Memoiren aus
dem
spanischen
freiheitskam...
1808-1811
Kircheisen, Ludwig
Theodor Dietrich ...
Fr lf?l SY-o
Digitizsd by Google
,0
Memoiren aus dem spanischen
Freiheitskampfe
1808-1811
Ausgabe A
Bibliothek
wertvoller Memoiren
Lebensdokumente hervorragender
Menschen aller Zeiten und Völker
Herausgegeben von
Dr. Ernst Schultze
7. Band
Hamburg
Gutenberg-Verlag
1Q08
Digitized by Google
Memoiren aus dem
spanischen Freiheitskampfe
1808—1811
Ludwig von Grolmann - Albert Jean Michel Rocca —
Moyle Sherer- Heinrich von Brandt- Henri Ducor —
Don Juan Andres Nieto Samaniego
Bearbeitet von
Friedrich M. Kircheisen
1 — 3. Tausend
Hamburg
Gutenberg-Verlag
1908
Digitized by Google
fr 3 ^6
Alle Rechte
vom Verlag
vorbehalten
Cool
Buchschmuck-Leisten von
Paul Helms, Hamburg und
Ernst Liebermann, München
I>nic% von C. Grambach Eil Leipzig
Digitized by Google
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis s
Vorwort zu der »Bibliothek wertvoller Memoiren«
von Dr. Ernst Schultze 9
Memoiren aus dem spanischen Freiheitskampfe 1808
bis 1811 von Friedrich M. 10 rch eisen . ... 15
Gesamteinleitung von Friedrieh M. Kircheisen . . n
1. Ludwig von Orolman: Aus dem Tagebuche
eines deutschen Offiziers über seinen Feldzug
in Spanien 1808 25
Vorwort von Friedrich M. Kircheisen 27
1. Kapitel: Der Marsch über die Pyrenäen 30
2. Kapitel: Ankunft der großen Armee. Treffen bei Vitoria
und Bilbao 42
3. Kapitel: Gefechte bei Valrnaseda, Espinosa und Quintanilla 50
4. Kapitel: Der Escoria!. Truppenschau unter Napoleon.
Madrid 73
5. Kapitel: Talavera. Haft der Einwohner. Übergang über
den Tajo 88
6. Kapitel: Rückmarsch über den Tietar. Szenen in dem der
Wut des Kriegers überlassen en Arenas. Abberufung aus
Spanien 103
2. Albert Jean Michel Rocca: Memoiren über den
Krieg der Franzosen in Spanien 113
Vorwort von Friedrich M. Kircheisen 115
1. Kapitel: Schlacht bei Burgas. Einnahme Madrids. Valla-
dolid. Schlacht von Medellin 118
2. Kapitel: Verfolgung des spanischen Parteiführers Marquis
von Portiere. Kämpfe in Andalusien. Rückkehr nach
Frankreich 149
3. Moyle Sherer: Kriegszüge in Portugal und Spanien 189
Vorwort von Friedrich M. Kircheisen 191
Digitized by Gefogle
1. Kapitel : Ankunft der englischen Truppen in Lissabon.
Land und Leute in Portugal. Marsch der Engländer nach
Spanien 193
2. Kapitel: Rückkehr zum Regiment. Leben im Felde. Krieg-
führung der Spanier. Französische Gefangene. Gefecht
bei Buzaco 211
3. Kapitel: General Beresford übernimmt den Befehl Über
Hills Korps. Reitergefecht bei Campo Major. Belagerung
von Oliyenzi und Badajoz. Oefechte bdAttwera und in
den Felsen von Montamm-i. ALibi/rufiiiii; nai-h F-n.tjlaniJ 2j3
4. Kapitel: Riie'. :i Portugal.
Ein Besuch ja Madrid. Ruckzug aus der Gegend von
Madrid. Winterquartiere 256
5. Kapitel: Übergang über den Dnero. Scharmützel bei Hör-
masa. Zerstör; i;- rgjg. Schlacht bei Vitoria.
Oefechte auf da mahrne . 266
4. Heinrich von Brandt: Erinnerungen aus dem
spanischen Feldzug 279
Vorwort van Friedrich M. Kircheisen 281
1. Kapitel: Ankunft der Armee in Spanien. Schlacht von
Tudela 1803. Zweite Belagerung von Zaragoza 1303— 1809 284
2. Kapitel: Auimarsch aus Zaragoza mit der Brigade Habcrt.
Oefechte gegen Perefia. Besetzung von Monzon. Rück-
zug auf Barbastro. Rückmarsch nach Zaragoza. Schlacht
von Santa Maria (15. Juni 1809). Schlacht von Belehrte
(18. Juni 1809). Verfolgung des Feindes auf Adaniz . . 323
3. Kapitel: 1809. Ausbrechen des allgemeinen Aufstandes in
Aragonien. Kämpfe mit den Guerillas. Einnahme von
Nuestra Senora del Aguila. Besetzung von Paniza. Be-
setzung von Almunia. Oefechte bei El Frasno. Besetzung
von Calalayud unter General Chlopicki. Exkursionen in
die Sierra de Molina. Ein kurzer Liebestraum. Abmarsch
nach der Ribera von Daroca. Einnahme von Nuestra
Senora del Tremedad am 25. November 347
4. Kapitel: 1809—1810. Streifeüge in der Ribera von Darocs.
Besetzung von Teruel 1809. Marsch nach Almunia. Rück-
kehr nach Calatayud. Marsch nach Teruel. Eintreffen
des Generals Suchet daselbsL Besetzung von Teruel 1810.
Oefecht von Villel. Schwere Verwundung. Verunglückte
Expedition Suchets nach Valencia. Belagerung von Teruel
durch Villacamua. Heldenmütiger Widerstand der Be-
satzung. Entsatz durch die von Valencia zurückkehrenden
Truppen 379
Digilized by Google
5. Kapitel: 1810. Vereinigung mit der Division LevaL
Märsche. Emireifen vor Tortosa. Blutiges Oeiechl an
dem Brückenkopf. Teilweise Einschließung von Torlosa.
Die Eskortierung des erkrankten Generals LewJ nach dem
Hauptquartier. Zug nach Beceyte. Zerstörung der Stadt
Gefecht in der Pefla Oolosa. Auienthalt im Lager bis
Mitte Dezember 396
6. Kapitel: 1810—1811. Übergang über den Ebro bei Jerta.
Belagerung von Tortosa. Eröffnung des Artilleriefeuers.
Beginn der Unterhandlungen. Energisches Benehmen
des Generals Suchet Schwache, unentschlossene Hand-
lungsweise des Oouvemeurs. Übergabe der Festung.
Transport der Gefangenen nach Bayonne ..... 416
5. Henri Ducor: Gefangenschaft und Flucht auf den
spanischen Pontons 427
Vorwort von Friedrich M. Kircheisen 429
Leben und Leiden auf den spanischen Pontons. Spanischer
Fanatismus. Bestürmung des Gefängnisses von Cabrera
durch die Bewohner. Flucht 431
6. Don Juan Andres Nieto Samaniego: Belagerung
von Oerona 467
Vorwort von Friedrich M. Kircheisen 469
Belagerung von Oerona 471
Digitized by Google
Vorwort des Herausgebers
zu der
Bibliothek wertvoller Memoiren
Digitized by Google
Seit die Menschen in staatlicher Gemeinschaft leben,
haben sie dem bunten Wechsel der Geschehnisse, den
wir „Geschichte" nennen, Interesse zugewandt In ältester
Zeit waren es die Stamm es -Sagen oder Erzählungen von
Heldentaten, was die Seelen fesselte und erregte; so
ünden wir bei allen Völkern den Beginn der Dichtkunst
durch die Entstehung von National-Epen bezeichnet, von
denen viele noch heut unvergänglichen Reiz ausüben.
Später entstand die Geschichtsschreibung, noch später die
Geschichtswissenschaft, die kühl und unbestechlich auf-
zuzeichnen sucht, wie sich die Handlungen der Menschen
zu dem wechselnden Spiel und dem blutigen Ernst der
Geschehnisse zusammenfügten, und wie sie so die Grund-
lage aller späteren Geschichte — also auch der unsrigen:
— wurden.
Aber neben dem ruhigen Strome dieser kühlen, leiden-
schaftslosen Geschichtsschreibung läuft ein anderer Lite-
raturquell frisch sprudelnd einher, von jener viel be-
nutzt, weil sie ihn gar nicht entbehren könnte: die
Schilderung eigener Erlebnisse. Im klassischen;
Altertum noch selten geübt, im Mittelalter wenig gepflegt,
kam diese Kunst erst in den letzten drei Jahrhunderten;
zu wirklich voller Entfaltung. Staatsmänner und Feld-
herren, Volksführer und -Verführer, Eroberer und Ent-
decker, Gelehrte und Künstler, hervorragende Frauen, ein-
fache Bürger und Soldaten — kurz alle, deren Leben
Elemente enthielt, welche für weitere Kreise Interesse
bieten, haben einzelne Episoden ihres Lebens oder auch
ihren ganzen Lebenslauf beschrieben; oder sie haben ihre
Beziehungen zu berühmten Persönlichkeiten, denen sie
nahe standen, geschildert und uns Einblicke in deren
Leben tun lassen. Viele Tausende solcher Bücher sind
der Nachwelt überliefert worden, und reicher als je blüht
dieser Literaturzweig in der Gegenwart.
Für die Wissenschaft der Geschichte (insbesondere
der Kulturgeschichte) ist er von unschätzbarem Werte, so
vorsichtig selbstverständlich bei der Benutzung einzelner
11
Digitizad by Google
Memoirenwerke verfahren werden muß. Denn natürlich
drängen sich off genug Eigenliebe, verletzte Eitelkeit, Un-
wille über arge Behandlung, Enttäuschung über uner-
füllte Hoffnungen oder der Wunsch, sich weiß zu waschen,
vor die klare und gerechte Schilderung der wirklichen
Vorgänge und trüben die Zeichnung mehr oder minder
stark. Aufgabe der Geschichtswissenschaft ist es, solche
gewollten und ungewollten Entstellungen nachzuweisen
und unparteiisch das wahre Gesicht der Geschehnisse
wiederherzustellen.
Anderseits sind Memoiren zuweilen geradezu die
einzige Quelle, aus der sich über die Geschichte be-
stimmter Zeiträume überhaupt schöpfen läßt. Und was
vielen Memoiren einen so besonderen Reiz verleiht —
einen Reiz, den nur verhältnismäßig wenige Werke der
reinen Geschichtswissenschaft ausüben können — das ist
die Anschaulichkeit und der Stimmungsgehalt, die
von ihnen ausströmen. Wir mögen schon aus den Werken
der Geschichtsschreiber ersehen, welche verheerenden
Wirkungen ein Krieg über die Lande brachte, wie ein ganzes
Volk sich heldenmütig gegen den Untergang wehrte, oder
wie in Friede nszeiten Wohlstand und Gesittung sich
mehrten. Mit wieviel greifbarerer Deutlichkeit aber er-
kennen wir dies alles, wenn wir aus einer guten Selbst-
biographie anschaulich erfahren, wie diese Ereignisse dem
Einzelnen das Schicksal bitter oder angenehm machten.
Das Leben und Treiben in Stadt und Land, gewaltige Un-
glück ssch läge, die auf ein Volk herniederfielen, die Ge-
danken und Ansichten eines Zeitalters, seine Art, sich zu
freuen und Leiden zu tragen, seine Geselligkeit und seine
öffentlichen Einrichtungen — kurz interessante Begeben-
heiten sowohl wie eigenartige Zustände treten uns mit
besonderer Klarheit vor Augen, wenn sie uns von Augen-
zeugen geschildert werden.
Häufig rühren wertvolle Memoiren von Menschen
her, die an ihrem Lebensabend auf ein an Schicksalen
und Erlebnissen überreiches Leben zurückblicken, und
12
Digitized by Google
denen doch unter der Schneelocke noch ein jugendliches
Herz schlägt Und wenn wir auch nicht den geringsten
Grund haben, über die Oeschichts Wissenschaft unserer
Tage so schroff zu urteilen wie Goethe über die Ge-
schichtsschreibung seiner Zeit, für den sie „etwas Leichen-
hartes", „den Geruch der Totengruft" an sich hatte —
so bleibt doch auch jetzt für die Mehrzahl der Gebildeten
bestehen, was er von sich über die starke Anziehungskraft
berichtete, die „alles wahrhaft Biographische" auf ihn
ausübte. In jeder Selbstbiographie sah er eine will-
kommene Bereicherung unseres Wissens vom Menschen,
und über den Benvenuto Cellini, den er selbst bearbeitete,
äußerte er: „Er ist für mich, der ich ohne unmittelbares
Anschauen gar nichts begreife, von größtem Nutzen; ich
sehe das ganze Jahrhundert viel deutlicher durch die
Augen dieses konfusen Individui als im Vortrage des
klarsten Geschichtsschreibers."
Auch Schiller hat den Wert guter Memoiren un-
gemein hoch veranschlagt. Viele Jahre seines Lebens hat
er eine bändereiche „Sammlung historischer Memoires"
herausgegeben, und wenn diese heute auch fast ganz
vergessen ist, so ist doch das Interesse für wertvolle
Memoiren geblieben.
Um so sonderbarer mag es anmuten, daß in keinem
Lande der Welt seither der Versuch unternommen wurde,
die wertvollsten Memoiren aller Zeiten und Völker
in einem Sammelwerke zu vereinigen. Wohl gibt es eine
Sammlung von Memoiren zur französischen Geschichte
— wohl eine solche zur Geschichte der französischen,
eine andere zur Oeschichte der englischen Revolution —
wohl eine Anzahl anderer Memoiren Sammlungen — aber
eine umfassende Sammlung aus der ganzen Weltliteratur
ist nicht wieder unternommen worden. Sie ist nicht leicht
herzustellen — und je geringeren Umfang sie haben soll,
desto schwerer. Aber sie kann von allergrößtem Interesse
für jeden sein, für den lebendige Schilderungen aus Ge-
schichte und Kulturgeschichte Reiz besitzen.
13
Digitized by Google
Es soll nichts in diese „Bibliothek wertvoller
Memoiren" Aufnahme finden, was nicht allgemein
menschlich interessant ist; einem Erzähler, der für sich
selbst kein Interesse zu erwecken vermag — zu welchem
Zwecke er doch keineswegs beständig im Vordergründe
zu stehen braucht — wird sie sich nicht öffnen. Auch,
wer mit der Wahrheit leichtfertig umspringt, mag draußen
bleiben. Kleine Irrtümer werden die Bearbeiter der ein-
zelnen Bände in Anmerkungen richtig zu stellen suchen,
von denen auch sonst (zur Aufklärung schwieriger Stellen,
zur Erläuterung wenig bekannter Ort- und Zeitumstände)
Gebrauch gemacht werden wird. Einleitungen sollen das
ihrige zu demselben Zwecke beitragen. Einzelne Sätze
oder größere Teile, die wenig Interesse bieten und ohne
Schaden für das Ganze entbehrt werden können, werden
fortgelassen werden. Denn die „Bibliothek wertvoller
Memoiren" ist mehr für den gebildeten Laien bestimmt als
für den Historiker von Fach, der doch immer nach den
Originalen selbst greifen muß.
Kein Volk hat eine reichere Memoirenliteratur ge-
schaffen als die Franzosen. Aber auch die Deutsehen, die
Engländer, die Italiener, die Spanier, einzelne orientalische
und manche andere Völker besitzen köstliche Lebensdoku-
mente einzelner Männer und Frauen. Nur ist eben vieles
davon — selbst für das eigene Volk — so vom Staube der
Jahrzehnte oder Jahrhunderte überdeckt, so gänzlich in.
Vergessenheit geraten, daß eine Wiederbelebung nötig;
ist. Welche Schätze in diesen vergessenen Me-
moiren schlummern, das werden schon einige der
ersten Bände dieser Sammlung zeigen. Hoffentlich er-
regen sie das gewünschte Interesse und erfüllen damit
ihren Zweck: die Neigung für die Beschäftigung mit Ge-
schichte und Kulturgeschichte zu stärken und Hunderten
Wissensdurstiger Stunden interessanter Belehrung zu ver-.
schaffen.
Hamburg-Großborstel. Dr Ernst
14
Digitized by Google
Memoiren aus dem
spanischen Freiheitskampfe
1808-1811
Digitized by Google
Einleitung.
Die Ursachen der Niederlagen Napoleons werden ver-
schiedentlich gedeutet. Die einen — und ihre Zahl über-
wiegt — meinen, der russische Feldzug im Jahre 1812
und der Verlust der großen Armee habe seinen end-
gültigen Sturz vorbereitet, die andern — - ihre Zahl ist
geringer — glauben, daß das spanische Abenteuer, in das
sich Napoleon nicht zum wenigsten auf Anraten Talley-
rands gestürzt hatte, den Wandel in der Gestaltung der
Staaten Europas am Anfange des vorigen Jahrhunderts
hervorgebracht habe.
Es wäre indes unkritisch und unhistorisch gedacht,
wollte man den Untergang einer Weltmonarchie, wie die
Napoleons 1., einem einzigen Ereignis wie etwa dem russi-
schen Feldzuge oder dem Kriege auf der Pyrenäischen
Halbinsel von 1808—14 zuschreiben. Natürlich haben noch
ganz andere Faktoren mitgewirkt, um ein Leipzig oder ein
Waterloo vorzubereiten, und wenn auch der Kaiser aus
beiden Feldzügen siegreich hervorgegangen wäre : das
Reich, das er kunstvoll aufgebaut, würde doch einmal,
sei es auch erst nach seinem Tode, wieder in sich zu-
sammengebrochen sein.
Soviel ist aber gewiß, daß, wenn der französische
Kaiser den spanischen Feldzug güu klii hi r geführt hätte
— und es muß gesagt werden, daß dies in seiner Macht
stand — das Ende seiner Herrschaft noch lange hinaus-
geschoben worden wäre. Hätte er nach Beendigung des
österreichischen Feldzugs vom Jahre 1809 die Führung
2 * B»M7: Spi.i. frcil.titskampl. 17
Digitized by Google
des Krieges in Spanien selbst übernommen und durch sein
großes Staats männisch es Genie die Gemüter des von der
fanatischen Geistlichkeit aufgestachelten stolzen spanischen
Volkes beruhigt und Karl IV. oder seinen Sohn Ferdi-
nand VII., wenn auch unter Einschränkung ihrer Macht-
befugnisse, auf dem spanischen Thron gelassen, die Eng-
länder würden gewiß niemals auf der Pyrenäischen Halb-
insel Fuß gefaßt und der Widerstand auch der unruhigsten
Provinzen würde nachgelassen haben.
Spanien war seit den Revolutions kriegen mit Frank-
reich verbündet. Plötzlich erschien am 5. Okiober 1806
in Madrid ein Manifest, das die Spanier gegen einen nicht
näher bezeichneten Feind — in dem aber jedermann Frank-
reich erkennen konnte — aufreizte und das auf Befehl
Godoys, des allmächtigen spanischen Ministers, veröffent-
licht worden war. Während sich Napoleon in Preußen
befand, hatte der „Friedensfürst" die Gelegenheit ergriffen,
sich mit England und Portugal zu verständigen, um ge-
gebenenfalls im Süden Frankreichs einzufallen. Indes die
Schlacht von Jena machte allen Hoffnungen Godoys ein
Ende, und sowohl dieser, als auch der König Karl IV.
ließen nichts unversucht, um Napoleon über ihre wahren
Gesinnungen zu täuschen und sich bei ihm wieder in
Gunst zu setzen. Napoleon nahm die Entschuldigungen
scheinbar an; als er jedoch nach der Unterzeichnung des
Tüsiter Friedens nach Paris zurückgekehrt war, begann
auch er sich mit den Angelegenheiten auf der Pyrenäi-
schen Halbinsel eingehender zu beschäftigen.
Da Portugal dem englischen Handel seine Häfen
nicht verschlossen hatte und dem Kontinentalsystem
Napoleons nicht beigetreten war, schickte der Kaiser eine
Armee unter Junot nach Lissabon, das dieser sehr bald be-
setzte. Kurze Zeit darauf gingen weitere Truppen aus
Frankreich ab, scheinbar unter dem Vorwande, Junot zu
unterstützen. Unterwegs besetzte man die spanischen
Festungen, es wurden neue Verstärkungen abgesandt, und
im Jahre 1808 übernahm Murat selbst das Oberkommando,
18
Digitized by Google
nachdem bereits ein großer Teil Spaniens militärisch be-
setzt worden war.
Währenddessen bereitete sich am spanischen Hofe
eine Thron revolution vor. Oodoy, der seine Stellung er-
schüttert sah, veranlaßte durch allerlei Machinationen den
schwachen König Karl, seinen Sohn Ferdinand vom Hofe
Iii entfernen, was auch geschah. Nun richtete sich der
ganze Haß des Volkes mehr denn je gegen den Günst-
ling. Es empörte sich offen am 7. Marz 1808, und um
es zu beschwichtigen, erklärte der König seinen Premier-
minister aller Ämter für verlustig. Als aber auch dies nicht
zur Besänftigung der öffentlichen Meinung beitrug, dankte
er am 19. März zugunsten seines Sohnes Ferdinand ab.
Karl IV. und seine Gemahlin Marie Luise, die eine
große Schwäche für ihren Günstling und Geliebten emp-
fand, waren nur auf seine Rettung bedacht und baten
Murat, den Schwager des Kaisers, um Rat und Schutz.
Diesem kam die Wendung der Dinge sehr gelegen, und
er riet dem König, seine Abdankung als aufgezwungen
zurückzunehmen und den Kaiser um seine Vermittlung
zu bitten. Dieselbe wurde angenommen, eine Zusammen-
kunft in Bayonne vorgeschlagen, und Vater und Sohn
begaben sich dahin, um das Urteil des mächtigen Nach-
barn zu erfahren.
Während sich die Unterhandlungen in die Länge
zogen, empörte sich die spanische Hauptstadt am 2. Mai
gegen Murat. Napoleon benutzte diese Gelegenheit, um
Ferdinand VII. wegen des vergossenen Blutes verantwort-
lich zu machen, und sowohl Vater als Sohn verzichteten
auf den Thron ihrer Väter. Zum König von Spanien
ernannte der Kaiser seinen ältesten Bruder Joseph.
Diese Vorgänge bildeten den Anfang des nun in
seinen Schrecknissen hereinbrechenden Kriegs, der sich
sechs lange Jahre hinziehen und mit der endgültigen Ver-
treibung der Franzosen aus dem Lande enden .sollte.
Spanien begriff jetzt, daß Napoleon nur mit ihm
spielte, und der Aufstand brach überall los. Man stellte
V 19
Digitized by Google
Heere auf, die größtenteils aus ungesckuhen Sold.it.-i be>
standen, u:><1 als Joseph uaih .Madrid m.irsi Im rle. stieß
er ulnull aul Ft'iiidlii'Iu- lrupne:i. die ihm den Vt'i-g 'u
versperren suchten. Duili gelang es ihm, den Gegner
uhfr den H.iufm iu nirfcn und seine acut H.iupKtjdt
zu erreichen . der Madrider Adel unterwarf si; Ii dem neuen
Herrscher, und es schien, als wenn sich auch das Volk
den Verhältnissen fügen wollte.
Da traf die Kapitulation der Generale Dupont und
Vedel bei Bailen am 23. Juli 1808 ein. Das Volk, das
nun nicht mehr an die Unbezwin^lichkeit der Franzosen
glaubte, warf die Fesseln ab, um mit unge schwächten!
Mut den Kampf mit dem ihm aufgezwungenen Herrscher
zu wagen.
Dupont hatte sich mit einem Korps von 3000 Mann
von den spanischen Generalen Reding und Castafios bei
Andujar in die Enge treiben lassen, so daß er sich schließ-
lich zur Kapitulation genötigt sah. Anstatt sich zu dem
in der Nähe stehenden General Vede! durchzuschlagen
und vereint mit ihm zu kämpfen, gelang es dem schlauen
Spanier Castafios, durch geschickte Unterhandlungen Vedel
mit in die K.'ipitLil.iiiiin eiiizuhcgreifen, und beide Korps
streckten am 23. Juli die Warfen unter der Bedingung, daß
die Offiziere und ihre Mannschaften nach Frankreich zu-
rückkehren dürften. Die Junta indes erkannte die von ihren
Generalen abgeschlossene Konvention nicht an (ein Beweis,
wie geringe Begriffe man damals in Spanien von Kriegs-
gebräuchen hatte), und man transportierte die Gefangenen
auf die Pontons vor Cadiz und später nach der Insel
Cabrera. Von den 17000 Soldaten, die in Bailen die
Waffen niederlegten, haben kaum 4000 nach den in sechs-
jähriger Gefangenschaft ausgestandenen schrecklichsten
Leiden und Entbehrungen ihr Vaterland wiedergesehen.
Dieser Sclilaj» war äußerst verhängnisvoll für die fran-
zösische Soldatenehre. Seit Napoleon an der Spitze der
Regierung stand, war nichts Ähnliches vorgefallen. Die
Spanier glaubten nun leichten Kaufes mit ihrem Bedrücker
20
Digitized by Google
fertig zu werden, und kaum hatte sich die Nachricht in
Madrid verbreitet, als auch Joseph, wenige Tage nachdem
er seine neue Hauptstadt betreten, diese wieder verlassen
mußte.
Einige Wochen später ereilte auch Junot ein dem der
Armee Duponts ähnliches Geschick. Die Engländer hatten
ein Heer unter Sir Arthur Wellesley, dem späteren Herzog
von Wellington, bei Lissabon ans Land gesetzt und griffen,
von der portugiesischen Armee und Bevölkerung auf?
tatkräftigste unterstützt, Junot, der Portugal besetzt hielt,
an. Er konnte dem Feinde nur eine weit schwächere
Heeresmachi entgegenstellen und sah sich daher im August
1308 zur Kapitulation von Cintra gezwungen, wurde aber,
dem Vertrage gemäß, mit seinen Truppen nach Frankreich
befördert.
Napoleon war außer sich, als er die Mißerfolge seiner
Waffen erfuhr. Nachdem er sich in Erfurt der Unter-
stützung Alexanders I. versichert hatte, übernahm er es
selbst den Feldzug in Spanien zu leiten. Mit einem starken
Heere überschritt er die Pyrenäen, und nach einigen sieg-
reichen Gefechten zog er am 5. Dezember 1808 in Madrid
ein. Binnen kurzem stellte er die Ruhe in der Hauptstadt
wieder her; die Großen des Reichs unterwarfen sich und
leisteten dem neuen Konig den Eid. Der Kaiser selbst
machte sich mit einigen Armeekorps auf, die Engländer
aus Portugal zu verjagen, indessen mußte er, durch den
drohenden Krieg mit Österreich versiilam nach Frankreich
zurückzukehren, das Oberkommando dem Marschall Soult,
einem seiner besten Taktiker, übergeben, und nach Paris
zurückeilen.
Es ist nicht meine Absicht, hier einen Abriß des ganzen
Krieges zu geben. Da Sitge und Niederlagen auf zahl-
reichen Kriegsschauplätzen so miteinander abwechseln,
so würde der Leser nur ein unklares Bild von den Vor-
gängen bekommen, wenn ich versuchen wollte, die haupt-
sächlichsten Ereignisse der nächsten fünf Jahre in einigen
Zeilen zu skizzieren. Den französischen Marschällen ge-
21
Digitizsd by Google
lang es nach und nach, des Landes Herr zu werden, und
im Jahre 1810 konnte man fast ganz Spanien als von
Frankreichs Watten erobert betrachten. Aber Napoleon
beging einen großen Fehler, daß er nach Beendigung
des österreichischen Feldzuges nicht selbst nach Spanien
ging, um das Land völlig zu pazifizieren und seine Ver-
waltung zu ordnen ; denn ein größerer Feind, als die
Spanier und die Engländer, war die Uneinigkeit unter den
Marschällen, die weder einander noch dem König Joseph
gehorchen wollten. Und da Napoleon von Paris aus die
Befehle Josephs an seine Marschälle oft durch andere zu-
nichte machte, überhaupt sich unter den obersten Heer-
führern eine schnell um sich greifende und auch den
untern Chargen sich mitteilende Korruption entwickelte
und jeder nur daran dachte, sich zu bereichern, so ging
das Eroberte gar bald wieder verloren.
Unter diesen Umständen konnte sich das militärische
Genie eines Wellington, der lange Zeit wegen zu geringer
Truppen macht in der Defensive zu bleiben gezwungen
war, aufs glänzendste entfalten. Endlich, im Frühjahr 1813,
sah er sich an der Spitze eines über 100 000 Mann starken
Heeres, mit dem er die des Krieges müden und geschwäch-
ten Heere der Franzosen über die Pyrenäen zurückwarf.
Der Krieg in Spanien war ein völliger Völkerkrieg;
es fochten nicht allein Spanier, Franzosen, Portugiesen
und Engländer, sondern auch Deutsche, Schweizer, Ita-
liener und Polen in diesem Kampfe, in dem man kein Er-
barmen kannte. Nichts ist interessanter, als einen solchen
Krieg aus dem Munde von Soldaten oder Subaltern Offi-
zieren kennen zu lernen, die die Vorgänge nicht vom theo-
retischen Standpunkte aus aufgezeichnet, sondern ihre
eigenen Beobachtungen und Erlebnisse im Felde und
und Lager in den Vordergrund gestellt haben. Ich habe
deshalb aus einer Anzahl der interessantesten Feldzugs-
erinnerungen der bei diesem Kriege beteiligten wichtigsten
Nationen die besten Stellen herausgenommen und sie in
22
Digitized by Google
einem Bande vereinigt. Wir lernen nicht allein die geg-
nerischen Ansichten kennen, sondern gewinnen auch einen
tiefen Einblick in die Seele eines denkenden Soldaten und
Subaltemoffiziers. Der Wert solcher Erinnerungen, zu
denen ich auch noch das den Anfang bildende Tagebuch
Orolmans hinzufüge, obgleich er damals bereits Major
war, besteht zum großen Teil in der Frische der Dar-
stellung, dem Selbst erlebten. Der Offizier vom Stabsoffi-
zier aufwärts wird fast immer bemüht sein, die großen
Operationen zu erfassen, wodurch seine eigenen persön-
lichen Erlebnisse in den Hintergrund treten — eine Ab-
sicht, die sehr wohl verständlich ist, die aber ein solches
Werk für den Laien häufig uninteressant macht. Der
Soldat, der Unteroffizier, der Subalternoffizier hingegen
wird, wenn er einmal Feldzugserinnerungen verfaßt, diese
stets von seinem persönlichen Gesichtspunkte, aus seiner
Weht heraus, schreiben, und dies verleiht seinem Werke
Leben und Reiz.
Ein solches Erinnerungswerk wird zwar niemals ein
objektiv geschriebenes Geschichtswerk im wahren Sinne
des Wortes sein, aber gerade in der subjektiven Behand-
lung des Stoffes, durch das Hervortreten des eigenen Ichs,
um das sich alles gruppiert, durch die Schilderung des
Selbstgescliauten und -empfundenen, durch die Erzählung
der einfachsten menschlichen Vorkommnisse, eben wie sie
Soldaten zu erleben pflegen, liegt ein großer Reiz. Aus
all diesen Gründen eignen sich diese Feld Zugserinnerungen
zu einer für die weitesten Kreise bestimmten Lektüre, die
uns nicht allein mit den Unbilden und Ereignissen des
Krieges, sondern auch mit den Sitten, Gebräuchen und
Charaktereigenschaften fremder Völker bekannt macht.
Alles Nähere über die hier vereinigten Werke und
ihre Verfasser findet sich in den besonderen Einleitungen
zu den einzelnen Berichten.
^f*^' Kiedrich M. Kirche,.«,.
Digitized by Google
I.
Aus dem Tagebuche
eines deutschen Offiziers über seinen
Feldzug in Spanien 1808
von
Ludwig von Orolman
Digitized by Google
Vorwort.
Der vorliegende Auszug aus dem „Tagebuche eines
deutschen Offiziers über seinen Feldzug in Spanien" ist
einem Werke entnommen, dessen Verfasser sich dem
Kriegsdienste aus eigener Wahl widmete, weil ihm der Tod
auf dem Schlachtfelde als höchstes Ideal erschien. Sein
Wunsch blieb nicht unerfüllt, und die Lücke, die der tapfere
Mann im Heere hinterließ, war beträchtlich. Das wenige
Geschichtliche, was über diesen badischen Oberstleutnant
und Adjutanten der Infanterie bekannt ist, sei im fol-
genden wiedergegeben.
Ludwig von Grolman entstammte einer landgräflich
hessischen Adelsfamilie, die einige Zeit den Adel abge-
legt, ihn aber später wieder angenommen hatte. Sein
Vater, der Oberappellationsgerichts rat von Grolman, be-
stimmte seinen Sohn zum Gel ehrten beruf und richtete die
Ausbildung des Geistes und der Fähigkeiten des Knaben
danach. Später, im rohen Leben des Feldlagers, sollte
dem jungen Grolman diese Bildung manche genußreiche
Stunde verschaffen. In den Schriften der Alten suchte er
ästhetische Zerstreuung, und Horaz begleitete ihn bestän-
dig auf seinen Feldzügen in Polen, Spanien und Rußland.
Noch ein Kind, trat der vor Verlangen nach dem
Soldatenstand Brennende in holländische Militärdienste
und gab seinem Leben somit aus eigenem Antriebe eine
Wendung, die ihm verhängnisvoll werden sollte. Wie jung
er gewesen sein mag, als er zum ersten Male den bunten
Rock trug, geht aus einem kleinen Erlebnis hervor, das er
selbst gern erzählt Es war schauderhaftes Wetter, als
sich sein Regiment eines Tages auf dem Marsche befand
und mehrere Dörfer passierte. Da ward eine gutmütige
27
Digitized by Google
Holländerin das kleine Bürsehchen gewahr, das da mitten
unter den sonnengebräunten soldatischen Gestalten mar-
schierte. „Ach," rief sie mitleidig aus, „muß der kleine
Kerl auch schon mit!" Unserm Helden aber waren diese
Worte wie Dolchstiche, und er fühlte zum erstenmal, daß
man nicht nur mit dem Willen und der Tat, sondern auch
mit dem äußern Anschein der öffentlichen Meinung ge-
6 Kurze Zeit nachdem Holland mit England und
Preußen seine ewige Allianz geschlossen hatten, trat Lud-
wig von ürolinati in hm Jgnifiich hessische Dienste, in
denen er ungefähr zehn Jahre verblieb. Während dieses
Zeitraumes geschah in seinem Leben nichts Besonderes,
was der Aufzeichnung wert gewesen wäre. Erst mit seinem
Eintritt in kurbadische Dienste, im Jahre 1303, beginnt
für ihn ein :in kriegs/ügen reiches Dasein.
Das mit Napoleon verbündete Baden sah sich ge-
zwungen, seine Militärmacht zu vergrößern, und so er-
öffnete sich dem jungen Krieger eine glänzende Lauf-
bahn. Seine Beförderung ging rasch vonstatten ') ; be-
sonders ward der Feldzug von 1806 und 1807 für ihn von
Wichtigkeit, da er den Erbgroßherzog von Baden als per-
sönlicher Adjutant begleitete. !)
Nicht lange sollte er nach diesem Feldzug, in welchem
er das Waffen hand werk in seinen erhabensten und
rohesten Formen kennen gelernt hatte, der Ruhe pflegen
können; schon ertönte von neuem die Kriegsfanfare und
rief die Badener wiederum als Verbündete des großen
Sehlachtenkaisers nach Spanien. Nie gewohnt, zwischen
Neigung und Pflicht zu schwanken, und den Krieg stets
') 1803 wurde er Oberleutnant, 1804 Quartiermeisterleutnant,
1305 Stabshauptmann; Anfang 1308 trat er aus dem Oeneralstab
aus und wurde zum Major im Regiment Harrant ernannt.
!) Grolman schrieb auch ein Tagebuch über den Feldzug
von 1806 unter dem Titel: Tagebuch über den Feldzug des Erb-
groBherzogs Karl von Baden, 1806—1807. Bearbeitet und heraus-
gegeben von Friedrich von Wengen. Freihurgim Breisgau, 1987. 8".
28
Digitized by Google
von der Verstandsseite auffassend, konnte es seinem tätigen
Geiste nicht unangenehm sein, das Garnisonleben aufs
neue mit dem Biwak zu vertauschen und die badischen
Truppen über die Pyrenäen zu begleiten.
Die Ereignisse dieses Kriegs, an dem er während
der letzten drei Monate des Jahres 1808 und der ersten von
1809 teilnahm, beschreibt Orolman in seinem Tagebuche,
aus dem hier ein Teil vorliegt, mit großer Treue. Jedem
aufmerksamen Leser muß es auffallen, wie sehr er bemüht
ist, sich mit diesem Kriege, den er im Grunde seines
Herzens verabscheuen mußte, wenigstens nach außen hin
auszusöhnen, und wie schmerzlich ihm oft das Mißlingen
dieses Strebens war. Unter all den rauhen Männern, die
das Kriegshandwerk empfindungslos gemacht hatte oder
die den Militärberuf nur als Mittel zum Zweck, um sich
zu bereichern und emporzukommen, betriehen, ist er wirk-
lich eine seltene Erscheinung. Dennoch fand er unter
seinen Kameraden manch gl eich denken den Geist, manches
mitfühlende Herz, und die Übereinstimmung ihrer Grund-
sätze half ihnen oft über das Schlechte und Ungerechte
hinweg, das sie zu tun gezwungen waren.
Ganz unerwarteterweise wurde Grolman von seinem
Fürsten aus Spaniens Bergen wieder an die Ufer des
Rheins berufen. Mancherlei Auszeichnungen und Ehren
erwarteten ihn, so seine Ernennung zum Oberstleutnant
und bald darauf zum Gencraladjutantcn der Infanterie.
Alle seine Wünsche schienen erfüllt, und er hätte sich im
Schatten seiner Lorbeeren glücklich schätzen können, wenn
ihn das Jahr 1812 nicht aufs neue ins Kriegsgetümmel ge-
rufen hätte. Diesmal aber sollte er nicht wieder zurück-
kehren. Mit Tausenden seiner tapferen Gefährten unterlag
er auf den russischen Eisfeldern den unerbittlichen Ele-
menten des russischen Nordens, wenn auch nicht direkt,
so doch mittelbar. Er starb zu Anfang des Jahres 1813
in Wüna an den Folgen einer allgemeinen Erschöpfung.
F. M. K.
29
Digitized by Google
1. Kapitel
Der Marsch über die Pyrenäen
Es war ein Kurier vom König Joseph aus Vittoria an-
gekommen, der uns mit Eilmärschen zur Armee beor-
derte, deren rechter Flügel in Biscaya sehr bedroht wurde.
Ich heilte mich also, mir die notwendigen Lagerbedürf-
nisse anzuschaffen und die übrigen Vorbereitungen zu
treffen, so daß ich nur wenig Zeit behielt, mich in Bayonne
umzusehen. Es geh'el mir sonst recht gut in dieser nur
eine Stunde von der See gelegenen Handelsstadt. Sie
ist nicht sehr groß, aber volkreich. Eine Menge von Spa-
niern, die nicht Augenzeugen der Katastrophe ihres Vater-
landes sein wollten, hatte sich beinahe aller noch übrigen
Wohnungen bemächtigt. Der Handel lag zwar, wie überall,
danieder, und die Gegenwart des Kaisers hatte durch
strengere Maßregeln den Druck des Seekrieges erhöht.
Dagegen war durch die Bedürfnisse der Armee und das
viele Geld, das die durchziehenden Truppen verzehrten,
auf anderm Wege Bewegung und Leben hervorgebracht
worden . . .
Wir mußten den 13. Oktober bis 9 Uhr morgens ver-
weilen, weil wir Brot, Fleisch, Munition und Kochgeschirre
zu empfangen hatten. Unsere große Bagage ließen wir in
Passourary zurück. Wir gingen einige Stunden zwischen
beinahe wirklichen Dünen und fanden dann den malerisch
zerstreuten Flecken Bidars. Der Atlantische Ozean bran-
dete eben bei voller Flut stolz gegen das Gestade. Seiner
30
Digitized by Google
Gewalt spottend, streckten die Pyrenäen ihre hohen, steilen
Felsen weit in die murrenden Wogen. Freundlich stand
die Sonne hoch über beiden und lächelte die kühnen
Felsen, die schimmernden Fluten und die kleinen Würmer
an, die schweißtriefend zwischen beiden wandelten, um
den Tod vom Rheine nach dem Tajo zu tragen . . .
in Iran hatten wir gleich mit dem spanischen Komman-
danten im Dienste des Königs Joseph Verdruß. Unsere
armen Leute waren durch ganz Frankreich marschiert,
wo man ihnen nichts gegeben hatte, als ihre tägliche Zu-
lage von fünf So!s. Vom Eintritt auf den spanischen Boden
an hörte diese auf, und wir sollten dagegen die Rationen
beziehen. Nun befanden sich die Leute plötzlich, mitten
in der Nacht, hungrig und ermattet, auf dem schon durch
französische Sagen verhaßten, feindlichen Boden in einem
verwünschten Kloster, wo ihnen nur der Schmutz und
die Läuse ihrer Vorgänger begegneten und nicht einmal
sauberes Stroh zum Lager zu finden war. Vom Schweiß
des Pyrenäenmarsches bedeckt, schüttelte sie Fieberfrost
in den dicken, kalten Mauern, und es fand sich kein Holz,
um den neuen Feind zu vertreiben. Verzweiflungsvoll
griffen die Leute nach Zäunen und Bauholz, das sich in
der Nachbarschaft befand. Da war der Kommandant der
Stadt außer sich. Ich verhalf ihm wieder zu dem geraubten
Holz und er mir zu den schuldigen Rationen. So kamen
wir endlich mitten in der Nacht auseinander, um den
nahen Morgen zu erwarten, der uns tiefer in das fremde
Und führen sollte.
Am 14. kamen wir über die Flecken und Städtchen
Oyarzun, Hernani und Villabuena, nach einem Marsch
von beinahe acht Stunden Wegs, nach Tolosa, der Haupt-
stadt von üuipuzcoa.
So oft wir beim weiteren Marsch auch die Stirne
trocknen mußten, so sehr erheiterten sich unsere Herzen
M dem Anblick des lieblichen, grünen Pyrenäenlandes.
In der Tat, man wird wenige Länder in Europa finden,
W eine kräftigere Natur von kräftigeren Menschen be-
31
Digitized by Google
wohnt und mit regerem Fleiße angebaut wird als in den
baskischen Provinzen, vorzüglich in Guipuzcoa und Bis-
Frei und ohne Menschenfurcht im Reden und Handeln
geht der Biseayer munter und kraftvoll einher. Nicht leicht
sieht man jemanden unbeschäftigt. Wenngleich die Männer
durch ihre braune und schwarze Tracht und durch die
Mäntel dem Anschein nach etwas von der Gravität und
Traurigkeit der übrigen Spanier annehmen, so sieht man
doch an ihrer freieren Bewegung und an dem lebhaften,
nicht niedergekehrten Blick, daß sie anderen Geistes sind.
Die Bauernmädchen sind keineswegs so traurig wie im
übrigen Spanien gekleidet. Sic gehen in Hemdärmeln und
bunten Miedern, tragen ihre langen schwarzen Haare in
sehr gut stehenden Flechten und haben bunte Tücher um
den Kopf. Eine Menge solcher Mädchen begegnete uns
und bot uns Äpfel feil. Ihre Munterkeit und die auffallende
Ähnlichkeit ihrer Tracht mit der Kleidung der hessischen
Bauernmädcticn machte uns viel Vergnügen. Am meisten
fanden wir uns aber durch die herrliche Straße überrascht,
die auf beiden Seiten mit Quadersteinen belegt ist und
eine Menge kostbarer Brücken hat. Sie verfolgt bald im
Tale die Ufer des Flusses, bald windet sie sich mit kunst-
vollen Zickzacks über die höchsten lier^e hin. Sie ist
noch kein halbes Jahrhundert alt, aber der tätigste Beweis
des Gewerbfleißes der Biseayer.
Die Lage der Dinge war damals für die französische
Armee noch schlimm. Der König1) bei Vittoria und der
Marschall Moncey») hei Pamplona hatten alle Hände voll
6. Juni 1808 den spanischen Thron bestiegen. (Vergleiche auch
die Einleitung zum ganzen Werk.)
=) Baron Adrien Jeannof Moncey, Herzog von Conegliano,
1754—1842, französischer Marschall, rückte im Jahre 1808 mit dem
3. Armeekorps in Spanien ein, schlug später bei allen Treffen die
Insurgenten von Valencia und veranlaßte sie, sich in Valencia selbst
zu verschanzen, wo er sie sieben Stunden lang bombardierte. Da
32
Digitized by Google
zu tun, um den gerade gegen sie andringenden Feind ab-
zuhalten; und nun war Blake1) mit einer 20—30000 Mann
starken Armee nach Bilbao vorgedrungen, hatte den Gene-
ral Verdier vertrieben und drohte gerade gegen Bayonne zu
marschieren. Es ist unbegreiflich, was ihn an diesem Marsch
verhinderte. Er hätte den König in die größte Verlegen-
heit versetzt und ihn zum Rückzug in die Pyrenäen ge-
zwungen, noch ehe die große Armee ankommen konnte,
die damals erst anfing über die Loire zu gehen. Die ihm
gegenüberstehende Division war wenigstens nicht geeig-
net, ihm ernstlichen Widerstand zu leisten. Sie war höch-
stens noch 4000 Mann stark und bestand aus den Trüm-
mern der konskribierten Legionen des vorigen unglück-
lichen Feldzuges. Sie war drei kleine Stunden von Du-
rango auf dem halben Wege von Bilbao bei Zornoza auf-
gestellt, und es stand bei dem Feinde, sie zu vernichten,
wenn er nur Mut und Feldherrn talent besaß. Die Spanier
ließen indes in Unschlüssigkeit die beste Zeit verstreichen.
Am 15. endlich rückten sie näher gegen Zornoza. Das ver-
ursachte ein kleines Gefecht, und das gerade ankommende
Regiment Nassau mußte sogleich auf die Berge ausrücken
und blieb daselbst im Biwak. Hierdurch gedeckt fanden
wir es besser, konnten unsere Leute in ein Kloster einquar-
tieren und ein paar Tage ausruhen lassen. Dann fingen wir
an, mit den übrigen Truppen den Dienst gegen den Feind
zu teilen. Am 17. kam nämlich auch das Regiment Hessen
nach Durango, und am folgenden Tag übernahm General
Leval') das Kommando unserer Division und des ganzen
er sie indes nicht bezwingen konnte, zog er sich auf Almanza
zurück und begab sich auf das linke EbrouFcr, um nach Zaragoza
zu marschieren.
J) Joaquin Blake, spanischer General irländischer Abkunft,
1759-1827, kommandierte die spanischen Armeen von Oalicien.
*) Jean Francois Graf Leval, französischer Divisionsgeneral,
1761—1834, kämpfte fast während der ganzen Dauer des Krieges,
von 1808—1814, auf der spanischen HalbinseL
3 B.MI: Spin. Fielbeilsklmp!. 33
Digitized by Google
Das Wetter war mehrere Tage anhaltend schlecht, und
Durango bot uns wenig Unterhaltung dar, obgleich es eine
ganz angenehme Stadt der Provinz Biscaya ist. Ich be-
schäftigte mich bei den wenigen Hilfsmitteln, die ich vor-
fand, damit, soweit es ging, unsere Leute wieder in guten
Zustand zu setzen. Übrigens lernte ich in meinen Wirts-
leuten die Nation ein wenig kennen. Sie haßten mich zwar
als einen ihrer Feinde unbeschreiblich und zwar alle zu-
sammen, das Stubenmädchen nicht ausgenommen, das alle
Morgen mit saurem Gesichte kam, mich auf baskisch aus-
zuscheren. Im- ganzen waren es aber doch mit all ihrer
Bosheit ganz gutgeartete Menschen, die einiges Interesse
an mir fanden, weil sie glaubten, sich auf meine Kosten
über uns lustig machen zu können. Sie bestanden aus
einem Don — mit einem langen Namen, der mir nicht
gleich wieder einfällt — ein Mann von etlichen Dreißig,
nicht groß, bräunlich von Gesicht und schwarz von Haaren ;
aus seiner Frau, etwas jünger als er und gut konserviert,
von beinahe gleicher Farbe, mit langen schwarzen Haaren
und den schönsten weißen Zähnen ; aus seinem Bruder,
einem ältlichen, ganz gemeinen Bauersmann, und aus ein
paar kleinen Kindern und Mägden. Der Hausherr war viel
gereist, hatte sonst Handelsgeschäfte getrieben und lebte
nun in einem ererbten Hause für sich. Er trug sich wie ein
Mann von Stande mit feinem, vorn mit Samt verbrämtem
Mantel und feinem, dreieckigem Hut. Er hatte viele Vor-
urteile, war in Spanien ziemlich, aber außerhalb nicht be-
kannt, wußte etwas Bescheid in der Geschichte und sprach
gebrochen Latein. Diese Sprache findet man als Ausstat-
tung der Klostererziehung ziemlich häufig in dem Munde
der Männer von einiger Bildung, und sie hilft dem Fran-
zosen fort, der noch kein Spanisch versteht und vergebens
nach der Analogie mit anderen Ländern auf sein Franzö-
sier] gerechnet hat Der Bruder hatte die gemeine braune
Jacke, den groben braunen Mantel, die braune Montera
und die biscayischen Gamaschen, die aus einem Streifen
schief geschnittenen braunen Tuchs bestehen, welchen man
34
Digitized by Google
um das Bein windet und der oben und unten zugeschnallt
ist; aber das Auffallende des Unterschiedes zwischen bei-
den Brüdern verschwand, als ich mich näher unterrichtet
hatte . . .
Wir Offiziere hatten in Durango beim Oberst unsere
Tafel, die meist von den Magazin lieferungen bestellt wurde.
Sonst waren wegen der Nähe des Feindes die Lebensmittel
ziemlich teuer bis auf die Baumfrüchte, Äpfel, Kastanien
und Nüsse. An Butter fehlte es nicht ; mein Wirt klagte mir
aber nach einigen Tagen, es sei nicht mehr auszuhalten:
„Durch die Trennung von Bilbao wird das öl so teuer und
selten, daß ich beinahe genötigt bin, das Essen mit Butter
anrichten zu lassen." Der Biscayer hat nämlich das öl
ebensowenig einheimisch als wir, nur etwas näher, er muß
es aus dem südlichen Spanien kommen lassen.
Da es anhaltend regnete — ein Umstand, der in dieser
Stadt den Schmutz nicht vermehrte, weil ihre engen
Straßen meistens mit Quadersteinen gepflastert sind — so
befand mau sich außerhalb und innerhalb der Häuser nicht
wohl. Ein spanisches Haus hat nämlich nicht immer einen
Kamin, geschweige denn einen Ofen. Die Fenster sind
neistens nur mit hölzernen Läden, höchst seilen niil l.ikis
geschlossen. Will man nun bei hellem lichtem Tag etwas
sehen, so muß man durch öffnen der Fensterläden alle
Widerwärtigkeiten des winterlichen Wetters zu sich herein-
lassen. Dagegen hat man kein Mittel als den Brasero, das
heißt, eine in ein viereckiges hölzernes Gestell eingesetzte
kupferne Kufe oder Pfanne, die mit glimmender Asche ge-
füllt ist. Sind die Kohlen noch nicht verglimmt, so verbreiten
sie häßliche Dünste, die Lungenübel und Stickungen her-
vorbringen. Die große Küche in der Mitte des Hauses ist
dann der allgemeine Zufluchtsort. Um ihr wohltätiges
Feuer versammelt sich jung und alt, besonders abends.
Auch ich fand mich oft in den Stunden ein, die mir der
Dienst übrig ließ. Die Dofia fiel dann gewöhnlich mit
scharfem Zahn über mich her, schalt mich und den Kaiser
aus und wollte sich dabei halb krank lachen. Er war
3- 35
Digitized by Google
ernsthafter und tieler. Oft versicherte er mich, ich würde
in acht Tagen jenseits der Pyrenäen sein, wenn ich leben-
dig hinüberkäme. Ich versprach ihm dagegen, ihm in
ebenso kurzer Zeit einen Chesterkäse aus Bilbao zu
schicken, den er besonders zu lieben schien. Ich würde
Wort gehalten haben, wenn ich die Gelegenheit gefunden
hätte. Die Leute lebten sehr einfach. Morgens trank jedes
Familienglied eine große Tasse trefflicher Schokolade,
einem großen Glas frischen Wassers bekam. Mittags
wurde Suppe und ein Ragout gegessen, abends ein ein-
faches Gericht, zum Beispiel gebackene Fische. Starke
Getränke kamen nicht vor, nur nahm der Hausherr ein
Glas Likör beim Essen. Dazwischen wurden den ganzen
Tag Äpfel gebraten, auch wohl Kastanien. Übrigens ging
es ziemlich ungeniert zu. Wenn ich kam, machte man mir
einen Platz beim Feuer zurecht; die Dona setzte sich
einige Mal ganz munter mir gegenüber, legte ihr inter-
essantes Bronzeköpf che n in den Schoß einer Magd, ließ
sich die schönen Haare auseinandernehmen und — die
Läuse suchen. Gab's was Rechtes zu knacken, so schien
ihr dies Spaß zu machen. Dabei unterhielt sie sich durch
allerlei Anreden aus der Schürze der Magd mit mir, wovon
ich denn gewöhnlich nichts, oder falsch verstand und aus-
gelacht wurde. Schimpfte sie nicht, so suchte mir wohl
der Mann in seinem gebrochenen Latein ihre Ausdrücke
zu erklären. Wenn es dunkel wurde, hing man in der
Mitte eine Lampe auf, und einige Sefiores aus der Nach-
barschaft setzten sich zu uns, um den Zirkel zu vermehren.
Die Männer waren gewöhnlich sehr niedergeschla-
gen, doch funkelte in ihren Augen die Hoffnung auf eine
baldige Erlösung. Was ich ihnen von unserer herbeiströ-
menden Macht sagte, glaubten sie nicht oder widerlegten
es durch hochmütige Herausforderungen. An heimlichen
Nachrichten von den Insurgenten fehlte es ihnen nicht.
Sonst existierte aber kein Mittel, seine Neugierde zu be-
friedigen, als das Blatt, das der König in Vittoria drucken
36
Digitized by Google
ließ. Dieses brachten sie zuweiten und kommentierten
es bitter. .
Am 21. fing das Wetter an erträglicher zu werden,
ich streifte, soweit es die Umstände erlaubten, hinter den
Vorposten herum, um auf dem neuen Boden meine mili-
tärisch-topographische Neugierde zu befriedigen. Übrigens
beging ich manche Unvorsichtigkeit, ehe ich mich daran
gewöhnen konnte, mich hinter der Front nirgends für
sicher zu halten als in der Mitte von Bewaffneten. Oft
verschwanden zwar Leute in Biscaya, und man erfuhr
nie, wohin sie gekommen waren, oder sie kamen ver-
wundet und nackt zurück und erzählten, wie man aus
Fenstern und Büschen auf sie geschossen und sie dann
beraubt hätte. Ich glaube aber, es wird jedem braven
Mann, dessen Herz nicht von Natur oder durch Erziehung
und Unglück eingeschüchtert ist, so gehen wie es mir
ging. Ich konnte mitten unter den Verrätern mich nicht
daran gewöhnen, Verräterei für meine Person zu fürchten.
Um halb zwei Uhr kamen wir — nach einem Aus-
flug in die Umgegend — bei unserer Tischgesellschaft an.
Wir ahnten nicht, daß wir in den ersten Monaten in
keinem Hause mehr schlafen sollten. Kaum hatten wir
mit einigen Bissen den ersten Hunger gestillt, und schon
senkten sich unsere ermatteten Augen zum Schlaf — da
wurde der Gencralmarsch geschlagen. Ich hatte kaum
Zeit, die Wäsche zu wechseln, so schnell ging es zum Tore
hinaus. General Merlin1) war mit seinem Haufen auf allen
Seiten angegriffen worden und hielt sich nur mit Mühe
hei Zornoza. Wir konnten aber auf dem abscheulich elen-
den Wege an der Durango nur langsam fortkommen. Es
war schon Nacht, als das Regiment Nassau und die badi-
schen VoKigeurs bei Zornoza ankamen. Wir nahmen mit
s) Antoine Eugene Merlin, französischer Brigadegeneral, 1765
bis 1845. Die Schlacht von Zornoza fand am 29. Oktober zwischen
dem Marschall Lefebvre und der Armee Blakcs statt, die von ersterem
Sachlagen wurde.
Digitized by Google
dem badischen Regiment eine Aushilfsposition rechts im
Gebirge. Hurcti die Pflicht die j/anzc Nacht in der tätigsten
Anstrengung erhalten und durch herbslliche Regenschauer
abgekühlt, hatte ich Zeit genug, mir über die glückliche
Wahl des Augenblicks am vorigen Tage einige derbe
Komplimente zu machen! Am 25. bezog ich mit dem
ersten Bataillon eine Stellung auf einer Höhe rechts rück-
wärts von Zornoza, die Front gegen Lcbano, den rechten
Flügel gegen die Kapelle hin. Ich solite verhüten, daß
der Feind nicht die rechte Flanke des Generals Merlin um-
ging, und schickte daher starke Abteilungen vorwärts,
rechts ins Gebirge. Das zweite Bataillon ging nach Du-
rango, wo das Regiment Messen in Reserve stand. Unsere
braven Voltigeure schössen sich den ganzen Tag jenseits
Zonioza mit dem Feind herum und hielten ihn in Respekt.
Wir lebten zum ersten Male auf gut soldatisch aus dem
Stegreif von geraubten Hämmeln.
Ohne daß ich ahnte, wie es bei Zornoza aussah, visi-
tierte ich in der Nacht ruhig meine Posten, als ich Befehl
zum Rückzug durch das Durangotal erhielt, ich brauchte
anderthalb Stunden, ehe ich meine Leute alle wieder zu-
sammen hatte. Dann dauerte es wenigstens ebenso lange,
bis ich durch die scheußlichsten Wege in der Dunkelheit
in dem berühmten Durangotal herauskam und wieder mit
den Meinigen vereinigt war. Dort fiel ich in die Nachhut
und kam in ziemlich schlechtem Zustand, über die Maßen
ermüdet, bei vollem Tag unweit der Stadt an. Es ist ein
Unglück, wenn die Generale die Gegenden nicht kennen.
Hätte man mich meinen Rückzug über die Höhen machen
lassen, so würde ich von der einen Seite die ganze Armee
gedeckt haben; ja seihst, wenn ich angegriffen worden
wäre, hätte ich gewiß nichts verloren. So half ich andern
das Spiel verderben und wäre, wenn der Feind uns an-
gegriffen hätte, leicht verteidigungslos vernichtet worden.
Der Feind hatte seine ganze gegen 30000 Mann starke
Armee noch vor dem Abend des 25. dicht vor Zornoza aus-
gebreitet und große Massen davon links gegen Lebano vor-
33
Digitized by Google
geschoben. Es war hohe Zeit, einen von aller Verteidigung
entblößten Kessel, wie das Tal von Zomoza, zu verlassen,
wollte man nicht ganz darin aufgerieben oder von Bergara
abgeschnitten werden. Der Marschall Lefebvre6), der am
25. mit Kurierpferden von Vittoria angekommen war, sah
dieses noch zur rechten Zeit ein, und der träge Feind
merkte am Morgen des 26., als er uns verschwunden sah,
zu spät, welchen Vorteil er hatte entschlüpfen lassen. Ich
war, nachdem ich mich aus dem Kote des Durangotales
herausgewunden und meine Leute beim Zählen auf der
Wiese vor der Stadt alle wiedergefunden hatte, froh,
meinen Freund P anzutreffen, der mit seinen Ka-
nonen im Biwak gebliehen war. Er labte mich mit einer
Tasse Schokolade, und ich bekam dadurch Mut, mich an
einem Baum, an den ich einen kleinen Spiegel einschlug,
zu rasieren. Das hätte mir beinahe den Hals gekostet,
denn einem bergischen Dragoner kam diese Idee in dem-
selben Augenblick. Er schlug sein Spicgclchen auf der
anderen Seite des Baumes ein, der nun einmal bestimmt
war, ein ober- und ein niederrheinisches Gesicht zugleich
zu spiegeln, und ich hätte mir beinahe den Hals abge-
schnitten, weil ich, statt in meinen Spiegel, in das schwarze
Gesicht vor mir blickte, das die komischsten Grimassen
machte.
Nach allerhand vergeblichen Märschen bezogen wir
endlich um Mittag ein Lager auf dem rechten Flügel der
ersten Linie der kleinen Armee von höchstens EOOO Mann,
die sehr buntscheckig zusammengesetzt war. Der Mar-
schall ging nach Vittoria zurück, um Hilfe herbeizuführen.
Wir waren eben mit Erbauung der Hütten beschäftigt,
als der Feind unsere etwas weit vorgeschobenen Schützen
und Voltigeure mit Ungestüm und in großer Mehrzahl an-
griff und anfangs zum Teil über den Haufen warf. Sie
•) Francois Joseph Lefebvre, Herzog von Danzig, fran-
lösischer Marschall, 1755-1B2D, befehligte im Jahre 1808 das
3. Armeekorps.
39
Digitized by Google
betrugen sich aber sehr brav und warfen mit Unterstützung
der Brukn ersehen Kompagnie den Feind gänzlich zurück.
Dieser begnügte sich mit dem kleinen Versuch, ob man
vor ihm ausreißen würde! Wir zogen aber unsere Posten-
kette näher vor uns und deckten auch unsere rechte Flanke,
die sich an Wald und Sumpf anlehnte, welche sehr hohe
Berge begrenzten. Bald sahen wir diese mit einzelnen
Trupps Bewaffneter angefüllt Ich nahm gegen Abend 40
Freiwillige, machte eine äulkrät mühsame Rekognoszie-
rung über alle Oebirgskuppen in unserer rechten Flanke,
schlich mich bis dicht an die feindliche Avantgarde heran,
stellte um Mitternacht einen großen Posten auf den Haupt-
berg, der alle anderen beherrscht, und kam vor Morgen
ohne Verlust, aber sehr ermüdet, in die Hütte zurück.
Am 27. sahen wir in unserem etwas erhöht liegenden
Lager einer komischen Balgerei zu, die gefährlich hätte
werden können. Die Spanier waren im Begriff, ihre Vor-
posten dicht an die unsrigen heranzurücken. Ein leichtes
Bataillon breschte auf unserem linken Flügel jenseits des
Durango aus einem Eichenwäldchen mit solchem Unge-
stüm auf die hessische Voltige urkompagnie, daß diese in
wenigen Minuten den Berg hinunter war. Der komman-
dierende General Leval, der mit seinem ganzen Gefolge
eben mühsam den Berg erklommen hatte, wäre beinahe
vor unsern Augen gefangen genommen worden und mußte
zu Fuß, sein Pferd an der Hand führend, den steilen
Abhang hinabspringen. Mit nicht ungerechtem Unwillen
kam der General fluchend zu uns. Der stolz gewordene
Feind fing eben an, auch unsere rechte Flanke zu beun-
ruhigen und unsere Pikclts anzugreifen. „Zeigen Sie den
Hundsföttern," rief der General, „daß gute Truppen da
sind ; wir sollen uns nicht mit ihnen einlassen, aber zu
hochmütig dürfen wir sie auch nicht werden lassen." Wer
war froher als wir, daß wir auch einmal daran durften?
Mühsam erklommen unsere geschlossenen Kolonnen den
hohen Bergrücken, den uns der Feind längst hätte abge-
winnen sollen, auf dem aber erst wenige Vortruppen an-
40
Digitized by Google
gekommen waren, die unsere Voltigen rkuge In in einem
Augenblick verscheuchten. Bald hatten wir uns längs des
prächtigen Abhangs entfaltet. Der Feind hatte eine unter-
geordnete Höhe inne, die, aus dieser gegen einen Bach
hervortretend, eine Art Plateau bildete. Vier Kompagnien
warten ihn auch hier bald herunter, wahrend wir oben
Feuer anzündeten und türkische Musik machten.
■ In der Nacht wollte ich den feindlichen starken Vor-
posten auf dem gegenüberliegenden hohen Felsen auf-
heben was mir in der vorigen Nacht nicht unmöglich ge-
Sdiai'en harte. Ich konnte aber mit meinen Wagehälsen
teils in der Dunkelheit keinen Übergang über den noch
nicht rekognoszierten Bach finden, teils auch fanden wir
schon die Höhe mit einigen Regimentern besetzt.
41
Digitized by Google
2. Kapitel
Ankunft der großen Armee. Treffen bei Vittoria
und Bilbao
Am 28. wurden wir angenehm durch den Anblick der
ersten Truppen der großen Armee überrascht. Die zum
1. Armeekorps gehörige, aus vier schönen Infanterieregi-
menten] bestehende Division Vilatte hatte uns der König
von Vittoria aus zu Hilfe geschickt. Das 27. leichte und
63. Linienregiment lösten uns auf unserer schönen Berg-
feste ab. Wir waren schon im Begriff, wieder auf unseren
alten Platz herunterzu rücken, als uns der Marschall'),
der von Vittoria gekommen war, Befehl gab, als zweites
Treffen stehen zu bleiben. Dieser Umstand war für uns
sehr vorteilhaft. Der Marschall war schon durch die Ge-
schicklichkeit unseres Obersten und durch den Eifer der
beiden Regimenter ganz für uns eingenommen. Da wir
nun auf einer Position standen, die wir selbst erobert
hatten und die die ganze Gegend beherrschte, so kam der
Marschall täglich zu uns und gewann uns immer lieber.
Wir ließen es uns auf diese Art ganz gern gefallen, unser
vergebens erbautes Lager nur von weitem sehen zu können
und auf dem kahlen Felsen den nahe gehofften Angriff
zu erwarten, zumal wir recht angenehmes Herbstwetter
bekamen. Unsere Hoffnung schien um so begründeter,
da wir auch noch das holländische Infanterie- und
') Gemeint ist Lefebvre.
42
Digitized by Google
Husarem eg im ent und das Bataillon Primas ankommen
sahen. Die buntscheckige Division Merlin wurde dagegen
auigelösi und marschierte größtenteils ab.
Am 30. kam der Divis ionsgeneral Sebastian!8) end-
lich mit den vier schönen Infanterieregimentern an, die
die 1. Division des 4. Armeekorps ausmachen sollten.
Nun ließ sich der Marschall nicht mehr halten. Mit sicht-
barer Freude kam er zu uns, traf seine Dispositionen
und zeigte den Kommandeuren ihren Weg. Er ließ dop-
pelte Portionen Branntwein und viele Patronen herbei-
bringen. Jeder Mann bekam 61) in die Tasche, und jedes
Bataillon noch ein mit Munition beladen es Maultier. Alles
blieb übrigens beim alten. Die Division Sebastian] blieb in
der Nacht in Kolonnen im Tal in der Nähe der Straße
liegen. Unsere Voltigeure, auf die man außerordentliche
Zuversicht hegte, standen vor diesen Kolonnen dicht an
dem Feind, um den Neuankömmlingen auf dem wohlbe-
kannten Terrain den Weg zu bahnen.
Mit Tagesanbruch standen sämtliche Kolonnen dicht
hinter den Vorposten bereit. Ein neues Hindernis war ein-
getreten. Die ganze Gegend war in einen Nebe! einge-
hüllt, der die Ausführung eines mit Ordnung und Über-
steht geleiteten Plans verbot.
Kaum fingen nach ein paar Stunden langen, vergeb-
lichen Wartens die Nebel an, durcheinanderzufließen
und durchsichtiger zu werden, als auch der Angriff auf
dem linken Flügel mit einem heftigen Geplänkel begann.
Nie stand wohl ein Häuflein an einem so wichtigen Tag
interessanter postiert, als das unsere. Von dem vorsprin-
genden, hohen Plateau, wo links und rechts die beiden Ko-
lonnen des rechten Flügels standen, konnten wir alle
e) Horace Francis Basti en de la Porta Graf Sebastiani,
hervorragender französischer General und Diplomat, 1772—1851,
kämpfte 1808— 1811 in Spanien, wo er erst die 1. Division des
4, Armeekorps kommandierte und nach der Einnahme Madrids jum
Oberbefehlshaber desselben Korps, das zur Deckung der Stadt be-
stimmt war, ernannt wurde.
43
Digitized by Google
Stellungen des feindlichen Vortrupps und jeden Mann
unserer Armee übersehen. Vor uns am Abhang lagen die
Voltigeure auf Buchsen Schußweite von den feindlichen
Vorposten, die jenseits des Wassers standen. Bei uns
waren der Marschall, der Divisionsgeneral Leval und der
Brigadeserierai Pacthod'), der die Kolonne zur Rechten
kommandierte. Alle Generale und Stabsoffiziere waren zu
Fuß, mit großen Eiehenknifli.'in ItcwiiiTnet, die unsere Sap-
prnrr li,i;n'-i rriuillcn. Sit hatten uriili zur Verfertigung
neuer Knicken Materialien herbeigeschleppt, die nachher
der Mur di r I ruppen unnc.n;» machie. Ktld standen aKe
feindlicher: Lager, durch den Lac« auf dem rechten l lußel
aufgeschreckt, unter Waffen. Wir waren den zwei Posi-
tronen des linken I lugcl« «u i'.ahe, daß ma:i beinahe die
Leute zählen konnte. Unsere I eure ircuten sich im voraus,
bemerken /u Lomir:), wir unsere llau^it/eiigi.inaieri, die
der Feind nicht ahnte, in seine Reihen fliegen wurden.
IJrr Marsihdll seihst war mit seiner gewöhnlichen Lebhaf-
tigkeit im Reden und Handeln einer der wichtigsten üegen-
stände unserer Beobachtung.
Endlich war unser linker Flügel nach Überwindung
vieler Schwierigkeiten bis auf die bestimmte Höhe vorge-
drungen. Der Marschall schwang seinen Thyrsus. Die
/.uriii'li^elinits.'üi'ii Donner erti'-'iite!! u:id verbreiteten durch
ihr Oesehoß vor unseren Augen Verwirrung auf beiden
Positionen der überraschten Feinde. Die Voltigeure wa-
teten durch den Bach, und das Tiraillieren begann. Alle
Kolonnen drangen zugleich im Geschwindschritt mit tür-
kischer Musik vor, und lauter, unbefohlener Jubel rauschte,
gleich plötzlich aufschwellenden Meereswogen, von einem
Flügel zum anderen.
Ich übergehe die weiteren Einzelheiten dieser kleinen,
aber für unseren Ruhm und unser militärisches Bewußtsein
s) Graf Michel Marie Paclhod, geboren 1764, focht am
10. November 1808 bei Espinosa. Am 12. Dezember erstürmte er
mit dem 27. leichten Iiifnmcrie regime nt und dem 45. Linienregiment
das Tor von Akala beim Angriff auf Madrid.
44
Digitized by Google
entscheidenden Schlacht. Der Feind wurde ohne großen
Widerstand aus zwei sehr festen Stellungen geworfen.
Die Kolonnen taten keinen Schuß und hielten nicht länger
an, als nötig war, um nach durchwatetem Bach oder nach
erklommener Höhe oder halb rutschend verlassenen steilen
Bergen nicht auscinanderzukommen und mit den benach-
barten auf gleicher Höhe zu bleiben. Außer den Volti-
geuren kamen nur diejenigen Kompagnien ins Feuer, die
wir abwechselnd absandten, um Gefangene zu machen,
oder um erstere, die wie die Hunde auf halb fliehende,
halb widerstehende Eber hetzten, zu unterstützen. End-
lich stießen wir auf die ganze spanische Armee, die, ziem-
lich stark an Zahl, aber ohne Kavallerie und Artillerie,
sich auf dem beinahe isolierten, kahlen Berge vor Zornoza
aufgestellt hatte. Sie hielt in drei Linien den ganzen vor-
deren Abhang des langen Bergrückens besetzt und hatte
zwischen diesen Linien viele Regimenter als Kolonnen
aufgestellt. General Blake ritt dazwischen herum und gab
sich viele Mühe, die Ordnung herzustellen. Wir mußten
ein wenig anhalten, da unsere Kolonne so nahe am Feind
war, daß die kleinen Kugeln hineinzutreffen anfingen und
General Pacthod zur Rechten und Sebastmni zur Linken
noch nicht so weit waren. Unsere Voltigeurc, einen Augen-
blick allein dem ganzen Feuer der lYiuiiii-.-ben ersten Linie
ausgesetzt, mußten ein wenig zurückgehalten werden, leb
schickte ihnen die Grenadiere zu Hilfe. Statt sich als
Unterstützung hinter sie zu stellen, ließen sie sich von
blindem Eifer verleiten, sich wie die Tollen aui den Feind
loszustürzen. Dadurch verloren sie unnötig viele Leute,
und da der Kapitän und erste Leutnant verwundet waren,
geriet der zweite zum Glück noch unter die eben ankom-
menden äußersten Voltigeurc des rechten Flügels von
Pacthod und kam erst am anderen Tag wieder zu mir.
Dadurch verlor ich nutzlos für das zu erwartende Haupt-
geiecht meine beste Kompagnie. Eine andere, die ich
nun abschicken mußte, machte mir's nicht viel besser, und
ich hatte große Mühe, sie wieder an mich zu ziehen.
45
Digitized by Google
Unterdessen kamen auch auf unserem linken Flügel
die Kolonnen von Sebasfiani zum Vorschein. Die vier
Haubitzen, die sich im Tal durchgearbeitet hatten, fingen
an, die feindliche Hauptstellung zu bewerfen. Das 27.
leichte Regiment ruckte in der linken Flanke des Feindes
langsam vor. Alle Voltigeure des rechten Flügels und des
Zentrums waren wieder im Feuer. Der Feind fing an,
abzuziehen; die Voltigeure kletterten den Berg hinauf;
alle Kolonnen folgten im Sturmschritt Bald wurde Ver-
wirrung und Flucht beim Feinde allgemein, doch konnten
von den atemlosen Volrigeuren nur wenige noch einge-
holt und gefangen werden. Der Marschall überschüttete
uns mit Loheserhebungen und ließ zur Auszeichnung mein
Bataillon und eins von Nassau für die Nacht als seine
Leihwache in Zornoza einrücken. Die übrige Armee biwa-
kierte außerhalb des Orts, der von Einwohnern ganz ver-
lassen war. Die ermatteten hungrigen Soldaten fielen
etwas unsanft über die zurückgelassenen feindlichen Maga-
zine her. Ermüdung und ungleich gestillter Hunger mach-
ten dem Lärm zuletzt ein Ende.
Am 1. November teilte sich die Armee in drei Ko-
lonnen. Das Hauptkorps mit der Artillerie und allem
Fuhrwerk verfolgte den Lauf der Durango und des Ybay-
chalvals, zwei Regimenter der Division Villatte kletterten
über einen nahen Fußpfad, der quer über das steilste
Gebirge führt, die Brigade Pacthod und die Division Leval
gingen rechts durch bewohnte, aber auch sehr unwegsame
Gegenden, nämlich durch die Dörler Larrafaezua, Lezema
und Zamudio, aus denen der Schrecken die unglücklichen
Einwohner entfernt hatte, die jetzt zum erstenmal den grau-
samen Feind sahen. Auch diese abgelegenen Ortschaften
hatten das Ansehen von Wohlstand, das der Fleiß der Be-
wohner täuschend über die wilden Täler Biscayens ver-
breitet. Die Kirchen, deren Heiligkeit selbst der Wut der
raubgierigen Soldaten keinen Einhalt tat, waren reich mit
Gold und Silber und herrlichen Meßgewändern gefüllt. Von
der spanischen Armee sahen wir nichts als Spuren ihres
46
Digitized by Google
Rückzugs und ihrer Flucht Sie war noch in der Nacht
über Bilbao bis Valmaseda zurückgegangen. Einzelne
Leute davon schwärmten noch auf unsern Flanken herum.
Ich ließ eine Anzahl durch Seilenpatrouillen zusammen-
treiben, arme Teufel, die man uns im Hauptquartier nicht
abnehmen wollte und die wir daher, wie das öfters ge-
schah, schließlich wieder laufen ließen. Ein fanatischer
Mensch unter ihnen hätte beinahe noch am Abend unsern
Oberst getötet, wenn das Gewehr nicht versagt hätte.
Gegen Abend war das ganze Armeekorps in der Ge-
gend von Bilbao angekommen, wo das Hauptquartier blieb.
Wir gingen eine Stunde abwärts mit unserm Regiment auf
den Flaggenturmberg (Punta de las banderas), auf dessen
windigem Gipfel wir die Nacht biwakierten.
Für uns war es schrecklich zu sehen, wie dieses ganze
schöne Land der zügellosen Plünderung und der Wut des
betrunkenen Soldaten preisgegeben war, der sich die
Hände in Arrak und Champagner wusch und auf Meß-
gewändern schlief. Ich verließ aus diesem Grunde die
besoffene Bande keinen Augenblick, da niemand bei dem
allgemeinen schlimmen Beispiel mehr Herr darüber war.
Abends trank ich mit meinen Offizieren einen ehrlich er-
kauften Punsch auf dem Flaggenturm, von dem wir die
bunten Fahnen wehen ließen, die zum Signalisieren der
Schiffe bestimmt sind und in der Stadt gesehen werden
können. In der Nacht bekamen wir Marschorder. Am
Morgen verließ ich unsern schönen windigen Berg, nach-
dem ich allen Raub, der sich im Lager befand, hatte ver-
brennen lassen.
Am folgenden Morgen fand der Marschall beim Re-
kognoszieren vor Valmaseda keinen Feind. Weiter vorzu-
gehen durfte er nicht wagen, weil der Kaiser, der unter-
dessen in Vittoria angekommen war und vom Zentrum
aus seine großen Manöver einleitete, haben wollte, daß
wir den Feind in dem Defilee der Durango durch den An-
schein von Furcht noch einige Tage hinhalten sollten,
während er vom Ebro her zwei Armeekorps in verschie-
47
Digitized by Google
denen Richtungen in dc;i Rücken des spanischen linken
Flugeis schickte. In der Tat, hätte der Marschall den Ge-
neral Blake nicht zu früh geschlagen, so wäre dieser, wie
wir 14 Tage nachher erfuhren, mit seinem ganzen Armee-
korps unser gewesen. Daher kam es auch, daB die Trup-
pen des Lefcbvreschcn Korps sehr gelobt wurden, während
der Marschall eine Nase erhielt. Der alte Mann verlor
darüber völlig den Kopf. Statt den ganzen Marsch von
Valmaseda in eine Rekognoszierung zu verwandeln, zieht
das Hauptkorps nach Bilbao zurück und läßt die Division
Villate 9 Stunden Wegs weit ohne Unterstützung bei Val-
maseda stehen. Ja, er vergißt sein bestes Regiment, das
75. von der Sebastianischen Division, das er am 3. von
Cuccurrea aus nach Castro Urdiales, einem von Bilbao
und Valmaseda gleichweit entfernten Seehafen, detachiert
hat. Und als er am andern Tag zu spät sein Versehen inne
wird, kann er schon keine Nachricht mehr dahin durch-
bringen. Er versucht es, eine Abteilung Dragoner hinzu-
schicken, denn wir hatten nun ein französisches Dragoner-
regiment beim 4. Armeekorps. Dieses gelangt auch fast
bis an das Biwak des 75. Regiments, wird von dessen
Voltigeuien rekognosziert und entflicht, weil es den Feind
zu sehen glaubt Der Feind, von allem, was vorgeht, na-
türlich aufs genaueste unterrichtet, fällt am 5. über das
28. Regiment her, das nach geendigter Feld entd eckung
sich zum Teil auf Marodierung zerstreut harte. Er schlägt
es und nimmt ihm eine Kanone ab. Vilatte bleibt nichts
weiter übrig, als hinter der Stadt sein zerstreutes Regiment
durch die drei übrigen aufzunehmen und sich bis Ouennes
zurückzuziehen.
Ich komme zu unserm Rückmarsch vom 4. Er wurde
vor Mittag mit den Divisionen Sebastian! und Leval auf
dem alten Wege über Ouennes, Cuccurrea und Quadro
nach Bilbao ausgeführt. Wir kamen noch bei Tag durch
das schöne Defilee, aber bis wir in die Stadt gelangten,
wurde es wieder Nacht. Wir sollten nun noch jenseits
ins Biwak; da sich aber kein Mensch fand, der uns an-
Digitized by Google
weisen wollte, und für nichts gesorgt war, so quartierten
wir uns selbst in ein paar ausgeplünderte, verlassene Häu-
ser am östlichen Ende der Stadt ein. So fanden unsere
armen, über Gebühr ermüdeten Soldaten doch wenigstens
einen Fußboden, auf dem sie trocken schlafen konnten.
Mich nahm der Oberst auf, der in dem großen Hause
eines vornehmen Spaniers logierte, welcher geflüchtet war.
Ein deutscher Kaufmann hatte in diesem Hause ein Ge-
schäft mit Nürnberger Waren und machte den Haushof-
meister.
4 B*MT: Sjun- FieiUdWampf.
49
Digitized by Google
3. Kapitel
Gefechte bei Valmaseda, Espinosa und Quintanüla
Am Morgen des 7. waren wir eben mit besserer Aus-
stellung unserer Vorposten beschäftigt, als wir Befehl be-
kamen, uns mit der Armee vorwärts in Bewegung zu
setzen. Der Marschall hatte nämlich endlich vom Kaiser
den Befehl dazu erhalten. Wir sahen die andern Divi-
sionen in das Tal des Salcodons rechts abmarschieren.
Nur warteten wir wieder vergebens auf Lebensmittel und
mußten doch noch nachmittags ohne Brot abmarschieren.
Bald hörten wir ein heftiges Feuer, das mit einbrechender
Nacht still ward. Endlich kamen wir wieder im Dunkeln
bei der Armee an. Villate stand links auf dem Berge gegen
Molinar, Sebastiani rechts gegen Ocharron, und wir blieben
wieder in Kolonnen im Tal bei Zalla. Die feindlichen
Biwaks zogen sich rechts und links, soweit man sehen
konnte, bei La Errera auf den Bergen hin. Mit minderer
Zuversicht waren die Kolonnen heute vorgerückt. Es
schien beinahe gewiß zu sein, daß das ganze 75. Regiment
das Gewehr hatte strecken müssen. Unsere Division schien
auszubleiben, und schon sah man die ganze feindliche
Avantgarde auf den Höhen von Quennes aufgestellt. Was
geschieht? Kaum hat der erste Voltigeur sein Gewehr
losgeschossen, so erscheint in unserer rechten Flanke eine
schwache Kolonne. Alles stutzt. Sind es Freunde oder
ist's der Feind, der vom leichten Siege der Übermacht
zurückkehrt? Da glänzen die Adler des 75. Regiments
50
Digitized by Google
im herbstlichen Sonnenstrahl ! Alles jauchzt, und das 58.,
unterstützt vom wiedergefundenen 75., steigt kühn den
vom Feinde stark besetzten sltilen Felsen hinan und wirft
ihn aus seiner besten Stellung. Die Dunkelheit scheidet
die Streitenden; von weitem winkt den Franzosen die
Palme des Sieges. Der brave Oberst Buquet hatte sich
am 3. ohne große Mühe bei Castro festgesetzt. Er er-
wartet vergebens am 4. und 5. Befehle vom Marschall.
Von dem unglücklichen Vorfall bei Valmaseda benach-
richtigt, verläßt er doch nicht den Platz, der ihm ange-
wiesen ist Am Abend des 6. war er von einer großen
feindlichen Macht beinahe eingeschlossen. Ruhig versam-
melt er abends seine Bataillonschefs, zeigt ihnen die ganze
Gefahr ihrer Lage und beruft sich auf die Vorteile, die
Mut und Geschicklichkeit verschaffen. Am 7. mit anbre-
chendem Tag marschiert er in schönster Ordnung ab. Der
erstaunte Feind sieht zu und wagt es nicht, sich auf
Hinten Schußweite zu nahen. Der Oberst und sein braves
Regiment hatten es verdient, daß ungewöhnliches Glück
ihrem Heldensinn lächelte. Die Un entschlossen he it des
Marschalls wäre durch den Verlust seines besten Regi-
ments kaum zu hart bestraft gewesen.
Am 8. mußten wir wieder bis Mittag harren. End-
lich ging es vorwärts, hinfer Scbastiani im Tal durch
La Errera, während Villate links, sich meistens schla-
gend, von Berg zu Berg kletterte. Vor Valmaseda schien
der Feind auf furchtbaren Positionen ernstlich Halt machen
zu wollen. Wir kletterten daher eilig über den Berg
zur Rechten und befanden uns bald mit den Regimentern
Baden und Nassau am Fuße des Berges, auf dem der
feindliche linke Flügel stand. Der schickte uns ein unge-
heures Kleingewchrfeuer entgegen, wir aber gingen toll-
kühn drauf los; und ehe die Kugeln recht einschlagen
konnten, liefen die Feinde schon auf und davon. In dem-
selben Augenblick war Scbastiani in die Stadt gedrungen.
Wären wir rechts zwischen Linares und Valmaseda durch-
gegangen, so hätten wir einen großen Teil der feindlichen
f 51
Digitized by
Kolonne vernichtet, die nach dem Saldojaberge flüchten
mußte. Der Adjutant aber, der uns führte, wollte nichts
davon hören, und wir mußten wieder in das Salcedontal
zurück und .so in die unglückliche Stadt, in die sieh mit
-einbrecliender Nacht alles drängle, während sie allen
Greueln der Plünderung und des Mordes preisgegeben
war. Es dauerte bis tief in die Nacht, als man uns end-
lich die Weinberge jenseits der Stadt anwies. Man mußte
einen steilen Rerg hinaufklettern, der mit hundert Mauern
durchschnitten war, über die die Weinranken ein so festes
Gespinst gezogen hatten, daß sie außer der Axt jeder Ge-
walt widerstanden. Ich legte selbst mit unsern Zimmer-
leuten Hand an und brachte es nach einer mehr als stun-
denlangen Arbeit kaum dahin, daß ich ein Plätzchen be-
kam, um mit dicht aiifEeschlnsscncn Divisionen mich zu
stellen. Wir verbrannten und verdarben gewiß für 20000
Reichstaler Weinstöcke und hätten uns gar nicht wehren
können, wenn es einer Handvoll Feinden eingefallen
wäre, sich an uns für eine gute Anzahl der Ihrigen, die
wir beinahe ohne Verlust getötet und gefangen genommen
hatten, zu rächen. Wir hatten zwar ein paar gute Ochsen
zu verzehren, aher unsere Leute, die früher mit dem Zwie-
back nicht hausgehalten, hatten gar kein Brot. Mir fehlte
es alle diese Tage nicht daran, weil ich mich, mit den
Vorteilen des leichten firotes bekannt, hinlänglich damit
versehen hatte. Als es Tag wurde, fand ich ein totes
Pferd, einen toten Spanier und die Reste eines toten
Ochsen friedlich nebeneinander und mitten unter uns
liegend.
Es war kaum Tag, so mußten wir wieder aufbrechen ;
aber wir waren nur 500 Schritte marschiert, so mußten
wir nach löblicher Sitte mitten in einem schlammigen
Hohlweg Halt machen, weil man im Hauptquartier nicht
fertig werden konnte. Die Stadt hatte schon die ganze
Nacht an zwei Orten gebrannt. Ein Teil meiner Effekten,
die ich im Quartier des Obersts hatte, war mit verbrannt,
und mein Pferd hatte man mit Not gerettet. Jetzt gab
52
Digitized by Google
es eine fürchterliche Explosion. Die besoffenen Barbaren
hatten selbst die Pulverfässer in Brand gesteckt, die auf
dem Markt standen, und sie waren so mit den benach-
barten Häusern in die Luft geflogen. Als ich sah, wie es
hier zuging, ließ ich wieder rechts in einem Weinberg
ciabrechen und Feuer machen. Wir fanden hier noch tole
und verwundete Spanier, Gegen Mittag kamen wir end-
lich in Bewegung, doch schien dieser Tag recht zur Prü-
fung unserer Geduld bestimmt zu sein. Als wir nach Ber-
ran kamen, fanden wir uns plötzlich von französischen
Regimentern, die wir noch nicht kannten, durchkreuzt.
Es war das 1. Korps unter Marschall Victor, das bei Mi-
linda und Puenteiarra den Ebro zweimal überschritten
hatte und über Ordunna und Amurrio gegen Valmaseda
marschierte, um dem feindlichen General Blake in den
Rücken zu fallen. Dies würde vollkommen geglückt sein,
wenn wir einen Tag später angegriffen hätten.
Uns half kein Widerstreben j wir mußten die beiden
Divisionen durchlassen. Endlich kamen wir wieder in Be-
wegung und lagerten uns an dem waldigen Abhang eines
Berges, den Cadagua oder Salcedonbach vor uns. Das
Hauptquartier war in Nava, zwei Stunden von Valma-
seda. Dieses sonst nahrungsreiche Städtchen, in dem
wir so üble Spuren zurückließen, liegt ganz an der
Grenze von Biscaya, und wir befanden uns nun schon in
dem nördlichen, gebirgigen und kalten Teil von Altcasli-
lien, der die Montana oder auch Provinz Laredo genannt
wird. Ein Mönch mit Silberhaaren sollte erschossen
werden. Eine Grcnadierpatrouillc hatte den zitternden
□reis aus dem Walde herbeigeschleppt und behauptete,
er habe auf sie geschossen. Der Unglückliche war aus
der Mord- und Brandstätte von Valmaseda entflohen und
kraftlos niedergesunken. Die Unmenschen wollten Geld
von ihm und fanden nur ein ledernes Beutelchen mit
einigen Realen. Ärgerlich über einen so geringen Fund,
steckten sie ihm zwei Patronen hinein und brachten ihn
mit diesem vorgeblichen Corpus delicti vor die Front.
53
Digitized by Google
Es kostete uns viele Mülie, die Unmenschen zu entlarven
und den armen Pfaffen aus den Henkershänden zu be-
freien. Dagegen war man in anderer Hinsicht viel zu
nachsichtig. Im Hauptquartier war man ärgerlich, wenn
Gefangene gebracht wurden : man ließ sie daher fast alle
wieder laufen, und in wenigen Tagen standen sie uns
wieder als glückliche Spione und racheschnaubende Krie-
ger gegenüber. So bestrafte die Unmenschlichkeit sich
selbst. Dali Insubordination und Zügcllosigkeit stets
gleiches Schicksal haben, beweist die Geschichte der fol-
genden Tage.
Victor10) und Lefebvre verstanden sich nicht ganz.
Ersterer schätzte den Feind gering und behauptete, wir
hätten leichte Lorbeeren gefunden, letzterer ärgerte sich
über den geringschätzigen Ton des ersteren. Nach langem
Zank endete die Geschichte damit, daß Victor am 10. seine
Division Villate an sich zog und mit 3 Divisionen den
Weg einschlug, der über den Monte Cabrio nach Espi-
nosa führt. Lefebvre aber, nun sehr geschwächt und bloß
mit zwei Divisionen, Sebastiani und Leval, nahm den Weg
an dem Cadaguabach, der über Villarcayo nach Burgos
führt. Nach 10 Uhr morgens kamen wir endlich in Be-
wegung.
So zogen wir denn zum erstenmal wieder durch ein
schönes, blühendes, größtenteils weithin offenes, wohl
bewohntes, mit allen Arten von Herden- und Federvieh
reichlich versehenes Land. Die Menschen, bei denen noch
keine Plünderer eingekehrt waren, schienen die Hand-
voll Fremdlinge nicht zu fürchten, mit denen sie lange
ihren Überfluß teilen konnten. Weit entfernt, diese großen
Vorteile zu benutzen, wollten wir uns ihrer selbst be-
rauben, nur um zerstören zu können. Der ganze Zug
glich einer großen Jagd auf Schweine, Enten, Hühner.
i«) Victor Claude Pcnin, genannt Vi clor, Herzog von Belluno,
fränkischer Marschalt, 1764-1841, befehligte 1308 bis 1311 das
1. Armeekorps in Spanien und erfocht besonders die Siege bei
Espimisa, L'clis und Medeilin.
54
Digitized by Google
Eia Regiment steckte in dem andern. Es fielen wenigstens
JOOOO Schüsse, und wir Stabsoffiziere waren nicht weniger
in (Mahr als in einer Schlacht. Der eine nahm, der andere
warf weg. So wälzte sich der scheußliche Bacchantenzug
langsam bis über Vallejo fort
Der Marschall hatte indes einen Adjutanten von Victor
mit der Nachricht geschickt bekommen: das 1. Armee-
korps sei zwar durch den Paß von Nuestra Senora de
Santelices glücklich über das Gebirge gegangen, aber bei
Aguera auf eine starke Vorhut des Feindes gestoßen. Es
sei zu einem sehr blutigen, lange unentschiedenen Qefecht
gekommen. Nun stünde er dicht vor der Armee von La
Rumana und Blake, die der seinigen an Zahl überlegen
wäre und eine furchtbare Position innehätte. Er bäte
sehr, ihm am folgenden Morgen zu Hilfe zu kommen.
Nun war kein Halten mehr. Der Marschall zog aufs
Geratewohl fort. Im Dorfe Quinlanilla Sapciia schlug er
endlich sein Hauptquartier auf. Wir hatten uns unge-
fähr um zwei Uhr morgens an den Bergrücken ange-
klammert, von dem der Cernejabach fließt, und sanken,
meist nüchtern, um die mit Mühe errungenen Feuer in
Schlaf.
Kaum war es Tag, so setzten wir uns wieder in Be-
wegung. Es fehlten aber dem Armeekorps wenigstens
1200 Mann, die durch die Unordnungen des vorigen Tages
zurückgeblieben waren und bei dem abscheulichen Nacht-
marsch über den Magdalenenpaß uns nicht mehr erreichen
konnten. Unsere sämtlichen Maulese! befanden sich da-
bei, sowie die meisten Handpferde. Sie hatten sich bei
Cadagua niedergelassen und wollten mit Tagesanbruch
aufbrechen, in der Hoffnung, uns bald wieder zu erreichen.
Die Artillerie hatte uns ohnehin schon abends verlassen
und vor dem fahrbaren Paß von Santelices Halt gemacht
Am 11. morgens marschierte sie eilig vorüber, kam aber
auch zur Schlacht zu spät.
Wir waren noch nicht lange in Bewegung, als wir
den Donner der Schlacht hörten. In Aguera fanden wir
5E>
Digitized by Google
viele Verwundete. Wir wendeten uns nun gerade gegen
Espinosa, als wir erfuhren, daß der Feind schon ge-
schlagen sei. Nun blieben wir wieder eine Zeitlang un-
schlüssig bei Aguera liegen. Unterdessen kamen einzelne
Flüchtlinge an, die uns erzählten, wie übel der Feind
in unserm Rücken bei Qiiintaniila hauste. Statt nun mit
einigen Regimentern eilig nach Quintanilla zurückzukehren
— was nach der Richtung, die wir doch wieder einschlu-
gen, kaum ein Umweg von einer Viertelstunde gewesen
wäre — marschierten wir alle jenseits des Wassers über
Vi II as ante (von dem Quintanilla ein halbes Stündchen links
ab liegt) nach El Rivero. Von da ging es über die Trueba
und den Bergrücken von Oayangas, der sich majestätisch
zwischen der Torme und Trueba erhebt und eine schöne
Position südlich gegen die Ebene von Medina und Villar-
cayo bildet. Hier sahen wir den Feind auf kaum Kanonen-
schußweite neben uns nach Medina marschieren. Nur
der Marschall sah es nicht, und andere waren zu faul,
es ihm zu sagen, oder fürchteten sich, weil er schlechter
Laune war. Er schlug sein Hauptquartier in Villarcayo
auf und deckte sich durch die Division Sebastian!. Die
deutsche Division kam abends rechts von Villacanes
ins Biwak, die Nela vor der Front habend. Medina
zu rekognoszieren, oder bis an die Brücke des Ebro
bei Manzanedillo vorzuschieben, daran hatte niemand
gedacht.
Ich hatte mich gegen Mitternacht sehr ermüdet an
ein Feuer gelegt, als ich zum General Leval nach Villa-
canes gerufen wurde. Er sagte mir: „Sie haben heute
Ihren Esel verloren, morgen dagegen kann Ihnen Rache
und Ehre werden. Der Marschall hat von dem Vorfall
in unserm Rücken gehört und weiß nicht recht, wie er
daran ist. Das Schicksal unserer Artillerie und vieler
Nachzügler ist uns unbekannt. Feinde schwärmen in un-
serer linken Flanke herum ; in der rechten gegen Bedon
ist in der Nacht ein Korps angekommen, das, nach den
Feuern zu urteilen, 8000 Mann stark sein kann. Fangen
56
Digitizsd by Google
Sie bei diesem an ; rekognoszieren Sie die ganze Gegend
und sehen Sie, was Sic tun können."
Zu dieser hxpvililiun wurden mir zugeteilt; eineVol-
C^rurhympagnie von Primas, eine von Hessen, eine Gre-
il ac.eikompagni e von Nassau, meint Kompagnie und 50
hi illa n dl sehe Husaren. Letztere fehlten mir, als es lag
wurde, und es dauerte bis S Uhr, ehe man mir meldete,
sit iden da - - Bei Bedon fand ich wirklich den linken
Miigel des 1. Korps, das hier eine Division, eine andere
bei Espinosa und die dritte bei Lavega aufgestellt hatte.
Der ganze lange Bergrücken von Gayangos bis an die
Trueba und gegen Quintanilla hin wurde dann durch-
streift. Man fand die höchsten Felsenkuppen noch hier
und da mit Pelotons zersprengter Spanier besetzt, die
sich schnell genug aus dem Staube machten, weil die
Husaren ihnen in diesem Terrain nicht nach konnten.
Einer wurde noch in einer kleinen Redoutc getötet. Nach
und nach sammelte ich noch über 300, durch die Be-
gebenheiten des vorigen Tags irregeleitete Soldaten,
die ich zum Armeekorps zurückschickte. Die Artillerie,
die die Nacht bei Aguera zugebracht und einen blinden
Lärm erduldet hatte, war in Espinosa zum 1. Korps
gestoöen.
Die Geschichte von Quintanilla klärte sich so auf.
In Medina hatten schon seit 6 Tagen das spanische Infan-
terieregiment Immemorial del Rey, 200 Mann Karabiniers
von Monteza und 200 Dragoner de la Reina nebst einigen
Husaren und Jägern und 5 Oeschützen gestanden. Diese
hatten von La Romana den Befehl erhalten, in der Nacht
vom 10. zum 11. November gegen den Paö von Nuestra
Sefiora von Santclices vorzugchen und so dem 1. Armee-
korps, das man zu schlagen dachte, den Rückweg abzu-
schneiden. Ihr Wog führte über die Höhe, auf der sie uns
eben gelagert fanden. Beim Anblick unserer Feuer mach-
ten sie nahe an unserer linken Flanke Halt. Sobald wir
die Position verlassen hatten, rückten sie auf dieselbe
vor. Kaum war unser Ende verschwunden, so kamen
57
Digitized by Google
die Nachzügler von Cadagua herunter nach Quintanilla.
Sie fielen darüber her, massakrierten jeden, den sie er-
reichten, Menschen und Esel, und nahmen mit, was sie
in der Geschwindigkeit bekommen konnten, denn sie
zogen sich gleich wieder auf die Höhe zurück, wo wir
ihnen die Feuer angezündet hatten.
Auf diese Weise waren nur wenige unserer Leute
zu uns nach Aguera entkommen ; die meisten hatten sich
nach Cadagua zurückgeflüchtet. Dreizehn Mann fand man
in Quintanilla ermordet, worunter mein Bursche mit zehn
Wunden. Mein Esel lag getötet neben ihm. Zum Glück
hatte der Feind wahrscheinlich wegen des sich immer
mehr entfernenden Feuers der Schlacht und der Nähe
unserer Kolonne keinen Mut mehr, sonst hätte er mit
seinen 400 Pferden, denen wir kaum etwas entgegensetzen
konnten, uns ungeheuren Schaden zufügen können. 600
bis 800 Soldaten von allen Korps, die sich gegen Cadagua
hin wieder gesammelt, hatten sogar den Mut, unter An-
führung eines Offiziers und eines Arztes geschlossen durch
Quintanilla zu marschieren. Der Feind ließ es geschehen
und schickte ihnen nicht einmal eine Kugel nach. End-
lich, als er unsere Kolonne in der Richtung von Villarcayo
erblickte, erwachte er aus seiner Ungewißheit und mar-
schierte parallel mit uns nach Medina. Hier brach die
feindliche Kolonne nachts um 12 Uhr auf, ging bei der
Martinsbrücke über die Nela, schlich sich nahe an den
Vorposten von Villarcayo vorbei und entkam über Man-
zanedillo.
Sobald ich alles im Rücken im reinen hatte, ging
ich auf Medina los und fand da keinen Feind mehr. Ich
ließ die Vornehmsten des Städtchens zu mir ins Biwak
führen und fragte sie aus, während ich Wein und Brot
liefern ließ. Sobald ich mit allem im reinen war, folgte
ich dem Feind auf dem Wege, den er genommen hatte.
Wir fanden seine fünf Geschütze, die er in einem Anfall
von panischem Schrecken verlassen zu haben schien, fn-
zwischen wurde es ganz dunkel, und es war keine Hoff-
5S
Digitized by Google
nung, etwas weiteres auszuführen. Ich ging also nach
Villarcayo und erstattete dem Marschall Rapport
Ich erzählte ihm alles, was ich wußte, wenigstens
ebenso derb, als ich es hier vorgetragen habe, ungeachtet
seine Adjutanten mich einmal um das andere Mal zupften,
still zu sein. Der Marschall, der jetzt erst einsah, welche
Fehler gemacht worden waren, fluchte wie ein Türke,
schalt über unsere ungeheure Disziplinlosigkeit, über die
Ungeschicklichkeit seines ücncralstabs usw. und schwor
mit den komischsten Kraftausdrücken, es solle anders
werden. Ich käme ihm, fuhr er fort, gerade gelegen. Er
wolle nicht mehr den Feind um sich herum sehen, ohne
zu wissen, woran er sei. Es sollten 12 Voltigeurkom-
pagnien im Korps auserlesen werden, um ein eigenes
Avantgarde regiment von 2 Bataillonen zu formieren. Eins
davon sollte der Bataillon sehet Pigne vom 58. Regiment,
das andere sollte ich kommandieren. Diese zwei Ba-
taillone nebst etwas Kavallerie sollten als ständige Vor-
hut des 4. Korps unter dem Oberbefehl des Oberst Buquet
vom 75. Regiment stehen usw.
Ich erhielt eine schriftliche Order für den General
Leval, kam um Mittemacht endlich zu ihm nach Villacanes
zurück, holte, nachdem ich ihm über alles Auskunft ge-
geben hatte, die badischen und nassauischen Voltigeur-
tompagnien aus dem Lager und begab mich zu dem
Rendezvous außerhalb der Vorposten von Villarcayo.
59
Digitized by Google
4. Kapitel
Ernennung zum Kommandeur des 2. Volti'geur-
bataillons. Der Marsch gegen Madrid
Der Marschall erschien am 13. morgens 8 Uhr per-
sönlich und bildete das 1. Bataillon aus den Volt igen r-
koinpagnien des 28., 32. und 58. Regiments, das 2. aus
den Voltigeuren vom 75. Regiment, von Baden und von
Nassau. Hierauf hielt er eine Rede, die wegen ihrer Ener-
gie und Sonderbarkeit verdiente, aufgezeichnet zu weiden,
wenn hier der Platz dazu wäre. Dann las er uns ein
fürchterliches Kapitel über die bisherige Zügel losigkeit,
Insubordination, Raub- und Freßbegierde, stellte ein wenig
schmeichelhaftes Bild der Franzosen der jetzigen Zeit
gegen die Franzosen seiner Zeit (d. i. während der Revo-
lution) in den ab stech endsten Farben auf, ging dann zu
unserer Bestimmung über, die Armee aufzuklären und
zu decken, und endlich zu den Männern, die er ausge-
sucht habe, die Vorhut wegen der guten Eigenschaften,
die er an ihnen entdeckt habe, zu führen. Darauf stellte
er uns Kommandeure feierlich vor und ließ uns mit ein
paar kräftigen Flüchen abmarschieren.
Wieder eine der sonderbarsten Situationen meines
bizarren Lebenlaufs. Nachdem ich alles, was ich besaß,
bis auf das letzte Taschentuch und selbst die Sporen ver-
loren hatte, mit übermüdeten Pferden, wovon das beste
bald krepierte, selbst durch übertriebene Anstrengung bei-
nahe abgestumpft, in halb zerrissenen Kleidungsstücken
60
Digitized by Google
und faulenden Stiefelsohlen einherging — befand ich mich
auf einmal an der Spitze eines Bataillons, das zweierlei
Sprachen sprach und unter Männern, von denen ich nie-
mand kannte, außer meine Landsleute.
Eingedenk der scharfen Lehren des Marschalls hielten
Mir die ersten 24 Stunden vortreffliche Mannszucbt. Wir
rekognoszierten bis zum Ebro, überschritten ihn bei Man-
ianedillo, gingen bei Rampalaiz wieder auf das linke Ufer
und blieben hinter den Felsenriffen von Cudillos del Roxo
im Biwak, nachdem wir uns der Front der Armee bis auf
3 kleine Stunden wieder genähert hatten. Tags zuvor hatte
sich noch das Korps der Studenten von Salamanca in
dieser Gegend durchgeschlichen.
Am 14., wo sich auch die Armeekorps endlich in
Bewegung setzten, marschierten wir ab, als wir von un-
serer I leiht die Spil/en der Kolonnen hinter uns erbüikten.
Nach 4 kleinen Stunden Wegs trennten wir uns in Quinta-
nilla. Der Oberst ging mit dem 1. Balaillun links und biwa-
kierte auf dem Weg von Reinosa bei Viitus, ich marschierte
rechts auf der Chaussee von St. Ander anderthalb Stunden
vor der Armee und hc/ng mein Biwak in einer felju;en
Teilung, wo ich eine weite Ktiene vor mir hatte, die
durch das hohe Gebirge bfgrenrt wird, an dessen Kuß
die Virga fließt. Die vorgeschobenen l'atrouillen brachten
einige Gefangeue ein.
Wir brachen am 10. vor Tag mil der Avantgarde
wieder auf und erreichten endlich um 2 Uhr Reinosa.
Dieses Städtchen liegt in einer der höchsten Gegenden
von Spanien am Ebro, der hier nur ein schöner Gebirgs-
bach ist und eine Stunde westlich von Reinosa beim Dorfe
Fontiba entspringt. . .
Die Engländer, die in St. Ander erst das aus Dänemark
entwischte Korps des Marquis La Romana11) und dann
") Marquis de La Romana, befehligte im Jahre 1807 die
spanischen Hillslruppen, die auf N:i]im]c etn Stile mit der dänischen
Insel Fönen standen. Als er die Vorgänge von der Erhebung des
Öl
Digitized by Google
eine Menge Unterstützungen allerart für den spanischen
linken Flügel ans Land gesetzt hatten, hatten in Reinosa
einen Hauptwaffenplatz und große Magazine angelegt.
Auch die Spanier hatten da eine Menge Geschütz und
Munition zusammeiigschlcppt und daraus den großen Re-
servepark des linken Flügels formiert. In dieser Hinsicht
konnten alle spanischen Korps nach der unglücklichen
Schlacht von Espiitosa keinen andern Plan haben, als sich
nach Reinosa oder St. Ander zurückzuziehen. Ebenso
mußten wir unserseits nichts dringenderes tun, als beide
Orte erreichen. Hätten wir nur am 12. gleich mit beiden
Armeekorps den Weg nach den beiden Städten einge-
schlagen, so war die ganze feindliche Armee, die ohnehin
sehr unordentlich retirierte, verloren, und alle Magazine
und aller Kriegsbedarf waren unser. Wir haben indes ge-
sehen, daß man drei kostbare Tage mit Untätigkeit ver-
lor. Da hatte denn der Feind freilich Zeit, für seine Sicher-
heit zu sorgen. Doch kam er nicht ganz so ungestraft da-
von, als wir zu wollen schienen. Der Kaiser hatte das
spanische Korps vom Zentrum, das von Castaiios") kom-
mandiert wurde, am 10. November bei Burgos geschlagen.
Am folgenden Tag mußte der Marschall Soult, Herzog von
Dalmatien, mit seinein Korps aufbrechen, um über Ca-
strocheriz, Villadiego und Aquilar del Campo der Armee
La Romanas und Blakes in den Rücken zu fallen. Der
Kaiser selbst machte in Burgos Halt, um die Operationen
des rechten und linken Flügels zur Reife kommen zu
lassen. Seine Kavallerie breitete sich indessen ungestraft
über die Ebene auf dem rechten Ufer des Duero bis
Palencia und Valladolid aus.
sjianisdiui Volkes in Madrid erluhr, gelang es ihm in geschickter
Weise seinen Oberbefehlshaber Bcrnadotic zu tauschen, und er
schiffte sich auf einer englischen Flotte n.n-li Spanien ein, um
dort gegen den Unterdrücker seines Vaterlandes zu kämpfen. Er
starb schon im Verlaufe dieses Krieges, im Jahre 1811.
,!) Francisco XaverCasi.ifios, 1756—1852, Herzogvon Bailen,
Oberbefehlshaber der spanischen Armee von Andalusien.
o2
Digitized by Google
Nach der Schlacht von Espinosa versammelte der
Feind seine flüchtigen Scharen teils bei Reinosa, teils bei
St Ander. Er wollte sich mit dem Hauptkorps und sämt-
lichen Reserveparks nach Toro im südlichen Leon wenden,
um sich mit den Engländern zu vereinigen und der Haupt-
stadt zu Hilfe zu kommen. Vier bis fünf Stunden hinter
Reinosa, in der Gegend von Mataparguera, stießen sie
aber auf die Soultsche Avantgarde. Da blieb ihnen nichts
übrig, als ihren ganzen Munitionspark in die Luft zu spren-
gen. Das Geschütz vergruben sie zum Teil in Reinosa,
zum Teil blieb es an den Straßen liegen. Alles flüchtete
nun in der größten Unordnung nach St. Ander, wo wir
3 Tage früher hätten ankommen können. Am Abend des
14. trafen schon die ersten Truppen des Soultschen Armee-
korps in Reinosa ein. Der Marschall schickte uns noch in
der Nacht eine Rekognoszierung entgegen, die den Herzog
von Danzig (Lefebvre) in Virtus fand. Die Briefe des
Herzogs von Dalmaticn (Soult),ä) und der zugleich mit-
kommende Kurier des Kaisers machten nun den alten
Mann so verlegen, daß er den ganzen Tag zwischen der
Wahl der Chaussee von Si. Ander und Reinosa hin und
her schwankte und mich so die Galoppade machen ließ,
die uns für nichts und wieder nichts ermüdete. Freilich
wäre ein schneller Marsch nach St. Ander, wozu wir vor
Soult zwei Tagemärsche vorausgehabt hätten, das ein-
zige gewesen, was wir tun konnten. Soult jedoch hatte
verlangt, wir sollten ihn bei Reinosa ablösen, um seiner-
seits diesen Marsch unternehmen zu können. Letzteres ge-
wann am Ende bei Lefebvre doch die Oberhand, und so
kamen wir nach Reinosa. Hier fanden wir bereits 3 Divi-
sionen des Soultschen Korps, die sich nach unserer An-
») Nicolas Jean de Dieu Soult, Herzog von Dalmatien, 1709
bis 1851, einer der bedeutendsten Marschälle Napoleons. Er be-
fehligte 1808—1812 die Zentralarmee und dann im Sommer 1813
in Spanien, doch gelang es ihm trotz seines Fcldhcrrntaltnts, das
durch groBe Habsucht leider sehr in den Schatten gestellt wurde,
nicht, den Krieg zugunsten Frankreichs zu beenden.
63
Digitized by Google
kunft aul dci Straße von St Ander in Bewegung -.et/len.
l>ie 4, kam am Abend nach und folgte den Tag darauf.
Wir blieben in der koligrn Straße des Stadtiiiens
liefen, das noch immer der Plünderung preisgegeben war.
l.*ntentrs hatte dir Marschall sich von Soull überrede»
lassen, ihm die zwei besten deutschen Regimenter zur
Kxpedition von St. Ander /u leihen. Baden und Nassau
hatten sich gleich von Valdarroyo rechts gewendet. Um
Mittag bekam irh die Narhrirht dunh einen Unteroifizier,
der mir den schriftlichen Befehl vom General Leval brachte,
sofort die Avantgarde zu verlassen und mit den deutschen
Voltigeurkompagnien in St. Ander wieder zu ihm zu stoßen.
Der Marschall wies mich schön ab, als ich ihm diese
Order zeigte. Es war also entschieden, daß ich auf lange
Zeit gänzlich von den Regimentern getrennt wurde. Das
war mir doppelt unangenehm, weil ich nun auch auf keine
großen Lorbeeren mehr rechnen konnte.
Nachmittags Malte die Sebasiianische Division uns end-
lich abgelöst, aber es war nicht so leicht, mit unserm halbbe-
soffenen Voltigeurrejiiment die Stadt zu verlassen. Wir mar-
schierten auf der Straße von Burgos und Palencia weiter und
waren bald nur noch dreieinhalb Stunden von Fombellida,
einem Dörfchen im rauhesten Qebirge, entfernt. Das
Soultsche Korps hatte diese Gegend so rein gesäubert, daß
weder Menschen noch Lebensmittel mehr zu finden waren.
Zum Glück trieben seine Nachzügler gerade eine große
Schafherde an unserm Biwak vorbei. Da fielen unsere
Leute darüber her wie die Gergesener über die Schweine,
und die Soultschen wurden, trotz alles Protestierens, ein
wenig mehr als dezimiert.
Wir blieben in dieser Stellung ganz ruhig und wurden
nur einmal durch einen Haufen zersprengter Spanier alar-
miert, die sich zwischen unsern Posten durchschlichen.
Wir schickten eine Kompagnie zum Rekognoszieren
bis Aquilar del Campo, wo sie auf Kavallerie von der
Milhaudsehen Division stieß, die sich, von Burgos kom-
mend, hinter der Pisuerga aufgestellt harte. Das Soultsche
64
Digitizsd by Google
Korps, mit unsern zwei Regimentern vereinigt, hatte unter-
dessen St Ander ruhig in Besitz genommen und den Feind
über Santillana und Sanvicente verfolgt, wo ihm noch
einiger Schaden zugefügt wurde. Von hier aus hatte Soult
den General Leval mit den beiden deutschen Regimentern
südlich nach Potes detachiert und war selbst gegen
Asturien vorgedrungen. Der Marschall Lefebvre, der keine
weitere Order vom Kaiser hatte, wußte nicht, was er tun
sollte. An die Pisuerga oder noch besser den Carrion vor-
zurücken und sich durch ein kleines Korps übers nördliche
Gebirge Verbindung mit Potes zu verschaffen, schien in
der Tat das Natürlichste zu sein. Dann wäre er gleich-
zeitig wieder Herr über die Division Leval geworden, die
er sich hatte abschwatzen lassen. Es mag wohl auch
dem Marschall so etwas vorgeschwebt haben, als wir am
21. Befehl erhielten, Aquilar del Campo zu besetzen, das
ungefähr 7 Stunden von Reinosa entfernt ist Die Strafte
führte durch die wildesten Gegenden bis Quintanilla, wo
die Chaussee südöstlich nach Burgos abgeht. Wir folgten
der südwestlichen und fanden in Aquilar del Campo noch
die angekündigte Kavallerie, die sogleich aufbrach, um die
Pisuerga entlang zu gehen. Dieses mit Mauern umgebene
Städtchen war auch beinahe ganzlich von seinen Ein-
wohnern verlassen.
Wir lagerten uns vor der Stadt in einem Nonnen-
kloster an der Pisuerga und deckten die Brücke, die über
dieses hübsche Flüßchen führt. Kaum hatten wir uns
mühsam festgesetzt, so erschien das 4. Armeekorps, um
die Nacht bei Aquilar del Campo zu bleiben. Wir mußten
daher wieder aufbrechen und nördlich an der Pisuerga
hin auf marschieren. Gleich vor der Stadt auf dieser Seite
fanden wir ein großes Mönchskloster, wo sich der Mar-
schall aufhielt. Kaum einige Schritte weiter, wo das Tal
enger wird, hatten auch die Verwüstungen des Kriegs
ein Ende. Wir bezogen unsre Biwaks dicht vor dem Ort
Cenera, fanden Lebensmittel vollauf und behandelten die
Einwohner noch gerade so, daß sie nicht zu verzweifeln
5 B«M7: Spin. Frcihcibtamtrf. 65
Digitized by Google
brauchten. Wir Stabsoffiziere hielten uns in einem ganz
ordentlichen Hause auf, das einem Schulmeister gehörte.
Ich fand daselbst die Äneide und unterhielt mich angenehm
beim Schein der nächtlichen Lampe.
Am 22. hatten wir einen harten Marsch. Anfangs
mußten wir lange warten, bis das Armeekorps in Bewe-
gung war. Dann brachen wir auf und kamen in das
Städtchen Cervera. Von da an wurden die bergigen Wege
immer abscheulicher. Die Sonne brannte bei umwölktem
Himmel so heiß wie bei uns mittags im Sommer. Abends
kamen wir endlich zu dem Städtchen San Salvador de
Cantamuda. Sebastiani wollte hier mit zwei Regimentern
übernachten. Wir mußten daher noch in der Nacht bis
zum Dorfe Arenas hinaufsteigen, das ganz nahe an den
Quellen der Pisuerga liegt. Es wurde uns sehr schwer,
uns in dieser gefährlichen, noch von keinem Feinde vor
uns betretenen Gegend, die noch von zerstreuten Insur-
gentenhaufen wimmelte, bei dunkler Nacht festzusetzen.
Dazu kam die große Ermüdung der Leute, von denen wir
viele hatten zurücklassen müssen. Die Kälte war dabei
so groß in diesen hohen Regionen, daß es Eis fror, wel-
ches Lastwagen tragen konnte, wodurch das Biwak nach
der Hitze des Tages desto unangenehmer wurde.
Um Mittemacht langte ein Offizier vom General-
stab des Fürsten von Neufchätel") bei uns an. Er kam
von Burgos und hatte Depeschen für die Marschälle Le-
febvre und Soult. Jenen, der eine andere Bestimmung
erhielt, hatte er in Cervera angetroffen. Wir mußten ihm
80 Mann mitgeben, um ihn nach Potes zu begleiten, das
noch 4 Stunden entfernt war. Von hier sollten diese am
23. nach San Salvador zurückkehren und uns am 24. nach
») Alexandre Berthier, Herzog von Neuchäte! und Fürst
von Wagram, 1753—1815, war zwar nicht der begabteste und
bedeutendste Marschall Napoleons, aber ilprjenijje, dtr am besten
verstand die Befehle seines Obii-kTi /irr /\i;sliihrimg iu bringen.
In allen Feldziigcn war er Najuili-nsis 1 ioutrjilslabsclicf, mit Aus-
nahme des Feldzugfs von Waterloo.
66
Digitizsd by Google
Carrion fotgen. Sie kehrten aber nie zurück; General
Uual benutzte sie für seine Zwecke. Die zwei Dragoner,
die wyt törichterweise in Arenas zurückließen, um sie zu
«warten, wurden ermordet
Der Marschall hatte den Befehl bekommen, sich bei
Carrion zusammenzuziehen, um der englischen Reserve-
armee die Spitze zu bieten, während der Kaiser an den
Duero vorging und Madrid bedrohte. Hätten wir nun
wenigstens mit den zwei Regimentern in San Salvador
und mit der Avantgarde bei Arenas den Marsch bis Potes
fortgesetzt, uns mit den daselbst stehenden zwei deutschen
Regimentern der Division Leval vereinigt, dann die Straße
nach Leon eingeschlagen und links über Saldafia nach
Carrion eingebogen, so wäre die große Rekognoszierung
vorteilhaft vollendet, das ganze Land zwischen Asturien
und dem Duero vom Feinde gesäubert gewesen und
dessen Pläne schwankend gemacht worden. Statt dessen
erhielt Leval zwar durch den Offizier vom Generalstab
des Fürsten von Neufchälel den Befehl, wieder zu uns
zu stoßen, aber der Herzog von Dalmatien ließ ihn noch
lange nicht los, und so sahen wir auch diese Regimenter
nicht früher als in Madrid wieder.
