der  wir  uns  befanden,  voller  Menschen  gewesen 
war.  Ich  legte  auf  die  Sache  keinen  Wert,  da  ich  ja  nur 
meiner  Pflicht  streng  nachgekommen  war;  aber  sie  sollte 
mir  dennoch  bald  Früchte  tragen,  denn  Kapitän  Ball  hatte 
mit  großer  Emphase  von  meinem  Benehmen  zum  Obersten, 
bei  dem  er  alles  galt,  gesprochen. 

Während  wir  unserseits  Fortschritte  machten,  war 
man  auch  auf  unserer  Linken  rüstig  vorgeschritten.  Man 
hatte  sich  mehrerer  wichtiger  Punkte  im  Innern  bemächtigt 
und  näherte  sich  drohend  dem  Coso.  Bei  den  Angriffen 
dort  sprach  man  fast  nur  von  Oberst  Chlopicki,  der  bei 
Polen  und  Franzosen  in  gleich  hohem  Ansehen  stand. 
Einige  Offiziere  seines  Regiments  waren  von  ihm  entzückt, 
andere  dagegen  wußten  nicht  genug  von  seiner  Heftigkeit 
und  seinen  Forderungen,  das  Unmögliche  zu  leisten,  zu 
erzählen.  Wir  sahen  ihn  auch  öfters  bei  der  „Attaque  de 
droite",  wo  ihn  die  Soldaten  stets  mit  einer  Art  freudiger 
20'  307 


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Ehrfurcht  begrüßten,  während  ihn  die  Offiziere,  nament- 
lich die  altrnn,  ehen  nii  ht  gern  sahen. 

Mit  dem  12,  Februar  (inj;  der  Wideistami  an  weniger 
heftig  zu  werden.  Der  An;;: -if  h.itti  v.-;ikninmen  die  Ober- 
hand gewonnen,  itr.ii  nur  ah  und  /u,  in  der  Verteidigung 
einzelner  Lokalitäten,  zeigte  sich  noch  die  alte  Hartnäckig- 
keit. Lin  Sturm  -iuf  die  Universität,  den  das  J.  Weichsel- 
rcgimi-nt  unternommen,  scheiterte,  weil  drei  Minen,  mit 
!5U()  l'iunrt  Pulver  gela<len,  keine  Dreschen  gemacht 
hatten.  Sowie  die  Explosion  erfolgt  war,  stürzten  die  zum 
Sturm  bereit  stehenden  Kolonnen  zum  Angriff  vor,  aber 
die  Gänge  waren  nicht  weit  genug  geführt  worden,  die 
Trichter  befanden  sich  vor  dem  Gebäude  und  die  Soldaten, 
welche  die  Breschen  suchten,  gerieten  dabei  in  ein  heftiges 
Feuer  und  hatten  einige  vierzig  Tote  und  Verwundete, 
darunter  zwei  Offiziere. 

Nachrichten  vom  Anmarsch  einer  feindlichen  Armee 
beunruhigten  einige  Tage  lang  die  Belagernden,  und  Mar- 
schall Lannes  marschierte  selbst  mit  zwei  Divisionen  des 
3.  und  einer  Brigade  des  Belagerungskorps  ab,  um  den 
Feind  aufzusuchen.  Ein  Versuch  der  Spanier,  unterdessen 
die  Offensive  zu  ergreifen,  führte  zwar  zu  keinem  irgend 
entscheidenden  Resultate,  jedoch  verloren  wir,  besondere 
in  dem  blutigen  Kampfe  in  der  Calle  de  las  Arcadas,  sehr 
viele  Leute.  Die  geringen  Resultate,  welche  die  Mineure 
gegen  das  Ende  der  Belagerung  erzielten,  ließen  uns  von 
den  Kanonen  einen  größeren  Gebrauch  machen.  Die  Kom- 
munikationen wurden  erweitert,  man  machte,  um  an  Ort 
und  Stelle  zu  kommen,  ein  Loch  durch  die  Mauern  und 
feuerte  das  Geschütz  ab;  unmittelbar  darauf  schloß  man 
die  improvisierte  Scharte  durch  einen  Wollsack.  War  die 
Kanone  wieder  geladen,  so  ward  dann  aufs  neue  gefeuert 
und  so  fort,  bis  man  die  Gegner  verjagte.  Bei  einem 
Hause  kam  es  vor,  daß  die  Kugeln  durch  und  durch  gingen, 
und  dennoch  verließen  es  die  Spanier  nicht.  Sie  zogen 
sich  in  die  zweite  Etage  zurück,  logierten  sich  außerhalb 
der  Schußrichtung  und  unterhielten  von  dort  ein  lebhaftes 


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Feuer,  daß  es  unmöglich  blieb,  vorzudringen.  Jede  Stunde 
brachte  neue  Schikanen,  neue  Gefahren. 

Bis  zum  18.  änderte  sich  hierin  nichts.  Dieser  Tag 
aber  sollte  die  Entscheidung  bringen.  Marschall  Lannes, 
von  seiner  Expedition  zurückgekehrt,  hatte,  nachdem  er 
schon  früher  den  gewiß  nicht  genug  zu  lobenden  Entschluß 
gefaßt,  den  Angriff  auf  die  Vorstadt  wieder  aufzunehmen, 
diesen  Tag  zum  Sturm  bestimmt.  Morgens  um  8  Uhr 
etwa  begannen  die  französischen  Batterien  auf  allen  Linien 
ein  heftiges  Feuer,  das  bis  über  Mittag  währte. 

Um  diese  Zeit  drangen  die  Sturmkolonnen  zum  An- 
griff vor  und  bemächtigten  sich  nach  einem  lebhaften 
Kampfe  auf  den  Straßen  und  im  Innern  der  Klöster  und 
Häuser  der  Vorstadt.  Da  eine  Kolonne  gegen  den  Aus- 
gang der  Brücke  gerichtet  war,  so  war  dem  Feinde  hier- 
durch der  Rückzug  abgeschnitten,  und  17  Kanonen  und 
gegen  3000  Gefangene  gerieten  in  die  Hände  der  Sieger. 
Die  Anzahl  der  feindlichen  Toten  soll  bedeutend  gewesen 
sein;  wir  verloren  nur  einige  80  Mann. 

Während  die  Division  Gazan  diesen  Sieg  jenseits  des 
Flusses  erfocht,  war  auf  unserer  Front  der  Kampf  nicht 
minder  heftig  und  entscheidend.  Nach  längerem,  frucht- 
losem Kampfe  am  Coso  und  den  anliegenden  Straßen  und 
Häusern  wurden  gegen  3  Uhr  etwa  zwei  Minen  unter  der 
Universität,  deren  jede  mit  1500  Pfund  Pulver  geladen  war, 
gesprengt. 

Drei  Kompagnien  von  unserem  und  zwei  vom  14.  Re- 
giment stürzten  sich  sogleich  auf  die  Bresche  und  be- 
mächtigten sich  des  großen  Gebäudes,  ohne  daß  die 
Spanier  bedeutenden  Widerstand  geleistet  hatten.  Zu 
gleicher  Zeit  griff  man,  und  zwar  zum  16.  Male,  das  Haus 
an,  welches  die  Traverse  vom  Coso  nach  der  Calle  de  las 
Arcades  deckte.  Der  Feind  verlieff  auch  dies  fast  ohne 
Schuß,  so  daß  die  ganze  Unternehmung  uns  nur  12  Mann 
kostete. 

Den  Angriff  auf  diese  Werke  leitete  Hauptmann  Ball, 
dessen  ich  schon  gedacht  habe.  Wir  hatten  auch  hier  Ge- 
300 

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legenheit,  sein  kalte?  Blut,  seine  Ruhe  und  Umsicht  zu  be 
wundern.  Er  war,  so  oft  er  ins  Qefecht  kam,  auf  dat 
sorgfältigste  gekleidet.  „Die  Schlachttage,"  wie  er  sief 
etwas  emphatisch  ausdrückte,  „sind  Festtage,  und  ai 
diesen  muß  man  auch  festlich  gekleidet  erscheinen." 

Ich  bekam  nach  Beendigung  des  Kampfes,  bei  den 
uns  acht  Kanonen  in  die  Hände  fielen,  meinen  Platz  mi 
40  Grenadieren  in  einem  Hause,  der  Pucrta  del  Sol  gegen 
über,  angewiesen.  Das  Feuer  war  bis  spät  abends  sehi 
heftig.  Die  Soldaten  jedoch,  durch  die  längere  Erfahrung 
über  das,  was  sie  zu  tun  und  zu  lassen  hatten,  unterrichtet 
wußten  sich  bald  Schutz  zu  verschaffen.  Ich  hatte  nui 
einen  Toten,  einen  alten  Sergeanten,  der,  etwas  ange 
trunken,  sich  unnütze  Gänge  machte  und  trotz  aller  meinei 
Warnungen  sich  ganz  zwecklos  bloßstellte.  Der  letzt* 
Schuß,  der  in  der  Dämmerung  fiel,  tötete  ihn. 

Die  Resultate  dieses  Tages  erfüllten  uns  mit  Hoff- 
nung, denn  wir  hatten  einen  tüchtigen  Schritt  vorwärts 
gemacht. 

Der  Kampf  schleppte  sich  in  den  nächsten  Tagen  in 
derselben  Art  wie  bisher  fort.  Das  Geknalle  aber  nahm, 
besonders  unserseits,  stets  zu.  Man  nahm  das  Kloster 
de  la  Trinidad  und  drang  bis  zur  Puerta  del  Sol  vor; 
gleiche  Fortschritte  machte  man  im  Zentrum,  von  wo 
man  ebenfalls  bis  zum  Coso  gelangte  und  steh  festsetzte. 
Abends  cr/ahlle  man,  cn-  S|iHiiirr  hallen  auf  Kapitulation 
angetragen.  Da  man  jedoch  mit  den  Arbeiten  fortfuhr  unc 
am  2D.  längs  der  Häuserreihe  ar:i  Lbro  vorging,  so  nahm 
man  dies  uro  SO  mehr  für  eine*  der  vielen  Gerüchte,  die 
im  La«et  umliefen,  als  Mirs.hall  Lannes  selbit  hier  er 
whirii  und  die  Arbeiten  lie schleunigen  ließ 

Vom  jenseitigen  Ufer  her  hatte  man  Bleiche  in  ein 
Haus  gelegt,  das  eine  Barrikade  vnn  der  Brücke  her  übei 
den  f-'bro  verteidigte,  bine  Kompagnie  des  3.  Wrichsel 
regiments  sollte  auf  Befehl  des  Marschalls  das  Gebäude 
wegnehmen.  Sie  mußte  /u  diesem  Behuf  eine  Strecke  von 
fast  '.iuri  Schritten  an  der  Sladtmauer,  die  der  Feind  n:>ch 
J10 


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besetzt  hielt,  unter  einem  starken  Feuer  zurücklegen.  Ehe 
sie  ihr  Ziel  erreichte,  war  ein  Drittel  der  Mannschaft  tot 
oder  verwundet  Haus  und  Barrikade  waren  jedoch  nur 
von  wenig  Leuten  besetzt,  und  bald  wurde  mit  Hilfe 
einiger  Sappeure  eine  Verschanzung  geschaffen.  Die  Lage 
des  Detachements  war  nichtsdestoweniger  ungemein  ge- 
fährlich. Von  allen  Seiten  vom  Feinde  umschlossen,  ohne 
gesicherte  Rückzugslinie,  durfte  man  mit  Recht  für  dasselbe 
die  größte  Besorgnis  hegen;  aber  ein  Waffenstillstand,  der 
gegen  Abend  eintrat,  überhob  uns  aller  Sorge.  Wenngleich 
das  Feuer  auf  allen  Seiten  schwieg  und  nur  hin  und  wieder 
einige  Schüsse  fielen,  so  brachten  wir  dennoch  die  Nacht 
wie  gewöhnlich  in  alter  Aufmerksamkeit,  und  ich  möchte 
sagen,  wachsamer  denn  je  zu.  Viele  glaubten,  daß  die 
Spanier  nur  die  Möglichkeit  gewinnen  wollten,  irgendeinen 
Schlag  auszuführen,  daß  sie  wahrscheinlich  Nachricht  von 
einem  heranrückenden  Entsatz  hätten ;  andere  versicherten, 
sie  würden  nur  eine  neue  Verteiili.ifini^li:ii«  einnehmen, 
was  um  so  mehr  Glauben  fand,  als  man  Feuer  an  mehreren 
Orten  auflodern  sah,  um  unsere  Fortschritte  zu  hindern. 

So  legte  jeder,  nach  Charakter  und  Gefühl,  sich  die 
Sache  aus.  Alle  aber  erwarteten,  die  Waffen  in  der  Hand, 
mit  Spannung  den  Anbruch  des  Morgens.  Alle  Befürch- 
tungen, alle  Besorgnisse  waren  umsonst  gewesen.  Wir 
waren  Herren  der  Stadt,  wenn  auch  noch  aus  mancher 
Schießscharte  sich  uns  ein  Gewehr  entgegenstreckte  und 
ein  trotziges  „atras"  („zurück")  erschallte. 

Am  2f.  um  Mittag  traten  wir  im  Paradeanzug  unters 
Gewehr,  um  an  der  Puerta  del  Portülo,  einer  Gegend  der 
Stadt,  welche  ganz  verschont  geblieben  war,  die  Garnison 
die  Waffen  strecken  zu  sehen.  Ich  darf  wohl  sagen,  daß 
unsere  Truppen  noch  immer  einen  imposanten  Anblick 
gewährten.  Dem  Paradeanzug  sah  man  die  Entbehrungen 
und  Leiden,  welche  wir  durchlebt  hatten,  nicht  an.  Die 
halb  verbrannten  und  zerrissenen  Mäntel  waren  auf  den 
Tornister  gerollt,  die  schöne  Sonne  aber  ließ  die  hellge- 
putzten Waffen  im  vollsten  Glänze  erscheinen. 

311 

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Unser  Marsch  zur  Parade  war  beschwerlich,  denn 
die  Stümpfe  abgehauener  Ölbäume,  schlechte  Brücken  über 
die  Huerba  und  kleine  Wasserrinnen  unterbrachen  ihn 
jeden  Augenblick.  Kaum  waren  wir  angelangt,  so  erschien 
auch  Marschall  Lannes  mit  seinem  Stabe;  er  ritt  langsam 
die  Front  entlang,  ohne  ein  anderes  Wort  zu  sagen  als 
„Corrigez  l'alignement",  die  Fahnen  aber  ehrfurchtsvoll 
begrüßend.  Wir  hatten  vielleicht  schon  eine  Stunde  ge- 
standen, ehe  die  Spanier  kamen.  Einige  üutzend  Jungen, 
vielleicht  von  16—18  Jahren,  mit  roten  Kokarden  an  den 
Hüten,  in  grauen  Mänteln,  ohne  Montierung,  stellten  sich 
uns  gegenüber,  Zigaretten  rauchend,  auf.  Dann  kam 
ein  Haufen  erwachsener  Leute,  allmählich  mehrte  sich 
die  Menge,  Offiziere  auf  Maultieren  und  Eseln,  in  dem 
wunderbarsten  Anzüge,  alt  und  jung,  Greise  und  Kinder 
in  Montierungen  und  Baucrnkleidern,  alles  bunt  durch- 
einander. Man  sah  sämtliche  Völkerschaften  Spaniens  ver- 
treten :  Aragonier,  Navaresen,  Castilianer,  Valencianer, 
Catalonier,  Andalusier  usw.,  wie  solche  in  der  Armee  bei 
Tudela  gemischt  gewesen  waren,  in  Wuchs  und  Haltung 
sowohl,  als  in  Tracht  unendlich  verschieden.  Die  Offiziere 
zeichneten  sich  fast  nur  durch  lange  und  werte  Mäntel, 
dreieckige  Hüte  und  ab  und  zu  durch  dicke  Zöpfe  vor 
ihren  Leuten  aus.  Von  Ordnung  war  nicht  die  Rede.  Die 
Spanier  standen  in  kleinen  Gruppen  vor  dem  Kloster  der 
Capuchinos  descalzos  —  an  der  Puerta  del  Portülo,  beim 
Castillo  de  la  Inquisition,  auf  der  Straße  nach  Alagon, 
rauchten,  schwätzten  miteinander  und  schienen  von  allem, 
was  sie  umgab,  gar  keine  Notiz  zu  nehmen.  Wo  sie  die 
Waffen  streckten,  konnten  wir  von  unserem  Standpunkte 
nicht  sehen.  Wir  fragten  nach  Palafox  —  aber  es  hieß,  er 
sei  krank.11)  Von  den  anderen  Führern  nahm  man  keine 
Notiz.  Man  kannte  nur  diesen  einzigen  Namen.  Nachdem 
wir  so  länger  gestanden,  brachten  französische  Soldaten 


]1)  Just  Palafox  war  Kommandant  von  Zaragoia  während 
der  Belagerung. 
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noch  eine  Menge  Leute  aus  den  Häusern  herbeigeschleppt, 
und  es  regnete  hierbei  Kolbenstöße,  weil  die  Armen  nicht 
den  besten  Willen,  sich  fortführen  zu  lassen,  zeigten.  End- 
lich setzte  sich  General  Morlot  mit  dem  116.  und  117.  Re- 
giment, welchen  die  Eskorte  der  Gefangenen  nach  Frank- 
reich übertragen  war,  in  Bewegung.  Die  ganze  spanische 
Garnison,  vielleicht  8—10000  Mann,  wenn  es  hoch  kam, 
defilierte  an  uns  vorüber.  Wir  alle  waren  über  den  ge- 
ringen soldatischen  Anstand,  über  das  Aussehen  und  die 
Bekleidung  erstaunt,  —  freilich  mochten  wir  dies  mit 
einem  anderen  Maßstäbe  messen,  als  die  Spanier.  Unsere 
Soldaten  äußerten  taut,  daß  man  sich  solcher  Kerls  wegen 
nicht  hätte  in  Paradeanzug  zu  werfen  brauchen.  Manche 
tadelten,  daß  man  mit  dem  Lumpenpack  eine  Kapitulation 
abgeschlossen,  —  es  wäre  besser  gewesen,  wenn  man  sie 
des  Beispiels  wegen  bis  auf  den  letzten  Mann  nieder- 
gemacht hätte,  —  man  würde  schon  sehen,  wohin  unsere 
Sanftmut  führe. 

Nach  der  Beendigung  des  Vorbeimarsches  kehrten 
wir  ins  Lager  zurück,  von  wo  aus  eine  Menge  Leute  in 
die  Stadt  gingen  und  bald  mit  Beute  allerart  beladen  zu- 
rückkamen. Zwar  war  der  Eintritt  verboten,  die  Tore 
waren  besetzt,  aber  die  Soldaten  kannten  zu  genau  jeden 
Weg  und  Steg,  als  daß  man  den  Befehl  hätte  durchführen 
können.  Überdies  waren  sie  zu  sehr  voller  Erbitterung,  als 
daß  sie  dergleichen  „Promenades  en  ville",  wie  es  die 
Franzosen  nannien,  hätten  verhindern  sollen.  Abends  fand 
man  im  Lager  Wein  vollauf,  in  jedem  Kessel  steckte 
ein  tüchtiges  Stück  Speck,  Reis  und  Bohnen  fand  man 
Säcke  voll  bei  den  Kompagnien.  Dazu  kam  eine  doppelte 
Ration  an  Fleisch  —  die  Soldaten  schwelgten  diesen  Abend 
und  die  nächsten  Tage. 

Den  22.  ward  ich  nach  der  Stadt  kommandiert,  um 
Wein  zu  empfangen.  Wir  gingen  durch  eine  Kommuni- 
kation an  der  Puerta  Quemada  über  den  Platz  der  Santa 
Magdalena,  nach  der  Calle  major,  wo  in  der  Nähe  des 
Klosters  St.  Jago  der  Empfang  stattfinden  sollte.  Die  An- 
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Ordnungen  waren  jedoch  so  schlecht  getroffen,  daß  abzu- 
sehen war,  wir  würden  noch  unter  vielen  Stunden  nicht 
herankommen.  Ich  bemerkte  hier  zum  ersten  Male  selbst, 
wie  wesentlich  Ordnung  beim  Verteilen  der  Lebensmittel 
ist,  und  wie  Soldaten  sogar  bei  allgemeinem  Überfluß, 
durch  unzweckmäßige  Anstalten  Mangel  leiden  und  zu 
Exzessen  hingerissen  werden  können. 

Ein  Offizier,  der  schon  die  erste  Belagerung  der  Stadt 
mitgemacht  und  hier  verwundet  worden  war,  forderte 
mich  auf,  einen  Abstecher  in  die  nächsten  Straßen  zu 
machen.  Da  wir  uns  auf  unsere  Unteroffiziere  verlassen 
konnten,  so  ließ  ich  es  mir  nicht  zweimal  sagen.  Vor  allen 
Dingen  hatte  die  Kirche  Nuestra  Seüora  del  Pilar  unsere 
Aufmerksamkeit  aui  sich  gezogen.  Wir  beschlossen,  uns 
also  direkt  nach  derselben  zu  wenden.  Wir  fanden  den 
Weg  dahin  sehr  leicht,  indem  wir  uns  nur  nach  der  Ebro- 
brücke,  die  vor  uns  lag,  und  von  hier  durch  die  Puerta 
del  Angel  längs  des  Flusses  selbst  nach  der  Kirche  zu 
wenden  brauchten,  um  dahin  zu  gelangen.  Der  Weg  war 
durch  Barrikaden  gehemmt,  sonst  durch  keine  sonderliche 
Zerstörung  bezeichnet.  In  der  Gegend  am  Ebro  aber  ge- 
wahrte man  die  Verwüstungen,  welche  das  Feuer  der 
letzten  Tage  angerichtet.  Ich  werde  den  F.indruck  niemals 
vergessen,  als  wir  den  Pht/  vor  der  Kirche  erreichten. 
Wir  fanden  ihn  mit  Sargen,  Leichen,  betenden  Frauen  und 
Kindern  ang.'fuilt.  An  rinzelnen  Strllrn  lagen  1f)— 20  Tote 
beieinander  und  übereinander  —  merkwürdiger  weise  ge- 
wahrte ich  keinen  einzigen  Geistlichen  darunter.  In  einem 
Sarge  lau  ein  alter,  betaglcr  Mann,  in  einer  hlauen  Mon- 
tierung  mit  rntsamtnen,  reichte  stickten  Aufschlägen.  Eine 
junge  Dame  von  großer  Schönheit  und  in  ganz  aufgelöstem 
Haar  betete  an  seinem  Sarge.  Sie  schien  sich  ängstlich 
nach  jemand,  vielleicht  einem  Geistlichen,  umzusehen. 

Als  wir  nach  der  Rückkehr  zu  unsern  Leuten  sahen, 
daß  wir  noch  lange  nicht  an  der  Reihe  waren,  beschlossen 
wir  unsere  Wanderung  fortzusetzen  und  begaben  uns  im 
Gefolge  eines  Piketts  wieder  in  die  Stadt  Wir  gingen 
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durch  die  Calle  de  Toledo,  nach  dem  Torre  nueva.  Ich 
glaube,  daß  hier  alles  zusammengedrängt  war,  was  es 
Schreckliches  gab.  Unter  den  Arkaden  lagen  Kinder, 
Greise,  Kranke,  Sterbende,  Leichen,  Hausgerät,  abge- 
magerte Haustiere,  alles  in  einem  bunten  Gewirr  durch- 
einander. Auf  dem  Platz  selbst  sah  man  zahllose  Leichen, 
viele  ganz  nackt,  wie  sie  Gott  erschaffen,  übereinander- 
liegen.  Unter  den  Lebenden  gewahrte  man  Jammerge- 
stalten aüerart  —  namentlich  flößten  die  abgemagerten 
Kinder  Mitleid  ein.  Hier  und  dort  loderte  ein  Feuer  empor, 
um  das  kochend  und  bratend  einige  Leute  saßen.  Finster 
blickende,  in  Mäntel  gehüllte  Gestalten  standen  in  Gruppen 
beisammen  und  brachen,  als  wir  uns  nahten,  ihre  Unter- 
haltung ab,  ohne  sonst  von  uns  Notiz  zu  nehmen.  Obwohl 
wir  uns  nur  ganz  kurze  Zeit  hier  aufhielten,  so  erinnere 
ich  mich  doch  noch  heute  des  dort  Geschehenen  mit  einer 
Art  von  Schrecken.  Die  Tausende  von  Toten  um  die  große 
Schanze  bei  Moshaisk1»)  haben  keinen  solchen  Eindruck 
auf  mich  gemacht,  als  das,  was  ich  um  Nuestra  Sefiora 
del  Pilar  und  hier  gesehen. 

Der  von  uns  eroberte  Teil  der  Stadt  bot  einen  schreck- 
lichen Anblick  dar.  Von  San  Jose  und  Santa  Engracia  bis 
zum  Coso  war  die  Stadt  nur  ein  Trümmerhaufen.  Klöster, 
Kirchen,  öffentliche  und  Privatgebäude  waren  durch  die 
Bomben  zerschmettert,  ein  Raub  der  Flammen  geworden, 
oder  in  die  Luft  gesprengt.  Alle  Straßen  bis  zum  Coso  hin 
waren  durch  Barrikaden  unzugänglich  gemacht,  die  Kom- 
munikationen nur  durch  die  Gebäude  möglich,  von  denen 
viele,  besonders  die  Klöster  und  Paläste,  zu  Unterstützungs- 
aufstellungen der  Truppen  eingerichtet  waren.  Man  hatte 
in  manchen  mit  ellenlangen  Buchstaben  die  Benennungen 
angeschrieben,  hier  und  dort  waren  Wegweiser  angebracht, 
weiche  die  Richtung  nach  den  verschiedenen  Posten  be- 
zeichneten. Die  Säle  waren  von  der  Hand  der  Soldaten  mit 


1!)  Während  des  russischen  Fcldzugs  in  der  Schlacht  bei  Boro- 
dino,  am  7.  September  1812. 

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grotesken  Zeichnungen  in  Kohle,  auch  mit  Inschriften  aller- 
art  versehen.  So  prangten  zum  Beispiel  im  Refektorium 
des  Klosters  San  Josef,  das  ganz  erhalten  war,  folgende 
Worte,  die  von  allen  Franzosen,  die  lesen  konnten,  beim 
jedesmaligen  Passieren  dieser  Lokalität  laut  wiederholt 
wurden: 

„L'amour  et  la  m  .  .  .  .  sont  deux  canailles 
L'une  gäre  les  coeurs  et  l'autre  les  murailles." 
Solches  war  biichstiiblidi  wahr,  den»  i»  der  Nahe  war 
alles  so  verunreinigt,  daß  man  kaum  gehen  konnte. 

Eine  Belagerung  hat  das  Eigentümliche,  daß  sie  Vor- 
gesetzte und  Untergebene  in  die  nächste  tägliche  Berüh- 
rung bringt.  Unter  den  Generalen  waren  es  besonders 
Marschall  Lartnes  und  General  Junot,  die  unsere  Auf- 
merksamkeit fesselten.  Laim  es  besuchte  die  verschiedenen 
Posten  öfters,  hatte  Augen  für  alles,  und  die  Soldaten 
wußten,  daß  er  gewöhnlich  auch  irgend  etwas  fragte. 
Die  Franzosen  schwärmten  für  ihn ;  die  Polen  betrach- 
teten ihn  zwar  nicht  mit  ungünstigen  Blicken,  aber  ohne 
jede  Sympathie  —  diese  hatten  sie  nur  für  Oberst  Chlo- 
picki,  und  wenn  er,  was  oft  der  Fall  war,  bei  uns  erschien, 
obwohl  er  eigentlich  sein  Kommando  beim  Mittelangriff 
hatte,  so  strahlten  alle  Gesichter.  Richtete  er  vollends 
ein:  „Wie  geht's  euch,  Jungens?"  an  sie,  dann  war  alle 
Welt  entzückt.  Doch  dehnte  sich  der  Zauber,  den  er  auf 
die  Soldaten  ausübte,  nicht  auf  die  Offiziere  aus.  Gegen 
diese  war  er  streng,  unerbittlich  im  Punkte  der  Disziplin 
und  ab  und  zu  wohl  gewalttätig.  Durch  den  scharfen, 
schneidenden  Ton  im  Befehl  und  die  Sparsamkeit  seines 
Lobes  hielt  er  alles  in  einer  gewissen  Entfernung.  Man 
warf  ihm  vor,  daß  er  einzelne  Lieblinge  hätte,  gegen  die  er 
manchmal  schwach  wäre,  —  aber  dabei  gestand  man  doch 
ein,  daß  er  brave,  tüchtige  Leute  nach  vollstem  Verdienste 
würdigte.  Von  einer  sehr  bedeutenden  Persönlichkeit, 
welche  durch  ihre  ganze  Haltung  und  Erscheinung  impo- 
nierte, war  er  sicher,  überall  Achtung,  wenn  auch  nicht 
Hingebung  zu  erwerben. 
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Junot  kam  abends  öfters  in  die  Biwaks,  setzte  sich  auf 
die  Trümmer  oder  auf  ein  Stück  Holz  und  plauderte  hier 
mit  den  höheren  Offizieren.  Seine  Unterhaltung  war  echt 
soldatischer  Natur;  frei  und  offen  in  seinen  Meinungen 
und  Ansichten,  äußerte  er  sich  unverhohlen  über  alles,  was 
ihm  gerade  einfiel,  und  „betist",  „maraud",  „pcquin", 
mit  einigen  noch  energischeren  Ausdrücken  verbunden, 
waren  Worte,  die  nicht  lange  auf  sich  warten  ließen.  Ein 
Stabsoffizier  des  Regiments,  der  mehr  seiner  Verstandes- 
kräfte und  Kenntnisse  als  seiner  militärischen  Tüchtigkeit 
wegen  Ruf  hatte,  meinte  schon  damals,  daß  er  verrückt  sei. 
Ich  entsinne  mich  noch  deutlich,  wie  er  eines  Tages,  als 
der  General  lange  am  Fenster  gesessen  und  räsoniert 
hatte,  bei  dessen  Weggehen  äußerte:  „Aber  wie  ist  es 
möglich,  daß  dieser  Mann,  der  total  toll  ist,  noch  ein 
Armeekorps  kommandiert?"  Merkwürdigerweise  aber 
hielt  man  den  guten  Major,  der  dies  Urteil  fällte,  für 
ebenso  närrisch,  als  er  Junot  selbst. 

Eine  hervorragende  Stellung  unter  den  Generalen 
nahm  auch  der  General  Habert  ein;  ein  stark  bebarteter, 
tätiger  und  entschiedener  Mann,  von  martialischer  Haltung 
und  etwas  brüsken  Manieren,  den  aber  die  Soldaten  gerade 
deswegen  gem  hatten.  Ich  erinnere  mich  in  bezug  auf 
ihn  einer  merkwürdigen  Szene.  Wir  waren  durch  eine 
Kommunikation  auf  eine  Straße  gelangt,  hatten  nach  der 
gegenüberstehenden  Häuserreihe  eine  Barrikade  gebaut 
und  diese  hoch  mit  Sandsäcken  bedeckt,  um  von  ihr  aus 
feuern  zu  können.  Die  Passage  aber  unter  dem  ganz 
nahen  Feuer  der  Spanier  war  gefährlich  und  man  mußte 
sich  sehr  bücken,  um  nicht  gesehen  zu  werden.  Der 
General,  ein  großer  Mann,  mußte  dies  natürlich  mehr, 
als  ein  anderer.  Als  nun  eines  Tages  Habert  hier  die 
Posten  revidierte  und  sehr  gebückt  hinter  der  Barrikade 
wegschlich,  rief  einer  von  den  in  der  Nähe  stehenden 
Soldaten  ganz  laut:  „Tiens!  les  g£n£raux  ont  done  peur 
aussi!"  Da  kehrte  sich  der  General  schäumend  vor  Wut 
um,  packte  den  Unglücklichen,  der  dies  gesagt,  mit  beiden 
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Händen  und  zog  ihn,  sich  dabei  hoch  in  die  Höhe  rich- 
tend, aus  seinem  Versteck  hervor.  Im  Nu  fielen  eine  Menge 
Schüsse,  —  der  Soldat  erhielt  deren  gewiß  4—5  und  sank 
entseelt  nieder,  während  der  General  mit  einer  leichten 
Kontusion  am  Arm  davon  kam.  Dann  gab  er  dem  blutigen 
Leichnam  mit  einem  „f  .  .  .  .  consent"  einen  Stoß  mit 
dem  Fuß  und  ging  ruhig  weiter.  „Parbleu,"  sagten  die 
Franzosen,  „le  general  a  bien  fait,  c'etait  une  infamie 
de  dire  cela  d'un  general  comme  celui-lä!" 

Der  Qeneral  Leval,  ein  kleiner,  schwächlich  aussehen- 
der Mann,  hatte  in  keiner  Weise  etwas  Auffallendes  in 
seinem  Wesen  —  dabei  war  er  sehr  freundlich  und  ohne 
alle  Ostentation,  trug  immer  einen  grauen  Überrock  und 
ward  deswegen  von  den  Soldaten  der  „Müller"  genannt. 

Grandjeans16)  Persönlichkeit  ist  mir  nicht  mehr  deut- 
lich erinnerlich,  —  er  gab  auch  das  Kommando  ab,  ohne 
recht  eigentlich  viel  in  Berührung  mit  den  Truppen  ge- 
kommen zu  sein.  Was  mir  bei  den  Generalen  auffiel,  war 
deren  öftere  persönliche  Teilnahme  am  Gefecht.  Man  sah 
Junot,  Habert,  Oberst  Chlopicki,  selbst  Marschall  Lannes 
Gewehre  nehmen,  „et  changer  leurs  coups  de  fusil  avec 
l'ennemi",  wie  die  Franzosen  es  nannten.  Dem  Marschall 
Lannes  hätte  solch  ein  Versuch  einmal  fast  das  Leben 
gekostet.  Nach  der  Eroberung  des  Klosters  Jesu  nämlich 
war  ein  Spanier  in  den  Trümmern  versteckt  geblieben  und 
hatte  von  hier  aus  auf  den  Marschall  geschossen.  Er- 
grimmt hierüber,  ließ  Lannes  sich  ein  Gewehr  auf  den 
Boden  des  Gebäudes  bringen,  zugleich  mehrere  andere  in 
Bereitschaft  halten  und  feuerte  auf  den  Feind  herab.  Dieser 
richtete  eine  Haubitze  gegen  das  Dach  und  eine  Oranate 
tötete  den  Ingenieurhauptmann,  der  neben  dem  Marschall 
stand,  ohne  daß  dieser  sich  jedoch  in  seinem  Beginnen 
stören  ließ.  Nachdem  er  lange  gefeuert,  verließ  er  seinen 


">  Charles  Louis  Dieudonnf  Oral  drandjean,  1768—1828, 
irai!/(;ai<thi'r  ("h-ru-rjil,  k:  ii!ir;in:lirrtr  ln'i  ikr  üi:!ji;i.Turij;  vun  7.:i\j- 
goia  1800  ein  holländisches  Korps. 
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Posten  wieder,  ebenso  ruhig,  als  wenn  gar  nichts  vorge- 
fallen wäre. 

Ich  weiß  nicht,  ob  dergleichen  den  Funktionen  höhe- 
rer Befehlshaber  sehr  entspricht,  aber  ich  glaube,  daß  ab 
und  zu,  besonders  wenn  die  Soldaten  anfangen,  matt  zu 
werden,  und  deren  Oeduld  zu  sehr  auf  die  Probe  gestellt 
wird,  es  wohl  angebracht  ist,  ein  Beispiel  von  Entschlossen- 
heit und  persönlichem  Mute  zu  geben. 

Am  24.  Februar  hielt  der  Marschall  seinen  feierlichen 
Einzug  in  die  Stadt  Gemischte  Kommandos  bildeten  vom 
Tore  bis  zur  Nostra  Santa  del  Pilar  Spalier.  Lannes  war 
wie  alle  in  voller  Paradeuniform  und  hatte  den  Marschall 
Mortier  neben  sich,  die  anderen  Oenerale,  mit  Ausnahme 
Junots,  kamen  hinter  ihm.  Von  Adjutanten  und  Offizieren 
zu  Pferde  dicht  umgeben,  ritten  die  Herren  bis  in  die  Nähe 
der  Kirche.  Hier  angekommen,  saßen  sie  ab,  wurden  von 
der  Geistlichkeit,  den  Bischof  von  Huesca  an  der  Spitze, 
die  ihnen  aus  der  Kirche  entgegentraten,  empfangen  und 
bis  vor  den  Altar  geführt.  Die  beiden  Marschälle  nahmen 
in  zwei  Lehnstühlen  vor  demselben  Platz;  ein  dritter,  an- 
geblich für  Junot  bestimmt,  blieb  leer.  Unter  dem  gewöhn- 
lichen Spektakel  und  Getrommel,  das  einen  französischen 
Gottesdienst  begleitet,  begann  die  Messe,  welche  mir  in 
ihrem  Rituale  bedeutend  von  der  unsrigen  abzuweichen 
schien.  Als  beim  Emporheben  der  Hostie  das  Getrommel 
wieder  begann,  fuhren  die  guten  Spanier  größtenteils  er- 
schrocken zusammen  und  sahen  einander  betroffen  an, 
als  sie  aber  gewahrten,  daß  die  beiden  Marschälle  und 
deren  Gefolge  sich  andächtig  verneigten,  schienen  auch 
sie  wieder  Mut  zu  fassen.  Nach  der  Messe  leisteten  alle 
Behörden  dem  König  Joseph  den  Eid  der  Treue,  und  der 
Erzbischof  hielt  eine  Rede  über  das  Unglück,  das  Zaragoza 
betroffen.  So  gut  ich  auch  meinen  „Guide  de  conversation 
espagnole"  innehatte,  so  verstand  ich  von  dieser  Rede 
ebensowenig,  wie  wahrscheinlich  der  größte  Teil  der 
Anwesenden.  Auf  die  Spanier  schien  sie  einen  tiefen  Ein- 
druck zu  machen.  Ein  Tedeum  zu  Ehren  des  französischen 
319 

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Sieges,  das  der  Bischof  hierauf  anstimmte  und  das  unsere 
Kanonen  begleiteten,  mochte  dem  Unbefangenen  fast  als 
eine  Entweihung  des  Heiligtums  erscheinen.  Die  Soldaten 
sahen  darin  aber  eine  Demütigung  für  die  Anmaßung  der 
Spanier,  dem  Kaiser  und  seiner  Armee  haben  widerstehen 
zu  wollen. 

An  einem  der  folgenden  Tage  ward  Palafox,  der,  als 
die  Kapitulation  abgeschlossen  wurde,  in  einem  Souterrain 
der  Casa  de  los  gigantes  krank  daniederlag,  abgeführt. 
Er  wurde  auf  einem  Teppich,  der  mit  einem  weißen  Laken 
bedeckt  war,  herausgetragen  und  auf  einen  mit  vier  starken 
Maultieren  bespannten,  mit  Malratzen  versehenen  Wagen 
gehoben.  Als  man  ihn  herausbrachte,  schlugen  die  Tam- 
boure ;  der  Trompeter  der  25.  Dragoner,  die  gleichfalls  zur 
Eskorte  gehörten,  blies,  die  Truppen  präsentierten;  ein 
Adjutant  des  Marschalls  ging  mit  dem  Hut  in  der  Hand 
neben  dem  General.  Er  sah  krank  und  leidend  aus,  schien 
auf  niemand  zu  achten,  und  auch  die  Spanier  nahmen 
keine  besondere  Notiz  von  dem  Manne,  der  die  Stadt  nicht 
zu  retten  vermocht  hatte. 

Wir  hatten  52  Tage  vor  Zaragoza  gelegen  und  davon 
23  mit  dem  Straßen-  und  Häuserkampf  zugebracht  Wir 
sollten  etwa  3000  Menschen  verloren  haben,  ungerechnet 
die  Tausende,  die  in  den  Spitälern  gestorben  waren.  Der 
Verlust  der  Spanier  —  die  mitgezählt,  welche  der  Typhus 
dahingerafft  hatte  —  soll  sich  auf  53  600  Mann  belaufen 

Der  Ruf,  den  diese  Belagerung  erlangt  hat,  hat  sich 
über  die  ganze  Welt  verbreitet.  Aber  es  ist  merkwürdig, 
daß  man  hierbei  nur  den  Verteidigern  den  Ruhm  zuer- 
kennt, der  doch  recht  eigentlich  den  Angreifern  gebührt 

13000  Mann,  denn  stärker  war  das  Belagerungskorps 
nicht,  hielten  eine  große,  kriegerische  Stadt  mit  einer 
30  000  Mann  starken  Garnison  belagert,  drangen  unter  den 
größten  Beschwerden  und  den  eigentümlichsten  Verhält- 
nissen bis  in  die  Mitte  Zaragozas  vor  und  zwangen  es 
zur  Kapitulation. 
320 

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Die  Stadt  war  durch  Lage,  Bauart  und  durch  die  wenn 
auch  nur  improvisierte  Befestigung  ziemlich  stark.  Etwa 
80  Klöster  innerhalb  derselben,  sowie  mehrere  größere 
Gebäude  bildeten  wahre  Zitadellen.  Unter  diesen  Um- 
ständen hat  eine  ernstliche  Verteidigung  doch  nicht  viel 
Befremdendes.  Die  Übertreibung,  mit  der  man  in  jener 
Zeit  von  der  Tapferkeit  der  Spanier  sprach,  hatte  ihren 
Grund  in  dem  allgemeinen  Hasse  gegen  die  Franzosen  und 
sah  daher  in  dem  Widerstande  der  Spanier  ein  nach- 
ahmungswürdiges Beispiel. 

Merkwürdig  war  der  Ingrimm  älterer  französischer 
Offiziere  gegen  die  ganze  Art  und  Weise,  wie  man  sich 
hier  schlug.  Als  ich  einst,  ich  glaube  im  Augustinerkloster, 
auf  Wache  war,  brachte  man  einen  Qrenadierhauptmann, 
einen  Monsieur  Hardy,  der  einen  sehr  guten  Ruf  hatte, 
tödlich  verwundet  getragen.  Da  wir  befreundet  miteinander 
waren,  so  trat  ich  an  die  Bahre  heran  und  sagte  ihm,  daß 
ich  hoffe,  bald  wieder  mit  ihm  im  Dienst  zu  sein.  „Ah 
non,  mon  jeune  ami,"  antwortete  er,  „den  est  fait  de  moi  — 
je  sens  dejä  la  mort  dans  mes  entrailles  —  mais  je  suis 
au  de"sespoir  de  me  voir  tue  par  ces  gredins  de  brigands 
—  pourquoi  ne  suis-je  pas  tombe'  ä  Eylau  ou  ä  Friedland, 
en  combattant  avec  des  gens  dignes  de  nous?"  und  flu- 
chend und  wetternd  gegen  die  Naches  und  Carajos  trug 
man  ihn  weiter.  Die  Hand,  die  er  mir  beim  Abschied 
reichte,  war  eiskalt,  und  am  anderen  Tage  schon  ward  die 
Leiche  des  tüchtigen  Mannes  der  Erde  übergeben. 

Das  Regiment  verblieb  bis  zum  6.  März  im  Lager. 
Exerzieren,  Paraden,  Entsendungen  füllten  die  Zeit  reich- 
lich aus.  Doch  blieb  auch  Muße  genug,  die  Punkte  auf- 
zusuchen, wo  wir  beim  Angriff  am  meisten  gelitten  hatten. 
Wohl  drängte  sich  manchem  unter  uns  nun  die  Betrach- 
tung auf,  daß  vieles  hier  und  dort  wohl  anders  hätte  ange- 
fangen und  vollendet  werden  können,  —  aber  so  groß  war 
die  Zucht,  in  der  wir  erzogen  waren,  daß  wir  hierüber 
kaum  laut  zu  urteilen  wagten.  Wenn  ich  jetzt  alles  recht 
erwäge,  so  war  es  sowohl  hier  wie  an  den  meisten  anderen 

21      B*M7:  Span.  Frahtilskimpl.  321 

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Orten  der  gewaltige  Geist  Napoleons,  welcher  alles  trieb 
und  belebte.  Seine  Marschälle,  besonders  aber  seine  Gene- 
rale, Divisions-,  Brigade-  und  Regimentskommandeure 
waren  so  eingeschüchtert,  daß  sie  den  Tod  einer  Abberu- 
fung oder  Rüge  vorzogen.  Freilich  harrten  ihrer  auch 
große  Belohnungen  und  Auszeichnungen,  und  somit  unter- 
nahmen und  wagten  sie  auch  alles,  was  im  Bereiche  der 
Möglichkeit  lag. 

Wie  sehr  aber  den  Kaiser  selbst  die  Belagerung  jener 
Stadt  beschäftigte,  geht  wohl  daraus  hervor,  daß  er  am 
6.  März  1809  an  den  Kommandanten  des  Geniekorps  der 
französischen  Armee  in  Spanien,  General  Lery,  den  Befehl 
erließ,  alles  hierauf  Bezügliche  zusammenzustellen,  um  für 
ähnliche  Fälle  als  Muster  zu  gelten. 


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2.  Kapitel 


Ausmarsch  aus  Zaragoza  mit  der  Brigade  Habert. 
Gefechte  gegen  Perefia.  Besetzung  von  Monzon. 
Rückzug  auf  Barbastro.  Rückmarsch  nach  Zaragoza. 
Schlacht  von  Santa  Maria  (15.  Juni  1809).  Schlacht 
von  Belchite  (18.  Juni  1809).  Verfolgung  des 
Feindes  auf  Alcaniz. 

Am  5.  März  erhielt  ich  für  meine  Person  den  Be- 
fehl, mich  mit  einem  kleinen  Kommando  nach  El  Burgo 
zu  begeben,  einem  Flecken  eine  Meile  von  Zaragoza  auf 
der  Straße  nach  Fuentes  gelegen.  Wenngleich  ich  schon 
voraussetzen  konnte,  daß  es  dort  nicht  viel  zu  tun  geben 
würde,  so  hatte  ich  doch  keine  Idee  von  dem,  was  ich 
wirklich  fand.  Im  ganzen  Ort  war  nur  eine  alte,  halb  blinde 
verrückte  Frau,  die  von  Almosen  der  Soldaten  lebte  — 
sonst  kein  lebendes  Wesen  als  Katzen,  die  man  überall 
umherschleichen  sah.  Die  Häuser  waren  geplündert  und 
entsetzlicher  Schmutz,  welchen  die  Kavallerie,  die  hier 
während  der  Belagerung  gehaust,  zurückgelassen  hatte, 
machte  den  Aufenthalt  noch  unangenehmer.  Glücklicher- 
weise aber  sollte  mein  Exil  nicht  lange  dauern.  Am  6. 
nachmittags  kam  nämlich  ganz  unvermutet  unsere  Brigade 
hier  an,  um  Alcaniz,  gegen  welches  angeblich  bedeutende 
feindliche  Kräfte  in  Anmarsch  sein  sollten,  zu  besetzen, 
und  mir  ward  Befehl,  mich  dem  Regiment  wieder  anzu- 
schließen. In  der  Nähe  des  nicht  unfreundlichen,  der  Zer- 
21*-  323 

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Störung  entgangenen  Fuentes,  auf  dem  einst  die  Qrafen 
dieses  Namens  gehaust,  deren  einer  dem  großen  Conde 
bei  Roeroy  erlegen,  bezogen  wir  das  Biwak.  Am  anderen 
Tage  setzten  wir  unsern  Marsch  über  San  Per  fort  und 
langten  vor  Alcaiiiz  am  Guadalupe,  einem  nicht  unbedeu- 
deutenden,  durch  ein  Kastell  beherrschten  Städtchen  an. 
General  Vattier  hatte  sich  während  der  Belagerung  wieder- 
holt mit  den  Valcncianern  herumgeschlagen,  wobei  dann 
der  Ort  viel  gelitten  hatte.  Zwei  Kompagnien  unseres 
Bataillons,  darunter  die  meinige,  wurden  nach  der  soge- 
nannten Zitadelle  verlegt,  in  deren  hohen  Räumen  Äolus 
sich  mit  allen  Winden  ein  Rendezvous  gegeben  zu  haben 
schien.  Feuer  konnte  man  nur  in  einzelnen  Winkeln  im 
Schloßhofe  machen ;  Licht  anzuzünden,  seihst  wenn  man 
es  gehabt,  wäre  unmöglich  gewesen.  Wir  froren  wie  in 
Sibirien,  denn  das  Holz,  das  wir  geliefert  erhielten,  reichte 
kaum  hin,  die  kärglichen  Rationen  zu  kochen.  Wir  sehnten 
uns  ins  Lager  vor  Zaragoza  zurück  und  hätten  uns  lieber 
mit  dem  Feinde  herumgeschlagen,  als  hier  der  Ruhe  zu 
pflegen. 

Eines  Tages  hatte  mich  die  Kälte  schon  früh  heraus- 
getrieben. Ich  stand  mit  einem  Kameraden  an  der 
Brüstung  einer  Mauer,  und  wir  starrten  schweigend  in 
das  Guadalupetal  herunter.  Da  hörten  wir  auf  einmal 
Trommelschlag  und  sahen  ein  Detachement  von  einigen 
zwanzig  Mann,  durch  einen  Offizier  geführt,  erscheinen, 
das  einen  Spanier,  dem  man  die  Hände  auf  den  Rücken 
gebunden  hatte,  eskortierte.  Etwa  100  Schritte  von  dem 
Fuße  des  Berges,  auf  dem  das  Schloß  lag,  machte  das 
Detachement  Halt  —  der  Spanier  kniete  nieder,  neun  Sol- 
daten stellten  sich  ihm  gegenüber  auf,  und  auf  ein  gegebe- 
nes Zeichen  des  Offiziers  streckten  ihn  die  Schüsse  der 
Leute  nieder,  worauf  das  Detachement  unter  Trommel- 
schlag seinen  Rückweg  wieder  antrat  und  den  Leichnam 
liegen  ließ,  der  erst  in  der  Nacht,  weiß  Oott  von  wem,  ab- 
geholt ward.  Ich  hörte  hinterher,  daß  der  Unglückliche 
erschossen  wurde,  weil  man  ihn  unmontiert,  mit  den  Waf- 
324 

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fen  in  der  Hand,  gefangen  genommen  hatte  und  daß  er, 
wie  man  ihm  die  Augen  verbunden,  noch  mit  einem  Fluch 
gegen  die  Franzosen  „Viva  Fernando  VII!"  gerufen  habe. 
Leider  habe  ich  gar  manche  Hinrichtungen  dieser  Art 
mit  ansehen  müssen,  bin  jedoch  so  glücklich  gewesen,  nie 
eine  zu  kommandieren. 

Nachdem  wir  über  14  Tage  in  unserer  Äolsburg  zu- 
gebracht halten,  erhielt  das  Regiment  Befehl,  im  Verein 
mit  einigen  Kavallerieregimentern  gegen  Morelia  aufzu- 
brechen. Die  Valencianer,  die  von  dorther  in  Anmarsch 
waren,  wichen  jedoch  bei  dem  Herannahen  dieser  Ko- 
lonnen wieder  zurück,  und  man  begnügte  sich,  Monroyo 
und  Val  de  Algorfa,  nachdem  sie  vorher  leider  geplündert 
waren,  zu  besetzen.  Mein  Bataillon  kehrte  nach  Alcaniz 
zurück,  erhielt  jedoch  diesmal  als  Quartier  in  der  Stadt 
ein  finsteres,  feuchtes  Kloster  angewiesen.  Wir  standen 
hier  ebenso  schlecht  wie  im  Biwak.  Vieie  Soldaten  be- 
kamen das  Fieber  —  ich  selbst  hatte  mehrere  Anfälle  zu 
überstehen,  wurde  jedoch  durch  unseren  wackem  Doktor 
Qulicz,  der  ein  wahrer  Freund  seiner  Patienten  war,  bald 
wieder  hergestellt 

Auf  die  Nachricht,  daß  sich  in  den  Gebirgen  an  der 
Cinca  und  dem  Segre  starke  feindliche  Massen  unter  dem 
General  Perefia  gebildet  hätten,  erhielten  wir  in^er  zweiten 
Hälfte  des  April  Befehl,  dahin  aufzubrechen.  Wir  traten 
den  Marsch  beim  besten  Wetter  an  und  fanden  in  Caspe 
am  Ouadalupe  das  3.  Regiment  unserer  Legion.  Von  dort 
ging  es,  nachdem  wir  auf  einer  hölzernen  gebrechlichen 
Brücke  den  Ebro  passiert  hatten,  nach  Penalva,  Fraga, 
Belver  auf  Monzon  an  der  Cinca,  einem  nicht  ganz  unbe- 
deutenden Ort,  der  durch  ein  Kastell  beherrscht  wird.  Die 
Brigade  setzte  am  anderen  Tage  ihren  Marsch  auf  Bar- 
bastro  fort,  zwei  Kompagnien  des  Regiments  aber  unter 
dem  Befehl  des  Kapitäns  Solnicki  blieben  als  Besatzung 
in  Monzon.  Ich,  obwohl  von  einer  anderen  Kompagnie, 
ward  ihm  als  Adjutant  und  Platzmajor  beigegeben.  Mein 
Chef  war  ein  alter  Soldat,  einer  jener  „gens  non  lettres", 
325 

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wie  sie  Napoleon  nannte,  verstand  aber  sein  Metier  vor- 
trefflich. Er  sah  wohl  ein,  daß  ohne  den  Besitz  des  Kastells 
seine  Stellung  sehr  gefährdet  sein  würde,  und  besetzte 
also  nur  dieses,  ließ  die  Stadt  während  des  Tages  durch 
eine  stärkere  Wache  hüten  und  hielt  den  nahen  Olivenwald 
durch  Patrouillen  rein.  Zugleich  ließ  er  sich  Lebensmittel 
auf  zehn  Tage  im  voraus  liefern.  Wir  fanden  im  Kastell 
zehn  bronzene  Kanonen  und  zwei  Mörser,  deren  Lafetten 
aber  zertrümmert  waren.  Das  Pulver  hatten  die  Spanier 
in  die  Zisterne  geworfen,  doch  enthielt  eine  Art  Zeughaus 
eine  Menge  Material.  Die  Kasernen  waren  in  nicht  ganz 
schlechter  Verfassung.  Nachdem  wir  uns  vergewissert  hat- 
ten, daß  nirgends  geladene  Minen  vorhanden  waren,  be- 
zogen wir  unsere  Burg.  Mir  wurden  die  Quartier-  und  Ver- 
pflegungsgeschäfte übertragen  sowie  das  Aussetzen  der 
Wache  bei  Tage  und  die  Patrouillenumgänge  bei  Nacht. 
Der  Alkalde  (Bürgermeister),  ein  Mann  in  den  besten 
Jahren,  war  ein  entschiedener  Gegner  der  Franzosen,  aber 
dabei  verständig,  und  trug  der  Gewalt  der  Umstände  klüg- 
lich Rechnung.  Es  war  daher  auch  leicht,  mit  ihm  fertig 
zu  werden.  Mir  kam  hierbei  ein  kleiner  Umstand  zu  Hilfe, 
der  mich  in  etwas  nähere  Beziehungen  zu  seiner  Familie 
brachte.  Bald  nach  unserem  Einrücken  nämlich  hatte  ich 
gegen  Abend  noch  mit  dem  Alkalden  zu  sprechen  und 
begab  mich  daher  ohne  jede  Begleitung  direkt  in  sein 
Haus.  Ich  fand  in  dessen  Vorhalle  die  ganze  Familie. 
Der  Vater  spielte  die  Gitarre  und  sang  einzelne  Strophen 
aus  Volksliedern,  echt  spanisch  vielleicht,  aber  ziemlich 
schlecht.  Auf  eine  Frage,  ob  ich  auch  musikalisch  sei, 
nahm  ich  die  Oitarre,  die  ich  schon  auf  der  Uni- 
versität gespielt  hatte,  schlug  einige  Akkorde  an,  sang 
dann  ein  kleines  deutsches  Lied  und  fügte  einige  Stanzen 
aus  polnischen  Krakowiaks  hinzu.  Beides  schien  dem 
Papa  und  den  beiden  Töchtern  zu  gefallen,  und  Seüor 
Don  Enrique,  d.  h.  raeine  Wenigkeit,  war  hiermit  völlig 
eingeführt,  konnte  kommen,  wann  er  wollte,  und  war 
jedesmal  willkommen. 
326 

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Die  Verpflegungsg  es  chatte  gingen  hierbei  ihren  guten 
Gang.  Der  alte  Kapitän  hatte  den  Dienst  in  der  Stadt  und 
in  der  nächsten  Umgegend  organisiert.  Bei  Tage  lugten 
vom  Fort  Offiziere  mit  einigen  guten  Fernrohren  in  die 
Umgegend.  Kleine  und  gröbere  Detachements  durchstreif- 
ten den  Olivenwald  zu  verschiedenen  Zeiten  und  unter- 
hielten die  Verbindung  mit  dem  jenseitigen  Ufer,  wo  im 
Fährhause  eine  Kompagnie  sich  militärisch  logiert  und  be- 
festigt hatte.  Nachts  durchstreiften  bald  kleine,  bald 
größere  Patrouillen  die  Stadl,  kamen  an  einem  bestimmten 
Ort  zusammen  und  kehrten  dann  gesammelt  bald  auf 
diesem,  bald  auf  jenem  Wege  zurück  —  mit  einem  Wort, 
mein  alter  Kommandant  bewies,  daß  er  ein  tüchtiger 
Kriegsmann  war.  Der  spanische  General  Pereha,  der  die 
nächste  Umgebung  besetzt  hielt  und  in  Tamarite  stand, 
ward  sogar  einmal  nachts  von  uns  heimgesucht  und  mußte 
uns  den  Ort  überlassen.  Während  eine  Kompagnie  die 
Verbindung  mit  Monzon  unterhielt,  blieb  ich  mit  einem 
Detachement  in  der  Stadt  selbst.  Wir  unterhielten  durch 
Zeichen  allerart  Gemeinschaft  untereinander.  Einzelne  Ge- 
genstände, Olivenblätter,  Streifen  Papiers  hatten  ihre  Be- 
deutung. Bauern  und  Bewohner  der  Stadt  mußten  so 
unsere  Korrespondenz  vermitteln,  ohne  daß  sie  von  der 
Bedeutimg  eine  Ahnung  hatten. 

Doch  war  die  Stellung  zu  gefährlich,  und  wir  mußten 
sie  bald  wieder  verlassen.  Perena  aber  wagte  nicht  ein 
einziges  Mal,  uns  anzugreifen,  obwohl  er,  wie  wir  gewiß 
wußten,  mit  den  Bewohnern  in  stündlichem  Verkehr  stand. 
Auf  Anraten  des  Hauptmanns  Wiganowski,  der  die  eine 
der  im  Fort  stationierten  Kompagnien  befehligte,  machten 
wir  einen  Versuch,  die  im  Fort  gefundenen  Geschützrohre 
wieder  zu  benutzen.  Balken,  Taue,  Bretter  waren  im  Ar- 
senal. Man  nahm  grobe  Klotze,  legte  sie  aufeinander  und 
daraui  die  Rohre.  Nach  einigen  lagen  schauten  den  Be- 
wohnern au«  den  Scharten  die  Kanon  enmundungen  ent- 
gegen. Das  Pulver,  das  man  in  die  Zisterne  geworfen, 
wurde  gesonnt.  Kugeln  und  Granaten  waren  im  Fort,  und 
327 

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so  sicherten  wir  uns  die  Möglichkeit,  wenigstens  einigi 
Schreckschüsse  tun  zu  können. 

Die  Gelegenheit  hierzu  ließ  nicht  lange  auf  sich  war 
ten.  Eines  Tages  gewahrten  wir  auf  der  Straße  von  Tama 
rite  her,  wo  Perena  stand,  einen  Zusammenlauf  von  Men 
sehen.  Wir  richteten  sogleich  einen  24-Pfünder  gegen  jen< 
Gruppe,  feuerten  ihn  ab  —  und  man  denke  sich  unsert 
Freude,  als  wir  die  Kugel  in  der  Nähe  aufschlagen  sahen 
Wir  waren  hierbei  mit  aller  Vorsicht  zu  Werke  gegangen 
Die  Leute  hatten  sich  beim  Abfeuern  zurückziehen  müssen 
und  Hauptmann  Wiganowski  feuerte  selbst  mit  der  ai 
einer  langen  Stange  befestigten  Lunte  ab.  Zwar  brannt< 
das  Pulver  vor  und  zischte,  aber  der  Schuß  erreichte  docl 
das  Ziel.  Die  Klötze  natürlich  und  das  Geschütz  fieler 
beim  Schuß  um,  aber  der  gute  Erfolg,  den  wir  gehabt 
ließ  uns  sogleich  wieder  an  die  Herstellung  unseres  Schieß- 
gerüstes  gehen.  Da  wir  die  Schießscharten  sofort  geblendet 
hatten,  so  konnte  man  natürlich  von  außen  nichts  vor. 
unserm  Tun  und  Treiben  beobachten.  Die  Hilfsartille- 
risten, die  von  Zaragoza  her  verstanden,  mit  Geschüt; 
umzugehen,  leisteten  hierbei  gute  Dienste.  Alle  Welt  be 
teiligte  sich  an  der  Arbeit,  und  der  alte  Kapitänkomman- 
dant selbst,  der  die  Sache  anfangs  als  Kinderei  betrachtet 
hatte,  sah  später  mit  Freuden,  wie  wir  alle  Geschütze  so 
„en  batterie"  brachten.  Wir  unterließen  nicht,  bei  jeder 
Gelegenheit  von  unserem  Geschütz  Oeb rauch  zu  machen, 
und  hörten  hinterher,  daß  die  Spanier  uns  deswegen  auch 
mi  belästigt  gelassen  hatten. 

Eines  Morgens,  als  ich  wie  gewöhnlich  meine  Runde 
durch  die  Stadt  gemacht  und  die  Wachen,  die  wir  des 
Nachts  immer  zurückgezogen,  wieder  ausgesetzt  hatte,  ge- 
wahrte ich  eine  ungewöhnliche  Menschenmenge  vor  des 
Alkalden  Tür.  Da  ich  in  der  Stadt  bekannt  und  eine 
persona  grata  war,  so  trat  ich  ohne  weiteres  unter  die 
Menge.  Aus  der  Art,  wie  man  mir  Platz  machte,  erkannte 
ich  schon,  daß  etwas  Außergewöhnliches  vorgefallen  sein 
müsse.  Die  Haustür  des  Alkalden  stand  offen  —  er  selbst 
323 


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lag  ermordet,  durch  die  Brust  geschossen  an  einem  kleinen 
Fenster,  dessen  Laden  er  zurückgeschlagen  halte.  Die 
Damen  klagten  und  weinten  an  der  Leiche  —  niemand 
wußte,  wer  den  Schuß  getan  hatte.  Es  hatte  jemand  an 
das  Fenster  geklopft  und  des  Alkalden  Namen  gerufen. 
Er  hatte  es  geöffnet  und  war,  von  der  Kugel  getroffen, 
ohne  einen  Laut  von  sich  zu  geben,  tot  zu  Boden  gestürzt. 
Die  Leute  auf  der  Straße  sahen  die  Sache  im  allgemeinen 
gleichgültig  an.  „Man  hat  ihn  für  einen  Afrancesado  ge- 
halten," flüsterten  mir  einige  zu;  andere  meinten,  ein 
Contraband ista,  den  er  unlängst  zur  Rechenschaft  gezogen, 
habe  den  Streich  vollführt;  mit  einem  Wort,  jeder  hatte 
eine  andere  Erklärung.  Ein  Priester,  Verwandter  des  Hau- 
ses, den  ich  auch  sonst  schon  dort  gesehen  hatte,  über- 
nahm die  Leiche  und  die  Sorge  für  die  Familie.  Als  ich 
gegen  Abend  wieder  vorsprach,  war  das  Haus  verschlossen. 

Anfangs  hielt  ich  den  Mord  für  persönliche  Rache,  des 
andern  Tags  jedoch  blieben  unsere  Rationen  aus.  Wir 
schrieben  dies  dem  Tode  des  Alkalden  zu,  und  ich  er- 
hielt den  Befehl,  mich  mit  dem  Sindico  und  Escribano"), 
den  beiden  anderen  Mitgliedern  der  Junta,  zu  verständigen. 
Als  nun  die  Meldung  kam,  sie  wären  verreist,  wußten  wir, 
woran  wir  waren.  Auf  dem  Wochenmarkt,  der  an  diesem 
Tage  stattfinden  sollte,  fehlten  die  Verkäufer,  die  wohl- 
habenden Einwohner  waren  abwesend  —  man  sah  fast 
nur  Frauen  und  Kinder  geringerer  Leute  auf  den  Straßen. 
Als  nun  vollends  am  6.  der  Befehl  einging,  am  7.  das 
Kastell  und  die  Stadt  zu  verlassen,  die  Cinca  zu  überschrei- 
ten und  mit  der  im  Fahrfiause  stationierten  Kompagnie 
vereint  nach  Barbastro  zu  marschieren,  konnten  wir  mit 
Sicherheit  auf  ein  ernstliches  Zusammentreffen  mit  dem 
Gegner  rechnen. 

Dies  sollte  auch  wirklich  stattfinden.  Nachdem  wir 
am  7.  morgens  sehr  vorsichtig  die  Stadt  und  die  Umgegend 
abpatrouilliert  hatten,  wurden  die  Kranken  und  die  Bagage 


")  Syndikus  und  Amtsfchreiber. 

32Q 

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unter  einer  Bedeckung  von  einem  Offizier  und  25  Mani 
abgeschickt  Kaum  hatten  sie  die  letzten  Häuser  der  Slad 
hinter  sich,  als  ein  starkes  feindliches  Detachement  si 
angriff,  einige  Saumtiere  niederschoß,  sich  eines  Teile 
der  Bagage,  darunter  der  meinigen,  bemächtigte  und  da 
Bedeckungskommando  nötigte,  sich  gegen  die  Cinca  zu 
rückzuziehen,  wo  es  eiligst  die  dort  vorhandenen  Fähre: 
zum  Übersetzen  benutzte.  Nachdem  wir  von  unsen 
Kastell  zu  guter  Letzt  nach  allen  Seiten  hin  unsere  Ka 
nonen  abgefeuert  hatten,  rückten  wir  gleichfalls  in  di 
Stadt,  um  uns  von  dort  gegen  den  Fluß  in  Bewegung  z 
setzen.  Schon  bei  den  ersten  Häusern  erhielten  wir  Feuei 
das  uns  bis  zum  Ausgang  der  Stadt  begleitete,  aber  wundei 
barerweise  nur  sehr  geringen  Schaden  tat.  Im  Olivenwal 
war  der  Kampf  heftiger;  wir  warfen  jedoch  den  Feini 
kräftig  zurück  und  konnten  unsern  Marsch  fortsetzen, 
mir  ward  der  Auftrag,  den  Rückzug  gegen  die  Cinca  z 
decken  und  die  Arrieregarde  zu  bilden.  Als  ich  mich  nac 
einiger  Zeit  anschickte,  dem  Gros  zu  folgen,  ward  ich  let 
halt  gedrängt  und  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  gege; 
das  Ufer  geklemmt. 

Hier  jedoch  gab  mir  das  Terrain  Gelegenheit  zu  eine 
energischen  Verteidigung.  So  oft  der  Feind  auch  gegej 
mich  vordrang,  mußte  er  mit  Verlust  zurückweichen,  un 
ich  konnte  zuletzt  meine  Leute  ruhig  und  ohne  Ober 
eilung  einschiffen.  Da  ich  jedoch  der  letzte  sein  wollte,  de 
die  Fähre  bestieg,  so  ließ  ich  sie  erst  abstoßen,  versäumt 
beim  Nachspringen  den  richtigen  Moment,  fiel  hierbei  in 
Wasser  und  mußte  durch  meine  Leute  aus  dem  reißende 
Strom  gerettet  werden.  Vom  jenseitigen  Ufer  hatte  ma 
die  ganze  Geschichte  mit  angesehen  und  überhäufte  mic 
mit  Lobsprüchen.  Als  mich  aber  der  Kapitän  fragte,  warur 
ich  denn  nicht  mit  den  anderen  Soldaten  ordentlich  in  di 
Fähre  gestiegen  sei,  antwortete  ich  etwas  hochmütig,  ic 
hätte  es  wie  Julius  Cäsar  machen  wollen.  Kaum  hart 
ich  dies  gesagt,  so  erhoben  die  Kameraden  ein  schallen 
des  Oelächtcr.  „Wohlan,"  sagte  endlich  einer  derselben 
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„Julius  Casar,  du  wirst  heute  nacht  tüchtig  frie.en  - 
unsere  Bagage  ist  voran;  du  wirst  für  deinen  unnützen 
Heroismus  verdientermaßen  hüften."  Und  er  hatte  recht 
-  die  Nacht  war  halt  und  feucht,  der  Marsch  wurde  oft 
unterbrochen,  um  Berichte  der  Seitenpatrouillen  abzuwar- 
ten, und  so  kam  ich  halb  erstarrt  in  liarbaitro  an,  wo  wir 
die  Garnison  unter  den  Waffen  und  den  ücneral  unsert- 
wegen  sehr  in  Sorge  fanden.  Wir  erhielten  unser  Quartir-r 
in  einem  Kloster  angewiesen,  deren  der  Ort  sieben  neben 
einer  Malteser  Komturei  hatte.  Nachmittags  ließ  mich 
der  Kapitän,  ehemaliger  Kommandant  des  I  orts  Monzon, 
rufen.  „Ich  nahe  den  Befehl  erhalten,"  sprach  er  /u  mir, 
„einen  Bericht  Über  unsern  Zur  zu  machen.  Sie  sind  wohl 
so  gütig  ihn  aufzusetzen  und  mir  vorzulegen,  liier  sind 
Feder,  linte  und  Papier."  Ich  nahm  sofort  Platz,  gab 
eine  kurze  Skizze  des  Freignisses  und  fügte  nur  die  Zahl 
der  Toten  und  Verwundeten  (ich  glaube  14 — 16)  hinzu.  Als 
ich  fertig  war,  mußte  ich  mein  Opus  dem  Kapitän  vor- 
lesen. „Sehr  gut,  lieber  Brandt,"  sagte  er,  „aber  Sie  haben 
einige  wesentliche  Punkte  übergangen,"  und  nun  fing  er 
an,  die  Sache  in  einem  sehr  blühenden,  aber  weniger  guten 
Stil  zu  erzählen,  diktierte  dies  und  das  und  machte  aus 
unserm  Zuge  ein  wahres  Heldenstück.  „Sehen  Sie,"  fügte 
er  mit  einer  Art  Genugtuung  hinzu,  „so  muß  man  einen 
Bericht  machen."  Für  sich  hatte  der  gute  Mann  darin 
den  Weihrauch  nicht  gespart;  von  allen  andern,  die  wahr- 
haft Anerkennung  verdienten,  war  kaum  die  Rede.  „Nun," 
sagte  er  endlich,  „redigieren  Sie  die  Sache  und  schreiben 
Sie  sie  dann  ins  reine."  Nachdem  ich  ihm  seine  Arbeit 
vorgelesen  hatte,  lächelte  er  beifällig,  unterzeichnete  mit 
einiger  Mühe  und  regalierte  mich  mit  einer  Tasse  „Cafe  au 
lait",  den  ich  seit  Pamplona  nicht  mehr  getrunken  hatte. 