Am 23., sobald es Tag wurde, schüttelten wir das
Eis von den Locken und begaben uns auf den Rückweg.
In San Salvador und Cervera marschierten wir durch das
Armeekorps durch, das uns auf dem Fuße nachfolgte. Wir
kreuzten uns mit einer neu gebildeten, dem Herzog von
Dalmatien zur Hilfe bestimmten Division. Durch diese
erhielt der Marschall vom Kaiser strengste Order zu
glimpflicherer Behandlung der unglücklichen Einwohner.
Sie wurde wie gewöhnlich mit sehr gewichtigen Worten
veröffentlicht und in den ersten Tagen mit ungemeiner
Strenge ausgeführt Das verschaffte mir das lang ent-
behrte Glück, wieder einmal Menschen zu sehen, die uns
nicht wie die wilden Tiere flohen.
Am 24. brachen wir vor Tag wieder auf, gingen
nach Buenavista, ruhten ein wenig beim freundlichen
5- 67
Digitized by Google
Strahl des jungen Tags aus und marschierten dann frisch
vor der Arme« her, tlie uns in einiger Entfernung folgte.
Wir kamen sehr bald auf jene sehr breiten, halb mit
Gras bewachsenen Wen«, worauf dir Schafherden ihre
Sommer- und Winterwanderungen machen. Wir mar-
schierten daher fast immer in ganren Zügen, was die
Ordnung und Schnelligkeit unglaublich beförderte.
Wir fanden [las I and /war schlecht behaut und ohne
Bäume, aber die Dorfer waren schon und hatten ein An-
sehen vnn Wohlhabenheit, Was das schönsie war, die
Leute hatten noch keine Franzosen gesehen und wurden
nicht geplündert Gutmütig nahten sie sich uns und teilten
gern mit den Soldaten den Überfluß ihres Weines.
Der Marschall war viel unter uns. wurde von meinen
Voltigeuren, unter denen mehrere Pfiffikusse aus Ver-
sailles waren, /um Resten gehahl und versprach mir den
Orden, Fr ging mit der Kavallerie voraus und rekognos-
zierte die Ufer brider Flusse. Lud lieh, als es Nacht wurde,
kamen wir nach Zurucklegung von wenigstens "/Stunden
Wegs in die leimrsisrhe Stadl Carrion de los Condes, die
sich mit den erhahenen Dachern einher Klöster stattlich
auf der Hohe ausnimmt, deren westlicher Fuß der Carrion
bespült. Hier nahm das Armeekorps Steifung. Ich mußte
noch in der Nacht mit dem 2. Avantgardchataillon eine
Stunde bis Torre de los Molinos vorrücken. Bei diesem
kleinen, aus wenigen Häusern bestehenden Dörfchen
kamen wir endlich bei dunkler Nacht sehr ermüdet an.
Ich sah das Gefahrliche meiner prekären Position wohl
ein, mußte mich aber einstweilen s» gut als möglich decken.
Die Menschen waren bis auf einige Greise geflüchtet, die
ich ju schut/en suchte. Im leeren Pfarrhaus, das ich ein-
nahm, fand ich ein paar Retten, viele Heiligenbilder, ver-
schiedene Andarhlsbiicher, einige Schinken und Würste
mit spanischem Pfeffer, große suße /wiebeln und ein paar
Lumpen von Kleidern — sonst nichts. In einem Bauern-
hause entdeckte ich auf zwei Tage Brot für meine Leute.
Ein Offizier fand zwei baumwollene schlechte Halstücher,
68
Digitized by Google
wovon ich ihm eins abjagte, weil ich schon seit 14 Tagen
kein Taschentuch hatte. Die Magd des Herrn Pfarrers
hatte auch noch ein Weiberhemd für mich zurückgelassen.
In den folgenden Tagen fand ich nicht ohne Mühe Mittel,
mir durch einen Soldaten des 75. Regiments die sämtlich
barfuß gehenden Pferde beschlagen zu lassen. Ein Spion,
der sich unter uns befand und die drei Sprachen sprach,
nihte mir unter meine bodenlosen Stiefel ein Paar auf-
gefundene Sohlen, und so war ich für den Kommandeur
der Avantgarde des linken Flügels ganz brillant ausge-
stattet!
Ich brachte den 25. damit zu, mich auf diesem äußerst
gefährlichen Punkt erträglich einzurichten und die Oegend
m rekognoszieren. Am 29. November setzten wir uns
wieder auf der großen Straße von Valladolid in Marsch.
Das Land ist meist platt und kahl; die Dörfer sind traurige
Denkmäler einer versinkenden Nation . . . Palencia, die
Hauptstadt einer Provinz, ist ein altes, enges Nest inner-
halb hoher Mauern mit hohen Häusern und vielen Klöstern.
Wir kamen hier auf die herrliche Straße, die von Valla-
dolid ununterbrochen über Burgos und Vittoria bis an
die französische Grenze führt Das Korps blieb bei der
Stadt, wir jedoch rasteten eine Stunde weiter in dem Dorfe
Villa Munal, das etwas seitwärts zur Rechten der Straße
jenseits des Carrion liegt Ich verteilte die Bauernhäuser
unter die Leute und blieb mit den Offizieren im Nonnen-
kloster. Hier bekamen wir nach langem Protestieren noch
ein ordentliches Essen, Wein genug für uns und das ganze
Bataillon, Haarmatratzen zum Lager und am folgenden
Morgen Schokolade. Das 1. Bataillon kampierte auf der
Straße in Caladazanos.
Am 30. vereinigten wir uns mit dem 1. Bataillon und
gingen wieder auf der Hauptstraße dem uns immer in
einiger Entfernung folgenden Korps voraus . . . Dieses
blieb bei dem großen Dorfe Vaidestillas auf dem linken
Ufer des Andaja eine gute Stunde vom Duero. Hier war
auch das Hauptquartier der Kavalleriedivision. Eine Stunde
Digitized by Gtfogle
weiter, im schönen Ort Matapozuelos, stand der General
Barthelemy14) mit einem Kavallerieregiment Zu diesem
stießen wir und wurden, wie das in solchen Fällen gewöhn-
lich geschieht, wegen der vermutlichen Nähe des Feindes
sehr freundlich empfangen. Wir ließen jedoch nach Aus-
stellung der Vorposten nur eine Kompagnie biwakieren
und fanden in Häusern, die alle das Ansehen von Wohl-
habenheit hatten, recht gute Unterkunft. Am 2. gingen
wir mit der Kavallerie mit großer Vorsicht vor und re-
kognoszierten die ganze Gegend . . . Wir kamen durch
das Städtchen Olmedo, wo das Korps blieb, und setzten
uns eine gute halbe Stunde weiter in einem kleinen Dorfe
namens Aguasal fest. Die Kavallerie verbreitete sich über
die Dörfer gegen den Eresma hin. Auch in diesem kleinen
Nachtquartier, wo wir mit dem ganzen Regiment zusam-
menblieben und eine geschickte Position fanden, trafen
wir im Innern der Häuser auf Wohlstand, Reinlichkeit
und Zierlichkeit.
Wäre der am Abend eintreffende Kurier früher ge-
kommen, so hätten wir an diesem Tage mehr als vier
Stunden Wegs gemacht. Er brachte die Nachricht, daß
der Kaiser das hohe Guadarramagebirge in einer sehr glän-
zenden Affäre beim Pali Somosierra bezwungen hätte und
gerade auf Madrid losgegangen sei. Wir hatten also keine
Zeit zu versäumen, da wir unserseits noch drei Tage-
märsche von diesem Gebirge entfernt waren. Wir mach-
ten daher den folgenden Tag einen für jene sandigen Wege
forcierten Marsch von mehr als 9 Stunden. Am Morgen
des 4. hatten wir bald das in mancher Hinsicht merkwür-
dige Segovia erreicht.
Das erste Balaillon der Avantgarde ging durch die
Stadt nach einem jenseitigen Ort auf Vorposten, während
ich bestimmt war, von der Zitadelle oder dem Alcazar Be-
i4) Nicolas Martin Baron Barthdcrny, franzosischer Brigade-
gcneral, 1765—1835, zeichnete sich besondere in den Jahren 1808
und lSu'j in den spiuiisdien fddzügen aus.
70
Digitized by Google
sitz zu nehmen. Das Wort „Alcazar" ist maurischen Ur-
sprungs, bedeutet ein festes Schloß und hat sicll in dieser
Bedeutung in mehreren alten Städten Spaniens erhalten.
Segovia war wirklich sehr fest und ist noch immer einiger
Verteidigung fähig, selbst gegen die Stadt hin, von der
es durch ein schönes Glacis getrennt ist. Seine Festungs-
werke sind zum Teil in den Felsen gehauen, teils mit
hohen starken Mauern und zahlreichen, vielgestalteten
Türmen künstlich aufgebaut. Ein ungeheurer stumpfer
Turm in der Milte macht die Hauptpartie aus.
Ich fand einen uralten Gouverneur mit einigen Inva-
liden, die sich nicht wehrten und so freundlieh als mög-
lieh behandelt wurden. Doch dauerte es lange, bis ich die
Alten dahin brachte, mir alles zu öffnen, aber noch länger,
bis ich mich in diesem großen Labyrinth von Wohnungen,
Gewölben und Festungswerken zurecht finden und ge-
hörig einrichten konnte. Hier war der Sitz der im Jahre
1764 gestifteten und seitdem beträchtlich verbesserten ade-
ligen Kadettenschule der Artillerie. Was ich davon sah,
war geeignet, mir diese Anstalt als zweckmäßig vorzu-
stellen. Die jungen Leute waren zwar samt ihren Lehrern
in der Nacht vor Ankunft der Franzosen geflohen, und
das so eilig, daß man noch einen großen Teil ihrer Kleider
fand. Aber ihre Bibliothek und mathematischen Instru-
mente und noch manche Spur von ihrer Einrichtung ent-
deckten wir. Ich muß gestehen, ich hätte gern einiges
aus der Bibliothek mitgenommen, besonders die spanisch-
revolutionären Schriften, die hier in Menge vorhanden
waren. Allein, wie durfte wohl ein Mensch an so etwas
denken, der Pferde ohne Eisen, Stiefel ohne Sohlen und
kaum ein einziges Frauenhemd zum Wechseln hatte! Was
aber schlimmer als dieser schon wieder eintretende ent-
blößte Zustand war: mein Körper fing an, den übertrie-
benen Anstrengungen zu erliegen. Die häufigen Nacht-
wachen und der weiße castilianische Wein, der für meine
Natur Gift war und doch nicht ganz entbehrt werden
konnte, hatten mein empfindliches Nervensystem dermaßen
71
Digitized by Google
angegriffen, da8 der Körper bisher nur noch dem mäch-
tigeren Impulse des erregten Geistes gefolgt war. Die eben
eingetroffene Nachricht, daß die siegreiche kaiserliche
Armee am 2. vor Madrid angekommen sei, ließ keinen
Zweifel mehr zu, daß sie vor uns die ganze Arbeit been-
digen und uns bis zur Hauptstadt keine Feinde mehr zu
bekämpfen übriglassen würde. Während alles sich freute,
sank ich abends zusammen und blieb in einem Zustand
von völliger Entkräftung bis zum 6. morgens 10 Uhr
liegen, wo der Befehl zum Abmarsch kam. Ich mußte
mich aufs Pferd heben lassen ; kaum aber hatte ich den
Degen gezogen, so fühlte ich auch schon, daß ich bebte.
72
Digitized by Google
5. Kapitel
Der Escorial. Truppenschau unter Napoleon. Madrid
Wir bezogen unser Biwak vor Guadarrama nach zu-
rückgelegtem Weg von 8 Stunden und erhielten die Nach-
richt, daft der Kaiser nach einigen Gefechten am 4. in
Madrid eingezogen war, also an demselben Tage, an
welchem wir nach Segovia gekommen waren. Da die
Engländer sich im Escorial hatten sehen lassen, die Bür-
ger dort sich sehr revolutionär zeigten und das Gebirge
bewaffneten, so bekamen wir Befehl, uns, sobald wir das
Gebirge überstiegen hätten, nach dieser Gegend zu wen-
den. Dies lieft sich nun, da wir so spät kamen, am 6.
nicht mehr ausführen. Aber am 7. mit Tagesanbruch
brachen wir sogleich mit der Avantgarde dahin auf. In
großer Erwartung näherte ich mich dem berüchtigten
Königskloster, dessen Ruf seit dreieinhalb Jahrhunderten
die ganze Welt erfüllt, das der Spanier mit stolzer Zuver-
sicht „la octava maravilla del mundo" (das achte Welt-
wunder) betitelt und das seinem Stifter, Philipp II., über
125 Millionen Gulden kostete. Wir fanden im Escorial
schon alles getan. Eine Kavalleriedivision unter Lahous-
saye1*) war abends vorher eingetroffen und hatte samt-
"| Armand Lebrun, Baron von La Houssaye, französischer
General, 1760-1816, kämpfe in den Jahren 1808-1812 in Spanien.
Im Deiember 1808 nahm er lebhaften Anteil an der Belagerung
Madrids und wurde beauftragt, sich des Escorials zu bemächtigen,
w« er auch ausführte.
73
Digitized by Google
liehe aufrührerische Einwohner ins Gebirge verjagt Wir
zogen daher ruhig durch die menschenleeren Straßen der
Stadt, die ungefähr wie jede Stadt aussieht, die neuerdings
durch die Nähe einer ktinijjlielieu Residenz entstanden
ist. Wir lagerten uns auf der Terrasse südlich hinler dem
Kloster, wo man am Fuße des Berges den Flecken Altes-
corial unter sich liegen hat.
Der Marschall war gerade nach Madrid gegangen
und hatte das Kommando dem General Sebastiani über-
lassen. Dieser löste sogleich die Avantgarde auf und be-
fahl jedem, zu seinem Regiment zu stoßen, weil dies
bei der bevorstehenden Revue besser wäre. Was sollte ich
nun tun? Mit meinen n.issauischen und badischen Volti-
geuren fand ich mich plötzlich isoliert; unsere Regimenter
fehlten noch, und niemand wußte, was aus ihnen ge-
worden war.
Bei Sebastiani und seinem Generalstab fand ich wenig
Gehör. Ich mußte also zusehen, wie ich selbst für mich
sorgte. Der verlassene Ort wurde für die Nacht unter
das Korps verteilt. Ich mußte die fünf Häuser, in denen
ich meine Leute unterbrachte, beinahe mit dem Bajonett
erobern und behaupten. Den folgenden Morgen, als wir
gegen Madrid zogen, folgte ich, der bisher den Weg ge-
bahnt hatte, unsicher der' Division Sebastiani.
Der Marschall hatte beim Kaiser in Madrid nicht
vorkommen können, war grämlich, stellte sich aus Ärger
darüber krank und kam nicht zum Vorschein. Zum Glück
stieß ich auf den Artillerietrain, der aus drei Batterien
bestand, worunter die badische war. Diese Batterie war
anfangs den Regimentern Baden und Nassau zur Expe-
dition nach San Ander und San Vicente gefolgt, hatte
dort im Gebirge nicht weiter kommen können und war
endlich auf der Straße von Reinosa zum 4. Armeekorps
zurückgekehrt.
Je näher wir Madrid kamen, desto höher stieg die
Erwartung der Dinge, die da kommen sollten. Wir konn-
ten höchstens noch eine Stunde von der Hauptstadt ent-
74
Digitized by Google
lernt sein, da erschienen Adjutanten. Die Kolonne bog
links ein, ging über eine Brücke des Manzanares, kam
wieder auf eine Chaussee in schönem Wald und folgte
derselben am Flüßchen aufwärts in nördlicher Richtung.
Das unbestimmte Gerücht „der Kaiser kommt! der Kaiser
kommt!" lief durch die Glieder. Jeder putzte sich, so
gut er konnte, im Marsch; die Franzosen ermunterten
ihre Leute zum Vivatrufen. Endlich sahen wir ein Schloß
vor uns, groß, nicht übel gebaut, doch nicht sehr präch-
tig; ein hübsches Städtchen dahinter mit einem Wald um-
geben und zwischen Hügeln ein grünes Tal, vom Manza-
nares erfrischt.
Es war das königliche Lustschloß El Pardo, wo der
Hof gewöhnlich die drei ersten Monate des Jahres zu-
brachte. Ich sah das Korps auf dem freien Platze ordnen;
nach mir fragte niemand. Vergebens fragte ich Sebastian!;
ich erhielt nur ausweichende Worte.
Der brave Buquet trabte schweißtriefend durch die
Glieder seines Regiments und rief mir zu: „Helfen Sie
sich, so gut Sie können, der Marschall kommt nicht!"
Ich marschierte daher auf meine eigene Faust jenseits der
Chaussee auf, so daß mich der Kaiser sehen mußte. Kaum
war ich vorteilhaft postiert, so kam der naussauische Gene-
ra! X., der erst seit einigen Wochen beim Korps einge-
troffen war, und bat mich dringend, ihm doch zu erlauben,
sich vor meine Voltigeurc zu stellen, weil er sonst kein
Mittel wüßte, vom Kaiser gesehen zu werden. Was wollte
ich machen? Der Mann nahm mir das bißchen Ehre, das
mir von Rechts wegen zufließen mußte, vorm Munde
weg. Ich habe aber nie etwas abschlagen können, worunter
meine Eitelkeit litt, weil ich die größere Eitelkeit besitze,
nicht eitel erscheinen zu wollen. Ich ließ es also ge-
schehen, erhielt darüber nachher die Vorwürfe meiner
Offiziere und hatte sie verdient, weil ich mir so die Ge-
legenheit raubte, ihnen nützen zu können.
Der Kaiser erschien, gefolgt vom König und von
seinen Großen. Ein glänzender Zug! Ich konnte kaum
75
Digitized by Google
hoffen, daß er bis zu uns kommen würde, denn wir hatten
in der Jahreszeit der kurzen Tage — die freilich am Man-
zanares weit länger sind, als am Rhein — erst vier Leguas
gegen Madrid, dann anderthalb zurück gegen El Pardo
marschiert. Indes lief doch alles gut ab. Der Kaiser ging
durch die ganze Division, ohne sich lange aufzuhalten.
Scbastiani war für die Seinigen geschäftig. Andere er-
hielten nichts. Mit Vergnügen sah ich, daß der Kaiser
unserer Artillerie, die an meiner Seite stand, mehr Auf-
merksamkeit und mehr Lob erteilte als andern. Das war
mir mit Recht eine gute Vorbedeutung. Er kam mit dem
freundlichsten Gesicht. X. präsentierte sich als Komman-
dierenden, erhielt freundliche Worte, sollte Auskunft geben
und — - wußte nichts. Ich blieb stumm. Der Kaiser er-
kannte mich aber und sagte: „Ah, sind Sie auch da?
Sie sind gelobt worden. Wo sind Ihre Regimenter? wie
stark sind sie?" — Und zu Pferde schwang sich der
Monarch und der König und die Fürsten mit ihren Satel-
liten und begruben uns in ihrem Staub.
Wir aber schrien „Vivat!" Auf einmal war alles wie
tot. Da standen die Regimenter und sahen sich nachein-
ander stumm an. Sdbastiani war mit nach der Stadt, und
niemand fragte nach 10000 Menschen, die mitten in einem
Wald wie vom Himmel gefallen waren. Endlich suchten
sich die Korps, so gut sie konnten, Lagerplätze. Auch ich
tat ein gleiches und fand ein hübsches Plätzchen, wo ich
mit niemand in Kollision kam. Aber da war kein Holz,
kein Brot, keine Fourage. Woher nehmen? Wir wissen't
nicht. Frag einer den S<5bastiani! Der war in der Haupt-
stadt! — Und in Zeit von einer halben Stunde loderten
himmelhoch die Flammen der Lager, und mancher Braten
drehte sich am Spieße. Alle Tische, Stühle, ja selbst Dach-
sparren von El Pardo, die Ölkufen nicht zu vergessen,
nährten die Feuer unserer höllischen Küchen. In keinem
Hause blieb ein Nagel fest, die Pferde standen in den
Stuben und fraßen das zurückgebliebene Stroh. Kaum
wurde das Hauptgebäude des königlichen Schlosses hinter
76
Digitized by Google
dreifachen Wachen verschont, obgleich der König darin
Am Q. Dezember war es schon lange Tag, und noch
wußte niemand, was aus uns werden sollte. Der Marschall
ließ nichts von sich hören. Ich war es meinen Leuten
schuldig, mich ihrer anzunehmen. In Gottesnamen ritt
ich also nach der Hauptstadt, die zwei gute Leguas davon
entfernt liegt. Welch ein neues Leben ! Nach zwei Monaten
des Entbehrens mit ungesohlten Stiefeln mitten in einer
großen Residenz, wo die traurigen Überreste einer ver-
gebens versuchten Verteidigung schon meist verschwunden
waren, die Kaufläden sich öffneten und die Einwohner
unter dem Schutze der Regierung ihr Eigentum selbst
behüteten. Gedankenvoll ritt ich durch die langen, krum-
men Straßen, die meist von französischem Militär belebt
waren, unter dem, düster und tief in die Mäntel gehüllt,
einzelne Spanier herumschlichen. Ich fragte nach Gast-
höfen. Man wies mich in mehrere. Überall aber erhielt
ich zur Antwort, ich könne wohl da essen, jedoch nicht
logieren, weil alles besetzt sei, und für Pferde habe man
gar keinen Stall. Um letztere war es mir hauptsächlich zu
tun, denn ich wollte ohnehin nicht nachts dableiben, son-
dern nur einen Platz haben, wo meine armen Tiere fressen
und beschlagen werden konnten. Endlich machte ich eine
Posada de Caballos (Pferd chcrbi'r!>e> ausfindig, wo ich
sie in einem elenden dumpfen Mauleselstall unterbrachte.
Aber noch viel mehr Mühe hatte ich den Marschall an
einem andern Ende der Stadt aufzufinden. „Was wollen
Sie von mir," schrie er mir mit heiserer Stimme von
seinem Berte aus zu. „Wollen Sie mir auch die Ohren Voll-
wagen? Sie können sich nicht beschweren: bekommen
Sie nicht den Orden?" — Und nun ging eine fürchterliche
Strafpredigt über die deutschen Regimenter los, daö sie
noch nicht eingetroffen wären. Wir hätten strenge Order
bekommen. „Wären sie nur bei der Revue gewesen! Jetzt
kriegen sie einen Dreck!" — Ich ließ ihn ausreden, bis
er sanfter wurde. Dann sagte ich ihm, daß die Regimenter
77
Digitizsd by Google
wenigstens nicht seine Ungnade verdienten, höchstens der
Divisionsgeneral, dem sie gehorchen mußten. Und warum
er uns denn im Stich ließe, die er selbst seine lieben Kinder,
seine Besten genannt habe? Er schwor, das solle nicht
geschehen, und er wolle schon dafür sorgen, daß meine
Leute in Ehren blieben, daß sie eben auch mit der Division
Sebastiani einrücken würden.
Ich hatte durch einen mir nachkommenden Offizier
die Nachricht erhalten, daß man sie nach Rozas geschickt
hatte. Der Marschall ließ auf der Stelle befehlen, daß sie
in die Stadl marschieren sollten. Ich schickte den Befehl
hinaus und beschäftigte mich indessen, sie unterzubringen.
An einem Ende der Stadt wurde ich in ein Kloster ge-
wiesen, das ich schon ganz von einem französischen Regi-
ment besetzt fand. Ich erhielt endlich die Anweisung in
die Wallonenkaserne am andern Ende der Stadt. Die war
auch besetzt, aber ich fand daneben eine andere, die ich
aufbrechen Heß und wo ich noch die Überreste eines
Insurjji.'nU'Nbatiiillou-; b.' kämpft-] luiißtc. Darüber ward
es tiefe Nacht.
Die Kompagnien waren unterdessen auf einem andern
Weg, als dem, wo mein Kundschafter stand, eingerückt,
waren lange herumgeirrt und hatten sich endlich beim
Alkalatore auch in einem großen leeren Hause niederge-
lassen. Am Ende stand ich mitten in der Nacht in den
menschenleeren Straßen allein. In die „Fontana de oro"
(goldener Brunnen), wo ich zu Mittag gespeist hatte,
konnte ich nicht zurückkehren, weil ich wußte, daß man
mich nicht unterbringen konnte. Ich beschloß also wenig-
stens meinen Bedienten mit den Pferden aufzusuchen.
Nicht ohne Mühe war ich so glücklich, ihn zu finden,
und wurde nach langem Klopfen eingelassen. Meine
bleiche, schwankende Gestalt und die Hand, die klüglich' im
Qelde wühlte, erweichten das Herz des Spaniers mehr
noch als meine gebrochene spanische Rede. Er trat mir
ein ganz erträgliches Bett ab. Ich hatte Hunger zum
Sterben. Er bot mir seine Küche an, die ich mit Tränen
78
Digitized by Google
des Dankes annahm. Es war ein einziger, ziemlich
schmutziger Topf, der beim Feuer stand. Darin befand
sich eine Menge jener ganz dicken Erbsen, die eine Haupt-
kost der gemeinen Spanier sind. Sie stellen sie mit ein
wenig Wasser und einem Stückchen Speck ans Feuer und
lassen sie so ruhig fortschmoren, bis der eine oder der
andere aus der Hausgesellschaft Hunger hat und sich
etwas davon nimmt Ich entsagte diesem köstlichen Mab]
ebenso schnell wieder, als ich es angenommen hatte, und
sank bald auf meiner Matratze in die Arme eines vom
Fieber geschüttelten Schlafs der Entkräftung.
Eine Tasse gute Schokolade, die man auch beim
armen Spanier nie vergebens sucht, erquickte mich am
andern Tag. Dann begab ich mich wieder auf die Reise
ins Ungewisse, um meine Leute und ganze Stiefel zu
suchen. Von ersteren fand ich endlich einen, der mich
zu den übrigen führte, wo ich auch meine zwei andern
Pferde traf, die 24 Stunden lang nichts gefressen hatten.
Ich ließ in dem zerstörten Hause Einrichtungen treffen,
so gut sich's tun ließ, und schickte nach Lebensmitteln
aus. Ich selbst begab mich ins Quartieramt, wo ich viele
Schwierigkeiten fand, um mir ein Quartier auszumachen.
Da traf ich endlich auf einen der Leute des Oberst von
P , der mich benachrichtigte, daß sein Herr seit
gestern nacht da sei. Ich flog in das Malthese rkreuz, das
geräumigste Gasthaus von Madrid, wo ich zu meinem
unbeschreiblichen Entzücken ihn und den General Leval
zusammen traf. Ich erfuhr, daß Marschall Soult sie in
Poles zurückgehalten und erst dann freigelassen habe,
als sie auch mit den stärksten Märschen uns diesseits
von Madrid nicht mehr einzuholen vermochten. Sie seien
am 9. abends bei El Pardo angekommen und erwarteten
das Weitere.
Während ich zu meinen Voltigeuren lief, um ge-
schwind einige Besorgungen zu machen, erhielt ich die
Nachricht, der Oberst sei mit dem General eiligst zur
Stadt hinaus, weil der Kaiser die deutschen Regimenter
79
Digitizad by Google
mustern wollte. Die Voltigeure, die nach Lebensmitteln ge-
schickt und in alle Winde zerstreut waren, konnte ich
jetzt nicht mehr zusammenbringen. Mir selbst gelang es
schwer, meine Pferde in einer andern Gegend der Stadt
aufzusuchen. Kraftlos und ungewiß trabte ich gegen El
Pardo hin. Wohl eine Stunde Wegs mochte ich zurück-
gelegt haben, als ich auf einen Nachzügler traf, der mich
zum Glück unterrichtete: die Regimenter seien bei dem
Meierhof Granja über den Manzanares gegangen. Ich
folgte und entdeckte sie endlich auf dem Kamm der Höhen
aufmarschiert, die gegen Madrid zu in Fluchtfeldern ab-
laufen. Die Leute sahen von den anstrengenden Gebirgs-
märschen schrecklich aus, waren meist ohne Schuhe und
hatten die Hälfte ihrer Kameraden in Spitälern zurück-
gelassen. Zu dieser Revue kamen sie beinahe ganz un-
vorbereitet Der Marschall, zufrieden mit der Verteidi-
gung, die General Leval bei ihm vorbrachte, war zum
Kaiser gelaufen, um seine Gnade für die Regimenter Ba-
den und Nassau anzurufen. Der Monarch war guter Laune,
erinnerte sich des Rufs, den sich beide Regimenter in
den früher erwähnten Gefechten erworben hatten, und
versprach, in Zeit von einer Stunde zu kommen. Daher
diese Übereilung, denn solche Momente muß man nicht
versäumen. Ich hatte kaum Zeit, das Kommando des
1. Bataillons wieder zu übernehmen; denn schon sah man
den Kaiser mit seinem ganzen glänzenden Gefolge und
den Marschall von der andern Seite den Berg hinaufspren-
gen. Wir mußten mit ganzen Kompagnien rechts schwen-
ken, die Kolonne schließen und ein Glied formieren. Diese
bequemste aller Methoden zur genauesten Spczialrevue
läßt der Kaiser bei allen Truppen anwenden, die er einer
besonderen Aufmerksamkeit würdigt. Er geht dann vor
einem Glied nach dem andern vorbei, sieht auf der Stelle,
wer an der Prima plana fehlt und fragt danach und nach
allen andern Dingen, die selbst zum kleinsten Detail gc-
Er ließ sich die Leute, die sich besonders ausge-
80
Digitized by Google
zeichnet halten, vorführen und teilte viele Orlen aus.
Auch r.ahm er, natürlich mit Zustimmung der deutschen
Soüveianc, mehrrrt- Uii'irdi-riitinen vor, Die beförderten
Ofh/iere wurden vor der Front proklamiert und von ihren
Kameraden umarmt. Alle diese für den, der nicht wie ich
an den Anblick des Kaisers und an seine Art Und Weise
gewöhnt war, gar wunderbar erscheinenden Dinge, brach-
ten die übrigen Kommandeure mehr oder weniger um
die Besinnung. Eine kleine Dummheit nach der andern
kam vor, und als wir nachher manövrieren mußten, wo
der Kaiser selbst durch den Marschall kommandierte und
oft ganz falsch verstanden wurde, fiel alles so schlecht
aus, wie wohl noch nie bei Truppen, die zu den „Guten"
gerechnet werden. Der Kaiser korrigierte lächelnd die
Fehler und verließ uns nach mehr als zweistündiger Ge-
genwart äußerst gnädig. Zur Charakteristik des Ganzen
gehört, daß er ein Bataillon P..., das auch zugegen war,
aber ohne seine Schuld an den Hauptgefcchten keinen
Teil genommen hatte, nicht eines einzigen Blickes wür-
digte. Auch' wir hatten für einige Verwundete und Kranke,
die unter die Ausgezeichneten gehörten, keine Belohnung
erhalten können. So weiß dieser einzige Mensch alles
von sich abhängig zu machen ! Vergebens läßt der Himmel
seine Sonne scheinen, wo die sein ige sich verdunkelt.
Oft sollte man meinen, auch der Himmel gehorche ihm
und die Natur kleide sich in das Oewand, das er jedesmal
braucht Glücklich, bewundert, beneidet, zogen wir noch
vor Abend in Madrid ein. Traurig folgten die Männer
von P., versprachen, sich durch Tapferkeit zu rächen und
hielten Wort.
Wir kamen bataillonsweise in Klöster. Mir fiel das
Th'eatiner Mönchskloster des heiligen Kajetan in der Ge-
sandtenstraße zu. Die armen Mönche, die sich den Ver-
wüste™ schon entgangen glaubten, waren so überrascht,
daß sie völlig den Kopf verloren. Meine guten Worte
halfen nichts. Alles, was ich für sie tun konnte, war, meine
Leute noch eine Stunde lang unter Gewehr zu lassen, bis
6 B*H7: Span. Freihethtampf. 81
Digitized by Google
sie ihre besten Sachen hinten hinaus geflüchtet hatten.
Ich nahm Kirche und Bibliothek in Schutz, teilte die Zim-
mer aus und führte eine strenge, aber nur langsam ihren
Zweck erreichende Polizei unter einer Horde von Men-
schen ein, die seit 6 Wochen die Begriffe von Mein und
Dein vergessen hatten. Krank und matt sank ich endlich
auf dem elenden Lager meiner Zeile in Schlaf.
Am 13. erhielten wir morgens 10 Uhr Befehl, zur
abermaligen Revue auszurücken. Ich stieg gegen die
ärztliche Vorschrift zu Pferd, kam abends ermüdet zurück,
schlief köstlich und war in einigen Tagen wieder völlig
hergestellt . . . Der Artillerie widmete der Kaiser eine
ganz besondere Aufmerksamkeit, wodurch mancher in
große Verlegenheit kam. Am Ende mußte alles im Sturm-
schritt mit Divisionskolonnen vorbeimarschieren.
Marschall Lefebvre marschierte mit den Divisionen
Sebastian! und Vaicncc17) und der französischen, badischen
und holländischen Batterie gegen Talavera ab. Die deut-
schen Regimenter der Division Leval wurden einstweilen
zur Garnison von Madrid bestimmt. Der Zufall, der den
größten Teil der übrigen Truppen unvermutet iin nörd-
lichen Spanien lebhaft beschäftigte, hielt uns nachher länger
in der Hauptstadt fest, als es erst Absicht zu sein schien.
Das aus Portugal vorgerückte englische Armeekorps hatte
sich nämlich beim Vorrücken der Franzosen gegen Madrid
nach Salamanca gezogen. Sobald das Korps des Herzogs
von Danzig über das üuadarramagebirge gegangen war,
faßten die Engländer den Plan, nördlich von diesem Ge-
birge, auf dem rechten Ufer des Duero zu operieren,
wo die Umstände dem Beginn ihrer Operationen sehr
günstig zu sein schienen. Marschall Soult balgte sich in
den unzugänglichen Gebirgen von Asturien lind Leon mit
den Oberresten der spanischen Nordarmee unter La Ro-
") Jean Baptiste Cjrus Marie Adelaide de Thimbrune, Oraf
von Valence, 1757-1822, kommandierte 1808 eine Division
Kavallerie.
82
Digitized by Google
nana herum. Die ganze ungeheure Strecke von Leon
bis Segovia war nur durch leichte Kavallerie gedeckt.
Während das in Corufia ausgeschickte englische Armee-
korps auf der Straße von Leon vorrückte und sich mit den
Spaniern in Verbindung setzte, nahm das Armeekorps von
Salamanca dieselbe Richtung» passierte den Duero bei
Toro, rollte die leichte Kavallerie in den Ebenen von
Valladolid usw. auf und bewerkstelligte ohne Anstand
seine Vereinigung mit dem nördlichen Korps. Mit dieser
furchtbaren Macht wollte der englische Obergeneral
Moore") dem Herzog von Dalmatien in die linke Flanke
fallen und ihn in den atlantischen Ozean werfen.
Zum Glück hatte der Kaiser, der diese Operation
einigermaßen vorausgesehen und gewünscht hatte, das
Soultsche Armeekorps bis auf wenigstens 30 000 Mann
verstärkt Diese vereinigte der Marschall unweit Saldanas
und stand am 23. angesichts der Engländer, die am fol-
genden Tage seine linke Flanke umgehen und forcieren
wollten, aber, von dem Marsche des Kaisers benachrich-
tigt, sich statt dessen zum Rückzüge gegen Corufia an-
schickten.
Der Kaiser ließ zur Deckung des Zentrums — oder
des ganzen Strichs vom untern Tajo bis zur Mitte des
Ebro — nur die Korps der Herzöge von Beüuno und
Danzig und die Kavallcriedivisionen Lasalle1»), Milhaud")
und Latour-Maubourg11) zurück und ernannte den König
Joseph, der noch immer nicht in Madrid eingezogen war
und im Pardo residierte, zu seinem Stellvertreter jenseits
desGuadarramagebirges. Er selbst brach am 22. Dezember
le) Sir John Moore, hervorragender englischer General, 1776
bis 1909, kämpfte im Verein mit dem Genera] Baird in Portugal
gegen Soutt und fiel schon am 16. Januar 1809 bei Coruna in einem
mörderischen Kampfe.
"-*') Antoijie Charles Louis Graf von Lasalle, 1775-1809,
Edouard Jean Baptiste Milhaud, 1766—1833, Marie Charles ösar
Fay, Graf von Latour-Maubourg, 1756-1831, bedeutende
• n n, i i.-! [ L. Di v i i i on ige nerale.
6" 83
Digitized by Google
mit sämtlichen Garden, mit dem Armeekorps des Herzogs
von Elchingen und mit einer Menge Kavallerie und Ar-
tillerie nach Guadarrama auf.
Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß die Eng-
länder, wenn sie in die Falle gegangen wären, wenig von
ihrer schönen Armee nach ihrer Insel zurückgebracht hät-
ten. Dem Kaiser ging aber diesmal alles gegen Wunsch.
Die Engländer zogen sich beizeiten langsam und in schön-
ster Ordnung zurück, und das Wetter war gerade so
schlecht, wie es im ganzen Winter nicht gewesen war . . .
Auf dem Guadarramagebirge schneite es so sehr, daß
Menschen, Pferde und Wagen stecken blieben. Als die
Armee mit unsäglicher Mühe jenseits ankam, trat ein un-
aufhörlicher Regen ein. Der Schnee ergoß sich in Strömen
in die Täler, überschwemmte sie und riß Brücken weg.
Die Infanterie konnte kaum durch den Kot durchkommen
und mußte öfters bis über den Gürtel im Wasser waten.
Darüber wurde die Ungeduld des Kaisers so groß, daß
er am 27. in Medina de Rioseco mit einigen wenigen von
seinem Gefolge ankam, ehe noch ein einziger Franzose die
Stadt hatte erreichen können. Diese Ungeduld wuchs, als er
erfuhr, daß ihm die Engländer entgangen waren. Er konnte
indes nichts tun, als ihnen seine behenden Chasseure von
der Garde unter den Generalen Durosncl-) und Lefehvre-
Desnouettes ") nachzuschicken. Ersterer war vorsichtig
und begnügte sich mit einigen eroberten Wagen, letzterer
schwamm kühn durch die Esla. Die Engländer verstanden
keinen Spaß, schickten ihm von Benavente aus einige Ka-
vallerieregimenter auf den Mals und nahmen ihn mit vielen
seiner Braven gefangen.
Der Kaiser vereinigte sich jenseits Valderas mit Soult,
ging nach Benavente und dann nach Valladolid zurück,
«), «) Anleine Jean Auguste Graf Durosnel, 1771-1849 und
Charles Graf Lefebvre-Desnouettes, 1773—1822, beides fran-
zösische Oenerale. Letzterer zeichnete sich im Kanipl bei Benavente
im Januar 1809 aus, fiel aber in die Gefangenschaft der Engländer,
aus der er zu entfliehen wußte.
84
Digitized by Google
ohne Madrid wiedersehen zu wollen. Soult und Ney ver-
folgten sozusagen atemlos die Engänder, die ohne Ver-
lust bei Coruna ankamen und Anstalten zur Einschiffung
machten. Nur das spanische Korps von La Romana konnte
Soult noch erreichen und mit beträchtlichem Verlust in
die Gallicischen Gebirge werfen. Am 16. Januar lieferte
er die merkwürdige Schlacht bei Coruna. Ungeachtet die
Engländer ihre beiden ersten Generale darin verloren,
Moore getötet und Baird schwer verwundet wurden,
schifften sie sich doch in der Nacht vom 16. zum 17. ruhig
ein. Am Morgen des 17. fanden die Franzosen ihre Ver-
wundeten verbunden auf dem Schlachtfeld liegend, jeder
mit einem Fläschchen Branntwein und etwas Zwieback
beschenkt
Wir waren unterdessen in Madrid auch' nicht in der
glänzendsten Lage. Der Dienst war wegen der Entblößung
an Truppen in dieser Gegend ziemlieh hart, zumal täglich
ein Drittel der Leute auf Arbeit zu den Verschanzungen
kommandiert wurde, die man beim Retiro anlegte. Die
Lebensmittel waren teuer, wegen der beschwerlichen Zu-
fuhr aus einer Nachbarschaft, die teils ruiniert, teils im
Aufstande war. Die Einwohner legten ihren Haß gegen
uns unverhohlen an den Tag; an Umgang mit ihnen war
nicht zu denken. Das schöne Geschlecht verschloß sich
im Innern der Familien, nur dann und wann sah man in
großen alten Wagen, mit schlechtgekleideten Domestiken
umgeben, von zwei großen Mulas (Mauleseln) gezogen,
eine schwarzäugige Dofia sich von einem Hause zum
andern beg«ben. Nur die niedrigste Klasse suchte unsern
Umgang, jene unglücklichen Verworfenen, deren Zahl in
Madrid immer groß gewesen sein soll und sich durch
das allgemeine Elend täglich mehrte. Trotz aller Vorsicht
wurden manche unserer Leute ein Opfer dieser verseuchten
Elenden. Mancher wurde, von einer Sirene in ein abge-
legenes Haus gelockt, daselbst ermordet und dann auf die
Straße geworfen. Es gab Spanier, die beim Anblick eines
Franzosen die Wut dermaßen überkam, daß sie ihm auf
85
Digitized by Google
der Siraße den Dolch ohne besondere Veranlassung ins
Herz stießen. Viele wurden au! der Stelle ergriffen und
ließen sieh dann gewöhnlich ruhig hängen, ohne die Miene
der stummen Verachtung abzulegen. Viele entsprangen,
selbst am hellen Talje ; denn erreichten sie nur eine Neben-
straße, so waren sie gerettet. Ein Spanier wurde gehangen,
weil er einen Franzosen umgebracht hatte. Ein Chasseur
geht ahnungslos vorüber, stutzt und betrachtet die braun-
gekleidete Leiche mit verschränkten Armen. Da kommt
ein Bürger von Madrid des Wegs, ärgert sich über die
Neugierde des Franzosen, sticht ihn sofort tot und wird
vergebens verfolgt, weil er gleich in den Häusern ver-
schwindet.
Unser Leben in Madrid erreichte am 13. Januar plötz-
lich sein Ende. Die militärische Verhältnisse hatten sich
gänzlich verändert. Als wir nach Madrid kamen, hatte
der Fürst von Isenburg, der bei der französischen Armee
als Brigadegen eral stand, das Kommando über das Regi-
ment Baden und Nassau oder die 1. Brigade der 2. Divi-
sion des 4. Korps erhalten und blieb, wie uns der naive
Marschall Lefebvre vorausgesagt hatte, bei unserm Ab-
marsch wegen des Podagras zurück.
Der Marschall hatte mit den beiden andern Divisionen,
wie schon erwähnt, einen Zug an den Tajo unternommen ;
wir blieben also in Madrid bloß den Dispositionen des
Gouverneurs, des Generals Belliard») und der beiden Bri-
gadegenerale, die in Madrid und im Retiro kommandierten,
überlassen . . . Der Marsehall forcierte am 24. den Tajo,
hinter dem sich noch einige Insurgetiteiihaufen aufhielten.
Er ließ nämlich seine Truppen zugleich über die Brücken
von Arzobispo und von Almaraz marschieren. Bei letz-
terem fand er einigen Widerstand, wobei sich die badische
Artillerie ganz besonders auszeichnete. Dann wandte sich
«) Augusün Daniel Graf von Belliard, bedeutender franzö-
sischer rjeneral, 1769-1832. Er war die rechte Hand des Königs
86
Digitizsd by Google
der Marschall, als sei er geschlagen, mit Zurücklassung
der eroberten feindlichen Geschütze eiligst wieder auf
das rechte Ufer, durchwatete mit Gefahr und Verlust
den reißenden Tietar, ging nach Plasenci.i, von da über
das hohe Gebirge Sierra de Gredos nach Avila und end-
lich über das Guadarramagebirge nach Escorial, von wo
er gegen den 10. Januar wieder in Madrid eintraf. Er
hatte seit dem 24. Dezember keinen Feind gesehen, aber
viele Leute durch Krankheit und Erschöpfung verloren;
auch waren einige seiner Bagage- und Munitions wagen
stecken geblieben und die Hälfte des Trains zugrunde
gerichtet
Der Kaiser rief ihn jetzt zurück, und wir schieden
von einander unter Äußerungen wahrer gegenseitiger Zu-
neigung.
87
Digitized by Google
6. Kapitel
Talavera. Haß der Einwohner. Übergang über
den Tajo
Unterdessen hatte das 1. Korps (Victor) die Gegend
von Madrid und Toledo verlassen und sich gegen Cucnca
gewendet, wo der Herzog von lnfantado!i) wieder eine
spanische Armee gebildet hatte. Die polnische Division,
die am untern Tajo vom Herzog von Danzig zurückge-
lassen worden war, war nach Toledo gezogen worden.
Lasalle fand sich mit seiner leichten Kavallerie am untern
Tajo zu schwach, weil sich unterhalb Cuestas eine feind-
liche Armee am Ouadiana zusammengezogen hatte. Gene-
ral Leval bekam also vom König Befehl, mit unserer
1. Brigade und der badischen Batterie das rechte Ufer
des Tajo unterhalb Toledos zu besetzen. Wir brachen am
13. gegen Mittag auf und gingen drei Stunden weit nach
dem großen Dorfe Mostoles.
Wir konnten uns gar nicht an die Vorsicht gewöhnen,
die die Bosheit der Einwohner erforderte. In den ersten.
Tagen kamen nie Meldungen von den detachierten Kom-
pagnien. Und zu spät lernten wir, daß man auch auf der
Sl) N. de Silva, Herzag von Infantado, spanischer Staats-
mann und General, 1773—1841. Er begleitete Ferdinand VII. nach
Rayonnc und schloß sich darauf Joseph Bonapartc an; im nächsten
Juhre, 1809, befehligte er ein spanisches Korps und wurde bei Udfs
und Tarragona von den Franzosen geschlagen, worauf er von der
Junta seines Oberbefehls entscUt wurde.
88
Digitized by Google
Landstraße nie einen einzelnen Bewaffneten abschicken
dürfe. Die Ordonnanzen wurden ermordet. In der Stadt
selbst ging es uns nicht besser. Die Einwohner befanden
sich noch in ziemlichem Wohlstand; sie hatten erst die
Englander gehabt, die Geld brachten ; dann waren die
wilden Haufen der aus Madrid flüchtenden Insurgenten
durchgezogen und hatten einige unbedeutende Ausschrei-
tungen begangen. Die bedeutendste war, daß sie ihren
General, Don Benito San Juan, in der Stadt ermordeten.
Das Korps des Herzogs von Danzig und die Lasalle-
sche Kavallerie waren nicht zahlreich genug, um der Stadt
während ihres kurzen Aufenthaltes großen Schaden getan
zu haben. Und General Leval, der mit uns kam, war ein
guter Mann, der die Einwohner nicht mißhandelte. Unsere
Deutschen wurden in strengster Mannszucht gehalten und
hielten sich ruhig in ihren Klosterkascriicn, ohne c*w;i>
vom Einwohner zu fordern. Die Offiziere wohnten in
den Bürgerhäusern und hatten ihre Mahlzeiten. Nur die
Häuser des Adels wurden etwas mitgenommen, da ihre
Eigentümer geflüchtet waren. Man war uns wirklich Dank
schuldig I Denn andere, die nach uns kamen, haben es
sicherlich schlimmer gemacht. Trotz dieses guten Beneh-
mens geschahen Vorfälle, die man sich, auch bei dem
ungünstigsten Urteil über die Rachbegierde der Spanier,
nicht erklären kann. Auf unsere Schildwachen — die meist
nur zur Aufrechterhaltung der Ordnung bestimmt waren
— wurde oft geschossen. Einige wurden schwer verwun-
det Auch auf Offiziere, die abends durch die Straßen
gingen, fielen einige Male Schüsse aus den Fenstern.
Ich wohnte in einem großen Hause. Ein geräumiger
Hof stand voll Zitronen- und Pomeranzenbäumen, deren
zeitige Früchte man von der Altane aus pflücken konnte.
Die Sparsamkeit der Möbel, die Entblößung von Küche
und Keller und noch mehr die Beschaffenheit der Men-
schen, die sich für Eigentümer des Hauses ausgaben,
brachten mich auf die Vermutung, die sich auch bestätigte,
daß der wahre Eigentümer geflüchtet sei und jene sub-
89
Digitized by Google
slituiert habe. Es war nämlich im ganzen Hause nur
ein altes Männchen mit einer Frau und einer einzigen
Magd. Das Männlein war erstaunlich demütig und höf-
lich und wußte sich außerordentlich arm zu stellen, worin
er im Grund recht haben konnte. Es brachte nebst dem
Weiblein den größten Teil des Tages mit And achts Übungen
zu. In meiner Stube war ein Muttergottesbild unter einem
Glas. Vor demselben unterhielt das Männlein beständig
eine brennende Kerze, einem Gelübde zufolge. War ich
abwesend, so benutzten die guten Leute die Zeit, um vor
dem Bilde auf den Knien zu liegen. Am sonderbarsten war
die Kleidung dieses komischen Pärchens. Beide trugen
einen Anzug aus braunein Kapuzinertuch und hatten Stricke
um den Leib. Sie gehörten zu einer geistlichen Kongre-
gation, die zwischen den Mönchen und den weltlichen
Menschen ungefähr in der Mitte steht. Doch es ist Zeit,
zu unserer militärischen Lage zurückzukehren. Oeneral
Lasalle, der sich in Person in Almaraz aufhielt, beschloß,
sich durch eigene Untersuchung zu überzeugen, ob die
tröstlichen Versicherungen des Marschalls Jourdan«) in
Madrid, daß wir von keinem Feinde mehr etwas zu be-
fürchten hätten, oder ob die Nachrichten der Spione, die
ihn in großer Anzahl gesehen haben wollten, die rich-
tigen seien. Er ging daher mit ein paar Kavallerieregimen-
tern über die Brücke von Almaraz und den Engpaß von
Miravede, um sich nach Trujillo zu begeben, bis er Ge-
wißheit über die Mittel bekommen würde, die der Feind
gegen uns in Bewegung setzte. Dieser hatte aber unter-
dessen ein Heer von 12—18000 Mann, größtenteils alte
Linientruppen, vereinigt und mit guten Pferden aus Anda-
lusien und mit Artillerie aus der Festung Badajoz, sowie
mit Zelten und andern Feldrequisiten versehen. Ein an-
») Jean Baptiste Graf von Jourdan, Marschall von Frank-
reich, 1762— 1S33, wurde 1803 Gencralstabschef des Königs von
Spanien, welche Stellung er (mit Ausnahme der Jahre 1809—1812)
bis 1814 innehatte.
90
Digitized by Google
deres Heer von 20000 bis 30000 Mann hatte sich unter
dem Herzog von Infantado im Gebirge der Mancha ge-
sammelt.
Da nun durch die Nachricht von der Abreise des
Kaisers nach Paris und den mächtigen Kriegsrüstungen
der Österreicher die anfängliche Niedergeschlagenheit der
Spanier plötzlich verschwunden war und den schwindelnd-
sten Hoffnungen Platz gemacht hatte, so beschlossen sie,
Infantado über Cuenca und Cuesta über Almaraz allmäh-
lich wieder gegen Madrid vorrücken zu lassen. Letzterer
sollte sich vor allen Dingen des wichtigen Postens von
der Brücke von Almaraz bemächtigen und daselbst die
Ii! reichen Vcrstiirkiäiigc-n, dii: seiner harrten, erwarten,
wenn ihm das Glück nicht sdmt'Kere Fortschritte gestattete.
Der Vortrab dieser Armee kam in der Gegend von Trujillo
an, als Lasalle über den Tajo ging. Beide Spitzen stießen
noch am nämlichen Tage aufeinander. Die Spanier
stutzten; die Franzosen benutzten den Augenblick, griffen
an und nahmen etliche 40 Kavalleristen gefangen. Dieser
unbedeutende Zufall hatte auf die ganze feindliche Expe-
dition nachteiligen Einfluß. Die leichten Truppen wichen
schnell nach Trujillo zurück und verbreiteten die Nach-
richt vom Anrücken einer französischen Armee. Dadurch
wurde der spanische Heerführer wahrscheinlich bewogen,
zwei Tage Halt zu machen. Lasalle dagegen ging als
Sieger, ohne einen Mann verloren zu haben, über den
FluB zurück und gewann Zelt, den General Leval in
Talavera von der Gefahr zu benachrichtigen. Dieser
schickte die Holländer nach Arzobispo und das andere
nassauische Bataillon nebst zwei badischen Kanonen nach
Almaraz.
Die Spanier kamen erst am 26. zum Vorschein, ließen
sich aber den ganzen Tag durch die: braven nassauischeu
Voltigeure im Paß von Miravede aufhalten und wurden
erst gegen Abend Meister der Berge des linken Ufers,
die den Fluß beherrschen. Am 27. bedeckten sie das ganze
Ufer mit Truppen und überschütteten die diesseits hinter
gi
Digitized by Google
der Brücke nachteilig postierten Nassauer und die badi-
schen Kanoniere mit einem Kugelregen. 1 asallr. der mit
seiner Kavallerie rückwärts bei Almarai stand, konnte
hier nichts helien. Ei sah vielmehr ein, il.ift die Spanier
die lirmke beim enteil beherzten Angriff mit Gewalt
iichinen muPile:i. Lr beschloß djher. sieh soweit /ururk/u-
liehen, bis er Unteritjtmnj; ar. Infanterie und Artillerie
erhalten würde. Am 28. vor Tag war das kleine Korps
au! dem vorteilhaften Terra») hinter Almaraz aufgestellt
und bewerkstelligte .seinen Ruekz.u;; ohne Verlust, nachdem
die Toten begraben und die Verwundeten in Sicherheit
gebracht worden waren. Tin Unteroffizier mit drei Mann,
den die Nassauer kurz hinter sich gelassen hatten, um
einen Wagen mit Brot nachzubringen, wurde von den
Einwohnern des Fleckens ermordet. Einen verwundeten
nassauischen Offizier, der unterwegs starb und in Naval-
moral begraben wurde, gruben die Einwohner auf der
Stelle wieder ans und hingen ihn a:i einen tiaum.
Auf die Nachricht von diesen Ereignissen verließen
wir am 29. Januar 11 Uhr morgens Talavera, wo bloß
eine Kompagnie unseres Regiments zur Deckung der
Brücke und des Lazaretts zurückblieb. Es war schon
dunkel, als wir bei La Calzada, einem großen Dorf unter-
halb Almaraz, ankamen. Hier fanden wir das zurück-
gewichene Korps und wurden mit Jubel aufgenommen.
Man war nun überzeugt, mit dieser Handvoll Leute den
Spaniern, die so wenig Unternehmungsgeist zeigten, die
Spitze hieteii m kiiniien. Ui:d wirklich, wenn der gute
Geist der Truppen viel zum glücklichen Udingen der Ge-
fechte beiträgt, so hatten wir alle Ursache, darauf zu
hoffen. Die Kavallerie von Lasalle, alle Badener, die
Nassauer, alle waren untereinander wie Brüder, und jedes
Korps für sich war von dem größten Vertrauen zu seinen
Anführern beseelt. Nie waren Truppen besser miteinander,
zumal Franzosen und Deutsehe, Kavallerie und Infanterie!
Brüderlich teilten die Franzosen mit uns den Platz und
die Lebensmittel. Lasalle litt nicht einmal, daß wir Dienst
92
Digitized by Google
gegen den Feind taten oder biwakierten. Unsere Infante-
risten waren sämtlich in einem großen Kloster zusammen
und hatten nur die nötigsten Sieherheits wachen um den
Ort „Wir müssen die braven Deutschen schonen," sagte
Lasalle, „wenn's gilt, sind sie am härtesten dran."
Am 31. Heß er einige hundert Kavalleristen über
Navaimoral bis gegen Almaraz rekognoszieren. Sie fanden
nur etwas feindliche Kavallerie in der Nähe des Orts.
Die Polen waren unterdessen von Toledo nach Tala-
vera gerückt. Unsere zurückgebliebene Kompagnie traf
am Abend des letzten Januar bei uns ein und sagte uns,
daß die Einwohner von Talavera bis zur Ankunft der
Polen nur mit Mühe im Zaum zu halten gewesen wären.
Da der Feind keine Miene machte angriffsweise vor-
zugehen, und wir nun auch für den Notfall in Talavera
einen Rückhalt hatten, so' konnten wir am 1. Februar
ausgedehntere Quartiere nehmen ; Navaimoral wurde
wieder besetzt. Unser Regiment ging eine halbe Stunde
in der Ebene seitwärts nach dem kleinen Dörfchen Calde
Ruela. Die unglücklichen Einwohner hatten sämtlich bei
unserer Annäherung das Örtchen mit beinahe allen ihren
Vorräten im Stich gelassen. Wir teilten uns in die leeren
Häuser und gaben strenge Order, nichts zu nehmen und
zu verderben, was wir nicht notwendig brauchten. Alle
Häuser waren innen sehr reinlich und hingen voll Heiligen-
bildchen, meist in goldenen Rahmen. In mehreren Häusern
fand man Pferdehaarmatratzen, und alle Böden lagen voll
herrlichem Weizen, den der fette Boden bei Calzada her-
vorbringt . . . Wir besetzten den Gebirgsrücken mit hin-
länglichen Wachen und patrouillierten sie von allen Seiten
ab. Da fanden wir denn in einer der entlegensten Falten
der Berge die Einwohner des Orts bei einer Schäfer-
hütte versammelt Es kostete nicht viel Mühe, die armen
Menschen zu veranlassen, mit uns umzukehren und ihre
eigene Wohnung mit uns zu teilen. Wir fanden auch hier,
daß die Einwohner an der Grenze von Estremadura sich
besser kleideten als im Innern Castiliens. Das einförmige
83
Digitized by Google
Schwarz wird mitunter durch helle Farben unterbrochen;
man sieht viele rote Strümpfe und bei den Frauen rote
und grüne Leibchen.
Am 3. fand eint' große Rekognoszierung statt. Mar-
schall Virtor, Herzog von Belluno, war im Anmarsch
gegen Talavera begrilfen, nachdem er den Herzog von
Infantado unweit Uclts geschlafen, seine Armee größten-
teils vernichtet und über 10000 Mann gefangen hatte.
Dies ließ uns endlich das furchtsame Betragen Cuestas
begreifen, der eine Handvoll Menschen nicht anzugreifen
wagte, die, überall von Feinden umgeben, auf einer schma-
len Erdspitze gegen ihn vorgeschoben war. Unsere Brigade
ging 3 Stunden vorwärts nach dem großen Dorfe Pera-
leda und detachierte einzelne Kompagnien seitwärts und
vorwärts nach Valdehuncar und Belvis de Monroy, um
Tajo und Almaraz zu beobachten. Die Nassauer, unter-
stützt von einem Kavallerieregiment, gingen bis Almaraz
vor, ohne den Feind zu finden. Nassau drang bis gegen
die Brücke, indem es die feindlichen Piketts vor sich her
trieb, kam aber unter das Kreuzfeuer von 8 Geschützen,
die der Feind in seinen jenseitigen Batterien aufgestellt
hatte, und verlor dadurch einige Leute. Die 1. Brigade
wurde wieder nach Navalmoral zurückgezogen, nachdem
man sich überzeugt hatte, daß der Feind in beträchtlicher
Stärke hinter der Brücke stand und sich verschanzte. In
Erwartung des Herzogs von Belluno blieben wir mehrere
Tage in dieser Stellung ganz ruhig; doch waren wir sehr
auf unserer Hut. Paraleda hatte noch seine Einwohner,
die von uns so wenig als möglich gekränkt wurden. Wir
hatten, da kein Kloster vorhanden war, unsere Leute in
die Bauernhäuser gelegt, ohne daß von beiden Seiten
Klage kam. In einem Hause fanden wir ein Hackbrett
(Lieblingsinstrument des spanischen Volks); auch ent-
deckten wir einen karikaturmäßigen Alten, der ein Vir-
tuose im Bolero- und Fandangospielcn war. Kaum er-
klangen die Saiten, begleitet von einem äußerst komischen,
eintönigen Oesang des estremadurischen Künstlers, so
94
Digitized by Google
konnten einige junge Leute der Begierde nicht widerstehen,
einen Augenblick die Feindschaft gegen uns zu vergessen
und sich ganz dem entzückenden Tanz hinzugeben.
Unterdessen war das 1. Armeekorps wirklieh in
unserm Rücken angekommen. Der Marschall, Herzog von
Belluno, hatte sein Hauptquartier erst nach Talavera, dann
nach Oropesa verlegt. Wir waren als 4. Division unter
sein Kommando getreten und bekamen nun Befehl, die
Brücke von Almarai, es koste was es wolle, zu forcieren.
Er wollte bei Arzobispo den Tajo passieren und den
Feind durch das Oebirge in der rechten Ranke angreifen.
Wir gingen am 10. morgens nach Navalmoral und
vereinigten uns daselbst mit der 1. Brigade, der badischen
Artillerie und ein paar Kavallerieregimentern der Division
Lasalle. Die Avantgarde wurde aus den primatischen,
badischen, hessischen und nassauischen Voltigeuren (zu-
sammen rj Kompagnien) und aus einem Zug franzö-
sischer Jäger zu Pferd gebildet und unter mein Kom-
mando gestellt.
Ich sollte den Feind schnell durch den Flecken Al-
maraz vor mir hertreiben, dort einige Einwohner zu fangen
suchen, um Rache" wegen der Oreueltaten beim ersten
Rückzug' der Nassauer zu nehmen; dann, beim Nach-
rücken der Division, sollte ich soweit gegen die Brücke
vorrücken, als es die Umstände ratsam machen konnten.
Zum Unglück hatte es inzwischen so fürchterlich geregnet,
daß unsere Leute vor Nässe zitterten und kaum die Ge-
wehre zum Losgehen bringen konnten. Dieser Umstand
ist für einen Anführer leichter Truppen oft schlimmer,
als wenn man ihm die Hälfte seiner Leute nähme. Bei
dem bravsten Soldaten, wenn er naß und hungrig ist,
meldet sich die natürliche künstlich verscheuchte Feigheit
als ungebetener Gast. Ich empfand dieses heute bei meinen
Leuten, die durch die schlechten Wege und das Hin-
und Herbewegen durch Berg und Tal und Wald unend-
lich ermüdet wurden und gar nichts zu essen fanden ; und
es Hei mir schwer und ermüdete mich doppelt, sie wieder
95
Digitized by Google
in das schon gewohnte Geleis der Bravheit zurückzu-
bringen.
Ich fand Almaraz verlassen, doch witterten meine
Spürhunde noch drei Männer aus, die sich in einem Keller
verborgen hatten. Ich ließ sie an das Divisionskommando
abgeben und trieb nun die schwachen feindlichen Piketts
vor mir her bis auf die Höhe vor der Brücke, wo die
Chaussee sich dreht und ein Kreuz steht Da dieser Punkt
wegen des jenseitigen Feuers gar nicht zu behaupten ist,
so ließ ich ihn im Besitz des Feindes und bemächtigte
mich dagegen der beiden Berge, die ihn und die Brücke
von beiden Seifen umklammern. Hier rekognoszierte ich
den Feind mit dem Divislonsgcncral sehr genau. Er hatte
die Brücke jenseits durch einen Querwall verstellt, durch
den nur eine schmale Tür führte, die in einer Höhe von
6 Fuß mit Erde bedeckt war. Die Kavalleriepatrouillen,
die man bisher zuweilen von Almaraz gesehen hatte, konn-
ten also nur einzeln herübergekommen sein, das Pferd
hinter sich herführend. Von der Brücke lief auf beiden
Seiten eine lange Brustwehr am Ufer hin. An der Mitte
des Abhangs war eine zweite Linie von Batterien mit
S Geschützen, deren Feuer sich kreuzte. Oben war das
Lager unter Zelten. Es erstreckte sich rechts bis gegen
Valdecanas, rückwärts bis Casas de Miravede und endigte
links im Tal des Cancelejabachs. Wir hatten den Spaß,
sozusagen jeden Mann sehen zu können und recht vornehm
nach Standeswürde empfangen zu werden.
Beide Linien waren mit Truppen angefüllt, die ihre
Gewehre unaufhörlich abfeuerten, obwohl kaum eint Kugel
der Vordersten zu uns gelangen kunnle. Dagegen warfen
sie uns eine .Menge Haubitzgranaten unter die Nase, die
uns sehr inkimimudierten, aber nichts schadeten, weil wir
uns immer zerstreuten. Als der General nach Almaraz
/uriiikgekrhrt war, schickten sie einige Kompagnien
heruber, die mich von dem vordersten Berg verjagten,
wo ich eben nn Begnlf war, verlorene Posten auszu-
96
Digitized by Google
Sobald Ich wieder in Verbindung mit meinen Haupf-
fruppen war, ließ ich die Spanier aufs neue auf die Brücke
zurückwerfen, darüber wurde es Nacht. Ich traf alle
Sicherheitsmaß regeln, ließ den Berg zur Linken durch eine
Kompagnie aus dem Lager von Almaraz unterstützen und
begab mich, von Nässe, Ermüdung und Hunger erschlafft,
zum Hauptposten an der Chaussee. Um Mittemacht wollte
ich die diesseitigen spanischen Piketts aufheben. Die Sache
mißglückte jedoch, wahrscheinlich nur weil meine Leute
zu abgespannt waren. Ich mußte auch langsam gehen, da
wir den andern Morgen ein schweres und, wenn die Götter
nicht halfen, unmögliches Stück Arbeit vor uns hatten.
Doch' entdeckte ich bei dieser nächtlichen Rekognoszie-
rung, daß die Spanier tüchtig auf der Brücke arbeiteten,
und schloß daraus, daß sie mit der Absicht umgingen, sie
ins Wasser zu stürzen. Als es Tag wurde, sahen wir die
Herren wieder hübsch unter den Waffen stehen. Ich hielt
mich ruhig und erwartete Befehl zum ernstlichen Angriff.
Auffallend war es mir, von der spanischen Armee, die
gegen uns über 12000 Mann stark war, nichts gegen das
im Anmarsch vorgeschobene Victorsche Korps über Valde-
canas abmarschieren zu sehen, da wir doch kaum über
4000 Mann stark und durch unüberwindliche Naturhinder-
nisse von ihnen getrennt waren. Da die Spanier sahen,
daß ich ruhig blieb, schickten sie einige Kompagnien
Herüber, die mich herausforderten. Ich gab mich indes
wenig mit ihnen ab, hielt meine Leute außerhalb des feind-
lichen Geschützt euers und ließ den Feind nur abweisen,
wenn er sich weiter wagen wollte.
Um 9 Uhr kam Oeneral Schiffer") zu mir herunter
und sagte mir im Vertrauen, daß der Rückzug an-
getreten würde. Der Herzog von Belluno hatte den
Marsch über die Brücke von Arzobispo aufgegeben,
") Konrad Rudolf Freiherr von Schäffer, groBherzoglich ba-
discher Oeneral, 1770— 183B, führte die Rheinbundtruppen auf Na-
poleons Wunsch nach der Pyrenaischcn Halbinsel.
7 OwHT. Span. FrdWUfciiiipt- 97
Digitized by Google
weil er von gefährlichen Bewegungen hinter dem Tietar
gehört hatte.
Der Feind hätte mir auf dem Rückzug Abbruch tun
können. Ich Heß daher seine Vorposten ganz zurückwerfen
und stellte die meinigen aus, als wollte ich die Nacht da-
bleiben. Durch diese Anstalten beruhigt, ließ der Feind
seine Truppen, die seit vorigem Mittag im Gewehr standen,
größtenteils ins Lager einrücken.
Jetzt erhielt ich Order zum Rückzug. Alles war schon
vorbereitet, und ich kam, nur von einer feindlichen Pa-
trouille verfolgt, ohne Verlust nach Almaraz zur Division.
Vor der Front des aufmarschierten Korps fand ich
die ganze Generalität um einen Birnbaum beschäftigt. Ich
wurde sehr gnadig empfangen und eingeladen, an der be-
gonnenen Aufhärgefeierlichkeit teilzunehmen. Es war
nämlich von nichts mehr und nichts weniger die Rede,
als die drei armen Teufel, die ihr Unstern am vorher-
gehenden Tag in meine Hände hatte fallen lassen, an den
Birnbaum zu hängen. Man hatte die ermordeten Nassauer
in verstümmeltem Zustande ausgegraben, auch waren in
einem Keller 12 Polen mit ausgestochenen Augen, ab-
geschnittenen Nasen, Ohren und Fingern usw. gefunden
worden, die sich hier wahr.schiin'ich hei der Lefebvreschcn
Expedition besoffen und durch die Bauern den Zustand
ihrer Bewußtlosigkeit verewigt erhalten hatlen. Da slanden
die drei armen Tröpfe in ihren braunen Jacken, die Hände
auf den Rücken gebunden, den Strick schon eng genug
um den Hals gezogen, sagten kein Wort und schnitten
Gesichter. Die Nassauer sollten den ersten hängen. Aber
es wollte gar nicht recht vonstatten gehen, und er fiel
mehrere Male herunter. Der Chef des Gcneralstabs, Oberst
A , ein roher Mensch, rief dem General Schäffer
zu: „General, vos gens font mal leur besogne!" — „Ce
sont de mauvais bourreaux, mais de bons soldats," ent-
gegnete Schäffer hastig.
Unterdessen hatten die französischen Chasseure schon
Gelegenheit gehabt, zu zeigen, daß sie das Handwerk
98
Digitized by Google
hesser verstanden. In wenig Augenblicken hing der zweite
Spanier an einem andern Ast. Oberst A. applaudierte und
[orderte nun dieBadenser auf, sich mit dem dritten Spanier
in den originellen Wertkampf der Nationen einzulassen.
„Wer soll mich denn dann durch den verdammten Sumpf
nach Belvis führen?" rief mein Oberst dagegen. „HabenSie
etwa einen andern Boten? Oder soll ich mit meinen
müden Leuten wagen, im Kot stecken zu bleiben? Nicht
wahr," rief er dem schon halb erstickten Spanier ins
Ohr, „du kennst den Weg gut? Du nickst? Wohlan denn,
den Strick vom Hals und an die Hände gebunden, und
marsch mit ihm voraus. Der Kerl, meine Herren," wandte
er sich zu den Franzosen, „wird heute abend ebensogut
in Belvis hängen und vielleicht noch lustiger als hier."
DaS er nicht gehängt wurde und wir ihn an Ort und Stelle
bringen ließen, bedarf keiner Erwähnung.
Unsere 1. Brigade war mit der Artillerie, einem Ka-
vallerieregiment und dem Generalstab in Navalmoral, die
2. hatte Belvis de Monroy, Casas de Belvis, Millanes und
Valdehuncar besetzt. Die übrige Kavallerie nahm ihre
Quartiere nördlich dergestalt, daß sie den Tietar beob-
achtete.
Am 15. zogen wir wieder gen Almaraz mit zwei Ko-
lonnen von Navalmoral und Belvis aus. Das erste Korps
ging an diesem Tage wirklich bei Arzobispo über den
Tajo, schickte uns aber seinen Artillerietrain, um unter
unserm Schutze über die Brücke von Almaraz zu gehen.
Wir rückten diesmal mit den Regimentern bis auf Kanonen-
schußweite an den Feind, der seine diesseitigen Piketts
eingezogen hatte, ohne einen Schuß zu tun. Begierig, was
daraus werden sollte, ging ich mit den Voltigeuren ver-
streut gegen die Brücke vor. Ein Offizier in roter Uniform
{wahrscheinlich ein englischer Oenieoffizicr) war jenseits
mit lebhaften Anstalten und vielen Menschen und Pferden
beschäftigt. Auf seinen Wink zogen die Pferde an, und
im Augenblick stürzte die Hälfte der Brücke mit schreck-
lichem Geprassel in den Abgrund.
T 9Q
Digitized by Google
Der Plan zum Angriff für den folgenden Morgen war
ungefähr so: in der Nacht sollten unter dem kleinen Ge-
wehrfeuer des Feindes am vorderen Abhang der beiden
Berge, die die Brücke einfassen, zwei Batterien, jede von
6 Geschützen, aufgestellt werden, unter deren Kreuzfeuer
wir am andern Morgen die Brücke bezwingen sollten. Die
Batterien kamen ungeachtet der Schwierigkeiten und der
Gefahr der Arbeit bis zum Morgen recht gut zustande.
Eine Menge von Säcken und Baumwolle, die die Artillerie
aus Navalmoral mitgebracht hatte, taten hierbei treff-
liche Dienste, indem sich die Arbeiter gleich anfangs da-
durch gegen das feindliche Feuer zu decken wußten. Diese
Baumwolle gehörte einem Pariser Handelshaus, das wäh-
rend der Anwesenheit des Königs Joseph in Madrid und
des Herzogs von Abrantes (Junot) in Lissabon auf diesen
Artikel im großen spekuliert hatte. Sie kam glücklich
von Lissabon nach Badajoz. Als sie aber in vielen Par-
tien zwischen hier und Madrid unterwegs war, brach die
Revolution in Spanien aus, und die Baumwollen wagen
wurden überall aufgehalten.
Am 16., als es Tag wurde, sahen wir den Feind mit
vielen Truppen in seiner rechten Flanke gegen Valdacanas
abmarschieren. Ein Reservekorps, das stehen blieb, zog
sich außerhalb unseres Schicßbercichs auf die Höhen von
Miravede zurück. Mit Verdruß sahen wir, daß wir dem
Feind in keiner Weise etwas anhaben konnten. Von der
Brücke war ein Stück von mehr als 80 Fuß in den Ab-
grund hinuntergestürzt. Wie konnten wir daran denken,
sie wieder herzustellen in einer Gegend, wo es kein an-
deres Holz als kleine krüppelliafte Encina und Korkeichen
gibt? Im Arger ritt ich zur Batterie rechts hinüber. Man
fuhr einige Geschütze noch weiter rechts auf die Höhe,
unterhalb der Brücke, die dem Cancelejatal gegenüber-
liegt. Von hier aus sandte man einige Kugeln in das
spanische Lager, das dort noch stand. Die Spanier fuhren
ihr Geschütz auf und antworteten eine Zeitlang tapfer.
Darüber wurde ich gerufen und ritt nun bene relicta par-
100
Digilized by Google
mula aus dem unangenehmen Gepfeife, das mir schaden,
aber nichts nützen konnte, ganz gern wieder zu unserm
Lager zurück, wo wir recht ossianisch das Feuer von tau-
send Eichen emporlodern ließen.
Am 17. mittags kam endlich der Befehl vom Herzog
von Belluno, die Artillerie, eine Sappeurkompagnic und
ein Kavallerieregiment stehen zu lassen, um in Almaraz
Mittel zur Wiederherstellung der Brücke vorzubereiten.
Wir sollten der Armee des Herzogs eiligst über Arzobispo
folgen.
Wir begingen den großen und hier wirklich unverzeih-
lichen Fehler, statt des breiten Wegs über Navalmoral die
elenden Nebenwege über Bilvis de Monroy, Valdehuncar
und Peraleda einzuschlagen. Gleich anfangs liefen wir
uns in den Sümpfen fest. Es war schon Nacht, als wir die
steilen Felsen von Belvis zu erklimmen anfingen. Da pur-
lelte denn einer über den andern. So ging es fort die halbe
Nacht hindurch, ohne daß man in den engen schmutzigen
Wegen bedeutend vorwärts kam. Es war längst Mitter-
nacht vorbei, als wir endlich Peraleda erreichten. Wir
hatten nicht mehr als höchstens vier Stunden Wegs zurück-
gelegt und waren ermüdet wie von einem zehnstündigen
Marsch. Wir waren gezwungen, unsre armen Leute ein
paar Stunden in die Häuser treten zu lassen, bis der Tag
graute. Dann marschierten wir weiter nach Arzobispo,
das noch fünf kleine Stunden von Peraleda entfernt liegt.
Das Städtchen liegt an einer freundlichen kleinen Ebene
des Tajo, die eine herrliche Vegetation hat. Wir fanden
es von allen Einwohnern verlassen, trafen aber mit den
Holländern wieder zusammen, die hier bisher gehaust
hatten. Die guten Herren hatten sich ordentlich einge-
richtet, buken Brot und brannten eine Art Branntwein,
der uns bei gänzlichem Mangel an Wein (seit mehreren
Tagen) gute Dienste tat.
Am 19. gingen wir über die schmale Brücke auf das
linke Tajoufer und schlugen den Weg nach dem Engpaß
des Guadalupe sehen Gebirgs von San Vicente ein. Wir
101
Digilized by Google
durchwateten den Pedroso und kamen über Valdelaeasa
nach einem Marsch von 7 Stunden ins Lager vor Mohe-
das. Hier stießen wir wieder zum braven Lasalle, der in
der linken Flanke des 1. Armeekorps Posto gefaßt hatte.
Er empfing uns mit seiner gewöhnlichen militärischen
Herzlichkeit, und seine Leute teilten ihren ganzen Vorrat
mit den unsern. Diese hatten mehr Fleisch, als sie ver-
zehren konnten, und lobten daher die gebirgige Gegend
außerordentlich.
102
Digitized by Google
7. Kapitel
Rückmarsch über den Tietar. Szenen in dem der
Wut des Kriegers überiassenen Arenas. Abberufung
aus Spanien
Am 20. wollte der Marschall dem Feind auf dem
linken Ufer der Qaliia eine Schlacht liefern. Wir sollten
das Guadalupesche Gebirge durch den Engpaß von San
Vicente übersteigen und jenseits dem fliehenden Feind
in den Rücken fallen.
Der Plan schien kühn, aber unser würdig zu sein.
Mit Freuden ergriffen wir die Waffen — aber verwundert
sahen wir uns an, als wir, statt unsern Weg südlich zu
folgen, in dem schmalen Tal nördlich geführt wurden.
Unweit Torlamoras wurde Halt gemacht, dann gingen
wir nach Mohedas zurück und bezogen das alte Lager.
General Merle trug mir auf, die Vorpostenkette gegen
den Paß hin mit der größten Sorgfalt und Vorsicht auszu-
stellen. Kaum war ich hiermit einigermaßen zustande ge-
kommen, so wurde ich zum Divisionsgeneral Leval nach
Mohedas gerufen. „Wir sind hier nicht mehr sicher,"
sagte mir der General, indem er mich zur Seite nahm.
„Ich habe sämtliche Grenadierkompagnien aus dem Lager
herein auf den Kirchhof bestellt. Daraus formieren Sie
ein Elitebataillon, auf das ich mich im schlimmsten Fall
verlassen kann. Umstellen Sie den Ort so mit Wachen und
Piketts, als hätten wir jeden Augenblick vom Feinde einen
Oberfall zu befürchten." — Ich ging sogleich ans Werk,
103
Digitizad by Google
organisierte ein prächtiges Bataillon und rannte mich bis
tief in die Nacht hinein müde, um alle verlangten Anstalten
zu treffen. Mit Schweiß bedeckt kam ich endlich zum
General, um ihm Rapport abzustatten. „Sie haben sich
sehr angestrengt," sagte er, „hätte ich gewußt — so hätte
man's freilich sparen können. Aber setzen Sie Sich und
essen Sie; es wird noch etwas Braten da sein." — Ohne
den Sinn dieser abgebrochenen Rede ganz zu fassen, fiel
ich hungrig über die Bratenreste her. Darüber kam Lasalle
und fluchte auf gut soldatisch auf die schlechten Vorbe-
reitungen, auf die Unbestimmtheit und Zweideutigkeit der
Befehle, auf den unbefohlenen Rückzug, statt eines be-
herzten Angriffs.
Ohne den Feind auch nur zu sehen zu bekommen,
blieben wir in unserm Lager ruhig bis zum 24. General
Leval hatte vom König Joseph Befehl bekommen, über
den Tietar zu gehen und blutige Rache an den Rebellen
und Mördern zu nehmen. Sobald die Armee auf das linke
Tajoufer gegangen war, hatten die Gebirgsbewohner jen-
seits des Tietars den Gehorsam wieder verweigert Ein
Detachcment vom 25. westfälischen Dragonerregiment
wurde daher nach Arenas geschickt, um die Ordnung
wieder herzustellen. Die Einwohner empfangen sie mit
großer Höflichkeit und Unterwerfung und bitten sich aus,
in guten Quartieren Gastfreundschaft gegen sie ausüben zu
dürfen. Und richtig geben die ehrlichen, nuch nicht lange
von der Heimat entfernten Hessen in die Falle. Kaum
sind sie alle in Quartieren vereinzelt und lassen sich
fröhlich den vorgesetzten Wein munden, so stürzen die Ein-
wohner über sie her und ermorden sie jämmerlich. Ein
einziger, der einen Ordonnanzritt gemacht, eben ange-
kommen war und sein Pferd noch gesattelt gelassen hatte,
hört den Lärm, schwingt sich wieder aufs Roß, sprengt
mitten durch die Mörder, entkommt glücklich und bringt
die Nachricht von dieser entsetzlichen Oreueltat . , .
Die Unruhen hinter dem Tietar wurden jetzt um so
bedenklicher, da die 10000 Mann der Armee des Infan-
104
Digitized by Google
tado, die Belluno nach Madrid gefangen geschickt hatte,
bis auf 1500 Mann entkommen waren. Sie gingen meist
durch das Gebirge nach Plasencia und von da zur Armee
Cuestas.") Nun fingen sie an, sich mit den Insurgenten
hinter dem Tietar zu vereinigen, und diese verschanzten
sich, wie man hörte, brachen Brücken ab und besaßen
sogar schon Geschütz.
Wir marschierten also am 24. über den Tajo zurück.
In Arzobispo ließen wir Primas; die Hessen gingen nach
Talavera; mit Nassau, Baden und Holland marschierten
wir über Oropesa nach Parillos und bezogen zwischen hier
und Montesclaros nach einem Marsch von 5 Stunden ein
Lager. Einige Voltigeure wurden noch bis Hontanaras
vorgeschickt, um in der Stille die Brücke zu beobachten
und den Feind, wenn sie noch stünde, vom weiteren
Abbrechen abzuhalten.
Am 25. brachen wir wieder auf und hatten nach zwei
Stunden den Tietar erreicht. Hier stieß noch ein Dragoner-
regiment zu uns, das von Madrid kam. Es konnte uns
offenbar im Oebirge nichts nützen, aber man hatte es,
der Gutmütigkeit der Deutschen mißtrauend, zur Voll-
ziehung des Strafurteils gegen Arenas auserlesen.
Wir fanden die Brücke unbesetzt. Die feindlichen
Vorposten hatten sich bis ans Gebirge zurückgezogen,
das hier zwischen seinem Fuß und dem rechten Ufer des
Flusses ein Tal von der Breite einer Viertelstunde läßt.
Mit dem Abgebrochensein der Brücke hatte es auch nicht
viel zu bedeuten. Sie ist von Stein, gewölbt und oben
hoch mit Erde aufgeschüttet und gepflastert. Das Pflaster
und die Erde hatten die Feinde auf der rechten Seite weg-
genommen und dadurch ein großes Loch hervorgebracht.
Das eigentliche Gewölbe stand aber noch. Es wurde uns
also leicht, mit der Infanterie einzeln hinüber zu klettern
und mit den noch vorhandenen Materialien das Loch
•») Qregorio Garcia de la Cutsta, spanischer General, 1740
1*1812.
105
Digilized by Google
wieder zuzuwerfen. Unsere Leute griffen, obwohl wir
keine Instrumente hatten, doch brav zu, und in einer
Stunde konnte auch die Kavallerie hinüber. Um dem un-
erfahrenen Feind, der uns von seinen Bergen aus zusah,
zu imponieren, füllten wir die ganze Ebene mit Truppen
an, indem wir aus jedem Glied ein Bataillon formierten
und demnach 18 Bataillone aufmarschieren ließen. Am Fuße
des Berges bildeten wir uns dann schnell wieder, gingen
durch das verlassene kleine Dörfchen Ramacastanas und
fingen an, in zwei Kolonnen den Berg zu erklettern. Auf
dem oberen Absatz stand der Feind hinter einem Verhau
und Verschanzungen. Er empfing uns, ehe noch eine
Kugel uns treffen konnte, mit einem lebhaften Kleinge-
wehrfeuer und einer Salve, lief aber, als er uns mit dem
Gewehr im Arm ruhig in Kolonne mit gerichteten Zügen
vorwärts marschieren sah, eilig rückwärts den Berg
hinunter.
Die Voltigeure, die nun in wenigen Augenblicken
durch das Verhau gesetzt waren, konnten nur noch einen
Tambour töten, der über seine Trommel stürzte. Wir
hielten uns in diesen armseligen Verschanzungen nur
einen Augenblick auf, um der nachfolgenden Kavallerie
Platz in dem unbedeutenden Verhau zu machen. Alles
lachte, als wir die zurückgelassene feindliche Artillerie
nun betrachteten. Sie bestand aus zwei Geschützen. Das
eine war ganz aus Holz geschnitzt, das andere war ein
Prozessionsböller, auf umgekehrten Pflügen befestigt, die
ihm zur Lafette dienten. Sie hatten diese gewaltige Waffe
mit Knöpfen, Nägeln usw. ganz voll geladen ; daher pfiff
uns auch der Schuß so sonderbar über den Kopf weg.
Natürlich war auch die ganze Maschine durch den Rück-
stoß des einzigen Schusses über den Haufen gestürzt.
Ein schrecklicher Anblick bot sich uns dar, als wir
nun mit Geschwindschritten auf das hübsche Städtchen
Arenas losgingen, das am Flüßchen gleichen Namens liegt
Die sogenannten Verteidiger sah man regellos zwischen
wehrlosen Greisen, Weibern und Kindern entfliehen. Ihr
106
Digilized by Google
Jammergeschrei hallte im Echo der Berge furchtbar wieder.
Widerstand gab es nicht. Nur auf viele tausend Schritt
sah man die Elenden, die die andern durch ihre Prahle-
reien zum Aufruhr verleitet hatten, ihre Gewehre abfeuern
und davonlaufen. Einige Traversen und Palisaden, die
wir noch auf dem Wege fanden, hielten uns gar nicht
auf. Das Korps war bald in der Stadt, wo die wenigen
Unglücklichen, die vor Krankheit nicht hatten entfliehen
können, alle jämmerlich ermordet wurden. Das Städtchen
war der Wut des Kriegers auf jede Art preisgegeben.
Zum Glück brauchte mein Auge an diesem Jammer
keinen langen Anteil zu nehmen. Die Regimenter ließen
nur ihre Grenadiere zum Schutze der Generale zurück
und eilten den Flüchtlingen auf drei verschiedenen Seiten
nach. Das Dragonerregiment lagerte sich auf der Wiese
beim Ort. Uns traf die Reihe, den Feind in der Haupt-
richtung gegen Arenas zu verfolgen. Ich führte mein Ba-
taillon schnell aus der Stadt und erkletterte den sehr steilen
Traubenberg, während die Voltigeiire von Fels zu Fels,
von Kluft zu Kluft mit den Menschen eine Art Hasen-
jagd trieben. Überall fanden wir geflüchtete Effekten, die
die Leute im Laufen verloren hatten. Diese zeigten uns
den Weg zum spanischen Lager, das auf der steilsten Höhe
verborgen angebracht und umsonst als ein sicherer Zu-
fluchtsort betrachtet worden war. Es bestand aus großen
wohlgebauten Erdhütten, in denen unsere Leute viel Beute
machten.
Sobald es anging, berief ich die vorgeschickten Abtei-
lungen von der schrecklichen Jagd ab. Der Divisionsgene-
ral lieö sagen, man solle einige Gefangene lebendig ein-
schicken, um Nachrichten von ihnen zu erhalten. Meine
Leute hatten eine Mutter mit zwei Töchtern eingefangen.
Die Frau war französischen Ursprungs und schien mir
schon darum gesichert. Ich schickte sie also hinunter und
ließ sie dem ältesten Grenadicrkapitän, einem sehr wohl-
denkenden Mann, empfehlen. Dennoch hatte dieser alle
Mühe, die unglücklichen Weiber, die durch ihren Anstand
107
Digitized by Google
schon Achtung und Mitleid einflößten, zu sichern. Nur mit
Gefahr seines Lebens barg er sie beim Divisionsgeneral.
Schlimm genug war es, daß wir, um Lebensmittel
zu erhalten, unsere Leute nach und nach in die Stadt
hinuntergehen lassen mußten. An den Sachen, die sie
he rauf schleppten, sah man, welcher Wohlstand in dem
Orte geherrscht haben mußte. Ich brachte die Nacht in-
mitten kahler Felsen auf den wollüstigsten neuen Matratzen
zu. Die Menge des trefflichsten Weines, der in dem Ort
war, ist kaum glaublich. Wir hatten ein ganzes Armee-
korps ein Vierteljahr lang damit versehen können. Er
floß nicht allein in den Keilern, sondern auf den Straßen.
Dadurch wurde denn auch die Unordnung immer größer,
denn bald war die ganze Division bis auf die Offiziere
betrunken.
Um 8 Uhr abends ließen sich die Dragoner nicht
mehr halten. Gleich den Furien Feuerbrände schwingend,
stürzten sie in die Stadt. In wenigen Augenblicken war
kein Haus, das nicht in hellen Flammen stand. Die
Obersten und Generale, die sich in den Häusern eingenistet
haften, fanden selbst kaum Zeit, sich mit ihren Pferden
und Effekten in dem Schlößchen zu bergen, das bei der
Stadt liegt und der Königin gehört hatte. Mehrere Sol-
daten, die viehisch besoffen in den Häusern eingeschlafen
waren, verbrannten darin. Die Dragoner zogen ein zittern-
des Weib aus einem Keller, schändeten sie auf der Straße
bis zur Ohnmacht und warfen den zuckenden halbent-
seelten Körper in die Flammen ihres eigenen Hauses.
Diese und andere Greuel habe ich aus dem Munde
meines Obersten und des Grenadicrkapitiiiis, zweier edler
Männer, die Augenzeugen waren und taten, was sie konnten,
um das Elend zu mindern, ich selbst sah von dem, was unter
dem Schleier der fürchterlichen Nacht verübt wurde, nur
das Schöne. Ermüdet kam ich in der Nacht von den Vor-
posten zurück, nachdem ich gegen jeden möglichen An-
griff Sich erheits maß regeln getroffen hatte. Unordentlich
durcheinander, mit verstörten Zügen und gesträubten
108
Digitized by Google
Haaren, lagen meine Leute hier und da auf dem Felsen
in lethargischem Schlaf. Einzelne taumelten noch herum,
den Weinschlauch unterm Arm, oder streckten sich am
Feuer und schlürften aus dem göttlichen Bocksfelle. Un-
mutig über mich selbst und über das erbärmliche Men-
schenvolk stellte ich mich allein auf des Felsens höchsten
Gipfel und starrte hinaus in die weile Nacht. Frühlings-
lüfte wehten sanft und freundlich. Der herrliche südliche
Himmel mit seinem Slernenmeer war über mir ausgebrei-
tet. Unter mir rauschte das Arenasfliilidicn. Die drei Berge
waren durch die drei Lager mit feurigen Klumpen be-
deckt. Um dieselben zog sich ein weiter zusammenhängen-
der Zirkel von Vorpostenfeuern. Im Städtchen glänzte
vorn das Schloß von vielen Lichtern erhellt und seitwärts
das Biwak der Dragoner. Da entwickelte sich vor meinen
Augen die fürchterlich schöne Szene des Anzündens der
Sfadt In kurzem waren die Umrisse jeden Hauses im
Feuer gezeichnet. Gewiß, es würde ein Schauspiel für die
Feste der Götter Julians gewesen sein, in die flammen-
bedeckte Hölle Konstantins zu sehen, wenn nur Teufel
darin brieten und nicht auch arme schwache Menschen,
die ihr eigener Oott verführte.
„Feuerbrände!" donnerte ich unter meine taumeln-
den Bacchanten. „Feuerbrände herbei! Ich will euch ein
Fest geben, wie es Nero vergebens an den sieben Hügeln
versuchte! Feuerbrände! In zehn Minuten muß das ganze
spanische Lager vor der Front in Flammen stehen!" Bald
loderte auch hier das Feuer, vom Harz der Tannen genährt,
wetteifernd zum Himmel, und zu gleicher Stunde sanken
vor mir die künstliche Stadt und hinter mir die echte in
Asche. Ich blickte weit um mich her. Keine Spur des
Feindes. Auf einer einzigen hohen Kuppel gegen Arenas
hin brannten feindliche Feuer in der Entfernung von drei
Viertelstunden Wegs . . .
Von den Beherztesten, die noch auf den Beinen waren
— denn die wirklich Mutvollen hclrinken sich nicht so
leicht — schickte ich eine kleine Schar Freiwilliger den
109
Digitized by Google
für unersteiglich gehaltenen Felsen hinauf, wohin sie die
Hoffnung auf neue Beute zog. Ich befahl, den Feind zu ver-
jagen, aber keine Gefangenen zu machen. Das geschah.
Man hörte nur wenige Schüsse. Vor Tag kamen meine
Leute zurück. Sie hatten die Spanier überfallen und in
wilder Flucht den Berg hinuntergcjagt. Einen hatten sie
getötet, und mehrere Waffen waren zum Lohn dieses
Wagestück? in ihre Hände gefallen.
Am 26. versammelte sich das ganze Korps auf der
Wiese vor der Brandstätte. An die Bäume, die an den
Zugängen lagen, wurden folgende Zettel angeschlagen :
„La villa de Arenas es castigada por aver matado algunos
Caballeros franccsesl" (Die Stadt Arenas ist bestraft für
die Ermordung einiger französischer Reiter.) 8 Spanier
wurden vorgeführt, die unsere Leute noch an den Bäumen
aufhängen sollten. Sie waren nach dem Befehl des Divi-
sionsgenerals, Gefangene zu machen, von verschiedenen
Seiten eingebracht worden. Man hatte sie die ganze Nacht
hindurch, einen nach den andern, verhört, ohne zum Ziele
zu kommen. Sie wüßten, sagte man ihnen, daß sie alle
mit ihren Mitbürgern das Leben verwirkt hätten — der-
jenige aber, der die wahren Urheber des Aufstandes an-
geben wollte, solle auf der Stelle Freiheit und Leben ge-
schenkt bekommen. Sie hätten ruhig uns Namen von
Leuten nennen können, die wir ja doch nicht in unserer
Gewali hatten. Aber auch dazu waren die Starrsinnigen
nicht zu bringen. Keine Bitten, keine Drohungen, keine
Mißhandlung brachte sie aus ihrem schrecklichen Schwei-
gen. So sahen wir sie noch morgens, als man sie uns
mit dem Strick um den Hals übergab. Ohne einen Laut
von sich zu geben, ohne mit den Wimpern zu zucken,
starrten sie stumm zu den Baumstämmen hinüber, an
denen sie hängen sollten. Ihr Glück wollte, daß der Divt-
sionsgeneral eben Befehl bekommen hatte, den weiteren
Streifzug ins Gredosgebirge aufzugeben und auf dem
nächsten Wege nach Talavera zurückzukehren. Talavera
ist aber von der Brandstätte von Arenas acht gute Stunden
110
Digitized by Google
entfernt Da war also, um nicht von der Nacht überrascht
zu werden, keine Zeit zu verlieren, zumal unsere Leute
bleich und matt, gleich den Schatten derer, die sie er-
mordet hatten, zwischen den Schutthaufen herumschwank-
ten. Die Dragoner machten sich vor allen Dingen vorn-
weg aus dem Staube und brannten bis zur Tietarbrücke
noch alle Häuser und das ganze Dörfchen Ramacastafias
ab. Wir machten Miene, die 8 Spanier aufzuknüpfen, als
der Generalstab vorbeiritt. Da ließen wir sie in Gottes
Namen laufen und traten unsern Marsch an . . .
Mit dieser eben nicht sehr ehrenvollen Expedition
endete mein Feldzug in Spanien. Mit froher Erwartung
sah ich den echteren Taten entgegen, die uns jenseits
des Tajo erwarteten, sobald die Mittel zur Schlagung einer
Brücke herbeigeschafft sein würden. Heiter teilte ich die
Ruhe in Talavera mit meinen Kameraden und half ihnen
sich zu schönerer Tätigkeit vorzubereiten. Ich war wie
vom Donner gerührt, als der Major von Frank plötzlich
unter uns trat und sich meldete, daß er mich abzulösen
bestimmt sei. Er brachte mir ein schmeichelhaftes Schrei-
ben des Erbgroß he rzogs von Baden mit, das mir meine
Ernennung zum Flügeladjutanten des regierenden Herrn
und den Wunsch kund tat, mich schleunigst in Karlsruhe
zu sehen, da ein Krieg mit Österreich vor der Tür sei.
Zu zaudern war hier nicht. Wehe dem, dem das Schick-
sal einen bestimmten Weg vorzeichnet und der ihn ein-
zuschlagen Bedenken trägt, weil sein Gefühl ihn irgendwo
festhält!
Ich gab alle meine Pferde weg, kaufte zu meinem
treuen Maultier noch drei andere, machte daraus so gut
ich konnte einen Postzug und bespannte so die alte Reise-
kalesche, die mein Nachfolger aus Karlsruhe mitgebracht
hatte. Am 4. schied ich von den Offizieren des 1. Bataillons
beim Mahle, dem trotz aller meiner Versuche die Fröhlich-
keit entwich. Wer hätte auch bei so unzweideutigen
Freundschaftsbeweisen unerschüttert hleiben sollen! Die
Verse, die sie nach der bekannten schönen Weise sangen,
111
Digitized by Google
enthielten ein weit übertriebenes Lob, aber sie sagten mir,
was ich sein sollte, durch den Mund von Menschen, die
es damals gewiß redlich meinten:
Ein Held, wo die Feinde sich türmen,
Ein Freund, wo ein Freund sich ihm naht,
Ein Vater dem leidenden Krieger,
Der treuste der Bürger dem Staat.
112
Digitized by Google
2.
Memoiren über den Krieg
der Franzosen in Spanien
von
Albert Jean Michel Rocca
8 B-MTi Spin. FitibdttUmpI.
Digitized Google
Vorwort
Albert Jean Miche! Rocca, oder wie man ihn in seiner
Vaferstadt nannte, John Roeca, war 1787 oder 1788 als
Sohn des späteren Genfer Staatsrats Noble Jean Francis
Rocca und Jeanne Pernette Picot in der Stadt Rousseans
geboren. Obwohl die Familie Rocca aus dem Piemontesi-
schen stammte, genoß sie doch seit ihrer Niederlassung
im 16. Jahrhundert das größte Ansehen bei den Genfer
Bürgern, wozu woh! auch der Umstand beitragen mochte,
daß einer der Ahnen Roccas sich seine Frau aus einer
der ältesten Familien der Stadt gewählt hatte.
John Rocca genoß eine sehr sorgfältige Erziehung,
fühlte sich jedoch, als er 17jährig die berühmte Knaben-
erzi eh ungs anstatt des Professors Vaucher verließ, unwider-
stehlich zum W äffen h and werk hingezogen. Wie hätte es ■
auch anders sein können in einer Zeit, wo man Ruhm
und Ehren so leicht im Kriege erwerben konnte! Frank-
reich und Napoleon waren natürlich sein Ziel. Die damals
vom Kaiser neuerrichtete Ecole Polytcchnique in Paris
öffnete dem jungen Manne ihre Tore, und kaum 20jäh-
rig nahm er als Leutnant an dem unglücklichen Kriege der
Franzosen in Spanien teil, wo Napoleon seine größten
Fehler als Feldherr und Politiker beging und dessen Nie-
derlagen zu der Erschütterung seines Thrones beitrugen.
Wie jeder Offizier, der nur ein wenig über die Ur-
sachen und Wirkungen dieses Kriegs nachdachte, miß-
billigte auch der junge Rocca die Maßnahmen Napoleons
gegen Spanien, und als er, fast ein Krüppel, Ende 1810
B- 115
Digitized by Google
nach Frankreich zurückkehrte, war er froh, wenn auch
um teuren Preis, einen Ka:ii->fp;at; verlassen zu können,
auf- dem sich kern ehrlicher Soldat mit Rfgnsierun,; um)
Aufopferung schlug.
Mit einem verschlag e.'en Schenkel, einer Wunde au
der Schulter und einer am Arm kehrte Rncca 1811 zu
seinen Eltern nach Genf zurück. Hier hatte er durch den
Hui seiner Sch'inhe.r - ■ Friederike lirim. die Freundin
v: ilei' -l K.pf. den ..ii
]e gesehen und gewisse jugendliche Abenteuer die
Aufmerks.inikfit der geistreichsten Frau der dainaligi-n
Zeit, der Verfasserin des Romans Corinna, auf sich ge-
/oeen. Frau von Stael faßte tmti des grölten Altersunter-
schiedes — er war 22 Jahre junger als sie eure große
und starke Leidinschdft /u dr:n schonen verwundeten Hu-
saren Offizier, mit dem sie sich betmlidi hauen lu ll. K»cc;i
selbst verehrte in Frau von Stac'l nicht allein die große
Schriftstellerin, sondern vor allem die Frau und die zärt-
liche Mutter seines Sohnes. Er folgte ihr überall auf
ihren Reisen nach Wien, Moskau, Petersburg, Stockholm
und endlich nach England.
Während des Winteraufenthaltes 1812/13 in Schwe-
den, der für beide wenig abwechslungsreich war, ent-
standen die „Memoiren des Krieges der Franzosen in
Spanien", v.u deren Niederschrift Rocca von Frau von
Stael veranlaßt wurde. Wie groß der Anteil der geist-
reichen Frau selbst an diesem Werke gewesen sein
mag, aus dem hier einige Auszüge gegeben werden,
ist nicht genau zu bestimmen. Sicher aber war er nicht
gering, was sehr nahe liegt. Es erschien zum erstenmal
1814 in England und noch im selben Jahre, nach Napoleons
Verbannung nach Elba, in Paris; denn wie bekannt war
Frau von Stai.;l die größte Feindin des Franzosenkaisers,
und ein Buch, das wenn auch nicht von ihr selbst, so
doch von einem ihrer nächsten Angehörigen verfaßt war,
hätte ohne Zweifel Ungnade vor den Augen Napoleons
gefunden. Übrigens wird dieser in dem Werke Roccas
116
Digitizsd by Google
weder verleumdet noch ungerechtfertigter weise getadelt;
die Betrachtungen des Verfassers über den spanischen
Feldzug sind in jeder Beziehung gerechtfertigt. In seiner
knappen militärischen Erzählungs weise liegt ein gewisser
Reiz; er sieht die Dinge, wie sie in Wahrheit lagen, und
nicht durch den Schleier einer falsch angebrachten patrio-
tischen Begeisterung, wie man das so oft in Kriegserinne-
rungen findet.
Jean Rocca war kein langes Leben beschieden. Von
der Mutter erblich mit einem Brust übel heiastet, siechte er
kurz nach seiner Verbindung mit Frau von Stael während
eines langen Krankenlagers dahin. Dazu litt er noch immer
an den bei Ronda in Andalusien erhaltenen Wunden, und
so überlebte er seine großi Lciivuss.'.i-'Kitirtin nur um einige
Monate. Der Tod ereilte ihn im Januar 1818 in Hyeres
an der Riviera, wo er Heilung seines Leidens gesucht
hatte.
F. M. K.
117
Digilized by Google
1. Kapitel
Schlacht bei Burgos. Einnahme Madrids.
Valladolid. Schlacht von Medellm
Das 2. Husarenrcgimcnt, früher Regiment „Cham-
boran" genannt, in dem ich zu dienen die Ehre hatte,
erhielt im Jahre nach dem Feld/ug, dci mit der Schlacht
bei Friedland und dem Frieden von Tilsit endete, den Be-
fehl, Preußen zu verlassen und nach Spanien zu gehen.
Wir kamen aus dem sandigen Norden Deutschlands,
wo wir meist mit unterdrückten Völkern und mit Regie-
rungen zu tun gehabt hatten, deren Formen vollkommen
militärisch waren. In Deutschland hatten wir nur Re-
gierungen und Heere zu besiegen, auf der spanischen
Halbinsel, wo wir jetzt Krieg führen sollten, gab es
weder Regierungen noch geregelte Truppen mehr. Der
Kaiser Napoleon war in Portugal und Spanien einge-
drungen, hatte die Monarchen beider Länder in die Flucht
gejagt oder gefangen genommen und ihre militärischen
Kräfte verstreut. Wir waren nicht etwa gerufen worden,
um gegen Linientruppen zu kämpfen, die fast überall die
gleichen sind, sondern gegen ein Volk, das seine Sitten,
seine Anschauungen und selbst die Natur des Landes von
allen andern Nationen des Kontinents trennt. Die Spanier
mußten uns um so mehr einen hartnäckigen Widerstand
entgegensetzen, als sie glaubten, die französische Regie-
rung wollte aus der spanischen Halbinsel einen einzigen,
118
Digitized by Google
der französischen Herrschaft unwiderruflich unterworfe-
nen Staat machen.
Als wir jedoch Ende August des Jahres 1808 unsere
preußischen Kantonierungen verließen, um uns nach Spa-
nien zu begeben, hatten wir sehr wenig über die unvorher-
gesehenen Hindernisse nachgedacht, auf die wir in einem
für uns so neuen Lande stoßen könnten. Wir glaubten
einer leichten, nicht lange währenden Expedition entgegen-
zugehen : als Sieger von Deutschland dachten wir, daß uns
von nun an überhaupt nichts mehr widerstehen könne.
Nachdem wir die Elbe und die Weser überschritten
hatten, erreichten wir das linke Rheinufer und Frankreich.
Seit zwei Monaten sprach man von einem nahen Kriege
mit Österreich, und als wir Preußen verließen, waren wir
alle fest überzeugt, daß man uns an die Donau führte.
Mit tiefer Traurigkeit und fast mit Tränen in den Augen
verließen unsere Husaren Deutschland, das herrliche Land,
das sie erobert hatten, das Land des Kriegs, aus dem sie
so viele ruhmvolle Erinnerungen mitbrachten und in dem
es ihnen sogar bisweilen gelungen war, sich individuell
beliebt zu machen.
Wir durchquerten Frankreich wie ein neu erobertes
und unsem Waffen unterworfenes Land. Der Kaiser Napo-
leon hatte befohlen, daß seine Soldaten überall gut empfan-
gen und gefeiert würden. Deputationen kamen uns an
den Toren ihrer guten Städte entgegen, um uns zu beglück-
wünschen ; Offiziere und Soldaten wurden sofort nach
ihrer Ankunft zu prächtigen, im voraus bereiteten Ban-
ketten geführt, und bei unserer Abreise dankten uns noch
die Oberhäupter der Städte, daß wir so freundlich gewesen
waren und in einem Tage das Einkommen von mehreren
Wochen der städtischen Steuern aufgezehrt hatten.
Unsere Truppen bestanden (außer Franzosen) aus
Deutschen, Italienern, Polen, Schweizern, Holländern, ja
selbst Irländem und Mamelucken. Alle diese Ausländer
waren mit ihren nationalen Uniformen bekleidet, behielten
ihre Sitten bei und sprachen ihre Sprache. Doch trotz
Digitized by Google
ilirsir Verschiedenheit der Sitten und Ot-br.iurrn- gelang
es der Disziplin auf leichte Weise, alle unter der Hand
eines einigen tu vereinigen. Jene .Männer trugen alle
dieselbe Kokarde, hatten einen einzigen Kriege uf, ein
einzige«; I cldgeschrei.
Lmige Meilrn jrnseüs von li.ivynne erreichten »ir
die Bidassoa, einen kleinen Flui), der die Grenze zu.schen
Frankreich und den l'yrenaen rnklet. Sobald man den
Fiili auf spanischen Hoden gesetzt hat, merkt man im
Lande und in den Sitten der Menschen einen großen Wech-
sel. Die engen, schmutzigen Straßen der Städte, die ver-
gitterten Fenster, die immer fest verschlossenen Türen
der Häuser, das strenge und zurückgehaltene Äußere der
Liinwuhner aller Stände, das Militrancn, (las sie uns all-
gemein entgegenbrachten, vermehrten die Niedergeschla-
genheit, die sich unser beim Einzug in Spanien unwill-
kürlich bemächtigte.
Wir sahen den Kaiser Napoleon, ehe er in Vittoria
ankam. Er war zu Pferde. Seine einfache grüne Uniform
bildete einen scharfen Kontrast zu den reichgekleideten
Generalen, die ihn umgaben. Er grüßte jeden Offizier be-
sonders mit der Hand, als wollte er sagen: Ich zähle auf
Sie! — Franzosen und Spanier kamen herbeigeströmt, um
ihn zu sehen; jene erblickten in ihm allein das Heil der
ganzen Armee, die Spanier suchten in seinen Blicken und
seiner Haltung das Schicksal ihres unglücklichen Vater-
landes zu lesen.
In den letzten Tagen des Oktober vereinigte sich
allmählich die Armee von Deutschland mit der franzö-
sischen Armee, die der König Joseph in Spanien be-
fehligte. Erst jetzt erfuhren wir mit nicht geringem Er-
staunen durch unsere Waffe ngefihrlen einen Teil der
Kriegsereignisse auf der Halbinsel und die Einzelheilen
der unglücklichen Affären, die die Generale Dupont') und
') Oeneral Oraf Pierre Dupont de l'Etang, 1765-1838,
brach kurz nach der Unterzeichnung des Friedens von Tilsit (7. u.
120
Digitizad by Google
Junot •) zwangen, in Andalusien und Portugal zu kapitu-
lieren, ferner den Marschall Moncey11) veranlaßten, sich
vor Valencia zurückzuziehen, und infolge deren sich
endlich die ganze Armee auf dem linken Ufer des Ebro
ständisch, und er beschloß, sich mit einer Division von 8000 Mann
nach Cadii ™ begeben. Zuerst schlug er 30000 Insurgenten bei
Cordoba, dessen er sich bemächtigte. Auch hatte er noch ver-
miedene andere Siege im v-er/cicllnun, wurde aber bald von dem
Marsch der Armee Castaüos' unterrichtet, die aus 40000 Mann
Linie ntror;peu bestand. Da ei ihm Lfiiniüjjiidi war, einer so grollen
Anzahl Widerstand zu leisten, zog er sich auf Andigna zurück, um
sich mit der Division Vedel zu vereinigen. Aber der in spanischen
Diensten stehende Schweizer General Reding hatte, indem er sich
mit seinen 17000 Mann nach Baden wandte, den Franzosen den
Rückzug abgeschnitten. Dupont zojjerti; vidlek-h: zu lange mit dem
Antritt, doch entfaltete er während all dieser Kämpfe viel persön-
lichen Mul; schließlich unter/cii-ticieti: ii den verhängnisvollen Ver-
trag von Baden, 28. Juli 1808, wofür er von Napoleon mit einer
fünfjährigen Festungshaft bestraft wurde.
'} General Andoche Junot, 1771—1813, wurde am 1. Februar
1503 wegen seiner schnellen Einnahme Lissabons von Napoleon
mit dem Titel „Herzog von Abränlcs" zum Gouverneur von Portugal
ernannt. Er mißbrauchte diese Stellung durch die niedrigste Er-
pressung und Plünderung und war allgemein verhaßt. Da er nur
über wenige Truppen verfügte, um das Land im Zaume zu halten
und sich zu verteidigen, mußte er, als ihn Wellington an der Spitze
einer überlegenen Armee angriff, bei Virneir'i ai ruck weichen und
am 30. August 1808 die Kapitulation von Cinira unterzeichnen.
3) Vergleiche die 2. Anmerkung zum 1. Fcldz.iigsbcrichte.
') Joseph lu' fand sich mil :;t:iiieiic Ckncralsiab und seinen
Garden in Vitoria. Marschall Moncey beobachtete in Tafalla die
spanische Armee des Generals Palafox, die bei Sanguesa an der
Grenze von Navarra und Aragonien stand. Ney hielt Logrono und
Quardia besetzt, vor ihnen, in der Gegend von Tudela am Ebro,
befanden sich die spanischen Armeen unler Castaäos und Palafox,
nie zusammen 40000 Mann stark sein mußten. Besseres war in
Miranda; er hatte in dem Fort Pancorvo eine Garnison zurück-
gelassen. Seine Stellung war durch die zahlreiche Kavallerie Lasalles
121
Digitized by Google
Am Q. November kam das kaiserliche Hauptquartier
in Bribiesca an. Unter den Befehlen des Kaisers kanto-
nierte die ganze Armee in der Umgegend der Stadt. Die
Einwohner des Landes waren bei unserer Ankunft in
die Berge geflüchtet.
Arn Ii), mit T.'ijiesiinbruäi ri'koy]ioszii_'rte der Mar-
schall Soults) mit einer Division Infanterie die Stellung
des Feindes in der Richtung nach Burgos. Beim Dorfe
Gamonal angekommen, wurde er durch eine Salve von
30 Kanonen empfangen. Das war für die Franzosen das
Signal zum Angriff. Soult erwartete gar nicht erst den
Resl ik'r ihm folgen ck-n Armee, sondern eröffnete sofort
gedeckt. Lefebvrc liii.Lt Dina;::;.i heieizt. Die von ihm und Besseres
befehligtet! Korps standen der Armee des Zentrums und der Linken
der Spanier gegenüber, die von Iii K oli-rc und Blake kommandiert
wurden. Das bei Burgos stehende spanische Zentrum war gegen
12—14000 Mann stark. Es solIU- ,i-.:r'li ÜiiliO'l Engländer verstärkt
werden, die in Portugal und Coruüa unter Moore und Baird vor-
ruckten. Dieses Heer war zur Unterstützung des in Biscaya stehenden
linken Flügels des Generals Blake und dazu bestimmt, die Verbin-
dungen mit den spanischen Armeen in Aragonien und Navarra auf-
Das Heer des Generals Blake, obwohl 37000 Mann stark,
besaß sehr wenig Kavallerie, und es wagte sich daher nicht in die
Ebenen bei Mir.md.i un:l Vitoria. Ks halte seine Stellungen zwischen
Oiki i"ri;u luld tnu; auljji^eJiiTi. um s:di Hill>:ii)S /u bemächtigen,
und war in den Cieiiirijeti /ivistlieii Biscaya und der Provinz Alava
bis Zornozo und Archandiano vorgerückt, um das Land aufzuwiegeln
und den rechten Kü^d tk-s Königs Joseph anzugreifen. Die spa-
nischen Armeen von Navarra und Aragonien sollten dieselben Be-
« i:i;iin^i :L yt^vn d;i; /rri-rum und die Unke der Franzosen raachen,
um sie zu zwingen, sich auf der Straße von Tolosa zurückzuziehen.
Das waren die Absichten der Spanier und die Lage der Dinge, als
Napoleon das Kommando der Armeen in Spanien übernahm. Am
31. Oktober 1808 hatte Lefebvre bei Durango die Armee Blakes
angegriffen, ihn zurückgeworfen und war am nächsten Tage in
Bilbao eingezogen. Victor begab sich mit seinem Korps am
6. November von Vitoria nach Orduna; er sollte mit Leföbvre die
Armte dfs rcclitu: Kliii.nl, formieren.
(Anmerkung des Verfassers.)
') Siehe die 13. Anmerkung zum 1. Feld Zugsberichte.
122
Digitized by Google
das Feuer und vernichtete die wallonischen und spanischen
Garden, welche die Hauptmacht der feindlichen Armee
bildeten. Marschall Bessieres5), der inzwischen mit der
Kavallerie angekommen war, überholte den Feind, schlug
ihn noch vollends und zog kunterbunt mit den Flücht-
lingen in Burgos ein.
Die Stadt war vollkommen von ihren Bewohnern ver-
lassen. Sie war nur noch eine ungeheure Einöde und
völlig der Plünderung preisgegeben, als unsere Truppen
nach der Schlacht dort eintrafen. In dem Viertel, durch
das wir einzogen, hörte man allenthalben das Geschwirr
der Stimmen der Soldaten, die aus allen Richtungen kamen,
um Lebensmittel und Geräte aus den verlassenen Häusern
zu schaffen. Dabei trugen sie ungeheure brennende Wachs-
kerzen in den Händen, die sie in den benachbarten Klöstern
gefunden hatten. Etwas weiter, in einem weniger von
unsern Truppen heimgesuchten Teile der Stadt, hörte man
das unterdrückte Jammern der Kranken und Oreise, die,
da sie nicht die Kraft hatten, zu entfliehen, sich in eine
Kirche geflüchtet hatten, wo sie in großer Anzahl einge-
pfercht waren.
Am II. setzte sich unsere leichte Kavalleriebrigade
bei Sonnenaufgang in Marsch, um die Gegend am Ar-
lanzon auszukundschaften. Unweit der Ufer des Flusses
entdeckten wir einige Trupps von Bauern und Städtern,
die sich hinter den Anhöhen, oder besser zwischen der
steilen Böschung des gegenüberliegenden Ufers, verbar-
gen. Meist sahen wir nur ihre Köpfe, die von Zeit zu
Zeit aus dem Gestrüpp hervorguckten, um zu sehen, ob
wir vorüber wären.
Am Tage nach der Schlacht von Burgos wurden zahl-
reiche Abteilungen nach allen Richtungen hin zur Ver-
s) Jean Baptiste Bessieres, französischer Marschall und
Generaloberst der Kavallerie der Kaisergarde, 1768—1813, wurde
im März 1803 zum Herzog von Istrien ernannt und erhielt das
Kommando des zweiten Armetkorrw in S|);isiifT], wo er bedeutende
Siege erfocht.
123
Digitized by Google
ioljiui'i; des Feindes .ihjirii'tiickt, ii.r die Vernichtung einer
Armee vollständig zu machen. d>e ein lekhter Sieg wohl
/eistreut halte, die ahei noch n.dit total aufgerieben sein
konnte. 10000 Mann Kavallerie und 21) Geschütze der
leichten Anil'erie sel/trn weh in Hcwi^un^, um sich über
l'iasencia, Leun und Zamora auf die Nachhut der engli-
schen Aimce zu stutzen, die man in Valladojd glaubte.
Sfiult begab sich uher V;i;ar;.i><> und fienios.i i;n Rucken
der Armee auf die Unke der Spanier, Eine Division In-
fanteiie besetzte auf einem direkteren Weg die Schluchten
des Gebirges be; St. Ander. Aoer trotz de.- Geschwindig-
keit ihres .Marsches trafen diese Iruppen den I euid tiicht
mehr an. Das Heer des Generals Blake1), das seit der
Affäre am Durango auf dem Rückzug begriffen war, hatte
vergebens versucht, sich in Guenes und Valmaseda zu
sammeln. Vom Marschall Victor gegen Espinosa, vom
Marschall Lefebvrc gegen Villarcayo hin verfolgt, war es
endlich am 10. November bei Espinosa nach einem zwei-
tägigen Kampfe vollkommen vernichtet worden.8)
Am 15. November vereinigte siel) unsere Naupthri-
g;ide bei Lerroa mit dern Armeekorps des Marschalls Ney1'),
dem sie seit dieser Zeit provisorisch beigesellen war. Am
16. begab sich Neys Korps von Lerma nach Aranda. Immer
verließen die Einwohner bei unserm Herannahen ihre Be-
hausungen und nahmen die kostbarsten Sachen mit sich
in die Berge. Verwüstung und Verzweiflung, die gewöhn-
lich siegreiche Armeen zurücklassen, schienen uns überall
vorangegangen zu sein.
Das Armeekorps des Marschalls Ney brach am 20.
') Siehe die 3. Anmerkung zum 1. Feldzugsberichte.
») Bei Espinosa de los Monteros in der Provinz Burgos siegten
am 10. und II. November IS0S Iniü'Ki Fran/uien unter Marschall
Victor über 45000 Spanier unter La Rotnana und Blake.
«) Marschall Michel Ney, 1769-1815, Herzog von Elchingen
und Fürst von der Moskiva, In Miliare (Ins ü. Armeekorps n:ul
nahm an den Operatiuticn dfs fr;iri/iisiichen Heeres zur Eroberung
Madrids teil.