Am  andern  Tage  üe8  General  Habert  die  Offiziere 
der  Garnison  von  Monzon  auf  der  Parade  versammeln, 
überschüttete  den  Kommandanten  des  Forts  mit  Lobes- 
erhebungen über  seine  schöne  Führung  und  gratulierte 
uns,  einen  solchen  Chef  gehabt  zu  haben. 

331 

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Am  12.  früh  brachen  wir  über  Lastanosa  nach  Sari 
Rena  auf,  das  wir  am  13.  erreichten.  Wir  biwakiertei 
wie  gewöhnlich.  Die  Spanier  verfolgten  uns  lebhaft,  docl 
mit  großer  Vorsicht.  Die  Menge  von  Teilgefechten,  dii 
sie  uns  stets  an  den  günstigsten  Orten  lieferten,  bewiesen 
daß  sie  das  größere  Engagement  auf  einen  geeigneterer 
Zeitpunkt  verschoben. 

Wir  fanden  im  Orte  ein  Marschbataillon,  das  von  Zara- 
goza hierher  dirigiert  war,  um  den  französischen  Truppen- 
teilen einverleibt  zu  werden.  Die  Leute,  obwohl  neu  be- 
kleidet und  gut  bewaffnet,  machten  dennoch  keinen  guten 
Eindruck.  Wäre  Mina  auf  sie  gestoßen,  er  hätte  sie  ge- 
wiß auseinandergesprengt.  Wir  erfuhren  hier  viel  über 
die  Vorgänge  in  Aragonien  und  Catalonien,  und  diese  Mit- 
teilungen waren  nicht  geeignet,  den  gesunkenen  Mut  der 
Leute  aufzurichten.  Am  14.  dirigierten  wir  uns  auf  Rijena. 
Unterwegs  überraschte  uns  ein  Wolkenbnich.  Pferde, 
Maul-  und  Lasttiere,  selbst  die  Menschen  wurden  umge- 
rissen —  die  kleinen  Bäche  glichen  reißender  Strömen,  und 
nur  auf  erhabenen  Höhen  fand  man  Schutz  —  die  ganze 
Brigade  wirbelte  chaotisch  durcheinander.  Glücklicher- 
weise dauerte  das  tollste  Unwetter  nicht  lange,  obwohl 
es  stundenlang  stark  fortregnete.  Es  bedurfte  längerer 
Zeit,  ehe  sich  alles  wieder  ordnete.  Die  Gebirgsartillerie 
war  für  den  Augenblick  ganz  gefechtsunfähig,  und  der 
fette  Lehmboden  so  aufgeweicht,  daß  man  kaum  vorwärts 
konnte.  Ich  hatte  eine  so  totale  Auflösung  einer  Truppe 
noch  nie  gesehen  und  sollte  Ähnliches  erst  in  Rußland, 
wenngleich  durch  andere  Verhältnisse  bedingt,  wieder  er- 
leben. 

Nach  glücklich  überstandenem  Marsche  fand  beinahe 
die  ganze  Brigade  in  dem  geräumigen  Kloster  von  Sixena 
Quartier  und  gute  Verpflegung.  Nur  Wein  war  wenig  vor- 
handen, obgleich  die  Mönche  der  Abtei  bei  den  Bewohnern 
im  Rufe  standen,  gute  Zecher  gewesen  zu  sein. 

Des  andern  Tages  brach  die  Brigade  früh  gegen  Al- 
colea  an  der  Cinca  auf.  Man  versuchte  hier  den  Fluß  iu 
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passieren,  aber  da  sich  der  Feind  am  andern  Ufer  in 
größerer  Stärke  zeigte  und  emstlich  Miene  machte,  den 
Übergang  zu  verteidigen,  so  unterließ  man  es,  schoß  sich 
nur  eine  lange  Weile  resultatlos  herum  und  biwakierte 
schließlich  im  Angesicht  des  Feindes. 

Am  16.  Mai  setzten  wir  uns  etwas  früher  wie  gewöhn- 
lich, aber  dennoch  erst  gegen  7  Uhr,  auf  Pomar  an  der 
Cinca  in  Bewegung,  wo  sich  zwei  kleine  Fahren,  von  denen 
jede  etwa  eine  gute  halbe  Kompagnie  fassen  konnte,  be- 
fanden. Wir  marschierten  am  Ufer  auf,  und  unter  dem 
Schutze  einiger  Kanonen  begann  man  die  Voltigeure  des 
74.  und  116.  französischen,  des  2.  Weichselregiments  und 
die  Grenadiere  des  116.  Regiments,  zusammen  8  Kom- 
pagnien und  50  Kürassiere,  überzusetzen.  Die  Sache  ging 
rasch  und  gut  vonstatten.  Die  Musketierkompagnie  des 
1.  Bataillons  war  bereits  auf  der  Fähre,  als  wir  einen 
der  Fährleute,  der  zum  General  geeilt  war,  von  diesem 
unter  heftigen  Worten  mit  Fußtritten  überhäuft  sahen. 
Niemand  wußte  sich  dies  zu  erklären,  und  erst  später 
hörten  wir,  daß  der  alte,  in  seinem  Geschäft  routinierte 
Fährmann  den  General  gewarnt  hatte,  nicht  mehr  Truppen 
übersetzen  zu  lassen,  weil  infolge  eines  im  Gebirge  nieder- 
gegangenen Wolkenbruches  binnen  kurzem  das  Wasser 
sehr  steigen  würde.  Diese  Meldung,  die  den  General  außer 
sich  gebracht  hatte,  sollte  sich  nur  zu  bald  bestätigen. 
Das  Wasser  wuchs  urplötzlich  und  stürzte  mit  solcher 
Gewalt  in  das  Flußbett,  daß  man  eilen  mußte,  die  bereits 
eingeschifften  Musketiere  wieder  an  Land  zu  setzen.  Die 
Gewalt  des  Stromes  rollte  große  Steine,  Felsblöcke  und 
Bäume  vor  sich  her,  riß  die  Taue  der  Fähre  wie  Bind- 
faden entzwei  und  überschwemmte  bald  die  beiden  Ufer 
in  dem  Maße,  daß  die  Truppen  dieselben  verlassen  mußten, 
um  sich  auf  den  Talrand  des  Flußbettes  zu  retten.  Dabei 
war  die  Atmosphäre  über  uns  noch  ziemlich  klar,  und 
nur  nach  dem  Gebirge  zu  war  der  Himmel  geschwärzt  und 
mit  leichten  kleinen  Wolken  bezogen. 

Der  General  irrte  am  Ufer  hin  und  her  und  suchte  sich 
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mit  den  bereits  übergesetzten  Truppen  zu  verständigen. 
Aber  das  Wasser  übertoste  seine  gewaltige  Stimme.  Dann 
kam  er  auf  die  Idee,  Granaten,  die  man  entladen  und  mit 
Betehlen  gefüllt  hatte,  hin  überzuschießen.  Aber  auch  dies 
mißglückte.  Endlich  wurden  Freiwillige  aufgefordert,  über 
den  Fluß  zu  schwimmen  und  mündliche  Befehle  zu  über- 
bringen. Aber  mehrere  Mutige  ertranken,  noch'  ehe  sie  die 
Mitte  des  Stromes  erreicht  hatten,  und  nur  einer  kämpfte 
sich  bis  zum  Felsenriff  durch  die  wütenden  Gewisser;  hier 
saß  er  einige  Zeit,  vergebens  bemüht,  sich  durch  Zeichen 
zu  verständigen  —  dann  schienen  ihn  seine  Kräfte  zu  ver- 
lassen und  er  stürzte  in  die  Fluten. 

Die  übergesetzten  Truppen  entschwanden  allmählich 
unseren  Blicken,  und  wir  bezogen,  von  dem  stark  herab- 
strömenden Regen  durchnäßt,  besorgt  und  traurig  auf 
den  Höben  ein  Biwak  und  brachen  am  andern  Tage  gegen 
Monzon  zu  auf.  Dem  Ort  gegenüber  angekommen,  empfin- 
gen uns  Flintenschüsse  vom  andern  Ufer  her.  Ein  lebhaftes 
Feuer  führte  zu  nichts  —  vergebens  warf  man  Granaten, 
die  Spanier  blieben  in  ihrer  Stellung,  wenn  man  auch  aus 
ihrem  Feuer  und  ihrer  Art  des  Kampfes  deutlich  entnehmen 
konnte,  daß  sie  hier  nicht  stark  waren. 

Nachdem  wir  den  ganzen  Tag  nutzlos  vertrödelt  hat- 
ten, ging  es  am  18.  nach  Barbastro  zurück,  wo  wir  ohne 
Widerstand  einrückten.  Am  20.  aber,  als  ich  auf  Feld- 
wache war,  sah  ich  von  einer  Gegend  her,  aus  der  wir 
den  Feind  erwarten  durften,  ein  Detachement  Kavallerie 
langsam  und  mit  Vorsicht  herankommen.  Auf  meine  Mel- 
dung hiervon  saßen  unsere  übriggebliebenen  Kürassiere 
sogleich  auf  und  gingen  dem  vermeintlichen  Feinde  ent- 
gegen. Groß  war  die  Freude  und  Überraschung,  als  sie  in 
ihm  den  Rest  der  am  16.  übergesetzten  Kürassiere  fanden, 
die  wir  bereits  verloren  glaubten.  Durch  sie  erfuhren  wir 
das  Geschick  unserer  Elitekompagnien.  Tausend  derbesfen 
Soldaten  der  Division  waren  eine  Beute  des  Feindes  ge- 
worden, und  ich  darf  wohl  hinzufügen :  weil  weder  der 
kommandierende  Offizier,  uoch  der  General  Habert  selbst 
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Einsicht  genug  besaßen,  die  rechten  Mittel  zur  Rettung 
zu  ergreifen. 

Die  Nähe  Leridas,  dessen  starke  Garnison  die  Mittel 
bot,  schnell  und  unvermutet  mit  überlegenen  Kräften  auf 
dem  Kampfplatz  zu  erscheinen  und  Perena  und  die  un- 
regelmäßigen Truppen  zu  unterstützen,  ließ  es  uns  wün- 
schenswert erscheinen,  jene  beiden  Städte  in  Besitz  zu 
behalten.  Trotzdem  aber  versuchten  wir  auf  das  jenseitige 
Ufer  zu  gelangen,  recht  als  ob  man  das  Bestreben  an  den 
Tag  legen  wollte,  sich  in  die  unangenehmste  Lage  von 
der  Welt  zu  versetzen.  Es  wäre  nichts  natürlicher  gewesen, 
als  direkt  nach  Monzon  zurückzukehren,  sich  hier  der 
Fähre  zu  bemächtigen  und  überzusetzen.  Wäre  dann  wirk- 
lich jene  Wasserflut  gekommen,  so  hätte  dies,  wenn  man 
im  Besitz  des  Forts  und  der  Stadt  gewesen  wäre,  nichts 
zu  sagen  gehabt.  Die  Garnison  von  Lerida,  selbst  im 
Verein  mit  Perefia,  wäre  nicht  stark  genug  gewesen,  der 
ganzen  Brigade,  von  Kavallerie  und  Artillerie  unterstützt,  in 
dieser  guten  Stellung  irgendwie  gefährlich  zu  werden.  So- 
bald sich  dann  das  Wasser  verlaufen,  hätte  man  sich  auch 
Barbastros  wenigstens  durch  Öftere  Besuche  versichert. 
Jene  unglückliche  Katastrophe,  die  man  den  Elementen 
zugeschrieben  hatte  —  „subites  crues,  qui  causent  souvent 
la  fönte  des  neiges  ou  les  grands  orages,  et  qui  ont  rendu 
de  tout  temps  cette  riviire  dangereuse",  sagt  Marschali 
Suchet  in  seinen  Memoiren  —  war  nur  eine  Folge  der 
Unschlüssigkeit  des  Oenerals  und  der  unzulänglichen  Maß- 
nahmen der  Führer.  Hätte  der  Chef  jener  vereinten  Elite- 
kompagnien sich,  sowie  er  das  Kritische  seiner  Lage  er- 
kannte, schnell  nach  Monzon  dirigiert,  sich  des  Kastells 
dort  bemächtigt,  der  wohlhabenden  Stadt  befohlen,  ihm  auf 
6—8  Tage  Lebensmittel  zu  verschaffen,  was  um  so  weniger 
Schwierigkeiten  gehabt  haben  würde,  als  die  Gefahr  erst 
später  offenbar  ward,  hätte  sich  General  Habert  gleichfalls 
schnell  stromaufwärts  begeben,  Monzon  gegenüber  einige 
Bataillone  und  ein  paar  Geschütze  gelassen  und  sich  dann 
in  einem  reichen,  auf  dem  halben  Wege  befindlichen 
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Kloster  mit  dem  Rest  seiner  Truppen  aufgestellt,  so  hätten 
beide  Teile  die  Ereignisse  ruhig  abwarten  können.  Die 
Bewohner  jener  Städte  wurden  in  Abhängigkeit  erhalten, 
die  Umgegend  aber  verhindert,  der  Empörung  zu  offen 
die  Hand  zu  bieten.  So  aber  verlor  General  Habert  seine 
Zeit  ganz  unnütz  durch  ein  langsames  Stromaufwärtsgehen. 
Der  Kommandeur  jener  acht  Kompagnien  aber  kam  sofort, 
als  er  seine  Lage  bemerkte,  auf  die  unglückliche  Idee,  sich 
nach  Frankreich  durchzuschlagen.  Dem  Aufstande  und 
den  Truppen  Perenas  hatte  er  noch  erfolgreichen  Wider- 
stand geleistet;  dem  Detachcmcnt  regelmäßiger  Truppen 
gegenüber,  die  ihm  von  Lerida  entgegenrückten,  war  er 
nicht  gewachsen.  Erschöpfung  und  Mangel  an  Munition 
lieferten  die  braven  Leute  endlich  in  die  Hände  des  Fein- 
des. Sie  haben  einige  Jahre  auf  Cabrera15)  und  später 
auf  englischen  Pontons  in  Gefangenschaft  geschmachtet 
Und  sind  erst  beim  allgemeinen  Frieden  in  Freiheit  ge- 
setzt worden.  Die  Niedergeschlagenheit  über  diesen  Un- 
fall war  allgemein.  Namentlich  litt  der  Oeneral  Habert 
außerordentlich  darunter.  Als  wir  Monzon  gegenüber  la- 
gerten, sah  ich  ihn  unter  einem  alten  Brückengewölbe, 
in  voller  Verzweiflung  die  Hände  ringend,  stehen:  „Oh! 
mes  pauvres  grenadiers!  mes  braves  voltigeurs!"  rief  er 
unter  Tränen  —  aber  was  er  zu  ihrer  Rettung  hätte  tun 
können,  tun  sollen,  fiel  dem  sonst  so  tüchtigen  und  braven 
Manne  nicht  ein,  während  doch  die  meisten  Offiziere 
ebenso  dachten,  wie  ich  es  hier  niedergeschrieben  habe. 

Die  Märsche  von  Barbastro  über  die  Sierra  de  Aku- 
bierre  auf  Villa  Franca  de  Ebro  boten  uns  vielfache  Hinder- 
nisse und  waren  sehr  beschwerlich.  Hier,  glaube  ich,  er- 
fuhren wir  die  Ernennung  des  Generals  Suchet  zum  Be- 
fehlshaber des  3.  Korps.1«)  Als  früherer  Chef  einer  Di- 


")  Vergleiche  den  5.  Bericht 

'«)  Louis  Oabriel  Suchet,  Herzog  von  Albufera,  1772—1826, 
französischer  Marschall,  befehligte  zuerst  das  5.  Korps  und  über- 
nahm dann  im  April  1809  den  Oberbefehl  über  die  Armee  von 
Aragonien. 
33Ö 

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vision  im  5.  Korps  war  er  wenigstens  dem  jüngeren  Teil 
der  Armee  des  3.  Korps  ziemlich  unbekannt  Die  Sache 
ging  darum  auch  ruhig  an  uns  vorüber,  und  ich  entsinne 
mich  noch  sehr  wohl  der  Teilnahmlosigkeit,  mit  welcher 
der  Befehl  angehört  ward.  Die  Hauptleute  und  Bataillon- 
kommandeure unserer  Legion  meinten  zwar,  daß  der  Gene- 
ral ein  tüchtiger  Mann  sei,  der  Courage  habe  —  aber  er 
bliebe  doch  immer  ein  Franzose,  womit  sie  andeuten  woll- 
ten, daß  er  mehr  ein  Herz  lür  jene,  als  für  uns  haben  werde. 

Am  24.  brachen  wir  aus  Villa  Franca  nach  Pina  am 
Ebro  auf.  Unterwegs  jedoch  erhielten  wir  Gegenbefehl  und 
dirigierten  uns  nach  Puebla  de  Alfinden,  also  den  Ebro 
aufwärts,  d.  h.  in  gerade  entgegen  gesetzter  Richtung.  Die 
Eile,  mit  welcher  der  Marsch  betrieben  ward,  ließ  voraus- 
sehen, daß  man  für  Zaragoza  fürchtete.  Die  am  andern 
Tage  fortgesetzte  Bewegung  auf  Villamayor,  das  der 
Hauptstadt  in  nur  geringerer  Entfernung  entgegenliegt, 
bestärkte  diese  Ansicht.  Der  Dienst  ward  mit  großer 
Vorsicht  gehandhabt.  Alles  biwakierte,  ich  möchte  sagen, 
die  Waffen  in  der  Hand.  Am  25.  gingen  wir  über  den 
Gallego,  wo  wir  die  Brücke  besetzten  und  dahinter  ein 
Lager  bezogen,  indes  die  Brigade  Habert  selbst  gegen 
Abend  nach  Monte-Torrero  marschierte.  Zwei  Kom- 
pagnien unter  Solnicki  hielten  die  Brücke  besetzt.  Bei  Tage 
begnügte  man  sich,  die  Wege  zu  beobachten ;  nachts  aber 
war  alles  auf  den  Beinen.  Wir  sahen  auf  den  Höhen  von 
la  Perdiguera  die  feindlichen  Feuer;  unsere  Patrouillen 
stießen  öfters  aufeinander,  und  allnächtlich  wurden  Schüsse 
gewechselt.  Dabei  hatte  die  Landschaft  ein  friedliches 
Aussehen.  Ackerbau  und  Handel  gingen  ihren  Weg,  und 
alle  Tage  passierten  die  Landleutc  mit  ihren  Früchten  die 
Brücke,  um  solche  in  Zaragoza  zu  verkaufen.  Die  Dis- 
ziplin ward  streng  aufrecht  erhalten,  ein  Unteroffizier  eines 
französischen  Regiments,  der  einem  Bauer  auf  der  Land- 
straße einige  Eier  abgenommen,  ward  kriegs rechtlich  ver- 
urteilt. Die  gelieferte  Verpflegung  war  gui,  und  man 
konnte  für  Geld  die  meisten  Luxusbedürfnisse  bekommen. 

22      B-M7:  Span.  FicihclUkampf.  337 

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Gegen  Abend  kehrten  wir  sehr  vergnügt  über  unsere 
Expedition  zurück.  Das  Gefecht,  so  unbedeutend  es  auch 
an  und  für  sich  gewesen  war,  hatte  den  Mut  der  Soldaten 
wunderbar  gehoben.  Wir  verblieben  in  unserer  Stellung 
bis  zum  16. 

Eines  Tages,  als  wir  exerzierten,  kam  der  General 
Suchet  mit  einem  zahlreichen  Stabe  angeritten.  Er  sah 
sehr  aufmerksam  zu,  stieg  dann  vom  Pferde,  besichtigte 
unsere  Waffen  ganz  genau,  ließ  Tornister  aufschnallen, 
sah  Montierungsbücher  durch,  einzelne  Soldaten  mußten 
sogar  die  Röcke  aufknöpfen  und  ihre  Wäsche  zeigen ; 
er  untersuchte  die  Patronen,  das  Schuhzeug,  erkundigte 
sich  genau  nach  der  Verpflegung,  —  mit  einem  Worte, 
er  machte  es,  wie  ein  guter  Kapitän  mit  seiner  Kompagnie. 
Als  er  alles  in  Ordnung  fand,  lobte  er  Soldaten  und  Offi- 
ziere, allerdings  mit  etwas  Emphase,  und  drückte  zuletzt 
dem  Kapitän  Solnicki,  als  einem  „Camarade  qui  meritait 
toute  son  estime"  die  Hand.  Die  Szene  machte  einen  sehr 
guten  Eindruck.  Weder  Moncey,  noch  Lannes,  noch  Junot, 
unter  denen  wir  gestanden,  hatten  sich  so  gründlich  und 
dabei  so  freundlich  mit  uns  beschäftigt  Zwar  hatte  Junot 
ab  und  zu  unsere  Biwaks  besucht,  aber  es  hatte  ihm  nie 
gelingen  wollen,  sich  in  der  Gunst  der  Offiziere  und  Sol- 
daten festzusetzen. 

Am  10.  marschierten  wir  nach  Zaragoza.  Wir  erhielten 
ganz  in  der  Nähe  der  Kirche  del  Pilar  unsere  Stellung  an- 
gewiesen, waren  am  Tage  Immer  unter  dem  Gewehr  und 
brachten  die  Nächte  fast  stets  mit  den  Waffen  in  der 
Hand  zu.  An  einem  Morgen  wurden  wir  Offiziere  nicht 
wenig  überrascht,  als  uns  eine  alte  Frau  Schokolade 
brachte.  Wir  erfuhren,  daß  wir  diese  Aufmerksamkeit 
einem  Domherrn,  der  an  dem  Platze  wohnte,  verdankten. 
Meine  Kameraden  schickten  mich,  nachdem  wir  die  Criada 
—  Dienerin  —  beschenkt  hatten,  auch  dem  Herrn  Geist- 
lichen unsem  Dank  abzustatten.  Der  gute  Mann  empfing 
mich  unglaublich  freundlich,  versicherte,  daß  er  den  Seiior 
General  „en  Chef"  äußerst  lieb  habe  und  daß  er  wahrhaftig 
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bedaure,  daß  er  Zaragoza  verlassen  werde.  Da  wir  voif 
der  Lage  der  Dinge  keine  Ahnung  hatten,  so  wußte  Ich" 
natürlich  nicht,  wie  ich  jene  Äußerung  zu  nehmen  harte. 
Jedenfalls  deuteten  sie  auf  einen  schlimmen  Stand  unserer 
Angelegenheiten.  Meine  Kameraden,  denen  ich  alles  mit- 
teilte, waren  darüber  ebensosehr  betreten  wie  ich",  doch 
kamen  wir  mit  dem  frischen  Mut  der  Jugend  bald  über  alle 
Besorgnisse  hinweg. 

Da  wir  jedoch  den  Befehl  erhielten,  auf  dem  Platze 
abzukochen,  so  sahen  wir  wohl,  daß  irgend  etwas  Unge- 
wöhnliches sich  vorbereitete,  ergingen  uns  in  Kombina- 
tionen allerart  und  wurden  während  derselben  durch  eine 
Einladung  des  Senor  Canonigo  zur  Comida  —  Mahlzeit 
—  überrascht. 

Dergleichen  war  uns  in  Israel  noch  nicht  vorgekom- 
men. Da  wir  uns  nicht  alle  entfernen  konnten,  so  gab  unser 
Kommandeur  dreien  von  uns  Erlaubnis,  die  Mahlzeit  mit 
dem  Geistlichen  teilen  zu  dürfen,  während  er  selbst  mit 
noch  einem  anderen  Offizier  zurückblieb.  Es  war  das 
erstemal,  daß  wir  mit  einem  Spanier  an  einem  Tische 
aßen.  Der  Herr  Canonigo  schien  sich  bereits  auf  den 
Feldetat  gesetzt  zu  haben.  Der  Tisch"  war  mit  einem  eben 
nicht  feinen  Tischtuch  von  Linnen  bedeckt,  das  Oeschirr 
von  ordinärem,  buntem  Ton,  Messer,  Oabel  und  Löffel 
waren  von  Messing,  die  Oiäser  von  gemeinem  Olase. 
Rohrstühle,  ein  Tisch  von  Kiefernholz  und  eine  einfache, 
uralte  Pendeluhr  bildeten  das  bescheidene  Ameublement. 
Den  Möbeln  entsprach  das  Diner  —  die  Puchero,  eine 
einfache  Suppe  mit  vielem  Kraut  und  Speck',  eröffnete  es, 
dann  folgte  die  Schüssel  unvermeidlicher  Bohnen  mit  ge- 
dämpftem Fleisch;  einige  vortreffliche,  aber  in  öl  ge- 
bratene Hühner  und  Picatostes  (in  öl  geröstetes  Brot), 
Kastanien,  Weinbeeren  und  in  Essig  eingemachte  Tomaten 
beschlossen  das  Mahl.  Das  Gespräch  war,  soweit  es  unsere 
Kenntnis  der  spanischen  Sprache  zuließ,  sehr  lebhaft,  denn 
ein  gewisses  Gefühl  des  Wohlseins,  unter  Dach  und  Fach 
zu  sein,  und  der  gute  Wein  hatte  uns  allen  die  Zunge 
22*  339 


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gelöst.  Der  gute  Canonigo  ging  in  seiner  Offenherzigkeit 
sogar  soweit,  uns  sein  Bedauern  auszudrücken,  daß  wir 
dem  unmittelbarsten  Untergänge  entgegengingen,  indem 
der  General  Blake  mit  einem  unzählbaren  Heere  anrücke 
und  uns  ohne  Zweifel  gefangen  nehmen  würde,  da  wir 
schon  jetzt  von  allen  Seiten  umringt  seien.  Letzteres  war 
auch  in  der  Tat  der  Fall,  wenngleich  das  Netz  nicht  schwer 
zu  zerreißen  war,  wie  wir  dies  schon  von  La  Perdiguera 
her  wußten.  Wir  konnten  darauf  natürlich  nur  antworten, 
daß  jedenfalls  eine  Schlacht  über  die  Zukunft  entscheiden 
würde,  was  der  Sefior  Canonigo  jedoch  nicht  glauben 
wollte,  da  der  General  Suchet  ja  kaum  10000  Mann  habe 
und  nicht  wagen  dürfe,  dem  General  Blake  entgegenzu- 

Am  andern  Tage  früh  rückten  wir  nach  Monte-Tor- 
rero,  wo  wir  tüchtig  schanzen  mußten.  Wir  hörten  hier 
ungefähr  das  bestätigt,  was  unser  Canonigo  uns  gesagt 
hatte,  und  daß  wahrscheinlich  eine  Schlacht  über  das 
Schicksal  Zaragozas  entscheiden  würde.  Nachmittags  kam 
der  Adjutant-Major  des  I.  Bataillons,  Rechowicz,  aus  der 
Stadt  zu  uns  geritten  und  erzählte  uns,  daß  der  komman- 
dierende General  mit  der  Reorganisation  der  Voltigeur- 
kompagnien,  die  bei  Monzon  größtenteils  gefangen  genom- 
men waren,  einverstanden  sei,  jedoch  einstweilen  den  Etat 
auf  nur  60  Mann  festgestellt  habe.  Ich  sei  vom  Oberst 
zum  Kommandeur  einer  solchen  Abteilung  bestimmt  wor- 
den —  jedenfalls  eine  große  Auszeichnung  für  mich,  da 
ich  einer  der  jüngsten  Offizicire  des  Regiments  war.  Ich 
wußte  wohl,  daß  ich  dies  besonders  der  Fürsprache  der 
Kapitäne  Ball,  Solnicki  und  Rechowicz  zu  danken  hatte, 
mit  denen  ich  wiederholt  in  dienstlicher  Berührung  gestan- 
den hatte  und  die  sich  lebhaft  für  mich  interessierten. 
Ich  konnte  diesen  Biedermännern,  von  denen  ich  die 
beiden  ersten  leider  auch  habe  in  Spanien  sterben  sehen 
müssen,  nur  durch  Diensteifer  meine  Dankbarkeit  be- 
weisen. 

Von  Monte-Torrero  marschierten  wir  am  14.  nach 

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Santa  Fe,  an  der  Straße  nach  Daroca.  Die  Straßen  Zara- 
gozas, durch  welches  man  uns  den  Weg  nehmen  ließ, 
fanden  wir  öde  und  still.  Die  Fenster  und  Balkontüren 
fanden  wir  überall  verschlossen,  und  nur  hier  und  dort 
lauschte  eine  neugierige  Dona  dem  Schalle  der  Musik 
und  der  Trommeln. 

Den  14.  früh  entspann  sich  ein  lebhaftes  Oefecht  mit 
den  Spaniern,  in  dem  sie  sich  sehr  brav  benahmen.  Nach 
einem  mehrstündigen  Geplänkel,  in  dem  wir  eine  Menge 
Leute  verloren,  mußten  wir  uns  etwas  zurückziehen. 
Abends  verbreitete  sich  das  Gerücht,  daß  einige  unserer 
Truppenteile  bedeutende  Nachteile  erlitten  hätten  und  von 
Zaragoza  zurückgedrängt  worden  wären.  Ich  kann  nicht 
sagen,  daß  diese  Nachricht  besonders  niederschlagend  ge- 
wirkt hätte.  Sei  es,  daß  man  die  gefährliche  Lage,  in  der 
wir  uns  befanden,  nicht  kannte  oder  sie  unterschätzte  — 
man  war  im  Lager  guter  Dinge,  und  nur  das  kalte,  böse 
Wetter,  das  urplötzlich  eingetreten  war,  belästigte  uns. 
Die  Spanier  alarmierten  die  Vorposten  unaufhörlich,  und 
wir  ließen  fast  die  ganze  Nacht  hindurch  das  Gewehr  nicht 
aus  den  Händen.  Schon  früh  am  15.  begann  das  Tirailleur- 
f  euer  wieder.  Die  Spanier  drängten  mit  bedeutender  Über- 
legenheit sehr  lebhaft,  und  allmählich  wurde  das  ganze  Re- 
giment ins  Oefecht  gezogen.  Zuletzt  blieb  nichts  übrig, 
als  einige  Geschütze  unserseits  sich  am  Kampfe  betei- 
ligen zu  lassen.  Einige  Kartätschen  lagen  verschafften  uns 
Ruhe,  und  es  entspann  sich  ein  stehendes  Gefecht,  das 
mehrere  Stunden  dauerte  und  in  dem  viele  Leute  er- 
schossen und  verwundet  wurden.  Ab  und  zu  sprengten 
einige  Kavalleriezüge  gegen  unsere  Tirailleurs  vor,  wurden 
jedoch  jedesmal  zurückgewiesen,  aber  nichtsdestoweniger 
verloren  wir  allmählich  Terrain.  General  Suchet  erschien 
mehrmals  auf  einigen  beherrschenden  Punkten  und  sprach 
freundlich  zu  den  Soldaten,  was  einen  guten  Eindruck 
machte. 

Gegen  Mittag  sprengte  eine  ganze  Schar  der  Dragoner 
von  Numantia,  in  ihren  gelben  Röcken  schon  von  weitem 
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kenntlich, 

gegen  den  Punkt 

vor,  wo  ich  mi- 

nen neu- 

formierter 

.  Voltigeur*  «and. 

lch  hatte  dies  vo 

rher 

gesehen 

und  mich 

auf  eine  kleine  Ki 

ippe  aufrechtste! 

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meine  Leute  gn 

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he: 

an,  kehr- 

uh.r. 

kh  rm.chte  sagen, 
weiter  Versuch  fiel 

vor  unseren  Baj 
nicht  glücklicher 

■ttspitzen 
,  und  ein 

dritter  ward  von  ihnen  schon  in  größerer  Ferne  einge- 
stellt Merkwürdigerweise  hatten  die  beiden  ersten  An- 
griffe den  Reitern  nur  einige  Mann  gekostet;  der  letzte 
aber  ließ  eine  Menge  Pferde  tot  auf  dem  Platze,  und  wir 
sahen  deutlich,  wie  beim  Rückzüge  noch  mehrere  Leute 
von  ihren  Pferden  stürzten  und  liegen  blieben.  Der  General 
Suchet,  der  dies  aus  der  Ferne  beobachtet  hatte,  ließ 
fragen,  wer  hier  kommandiere,  und  ließ  mir  durch  einen 
seiner  Ordonnanzoffiziere,  Kapitän  Desaix,  seinen  Beifall 
„sur  ma  resistance  heroique"  bezeugen.  Unter  stetem 
Herüber-  und  HinübcrgeschidSe,  Anprallen  und  Abwehren 
der  Spanier  zog  sich  der  Vormittag  hin  —  es  ward  12  Uhr. 
Unsere  Patronen  fingen  an,  auf  die  Neige  zu  gehen,  ob- 
wohl wir  sie  durch  die  der  Verwundeten  und  Toten  zu 
ergänzen  suchten.  Dabei  brannte  uns  die  Sonne  heftig 
auf  die  Köpfe,  und  wir  wurden  von  großem  Durste  ge- 
peinigt. ■  '  ;  .  j 
Während  ieli  so  meine  Tirailleurlinie  auf  und  ab 
wanderte,  um  meinen  Leuten  Mut  zuzusprechen,  traf  ich 
auf  den  Offizier,  der  mir  zur  Linken  die  Tirailleurlinie  be- 
fehligte, einen  Leutnant  RatkowskL  „Nimmst  du  vielleicht 
einen  Schluck  aus  meiner  Flasche,  Julius  Cäsar?"  rief 
mir  der  stets  heitere  Freund  zu,  „sie  ist  nur  halb  gefüllt" 
„Mit  Vergnügen,"  erwiderte  ich,  „denn  mir  klebt  die 
Zunge  am  Gaumen."  Indem  er  sich  die  Schnur,  an  der 
die  Flasche  hing,  von  der  Schulter  abmachte,  fuhr  eine 
Kugel  durch  dieselbe.  Ohne  ein  Wort  zu  sagen,  hob  er 
sie  kaltblütig  von  der  Erde  auf  und  sagte:  „Trink  rasch, 
denn  sonst  läuft  der  edle  Saft  aus."  Der  brave,  vortreffliche 
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Mann,  der  bereits  bei  der  ersten  Belagerung  von  Zaragoza 
verwundet  worden  war  und  auch  sonst  Beweise  von  Mut 
gegeben  hatte,  wurde  später  bei  Deckung  eines  Trans- 
ports von  vielfach  überlegenen  Kräften  angegriffen  und 
eines  Teils  seiner  Wagen  beraubt  Der  kommandierende 
General  tadelte  Ratkowskis  Benehmen  in  einem  Tages- 
befehl an  das  Korps.  Seit  dieser  Zeit  verlor  mein  lieber 
Freund  seinen  frohen  Sinn  —  nur  wenn  er  tüchtig  ge- 
trunken hatte,  was  er  früher  nie  getan  hatte,  fand  er  seine 
Heiterkeit  wieder,  aber  innerlich  blieb  er  gebrochen.  Als 
er  an  der  Beresina,  von  einer  Kugel  getroffen,  seinen  Geist 
aushauchte,  sollen  seine  letzten  Worte  gewesen  sein: 
„Schade,  daß  der  Kerl,  der  mir  meine  Ehre  geraubt  hat, 
nicht  Zeuge  unseres  Angriffs  gewesen."  —  Er  war  mir 
ein  lieber  Freund,  und  oft  hat  mich  später  die  Erinnerung 
an  sein  unglückliches  Schicksal  von  einem  verletzenden 
Worte  an  meine  Untergebenen  zurückgehalten. 

Am  Mittag  sahen  wir  von  unseren  Höhen  herab  das 
Vorrücken  der  Angriffskolonnen,  wurden  aber  selbst  durch 
das  erste  Regiment  unserer  Legion  und  das  115.  franzö- 
sische abgelöst,  welche  gleichfalls  sofort  in  Kolonne  vor- 
gingen, um  die  Spanier  anzugreifen.  Wir  bildeten  die 
Reserve.  Es  kam  zu  einem  heftigen  Oefecht  auf  der  ganzen 
Linie,  das  bald  stockte,  bald  siegreich  vorschritt.  Die  Spa- 
nier ergriffen  ab  und  zu  eine  energische  Offensive  und 
warfen  das  115.  Regiment  zurück,  dem  wir  eilend  zur 
Hilfe  rücken  mußten.  Während  eines  gewaltigen  Regen- 
gusses schritt  die  ganze  französische  Armee  zum  Angriffe 
vor.  Ein  schöner  Kavallerieangriff  des  Generals  Vattier, 
von  der  rechtzeitigen  Bewegung  einer  Infanteriekolonne 
unter  Oeneral  Habert  unterstützt,  führte  endlich  eine  Ent- 
scheidung zu  unseren  Gunsten  herbei,  und  die  Spanier 
verließen  das  Schlachtfeld,  auf  dem  sie  etwa  1000  Tote, 
25  Geschütze  und  eine  Menge  Verwundeter  zurückließen. 
Ihr  Rückzug  geschah  in  aller  Ordnung  und  militärischer 
Haltung.  Sie  lagerten  während  der  Nacht  uns  gegenüber 
und  hatten  am  andern  Morgen  noch  die  Höhen  von  Botor- 
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rita  ganz  in  der  Nähe  des  Schlachtfeldes  inne.  Sic  räum- 
ten diese  erst,  als  wir  uns  am  17.  morgens  in  Bewegung 
setzten.  Wir  erreichten  nach  einem  anstrengenden  Marsche 
La  Puebla  de  Aiborton.  Der  Weg  war  an  den  niedrigen 
Stellen  ganz  durchweicht  —  stellenweise  ganz  unwegbar. 
Auf  den  höheren  Punkten  bot  der  nackte  Felsboden  gleich- 
falls viele  Hindernisse.  Das  Bergauf-  und  Bergabsteigen 
erhöhte  noch  die  Schwerigkeiten,  und  wir  kamen,  obwohl 
wir  etwa  nur  5  spanische  Meilen  zurückgelegt,  dennoch 
sehr  ermüdet  im  Biwak  an.  Der  Ort  war  ganz  geplündert, 
Holz  war  nur  in  sehr  geringem  Maße  vorhanden,  und  so- 
mit froren  und  hungerten  wir  nach  dem  Siege  aufs  beste. 
Hätten  wir  nicht  auf  unserem  bei  La  Perdiguera  erbeuteten 
Esel  noch  einige  Reste  besserer  Tage  gehabt,  die  ein  vor- 
trefflicher Diener  sorgsam  bewahrt  hatte,  wir  hätten 
hungrig  die  Nacht  durchwachen  müssen.  Dabei  war  es 
regnerisch  und  kalt.  Ich  entsinne  mich  nicht,  später  in 
Rußland  im  Juni  ein  schlechteres  Biwak  gehabt  zu  haben. 

Alle  Welt  war  froh,  als  am  anderen  Morgen  früh 
das  Signal  zum  Aufbruch  gegeben  wurde.  Wir  langten 
früh  vor  Belchife  an,  das  stark  besetzt  schien.  Sowie  wir 
uns  der  feindlichen  Stellung  näherten,  zogen  sich  die  Trup- 
pen fächerartig  auseinander  und  bewegten  sich  dann  mit 
mehreren  Hauptkolonnen  gegen  die  Stadt  und  deren  Zu- 
gänge. Unsere  Brigade  ward  gegen  den  feindlichen  rech- 
ten Flügel  detachiert.  Mir  ward  der  Auftrag,  zwei  Ge- 
schützen reitender  Iranzösischer  Artillerie  als  Bedeckimg 
zu  dienen.  Diese  gingen  im  starken  Trabe  vor,  so  daß 
ich  kaum  zu  folgen  vermochte.  Sie  protzten  dann  ab 
und  bewarfen  den  Feind,  der  die  Höhen  hinter  der  Stadt 
besetzt  hielt,  mit  Granaten.  Ein  günstiges  Geschick  ließ 
eins  unserer  Geschosse  in  einen  Pulverwagen  fallen,  er 
flog  in  die  Luft  und  führte  zugleich  die  Explosion  mehrerer 
anderer  herbei.  Dieser  Zufall  verbreitete  Schrecken  in 
den  spanischen  Reihen.  Sie  glaubten  sich  im  Rücken  an- 
gegriffen —  alle  Welt  schrie  „Verrat!"  Ganze  Bataillone 
warfen  die  Waffen  fort  und  wandten  sich  zur  Flucht.  Die 
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Unordnung  teilte  sich  bald  allen  Truppen  mit,  und  uns 
blieb  eigentlich  nur  ein  Zugreifen  und  Zusammenraffen  der 
Trophäen  übrig.  Wären  die  Tore  der  Stadt  nicht  ge- 
schlossen und  die  Wiederöfinung  derselben  mit  Schwierig- 
keiten verbunden  gewesen,  so  wäre  wahrscheinlich  die 
ganze  spanische  Armee  gefangen  oder  niedergemacht  wor- 
den. Aber  es  verging  eine  lange  Zeit,  ehe  man  das  enge 
Eingangsgittertor  öffnen  konnte.  Ein  Bataillon,  das  den 
Marktplatz  verteidigte,  mußte  von  den  polnischen  Ulanen 
niedergeritten  werden.  Dann  bot  das  Ausgangstor  Schwie- 
rigkeiten dar.  Endlich  mußte  die  Brücke  über  die  Aguas 
geräumt  und  konnte  dann  nur  in  schmaler  Front  passiert 
werden.  Alles  dies  schaffte  den  Spaniern  Zeit,  sich  aus 
dem  Staube  zu  machen,  was  ihnen  bei  ihrer  angeborenen 
Leichtfüßigkeit  auch  vortrefflich  gelang.  Gefangene  wur- 
den daher  nur  wenige  gemacht,  aber  es  fielen  9  Geschütze, 
einige  20  Patronenwagen  und  sehr  bedeutende  Magazine 
in  die  Hände  der  Sieger. 

Generai  Suchet  hat  in  seinen  Memoiren  von  den  An- 
ordnungen, die  er  getroffen  hatte,  ein  schönes  Bild  ge- 
geben.11) Ich  glaube  jedoch,  daß  meine  Darstellung  treuer 
ist,  und  halte  den  von  ihm  mitgeteilten  Schlachtplan  für 
„apres  coup"  entworfen.  Die  ganze  Sache  dauerte  nicht 
lange  genug,  um  alle  die  Dispositionen,  die  er  angibt, 
treffen  zu  können. 

Über  La  Puebla  und  San  Per  verfolgten  wir  den 
Feind  bis  Alcaniz,  das  wir  am  19.  unter  heftigem  Regen 
erreichten.  Ich  war  durch  die  Detachicrung  zur  Deckung 
der  erwähnten  reitenden  Geschütze  von  meinem  Regi- 
mente  abgekommen  und  stieß  hier  erst  wieder  zu  ihm. 
Am  20.  wurde  mein  Bataillon  nach  Belchife  zurückge- 
schickt, um  hier  die  großen  Magazine  zu  bewachen  und 


'")  Suchet  hinferlii-B  srhr  interessante  und,  vom  ktiügswisscn- 
schaftlichen  Standpunkt  aus  betrachtet,  sehr  nützliche  Memoiren, 
die  bei  ihrer  Veröftenllichung,  1828,  großes  Aufsehen  erregten  und 
in  mehrere  Sprachen  übeisetzt  wurden. 

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den  Transport  nach  Zaragoza  zu  bewirken.  Später  stieß 
auch  das  erste  Bataillon  zu  uns,  und  wir  blieben  hier 
bis  zum  20.  Juli  stehen.  Bereits  vor  uns  waren  französische 
Magazinbeamte  angekommen,  angeblich  um  die  Bestände 
aufzunehmen.  Der  Oberst  des  Regiments,  Kosinowski, 
ein  redlicher  und  verständiger  Mann,  hatte  sich  jedoch 
vorweg  einen  Teil  der  Lebensmittel  für  die  Verpflegung 
sein«  Leute  zugeeignet  und  daraus  ein  Magazin  errichtet, 
aus  dem  die  Soldaten  einen  Zuschuß  zu  ihren  Rationen 
erhielten,  eine  Maßregel,  die  sich  vortrefflich  bewährte. 
Mit  dem  Hauptteil  der  Beute  aber  machten  die  franzö- 
sischen Magaziniers  —  als  wahre  Raubvögel,  wie  sie  die 
Soldaten  nannten  —  „main  basse",  denn  von  den  unend- 
lichen Vorräten  ist  gewiß  nur  der  kleinste  Teil  in  das 
Hauptdepot  nach  Zaragoza  gekommen.  Ich  glaube,  daß 
man  kaum  ein  paar  hundert  Saumtiere  und  halb  so  viele 
Wagen  beladen  und  dahin  befördert  hat,  während  Material 
zur  Befrachtung  von  Tausenden  vorhanden  war.  Den 
größeren  Teil  haben  wahrscheinlich  die  spanischen  Lokal- 
behörden gegen  tüchtige  Bezahlung  wieder  in  Beschlag 
genommen,  und  der  Oeneral  Suchet  hat  wohl  nie  er- 
fahren, welche  Heute  hier  gemacht  und  wie  sie  verschleu- 
dert wurde. 


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3.  Kapitel 

1809.  Ausbrechen  des  allgemeinen  Aufstandes  in 
Aragonien.  Kämpfe  mit  den  Guerillas.  Einnahme 
von  Nuestra  Sefiora  del  Aguila.  Besetzung  von 
Pam'za.  Besetzung  von  Almunia.  Gefechte  bei  El 
Frasno.  Besetzung  von  Calatayud  unter  Genera! 
ChlopickL  Exkursionen  in  die  Sierra  de  Molina. 
Ein  kurzer  Liebestraum.  Abmarsch  nach  der  Ribera 
von  Daroca.  Einnahme  von  Nuestra  Sefiora  del 
Tremedad  am  25.  November. 

Nachdem  wir  etwa  acht  Tage  hier  gestanden,  uns 
vortrefflich  erholt  und  dabei  tüchtig  exerziert  hatten,  er- 
hielten wir  Befehl,  fleißig  die  Gegend  zu  durchstreichen, 
weil  sich  Guerillas  gezeigt  haben  sollten.  So  lange  wir 
uns  hierbei  in  angebautem  Lande  befanden,  ging  es  herr- 
lich, aber  in  den  Sierren,  in  den  wasserleeren  Gegenden 
der  Provinz,  wo  wir  uns  oft  wie  in  Steppen  befanden, 
wo  kein  Grashalm  wuchs,  die  Sonnenglut  den  Boden  aus- 
gedörrt hatte,  kein  Tropfen  Wasser  zu  finden  war,  da 
hatten  wir  viel  auszustehen. 

Nach  der  Schlacht  von  Belchite  nämlich  begann  es 
in  Aragonien  auf  einmal  lebendig  zu  werden.  Überall 
tauchten  Guerillabanden  auf;  wo  wir  nicht  waren,  da 
waren  sie,  —  wo  wir  hinkamen,  da  rückten  sie  aus,  — 
wo  wir  ausrückten,  da  trafen  sie  ein.  Da  ihnen  die  Be- 
wohner, wie  sich  von  selbst  versteht,  günstig  waren,  so 
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hatten  sie  natürlich  alle  Vorteile  für  sich,  und  es  bedurfte 
großer  Anstrengung  und  Aufmerksamkeit  nicht  allein  der 
Chefs,  sondern  auch  jedes  einzelnen  Offiziers,  um  in  den 
Teil  kämpfen,  die  jetzt  entbrannten,  nicht  allein  das 
Leben,  sondern  auch  Ehre  und  Reputation  zu  behalten. 
Nächst  den  Ländern  unter  türkischer  und  griechischer  Bot- 
mäßigkeil und  einigen  österreichischen  Besitzungen  ist  kein 
Land  der  Erde  zum  Parteigängerkrieg  mehr  geeignet  wie 
Spanien. 

Dieser  Krieg  war  recht  eigentlich  der  Schauplatz  der 
Tätigkeit  für  die  Subalternoffiziere,  denen  der  Natur  der 
Dinge  gemäß  der  Korrespondenz-,  Patrouillen-  und  Sicher- 
heitsdienst anheimfiel.  Nur  in  einigen  Gegenden,  wie  in 
Navarra  und  ab  und  zu  in  Katalonien,  nahm  der  Krieg 
einen  anderen  Charakter  an  und  beschäftigte  Regimenter 
und  Brigaden.  Wer  die  Feldzüge  in  Spanien  nicht  mit- 
gemacht hat,  nicht  Teilnehmer  oder  wenigstens  Augen- 
zeuge solcher  Unternehmungen  gewesen  ist,  wird  sich  nie 
einen  rechten  Begriff  davon  machen  können  und  sollte 
sich  nie  ein  Urteil  darüber  erlauben. 

Historische  Rückerinnerungen  aus  den  französischen 
Kriegen  bestärkten  das  Volk  in  seinem  Entschlüsse,  unter 
jeder  Bedingung  die  fremde  Herrschaft  abzuwerfen.  Die 
Art  und  Weise  endlich,  wie  sich  die  Franzosen  in  das 
Land  geschlichen  hatten  und  wie  sie  darin  hausten,  stei- 
gerte dies  Gefühl  zu  einer  Art  Wut,  welche  die  mit  Ge- 
schick geleitete  höchste  Junta  und  die  Provinzialjuntas  zum 
Besten  der  Unabhängigkeit  des  Landes  ausbeuteten. 

Ich  bekam  mein  Quartier  bei  einem  Senor  Don  Jose 
Bemardo,  einem  betagten  Herrn,  angewiesen,  der  die  Tor- 
heit begangen  hatte,  eine  junge,  schöne  Frau  zu  nehmen. 
Er  war  ein  ebenso  entschiedener  Franzosenfeind,  wie  seine 
junge,  allerliebste  Frau  eine  leidenschaftliche  Afrancesada. 
Die  jungen,  munteren  blonden  Offiziere  benagten  ihr 
besser,  als  ihr  finsterer,  griesgrämiger  Mann,  und  die 
Casa  del  Senor  Bemardo  war  stets  ein  gesuchtes  Offi- 
zierquartier. 
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Sehr  bald  nötigten  die  Umstände  uns  jedoch,  auf  dem 
Plateau,  auf  dem  der  größte  Teil  der  spanischen  Armee 
während  der  Schlacht  gestanden  hatte,  ein  Lager  zu  be- 
ziehen, in  welchem  sich  die  beiden  Bataillone  meines  Re- 
giments abwechselten.  Aber  hiermit  war  es  noch  nicht 
abgetan.  Ein  mühsamer  Patrnuillendiensf  in  derUmgegend 
folgte  dem  Lagerdienste,  und  bald  kam  es  zwischen  den 
sich  begegnenden  Parteien  zu  kleinen  Gefechten.  Die  Ver- 
bindung nach  Zaragoza  und  Alcafiiz  mußte  durch  die  Waf- 
fen aufrechterhalten  werden,  und  wir  sahen  uns  täglich 
durch  die  Ouerillas  von  der  Kapelle  Nuestra  Seiiora  del 
Puego,  die  eine  weite  Übersicht  gewährte,  beobachtet.  So 
schleppten  sich  die  Dinge  bis  zum  20.  Juli  hin.  Da  er- 
hielten wir  plötzlich  Befehl,  nach  Fuendetodos  zu  rücken. 
Der  Ort  trug  noch  die  Spuren  von  Unordnungen  an  sieb, 
die  die  französischen  Truppen  während  der  Belagerung 
begangen  hatten.  Die  Bewohner  waren  jedoch  wieder 
zurückgekehrt  und  beteiligten  sich  zahlreich  an  der  Ver- 
sorgung der  Soldaten  mit  dem  Unentbehrlichsten.  Es  hieß, 
daß  man  einen  entscheidenden  Schlag  gegen  ein  Kloster 
im  Gebirge  vorbereitete,  welches  der  Sitz  vieler  Umtriebe 
sei  und  in  dessen  Nähe  sich  ein  Lager  von  3000  Mann  be- 
finden solle.  Am  21.  vereinigten  wir  uns  mit  einer  fran- 
zösischen Kolonne,  die  von  Zaragoza  unter  Anführung 
des  kommandierenden  Generals  selbst  gekommen  war,  und 
traten  dann  den  Marsch  gegen  Nuestra  Senora  del  Aguila 
an.  Das  Kloster  lag  auf  einem  hohen  Berge,  gewährte  eine 
herrliche  Aussicht  und  beherrschte  die  ganze  Umgegend. 
Als  wir  anrückten,  besetzten  die  Spanier  sehr  bald  die 
Höhen,  und  wir  glaubten  einem  harten  Kampfe  entgegen- 
sehen zu  dürfen.  Am  Fuße  der  Stellung  angelangt,  kam 
ein  Adjutant  des  kommandierenden  Generals,  ein  Leut- 
nant Rigny,  derselhe,  der  später  in  Afrika  aut  dem  Rück- 
züge von  Constantine  eine  so  traurige  Berühmtheit  er- 
langen sollte,  und  verlangte  im  Namen  des  Generals  „wie 
compagnie  de  bons  marcheurs".  Ich  ward  ihm  zur  Dispo- 
sition gestellt  und  bemerkte  sehr  bald,  daß  wir  eine  De- 
349 

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monst ratio ii  gegen  des  Feindes  rechte  Flanke  machen 
sollten.  Aber  tiotz  unserer  Eile  und  der  Zufriedenheit,  die 
uns  Monsieur  Rigny  über  unseren  Marsch  äußerte,  kamen 
wir  dennoch  zu  spät.  Die  Spanier  nämlich  verließen  mit 
einer  Art  Übereilung  ihre  Stellung  und  zogen  sich  schnell 
zurück,  ihre  Vorräte  und  die  Vorkehrungen,  die  sie  zur 
Verteidigung  getroffen  hatten,  im  Stich  lassend.  Dem 
Flankendetacliement  fielen  einige  Nachzügler  und  die  Ba- 
gage in  die  Hände,  wobei  ein  Gefecht  stattfand,  das  uns, 
wenn  die  Spanier  gewollt  hätten,  in  die  ernsteste  Verlegen- 
heit hätte  bringen  können. 

Nachdem  das  Kloster  geplündert  war,  ward  es  ange- 
steckt, und  der  Rauch,  der  sich  von  dieser  hohen  Berg- 
kuppe wirbelnd  in  die  Luft  erhob,  zeigte  der  Umgegend  an, 
daß  Senor  Don  Ramon  Gayan,  der  hier  kommandierte, 
gezwungen  war,  das  Sanktuarium,  auf  dessen  Uneinnehm- 
barkeit man  sehr  gebaut  hatte,  zu  verlassen.  Der  kom- 
mandierende General  kehrte  an  demselben  Tage  nach  Zara- 
goza zurück.  Uns  ward  der  Auftrag,  den  geschlagenen 
Feind  zu  verfolgen  und  die  Gegend  zu  beruhigen.  Wir 
gingen  zu  diesem  Behufe  anfangs  nach  Paniza,  jagten 
mehrere  Tage  in  der  Umgegend  dem  flüchtigen  Feinde 
nach,  der  natürlich  nirgends  standhielt,  und  gelangten  am 
27.  nach  Daroca,  den  Spaniern  durch  einen  Sieg  König 
Alfons  1.  über  die  Mauren  (1121)  wert  und  noch  heute 
durch  Reichtum,  Handel  und  Fabriken  eine  der  ersten 
Städte  der  Provinz. 

Wir  kamen  hier  sehr  spät  an.  Niemand  kannte  die 
Gegend.  Unmittelbar  vor  der  Stadt,  von  der  wir  durch 
das  Dunkel  der  Nacht  einige  schwache  Konturen  zu  ent- 
decken glaubten,  machten  wir  Halt,  aber  mit  dem  Gewehr 
in  der  Hand.  Dann  bogen  wir  nach  einem  Berge  ab  und_ 
gelangten  auf  einem  mit  Geröll  übersäten  Wege  in  eine 
Art  von  Tunnel,  in  welchem  uns  bald  eine  ägyptische 
Finsternis  umgab.  Das  muntere  Plaudern  der  Soldaten 
hörte  alfmählich  auf,  je  mehr  wir  uns  in  diesen  Schlund, 
von  dem  eigentlich  niemand  wußte,  was  er  zu  bedeuten 
350 

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hatte,  vertieften.  Er  schien  uns  unglaublich  lang,  beson- 
ders da  wir  nach  einigen  hundert  Schritten  eine  Zeitlang 
Halt  machten.  Man  fing  an,  ungeduldig  zu  werden,  und 
wären  in  diesem  Augenblicke  einige  Schüsse  gefallen,  so 
hätten  die  Spanier  sich  vielleicht  für  die  Tage  von  La  Perdi- 
guera  und  Nucstra  Sefiora  del  Aguila  glänzend  rächen 
können.  Indes  wir  durchzogen  diese  üble  Passage  ohne 
Unfall  und  gelangten  an  den  Jiloca,  über  den  meine 
Kompagnie  geschickt  ward,  um  auf  der  Straße  nach  Molina 
die  Vorposten  zu  bilden.  Der  nächstfolgende  Tag  sollte 
uns  die  nächtliche  Promenade  durch  den  finstern  Tunnel 
erklären.  Daroca  nämlich  liegt  am  Ende  einer  Art  .Mulde 
an  dem  Jiloca.  Alle  atmosphärischen  Niederschläge,  na- 
mentlich die  heftigen  Regengüsse,  hatten  ihren  Weg  durch 
die  Stadt  nach  dem  Flusse  nehmen  müssen. 

Morgens,  den  28.,  ward  ich  abgelöst  und  erhielt  den 
Befehl,  mit  meiner  Kompagnie  das  ebenerwähnte  Schloß 
zu  besetzen.  Doch  ehe  ich  noch  meinen  Posten  bezogen 
hatte,  kam  ein  Adjutant  und  brachte  mir  den  Auftrag, 
zuvor  noch  eine  Rekognoszierung  nach  Molina,  elwa  eine 
gute  Meile  weit,  zu  machen.  Kaum  hatte  ich  jene  Befehle 
erhalten  und  war  eine  Strecke  vom  Lager  entfernt,  als 
wir  plötzlich  jene  Explosion  vernahmen.  Wir  gewahrten 
alsbald,  daß  sich  eine  Rauchsäule  über  jenem  alten 
Schlosse,  das  der  Kompagnie  angewiesen  war,  erhob,  und 
hörten  bei  unserer  Rückkehr,  daß  es  durch  eine  Mine 
teilweise  in  die  Luft  gesprengt  worden  war.  Wer  sie  an- 
gelegt hatte,  war  nicht  zu  ermitteln,  man  wußte  sogar  nicht 
mit  Gewißheit  anzugeben,  welcher  Truppenteil  des  Feindes 
hier  vor  unserm  Anlangen  gestanden  hatte.  Ob  aber  jene 
Explosion  vorbereitet,  ob  ein  dort  verborgen  gewesener 
Pulver-  und  Schießbedarf  durch  Zufall  in  die  Höhe  ge- 
gangen war,  blieb  unaulgeklärt.  Hätten  wir  nicht  einen 
so  langen  Marsch  gehabt  und  wären  wir  beizeiten  ange- 
langt, so  wäre  jene  günstig  gelegene  Lokalität  unbedingt 
besetzt  worden,  und  sehr  wahrscheinlich  hätte  die  Be- 
satzung derselben  einen  unfreiwilligen  Aufstieg  mitgemacht. 

351 

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Am  30.  erhielten  wir  Befehl,  nach  Paniza  aufzubrechen. 
Der  Oberst  Don  Ramon  Gajon,  einer  der  unerschrocken- 
sten und  tätigsten  Guerillaführer,  hatte  in  und  bei  diesem 
Orte  große  Besitzungen.  Der  Oberstleutnant  Bayer  des 
Regiments,  ein  tüchtiger  Offizier,  der  trotz  seines  deutschen 
Namens  kein  Wort  Deutsch  verstand,  erhielt  den  Befehl, 
diese  Gegend,  die  den  Mittelpunkt  der  aufständigen  Bewe- 
gung bildete,  zu  besetzen  und  vom  Feinde  zu  säubern 
—  ein  schweres  und  gewagtes  Unternehmen.  Wir  wurden 
jedoch  vom  Tage  unserer  Ankunft  bis  zum  3.  August 
nachts  vom  Feinde  in  Ruhe  gelassen.  Der  Ort  liegt  zu 
einer  Verteidigung  sehr  ungünstig.  Zwar  bot  das  Städtchen 
Gelegenheit  genug,  ein  ganzes  Regiment  unterzubringen, 
aber  wie  hätte  man  es  wagen  dürfen  sich  einem  tätigen 
Feinde  gegenüber  einzuquartieren?  Es  blieb  daher  nichts 
weiter  übrig,  als  sich  so  gut  wie  möglich  gegen  die  kalten 
Nächte,  die  viele  Krankheiten  hervorriefen,  zu  schützen. 
Wir  lagerten  uns  bald  da,  bald  dort  und  hatten  unglaublich 
anstrengenden  Dienst  Und  doch  gelang  es  den  Spaniern, 
uns  am  3.  August  zu  überfallen  und  in  eine,  wenn  auch 
durch  die  Tapferkeit  der  Truppen  rasch  beseitigte  Ver- 
legenheit zu  bringen.  Der  brave  Oberstleutnant  Bayer, 
der  bei  Zaragoza  Beweise  eines  heroischen  Muts  abgelegt 
hatte,  schien  mir  bei  der  Behauptung  des  Orts  nicht  die 
rechten  Mittel  zu  ergreifen.  Statt  seinen  Anstalten  den 
Charakter  der  Offensive  zu  geben,  d.  h.  sich  auf  der 
Straße,  die  der  Feind  möglich  erweise  zu  einem  Angriff  be- 
nutzen konnte,  zu  dessen  Empfang  aufzustellen,  wechselte 
Bayer  allnächtlich  die  Stellung.  Wir  biwakierten  mehrere 
Nächte  hintereinander  auf  öden  Bergkuppen  ohne  Feuer 
und  kamen  immer  erst  bei  Tage  auf  allerhand  Umwegen 
in  die  Stadt  zurück.  Hier  kochten  wir  dann  ab  und  ließen 
es  uns  im  Palaste  des  Seiiors  Don  Ramon,  wo  die  Offi- 
ziere ihre  Speiseanstalt  eingerichtet  hatten,  vortrefflich 
schmecken. 

Am  6.  verließen  wir  Paniza,  um  nach  Almunia  zu 
marschieren.  DieserOrt  auf  der  Straße  von  Madrid  nach 
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Zaragoza,  im  Tale  des  Jalon  reizend  gelegen,  hat  viel- 
leicht 4—5000  Einwohner.  Wir  wurden  vortrefflich  in 
einem  Kloster  untergebracht,  herrlich  verpflegt,  und  die 
Soldaten  meinten  hier  im  Himmel  zu  sein.  Da  Calatayud 
auf  der  Madrider  Straße  noch  stark  von  feindlichen  Trup- 
pen besetzt  war,  so  kam  es  zu  vielfachen  Oefechten.  Na- 
mentlich waren  die  vom  9.,  10.  und  14.  August  unweit 
der  Venta  von  El  Frasno  wichtig  für  uns,  indem  wir  ge- 
zwungen wurden,  die  günstige  Stellung  dort  aufzugeben 
und  bis  zur  Brücke  über  den  Orio  zurückzuweichen.  Oberst 
Henriot  wurde  mit  einer  Kolonne  von  Zaragoza  zu  unserer 
Unterstützung  abgesandt.  Unter  ihm  ward  am  15.  August 
eine  Expedition  gegen  Calatayud  selbst  unternommen.  Er 
hatte  zu  diesem  Behufe  zwei  Bataillone  des  14.  Regiments, 
ein  Bataillon  gemischter  Truppen,  einige  Geschütze  und 
ein  Detachement  Kürassiere  mitgebracht.  Nach  einem  un- 
bedeutenden Gefecht  auf  dem  Kamm  des  Gebirges,  das  sich 
hinter  der  Venta  von  El  Frasno  erhebt,  kam  es  zu  einem 
ernsteren  Gefecht,  infolgedessen  sich  der  Feind  zurück- 
zog. Wir  folgten  ihm  eilig,  und  ein  Bataillonschef  des 
14.  Regiments  hielt  an  der  Spitze  der  Orenadiere  und 
Voltigeure  seinen  Einzug  in  Calatayud.  Wir  bezogen  viel- 
leicht eine  halbe  Meile  von  der  Stadt  ein  Lager,  hatten 
uns  jedoch  kaum  hier  eingerichtet,  als  ich  zu  Oberst  Hen- 
riot gerufen  ward.  Ich  fand  sechs  Kürassiere  zu  Pferde 
und  ein  lediges  Pferd  an  seinem  Biwakfeuer.  „Monsieur 
l'officier,"  redete  er  mich  ohne  weiteres  an,  „Sie  werden 
das  Kommando  Ihrer  Kompagnie  sofort  an  Ihren  Leut- 
nant abgehen,  dieses  Pferd  besteigen  und  nach  Almunia 
reiten,  wo  Sie  diesen  Brief  dem  Kommandanten  einzuhän- 
digen haben.  In  der  Venta  von  El  Frasno  werden  Sie 
andere  Bedeckung  und  ein  anderes  Pferd  bekommen,  wozu 
hier  der  Befehl.  Verlieren  Sie  keine  Zeit,  kommen  Sie 
bald  zurück,  prenez  garde  de  guerillas."  — 

Ich  gestehe,  daß  mir  der  Auftrag  keineswegs  ange- 
nehm war.  Ich  hatte,  seit  ich  meine  Heimat  verlassen, 
auf  keinem  Pferde  gesessen,  war  des  Reitens  ungewohnt 

23      B»M7:  Spu.  FreUiriUiumpl.  353 

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geworden ;  doch  ging  anfangs  die  Sache  auf  meinem  großen 
Kürassiergaul  ganz  gut.  Mit  einbrechender  Dunkelheit 
trieb  empfindliche  Kälte  zur  Eile.  Es  war  spät  abends, 
als  ich  an  der  besagten  Venta  ankam.  Ein  Trunk  Wein 
und  ein  Stückchen  Brot,  womit  mich  der  Kommandant  des 
Postens,  den  man  hier  gelassen  hatte,  während  des  Wech- 
sdns der  Pferde  und  der  Eskorte  bewirtete,  mundeten 
mir  vortrefflich.  Aber  ich  fühlte  bereits  alle  Rippen  im 
Leibe,  da  mich  mein  Harttraber  unglaublich  zusammen- 
gerüttelt  hatte.  Indes  machte  ich  mich  bald  wieder  auf 
den  Weg.  An  einigen  verdächtig  aussehenden  Kerls  ging 
es  mit  gespanntem  Karabiner  vorüber,  und  schon  glaubte 
ich  nach  einem  tüchtigen  Ritt  am  Ende  unserer  Reise  zu 
sein,  als  ich  zu  meinem  Schrecken  inne  ward,  daß  wir 
uns  verritten  und  eine  gute  Legua  über  Almuni a  hinaus, 
Riola  gegenüber,  angelangt  waren.  Der  Ort  war  wegen 
seiner  schlechten  Gesinnung  verdächtig,  und  wenn  ich 
auch  bis  zur  I  i-  !.  pv.m,;  ermüdet  war,  so  blieb  nichts 
übrig,  als  schleunigst  umzukehren  und  den  rechten  Weg 
aufzusuchen.  Das  „Halte  lal  Qui  vive?"  unserer  Posten, 
das  uns  nach  etwa  einer  Stunde  begrüßte,  klang  mir  wie 
Sphärenmusik  in  die  Ohren.  Aber  es  war  auch  die  höchste 
Zeit,  daß  ich  anlangte.  Die  sieben  Leguas,  die  ich,  des 
Reitens  seit  langer  Zeit  ungewohnt,  auf  dem  schweren 
Pferde  zurückgelegt,  hatten  mich  außerordentlich  ange- 
griffen, so  daß  ich  vom  Pferde  heruntergehoben  und  zum 
Kommandanten,  den  ich  gestiefelt  und  gespornt  auf  einer 
Matratze  inmitten  seiner  Leute  ruhend  fand,  geführt 
werden  mußte.  Der  ganze  Auftrag  lautete  dahin,  6000 
Rationen  für  die  nächsten  Tage  in  Bereitschaft  zu  halten, 
ein  Befehl,  der  bei  den  reichen  Vorräten  des  Ortes,  wenn 
er  auch  einige  Stunden  später  eingetroffen  wäre,  noch 
vollständig  zur  rechten  Zeit  hätte  ausgeführt  werden 
können.  Ich  mußte  mir  sogleich  einen  Arzt  kommen  lassen 
und  mich  einer  vollständigen  ärztlichen  Behandlung  unter- 
werfen, die  mich  mehrere  Tage  von  meiner  Kompagnie 
entfernt  hielt 
354 


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Ich  bekam  in  der  Nähe  eines  Klosters,  in  dem  unser 
Bataillon,  das  am  19.  August  eintraf,  untergebracht  wurde, 
ein  Quartier  angewiesen.  Mein  Wirt  war  ein  reicher, 
vornehmer  Mann,  ein  entschiedener  Gegner  der  Fran- 
zosen, der  mir  durch  einen  Criado  (Diener)  eine  Stube  an- 
weisen ließ  und  unter  dem  Verwände,  er  sei  krank,  jeg- 
liche Gemeinschaft  mit  ihm  unmöglich  machte.  Alle 
Morgen  bekam  er  von  seinen  entfernten  Besitzungen  Mit- 
teilungen, und  ich  konnte  an  dem  Kommen  und  Gehen 
der  Zahl  seiner  Boten  meist  erkennen,  ob  irgend  etwas 
von  Belang  vorgefallen  war.  Abends  versammelten  sich 
bei  ihm  regelmäßig  eine  Menge  jener  finsteren  Gestalten, 
besonders  Priester,  die  unsere  Leute  „die  zahmen  Insur- 
genten" zu  nennen  pflegten  und  worunter  man  alle  ver- 
stand, die,  in  ihre  Mäntel  gehüllt,  die  Hüte  tief  in  die 
Augen  gedrückt,  verächtlich  an  uns  vorübergingen. 