124
Digitized by Google
morgens von Arauda wieder auf, und wir marschierten
/äpi Tage am Due'o flufiaufw.irts, ohne Nachrichten vom
r'ernd zu erhalten und ohne einem lehendcn Wesen /.u be-
gegnen. Plot/Uch bemerkten wir am 21. kurz vor Sunnen-
aulgang einige Unsicherheit in den Bewegungen unserer
Aufklarer, Sogleich forniit'rten wir die Schwadionen. und
kurze Zeit darauf wurde unsere Vorhut in ein Gefecht
mit einem fi-indliilien Korps verwiikt-H, das 11c ohne Muhe
zurück warf, Wir machten ein paar Gefangene und drangen
in Almazan ein.
Neys Armeekorps verbrachte die Nacht im Biwak vor
den Mauern dieser Stadt, die von ihren Einwohnern ver-
lassen war. Es war bereits zu spät, eine regelmäßige
Lebensmittelverteilung vorzunehmen, und man konnte
leidet nicht eine halbstündige Plünderung verhindern. Noch
.im selben Abend sandten wir Abteilungen von je 25 Hu-
saren zur Rekognoszierung nach verschiedenen Richtungen
aus. Das Detachcment, das auf der Straße von Siguenza
rekognoszierte, kam während der Nacht zurück und brachte
Gepäck und einige Gefangene. Am folgenden Tage, dem
22. November, brach das Korps Neys nach Soria auf, wäh-
rend unser Husaren reg iment allein in Almazan gelassen
wurde, um die Verbindungen mit Burgos über Aranda auf-
rechtzuerhalten und das feindliche Korps, das mau in der
Gegend von Siguenza, Medüiaceli und Agreda vermutete,
zu beobachten.
Aber am 24. abends erhielten wir den Befehl, Almazan
zu verlassen. Wir marschierten eine Nacht und einen Tag,
ohne Rast zu machen, und stießen auf Neys Korps gerade
in dem Augenblick, wo er in Agreda auf der Straße von
Soria ankam. Die Infanterie wurde in der Stadt einquar-
tiert, die leichte Kavallerie an einen etwas entfernt lie-
genden Ort auf der Straße von Cascante geschickt, um die
Position (Ilt Armee zu decken. Wir glaubten uns sehr
nahe im Rücken des spanischen linken Flügels.
Agreda war öde und verlassen. Vergebens ließ der
General Stabschef unserer Brigade einen Führer suchen,
125
Digitized by Geogle
und wir waren genötigt, uns auf der Suche nach der uns
bezeichneten Kantonicrinig einzig und allein nach der Karte
zu richten. So verbrachten wir den größten Teil der
Nacht in Märschen und Gegenmärschen. In diesem ver-
lassenen Lande, dessen ganze Bevölkerung gegen uns war,
trafen wir nur selten menschliche Wesen, die, selbst wenn
sie uns auch zu täuschen suchten, uns einige vage Infor-
mationen Über die Feinde geben konnten.
Wir erfuhren, aber leider zu spät, daß die Armee der
Generale Castanos und Palafox am 23. bei Tudela voll-
kommen geschlagen worden war.1") Wären wir nur einen
Tag früher in Agreda angekommen, so hätten wir dort
die zerstreuten Kolonnen der Spanier, die sich auf Madrid
zurückgezogen, getroffen und gefangen genommen. Nicht
ein Franzose zweifelte damals, dali so rasche Siege das
Schicksal der Spanier entscheiden würden. Wir glaubten
— und ganz Europa mit uns — daß wir nun weiter nichts
zu tun brauchten, als nach Madrid zu marschieren, um
die Unterdrückung Spaniens zu vollenden und das Land
auf französische Art zu organisieren, d. h. die Eroberungen
mit Hilfe der besiegten Feinde zu vermehren.
Am 26. November begab sich Ney mit seinem Korps
über Cascanti nach ßorja. Eine Division des Oenerals
Maurice Mathieu") ging uns einen Tag voraus und machte
auf ihrem Marsche eine Menge Gefangene. Am 27. kamen
wir nach Alagon, einem 4 Meilen von Zaragoza gelegenen
Flecken, dessen zahlreiche Türme wir schon von weitem
Josef Palafox y Mel/i, spanischer General und 1803
Generalkommandant von Aragonicn, geboren 1760, nickte am
23. November 1803 mit CastaSos bis Tudela vor und wurde von
den Franzosen unter Lannes geschlagen.
") Maurice David Joseph, Graf Mathieu de la Redorte,
französischer General, 1768—1333, wurde 1808 nach Spanien ge-
sandt, wo er sich besonders in der Schlacht bei Tudela auszeichnete
und das Zentrum der spaiiiscb;!] Armee äiiriTigk'. Am nächsten
Tage wurde er auf seiner Verfolgung de* Feindes bei ßorja ver-
wundet
126
Digrtized by Google
erblickten. Die Aragonier hatten sich durch die letzten
Niederlagen ihrer Armeen durchaus nicht entmutigen lassen
und waren entschlossen, sich in Zaragoza zu verteidigen.
Sie hatten sich zwar nicht mit regelrechten Befestigungen
umgeben können, aber aus jedem Hause hatten sie eine
Festung gemacht Jedes Kloster, jedes Haus erforderte
einen besonderen Sturm. Und diese Art von Befestigung
ist vielleicht die beste von allen, um eine Belagerung
in die Länge zu ziehen.
Palafox hatte sich mit einem Korps von 10 000 Mann,
die er aus der Schlacht von Tudelals) noch gerettet hatte,
in die Stadt geworfen, und diese selben Soldaten der Armee
von Aragonien, die wir fast ohne Anstrengung auf freiem
Felde vernichtet hatten, leisteten als Bürger in den Mauern
ihrer Hauptstadt einen Widerstand, der fast ein Jahr
anhielt.
50 000 Bauern eilten bewaffnet herbei, um Zaragoza
zu verteidigen. Von allen Seiten stürzten sie sich in die
Stadt, selbst mitten durch unsere siegreichen Kolonnen
hindurch, immer befürchtend, zu spät dort anzukommen,
wohin der Impuls ihres Herzens und die Liebe zu ihrem
Vaterlande sie riefen.
Der Charakter der Spanier dieser Provinzen ähnelt
in nichts dem anderer europäischer Nationen. Ihr Patrio-
tismus ist ganz religiös, wie bei den Alten, wo kein Volk
sich der Verzweiflung hingab und trotz der Niederlagen
niemals gestand, daß es besiegt worden war, so lange die
Altäre der schützenden Qötter unversehrt blieben. Die
Völker Spaniens waren meist nur von diesem religiösen
Patriotismus belebt und besaften nicht die geringste prak-
tische Kenntnis von Disziplin und Kriegsgesetzen. Leichten
Herzens verließen sie ihre Fahnen nach einer erlittenen
Niederlage und fühlten sich nicht im geringsten, verpflich-
tet, das dem Feinde gegebene Versprechen zu halten.
Aber sie hätten nur ein Interesse, einen Wunsch: sich
") Siehe die 10. Anmerkung in diesem Berichte.
127
Digrlized by Google
durch alle möglichen Mittel für das Schlechte zu rächen,
das die Franzosen ihrem Vatcriande zufügten.
Das Armeekorps des Marschalls Lannes11) blieb in
Aragonien, um die Belagerung von Zaragoza zu bewerk-
stelligen, während Ney seine eilige Verfolgung der Trüm-
inur d(_T Airü^t Castanns' furtsetzte, iik sich auf (juadala-
jara und Madrid zurückzogen. Am 28. schnitt die Division
der Vorhut die Nachhut der Spanier, die das Defilee
von Buvierca am Jalon verteidigen wollte, in zwei Hälften.
Sobald die Armee wieder aufgebrochen war, kamen
die Bewohner wieder von den nahen Bergen herab und
aus allen Richtungen herbei, als wären sie aus dem Erd-
boden gewachsen. Unsere Soldaten konnten sich nicht
einen Augenblick von der Heerstraße entfernen oder hinter
ihren Kolonnen zurückbleiben, ohne sich der Qefahr aus-
zusetzen, von den Bauern ermordet zu werden. Und wir
wagten nicht, wie in Deutschland, allerorts Ambulanzen
zu bilden oder gar unsere Kranken einzeln in die Hospi-
täler zu schicken.
Am 2. Dezember kantonierten wir in der Gegend von
Alcala de Henares, wo wir auf eine Schwadron polnischer
Lanciers stießen, die der Marschall Bessieres von St.
Augustin geschickt hatte, um bei Guadalajara den Feind
auszukundschaften. Von ihnen erfuhren wir, daß die Vor-
hut des Zentrums vor Madrid angekommen sei: wir be-
fanden uns nur noch drei Meilen von der Hauptstadt ent-
fernt.
Napoleon war am 22. November von Burgos nach'
Aranda aufgebrochen, um nötigenfalls die Bewegungen
zu beobachten und zu unterstützen, die seine Linke am
Ebro gegen die Rechte der Spanier machte. Am 30.,
sieben Tage nach der Schacht bei Tudela, war er mit
der Armee des Zentrums direkt nach Madrid marschiert
«) Jean Lannes, Herzog von Montebello, 1760-1809, siegte
bei Tudela über Casiriiiuä v.nd P;i[a:o\ und leitete dann die berühmte
Belagerung von Zaragoza.
128
Digitized by Google
und hatte das Korps des Marschalls Soult in der Nähe
von Asturien gelassen, um die Trümmer der spanischen
Armee von Qalicien zu beobachten.
Am 1. Dezember wurde das kaiserliche Hauptquartier
in St Augustin aufgeschlagen, und am selben Tage ver-
einigte sich das Armeekorps Neys, dem unser Regiment
beigegeben war, mit dem Heere des Kaisers über Guadala-
jara und Alcala. Am 2. Dezember in der Frühe schob der
Kaiser das Gros seiner Armee vor und kam, nur von seiner
Kavallerie gefolgt, auf den Höhen vor der Hauptstadt
Spaniens an.
Madrids Einwohner hatten erst 8 Tage vor der An-
kunft der französischen Truppen an ihre Verteidigung ge-
dacht, und man merkte allen ihren Mitteln die Über-
stürzung und Unerfahrenheit an. Die Häuser an den Ecken
der Hauptstraßen waren mit bewaffneten Leuten ange-
füllt, die sich hinter Matratzen an den Fenstern aufhielten.
Nur der Retiro") war mit etwas größerer Sorgfalt ver-
schanzt worden.
Nach Kriegsgebrauch ging noch am selben Morgen
ein Adjutant des Marschalls ßessieres nach Madrid, um
die Bewohner zur Übergabe aufzufordern. Als er ihnen
aber vorschlug, sich den Franzosen zu ergeben, fielen sie
wütend über ihn her, und er verdankte sein Leben nur
dem Schutze der spanischen Linientruppen.
Napoleon verwandte den Aherid darauf, die Umge-
bung der Stadt auszukundschaften und seinen Angriffs-
plan zu bestimmen. Die ersten Infanteriekolonnen waren
um 7 Uhr abends eingetroffen, eine Brigade des 1. Armee-
korps, unterstützt von 4 Kanonen, marschierte gegen die
Vorstädte, und die Schützen des 16. Regiments bemäch-
tigten sich des großen Friedhofs, nachdem sie die Spanier
'*) Ehemaliges Lustschloss, das den spanischen Königen zum
Frühlingsau Enthalt diente. Bei der Bombardierung Madrids durch
die Franzosen war der Haupiangriff auf den Retiro gerichtet, und
seint Zerstörung [Ohrte die Übergabe Madrids herbei.
9 B.M7: Span. rnflKiufcampl. 129
Digitized by Güögle
aus einige» in der Nähe befindlichen Häusern vertrieben
hatten. Die Nacht ward zur Aufstellung der Artillerie
und zu allen Vorbereitungen für den Sturm des nächsten
Tages benutzt.
Ein bei Sonio Sierra gefangen genommener apani-
scher Offizier, den der Fürst von Neuchätel um Mitter-
nacht nach Madrid schickte, kam einige Stunden später
wieder zurück und meldete, daß die Einwohner darauf be-
harrten, sieh zu verteidigen, und am 3. um 9 Uhr morgens
begann die Kanonade.
30 Kanonen schössen unter den Befehlen des Generals
Cernamont die Bresche der Mauern des Retiro, während
20 Geschütze der Garde und einige leichte Truppen an
einer andern Stelle einen fingierten Angriff machten, um
die Aufmerksamkeit des Feindes abzulenken und ihn zu
zwingen, seine Kräfte zu zersplittern. Die Voltigeure der
Division Villate drangen durch die Bresche in den Garten
des Retiro ein, bald folgte ihnen auch ihr Bataillon, und
in weniger als in einer Stunde waren die 4000 spanischen
Linicnsoldaten, die das Schloß an seinen Hauptpunkten
verteidigten, über den Haufen geworfen. Um 11 Uhr be-
reits hielten unsere Soldaten die bedeutendsten Posten
des Observatoriums, der Porzellanfabrik, der großen Ka-
sernen und des Hotels Medinaceli besetzt Als Herren
des ganzen Retiro konnten die Franzosen in wenigen
Stunden Madrid überschauen.
Nun hörte die Kanonade auf; der Fortschritt der
Truppen wurde an allen Punkten aufgehalten, und man
schickte einen dritten Parlamentär in die Festung. Es
war für den Kaiser von Wichtigkeit, die Hauptstadt des
Königreichs, das er für seinen Bruder bestimmte, zu
schonen, denn man kann auf den Ruinen wohl ein Feld-
lager, aber keinen Thron errichten.'1) Die Einäscherung
Madrids konnte in allen andern Städten des Landes einen
") Vergleiche die 1. Anmerkung zum 1. Fddzugsberichle und
im übrigen die Einleitung zu dem ganzen Werke.
130
Digitized by Google1
verzweifelten Widerstand hervorrufen, und übrigens wären
unsere Armeen durch seine Vernichtung ungeheurer Hilfs-
quellen beraubt worden.
Um 5 Uhr nachmittags kamen der General, Chef der
Militärjunta, und Don B. Yriarte, Deputierter der Stadt,
mit dem französischen Parlamentär zurück. Sie wurden
ins Zeit des Fürsten von Neuchätel16) geführt, wo sie ver-
langten, daß man ihnen einen Waffenstillstand während des
4. bewillige, damit sie Zeit gewännen, das Volk zur Über-
gabe zu bereden. Mit sichtbarer Heftigkeit warf ihnen
Napoleon die Nichtbefolgung des Vertrags von Baden11)
und die Metzeleien der französischen Gefangenen in Anda-
lusien vor. Er wollte durch diesen gemachten Zorn die
spanischen Abgesandten erschrecken, damit sie nachher
ihre Furcht den Männern, die sie befehligten, mitteilten.
Der Kaiser wünschte lebhaft, die Übergabe Madrids möchte
den Anschein einer freiwilligen Unterwerfung haben, und
man war allgemein überzeugt, ganz Spanien werde dem
Beispiel der Hauptstadt folgen.
Indes die Einwohner weigerten sich, die Waffen
niederzulegen, und fuhren fort von den Fenstern der Häu-
ser am Prado auf die Franzosen zu schießen. Durch die
Gefangenen, die von Zeit zu Zeit gemacht wurden, er-
fuhr man den Orad der allgemeinen Aufregung und Wut,
die in der Stadt herrschten. 50 000 bewaffnete, disziplin-
lose Einwohner rasten auf den Straßen herum, stürmisch
Befehle verlangend und ihre Anführer des Verrats an-
klagend. Endlich am 4. Dezember, um ü Uhr morgens,
kamen der spanische Oeneral Moria und Don F. de Vera
nochmals ins Zelt des Fürsten von Neuchätel, und um
10 Uhr ergriffen die französischen Truppen von Madrid
Besitz.
Der Kaiser blieb mit seiner Garde auf der Höhe von
1B) Marschall Bcrlhier, Napoleons Generalstabsdief. Vergl.
die 14. Anmerkung mm 1. Feldzugs berichte.
") Näheres in der Einleitung und den eiuieiienden Bemerkun-
gen des 5. Berichtes dieses Buches.
9- 131
Digitized by Coogle
Chamartin. Seiner gewohnten Taktik gemäß sandle er
noch am Tage der Einnahme Madrids zahlreiche Korps
nach allen Richtungen, um dem Feind nicht Zeit zur Re-
kognoszierung zu lassen und um nach einem großen Er-
eignis aus dem Erstaunen und der Bestürzung, die fast
immer die Kraft des Siegers verdoppeln und die des Be-
skyteu für AuijL-iiliÜckc kihitit-i], Nutzen zu ziehen.
Unser Husarenregiment hatte den 2., 3. und 4. De-
zember in der Umgegend von Alcala, 3 Meilen von Ma-
drid, verbracht. Am 5. erhielten wir den Befehl, uns zu
früher Stunde nach dem Hauptquartier zu begeben, um
gemustert zu werden. Kaum waren wir einige Minuten
auf einer Wiese, neben dem Schlosse Chamartin, als wir
plötzlich den Kaiser Napoleon ankommen sahen. Er war
vom Fürsten von Neuchätel und von 5 oder 6 Adjutanten
begleitet, die ihm kaum folgen konnten, so schnell ritt
er dahin. Alle Trompeten crlclarspcn , der Kaiser stellte sich
100 Schritt vor dem Zentrum unseres Regiments auf und
verlangte vom Oberst die Liste der Offiziere, Unteroffiziere
und Soldaten, die militärische Auszeichnungen verdient
hätten. Der Oberst des Regiments nannte sie sogleich alle
bei Namen, und der Kaiser sprach leutselig mit ein paar
einfachen Soldaten, die ihm vorgestellt wurden. Dann sich
an den General wendend, der die Brigade kommandierte,
zu der wir gehörten, stellte er rasch zwei oder drei sehr
kurze Fragen, und da der General ein wenig verwirrt
wurde, warf Napoleon, ohne das Ende der angefangenen
Rede abzuwarten, sein Pferd herum und verschwand
ebenso schnell, wie er gekommen.
Nach der Revue machten wir uns auf den Weg nach
Madrid. Dumpfes Schweigen war auf die stürmische und
geräuschvolle Bewegung gefolgt, die am Tage vorher inner-
halb und außerhalb der Mauern der Stadt geherrscht hatte.
Die Straßen, durch die wir zogen, waren verlassen, und
auf den Plätzen hatte man noch nicht die zahlreichen
Nahrungsmitteljsescliäitc wieder gcüf.'net. Nur die Wasser-
träger hatten ihre gewohnte Tätigkeit nicht unterbrochen.
132
Digitized by Google
Als wir uns der innern Stadt näherten, bemerkten wir
verschiedene Spanier, die, in ihre großen Mäntel gehüllt, an
den Ecken der Plätze standen, wo sie gewöhnlich zu-
sammenkamen. Sie schauten uns düster und niederge-
schlagen an; in ihrem ungeheuren Nationalste.!; hielten
sie es kaum für möglich, daß Soldaten, die nicht Spanier
waren, Spanier besiegen konnten. Als sie zufällig in
unsern Reihen Pferde sahen, die wir der feindlichen Ka-
vallerie abgenommen hatten, erkannten sie sie sofort an
ihrer Gangart und wurden dadurch aus ihrer Verblen-
dung gerissen. Dann flüsterte einer dem andern zu :
„Este caballo es espaiio!" (dieses Pferd ist spanisch), als
wäre das der einzige Beweis unsereJ Erfolge gewesen.
Unser Regiment blieb fast einen ganzen Monat in
der spanischen Hauptstadt. Obwohl scheinbar große Ruhe
herrschte, hielten wir uns doch immer bereit, aufs Pferd
zu steigen, und unsere Tiere waren stets gesattelt, als
befänden wir uns auf Vorposten angesichts des Feindes.
Wie man sagte, waren 1100 entschlossene Spanier nach
der Kapitulation in der Stadt verborgen geblieben und
bereiteten sich vor, die Einwohner aufzuwiegeln, um alle
Franzosen bei der ersten günstigen Gek-geiihcit niederzu-
machen.
Napoleon hielt in Madrid nicht wie in andern Städten
Europas öffentlichen Einzug. Man behauptete, er sei durch
die Formen der Etikette, die er gegen seinen Bruder
Joseph aufrechterhalten mußte, den er schon als Herr-
scher betrachtet, daran gehindert worden. Immer mit
seiner Garde auf den Höhen von Chamartin kampierend,
gab er täglich für Spanien Dekrete aus und erwartete die
baldige Unterwerfung des Königreichs und die Unter-
drückung des Schreckens, den unsere raschen Siege hervor-
gerufen haben mußten.
Wenige Tage nach der Einnahme Madrids erhielt ich
den Befehl, zum Marschall Lefebvre einen offenen Brief
des Generals Lasalle zu tragen, der sich vor uns in Tala-
vera befand. Der Marschall sollte diesen Brief lesen und
133
Digitized by Google
ihn dann direkt an den Fürsten von Neuchätel befördern.
Ich trat den Marschall Leffcbvrc gegen Abend in Magueda,
gerade als er von Casarubios ankam. Um seine Adjutanten
zu schonen, befahl mir der Marsehall, meinen Weg fort-
zusetzen und die Briefe selbst ins kaiserliche Hauptquar-
tier zu bringen. Ich war genötigt, mein Pferd in Magueda
zu lassen, und bestieg ein Maultier, das der Generalstabs-
chef mir vom Alcalden18) des Orts geben ließ.
Bald machte ich mich auf meinem großen störrischen
Esel, dem man die Mähne abrasiert hatte, durch die stock-
finstere Nacht auf den Weg. Ein spanischer Bauer, der
mir als Führer diente, ritt vor mir auf einem Maultiere,
das dem mehligen glich. Als wir beinahe eine Meile
zurückgelegt hatten, fiel mein Führer plötzlich von seinem
Tiere, und dieses galoppierte davon, wahrscheinlich um in
sein Dorf zurückzukehren. Ich glaubte, der Bauer sei durch
seinen Fall ohnmächtig guu orde n, und stieg ab, um ihm
Hilfe zu leisten. Aber vergebens suchte ich ihn an der
Stelle, wo ich ihn hatte fallen sehen — er war in das
dichte Gestrüpp geschlüpft und verschwunden. Nun be-
stieg ich wieder mein Maultier, wußte indes nicht, wie
ich allein meinen Weg finden würde. Da das widerspen-
stige Tier nicht mehr scinni Gefähnni vor sich traben
hörte, wollte es weder vorwärts noch rückwärts gehen.
Je mehr ich ihm die Sporen gab, desto störrischer wurde
es; Schlage, Flüche, Drohungen — nichts half. Endlich
stieg ich ab um meinen Holzsattel etwas enger zu schnal-
len. Da machte das verwünschte Tier einen Seifensprung,
ich erhielt einen Stoß vor die Brust und ward zu Boden
geworfen. Mein Maultier galoppierte ebenso wie sein
Gefährte davon und verschwand in einem Seitenweg. Als
ich mich von meinem Schlage ein wenig erholt hatte,
rannte ich ihm aus Leibeskräften nach, von dem Geklirr
geleitet, das ein Steigbügel meines Sattels machte, der
>«) Alkalde bedeutet in Spanien soviel wie Schultheis oder
Bürgermeister.
134
Digitized by Google
auf dem Boden schleppte. Als ich ungefähr eine halbe
Meile gelaufen war, fand ich meinen Sattel, dessen sich
das Maultier entledigt hatte. Ich nahm ihn auf den Rücken
und kam bald in ein großes Dorf, wo die Vorhut einer der
Brigaden des Marschalls Lefebvre eben angelangt war.
Sogleich Heß ich mir vom Alcalden ein Pferd und einen
Führer geben und machte mich wieder auf den Weg,
diesmal sorgsam darauf beJacht, nicht von der Seite meines
Führers zu weichen.
So kam ich um 1 Uhr in der Nacht im kaiserlichen
Quartier von Chamartin an. Der Fürst von Neuchätel
wurde von einem seiner Adjutanten geweckt, ich übergab
ihm die Briefe und wurde noch am selben Abend um
11 Uhr mit neuen Depeschen für den Marschall Victor zu
meinem Armeekorps zurückgeschickt
Als ich midi einige Meilen jenseits von Aranjuez be-
fand, sah ich von weitem zwei spanische Bauern, die
eben einen französischen Soldaten geknebelt hatten und
ihn ins Gebüsch schleppen wollten, um ihn zu erdrosseln.
Ich gab meinem Pferde die Sporen und hatte das Otück,
noch zur rechten Zeit anzukommen, um den Unglück-
lichen befreien zu können. Es war ein Infanterist, der
am Tage vorher aus dem Krankenhaus von Aranjuez ge-
kommen war. Von Mattigkeit erschöpft, hatte er sich ein
wenig niedergesetzt, während seine Kameraden weiter
marschierten. Ich begleitete ihn bis zu seinem Detache-
ment, das nicht weit davon Halt gemacht hatte, und setzte
dann meinen Weg fort.
Nichts war schrecklicher als der Anblick, der sich
jetzt meinen Augen darbot. Bei jedem Schritte stieß ich
auf verstümmelte Körper von Tags zuvor ermordeten Fran-
zosen und auf blutige Kleiderfetzen, die hier und da herum-
lagen. Die noch frischen Spuren im Sand deuteten auf
den Kampf, den einige der Unglücklichen bestanden, und
auf die langen Qualen, die sie erlitten hatten, ehe sie
starben.
Ich hatte in Toledo dem Marschall Victor meine De-
135
Digitized by Google
peschen übergeben und war zu meinem Regiment, am
Tage bevor es sich in Garnison nach Madrid begab, zurück-
gekehrt. Inzwischen war am 21. Dezember im kaiserlichen
Quartier in Chamartin gemeldet worden, daß einer der
Posten des Generals Franchesr in der Nacht vom 12.
zum 13. bei Rueda genommen worden war und daß
englische Kavallerieabteilungen bis an die Tore von Valla-
dolid das Feld behaupteten19)
Als Napoleon von dieser Bewegung der Engländer
hörte, brach er sogleich am nächsten Tage mit seiner
Qarde und dem Korps Neys von Madrid auf, um ihnen
den Rückzug auf Coruna abzuschneiden. Am 23. war er
in Villacastin, am 25. in Tordesillas, am 27. in Medina
de Rioseco, und am 27. morgens stellte sich seine aus
drei Schwadronen Jäger zu Pferd bestehende Vorhut, die
der General Lefcbvre*1) befehligte, vor Benavente auf,
wo sich die englische Armee befand.
Da der General die Brücke über die Esla abgebrochen
fand, durchwatete er den Fluß und warf die vorgeschobe-
nen Posten der Engländer bis an die Tore der Stadt zurück.
Aber in der Hitze der Verfolgung vergaß er, seine Jäger
wieder zu vereinigen und sieh aufzuklären, und wurde so
mit der Kavallerie der feindlichen Nachhut in ein Gefecht
verwickelt. Die französischen Jager waren gezwungen,
wieder über den Flulf zurückzugehen; 60 verwundete oder
kampfunfähig gernachte Soldaten, unter denen sieh auch
der General befand, blieben in den Händen der Engländer.
Die französischen Jäger stellten sich nun am gegenüber-
liegenden Ufer in Schlachtordnung auf und bereileten sieh
») Sie gehörten zur Armee des Generals Moore, der am
13. Dezember Salamanca verlassen hatte, um sich mit den 1300O
Lii;;Ij[|Jl.'[-j] zu ie;eiiiij;e:i, die J..:r General flaird von Villafranca
herbeiführte. Er gedachte, mit den spanischen Truppen des Generals
La Romana einen Angriff gegen Souit zu unternehmen, der mit
15 000 Mann die Flecken Ouardia, Soldafias undSahugun besetzt hielt.
(Anmerkung des Verfassers.)
*>) Gemeint ist Lef ebvre-DeBnouettes.
136
Digitized by Google
auf einen verzweifelten Angriff vor, um ihren gefangenen
Befehlshaber zu befreien. Plötzlieh ließen die Engländer
in die Nähe der abgebrochenen Brücke zwei Kanonen der
leichten Artillerie auffahren und schössen auf die franzö-
sischen Schwadronen, die nun gezwungen waren, sich
zurückzuziehen.
Die englisch -spanischen Armeen waren von dem
Marsche des Kaisers gerade in dem Augenblick unterrich-
tet worden, als sie sich anschickten, den Marschall Souit
im Dorfe Carion anzugreifen. Sie zogen sich daher schnell
auf Astorga und Benavente zurück und zwar auf den
Straßen von Mayorga, Valencia und Mancilla. Aller Wahr-
scheinlichkeit nach wären die englisch-spanischen Heere
von den Dcfilees von Gaücien abgeschnitten worden, wenn
die französische Armee in ihrem Marsche durch den frisch-
gefallenen Schnee in der Sierra üuadarrama und durch
die übergetretenen Gebirgsflüsse nicht bedeutend aufge-
halten worden wäre.
Napoleon kam am 30. Dezember in Benavente an.
Er rückte nicht weiter jenseits von Astorga vor, kam mit
seinen Garden am 7. Januar nach Valladolid und wenige
Tage später war er schon wieder in Frankreich, um
Kriegs Vorbereitungen gegen Österreich zu treffen.11) Ney
blieb in Astorga, um die Defilees von Galicien zu beob-
achten, und Soult setzte seine Verfolgung der Armee des
Generals Moore gegen Corufia fort.
Am 16. Januar wurden die Englander gezwungen,
ehe sie sich einschifften, vor Corufia eine Schlacht zu
liefern. Die Affäre war blutig und sehr umstritten. Zuerst
!1) Da die von Naiwlcan im Prcflburgcr Friedens vertrage vom
26. Dezember 1805 auferlegten Bedingungen viel zu hart waren,
entschlofl sich Österreich, auls neue die Walten zu ergreiten, und
hielt den Augenblic k für jirci^ni t, a!; Ivmolcun seine ganze Heeres-
nacht in Spanien stehen hatte. Aber man hatte nicht mit der Schnel-
ligkeit Napoleons gerechnet, der mit Riesenschritten herbeieilte und
den Erzherzog Karl, der kaum erst Niederbayern erreicht hatte,
üben-aschte.
137
Digitized by Google
gewannen die Franzosen Terrain, aber gegen Ende des
Tages nahmen die Engländer ihnen die starke Stellung
wieder ah, deckten so die Verankerung ihrer Flotte und
schifften sich während der Nacht vom 16. zum 17. ein.
General Moore wurde während der Schlacht, gerade als
er ein zurückgeworfenes Korps wieder zum Angriff führte,
von einer Kugel getroffen.
Am 13. Januar verlief! unser Regiment Madrid, um
sich mit dem 1. Armeekorps zu vereinigen. Am 14. über-
nachteten wir in Ocana. Am 15. trafen wir drei Meilen
von letztgenannter Stadt auf spanische Gefangene, die
von Ucles") kamen und die man nach Madrid brachte.
Viele der Unglücklichen brachen vor Erschöpfung zusam-
men, andere starben vor Entkräftung ; wenn sie nicht
mehr weiter konnten, wurden sie unbarmherzig erschossen.
Diese blutige Order war als Repressalie dafür gegeben
worden, daß die Spanier die gefangenen Franzosen aufge-
knüpft hatten. Aber so barbarische Maßnahmen gegen
wehrlose Feinde, die schon durch ihre Schwäche geschützt
sein mußten, konnten in keinem Falle durch die Notwen-
digkeil von Repressalien gerechtfertigt werden. Die ebenso
grausamen wie unpolitischen Maßnahmen entfernten
immer mehr die dauernde Unterwerfung besiegter Völker
von dem großen Ziele der Eroberung.
Besonders zog einer der unglücklichen Spanier un-
sere Aufmerksamkeit auf sich. Er lag tödlich verwundet
auf dem Rücken. Sein langer, schwarzer, mit ein paar
grauen Haaren untermischter Schnurrbart und seine Uni-
form ließen erkennen, daß er ein alter Soldat war. Er
gab nur noch unartikulierte Laute von sich, fortwährend
die Namen der Jungfrau und aller Heiligen auf den Lippen.
Wir suchten ihn mit Branntwein zum Leben zurückzubrin-
gen, aber er starb kurz darauf.
») Bei Udes hatte am 13. Januar I80Q ein Gefecht »t>t%e-
funden, in welchem Marschall Victor über den spanischen General
Herzog von Infantado siegte.
138
Digitizsd by Google
In Cuenca vereinigten wir uns mit unserm Armee-
korps und kantonierten einige Tage in der Gegend von
San demente und Belmonte, um unsere Artillerie zu er-
warten, die nur mit Mühe ein oder zwei Meilen täglich
machen konnte. Der Regen des Winters hatte die Wege
so schwierig gemacht, daß man sehr oft die Gespanne
vop mehreren Geschützen vereinigen mußte, um nur ein
einziges vorwärts zu bringen.
Darauf durchquerten wir das Land Don Quichotes,
um uns nach Consucgra und Madridejos zu begeben. Wir
blieben länger als einen Monat in der Provinz La Mancha,
wo wir teils die Häuser bewohnten, teils auf freiem Felde
kampierten ; immer aber war unsere Lebensweise dieselbe,
nur daß wir anstatt von einem Haus zum andern zu gehen,
unsere Feuer verließen, um die der Kameraden aufzu-
suchen. Hier verbrachten wir lange Nächte mit Trinken
und Plaudern über die gegenwärtigen Kriegsereignisse,
oder wir lauschten den Berichten über die vergangenen
Feldzüge.
Unser Armeekorps verließ La Mancha ungefähr um die
Mitte des Monats Februar, und die unter den Befehlen des
Oenerals S6bastiani") stehenden Truppen rückten an, um
in der Gegend von Toledo die Trümmer der Armee des
Herzogs von Infantado zu beobachten.") Wir schickten
uns an, Talavera, Arzobispo und Almaraz am rechten
Ufer des Tajo angesichts des spanischen Heeres von Estre-
madura zu besetzen. Diese Armee war am 24. Dezember
in Arzobispo gegenüber von Almaraz vom Marschall Le-
febvre zerstreut worden, hatte sich jedoch unter den Be-
fehlen des Oenerals Cuesta wieder organisiert und ver-
stärkt. Sie hatte den Franzosen die Brücke von Almaraz
wieder genommen und deren HauptpftÜer gesprengt, was
«) Sebastian! sollte mit dem 4. Armeekorps die Provinz
La Mancha bis zum Guadiana besdzen, um das genommene Madrid
zu decken. Vergl, die 8. Anmerkung zum 1, Feldzugsberichte.
") Vergl. die 25. Anmerkung zum I. Feldzugabe richte.
139
Digitized by
den Marsch unserer Truppen vollkommen aufhielt und
uns in die Notwendigkeit versetzte, unter dem Feuer des
Feindes eine neue Brücke über den Tajo zu schlagen.
Wohl besaßen wir noch zwei andere Brücken, eine bei
Arzobispo und die andere bei Talavera, aber sie waren
damals für die Artillerie nicht gangbar.
Victor schlug sein Hauptquartier in Almaraz auf, um
die Arbeiten besser übersehen und das Konstruieren der
Flöße überwachen zu können. Ein Teil unserer leichten
Kavallerie ging aufs linke Ufer über, um den Feind zu
beobachten und {Rekognoszierungen gegen seine rechte
Flanke am ibor vorzunehmen. Wegen der Schwierigkeit,
uns Lebensmittel und Fourage zu verschaffen, mußten wir
sehr oft unsere Kanton ierungen wechseln. Die Einwohner
hatten fast das ganze Land, welches das Heer okkupierte,
verlassen. Sie hatten die Gewohnheit, vor ihrer Flucht
alles, was sie nicht mitnehmen konnten, an einem ent-
legenen Ort ihrer Wohnungen einzumauern; und so be-
gannen unsere Soldaten sogleich bei ihrer Ankunft wie
Architekten erst die äußeren Wände, dann die inneren
Räume zu durchsuchen, um zu sehen, ob man nichts ver-
mauert hätte. Manchmal fand man unter der Erde ver-
graben gefüllte Weinkrüge. Auf diese Weise gewöhnten
wir uns daran, vom Zufall zu leben, und verbrachten ganze
Wochen ohne Brot, ja sogar ohne uns Gerste für unsere
Pferde verschaffen zu können.
Endlich, am 14. März, waren unsere Flöße fertig, aber
wir konnten unter dem Feuer der Feinde sie weder ins
Wasser lassen noch eine Brücke bauen. Zuerst mußten
die Spanier aus der starken Stellung verdrängt werden,
die sie gegenüber von Almaraz einnahmen.
Am 15. März überschritt ein Teil des 1. Armeekorps
bei Talavera und Arzobispo den Tajo, um sich auf die
Flanke und in den Rücken der spanischen Stellung zu be-
geben. Die deutsche Division unter den Befehlen des
Generals Leval griff zuerst den Feind am Morgen des 17.
beim Dorfe Messa de Ibor an. 3000 Mann dieser Division,
140
Digitizad by Google
die keine Kavallerie besaß, warfen mit dem Bajonett 8000
hinter einem Berge verschanzte und von 6 Kanonen ver-
teidigte Spanier über den Haufen. Der ganze 18. wurde
noch dazu verwendet, die Feinde von Valdecaiiar zurück-
zudrängen und sie von Stellung zu Stellung, von Felsen
zu Felsen bis zum Berge Miravette zu verfolgen. Unser
Regiment befand sich mit der Division Viüatc. auf dein
linken Flügel der Armee. Wir marschierten den Ibor
stromaufwärts, überall mühelos die Spanier zurück-
werfend, die nirgends standhielten, sobald sie sich um-
gangen sahen.
Am IQ. März machte die ganze Armee Rasttag, wäh-
rend man die Flölie ins Wasser ließ. Die fliegende Brücke
war schon in der Nacht konstruiert worden, und man
begann noch am selben Tag die Artillerie hinüberzube-
fördem. Die Truppen blieben auf dem rechten Ufer des
Tajo, und am 20. vereinigte sich das ganze Heer bei
Tnijffla
Die beiden Armeen verbrachten die Nacht in un-
mittelbarer Nähe. Am folgenden Tag setzte sich der Feind
eine Stunde vor Sonnenaufgang in Bewegung, und wir
tojgtcn ihm hald . . . Zwei Stunden vor Einbruch der
Nacht stieß die Schwadron der Avantgarde vom 10. Chas-
seurregiment auf die feindliche Nachhut, die sich, als sie
sich bedrängt sah, sofort auf das spanische Armeekorps
zurückzog. Von zu großem Eifer hingerissen, Meli der
Oberst uiivorsichtigerwcise das ganze Regiment angrdfen,
das die spanische Kavallerie zwei Stunden lang auf der
Chaussee zwischen tannenbewachsenen liüje'n verfolgte.
Nicht weit von Mi;ija(!;>s stellten die Spanier mehrere
Schwadronen ihrer besten Kavallerie im Hinterhalt auf,
die unversehens über die Chasseure unserer Vorhut her-
fielen, die vereinzelt und ohne Ordnung in großen Zwi-
schenräumen marschierten. Unsere Reiter wurden von
der Überzahl erdrückt; ihre durch den heftigen Angriff
erschöpften Pferde konnten sich nicht zum Widerstand
sammeln, und die Feinde machten in wenigen Minuten
141
Digitized by Google
mehr als 150 der tapfersten Chasseure des 10. Regiments
kampfunfähig. General Lasalle, der von dem Vorgefalle-
nen unterrichtet wird, lieft uns eilig zu ihrer Unter-
stützung vorrücken, aber wir kamen zu spät; wir sahen
nur noch von weitem die Staubwolken, welche die sich
zurückziehenden Spanier aufwirbelten. Der Oberst des
10. Regiments, der mit der Zusammen-ziehung seiner Chas-
seure beschäftigt war, raufte sich vor Verzweiflung die
Haare beim Anblick der auf dem Boden umherliegenden
Verwundeten. Als die Nacht hereinbrach, kehrten wir
zurück, um hinter der Stelle, wo der Kampf stattgefunden
hatte, unsere Biwaks aufzuschlagen.
In der Nacht vom 27. zum 28. setzte sich die ganze
Armee in Bewegung-, um gegen den Feind zu marschieren.
Schon seit mehreren Tagen erwartete uns der General
Cuesta in den Ebenen vor Medellin und hatte im voraus
die vorteilhafteste Stellung, um seine Armee aufzustellen,
von Genieoffizieren rekognoszieren lassen.
Die Spanier, denen das Glück in regelrechten Schlach-
ten so oft untreu war, suchten sich durch alle möglichen
Mittel die Sicherheit zu verschaffen, die ihnen fehlte. Sie
betrachteten das Scharmützel von Miajadas als eine gute
Vorbedeutung, auch stützten sie sich auf den alten Aber-
glauben, den sie an das Andenken der Siege ihrer Vor-
eltern über die Mauren in derselben Ebene knüpften. Die
Franzosen hingegen kümmerten sich nicht um ihre Hoff-
nungen, sondern vertrauten wie gewöhnlich ganz dem
Siege selbst
Um 11 Uhr morgens debouchierten wir aus Medellin,
um uns in Schlachtordnung aufzustellen. Die leichte Ka-
vallerie Lasalles wurde auf dem linken Flügel aufgestellt,
im Zentrum befand sich die deutsche Infanteriedivision,
und auf der Rechten stand der General Latour-Maubourg
mit seinen Dragonern. Die Divisionen Villate und Ruffin
bildeten die Reserve. Die drei Divisionen unserer ersten
Linie, waren hinler der Armee, welche aus zahlreichen
Detachements bestand, gelassen worden, um die Verbin-
142
Digitized by Google
düngen aufrechtzuerhalten, und sie waren nur 7000 Mann
stark. Der Feind stellte uns eine Linie von mehr als
34 000 Mann entgegen.
Die deutsche Division begann den Angriff. Darauf
griffen das 2. und 4. Dragonerregiment die spanische
Infanterie an, wurden indes mit Verlust zurückgeworfen,
und die Deutschen blieben allein inmitten des Handge-
menges. Sie bildeten ein Karree und leisteten während des
Restes des Kampfes gegen die verdoppelten Anstrengungen
des Feindes kräftigen Widerstand.
Nur mit Mühe stellte der Marschall Victor die Schlacht
wieder her, indem er 2 Regimenter der Division Vilattc
vorrücken ließ. Zuerst versuchte die feindliche Kavallerie
vergebens, unsern rechten Flügel zu vernichten, dann
stürzte sich ein Teil derselben auf unsere Linke. Da diese
fürchtete, eingeschlossen zu werden, war sie gezwungen,
eine Rückwärtsbewegung zu machen, um sieb an den
Guadiana zu lehnen. Zwei Stunden lang zogen wir uns
langsam und schweigend zurück, alle 50 Schritte eine
Wendung machend, um dem Feinde unsere Front zu zeigen
und ihm das Terrain streitig zu machen, bevor wir es
verließen. Durch das fortwährende Pfeifen der Kugeln
über unsern Köpfen und das Aufprallen der Geschosse
hindurch, die den Boden um uns herum aufwühlten, hörte
man nichts als die Stimmen der Befehlshaber. Sie erteilten
ihre Befehle mit um so größerer Ruhe und Kaltblütigkeit,
je mehr uns der Feind bedrängte. Aber je weiter wir
uns zurückzogen, desto mehr schrien die Spanier. Ihre
Schützen waren so zahlreich, so kühn, daß sie manchmal
die unsern zwangen, sich in ihre Reihen zurückzuziehen.
Von weitem schrien sie uns zu, daß sie keinen Pardon
geben würden und daß die Ebene von Medellin das
Grab der Franzosen sein sollte.
Als die feindliche Kavallerie in Flintenschuß weite von
uns entfernt war, zogen sich die Schützen beider Teile
zurück, und man sah in dem Zwischenräume, der uns von
den Spaniern trennte, nichts als die Pferde der Toten —
143
Digitized by Google
von Freunden wie Feinden — die, meist verwundet, nach
allen Richtungen liefen.
Die Spanier hatten unserer einzigen Schwadron sechs
Eliteschwadronen tuli^ensj^rlikkt, die in gedrängten Ko-
lonnen marschierten; an ihrer Spitze befanden sich Lan-
ders. Plötzlich setzte sich diese ganze Masse in Trab, um
uns anzugreifen, während wir zurückgingen. Da ließ der
unsere Schwadron kommandierende Ri.tmeister seine vier
aus 1 2(1 Husaren bestehenden Züge eine halbe Rechts-
wendung im Schritt raachen. Als diese ausgeführt war,
richtete er ebenso ruhig, als befänden wir uns auf dem
Exerzierplätze, die Linie. Die spanischen Reiter wurden
von einer solchen Kaltblütigkeit in Erstaunen gesetzt, daß
sie unwillkürlich ihrem Trab Einhalt taten. Diesen Augen-
blick der Zögerum; benutzte der Kommandant und ließ
sofort zum Angriff blasen.
Unsere Husaren, die inmitten all der Drohungen und
Flüche der Feinde eine feste Schweigsamkeit bewahrt hat-
ten, übertönten jetzt mit einem einzigen weithinschallenden
KriegsruF die schrillen Trompetenstöße. Von Schrecken
erfaßt machten die spanischen Lanciers Ha:t, drehten sporn-
streichs um und rannten so die Schwadronen ihrer armen
Kavallerie über den Haufen. Der Schrecken hatte sie
vollkommen gepackt, und sie wagten sich einander kaum
anzuschauen, weil jeder in dem andern einen Feind ver-
mutete. Unsere Husaren jagten ihnen nach und säbelten
sie ohne Widerstand nieder. So verfolgten wir sie bis
zur Nachhut ihrer Armee. Als die Trompeten zum Sam-
meln bliesen, verließen wir den Feind, um von neuem
unsere Schwadron in Schlachtlinie zu stellen. Kurze Zeit
nach unserm Angriff war die [fan;t spanische Kavallerie
von der Rechten und Linken versehwunden.
Die Dragoner hatten sich um ihre Elitekompagnien
zusammengezogen und benutzten nun die U nen! schlössen-
heil, die sie bei der spanischen Infanterie bemerkten, die
ihre Kavallerie fliehen sah, zu einem glück'i:hen und glän-
zenden Angriff auf das Zentrum der Spanier. 2 Regimenter
144
Digilized by Google
der Division Villate griffen gleichzeitig mit Erfolg die
Rechte der feindlichen Infanterie bei den Höhen von Min-
gabril an. im Handumdrehen war die Armee vor uns
wie vom Winde getriebene Wolken verschwunden. Alle
Spanier flohen und warfen ihre Waffen weg, und die
Kanonade brach ab. Unser ganzes Kavallerickurps machte
sich nun an die Verfolgung des Feindes. Die Infanterie
folgte uns in einiger Entfernung, alle verwundeten Feinde
mit dem Bajonette niederstechend. Die Wut der Soldaten
richtete sich besonders gegen diejenigen Spanier, die keine
Uniform trugen.
Husaren und Dragoner kamen bald mit ungeheuren
Kolonnen von Spaniern zurück, die sie der Infanterie über-
gaben, um sie nach Medellin zu bringen. Diese selben
Männer, die uns so sicher vor der Schlacht den Tod ver-
sprachen, marschierten jetzt mit gesenktem Kopfe, nieder-
geschlagen an der Seite unserer Truppen. Bei der gering-
sten drohenden Bewegung unserer Soldaten drängten sie
sich alle auf einmal nach der Mitte ihrer Kolonnen, wie
die Schafe, wenn sie die Stimme eines sie verfolgenden
Hundes hören. Jedesmal, wenn sie einem Korps franzö-
sischer Truppen begegneten, riefen sie mit Anstrengung:
„Vive Napoleon et ses troupes invindbles !"
Ein Oberst, der ein Höfling und Adjutant des Königs
Josephs war, sah die Gefangenen vor der Front der Re-
gimenter defilieren und befahl ihnen auf spanisch „Vive
le roi Joseph!" zu schreien. Zuerst sah es aus, als ver-
stünden es die Gefangenen nicht, dann nach kurzem
Schweigen, brachen alle in den gewohnten Ruf aus: „Vive
Napoleon et ses troupes invincibles!" Da wandte sich
der Oberst an einen einzigen und wiederholte ihm drohend
den Befehl, den er gegeben. Der Gefangene rief: „Vive
le roi Joseph!" Im selben Augenblick trat ein spanischer
Offizier hervor, der dem Branche gemäß nicht entwaffnet
worden war, näherte sich dem Soldaten und durchbohrte
ihn mit seinem Degen. Unsere Feinde wollten wohl die
Macht unserer siegreichen Waffen anerkennen, aber nicht,
10 B-MT: Spin. Freihtilstampf. 145
Digitizsd by Google
selbst nicht in ihrer Niederlage, die Autorität eines Ge-
bieters, den sie sich nicht erwählt hatten.
Ich kehrte ein wenig vor Mitternacht nach Medellin
zurück. Die Franzosen hatten ungefähr 4000 kampfun-
fähige Leute, während die Spanier 12000 Tote und IQ
Kanonen auf dem Schlachtfelde ließen. Wir machten
7 — 8000 Gefangene, aber von diesen kamen kaum 2000
in Madrid an, denn in ihrem eigenen Lande ward es
ihnen leicht, zu entfliehen.'*) Um die Aufmerksamkeit
der französischen Eskorten abzulenken, kamen die Be-
wohner der Städte und Dörfer ihnen in großen Mengen
entgegen, und trugen Sorge ihre Häuser offen zu lassen.
Die Gefangenen mischten sich dann unter die Menge oder
warfen sich in die Häuser, deren Türen sich schnell hinter
ihnen schlössen.
Vierzehn Tage nach der Schlacht bei Medellin hatte
sich die spanische Armee von ihren Verlusten wieder er-
holt und hielt, fast 30000 Mann stark, die Pässe der Ge-
birge vor uns besetzt. Der Oeneral Sebastiani rückte in
La Mancha jenseits von Santa-Cruz de la Mudela nicht
vor, und unser Armeekorps blieb zwischen dem Tajo und
dem Ouadiana in Kanton ierung. Wir konnten uns nicht
zu weit vom Flusse fortwagen, ohne uns der Oefahr auszu-
setzen, hinter uns die spanischen Truppen sieh von neuem
sammeln zu sehen, die uns die einzige Verbindung, die
wir mit Madrid durch die Brücke von Almaraz noch be-
saßen, abschneiden konnten. Übrigens hatten wir lange
Zeit keine Nachricht von Soults Korps, das nach Portugal
zurückgekehrt sein mußte und mit dem wir uns durch
unsere Rechte vereinigen sollten.
Seit dem Feldzuge in Österreich und der Abreise des
Kaisers Napoleon erhielten die französischen Heere in
«) Rocca ist hier nicht ganz exakt: Victor besaB ein Korps
von beinahe 23000 Mann, eine Zahl, die diejenige der Spanier
weit überstieg. Das ganz natürliche Resultat blieb nicht aus;
7000 Spanier blieben auf dem Sehlachtfeld und 2000 wurden gc-
fanefn genommen.
146
Digilized by Google
Spanien keine Verstärkungen mehr, um ihre täglichen
Verluste wieder auszumerzen. Anstatt sich zu konzen-
trieren, hatten sie sich immer mehr auf der Halbinsel aus-
gebreitet Auf allen Punkten schwach, weil sie sich zu
sehr verteilt hatten, erschöpften sie sich durch ihre eigenen
Siege, im Süden und im Norden Spaniens verloren sie bei
den aufständischen Bauern jenen Ruf der Unbesiegbarkeit,
der mächtiger war als alle wirkliche Stärke, der sich so
viele Völker unterworfen hatten.
König Joseph kommandierte seit der Abreise des
Kaisers als Oberbeichtshaber. Er glaubte, er könne in
Spanien wie in Neapel die Völker, welche die Gewalt un-
serer Waffen unterdrückte, durch die seinem Charakter
eigene Sanftmut an seinen Thron fesseln, und hatte die
Armeen allerorten vorrücken lassen, einzig und allein in
der Absicht, neue Provinzen einzurichten und über ein aus-
gedehnteres Land zu regieren. Auf diese Weise stellte er
die militärische Sicherheit der Armeen von Galicien und
Portugal bloß, von denen man volle 5 Monate keine Nach-
richt erhielt
Im April verließ unser Armeekorps (Victor) zeitweise
seine Quartiere am Guadiana zwischen Merida und Me-
dellin und näherte sich dem Tajo bei Alcantara, um sich
mit der Division Lapisse'5) zu vereinigen. Diese hatte un-
nützerweise die Festung Ciudad Rodriga zur Obergabe
aufgefordert. Eine Division von Viciors Korps begab sich
nach Alcantara und überschritt am 14. Mai den Fluß nach
einem unbedeutenden Gefecht mit der portugiesischen Mi-
liz. Sie machten am folgenden Tage eine Rekognoszierung
in der Richtung von Castello Branco. Da sie aber erfuhren,
daß 8000 Engländer und Portugiesen Abrantes besetzt
hielten, vermuteten sie, daß die Expedition des Marschalls
") Divisionsgenera] Lapisse zeichnete sich besonders bei
Madrid und in der Schlacht bei Talavera de la Reina am 27. und
2B, Juli 1809 aus, wo er an der Spitze seiner angreifenden Division
tödlich getroffen wurde.
10* 147
Digitized by Google
Soult auf Lissabon nicht geglückt war, und kehrten um.
Nun vereinigte Victor sein Korps in der Gegend von Tru-
jillo zwischen dem Ouadiana und dem Tajo, um sieh
seiner Verbindungen durch die Brücke von Almaraz zu
sichern, Madrid zu decken und die Armee Cuestas zu
beobachten. Das vierte Armeekorps, das der General Se-
bastiani befehligte, blieb seit der Affäre von Ciudad Real
in La Mancha.
Am 20. Mai erhielten die Offiziere und Unteroffiziere
aller vierten Schwadronen der ganzen Kavallerie vom
Kriegst in ister den Befehl, iii die Depots ihrer Regimenter
zurückzukehren, um neue Schwadronen zu formieren. Ich
verließ infolgedessen Spanien und ward bei meiner An-
kunft in Frankreich gegen die Englander an die flandrische
Küste geschickt.
148
Digitized by Google
2. Kapitel
Verfolgung des spanischen Parteiführers Marquis
von Portiere. Kämpfe in Andalusien. Rückkehr
nach Frankreich
Gegen Ende des Jahres 1803 kehrte ich nach Spa-
nien zurück, meinem Regiment ein Detachement von 80
Husaren zuführend. Es bildete einen Teil des aus 5000
Mann bestehenden Korps, welches der General Loison
befehligte.
Am 16. Dezember setzten sich die Generale Loison
und Solignac") von Vitoria und Miranda aus in Marsch
und begaben sich gleichzeitig auf das andere Ufer des
Ebro nach Logrono, um dort den Marquis Porliere26) zu
überraschen. Zahlreiche Quadrillen dieses Parteiführers
schnitten uns auf dem Wege von Bayonne nach Madrid
die Verbindungen ab, indem sie täglich Streifzüge, Ott bis
an die Tore der Städte Burgos, Bribiesca, Pancorvo, Mi-
randa und Vitoria, machten.
Die Infanteristen hatten ihre Bagage zurückgelassen,
ja sogar ihre Tornister, um in den Bergen gewandter
marschieren zu können.
") Louis Henri Graf von Loison, 1771—1816, und Barun
Jean Baptiste Solignac, 1773— IBM, nahmen beide als Divisions-
gcnerale an mehreren Schlachten in den spanischen Feldzügen teil.
'6) Juan Diaz Porliere, genannt cl Marqucsilo, 1775 bis
1815, war zuerst Anführer der Guerillas und dann Oberbefehls-
haber der Asturier, ein Amf, das er bis zur Wiedereinsetzung
Ferdinands VII. auf den Thron Spaniens bekleidete.
140
Digitized by Google
Am 17. gegen 4 Uhr nachmittags war Logrono in
Sicht Die Truppen des Generals Solignac stellten sich
gleichzeitig mit den unsrigen vor der Stadt auf. Sie be-
setzten sogleich die Tore und Eingänge, die sich auf dem
rechten Uler des Ebro befinden, während wir uns der
Brücken bemächtigten. Einen Augenblick schmeichelten
wir uns, die Parteigänger in Logrono eingeschlossen zu
haben. Aber bald darauf drangen wir in die Stadt ein,
ohne, zu unserer großen Verwunderung, einen einzigen
Schuß tun zu müssen.
Der Marquis von Portiere war am Morgen von unserm
Marsch in Kenntnis gesetzt worden und hatte sich über die
geschlängelten Wege in den Hochgebirgen von Castilien
gerettet. Die Bewohner der Stadt, Männer wie Frauen,
standen an den Fenstern, um uns ankommen zu sehen ;
ein Ausdruck allgemeiner Zufriedenheit und Genugtuung
war auf ihren Gesichtern zu lesen. Sie freuten sich, daß
uns der Marquis von Portiere entwischt war, aber sicher
nicht darüber, daß sie französische Truppen wiedersahen ;
denn sie wußten aus Erfahrung, daß wir kamen, um die
rückständigen Kontributionen einzutreiben.
Wir waren gezwungen, 2 volle Tage in Logrono zu
bleiben, um uns über den Feind zu informieren, dessen
Spur wir vollkommen verloren hatten. Endlich, am 21.,
erfuhren wir, daß der Marquis von Portiere den Weg nach
Soto eingeschlagen habe. Die in den Bergen gelegene
Stadt war der Sitz einer provinzialen Junta und schloß
Waffen-, Munitions- und Kleidermagazine in sich. Von
neuem machten wir uns auf die Verfolgung der Partei-
gänger, indem wir die Najerilla aufwärts marschierten. Die
Division des Generals Loison verbrachte einige Stunden der
Nacht in einem Dorfe am Fuße des Gebirges, io Meilen
südlich von Soto. Ein detachiertes Korps, bestehend aus
meiner Husarenabtcilimg, 150 polnischen Landers und 200
Voltigeuren, setzte die Verfolgung des Feindes fort, ich
klärte mit einer Vorhut von 25 Husaren diesen Marsch auf.
Wir marschierten durch enge, schwierige, schneebe-
150
Digitizsd by Google
deckte Wege und stießen mit Sonnenaufgang auf die feind-
liche Nachhut, von der wir einige Oefangene machten.
Darauf hielten wir mehrere Stunden Rast, um unsere
Pferde zu füttern und dem General Loison Zeit zu lassen,
uns zu folgen. Zu Mittag machten wir uns wieder auf
den Weg am linken Ufer eines kleinen Flusses entlang,
der gegen Soto hin fließt
Als wir eine Viertelmeile von der Stadt entfernt waren,
empfing uns plötzlich eine Salve von 30—40 Flinten-
schüssen, und wir sahen bewaffnete Bauern hinter den
Felsen hervortreten, hinter denen sie sich verschanzt hat-
ten. Sie rannten mit aller Kraft von den Bergen herab nach
Soto. Wir machten Halt, um die Infanterie und den Major
zu erwarten, der uns kommandierte. Da wir keinen Platz
finden konnten, um uns auf den Höhen in Schlachtord-
nung aufzustellen, blieben wir im Gänsemarsch auf dem
engen Wege, den wir gekommen waren.
Soto liegt am Ende eines engen Tales, das ein Ge-
birgsfluß durchfließt. Auf der andern Seite der Stadt er-
hebt sich ein steiler Berg, an dessen Flanke man einen ge-
krümmten Weg konstruiert hatte. Auf diesem Wege sahen
wir die Parteigänger vor uns ihren Rückzug bewerk-
stelligen. Die Beamten der Junta von Soto und eine
große Anzahl Geistliche, in schwarze Mäntel gehüllt, schrit-
ten voran und erreichten bald den Gipfel des Berges.
Ihnen folgten der Schatz und das Gepäck, das auf Maul-
tiere geladen war, die im Gänsemarsch hinterein ander-
gingen. Darauf kamen Soldaten in Uniform und eine große
Menge mit Jagdflinten bewaffneter Bauern, die ohne jeg-
liche Ordnung marschierten. Eine Masse Einwohner jeden
Geschlechts und Alters beeilte sich, kunterbunt mit den
Parteigängern, aus der Stadt zu kommen. Die Bewegung
dieser großen Menge Menschen, die sich gegenseitig dräng-
ten, um die Höhen zu erklimmen, bot dem Auge ein sehr
malerisches Bild.
Sobald die Spanier uns gewahr wurden, kam Unord-
nung in ihren Zug, und sie beschleunigten zuerst ihren
151
Digitized by Google
Marsch. Da sie aiwr später saiiui, daß wir mir eine wenig
zahlreiche Vorhut bildeten, beruhigten sie sich, und das
ganze Gebirge hallte von ihren langgezogenen hohlen
Schreien wider. Die uns zunächst Befindlichen hielten in
ihrem Marsch inne und stellten sieh auf die Felsen, von
wo aus sie auf ur.s ziehen und uns. ?unrlen: „Kommt
doch, wenn ihr es wagt, die Bnganlen in der Nahe 711 he-
sehen!*' Sr> nannten nainhch unsere Soldaten sie, wegvn
ihrer regellosen Arl /u kämpfen.
Der Major vom 2ti I icienre)-imcnt, der u:is befehligte,
hielt die Steihini! des Feindes in der fvonl für unangrnf-
bar und beschloß, sie 7U umgeht-:!. 15(1 unserer Voltigeure
stiegen in den Unlilwr^ hinab, durch wateten den Kluß
vor unsern Augen, erklimmen mit nmßer .Miihe den Kegen-
uherliegendcn Berg und schössen eii'i,;e 7eit auf den f'eind,
ohne ji'diiili Hoden zu gewinnen. Da ihre Munition bald
zur Neige ging, zogen sie sich hinter eine kleine Kapelle
auf dem Gipfel zurück und schickten zwei Leute zu uns,
um uns von ihrer I.atrt zu unterrichten. Das Geschrei und
die Flintenschüsse der Spanier vermehrten sich, denn sie
hatten gesehen, daß unsere Voltigeure uns um Unter-
stützung gebeten hatten, wir sie ihnen aber nicht schicken
kiiriitci.
Der Iii Uni eiste r de: feindlichen Kavallerie rückte auf
halbe Hnte:isi huHweitc mr <lie Truppe, die er am Ein-
gänge der Stadt befehligte und schickte sich an. den kom-
mandierenden Offizier der fra-ii .isischen Husarenvorhut
durch Beschimpfungen herauszufordern. Er ließ sein Pferd
tanzen und hieb uut seiutin Saliel uin sich, wie um >.u
/eigen, daß er ihn zu handhaben verstünde. Zuerst be-
trachtete der rlusamiotfi/lur ihn zk-nuch kalt, dann aber,
durch seine Prahlereien und durch das Geschrei der Spa-
nier, deren Kühnheit immer größer wurde, ungeduldig
gemacht, ritt er allein den engen, steilen Weg hinab, der
nach Soto führt. Der feindliche Rittmeister machte schleu-
nigst kehrt, als der Offizier einige Sehritte vor ihm an-
kam, und dieser kehrte zu seinen Reitern zurück.
152
Digitized by Google
Indes wurde der Major des 26. Regiments von Minute
zu Minute unruhiger; der General Loison kam nicht, der
Tag neigte sich zu Ende, und wir hörten keine Schüsse
mehr vom Gipfel des gegenüberliegenden Berges, erhielten
auch keine Nachricht von unsern Volügeuren.
Als die Nacht hereinbrach, hörten wir den Tambour
der Spanier zum Sammeln blasen und sahen darauf das
Feuer eines sehr lebhaften Gefechts, das sich am Ende des
Tales zwischen zwei T nippe nabt eilungen abspielte, die
sich den Übergang über den Fluß streitig machten. Darauf
folgte tiefe Stille.
Die Nacht und die Entfernung vermehrten noch unsere
Besorgnis. Wir glaubten, unsere Voltigeure seien vom
Gipfel heruntergestiegen, um sich mitten durch die Feinde
hindurch einen Weg zu bahnen, und fürchteten, daß sie,
von der liberzahl erdrückt, sich in der grüHlen Gefahr be-
fanden. Der Major scbiikte ihnen daher mrin Detaihement
zu Hilfe. Als wir in die Stadt eindrangen, stießen wir
anstatt auf Heinde auf die Division des Generals Loison,
Lr hatte, durch die Fuhrer irregeleitet, einen sehr langen
und ganz andern Weg eingeschlagen, als wir. Das Gefecht
das uns von weitem si> mörderisch erschienen war, harte
/wischen unsern Vultigeurcn, die tatsächlich nach dem
Aufbruch des Feindes in die Stadt hinabgegangen waren,
und den Grenadieren der Vorhut Loisons staltgefunden;
glücklicherweise erkannten sie sich schon nach der zweiten
Ladung. Die Nacht verhinderte sie, ihre Schüsse genau
zu richten, und so verlor jede Abteilung nur einen einzigen
Mann.
Soto war von seinen Einwohnern verlassen. Bald
hallte die Luft von dem dumpfen Geschrei der Soldaten
wider, welche die engen Straßen durcheilten und die
Türen der Häuser einschlugen, um sich Lebensmittel und
ein Obdach zu verschaffen. Plötzlich brach auf der Höhe
Feuer aus: wir hörten die Mauern mit Getöse zusammen-
stürzen. Kurze Zeit darauf fand eine Explosion statt,
und man sah die brennenden Trümmer eines Gebäudes
153
Digitized by Google
in die Luft fliegen. Das Feuer hafte mehrere Kisten mit
Kartuschen erfaßt, welche die Feinde unter Stroh versteckt
hatten, da sie sie nicht mitnehmen konnten.
Bei Sonnen au [gang verließen wir Soto und verfolgten
noch zwei Tage lang die Spur der Parteigänger über Man-
silla und Cervera. Als wir indes keine Hoffnung mehr
hatten, sie zu erreichen, nahmen wir im Flecken Arnedo
Quartiere und kehrten dann nach Logrono zurück.
Fast einen ganzen Monat blieben wir in der Provinz
La Rioca, währenddem der General Loison die rückstän-
digen Kontributionen eintrieb. Dann machten wir uns
aufs neue auf der Straße von Burgos auf den Weg, um
zu unserm Regiment in Andalusien zu stoßen.
Die Andalusitr und Spanier sind im allgemeinen, wie
die Orientalen, sehr mäßig inmitten des Überflusses; und
zwar sind sie es aus religiösem Prinzip. Sie betrachten
die Unmäßigkeit als einen Mißbrauch der von Gott be-
willigten Gaben und verachten diejenigen tief, die sich
ihr hingeben.
In ihrer Art, Krieg zu führen, findet man noch heute
eine so treffende Ähnlichkeit mit den Völkern an den
Ufern des Nils, daß, wenn man in einer Geschichte des
Feldzugs von Ägypten den arabischen Namen spanische
unterschöbe, man den Bericht der in Spanien vorgefalle-
nen Ereignisse zu lesen glauben würde.
L>ie nationalen und lokalen Truppen oder die Massen-
crhebu:igcn in Spanien kämpfen ohne Regel, indem sie
wilde Schreie ausstoßen. Sie besitzen heim Angriff aul
freiem Frldi- jrnrs l ngfstum, jene ir.it Ve'/weillung und
Fanatismus gemischte Wut, welche die Araber auszeichnet.
Sehr oft verzweifeln sie auch wie diese zu früh an ihrem
Gelingen und überlassen das Schlachtfeld dem Feind ge-
rade in dem Augenblick, wo ihnen der Sieg sicher ist
Wenn sie aber hinter Mauern und Verschanzungen kämp-
fen, dann ist ihre Entschlossenheit unerschütterlich. In
Spanien wie in Ägypten konnten unsere Soldaten keinen
Schritt hinter ihren Kolonnen zurückbleiben, ohne ao
154
Digitizsd by Google
gleich ermordet zu werden. Endlich hegten die Spanier
des Südens denselben tiefen Haß und besaßen auch die
bewegliche Phantasie der Orientalen. Wie sie, waren sie
manchmal durch das geringste Gerücht einer Niederlage
entmutigt und bei der leisesten Hoffnung auf Erfolg auf-
ständisch. Die Spanier wie die Araber ließen sich oft gegen
ihre Gefangenen zu den scheußlichsten Greueltaten hin-
reißen, manchmal aber übten sie auch die edelste und
großmütigste Gastfreundschaft gegen sie.
Nachdem wir Andujar, Cordoba, Ecija und Carmona
durchquert hatten, kamen wir in Sevilla an, wo wir vom
Marschall Soult den Befehl erhielten, zu unseren Regiment
in Ronda zu stoßen, einer 10 Meilen von Gibraltar gele-
genen Stadt Wir waren ganz erstaunt über die tiefe Ruhe,
die in den Ebenen von Andalusien herrschte; die meisten
der großen Städte hatten an den König Joseph Deputa-
tionen gesandt Aber diese Ruhe war nur scheinbar und
nur in den Gegenden vorhanden, wo die Franzosen zahl-
reiche Truppen harten. Die Bewohner der Provinzen Mur-
cia, Granada, Ronda sowie der Gebirge, die Andalusien
umgeben, durchschneiden oder es von Esfremadura und
Portugal trennen, hatten alle gleichzeitig die Waffen er-
Wir verließen Sevilla am 18. März, um in Utrera zu
übernachten, und am 19. begaben wir uns nach Morön,
einem am Fuße des Gebirges von Ronda gelegenen
Flecken. Die Bewohner Moröns waren eben im Begriff,
sich am nächsten Tag mit ihren Nachbarn, den Berg-
völkern zu vereinigen, die sich seit langem schon in Massen
erhoben hatten. Der größte Teil der Bevölkerung ver-
sammelte sich bei unserer Ankunft auf dem großen Platze
der Stadt Die Männer sahen uns mit einem Ausdruck
von verhaltener Wut an und schienen mit ihren Augen
unsere kleinsten Bewegungen zu verfolgen, nicht etwa
um eine harmlose Neugier zu befriedigen, sondern um
sich an den Anblick von Feinden zu gewöhnen, die sie
in kurzem zu schlagen hofften, und sich auf diese Weise
155
Digitized by
von jener Furcht vor dem Unbekannten zu befreien, welche
so großen Einfluß auf Völker hat, die eine starke Hin-
bildungskraft besitzen. Mehrere Frauen trugen Kleider
aus englischem Stoff, auf dem die Bildnisse des Königs
Ferdinand VII. und der spanischen Generale gemalt waren,
die sich im Kriege gegen die Franzosen hervorgetan hatten.
Als wir die Entschlossenheit und den aufrührerischen Oeist
sahen, der in dem Flecken herrschte, faßten wir den Ent-
schluß, uns alle zusammen in drei benachbarten Gasthöfen
einzuquartieren. Denn wenn wir uns zerstreut hätten, um
die Nacht in den Häusern der Einwohner zu verbringen,
wie wir das in den Ebenen ruhig tun konnten, so wären
wir wahrscheinlich alle ermordet worden . ■ ■
Nachdem wir Morön verlassen hatten, gingen wir
ins Gebirge von Ronda, um in Olvera zu übernachten.
Wie an den andern Tagen war ich meinem Detachement
vorausgeritten, um Quartiere zu machen. Ein Husar und
ein junger Brigadier, den ich provisorisch unter den Re-
kruk:it ausgewählt hatte, damit er mir als Quartiermacher
diene, begleiteten mich. Da uns die Vorhut bald eingeholt
hatte, fürchtete ich, nicht genügend Zeit zu haben, um
die Quartiere und Lebensmittel noch vor der Ankunft
des Detachements vorzubereiten. Wir konnten uns nur
langsam vorwärts bewegen, weil der Weg felsig und
schwierig war und unsere Pferde schon einen Marsch
von mehreren Monaten hinter sich hatten. Ich gab daher
mein Pferd dem Husaren und bestieg das eines Führers,
den wir aus Morön mitgenommen hatten. Darauf ritt ich
meinen Begleitern voraus und gelangte allein in die Nähe
von Olvera. Ein tiefes, kahles Tal, in das ein steiler
Weg hinabführt, trennte mich von dem Flecken, der zwi-
schen Felsen auf dem Gipfel eines das Land beherrschen-
den Berges gelegen ist Je näher ich dem Orte kam,
desto verwunderter fragten sich die auf den umliegenden
Feldern zu 8 oder 10 arbeitenden Bauern, was wohl die
Ursache meines Kommens sein möge, und bald darauf
verließen sie ihre Arbeit, um mir in dem engen Wege zu
156
Digilized by Google
folgen. Die Bewohner Olveras hatten mich längst bemerkt
und kamen in Menge auf die Felsen, um mich zu beob-
Ich fing an zu fürchten, daß sich keine Franzosen
in dem Orte befänden, wie ich zuerst angenommen hatte,
und machte am Ende des Tales Halt, erstaunt über die
immer mehr wachsende Bewegung, die ich bemerkte.
Einen Augenblick zögerte ich, ob es nicht besser sei, um-
zukehren, aber dann glaubte ich, den Entschluß fassen zu
müssen, auf gut Glück weiter vorzugehen. Das Pferd,
das ich bestiegen hatte, war von dem eben gemachten
Ritt erschöpft, und der Weg, den ich hätte zurücklegen
müssen, sehr abschüssig. Außerdem kam dicht hinter mir
ein Trupp mit Hacken bewaffneter Feldarbeiter. Diese
hatten mich bald eingeholt und fragten mich, aus welcher
Provinz ich sei, wohin ich ginge und was für Nachrichten
ich brächte. Aus ihren Fragen ersah ich sogleich, daß
sie mich für einen Soldaten in spanischen Diensten hiel-
ten. Meine dunkelbraune Uniform war die Ursache ihres
Irrtums. Ich hütete mich wohl, sie aus ihrem Irrtum zu
reißen, denn ich wußte nicht, ob ich es, ohne mein Leben
zu riskieren, tun könnte. Ich hoffte, bis zur Ankunft meiner
Abteilung Zeit zu gewinnen, und ließ die Bauern glauben,
daß ich ein im Dienste der Junta stehender schweizerischer
Offizier sei und nach Gibraltar ginge. Und um sie in gute
Laune zu versetzen, fügte ich hinzu, daß der Marquis von
La Romana soeben einen großen Sieg hei Badajos davon-
getragen habe. Die Bauern nahmen die Nachricht mit
großer Gier auf und wiederholten sie sich gegenseitig.
Dabei überhäuften sie die Franzosen mit tausend Ver-
wünschungen, was mir eine traurige Idee von dem Schick-
sal gab, das mich erwartete, wenn man mich entdeckte.
Nun fragte ich meinerseits die mich Umgebenden,
ob diese verfluchten Franzosen nicht auch in ihrem Orte
wären, und sie antworteten mir, der König Joseph sei mit
all seinen Garden von Gaucin zurückgeworfen worden und
habe Ronda seit mehreren Tagen verlassen, das schon
157
Digitized by Google
von 1U0O0 Bergbewohnern besetzt sei. In Roiida aber
wollten wir zu unserm Regiment stoßen! Wenn diese
Stadt wirklieh in die Hände der Feinde gefallen war,
würde unser Detachement in diesen Bergen vollkommen
vernichtet werden. Die Bauern machten vor einer Quelle
Halt, um zu trinken, und ich setzte meinen Weg nach
dem Berge allein fort.
Bald gewahrte ich fünf, wie Soldaten bewaffnete und
ausgestattete Männer, die sich beeilten, mich auf einem
Seitenweg zu überholen. Sie kamen vor mir in Olvera
an. Da sich laute, wilde Rufe hören ließen, zweifelte ich
nicht, daS die fünf Männer die Nachricht von der nahen
Ankunft meiner Abteilung verbreitet und entdeckt hatten,
daß ich ein französischer Offizier war. Noch einmal blieb
ich unschlüssig stehen. Die Bewohner, die mich vom
Felsen aus beobachteten, bemerkten meine Unent-
schlossenheit, und ihre Rufe verdoppelten sich. Es waren
sehr viele Frauen darunter, deren spitze Stimmen sich unter
die der Männer wie das Pfeifen des Windes im Sturm
mischten. Ich entschloß mich, vorwärts zu gehen, denn
ich wußte, daß ich verloren war, wenn ich versucht haben
würde, umzukehren.
Bald sah ich einen Corregidor"), einen Alcalden und
zwei Geistliche auf mich zukommen. Ihnen gingen fünf
oder sechs Personen voran, an deren Spitze ein junger
Mann marschierte, der wie ich später erfuhr, der „Qra-
cioso"30) des Dorfes war. Er sagte mit spöttischer Miene
auf spanisch zu mir: „Die Frauen von Olvera lieben wie
es scheint die Franzosen sehr; sie empfangen sie ausge-
zeichnet." Und darauf machte er lachend noch mehrere
ähnliche Scherze. Einer seiner Gefährten fragte mich mit
lauter Stimme, wie groß die Anzahl der Franzosen sei.
Ein Corregidor war in Spanien eine Art Landrichter, d. h.
die vom König eingesetzte erste obrigkeitliche Person in einer Stadt.
M) „Gracioso" bedeutet soviel wie Spaßmacher, besonders
die komische Person im spanischen Lustspiel,
158
Digilizsd by Google
die mir folgten. Ich antwortete, es wären wenigstens 200.
Aber sofort antwortete er mir grob: „Es ist nicht wahr;
kaum hundert sind es, Sie inbegriffen. Die fünf Männer,
die eben im Dorfe angekommen sind, haben sie auf dem
Wege von Moron gesehen." Nun war es mir klar, daß
sie wußten, wer ich war. Da näherten sich mir der Corre-
gidor und die Geistlichen, und ich glaubte, auf ihren
finstern Gesichtern die Absicht zu meiner letzten Ölung
zu lesen. Inmitten des Tumults unterschied ich deutlich die
Worte: „Man muß ihn hängen, er ist ein Franzose; es
ist der Teufel selbst, es ist der leibhaftige Satan!"
Plötzlich brachen die Rufe zu meiner großen Ver-
wunderung ab, und ich sah die Spanier sich zerstreuen.
Der Brigadier, der Husar und der Führer, die ich zurück-
gelassen hatte, waren auf der gegenüberliegenden Hohe
erschienen, und die auf den Felsen stehenden Bewohner
des Ortes hielten sie von weitem für die Vorhut meines
Detachements. Sofort benachrichtigten sie durch Oesten
und Worte die mich umgebende Menge, die furchtsam aus-
einanderstob.
Der Corregidor sagte zu mir, wie um sich wegen des
Vorgefallenen zu entschuldigen, ich sollte den Rufen einiger
Betrunkener, die sich einen Spaß daraus machten, die
Bevölkerung aufzureizen, keine Bedeutung beimessen. Und
als ich fragte, was die fünf bewaffneten Männer im Dorfe
zu suchen hätten, antwortete mir einer der Geistlichen
in süßlichem Tone und mit leiser Ironie, daß jene Männer
Vogeljäger seien und ihre Tornister Wild enthielten. Ich
war gezwungen, mich mit diesen Entschuldigungen, so
schlecht sie auch waren, zufrieden zu geben, und stieg
von meinem Pferde, um zu Fuß mit den Geistlichen und
dem Alkalden nach dem Rathause zu gehen, wo wir Quar-
tierscheine ausfertigen wollten.
Der mir folgende Brigadier ließ den Husaren und
mein Pferd am Eingange des Dorfes zurück und kam bald
im Galopp an die Türe des Hauses, in welchem ich mich
befand, angesprengt Kaum war er vom Pferde gestiegen,
159
Digitized by Google
als die Spanier sich in die benachbarten Straßen stürzten
und wie Wütende schrien. Sie hatten eine zahlreiche
Truppe erwartet, als sie aber nur einen einzigen Mann
sahen, erkannten sie ihren Irrtum und kamen zornig aus
ihren Häusern heraus. Ihre Wut war so groB, daß sie sich
gegenseitig über den Haufen rannten. Ich trat sogleich
auf den Balkon heraus, rief meinem Brigadier zu, herauf-
zukommen, was er auch tat, und dann schlössen wir uns
beide in den Ratssaal ein und verbarrikadierten uns. Das
Volk hielt sich ein wenig unten auf, um sich des Pferdes,
des Mantelsacks und der Pistole des Brigadiers zu be-
mächtigen, dann stürmten die Anführer der Meute die
Treppen herauf bis zu dem Zimmer, in dem wir uns
mit dem Corregidor und den beiden Priestern be-
fanden, und schrien uns durch das Schlüsselloch zu,
uns zu ergeben.
Vorerst ließ ich ihnen durch den Corregidor, den ich
in meiner Hand hatte, befehlen, still zu sein, dann sagte
ich ihnen, daß unser Dctach erneut bald da sein würde,
ferner daß wir ihnen unser Leben teuer verkaufen würden
und daß, wenn sie versuchen sollten, einzudringen, ihr
Beichtvater das erste Opfer ihrer Wut sein würde. Da
ich fürchtete, sie möchten die Türe eindrücken, trat ich
einige Schritte bis zu dem engen Eingang des Nebenzim-
mers zurück, immer den Pfarrer am Arme festhaltend,
um mich im gegebenen Falle seiner als Schild zu bedienen.
Ich zog meinen Säbel, befahl dem Brigadier dasselbe zu
tun und im Hintergrunde des Zimmers zu bleiben, um zu
verhindern, daß der Vikar und der Corregidor mich nicht
erfassen konnten. Bald verdoppelte sich das wilde Ge-
schrei und die Einwohner, die mit uns parlamentiert hat-
ten, wurden durch andere zurückgedrängt Gegen die
Tür dröhnten dumpfe Schläge, und es war vorauszusehen,
daß sie nicht mehr lange der Wucht dieser Masse Menschen
widerstehen konnte. Ich sagte daher zu meinem Geist-
lichen: „Verzeihen Sie mir, mein Vater: Sie sehen, daß es
mir unmöglich ist, dem Pobel zu widerstehen; ich bin ge-
160
Digilizsd by Google
zwungen, Sie mein Los teilen zu lassen, und wir werden
zusammen sterben !"
Von der Gefahr, welcher der Pfarrer und er selbst
ausgesetzt war, erschreckt, trat der Vikar auf den Balkon
heraus und schrie den Einwohnern zu, daß ihr Beicht-
vater unvermeidlich sein Leben einbüßen werde, wenn
sie sich nicht augenblicklich zurückzögen. Als das die
Frauen hörten, heulten und schrien sie, und die Menge
zog sich sogleich zurück, so groß und echt war die Ver-
ehrung des Volkes für die Priester.
Der Brigadier und ich hielten noch eine Zeitlang diese
Art von Blockade aus, bis der Platz plötzlich ganz ruhig
ward und man nur das Getrampel der Pferde meines Deta-
chements vernahm, das sich in Schlachtlinie unterhalb des
Dorfes aufstellte. Nun begaben auch wir uns, in Beglei-
tung des Corregklors und des Pfarrers, die wir als Deckung
mitnahmen, zu unserer Abteilung. Ich erzahlte meinen
Kameraden, was mir begegnet war, und riet ihnen, noch
am selben Tage nach Ronda zu gehen, nachdem wir
unsere Pferde gefüttert hätten. Aber der Bataillonsadju-
tant, der uns befehligte, wollte trotz aller meiner Vor-
stellungen in Olvera übernachten und sagte mir mit einem
gewissen Vorwurf in der Stimme, daß man noch niemals
Linientruppen gesehen habe, die sich durch Bauern in Ver-
legenheit bringen ließen. Der Offizier kannte eben die
Spanier nicht, denn er war erst kürzlich von Frankreich
gekommen.
Wir schlugen unser Biwak auf einer mit Mauern um-
gebenen Wiese auf, die zu dem Gasthof an der Dorfstraße
gehörte. Die Einwohner verhielten sich für den Rest
des Tages scheinbar ruhig und lieferten uns Lebensmittel.
Aber anstatt eines jungen Rindes, das ich verlangt hatte,
brachten sie uns einen in vier Teile gehackten Esel. Die
Husaren fanden das Kalb, wie sie es nannten, ein wenig
fad im Geschmack, aber erst lange danach erfuhren wir
den Betrug durch die Bauern selbst. Sie schrien uns
nämlich oft nach: „Ihr habt einen Esel in Olvera ge-
ll H.M7: Span. FrEitieiWninpi. 161
Digitized by Google
gessen!" Ihrer Meinung nach war dies die gröbste Be-
leidigung, die einem Christen menschen zuteil werden
konnte.
Gegen Abend des nächsten Tages nahmen sie eine
immer drohendere Haltung an und begaben sich in großer
Anzahl auf die Felsen. Bald bildeten sie eine enge Hecke
um den Eingang unseres Biwaks. Dort blieben sie un-
beweglich, die geringste unserer Bewegungen beob-
achtend.
Ein wenig vor Einbruch der Nacht näherte sich der
Pfarrer unserm Biwak und verlangte, mich zu sprechen.
Er teilte mir mit, daß er ausgezeichnete Quartiere für un-
sere Befehlshaber habe bereiten lassen, und bestürmte
mich sehr, daß ich meine Kameraden veranlassen sollte,
sie zu beziehen. Seine Absicht war, wie wir später er-
fuhren, uns gefangen zu nehmen, in der Hoffnung, daß
unsere Soldaten in Verwirrung gerieten, wenn sie sich"
am nächsten Tag ihrer Offiziere beraubt sähen.
Ich wies dies Anerbieten natürlich zurück. Darauf
bat er mich, doch wenigstens allein zu ihm zu kommen,
er wolle mich gut behandeln. Ich fragte meine Kameraden
um Rat, und wir kamen überein, daß ich allein ins Dorf
gehen solle, um den Einwohnern zu zeigen, daß wir keine
Rachepläne hätten, und ihnen so jeden Gedanken an einen
Überfall auf uns zu benehmen. Meine Kameraden wurden
zu diesem Vorschlag wohl auch durch die Hoffnung veran-
laßt, daß ich ihnen ein gutes Abendessen schicken werde.
Ich kehrte zum Pfarrer zurück und forderte sein geheiligtes
Ehrenwort, daß er mir keinen Schaden zufügen wolle.
Er gab es mir auf der Stelle, und um ihm mein vollkomme-
nes Vertrauen zu beweisen, schnallte ich in seiner Gegen-
wart meinen Säbel ab, übergab ihn der Schildwache und
folgte ihm ohne Waffen.
Wir gingen zusammen durch das Dorf; alle Ein-
wohner, an denen wir vorüberkamen, grüßten ehrerbietig
meinen Führer und schauten mich darauf mit drohender
Miene an. Wenn sie aber zu sehr in meine Nähe kamen,
162
Digitized by Google
um mir Angst zu machen, wies sie der Geistliche nur mit
einem einzigen Bück zurecht, so groß war die Macht, die
ihm das heilige Amt, das er bekleidete, verschärfte.
Wir erreichten bald sein Haus, wo wir von der Wirt-
schafterin empfangen wurden. Sie war ein großes Mäd-
chen von 35 bis 40 Jahren. Zuerst setzte sie uns Schoko-
lade und Biskuit vor, nachher servierte sie die Abendmahl-
zeit auf einem Tisch neben dem Kamin in der Küche. Ich
ließ meinen Kameraden zu essen schicken und setzte mich
zu Tisch. Der Pfarrer setzte sich mir gegenüber, die Wirt-
schafterin an seiner rechten Seite, fast unter dem Schorn-
stein, der sehr hoch war. Nach kurzem Schweigen fragte
mich der Pfarrer, ob ich nicht morgen, ehe ich den Ort
verließe, in die Messe ginge, und ich antwortete, ich sei
nicht katholisch. Bei diesen Worten verfinsterten sich seine
Züge, und seine Wirtschafterin, die noch niemals einen
Ketzer gesehen hatte, sprang wie von der Tarantel ge-
stochen in die Hohe und stieß unwillkürlich einen langen
Seufzer aus. Nachdem sie nachher schnell mehrere Ave
Maria gemurmelt hatte, sah sie den Pfarrer fragend an, um
zu wissen, welchen Eindruck sie beim Anblick einer solch
entsetzlichen Erscheinung, wie die eines Ketzers war,
empfangen sollte. (Die Volkse rzählungcn und Bilder eini-
ger Kirchen des Landes stellten nämlich die Ketzer als
feuerspeiende Wesen dar.) Als die Wirtschafterin indes
den Pfarrer ruhig die Unterhaltung wieder aufnehmen sah,
erholte auch sie sich von ihrem Schrecken.
Nach dem Abendbrot lud mich der Geistliche ein,
bei ihm zu übernachten, indem er mir Sagte, daß ich wohl
Sehr müde sein müsse. Er wolle mir schon ein Bett geben,
das unser Biwak aufwöge. Als er sah', daß ich mit der
Antwort zögerte, fügte er hin/u, es sei gut, man ließe erst
die Menge sich verlaufen, und ich müßte wenigstens einige
Stunden warten. Ich begann allmählich zu fürchten, daß
er mich in seinem Hause zurückhalten und den Einwohnern
überliefern wollte. Später sagte man mir, daß dies wirk-
lich seine Absicht und er der Chef des ganzen Aufstandes
U* 163
Digitized by Google
war. Aber lange Zeit danach kam ich zur Überzeugung-,
daß er mich wahrscheinlich nur vor dem verhängnisvollen
Schicksal, das die Dorfbewohner und er meinem Deta-
chement zugedacht hatten, bewahren wollte.
Da es in seiner Macht lag, mich zu verraten, wenn
er wollte, hütete ich mich wohl, ihm Mißtrauen entgegen-
zubringen. Ich sagte ihm daher, daß ich sein Anerbieten
annähme und mich vollkommen sicher fühlte, da ich ja
sein heiliges Ehrenwort habe. Doch bäle ich ihn, mich
spätestens in zwei Stunden zu wecken, weil meine Kame-
raden leicht, wenn sie mich nicht vor Mitternacht zurück-
kehren sähen, ihr Biwak verlassen und das Dorf an allen
Ecken anzünden könnten. Der Pfarrer führte mich in ein
Nebenzimmer, ich legte mich zu Bett, was uns sehr selten
in Spanien passierte, und er ging mit der Lampe hinaus,
mir eine gute Nacht wünschend.
Die tiefe Finsternis trug nicht gerade dazu bei, meine
Lage als eine rosige erscheinen zu lassen. Ich bereute,
mich meines Degens entledigt /w haben, den ich wie einen
treuen Gefährten, der mir einen guten Rat hätte geben
können, vermißte. Unter meinen Fenstern horte ich das
Gemurmel der Einwohner, die vorübergingen. Von Zeit
zu Zeit öffnete der Pfarrer ein wenig meine Tür, steckte
seinen weißen Kopf hindurch und beleuchtete mich mit
der Lampe, um zu sehen, ob ich schlafe. Ich tat so, als
wenn ich tief in Schlaf versunken wäre, und er zog sich
leise zurück.
Da hörte ich, wie vcrschk-ileiR' Miimicr in das Zimmer
nebenan eintraten. Sie sprachen zuerst sehr ruhig, aber
nachher wurden sie lauter und sprachen alle auf einmal.
Darauf trat wieder Stille ein, als fürchteten sie, mich er-
weckt zu haben. Nun fingen sie an, sich mit leiser Stimme,
aber sehr lebhaft zu unterhalten. In dieser Ungewissen und
seltsamen Lage verbrachte ich zwei Stunden, während
deren ich überlegte, was ich tun sollte. Endlich entschloß
ich mich, den Pfarrer zu rufen, der sofort kam. Ich sagte
ihm, daß ich augenblicklich zu meinem Detachement zu-
164
Digitized by Google
rückkehren wolle, und ohne mir zu antworten, stellte er
seine Lampe auf den Tisch und verließ mich, wahrschein-
lich um die in seinem Hause befindlichen Spanier zu be-
fragen, was er mit mir machen solle.
Inzwischen sah ich mit großer Freude denjenigen
unserer Unteroffiziere in mein Zimmer treten, der
Spanisch sprach. Der Corregidor begleitete ihn. Meine
Kameraden seien in der größten Besorgnis über mein
Schicksal, sagte er, und hatten ihn sescik'kt, um sich über
meinen Verbleib zu informieren. Ferner teilte er mir mit,
daß mich die Einwohner schon als ihren Gefangenen
betrachteten, daß sie uns am nächsten Tag angreifen
wollten und schwüren, keiner von uns solle ihnen ent-
kommen. Ich zog mich eiligst an und forderte aufs neue
den Geistlichen auf, sein Wort zu halten, indem ich hinzu-
fügte, daß meine Kameraden drohten, die Waffen zu er-
greifen, wenn ich nicht bald zurückkäme. Zu meinem
Glück waren die Vorbereitungen zum Aufstande des Dor-
fes noch nicht ganz vollendet Der Pfarrer wagte nicht,
mich noch langer zurückzuhalten. Er rief den Corregidor,
einen Alcalden und einige Männer, die uns in ihre Mitte
nahmen und uns durch die Menge hindurch zu unserm
Biwak geleiteten.
Der Unteroffizier, den mir meine Kameraden sandten,
war ein Normanne und tapfer wie keiner. Er verbarg
unter dem Scheine der vollkommensten Gutmütigkeit alle
List, die man gewöhnlich seinen Landsleuten zuschreibt.
Er hatte sich bei den Bewohnern von Olvcra als Sohn eines
in Frankreich mit Karl IV. als Gefangener zurückgehal-
tenen Offiziers der wallonischen Garden eingeführt und
erzählte ihnen, er sei gezwungen worden, mit uns zu
dienen, suche aber schon lange eine Gelegenheit, zu deser-
tieren. Die Spanier dieser Gegend waren gleichzeitig listig
und leichtgläubig wie Wilde. Sie glaubten alles, was unser
Unteroffizier sagte, bedauerten ihn, gaben ihm Geld und
vertrauten ihm einen Teil ihrer Pläne an. Durch ihn er-
fuhren wir denn, daß die Bewohner der umliegenden
165
Digitized by Google
Dörfer sich in großer Anzahl am nächsten Tage versam-
meln sollten, um uns in i-iimm g cflüi räicht'n Delikt: auf
der Straße von Honda anzugreifen.
Am nächsten Tage, als wir gerade aufbrechen wollten,
kamen der Geistliche und der Corregidor in unser Biwak,
um uns um ein Zeugnis zu bitten, das den Franzosen be-
weisen sollte, wie rücksichtsvoll sie uns behandelt hätten.
Sie hofften, daß die drohende Hallung der Bewohner uns
veranlaßte, ihrem Wunsehe nachzukommen. Aber wir ant-
worteten, daß wir ihnen das Zeugnis nicht früher aus-
stellen würden, als bis sie uns die Waffen zurückerstattet
hätten, die sie von dem Pferde des Brigadiers genommen,
der mit mir im Rathause eingeschlossen gewesen war.
Der Corregidor und der Pfarrer schlugen wieder
schweigend Ihren Weg nach dem Dorfe ein, und kaum
waren sie fort, so ließen sich Alarmrufe hören. Die Be-
wohner hatten 6 Husaren und 2 Hufschmiede, die unvor-
sichtigerweise ihre Pferde in der Dorfschmiede beschlagen
hatten, niedergemacht. Nun begann das Gefecht. Wir be-
stiegen eilig unsere Pferde, und das Oros unseres Deta-
chements folgte unserm Hefehlsliaber nach dem Orte, den
man auf Flintenschulhveite vom Dorfe entfernt zum Sam-
meln gewählt hatte. Ich blieb im Biwak und behielt zehn
Husaren bei mir, um den Rückzug zu decken und das
Gepäck zu schützen, das man noch nicht auf die Maul-
tiere hatte laden können, weil die spanischen Führer wäh-
rend der Nacht ausgerissen waren.
Bald kam einer meiner Kameraden zurück, um mir
zu sagen, daß unsere Nachhut auf dem Punkte sei, ein-
geschlossen zu werden, und daß die Spanier ein sehr
lebhaftes Musketenfeuer von den Felsen und Fenstern
der am äußersten Ende des Dorfes liegenden Häuser, an
denen wir vorbei mußten, gegen das Detachement ent-
wickelt hätten. Da wir keine Hoffnung auf Hilfe hatten,
entschlossen wir uns, uns einen Weg mitten durch die
Feinde zu bahnen. Mein Pferd erhielt eine Kugel, die
ihm den Hals durchbohrte, und es stürzte zu Boden,
166
Digitized by Google
aber ich riß es mil aller Kraft wieder in die Höhe und
erreichte glücklich das Detach erneut. Kurz darauf traf eine
Flintenkugel meinen Kameraden in den Arm. Wir sahen
fast alle Husaren fallen, die uns folgten. Frauen oder viel-
mehr entfesselte Furien stürzten sich mit gräBlichem Ge-
heul auf unsere Verwundelen und stritten sich um sie, um
sie auf die grausamste Weise zu Tode zu quälen. Sie
stachen ihnen Messer und Scheren in die Augen und wei-
deten sich mit wilder Freude an dem Anblick ihres Blutes.
Die Übertreibung ihrer gerechten Empörung gegen die,
welche ihr Land überschwemmten, hatte sie vollkommen
entartet.
Unser Detachement war während der ganzen Zeit
unbeweglich geblieben. Die Einwohner wagten sich nicht
von den Felsen und aus ihren Häusern zu entfernen,
und wir konnten mit unsern Pferden nicht zu ihnen ge-
langen, um unsere Kameraden zu rächen. Wir nahmen
daher unsere Verwundeten in die Mitte unserer Truppe
und setzten uns langsam in Bewegung.
Da wir uns keinen Führer hatten verschaffen können,
schlugen wir, ohne zu wissen, wohin wir gingen, den
ersten Weg ein, der von der Straße abzweigte, auf der
die Bergbewohner Verschanzungen angelegt hatten, und
irrten so erst einige Zeit auf gut Glück in den Feldern
herum. Endlich sahen wir einen Mann auf einem Maul-
tier aus einem Bauerngehrift herauskommen. Ich rannte
ihm nach, erwischte ihn und stellte ihn zwischen zwei
Husaren der Vorhut, ihm befehlend, uns nach Ronda zu
führen, wenn er nicht niedergesäbelt werden wollte. Ohne
diesen Bauern hätten wir niemals unsern Weg in dem uns
unbekannten Lande finden können. Auf diese Weise hatten
wir stets zu kämpfen, nicht gegen militärische und vorher-
gesehene Schwierigkeiten, wie sie sich in jedem ge-
regelten Kriege finden, sondern gegen zahllose Hinder-
nisse, die aliein aus dem nationalen Geist entspringen.
Bald sahen wir Ronda vor uns liegen. Unsere Freude,
dem Ende unseres Marsches nahe zu sein, wurde durch
167
Digitized by Göogle
den Anblick neuer in den Wäldern verschanzter Feinde
getrübt, die auf uns ein sehr lebhaftes Feuer eröffneten.
Wir waren in größter Besorgnis und fürchteten, die Stadt
möchte von den Franzosen verlassen worden sein. Aber
bald sahen wir zu unserer lebhaften Freude Husaren von
unscrm Regiment uns entgegenkommen; auch sie harten
uns von weitem für Feinde gehalten.
Der König Joseph war nur wenige Tage in Ronda
geblieben. Er hatte als Garnison 250 Husaren unseres
Regiments und 300 Mann Infanterie seiner Garde in der
Stadt gelassen und bei seiner Abreise unserm Oberst
mit dem Titel des Gouverneurs die unbegrenztesten Voll-
machten über die umliegenden Provinzen erteilt Die ab-
solute Macht, die mit diesem glänzenden Titel verbunden
war, hätte sich über alle Provinzen im Umkreis von 15
bis 20 Meilen erstrecken können, aber die Schmuggler
der Sierra hielten unsere Macht in den engen Grenzen der
Mauern von Ronda, wo wir nicht einmal ruhig schlafen
konnten wegen des Mißtrauens, das man den Bewohnern
der Vorstädte entgegenzubringen gezwungen war.
Als die Nacht eingebrochen war, sahen wir eine
Menge Feuer nach und nach auf den benachbarten Bergen
auflodern; der Feind hatte um die Stadt herum Stellung-
genommen, um uns am nächsten Tage anzugreifen.
Seit einer halben Stunde hörten wir zu wiederholten
Malen ein Alphorn blasen, dessen Ton aus dem kleinen.
Tal außerhalb der Festung zu kommen sehten. Wir scherz-
ten über diese formwidrigen Töne, ohne zu ahnen, was
die Ursache dazu war, als ein Husar von einem unserer
vorgeschobenen Posten angesprengt kam und dem Oberst
meldete, daB ein Parlamentär der Feinde empfangen zu
sein wünschte. Der Oberst befahl, ihn hereinzuführen, und
bald darauf brachte ihn der Soldat mit verbundenen Augen
herbei. Er schlug uns vor, uns zu ergeben, da der General
der Insurgenten mit 15 000 Mann alle Ausgänge besetzt
halte, durch die wir versuchen könnten zu entkommen.
Er habe vor einigen Tagen eine Zufuhr von 50 000 Kar-
168
DigitizatJ by Google
tuschen erhalten, die uns zugedacht seien, und er wüßte,
daß wir uns nicht lange in der Fesf ung verteidigen könnten,
da wir fast gar keine Munition mehr hätten. Das war
allerdings wahr: die Soldaten der Infanterie besaßen jeder
nur noch drei Kartuschen. Unsere Husaren konnten von
ihren Säbeln in den Felsen keinen Gebrauch machen,
und ihre Pferde waren ihnen meist im Wege, ohne ihnen
nützlich zu sein.
Der Oberst antwortete dem Unterhändler, daß wir
uns vor allen Dingen erst mal zu Tisch setzen wollten, und
gab mir ein Zeichen, den Ankömmling in das Zimmer zu
führen, wo das Mittagsmahl hergerichtet war. Der Parla-
mentär war ein junger Mann mit einem ziemlich hübschen
Gesicht. Er trug einen runden andalusischen Hut und eine
kurze Jacke aus braunem Tuch mit einem hellblauen Vor-
stoß. Das einzige, was ihn von dem andern unterschied,
war eine Schärpe nach der Mode des Landes, deren Enden
mit einigen Silberfäden durchwirkt waren.
Im ersten Augenblick war er sehr erstaunt, sich in
seiner bescheidenen Ausstattung inmitten eines Kreises
von Offizieren zu sehen, die mit Gold und Stickereien über-
laden waren. Und als wir alle auf einmal uns anschickten,
unsere Säbel abzuschnallen, ehe wir uns setzten, zeigte er
eine gewisse Besorgnis, da er offenbar den Grund dieser
Bewegung nicht kannte. Ich glaube, er dachte, wir wollten
ihn ermorden, weil einige Tage vorher die Bewohner
eines benachbarten Dorfes einen Schöffen der Stadt Ronda
massakriert hatten, den wir ihnen als Unterhändler ge-
sandt hatten.
Ich beruhigte ihn sogleich darüber und lud ihn ein,
«ich ebenfalls seiner Waffen zu entledigen und sich wie
wir zu Tisch zu setzen. Der spanische Offizier wich zuerst
nicht von der Mäßigkeit ab, die seine Nation charakteri-
siert Als wir aber auf seine Gesundheit tranken, tat er
uns Bescheid und kam bald so in Eifer, daß er uns die
Spitze bieten wollte. In der Mitte der Mahlzeit waren wir
nur noch „Kameraden", beim Dessert nannten wir uns
16g
Digitizad by Google
„Brüder". Wir schworen uns ewige Freundschaft, und
unter andern Zeichen der Zuneigimg versprachen wir uns,
uns bei unserer ersten Begegnung in einem besonderen Ge-
fecht zu schlagen.
Nach der Mahlzeit schickte mein Oberst den spani-
schen Parlamentär wieder zurück, ohne ihm eine Ant-
wort gegeben zu haben. Ich wurde beauftragt, ihn bis
zu den feindlichen Vorposten zu begleiten, und bat ihn,
sich die Augen selbst zu verbinden. Ein Husar stellte
sich an seine Rechte, um sein Pferd am Zügel zu führen;
ich selbst ging links, und wir schlugen zusammen den
Weg nach Gibraltar ein, auf dem er gekommen war. Als
wir an unserm Hauptposten vom herkamen, wurden wir
von dem Trompeter des Parlamentärs und einem alten
königlichen Karabinier eingeholt, der ihm als Ordonnanz
diente. Es war der einzige Karabinier, den es in der ln-
surgentenartnee gab, und mau hatte ihn geschickt, um dem
Unterhändler wegen seiner neuen Uniform eine besondere
Ehre an zutun. Sehr erstaunt war ich, als ich ihn seinen
Offizier herrisch fragen hörte, warum er ihn denn so lange
habe warten lassen.
Als wir zu dem ersten spanischen Posten am äußer-
sten Ende der Vorstadt gelangten, sagte ich dem Parlamen-
tär Lebewohl und kehrte zurück, um meinem Oberst Be-
richt zu erstatten.
Man hielt einen Kriegsrat, und es wurde beschlossen,
daß wir die Stadt verlassen sollten, um Munition in Cant-
pillos zu erwarten, einem 7 Meilen von Ronda am Aus-
gange des Gebirges gelegenen Flecken. Hier in der Ebene
mußte uns unsere Kavallerie nötigenfalls das Übergewicht
über die Bergbewohner gehen, wie zahlreich sie auch sein
mochten. Wir hatten nur sehr wenig Vertrauen zu den
300 Mann der Garde des Königs Joseph, die wir mit uns
hatten, denn dieses Korps war gröntenteils aus spanischen
Deserteuren gebildet.
Bald erreichten wir Cam pillos und sahen an der Art,
wie uns die Einwohner empfingen, daß die Nachricht
170
Digilized by Google
von unsern Verlusten in Olvera und unsertn Ruchzug von
Remda uns vorausgeeilt war. Als ich mich nach meinem
Quartier begab, wurde ich sehr schlecht von meinem
Wirt empfangen; mein Diener hatte von ihm ein Zimmer
für mich verlangt, worauf er ihm ein dunkles, feuchtes
Loch zeigte, das nach einem Hinterhof hinausging. Da
man bei unserer Ankunft keine Lebensmittel hatte verteilen
können, Ließ der Alcaldc einen Befehl veröffentlichen, durch
welchen er den Einwohnern einschärfte, den Soldaten
Kost und Wohnung zu geben. Der Husar, der mir als
Ordonnanz diente, gab dem Herrn des Hauses durch
Zeichen zu verstehen, uns etwas zu essen zu geben.
Ich sah den Wirt mit spöttischer Miene einen sehr
kleinen Tisch hereinbringen, auf dem etwas Brot und
Knoblauch lag. Dann hörte ich ihn zu seiner Frau
sagen : „Das ist lange gut genug für diese Hunde
von Franzosen, wir brauchen sie nicht rücksichtsvoll
zu behandeln, denn sie sind geschlagen worden. Jetzt
retten sie sich, aber wenn es Gott und der heiligen
Jungfrau gefällt, so ist keiner von ihnen noch in zwei
Tagen am Leben." Ich tat, als hörte ich diese Ver-
wünschungen nicht, um ihn nicht merken zu lassen,
daß ich Spanisch verstand.
Ich ging fort und kam nach einer Stunde wieder in
mein Quartier, wo ich 5 Individuen des Dorfes um das
Feuer herumsitzen und Zigarren rauchen fand. Wie ich
erfuhr, versammelten sie sich jeden Abend bei meinem
Wirt, der mit Tabak handelte. Mein Husar, der ein wenig
von ihnen entfernt sali, erhob sich, als ich eintrat, und
bot mir seinen Stuhl an. Ich nahm ihn an und rückte ein
wenig näher zum Feuer; sogleich waren die Spanier still.
Um sich zu versichern, ob ich Spanisch verstünde oder
nicht, fragte mich der eine, ob ich denn nicht recht müde
sei. Und obwohl ich ein Oesicht machte, als könnte ich
ihn nicht verstehen, fügte er lachend hinzu: „Sie haben
in den letzten zwei Tagen tüchtigen Gebrauch von Ihren
Sporen gemacht." Ich antwortete nicht; nun glaubten sie,
171
Digitized by Google
daß ich nicht ein Wort Spanisch verstände, und setzten
ihre Unterhaltung fort.
Sie sprachen mit grenzenloser Begeisterung von den
tapferen Bcrghewohiiern, die uns aus Rontla verjagt hätten,
und erzählten mit den größten Einzelheiten von einem
sein1 mörderischen zivülfstündigeu Gefecht, das am Tage
vorher in den Straßen derselben Stadt stattgefunden haben
sollte. Wir hätten wenigstens 600 Mann verloren, sagten
sie; dabei waren wir im ganzen nur 550. Auch versicher-
ten sie, daß der General der Insurgenten uns spätestens
in zwei Tagen angreifen werde, daß die Bewohner des
Dorfes die Waffen ergreifen und die verdammten Ketzer,
die noch schlimmer als die Mauren seien, vernichten woll-
ten. Denn die Fs-anzüseii, sagU-ii sie, glaubten weder an
Gott, noch an die Mutter Maria, noch an den heiligen
Anton, ja nicht einmal an den heiligen Jakob von Ga-
licien und scheuten sich nicht, in den Kirchen mit ihren
Pferden zu wohnen. Endlich behaupteten sie, daß ein
Spanier drei Franzosen aufwöge, und einer fügte hinzu:
„Ich töte 6 mit einer Hand."
Nun stand ich auf und rief ihnen zweimal hinter-
einander zu: „Poco a poco", was auf deutsch „Sachte,
sachte" bedeutet. Sie waren wie versteinert, als sie auf
diese Weise erfuhren, daß ich ihre ganze Unterhaltung
mit angehört hatte. Ich verließ sie, um meinen Oberst
von dem eben Gehörten in Kenntnis zu setzen. Er be-
fahl sofort dem Alcalden, die Stadt zu entwaffnen. Die
Einwohner gaben ihre schlechten Waffen her und behielten
die guten, was meist in solchen Fällen geschieht.
Nach meinem Quartier zurückgekehrt, fand ich keinen
einzigen von meinen Politikern mehr vor, sie waren alle
davongelaufen. Auch mein Wirt hatte sich versteckt. Seine
aufs äußerste erschrockene Frau hatte in meiner Ab-
wesenheit versucht, meinen Husaren zu besänftigen, und
ihm den besten Wein vorgesetzt, während er vorher nur
Wasser bekommen hatte. Dieser, der nicht wußte, daß alle
die Fürsorge der Angst entsprang, war über die so unver-
172
Digitized by Google
hoffte Gunst sehr erstaunt; er empfand sogar ein wenig
Eitelkeit, denn ich traf ihn damit beschäftigt, seinen fürch-
terlichen Schnurrbart mit größerer Sorgfalt als sonst zu
Die Frau beeilte sich, meinen Sähel zu nehmen, so-
bald ich ihn abgelegt hatte, und trug ihn mit großem Eifer
in das schönste Zimmer, als wenn er in meinem Namen
davon Besitz ergreifen sollte. Dann kam sie wieder und
bat mich mit zitternder Stimme, ich sollte doch um Himmels
willen nicht auf ihren Mann böse sein ; er sei ein ehr-
licher Mann, ein Mann mit einem guten Herzen, obwohl
er mich nicht zum besten empfangen habe. Ich beruhigte
sie und sagte, ihr Mann könne aus seinem Versteck wieder
hervorkommen, ich würde ihm nichts Böses zufügen, unter
der Bedingung, daß er mich von allem unterrichtete, was
er über die Pläne der Feinde und über die der Einwohner
erführe. Um ihn zu erschrecken, fügte ich hinzu, daß ich
ihn hängen lassen würde, wenn er es nicht täte; und legte
mich schlafen.
Am nächsten Morgen stand ich sehr früh auf, und als
ich die Türe meines Zimmers öffnete, fand ich meinen
Wirt davorstehend, der mich erwartete, um mit mir Frieden
zu schließen. Noch ehe er ein Wort zu mir gesprochen
hatte, präsentierte er mir eine Tasse Schokolade mit Bis-
kuit, die ich mit sehr herablassender Miene annahm ; dann
sagte ich ihm, daß ich von nun an mein Verhalten ganz
nach dem seinen richten werde. Er antwortete mir mit
einer tiefen Verbeugung, er und sein ganzes Haus ständen
mir zur Verfügung.
An diesem Tage, dem 15. Marz, erfuhren wir, daß die
Serranos3') am vorhergehenden Tage, eine Stunde nach
unserm Abmarsch, in Ronda eingezogen waren und sich
zu einem Angriff auf uns in Campillos vorbereiteten.
Am IG. schickte unser Oberst ein aus 1110 Husaren
und 40 Mann Infanterie bestehendes Detachement ab, um
") Scrraiio ™ Bergbewohner.
173
Digitized by Google
den Feind zu rekognoszieren. An dieser Expedition nahm
auch ich teil. Zwei Stunden vor Sonnenaufgang setzten
wir uns in Bewegung und stießen auf die Bergbewohner
4 Meilen vor Campillos; wir machten zwei Flintenschuß'
weiten davon entfernt Halt, um ihre Stellung und ihre
Zahl zu prüfen. Diese taxierten wir auf ungefähr 4000.
Und als wir dann unsere Rekognoszierung beendet hatten,
schlugen wir ruhig den Weg wieder ein, den wir ge-
kommen waren.
Als die Serranos uns umkehren sahen, glaubten sie,
wir fürchteten uns vor ihnen. Sie stießen daher laute
Schreie aus, kamen alle auf einmal und ohne die geringste
Ordnung zu beobachten von den Bergen herab und ver-
folgten uns eine Stunde lang in einer felsigen und unweg-
samen Gegend. Frauen, nach der Mode des Landes in
hellblauen und roten Kleidern, waren uns in Massen ge-
folgt und hatten sich auf den Felsen niedergelassen, um
von einem sichern und nahen Platz aus das Gefecht zu
beobachten, das ihrer Vermutung nach in kurzem be-
ginnen mußte. Sogleich sammelte unser Peloton seine
Schützen und begann die Brücke zu überschreiten. Da
erhoben sich die Frauen alle miteinander und sangen eine
Hymne an die Jungfrau Maria. Das war das Signal zum
Angriff. Die hinter den Felsen verborgenen Spanier über-
schütteten uns sogleich mit einem Regen von Kugeln aller
Tragweiten, aber wir setzten unsern Marsch über die
Brücke unter dem Feuer des Feindes fort, ohne darauf
zu antworten. Da sich jedoch unser Peloton der Nach-
hut zu sehr bedrängt sah, machte er eine Wendung, und
die Husaren der ersten Linie richteten ein gut unterhal-
tenes Karabinerfeucr auf die zunächst befindlichen Ser-
ranos. Sie töteten zwei, was die Kühnheit der Menge ein
wenig abschwächte.
Am andern Tage fand ein Detachement von 50 Hu-
saren die Serranos auf der andern Seite der Holzbrücke
gelagert, oberhalb des Dorfes Teba. Unsere Absicht war,
sie in die Ebene bei Campillos zu locken, um sie nieder-
174
Digilized by Google
zusäbeln. Denn da die Insurgenten größtenteils nur mit
Jagdflinten bewaffnet waren, hatten sie in den Bergen,
wo wir sie mit unsern Pferden nur sehr schwer verfolgen
konnten, immer große Vorteile vor uns voraus. In der
Ebene hingegen gestattete ihnen ihre ungeregelte Art zu
kämpfen nicht, den Stoß unserer Kavallerie auszuhalten,
so gering sie auch an Zahl war.
Gegen zehn Uhr morgens sah ich meinen Wirt in
großer Eile herbeikommen. Auf seinen Lippen spielte
ein glückliches Lächeln, und er rieb sich vergebens die
Augen, um eine Träne hervorzubringen. Er sagte mir,
alles sei für uns verloren, unsere Posten seien zurückge-
worfen worden, 1500 Bergbewohner kämen wutschnau-
bend in die Ebene herab, uiti uns cinzii^dilicljcn, während
die aufständischen Bewohner uns im Zentrum der Stadt
angriffen. Und er schloß inich eng in seine Arme, als hätte
er Mitleid mit dem Schicksal, das mir bevorstand.
Und in der Tat, im selben Augenblick ließen sich
Flintenschüsse, verworrene Rufe, Trompetentöne und
Trommelwirbel hören. Von allen Seiten lief man zu den
Waffen. Ich bestieg sofort mein Pferd und sammelte mein
Detachement In demselben Augenblick kam der Oberst
herangesprengt und befahl mir, die zurückgeworfenen
Posten zu unterstützen. Wir machten in der Ebene einen
Angriff, der auch glückte; 40 unserer Husaren säbelten
einige 100 Insurgenten nieder. Diejenigen, welche die um-
liegenden Höhen besetzt hielten, ergriffen in der höchsten
Bestürzung die Flucht. Darauf zogen wir uns zurück, und
die Ebene, die noch kurz zuvor von dem Geschrei einer
Bande Schützen widerhallte, lag schweigend mit den Fein-
den übersät da, welche die Todessichel dahingemäht hatte.
Während wir aufgesessen waren, um die Feinde zurück-
zuwerfen, hatten die Einwohner, die überzeugt waren, daß
wir alle vernichtet seien, unsere verspäteten Soldaten in
den Straßen ermordet. Unsere Husaren fielen daher bei der
Rückkehr ins Dorf über alle bewaffneten Einwohner her,
und man konnte nur mit Mühe die Plünderet aufhalten.
175
Digitized by Google
Am 19. März kam der General Peremont aus Ma-
laga, um sich mit drei Bataillonen Infanterie, einem
polnischen Regiment Landers und zwei Kanonen mit
uns zu vereinigen. Wir erhielten die uns fehlende
Munition, und am 20. um sechs Uhr in der Frühe
brachen wir alle miteinander auf, um von Ronda Besitz
zu ergreifen.
Der Oberst ließ sein Regiment am Fuße des Berges,
auf dessen Gipfel Teba gelegen ist, und stieg, gefolgt
von nur 50 Husaren, ins Dorf hinauf. Die von unserm
Nahen unterrichteten Einwohner hatten sich alle mit ihren
kostbarsten Sachen in die Felsen geflüchtet; hier und da
verlorene Kleidungsstücke deuteten auf eine plötzliche
Flucht.
Fast zwei Stunden brachten wir im Dorfe zu, ohne
ein einziges menschliches Wesen zu entdecken, das man
zu den Einwohnern hätte schicken können, um sie zu
beruhigen und ihnen sagen zu lassen, daß wir nichts
Böses mit ihnen bezweckten und ihnen verziehen, wenn
sie dem König Joseph eine Kontribution zahlten. Wir
wollten uns in ihnen keine unversöhnlichen Feinde schaffen
und sie durch eine harte Strafe zur Verzweiflung treiben,
durften aber ihre Erhebung nicht ganz ungestraft lassen.
Wir schlugen folgenden Ausweg ein, um sie aus ihren
Verstecken herbeizulocken. Die Husaren verbrannten
feuchtes Stroh in den Öfen einiger Häuser; dadurch ent-
stand ein dicker Rauch, der durch den Wind in die Berge
getrieben wurde und die Einwohner überzeugte, daß wir
ihr Dorf anzündeten. Sie beeilten sich, uns eine Deputation
zu schicken, und bald sahen wir den Alcalden kommen,
gefolgt von 4 der reichsten Grundbesitzer des Dorfes.
Er trug einen roten Mantel und einen betreßten Frack.
Ohne Zweifel hatte er sich mit allen Abzeichen seiner
Würde herausstaffiert, weil er glaubte, sich auf diesem
Gang zu den Franzosen dem Tode zur Rettung seines
Dorfes zu weihen. Der Alcalde versprach, die Einwohner
würden die ihnen auferlegte Kontribution zahlen.
176
Digitizsd by Google
Am 21. setzten wir uns mit Tagesanbruch in Bewe-
gung, um nach Ronda zu marschieren, wo wir ohne Wider-
stand einzogen. Die Insurgenten verließen bei unserer
Ankunft eiligst die Stadt und warfen ihre Flinten und
Mäntel in die Straßen, um das Gebirge auf Seitenwegen
zu erreichen. Die Nachzügler wurden von den Husaren
unserer Vorhut niedergesäbelt.
Wir wurden in Ronda von einem Teil der Einwohner
wie Befreier empfangen. Die Parteigänger hatten nämlich
während unserer Abwesenheit auf dem großen Platze
einen Oalgen errichtet, um die Bürger der Stadt zu be-
strafen, welche die Franzosen begünstigt hatten. Und wenn
wir nur einen Tag später angekommen wären, hätten
mehrere den Tod erlitten: auf diese Weise befriedigte man
persönlichen Haß unter dem Vorwande öffentlicher Be-
strafung.
Die Bergbewohner waren an demselben Tage, an
dem wir Ronda verließen, in die Stadt mit großem Geschrei
eingezogen und hatten vor Freude darüber ihre Flinten in
den Straßen abgeschossen. Alle Einwohner aus einem
Dorfe kamen zusammen an, marschierten ohne die ge-
ringste Ordnung, gefolgt von ihren Frauen, die sich, wie
ich schon bemerkt habe, von den Männern nur durch die
Kleidung, durch ihre höhere Gestalt und durch etwas
mehr Rauheit unterschieden. Sie behaupteten, ihre Männer
hätten Ronda von den Franzosen erobert, und alles, was
in der Stadt wäre, gehörte ihnen. Alles, was sie in den
Häusern fanden, luden sie auf Esel, und die Damen hörten
nicht früher auf zu plündern, als bis ihre Tiere unter der
Last der Beute fast zusammenbrachen. Mehrere Schmuggler
stahlen die Pferde und den Mantelsack eines englischen
Leutnants, ohne daß dieser die Schuldigen bestrafen lassen
konnte. Die Gefängnisse wurden gesprengt, und die Ge-
fangenen rächten sich im selben Moment ihrer Befreiung
an ihren Richtern und Anklägern. Schuldner erzwangen
mit Gewalt von ihren Gläubigem Quittungen und ver-
brannten alle Papiere der Staatskanzlei, um die Akten
12 B.M7: Spin. F.clhtltikampl. 177
Digitizad by Google
der Hypotheken zu vernichten, welche die Einwohner
auf den Besitzungen der Bergbewohner stehen hatten.
Der Oberbefehlshaber der Serrafios hatte Ronda nicht
früher erreichen können als 6 Stunden nach unserm Ab-
marsch. Er versuchte zuerst mit Hilfe seiner sogenannten
geregelten Truppen eine Art Ordnung in die Stadt zu
bringen, da ihm das aber nicht gelingen wollte, griff er
zu folgender List. Durch den öffentlichen Ausrufer Heß
er verkünden, daß die Franzosen kämen, und im Hand-
umdrehen waren die Bergbewohner gesammelt, und die
Einwohner der Stadt hatten Zeit, sich in ihren Häusern zu
verbarrikadieren.
Der General Peremont war mit seiner Brigade nach
Ronda gekommen, um eine Expedition bis ins Innere des
Hochgebirges zu machen, mußte indes, ohne etwas unter-
nommen zu haben, wieder nach Malaga zurückkehren.
Er erfuhr nämlich, daß diese Stadt während seiner Ab-
wesenheit von andern Ins urgenten banden angegriffen
worden war, und unsere Husaren blieben wiederum In
Ronda mit 200 braven polnischen Infanteristen, die man
uns an Stelle des Gardcbatnillons des Königs Joseph gab.
Die Insurgenten hatten ihr Lager auf den Gipfeln
des nahen Gebirges aufgeschlagen und beobachteten Tag
und Nacht, was in der Stadt vorging. Sie verbrachten
ganze Tage damit, unsere Vorposten zu beunruhigen, aber
sobald wir gegen sie marschierten, zogen sie sich zurück,
um bald darauf wieder zum Vorschein zu kommen. Wenn
die Serrafios sich zum Angriff vorbereiteten, stießen sie
laute Schreie aus, um sich zum Kampfe zu ermuntern, und
schössen lange Zeit auf uns, bevor nur eine Kugel uns er-
reichen konnte . . . Der liebste Zeitvertreib der Arbeiter
der Stadt war, sich hinter die Felsen zwischen die Oliven-
bäume zu stellen und ganz gelassen auf unsere Schild-
wachen zu schießen, indem sie dazu ihre Zigarren rauch-
ten. Am Morgen zogen sie mit Handwerkszeug beladen
aus der Stadt, als wenn sie an ihre Arbeit gingen ; ihre
Flinten Satten sie hinter den Felsen oder In Bauern gehörten
178
Digitizsd by Google
verborgen, und am Abend kamen sie ohne Waffen zurück,
um in unserer Mitte zu ruhen. Wir konnten keine zu
strengen Untersuchungen vornehmen, aber wenn man den
Befehl des Marschalls Soult gegen die Insurgenten hätte
ausführen wollen, so hätte man die ganze Bevölkerung
des Landes zum Tode verurteilen müssen. Obwohl die
aufständischen Spanier schnell dabei waren, die franzö-
sischen Gefangenen lebendig zu verbrennen, waren unsere
Soldaten nur sehr selten gegen die Spanier unerbittlich,
die sie mit den Warfen in der Hand erwischten.
Die Detachements, die Ronda verließen, um irgend-
welche Expeditionen oder Rekognoszierungen zu machen,
waren von dem Augenblick ihres Abmarsches bis zu ihrer
Rückkehr von einer dichten Wolke von Schützen umgeben,
und jede Zufuhr von Lebensmitteln, die wir von außerhalb
hohen, kostete uns das Leben einiger Männer. Unsere
Reiter waren auf diesen Expeditionen nicht immer stark
genug, um die Feinde zurückzuwerfen, und wir suchten
daher ihre Wachsamkeit zu täuschen, indem wir lange
Umwege machten, um die gefährlichen Defilees zu ver-
meiden; oft aber mußten wir uns mitten durch die Insur-
genten hindurch, die fortwährend die Stadt umgaben, einen
Weg bahnen.
Am 1. Mai nahm ich an einem Detachement von vierzig
Husaren teil, das von einem Rittmeister befehligt wurde.
Wir sollten klares Stroh vier Meilen von Ronda in den
Bauernhöfen holen, die sich in der Nähe des Dorfes
Setenil befinden. Einige hundert Bauern und Maultiertrei-
ber, welche die Esel und Maultiere trieben, waren mit
uns. Wir hatten uns morgens um fünf Uhr auf den Weg
gemacht, und der Rittmeister und ich marschierten an der
Spitze der Truppe. Als wir eine halbe Meile von der Stadt
entfernt an einem gefährlichen Defilee vorbeikamen, sag-
ten wir uns beide sehr erstaunt, die Feinde müssen sehr
schlecht unterrichtet sein, daß sie noch keinen Hinterhalt
an diesen Ort gelegt haben; sie könnten uns viel Übles
zufügen, ohne selbst das geringste zu riskieren. Da sah
12* 179
Digilizsd by Google
ich in der Entfernung, zuerst in Staub gehüllt, dann aber
immer deutlicher, rechts von uns 4 oder 5 bewaffnete Män-
ner, die sich im Tale nach dem Dorfe Ariate zu bewegten.
Ich teilte dem Rittmeister sofort mit, daß ich Feinde sähe
und sie an ihrer ungeordneten Art zu marschieren erkannte.
Ein Unteroffizier behauptete, die Männer, welche man
im Tale unterscheide, seien Maultiertreiber, die nach
Ossuna zurückkehrten und am vorhergehenden Tag unter
Eskorte von 200 Mann Infanterie Biskuit und Kartuschen
nach Ronda gebracht hätten. Ich hingegen verharrte auf
meiner Ansicht, daß die, welche ich sah, Feinde seien,
und fügte hinzu, daß ich, wenn ich der Chef der Abtei-
lung wäre, direkt auf sie losmarschieren würde, um sie,
während sie sich noch in der Ebene befänden, anzugreifen ;
denn wenn wir zurückgeworfen würden, so wäre unser
Rückzug gesichert, während wir so unsern Marsch nicht
fortsetzen könnten, ohne uns der Gefahr auszusetzen, auf
unserm Rückzug in einem Defilee angegriffen zu werden,
was für die Kavallerie sehr ungünstig sei. Aber der Ritt-
meister war nicht meiner Ansicht; wir setzten unsern
Weg fort und gelangten bald in die Nähe des Dorfes Se-
tenil.
Als wir mit Fouragicrcn fertig waren, schlugen wir
wieder denselben Weg ein, den wir gekommen waren.
Wir ließen die Maultiere vor uns zwischen einer Vorhut
von zwölf Husaren und dem Gros des Detachements her-
gehen, an dessen Spitze der Kapitän und ich marschierten.
Auf zwei Fliutcnschußwciten an dem Defilee angekommen,
das wir am meisten fürchteten, bemerkte ich einen Bauer,
der mit einer großen Axt Zweige von einem Olivenbaume
abschlug. Ich ritt meiner Abteilung voraus und näherte
mich dem Bauer, um ihn zu fragen, ob er keine Ser-
rafios gesehen habe. Wie ich nachher erfuhr, war er
selber einer und schnitt die Zweige, um uns den Weg im
Defilee zu versperren. Er antwortete mir, daß seine Ar-
beit ihm nicht gestattete, sich mit dem zu beschäftigen,
was um ihn her vorgehe. Auch der Rittmeister hatte in
180
Digitized by Google
demselben Augenblick einen 5 bis 6jährigen Jungen ge-
fragt, der ihm mit zitternder und leiser Stimme geantwortet
hatte, als fürchte er, gehört zu werden. Bald sahen wir
unsere Vorhut und die Spitze des Zugs der Maultiere am
andern Ende des Delilees herauskommen und den gegen-
überliegenden Berg ersteigen. Wir hatten nur noch einen
engen schlüpfrigen Weg zurückzulegen, wo man im Gänse-
marsch gehen mußte. Er war -1—500 Schritte lang und
von sehr dichten Gartenhecken umgeben. Der Rittmeister,
an dessen Seite ich marschierte, sagte mir wie am Morgen,
wir könnten uns glücklich schätzen, daß der Feind uns
in diesem Defilee nicht aufgelauert hätte. Aber kaum
hatte er diese Worte beendet, als vier oder fünf Schüsse
hinter den Hecken abgegeben wurden. Sie töteten die drei
letzten Maultiere des Zugs und das Pferd des Trompeters,
der vor uns ritt Unsere Pferde machten sofort Halt.
Der Rittmeister mußte zuerst vorüber, aber das Pferd,
das er ritt, hatte einem Offizier gehört, der einige Tage
vorher bei einer ähnlichen Gelegenheit getötet worden
war, und das Tier zögerte. Als ich das sah, gab ich dem
mehligen die Sporen und überholte den Rittmeister. Mein
Pferd sprang über das des Trompeters, sowie über die
Maultiere, die mit ihrer Last dalagen, und ich ritt allein
durch das Defilee. Die hinter den Hecken verborgenen Ser-
raüos glaubten, mein Detachement folge mir in unmittel-
barer Nähe und feuerten ihre ganze Ladung auf einmal auf
mich ab. Ich wurde indes nur von zwei Kugeln getroffen,
wovon ich die eine in den Schenkel, die andere in den
Oberkörper erhielt
Einige Augenblicke später folgte mir der Rittmeister,
kam heil und ganz auf der andern Seite des Defilees an,
und von der ganzen Abteilung wurden nur die letzten vier
Husaren getötet, weil die Feinde einiger Minuten bedurf-
ten, um ihre Flinten wieder zu laden, um noch ein zweites
Mal Feuer zu geben. Dem Unteroffizier, der am Ende
des Detachements ritt, ward sein Pferd getötet, er selbst
aber stellte sich, als wenn er tot wäre, schlüpfte dann in
181
Digitized by Google
das Gebüsch und kehrte um Mitternacht nach Ronda zu-
rück, ohne verwundet worden zu sein.
Als wir auf der andern Seite des Defilees unser Deta-
chement wieder gesammelt und geordnet hatten, sagte ich
meinem Obersten, daß ich verwundet sei, meine Kräfte
sich erschöpfen fühle und auf einem sehr abschüssigen,
aber äußerst kurzen Wege nach Ronda zurückkehren
wolle. Er riet mir jedoch, bei dem Detachement zu bleiben,
das einen Umweg vun einer halben Meile im Tale machen
sollte, um sich nicht unnütze rweise einem zweiten Angriff
auszusetzen. Allein ich fühlte, daß ich einen so langen
Marsch nicht aushalten würde, und betrat den abschüssigen
Seitenweg in Begleitung eines Husaren, der mein Pferd
am Zügel führte. Da ich sehr viel Blut verlor, war ich
gezwungen, alle meine Kräfte zusammenzunehmen, um
nicht ohnmächtig zu werden. Denn wenn ich vom Pferde
gefallen wäre, so hätte man mich gewiß erstochen. Ich
hielt mich mit den Händen am Sattelknauf fest und machte
vergebliche Versuche, mein Pferd zu einer schnelleren
Gangart zu veranlassen, denn ich hatte nur ein Bein, das
ich gebrauchen konnte. Das arme Tier konnte nicht
schneller und strauchelte bei jedem Schritt: es war eben-
falls von einer Kugel getroffen.
Eine Viertelmeile vor der Stadt konnte mein Pferd
kaum noch vorwärts. Der Husar ritt im Oalopp davon,
um den Posten zu benachrichtigen, der auf dem Berge
stand, und ich tat noch ein paar Schritte allein vorwärts.
Vor meinen Augen flimmerte es, und kaum hörte ich noch
die Schüsse, welche die Bauern in dem nahen Wald von
weitem auf mich abgaben. Endlich kamen mir Soldaten
zu Hilfe und trugen mich in der Decke meines Pferdes
nach meinem Quartier.
Meine Wirtsleute kamen mir entgegen und wollten
nicht leiden, daß man mich ins Militärkrankenhaus brächte,
wo gerade eine Epidemie herrschte. Dort hätte ich wahr-
scheinlich, wie viele andere, den Tod anstatt Heilung ge-
funden. Meine Wirte hatten mich bis dahin mit kalter,
182
Digitizad by Google
zurückhallender Höflichkeit behandelt, da sie in mir einen
der Feinde ihres Landes sahen. Aus Rücksicht für dieses
patriotische Gefühl war ich gleichfalls gegen sie wenig
mitteilsam gewesen. Als ich aber verwundet war, bewiesen
sie mir das lebhafteste Interesse und behandelten mich
mit jener Großmut und Barmherzigkeit, die den spani-
schen Charakter so sehr auszeichnet. Sie sagten mir, daß
sie mich, seitdem ich ihrem Lande keinen Schaden mehr zu-
fügen könnte, als zur Familie gehörig betrachteten, und
ohne sich auch nur einen Augenblick während meiner
HMägigen Krankheit gehen zu lassen, verschwendeten sie
wirklich an mich alle nur mögliche Sorgfalt
Am 4. Mai kamen die Insurgenten zu früher Stunde,
um Ronda mit größeren Kräften als je anzugreifen. Die
Kugeln sausten so nahe an dem Fenster vorbei, an dem
mein Bett stand, daß man gezwungen war, mein Bett in
das Zimmer nebenan zu schieben. Bald kamen der Haus-
herr und seine Frau, um mir mit erzwungener Ruhe zu
verkünden, daß die Insurgenten schon am Ende unserer
Straße seien und immer mehr Terrain auf unserer Seite
gewännen. Die alte Stadt werde wohl bald mit Sturm
genommen werden. Sie wollten alle Vorsichtsmaßregeln
ergreifen, um mich vor der Wut der Serraüos bis zur An-
kunft des Generals Lcrrano Valdenebro, ihres Verwandten,
zu schützen. Hastig versteckten sie darauf meine Waffen,
meine Uniformen und alles, was die Aufmerksamkeit der
Feinde auf sich hätte ziehen können. Dann transportierten
sie mich mit Hilfe ihrer Dienstboten in ein oberes Stock-
werk des Hauses hinter eine kleine der Jungfrau Maria
geweihte Kapelle, denn sie betrachteten diesen heiligen
Ort als ein unverletzliches Asyl. Meine Wirtsleute holten
noch schnell zwei O eist liehe, die sich an die Haustür stell-
ten, um den Eingang zu verteidigen und mich, wenn es
nötig sein sollte, durch ihre Gegenwart zu schützen.
Eine alte Dame, die Mutter der Hausherrin, blieb
mit mir allein und betete. Je nachdem die Rufe der Kämp-
fenden und das Geknatter der Feuerwaffen verkündeten,
183
Digitizad by Google
daß die Gefahr sich vermehrte oder verringerte, drehte sie
die Perlen ihres Rosenkranzes schneller oder langsamer
herum. Gegen Mittag entfernte sich das Feuern allmäh-
lich und bald horte es ganz auf. Der Feind wurde auf
allen Punkten zurückgeschlagen, und meine Kameraden
kamen, mir das Gefecht zu erzählen.
Einige Tage darauf erhielt das 2. Husarenregiment
den Befehl, sich nach Santa Maria m begeben; es wurde
durch das 43. Linien regiment ersetzt, und ich blieb als ein-
ziger von meinem Korps in Ronda zurück. Ich kannte
keinen der Offiziere der neuen Garnison und erhielt seit-
dem keine andern französischen Besuche als den eines
Oberfeldwebels der Infanterie, der von Zeit zu Zeit zu
meinen Wirtsleuten kam, um sich zu erkundigen, ob ich
noch nicht gestorben oder abgereist sei; er wartete näm-
lich ungeduldig auf mein Quartier.
Nach der Abreise meiner Kameraden verdoppelten
meine Wirisleute ihre Fürsorge und Aufmerksamkeit noch
für mich. Sie brachten mehrere Stunden des Tages in
meinem Zimmer zu, und als ich meiner Genesung ent-
gegenging, luden sie jeden Abend einige ihrer Nachbarn
ein, die an meinem Bett plauderten oder auch Musik
machten, um mich ein wenig zu zerstreuen; sie sangen
nationale Lieder und begleiteten sich dazu auf der Gitarre.
Am 18. Juni stand ich zum ersten Male auf und war
genötigt, die traurige Kunst, an Krücken zu gehen, zu er-
lernen, denn ich konnte das eine Bein nicht mehr ge-
gebrauchen. Mein erster Weg war zu dem Pferd, das mit
mir verwundet worden war, aber es erkannte mich nicht
gleich, und daran merkte ich, wie sehr ich mich verändert
haben mußte, ich verlieft Ronda am 22. auf einem Muni-
tionswagen, der unter starker Eskorte Kartuschen aus
Osuüa holte. Ich trennte mich von meinen Wirtsleuten mit
demselben Bedauern, das man empfindet, wenn man «um
erstenmal das Elternhaus verläßt.
Von Osuna ging ich nach Ecija und von da nach
Cordoba. Zwei bis dreihundert Mann starke Truppen von
184
Digitizad by Google
spanischen Parteigangern durchzogen das Land in allen
Richtungen. Wenn sie verfolgt wurden, zogen sie sich
in die Gebirge zurück, die Andalusien von La Mancha
und Estremadura trennen, oder auch in die Berge an den
Küsten. Diese Parteigänger, Guerillas genannt, dienten
dazu, die im Lande herrschende Gärung zu unterhalten,
und sie sicherten die Verbindungen zwischen Cadiz und
dem Innern Spaniens. Man machte das Volk glauben, der
Marquis La Romana habe die Franzosen unterhalb Tru-
jillo geschlagen, oder besser, die aus Gibraltar gekomme-
nen Engländer hätten sie in der Nähe des Meeres voll-
kommen vernichtet. Diese geschickt ausgestreuten Ge-
rüchte, so unwahrscheinlich sie auch waren, wurden stets
mit großer Begeisterung aufgenommen.
Nachdem ich Andalusien hinter mir hatte, durchreiste
ich La Mancha, wo ich genötigt war, mich mehrere Tage
auf jeder Station aufzuhalten, um die Rückkehr der Es-
korten abzuwarten, die regelmäßig Munifion zur Bela-
gerung nach Cadiz brachten. Die Kommandanten des Post-
verkehre konnten nur für den notwendigsten Dienst der
Armee Eskorten hergeben, denn sie verloren oft, um nur
einen einzigen Kurier einige Meilen weit zu begleiten,
mehrere Soldaten.
Dem König Joseph war es nicht möglich, regelmäßige
Steuern zu erheben; vergebens schickte er im ganzen
Lande fliegende Korps umher — die Einwohner retteten
sich in die Berge oder verteidigten sich wohl auch in
ihren Wohnorten. Die Soldaten plünderten die Dörfer,
aber die Kontributionen wurden nicht eingezogen. Manch-
mal zwar bezahlten die Friedlicheren für alle, doch wurden
sie nachher sehr hart von den Anführern bestraft, weil sie
bei der Ankunft der Franzosen nicht geflohen waren.
Durch derartige Gewalttätigkeiten waren die Bewohner
von La Mancha und der umliegenden Provinzen aufge-
reizt, und die Zahl unserer Feinde wuchs von Tag zu Tag.
Auch Neucastilien, das ich auf meiner Reise berührte, war
nicht ruhiger als die Provinz La Mancha. Beinahe wäre
185
Digitized by Google
es den Parteigängern gelungen, den König Joseph in einem
seiner Landhäuser bei Madrid gefangen zu nehmen, und
oft entführten sie an den Toren und in den Straßen
Madrids die Franzosen.
Ich selbst blieb in Madrid ungefähr einen Monat,
da ich auf Reisegelegcnheit warten mußte. Wenn man
von Bayonne kam, war es leicht, in die Hauptstadt zu ge-
langen, weil man immer unter Eskorte der zahlreichen
Detachements reiste, die zur Verstärkung der Armeen
geschickt wurden ; um aber die Erlaubnis zu erhalten, nach
Frankreich zurückzukehren, mußte man ein Krüppel sein.
Die Gesundheitsräte hatten die strengsten Befehle er-
halten, und man gewährte nur den verwundeten Offizieren
und Soldaten Urlaub, die keine Hoffnung mehr auf Hei-
lung hatten. Zu denen, die nach Frankreich zurückge-
schickt wurden, gehörte auch ich, und ich war sehr froh,
um welchen Preis es auch sein mochte, einen Krieg ver-
lassen zu können, der ungerecht und ruhmlos war und
in dem ich im Innern meines Herzens unaufhörlich das
Schlechte fühlte, das mein Arm zu tun gezwungen war.
Ich verließ Madrid mit einer ungeheuren Karawane
von außer Dienst gestellten Offizieren, die, nur von einer
Eskorte von 75 Infantcriesulüalen begleitet, nach Frank-
reich gingen. Wir bildeten ein Peloton Offiziere, der
von dem ältesten Verwundeten befehligt wurde, um wenig-
stens bewaffnet zu sterben, wenn man uns angriff; denn
wir waren außerstande uns zu verteidigen. Viele von uns
waren gezwungen, sich auf ihren Pferden festzuschnallen,
um sich darauf zu halten.
In unserm Zuge befanden sich auch zwei Wahnsinnige.
Der eine war ein Husarenoffizier, der den Verstand infolge
schwerer Kopfwunden verloren hatte. Er ging zu Fuß,
weil man ihm sein Pferd und seine Waffen genommen
hatte, da man befürchtete, er werde entfliehen und Scha-
den anrichten. Aber trotz seines Irrsinns hatte er die
Wurde seines Grades und den Namen seines Regiments
noch nicht vergessen. Eines Tages wurde unser Zug
186
Digitized by Google
während des Marsches angegriffen. Es gelang dem Irr-
sinnigen, seine Wächter zu täuschen, er fand seine alte
Kühnheit wieder und stürzte sich, mit einem einfachen
Stock bewaffnet, den er das magische Zepter des Königs
von Marokko, seines Vorgängers, nannte, auf den Feind.
Der andere unserer Irrsinnigen war ein alter flämi-
scher Musiker der leichten Infanterie, in dessen Gehirn
der heiße spanische Wein für den Resl seiner Tage eine
unverwüstliche Fröhlichkeit zurückgelassen hatte. Er hatte
seine Klarinette gegen eine Violine eingetauscht, die er
sät seiner Kindheit spielen konnte, und nun marschierte
er in der Mitte unseres traurigen Zugs, unaufhörlich spie-
lend und tanzend.
Niemals trafen wir auf unserm langen, schweigsamen
Marsch einen vereinzelten Wanderer, nur alle zwei bis
drei Tage begegneten wir Munition szügen oder einigen
Eskorten, die mit uns unter den Trümmern der verlassenen
Häuser übernachteten, deren Fenster und Türen heraus-
genommen waren, um der französischen Armee als Feuer-
holz zu dienen.
Je näher wir Frankreich kamen, desto mehr liefen
wir Oefahr, von den Parteigängern gefangen genommen
zu werden. Auf jeder Station fanden wir daher Detache-
ments, die aus verschiedenen Gegenden der Halbinsel ge-
kommen waren, um mit uns zu marschieren. Bataillone,
ganze bis auf einige Mann reduzierte Regimenter trugen
niedergeschlagen ihre Adler und Fahnen, um sich in Frank-
reich, in Italien, in der Schweiz, in Deutschland und in
Polen zu rekrutieren. Unser Zug verließ Spanien Ende
Juli, 20 Tage nachdem die Festung Cuidad Rodrigo in
Salamanca in die Hände der Franzosen gefallen war.
187
Digitized by Google
3.
Kriegszüge in Portugal und Spanien
von
Moyle Sherer
Digitized Google
Vorwort.
Der Verfasser dieser „Erinnerungen aus Spanien"
gehört sowohl dem Soldaten- als dem Schrittst eil erstände
an, denn er veröffentlichte außer den verschiedenen Me-
moiren seiner Feldzüge und Reisen auch mehrere Ro-
mane und eine Biographie Wellingtons.
Moyle Sherer ist 1789 als der jüngste Sohn Joseph
Sherers in Southampton in England geboren. Er verließ
mit IQ Jahren das Winchester College und trat in das
34. Regiment, jetzt Border-Regiment, ein. Kurz darauf,
im Jahre 1E0Q, wurde sein Armeekorps nach Portugal
beordert und in den spanisch-französischen Krieg ver-
wickelt. Als junger Leutnant nahm Sherer an den Ge-
fechten von Albuera, Arroyo los Molinos und Vitoria
teil. Im Sommer 1813, als Souit bemüht war, die Eng-
länder zu zwingen, die pyrenäische Halbinsel zu ver-
lassen, ward Sherer im MayapafS gefangen genommen
und nach Frankreich gebracht, wo er zwei Jahre haupt-
sächlich in Bayonne lebte. Seit dieser Zeit war seine
Gesundheit erschüttert, und er erlangte sie nie vollständig
wieder. Trotzdem war er bis 1836 in der englischen
Armee aktiver Offizier, um sich dann vollständig vom
militärischen Leben zurückzuziehen und als Privatmann
und Schriftsteller auf der Ciaverton Farm bei Bath zu
leben. Dort ist er denn auch hochbetagt im Winter 1369
gestorben.
Sherer ist sozusagen der Tonangeber für die Militär-
memoiren in England gewesen, die vor ihm sehr selten
191
Digitized by Google
waren, nach ihm aber stark in Mode kamen. Er ver-
fügt über großes Talent, Eindrücke, Volkscharaktere und
-gewohnheiten zu schildern, und weif) uns sein bewegtes
Leben im Felde anziehend zu erzählen. Als weitgereister
Mann — er sah später Indien, Ägypten, Italien — ver-
steht er es, Menschen und Ereignisse mit scharfem Blicke
zu erfassen, und keine Szene, mag sie für den gewöhn-
lichen Menschen auch noch so unbedeutend sein, entgeht
seinem geübten Schriftstellerblick. Seine Beobachtungen
über die Eigenheiten der Portugiesen und Spanier, die
er gründlich studiert zu haben scheint, sind von großem
Interesse, und die von ihm erstrebte Unparteilichkeit be-
rührt angenehm, obwohl sie ihm nicht immer vollständig
Ich hoffe mit dem vorliegenden Auszug eine gute
Wahl getroffen zu haben, um dem Leser von den Verhält-
nissen auf der spanischen Halbinsel — durch die Brille
eines Engländers, eines Freundes des unterjochten Volkes
gesehen — ein genügendes Bild zu geben. Das diesem
Auszug zugrunde liegende Originalwerk „Recollections
of the Peninsula" erschien zum ersten Male in London
1823 und erlebte viele Auflagen. Übersetzt wurde es ins
Deutsche zuerst 1832.
F. M. K.
192
Digitized by Google
1. Kapitel
Ankunft der englischen Truppen in Lissabon. Land
und Leute in Portugal. Marsch der Engländer
nach Spanien
Es war in der ersten Woche des Junis im Jahre
1809, als ich mich in Porthsmouth einschiffte, um mich
meinem Regiment, das bereits nach Portugal abgesegelt
war, anzuschließen. Am zehnten Morgen nach meiner
Abreise aus England fuhr das Schiff, das mich trug, von
einem günstigen Winde getrieben, unter dem Felsen von
Lissabon hin und ankerte nach wenigen Stunden im
Hafen, dem Schlosse Beiern gegenüber, ungefähr eine
halbe Stunde von der Küste entfernt.
Bald sammelten sich Boote vom Ufer um unser
Schiff, und ich lehnte mich über seinen Rand, um zum
ersten Male auf Eingeborene von Portugal zu blicken.
Die schwarzbraune Gesichtsfarbe, der nackte, stämmige
Hals, das ausdrucksvolle Auge, die weißen Zähne, ver-
bunden mit ihrem lebhaffen Wesen, all das überrascht
den Engländer sehr; auch ihre Kleidung ist ihm ganz
neu, und, wie mir scheint, sehr malerisch. Kurze Pump-
hosen von weißer Leinwand, eine rote Schärpe und die
nackten Beine und Arme bezeichnen den auffallenden
Unterschied zwischen den Bootsleuten des Tajo und den
Schiffern an der Temse.
Die britischen Truppen in Lissabon hatten sich zu
dieser Zeit alle im Prinzenparke, einer großen, sorgfältig
13 B«M7: Span. Frelhtibkimpf. 193
Digitizad by Google
gepflegten Anlage oberhalb <let Vorstadl Hdcm, ge-
In einem alten, verfallenen Hause, dem ein/lj-rn Ge-
b.iudr in ..der hei dem Lager, hielt die Tischgesellschaft
meines Heimen!? r.odi ihre fröhlichen Sit7imj;rn. und
hier genossen wir, um einen kunstlos aus Fässern und
nreltern rrruhl.lfn I inh. aul ,Ma nielsacken. Sternen und
'[»rmtlrrn gel.ifjtrl, den Abc:id weit mehr, als es oft
.in einer ht-wr versorgten 1 alel und in dem bequemsten
Speisezimmer der Fall gewesen war. Die Unterhaltung
drehte sich nicht mehr auf dieselbe trage und einförmige
Weise um Schilderungen törichter Verschwendung und
ermüdender Vergnügungen — die Würde unseres Be-
rufes, die natürlich hei suHioil Schildcrutijren verdunkelt
wird, stieg wieder im Glänze ihrer schönsten und
stolzesten Farben vor uns auf. Neue Aussichten und
frische Hoffnungen gaben dem Gespräch, das durch treff-
lichen Wein gewürzt wurde, eine Lebhaftigkeit und einen
Reiz, hei denen die Zeit schnell verstrich, und es war
Mitternacht, als ich mein Zelt betrat. Hier lud mich
ein Lager von frisch gesammeltem Heidekraut, worauf
mein Tornister als Kopfkissen und ein leinenes Tuch
als Decke lag, zum Schlafe ein ; ich war jedoch viel zu
glücklich, um schlafen zu können.
Die Nacht war heiß, ich öffnete den Vorhang meines
Zeltes, zur alle Wände desselben auf, warf mich auf
mein Heidebett und überliefl mich wachenden Träumen . . .
Um vier Uhr früh erfrischte ich mich durch langsames
Ankleiden in der freien Luft, und um fünf Uhr stand
das Heer unter Waffen, um vom General Catlin Craw-
ford gemustert zu werden.
1070 Bajonette, Männer von schöner, kräftiger Ge-
stalt, sammelten sich unter unseren Fahnen. Mein Re-
giment hat nie sehr im Felde gelitten, obgleich es an
rühmlichen Gefahren ehrenvollen Anteil genommen hat
Aber ach, wie viele unterlagen Krankheiten, Strapazen
und dem Schwerte, wie wenige von diesen Männern sind
194
Digitizsd by Google
jetzt noch am Leben ! Wir bekamen jährlich neue
Leute zur Ergänzung; auch sie sind größtenteils ver-
schwunden.
Als unsere Musterung vorüber war, machte ich mich
mit einigen Begleitern auf, um einen Tag in Lissabon
zuzubringen. Von der Brücke von Alcantara führte uns
eine ununterbrochene Straße durch die Vorstädte in die
Stadt. i
Alle Dinge, die mich umgaben, waren mir so neu,
daß es mir unmöglich ist, den eigentümlichen, aber an-
genehmen Eindruck zu schildern, den sie auf mich
machten. Unter einem Volke umherzugehen, das an Ge-
sichtsbildung, an Farbe und Kleidung so sehr von den
Einwohnern Englands abstach, immer den Klang einer
Sprache zu hören, die ich nicht verstand, und zu
sehen, mit welch ehrfurchtsvoller Neugier man mich,
als einen britischen Offizier betrachtete, obgleich ich nur
ein jugendlicher Fremdling war: all dies war mir zu-
gleich neu und ergötzlich. Die malerische Kleidung der
gemeinen Landleute, die langen Reihen beladener Maul-
tiere, die Kabriolette, die von Ochsen gezogenen Karren,
roh und altertümlich in ihrer Bauart, wie man sie auf
den Titelkupfern in den ältesten Ausgaben von Vergils
Qeorgica sieht, die Wasserträger, die Limonadenver-
käufer und vor allem die Mönche und Klosterbrüder in
der Kleidung ihrer Orden, die Bauart der Häuser, die
schönen Eingänge, die zierlichen Balkone, die seltenen
und schönen Gewächse, die in ihnen aufgestellt sind —
alles bildete um mich her ein Gemälde, das trotz seiner
Wirklichkeit eine Theatertäuschung zu sein schien. Auf
dem kleinen San-Paulo- Platze machten wir Halt und früh-
stückten in einem hellen, freundlichen Zimmer, das auf
den Strand hinausging. Hier hatte ich, meinen Kaffee
schlürfend, die Aussicht auf den schönen Hafen, der mit
Fahrzeugen angefüllt war, während viele Piloten und
Fischerbarken mit ihren schönen, dreieckigen Segeln auf
und nieder fuhren und in der Nähe des Ufers Hunderte
13- 195
Digilized by Gpogle
von schmalen, netten Booten, mit weißen oder gemalten
Schirmdächern, Reisende von einer Gasse zur andern
zu den entfernteren Vorstädten Alcantara und Beiern
brachten. Das ganze Gemälde ward von einer Sonne
erhellt, wie man sie nur in einem südlichen Klima sieht;
ihr Licht war so glänzend, daß es alles, worauf es
fiel, zu beleben schien. Unmittelbar unter dem Fenster
unseres Kaffeehauses verrichteten einige Mauren, deren
es in Lissabon viele gibt, ihre in Erstaunen setzende
Arbeit als Lastträger. Ihre herkulischen Gestalten, ihre
kleinen Turbane und auffallenden Züge und ihre
wundersame Kraftäußerung im Heben und Tragen un-
geheurer Lasten boten uns ein neues, ungewohntes Schau-
spiel dar.
Obgleich wir täglich einen Marschbefehl erwarteten,
blieb unser Regiment doch fast einen Monat in diesem
Lager. Unter Wanderungen nach Lissabon und Beiern
und täglichen Streifereien in der Nachbarschaft verlebte
ich diesen Zeitraum sehr angenehm.
Indes bedauerte ich mit vielen anderen, daß wir in
Lissabon verweilen mußten, während wir vor Ungeduld
brannten, vorwärts zu marschieren. Aber die Zeit nutzlos
mit Gedanken und Schwatzen über Dinge zuzubringen,
denen ich nicht abzuhelfen vermochte, war nie meine
Gewohnheit. Alles, was mich umgab, hatte überdies zu
viel Mannigfaltigkeit und Neuheit, als daß ein Gefühl
von Überdruß und Unzufriedenheit lange in meinem Busen
hätte wohnen können.
Ich wünschte sehr, vor unserm Abmarsch Cintra zu
besuchen, das alle Reisende so gerühmt haben und das
v,;l.'.i';i seiner roniniiiisclKn Schönheit hei den Ein wollncrii
von Lissabon zum Sprichwort geworden ist. Wir waren
unserer sechs und verließen, nachdem wir auf zwei Tage
Urlaub erhalten hatten, in drei anständigen Fuhrwerken
um 4 Uhr morgens unser Lager. Unseren Rückweg nach
Lissabon nahmen wir durch Oeyras, eine Stadt, die des-
halb berühmt ist, weil sie dem großen Marquis von
106
Digitized by Google
Pombai1) den Graferititel gegeben hat, und wo das Haus
und die Gärten, die er lange bewohnte, noch jetzt gezeigt
werden.
Als unsere Wagen ins Lager fuhren, wurden wir
von der freudigen Nachricht begrüßt, daß Befehle an-
gekommen wären, in zwei Tagen nach Spanien aufzu-
brechen. Der nächste Tag verging unter geschäftiger
Vorbereitung. Unser schweres Gepäck war in England
zurückgelassen worden, und wir bekamen neuen Befehl,
uns aller Dinge zu entledigen, die nicht durchaus not-
wendig wären. Ich hatte gemeinschaftlich mit einem
Kameraden ein kleines, leicht beladenes Maultier, das
zwischen uns hertrabte, aber in der Einfalt unseres Eifers
trugen wir unsere Tornister selbst. Immer vier von uns
bildeten einen kleinen geselligen Tischklub; zum Labsal
hatten wir ein Flaschenfutter bei uns, aber weder Offi-
ziere noch Gemeine durften Zelte haben. Niemand, außer
Stabsoffizieren und Adjutanten, war beritten. Ein mit
Feldkesseln beladenes Lasttier für jede Kompagnie, die
wenigen Lasttiere der Offiziere und der Zug des Brigade-
Pflegeamts bildeten unser ganzes Gepäck.
Am Morgen des 28. Juli brachen wir in früher Stunde
unsere Zelte ab. Die Leute erhielten auf drei Tage Vorrat,
und gegen 7 Uhr verließ unser Regiment den Platz, um
sich nach Santarem, einer gegen 10 Meilen über dem
Tajo gelegenen Stadt, einzuschiffen, wohin wir zu Wasser
gebracht werden sollten. Nie werde ich die Empfindungen
vergessen, die mich ergriffen, als wir durch die Straßen
von Lissabon marschierten. Sie waren mit Menschen
') Dom Sebastian Joseph Carvalhoe e Mello, Graf von Oeyras,
Marquis von Pombai, logg— 1782, war portugiesischer Staats-
mann. Er stammte aus einer armen Adels (am die, gelangte aber
liald (Iure]] seine herv^rragem!'.:!! F;i[iigk(:iU:n un-l -"in liebens-
würdiges. Wesen zu großem Einfluß heim König Josef II., der
ihn mit Amtern und Würden überhäufte. 17S5 wurde er von ihm
mm Grafen von Oeyras und später mm Marquis von Pombai
ernannt.
197
Digitizsd by Google
angefüllt, in den Fenstern drängten sich Gesichter mit
den freundlichsten und seelenvollsten Blicken. Laute,
lange und (ortwährende „Vivas" tönten von allen Seiten,
Schals, Tücher und Hände winkten von jedem Balkon,
und die Frauen warfen Blumen und Kränze auf unsere
Häupter. Es war ein erfreulicher Anblick, die Portu-
giesen so öffentlich ihre Freude ausdrücken zu sehen,
und ich bin überzeugt, daß das Volk mit wenig Aus-
nahmen den Oedanken verabscheute, sich unter Frank-
reichs Joch zu beugen. Es ist nicht unwahrscheinlich,
sondern sogar gewiß, daß es unter den höheren Klassen
einige Menschen gab, die, durch Erziehung verdorben,
durch Furcht gehlendet und nicht durch Teilnahme oder
Vaterlandsliebe angetrieben, den französischen Waffen
Widerstand zu leisten, die Rückkehr der Franzosen so-
wohl erwarteten als ihnen auch Erfolg wünschten. Sie
bildeten aber einen sehr unbeträchtlichen und wertlosen
Teil der Bevölkerung. Ich stütze diese Meinung nicht
auf die „Vivas" einer Volksmenge, die unsere schönen
und wohlgerüsteten Truppen anstaunte, sondern auf alles,
was ich seit meiner Landung beobachtet hatte.
Vom Kai des Handelsplatzes sprangen unsere Leute
in die Boote, und unsere kleine Flotte segelte bald unter
günstigem Winde den Flull hinauf. Es muß für diejenigen,
die auf dem Kai und längs der Ufer standen, ein er-
götzlicher Anblick gewesen sein, unsere schönen Krieger-
scharen zu sehen. Die blanken Waffen, der glänzende
Hutschmuck und die scharlachrote Kleidung der britischen
Soldaten, die in offenen Barken zusammengedrängt waren,
müssen einen schönen Eindruck gemacht haben. Auch
wir staunten ein Schauspiel an, das in der Tat ein ganz
anderes, aber höchst friedliches, höchst liebliches war.
Das nördliche Ufer des Flusses, von Lissabon bis Villa-
franca, bietet eine ununterbrochene Reihe von ländlichen
Schönheiten dar. Klöster, Kapellen, Gärten und Wein-
berge, Wälder und Wiesen, Herden und Gruppen von
Landleuten, alles in bunter und fröhlicher Mischung,
198
Digitized by Google
fesseln das Auge und sprechen das Herz an. Hier sah
man in ihren kühlen und schattigen Kreuzgängen kleine
Gruppen von Mönchen in der schwarzen und malerischen
Kleidung ihres Ordens uns beobachten, als wir vorüber-
fuhren. Dort eilte eine glückliche Familie, Eltern, Kinder
und Diener, auf ihre Gartenterrasse am Rande des Wassers
und begrüßte uns mit Lächeln und Vivatrufen, während
man ein wenig weiter, im Hintergrunde, eine einsame
Nonne bemerkte, die aus dem hohen Gitterfenster ihres
Klosters auf das seltsame und glänzende Schauspiel blickte
und sich schnell zurückzog.
Als wir am Morgen eine Stunde gearbeitet hatten
und fanden, daß wir zu Wasser wenig oder gar nicht
vorwärts kamen, stiegen wir ans Land und marschierten
nach Santarem. Das Regiment wurde für die Nacht in
ein Kloster einquartiert und mir ein Privathaus ange-
wiesen. An dessen Tür begegnete mir der Eigentümer,
ein anständiger, wohlgekleideter Mann von ungefähr
60 Jahren und von freundlichem Benehmen. Cr führte
mich in ein sauberes Zimmer mit einer hübschen Kammer.
Ich war mit Staub und Schmutz bedeckt und wollte die
Wohnung als zu gut für mich ablehnen ; wie groß aber
war meine Überraschung, als mein Wirt mir selbst Wasch-
wasser brachte und seine gute Gattin mir Schokolade
vorsetzte, die sie selbst auf einem Schenkteller herbei-
trug. Ich befürchtete, sie möchten wegen meiner zwei
Epauletten meinen Rang verkannt haben, und erklärte
ihnen, daß ich nur ein schlichter Leutnant sei. Indes
sie kannten meinen Rang sehr wohl, erzeigten mir aber
nicht weniger Aufmerksamkeit. Sie durchlüfteten mein
Zimmer mit Rosenwasser, nahmen meinen Tornister mit
eigenen Händen ab und verließen mich dann, damit ich
mich durch Waschen und Ankleiden erfrischen und mich
von der Verwirrung erholen konnte, in die mich ihre
herzliche und höfliche Aufnahme versetzt hatte. Am
Abend speiste meine Gesellschaft hier, und der achtbare
Wirt beschenkte uns mit kostbarem altem Wein und den
199
Digitizsd by Gtfogle
auserlesensten Früchten. Und als wir Bedenklichkeiten
zeigten, besiegte er sie mit wahrer und aufrichtiger Gast-
freundlich keit; wir drangen ihm dagegen sechs Flaschen
trefflichen Sautemc auf, die der Überrest unseres kleinen
Vorrats von französischen Weinen waren.
Dies war meine Aufnahme in dem ersten Quartier,
das ich in Portugal gehabt habe, und auf diese Weise
empfingen die Portugiesen aller Klassen, je nachdem ihre
Mittel waren, im Anfang des Kriegs auf der Halbinsel
die britische Armee. Reiche und Arme, Geistliche und
Laien, Hidalgos und Landleute, alle zeigten Eifer,
uns zu dienen, und Bereitwilligkeit, uns zu ehren.
Auf unseren früheren Märschen öffnete man Haus,
Kloster und Hütte bei der Annäherung unserer Truppen;
die besten Zimmer, die saubersten Kammern, die
schlichten, einzigen Betten wurden mit unverstellter
Freude den vom Marsche ermüdeten Offizieren und Sol-
daten eingeräumt. Mit Bedauern muß ich gestehen, daß
die Sitten meiner zurückhaltenden, aber wohlwollenden
Landsleute bald eine Veränderung in der gütigen Stim-
mung dieses Volkes hervorbrachten. Als sie sahen, daß
viele von uns sich benahmen, als hätten sie ein Recht
darauf, und daß ihre ehrerbietigen Artigkeiten und freund-
lichen Dienstleistungen für Äußerungen der Huldigung
angenommen wurden, die dem Mute, dem Reichtum und
der Macht der britischen Nation gebührten, als die Ein-
fachheit ihrer Sitten, ihre Mäßigkeit, die Sparsamkeit in
ihrer Lebensordnung, die Eigentümlichkeit ihrer Kleidung
und ihre religiösen Vorurteile zu Gegenständen des
Spottes und Gelächters wurden, als sie Auftritte ge-
meiner Trunkenheit unter uns sahen und zuweilen der
rohen Beschimpfung ungezogener und hochfahrender Eng-
länder ausgesetzt waren: als dies sich alles ereignet hatte,
fingen sie an, die Ansprüche der einzelnen auf ihre Ach-
tung zu prüfen.
Sie wurden sehr bald enttäuscht, und der Geist, den
wir in ifnuin iri-weckt. zeigte sich 111 v^rsühietU'iH'n Hand-
200
Digitized by Google
lungen der Vernachlässigung-, Unhöflichkeit und selbst
der bitteren Empfindlichkeit. Die Engländer werden nicht
nur in Portugal, sondern in ganz Europa als ein freies,
aufgeklärtes und tapferes Volk bewundert, aber sie können
sich nicht beliebt machen ; sie sind nicht damit zufrieden,
groß zu sein, sie wollen auch, daß man sie für groB hatte
und so nenne. Sie können sich nicht mit guter Laune
in die Sitten anderer Völker schicken noch wollen sie sich
herablassen, sich mit der harmlosen Selbstliebe freundlicher
Fremdlinge zu versöhnen ; schmeicheln können sie nie. —
Bei Anbruch der Dämmerung stellte sich unser Regi-
ment in der Ebene unter der Stadt Santarem in Ordnung
und begann seinen Marsch nach Golegao, einem großen,
gegen vier Wegstunden entfernten Dorfe.
Mit einem kleinen Vortrabe traf ich an der Spitze
des Regiments in Golegao ein, eben als die Frühglocke
die Einwohner zum Gebete rief. Auf den Besuch des
öffentlichen Gottesdienstes hält man in ganz Spanien
und Portugal mit der größten Ordnung, und keine Be-
schäftigung oder Lebensweise darf diese heilige Pflicht
stören. Zur Messe gehen die Maultiertreiber, ehe sie
ihre Tiere beladen, und aus der Tür der Kapelle ziehen
die Landleute zu ihrer täglichen Arbeit. Selbst die Ver-
wandlung der Nacht in den Tag, eine Maßregel, die wegen
der außerordentlichen Hit/.e nötig ist, trägt den Reiz der
Neuheit an sich. Ich erhielt in einer schlichten, aber
reinlichen Hütte ein gutes Quartier und gastfreundliche
Bewirtung, und wir brachen mit der Nacht wieder auf.
Als der kühle Abendtau auf unser Biwak in der
Nähe des Dorfes Gaviao sich herabsenkte, kam ein Stabs-
offizier mit einem Kurier angesprengt und stieg vor dem
Quartier unseres Generals ab. Es wurde bald unter uns
bekannt, daß eine emstliche und blutige Schlacht von
unsern Waffengefährten bei Talavera3) geliefert worden
») Lora" Wellington siegte bei Talavera de la Rcina am 27.
und 28. Juli 1809 über die Franzosen unter Joseph Bonaparte.
201
Digitized by Google
war. Unzusammenhängen de Gerüchte sprachen von
einem teuer erkauften Siege, einem schweren Verluste
und einem darauf erfolgten Rückzüge. Ich erinnere mich
wohl, wie wir uns alle um das Feuer versammelten, um
zu horchen und zu mutmaßen und über den glorreichen,
aber blutigen Sieg zu sprechen. Wir bedauerten natür-
lich alle, daß wir an der Ehre eines solchen Tages keinen
Anteil gehabt hatten, und sprachen lange und mit unend-
lichem Vergnügen von dem Blutbade. So seltsam es
scheinen mag, Soldaten, und sie nicht allein, sprechen
von den Metzeleien eines Schlachtfeldes mit einem Ge-
fühle, das, wenn es auch die lebhaften Schläge eines
fröhlichen und sorglosen Herzens unterbricht, doch zu
den freudigsten Regungen gehört
Zwei Stunden vor Tagesanbruch rief die Trommel
zum Abmarsch, und wir erreichten zu früher Stunde Niza;
aber schon war die Sonne so brennend heiß, daß ich in
wenigen Augenblicken dreimal zu Boden sank. Während
eines kurzen Halts warf ich mich auf das ausgedorrte
Gras, und der Schlaf überwältigte mich; der Hut fiel mir
vom Kopfe, und die brennenden Sonnenstrahlen trafen
gerade auf mein entblößtes Haupt. Durch den Ton des
Horns geweckt, erhob ich mich schnell, sank aber so-
gleich besinnungslos nieder. Meine Kameraden riefen
mich durch die gewöhnlichen Mittel wieder ins Leben
zurück, auf meinen Versuch zu stehen kehrte der An-
fall aber zweimal wieder.
Durch eine dreitägige Ruhe in Niza erholte ich mich
völlig und war imstande, alle meine Pflichten wieder zu
erfüllen. Während dieses kurzen Zeitraums hatten die
Truppen zu meinem Glück Halt gemacht Am vierten
Morgen machten wir uns auf den Marsch, setzten bei Villa
Letzterer, mit einem Heer von 35000 Mann, verlor 17 Kanonen
und 7200 Tote und Verwundete; die Engländer, die 23000 Mann
besaßen, verloren 5300, während die 20000 Spanier, die kaum
mit in den Kamp! verwickelt wurden, nur geringe Verluste er-
litten.
202
Digilized by Google
Velha über den Tajo und verfolgten unseren Weg nach
Zarza la Major, der ersten Stadt an der spanischen Grenze,
auf der Straße nach Plasencia. Diese Bewegung wurde
ohne Sir Arthur Wellesleys') Vorschrift gemacht Sie
hatte zum Zweck, Soults Armee abzulenken, von deren
Ankunft in der Nachbarschaft von Corio und Plasencia
man Nachricht erhalten hatte, und die, wie man glaubte,
nach ihrem Rückzüge von Talavera einen Angriff auf
die britischen Truppen unternehmen würde, der bei der
Anzahl von Verwundeten, womit sie belastet war, nicht
sogleich nach der Schlacht folgen und nur mit besonderer
Schwierigkeit ausgeführt werden konnte. Das Land, durch
das unser Marsch ging, nachdem wir über den Tajo ge-
setzt waren, besaß nichts Merkwürdiges, aber der Weg
von Niza nach Villa Velha ist wahrhaft romantisch, und
der Fluß, der an dieser Stelle schmal und tief ist und
sich grollend zwischen hohen und abschüssigen Ufern
hindrängt, die zu einem dunkeln, öden Oebirge aufsteigen,
bildet ein großartiges, gewaltiges Gemälde.
Täglich biwakierten wir. Es ist ein angenehmer An-
blick, eine Heeresabteilung auf ihrem Ruheplatz an-
kommen zu sehen. Das Lager wird gewöhnlich, wenn
es die Umstände erlauben, am Rande eines Waldes und
in der Nähe eines Flusses oder Baches aufgeschlagen.
Die Truppen machen in offenen Kolonnen Halt, die Waffen
werden zusammengestellt, Feldwachen und Schildwachen
geordnet und auf ihre Posten geschickt, und in zwei
Minuten scheint alles zu Hause zu sein. Einige holen
große Steine, um Feuerplätze herzustellen, andere eilen
mit Flaschen und Kesseln nach Wasser, während der
Wald von den Schlägen der Axt widerhallt. Unter den
entfernteren Bäumen sieht man die Offiziere zerstreut,
») Sir Artur Wellosly, Herzog von Wellington, berühmter
englischer Fddherr, 1769— 1652, hatte von 1S09 an den Oberbefehl
über die britischen und portugiesischen Truppen. Später, 1813, be-
fehligte er auch das spanische Heer.
203
Digitized by Qoogle
einige mit Umkleiden, andere damit beschäftigt, sich von
einigen Ästen ein Obdach für die Nacht zu bauen, und
andere wiederum ihr Feuer anzündend, während man
die Tätigsten, mit Brot beladen, aus dem Dorfe zurück-
kehren oder einen Vorrat frischer Milch von einer in der
Nähe weidenden Ziegenherde herbeitragen sieht.
Die Unbequemlichkeit eines Lagers lehrte mich, auf
das nächste mich zu freuen, und ich lernte — eine selt-
same Lehre für den Gedankenlosen — , daß Wald und
Wasser, Schatten und Gras üppige Genüsse darbieten.
Ich sah jeden Abend die Sonne untergehen, sah sie jeden
Morgen in ihrer Pracht aufgehen, und fühlte, daß selbst
mein Dasein ein Segen war. Es ist in der Tat auffallend,
wie bald sieh weichlich erzogene Menschen an alle Dinge
gewöhnen können. In eine Decke oder einen Mantel
gehüllt, das Haupt auf einen Stein oder einen Tornister
gelehnt, vom Tau der Nacht bedeckt oder vom Gewitter-
regen durchnäßt, schläft mancher Jüngling, :1er von Kind-
heit auf an ein Zimmer mit Teppichen und an ein Flaum-
bett mit Vorhängen gewöhnt ist.
Als wir über den Fluß Elja setzten, der an der
Straße, die wir zogen, Portugal und Spanien scheidet,
versprach ich mir viel Vergnügen von einer Stadt, die
von Spaniern bewohnt wird, die, wie ich wußte, an
Sprache, Sitten, Gebräuchen und Kleidung sich sehr von
den Portugiesen unterscheiden ; und auf diesen Unter-
schied hielt man aus volkstümlichem Stolze an den
Grenzen so strenge wie anderswo. Unsere Heeresab-
teilung rückte nahe an die Stadt Zarza vor und nahm
ihre Stellung auf einer nackten Felshöhe, die gegen eine
halbe Stunde von der Stadt entfernt und ihr gegenüberlag.
Keine Seele kam uns entgegen, niemand folgte uns in
unser Biwak. Alles war still, wie um Mitternacht, aber
die Nachmittagssonne schien brennend heiß herab. Kaum
war mein Regiment auseinandergegangen, als ich zur
Stadt eilte, und ich war einer der ersten, die sie betraten.
Die Straßen waren verlassen und die Häuser verschlossen,
204
Digitized by Google
die Kirche allein stand offen, aber den Silberschmuck
des Altars hatte man entfernt.
Ich wendete mich sdtwLirts in einen Garten und sah
an einem jenseitigen Ende einen Landmann, der, als er
mich bemerkte, die Flucht ergriff und sich verbergen
wollte. Ich holte ihn ein, und als ich ihn durch Worte
und Gesten beruhigt hatte, wurde er gesprächig. Ich horte
von ihm, daß die Einwohner von Zarza die Franzosen
diesen Morgen erwartet harten, und, ihre Ankunft fürch-
tend, alle in der Nacht entflohen waren, einige nach Al-
cantara, andere in die Wälder und Gebirge. Ich kaufte
ihm einige Bisam- und Wassermelonen ab und gab ihm
eine Kleinigkeit mehr, als sie wert waren, was ihn höch-
lichst zu überraschen und zu erfreuen schien.
' Die Ereignisse dieses Morgens machten einen tiefen
und bleibenden Eindruck auf mich. Zwar erlebte ich
seitdem Schrecknisse, die mich wohl hatten lehren können,
eine Begebenheit zu vergessen, die, wie ich nachher fand,
nicht ungewöhnlich war, aber die ersten Eindrücke sind
zu mächtig, um je vergessen zu werden.
Am nächsten Morgen kehrte unser General von einer
Zusammenkunft mit General Beresford') zurück, der in
der Nahe von Penagarcia und Penamacor mit einer Ab-
teilung Portugiesen stand, und an demselben Abend zogen
wir wieder über die Elja und betraten aufs neue Por-
tugal — eine Bewegung, die, wie ich glaube, wegen der
Macht und der Nähe des Feindes für ratsam erachtet
wurde, denn wir hatten nur sechs Bataillone und waren
durch keine Reiterei und Artillerie unterstützt. Wir
nahmen jetzt unseren Weg wieder nach Alentejo. Eines
unserer Lager auf diesem kurzen Rückzüge wurde in
Einer der wildesten und malerischsten Gegenden auf-
geschlagen. Auf dem halben Wege zwischen Villa Velha
und Niza windet sich die Straße durch ein tiefes und
*) William Carr, Viscount ot Beresford, 1768—1854, über-
nahm später das Kommando über Hills Korps.
205
Digitized by Google
enges Tal, das auf allen Seiten van wild gestalteten
Felsenhöhlen eingeschlossen ist; durch dieses fließt ein
kleiner Bach, der von den Höhen in das rauhe Bett eines
winterlichen Waldstroms fällt und, das reinste Wasser
führend, wie ein Silberfaden sanft sich hinschlängelt. Hier
machten wir bei Anbruch der Nacht Halt, nachdem wir
fast 19 Stunden unter den Waffen gewesen waren. Die
Höhen steigen auf allen Seiten des Tales so steil und
senkrecht empor, daß es unmöglich ist, ein regelmäßiges
Lager hier zu bilden, und die Leute wurden alle in
Gruppen auf die Hügel verteilt.
Wir hielten 14 Tage Rasf in Niza und lagerten in
einem Walde bei der Stadl. Am 7. September brachen
wir auf und marschierten in die Kantonierungen im
spanischen Estremadura. Unser Weg ging über Port-
alegre, Elvas, Badajoz und Talavera Real.
Die leichte Brigade unter General Crawford wurde
zu dieser Zeit in Portalegre einquartiert. Die Regimenter,
aus denen sie bestand, waren sehr schön und so gut als
möglieh geordnet. Sie hatten die Kränkung erlitten, erst
am Tage nach der Schlacht mit Wellingtons Armee auf
dem Felde von Talavera vereinigt zu werden. Ich wohnte
hier der Musterung des 23. Regiments bei, das so all-
gemein und mit Recht bewundert worden ist. Wir
setzten unseren Mersch am nächsten Tage fort, hielten
bei Arrouches, einer kleinen unbedeutenden Stadt, und
rückten von da am nächsten Morgen zu einem Biwak
unter den Mauern von Elvas aus. Nahe bei der letzten
Stadt starben zu Ende des Marsches zwei Leute von
unserem Regiment vor Hitze und Müdigkeit. Das Thermo-
meter stieg im Laufe dieses Tages im Freien auf 100°
Fahrenheit.s) Elvas ist eine feste Grenzstadt und rühmt
sich des Schutzes eines unbezwinglichen Außenwerkes
(La Lippe), das man für ein Meisterwerk in der Be-
«) 100 Fahrenheit = 37,33 Celsius.
206
Digitized by Google
festigungskuust ansieht. In dieser Stadt waren die Hospi-
täler für unsere Armeen errichtet worden, und als ich
durch die Straßen wanderte oder an den Klöstern vor-
überging, die man dazu bestimmt hatte, ruhten meine
Blicke beständig auf Männern, die in der letzten Schlacht
von Talavera verwundet worden waren. Die Grüße dieser
tapferen Dulder erwidernd, fühlte idi meine Wenige wie
Scharlach erglühen. Was hätte ich nicht damals für das
stolze Vorrecht gegeben, den Offizieren beigezählt zu
werden, die über diese Männer den Befehl im Felde der
Ehre gehabt hatten, und die jetzt, ihre verkrüppelten
Beine auf Krücken stützend oder ihre zerschmetterten
Arme in schwarzseidenen Tüchern tragend, gemächlich
im kühlen Schatten herumwandelten, mit dem zufriedenen
Blick, der immer das Gefühl der wiederkehrenden Gesund-
heit anzeigt und den hier das Bewußtsein der edeln
Sache, die sie auf das Leidensbett gestreckt hatte, doppelt
anziehend machte.
Ich folgte einer Oruppe derselben in den Laden eines
maurischen Marketenders namens Tarnet, der der ganzen
britischen Armee unter der Bezeichnung „der Türke"
wohlbekannt war. Dieser Mann handelte mit allem, was
Offiziere im Dienste brauchen konnten, und war weit
höflicher, als ich je einen Marketender getroffen habe.
Während ich hier einige Einkäufe machte, horchte ich auf-
merksam auf die Unterhaltung um mich her. Sie hatte
viel Anziehendes für mich, denn die Leute sprachen von
unseren politischen Verbindungen mit Spanien, von dem
militärischen Charakter der Spanier und von dem Er-
folge des Krieges ; aber ich gestehe, ich errötete über ihren
Mangel an Kenntnissen und Unbefangenheit Die Ver-
achtung, womit sie über spanische Tapferkeit sprachen,
war nicht nur lieblos, sondern unverdient. Der edle,
unerschrockene Eifer, mit dem die Spanier zuerst zu den
Waffen griffen und furchtlos dem Manne, dem sich Italien,
Österreich, Preußen und Rußland unterwarfen und die
Siegespalme reichen mußten, den Fehdehandschuh hin-
207
Digitized by Google
warfen; die heldenmütige Ausdauer, mit der sie Be-
schwerden, Entbehrungen und Niederlagen erduldeten;
die unerschütterliche Entschlossenheit, mit der sie, ob-
gleich täglich geschlagen, sich immer wieder den sieg-
reichen Scharen eines tapferen und geschickten Feindes
ent^L';;\' [ist eilten und von einem Felde flohen, um sich
auf einem anderen als bereitwillige Opfer darzubieten;
der beispiellose Heldenmut, mit dem Zaragoza und einige
andere Städte von ihren Einwohnern, ohne Rücksicht
auf Alter und Geschlecht, verteidigt wurden: all das sind
Tatsachen, die meinen Landsleuten bekannt sein mußten
und deren sich der unparteiische Soldat und der gerechte
Mann stets mit freudiger Begeisterung erinnern wird.
Sicherlich war ich jn der Wahl der Oesellschaft unglücklich
gewesen, denn ich glaube, in keinem europäischen Heere
gibt es so viele gebildete und unbefangen denkende
Männer wie in dem unsrigen. Die britische Armee darf
jedoch nicht für die Torheit und Unwissenheit vieler
verantwortlich gemacht werden, die durch die Zulassung
in die Reihen des Heeres zu sehr geehrt worden sind.
Wir dürfen nicht auf alle, die unsere Schlachten gekämpft
haben, mit der eiteln Hoffnung blicken, Helden zu be-
gegnen; wir werden nur Menschen finden.
fch verließ die Stadt, sehr zufrieden mit allem, was
ich gesehen und gehört hatte, aber etwas traurig, daß
es mir, trotz all meiner Aufmerksamkeit und meines
Herumschlenderns in der Nähe seines Quartiers, nicht
gelungen war, Wellington zu erblicken, den ich bis jetzt
noch nie gesehen hatte. Meine Waffen gefährten hatten
wieder einen Garten neben dem Biwak gefunden, und
nach einem sehr vergnügten Abend legte ich mich auf
eine Binsendecke nieder, die ein Gärtner für mich aus-
gebreitet hatte, und bereitete mich zum Schlafe vor, ohne
selbst den Mantel über mich zu decken. So ist das
Klima in Spanien.
Wir erreichten Torremajor, das für unsere Brigade
bestimmte Dorf, in zwei Tagen, indem wir bei Talavera
208
Digitized by Google
die Nacht hindurch biwakierten. Einige Regimenter von
Hills Korps'), zu dem unsere Brigade gehörte, lagen
bei Montijo, einer auf unserer Straße gegen vier Stunden
von Torremajor gelegenen Stadt, unter anderen das
29. Regiment Es war das erste wegen seiner Tapferkeit
ausgezeichnete Regiment, das ich unter den Waffen ge-
sehen habe. Nichts aber konnte schlechter sein als seine
Kleidung: man harte sie ausflicken müssen, und da man
kein rotes Tuch erhalten konnte, so hatte man graues,
weißes und sogar braunes dazu genommen. Trotz diesem
ungünstigen Aussehen aber konnte kein Soldat ohne Be-
wunderung auf diese Männer blicken. Die vollkommene
Ordnung und Reinlichkeil in ihren Waffen und in ihrer
Ausrüstung, ihre gerade Haltung bei der Musterung und
ihr fester, ungezwungener Schritt beim Marschieren über-
traf alles, was ich von der Art gesehen hatte. Kein
Regiment von irgend einem Heere oder einem Volke,
das ich seitdem Gelegenheit hatte zu sehen, ist dem
Begriffe, den ich mir von einem musterhaften Fußvolke
machte, nähergekommen, als das 2Q. Regiment.
Am 4. Oktober wurde unser Korps, das General
Hill befehligte, von Lord Wellington in der Ebene von
Montijo gemustert. Wir hatten eine Stunde bis zu diesem
Ort zu marschieren und mußten lange warten, bisWelling-
ton kam. ich war sehr aufgeregt und begierig den Helden
zu sehen, und als er langsam die Linie abritt, die Männer
mit scharfem, forschendem Blicke musternd, hatte ich
die bequemste Gelegenheit, meine Neugierde zu be-
friedigen. Sein Gesicht überraschte mich sehr, und in
seinen blitzenden Augen, seiner vorstehenden Nase und
seinen zusammengepreßten Lippen sah ich die Geistes-
gegenwart und unerschütterliche Entschlossenheit ausge-
>) Rowland, Viscount Hill of Hawkstone, Baron Hill von
Almarez, 1772—1842, befehligle von 1808—1814 in Spanien; über-
nahm 1S0Q den Oberbefehl über Pagets Division, der verwundet
worden war. Er war besonders bei Ciudad Rudrigo und bei Sala-
manca 181-i von bedeutendem Nutzen für Wellington.
14 B*M7: Spin, frtihtitsfcrapf. 209
Digitized by Google
prägt, die zu den wichtigsten Eigen schalten eines Heer-
führers gehören und wodurch der Name dieses großen
Feldherrn einen so verdienten Ruhm erlangt hat
Ich kehrte nach der Musterung in meine Wohnung
zurück, verlebte einen sehr vergnügten Abend, sprach
von nichts als von Krieg und Wellington, wurde noch
dieselbe Nacht aufs Krankenbett geworfen und war nach
Verlauf einiger Tage an der Pforte des Todes. Meine
Jugend, ein kräftiger Körperbau und lebendiger, hoff-
nungsvoller Mut setzten mich indes in den Stand, die
Krankheit zu besiegen, und nach drei Wochen war ich
auf dem Wege der Genesung. Meine alte Wirtin, die
während meiner Krankheit manche Stunde vor dem
kleinen Heiligenschreine in ihrer Kammer zugebracht und
täglich für die Gesundheit und Bekehrung des jungen
Ketzers gebetet hatte, war äußerst erfreut und betrachtete
meine Genesung als einen wunderbaren Beweis der
Macht ihres Heiligen und als ein befriedigendes Zeichen
ihrer eigenen Würdigkeit
210
Digitized by Google
2. Kapitel
Rückkehr zum Regiment Leben im Felde. Krieg-
führung der Spanier. Französische Gefangene.
Gefecht bei Buzaco
Gegen Ende des März, als ich meine Gesundheit
völlig wiedererlangt hatte, ging ich zu meinem Regiment
zurück. Das Heer des Generals Hill, zu welchem ich
gehörte, lag zu dieser Zeit in Kantonierungen verfeilt
in der Provinz Aiemiejo. Der General hatte sein Haupt-
quartier in der Stadt Portalegre, wo zwei Brigaden und
die Hälfte der zweiten Infanterieabteilung lagen. Mein
Regiment stand in Alegrete, einer kleinen Stadt, die sehr
romantisch in einer wilden und malerischen Gegend, drei
Stunden von Portalegre und in der Richtung nach Al-
buquerque lag. Meine Reise glich einer Lustfahrt. Wir
bildeten eine kleine fröhliche Gesellschaft, die aus lauter
Genesenen bestand, und durch die Erfahrung etwas ge-
witzigt, nahmen wir viele kleine Bedürfnisse und zur
Bequemlichkeit dienende Dinge mit, die wir im vorigen
Jahre nicht berücksichtigt oder verachtet hatten:
Ich war wieder auf der Promenade, aber ach, wie
manches liebe Gesicht suchte da mein Auge vergebens!
In dem Zeitraum von vier kurzen Monaten hatte mein
Regiment fast 400 Soldaten begraben, alle in der Blüte
ihres Lebens und im kräftigsten Mannesalter. Alle waren
als Opfer der ungesunden Jahreszeit im spanischen Estre-
madura gefallen. Die Offiziere unseres Korps hatten im
14« 211
Digitized by Google
Verhältnis zu den Gemeinen keinen so großen Verlust
gehabt, da sie imstande waren, besser zu leben, denn
zu jener Zeit fanden keine regelmäßigen Verteilungen
von Wein und geistigen Getränken an die Soldaten statt,
und der Wein, den man zuweilen erhielt, war sehr
kraftlos. Überdies war großer Mangel an Chinarinde in
den Hospitälern, und viele Kranke starben dieses Mangels
wegen. Ein Grund von großer politischer und militäri-
scher Bedeutung mußte ohne Zweifel Lord Wellington
veranlassen, eine Stellung einzunehmen und zu behaupten,
die für die Gesundheit und Kraft seines kleinen Heeres
so überaus verderblich war.
Den ganzen April, Mai und Juni hindurch blieben
wir in fester Stellung, außer daß wir einmal aufbrachen
und, gegen zwei Stunden vordringend, ein paar Nächte
biwakierten, weil eine leichte Kolonne von der Armee
des Generals Reynier1), der damals im spanischen Estre-
madura den Oberbefehl führte, einige unbedeutende Be-
wegungen gemacht hatte. Der Feind zog sich aber zu-
rück, und wir bezogen wieder unsere ruhigen Quartiere.
Am 30. Juni wurde unser Regiment aus seiner
Stellung abberufen und schloß sich seiner Brigade in
Portalegre an. Alle Erscheinungen berechtigten zu dem
Glauben, daß der Kampf eröffnet werden sollte. Wir
blieben hier 14 Tage, und ich war hinsichtlich meines
Quartiers sehr glücklich. Mein Wirt, ein ehrwürdiger
alter Stiftsherr von freundlichem Benehmen und guter
Bildung, gab mir ein treffliches Zimmer und erlaubte
mir den Zutritt in ein kleines Kabinett, worin er eine
hübsche Sammlung von französischen Schriftstellern und
einige schöne Ausgaben von Klassikern hatte. Die
Fenster meiner Kammer gewährten die reizendste Aus-
sicht, und alle meine Bedürfnisse und Wünsche waren
befriedigt, wenn ich die natürliche Sehnsucht ausnehme,
') Jean Louis Ebeneier Graf Reynier, französischer Ar-
tilleriegcneral, 1771 — 18] J, kommandierte 1810 das 2. Armeekorps.
212
Digitizeü by Google
ins Feld zu rücken, um der stolzen Erfahrung eines
Kriegers teilhaftig zu werden.
Zu jener Zeit hatten die Heere Junots und Neys,
unter dem Befehle Massenas*), ihre Stellung auf oder
bei dem Agueda. Neys Truppen setzten indes die Be-
lagerung von Ciudad Rodrigo fort. Reynier lag mit dem
zweiten Korps des französischen Heeres im spanischen
Estremadura in Kantonierung, mit großen Vorbereitungen
beschäftigt, die, wie es schien, den Zweck hatten, uns
in Alemtejo zu bedrohen und zu bewachen. Am 13. Juli
rückten wir in ein Feld, nahe bei Alpalhao, wo wir fünf
Tage hielten, in der Erwartung, daß Reynier, der sich
damals dem Tajo näherte, über den Fluß setzen würde,
worauf wir schnell eine entsprechende Bewegung machen
wollten. Wir wurden hier alle gemustert, und ich harte
das Vergnügen, zum ersten Male eine große Abteilung
Portugiesen unter den Waffen zu sehen. Die Leute
waren ausnehmend schön, und, wenn man die kurze
Zeit in Betracht zog, die seit Ihrer Einrichtung ver-
flossen, in sehr guter Ordnung. 24 Linienregim enter,
6 Regimenter leichter Infanterie, 10 Regimenter Reiterei
und eine verhältnismäßige Menge trefflicher Artillerie
bildeten damals das vaterländische Heer von Portugal;
seine gesamte Macht mochte sich bis auf 35000 Mann
belaufen. Von dieser Anzahl waren jedoch viele Regi-
menter noch nicht hinlänglich vorbereitet, ins Feld zu
ziehen, und blieben daher in Garnison. Die Gesamt-
macht der schlagfertigen Briten und Portugiesen mochte
58000 Mann nicht übersteigen; darunter waren 25000
Portugiesen. Gegen 8000 Briten und 6000 Portugiesen
befehligte der General Hill. Alle übrigen Heeresab-
teilungen standen unter Wellingtons unmittelbarem Be-
fehle und hatten die vorteilhafteste Stellung dem von
>) Andre Massena, Herzog von Rivoli, Fürst von Eflling,
französischer Marschall, 1753—1817, hatte 1810 den Oberbefehl
über die Armee von Portugal.
213
Digitized by Google
Massena befehligten Heere gegenüber. Es ist jedoch nicht
meine Absicht, dem Leser eine berufsmäßige Beschreibung
der Feldzüge zu geben, sondern ihm nur, so treu ich
kann, die mannigfaltigen Freuden eines tätigen Feld-
lebens zu schildern, die auf mich einen tiefen Eindruck
machten, wiewohl ich mehr ein Reisender und ein Mann
von Gefühl, als ein unterrichteter Soldat bin.
Doch hehren wir in unser Feldlager zurück. Am
18. Juli brachen wir abermals auf, marschierten vor Niza
vorbei nach dem Tajo, setzten über diesen Fluß bei
Villa Velha und verfolgten unsern Weg durch Saniadas
und Castello-Branco nach Atalaya, einem ansehnlichen
Dorfe am Fuße der prächtigen Bergreihe, die den Namen
Sierra da Estrella führt und in deren nördlicher Gegend
unsere Hauptmacht unter Wellingtons Befehl lag. Durch
die Entbehrungen, die sie im vorigen Jahre erlitten hatten,
gewitzigt, zogen unsere Offiziere jetzt sehr gut versorgt
ins Feld; viele von uns waren beritten, die meisten führten
Zelte mit sich, und da die Erfahrung uns gezeigt hatte,
was wirklich nützlich war, so hatten wir uns während
unserer freien Zeit viele kleine Dinge verschafft, die
den Aufenthalt im Lager angenehmer machen sollten.
Mein Waffengefährte und ich besaßen unser Zelt, unsern
Feldtisch, Stühle, Strohmatratzen, Flaschen futter usw., und
mochten wir auch in den wildesten und einsamsten
Gegenden, von allen Städten und Flecken entfernt, bi-
wakieren — unsere Mahlzeiten wurden, nachdem sich
unsere Diener an das Leben gewöhnt hatten, mit der
größten Ordnung, Reinlichkeit und Bequemlichkeit be-
reitet und aufgetragen, wenn das Wetter schön war und
kein Befehl zum Abmarsch oder zur Rüstung dazwischen
kam. Hatte unser Regiment eine Viertelstunde Halt ge-
macht, so wurde unser Zelt aufgeschlagen; der Kessel
befand sich über dem Feuer, unter einem schattigen Baume
wurde das Frühstück mit dem Teezeug ausgebreitet, die
Ziege gemolken, und wir saßen zufrieden bei unserem
fröhlichen Mahle. Auch das Mittagsmahl ließ einem
214
Digitized by Google
mäßigen Manne wenig übrig, was er hätte wünschen oder
worüber er hätte murren können, wenn auch keine große
Mannigfaltigkeit in den Speisen war; denn im Felde sieht
man gewöhnlich nur zwei Gerichte, nämlich Suppe und
Fleisch oder ein irländisches Schmorgc rieht, mit Reis,
Kürbis, Tomaten und einer Flasche gutem Landwein.
Im Biwak bei Villa Velha lagerten wir uns eine
Stunde von einem spanischen Korps entfernt, das unter
dem Befehl des Generals Carrera stand und nach Badajoz
marschieren wollte. Es war ein überaus schönes Regi-
ment, wiewohl durch Niederlagen völlig in Unordnung
gebracht und fast verzagt aus Mangel an jener Hoffnung
und Aufmunterung, die nur das Kriegsglück dauernd ein-
zuflößen vermag. Sie hatten an der unglücklichen Schlacht
bei Alba de Tormes teilgenommen und waren kürzlich
beugen dts Talk; von Cim.Kul Rodrigo jii'wesi'ii.3) Auf
uns sahen sie mit dem Blick der Verachtung, den ihre
Unwissenheit als Soldaten und ihr Eifer als Spanier
einigermaßen entschuldigen muBten. Sie wußten wenig
oder gar nichts von regelmäßiger Kriegsführung, sie
wußten nur, daß wir seit der Schlacht bei Talavera keinen
Schuß an ihrer Seite getan hatten, daß unsere Waffen-
gefährten vor zwei Jahren unter dem General Moore
durch Galizicn geflohen waren, ohne zu fechten, und
ihre ängstlichen und verächtlichen Blicke sagten uns deut-
lich, daß sie befürchteten, wir möchten bei der Annäherung
Massenas mit gleicher Eile durch Portugal zurückkehren.
Es kränkte mich, dies alles zu beobachten, ich schrieb
») Am 28. November 1800 wurden die Spanier unter Del
Parque vom General Marchand bei Alba de Tormes geschlagen
und verloren 3000 Mann, teils in Oalicien, teils bei Ciudad Rodrigo.
Diese Stadt wurde im Juni 1810 von Ney mit 50000 Mann besetzt,
aber die Besatzung, 4000 Spanier unter dem tapferen Andreas
Herrasti, ergab sich erst am 9. Juli, da es vergeblich war, gegen
eine solche Obcrmacht Widerstund zu leisten. Im Januar 1812
wurde Ciudad Rodrigo von den Engländern unter Wellington den
Franzosen wieder abgenommen.
215
Digitized by Google
aber vieles der gereizten Stimmung zu, worin die aus-
gestandenen Leiden und Gefahren sie versetzt haben
mußten, und ich vergab ihnen von Herzen.
Der General Carrera, der sie befehligte, saß mit
mehreren ihrer höheren Offiziere unter einigen Bäumen
und rauchte seine Zigarre. Sein Haupt war unbedeckt,
und er trug einen leichten gewöhnlichen Leibrock. Er
war ein überaus schöner Mann, und als unsere wohl-
gerüsteten Truppen an diesem Platze vorüber auf ihre
Posten zogen, betrachtete er sie mit schweigendem und
empörendem Stolze. Er besaß keine Kenntnisse, war
aber ein feuriger junger Krieger und ein wahrer Freund
seines Landes. Im Jahre 1811 oder 1812 fiel er in den
Straßen von Murcia, mit Säbelwunden bedeckt, nachdem
er kurze Zeit mit fünf französischen Dragonern einen
höchst ungleichen Kampf geführt hatte.
Ich erwähne das Zusammentreffen mit den spanischen
Truppen, um zu zeigen, was für Anführer sie oft hatten
und wie wenig Ordnung und Plan in dem Marsche und
den Bewegungen der Krieger war, die, wie man wohl
sagen kann, zerstreut in ihrem Biwak durcheinander-
liefen, ohne regelmäßige Stellung oder eine Spur von
Mannszucht und Aufsicht, und den Befehlen von Gene-
ralen unterworfen, die vielleicht in den meisten Fällen
von Vaterlandsliebe angetrieben, aber selten von Urteils-
kraft geleitet wurden.
Am 17. August rückte unser und ein anderes Ba-
taillon in ein Lager bei San Domingo, gegen ein und eine
halbe Stunde von Sarzedas entfernt, zur Unterstützung
einiger Truppen leichter Infanterie und Reiterei, die vor
uns lagen und Castello Branco und die umliegenden
Dörfer besetzt hielten. Wir hatten ein sehr vergnügtes
Biwak ; die Bäume waren groß und schön, ein klarer
Bach von süßem Wasser floß an unseren Linien vorbei,
und die Leute erhielten bequeme und reinliche Baracken.
Unser General hatte eine kleine Kapelle an der Seite
der Landstraße, das einzige Gebäude in unserer Nähe,
210
Digitized by Google
eingenommen, und Landleute, die gehört hatten, daB
unsere Mannszucht streng sei und daß wir alles frei-
gebig bezahlten, kamen bald aus einer Entfernung von
zwei bis drei Stunden, um Markt in unserem Lager ab-
zuhalten. Sie versorgten uns mit Vorräten an Brot, Milch,
Eiern, Geflügel, Honig und trefflichem Landwein. Wer
einmal zwei bis drei Wochen lang nichts als seinen Teil
Rindfleisch und harten Zwieback genossen hat, wird sich
nicht wundern, daß ich diese Kleinigkeiten erwähne, und
wer nie im Felde gedient hat, mag bei ihrer Erwähnung
lächeln, vorausgesetzt, daß er es mit guter Laune tut
und mich zuletzt entschuldigt.
Während wir hier lagerten, spielte sich vor unserer
Front ein Reitergefecht ab, wobei einige von unserm
13. leichten Dragoner-Regiment einen feindlichen Fou-
ragiertrupp gefangen nahmen. Die Gefangenen wurden
an unserem Lager vorbei ins Hauptquartier gebracht
Ich hatte bis jetzt, obgleich ich schon ein Jahr im Lande
war, noch keinen französischen Soldaten gesehen und
machte mich allein auf den Weg, um der Eskorte ent-
gegenzugehen. Ich wußte nicht, wie es kam, aber ich
machte mir seltsame Vorstellungen von dem Aussehen
französischer Soldaten. Was ich zu sehen erwartete, kann
ich nicht genau sagen, gewiß aber nicht Männer von
schöner, frischer Gesichtsfarbe und von schlanker, wohl-
gebildeter Gestalt. So waren jedoch die Gefangenen ;
es waren Jäger, gegen 60 an der Zahl, in netten, grünen
Uniformen und überaus gut stehenden Mützen. Einige
von ihnen schienen niedergeschlagen und traurig, andere
erbost und ungehalten zu sein, die meisten aber blickten
mit furchtloser und unbefangener Neugier um sich her,
während ihre lachenden blauen Augen nichts weniger
als Grausamkeit verrieten. Es gab zwar unter ihnen
nur wenig Franzosen, aber wenn auch Deutsche, waren
sie doch Soldaten des französischen Heeres, marschierten
und fochten mit ihm und waren Feinde, denen wir oft
begegneten. Ein großer Teil von Napoleons Reiterei
217
Digirized by Google
bestand aus Deutschen, und selbst die numerierten
Regimenter Frankreichs aller Waffen enthielten Italiener,
Belgier, Holländer und andere Fremdtruppen. Sie waren
daher gleichsam Proben der Feinde, mit denen wir
kämpfen sollten.
Unter ihnen war ein Mann, dessen furchtbare und
wilde Gesichtszüge ich in der Tat nie vergessen werde.
Er war von mittlerer Größe, stark und kräftig, sein Haupt-
haar und sein ungeheurer Schnurrbart waren vollkommen
weiß, sein Gesicht bleich, seine Augen klein und etwas
rot, und der Ausdruck seines Blickes war ebenso na-
türlich als mitleidslos. Seine Kameraden schienen ihn
zu scheuen, und auf meine Fragen erfuhr ich, daß er
aus einer österreichischen Provinz gebürtig sei. Seine
Sprache, sagten sie, wäre ihnen kaum verständlich, er
sei ein vollkommener Wilder, aber tapfer und ein gutes
Futter fürs Pulver. Ich schauderte bei den Gedanken,
daß ein solcher Mann Soldat war. Vor einem solchen
Bösewichte, dachte ich, wird das weinende Weib ver-
geblich knien, diesen einmal erhobenen Arm wird das
Lächeln des hilflosen Säuglings, der Seufzer des ver-
wundeten Kriegers nie vom Todesstreiche zurückhalten.
Er war der einzige Verwundete unter dem ganzen Haufen,
denn man hatte wenig oder keinen Widerstand geleistet;
aber ein solcher Mann mußte kampfunfähig gemacht
werden, ehe er entwaffnet werden konnte.
Am 2. September kehrte unser Bataillon nach Sar-
zedas zurück. Am 12. brachen wir auf und marschierten
nach Sobreira Formosa, wo wir fünf Tage blieben. Das
Land war zwar gebirgig, die Luft aber drückend heiß.
Wir fanden jedoch Schutz unter großen Kastanienbäumen,
den schönsten, die ich je gesehen habe.
Ganz nahe bei uns hatte sich eine portugiesische
Heeresabteilung gelagert. Als sie ihre Abendparade
hielt, ging ich an ihrer Linie entlang. Der Augenblick
schien sich zu nähern, wo wir wahrscheinlich neben-
einander fechten sollten, und von ihrer Kraft hing die
218
Digilized by Google
Fortsetzung des rühmlichen Kampfes auf der Halbinsel
ab. Die Grenadiere der Brigade von Algarve zogen be-
sonders meine Aufmerksainkeii auf sich. Es waren alle
schöne Soldaten, und ihre braune Oes iehls färbe, ihre
schwarzen Schnurrbarte, ihre großen, dunkeln Augen
gaben ihnen ein wahrhaft martialisches Ansehen. Ich
hörte sie zum ersten Male ihr Abendlied singen. Die
Leute standen, während die Sonne unterging, im Kreise
um ihre Offiziere und sangen ihr Abendgebet in einer
Melodie, die für mich neu, anziehend und feierlich war.
Am Morgen des 17. setzten wir uns wieder in Be-
wegung und marschierten eilig nach dem Mondego, an
dessen südlichem Ufer, nahe bei Ponte de Murcella, wir
Halt machten. Auf unserem Wege setzten wir bei Villa
del Rey über den Zezere. Unser Biwak bei dieser Stadt
war im höchsten Grade jämmerlich. Der Regen goß
in Strömen herab, und das Zelt gewährte kaum Schutz.
Donner und Blitz, die unser Vieh erschreckten, und ein
heftiger, an unser Zelttuch schlagender Wind vollendeten
unser Elend.
Doch bei einem vergnügten Sinne und aufgeweckten
Lebensgeistern leidet man nichts und achtet solche Un-
annehmlichkeiten nicht. Ich erinnere mich, daß mein
Warf engefährte mir etwas Glühwein machte, und ich
kroch dann unter meine Decke, warf ein Wachstuch über
mich, und es gelang mir, das Ungewitter und seine Un-
annehmlichkeiten in einem tiefen Schlafe zu vergessen.
Mit der Sonne erhob ich mich, aber welche Ver-
änderung belohnte unsl Der Morgen war himmlisch,
das Wetter mild, alle Bäume und Felder glänzten von
Regentropfen, und die Natur zeigte ein heiteres und
frisches Antlitz. Unser Marsch ging, nachdem wir den
Zezere durchwatet hatten, während der ersten zwei Stun-
den durch ein schönes, wohl an gebautes Land, mit vielen
reinlichen Hütten und Weinbergen, die rot von Früchten
waren. Als wir dahinzogen, brachten die Landleute Wein
und Pfirsiche, Pflaumen und Trauben, die sie für einen
21 g
Digitized by Google
geringen Preis an die Offiziere verkauften und freigebig
an die Gemeinen verschenkten.
Unsere Leute hatten zuletzt nur einen kleinen Teil
Brot erhalten, und obgleich sie fröhlich und guter Laune
waren, so wurden sie doch durch diesen erzwungenen
Marsch etwas ermüdet. Nie werde ich die Worte ver-
gessen, die einer von unsern Leuten an seinen Kameraden
richtete, während sie stolpernd in der Finsternis vor mir
her sich fortarbeiteten; sie schildern auf tiefsinnige Weise
den Anteil des Soldaten am Feldzuge. „Wilm," sagte
er, „das Parlament und die großen Herren zu Hause
wissen alles, was die Armee und der große Feldherr
unternimmt, aber sie wissen nichts von dem einzelnen
Soldaten; sie wissen z. B. nicht, daß du verdammt müde
bist und daß ich kein Brot erhalten habe." — Es liegt
mehr in diesen Worten, als man anfangs zu hören glaubt,
und der nachdenkende Mensch kann mit Nutzen dar-
über philosophieren.
Wir schlugen am 23. unser Lager bei einem kleinen
Dorfe hinter der Sierra de Murcella auf und blieben
drei Tage hier liegen. Unsere Feldwachen erhielten ihre
Posten nahe am Kamme dieses ungeheuren Gebirges,
von wo sie nordöstlich einen weiten und schönen Land-
strich übersahen.
Am 26. brachen wir wieder auf, setzten über den
Mondego, erstiegen die hohe Sierra de Buzaco und standen
bald in Schlachtordnung rechts von Wellingtons Heere.
Unsere Stellung dehnte sich gegen vier Stunden längs
dem felsigen Bergrücken hin, und der Boden, den wir
besetzten, senkte sich da, wo unsere Nachhut stand, zu
einem Abhänge und verbarg auf die trefflichste Weise
unsere Stellung sowie die Stärke unserer Heeresmacht.
Mein Regiment hatte kaum die Waffen zusammengestellt,
als ich zu dem Rande des Berges ging, auf dem wir
lagen, in der Hoffnung, etwas vom Feinde zu entdecken;
ich hatte indes keine Ahnung von dem prächtigen Schau-
spiel, das mich erwartete. Soweit das Auge reichte,
220
Digitized by Google
verkündeten der Glanz des Stahles und die von der
Reiterei und Artillerie aufgewirbelten Staubwolken das
Anrücken eines unermeßlichen Heeres, während un-
mittelbar unter mir, am Fuße der steilen Höhe, bereits
seine Vorposten autgestellt waren. Tausende lagen be-
reits in ihren Biwaks. Im langsamen Zuge folgend nahm
Kolonne auf Kolonne den ihr angewiesenen Platz ein,
und immer mehr schwoll die ungeheure schwarze Masse
an. Die Anzahl der Feinde war nach der niedrigsten
Berechnung 75000 Mann, und diese Macht war in drei
abgesonderte starke Kolonnen geteilt, während man
hinter ihrem Flügel in beträchtlicher Entfernung ein
großes von ihrer Reiterei gebildetes Lager sehen konnte.
Das ganze Land im Hintergründe schien von ihrem Nach-
zuge, ihrem Feldhospital und ihrem Heeres-Verpflegungs-
amte bedeckt zu sein. Es war ein französisches Heer.
Hier lagen die Männer vor mir, die vor beinahe zwei
Jahren die ganze englische Küste in Schrecken gejagt,
die Italien erobert, Österreich überwältigt, in den Ebenen
von Austerlitz gesiegt und in einem Tage auf dem
Schlachtfelde von Jena Preußens Macht, Stolz und Kriegs-
ruhm gedemütigt hatten! Morgen, dachte ich, werde
ich zum ersten Male das Schlachtgetösc hören, das Nieder-
metzeln sehen und die Ehre eines schwer erkämpften
Sieges teilen oder zu den Gefallenen gehören. Langsam
kehrte ich zu meinem Rcgimcutc zurück, und als der
Abend unter anziehender, lebhafter Unterhaltung ver-
flossen war, legten wir uns, obgleich wir weder Ge-
päck noch Feuer hatten, zur Ruhe. In unsere Mäntel
gehüllt, die felsige Oberfläche des Berges zum Kopf-
kissen und den Himmel zu unserm Baldachin, durch-
schliefen oder verbrachten wir vielmehr die Nacht mit den
mannigfaltigsten Oedanken.
Zwei Stunden vor Tagesanbruch stand das Heer
unter Waffen, aber die zwei Stunden vergingen schnell
und ruhig. Endlich, als der Tag graute, ließen sich ein
paar entfernte Schüsse zu unserer Linken hören. Sie
221
Digitized by Google
wurden durch Kanonendonner und das rasche, heftige,
unaufhörliche Rottenfeuer der Musketen erwidert. Wir
erhielten Befehl, aufzubrechen und die angegriffenen
Truppen zu unterstützen. Hills ganzes Korps, gegen
14000 Mann stark, bildete sich zu einer offenen Ko-
lonne und marschierte in festem doppeltem Geschwind-
schritt und in größter Ordnung links ab.
Als wir uns bis auf eine halbe Viertelstunde einem
der Angriffspunkte genähert hatten, von dem der Feind
eben durch das 74. Regiment vertrieben wurde, sah ich
mich nach der Nachhut unserer Truppen um. 11 000 Mann
folgten uns, alle vor unsern Augen, alle in offener Ko-
lonne, alle mit Qeschwindschritt anrückend. Wir hielten
genau im Hintergründe des Platzes, von dem das 74. Re-
giment in schönster Ordnung, die Fahnen von Kugeln
durchlöchert, zurückkehrte. Hier flogen einige Bomben
über unsere Linie, die indes keinen Schaden anrichteten,
aber wir hatten nicht die Ehre, in den Kampf verwickelt
zu werden. In diesem Augenblick wurde der erste Ver-
wundete, den ich im Felde sah, an mir vorübergetragen.
Es war ein schöner junger Engländer in portugiesischen
Diensten, der hilflos in einem leinenen Tuche dalag, beide
Beine von einer Kanonenkugel zerschmettert. Er sah
bleich aus, und große Schweißperlen standen auf seiner
Stirn, aber er sagte nichts — sein Schmerz schien unaus-
sprechlich. Ich wünschte ihm heimlich den Tod, ein
Wunsch, der, wie ich glaube, nicht lange unerfüllt blieb.
Um diese Zeit kam Wellington mit einem zahlreichen
Generalstabe herangesprengt und erteilte unmittelbar vor
unserer Linie dem General Hill seine Befehle, so daß
ich deutlich hören konnte, was er sagte. „Wenn sie
wieder auf diesem Punkte einen Angriff machen, Hill, so
geben Sie ihnen eine Ladung und dringen mit dem Ba-
jonett auf sie ein; lassen Sie aber Ihre Leute sie nicht
zu weit den Hügel hinab verfolgen." — Ich war über
diese Befehlsweise sehr überrascht, die so entschieden,
so männlich und so frei von jedem Zweifel war, daß
222
Digirized by Google
der Angriff zurückgewiesen werden könnte, und sie be-
stärkte sehr das Zutrauen. Lord Wellington einfaches
Benehmen in der Erteilung der Befehle und beim An-
führen ist ganz so, wie es einem erfahrenen Manne ge-
ziemt. Er hat nichts Barsches, nichts Prahlerisches, nichts
Wichtigtuendes oder Auffahrendes an sich; seine Be-
fehle im Felde sind kurz, bündig, deutlich und zweck-
mäßig.
Die Franzosen machten jedoch den ganzen Tag hin-
durch keine Bewegung gegen uns. Ihre beiden ver-
zweifelten Angriffe waren glücklieh zurückgeworfen und
ihr Verlust, mit dem unsrigen verglichen, sehr bedeutend.
Von der Höhe, die vor unserer jetzigen Stellung lag,
konnten wir sie besser als den Abend vorher übersehen ;
Waffen- Ausrüstung, Uniformen, alles war zu erkennen.
Sie waren damit beschäftigt, ihre Verwundeten fortzu-
schaffen. Da aber nichts von ihren Truppen aufbrach,
glaubte man allgemein, sie würden morgen ihre An-
griffe erneuern. Unsere Leute gingen im Laufe des
Tages, um Wasser zu holen, an einen kleinen Bach
hinab, der zwischen den sich gcgcnüheistelienden Heeren
lag, und man konnte sehen, wie französische und eng-
lische Soldaten aus demselben Flusse tranken und sich
sogar hinüberbeugten, um sich die Hände zu reichen.
Ein Gemeiner von meinem Regimente tauschte sogar
die Mütze mit einem feindlichen Soldaten, als Zeichen
der Achtung und des Wohlwollens. Als die Sonne unter-
ging, wurden unsere Feldwachen den Hügel hinunter-
geschickt, und ich sah deutlich, daß sie mitten unter
den toten Kriegern aufgestellt wurden, die am Morgen
gefallen waren. In unserer nächsten Umgebung erinnerte
jedoch nichts an die stattgehabte Schlacht, denn der Ver-
lust auf unserer Seite traf nur einen kleinen Teil unseres
Heeres und war, in Anbetracht des Umfanges unserer
Linie, so unbedeutend, daß man wenig oder gar keine
Spuren davon sah. Nicht so auf Seiten des Feindes.
Da er indes besonders auf seiner Flucht vom Hügel
223
Digitized by Google
herab gelitten hatte, so lagen seine Toten an dessen
Abhänge, von wo sie, wie gesagt, ihre Verwundeten ab-
Jedermann hegte die volle Überzeugung, daß der
Morgen einen allgemeinen und blutigen Kampf herbei-
führen würde. Unsere Linie bereitete sich ununterbrochen
vor, die Soldaten lagen mit ihrem Riemenzeug um
den Leib in einer regelmäßigen Kolonne, Vorder- und
Hinterreihen Kopf an Kopf, und jeder hatte seine
Flinte neben sich. Früh um drei Uhr erhoben wir
uns und standen auf unserm Posten unter den Warfen.
In einer Art Schlucht zwischen zwei der rohen, unge-
stalteten Felsenrücken, die sich auf dem Gebirge erheben,
nahm mein Regiment mit einem andern Bataillon seine
Stellung ein. Diese Schlucht wurde als der verwund-
barste Punkt der ganzen Linie betrachtet, und man glaubte,
der Feind würde seinen Hauptangriff darauf richten.
Gegen halb vier Uhr schickten die Feldwachen die Nach-
richt, der Feind trete unter die Waffen. Die Feldwachen
wurden augenblicklich in aller Stille eingezogen, und ein
Stabsoffizier blieb auf der Lauer. Gegen fünf Uhr eilte
er den Berg herauf, und als er bei dem Befehlshaber
unserer Linie vorbeikam, sagte er: „Machen Sie sich
bereit, Sie kommen ganz gewiß dran! Eine starke Ko-
lonne ist eben bis zum Fuße der Anhöhe herangerückt,
und Sie können sich jeden Augenblick auf einen An-
griff gefaßt machen." Mein Herz schlug rasch, sehr
rasch; vielleicht waren die wenigen Augenblicke meines
Daseins bereits gezählt. Ein solcher Oedanke wird und
muß im ersten Augenblick furchtbarer Erwartung in der
Seele eines jeden Mannes aufsteigen, der noch nie ge-
fochten hat, aber er ist weder gefährlich noch verächt-
lich und dient eher dazu, die Entschlossenheit eines
männlichen Heizens zu kräftigen als wankend zu machen.
Und jetzt, dachle ich, als der erste Klang einer feindlichen
Iromiiele mein Ohr traf, jetzt kommen sie! Aber nein,
er schwiefl, der schauerliche Klang, und verkündigte nui
224
Digitized by Google
einen Bolen mit der Waffenstillstaiidsfahne, der eine un-
bedeutende Nachricht brachte.
Die Sonne stieg auf, aber nicht über einem blutigen
Schlachtfelde, denn die französischen Soldaten zogen sich
in ihre Stellung zurück und schienen den ganzen Tag
damit beschäftigt, Baracken zu bauen. Gegen Abend sah
man etwas Bewegung unter ihnen, und um Mitternacht
wußte man gewiß, daß sie alle aufgebrochen waren, um
in unsern rechten Flügel einzudringen. Wir machten uns
nun sofort auf. Von unserm gefährlichen Standorte herab-
steigend, setzten wir über den Mondego und marschierten
nach der Höhe San Miguel. Wir empfanden natürlich
alle eine große Enttäuschung, so viele Strapazen erlitten
zu haben, ohne die süße Belohnung zu erlangen, nach
welcher Jugend und Ehrgeiz sich ewig sehnen. Viele
Monate sollten indes noch vergehen, ehe uns das schätz-
bare Recht zuteil wurde, den wichtigsten und gefahrvollen
Pflichten unseres Berufes Genüge zu leisten.
Keine Lehre in der Kriegskunst aber war vielleicht
unterrichtender und anziehender, als dieser merkwürdige
Feldzug. Unser Heer, an Zahl und Ausrüstung dem
feindlichen nachstehend, konnte seine Hoffnungen nur
auf die klugen Maßregeln und die geschickte Führung
eines weisen und starken Feldherrn stützen.
Von dem Augenblick an, wo Almeida fiel'), erregten
Wellingtons Anordnungen und Bewegungen allgemeine
Bewunderung. Trefflich bediente er sich des einzigen
Vorteils, den man mit einer Armee, wie die unsrige war,
vielleicht erlangen konnte. Er ließ uns durch eine schnelle
und geschickte Bewegung eine so feste und gebieterische
Stellung bei Buzaco einnehmen, daß wir ebenso ge-
schützt vor der Artillerie als unerreichbar für die Reiterei
') Die Grcii/lVshmC! AInu-uLi iii'l im Jahre 1810 den Fran-
zosen unter Massena infolge Esplosion eines Pulvermagazins in
die Hände, aber am 8. Mai 1811, von Wellington mit 20000 Mann
bedroht, sprengten die Franzosen Almeida in die Luft und ver-
ließen es.
15 B.M71 Spin. FieihciUkimpf. 225
Digitized by Google
des Feindes waren. Hier, vom hohen Rücken eines ihrer
vaterländischen Gebirge, zeigte er zuerst den portu-
giesischen Truppen die Schlachtordnung ihrer furcht-
baren Bedrücker, und dann übertrug er ihnen die leichte
Arbeit, an der Seite der britischen Krieger einen der
verzweifelten und hoffnungslosen Angriffe zurückzu-
weisen, die seine Kenntnis des französischen Charakters
ihn erwarten ließ. Durch dieses Meisterstück der Kriegs-
kunst und klugen Politik wurden die Portugiesen mit
einem Vertrauen zu ihrem Anführer und zu sich selbst
erfüllt, das sie in der Folge nicht wieder verließ. Lord
Wellington sah aber deutlich, daß das Kriegsgeschick,
da man um einen so mächtigen Satz spielte, wie es
die politische Existenz eines Volkes war, nie von den
rühmlichen Wagnissen eines Kampfes abhängig sein
dürfte. Sobald ihm also die Stellung bei Buzaco nicht
mehr haltbar schien, beschloß er sich zu den Linien in
Lissabons Nähe zurückzuziehen, das längst sorgfältig
befestigt worden war, um den Sitz der Regierung und
die Hauptstadt des Landes zu verteidigen. Um jedoch
diesem Verteidigungs plane Wirksamkeit zu geben, war
es nicht nur nötig, das verbündete Heer zu den Linien
von Torres Vedras zurückkehren zu lassen, sondern das
ganze Land zwischen diesen Linien und der Grenze mußte,
weil man voraussah, daß es in Feindes Hände fallen
würde, von allen Einwohnern verlassen und sorgfältig von
allen Dingen entblößt werden, die zum Unterhalt der Feinde
oder zur Förderung ihrer Fortschritte dienen konnten.
Meine Feder versagt mir den Dienst, ich fühle, daß
keine Schilderungsgabe dem Leser die schmerzlichen Vor-
gänge, die traurige Verwüstung darzustellen vermag, von
denen wir auf unserm Marsche vom Mondego zu den
Linien täglich Augenzeugen waren. Wohin wir kamen,
war der Aufruf uns vorausgegangen, der die Einwohner
nötigte, ihre Häuser zu verlassen und ihr kleines Eigen-
tum hin wegzuschaffen oder zu zerstören. Die Dörfer
waren verlassen, die Kirchen, die so oft als Zufluchts-
226
Digitized by Google
statten dienten, standen leer, die Hütten auf den Bergen
waren offen und unbewohnt, die Mühlen im Tale, noch
gestern so geschäftig, standen still.
Wir biwakierten am 4. bei Tomar. Die Flanken
unserer Linie waren, als wir von hier abmarschierten,
im wahren Sinne des Wortes mit der fliehenden Be-
völkerung des Landes bedeckt. Am Abend des 6. machten
wir bei Santarem Halt. Scharen von Einwohnern, die
bis zu unserer Ankunft noch nicht glauben wollten, daß
man den Feind soweit vordringen lassen würde, bereiteten
sich nun mit schweigender und trübsinniger Eile zur
Flucht vor.
Am folgenden Morgen zogen unsere Kolonnen durch
die Stadt und verfolgten auf der StraBe von Lissabon
ihren Weg. Oleich unterhalb der Stadt war das Ufer
des Flusses mit Flüchtlingen angefüllt, die auf die Über-
fahrt warteten. Nachmittags erreichten wir Alhandra, eine
kleine hübsche Stadt am Ufer des Tajo, gegen 4 Stunden
von Lissabon. Sie lag unmittelbar vor dem rechten Flügel
unserer berühmten Linien und war von einer Brigade
unseres Heeres während der ganzen Zeit, wo die Fran-
zosen vor ihnen gestanden hatten, als eine Art Vorposten
benutzt worden. Auch diese Stadt war verlassen, und
wir kamen zu unserm großen Tröste unter Obdach, denn
das Wetter fing an, naß, kalt und unangenehm zu werden.
Mein Waffengefährte und ich wurden in die Sakristei
einer Kirche einquartiert. Das Zimmer war hoch, ge-
räumig und düster. Zwölf lebensgroße Bildsäulen, Heilige
vorstellend, waren in Nischen rings an den Wänden
aufgestellt. Man hatte ihnen die schwarze Kleidung des
Klosterordens angelegt und mit ihren glänzenden Augen,
ihren wehenden Gewändern und im Schimmer unserer
Lampen schienen sie zu leben, sich zu bewegen und auf
uns zu zürnen. Aber so lustigen, hungrigen und müden
Männern wie wir konnten sie nicht die Laune verderben,
den Appetit rauben oder den Schlummer verscheuchen.
Unsere Mäntel und Decken waren außerordentlich feucht,
15' 227
Digitized by Google
wodurch unsere nächtliche Ruhe etwas gestört werden
konnte. Zu unserm Glücke indes hatten die Geistlichen
in den Schubfächern der Sakristei viele ihrer Gewänder
gelassen, und so schliefen wir, über und unier uns
glänzende schwere Priesicrröcke gebreitet, so fest wie
ein Domherr in den Versammlungszimmern von York
oder Durham.
Am Tage nach unserer Ankunft in diesem Orte
wurden einige Gefangene gebracht, die man in einem
Rciterscharmiitze! bei Azimbuja aufgegriffen hatte. Sie
gehörten zu den schweren Dragonern, und ihr Ansehen
schien mir eil sehr martialisches zu sein. Der metallue
Heim mit dem hohen Kegel, dem Roßschweife und dem
Aufschlage von Tigerfell machte sie sehr schön, und die
dicken steifen Schnurrbarte der abgehärteten Männer, die
alle verwundet waren, standen gut zu diesen kriegerischen
Helmen.
Gegen Q Uhr am Abend des 10., als ich in mein
seltsames Bett stieg, erhielten wir Befehl, sogleich gegen
anderthalb Stunden rückwärts und links zu marschieren,
um einige befestigte Höhen zu besetzen. Der Regen
ist in Portugal fast so häufig als in tropischen Ländern,
und er goß in dieser Nacht in ununterbrochenen mächtigen
Strömen. Auch war es ungewöhnlich finster, und ich
glaube, wir tappten 6 Stunden lang auf unserm Wege
fort, als wären es viele Meilen. In einem kleinen Bcrg-
dorfe, wo wir Halt machten, erhielt ich mit meinen Kame-
raden eine kleine Hütte, aber der Raum war so be-
schränkt, daß wir weder liegen noch sitzen konnten, und
wir blieben zusammengedrängt stehen, bis der Tag an-
brach, wo wir uns in die armseligen Hütten verteilten.
Die Posten und Batterien in der Nachbarschaft, deren
Verteidigung man uns auf drei Tage übertragen hatte,
waren keineswegs in vollkommenem, dienstfähigem Zu-
stande, da in einigen zu jener Zeit kein Geschütz auf-
gefahren und in den andern nicht für den nötigen Kriegs-
bedarf gesorgt worden war,
Digitized by Google
S« oft ich mich an dk*se Periode de* f'eM/nge*
ermneie, mufi ich mich wundern, daH .Massein nicht ver-
suchte, uns aus unsere! Stellung iu verdrängen. Die
Iran/osische Infanterie, die uir uns bei llu/aco vereinigt
lag, hatte ohne grolle Anstrengung am 10. unsere Linie
erreichen und sie an diesem oder dem folgenden Tage
angreifen können .Meine Meinung ist. dafi der Femd,
wenn er enisi blossen gewesen iure, alles dem grollen
Zwecke tu opfern, unsere I mu-n /u durch Ii rechen und
gegen Lissabon vor'irrui ken, höchst w.ihrM'heinliih seine
Ahn;ht erreicht haben «uide. F* ist nicht nt leugnen,
dafl unsere Stellung duich ungeheure Schanzen und Batte-
rien gestliuf/t war, drah war s.e sehr ausgedehnt, und
ihre Verteidigung wurde weder von Wellingtons Oe-
schi.Uichkeit noch von der Tapferkeit de* Heeres ab-
gehangen haben.
Am 1't marnhie rte r:irm liignnfr.t « leder nach
liucellas. Neben diesem Ort zog sich die- zweite Ver-
teidigungslinie hin, und da mm den Ort für einen wich-
tigen Punkt ansah, so wurden sechs engliiihe li.n.nllone
als Keserve hineingelegt.
In der Nacht des 14 November zog sich der feir.d
aus der Slrllung /uru. k, die er s<> lange uns gegenüber
behauptet hatte, und am 15. brach unsere Heertsab-
teilung gegen Mittag von Bu;ellas aul. U'u marschie.-ten
seihs Stunden, kamen durch Alhandr.i, ViUafrauca und
Villanova und marinen lifi (.aregada H.lt.
Als wir uns Viilaframa näherten, waten unsere I mir
eilng bemüht, Spuren der Fuiuoscn aufzufinden. Hier
war ein l'fad von ihren Posten getreten, d.i hatte die
Hauptmacht ihrer Feldwache gelegen, dort waren zwei
Kanonen aufgepflanzt , stall .ier S.inds.nke mii-i Sihan/-
korbe halte man, um eine Batterie zu bilden, große be-
malte Cjaiteukubel aufgehäuft, von denen die Pflanzen,
die sie einst zierten, abgis./i i:. i. « ■:<.:i Am Eingänge
von Villafranca war die StralJe verratumdl ; Kisten, W'eiu-
fa-ser und .Matratzen bildeten du- srllsjme Vtrschauzung.
2z'i
Digitized by Google
Hier an einem der ersten Häuser zeigte ein Kreidestrich
an, dali es das Quartier einer französischen Grenadier-
kompagnie gewesen war, dort hatte ein Bataillonchef ge-
wohnt, in jenem Hauschen mit den grauen Fensterläden
war, wie man aus einem Gekritzel über der Tür ersah,
ein Oberst des Getieralstahes einquartiert gewesen. Kurz,
wohin man blickte, sah man Stellen, die noch gestern
von Feinden bevölkert gewesen waren, von Männern,
die eine andere Kleidung trugen, eine andere Sprache
sprachen und für eine andere Sache fechten und bluten
wollten.
Es war spät am Abend, ais wir in Caregada an-
kamen, und die Stadt war bereits mit unsern Truppen,
besonders Artillerie und .Reiterei, angefüllt. Alle Häuser
und Ställe waren besetzt und in letzteren erhielten nur
einige von unsern Offizieren und Gemeinen mit großer
Mühe Zutritt. Der weit größere Teil von uns jedoch
brachte die finstere, schauerliche Nacht auf den Straßen
zu. Wir machten große Feuer, ohne sehr gewissenhaft
in der Wahl des Holzes zu sein. Alte Bretter, Pfosten,
Türen, Fensterläden wurden ohne Zaudern verbrannt.
Viele von uns ließen sich aus den besetzten Häusern
Stühle holen, und so saßen wir in müßiger Ruhe bis
zum Tagesanbruch um unsere Feuer.
Wir marschierten am folgenden Morgen nach Azim-
buja, wo wir erfuhren, daß der Feind seine Stellung
bei Santarem genommen und Wellington bei Cartajo Halt
gemacht hatte. Unsere Division unter General Hill sollte
sogleich auf das südliche Ufer des Tajo übersetzen. Gegen
400 Franzosen, die von unserer Vorhut gefangen ge-
nommen worden waren, wurden durch Aziinbuja nach
Lissabon gebracht. Es waren alles Infanteristen, aber
größtenteils schwache und kränkliche Nachzügler, außer
einigen unvorsichtigen Plünderern, die allein das Ansehen
von Soldaten hatten.
Am IQ. wurden wir durch die Boote der Flotte, die
zu diesem Zweck mit einigen Offizieren und Seeleuten
230
Digitized by Google
den Fluß heraufgeschickt worden war, über den Tajo
gesetzt. Der Admiral Thomas Williams und Kapitän
Berestord hatten die Aufsicht über die Oberfahrt der
Truppen, und dieser wichtige Dienst wurde mit der ge-
wohnten Ordnung, Pünktlichkeit und Regelmäßigkeit aus-
geführt Von dieser Zeit bis zu Ende Februar standen
wir in Atmeirin], einer kleinen, eine Stunde vom Unken
Tajoufer entfernten Stadt, die Santarem, dem Hauptquar-
tiere des französischen Heeres, gerade gegenüberlag. Der
Aufenthalt in Almeirim würde unerträglich langweilig ge-
wesen sein, aber durch die Stellung der beiden Heere
einander gegenüber wurde er überaus anziehend.
Als ich eines Tages mit drei oder vier Kameraden
am Rande des Flusses spazieren ging, bemerkten wir
am jenseitigen Ufer eine ziemliche Menschenmenge und
einige französische Offiziere. Sie grüßten uns mit den
Worten: „Bonjour, messieursl", und es knüpfte sich bald
eine Unterhaltung an. Sie waren außerordentlich höf-
lich, sprachen mit dem größten Lobe von Romana9), der
kürzlich gestorben war, und nannten ihn „le seul general
espagnol digne de son grade". Sie fragten nach Lord
Wellington, äußerten, er hätte Wunder von Tapferkeit
getan, und priesen ihn wegen seiner geschickten Leitung
des Feldzugs. Es herrschte die heiterste Laune in unserer
Unterhaltung, und wir neckten uns unaufhörlich. Sie
fragten uns, wie uns der Bacallao und Acete*) statt des
englischen Roastbeefs munde, und wir, was sie in San-
tarem ohne die Restaurants, Cafes und Theater ihres
teuren Paris anfingen. Sie erwiderten lachend, sie hätten
ein Theater, und fragten, ob wir nicht heute abend her-
überkommen wollten, um das Stück zu sehen, was ge-
spielt würde, es hieße: „['Entree des Francais dans Lis-
ten." Ein Freund von mir erwiderte schnell, er empfehle
ihnen lieber die Wiederholung eines andern Stückes: „La
') Siehe 11. Anmerkung im ersten Bericht (Orolman).
«) Bacallao — Schellfisch; Acete «= Essig.
231
Digitized by Google
fuite des Francais!" Lautes und allgemeines Gelächter
erschallte — der Witz war zu gut, als daß er nicht hätte
treffen sollen. Ihr General hielt es jedoch nicht für an-
gebracht, noch länger zu verweilen. Er zog seinen Hut,
grüßte uns in vollkommen guter Laune, stieg die Anhöhe
hinauf, und alsbald zerstreute sich die ganze Gruppe.
Am 21. Februar entstand tiniger Lärm, weil ein Teil
des Feindes zu einer großen Insel im Tajo übersetzte,
die ungefähr eine Stunde oberhalb Santarems und Al-
piacas, einer kleinen Stadt am südlichen Ufer, lag. Sie
wollten jedoch nur Fourage holen und zogen wieder
ab, ohne zu wagen, mit Alemtejo Verkehr anzuknüpfen;
wir aber besetzten hierauf die Insel mit einem Posten,
um sie gegen fernere Angriffe zu schützen.
232
3. Kapitel
General Beresford übernimmt den Befehl über Hills
Korps. Reitergefecht bei Campo Major. Belagerung
von Oüvenza und Badajoz. Gefechte bei Albuera
und in den Felsen von Montanches. Abberufung
nach England
Es war jetzt olfenbar, daß ein zweiter Feldzug er-
öffnet würde, und daß wir die engen Schranken, die
wir seit Oktober innegehabt hatten, verlassen sollten, um
neue und anziehendere Schauplätze zu sehen.
Am ö. gegen Mittag marschierten wir in der heitersten
Stimmung von Alpiasa ab. Nach einem viertägigen
Marsche durch ein schönes Land machte unsere Brigade
in einem kleinen, sauberen Dorfe Halt, das zum Bezirk
Alemtejo gehörte. Ich habe vergessen zu erwähnen, daß
der Befehl über alle am südlichen Ufer des Tajo stehenden
Truppen in Abwesenheit des Generals Hill, der zur
Wiederherstellung seiner Gesundheit in die Heimat zu-
rückgekehrt war, dem General Beresford anvertraut
worden war. Dieser war auf Wellingtons Befehl mit
einem großen Teil seiner Truppen aufgebrochen, um
Wassens zu verfolgen, der sich nach Tomar zurückzog,
WO er, wie man aus seinen ersten Bewegungen schloß,
eine Heeresmacht zu sammeln beabsichtigte. Der fran-
zösische Feldherr nahm jedoch seinen Weg nach dem
Mondego und wurde von der Hauptmacht der Ver-
2ü3
Digitized by Google
bündeten verfolgt, die Wellington persönlich anführte. Die
beabsichtigten Unternehmungen unseres kleinen Heeres
im spanischen Estremadura wurden natürlich durch diese
Vorkehrungen bis zur Rückkehr des Generals und seiner
Truppen aufgeschoben. Während dieses kurzen Zeit-
raums blieben wir in unseren ruhigen Kantonie rangen.
Am IS. desselben Monats waren wir wieder in Be-
wegung und marschierten über Portalegre nach Arönches,
wo wir drei Tage blieben. Als Massena am 5. von San-
tarem aufbrach, hatten wir den Plan, auf dem südlichen
Ufer der wichtigen [-Vstiuig ISndajoz im spanischen Estre-
madura zu Hilfe zu eilen, die damals vom Herzog von
Dalmatien belagert wurde. Dieser Plan, den wir gewiß
ausgeführt hätten, wurde durch den Befehlshaber der
Festung vereitelt1), der sie plötzlich einem ■ schwachen
feindlichen Trupp unter den entehrendsten Bedingungen
übergab. Gleich nach dem Falle von Badajoz folgte die
Belagerung und Einnahme von Campo Major, einer
Festung, die keines Widerstandes fähig war und aus der
wir selbst den Feind zwei Tage nach seinem Einzüge
vertrieben.
Am Nachmittag des 25. machten wir in einem sehr
angenehmen Biwak an den Ufern des Caya Halt Wir
lagerten uns in einem reizenden, von Hügeln einge-
schlossenen Tale, an dessen Seiten das Fußvolk sich ver-
teilte, während die Reiterei die grünen Ebenen an den
l.Iftni des Flussts einnahm.
Am Multen des 2b. marsdiierleu wir gegen Campo
Major, und als wir ungefähr eine Stunde von seinen
') Marschall Soult, Hering von Dalmatien, belagerte Badajoz
im Februar 1811 und zwang den feigen Gouverneur der Festung,
Iraas, nachdem er die spanische Armee von Estremadura unter
Mendizabal in der Schlacht von (iebora am 19. Fehruar geschlagen,
zur Obergabe am 11. März. Erst am 6. April 1812 eroberte Wel-
lington die Festung ivitdi-r und ^dringre mit ihr auch in Besitz
Portugals. Die Engländer verloren bei dieser hartnäckigen Belage-
rung über 3000 Tote und 7000 Verwundete.
234
Digitized by Google
Mauern entfernt waren, machten wir Halt, um die Reilerei
vorzulassen. Es waren gegen 2000 Mann ; sie zogen in
flottem Trabe reihenweise an uns vorüber. Ihre Pferde
waren in schönem Zustande und fielen zuweilen mit einem
stolzen Bäumen in einen leichten Galopp.