Am  24.  abends  verbreitete  sich  die  Nachricht,  daß  ein 
kleines  Lager  von  einer  Kompagnie  und  15  Kürassieren 
—  vom  14.  Infanterie-  und  13.  Kürassierregiment  —  bei 
derVenta  von  ElFrasno  überlallen  und  gefangen  genom- 
men worden  sei.  Zu  gleicher  Zeit  war  auch  ein  Deta- 
chement,  das  zur  Aufrechterhaltung  der  Verbindungen  mit 
Carinona  abgeschickt  war,  von  der  Puerta  de  St.  Martin 
her  angegriffen  worden.  Ein  starkes  Schießen  bewog  den 
Kommandeur  des  Bataillons,  mich  mit  einer  Kompagnie 
zur  Unterstützung  zurückzuschicken.  Wenngleich  der  Kom- 
mandeur jenes  Detachemcnts,  Leutnant  Krakowski,  im 
vollsten  Sinne  des  Wortes  seine  Schuldigkeit  tat,  so  beugte 
doch  sehr  wahrscheinlich  meine  Ankunft  einer  Katastrophe 
vor.  Er  war  bereits  von  allen  Seiten  umgeben,  als  ich  kam 
und  ihm  Luft  machte.  Die  Puerta  de  St.  Martin  ist  ein 
in  Spanien  berühmter  Ort,  wo  zahllose  Räubereien  verübt 
werden.  Da  sich  bei  di'n  Oiicrillas  rjcu'ülnilich  (.-ine  Menge 

Taugenichtse  und  Vagabunden  befanden,  die  mit  allen 
Schlichen  und  Wegen  vertraut  waren,  so  war  es  gerade 
hier  eine  schwierige  Aufgabe,  sich  ohne  Nachteile  eines 
Auftrages  zu  entledigen.  Mir  ward  bald  nach  der  Rück- 


kehr  der  Befehl,  den  Posten  bei  El  Frasno  zu  beziehen, 
der  unsern  Truppen  zu  wiederholten  Malen  verderblich 
geworden  war. 

Da  die  Qucrillas  sich  täglich  mehrten  und  immer 
kühner  wurden,  so  ward  General  Chlopicki  —  zu  dieser 
Würde  war  er  seit  den  Schlachten  von  Santa  Maria  und 
Belchite  erhoben  worden  —  mit  seinem  Regiment  zur 
Unterstützung  nach  Cariifona  entsandt.  Er  ergriff  sofort 
die  Offensive,  ging  am  29.  nach  Daroca,  während  ein 
Teil  seiner  Kolonne  die  starken  Defilees  von  Retas- 
con  besetzt  hielt  —  und  brach  am  30.  nach  Calatayud 
auf.  Die  verschiedenen  Oberfälle,  die  General  Campa  von 
dieser  Stadt  her  gegen  uns  eingeleitet  hatte  und  die  meist 
gelungen  waren,  hatten  die  Bewohner  der  Gegend  unsere 
Rache  fürchten  lassen.  Wir  fanden  daher  alles  wie  aus- 
gestorben. Nirgends  erblickte  man  einen  Menschen,  auf 
den  Wiesen  sah  man  kein  Tier,  geschweige  denn  eine 
Herde,  die  Häuser  in  den  Dörfern  waren  entweder  ge- 
schlossen, oder  Staudt'!!  \  iV-.i^  juisgeniiniLt  offen. 

Als  wir  von  den  Bergen  zur  schön  gelegenen  Stadt 
herunterstiegen,  gewahrten  wir  einige  dunkle  Oestalten, 
die  allmählich  näherkamen.  Der  General  befand  sich  an 
der  Spitze  der  Voltigeure  bei  der  Avantgarde.  Noch  ehe 
deren  Spitze  jene  Menschen  erreicht  hatten,  nahmen  sie 
die  Hüte  ab  und  schienen  uns  gesenkten  Hauptes  zu  er- 
warten. An  ihre;  Spitze  befanden  sich  einige  Priester 
und  der  Alkalde  Major,  der  an  seinem  silberbeschlagenen 
Stäbchen  kenntlich  war.  „Excellenza,"  redete  er  mich 
an.  —  „Ich  bin  keine  Exzellenz,  bin  nur  ein  Leutnant," 
antwortete  ich  ihm  barsch  und  wies  ihn  durch  ein  „dort 
ist  der  General",  das  ich  mit  einer  Handbewegung  beglei- 
tete, auf  unsern  Führer.  In  ganz  kurzer  Entfernung  von 
der  Stadt  selbst  machte  ich  Halt  und  stellte  mich  wie  zum 
Angriff  auf.  Im  selben  Augenblick  aber  kam  ein  Adjutant 
des  Generals  und  brachte  mir  den  Befehl,  mit  Vorsicht  und 
Ordnung  vorzugehen  und  mich  auf  der  Straße  nach  Ateca 
militärisch  aufzustellen.  Dies  geschah.  Ich  hatte  kaum  die 
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Posten  ausgesetzt,  als  ich  angewiesen  ward,  abzukochen 
und  mich  für  den  iiü'chsfcn  Morgen  wieder  zum  Abmarsch 
bereitzuhalten.  Am  andern  Tag  früh  ward  mir  auch  wirk- 
lich der  Befehl,  mit  meiner  Kompagnie  und  19  Pferden 
aufzubrechen,  um  nach  Almunia  zu  gehen,  den  Befehl  jener 
Stadt  und  der  Umgegend  zu  übernehmen  und  für  die  Auf- 
rechterhaltung der  Ordnung  im  Bezirk  zu  sorgen.  Ich  ge- 
stehe, daß  mir  die  Sache  eigentlich  nicht  angenehm  war. 
Erstens  hatte  ich  noch  kein  größeres  Kommando  selbstän- 
dig geführt,  und  dann  hatte  ich  auch  einsehen  gelernt, 
daß  man  beim  großen  Haufen  immer  besser  daran  sei 
als  in  jenen  kleinen  Löchern,  wo  man  aus  den  Verlegen- 
heiten eigentlich  niemals  herauskommt.  Indes  dem  Befehl 
mußte  gehorcht  werden. 

Kaum  in  Almunia  angelangt,  ward  mir  der  Auftrag, 
eine  Rekognoszierung  nach  Carinona  zu  machen,  dort  zu 
übernachten  und  am  4.  September  in  Daroca  einzutreffen, 
wo  ich  unter  den  Befehl  des  dort  kommandierenden  Offi- 
ziers treten  sollte. 

Da  mir  die  Gegend  und  die  Stellung  von  Retascon 
genau  bekannt  war,  so  besann  ich  mich  keinen  Augenblick, 
ging  dem  Feinde  kühn  auf  den  Leib,  warf  ihn  nach  einem 
kurzen,  aber  lebhaften  Gefecht  in  das  Defilee,  das  von  hier 
nach  Daroca  führt,  zurück  und  setzte  mich  in  der  Kapelle 
am  diesseitigen  Ausgange  derselben  fest.  Die  zwischen 
den  weißen  Stein klippen  zerstreut  liegenden  Häuschen  ließ 
ich  fortwährend  durch  Patrouillen  absuchen.  Mit  der  Ka- 
vallerie ging  ich  gegen  Daroca  vor,  stellte  hier  einige 
Vedetten  auf,  unterstützte  diese  durch  ein  kleines  Detache- 
ment,  daß  ich  einem  tüchtigen  Sergeanten  übergab,  und 
kehrte  dann  nach  meiner  Kapelle  zurück.  Unterdessen 
hatte  ich  die  Alkaldcn  des  Orts,  den  Sefior  Curo  und  Escri- 
vano,  die  auch  im  kleinsten  Flecken  das  Magistratskolle- 
gium —  die  Junta  —  bilden,  zu  mir  berufen.  Ich  erklärte 
den  Herren,  daß  ich  sofort  zweier  zuverlässiger  Boten 
nach  Calatayud  bedürfe,  die  Briefe  dahin  bringen  sollten, 
und  daß  sie  bis  zu  deren  Rückkehr  als  Geiseln  bei  mir 
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verbleiben  müßten.  Dies  schien  ihnen  nicht  recht  zu  ge- 
fallen. Indes  stellten  sie  mir  bald  zwei  Leute,  die  zwar  ver- 
dächtig aussahen,  für  deren  momentane  Treue  mir  aber 
ihre  Obrigkeit  bürgte.  Ich  gab  einem  derselben  einen  Zet- 
tel, worauf  ich  frün/iisiscli  schrieb:  „Bin  soeben  hier  an- 
gekommen und  harre  der  ferneren  Befehle.  Daroca  ist 

noch  vom  Feinde  besetzt.    Rctascon  Stunde  und 

Tag  — ".  Dem  andern  gab  ich  ebensolchen  Zettel,  allein 
in  polnischer  Sprache,  denn  ich  mußte  damit  rechnen,  daß 
sie  vielleicht  Polen  oder  Franzosen  in  die  Hände  fallen 
konnten.  Dabei  erhielten  die  Boten  Instruktion,  eiligst  nach 
Calatayud  zu  gehen,  dort  den  Seiior  Kommandanten  auf- 
zusuchen und  ihm  die  Zettel  zu  übergeben. 

Nachdem  ich  alles  ins  Werk  gesetzt  hatte,  ließ  ich 
abkochen,  befahl  den  Soldaten,  es  sich  bequem  zu  machen 
—  jedoch  mit  der  Weisung,  sich  nicht  fünfzig  Sehritte 
vom  Posten  zu  entfernen.  Zugleich  ließ  ich  mehrere  große 
Gefäße  mit  Wasser  nach  der  Kapelle  schaffen  und  mir 
meine  Rationen  auf  einige  Tage  liefern.  Mit  dem  zweiten 
Offizier  der  Kompagnie,  dem  Leutnant  Krakowski  und 
den  Unteroffizieren  besprach  ich  die  Möglichkeit  eines 
etwaigen  Angriffs  der  Spanier  und  verabredete  mit  ihnen 
die  Verteidigung.  Da  die  Position  sehr  stark  war  und 
die  Mauern  um  die  Kapelle  und  diese  selbst  eine  gute, 
nachhaltige  Verteidigung  möglich  machten,  so  durfte  man 
auf  mehrere  Tage  hin  keiner  Besorgnis  Raum  geben.  Meine 
Zeit  brachte  ich  abwechselnd  bei  meinen  Vorposten  und 
in  der  Kapelle  zu.  Von  ersteren  aus  gewahrte  ich,  wie 
die  Spanier  anfangs  hin  und  herzogen  und  sich  bald  hier, 
bald  dort  aufstellten.  Eine  große  Menge  Volks  umstand 
die  Soldaten  nach  allen  Seiten.  Mir  wollte  es  jedoch  nach 
meiner  Kenntnis  des  Ortes  vorkommen,  als  wenn  sie  sich 
vorzugsweise  auf  der  Straße  nach  Teruel  gruppierten,  was 
entweder  auf  einen  Zuzug  von  dorther  oder  aber  auf 
einen  Rückzug  dahin  schließen  ließ.  Meine  Kürassiere 
mußten  sich  unbeweglich  halten,  die  Voltigeure  sich  aber 
ab  und  zu  hier  und  dort  zeigen.  Gegen  Abend  ließ  ich 
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einen  Teil  der  Kompagnie  bis  an  den  Ausgang1  des  Defi- 
lees  rücken,  hier  Halt  machen  und  sich  verdeckt  aufstellen. 
Die  Spanier  blieben  jedoch  unbeweglich  in  ihrer  Stellung, 
und  es  schien  mir,  als  wenn  sie  gegen  Abend  Verstärkung 
erhielten.  Abends  ließ  ich  den  Ausgang  des  Defilees  nach 
Daroca  hin  durch  Infanterie  besetzen,  versammelte  mein 
ganzes  Detachement  und  ließ  durch  die  Kürassiere  die 
Wege  nach  Carinona  und  Nostra  Santa  del  Aquila  fleißig 
abpatrouillieren.  Zwischen  sieben  und  acht  erschienen 
meine  beiden  Boten  wieder.  Sie  hatten  die  zwölf  Leguas 
in  sechs  Stunden  zurückgelegt  und  brachten  mir  einen 
Zettel,  auf  dem  nur  die  Worte  standen :  „Ich  habe  es  er- 
halten, Mühlberg. 1B)  Calatayud."  Wir  konnten  jetzt  also 
jeder  Besorgnis  bar  und  überzeugt  sein,  daß  sich  das 
Rätsel  in  einigen  Stunden  lösen  würde.  Um  Mitternacht 
langten  auch  wirklich  die  Spitzen  der  Kolonnen  von  Cala- 
tayud an.  Mit  ihnen  kam  der  General  selbst,  der  sehr  un- 
gehalten nach  meiner  Order  fragte.  Als  er  sich  überzeugt 
hatte,  daß  ich  genau  nach  derselben  gehandelt  hatte, 
äußerte  er  sich  mit  Zufriedenheit  über  die  von  mir  getroffe- 
nen Anstalten.  Ich  hörte  hinterher,  daß  ein  Adjutant  den 
Fehler  begangen  hatte,  statt  des  5.  den  4.  zu  schreiben. 
Es  hatte  an  diesem  Tage  eine  Expedition  gegen  die  spa- 
nische Besatzung  von  Daroca  stattfinden  sollen,  bei  der 
mir  die  Rolle  zugedacht  war,  sie  von  einem  Rückzüge  auf 
das  Gebirge  nach  Nuestra  Senora  des  Aquila  abzuschnei- 
den. Ohne  die  günstige  Lage  des  Ortes  würde  es  bei 
einem  entschiedeneren  Benehmen  der  Spanier  für  mich 
vielleicht  schwieriger  gewesen  sein,  so  heiler  Haut  aus 
dem  Handel  zu  kommen. 

Bis  zum  15.  September  blieben  wir  in  Daroca  und 
wurden  durch  stete  Patrouillen  in  die  Umgegend  trotz 
einer  vortrefflichen  Verpflegung  sehr  ermüdet  Die  ein- 


")  Moniberg  ist  der  später,  1831,  bekannt  gewordene  Divi- 
sionsgeneral dieses  Namens.  Er  sprach  trotz  seines  deutschen 
Namens  nur  wenig  Deutsch.  (Anmerkung  des  Verfassers.) 

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zeincn  spanischen  Parteien,  die  das  Land  nach  allen  Ri 
hingen  durchzogen,  unsi-rt-  Requisitionen  hintertnehen  t 
selhsl  gegen  die  Hewohnn  eine  Art  Tern.rismus  übt 
[Irr  bis  /ur  Grausamkeit  ging,  hielten  uns  in  stetem  Au 
I  rbt-n'imtrtel,  Kriegsmaterial  allerart,  selbst  Leute  wurc 
unter  steter  Androhung  des  trschietiens  von  den  Oueri) 
requiriert,  und  hundertmal  wohl  habe  ich  llefehlt  die 
Art  in  Mauden  gehabt-  „Die  jungen  Manner  des  Dort 
die  sich  in  dir  Zeit  vorn  —  bis  —  nicht  Mellen,  werden 
schössen!"  —  Es  kam  fast  täglich  zu  kleinen  Gefecht 
in  denen  wir  viele  Menschen  verloren.  Dadurch  wui 
eine  große  Erbitterung  der  Soldaten  herbeigeführt,  u 
der  Kampf  nahm  den  Charakter  einer  gewissen  Brutali 
an,  die  beiden  Teilen  wenig  zur  Ehre  gereichte. 

In  Daroca  erhielt  unser  Bataillon  ein  Kloster  als  1 
serne  angewiesen;  zugleich  wurde  den  Grenadier-  u 
Voltigeuroffizieren  des  Bataillons  das  Haus  eines  Con; 
jero  real  —  eines  königlichen  Rats  beim  Tribunal  —  zi 
Aufenthalt  und  zur  Speiseanstalt  zugeteilt.  Der  Mann  vi 
alt  und  schwach,  harte  aber  den  Guardian  eines  aufgel 
benen  Klosters,  der  ein  naher  Verwandter  von  ihm  w 
und  eine  junge  Nichte,  die  ebenfalls  Nonne  in  einem  a 
gehobenen  Kloster  gewesen  war  und  die  das  Hauswes 
leitete,  bei  sich.  Beide  trugen  noch  die  Kleidung  ihi 
früheren  Ordens.  Der  Mönch  war  vielleicht  einige  dreifl 
die  Nonne  —  Monjita  —  einige  zwanzig  Jahre  alt  Jen 
hatte  ein  gemessenes,  aber  dabei  doch  gefälliges  Wes 
und  etwas  von  einem  vornehmen  Manne.  Er  betrachtt 
die  Dinge  von  einem  ziemlich  richtigen  Gesichtspunk 
Die  Nonne,  eine  echte  Spanierin  mit  brennenden  Aug 
und  ziemlich  braunem  Teint,  sah  alles,  was  sie  umga 
mit  Neugierde  an.  Das  muntere,  lebendige  Wesen  d 
Offiziere  gefiel  ihr,  und  das  ganze  bewegte  Treiben  schi 
ihr  zuzusagen.  Eines  Morgens,  als  ich  von  einer  anstre 
genden  Nachtpatrouille  zurückkehrte,  bat  mich  der  Mön 
in  sein  Kabinett.  „Ich  höre,  Seiior  Enrique,"  redete 
mich  an,  „daß  Sie  gut  Französisch  schreiben,  da  woll 
360 

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ich  Sie  denn  bitten,  mir  einen  Brief  an  den  Herrn  General 
Suchet  aufzusetzen,  dem  ich  im  Namen  meines  Klosters 
eine  Bitte  vortragen  will."  —  Da  dies  Gesuch  durchaus 
nichts  enthielt,  was  meiner  Pflicht  zuwider  gewesen  wäre, 
so  ließ  ich  mich  denn  natürlich  bereitwilligst  herbei  und 
zimmerte  ihm  bald  nach  seinen  Angaben  eine  Vorstellung 
zurecht,  die  er  als  sehr  gelungen  betrachtete.  Nachdem  wir 
unser  Geschäft  beendet  hatten,  sprachen  wir  noch  über 
dies  und  das,  über  den  „grand  Napoleon",  wie  er  den 
Kaiser  mit  etwas  Affektiertheit  nannte,  über  Sitten  und 
Gebräuche  der  Länder;  zuletzt  über  den  Einfluß  der  Inva- 
sion, besonders  auf  die  Frauen,  auf  die  er  den  Fremd- 
lingen einen  großen  Einfluß  zuschrieb,  wobei  er  hinzu- 
fugte, daß  diese  sich  auch  auf  die  Religiosas")  ausdehnte, 
„wie  denn  auch  die  Monjita  Ihnen,  Serlor  Don  Enrique, 
sehr  wohlwill." 

Sie  erwies  sich  in  der  Tat  als  eine  kleine  leichtsinnige 
Person,  die  sich  in  vielfache  Liebeshändel  mit  den  Offi- 
zieren, die  kamen  und  gingen,  einließ. 

Am  15.  brachen  wir  zu  einer  Expedition  nach  Molina 
auf.  Unser  Regiment  jedoch  blieb  bei  Gallocanta  in  Po- 
sition, während  General  Chlopicki  bis  Molina  vordrang, 
eine  Menge  Waffen  wegnahm  und  sogleich  die  Waffen- 
fabriken zerstörte.  In  einer  Entfernung  von  einer  halben 
Legua  von  Gallocanta  erheben  sieh  Gebirge  von  bedeu- 
tender Höhe.  Sie  waren  seit  unserer  Ankunft  die  Zu- 
fluchtsstätte der  Bewohner  und  der  Zersprengten  ge- 
worden, die  nicht  unterließen,  die  Vorteile  ihrer  Stellung 
geltend  zu  machen.  Schon  nachmittags  gewahrten  wir 
Bewaffnete  in  den  Gebirgen  nach  Molina  zu,  und  uns 
ward  alsbald  der  Befehl,  einen  Streifzug  nach  La  Yunta, 
dem  angeblichen  Hauptschauplatz  der  Insurrektion,  zu 
machen.  Der  Weg  dahin  war  sehr  beschwerlich,  aber  wir 
fanden  den  Ort  verlassen  und  nur  den  einen  Bürger- 
meister anwesend,  der  uns  mit  der  gewöhnlichen  Redens- 


lä)  Nonnen. 


361 

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art  entgegenkam,  daß  einige  Schlechtgesinnte  sich  im  D> 
festgesetzt  und  den  Ort  kompromittiert  hätten.  Die  an 
Bewohner  wären  aus  Furcht  entflohen,  aber  man  sei  bc 
alles  für  die  braven  Truppen  des  großen  Napoleon  zu 
Nachdem  wir  die  Gegend  durchstreift  und  einige  Schi 
mit  den  Dispersus  —  den  isolierten  und  zerstreuten 
daten,  die  absichtlich  zurückgelassen  worden,  oder 
andern  Gründen  zurückgeblieben  waren  —  gewecr, 
hatten,  kehrten  wir  zurück. 

Während  unserer  Abwesenheit  hatten  einige  Kü 
siere,  die  man  im  Verein  mit  einem  Inf  ante  riedetachen 
zurückgelassen  hatten,  mehrere  Häuser  geplündert. 
Kommandeur  des  Regiments  lieB  sofort  nach  Rückl 
desselben  in  Molina  ein  Verfahren  gegen  den  Hauptsc 
digen  einleiten^  die  Kriegsartikel  verurteilten  ihn  o 
Frage  zum  Tode.  Ich  weiß  nicht,  welche  Prozedur 
Oberst  eingeschlagen  hat,  aher  abends  erzählte  man 
Biwak,  der  Soldat  sei  zum  Erschießen  verurteilt  und 
den  hierzu  bestimmten  Platz  geführt  worden.  Man  h 
ihm  den  Spruch  des  Gerichts  vorgelesen,  ihm  die  Au 
verbunden,  ihn  niederknien  und  dann  auf  ihn  feuern  las: 
Die  Gewehre  aber  seien  nur  mit  losem  Pulver  gela 
gewesen;  nichtsdestoweniger  sei  der  Soldat  entseelt 
gesunken.  Der  Oberst  des  Regiments,  der  zugegen 
wesen,  soll  mit  großer  Ruhe  nur  geäußert  haben :  „C 
ment,  le  gueux  est  mort!  —  tant  mieux!  il  a  deshor 
son  regiment  par  son  pillage  et  il  le  deshonore  en< 
davantage  par  sa  mort  —  n'est-ce  pas,  cuirassiers  ?"  1 
ein  einstimmiges  „Oui,  colonel!"  soll  die  Antwort 

Am  IQ.  September  rückte  ein  Teil  der  Brigade  i 
hohe  Berge  auf  meistens  abscheulichen  Wegen  nach  C 
mocha,  einem  wohlhabenden  Orte  im  Jilocatal  mit  : 
Franziskanerklöstern.  Ich  entsinne  mich  nicht,  je  besch' 
lichcre  Märsche  zurückgelegt  zu  haben.  Meist  ging 
Weg  auf  Fußsteigen  bergauf  bergab,  die  es  namen 
der  Kavallerie  fast  unmöglich  machten,  zu  folgen.  Zahl 
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Hufeisen  gingen  verloren,  und  obwohl  die  Reiter  die  Pferde 
oft  führten,  wurden  dennoch  viele  der  letzteren  gedrückt 
Große  Schwierigkeiten  verursachte  die  Artillerie,  und  oft 
mußte  die  Infanterie  die  Geschütze  eine  Zeitlang  schleppen. 
Aber  der  Marsch  ging  dennoch  ohne  sonderlichen  Aufent- 
halt ziemlich  rasch  vonstatten.  Hier  und  dort  fanden  mit 
einigen  Spaniern  leichte  Scharmützel  statt,  die,  obgleich 
ganz  unbedeutend,  doch  Verwundete  gaben.  Man  rückte 
abends  in  Calaraocha  ein,  und  wir  wurden  hier  sehr  gut 
verpflegt  Ich  sah  hier  eine  große  Menge  mit  Gewalt  zu- 
sammengetriebener Schafe,  die  nach  Zaragoza  gebracht 
werden  sollten.  Ehe  diese  Herden  jedoch  an  ihrem  Be- 
stimmungsort angelangt  waren,  waren  sie  mehr  als  dezi- 
miert Die  sie  begleitenden  Beamten  verkauften  davon 
unterwegs;  die  Soldaten  glaubten  sich  berechtigt,  für  ihre 
Mühe  gleichfalls  das  ihrige  zu  fordern,  brieten  und  koch- 
ten, soviel  sie  nur  essen  konnten,  und  verhandelten  fleißig 
an  die  Marketender.  Viele  Tiere  fielen  wohl  auch  unter- 
wegs, indem  man  sie  ohne  alle  Rücksicht  weiden  und 
tränken  ließ.  Die  große  Rubrik  „creve  en  route"  (unter- 
wegs verendet)  nivellierte  die  Spitzbübereien  und  Zufällig- 
keiten, während  durch  die  brutale  Wegnahme  jener  Herden 
gewiß  der  Wohlstand  vieler  Familien  untergraben  wurde. 

Am  30.  stieß  der  Rest  der  Brigade,  der  noch  einen 
Tag  länger  im  Gebirge  verweilt  hatte,  wieder  zu  uns, 
und  vereint  kehrten  wir  über  Daroea  nach  Calatayud,  wo 
wir  am  23.  eintrafen,  zurück.  Wir  waren  jedoch  kaum  an- 
gekommen, hatten  abgekocht  und  uns  einigermaßen  ein- 
gerichtet, als  der  Befehl  eintraf,  am  anderen  Tage  zu 
früher  Stunde  im  erstgenannten  Ort  zu  sein.  Der  Ab- 
marsch ward  so  übereilt  betrieben,  daß  der  Regiments- 
und ein  Bataillons arzt,  die  in  ihren  Quartieren  infolge 
großer  Ermüdung  eingeschlafen  waren  und  die  Marsch- 
signale überhört  hatten,  zurückblieben.  Wir  waren  be- 
reits eine  Legua  von  der  Stadt,  als  man  dessen  inneward. 
Ein  Detachement  zurückzuschicken,  wäre  bei  der  Nähe 
feindlicher  Truppen  gefährlich  gewesen ;  mit  der  ganzen 
363 

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Macht  mochte  man  nicht  umkehren.  Es  blieb  uns  daher 
nur  übrig,  der  Junta  zu  schreiben  und  sie  und  die  Stadt 
dafür  verantwortlich  zu  machen,  daß  die  beiden  Indivi- 
duen den  nächsten  Tag  nach  Daroca  gestellt  werden 
sollten.  Der  Brief  ward  der  Behörde  von  Paracuelles  de 
Jiloca  Überwiesen  und  diese  für  dessen  richtige  Besorgung 
verantwortlich  gemacht 

Einstweilen  waren  jedoch  die  spanischen  Truppen 
wieder  in  Calatayud  eingerückt  und  hatten  sich  alsbald 
der  Herren  Medicos  bemächtigt.  Als  nun  das  Schreiben 
unserer  Behörde  anlangte,  erhob  sich  ein  Zwiespalt  zwi- 
schen Militär  und  Zivil,  der  mehrere  Tage  lang  währte, 
bis  endlich  der  spanische  Befehlshaber  sich  zum  Nachgeben 
entschloß.  Die  beiden  Herren  langten  demnach  in  Daroca 
„sain  et  sauf"  mit  allen  Bagagen  an,  wurden  von  den 
Offizieren  recht  freundlich,  desto  unfreundlicher  aber  vom 
General  empfangen,  der  sie,  wenn  ich  mich  recht  erinnere, 
einige  Tage  einsperrte  und,  um  ähnlichen  Umständen  künf- 
tig vorzubeugen,  einen  sehr  pikanten  Parolebefehi  erlieft. 

Am  24.  waren  wir  zur  bestimmten  Zeit  in  Daroca. 
Wir  fanden  hier  alles  in  Bewegung,  und  schon  am  25. 
früh  marschierten  wir  nach  Calamocha.  Die  valencianische 
Armee  hatte  sich  Teruels  bemächtigt  und  von  hier  aus 
starke  Detachements  gegen  uns  vorgeschoben.  Es  gab 
fast  täglich  kleine  Renkontres  mit  den  Guerillas,  welche 
die  spanische  Armee  teils  freiwillig  begleiteten,  teils  ihr 
aus  dem  cata Ionischen  und  Valencia nischen  Aufgebot  bei- 
gegeben waren.  Die  Voltigeurs  der  Brigade,  vereint  unter 
Oberstleutnant  Bayer,  bildeten  die  Avantgarde.  Wir  wur- 
den hier  mehr  wie  je  durch  Anstrengungen  angegriffen. 
Dabei  war  das  Lager,  obwohl  in  einem  Olivenwalde  auf- 
geschlagen, ungemein  kalt.  Man  hatte  es,  durch  die  Ver- 
hältnisse dazu  bestimmt,  zu  nahe  an  den  Jiloca  gelegt  und 
war  dadurch  auf  einen  Wiesengrund  geraten,  dessen  Aus- 
dünstungen uns,  wenn  wir  länger  hier  verweilt  hätten, 
gewiß  sehr  schädlich  geworden  sein  würden.  Den  29. 
brachen  wir  wieder  nach  Daroca  auf.  Ich  weiß  nicht,  was 
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die  Veranlassungen  dazu  gewesen  sein  mögen,  aber  wir 
bewegten  uns  fortan  in  den  unzugänglichsten  Gegenden 
der  aragonischen  Gebirge. 

Die  Niederhaltung  des  Aufstandes  und  die  Abwehr 
der  von  Valencia  über  Teruel  und  aus  Castilien  über 
Molina  und  Calatayud  heranziehenden  und  ohne  Aufhören 
heranprallenden  Truppen  beschäftigte  unsere  Division  (Le- 
val)  bald  in  höherem,  bald  in  geringerem  Maße  in  dem 
schon  angegebenen  Terrain.  Mehrere  Monate  hindurch 
hatten  wir  unsere  Aufstellungen  bald  auf  der  einen,  bald 
auf  der  anderen  der  angegebenen  Straßen.  Wir  zerspreng- 
ten einzelne  Aufstände,  schützten  die  Einwohner  gegen 
die  Gewalttätigkeiten  ihrer  Landsleute,  requirierten  und 
geleiteten  Lebensmittel  nach  Zaragoza,  entwaffneten  ein- 
zelne Gegenden  und  säuberten  das  Land  von  allen  Un- 
ruhestiftern. Die  strenge  Mannszucht,  die  wir  hielten,  gab 
den  Bewohnern  bald  Vertrauen  zu  uns,  und  die  ange- 
messene Verwaltung,  die  der  General  in  den  von  der 
Armee  besetzten  Oegenden  einführte,  machte  die  großen 
Kräfte  des  Landes  allmählich  disponibel  und  führte  die 
Möglichkeit  herbei,   größere  Unternehmungen  vorzube- 

Calatayud  bildete  einen  der  hauptsächlichsten  Stütz- 
punkte unserer  Bewegungen  und  ward  nicht  ohne  mannig- 
fache Kämpfe  behauptet  Auch  erforderte  die  Aufrecht- 
erhaltung der  Gemeinschaft  mit  Daroca,  Ajmuna  und  Cari- 
Bona  vielfache  Anstrengungen.  Für  die  Voltigeurkom- 
pagnien  trat  hier  insofern  eine  kurze  Erholung  ein,  als 
sie  nicht  im  Biwak  zu  stehen  brauchten,  sondern  ein  Kloster 
angewiesen  erhielten,  um  sich  dort  einigermaßen  erholen 
und  ihre  Sachen  und  ihr  Schuhwerk  ausbessern  zu 
können.  Wohlverstanden  mußten  sie  dabei  jeden  Augen- 
blick zum  Marsch  in  Bereitschaft  sein.  Mir  ward  zum 
Aufenthalt  des  Tages  (denn  nachts  mußten  wir  bei  den 
Truppen  sein)  ein  Haus  neben  einer  Zuckerbäckerei  ange- 
wiesen. Gewöhnlich  pflegte  ich  schon  frühmorgens  eine 
Tasse  Schokolade,  die  eine  alte  Botiguera,  eine  Art  Laden  - 
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mamscll,  bereitete,  in  der  Konditorei  zu  trinken.  Eines 
Tages  kam  ich  etwas  früher  als  sonst  und  fand  eine  junge, 
bildschöne  Nonne,  die  ihr  Kloster  hatte  verlassen  müssen 
und  noch  im  Ordenskleide  war,  im  Laden.  Sie  entfernte 
sich  sogleich,  aber  die  Erscheinung  war  zu  interessant,  um 
nicht  sofort  über  sie  die  genauesten  Erkundigungen  ein- 
zuziehen. Da  erfuhr  ich  denn,  daß  sie  eine  Madrilena  — 
aus  Madrid  —  und  der  Hausherr,  ein  bärtiger,  struppiger 
und  unfreundlicher  Kerl,  ihr  Onkel  (Tio)  sei,  eine  Be- 
nennung, unter  der  man  in  Spanien  auch  jeden  weitläufigen 
Verwandten  zu  verstehen  pflegt  „Das  arme  Kind,"  er- 
zählte die  Botiguera  weiter,  „ist  die  Tochter  nicht  ganz 
unbemittelter  Leute,  die  sich  vor  den  Herren  Franzosen 
hierher  geflüchtet,  und  nun  haben  wir  diese  Herren  auch 
hier.  Doch  da  ist  nichts  zu  machen,  Gott  will  es  so. 
Sie  hat  gewünscht  beim  Tio  zu  leben,  dem  dies  eigentlich 
nicht  angenehm  ist;  aber  so  sind  die  Menschen  —  sie 
machen  sich  unglücklich,  indem  sie  das  wünschen,  was 
ihnen  nicht  nötig  ist."  —  Nach  einigen  Fragen  kaufte 
ich  einige  „Dukes"10)  und  bat  die  Alte,  diese  der  rei- 
zenden Monjita5')  zu  übergeben,  weil  sie  dergleichen  ge- 
wiß liebe.  Daß  ich  dabei  die  Überbringerin  nicht  ver- 
gaß, versteht  sich  von  selbst.  Diese  machte  zwar  anfangs 
einige  Umstände,  endlich  aber  gab  sie  nach,  indem  sie 
mir  das  Sprichwort  zurief:  „Sefior  dadiva  branta  prena, 
y  entra  sin  barrena".")  —  Als  ich  andern  Tags  erfuhr, 
daß  meine  kleine  bekannte  Unbekannte  meine  Dulces  nicht 
ausgeschlagen  hatte,  wiederholte  ich  mein  Präsent  und 
fügte  zugleich  hinzu,  daß  ich  mich  glücklich  schätzen 
würde,  der  liebenswürdigen  Schönen  dergleichen  selbst 
überreichen  zu  dürfen. 

Eine  kleine  Expedition  nach  Atcca  unterbrach  diesen 
Verkehr  auf  einige  Tage,  der  aber  sofort  nach  unserer 

»)  Dulces  =  SüBigkeiten. 

")  Monjita  oder  Monja  =  Nonne. 

")  Spanisches  Sprichwort,  soviel  als:  Mit  Geschenken  kommt 
iiKiri  Lil^iall  durrh. 

366 

I 

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Rückkehr  wieder  angeknüpft  ward.  Meine  Alte  sagte  mir, 
daß  die  Herren  Franzosen  mit  Ungeduld  erwartet  worden 
wären,  und  vertraute  mir  zugleich,  daG  die  Monjita  von 
einem  Gitterfenster  her  fleißig  nach  dem  Appellplatz,  der 
fast  vor  dem  Hause  lag,  hin  üb  ergesehen  härte.  Somit 
also  war,  ohne  daß  wir  uns  gesprochen  hatten,  eine  Be- 
kanntschaft angeknüpft.  Ich  schickte  wieder  meine  kleine 
Gabe  und  bat  um  die  Erlaubnis,  sie  später  einmal  per- 
sönlich überreichen  zu  dürfen.  Nach  der  Rückkehr  von 
einer  weiten,  mehrtägigen  Expedition  erfuhr  ich,  daß  der 
Tio  auf  kurze  Zeit  verreist  sei;  als  ich  nui\  die  Bitte, 
meiner  unbekannten  Schönen  einige  Dulces  persönlich 
überreichen  zu  dürfen,  wiederholte  und  diesen  Antrag 
zugleich  mit  einem  kleinen  Geschenk  an  die  Ladendienerin, 
welche  die  Stelle  einer  Duena  zu  vertreten  schien,  beglei- 
tete, ward  ich  tags  darauf  durch  die  angenehme  Nach- 
richt überrascht,  daß  Sefiora  Ines  eingewilligt  habe,  diesen 
Abend  der  „Attencion  del  Senor  Cabellero"  entgegenzu- 
sehen. Wäre  der  Tio  zu  Hause  gewesen,  so  würde  ich 
Anstand  genommen  haben,  zu  dem  Stelldichein  zu  kommen, 
so  aber  konnte  ich  den  Abend  kaum  erwarten  und  hatte 
nur  die  Furcht,  durch  irgend  ein  Kommando,  eine  Pa- 
trouille oder  dergleichen  davon  abgehalten  zu  werden. 
Glücklicherweise  war  dies  nicht  der  Fall;  ich  veranlaßte 
meinen  Freund  Krakowski,  mich  auf  einige  Stunden  zu 
vertreten,  schlich  dann,  mit  Dolch  und  Doppelterzerol  be- 
waffnet, bei  der  Wache  vorüber  nach  der  Konditorei,  wo 
ich  die  Tür  nur  leicht  angeleimt  fand,  und  wurde  von 
meiner  Vertrauten  empfangen.  Unmittelbar  nach  meinem 
Eintritt  hörte  ich  den  Türriegel  vorsichtig  vorschieben  und 
wurde  dann  von  der  Alten  durch  einen  langen  Oang  ge- 
führt, von  dessen  Ende  her  mir  ein  schwaches  Licht  ent- 
gegenschimmerte. Es  war  die  Lampe  der  Duena,  die  sie 
hier  zurückgelassen.  „Folgen  Sie  nur,  Senor,"  rief  sie 
mir  zu,  „wir  sind  bereits  am  Ziel,"  und  unmittelbar  darauf 
öffnete  sie  ein  kleines  dunkles,  feuchtes  Gemach,  in  dem 
ich  den  Gegenstand  meiner  Sehnsucht  treffen  sollte.  Arme 
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Tagelöhner  dürften  bei  uns  kaum  schlechter  wohnen.  Die 
Einrichtung  entsprach  vollkommen  dem  elenden  Aufent- 
halte: ein  Tisch,  zwei  Stühle,  eine  blecherne  Lampe,  ein 
Wasserkrug,  ein  elendes,  niedriges  Bett,  ein  kleines  Ge- 
fäß mit  Weihwasser  unmittelbar  an  der  Tür  und  zwei 
Bücher  waren  alles,  was  ich  in  der  Stube  wahrnahm. 
„Senor  Don  Enrique,"  —  mit  diesen  Worten  stellte  mich 
die  dienstfertige  Duefia  vor  und  ließ  uns  darauf  allein. 
„Senora,"  redete  ich  meine  liebenswürdige  Schöne  an, 
„ich  schätze  mich  glücklich,  dem  heißesten  Wunsche 
meines  Herzens  genügen  und  Ihnen  endlich  die  kleinen 
Beweise  meiner  Aufmerksamkeit  persönlich  überreichen  zu 
können."  Ich  hatte  mir  diese  Redensart  mit  Hilfe  meines 
Diktionärs  gründlich  einstudiert.  Meine  reizende  Monjita 
erwiderte  kein  Wort,  nahm  aber  die  Dulces  und  legte  sie 
schweigend  auf  den  Tisch,  schlug  die  Augen  nieder  und 
faßte  die  Schnur  ihres  Ordenskleides.  „Por  el  amor  de 
Dios"")  —  eine  gewöhnliche  spanische  Redensart,  um 
Verwunderung  auszudrücken  —  sagte  sie  endlich,  „wenn 
das  jemand  wüßte."  —  „Nun,"  entgegnete  ich,  „ist  es  denn 
etwas  so  Böses,  eine  kleine  Aufmerksamkeit  anzu- 
nehmen?" —  „Aber  die  Art  und  Weise,  wie  dies  ge- 
schieht," antwortete  sie,  „erscheint  mir  nicht  sonderlich 
angemessen."  Ich  ergritf  hierauf  die  Hand  der  reizenden 
Monjita,  drückte  sie  an  mein  Herz  und  nun  entspann  sich 
eine,  durch  Unkenntnis  der  Sprache  allerdings  vielfach 
unterbrochene  Unterhaltung,  die  jedoch  damit  endete,  daß 
die  Seiiora  versprach,  mich  am  folgenden  Tag  wieder  zu 
sehen.  Ich  war  offenherzig  genug,  ihr  im  Laufe  des  Ge- 
sprächs meine  Waffen  zu  zeigen,  was  ihr  ein  „Jesu!  Jesu! 
wer  mit  Eisen  tötet,  kommt  durch  Eisen  um,"  —  aus- 
preßte, aber  dann  doch  wegen  der  Gefahr,  in  die  ich  mich 
ihretwegen  hatte  stürzen  wollen,  einen  nicht  Übeln  Ein- 
druck zu  machen  schien.  Wir  mochten  so  vielleicht  ein 
Stündchen  geplaudert  und  geschwiegen  haben,  als  Seiiora 


»)  Soviel  als:  Um  Gottes  willen! 

368 

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Catalina  hereintrat  und  uns  sehr  verschlafen  daran  er- 
innerte, daß  es  Mitternacht,  mithin  Zeit  sei,  uns  zu  trennen; 
was  denn  auch,  aber  schon  unter  wechselseitigem  Hände- 
drücken, geschah.  Ich  schlich  mit  Catalina  denselben  Weg 
zurück.  Die  Tür  war  bereits  geöffnet,  und  nachdem  ich 
einen  meiner  letzten  Duros»)  in  die  Hand  Catalinas  hatte 
gleiten  lassen,  schlich  ich  im  Schatten  der  Häuser  zu  meiner 
Kompagnie.  An  der  Seite  meines  Freundes  sah  ich,  ohne 
zu  schlafen,  dem  Anbruch  des  Morgens  entgegen.  Das 
Bild  der  reizenden  Ines  schwebte  mir  fortwährend  vor 
Augen,  und  ich  fing  schon  mit  dem  ersten  Strahl  des 
neuen  Tages  an,  die  Stunden  bis  zur  Zusammenkunft  mit 
ihr  zu  zählen. 

Um  11  Uhr  war  ich  wieder  auf  meinem  Posten,  und 
alles  trug  sich  wie  am  vorgehenden  Abend  zu.  Unsere 
Unterhaltung  war  ungezwungener,  lebhafter,  ich  wagte 
schon  einen  Scherz  und  sagte:  „Sefiora  Ines,  wie  wäre  es, 
wenn  jetzt  plötzlich  la  Sefiora  Abadesa  und  der  Senor 
Guardian  hcrcinträtcn  ?"  —  „Jesu,"  sagte  das  holde, 
schöne  Kind,  mir  die  Hand  auf  den  Mund  legend,  „wie 
können  Sie  an  so  etwas  denken  ?  Aber  schlimmer  wäre 
es,"  fügte  sie  hinzu,  „wenn  der  Tio  plötzlich  vor  uns 
stände.  Er  ist  ein  gewalttätiger,  heftiger  Mann  und  ein 
großer  Feind  der  Scnorcs  Frariccses.  Nehmen  Sie  sich 
ja  vor  ihm  in  acht,  ich  traue  ihm  alles  Böses  zu."  —  Ines 
hätte  mir  dies  nicht  zu  sagen  brauchen,  ich  hatte  es  dem 
Kerl  längst  angesehen.  Wir  trennten  uns  etwas  später  und 
verabredeten  eine  Zusammenkunft  für  den  nächsten  Abend, 
zu  der  ich  mich  pünktlich  einstellte. 

Des  andern  Abends  gegen  10  Uhr  kam  der  Adjutant 
Major  Rechowicz  ins  Kloster,  liefl  zwei  Voltigeurkom- 
pagnien  antreten  und  fügte  nur  hinzu,  daß  wir  sofort  ab- 
rücken würden.  Ich  war  anfangs  zweifelhaft,  ob  ich  mich 
nicht  krank  melden  und  für  diesmal  zurikkhleihen  solle. 
„Andere  tun  es  so  oft,"  dachte  ich  bei  mir  selbst,  „gehen 


!')  Duro  =  Piaster  (4  Mark). 
24      BvM7:  Spin.  FrclMWampf.  36° 

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nach  Zaragoza,  bleiben  Monate  fort.  Du  bist  immer  bei 
der  Truppe  —  warum  sollst  du  nicht  auch  einmal  dich 


Aber  mein  (k-iuiil  lcilulT  muh  in  dieser  S.idte  ridi- 
nger, nls  in  meiner  LiebusanirelcifcnlH-it.  leii  /(.>;;  den 
Degen,  marschierte  schweren  Herzens  an  dem  Hause  der 
teuren  Ines  vorüber  und  dachte:  „Das  Wiedersehen  wird 

Wir  folgten  einem  Bataillon,  das  schon  nachmittags 
abgerückt  war,  und  dirigierten  uns  auf  das  Clarestal,  Schon 
unterwegs  verbreitete  sich  das  Gerücht,  daß  ein  ungün- 
stiges Gelecht  stattgefunden  hätte  und  daß  wir  zur  Unter- 
stützung nachrückten.  V,'ir  fanden  auch  bald  unsere  Kame- 
raden ohne  Feuer  in  einer  kleinen  Ebene  biwakierend, 
während  gegenüber  zahlreiche  Feuer  der  Spanier  desto 
heller  loderten.  Unser  DetachenientsfiibnT  beschloß,  etwas 
zu  ruhen  und  dann  den  Feind  anzugreifen.  Nachdem  eine 
kurze  Disposition  ausgegeben  war,  gingen  wir  still  vor. 
Die  beiden  Voltigeurkompagnien  wurden  auf  die  Flügel 
gestellt  —  das  Bataillon  bildete  vier  kleine  Kolonnen-  mit 
uiiii:;e>i  ilreiili;:  Schritten  Distanz.  Die  Kavallerie  ward  auf 
(iem  Vt't^  aufgestellt  vo:n  aber  da*  üeschutz.  Dies  alirs 
war  fiesclieheri.  ohne  daß  der  fe.nd  es  Bemerkt  hatte,  und 
Mir  waren  ihm  au)  zirka  h()i)  Schritte  genaht.  Nun  mußte 
<:is  (irsrhut/  Ii  u-  rn,  und  unmittelbar  darauf  brachen  wir 
imt^rw.ilti^ein  Murrayeichrei  unter  Trommel-  und  Horner- 
-.  Uü  l'e.v"!  Vl.r  .-.i-.  i.l.  i  ,:■<-  '  -I-U1I..I.  ^vli.n,  wir  !„■: 
dem  ersten  Schutl  alles  im  Lager  an  den  Biwaksfeuem 
darehcinanilrrlief.  Kine  auf  nahe  Lntlrmunfi  angegebene 
Salve  trieb  alles  in  wilde  Flucht,  und  als  wir  die  feind- 
liche Stellung  tirtiehtei),  war  niemand  mehr  da,  der  uns 
Widerstand  grinstet  killt.   Wir  setzten  die  Verfolgung 


mithin  nicht  hatten  mitgenommen  wi 
einige  Manttlsatke  und  l.ehwisrnittfl  w 


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Toten  fanden  wir  einen  auf  dem  Sehl  achtfei  de.  —  Für 
uns  war  das  Haupt  res  ultat,  daß  wir  die  Feinde,  nachdem 
sie  am  Tage  vorher  die  Unsrigen  am  Vordringen  ver- 
hindert hatten,  schließlich  völlig  auseinandergetrieben  und 
dadurch  den  gefährlichen  Übertreibungen,  welche  oft  mehr 
auf  die  Spanier  wirkten  als  wahre  große  Siege,  gründlich 
vorgebeugt  hatten.  Nachdem  wir  noch  eine  starke  Re- 
kognoszierung den  Cläres  aufwärts  gemacht  hatten,  kehr- 
ten wir  nach  Calatayud  zurück,  wo  die  militärischen  Vor- 
sichtsmaßregeln, die  man  ergriffen  hatte,  sowie  das  Ge- 
rücht, daß  die  Voltigeure  nachts  spat  ausmarschiert  wären 
und  daß  man  heftig  habe  schießen  hören,  große  Unruhe 
erregt  hatte.  Besonders  war  in  den  öffentlichen  Lokalen, 
also  auch  in  der  Konditorei  davon  gesprochm  wurik'r,, 
und  Catalina  hatte  dies  vermutlich  Ines  mitgeteilt. 

Als  ich  am  andern  Tage  gegen  Abend  in  die  Kon- 
ditorei ging,  um  für  die  Zusammenkunft  mit  Ines  das 
Nötige  mit  Seiiora  Catalina  zu  besprechen,  war  ich  nicht 
wenig  erstaunt,  den  gefürchteten  Tio  an  deren  Stelle  zu 
erblicken.  „Ich  habe  Sie  ja  seit  einigen  Tagen  nicht  ge- 
sehen," redete  ich  ihn  so  unbefangen  wie  möglich  an. 

—  „Jawohl,"  entgegnete  er,  „ich  bin  verreist  gewesen." 

—  „Bringen  Sie  uns  etwas  Neues  mit?"  fragte  ich  weiter. 

—  „Daß  ich  nicht  wüßte,"  war  die  Antwort,  „die  Senores 
Franceses  haben  aus  der  Gegend,  wo  ich  war,  eine  Wüste 
gemacht;  sie  haben  Scheußlichkeiten  bedangen,  für  die 
unsere  Sprache  keinen  Namen  hat."  —  „Genug,"  dachte 
ich  bei  mir  selbst  und  brach  die  Unterhaltung  ab,  obwohl 
ich  dem  Manne  in  meinem  Herzen  nicht  gani  unrechi  j;ab. 

Glücklicherweise  wurde  meine  Zeit  in  den  nächsten 
lagen  duich  kleine  Lxkursionfn  /u  sein  in  Anspruch  ge- 
nommen, als  daß  ich  meir.e  Gedanken  aussihlieffli;  Ii  dem 
Ge^enslande  meiner  Sehnsucht  hatte  zuwenden  und  mich 
daduich  vielleicht  dem  schlauen,  argwohnischen  Tm  ver- 
raten können. 

Iii«  strenge  Disziplin,  welche  d:e  Generale  .lulmlit 
erhielten,  und  das  Vertrauen,  das  allmählich  wieder  Wurzel 
24'  371 


schlug,  beruhigten  die  Stadt  sowohl  als  die  nächste  Um- 
gebung. Ein  Kommando  führte  mich  in  dieser  Zeit  nach 
IWtjca,  wo  ich  Gelegenheit  hatte-,  Dof-a  Mi^utla  '.u  sehen. 
Sie  war  die  Freundlichkeit  selbst  gegen  mich,  aber  Ines 
hatte  mein  ganzes  Wesen  so  durch  und  durch  erfüllt,  daß 
ich  jeder  Versuchung,  mit  ihr  in  nähere  Berührung  zu 
kommen,  siegreich  widerstand.  Glücklicherweise  durfte 
ich  schon  in  den  nächsten  Tagen  nach  Calatayud  zurück- 
kehren, wohin  mich  mein  Herz  gewaltig  zog.  Meine  Freude 
war  grenzenlos,  als  ich  bei  meiner  Rückkehr  Catalina 
wieder  an  ihrem  Platze  und  den  Tio  abwesend  fand. 
Der  Abend  gehörte  natürlich  uns  beiden. 

Ich  blieb  diesmal  länger  als  gewöhnlich  bei  Ines;  es 
war,  als  hätten  wir  geahnt,  daß  es  unsere  letzte  Zu- 
sammenkunft sei.  Catalina,  die  zum  Aufbruch  mahnte, 
ward  zweimal  bewogen,  uns  noch  nicht  zu  trennen.  End- 
lich aber  mußten  wir  doch  scheiden.  Ines  gab  mir  ein 
Papier,  in  das  etwas  gewickelt  war,  und  sagte  mir:  „Nimm 
es  und  trage  es  als  ein  Andenken  von  mir;  es  ist  eine 
Arbeit  meiner  Hände."  —  Sie  begleitete  mich,  was  sie  bis 
dahin  nie  getan  hatte,  in  den  langen  finsteren  Gang  und 
nahm  hier  Abschied.  „Ach,"  sagte  sie,  „die  Brust  weint 
(ein  Ausdruck,  der  in  spanischen  Liedern  vorkommt),  mich 
drängt  und  quält,  ich  weiö  nicht  was.  Komme  morgen 
ja,  denn  ohne  dich  stirbt  deine  Freundin." 

Es  war  fast  drei  Uhr,  als  ich  in  das  Kloster  zurück- 
kam. Schon  waren  viele  Soldaten,  die  die  Kälte  hinaus- 
getrieben hatte,  auf  den  Beinen.  Selbst  mein  Kompagnie- 
kamerad hatte  die  Hanfschicht,  auf  der  wir  zu  schlafen 
pflegten,  verlassen.  „Hast  du  gehört,"  fragte  er  mich, 
„daß  wir  heute  eine  järoße  Exkursion  machen  werden?" 
—  „Wie,"  entgegnete  ich,  „wir  haben  ja  durchaus  keinen 
Befehl  dazu."  —  „Ich  war  gestern,"  fuhr  er  fort,  „bei 
den  Kürassieren,  die  wollten  Nachricht  haben,  daß  wir  uns 
nächstens  mit  Truppen  aus  Zaragoza  zu  einer  wichtigen 
Expedition  vereinigen  würden."  —  „So,"  erwiderte  ich 
anscheinend  gleichgültig,  „es  tut  mir  leid,  ich  werde  euch 
372 

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wahrscheinlich  nicht  begleiten  können  —  ich  habe  das 
Fieber  —  habe  die  ganze  Nacht  kein  Auge  geschlossen 
und  kann  mich  kaum  auf  den  Füßen  halten."  —  Wir 
waren  noch  in  diesem  Gespräche  begriffen,  als  wir  den 
Oberstleutnant  Bayer,  der  die  vereinigten  Voltigeure  der 
Brigade  kommandierte,  rufen  hörten :  „Wo  sind  die  Kom- 
pagniechefs  ?"  Ich  trat  sogleich  heran  und  fragte  nach 
seinen  Befehlen.  —  „Wir  brechen  in  einer  Stunde  auf; 
ob  wir  wieder  hierher  zurückkehren  werden,  ist  unge- 
wiß —  wir  nehmen  alles  mit,"  war  die  Antwort.  —  „Und 
wo  bleiben  die  Kranken?"  fragte  ich.  —  „Die  gehen  nach 
Daroca,"  entgegnete  er,  „denn  Calatayud  bleibt  einst- 
weilen unbesetzt."  Mein  Plan,  hier  zurückzubleiben,  mußte 
also  aufgegeben  werden. 

Wie  übrigens  diese  Nachricht  auf  mich  wirkte,  ver- 
mag ich  nicht  zu  beschreiben.  In  einer  Stunde  brachen 
wir  auf.  Der  dicke  Nebel,  der  über  dem  Tal  schwebte, 
machte  es  unmiiirlidi,  ( k'gfnsiiinüe  selbst  in  der  größten 
Nähe  zu  entdecken  —  wie  in  einen  dichten  Flor  gehüllt 
durchzogen  wir  die  Straßen.  Auf  der  Straße  nach  Daroca 
endlich  machten  wir  Halt,  schickten  uns  dann,  unter  Beob- 
achtung der  gewöhnlichen  Vorsichtsmaßregeln,  zum 
Weitermarsch  gegen  die  Stadt  an  und  befanden  uns  bald 
in  dem  verpesteten  Hauche  der  hanf bauenden  Dörfer.  Wir 
erreichten  zu  früher  Stunde  Daroca  selbst  und  erhielten 
wie  gewöhnlich  die  Klöster,  in  denen  wir  schon  so  oft  ge- 
haust hatten,  und  die  in  der  Nähe  liegenden  Lokalitäten 
zum  Quartier  angewiesen.  Der  Herr  Consejero")  war 
wie  immer  still,  aber  der  Guardian  und  Senora  Miguela 
empfingen  uns  wie  alte  Freunde. 

Es  kam  mir  indes  vor  allem  darauf  an,  das,  was  mir 
Ines  gegeben,  genau  zu  befrachten,  denn  die  stete  Gegen- 
wart von  Leuten  und  Kameraden  auf  dem  Marsche  hatte 
mich  bis  jetzt  daran  gehindert.  Ich  ging  allein  die  alte 
maurische  Stadtmauer  entlang  und  langte  nach  einer  be- 


S1)  Consejero  =  Rat 

373 


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schwerlich cn  Wanderung  in  dem  Teile  des  Schlosses  an, 
der  durch  die  früher  erwähnte  Explosion  in  Trümmer  ge- 
legt war.  Es  stand  hier  ein  Posten  der  Voltigeure.  in 
einiger  Entfernung  von  ihm  entfaltete  ich  das  Papier  und 
betrachtete  nun  das  Geschenk  mit  Muße.  Es  war  ein 
braunes,  mit  großer  Geschicklichkeit  geflochtenes  Band, 
mit  den  Worten:  „Madre  purissima  guarda  mi  amigo."^) 
An  dem  einen  Ende  war  ein  E,  an  dem  andern  ein  1  mit 
zwei  verschlungenen  Herzen  gestickt,  ich  benutzte  das 
teure  Geschenk  dazu,  meine  Uhr  daran  zu  tragen.  So 
fiel  es  am  wenigstens  in  die  Augen ;  ich  legte  es  fast  nie 
ab,  und  da  dergleichen  Hiinder,  wenngleich  nicht  so  sauber 
gestickt,  hier  und  dort  verkauft  würden,  so  konnte  ich 
die  Neugier  der  Kameraden  leicht  durch  irgend  eine  Er- 
zählung beschwichtigen.  Dann  ging  ich  auf  den  höchsten 
Punkt  des  Berges,  sah  die  Straße  nach  Calatayud  hinunter 
und  schlich  dann  betrübt  zu  meinen  Genossen  zurück. 

Vom  Guardian  horte  ich  hier,  daß  die  spanischen 
Truppen  in  bedeutender  Stärke  hei  Teruel  und  Albarracin 
ständen,  gegen  Daroca  vorzudringen  schienen  und  daß 
General  Suchet  Truppen  gegen  sie  abgesandt  habe.  Der 
kluge  Priester  wußte  wahrscheinlich  noch  viel  mehr,  aber 
er  hütete  sich  wohl,  es  uns  zu  sagen.  Abends  lud  er  uns 
zu  einer  Tertulia,  einer  Art  Soiree  ein.  Senora  Miguela 
beteiligte  sich  sehr  lebhaft  an  der  Unterhaltung  und  wollte 
viel  von  den  Snioritas  Oaht.'i  vuds  wissen. 

Am  andern  Tage  früh  brachen  die  vereinten  Volti- 
geure nach  Calamocha  auf.  Ein  Detachement,  bestehend 
aus  dem  14.  Linienregiment,  dem  13.  Kürassierregiment, 
einigen  Zügen  polnischer  Ulanen,  vier  Geschützen  und 
einer  Kompagnie  spanischer  Cazadores«)  waren  von  Zara- 
goza her  zu  uns  gestoßen.  Wir  standen  unter  General 
Chlopicki,  die  Franzosen  unter  Oberst  Henriot,  dem  Kom- 
mandeur des  14.  Regiments. 


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Wir  fanden  den  Feind,  wenngleich  nicht  zahlreich,  in 
einer  ziemlich  starken  Stellung  vor  Ojos  Ncgros.  Der 
entschlossene  Angriff  unserer  Völlige  urkompagtiie,  von 
einer  Umgehung  über  Villar  dei  Saz  her  unterstützt,  zwang 
die  Spanier  sehr  bald  sich  zurückzuziehen  und  Zuflucht  in 
den  Bergen  zu  suchen.  Unsere  Kavallerie  sprengte  rasch 
nach  und  bemächtigte  sich  einer  ziemlich  reichen  Beute, 
die  aber  meistens  von  den  Bewohnern,  die  der  Bergbau 
hier  wohlhabend  gemacht  und  die  mit  den  Truppen  die 
Flucht  ergriffen  hatten,  stammen  mochte. 

Am  andern  Morgen  ward  der  Marsch  auf  Origuela  an 
der  Molina,  die  hier  nur  sehr  unbedeutend  Ist,  fortgesetzt. 
Wie  man  uns  sagte,  sollte  ein  Angriff  auf  das  Kloster 
Nuestra  Seiiora  de  !a  Tremedad  —  die  Franzosen  nennen 
es  Tremedal  —  stattfinden,  indem  General  Villacampa  sich 
hier  festgesetzt  hatte  und  die  Umgegend  beunruhigte.  Wir 
verließen  unweit  Origuelas  die  Straße  und  wandten  uns 
mehr  südlich  nach  dem  Wege  von  Albarracin,  wo  sieh 
am  Fuße  der  Berge  ein  lebhaftes  Tirailleurgefecht  ent- 

Die  i.  Kompagnie  blieb  in  einer  kleinen  Vertiefung 
südlich  des  Ortes  stehen,  ich  mußte  mich  im  Flecken  Ori- 
guela selbst  aufstellen  und  nördlich  patrouillieren.  Es 
konnte -hierüber  zwei  Uhr  geworden  sein.  Das  Gefecht 
zu  unserer  Linken  ging  manchmal  lebhaft,  dann  durch 
Pausen  unterbrochen  fort.  Gegen  drei  Uhr  kam  Oberst 
Henriot  in  Begleitung  des  später  so  bekannt  gewordenen 
van  Halenis),  der  von  den  wallonischen  Garden  überge- 

30)  Don  Juan  von  Halen,  Graf  von  Peracampos,  spanischer 
Offizier,  belgischer  Abkunft,  1790  -1S64,  nahm  an  dem  Aufstand  von 
Madrid  am  2.  Mai  1808  teil,  floh  dann  zu  der  Armee  der  spanischen 
Patrioten,  trat  aher  spaur  /um  iiji)/^-i-Lln:i  ümf  -aber.  SpiiiiT, 
18)5,  beteiligte  er  sich  an  einer  Verschwörung  gegen  Ferdinand  VII., 
und  iilli]  verhaftete  ihn.  um  iSin  indes  bald  «  iedei  frei  zu  lassen  und 
zum  Oberstleutnant  zu  befördern.  Nicht  lange  darauf  wurde  er  indes 
aufs  neue  in  Line  VeLiihwörun;;  vcrwickflt  '■:>"■!  eii];;es;-cnt,  i'n'il'ih 
jedoch  aus  dem  Kerker  der  Inquisition  nach  Rußland.  1820  kehrte 
er  in  sein  aufständisches  Vaterland  zuiiick  und  wurde  Minas  Adjutant. 

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treten  war,  geritten  und  rekognoszierte  die  Gegend.  Sie 
sprachen  Lateinisch,  was  der  wunderbaren  Aussprache  des 
Franzosen  wegen  große  Heiterkeit  bei  uns  erregte.  Oerade 
als  die  Herren  an  uns  vorüberritten,  hörten  wir  wie  Oberst 
Henriot  sagte:  „Utique  domine",  und  wir  haben  den  son- 
derbaren, strengen  Mann,  dessen  Regiment  mit  uns  öfters 
in  einer  Brigade  war,  seit  jener  Zeit  nur  „Utique  domine" 
genannt.  Er  war  mit  meinen  Anstalten  zufrieden.  Noch 
war  kein  SchuS  gefallen,  auch  sahen  wir  nichts  vor  uns, 
als  das  steile  Waldgebirge,  das  sich  erst  allmählich,  aber 
dann  ziemlich  jäh  und  gezackt  wohl  an  die  tausend  Fuß 
über  die  Ebene  erhob.  Hoch  darüber  weg  ragten  die 
Dächer  des  Heiligtums,  das  man  uns  Ms  stark  verschanzt 
geschildert  hatte.  Zwischen  uns  und  dem  Waldgebirge 
befand  sich  eine  Ebene  von  etwa  1200  Schritt  Breite, 
die  sich  rechts  und  links  am  Fuße  des  Berges  hinzog. 
Links  auf  derselben  und  in  den  Gebüschen  währte  das 
lufanteriefeuer  fort.  Eine  Stunde  efwa  nachdem  Oberst 
Henriot  bei  uns  gewesen,  kehrte  van  Halen  allein  zurück 
und  brachte  den  Befehl,  aus  dem  Örtchen  wegzurücken 
und  uns  in  der  Ebene  auf  dem  Wege  nach  dem  Sanktua- 
rium aufzustellen. 

Ich  rückte  scii'"rl  nach  dein  mir  an^uwic-eiieii  Pulten 
ab.  Allein  kaum  waren  einige  100  Schritt  zurückgelegt, 
als  sich  der  Wald  vor  uns  zu  beleben  anfing  und  wir 
heftiges  Feuer  erhielten.  Trotz  der  großen  Entfernung 
schlugen  viele  Kugeln  in  die  Kompagnie,  und  die  Leute 
riefen  mir  zu:  „Es  ist  besser,  Herr  Leutnant,  die  Carajos 
anzugreifen,  als  sich  hier  untätig  totschießen  zu  lassen." 
Da  ich  die  Wahrheit  dieser  Behauptung  einsah  und  nichts 
Übles  darin  erblickte,  mich  zum  Herrn  der  Lisieren  zu 
machen,  in  schickte  ich  meine  i  irailleure  sofort  in  Marsch- 
Marsch  vor.  Ich  selbst  folgte  der  Bewegung  im  schnell- 
sten Tempo,  und  mit  ganz  geringem  Verlust  erreichte 
ich  den  Sauen  des  Waldes,  während  die  Spanier  sich  in 
den  Hochwald  zurückzogen. 

Ich  hatte  kaum  von  meiner  Stellung  Besitz  ergriffen, 

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als  der  Adjutantmajor  des  14.  Regiments  erschien,  an- 
fragte, wer  hier  kommandiert  hätte,  und  die  Gluckwünsche 
des  Oberst  über  die  „brillante  Attacke",  die  er  mit  ange- 
sehen hatte,  überbrachte. 

Ein  schwaches  Feuergefecht  dauerte  noch  einige  Zeit 
fort  —  die  Spanier  wichen  allmählich  zurück,  und  ich 
drang1  mutig  nach.  Am  Fuße  des  Berges  jedoch  machte 
ich  Halt;  der  Abend  näherte  sich,  und  da  ich  von  dem 
Gros  des  Detachements  ziemlich  entfernt  war,  fürchtete 
ich  mit  Recht,  bei  einbrechender  Dunkelheit  umgarnt,  viel- 
leicht in  eine  sehr  nachteilige  Lage  gebracht  zu  werden. 

Da  erschien  wieder  ein  Adjutant  und  teilte  mir  mit, 
daß  ich  das  Gefecht  einstellen  und  erst  auf  den  dritten 
Wurf,  den  man  bei  einbrechender  Dunkelheit  aus  einer 
Haubitze  auf  das  Kloster  machen  werde,  im  Sturmschritt 
vordringen  solle.  Das  Gefecht  hörte  also  allmählich  auf. 
Nach  einiger  Zeit  ertönte  der  erste  Kanonenschuß,  dem 
bald  die  beiden  andern  folgten.  Munter  gings  von  allen 
Seiten  zum  Angriff  vor.  Fast  ohne  Widerstand,  ohne  einen 
Verwundeten  zu  haben,  gelangte  ich  bis  an  den  Fuß  des 
Klosters  —  aber  einige  steile  Felspartien  und  eine  Mauer 
machten  es  unmöglich,  weiter  vorzudringen.  Während 
einige  Leute  nach  einem  Zugange  suchten,  drängten  wir 
uns  so  nahe  wie  möglich  an  das  Hindernis  hinan,  denn 
man  hätte  uns  von  oben  mit  Steinen  totwerfen  können. 

Das  Schießen  hatte  aufgehört,  eine  ängstliche  Stille 
folgte,  und  erst  nach  längerem  Suchen  wurden  wir  durch 
die  Auffindung  einer  Rampe,  die  ins  Innere  des  Klosters 
führte,  aus  der  prekären  Lage  erlöst.  Nirgends  fanden 
wir  auf  unserm  Wege  Widerstand,  und  statt  der  Spanier 
kamen  die  französischen  Grenadiere  und  Voltigeure  des 
14.  Regiments  auf  unserer  Linken  zum  Vorschein.  Wir 
verfolgten  den  flüchtigen  Feind  noch  eine  Stunde  auf  dem 
Wege  von  Molina  und  kehrten  dann  nach  dem  Kloster 

Die  Franzosen  hatten  hier  bereits  alle  Türen  einge- 
schlagen und  waren  selbst  in  die  Kirche  eingedrungen  — 
377 

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aus  den  Soldaten  war  eine  Rotte  plünderungssOchtigen 
Gesindels  geworden,  die  alles  raubte  und  mit  fortschleppte, 
was  nicht  niet-  und  nageltest  war. 