Wir wußten, daß wir aller Wahrscheinlichkeit nach
einen tüchtigen Strauß mit den Feinden zu bestehen haben
würden, die natürlich die Stadt räumen und sich nach
Badajoz zurückziehen mußten. Aber die Beschaffenheit
des Bodens war so günstig für ein Reitergefecht, daß es
schien, als wenn sich der Kampf gänzlich auf diese
Truppen beschränken würde. Unsere Vei mutuiigcn waren
begründet; kaum wurden die Franzosen unser gewahr,
als sie sich schnell hinter die Stadt zurückzogen. Vier
Regimenter von ihrer Reiterei stellten sich unsern Leuten
gegenüber, während ihre Infanterie — eine Abteilung
von ungefähr 1200 Mann — mit einigen Geschützen ihren
Rückzug begann. Unser 13. leichtes Reiter -Regiment
machte, von den Portugiesen unterstützt, einen glänzen-
den Angriff auf die feindlichen Dragoner. Unsere Leute
zeigten großen Mut, aber der Kampf wurde unserseits
mit so wenig Geschicklichkeit geführt, daß die Franzosen
den Rückzug ihres Fußvolks und Geschützes sicherten,
indem sie zwar einen Verlust erlitten, der indes nicht
so schwer als der unsere war. Unsere schöne schwere
Reiterbrigade gelangte nie vor den Feind, und unsere
Infanterietruppen folgten langsam im Hintergrunde. Alle
hundert Schritte sahen w ir Spuren dieses schlechtgeführten
Kampfes, der bis zu den Toren von Badajoz fortgesetzt
wurde, in deren Nähe einige von unsern Leuten sich
gefangen nehmen ließen.
Trotz den an einem solchen Tage erweckten stolzen
Gefühlen ist es kränkend für den mutigen und peinlich
für den gefühlvollen Soldaten, mit kaltem Blute zu folgen
und das traurige Schauspiel mit anzusehen, das die auf
dem Wege verstreuten Toten und Sterbenden darbieten.
Unter anderm ist mir besonders folgendes noch erinner-
235
Digitized by Google
lieh. Einige Schritte von der Straße entfernt sah ich einen
schönen, ganz nackten Leichnam liegen, dessen Gesicht
zu Boden gekehrt war. Ich wußte nicht, wie es kam,
aber der Leichnam sprach gewaltig zu Herzen; er sah
so trostlos, so ergeben, so verlassen aus. Ein englischer
Dragoner, der ein verwundetes Pferd führte und zwei
Gefangene brachte, von denen der eine eine Menge Säbel-
hiebe auf der Wange und der Schulter hatte, ging an
mir vorüber, als ich den Toten betrachtete. „Erinnerst
du dich, mein Freund," fragte ich ihn, „was hier vor-
gefallen ist?" — „O ja, Herr; die Franzosen standen
hier in Front und wir griffen sie an und schlugen sie in
die Flucht; dieser Mann aber, der ein Offizier war, suchte
sie zum Stehen zu bringen und wurde, denke ich, von
unserm Adjutanten niedergehauen." — In diesem Augen-
blick beugte sich einer der französischen Reiter herab
und rief: „C'est le colonel!" — „Comment diahle,1' sprach
der andere. — „C'est bien iui," erwiderte sein Kamerad,
„il est mort. Ah! qu'il etait brave soldat; ce vilain champ
de bataille n'est pas digne d'une teile victime." Sie
gingen vorüber. So geht es im Kriege,
An demselben Tage geriet ein französischer Offi-
zier durch den Sturz seines Pferdes in unsere Gefangen-
schaft. Er war von der erlesenen Kompagnie des
26. Dragoner-Regiments, ein schöner junger Mann mit
einem äußerst zarten Gesicht. Ein Sergeant brachte ihn
an unserer Division vorüber, die eben Halt gemacht hatte.
Nie werde ich die traurige Niedergeschlagenheit ver-
gessen, die in seinen Zügen lau. Der Zügel hing am
Halse seines Pferdes herab, und der Offizier saß gedanken-
voll im Sattel, ohne auf seine Umgebung zu achten. Als
er an uns vorüberkam, nahmen einige unserer Offiziere
den Hut ab, und er erwiderte den Gruß mit einem sehr
höflichen Schwenken seiner Bärenfellmütze, aber ich
merkte, daß seine Augen mit Tränen gefüllt waren. Einige
Schritte hinter uns mußte er an einer portugiesischen
Heercsabteilung vorbei, deren Offiziere sich hervor-
23ü
Digitized by Google
drängten, um ihn mit einer Art triumphierender Neugier
zu betrachten. Obwohl er mir den Rucken zukehrte, sah
ich doch, daß das seinen ganzen Stolz und Mut wieder-
erweckte, denn er setzte sich aufrecht in seinem Sattel,
ergriff die Zügel, spornte sein Pferd an und ritt langsam
und stolz an Ihnen vorüber.
Aber zurück zu meinem Bericht. Nachdem wir den
ganzen Tag in Bewegung gewesen waren und uns bald
an dem Anblick gefangener Soldaten und aufgegriffener
Pferde, bald an unsern Dragonern ergötzt hatten, die
den sonderbaren Inhalt der erbeuteten Felleisen aus-
packten, lenkten wir wieder unsern Weg nach Campo
Major und lagerten uns unter seinen Mauern.
Am nächsten Tag marschierten wir nach Elvas, wo
wir bis zum 1. April blieben. Von da zogen wir nach
Borba, einer hübschen, sechs Stunden von Elvas gelegenen
Stadt, die ihres Weines wegen berühmt ist. Während
wir hier in Kantonierung lagen, waren unsere Ingenieure
eifrig beschäftigt, bei Jurumenha eine Brücke über den
Quadiana zu bauen. Diese Arbeit ging wegen des großen
Mangels an Baumaterial nur langsam vonstatten und
wurde durch die starken und plötzlichen Anschwellungen
des Flusses, welche das Schmelzen des Schnees verur-
sachte, sehr erschwert. Endlich war jedoch die fliegende
Brücke geschlagen, und unser Heer gelangte sicher und
ohne Hindernisse in der Nacht des 5. April ans spanische
Ufer.
Am 6. marschierten wir ein paar Stunden und lagerten
uns auf einer mit Cistus bedeckten Ehene. In einem
kleinen, nicht weit von uns gelegenen Dorfe wurde das
Hauptquartier aufgeschlagen. Hier fiel ein ungewöhnliches
Ereignis vor, das schwer zu erklären ist. Ein feindlicher
Trupp hatte die Wachsamkeit der portugiesischen Aulien-
posten getäuscht und eine englische Dragonerschwadron
überrascht, die sämtlich gefangen genommen wurde. Diese
Dragoner waren 24 Stunden zuvor auf der Grenzfeld-
wache gewesen und hatten gewünscht, vom Dienste be-
237
Digitized by Google
freit zu werden, obwohl sie sehr nahe an der Linie der
Feldwachen hielten, eine Anordnung, die, verbunden mit
dem gänzlichen Mangel an Vorsicht auf seifen der Außen-
posten, ihre Gefangennahme herbeiführte. Doch dies war
nicht alles : der Feind kam bis ins Quartier des Marschalls
Beresford. Sie nahmen einige Pferde aus den Ställen
des Oeneralstabs, zogen sich aber unangefochten wieder
zurück, als sie den Alarm hörten, den eine Unteroffiziers-
wache gab. Wären sie dadurch nicht aufgeschreckt
worden, so hätten sie sich wahrscheinlich unseres ganzen
General stabs bemächtigt.
Am Morgen des 8. brachen wir wieder auf, um auf
Oüvenza zu marschieren, wohin der Feind eine kleine
Besatzung gelegt hatte. Diesen Ort brauchten wir sehr
nötig als Waffenplatz, denn die Franzosen hatten eine
starke Besatzung in Badajoz, die unser Vordringen be-
nutzen konnte, um unsere Verbindungen abzuschneiden,
und aus derselben Ursache hatten wir auch bei Juni-
menha einen Brückenkopf gebaut.
Unsere Marschordnung am Morgen des 8. war sehr
schön. Wir rückten in vier parallelen Kolonnen vor, die
durch einen wohlabgemessenen Zwischenraum getrennt
waren. Die beiden Flügelkolonnen bestanden aus Reiterei,
die durch Avantgarden und Flankenreiter geschützt waren,
die beiden mittleren Kolonnen aus Fußvolk mit ihren
Kanonen. Die Plänkler des 13. Dragoner-Regiments zogen
auf einer Anhöhe zu unserer Linken hin und beobachteten
die Straße von Badajoz, während die Avantgarde der
schweren Reiterei zu unserer Rechten eine der Straßen
verfolgte, die unmittelbar nach der Stadt Olivenza führten,
welche unsere Annäherung durch ihre Kanonen ver-
kündete. Die Beschaffenheit der Gegend, durch die wir
zogen, erlaubte allen Kolonnen, sich einander deutlich
zu übersehen, und wir bekamen alle die Festung fast
in demselben Augenblick zu Gesicht. Auf den Höhen
haltend, von denen man sie außerhalb der Schußweite
übersah, hatten wir eine unbegrenzte Aussicht auf die
238
Digilized by Google
Festung, während die Aufforderung zur Übergabe in die
Stadt geschickt wurde.
Da der Gouverneur die Bedingungen verwarf, wurde
General Cole1) mit der vierten Division abgeschickt, die
Belagerung zu beginnen, und am Nachmittag des 10.
rückte das Heer vor.
Ich befand mich beim Nachtrabe, und da die Haupt-
macht zwei Stunden vor uns aufgebrochen war, erreichten
wir das Biwak erst bei Anbruch der Nacht. Die Nacht
war äußerst finster, und schon durch diesen Umstand
würden die üblichen Wachtfeuer an sich einen schönen
Anblick geboten haben, aber sie waren überdies größten-
teils in hohlen Korkbäumen angezündet, und das rote
Feuer in den phantastischen Höhlungen mit verzehrenden
Flammen lodern zu sehen, welche die Zweige beleuchteten
und alles, die Truppen und ihre Pferde, wie mit Purpur
Übergossen, war ein so malerisches, ein so bezauberndes
Schauspiel, daß man es kaum beschreiben kann.
Olivenza, das nur eine Besatzung von 400 Mann
hatte, ergab sich, sobald wir das Geschütz darauf richteten,
Und wurde von den Belagerern eingenommen; wir übrigen
zogen einige Stunden südwärts. Bei los Santos de Mai-
mona fiel ein anderes Gefecht zwischen unserer Kavallerie
und einem kleinen feindlichen Reitertrupp vor. Die
Unsrigen töteten und verwundeten mehrere Feinde und
machten gegen 70 Gefangene, waren aber nicht in dem
Grade glücklich, als sie es hätten sein können, wenn
sie flinker gewesen wären. Die Gefangenen waren fran-
zösische Husaren, schön gekleidet und ausgerüstet, vor-
züglich die vom 10. Regiment. Dieses Korps trug hell-
blaue oder französischgraue Pelzjacken, die mit weißen
") Sir Oalbraith Lowry Cole, britischer General, 1772-1842,
kommandierte die berühmte 4. Division der englischen Armee, die
stets mit der 3. und der leichten DMsmn ven-uirgt war, Wellingtons
drei besten Divisionen, deren Abwesenheit er es zuschrieb, daß er
bei Burgos zurückgeworfen wurde. Cole sollte die kleine Festung
Olivenza belagern, die sich ihm am 15. April 18] 1 ergab.
239
Digitized by Google
Schnüren und schwarzem Pelz besetzt waren. Ihre Mützen,
Stiefel und Wehrgehänge saßen vortrefflich, ihr Haar war
auf eine nicht ungefällige Weise geflochten, und ihr ganzes
Ansehen soldatisch.
Wir lagen einige Tage bei Zafra, einer hübschen,
sauberen Stadt an der Straße nach Andalusien. Mit froher
Hoffnung, daß wir bald triumphierend über die Sierra
Morena, jene wild majestätische Oren?scheide des süd-
lichen Spaniens, marschieren würden, blickten wir in die
nahe Zukunft. Die Turme des schönen Sevilla schienen
sich schon vor uns zu erheben, und im Qeiste wandelten
,wir bereits in den romantischen Gegenden an den Ufern
des Ouadalquivir. Erst mußte jedoch Badajo/ genommen
werden, eine Festung, deren Besitz uns höchst wichtig
war, mochten wir nun Kriegs Unternehmungen in Spanien
oder die bloße Verteidigung Portugals im Sinne haben.
Wir brachen am 3. Mai aus unserer Kantonierung
auf, und am Abend desselben Tages kam unsere Di-
vision bei Talavera Real an, einer fünf Stunden von Ba-
dajoz entfernten Stadt. Der Tag brach am 4. eben an,
als die Avantgarden aller Kolonnen, die zur Belagerung
von Badajoz bestimmt waren, jede kleine Höhe um die
Stadt besetzten und sie einschlössen. Der Himmel war
wolkenlos und heiter, die Morgenluft mild und angenehm.
Die feindlichen Feldwachen s ch arm fitz eiten wacker mit
unserer Avantgarde, und man schoß Kugeln und Bomben
aus der Stadt, jedoch mit wenig oder gar keinem Erfolg.
Die Besatzung schickte die wenigen Dragoner aus, die
sie besaß, um unsere Heeresmacht auszukundschaften,
und dirse I eute ver rieht eleu ihr Ami mit einer unver-
Klenhliihen Kaltblütigkeit un.l Kühnheit. Fmitfe von ihnen
sah ich nur einen Pistolenschuß »cit von unsern Planklern
herum reilen, und einer galoppierte fast ebenso nahe bei
einer Kulunnt- vorbei, nicht weit von der Hohe, wo mein
Regiment stand. Die Mauern von Hadajoz waren mit
Zuschauern angefüllt, und vom üipfel des Sehlosses wehte
nihu! die dreifarbige Kalme, die über halb Europa
240
Digirized by Google
Schrecken verbreitet hatte. Unser Regiment lag vier Tage
in einer kleinen engen Schlucht, zwar vor dem feind-
lichen Feuer geschützt, aber innerhalb der Schußweite
der Stadt.
In der Nacht des 8. eröffneten wir die Laufgräben,
jedoch in so beträchtlicher Entfernung, daß wir keinen
Verlust erlitten, sondern die erste Parallele eröffnen und
uns vor Tagesanbruch decken konnten. Eine Belagerung
hat viel Anziehendes ; die täglich fortschreitenden Arbeiten,
die mit Soldaten angefüllten Laufgräben, das Feuer der
Batterien, der schöne Anblick der Bomben und Granaten
bei Nacht, das Rufen der feindlichen Schildwachen, der
Klang ihrer Trommeln und Trompeten, alles verleiht einem
solchen Unternehmen einen Reiz und eine Lebendigkeit,
die in beständiger Aufregung erhalten. Die Arbeiten eines
Belagerungsheeres sind indes sehr hart und ermüdend,
und ich weiß nicht, wie es kommt: der Tod in den
Laufgräben tragt nie den Stempel des Ruhms, der das
Andenken der im tapferen Kampfe Gefallenen verklärt.
Die täglichen Heldentaten der Nordarmee unter Wel-
lington und der Sieg Grahams1) bei Barrosa machten uns
unruhig und mißmutig, wenn wir unser ungünstiges
Schicksal damit verglichen. Denn bis jetzt hatten wir
nur mit Entbehrungen, Drangsalen und Krankheiten zu
kämpfen gehabt. Als wir indes am 13. nachmittags uns
in unserm ungefähr zwei Stunden von den Laufgräben
entfernten Lager ausruhten, überraschte uns der Befehl,
uns in Bereitschaft zu halten, um gleich auf den ersten
Wink aufzubrechen. Bald verbreiteten sich Gerüchte, daß
Soult an der Spitze einer bedeutenden Macht in Eil-
märschen anrücke, um Badajoz Beistand zu leisten, daß
') Thomas Graham, Lord Lynedodi, 1778—1843, kämpfte
als Divis ionsgenera] von 1B08— 1813 in Spanien. In der Schlacht
von Barrosa befehligle er eine 4500 Mann starke englische Division
gegen 7000 Feinde und schlug die Franzosen mit einem Verlust von
2000 Mann, 6 Geschützen, 1 Adleri seine eigenen Verluste beliefen
sich auf 1100 Verwundete und Tote.
16 B-MT: Span. Prriheitlluii.pl. 241
Digitized by Google
ein Regiment Spanier unter dem Befehle Blakes von Aya-
monte heranmarschiere, um sich mit uns zu vereinigen,
daß die Belagerung augenblicklich aufgehoben werden
müsse und daß man in kurzem eine Schlacht erwarten
Wir brachen daher am 14. auf und marschierten in
der Richtung nach Valverde, übernachteten und setzten
am 15. mittags unsern Weg nach Albuera fort, das wir
gegen 5 Uhr abends erreichten. Unsere Reiterei hatte
sich bereits hierher zurückgezogen, da sie am Morgen
von der feindlichen, die ihr an Zahl bedeutend über-
legen war, aus Santa Marta vertrieben worden war.
Albuera, der Schauplatz eines mörderischen Kampfes,
verdient eine Beschreibung. Es ist ein kleines unbe-
deutendes Dorf, unbewohnt und verfallen, und liegt an
einem Flusse, von dem es seinen Namen hat Ober den-
selben führen zwei Brücken, die eine ungefähr 200 Schritt
rechts vom Dorfe, breit, schön und aus Steinen gebaut,
die andere an der linken Seite, klein, eng und unbequem.
Der Fluß ist nur knietief, seine Ufer sind links von der
schmalen Brücke abschüssig und uneben, und auf dieser
Seite würde es für die Artillerie und Kavallerie schwierig,
wenn nicht unmöglich gewesen sein, überzusetzen; aber
zur Rechten der Hauptbrücke ist der Fluß für jede
Truppenart zugänglich. Der Feind hatte an der andern
Seite des Flusses, nicht ganz eine halbe Stunde entfernt,
einen großen Wald inne und stellte seine Feldwachen
ganz in unserer Nähe auf. Der Raum zwischen dem
Walde und dem Flusse war eine Ebene, aber auf unserer
Seite erhob sich der Boden beträchtlich, obwohl es noch
keine Anhöhe genannt werden konnte, denn von Albuera
nach Valverde ist jeder Zoll des Bodens für die Kavallerie
gunstig - ■ kein Raum, keine Schlucht hindern ihre Be-
wegungen.
Am Morgen des Id. wurden unsere Truppen auf
folgende Weise geordnet. Das spanische Hrer. das sich
am Abend des 15. mit uns vereinigle, stand, vom üeneral
242
ID<)1/«<lr)y Google
Blake angeführt, zur Rechten in zwei Linien; sein linker
Flügel lehnte sich an die Straße von Valverde, an der Im
Rücken einer Anhöhe, welche von der Hauptbrücke
emporstieg, der rechte Flügel unserer zweiten Division
autgestellt war, während der linke sich auf der Straße
von Badajoz auf einer Anhöhe hinter dem Dorfe hinzog.
General Hamiltons portugiesische Abteilung deckte den
linken Flügel des Ganzen. General Cole kam mit zwei
Brigaden der 4. Division — der Füsilierbrigade und einer
portugiesischen — kurze Zeit vor dem Kampfe an und
bildete mit denselben unsere zweite Linie. Der Feind
nötigte uns jedoch bald, diese Stellung zu ändern.
Um 8 Uhr morgens begann er sich in Bewegung
zu setzen, und indem er, durch zwei Reiterkolonnen ge-
deckt, das Dorf und die Brücken bedrohte, ließ er die
Hauptmacht seines Fußvolks über unsern rechten Flügel
hinaus den Fluß passieren und griff mit großer Übermacht
und Heftigkeit diese Flanke an. Der größte Teil der
Spanier bildete rasch eine Front, um den Angriff abzu-
wehren, wurde aber nach kurzem tapferem Widerstande
überwältigt und in die Flucht geschlagen. Der Feind
beherrschte und bedrohte jetzt unsere ganze Stellung;
das Feuer seiner Artillerie war heftig, aber zum Glück
für uns nicht gut gerichtet Es war jetzt durchaus not-
wendig, um jeden Preis die wichtige Stellung wieder-
zuerlangen, die die Spanier unglücklicher- aber nicht
scliimpfuchcrweise verlassen harten. Die drei Brigaden des
Regiments, das Stewart befehligte, nickten unier diesem
General im Ursrh windschritt vor. Die 1. oder rechte
Hrigade, vom Oberst t.olborne') angeführt, wurde dabei
unter den ungünstigtlen Umstanden mit in den Kampf
verwickelt. Als sie an den Feind herankam, teilte sie
sich, feuerte und war eben im Betriff, tapfer mit dem
Bajonett in die starken Kolonnen seines FuBvofks ein-
Digitized by Google
zudringen, als ein Trupp polnischer Landers, der in diesem
unglücklichen Augenblicke in ihren Rücken gesprengt
war, sie überfiel und ein entsetzliches Blutbad anrichtete.
Das 31. Regiment, welches sieh nicht entwickelt hatte,
entging diesem Schicksal, und die dritte Brigade unter
Oeneral Houghton, sowie die zweite unter Oberst Aber-
croriiby1) rückten nacheinander vor und erneuerten den
Kampf. Mit Hilfe der Füsilier-Brigade unter dem Ritter
Myers ward das Glück dieses blutigen Tages wieder-
hergestellt, und die Franzosen flohen nach allen Rich-
tungen vom Sc hl achtfei de.
Ich darf nicht unerwähnt lassen, daß während des
ganzen Tages ein heftiges Scharmützel bei dem Dorfe
stattfand, das von einem leichten deutschen Infanterie-
regiment unter Generalmajor Alten1) besetzt gehalten und
behauptet wurde. General Lumley!)i der die Reiterei
der Verbündeten befehligte, legte große Geschicklichkeit
an den Tag und vereitelte jeden Versuch der feindlichen
Reiterei, unsern rechten Flügel anzugreifen, obwohl sie
der unsern weit überlegen war und wiederholt alle ihre
Kräfte aufbot, ihren Zweck zu erreichen.
Die portugiesischen Truppen hatten — mit Ausnahme
einer Brigade — wenig Anteil an dem Gefecht, und eine
große Anzahl der spanischen Truppen kam überhaupt
nicht ins Feuer. Den heftigsten Kampf hatten die Eng-
s) Oberst Alexander Abercromby, 1784—1853, wurde mit
24 Jahren schon Ubrrstleulnant vom 28. Regiment und nach Portugal
zur Unterstütiung Wellingtons nach der Schlacht von Talavera ge-
sandt. Er focht in den Schlachten von Busaco, Torres Vedras und
als Oberst bei Albuera; ferner bei Arroya de Molinas und nahm
teil an dem Sturm auf die Forte von Almarez.
f) üiaf Karl von Alten, 1764—1840, Generalmajor in eng-
lischen Diensten und spur ki,l. I: innoveranischer Oeneral, leistete
an der Spitze der berühmten „light division" in Spanien hervor-
ragende Dienste. In der Schlacht von Albuera kommandierte er
eine englische Brigade.
') Sir William Lumiey, 1760-1850, kommandierte mit Btres-
loid die vtibiindete Kavallerie.
244
Digitized by Google
länder zu bestehen; sie verloren 4103 Verwundete und
Tote, mit Einschluß von 120 Mann der deutsehen Legion.1)
Die Portugiesen verloren 400, die Spanier 1800 Mann;
die Oesamtsumme betrug also ungefähr 6300 Mann. Die
Franzosen büßten wenigstens 0000 Soldaten ein. Soult
besaß gegen 240O0 Mann, und wir waren ihm vielleicht
im ganzen an Zahl überlegen, doch waren es nur 7000
Engländer. Die zwei britischen Brigaden, die sich an
diesem Tage besonders auszeichneten, waren die vom
Ritter Myers befehligte Füsilier- Brigade und die 3. Bri-
gade der zweiten Division, angeführt vom General
Houghton.
□er Sieg war gewiß nicht nutzlos, denn durch ihn
wurde die Absicht des Marschalls Soult, Badajoz zu Hilfe
zu kommen und unsere Truppen aus Estremadura zu
verdrängen, gänzlich vereitelt. Aber er hatte auch noch
einen höheren, edleren, unsterblicheren Nutzen: er gab
ein glänzendes Beispiel von britischem Heldenmut, er-
teilte den stolzen Legionen Frankreichs eine furchtbare,
unvergeßliche Lehre, und als Soult an der Seite seines
kaiserlichen Herrn auf dem Schlachtfelde von Waterloo
dahinritt und der Jubel der englischen Krieger sein Ohr
traf, hatte er Aibuera nicht vergessen.
Soviel im allgemeinen über die Schlacht. Jetzt will
ich erzählen, was sich vor meinen Augen ereignete, und
wenn es möglich ist, die Gefühle schildern, die mich
an diesem Tage bewegten.
Eine Stunde vor Tagesanbruch standen wir unter
Waffen. Es war ein herrliches Schauspiel, die Gesamt-
macht der französischen Reiterei in der Ebene ausge-
breitet zu sehen, Sie kehrte jedoch bald in den Wald
a) Inlolge der Elbkonvention wurde im Jahre 1803 ein eng.
lisch-deutsches Trappenkorps unter dem Namen „Kings German
Legion" aus HaimiHvrauem irruhkl, il.is von 1S<J:> an fast an
allen Feldzügen der Engländer mit Auszeichnung (eilnahm, 1816
wurde die Legion aufgelost, und aus ihr entstand die hannoversche
245
Digitized by Gqpgle
zurück und stellte wie zuvor ihre Feldwachen aus. Als
unser Bataillon auseinandergegangen war, frühstückte ich
und machte mich gleich nachher auf den Weg, die spani-
schen Truppen aufzusuchen; ich ließ mir an diesem Tage
wenig von einem allgemeinen Treffen träumen. Der
Knall einiger Schüsse aber hieß mich umkehren, und ich
fand, daß unsere Linie hastig nach den Waffen griff und
der Feind in Bewegung war. Das Scharmützeln währte
gegen anderthalb Stunden, und unsere Division verlor
durch einige ins Blaue abgefeuerte Schüsse mehrere Leute.
Bald aber verkündete uns das fortwährende Rottenfeuer
der Musketen auf unserm rechten Flügel, begleitet von
wiederholten Kanonenschüssen, daß der wirkliche An-
griff auf jener Seite stattgefunden hatte. Die Brigaden
unserer Division wurden nacheinander aufgefordert diesen
Flügel zu unterstützen. Wir bildeten eine offene Kom-
pagniekolonne in halber Entfernung und rückten in
schnellem Doppelschritt nach dem Schau platze des
Kampfes. Ich erinnere mich, daß in rascher Folge viele
Kugeln und Bomben über unsere Köpfe und durch unsere
Reihen flogen, ohne uns indes großen Schaden zuzu-
fügen. Nur ein Kapitän vom 29. Regiment war durch
eine Kugel schrecklich verstümmelt worden und lag ge-
rade auf unserm Wege. Wir gingen nahe an ihm vor-
über, und er kannte uns alle. Den herzbrechenden Ton,
in dem er uns bat, ihm Wasser zu bringen oder ihn zu
töten, werde ich nie vergessen. Aber wir konnten ihm
auf dem Marsche keine Hilfe leisten, denn an diesem
entscheidenden Tage blieben die Verwundeten, die nicht
weiter konnten, unbeachtet auf dem Platze liegen, wo
sie gefallen waren. Alles war in Eile und im Kampfe.
Jeder Arm wurde auf dem Felde gebraucht. Als wir
durch die zerstreuten und weichenden Spanier kamen
und in Schlachtordnung mitten durch sie dem Feinde
entgegenrückten, sprengte ein junger spanischer Offizier
von sehr edlem Aussehen auf mich zu und bat mich mit
stolzer Besorgnis, ich möchte meinen Landsleuten sagen,
240
Digitized by Google
die Spanier hätten den Befehl zum Rückzug erhalten und
nicht die Flucht ergriffen.
Das mörderische Musketenfeuer währte lange. Immer
näher kamen wir dem Feinde, und als wir 20 Schritte
von ihm entfernt waren, erhielten wir Befehl zum An-
griff. Wir hatten aufgehört zu feuern, erhoben das Feld-
geschrei und fällten unsere Bajonette, als ein Trupp feind-
licher Reiterei hinter einer Anhöhe sichtbar wurde, der
unser Ungestüm benutzen zu wollen schien. Allein das
französische Fußvolk, durch das Geschrei aufgeschreckt,
das immer den Angriff verkündigt, war bereits gewichen
und hatte ungefähr 60 Schritte von uns einige Kanonen
und Haubitzen im Stich gelassen. Da wir sie wegen
der Nähe ihrer Reiterei nicht verfolgen konnten, so
machten wir Halt und fingen an, auf sie zu feuern. Das
Blutbad war einige Augenblicke hindurch fürchterlich.
Jeder Schuß traf, und vergebens suchten die feindlichen
Offiziere ihre fliehenden Soldaten aufzuhalten. Kein Re-
fehl wirkte mehr. Zwar nahm ein Teil ihrer Artillerie
eine entfernte Stellung ein, die unserer Linie sehr schadete,
aber wir bewegten uns nicht iriiher, als bis wir unsere
ganze Munition verbraucht hatten. Dann zogen wir uns
in der vollkommensten Ordnung nach einem vor ihrem
Geschütze gedeckten Platze zurück und legten uns in
einer Linie nieder, bereit, jeden neuen Angriff mit dem
Bajonett abzuwehren. Während wir langsam, aber immer
weiter vordrangen, lagen bald unsere Toten und Ver-
wundeten hinter uns, und wir kamen unter die feind-
lichen und spanischen Toten, die beim ersten Angriff
gefallen waren. Wir schritten über sie und die Sterbenden
hinweg, ohne auf sie zu achten.
So unglaublich es scheinen mag, General Beresford
hielt offenbar eine Erneuerung des Angriffs am 17. für
möglich, denn er ließ uns zwei Stunden vor Tagesan-
bruch unter die Waffen treten und traf Anordnungen,
die auf nichts Geringeres deuteten als auf die Absicht,
vorwärts zu rücken. Hätte der General das schreck-
247
Digitized by Google
liehe Blutbad geahnt, das wir in den Reihen der Feinde
angerichtet haften, und die darauffolgende Verwirrung;
und l 'ii/.ufiii'Lk'iihat i:t? i'miziisischeii Heere bemerkt, so
würde er vermutlich in den Wald eingedrungen sein,
wohin sich der Feind am Abend zurückgezogen hatte,
und auf diese Weise den vollkommensten Sieg errungen
haben, der je bis dahin auf der Halbinsel erfochten worden
war. Man sagt, Blake habe sehr darauf gedrungen. Unser
Heer war am Abend des 16. sicher einem Kampfe ge-
wachsen, denn wir waren durch eine britische Brigade,
die der Oberst Kemmis befehligte, nach dem Kampfe
verstärkt worden. Der Verlust unserer leichten deutschen
Bataillone war unbedeutend gewesen; unsere portu-
giesischen Truppen waren noch ganz frisch, ebenso zwei
spanische Regimenter, und die Reiterei, die unter der
geschickten Leitung des Generals Lumley stand, hatte
wenig oder keinen Verlust gehabt. Hätte Wellington an
diesem Tage den Befehl geführt, er würde Soults Armee
gänzlich geschlagen und alle seine Geschütze erobert
haben, und die Männer, die in den Reihen jener beiden
ausgezeichneten Brigaden kämpften, würden vielleicht
jetzt nicht die Kränkung erlitten haben, unbemerkt und
ohne Auszeichnung neben den glücklichen Helden von
Waterloo einherzugehen.
Am 17. wagten wir den ganzen Tag nicht, über den
Fluß zu gehen, sondern standen da und sahen auf die
feindlichen Feldwachen und Außenposten, die keck auf
der kleinen Ebene zwischen uns und ihrem Biwak auf-
gestellt waren. Am 18. zogen sie sich zurück. Um die
Fortschaffung ihrer Verwundeten zu erleichtern, ver-
nichteten sie den Inhalt vieler Karren und Vorratswagen,
und unsere Reiterei und leichte Infanterie folgte ihnen
in respektvoller Entfernung. Nicht eher als am 19., also
drei Tage nach der Schlacht, nahmen wir von dem Walde
Besitz, wohin sich der Feind nach seiner blutigen Nieder-
lage in der giiilitun Verwirrung geflüchtet hatte.
Unsere Verwundeten wurden so schnell wie möglich
248
Digitized by Google
nach Valverde gebracht, aber die Feldlazarette boten nach
dem Treffen Szenen dar, bei deren Erinnerung einen'
schaudert. Nie werde ich die kleine Kapelle vergessen,
die mit Verwundeten angefüllt war, von denen viele .im-
putiert werden mußten und in schmutzigem unbehag-
lichem Zustande auf den harten Steinen lagen, selbst
des Strohes entbehrend. AU dies war unvermeidlich, denn
wir hatten nichts für sie zur Hand, und wegen Mangels
an Fuhrwerk mußten sie warten, bis unsere eigenen Leute
fortgeschafft waren.
Denselben Tag ging ich noch einmal nach dem mit
Toten bedeckten Teile des Schlachtfeldes. Die Ge-
bliebenen lagen noch gräßlich verstümmelt und unbeerdigt
da, nur hier und da bemerkte mau ein leicht aufgeworfenes
Grab, wo einige Offiziere oder Soldaten ihren Freunden
die letzte Ehre erwiesen hatten. Sehr überraschte mich
ein rührender, wenn auch einfacher Beweis der Nächsten-
liebe unserer Verbündeten ; die Hände einer großen An-
zahl Leichen waren von den Spaniern ineinandergelegt
worden, als wären sie zum Gebet gefaltet, eine Sitte,
die sie abergläubischerweise bei der Ausstellung ihrer
Toten für wichtig halten.
Am 22. marschierten wir nach Solano und nahmen
am 23. unsere alten Quartiere in Alemdralejo wieder in
Besitz. Wir fanden hier 300 verwundete französische
Soldaten, die man in einem Kloster zurückgelassen und
unserm Schutze empfohlen hatte. In den verschiedenen
Kantonierungen des Heeres wurden unter gleichen Um-
ständen einige hundert Oefangene gemacht; aber General
Gazan brachte 4000 Verwundete sicher nach Sevilla. Unser
General Stewart widmete den in Alemdralejo zurück-
gelassenen Feinden große Aufmerksamkeit. Er besuchte
fast täglich ihre Hospitäler und überzeugte sich persön-
lich, ob man sie gut pflege. Ich selbst war mehr als
einmal bei diesen Besuchen zugegen. Die Dankbarkeit
der Unglücklichen drückte sich deutlich auf ihren Zügen
und in allem aus, was sie sagten. Wenn sie von ihren
249
.
Befehlshabern sprachen, nannten sie Soult blutdürstig und
geizig und sagten, es wäre ihm gleichgültig, ob er seine
Leute opfere; all sein Trachten ginge nach Würden und
Reichtum.
Am 25. Mai hatte General Lumley einen glänzenden
Kampf bei Usagre mit der feindlichen Kavallerie. Da
er ihn, wie immer, mit Mut und Geschicklichkeit führte,
schlug und zerstreute er sie, obgleich sie ihm an Zahl
weit überlegen waren, hieb einige Reiter auf der Stelle
nieder und machte gegen 100 Gefangene. Sie bestanden
aus lauter französischen schweren Dragonern, von denen
viele am Kopfe und im Gesicht schwere Wunden hatten.
Mit wenig Ausnahmen waren es alles schöne, kriegerisch
aussehende Männer, die offenbar eine lange Reihe von
Jahren gedient hatten.
Während der ganzen Zeit, wo wir in Almendralejo
verweilten, wurde die Belagerung von Badajoz unter der
persönlichen Leitung Wellingtons von zwei Abteilungen
der Nordarmee fortgesetzt, die zu unserer Verstärkung
von Beira gekommen waren. Es wurden zwei tapfere
Angriffe auf das Fort San Christoval gemacht, dessen
Besitz die Übergabe der Festung sicherte. Unsere Truppen
zeigten großen Mut, wurden indes zurückgeworfen, weil
sie auf Hindernisse stieften, die keine Tapferkeit be-
siegen konnte.
Am 10. Juni ward die Belagerung aufgehoben, denn
man erhielt die Nachricht, daß Marschall Marmont im
Begriff sei, die Gegend von Ciudad Rodrigo zu verlassen
und sich mit Soult zum Entsatz von Badajoz zu ver-
einigen. Wir zogen uns daher am 11. von Alemdralejo
zurück, biwakierten am 14. und 15. bei Albuera, setzten
am 17. drei Stunden südlich von Badajoz über den Gua-
diana und marschierten auf Elvas zu. An demselben Tage
sah ich auf dem Marsche einen Trupp des estremadu-
rischen Korps, das ein gewisser General Downie — ein
Engländer, der ehemals Kommissar in unsern Diensten
gewesen war — ausgehoben, gekleidet und seinem Be-
250
Digitized by Google
fehle unterstellt hatte. Nie sah ich etwas Seltsameres
und Lächerlicheres als die Kleidung dieser Soldaten ; sie
sollte eine Nachahmung der alten spanischen Tracht sein.
Der aufgekrämpte Hut, das geschlitzte Wams und der
kurze Mantel hätten sich wohl auf der Bühne sehr gut
ausgenommen, aber für ein rauhes, rasch eingenommenes
Biwak schienen sie abgeschmackt und unpassend. Mitten
in unserm Mißmut konnten wir uns des Lachens nicht
enthalten, wenn wir an die armen Teufel dachten, die
in ihrer phantastischen Kleidung demselben heftigen
Regenschauer ausgesetzt waren, der unsere Feuer aus-
löschte, den Boden erweichte und uns bis auf die Haut
durchnäßte.
Am 18. zogen wir in Elvas ein, um uns zu trocknen
und eine Nacht unter Obdach zu ruhen. Viele von unsem
verwundeten Offizieren und üemtintn lügen im Lazarett
oder in Quartieren in der Stadt, und der Tag war natür-
lich ein Freudentag für uns. Es war seltsam anzusehen,
wie in den gefüllten Räumen der Hospitäler englische
und französische Soldaten hilflos nebeneinanderlagen oder
hier und da mit freundlicher Miene sich Liebesdienste
erwiesen. Ihre Bedürfnisse und Gedanken teilten sie ein-
ander, wie ich bemerkt in spanischer Sprache mit, die
vielen französischen Soldaten geläufig war und von unsern
Leuten gut verstanden wurde, wenn es allgemeine Dinge
betraf.
Am 19. marschierten wir nach den Ufern des Caya
und nahmen unsere Stellung in einem Orte, der Torre
de Moro heißt und ungefähr zwei Stunden von Elvas
unmittelbar an der Grenze liegt. Hier blieben wir bis
zum 21. Juli und führten ein regelmäßiges, gesundes
und angenehmes Lagerleben. Fast alle Truppen des ver-
bündeten Heeres lagen in Campo Majo zerstreut oder
biwakierten in solchen Stellungen, daß sie schnell zu-
sammengerufen werden konnten. Ich glaube, wir würden
gewiß an den Ufern des Cayo gefochten haben, hätte
der Feind gewagt, über den Fluß zu setzen. Seine über-
251
Digitized by Google
legene Stärke aber, besonders an Reiferei, machte es
uns unmöglich, in den Ebenen des spanischen Estre-
madura etwas zu unternehmen.
Am 22. Juni unternahmen Soult und Marmont eine
starke Rekognoszierung. Da jedoch ihr Zweck, Badajoz
zu schützen, erreicht wurde, zeigten sie weiter keine An-
griffsbewegungen mehr. Gegen Mitte Juli kehrte Mar-
mont mit seinen Truppen nach Norden zurück, und Lord
Wellington setzte bei Villa Velha über den Tajo. In
Alemtejo überließ er seine Truppen dem General Hill
und begab sich nach Beira.
Unsere Division lag vom 22. Juli bis zum 3. Sep-
tember in Villa Vicosa, einer schönen, wohlgebauten Stadt,
gegen fünf Stunden von Elvas gelegen. Von Villa Vicosa
zogen wir nach Portalcgre, einem heliebten und oft be-
suchten Quartier. Um diese Zeit nötigten uns die Be-
wegungen einer französischen Division unter General
Gerard'J), der bei Merida über den Guadiana gegangen
war und den Norden von Estrcmadura heimsuchte und
plünderte, ins Feld zu rücken. Die Truppen wurden
daher am 22. Oktober bei dem Dorfe Codiceira in ein
Biwak zusammengezogen. Das Wetter war, wie ich mich
erinnere, in dieser Nacht so rauh, daß zwei portugiesische
Soldaten an der Wirkung des heftig herabströmenden
Regens im Lager starben.
Nach einigen Märschen und Waffen Übungen, die gut
und ruhig abliefen, kamen wir am 27. in der Dämmerung
bei dem Dorfe Alcuescar an, das nur zwei Stunden von
der kleinen Stadt Arroyo de Molinos entfernt ist, wo
Gerards Truppen in dieser Nacht unbesorgt schliefen.
Sechs Stunden lang lagen wir vollkommen bewaffnet und
ohne Wachtfeuer im Biwak und marschierten am 28.
früh um 2 Uhr in tiefer Stille auf einer engen schlechten
Straße nach Arroyo de Molinos. Vi 7 Uhr machten wir
Digitized by Google
in der Nähe der Stadt und an einer Stelle Halt, die für
uns sehr günstig war. Hier wurden wir in drei Kolonnen
geteilt. Die erste Brigade wurde geradeaus nach der
Stadt geschickt, die unsrige marschierte mit einer Ab-
teilung Portugiesen schnell auf einem Umwege nach der
rechten Seite von Arroyo und machte, in Nebel und Regen
gehüllt, einige Schritte von der Landstraße entfernt Halt,
die dem Feinde allein zum Rückzüge übrigblieb und
auf der er sich eben marschfertig machte, ohne unsere
Annäherung zu ahnen.
Das Geschrei der ersten Brigade, die in die Stadt
eindrang und die feindliche Nachhut mit dem Bajonett
vertrieb oder gefangen nahm, verkündete dem Feinde
die drohende, unerwartete Gefahr. Er wollte sich schnell
zurückziehen, aber vergebens; unsere Reiterei sprengte
vorwärts, zerstreute, tötete seine wenigen Reiter oder
nahm sie gefangen, die nach einem Versuche, sich zur
Linken des Fußvolks zu sammeln, das einen Augenblick
eine verteidigende Stellung annahm, in großer Verwirrung
flohen. Ungefähr 200 Schritte hinter der Stelle, wo die
feindlichen Kolonnen standen, erhob sich die felsige rauhe
Sierra de Montanches. Nach dieser eilten sie, als sie
unsere Brigade rasch anrücken sahen. Wir folgten ihnen
auf dem Fuße nach, wurden mit ihnen in den Felsen
handgemein und machten hei jedem Schritt Gefangene,
bis wir von der Verfolgung abstanden, da sich unsere
Anzahl wegen Erschöpfung verminderte und wir mit den
Waffen, Kriegsvorräten und Tornistern belastet waren,
während die feindlichen Flüchtlinge das alles von sich
warfen. Ein Kavalleriegeneral, der Fürst von Aremberg
— Oberst des Jägerkorps und ein Verwandter Napo-
leons — , ferner ein Generalstabschef, zwei Oberstleut-
nants, 30 Offiziere und gegen 1200 Gemeine wurden zu
Gefangenen gemacht. Dies und die Eroberung einer
halben Geschützbrigade, sowie all ihres Gepäcks war der
Lohn für unsere Mühe und Entbehrungen, und wir kehrten
frohen Herzens nach Arroyo zurück. Die Franzosen er-
253
Digilized by Google
litten einigen Verlust durch das Feuer der ersten Bri-
gade und das Geschütz, das diese bei sich hatte. Für
uns aber war das Oetecht in dem Gebirge eher be-
lustigend, als blutig und gefährlich, denn obwohl einige
feindliche Grenadiere, ehe sie sich ergaben, ihre Mus-
keten auf uns abfeuerten, sn war doch unser Verlust
sehr unbedeutend und die Gefahr zu gering, um davon
Hier lernten wir den französischen Charakter so
recht kennen. In der feindlichen Division hieß eins der
Regimenter das 34., im britischen Heere war es eben-
falls das 34. Regiment, das die Verfolgung unternahm
und sich völlig mit dem Feinde vermischte. Als die fran-
zösischen Offiziere ihre Säbel abgaben, umarmten einige
die Offiziere des englischen Regiments und riefen: „Ah,
messieurs, nous sommes des fr&res, nous sommes du
34me regiment — Vous etes des braves — les Anglais
se battent toujours avec loyaute et traltent bien leurs
prisonniers. Ah, messieurs, la fortune de la guerre est
Die gefangenen Truppen waren auffallend schöne
Männer und zu dem Dienst auserlesen, den sie verrichtet
hatten. Gerard selbst entkam mit dem kleinen Reste
einer Brigade, und wäre die erste Brigade seiner Division
nicht um 5 Uhr morgens unter dem Befehle des Generats
Remond abmarschiert, so hätte sie wahrscheinlich das-
selbe Schicksal ereilt, welches die unter Gerards un-
mittelbarem Befehle stehenden Truppen erlitten. Soult
ließ ihn verhaften, als er zur Südarmee stieß, und er-
stattete dem Kaiser einen strengen Bericht von seiner
Nachlässigkeit und seinem Verhalten. Aber Gerard war
ein Liebling Bonapartes und zog sich ohne den Verlust
seines Kopfes oder seines Amtes aus der Schlinge. Na-
poleon kannte den Charakter seiner Offiziere und wußte,
wann und wem er verzeihen sollte und wessen Dank-
barkeit und Verdienste ihm nützlich sein würden.
Nach diesen Unternehmungen kehrte unsere Division
254
Digitized by Google
nach Portalegre zurück, und gegen Ende November er-
hielt ich Befehl aus England, nach Indien aufzubrechen.
Ich mußte also für eine Zeitlang ein Regiment, einen
Dienst und ein Land verlassen, an denen ich mit inniger
Liebe hing. Trauernden Herzens trat ich mit einem
Waffengefährten, der ebenfalls bestimmt war sich dem
ersten Bataillone anzuschließen, am Morgen des 27. No-
vember meine freudlose Reise nach Lissabon an.
255
Digitized by Google
4. Kapitel
Rückkehr zu den britischen Truppen in Portugal.
Ein Besuch in Madrid. Rückzug aus der Gegend
von Madrid. Winterquartiere
Am 29. Dezember 1811 war ich vom Tajo aus nach
England gesegelt und zu Anfang August 1812 landete
ich noch einmal am Kai von Lissabon, nachdem ich
der Verbannung nach Indien durch eine glückliche und
willkommene Beförderung entgangen war. Die Nachricht
von dem glorreichen Siege bei Salamanca') begrüßte mich
bei meiner Ankunft. Die Freude der Portugiesen über
diesen Sieg, der für ihre Truppen ebenso rühmlich war
als für die unsrigen, kannte keine Grenzen. Messen, Auf-
züge, Illuminationen und die Theatervorstellungen, die
einen Abend nach dem andern vor einem zahlreichen
Publikum gegeben wurden, zeugten von ihrem Patrio-
tismus. Die außerordentliche Geschicklichkeit, die Wel-
lington bei dieser denkwürdigen Schlacht an den Tag
gelegt hatte, mußte in dem Herzen eines Soldaten, der
im Begriff war, unter seinem Befehle wieder das Feld
zu betreten, stolze und schmeichelhafte Ahnungen er-
i) Am 22. Juli 1812 siegten die Engländer und Spanier unter
Wellington bei Arapiles in der Nähe von Salamanca über Mamiont
Die Kräfte waren ziemlich gleich, jeder hatte ungefähr 42000 Mann.
Die Franzosen verloren 8000 Tute und Verwundete, 7000 Ge-
lungene, 2 Adler und 12 Kanonen.
256
Digitized by Google
wecken, und trotz allen Ohren bläsereien, die ich in Eng-
land anhören mußte, blickte ich mit der zuversichtlichen
Erwartung in die Zukunft, daß diesen merkwürdigen Krieg
ein ehrenvoller und rühmlicher Ausgang krönen würde.
Als eifriger Bewunderer des spanischen Charakters
hatte ich auch meinen Olauben an die Tapferkeit und
Beharrlichkeit dieses Volkes nicht ganz erschüttern lassen.
Zwar wurden die spanischen Heere fast in jedem Treffen
geschlagen, und von den spanischen Festungen, obwohl
sie oft tapfer verteidigt wurden, fiel eine nach der andern
in die Hände des Feindes, aber daran waren meist der
Mangel an Klugheit bei einigen ihrer Anführer und Ver-
räterei bei den andern schuld, deren gerühmten Talenten
sie blindlings die Leitung ihres Mutes anvertrauten.
Spanien nämlich, das Land und das Volk, leistete noch
Widerstand; die Einwohner der von Franzosen besetzten
Städte und Flecken sammelten Geld zu diesem Zwecke
und waren immer bereit, ihren bewaffneten Brüdern nütz-
liche Nachrichten zukommen zu lassen. Die mutigen Ge-
birgsbewohner, verabschiedete Soldaten und begeisterte
Freiwillige aus allen Teilen Spaniens versammelten sich
um entschlossene Anführer, und ihre unermüdlichen und
kühnen Anstrengungen für die Sache wurden teilweise
von höchst nützlichen Erfolgen gekrönt.
Die Nachricht von der Schlacht bei Salamanca trieb
mich an, so schnell als möglich zu meinem Regimente
zu stoßen, das General Hill noch befehligte. Denn dieses
Ereignis und Wellingtons Vorrücken ins Innere Spaniens
mußten, wie sich denken ließ, entweder Soult nötigen,
die Belagerung von Cadiz*) aufzugeben und sich aus An-
dalusien zurückzuziehen, oder ein feindliches Unternehmen
unsererseits zur Folge haben, um die südlichen Gegen-
den von der Gegenwart des Feindes zu befreien. Ich
verließ Lissabon und reiste, zum Glück ohne eine Ab-
") Soult belagerte Cadiz vergebens, das von 8000 Engländern
unter dem Oencral Graham verteidigt wurde.
IT BwM7: Span. Fttihcititimpf. 257
Digilized by Google
teilung anzuführen, nach Estremadura. In der Nähe von
Abräntes begegnete ich einem Trupp von 3000 bei Sa-
lamanca gemachten Oelangenen. Sie waren durch den
langen Marsch, das heiße Wetter und den Mangel an
Schuhen und andern Bedürfnissen ersdiöpft und konnten
weder sprechen noch Liehen, um ihren Mißmut zu ver-
bergen. Nie s;i!i ich ni^LT^eschlagenere Franzosen. Sie
wimien, wns ihren Arger nach zu vermehren schien, von
400 tölpischen, schlecht gekleideten portugiesischen Sol-
daten geführt, und die stol/e und wichtige Miene, womit
diese die Bewegungen der „Vainqueurs d'Austerlitz" an-
ordneten, war wirklich lic'iisti^end. Es ist nicht edel,
über gefallene Feinde zu frohlocken, aber schwer, sie
zu bemitleiden, wenn unsere Blicke auf Szenen der Zer-
störung und Verwüstung fallen, die von denen ange-
richtet wurden, deren Erscheinen vielleicht sonst eine für
sie günstige Teilnahme in uns erwecken würde.
Endlich, in Zafra, konnte ich wieder meine Regi-
mentskameraden umarmen. Wohin er auch wandern mag,
ein Regiment ist stets für den ledigen Mann die beste
Heimat. Ich erfuhr hier, daß Lord Wellington am 12.
triumphierend in Madrid eingezogen war und daß Joseph
Bonaparte sich nach Valencia zurückgezogen hatte.1) Soult
ir. ,j eilte V.'ir!:.c;-!'i!'iii'vei>, An.hlusien m räumen, und mau
vermutete, daß er durch Granada und Murcia marschieren
und wahrscheinlich sich mit dem König vereinigen weide.
Am 28. August marschierten wir auf der Straße von
Sevilla nach Bienvenida. Am (olgenden Tage zogen wir
») Der Sieg von Salamanca erschütterte die französische Herr-
schaft in Spanien. Josephs Armee des Zentrums, 15000 Mann,
ülU'ito i:ilr; 7iit-;ll!;;;,1i: rl. s!.k Irs k'fcTiru \v:ir,l, (hl'i WdÜTiJüir]
auf Madrid ruckte, und der König und sein Hof mufften fliehen.
Er helahl den Rückzug aul Valencia, wo er sich mit der siegreichen
Armee Suchcts decken konnte. Am 12. August zog Wellington
triumphierend in Madrid ein und zwang am nächsten Tag die in
dem Tort Bucn Hc'.\rn 7[Tii:-!;.',".-:::Ksc[icn 12(10 Mann Garnison, die
Waffen niederzulegen.
258
Digitized by Google
nach llerena und hörten hier, daß Oberst Skerret in Se-
villa eingezogen sei und die Franzosen den Weg nach
Cordoba genommen hätten. Unser Marsch nach Süden
wurde bei der kleinen Stadt Ayllones unterbrochen, und
wir zogen uns auf dem Guadiana über Maguilte, el Cam-
pillo und Zalamea nach Quintana zurück, wo wir 3 Tage
Halt machten. Dann marschierten wir nach einem Dorfe,
5 Stunden von dem Guadiana entfernt, und verweilten hier
7 Tage, um die Befehle Wellingtons zu erwarten.
Am 13. September war das Heer wieder in Bewegung,
tiiiil meine Brigade marschierte ;Ki c!i :1er Stadt Medellin.
Am 14. ging es nach Escurial und am 15. nach Santa
Cruz. Dann ging es weiter nach Naval Moral, wo wir
einer reisenden spanischen vornehmen Familie begegneten
— ein sehr ungewöhnlicher Anblick. Die Frauen und
Dienerinnen saßen in einem schweren, altmodischen
Wagen, der von Schnitzwerk und Vergoldung bedeckt
war. Er wurde von 8 Mauliieren gezogen, die wiederum
von 2 schonen Männern geführt wurden. Tn Wahrheit
lenkten sie sie nur mit der Stimme, indem sie ihre Namen
riefen, worauf die Tiere mit großer Gelehrigkeit durch
ihre Bewegungen zu antworten schienen. Die Männer
der Gesellschaft ritten mit den Dienern zusammen, alle
im freundlichen Gespräch begriffen. Wie ich oft bemerkt
habe, sind die Spanier, so hoch auch ihr Rang sein möge,
überaus gütig und freundlich gegen ihre Diener und Unter-
gebenen. In der Tat haben auch die niederen Klassen
viel natürliche Sitten, und es gibt nichts Widriges und
Abstoßendes in ihrer Sprache oder ihrem Benehmen. Sie
haben nichts Gemeines in ihrer Freiheit und nichts Knech-
tisches in ihrer Ehrfurcht. Ich saß oft um das Feuer
einer Posada unter Spaniern aller Klassen, die der Zu-
fall zusammengeführt hafte, und freute mich stets über
die allgemeine gute Laune und das leichte, unbefangene
Benehmen der Landleute.
Talavera de la Reina, wo wir am 27. Halt machten,
ist oder war vielmehr eine schöne Stadt und berühmt
17* 259
Digitized by Google
wegen ihrer Seiden- und Por/.dlanfabriken. Aber die Lage
der öffentlichen Angelegenheiten erlaubte uns nicht lange,
hier zu verweilen. Im Norden widerstand Burgos mit
Erfolg allen Versuchen, es zu erobern, und das von Clause!
befehligte Heer*), das hinter dem Ebro eine sichere
Stellung eingenommen hatte, fing an, wieder Mut und
Vertrauen zu fassen und diejenigen unserer Truppen zu
bedrohen, die die Belagerung der Festung unterstützten
und leiteten. Auf unserer Seite rückte Soult, der sich
in Almanza an der Grenze von Valencia mit Joseph Bo-
naparte vereinigt hatte, mit großer Heeresmacht nach
Madrid vor, während Ballesteros5), der einen wichtigen
Dienst hätte leisten können, wenn er Soult auf seinem
Wege bedroht und seine Truppen mit den unsrigen am
Tajo vereinigt hätte, hartnäckig in Granada verweilte.
Ballesteros war ein Mann, dem es weder an Mut noch
an Geschicklichkeit fehlte, aber sein dummer Stolz ließ
es nicht zu, von Wellington Befehle zu empfangen. Seine
lächerliche Eitelkeit schadete der Sache sehr in einem
der entscheidendsten Augenblicke und machte es uns un-
möglich, im Herzen Spaniens zu bleiben oder Madrid
zu verteidigen. In der Nacht des 22. Oktober marschierte
unsere Brigade von Yepes nach Aranjuez. Am 26. setzten
wir über den Tajo und manövrierten bis /.um 30. an
diesem Flusse und dem Jarama. Der Feind machte am
30. einen Versuch, sich in Besitz der Puente Carga am
Jarama zu setzen, wurde indes von einer englischen Bri-
gade unter Oberst Skerret mit einem unbedeutenden Ver-
luste auf beiden Seiten vertrieben.
<) Gral Bertrand Clause!, 1772—1842, führte als Divisions-
gencral im Jahre 1810 ein Heer aus Portugal zunick, übernahm
dann, 1812, nachdem Mannont in der Schlacht von Salamanca ver-
wundet worden war, den Oberbefehl über dessen Korps und
deckte 1813 den Rückzug nach Frankreich.
') Francisco Ballesteros, 1770—1832, kämpfte in den spa-
nischen Freiheitskriegen tapfer für die Sache seines Volkes. 1811
wurde er Generalleutnant.
260
Digitized by Google
In der Nacht des 30. begannen wir unsern Rückzug,
und am 31. früh um 9 Uhr zog unsere Division unter
den Mauern Madrids hin. Ich hatte die Stadt noch nie
gesehen, und es war daher sehr ärgerlich, daß Befehl
erteilt wurde, niemand dürfe die Reihen verlassen und
niemand, welchen Grund er auch haben möge, die Stadt
betreten. Ich brannte vor Neugier und würde einer Mus-
ketensalve getrotzt haben, um Madrid zu sehen. Ich bin
zwar ein Freund der Disziplin, aber ich konnte nicht
widerstehen. Unbemerkt stahl ich mich von meiner Ko-
lonne weg, setzte über eine Brücke und ritt eine halbe
Stunde auf den Straßen und Plätzen herum. Nur eine
halbe Stunde!
Ich stieg auf dem großen Platze ab und ließ mir in
einem weiten Saale, der mit Madrider Herren angefüllt
war, Kaffee geben. Einer von ihnen näherte sich mir
und sagte mit Tränen in den Augen: „Ich weiß, die
Engländer sind brave und treue Untertanen — ich weiß,
dieser Rückzug ist eine notwendige Maßregel, aber
warum, warum kamen sie hierher, wenn sie nicht auf
bleibenden Besitz rechnen konnten? Sie wissen wenig
von dem Kummer und Elend der Einwohner Madrids.
Wenige Stunden noch, und wir können der Rache der
Todfeinde Spaniens preisgegeben sein. Die Verräter in
diesen Mauern haben uns wohl bewacht, sie werden jede
Handlung der Vaterlandsliebe als ein Verbrechen, jedes
,Viva' als ein Geschrei des Aufruhrs gegen die verhaßte
Regierung Josephs darstellen." — Das Herz blutete mir
hei diesen Worten; ich konnte nur erwidern, daß die
Politik der Franzosen nicht gestatten würde, alle Beleidi-
gungen zu rächen, daß diese ihren eigenen Aufenthalt
für unsicher halten und unsere baldige Rückkehr erwarten
müßten, wir aber bei unserm Vorrücken nie daran ge-
dacht hätten, die Hauptstadt auf eint so kränkende Weise
zu verlassen, wozu wir nur durch das törichte Benehmen
ihres Landmannes, Ballesteros, gezwungen wären. Er
drückte mir die Hand mit einem „Viva mil aiios", und
261
Digitized by Google
ich bestieg raein Pferd und war bald seinen Blicken ent-
schwunden.
Ära 6. machten wir für einen Tag auf den Höhen von
Cantaraciila Halt, erreichten Alba de Tormes am Abend
des 7., und am 8. wurde das ganze Heer der Verbündeten
in und bei Salamanca und längs dem Ufer des Tormes
aufgestellt, so daß einige Briten und eine Abteilung Por-
tugiesen auf dem rechten Flügel die Stadt Alba besetzt
hielten. Die französischen Truppen aus dem Norden,
Süden und der Mitte. Spaniens, die uns auf der einen
Seite von Burgos, auf der andern von Madrid aus ver-
folgt hatten, kamen nach und nach anmarschiert und
stellten sich uns gegenüber. Man glaubte allgemein, daß
Wellington es zu einer Schlacht kommen lassen würde.
Am 10. machte eine Kolonne Infanterie mit Kanonen einen
Angriff auf die Stadt und das Schloß Alba, wurde aber
zurückgeworfen. Am 14. Heß Souli, der für Joseph be-
fehligte, eine ungeheure Armee oberhalb Albas über den
Tormes setzen. Unsere Division zog sich darauf aus dieser
Gegend auf ihren rechten Flügel zurück und rückte näher
gegen Salamanca heran. Vor einem hohen, felsigen Berg-
rücken, hinter dem unsere Division in geschlossenen,
dichten Kolonnen aufgestellt war, sahen wir das Fuß-
volk des Feindes eine kleine, waldige Anhöhe, ungefähr
eine Stunde von uns entfernt, besetzen. Sie zeigten gegen
5000 Reiter in der Ebene vor uns, während hinter uns
unsere ganze Reiterei aufgestellt und zum Kampfe bereit
war. Es wurde ein wenig gescharmützelt und geschossen,
aber sonst fand nichts von Belang statt.
Am 15. bei Tagesanbruch stand unser ganzes Heer
in Schlachtordnung; unsere Division hatte ihren Posten
hinter den Arripeten, und jeder erwartete einen heißen,
und allgemeinen Kampf. Die Franzosen hatten 90000
Mann und fast 200 Geschütze. Unsere Division war bei
dem glorreichen Sieg bei Salamanca nicht dabeigewesen
und verlangte sehnlichst nach einer Schlacht, denn die
Leute glaubten natürlich, daß ein glänzendes und erfolg-
262
Digitized by Google
reiches Gefecht, auf weit großartigere Weise und auf
demselben Boden geliefert, ihnen ein Recht geben würde,
von dem Felde von Salamanca mit Soldatenstolz zu
sprechen. Diese Ruh m es eif ersucht, dieser Ehrgeiz ist im
Felde gewöhnlich, und ich brauche kaum hinzuzufügen,
von nicht zu berechnendem Vorteil für Herrscher und
Oberbefehlshaber. Soult hatte jedoch keine Lust zum
Kampfe; er lehnte die Herausforderung ab, manövrierte
zu unserer Rechten und nötigte uns, indem er unsere
Verbindung mit Portugal bedrohte, zum Rückzüge. Es
ist klar, daß Wellington, der vom 8. bis zum 15. all seine
Macht am Tormes zusammenzog, begierig einen allge-
meinen Kampf wünschte und erwartete. Man hat in der
Tat gesagt und es ist wahrscheinlich, daß er, wenn er
Soults Weigerung geahnt hätte, den Kampf zu beginnen,
am Morgen des 15. den Angriff selbst begonnen haben
und kühn gegen die Höhen von Mozarbes angerückt sein
würde. Nicht früher als um 10 Uhr morgens wurde der
Befehl zum Rückzug gegeben, der, hätte er ursprünglich
in Wellingtons Absicht gelegen, ohne Zweifel 6 Stunden
früher angetreten worden wäre.
Gegen 2 Uhr nachmittags machte unsere Kolonne
eine Rechtsschwenkung und gelangte auf die Landstraße
von Ciudad Rodrigo und marschierte nach Agueda. Gegen
Mittag goß der Regen in Strömen und durchnäßte uns
bis auf die Haut, er war aber nicht ohne Nutzen, denn
er verbarg auf wunderbare Weise unsere Bewegungen.
Da wir in unserm Biwak unsere Waffen nur eine
Viertelstunde von uns entfernt zusammengestellt hatten,
waren wir sogleich wieder in Schlachtordnung. Der Feind
machte einen Flintenschuß weit von uns Halt. Die Reiter
waren gegen 2000 Mann stark, alle mit großen weißen
Mänteln bedeckt, was sich sehr schön ausnahm. Es war
gewiß ein Anblick, der bei anderer Gelegenheit wert ge-
wesen wäre, eine Mahlzeit darum stehen zu lassen. Aber
hungrig und erschöpft, wie wir waren, kam uns der Lärm,
den sie verursachten, sehr ungelegen. Sie ließen uns
263
Digitized by Google
ungestört durch das Dort und über die Ebene unsern
Ruckzug nach dem Walde nehmen, wo unsere Division
lag, denn da sie keine Kanonen hatten, würde es ein
gefährliches Unternehmen gewesen sein, gegen ein rüstiges
Bataillon Fußvolk etwas zu wagen. Zur Linken des Dorfes
warfen sie jedoch 6 Schwadronen zurück, hatten ein un-
bedeutendes Sdia ["iiiitzcl mit einigen unserer Reiter, die
hastig aus ihrem Lager sprengten, und zogen sich hierauf
zurück, um für die Nacht Mantilla und die Höhen zu
besetzen.
Am 17. mußten wir in unserm Biwak wegen einer
Kanonade, die sehr entfernt von uns gegen die rechte
Kolonne gerichtet war, zwei Stunden lang, vor Kälte
zitternd, unter den Waffen stehen, worauf wir unsere
Ration kochten und uns in einem Sumpfe, wo uns das
Wasser fast bis an die Knöchel ging, zur Ruhe legten.
An demselben Tage wurde Sir Edward Paget"), unser
zweiter Befehlshaber, gefangen genommen, als er ruhig
in einem Zwischenräume zwischen zwei Divisionen ritt,
von denen die eine hinter ihm marschierte. Einige pol-
nische Lanciers, die, auf Abenteuer ausgehend, durch den
Wald an unserer Flanke herumgeschweift und auf die
Landstraße herabgekommen waren, hatten ihn unbemerkt
durch das Gestrüpp fortgeschleppt.
In der Nacht des 18. hörte der Regen für kurze
Zeit auf, aber eben als wir uns zur Ruhe legen wollten,
wurde jedem Manne eine Hand voll Mais gereicht, den
sie alsbald zwischen zwei großen Steinen zu zerreiben
anfingen und dadurch einen solchen Lärm verursachten,
daß wahrscheinlich niemand im ganzen Lager schlafen
konnte. — Der Verlust unseres Heeres auf diesem Rück-
züge war sehr bedeutend, gaiin ähnlich einer durch einen
4) Henry William Paget, Earl of Uxbridge, Marquis von
Anglesey, englischer General und Staatsmann, 1763—1851. In
Spanien war er Befehlshaber der englischen Reservekavallerie und
unterstütite die Operaii™en dos (.H'ticnls Moerc mit großem Ge-
264
Digitized by Google
allgemeinen Kampf verursachten Niederlage, und wir ver-
dankten es nur der Nachlässigkeit der Franzosen, die
uns nie ernstlich zusetzten, daß er nicht noch größer war.
In der Nacht des 20. wurde unsere Division südlich
von der Sierra de Francia in die OebirgsdÖrfer verteilt,
und wir machten hier auf 8 Tage Halt. Hier wurde
uns auch unser Gepäck ausgeliefert und wir waren unter
Obdach. Am 23. marschierte Hills ganzes Korps nach
der Coria, wo wir bis Mitte Mai in einem kleinen Dorfe
in Winterquartieren lagen.
265
Digitized by Google
5. Kapitel
Übergang über den Duero. Scharmützel bei Hor-
masa. Zerstörung des Schlosses Burgos. Schlacht
bei Vitoria. Gefechte auf den Majahöhen. Meine
Gefangennahme
Der 20. Mai fand uns wieder im Felde am Flusse
des Puerto de Banos biwakierend. Die Sonne schien heiß
auf unsere Zelte im Tale, während unmittelbar über uns
in ungeheurer Höhe die schneeige« und schmutzigen
Felsen der Sierra de Bejar sich erhoben. Wir zogen durch
eine anziehende Gegend nach Salamanca, wo wir am
26. ankamen. Der feindliche Nachtrab, bestehend aus
400 Reitern und 3000 Mann Infanterie mit vier Kanonen,
räumte die Stadt, als wir uns ihr näherten. Wir aber
marschierten nicht in die Stadt, sondern durchwateten
eine halbe Stunde rechts von ihr den Tormes. Die Fran-
zosen feuerten einige Schüsse auf unsere, an der Spitze
befindliche Kavallerie ab, die, nachdem sie den Fluß über-
schritten hatte, sich in Schlachtordnung stellte. Die Fran-
zosen zogen sich darauf eiligst längs dem Tormes nach
Bahila Fuente zurück. Sie wurden von unserer Reiterei
und Artillerie verfolgt, beschossen und stark bedrängt,
wohei sie einen Verlust von 200 Toten und Verwundeten
und ebensoviel Gefangenen erlitten. Wir waren an diesem
Tage mit der Heeresabteilung vereinigt, die unter Wel-
lingtons Befehl marschierte, der bei dem Gefechte mit
dem feindlichen Nachtrabe persönlich zugegen war.
26G
Digitized by Google
Unsere Division lagerte sich an demselben Abend
in einem Walde bei Orbada, ungefähr 8 Stunden von
Salamanca. Hier und in die Umgegend verteilt machte
iler rechte Flügel Halt, während der linke infolge der
geschickten Anordnung Wellingtons auf dem Wege von
Miranda und Carvajales sich dem rechten Flügel des
Feindes näherte. Am 4. Juni waren wir wieder in Be-
wegung und am 5. setzten wir bei Toro ohne Hindernis
über den Duero, denn der Feind war vertrieben und in
Schrecken gesetzt. Er sah sich genötigt, das Ufer des
Flusses ohne Schwertstreich zu verlassen und sich
schleunigst zurückzuziehen, nachdem er die Brücken zer-
stört hatte.
Wir sahen den Feind nicht früher als am 12. Er
hatte sich so geschickt zurückgezogen, daß wir keinen
Plünderern begegnet waren und seit dem Gefecht von
Toro keine Gefangenen gemacht hatten. Unser Marsch
und unsere Bewegungen am 12. waren sehr interessant.
Das Korps des Generals Hill brach um 5 Uhr morgens
von Manzana auf und rückte in zwei Kolonnen vor —
die rechte nach Celada, die linke, bei der ich mich be-
fand, über Juntana nach Homillo. Die Feinde schar-
mützelten tüchtig mit unserer Reiterei bei Hormasa, einem
kleinen Dorfe am Flusse gleichen Namens, und machten
einen kurzen Halt, um den Rückzug der Hauptmacht
ihres Nachzugs zu decken. Dann rückten sie langsam
auf die Anhöhen oberhalb Hornillos, wohin wir ihnen
folgten. Sie bestanden aus vier Schwadronen und drei
Bataillonen. Ihre Infanterie bildete eine Linie auf diesen
Höhen. Als wir an ihrer Flanke hinaufstiegen, zog sie
sich zurück, indem sie ihre Richtung etwas veränderte,
aber immer noch Front gegen uns machte. Als sie end-
lich merkten, daß wir sehr zahlreich waren und tüchtige
Reiterscharen aufzustellen hatten, zogen sie sich in
Karrees zusammen, setzten über den Fluß Arlanzon, ver-
banden sich mit der übrigen Mannschaft des vom Grafen
Reille befehligten Korps, und alle nahmen den Weg nach
267
Digitized by Google
Burgos. Die Troppen bewegten sich sehr schnell und
sicher und machten ihren Rückmarsch in der schönsten
Ordnung angesichts unserer Reiterei und unter dem Feuer
unserer Kanonen, das indes wenig Wirkung hatte.
Unsere Fußkolonnen kehrten ebenfalls zurück und
lagerten sich, nachdem sie starke Feldposten auf den
Höhen zurückgelassen hatten, am Ufer der Hormasa. Eine
dieser Feldwachen befehligte ich. Gegen Abend fing es
stark zu regnen an und goß einige Stunden lang fort.
Wir hatten nichts zu essen, und auf den nackten Höhen
gab es kein Brennholz. Der Morgen brachte jedoch ein
wenig Trost, denn als ich in der Dämmerung mit meinem
Fernrohre das ferne Schloß von Burgos betrachtete, hatte
ich die Freude, es plötzlich in dicken weißen Rauch ein-
gehüllt zu sehen, und der Knall einer furchtbaren Ex-
plosion verkündete mir, daß der Feind es angezündet
hatte und es folglich verlassen würde. In 10 Minuten
folgte eine zweite Explosion, und in ungefähr einer Viertel-
stunde konnte ich deutlich die nackten Trümmer erkennen.
Ein großes französisches Heer sammelte sich jetzt
am Ebro, denn Joseph war mit allen Truppen, die in
Madrid, Segovia usw. gestanden hatten, schnell durch
den Engpaß von Somosierra nach Avanda und Burgos
gerückt und im Begriff, sich uns gegenüber in Schlacht-
ordnung aufzustellen. Obgleich kein Burgos mehr zu
belagern oder zu blockieren war, so war es doch un-
möglich gewesen, den Engpaß von Pancorvo zu bezwingen
und bei Miranda über den Ebro zu setzen. Wellington
rückte ebenso schleunig auf einer unbelebten Straße links
vor, ging darauf bei Puente de Arenas über den Ebro
und marschierte gerade gegen Vitoria, wohin sich der
Feind zurückzog. Unsere Abteilung rückte am Abend
des 13. nach Villarejo.
Um </<3 Uhr am Morgen des 21. betraten wir die
von Miranda nach Vitoria führende Landstraße, und nach-
dem wir durch die kleine Stadt Puebla unter dem Lebe-
hoch der Einwohner und mit klingendem Spiel und
268
Digitized by Google
fliegenden Fahnen marschiert waren, machten wir nach
einer halben Stunde angesichts des französischen Heeres
Haft, das, zum Kampfe bereit, eine sehr feste Stellung
eingenommen hatte. Sein rechter Flügel stand bei der
Stadt Vitoria, das Zentrum hatte das Zadorratal inne,
und sein linker Flügel lehnte sich an die Höhen, die
sich über Puebla erheben.
Mit Ausnahme der sechsten, die in Medina aufge-
halten wurde, waren alle Divisionen des englisch-portu-
giesischen Heeres und alle spanischen Truppen unter dem
Befehl Qirons, Longas und Murillos im Felde gegen-
wärtig. Wir waren nicht weniger als 74000 Mann und
die Franzosen ungefähr 60000 mit einer zahlreichen Ar-
tillerie.
Das Korps des Generals Hill begann den Kampf
und griff den linken Flügel des Feindes an. In dem
Augenblick, wo wir durch Puebla kamen, wurde eine
spanische Brigade unter Murillo auf die Höhen geschickt,
und bald darauf marschierten auch das 71. Regiment,
eine leichte Kompagnie und ein Bataillon portugiesischer
Jäger zur Unterstützung dahin. Diese Truppen hatten
lange, ehe der Kampf allgemein ward, eine harte Arbeit
zu bestehen und erlitten großen Verlust, endlich aber
gelang es ihnen, von den wichtigen Höhen Besitz zu
nehmen, indem sie den Feind vertrieben und zurück-
warfen.
Meine Brigade marschierte gegen das Dorf Subijana
de Alava in der Front der Linie, mit der Absicht, es mit
dem Bajonett anzugreifen. Als wir uns näherten, feuerte
der Feind auf uns aus 14 Geschützen, aber nur mit ge-
ringem Erfolg. Ich konnte nicht annehmen, dafl er auf
einen so wichtigen Posten, wie das Dorf war, ohne Kampf
verzichten würde, und als wir ganz nahe waren, glaubte
ich jeden Augenblick, mit einem mörderischen Kleinge-
wehrfeuer begrüßt zu werden und den Feind hervor-
brechen zu sehen. Ich hatte daher meine Leute vorbe-
reitet, auf einen solchen Angriff zu achten. Im Dorfe
260
Digilized byCoogle
war jedoch keine Seele, nur ein Wald einige Schritte zu
seiner Linken und die Klüfte darüber waren mit leichter
französischer Infanterie angefüllt. Bald war ich mit meiner
Kompagnie zwischen den Klüften in ein lebhaftes Schar-
mützel verwickelt und verlor von 38 Mann etwa 11 Tote
und Verwundete. Die Engländer Scharmützeln nicht so
gut wie die Deutschen oder Franzosen. Unter mir sah
ich zu meinem Schmerze, wie die anderen Regimenter
unter dem Feuer der französischen Regimenter litten.
Es war gegen 2 Uhr, als die 4. leichte Division auf
einer, Nanclares gegen üb erliegen den Brücke über den
Zadorra setzte und kühn gegen das feindliche Zentrum
und die Stadt Arinez vorrückte. Um dieselbe Stunde
eroberte die 3. und 7. Division die Brücke von Puentes,
griff den rechten Flügel des Feindes an und schlug ihn.
Die ganze Zeit hindurch unterhielt die Artillerie auf beiden
Seiten ein mörderisches Feuer; als jedoch dieses er-
schlaffte, schien sich der Feind zum Rückzug vorzube-
reiten und verließ bald in großer Verwirrung Dorf, Höhen
und Stellung, Wir verfolgten ihn rasch, aber mit wenig
Nutzen und machten am Abend in einem Biwak, eine
Stunde von Vitoria, Halt. Hier liefen alle Augenblicke
Nachrichten von dem allgemeinen Erfolge der Schlacht
ein, und wir fanden, daß General Graham mit den unter
seinem Befehle stehenden britischen und spanischen Di-
visionen die Franzosen nach einem harten Gefechte von
Gamarra Mayor und Abejuco vertrieben und von der
Straße nach Bayonne abgeschnitten hatte, und daß sie,
all ihr Gepäck und Geschütz im Stiche lassend, in der
Richtung nach Pamplona geflohen waren. 150 Geschütze,
415 Bombenkisten, ihre Kriegskasse und über 3000 Fuhr-
werke, Lastwagen und Karren, mit Lebensmitteln, Schätzen
und Beute beladen, waren in unsere Hände gefallen. Wir
hatten gegen 5000 Tote und Verwundete verloren, und
der Verlust der Franzosen war nicht viel beträchtlicher.
Ich gestehe, ich war mit dem Erfolge nicht zufrieden
und hatte tüchtigere und weniger hochklingende Vorteile
270
Digitized by Google
erwartet. Es ist wahr, die Eroberung all ihres Geschützes
und Gepäcks war ein glänzender Triumph und würde
in diesen Tagen (1823), wo Generale, um dessen habhaft
zu werden, ein Heer geopfert haben würden mit Staunen
und Bewunderung angesehen werden. Ich für meinen
Teil hätte lieber von großen Verlusten in den feindlichen
Reihen gehört und eine tüchtige Kolonne Oefangener ge-
sehen. Man lachte mich aus und nannte mich unvernünftig,
aber dasselbe Heer, welches seines Geschützes beraubt
und von seinem Gepäck entblößt war und 12 Tage nach
dem Siege nach Frankreich getrieben wurde, fing 18 Tage
darauf die Feindseligkeiten wieder an, überfiel uns in
den Pässen der Pyrenäen, drang bis auf eine Stunde von
Pamplona vor und kämpfte für die Befreiung dieser
Festung. Wenn ich jedoch nach allem überlege, daß
unser Heer in 45 Tagen von Portugal nach den Grenzen
Frankreichs zog, also eine Entfernung von 400 englischen
Meilen zurücklegte, so erkenne ich darin mit Bewunderung
Wellingtons Talent und sollte vielleicht über meine ge-
täuschte Erwartung hinsichtlich des Sieges bei Vitoria
In dieser Schlacht litt ein Regiment von unserer Di-
vision, das 71., sehr stark, indem es 400 Mann und seinen
tapferen Befehlshaber, den achtbaren Oberst Cadogan»),
verlor. Dieser tapfere Offizier, erzählt man, habe, töt-
lich verwundet und seiner Lage sich völlig bewußt, ge-
beten, daß man ihn auf einen erhöhteren Standpunkt
bringe als der war, wo er fiel; damit er dem Kampfe
zuschauen und zum letzten Male sehen könnte, wie unsere
') Der Autor spricht von der Jetztzeit, er meint also das
Erscheinungsjahr der englischen Ausgabe, die im Jahre 1823 er-
') Oberst Henry Cadogan, 1780-1813, befehligte bei Vi-
toria 1813 die 71. Hochländer. Er hatte Befehl, die Höhen über
dem Dorfe Puebla zu stürmen, wo sieh die französische Nachhut
befand. Er war ein allgemein beliebter und von Wellington be-
sonders bevorzugter Offizier.
271
Digitized by Google
siegreichen Truppen vorrückten. Ein solcher Zug von
Patriotismus würde sich in der griechischen oder römi-
schen Geschichte gut ausgenommen haben; so wie er
ist, bleibt er nur eine Kriegs anekdote, die man mit Ver-
gnügen erzählt oder anhört, ohne daß sich Manner, die
Augenzeugen gewesen sind, darüber wundern, wie mit
Wunden bedeckte gemeine Soldaten mit einem Freuden-
rufe verschieden.
Am Morgen des 22. marschierte das Heer vorwärts,
nachdem von jedem Regiments eine Kompagnie mit einem
Hauptmann in Vitoria zurückgelassen worden war. Auch
ich wurde zu diesem unangenehmen Dienste bestimmt.
Auf den Straßen der Stadt war, wie sich denken läßt,
nichts als Lärm und Verwirrung. Hier brachten Karren,
die ohne Unterschied mit französischen, englischen und
portugiesischen Verwundeten angefüllt waren , ihre
stöhnende Ladung in die zu Hospitälern bestimmten
Klöster, dort ritten Offiziere, verwundet und bleich, mit
blutbefleckten, schmutzigen Uniformen langsam ihren
Quartieren zu, während ihre Burschen die Pferde am
Zügel führten und oft ihre zusammensinkenden Herren
aufrichteten , denen jede Bewegung unerträgliche
Schmerzen zu verursachen schien. Da standen einige
Gruppen französischer Gefangener, neugierig aus der
Türe der Kirche schauend, worin sie eingeschlossen
waren. Dort hielten unsere Kommandos in den Straßen,
Befehle erwartend, während lange Züge von den zum
Heeresverpflegungsamte gehörenden Maultieren mit Zwie-
back beladen an uns vorüberzogen, um dem Heere zu
folgen. Zum Tore marschierten spanische Truppen ein,
die die Besatzung von Vitoria bilden sollten, und auf
den Gesichtern der Einwohner drückte sich Überraschung
aus, da ihnen, nachdem sie so lange unter französischer
Herrschaft gestanden, ihre gegenwärtige Lage neu und
ihre Befreiung fast unglaublich schien.
Zwei oder drei Tage lang mußte ich mit meiner
stark vom Kampfe erschöpften Mannschaft die Kanonen
272
Digitized by Google
und Bombenkisten sammeln, die auf den Straßen und
Feldern nördlich von der Stadt zerstreut lagen. Wir
brachten 174 Kanonen zusammen, darunter waren 90 Feld-
stücke, deren Mündung vom kürzlichen Gebrauche ver-
dorben waren. Der Boden war fast eine Meile weit mit
den Trümmern der Wagen, Karren, Kisten und des Ge-
päcks bedeckt, und hier und da waren ganze Felder buch-
stäblich weif} von den dick umhergestreuten Papieren.
Um Oeld oder Kostbarkeiten zu finden, hatten die Sol-
daten alles durchwühlt; sie hatten das Futter der Kutschen
zertrennt und die Polster aufgeschnitten, alle Briefkästen
der verschiedenen militärischen Ämter erbrochen und alle
Papiere, Berichte und amtliche Urkunden zerstreut, die
vielleicht seil Jahren aufgehoben worden waren.
Am 5. Juli brachen die Truppen unserer Division
wieder auf, um sich mit dem Heere zu vereinigen. Mein
Regiment und die Brigade lagen jetzt auf einige Zeit
hinter den Höhen von Maya im Biwak. Ein steiler, be-
schwerlicher Weg von drei Viertelstunden trennte uns
von den Höhen, die wir verteidigen sollten und auf die
wir täglich eine Feldwache von 80 Mann stellten. Un-
gefähr eine halbe Stunde hinter dem Posten lagen die
leichten Kompagnien der Brigade, um die Verbindungen
zu decken und Unterstützung zu leisten.
Am 25. Juli erstürmte und eroberte der Feind mit
großer Übermacht den Paß von Maya, und es herrschte
große Verwirrung an diesem heißen Tage. Es war ein
Überfall und auch kein Überfall. Insofern war es einer,
weil die Truppen, die die rechte Seife dieser Höhen ver-
teidigen sollten, drei Viertelstunden entfernt waren und
nicht schnell genug ankommen und sich ordnen konnten.
Nur ein Regiment kam in der Tat noch beizeiten an,
um auf dem wichtigen Platze zu kämpfen, und dieses
Korps war atemlos vor Anstrengung und mußte gruppen-
weise fechten, als es ankam. Es war aber auch kein
Überfall, weil nie ein Kampf von der Feldwache und
den leichten Kompagnien regelmäßiger geführt wurde,
IS BwMT: SpU. FrOiKKxampI. 273
Digitized by Google
als der vom 25. Juli. Ich selbst werde diesen Tag nicht
so leicht vergessen, denn er führte mich in die Hände
. der Feinde und machte mich der Ehre verlustig, den
britischen Fahnen zu folgen, als sie furchtlos, ja trium-
phierend in den schönsten Provinzen des südlichen Frank-
reichs vordrangen.
Ich frühstückte an diesem Tage in einer hübschen
Laube am Ufer eines Gebirgsflusses. Um 7 Uhr löste
ich die Feldwache auf den Mayahöhen ab und hörte von
ihrem Kapitän, daß er bei Tagesanbruch einen Reitertrupp
und eine Infanterie-Abteilung über eine entfernte Hügel-
fläche hätte ziehen und verschwinden sehen. leb bat ihn,
davon einen besonderen Bericht zu machen, wenn er ins
Lager käme, was er auch tat. Bald darauf kam ein Unter-
generalquartiermeister, ritt eine Strecke vorwärts und
sagte, daß man allerdings gegen anderthalb Stunden weit
im Tale eine Kolonne sehen könnte, daß es indes nur
eine Veränderung des Biwaks oder eine unbedeutende
Bewegung wäre.
Ich dachte anders, und die Folge lehrte, daß ich mich
nicht irrte. Indes wurden die leichten Kompagnien von
diesem Offizier heraufgeschickt, eine Maßregel, die, wie
man sehen wird, schwach und ungenügend war. In
weniger als zwei Stunden waren meine Feldwachen und
die leichten Kompagnien im heißen Kampfe mit dem
feindlichen Vortrabe begriffen, der ganz aus Vottigeur-
kompagnien bestand, die durch keine Tornister belästigt
wurden. Ein ausgewählter Offizier führte sie an. Die
Leute fochten hitzig, aber wir machten ihnen das Terrain
streitig und töteten viele von ihnen. Wir hatten die Stellung
selbst dann noch nicht verlassen — obwohl wir etwas
gewichen waren — , als wir uns mit den eilig heran-
rückenden Truppen des rechten Flügels unserer Brigade,
meines eigenen Regiments, vereinigten.
Die Scharen des Feindes wuchsen jedoch mit jedem
Augenblick und bedeckten die unmittelbar vor uns und
um uns liegende Oegend.
274.
Digitized by Google
Der Kampf, wenn man überhaupt von einem Kampfe
sprechen kann, war jetzt sehr ungleich und, wie sich
denken läßt, kurz und blutig. Ich sah zwei Drittel meiner
Feldwache und viele aus den leichten Kompagnien und
meinem Regimente vernichten. Unter andern braven
Opfern fiel auch unser Qrenadierhauptmann, der mit
Wunden bedeckt war, unser Oberst, ebenfalls schrecklich
verwundet, und viele andere. Ich indes, der ich dieses
Blutbad überlebte, wurde gefangen genommen. Ich ver-
danke die Erhaltung meines Lebens, das mir In diesem
heißen Augenblick gleichgültig war, nur der Dazwischen-
kunft eines französischen Offiziers, der die Musketen der
von ihm angeführten Sektion senken ließ, die bereits zu
meiner Vernichtung angelegt waren und mich sicherlich
dem Tode geweiht hätten, denn ich war nur sechs oder
sieben Schritte von ihnen entfernt. Der wackere Mann
umarmte mich und sagte ungefähr folgendes: „Un
Fran^ais sait respecter les braves." Darauf befahl er einer
Ordonnanz, mich zum Grafen Erlon zu bringen.1)
Die Abteilung, die mich gefangen hatte, bestand aus
dem 8. und 75. Regiment der französischen Linientruppen,
□roßer Gott, welch plötzliche Veränderung! Noch vor
wenigen Minuten hatte ich „vorwärts" gerufen und rufen
hören und jetzt schrie alles um mich: „En avant, en
avant, vive Napoleon, vive l'empereur!" — Ich war mitten
unter den Franzosen, die hastig und ungestüm an mir
vorübereilten. Niemand beschimpfte mich, niemand ver-
suchte, mich zu plündern. In einer Schlucht aber, die
voll schurkisch lauernder Plünderer war, die stets die
Memmen und Räuber eines Heeres sind, wurde ich von
einem Burschen beraubt, der sich mir erbot, freiwillig
den Kampfplatz zu verlassen und mich fortzubringen. Das
Herannahen einiger leicht verwundeter Soldaten, die von
der Front kamen, und eines Sergeanten veranlaßten ihn,
') Jean Baptiste Oral Drouet d'Erlon, franiasischerQenerai,
1765-1844, befehligte 1813 die Armee des Zentrums in Spanien.
18' 275
Digitized by Google
mit seiner Beute davonzulaufen. Der Sergeant führte
mich zum Grafen Erlon, der auf einem naheliegenden
Berge zu Pferde hielt und von einer großen Menge Stabs-
offiziere umgeben war. „Un capitaine anglais, general,"
sagte mein Führer. Der Graf nahm augenblicklich den
Hut ab und redete mich auf die höflichste und schmeichel-
hafteste Weise an. Er stellte nicht die geringsten Fragen,
sondern sprach mit dem größten Lobe von dem tapferen
Widerstande, der ihm geleistet worden wäre.
Es war eine seltsame Szene — überall um mich
französische Gesichter und Uniformen. Zwei Reserve-
kolonnen hielten gleich hinter dem Grafen. Die Fran-
zosen, die ich hier sah, waren nicht entwaffnet und zer-
lumpt, sie zeigten keine mißmutige Miene oder verstellte
unpassende Fröhlichkeit. Ihre Kleidung war fast neu,
ihre Ausrüstung vortrefflich und ihr ganzes Aussehen rein-
lich, rüstig und kriegerisch.
Einer von den Stabsoffizieren des Generals stieg vom
Pferde und bot mir aus seiner Flasche zu trinken an,
was ich indes ablehnte.
Der Feind erlitt großen Verlust; jeden Augenblick
kamen Verwundete vorüber, und auf den Höhen lagen
viele Tote und schwer Verwundete. Auch brachte man
kleine Trupps gefangener Engländer von der linken Seite
der Mayahöhen und vom Nachtrab, wo die unsrigen noch
ohne Beistand tapfer und in zerstreuten Haufen kämpften.
Der Graf schickte mich bald fort und sagte, er habe kein
Pferd für mich, aber die Stadt, wohin er die Gefangenen
beordert hätte, sei nicht weit entfernt. Darauf wandte
er sich an den Sergeanten und befahl ihm, sich gegen
die gefangenen englischen Offiziere — denn es wurden
noch zwei andere gebracht, während ich bei ihm war —
so zu betragen, als er es gegen Franzosen gleichen Ranges
tun würde.
Hinler der Reservckolonne waren alle gefangenen
Engländer versammelt, und ich traf hier einen Waffen-
gefährten, einen Leutnant von unserer leichten Kompagnie,
276
Digitrzed.by Google
der sich an diesem Tage sehr ausgezeichnet hatte und
wenige Minuten nach mir in einer andern Gegend des
Kampfplatzes gefangen genommen wurde. Er war ein
sehr vertrauter Freund von mir, und es schmerzte mich
tief, ihn unter solchen Umständen wiederzusehen.
Unser Trupp brach nun unter einer sehr kleinen
Bedeckung auf, denn da an Flucht nicht zu denken war,
so wurden wir eher geführt als dirigiert. Wir waren im
ganzen 140 Engländer, aber nicht mehr als 40 von einem
einzigen Regimente, und nur 4 Offiziere. Auf unserm
Marsche begegneten wir noch mehr französischen
Truppen, die die enge Gebirgsstraße heraufzogen. Keiner
der Soldaten ließ es sich einfallen, uns zu beleidigen ;
viele Offiziere grüßten uns, obwohl hier und da ein mit
Orden behangener Offizier mit ungeduldiger, strenger
Miene seinen Schnurrbart drehte. Amüsant war es, mit
welcher Schnelligkeit sich ein lügenhaftes Gerücht in den
feindlichen Reihen verbreitete. Einer der übrigen eng-
lischen Offiziere und ich, die man als Bataillonsoffiziere
gefangen nahm, trugen volle Epauletten. Als nun die
ersten Abteilungen der französischen Brigade an uns vor-
überzogen, hörten wir sie sagen : „Deux chefs de ba-
taillon prisonniers," als jedoch der Nachtrab herankam,
riefen sie: „En avant, l'affaire va bien; deux bataillons
pris aux ennemis!" Vergeblich sagte ich: „Je ne suis
que capitaine." Das Geschrei „Vive Napoleon, deux ba-
taillons pris aux ennemis!" dauerte fort.*) —
') Der Verlasser bricht merkwürdigerweise seine Feldzugs-
erinnerungen so kurz ab, daß man annehmen könnte, er habe
das Werk nicht vollendet oder die Absicht gehabt, seine ferneren
Lebensschicksale in einem weiteren Bande folgen zu lassen. Er
hat aber keine weiteren Aufzeichnungen darüber hinterlassen, und
wir müssen uns mit diesem eigentümlichen Schluß begnügen.
277
Digitized by Google
4.
Erinnerungen
aus dem spanischen Feldzug
von
Heinrich von Brandt
Digitized google
Digitized by Google
Vorwort
Der Geschichtschreiber hat zwei Hauptbedingungen
zu erfüllen, aber sehr selten geschieht dies: mit ruhiger
Gleichmäßigkeit Menschen und Dinge zu beurteilen und
ohne Vorurteil, vor allem aber ohne Parteilichkeit die
Ereignisse zu schildern. Beides ist bei dem preußischen
General und Militärschriftsteller Heinrich von Brandt, dem
Verfasser der Kriegserinnerungen, der Fall, aus denen
hier ein Auszug, die Erlebnisse auf der Pyrenäischen Halb-
insel schildernd, vorliegt.
Diese Memoiren besitzen eine seltene Schärfe der Be-
obachtung und haben viel zu dem Urteil beigetragen,
das man jetzt über die Napoleonische Armee und die Ur-
sachen ihrer Niederlagen, hauptsächlich in Spanien, fällt.
Besonders interessant und geistreich ist die Vorführung
der einzelnen leitenden Persönlichkeiten, die Brandt mit
scharfer Kritik zeichnet, sowie seine Beobachtungen über
Sitten und Zustände des spanischen Landes und Volkes,
Klares Denken, Belesenheit und reiche Kriegserfahrung,
das sind die besonderen Merkmale des für die Geschichte
und zur Belehrung so überaus nützlichen deutschen
Memoiren werk es, wie es deren leider bei uns, im Verhält-
nis zu unsern französischen Nachbarn, nur wenige gibt.
In kurzen Worten sei hier die Biographie des Ver-
fassers zusammengefaßt. Heinrich von Brandt kam
1789 in Lakiin In Westpreußen, wo sich seine auf der Reise
befindlichen Eltern vorübergehend aufhielten, zur Welt
Mit 16 Jahren bezog er die Universität zu Königsberg in
281
Digitized by Google
Ostpreußen, um auf Wunsch seines Vaters Rechtsgelehrter
zu werden. Aber die großen politischen Ereignisse der
damaligen Zeit interessierten ihn mehr als die staubigen,
vergilbten Pandekten, und als das Unglück über Preußen
hereinbrach und der König im Jahre 1807 eine Bekannt-
machung erließ, die jedem jungen Manne von Bildung den
Eintritt in die provisorischen Bataillone als Offizier ge-
stattete, da war Heinrich von Brandt einer der ersten, die
sich meldeten. Er trat als Fähnrich (damals die niedrigste
Offizierscharge) in das 2. westpreu Bische provisorische
Bataillon; doch sah er den Kriegsschauplatz in Preußen
nie, da mittlerweile der Frieden von Tilsit geschlossen
worden war. Das Unglück Preußens ging ihm zwar nahe,
doch war er auch von der Größe Napoleons ergriffen; es
schien ihm, „daß er alle Helden Plutarchs überflügelt und
daß selbst Alexander und Cäsar ihm weichen müßten".
Die Schöpfung des Qroßherzogtums Warschau (1807)
erfuhr Heinrich von Brandt aus den Zeitungen. Oleich-
zeitig horte er durch die Briefe der Seinigen von der Lage
der deutschen Bewohner, die nichts weniger als angenehm
war. Denn um die Bewohner zu ängstigen, die noch
Kinder oder Verwandte in Preußen hatten, ward das Räu-
mungsrecht in Anwendung gebracht. Sein Vater riet ihm
daher, den Abschied aus dem preußischen Heere zu
nehmen, was der Sohn ungern tat. Er mußte indes ge-
horchen und reichte sein Abschiedsgesuch mit der Be-
gründung ein, er wolle sich „dem Dienst des neuen
Landesherrn nicht entziehen".
Nachdem er einige Monate ohne Anstellung gewesen
war, erhielt er eines Tages vom Marschall Davout, dem.
Gouverneur von Warschau, den Befehl, als Unterleutnant
in die ii engt bildete Weichs eil cgi on einzutreten. Mit diesem
Regiment machte er von 1808 bis zum Frühjahr 1812 den
Feldzug in Spanien mit und begab sich dann, ebenfalls mit
der Weichs ellegion, nach Rußland. Auf dem verhängnis-
vollen Rückzüge des französischen Heeres würde Brandt
schwer verwundet, von den Russen gefangen genommen,
282
Digitized by Google
und nach Moskau gebracht. Nach seiner Heilung wurde
er als nissischer Untertan <ler polnischen Armee einver-
leibt, in der er bis zur Rückgabe seiner Heimat an Preußen,
1815, blieb.
Darauf ward der nunmehrige Hauptmann als Lehrer
in das Kadettenkorps und die allgemeine Kriegsschule
nach Berlin berufen und 1829 zum Major im Oeneralstab
ernannt. Seine Beförderungen gingen nun rasch vorwärts,
und 1857 nahm er, nachdem er viele Ehrenämter bekleidet
hatte, als General der Infanterie den Abschied, um sich
ganz der Militär schrittst ellerei, die er schon in früheren
Zeiten gepflegt hatte, zu widmen. Er wirkte auf diesem
Gebiete noch ein Jahrzehnt und starb am 23. Januar 1868
in Berlin.
Seine Erinnerungen gab sein Sohn, der Major Hein-
rich von Brandt, kurz nach dem Tode des Vaters, 1869
in zwei Bänden heraus; die zweite Auflage erschien 1870;
1882 folgte noch ein dritter Band. Auszüge aus den Feld-
zügen in Spanien und Rußland wurden vom Baron Ernouf
im Jahre 1877 ins Französische übersetzt.
Die Schreibweise Brandts ist teilweise mit veralteten
und französischen Ausdrücken angefüllt, die sehr gut durch
bessere, deutsche, ersetzt werden konnten, ohne der Ori-
ginalität des Buches zu schaden. Ich habe dies in sehr
vorsichtiger und beschränkter Weise getan und hoffe so
zur Erleichterung der Lektüre des interessanten Werkes
beigetragen zu haben.
F. M. K.
283
Digitized by Gpogle
1. Kapitel
Ankunft der Armee in Spanien. Schlacht vonjTudela
1808. Zweite Belagerung von Zaragoza 1808—1809
Unsere Ankunft in Pamplona fiel gerade in die Pe-
riode der großen Operationen, welche Napoleon gegen
die spanische Armee vorbereitete. Die Armeen von Estre-
madura und Galicien waren bereits vernichtet. Marschall
Lannes war von Burgos aus entsandt worden, um einen
Schlag gegen die Armeen von Andalusien und Aragonien
unter Castaüos und Don Jose Palafox1), die am Ebro
standen, zu führen. Die beiden spanischen Generale waren
voller Siegeszuversicht vorgerückt. Ihr Plan war, den
Feind von allen Seiten zu umgarnen und gänzlich zu ver-
nichten. Sie hatten Tudela bereits erreicht, aber in einer
gewissen Selbstsucht, welche man oft in ähnlichen Fällen
findet, es verschmäht, ihre Armeen zu vereinigen. Lannes,
beauftragt, gegen sie zu marschieren, hatte das 3. Korps
unter Marschall Mo ncey, die Division Lagrange des6.Korps
und einige Brigaden Kavallerie zusammengezogen. Wir
waren mit mehreren anderen Truppenteilen über Tafalla,
Olite, Peralta auf Milagro dirigiert worden, wo wir unseren
Regimentern einverleibt wurden. Nach nur kurzer Rast
wurde nach Lodosa marschiert, in dessen Nähe das ganze
Korps vereinigt war. Mein Regiment kam zur ersten
J) Siehe Anmerkung 12 des 1. Berichts und Anmerkung 10 des
2. Berichts.
284
Digitized by Google
Brigade (Habert) der ersten Division (Grandjean) des
3. Korps.
Unser Marsch war zu eilig, um Betrachtungen zu
gestatten. Zwischen Pamplona und Tafalla berührten wir
den Schauplatz der Taten der beiden Minas'), den später
so berühmt gewordenen Wald von Tafalla, welchen die
Franzosen endlich ganz niederhieben, um den Spaniern
die Gelegenheit zu Hinterhalten zu entziehen. Der Mar-
schall Lannes hatte am 21. November seine Truppen von
Lodosa auf Calahorra und Alfaro in Bewegung gesetzt,
während Marschall Ney mit seinem, dem 6. Korps, dem
Feinde den Rückzug auf Madrid abschneiden sollte, wenn
Lannes gesiegt haben würde. Der Letztgenannte, der am
23. November schon lange vor Tagesanbruch die Kolonnen
von ihren Biwaks in Bewegung gesetzt, rekognoszierte
an der Spitze der von den Spaniern gefürchtefen polnischen
Ulanen den Feind. Obwohl leidend, sprengte er rüstig
vor dieser unübertrefflichen Truppe einher. Er fand den
General O'Neil mit der Armee von Aragonien auf den
Höhen von Tudcla, während Castanos mit der Armee von
Andalusien über eine Meile davon bei Tarazona und Cas-
') Francisco Espol y Mina und Xavier Mina, Onkel und
Neffe. Ersterer, geboren 1784, gestorben 1835, war Oberbefehls-
haber der Armee von CatiLontai. Die militärische Kameic tiL-tr;it
er eigentlich durch einen Zufall, Sein Neffe, Xavier Mina, geboren
1739, erschossen 1817, der mit 19 Jahren das Studium in Logrono
aufgab, um ein Guerillaheer zu organisieren, fühlte bald, daß er
dieser Aufgabe nicht gewachsen war und rief seinen Onkel zu sich.
Bald darauf wurde Xavier gefangen genommen und Francisco ver-
trat ihn als Führer der Guerillas. Von da an datiert sein mili-
tärischer Ruhm. Die Art des Krieges, auf den er sich zuerst be-
schränkte, bestand darin, die Straße von Bayonne bis Madrid
scharf zu beobachten; er ließ in der Tat kein Detachement, keinen
Transport vorüber, ohne ihn anzugreifen und führte dabei be-
deutende Unternehmungen aus. Ebenso fügte sein kühner Neffe
den Franzosen viel Schaden zu, besonders verbreitete er in der
Provinz Navarra Schrecken unter den Feinden, weniger durch
Waffentaten, als durch Grausamkeiten, die sich seine Leute zu-
schulden kommen tieften.
285
Digitized by Google
cantc stand. Der Marschall erkannte alsbald, daß es ihm
möglich sein würde, die eine und die andere Armee zu
schlagen, ohne daß sie einander zu Hilfe kommen könnten.
Er warf sich daher mit der Division Maurice Mathieu und
der Brigade Habert auf Palafox, sprengte dessen Zentrum
und ließ durch diene Lücke die Kavalleriedivision Lcfebvre-
Desnourttrs dringt n, ilrn rechlen Hügel des spanischen
Generals attackieren, uml nötigte die heroischen Sieger
von Zaragoza, wie die Spanier die Arationier nannlen,
zur schleunigsten Flucht. D.inn führte der Marschall eint
Frontveräiidcrune .ius. um sich auf Castanos zu werfen.
Dieser aber tvarlrtr ilcn Angriff nicht ah, sondern zog sich
SLhlfump.1 /urüik, worüber er späler von der Junta des
Verrats angeklagt ward. Nur eine spanische Division, die
von La Pena, die bei Bailen eine Rolle gespielt, kam zum
Kampf, wt'^ei sie stark litt und gänzlich zersprengt ward.
Der Bericht gab an, daß der Feind 4000 Tote und im
Ebro Ertränkte, 30 angespannte Geschütze mit den dazu-
gehörigen Muiiitionswagen und viele Gefangene verloren
habe. Unser Verlust soll nur 40 Tote und ein halbes
Tausend Verwundete betrafen haben. Man folgte dem
Feinde bis Alagon, von wo man sich aber wegen Mangel
an Lebensmitteln wieder zurückziehen mußte. Der Weg
bis dahin war mit Leichen bedeckt, welche die Luft noch
wochenlang verpesteten, weil niemand daran dachte, die-
selben zu begraben. Es waren größtenteils unmontierte
Freiwillige, denen die verfolgende Reiterei keinen Pardon
gegeben.
Die Schlacht hatte, alle Gefechte mit den verschie-
denen Abteilungen eingerechnet, ziemlich vom Morgen
bis zum Abend gedauert, ohne daß jedoch die einzelnen
Truppenteile länger als ein bis zwei Stunden im Feuer
gewesen waren. Die Brigade Habert, bei der mein Re-
giment stand, die mit der Division Maurice Mathieu die
Höhen von Tudela angriff, halte schon auf eine unglaub-
liche Entfernung, als die Kolonnen noch in Marschordnung
waren, einige Verwundete. Später jedoch, als man die
286
Digitized by Google
vereinigten Voltigeure vorzog und diese durch Angriffs-
kolonnen unterstützen ließ, blieb das hintere Treffen, in
dem mein Bataillon sieh befand, so außer Berührung mit
dem Feinde, dal! nur der Kanonendonner und ab und zu
eine Kugel, welche über Jie Köpfe hinsauste, bemerken
ließ, daß auch wir uns aui einem Schlachtfelde befänden.
Die Spanier machten zwar, vom Terrain unterstützt, ab
und zu Versuche, sich wieder zu formieren ; in dem Oliven-
walde von Tudela selbst kam es zu einem lebhaften Ti-
railleurgefecht, aber im allgemeinen war die Haltung des
Feindes so erschüttert, daß die Vortruppen überall hin-
reichten, die Entscheidung herbeizuführen. Das 3. Korps
(Moncey) verfolgte die flüchtigen Aragonier auf der Strafte
von Zaragoza, die Truppen von Andalusien wurden auf die
Straße von Borj'a und Calatayud geworfen, doch kein Ney
war da, um sie in Empfang zu nehmen, worüber im Lager
viel gesprochen wurde. Das Hauptresultat der Schlacht
war, daß etwa 28000 Franzosen eine spanische Armee
von 40000 Mann, stolz auf die Ereignisse von Zaragoza
und Baden, ohne sonderliche Anstrengung in Zeit von
einigen Stunden gänzlich aus dem Felde geschlagen und
auseinandergesprengt hatten. Die Einleitung der Schlacht
und diese selbst waren so schnell und überraschend, daß
mir von der ganzen Sache nur eine flüchtige Erinnerung
geblieben.
Ich war zur Kompagnie eines Kapitäns Matkowski
gekommen, der ein wackerer, braver Mann war und sich
meiner freundlichst annahm. Selbst literarisch gebildet und
unterrichtet — er hatte früher in Krakau studiert — , wäre
mir sein Umgang gewiß sehr nützlich geworden, aber
leider sollte er uns nur zu bald entrissen werden.
Wir hatten durch den weiten Marsch eine gewisse
Kriegs brauch barkeit erlangt, und so hatte man sich nicht
gescheut, uns den verschiedenen Regimentern, ich möchte
sagen noch während des Marsches zur Schlacht, einzuver-
leiben. Die Organisation des französischen Nachschub-
systems war überhaupt so gut, daß man den Ersatz un-
287
Digitized by Google
mittelbar nach seiner Ein rangierung kaum von den alten
Soldaten zu unterscheiden wußte. Er hatte von den älteren
Mannschaften vielleicht noch den Vorzug, dienstbeflissener
als diese zu sein. Der Geist in den Regimentern der Legion
war ein echt kriegerischer und ward durch die strenge
Mannszucht, welche der Oberst Chlupicki1) aufrecht zu
erhalten wußte, noch gehoben.
Die ersten Flüchtlinge vom Schlachtfclde waren schon
1 Stunden nach der Schladil in Zaragoza angekommen
und hatten diese IS spanischen Leguas also beflügelten
Schrittes zurückgelegt. Der Schrecken über die erlittene
Niederlage war um so großer, als sie den Spaniern gegen
alle Erwartung gekommen. Viele ßrwcjhner der Um-
gegend, die sah den Franzosen feindlich bewiesen, eilten
Sicherheit in Zaragoza zu suchen, und es sollen sich in
den ersten Tagen nach der Katastrophe über 100000
Menschen, unter denen besonders viele Frauen und Kinder,
daselbst befunden haben. Hätte man von Alagon, das wir
am 27. erreichten, unsern Marsch auf Zaragoza fortgesetzt,
so wäre unter den ersten Eindrücken des Schreckens
ein Abkommen mit Palafox möglich gewesen ; indes Mar-
schall Lünnes, die Seele des Unternehmens, erkrankte
heftig, mußte das Oberkommando abgeben, und Moncey
kehrte mit seinen Truppen — aus Mangel an Lebens-
mitteln, wie es hieß — zurück, während Ney, voller Be-
sorgnis, auf Castanos zu stoßen, in Borja Halt machte.
Den 30. endlich, nachdem der Kaiser seine Marschälle
wiederholt energisch zum Vorgehen aufgefordert, er-
schienen diese vor Zaragoza.') Als die Truppen der Stadt
ansichtig wurden, brachen sie in ein lautes Freudengeschrei
aus. Die Schlacht von Tudela und die eilige Flucht der
Spanier hatte ihnen den Mut, welchen die früheren Er-
*) Joseph Chlopicki, polnischer General, 1771—1854, kämpfte
von 1808—1811 in Spanien unter Napoleon.
») Dies war die zweite Belagerung von Zaragoza, vom 21. De-
zember 1808 bis 21. Februar 1809; die erste hatte vom Juni bis
August 1808 stattgefunden.
288
Digitized by Google
eignisse sehr niedergeschlagen, wiedergegeben, und das
treffliche Betragen der Division Lagrange und der Ka-
vallerie, die aus alten, erprobten Soldaten bestanden, hatte
sichtlich belebend auf den Geist des 3. Korps eingewirkt.
Man war voller Siegeshoffnung. Als daher, statt frisch an
die Arbeit zu gehen, bald darauf wieder der Rückzug nach
Alagon angetreten wurde, äußerte sich eine allgemeine
Unzufriedenheit. Ney hatte nämlich unmittelbar nach
seinem Eintreffen von Zaragoza auf der Straße von Madrid
den Befehl erhalten, die Zerstreuung des Korps von Ca-
stahos zu vollenden, und kehrte demgemäß nach Cala-
tayud, von wo er gekommen, zurück. Moncey, der sich
schon des Monte Torrero bemächtigt hatte, ging, da er
sich nach Neys Abmarsch für zu schwach hielt etwas zu
unternehmen, wieder auf Alagon zurück, wo die Truppen
biwakierten oder in den benachbarten Ortschaften küm-
merlich untergebracht wurden. Mein Bataillon stand in
Mallen in einem Kloster, von wo abwechselnd Detache-
ments zum Vorpostendienst und anderweitige Kommandos
abgegeben wurden. Von den Entbehrungen, denen die
Truppen hier ausgesetzt waren, kann man sich kaum
einen Begriff machen. Es war empfindlich kalt; entweder
wehte ein kalter, scharfer Wind, der Land und Menschen
erstarrte und austrocknete, oder es regnete in Strömen.
Die ganze Landschaft von Lodosa bis Zaragoza war
mit Ausnahme Tudelas gänzlich ausgeplündert. Fenster-
läden, Türen und das Hausgerät waren verbrannt; einzeln
stehende Häuser waren niedergerissen, und wo die
Truppen länger verweilt, hatte man die Oliven Pflanzungen
zur Feuerung verbraucht. Die Einwohner waren meistens
entflohen. In diesen ruinenartigen Oebäuden wohnten wir
und lagerten auf dem bloßen Fußboden oder auf notdürftig
ausgeschlagenem, halb gebrochenem Hanf. Von Stroh
war, da die Spanier nach Art der Mauren das Getreide ge-
winnen, keine Rede. Wer hier und dort vielleicht eine
alte wollene Matratze erwischte, ward als besonders be-
günstigt angesehen. Ebenso schlecht war die Verpflegung.
19 BuMT. Spin, Prtihtmkis.pf. 289
Digitized by Google
Gewöhnlich waren die Brotportionen nicht ausreichend
und wurden unregelmäßig geliefert, zu 1 bis 2, mitunter
auch 3 Pfund. Fleisch erhielt man alle Tage, d. h.. etwa
30 Mann einen bereits geschlachteten Hammel, dessen
innere Teile ganzlich lehlten ; dafür aber war er innen und
außen oft mit einem grünen Schimmel überzogen. Ab und
zu wurden weiße Bohnen und Reis geliefert. Wein war
anfangs im Überflusse da, ebenso öl, aber bei der Unord-
nung in allen Zweigen der Verwaltung gingen auch diese
Artikel bald aus, und man war froh, wenn man später
für Geld eine Flasche schlechten Wein erhalten konnte.
Dabei war der Dienst im höchsten Grade angreifend. Die
Truppen, die nicht anderweitig bi^ctiiifiigt waren, standen
oft die Nächte hindurch unter den Waffen. Regelmäßig
traten gegen Abend einige Kompagnien unters Gewehr,
und um 3 und 4 Uhr morgens wurde dies auf die ganze
Armee ausgedehnt. Die Waffen wurden dann nicht eher
aus der Hand gelegt, bis die immer sehr starken Patrouillen
zurückgekehrt waren. Die Zeit zum Abkochen war spär-
lich bemessen. Unsere Soldaten ertrugen dies leidlich, die
neueren französischen Regimenter aber, aus denen das
Korps größtenteils bestand, hatten viele Kranke.
U ahrrnd wir io im Lager und in den Kantonnement*
d:r Tage verlebten, wurde der nötige Bclagerungspark zu-
sammengebracht. Das 5. Korps unter .Marschall Monier
(Ifv'/og v.in Treviso), das in Spanien eingerückt war,
hatte din Htlchl erhalten. si-!i auf Zaragoza zu dirigieren.
Den l'l Dr/vmtifr br.uli die gar./e Armee gegen Zaragoza
auf, iie ging zu hfidcn Seiten des T.bro und des Kaiser-
kanals m mehreren Kolonnen vor. und nur einige tausend
.Mann blichen auf der StnV von Tudela zurück, uin die
lazarettc, Magazine und Verbindungen i\i decken. Den
20. Dezember nachmittags waren uir wieder angesichts der
Stadt. Die Soldaten aber, durch die verschollenen vorher-
gehenden Uuik/ugi «tut/ig gemacht, heben diesmal keinen
Jtihel crsclialli n. man hörte im (irgeiueil hier und dort die
Ansieht laut weiden, dali mar. morgen wohl wieder zurück-
290
Digitized by Google
kehren werde. Aber man sollte bald sehen, daß es diesmal
mit der Sache Ernst war. In der Nacht selbst hatte Mar-
schall Moneey den Angriff auf den Monte Torrero vorbe-
reitet. Nachdem einige Batterien am 21. früh das dort er-
richtete Fori Buena Vista eine Zeitlang beschossen, ging
die Division Grandjean zum Sturm vor. Die erste Brigade
unter General Habert umging die Stellung, während die
zweite einen Scheinangriff auf die Front machen sollte.
Die erstere, bei der auch unser Regiment stand, kam hier
an einen gewölbten Gang, den Baranco de la Muerte
(Schlucht des Todes), über den der Kanal von Tudela fuhrt
und den die Spanier verbarrikadiert Lind ;ui seinem Aus-
gang stark besetzt hatten. Die französischen Voltigeure
des 14. Regiments schössen, um die Besatzung zu verjagen,
ohne sich sehen zu lassen, schräg in die Wölbungen, und
da die Kugeln ebenso wieder abprallten, so wurde der
Feind, der dies Feuer nicht erwidern konnte, vertrieben
und verließ den Posten. Herr dieser Passage, drang der
Genera! Habert auf dem linken Ufer der Huerba vor und
stellte sich zwischen Monte Torrero und Zaragoza selbst
auf. Der Feind, hierdurch für seinen Rückzug besorgt
gemacht, verließ Buena Vista mit Zurücklassung einiger
Geschütze. Auch fiel eine Fahne vom Regimente Murcia
in unsere Hände. Im Zentrum nahm die Division Morlot
den Brückenkopf der grollen Schleuse. Um II Uhr war
man Herr der ganzen Position von Monte Torrero, welche
die Besatzung bis aufs äußerste zu verteidigen versprochen
hatte. Unser Verlust soll aus etwa 20 Toten und einigen
50 Verwundeten bestanden haben.
Abends verbreitete sich in den Biwaks die Nachricht,
daß der Angriff auf die Vorstadt zun'icks-esdilagcn worden
sei und die Franzosen dabei viele Leute verloren haben
sollten. Diese Kunde machte einen um so schlimmeren
Eindruck, als man wußte, daß die Division Gazan aus
lauter Kerntruppen bestand. Auch sprach man davon, daß
es durch das nicht zeitgemäße Eintreffen der Division
Suchet auf dem ihr bestimmten Punkte der Garnison
19* 291
Digitized by Google
von Monte Torrero ermöglicht worden sei, sich zurück-
zuziehen.
Später abends ward die Division Grandjean auf der
Straße von Valencia etabliert und hatte ihre äußersten
Wachen am Ebro selbst. Sie stand mit der Division Mus-
nier, die Monte Torrero und Umgegend besetzt hielt, in
Verbindung. Die Division Morlot hatte ihre Stellung zu
beiden Seiten der Straße von Madrid und lehnte sich an
die Division von Suchet, deren Posten bis an den Ebro
standen, so daß auf diesem Ufer Zaragoza vollkommen
eingeschlossen war. Das Hauptquartier des Marschalls
kam nach der Karthause la Concepcion, etwa eine Meile
von der Stadt, auf der Straße von Valencia. Der Rücken
der Belagerer war durch Kavallerie, die man meilenweit
vorgeschoben hatte, gedeckt.
Den 22. ward ein Parlamentär nach der Stadt ge-
schickt, und man erzählte sich, daß Palafox alle Anträge
stolz zurückgewiesen. — Während dieser Vorbereitungen
schoß man sich tüchtig herum. Die benachbarten Bauern
kamen in hellen Haufen zu jeder Tageszeit von allen
Seiten heran und unterhielten ein lebhaftes Feuer, be-
sonders um San Jose, während die Bewohner der Stadt
die Olivenbäume vor der ganzen Front, vom Ebro bis zum
genannten Kloster hin, abzuhauen bemüht waren. Auf
Monte Torrero richtete der Feind ein starkes Feuer aus
Von diesem Zeitpunkt der Belagerung hörte die Ver-
bindung unter den verschiedenen Lagern fast auf, man
hörte nur ab und zu voneinander; vom andern Ufer erfuhr
man fast nichts mehr. Alle Truppen waren auf einen ganz
bestimmten Wirkungskreis, den vor sich, angewiesen. Nur
wenn man beim Patrouillieren auf Kameraden der anderen
Divisionen stieß, konnte man sich begrüßen und Nach-
richten austauschen. Freilich hatten wir auch mit uns über-
reich zu tun. Der Anfang der Belagerung hatte nach der
202
Digirized by Google
Versicherung alter Offiziere insofern etwas Eigentümliches,
als der Oiivenwald, in dem Zaragoza lag und der nur
stellenweise bis auf Flintenschuß weite von den Werken
gelichtet war, erst von den Feinden gesäubert werden
mußte. Diese aber erschienen immer sehr zahlreich, lösten
sich häufig ab und ließen unsern Soldaten keinen Augen-
blick Ruhe. Unser Regiment verdankte es einem beson-
deren Umstände, daß es dem Feinde nicht allein das
Gleichgewicht halten, sondern sich ihm auch bald über-
legen zeigen konnte. Es gab nämlich eine Menge Leute
aus dem ehemaligen Neuostpreußen, aus den Brüchen des
Narew, die vortrefflich mit dem Gewehr umzugehen ver-
standen. Da mehrere der erschossenen Spanier bedeutende
Summen bei sich hatten, so fanden diese Schützen bald so
viel Vergnügen an dieser Menschenjagd, daß sie darin
eine wahre Meisterschaft erlangten und unsere Front ziem-
lich frei von den Insulten der aragonischen Bauern hielten.