In  einem  großen  Stalle  neben  dem  Kloster  waren, 
ich  weiß  nicht  wie  viele  Tausend  Patronen  in  Kisten  auf- 
gehäuft. Ob  man  den  Befehl  gegeben,  das  Gebäude  anzu- 
zünden, oder  ob  die  Spanier  dies  vorbereitet  —  genug, 
us  Iii);.'  plot/lii'h  im  Gebälk  am  Giebel  zu  brennen  an,  und 
die  Plünderer,  die  in  der  Regel  auch  feiger  zu  sein  pflegen 
wie  andere  Leute,  räumten  im  Augenblick  das  Kloster, 
die  Kirche  und  den  Hof.  Wir  sammelten  uns  in  einiger 
Entfernung  vom  Kloster,  und  gegen  acht  Uhr  abends 
waren  wir  wieder  am  Fuße  des  Berges,  wo  die  Artillerie, 
die  Kavallerie  und  der  Rest  der  Infanterie  bereits  ein  Biwak 
bezogen  hatten.  Die  Kompagnien  kehrten  zu  ihren  Regi- 
mentern zurück,  denen  sie  zugleich  ihre  Gefangenen  ab- 
lieferten. Ich  für  meinen  Teil  konkurrierte  hierbei  mit 
einem  Offizier  und  einem  Doktor,  die  beide  jedoch  in  der 
Nacht  Gelegenheit  fanden,  sich  wieder  davon  zu  machen, 
worüber  Offiziere  und  Soldaten  des  Regiments  andern 
Tags  eine  starke  Strafpredigt  hören  muBten,  die  gewiß 
auch  redlich  verdient  war. 

Das  arme  Origuela  mußte  beim  Biwak  tüchtig  her- 
halten, denn  man  trug  mehrere  Gebäude  ganz  ab,  um 
Lagerbedürfnisse  zu  erhalten,  und  überlieferte  Möbel  aller- 
art  den  Flammen.  Am  andern  Tag  kehrten  wir  nach 
der  Ribera  de  Daroca  zurück. 

Aus  meiner  kurzen  Darstellung  hat  man  gesehen, 
da8  uns  eigentlich  der  Sieg  leicht  gemacht  ward.  Hätten 
die  Spanier  ihre  Schuldigkeit  getan,  so  hätten  wir  es  wohl 
bleiben  lassen  sollen,  uns  der  starken  Stellung  zu  bemäch- 
tigen. Ich  darf  hier  mit  gutem  Gewissen  sagen,  daß  mein 
Angriff  eine  Art  Wendepunkt  in  der  Sache  herbeiführte. 


378 


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4.  Kapitel 
1809—1810 

Streifzüge  in  der  Ribera  von  Daroca.  Besetzung 
von  Teruel  1809.  Marsch  nach  Almunia.  Rück- 
kehr nach  Calatayud.  Marsch  nach  Teruel.  Ein- 
treffen des  Generals  Suchet  daselbst.  Besetzung  von 
Teruel  1810.  Gefecht  von  Villel.  Schwere  Ver- 
wundung. Verunglückte  Expedition  Suchets  nach 
Valencia.  Belagerung  von  Teruel  durch  Villacampa. 
Heldenmütiger  Widerstand  der  Besatzung.  Entsatz 
durch  die  von  Valencia  zurückkehrenden  Truppen 

Unser  Aufenthalt  in  der  Ribera  von  Daroca  führte  ein 
sehr  bewegtes  Leben  mit  sich.  Bald  waren  es  Strcifcrcicn 
in  die  Sierra  de  Menera,  die  uns  in  Anspruch  nahmen, 
dann  wieder  Expeditionen  in  das  Tal  des  Panerudo;  doch 
waren  dies,  ich  möchte  sagen,  mehr  militärische  Prome- 
naden als  kriegerische  Unternehmungen.  Wir  bekamen 
nur  selten  einen  Feind  zu  sehen;  meistens  beobachtete  er 
uns  in  einer  gewissen  Entfernung'  und  nahm  nur  die  Ge- 
legenheit wahr,  über  einige  Patrouillen  herzufallen. 

Plötzlich  erhielten  wir  Befehl,  nach  Calatayud  zurück- 
zukehren. Man  kann  sich  denken,  daß  mein  erster  Gang 
zu  Senor  Don  Manuel  war.  Es  hieß,  er  sei  gar  nicht 
mehr  in  der  Stadt,  und  nur  zu  bald  sollte  ich  mich  von  der 
Wahrheit  dieser  Angabe  überzeugen.  Eine  dienstliche  An- 
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gelegenheit  gab  mir  endlich  den  Vorwand,  genauere  Er- 
kundigungen einzuziehen.  Es  fanden  nämlich  um  diese 
Zeit  mehrere  Desertionen  statt,  was  bis  dahin  nicht  der 
Fall  gewesen  war.  Die  Proklamationen  der  Spanier,  die 
den  Leuten  goldene  Berge  versprachen,  und  der  nähere 
Umgang  mit  den  Bewohnern  mochten  hierzu  beitragen. 
Auch  von  meiner  Kompagnie  verschwanden  zwei  Mann. 
Ich  ging  also  zum  PI  at /.komm  and  unten  und  bat  ihn,  mir 
einen  Polizeibeamten  mitzugeben,  um  in  einigen  Häusern, 
wo  meine  Leute  verkehrt  hatten,  Nachforschungen  anzu- 
stellen. Er  kam  meinen  Wünschen  auch  sofort  nach.  Das 
erste  Haus,  in  welches  ich  ging,  war  die  Casa  Manuel,  die, 
mit  Ausnahme  der  Konditorei,  wie  eine  Festung  im  Be- 
lagerungszustand verwahrt  war.  Nachdem  wir  hier  lange 
gewartet  hatten  und  der  Magistratsbote  hin  und  her  ge- 
laufen war,  erschien  endlich  eine  alte  Frau,  die  uns  das 
Haus  öffnete.  Wir  gingen  den  mir  wohlbekannten  Gang 
entlang  über  einen  kleinen  Hof,  durchsuchten  jeden  Win- 
kel, schauten  durch  das  Gitterfenster  vom  Boden  auf  den 
Marktplatz  —  aber  ich  hatte  nicht  den  Mut,  das  Zimmer 
meiner  Freundin  zu  betreten.  Endlich,  bei  der  Rückkehr, 
tat  ich,  als  wenn  ich  es  erst  jetzt  bemerkte  und  ließ  es 
aufschließen.  „Hat  iiier  auch  jemand  gewohnt?"  fragte 
ich  unsere  Begleiterin.  —  „Jawohl,"  antwortete  sie,  „es 
war  das  Zimmer  der  Nonne  Ines,  der  Nichte  des  Don 
Manuel,  des  tugendhaftesten  und  schönsten  Kindes  des 
Tales."  —  „Und  wo  ist  sie  geblieben,"  fragte  ich  unter 
Herzklopfen  weiter.  —  „Sie  ist  mit  dem  Herrn  und  Cata- 
lina unter  vielen  Tränen  abgereist,  aber  niemand  weiß 
wohin."  —  Ich  sah  mich  im  Zimmer  genau  um  —  es  war 
ganz  leer  —  von  der  bescheidenen  Einrichtung,  den 
Blumen,  die  ich  von  Zeit  zu  Zeit  gebracht,  keine  Spur! 
Sogar  der  Nagel  über  der  Lagerstätte,  an  dem  ein  kleines 
Bild  „de  !a  santissima  virgen  de  los  dolores"  hing,  der 
kleine  zinnere  Weihkessei  an  der  Tür  —  alles  war  ver- 
schwunden. „Aber,"  schloß  ich  meine  Nachfrage,  „warum 
hat  denn  die  Religiosa  bei  ihrer  Abreise  so  geweint?"  — 
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„No  saher,"")  war  die  Antwort,  „aber  sie  war  trostlos; 
Senor  Manuel  und  Catalina  hoben  sie  ohnmächtig  auf  den 
Wagen."  —  Ich  verlie6  hiermit  das  Haus  und  habe  es 
nie  mehr  betreten.  Aber  wenn  mich  meine  Geschäfte  daran 
vorüberführten,  habe  ich  es  stets  mit  Wehmut  be- 
trachtet.   

Am  20.  Dezember  erhielten  wir  den  Befehl  zum  Auf- 
bruch nach  Calamocha  und  Teruel,  wo  wir  am  23.  ein- 
trafen, mithin  ungefähr  20  spanische  Leguas  auf  teilweise 
sehr  beschwerlichen  Wegen  in  drei  Tagen  zurückgelegt 
hatten.  Ich  weiß  indes  nicht,  was  die  Eile  bedingte;  wir 
trafen  auf  dem  ganzen  Wege  keinen  Feind  und  taten  keinen 
SchuB. 

Am  24.  machte  ein  Bataillon  der  vereinigten  Volti- 
geure  eine  Expedition  nach  Santa  Maria  de  Albarracin, 
von  wo  ich  in  das  Gebirge  bis  zu  den  Quellen  des  Guada- 
laviar  und  Tajo  detachiert  wurde,  um  die  hei  Frio  und 
Fuenta  Garcia  angeblich  befindlichen  Insurgentenhauien 
auseinanderzusprengen  und  Tuchvorräte  in  Beschlag  zu 
nehmen.  Aber  ich  fand  weder  Feinde  noch  Beute,  wohl 
aber  in  der  Nähe  von  Fuente  Garcia  hei  einem  kleinen 
See,  den  unser  Führer  Pozo  de  St  Juan  nannte,  das  käl- 
teste Biwak  meines  Soldatenlebens.  Nach  36stündigem 
Streifzuge  kehrte  ich  nach  Albarracin  zurück.  Als  wir 
dort  am  27.  einrückten,  war  alles  öde.  Der  Bischof,  die 
Behörden,  die  Bewohner  waren  entflohen,  und  erst  am 
andern  Tage  stellten  sich  einige  Arme  ein.  Wir  bemäch- 
tigten uns  hier  reicher  Tuchvorräte,  und  beim  Suchen 
nach  denselben  nahm  man  alles,  was  man  gerade  brauchen 
konnte,  mit  fort.  Meinen  Bataillonkommandeur  fand  ich 
in  einein  Scholien  Hause  unweit  der  Hauptkirche  bei  einer 
rcichbesetzten  Tafel,  zu  der  alle  Offiziere  eingeladen  waren 
und  wo  natürlich  auch  ich  mit  meinen  Kameraden  einen 
Platz  fand.  Die  Soldaten  biwakierten  vor  der  Kirche, 
kochend,  bratend,  trinkend.  Weiß  Gott,  wo  sie  alles  her- 

w)  Ich  weiß  nicht. 

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geschleppt  hatten,  aber  es  fehlte  nichts.  Unsere  Leute 
jedoch  hatten  praktische  Sachen  gewählt,  während  die 
Franzosen  ihre  Aufmerksamkeit  mehr  auf  Leckereien  ge- 
wandt hatten.  An  Tuch  hatten  beide  Teile  sich  bedeutende 
Quantitäten  angeeignet,  so  daß  der  Militärfiskus  sich  ge- 
wiß über  keine  zu  reiche  Beute  zu  beschweren  gehabt 

Die  Stadt  war  längere  Zeit  der  Sitz  der  Junta  gewesen: 
von  hier  aus  waren  eine  Menge  Erlasse  in  das  Land 
gegangen,  die  zu  Totschlag  und  Vergiftung  der  Franzosen 
aufgefordert  hatten,  und  dadurch  wurde  die  strenge  Be- 
handlung Albarracins  herbeigeführt. 

Unser  Abmarsch  von  Albarracin  erfolgte  ohne  Störung. 
Zwar  wurden  wir  auf  dem  Wege  hier  und  dort  aus  günstig 
gelegenen  Hinterhalten  beschossen,  verloren  jedoch  auf 
der  ganzen  Expedition  keinen  Mann;  nur  einige  Saum- 
tiere wurden  verwundet  und  mußten,  weil  sie  sich  gar 
zu  unbändig  gebärdeten,  erschossen  werden. 

Am  1.  Januar  abends  erreichten  wir  Daroca,  wo  wir 
einige  Tage  verweilten  und  dann  am  3.  Januar  nach  Cala- 
tayud  aufbrachen.  Der  Ort  war  mir  seit  meiner  Kalamität 
verhaßt  geworden  und  ich  war  daher  froh,  daß  wir  durch 
starke  „Dicouvert  es"  —  das  war  der  Name  für  alle  De- 
tachierungen  —  nach  Castilien  zu  nach  Ateca  und  Alhama 
in  Anspruch  genommen  wurden. 

Ich  verließ  nach  der  Rückkehr  nach  Calatayud  meine 
Kompagnie,  um  noch  einmal  Erkundigungen  über  Don 
Manuel  einzuziehen,  und  als  ich  die  früheren  Angaben  be- 
stätigt hörte,  war  ich  glücklich,  als  wir  am  8.  über  Daroca 
nach  Camin  Real  marschierten,  wo  die  ganze  Division 
im  Jiiocatale  eine  Art  Winterquartier  bezog.  Dieses  ver- 
ließ sie  am  8.  Februar  und  brach  gegen  Teruel  auf.  Die 
Avantgarde  hatte  bei  Torre  la  Carcel  einige  Qefechtc  mit 
den  Spaniern,  die  jedoch  ohne  Mühe  aus  ihren  verschie- 
denen Positionen  zurückgeworfen  wurden.  Wir  biwa- 
kierten bei  ziemlicher  Kälte  und  unter  Schneetreiben  die 
Nacht  bei  Villarquemado.  Am  10.  drangen  wir  bis  Teruel 
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vor,  das  die  Spanier  angefangen  hatten  hier  und  dort  zu 
verschanzen,  dessen  Besitz  sie  uns  aber  nur  wenig  be- 
stritten. Am  11.  machten  die  vereinigten  Voltigeure  über 
Villastar  eine  Dicouverte  in  den  Gebirgen,  die  den  Gua- 
dalaviar  bis  gegen  Ville!  begleiten.  Die  Stellung  des  Fein- 
des war  jedoch  so  stark  und  so  gut  besetzt,  daß  wir  nach 
einem  ziemlich  ernstlichen  Gefecht  von  weiteren  Angreifen 
abstanden. 

Am  12.  gingen  wir  wieder  vor  und  fanden  die  Feinde 
diesmal  schon  bei  Villastar,  verjagten  sie  zwar  aus  ihrer 
Stellung,  doch  war  der  Verlust,  mit  dem  wir  unsern  Vor- 
teil erkauften,  bedeutend  genug.  Am  13.  Februar  rückten 
wir  nach  Teruel  zurück,  wohin  man  noch  andere  Truppen 
beordert  hatte,  um  einen  Schlag  gegen  den  bei  Nucstra 
Sefiora  de  Tremedad  geschlagenen  General  Villacampa  zu 
führen,  der  angeblich  wieder  an  6000  Mann  beisammen 
haben  sollte.  Am  14.  machten  wir  einen  neuen  Marsch 
gegen  Villastar,  schössen  uns  hier  lange  mit  den  Spaniern 
herum,  mußten  aber  endlich  auf  einen  Befehl  von  Teruel 
her  vom  Angriff  abstehen. 

Am  15.  abends  hatte  der  General  Chlopicki  die  ge- 
samten Voltigeur-  und  Gren.idit.'n.iffi/kTe  der  Brigade  bei 
sich  zu  einem  Souper  versammelt  und  dazu  zugleich  meh- 
rere andere  Offiziere  eingeladen.  Unter  diesen  befand  sich 
auch  ein  Kapitän  liazowski,  ci:i  srlnui  iiltlirher  \lau:i  viui 

stattlichem  Äußern,  verschlossenem  Wesen,  der  im  Rufe 
stand,  Träume  zu  deuten  und  sich  auch  sonst  mit  aller- 
hand mystischen  Dingen  zu  beschäftigen.  Durch  sein  bar- 
sches Wesen  hielt  er  sich  uns  junge  Leute  vom  Leibe  und 
imponierte  allen  durch  sein  Schweigen.  Während  sich 
die  Gesellschaft  schon  anschickte,  zur  Tafel  zu  gehen, 
ließ  General  Leval  den  General  Chlopicki  und  diegesamten 
Stabsoffiziere  zu  sich  bitten,  um  sich  mit  ihnen  über  einen 
wichtigen  Gegenstand  zu  besprechen.  Unser  Wirt  er- 
suchte hierauf  den  Kapitän  Razowski,  die  Honneurs  zu 
machen  und  sich,  wenn  er  um  acht  Uhr  nicht  zurück  sei, 
ohne  weiteres  zu  Tisch  zu  setzen.  Kaum  hatte  sich  der 
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General  entfernt,  so  gruppierte  sich  alles  zum  lustigen 
Durcheinander.  Der  Kapitän  Razowski  allein  blieb  in 
einem  entlegenen  Kabinett;  den  Rücken  gegen  das  Kamin- 
feuer gekehrt,  starrte  er  finster  vor  sich  hin.  Leutnant 
Zarski  von  den  Grenadieren  des  1.  Weich selregiments, 
ein  treuer  und  werter  Freund,  der  liebste,  den  ich  wohl 
je  gehabt,  faßte  mich  alsbald  unter  den  Arm  und  sagte: 
„Komm,  wir  wollen  zu  dem  alten  Geisterseher  gehen,  er 
soll  mir  einen  Traum  deuten."  Gesagt,  getan  —  und  als- 
bald standen  wir  vor  ihm,  der  uns  gegen  seine  Gewohnheit 
nicht  anfuhr.  Ich  entsinne  mich  des  Traumes  nicht  mehr, 
dessen  Deutung  der  wackere  Zarski  von  ihm  verlangte. 
Aber  der  alte  Zauberer  oder  vielmehr  Hexenmeister,  wie 
die  lustigen  Kameraden  ihn  zu  nennen  pflegten,  hörte  ihn 
ruhig  an  und  sagte  darauf  zu  ihm:  „Junger  Mann,  Sie 
kommen  in  der  Absicht,  sich  einen  Spaß  mit  mir  zu  machen ; 
aber  ehe  Jahr  und  Tag  vergehen,  werden  Sie  einsehen 
lernen,  daß  es  Dinge  gibt,  über  die  man  nicht  scherzen 
darf;  hüten  Sie  sich  vor  diesen  Bergen."  Und  sich  dann 
zu  mir  wendend,  fragte  er:  „Was  wünschen  Sie,  Herr 
Unterleutnant?"  Ich  sagte  ihm  hierauf,  daß  ich  im  Biwak 
von  Villastar  und  dann  hier  im  Kloster  bei  unseren  Leuten 
geträumt,  wie  ich  in  den  Gebirgen  mich  verirrt,  von  Müdig- 
keit und  Durst  getrieben,  viel  Schnee  genossen  und  mich 
darauf  von  einer  Todeskälte  belangen  gefühlt  hätte.  — 
„Ist  es  wahr,  was  Sic  mir  sagen?"  fragte  er  mich  darauf, 
ich  möchte  sagen,  teilnehmend.  Und  als  ich  ihm  erwiderte, 
daß  dies  wirklich  der  Traum  zweier  h inte reinand erfolgen- 
der Nächte  gewesen,  antwortete  er  kurz:  „Dringen  Sie 
nicht  in  mich,  ich  prophezeie  nicht  gern  Unglück,  und 
dennoch  hätte  ich  Ihnen  nichts  Gutes  zu  sagen."  —  Es 
war  acht  Uhr,  und  wir  setzten  uns  zu  Tisch.  Auf  dem 
Wege  dahin  aber  sagte  Zarski  zu  mir:  „Für  so  verrückt 
hätte  ich  ihn  doch  nicht  gehalten.  Der  alte  Mann  glaubt 
am  Ende  selbst,  was  er  uns  vorschwatzt." 

Und  doch  sollte  wunderbarerweise  das  buchstäblich 
in  Erfüllung  gehen,  was  er  uns  gesagt  hatte.  Ich  ward 
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am  andern  Tage  fast  tödlich  verwundet,  und  meinem 
Freunde  zerschmetterte  einige  Monate  darauf  in  den  Ber- 
gen eine  Kugel  beide  Beine  und  machte  so  dem  Leben  eines 
der  besten  Menschen  und  tüchtigsten  Offiziere  ein  Ende. 

'  Ich  erfuhr  den  Tod  meines  unvergeßlichen  Freundes 
in  der  Tranchee  von  Tortosa,  gerade  als  ich  mit  dem  alten 
Kapitän  dort  auf  Wache  war.  „Haben  Sie  von  Zarskis 
Tod  gehört?"  fragte  ich  ihn.  —  „Ich  wußte  davon"  — 
war  die  kurze  Antwort.  Mir  aber  ging  es  eiskalt  durdi  die 
Olitrder,  und  kh  habe  den  alten  Mann  nie  mehr  ohne  eine 
geheime  Scheu  ansehen  können. 

Ich  führe  diese  Tatsachen  hier  an,  nicht  um  dadurch 
zu  beweisen,  djß  der  alte  Kapitän,  der  übrigens  ein  Mann 
ohne  jede  höhere  Bildung  war,  mit  besonderer  Divina- 
lujnsgabt  begabt  gewesen  sei,  sondern  nur  um  dar  zutun, 
wie  unerklärlich  und  wunderbar  »ich  im  bewegten  Kriegs- 
leben  oft  die  Verhältnisse  gestalten  und  wie  sich  bei  Regi- 
mentern, die  lange  im  Felde  liegen,  stets  solche  Geister- 
seher, die  selbst  von  den  hellsten  Köpfen  mit  Scheu  be- 
trachtet werden,  allmählich  heranbilden.  Napoleon  selbst 
erzählt  von  ähnlichen  Todesahnungen,  die  den  General 
Laharpe  nach  dem  Übergange  über  den  Po  befallen 
hätten») 

Am  15.  hatten  wir  Ruhe  gehabt;  aber  uns  ward  der 
Befehl,  zum  Abmarsch  bereit  zu  sein.  Spät  abends  waren 
die  Voltigeure  noch  ausgerückt  und  hatten  ohne  Feuer 
am  Fuße  der  Berge,  auf  denen  Villastar  liegt,  biwakiert. 
Am  16.  früh  formierten  sich  die  Truppen  der  Brigade  am 
Fuße  des  Berges,  auf  dem  Teruel  liegt,  und  begannen 
alsbald  über  den  Guadalaviar  zu  defilieren.  Die  bereits 


M)  Amctk'c  Emmanuel  Laharpe,  französischer  Divisionsgenc- 
ral,  1754—1796,  war  beauftragt,  im  ersten  italienischen  Feldzug 
(1716/97)  den  Übergang  Uber  den  Po  zu  erzwingen,  was  ihm 
auch  glänzend  gelang.  Er  sollte  indes  nicht  die  Früchte  seiner 
Tat  genieBen,  denn  kurz  darauf  wurde  er  von  seinen  eigenen 
Leuten,  die  ihn  und  seine  Eskorte  in  der  Nacht  für  Feinde  hielten, 
getötet. 

25      B«M7:  Span.  PielhtiUktmiil.  385 

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gegen  die  Berge  als  Avatitgarde  vorgeschobenen  Volti- 
geure  wurden  hier  sogleich  in  ein  starkes  Gefecht  ver- 
wickelt. Wir  drängten  die  Spanier  zwar  zurück,  aber  hinter 
Villastar  selbst  kam  das  Gefecht  wieder  zum  Stehen.  Die 
Spanier  hatten  eine  vortreffliche  Stellung.  Von  einer  Berg- 
kuppc  aus,  die  sie  unsern  Blicken  fast  entzog,  und  durch 
ein  Ravin  geschützt,  bestrichen  sie  die  Passage,  durch  die 
wir  kommen  mußten,  mit  dem  lebhaftesten  Gewehrfeuer. 
Die  Tirailleure  hatten  nicht  vermocht  vorzudringen.  Die 
Generale  Leval  und  Chlopicki  befanden  sich  bei  ihnen 
und  standen  hinter  einem  kleinen  Felsabhange.  Als  die 
Voltigeure,  nachdem  sie  zum  Angriff  vorgegangen,  die 
erste  Salve  erhielten,  stockte  deren  Spitze,  bei  der  zweiten 
fiel  sie  in  ein  heftiges  Feuer  und  fing  an,  sich  hinter 
den  Felsen  zu  zerstreuen  und  von  dort  aus  das  Schießen 
fortzusetzen.  Hierdurch  war  ein  Aufenthalt  entstanden, 
den  Oeneral  Chlopicki  brauchte,  um  zu  den  polnischen 
Kompagnien  der  vereinigten  Voltigeure  ein  paar  energische 
Worte  zu  sprechen.  Da  sich  die  vordere  Kompagnie  rechts 
und  links  auseinandergeschoben,  befand  ich  mich  mit  der 
meinigen  gerade  auf  der  Straße.  Vor  mir  lag  die  verhäng- 
nisvolle Kuppe,  über  die  wir  mußten,  so  recht  unter  dem 
feindlichen  Feuer.  Ohne  mich  zu  besinnen,  rief  ich  den 
Leuten  ein  lautes  „Vorwärts,  meine  Freunde!"  zu  und 
eilte  als  erster,  von  meinem  Hornisten  Jankowski  beglei- 
tet, auf  die  Kuppe  ios.  Die  Spanier  begingen  den  Fehler, 
sowie  wir  uns  zeigten,  eine  Salve  zu  geben,  worauf  eine 
augenblickliche  Pause  im  Feuer  entstand,  die  meine  Leute 
benutzten,  um  im  Trabe  vorzudringen  und  gegen  die 
Stellung  der  Spanier  vorzustürmen,  was,  nachdem  jene 
Kuppe  einmal  passiert,  leichter  war.  Da  sie  nun,  um  uns 
zu  beschießen,  sich  jetzt  mehr  demaskieren  mußten,  litten 
sie  durch  das  Feuer  der  Voltigeure,  die  über  uns  weg  auf 
sie  feuerten.  Das  Geschieße  ließ  bald  nach;  vergebens 
trieben  einige  spanische  Offiziere  ihre  Leute  vor  und 
setzten  sich  den  größten  Gefahren  aus  —  sie  räumten  die 
Stellung  in  wilder  Flucht. 
386 


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Ich  glaube,  daß  icK  bei  der  ganzen  Aktion  keinen 
Mann  aus  der  Kompagnie  verlor,  aber  als  ich  in  der  feind- 
lichen Stellung  über  abschüssige  Felsenwege  und  große 
Steinblöcke,  durch  Bäume  und  Gestrüpp  ankam,  war  die 
Kompagnie  ganz  auseinander,  und  ich  befand  mich  an 
der  Spitze  vor!  einigen  60 — SO  Leuten  aus  dem  Bataillon, 
mit  Franzosen  untermischt,  die  ich  nach  Möglichkeit  zu 
sammeln  suchte.  Während  ich  noch  unschlüssig  war,  was 
weiter  zu  tun  sei,  erschien  plötzlich  General  Chlopicki, 
sprach  sich  lobend  über  unser  Betragen  aus  —  und  be- 
fahl, eiligst  zu  folgen.  Er  hatte  nur  seinen  Adjutanten 
bei  sich  und  ein  Stöckchen  in  der  Hand.  Erst  in  großer 
Entfernung  sah  man  unser  Gros  folgen.  Die  Spanier 
leisteten  nirgends  mehr  Widerstand,  selbst  die  günstigste 
Stellung  räumten  sie  vor  einer  Hand  voll  Leuten.  Die 
Eile,  mit  der  wir  vordrangen,  die  Erschöpfung,  die  da- 
durch herbeigeführt  wurde,  machte  unser  Häuflein  immer 
kleiner.  Ich  selbst  war  sehr  angegriffen  und  nahm  ab 
und  zu  von  dem  Schnee,  der  in  den  Felsspalten  lag,  etwas 
in  den  Mund.  Sowie  wir  uns  Villel  näherten,  ward  der 
Widerstand  heftiger.  Wir  gewahrten  nach  Fuenta  Santa 
zu  starke  Haufen ;  die  Pajares  (kleine  Scheunen)  vor  Villel 
selbst  waren  stark  besetzt  und  durch  ausgehobene  Oräben 
miteinander  verbunden.  Aul  einem  kleinen  Plateau  da- 
hinter erhob  sich  ein  noch  nicht  ganz  vollendetes  Werk, 
das  voller  Leute  war.  Ein  Offizier  auf  einem  schwarzen 
Pferde  ritt  von  Trupp  zu  Trupp  und  schien  alles  zu  ani- 
mieren. 

Wir  stiegen  langsam  in  das  Flußbett  des  Ouadalaviar 
hinunter  und  waren  glücklich  genug,  uns  trotz  unserer  ge- 
ringen Anzahl  einiger  solcher  Pajares  zu  bemächtigen, 
hinter  denen  wir  uns  sammeln  konnten  und  von  wo  aus 
wir  ein  gutes  Feuer  auf  unsere  Gegner  richteten.  Beschäf- 
tigt, einige  Anordnungen  zu  treffen,  um  einem  etwaigen 
Angriff  begegnen  zu  können,  sah  ich  mit  einem  Male  den 
General  Chlopicki  mitten  unter  uns.  „Wir  müssen  die 
Schurken  ins  Wasser  werfen,"  rief  er  mir  zu,  „sonst  ent- 
25-  337 

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wischen  sie  uns  wieder.  Sammle  alle  deine  Leute  und 
greife  die  dort  an,"  und  zugleich  deutete  er  mir  den  Auf- 
wurf an,  den  die  Spanier  besetzt  hielten. 

Es  dauerte  eine  Weile,  ehe  ich  Leute  genug  zusammen- 
gebracht hatte,  um  den  Angriff  zu  beginnen.  Ein  kleiner 
Tambour  des  44.  Regiments  von  den  Kompagnien  des 
Zentrums,  der  Gott  weiß  wie  hierhergekommen,  trom- 
melte und  der  erwähnte  Hornist  meiner  Kompagnie  blies 
zum  Angriff,  als  ich  vorrückte.  Aber  war  es  die  feind- 
liche Übermacht,  welche  die  Leute  schreckte,  war  es  Er- 
müdung —  kurz,  die  Sache  glückte  nicht  Auf  der  Hälfte 
des  Weges  kehrten  alle  um  und  ließen  mich  und  den 
kleinen  Tambour  im  Stich.  Allein  konnten  wir  die  Ver- 
schanzung nicht  nehmen,  und  es  blieb  uns  nichts  übrig, 
als  gleichfalls  umzukehren. 

Ich  stellte  schnell  die  Ordnung  wieder  her,  ermu- 
tigte die  Soldaten  mit  einigen  Worten,  führte  sie  wieder 
vor,  und  schon  waren  wir  bis  an  den  unbedeutenden 
Graben  gelangt,  als  ich,  von  einer  feindlichen  Kugel  am 
Kopfe  getroffen,  bewußtlos  zu  Boden  sank.  Was  mit  mir 
seitdem  geschehen,  weiß  ich  nicht.  Ich  kam  erst  wieder 
unter  den  Händen  des  Arztes  zu  mir.  Nur  dessen  bin  ich 
mir  bewußt,  daß  mir  nach  einer  längeren  Zeit  war,  als 
höre  ich  wieder  schießen,  und  daß  sich  mir  die  Frage 
aufdrängte:  Wie,  du  bist  tot,  und  doch  schießt  man? 
Dann  war  es  mir,  als  wenn  ich  Ines  sähe.  Ich  wollte 
mich  erheben,  aber  alle  Anstrengungen,  Hand  und  Fuß 
zu  rühren,  waren  vergebens.  Endlich  war  es,  als  wenn 
mich  etwas  packte:  Jetzt  tragen  dich  die  Engel  in  den 
Himmel.  Aber  hiermit  war  es  mit  meinem  Bewußtsein 
wieder  zu  Ende.  Da  hörte  ich'  nach  einiger  Zeit  eine 
Stimme  sagen :  „Er  kommt  wieder  zu  sich,"  und  ich  fühlte 
zugleich,  daß  man  mir  eine  Flüssigkeit  in  den  Mund  flößte. 
Aber  fortan  -schwand  meine  Besinnung  vollends,  und  erst 
nach  einigen  Tagen  in  Teruel  kam  ich  einigermaßen  wieder 
zu  mir.  Mein  Gedächtnis  aber  war  gänzlich  hin  —  ich 
konnte  mich  lange  Zeit  nicht  einmal  auf  den  Namen  meines 
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Burschen  besinnen,  und  es  bedurfte  geraumer  Zeit,  ehe 
ich  die  Fähigkeit  des  Denkens  und  Erinnerns  wieder  er- 
langte. 

Hinterher  hörte  ich  folgendes  über  die  Erlebnisse  seit 
meiner  Verwundung.  Sowie  ich  gefallen  war,  waren  meine 
Leute  gewichen  — -  und  ich  war  in  die  Gewalt  der  Spa- 
nier geraten.  Sie  hatten  mir  meine  Stiefel  ausgezogen, 
mich  meiner  Uhr,  die  ich  an  dem  Bande  von  Ines  trug, 
beraubt  und  mir  die  Epauletten  abgerissen.  Den  Degen 
aber  hatte  man  in  die  Scheide  gesteckt  und  neben 
mir  liegen  lassen,  da  man  wahrscheinlich  überrascht 
worden  war. 

Sowie  unsere  Truppen  sich  genähert  hatten,  waren 
meine  Leute  aufs  neue  zum  Angriff  vorgccilt  und  hatten 
mich  nach  Verjagung  der  Feinde  aus  dem  Bereich  des 
I  euers  nach  der  Ambulanz  gebracht.  Eine  Abteilung  spa- 
nischer Kavallerie,  durch  unsere  Kavallerie  gegen  den 
üuadalaviar  gedrängt,  hatte  sich  mutig  durch  unsere  Leute 
durchgeschlagen  und  in  einzelnen  Gruppen  in  das  Ge- 
birge gefluchtet.  Hierauf  waren  sie  auch  auf  die  Ambu- 
lanz, in  der  ich  mich  befand,  gestoßen,  hatten  einen  Doktor 
verwundet  und  waren  dann  davongesprengt,  Spjter  hatte 
man  die  Verwundeten  auf  Esel  und  Maultiere  verladen 
(anders  kann  man  die  Transportart  nicht  nennen)  und 
nach  Teruel  befördert.  Mich  hatte  man  in  eine  Art  Hänge- 
korb getan,  ein  Oegengewicht  durch  einige  Tornister  ge- 
bildet, und  so  war  ich  denn  nach  Mitternacht  in  einem 
Hause  am  Markte  untergebracht  worden. 

Am  andern  Tage  hatte  mich  der  Divisionsarzt  Cour- 
tois  besucht  und  den  Ausspruch  getan,  daß  mich  nur  eine 
Trepanierung  retten  könne.  Dem  aber  hatten  sich  meine 
Freunde  Zarski  und  Boguchowski  widersetzt  und  erklärt, 
daß  es  besser  sei,  mich  ruhig  sterben  zu  lassen,  als  mich 
so  zu  martern.  Von  der  Operation,  die  mit  mir  vorge- 
nommen wurde,  erinnere  ich  mich  nur,  daß  man  die  Kopf- 
wunde erweiterte  und  mit  einem  Instrumente  auf  die  Hirn- 
schale klopfte.  Dies  selbst  schmerzte  nun  zwar  nicht,  aber 
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ich  soll  Furcht  an  den  Tag  gelegt  haben,  daß  man  mir  den 
Schädel  einschlagen  könnte,  was  der  Doktor  als  ein  gutes 
Zeichen  betrachtete. 

Während  ich  noch  so  ohne  Besinnung  lag,  kam  der 
kommandierende  General  nach  Teruel,  um  von  dort  aus 
eine  Expedition  gegen  Valencia  einzuleiten.  Er  verteilte 
/.uijkidi  die  Dekorationen  an  die  Regimenter  für  die 
Schlachten  von  Santa  Maria  und  Belehrte,  die  gerade  ein- 
gegangen waren.  Aber  ich  war  gänzlich  ohne  Besinnung 
und  erfuhr  erst  später  von  diesem  Vorgange  durch  die 
Kameraden,  durch  den  Tagesbefehl  und  die  Zeitung  von 
Zaragoza  vom  8.  April  1810. 

Die  Sorgfalt,  mit  der  mich  Doktor  Courtois  be- 
handelte, und  meine  an  sich  feste  Konstitution  führten  sehr 
bald  eine  Besserung  meines  Zustandes  herbei;  das  Ge- 
dächtnis fand  sich  allmählich  wieder  ein,  ich  konnte  mich 
nach  Verlauf  von  12—14  Tagen  im  Bett  aufrecht  erhalten 
und  allmählich  wieder  anfangen  zu  gehen.  Leider  ward 
meine  Herstellung  durch  moralische  Einflüsse  verzögert 
Ich  erwähnte  bereits,  daß  der  kommandierende  General 
nach  Teruel  gekommen  war,  um  von  dort  ein  Unter- 
nehmen auf  Valencia  einzuleiten.  Lag  es  jedoch  daran, 
daß  seine  Kräfte  dazu  nicht  ausreichten,  oder  daß  der 
Plan  dazu  auf  falschen  Benachrichtigungen  und  Voraus- 
setzungen beruhte,  —  er  schlug  gänzlich  fehl.  Während 
General  Suchet  mit  dem  Expeditionskorps  sich  gegen  Va- 
lencia bewegte,  war  der  Oberst  Plieque  vom  Stabe  beauf- 
tragt worden,  Teruel  zu  behaupten  und  die  Verbindung 
sowohl  mit  Zaragoza  als  Valencia  aufrechtzuerhalten.  Zu 
diesem  Behufe  hatte  man  das  Seminar  des  jesuitenklosters, 
das  eine  günstige  Lage  hatte,  zur  Verteidigung  eingerich- 
tet, hier  das  Lazarett  und  die  Vorräte  untergebracht  und 
es  vielleicht  mit  150—21X1  Leuten  aus  allen  Regimentern 
besetzt.  Die  Rekonvaleszenten  sollten  die  schwache  Gar- 
nison, welche  übrigens  von  Zaragoza  her  Zuzug  erwartete, 
allmählich  verstärken.  Aber  die  Sache  kam  ganz  anders, 
als  man  gedacht.  Kaum  hatte  der  General  die  Straße 
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nach  Valencia  betreten  und  die  feindliche  Avantgarde  bei 
Alventosa  auseinandergesprengt,  so  erschien  Villacampa, 
unser  alter  Gegner  von  Nuestra  Sehora  de  Tremedad, 
Villastar  und  Villel,  mit  seinen  schnell  wieder  gesammelten 
Scharen  vor  Teruel,  schloß  es  von  allen  Seiten  ein  und 
forderte  die  Garnison  zur  Übergabe  auf. 

Man  kann  sich  denken,  welche  Antwort  ihm  ge- 
geben wurde. 

Der  spanische  General  bemächtigte  sich  hierauf  der 
Stadt,  warf  unsere  Posten  in  das  Kloster  zurück  und  be- 
schränkte uns,  indem  er  die  nahegelegenen  Häuser  be- 
setzte, auf  den  bloßen  Besitz  des  Gebäudes.  Lag  es  daran, 
daß  man  nachlässig  gewesen,  oder  daß  hierbei  Verrat 
der  Geistlichen,  denen  man  die  Benutzung  der  Kirche  zum 
Gottesdienste  gestattete,  im  Spiele  war  —  kurz,  die  Spa- 
nier bemächtigten  sich  eines  Tages  nicht  allein  der  Kirche, 
sondern  auch  eines  daran  stoß  enden  viereckigen  Turmes, 
was  unsere  Lage  höchst  kritisch  machte. 

Wir  waren  völlig  isoliert  auf  den  Besitz  des  Kloster- 
gebäudes beschränkt,  das  nach  dein  Guadalaviar  zu  zwar 
durch  den  jähen  Abhang,  auf  dem  es  lag,  geschützt  war, 
aber  von  zwei  Seiten  her  beherrscht  wurde. 

Ein  lagenicurkapitäii,  Lcvistone,  hatte  sein  Möglich- 
stes getan,  diesem  Fehler  durch  Traversen  von  starkem 
Zimmerholz  und  durch  Blendung  der  Fenster  abzuhelfen, 
wie  er  denn  überhaupt  die  Seele  der  ganzen  Verteidi- 
gung war. 

Nachdem  die  Spanier  uns  von  allen  Seiten  einge- 
schlossen hatten,  schickten  sie  abermals  einen  Parlamen- 
tär mit  der  Benachrichtigung,  daß  sie  uns  nun  in  die 
Luft  sprengen  würden.  Aus  einem  benachbarten  Hause 
waren  sie  in  die  Klosterkeller  gedrungen,  aus  denen  man 
sie  nicht  wieder  zu  vertreiben  vermochte,  und  bald  hörten 
wir  sie  unter  uns  arbeiten.  Wir  konnten  auf  unserer 
Lagerstätte  im  Lazarett  jeden  Hammerschlag  vernehmen 
und  durften  stündlich  gewärtig  sein,  unsere  Reise  nach 
oben  anzutreten.  Ein  kühner  Angriff  auf  den  Turm,  den 
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die  Spanier  uns  abgenommen  hatten,  machte  uns  zwar 
wieder  zum  Herrn  desselben,  aber  unsere  Lage  wurde  da- 
durch nicht  besonders  gebessert.  Nach  einiger  Zeit  sandten 
die  Spanier  aufs  neue  einen  Parlamentär,  forderten  zur 
Übergabe  auf  und  stellten  zugleich  anheim,  einen  Ingenieur- 
offizier zur  Rekognoszierung  der  angelegten  Galerien  ab- 
zusenden. Oberst  Plicque  nahm  diesen  Vorschlag  an  und 
beauftragte  Levistone  mit  dieser  Rekognoszierung.  Dieser 
kam  auch  wirklich  nach  einiger  Zeit  zurück  und  ver- 
sicherte, die  Minen  gesehen  und  nach  allen  Regeln  der 
Kunst  geladen  gefunden  zu  haben;  doch  fügte  er  hinzu,  er 
wisse  nicht,  ob  die  Fässer  wirklich  mit  Pulver  gefüllt  seien. 
Nichtsdestoweniger  zog  man  alle  Soldaten  aus  dem  be- 
drohten Teil  des  Klosters  zurück,  krenelierte  einige  innere 
Mauern  und  machte  Anstalten,  sich  in  dem  eventuell  un- 
versehrt bleibenden  Teile  des  großen  Gebäudes  zu  ver- 
teidigen. Die  Leichtverwundeten  ergriffen  alle  die  Waffen, 
und  die  Grenadiere  und  Volt  ig  eure  erbaten  es  sich  als 
eine  ihnen  zustehende  üunst,  für  den  gefährlichsten  Posten 
verwendet  zu  werden.  Sehr  merkwürdig  war  es,  daß 
unsere  Gemeinschaft  mit  Zaragoza  trotz  alledem  nicht 
unterbrochen  ward.  Noch  am  S.  März  kam  ein  Offizier 
mit  der  Korrespondenz  an.  Zwar  war  er  innerhalb  der 
Stadt  selbst  angegriffen  worden,  aber  da  man  zu  gleicher 
Zeit  einen  Ausfall  machte,  so  gelangte  er  glücklich  zu 

Dieser  Umstand  ließ  sich  aus  den  nur  zu  bald  ein- 
laufenden Nachrichten  erklären.  Villacam pa  hatte  sich 
wirklich  auf  einige  Zeit  entfernt  und  die  Straße  von  Zara- 
goza her  freigelassen.  Er  hatte  den  Posten  in  Alventosa 
auf  der  Straße  nach  Valencia  angegriffen  und  die  dort 
stehende  Kompagnie  Polen  gefangen  genommen,  sich  aufs 


")  Es  war  ein  Offizier  unseres  Regimen!!.,  ein  Leulnanl  Gor- 
(Ion;  ein  Drittel  seiner  Mannschalt  war  verwundet  oder  gefallen, 
er  selbst  hafte  einen  gefährlichen  Schul!  in  den  linken  Arm  erhalten, 
(Anmerkung  des  Verfassers.) 

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neue  gesammelt  und  dann  efst  gegen  die  Straße  von  Zara- 
goza gewandt.  Auf  dieser  hörten  wir  am  9.  gegen  elf 
Uhr  morgens  Kanonenschüsse  und  gewahrten  auch  bald, 
daß  man  sich  auf  dem  Plateau,  das  sich  nördlich  von  der 
Vereinigung  des  Alhambra  und  des  Ouadalaviar  in  der 
Entfernung  von  etwa  einer  Stunde  erhebt,  schlüge.  Aber 
das  Gefecht  dauerte  nicht  lange ;  einige  Kanonenschüsse, 
die  rasch  hintereinander  folgten,  ließen  voraussetzen,  daß 
die  Unsrigen  den  Feind  geschlagen  hatten  und  nun  ver- 
folgten. Aber  dem  sollte  nicht  so  sein.  Villacampa  selbst 
zeigte  uns  nachmittags  an,  daß  er  eine  starke  Kolonne, 
die  von  Daroca  (mit  Geschützen  für  die  Armee  bestimmt) 
herbeigeeilt  war,  gänzlich  aufgerieben,  vier  Geschütze  ge- 
nommen, daß  er  ferner  die  Garnison  von  Alventosa  über- 
wältigt und  daß  unser  Oeneral  vor  Valencia  eine  gänz- 
liche Niederlage  erlitten  hatte.  Zugleich  stellte  er  uns 
nochmals  frei,  die  Galerien  unter  dem  Kloster  besichtigen 
zu  lassen  und  uns  zu  ergeben,  widrigenfalls  er  vor  Abend 
die  Minen  würde  sprengen  lassen.  Aber  sein  Antrag  ward 
zurückgewiesen,  wenngleich  man  die  Überzeugung  ge- 
wonnen hatte,  daß  die  beiden  ersten  Nachrichten  ihre 
Richtigkeit  hatten.  Der  Kapitän  des  Ingenieurkorps  fol- 
gerte sehr  richtig,  daß  die  Spanier  kein  Pulver  haben 
müßten,  sonst  meinte  er,  wäre  gar  kein  Grund  vorhanden, 
warum  sie  uns  die  Reise  in  die  andere  Welt  nicht  längst 
hätten  antreten  lassen  sollen. 

Und  er  hatte  nicht  falsch  geschlossen.  Sie  hatten  in 
der  Tat  kein  Pulver.  Nichtsdestoweniger  fuhren  die  Spa- 
nier mit  ihren  Anstalten  zu  unserer  Bezwingung  fleißig 
fort;  sie  errichteten  Barrikaden,  krenelierten  die  Wände 
der  Häuser  und  arbeiteten  mit  Geräusch  unter  uns.  Da 
schlug  am  13.  in  der  Nacht  plötzlich  unerwartet  unsere 
Erlösungsstunde.  Die  Hauptarmee,  allerdings  nur  ein 
Korps  von  etwa  10—12000  Mann,  war  in  ihrer  Unter- 
nehmung nicht  glücklich  gewesen  und  hatte  ihren  Rückzug 
antreten  müssen.  So  erschien  sie  denn  am  13.  unvermutet 
vor  Teruel.  Die  Avantgarde  rückte  nachts  ein  und  zwar 
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sehr  schwach.  Mein  Freund  Zarski  in  Alventosa,  von 
unserer  Blockade  unterrichtet,  hatte  um  die  Führung  der 
Spitze  der  Avantgarde  gebeten  und  seinen  Marsch  so  eilig 
zurückgelegt,  daß  er  lange,  lange  vor  der  Avantgarde  selbst 
ankam.  Als  er  sich  mit  seinen  Truppen  durch  die  ziem- 
lich enge  Straße  heranwand,  die  der  Feind,  ohne  daß  wir 
es  gemerkt  harten,  verlassen  hatte,  ward  er  durch  ein 
„Halte-Iä!  qui  vive!"  angehalten.  Als  er  sich  nun  als 
Franzose  und  vom  1.  Weichselregiment  ausgab,  glaubte 
man  anfangs,  daß  die  Spanier  sich  einer  Kriegslist  bedient 
und  die  in  Alventosa  überwältigten  und  gefangenen  Polen 
durch  Gewalt  gezwungen  hätten,  mitzuhelfen.  Man  ließ 
die  Avantgarde  daher  nicht  näher  heran.  Da  rief  Leut- 
nant Zarski  laut,  man  solle  ihn  allein  hereinlassen  und  den 
Leutnant  Brandt  zur  Rekognoszierung  seiner  Person  holen. 
Dies  geschah  denn  auch,  und  er  sagte  mir  nun,  wie  die 
Sachen  ständen,  worauf  der  Oberst  Plicque  genehmigte, 
daß  seine  Leute  sich,  jedoch  nur  einzeln,  dem  Kloster 
nähern  durften.  Man  kann  sich  unsere  Freude  denken. 
Die  Soldaten  fielen  einander  in  die  Arme.  Uns  war,  als 
wenn  wir  aus  einem  langen  Traume  erwachten.  Die  Be- 
lagerung hatte  vom  25.  Februar  bis  13.  März  gedauert, 
und  zwölf  Tage  hatte  man  gedroht,  uns  in  die  Luft  spren- 
gen zu  wollen.  Mit  Wein  und  Getreide  waren  wir  noch 
für  einige  Zeit  versehen,  aber  das  frische  Fleisch  war  schon 
lange  ausgegangen,  und  namentlich  fehlte  Wasser  schon 
seit  mehreren  Tagen.  Abends  spät  rückte  noch  General 
Paris")  ein,  und  das  muntere,  lebendige  Treiben  auf  der 
Straße,  das  Auflodern  der  Biwakfeuer  auf  den  öffentlichen 
Plätzen  mußte  den  Spaniern  sagen,  daß  sie  um  das  Ver- 
gnügen gekommen  waren,  uns  gefangen  fortführen  zu 

Am  andern  Tage  kam  der  Oeneral  selbst  an,  besich- 
tigte die  Arbeiten  der  Feinde,  besonders  die  Minen,  be- 

")  Baron  Marie  Auguste  Paris,  1771-1814,  nahm  unter 
Suchet  last  an  allen  Belagerungen  und  Gefechten  in  Aragonien, 
Catalonien  und  im  Königreich  Valencia  teil. 
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suchte  das  Lazarett,  sprach  mit  den  Schwerverwundeten 
einige  freundliche  Worte,  sagte  mir  ein  paar  Freundlich- 
keiten und  überschüttete  den  Oberst  Plicque  mit  einer 
wahren  Flut  von  Lobeserhebungen.  Für  den  armen  Levi- 
stone,  der  eigentlich  die  Seele  der  Verteidigung  gewesen 
und  der  Tag  und  Nacht  nicht  aus  den  Kleidern  gekommen 
war,  hatte  der  Generalissimus  nicht  viel  Worte  übrig. 
Unser  Kommandant  war  ein  närrischer  Kauz.  Er  saß  den 
ganzen  Tag  am  Schreibtisch  —  nahte  sich  ihm  während 
der  Zeit  jemand,  so  bannte  er  ihn  durch  ein  „silence" 
oder  „chute"  an  seine  Stelle,  und  oft  dauerte  es  eine  gute 
Weile,  ehe  man  seine  Meldung,  seinen  Auftrag  ausrichten 
konnte.  Vor  den  Truppen  war  er  blöde,  befangen,  ja  er 
schien  selbst  ohne  Energie  zu  sein,  und  wer  weiB,  was 
geschehen  wäre,  wenn  er  nicht  Levistone  und  sonst  lauter 
tüchtige  Offiziere  um  sich  gehabt  hätte. 

Der  Zustand  meiner  Verwundung  veranlaßte  Doktor 
Courtois  mich  nach  Zaragoza  ins  Lazarett  zu  schicken. 
Unter  der  sorgfältigen  Behandlung  der  Ärzte  und  bei  der 
gehörigen  Ruhe  gelangte  ich  bald  wieder  zu  Kräften  — 
die  bösen  Zufälle  verloren  sich  allmählich,  und  schon  am 
1.  Mai  konnte  ich,  wenngleich  sich  die  Wunde  noch  nicht 
völlig  geschlossen  hatte,  wieder  zum  Regiment  abgehen. 


395. 

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5.  Kapitel 
1810 

Vereinigung  mit  der  Division  Leval.  Märsche.  Ein- 
treffen vorTortosa.  Blutiges  Gefecht  an  dem  Brücken- 
kopf. Teilweise  Einschließung  von  Tortosa.  Die 
Eskortierung  des  erkrankten  Generals  Leval  nach 
dem  Hauptquartier.  Zug  nach  Beceyte.  Zerstörung 
der  Stadt  Gefecht  in  der  Pefia  Golosa.  Aufent- 
halt im  Lager  bis  Mitte  Dezember 

Als  ich  zu  meinem  Regiment  zurückkehrte,  fand  ich 
dasselbe  in  dem  mir  wohlbekannten  Calamocha.  Es  hatte 
während  meiner  Abwesenheit  allerdings  manchen  Strauß 
mit  den  Guerillas  bestanden,  doch  waren  keine  Gefechte 
von  Bedeutung  vorgefallen.  Am  17.  brachen  wir  nach 
Torrecilla  und  nach  mannigfachen  Exkursionen  von  dort 
nach  Montalvan  auf,  wo  wir  am  24.  Juni  eintrafen.  Am 
25.  setzten  wir  unsern  Matsch  über  Calanda  und  Monroyo 
nach  Morella  fort,  welches  wir  am  28.  erreichten. 

Bei  unserer  Ankunft  in  Morella  fanden  wir  hier  die 
Generale  Leval  und  Montmarie.  Die  ganze  Division  des 
ersteren  war  somit  hier  vereinigt,  d.  h.  das  14.  französische, 
5.,  44.  und  2.  polnische  Regiment,  zu  denen  noch  das 
13.  Kürassier-  und  ein  Teil  des  4.  Husaren regiments  mit, 
glaube  ich,  12  Geschützen  kommandiert  waren. 

Wir  verweilten  in  Morella  am  2Q.  Juni  und  brachen 
am  30.  nach  Chert  auf.  Wir  durchzogen  hier  die  wil- 
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desten  Gegenden  der  Provinz,  und  ein  stundenlanges  De- 
filee  machte  unsern  Marsch  sehr  gefährlich.  An  einzelnen 
Stellen  war  der  Weg  verrammelt;  OerÖlle  allerart  er- 
schwerte das  Marschieren.  Wir  verweilten  sechs  volle 
Stunden  in  dem  Engpaß,  ehe  wir  in  der  Ebene  ankamen. 

Den  1.  Juli  brachten  wir  indes  nach  einem  wenis; 
beschwerlichen  Marsch  in  La  Jana  in  einer  reizenden  Ge- 
gend zu.  Wir  schwelgten  in  einem  wahren  Überflusse  von 
Wein,  der  schönsten  Gemüse  und  Früchte. 

Am  3.  Juni  brachen  wir  früh  wieder  auf  und  begaben 
uns  nach  Uldecona,  wo  die  ganze  Division  biwakierte. 
Nur  einige  Grenadierkompagnien  und  die  Stäbe  waren 
in  dem  freundlichen  Örtchen  geblieben.  Während  der 
Nacht  wehte  ein  schneidender  Wind,  und  es  war  so  kalt, 
daß,  obwohl  wir  einen  Marsch  von  vier  Meilen  hinter  uns 
hatten,  niemand  recht  Ruhe  finden  konnte. 

Gegen  zwei  Uhr  wurden  unsere  Vorposten  alarmiert 
—  es  wurde  Generalmarsch  geschlagen.  Als  ich  meinem 
Hornisten,  der  mich  gewöhnlich  begleitete,  befahl,  zu 
blasen,  war  dieser  so  betrunken,  daß  er  sich  kaum  auf 
den  Beinen  halten  konnte  —  der  andere  hatte  sein  Mund- 
stück verloren  —  beide  waren  sonst  vortreffliche  Men- 
schen. Gegen  dergleichen  Kalamitäten  hilft  nichts  als  Ruhe, 
aber  ich  kann  mir  leider  nicht  das  Zeugnis  geben,  sie  be- 
wahrt zu  haben.  Das  Beste  aber  war,  daß  wir  nicht  gleich 
aufbrachen  und  beide  Leute  somit  Zeit  behielten,  nüchtern 
zu  werden  und  sich  nach  dem  Mundstück  umzusehen. 
Um  vier  Uhr  am  andern  Tage  brachen  wir  auf. 

Eine  Meile  von  Tortosa  trafen  wir  auf  ein  Bataillon 
wallonischer  Garden.  Unsere  Ulanen  griffen  es  sofort  an, 
nahmen  einen  Teil  gefangen  und  zersprengten  den  Rest. 
Der  Oberst  Mesclop  vom  Stabe,  der  die  Avantgarde,  ein 
Bataillon  vereinigte  Voltigeure,  50  Ulanen  und  vier  Ge- 
schütze kommandierte,  drang  so  schnell  weiter  vor,  daß 
er  früher  als  die  Versprengten  vor  Tortosa  anlangte.  Es 
schien,  daß  man  von  unserm  Marsche,  obwohl  man  uns 
in  Uldecona  alarmiert  und  wir  das  eben  erwähnte  Ba- 
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taillon  auseinandergesprengt  hatten,  hier  keine  Nachricht 
erhalten  hatte.  Wir  fanden  die  Einwohner  überall  bei 
ihren  Arbeiten  und  langten  in  der  Nähe  des  Brückenkopfs 
ohne  Schuß  an. 

Oberst  Mesclop  disponierte  seine  Truppen  derart,  dali 
er  das  Werk  auf  etwa  mehr  als  Kanonenschuß  weite  durch 
drei  Kompagnien  ciiüdiluli  und  seine  Kanonen,  eine  Kom- 
pagnie des  44.  Regiments  und  ehenso  seine  Kavallerie  auf 
der  Siralie,  auf  der  wir  gekommen  waren,  in  Reserve  hielt. 

Ich  mit  meiner  Kompagnie  war  auf  der  Slraßr  um 
l.a  Knuuett.i  vurgrsfliutirn.  Da  wir  nirgends  Widerstand 
fanden  und  keinen  Schuß  erhielten,  so  glaubten  w,(  das 
Werk  verlassen,  und  ich  kam  mit  meinen  Leuten  his  an 
ihe  P.iliMdfii  des  bedeckten  Weges.  Ich  glauhe,  wir 
wären  imslande  gewesen,  uns  des  Werkes  zu  bemächtigen, 
wenn  alle  Kompagnien  auf  einmal  vorgedrungen  wären. 
Wir  hörten,  wie  man  im  Werke  schrie:  „Los  Franceses 
—  los  enemigos  —  a  las  armes!"  —  Da  donnerte  von  der 
andern  Seite,  vom  alten  Schloß,  dem  Castillo  Viejo  her, 
der  erste  Schuß.  Die  Kugel  sauste  weit  über  uns  weg 
in  die  Hucrta.  Aber  nun  fing  es  plötzlich  an  lebendig  im 
Brückenkopf  zu  werden ;  in  der  Stadt  läutete  man  Sturm, 
und  wir  konnten  über  den  hier  650  Schritt  breiten  Strom 
das  Oetobe  und  Geschrei  der  Menge,  das  Schlagen  der 
Tamboure  hören.  Die  Brustwehr  war  bald  wie  mit  roten 
Mühen  besät,  und  ein  lebhaftes  Feuer  zwang  uns  um 
so  mehr  zurückzugehen,  als  man  auf  Kanonen  Schußweite 
das  Terrain  eingeebnet  und  Bäume  und  Gebäude  ra- 
siert hatte. 

Wir  setzten  uns  erst  in  einem  Hause  mit  einem  Gar- 
ten, 500  Schritt  vom  Glacis  entfernt,  fest.  Das  Gebäude 
hatte  zwei  Etagen  und  war  mit  seiner  langen  Seite  nach 
dem  Garten  gelegen,  der  mit  einer  Mauer  umgeben  war. 
Da  ich  keine  Befehle  erhielt,  so  beschloß  ich,  mich  hier 
um  so  mehr  festzusetzen,  als  ich  vermeinte,  so  gegen 
jede  Übermacht  bis  zum  Herannahen  etwaiger  Unter- 
stützung geborgen  zu  sein.  An  der  Gartenmauer  stellte 
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ich  einen  Teil  meiner  Leute  auf;  ich  selbst  besetzte  das 
Haus  und  zwar  derart,  daß  ich  ein  gutes  Drittel  der  Mann- 
schaft zur  Disposition  behielt.  Einige  Leute  der  ersten 
Voltigeurkompagnie  des  Regiments  und  einige  Voltigeure 
des  44.  Regiments,  die  sich  im  Laufe  der  Bewegungen  zu 
mir  gefunden  hatten,  wurden  bei  der  Reserve  behalten. 
Ich  war  noch  nicht  ganz  mit  meinen  Anordnungen  für  die 
Eventualitäten,  die  ich  mir  selbst  gesetzt  hatte,  fertig,  als 
eine  heftige  Kanonade  gegen  mein  Haus  begann.  Es 
folgte  Schuß  auf  Schuß  vom  Brückenkopf  sowohl,  als 
von  den  Batterien  der  andern  Seite  der  Ebene  und  von 
dem  Castillo  Viejo,  dem  alten  Schloß.  Das  Dach  des 
Hauses  war  bald  zerstört,  seine  Mauern  nach  der  Stadt 
zu  durchlöchert;  vom  Brückenkopf  her  versuchte  man  die 
Mauer  des  Gartens  selbst  niederzuschmettern. 

Da  verstummte  auf  einige  Zeit  das  Feuer,  und  nun 
strömten  aus  dem  Brückenkopf  einige  tausend  Mique- 
letesM)  in  ihren  roten  Mutzen  aus  dem  Tore  und  wandten 
sich  in  der  Mehrzahl  gegen  das  von  mir  besetzte  Haus ;  ein 
kleinerer  Teil  folgte  dem  Lauf  des  Ebro  abwärts  und  auf- 
wärts. Alsbald  entspann  sich  ein  lebhaftes  Feuer,  bei  dem 
anfangs  aller  Vorteil  auf  meiner  Seite  blieb.  Als  aber 
die  Batterie  vom  Schloß  her  fortfuhr,  Bomben  und  Gra- 
naten in  mein  Haus  zu  werfen,  als  das  oberste  Stockwerk 
fast  in  Trümmer  geschossen  war  und  Verwundete  die 
innern  Räume  füllten,  ließ  unser  Feuer  nach ;  die  Spanier 
rückten  näher,  drangen  durch  die  Bresche  in  den  Garten 
und  verjagten  meine  Leute  aus  demselben.  Man  konnte 
die  trotzigen  wilden  Gestalten  unserer  Feinde  so  ganz 
in  der  Nähe  betrachten  und  jedem  seine  Absicht  an- 
sehen : 

„So  fließe  stets  verfluchter  Dringer  Blut, 

So  tilge  solchen  Feind  die  grauenvollste  Wut." 


M)  Spanische  Soldtruppen,  die  von  den  baskischen  Städten  — 
welche  vom  Militärdienste  befreit  wnren  —  zum  Garnison dienste 
gestellt  wurden. 

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Glücklicherweise  hörte  bei  dem  nächsten  Angriff  das 
Kail onenf euer  einigermaßen  auf.  Aus  dem  Garten  selbst 
vertrieben  wir  nun  zwar  die  Spanier  wieder,  aber  sie 
unterhielten  von  seinen  Mauern  ein  so  starkes  Feuer  auf 
uns,  daß  sich  bald  alle  Räume  im  Hause  mit  Verwundeten 
und  Toten  füllten.  „Notre  Situation  se  dessine  en  noir, 
lieutenant,"  sagte  mir  ein  französischer  Sergeant,  der  mit 
einigen  seiner  Leute  von  der  Voltigeurkompagnie  des 
44.  Regiments  zu  uns  versprengt  worden  war. 

Ich  weiß  nicht  warum,  aber  es  entstand  plötzlich  eine 
Pause  im  Angriff.  Die  Sonne  stand  schon  hoch  am  Him- 
mel, doch  ließ  sich  noch  nichts  von  einer  Unterstützung 
sehen.  Ich  benutzte  die  augenblickliche  Ruhe,  um  den 
Schießbedarf  einigermaßen  auszugleichen.  Was  uns  ge- 
waltig quälte,  war  der  Durst.  Aber  zu  dem  Brunnen  im 
Garten  selbst  konnte  niemand  kommen,  da  er  im  wirk- 
samsten Bereiche  des  feindlichen  Feuers  lag.  Ich  ging 
mit  dem  Leutnant  Krakowski,  dem  ersten  Kompagnie- 
offizier, und  dem  Feldwebel  Sewezek  zu  Rate,  welche 
Maßregeln  —  da  wir,  von  allen  Seiten  umringt,  an  ein 
Durchschlagen  nicht  denken  konnten  —  wohl  noch  zu 
ergreifen  wären,  wenn  wir  wieder  angegriffen  würden. 
Wir  beschlossen,  von  Stube  zu  Stube  zu  weichen  und  uns 
lieber  unter  den  Trümmern  des  Hauses  zu  begraben,  als 
an  Ergebung  zu  denken.  —  Wir  waren  übrigens  der 
festen  Überzeugung,  daß  die  Erlösungsstunde  bald  schla- 
gen müsse,  und  richteten  durch  unsere  Mitteilungen 
hierüber  den  Mut  der  Soldaten  auf.  Unsere  Lage  war  aber 
wirklich  fürchterlich.  Ringsum  von  blutdürstigen  Feinden 
umgeben,  unter  dem  wirksamsten  Feuer  einer  zahlreichen 
Artillerie,  von  den  Unscrn  gänzlich  abgeschnitten,  dabei 
von  einem  starken  Marsche  und  einem  mehrstündigen 
Kampfe  ermüdet,  ja  fast  erschöpft. 

Während  der  Feind  sein  Feuer  nur  langsam  fort- 
setzte, bemerkten  wir  auf  der  Straße  von  Roquetta  eine 
lebhafte  Bewegung  unter  den  Rotmützen.  Sie  gingen  in 
dem  dichten  Gehölz,  das  den  Weg  zu  beiden  Seiten  be- 
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den  Fenstern  und  durch  die  Löcher,  die  die  Kanonenkugeln 
in  das  Haus  gerissen  hatten,  unser  Feuer  gegen  sie  rich- 
teten, zogen  sie  sich  rasch  auseinander  und  eilten  dem 
Brückenkopfe  zu.  Zugleich  verließen  die  Leute,  die  uns 
bis  dahin  eingeschlossen  hatten,  ihre  Stellung  und  zogen 
sich  nach  dem  Ebro  zu.  Unmittelbar  darauf  erschienen 
die  Spitzen  unserer  Kolonnen  auf  dem  Wege  von  Valencia 
und  besetzten  den  Rand  der  Gärten,  die  sich  in  Form  eines 
Halbmondes  um  die  Werke  zogen. 

Wir  brachen  sogleich  zur  Verfolgung  auf,  erhielten 
aber  heftiges  Feuer  von  den  Werken.  Eine  Kanonenkugel 
bedeckte  mich  über  und  über  mit  Staub  und  Erde,  eine 
Flintenkugel  streifte  mir  den  rechten  Unterarm,  und  meh- 
rere Stücke  Blei  drangen  in  die  rechte  Hand.  In  diesem 
Augenblick  erschien  General  Chlopicki,  ließ  meine  Leute 
zurückgehen  und  eine  Art  Vorpostenkette  durch  die 
frischen  Truppen  bilden.  —  Wir  rückten  in  das  paradie- 
sische Lager,  das  die  Division  einstweilen  etwa  600  Fuß 
von  der  Festung,  mithin  ganz  unter  dem  wirksamen  Feuer 
derselben,  bezogen  hatte. 

Sowie  wir  uns  eingerichtet  hatten,  hielt  ich  Appell 
ab.  Es  waren  von  den  Leuten,  die  mit  mir  gewesen  waren 
und  die  drei  Kompagnien  angehürt  hatten,  52  tot  und  ver- 
wundet. Der  Oberst  war  über  den  starken  Verlust  unge- 
halten und  meinte,  daß  ich  mich  unnütz  ausgesetzt  hätte. 
Dies  aber  war  keineswegs  der  Fall ;  es  lag  vielmehr  an  der 
fehlerhaften  Anordnung  zum  Anmarsch  und  in  mehreren 
nachher  eingetretenen  Zufälligkeiten.  Gegen  Abend  hatten 
wir  unser  Lager  gemütlich  eingerichtet.  Überall  loderten 
Feuer  empor,  und  obwohl  die  Spanier  uns  stark  mit  Ar- 
tilleriefeuer zusetzten,  so  verhinderte  dies  niemand,  sich 
der  Frholung  und  dem  Wiolh  -: n:  hm/ugi-hen.  Man  hatte 
eine  unglaubliche  Menge  Lebensmittel  allerart  aus  den 
überall  an  der  Ilueita  herumliegenden  Gartenhäusern  her- 
beigeschafft. Di«  Uifizierc  der  Kompagnie  saßen  unter 
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einem  großen  Feigenbaum  und  verzehrten  behaglich  einen 
schönen  Hammelbraten  mit  den  so  lange  entbehrten  Kar- 
toffeln, die  im  Lande  verächtlich  „Comida  para  los  cho- 
chinos"  (Futter  für  die  Schweine)  genannt  wurden.  Nicht 
weit  davon  saß  eine  Gruppe  Voltigeure,  von  denen  einige 
schon  etwas  zuviel  getrunken  hatten. 

Da  wir  trotz  der  dicken  Feigen-,  Nuß-  und  Johannis- 
brotbäume, hinter  und  unter  denen  wir  lagerten,  dennoch 
viel  von  dem  feindlichen  Kanonenfeuer  zu  leiden  hatten, 
so  wurde  schon  in  den  nächsten  Tagen  ein  starkes  Epaule- 
ment,  das  uns  Schutz  gegen  das  direkte  Feuer  gewährte, 
gebaut.  Man  ging  dabei  nicht  eben  künstlerisch  zu  Werke 
und  riß,  da  man  keinen  Oberfluß  an  Arbeits materialien 
hatte,  die  benachbarten  Häuser  ein,  um  deren  Holzwerk 
zu  verwenden.  Zugteich  wurden  Hutten  erbaut  Dies 
alles  geschah  unter  steten  Ausfällen  des  Feindes,  welche 
vom  6.  bis  zum  10.  Juli  zu  heftigen  Oefechten  führten. 
Am  9.  wurden  die  Verluste,  die  ich  am  ersten  Tage  er- 
litten hatte,  aus  der  Kompagnie  des  Zentrums  —  der 
Füsilierkompagnie  —  ersetzt.  Es  kam  dabei  zu  unange- 
nehmen Erörterungen  mit  den  Hauptleuten,  von  denen 
mir  vorgeworfen  wurde,  daß  ich  die  Leute  unnütz  auf- 
opfere. Der  General  Chlopicki  jedoch  nahm  entschieden 
Partei  für  mich.  Er  hatte  etwa  50  Schritt  von  der  Kom- 
pagnie, in  einem  kleinen,  mit  Wein  umrankten  Häuschen, 
das  von  blühenden  Bäumen  allerart  umgeben  war,  sein 
Hauptquartier  aufgeschlagen  und  ging  fast  täglich  durch 
unsere  Kompagniegassc.  Als  er  am  Tage  nach  dem  Ge- 
fecht an  uns  vorüberkam  und  wir  gerade  zum  Appell  an- 
getreten waren,  sagte  der  sonst  sehr  schweigsame  Gene- 
ral: „Ihr  habt  euch  gestern  wie  tüchtige  Jungen  geschla- 
gen, habe  es  auch  nicht  anders  vermutet."  Dann  blieb 
er  vor  einem  Voltigeur  stehen,  dem  eine  Kartätschen- 
kugel den  Pompon  weggerissen  und  ein  großes  Loch  in 
den  Tschako  geschlagen  hatte,  und  sagte  zu  diesem :  „Nicht 
wahr,  sie  haben  euch  tüchtig  zugesetzt?"  —  „Es  war  noch 
nicht  so  toll  wie  bei  Villastar,"  entgegnete  der  Soldat, 
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worauf  der  Genera!  ihm  die  Backen  klopfte  und  mir  freund- 
lich die  Hand  gab. 

Ais  Merkwürdigkeit  erschien  uns  das  heftige  Infan- 
teriefeuer, das  die  Spanier  in  den  ersten  Nächten  nach 
unserer  Ankunft  in  der  ganzen  Ausdehnung  des  Brücken- 
kopfes abgaben.  Es  dauerte  oft  Viertelstunden  lang,  ohne 
daß  die  mindeste  Veranlassung  dazu  vorlag,  und  wieder- 
holte sich  nicht  selten  zwei-  bis  dreimal.  Wahrscheinlich 
vermuteten  sie  einen  Sturm  unserseits. 

Bis  zum  12.  benutzte  man  noch  die  Nächte,  um  die 
einzelnen  Posten,  die  man  vorgeschoben  hatte,  zu  ver- 
schanzen, sie  durch  Gräben  in  Verbindung  zu  bringen 
und  die  Häuser,  die  hier  und  dort  stehen  geblieben  waren, 
zur  Verteidigung  einzurichten.  Die  Spanier  suchten  dies 
zu  hintertreiben,  was  dann  Gclethtr  herbeiführte.  Am 
12.  machten  sie  geecn  das  Haus,  das  die  Kompagnie 
am  4.  verteidigt  hatte,  einen  Ausfall.  Sie  hatten  die 
'I  rancheewaihe  bereits  verjagt,  wurden  aber  durch  die 
unter  Kapitän  Rall  herbeieilenden  Reserven  wieder  zurück- 
geworfen. Zwei  Versuche  derselben  Art  hatten  das  gleiche 
Geschick.  Da  näherte  sich  kurz  vor  Mittag  ein  Haufe 
von  etwa  20  Mann,  der  indes,  sowie  sich  unsere  Leute 
zeigten,  sofort  zurückeilte.  Nur  ein  einziger  Spanier  feuerte 
sein  Gewehr  ab,  und  dieser  Schuß  tötete  den  braven  Ka- 
pitän Ball,  der  fn  so  vielen  Gefechten,  Schlachten  und 
Belagerungen,  die  er  mitgemacht  hatte,  niemals  verwundet 
worden  war.  Die  Kugel  war  durch  die  Stirn  eingedrungen, 
am  Hinterkopf  wieder  herausgegangen,  und,  ohne  einen 
Laut  von  sich  zu  geben,  war  er  zusammengebrochen. 

Mit  dem  13.  trat  eine  Ruhe  ein,  die  mehrere  Tage 
anhielt.  Sei  es,  daß  dies  eine  Kriegslist  war,  um  uns  ein- 
zuschläfern, oder  daß  die  unglaubliche  Hitze  auch  auf 
die  Spanier  einwirkte,  kurz,  sie  verhielten  sich  durchaus 
untätig.  Selbst  das  Kau onenf euer  schwieg.  Wir  fuhren 
unterdes  fort,  die  Oräben,  die  bereits  gemacht  waren, 
noch  mehr  auszuheben,  sie  mit  Banketts  zu  versehen  und 
rückwärts  mit  dem  Lager  in  Verbindung  zu  bringen.  Die 
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Betagerten  taieii  am  andern  Ufer  ein  gleiches.  Zwischen 
kleinen  Reibereien  und  den  Befürchtungen,  nächstens  vom 
Feinde  einen  großen  Schlag  ausgeführt  zu  sehen,  schlepp- 
ten sich  die  Tage  langsam  hin.  Die  Lebensmittel  fingen 
an  seltener  zu  werden,  die  Brunnen  versiegten,  und  das 
Wasser  zum  Kochen  konnte  nur  von  weither  herbeigeholt 
werden.  , 

Am  8.  August  etwa  gegen  vier  Uhr  fielen  plötzlich  drei 
Schüsse  kurz  hintereinander,  und  wir  hörten  die  Bomben 
über  uns  weg  nach  La  Roquetta  fliegen.  Mehrere  Offi- 
ziere lagen  auf  Matten  unter  den  Bäumen,  die  meisten 
ziemlich  entkleidet,  denn  es  war  eine  Hitze  zum  Ver- 
schmachten. „Das  ist  ein  Signal!"  rief  ich,  sprang  rasch 
auf  und  eilte  zur  Kompagnie,  von  den  Kameraden  wegen 
meiner  Eile  verspottet.  Aber  ehe  ich  daselbst  angekommen 
war,  begann  auch  schon  das  Feuer  in  den  Trancheen. 
Unsere  kampfgeübten  Soldaten  standen  in  einem  Augen- 
blick unter  den  Waffen,  die  meisten  zwar  in  keinem  vor- 
schriftsmäßigen Anzug,  aber  die  Waffen  in  bester  Ordnung. 

Während  ich  noch  mit  dem  Ordnen  der  Kompagnie 
beschäftigt  war,  pfiffen  schon  die  Kugeln  über  uns  weg. 
In  demselben  Augenblick  erschien  General  Chlopicki  in 
einem  Oberrock,  aber  in  Nankingbeinkleidern  und  Schuhen 
und  eine  Reitgerte  in  der  Hand.  „Grenadiere  links,  Votti- 
geure  rechts  um,"  rief  er  mit  seiner  feinen  Stimme,  „links 
und  rechts  marschiert  auf!"  Dies  war  kaum  geschehen, 
so  kommandierte  er  „Fällt's  Gewehr"  und  stürzte  sich  an 
der  Spitze  dieser  zwei  Kompagnien,  deren  Bewegungen 
aber  die  übrigen  aus  den  verschiedenen  Brustwehren  folg- 
ten, auf  die  Spanier.  Es  kam  zu  einem  förmlichen  Hand- 
gemenge, in  dem  die  Feinde  über  den  Haufen  geworfen 
wurden.  Wir  waren  auf  unserer  Seite  bald  wieder  im 
Besitz  der  Gräben  und  Verschanzungen,  während  an 
andern  Orten  der  Kampf,  wenn  auch  nur  schwach,  fort- 
dauerte. 

Auf  unserm  linken  Flügel  war  spanische  Kavallerie 
(etwa  200—300  Pferde)  um  den  Flügel  des  Regiments 
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herumgegangen  und  direkt  nach  dein  Dorfe  Jesus  geeilt, 
wo  sich  das  Hauptquartier  der  Division  befand.  Hier 
hatten  sie  eine  der  Schildwachen  an  des  Generals  Türe 
erschossen  und  einzelne  Kavalleristen,  die  sich  sammelten, 
in  der  Straße  niedergehauen.  Dann  waren  sie,  von  dem 
Feuer  einer  Grenadierkompagnie,  die  den  Dienst  im  Haupt- 
quartier hatte,  empfangen,  teilweise  umgekehrt,  teilweise 
auf  der  Straße  nach  Jerta  weggesprengt  und  ganz  aus- 
ein andergekommen,  so  daß  von  dem  ganzen  Kavallerie- 
regiment St.  Jago,  das  diesen  Angriff  machte,  nicht  viele 
zurückkamen. 

Zu  unserer  Rechten  und  Linken  verstummte  allmählich 
das  Infanteriefeuer  —  unsere  Leute,  deren  linker  Flügel 
besonders  angegriffen  worden  war,  hatten  eine  halbe 
Stunde  nach  Beginn  des  Gefechtes  —  4'/,  Uhr  nachmittags 
—  alle  ihre  Posten  wieder  inne.  Der  Kampf  war  sehr 
kurz,  aber  heftig  gewesen.  Viele  der  Spanier  waren  be- 
trunken, namentlich  die  Miquelets,  die  das  reguläre  Mili- 
tär begleiteten.  Einzelne  stürzten  sich  wie  Verzweifelte 
auf  unsere  Leute  und  ließen  sich  niederstoßen,  andere  ver- 
suchten, sich  auf  die  Offiziere  zu  werfen  und  diese  zu 
töten ;  ich  ward  von  einem  solchen  Wütenden  angefallen, 
und  er  hatte  eben  das  Gewehr  erhoben,  um  mich  damit 
niederzuschlagen,  als  ihn  der  Sergeant  Dochowicz  nieder- 
stieß. 

Die  Gefangenen,  die  man  von  allen  Seiten  herbei- 
führte, zählten  über  200,  darunter  eine  Menge  Subalte  ro- 
und einige  Stabsoffiziere.  Unser  Regiment,  das  den  Haupt- 
stoß des  Feindes  ausgehalten,  hatte  eine  Menge  Tote  und 
Verwundete.  Unter  ersteren  befand  sich  auch  Kapitän 
Solnicki,  ein  tüchtiger,  aber  zu  strenger  Offizier,  der  viel 
zur  Erziehung  der  jüngeren  Offiziere  beitrug,  jedoch  bei 
den  Soldaten  im  höchsten  ürade  verhaßt  war.  Man  brachte 
ihn  für  tot  ins  Lager  —  eine  Kugel  hatte  ihm  den  Scheitel 
gestreift,  ohne  ins  Gehirn  einzudringen  —  als  man  aber 
einen  Splitter  aus  demselben  entfernte,  schlug  er  die  Augen 
auf,  sagte  „Wie  wohl  ist  mir"  und  verschied  unmittelbar 
40a 

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darauf.  Dem  Hauptmann  Madrzikowski  hatte  eine  Kugel 
den  Oberarm  zerschmettert.  Sonst  waren  an  Offizieren  die 
Leutnants  Niechdzielcki,  Dobrzyki  und  andere  leicht  ver- 
wundet 

Zur  Charakteristik  des  Generals  Chlopicki  mögen 
einige  kleine  Züge  hier  Platz  finden.  Während  man  in 
den  Trancheen  die  weitere  Entwicklung  abwartete,  war 
der  General  in  eins  der  Zimmer  des  weißen  Hauses,  in 
dem  ich  am  4.  Juli  so  heiße  Stunden  verlebte,  getreten. 
Hier  hatte  der  Leutnant  Dobrzyki,  der  ein  vortrefflicher 
Zeichner  war,  den  General  mit  Kohle  an  die  Wand  ge- 
malt, wie  er  in  drohender  Stellung  dem  nicht  besonders 
angeschriebenen  Leutnant  eine  Strafpredigt  hält.  Die  bei- 
den Hauptfiguren  waren  nicht  zu  verkennen.  „Wer  hat 
das  gemacht?"  fragte  der  General,  und  als  man  ihm  sagte, 
daß  Leutnant  Dobrzyki  der  Künstler  gewesen,  soll  er 
geäußert  haben:  „Das  ist  ja  ganz  hübsch,  aber  nicht  wahr, 
so  schlecht  stehen  wir  nicht  miteinander!"  —  Als  die 
Kompagnien  sich  bei  einbrechender  Dämmerung  allmäh- 
lich zurückzogen,  redete  der  General  die  Grenadier-  und 
Voltigeurkompagiiien,  an  deren  Spitze  er  sich  selbst  be- 
funden hatte,  an,  rief  den  Leuten  ein  „Outen  Abend, 
Kinder"  zu  und  wünschte  jedem  Offizier,  ihn  beim  Namen 
nennend,  auch  einen  „Outen  Abend". 

Die  nächsten  Tage  verliefen  ziemlich  ruhig.  Für  mich 
brachten  sie  ein  interessantes  Kommando,  indem  ich  be- 
stimmt ward  als  Parlamentär  nach  Tortosa  zu  gehen, 
um  hier  die  Herausgabe  der  Sachen  zu  bewirken,  die  den 
am  3.  August  Gefangenen  gehörten.  Ich  zog,  wie  sich 
von  selbst  versteht,  meine  besten  Kleider  an,  schmückte 
mich  mit  den  neuesten  Epauletten,  knüpfte  frisches  Band 
an  meinen  Orden  und  ließ  mir  auf  meine  alten  und  die 
neuen  Wunden  statt  der  weißen  schwarze  Pflaster  legen. 
Dann  putzte  ich  meinen  Trompeter  Jankowski  heraus, 
warnte  ihn  besonders,  ja  nicht  zu  trinken,  versah  mich 
mit  den  notigen  Briefen  und  begab  mich,  von  allen  meinen, 
jüngeren  Freunden  begleitet,  in  die  Tranchee  unter  der 
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Casa  blanca.  Hier  ließ  ich  meinen  Jankowski  sein  Instru- 
ment zwischen  zwei  Sandsäcke  stecken  und  ein  paarmal 
in  dasselbe  stoßen,  woran!  wir  uns  sofort  erhoben  und 
unter  stetem  Blasen  des  Hornisten  gegen  das  Kreuz  auf 
dem  großen  Wege  langsam  vorschritt^n.  Wir  sahen  als- 
bald den  ganzen  bedeckten  Weg  voller  Leute,  die  ihre 
Gewehre  zwischen  die  Palisaden  gesteckt  hatten.  Fast  am 
Kreuz  selbst  angekommen,  hörten  wir  ein  „Alto!  oder  es 
gibt  Feuer!"  und  sogleich  kam  ein  ältlicher  Ufiizier  mit 
einem  Trompeter,  der  mich  fragte,  was  ich  wolle,  und  mir 
Vorwürfe  machte,  so  weit  gegangen  zu  sein.  Er  nahm 
aber  meine  Entschuldigung,  dal!  sie  mich  ja  hätten  früher 
anhalten  können,  als  genügend  an,  verband  mir  die  Augen 
und  forschte  nun  nach  meinem  Auftrage.  Er  hörte  mich 
ruhig  an  und  wollte  mir  dann  meine  Briefe  abnehmen.  Da 
ich  ihm  jedoch  sagte,  daß  ich  diese  nur  dem  Komman- 
danten selbst  einzuhändigen  hätte,  äußerte  er,  daß  dies  zu 
erlauben  nicht  in  seiner  Macht  stehe  und  daß  er  hierzu 
höherer  Genehmigung  bedürfe.  Nachdem  er  zu  diesem 
Zwecke  seinen  Begleiter  abgesandt  hatte,  fingen  wir  eine 
Unterhaltung  an,  die  bis  zur  Rückkehr  des  Eilboten  fort- 
geführt ward.  Sie  drehte  sich  meistens  um  die  Gefan- 
genen, in  deren  Interesse  ich  gekommen  war,  von  denen 
er  aber  nur  wenige  zu  kennen  schien,  da  sie  zu  den  Trup- 
pen gehörten,  die  mit  Henri  O'Donnell  aus  Catalonien 
nach  Tortosa  gekommen  waren. 

Nach  einer  ziemlich  langen  Frist  erschien  ein  Offizier 
mit  der  Erlaubnis,  mich  nach  der  Stadt  zu  bringen.  Die 
beiden  Herren  faßten  mich  unter  die  Arme  und  führten 
mich  durch  den  Brückenkopf  über  die  Brücke  weg  in 
die  Stadt.  Ich  hatte  den  Auftrag,  die  Breite  der  Brücke, 
die  ich  passierte,  genau  zu  zählen.  Ich  tat  dies  zwar,  aber 
ich  zweifle,  daß  mein  Bericht  richtig  gewesen,  denn  ob- 
wohl ich  die  Augen  verbunden  hatte,  so  war  meine  Auf- 
merksamkeit einerseits  durch  das,  was  ich  hörte,  und  dann 
durch  das  Gespräch  mit  meinen  Begleitern  stark  in  An- 
spruch genommen.  Aus  dem  Gemurmel  um  mich  her 
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konnte  ich  vernehmen,  daß  ich  durch  eine  dichte  Menschen- 
menge schritt  —  meist  ließ  sie  mich  schweigend  vorüber 

—  hier  und  dort  hörte  ich:  „Das  ist  noch  ein  junger 
Bursche"  —  ein  paarmal  aber  wurde  in  nächster  Nähe  ein 
leidenschaftliches  „AI  viage  de  sangre  con  el  carajo"  (Auf 
dem  Blutweg  mit  ihm)  gerufen. 

Endlich  bogen  wir  kurz  um  eine  Ecke,  stiegen  eine 
Treppe  hinauf,  wo  man  mir  die  Binde  von  den  Augen  nahm 
und  ich  mich  dem  Senor  Gobernador,  Oeneral  Conde  de 
Alacha,  in  einem  Zimmer  gegenüber  befand,  das  mehrere 
Kanonenkugeln  durchlöchert  hatten.  Ich  kann  nicht  sagen, 
daß  die  Person  des  Generals  einen  besonderen  Eindruck 
auf  mich  gemacht  hätte.  „Excellence,"  redete  ich  ihn 
Französisch  an,  „ich  habe  die  Ehre,  Ihnen  die  Briefe  zu 
überreichen,  welche  die  am  3.  gefangenen  Offiziere  und 
Oeneral  Leval  mir  zur  Besorgung  übergeben  haben."  — 
„Sehr  verbunden,  Seiior  Capitano,"  erwiderte  er  und  be- 
gab sich  dann,  von  einigen  höheren  Offizieren  begleitet, 
in  ein  Nebenzimmer.  Mehrere  jüngere  und  ältere  Offi- 
ziere, die  zurückgeblieben,  bewirteten  mich  mit  Schokolade 
und  Eiswasser;  Wein,  den  man  mir  anbot,  schlug  ich  aus. 

—  „Sie  führen  draußen  ein  schlechtes  Leben,"  sagte  ein 
junger  Offizier  zu  mir,  „hier  könnten  Sic  es  besser  haben." 

—  „Wir  sind  das  gewöhnt,"  entgegnete  ich,  „wir  be- 
trachten dergleichen  als  zu  unserm  Stande  gehörig  und 
rechnen  auf  die  Zukunft."  —  „Nun,  diese  dürfte  hier 
nicht  verlockend  sein,"  antwortele  er.  —  Ich  aber  meinte, 
daß  darüber  Gott  allein  entscheiden  werde. 

Nach  kurzer  Frist  kam  der  Sefior  Gobcniador  zurück, 
händigte  mir  einen  Brief  an  Se.  Exzellenz  Herrn  Grafen 
Leval  ein  und  fragte  mich  dann,  ob  ich  erst  Kapitän  wäre. 
Als  ich  ihm  hierauf  entgegnete,  daß  ich  erst  Leutnant 
sei,  rief  er  plötzlich:  „Mein  Gott,  bei  uns  würden  Sie 
Oberstleutnant  sein,  wenn  Sie  in  unsere  Reihen  träten." 
Mir  verschloß  diese  Äußerung  augenblicklich  den  Mund, 
und  erst  nach  einigem  Besinnen  konnte  ich  antworten: 
„Würden  denn  die  spanischen  Herren  Offiziere  mit  jemand 
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dienen  wollen,  der  sich  durch  eine  Desertion  beschmutzt 
hatte?"  —  Ich  bat  nun,  ohne  den  Gouverneur  in  die 
Verlegenheit  zu  setzen,  eine  Antwort  geben  zu  müssen, 
um  die  Erlaubnis,  mich  ins  Lager  zurückbegeben  zu  dürfen. 
Aber  wer  denkt  sich  mein  Erstaunen,  als  mir  beim  Heraus- 
tritt aus  dem  Zimmer  in  eine  Art  Vorhalle  mein  Trom- 
peter, im  höchsten  Grade  betrunken,  erklärte,  er  werde 
nicht  mit  zurückkehren,  er  werde  in  spanische  Dienste 
treten.  —  „Wie,"  sagte  ich  ihm,  „man  hat  dich  aus  dem 
ganzen  Regiments  ausgesucht,  mich  zu  begleiten  und  nun 
machst  du  deinem  Regiment  diese  Schande?  Gut  —  ich 
gehe,  bleib  du  hier  und  sieh  deine  Landsleute  totschlagen 
und  ermorden."  Hiermit  schritt  ich  der  Türe  zu.  In  dem- 
selben Augenblick  aber  schien  sich  mein  guter  Jankowski, 
der  mir  immer  sehr  zugetan  gewesen  war,  zu  besinnen, 
nahm  einen  Beutel  mit  Geld,  in  dem  etwa  12—15  Taler 
sein  konnten,  aus  der  Tasche  und  warf  ihn  auf  die  Erde, 
indem  er  polnisch  ausrief:  „Hier  habt  ihr  euren  Judas- 
groschen, ich  gehe  mit  meinem  Leutnant!"  —  In  der 
größten  Stille  durchschritten  wir  die  zahlreiche  Versamm- 
lung; an  der  Treppe  wurden  uns  die  Augen  wieder  ver- 
bunden, und  unter  denselben  Zurufen,  Verwünschungen, 
unter  demselben  Geheul  gelangten  wir  über  den  Brücken- 
kopf in  die  Trancheen  zurück. 

Bald  nach  dem  Ausfall  der  Spanier  ward  der  General 
Leval  so  krank,  daß  man  für  sein  Leben  fürchtete.  Es 
ward  daher  beschlossen,  ihn  nach  Mora  zu  senden,  wo 
sich  das  Hauptquartier  des  Oenerals  Suchet  damals  befand. 
Meine  Kompagnie,  die  man  durch  mehrere  Kommandierte 
auf  160  Köpfe  gebracht  hatte,  sollte  als  Eskorte  dienen, 
während  man  noch  30  Mann  bestimmte,  die  Bahre  zu 
tragen.  Der  Weg  nach  Mora  war  jedoch  vielen  Schwierig- 
keiten unterworfen.  Bis  Aldevar  und  Jerta  führte  er  ab- 
wechselnd längs  des  Ebro  hin ;  stellenweise  traten  Fels- 
wände bis  dicht  an  den  Fluß  und  ließen  kaum  den  nö- 
tigen Raum  zur  Passage.  Die  Spanier  hatten  solchen  Orten 
gegenüber  auf  der  andern  Seite  des  Flusses  Lautgräben 
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gezogen  und  beschossen  beim  geringsten  Geräusch  von 
dorther  den  Weg,  wodurch  bei  Tage  die  Passage  höchst 
gefährlich  und  nachts  noch  immer  sehr  schwierig  war. 

Nichtsdestoweniger  hatte  man  unter  Begünstigung  der 
Nacht  einige  der  fi'hwicriyston  Stellen  längs  des  Ebro  ziem- 
lich unbemerkt  zurückgelegt,  nur  das  Gros  des  Detache- 
ments  hatte  hier  und  da  Feuer  bekommen.  Mit  Tages- 
anbruch befand  sich  die  Kolonne  bereits  bei  Jerta  und 
betrat  die  Bergrcgion.  Dem  Anscheine  nach  war  der  Berg 
links  vorn  Wege  unbesetzt.  Aber  es  hätte  mehr  als  eine 
Stunde  Zeitverlust  verursacht,  ihn  zu  rekognoszieren  und 
eventuell  zu  ersteigen.  Ich  wählte  daher  den  kürzeren 
Weg.  An  einer  geeigneten  Stelle,  die  meine  Anordnungen 
den  Spähern  auf  dem  bewußten  Berge  entzog,  machte 
ich  Halt  und  entsandte  nur  einige  Mann  gegen  den  Berg 
selbst,  die  jedoch  Befehl  erhielten,  nicht  zu  weit  vorzu- 
gehen, beim  Anblick  des  Feindes  sofort  anzufangen  zu 
feuern  und  später  als  Arrieregarde  dem  Detachement  zu 
folgen.  Dann  schickte  ich  12  Mann  und  einen  tüchtigen 
Unterolftzier  mit  dem  Befehl  ab,  einzeln,  in  einer  Ent- 
fernung von  10—12  Schritt  voneinander,  aber  rasch  das 
Defilee  zu  durcheilen  und  an  dessen  Ausgange  der  An- 
kunft des  ihnen  folgenden  Oflizierdetachements  zu  harren. 

Sowie  die  ersten  Leute  im  Defilee  vorschritten,  ent- 
deckte man  auch  schon  die  roten  Mützen  der  CatalansM) 
im  Gebüsch  —  doch  fiel  noch  kein  Schuß.  Erst  wie  die 
sechs  ersten  Mann  die  Hälfte  des  Defilees  erreicht  haben 
konnten,  gaben  einzelne  Spanier  Feuer,  wobei  zugleich 
eine  Menge  Guerillas  sichtbar  wurden.  Sie  schienen  durch- 
aus nicht  zu  wissen,  was  sie  aus  der  Sache  zu  machen 
hätten.  Doch  als  der  Offizier  mit  30  Mann,  in  Gruppen 
von  4—5  Mann  verteilt,  dem  Unteroifizierdetachement  in 
einer  Entfernung  von  etwa  50—60  Schritt  folgte,  begann 
ein  lebhafteres  Feuer  vom  Berge  her.  Dies  hörte  auch 
erst  auf,  als  der  letzte  Mann  vorüber  war.  Sowie  der 


")  Catalonier. 

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Offizier  den  Ausgang  des  Defilees  erreicht  hatte,  sollte  er 
sich  sofort  tiraillierend  gegen  die  Stellung  des  Feindes 
selbst  wenden,  dem,  wie  bereits  bemerkt,  von  dieser  Seite 
her  leicht  beizukommen  war,  die  ersten  12  Mann  aber  als 
eine  Art  Unterstützung  am  Ausgang  des  Defilees  zurück- 
in dem  Augenblicke,  wo  das  Gewehrfeuer  am  Aus- 
gange des  Defilees  anfing,  wurde  auch  das  Feuer  von 
den  direkt  gegen  den  Be.rg  entsandten  Tirailleurs  be- 
gonnen; zugleich  zeigte  sich  die  Spitze  der  Hauptkolonne. 
30  Mann  gingen  in  Reihen  so  rasch  wie  möglich  durch  das 
Defilee  —  der  Rest  blieb  mit  dem  General  noch  zurück. 
Die  Spanier,  von  diesen  Anstalten  überrascht,  glaubten 
wahrscheinlich,  von  allen  Seiten  zugleich  angegriffen  zu 
werden  und  zogen  sich  nach  einem  kurzen  Feucrgefeeht 
zurück,  wodurch  es  dem  Rest  des  Detachements  möglich 
wurde,  den  General  ohne  Verlust  durch  diese  höchst  ge- 
fährliche Passage  zu  bringen. 

Hätte  man  die  Spanier  nicht  auf  diese  Art  aus  ihrer 
Stellung  vertrieben,  so  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  die 
mit  der  Tragbahre  des  Generals  langsam  folgenden  Trup- 
pen eine  bedeutende  Menge  Leute  durch  das  feindliche 
Feuer  verloren  Mitten.  ViuUHdit  hätte  der  General  selbst 
noch  hier  sein  Ende  gefunden,  was  den  aufrührerischen 
Geist  der  Bewohner  dieser  wilden  Gegenden  nicht  wenig 
genährt  haben  dürfte,  besonders  wenn  man  bedenkt,  was 
die  feindlichen  Bulletins  noch  sonst  für  Nachrichten  von 
einem  solchen  Gefecht  in  Umlauf  gesetzt  haben  würden. 

Als  ich  nach  einem  Aufenthalt  von  einem  Tage  meinen 
Rückmarsch  antrat,  nahm  ich  die  Korrespondenz  für  die 
Division  mit.  Wenn  nun  schon  ji^ier  Oiii/.ier,  wenn  er  aus 
dem  Hauptquartier  kommt,  detachierten  Truppen  eine 
willkommene  Erscheinung  ist,  so  war  ich  es  doppelt,  denn 
ich  hatte  dem  Regiment,  ohne  daß  ich  es  wußte,  eine 
Menge  Beförderungen  und  Promotionen,  Briefe  usw.  mit- 
gebracht Meine  Soldaten  waren  daher,  ebenso  wie  ich 
der  Gegenstand  großer  Aufmerksamkeit,  und  ich  selbst 
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ward,  da  man  fabelhafte  Gerüchte  über  das  kleine,  glück- 
lich bestandene  Gefecht  in  Umlauf  gesetzt  hatte,  mit  herz- 
licher Teilnahme  bewillkommnet 

Während  uns  die  Spanier,  nachdem  alle  ihre  Ver- 
suche, die  Berennungskorps  zu  sprengen,  fehlgeschlagen 
waren,  ganz  in  Ruhe  ließen  und  täglich  nur  einige  Bomben 
nach  dem  Lager  schickten,  schlug  man  sich  an  der  Cenia 
und  bei  Uldecona  in  unserer  Rechten  und  am  Ebro  auf- 
wärts tüchtig  herum.  Wenn  auch  die  größeren  Engage- 
ments stets  zu  unserm  Vorteil  ausfielen,  so  waren  doch 
die  Gefechte,  die  besonders  auf  die  Belagerungsverhält- 
nisse Bezug  hatten,  nicht  immer  ganz  glücklich.  Zweimal 
gelang  es  den  Spaniern,  die  Zuführung  von  schwerem 
Geschütz  und  Pulver  ganz  oder  teilweise  zu  hintertreiben 
und  somit  die  Ausführung  der  endlichen  Belagerung  des 
Platzes  wieder  in  Zweifel  zu  stellen.  Was  am  sichersten 
zu  unserm  Verderben  hätte  mitwirken  können,  nämlich 
die  Insurgierung  des  Landes  in  unserm  Rücken  und  Ver- 
stärkung des  Aufstandes  in  diesem  gebirgigen  Terrain- 
abschnitt (besonders  zwischen  Alcaiiiz  und  Tortosa)  durch 
regelmäßige  Truppen,  versuchten  sie  nur  einmal  in  nicht 
ausreichendem  Grade.  Der  große  Fehler  der  Spanier  war 
deren  ewiges  Scharmützeln,  sowie  sie  eine  gewisse  An- 
zahl Leute  beisammen  hatten,  und  dabei  wurden  sie  von 
den  tapferen,  disziplinierten  Franzosen  fast  in  jedem  größe- 
ren Zusammentreffen  geschlagen.  Mina  und  Perefia  waren 
die  einzigen  im  nördlichen  Spanien,  die  dies  vermieden, 
sich  auf  den  kleinen  Krieg  beschränkten  und  daher  auch 
den  besten  Erfolg  hatten. 

Ende  September  brach  in  unserm  Rücken  der  er- 
wähnte Aufstand  aus.  Unsere  Detachements  wurden  an- 
gefallen, Gefangene  ermordet,  alle  Requisitionen  unbe- 
achtet gelassen.  Die  Sache  drohte  um  sich  zu  greifen.  Die 
Bewegung  bemächtigte  sich  Teruels  und  Montalvans;  bei 
Daroca  und  Calatayud  zeigten  sich  starke  Banden,  und 
selbst  in  Zaragoza  waren  Spuren  von  Unzufriedenheit  und 
Widersetzlichkeit  zu  bemerken. 
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Am  26.  September  brachen  demnach  aus  Alcafiiz  und 
unserm  Lager  zugleich  Truppen  auf,  um  die  Ordnung 
wieder  herzustellen.  Das  Lager  von  Tortosa  stellte  hierzu 
vier  Kompagnien,  darunter  die  meinige.  Wir  drangen  nach 
einem  anstrengenden  Marsch,  aber  ohne  einen  Schuß  zu 
tun,  auf  der  Höhe,  nur  von  den  Mücken  unglaublich  heim- 
gesucht, bis  Berceyte  vor,  „die  schwane  Stadt",  wie  sie 
bei  den  Franzosen  hieß.  Das  frühere  Benehmen  der  Be- 
wohner, ihre  Orausamkeit  gegen  unsere  Oefangenen  ließen 
sie  mit  Recht  die  strengste  Behandlung  fürchten  und  hatte 
sie  bewogen,  mit  Hab  und  Out  in  die  Berge  zu  flüchten. 
Es  herrschte  eine  Totenstille  im  Orte.  Er  wurde  der  Plün- 
derung preisgegeben  und  dann  methodisch  angesteckt;  die 
Weinreben  in  der  Nachbarschaft  wurden  ausgerissen,  die 
Ölbäume  angezündet,  alles  verwüstet. 

Am  andern  Tage  gegen  neun  Uhr  früh  traten  wir  den 
Rückzug  an,  und  ich  führte  die  Avantgarde  der  Ebro- 
kolonne.  Wir  hatten  ein  äußerst  gefährliches  Defilee  zu 
passieren,  das  Hunderte  von  Schritten  in  einer  von  zer- 
klüfteten Felsen  überragten  Schlucht  fortlief.  Schon  auf 
dem  Hinmarsch  nach  Berceyte  hatten  wir  die  Gefahr,  die 
es  darbot,  wenn  es  nur  durch  eine  Handvoll  tüchtiger 
Männer  verteidigt  wurde,  richtig  gewürdigt,  und  auch  jetzt 
sagte  ein  alter  Sergeant,  Wassüenka:  „Herr  Leutnant, 
wenn  die  Spanier  uns  hier  durchlassen,  so  ist  gewiß  kein 
Mensch  in  der  Gegend,  der  es  besetzen  könnte."  —  „Mein 
Freund,"  antwortete  ich',  „sie  werden  es  so  machen  wie 
bei  San  Mateo."") 

Wir  hatten  bereits  den  Eingang  der  finstern,  engen 
Schlucht  erreicht,  als  die  Meldung  einlief,  ihr  Ausgang 
sei  verrammelt;  zugleich  fielen  einige  Schüsse.  Ich  be- 
schleunigte sofort  meinen  Marsch,  erreichte  im  Trabe  die 
Barrikade  und  ließ  sie  aufräumen.  Nur  ab  und  zu  fiel 


™)  Das  Defile'e  von  Morefie  bis  San  Mateo,  das  die  Division 
Lcva!  auf  ihrem  Marsche  nach  Tortosa  passieren  mußte  und  wobei 
sie  nicht  angegriffen  wurde.  (Anmerkuni;  rtis  Verfassers.) 

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ein  Schuß  auf  uns,  aber  von  oben  wurden  Steine  herunter- 
gerollt Ich  konnte  mich  glücklich  nach  unserer  Abmarsch- 
linie zu  formieren  und  das  Debauchieren  der  Kolonne 
decken.  Sowie  aber  deren  Spitze  anlangte  und  ich  vor- 
gehen wollte,  erhielt  ich  von  allen  Seiten  Feuer.  Der  Vor- 
trab prallte  zurück,  da  viele  verwundet  wurden.  Meine 
Leute  feuerten  ohne  Befehl;  die  Spitze  der  Kolonne  drang 
rasch  vor,  weil  alles  sich  beeilte,  das  Defilee  zu  verlassen, 
und  bald  bildeten  die  vier  Kompagnien  aus  dem  Lager  und 
die  zwei  aus  Jerta  gekommenen  nur  einen  Knäuel. 

Fast  alle  Offiziere  waren  bereits  verwundet.  Dem 
Oberst  Pascal  selbst,  dem  Kommandeur  der  Kolonne,  war 
ein  Arm  zerschmettert  Durch  Zureden  endlich  und 
Drohungen  versammelte  er  seine  Leute.  Unter  heftigem 
Feuer  schrie  er  sie  mit  Stentorstimme  an  und  warf  ihnen 
ihre  Feigheit  vor.  „Vilains  conscrits",  rief  er  ihnen  zu, 
„ihr  habt  nichts  zu  verlieren  als  das  Leben,  denn  eure 
Ehre  habt  ihr  schon  gegen  diese  gueux  de  brigands  ver- 
loren. Aber  auch  das  Leben  verdienen  Poltrons  wie  ihr 
nicht."  Hiermit  nahm  er  seine  Pistolen,  die  er  nach  dem 
Verlust  seines  Pferdes  immer  unter  dem  Arm  gelragen 
hatte,  und  erschoß  zwei  Mönche,  die  wir  den  Tag  vorher 
gefangen  genommen  hatten.  „Geht,"  rief  er  darauf  den 
Leuten  zu,  „und  laßt  euch  jetzt  würgen  und  verbrennen. 
Aber  wer  ein  guter  Franzose  ist,  der  folge  mir!"  Mit 
einem  weithinschallcndcn  „En  avant"  gingen  wir  darauf 
den  Valencianern  zu  Leibe  und  gelangten  nach  mehreren 
herzhaften  Angriffen  wirklich  auf  günstigeres  Terrain,  wo 
wir  uns  aufs  neue  ordneten  und  dann  dem  Feinde  auch 
glücklich  entkamen.  —  Die  Polen,  die  bei  der  Expedition 
waren,  verstanden  von  der  energischen  Anrede  des  Oberst 
Pascal  kein  Wort,  aber  seine  Tat  hatte  ihnen  so  imponiert, 
daß  sie  braver  wie  je  fochten. 

Merkwürdigerweise  waren  trotz  des  wilden  Getüm- 
mels unsere  Verluste  an  Toten  nicht  sehr  bedeutend ;  meine 
Kompagnie  verlor  nur  sieben  Mann,  doch  mußten  wir 
unser  ganzes  Oepäck  und  die  erbeuteten  Vorräte  im  Stich 
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lassen.  Tm  Lager  vor  dem  Brückenkopf  erfuhren  wir,  daß 
während  dieser  Zeit  alles  ruhig  geblieben  sei  und  man 
glaubte,  daß  die  Spanier  den  größeren  Teil  der  Garnison 
auswärts  verwandt  hätten.  Es  wurden  daher  von  den 
jungen  Offizieren  allerhand  Projekte  entworfen,  sieh  des 
Werkes  durch  Überfall  zu  bemächtigen,  allein  unsere  Pläne 
wurden  von  den  Vorgesetzten  nicht  berücksichtigt 

Ohne  irgendwelche  für  die  Berenn ungsdivision  wich- 
tigen Ereignisse  verstrichen  die  Tage  bis  zur  Mitte  des 
Dezember.  Um  diese  Zeit  jedoch  waren  endlich  alle  Vor- 
bereitungen getroffen,  um  gesichert  die  eigentliche  Bela- 
gerung Tortosas  unternehmen  zu  können;  meinem  Regi- 
ment wurde  hierbei  eine  andere  Bestimmung  zuteil. 


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6.  Kapitel 


1810—1811 

Übergang  über  den  Ebro  bei  Jerta.  Belagerung  von 
Tortosa.  Eröffnung  des  Artilleriefeuers.  Beginn  der 
Unterhandlungen.  Energisches  Benehmen  des  Gene- 
rals Suchet.  Schwache,  unentschlossene  Handlungs- 
weise des  Gouverneurs.  Übergabe  der  Festung. 
Transport  der  Gefangenen  nach  Bayonne 

Am  15.  Dezember  nachts  ein  Uhr  brachen  wir  auf 
um  den  Ebro  bei  Jerta  zu  überschreiten.  Wir  langten 
abends,  eben  als  die  Dämmerung  begann,  in  der  Ebroebene 
an,  die  wir  so  sehnsüchtig  sechs  Monate  lang  aus  der 
Ferne  beschaut  hatten.  Es  gelang  uns,  nach  einem  kurzen 
Getechte  die  Spanier  gänzlich  zurückzuwerfen  und  uns  des 
ganzen  Tals  bis  an  den  Fluß  zu  bemächtigen.  Die  Trüm- 
mer der  zerstörten  Vorstadt,  die  Einfassungen  von  Brun- 
nen, die  man  erhalten  hatte,  eingestürzte  Keller  usw. 
erleichterten  unser  Vordringen,  und  als  es  endlich  dunkel 
geworden  war,  konnten  wir  uns  ziemlich  nahe  an  die  Stadt 
selbst  heranwagen.  Die  Gewandtheit  unserer  Leute  er- 
leichterte dies  ungemein,  und  es  war  mit  Sicherheit  darauf 
zu  rechnen,  daß  sie,  ohne  instruiert  zu  sein,  immer  das 
Richtige  tun  würden. 

Am  20.  abends  wurde  meine  Kompagnie  zur  Be- 
deckimg der  Arbeiter,  die  die  Trancheen  eröffnen  sollten, 
befehligt.  Es  war  auf  dem  St  eil  ungs  platze,  wo  wir  uns 
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versammelten.  Zwanzig  Kompagnien  Grenadiere  undVol- 
tigeure,  eine  babylonische  Verwirrung,  ein  heftiger  Wind 
und  eine  ägyptische  Finsternis  schienen  die  Herstellung 
jeder  Ordnung  unmöglich  zu  machen.  Ich  weiß  nicht 
einmal,  wer  dem  Kommandeur  der  2.  Kompagnie  des 
2.  Weichs elregiments  den  Befehl  gab:  „De  suivre  l'Ebre 
et  d'etendre  ia  compagnie  ä  peu  pres  80  pas  le  long  du 
glacis,  de  proteger  les  travailleurs  et  de  maintenir  la  com- 
munication  avec  la  1.  compagnie  des  voltigeurs  du  regi- 
ment."  Ich  machte  mich  sofort  auf,  gelangte  an  den  Ebro 
und  folgte  den  Instruktionen,  die  ich  erhalten  hatte.  Da 
mir  das  Terrain  genau  bekannt  war,  so  hatte  dies  weiter 
keine  Schwierigkeiten.  Aber  als  ich  rechts  die  Verbindung 
aufsuchen  wollte,  erhielt  ich  Feuer,  dem  sofort  ein  paar 
Kartätschenschüsse  aus  der  Festung  folgten,  die  mir  be- 
wiesen, daß  kein  Spanier  mehr  sich  außerhalb  der  Festung 
befände.  Ich  verhielt  mich  ganz  ruhig,  placierte  meine 
Leute  dem  Befehle  gemäß  und  blieb  selbst  aul  dem  rech- 
ten Flügel,  emsig  bemüht,  meine  Nebenkompagnie  zu 
finden,  was  mir  schließlich  auch  gelang.  Wir  regelten 
unsere  Verhältnisse  dem  Befehle  gemäß  und  brachten 
liegend,  kriechend,  stehend,  kurz  in  allen  möglichen  Stellun- 
gen die  Nacht  zu.  Es  war  ungemein  kalt,  ein  eisiger 
Wind  peitschte  den  Ebro  in  hohe  Wellen,  und  das  Wetter 
tobte  so,  daß  nicht  einmal  wir  etwas  von  unsem  Arbeitern 
hörten,  geschweige  denn  die  Spanier.  Sowie  der  Tag 
graute,  wurden  wir  in  die  Trancheen  zurückgezogen,  die 
so  weit  gediehen  waren,  daß  sie  uns  vollständigen  Schutz 
gewährten. 

Sowie  mit  dem  ersten  Grauen  des  Tages  der  Feind 
unsere  Arbeit,  mit  der  wir  ihm  etwa  auf  220—230  Schritt 
nahe  gekommen  waren  und  die  die  ganze  Ebene  einnahm, 
gewahrte,  eröffnete  er  aus  allen  seinen  Geschützen  auf 
dieser  Front  ein  heftiges  Feuer  und  versuchte  unmittel- 
bar darauf  einen  Ausfall,  ward  aber  kräftig  zurückge- 
wiesen, noch  ehe  er  die  Arbeiten  selbst  erreichen  konnte. 
Nichtsdestoweniger  hatte  man  die  Grenadierkompagnien 

27      B*MT:  Spin.  Frtüitlttfimpt.  417 


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zur  Unterstützung  geschickt  Als  die  Feinde  sich  zurück- 
zogen, sah  ich  den  Leutnant  Zorowski  von  den  Grena- 
dieren, einen  werten,  lieben  Freund,  sich  mir  mit  betrübter 
Miene  nähern.  „Nun,"  redete  er  mich  an,  „was  sagst 
du?"  —  „Wozu?"  fragte  ich.  —  „Zu  Zarskis  Tod,"  war 
die  Antwort.  —  „Wie!"  riet  ich  erschreckt,  „Zarski  tot?" 
—  „Jawohl,  eine  Kugel  hat  ihm  am  12.  November  im  Ge- 
fecht bei  Fuente  Santa  unweit  Villel  beide  Beine  zer- 
schmettert, und  er  ist  unmittelbar  darauf  gestorben."  — 
Sei  es  Ermattung,  Abspannung,  der  Gedanke  an  die 
drohenden  Gefahren,  die  uns  umgaben  —  ich  war  für 
den  ersten  Augenhück  dem  Schmerz  um  ein  so  teures 
Haupt  nicht  sonderlich  zugängig,  aber  in  das  Lager  heim- 
gekehrt, ergriff  mich  eine  so  trübe  Stimmung,  daß  ich 
derselben  kaum  Herr  werden  konnte.  — 

Die  Belagerung  ging  einstweilen  ihren  raschen  Gang. 
Die  Spanier  machten  am  22.  zwar  einen  Ausfall,  aber 
obwohl  man  im  Lager  zu  den  Waffen  griff,  so  blieben  wir 
doch  ungestört.  Am  23.  richtete  der  Feind  ein  starkes 
Feuer  auf  uns  und  überschüttete  einen  Teil  der  Trancheen 
mit  einem  Hagel  von  Geschossen.  Ein  Ausfall  ward  von 
der  Bedeckung  und  im  Verein  mit  den  Arbeitern,  die  ihre 
Utensilien  mit  den  Waffen  vertauschten,  zurückgewiesen. 
Unter  den  Offizieren,  die  die  Belagerungsanstalten  leite- 
ten, befand  sich  Oberst  Henry  vom  Geniekorps  immer  in 
den  ersten  Reihen.  In  der  Regel  ohne  Hut  oder  ihn  als 
Chapeau  claque  unter  dem  Arme  tragend,  über  seiner 
Montierung  einen  grauen  Rock,  und  meist  mit  einem  Hand- 
werkszeug in  der  Hand,  leitete,  ordnete,  befehligte  er  mit 
unermüdlicher  Tätigkeit  und  guter  Laune.  Ein  paar  pol- 
nische Worte,  die  er  unsern  Soldaten  zuzurufen  pflegte, 
hatten  ihn  zu  deren  Liebling  gemacht 

Am  24.  früh  rief  uns  ein  sehr  lebhaftes  Infanteriefeuer 
unter  die  Waffen.  Die  Spanier,  in  der  Besorgnis,  den  ge- 
deckten Weg  gestürmt  zu  sehen,  knallten  seit  dem  ersten 
Strahl  der  Sonne  auf  der  ganzen  Front  immer  frisch  ins 
Blaue  hinein.  Erst  nachdem  sich  der  Morgennebel  ver- 
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zogen  und  sie  sich  überzeugt  hatten,  daß  sie  niemand  an- 
griff, hörte  die  Munitionsverschwendung  auf. 

Einen  großen  Nutzen  gewahrten  uns  die  Sandsäckc, 
mit  denen  wir  die  ganze  Tranchee  gekrönt  hatten.  Man 
hatte  überall  Schießscharten  gebildet  und  sie  mit  guten 
Schützen  besetzt.  Diese  unterhielten  von  hier  aus  ein 
wohlgezieltes  Feuer  auf  den  Feind  und  schüchterten  diesen 
allmählich  so  ein,  daß  er  nur  furchtsam  an  die  Bedienung 
seiner  Geschütze  ging.  Sowie  sich  nur  etwas  in  den  Batte- 
rien rührte,  fielen  sofort  eine  Menge  Schüsse.  Die  höl- 
zernen Blenden  der  Scharten  waren  fast  auf  der  ganzen 
Front  durch  die  Gewehrkugeln  zerstört  Das  spanische 
Artilleriefeuer  fing  allmählich  an  schwächer  zu  werden, 
denn  die  Infanterie  tat  nicht  das  ihrige,  um  das  Oleich- 
gewicht in  dieser  Art  des  Kampfes  herbeizuführen. 

Am  26.  rief  uns  ein  Ausfall  des  Feindes  in  die  Tran- 
cheen,  doch  wurde  er  durch  das  44.  Regiment  zurückge- 
wiesen, so  daß  wir  nicht  ins  Gefecht  kamen.  Wir  verloren 
aber  mehrere  Leute  durch  das  Artilleriefeuer,  das  uns 
schon  im  Lager  begrüßte.  In  dem  kleinen  Gartenhäuschen, 
das  General  Chlopicki  in  der  Nähe  des  Lagers  bezogen 
hatte,  durchschlug  eine  Kugel  das  Zimmer  in  dem  er  sich 
eingerichtet  hatte.  Wäre  er  nicht  in  der  Tranchee  gewesen, 
möglich",  daß  ihn,  der  die  Gefahr  recht  eigentlich  suchte, 
hier  im  Bett  oder  beim  Essen  der  Tod  überrascht  hälfe. 

Die  Nacht  vom  26.  bis  27.  Dezember  war  eine  der 
unruhigsten  der  ganzen  Belagerung.  Während  unsere  Sap- 
peure  sich  dem  bedeckten  Wege  näherten,  warfen  die 
Feinde  eine  Menge  Granaten.  Wir  waren  einander  bereits 
so  nahe,  daß  die  Leute  durch  allerhand  Redensarten  sich 
gegenseitig  herausforderten.  —  „Ihr  habt  Kanonen  von 
Holz,"  riefen  die  Spanier  uns  zu.  „Wollt  ihr  nicht  ein 
paar  von  Don  Enrique  O'Donnell  borgen,  um  uns  anzu- 
greifen?" riefen  andere.  Endlich  entspann  sich  zwischen 
ihnen  und  den  Franzosen  eine  Art  Unterhaltung,  die  eine 
Pause  im  Gefecht  und  ein  gänzliches  Aufhören  des 
Schießens  herbeiführte.  Die  Spanier  hielten  Jedoch  diesen 
27*  41" 

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improvisierten  Waffenstillstand  nicht  lange,  feuerten  plötz- 
lich auf  einige  Offiziere  und  Leute,  die  sich  unbedachter- 
weise ihren  Schüssen  ausgegesetzt  hatten,  und  verwun- 
deten mehrere.  Das  Gefecht  begann  hierauf  aufs  neue; 
die  Spanier  brachen  plötzlich  vor,  verjagten  die  Arbeiter 
und  fingen  an,  die  Verbindungen  und  Verschanzungen  zu 
zerstören.  Aber  die  schnell  herbeieilende  Reserve  stellte 
den  Kampf  wieder  her. 

Mit  Tagesanbruch  indes  eröffneten  die  Spanier  ein 
so  heftiges  Feuer,  daß  man  die  vordersten  Arbeiten  auf- 
geben und  die  dabei  beschäftigten  Leute  zurückziehen 
mußte.  Wir  begnügten  uns,  aus  der  zweiten  Parallele 
ein  so  heftiges  Infanten  eleu  er  auf  den  Feind  zu  richten, 
daö  sein  Artilleriefeuer  dadurch  förmlich  zum  Schweigen 
gebracht  wurde.  Der  Verbrauch  an  Munition  war  sehr  be- 
deutend, denn  soviel  die  Offiziere  auch'  steuern  mochten, 
so  konnten  sie  doch'  des  Schießens  nicht  Herr  werden. 
Die  Soldaten  fanden  eine  Belustigung  darin,  mft  ihren 
Gewehren  die  Kanonen  zu  bekämpfen,  und  man  muß  frei- 
lich gestehen,  daß  es  besonders  diesem  wohlunterhaltenen 
und  oft  gut  gezielten  Feuer  zu  danken  war,  daß  man,  ohne 
eine  Kanone  aufgepflanzt  zu  haben,  es  schon  vermocht 
hatte,  den  bedeckten  Weg  am  siebenten  Tage  der  Bela- 
gerung zu  besetzen. 

Am  27.  nachmittags  ungefähr  um  vier  Uhr  machten 
die  Spanier,  die  schon  den  ganzen  Tag  über  ein  heftiges 
Feuer  unterhalten  hatten,  wieder  einen  sehr  lebhaften  Aus- 
fall. Sie  warfen  sich  entschlossen  auf  unsere  Arbeiten, 
töteten  einen  Offizier  und  mehrere  Soldaten  und  drangen 
bis  zur  zweiten  Parallele  vor.  Während  sie  das  Bauwerk 
einzureißen  bemüht  waren,  versuchten  sie  zugleich,  'durch' 
Pechkränze  und  in  Pech  getauchte  Reisigbündel,  die  sie 
mittels  kleiner  Haken  an  den  Schanzkörben  befestigten, 
diese  in  Brand  zu  stecken.  Sie  blieben  eine  ganze  Weile 
im  Besitze  der  Trancheen,  aber  sei  es,  daß  sie  nicht  genug 
Utensilien  mit  sich  führten,  um  die  Arbeiten  zu  zerstören, 
oder  daß  sie  es  vorzogen,  das  Feuern  aus  unsern  Gräben 
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zu  unterhalten,  statt  sie  zuzuwerfen  —  der  Schaden,  der 
hätte  angerichtet  werden  können,  stand  in  keinem  Verhält- 
nis zu  der  Länge  der  Zeit,  während  welcher  der  Feind  im 
Besitz  unserer  Gräben  gewesen  war. 

Die  Grenadiere  des  44.  französischen  und  des  2.  pol- 
nischen Regiments,  welch  letztere  aus  dem  Lager  herbei- 
geeilt waren,  vertrieben  die  Spanier  aus  den  Trancheen 
und  verfolgten  sie  bis  an  die  Palisaden.  Die  erste  Ore- 
nadierkompagnie  des  Regiments  unter  den  Leutnants  La- 
socki  und  Zarowski  zeichnete  sich  bei  dieser  Gelegenheit 
besonders  aus.  Letzterer  erhielt  einen  Kolbenschlag  von 
einem  spanischen  Grenadier  und  einen  Schuß  durch  seine 
Bärenmütze,  eben  als  er  einen  spanischen  Offizier  angriff, 
der  in  den  bedeckten  Weg  springen  wollte.  Auf  unserer 
Rechten  hatte  der  Feind  ebenfalls  einen  Ausfall  gemacht, 
aber  er  war  auch  hier  zurückgeworfen  worden,  und  zwar 
mit  einem  größeren  Verluste  als  auf  unseren  Flügel. 

Der  28.  verlief  nicht  minder  unruhig.  Das  Regiment 
aber  rückte  nicht  weiter  vor,  wenngleich  es  200  Arbeiter 
gestellt  hatte.  Am  29.  früh  begannen  unsere  Batterien 
(45  Geschütze)  auf  allen  Punkten  ihr  Feuer.  Es  waren 
viele  Offiziere  aus  dem  Lager  gekommen,  um  der  Eröff- 
nung desselben  beizuwohnen.  Die  erste  Bombe  fiel  in  eine 
Kaserne,  dicht  neben  einem  Schornstein,  aus  dem  der 
Rauch  sich  kräuselnd  erhob.  Sowie  der  Schuß  gefallen 
war,  sah  man  überall  Köpfe  hervorgucken.  Die  Tranchee- 
wachen  hatten  diesen  Augenblick  erwartet  und  richteten 
alsbald  ein  lebhaftes  Feuer  auf  diese  Neugierigen,  von, 
denen  gewiß  mancher  sein  Leben  einbüßte.  Aus  den  Ka- 
sernen selbst  sah  man  eine  Menge  Menschen  wegeilen. 
Die  Spanier  erwiderten  anfangs  das  Feuer  sehr  lebhaft, 
aber  nach  einigen  Stunden  schien  das  unsrige  die  Ober- 
hand zu  gewinnen.  Der  kommandierende  General  war  in 
der  Tranchee,  beobachtete  den  Erfolg  unserer  Arbeiten  und 
schien  damit  sehr  zufrieden. 

Am  30.  wurde  das  Feuer  fortgesetzt.  Eine  Kanonen- 
kugel riß  die  Fahne  des  alten  Schlosses  herunter,  was 
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unserseits  mit  einem  lauten  Jubel  begrüßt  wurde  und  der 
Geschützbedienung  20  Napoleons  einbrachte.  Im  Laufe, 
dieses  Vormittags  hatte  ich  wieder  Gelegenheit,  die  unver- 
gleichliche Ruhe  des  Generals  Chlopicki  zu  bewundern. 
Die  Voltigeure  saßen  und  lagen  in  einer  der  Verbindungen 
vor  der  Halbbastion  San  Pedro.  Ich  hatte  den  General 
in  der  Tranchee  nach  dem  Fort  Orleans  zu  begleitet,  wir 
waren  eine  kurze  Strecke  gegangen,  und  eben  machte  der 
Kommandeur  des  Postens  dem  durch  die  Sandsackschartc 
schauenden  General  eine  Meldung,  als  eine  Bombe  in 
die  Brustwehr  vor  ihm  schlug  und  darin  stecken  blieb. 
Der  General  setzte  während  dieser  Zeit  rullig  seine  Beob- 
achtung fort,  während  sich  die  Soldaten  und  Offiziere 
bückten  oder  auf  die  Erde  warfen,  um  das  Ungetüm 
platzen  zu  lassen.  Dies  geschah  auch  bald  darauf,  ohne 
daß  irgend  jemand  verwundet  worden  wäre.  „Eh  bien," 
sagte  der  General  zu  dem  Kommandanten  der  Wache,  der 
neben  ihm  stand  und  sich  gleichfalls  gebückt  hatte,  „vous 
avez  interrompu  notre  entretien,"  und  hörte  dann,  als  sei 
gar  nichts  vorgefallen,  die  Fortsetzung  des  Berichts  des 
Offiziers  an. 

Unsere  Artillerie  hatte  indessen  das  feindliche  Feuer 
fast  ganz  gedämpft  —  der  Brückenkopf  war  verlassen  — 
es  war  eine  Bresche  gelegt  und  der  Mineur  angesetzt 
worden.  Unsere  Infanterie  hatte  den  Feind  aus  allen  seinen 
Posten  vertrieben.  Aber  wenn  wir  an  Zaragoza  dachten, 
so  hätte  jetzt  erst  der  Kampf  recht  beginnen  müssen,  da 
der  Ort  wohl  auch  hierzu  geeignet  gewesen  wäre.  Indes 
die  Verteidigung  taugte  von  Anfang  an  nichts  —  es  [chlte 
ihr  an  jeder  Energie. 

Desto  eifriger  betrieb  General  Suchet  den  Angriff. 
Wir  hatten  immer  zwei  Nächte  Dienst  und  nur  eine  im 
Lager  frei.  Ich  hatte  in  der  Nacht  vom  31.  Dezember 
zum  1.  Januar  in  den  Trancheen  die  Wache.  Der  Bau 
einer  zweiten,  größeren  Breschbatterie  und  das  Vorschrei- 
ten der  Arbeiten  der  Ingenieure  ging,  ich  möchte  sagen, 
fast  ohne  Störung  vor  sich.  Aus  einigen  versteckten,  bis 
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dahin  unbemerkten  Winkeln  fielen  ab  und  zu  noch  ein- 
zelne Schüsse;  ebenso  ward  das  Artilleriefeuer  nur  noch 
schwach  vom  Castello  viejo  und  einigen  Flanken  her, 
denen  man  nicht  gut  beiltommen  konnte,  fortgesetzt. 

Da  ward  auf  einmal  gegen  11  Uhr  eine  weiße  Fahne 
aufgehißt,  und  bald  darauf  sah  man  zwei  Unterhändler 
durch  die  Trancheen  führen,  um  nach  dem  Hauptquartier 
gebracht  zu  werden.  Der  eine  dieser  Herren  war  klein, 
dick,  unansehnlich,  hatte  einen  runden  Hut  mit  einer  roten 
Kokarde,  eine  braune,  kurze  Jacke,  ebensolche  Beinkleider 
und  blaue  Strümpfe  an,  aber  Ob  erste  nützen  am  Kragen. 
Der  andere  sah  etwas  militärischer  aus,  aber  keineswegs 
so  gut,  um  uns  von  der  Haltung  der  Garnison  einen  son- 
derlichen Begriff  beizubringen.  Üas  Feuer  wurde  auf  der 
ganzen  Linie  eingestellt,  aber  die  Arbeiten  wurden  fortge- 
setzt. Da  dieselben  keine  große  Ausdehnung  hatten,  so 
war  ich  bald  hier  bald  dort,  obwohl  mein  Posten  eigent- 
lich vor  der  San  Pedro-Halbbastion  war.  Sei  es,  daß  das 
Nichtaufhören  der  Arbeiten  unserseits  oder  sonst  ein  Um- 
stand den  Spaniern  Veranlassung  gab  —  kurz,  nach  einiger 
Zeit  begannen  sie  das  Feuer  wieder  gegen  die  Bresch- 
batterie,  in  welcher  der  General  Chlopicki  zugegen  war. 
Ohne  sich  zu  besinnen,  trat  er  auf  die  Brustwehr  und  rief, 
mit  einem  Stöckchen,  welches  er  in  der  Hand  hielt, 
drohend:  „Caraccos  demonios14),  wenn  ihr  nicht  aufhört 
zu  schießen,  so  lasse  ich  euch  alle  hängen,"  und  wie  auf 
ein  Kommando  hörte  das  Feuer  auf. 

Die  Unterhandlungen,  mit  häufigen  Anfragen  in  der 
Festung  verbunden,  dauerten  bis  spät  abends;  und  da 
man  sich  über  die  Bedingungen  nicht  hatte  einigen  können, 
so  wurden  die  Feindseligkeiten  wieder  begonnen.  Die 
neue  Breschbatterie  eröffnete  ihr  Feuer  mit  dem  größten 
Erfolge,  und  am  andern  Tage  um  Mittag  waren  beide 
Breschen  ausführbar  und  die  Minen  angeblich  auch  so 
weit,  daß  sie  gesprengt  werden  konnten.  Die  Truppen 


»)  Verfluchte  Teufel. 

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wurden  zum  Sturm  aufgestellt  und  alle  Anstalten  getroffen, 
diesen  auf  das  erste  Signa!  zu  unternehmen.  Da  wurden 
auf  einmal  drei  weiße  Fahnen  aufgehißt,  doch  hörte  dies- 
mal das  Feuer  nicht  auf,  und  erst  als  man  unsem  Truppen 
ein  Tor  eingeräumt  hatte,  knüpfte  General  Suchet  neue 
Unterhandlungen  an.  Unter  dem  Vorwande,  daß  die  Parla- 
mentäre am  vorhergehenden  Tage  die  Loyalität  des  kom- 
mandierenden Generals  gern  iE  braucht  hätten,  wurde  ver- 
langt, daß  in  eins  der  Forts  sogleich  französische  Garnison 
einrücken  sollte.  Als  die  Abgesandten  zögerten  und  Un- 
gehorsam ihrer  Leute  vorschützten,  begab  sich  der  kom- 
mandierende General,  von  seinem  ganzen  Stabe  begleitet 
und  nur  von  einer  Kompagnie  Grenadiere  des  116.  Regi- 
ments gedeckt,  vor  das  Schloß,  kündigte  den  Wachen 
dort  das  Aufhören  der  Feindseligkeiten  an  und  ließ  sich 
durch  einen  Offizier  zu  dem  General  Orafen  von  Alacha 
führen.  Dieser,  hierdurch  eingeschüchtert,  willigte  münd- 
lich in  alles.  Die  Furcht  aber  vor  der  Garnison,  welche 
unter  den  Waffen  stand  und  nicht  sonderlich  Lust  zu 
haben  schien,  sich  zu  ergeben,  hielt  ihn  noch  ab,  eine 
Kapitulation  ä  discretion  zu  unterzeichnen.  Da  erschien 
General  Habert  an  der  Spitze  seiner  Truppen.  Dem  Gou- 
verneur schien  nun  nichts  mehr  übrig  zu  bleiben,  als 
nachzugeben.  General  Suchet  nahm  jeden  Augenblick 
einen  höheren  Ton  an;  er  wies  auf  den  angeblichen  Treu- 
bruch in  den  Unterhandlungen  des  vorigen  Tages,  auf  die 
zum  Sturm  bereitstehenden  Kolonnen  hin  und  machte  den 
Gouverneur  für  alle  Folgen,  die  aus  einer  längeren  Zöge- 
gerung entstehen  würden,  verantwortlich.  Zu  gleicher  Zeit 
räumten  die  Soldaten  die  Breschen  auf  —  alles  drängte 
zum  baldigen  Abschluß  eines  Abkommens,  und  der  General 
verlor  vollends  den  Kopf.  Statt  einen  Offizier  ins  Pulver- 
magazin zu  schicken  und  diesem  den  Befehl  zu  geben,  es  in 
die  Luft  zu  sprengen,  wenn  der  General  nicht  augen- 
blicklich das  Fort  räumen  würde,  und  dies  dem  franzö- 
sischen Oeneral  zu  sagen,  willigte  er  in  eine  Übereinkunft 
Vergessen  war  unter  der  energielosen  Anführung  des  Gou- 
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vemeurs  der  feierliche  Eidschwur,  den  die  Garnison  am 
3.  August,  dem  Tage  des  großen  Ausfalls,  auf  den  Degen 
O'Donnells  geleistet  hatte  —  entweder  zu  siegen  oder  zu 

Es  ward  eine  kurze  Kapitulation  formuliert  und  auf 
einer  Kanonenlafette  unterzeichnet.  Der  Gouverneur  über- 
gab am  2.  Januar  181 1  den  Platz  ohne  jede  Bedingung,  die 
Offiziere  behielten  ihre  Degen,  die  Garnison  die  Bagage 
und  ward  kriegsgefangen  nach  Frankreich  abgeführt 

So  schmachvoll  endete  für  die  Spanier  dieser  Kampf, 
der  am  4.  Juli  1310  so  rühmlich  begonnen  hatte.  Sechs 
Monate  hatte  die  Berennung  auf  dem  rechten  Ufer  ge- 
dauert, nur  17  Tage  die  Belagerung,  13  Tage  waren  seit 
der  Eröffnung  der  Trancheen  und  5  Tage  seit  dem  Be- 
ginn des  Artilleriefeuers  verflossen.  Über  0000  Gefangene, 
etwa  180  Oeschütze  und  ein  ungeheures  Kriegsmaterial 
fielen  in  unsere  Hände.  Die  Spanier  hatten  in  der  Zeit 
vom  15.  Dezember  1810  bis  zum  2.  Januar  1811  20  000 
Kanonenschüsse  getan,  jedes  unserer  Oeschütze  soll  300 
Schüsse  abgefeuert  haben. 

Die  Einnahme  des  Ortes  riß  Suchet  aus  einer  unan- 
genehmen Lage  und  gab  ihm  auf  seinem  Kriegstheater 
ein  entschiedenes  Übergewicht,  welches  er  denn  auch  mit 
Einsicht  und  Verstand  benutzte.  Fortan  waren  seine  Unter- 
nehmungen rein  methodisch  und  frei  von  dem  poetischen 
Anflug,  den  seine  ersten  Operationen  anfangs  getragen 
hatten.  —  Wieviel  hierzu  eigene  Neigung,  wieviel  Weisun- 
gen von  Paris  oder  Madrid  beigetragen  haben  mögen, 
dürfte  kaum  anzugeben  sein. 

Ob  der  Oeneral  imstande  gewesen  wäre,  seine 
Drohungen  gegen  den  Gouverneur  wahrzumachen,  will 
ich  dahingestellt  sein  lassen  —  9000  entschlossene  Männer 
konnten,  von  den  noch  ganz  unberührten  Forts  unter- 
stützt, noch  immer  einen  Widerstand  leisten,  der,  bei  aller 
Anerkennung  der  Bravour  der  10000  Franzosen,  die  Ent- 
scheidung wenn  auch  nicht  zweifelhaft  zu  machen,  so 
doch  sehr  in  die  Länge  zu  ziehen  imstande  war. 

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Die  Garnison  rückte  sofort  nach  der  Obergabe  des 
Platzes  aus,  defilierte  an  dem  Oeneral  vorüber  und  ward 
auf  Jerta  dirigiert.  Wenn  die  Leute  auch  nicht  besonders 
aussahen,  so  boten  sie  doch  einen  ganz  andern  Anblick 
dar,  als  einst  die  Oaraison  von  Zaragoza  und  lieferten 
jedenfalls  einen  Beweis  dafür,  daß  die  leitenden  Behörden 
in  der  Organisation  und  Formation  von  Truppen  bedeu- 
tende Fortschritte  gemacht  hatten. 

Unsere  Brigade  ward  mit  dem  Transport  der  Gefan- 
genen nach  Zaragoza  beauftragt.  Die  Eile,  mit  der  man 
die  starke  Kolonne  in  Bewegung  gesetzt  hatte,  trug  na- 
türlich ihre  Früchte,  und  diese  waren  namentlich  für  die 
armen  Spanier  sehr  bitter.  Da  man  ziemlich  spät  von 
Tortosa  abgerückt  und  die  Marschordnung  nicht  gehörig 
geregelt  war,  so  kamen  wir  auch  erst  spät  in  Jerta  an. 

Am  28.  Januar  erreichten  wir  St.  Jean  de  Luz,  die 
erste  französische  Etappe.  Die  armen  Gefangenen  litten 
auf  dem  Marsche  schrecklich.  Die  Kälte  und  die  Unmög- 
lichkeit, sie  durch  ein  gutes  Unterkommen  vor  der  Witte- 
rung zu  schützen,  die  knapp  zugemessenen  Lebensmittel 
wirkten  in  gleichem  Maße  auf  die  Gesundheit  nachteilig 
ein.  Es  war  hohe  Zeit,  daß  wir  nach  Frankreich  kamen, 
wo  mehr  Freiheit  gegeben  und  Nachsicht  geübt  werden 
konnte.  Ober  das  reizend  gelegene  St  Jean  de  Luz,  wo 
man  uns  sehr  freundlich  aufnahm,  gelangten  wir  am  29. 
nach  Bayonne,  wo  wir  unsern  Transport  abgaben  und  ein- 
quartiert wurden.  General  du  Quesne  war  Gouverneur 
von  Bayonne  und  sorgte  nach  Möglichkeit  für  uns  und 
die  Gefangenen.  Die  meisten  der  letzteren  nahmen  freund- 
lich Abschied  von  uns.  Wir  hatten  alles  für  sie  getan, 
was  in  unsern  Kräften  gewesen,  ihre  manchmal  herbe  Lage 
erleichtert,  mit  einem  Worte,  das  Mitgefühl  erwiesen,  das 
der  Mensch  dem  Menschen,  besonders  wenn  er  unglück- 
lich ist,  schuldet  Darin  lag  der  beste  Lohn  für  die  mühe- 
volle Zeit,  die  wir  auf  diesem  Marsche  zugebracht  hatten, 
dessen  Ende  von  uns  mit  Freude  begrüßt  wurde. 