Übrigens war der Dienst unglaublich anstrengend. Zu den
Belage rungs arbeiten allerart waren viel Menschen erforder-
lich; das Einrichten der Lagerplätze nahm gleichfalls
die Leute in Anspruch; hierzu kam der U/achtdien st, die
täglichen Rekognoszierungen — man kann sich also
denken, wie angespannt wir waren.
Den 24. abends wurde ich zum Oberst beschieden.
„Ich habe den Befehl erhalten," sagte er zu mir, „einen
Offizier nach Alagon zu schicken, um dort alle zurück-
gebliebenen Soldaten der Legion zu sammeln, diese in ein
Detachement zu formieren und dies zur Disposition des
Kommandanten dort zu stellen. Gelegentlich soll es mit
den ersten Transporten von Lebensmitteln wieder zurück-
kehren. Sie werden dort zugleich eine Zufuhr von Be-
kleidungsstücken aus Pampig na erwarten und diese zur
Ablieferung hierbei in Empfang nehmen. Sie nehmen von
hier niemanden als Ihre Ordonanz mit und schließen sich
einem Detachement des 14. Regiments, das morgen früh
nach Alagon geht, an. Ich hoffe, Sie entledigen sich Ihres
Auftrages zu meiner Zufriedenheit. — Melden Sie sich bei
293
Digitized by Google
Ihrem Vorgesetzten und reisen Sie glücklich — hoffentlich
sehen wir uns bald wieder."
Ich kann wohl sagen, daß mir dieser Auftrag sehr
unangenehm war. Der Ad jutanf major, dem ich meine An-
sicht hierüber mitteilte, sagte mir aber, dafi dieser Dienst
zu den Kommandos de fati^ut- gehöre, welche reglements-
mäßig von unten anfingen, und daß ich als jüngster Offizier
des Regiments mich daher schon fügen müsse.
Am 19. Januar 1809 langte ich im Lager wieder an
und ward freundlich empfangen. Einige Kameraden
nahmen mich in ihre Hütte auf und teilten ihre Vorräte,
die eine längere, gereiftere Erfahrung sie hatte sammeln
lassen, mit mir. Sozusagen unter dem Feuer der Festung
gelagert, hatte man sich, so gut es ging, eingerichtet. Die
höheren Offiziere waren in den Trümmern niedergeschos-
sener Garten- und Winzerh.Huser untergebracht. Offiziere
und Soldaten lagerten in Erdhütten, nach Bedürfnis größer
und kleiner. Es waren vier Fuß tiefe, längliche Erdlöcher,
die man flach überdacht und mit Baumzweigen eingedeckt
hatte. Später wurden aus der Stadt Bretter und Bänke
herausgeschleppt, so daß es behaglicher bei uns aussah.
Regnete es jedoch, so lagen wir wie in einem Pfuhle, und
es bedurfte längerer Zeit und Umdeckungen, um einiger-
maßen der Feuchtigkeit wieder Herr zu werden. Mit der
Verpflegung war es wie früher. Sie ward jedoch dadurch
erleichtert, daß eine Menge Menschen aus den franzö-
sischen Baskenprovinzen mit Lebensmitteln herbeigeströmt
waren, von denen man alles kaufen konnte. Der Dienst
war noch immer sehr beschwerlich, mit unwesentlichen
Veränderungen so, wie ich ihn früher geschildert habe.
In der Nacht vom 21. zum 22. Januar kam ich in die
Tranchec auf Wache. Wir rückten mit der Reveille aus
und wurden durch den daselbst kommandierenden Major
verteilt. Ordonnanzen von den verschiedenen Regimentern
führten die neuen Wachen auf ihre Plätze. Wenngleich
ich schon oft bei Tage mit meinen Kameraden in der
Tranchee gewesen war, so konnte ich mich dennoch nicht
294
Digitized by Google
zurechtfinden. Ich hatte 25 Leute von meinem Bataillon
bei mir. Rechts neben mir stand ein französischer Posten
von 20 Mann, unter einem allen Sergeanten vom 14. Re-
giment. Der gute Mann kam, unmittelbar nachdem wir
die Wache bezogen, zu mir, um, wie er sagte, die Ver-
bindung zu unterhalten. Er lud mich ein, ihn zu begleiten,
um mich zu orientieren, und da er mir wohl ansehen
mochte, daß meine Weisheit in diesen Dingen nicht weit
her war, so übernahm er bald die Rolle eines, ich darf
wohl sagen sehr verständigen Mentors.
Bei Tage war der Dienst in den Laufgräben eigentlich
interessant. Es kamen alle Augenblicke Offiziere von
hohem Rang: General Dedon6), der die Artillerie kom-
mandierte, General Lacoste1) vom Geniekorps, der General
der Trancheen, Habert'), und viele andere. Gegen Abend
wurde das Feuer stärker. Nachts hatte man links von San
Jose, nach der Huerba zu, einen Abstieg gemacht, um über
dies Flüßchen einen Übergang zu gewinnen. Das Gehen
und Kommen der Arbeiter und ihr Anstellen führte mannig-
faches Geräusch herbei und veranlaßte den Feind, zu
feuem. Doch die dunkle Nacht und der ziemlich starke
Regen begünstigte uns, und wir hatten, trotz der Nähe
der Stadtmauern, fast gar keine Verluste.
Gegen Morgen fing das Feuer an, von Santa Engraria,
d. h. von unserer Linken her, stärker zu werden, und es
') Franfois Louis Ded on- Duelos, franzosischer Divisions-
general,. 1762-1830.
E) Graf Lacoste, Brigadegeneral des Geniekorps undAdjutant
Napoleons, war bei Zaragoza mit der Direktion der Bc lagern ngs-
arbeiten beauftragt, wollt i er jjrclie Kiiti;:!:iit ai: 'wickelte. Am Tage
vor der Obergabe wurde er von einer Kugel in den Laufgräben
getötet
') Pierre Joseph, Baron Habert, 1773-1825, französischer
Genera), befehligte im 3. Korps der Armee von Catalonien und
Aragonien, aber obwohl er nur Brigadcgencral war, führte er fast
immer eine Division an. Bei Zaragoza befehligte er verschiedene
Stürme mit Erfolg und bemächtigte sich im.li Einschließung der
Stadt des Monte Torrero durch tir. ^ujiVronii'iLilich kühnes Manöver,
wobei ihm drei Kanonen in die Hände fielen.
295
Digilized by Google
gab mehrere Verwundete unter unseren Arbeitern, wäh-
rend meine Wache keinen Mann verlor, wenngleich
mehrere Standsäcke von den Kanonenkugeln weggerissen
wurden und die Flintenkugeln gar tüchtig über uns weg-
pfiffen.
Mein alter Sergeant und Nachbar besuchte mich, noch
ehe wir ins Lager zurückgingen, und riet mir, einige Stellen
der Laufgräben, welche er mir näher bezeichnete, mit
Vorsicht zu passieren, da sie nicht gut defiliert wären.
Ich folgte dem Rate meines Mentors und fuhr gut dabei,
denn an einer dieser Stellen wurde später ein Offizier,
der unvorsichtig gewesen war, erschossen.
Den 23. ward ich zur Reserve kommandiert. Das Ba-
taillon, bei dem ich stand, mußte 24 Stunden in Bereit-
schaft bleiben und durfte nicht abhängen. Im Lager selbst
herrschte Unruhe und Besorgnis. Man sprach davon, daß
die Belagerung wohl wieder aufgehoben werden könnte.
Die Armeen von Valencia und Catalonien, hieß es, hätten
sich vereinigt und seien im Marsch auf Zaragoza, abends
verb rettete sich jedoch die Nachricht, Marschall Lannes sei
angekommen und werde das Kommando übernehmen. Das
gab den Franzosen irischen Mut, und sie versicherten,
daß die Dinge bald eine andere Wendung nehmen würden.
Bis jetzt, hieß es, lütten das 3. und 5. Korps jedes in
seinem eigenen Interesse gehandelt, das 5. hätte sich damit
begnügt, den Brückenkopf zu blockieren und sich sonst
wenig um die Belagerung gekümmert, deren ganze Last
auf dem schwachen 3. Korps gelegen.
Gegen Abend hörte man von allen unseren Batterien
ein lebhaftes Feuer, und wir erfuhren, daß dies zu Ehren
eines Sieges geschehe, den der Marschall Victor über den
Herzog von Infantado bei Ueles davongetragen.8) Diese
Nachricht trieb eine Menge von Offizieren in die Tran-
cheen, sei es, um zu sehen, was die Spanier tun würden,
sei es, um etwas Näheres über das Gefecht zu hören.
*) Vergleiche Anmerkung 22 des 2. Berichts.
206
Digitized by Google
Als ich mich einer Gruppe näherte, gewahrte ich
den General Lacoste im Gespräch mit einem mir unbe-
kannten Manne in grünem Überrock mit goldenen Knöpfen,
ohne Degen. Beide hatten Fernrohre und schienen sich
genau die Stadt anzusehen.
Aus der ehrerbietigen Stille, die man beobachtete,
folgerte ich, daß der Fremde der Marschall Laiines sei,
den ich bei Tudela nur flüchtig, in einen Mantel gehüllt,
galoppieren gesehen hatte. Ich hatte mich nicht geirrt.
Die ernsten Züge des noch jungen Marschalls machten
einen lebhaften Eindruck auf mich — ein Haarzopf, wie
ihn die Chasseurs de la garde trugen, gab ihm einen eigen-
tümlichen Anstrich. Nachdem er längere Zeit einiges mit
dem General Lacoste gesprochen, was wir nicht hören
konnten, sagte er verständlich, da ein heftiges Kanonen-
und Gewehrfeuer von den Spaniern auf der ganzen Front
eröffnet worden war, mit lauter Stimme: „Ons'estapercu
de nous, allons nous en", worauf er durch die sich ehr-
erbietig öffnende Gruppe schritt, ohne jedoch unsere
Grüße zu erwidern. Unter stetem, anstrengendem Dienst
schleppten sich die Tage dabin.
Am 26. Januar donnerten unsere Batterien den ganzen
Tag gegen die Stadt — die Spanier erwiderten dies Feuer,
was uns aber wenig Schaden tat.
Abends spät verbreitete sich die Nachricht, daß wir
an einem anderen Punkte der Belagerung große Vorteile
errungen hätten, die auf den Gang der Begebenheiten
wohl Einfluß haben würden. Diese Lagerneuigkeiten
wurden in der Regel morgens bei der Maketenderin, einer
braven, vortrefflichen Frau, ausgetauscht. Wir genossen
hier unser Frühstück, das meistens aus einer Suppe von
schlechtem Mehl, noch schlechterem Zucker und Wein und
nur ausnahmsweise aus einer Tasse Schokolade bestand.
Die Frau hatte sich aus Steinplatten, welche man aus der
Stadt genommen, einen Herd gebaut, der mit Olivenholz
geheizt ward. Eines Tages entdeckte jemand eine Inschrift
darauf — wir entfernten die Asche und fanden, daß es ein
297
Digitized by Google
Leichenstein sein müsse. Er war halb zerbrochen, aber
die Schlußworte: percussus morbo decessit qui intus jacet
ließen keinen Zweifel. Seit dieser Entdeckung wurde jener
Platz weniger besucht. Wir waren von Gefahren umgeben,
und doch scheuten wir uns, auf einem Leiehensteine unser
Essen bereitet zu sehen. Wunderbarer Kontrast in der
menschlichen Natur! —
Der 27. sollte in den Annalen der Belagerung als ein
blutiger Tag bezeichnet werden. Morgens früh wußte man,
daß General Vattier bei Alcaniz bedeutende Erfolge über
die Insurgenten errungen hatte. Dann zeigte eine offizielle
Bekanntmachung dem Korps an, daß Marschall Mortier
an der Spitze der Division Suchet die Spanier bei Licinena
geschlagen und die Ruhe in den insurgierten Teilen der
Provinz wiederhergestellt habe.
Das Feuer, das vom Morgen ab gegen die Stadt statt-
gefunden hatte, erreichte allmählich eine größere Stärke.
Nach 9 Uhr traten die Regimenter, wie es hieß, zum
Sturm an. 400 Voltigeure des 14. französischen und des
2. polnischen Regiments, unter Oberstleutnant Stahl, ver-
sammelten sich hinter der Ölmühle, die unweit der Stadt
liegt. Sie waren zum Sturm auf die Bresche, die in der
Gartenmauer des Klosters Santa Moniea gelegt war, be-
stimmt. Eine zweite, schwächere Kolonne sollte sich der
Bresche in der Nähe der Batterie Palafox, dem Kloster
San Jose gegenüber, bemächtigen. Eine dritte Kolonne
wurde gegen die Casa de Gonzales, ein einzeln stehendes,
aber mit der St;idt durch Werke verbundenes Haus, ge-
richtet. Hierzu war ein Bataillon des Weichselregiments
unter Oberstleutnant Bayer bestimmt. Außerdem sollte im
Zentrum auf das Kloster Santa Engracia ein Sturm unter-
nommen werden. Von den drei Angriffen auf unserer
Front glückte nur der in der Nähe der Batterie Palafox.
Man bemächtigte sich der Bresche und einiger Straßen in
der Nähe.
Die Voltigeurkolonne unter Oberstleutnant Stahl ge-
langte zwar bis zur Bresche, fand sie aber zu hoch, um
Digitized by Google
sie mit Leichtigkeit in Masse ersteigen zu können, und
erhielt, als ihr dies endlich doch gelang, so heftiges Ar-
tillerie- und Flintenfeuer von allen Seiten, daß sie zurück-
weichen mußte und nur auf der Bresche selbst eine kleine
Verschanzung vorbereiten konnte. Die Voltigeure hatten
Wunder getan — trotz zweier Minen, die sprangen, voll-
führten sie ihren Auftrag, aber sie konnten das Unmög-
liche nicht leisten. Oberstleutnant Stahl und ein anderer
Offi/ier wurden schwer verwundet
Der Angriff auf die Casa Gonzales, bei dem ich per-
sönlich mitwirkte, mißglückte gänzlich. Zwar erreichten
wir das Gebäude und drangen in dasselbe ein, aber das
Feuer, das wir von der nahen Stadtmauer erhielten, war
so heftig, daß die Truppen die Casa wieder verlassen
mußten. Der Oberstleutnant Bayer erhielt bei dieser Ge-
legenheit einen Schuß durch die Backe. Mein braver Ka-
pitän ward schwer verwundet und gefangen genommen;
mit einem Zuge rechts detachiert, hatte ihm, ganz nahe
dem Oebäude, eine Fiintenkugel ein Bein zerschmettert.
Einige Soldaten hatten versucht, ihn zu retten, waren aber
ebenfalls verwundet oder getötet worden, und erst als wir,
ich kann wohl sagen recht unordentlich in die Laufgräben
zurückeilten und uns wieder rangierten, vermißten wir ihn.
— Marschall Lannes soll aus einer Batterie der Sache zu-
gesehen und geäußert haben : „Qu'on avait trop demande
de ces gens." Der Angriff auf Santa Engracia dagegen
hatte einen glänzenden Erfolg gehabt, der größtenteils der
ausgezeichneten Führung des Obe'rst Chlopicki zu danken
war, wofür er vom Korpschef Junot, aus besonderer
Anerkennung, zum Kommandanten des Klosters ernannt
wurde. Zwar waren auch hier durch den übersprudelnden
Mut einiger Offiziere frrtümer vorgefallen, die Menschen-
leben genug kosteten ; aber man sah von allem ab, weil
der Hauptschlag gelungen war. Die Spanier hatten be-
deutende Verluste erlitten, man hatte ihnen viele Kanonen
— ich glaube zwischen 15 und 18 — genommen, gegen
600 Mann getötet und sich im Festungsgürtel festgesetzt;
299
Digitized by Google
aber auch wir hatten gegen 100 Tote und Verwundete,
worunter mehrere Stabsoffiziere. So jung und unerfahren
ich auch war, so fiel mir spater doch manches in der An-
ordnung des Ganzen auf.
Der Angriff auf den Garten von Santa Monica war
von mehreren Seiten her flankiert, und die armen Volti-
geure erhielten, als sie vorrückten, von vorne sowohl als
auch von der Batterie Palafox und der Casa de Gonzales,
also von beiden Seiten, Feuer. Dann war die Bresche sehr
unzugänglich, und als die Tapferen dennoch nach großen
Verlusten in den Garten gelangten, wurden sie dort von
einem solchen Kugelregen empfangen, daß ein Fort-
sehreiten zu den Unmöglichkeiten gehörte.
Der Angriff auf die Casa de Gonzales war zum min-
desten übereilt. Zwar hatte man eine Art von Bresche
geschossen, aber auch sie war fast noch unpassierbar.
Sowie wir in das Hans uinilrinKeii, crliifltcn wir von allen
Seiten her, von den Mauern der Stadt, aus den Stuben,
aus allen Ecken und Winkeln des Hauses, so viele
Schüsse, daß selbst die entschlossensten Leute nicht
standhalten konnten. Wäre es mit der Wegnahme des
Hauses abgetan gewesen, so hätte dies freilich erreicht
werden können, aber das Festsetzen darin blieb un-
möglich. Hätten alle Stürme zu einer bestimmten Stunde
stattgefunden und besser ineinandergegriffen, so wären
die Spanier nicht in der Lage gewesen, einander unter-
stützen zu können.
Wahrscheinlich traten gegen den Befehl, wie es bei
solchen Gelegenheiten immer zu geschehen pflegt, die
so unheilvoll wirkenden Verzögerungen ein.
Abends bemächtigten wir uns, wenn auch nur für
kurze Zeit, der Casa de Gonzales und fanden elf Leichen
der Unseligen abscheulich verstümmelt in einem unteren
Geschosse. Man hatte einzelnen die Hände abgehauen,
anderen waren glühende Ladestöcke durch die Waden ge-
steckt, an manchen schamlose Verstümmelungen verübt.
— Wenn es wahr ist, was ein Arzt wissen wollte, daß diese
300
Digitized by Google
sich auf ihren Posten zu orientieren. Das Regiment,
welches die Wache hatte und einen Angriff machte, mußte
zugleich immer die Arbeiter geben, das abgelöste blieb als
Reserve in der Stadt. So befand sich jeder Truppenteil auf
einem bestimmten Terrain, was um so nötiger war, als die
engen, winkligen Straßen, in denen die Spanier nur zu gut
Bescheid wuBten, viele Irrungen und Verluste herbei-
führten.
Am 28. wütete auf der ganzen Linie ein heftiger
Kampf. Ich hatte an diesem die Wache in der Ölmühle,
von wo man das Augustinerkloster und Santa Monica aus
vier Morsern bewarf. Wenngleich aus jedem derselben
alle Viertelstunden eine Bombe geworfen ward, so war
ich doch am anderen Tage fast taub. Am 20. fand ein neuer
Angriff auf letzteres statt — aber auch dieser scheiterte.
Man schoPi Brefdii', s[irr:i^k' Mine auf Mine, aber man
kam nicht von der Stelle. Erst am 30. gelang es einer
Grenadierkompagnie des 14. Regiments unter Hauptmann
Hardy, sich des oberen Gartens und der Kirche selbst
zu bemächtigen. Das Debouchicren scheiterte zwar einst-
weilen, doch wurde ein Versuch der Spanier, das verlorene
Terrain wiederzunehmen, abgewiesen.
Am 1. Februar durchlief die Nachricht, daß der
General Lacoste, der das Indern eurkorps beim Angriff be-
fehligte, durch einen Schuß tödlich getroffen und unmittel-
bar darauf verschieden sei, die Lager wie ein Lauffeuer.
Da war niemand, der des vortrefflichen Mannes Dahin-
scheiden nicht mit Wehmut und einiger Besorgnis ver-
nommen hätte. Kenntnisreich, durch und durch Soldat,
301
Digitized by Google
Leutseligkeit mit weiser Strenge verbindend, verstand er,
mit dem gemeinen Manne umzugehen und sich seine
Liebe zu gewinnen. Wo er erschien, atmete alles Vertrauen
und Hingebung, und jeder ging gern mit erneuter Kraft
an die Arbeit.
Oberst Rogniat1), der spater durch seine Angriffe auf
Napoleon in Frankreich so bciLichiigt geworden und durch
seine „Remarques" in Deutschland seinerzeit eine ge-
wisse Berühmtheit erlangt hat, war sein Nachfolger im
Amt. Er war bei den Soldaten nicht so gern gesehen.
Seine strengen Zuge, ein gewisses, ich möchte sagen vor-
nehmes Übersehen der handelnden Individualitäten, be-
sonders in den niederen Sphären, hatten ihm keine Zu-
neigung verschafft.
Je tiefer wir in die Stadt eindrangen, eine desto
ernstere Wendung nahm der Kampf. Es ward ein Bar-
rikadenkrieg, bei dem nun Feuer von allen Seiten, aus den
Kellerluken, den vermauerten und mit Schießscharten ver-
sehenen Fenstern, uns allen Ll.igen und von den Dächern
bekam. Da es unmöglich war, auf der Straße vorzudringen,
sprengte man die I iiiuscr, \ u suchte sieh in den Trümmern
festzusetzen und von hier dann vorwärts zu kommen. Als
man sah, daß dies zu viel Menschen kostete, lud man die
Minen schwach, legte nur die Wände nieder und ver-
schaffte sich so den Eingang in ein Haus und drang dann,
indem man die Zwischenmauern einsehlug oder mittels
l'eurden öffnete, weittr vor. Line H;i Up [Sache, hierbei war
es, sich sofort in den gesicherten Besitz des ganzen Hause5
zu setzen und sorgfältig die Umgebung zu untersuchen.
Es kam vor, dal! die Spanier absichtlich ein Hans räumten,
um es später, von günstig gelegenen Lokalitäten aus, um
») Baron Joseph Rogniat, 1767-1840; er schrieb „Con-
sidtotions sur l'art de la guerre", Paris 1810, und widmete dies
Werk Napoleon. Dieser versah es mit sehr scharfen widerlegenden
Anmerkungen, woraul Rogniat mit der anonymen Schrift: „Response
aux notes critiques de Napoleon, sur l'ouvrage inti(ul£: „Consj.
■Jerations, etc.", Paris 1823, antwortete.
302
Digitized by Google
so nachdrücklicher beschießen zu können. Oft, wenn man
sich in der ersten Etage bereits eingenistet hatte, erhielt
man durch den Fußboden des zweiten Stockwerks oder
vom Dache her plötzlich Feuer, oder es wurden Granaten
von oben herunter geworfen. Die zahllosen Winkel in
diesen Baulichkeiten alter Art gaben vortreffliche Gelegen-
heiten zu Versteeken. Vorzugsweise waren die Dächer
uns gefährlich. Die leichten Aragonier in ihren Bast-
schuhen kletterten darauf wie Katzen umher, und oft,
wenn man in einer bereits schon seit Tagen in unseren
Händen befindlichen Lokalität ruhig an einem schwach
glimmenden Feuer saß, erhielt man von irgendeinem Dache
her ein paar Kugeln zugeschickt. Die Fensterläden waren
gewöhnlich stark zerschossen. Es gab deren viele, die so
durchlöchert waren, daß sie wie ein Sieb erschienen. Traf
es sich nun so, daß die Spanier die eine, wir die andere
Seite der Straße besetzt hatten, so lauerte der Tod, mau
körnte sagen, an jedem Fenster. Sowie sich nur etwas
rührte, schlugen ein paar Kugeln ein. Es gehörte eine
wahre Kunst dazu, durch die labyrinthischen Verbindungen
der zerstörten Häuser und durch die zahlreichen Hinter-
halte, die sich überall befanden, sieh durchzuwinden.
Hatte man ein Haus eingenommen, so kam es vor
allen Dingen darauf an, die Fenster und Türen mit Sand-
säcken zu blenden, sich der Treppen zu versichern, Ver-
bindungen zu eröffnen, sich mit einem Worte darin fest-
zusetzen, bevor man daran denken durfte, weiter vorzu-
gehen. Die Vernachlässigung dieser Vorsichtsmaliregeln
führte gewöhnlich große Verluste herbei. Nachdem wir
dies wiederholt gesehen, verbot der Marschall durch einen
Tagesbefehl alle Scharmützel, gebot die größte Vorsicht
und befahl besonders: „Qu'ä mesure, qu'on se sera em-
par£ d'une maison, on s'y ctablisse avant de passer ä une
aulre." Ebenso sollten die Truppen, die sich in den Ge-
bäuden festsetzten, durch Reserven abgelöst werden. Die
Sappeure und Mlneure waren es besonders, die sich hier
in ihrer ganzen Glorie zeigten. Sie waren überall, wo
303
Digitized by Google
Gefahr drohte: an den Spitzen der Sturmkolonnen, in den
Kellern, wo der spanische Mineur arbeitete, auf den
Dächern, wo feindliche Schützen lauerten, in Hausern,
wo man die Petarden anhängte, Mauern sprengte, Kom-
munikationen schuf usw. Die Soldaten hatten zu ihnen
ein blindes Vertrauen, und wenn ich den verfehlten An-
griff auf Santa Monica und die Casa de Gonzales aus-
nehme, der viel besprochen und getadelt ward, so ist,
glaube ich, diesem herrlichen Korps nichts vorzuwerfen.
Man konnte die Schnelligkeit, mit der sie die Verhältnisse
beurteilten, die Rüstigkeit, mit der sie an die Arbeit gingen,
nicht genug bewundern. Sowie sie nur die Anzeige er-
hielten, daß man irgendwo Geräusch hörte, waren sie bei
der Hand. Hier ward eine Petarde angehängt, dort ward
ein Sack Pulver hingelegt, nilig mit Sandsäcken verdämmt,
mit Zündung versehen und, ehe man es erwartete, flog
ein Stück Mauer in die Luft, stürzte eine Wand ein. Oft,
wenn wir in ein Haus gedrungen, hier die Zwischenmauern
kreneliert und mit Gewehren wie gespickt fanden und es
aufgeben mußten, weiter vorwärts zu kommen, sprengten
sie dergleichen Lokalitäten schon in die Luft, ehe man
daran dachte, daß sie mit den Vorbereitungen dazu fertig
sein konnten ; oder sie fanden .Mittel, die Verteidiger durch
Granaten, ilie sie von oben her auf sie tierahrullon lieflen,
zu vertreiben. Die größten Schwierigkeiten hatten sie zu
überwinden, wenn es damit ankam, in den Fundamenten
der Kirchen urd Kloster vorzudringen. Hier sah man sie
ott stundenlang arbeiten, ohne daft sie von der Stelle
kamen. Am meisten mullte man ihre Fertigkeit in Auf-
ti.'idunr; «eeigntter Ansrkl.iTe hik'. Ililismittel bewundern,
um den Feind aus vorteilharten Lokalitäten zu vertreiben.
Kamen wir zum Beispiel an eine starke Mauer, hinter der
man die Spanier wußte, sr> arbeitete man diese bis auf
eine geringe Starke ah, stür/te sie dem Feinde urplötzlich
auf den Kopf und drang im Oetümmel nach.
Als die Spanier sahen, dalt man ihnen s<> zusetzte,
besonders ihnen mittels der Mineure tätlich näher rückte,
Digitized by Google
kamen sie auf den Oedanken, die Häuser anzustecken und
so unsere Fortschritte zu hemmen. Sie hingen überall
kleine, in Harz getauchte Reisigbündel an Fenster, Tür-
pfosten und Baikune und zündeten diese an, ehe sie ein
Oebäude verließen. Dies war oft sehr nachteilig, ver-
hinderte tagelang jeden Fortschritt und raubte uns eine
kostbare Zeit, welche die Spanier anwendeten, sich ander-
weitig festzusetzen. Glücklicherweise waren die Oebäude
meist von Stein, und so konnte dies gefährliche Abwehr-
mittel nicht in seiner ganzen Furchtbarkeit in Anwendung
gebracht werden.
Bis zu den ersten Tagen des Februar waren auf
unserer Angriffsseite — attaque de droite — trotzdem
ziemliche Fortschritte gemacht worden. In der Nähe des
Waisenhauses jedoch, das den Coso'°), die Hauptstraße
Zaragozas, beherrscht, fanden wir den lebhaftesten Wider-
stand, und erst nach' einigen Tagen ward es möglich, uns
in einem Oebäude daselbst festzusetzen. Von meinen
Leuten wurden dabei 7, von den mir zur Unterstützung
gesandten Franzosen 8 getötet.
Der 7. Februar war für mich einer der fürchterlichsten
Tage der Belagerung. Die Spanier hatten das Hospital
des Waisenhauses verlassen, weil sie durch unsere Mi-
neure, welche sie arbeiten hörten, in die Luft gesprengt
zu werden fürchteten. Wir drangen auch bald nach —
aber der Anblick, der sich uns hier darbot, war schreck-
lich. Wir fanden die Lagerstätten mit zwei und drei Toten,
die an dem stark herrschenden Typhus gestorben waren,
belegt, außerdem den Fußboden voller Leichname. Kaum
hatten wir uns im Oebäude ausgebreitet, als die Flammen
von dem einen Flügel her uns entgegen schlugen, und in
einigen Augenblicken stand das Gebäude, da alle Vorbe-
reitungen zum Feuer getroffen waren, in voller Olut. Es
blieb nichts übrig, als diesen Ort des Schreckens alsbald
wieder zu verlassen. Noch lange nachher, als das Hospital
») Die Hauntstrafle, welche die ganze Stadt durchzieht.
20 B.M7: Spin. FreiMIlfempf. 305
Digitized by Google
niedergebrannt war, erfüllte ein brenzlichcr Fettgeruch,
der um so unangenehmer auffiel, da wir wußten, was ihn
bewirkt hatte, die Atmosphäre.
Der S.Februar verging unter dem heftigsten Kampfe,
bei dem fast alle Truppenteile der Division mitwirkten.
Ein Angriff auf den Coso, der viele Stunden lang hin und
her schwankte, endete damit, daß wir, nachdem die Spanier
gegen das Hauptgehäude, in welches wir uns eingenistet,
Geschütze aufgefahren, ihn mit Verlust von mehreren
Offizieren und vielen Leuten aufgeben mußten.
Was die Soldaten bei diesem erbitterten, grauenvollen
Kampfe einigermaßen ermutigte, war der Umstand, daß
sie auch ihre Kameraden auf den anderen Fronten in
vollster Tätigkeit wußten und so die Möglichkeit vor sich
sahen, den Feind immer mehr und mehr zu umgarnen.
Ein Versuch jedoch, uns schon jetzt mit der jenseitigen
Attacke in Verbindung zu bringen, scheiterte gänzlich;
denn der Angriff, den man von der Ölmühle her machte,
um sich der Batterien der Vorstadt zu bemächtigen, ward
blutig zurückgewiesen. Man hatte jedoch die Genugtuung,
dal) unsere Truppen sich eines der Hauptpunkte auf dem
jenseitigen Ufer, des Jesuitenklosters, bemächtigten.
Eine detaillierte Beschreibung des Kampfes zu geben,
bleibt unmöglich — es war ein ewiges Geknatter, durch
Kanonenschläge und Minenexplosionen unterbrochen.
Hier und dort schlugen helle Flammen auf, an anderen
Orten versperrte ein dichter Rauch jede Aussicht Ver-
wundete begegneten einander auf allen Kommunikationen.
Aber daß der Angriff die Oherhand gewonnen hatte, ging
aus allem hervor.
Zur Zeit dieser Ereignisse war ich mit 50 Leuten in
der Nähe des Coso auf Arbeit. Wir waren beschäftigt,
eine Barrikade zu bauen, um eine Verbindung von einer
Reihe der Häuser der Straße zu der anderen herzustellen.
Grenadiere des Regiments deckten uns, alle Fenster rechts
und links waren besetzt. Plötzlich sahen wir Rauch, hörten
ein gewaltiges Zischen und Rauschen, und unmittelbar
30o
Digirized by Google*
darauf erhielten wir aus nächster Nähe einige Kartätschen-
schüsse. Die Spanier hatten uns gegenüber ein Haus ge-
sprengt und von einem vorbereiteten Emplacement da-
hinter uns beschossen. Alles ergriff die Flucht. Nur der
Grenadierkapitan des Regiments, Ball, ein geborener Wol-
hynier, ein Mann ohne jegliche literarische Bildung, aber
von den gefälligsten Formen und allen als vortrefflicher
Mensch und Offizier bekannt, mit dem ich gerade im Ge-
spräch begriffen war, blieb stehen. „Sieh da!" rief er aus,
„da lauft ja alles fori, auch die Herren Grenadiere!" Und
dann schritt er ruhig, als wenn gar nichts vorgefallen
wäre, auf die Verschanzung zu, neben der der Durchbruch
auf die Straße angebracht war. Als wir uns demselben
näherten, schob er mich mit den Worten: „Das ist ein
Kommando de fatigue, das fängt von unten an, und da
müssen Sie vorangehen," in die Mauerlücke hinein, sah
sich dann nochmals um und folgte mir. Darauf ordnete er
die Leute und machte ihnen Vorwürfe, ohne Kommando
ihren Platz verlassen zu haben. Merkwürdigerweise hatten
wir nur drei Tote und keine Verwundete, obwohl die
Straße, auf der wir uns befanden, voller Menschen gewesen
war. Ich legte auf die Sache keinen Wert, da ich ja nur
meiner Pflicht streng nachgekommen war; aber sie sollte
mir dennoch bald Früchte tragen, denn Kapitän Ball hatte
mit großer Emphase von meinem Benehmen zum Obersten,
bei dem er alles galt, gesprochen.
Während wir unserseits Fortschritte machten, war
man auch auf unserer Linken rüstig vorgeschritten. Man
hatte sich mehrerer wichtiger Punkte im Innern bemächtigt
und näherte sich drohend dem Coso. Bei den Angriffen
dort sprach man fast nur von Oberst Chlopicki, der bei
Polen und Franzosen in gleich hohem Ansehen stand.
Einige Offiziere seines Regiments waren von ihm entzückt,
andere dagegen wußten nicht genug von seiner Heftigkeit
und seinen Forderungen, das Unmögliche zu leisten, zu
erzählen. Wir sahen ihn auch öfters bei der „Attaque de
droite", wo ihn die Soldaten stets mit einer Art freudiger
20' 307
Digitized by Google
Ehrfurcht begrüßten, während ihn die Offiziere, nament-
lich die altrnn, ehen nii ht gern sahen.
Mit dem 12, Februar (inj; der Wideistami an weniger
heftig zu werden. Der An;;: -if h.itti v.-;ikninmen die Ober-
hand gewonnen, itr.ii nur ah und /u, in der Verteidigung
einzelner Lokalitäten, zeigte sich noch die alte Hartnäckig-
keit. Lin Sturm -iuf die Universität, den das J. Weichsel-
rcgimi-nt unternommen, scheiterte, weil drei Minen, mit
!5U() l'iunrt Pulver gela<len, keine Dreschen gemacht
hatten. Sowie die Explosion erfolgt war, stürzten die zum
Sturm bereit stehenden Kolonnen zum Angriff vor, aber
die Gänge waren nicht weit genug geführt worden, die
Trichter befanden sich vor dem Gebäude und die Soldaten,
welche die Breschen suchten, gerieten dabei in ein heftiges
Feuer und hatten einige vierzig Tote und Verwundete,
darunter zwei Offiziere.
Nachrichten vom Anmarsch einer feindlichen Armee
beunruhigten einige Tage lang die Belagernden, und Mar-
schall Lannes marschierte selbst mit zwei Divisionen des
3. und einer Brigade des Belagerungskorps ab, um den
Feind aufzusuchen. Ein Versuch der Spanier, unterdessen
die Offensive zu ergreifen, führte zwar zu keinem irgend
entscheidenden Resultate, jedoch verloren wir, besondere
in dem blutigen Kampfe in der Calle de las Arcadas, sehr
viele Leute. Die geringen Resultate, welche die Mineure
gegen das Ende der Belagerung erzielten, ließen uns von
den Kanonen einen größeren Gebrauch machen. Die Kom-
munikationen wurden erweitert, man machte, um an Ort
und Stelle zu kommen, ein Loch durch die Mauern und
feuerte das Geschütz ab; unmittelbar darauf schloß man
die improvisierte Scharte durch einen Wollsack. War die
Kanone wieder geladen, so ward dann aufs neue gefeuert
und so fort, bis man die Gegner verjagte. Bei einem
Hause kam es vor, daß die Kugeln durch und durch gingen,
und dennoch verließen es die Spanier nicht. Sie zogen
sich in die zweite Etage zurück, logierten sich außerhalb
der Schußrichtung und unterhielten von dort ein lebhaftes
Digitized by Google
Feuer, daß es unmöglich blieb, vorzudringen. Jede Stunde
brachte neue Schikanen, neue Gefahren.
Bis zum 18. änderte sich hierin nichts. Dieser Tag
aber sollte die Entscheidung bringen. Marschall Lannes,
von seiner Expedition zurückgekehrt, hatte, nachdem er
schon früher den gewiß nicht genug zu lobenden Entschluß
gefaßt, den Angriff auf die Vorstadt wieder aufzunehmen,
diesen Tag zum Sturm bestimmt. Morgens um 8 Uhr
etwa begannen die französischen Batterien auf allen Linien
ein heftiges Feuer, das bis über Mittag währte.
Um diese Zeit drangen die Sturmkolonnen zum An-
griff vor und bemächtigten sich nach einem lebhaften
Kampfe auf den Straßen und im Innern der Klöster und
Häuser der Vorstadt. Da eine Kolonne gegen den Aus-
gang der Brücke gerichtet war, so war dem Feinde hier-
durch der Rückzug abgeschnitten, und 17 Kanonen und
gegen 3000 Gefangene gerieten in die Hände der Sieger.
Die Anzahl der feindlichen Toten soll bedeutend gewesen
sein; wir verloren nur einige 80 Mann.
Während die Division Gazan diesen Sieg jenseits des
Flusses erfocht, war auf unserer Front der Kampf nicht
minder heftig und entscheidend. Nach längerem, frucht-
losem Kampfe am Coso und den anliegenden Straßen und
Häusern wurden gegen 3 Uhr etwa zwei Minen unter der
Universität, deren jede mit 1500 Pfund Pulver geladen war,
gesprengt.
Drei Kompagnien von unserem und zwei vom 14. Re-
giment stürzten sich sogleich auf die Bresche und be-
mächtigten sich des großen Gebäudes, ohne daß die
Spanier bedeutenden Widerstand geleistet hatten. Zu
gleicher Zeit griff man, und zwar zum 16. Male, das Haus
an, welches die Traverse vom Coso nach der Calle de las
Arcades deckte. Der Feind verlieff auch dies fast ohne
Schuß, so daß die ganze Unternehmung uns nur 12 Mann
kostete.
Den Angriff auf diese Werke leitete Hauptmann Ball,
dessen ich schon gedacht habe. Wir hatten auch hier Ge-
300
Digitized by Google
legenheit, sein kalte? Blut, seine Ruhe und Umsicht zu be
wundern. Er war, so oft er ins Qefecht kam, auf dat
sorgfältigste gekleidet. „Die Schlachttage," wie er sief
etwas emphatisch ausdrückte, „sind Festtage, und ai
diesen muß man auch festlich gekleidet erscheinen."
Ich bekam nach Beendigung des Kampfes, bei den
uns acht Kanonen in die Hände fielen, meinen Platz mi
40 Grenadieren in einem Hause, der Pucrta del Sol gegen
über, angewiesen. Das Feuer war bis spät abends sehi
heftig. Die Soldaten jedoch, durch die längere Erfahrung
über das, was sie zu tun und zu lassen hatten, unterrichtet
wußten sich bald Schutz zu verschaffen. Ich hatte nui
einen Toten, einen alten Sergeanten, der, etwas ange
trunken, sich unnütze Gänge machte und trotz aller meinei
Warnungen sich ganz zwecklos bloßstellte. Der letzt*
Schuß, der in der Dämmerung fiel, tötete ihn.
Die Resultate dieses Tages erfüllten uns mit Hoff-
nung, denn wir hatten einen tüchtigen Schritt vorwärts
gemacht.
Der Kampf schleppte sich in den nächsten Tagen in
derselben Art wie bisher fort. Das Geknalle aber nahm,
besonders unserseits, stets zu. Man nahm das Kloster
de la Trinidad und drang bis zur Puerta del Sol vor;
gleiche Fortschritte machte man im Zentrum, von wo
man ebenfalls bis zum Coso gelangte und steh festsetzte.
Abends cr/ahlle man, cn- S|iHiiirr hallen auf Kapitulation
angetragen. Da man jedoch mit den Arbeiten fortfuhr unc
am 2D. längs der Häuserreihe ar:i Lbro vorging, so nahm
man dies uro SO mehr für eine* der vielen Gerüchte, die
im La«et umliefen, als Mirs.hall Lannes selbit hier er
whirii und die Arbeiten lie schleunigen ließ
Vom jenseitigen Ufer her hatte man Bleiche in ein
Haus gelegt, das eine Barrikade vnn der Brücke her übei
den f-'bro verteidigte, bine Kompagnie des 3. Wrichsel
regiments sollte auf Befehl des Marschalls das Gebäude
wegnehmen. Sie mußte /u diesem Behuf eine Strecke von
fast '.iuri Schritten an der Sladtmauer, die der Feind n:>ch
J10
Digitized by Google
besetzt hielt, unter einem starken Feuer zurücklegen. Ehe
sie ihr Ziel erreichte, war ein Drittel der Mannschaft tot
oder verwundet Haus und Barrikade waren jedoch nur
von wenig Leuten besetzt, und bald wurde mit Hilfe
einiger Sappeure eine Verschanzung geschaffen. Die Lage
des Detachements war nichtsdestoweniger ungemein ge-
fährlich. Von allen Seiten vom Feinde umschlossen, ohne
gesicherte Rückzugslinie, durfte man mit Recht für dasselbe
die größte Besorgnis hegen; aber ein Waffenstillstand, der
gegen Abend eintrat, überhob uns aller Sorge. Wenngleich
das Feuer auf allen Seiten schwieg und nur hin und wieder
einige Schüsse fielen, so brachten wir dennoch die Nacht
wie gewöhnlich in alter Aufmerksamkeit, und ich möchte
sagen, wachsamer denn je zu. Viele glaubten, daß die
Spanier nur die Möglichkeit gewinnen wollten, irgendeinen
Schlag auszuführen, daß sie wahrscheinlich Nachricht von
einem heranrückenden Entsatz hätten ; andere versicherten,
sie würden nur eine neue Verteiili.ifini^li:ii« einnehmen,
was um so mehr Glauben fand, als man Feuer an mehreren
Orten auflodern sah, um unsere Fortschritte zu hindern.
So legte jeder, nach Charakter und Gefühl, sich die
Sache aus. Alle aber erwarteten, die Waffen in der Hand,
mit Spannung den Anbruch des Morgens. Alle Befürch-
tungen, alle Besorgnisse waren umsonst gewesen. Wir
waren Herren der Stadt, wenn auch noch aus mancher
Schießscharte sich uns ein Gewehr entgegenstreckte und
ein trotziges „atras" („zurück") erschallte.
Am 2f. um Mittag traten wir im Paradeanzug unters
Gewehr, um an der Puerta del Portülo, einer Gegend der
Stadt, welche ganz verschont geblieben war, die Garnison
die Waffen strecken zu sehen. Ich darf wohl sagen, daß
unsere Truppen noch immer einen imposanten Anblick
gewährten. Dem Paradeanzug sah man die Entbehrungen
und Leiden, welche wir durchlebt hatten, nicht an. Die
halb verbrannten und zerrissenen Mäntel waren auf den
Tornister gerollt, die schöne Sonne aber ließ die hellge-
putzten Waffen im vollsten Glänze erscheinen.
311
Digitized by Google
Unser Marsch zur Parade war beschwerlich, denn
die Stümpfe abgehauener Ölbäume, schlechte Brücken über
die Huerba und kleine Wasserrinnen unterbrachen ihn
jeden Augenblick. Kaum waren wir angelangt, so erschien
auch Marschall Lannes mit seinem Stabe; er ritt langsam
die Front entlang, ohne ein anderes Wort zu sagen als
„Corrigez l'alignement", die Fahnen aber ehrfurchtsvoll
begrüßend. Wir hatten vielleicht schon eine Stunde ge-
standen, ehe die Spanier kamen. Einige üutzend Jungen,
vielleicht von 16—18 Jahren, mit roten Kokarden an den
Hüten, in grauen Mänteln, ohne Montierung, stellten sich
uns gegenüber, Zigaretten rauchend, auf. Dann kam
ein Haufen erwachsener Leute, allmählich mehrte sich
die Menge, Offiziere auf Maultieren und Eseln, in dem
wunderbarsten Anzüge, alt und jung, Greise und Kinder
in Montierungen und Baucrnkleidern, alles bunt durch-
einander. Man sah sämtliche Völkerschaften Spaniens ver-
treten : Aragonier, Navaresen, Castilianer, Valencianer,
Catalonier, Andalusier usw., wie solche in der Armee bei
Tudela gemischt gewesen waren, in Wuchs und Haltung
sowohl, als in Tracht unendlich verschieden. Die Offiziere
zeichneten sich fast nur durch lange und werte Mäntel,
dreieckige Hüte und ab und zu durch dicke Zöpfe vor
ihren Leuten aus. Von Ordnung war nicht die Rede. Die
Spanier standen in kleinen Gruppen vor dem Kloster der
Capuchinos descalzos — an der Puerta del Portülo, beim
Castillo de la Inquisition, auf der Straße nach Alagon,
rauchten, schwätzten miteinander und schienen von allem,
was sie umgab, gar keine Notiz zu nehmen. Wo sie die
Waffen streckten, konnten wir von unserem Standpunkte
nicht sehen. Wir fragten nach Palafox — aber es hieß, er
sei krank.11) Von den anderen Führern nahm man keine
Notiz. Man kannte nur diesen einzigen Namen. Nachdem
wir so länger gestanden, brachten französische Soldaten
]1) Just Palafox war Kommandant von Zaragoia während
der Belagerung.
312
Digitized by Google
noch eine Menge Leute aus den Häusern herbeigeschleppt,
und es regnete hierbei Kolbenstöße, weil die Armen nicht
den besten Willen, sich fortführen zu lassen, zeigten. End-
lich setzte sich General Morlot mit dem 116. und 117. Re-
giment, welchen die Eskorte der Gefangenen nach Frank-
reich übertragen war, in Bewegung. Die ganze spanische
Garnison, vielleicht 8—10000 Mann, wenn es hoch kam,
defilierte an uns vorüber. Wir alle waren über den ge-
ringen soldatischen Anstand, über das Aussehen und die
Bekleidung erstaunt, — freilich mochten wir dies mit
einem anderen Maßstäbe messen, als die Spanier. Unsere
Soldaten äußerten taut, daß man sich solcher Kerls wegen
nicht hätte in Paradeanzug zu werfen brauchen. Manche
tadelten, daß man mit dem Lumpenpack eine Kapitulation
abgeschlossen, — es wäre besser gewesen, wenn man sie
des Beispiels wegen bis auf den letzten Mann nieder-
gemacht hätte, — man würde schon sehen, wohin unsere
Sanftmut führe.
Nach der Beendigung des Vorbeimarsches kehrten
wir ins Lager zurück, von wo aus eine Menge Leute in
die Stadt gingen und bald mit Beute allerart beladen zu-
rückkamen. Zwar war der Eintritt verboten, die Tore
waren besetzt, aber die Soldaten kannten zu genau jeden
Weg und Steg, als daß man den Befehl hätte durchführen
können. Überdies waren sie zu sehr voller Erbitterung, als
daß sie dergleichen „Promenades en ville", wie es die
Franzosen nannien, hätten verhindern sollen. Abends fand
man im Lager Wein vollauf, in jedem Kessel steckte
ein tüchtiges Stück Speck, Reis und Bohnen fand man
Säcke voll bei den Kompagnien. Dazu kam eine doppelte
Ration an Fleisch — die Soldaten schwelgten diesen Abend
und die nächsten Tage.
Den 22. ward ich nach der Stadt kommandiert, um
Wein zu empfangen. Wir gingen durch eine Kommuni-
kation an der Puerta Quemada über den Platz der Santa
Magdalena, nach der Calle major, wo in der Nähe des
Klosters St. Jago der Empfang stattfinden sollte. Die An-
313
Digitized by Google
Ordnungen waren jedoch so schlecht getroffen, daß abzu-
sehen war, wir würden noch unter vielen Stunden nicht
herankommen. Ich bemerkte hier zum ersten Male selbst,
wie wesentlich Ordnung beim Verteilen der Lebensmittel
ist, und wie Soldaten sogar bei allgemeinem Überfluß,
durch unzweckmäßige Anstalten Mangel leiden und zu
Exzessen hingerissen werden können.
Ein Offizier, der schon die erste Belagerung der Stadt
mitgemacht und hier verwundet worden war, forderte
mich auf, einen Abstecher in die nächsten Straßen zu
machen. Da wir uns auf unsere Unteroffiziere verlassen
konnten, so ließ ich es mir nicht zweimal sagen. Vor allen
Dingen hatte die Kirche Nuestra Seüora del Pilar unsere
Aufmerksamkeit aui sich gezogen. Wir beschlossen, uns
also direkt nach derselben zu wenden. Wir fanden den
Weg dahin sehr leicht, indem wir uns nur nach der Ebro-
brücke, die vor uns lag, und von hier durch die Puerta
del Angel längs des Flusses selbst nach der Kirche zu
wenden brauchten, um dahin zu gelangen. Der Weg war
durch Barrikaden gehemmt, sonst durch keine sonderliche
Zerstörung bezeichnet. In der Gegend am Ebro aber ge-
wahrte man die Verwüstungen, welche das Feuer der
letzten Tage angerichtet. Ich werde den F.indruck niemals
vergessen, als wir den Pht/ vor der Kirche erreichten.
Wir fanden ihn mit Sargen, Leichen, betenden Frauen und
Kindern ang.'fuilt. An rinzelnen Strllrn lagen 1f)— 20 Tote
beieinander und übereinander — merkwürdiger weise ge-
wahrte ich keinen einzigen Geistlichen darunter. In einem
Sarge lau ein alter, betaglcr Mann, in einer hlauen Mon-
tierung mit rntsamtnen, reichte stickten Aufschlägen. Eine
junge Dame von großer Schönheit und in ganz aufgelöstem
Haar betete an seinem Sarge. Sie schien sich ängstlich
nach jemand, vielleicht einem Geistlichen, umzusehen.
Als wir nach der Rückkehr zu unsern Leuten sahen,
daß wir noch lange nicht an der Reihe waren, beschlossen
wir unsere Wanderung fortzusetzen und begaben uns im
Gefolge eines Piketts wieder in die Stadt Wir gingen
314
Digitized by Google
durch die Calle de Toledo, nach dem Torre nueva. Ich
glaube, daß hier alles zusammengedrängt war, was es
Schreckliches gab. Unter den Arkaden lagen Kinder,
Greise, Kranke, Sterbende, Leichen, Hausgerät, abge-
magerte Haustiere, alles in einem bunten Gewirr durch-
einander. Auf dem Platz selbst sah man zahllose Leichen,
viele ganz nackt, wie sie Gott erschaffen, übereinander-
liegen. Unter den Lebenden gewahrte man Jammerge-
stalten aüerart — namentlich flößten die abgemagerten
Kinder Mitleid ein. Hier und dort loderte ein Feuer empor,
um das kochend und bratend einige Leute saßen. Finster
blickende, in Mäntel gehüllte Gestalten standen in Gruppen
beisammen und brachen, als wir uns nahten, ihre Unter-
haltung ab, ohne sonst von uns Notiz zu nehmen. Obwohl
wir uns nur ganz kurze Zeit hier aufhielten, so erinnere
ich mich doch noch heute des dort Geschehenen mit einer
Art von Schrecken. Die Tausende von Toten um die große
Schanze bei Moshaisk1») haben keinen solchen Eindruck
auf mich gemacht, als das, was ich um Nuestra Sefiora
del Pilar und hier gesehen.
Der von uns eroberte Teil der Stadt bot einen schreck-
lichen Anblick dar. Von San Jose und Santa Engracia bis
zum Coso war die Stadt nur ein Trümmerhaufen. Klöster,
Kirchen, öffentliche und Privatgebäude waren durch die
Bomben zerschmettert, ein Raub der Flammen geworden,
oder in die Luft gesprengt. Alle Straßen bis zum Coso hin
waren durch Barrikaden unzugänglich gemacht, die Kom-
munikationen nur durch die Gebäude möglich, von denen
viele, besonders die Klöster und Paläste, zu Unterstützungs-
aufstellungen der Truppen eingerichtet waren. Man hatte
in manchen mit ellenlangen Buchstaben die Benennungen
angeschrieben, hier und dort waren Wegweiser angebracht,
weiche die Richtung nach den verschiedenen Posten be-
zeichneten. Die Säle waren von der Hand der Soldaten mit
1!) Während des russischen Fcldzugs in der Schlacht bei Boro-
dino, am 7. September 1812.
315
Digitized by Google
grotesken Zeichnungen in Kohle, auch mit Inschriften aller-
art versehen. So prangten zum Beispiel im Refektorium
des Klosters San Josef, das ganz erhalten war, folgende
Worte, die von allen Franzosen, die lesen konnten, beim
jedesmaligen Passieren dieser Lokalität laut wiederholt
wurden:
„L'amour et la m . . . . sont deux canailles
L'une gäre les coeurs et l'autre les murailles."
Solches war biichstiiblidi wahr, den» i» der Nahe war
alles so verunreinigt, daß man kaum gehen konnte.
Eine Belagerung hat das Eigentümliche, daß sie Vor-
gesetzte und Untergebene in die nächste tägliche Berüh-
rung bringt. Unter den Generalen waren es besonders
Marschall Lartnes und General Junot, die unsere Auf-
merksamkeit fesselten. Laim es besuchte die verschiedenen
Posten öfters, hatte Augen für alles, und die Soldaten
wußten, daß er gewöhnlich auch irgend etwas fragte.
Die Franzosen schwärmten für ihn ; die Polen betrach-
teten ihn zwar nicht mit ungünstigen Blicken, aber ohne
jede Sympathie — diese hatten sie nur für Oberst Chlo-
picki, und wenn er, was oft der Fall war, bei uns erschien,
obwohl er eigentlich sein Kommando beim Mittelangriff
hatte, so strahlten alle Gesichter. Richtete er vollends
ein: „Wie geht's euch, Jungens?" an sie, dann war alle
Welt entzückt. Doch dehnte sich der Zauber, den er auf
die Soldaten ausübte, nicht auf die Offiziere aus. Gegen
diese war er streng, unerbittlich im Punkte der Disziplin
und ab und zu wohl gewalttätig. Durch den scharfen,
schneidenden Ton im Befehl und die Sparsamkeit seines
Lobes hielt er alles in einer gewissen Entfernung. Man
warf ihm vor, daß er einzelne Lieblinge hätte, gegen die er
manchmal schwach wäre, — aber dabei gestand man doch
ein, daß er brave, tüchtige Leute nach vollstem Verdienste
würdigte. Von einer sehr bedeutenden Persönlichkeit,
welche durch ihre ganze Haltung und Erscheinung impo-
nierte, war er sicher, überall Achtung, wenn auch nicht
Hingebung zu erwerben.
316
Digilized by Google
Junot kam abends öfters in die Biwaks, setzte sich auf
die Trümmer oder auf ein Stück Holz und plauderte hier
mit den höheren Offizieren. Seine Unterhaltung war echt
soldatischer Natur; frei und offen in seinen Meinungen
und Ansichten, äußerte er sich unverhohlen über alles, was
ihm gerade einfiel, und „betist", „maraud", „pcquin",
mit einigen noch energischeren Ausdrücken verbunden,
waren Worte, die nicht lange auf sich warten ließen. Ein
Stabsoffizier des Regiments, der mehr seiner Verstandes-
kräfte und Kenntnisse als seiner militärischen Tüchtigkeit
wegen Ruf hatte, meinte schon damals, daß er verrückt sei.
Ich entsinne mich noch deutlich, wie er eines Tages, als
der General lange am Fenster gesessen und räsoniert
hatte, bei dessen Weggehen äußerte: „Aber wie ist es
möglich, daß dieser Mann, der total toll ist, noch ein
Armeekorps kommandiert?" Merkwürdigerweise aber
hielt man den guten Major, der dies Urteil fällte, für
ebenso närrisch, als er Junot selbst.
Eine hervorragende Stellung unter den Generalen
nahm auch der General Habert ein; ein stark bebarteter,
tätiger und entschiedener Mann, von martialischer Haltung
und etwas brüsken Manieren, den aber die Soldaten gerade
deswegen gem hatten. Ich erinnere mich in bezug auf
ihn einer merkwürdigen Szene. Wir waren durch eine
Kommunikation auf eine Straße gelangt, hatten nach der
gegenüberstehenden Häuserreihe eine Barrikade gebaut
und diese hoch mit Sandsäcken bedeckt, um von ihr aus
feuern zu können. Die Passage aber unter dem ganz
nahen Feuer der Spanier war gefährlich und man mußte
sich sehr bücken, um nicht gesehen zu werden. Der
General, ein großer Mann, mußte dies natürlich mehr,
als ein anderer. Als nun eines Tages Habert hier die
Posten revidierte und sehr gebückt hinter der Barrikade
wegschlich, rief einer von den in der Nähe stehenden
Soldaten ganz laut: „Tiens! les g£n£raux ont done peur
aussi!" Da kehrte sich der General schäumend vor Wut
um, packte den Unglücklichen, der dies gesagt, mit beiden
317
Digiti by Google
Händen und zog ihn, sich dabei hoch in die Höhe rich-
tend, aus seinem Versteck hervor. Im Nu fielen eine Menge
Schüsse, — der Soldat erhielt deren gewiß 4—5 und sank
entseelt nieder, während der General mit einer leichten
Kontusion am Arm davon kam. Dann gab er dem blutigen
Leichnam mit einem „f . . . . consent" einen Stoß mit
dem Fuß und ging ruhig weiter. „Parbleu," sagten die
Franzosen, „le general a bien fait, c'etait une infamie
de dire cela d'un general comme celui-lä!"
Der Qeneral Leval, ein kleiner, schwächlich aussehen-
der Mann, hatte in keiner Weise etwas Auffallendes in
seinem Wesen — dabei war er sehr freundlich und ohne
alle Ostentation, trug immer einen grauen Überrock und
ward deswegen von den Soldaten der „Müller" genannt.
Grandjeans16) Persönlichkeit ist mir nicht mehr deut-
lich erinnerlich, — er gab auch das Kommando ab, ohne
recht eigentlich viel in Berührung mit den Truppen ge-
kommen zu sein. Was mir bei den Generalen auffiel, war
deren öftere persönliche Teilnahme am Gefecht. Man sah
Junot, Habert, Oberst Chlopicki, selbst Marschall Lannes
Gewehre nehmen, „et changer leurs coups de fusil avec
l'ennemi", wie die Franzosen es nannten. Dem Marschall
Lannes hätte solch ein Versuch einmal fast das Leben
gekostet. Nach der Eroberung des Klosters Jesu nämlich
war ein Spanier in den Trümmern versteckt geblieben und
hatte von hier aus auf den Marschall geschossen. Er-
grimmt hierüber, ließ Lannes sich ein Gewehr auf den
Boden des Gebäudes bringen, zugleich mehrere andere in
Bereitschaft halten und feuerte auf den Feind herab. Dieser
richtete eine Haubitze gegen das Dach und eine Oranate
tötete den Ingenieurhauptmann, der neben dem Marschall
stand, ohne daß dieser sich jedoch in seinem Beginnen
stören ließ. Nachdem er lange gefeuert, verließ er seinen
"> Charles Louis Dieudonnf Oral drandjean, 1768—1828,
irai!/(;ai<thi'r ("h-ru-rjil, k: ii!ir;in:lirrtr ln'i ikr üi:!ji;i.Turij; vun 7.:i\j-
goia 1800 ein holländisches Korps.
318
Digitized by Google
Posten wieder, ebenso ruhig, als wenn gar nichts vorge-
fallen wäre.
Ich weiß nicht, ob dergleichen den Funktionen höhe-
rer Befehlshaber sehr entspricht, aber ich glaube, daß ab
und zu, besonders wenn die Soldaten anfangen, matt zu
werden, und deren Oeduld zu sehr auf die Probe gestellt
wird, es wohl angebracht ist, ein Beispiel von Entschlossen-
heit und persönlichem Mute zu geben.
Am 24. Februar hielt der Marschall seinen feierlichen
Einzug in die Stadt Gemischte Kommandos bildeten vom
Tore bis zur Nostra Santa del Pilar Spalier. Lannes war
wie alle in voller Paradeuniform und hatte den Marschall
Mortier neben sich, die anderen Oenerale, mit Ausnahme
Junots, kamen hinter ihm. Von Adjutanten und Offizieren
zu Pferde dicht umgeben, ritten die Herren bis in die Nähe
der Kirche. Hier angekommen, saßen sie ab, wurden von
der Geistlichkeit, den Bischof von Huesca an der Spitze,
die ihnen aus der Kirche entgegentraten, empfangen und
bis vor den Altar geführt. Die beiden Marschälle nahmen
in zwei Lehnstühlen vor demselben Platz; ein dritter, an-
geblich für Junot bestimmt, blieb leer. Unter dem gewöhn-
lichen Spektakel und Getrommel, das einen französischen
Gottesdienst begleitet, begann die Messe, welche mir in
ihrem Rituale bedeutend von der unsrigen abzuweichen
schien. Als beim Emporheben der Hostie das Getrommel
wieder begann, fuhren die guten Spanier größtenteils er-
schrocken zusammen und sahen einander betroffen an,
als sie aber gewahrten, daß die beiden Marschälle und
deren Gefolge sich andächtig verneigten, schienen auch
sie wieder Mut zu fassen. Nach der Messe leisteten alle
Behörden dem König Joseph den Eid der Treue, und der
Erzbischof hielt eine Rede über das Unglück, das Zaragoza
betroffen. So gut ich auch meinen „Guide de conversation
espagnole" innehatte, so verstand ich von dieser Rede
ebensowenig, wie wahrscheinlich der größte Teil der
Anwesenden. Auf die Spanier schien sie einen tiefen Ein-
druck zu machen. Ein Tedeum zu Ehren des französischen
319
Digitized by Google
Sieges, das der Bischof hierauf anstimmte und das unsere
Kanonen begleiteten, mochte dem Unbefangenen fast als
eine Entweihung des Heiligtums erscheinen. Die Soldaten
sahen darin aber eine Demütigung für die Anmaßung der
Spanier, dem Kaiser und seiner Armee haben widerstehen
zu wollen.
An einem der folgenden Tage ward Palafox, der, als
die Kapitulation abgeschlossen wurde, in einem Souterrain
der Casa de los gigantes krank daniederlag, abgeführt.
Er wurde auf einem Teppich, der mit einem weißen Laken
bedeckt war, herausgetragen und auf einen mit vier starken
Maultieren bespannten, mit Malratzen versehenen Wagen
gehoben. Als man ihn herausbrachte, schlugen die Tam-
boure ; der Trompeter der 25. Dragoner, die gleichfalls zur
Eskorte gehörten, blies, die Truppen präsentierten; ein
Adjutant des Marschalls ging mit dem Hut in der Hand
neben dem General. Er sah krank und leidend aus, schien
auf niemand zu achten, und auch die Spanier nahmen
keine besondere Notiz von dem Manne, der die Stadt nicht
zu retten vermocht hatte.
Wir hatten 52 Tage vor Zaragoza gelegen und davon
23 mit dem Straßen- und Häuserkampf zugebracht Wir
sollten etwa 3000 Menschen verloren haben, ungerechnet
die Tausende, die in den Spitälern gestorben waren. Der
Verlust der Spanier — die mitgezählt, welche der Typhus
dahingerafft hatte — soll sich auf 53 600 Mann belaufen
Der Ruf, den diese Belagerung erlangt hat, hat sich
über die ganze Welt verbreitet. Aber es ist merkwürdig,
daß man hierbei nur den Verteidigern den Ruhm zuer-
kennt, der doch recht eigentlich den Angreifern gebührt
13000 Mann, denn stärker war das Belagerungskorps
nicht, hielten eine große, kriegerische Stadt mit einer
30 000 Mann starken Garnison belagert, drangen unter den
größten Beschwerden und den eigentümlichsten Verhält-
nissen bis in die Mitte Zaragozas vor und zwangen es
zur Kapitulation.
320
Digitized by Google
Die Stadt war durch Lage, Bauart und durch die wenn
auch nur improvisierte Befestigung ziemlich stark. Etwa
80 Klöster innerhalb derselben, sowie mehrere größere
Gebäude bildeten wahre Zitadellen. Unter diesen Um-
ständen hat eine ernstliche Verteidigung doch nicht viel
Befremdendes. Die Übertreibung, mit der man in jener
Zeit von der Tapferkeit der Spanier sprach, hatte ihren
Grund in dem allgemeinen Hasse gegen die Franzosen und
sah daher in dem Widerstande der Spanier ein nach-
ahmungswürdiges Beispiel.
Merkwürdig war der Ingrimm älterer französischer
Offiziere gegen die ganze Art und Weise, wie man sich
hier schlug. Als ich einst, ich glaube im Augustinerkloster,
auf Wache war, brachte man einen Qrenadierhauptmann,
einen Monsieur Hardy, der einen sehr guten Ruf hatte,
tödlich verwundet getragen. Da wir befreundet miteinander
waren, so trat ich an die Bahre heran und sagte ihm, daß
ich hoffe, bald wieder mit ihm im Dienst zu sein. „Ah
non, mon jeune ami," antwortete er, „den est fait de moi —
je sens dejä la mort dans mes entrailles — mais je suis
au de"sespoir de me voir tue par ces gredins de brigands
— pourquoi ne suis-je pas tombe' ä Eylau ou ä Friedland,
en combattant avec des gens dignes de nous?" und flu-
chend und wetternd gegen die Naches und Carajos trug
man ihn weiter. Die Hand, die er mir beim Abschied
reichte, war eiskalt, und am anderen Tage schon ward die
Leiche des tüchtigen Mannes der Erde übergeben.
Das Regiment verblieb bis zum 6. März im Lager.
Exerzieren, Paraden, Entsendungen füllten die Zeit reich-
lich aus. Doch blieb auch Muße genug, die Punkte auf-
zusuchen, wo wir beim Angriff am meisten gelitten hatten.
Wohl drängte sich manchem unter uns nun die Betrach-
tung auf, daß vieles hier und dort wohl anders hätte ange-
fangen und vollendet werden können, — aber so groß war
die Zucht, in der wir erzogen waren, daß wir hierüber
kaum laut zu urteilen wagten. Wenn ich jetzt alles recht
erwäge, so war es sowohl hier wie an den meisten anderen
21 B*M7: Span. Frahtilskimpl. 321
Digitized by Google
Orten der gewaltige Geist Napoleons, welcher alles trieb
und belebte. Seine Marschälle, besonders aber seine Gene-
rale, Divisions-, Brigade- und Regimentskommandeure
waren so eingeschüchtert, daß sie den Tod einer Abberu-
fung oder Rüge vorzogen. Freilich harrten ihrer auch
große Belohnungen und Auszeichnungen, und somit unter-
nahmen und wagten sie auch alles, was im Bereiche der
Möglichkeit lag.
Wie sehr aber den Kaiser selbst die Belagerung jener
Stadt beschäftigte, geht wohl daraus hervor, daß er am
6. März 1809 an den Kommandanten des Geniekorps der
französischen Armee in Spanien, General Lery, den Befehl
erließ, alles hierauf Bezügliche zusammenzustellen, um für
ähnliche Fälle als Muster zu gelten.
Digitized by Google
2. Kapitel
Ausmarsch aus Zaragoza mit der Brigade Habert.
Gefechte gegen Perefia. Besetzung von Monzon.
Rückzug auf Barbastro. Rückmarsch nach Zaragoza.
Schlacht von Santa Maria (15. Juni 1809). Schlacht
von Belchite (18. Juni 1809). Verfolgung des
Feindes auf Alcaniz.
Am 5. März erhielt ich für meine Person den Be-
fehl, mich mit einem kleinen Kommando nach El Burgo
zu begeben, einem Flecken eine Meile von Zaragoza auf
der Straße nach Fuentes gelegen. Wenngleich ich schon
voraussetzen konnte, daß es dort nicht viel zu tun geben
würde, so hatte ich doch keine Idee von dem, was ich
wirklich fand. Im ganzen Ort war nur eine alte, halb blinde
verrückte Frau, die von Almosen der Soldaten lebte —
sonst kein lebendes Wesen als Katzen, die man überall
umherschleichen sah. Die Häuser waren geplündert und
entsetzlicher Schmutz, welchen die Kavallerie, die hier
während der Belagerung gehaust, zurückgelassen hatte,
machte den Aufenthalt noch unangenehmer. Glücklicher-
weise aber sollte mein Exil nicht lange dauern. Am 6.
nachmittags kam nämlich ganz unvermutet unsere Brigade
hier an, um Alcaniz, gegen welches angeblich bedeutende
feindliche Kräfte in Anmarsch sein sollten, zu besetzen,
und mir ward Befehl, mich dem Regiment wieder anzu-
schließen. In der Nähe des nicht unfreundlichen, der Zer-
21*- 323
Digitized by Google
Störung entgangenen Fuentes, auf dem einst die Qrafen
dieses Namens gehaust, deren einer dem großen Conde
bei Roeroy erlegen, bezogen wir das Biwak. Am anderen
Tage setzten wir unsern Marsch über San Per fort und
langten vor Alcaiiiz am Guadalupe, einem nicht unbedeu-
deutenden, durch ein Kastell beherrschten Städtchen an.
General Vattier hatte sich während der Belagerung wieder-
holt mit den Valcncianern herumgeschlagen, wobei dann
der Ort viel gelitten hatte. Zwei Kompagnien unseres
Bataillons, darunter die meinige, wurden nach der soge-
nannten Zitadelle verlegt, in deren hohen Räumen Äolus
sich mit allen Winden ein Rendezvous gegeben zu haben
schien. Feuer konnte man nur in einzelnen Winkeln im
Schloßhofe machen ; Licht anzuzünden, seihst wenn man
es gehabt, wäre unmöglich gewesen. Wir froren wie in
Sibirien, denn das Holz, das wir geliefert erhielten, reichte
kaum hin, die kärglichen Rationen zu kochen. Wir sehnten
uns ins Lager vor Zaragoza zurück und hätten uns lieber
mit dem Feinde herumgeschlagen, als hier der Ruhe zu
pflegen.
Eines Tages hatte mich die Kälte schon früh heraus-
getrieben. Ich stand mit einem Kameraden an der
Brüstung einer Mauer, und wir starrten schweigend in
das Guadalupetal herunter. Da hörten wir auf einmal
Trommelschlag und sahen ein Detachement von einigen
zwanzig Mann, durch einen Offizier geführt, erscheinen,
das einen Spanier, dem man die Hände auf den Rücken
gebunden hatte, eskortierte. Etwa 100 Schritte von dem
Fuße des Berges, auf dem das Schloß lag, machte das
Detachement Halt — der Spanier kniete nieder, neun Sol-
daten stellten sich ihm gegenüber auf, und auf ein gegebe-
nes Zeichen des Offiziers streckten ihn die Schüsse der
Leute nieder, worauf das Detachement unter Trommel-
schlag seinen Rückweg wieder antrat und den Leichnam
liegen ließ, der erst in der Nacht, weiß Oott von wem, ab-
geholt ward. Ich hörte hinterher, daß der Unglückliche
erschossen wurde, weil man ihn unmontiert, mit den Waf-
324
Digitized by Google
fen in der Hand, gefangen genommen hatte und daß er,
wie man ihm die Augen verbunden, noch mit einem Fluch
gegen die Franzosen „Viva Fernando VII!" gerufen habe.
Leider habe ich gar manche Hinrichtungen dieser Art
mit ansehen müssen, bin jedoch so glücklich gewesen, nie
eine zu kommandieren.
Nachdem wir über 14 Tage in unserer Äolsburg zu-
gebracht halten, erhielt das Regiment Befehl, im Verein
mit einigen Kavallerieregimentern gegen Morelia aufzu-
brechen. Die Valencianer, die von dorther in Anmarsch
waren, wichen jedoch bei dem Herannahen dieser Ko-
lonnen wieder zurück, und man begnügte sich, Monroyo
und Val de Algorfa, nachdem sie vorher leider geplündert
waren, zu besetzen. Mein Bataillon kehrte nach Alcaniz
zurück, erhielt jedoch diesmal als Quartier in der Stadt
ein finsteres, feuchtes Kloster angewiesen. Wir standen
hier ebenso schlecht wie im Biwak. Vieie Soldaten be-
kamen das Fieber — ich selbst hatte mehrere Anfälle zu
überstehen, wurde jedoch durch unseren wackem Doktor
Qulicz, der ein wahrer Freund seiner Patienten war, bald
wieder hergestellt
Auf die Nachricht, daß sich in den Gebirgen an der
Cinca und dem Segre starke feindliche Massen unter dem
General Perefia gebildet hätten, erhielten wir in^er zweiten
Hälfte des April Befehl, dahin aufzubrechen. Wir traten
den Marsch beim besten Wetter an und fanden in Caspe
am Ouadalupe das 3. Regiment unserer Legion. Von dort
ging es, nachdem wir auf einer hölzernen gebrechlichen
Brücke den Ebro passiert hatten, nach Penalva, Fraga,
Belver auf Monzon an der Cinca, einem nicht ganz unbe-
deutenden Ort, der durch ein Kastell beherrscht wird. Die
Brigade setzte am anderen Tage ihren Marsch auf Bar-
bastro fort, zwei Kompagnien des Regiments aber unter
dem Befehl des Kapitäns Solnicki blieben als Besatzung
in Monzon. Ich, obwohl von einer anderen Kompagnie,
ward ihm als Adjutant und Platzmajor beigegeben. Mein
Chef war ein alter Soldat, einer jener „gens non lettres",
325
Digitized by Google
wie sie Napoleon nannte, verstand aber sein Metier vor-
trefflich. Er sah wohl ein, daß ohne den Besitz des Kastells
seine Stellung sehr gefährdet sein würde, und besetzte
also nur dieses, ließ die Stadt während des Tages durch
eine stärkere Wache hüten und hielt den nahen Olivenwald
durch Patrouillen rein. Zugleich ließ er sich Lebensmittel
auf zehn Tage im voraus liefern. Wir fanden im Kastell
zehn bronzene Kanonen und zwei Mörser, deren Lafetten
aber zertrümmert waren. Das Pulver hatten die Spanier
in die Zisterne geworfen, doch enthielt eine Art Zeughaus
eine Menge Material. Die Kasernen waren in nicht ganz
schlechter Verfassung. Nachdem wir uns vergewissert hat-
ten, daß nirgends geladene Minen vorhanden waren, be-
zogen wir unsere Burg. Mir wurden die Quartier- und Ver-
pflegungsgeschäfte übertragen sowie das Aussetzen der
Wache bei Tage und die Patrouillenumgänge bei Nacht.
Der Alkalde (Bürgermeister), ein Mann in den besten
Jahren, war ein entschiedener Gegner der Franzosen, aber
dabei verständig, und trug der Gewalt der Umstände klüg-
lich Rechnung. Es war daher auch leicht, mit ihm fertig
zu werden. Mir kam hierbei ein kleiner Umstand zu Hilfe,
der mich in etwas nähere Beziehungen zu seiner Familie
brachte. Bald nach unserem Einrücken nämlich hatte ich
gegen Abend noch mit dem Alkalden zu sprechen und
begab mich daher ohne jede Begleitung direkt in sein
Haus. Ich fand in dessen Vorhalle die ganze Familie.
Der Vater spielte die Gitarre und sang einzelne Strophen
aus Volksliedern, echt spanisch vielleicht, aber ziemlich
schlecht. Auf eine Frage, ob ich auch musikalisch sei,
nahm ich die Oitarre, die ich schon auf der Uni-
versität gespielt hatte, schlug einige Akkorde an, sang
dann ein kleines deutsches Lied und fügte einige Stanzen
aus polnischen Krakowiaks hinzu. Beides schien dem
Papa und den beiden Töchtern zu gefallen, und Seüor
Don Enrique, d. h. raeine Wenigkeit, war hiermit völlig
eingeführt, konnte kommen, wann er wollte, und war
jedesmal willkommen.
326
Digitized by Google
Die Verpflegungsg es chatte gingen hierbei ihren guten
Gang. Der alte Kapitän hatte den Dienst in der Stadt und
in der nächsten Umgegend organisiert. Bei Tage lugten
vom Fort Offiziere mit einigen guten Fernrohren in die
Umgegend. Kleine und gröbere Detachements durchstreif-
ten den Olivenwald zu verschiedenen Zeiten und unter-
hielten die Verbindung mit dem jenseitigen Ufer, wo im
Fährhause eine Kompagnie sich militärisch logiert und be-
festigt hatte. Nachts durchstreiften bald kleine, bald
größere Patrouillen die Stadl, kamen an einem bestimmten
Ort zusammen und kehrten dann gesammelt bald auf
diesem, bald auf jenem Wege zurück — mit einem Wort,
mein alter Kommandant bewies, daß er ein tüchtiger
Kriegsmann war. Der spanische General Pereha, der die
nächste Umgebung besetzt hielt und in Tamarite stand,
ward sogar einmal nachts von uns heimgesucht und mußte
uns den Ort überlassen. Während eine Kompagnie die
Verbindung mit Monzon unterhielt, blieb ich mit einem
Detachement in der Stadt selbst. Wir unterhielten durch
Zeichen allerart Gemeinschaft untereinander. Einzelne Ge-
genstände, Olivenblätter, Streifen Papiers hatten ihre Be-
deutung. Bauern und Bewohner der Stadt mußten so
unsere Korrespondenz vermitteln, ohne daß sie von der
Bedeutimg eine Ahnung hatten.
Doch war die Stellung zu gefährlich, und wir mußten
sie bald wieder verlassen. Perena aber wagte nicht ein
einziges Mal, uns anzugreifen, obwohl er, wie wir gewiß
wußten, mit den Bewohnern in stündlichem Verkehr stand.
Auf Anraten des Hauptmanns Wiganowski, der die eine
der im Fort stationierten Kompagnien befehligte, machten
wir einen Versuch, die im Fort gefundenen Geschützrohre
wieder zu benutzen. Balken, Taue, Bretter waren im Ar-
senal. Man nahm grobe Klotze, legte sie aufeinander und
daraui die Rohre. Nach einigen lagen schauten den Be-
wohnern au« den Scharten die Kanon enmundungen ent-
gegen. Das Pulver, das man in die Zisterne geworfen,
wurde gesonnt. Kugeln und Granaten waren im Fort, und
327
Digilized by Google
so sicherten wir uns die Möglichkeit, wenigstens einigi
Schreckschüsse tun zu können.
Die Gelegenheit hierzu ließ nicht lange auf sich war
ten. Eines Tages gewahrten wir auf der Straße von Tama
rite her, wo Perena stand, einen Zusammenlauf von Men
sehen. Wir richteten sogleich einen 24-Pfünder gegen jen<
Gruppe, feuerten ihn ab — und man denke sich unsert
Freude, als wir die Kugel in der Nähe aufschlagen sahen
Wir waren hierbei mit aller Vorsicht zu Werke gegangen
Die Leute hatten sich beim Abfeuern zurückziehen müssen
und Hauptmann Wiganowski feuerte selbst mit der ai
einer langen Stange befestigten Lunte ab. Zwar brannt<
das Pulver vor und zischte, aber der Schuß erreichte docl
das Ziel. Die Klötze natürlich und das Geschütz fieler
beim Schuß um, aber der gute Erfolg, den wir gehabt
ließ uns sogleich wieder an die Herstellung unseres Schieß-
gerüstes gehen. Da wir die Schießscharten sofort geblendet
hatten, so konnte man natürlich von außen nichts vor.
unserm Tun und Treiben beobachten. Die Hilfsartille-
risten, die von Zaragoza her verstanden, mit Geschüt;
umzugehen, leisteten hierbei gute Dienste. Alle Welt be
teiligte sich an der Arbeit, und der alte Kapitänkomman-
dant selbst, der die Sache anfangs als Kinderei betrachtet
hatte, sah später mit Freuden, wie wir alle Geschütze so
„en batterie" brachten. Wir unterließen nicht, bei jeder
Gelegenheit von unserem Geschütz Oeb rauch zu machen,
und hörten hinterher, daß die Spanier uns deswegen auch
mi belästigt gelassen hatten.
Eines Morgens, als ich wie gewöhnlich meine Runde
durch die Stadt gemacht und die Wachen, die wir des
Nachts immer zurückgezogen, wieder ausgesetzt hatte, ge-
wahrte ich eine ungewöhnliche Menschenmenge vor des
Alkalden Tür. Da ich in der Stadt bekannt und eine
persona grata war, so trat ich ohne weiteres unter die
Menge. Aus der Art, wie man mir Platz machte, erkannte
ich schon, daß etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein
müsse. Die Haustür des Alkalden stand offen — er selbst
323
Google
lag ermordet, durch die Brust geschossen an einem kleinen
Fenster, dessen Laden er zurückgeschlagen halte. Die
Damen klagten und weinten an der Leiche — niemand
wußte, wer den Schuß getan hatte. Es hatte jemand an
das Fenster geklopft und des Alkalden Namen gerufen.
Er hatte es geöffnet und war, von der Kugel getroffen,
ohne einen Laut von sich zu geben, tot zu Boden gestürzt.
Die Leute auf der Straße sahen die Sache im allgemeinen
gleichgültig an. „Man hat ihn für einen Afrancesado ge-
halten," flüsterten mir einige zu; andere meinten, ein
Contraband ista, den er unlängst zur Rechenschaft gezogen,
habe den Streich vollführt; mit einem Wort, jeder hatte
eine andere Erklärung. Ein Priester, Verwandter des Hau-
ses, den ich auch sonst schon dort gesehen hatte, über-
nahm die Leiche und die Sorge für die Familie. Als ich
gegen Abend wieder vorsprach, war das Haus verschlossen.
Anfangs hielt ich den Mord für persönliche Rache, des
andern Tags jedoch blieben unsere Rationen aus. Wir
schrieben dies dem Tode des Alkalden zu, und ich er-
hielt den Befehl, mich mit dem Sindico und Escribano"),
den beiden anderen Mitgliedern der Junta, zu verständigen.
Als nun die Meldung kam, sie wären verreist, wußten wir,
woran wir waren. Auf dem Wochenmarkt, der an diesem
Tage stattfinden sollte, fehlten die Verkäufer, die wohl-
habenden Einwohner waren abwesend — man sah fast
nur Frauen und Kinder geringerer Leute auf den Straßen.
Als nun vollends am 6. der Befehl einging, am 7. das
Kastell und die Stadt zu verlassen, die Cinca zu überschrei-
ten und mit der im Fahrfiause stationierten Kompagnie
vereint nach Barbastro zu marschieren, konnten wir mit
Sicherheit auf ein ernstliches Zusammentreffen mit dem
Gegner rechnen.
Dies sollte auch wirklich stattfinden. Nachdem wir
am 7. morgens sehr vorsichtig die Stadt und die Umgegend
abpatrouilliert hatten, wurden die Kranken und die Bagage
") Syndikus und Amtsfchreiber.
32Q
Digitized by Google
unter einer Bedeckung von einem Offizier und 25 Mani
abgeschickt Kaum hatten sie die letzten Häuser der Slad
hinter sich, als ein starkes feindliches Detachement si
angriff, einige Saumtiere niederschoß, sich eines Teile
der Bagage, darunter der meinigen, bemächtigte und da
Bedeckungskommando nötigte, sich gegen die Cinca zu
rückzuziehen, wo es eiligst die dort vorhandenen Fähre:
zum Übersetzen benutzte. Nachdem wir von unsen
Kastell zu guter Letzt nach allen Seiten hin unsere Ka
nonen abgefeuert hatten, rückten wir gleichfalls in di
Stadt, um uns von dort gegen den Fluß in Bewegung z
setzen. Schon bei den ersten Häusern erhielten wir Feuei
das uns bis zum Ausgang der Stadt begleitete, aber wundei
barerweise nur sehr geringen Schaden tat. Im Olivenwal
war der Kampf heftiger; wir warfen jedoch den Feini
kräftig zurück und konnten unsern Marsch fortsetzen,
mir ward der Auftrag, den Rückzug gegen die Cinca z
decken und die Arrieregarde zu bilden. Als ich mich nac
einiger Zeit anschickte, dem Gros zu folgen, ward ich let
halt gedrängt und im eigentlichen Sinne des Wortes gege;
das Ufer geklemmt.
Hier jedoch gab mir das Terrain Gelegenheit zu eine
energischen Verteidigung. So oft der Feind auch gegej
mich vordrang, mußte er mit Verlust zurückweichen, un
ich konnte zuletzt meine Leute ruhig und ohne Ober
eilung einschiffen. Da ich jedoch der letzte sein wollte, de
die Fähre bestieg, so ließ ich sie erst abstoßen, versäumt
beim Nachspringen den richtigen Moment, fiel hierbei in
Wasser und mußte durch meine Leute aus dem reißende
Strom gerettet werden. Vom jenseitigen Ufer hatte ma
die ganze Geschichte mit angesehen und überhäufte mic
mit Lobsprüchen. Als mich aber der Kapitän fragte, warur
ich denn nicht mit den anderen Soldaten ordentlich in di
Fähre gestiegen sei, antwortete ich etwas hochmütig, ic
hätte es wie Julius Cäsar machen wollen. Kaum hart
ich dies gesagt, so erhoben die Kameraden ein schallen
des Oelächtcr. „Wohlan," sagte endlich einer derselben
330
Digitized by Google
„Julius Casar, du wirst heute nacht tüchtig frie.en -
unsere Bagage ist voran; du wirst für deinen unnützen
Heroismus verdientermaßen hüften." Und er hatte recht
- die Nacht war halt und feucht, der Marsch wurde oft
unterbrochen, um Berichte der Seitenpatrouillen abzuwar-
ten, und so kam ich halb erstarrt in liarbaitro an, wo wir
die Garnison unter den Waffen und den ücneral unsert-
wegen sehr in Sorge fanden. Wir erhielten unser Quartir-r
in einem Kloster angewiesen, deren der Ort sieben neben
einer Malteser Komturei hatte. Nachmittags ließ mich
der Kapitän, ehemaliger Kommandant des I orts Monzon,
rufen. „Ich nahe den Befehl erhalten," sprach er /u mir,
„einen Bericht Über unsern Zur zu machen. Sie sind wohl
so gütig ihn aufzusetzen und mir vorzulegen, liier sind
Feder, linte und Papier." Ich nahm sofort Platz, gab
eine kurze Skizze des Freignisses und fügte nur die Zahl
der Toten und Verwundeten (ich glaube 14 — 16) hinzu. Als
ich fertig war, mußte ich mein Opus dem Kapitän vor-
lesen. „Sehr gut, lieber Brandt," sagte er, „aber Sie haben
einige wesentliche Punkte übergangen," und nun fing er
an, die Sache in einem sehr blühenden, aber weniger guten
Stil zu erzählen, diktierte dies und das und machte aus
unserm Zuge ein wahres Heldenstück. „Sehen Sie," fügte
er mit einer Art Genugtuung hinzu, „so muß man einen
Bericht machen." Für sich hatte der gute Mann darin
den Weihrauch nicht gespart; von allen andern, die wahr-
haft Anerkennung verdienten, war kaum die Rede. „Nun,"
sagte er endlich, „redigieren Sie die Sache und schreiben
Sie sie dann ins reine." Nachdem ich ihm seine Arbeit
vorgelesen hatte, lächelte er beifällig, unterzeichnete mit
einiger Mühe und regalierte mich mit einer Tasse „Cafe au
lait", den ich seit Pamplona nicht mehr getrunken hatte.
Am andern Tage üe8 General Habert die Offiziere
der Garnison von Monzon auf der Parade versammeln,
überschüttete den Kommandanten des Forts mit Lobes-
erhebungen über seine schöne Führung und gratulierte
uns, einen solchen Chef gehabt zu haben.
331
Digitized by Google
Am 12. früh brachen wir über Lastanosa nach Sari
Rena auf, das wir am 13. erreichten. Wir biwakiertei
wie gewöhnlich. Die Spanier verfolgten uns lebhaft, docl
mit großer Vorsicht. Die Menge von Teilgefechten, dii
sie uns stets an den günstigsten Orten lieferten, bewiesen
daß sie das größere Engagement auf einen geeigneterer
Zeitpunkt verschoben.
Wir fanden im Orte ein Marschbataillon, das von Zara-
goza hierher dirigiert war, um den französischen Truppen-
teilen einverleibt zu werden. Die Leute, obwohl neu be-
kleidet und gut bewaffnet, machten dennoch keinen guten
Eindruck. Wäre Mina auf sie gestoßen, er hätte sie ge-
wiß auseinandergesprengt. Wir erfuhren hier viel über
die Vorgänge in Aragonien und Catalonien, und diese Mit-
teilungen waren nicht geeignet, den gesunkenen Mut der
Leute aufzurichten. Am 14. dirigierten wir uns auf Rijena.
Unterwegs überraschte uns ein Wolkenbnich. Pferde,
Maul- und Lasttiere, selbst die Menschen wurden umge-
rissen — die kleinen Bäche glichen reißender Strömen, und
nur auf erhabenen Höhen fand man Schutz — die ganze
Brigade wirbelte chaotisch durcheinander. Glücklicher-
weise dauerte das tollste Unwetter nicht lange, obwohl
es stundenlang stark fortregnete. Es bedurfte längerer
Zeit, ehe sich alles wieder ordnete. Die Gebirgsartillerie
war für den Augenblick ganz gefechtsunfähig, und der
fette Lehmboden so aufgeweicht, daß man kaum vorwärts
konnte. Ich hatte eine so totale Auflösung einer Truppe
noch nie gesehen und sollte Ähnliches erst in Rußland,
wenngleich durch andere Verhältnisse bedingt, wieder er-
leben.
Nach glücklich überstandenem Marsche fand beinahe
die ganze Brigade in dem geräumigen Kloster von Sixena
Quartier und gute Verpflegung. Nur Wein war wenig vor-
handen, obgleich die Mönche der Abtei bei den Bewohnern
im Rufe standen, gute Zecher gewesen zu sein.
Des andern Tages brach die Brigade früh gegen Al-
colea an der Cinca auf. Man versuchte hier den Fluß iu
332
Digitized by Google
passieren, aber da sich der Feind am andern Ufer in
größerer Stärke zeigte und emstlich Miene machte, den
Übergang zu verteidigen, so unterließ man es, schoß sich
nur eine lange Weile resultatlos herum und biwakierte
schließlich im Angesicht des Feindes.
Am 16. Mai setzten wir uns etwas früher wie gewöhn-
lich, aber dennoch erst gegen 7 Uhr, auf Pomar an der
Cinca in Bewegung, wo sich zwei kleine Fahren, von denen
jede etwa eine gute halbe Kompagnie fassen konnte, be-
fanden. Wir marschierten am Ufer auf, und unter dem
Schutze einiger Kanonen begann man die Voltigeure des
74. und 116. französischen, des 2. Weichselregiments und
die Grenadiere des 116. Regiments, zusammen 8 Kom-
pagnien und 50 Kürassiere, überzusetzen. Die Sache ging
rasch und gut vonstatten. Die Musketierkompagnie des
1. Bataillons war bereits auf der Fähre, als wir einen
der Fährleute, der zum General geeilt war, von diesem
unter heftigen Worten mit Fußtritten überhäuft sahen.
Niemand wußte sich dies zu erklären, und erst später
hörten wir, daß der alte, in seinem Geschäft routinierte
Fährmann den General gewarnt hatte, nicht mehr Truppen
übersetzen zu lassen, weil infolge eines im Gebirge nieder-
gegangenen Wolkenbruches binnen kurzem das Wasser
sehr steigen würde. Diese Meldung, die den General außer
sich gebracht hatte, sollte sich nur zu bald bestätigen.
Das Wasser wuchs urplötzlich und stürzte mit solcher
Gewalt in das Flußbett, daß man eilen mußte, die bereits
eingeschifften Musketiere wieder an Land zu setzen. Die
Gewalt des Stromes rollte große Steine, Felsblöcke und
Bäume vor sich her, riß die Taue der Fähre wie Bind-
faden entzwei und überschwemmte bald die beiden Ufer
in dem Maße, daß die Truppen dieselben verlassen mußten,
um sich auf den Talrand des Flußbettes zu retten. Dabei
war die Atmosphäre über uns noch ziemlich klar, und
nur nach dem Gebirge zu war der Himmel geschwärzt und
mit leichten kleinen Wolken bezogen.
Der General irrte am Ufer hin und her und suchte sich
333
Digitized by Google
mit den bereits übergesetzten Truppen zu verständigen.
Aber das Wasser übertoste seine gewaltige Stimme. Dann
kam er auf die Idee, Granaten, die man entladen und mit
Betehlen gefüllt hatte, hin überzuschießen. Aber auch dies
mißglückte. Endlich wurden Freiwillige aufgefordert, über
den Fluß zu schwimmen und mündliche Befehle zu über-
bringen. Aber mehrere Mutige ertranken, noch' ehe sie die
Mitte des Stromes erreicht hatten, und nur einer kämpfte
sich bis zum Felsenriff durch die wütenden Gewisser; hier
saß er einige Zeit, vergebens bemüht, sich durch Zeichen
zu verständigen — dann schienen ihn seine Kräfte zu ver-
lassen und er stürzte in die Fluten.
Die übergesetzten Truppen entschwanden allmählich
unseren Blicken, und wir bezogen, von dem stark herab-
strömenden Regen durchnäßt, besorgt und traurig auf
den Höben ein Biwak und brachen am andern Tage gegen
Monzon zu auf. Dem Ort gegenüber angekommen, empfin-
gen uns Flintenschüsse vom andern Ufer her. Ein lebhaftes
Feuer führte zu nichts — vergebens warf man Granaten,
die Spanier blieben in ihrer Stellung, wenn man auch aus
ihrem Feuer und ihrer Art des Kampfes deutlich entnehmen
konnte, daß sie hier nicht stark waren.
Nachdem wir den ganzen Tag nutzlos vertrödelt hat-
ten, ging es am 18. nach Barbastro zurück, wo wir ohne
Widerstand einrückten. Am 20. aber, als ich auf Feld-
wache war, sah ich von einer Gegend her, aus der wir
den Feind erwarten durften, ein Detachement Kavallerie
langsam und mit Vorsicht herankommen. Auf meine Mel-
dung hiervon saßen unsere übriggebliebenen Kürassiere
sogleich auf und gingen dem vermeintlichen Feinde ent-
gegen. Groß war die Freude und Überraschung, als sie in
ihm den Rest der am 16. übergesetzten Kürassiere fanden,
die wir bereits verloren glaubten. Durch sie erfuhren wir
das Geschick unserer Elitekompagnien. Tausend derbesfen
Soldaten der Division waren eine Beute des Feindes ge-
worden, und ich darf wohl hinzufügen : weil weder der
kommandierende Offizier, uoch der General Habert selbst
334
Digilized by Google
Einsicht genug besaßen, die rechten Mittel zur Rettung
zu ergreifen.
Die Nähe Leridas, dessen starke Garnison die Mittel
bot, schnell und unvermutet mit überlegenen Kräften auf
dem Kampfplatz zu erscheinen und Perena und die un-
regelmäßigen Truppen zu unterstützen, ließ es uns wün-
schenswert erscheinen, jene beiden Städte in Besitz zu
behalten. Trotzdem aber versuchten wir auf das jenseitige
Ufer zu gelangen, recht als ob man das Bestreben an den
Tag legen wollte, sich in die unangenehmste Lage von
der Welt zu versetzen. Es wäre nichts natürlicher gewesen,
als direkt nach Monzon zurückzukehren, sich hier der
Fähre zu bemächtigen und überzusetzen. Wäre dann wirk-
lich jene Wasserflut gekommen, so hätte dies, wenn man
im Besitz des Forts und der Stadt gewesen wäre, nichts
zu sagen gehabt. Die Garnison von Lerida, selbst im
Verein mit Perefia, wäre nicht stark genug gewesen, der
ganzen Brigade, von Kavallerie und Artillerie unterstützt, in
dieser guten Stellung irgendwie gefährlich zu werden. So-
bald sich dann das Wasser verlaufen, hätte man sich auch
Barbastros wenigstens durch Öftere Besuche versichert.
Jene unglückliche Katastrophe, die man den Elementen
zugeschrieben hatte — „subites crues, qui causent souvent
la fönte des neiges ou les grands orages, et qui ont rendu
de tout temps cette riviire dangereuse", sagt Marschali
Suchet in seinen Memoiren — war nur eine Folge der
Unschlüssigkeit des Oenerals und der unzulänglichen Maß-
nahmen der Führer. Hätte der Chef jener vereinten Elite-
kompagnien sich, sowie er das Kritische seiner Lage er-
kannte, schnell nach Monzon dirigiert, sich des Kastells
dort bemächtigt, der wohlhabenden Stadt befohlen, ihm auf
6—8 Tage Lebensmittel zu verschaffen, was um so weniger
Schwierigkeiten gehabt haben würde, als die Gefahr erst
später offenbar ward, hätte sich General Habert gleichfalls
schnell stromaufwärts begeben, Monzon gegenüber einige
Bataillone und ein paar Geschütze gelassen und sich dann
in einem reichen, auf dem halben Wege befindlichen
335
Digilized by Google
Kloster mit dem Rest seiner Truppen aufgestellt, so hätten
beide Teile die Ereignisse ruhig abwarten können. Die
Bewohner jener Städte wurden in Abhängigkeit erhalten,
die Umgegend aber verhindert, der Empörung zu offen
die Hand zu bieten. So aber verlor General Habert seine
Zeit ganz unnütz durch ein langsames Stromaufwärtsgehen.
Der Kommandeur jener acht Kompagnien aber kam sofort,
als er seine Lage bemerkte, auf die unglückliche Idee, sich
nach Frankreich durchzuschlagen. Dem Aufstande und
den Truppen Perenas hatte er noch erfolgreichen Wider-
stand geleistet; dem Detachcmcnt regelmäßiger Truppen
gegenüber, die ihm von Lerida entgegenrückten, war er
nicht gewachsen. Erschöpfung und Mangel an Munition
lieferten die braven Leute endlich in die Hände des Fein-
des. Sie haben einige Jahre auf Cabrera15) und später
auf englischen Pontons in Gefangenschaft geschmachtet
Und sind erst beim allgemeinen Frieden in Freiheit ge-
setzt worden. Die Niedergeschlagenheit über diesen Un-
fall war allgemein. Namentlich litt der Oeneral Habert
außerordentlich darunter. Als wir Monzon gegenüber la-
gerten, sah ich ihn unter einem alten Brückengewölbe,
in voller Verzweiflung die Hände ringend, stehen: „Oh!
mes pauvres grenadiers! mes braves voltigeurs!" rief er
unter Tränen — aber was er zu ihrer Rettung hätte tun
können, tun sollen, fiel dem sonst so tüchtigen und braven
Manne nicht ein, während doch die meisten Offiziere
ebenso dachten, wie ich es hier niedergeschrieben habe.
Die Märsche von Barbastro über die Sierra de Aku-
bierre auf Villa Franca de Ebro boten uns vielfache Hinder-
nisse und waren sehr beschwerlich. Hier, glaube ich, er-
fuhren wir die Ernennung des Generals Suchet zum Be-
fehlshaber des 3. Korps.1«) Als früherer Chef einer Di-
") Vergleiche den 5. Bericht
'«) Louis Oabriel Suchet, Herzog von Albufera, 1772—1826,
französischer Marschall, befehligte zuerst das 5. Korps und über-
nahm dann im April 1809 den Oberbefehl über die Armee von
Aragonien.
33Ö
Digitized by Google
vision im 5. Korps war er wenigstens dem jüngeren Teil
der Armee des 3. Korps ziemlich unbekannt Die Sache
ging darum auch ruhig an uns vorüber, und ich entsinne
mich noch sehr wohl der Teilnahmlosigkeit, mit welcher
der Befehl angehört ward. Die Hauptleute und Bataillon-
kommandeure unserer Legion meinten zwar, daß der Gene-
ral ein tüchtiger Mann sei, der Courage habe — aber er
bliebe doch immer ein Franzose, womit sie andeuten woll-
ten, daß er mehr ein Herz lür jene, als für uns haben werde.
Am 24. brachen wir aus Villa Franca nach Pina am
Ebro auf. Unterwegs jedoch erhielten wir Gegenbefehl und
dirigierten uns nach Puebla de Alfinden, also den Ebro
aufwärts, d. h. in gerade entgegen gesetzter Richtung. Die
Eile, mit welcher der Marsch betrieben ward, ließ voraus-
sehen, daß man für Zaragoza fürchtete. Die am andern
Tage fortgesetzte Bewegung auf Villamayor, das der
Hauptstadt in nur geringerer Entfernung entgegenliegt,
bestärkte diese Ansicht. Der Dienst ward mit großer
Vorsicht gehandhabt. Alles biwakierte, ich möchte sagen,
die Waffen in der Hand. Am 25. gingen wir über den
Gallego, wo wir die Brücke besetzten und dahinter ein
Lager bezogen, indes die Brigade Habert selbst gegen
Abend nach Monte-Torrero marschierte. Zwei Kom-
pagnien unter Solnicki hielten die Brücke besetzt. Bei Tage
begnügte man sich, die Wege zu beobachten ; nachts aber
war alles auf den Beinen. Wir sahen auf den Höhen von
la Perdiguera die feindlichen Feuer; unsere Patrouillen
stießen öfters aufeinander, und allnächtlich wurden Schüsse
gewechselt. Dabei hatte die Landschaft ein friedliches
Aussehen. Ackerbau und Handel gingen ihren Weg, und
alle Tage passierten die Landleutc mit ihren Früchten die
Brücke, um solche in Zaragoza zu verkaufen. Die Dis-
ziplin ward streng aufrecht erhalten, ein Unteroffizier eines
französischen Regiments, der einem Bauer auf der Land-
straße einige Eier abgenommen, ward kriegs rechtlich ver-
urteilt. Die gelieferte Verpflegung war gui, und man
konnte für Geld die meisten Luxusbedürfnisse bekommen.
22 B-M7: Span. FicihclUkampf. 337
Digitized by Google
Gegen Abend kehrten wir sehr vergnügt über unsere
Expedition zurück. Das Gefecht, so unbedeutend es auch
an und für sich gewesen war, hatte den Mut der Soldaten
wunderbar gehoben. Wir verblieben in unserer Stellung
bis zum 16.
Eines Tages, als wir exerzierten, kam der General
Suchet mit einem zahlreichen Stabe angeritten. Er sah
sehr aufmerksam zu, stieg dann vom Pferde, besichtigte
unsere Waffen ganz genau, ließ Tornister aufschnallen,
sah Montierungsbücher durch, einzelne Soldaten mußten
sogar die Röcke aufknöpfen und ihre Wäsche zeigen ;
er untersuchte die Patronen, das Schuhzeug, erkundigte
sich genau nach der Verpflegung, — mit einem Worte,
er machte es, wie ein guter Kapitän mit seiner Kompagnie.
Als er alles in Ordnung fand, lobte er Soldaten und Offi-
ziere, allerdings mit etwas Emphase, und drückte zuletzt
dem Kapitän Solnicki, als einem „Camarade qui meritait
toute son estime" die Hand. Die Szene machte einen sehr
guten Eindruck. Weder Moncey, noch Lannes, noch Junot,
unter denen wir gestanden, hatten sich so gründlich und
dabei so freundlich mit uns beschäftigt Zwar hatte Junot
ab und zu unsere Biwaks besucht, aber es hatte ihm nie
gelingen wollen, sich in der Gunst der Offiziere und Sol-
daten festzusetzen.
Am 10. marschierten wir nach Zaragoza. Wir erhielten
ganz in der Nähe der Kirche del Pilar unsere Stellung an-
gewiesen, waren am Tage Immer unter dem Gewehr und
brachten die Nächte fast stets mit den Waffen in der
Hand zu. An einem Morgen wurden wir Offiziere nicht
wenig überrascht, als uns eine alte Frau Schokolade
brachte. Wir erfuhren, daß wir diese Aufmerksamkeit
einem Domherrn, der an dem Platze wohnte, verdankten.
Meine Kameraden schickten mich, nachdem wir die Criada
— Dienerin — beschenkt hatten, auch dem Herrn Geist-
lichen unsem Dank abzustatten. Der gute Mann empfing
mich unglaublich freundlich, versicherte, daß er den Seiior
General „en Chef" äußerst lieb habe und daß er wahrhaftig
338
Digitized by Google
bedaure, daß er Zaragoza verlassen werde. Da wir voif
der Lage der Dinge keine Ahnung hatten, so wußte Ich"
natürlich nicht, wie ich jene Äußerung zu nehmen harte.
Jedenfalls deuteten sie auf einen schlimmen Stand unserer
Angelegenheiten. Meine Kameraden, denen ich alles mit-
teilte, waren darüber ebensosehr betreten wie ich", doch
kamen wir mit dem frischen Mut der Jugend bald über alle
Besorgnisse hinweg.
Da wir jedoch den Befehl erhielten, auf dem Platze
abzukochen, so sahen wir wohl, daß irgend etwas Unge-
wöhnliches sich vorbereitete, ergingen uns in Kombina-
tionen allerart und wurden während derselben durch eine
Einladung des Senor Canonigo zur Comida — Mahlzeit
— überrascht.
Dergleichen war uns in Israel noch nicht vorgekom-
men. Da wir uns nicht alle entfernen konnten, so gab unser
Kommandeur dreien von uns Erlaubnis, die Mahlzeit mit
dem Geistlichen teilen zu dürfen, während er selbst mit
noch einem anderen Offizier zurückblieb. Es war das
erstemal, daß wir mit einem Spanier an einem Tische
aßen. Der Herr Canonigo schien sich bereits auf den
Feldetat gesetzt zu haben. Der Tisch" war mit einem eben
nicht feinen Tischtuch von Linnen bedeckt, das Oeschirr
von ordinärem, buntem Ton, Messer, Oabel und Löffel
waren von Messing, die Oiäser von gemeinem Olase.
Rohrstühle, ein Tisch von Kiefernholz und eine einfache,
uralte Pendeluhr bildeten das bescheidene Ameublement.
Den Möbeln entsprach das Diner — die Puchero, eine
einfache Suppe mit vielem Kraut und Speck', eröffnete es,
dann folgte die Schüssel unvermeidlicher Bohnen mit ge-
dämpftem Fleisch; einige vortreffliche, aber in öl ge-
bratene Hühner und Picatostes (in öl geröstetes Brot),
Kastanien, Weinbeeren und in Essig eingemachte Tomaten
beschlossen das Mahl. Das Gespräch war, soweit es unsere
Kenntnis der spanischen Sprache zuließ, sehr lebhaft, denn
ein gewisses Gefühl des Wohlseins, unter Dach und Fach
zu sein, und der gute Wein hatte uns allen die Zunge
22* 339
Digilized by Google
gelöst. Der gute Canonigo ging in seiner Offenherzigkeit
sogar soweit, uns sein Bedauern auszudrücken, daß wir
dem unmittelbarsten Untergänge entgegengingen, indem
der General Blake mit einem unzählbaren Heere anrücke
und uns ohne Zweifel gefangen nehmen würde, da wir
schon jetzt von allen Seiten umringt seien. Letzteres war
auch in der Tat der Fall, wenngleich das Netz nicht schwer
zu zerreißen war, wie wir dies schon von La Perdiguera
her wußten. Wir konnten darauf natürlich nur antworten,
daß jedenfalls eine Schlacht über die Zukunft entscheiden
würde, was der Sefior Canonigo jedoch nicht glauben
wollte, da der General Suchet ja kaum 10000 Mann habe
und nicht wagen dürfe, dem General Blake entgegenzu-
Am andern Tage früh rückten wir nach Monte-Tor-
rero, wo wir tüchtig schanzen mußten. Wir hörten hier
ungefähr das bestätigt, was unser Canonigo uns gesagt
hatte, und daß wahrscheinlich eine Schlacht über das
Schicksal Zaragozas entscheiden würde. Nachmittags kam
der Adjutant-Major des I. Bataillons, Rechowicz, aus der
Stadt zu uns geritten und erzählte uns, daß der komman-
dierende General mit der Reorganisation der Voltigeur-
kompagnien, die bei Monzon größtenteils gefangen genom-
men waren, einverstanden sei, jedoch einstweilen den Etat
auf nur 60 Mann festgestellt habe. Ich sei vom Oberst
zum Kommandeur einer solchen Abteilung bestimmt wor-
den — jedenfalls eine große Auszeichnung für mich, da
ich einer der jüngsten Offizicire des Regiments war. Ich
wußte wohl, daß ich dies besonders der Fürsprache der
Kapitäne Ball, Solnicki und Rechowicz zu danken hatte,
mit denen ich wiederholt in dienstlicher Berührung gestan-
den hatte und die sich lebhaft für mich interessierten.
Ich konnte diesen Biedermännern, von denen ich die
beiden ersten leider auch habe in Spanien sterben sehen
müssen, nur durch Diensteifer meine Dankbarkeit be-
weisen.
Von Monte-Torrero marschierten wir am 14. nach
340
Digitized by Google
Santa Fe, an der Straße nach Daroca. Die Straßen Zara-
gozas, durch welches man uns den Weg nehmen ließ,
fanden wir öde und still. Die Fenster und Balkontüren
fanden wir überall verschlossen, und nur hier und dort
lauschte eine neugierige Dona dem Schalle der Musik
und der Trommeln.
Den 14. früh entspann sich ein lebhaftes Oefecht mit
den Spaniern, in dem sie sich sehr brav benahmen. Nach
einem mehrstündigen Geplänkel, in dem wir eine Menge
Leute verloren, mußten wir uns etwas zurückziehen.
Abends verbreitete sich das Gerücht, daß einige unserer
Truppenteile bedeutende Nachteile erlitten hätten und von
Zaragoza zurückgedrängt worden wären. Ich kann nicht
sagen, daß diese Nachricht besonders niederschlagend ge-
wirkt hätte. Sei es, daß man die gefährliche Lage, in der
wir uns befanden, nicht kannte oder sie unterschätzte —
man war im Lager guter Dinge, und nur das kalte, böse
Wetter, das urplötzlich eingetreten war, belästigte uns.
Die Spanier alarmierten die Vorposten unaufhörlich, und
wir ließen fast die ganze Nacht hindurch das Gewehr nicht
aus den Händen. Schon früh am 15. begann das Tirailleur-
f euer wieder. Die Spanier drängten mit bedeutender Über-
legenheit sehr lebhaft, und allmählich wurde das ganze Re-
giment ins Oefecht gezogen. Zuletzt blieb nichts übrig,
als einige Geschütze unserseits sich am Kampfe betei-
ligen zu lassen. Einige Kartätschen lagen verschafften uns
Ruhe, und es entspann sich ein stehendes Gefecht, das
mehrere Stunden dauerte und in dem viele Leute er-
schossen und verwundet wurden. Ab und zu sprengten
einige Kavalleriezüge gegen unsere Tirailleurs vor, wurden
jedoch jedesmal zurückgewiesen, aber nichtsdestoweniger
verloren wir allmählich Terrain. General Suchet erschien
mehrmals auf einigen beherrschenden Punkten und sprach
freundlich zu den Soldaten, was einen guten Eindruck
machte.
Gegen Mittag sprengte eine ganze Schar der Dragoner
von Numantia, in ihren gelben Röcken schon von weitem
341
Digitized by Google
kenntlich,
gegen den Punkt
vor, wo ich mi-
nen neu-
formierter
. Voltigeur* «and.
lch hatte dies vo
rher
gesehen
und mich
auf eine kleine Ki
ippe aufrechtste!
icnd.
:r Steine
ß«(dlt u
ttd um diese her
meine Leute gn
<vr-<
n. W;r
empfinger
i die Sr.,i;;i' t
einem lauten Iii
und täut
ge/iflu-m
l,i:ir ~j.:.ir.
l,;s «i ;M ar. 1:1 .,
he:
an, kehr-
uh.r.
kh rm.chte sagen,
weiter Versuch fiel
vor unseren Baj
nicht glücklicher
■ttspitzen
, und ein
dritter ward von ihnen schon in größerer Ferne einge-
stellt Merkwürdigerweise hatten die beiden ersten An-
griffe den Reitern nur einige Mann gekostet; der letzte
aber ließ eine Menge Pferde tot auf dem Platze, und wir
sahen deutlich, wie beim Rückzüge noch mehrere Leute
von ihren Pferden stürzten und liegen blieben. Der General
Suchet, der dies aus der Ferne beobachtet hatte, ließ
fragen, wer hier kommandiere, und ließ mir durch einen
seiner Ordonnanzoffiziere, Kapitän Desaix, seinen Beifall
„sur ma resistance heroique" bezeugen. Unter stetem
Herüber- und HinübcrgeschidSe, Anprallen und Abwehren
der Spanier zog sich der Vormittag hin — es ward 12 Uhr.
Unsere Patronen fingen an, auf die Neige zu gehen, ob-
wohl wir sie durch die der Verwundeten und Toten zu
ergänzen suchten. Dabei brannte uns die Sonne heftig
auf die Köpfe, und wir wurden von großem Durste ge-
peinigt. ■ ' ; . j
Während ieli so meine Tirailleurlinie auf und ab
wanderte, um meinen Leuten Mut zuzusprechen, traf ich
auf den Offizier, der mir zur Linken die Tirailleurlinie be-
fehligte, einen Leutnant RatkowskL „Nimmst du vielleicht
einen Schluck aus meiner Flasche, Julius Cäsar?" rief
mir der stets heitere Freund zu, „sie ist nur halb gefüllt"
„Mit Vergnügen," erwiderte ich, „denn mir klebt die
Zunge am Gaumen." Indem er sich die Schnur, an der
die Flasche hing, von der Schulter abmachte, fuhr eine
Kugel durch dieselbe. Ohne ein Wort zu sagen, hob er
sie kaltblütig von der Erde auf und sagte: „Trink rasch,
denn sonst läuft der edle Saft aus." Der brave, vortreffliche
342
Digitized by Google
Mann, der bereits bei der ersten Belagerung von Zaragoza
verwundet worden war und auch sonst Beweise von Mut
gegeben hatte, wurde später bei Deckung eines Trans-
ports von vielfach überlegenen Kräften angegriffen und
eines Teils seiner Wagen beraubt Der kommandierende
General tadelte Ratkowskis Benehmen in einem Tages-
befehl an das Korps. Seit dieser Zeit verlor mein lieber
Freund seinen frohen Sinn — nur wenn er tüchtig ge-
trunken hatte, was er früher nie getan hatte, fand er seine
Heiterkeit wieder, aber innerlich blieb er gebrochen. Als
er an der Beresina, von einer Kugel getroffen, seinen Geist
aushauchte, sollen seine letzten Worte gewesen sein:
„Schade, daß der Kerl, der mir meine Ehre geraubt hat,
nicht Zeuge unseres Angriffs gewesen." — Er war mir
ein lieber Freund, und oft hat mich später die Erinnerung
an sein unglückliches Schicksal von einem verletzenden
Worte an meine Untergebenen zurückgehalten.
Am Mittag sahen wir von unseren Höhen herab das
Vorrücken der Angriffskolonnen, wurden aber selbst durch
das erste Regiment unserer Legion und das 115. franzö-
sische abgelöst, welche gleichfalls sofort in Kolonne vor-
gingen, um die Spanier anzugreifen. Wir bildeten die
Reserve. Es kam zu einem heftigen Oefecht auf der ganzen
Linie, das bald stockte, bald siegreich vorschritt. Die Spa-
nier ergriffen ab und zu eine energische Offensive und
warfen das 115. Regiment zurück, dem wir eilend zur
Hilfe rücken mußten. Während eines gewaltigen Regen-
gusses schritt die ganze französische Armee zum Angriffe
vor. Ein schöner Kavallerieangriff des Generals Vattier,
von der rechtzeitigen Bewegung einer Infanteriekolonne
unter Oeneral Habert unterstützt, führte endlich eine Ent-
scheidung zu unseren Gunsten herbei, und die Spanier
verließen das Schlachtfeld, auf dem sie etwa 1000 Tote,
25 Geschütze und eine Menge Verwundeter zurückließen.
Ihr Rückzug geschah in aller Ordnung und militärischer
Haltung. Sie lagerten während der Nacht uns gegenüber
und hatten am andern Morgen noch die Höhen von Botor-
343
Digilized by Google
rita ganz in der Nähe des Schlachtfeldes inne. Sic räum-
ten diese erst, als wir uns am 17. morgens in Bewegung
setzten. Wir erreichten nach einem anstrengenden Marsche
La Puebla de Aiborton. Der Weg war an den niedrigen
Stellen ganz durchweicht — stellenweise ganz unwegbar.
Auf den höheren Punkten bot der nackte Felsboden gleich-
falls viele Hindernisse. Das Bergauf- und Bergabsteigen
erhöhte noch die Schwerigkeiten, und wir kamen, obwohl
wir etwa nur 5 spanische Meilen zurückgelegt, dennoch
sehr ermüdet im Biwak an. Der Ort war ganz geplündert,
Holz war nur in sehr geringem Maße vorhanden, und so-
mit froren und hungerten wir nach dem Siege aufs beste.
Hätten wir nicht auf unserem bei La Perdiguera erbeuteten
Esel noch einige Reste besserer Tage gehabt, die ein vor-
trefflicher Diener sorgsam bewahrt hatte, wir hätten
hungrig die Nacht durchwachen müssen. Dabei war es
regnerisch und kalt. Ich entsinne mich nicht, später in
Rußland im Juni ein schlechteres Biwak gehabt zu haben.
Alle Welt war froh, als am anderen Morgen früh
das Signal zum Aufbruch gegeben wurde. Wir langten
früh vor Belchife an, das stark besetzt schien. Sowie wir
uns der feindlichen Stellung näherten, zogen sich die Trup-
pen fächerartig auseinander und bewegten sich dann mit
mehreren Hauptkolonnen gegen die Stadt und deren Zu-
gänge. Unsere Brigade ward gegen den feindlichen rech-
ten Flügel detachiert. Mir ward der Auftrag, zwei Ge-
schützen reitender Iranzösischer Artillerie als Bedeckimg
zu dienen. Diese gingen im starken Trabe vor, so daß
ich kaum zu folgen vermochte. Sie protzten dann ab
und bewarfen den Feind, der die Höhen hinter der Stadt
besetzt hielt, mit Granaten. Ein günstiges Geschick ließ
eins unserer Geschosse in einen Pulverwagen fallen, er
flog in die Luft und führte zugleich die Explosion mehrerer
anderer herbei. Dieser Zufall verbreitete Schrecken in
den spanischen Reihen. Sie glaubten sich im Rücken an-
gegriffen — alle Welt schrie „Verrat!" Ganze Bataillone
warfen die Waffen fort und wandten sich zur Flucht. Die
344
Digitized by Google
Unordnung teilte sich bald allen Truppen mit, und uns
blieb eigentlich nur ein Zugreifen und Zusammenraffen der
Trophäen übrig. Wären die Tore der Stadt nicht ge-
schlossen und die Wiederöfinung derselben mit Schwierig-
keiten verbunden gewesen, so wäre wahrscheinlich die
ganze spanische Armee gefangen oder niedergemacht wor-
den. Aber es verging eine lange Zeit, ehe man das enge
Eingangsgittertor öffnen konnte. Ein Bataillon, das den
Marktplatz verteidigte, mußte von den polnischen Ulanen
niedergeritten werden. Dann bot das Ausgangstor Schwie-
rigkeiten dar. Endlich mußte die Brücke über die Aguas
geräumt und konnte dann nur in schmaler Front passiert
werden. Alles dies schaffte den Spaniern Zeit, sich aus
dem Staube zu machen, was ihnen bei ihrer angeborenen
Leichtfüßigkeit auch vortrefflich gelang. Gefangene wur-
den daher nur wenige gemacht, aber es fielen 9 Geschütze,
einige 20 Patronenwagen und sehr bedeutende Magazine
in die Hände der Sieger.