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5. 

Gefangenschaft  und  Flucht 
auf  den  spanischen  Pontons 
von 
Henri  Ducor 


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Vorwort. 


Das  Wort  „Pontons"  hat  für  alle  die  einen  er- 
schreckenden Klang,  die  jemals  als  Gefangene  den  Fuß 
auf  ein  solches  Schiff  setzten,  denn  das  Leben  auf  der- 
artigen Fahrzeugen,  deren  sich  hauptsächlich  die  Spanier 
bedienten,  um  ihre  gefangenen  Feinde  darin  einzupfer- 
chen, grenzte  an  Barbarei.  Sie  benutzten  dazu  alte,  un- 
brauchbar gewordene,  ihres  Takelwerks  beraubte  Kriegs- 
schiffe, weil  ihnen  diese  der  sicherste  Ort  schienen,  ihre 
Gefangenen  unterzubringen.  Denn  da  das  ganze  Festland 
vom  Feinde  überschwemmt  war,  blieben  ihnen  nur  die 
Seestädte,  deren  Häfen,  wenigstens  nach  dem  Meere 
hinaus,  durch  die  englischen  Geschwader  gedeckt  waren. 

Der  Verfasser  des  folgenden  Berichts  war  Zeuge 
und  Teilnehmer  der  Niederlagen,  welche  der  verhängnis- 
vollen Lösung  des  Glücks  Napoleons  vorausgingen.  Er 
erlitt  die  entsetzlichste  Gefangenschaft  auf  einem  solchen 
Schiffe.  Als  Marinesergeant  der  kaiserlichen  Garde  be- 
fand sich  Henri  Ducor  zuerst  auf  einem  Ponton  und 
später  auf  der  Insel  Cabrera.  Endlich  sprengte  er  die 
unerträglichen  Fesseln  und  erlangte  mit  mehreren  seiner 
Leidensgefährten  unter  übermenschlichen  Aufopferungen 
und  Gefahren  die  Freiheit.  Er  ist  daher  wie  kein  anderer 
in  der  Lage,  Eindrücke  und  Tatsachen  während  seiner 
Gefangenschaft  zu  schildern,  die  wert  sind,  der  Vergessen- 
heit entrissen  zu  werden. 

Viel  Biographisches  ist  von  dem  Verfasser  nicht  zu 
berichten.  Da  er  keinen  hohen  Rang  in  der  Armee  ein- 

42g 

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nahm,  ist  soviel  wie  nichts  aus  seinem  Leben  bekannt, 
außer  was  er  selbst  in  seinen  Memoiren  darüber  erzählt. 

Man  weif)  von  Ducor  nur,  daö  er  1789  geboren  war, 
schon  mit  12  Jahren  als  Schiffsjunge  in  die  Marine  ein- 
trat und  1802  die  Expedition  nach  St  Domingo  mitmachte, 
auch  an  der  Schlacht  von  Trafalgar,  dem  unsterblichen 
Siege  Nelsons,  auf  dem  „Heros"  teilnahm.  Sein  Schiff 
rettete  sich  in  dieser  Niederlage  der  Franzosen  nach  Cadiz, 
das  Ducor  wenige  Jahre  später  unter  noch  ungünstigeren 
Verhältnissen  wiedersehen  sollte.  Nach  seiner  Flucht  von 
Cabrera  nahm  er  an  allen  späteren  Feldzügen  Napoleons 
teil.  Außer  der  spanischen  Gefangenschaft  indes  hat  er 
in  seinem  Werke  „Aventures  d'un  marin  de  la  garde  impe- 
riale, prisonnier  de  guerre  sur  les  pontons  espagnols,  dans 
nie  de  Cabrera  et  en  Russie;  pour  faire  suite  ä  l'histoire 
de  la  campagne  de  1812",  Paris,  1833,  nur  noch  dem  rassi- 
schen Feldzug  eine  eingehendere  Schilderung  gewidmet 

F.  M.  K. 


4110 


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Leben  und  Leiden  auf  den  spanischen  Pontons. 
Spanischer  Fanatismus.  Bestürmung  des  Gefängnisses 
von  Cabrera  durch  die  Bewohner.  Flucht 

Im  Juni  des  Jahres  1808  befanden  wir  uns  mit  fünf 
französischen  Linienschiffen  auf  der  Reede  von  Cadiz. 
Bis  dahin  hatten  uns  die  Kanonen  der  Spanier  beschützt, 
aber  plötzlich  waren  alle  Verbindungen  mit  dem  Lande 
unterbrochen ;  ganz  Spanien  war  gegen  uns  und  hatte  sich 
soeben  in  Massen  gegen  uns  erhoben.  Die  oberste  Junta 
von  Andalusien  ersetzte  die  abwesende  und  in  Gefangen- 
schaft befindliche  Autorität.1)  Von  einem  Ende  der  Insel 
zum  andern  rief  man:  „Tod  den  Franzosen!"  Inmitten 
all  dieser  Umstände  proklamierte  man  die  Erhebung 
Joseph  Bonapartes  auf  den  spanischen  Königsthron. 
Dieser  Fürst,  der  durch  den  Wunsch  seines  Bruders  und 
nicht  durch  den  Willen  der  Castilianer,  die  man  vergessen 
hatte  um  Rat  zu  fragen,  zum  König  gemacht  worden 
war,  befand  sich  noch  nicht  in  Madrid,  sondern  Murat, 
der  Oroöherzog  von  Berg,  befehligte  in  der  Hauptstadt 
und  hatte  sich  beeilt,  sobald  die  ersten  Symptome  einer 
bewaffneten  Opposition  gegen  die  Politik  des  Kaisers 
bemerkbar  wurden,  militärische  Dispositionen  zu  treffen. 

Cadiz  war  ein  sehr  wichtiger  Punkt,  den  man  so 
schnell  wie  möglich  besetzen  mußte,  und  er  hatte  deshalb 
dem  General  Dupont')  befohlen,  sich  in  Eilmärschen  nach 


»)  Vergleiche  allgemeine  Einleitung. 
*)  Siehe  Anmerkung  1  des  2.  Berichts. 

431 

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dieser  Stadt  zu  begeben.  Um  diese  Bewegung  zu  erleich- 
tern, die  mit  einem  ziemlich  beträchtlichen  Truppenkorps 
ausgeführt  wurde,  sollte  sich  der  Vizeadmiral  Rosily'), 
der  Oberbefehlshaber  unserer  Flotte,  in  dieser  Gegend, 
zwischen  der  Insel  Leon  und  dem  Trocadero,  vor  Anker 
legen.  Er  war  also  in  der  Lage,  die  Operationen  der  fran- 
zösischen Armee  zu  unterstützen,  sobald  sie  erschien.  Aber 
die  Spanier,  die  der  Anblick  unserer  Flagge  ärgerte,  faßten 
sofort  den  Entschluß,  uns  als  Feinde  zu  behandeln.  Drei- 
mal forderten  sie  uns  aijf,  uns  zu  ergeben,  und  auf  unsere 
Weigerung  bombardierten  sie  uns.  Wir  hielten  vom  9. 
bis  zum  14.  Juni  ohne  Unterlaß  ihr  Feuer  aus.  Endlich, 
als  keine  Möglichkeit  mehr  vorhanden  war,  weder  die 
Verteidigung  zu  verlängern,  noch'  aus  der  Stellung,  in 
der  wir  uns  befanden,  herauszugehen,  sahen  wir  uns  ge- 
nötigt, uns  bedingungslos  zu  ergeben.  Die  Engländer, 
deren  Regierung  sich  mit  Spanien  noch  nicht  verbündet 
hatte,  waren  in  diesem  Kampfe  unbewegliche  Zuschauer 
geblieben. 

Bei  dem  Haß,  den  die  Spanier  uns  geschworen  hatten, 
konnten  wir  uns  auf  keine  anständige  Behandlung  ihrer- 
seits gefaßt  machen :  alles,  was  sie  tun  konnten,  war, 
uns  am  Leben  zu  lassen.  Bei  unserer  Landung  brachten 
sie  uns  erst  in  den  Kerkern  von  La  Caraca  unter,  um 
uns  dann  in  den  Pontons  einzupferchen.  Das  Wort  „Pon- 
tons" läßt  heute  noch  denen  die  Haare  zu  Berge  steigen, 
die  das  Unglück  hatten,  in  ihrem  Leben  einmal  in  die 
Hände  der  Engländer  oder  Spanier  gefallen  zu  sein. 

Die  spanischen  Pontons  glichen  so  ziemlich  den  Ge- 
fangenen schiffen  der  Engländer.  Es  waren  gleichfalls  alte, 
unbrauchbare,  mit  Stückpforten  versehene  Schiffe.  Jedes 
derselben  konnte  etwa  160—180  Fuß  Länge  und  40—45 


')  Graf  Francis  Eticnnc  Rosi ly-Mesros,  Vizeadmiral  der 
frarßöslschen  Flotte,  befehligte  von  1805— 180S  in  der  Eigenschaft 
eines  Admirals  die  vereinigten  Oeschwader  von  Frankreich  und 
Spanien. 
432 

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Fuß  Breite  Haben.  Ein  einziges,  „Alt-Castilien",  diente 
als  Offiziersgefängnis;  es  war  dasselbe  Schiff,  das  seine 
Kabel  zerbrach  und  durch  die  Flut  nach  dem  Hafen  Santa- 
Maria  geführt  wurde,  wo  sich  damals  die  französische 
Armee  befand. 

Auf  diesen  Pontons  sah  man  keinerlei  Art  von  Takel- 
werh.  Alles,  was  an  den  Anblick  eines  Kriegsschiffes 
erinnert,  war  verschwunden.  Diese  gewaltigen  Schiffs- 
körper waren  wahrhaftig  wie  große  Särge,  in  denen  man 
lebende  Menschen  dem  langsamen  Tode  entgegenführte. 
Sowohl  der  Schiffsraum  als  auch  das  Unterdeck  lagen 
unterhalb  der  Wasserlinie,  wo  sich  auch  die  schmutzigsten 
Winkel  befanden.  In  dem  stets  feuchten  Schiffsraum  hatte 
sich  ein  schwarzer,  verpesteter  Schlamm  gebildet,  und 
es  war  unmöglich,  in  den  zahllosen  Abteilungen  oder 
kleinen  Zellen,  die  das  Unterdeck  darstellten,  zu  leben. 
Eine  einzige,  mit  dem  Schiffsraum  parallel  laufende  Luke 
gestattete  den  Eintritt  der  Luft  in  diesen  Teil  des  Schiffes, 
der  ununterbrochen  mit  dem  entsetzlichsten  Oestank  an- 
gefüllt war.  Dort  fand  das  Licht  nur  schwierig  Zugang, 
und  nur  mit  Mühe  konnte  man,  selbst  am  hellen  Tage, 
die  einzelnen  Gegenstände  unterscheiden. 

Die  zweite  und  erste  Stückpforte')  hatten  große  Un- 
annehmlichkeiten, wenn  auch  anderer  Art,  zur  Folge:  man 
genoß  wohl  das  Tageslicht,  aber  die  Luken  waren  bestän- 
dig geöffnet,  die  Kühle  der  Nacht  und  der  ungehindert 
eindringende  Luftzug  verursachten  Augenentzündungen 
und  unerträgliche  Gliederschmerzen. 

Auf  diesen  Fahrzeugen,  wo  man  uns  bis  zu  zwölf- 
oder  fünfzehnhundert  Mann  zusammengepfercht  hatte,  gab 
es  nur  einen  einzigen  Ort,  der  keine  großen  Gefahren 
für  die  Gesundheit  mit  sich  brachte:  das  Hinterdeck,  wo 
sich  die  Pulverkammer  befand.  Und  gerade  diese  Stelle 
wurde  uns  versagt,  weil  es  die  spanischen  Kaufleute  für 
geeignet  gefunden  hatten,  dort  ihre  Waren  auszubreiten. 


•)  Die  Srhielisriiaricu  auf  KrirsssiMfun. 
28      B»M7:  Spin.  FnihciBlurapI.  433 

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Man  wagte  zwar  nicht,  uns  Hungers  sterben  zu 
lassen,  aber  man  gab  uns  vergiftete  Nahrungsmittel: 
schwarzes  Koni  misb  rot  mit  crci  artigen  Substanzen,  wurmi- 
ges Biskuit,  altes  salziges,  schon  in  Verwesung1  überge- 
gangenes Fleisch,  ranziges,  gelbes  Fett,  verdorbenen  Kabel- 
jau, schadhaften  Reis,  ebensolche  Erbsen  und  Saubohnen. 
Hingegen  erhielten  wir  weder  Wein,  noch  Essig,  über- 
haupt nichts,  um  unsere  Nahrung  zuzubereiten.  Und  um 
das  Elend  voll  zu  machen,  verweigerte  man  uns  bei  der 
schrecklichen  Hitze  und  bei  einer  Nahrung,  die  ganz  dazu 
geeignet  war,  Durst  zu  erregen,  das  nötige  Wasser;  zum 
mindesten  gab  man  es  uns  in  so  kleinen  Quantitäten,  daß 
es  ebenso  schnell  verbraucht  war  wie  Wassertropfen,  die 
auf  glühendes  Eisen  fallen.  Auf  diese  Weise  gebärdeten 
wir  uns  mittags  wie  Wütende.  Oberall,  wohin  wir  auch 
gehen  mochten,  in  der  Hoffnung,  irgend  eine  Erleichterung 
zu  finden,  empfanden  wir  nur,  wie  unsere  Qual  immer 
schlimmer  wurde.  In  den  Stückpforten  war  eine  Atmo- 
sphäre zum  Ersticken;  man  triefte  vor  Schweiß  durch 
das  Atemholen  so  vieler,  und  die  Atmungstätigkeit  wurde 
auf  die  schrecklichste  Weise  erschwert.  Auf  dem  Deck 
dagegen  verbrannten  uns  die  senkrecht  herabfallenden 
Sonnenstrahlen  die  Haut  und  brachten  das  Blut  zum 
Sieden. 

Der  Anbruch  des  Tags  war  für  uns  dasselbe,  was 
für  die  Vögel  der  Anbruch  der  Dunkelheit  bedeutet:  nie- 
mals sahen  wir  ihn,  ohne  dabei  traurig  gestimmt  zu  wer- 
den, denn  nur  die  Nacht  brachte  uns  einigermaßen  Linde- 
rung. Oh,  wie  wünschten  wir,  sie  verlängern  zu  können; 
und  wenn  sie  zu  Ende  ging,  wie  ungeduldig  waren  wir, 
bis  sie  wiederkehrte! 

Da  wir  gewissermaßen  wie  geröstet  waren,  wären 
wir  gern  bei  zurückkehrender  Flut,  die  die  Flanken  unseres 
alten  Schiffes  sanft  umspülte,  hinabgestiegen.  Aber  es 
war  untersagt,  uns  zu  baden,  und  wer  auch  nur  versucht 
hätte,  diesem  Gebot  zuwiderzuhandeln,  würde  es  mit  dem 
Leben  bezahlt  haben.  Unsere  Wächter,  Soldaten  der  spa- 
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irischen  Flotte,  hatten  Befehl,  auf  jeden  Gefangenen,  von 
dem  sie  vermuteten,  daß  er  sich  vom  Schiffe  entfernen 
wolle  —  und  sei  es  auch  nur  für  einen  Augenblick  — 
Feuer  zu  geben.  Und  sie  waren  zu  grausam,  um  diesen 
Befehl  nicht  buchstäblich  auszuführen:  sie  würden  uns 
erbarmungslos  niedergeschossen  haben !  Wir  zweifelten 
nicht  daran,  und  um  ihnen  nicht  die  Genugtuung  zu  geben, 
ihre  Pflichten  erfüllen  zu  können,  mußten  wir  es  bei 
bloßen  Abwaschungen  bewenden  lassen. 

Es  fiel  uns  schwer,  uns  an  die  Lebensweise,  der  wir 
unterworfen  waren,  zu  gewöhnen,  doch  machten  wir  im 
ersten  Augenblick  gute  Miene  zum  bösen  Spiel.  Bald 
aber  war  es  uns  nicht  mehr  lächerlich  zumute.  Die  Armee 
Duponts,  von  der  wir  unsere  baldige  Befreiung  erhofften, 
hatte  kapituliert,  und  die  Spanier  brachten  sie  gefangen 
herbei.  Man  hatte  es  uns  mitgeteili,  und  nur  zu  bald 
mußten  wir  an  diese  verzweiflungs  volle  Nachricht  glauben, 
da  sie  durch  öffentliche  Belustigungen  bestätigt  wurde. 
So  folgten  dem  Hohn  und  dem  Obermut  sogleich  Entmuti- 
gung und  beißender  Spott. 

Wieviel  schreckliche  Krankheiten  entwickelten  sich 
nicht  in  so  kurzer  Zeit  unter  der  Menge  zusammengepreß- 
ter und  schlecht  ernährter  Menschen!  Ich  sah  allerlei 
Fieber  entstehen  und  sich  nach  und  nach  ausbreiten: 
Durchfall,  Ruhr,  Typhus,  Skorbut  wüteten  unter  meinen 
unglücklichen  Gefährten.  Auch  ich  erwartete,  daß  ich  an 
die  Reihe  käme,  aber  es  stellte  sich  keine  Krankheit  ein. 

Mit  der  Zeit  verschlimmerte  sich  unsere  Lage  derart, 
daß  die  Spanier  endlich  fürchteten,  die  Verantwortlichkeit 
ihrer  brutalen  Sorglosigkeit  tragen  zu  müssen  und,  um 
sich  wenigstens  nach  dieser  Seite  hin  zu  schützen,  sandten 
sie  an  die  Junta  einen  Rapport,  der  diese  unsere  schreckr 
liehe  Lage  erkennen  Heß.  Ich  weiß  nicht,  ob  sich  die 
Obrigkeit  damals  mitleidiger  als  unsere  Wächter  zeigte, 
aber  das  weiß  ich,  daß  die  Soldaten  des  Korps  Dupont 
ankamen.  Und  da  sie  in  einem  Lande,  das  sie  als  Freunde 
aufgenommen,  die  Waffen  ergriffen  hatten,  so  luden  sie 
28-  435 

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vielmehr  die  Abneigung  der  Spanier  auf  sich,  und  es 
wurde  entschieden,  daß  sie  unsem  Platz  an  Bord  der 
Pontons  einnehmen  sollten.  Man  teilte  uns  infolgedessen 
mit,  daft  wir  nach  San-Carlos  auf  der  Insel  Leon  über- 
fuhrt werden  würden,  und  am  nächsten  Tag  wurden  wir 
an  Land  gesetzt. 

Hier  bricht  der  Verfasser  nach  einigen  sich  an  die  Verän- 
derung des  Orts  der  Gefangen  seil  alt  anschließenden  Betrach- 
tungen ah,  um  den  Berieht  eines  Militärarztes  der  Armee  Duponls 
einzuschalten,  und  läßt  jenen  von  sich  selbst  in  der  ersten 
Person  sprechen. 

Unsere  Armee  war  schön  und  voll  guten  Muts,  als 
sie  die  Maßnahmen  ihres  Oenerals,  der  sie  zu  einem  Fehl- 
tritt verleitet,  befolgte,  aus  dem  er  sie  weder  mit  Ehren 
zu  ziehen  wußte  noch  wollte.  Sie  befand  sich  keinem 
Feind  mehr  gegenüber,  gegen  den  es  nicht  erlaubt  war, 
die  letzten  Hilfsmittel  der  Tapferkeit  zu  versuchen;  und 
sie  verlor  sofort  das  gesunde  Aussehen,  das  den  Franzosen 
so  gut  steht  und  genügt,  die  bescheidene  Uniform  zu 
schmücken.  Die  Truppen  marschierten  gesenkten  Haup- 
tes, sie  hatten  ein  gc langweiltes,  ja  last  kränkliches  Aus- 
sehen. Jeden  Tag  wurden  die  Gesichter  länger,  finsterer 
und  verdrießlicher.  Die  langen  Reihen  unserer  zerlumpten 
Regimenter  glichen  Prozessionen  von  eingeborenen  Kran- 
ken, die  eine  Feuersbrunst  aus  ihrem  Hospital  vertrieben 
hatte.  Sie  bewegten  sich  langsam  in  vollkommenster  Unord- 
nung vorwärts,  ohne  eine  andere  Disziplin  als  die  Flinten- 
kolben der  Soldaten  anzuerkennen,  die  unsere  Eskorte 
bildeten.  Jeder  Gefangene,  der  aus  irgend  einem  Bedürfnis 
zurückblieb  oder  aus  Schwäche  der  Kolonne  nicht  folgen 
konnte,  schuf  sich  somit  sein  eigenes  Grab.  Die  Bewohner 
des  Landes  eilten  herbei,  um  ihn  zu  ermorden :  wir  brauch- 
ten uns  nur  umzusehen,  um  uns  davon  zu  überzeugen.  Und 
seihst  wenn  wir  dies  nicht  getan  hätten,  würden  uns  die 
erbarmungswürdigen  Schreie  der  Opfer  und  die  barba- 
rischen Gesänge  der  Wütenden  van  dem  belehrt  haben, 
was  sich'  hinter  uns  ereignete.  Frauen,  Kinder,  Greise,  alle 
43Ö 

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mischten  sich  darein.  Man  hätte  meinen  können,  daß 
dieses  Andalusien,  dessen  Name  einen  so  poetischen  Klang 
hat,  nur  von  Kannibalen  bevölkert  sei.  Indes  war  diese 
Wut  nichts  als  der  Ausfluß  der  Vaterlandsliebe,  des  Na- 
tionalstolzes und  der  AnhäE glich kcit  an  die  Religion  ihrer 
Väter.  Alle  Gefühle  wurden  durch  unsere  feindliche  An- 
wesenheit und  widerrechtlichen  Ansprüche  bis  zum 
Äußersten  getrieben. 

Um  jene  Zeit  war  Spanien  der  Schrecken  unserer 
Soldaten  geworden;  sie,  die  für  gewöhnlich  nicht  den 
Augenblick  erwarten  konnten,  ins  Feld  zu  ziehen,  um 
den  Krieg  zu  beginnen,  wohin  man  sie  auch  führen  mochte, 
überschrilten  die  Pyrenäen  nur  mit  Bedauern,  das  Herz 
von  unbestimmten  Ahnungen  erfüllt. 

Ehemals,  bevor  Italien  für  uns  der  Schauplatz  der 
Triumphe  und  des  Ruhmes  wurde,  war  es  als  das  Grab  der 
Franzosen  angesehen  worden,  heute  ist  es  die  spanische 
Halbinsel,  die  diesen  verhängnisvollen  Beinamen  verdient 

Das  Beispiel  der  Generale,  die  sich  nur  damit  be- 
schäftigten, ihre  Munitions wagen  mit  den  Reichtümern 
der  Kirchen,  Klöster  und  Schlösser  anzufüllen,  ermutigte 
die  Soldaten  in  ihren  Erpressungen,  und  je  mehr  man 
stahl,  desto  hartnäckiger  wurde  der  Widerstand  der  Ein- 
wohner, je  anspruchsvoller  die  uns  er  n  waren,  desto  schlim- 
mer wurde  das  Gefühl  des  Hasses,  das  die  Spanier  uns 
entgegenbrachten  .  .  . 

Unsere  Soldaten  hatten  noch  nichts  Ähnliches  ge- 
sehen: sie  fürchteten  nicht  die  Spanier,  die  sich  vertei- 
digten, sondern  diejenigen,  die  sich  unterworfen  hatten. 
Weder  marschierten  sie  noch  ruhten  sie  mit  Sicherheit  auf 
dem  Lande,  wo  die  Gast  freundschalt,  selbst  die  allerherz- 
lichste,  sie  erzittern  machte.  Die  Schlange,  deren  Biß 
tödlich  ist,  befand  sich  mitten  unter  ihnen;  vielleicht  war 
es  jenes  Kind,  das  ihnen  gleichsam  spielend  Früchte  an- 
bot, jenes  junge  Mädchen,  das  sie  durch  seine  feurigen 
Blicke  herausforderte,  jener  liebenswürdige  Ehemann,  der 
seiner  Frau  erlaubte,  mit  ihnen  zu  kosen,  oder  jene  Duena, 
437 

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die  sich  als  die  offizielle  Botin  einer  improvisierten  Liebe 
einstellte. 

Ja,  die  Liebe!  Die  Franzosen,  die  nicht  ohne  galante 
Abenteuer  leben  können,  waren  hier  gezwungen,  ihre 
berauschenden  Zerstreuungen  zurückzuweisen,  denn  es 
war  unmöglich,  den  flackernden  Irrlichtem  dieses  afri- 
kanischen Blutes  zu  trauen,  das  in  den  Adern  der  verführe- 
rischen Töchter  Spaniens  rollt.  Bei  ihnen  kann  die  hef- 
tigste aller  Leidenschaften,  die  sonst  über  alle  anderen 
triumphiert,  sich  nötigenfalls  unter  irgend  einer  Maske 
verbergen,  nur  um  den  Haß  zu  stillen,  der  sich  an  dem  ge- 
heiligten Herde  der  Religion  und  des  Patriotismus  ent- 
zündet. Und  die  Vorsicht  gebot  es,  den  verführerischsten 
Lockungen  der  Maurinnen  gegenüber  von  Eis  zu  sein.  Die 
Enthaltsamkeit  Scipios,  die  Tugend  des  Ritters  Bayard, 
die  Keuschheit  Josephs  waren  nichts  weiter  als  persön- 
liches Interesse,  wohlverstanden!  Man  widerstand  den 
stärksten  Versuchungen,  weil  es  Liebkosungen  gab,  die 
tödlich  waren ;  man  fürchtete  die  Umarmung  Judiths  und 
versagte  sich  jede  Ungezwungenheit,  jedes  Vergnügen. 
Eine  süße  Stimme  war  der  trügerische  Sirenengesang, 
jedes  angebotene  Getränk  der  Trank  der  Medea.  Stets 
war  man  darauf  gefaßt,  einigen  nationalen  Gräfinnen  Brin- 
villiers1)  zu  begegnen.  Es  gab  keinen  Brunnen,  an  dem 
man  gewagt  hätte  sich  zu  laben,  keinen  Becher,  den  man 
nicht  fürchtete  an  die  Lippen  zu  führen.  Wie  sehr  ver- 
mißte man  damals  Deutschland  mit  seinen  blonden  Locken- 
köpfen und  blauen  Augen,  mit  seinem  köstlichen  Empfang 
und  den  Zärtlichkeiten  ohne  jeden  Hintergedanken!  Und 
Italien,  dessen  Schönheiten  so  freimütig  verliebt  in  den 
fremdländischen  Befreier  waren!  Welch  ein  Kontrast  mit 
Spanien,  wo  das  naivste  Lächeln  nur  der  Köder  zu  einer 
Falle  war! 

Was  Furcht  und  Besorgnis  anlangt,  welcher  Art  sie 


«)  Die  Marquise  de  Brinvilliers  war  eine  berüchtigte  und 
berühmte  Oiftaischerin  det  17.  J>hrhunderts. 
«! 

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auch  sei,  so  sind  die  Franzosen  vielleicht  die  uner- 
schrockensten Zweifler,  die  es  auf  der  Welt  gibt;  es  liegt 
in  ihrem  Temperament,  der  GeJahr  zu  trotzen,  ja  sie  über- 
haupt ganz  zu  ignorieren.  Das  taten  sie  zuerst  auch  mit 
ihrer  gewöhnlichen  Tollkühnheit,  aber  bald  mußten  sie 
sich  von  der  Augenscheiiilichkcil  der  Tatsachen  überzeugen 
und  sich  zu  Vorsichtsmaßregel!]  entschließen,  die  indes 
immer  nachlässiger  befolgt  wurden,  da  der  Argwohn  ihrem 
Charakter  zuwider  war. 

Aber  von  allen  Seiten  stellten  sich  Warnungen  ein, 
und  es  wurden  nun  in  die  Disziplinarvorschriften  definitive 
Sicherheiten)  aß  regeln  aufgenommen.  Man  richtete  sich 
nicht  mehr  in  einem  Hause  ein,  ehe  man  dasselbe  nicht 
in  allen  Teilen  auf  das  genaueste  durchsucht  hatte.  Man 
aß  weder  das  Brot  seiner  Wirte  noch  trank  man  ihren 
Wein,  ohne  daß  man  sie  nicht  gezwungen  hätte,  zuerst 
davon  zu  essen  oder  zu  trinken.  Ein  Pariser  Voltigeur 
sagte  darauf  bezüglich  zu  seinen  Kameraden,  die  sich 
nicht  an  den  Aufenthalt  in  Spanien  gewöhnen  konnten: 
„Ihr  seid  sonderbar,  Kameraden!  Ihr  eßt  nichts,  wovon 
man  nicht  vorher  gekostet  hat,  ihr  haltet  euch  in  keiner 
Wohnung  auf,  die  man  nicht  vorher  untersucht  hat,  ihr 
schlaft  nicht  ohne  bewacht  zu  sein.  Seid  ihr  nicht  glück- 
lich wie  ein  Konig,  warum  beklagt  ihr  euch?  Es  fehlen 
euch  nur  eine  Leibgarde,  Kammerherrn  und  Pagen!" 

Derselbe  Voltigeur  erzählte  mir  eines  Tages,  daß, 
wenn  ihm  das  Glück  hold  war  und  er  mit  einer  Spanierin 
ein  galantes  Abenteuer  hatte,  er  es  niemals  vernachlässigte, 
sich  von  einem  seiner  Kameraden  begleiten  zu  lassen, 
der  während  des  Rendezvous  Wache  stehen  mußte.  Bei 
dieser  Gelegenheit  lallt  mir  ein  äußerst  tragisches  Ereignis 
ein,  das  ich  erzählen  will. 

Eines  Abends  waren  sieben  Husaren  in  einem  Dorfe 
Andalusiens  in  der  Umgebung  von  las  Cabezas  de  San 
Juan  angekommen  und  hatten,  der  Gewohnheit  gemäß, 
nicht  unterlassen,  die  Wohnung  zu  wählen,  die  das  reichste 
Aussehen  hatte.  Die  Hausherrin,  eine  der  schönsten 
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Frauen  der  Gegend,  bereitete  ihnen  einen  guten  Empfang. 
Sie  liebe  die  Franzosen,  versicherte  sie  und  hörte  nicht 
auf,  sich  in  Lobsprüchen  über  die  Eleganz  ihrer  Kleidung 
zu  ergehen.  Nach  allerlei  Komplimenten  und  Schmeiche- 
leien beeilte  sie  sich,  ihnen  ein  reichliches  Mahl  reichen 
und  Wein  zu  einer  großen  Zecherei  zur  Verfügung  stellen 
zu  lassen.  „Sie  werden  doch  mit  uns  trinken,"  sagten  die 
Husaren.  Sofort  ergriff  sie  ein  gefülltes  Olas  und  leerte 
es  mit  den  Worten  „AI  rey  Don  Jose"  auf  das  Wohl  des 
Königs  Joseph.  Sie  trank  auch  noch  ein  zweites  bis  an 
den  Rand  gefülltes  Glas  und  leerte  es  zum  Wohle  der 
Franzosen.  Die  Husaren  bezeugten  darauf  ihre  Genug- 
tuung, so  gute  Aufnahme  gefunden  zu  haben.  Da  ihnen 
jedoch  die  Eingenommenheit  der  Spanierin  ein  wenig 
außerordentlich  erschien,  luden  sie  sie  ein,  vor  ihnen  von 
den  Gerichten  zu  essen,  die  man  ihnen  vorgesetzt  hatte. 
Sie  aß  viel  davon,  wobei  sie  in  liebenswürdigster  Weise 
darüber  scherzte,  daß  ihre  Gäste  sie  derart  auf  die  Probe 
stellten. 

Im  Zimmer  der  Andalusierin  befanden  sich  vier  Kin- 
der, drei  Knaben  und  ein  hübsches  sieben-  oder  achtjäh- 
riges Mädchen.  Ein  Husar  fragte,  ob  die  Kinder  ihr  ge- 
hörten, und  auf  die  bejahende  Antwort,  sagte  er:  „Nun, 
dann  müssen  sie  auch  an  dem  Mahle  teilnehmen." 

„Immer  Verdachtsgründe,"  versetzte  sie.  „O,  meine 
Herren  Franzosen,  Sie  sind  böse." 

Sogleich  aber  ließ  sie  ihre  Kinder  kommen  und  be- 
fahl ihnen,  in  Gesellschaft  der  Husaren  am  Essen  teilzu- 
nehmen. „Fürchtet  euch  nicht,"  sagte  sie  zu  ihnen,  „ihr 
seht,  sie  essen  wie  ich,"  und  dabei  gab  sie  ihnen  von  allem 
so  reichlich,  daß  die  Husaren  beim  Nachtisch  vollkommen 
beruhigt  waren  und  wirklich  bereuten,  an  der  Aufrichtig- 
keit ihrer  Gesinnung  gezweifelt  zu  haben.  Sie  hielten  es 
auch  für  angebracht,  sich  zu  entschuldigen.  Sie  nahm 
diese  Entschuldigung  teils  mit  Ziererei,  teils  mit  spötti- 
scher Würde  auf,  doch  ließ  sie  nicht  nach,  ihnen  Vorwürfe 
darüber  zu  machen,  halb  im  Scherz,  halb  im  Ernst. 
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„IcH  sehe,"  sagte  einer  der  Anwesenden,  „daß  die 
Dona  sich  ärgert  und  uns  zürnt" 

„Nein,  ich  schwöre  bei  unserer  lieben  Frau  von  Fuen 
Santa  und  unserm  großen  Heiligen  Jakob  von  Compostetla, 
daß  ich  euch  jetzt  verziehen  habe!" 

„Out,  wenn  Sie  uns  nicht  mehr  zürnen,"  sagte  ein 
zweiter  der  Gaste,  der  sich  vom  Tische  erhoben  hatte  und 
mit  einer  Mandoline,  die  er  an  einem  Fensterkreuz  hängend 
gefunden  hatte,  zurückkam,  „so  werden  Sie  uns  einen  Bo- 
lero singen." 

„Ja,  ja,  ausgezeichnet,  einen  spanischen  Tanz.  Also 
vorwärts,  und  ohne  jeden  Qroll!"  riefen  die  andern. 

Sie  ergriff  die  Mandoline  und,  indem  sie  sich  selbst 
begleitete,  begann  sie  in  fast  fröhlichem  Rhythmus  ein  Lied 
des  Landes  zu  singen.  Die  Husaren  sangen  in  froher 
Laune  mit,  aber  bei  jeder  Strophe  wurde  der  Takt  lang- 
samer und  der  Klang  der  Stimme  immer  schwlcher.  Plötz- 
lich wird  die  Sängerin  erdfahl,  ihr  Gesicht  verzerrt  sich, 
ihre  Augen  treten  heraus  und  das  Instrument  entgleitet 
ihren  Händen.  Mit  einer  letzten  Anstrengung  erhebt  sie 
sich  vom  Stuhl  und  will  das  vor  ihr  stehende  Glas  er- 
greifen, das  sie  schon  mit  gekrümmten  Fingern  erfaßt. 
„AI  nuestro  rey  Fernando!"  ruft  sie  und  führt  es  an  die 
schwarzen  Lippen,  die  sich  schon  mit  Schaum  bedecken. 

Die  Husaren  sahen  sich  unruhig  an. 

„AI  rey  Fernando!"  wiederholt  sie.  „Muerte  a  los 
Franceses!"  Da  flogen  alle  Säbel  gleichzeitig  aus  den 
Scheiden,  aber  sie  setzt  dieser  Drohung  nur  ein  geister- 
haftes Lächeln  und  eine  ironische  verneinende  Kopfbewe- 
gung entgegen.  Sie  lächelt  noch  immer,  sinkt  zu  Boden, 
und  während  sie  sich  auf  den  Marmorfließen  windet  wie 
eine  Schlange  unter  den  Krallen  des  Adlers,  der  sie  zer- 
fleischt, stöBt  sie  mit  teuflischer  Stimme  die  düstern  Worte 
aus:  „Ich  bin  vergiftet,  meine  Kinder  sind  es  auch!" 
Dann  nach  einer  Pause  fügt  sie,  immer  mit  diesem  schreck- 
lichen Lächeln  auf  den  Lippen  hinzu:  „Gott,  die  Jungfrau 
und  die  Heiligen  seien  gelobt!  Ihr  seid  auch  vergiftet!" 

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Diese  unheilvolle  Mitteilung;  versetzte  die  Husaren 
in  die  größte  Bestürzung.  Einen  Augenblick  blieben  sie 
stumm  und  unbeweglich,  als  wenn  sie  der  Blitz  getroffen 
hatte,  bald  aber  machte  das  Erstaunen  einer  schrecklichen 
Wut  Platz.  „Wir  sind,  ja  wir  sind  vergiftet?"  wieder- 
holten sie.  Und  beim  Anblick  der  armen  Kinder,  die  sich 
auf  dem  Boden  krümmten  und  zu  ihrer  Mutter  hinkrochen, 
als  sie  deren  Todesröcheln  vernahmen  und  in  ihrem  Schöße 
ihren  letzten  Seufzer  aushauchten,  riefen  sie:  „Seht  die 
Elende,  die  Metze,  die  Abscheuliche,  die  Ruchlose,  das 
Scheusal!  Man  muß  sie  in  Stücke  zerhacken!" 

„Ja,  ja  zerhacken,  tüten  wir  sie!"  und  schon  warfen 
sich  die  Aufgeregtesten  in  blinder  Wut  auf  sie,  bereit,  ihr 
die  Klingen  ihrer  Säbel  in  die  Brust  zu  stoßen.  Da  rief 
einer  der  Kameraden:  „Ja,  tötet  nur  die  Toten!"  Alle 
fuhren  zurück  und  keiner  dieser  Männer  besaß  den  Mut, 
zuzustoßen. 

Der,  welcher  diese  vernünftige  Beobachtung  gemacht 
hatte,  war  der  einzige,  der  sein  kaltes  Blut  bewahrt  hatte. 
„Kameraden,"  fuhr  er  fort,  „es  ist  keine  Zeit  zu  ver- 
lieren, man  muß  schnell  Hilfe  herbeiholen.  Ich  bin  der 
Jüngste  unter  uns,  wenn  ihr  wollt,  werfe  ich  mich  aufs 
Pferd  und  schicke  euch  den  ersten  Arzt,  den  ich  finde. 
Gehe  ich  unterwegs  zugrunde,  nun  dann  ist  nichts  zu 
ändern."  Sein  Vorschlag  wurde  angenommen,  und  er 
ritt  davon. 

In  diesem  Augenblick  fingen  die  andern  an,  die 
Schmerzen  um  so  heftiger  zu  spüren,  als  sie  bis  dahin 
durch  ihren  Rausch  unterdrückt  worden  waren.  Als  jener 
Husar  da  ankam,  wo  er  Hilfe  zu  finden  hoffte,  besaß  er 
gerade  noch  die  Kraft,  die  Katastrophe  zu  erzählen,  der 
er  und  seine  Kameraden  zum  Opfer  gefallen  waren. 

Wir  befanden  uns  nicht  weit  von  jenem  Dorfe  ent- 
fernt; zwei  Unterregimentsärzte  und  ich  als  dritter  be- 
gaben uns  mit  einer  Kavallerieabteilung  dahin.  Wir  ritten, 
was  die  Pferde  laufen  konnten,  aber  trotz  unserer  Schnel- 
ligkeit war  es  bereits  zu  spät.  Von  den  sechs  Husaren 
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waren  nur  noch  zwei  am  Leben.  Wir  taten  alles,  um 
sie  zu  retten,  aber  vergebens:  sie  starben  unter  den 
schrecklichsten  Krämpfen.  Die  Kinder  waren  schon  starr 
und  steif  und  lagen  an  der  Seite  ihrer  Mutter.  —  Wir 
verbrannten  darauf  einige  Häuser,  und  von  dem  Ort  blieb 
nur  ein  Haufen  Asche  und  die  schreckliche  Erinnerung 

Sobald  wir  nach  unserm  Feldlazarett  zurückgekehrt 
waren,  war  es  unsere  erste  Sorge,  uns  nach  dem  Husaren 
zu  erkundigen,  der  uns  geholt  hatte.  Er  hatte  schreckliche 
Anfälle  gehabt,  war  aber  seit  einigen  Augenblicken  ruhiger 
geworden;  die  Kraft  des  Giftes  schien  durch  die  Medi- 
kamente, die  wir  ihm  gaben,  merklich  geschwächt.  Die 
genaue  Angabe  über  die  Natur  der  giftigen  5ubstanz 
trug  viel  dazu  bei,  sie  mit  großer  Wirksamkeit  zu  be- 
kämpfen, denn  wir  hatten  erkannt,  daö  man  ihnen  Arsenik 
gegeben  hatte,  dessen  Vorhandensein  geschickt  durch  den 
Geschmack  von  Knoblauch  versteckt  worden  war,  den 
man  in  großen  Mengen  verwendet  hatte.  Nach  einigen 
Tagen  war  der  Kranke  in  der  Lage,  seinen  Dienst  wieder 
aufzunehmen,  aber  das  Gift,  das  in  großen  Dosen  ge- 
nommen worden  war,  hatte  Spuren  hinterlassen,  und  seine 
stark  angegriffene  Organisation  wurde  nach  und  nach 
völlig  davon  zersetzt.  Der  Husar  konnte  seinem  Regiment 
nicht  folgen  und  kam  ins  Hospital,  das  er  nicht  wieder 
verließ. 

Ach,  es  war  ein  erbärmlicher  Krieg,  der  seine  Arse- 
nale in  den  Apotheken  hatte  und  wo  die  versteckt  gehand- 
habten Waffen  die  gefährlichsten  waren!  Einen  solchen 
Krieg  mit  Feiglingen,  in  welchem  der  Feind  nur  hinter- 
rücks angriff  und  von  vorn  nie  stand  hielt,  diese  Grün- 
spantaktik, die  dem  dummen,  ergebenen  Volke  von  den 
Mönchen  eingegeben  war,  konnten  die  Franzosen  nicht 
dulden. 

So  hatten  sich  zwei  bestimmte  Ansichten  unter  den 
Truppen  gebildet:  das  Gift  und  der  Dolch!  Man  sprach 
bo  wenig  wie  möglich  davon  und  scheinbar  ohne  ihnen 
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die  geringste  Bedeutung  beizumessen,  denn  in  einer  fran- 
zosischen Armee  besteht  die  Vereinbarung,  daß  man  sich 
um  den  Tod,  unter  welcher  Form  er  sich  auch  einsteile, 
so  wenig  kümmern  darf  wie  um  ein  Glas  Wasser. 

Der  Verfasser  nimmt  seinen  eigenen  Berich!  wieder  auf, 
und  nachdem  er  über  weniger  interessante  Gegenstände  ge- 
sprochen, fährt  er  fort: 

Seitdem  wir  uns  die  Kunst  bei  unsern  Zerstreuungen 
dienstbar  gemacht  hatten,  bot  das  Schauspiel  am  Abend 
den  Gefangenen  eine  große  Erholung,  die  sich  tagsüber 
mit  irgend  einem  Handwerk  oder  dergleichen  beschäftigt 
hatten.  Aber  es  gab  auch  viele  Müßiggänger,  bei  denen 
die  Leidenschaft  für  das  Spiel  erwachte.  Jeden  Abend 
wurden  die  Spieltische  in  die  Säle  herbeigeschafft  und 
diejenigen  Gefangenen,  deren  Börse  am  vollsten  gespickt 
war,  machten  sich  zu  Bankhaltern.  Die  Unglücklichen  ge- 
langten, nachdem  sie  ihr  letztes  Stück  Brot  und  alles,  was 
sie  auf  dem  Leibe  hatten,  verspielt  hatten,  zu  einem  sol- 
chen Grad  von  Erniedrigung,  daß  man  sie  allerseits  von 
sich  wies.  Sie  wurden  aus  allen  Zimmern  ausgeschlossen 
und  gezwungen,  sieh  in  einen  Saal  zurückzuziehen,  den 
man  ihnen  bezeichnete  und  den  sie  nicht  mehr  verließen. 
Einige  nannten  diese  Art  von  Auss ätzigen spital  die 
„Stadt  der  Armseligen",  andere  das  „irdische  Paradies", 
weil  seine  Bewohner  nackt  wie  die  ersten  Menschen  ein- 
h  ergingen. 

Ein  anderer  Nachteil  dieser  Spielhöllen  war  der  da- 
durch in  das  Gefängnis  gebrachte  Unfriede.  Der  Gewinn 
der  Bankhalter  erregte  die  Begier  der  Strauchdiebe  und 
Fechtmeister,  die  sich  verbündeten  und  behaupteten,  daß 
ihnen  allein  das  Recht  zustünde,  Bank  zu  halten.  Man 
focht  diese  Einwände  nur  mit  schwachen  Kräften  an,  und 
die  Bankhalter  willigten  ein,  nur  noch  die  Pächter  dieses 
sonderbaren  Monopols  zu  sein.  Auf  diese  Weise  wurden 
sie  jenen  Leuten  tributpflichtig,  und  diese  lebten  nun  sehr 
angenehm  von  den  Einkünften,  die  ihnen  ihre  Kühnheit 
verschafft  hatte.  Da  begann  man  plötzlich,  über  ihre  Usur- 
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pation  nachzudenken ;  man  murrte  gegen  diese  Halsab- 
schneider und  erklärte  ihnen  die  Fehde.  Sie  antworteten 
sehr  anmaßend  und  hofften,  auf  diese  Weise  zu  impo- 
nieren. Der  Aufruhr  nahm  immer  mehr  zu,  man  beleidigte 
sie,  ging  in  Massen  auf  sie  los,  und  zwei  der  Maul- 
helden empfingen  sogleich  die  wohlverdiente  Strafe:  sie 
wurden  mit  Steinen  halbtot  geschlagen.  Die  andern  ver- 
dankten ihre  Rettung  nur  der  schleunigen  Flucht;  sie 
verbargen  sich,  und  es  hätte  wenig  gefehlt,  daß  man  sie, 
um  sie  zu  bestrafen,  aus  ihrem  Zufluchtsort  herausgerissen 
hätte,  um  sie  ebenfalls  zu  züchtigen. 

Diese  Episode  eines  Aufstandes  war  glücklicherweise 
die  einzige.  Es  gab  wohl  einige  Duelle,  die  indes  ohne 
verhängnisvolle  Folgen  blieben.  Im  allgemeinen  herrschte 
die  vollkommenste  Eintracht  unter  den  Gefangenen,  teils 
weil  es  überhaupt  selten  ist,  daB  es  anders  unter  Fran- 
zosen wäre,  teils  weil  der  Anstoß  unserer  Zwietracht  — 
vorausgesetzt,  daß  eine  solche  vorhanden  gewesen  —  die 
Spanier  hätte  kühn  machen  können,  Oewaltmaßn ahmen 
gegen  uns  zu  ergreifen.  Sie  hatten  jedoch  diese  Aufmun- 
terung gar  nicht  nötig. 

Eines  Abends  verbreitete  sich  in  den  Sälen  das  Ge- 
rücht, daß  die  ganze  Bevölkerung  von  Cadiz  und  der  Insel 
Leon  bewaffnet  auf  unser  Quartier  losmarschierte,  mit 
der  Absicht,  uns  zu  ermorden.  Bei  dieser  Nachricht  ge- 
rieten alle  außer  sich.  Alle  erbleichten,  als  wenn  man 
uns  das  Todesurteil  überbracht  hätte,  und  die  Bestürzung 
war  allgemein.  Wie  viele  wünschten  sich  damals  auf  die 
Pontons  zurück,  wo,  wie  sie  sagten,  wenigstens  niemand 
gewagt  haben  würde  sie  anzugreifen. 

Die  Pontons!  man  denke  daher  ihr  Entsetzen!  Die 
einen  irrten  in  den  Gängen  umher,  ohne  zu  wissen,  was 
sie  taten;  mit  starren  Blicken,  das  Gesicht  verzerrt,  blieben 
sie  plötzlich  in  Gruppen  stehen,  sprachen  einander  an  und 
fragten  sich  gegenseitig :  „Kommen  sie?  kommen  sie?  Seid 
ihr  auch  gewiß,  daß  sie  kommen?"  Andere  hingegen 
blieben  an  der  Stelle,  wo  sie  durch  die  Ankündigung 
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des  Ereignisses  überrascht  worden  waren,  angewurzelt 
wie  die  Ölgötzen  stehen  und  rührten  sich  nicht.  Aber 
bald  wurde  der  allgemeine  Ruf  laut:  „Verteidigen  wir  uns ! 
damit  wir  nicht  lebend  in  ihre  Hände  fallen!" 

Von  der  Terrasse,  die  sich  über  dem  Pavillon  der 
Offiziere  befand,  konnte  man  sehen,  was  draußen  vor- 
ging. Man  lief  herbei  und  erhielt  die  Gewißheit,  daß  die 
beunruhigenden  Berichte  nicht  übertrieben  waren.  Ver- 
schiedene Offiziere  kamen  und  munterten  uns  auf,  unser 
Leben  so  teuer  wie  möglich  zu  verkaufen,  im  Fall  die 
Spanier  in  unser  Oefängnis  eindringen  würden.  Dies  war 
auch  unser  fester  Vorsatz,  seitdem  der  Schrecken  des 
ersten  Augenblicks  der  Energie  und  Kaltblütigkeit  ge- 
wichen war.  Wir  stellten  einen  Posten  auf  die  Terrasse 
und,  um  die  Verbindung  zwischen  dem  Pavillon  und  der 
Kaserne  aufrecht  zu  erhalten,  in  einer  gewissen  Entfer- 
nung noch  andere  Posten,  die  uns  von  dem  Fortschritt  des 
Auflaufs  in  Kenntnis  setzen  sollten.  Die  Menge  kam  immer 
näher  und  nahm  immer  mehr  zu. 

Während  wir  sie  erwarteten,  trafen  wir  unsere  Vor- 
bereitungen, um  die  Belagerung  auszuhalten.  Bänke, 
Tische,  die  Täfelung  des  Fußbodens,  die  Türen  der  Zim- 
mer, die  nicht  besetzt  waren,  verwendeten  wir  zum  Ver- 
barrikadieren. Alles,  was  wir  an  Öfen,  Flaschen,  Töpfen 
und  dergleichen  hatten,  schleppten  wir  herbei,  um  es  auf 
die  Kopie  der  5fürmcnden  hinabzuschleudern.  Wir  trugen 
Pflastersteine  herbei,  die  wir  herauszunehmen  begonnen 
hatten,  damit  es  uns  nicht  an  Munition  fehle.  Alles  war 
gut  genug,  um  uns  als  Waffe  zu  dienen,  und  jeder  nahm, 
was  er  gerade  fand. 

Bald  waren  wir  bereit,  und  ich  gestehe,  daß  wir  uns 
etwas  von  unserm  Widerstand  versprochen  hätten,  wenn 
uns  nicht  die  Befürchtung  geblieben  wäre,  die  ganze  Be- 
völkerung möchte  am  Ende  auf  den  Gedanken  kommen,  die 
Kaserne  anzuzünden,  um  uns  unter  ihren  Trümmern  zu 
begraben.  Doch  machten  wir  uns  nicht  zu  viel  daraus, 
geröstet  zu  werden,  und  der  Gedanke  eines  Autodafes 
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von  sechstausend  Franzosen  —  wir  waren  damals  noch 
6000  —  konnte  den  Spaniern  nur  angenehm  sein. 

Endlich,  es  war  6  Uhr  abends,  kamen  sie  an.  Wir 
hörten  ihr  lautes  Oeschrei  und  konnten  genau  die  Stimmen 
der  Rasenden  unterscheiden,  die  riefen :  „Muerte  a  los 
Franceses!",  sowie  eine  Menge  anderer  dumpfer  Stimmen, 
deren  düsteres  Gemurmel  dem  unterirdischen  Rauschen 
der  Meeresfluten  glich.  „Muerte  a  los  Franceses!"  wieder- 
holte man,  und  das  wütende  Gebrüll  des  Pöbels  wurde 
stärker.  Dazu  gesellte  sich  das  Stampfen  der  Füße,  das 
die  Erde  erzittern  machte,  und  ein  unaufhörliches  Waffen- 
geklirr. Schon  sagte  man,  daß  man  eine  Bresche  in  die 
Mauern  unseres  Gefängnisses  geschlagen  hätte.  Plötzlich,  . 
nach  einer  fast  lautlosen  Unterbrechung,  verdoppelt  sich 
der  Lärm  und  ein  schreckliches  Wutgeschrei  bricht  los. 
Wir  wußten  nicht,  was  wir  von  der  vermehrten  Aufregung 
denken  sollten;  vermutlich'  waren  sie  auf  ein  Hindernis 
gestoßen. 

In  der  Tat  hatte  sich  der  Gouverneur  der  Insel  Leon, 
der  beizeiten  von  den  Absichten  der  Bevölkerung  benach- 
richtigt worden  war,  beeilt,  die  Wache  des  Gefängnisses 
zu  verstärken,  und  war  selbst  mit  zwei  Geschützen  herbei- 
geeilt. Was  er  getan,  um  die  Mörderbande  aufzuhalten, 
konnten  wir  nicht  sehen,  doch  erfuhren  wir  es  später. 
Hier  der  Bericht  dessen,  was  sich  zutrug. 

Festen  Fußes  erwartete  der  Gouverneur  die  Menge, 
und  als  er  meinte,  daß  die  Wütenden  nahe  genug  heran- 
gekommen wären,  um  sich  verständlich  zu  machen,  be- 
stieg er  ein  Geschütz  und  erklärte  ihnen,  daß  er  ge- 
kommen sei,  um  sie  zu  verhindern,  weiter  vorzudringen. 
Dann  fügte  er  hinzu,  daß,  wenn  sie  sich  nicht  allein 
zerstreuten,  er  sie  dazu  zwingen  werde. 

Aber  die  Köpfe  waren  erhitzt,  seine  Anrede  wurde 
schlecht  aufgenommen,  und  die  Vermehrung  ihrer  Wut, 
die  unsere  Unruhe  auf  die  Spitze  trieb,  war  das  Resultat 

Einer  jedoch,  der  an  der  Spitze  marschierte,  ging  ein 
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paar  Schritte  vorwärts  und  machte  ein  Zeichen,  daß  er 
sprechen  wollte.  Es  war  einer  jener  Majos1),  jener  Oroß- 
sprecher  von  Andalusien,  dessen  Einwohner  als  die  Gas- 
cogner  Spaniens')  angesehen  werden.  Er  blieb  stehen, 
stellte  sich  in  Positur,  befahl  den  Männern  und  Frauen  der 
Menge,  die  ihm  folgte,  Ruhe,  nahm  seine  Montera9)  ab, 
die  ihm  seiner  Meinung  nach  zu  sehr  in  der  Stirn  saß, 
und  nachdem  er  durch  Mund  und  Nase  zwei  oder  drei 
Stöße  aus  seiner  Zigarre  geblasen  hatte,  begann  er  mit 
hohler,  schnarrender  Stimme: 

„Herr  Gouverneur,  glauben  Sie  uns  vielleicht  wie 
Galicier  behandeln  zu  können?  Wir  sind  gekommen," 
und  bei  diesen  Worten  nahm  er  eine  gehobene,  drohendere 
Stimme  an,  „wir  sind  gekommen,  damit  man  uns  die 
Tore  öffne,  oder  wir  schlagen  sie  selbst  ein,  denn  es 
sind  ÖO00  Franzosen  darin." 

„Ja,"  versetzte  der  Gouverneur,  „6000  waffenlose  Ge- 
fangene; sie  befinden  sich  unter  dem  Schutze  der  castilia- 
nischen  Ehre.  Wehe  dem,  der  ihnen  auch  nur  ein  Haar 
auf  dem  Kopfe  krümmt!  Schämt  ihr  euch  nicht,  in  so 
großer  Anzahl  gekommen  zu  sein?" 

„In  diesem  Falle,"  unterbrach  ihn  der  Prahlhans, 
„lasse  man  mich  allein  eintreten;  ich  werde  diesen  6000 
Soldaten  zeigen,  was  ein  Caballero  wie  ich  wert  ist" 

„Gut,  ich  willige  ein,"  erwiderte  der  Gouverneur, 
„geht  allein  hinein!" 

Der  furchtbare  Caballero  schien  doch  ein  wenig  außer 
Fassung  zu  geraten,  als  ihn  der  Gouverneur  so  beim  Wort 
nahm;  indes  faßte  er  sich  schnell  wieder.  „Ich  habe  mir 
überlegt,"  sagte  er  mit  einem  boshaften  Lächeln,  „daß 
in  San-Carlos  Soldaten  von  der  Garde  des  verdammten 
Napoleon  sind  und  daß  jeder  von  uns  glücklich  sein  würde, 
ein  Stück  von  ihnen  zu  bekommen.  Nicht,  Kameraden,  ihr 
wollt  ebenfalls  euren  Anteil  daran  haben?" 

«)  Majo  =  Prahlhans. 

')  Die  Prahlerei  der  Qascogncr  ist  sprichwörtlich. 
«)  Montera,  eine  Art  Müt/e. 

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„Ja,  ja,"  schallte  es  von  alkn  Seiten,  „kein  Pardon 
iliesen  Soldaten  des  Satans!  Tod  den  Franzosen!  man 
Hebe  sie  heraus,  wir  verlangen  es'"' 

„Und  ich,"'  schrie  der  Oouverneui,  „ich  fordere  euch 
im  Namen  Ferdinand  VII.  und  der  obersten  Junta  juf, 
euch  zurückzuziehen !" 

Es  ließ  sich  ein  Murren  und  Hohngelächter  hören, 
währenddessen  er  den  Soldaten  befahl,  ihre  Waffen  zu 

Unter  den  Fanatikern  machten  sich  besonders  die 
Frauen  durch  ihre  abscheulichen  Forderungen  bemerkbar; 
vor  allen  zwei,  eine  alte  und  eine  junge,  reizten  die  Menge 
auf,  die  Wachmannschaft  zu  entwaffnen.  Der  Gouverneur 
befahl,  sie  zu  arretieren;  die  Soldaten  beeilten  sich,  zu  ge- 
horchen, und  bemächtigten  sich  beider  Frauen.  Alsbald 
kam  das  ganze  Volk  in  Bewegung,  es  stürzte  herbei,  um 
sie  zu  befreien,  dabei  immer  die  Rufe:  „Tod  den  Fran- 
zosen! Tod  dem  Gouverneur!"  ausstoßend. 

Die  Gefahr  war  nahe.  Der  Gouverneur,  der  keine 
Hoffnung  mehr  hatte,  die  Ruhe  wiederherzustellen,  er- 
klärte, er  werde  jetzt,  da  er  im  Guten  nichts  ausrichten 
könne,  hinabsteigen  und  das  Feuer  mit  seinen  Geschützen 
eröffnen.  Sobald  die  Wütenden  die  Lunte  anzünden  sahen, 
zogen  sie  sich  zurück  und  ließen  einen  großen  freien  Platz 
vor  der  Batterie. 

„Ah!"  rief  der  Oouverneur,  „ihr  habt  Angst  vor  den 
Kartätschen !  Ihr  Feiglinge,  bleibt  doch  stehen  und  ihr 
werdet  sehen,  ob  ich  euch  nicht  niederschmettern  lasse. 
Ich  sehe  da  einen  Haufen  Galicier»),  die  besser  täten,  ihr 
Wasser  zu  tragen,  oder  lieber  am  Hafen  geblieben  wären 
und  ihr  Geschäft  als  Lastträger  verrichtet  hätten  I  Glaubt 
ihr,  ich  bin  ein  Mann,  der  sich  einschüchtern  läßt?  Ihr 


')  Die  Bewohner  des  ehemaligen  spanischen  Königsreichs 
Galicien  waren  sehr  arm  und  zahlreich  und  wanderten  deshalb 
häufig  nach  den  andern  Provinzen  Spaniens  aus,  um  sich  ihren 
Unterhalt  als  Tagelöhner,  Wasserträger,  Hausknechte  usw.  zu  ver- 
dienen, weshalb  sie  von  den  übrigen  Spaniern  Wenig  geachtet  sind 
2g      BwHl:  Spin.  FrtlUelttkirapI.  449 

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benehmt  euch  nicht  wie  gute  brave  Spanier,  Was  haben 
diese  Zigeuner  bei  euch  zu  schaffen?  Dieses  hinterlistige, 
falsche  Volk,  das  weder  Beruf  noch  Heimat,  weder  Glau- 
ben noch  Gesetze  kennt,  der  Auswurf  der  Menschheit, 
ein  Schandfleck  der  Nation,  die  unter  ihnen  leidet?  Spa- 
nier, errötet  ihr  nicht,  euch  unter  diese  Bastarde  der  Welt 
zu  mischen,  die  kein  Staat  anerkennen  will,  diese  Räuber, 
der  Schrecken  der  Landstraße  und  der  Bewohner!" 

In  diesem  Augenblick  lieft  sich  ein  langer  Schrei: 
„Muerte  a  los  Franceses!"  nochmals  hören.  Eine  Minute 
lang  unterbrach  sich  der  Gouverneur,  um  dann  mit  der 
ganzen  Macht  seiner  Stimme  fortzufahren:  „Wenn  ihr 
dermaßen  auf  französisches  Blut  begierig  seid,  warum  be- 
gebt ihr  euch  dann  nicht  zu  den  Armeen?  Das  Schlachtfeld 
wird  euch  vortreffliche  Gelegenheit  bieten,  es  rühmlichst 
zu  vergießen.  Werdet  Soldaten  des  Königs,  um  die  hei- 
ligste Sache  der  Welt  zu  verteidigen.  Ich  aber  wieder- 
hole euch,  daß,  wenn  ihr  darauf  besteht,  das  Asylrecht, 
das  jedem  heilig  sein  muß,  zu  verletzen,  ich  euch  mit 
Kanonenschüssen  empfangen  werde,  dessen  könnt  ihr  ge- 
wiß sein.  Ich  werde  diesen  Posten  unter  Nichtachtung 
meines  eigenen  Lebens  zu  verteidigen  wissen,  denn  ich 
opfere  es  gern  der  Ehre  der  Nation!  Und  wenn  ihr  ins 
Gefängnis  eindringen  wollt,  so  müßt  ihr  über  meinen  Leich- 
nam hinweg!" 

Diese  entschlossene  Ansprache,  vereint  mit  den  be- 
zeichnendsten militärischen  Maßnahmen,  bestimmte  die 
Meuterer,  auf  ihren  Plan  zu  verzichten.  Der  größte  Teil 
von  ihnen  zog  sich  endlich  schimpfend  und  murrend  zu- 
rück. Von  dem  ganzen  Zusammenlauf  blieb  nur  noch  ein 
kleines  Häuflein  übrig,  in  dessen  Mitte  die  Aufwiegler 
sich  in  hochtrabenden  Worten  ergingen.  Plötzlich  kam  ein 
Trupp  Esel  vorüber,  dem  sie  nachliefen,  indem  sie  die 
Tiere  schlugen  und  aus  vollem  Halse  mit  rohem  Gelächter 
schrien:  „Arrai,  arrai  Napoleon!"«) 

")  Der  Verfasser  meint  geu  iß  „ürre!  arrc!"  den  gewöhnlichen 
Ruf  der  spanischen  Usttiertreiber. 
450 

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Nun  waren  die  Zugänge  der  Kaserne  wie  ausgestor- 
ben, nur  von  Zeit  zu  Zeit  warfen  die  Vorübergehenden 
einen  Blick  auf  die  Fenster,  beschleunigten  aber  sofort 
ihre  Schritte,  wenn  die  Schildwache  sie  zum  Weitergehen 
aufforderte. 

Wohl  harte  der  Haufe  versprochen,  wiederzukommen, 
aber  es  blieb  nur  bei  der  Absicht.  Und  da  es  sicher  schien, 
daß  wir  mit  dem  Schrecken  davon  gekommen  waren, 
rissen  wir  fröhlich  unsere  Barrikaden  wieder  ein,  und 
unsere  Kriegsmunition  wanderte  wieder  in  die  Küche.  Im 
Gefängnis  wurde  alles  auf  Friedensfuß  gebracht,  und  die 
Sicherheit  kehrte  aufs  neue  ein. 

Es  wäre  uns  indes  nicht  unangenehm  gewesen,  uns  wo 
anders  als  unter  den  Händen  einer  Bevölkerung  zu  be- 
finden, deren  Rae  hege  ist  früher  oder  später  wieder  er- 
wachen konnte.  Denn  wenn  der  Gouverneur  von  Cadiz 
wechselte,  wer  konnte  uns  dann  die  Gewißheit  geben,  daß 
sein  Nachfolger  dieselbe  Festigkeit  in  seinem  Handeln  ent- 
falten würde?  Diese  Betrachtungen  trugen  viel  zu  dem 
Wunsche  bei,  San  Carlos  baldigst  zu  verlassen. 

Endlich,  am  1,  April  1809,  gab  es  eine  große  Auf- 
regung in  der  Kaserne.  Es  hatte  sich  das  Gerücht  verbrei- 
tet, daß  wir  eingeschirrt  werden  sollten,  und  zwar  sollten  die 
Seeleute  des  Geschwaders  Rosilys  nach  den  Kanarischen 
Inseln  und  die  Soldaten  vom  Korps  Dupont  nach  den 
Balearen  gebracht  werden.  Die  Soldaten  des  Dupontscheu 
Korps  besaßen  noch  dazu  die  große  Einfalt,  sich  einzu- 
bilden, daß  man  sie  nach  den  Artikeln  der  Kapitulation 
behandeln  werde,  auf  Grund  deren  sie  die  Waffen  nieder- 
gelegt hatten.  Sie  hofften,  daß  sie,  nachdem  man  sie  in 
Mallorca  in  Freiheit  gesetzt  hatte,  bald  auch  Frankreich 
wiedersehen  würden.  Auch  ich  war  ihrer  Meinung  und 
beneidete  ihr  Los ;  doch  bald  befand  ich  mich  in  der  glück- 
lichen Lage,  es  teilen  zu  können.  Und  zwar  setzte  mich 
ein  berittener  Jäger  dazu  in  den  Stand.  Der  Mann  war 
krank,  und  in  Anbetracht  des  schlechten  Zustandes  seiner 
Gesundheit  glaubte  er  nicht  die  Oberfahrt  überleben  zu 
29*  451 

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kuniteu,  Es  war  iluti  vollkorn m en  giekh^iiliig,  das  F-'utti'r 
der  Haifische  auf  dem  Wege  nach  den  Kanarischen  oder 
Balearischen  Inseln  zu  werden.  Kurz,  er  hatte  sich  in  den 
Tod  ergeben,  wenigstens  behauptete  er  es.  Vielleicht  hatte 
er  auch  einen  bestimmten  Grund,  den  Ort  seiner  Ge- 
fangenschaft einem  andern  vorzuziehen,  da  er  überzeugt 
war,  daß  die  Spanier  wortbrüchig  bis  zum  Äußersten 

Wie  dem  auch  sein  mag,  wir  waren  übereingekommen, 
einen  Tausch  zu  machen:  er  nahm  meinen  Matrosenanzug 
und  ich  dafür  seine  Uniform,  die  ich  sogleich  anzog.  So 
verkleidet  überschritt  ich  ohne  Schwierigkeiten  das  Tor 
der  Kaserne  und  wurde  als  Soldat  der  Armee  Duponts 
beim  Transport  Nr.  0  aufgenommen,  wo  sich  der  General 
Dupont,  die  Matrosen  der  Garde,  eine  große  Anzahl  Unter- 
offiziere und  etwa  30  Frauen,  die  meisten  Marketenderin- 
nen der  Armee,  befanden. 

Auf  dem  Schiff  waren  wir  zusammengepfercht  wie 
an  Bord  der  Pontons,  vielleicht  sogar  noch  mehr.  Aber 
welcher  Unterschied  der  Lage,  welch  nahe  Zukunft  er- 
öffnete sich  unsern  Augen!  Wir  sollten  unser  Vaterland 
wiedersehen!  Schon  drückte  ich  meine  arme  Mutter,  die 
ich  seit  so  langer  Zeit  nicht  gesehen  harte,  im  Geiste  an 
mein  Herz  und  trocknete  ihre  Tränen.  O,  wie  schön  war 
dieser  Traum! 


Am  Tage  nach  Ostern,  am  3.  April,  gingen  wir,  von 
einigen  englischen  Kriegsschiffen  begleitet,  unter  Segel. 
Kaum  hatten  wir  Cadiz  verlassen,  als  sich  ein  heftiger 
Sturm  erhob,  der  die  Schiffe  auseinandertrieb  und  die  einen 
nach  Gibraltar,  die  andern  nach  Malaga  warf.  Unsere 
Soldaten  wollten  die  Gelegenheit  benutzen  und  eine  Küste, 
die  durch  ihre  Weine  so  berühmt  ist,  nicht  früher  verlassen, 
bis  sie  das  Vergnügen  gehabt  hätten,  sie  m  kosten!  Die 
meisten,  die  auf  eine  baldige  Rückkehr  auf  ihr  Vaterland 
hofften,  entäußerten  sich  fast  aller  ihrer  Kleidungsstücke, 
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um  sich  einige  Gläser  des  kostbaren  Getränks  zu  ver- 
schaffen ;  auf  diese  Weise  gingen  Riemenzeug,  Schuhe, 
kurz  alles  als  Zahlung  weg. 

Die  Flotte  vereinigte  sich  wieder  und  segelte  auf 
Mallorca  zu.  In  weniger  als  einem  Monat  befanden  wir 
uns  vor  Palma,  der  Hauptstadt  dieser  Insel.  Aber  unsere 
Hoffnungen  auf  Landung  wurden  bald  zunichte.  Von 
neuem  erhielten  wir  Befehl,  unter  Segel  zu  gehen,  und 
endlich  führte  man  uns  nach  Cabrera,  einer  öden,  un- 
fruchtbaren, entsetzlichen  Insel,  die  uns  immer  in  trüber 
Erinnerung  bleiben  wird.  Am  Fuße  dieser  Anhäufung  von 
Bergen  und  steilen  Felsen  kamen  wir  am  9.  Mai,  5500 
Mann  stark  an. 


453 

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Nach  eingehender  Beschreibung  der  Insel  und  der  neuen 
Lage  der  Gefangenschalt  ergeht  sich  der  Verfasser  in  bitteren 
Klagen  über  die  Leiden,  die  er  mit  seinen  Unglücksgefährten 
hier  zu  erdulden  hatte.  Endlich  beschließt  er,  mit  noch  einigen 
seiner  Kameraden  zu  entfliehen,  doch  die  meisten  Pläne  mußten 

Ungefähr  im  Juni  1811  —  ich  befand  mich  damals 
schon  länger  als  zwei  Jahre  auf  der  Insel  —  machte  ich 
die  Bekanntschaft  einiger  Gefangenen,  die  man  erst  kürz- 
lich aus  Catalonien  hergebracht  hatte.  Unter  diesen  befand 
sich  auch  ein  Feldwebel,  ein  unerschrockener  Soldat,  wie 
es  keinen  zweiten  gab;  er  stammte  aus  Lyon  und  hieß" 
Alleigne.  Dieser  neue  Mitgefangene  brachte  mich  mit 
nicht  weniger  entschlossenen  Männern  als  er  in  Beziehung. 
Ich  zweifelte  durchaus  nicht  an  ihrer  Kühnheit,  allein  ehe 
ich  mich  ihnen  offenbarte,  wollte  ich  auf  ihre  Verschwie- 
genheit rechnen  können.  Sobald  ich  mich  davon  überzeugt 
zu  haben  glaubte,  teilte  ich  ihnen  meinen  lange  vorberei- 
teten Plan,  mich  eines  Fischerbootes  zur  Flucht  zu  be- 
mächtigen, mit.  Ich  überzeugte  sie  von  der  Möglichkeit 
der  Ausführung,  und  sie  pflichteten  mir  mit  großer  Freude 
bei,  obwohl  es  ihnen  gewagt  erschien.  Die  Führung  wurde 
mir  anvertraut.  Wir  machten  also  einen  Ort  aus,  wo  wir 
uns  treffen  wollten,  und  jeder  schwor  bei  seiner  Ehre,  die 
größte  Verschwiegenheit  darüber  zu  bewahren. 

Da  die  Insel  keine  Hilfsmittel  gegen  einen  Überfail 
darbot,  mußten  sich  die  Fischer  von  Mailorca  vor  einem 
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Handstreich  seitens  der  französischen  Gefangenen  sicher 
fühlen.  Um  aber  in  dieser  Hinsicht  noch  ruhiger  zu  sein, 
hielten  sie  ihre  Boote  in  einer  gewissen  Entfernung  und 
näherten  sich  der  Küste  nur  mit  großer  Vorsicht. 

Man  mußte  also  einen  Ausweg:  ersinnen.  Ich  schlug 
daher  vor,  ein  Boot  mittels  eines  Enterhakens  heranzu- 
ziehen, und  der  Vorschlag  ward  angenommen.  Aber  woher 
sich  diesen  Enterhaken  verschaffen?  Woher  Eisen  neh- 
men? Und  wenn  wir  solches  fänden,  wie  es  zu  unserm 
Gebrauch  geeignet  machen? 

Zu  dieser  Zeit  ließ  unser  Feldprediger,  der  stets 
damit  beschäftigt  war,  seine  Gartenanlagen  zu  erweitern, 
einen  Feiseti  minieren,  der  ihm  hinderlich  war.  Während 
der  Nacht  stahlen  wir  nun  eine  der  zu  dieser  Arbeit 
dienenden  Zangen.  Einmal  im  Besitz  dieses  äußerst  wich- 
tigen Werkzeuges,  diente  uns  eine  auf  der  Insel  ge- 
fundene Kanonenkugel  als  Amboß,  und  bald  hatten  wir 
auch  aus  dem  Leder  unserer  Tornister  einen  Blasebalg 
fabriziert  Unser  Enterhaken  wurde  geschmiedet,  verschie- 
dene fest  an  ein  andergenietete  Kettengelenke  wurden  in 
eine  Länge  von  8  Fuß  daran  befestigt,  und  dazu  fugten 
wir  noch  die  nötigen  Seile,  um  das  der  Küste  am  nächsten 
vorbeisegelnde  Boot  zu  kapern. 

In  meiner  Eigenschaft  als  Seemann  gab  ich  meinen 
Kameraden  zu  bedenken,  daß  für  ein  ähnliches  Unter- 
nehmen ein  gewisser  Vorrat  Lebensmittel  und  Wasser 
unerläßlich  sei.  Aber  dieser  Vorschlag  hätte  beinahe  alles 
verdürben  .  .  .  Unsere  Rationen  waren  so  dürftig!  Da 
man  indes  im  Falle  eines  Mißerfolgs  jenen  Vorrat  wieder- 
finden mußte,  hießen  wir  alles  gut,  und  nach  Verlauf 
von  ungefähr  vierzehn  Tagen  glaubten  wir  uns  in  der 
Lage,  dem  Meere  trotzen  zu  können.  Ende  Juni  hatten 
wir  die  hauptsächlichsten  Vorkehrungen  getroffen. 

In  der  ersten  Nacht  des  Juli  1811  brachten  wir  in 
der  Stille  unsere  Lebensmittel  und  unsern  Enterhaken  nach 
der  Westküste,  wo  die  Boote  am  häufigsten  vorbeikamen, 
und  versteckten  alles  in  Felslöchern.  Unser  Handstreich 
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konnte  nur  während  der  Nacht  ausgeführt  werden,  denn 
es  galt  nicht  allein  das  wachsame  Auge  der  Fischer, 
sondern  auch  die  Gefährten  unserer  Knechtschaft  zu  täu- 
schen. Unser  Elend  war  so  groß,  daß  wohl  einer  der  Un- 
glücklichen, in  der  Hoffnung,  ein  paar  Saubohnen  mehr  zu 
bekommen,  uns  hätte  denunzieren  können.  Verschiedene 
derartige  Beispiele  machten  uns  mißtrauisch  und  ängstlich. 

In  der  folgenden  Nacht  kehrten  wir  zu  unserm  Posten 
zurück,  um  die  Ankunft  der  Boote  zu  belauern;  aber  nicht 

Drei  Wochen  lang  setzten  wir  dies  mühevolle  Treiben 
fort.  Einmal  befanden  sich  Boote  in  unserm  Bereich ; 
schon  wollten  wir  es  wagen,  aber  die  Nacht  war  nicht 
finster  genug;  ich  besann  mich  schnell  eines  Besseren 
und  bestand  darauf,  noch  nichts  zu  unternehmen.  Meiner 
Meinung  nach  durften  wir  nur  handeln,  wenn  wir  ganz 
sicher  waren.  Es  glückte  mir  auch  meine  Kameraden  zu 
überzeugen,  und  ich  führte  sie  schnell  hinweg,  teils  aus 
Furcht,  sie  möchten  Einwand  erheben,  teils  um  nicht 
selbst  in  Versuchung  zu  geraten,  meinen  Entschluß  zu 

Vor  allen  Dingen  mußten  wir  uns  zu  einem  solchen 
Unternehmen  gesund  und  kräftig  fühlen.  Durch  die  langen 
Nachtwachen,  den  anstrengenden  Weg,  den  wir  jeden 
Abend  und  Morgen  über  die  hohen  Berge  zu  machen  hat- 
ten, deren  kantiges  Gestein  uns  die  Füße  verwundete, 
besonders  aber  durch  den  Mangel  an  Nahrung,  den  wir 
litten,  seitdem  wir  uns  die  harte  Pflicht  auferlegt  hatten, 
nur  ein  Viertel  unserer  Ration  zu  verzehren,  aufs  äußerste 
erschöpft,  war  es  zu  fürchten,  daß  wir  mit  der  Zeit  den 
Mut  verlören. 

Aber  am  16.  Juli  kamen  wir  wieder  auf  dem  Rendez- 
vousplatze zusammen.  Es  mochte  ungefähr  9  Uhr  sein. 
Einer  unserer  Gefährten,  der  zuerst  auf  dem  Gipfel  des 
Berges  angekommen  war,  rief  mit  verhaltener  Stimme: 
„Vorwärts!  .  .  .  zwei  Boote  .  .  .  schnell,  schnell!"  Wer 
zuerst  bei  ihm  angelangt  war,  wußten  wir  nicht;  wir 
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kletterten  wie  die  Gazellen.  O  Freude!  O  Glück!  Zwei 
Boote  vor  unsern  Augen- 1  .  .  .  Kaum  wagten  wir  zu  atmen 
und  uns  zu  bewegen.  Uns  gegenseitig  bei  den  Händen 
fassend,  schienen  unsere  Augen  eine  beredte  Sprache  zu 
reden  und  zu  sagen :  „Werden  wir  nach  all  dem  Unglück, 
nach  so  viel  Leiden  endlich  frei  sein  ?"  —  „Pst!  pst!  keinen 

Einige  schlagen  mit  leiser  Stimme  vor,  Rat  zu  halten. 

„Wieso  denn,"  entgegnete  All  eigne,  „ihr  scherzt 
wohl?  Wissen  wir  denn  nicht  schon  lange,  was  ein  jeder 
von  uns  zu  tun  hat?  Bedarf  es  noch  einer  Wiederholung? 
Gehen  wir  hinab  .  .  .  Eine  solche  Gelegenheit  bietet  sich 
niemals  wieder."  —  „Ja,  ja,"  wiederholten  wir  alle  zu- 
sammen, „Wir  dürfen  nicht  zögern.   Schnell,  schnell!" 

Und  wir  stiegen  mit  der  größten  Vorsicht  ans  Ufer 
hinab.  Der  kleinste  rollende  Stein  konnte  die  Aufmerk- 
samkeit der  Fischer  erwecken  und  unsere  Hoffnung  zu- 
nichte machen. 

Das  Wetter  war  herrlich,  der  Himmel  mit  Sternen 
übersät  und  der  Wind  frisch  und  günstig.  Unten  an  der 
Küste  an  der  Stelle  unseres  Verstecks  angekommen,  trafen 
wir  sogleich  in  der  größten  Stille  unsere  Vorkehrungen. 
Jeder  bekam  einen  Posten  angewiesen. 

Der  Korporal  im  .121.  Orenadierregiment  Leroy,  der 
kräftigste  von  uns,  sollte  den  Enterhaken  auswerfen.  Ich 
nahm  ihn  beiseite  und  versuchte  ihm  Vertrauen  zu  seiner 
schwierigen  Tat  einzuflößen,  doch  er  meinte,  er  sei  des 
glücklichen  Gelingens  ganz  sieher.  „Auf  alle  Fälle,"  emp- 
fahl ich  ihm,  „handeln  Sie  nur  dann,  wenn  Ihnen  der  Er- 
folg unfehlbar  erscheint;  ist  dem  nicht  so,  so  bin  ich 
dafür,  noch  länger  zu  warten." 

Wir  waren  im  ganzen  vierzehn.  Sechs,  an  deren 
Spitze  der  tapfere  Alleigne  stand,  mußten  das  Sei!  halten, 
um,  sowie  der  Haken  gefaßt  hatte,  das  Boot  heranzu- 
ziehen. Vier  andere,  unter  denen  auch  ich  mich  befand, 
sollten  die  Bewohner  der  Insel  durch  einen  Hagel  von 
Steinen  in  Furcht  halten  und  sofort  an  Bord  springen, 
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wenn  es  der  Absland  erlaubte.  Weitere  vier  endlich  soll- 
ten am  Ufer  bleiben,  um  die  Spanier  aufzuhalten,  die 
Ohne  dieSr  VnrüChtsinaHrrgel  auf  die  ISerge  steigen  und 
Hin  dort  aus  durch  Zeichen  die  im  Hafen  vor  Anker 
Hebenden  Kanonenboote  aufmerksam  machen  konnten. 

Aufieiordentlich  aufgeteilt  warteten  wie  atemlos,  Haid 
wechselte  eins  der  Schiffe  den  Kurs  und  umsegelte  den 
I  eisen,  so  daü  u  ir  es  aus  den  Augen  verloren.  Schon  war 
die  Hälfte  unserer  Hoffnung  entschwunden  Ls  war  uns, 
als  risse  man  uns  nn  Stud<  von  unsenn  Herzen  aus  dem 
Leibe.  Aber  noch  ist  ja  das  andere  da!  Es  entfernt,  nähert, 
wendet  sich  bald  nach  rechts,  bald  nach  links.  Wir  stehen 
wie  auf  Kohlen,  wir  zittern,  sprechen  uns  gegenseitig1  Mut 
zu  —  und  zittern  aufs  neue.  Bei  der  geringsten  Bewegung 
des  Bootes  erstarrt  uns  das  Blut  in  den  Adern,  oder  es 
flieBt  um  so  rascher.  Das  Herz  schlägt  abwechselnd  vor 
Hoffnung  und  Angst. 

Endlich  gegen  '/al2  Uhr  hielt  ich  den  Augenblick 
für  geeignet.  Alle  meine  Leute  waren  auf  ihren  Posten. 
Besorgt  und  aufgeregt  beobachte  ich  den,  der  in  seiner 
Hand  unsere  ganze  Hoffnung  halt.  Er  macht  sich  bereit, 
seinen  Füßen  auf  dem  schlüpfrigen  Steinboden  einen  festen 
Halt  zu  geben.  Als  schwebe  über  uns  ein  schweres  Ge- 
wicht, das  uns  zermalmen  könne,  horchen  wir  vorge- 
beugt in  die  Nacht  hinaus  .  .  .  Eine  halbe  Minute,  die 
uns  wie  eine  Ewigkeit  dünkt,  ist  vergangen  .  .  .  Der 
Enterhaken  ist  geworfen !  .  .  .  Uns  ist  die  Brust  wie  zuge- 
schnürt. Eine  schreckliche  Ahnung.  ..  Aber  nein,  ein 
klirrendes  Geräusch  ward  hörbar:  die  Fischer  stoßen 
Schreie  aus  —  der  Haken  hat  gefaßt!  .  .  .  Kräftig  wird 
das  Seil  gezogen ;  das  Boot  kommt  näher,  und  wir 
stürzen  uns  auf  dasselbe,  werfen  mit  Steinen,  springen 
an  Bord,  alles  vor  uns  niederwerfend,  was  sich  uns 
entgegenstellt. 

Die  Spanier,  von  Schrecken  erfaßt,  ducken  sich  längs 
des  Dahlbords.  Sie  waren  6  und  wir  bis  dahin  nur  4. 
Als  sie  das  merken,  bewaffnen  sie  sich  mit  allem,  was 

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ihnen  unter  die  Hände  kommt,  und  stürzen  sich  auf  uns. 
Chaze,  einer  der  unsrigen,  ist  am  Bein  verwundet,  aber 
Alleigne  und  ein  anderer  eilen  herbei,  und  die  Wut 
verdreifacht  unsere  Kräfte.  Im  Nu  ist  das  Deck  gesäubert; 
drei  der  Mallorkaner  sind  ins  Meer  geworfen,  die  andern 
flüchten  sich  durch  die  Luke  in  den  Schiffsraum,  wo  wir 
sie  gefangen  halten.  „Jetzt  ist  es  an  euch!"  rufen  wir 
den  an  der  Küste  Zurückgebliebenen  zu  .  .  .  „Kommt! 
Drei  Mann  über  Bord!"  .  .  .,  Inzwischen  waren  4  von 
denen,  die  das  Seil  hielten,  zu  unserm  einige  Schritte  ent- 
ferntgelegenen Versteck  gelaufen  und  kamen  nun  eiligst 
mit  den  Lebensmitteln  und  unserm  kleinen  Faß  Wasser 
zurück. 

Jetzt  galt  es,  sich  so  schnell  als  möglich  von  der 
Küste  zu  entfernen.  Das  Deck  des  Bootes  war  mit  Angeln, 
Netzen,  Körben  und  einer  Menge  Fischergeräte  bedeckt, 
die  wir  natürlich  verschwinden  ließen.  Sobald  dies  ge- 
schehen, beeilte  ich  mich,  das  Steuer  zu  richten,  zu  be- 
masten  und  die  Segel  aufzuziehen.  Das  war  bald  getan. 
Dann  entfernten  wir  uns  schleimigst  mit  Hilfe  einiger 
Ruder,  um  Wind  zu  nehmen. 

Da  wir  keinen  Kompaß  besaßen,  richtete  ich  mich 
nach  den  Sternen  und  segelte  nordwärts.  In  dieser  Rich- 
tung mußten  wir  in  die  Nähe  von  Barcelona  und  Tarra- 
gona  gelangen.  Es  herrschte  Südostwind,  wie  wir  es 
nicht  besser  wünschen  konnten. 

Einmal  auf  hoher  See,  dachten  wir  an  unsere  Ge- 
fangenen. Diese  waren  über  unsere  Tat  so  erstaunt,  daß 
sie  sich  kaum  von  ihrem  Schrecken  erholen  konnten  und 
unserm  Treiben  verwundert  zusahen.  Um  sie  ein  wenig 
zu  zerstreuen,  nötigten  wir  sie,  sich  zu  entkleiden  und 
ihre  Sachen  gegen  unsere  Lumpen  zu  vertauschen.  Ihre 
ärmlichen  Röcke  waren  ganz  durchnäßt,  besonders  von 
den  dreien,  die  ins  Wasser  gefallen  waren  und  die  wir 
wieder  herausgeholt  hatten,  damit  sie  nicht  schwimmend 
das  Land  erreichten  und  Lärm  schlugen.  Glücklicherweise 
aber  waren  ihre  dicken  Mäntel  und  breiten  Kapuzen  im 
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Boot  geblieben,  und  wir  bedienten  uns  ihrer,  um  uns 
vor  der  nächtlichen  Kühle  zu  schützen. 

Von  diesem  Augenblick  an  war  alles  gemeinschaft- 
lich unter  uns,  au-L;u  nominal  diu  Lustigkeit,  ilir  wir  an 

den  Tag  legten  und  die  mit  uns  zu  teilen  wir  ihnen  gern, 
erließen.  Es  kostete  uns  die  größte  Überwindung,  die 
armen  Leute  in  ihrem  Unglück  nicht  zu  verspotten  und 
ihnen  unsere  Freude  durch  Luftsprünge  zu  beweisen.  Wir 
umarmten  Leroy,  drückten  ihm  beide  Hände,  nannten 
ihn  unser«  Retter  und  fragten  ihn,  ob  er  denn  keine  Angst 
gehabt  hätte  .  .  .  „Ach  was,"  antwortete  er,  „ich  war 
meiner  Sache  sicher;  denn  ich  hatte  meine  Maßnahmen 
zu  gut  getroffen."  Und  man  beglückwünschle  ihn  von 
neuem. 

Unsere  Ausgelassenheit  nahm  kein  Ende,  wir  konn- 
ten uns  nicht  mehr  beherrschen.  Sollten  wir  doch  das 
Vaterland,  unsere  Waffenbrüder  wiedersehen,  unsere  Uni- 
formen wieder  anziehen,  eine  freie  Luft  atmen  und  eine 
ordentliche  Ration  Brot  und  Fleisch  mit  Genuß  ver- 
zehren! .  .  .  Welch  plötzliche,  nie  erhoffte  Verwandlung 
aller  Schrecken,  alles  Elends  in  den  Zauber  der  Frei- 
heit! Und  unsere  Freuden  ausbräche  nähme«  kein  Ende. 
Mehrere  schlugen  mit  der  Hand  ein  Kreuz  gegen  die 
Insel:  „Verfluchtes  Cabrera!  verwünschte  Insel!  Teufels- 
felsen I"  riefen  wir,  „du  erwischst  uns  nicht  wieder  .  .  . 
Adieu,  adieu  für  immer,  entsetzlicher  Aufenthaft!  ...  Es 
lebe  die  Freiheit!  Es  lebe  Frankreich !  Es  lebe  der  Kaiser! 
.  .  .  Alle  unsere  Leiden  sind  nun  zu  Ende!" 

Drei  Viertelstunden  waren  ungefähr  vergangen,  daß 
wir  die  abscheuliche  Insel  hinter  uns  hatten.  Da  tat  ein 
Zwischenfall  unserm  Freudentaumel  ein  wenig  Einhalt 
—  „Patron,  Patron!"  rief  mir  einer  von  den  Leuten  zu, 
die  sich  auf  dem  Vorderteil  befanden;  „wir  sind  im  Be- 
griff, ein  Fahrzeug  zu  übersegeln!"  —  „Weicht  aus,  weicht 
aus!"  —  „Wir  sind  verloren!"  rufen  die  andern  ängst- 
lich. —  „Nein,  nein,  keinen  Lärm,  laßt  nur."  —  Indes, 
nicht  weniger  sicher  als  sie,  befehle  ich  trotzdem  meinen 
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Leuten,  sich  zu  ducken.  Wir  segeln  im  Wind  und  er- 
kennen die  englische  Brigg,  die  sonst  vor  der  Insel  kreuzte. 
In  der  größten  Stille  gleiten  wir  fast  unter  ihrem  Bugspriet 
vorbei.  Dank  der  Hüte  und  Mäntel  der  Fischer  mußte 
man  uns  für  Spanier  gehalten  haben,  und  wir  kamen  mit 
dem  Schrecken  davon  .  .  . 

Dieser  Zwischenfall  machte  uns  vorsichtiger.  Ich  be- 
fahl, daß  ein  jeder  einmal  auf  dem  Vorderteil  Wache  stand, 
um  rechtzeitig  von  dem,  was  vorging,  benachrichtigt  zu 
werden.  Ruhig  setzten  wir  unsere  Fahrt  bis  zum  Anbruch 
des  Tages  fort. 

Am  nächsten  Morgen  befanden  wir  uns  in  der  Nähe 
von  Palma.  Der  Wind  wurde  so  schwach,  daß  man  zu 
den  Rudern  greifen  mußte,  was  sehr  ärgerlich  für  uns 
war,  da  wir  nur  drei  Seeleute  besaßen.  Eigentlich  hätten 
wir  vier  sein  müssen,  aber  zu  unserm  großen  Erstaunen 
merkten  wir  erst  jetzt,  daß  ein  junger  Matrose  fehlte,  der 
indes  am  vorhergehenden  Tag  beim  Stelldichein  gewesen 
war  und  geholfen  hatte,  das  Boot  herbeizuziehen  .  .  .  Wir 
vermuteten,  daß  der  junge  Mann,  der  wahrscheinlich  das 
Unternehmen  für  ungünstig  hielt,  sich  noch  im  letzten 
Augenblick  entschieden  hatte  zu  bleiben.  Jeder  von  uns 
wünschte  nur,  daß  er  unsern  Plan  nicht  ausplaudere. 

Der  Wind  hatte  sich  vollkommen  gelegt.  Ich  ließ  da- 
her unsere  beiden  Matrosen  die  hinteren  Ruder  nehmen 
und  setzte  hinter  sie  die  Soldaten,  was  für  diese  eine 
große  Erleichterung  war,  weil  sie  ihre  Bewegungen  nach 
ihren  Vordermännern  richten  konnten.  Auf  diese  Weise 
mit  8  Ruderern  ausgestattet,  ruderten  wir  schlecht  und 
recht  den  ganzen  Tag.  Gegen  Abend  aber  waren  wir  so 
erschöpft,  daß  wir  nicht  mehr  konnten.  Die  armen  Sol- 
daten, die  an  eine  so  harte  Arbeit  nicht  gewöhnt  waren, 
klagten,  ihre  Arme  und  Lenden  seien  wie  zerschlagen. 
Ich  ermutigte  sie  so  gut  ich  konnte;  wenn  jedoch  die 
Windstille  fortdauerte,  wußte  ich  nicht,  was  werden  sollte. 
Glücklicherweise  ließ  der  Wind  nicht  mehr  allzu  lange 
auf  sich  warten.  Eine  günstige  Brise  schaffte  unseren 
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Ruderern  Erleichte rung  und  brachte  uns  ein  tüchtiges 
Stück  vorwärts. 

Mit  Tagesanbruch  bemerkten  wir  hinter  uns  zwei 
Fahrzeuge,  die  mit  erschreckender  Schnelligkeit  dahinzu- 
fahren  schienen.  Nach  einigen  Augenblicken  sorgenvoller 
Aufmerksamkeit  erkannten  wir  sie.  Es  waren  die  beiden 
Kanonenboote,  die  Wächter  der  Gefangenen  der  Insel. 
Sie  befanden  sich  auf  der  Jagd  nach  uns!  .  .  .  Jeder  von 
uns  sah  die  Gefahr,  die  uns  bedrohte,  und  es  galt,  unsere 
Anstrengungen  zu  verdoppeln  und  aus  Leibeskräften  zu 

Die  Erinnerung  an  die  Insel  und  ihre  Schrecken  wirkte 
entscheidend.  „Vor  allem  Übereinstimmung!"  rief  ich 
meinen  Gefährten  zu,  „das  ist  das  einzige  Mittel,  unsere 
Kräfte  zu  schonen  und  vorwärts  zu  kommen."  Die  Sol- 
daten ruderten  so  gut,  daß  es  Matrosen,  welche  10  Jahre 
dabei  waren,  nicht  besser  hätten  machen  können.  Und 
nach  2  Stunden  unglaublicher  Anstrengung,  währenddem, 
wie  ich  glaube,  nicht  ein  Wort  gesprochen  wurde,  hatten 
wir  das  Glück,  unsere  Verfolger  ihren  Vorsprung  voll- 
kommen verlieren  zu  sehen. 

Bis  zum  nächsten  Tage  nachmittags  3  Uhr  ereignete 
sich  nichts  Neues.  Aber  um  diese  Zeit  sahen  wir  ein 
großes  Schiff  vor  uns,  in  welchem  wir  eine  englische 
Fregatte  zu  erkennen  glaubten.  Was  tun?  Einen  falschen 
Kurs  steuern?  Wir  konnten  es  nicht,  denn  schon  fehlte  es 
uns  an  Wasser,  und  wir  mußten  uns  beeilen,  unser  Ziel 
zu  erreichen.  Meine  Gefährten  waren  aufs  äußerste  be- 
stürzt, und  ich  war  es  nicht  minder,  denn  diesmal  waren 
die  Umstände  höchst  kritisch.  Wer  konnte  mir  einen  Rat 
geben  ?  Niemand ;  es  war  nicht  möglich,  sich  zu  verstän- 
digen. Ich  fragte  meine  Leute,  ob  sie  sich  mir  anvertrauen 
wollten  und  ob  jeder  bereit  sei,  meine  Befehle  auszu- 
führen. Dann  Heß  ich  uns  den  Wind  in  den  Rücken 
kommen ;  wir  waren  schon  sehr  schlaff.  Die  Fregatte 
hatte  ihre  Halsen  am  Backbord,  und  wir  segelten  stracks 
auf  sie  zu;  aber  ungefähr  in  Kanonenschußweite  stellte 
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ich  die  Ruderpinne  auf  Steuerbord;  die  Barke  fuhr  gegen 
den  Wind,  und  wir  lavierten  eine  Strecke  Backbordhalsen. 
Wenige  Augenblicke  später  zog  die  Fregatte  neue  Segel 
auf  und  machte  einige  Manöver,  wahrscheinlich  in  der 
Absicht,  uns  zu  erreichen.  Das  war  es,  was  ich  wissen 
wollte.  Sofort  ließ  ich  die  Segel  einziehen  und  die  Masten 
ausnehmen,  um  weniger  leicht  gesehen  zu  werden.  Ich 
befahl  nun,  kräftig  zu  rudern  und  unser  Schiff  flog  mit 
Windeseile  dahin.  Das  Gefühl  unserer  Verfolgung  durch 
die  Fregatte  und  der  Gedanke  an  Cabrera  gaben  uns 
Kraft.  Wir  waren  fest  entschlossen,  lieber  unterzugehen 
als  dahin  zurückzukehren.  Doch  die  Gefahr  war  groß: 
die  Fregatte  war  ein  guter  Segler,  und  ganz  gegen  unsern 
Wunsch  ging  die  Sonne  spat  unter.  Wir  rechneten  mit 
der  Dunkelheit.  Endlich  kam  sie,  jene  Nacht,  die  wir  so 
heiß  ersehnten.  Man  verlor  uns  aus  den  Augen,  und  wir 
setzten  unsern  Weg  fort. 

Am  20.  Juli  mit  Tagesanbruch  sahen  wir  Land, 
worüber  große  Freude  herrschte.  Gegen  Mittag  behaup- 
tete der  Feldwebel  Alleigne  die  Gegend  von  Tarragona 
wiederzuerkennen,  und  eine  halbe  Meile  von  der  Küste 
entfernt,  ließ  ich  uns  den  Wind  in  den  Rücken  kommen. 

Wir  hatten  vor  unserer  Abfahrt  aus  Cabrera  wohl 
sagen  hören,  daß  Tarragona  in  den  Händen  der  Fran- 
zosen sei,  doch  war  es  wichtig,  es  genau  zu  wissen.  Mit 
Hilfe  eines  weißen  Taschentuches,  einer  schwarzen  Kra- 
vatte  und  eines  Stückes  von  einem  rotwollenen  Hemd 
hatten  wir  bald  eine  nationale  Fahne  zusammengestellt, 
die  wir,  als  wir  uns  der  Küste  näherten,  an  einer  unserer 
Rahen  aufhißten.  Fast  im  selben  Augenblick  fuhr  aus 
dem  Hafen  ein  kleines  Fahrzeug  mit  einer  großen  franzö- 
sischen Fahne  heraus.  Unsere  Freude  war  unbeschreib- 
lich. „Man  hat  uns  erkannt,"  riefen  wir,  „endlich  werden 
wir  unsere  Landsleute  wiedersehen!" 

Das  Fahrzeug  nähert  sich  —  es  sind  spanische  Sol- 
daten, die  uns  zurufen:  „Wer  seid  ihr?  Woher  kommt 
ihr?"  Und  wir  sehen  sie  auf  uns  zielen.  Wir  waren  wie 
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versteinert  vor  Bestürzung.  Es  war  kein  Zweifel  mehr, 
wir  hatten  uns  in  die  Lowengrube  begeben.  „Mut!"  sage 
ich  zu  meinen  Kameraden,  „wir  müssen  siegen  oder 
sterben!"  Alle  schworen,  ihr  Leben  teuer  zu  verkaufen. 
Wir  bemächtigten  uns  eilig  aller  Gegenstände,  die  als 
Waffe  dienen  konnten,  und  schlössen  die  Luke  über  unse- 
ren Gefangenen.  —  „Alle  Mann  auf  den  Bauch!"  kom- 
mandierte ich,  „und  rührt  euch  nicht  früher,  als  bis  ich 
euch  das  Zeichen  dazu  gebe.  Und  nun  vorwärts,  in  zehn 
Minuten  sind  sie  unser."  —  Unsere  Not  war  groß,  aber 
wir  waren  entschlossen.  Als  einziger,  der  aufrecht  stand, 
steuerte  ich  mit  der  größten  Vorsicht  und  schickte  mich 
an,  den  Feind  zu  übersegeln.  Aber  schon  zwei  Minuten 
später  rief  ich:  „Kinder,  steht  auf!  .  .  .  Wir  sind  ge- 
rettet!" Die  Spanier  hatten  ihre  feindliche  Haltung  be- 
wahrt, aber  auf  ihren  roten  Mützen  bemerkte  ich  die  drei- 
farbige Kokarde.  Vollkommen  beruhigt  rief  ich  nun  dem 
zu,  der  mich  mehrmals  angerufen  hatte:  „Wir  sind  Fran- 
zosen!" —  „Franzosen?"  wiederholte  er.  —  „Ja  .  .  . 
französische  Gefangene,  die  von  der  Insel  Cabrera  ent- 
kommen sind."  Als  ich  diese  Worte  sprach,  befanden 
wir  uns  Bord  an  Bord.  Bald  erkannten  wir  uns,  und  die 
Unsrigen  brachen  in  ein  wahnsinniges  Freudengeschrei 
aus,  während  die  andern  uns  Beifall  zollten. 

Man  reichte  sich  von  einem  Bord  zum  andern  die 
Hände,  und  der  Kapitän  ließ  mir  eine  blecherne  Feld- 
flasche mit  Branntwein  reichen,  die  ich  reihum  gehen  ließ. 
Nach  dieser  Aufmerksamkeit  kehrte  das  Boot  in  den  Hafen 
zurück,  um  von  seiner  Sendung  Bericht  zu  erstatten.  Wir 
folgten  ihm  und  hielten  unsern  Einzug  in  den  Hafen 
unter  dem  tausendstimmigen  Ruf:  „Vive  l'empereur!" 

Beim  Betreten  des  Hafendammes  wurden  wir  von  dem 
Platzkommandanten,  den  Generalstabsoffizieren  und  einer 
Menge  Unteroffiziere  und  Soldaten  empfangen,  die  uns 
um  den  Hals  fielen  und  tausend  Fragen  an  uns  richteten. 
Alle  wollten  sie  uns  mit  sich  nehmen.  Aber  es  gab  noch 
Formalitäten  zu  erfüllen. 
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Im  Zollbureau  wurde  sofort  auf  Befehl  des  Komman- 
danten ein  Protokoll  aufgenommen.  Dann  ließ  er  uns 
mehrere  Körbe  mit  Brot  und  Fleisch  bringen,  denn  unsere 
abgemagerten  Körper  legten  genügend  Zeugnis  ab  für 
das  Elend,  das  wir  ausgestanden  hatten.  Doch  anstatt 
mit  Heißhunger  zu  essen,  wie  man  es  erwartete,  erzählten 
wir  zuerst  alle  auf  einmal  und  in  fürchterlichster  Zusam- 
men hangslos  igkeit  von  der  schlechten  Behandlung,  die  uns 
die  Spanier  hatten  zuteil  werden  lassen.  Die  Freude 
raubte  uns  den  Appetit;  nur  einen  unerträglichen  Durst 
hatten  wir,  den  der  Wein  nicht  zu  stillen  vermochte;  man 
beeilte  sich  daher,  uns  Limonade  zu  geben. 

Zu  dieser  Zeit  waren  noch  nicht  20  Tage  vergangen, 
daß  Tarragona  nach  einer  zweimonatlichen  Belagerung 
im  Sturm  genommen  worden  war,  und  die  Stadt  war  noch 
ein  blutiger  Trümmerhaufen.  Der  schreckliche  Anblick, 
den  sie  darbot,  gab  uns  Gelegenheit  zu  traurigen  Betrach- 
tungen. Fast  kein  einziger  Einwohner  war  mehr  darin. 
Da  der  Kommandant  es  uns  frei  gestellt  hatte,  wo  wir 
wohnen  wollten,  wählten  wir  ein  Haus  am  Strande,  um 
besser  über  unser  Boot  wachen  zu  können. 

Am  nächsten  Morgen  begaben  wir  uns  nach  der  Zoll- 
niederlage, um  unsere  Gefangenen  aufzusuchen,  die  man 
dort  eingesperrt  hatte.  Wir  trafen  sie  in  der  größten 
Niedergeschlagenheit  und  in  Tränen  schwimmend.  Die 
Unglücklichen!  Fast  alle  Familienväter,  schluchzten  sie, 
als  sie  von  ihren  Frauen  und  Kindern  sprachen,  und  sie 
taten  uns  leid.  Wir  liefen  sofort  zum  Gouverneur,  um 
Fürsprache  für  sie  einzulegen.  Er  erhörte  unsere  Bitte 
und  gab  uns  sein  Wort,  daß  er  sie  nach  Mataro  bringen 
lassen  werde,  einem  zwischen  Barcelona  und  Tarragona 
gelegenen  Flecken.  Von  da  würden  sie  sich  leicht  nach' 
ihrer  Heimat  einschiffen  können.  Der  General  hielt  Wort: 
die  Fischer  wurden  ihren  Familien  wiedergegeben.  Was 
das  Boot  anlangt,  so  wurde  es  zu  unserm  Vorteil  für  die 
Summe  von  1900  Francs  verkauft. 


30      BwM7:  Spin.  FttthtHiVunp!. 


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6. 

Belagerung  von  Gerona 
von 

Don  Juan  Andres  Nieto  Samaniego 


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Vorwort. 

Unter  den  heldenmütigen  Verteidigungen  der  spa- 
nischen Festungen  während  des  Freiheitskrieges  verdient 
besonders  Gerona  genannt  zu  werden,  das  sich  im  Jahre 
1809  mit  einem  Häuflein  tapferer,  für  die  Sache  der  Frei- 
heit Begeisterter  vier  Monate  lang  gegen  die  zahlreichen 
französischen  Belagerer  verteidigte.  Die  Anstrengungen, 
Entbehrungen  und  Mühseligkeiten  der  Belagerten,  deren 
Festung  zwar  mit  regelmäßigen  Werken  umgeben,  indes 
nur  ungenügend  mit  Lebensmitteln  versehen  war,  trotzten 
lange  den  furchtbaren  Bemühungen  der  Franzosen,  denen 
alle  Mittel  einer  bedeutenden  Kriegskunst  zu  Qebote 
standen.  Selbst  die  Frauen  dieser  fanatischen  Bevölkerung 
stellten  sich  in  den  Dienst  des  Krieges  und  waren  den 
Verteidigern  unter  dem  Titel  der  „Gesellschaft  der  heiligen 
Barbara"  nützlich.  Erst  als  Hungersnot  und  Krankheiten 
(besonders  der  verheerende  Typhus)  einen  großen  Teil 
der  Einwohner  dahingerafft  hatten,  ergab  sich  die  Festung 
unter  den  ehrendsten  Bedingungen.  Allerdings  kamen  den 
Verteidigern  die  Verzögerung  und  die  Schwierigkeiten 
des  Transports,  unter  denen  die  Belagerungsheere  derFran- 
zosen  litten,  zu  statten,  indem  sie  sich  dadurch  genügend 
zu  der  Belagerung  vorbereiten  konnten.  Dennoch  ge- 
bührt dieser  Episode  des  spanischen  Befreiungskrieges 
ein  ehrender  Platz  in  der  Geschichte,  und  ich  glaube 
keinen  Fehlgriff  getan  zu  haben,  das  Tagebuch  des  Don 
Juan  Andres  Nieto  Samaniego  in  gekürzter  Form  hier 
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wiederzugeben,  um  so  mehr,  da  die  Auswahl  unter  spa- 
nisch geschriebenen  Werken  über  diese  Zeit  nicht  grofl 
ist.  Es  ist  mit  dem  ganzen  Bombast  spanischer  Rhetorik 
geschrieben,  der  allerdings  im  Deutschen  zugunsten  des 
bessern  Stils  teilweise  wegfallen  mußte.  Der  Verfasser 
war  Oberarzt  während  der  Belagerung,  und  seine 
Schilderung  geht,  besonders  was  den  Gesundheitszustand 
der  Kranken  betrifft,  sehr  ins  einzelne.  Dies  tritt  natür- 
lich in  unserm  Auszug  nicht  in  die  Erscheinung,  da  nur 
die  Beschreibung  der  Belagerung  selbst,  sozusagen  der 
Kern  des  ganzen  Werkdiens  heniusgesthrilt  ist  Nittu 
Samaniego  veröffentlichte  dasselbe  im  Jahre  1813  in 
Tarragona  unter  dem  Titel  „Memorial  histfjrico  de  los 
sucesos  mäs  notables  de  armas,  y  estado  de  la  salud 
püblica  durante  el  Ultimo  sitio  de  Oerona." 

F.  M.  K. 


470 


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Am  6.  Mai  zeigten  sieh  die  ersten  Vortruppen  der 
Belagerer  auf  den  Höhen  von  Casaroca  und  Costaroza 
auf  dem  linken  Ufer  des  Ter  in  der  Nähe  der  Stadt. 
Früher  schon  hatte  der  Feind  den  Platz  zu  überrumpeln 
gesucht,  jetzt  schritt  er  zur  förmlichen  Belagerung,  und 
es  wurden  dazu  in  Bascara  sowie  an  andern  Orten  un- 
geheure Anstalten  getroffen.  Nachdem  Rosas  genommen 
und  die  catalonische  Armee  bei  Valls  geschlagen  worden 
war,  litt  es  keinen  Zweifel,  daß  der  Feind  sich  nähern 
und  zur  Belagerung  schreiten  würde.  Wirklich  nahm  man 
auch  in  den  folgenden  Tagen  Schanzarbeiten  auf  den 
höchsten  Punkten  um  Casaroca  herum  wahr.  Sobald  der 
Feind  in  die  Umwallungslinie  der  Stadt  einrückte,  nahm 
er  vermöge  seiner  großen  militärischen  Einsicht  die  zweck- 
mäßigsten Stellungen  ohne  Widerstand,  wählte  Lager- 
plätze, arbeitete  an  Brustwehren  und  Wegen  und  legte 
den  Grund  zu  der  Mörserbatterie  auf  Casaroca,  der  unser 
Feuer,  wenn  es  auch  noch  so  gut  gerichtet  und  unter- 
halten war,  keinen  erheblichen  Schaden  zuzufügen  ver- 
mochte. Der  Feind  beschleunigte  die  gegen  die  Außen- 
posten von  Monjuich  gerichteten  Werke  und  fing  an, 
sein  furchtbares  Geschütz  vor  unsern  Augen  aufzufahren 
und  auf  die  gewählten  Stellen  zu  bringen. 

Nun  wurden  die  Gemüter  unruhig,  und  man  dachte 
schon  im  voraus  an  das  mannigfache  Elend,  das  eine 
Belagerung  mit  sich  zu  führen  pflegt.  Dennoch  war  die 
Geistesgegenwart  so  groß,  daß  nicht  nur  in  diesem  Augen- 
blick, sondern  auch  in  der  ganzen  langwierigen  Belagerung 
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nicht  das  geringste  Merkmal  von  Furcht  vor  den  Ver- 
wüstungen wahrzunehmen  war,  die  nach  den  im  Umkreis 
der  Stadt  gemachten  schrecklichen  Zurüstungen  zu  er- 
warten waren  und  auch  wirklich  erfolgten. 

Je  nachdem  der  Feind  seine  Arbeiten  fortsetzte, 
wurden  auch  in  der  Festung  die  Maßregeln  zum  Wider- 
stande und  zur  Verteidigung  getroffen,  so  gut  als  es 
ebt-.n  dii;  liesdirüiiktai  I  lilismittel  gestatteten.  Man 
besserte  die  von  der  letzten  Helagerung1)  her  noch  vor- 
handenen Werke  aus,  verfertigte  Roßmühlen  von  schlechter 
Bauart  und  demnach  wenig  Nutzen,  wählte  in  den  zur 
Domkirche  gehörigen  Gebäuden  einige  Gemächer  zur 
Betreibung  der  Geschäfte  des  Gouvernements  aus  usw. 

Hlt  Alilitiiniusschuß  sdilug  die  Aufreißung  des 
Straßenpflasters  vor,  aber  der  Regie rungsausschuß  wider- 
setzte sich  dem.  Letzterer  trug  mir  auf,  meine  Berufs- 
genossen zu  versammeln  und  mit  ihnen  zu  beraten,  ob 
das  Aufreißen  des  Pflasters  der  Gesundheit  nachteilig 
wäre  oder  nicht.  Ich  erbat  mir  hierzu  die  Erlaubnis  des 
Generalkommandanten,  und  die  Beratschlagung  fiel  dahin 
aus,  daß  nur  die  zur  allgemeinen  Verbindung  und  für 
den  Militärdienst  erforderlichen  öffentlichen  Plätze  und 
Gassen  zu  entpflastern  wären.  Hierauf  wurden  einige 
Straßen  entpflastert,  und  es  war  nicht  mehr  die  Rede 

Die  Militär-  und  Zivilgewalt  ward  von  folgenden  Be- 
hörden ausgeübt: 

1.  Don  Marino  Alvarez,  damals  Generalmajor  der 
königlichen  Armee,  Generalkommandeur  der  Avantgarde 
der  catalonischeri  Armee,  Interimsgouverneur  der  Festung 
Gerona,  mit  seinem  Generalstabe,  einem  Militärausschuß, 
einem  Beisitzer  und  3400  Mann  Besatzung. 

2.  Dem  vereinigten  Regier ungsausschuß  von  Gerona 
und  Figueras. 

i)  Am  20-21.  Juni  und  22.  Juli  bis  16.  August  1808  machte 
der  üencral  Duhcsme  zwei  Angriffe  auf  Gerona,  die  beide  von 
den  Spaniern  zurückgeworfen  wurden. 
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3.  Einer  Abteilung  der  königlichen    Finanzen  mit 
ihrem  Zahlamte. 

4.  Einem  Polizeiausschuß. 

5.  Einem  Ökonomie  aus  schliß. 

6.  Für  die  Gesundheitspflege  von  mir  als  Chef  und 
mehreren  Ärzten  und  Wundärzten. 

Als  dem  üeneralkommandantcn  die  Stimmung  der 
Einwohner  bekannt  geworden  war,  erließ  er  mit  der  bei 
dem  spanischen  Militär  üblichen  Feierlichkeit  folgenden 
Befehl,  der  allgemeine  Aufmerksamkeit  enegte:  „Unver- 
zügliche Todesstrafe  einem  jeden,  ohne  Unter- 
schied der  Person  oder  des  Standes,  der  von 
Kapitulation  oder  Übergabe  spricht!" 

Dieses  Dekret  ward  von  der  Besatzung  und  der 
Bürgerschaft  mit  Enthusiasmus  aufgenommen,  weil  es 
gerade  zur  rechten  Zeit  erschien;  es  verschloß  denen  den 
Mund,  welchen  ihr  Eigennutz  und  ihre  Ruhe  mehr  galt 
als  der  Verlust  einer  solchen  Stadt,  es  führte  alle  Ideen 
auf  eben  und  denselben  Zweck  hinaus  und  war  die  Ein- 
leitung zu  der  folgenden  beispiellosen  Verteidigung. 

Als  die  verschiedenen  Arbeiten  des  Feindes  vollendet 
und  viele  Batterien  zum  Feuer  in  Bereitschaft  waren, 
erschien  am  12.  Juni  nachmittags  der  erste  Parlamentär 
und  forderte  die  Festung  zur  Übergabe  auf.  Aber  der 
Qouverneur,  der  sie  verteidigte,  bedeutete  ihm,  sich  zu 
entfernen  und  seinem  General  zu  sagen,  er  könnte  sich 
künftig  die  Mühe  ersparen,  Parlamentäre  zu  schicken; 
denn  da  er  nichts  mit  ihm  gemein  haben  wollte,  würde 
er  sie  nicht  anders  als  mit  Kartatschen  empfangen.  Dies 
ward  auch  bei  den  vielen  Gelegenheiten,  wo  der  Feind 
zu  parlamenti eren  verlangte,  immer  ausgeführt. 

In  der  Nacht  vom  13.  zum  14.  zwischen  1  und  2  Uhr 
fing  der  Feind  an,  die  Stadt  aus  II  Mörsern  zu  bombar- 
dieren, deren  Feuer  ohne  Unterlaß  Häuser  zerstörte  und 
in  Brand  setzte  und  Menschen  und  Tiere  zerschmetterte. 
In  diesem  Augenblick  ertönte  der  schreckliche  General- 
marsch, den  man  nachher  bei  dieser  Belagerung  noch 
473 

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so  oft  hörte,  zum  ersten  Male.  Alt  und  jung,  vom 
Schiecken  der  Verwüstung  überrascht,  eilte,  sich  einen 
Zufluchtsort  zu  suchen,  wo  sie  sich  wenigstens  für  den 
ersten  Augenblick  über  die  große  Gefahr  hinwegtäuschen 
konnten.  Währenddessen  liefen  die  rüstigen,  in  der  Oero- 
nesischen  Brüderschaft  vereinigten  Bürger  und  die  Frauen 
und  Mädchen  von  der  Gesellschaft  der  heiligen  Barbara 
sowie  die  Besatzung  zu  den  ihnen  angewiesenen  Posten. 
In  dieser  Nacht  Ward  auch  das  chirurgische  Hospital  in 
der  Kirche  des  heiligen  Pedro  von  Oalicien  eröffnet 

Der  Morgen  des  17.  Juni  zeichnete  sich  durch  die 
seltene  Tapferkeit  und  den  großen  Mut  aus,  womit  ein 
Teil  unserer  Besatzung  gegen  den  Feind  durch  die  Vor- 
stadt Pedret  ausfiel,  ohne  das  Gewehrfeuer  des  viermal 
stärkeren  Feindes  in  der  Front  sowie  des  Feuers  der 
Kanonen,  Bomben  und  Granaten  aus  den  Batterien  von 
Casaroca  in  der  linken  Flanke  zu  achten. 

Der  Zweck  dieses  gewagten  Ausfalls  war  die  Zer- 
störung eines  großen  Werkes,  das  der  Feind  zum  Schutz 
der  Mühlen  der  Vorstadt  Pedret  errichtet  hatte,  die  er 
gleich  anfangs  nahm,  und  das,  wie  man  glaubte,  zur 
Basis  einer  Batterie  gegen  das  französische  Tor  dienen 
sollte.  Dieser  Zweck  ward  erreicht,  obwohl  wir  dabei 
einige  unserer  Tapferen  durch  Tod  oder  Gefangenschaft 
verloren,  da  sie  sich  unerschrocken  auf  den  Feind  warfen. 
Die  Zahl  der  Verwundeten  belief  sich  auf  110. 

Einige  Bomben  äscherten  das  Militärhospital  ein, 
wobei  wir  viele  Gerätschaften  verloren;  ein  Verlust,  der 
desto  wichtiger  war,  je  mehr  die  Schwierigkeit,  sie  zu 
ersetzen,  zunahm. 

Im  Juli  ward  das  Kastell  Monjuich,  worauf  der  Feind 
seine  Absichten  besonders  richtete,  mit  allen  in  der  Be- 
lagerungskunst bekannten  Mitteln  nachdrücklich  ange- 
griffen. Kanonenkugeln,  Bomben,  Oranaten,  Kartätschen, 
Steinkörbe,  Kleingewehrfeucr,  Einschließung  und  An- 
näherung der  Parallelen  von  seilen  der  Belagerer,  Breschen 
und  Werke  zu  ihrer  Verteidigung,  Beunruhigungen, 
474 

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Stürme,  nächtliche  Angriffe,  erschwerte  Verbindung  mit 
der  Festung,  üble  Beschaffenheit  des  Trinkwassers  und 
Krankheiten,  alles  vereinigt«  sich  allmählich  im  Laufe  des 
Monats,  den  Aufenthalt  im  Kastell  unerträglich  zu  machen, 
und  verschaffte  den  tapferen  Leuten  die  Gelegenheit,  sich 
mit  unsterblichem  Ruhme  zu  bedecken;  die  zur  rechten 
Zeil  unternommene  weise  und  kluge  Räumung  setzte  ihren 
Taten  die  Krone  auf. 

Da  die  drei  Posten,  die  nebst  ebenso  vielen  Redouten 
und  zahlreichen  Türmen  die  Außenwerke  des  Forts  aus- 
machten, zertrümmert  waren  und  notwendigerweise  ver- 
lassen werden  mußten,  so  legte  eine  Batterie  von  zwanzig 
Vierundzw  anzigpf ündern  die  Hälfte  der  nördlichen  Kur- 
tine in  Bresche.  Andere  Kanonen  beschossen  die  Süd- 
seite von  dem  zwischen  den  Türmen  San  Danielo  und 
San  Narciß  befindlichen  Räume  aus,  die  Mörser  und  Hau- 
bitzen von  der  Seite  von  Casaroca,  und  so  befand  sich 
dieses  kleine,  nicht  geschlossene  Fort  zwischen  drei 
schrecklichen  Feuern,  die  es  auf  drei  Seiten  beschossen. 

Da  die  Besatzung  von  so  vielem  Feuer  ermattet  und 
die  Bresche  für  40  Mann  in  der  Front  gangbar  war,  so 
schwieg  das  Fort,  teils,  weil  sein  Feuer  ganz  schwach 
war,  andemteils,  um  nicht  Munition  und  Arbeit  in  einem 
Flintenfeuer  zu  verschwenden,  das  gegen  Feinde  unnütz 
war,  die  sich  hinter  ihren  Brustwehren  vollkommen  decken 
konnten.  Der  Feind  zog  wahrscheinlich  aus  diesem  heil- 
samen, wohlüberlegten  Schweigen  und  aus  der  geräumigen 
Bresche  günstige  Schlüsse  für  seine  Unternehmungen  und 
beschloß,  die  Bresche  in  der  Nacht  vom  4.  zum  5.  zu 
stürmen  und  den  Angriff  auf  andern  Punkten  mit  Sturm- 
leitern zu  unterstützen. 

In  erwähnter  Nacht  drangen  starke  Kolonnen  von 
Franzosen  vor.    Die  Veliten1)  stritten  um  den  Vortritt 


!)  Veliten  waren  junge,  noch  nicht  das  militärpflichtige  Alter 
habende  Soldaten  im  Heere  Napoleons,  die  sich  freiwillig  zum 
Kriegsdienste  gemeldet  hatten.   Die  ersten  beiden  solcher  Korps, 
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im  Angriff  der  Bresche.  Aber  kaum  hatten  sie  sich  auf 
Flintenschußwcilc  genähert,  so  verbreitete  ein  Hagel  von 
Kugeln  aus  unsern  kleinen  Gewehren,  verbunden  mit 
einer  Menge  Bomben  und  Granaten,  die  die  Festung 
ohne  Unterlaß  entsandte,  Verwirrung  und  Schrecken  unter 
ihnen.  Dennoch  drangen  die  Kühnsten  bis  in  den  Graben, 
der  ihnen  zum  Grabe  bestimmt  war,  doch  alle  erfuhren 
zu  ihrem  Schaden,  daß  das  Schweigen  des  Forts  nur  vor- 
übergehend gewesen  war.  Der  Feind  ward  völlig  zurück- 
geschlagen und  ließ  im  Graben  und  auf  den  Wällen  viele 
Tote  und  einige  Leitern  zurück. 

Dieses  Gefecht  warfürunsere  Waffen  durchaus  rühm- 
lich, da  es  gegenüber  den  großen  Vorteilen,  die  es  mit 
sich  brachte,  uns  nur  2  oder  3  Tote  und  28  Verwundete 
kostete. 

Natürlich  bemühte  sich  der  zurückgeworfene  Feind, 
sich  zu  rächen  und  seine  Unternehmungen  zu  be- 
schleunigen, und  da  es  unmöglich  war,  sein  Feuer  noch 
mehr  als  in  den  vorhergehenden  Tagen  zu  beleben,  weil 
die  Geschwindigkeit,  womit  er  durch  ununterbrochenes 
Schießen  von  der  großen  Batterie  aus  das  Fort  verwüstete 
und  die  Schutzwehren  zerstörte,  nicht  in  Betracht  kam, 
mußte  er  sich  mit  dem  verderblichen  Geschützkriege  be- 
gnügen und  das  Feuer  bis  in  die  Nacht  vom  7.  und  8. 
fortsetzen. 

In  dieser  Zeit  gelang  es  ihm  mit  seinen  mächtigen 
Hilfsmitteln,  die  tapfere  Besatzung  zu  schwächen  und  die 
ürcsche  so  beträchtlich  zu  erweitern  und  gangbar  zu 
machen,  daß  man  hinaufreiten  und  mit  mehr  als  50 Mann 
in  der  Front  eindringen  konnte.  Der  auf  dem  Glacis 
verschanzte  Feind  zweifelte  nun  nicht  mehr  am  glück- 
lichen Erfolge  und  glaubte  vor  allem  nach  zwei  wichtigen 


von  denen  ein  jedes  aus  800  Mann  Fußvolk  bestand,  wurden  im 
Jahre  1803  gegründet  und  130!  kam  noch  ein  Reiterkorps  dazu. 
Nach  dein  Sturze  des  Kaisers  wurden  diese  Regimenter  wieder 
aufgelöst. 
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Dingen  streben  zu  müssen:  nach  der  Einnahme  des  Forts, 
die  ihm  ausgemacht  schien,  und  dann  nach  der  Wieder- 
herstellung seines  Ruhmes. 

Zu  diesem  Behufe  bestimmte  der  Oeneral  der  Be- 
lagerer') in  der  Nacht  vom  7.  zum  8.  mehr  als  9000 
seiner  tapfersten  Krieger,  die  die  Bresche  angreifen  und 
andere  Punkte  des  Kastells  bedrohen  sollten,  das  von 
kaum  900  Mann  verteidigt  wurde. 

In  der  Morgendämmerung  nahm  die  schreckliche 
Arbeit  ihren  Anfang  und  kündigte  sich  durch  ein  Bataillon- 
feuer an,  dessen  Wirkung  fühlbar  ward,  noch  ehe  man 
den  furchtbaren  Angriff  vermutete. 

Unser  Kleingewehrfeuer  antwortete  mit  der  Würde, 
Festigkeit  und  Sicherheit,  die  man  von  dem  Helden,  der 
die  Verteidigung  leitete  sowohl  als  von  dem  unbedingten 
Gehorsam,  der  Tapferkeit  und  Rechtlichkeit  der  besten 
Soldaten  erwarten  konnte. 

Als  der  Tag  schon  weit  vorgerückt  war,  um  Vi3Uhr, 
hatte  der  mächtige  krieggewohnle  Belagerer  dreimal  an- 
gegriffen und  dreimal  war  er  glorreich  zurückgeschlagen 
worden.  Bei  jedem  Angriff  ließ  er  unzählige  Tote  zurück 
—  Zeugen  seiner  Tapferkeit,  Geistesgegenwart  und  Kriegs- 
zucht; denn  ungeachtet  der  Dunkelheit  der  Nacht  blieb 
doch  alles  beisammen.  Unser  Ruhm  wäre  an  diesem 
Tage  des  Triumphes  vollkommen  gewesen,  hätte  nicht 
ein  unglücklicher  Zufall,  dessen  Ursache  unbekannt  ge- 
blieben ist,  unsere  Freude  gestört. 

Der  Zufall  wollte,  daß  bei  den  letzten  Anstrengungen 
des  Feindes,  als  er  vollkommen  zurückgeworfen  war,  im 
Turme  San  Juan  Feuer  ausbrach  und  das  dort  liegende 
Pulver  ergriff.  Dieser  Turm  befindet  sich  zwischen  der 
westlichen  Kurtine  des  Forts,  der  Stadt  und  der  Vorstadt 
Pedret.    Die  Explosion  hatte  nicht  nur  den  Verlust  der 


')  General  Jean  Antonie  Verdier  war  von  Oouvion  Saint-Cyr 
(siehe  7.  Anmerkung-)  beauftragt,  mit  einem  Teile  seines  Heeres 
Ocrona  zu  belagern. 

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sämtlichen  Wachmannschaft,  sondern  auch  des  wichtigen 
Gebäudes  und  Militärpostens  zur  Folge. 

Der  Verlust  des  Feindes  bei  diesem  Angriff  ward 
auf  1601)  Mann  berechnet,  mit  Einschluß  von  gefangenen 
Veliten,  die  schwer  verwundet  im  Graben  gefunden 
wurden  und  im  Hospital  starben.  Der  unsrige  betrug 
114  Mann  an  Verwundeten. 

Da  der  Feind  durch  wiederholte  und  mit  großem 
Verlust  verbundene  Erfahrung  belehrt  war,  daß  er  mit 
seinen  zahlreichen  Heerhaufen  nicht  einmal  durch  die 
gangbarste  und  geräumigste  Bresche  eindringen  konnte, 
weil  die  Tapferen  von  Monjuich  sie  bewachten,  so  sah 
er  sich  genötigt,  sich  auf  den  Gebrauch  des  Geschützes 
zu  beschränken,  um  ohne  Gefahr  das  kleine  Fort  in  einen 
Steinhaufen  zu  verwandeln. 

Schließlich  errichtete  er  neue  Batterien  und  gab  der 
großen,  welche  die  Bresche  geschlagen  hatte,  eine  andere 
Richtung.  Er  nahm  nun  den  Teil  der  nördlichen  Kurtine, 
welche  an  das  Außenwerk  stößt,  und  diese  selbst  zum 
Zielpunkt  seiner  Schüsse.  Und  während  er  das  Fort  mit 
seinem  schrecklichen  Feuer  zu  zerstören  fortfuhr,  umgab 
er  es  mit  zahllosen  wohl  verschanzten  Schützen,  die  den 
unsrigen  mit  anhaltendem  Gewehrfeuer  so  zusetzten,  daß 
sie  uns  an  manchen  Tagen  bis  zu  neun  Schild  wachen 
auf  demselben  Punkte  töteten. 

Die  Stadt  litt  gleichzeitig  unter  der  Zerstörung  der 
Bomben,  obwohl  sie  in  geringerer  Anzahl  fielen,  weil 
einige  Mörser  und  Haubitzen  der  Batterien  von  Casaroca 
auf  Monjuich  gerichtet  waren,  dessen  Umfang  seiner  Be- 
satzung nicht  so  viel  Raum,  als  die  Umstände  erforderten, 
noch  einen  vor  den  Verheerungen  des  Geschützes  ge- 
sicherten Ort  darbot.  Diese  erschwerenden  Umstände  und 
die  verderbliche  Verachtung  der  Oefahr  seitens  unserer 
Soldaten  verursachten  viel  Unheil. 

In  diesem  Monat  begannen  auch  die  endemischen 
Fieber,  die  gewöhnlich  in  Oerona  herrschen,  sich  zu 
zeigen,  wodurch  die  Spitäler  einen  beträchtlichen  Zu- 
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wachs  erhielten.  Die  unterste  Volksklasse  und  die  Flücht- 
linge, die  sich  nach  Qerona  gerettet  hatten,  wurden  von 
diesen  Fiebern  am  meisten  befallen. 

Es  gelang  jetzt  dem  Feinde,  wiewohl  nicht  ohne 
große  Anstrengung,  seine  Parallelen  bis  an  den  Rand 
des  Grabens  über  der  Chaussee  vorzurücken,  und  er  be- 
mühte sich,  große  Werke  mit  Faschinen,  Schanzkorben, 
Erdsäcken  usw.  anzulegen.  Der  Mangel  an  Erde  im  Um- 
kreis des  Forts  verdoppelte  zu  unserm  Glück  seine  An- 
strengungen und  erschwerte  die  Arbeiten,  die  ihm  zum 
Angriff  und  zur  Verteidigung  unentbehrlich  waren.  Aber 
seine  in  der  Entfernung  eines  Pistolenschusses  völlig  ge- 
deckten Schützen  beunruhigten  die  unsrigen  unaufhörlich 
mit  einem  heftigen  Gewehrfeuer,  das  der  Besatzung  sehr 
lästig  war  und  großen  Schaden  anrichtete.  Besonders 
war  es  unmöglich,  sich  in  den  zerstörten  Verschanzungen 
blicken  zu  lassen,  ohne  sich  einer  Menge  Schüsse  von 
denen  auszusetzen,  die  beständig  auf  der  Lauer  lagen. 
Da  sich  zu  diesem  Feuer  noch  Kanonenkugeln,  Bomben 
und  Granaten  gesellten,  so  war  das  Außen  werk  von  dem 
Ende  des  Monats  an  bis  zur  Räumung  des  Forts  wie 
ein  Ort  des  Untergangs  für  alle,  die  es  besetzten.  Dessen 
ungeachtet  stritten  sich  die  braven  Verteidiger  von  Ge- 
rona  um  diesen  Posten  wie  um  alle  anderen,  wo  es 
Gefahr  gab. 

Die  Feinde  griffen  diesen  Teil  des  Forts  zu  ver- 
schiedenen Malen  an  und  jedesmal  des  Nachts,  vermut- 
lich um  zu  versuchen,  ob  die  Besatzung  sorglos  oder 
wenigstens  nicht  aufmerksam  genug  wäre ;  stets  aber  war 
es  vergebens,  ausgenommen  das  letztemal. 

Zu  dieser  Zeit  hörten  unsere  Schnarrposten')  im 
Graben  arbeiten,  und  da  sie  sich  durch  wiederholte  Beob- 
achtungen davon  überzeugt  hatten,  besorgte  man,  daß 


')  Sicherheitsposten  der  Ksvallcrieteldwachen,  welchen  die 
unmittelbare  Sicherheit  der  Vorposten  übertragen  ist,  auch  „Posten 
vor  dem  Oewehr"  genannt. 

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der  Feind  das  Fort  unf erminiere.  Viele  erwarteten  von 
dieser  Arbeit  großes  Unglück,  obwohl  verständige  Mili- 
tärs nicht  zugaben,  daß  es  so  bedeutend  sein  werde  — 
wenn  auch  die  Mine,  wie  einige  glaubten,  gegen  das 
Tor  hin  sich  befände  — ,  weil  der  Grund  des  Forts  natür- 
licher Felsen  sei  und  man  sonst  keine  Arbeit  am  Fuße 
der  Mauer  wahrnahm.  Und  in  der  Tat,  das  Werk  flog 
auf  und  tat  meines  Wissens  nicht  den  geringsten  Schaden, 
weil  es  bloß  aus  Erde  bestand.  Nun  war  das  Tor  für 
den  Feind  entblößt,  und  er  fing  eine  erhöhte  Batterie 
an,  in  der  Absicht,  es  zusammenzuschießen.  Da  indes 
dadurch  die  Verbindung  zwischen  dem  Fort  und  dem 
Außenwerk  sehr  erschwert  ward,  erregte  der  Beginn 
seiner  Zerstörung  große  Besorgnis,  und  es  ward  des- 
wegen für  den  8.  August  ein  Ausfall  beschlossen,  um 
die  Kanonen  der  Batterie  zu  vernageln. 

Nachdem  sich  an  diesem  Tage  die  zu  einem  ebenso 
gewagten  als  ihrer  Tapferkeit  würdigen  Unternehmen  be- 
stimmten Männer  versammelt  hatten,  einige  mit  Nägeln 
und  Hämmern,  andere  mit  Äxten,  noch  andere  mit  brenn- 
baren Stoffen  bewaffnet,  warfen  sie  sich  am  hellen  Tage 
in  guter  Ordnung  blitzschnell  auf  die  feindlichen  Brust- 
wehren und  Batterien.  Trotz  des  ziemlich  heftigen  Oe- 
schütz-  und  Gewehrfeuers,  das  der  Feind  vergebens  dem 
unwiderstehlichen  Angriff  entgegensetzte,  durchbrachen 
sie  die  Brustwehren  und  erstiegen  gleichzeitig  die 
Batterien.  Während  einige  Blut  und  Leben  dem  Vaterlande 
opfern  und  den  mächtigen  Anstrengungen  Widerstand 
leisten,  die  den  Angegriffenen  von  andern  benachbarten 
Punkten  zu  Hilfe  eilen,  werfen  andere  mehrere  Kanonen 
um,  zerbrechen  die  Speichen  der  Lafetten,  suchen  sie 
zu  verbrennen  und  ziehen  sich,  nachdem  sie  so  den  kühnen 
Plan  größtenteils  ausgeführt  haben,  zurück. 

Einer  der  ersten,  welche  die  Batterien  erstiegen,  war 
der  ehrwürdige  und  brave  Qehilfe  des  Paters  Kapellan  von 
der  1.  Legion  von  Gerona.  Er  war  so  unglücklich,  einen 
Schuß  durch  die  Lende  zu  bekommen,  der  ihm  das  Hüft- 
ASO 

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bein  zerschmetterte,  woran  er  nach  einigen  Monaten  starb. 
Er  fiel  einem  feindlichen  Kapitän  in  die  Arme;  die  feind- 
lichen Soldaten  wollten  ihn  ermorden,  aber  der  Kapitän 
schützte  ihn  nicht  ohne  eigene  Gefahr  in  der  Hitze  des 
Gefechts.  Mehrere  der  Unsrigen  kamen  hinzu  und  töteten 
den  Offizier  gerade  in  dem  Augenblick,  da  er,  un- 
bekümmert um  seine  Person,  einen  seiner  Feinde  und 
unserer  Brüder  zu  retten  bemüht  war. 

Dieses  heldenmütige  und  gefährliche  Unternehmen 
hätte  uns  nicht  zwei  Drittel  der  wirklich  Verwundeten 
gekostet,  wenn  nicht  ein  Sergeant,  dem  viele,  von  miß- 
verstandenem Eifer  getriebene  Soldaten  folgten,  aus 
eigenem  Antriebe  sich  entschlossen  hatte,  den  Feind  auf 
dem  kleinen  Fort  San  Danielo  anzugreifen.  Dies  war 
ein  unverteidigter  Posten,  in  dessen  Besitz  die  Franzosen 
durch  Überrumpelung  gekommen  waren.  Die  Unsrigen 
wurden  bei  ihrer  Annäherung  mit  unzähligen  Kugeln  von 
den  Brustwehren  und  Dächern  empfangen  und  zurück- 
geworfen. Aber  wegen  seines  Diensteifers  und  der  guten 
Absicht  wurde  dem  Sergeanten  sein  Fehler  verziehen. 

Wir  hatten  bei  dem  Ausfall  48  Verwundete.  Sein 
ganzer  Gewinn  bestand  darin,  daß  die  Fortschritte  des 
Feindes  um  einige  Stunden  aufgehalten  wurden.  Denn 
es  erforderte  nur  wenig  Zeit,  die  vernagelten  Geschütze 
gegen  andere  auszutauschen  und  an  Stelle  einiger  un- 
brauchbar gemachter  Lafetten  neue  anzubringen.  Der 
Feind  hatte  einige  Schritte  von  dem  Fort  entfernt  Vor- 
räte von  Kanonen  und  anderen  Artillericbcdürfnissen,  un- 
gerechnet den  Park  auf  der  großen  Batterie,  die  schon 
das  Fort  zerstört  hatte  und  die  folglich  ihr  Feuer  gegen 
das  Außenwerk  und  dessen  Tor  fortsetzte. 