Generai Suchet hat in seinen Memoiren von den An-
ordnungen, die er getroffen hatte, ein schönes Bild ge-
geben.11) Ich glaube jedoch, daß meine Darstellung treuer
ist, und halte den von ihm mitgeteilten Schlachtplan für
„apres coup" entworfen. Die ganze Sache dauerte nicht
lange genug, um alle die Dispositionen, die er angibt,
treffen zu können.
Über La Puebla und San Per verfolgten wir den
Feind bis Alcaniz, das wir am 19. unter heftigem Regen
erreichten. Ich war durch die Detachicrung zur Deckung
der erwähnten reitenden Geschütze von meinem Regi-
mente abgekommen und stieß hier erst wieder zu ihm.
Am 20. wurde mein Bataillon nach Belchife zurückge-
schickt, um hier die großen Magazine zu bewachen und
'") Suchet hinferlii-B srhr interessante und, vom ktiügswisscn-
schaftlichen Standpunkt aus betrachtet, sehr nützliche Memoiren,
die bei ihrer Veröftenllichung, 1828, großes Aufsehen erregten und
in mehrere Sprachen übeisetzt wurden.
345
Digiiized by Google
den Transport nach Zaragoza zu bewirken. Später stieß
auch das erste Bataillon zu uns, und wir blieben hier
bis zum 20. Juli stehen. Bereits vor uns waren französische
Magazinbeamte angekommen, angeblich um die Bestände
aufzunehmen. Der Oberst des Regiments, Kosinowski,
ein redlicher und verständiger Mann, hatte sich jedoch
vorweg einen Teil der Lebensmittel für die Verpflegung
sein« Leute zugeeignet und daraus ein Magazin errichtet,
aus dem die Soldaten einen Zuschuß zu ihren Rationen
erhielten, eine Maßregel, die sich vortrefflich bewährte.
Mit dem Hauptteil der Beute aber machten die franzö-
sischen Magaziniers — als wahre Raubvögel, wie sie die
Soldaten nannten — „main basse", denn von den unend-
lichen Vorräten ist gewiß nur der kleinste Teil in das
Hauptdepot nach Zaragoza gekommen. Ich glaube, daß
man kaum ein paar hundert Saumtiere und halb so viele
Wagen beladen und dahin befördert hat, während Material
zur Befrachtung von Tausenden vorhanden war. Den
größeren Teil haben wahrscheinlich die spanischen Lokal-
behörden gegen tüchtige Bezahlung wieder in Beschlag
genommen, und der Oeneral Suchet hat wohl nie er-
fahren, welche Heute hier gemacht und wie sie verschleu-
dert wurde.
346
Digilized by Google
3. Kapitel
1809. Ausbrechen des allgemeinen Aufstandes in
Aragonien. Kämpfe mit den Guerillas. Einnahme
von Nuestra Sefiora del Aguila. Besetzung von
Pam'za. Besetzung von Almunia. Gefechte bei El
Frasno. Besetzung von Calatayud unter Genera!
ChlopickL Exkursionen in die Sierra de Molina.
Ein kurzer Liebestraum. Abmarsch nach der Ribera
von Daroca. Einnahme von Nuestra Sefiora del
Tremedad am 25. November.
Nachdem wir etwa acht Tage hier gestanden, uns
vortrefflich erholt und dabei tüchtig exerziert hatten, er-
hielten wir Befehl, fleißig die Gegend zu durchstreichen,
weil sich Guerillas gezeigt haben sollten. So lange wir
uns hierbei in angebautem Lande befanden, ging es herr-
lich, aber in den Sierren, in den wasserleeren Gegenden
der Provinz, wo wir uns oft wie in Steppen befanden,
wo kein Grashalm wuchs, die Sonnenglut den Boden aus-
gedörrt hatte, kein Tropfen Wasser zu finden war, da
hatten wir viel auszustehen.
Nach der Schlacht von Belchite nämlich begann es
in Aragonien auf einmal lebendig zu werden. Überall
tauchten Guerillabanden auf; wo wir nicht waren, da
waren sie, — wo wir hinkamen, da rückten sie aus, —
wo wir ausrückten, da trafen sie ein. Da ihnen die Be-
wohner, wie sich von selbst versteht, günstig waren, so
347
Digitized by Google
hatten sie natürlich alle Vorteile für sich, und es bedurfte
großer Anstrengung und Aufmerksamkeit nicht allein der
Chefs, sondern auch jedes einzelnen Offiziers, um in den
Teil kämpfen, die jetzt entbrannten, nicht allein das
Leben, sondern auch Ehre und Reputation zu behalten.
Nächst den Ländern unter türkischer und griechischer Bot-
mäßigkeil und einigen österreichischen Besitzungen ist kein
Land der Erde zum Parteigängerkrieg mehr geeignet wie
Spanien.
Dieser Krieg war recht eigentlich der Schauplatz der
Tätigkeit für die Subalternoffiziere, denen der Natur der
Dinge gemäß der Korrespondenz-, Patrouillen- und Sicher-
heitsdienst anheimfiel. Nur in einigen Gegenden, wie in
Navarra und ab und zu in Katalonien, nahm der Krieg
einen anderen Charakter an und beschäftigte Regimenter
und Brigaden. Wer die Feldzüge in Spanien nicht mit-
gemacht hat, nicht Teilnehmer oder wenigstens Augen-
zeuge solcher Unternehmungen gewesen ist, wird sich nie
einen rechten Begriff davon machen können und sollte
sich nie ein Urteil darüber erlauben.
Historische Rückerinnerungen aus den französischen
Kriegen bestärkten das Volk in seinem Entschlüsse, unter
jeder Bedingung die fremde Herrschaft abzuwerfen. Die
Art und Weise endlich, wie sich die Franzosen in das
Land geschlichen hatten und wie sie darin hausten, stei-
gerte dies Gefühl zu einer Art Wut, welche die mit Ge-
schick geleitete höchste Junta und die Provinzialjuntas zum
Besten der Unabhängigkeit des Landes ausbeuteten.
Ich bekam mein Quartier bei einem Senor Don Jose
Bemardo, einem betagten Herrn, angewiesen, der die Tor-
heit begangen hatte, eine junge, schöne Frau zu nehmen.
Er war ein ebenso entschiedener Franzosenfeind, wie seine
junge, allerliebste Frau eine leidenschaftliche Afrancesada.
Die jungen, munteren blonden Offiziere benagten ihr
besser, als ihr finsterer, griesgrämiger Mann, und die
Casa del Senor Bemardo war stets ein gesuchtes Offi-
zierquartier.
348
Digitized by Google
Sehr bald nötigten die Umstände uns jedoch, auf dem
Plateau, auf dem der größte Teil der spanischen Armee
während der Schlacht gestanden hatte, ein Lager zu be-
ziehen, in welchem sich die beiden Bataillone meines Re-
giments abwechselten. Aber hiermit war es noch nicht
abgetan. Ein mühsamer Patrnuillendiensf in derUmgegend
folgte dem Lagerdienste, und bald kam es zwischen den
sich begegnenden Parteien zu kleinen Gefechten. Die Ver-
bindung nach Zaragoza und Alcafiiz mußte durch die Waf-
fen aufrechterhalten werden, und wir sahen uns täglich
durch die Ouerillas von der Kapelle Nuestra Seiiora del
Puego, die eine weite Übersicht gewährte, beobachtet. So
schleppten sich die Dinge bis zum 20. Juli hin. Da er-
hielten wir plötzlich Befehl, nach Fuendetodos zu rücken.
Der Ort trug noch die Spuren von Unordnungen an sieb,
die die französischen Truppen während der Belagerung
begangen hatten. Die Bewohner waren jedoch wieder
zurückgekehrt und beteiligten sich zahlreich an der Ver-
sorgung der Soldaten mit dem Unentbehrlichsten. Es hieß,
daß man einen entscheidenden Schlag gegen ein Kloster
im Gebirge vorbereitete, welches der Sitz vieler Umtriebe
sei und in dessen Nähe sich ein Lager von 3000 Mann be-
finden solle. Am 21. vereinigten wir uns mit einer fran-
zösischen Kolonne, die von Zaragoza unter Anführung
des kommandierenden Generals selbst gekommen war, und
traten dann den Marsch gegen Nuestra Senora del Aguila
an. Das Kloster lag auf einem hohen Berge, gewährte eine
herrliche Aussicht und beherrschte die ganze Umgegend.
Als wir anrückten, besetzten die Spanier sehr bald die
Höhen, und wir glaubten einem harten Kampfe entgegen-
sehen zu dürfen. Am Fuße der Stellung angelangt, kam
ein Adjutant des kommandierenden Generals, ein Leut-
nant Rigny, derselhe, der später in Afrika aut dem Rück-
züge von Constantine eine so traurige Berühmtheit er-
langen sollte, und verlangte im Namen des Generals „wie
compagnie de bons marcheurs". Ich ward ihm zur Dispo-
sition gestellt und bemerkte sehr bald, daß wir eine De-
349
Digitized by Google
monst ratio ii gegen des Feindes rechte Flanke machen
sollten. Aber tiotz unserer Eile und der Zufriedenheit, die
uns Monsieur Rigny über unseren Marsch äußerte, kamen
wir dennoch zu spät. Die Spanier nämlich verließen mit
einer Art Übereilung ihre Stellung und zogen sich schnell
zurück, ihre Vorräte und die Vorkehrungen, die sie zur
Verteidigung getroffen hatten, im Stich lassend. Dem
Flankendetacliement fielen einige Nachzügler und die Ba-
gage in die Hände, wobei ein Gefecht stattfand, das uns,
wenn die Spanier gewollt hätten, in die ernsteste Verlegen-
heit hätte bringen können.
Nachdem das Kloster geplündert war, ward es ange-
steckt, und der Rauch, der sich von dieser hohen Berg-
kuppe wirbelnd in die Luft erhob, zeigte der Umgegend an,
daß Senor Don Ramon Gayan, der hier kommandierte,
gezwungen war, das Sanktuarium, auf dessen Uneinnehm-
barkeit man sehr gebaut hatte, zu verlassen. Der kom-
mandierende General kehrte an demselben Tage nach Zara-
goza zurück. Uns ward der Auftrag, den geschlagenen
Feind zu verfolgen und die Gegend zu beruhigen. Wir
gingen zu diesem Behufe anfangs nach Paniza, jagten
mehrere Tage in der Umgegend dem flüchtigen Feinde
nach, der natürlich nirgends standhielt, und gelangten am
27. nach Daroca, den Spaniern durch einen Sieg König
Alfons 1. über die Mauren (1121) wert und noch heute
durch Reichtum, Handel und Fabriken eine der ersten
Städte der Provinz.
Wir kamen hier sehr spät an. Niemand kannte die
Gegend. Unmittelbar vor der Stadt, von der wir durch
das Dunkel der Nacht einige schwache Konturen zu ent-
decken glaubten, machten wir Halt, aber mit dem Gewehr
in der Hand. Dann bogen wir nach einem Berge ab und_
gelangten auf einem mit Geröll übersäten Wege in eine
Art von Tunnel, in welchem uns bald eine ägyptische
Finsternis umgab. Das muntere Plaudern der Soldaten
hörte alfmählich auf, je mehr wir uns in diesen Schlund,
von dem eigentlich niemand wußte, was er zu bedeuten
350
Digitized by Google
hatte, vertieften. Er schien uns unglaublich lang, beson-
ders da wir nach einigen hundert Schritten eine Zeitlang
Halt machten. Man fing an, ungeduldig zu werden, und
wären in diesem Augenblicke einige Schüsse gefallen, so
hätten die Spanier sich vielleicht für die Tage von La Perdi-
guera und Nucstra Sefiora del Aguila glänzend rächen
können. Indes wir durchzogen diese üble Passage ohne
Unfall und gelangten an den Jiloca, über den meine
Kompagnie geschickt ward, um auf der Straße nach Molina
die Vorposten zu bilden. Der nächstfolgende Tag sollte
uns die nächtliche Promenade durch den finstern Tunnel
erklären. Daroca nämlich liegt am Ende einer Art .Mulde
an dem Jiloca. Alle atmosphärischen Niederschläge, na-
mentlich die heftigen Regengüsse, hatten ihren Weg durch
die Stadt nach dem Flusse nehmen müssen.
Morgens, den 28., ward ich abgelöst und erhielt den
Befehl, mit meiner Kompagnie das ebenerwähnte Schloß
zu besetzen. Doch ehe ich noch meinen Posten bezogen
hatte, kam ein Adjutant und brachte mir den Auftrag,
zuvor noch eine Rekognoszierung nach Molina, elwa eine
gute Meile weit, zu machen. Kaum hatte ich jene Befehle
erhalten und war eine Strecke vom Lager entfernt, als
wir plötzlich jene Explosion vernahmen. Wir gewahrten
alsbald, daß sich eine Rauchsäule über jenem alten
Schlosse, das der Kompagnie angewiesen war, erhob, und
hörten bei unserer Rückkehr, daß es durch eine Mine
teilweise in die Luft gesprengt worden war. Wer sie an-
gelegt hatte, war nicht zu ermitteln, man wußte sogar nicht
mit Gewißheit anzugeben, welcher Truppenteil des Feindes
hier vor unserm Anlangen gestanden hatte. Ob aber jene
Explosion vorbereitet, ob ein dort verborgen gewesener
Pulver- und Schießbedarf durch Zufall in die Höhe ge-
gangen war, blieb unaulgeklärt. Hätten wir nicht einen
so langen Marsch gehabt und wären wir beizeiten ange-
langt, so wäre jene günstig gelegene Lokalität unbedingt
besetzt worden, und sehr wahrscheinlich hätte die Be-
satzung derselben einen unfreiwilligen Aufstieg mitgemacht.
351
Digilized by Google
Am 30. erhielten wir Befehl, nach Paniza aufzubrechen.
Der Oberst Don Ramon Gajon, einer der unerschrocken-
sten und tätigsten Guerillaführer, hatte in und bei diesem
Orte große Besitzungen. Der Oberstleutnant Bayer des
Regiments, ein tüchtiger Offizier, der trotz seines deutschen
Namens kein Wort Deutsch verstand, erhielt den Befehl,
diese Gegend, die den Mittelpunkt der aufständigen Bewe-
gung bildete, zu besetzen und vom Feinde zu säubern
— ein schweres und gewagtes Unternehmen. Wir wurden
jedoch vom Tage unserer Ankunft bis zum 3. August
nachts vom Feinde in Ruhe gelassen. Der Ort liegt zu
einer Verteidigung sehr ungünstig. Zwar bot das Städtchen
Gelegenheit genug, ein ganzes Regiment unterzubringen,
aber wie hätte man es wagen dürfen sich einem tätigen
Feinde gegenüber einzuquartieren? Es blieb daher nichts
weiter übrig, als sich so gut wie möglich gegen die kalten
Nächte, die viele Krankheiten hervorriefen, zu schützen.
Wir lagerten uns bald da, bald dort und hatten unglaublich
anstrengenden Dienst Und doch gelang es den Spaniern,
uns am 3. August zu überfallen und in eine, wenn auch
durch die Tapferkeit der Truppen rasch beseitigte Ver-
legenheit zu bringen. Der brave Oberstleutnant Bayer,
der bei Zaragoza Beweise eines heroischen Muts abgelegt
hatte, schien mir bei der Behauptung des Orts nicht die
rechten Mittel zu ergreifen. Statt seinen Anstalten den
Charakter der Offensive zu geben, d. h. sich auf der
Straße, die der Feind möglich erweise zu einem Angriff be-
nutzen konnte, zu dessen Empfang aufzustellen, wechselte
Bayer allnächtlich die Stellung. Wir biwakierten mehrere
Nächte hintereinander auf öden Bergkuppen ohne Feuer
und kamen immer erst bei Tage auf allerhand Umwegen
in die Stadt zurück. Hier kochten wir dann ab und ließen
es uns im Palaste des Seiiors Don Ramon, wo die Offi-
ziere ihre Speiseanstalt eingerichtet hatten, vortrefflich
schmecken.
Am 6. verließen wir Paniza, um nach Almunia zu
marschieren. DieserOrt auf der Straße von Madrid nach
352
Digilized by Google
Zaragoza, im Tale des Jalon reizend gelegen, hat viel-
leicht 4—5000 Einwohner. Wir wurden vortrefflich in
einem Kloster untergebracht, herrlich verpflegt, und die
Soldaten meinten hier im Himmel zu sein. Da Calatayud
auf der Madrider Straße noch stark von feindlichen Trup-
pen besetzt war, so kam es zu vielfachen Oefechten. Na-
mentlich waren die vom 9., 10. und 14. August unweit
der Venta von El Frasno wichtig für uns, indem wir ge-
zwungen wurden, die günstige Stellung dort aufzugeben
und bis zur Brücke über den Orio zurückzuweichen. Oberst
Henriot wurde mit einer Kolonne von Zaragoza zu unserer
Unterstützung abgesandt. Unter ihm ward am 15. August
eine Expedition gegen Calatayud selbst unternommen. Er
hatte zu diesem Behufe zwei Bataillone des 14. Regiments,
ein Bataillon gemischter Truppen, einige Geschütze und
ein Detachement Kürassiere mitgebracht. Nach einem un-
bedeutenden Gefecht auf dem Kamm des Gebirges, das sich
hinter der Venta von El Frasno erhebt, kam es zu einem
ernsteren Gefecht, infolgedessen sich der Feind zurück-
zog. Wir folgten ihm eilig, und ein Bataillonschef des
14. Regiments hielt an der Spitze der Orenadiere und
Voltigeure seinen Einzug in Calatayud. Wir bezogen viel-
leicht eine halbe Meile von der Stadt ein Lager, hatten
uns jedoch kaum hier eingerichtet, als ich zu Oberst Hen-
riot gerufen ward. Ich fand sechs Kürassiere zu Pferde
und ein lediges Pferd an seinem Biwakfeuer. „Monsieur
l'officier," redete er mich ohne weiteres an, „Sie werden
das Kommando Ihrer Kompagnie sofort an Ihren Leut-
nant abgehen, dieses Pferd besteigen und nach Almunia
reiten, wo Sie diesen Brief dem Kommandanten einzuhän-
digen haben. In der Venta von El Frasno werden Sie
andere Bedeckung und ein anderes Pferd bekommen, wozu
hier der Befehl. Verlieren Sie keine Zeit, kommen Sie
bald zurück, prenez garde de guerillas." —
Ich gestehe, daß mir der Auftrag keineswegs ange-
nehm war. Ich hatte, seit ich meine Heimat verlassen,
auf keinem Pferde gesessen, war des Reitens ungewohnt
23 B»M7: Spu. FreUiriUiumpl. 353
Digitized by Google
geworden ; doch ging anfangs die Sache auf meinem großen
Kürassiergaul ganz gut. Mit einbrechender Dunkelheit
trieb empfindliche Kälte zur Eile. Es war spät abends,
als ich an der besagten Venta ankam. Ein Trunk Wein
und ein Stückchen Brot, womit mich der Kommandant des
Postens, den man hier gelassen hatte, während des Wech-
sdns der Pferde und der Eskorte bewirtete, mundeten
mir vortrefflich. Aber ich fühlte bereits alle Rippen im
Leibe, da mich mein Harttraber unglaublich zusammen-
gerüttelt hatte. Indes machte ich mich bald wieder auf
den Weg. An einigen verdächtig aussehenden Kerls ging
es mit gespanntem Karabiner vorüber, und schon glaubte
ich nach einem tüchtigen Ritt am Ende unserer Reise zu
sein, als ich zu meinem Schrecken inne ward, daß wir
uns verritten und eine gute Legua über Almuni a hinaus,
Riola gegenüber, angelangt waren. Der Ort war wegen
seiner schlechten Gesinnung verdächtig, und wenn ich
auch bis zur I i- !. pv.m,; ermüdet war, so blieb nichts
übrig, als schleunigst umzukehren und den rechten Weg
aufzusuchen. Das „Halte lal Qui vive?" unserer Posten,
das uns nach etwa einer Stunde begrüßte, klang mir wie
Sphärenmusik in die Ohren. Aber es war auch die höchste
Zeit, daß ich anlangte. Die sieben Leguas, die ich, des
Reitens seit langer Zeit ungewohnt, auf dem schweren
Pferde zurückgelegt, hatten mich außerordentlich ange-
griffen, so daß ich vom Pferde heruntergehoben und zum
Kommandanten, den ich gestiefelt und gespornt auf einer
Matratze inmitten seiner Leute ruhend fand, geführt
werden mußte. Der ganze Auftrag lautete dahin, 6000
Rationen für die nächsten Tage in Bereitschaft zu halten,
ein Befehl, der bei den reichen Vorräten des Ortes, wenn
er auch einige Stunden später eingetroffen wäre, noch
vollständig zur rechten Zeit hätte ausgeführt werden
können. Ich mußte mir sogleich einen Arzt kommen lassen
und mich einer vollständigen ärztlichen Behandlung unter-
werfen, die mich mehrere Tage von meiner Kompagnie
entfernt hielt
354
Digitized by Google
Ich bekam in der Nähe eines Klosters, in dem unser
Bataillon, das am 19. August eintraf, untergebracht wurde,
ein Quartier angewiesen. Mein Wirt war ein reicher,
vornehmer Mann, ein entschiedener Gegner der Fran-
zosen, der mir durch einen Criado (Diener) eine Stube an-
weisen ließ und unter dem Verwände, er sei krank, jeg-
liche Gemeinschaft mit ihm unmöglich machte. Alle
Morgen bekam er von seinen entfernten Besitzungen Mit-
teilungen, und ich konnte an dem Kommen und Gehen
der Zahl seiner Boten meist erkennen, ob irgend etwas
von Belang vorgefallen war. Abends versammelten sich
bei ihm regelmäßig eine Menge jener finsteren Gestalten,
besonders Priester, die unsere Leute „die zahmen Insur-
genten" zu nennen pflegten und worunter man alle ver-
stand, die, in ihre Mäntel gehüllt, die Hüte tief in die
Augen gedrückt, verächtlich an uns vorübergingen.
Am 24. abends verbreitete sich die Nachricht, daß ein
kleines Lager von einer Kompagnie und 15 Kürassieren
— vom 14. Infanterie- und 13. Kürassierregiment — bei
derVenta von ElFrasno überlallen und gefangen genom-
men worden sei. Zu gleicher Zeit war auch ein Deta-
chement, das zur Aufrechterhaltung der Verbindungen mit
Carinona abgeschickt war, von der Puerta de St. Martin
her angegriffen worden. Ein starkes Schießen bewog den
Kommandeur des Bataillons, mich mit einer Kompagnie
zur Unterstützung zurückzuschicken. Wenngleich der Kom-
mandeur jenes Detachemcnts, Leutnant Krakowski, im
vollsten Sinne des Wortes seine Schuldigkeit tat, so beugte
doch sehr wahrscheinlich meine Ankunft einer Katastrophe
vor. Er war bereits von allen Seiten umgeben, als ich kam
und ihm Luft machte. Die Puerta de St. Martin ist ein
in Spanien berühmter Ort, wo zahllose Räubereien verübt
werden. Da sich bei di'n Oiicrillas rjcu'ülnilich (.-ine Menge
Taugenichtse und Vagabunden befanden, die mit allen
Schlichen und Wegen vertraut waren, so war es gerade
hier eine schwierige Aufgabe, sich ohne Nachteile eines
Auftrages zu entledigen. Mir ward bald nach der Rück-
kehr der Befehl, den Posten bei El Frasno zu beziehen,
der unsern Truppen zu wiederholten Malen verderblich
geworden war.
Da die Qucrillas sich täglich mehrten und immer
kühner wurden, so ward General Chlopicki — zu dieser
Würde war er seit den Schlachten von Santa Maria und
Belchite erhoben worden — mit seinem Regiment zur
Unterstützung nach Cariifona entsandt. Er ergriff sofort
die Offensive, ging am 29. nach Daroca, während ein
Teil seiner Kolonne die starken Defilees von Retas-
con besetzt hielt — und brach am 30. nach Calatayud
auf. Die verschiedenen Oberfälle, die General Campa von
dieser Stadt her gegen uns eingeleitet hatte und die meist
gelungen waren, hatten die Bewohner der Gegend unsere
Rache fürchten lassen. Wir fanden daher alles wie aus-
gestorben. Nirgends erblickte man einen Menschen, auf
den Wiesen sah man kein Tier, geschweige denn eine
Herde, die Häuser in den Dörfern waren entweder ge-
schlossen, oder Staudt'!! \ iV-.i^ juisgeniiniLt offen.
Als wir von den Bergen zur schön gelegenen Stadt
herunterstiegen, gewahrten wir einige dunkle Oestalten,
die allmählich näherkamen. Der General befand sich an
der Spitze der Voltigeure bei der Avantgarde. Noch ehe
deren Spitze jene Menschen erreicht hatten, nahmen sie
die Hüte ab und schienen uns gesenkten Hauptes zu er-
warten. An ihre; Spitze befanden sich einige Priester
und der Alkalde Major, der an seinem silberbeschlagenen
Stäbchen kenntlich war. „Excellenza," redete er mich
an. — „Ich bin keine Exzellenz, bin nur ein Leutnant,"
antwortete ich ihm barsch und wies ihn durch ein „dort
ist der General", das ich mit einer Handbewegung beglei-
tete, auf unsern Führer. In ganz kurzer Entfernung von
der Stadt selbst machte ich Halt und stellte mich wie zum
Angriff auf. Im selben Augenblick aber kam ein Adjutant
des Generals und brachte mir den Befehl, mit Vorsicht und
Ordnung vorzugehen und mich auf der Straße nach Ateca
militärisch aufzustellen. Dies geschah. Ich hatte kaum die
356
Digitized by Google
Posten ausgesetzt, als ich angewiesen ward, abzukochen
und mich für den iiü'chsfcn Morgen wieder zum Abmarsch
bereitzuhalten. Am andern Tag früh ward mir auch wirk-
lich der Befehl, mit meiner Kompagnie und 19 Pferden
aufzubrechen, um nach Almunia zu gehen, den Befehl jener
Stadt und der Umgegend zu übernehmen und für die Auf-
rechterhaltung der Ordnung im Bezirk zu sorgen. Ich ge-
stehe, daß mir die Sache eigentlich nicht angenehm war.
Erstens hatte ich noch kein größeres Kommando selbstän-
dig geführt, und dann hatte ich auch einsehen gelernt,
daß man beim großen Haufen immer besser daran sei
als in jenen kleinen Löchern, wo man aus den Verlegen-
heiten eigentlich niemals herauskommt. Indes dem Befehl
mußte gehorcht werden.
Kaum in Almunia angelangt, ward mir der Auftrag,
eine Rekognoszierung nach Carinona zu machen, dort zu
übernachten und am 4. September in Daroca einzutreffen,
wo ich unter den Befehl des dort kommandierenden Offi-
ziers treten sollte.
Da mir die Gegend und die Stellung von Retascon
genau bekannt war, so besann ich mich keinen Augenblick,
ging dem Feinde kühn auf den Leib, warf ihn nach einem
kurzen, aber lebhaften Gefecht in das Defilee, das von hier
nach Daroca führt, zurück und setzte mich in der Kapelle
am diesseitigen Ausgange derselben fest. Die zwischen
den weißen Stein klippen zerstreut liegenden Häuschen ließ
ich fortwährend durch Patrouillen absuchen. Mit der Ka-
vallerie ging ich gegen Daroca vor, stellte hier einige
Vedetten auf, unterstützte diese durch ein kleines Detache-
ment, daß ich einem tüchtigen Sergeanten übergab, und
kehrte dann nach meiner Kapelle zurück. Unterdessen
hatte ich die Alkaldcn des Orts, den Sefior Curo und Escri-
vano, die auch im kleinsten Flecken das Magistratskolle-
gium — die Junta — bilden, zu mir berufen. Ich erklärte
den Herren, daß ich sofort zweier zuverlässiger Boten
nach Calatayud bedürfe, die Briefe dahin bringen sollten,
und daß sie bis zu deren Rückkehr als Geiseln bei mir
357
Digilized by Google
verbleiben müßten. Dies schien ihnen nicht recht zu ge-
fallen. Indes stellten sie mir bald zwei Leute, die zwar ver-
dächtig aussahen, für deren momentane Treue mir aber
ihre Obrigkeit bürgte. Ich gab einem derselben einen Zet-
tel, worauf ich frün/iisiscli schrieb: „Bin soeben hier an-
gekommen und harre der ferneren Befehle. Daroca ist
noch vom Feinde besetzt. Rctascon Stunde und
Tag — ". Dem andern gab ich ebensolchen Zettel, allein
in polnischer Sprache, denn ich mußte damit rechnen, daß
sie vielleicht Polen oder Franzosen in die Hände fallen
konnten. Dabei erhielten die Boten Instruktion, eiligst nach
Calatayud zu gehen, dort den Seiior Kommandanten auf-
zusuchen und ihm die Zettel zu übergeben.
Nachdem ich alles ins Werk gesetzt hatte, ließ ich
abkochen, befahl den Soldaten, es sich bequem zu machen
— jedoch mit der Weisung, sich nicht fünfzig Sehritte
vom Posten zu entfernen. Zugleich ließ ich mehrere große
Gefäße mit Wasser nach der Kapelle schaffen und mir
meine Rationen auf einige Tage liefern. Mit dem zweiten
Offizier der Kompagnie, dem Leutnant Krakowski und
den Unteroffizieren besprach ich die Möglichkeit eines
etwaigen Angriffs der Spanier und verabredete mit ihnen
die Verteidigung. Da die Position sehr stark war und
die Mauern um die Kapelle und diese selbst eine gute,
nachhaltige Verteidigung möglich machten, so durfte man
auf mehrere Tage hin keiner Besorgnis Raum geben. Meine
Zeit brachte ich abwechselnd bei meinen Vorposten und
in der Kapelle zu. Von ersteren aus gewahrte ich, wie
die Spanier anfangs hin und herzogen und sich bald hier,
bald dort aufstellten. Eine große Menge Volks umstand
die Soldaten nach allen Seiten. Mir wollte es jedoch nach
meiner Kenntnis des Ortes vorkommen, als wenn sie sich
vorzugsweise auf der Straße nach Teruel gruppierten, was
entweder auf einen Zuzug von dorther oder aber auf
einen Rückzug dahin schließen ließ. Meine Kürassiere
mußten sich unbeweglich halten, die Voltigeure sich aber
ab und zu hier und dort zeigen. Gegen Abend ließ ich
358
Digitized by Google
einen Teil der Kompagnie bis an den Ausgang1 des Defi-
lees rücken, hier Halt machen und sich verdeckt aufstellen.
Die Spanier blieben jedoch unbeweglich in ihrer Stellung,
und es schien mir, als wenn sie gegen Abend Verstärkung
erhielten. Abends ließ ich den Ausgang des Defilees nach
Daroca hin durch Infanterie besetzen, versammelte mein
ganzes Detachement und ließ durch die Kürassiere die
Wege nach Carinona und Nostra Santa del Aquila fleißig
abpatrouillieren. Zwischen sieben und acht erschienen
meine beiden Boten wieder. Sie hatten die zwölf Leguas
in sechs Stunden zurückgelegt und brachten mir einen
Zettel, auf dem nur die Worte standen : „Ich habe es er-
halten, Mühlberg. 1B) Calatayud." Wir konnten jetzt also
jeder Besorgnis bar und überzeugt sein, daß sich das
Rätsel in einigen Stunden lösen würde. Um Mitternacht
langten auch wirklich die Spitzen der Kolonnen von Cala-
tayud an. Mit ihnen kam der General selbst, der sehr un-
gehalten nach meiner Order fragte. Als er sich überzeugt
hatte, daß ich genau nach derselben gehandelt hatte,
äußerte er sich mit Zufriedenheit über die von mir getroffe-
nen Anstalten. Ich hörte hinterher, daß ein Adjutant den
Fehler begangen hatte, statt des 5. den 4. zu schreiben.
Es hatte an diesem Tage eine Expedition gegen die spa-
nische Besatzung von Daroca stattfinden sollen, bei der
mir die Rolle zugedacht war, sie von einem Rückzüge auf
das Gebirge nach Nuestra Senora des Aquila abzuschnei-
den. Ohne die günstige Lage des Ortes würde es bei
einem entschiedeneren Benehmen der Spanier für mich
vielleicht schwieriger gewesen sein, so heiler Haut aus
dem Handel zu kommen.
Bis zum 15. September blieben wir in Daroca und
wurden durch stete Patrouillen in die Umgegend trotz
einer vortrefflichen Verpflegung sehr ermüdet Die ein-
") Moniberg ist der später, 1831, bekannt gewordene Divi-
sionsgeneral dieses Namens. Er sprach trotz seines deutschen
Namens nur wenig Deutsch. (Anmerkung des Verfassers.)
359
Digitized by Google
zeincn spanischen Parteien, die das Land nach allen Ri
hingen durchzogen, unsi-rt- Requisitionen hintertnehen t
selhsl gegen die Hewohnn eine Art Tern.rismus übt
[Irr bis /ur Grausamkeit ging, hielten uns in stetem Au
I rbt-n'imtrtel, Kriegsmaterial allerart, selbst Leute wurc
unter steter Androhung des trschietiens von den Oueri)
requiriert, und hundertmal wohl habe ich llefehlt die
Art in Mauden gehabt- „Die jungen Manner des Dort
die sich in dir Zeit vorn — bis — nicht Mellen, werden
schössen!" — Es kam fast täglich zu kleinen Gefecht
in denen wir viele Menschen verloren. Dadurch wui
eine große Erbitterung der Soldaten herbeigeführt, u
der Kampf nahm den Charakter einer gewissen Brutali
an, die beiden Teilen wenig zur Ehre gereichte.
In Daroca erhielt unser Bataillon ein Kloster als 1
serne angewiesen; zugleich wurde den Grenadier- u
Voltigeuroffizieren des Bataillons das Haus eines Con;
jero real — eines königlichen Rats beim Tribunal — zi
Aufenthalt und zur Speiseanstalt zugeteilt. Der Mann vi
alt und schwach, harte aber den Guardian eines aufgel
benen Klosters, der ein naher Verwandter von ihm w
und eine junge Nichte, die ebenfalls Nonne in einem a
gehobenen Kloster gewesen war und die das Hauswes
leitete, bei sich. Beide trugen noch die Kleidung ihi
früheren Ordens. Der Mönch war vielleicht einige dreifl
die Nonne — Monjita — einige zwanzig Jahre alt Jen
hatte ein gemessenes, aber dabei doch gefälliges Wes
und etwas von einem vornehmen Manne. Er betrachtt
die Dinge von einem ziemlich richtigen Gesichtspunk
Die Nonne, eine echte Spanierin mit brennenden Aug
und ziemlich braunem Teint, sah alles, was sie umga
mit Neugierde an. Das muntere, lebendige Wesen d
Offiziere gefiel ihr, und das ganze bewegte Treiben schi
ihr zuzusagen. Eines Morgens, als ich von einer anstre
genden Nachtpatrouille zurückkehrte, bat mich der Mön
in sein Kabinett. „Ich höre, Seiior Enrique," redete
mich an, „daß Sie gut Französisch schreiben, da woll
360
' " Digitized by Google
ich Sie denn bitten, mir einen Brief an den Herrn General
Suchet aufzusetzen, dem ich im Namen meines Klosters
eine Bitte vortragen will." — Da dies Gesuch durchaus
nichts enthielt, was meiner Pflicht zuwider gewesen wäre,
so ließ ich mich denn natürlich bereitwilligst herbei und
zimmerte ihm bald nach seinen Angaben eine Vorstellung
zurecht, die er als sehr gelungen betrachtete. Nachdem wir
unser Geschäft beendet hatten, sprachen wir noch über
dies und das, über den „grand Napoleon", wie er den
Kaiser mit etwas Affektiertheit nannte, über Sitten und
Gebräuche der Länder; zuletzt über den Einfluß der Inva-
sion, besonders auf die Frauen, auf die er den Fremd-
lingen einen großen Einfluß zuschrieb, wobei er hinzu-
fugte, daß diese sich auch auf die Religiosas") ausdehnte,
„wie denn auch die Monjita Ihnen, Serlor Don Enrique,
sehr wohlwill."
Sie erwies sich in der Tat als eine kleine leichtsinnige
Person, die sich in vielfache Liebeshändel mit den Offi-
zieren, die kamen und gingen, einließ.
Am 15. brachen wir zu einer Expedition nach Molina
auf. Unser Regiment jedoch blieb bei Gallocanta in Po-
sition, während General Chlopicki bis Molina vordrang,
eine Menge Waffen wegnahm und sogleich die Waffen-
fabriken zerstörte. In einer Entfernung von einer halben
Legua von Gallocanta erheben sieh Gebirge von bedeu-
tender Höhe. Sie waren seit unserer Ankunft die Zu-
fluchtsstätte der Bewohner und der Zersprengten ge-
worden, die nicht unterließen, die Vorteile ihrer Stellung
geltend zu machen. Schon nachmittags gewahrten wir
Bewaffnete in den Gebirgen nach Molina zu, und uns
ward alsbald der Befehl, einen Streifzug nach La Yunta,
dem angeblichen Hauptschauplatz der Insurrektion, zu
machen. Der Weg dahin war sehr beschwerlich, aber wir
fanden den Ort verlassen und nur den einen Bürger-
meister anwesend, der uns mit der gewöhnlichen Redens-
lä) Nonnen.
361
Digitized by Google
art entgegenkam, daß einige Schlechtgesinnte sich im D>
festgesetzt und den Ort kompromittiert hätten. Die an
Bewohner wären aus Furcht entflohen, aber man sei bc
alles für die braven Truppen des großen Napoleon zu
Nachdem wir die Gegend durchstreift und einige Schi
mit den Dispersus — den isolierten und zerstreuten
daten, die absichtlich zurückgelassen worden, oder
andern Gründen zurückgeblieben waren — gewecr,
hatten, kehrten wir zurück.
Während unserer Abwesenheit hatten einige Kü
siere, die man im Verein mit einem Inf ante riedetachen
zurückgelassen hatten, mehrere Häuser geplündert.
Kommandeur des Regiments lieB sofort nach Rückl
desselben in Molina ein Verfahren gegen den Hauptsc
digen einleiten^ die Kriegsartikel verurteilten ihn o
Frage zum Tode. Ich weiß nicht, welche Prozedur
Oberst eingeschlagen hat, aher abends erzählte man
Biwak, der Soldat sei zum Erschießen verurteilt und
den hierzu bestimmten Platz geführt worden. Man h
ihm den Spruch des Gerichts vorgelesen, ihm die Au
verbunden, ihn niederknien und dann auf ihn feuern las:
Die Gewehre aber seien nur mit losem Pulver gela
gewesen; nichtsdestoweniger sei der Soldat entseelt
gesunken. Der Oberst des Regiments, der zugegen
wesen, soll mit großer Ruhe nur geäußert haben : „C
ment, le gueux est mort! — tant mieux! il a deshor
son regiment par son pillage et il le deshonore en<
davantage par sa mort — n'est-ce pas, cuirassiers ?" 1
ein einstimmiges „Oui, colonel!" soll die Antwort
Am IQ. September rückte ein Teil der Brigade i
hohe Berge auf meistens abscheulichen Wegen nach C
mocha, einem wohlhabenden Orte im Jilocatal mit :
Franziskanerklöstern. Ich entsinne mich nicht, je besch'
lichcre Märsche zurückgelegt zu haben. Meist ging
Weg auf Fußsteigen bergauf bergab, die es namen
der Kavallerie fast unmöglich machten, zu folgen. Zahl
362
Digitized by Google
Hufeisen gingen verloren, und obwohl die Reiter die Pferde
oft führten, wurden dennoch viele der letzteren gedrückt
Große Schwierigkeiten verursachte die Artillerie, und oft
mußte die Infanterie die Geschütze eine Zeitlang schleppen.
Aber der Marsch ging dennoch ohne sonderlichen Aufent-
halt ziemlich rasch vonstatten. Hier und dort fanden mit
einigen Spaniern leichte Scharmützel statt, die, obgleich
ganz unbedeutend, doch Verwundete gaben. Man rückte
abends in Calaraocha ein, und wir wurden hier sehr gut
verpflegt Ich sah hier eine große Menge mit Gewalt zu-
sammengetriebener Schafe, die nach Zaragoza gebracht
werden sollten. Ehe diese Herden jedoch an ihrem Be-
stimmungsort angelangt waren, waren sie mehr als dezi-
miert Die sie begleitenden Beamten verkauften davon
unterwegs; die Soldaten glaubten sich berechtigt, für ihre
Mühe gleichfalls das ihrige zu fordern, brieten und koch-
ten, soviel sie nur essen konnten, und verhandelten fleißig
an die Marketender. Viele Tiere fielen wohl auch unter-
wegs, indem man sie ohne alle Rücksicht weiden und
tränken ließ. Die große Rubrik „creve en route" (unter-
wegs verendet) nivellierte die Spitzbübereien und Zufällig-
keiten, während durch die brutale Wegnahme jener Herden
gewiß der Wohlstand vieler Familien untergraben wurde.
Am 30. stieß der Rest der Brigade, der noch einen
Tag länger im Gebirge verweilt hatte, wieder zu uns,
und vereint kehrten wir über Daroea nach Calatayud, wo
wir am 23. eintrafen, zurück. Wir waren jedoch kaum an-
gekommen, hatten abgekocht und uns einigermaßen ein-
gerichtet, als der Befehl eintraf, am anderen Tage zu
früher Stunde im erstgenannten Ort zu sein. Der Ab-
marsch ward so übereilt betrieben, daß der Regiments-
und ein Bataillons arzt, die in ihren Quartieren infolge
großer Ermüdung eingeschlafen waren und die Marsch-
signale überhört hatten, zurückblieben. Wir waren be-
reits eine Legua von der Stadt, als man dessen inneward.
Ein Detachement zurückzuschicken, wäre bei der Nähe
feindlicher Truppen gefährlich gewesen ; mit der ganzen
363
Digitized by Google
Macht mochte man nicht umkehren. Es blieb uns daher
nur übrig, der Junta zu schreiben und sie und die Stadt
dafür verantwortlich zu machen, daß die beiden Indivi-
duen den nächsten Tag nach Daroca gestellt werden
sollten. Der Brief ward der Behörde von Paracuelles de
Jiloca Überwiesen und diese für dessen richtige Besorgung
verantwortlich gemacht
Einstweilen waren jedoch die spanischen Truppen
wieder in Calatayud eingerückt und hatten sich alsbald
der Herren Medicos bemächtigt. Als nun das Schreiben
unserer Behörde anlangte, erhob sich ein Zwiespalt zwi-
schen Militär und Zivil, der mehrere Tage lang währte,
bis endlich der spanische Befehlshaber sich zum Nachgeben
entschloß. Die beiden Herren langten demnach in Daroca
„sain et sauf" mit allen Bagagen an, wurden von den
Offizieren recht freundlich, desto unfreundlicher aber vom
General empfangen, der sie, wenn ich mich recht erinnere,
einige Tage einsperrte und, um ähnlichen Umständen künf-
tig vorzubeugen, einen sehr pikanten Parolebefehi erlieft.
Am 24. waren wir zur bestimmten Zeit in Daroca.
Wir fanden hier alles in Bewegung, und schon am 25.
früh marschierten wir nach Calamocha. Die valencianische
Armee hatte sich Teruels bemächtigt und von hier aus
starke Detachements gegen uns vorgeschoben. Es gab
fast täglich kleine Renkontres mit den Guerillas, welche
die spanische Armee teils freiwillig begleiteten, teils ihr
aus dem cata Ionischen und Valencia nischen Aufgebot bei-
gegeben waren. Die Voltigeurs der Brigade, vereint unter
Oberstleutnant Bayer, bildeten die Avantgarde. Wir wur-
den hier mehr wie je durch Anstrengungen angegriffen.
Dabei war das Lager, obwohl in einem Olivenwalde auf-
geschlagen, ungemein kalt. Man hatte es, durch die Ver-
hältnisse dazu bestimmt, zu nahe an den Jiloca gelegt und
war dadurch auf einen Wiesengrund geraten, dessen Aus-
dünstungen uns, wenn wir länger hier verweilt hätten,
gewiß sehr schädlich geworden sein würden. Den 29.
brachen wir wieder nach Daroca auf. Ich weiß nicht, was
364
Digilized by Google
die Veranlassungen dazu gewesen sein mögen, aber wir
bewegten uns fortan in den unzugänglichsten Gegenden
der aragonischen Gebirge.
Die Niederhaltung des Aufstandes und die Abwehr
der von Valencia über Teruel und aus Castilien über
Molina und Calatayud heranziehenden und ohne Aufhören
heranprallenden Truppen beschäftigte unsere Division (Le-
val) bald in höherem, bald in geringerem Maße in dem
schon angegebenen Terrain. Mehrere Monate hindurch
hatten wir unsere Aufstellungen bald auf der einen, bald
auf der anderen der angegebenen Straßen. Wir zerspreng-
ten einzelne Aufstände, schützten die Einwohner gegen
die Gewalttätigkeiten ihrer Landsleute, requirierten und
geleiteten Lebensmittel nach Zaragoza, entwaffneten ein-
zelne Gegenden und säuberten das Land von allen Un-
ruhestiftern. Die strenge Mannszucht, die wir hielten, gab
den Bewohnern bald Vertrauen zu uns, und die ange-
messene Verwaltung, die der General in den von der
Armee besetzten Oegenden einführte, machte die großen
Kräfte des Landes allmählich disponibel und führte die
Möglichkeit herbei, größere Unternehmungen vorzube-
Calatayud bildete einen der hauptsächlichsten Stütz-
punkte unserer Bewegungen und ward nicht ohne mannig-
fache Kämpfe behauptet Auch erforderte die Aufrecht-
erhaltung der Gemeinschaft mit Daroca, Ajmuna und Cari-
Bona vielfache Anstrengungen. Für die Voltigeurkom-
pagnien trat hier insofern eine kurze Erholung ein, als
sie nicht im Biwak zu stehen brauchten, sondern ein Kloster
angewiesen erhielten, um sich dort einigermaßen erholen
und ihre Sachen und ihr Schuhwerk ausbessern zu
können. Wohlverstanden mußten sie dabei jeden Augen-
blick zum Marsch in Bereitschaft sein. Mir ward zum
Aufenthalt des Tages (denn nachts mußten wir bei den
Truppen sein) ein Haus neben einer Zuckerbäckerei ange-
wiesen. Gewöhnlich pflegte ich schon frühmorgens eine
Tasse Schokolade, die eine alte Botiguera, eine Art Laden -
365
Digitized by Google
mamscll, bereitete, in der Konditorei zu trinken. Eines
Tages kam ich etwas früher als sonst und fand eine junge,
bildschöne Nonne, die ihr Kloster hatte verlassen müssen
und noch im Ordenskleide war, im Laden. Sie entfernte
sich sogleich, aber die Erscheinung war zu interessant, um
nicht sofort über sie die genauesten Erkundigungen ein-
zuziehen. Da erfuhr ich denn, daß sie eine Madrilena —
aus Madrid — und der Hausherr, ein bärtiger, struppiger
und unfreundlicher Kerl, ihr Onkel (Tio) sei, eine Be-
nennung, unter der man in Spanien auch jeden weitläufigen
Verwandten zu verstehen pflegt „Das arme Kind," er-
zählte die Botiguera weiter, „ist die Tochter nicht ganz
unbemittelter Leute, die sich vor den Herren Franzosen
hierher geflüchtet, und nun haben wir diese Herren auch
hier. Doch da ist nichts zu machen, Gott will es so.
Sie hat gewünscht beim Tio zu leben, dem dies eigentlich
nicht angenehm ist; aber so sind die Menschen — sie
machen sich unglücklich, indem sie das wünschen, was
ihnen nicht nötig ist." — Nach einigen Fragen kaufte
ich einige „Dukes"10) und bat die Alte, diese der rei-
zenden Monjita5') zu übergeben, weil sie dergleichen ge-
wiß liebe. Daß ich dabei die Überbringerin nicht ver-
gaß, versteht sich von selbst. Diese machte zwar anfangs
einige Umstände, endlich aber gab sie nach, indem sie
mir das Sprichwort zurief: „Sefior dadiva branta prena,
y entra sin barrena".") — Als ich andern Tags erfuhr,
daß meine kleine bekannte Unbekannte meine Dulces nicht
ausgeschlagen hatte, wiederholte ich mein Präsent und
fügte zugleich hinzu, daß ich mich glücklich schätzen
würde, der liebenswürdigen Schönen dergleichen selbst
überreichen zu dürfen.
Eine kleine Expedition nach Atcca unterbrach diesen
Verkehr auf einige Tage, der aber sofort nach unserer
») Dulces = SüBigkeiten.
") Monjita oder Monja = Nonne.
") Spanisches Sprichwort, soviel als: Mit Geschenken kommt
iiKiri Lil^iall durrh.
366
I
Digitized by Google!
Rückkehr wieder angeknüpft ward. Meine Alte sagte mir,
daß die Herren Franzosen mit Ungeduld erwartet worden
wären, und vertraute mir zugleich, daG die Monjita von
einem Gitterfenster her fleißig nach dem Appellplatz, der
fast vor dem Hause lag, hin üb ergesehen härte. Somit
also war, ohne daß wir uns gesprochen hatten, eine Be-
kanntschaft angeknüpft. Ich schickte wieder meine kleine
Gabe und bat um die Erlaubnis, sie später einmal per-
sönlich überreichen zu dürfen. Nach der Rückkehr von
einer weiten, mehrtägigen Expedition erfuhr ich, daß der
Tio auf kurze Zeit verreist sei; als ich nui\ die Bitte,
meiner unbekannten Schönen einige Dulces persönlich
überreichen zu dürfen, wiederholte und diesen Antrag
zugleich mit einem kleinen Geschenk an die Ladendienerin,
welche die Stelle einer Duena zu vertreten schien, beglei-
tete, ward ich tags darauf durch die angenehme Nach-
richt überrascht, daß Sefiora Ines eingewilligt habe, diesen
Abend der „Attencion del Senor Cabellero" entgegenzu-
sehen. Wäre der Tio zu Hause gewesen, so würde ich
Anstand genommen haben, zu dem Stelldichein zu kommen,
so aber konnte ich den Abend kaum erwarten und hatte
nur die Furcht, durch irgend ein Kommando, eine Pa-
trouille oder dergleichen davon abgehalten zu werden.
Glücklicherweise war dies nicht der Fall; ich veranlaßte
meinen Freund Krakowski, mich auf einige Stunden zu
vertreten, schlich dann, mit Dolch und Doppelterzerol be-
waffnet, bei der Wache vorüber nach der Konditorei, wo
ich die Tür nur leicht angeleimt fand, und wurde von
meiner Vertrauten empfangen. Unmittelbar nach meinem
Eintritt hörte ich den Türriegel vorsichtig vorschieben und
wurde dann von der Alten durch einen langen Oang ge-
führt, von dessen Ende her mir ein schwaches Licht ent-
gegenschimmerte. Es war die Lampe der Duena, die sie
hier zurückgelassen. „Folgen Sie nur, Senor," rief sie
mir zu, „wir sind bereits am Ziel," und unmittelbar darauf
öffnete sie ein kleines dunkles, feuchtes Gemach, in dem
ich den Gegenstand meiner Sehnsucht treffen sollte. Arme
367
Digitized by Google
Tagelöhner dürften bei uns kaum schlechter wohnen. Die
Einrichtung entsprach vollkommen dem elenden Aufent-
halte: ein Tisch, zwei Stühle, eine blecherne Lampe, ein
Wasserkrug, ein elendes, niedriges Bett, ein kleines Ge-
fäß mit Weihwasser unmittelbar an der Tür und zwei
Bücher waren alles, was ich in der Stube wahrnahm.
„Senor Don Enrique," — mit diesen Worten stellte mich
die dienstfertige Duefia vor und ließ uns darauf allein.
„Senora," redete ich meine liebenswürdige Schöne an,
„ich schätze mich glücklich, dem heißesten Wunsche
meines Herzens genügen und Ihnen endlich die kleinen
Beweise meiner Aufmerksamkeit persönlich überreichen zu
können." Ich hatte mir diese Redensart mit Hilfe meines
Diktionärs gründlich einstudiert. Meine reizende Monjita
erwiderte kein Wort, nahm aber die Dulces und legte sie
schweigend auf den Tisch, schlug die Augen nieder und
faßte die Schnur ihres Ordenskleides. „Por el amor de
Dios"") — eine gewöhnliche spanische Redensart, um
Verwunderung auszudrücken — sagte sie endlich, „wenn
das jemand wüßte." — „Nun," entgegnete ich, „ist es denn
etwas so Böses, eine kleine Aufmerksamkeit anzu-
nehmen?" — „Aber die Art und Weise, wie dies ge-
schieht," antwortete sie, „erscheint mir nicht sonderlich
angemessen." Ich ergritf hierauf die Hand der reizenden
Monjita, drückte sie an mein Herz und nun entspann sich
eine, durch Unkenntnis der Sprache allerdings vielfach
unterbrochene Unterhaltung, die jedoch damit endete, daß
die Seiiora versprach, mich am folgenden Tag wieder zu
sehen. Ich war offenherzig genug, ihr im Laufe des Ge-
sprächs meine Waffen zu zeigen, was ihr ein „Jesu! Jesu!
wer mit Eisen tötet, kommt durch Eisen um," — aus-
preßte, aber dann doch wegen der Gefahr, in die ich mich
ihretwegen hatte stürzen wollen, einen nicht Übeln Ein-
druck zu machen schien. Wir mochten so vielleicht ein
Stündchen geplaudert und geschwiegen haben, als Seiiora
») Soviel als: Um Gottes willen!
368
Digitized by Google
Catalina hereintrat und uns sehr verschlafen daran er-
innerte, daß es Mitternacht, mithin Zeit sei, uns zu trennen;
was denn auch, aber schon unter wechselseitigem Hände-
drücken, geschah. Ich schlich mit Catalina denselben Weg
zurück. Die Tür war bereits geöffnet, und nachdem ich
einen meiner letzten Duros») in die Hand Catalinas hatte
gleiten lassen, schlich ich im Schatten der Häuser zu meiner
Kompagnie. An der Seite meines Freundes sah ich, ohne
zu schlafen, dem Anbruch des Morgens entgegen. Das
Bild der reizenden Ines schwebte mir fortwährend vor
Augen, und ich fing schon mit dem ersten Strahl des
neuen Tages an, die Stunden bis zur Zusammenkunft mit
ihr zu zählen.
Um 11 Uhr war ich wieder auf meinem Posten, und
alles trug sich wie am vorgehenden Abend zu. Unsere
Unterhaltung war ungezwungener, lebhafter, ich wagte
schon einen Scherz und sagte: „Sefiora Ines, wie wäre es,
wenn jetzt plötzlich la Sefiora Abadesa und der Senor
Guardian hcrcinträtcn ?" — „Jesu," sagte das holde,
schöne Kind, mir die Hand auf den Mund legend, „wie
können Sie an so etwas denken ? Aber schlimmer wäre
es," fügte sie hinzu, „wenn der Tio plötzlich vor uns
stände. Er ist ein gewalttätiger, heftiger Mann und ein
großer Feind der Scnorcs Frariccses. Nehmen Sie sich
ja vor ihm in acht, ich traue ihm alles Böses zu." — Ines
hätte mir dies nicht zu sagen brauchen, ich hatte es dem
Kerl längst angesehen. Wir trennten uns etwas später und
verabredeten eine Zusammenkunft für den nächsten Abend,
zu der ich mich pünktlich einstellte.
Des andern Abends gegen 10 Uhr kam der Adjutant
Major Rechowicz ins Kloster, liefl zwei Voltigeurkom-
pagnien antreten und fügte nur hinzu, daß wir sofort ab-
rücken würden. Ich war anfangs zweifelhaft, ob ich mich
nicht krank melden und für diesmal zurikkhleihen solle.
„Andere tun es so oft," dachte ich bei mir selbst, „gehen
!') Duro = Piaster (4 Mark).
24 BvM7: Spin. FrclMWampf. 36°
Digitized by Google
nach Zaragoza, bleiben Monate fort. Du bist immer bei
der Truppe — warum sollst du nicht auch einmal dich
Aber mein (k-iuiil lcilulT muh in dieser S.idte ridi-
nger, nls in meiner LiebusanirelcifcnlH-it. leii /(.>;; den
Degen, marschierte schweren Herzens an dem Hause der
teuren Ines vorüber und dachte: „Das Wiedersehen wird
Wir folgten einem Bataillon, das schon nachmittags
abgerückt war, und dirigierten uns auf das Clarestal, Schon
unterwegs verbreitete sich das Gerücht, daß ein ungün-
stiges Gelecht stattgefunden hätte und daß wir zur Unter-
stützung nachrückten. V,'ir fanden auch bald unsere Kame-
raden ohne Feuer in einer kleinen Ebene biwakierend,
während gegenüber zahlreiche Feuer der Spanier desto
heller loderten. Unser DetachenientsfiibnT beschloß, etwas
zu ruhen und dann den Feind anzugreifen. Nachdem eine
kurze Disposition ausgegeben war, gingen wir still vor.
Die beiden Voltigeurkompagnien wurden auf die Flügel
gestellt — das Bataillon bildete vier kleine Kolonnen- mit
uiiii:;e>i ilreiili;: Schritten Distanz. Die Kavallerie ward auf
(iem Vt't^ aufgestellt vo:n aber da* üeschutz. Dies alirs
war fiesclieheri. ohne daß der fe.nd es Bemerkt hatte, und
Mir waren ihm au) zirka h()i) Schritte genaht. Nun mußte
<:is (irsrhut/ Ii u- rn, und unmittelbar darauf brachen wir
imt^rw.ilti^ein Murrayeichrei unter Trommel- und Horner-
-. Uü l'e.v"! Vl.r .-.i-. i.l. i ,:■<- ' -I-U1I..I. ^vli.n, wir !„■:
dem ersten Schutl alles im Lager an den Biwaksfeuem
darehcinanilrrlief. Kine auf nahe Lntlrmunfi angegebene
Salve trieb alles in wilde Flucht, und als wir die feind-
liche Stellung tirtiehtei), war niemand mehr da, der uns
Widerstand grinstet killt. Wir setzten die Verfolgung
mithin nicht hatten mitgenommen wi
einige Manttlsatke und l.ehwisrnittfl w
d by Google?
Toten fanden wir einen auf dem Sehl achtfei de. — Für
uns war das Haupt res ultat, daß wir die Feinde, nachdem
sie am Tage vorher die Unsrigen am Vordringen ver-
hindert hatten, schließlich völlig auseinandergetrieben und
dadurch den gefährlichen Übertreibungen, welche oft mehr
auf die Spanier wirkten als wahre große Siege, gründlich
vorgebeugt hatten. Nachdem wir noch eine starke Re-
kognoszierung den Cläres aufwärts gemacht hatten, kehr-
ten wir nach Calatayud zurück, wo die militärischen Vor-
sichtsmaßregeln, die man ergriffen hatte, sowie das Ge-
rücht, daß die Voltigeure nachts spat ausmarschiert wären
und daß man heftig habe schießen hören, große Unruhe
erregt hatte. Besonders war in den öffentlichen Lokalen,
also auch in der Konditorei davon gesprochm wurik'r,,
und Catalina hatte dies vermutlich Ines mitgeteilt.
Als ich am andern Tage gegen Abend in die Kon-
ditorei ging, um für die Zusammenkunft mit Ines das
Nötige mit Seiiora Catalina zu besprechen, war ich nicht
wenig erstaunt, den gefürchteten Tio an deren Stelle zu
erblicken. „Ich habe Sie ja seit einigen Tagen nicht ge-
sehen," redete ich ihn so unbefangen wie möglich an.
— „Jawohl," entgegnete er, „ich bin verreist gewesen."
— „Bringen Sie uns etwas Neues mit?" fragte ich weiter.
— „Daß ich nicht wüßte," war die Antwort, „die Senores
Franceses haben aus der Gegend, wo ich war, eine Wüste
gemacht; sie haben Scheußlichkeiten bedangen, für die
unsere Sprache keinen Namen hat." — „Genug," dachte
ich bei mir selbst und brach die Unterhaltung ab, obwohl
ich dem Manne in meinem Herzen nicht gani unrechi j;ab.
Glücklicherweise wurde meine Zeit in den nächsten
lagen duich kleine Lxkursionfn /u sein in Anspruch ge-
nommen, als daß ich meir.e Gedanken aussihlieffli; Ii dem
Ge^enslande meiner Sehnsucht hatte zuwenden und mich
daduich vielleicht dem schlauen, argwohnischen Tm ver-
raten können.
Iii« strenge Disziplin, welche d:e Generale .lulmlit
erhielten, und das Vertrauen, das allmählich wieder Wurzel
24' 371
schlug, beruhigten die Stadt sowohl als die nächste Um-
gebung. Ein Kommando führte mich in dieser Zeit nach
IWtjca, wo ich Gelegenheit hatte-, Dof-a Mi^utla '.u sehen.
Sie war die Freundlichkeit selbst gegen mich, aber Ines
hatte mein ganzes Wesen so durch und durch erfüllt, daß
ich jeder Versuchung, mit ihr in nähere Berührung zu
kommen, siegreich widerstand. Glücklicherweise durfte
ich schon in den nächsten Tagen nach Calatayud zurück-
kehren, wohin mich mein Herz gewaltig zog. Meine Freude
war grenzenlos, als ich bei meiner Rückkehr Catalina
wieder an ihrem Platze und den Tio abwesend fand.
Der Abend gehörte natürlich uns beiden.
Ich blieb diesmal länger als gewöhnlich bei Ines; es
war, als hätten wir geahnt, daß es unsere letzte Zu-
sammenkunft sei. Catalina, die zum Aufbruch mahnte,
ward zweimal bewogen, uns noch nicht zu trennen. End-
lich aber mußten wir doch scheiden. Ines gab mir ein
Papier, in das etwas gewickelt war, und sagte mir: „Nimm
es und trage es als ein Andenken von mir; es ist eine
Arbeit meiner Hände." — Sie begleitete mich, was sie bis
dahin nie getan hatte, in den langen finsteren Gang und
nahm hier Abschied. „Ach," sagte sie, „die Brust weint
(ein Ausdruck, der in spanischen Liedern vorkommt), mich
drängt und quält, ich weiö nicht was. Komme morgen
ja, denn ohne dich stirbt deine Freundin."
Es war fast drei Uhr, als ich in das Kloster zurück-
kam. Schon waren viele Soldaten, die die Kälte hinaus-
getrieben hatte, auf den Beinen. Selbst mein Kompagnie-
kamerad hatte die Hanfschicht, auf der wir zu schlafen
pflegten, verlassen. „Hast du gehört," fragte er mich,
„daß wir heute eine järoße Exkursion machen werden?"
— „Wie," entgegnete ich, „wir haben ja durchaus keinen
Befehl dazu." — „Ich war gestern," fuhr er fort, „bei
den Kürassieren, die wollten Nachricht haben, daß wir uns
nächstens mit Truppen aus Zaragoza zu einer wichtigen
Expedition vereinigen würden." — „So," erwiderte ich
anscheinend gleichgültig, „es tut mir leid, ich werde euch
372
Digitized by Google
wahrscheinlich nicht begleiten können — ich habe das
Fieber — habe die ganze Nacht kein Auge geschlossen
und kann mich kaum auf den Füßen halten." — Wir
waren noch in diesem Gespräche begriffen, als wir den
Oberstleutnant Bayer, der die vereinigten Voltigeure der
Brigade kommandierte, rufen hörten : „Wo sind die Kom-
pagniechefs ?" Ich trat sogleich heran und fragte nach
seinen Befehlen. — „Wir brechen in einer Stunde auf;
ob wir wieder hierher zurückkehren werden, ist unge-
wiß — wir nehmen alles mit," war die Antwort. — „Und
wo bleiben die Kranken?" fragte ich. — „Die gehen nach
Daroca," entgegnete er, „denn Calatayud bleibt einst-
weilen unbesetzt." Mein Plan, hier zurückzubleiben, mußte
also aufgegeben werden.
Wie übrigens diese Nachricht auf mich wirkte, ver-
mag ich nicht zu beschreiben. In einer Stunde brachen
wir auf. Der dicke Nebel, der über dem Tal schwebte,
machte es unmiiirlidi, ( k'gfnsiiinüe selbst in der größten
Nähe zu entdecken — wie in einen dichten Flor gehüllt
durchzogen wir die Straßen. Auf der Straße nach Daroca
endlich machten wir Halt, schickten uns dann, unter Beob-
achtung der gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln, zum
Weitermarsch gegen die Stadt an und befanden uns bald
in dem verpesteten Hauche der hanf bauenden Dörfer. Wir
erreichten zu früher Stunde Daroca selbst und erhielten
wie gewöhnlich die Klöster, in denen wir schon so oft ge-
haust hatten, und die in der Nähe liegenden Lokalitäten
zum Quartier angewiesen. Der Herr Consejero") war
wie immer still, aber der Guardian und Senora Miguela
empfingen uns wie alte Freunde.
Es kam mir indes vor allem darauf an, das, was mir
Ines gegeben, genau zu befrachten, denn die stete Gegen-
wart von Leuten und Kameraden auf dem Marsche hatte
mich bis jetzt daran gehindert. Ich ging allein die alte
maurische Stadtmauer entlang und langte nach einer be-
S1) Consejero = Rat
373
Digilized by
schwerlich cn Wanderung in dem Teile des Schlosses an,
der durch die früher erwähnte Explosion in Trümmer ge-
legt war. Es stand hier ein Posten der Voltigeure. in
einiger Entfernung von ihm entfaltete ich das Papier und
betrachtete nun das Geschenk mit Muße. Es war ein
braunes, mit großer Geschicklichkeit geflochtenes Band,
mit den Worten: „Madre purissima guarda mi amigo."^)
An dem einen Ende war ein E, an dem andern ein 1 mit
zwei verschlungenen Herzen gestickt, ich benutzte das
teure Geschenk dazu, meine Uhr daran zu tragen. So
fiel es am wenigstens in die Augen ; ich legte es fast nie
ab, und da dergleichen Hiinder, wenngleich nicht so sauber
gestickt, hier und dort verkauft würden, so konnte ich
die Neugier der Kameraden leicht durch irgend eine Er-
zählung beschwichtigen. Dann ging ich auf den höchsten
Punkt des Berges, sah die Straße nach Calatayud hinunter
und schlich dann betrübt zu meinen Genossen zurück.
Vom Guardian horte ich hier, daß die spanischen
Truppen in bedeutender Stärke hei Teruel und Albarracin
ständen, gegen Daroca vorzudringen schienen und daß
General Suchet Truppen gegen sie abgesandt habe. Der
kluge Priester wußte wahrscheinlich noch viel mehr, aber
er hütete sich wohl, es uns zu sagen. Abends lud er uns
zu einer Tertulia, einer Art Soiree ein. Senora Miguela
beteiligte sich sehr lebhaft an der Unterhaltung und wollte
viel von den Snioritas Oaht.'i vuds wissen.
Am andern Tage früh brachen die vereinten Volti-
geure nach Calamocha auf. Ein Detachement, bestehend
aus dem 14. Linienregiment, dem 13. Kürassierregiment,
einigen Zügen polnischer Ulanen, vier Geschützen und
einer Kompagnie spanischer Cazadores«) waren von Zara-
goza her zu uns gestoßen. Wir standen unter General
Chlopicki, die Franzosen unter Oberst Henriot, dem Kom-
mandeur des 14. Regiments.
Digitized by Google
Wir fanden den Feind, wenngleich nicht zahlreich, in
einer ziemlich starken Stellung vor Ojos Ncgros. Der
entschlossene Angriff unserer Völlige urkompagtiie, von
einer Umgehung über Villar dei Saz her unterstützt, zwang
die Spanier sehr bald sich zurückzuziehen und Zuflucht in
den Bergen zu suchen. Unsere Kavallerie sprengte rasch
nach und bemächtigte sich einer ziemlich reichen Beute,
die aber meistens von den Bewohnern, die der Bergbau
hier wohlhabend gemacht und die mit den Truppen die
Flucht ergriffen hatten, stammen mochte.
Am andern Morgen ward der Marsch auf Origuela an
der Molina, die hier nur sehr unbedeutend Ist, fortgesetzt.
Wie man uns sagte, sollte ein Angriff auf das Kloster
Nuestra Seiiora de !a Tremedad — die Franzosen nennen
es Tremedal — stattfinden, indem General Villacampa sich
hier festgesetzt hatte und die Umgegend beunruhigte. Wir
verließen unweit Origuelas die Straße und wandten uns
mehr südlich nach dem Wege von Albarracin, wo sieh
am Fuße der Berge ein lebhaftes Tirailleurgefecht ent-
Die i. Kompagnie blieb in einer kleinen Vertiefung
südlich des Ortes stehen, ich mußte mich im Flecken Ori-
guela selbst aufstellen und nördlich patrouillieren. Es
konnte -hierüber zwei Uhr geworden sein. Das Gefecht
zu unserer Linken ging manchmal lebhaft, dann durch
Pausen unterbrochen fort. Gegen drei Uhr kam Oberst
Henriot in Begleitung des später so bekannt gewordenen
van Halenis), der von den wallonischen Garden überge-
30) Don Juan von Halen, Graf von Peracampos, spanischer
Offizier, belgischer Abkunft, 1790 -1S64, nahm an dem Aufstand von
Madrid am 2. Mai 1808 teil, floh dann zu der Armee der spanischen
Patrioten, trat aher spaur /um iiji)/^-i-Lln:i ümf -aber. SpiiiiT,
18)5, beteiligte er sich an einer Verschwörung gegen Ferdinand VII.,
und iilli] verhaftete ihn. um iSin indes bald « iedei frei zu lassen und
zum Oberstleutnant zu befördern. Nicht lange darauf wurde er indes
aufs neue in Line VeLiihwörun;; vcrwickflt '■:>"■! eii];;es;-cnt, i'n'il'ih
jedoch aus dem Kerker der Inquisition nach Rußland. 1820 kehrte
er in sein aufständisches Vaterland zuiiick und wurde Minas Adjutant.
375
Digitized by Google
treten war, geritten und rekognoszierte die Gegend. Sie
sprachen Lateinisch, was der wunderbaren Aussprache des
Franzosen wegen große Heiterkeit bei uns erregte. Oerade
als die Herren an uns vorüberritten, hörten wir wie Oberst
Henriot sagte: „Utique domine", und wir haben den son-
derbaren, strengen Mann, dessen Regiment mit uns öfters
in einer Brigade war, seit jener Zeit nur „Utique domine"
genannt. Er war mit meinen Anstalten zufrieden. Noch
war kein SchuS gefallen, auch sahen wir nichts vor uns,
als das steile Waldgebirge, das sich erst allmählich, aber
dann ziemlich jäh und gezackt wohl an die tausend Fuß
über die Ebene erhob. Hoch darüber weg ragten die
Dächer des Heiligtums, das man uns Ms stark verschanzt
geschildert hatte. Zwischen uns und dem Waldgebirge
befand sich eine Ebene von etwa 1200 Schritt Breite,
die sich rechts und links am Fuße des Berges hinzog.
Links auf derselben und in den Gebüschen währte das
lufanteriefeuer fort. Eine Stunde efwa nachdem Oberst
Henriot bei uns gewesen, kehrte van Halen allein zurück
und brachte den Befehl, aus dem Örtchen wegzurücken
und uns in der Ebene auf dem Wege nach dem Sanktua-
rium aufzustellen.
Ich rückte scii'"rl nach dein mir an^uwic-eiieii Pulten
ab. Allein kaum waren einige 100 Schritt zurückgelegt,
als sich der Wald vor uns zu beleben anfing und wir
heftiges Feuer erhielten. Trotz der großen Entfernung
schlugen viele Kugeln in die Kompagnie, und die Leute
riefen mir zu: „Es ist besser, Herr Leutnant, die Carajos
anzugreifen, als sich hier untätig totschießen zu lassen."
Da ich die Wahrheit dieser Behauptung einsah und nichts
Übles darin erblickte, mich zum Herrn der Lisieren zu
machen, in schickte ich meine i irailleure sofort in Marsch-
Marsch vor. Ich selbst folgte der Bewegung im schnell-
sten Tempo, und mit ganz geringem Verlust erreichte
ich den Sauen des Waldes, während die Spanier sich in
den Hochwald zurückzogen.
Ich hatte kaum von meiner Stellung Besitz ergriffen,
376
Digitized by Google
als der Adjutantmajor des 14. Regiments erschien, an-
fragte, wer hier kommandiert hätte, und die Gluckwünsche
des Oberst über die „brillante Attacke", die er mit ange-
sehen hatte, überbrachte.
Ein schwaches Feuergefecht dauerte noch einige Zeit
fort — die Spanier wichen allmählich zurück, und ich
drang1 mutig nach. Am Fuße des Berges jedoch machte
ich Halt; der Abend näherte sich, und da ich von dem
Gros des Detachements ziemlich entfernt war, fürchtete
ich mit Recht, bei einbrechender Dunkelheit umgarnt, viel-
leicht in eine sehr nachteilige Lage gebracht zu werden.
Da erschien wieder ein Adjutant und teilte mir mit,
daß ich das Gefecht einstellen und erst auf den dritten
Wurf, den man bei einbrechender Dunkelheit aus einer
Haubitze auf das Kloster machen werde, im Sturmschritt
vordringen solle. Das Gefecht hörte also allmählich auf.
Nach einiger Zeit ertönte der erste Kanonenschuß, dem
bald die beiden andern folgten. Munter gings von allen
Seiten zum Angriff vor. Fast ohne Widerstand, ohne einen
Verwundeten zu haben, gelangte ich bis an den Fuß des
Klosters — aber einige steile Felspartien und eine Mauer
machten es unmöglich, weiter vorzudringen. Während
einige Leute nach einem Zugange suchten, drängten wir
uns so nahe wie möglich an das Hindernis hinan, denn
man hätte uns von oben mit Steinen totwerfen können.
Das Schießen hatte aufgehört, eine ängstliche Stille
folgte, und erst nach längerem Suchen wurden wir durch
die Auffindung einer Rampe, die ins Innere des Klosters
führte, aus der prekären Lage erlöst. Nirgends fanden
wir auf unserm Wege Widerstand, und statt der Spanier
kamen die französischen Grenadiere und Voltigeure des
14. Regiments auf unserer Linken zum Vorschein. Wir
verfolgten den flüchtigen Feind noch eine Stunde auf dem
Wege von Molina und kehrten dann nach dem Kloster
Die Franzosen hatten hier bereits alle Türen einge-
schlagen und waren selbst in die Kirche eingedrungen —
377
Digitized by Google
aus den Soldaten war eine Rotte plünderungssOchtigen
Gesindels geworden, die alles raubte und mit fortschleppte,
was nicht niet- und nageltest war.
In einem großen Stalle neben dem Kloster waren,
ich weiß nicht wie viele Tausend Patronen in Kisten auf-
gehäuft. Ob man den Befehl gegeben, das Gebäude anzu-
zünden, oder ob die Spanier dies vorbereitet — genug,
us Iii);.' plot/lii'h im Gebälk am Giebel zu brennen an, und
die Plünderer, die in der Regel auch feiger zu sein pflegen
wie andere Leute, räumten im Augenblick das Kloster,
die Kirche und den Hof. Wir sammelten uns in einiger
Entfernung vom Kloster, und gegen acht Uhr abends
waren wir wieder am Fuße des Berges, wo die Artillerie,
die Kavallerie und der Rest der Infanterie bereits ein Biwak
bezogen hatten. Die Kompagnien kehrten zu ihren Regi-
mentern zurück, denen sie zugleich ihre Gefangenen ab-
lieferten. Ich für meinen Teil konkurrierte hierbei mit
einem Offizier und einem Doktor, die beide jedoch in der
Nacht Gelegenheit fanden, sich wieder davon zu machen,
worüber Offiziere und Soldaten des Regiments andern
Tags eine starke Strafpredigt hören muBten, die gewiß
auch redlich verdient war.
Das arme Origuela mußte beim Biwak tüchtig her-
halten, denn man trug mehrere Gebäude ganz ab, um
Lagerbedürfnisse zu erhalten, und überlieferte Möbel aller-
art den Flammen. Am andern Tag kehrten wir nach
der Ribera de Daroca zurück.
Aus meiner kurzen Darstellung hat man gesehen,
da8 uns eigentlich der Sieg leicht gemacht ward. Hätten
die Spanier ihre Schuldigkeit getan, so hätten wir es wohl
bleiben lassen sollen, uns der starken Stellung zu bemäch-
tigen. Ich darf hier mit gutem Gewissen sagen, daß mein
Angriff eine Art Wendepunkt in der Sache herbeiführte.
378
Digitized by Google
4. Kapitel
1809—1810
Streifzüge in der Ribera von Daroca. Besetzung
von Teruel 1809. Marsch nach Almunia. Rück-
kehr nach Calatayud. Marsch nach Teruel. Ein-
treffen des Generals Suchet daselbst. Besetzung von
Teruel 1810. Gefecht von Villel. Schwere Ver-
wundung. Verunglückte Expedition Suchets nach
Valencia. Belagerung von Teruel durch Villacampa.
Heldenmütiger Widerstand der Besatzung. Entsatz
durch die von Valencia zurückkehrenden Truppen
Unser Aufenthalt in der Ribera von Daroca führte ein
sehr bewegtes Leben mit sich. Bald waren es Strcifcrcicn
in die Sierra de Menera, die uns in Anspruch nahmen,
dann wieder Expeditionen in das Tal des Panerudo; doch
waren dies, ich möchte sagen, mehr militärische Prome-
naden als kriegerische Unternehmungen. Wir bekamen
nur selten einen Feind zu sehen; meistens beobachtete er
uns in einer gewissen Entfernung' und nahm nur die Ge-
legenheit wahr, über einige Patrouillen herzufallen.
Plötzlich erhielten wir Befehl, nach Calatayud zurück-
zukehren. Man kann sich denken, daß mein erster Gang
zu Senor Don Manuel war. Es hieß, er sei gar nicht
mehr in der Stadt, und nur zu bald sollte ich mich von der
Wahrheit dieser Angabe überzeugen. Eine dienstliche An-
379
Digitized by Google
gelegenheit gab mir endlich den Vorwand, genauere Er-
kundigungen einzuziehen. Es fanden nämlich um diese
Zeit mehrere Desertionen statt, was bis dahin nicht der
Fall gewesen war. Die Proklamationen der Spanier, die
den Leuten goldene Berge versprachen, und der nähere
Umgang mit den Bewohnern mochten hierzu beitragen.
Auch von meiner Kompagnie verschwanden zwei Mann.
Ich ging also zum PI at /.komm and unten und bat ihn, mir
einen Polizeibeamten mitzugeben, um in einigen Häusern,
wo meine Leute verkehrt hatten, Nachforschungen anzu-
stellen. Er kam meinen Wünschen auch sofort nach. Das
erste Haus, in welches ich ging, war die Casa Manuel, die,
mit Ausnahme der Konditorei, wie eine Festung im Be-
lagerungszustand verwahrt war. Nachdem wir hier lange
gewartet hatten und der Magistratsbote hin und her ge-
laufen war, erschien endlich eine alte Frau, die uns das
Haus öffnete. Wir gingen den mir wohlbekannten Gang
entlang über einen kleinen Hof, durchsuchten jeden Win-
kel, schauten durch das Gitterfenster vom Boden auf den
Marktplatz — aber ich hatte nicht den Mut, das Zimmer
meiner Freundin zu betreten. Endlich, bei der Rückkehr,
tat ich, als wenn ich es erst jetzt bemerkte und ließ es
aufschließen. „Hat iiier auch jemand gewohnt?" fragte
ich unsere Begleiterin. — „Jawohl," antwortete sie, „es
war das Zimmer der Nonne Ines, der Nichte des Don
Manuel, des tugendhaftesten und schönsten Kindes des
Tales." — „Und wo ist sie geblieben," fragte ich unter
Herzklopfen weiter. — „Sie ist mit dem Herrn und Cata-
lina unter vielen Tränen abgereist, aber niemand weiß
wohin." — Ich sah mich im Zimmer genau um — es war
ganz leer — von der bescheidenen Einrichtung, den
Blumen, die ich von Zeit zu Zeit gebracht, keine Spur!
Sogar der Nagel über der Lagerstätte, an dem ein kleines
Bild „de !a santissima virgen de los dolores" hing, der
kleine zinnere Weihkessei an der Tür — alles war ver-
schwunden. „Aber," schloß ich meine Nachfrage, „warum
hat denn die Religiosa bei ihrer Abreise so geweint?" —
380
Digitized by Google
„No saher,"") war die Antwort, „aber sie war trostlos;
Senor Manuel und Catalina hoben sie ohnmächtig auf den
Wagen." — Ich verlie6 hiermit das Haus und habe es
nie mehr betreten. Aber wenn mich meine Geschäfte daran
vorüberführten, habe ich es stets mit Wehmut be-
trachtet.
Am 20. Dezember erhielten wir den Befehl zum Auf-
bruch nach Calamocha und Teruel, wo wir am 23. ein-
trafen, mithin ungefähr 20 spanische Leguas auf teilweise
sehr beschwerlichen Wegen in drei Tagen zurückgelegt
hatten. Ich weiß indes nicht, was die Eile bedingte; wir
trafen auf dem ganzen Wege keinen Feind und taten keinen
SchuB.
Am 24. machte ein Bataillon der vereinigten Volti-
geure eine Expedition nach Santa Maria de Albarracin,
von wo ich in das Gebirge bis zu den Quellen des Guada-
laviar und Tajo detachiert wurde, um die hei Frio und
Fuenta Garcia angeblich befindlichen Insurgentenhauien
auseinanderzusprengen und Tuchvorräte in Beschlag zu
nehmen. Aber ich fand weder Feinde noch Beute, wohl
aber in der Nähe von Fuente Garcia hei einem kleinen
See, den unser Führer Pozo de St Juan nannte, das käl-
teste Biwak meines Soldatenlebens. Nach 36stündigem
Streifzuge kehrte ich nach Albarracin zurück. Als wir
dort am 27. einrückten, war alles öde. Der Bischof, die
Behörden, die Bewohner waren entflohen, und erst am
andern Tage stellten sich einige Arme ein. Wir bemäch-
tigten uns hier reicher Tuchvorräte, und beim Suchen
nach denselben nahm man alles, was man gerade brauchen
konnte, mit fort. Meinen Bataillonkommandeur fand ich
in einein Scholien Hause unweit der Hauptkirche bei einer
rcichbesetzten Tafel, zu der alle Offiziere eingeladen waren
und wo natürlich auch ich mit meinen Kameraden einen
Platz fand. Die Soldaten biwakierten vor der Kirche,
kochend, bratend, trinkend. Weiß Gott, wo sie alles her-
w) Ich weiß nicht.
381
Digitized by Google
geschleppt hatten, aber es fehlte nichts. Unsere Leute
jedoch hatten praktische Sachen gewählt, während die
Franzosen ihre Aufmerksamkeit mehr auf Leckereien ge-
wandt hatten. An Tuch hatten beide Teile sich bedeutende
Quantitäten angeeignet, so daß der Militärfiskus sich ge-
wiß über keine zu reiche Beute zu beschweren gehabt
Die Stadt war längere Zeit der Sitz der Junta gewesen:
von hier aus waren eine Menge Erlasse in das Land
gegangen, die zu Totschlag und Vergiftung der Franzosen
aufgefordert hatten, und dadurch wurde die strenge Be-
handlung Albarracins herbeigeführt.
Unser Abmarsch von Albarracin erfolgte ohne Störung.
Zwar wurden wir auf dem Wege hier und dort aus günstig
gelegenen Hinterhalten beschossen, verloren jedoch auf
der ganzen Expedition keinen Mann; nur einige Saum-
tiere wurden verwundet und mußten, weil sie sich gar
zu unbändig gebärdeten, erschossen werden.
Am 1. Januar abends erreichten wir Daroca, wo wir
einige Tage verweilten und dann am 3. Januar nach Cala-
tayud aufbrachen. Der Ort war mir seit meiner Kalamität
verhaßt geworden und ich war daher froh, daß wir durch
starke „Dicouvert es" — das war der Name für alle De-
tachierungen — nach Castilien zu nach Ateca und Alhama
in Anspruch genommen wurden.
Ich verließ nach der Rückkehr nach Calatayud meine
Kompagnie, um noch einmal Erkundigungen über Don
Manuel einzuziehen, und als ich die früheren Angaben be-
stätigt hörte, war ich glücklich, als wir am 8. über Daroca
nach Camin Real marschierten, wo die ganze Division
im Jiiocatale eine Art Winterquartier bezog. Dieses ver-
ließ sie am 8. Februar und brach gegen Teruel auf. Die
Avantgarde hatte bei Torre la Carcel einige Qefechtc mit
den Spaniern, die jedoch ohne Mühe aus ihren verschie-
denen Positionen zurückgeworfen wurden. Wir biwa-
kierten bei ziemlicher Kälte und unter Schneetreiben die
Nacht bei Villarquemado. Am 10. drangen wir bis Teruel
382
Digitized by Google
vor, das die Spanier angefangen hatten hier und dort zu
verschanzen, dessen Besitz sie uns aber nur wenig be-
stritten. Am 11. machten die vereinigten Voltigeure über
Villastar eine Dicouverte in den Gebirgen, die den Gua-
dalaviar bis gegen Ville! begleiten. Die Stellung des Fein-
des war jedoch so stark und so gut besetzt, daß wir nach
einem ziemlich ernstlichen Gefecht von weiteren Angreifen
abstanden.
Am 12. gingen wir wieder vor und fanden die Feinde
diesmal schon bei Villastar, verjagten sie zwar aus ihrer
Stellung, doch war der Verlust, mit dem wir unsern Vor-
teil erkauften, bedeutend genug. Am 13. Februar rückten
wir nach Teruel zurück, wohin man noch andere Truppen
beordert hatte, um einen Schlag gegen den bei Nucstra
Sefiora de Tremedad geschlagenen General Villacampa zu
führen, der angeblich wieder an 6000 Mann beisammen
haben sollte. Am 14. machten wir einen neuen Marsch
gegen Villastar, schössen uns hier lange mit den Spaniern
herum, mußten aber endlich auf einen Befehl von Teruel
her vom Angriff abstehen.
Am 15. abends hatte der General Chlopicki die ge-
samten Voltigeur- und Gren.idit.'n.iffi/kTe der Brigade bei
sich zu einem Souper versammelt und dazu zugleich meh-
rere andere Offiziere eingeladen. Unter diesen befand sich
auch ein Kapitän liazowski, ci:i srlnui iiltlirher \lau:i viui
stattlichem Äußern, verschlossenem Wesen, der im Rufe
stand, Träume zu deuten und sich auch sonst mit aller-
hand mystischen Dingen zu beschäftigen. Durch sein bar-
sches Wesen hielt er sich uns junge Leute vom Leibe und
imponierte allen durch sein Schweigen. Während sich
die Gesellschaft schon anschickte, zur Tafel zu gehen,
ließ General Leval den General Chlopicki und diegesamten
Stabsoffiziere zu sich bitten, um sich mit ihnen über einen
wichtigen Gegenstand zu besprechen. Unser Wirt er-
suchte hierauf den Kapitän Razowski, die Honneurs zu
machen und sich, wenn er um acht Uhr nicht zurück sei,
ohne weiteres zu Tisch zu setzen. Kaum hatte sich der
383
Digitized by Google
General entfernt, so gruppierte sich alles zum lustigen
Durcheinander. Der Kapitän Razowski allein blieb in
einem entlegenen Kabinett; den Rücken gegen das Kamin-
feuer gekehrt, starrte er finster vor sich hin. Leutnant
Zarski von den Grenadieren des 1. Weich selregiments,
ein treuer und werter Freund, der liebste, den ich wohl
je gehabt, faßte mich alsbald unter den Arm und sagte:
„Komm, wir wollen zu dem alten Geisterseher gehen, er
soll mir einen Traum deuten." Gesagt, getan — und als-
bald standen wir vor ihm, der uns gegen seine Gewohnheit
nicht anfuhr. Ich entsinne mich des Traumes nicht mehr,
dessen Deutung der wackere Zarski von ihm verlangte.
Aber der alte Zauberer oder vielmehr Hexenmeister, wie
die lustigen Kameraden ihn zu nennen pflegten, hörte ihn
ruhig an und sagte darauf zu ihm: „Junger Mann, Sie
kommen in der Absicht, sich einen Spaß mit mir zu machen ;
aber ehe Jahr und Tag vergehen, werden Sie einsehen
lernen, daß es Dinge gibt, über die man nicht scherzen
darf; hüten Sie sich vor diesen Bergen." Und sich dann
zu mir wendend, fragte er: „Was wünschen Sie, Herr
Unterleutnant?" Ich sagte ihm hierauf, daß ich im Biwak
von Villastar und dann hier im Kloster bei unseren Leuten
geträumt, wie ich in den Gebirgen mich verirrt, von Müdig-
keit und Durst getrieben, viel Schnee genossen und mich
darauf von einer Todeskälte belangen gefühlt hätte. —
„Ist es wahr, was Sic mir sagen?" fragte er mich darauf,
ich möchte sagen, teilnehmend. Und als ich ihm erwiderte,
daß dies wirklich der Traum zweier h inte reinand erfolgen-
der Nächte gewesen, antwortete er kurz: „Dringen Sie
nicht in mich, ich prophezeie nicht gern Unglück, und
dennoch hätte ich Ihnen nichts Gutes zu sagen." — Es
war acht Uhr, und wir setzten uns zu Tisch. Auf dem
Wege dahin aber sagte Zarski zu mir: „Für so verrückt
hätte ich ihn doch nicht gehalten. Der alte Mann glaubt
am Ende selbst, was er uns vorschwatzt."
Und doch sollte wunderbarerweise das buchstäblich
in Erfüllung gehen, was er uns gesagt hatte. Ich ward
384
Digitized by Google
am andern Tage fast tödlich verwundet, und meinem
Freunde zerschmetterte einige Monate darauf in den Ber-
gen eine Kugel beide Beine und machte so dem Leben eines
der besten Menschen und tüchtigsten Offiziere ein Ende.
' Ich erfuhr den Tod meines unvergeßlichen Freundes
in der Tranchee von Tortosa, gerade als ich mit dem alten
Kapitän dort auf Wache war. „Haben Sie von Zarskis
Tod gehört?" fragte ich ihn. — „Ich wußte davon" —
war die kurze Antwort. Mir aber ging es eiskalt durdi die
Olitrder, und kh habe den alten Mann nie mehr ohne eine
geheime Scheu ansehen können.
Ich führe diese Tatsachen hier an, nicht um dadurch
zu beweisen, djß der alte Kapitän, der übrigens ein Mann
ohne jede höhere Bildung war, mit besonderer Divina-
lujnsgabt begabt gewesen sei, sondern nur um dar zutun,
wie unerklärlich und wunderbar »ich im bewegten Kriegs-
leben oft die Verhältnisse gestalten und wie sich bei Regi-
mentern, die lange im Felde liegen, stets solche Geister-
seher, die selbst von den hellsten Köpfen mit Scheu be-
trachtet werden, allmählich heranbilden. Napoleon selbst
erzählt von ähnlichen Todesahnungen, die den General
Laharpe nach dem Übergange über den Po befallen
hätten»)
Am 15. hatten wir Ruhe gehabt; aber uns ward der
Befehl, zum Abmarsch bereit zu sein. Spät abends waren
die Voltigeure noch ausgerückt und hatten ohne Feuer
am Fuße der Berge, auf denen Villastar liegt, biwakiert.
Am 16. früh formierten sich die Truppen der Brigade am
Fuße des Berges, auf dem Teruel liegt, und begannen
alsbald über den Guadalaviar zu defilieren. Die bereits
M) Amctk'c Emmanuel Laharpe, französischer Divisionsgenc-
ral, 1754—1796, war beauftragt, im ersten italienischen Feldzug
(1716/97) den Übergang Uber den Po zu erzwingen, was ihm
auch glänzend gelang. Er sollte indes nicht die Früchte seiner
Tat genieBen, denn kurz darauf wurde er von seinen eigenen
Leuten, die ihn und seine Eskorte in der Nacht für Feinde hielten,
getötet.
25 B«M7: Span. PielhtiUktmiil. 385
Digitized by Google
gegen die Berge als Avatitgarde vorgeschobenen Volti-
geure wurden hier sogleich in ein starkes Gefecht ver-
wickelt. Wir drängten die Spanier zwar zurück, aber hinter
Villastar selbst kam das Gefecht wieder zum Stehen. Die
Spanier hatten eine vortreffliche Stellung. Von einer Berg-
kuppc aus, die sie unsern Blicken fast entzog, und durch
ein Ravin geschützt, bestrichen sie die Passage, durch die
wir kommen mußten, mit dem lebhaftesten Gewehrfeuer.
Die Tirailleure hatten nicht vermocht vorzudringen. Die
Generale Leval und Chlopicki befanden sich bei ihnen
und standen hinter einem kleinen Felsabhange. Als die
Voltigeure, nachdem sie zum Angriff vorgegangen, die
erste Salve erhielten, stockte deren Spitze, bei der zweiten
fiel sie in ein heftiges Feuer und fing an, sich hinter
den Felsen zu zerstreuen und von dort aus das Schießen
fortzusetzen. Hierdurch war ein Aufenthalt entstanden,
den Oeneral Chlopicki brauchte, um zu den polnischen
Kompagnien der vereinigten Voltigeure ein paar energische
Worte zu sprechen. Da sich die vordere Kompagnie rechts
und links auseinandergeschoben, befand ich mich mit der
meinigen gerade auf der Straße. Vor mir lag die verhäng-
nisvolle Kuppe, über die wir mußten, so recht unter dem
feindlichen Feuer. Ohne mich zu besinnen, rief ich den
Leuten ein lautes „Vorwärts, meine Freunde!" zu und
eilte als erster, von meinem Hornisten Jankowski beglei-
tet, auf die Kuppe ios. Die Spanier begingen den Fehler,
sowie wir uns zeigten, eine Salve zu geben, worauf eine
augenblickliche Pause im Feuer entstand, die meine Leute
benutzten, um im Trabe vorzudringen und gegen die
Stellung der Spanier vorzustürmen, was, nachdem jene
Kuppe einmal passiert, leichter war. Da sie nun, um uns
zu beschießen, sich jetzt mehr demaskieren mußten, litten
sie durch das Feuer der Voltigeure, die über uns weg auf
sie feuerten. Das Geschieße ließ bald nach; vergebens
trieben einige spanische Offiziere ihre Leute vor und
setzten sich den größten Gefahren aus — sie räumten die
Stellung in wilder Flucht.
386
Digilized by Google
Ich glaube, daß icK bei der ganzen Aktion keinen
Mann aus der Kompagnie verlor, aber als ich in der feind-
lichen Stellung über abschüssige Felsenwege und große
Steinblöcke, durch Bäume und Gestrüpp ankam, war die
Kompagnie ganz auseinander, und ich befand mich an
der Spitze vor! einigen 60 — SO Leuten aus dem Bataillon,
mit Franzosen untermischt, die ich nach Möglichkeit zu
sammeln suchte. Während ich noch unschlüssig war, was
weiter zu tun sei, erschien plötzlich General Chlopicki,
sprach sich lobend über unser Betragen aus — und be-
fahl, eiligst zu folgen. Er hatte nur seinen Adjutanten
bei sich und ein Stöckchen in der Hand. Erst in großer
Entfernung sah man unser Gros folgen. Die Spanier
leisteten nirgends mehr Widerstand, selbst die günstigste
Stellung räumten sie vor einer Hand voll Leuten. Die
Eile, mit der wir vordrangen, die Erschöpfung, die da-
durch herbeigeführt wurde, machte unser Häuflein immer
kleiner. Ich selbst war sehr angegriffen und nahm ab
und zu von dem Schnee, der in den Felsspalten lag, etwas
in den Mund. Sowie wir uns Villel näherten, ward der
Widerstand heftiger. Wir gewahrten nach Fuenta Santa
zu starke Haufen ; die Pajares (kleine Scheunen) vor Villel
selbst waren stark besetzt und durch ausgehobene Oräben
miteinander verbunden. Aul einem kleinen Plateau da-
hinter erhob sich ein noch nicht ganz vollendetes Werk,
das voller Leute war. Ein Offizier auf einem schwarzen
Pferde ritt von Trupp zu Trupp und schien alles zu ani-
mieren.
Wir stiegen langsam in das Flußbett des Ouadalaviar
hinunter und waren glücklich genug, uns trotz unserer ge-
ringen Anzahl einiger solcher Pajares zu bemächtigen,
hinter denen wir uns sammeln konnten und von wo aus
wir ein gutes Feuer auf unsere Gegner richteten. Beschäf-
tigt, einige Anordnungen zu treffen, um einem etwaigen
Angriff begegnen zu können, sah ich mit einem Male den
General Chlopicki mitten unter uns. „Wir müssen die
Schurken ins Wasser werfen," rief er mir zu, „sonst ent-
25- 337
Digilized by Google
wischen sie uns wieder. Sammle alle deine Leute und
greife die dort an," und zugleich deutete er mir den Auf-
wurf an, den die Spanier besetzt hielten.
Es dauerte eine Weile, ehe ich Leute genug zusammen-
gebracht hatte, um den Angriff zu beginnen. Ein kleiner
Tambour des 44. Regiments von den Kompagnien des
Zentrums, der Gott weiß wie hierhergekommen, trom-
melte und der erwähnte Hornist meiner Kompagnie blies
zum Angriff, als ich vorrückte. Aber war es die feind-
liche Übermacht, welche die Leute schreckte, war es Er-
müdung — kurz, die Sache glückte nicht Auf der Hälfte
des Weges kehrten alle um und ließen mich und den
kleinen Tambour im Stich. Allein konnten wir die Ver-
schanzung nicht nehmen, und es blieb uns nichts übrig,
als gleichfalls umzukehren.
Ich stellte schnell die Ordnung wieder her, ermu-
tigte die Soldaten mit einigen Worten, führte sie wieder
vor, und schon waren wir bis an den unbedeutenden
Graben gelangt, als ich, von einer feindlichen Kugel am
Kopfe getroffen, bewußtlos zu Boden sank. Was mit mir
seitdem geschehen, weiß ich nicht. Ich kam erst wieder
unter den Händen des Arztes zu mir. Nur dessen bin ich
mir bewußt, daß mir nach einer längeren Zeit war, als
höre ich wieder schießen, und daß sich mir die Frage
aufdrängte: Wie, du bist tot, und doch schießt man?
Dann war es mir, als wenn ich Ines sähe. Ich wollte
mich erheben, aber alle Anstrengungen, Hand und Fuß
zu rühren, waren vergebens. Endlich war es, als wenn
mich etwas packte: Jetzt tragen dich die Engel in den
Himmel. Aber hiermit war es mit meinem Bewußtsein
wieder zu Ende. Da hörte ich' nach einiger Zeit eine
Stimme sagen : „Er kommt wieder zu sich," und ich fühlte
zugleich, daß man mir eine Flüssigkeit in den Mund flößte.
Aber fortan -schwand meine Besinnung vollends, und erst
nach einigen Tagen in Teruel kam ich einigermaßen wieder
zu mir. Mein Gedächtnis aber war gänzlich hin — ich
konnte mich lange Zeit nicht einmal auf den Namen meines
388
Digilized by Google
Burschen besinnen, und es bedurfte geraumer Zeit, ehe
ich die Fähigkeit des Denkens und Erinnerns wieder er-
langte.
Hinterher hörte ich folgendes über die Erlebnisse seit
meiner Verwundung. Sowie ich gefallen war, waren meine
Leute gewichen — - und ich war in die Gewalt der Spa-
nier geraten. Sie hatten mir meine Stiefel ausgezogen,
mich meiner Uhr, die ich an dem Bande von Ines trug,
beraubt und mir die Epauletten abgerissen. Den Degen
aber hatte man in die Scheide gesteckt und neben
mir liegen lassen, da man wahrscheinlich überrascht
worden war.
Sowie unsere Truppen sich genähert hatten, waren
meine Leute aufs neue zum Angriff vorgccilt und hatten
mich nach Verjagung der Feinde aus dem Bereich des
I euers nach der Ambulanz gebracht. Eine Abteilung spa-
nischer Kavallerie, durch unsere Kavallerie gegen den
üuadalaviar gedrängt, hatte sich mutig durch unsere Leute
durchgeschlagen und in einzelnen Gruppen in das Ge-
birge gefluchtet. Hierauf waren sie auch auf die Ambu-
lanz, in der ich mich befand, gestoßen, hatten einen Doktor
verwundet und waren dann davongesprengt, Spjter hatte
man die Verwundeten auf Esel und Maultiere verladen
(anders kann man die Transportart nicht nennen) und
nach Teruel befördert. Mich hatte man in eine Art Hänge-
korb getan, ein Oegengewicht durch einige Tornister ge-
bildet, und so war ich denn nach Mitternacht in einem
Hause am Markte untergebracht worden.
Am andern Tage hatte mich der Divisionsarzt Cour-
tois besucht und den Ausspruch getan, daß mich nur eine
Trepanierung retten könne. Dem aber hatten sich meine
Freunde Zarski und Boguchowski widersetzt und erklärt,
daß es besser sei, mich ruhig sterben zu lassen, als mich
so zu martern. Von der Operation, die mit mir vorge-
nommen wurde, erinnere ich mich nur, daß man die Kopf-
wunde erweiterte und mit einem Instrumente auf die Hirn-
schale klopfte. Dies selbst schmerzte nun zwar nicht, aber
389
Digitized by Google
ich soll Furcht an den Tag gelegt haben, daß man mir den
Schädel einschlagen könnte, was der Doktor als ein gutes
Zeichen betrachtete.
Während ich noch so ohne Besinnung lag, kam der
kommandierende General nach Teruel, um von dort aus
eine Expedition gegen Valencia einzuleiten. Er verteilte
/.uijkidi die Dekorationen an die Regimenter für die
Schlachten von Santa Maria und Belehrte, die gerade ein-
gegangen waren. Aber ich war gänzlich ohne Besinnung
und erfuhr erst später von diesem Vorgange durch die
Kameraden, durch den Tagesbefehl und die Zeitung von
Zaragoza vom 8. April 1810.
Die Sorgfalt, mit der mich Doktor Courtois be-
handelte, und meine an sich feste Konstitution führten sehr
bald eine Besserung meines Zustandes herbei; das Ge-
dächtnis fand sich allmählich wieder ein, ich konnte mich
nach Verlauf von 12—14 Tagen im Bett aufrecht erhalten
und allmählich wieder anfangen zu gehen. Leider ward
meine Herstellung durch moralische Einflüsse verzögert
Ich erwähnte bereits, daß der kommandierende General
nach Teruel gekommen war, um von dort ein Unter-
nehmen auf Valencia einzuleiten. Lag es jedoch daran,
daß seine Kräfte dazu nicht ausreichten, oder daß der
Plan dazu auf falschen Benachrichtigungen und Voraus-
setzungen beruhte, — er schlug gänzlich fehl. Während
General Suchet mit dem Expeditionskorps sich gegen Va-
lencia bewegte, war der Oberst Plieque vom Stabe beauf-
tragt worden, Teruel zu behaupten und die Verbindung
sowohl mit Zaragoza als Valencia aufrechtzuerhalten. Zu
diesem Behufe hatte man das Seminar des jesuitenklosters,
das eine günstige Lage hatte, zur Verteidigung eingerich-
tet, hier das Lazarett und die Vorräte untergebracht und
es vielleicht mit 150—21X1 Leuten aus allen Regimentern
besetzt. Die Rekonvaleszenten sollten die schwache Gar-
nison, welche übrigens von Zaragoza her Zuzug erwartete,
allmählich verstärken. Aber die Sache kam ganz anders,
als man gedacht. Kaum hatte der General die Straße
390
Digitized by Google
nach Valencia betreten und die feindliche Avantgarde bei
Alventosa auseinandergesprengt, so erschien Villacampa,
unser alter Gegner von Nuestra Sehora de Tremedad,
Villastar und Villel, mit seinen schnell wieder gesammelten
Scharen vor Teruel, schloß es von allen Seiten ein und
forderte die Garnison zur Übergabe auf.
Man kann sich denken, welche Antwort ihm ge-
geben wurde.
Der spanische General bemächtigte sich hierauf der
Stadt, warf unsere Posten in das Kloster zurück und be-
schränkte uns, indem er die nahegelegenen Häuser be-
setzte, auf den bloßen Besitz des Gebäudes. Lag es daran,
daß man nachlässig gewesen, oder daß hierbei Verrat
der Geistlichen, denen man die Benutzung der Kirche zum
Gottesdienste gestattete, im Spiele war — kurz, die Spa-
nier bemächtigten sich eines Tages nicht allein der Kirche,
sondern auch eines daran stoß enden viereckigen Turmes,
was unsere Lage höchst kritisch machte.
Wir waren völlig isoliert auf den Besitz des Kloster-
gebäudes beschränkt, das nach dein Guadalaviar zu zwar
durch den jähen Abhang, auf dem es lag, geschützt war,
aber von zwei Seiten her beherrscht wurde.
Ein lagenicurkapitäii, Lcvistone, hatte sein Möglich-
stes getan, diesem Fehler durch Traversen von starkem
Zimmerholz und durch Blendung der Fenster abzuhelfen,
wie er denn überhaupt die Seele der ganzen Verteidi-
gung war.
Nachdem die Spanier uns von allen Seiten einge-
schlossen hatten, schickten sie abermals einen Parlamen-
tär mit der Benachrichtigung, daß sie uns nun in die
Luft sprengen würden. Aus einem benachbarten Hause
waren sie in die Klosterkeller gedrungen, aus denen man
sie nicht wieder zu vertreiben vermochte, und bald hörten
wir sie unter uns arbeiten. Wir konnten auf unserer
Lagerstätte im Lazarett jeden Hammerschlag vernehmen
und durften stündlich gewärtig sein, unsere Reise nach
oben anzutreten. Ein kühner Angriff auf den Turm, den
391
Digitized by Google
die Spanier uns abgenommen hatten, machte uns zwar
wieder zum Herrn desselben, aber unsere Lage wurde da-
durch nicht besonders gebessert. Nach einiger Zeit sandten
die Spanier aufs neue einen Parlamentär, forderten zur
Übergabe auf und stellten zugleich anheim, einen Ingenieur-
offizier zur Rekognoszierung der angelegten Galerien ab-
zusenden. Oberst Plicque nahm diesen Vorschlag an und
beauftragte Levistone mit dieser Rekognoszierung. Dieser
kam auch wirklich nach einiger Zeit zurück und ver-
sicherte, die Minen gesehen und nach allen Regeln der
Kunst geladen gefunden zu haben; doch fügte er hinzu, er
wisse nicht, ob die Fässer wirklich mit Pulver gefüllt seien.
Nichtsdestoweniger zog man alle Soldaten aus dem be-
drohten Teil des Klosters zurück, krenelierte einige innere
Mauern und machte Anstalten, sich in dem eventuell un-
versehrt bleibenden Teile des großen Gebäudes zu ver-
teidigen. Die Leichtverwundeten ergriffen alle die Waffen,
und die Grenadiere und Volt ig eure erbaten es sich als
eine ihnen zustehende üunst, für den gefährlichsten Posten
verwendet zu werden. Sehr merkwürdig war es, daß
unsere Gemeinschaft mit Zaragoza trotz alledem nicht
unterbrochen ward. Noch am S. März kam ein Offizier
mit der Korrespondenz an. Zwar war er innerhalb der
Stadt selbst angegriffen worden, aber da man zu gleicher
Zeit einen Ausfall machte, so gelangte er glücklich zu
Dieser Umstand ließ sich aus den nur zu bald ein-
laufenden Nachrichten erklären. Villacam pa hatte sich
wirklich auf einige Zeit entfernt und die Straße von Zara-
goza her freigelassen. Er hatte den Posten in Alventosa
auf der Straße nach Valencia angegriffen und die dort
stehende Kompagnie Polen gefangen genommen, sich aufs
") Es war ein Offizier unseres Regimen!!., ein Leulnanl Gor-
(Ion; ein Drittel seiner Mannschalt war verwundet oder gefallen,
er selbst hafte einen gefährlichen Schul! in den linken Arm erhalten,
(Anmerkung des Verfassers.)
392
Digitized by Google
neue gesammelt und dann efst gegen die Straße von Zara-
goza gewandt. Auf dieser hörten wir am 9. gegen elf
Uhr morgens Kanonenschüsse und gewahrten auch bald,
daß man sich auf dem Plateau, das sich nördlich von der
Vereinigung des Alhambra und des Ouadalaviar in der
Entfernung von etwa einer Stunde erhebt, schlüge. Aber
das Gefecht dauerte nicht lange ; einige Kanonenschüsse,
die rasch hintereinander folgten, ließen voraussetzen, daß
die Unsrigen den Feind geschlagen hatten und nun ver-
folgten. Aber dem sollte nicht so sein. Villacampa selbst
zeigte uns nachmittags an, daß er eine starke Kolonne,
die von Daroca (mit Geschützen für die Armee bestimmt)
herbeigeeilt war, gänzlich aufgerieben, vier Geschütze ge-
nommen, daß er ferner die Garnison von Alventosa über-
wältigt und daß unser Oeneral vor Valencia eine gänz-
liche Niederlage erlitten hatte. Zugleich stellte er uns
nochmals frei, die Galerien unter dem Kloster besichtigen
zu lassen und uns zu ergeben, widrigenfalls er vor Abend
die Minen würde sprengen lassen. Aber sein Antrag ward
zurückgewiesen, wenngleich man die Überzeugung ge-
wonnen hatte, daß die beiden ersten Nachrichten ihre
Richtigkeit hatten. Der Kapitän des Ingenieurkorps fol-
gerte sehr richtig, daß die Spanier kein Pulver haben
müßten, sonst meinte er, wäre gar kein Grund vorhanden,
warum sie uns die Reise in die andere Welt nicht längst
hätten antreten lassen sollen.
Und er hatte nicht falsch geschlossen. Sie hatten in
der Tat kein Pulver. Nichtsdestoweniger fuhren die Spa-
nier mit ihren Anstalten zu unserer Bezwingung fleißig
fort; sie errichteten Barrikaden, krenelierten die Wände
der Häuser und arbeiteten mit Geräusch unter uns. Da
schlug am 13. in der Nacht plötzlich unerwartet unsere
Erlösungsstunde. Die Hauptarmee, allerdings nur ein
Korps von etwa 10—12000 Mann, war in ihrer Unter-
nehmung nicht glücklich gewesen und hatte ihren Rückzug
antreten müssen. So erschien sie denn am 13. unvermutet
vor Teruel. Die Avantgarde rückte nachts ein und zwar
393
Digitized by Ggogle
sehr schwach. Mein Freund Zarski in Alventosa, von
unserer Blockade unterrichtet, hatte um die Führung der
Spitze der Avantgarde gebeten und seinen Marsch so eilig
zurückgelegt, daß er lange, lange vor der Avantgarde selbst
ankam. Als er sich mit seinen Truppen durch die ziem-
lich enge Straße heranwand, die der Feind, ohne daß wir
es gemerkt harten, verlassen hatte, ward er durch ein
„Halte-Iä! qui vive!" angehalten. Als er sich nun als
Franzose und vom 1. Weichselregiment ausgab, glaubte
man anfangs, daß die Spanier sich einer Kriegslist bedient
und die in Alventosa überwältigten und gefangenen Polen
durch Gewalt gezwungen hätten, mitzuhelfen. Man ließ
die Avantgarde daher nicht näher heran. Da rief Leut-
nant Zarski laut, man solle ihn allein hereinlassen und den
Leutnant Brandt zur Rekognoszierung seiner Person holen.
Dies geschah denn auch, und er sagte mir nun, wie die
Sachen ständen, worauf der Oberst Plicque genehmigte,
daß seine Leute sich, jedoch nur einzeln, dem Kloster
nähern durften. Man kann sich unsere Freude denken.
Die Soldaten fielen einander in die Arme. Uns war, als
wenn wir aus einem langen Traume erwachten. Die Be-
lagerung hatte vom 25. Februar bis 13. März gedauert,
und zwölf Tage hatte man gedroht, uns in die Luft spren-
gen zu wollen. Mit Wein und Getreide waren wir noch
für einige Zeit versehen, aber das frische Fleisch war schon
lange ausgegangen, und namentlich fehlte Wasser schon
seit mehreren Tagen. Abends spät rückte noch General
Paris") ein, und das muntere, lebendige Treiben auf der
Straße, das Auflodern der Biwakfeuer auf den öffentlichen
Plätzen mußte den Spaniern sagen, daß sie um das Ver-
gnügen gekommen waren, uns gefangen fortführen zu
Am andern Tage kam der Oeneral selbst an, besich-
tigte die Arbeiten der Feinde, besonders die Minen, be-
") Baron Marie Auguste Paris, 1771-1814, nahm unter
Suchet last an allen Belagerungen und Gefechten in Aragonien,
Catalonien und im Königreich Valencia teil.
394
Google
suchte das Lazarett, sprach mit den Schwerverwundeten
einige freundliche Worte, sagte mir ein paar Freundlich-
keiten und überschüttete den Oberst Plicque mit einer
wahren Flut von Lobeserhebungen. Für den armen Levi-
stone, der eigentlich die Seele der Verteidigung gewesen
und der Tag und Nacht nicht aus den Kleidern gekommen
war, hatte der Generalissimus nicht viel Worte übrig.
Unser Kommandant war ein närrischer Kauz. Er saß den
ganzen Tag am Schreibtisch — nahte sich ihm während
der Zeit jemand, so bannte er ihn durch ein „silence"
oder „chute" an seine Stelle, und oft dauerte es eine gute
Weile, ehe man seine Meldung, seinen Auftrag ausrichten
konnte. Vor den Truppen war er blöde, befangen, ja er
schien selbst ohne Energie zu sein, und wer weiB, was
geschehen wäre, wenn er nicht Levistone und sonst lauter
tüchtige Offiziere um sich gehabt hätte.
Der Zustand meiner Verwundung veranlaßte Doktor
Courtois mich nach Zaragoza ins Lazarett zu schicken.
Unter der sorgfältigen Behandlung der Ärzte und bei der
gehörigen Ruhe gelangte ich bald wieder zu Kräften —
die bösen Zufälle verloren sich allmählich, und schon am
1. Mai konnte ich, wenngleich sich die Wunde noch nicht
völlig geschlossen hatte, wieder zum Regiment abgehen.
395.
Digilized by
5. Kapitel
1810
Vereinigung mit der Division Leval. Märsche. Ein-
treffen vorTortosa. Blutiges Gefecht an dem Brücken-
kopf. Teilweise Einschließung von Tortosa. Die
Eskortierung des erkrankten Generals Leval nach
dem Hauptquartier. Zug nach Beceyte. Zerstörung
der Stadt Gefecht in der Pefia Golosa. Aufent-
halt im Lager bis Mitte Dezember
Als ich zu meinem Regiment zurückkehrte, fand ich
dasselbe in dem mir wohlbekannten Calamocha. Es hatte
während meiner Abwesenheit allerdings manchen Strauß
mit den Guerillas bestanden, doch waren keine Gefechte
von Bedeutung vorgefallen. Am 17. brachen wir nach
Torrecilla und nach mannigfachen Exkursionen von dort
nach Montalvan auf, wo wir am 24. Juni eintrafen. Am
25. setzten wir unsern Matsch über Calanda und Monroyo
nach Morella fort, welches wir am 28. erreichten.
Bei unserer Ankunft in Morella fanden wir hier die
Generale Leval und Montmarie. Die ganze Division des
ersteren war somit hier vereinigt, d. h. das 14. französische,
5., 44. und 2. polnische Regiment, zu denen noch das
13. Kürassier- und ein Teil des 4. Husaren regiments mit,
glaube ich, 12 Geschützen kommandiert waren.
Wir verweilten in Morella am 2Q. Juni und brachen
am 30. nach Chert auf. Wir durchzogen hier die wil-
396
Google
desten Gegenden der Provinz, und ein stundenlanges De-
filee machte unsern Marsch sehr gefährlich. An einzelnen
Stellen war der Weg verrammelt; OerÖlle allerart er-
schwerte das Marschieren. Wir verweilten sechs volle
Stunden in dem Engpaß, ehe wir in der Ebene ankamen.
Den 1. Juli brachten wir indes nach einem wenis;
beschwerlichen Marsch in La Jana in einer reizenden Ge-
gend zu. Wir schwelgten in einem wahren Überflusse von
Wein, der schönsten Gemüse und Früchte.
Am 3. Juni brachen wir früh wieder auf und begaben
uns nach Uldecona, wo die ganze Division biwakierte.
Nur einige Grenadierkompagnien und die Stäbe waren
in dem freundlichen Örtchen geblieben. Während der
Nacht wehte ein schneidender Wind, und es war so kalt,
daß, obwohl wir einen Marsch von vier Meilen hinter uns
hatten, niemand recht Ruhe finden konnte.
Gegen zwei Uhr wurden unsere Vorposten alarmiert
— es wurde Generalmarsch geschlagen. Als ich meinem
Hornisten, der mich gewöhnlich begleitete, befahl, zu
blasen, war dieser so betrunken, daß er sich kaum auf
den Beinen halten konnte — der andere hatte sein Mund-
stück verloren — beide waren sonst vortreffliche Men-
schen. Gegen dergleichen Kalamitäten hilft nichts als Ruhe,
aber ich kann mir leider nicht das Zeugnis geben, sie be-
wahrt zu haben. Das Beste aber war, daß wir nicht gleich
aufbrachen und beide Leute somit Zeit behielten, nüchtern
zu werden und sich nach dem Mundstück umzusehen.
Um vier Uhr am andern Tage brachen wir auf.
Eine Meile von Tortosa trafen wir auf ein Bataillon
wallonischer Garden. Unsere Ulanen griffen es sofort an,
nahmen einen Teil gefangen und zersprengten den Rest.
Der Oberst Mesclop vom Stabe, der die Avantgarde, ein
Bataillon vereinigte Voltigeure, 50 Ulanen und vier Ge-
schütze kommandierte, drang so schnell weiter vor, daß
er früher als die Versprengten vor Tortosa anlangte. Es
schien, daß man von unserm Marsche, obwohl man uns
in Uldecona alarmiert und wir das eben erwähnte Ba-
397
Digitized by GßOgle
taillon auseinandergesprengt hatten, hier keine Nachricht
erhalten hatte. Wir fanden die Einwohner überall bei
ihren Arbeiten und langten in der Nähe des Brückenkopfs
ohne Schuß an.
Oberst Mesclop disponierte seine Truppen derart, dali
er das Werk auf etwa mehr als Kanonenschuß weite durch
drei Kompagnien ciiüdiluli und seine Kanonen, eine Kom-
pagnie des 44. Regiments und ehenso seine Kavallerie auf
der Siralie, auf der wir gekommen waren, in Reserve hielt.
Ich mit meiner Kompagnie war auf der Slraßr um
l.a Knuuett.i vurgrsfliutirn. Da wir nirgends Widerstand
fanden und keinen Schuß erhielten, so glaubten w,( das
Werk verlassen, und ich kam mit meinen Leuten his an
ihe P.iliMdfii des bedeckten Weges. Ich glauhe, wir
wären imslande gewesen, uns des Werkes zu bemächtigen,
wenn alle Kompagnien auf einmal vorgedrungen wären.
Wir hörten, wie man im Werke schrie: „Los Franceses
— los enemigos — a las armes!" — Da donnerte von der
andern Seite, vom alten Schloß, dem Castillo Viejo her,
der erste Schuß. Die Kugel sauste weit über uns weg
in die Hucrta. Aber nun fing es plötzlich an lebendig im
Brückenkopf zu werden ; in der Stadt läutete man Sturm,
und wir konnten über den hier 650 Schritt breiten Strom
das Oetobe und Geschrei der Menge, das Schlagen der
Tamboure hören. Die Brustwehr war bald wie mit roten
Mühen besät, und ein lebhaftes Feuer zwang uns um
so mehr zurückzugehen, als man auf Kanonen Schußweite
das Terrain eingeebnet und Bäume und Gebäude ra-
siert hatte.