Zu  gleicher  Zeit  legte  der  Feind  einen  bedeckten 
Weg  an,  der  von  dem  Durchschnitt  seiner  Brustwehren 
bis  an  die  Bresche  des  Außenwerkes  führte.  Als  die 
Arbeit  vollendet  war  und  während  ein  Hagel  von  Ge- 
schützen allerart  die  Besatzung  bedrängte  und  verminderte, 
die  Stadt  ängstigte  und  die  Aufmerksamkeit  teilte,  schlug 

31      BwM7:  Span,  h'rti]] titstampf.  4SI 

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eine  Kolonne  kühner  Männer  unter  Begünstigung  der 
Finsternis  jenen  Weg  ein  und  drang  in  das  Außenwerk. 
Ihre  Gegenwart  machte  sich  sehr  fühlbar;  von  den 
zusammengeschmolzenen  Verteidigern  des  zerstörten 
Postens,  deren  Anzahl  sich  etwa  auf  40  belief,  kam  ein 
Teil  mit  seinem  Anführer  um,  obwohl  sie  ihr  Leben  teuer 
verkauften,  der  andere  ward  bis  auf  einen  Soldaten  ge- 
fangen genommen. 

Nachdem  die  Feinde  diesen  Vorteil  erlangt  hatten, 
konnten  sie  sich  die  peinliche  Lage,  in  der  sie  sich  be- 
fanden, nicht  verbergen,  weil  sie  unserm  Gewehrfeuer 
aus  nächster  Nähe  bloßgestellt  waren,  das  durch  das  un- 
geheure feindliche  Feuer  nicht  zum  Schweigen  gebracht 
werden  konnte.  Der  Feind  fand  es  daher  geraten  oder 
war  gezwungen,  sich  in  seine  alte  Stellung  zurückzuziehen, 
und  nun  blieb  das  Aufienwerk  verlassen,  weil  es  der 
Feind  nicht  behaupten  konnte,  dies  vielleicht  auch  nicht 
in  seiner  Absicht  lag.  Auch  war  es  bei  der  endlichen 
Entscheidung  unnütz  und  dem  Fort  sogar  nachteilig. 

Das  feindliche  Feuer  nahm  seinen  Fortgang.  Aber 
die  heldenmütigen  Verteidiger,  die  schon  auf  bloßes 
Flintenfeuer  und  Kasematten  beschränkt  waren  und  dabei 
keine  Gelegenheit  versäumten  dem  Feind  mit  Steinwürfen 
Abbruch  zu  tun,  schienen  jetzt  nur  noch  leidende  Werk- 
zeuge des  Kriegs  zu  sein,  denn  es  war  ihnen  unmöglich, 
den  Kampf  mit  Waffen  auszuhalten,  die  nach  Beschaffen- 
heit und  Anzahl  so  außerordentlich  ungleich  waren;  folg- 
lich wurden  sie  in  ihrer  Ungeduld  von  kriegerischem 
Feuer  und  Diensteifer  verzehrt.  Deswegen  wünschten  in 
den  letzten  Tagen  der  Behauptung  des  Forts  viele  einen 
Ausfall  zu  machen,  um  ihren  Mut  an  den  feindlichen 
Posten  zu  kühlen,  und  sie  würden  einen  glorreichen,  ob- 
wohl nutzlosen  Tod  auf  dem  Kampfplatze  gefunden  haben, 
wenn  man  sie  nicht  zurückgehalten  hätte.  Dennoch  hielt 
man  einige  Nachgiebigkeit  gegen  die  Tapfern  für  ratsam, 
und  es  wurden  einer  geringen  Anzahl  von  ihnen  zwei 
kühne  Unternehmungen  gestaftet,  nämlich  von  dem  Oraben 
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aus  die  feindlichen  Faschinen  werke  anzustecken,  was  sie 
beide  Maie  zur  allgemeinen  Bewunderung  ohne  Unfall 
bewerkstelligten. 

Schon  rissen  im  Fort  und  in  der  Stadt  die  Sommer- 
fieber stark  ein,  auch  machten  sich  die  unter  dem  Namen 
Lagerfieber  (typhus  castrensis)  bekannten  bemerkbar.  Das 
Wasser  der  einzigen  Zisterne  zum  Gebrauch  der  Besatzung 
hatte  beträchtlich  abgenommen  und  war  unrein,  stinkend 
und  unerträglich,  so  daß  es  die  Krankheiten  vermehrte. 
Diese  und  die  täglich  hinzukommenden  Verwundeten, 
die  abgelöst  werden  mußten,  verminderten  die  Vertei- 
diger und  vermehrten  die  Arbeit  derer,  die  im  Dienst 
blieben. 

Da  endlich  alle  Vertcidigungsmittel  erschöpft,  ein 
großer  Teil  des  Forts  in  einen  Schutthaufen  verwandelt, 
alles  Feuer  erloschen  und  Mangel  an  Wasser  vorhanden 
war,  da  der  wichtigste  Teil  der  Effekten  in  Sicherheit 
gebracht,  da  Krankheiten  herrschten  und  die  Unmöglich- 
keit, sich  zu  halten,  ohne  die  immer  mehr  bedrohte 
Stadt  zu  entblößen,  vorhanden  war,  so  rettete  sich  nach 
glorreicher  Gegenwehr  und  nach  Abhaltung  eines  Kriegs- 
rats  und  nachdem  Zündschnüre  an  die  Pulvervorräte  ge- 
legt waren,  die  unbesiegte  Besatzung  am  II.  August  um 
4  Uhr  nachmittags  angesichts  des  Feindes,  der  das  Fort 
ringsum  eingeschlossen  hatte.  Der  Generalkommandant 
wußte  von  dieser  glücklichen,  obwohl  schmerzlichen  Ent- 
schließung nicht  früher,  als  his  sie  ausgeführt  war. 

Oberstleutnant  Miranda  von  der  Artillerie B),  der  die 
Belagerung  mit  aushielt,  sagt  in  einem  Aufsatz  in  bezug 
auf  Monjuich  folgendest  „Das  Fort,  oder  richtig  gesagt 
der  Steinhaufen,  war  in  jämmerlichem  Zustande.  60  Tage 
lang  hielt  es  das  fürchterlichste  Feuer,  das  sich  denken 


6)  Don  Jose  Miranda  focht  tapfer  für  sein  Vaterland  als 
General  in  der  Armee  Blake's,  hatte  aber  wenig  Glück  und  wurde 
öfters  geschlagen.  Endlich,  1811,  wurde  er  bei  der  Kapitulation 
von  Valencia  gefangen  genomrnrn  und  nach  Frankreich  gebracht, 
das  er,  wie  alte  spani sehen  Gefangenen,  erst  1814  verließ. 
31-  483 

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läßt,  aus.  20  Batterien  mit  66  Kanonen,  7  Haubitzen, 
20  Mörsern  und  1  St  ein  mors  er  beschossen  es.  Man 
rechnet  23100  Kanonenkugeln,  3100  Granaten,  26O0 
Bomben  und  unzählige  Handgranaten,  Kartätschen  und 
brennbare  Stoffe,  die  hineingeworfen  wurden.  37  Tage 
war  eine  Bresche  offen,  und  zuletzt  gab  es  deren  vier." 

Der  Feind,  dem  man  große  Einsicht  in  die  theoretische 
und  praktische  Kriegskunst  zugeben  muß,  betrachtete  die 
Räumung  des  Forts  als  entscheidend  in  Hinsicht  auf  den 
Hauptplatz.  Dies  beweist  nicht  nur  die  Tätigkeit,  womit 
er  seine  Bemühungen  und  Anstalten  gegen  dasselbe 
richtete,  sondern  auch  ein  von  den  unsrigen  aufgefangener 
Bericht,  den  General  Verdier  für  den  Kriegs  minister  in 
Paris  bestimmt  hatte,  worin  die  gute  Lage  des  Forts 
und  sein  Mangel  an  Erde  in  seiner  Nähe  erwähnt  wird, 
dem  man  die  Verspätung  der  Angriffsarbeiten  beimaß. 
Dieser  General  versprach  die  Einnahme  der  Festung  in 
E — 14  Tagen  nach  der  Räumung  des  Forts.  Wir  werden 
aber  in  der  Folge  der  Geschichte  sehen,  daß  Tapferkeit 
und  heldenmütige  Entschlossenheit,  von  spanischem  Pa- 
triotismus eingegeben,  in  dieser  denkwürdigen  Belage- 
rung Ausnahmen  bewirkten,  welche  Lehrsätze  der  Kriegs- 
kunst umstießen,  die  vorher  stets  als  wahr  angenommen 
und  in  Ehren  gehalten  worden  waren. 

Während  der  tätige  Belagerer  seinen  Angriffsplan 
erweiterte  und  neue  Linien  und  Batterien  gerade  gegen 
den  Platz  errichtete,  war  er  genötigt,  uns  die  sehr  kurze 
Ruhe  zu  vergönnen,  die  die  unmittelbare  Nähe  eines 
mächtigen,  krieggewohnten  Feindes  den  Verteidigern  einer 
belagerten  Festung  gestatten  kann,  wenn  wir  einige 
Bomben  und  Granaten  nicht  in  Anschlag  bringen,  die 
von  Zeit  zu  Zeit,  bald  bei  Tage,  bald  des  Nachts  unsere 
Wachsamkeit  rege  erhielten. 

Er  errichtete  auf  einer  steilen  Felsenklippe  eine 
Batterie,  deren  Zweck  war,  das  fast  erloschene  Feuer 
des  Bollwerks  von  San  Pedro  vollends  zum  Schweigen 
zu  bringen ;  denn  dahin  konnte  er  leicht  Geschütz  schaffen, 
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weil  ihn  das  Terrain  begünstigte.  Eine  andere  ward  in 
dem  Graben  von  Monjuich  gegen  Westen  hin  errichtet 
Bei  der  Anlage  seiner  Batterien  zeigte  der  Feind  seine 
Wissenschaft  in  vollem  Glänze,  denn  sie  konnten  uns 
leicht  großen  Schaden  tun,  von  unserm  Feuer  aber  fast 
gar  nicht  gefährdet  werden.  Diese  Batterien  nebst  vielen 
andern,  die  nach  und  nach  auf  dem  Abhänge  des  Berges 
zum  Vorschein  kamen,  bestrichen  den  weiten  Raum 
zwischen  dem  Turme  Gironella  und  dem  Bollwerk  San 
Pedro  und  konnten  der  ganzen  Verteidigungslinie  und 
den  Werken  in  der  Ebene  großes  Ungemach  zufügen. 
Andere  in  den  Umgebungen  des  Turmes  San  Daniela 
beschossen  das  Ka Iva ricn fort,  das  Fort  Connetable  und 
einen  von  seinen  Außenposten. 

Da  der  Feind  so  nahe  gekommen  war  und  eine  so 
ungeheure  Menge  schweren  Geschützes  hatte,  mußte  das 
Hospital  von  San  Pedro  aus  verschiedenen  Oründen  in 
das  Hospiz  verlegt  werden. 

Da  kam  dem  Generalkommandanten  der  Gedanke, 
auf  das  Gewölbe  der  Kathedrale  eine  Batterie  von  drei 
Kanonen  zu  bringen.  Dieser  treffliche  Anschlag  gelang, 
obwohl  einiger  Einwand  und  Widerstand  zu  überwinden 
war,  und  bewirkte  viele  wesentliche  Vorteile,  sowohl  ver- 
möge des  dem  Feinde  dadurch  zugefügten  Schadens,  als 
auch,  weil  der  Zugang  zu  den  Breschen  in  der  schwachen 
Stadtmauer  erschwert  ward.  Zu  diesem  Zwecke  mußte 
das  Lazarett  der  verwundeten  Offiziere  aus  der  Kathe- 
drale in  die  St.  Martinskirche  verlegt  werden,  wo  es  bis 
zum  Ende  der  Belagerung  blieb. 

Die  während  der  Belagerung  zur  Beobachtung  der 
Bewegungen  im  ganzen  feindlichen  Lager  und  zur  Ver- 
kündung der  Angriffe  mittels  der  Sturmglocke  auf  der 
Kathedrale  aufgestellte  Wache  trat  um  diese  Zeit  ihren 
Dienst  mit  Erfolg  an,  empfing  dagegen  viele  Schüsse, 
die  ihr  jedoch  weiter  keinen  Schaden  zufügten.  Diese 
Wache  verrichteten  die  Geistlichen  der  Kirche,  und  ein 
Domherr  befehligte  sie;  der  Nachteil,  den  sie  dem  Feind 
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brachte,  läßt  sich  am  besten  nach  der  Rache  beurteilen, 
die  er  an  ihr  zu  nehmen  suchte. 

Die  schwierige  und  unter  solchen  Verhältnissen  ge- 
fährliche Verlegung  der  Hospitäler  gibt  Gelegenheit  zu 
einer  flüchtigen  Bemerkung.  Da  es  uns  an  Leuten  fehlte 
und  wir  den  Bomben  und  anderem  Feuer  ausgesetzt 
waren,  würde  dies  nicht  so  geschwind  und  nicht  mit 
so  gutem  Erfolg  vollbracht  worden  sein,  wenn  nicht  die 
Mönche,  besonders  die  Kapuziner  und  die  Frauen  von 
der  Gesellschaft  der  heiligen  Barbara,  aus  freiem  Willen 
die  Kranken  auf  ihren  Armen  fortgetragen  hätten.  Die 
Mitglieder  der  chirurgischen  Anstalt  trugen  mit  unermüd- 
lichem Eifer  das  ihrige  dazu  bei,  den  Kranken  während 
des  Fortbringens  eine  gute  Lage  und  die  nötige  Er- 
leichterung zu  schaffen.  Die  Ausdünstungen  der  Wunden 
verpesteten  vermögt  ihrer  Beschaffenheit  und  ihrer  Menge 
die  Luft,  besonders  im  Hospital  San  Pedro  und  in  den 
untern  Zimmern  des  Hospitals  San  Martino,  weil  es  hier 
an  Lüftung  fehlte  und  von  künstlichen  Mitteln,  die  Luft 
zu  reinigen,  nur  die  gewöhnlichsten  und  unwirksamsten 
zu  Gebote  standen. 

Die  Sommerfieber  fanden  sich  außerordentlich  häufig 
bei  der  Besatzung  und  den  Einwohnern  ein  und  wurden 
zu  Ende  des  Monats  besonders  heftig.  Die  Zunahme 
der  Kranken  verminderte  natürlich  die  Zahl  der  Ver- 
teidiger, und  die  wenigen  in  der  Festung  befindlichen 
waren  nur  durch  700  Mann  verstärkt,  die  fast  ohne 
Hindernis  durch  die  feindlichen  Linien  in  die  Festung 
gelangten.  Der  Dienst,  welchen  die  durch  den  mili- 
tärischen Geist  des  damaligen  Oberst  O'Donnell')  an- 
gefeuerten, gebildeten  und  unterrichteten  geronesischen 
Kompagnien  leisteten,  trug  nach  Verhältnis  ihrer  Zahl 
und  der  Umstände  viel  zur  Erleichterung  der  Truppen 
hei.    Da  in  das  Fort  Monjuich,  das  mit  Ordnung  und 


')  Jose  Enrique  O'Donnell,  Oraf  von  AbispaJ,  1769-1834, 
spanischer  Oenfral,  halte  den  Oberbefehl  über  Katalonien. 
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ohne  Nachteil  für  die  Ehre  der  Besatzung  verfassen  worden 
war,  von  den  nahegelegenen  erhöhten  Punkten  aus,  welche 
die  Stadt  auf  dieser  Seite  beherrschen,  einige  Breschen 
gelegt  wurden  und  der  Feind  unaufhörlich  neue  Werke 
und  Batterien  anlegte,  so  mußte  man  von  einem  Tag 
zum  andern  die  völlige  Öffnung  der  angefangenen 
Breschen  befürchten,  die  bti  der  Schwäche  leicht  zu  be- 
wirken war.  Andererseits  hatte  die  Festung  eine  schwache 
und  sehr  abgemattete  Besatzung.  Die  Toten  und  Ver- 
wundeten ungerechnet  fanden  sich  viele  Kranke,  an  deren 
Siechtum  der  Waffendienst,  die  Jahreszeit,  die  außerordent- 
liche Anstrengung,  die  Angst,  die  Entbehrungen  und  der 
Mangel  an  Nahrungsmitteln  schuld  waren.  Das  Volk, 
besonders  die  Armen  und  Ausländer,  waren  in  ihrer 
Krankheit  ganz  hilflos,  weil  das  allgemeine  Krankenhaus 
sie  nicht  fassen  konnte.  Die  Festung  wurde  seit  beinahe 
vier  Monaten  belagert  und  bombardiert,  und  es  war  keine 
Hoffnung  auf  Entsatz  vorhanden.  Es  war  kein  Zweifel, 
daß  sie  kapitulieren  konnte,  wie  der  Feind  oft  anbot, 
nachdem  sie  einen  Widerstand  geleistet  hatte,  dessen  sich 
keine  Festung  dritten  Ranges,  wie  Qerona  ist,  wird  rühmen 
können.  Aber  die  Besatzung  und  die  tapferen  Einwohner 
schöpften  selbst  im  Unglück  und  harter  Bedrängnis  noch 
neuen  Mut,  stählten  ihre  Erbitterung,  belebten  ihre  Tapfer- 
keit von  neuem  und  schwuren  in  ihrem  Herzen,  daß  sie 
entweder  siegen  oder  sich  unter  dem  Schutt  der  von 
ihnen  verteidigten  Stadt  begraben  wollten. 

Dieser  Entschluß  ward  zur  Zeit  des  größten  Mangels 
gefaßt,  der  sich  so  weit  erstreckte,  daß  sich  in  den  könig- 
lichen Magazinen  nichts  mehr  befand  als  etwas  Mehl 
und  Weizen.  Während  man  den  traurigsten  Ausgang  einer 
so  schrecklichen  Lage  befürchten  mußte,  kam  der  1.  Sep- 
tember heran,  einer  der  heitersten  Tage,  den  die  Vor- 
sehung zur  Hilfe  und  zum  Trost  der  geängstigten  Stadt 
werden  ließ. 

Dem  General  Oarcia  Conde  war  der  Ruhm,  der 
Festung    zu    Hilfe    zu    kommen,  vorbehalten!  Dies 
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schwierige  Unternehmen  setzte  allen  seinen  Verdiensten 
die  Krone  auf  und  erwarb  ihm  die  Dankbarkeit  der  ganzen 
Provinz.  Der  General  führte  mit  der  unter  seinen  Be- 
fehlen stehenden  mutigen  Division  einen  maßigen  Trans- 
port von  Lebensmitteln  in  die  Festung.  Ein  schweres 
Unternehmen!  Aber  der  General  zeigte  sich  des  Ober- 
befehlshabers der  Armee  und  des  ihm  gewordenen  Auf- 
trages würdig. 

Der  Angriff  wurde  mit  großer  Klugheit  eingeleitet 
und  kräftig  ausgeführt,  und  die  Feinde  wichen,  wobei 
einige  Gefangene  gemacht  wurden.  Andere  spanische  Ab- 
teilungen beschäftigten  mit  ihrem  lebhaften  Feuer  den 
Feind  auf  der  andern  Seite  des  Ter,  damit  er  den  in  Salt 
Geschlagenen  nicht  zu  Hilfe  käme,  obwohl  ihn  der 
schwierige  Übergang  über  den  Fluß  schon  an  und  für 
sich  daran  hinderte. 

Nachdem  das  Feld  gereinigt  war,  gelangten  die  von 
den  tapfern  Spaniern  geleiteten  Maultiere  ohne  das  ge- 
ringste Hindernis  in  die  Festung,  und  zu  gleicher  Zeit 
zogen  3000  Mann  Infanterie,  voll  Verlangen,  an  Geronas 
Ruhm  teilzunehmen,  in  die  Festung  als  Besatzung  ein. 

Durch  die  Ankunft  dieser  Verstärkung  ward  die  Stadt 
in  ihrer  Entschlossenheit  befestigt  und  neu  belebt.  Doch 
wurde  die  Freude  durch  den  Gedanken  vermindert,  daß 
die  Ankömmlinge  nur  auf  14  Tage  Lebensmittel  mit- 
brachten, wiewohl  die  Hoffnung  auf  neue  Unterstützung 
dadurch  nicht  erstickt  ward.  Die  übrige  Infanterie  und 
die  gesamte  Reiterei,  die  den  Transport  begleitet  hatten, 
gingen  glücklich  durch  die  feindlichen  Linien  zurück,  da 
sie  an  anderer  Stelle  gebraucht  wurden. 

An  demselben  Tage  beschloß  der  Kommandant  einen 
Ausfall  von  600  Mann  Infanterie  unter  dem  Oberst  Don 
Blas  de  Furnas.  Sie  gingen  nach  Salt,  wie  wir  vermuteten, 
in  der  Absicht,  die  Aufmerksamkeit  des  Feindes  auf  diese 
Seite  zu  ziehen,  während  die  Eskorte  des  Transports 
sich  nach  einer  andern  wendete.  Man  hatte  die  Absicht, 
den  beiden  Mühlen  der  Stadt  das  Wasser,  das  der  Feind 
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ihnen  gleich  im  Anfange  der  Belagerung  abgeschnitten 
hatte,  wieder  zu  verschaffen,  denn  der  Mangel  an  Mehl 
war  ungemein  beschwerlich  und  nachteilig. 

Die  erwähnte  Mannschaft  ging  ohne  Hindernis  auf 
ihr  Ziel  los.  Kaum  aber  hatten  die  Arbeiter  ihr  Werk 
begonnen,  so  wurden  sie  von  einer  beträchtlichen  In- 
fanterie und  Kavallerie  in  der  Ebene  angegriffen.  Der 
Feind  brach  aus  den  umliegenden  Gebüschen  hervor,  und 
da  die  Wiederherstellung  des  Wasserlaufs  schwieriger  war, 
als  man  dachte,  weil  der  Damm  einen  großen  Bruch 
hatte  und  der  Mühlgraben  an  vielen  Stellen  infolge  von 
Regengüssen  zusammengestürzt  und  verschlammt  war,  so 
konnte  man  mit  so  ungleichen  Waffen  dem  Feind  nicht 
widerstehen.  Der  kluge  Anführer  befahl  daher  den  Rück- 
zug, doch  konnte  dieser  nicht  ohne  Verlust  ausgeführt 
werden,  und  der  Ausfall  kostete  uns  einige  Gefangene, 
die  entweder  zu  weit  vorgegangen  waren  oder  sich  zer- 
streut oilfcr  vorsätzlich  verspätet  hatten. 

Nachdem  auf  Monjuich  die  Batterien  gegen  die 
Festung  vermehrt,  die  Brustwehren  vervollkommnet,  be- 
deckte Wege  und  andere  Verteidigungs werke  errichtet 
worden  waren,  setzten  die  Feinde  einen  auf  drei  Punkte 
zugleich  gerichteten  Kugelregen  fort,  nämlich  auf  Santa 
Lucia,  San  Christoph  und  die  Kaserne  der  Deutschen, 
die  auf  der  Stadtmauer  selbst  stand.  Sie  bezweckten, 
durch  Zerstörung  dieses  ungeheuren  Gebäudes  den  Ein- 
gang durch  die  Bresche  zu  erleichtern. 

Die  Festung  antwortete  zwar  tapfer  mit  ihrem  Feuer 
von  der  Kathedrale,  der  Sarazenenkirche  und  dem  Giro- 
nella-Turme  sowie  mit  kleinem  Gewehrfeuer,  um  das  feind- 
liche zu  schwächen  und  die  Öffnung  der  Bresche  teuer 
zu  verkaufen.  Da  aber  die  feindliche  Artillerie  der  unsrigen 
an  Kaliber  und  Zahl  unendlich  überlegen  war,  so  konnte 
die  Zerstörung  der  schwachen  Mauern  nicht  verhindert 
werden.  Man  bewirkte  indes  dadurch  wenigstens  soviel, 
daß  die  Feinde  aufgehalten  wurden  und  glaubten,  die 
Breschen  würden  erst  am  18.  September  gangbar  sein. 

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Dessen  ungeachtet  erregte  die  fortwährende  Zerstörung 
der  Mauern  große  Besorgnis  in  der  Stadt.  Um  Zeit  zu 
gewinnen,  den  vom  Feinde  erlangten  Vorteilen  Hinder- 
nisse in  den  Weg  zu  legen,  sowie  die  Schwierigkeit  und 
Gefahr  bei  den  großen  Verteidigungsarbeiten  hinter  den 
Breschen  zu  vermindern,  befahl  der  General  einen  Aus- 
fall, in  der  Absicht,  die  Artillerie  des  Feindes  zu  ver- 
nageln und  ihm  weiteren  Schaden  zuzufügen. 

Aus  jedem  Korps  der  Besatzung  ward  eine  Anzahl 
Beherzter  gezogen,  die  den  Mut  hatten,  nicht  allein  die 
Brustwehren,  bedeckten  Wege,  Laufgräben  und  andere 
Werke  des  Feindes  zu  nehmen,  sondern  auch  den 
Batteriestücken  und  Hauhitzen  Trotz  zu  bieten  und  ge- 
radewegs darauf  loszugehen.  Sie  versammelten  sich  auf 
dem  großen  Platze  der  Stadt,  stellten  sich  in  Schlacht- 
ordnung auf,  und  jede  Abteilung  erhielt  ihre  Weisung. 
Jeder  Befehlshaber  wurde  über  den  Gegenstand  seiner 
wichtigen  und  gefahrvollen  Bestimmung,  besonders  aber 
darüber  unterrichtet,  wie  verderblich  jede  Verzögerung 
sei,  zumal  wenn  es  darauf  ankomme,  den  Feind  vor  seinen 
Augen  zu  überfallen. 

Nachdem  Nägel,  Hammer,  Äxte  und  brennbare  Stoffe 
in  Bereitschaft  waren,  marschierte  die  Mannschaft  rechts 
ab  und  nahm  ihre  Richtung  nach  dem  Peters-Tore.  Dieses 
war,  seitdem  man  Monjuich  verlassen  hatte,  zugemauert, 
wurde  aber  von  den  Sappeuren  geöffnet. 

Nun  marschierten  die  Soldaten  stillschweigend  durch 
das  erwähnte  Tor  hinaus.  Die  Schnelligkeit,  mit  der  sich 
viele  auf  den  Feind  stürzten  —  sie  wurden  von  Fumas 
angeführt  —  war  so  groß,  daß  sie  ihn,  ehe  sie  bemerkt 
wurden,  mit  der  blanken  Waffe  auf  seinen  Posten  über- 

Als  der  Feind  die  außerordentliche  und  erfolgreiche 
Kühnheit  der  Tapferen  wahrnahm,  überschüttete  er  die 
mutigen  Angreifer  mit  einem  ungeheuren  Feuerregen  aus 
seinen  Batterien.  Aber  nichts  vermochte  das  furchtbare 
Ungestüm  der  Spanier  aufzuhalten.  Mitten  unter  dem 
400 

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Feuer  erstiegen  sie  die  Batterien,  vernagelten  die  Kanonen 
und  machten  die  Lafetten  unbrauchbar.  Viele  ernteten 
die  Früchte  ihrer  Tapferkeit  und  großen  Anstrengung, 
andere  hingegen  hatten  sich  ganz  zurückgezogen,  was 
den  englischen  Oberst  Mars  hall,  der  zugegen  war,  zu 
dem  Ausruf  veranlaßte:  „Heute  haben  wir  einen  großen 
Sieg  verfehlt!"  —  Einige,  die  mit  brennbaren  Stoffen 
beladen  waren,  unterließen  es  —  man  weiß  nicht  aus 
welchem  Grunde  —  aus  dem  Fort  San  Pedro  vorzu- 
rücken, mischten  sich  aber  dennoch  auf  dem  Rückzug 
in  die  Reihen  der  Tapferen. 

Eine  so  kühne  und  gefahrvolle  Tat  mußte  not- 
wendigerweise Blut  kosten,  kam  indes,  wenn  man  alle 
Urjistiiiiiie  erwägt,  nicht  so  teuer  zu  stellen,  als  man  nach 
aller  Wahrscheinlichkeit  befürchten  mußte:  wir  hatten 
nicht  mehr  als  43  Verwundete. 

Der  Feind  setzte  sein  schreckliches  Feuer  gegen  die 
Breschen  aus  den  vielen  Stücken,  die  ihm  unversehrt  ge- 
blieben waren,  fort  und  brachte  in  wenig  Stunden  andere 
an  die  Stelle  derer,  die  die  Belagerten  unbrauchbar  ge- 
macht hatten.  Drei  Tage  und  ebenso  viele  Nächte  be- 
schäftigte er  sich  damit,  die  großen  Breschen  zu  er- 
weitern und  unsere  Verteidigungswerke  zu  zerstören. 

Am  19.  September  rekognoszierten  feindliche  In- 
genieure nicht  ohne  große  Gefahr  das  Terrain  und  die 
Wege,  durch  welche  die  zu  dem  Sturm  bestimmten 
Truppen  ihre  Richtung  nehmen  sollten.  Sie  erklärten 
sämtlich  die  Breschen  für  durchaus  gangbar,  was  man 
nachher  aus  dem  Munde  eines  feindlichen  Bataillonskom- 
mandanten  erfuhr. 

Nach  dieser  von  Sachverständigen  gefällten  Ent- 
scheidung ward  der  Angriffspunkt  und  die  Zeit  des 
Sturmes  bestimmt  Da  jedoch  der  Feind  in  den  auf  Mon- 
juich  versuchten  Stürmen  einige  nicht  leicht  zu  ver- 
gessende politisch- militari  sehe  Lehren  erhalten  hatte,  so 
suchte  er  gegen  die  Festung  etwas  klüger  und  vorsichtiger 
zu  verfahren.  Daher  erschienen  am  18.  September,  dem 
49t 

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Vorabend  des  denkwürdigen  Tags  von  Gerona,  einige 
feindliche  Offiziere  mit  einer  weißen  Fahne;  sie  kamen 
von  Monjuich  gegen  die  Batterie,  die  sieh  am  Wege  vom 
Fort  linker  Hand  befand.  Als  sie  sahen,  daß  man  sie  in 
der  Festung  nicht  bemerken  wollte,  machten  sie  andere 
Zeichen  der  Aufforderung  und  näherten  sich  etwas  mehr. 
In  diesem  Augenblick  kam  ein  mündlicher  Befehl  vom 
Kommandanten,  daß  der  Parlamentär  sich  sofort  und 
ohne  Verzug  zurückziehen  sollte.  Nichtsdestoweniger  ver- 
langten die  Franzosen,  gehört  zu  werden,  aber  man  drohte, 
zu  feuern,  wofern  sie  sich  nicht  augenblicklich  zurückziehen 
würden.  Sie  erwiderten,  man  solle  wenigstens  ein  Papier 
annehmen,  das  sie  hervorzogen.  Aber  in  demselben 
Augenblick  antworteten  das  Fort  Connetable  und  der 
Oironellaturm  mit  Kanonenkugeln  und  Granaten,  worauf 
die  Parlamentäre  nach  Monjuich  zurückkehrten. 

Kaum  war  der  abgewiesene  Parlamentär  im  Graben 
des  Forts  angelangt,  so  erweiterte  das  feindliche  Geschütz 
die  Breschen  mehr  und  mehr  und  zerstörte  zu  gleicher 
Zeit  unsere  Werke.  Die  Bomben  verwüsteten  die  zer- 
trümmerte Stadt,  und  so  befriedigte  der  Feind  nicht  allein 
seinen  Verdruß,  sondern  erleichterte  sich  auch  den  be- 
schlossenen Sturm. 

Gegen  yt4  Uhr  nachmittags  am  19.  September  ließ 
die  Wache  auf  dem  Glockenturm  der  Kathedrale  dem 
Kommandanten  melden,  daß  einige  feindliche  Truppen 
von  Monjuich  den  Berg  herunter  gegen  San  Danielo  an- 
rückten; gleich  darauf  trafen  von  dem  Fort  Connetable 
und  dem  Kapuziner-Fort  ähnliche  Meldungen  ein;  von  der 
Kathedrale  ward  ferner  gemeldet,  daß  der  Feind  von 
Monjuich  und  San  Danielo  aus  gegen  die  Breschen  im 
Anzüge  sei  und  viele  Sturmgerätschaften  mit  sich  führe. 

In  demselben  Augenblick  vernahm  man  die  Sturm- 
glocke auf  der  Kathedrale,  der  Generalmarsch  verkündigte 
in  den  Straßen  die  Gefahr  und  den  Angriff,  und  der  Schall 
der  Glocken  und  Trommeln  vermischte  sich  mit  dem 
Donner  eines  fürchterlichen  Geschütz-  und  Gewehrfeuers. 
492 

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Alles  dies  geschah  in  einem  Augenblick,  denn  da  sich  die 
Feinde  schon  in  der  vorhergehenden  Nacht  in  San  Danielo 
und  Monjuich  versammelt  hatten,  war  kaum  ein  Zwischen- 
raum zwischen  ihrem  Ausrücken  und  der  Ankunft  auf 
den  Breschen. 

Jeder  dieser  kühnen  und  tapferen  feindlichen  Krieger 
schien  in  seinem  Herzen  geschworen  zu  haben,  daß  er 
zuerst  in  die  Festung  eindringen  wolle.  Während  des 
allgemeinen  Angriffs  gelang  es  den  Franzosen,  mitten 
durch  das  furchtbare  Feuer  der  Belagerten  hindurch  bis 
an  das  erste  Viereck  der  zerstörten  Kaserne  der  Deutschen 
zu  gelangen.  Die  nächsten  Verteidiger  fielen  über  sie 
her,  und  eben  wollten  die  Tapferci  vom  Regiment  Ul- 
tonia  sie  niedermachen,  als  das  feindliche  Artilleriefeuer 
eine  große  Mauer  über  sie  wegstürzte,  die  sie  mit  einem 
Teil  der  Unsrigen  begrub  und  ihnen  einen  Teil  der  Arbeit 

Unsere  Verstärkungen  langten  zur  rechten  Zeit  an, 
und  je  tapferer  und  zweckmäßiger  der  hartnäckige  Feind 
focht,  mit  desto  größerer  Freude  sahen  wir  die  Über- 
reste der  angreifenden  ersten  Division  umkehren  und  die 
Bresche  und  den  Kampfplatz,  die  mit  Toten  und 
Sterbenden  hedeckt  waren,  verlassen. 

Der  Angriff  wurde  indes  erneuert.  Das  Lager,  die 
Breschen  und  die  zerstörte  Kaserne  der  Deutschen  blieben 
einem  schrecklichen,  hartnäckigen  Geschütz-  und  Gewehr- 
feuer ausgesetzt.  Der  grauenvolle  Kampf  ward  immer 
hitziger,  je  länger  er  dauerte.  Lange  blieb  der  Ausgang 
unentschieden,  allein  der  Mut  der  Besatzung  trug  end- 
lich den  Sieg  davon  und  die  Stürmenden  waren  genötigt, 
sich  zurückzuziehen. 

Das  gleiche  Glück  hatten  die  Verteidiger  der  andern 
Breschen,  wenngleich  ihr  Ruhm  nicht  so  groß  war,  da 
sie  keine  Gelegenheit  hatten,  so  viele  Krieger  zu  über- 
winden, obwohl  die  Angriffe  besonders  auf  Santa  Lucia 
sehr  nachdrücklich  waren. 

Unter  den  vielen  Leichen  um  die  Breschen  herum 
4Q3 

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lag  noch  ein  oder  der  andere  Verwundete,  und  es  ging 
ein  kleiner  unbewaffneter  Trupp  hinaus,  um  sie  aufzu- 
suchen und  ihnen  die  Hilfe,  die  in  solchen  Fällen  die 
Menschlichkeit  gebietet,  zu  verschaffen,  besonders  den 
Spaniern.  Da  aber  die  Feinde,  vermutlich  durch  ein  Miß- 
verständnis der  Schildwache,  von  ihren  Brustwehren  aus 
Feuer  auf  sie  gaben,  mußten  sie  sich  un verrichteter  Sache 
wieder  zurückziehen.  Und  so  verdammten  die  Belagerer 
einige  ihrer  Brüder,  von  allen  verlassen  in  der  größten 
Trostlosigkeit  umzukommen.  Aus  demselben  Grunde 
blieben  auch  die  Toten  unbcgraben.  Sonst  wird  in  der- 
gleichen Fällen  ein  Waffenstillstand  geschlossen,  um  die 
Verwundeten  wegzuschaffen,  da  aber  alle  Verbindung  mit 
dem  Feinde  während  dieser  gamen  merkwürdigen  Be- 
lagerung abgebrochen  war,  so  mußte  die  Stimme  der 
Menschlichkeit  schweigen. 

Dieser  schreckliche  Sturm  kostete  uns,  ohne  die  Toten 
zu  rechnen,  113  Verwundete.  Die  Folgen  der  Belagerung 
äußerten  ihre  Verwüstungen  in  einem  schrecklichen,  immer 
zunehmenden  Grade,  und  während  der  Hunger  die 
unterste  Klasse  verzehrte,  lastete  der  Mangel  auf  den 
physischen  Kräften  fast  aller  Wohlhabenden.  Denn  wenn 
schon  noch  einiger  Vorrat  an  Weizen  da  war,  so  fehlte 
es  doch  unglücklicherweise  an  Mitteln,  ihn  in  Mehl  zu 
verwandeln. 

Die  Angst  vor  der  Einschließung,  den  Bomben,  Gra- 
naten und  Kugeln  allerart,  die  große  Abmattung,  Mangel, 
Elend,  Entbehrung,  Hunger,  Krankheit  und  Tod  —  alles 
traf  in  diesem  Monat  zusammen  und  förderte  das  Elend 
und  das  Verderben  unserer  Stadt.  Die  Hoffnung  auf  oft 
versprochene,  aber  nie  erfolgte  Hilfe  fing  endlich  an  zu 
erkalten  und  in  einigen  Oemütern  üble  Wirkungen  zu 
erzeugen. 

Um  diese  Zeit  sagte  man,  daß  ein  reichlicher  Trans- 
port von  Lebensmitteln  in  Bereitschaft  und  alles  so  ein- 
geleitet wäre,  daß  man  an  seiner  glücklichen  Ankunft 
nicht  zweifeln  könne.  Diese  Nachricht  ward  durch  Briefe 
4M 

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glaubwürdiger  Personen  bestätigt,  und  niemand  zweifelte 
an  einer  Sache,  die  man  für  ausgemachte  Wahrheit  hielt. 

So  gaben  wir  uns  die  größte  Mühe,  uns  zu  überreden, 
daß  die  Belagerung  aufgehoben  werden  würde.  In  dieser 
Absicht  stand  schon  ein  furchtbares  tieer  den  feindlichen 
Waffen  gegenüber,  das  vermöge  seiner  Übermacht  des 
Sieges  gewiß  war.  Man  zählte  schon  die  Oenerale,  die 
Divisionen,  man  kannte  sogar  den  Angriffsplan  und  die 
Signale,  die  zuvor  auf  einigen  Bergen  erscheinen  sollten, 
und  andere  vorteilhafte  Umstände,  die  stets  gute  Auf- 
nahme fanden,  weil  man  sehr  geneigt  ist,  zu  glauben, 
was  man  wünscht. 

So  nährte  sich  unsere  gelauschte  Hoffnung  mit 
trügerischen  Oedanken  von  Befreiung  und  Sieg,  sogar 
mitten  unter  den  furchtharsten  Leiden.  Endlich  hörte  man 
eines  Morgens  Flintenschüsse  gegen  den  Engelsberg,  einen 
militärischen  Posten,  zu.  Eine  starke  Abteilung  machte 
einen  Ausfall,  der,  wie  wir  nachher  erfuhren,  die  Ein- 
bringung des  Transports  decken  sollte. 

Jedermann  heftete  seine  Aufmerksamkeit  auf  das 
Getümmel  und  die  Bewegungen  der  Soldaten:  man 
glaubte,  ein  paar  beladene  Maultiere  sich  nähern  zu  sehen; 
zwischen  ihnen  bemerkte  man  einen  feindlichen  Ge- 
fangenen, und  diese  tröstliche  Aussicht  verbreitete  überall 
Frohlocken. 

Aber  die  Reihe  des  Transports  wurde  unterbrochen, 
ohne  daß  man  die  Ursache  wußte,  und  das  verwunderte 
Volk,  das  von  den  hohen  Mauem  der  Stadt  herab,  den 
stieren  Blick  auf  den  Weg  gerichtet,  gehofft  hatte,  dieser 
Stillstand  sei  absichtlich,  wollte  nicht  glauben,  was  es 
sab,  starrte  stundenlang  und  nahm  endlich  mit  Kummer 
und  Verdruß  wahr,  daß  die  Hereinbringung  des  Trans- 
portes nicht  nur  aufgehalten,  sondern  durchaus  unmög- 
lich geworden  war.  Endlich  war  er  ganz  abgeschnitten! 
—  Die  Beschaffenheit  des  Terrains  begünstigte  diese  Ope- 
ration, und  ein  guter  Teil  des  Tranports  diente  dem  Feinde 
zur  Fortsetzung  der  Belagerung. 

495 


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In  allen  finsteren  oder  nebligen  Nächten  suchte  der 
Feind  unsere  Außenposten  zu  überfallen,  und  es  gelang 
ihm  einmal  zu  unserm  großen  Schmerz.  Bei  Tage  schickte 
er  Öfters  Parlamentäre,  aber  sie  fanden  wie  gewöhnlich 
kein  Gehör.  Man  warf  unsern  Wachen  verführerische, 
einschmeichelnde  und  mordbrennerische  Zettel  zu,  kurz 
der  Feind  versäumte  kein  Mittel,  sich  des  Platzes  zu 
bemächtigen,  der  seine  kriegsgewohnten  und  zahlreichen 
Heerhaufen  so  sehr  ermüdete. 

Die  verschiedenen  Krankheiten  und  die  Waffen 
brachten  eine  im  Verhältnis  zur  Volkszahl  schreckhafte 
Menge  von  Toten  zuwege,  und  die  Straße  zum  Kirchhof 
war  beständig  voll  von  Totengräbern  und  Totenkarren. 

Auch  im  November  leistete  Gerona  heldenhaften 
Widerstand.  Unter  seinen  Mauern  befand  sich  ein  Heer 
von  35000  Mann  tapferer,  disziplinierter  und  kriegs- 
tüchtiger Truppen  in  zwei  Divisionen,  von  denen  die 
eine,  17000  Mann  stark,  unter  dem  General  Verdier  das 
Belagerungskorps  ausmachte  und  die  andere,  18000 Mann 
stark,  unter  Oeneral  Saint-Cyr  die  Belagerung  deckte. 
General  Saint-Cyr')  war  indes  jetzt  nach  Paris  gerufen 
worden  und  hatte  das  Kommando  dem  Marschall  Auge- 
reau»)  übergeben. 

Die  Ankunft  dieses  Generals  und  die  Übernahme 
des  Oberbefehls  durch  ihn  ward  durch  Artilleriesalven 
verkündigt,  und  nachdem  er  einige  Tage  das  Heer  ge- 
mustert hatte,  ergriff  er  mit  dem  Eifer,  der  sich  gewöhn- 
lich im  Anfang  eines  neu  übernommenen  Oberbefehls 
äußert,  feindliche  Maßregeln  gegen  die  Festung. 

Nächtliche  Angriffe  folgten  schnell  aufeinander:  einen 


')  Laurent  Graf  Gouvion  Saint-Cyr,  Marschall  von  Frank- 
reich, 1764-1830,  hatte  den  Oberbefehl  Gber  Katalonien,  muBtc  aber 
später  wegen  seines  Mißerfolges  bei  Gerona  sein  Kommando  dem 
Marschall  Augercau  abgeben  und  wurde  erst  1812  von  Napoleon 
wieder  verwendet 

>)  Pierre  Francois  Charles  Auge  re  an,  Herzog  von  Castiglione, 
französischer  Marschall,  1757-lStfi. 
496 

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vernachlässigten  oder  schwachen  Punkt  zu  entdecken,  das 
Terrain  und  die  Befestigungswerke  zu  rekognoszieren, 
den  Widerstand  auf  die  Probe  zu  stellen,  die  Besatzung, 
die  nicht  abgelöst  wurde,  mehr  und  mehr  zu  ermüden, 
den  Verbrauch  der  Munition  des  Platzes,  wo  kein  Ersatz 
stattfand,  zu  beschleunigen  und  die  Einwohner  zu  er- 
schöpfen —  das  waren  die  großen  Zwecke  jener  An- 
griffe. Doch  flößten  unsere  Krieger,  an  solche  Auftritte 
gewöhnt,  dem  Feinde  Achtung  ein.  Sie  hielten  sich  zu 
allem  bereit,  waren  wachsam  und  unbeweglich  auf  ihren 
Posten,  schonten  das  Pulver  und  die  Munition,  woran 
es  zu  mangeln  begann,  und  verschwendeten  ihre  schon 
geschwächten  Kräfte  nicht  unnützerweise. 

Kein  Mittel  zur  Ängstigung  der  Stadt  ward  von  den 
Belagerern  versäumt  oder  für  überflüssig  gehalten.  Ver- 
führerische Schriften,  traurige  Nachrichten  von  der  po- 
litischen und  militärischen  Lage  Spaniens,  der  Macht  und 
den  Siegen  des  Feindes,  der  Abschaffung  der  Mißbräuche 
und  Verbesserung  der  Verfassung,  Versprechen  voll- 
kommener Verzeihung,  um  den  Mut  der  heldenmütigen 
Verteidiger  zu  schwächen,  andererseits  unaufhörliche  Be- 
wegungen des  |->irules  mit  einem  gewissen  geheimnis- 
vollen und  drohenden  Anschein,  hielten  die  Stadt  in  be- 
ständiger Spannung  und  beschäftigten  ihre  Wachsamkeit 
ohne  Nutzen.  Bei  der  Belagerung  selbst  zogen  die  Feinde 
die  Linie  der  Einschließung  so  eng,  daß  es  unmöglich 
war  durchzukommen,  und  wer  es  wagen  wollte,  wurde 
augenblicklich  den  Schildwachen  verraten.  Denn  an  den 
gangbaren  Stellen  hatten  sie  große  Leinen  mit  Glöckchen 
gezogen,  damit  die  Durchdringenden  daran  stießen  und 
die  Aufmerksamkeit  der  nächsten  Posten  erregten.  Auch 
bedienten  sie  sich  mehrerer  Hunde.  Durch  solche  Mittel 
und  durch  Vervielfältigung  der  Wachen  schlössen  sie  die 
Stadt  so  fest  ein,  daß  man  schwerlich  ein  ähnliches  Bei- 
spiel finden  wird. 

Die  wenigen  zum  Schlachten  bestimmten  Esel  und 
Maultiere  wurden,  da  es  an  Futter  fehlte,  zwischen  der 

32      B.M7:  Span.  PrdWUiMipt.  497 

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Mauer  von  San  Francisco  de  Pucbla  und  dem  Kirchhofe 
geweidet.  Aber  auch  dieses  Hilfsmittels  wurden  die  Be- 
lagerten durch  das  Feuer  aus  der  Ebene  und  aus  den 
Batterien  vom  Fuße  des  Montelivi  beraubt,  und  nun  litten 
die  zu  unserer  Nahrung  bestimmten  Tiere  so  groflen 
Hunger,  daß  sie  einander  die  Mähnen  abgefressen  hatten, 
ehe  sie  zur  Schlachtbank  geführt  wurden.  Durch  das 
unaufhörliche  Feuern  des  Feindes  ward  auch  das  Be- 
statten der  Toten  erschwert,  wo  nicht  verhindert. 

Oft  suchte  der  Feind  zu  unterhandeln,  in  der  Hoff- 
nung, die  Feste  werde  in  so  großer  Not  seine  Ratschläge 
annehmen.  Aber  er  fand  nie  Gehör,  was  eine  gewisse 
Unzufriedenheit  hervorrief.  Dennoch  gelang  es  ihm 
mehrere  Male,  zuerst  einen  kleinen  Jungen,  dann  einen 
Apotheker  aus  Selva,  der  im  Fort  Connetable  an  dem 
herrschenden  Fieber  starb,  und  zuletzt  einen  Mönch  mit 
Papieren  herein ziisclunugjrem.  Bei  einer  von  diesen  Ge- 
legenheiten verkündete  uns  der  Feind,  daß  unsere  Armee 
bei  Santa  Coloma,  bei  Hostairich  und  in  der  Nähe  von 
Labisbal  geschlagen  worden,  daß  mit  Österreich  Frieden 
geschlossen  und  unser  hoffnungsloser  Widerstand  ein 
ruhmloser  Untergang  sei.  Obwohl  nun  dies  alles  wahr 
war,  so  sah  es  doch  die  öffentliche  Meinung  für  Lügen  an. 

Der  Generalkommandant  hielt  die  erwähnten  Papiere 
sehr  geheim,  dennoch  ward  ihr  Inhalt  bekannt  und  die 
Wirkung  war  nicht  ganz  unmerklich.  In  einer  dieser 
Schriften  bot  der  Feind  einen  Waffenstillstand  auf  einen 
Monat  und  baldige  Versorgung  der  Stadt  mit  Lebens- 
mitteln an ;  käme  binnen  dieser  Frist  kein  Ersatz,  so 
wollte  man  über  die  Kapitulation  unterhandeln.  Solch 
einen  Vorschlag  in  so  beschränkten  Umständen  von  der 
Hand  zu  weisen,  dazu  gehörte  der  große  Charakter  des 
Generals  Alvarcz  und  der  Heldensinn  des  Volkes  und 
der  Soldaten. 

Der  Feind  versprach  der  Stadt  ferner  eine  vorteil- 
hafte Kapitulation  und  fügte  schreckliche  Drohungen 
hinzu,  wofem  sie  die  Augenblicke  des  Heils  verstreichen 
498 

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ließe;  aber  Schmeicheleien  überredeten  so  wenig,  als 
Drohungen  schreckten:  Gerona  war  über  alles  Unglück 
erhaben. 

Der  Hunger  war  jetzt  so  groß,  daß  auch  die  Hilfe- 
leistungen der  vermögenden  Einwohner  zu  Ende  gingen. 
Wer  sich  mit  einem  Brote  auf  der  Straße  sehen  ließ, 
dem  ward  es  mit  Gewalt  aus  der  Hand  gerissen ;  man 
mußte  Wachen  in  die  Backstuben  und  Blickerläden  stellen 
und  zugleich  andere  polizeiliche  Maßregeln  ergreifen.  Oft 
wurden  Häuser  auf  den  bloßen  Verdacht  hin,  daß  sie 
Lebensmittel  enthielten,  durch  die  Gewalt  des  Gesetzes 
geöffnet.  Katzen  und  Ratten  wurden  für  Leckerbissen 
gehalten  und  teuer  bezahlt.  Wenn  bisweilen  einer  oder 
der  andere  mit  Lebensgefahr  oder  als  Spion  durchkam 
und  einige  Lebensmittel  mitbrachte,  so  wurden  ungeheure 
Preise  dafür  bezahlt,  und  man  riß  sich  darum.  Ein  Huhn 
stieg  bis  auf  einige  Unzen  Gold»),  und  für  ein  paar  halb- 
verfaulte  Krammetsvögel  sah  ich  einen  Duro'u)  bezahlen. 
Ein  Krug  Branntwein  kostete  70  Realen"),  ein  Krug  Wein 
40—50. 

Bei  so  großem  Elend  mußten  sich  die  Gesinnungen 
ändern.  Es  gab  Zänkereien,  und  die  Meinung,  daß  der 
Platz  nicht  länger  widerstehen  könne  und  dürfe,  ward 
schon  allgemeiner.  Die  Verzagten  äußerten  ihr  Verlangen, 
zu  kapitulieren,  hüteten  sich  aber,  es  öffentlich  zu  sagen, 
weil  der  Befehl,  daß  jeder  ohne  Ansehen  der  Person, 
der  von  Kapitulation  oder  Übergabe  spräche,  sofort  mit 
dem  Tode  bestraft  werden  sollte,  erneuert  worden  war. 

Mancher,  dessen  Geduld  durch  die  furchtbare  Wut 
des  Hungers  erschöpft  war  und  der  ihm  nicht  länger 
widerstehen  konnte,  da  es  ihm  an  der  zum  Dienst  nötigen 
Ausdauer  und  Standhaftigkeit  fehlte,  ging  zum  Feinde 
über.  Und  um  die  Neigung  zum  Desertieren  anzufeuern, 


»)  1  Onza  =  bü  Mark  nach  damaliger  Rechnung. 
">>  Duro-Piaster  (4  M.). 

■")  I  Ki-.il       imgi-iahr   III  l'ii-nlliy. 


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Brot,  Käse,  Wein  und  dergleichen  zu.  Da  diese  aber 
keine  Eile  hatten,  das  verführerische  Geschenk  anzu- 
nehmen, ließ  man  es  auf  dem  Felde  stehen.  Versuchungen 
dieser  Art  waren  ebenso  verführerisch  als  häufig,  und 
nur  der  spanische  Charakter  konnte  ihnen  widerstehen. 

In  dieser  Zeit  erfuhr  die  Besatzung  der  Festung  eine 
Verminderung  auf  eine  Art,  von  der  sich  vielleicht  kein 
Beispiel  in  der  spanischen  Kriegsgeschichte  findet.  Es 
gingen  nämlich  zehn  Offiziere  am  hellen  Tage  zum  Feinde 
über:  zwei  davon  waren  Edelleute  und  acht  aus  dem 
Staube  zu  der  Würde  erhoben,  die  sie  jetzt  schändeten. 
Sie  wurden  von  dem  Feinde,  zu  dem  sie  übergingen, 
verspottet  und  verachtet. 

Der  Feind  vermehrte  nun  und  beschleunigte  fast  ohne 
Widerstand  seine  Arbeiten  und  Anstrengungen  gegen  den 
Platz.  Die  nächtlichen  Angritte  waren  immer  gegen  den 
Teil  von  Merced  und  San  Francisco  de  Puebla  gerichtet 
und  bedrohten  die  Breschen.  Da  der  Feind  durch  die 
desertierten  Offiziere  erfuhr,  daß  es  uns  an  Wurf- 
geschossen, Pulver,  Kartätschen  und  Mannschaft  fehlte, 
so  erkühnte  er  sich  in  einer  Nacht,  die  Karmeliterstraße 
zu  nehmen,  und  beschoß  von  hier  aus  sehr  heftig  die 
Bastion  Merced,  die  Brücke  San  Francisco,  welche  die 
einzige  Verbindung  zwischen  der  alten  Stadt  und  dem 
Marktplatz  bildete,  sowie  die  ganze  Bastion  San  Fran- 
cisco, wodurch  er  der  Besatzung  und  den  Einwohnern 
großen  Schaden  tat. 

Bald  darauf  ward  die  Stadtredoute  angegriffen  und 
ohne  Verlust  genommen.  Dies  wäre  nicht  geschehen, 
hätten  wir  genug  Geschütz  und  Pulver  gehabt. 

Da  sich  die  feindliche  Linie  bis  an  die  Mauern  der 
Stadt  erstreckte,  so  war  die  Verbindung  zwischen  ihr  und 
dem  Kapuzinerfort  und  dem  Connetablefort  gänzlich  ab- 
geschnitten. Abgesehen  davon,  daß  in  beiden  nicht  mehr 
als  160  Mann,  nur  zur  Hälfte  dienstfähige  Besatzung, 
waren,  hatten  sie  nur  wenige  Kriegs-  und  gar  keine  Mund- 
500 

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bedürfnisse  mehr;  sogar  an  Wasser  fehlte  es  ihnen.  Uni 
die  Forts  auf  drei  Tage  zu  versorgen,  mußte  man  der 
Besatzung  der  Festung  ihre  elende  Kost  schmälern, 
die  in  einer  Hand  voll  Weizen,  einem  Viertelpfund  Brot 
und,  einen  Tag  um  den  andern,  fünf  Unzen  Esel-  oder 
Maultierfleisch  bestand.  Zu  diesem  Behufe  beschloß  der 
General  einen  Ausfall  mit  der  wenigen  Mannschaft,  die 
noch  imstande  war,  die  Waffen  zu  führen. 

Nachdem  alle  versammelt  waren,  rückten  sie  am 
hellen  Tage  durch  das  Hilfstor  aus,  in  Pistolenschußweite 
von  den  feindlichen  Redouten  entfernt  und  in  diei  kleinen 
Abteilungen.  Alle  stürzten  sich  auf  den  Feind  und  be- 
schäftigten ihn  so  lange,  daß  die  geringe  Unterstützung 
zu  den  Forts  gelangen  konnte;  doch  kostete  es  uns  einige 
Tote  und  28  Verwundete.  Aber  dieser  Verlust  kommt 
nicht  in  Betracht,  weil  er  kaum  den  dritten  Teil  der  zu 
diesem  gefährlichen  Unternehmen  verwendeten  Mann- 
schaft ausmachte.  Der  Feind  verlor  wenigstens  ebenso- 
viel, da  seine  zeitig  abgesandte  Unterstützung  im  Freien 
fechten  mußte. 

Don  Mariano  Alvarez,  dessen  Gesundheit  sich  schon 
seit  einiger  Zeit  nicht  im  besten  Zustande  befand,  ob- 
wohl er  seine  schwierigen  Pflichten  stets  ausübte,  ver- 
fiel in  ein  heftiges  Nervenfieber,  das  ihn  schon  seit  dem 
4.  des  Monats  in  Gefahr  brachte.  Es  nahm  in  allen  seinen 
Symptomen  dergestalt  zu,  daß  sich  am  8.  eine  leichte 
und  in  der  folgenden  Nacht  eine  sehr  merkbare  Geistes- 
verirrung  zeigte,  so  daß  bei  dieser  Gefahr  die  ganze  Stadt, 
besonders  aber  die  oberen  Behörden  in  große  Bestürzung 
gerieten.  Es  wurde  daher  von  der  Junta  beschlossen, 
das  Kommando  einem  andern  zu  übergeben.  Dies  ge- 
schah am  9.  nachmittags;  der  General  legte  sein  Kom- 
mando bei  völligem  Verstände  nieder,  ehe  die  Fieber- 
hitze wieder  zunahm  und  nachdem  ihm  vorher  bekannt- 
gemadtt  worden  war,  welche  Fürsorge  die  Junta  in 
bezug  auf  seine  Gesundheit  bewiesen  hätte.  Den  Ober- 
befehl bekam  Don  Julian  de  Balibar,  Brigadier  der  könig- 
501 

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liehen  Armeen  und  Leutnant  des  Königs  in  der  Festung 
Gerona. 

In  der  auf  diesen  Tag  (den  ').)  folgenden  Nacht  ward 
Kriegsrat  gehalten.  Mit  diesem  trat  der  Regierungsaus- 
schuß  zusammen,  und  das  Ergebnis  war,  daß  am  fol- 
genden Morgen  (den  10.)  der  Brigadier  Don  Blas  de 
Furnas,  mit  den  Vollmachten  beider  Behörden  versehen, 
hinausging,  mit  dem  Feinde  zu  unterhandeln. 

Er  ging  auf  die  in  der  Ebene  stehenden  Posten  zu, 
ließ  Appell  schlagen  und  ward  zum  Marschall  Augcreau 
geführt.  Es  waren  indes  so  wichtige  Unterhandlungen, 
Erörterungen  und  Srhwieri;» kciteii  zu  erledigen,  dail  der 
ganze  Tag  in  der  Entwerfung  des  Kapitulationsplanes 
zugebracht  ward. 

Währenddessen  kamen  viele  feindliche  Soldaten  un- 
bewaffnet an  den  Fuß  der  Mauer;  einige  brachten  Brot, 
Wein  und  Käse  und  boten  dies  den  Unsrigen  an,  welche 
Stricke  hinabließen  und  die  Lebensmittel  heraufzogen. 
Einige,  die  zum  Feinde  übergegangen  waren,  näherten 
sich  nicht  ohne  Schamröte  und  begrößten  ihre  ehemaligen 
Kameraden. 

In  der  Nacht  vom  10.  zum  H.  entschlossen  sich  — 
auf  das  Gerücht  hin,  daß  der  Feind  am  folgenden  Morgen 
die  Festung  in  Besitz  nehmen  würde  —  viele  Landleute 
und  Soldaten,  besonders  die  in  der  Festung  dienenden 
feindlichen  Überläufer,  diese  auf  gut  Glück  zu  verlassen. 
Einige  kamen  auch  durch,  weil  sich  der  Feind  auf  die 
Kapitulation  verließ,  viele  aber  gerieten  in  die  feindlichen 
Lager  und  wurden  entweder  niedergeschossen  oder  ge- 
fangen genommen.  Andere  wieder,  die  den  Eingebungen 
ihres  Mutes  folgten,  aber  ihre  so  lange  Zeit  geschwächten 
Kräfte  nicht  erwogen,  unterlagen  auf  dem  Wege  der  un- 
besonnen erweis:  fri-wiifiitn  Anstrengung. 

Endlich  brach  der  denkwürdige  II.  Dezember  an, 
und  das  erste,  was  man  erblickte,  war  eine  große  Menge 
unbrauchbar  gemachter  Waffen  allerart,  die  in  Winkeln, 
Straßen,  Torwegen  und  auf  öffentlichen  Plätzen  herum- 
502 

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lagen.  Viele  wurden  in  die  Ona  geworfen,  andere  ver- 
brannt. 

Am  Morgen  zwischen  8  und  9  Uhr  nahm  der  Feind 
der  Kapitulation  gemäß lä)  die  Festung  in  Besitz.  Ein 
Kii\;i]li:ric(iffi/ii.-r  LTidiicn  mit  ciiK'iii  starken  Knin  .i;ando 
und  machte  Front  gegen  das  Arenytor,  während  eine 
zahlreiche  liiiatitcncwache  dieses  besetzte  und  sechs 
Schildwachen  dahinstellte,  wo  die  Besatzung  nur  eine 
gehabt  hatte.  Zwei  scharf  geladene  Kanonen  mit 
brennender  Lunte  wurden  auf  den  Marktplatz  gegen  das 

Tor  gestellt  und  IiIIiIhii  d^elbsl  tili  /um  21.  sieben. 

Unser  Häuflein  formierte  sich  auf  einem  öffentlichen 
Platze,  marschierte  links  ab  durch  das  Tor,  legte  seine 
Waffen  auf  dem  (.ilaeis  nieder,  und  wir  :;i!-L'.en  als  Kriegs- 
gefangene vor  dem  in  Schlachtordnung  aufgestellten  feind- 
lichen Heere  vorüber. 

Bei  der  Überlieferung  des  Geschützes  bemerkte  man 
nicht  ohne  Erstaunen,  daß  die  meisten  Stücke  gesprungen 
waren;  an  den  feindlichen  und  denen  des  Forts  Monjuich 
zeigte  sich  derselbe  Umstand. 


'S)  Kapitulation  der  Stadt  Gerona  und  zugehörigen 
Forts,  geschlossen  am  10.  Dezember  1809,  abends  7  Uhr. 
Art.  1,  Die  Besatzung  rückt  mit  kriegerischen  Ehrenzeichen 
aus  und  wird  als  tricgsgeljngen  natll  i  tü  n  k  rt  icli  ge- 
bracht. 

Art.  2.  Den  sämtlichen  Einwohnern  wird  kein  Leid  zugefügt. 
Art.  3     Dil-  LiibWulmer  koüiiLH   Uliisestör!  die  k.iüiulmlie  Hi-- 

ligion  ausüben,  und  diese  wird  beschützt. 
Art.  4.  Morgen  früh  "/,9  Uhr  werden  das  Hills-  und  das 

Arenytor  sowie  die  Tore  der  Forts  von  den  franzö- 


Oerona,  den  10.  Dezember  1309. 

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Die  erste  Verfügung  des  neuen  Gouverneurs  war  die 
Entwaffnung  der  Einwohner  und  der  Befehl,  bei  Todes- 
strafe alle  Waffen  in  bestimmter  Frist  an  einen  gewissen 
Ort  abzuliefern.  Durch  einen  andern  Befehl  ward  bei 
derselben  Strafe  allen  sp;misdien  Kri  es  gefangenen  be- 
fohlen, sieh  beim  Gouverneur  zu  melden.  Die  feindlichen 
Truppen  wurden  in  die  Mönchskloster  und  die  Offiziere 
in  die  Stadt  einquartiert. 

Die  bürgerlichen  Behörden  mußten  dem  König  Joseph 
den  Eid  der  Treue  leisten  und  ein  kleines  gedrucktes 
Buch  annehmen,  das  die  spanische  Konstitution  genannt 

Bald  war  die  Stadt  mit  Marketendern  und  Verkaufern 
von  Lebensmitteln  angefüllt.  Mehrere  Kaffeehäuser  wurden 
errichtet,  aber  fast  alle  mit  der  Aufschrift  „Militärisches 
Cafe".  Sie  waren  alle  von  schlechten  Menschen  bedient, 
und  wer  nicht  Offizier  war,  wurde  geprellt.  Die  Mönche 
hatten  von  ihrer  Einquartierung  nicht  wenig  auszustehen. 
Gleich  nach  dem  Einmarsch  bekamen  sie  in  ihren  Klöstern 
Arrest,  nachher  wurden  sie  sämtlich  in  die  Kirche  des 
heiligen  Franz  von  Assisi  verbannt,  vor  deren  Tür  man 
eine  Wache  und  eine  scharf  geladene  Kanone  mit  brennen- 
der Lunte  aufstellte. 

Der  Gouverneur,  Don  Mariano  Alvarez,  bekam  in  den 
ersten  Tagen  eine  Offiziers  wache,  die  später  auf  einen 
Korporal  und  4  Mann  und  2  Gendarmen  herabgesetzt 
ward;  diese  befanden  sich  beständig  in  seinem  Vorzimmer. 
Obwohl  die  Bomben  sein  Zimmer  nicht  verschont  hatten, 
verlangte  doch  der  General  keine  andere  Wohnung.  Wollte 
der  Sekretär  des  Generals  ausgehen,  so  verwehrte  es  ihm 
woh!  niemand,  aber  ein  Gendarm  folgte  ihm  auf  jedem 
Schritt.  Es  durfte  niemand  zum  General  kommen,  als 
seine  Adjutanten,  ein  Priester,  mein  Kollege,  ich  als  Ober- 
arzt und  seine  Bedienten.  Die  Oesundheit  des  Generals 
besserte  sich,  doch  blieb  ein  schleichendes  Fieber  zu- 
rück, weshalb  wir  ihn  zu  überreden  suchten,  daß  er  die 
Stadt  verlassen  solle,  um  sich  wegen  seiner  Gesundheit 
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von  dem  Anblick  so  vieler  unangenehmer  und  trauriger 
ausstände  zu  entfernen. 

Er  bat  daher  um  die  Erlaubnis,  zur  Herstellung  seiner 
Gesundheit  in  eine  Seestadt  zu  gehen,  und  erhielt  zur 
Antwort,  daß  dem  französischen  General  seine  Vor- 
schriften nicht  gestatteten,  ihm  einen  andern  Aufenthalts- 
ort zu  bewilligen,  als  auf  dem  Wege  nach  Frankreich 
oder  innerhalb  dieses  Reichs.  Der  General  wünschte, 
nach  Figueras  zu  gehen,  und  da  er,  vermutlich  aus  po- 
litischen Gründen,  nicht  diejenigen  um  ein  Fuhrwerk 
bitten  wollte,  die  es  ihm  gern  gegeben  hätten,  forderte 
er  eins  von  der  Regierung  und  erhielt  /ur  Antwort,  daß 
man  es  ihm  verschaffen  und  ihm  die  Zeit  seiner  Abreise 
bestimmen  würde.  In  der  Nacht  vom  23.  zum  24.  zwischen 
1  und  2  Uhr  erhielt  er  Nachricht,  daß  dies  der  zu  seiner 
Abreise  bestimmte  Zeitpunkt  sei.  Er  ward  in  der  Tat 
in  eine  Berline  gesetzt  und  ging  zu  derselben  Stunde  mit 
der  Eskorte  ab. 

Die  vielen  in  den  Spitälern  befindlichen  Kranken 
wurden  mit  ßTufk'r  Übern  Inn;.»  in  d;is  Furt  San  [Janielo 
gebracht,  und  das  Fortschaffen  und  der  Mangel  an  Betten 
kostete  vielen  das  Leben.  Unsere  Kranken  bekamen  zum 
Lager  nichts  als  eine  Handvoll  Stroh.  Von  San  Daniclo 
wurden  sie  nach  und  nach  nach  Frankreich  abgeführt.") 


I!)  Hier  ein  Auszug  des  [le!;ri:(<,  d:i.;  /n^urulcn  iter  Besatzung 
und  der  Einwohner  von  Gerona  erlassen  wurde: 

Alle  Offiziere,  welche  die  Belagerung  ausgeholten  haben, 
werden  um  einen  Orad,  und  alle  Gemeine  zu  Sergeanten  be- 
fördert. 

Alle  Verteidiger  und  Einwohner  von  Gerona  und  ihre 
Nachkommen  erhalten  den  persönlichen  Adel. 

Die  Witwen  und  Waisen  derer,  die  bei  der  Verteidigung 
der  Stadt  umgekommen  sind,  erhalten  vom  Staate  ein  ihren 
Umständen  angemessenes  Gnadengchait. 

Der  bloße  Aufenthalt  in  Gerona  während  der  Belagerung 
Müll  ihr  ein  Vi-rilimst  ^ i- : i l- J 1 1 u r .  ii;is  /u  Ai)-|iii'kliL'ii  [it-rfch tiij-t. 

Gerona  ist,  vom  Tage  des  künftigen  Friedens  an  ge- 
rechnet, zehn  Jahre  lang  frei  von  allen  Abgaben. 

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Zu  derselben  Zeit  wird  der  Anfang  ßemacht,  die  oftent- 
lichcn  Gebäude  mit  aller  l'racht  auf  Kosten  des  Staats  wieder 

Auf  dem  Marktplatz  wird  ein  Denkmal  zur  ewigen  Er- 
innerung an  die  Tapferkeit  ihrer  Einwohner  und  die  rühmliche 
VeMciilifiung  der  Stadt  errichtet. 

In  allen  Hauptstädten  des  Reichs  wird  sogleich  eine  In- 
schrift, welche  die  heldenmütigsten  Taten  dieser  ruhmreichen 
Belagerung  erzählt,  aufgestellt. 

Es  wird  zur  Ehre  der  Verteidiger  und  als  ein  Zeugnis  der 
Dankbarkeit  der  Nation  für  so  ausgezeichnete  Dienste  eine 
Denkmünze  geschlagen. 


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