Wir setzten uns erst in einem Hause mit einem Gar-
ten, 500 Schritt vom Glacis entfernt, fest. Das Gebäude
hatte zwei Etagen und war mit seiner langen Seite nach
dem Garten gelegen, der mit einer Mauer umgeben war.
Da ich keine Befehle erhielt, so beschloß ich, mich hier
um so mehr festzusetzen, als ich vermeinte, so gegen
jede Übermacht bis zum Herannahen etwaiger Unter-
stützung geborgen zu sein. An der Gartenmauer stellte
3Q8
Digitized by Google
ich einen Teil meiner Leute auf; ich selbst besetzte das
Haus und zwar derart, daß ich ein gutes Drittel der Mann-
schaft zur Disposition behielt. Einige Leute der ersten
Voltigeurkompagnie des Regiments und einige Voltigeure
des 44. Regiments, die sich im Laufe der Bewegungen zu
mir gefunden hatten, wurden bei der Reserve behalten.
Ich war noch nicht ganz mit meinen Anordnungen für die
Eventualitäten, die ich mir selbst gesetzt hatte, fertig, als
eine heftige Kanonade gegen mein Haus begann. Es
folgte Schuß auf Schuß vom Brückenkopf sowohl, als
von den Batterien der andern Seite der Ebene und von
dem Castillo Viejo, dem alten Schloß. Das Dach des
Hauses war bald zerstört, seine Mauern nach der Stadt
zu durchlöchert; vom Brückenkopf her versuchte man die
Mauer des Gartens selbst niederzuschmettern.
Da verstummte auf einige Zeit das Feuer, und nun
strömten aus dem Brückenkopf einige tausend Mique-
letesM) in ihren roten Mutzen aus dem Tore und wandten
sich in der Mehrzahl gegen das von mir besetzte Haus ; ein
kleinerer Teil folgte dem Lauf des Ebro abwärts und auf-
wärts. Alsbald entspann sich ein lebhaftes Feuer, bei dem
anfangs aller Vorteil auf meiner Seite blieb. Als aber
die Batterie vom Schloß her fortfuhr, Bomben und Gra-
naten in mein Haus zu werfen, als das oberste Stockwerk
fast in Trümmer geschossen war und Verwundete die
innern Räume füllten, ließ unser Feuer nach ; die Spanier
rückten näher, drangen durch die Bresche in den Garten
und verjagten meine Leute aus demselben. Man konnte
die trotzigen wilden Gestalten unserer Feinde so ganz
in der Nähe betrachten und jedem seine Absicht an-
sehen :
„So fließe stets verfluchter Dringer Blut,
So tilge solchen Feind die grauenvollste Wut."
M) Spanische Soldtruppen, die von den baskischen Städten —
welche vom Militärdienste befreit wnren — zum Garnison dienste
gestellt wurden.
399
Digilized by Google
Glücklicherweise hörte bei dem nächsten Angriff das
Kail onenf euer einigermaßen auf. Aus dem Garten selbst
vertrieben wir nun zwar die Spanier wieder, aber sie
unterhielten von seinen Mauern ein so starkes Feuer auf
uns, daß sich bald alle Räume im Hause mit Verwundeten
und Toten füllten. „Notre Situation se dessine en noir,
lieutenant," sagte mir ein französischer Sergeant, der mit
einigen seiner Leute von der Voltigeurkompagnie des
44. Regiments zu uns versprengt worden war.
Ich weiß nicht warum, aber es entstand plötzlich eine
Pause im Angriff. Die Sonne stand schon hoch am Him-
mel, doch ließ sich noch nichts von einer Unterstützung
sehen. Ich benutzte die augenblickliche Ruhe, um den
Schießbedarf einigermaßen auszugleichen. Was uns ge-
waltig quälte, war der Durst. Aber zu dem Brunnen im
Garten selbst konnte niemand kommen, da er im wirk-
samsten Bereiche des feindlichen Feuers lag. Ich ging
mit dem Leutnant Krakowski, dem ersten Kompagnie-
offizier, und dem Feldwebel Sewezek zu Rate, welche
Maßregeln — da wir, von allen Seiten umringt, an ein
Durchschlagen nicht denken konnten — wohl noch zu
ergreifen wären, wenn wir wieder angegriffen würden.
Wir beschlossen, von Stube zu Stube zu weichen und uns
lieber unter den Trümmern des Hauses zu begraben, als
an Ergebung zu denken. — Wir waren übrigens der
festen Überzeugung, daß die Erlösungsstunde bald schla-
gen müsse, und richteten durch unsere Mitteilungen
hierüber den Mut der Soldaten auf. Unsere Lage war aber
wirklich fürchterlich. Ringsum von blutdürstigen Feinden
umgeben, unter dem wirksamsten Feuer einer zahlreichen
Artillerie, von den Unscrn gänzlich abgeschnitten, dabei
von einem starken Marsche und einem mehrstündigen
Kampfe ermüdet, ja fast erschöpft.
Während der Feind sein Feuer nur langsam fort-
setzte, bemerkten wir auf der Straße von Roquetta eine
lebhafte Bewegung unter den Rotmützen. Sie gingen in
dem dichten Gehölz, das den Weg zu beiden Seiten be-
400
Digilized by Google
den Fenstern und durch die Löcher, die die Kanonenkugeln
in das Haus gerissen hatten, unser Feuer gegen sie rich-
teten, zogen sie sich rasch auseinander und eilten dem
Brückenkopfe zu. Zugleich verließen die Leute, die uns
bis dahin eingeschlossen hatten, ihre Stellung und zogen
sich nach dem Ebro zu. Unmittelbar darauf erschienen
die Spitzen unserer Kolonnen auf dem Wege von Valencia
und besetzten den Rand der Gärten, die sich in Form eines
Halbmondes um die Werke zogen.
Wir brachen sogleich zur Verfolgung auf, erhielten
aber heftiges Feuer von den Werken. Eine Kanonenkugel
bedeckte mich über und über mit Staub und Erde, eine
Flintenkugel streifte mir den rechten Unterarm, und meh-
rere Stücke Blei drangen in die rechte Hand. In diesem
Augenblick erschien General Chlopicki, ließ meine Leute
zurückgehen und eine Art Vorpostenkette durch die
frischen Truppen bilden. — Wir rückten in das paradie-
sische Lager, das die Division einstweilen etwa 600 Fuß
von der Festung, mithin ganz unter dem wirksamen Feuer
derselben, bezogen hatte.
Sowie wir uns eingerichtet hatten, hielt ich Appell
ab. Es waren von den Leuten, die mit mir gewesen waren
und die drei Kompagnien angehürt hatten, 52 tot und ver-
wundet. Der Oberst war über den starken Verlust unge-
halten und meinte, daß ich mich unnütz ausgesetzt hätte.
Dies aber war keineswegs der Fall ; es lag vielmehr an der
fehlerhaften Anordnung zum Anmarsch und in mehreren
nachher eingetretenen Zufälligkeiten. Gegen Abend hatten
wir unser Lager gemütlich eingerichtet. Überall loderten
Feuer empor, und obwohl die Spanier uns stark mit Ar-
tilleriefeuer zusetzten, so verhinderte dies niemand, sich
der Frholung und dem Wiolh -: n: hm/ugi-hen. Man hatte
eine unglaubliche Menge Lebensmittel allerart aus den
überall an der Ilueita herumliegenden Gartenhäusern her-
beigeschafft. Di« Uifizierc der Kompagnie saßen unter
401
Digitized by Google
einem großen Feigenbaum und verzehrten behaglich einen
schönen Hammelbraten mit den so lange entbehrten Kar-
toffeln, die im Lande verächtlich „Comida para los cho-
chinos" (Futter für die Schweine) genannt wurden. Nicht
weit davon saß eine Gruppe Voltigeure, von denen einige
schon etwas zuviel getrunken hatten.
Da wir trotz der dicken Feigen-, Nuß- und Johannis-
brotbäume, hinter und unter denen wir lagerten, dennoch
viel von dem feindlichen Kanonenfeuer zu leiden hatten,
so wurde schon in den nächsten Tagen ein starkes Epaule-
ment, das uns Schutz gegen das direkte Feuer gewährte,
gebaut. Man ging dabei nicht eben künstlerisch zu Werke
und riß, da man keinen Oberfluß an Arbeits materialien
hatte, die benachbarten Häuser ein, um deren Holzwerk
zu verwenden. Zugteich wurden Hutten erbaut Dies
alles geschah unter steten Ausfällen des Feindes, welche
vom 6. bis zum 10. Juli zu heftigen Oefechten führten.
Am 9. wurden die Verluste, die ich am ersten Tage er-
litten hatte, aus der Kompagnie des Zentrums — der
Füsilierkompagnie — ersetzt. Es kam dabei zu unange-
nehmen Erörterungen mit den Hauptleuten, von denen
mir vorgeworfen wurde, daß ich die Leute unnütz auf-
opfere. Der General Chlopicki jedoch nahm entschieden
Partei für mich. Er hatte etwa 50 Schritt von der Kom-
pagnie, in einem kleinen, mit Wein umrankten Häuschen,
das von blühenden Bäumen allerart umgeben war, sein
Hauptquartier aufgeschlagen und ging fast täglich durch
unsere Kompagniegassc. Als er am Tage nach dem Ge-
fecht an uns vorüberkam und wir gerade zum Appell an-
getreten waren, sagte der sonst sehr schweigsame Gene-
ral: „Ihr habt euch gestern wie tüchtige Jungen geschla-
gen, habe es auch nicht anders vermutet." Dann blieb
er vor einem Voltigeur stehen, dem eine Kartätschen-
kugel den Pompon weggerissen und ein großes Loch in
den Tschako geschlagen hatte, und sagte zu diesem : „Nicht
wahr, sie haben euch tüchtig zugesetzt?" — „Es war noch
nicht so toll wie bei Villastar," entgegnete der Soldat,
402
Digitized by Google
worauf der Genera! ihm die Backen klopfte und mir freund-
lich die Hand gab.
Ais Merkwürdigkeit erschien uns das heftige Infan-
teriefeuer, das die Spanier in den ersten Nächten nach
unserer Ankunft in der ganzen Ausdehnung des Brücken-
kopfes abgaben. Es dauerte oft Viertelstunden lang, ohne
daß die mindeste Veranlassung dazu vorlag, und wieder-
holte sich nicht selten zwei- bis dreimal. Wahrscheinlich
vermuteten sie einen Sturm unserseits.
Bis zum 12. benutzte man noch die Nächte, um die
einzelnen Posten, die man vorgeschoben hatte, zu ver-
schanzen, sie durch Gräben in Verbindung zu bringen
und die Häuser, die hier und dort stehen geblieben waren,
zur Verteidigung einzurichten. Die Spanier suchten dies
zu hintertreiben, was dann Gclethtr herbeiführte. Am
12. machten sie geecn das Haus, das die Kompagnie
am 4. verteidigt hatte, einen Ausfall. Sie hatten die
'I rancheewaihe bereits verjagt, wurden aber durch die
unter Kapitän Rall herbeieilenden Reserven wieder zurück-
geworfen. Zwei Versuche derselben Art hatten das gleiche
Geschick. Da näherte sich kurz vor Mittag ein Haufe
von etwa 20 Mann, der indes, sowie sich unsere Leute
zeigten, sofort zurückeilte. Nur ein einziger Spanier feuerte
sein Gewehr ab, und dieser Schuß tötete den braven Ka-
pitän Ball, der fn so vielen Gefechten, Schlachten und
Belagerungen, die er mitgemacht hatte, niemals verwundet
worden war. Die Kugel war durch die Stirn eingedrungen,
am Hinterkopf wieder herausgegangen, und, ohne einen
Laut von sich zu geben, war er zusammengebrochen.
Mit dem 13. trat eine Ruhe ein, die mehrere Tage
anhielt. Sei es, daß dies eine Kriegslist war, um uns ein-
zuschläfern, oder daß die unglaubliche Hitze auch auf
die Spanier einwirkte, kurz, sie verhielten sich durchaus
untätig. Selbst das Kau onenf euer schwieg. Wir fuhren
unterdes fort, die Oräben, die bereits gemacht waren,
noch mehr auszuheben, sie mit Banketts zu versehen und
rückwärts mit dem Lager in Verbindung zu bringen. Die
26* 403
Digitized by Google
Betagerten taieii am andern Ufer ein gleiches. Zwischen
kleinen Reibereien und den Befürchtungen, nächstens vom
Feinde einen großen Schlag ausgeführt zu sehen, schlepp-
ten sich die Tage langsam hin. Die Lebensmittel fingen
an seltener zu werden, die Brunnen versiegten, und das
Wasser zum Kochen konnte nur von weither herbeigeholt
werden. ,
Am 8. August etwa gegen vier Uhr fielen plötzlich drei
Schüsse kurz hintereinander, und wir hörten die Bomben
über uns weg nach La Roquetta fliegen. Mehrere Offi-
ziere lagen auf Matten unter den Bäumen, die meisten
ziemlich entkleidet, denn es war eine Hitze zum Ver-
schmachten. „Das ist ein Signal!" rief ich, sprang rasch
auf und eilte zur Kompagnie, von den Kameraden wegen
meiner Eile verspottet. Aber ehe ich daselbst angekommen
war, begann auch schon das Feuer in den Trancheen.
Unsere kampfgeübten Soldaten standen in einem Augen-
blick unter den Waffen, die meisten zwar in keinem vor-
schriftsmäßigen Anzug, aber die Waffen in bester Ordnung.
Während ich noch mit dem Ordnen der Kompagnie
beschäftigt war, pfiffen schon die Kugeln über uns weg.
In demselben Augenblick erschien General Chlopicki in
einem Oberrock, aber in Nankingbeinkleidern und Schuhen
und eine Reitgerte in der Hand. „Grenadiere links, Votti-
geure rechts um," rief er mit seiner feinen Stimme, „links
und rechts marschiert auf!" Dies war kaum geschehen,
so kommandierte er „Fällt's Gewehr" und stürzte sich an
der Spitze dieser zwei Kompagnien, deren Bewegungen
aber die übrigen aus den verschiedenen Brustwehren folg-
ten, auf die Spanier. Es kam zu einem förmlichen Hand-
gemenge, in dem die Feinde über den Haufen geworfen
wurden. Wir waren auf unserer Seite bald wieder im
Besitz der Gräben und Verschanzungen, während an
andern Orten der Kampf, wenn auch nur schwach, fort-
dauerte.
Auf unserm linken Flügel war spanische Kavallerie
(etwa 200—300 Pferde) um den Flügel des Regiments
404
Digitized by Google
herumgegangen und direkt nach dein Dorfe Jesus geeilt,
wo sich das Hauptquartier der Division befand. Hier
hatten sie eine der Schildwachen an des Generals Türe
erschossen und einzelne Kavalleristen, die sich sammelten,
in der Straße niedergehauen. Dann waren sie, von dem
Feuer einer Grenadierkompagnie, die den Dienst im Haupt-
quartier hatte, empfangen, teilweise umgekehrt, teilweise
auf der Straße nach Jerta weggesprengt und ganz aus-
ein andergekommen, so daß von dem ganzen Kavallerie-
regiment St. Jago, das diesen Angriff machte, nicht viele
zurückkamen.
Zu unserer Rechten und Linken verstummte allmählich
das Infanteriefeuer — unsere Leute, deren linker Flügel
besonders angegriffen worden war, hatten eine halbe
Stunde nach Beginn des Gefechtes — 4'/, Uhr nachmittags
— alle ihre Posten wieder inne. Der Kampf war sehr
kurz, aber heftig gewesen. Viele der Spanier waren be-
trunken, namentlich die Miquelets, die das reguläre Mili-
tär begleiteten. Einzelne stürzten sich wie Verzweifelte
auf unsere Leute und ließen sich niederstoßen, andere ver-
suchten, sich auf die Offiziere zu werfen und diese zu
töten ; ich ward von einem solchen Wütenden angefallen,
und er hatte eben das Gewehr erhoben, um mich damit
niederzuschlagen, als ihn der Sergeant Dochowicz nieder-
stieß.
Die Gefangenen, die man von allen Seiten herbei-
führte, zählten über 200, darunter eine Menge Subalte ro-
und einige Stabsoffiziere. Unser Regiment, das den Haupt-
stoß des Feindes ausgehalten, hatte eine Menge Tote und
Verwundete. Unter ersteren befand sich auch Kapitän
Solnicki, ein tüchtiger, aber zu strenger Offizier, der viel
zur Erziehung der jüngeren Offiziere beitrug, jedoch bei
den Soldaten im höchsten ürade verhaßt war. Man brachte
ihn für tot ins Lager — eine Kugel hatte ihm den Scheitel
gestreift, ohne ins Gehirn einzudringen — als man aber
einen Splitter aus demselben entfernte, schlug er die Augen
auf, sagte „Wie wohl ist mir" und verschied unmittelbar
40a
Digitized by Google
darauf. Dem Hauptmann Madrzikowski hatte eine Kugel
den Oberarm zerschmettert. Sonst waren an Offizieren die
Leutnants Niechdzielcki, Dobrzyki und andere leicht ver-
wundet
Zur Charakteristik des Generals Chlopicki mögen
einige kleine Züge hier Platz finden. Während man in
den Trancheen die weitere Entwicklung abwartete, war
der General in eins der Zimmer des weißen Hauses, in
dem ich am 4. Juli so heiße Stunden verlebte, getreten.
Hier hatte der Leutnant Dobrzyki, der ein vortrefflicher
Zeichner war, den General mit Kohle an die Wand ge-
malt, wie er in drohender Stellung dem nicht besonders
angeschriebenen Leutnant eine Strafpredigt hält. Die bei-
den Hauptfiguren waren nicht zu verkennen. „Wer hat
das gemacht?" fragte der General, und als man ihm sagte,
daß Leutnant Dobrzyki der Künstler gewesen, soll er
geäußert haben: „Das ist ja ganz hübsch, aber nicht wahr,
so schlecht stehen wir nicht miteinander!" — Als die
Kompagnien sich bei einbrechender Dämmerung allmäh-
lich zurückzogen, redete der General die Grenadier- und
Voltigeurkompagiiien, an deren Spitze er sich selbst be-
funden hatte, an, rief den Leuten ein „Outen Abend,
Kinder" zu und wünschte jedem Offizier, ihn beim Namen
nennend, auch einen „Outen Abend".
Die nächsten Tage verliefen ziemlich ruhig. Für mich
brachten sie ein interessantes Kommando, indem ich be-
stimmt ward als Parlamentär nach Tortosa zu gehen,
um hier die Herausgabe der Sachen zu bewirken, die den
am 3. August Gefangenen gehörten. Ich zog, wie sich
von selbst versteht, meine besten Kleider an, schmückte
mich mit den neuesten Epauletten, knüpfte frisches Band
an meinen Orden und ließ mir auf meine alten und die
neuen Wunden statt der weißen schwarze Pflaster legen.
Dann putzte ich meinen Trompeter Jankowski heraus,
warnte ihn besonders, ja nicht zu trinken, versah mich
mit den notigen Briefen und begab mich, von allen meinen,
jüngeren Freunden begleitet, in die Tranchee unter der
■106
Digilized by Google
Casa blanca. Hier ließ ich meinen Jankowski sein Instru-
ment zwischen zwei Sandsäcke stecken und ein paarmal
in dasselbe stoßen, woran! wir uns sofort erhoben und
unter stetem Blasen des Hornisten gegen das Kreuz auf
dem großen Wege langsam vorschritt^n. Wir sahen als-
bald den ganzen bedeckten Weg voller Leute, die ihre
Gewehre zwischen die Palisaden gesteckt hatten. Fast am
Kreuz selbst angekommen, hörten wir ein „Alto! oder es
gibt Feuer!" und sogleich kam ein ältlicher Ufiizier mit
einem Trompeter, der mich fragte, was ich wolle, und mir
Vorwürfe machte, so weit gegangen zu sein. Er nahm
aber meine Entschuldigung, dal! sie mich ja hätten früher
anhalten können, als genügend an, verband mir die Augen
und forschte nun nach meinem Auftrage. Er hörte mich
ruhig an und wollte mir dann meine Briefe abnehmen. Da
ich ihm jedoch sagte, daß ich diese nur dem Komman-
danten selbst einzuhändigen hätte, äußerte er, daß dies zu
erlauben nicht in seiner Macht stehe und daß er hierzu
höherer Genehmigung bedürfe. Nachdem er zu diesem
Zwecke seinen Begleiter abgesandt hatte, fingen wir eine
Unterhaltung an, die bis zur Rückkehr des Eilboten fort-
geführt ward. Sie drehte sich meistens um die Gefan-
genen, in deren Interesse ich gekommen war, von denen
er aber nur wenige zu kennen schien, da sie zu den Trup-
pen gehörten, die mit Henri O'Donnell aus Catalonien
nach Tortosa gekommen waren.
Nach einer ziemlich langen Frist erschien ein Offizier
mit der Erlaubnis, mich nach der Stadt zu bringen. Die
beiden Herren faßten mich unter die Arme und führten
mich durch den Brückenkopf über die Brücke weg in
die Stadt. Ich hatte den Auftrag, die Breite der Brücke,
die ich passierte, genau zu zählen. Ich tat dies zwar, aber
ich zweifle, daß mein Bericht richtig gewesen, denn ob-
wohl ich die Augen verbunden hatte, so war meine Auf-
merksamkeit einerseits durch das, was ich hörte, und dann
durch das Gespräch mit meinen Begleitern stark in An-
spruch genommen. Aus dem Gemurmel um mich her
407
Digilized by Google
konnte ich vernehmen, daß ich durch eine dichte Menschen-
menge schritt — meist ließ sie mich schweigend vorüber
— hier und dort hörte ich: „Das ist noch ein junger
Bursche" — ein paarmal aber wurde in nächster Nähe ein
leidenschaftliches „AI viage de sangre con el carajo" (Auf
dem Blutweg mit ihm) gerufen.
Endlich bogen wir kurz um eine Ecke, stiegen eine
Treppe hinauf, wo man mir die Binde von den Augen nahm
und ich mich dem Senor Gobernador, Oeneral Conde de
Alacha, in einem Zimmer gegenüber befand, das mehrere
Kanonenkugeln durchlöchert hatten. Ich kann nicht sagen,
daß die Person des Generals einen besonderen Eindruck
auf mich gemacht hätte. „Excellence," redete ich ihn
Französisch an, „ich habe die Ehre, Ihnen die Briefe zu
überreichen, welche die am 3. gefangenen Offiziere und
Oeneral Leval mir zur Besorgung übergeben haben." —
„Sehr verbunden, Seiior Capitano," erwiderte er und be-
gab sich dann, von einigen höheren Offizieren begleitet,
in ein Nebenzimmer. Mehrere jüngere und ältere Offi-
ziere, die zurückgeblieben, bewirteten mich mit Schokolade
und Eiswasser; Wein, den man mir anbot, schlug ich aus.
— „Sie führen draußen ein schlechtes Leben," sagte ein
junger Offizier zu mir, „hier könnten Sic es besser haben."
— „Wir sind das gewöhnt," entgegnete ich, „wir be-
trachten dergleichen als zu unserm Stande gehörig und
rechnen auf die Zukunft." — „Nun, diese dürfte hier
nicht verlockend sein," antwortele er. — Ich aber meinte,
daß darüber Gott allein entscheiden werde.
Nach kurzer Frist kam der Sefior Gobcniador zurück,
händigte mir einen Brief an Se. Exzellenz Herrn Grafen
Leval ein und fragte mich dann, ob ich erst Kapitän wäre.
Als ich ihm hierauf entgegnete, daß ich erst Leutnant
sei, rief er plötzlich: „Mein Gott, bei uns würden Sie
Oberstleutnant sein, wenn Sie in unsere Reihen träten."
Mir verschloß diese Äußerung augenblicklich den Mund,
und erst nach einigem Besinnen konnte ich antworten:
„Würden denn die spanischen Herren Offiziere mit jemand
403
Digitized by Google
dienen wollen, der sich durch eine Desertion beschmutzt
hatte?" — Ich bat nun, ohne den Gouverneur in die
Verlegenheit zu setzen, eine Antwort geben zu müssen,
um die Erlaubnis, mich ins Lager zurückbegeben zu dürfen.
Aber wer denkt sich mein Erstaunen, als mir beim Heraus-
tritt aus dem Zimmer in eine Art Vorhalle mein Trom-
peter, im höchsten Grade betrunken, erklärte, er werde
nicht mit zurückkehren, er werde in spanische Dienste
treten. — „Wie," sagte ich ihm, „man hat dich aus dem
ganzen Regiments ausgesucht, mich zu begleiten und nun
machst du deinem Regiment diese Schande? Gut — ich
gehe, bleib du hier und sieh deine Landsleute totschlagen
und ermorden." Hiermit schritt ich der Türe zu. In dem-
selben Augenblick aber schien sich mein guter Jankowski,
der mir immer sehr zugetan gewesen war, zu besinnen,
nahm einen Beutel mit Geld, in dem etwa 12—15 Taler
sein konnten, aus der Tasche und warf ihn auf die Erde,
indem er polnisch ausrief: „Hier habt ihr euren Judas-
groschen, ich gehe mit meinem Leutnant!" — In der
größten Stille durchschritten wir die zahlreiche Versamm-
lung; an der Treppe wurden uns die Augen wieder ver-
bunden, und unter denselben Zurufen, Verwünschungen,
unter demselben Geheul gelangten wir über den Brücken-
kopf in die Trancheen zurück.
Bald nach dem Ausfall der Spanier ward der General
Leval so krank, daß man für sein Leben fürchtete. Es
ward daher beschlossen, ihn nach Mora zu senden, wo
sich das Hauptquartier des Oenerals Suchet damals befand.
Meine Kompagnie, die man durch mehrere Kommandierte
auf 160 Köpfe gebracht hatte, sollte als Eskorte dienen,
während man noch 30 Mann bestimmte, die Bahre zu
tragen. Der Weg nach Mora war jedoch vielen Schwierig-
keiten unterworfen. Bis Aldevar und Jerta führte er ab-
wechselnd längs des Ebro hin ; stellenweise traten Fels-
wände bis dicht an den Fluß und ließen kaum den nö-
tigen Raum zur Passage. Die Spanier hatten solchen Orten
gegenüber auf der andern Seite des Flusses Lautgräben
40Q
Digitized by Google
gezogen und beschossen beim geringsten Geräusch von
dorther den Weg, wodurch bei Tage die Passage höchst
gefährlich und nachts noch immer sehr schwierig war.
Nichtsdestoweniger hatte man unter Begünstigung der
Nacht einige der fi'hwicriyston Stellen längs des Ebro ziem-
lich unbemerkt zurückgelegt, nur das Gros des Detache-
ments hatte hier und da Feuer bekommen. Mit Tages-
anbruch befand sich die Kolonne bereits bei Jerta und
betrat die Bergrcgion. Dem Anscheine nach war der Berg
links vorn Wege unbesetzt. Aber es hätte mehr als eine
Stunde Zeitverlust verursacht, ihn zu rekognoszieren und
eventuell zu ersteigen. Ich wählte daher den kürzeren
Weg. An einer geeigneten Stelle, die meine Anordnungen
den Spähern auf dem bewußten Berge entzog, machte
ich Halt und entsandte nur einige Mann gegen den Berg
selbst, die jedoch Befehl erhielten, nicht zu weit vorzu-
gehen, beim Anblick des Feindes sofort anzufangen zu
feuern und später als Arrieregarde dem Detachement zu
folgen. Dann schickte ich 12 Mann und einen tüchtigen
Unterolftzier mit dem Befehl ab, einzeln, in einer Ent-
fernung von 10—12 Schritt voneinander, aber rasch das
Defilee zu durcheilen und an dessen Ausgange der An-
kunft des ihnen folgenden Oflizierdetachements zu harren.
Sowie die ersten Leute im Defilee vorschritten, ent-
deckte man auch schon die roten Mützen der CatalansM)
im Gebüsch — doch fiel noch kein Schuß. Erst wie die
sechs ersten Mann die Hälfte des Defilees erreicht haben
konnten, gaben einzelne Spanier Feuer, wobei zugleich
eine Menge Guerillas sichtbar wurden. Sie schienen durch-
aus nicht zu wissen, was sie aus der Sache zu machen
hätten. Doch als der Offizier mit 30 Mann, in Gruppen
von 4—5 Mann verteilt, dem Unteroifizierdetachement in
einer Entfernung von etwa 50—60 Schritt folgte, begann
ein lebhafteres Feuer vom Berge her. Dies hörte auch
erst auf, als der letzte Mann vorüber war. Sowie der
") Catalonier.
410
Digitized by Google
Offizier den Ausgang des Defilees erreicht hatte, sollte er
sich sofort tiraillierend gegen die Stellung des Feindes
selbst wenden, dem, wie bereits bemerkt, von dieser Seite
her leicht beizukommen war, die ersten 12 Mann aber als
eine Art Unterstützung am Ausgang des Defilees zurück-
in dem Augenblicke, wo das Gewehrfeuer am Aus-
gange des Defilees anfing, wurde auch das Feuer von
den direkt gegen den Be.rg entsandten Tirailleurs be-
gonnen; zugleich zeigte sich die Spitze der Hauptkolonne.
30 Mann gingen in Reihen so rasch wie möglich durch das
Defilee — der Rest blieb mit dem General noch zurück.
Die Spanier, von diesen Anstalten überrascht, glaubten
wahrscheinlich, von allen Seiten zugleich angegriffen zu
werden und zogen sich nach einem kurzen Feucrgefeeht
zurück, wodurch es dem Rest des Detachements möglich
wurde, den General ohne Verlust durch diese höchst ge-
fährliche Passage zu bringen.
Hätte man die Spanier nicht auf diese Art aus ihrer
Stellung vertrieben, so ist es sehr wahrscheinlich, daß die
mit der Tragbahre des Generals langsam folgenden Trup-
pen eine bedeutende Menge Leute durch das feindliche
Feuer verloren Mitten. ViuUHdit hätte der General selbst
noch hier sein Ende gefunden, was den aufrührerischen
Geist der Bewohner dieser wilden Gegenden nicht wenig
genährt haben dürfte, besonders wenn man bedenkt, was
die feindlichen Bulletins noch sonst für Nachrichten von
einem solchen Gefecht in Umlauf gesetzt haben würden.
Als ich nach einem Aufenthalt von einem Tage meinen
Rückmarsch antrat, nahm ich die Korrespondenz für die
Division mit. Wenn nun schon ji^ier Oiii/.ier, wenn er aus
dem Hauptquartier kommt, detachierten Truppen eine
willkommene Erscheinung ist, so war ich es doppelt, denn
ich hatte dem Regiment, ohne daß ich es wußte, eine
Menge Beförderungen und Promotionen, Briefe usw. mit-
gebracht Meine Soldaten waren daher, ebenso wie ich
der Gegenstand großer Aufmerksamkeit, und ich selbst
411
Digitized by Gpogle
ward, da man fabelhafte Gerüchte über das kleine, glück-
lich bestandene Gefecht in Umlauf gesetzt hatte, mit herz-
licher Teilnahme bewillkommnet
Während uns die Spanier, nachdem alle ihre Ver-
suche, die Berennungskorps zu sprengen, fehlgeschlagen
waren, ganz in Ruhe ließen und täglich nur einige Bomben
nach dem Lager schickten, schlug man sich an der Cenia
und bei Uldecona in unserer Rechten und am Ebro auf-
wärts tüchtig herum. Wenn auch die größeren Engage-
ments stets zu unserm Vorteil ausfielen, so waren doch
die Gefechte, die besonders auf die Belagerungsverhält-
nisse Bezug hatten, nicht immer ganz glücklich. Zweimal
gelang es den Spaniern, die Zuführung von schwerem
Geschütz und Pulver ganz oder teilweise zu hintertreiben
und somit die Ausführung der endlichen Belagerung des
Platzes wieder in Zweifel zu stellen. Was am sichersten
zu unserm Verderben hätte mitwirken können, nämlich
die Insurgierung des Landes in unserm Rücken und Ver-
stärkung des Aufstandes in diesem gebirgigen Terrain-
abschnitt (besonders zwischen Alcaiiiz und Tortosa) durch
regelmäßige Truppen, versuchten sie nur einmal in nicht
ausreichendem Grade. Der große Fehler der Spanier war
deren ewiges Scharmützeln, sowie sie eine gewisse An-
zahl Leute beisammen hatten, und dabei wurden sie von
den tapferen, disziplinierten Franzosen fast in jedem größe-
ren Zusammentreffen geschlagen. Mina und Perefia waren
die einzigen im nördlichen Spanien, die dies vermieden,
sich auf den kleinen Krieg beschränkten und daher auch
den besten Erfolg hatten.
Ende September brach in unserm Rücken der er-
wähnte Aufstand aus. Unsere Detachements wurden an-
gefallen, Gefangene ermordet, alle Requisitionen unbe-
achtet gelassen. Die Sache drohte um sich zu greifen. Die
Bewegung bemächtigte sich Teruels und Montalvans; bei
Daroca und Calatayud zeigten sich starke Banden, und
selbst in Zaragoza waren Spuren von Unzufriedenheit und
Widersetzlichkeit zu bemerken.
412
Digitized ty Google
Am 26. September brachen demnach aus Alcafiiz und
unserm Lager zugleich Truppen auf, um die Ordnung
wieder herzustellen. Das Lager von Tortosa stellte hierzu
vier Kompagnien, darunter die meinige. Wir drangen nach
einem anstrengenden Marsch, aber ohne einen Schuß zu
tun, auf der Höhe, nur von den Mücken unglaublich heim-
gesucht, bis Berceyte vor, „die schwane Stadt", wie sie
bei den Franzosen hieß. Das frühere Benehmen der Be-
wohner, ihre Orausamkeit gegen unsere Oefangenen ließen
sie mit Recht die strengste Behandlung fürchten und hatte
sie bewogen, mit Hab und Out in die Berge zu flüchten.
Es herrschte eine Totenstille im Orte. Er wurde der Plün-
derung preisgegeben und dann methodisch angesteckt; die
Weinreben in der Nachbarschaft wurden ausgerissen, die
Ölbäume angezündet, alles verwüstet.
Am andern Tage gegen neun Uhr früh traten wir den
Rückzug an, und ich führte die Avantgarde der Ebro-
kolonne. Wir hatten ein äußerst gefährliches Defilee zu
passieren, das Hunderte von Schritten in einer von zer-
klüfteten Felsen überragten Schlucht fortlief. Schon auf
dem Hinmarsch nach Berceyte hatten wir die Gefahr, die
es darbot, wenn es nur durch eine Handvoll tüchtiger
Männer verteidigt wurde, richtig gewürdigt, und auch jetzt
sagte ein alter Sergeant, Wassüenka: „Herr Leutnant,
wenn die Spanier uns hier durchlassen, so ist gewiß kein
Mensch in der Gegend, der es besetzen könnte." — „Mein
Freund," antwortete ich', „sie werden es so machen wie
bei San Mateo."")
Wir hatten bereits den Eingang der finstern, engen
Schlucht erreicht, als die Meldung einlief, ihr Ausgang
sei verrammelt; zugleich fielen einige Schüsse. Ich be-
schleunigte sofort meinen Marsch, erreichte im Trabe die
Barrikade und ließ sie aufräumen. Nur ab und zu fiel
™) Das Defile'e von Morefie bis San Mateo, das die Division
Lcva! auf ihrem Marsche nach Tortosa passieren mußte und wobei
sie nicht angegriffen wurde. (Anmerkuni; rtis Verfassers.)
413
Digitized by Google
ein Schuß auf uns, aber von oben wurden Steine herunter-
gerollt Ich konnte mich glücklich nach unserer Abmarsch-
linie zu formieren und das Debauchieren der Kolonne
decken. Sowie aber deren Spitze anlangte und ich vor-
gehen wollte, erhielt ich von allen Seiten Feuer. Der Vor-
trab prallte zurück, da viele verwundet wurden. Meine
Leute feuerten ohne Befehl; die Spitze der Kolonne drang
rasch vor, weil alles sich beeilte, das Defilee zu verlassen,
und bald bildeten die vier Kompagnien aus dem Lager und
die zwei aus Jerta gekommenen nur einen Knäuel.
Fast alle Offiziere waren bereits verwundet. Dem
Oberst Pascal selbst, dem Kommandeur der Kolonne, war
ein Arm zerschmettert Durch Zureden endlich und
Drohungen versammelte er seine Leute. Unter heftigem
Feuer schrie er sie mit Stentorstimme an und warf ihnen
ihre Feigheit vor. „Vilains conscrits", rief er ihnen zu,
„ihr habt nichts zu verlieren als das Leben, denn eure
Ehre habt ihr schon gegen diese gueux de brigands ver-
loren. Aber auch das Leben verdienen Poltrons wie ihr
nicht." Hiermit nahm er seine Pistolen, die er nach dem
Verlust seines Pferdes immer unter dem Arm gelragen
hatte, und erschoß zwei Mönche, die wir den Tag vorher
gefangen genommen hatten. „Geht," rief er darauf den
Leuten zu, „und laßt euch jetzt würgen und verbrennen.
Aber wer ein guter Franzose ist, der folge mir!" Mit
einem weithinschallcndcn „En avant" gingen wir darauf
den Valencianern zu Leibe und gelangten nach mehreren
herzhaften Angriffen wirklich auf günstigeres Terrain, wo
wir uns aufs neue ordneten und dann dem Feinde auch
glücklich entkamen. — Die Polen, die bei der Expedition
waren, verstanden von der energischen Anrede des Oberst
Pascal kein Wort, aber seine Tat hatte ihnen so imponiert,
daß sie braver wie je fochten.
Merkwürdigerweise waren trotz des wilden Getüm-
mels unsere Verluste an Toten nicht sehr bedeutend ; meine
Kompagnie verlor nur sieben Mann, doch mußten wir
unser ganzes Oepäck und die erbeuteten Vorräte im Stich
414
Digitized by Google
lassen. Tm Lager vor dem Brückenkopf erfuhren wir, daß
während dieser Zeit alles ruhig geblieben sei und man
glaubte, daß die Spanier den größeren Teil der Garnison
auswärts verwandt hätten. Es wurden daher von den
jungen Offizieren allerhand Projekte entworfen, sieh des
Werkes durch Überfall zu bemächtigen, allein unsere Pläne
wurden von den Vorgesetzten nicht berücksichtigt
Ohne irgendwelche für die Berenn ungsdivision wich-
tigen Ereignisse verstrichen die Tage bis zur Mitte des
Dezember. Um diese Zeit jedoch waren endlich alle Vor-
bereitungen getroffen, um gesichert die eigentliche Bela-
gerung Tortosas unternehmen zu können; meinem Regi-
ment wurde hierbei eine andere Bestimmung zuteil.
415
Digitized by Google
6. Kapitel
1810—1811
Übergang über den Ebro bei Jerta. Belagerung von
Tortosa. Eröffnung des Artilleriefeuers. Beginn der
Unterhandlungen. Energisches Benehmen des Gene-
rals Suchet. Schwache, unentschlossene Handlungs-
weise des Gouverneurs. Übergabe der Festung.
Transport der Gefangenen nach Bayonne
Am 15. Dezember nachts ein Uhr brachen wir auf
um den Ebro bei Jerta zu überschreiten. Wir langten
abends, eben als die Dämmerung begann, in der Ebroebene
an, die wir so sehnsüchtig sechs Monate lang aus der
Ferne beschaut hatten. Es gelang uns, nach einem kurzen
Getechte die Spanier gänzlich zurückzuwerfen und uns des
ganzen Tals bis an den Fluß zu bemächtigen. Die Trüm-
mer der zerstörten Vorstadt, die Einfassungen von Brun-
nen, die man erhalten hatte, eingestürzte Keller usw.
erleichterten unser Vordringen, und als es endlich dunkel
geworden war, konnten wir uns ziemlich nahe an die Stadt
selbst heranwagen. Die Gewandtheit unserer Leute er-
leichterte dies ungemein, und es war mit Sicherheit darauf
zu rechnen, daß sie, ohne instruiert zu sein, immer das
Richtige tun würden.
Am 20. abends wurde meine Kompagnie zur Be-
deckimg der Arbeiter, die die Trancheen eröffnen sollten,
befehligt. Es war auf dem St eil ungs platze, wo wir uns
-116
Digitized by Google
versammelten. Zwanzig Kompagnien Grenadiere undVol-
tigeure, eine babylonische Verwirrung, ein heftiger Wind
und eine ägyptische Finsternis schienen die Herstellung
jeder Ordnung unmöglich zu machen. Ich weiß nicht
einmal, wer dem Kommandeur der 2. Kompagnie des
2. Weichs elregiments den Befehl gab: „De suivre l'Ebre
et d'etendre ia compagnie ä peu pres 80 pas le long du
glacis, de proteger les travailleurs et de maintenir la com-
munication avec la 1. compagnie des voltigeurs du regi-
ment." Ich machte mich sofort auf, gelangte an den Ebro
und folgte den Instruktionen, die ich erhalten hatte. Da
mir das Terrain genau bekannt war, so hatte dies weiter
keine Schwierigkeiten. Aber als ich rechts die Verbindung
aufsuchen wollte, erhielt ich Feuer, dem sofort ein paar
Kartätschenschüsse aus der Festung folgten, die mir be-
wiesen, daß kein Spanier mehr sich außerhalb der Festung
befände. Ich verhielt mich ganz ruhig, placierte meine
Leute dem Befehle gemäß und blieb selbst aul dem rech-
ten Flügel, emsig bemüht, meine Nebenkompagnie zu
finden, was mir schließlich auch gelang. Wir regelten
unsere Verhältnisse dem Befehle gemäß und brachten
liegend, kriechend, stehend, kurz in allen möglichen Stellun-
gen die Nacht zu. Es war ungemein kalt, ein eisiger
Wind peitschte den Ebro in hohe Wellen, und das Wetter
tobte so, daß nicht einmal wir etwas von unsem Arbeitern
hörten, geschweige denn die Spanier. Sowie der Tag
graute, wurden wir in die Trancheen zurückgezogen, die
so weit gediehen waren, daß sie uns vollständigen Schutz
gewährten.
Sowie mit dem ersten Grauen des Tages der Feind
unsere Arbeit, mit der wir ihm etwa auf 220—230 Schritt
nahe gekommen waren und die die ganze Ebene einnahm,
gewahrte, eröffnete er aus allen seinen Geschützen auf
dieser Front ein heftiges Feuer und versuchte unmittel-
bar darauf einen Ausfall, ward aber kräftig zurückge-
wiesen, noch ehe er die Arbeiten selbst erreichen konnte.
Nichtsdestoweniger hatte man die Grenadierkompagnien
27 B*MT: Spin. Frtüitlttfimpt. 417
Digitized by
zur Unterstützung geschickt Als die Feinde sich zurück-
zogen, sah ich den Leutnant Zorowski von den Grena-
dieren, einen werten, lieben Freund, sich mir mit betrübter
Miene nähern. „Nun," redete er mich an, „was sagst
du?" — „Wozu?" fragte ich. — „Zu Zarskis Tod," war
die Antwort. — „Wie!" riet ich erschreckt, „Zarski tot?"
— „Jawohl, eine Kugel hat ihm am 12. November im Ge-
fecht bei Fuente Santa unweit Villel beide Beine zer-
schmettert, und er ist unmittelbar darauf gestorben." —
Sei es Ermattung, Abspannung, der Gedanke an die
drohenden Gefahren, die uns umgaben — ich war für
den ersten Augenhück dem Schmerz um ein so teures
Haupt nicht sonderlich zugängig, aber in das Lager heim-
gekehrt, ergriff mich eine so trübe Stimmung, daß ich
derselben kaum Herr werden konnte. —
Die Belagerung ging einstweilen ihren raschen Gang.
Die Spanier machten am 22. zwar einen Ausfall, aber
obwohl man im Lager zu den Waffen griff, so blieben wir
doch ungestört. Am 23. richtete der Feind ein starkes
Feuer auf uns und überschüttete einen Teil der Trancheen
mit einem Hagel von Geschossen. Ein Ausfall ward von
der Bedeckung und im Verein mit den Arbeitern, die ihre
Utensilien mit den Waffen vertauschten, zurückgewiesen.
Unter den Offizieren, die die Belagerungsanstalten leite-
ten, befand sich Oberst Henry vom Geniekorps immer in
den ersten Reihen. In der Regel ohne Hut oder ihn als
Chapeau claque unter dem Arme tragend, über seiner
Montierung einen grauen Rock, und meist mit einem Hand-
werkszeug in der Hand, leitete, ordnete, befehligte er mit
unermüdlicher Tätigkeit und guter Laune. Ein paar pol-
nische Worte, die er unsern Soldaten zuzurufen pflegte,
hatten ihn zu deren Liebling gemacht
Am 24. früh rief uns ein sehr lebhaftes Infanteriefeuer
unter die Waffen. Die Spanier, in der Besorgnis, den ge-
deckten Weg gestürmt zu sehen, knallten seit dem ersten
Strahl der Sonne auf der ganzen Front immer frisch ins
Blaue hinein. Erst nachdem sich der Morgennebel ver-
418
Digitized by Google
zogen und sie sich überzeugt hatten, daß sie niemand an-
griff, hörte die Munitionsverschwendung auf.
Einen großen Nutzen gewahrten uns die Sandsäckc,
mit denen wir die ganze Tranchee gekrönt hatten. Man
hatte überall Schießscharten gebildet und sie mit guten
Schützen besetzt. Diese unterhielten von hier aus ein
wohlgezieltes Feuer auf den Feind und schüchterten diesen
allmählich so ein, daß er nur furchtsam an die Bedienung
seiner Geschütze ging. Sowie sich nur etwas in den Batte-
rien rührte, fielen sofort eine Menge Schüsse. Die höl-
zernen Blenden der Scharten waren fast auf der ganzen
Front durch die Gewehrkugeln zerstört Das spanische
Artilleriefeuer fing allmählich an schwächer zu werden,
denn die Infanterie tat nicht das ihrige, um das Oleich-
gewicht in dieser Art des Kampfes herbeizuführen.
Am 26. rief uns ein Ausfall des Feindes in die Tran-
cheen, doch wurde er durch das 44. Regiment zurückge-
wiesen, so daß wir nicht ins Gefecht kamen. Wir verloren
aber mehrere Leute durch das Artilleriefeuer, das uns
schon im Lager begrüßte. In dem kleinen Gartenhäuschen,
das General Chlopicki in der Nähe des Lagers bezogen
hatte, durchschlug eine Kugel das Zimmer in dem er sich
eingerichtet hatte. Wäre er nicht in der Tranchee gewesen,
möglich", daß ihn, der die Gefahr recht eigentlich suchte,
hier im Bett oder beim Essen der Tod überrascht hälfe.
Die Nacht vom 26. bis 27. Dezember war eine der
unruhigsten der ganzen Belagerung. Während unsere Sap-
peure sich dem bedeckten Wege näherten, warfen die
Feinde eine Menge Granaten. Wir waren einander bereits
so nahe, daß die Leute durch allerhand Redensarten sich
gegenseitig herausforderten. — „Ihr habt Kanonen von
Holz," riefen die Spanier uns zu. „Wollt ihr nicht ein
paar von Don Enrique O'Donnell borgen, um uns anzu-
greifen?" riefen andere. Endlich entspann sich zwischen
ihnen und den Franzosen eine Art Unterhaltung, die eine
Pause im Gefecht und ein gänzliches Aufhören des
Schießens herbeiführte. Die Spanier hielten Jedoch diesen
27* 41"
Digitized by Google
improvisierten Waffenstillstand nicht lange, feuerten plötz-
lich auf einige Offiziere und Leute, die sich unbedachter-
weise ihren Schüssen ausgegesetzt hatten, und verwun-
deten mehrere. Das Gefecht begann hierauf aufs neue;
die Spanier brachen plötzlich vor, verjagten die Arbeiter
und fingen an, die Verbindungen und Verschanzungen zu
zerstören. Aber die schnell herbeieilende Reserve stellte
den Kampf wieder her.
Mit Tagesanbruch indes eröffneten die Spanier ein
so heftiges Feuer, daß man die vordersten Arbeiten auf-
geben und die dabei beschäftigten Leute zurückziehen
mußte. Wir begnügten uns, aus der zweiten Parallele
ein so heftiges Infanten eleu er auf den Feind zu richten,
daö sein Artilleriefeuer dadurch förmlich zum Schweigen
gebracht wurde. Der Verbrauch an Munition war sehr be-
deutend, denn soviel die Offiziere auch' steuern mochten,
so konnten sie doch' des Schießens nicht Herr werden.
Die Soldaten fanden eine Belustigung darin, mft ihren
Gewehren die Kanonen zu bekämpfen, und man muß frei-
lich gestehen, daß es besonders diesem wohlunterhaltenen
und oft gut gezielten Feuer zu danken war, daß man, ohne
eine Kanone aufgepflanzt zu haben, es schon vermocht
hatte, den bedeckten Weg am siebenten Tage der Bela-
gerung zu besetzen.
Am 27. nachmittags ungefähr um vier Uhr machten
die Spanier, die schon den ganzen Tag über ein heftiges
Feuer unterhalten hatten, wieder einen sehr lebhaften Aus-
fall. Sie warfen sich entschlossen auf unsere Arbeiten,
töteten einen Offizier und mehrere Soldaten und drangen
bis zur zweiten Parallele vor. Während sie das Bauwerk
einzureißen bemüht waren, versuchten sie zugleich, 'durch'
Pechkränze und in Pech getauchte Reisigbündel, die sie
mittels kleiner Haken an den Schanzkörben befestigten,
diese in Brand zu stecken. Sie blieben eine ganze Weile
im Besitze der Trancheen, aber sei es, daß sie nicht genug
Utensilien mit sich führten, um die Arbeiten zu zerstören,
oder daß sie es vorzogen, das Feuern aus unsern Gräben
420
Digitized by Google
zu unterhalten, statt sie zuzuwerfen — der Schaden, der
hätte angerichtet werden können, stand in keinem Verhält-
nis zu der Länge der Zeit, während welcher der Feind im
Besitz unserer Gräben gewesen war.
Die Grenadiere des 44. französischen und des 2. pol-
nischen Regiments, welch letztere aus dem Lager herbei-
geeilt waren, vertrieben die Spanier aus den Trancheen
und verfolgten sie bis an die Palisaden. Die erste Ore-
nadierkompagnie des Regiments unter den Leutnants La-
socki und Zarowski zeichnete sich bei dieser Gelegenheit
besonders aus. Letzterer erhielt einen Kolbenschlag von
einem spanischen Grenadier und einen Schuß durch seine
Bärenmütze, eben als er einen spanischen Offizier angriff,
der in den bedeckten Weg springen wollte. Auf unserer
Rechten hatte der Feind ebenfalls einen Ausfall gemacht,
aber er war auch hier zurückgeworfen worden, und zwar
mit einem größeren Verluste als auf unseren Flügel.
Der 28. verlief nicht minder unruhig. Das Regiment
aber rückte nicht weiter vor, wenngleich es 200 Arbeiter
gestellt hatte. Am 29. früh begannen unsere Batterien
(45 Geschütze) auf allen Punkten ihr Feuer. Es waren
viele Offiziere aus dem Lager gekommen, um der Eröff-
nung desselben beizuwohnen. Die erste Bombe fiel in eine
Kaserne, dicht neben einem Schornstein, aus dem der
Rauch sich kräuselnd erhob. Sowie der Schuß gefallen
war, sah man überall Köpfe hervorgucken. Die Tranchee-
wachen hatten diesen Augenblick erwartet und richteten
alsbald ein lebhaftes Feuer auf diese Neugierigen, von,
denen gewiß mancher sein Leben einbüßte. Aus den Ka-
sernen selbst sah man eine Menge Menschen wegeilen.
Die Spanier erwiderten anfangs das Feuer sehr lebhaft,
aber nach einigen Stunden schien das unsrige die Ober-
hand zu gewinnen. Der kommandierende General war in
der Tranchee, beobachtete den Erfolg unserer Arbeiten und
schien damit sehr zufrieden.
Am 30. wurde das Feuer fortgesetzt. Eine Kanonen-
kugel riß die Fahne des alten Schlosses herunter, was
.421
Digitized by Google
unserseits mit einem lauten Jubel begrüßt wurde und der
Geschützbedienung 20 Napoleons einbrachte. Im Laufe,
dieses Vormittags hatte ich wieder Gelegenheit, die unver-
gleichliche Ruhe des Generals Chlopicki zu bewundern.
Die Voltigeure saßen und lagen in einer der Verbindungen
vor der Halbbastion San Pedro. Ich hatte den General
in der Tranchee nach dem Fort Orleans zu begleitet, wir
waren eine kurze Strecke gegangen, und eben machte der
Kommandeur des Postens dem durch die Sandsackschartc
schauenden General eine Meldung, als eine Bombe in
die Brustwehr vor ihm schlug und darin stecken blieb.
Der General setzte während dieser Zeit rullig seine Beob-
achtung fort, während sich die Soldaten und Offiziere
bückten oder auf die Erde warfen, um das Ungetüm
platzen zu lassen. Dies geschah auch bald darauf, ohne
daß irgend jemand verwundet worden wäre. „Eh bien,"
sagte der General zu dem Kommandanten der Wache, der
neben ihm stand und sich gleichfalls gebückt hatte, „vous
avez interrompu notre entretien," und hörte dann, als sei
gar nichts vorgefallen, die Fortsetzung des Berichts des
Offiziers an.
Unsere Artillerie hatte indessen das feindliche Feuer
fast ganz gedämpft — der Brückenkopf war verlassen —
es war eine Bresche gelegt und der Mineur angesetzt
worden. Unsere Infanterie hatte den Feind aus allen seinen
Posten vertrieben. Aber wenn wir an Zaragoza dachten,
so hätte jetzt erst der Kampf recht beginnen müssen, da
der Ort wohl auch hierzu geeignet gewesen wäre. Indes
die Verteidigung taugte von Anfang an nichts — es [chlte
ihr an jeder Energie.
Desto eifriger betrieb General Suchet den Angriff.
Wir hatten immer zwei Nächte Dienst und nur eine im
Lager frei. Ich hatte in der Nacht vom 31. Dezember
zum 1. Januar in den Trancheen die Wache. Der Bau
einer zweiten, größeren Breschbatterie und das Vorschrei-
ten der Arbeiten der Ingenieure ging, ich möchte sagen,
fast ohne Störung vor sich. Aus einigen versteckten, bis
422
Digitized by Google
dahin unbemerkten Winkeln fielen ab und zu noch ein-
zelne Schüsse; ebenso ward das Artilleriefeuer nur noch
schwach vom Castello viejo und einigen Flanken her,
denen man nicht gut beiltommen konnte, fortgesetzt.
Da ward auf einmal gegen 11 Uhr eine weiße Fahne
aufgehißt, und bald darauf sah man zwei Unterhändler
durch die Trancheen führen, um nach dem Hauptquartier
gebracht zu werden. Der eine dieser Herren war klein,
dick, unansehnlich, hatte einen runden Hut mit einer roten
Kokarde, eine braune, kurze Jacke, ebensolche Beinkleider
und blaue Strümpfe an, aber Ob erste nützen am Kragen.
Der andere sah etwas militärischer aus, aber keineswegs
so gut, um uns von der Haltung der Garnison einen son-
derlichen Begriff beizubringen. Üas Feuer wurde auf der
ganzen Linie eingestellt, aber die Arbeiten wurden fortge-
setzt. Da dieselben keine große Ausdehnung hatten, so
war ich bald hier bald dort, obwohl mein Posten eigent-
lich vor der San Pedro-Halbbastion war. Sei es, daß das
Nichtaufhören der Arbeiten unserseits oder sonst ein Um-
stand den Spaniern Veranlassung gab — kurz, nach einiger
Zeit begannen sie das Feuer wieder gegen die Bresch-
batterie, in welcher der General Chlopicki zugegen war.
Ohne sich zu besinnen, trat er auf die Brustwehr und rief,
mit einem Stöckchen, welches er in der Hand hielt,
drohend: „Caraccos demonios14), wenn ihr nicht aufhört
zu schießen, so lasse ich euch alle hängen," und wie auf
ein Kommando hörte das Feuer auf.
Die Unterhandlungen, mit häufigen Anfragen in der
Festung verbunden, dauerten bis spät abends; und da
man sich über die Bedingungen nicht hatte einigen können,
so wurden die Feindseligkeiten wieder begonnen. Die
neue Breschbatterie eröffnete ihr Feuer mit dem größten
Erfolge, und am andern Tage um Mittag waren beide
Breschen ausführbar und die Minen angeblich auch so
weit, daß sie gesprengt werden konnten. Die Truppen
») Verfluchte Teufel.
423
Bigitized by Google
wurden zum Sturm aufgestellt und alle Anstalten getroffen,
diesen auf das erste Signa! zu unternehmen. Da wurden
auf einmal drei weiße Fahnen aufgehißt, doch hörte dies-
mal das Feuer nicht auf, und erst als man unsem Truppen
ein Tor eingeräumt hatte, knüpfte General Suchet neue
Unterhandlungen an. Unter dem Vorwande, daß die Parla-
mentäre am vorhergehenden Tage die Loyalität des kom-
mandierenden Generals gern iE braucht hätten, wurde ver-
langt, daß in eins der Forts sogleich französische Garnison
einrücken sollte. Als die Abgesandten zögerten und Un-
gehorsam ihrer Leute vorschützten, begab sich der kom-
mandierende General, von seinem ganzen Stabe begleitet
und nur von einer Kompagnie Grenadiere des 116. Regi-
ments gedeckt, vor das Schloß, kündigte den Wachen
dort das Aufhören der Feindseligkeiten an und ließ sich
durch einen Offizier zu dem General Orafen von Alacha
führen. Dieser, hierdurch eingeschüchtert, willigte münd-
lich in alles. Die Furcht aber vor der Garnison, welche
unter den Waffen stand und nicht sonderlich Lust zu
haben schien, sich zu ergeben, hielt ihn noch ab, eine
Kapitulation ä discretion zu unterzeichnen. Da erschien
General Habert an der Spitze seiner Truppen. Dem Gou-
verneur schien nun nichts mehr übrig zu bleiben, als
nachzugeben. General Suchet nahm jeden Augenblick
einen höheren Ton an; er wies auf den angeblichen Treu-
bruch in den Unterhandlungen des vorigen Tages, auf die
zum Sturm bereitstehenden Kolonnen hin und machte den
Gouverneur für alle Folgen, die aus einer längeren Zöge-
gerung entstehen würden, verantwortlich. Zu gleicher Zeit
räumten die Soldaten die Breschen auf — alles drängte
zum baldigen Abschluß eines Abkommens, und der General
verlor vollends den Kopf. Statt einen Offizier ins Pulver-
magazin zu schicken und diesem den Befehl zu geben, es in
die Luft zu sprengen, wenn der General nicht augen-
blicklich das Fort räumen würde, und dies dem franzö-
sischen Oeneral zu sagen, willigte er in eine Übereinkunft
Vergessen war unter der energielosen Anführung des Gou-
424
Digitized by Google
vemeurs der feierliche Eidschwur, den die Garnison am
3. August, dem Tage des großen Ausfalls, auf den Degen
O'Donnells geleistet hatte — entweder zu siegen oder zu
Es ward eine kurze Kapitulation formuliert und auf
einer Kanonenlafette unterzeichnet. Der Gouverneur über-
gab am 2. Januar 181 1 den Platz ohne jede Bedingung, die
Offiziere behielten ihre Degen, die Garnison die Bagage
und ward kriegsgefangen nach Frankreich abgeführt
So schmachvoll endete für die Spanier dieser Kampf,
der am 4. Juli 1310 so rühmlich begonnen hatte. Sechs
Monate hatte die Berennung auf dem rechten Ufer ge-
dauert, nur 17 Tage die Belagerung, 13 Tage waren seit
der Eröffnung der Trancheen und 5 Tage seit dem Be-
ginn des Artilleriefeuers verflossen. Über 0000 Gefangene,
etwa 180 Oeschütze und ein ungeheures Kriegsmaterial
fielen in unsere Hände. Die Spanier hatten in der Zeit
vom 15. Dezember 1810 bis zum 2. Januar 1811 20 000
Kanonenschüsse getan, jedes unserer Oeschütze soll 300
Schüsse abgefeuert haben.
Die Einnahme des Ortes riß Suchet aus einer unan-
genehmen Lage und gab ihm auf seinem Kriegstheater
ein entschiedenes Übergewicht, welches er denn auch mit
Einsicht und Verstand benutzte. Fortan waren seine Unter-
nehmungen rein methodisch und frei von dem poetischen
Anflug, den seine ersten Operationen anfangs getragen
hatten. — Wieviel hierzu eigene Neigung, wieviel Weisun-
gen von Paris oder Madrid beigetragen haben mögen,
dürfte kaum anzugeben sein.
Ob der Oeneral imstande gewesen wäre, seine
Drohungen gegen den Gouverneur wahrzumachen, will
ich dahingestellt sein lassen — 9000 entschlossene Männer
konnten, von den noch ganz unberührten Forts unter-
stützt, noch immer einen Widerstand leisten, der, bei aller
Anerkennung der Bravour der 10000 Franzosen, die Ent-
scheidung wenn auch nicht zweifelhaft zu machen, so
doch sehr in die Länge zu ziehen imstande war.
425
Digitized by Gqpgle
Die Garnison rückte sofort nach der Obergabe des
Platzes aus, defilierte an dem Oeneral vorüber und ward
auf Jerta dirigiert. Wenn die Leute auch nicht besonders
aussahen, so boten sie doch einen ganz andern Anblick
dar, als einst die Oaraison von Zaragoza und lieferten
jedenfalls einen Beweis dafür, daß die leitenden Behörden
in der Organisation und Formation von Truppen bedeu-
tende Fortschritte gemacht hatten.
Unsere Brigade ward mit dem Transport der Gefan-
genen nach Zaragoza beauftragt. Die Eile, mit der man
die starke Kolonne in Bewegung gesetzt hatte, trug na-
türlich ihre Früchte, und diese waren namentlich für die
armen Spanier sehr bitter. Da man ziemlich spät von
Tortosa abgerückt und die Marschordnung nicht gehörig
geregelt war, so kamen wir auch erst spät in Jerta an.
Am 28. Januar erreichten wir St. Jean de Luz, die
erste französische Etappe. Die armen Gefangenen litten
auf dem Marsche schrecklich. Die Kälte und die Unmög-
lichkeit, sie durch ein gutes Unterkommen vor der Witte-
rung zu schützen, die knapp zugemessenen Lebensmittel
wirkten in gleichem Maße auf die Gesundheit nachteilig
ein. Es war hohe Zeit, daß wir nach Frankreich kamen,
wo mehr Freiheit gegeben und Nachsicht geübt werden
konnte. Ober das reizend gelegene St Jean de Luz, wo
man uns sehr freundlich aufnahm, gelangten wir am 29.
nach Bayonne, wo wir unsern Transport abgaben und ein-
quartiert wurden. General du Quesne war Gouverneur
von Bayonne und sorgte nach Möglichkeit für uns und
die Gefangenen. Die meisten der letzteren nahmen freund-
lich Abschied von uns. Wir hatten alles für sie getan,
was in unsern Kräften gewesen, ihre manchmal herbe Lage
erleichtert, mit einem Worte, das Mitgefühl erwiesen, das
der Mensch dem Menschen, besonders wenn er unglück-
lich ist, schuldet Darin lag der beste Lohn für die mühe-
volle Zeit, die wir auf diesem Marsche zugebracht hatten,
dessen Ende von uns mit Freude begrüßt wurde.
Digitized by Google
5.
Gefangenschaft und Flucht
auf den spanischen Pontons
von
Henri Ducor
Digitized by Google
Vorwort.
Das Wort „Pontons" hat für alle die einen er-
schreckenden Klang, die jemals als Gefangene den Fuß
auf ein solches Schiff setzten, denn das Leben auf der-
artigen Fahrzeugen, deren sich hauptsächlich die Spanier
bedienten, um ihre gefangenen Feinde darin einzupfer-
chen, grenzte an Barbarei. Sie benutzten dazu alte, un-
brauchbar gewordene, ihres Takelwerks beraubte Kriegs-
schiffe, weil ihnen diese der sicherste Ort schienen, ihre
Gefangenen unterzubringen. Denn da das ganze Festland
vom Feinde überschwemmt war, blieben ihnen nur die
Seestädte, deren Häfen, wenigstens nach dem Meere
hinaus, durch die englischen Geschwader gedeckt waren.
Der Verfasser des folgenden Berichts war Zeuge
und Teilnehmer der Niederlagen, welche der verhängnis-
vollen Lösung des Glücks Napoleons vorausgingen. Er
erlitt die entsetzlichste Gefangenschaft auf einem solchen
Schiffe. Als Marinesergeant der kaiserlichen Garde be-
fand sich Henri Ducor zuerst auf einem Ponton und
später auf der Insel Cabrera. Endlich sprengte er die
unerträglichen Fesseln und erlangte mit mehreren seiner
Leidensgefährten unter übermenschlichen Aufopferungen
und Gefahren die Freiheit. Er ist daher wie kein anderer
in der Lage, Eindrücke und Tatsachen während seiner
Gefangenschaft zu schildern, die wert sind, der Vergessen-
heit entrissen zu werden.
Viel Biographisches ist von dem Verfasser nicht zu
berichten. Da er keinen hohen Rang in der Armee ein-
42g
Digitized by Gopgle
nahm, ist soviel wie nichts aus seinem Leben bekannt,
außer was er selbst in seinen Memoiren darüber erzählt.
Man weif) von Ducor nur, daö er 1789 geboren war,
schon mit 12 Jahren als Schiffsjunge in die Marine ein-
trat und 1802 die Expedition nach St Domingo mitmachte,
auch an der Schlacht von Trafalgar, dem unsterblichen
Siege Nelsons, auf dem „Heros" teilnahm. Sein Schiff
rettete sich in dieser Niederlage der Franzosen nach Cadiz,
das Ducor wenige Jahre später unter noch ungünstigeren
Verhältnissen wiedersehen sollte. Nach seiner Flucht von
Cabrera nahm er an allen späteren Feldzügen Napoleons
teil. Außer der spanischen Gefangenschaft indes hat er
in seinem Werke „Aventures d'un marin de la garde impe-
riale, prisonnier de guerre sur les pontons espagnols, dans
nie de Cabrera et en Russie; pour faire suite ä l'histoire
de la campagne de 1812", Paris, 1833, nur noch dem rassi-
schen Feldzug eine eingehendere Schilderung gewidmet
F. M. K.
4110
Digitized by Google
Leben und Leiden auf den spanischen Pontons.
Spanischer Fanatismus. Bestürmung des Gefängnisses
von Cabrera durch die Bewohner. Flucht
Im Juni des Jahres 1808 befanden wir uns mit fünf
französischen Linienschiffen auf der Reede von Cadiz.
Bis dahin hatten uns die Kanonen der Spanier beschützt,
aber plötzlich waren alle Verbindungen mit dem Lande
unterbrochen ; ganz Spanien war gegen uns und hatte sich
soeben in Massen gegen uns erhoben. Die oberste Junta
von Andalusien ersetzte die abwesende und in Gefangen-
schaft befindliche Autorität.1) Von einem Ende der Insel
zum andern rief man: „Tod den Franzosen!" Inmitten
all dieser Umstände proklamierte man die Erhebung
Joseph Bonapartes auf den spanischen Königsthron.
Dieser Fürst, der durch den Wunsch seines Bruders und
nicht durch den Willen der Castilianer, die man vergessen
hatte um Rat zu fragen, zum König gemacht worden
war, befand sich noch nicht in Madrid, sondern Murat,
der Oroöherzog von Berg, befehligte in der Hauptstadt
und hatte sich beeilt, sobald die ersten Symptome einer
bewaffneten Opposition gegen die Politik des Kaisers
bemerkbar wurden, militärische Dispositionen zu treffen.
Cadiz war ein sehr wichtiger Punkt, den man so
schnell wie möglich besetzen mußte, und er hatte deshalb
dem General Dupont') befohlen, sich in Eilmärschen nach
») Vergleiche allgemeine Einleitung.
*) Siehe Anmerkung 1 des 2. Berichts.
431
Digitized by Google
dieser Stadt zu begeben. Um diese Bewegung zu erleich-
tern, die mit einem ziemlich beträchtlichen Truppenkorps
ausgeführt wurde, sollte sich der Vizeadmiral Rosily'),
der Oberbefehlshaber unserer Flotte, in dieser Gegend,
zwischen der Insel Leon und dem Trocadero, vor Anker
legen. Er war also in der Lage, die Operationen der fran-
zösischen Armee zu unterstützen, sobald sie erschien. Aber
die Spanier, die der Anblick unserer Flagge ärgerte, faßten
sofort den Entschluß, uns als Feinde zu behandeln. Drei-
mal forderten sie uns aijf, uns zu ergeben, und auf unsere
Weigerung bombardierten sie uns. Wir hielten vom 9.
bis zum 14. Juni ohne Unterlaß ihr Feuer aus. Endlich,
als keine Möglichkeit mehr vorhanden war, weder die
Verteidigung zu verlängern, noch' aus der Stellung, in
der wir uns befanden, herauszugehen, sahen wir uns ge-
nötigt, uns bedingungslos zu ergeben. Die Engländer,
deren Regierung sich mit Spanien noch nicht verbündet
hatte, waren in diesem Kampfe unbewegliche Zuschauer
geblieben.
Bei dem Haß, den die Spanier uns geschworen hatten,
konnten wir uns auf keine anständige Behandlung ihrer-
seits gefaßt machen : alles, was sie tun konnten, war,
uns am Leben zu lassen. Bei unserer Landung brachten
sie uns erst in den Kerkern von La Caraca unter, um
uns dann in den Pontons einzupferchen. Das Wort „Pon-
tons" läßt heute noch denen die Haare zu Berge steigen,
die das Unglück hatten, in ihrem Leben einmal in die
Hände der Engländer oder Spanier gefallen zu sein.
Die spanischen Pontons glichen so ziemlich den Ge-
fangenen schiffen der Engländer. Es waren gleichfalls alte,
unbrauchbare, mit Stückpforten versehene Schiffe. Jedes
derselben konnte etwa 160—180 Fuß Länge und 40—45
') Graf Francis Eticnnc Rosi ly-Mesros, Vizeadmiral der
frarßöslschen Flotte, befehligte von 1805— 180S in der Eigenschaft
eines Admirals die vereinigten Oeschwader von Frankreich und
Spanien.
432
Digitized by Google
Fuß Breite Haben. Ein einziges, „Alt-Castilien", diente
als Offiziersgefängnis; es war dasselbe Schiff, das seine
Kabel zerbrach und durch die Flut nach dem Hafen Santa-
Maria geführt wurde, wo sich damals die französische
Armee befand.
Auf diesen Pontons sah man keinerlei Art von Takel-
werh. Alles, was an den Anblick eines Kriegsschiffes
erinnert, war verschwunden. Diese gewaltigen Schiffs-
körper waren wahrhaftig wie große Särge, in denen man
lebende Menschen dem langsamen Tode entgegenführte.
Sowohl der Schiffsraum als auch das Unterdeck lagen
unterhalb der Wasserlinie, wo sich auch die schmutzigsten
Winkel befanden. In dem stets feuchten Schiffsraum hatte
sich ein schwarzer, verpesteter Schlamm gebildet, und
es war unmöglich, in den zahllosen Abteilungen oder
kleinen Zellen, die das Unterdeck darstellten, zu leben.
Eine einzige, mit dem Schiffsraum parallel laufende Luke
gestattete den Eintritt der Luft in diesen Teil des Schiffes,
der ununterbrochen mit dem entsetzlichsten Oestank an-
gefüllt war. Dort fand das Licht nur schwierig Zugang,
und nur mit Mühe konnte man, selbst am hellen Tage,
die einzelnen Gegenstände unterscheiden.
Die zweite und erste Stückpforte') hatten große Un-
annehmlichkeiten, wenn auch anderer Art, zur Folge: man
genoß wohl das Tageslicht, aber die Luken waren bestän-
dig geöffnet, die Kühle der Nacht und der ungehindert
eindringende Luftzug verursachten Augenentzündungen
und unerträgliche Gliederschmerzen.
Auf diesen Fahrzeugen, wo man uns bis zu zwölf-
oder fünfzehnhundert Mann zusammengepfercht hatte, gab
es nur einen einzigen Ort, der keine großen Gefahren
für die Gesundheit mit sich brachte: das Hinterdeck, wo
sich die Pulverkammer befand. Und gerade diese Stelle
wurde uns versagt, weil es die spanischen Kaufleute für
geeignet gefunden hatten, dort ihre Waren auszubreiten.
•) Die Srhielisriiaricu auf KrirsssiMfun.
28 B»M7: Spin. FnihciBlurapI. 433
Digitized by Google
Man wagte zwar nicht, uns Hungers sterben zu
lassen, aber man gab uns vergiftete Nahrungsmittel:
schwarzes Koni misb rot mit crci artigen Substanzen, wurmi-
ges Biskuit, altes salziges, schon in Verwesung1 überge-
gangenes Fleisch, ranziges, gelbes Fett, verdorbenen Kabel-
jau, schadhaften Reis, ebensolche Erbsen und Saubohnen.
Hingegen erhielten wir weder Wein, noch Essig, über-
haupt nichts, um unsere Nahrung zuzubereiten. Und um
das Elend voll zu machen, verweigerte man uns bei der
schrecklichen Hitze und bei einer Nahrung, die ganz dazu
geeignet war, Durst zu erregen, das nötige Wasser; zum
mindesten gab man es uns in so kleinen Quantitäten, daß
es ebenso schnell verbraucht war wie Wassertropfen, die
auf glühendes Eisen fallen. Auf diese Weise gebärdeten
wir uns mittags wie Wütende. Oberall, wohin wir auch
gehen mochten, in der Hoffnung, irgend eine Erleichterung
zu finden, empfanden wir nur, wie unsere Qual immer
schlimmer wurde. In den Stückpforten war eine Atmo-
sphäre zum Ersticken; man triefte vor Schweiß durch
das Atemholen so vieler, und die Atmungstätigkeit wurde
auf die schrecklichste Weise erschwert. Auf dem Deck
dagegen verbrannten uns die senkrecht herabfallenden
Sonnenstrahlen die Haut und brachten das Blut zum
Sieden.
Der Anbruch des Tags war für uns dasselbe, was
für die Vögel der Anbruch der Dunkelheit bedeutet: nie-
mals sahen wir ihn, ohne dabei traurig gestimmt zu wer-
den, denn nur die Nacht brachte uns einigermaßen Linde-
rung. Oh, wie wünschten wir, sie verlängern zu können;
und wenn sie zu Ende ging, wie ungeduldig waren wir,
bis sie wiederkehrte!
Da wir gewissermaßen wie geröstet waren, wären
wir gern bei zurückkehrender Flut, die die Flanken unseres
alten Schiffes sanft umspülte, hinabgestiegen. Aber es
war untersagt, uns zu baden, und wer auch nur versucht
hätte, diesem Gebot zuwiderzuhandeln, würde es mit dem
Leben bezahlt haben. Unsere Wächter, Soldaten der spa-
434
Digitized by Google
irischen Flotte, hatten Befehl, auf jeden Gefangenen, von
dem sie vermuteten, daß er sich vom Schiffe entfernen
wolle — und sei es auch nur für einen Augenblick —
Feuer zu geben. Und sie waren zu grausam, um diesen
Befehl nicht buchstäblich auszuführen: sie würden uns
erbarmungslos niedergeschossen haben ! Wir zweifelten
nicht daran, und um ihnen nicht die Genugtuung zu geben,
ihre Pflichten erfüllen zu können, mußten wir es bei
bloßen Abwaschungen bewenden lassen.
Es fiel uns schwer, uns an die Lebensweise, der wir
unterworfen waren, zu gewöhnen, doch machten wir im
ersten Augenblick gute Miene zum bösen Spiel. Bald
aber war es uns nicht mehr lächerlich zumute. Die Armee
Duponts, von der wir unsere baldige Befreiung erhofften,
hatte kapituliert, und die Spanier brachten sie gefangen
herbei. Man hatte es uns mitgeteili, und nur zu bald
mußten wir an diese verzweiflungs volle Nachricht glauben,
da sie durch öffentliche Belustigungen bestätigt wurde.
So folgten dem Hohn und dem Obermut sogleich Entmuti-
gung und beißender Spott.
Wieviel schreckliche Krankheiten entwickelten sich
nicht in so kurzer Zeit unter der Menge zusammengepreß-
ter und schlecht ernährter Menschen! Ich sah allerlei
Fieber entstehen und sich nach und nach ausbreiten:
Durchfall, Ruhr, Typhus, Skorbut wüteten unter meinen
unglücklichen Gefährten. Auch ich erwartete, daß ich an
die Reihe käme, aber es stellte sich keine Krankheit ein.
Mit der Zeit verschlimmerte sich unsere Lage derart,
daß die Spanier endlich fürchteten, die Verantwortlichkeit
ihrer brutalen Sorglosigkeit tragen zu müssen und, um
sich wenigstens nach dieser Seite hin zu schützen, sandten
sie an die Junta einen Rapport, der diese unsere schreckr
liehe Lage erkennen Heß. Ich weiß nicht, ob sich die
Obrigkeit damals mitleidiger als unsere Wächter zeigte,
aber das weiß ich, daß die Soldaten des Korps Dupont
ankamen. Und da sie in einem Lande, das sie als Freunde
aufgenommen, die Waffen ergriffen hatten, so luden sie
28- 435
Digitized by Google
vielmehr die Abneigung der Spanier auf sich, und es
wurde entschieden, daß sie unsem Platz an Bord der
Pontons einnehmen sollten. Man teilte uns infolgedessen
mit, daft wir nach San-Carlos auf der Insel Leon über-
fuhrt werden würden, und am nächsten Tag wurden wir
an Land gesetzt.
Hier bricht der Verfasser nach einigen sich an die Verän-
derung des Orts der Gefangen seil alt anschließenden Betrach-
tungen ah, um den Berieht eines Militärarztes der Armee Duponls
einzuschalten, und läßt jenen von sich selbst in der ersten
Person sprechen.
Unsere Armee war schön und voll guten Muts, als
sie die Maßnahmen ihres Oenerals, der sie zu einem Fehl-
tritt verleitet, befolgte, aus dem er sie weder mit Ehren
zu ziehen wußte noch wollte. Sie befand sich keinem
Feind mehr gegenüber, gegen den es nicht erlaubt war,
die letzten Hilfsmittel der Tapferkeit zu versuchen; und
sie verlor sofort das gesunde Aussehen, das den Franzosen
so gut steht und genügt, die bescheidene Uniform zu
schmücken. Die Truppen marschierten gesenkten Haup-
tes, sie hatten ein gc langweiltes, ja last kränkliches Aus-
sehen. Jeden Tag wurden die Gesichter länger, finsterer
und verdrießlicher. Die langen Reihen unserer zerlumpten
Regimenter glichen Prozessionen von eingeborenen Kran-
ken, die eine Feuersbrunst aus ihrem Hospital vertrieben
hatte. Sie bewegten sich langsam in vollkommenster Unord-
nung vorwärts, ohne eine andere Disziplin als die Flinten-
kolben der Soldaten anzuerkennen, die unsere Eskorte
bildeten. Jeder Gefangene, der aus irgend einem Bedürfnis
zurückblieb oder aus Schwäche der Kolonne nicht folgen
konnte, schuf sich somit sein eigenes Grab. Die Bewohner
des Landes eilten herbei, um ihn zu ermorden : wir brauch-
ten uns nur umzusehen, um uns davon zu überzeugen. Und
seihst wenn wir dies nicht getan hätten, würden uns die
erbarmungswürdigen Schreie der Opfer und die barba-
rischen Gesänge der Wütenden van dem belehrt haben,
was sich' hinter uns ereignete. Frauen, Kinder, Greise, alle
43Ö
Digitized by Google
mischten sich darein. Man hätte meinen können, daß
dieses Andalusien, dessen Name einen so poetischen Klang
hat, nur von Kannibalen bevölkert sei. Indes war diese
Wut nichts als der Ausfluß der Vaterlandsliebe, des Na-
tionalstolzes und der AnhäE glich kcit an die Religion ihrer
Väter. Alle Gefühle wurden durch unsere feindliche An-
wesenheit und widerrechtlichen Ansprüche bis zum
Äußersten getrieben.
Um jene Zeit war Spanien der Schrecken unserer
Soldaten geworden; sie, die für gewöhnlich nicht den
Augenblick erwarten konnten, ins Feld zu ziehen, um
den Krieg zu beginnen, wohin man sie auch führen mochte,
überschrilten die Pyrenäen nur mit Bedauern, das Herz
von unbestimmten Ahnungen erfüllt.
Ehemals, bevor Italien für uns der Schauplatz der
Triumphe und des Ruhmes wurde, war es als das Grab der
Franzosen angesehen worden, heute ist es die spanische
Halbinsel, die diesen verhängnisvollen Beinamen verdient
Das Beispiel der Generale, die sich nur damit be-
schäftigten, ihre Munitions wagen mit den Reichtümern
der Kirchen, Klöster und Schlösser anzufüllen, ermutigte
die Soldaten in ihren Erpressungen, und je mehr man
stahl, desto hartnäckiger wurde der Widerstand der Ein-
wohner, je anspruchsvoller die uns er n waren, desto schlim-
mer wurde das Gefühl des Hasses, das die Spanier uns
entgegenbrachten . . .
Unsere Soldaten hatten noch nichts Ähnliches ge-
sehen: sie fürchteten nicht die Spanier, die sich vertei-
digten, sondern diejenigen, die sich unterworfen hatten.
Weder marschierten sie noch ruhten sie mit Sicherheit auf
dem Lande, wo die Gast freundschalt, selbst die allerherz-
lichste, sie erzittern machte. Die Schlange, deren Biß
tödlich ist, befand sich mitten unter ihnen; vielleicht war
es jenes Kind, das ihnen gleichsam spielend Früchte an-
bot, jenes junge Mädchen, das sie durch seine feurigen
Blicke herausforderte, jener liebenswürdige Ehemann, der
seiner Frau erlaubte, mit ihnen zu kosen, oder jene Duena,
437
Digitized by Google
die sich als die offizielle Botin einer improvisierten Liebe
einstellte.
Ja, die Liebe! Die Franzosen, die nicht ohne galante
Abenteuer leben können, waren hier gezwungen, ihre
berauschenden Zerstreuungen zurückzuweisen, denn es
war unmöglich, den flackernden Irrlichtem dieses afri-
kanischen Blutes zu trauen, das in den Adern der verführe-
rischen Töchter Spaniens rollt. Bei ihnen kann die hef-
tigste aller Leidenschaften, die sonst über alle anderen
triumphiert, sich nötigenfalls unter irgend einer Maske
verbergen, nur um den Haß zu stillen, der sich an dem ge-
heiligten Herde der Religion und des Patriotismus ent-
zündet. Und die Vorsicht gebot es, den verführerischsten
Lockungen der Maurinnen gegenüber von Eis zu sein. Die
Enthaltsamkeit Scipios, die Tugend des Ritters Bayard,
die Keuschheit Josephs waren nichts weiter als persön-
liches Interesse, wohlverstanden! Man widerstand den
stärksten Versuchungen, weil es Liebkosungen gab, die
tödlich waren ; man fürchtete die Umarmung Judiths und
versagte sich jede Ungezwungenheit, jedes Vergnügen.
Eine süße Stimme war der trügerische Sirenengesang,
jedes angebotene Getränk der Trank der Medea. Stets
war man darauf gefaßt, einigen nationalen Gräfinnen Brin-
villiers1) zu begegnen. Es gab keinen Brunnen, an dem
man gewagt hätte sich zu laben, keinen Becher, den man
nicht fürchtete an die Lippen zu führen. Wie sehr ver-
mißte man damals Deutschland mit seinen blonden Locken-
köpfen und blauen Augen, mit seinem köstlichen Empfang
und den Zärtlichkeiten ohne jeden Hintergedanken! Und
Italien, dessen Schönheiten so freimütig verliebt in den
fremdländischen Befreier waren! Welch ein Kontrast mit
Spanien, wo das naivste Lächeln nur der Köder zu einer
Falle war!
Was Furcht und Besorgnis anlangt, welcher Art sie
«) Die Marquise de Brinvilliers war eine berüchtigte und
berühmte Oiftaischerin det 17. J>hrhunderts.
«!
Digitized by Google
auch sei, so sind die Franzosen vielleicht die uner-
schrockensten Zweifler, die es auf der Welt gibt; es liegt
in ihrem Temperament, der GeJahr zu trotzen, ja sie über-
haupt ganz zu ignorieren. Das taten sie zuerst auch mit
ihrer gewöhnlichen Tollkühnheit, aber bald mußten sie
sich von der Augenscheiiilichkcil der Tatsachen überzeugen
und sich zu Vorsichtsmaßregel!] entschließen, die indes
immer nachlässiger befolgt wurden, da der Argwohn ihrem
Charakter zuwider war.
Aber von allen Seiten stellten sich Warnungen ein,
und es wurden nun in die Disziplinarvorschriften definitive
Sicherheiten) aß regeln aufgenommen. Man richtete sich
nicht mehr in einem Hause ein, ehe man dasselbe nicht
in allen Teilen auf das genaueste durchsucht hatte. Man
aß weder das Brot seiner Wirte noch trank man ihren
Wein, ohne daß man sie nicht gezwungen hätte, zuerst
davon zu essen oder zu trinken. Ein Pariser Voltigeur
sagte darauf bezüglich zu seinen Kameraden, die sich
nicht an den Aufenthalt in Spanien gewöhnen konnten:
„Ihr seid sonderbar, Kameraden! Ihr eßt nichts, wovon
man nicht vorher gekostet hat, ihr haltet euch in keiner
Wohnung auf, die man nicht vorher untersucht hat, ihr
schlaft nicht ohne bewacht zu sein. Seid ihr nicht glück-
lich wie ein Konig, warum beklagt ihr euch? Es fehlen
euch nur eine Leibgarde, Kammerherrn und Pagen!"
Derselbe Voltigeur erzählte mir eines Tages, daß,
wenn ihm das Glück hold war und er mit einer Spanierin
ein galantes Abenteuer hatte, er es niemals vernachlässigte,
sich von einem seiner Kameraden begleiten zu lassen,
der während des Rendezvous Wache stehen mußte. Bei
dieser Gelegenheit lallt mir ein äußerst tragisches Ereignis
ein, das ich erzählen will.
Eines Abends waren sieben Husaren in einem Dorfe
Andalusiens in der Umgebung von las Cabezas de San
Juan angekommen und hatten, der Gewohnheit gemäß,
nicht unterlassen, die Wohnung zu wählen, die das reichste
Aussehen hatte. Die Hausherrin, eine der schönsten
439
Digitized by Google
Frauen der Gegend, bereitete ihnen einen guten Empfang.
Sie liebe die Franzosen, versicherte sie und hörte nicht
auf, sich in Lobsprüchen über die Eleganz ihrer Kleidung
zu ergehen. Nach allerlei Komplimenten und Schmeiche-
leien beeilte sie sich, ihnen ein reichliches Mahl reichen
und Wein zu einer großen Zecherei zur Verfügung stellen
zu lassen. „Sie werden doch mit uns trinken," sagten die
Husaren. Sofort ergriff sie ein gefülltes Olas und leerte
es mit den Worten „AI rey Don Jose" auf das Wohl des
Königs Joseph. Sie trank auch noch ein zweites bis an
den Rand gefülltes Glas und leerte es zum Wohle der
Franzosen. Die Husaren bezeugten darauf ihre Genug-
tuung, so gute Aufnahme gefunden zu haben. Da ihnen
jedoch die Eingenommenheit der Spanierin ein wenig
außerordentlich erschien, luden sie sie ein, vor ihnen von
den Gerichten zu essen, die man ihnen vorgesetzt hatte.
Sie aß viel davon, wobei sie in liebenswürdigster Weise
darüber scherzte, daß ihre Gäste sie derart auf die Probe
stellten.
Im Zimmer der Andalusierin befanden sich vier Kin-
der, drei Knaben und ein hübsches sieben- oder achtjäh-
riges Mädchen. Ein Husar fragte, ob die Kinder ihr ge-
hörten, und auf die bejahende Antwort, sagte er: „Nun,
dann müssen sie auch an dem Mahle teilnehmen."
„Immer Verdachtsgründe," versetzte sie. „O, meine
Herren Franzosen, Sie sind böse."
Sogleich aber ließ sie ihre Kinder kommen und be-
fahl ihnen, in Gesellschaft der Husaren am Essen teilzu-
nehmen. „Fürchtet euch nicht," sagte sie zu ihnen, „ihr
seht, sie essen wie ich," und dabei gab sie ihnen von allem
so reichlich, daß die Husaren beim Nachtisch vollkommen
beruhigt waren und wirklich bereuten, an der Aufrichtig-
keit ihrer Gesinnung gezweifelt zu haben. Sie hielten es
auch für angebracht, sich zu entschuldigen. Sie nahm
diese Entschuldigung teils mit Ziererei, teils mit spötti-
scher Würde auf, doch ließ sie nicht nach, ihnen Vorwürfe
darüber zu machen, halb im Scherz, halb im Ernst.
440
Digitized by Google
„IcH sehe," sagte einer der Anwesenden, „daß die
Dona sich ärgert und uns zürnt"
„Nein, ich schwöre bei unserer lieben Frau von Fuen
Santa und unserm großen Heiligen Jakob von Compostetla,
daß ich euch jetzt verziehen habe!"
„Out, wenn Sie uns nicht mehr zürnen," sagte ein
zweiter der Gaste, der sich vom Tische erhoben hatte und
mit einer Mandoline, die er an einem Fensterkreuz hängend
gefunden hatte, zurückkam, „so werden Sie uns einen Bo-
lero singen."
„Ja, ja, ausgezeichnet, einen spanischen Tanz. Also
vorwärts, und ohne jeden Qroll!" riefen die andern.
Sie ergriff die Mandoline und, indem sie sich selbst
begleitete, begann sie in fast fröhlichem Rhythmus ein Lied
des Landes zu singen. Die Husaren sangen in froher
Laune mit, aber bei jeder Strophe wurde der Takt lang-
samer und der Klang der Stimme immer schwlcher. Plötz-
lich wird die Sängerin erdfahl, ihr Gesicht verzerrt sich,
ihre Augen treten heraus und das Instrument entgleitet
ihren Händen. Mit einer letzten Anstrengung erhebt sie
sich vom Stuhl und will das vor ihr stehende Glas er-
greifen, das sie schon mit gekrümmten Fingern erfaßt.
„AI nuestro rey Fernando!" ruft sie und führt es an die
schwarzen Lippen, die sich schon mit Schaum bedecken.
Die Husaren sahen sich unruhig an.
„AI rey Fernando!" wiederholt sie. „Muerte a los
Franceses!" Da flogen alle Säbel gleichzeitig aus den
Scheiden, aber sie setzt dieser Drohung nur ein geister-
haftes Lächeln und eine ironische verneinende Kopfbewe-
gung entgegen. Sie lächelt noch immer, sinkt zu Boden,
und während sie sich auf den Marmorfließen windet wie
eine Schlange unter den Krallen des Adlers, der sie zer-
fleischt, stöBt sie mit teuflischer Stimme die düstern Worte
aus: „Ich bin vergiftet, meine Kinder sind es auch!"
Dann nach einer Pause fügt sie, immer mit diesem schreck-
lichen Lächeln auf den Lippen hinzu: „Gott, die Jungfrau
und die Heiligen seien gelobt! Ihr seid auch vergiftet!"
441
Digitized by Google
Diese unheilvolle Mitteilung; versetzte die Husaren
in die größte Bestürzung. Einen Augenblick blieben sie
stumm und unbeweglich, als wenn sie der Blitz getroffen
hatte, bald aber machte das Erstaunen einer schrecklichen
Wut Platz. „Wir sind, ja wir sind vergiftet?" wieder-
holten sie. Und beim Anblick der armen Kinder, die sich
auf dem Boden krümmten und zu ihrer Mutter hinkrochen,
als sie deren Todesröcheln vernahmen und in ihrem Schöße
ihren letzten Seufzer aushauchten, riefen sie: „Seht die
Elende, die Metze, die Abscheuliche, die Ruchlose, das
Scheusal! Man muß sie in Stücke zerhacken!"
„Ja, ja zerhacken, tüten wir sie!" und schon warfen
sich die Aufgeregtesten in blinder Wut auf sie, bereit, ihr
die Klingen ihrer Säbel in die Brust zu stoßen. Da rief
einer der Kameraden: „Ja, tötet nur die Toten!" Alle
fuhren zurück und keiner dieser Männer besaß den Mut,
zuzustoßen.
Der, welcher diese vernünftige Beobachtung gemacht
hatte, war der einzige, der sein kaltes Blut bewahrt hatte.
„Kameraden," fuhr er fort, „es ist keine Zeit zu ver-
lieren, man muß schnell Hilfe herbeiholen. Ich bin der
Jüngste unter uns, wenn ihr wollt, werfe ich mich aufs
Pferd und schicke euch den ersten Arzt, den ich finde.
Gehe ich unterwegs zugrunde, nun dann ist nichts zu
ändern." Sein Vorschlag wurde angenommen, und er
ritt davon.
In diesem Augenblick fingen die andern an, die
Schmerzen um so heftiger zu spüren, als sie bis dahin
durch ihren Rausch unterdrückt worden waren. Als jener
Husar da ankam, wo er Hilfe zu finden hoffte, besaß er
gerade noch die Kraft, die Katastrophe zu erzählen, der
er und seine Kameraden zum Opfer gefallen waren.
Wir befanden uns nicht weit von jenem Dorfe ent-
fernt; zwei Unterregimentsärzte und ich als dritter be-
gaben uns mit einer Kavallerieabteilung dahin. Wir ritten,
was die Pferde laufen konnten, aber trotz unserer Schnel-
ligkeit war es bereits zu spät. Von den sechs Husaren
442
Digitized by Google
waren nur noch zwei am Leben. Wir taten alles, um
sie zu retten, aber vergebens: sie starben unter den
schrecklichsten Krämpfen. Die Kinder waren schon starr
und steif und lagen an der Seite ihrer Mutter. — Wir
verbrannten darauf einige Häuser, und von dem Ort blieb
nur ein Haufen Asche und die schreckliche Erinnerung
Sobald wir nach unserm Feldlazarett zurückgekehrt
waren, war es unsere erste Sorge, uns nach dem Husaren
zu erkundigen, der uns geholt hatte. Er hatte schreckliche
Anfälle gehabt, war aber seit einigen Augenblicken ruhiger
geworden; die Kraft des Giftes schien durch die Medi-
kamente, die wir ihm gaben, merklich geschwächt. Die
genaue Angabe über die Natur der giftigen 5ubstanz
trug viel dazu bei, sie mit großer Wirksamkeit zu be-
kämpfen, denn wir hatten erkannt, daö man ihnen Arsenik
gegeben hatte, dessen Vorhandensein geschickt durch den
Geschmack von Knoblauch versteckt worden war, den
man in großen Mengen verwendet hatte. Nach einigen
Tagen war der Kranke in der Lage, seinen Dienst wieder
aufzunehmen, aber das Gift, das in großen Dosen ge-
nommen worden war, hatte Spuren hinterlassen, und seine
stark angegriffene Organisation wurde nach und nach
völlig davon zersetzt. Der Husar konnte seinem Regiment
nicht folgen und kam ins Hospital, das er nicht wieder
verließ.
Ach, es war ein erbärmlicher Krieg, der seine Arse-
nale in den Apotheken hatte und wo die versteckt gehand-
habten Waffen die gefährlichsten waren! Einen solchen
Krieg mit Feiglingen, in welchem der Feind nur hinter-
rücks angriff und von vorn nie stand hielt, diese Grün-
spantaktik, die dem dummen, ergebenen Volke von den
Mönchen eingegeben war, konnten die Franzosen nicht
dulden.
So hatten sich zwei bestimmte Ansichten unter den
Truppen gebildet: das Gift und der Dolch! Man sprach
bo wenig wie möglich davon und scheinbar ohne ihnen
443
Digitized by Gqpgle
die geringste Bedeutung beizumessen, denn in einer fran-
zosischen Armee besteht die Vereinbarung, daß man sich
um den Tod, unter welcher Form er sich auch einsteile,
so wenig kümmern darf wie um ein Glas Wasser.
Der Verfasser nimmt seinen eigenen Berich! wieder auf,
und nachdem er über weniger interessante Gegenstände ge-
sprochen, fährt er fort:
Seitdem wir uns die Kunst bei unsern Zerstreuungen
dienstbar gemacht hatten, bot das Schauspiel am Abend
den Gefangenen eine große Erholung, die sich tagsüber
mit irgend einem Handwerk oder dergleichen beschäftigt
hatten. Aber es gab auch viele Müßiggänger, bei denen
die Leidenschaft für das Spiel erwachte. Jeden Abend
wurden die Spieltische in die Säle herbeigeschafft und
diejenigen Gefangenen, deren Börse am vollsten gespickt
war, machten sich zu Bankhaltern. Die Unglücklichen ge-
langten, nachdem sie ihr letztes Stück Brot und alles, was
sie auf dem Leibe hatten, verspielt hatten, zu einem sol-
chen Grad von Erniedrigung, daß man sie allerseits von
sich wies. Sie wurden aus allen Zimmern ausgeschlossen
und gezwungen, sieh in einen Saal zurückzuziehen, den
man ihnen bezeichnete und den sie nicht mehr verließen.
Einige nannten diese Art von Auss ätzigen spital die
„Stadt der Armseligen", andere das „irdische Paradies",
weil seine Bewohner nackt wie die ersten Menschen ein-
h ergingen.
Ein anderer Nachteil dieser Spielhöllen war der da-
durch in das Gefängnis gebrachte Unfriede. Der Gewinn
der Bankhalter erregte die Begier der Strauchdiebe und
Fechtmeister, die sich verbündeten und behaupteten, daß
ihnen allein das Recht zustünde, Bank zu halten. Man
focht diese Einwände nur mit schwachen Kräften an, und
die Bankhalter willigten ein, nur noch die Pächter dieses
sonderbaren Monopols zu sein. Auf diese Weise wurden
sie jenen Leuten tributpflichtig, und diese lebten nun sehr
angenehm von den Einkünften, die ihnen ihre Kühnheit
verschafft hatte. Da begann man plötzlich, über ihre Usur-
444
Digitized by Google
pation nachzudenken ; man murrte gegen diese Halsab-
schneider und erklärte ihnen die Fehde. Sie antworteten
sehr anmaßend und hofften, auf diese Weise zu impo-
nieren. Der Aufruhr nahm immer mehr zu, man beleidigte
sie, ging in Massen auf sie los, und zwei der Maul-
helden empfingen sogleich die wohlverdiente Strafe: sie
wurden mit Steinen halbtot geschlagen. Die andern ver-
dankten ihre Rettung nur der schleunigen Flucht; sie
verbargen sich, und es hätte wenig gefehlt, daß man sie,
um sie zu bestrafen, aus ihrem Zufluchtsort herausgerissen
hätte, um sie ebenfalls zu züchtigen.
Diese Episode eines Aufstandes war glücklicherweise
die einzige. Es gab wohl einige Duelle, die indes ohne
verhängnisvolle Folgen blieben. Im allgemeinen herrschte
die vollkommenste Eintracht unter den Gefangenen, teils
weil es überhaupt selten ist, daB es anders unter Fran-
zosen wäre, teils weil der Anstoß unserer Zwietracht —
vorausgesetzt, daß eine solche vorhanden gewesen — die
Spanier hätte kühn machen können, Oewaltmaßn ahmen
gegen uns zu ergreifen. Sie hatten jedoch diese Aufmun-
terung gar nicht nötig.
Eines Abends verbreitete sich in den Sälen das Ge-
rücht, daß die ganze Bevölkerung von Cadiz und der Insel
Leon bewaffnet auf unser Quartier losmarschierte, mit
der Absicht, uns zu ermorden. Bei dieser Nachricht ge-
rieten alle außer sich. Alle erbleichten, als wenn man
uns das Todesurteil überbracht hätte, und die Bestürzung
war allgemein. Wie viele wünschten sich damals auf die
Pontons zurück, wo, wie sie sagten, wenigstens niemand
gewagt haben würde sie anzugreifen.
Die Pontons! man denke daher ihr Entsetzen! Die
einen irrten in den Gängen umher, ohne zu wissen, was
sie taten; mit starren Blicken, das Gesicht verzerrt, blieben
sie plötzlich in Gruppen stehen, sprachen einander an und
fragten sich gegenseitig : „Kommen sie? kommen sie? Seid
ihr auch gewiß, daß sie kommen?" Andere hingegen
blieben an der Stelle, wo sie durch die Ankündigung
445
Digitized by Google
des Ereignisses überrascht worden waren, angewurzelt
wie die Ölgötzen stehen und rührten sich nicht. Aber
bald wurde der allgemeine Ruf laut: „Verteidigen wir uns !
damit wir nicht lebend in ihre Hände fallen!"
Von der Terrasse, die sich über dem Pavillon der
Offiziere befand, konnte man sehen, was draußen vor-
ging. Man lief herbei und erhielt die Gewißheit, daß die
beunruhigenden Berichte nicht übertrieben waren. Ver-
schiedene Offiziere kamen und munterten uns auf, unser
Leben so teuer wie möglich zu verkaufen, im Fall die
Spanier in unser Oefängnis eindringen würden. Dies war
auch unser fester Vorsatz, seitdem der Schrecken des
ersten Augenblicks der Energie und Kaltblütigkeit ge-
wichen war. Wir stellten einen Posten auf die Terrasse
und, um die Verbindung zwischen dem Pavillon und der
Kaserne aufrecht zu erhalten, in einer gewissen Entfer-
nung noch andere Posten, die uns von dem Fortschritt des
Auflaufs in Kenntnis setzen sollten. Die Menge kam immer
näher und nahm immer mehr zu.
Während wir sie erwarteten, trafen wir unsere Vor-
bereitungen, um die Belagerung auszuhalten. Bänke,
Tische, die Täfelung des Fußbodens, die Türen der Zim-
mer, die nicht besetzt waren, verwendeten wir zum Ver-
barrikadieren. Alles, was wir an Öfen, Flaschen, Töpfen
und dergleichen hatten, schleppten wir herbei, um es auf
die Kopie der 5fürmcnden hinabzuschleudern. Wir trugen
Pflastersteine herbei, die wir herauszunehmen begonnen
hatten, damit es uns nicht an Munition fehle. Alles war
gut genug, um uns als Waffe zu dienen, und jeder nahm,
was er gerade fand.
Bald waren wir bereit, und ich gestehe, daß wir uns
etwas von unserm Widerstand versprochen hätten, wenn
uns nicht die Befürchtung geblieben wäre, die ganze Be-
völkerung möchte am Ende auf den Gedanken kommen, die
Kaserne anzuzünden, um uns unter ihren Trümmern zu
begraben. Doch machten wir uns nicht zu viel daraus,
geröstet zu werden, und der Gedanke eines Autodafes
446
Digitized by Google
von sechstausend Franzosen — wir waren damals noch
6000 — konnte den Spaniern nur angenehm sein.
Endlich, es war 6 Uhr abends, kamen sie an. Wir
hörten ihr lautes Oeschrei und konnten genau die Stimmen
der Rasenden unterscheiden, die riefen : „Muerte a los
Franceses!", sowie eine Menge anderer dumpfer Stimmen,
deren düsteres Gemurmel dem unterirdischen Rauschen
der Meeresfluten glich. „Muerte a los Franceses!" wieder-
holte man, und das wütende Gebrüll des Pöbels wurde
stärker. Dazu gesellte sich das Stampfen der Füße, das
die Erde erzittern machte, und ein unaufhörliches Waffen-
geklirr. Schon sagte man, daß man eine Bresche in die
Mauern unseres Gefängnisses geschlagen hätte. Plötzlich, .
nach einer fast lautlosen Unterbrechung, verdoppelt sich
der Lärm und ein schreckliches Wutgeschrei bricht los.
Wir wußten nicht, was wir von der vermehrten Aufregung
denken sollten; vermutlich' waren sie auf ein Hindernis
gestoßen.
In der Tat hatte sich der Gouverneur der Insel Leon,
der beizeiten von den Absichten der Bevölkerung benach-
richtigt worden war, beeilt, die Wache des Gefängnisses
zu verstärken, und war selbst mit zwei Geschützen herbei-
geeilt. Was er getan, um die Mörderbande aufzuhalten,
konnten wir nicht sehen, doch erfuhren wir es später.
Hier der Bericht dessen, was sich zutrug.
Festen Fußes erwartete der Gouverneur die Menge,
und als er meinte, daß die Wütenden nahe genug heran-
gekommen wären, um sich verständlich zu machen, be-
stieg er ein Geschütz und erklärte ihnen, daß er ge-
kommen sei, um sie zu verhindern, weiter vorzudringen.
Dann fügte er hinzu, daß, wenn sie sich nicht allein
zerstreuten, er sie dazu zwingen werde.
Aber die Köpfe waren erhitzt, seine Anrede wurde
schlecht aufgenommen, und die Vermehrung ihrer Wut,
die unsere Unruhe auf die Spitze trieb, war das Resultat
Einer jedoch, der an der Spitze marschierte, ging ein
447
Digitized by Google
paar Schritte vorwärts und machte ein Zeichen, daß er
sprechen wollte. Es war einer jener Majos1), jener Oroß-
sprecher von Andalusien, dessen Einwohner als die Gas-
cogner Spaniens') angesehen werden. Er blieb stehen,
stellte sich in Positur, befahl den Männern und Frauen der
Menge, die ihm folgte, Ruhe, nahm seine Montera9) ab,
die ihm seiner Meinung nach zu sehr in der Stirn saß,
und nachdem er durch Mund und Nase zwei oder drei
Stöße aus seiner Zigarre geblasen hatte, begann er mit
hohler, schnarrender Stimme:
„Herr Gouverneur, glauben Sie uns vielleicht wie
Galicier behandeln zu können? Wir sind gekommen,"
und bei diesen Worten nahm er eine gehobene, drohendere
Stimme an, „wir sind gekommen, damit man uns die
Tore öffne, oder wir schlagen sie selbst ein, denn es
sind ÖO00 Franzosen darin."
„Ja," versetzte der Gouverneur, „6000 waffenlose Ge-
fangene; sie befinden sich unter dem Schutze der castilia-
nischen Ehre. Wehe dem, der ihnen auch nur ein Haar
auf dem Kopfe krümmt! Schämt ihr euch nicht, in so
großer Anzahl gekommen zu sein?"
„In diesem Falle," unterbrach ihn der Prahlhans,
„lasse man mich allein eintreten; ich werde diesen 6000
Soldaten zeigen, was ein Caballero wie ich wert ist"
„Gut, ich willige ein," erwiderte der Gouverneur,
„geht allein hinein!"
Der furchtbare Caballero schien doch ein wenig außer
Fassung zu geraten, als ihn der Gouverneur so beim Wort
nahm; indes faßte er sich schnell wieder. „Ich habe mir
überlegt," sagte er mit einem boshaften Lächeln, „daß
in San-Carlos Soldaten von der Garde des verdammten
Napoleon sind und daß jeder von uns glücklich sein würde,
ein Stück von ihnen zu bekommen. Nicht, Kameraden, ihr
wollt ebenfalls euren Anteil daran haben?"
«) Majo = Prahlhans.
') Die Prahlerei der Qascogncr ist sprichwörtlich.
«) Montera, eine Art Müt/e.
448
Digitizsd by Google)
„Ja, ja," schallte es von alkn Seiten, „kein Pardon
iliesen Soldaten des Satans! Tod den Franzosen! man
Hebe sie heraus, wir verlangen es'"'
„Und ich,"' schrie der Oouverneui, „ich fordere euch
im Namen Ferdinand VII. und der obersten Junta juf,
euch zurückzuziehen !"
Es ließ sich ein Murren und Hohngelächter hören,
währenddessen er den Soldaten befahl, ihre Waffen zu
Unter den Fanatikern machten sich besonders die
Frauen durch ihre abscheulichen Forderungen bemerkbar;
vor allen zwei, eine alte und eine junge, reizten die Menge
auf, die Wachmannschaft zu entwaffnen. Der Gouverneur
befahl, sie zu arretieren; die Soldaten beeilten sich, zu ge-
horchen, und bemächtigten sich beider Frauen. Alsbald
kam das ganze Volk in Bewegung, es stürzte herbei, um
sie zu befreien, dabei immer die Rufe: „Tod den Fran-
zosen! Tod dem Gouverneur!" ausstoßend.
Die Gefahr war nahe. Der Gouverneur, der keine
Hoffnung mehr hatte, die Ruhe wiederherzustellen, er-
klärte, er werde jetzt, da er im Guten nichts ausrichten
könne, hinabsteigen und das Feuer mit seinen Geschützen
eröffnen. Sobald die Wütenden die Lunte anzünden sahen,
zogen sie sich zurück und ließen einen großen freien Platz
vor der Batterie.
„Ah!" rief der Oouverneur, „ihr habt Angst vor den
Kartätschen ! Ihr Feiglinge, bleibt doch stehen und ihr
werdet sehen, ob ich euch nicht niederschmettern lasse.
Ich sehe da einen Haufen Galicier»), die besser täten, ihr
Wasser zu tragen, oder lieber am Hafen geblieben wären
und ihr Geschäft als Lastträger verrichtet hätten I Glaubt
ihr, ich bin ein Mann, der sich einschüchtern läßt? Ihr
') Die Bewohner des ehemaligen spanischen Königsreichs
Galicien waren sehr arm und zahlreich und wanderten deshalb
häufig nach den andern Provinzen Spaniens aus, um sich ihren
Unterhalt als Tagelöhner, Wasserträger, Hausknechte usw. zu ver-
dienen, weshalb sie von den übrigen Spaniern Wenig geachtet sind
2g BwHl: Spin. FrtlUelttkirapI. 449
Digitized by Google
benehmt euch nicht wie gute brave Spanier, Was haben
diese Zigeuner bei euch zu schaffen? Dieses hinterlistige,
falsche Volk, das weder Beruf noch Heimat, weder Glau-
ben noch Gesetze kennt, der Auswurf der Menschheit,
ein Schandfleck der Nation, die unter ihnen leidet? Spa-
nier, errötet ihr nicht, euch unter diese Bastarde der Welt
zu mischen, die kein Staat anerkennen will, diese Räuber,
der Schrecken der Landstraße und der Bewohner!"
In diesem Augenblick lieft sich ein langer Schrei:
„Muerte a los Franceses!" nochmals hören. Eine Minute
lang unterbrach sich der Gouverneur, um dann mit der
ganzen Macht seiner Stimme fortzufahren: „Wenn ihr
dermaßen auf französisches Blut begierig seid, warum be-
gebt ihr euch dann nicht zu den Armeen? Das Schlachtfeld
wird euch vortreffliche Gelegenheit bieten, es rühmlichst
zu vergießen. Werdet Soldaten des Königs, um die hei-
ligste Sache der Welt zu verteidigen. Ich aber wieder-
hole euch, daß, wenn ihr darauf besteht, das Asylrecht,
das jedem heilig sein muß, zu verletzen, ich euch mit
Kanonenschüssen empfangen werde, dessen könnt ihr ge-
wiß sein. Ich werde diesen Posten unter Nichtachtung
meines eigenen Lebens zu verteidigen wissen, denn ich
opfere es gern der Ehre der Nation! Und wenn ihr ins
Gefängnis eindringen wollt, so müßt ihr über meinen Leich-
nam hinweg!"
Diese entschlossene Ansprache, vereint mit den be-
zeichnendsten militärischen Maßnahmen, bestimmte die
Meuterer, auf ihren Plan zu verzichten. Der größte Teil
von ihnen zog sich endlich schimpfend und murrend zu-
rück. Von dem ganzen Zusammenlauf blieb nur noch ein
kleines Häuflein übrig, in dessen Mitte die Aufwiegler
sich in hochtrabenden Worten ergingen. Plötzlich kam ein
Trupp Esel vorüber, dem sie nachliefen, indem sie die
Tiere schlugen und aus vollem Halse mit rohem Gelächter
schrien: „Arrai, arrai Napoleon!"«)
") Der Verfasser meint geu iß „ürre! arrc!" den gewöhnlichen
Ruf der spanischen Usttiertreiber.
450
Digitized by Google
Nun waren die Zugänge der Kaserne wie ausgestor-
ben, nur von Zeit zu Zeit warfen die Vorübergehenden
einen Blick auf die Fenster, beschleunigten aber sofort
ihre Schritte, wenn die Schildwache sie zum Weitergehen
aufforderte.
Wohl harte der Haufe versprochen, wiederzukommen,
aber es blieb nur bei der Absicht. Und da es sicher schien,
daß wir mit dem Schrecken davon gekommen waren,
rissen wir fröhlich unsere Barrikaden wieder ein, und
unsere Kriegsmunition wanderte wieder in die Küche. Im
Gefängnis wurde alles auf Friedensfuß gebracht, und die
Sicherheit kehrte aufs neue ein.
Es wäre uns indes nicht unangenehm gewesen, uns wo
anders als unter den Händen einer Bevölkerung zu be-
finden, deren Rae hege ist früher oder später wieder er-
wachen konnte. Denn wenn der Gouverneur von Cadiz
wechselte, wer konnte uns dann die Gewißheit geben, daß
sein Nachfolger dieselbe Festigkeit in seinem Handeln ent-
falten würde? Diese Betrachtungen trugen viel zu dem
Wunsche bei, San Carlos baldigst zu verlassen.
Endlich, am 1, April 1809, gab es eine große Auf-
regung in der Kaserne. Es hatte sich das Gerücht verbrei-
tet, daß wir eingeschirrt werden sollten, und zwar sollten die
Seeleute des Geschwaders Rosilys nach den Kanarischen
Inseln und die Soldaten vom Korps Dupont nach den
Balearen gebracht werden. Die Soldaten des Dupontscheu
Korps besaßen noch dazu die große Einfalt, sich einzu-
bilden, daß man sie nach den Artikeln der Kapitulation
behandeln werde, auf Grund deren sie die Waffen nieder-
gelegt hatten. Sie hofften, daß sie, nachdem man sie in
Mallorca in Freiheit gesetzt hatte, bald auch Frankreich
wiedersehen würden. Auch ich war ihrer Meinung und
beneidete ihr Los ; doch bald befand ich mich in der glück-
lichen Lage, es teilen zu können. Und zwar setzte mich
ein berittener Jäger dazu in den Stand. Der Mann war
krank, und in Anbetracht des schlechten Zustandes seiner
Gesundheit glaubte er nicht die Oberfahrt überleben zu
29* 451
Digitized by Google
kuniteu, Es war iluti vollkorn m en giekh^iiliig, das F-'utti'r
der Haifische auf dem Wege nach den Kanarischen oder
Balearischen Inseln zu werden. Kurz, er hatte sich in den
Tod ergeben, wenigstens behauptete er es. Vielleicht hatte
er auch einen bestimmten Grund, den Ort seiner Ge-
fangenschaft einem andern vorzuziehen, da er überzeugt
war, daß die Spanier wortbrüchig bis zum Äußersten
Wie dem auch sein mag, wir waren übereingekommen,
einen Tausch zu machen: er nahm meinen Matrosenanzug
und ich dafür seine Uniform, die ich sogleich anzog. So
verkleidet überschritt ich ohne Schwierigkeiten das Tor
der Kaserne und wurde als Soldat der Armee Duponts
beim Transport Nr. 0 aufgenommen, wo sich der General
Dupont, die Matrosen der Garde, eine große Anzahl Unter-
offiziere und etwa 30 Frauen, die meisten Marketenderin-
nen der Armee, befanden.
Auf dem Schiff waren wir zusammengepfercht wie
an Bord der Pontons, vielleicht sogar noch mehr. Aber
welcher Unterschied der Lage, welch nahe Zukunft er-
öffnete sich unsern Augen! Wir sollten unser Vaterland
wiedersehen! Schon drückte ich meine arme Mutter, die
ich seit so langer Zeit nicht gesehen harte, im Geiste an
mein Herz und trocknete ihre Tränen. O, wie schön war
dieser Traum!
Am Tage nach Ostern, am 3. April, gingen wir, von
einigen englischen Kriegsschiffen begleitet, unter Segel.
Kaum hatten wir Cadiz verlassen, als sich ein heftiger
Sturm erhob, der die Schiffe auseinandertrieb und die einen
nach Gibraltar, die andern nach Malaga warf. Unsere
Soldaten wollten die Gelegenheit benutzen und eine Küste,
die durch ihre Weine so berühmt ist, nicht früher verlassen,
bis sie das Vergnügen gehabt hätten, sie m kosten! Die
meisten, die auf eine baldige Rückkehr auf ihr Vaterland
hofften, entäußerten sich fast aller ihrer Kleidungsstücke,
452
Digitized by Google
um sich einige Gläser des kostbaren Getränks zu ver-
schaffen ; auf diese Weise gingen Riemenzeug, Schuhe,
kurz alles als Zahlung weg.
Die Flotte vereinigte sich wieder und segelte auf
Mallorca zu. In weniger als einem Monat befanden wir
uns vor Palma, der Hauptstadt dieser Insel. Aber unsere
Hoffnungen auf Landung wurden bald zunichte. Von
neuem erhielten wir Befehl, unter Segel zu gehen, und
endlich führte man uns nach Cabrera, einer öden, un-
fruchtbaren, entsetzlichen Insel, die uns immer in trüber
Erinnerung bleiben wird. Am Fuße dieser Anhäufung von
Bergen und steilen Felsen kamen wir am 9. Mai, 5500
Mann stark an.
453
Digitized by Google
Nach eingehender Beschreibung der Insel und der neuen
Lage der Gefangenschalt ergeht sich der Verfasser in bitteren
Klagen über die Leiden, die er mit seinen Unglücksgefährten
hier zu erdulden hatte. Endlich beschließt er, mit noch einigen
seiner Kameraden zu entfliehen, doch die meisten Pläne mußten
Ungefähr im Juni 1811 — ich befand mich damals
schon länger als zwei Jahre auf der Insel — machte ich
die Bekanntschaft einiger Gefangenen, die man erst kürz-
lich aus Catalonien hergebracht hatte. Unter diesen befand
sich auch ein Feldwebel, ein unerschrockener Soldat, wie
es keinen zweiten gab; er stammte aus Lyon und hieß"
Alleigne. Dieser neue Mitgefangene brachte mich mit
nicht weniger entschlossenen Männern als er in Beziehung.
Ich zweifelte durchaus nicht an ihrer Kühnheit, allein ehe
ich mich ihnen offenbarte, wollte ich auf ihre Verschwie-
genheit rechnen können. Sobald ich mich davon überzeugt
zu haben glaubte, teilte ich ihnen meinen lange vorberei-
teten Plan, mich eines Fischerbootes zur Flucht zu be-
mächtigen, mit. Ich überzeugte sie von der Möglichkeit
der Ausführung, und sie pflichteten mir mit großer Freude
bei, obwohl es ihnen gewagt erschien. Die Führung wurde
mir anvertraut. Wir machten also einen Ort aus, wo wir
uns treffen wollten, und jeder schwor bei seiner Ehre, die
größte Verschwiegenheit darüber zu bewahren.
Da die Insel keine Hilfsmittel gegen einen Überfail
darbot, mußten sich die Fischer von Mailorca vor einem
454
Digitized by Google
Handstreich seitens der französischen Gefangenen sicher
fühlen. Um aber in dieser Hinsicht noch ruhiger zu sein,
hielten sie ihre Boote in einer gewissen Entfernung und
näherten sich der Küste nur mit großer Vorsicht.
Man mußte also einen Ausweg: ersinnen. Ich schlug
daher vor, ein Boot mittels eines Enterhakens heranzu-
ziehen, und der Vorschlag ward angenommen. Aber woher
sich diesen Enterhaken verschaffen? Woher Eisen neh-
men? Und wenn wir solches fänden, wie es zu unserm
Gebrauch geeignet machen?
Zu dieser Zeit ließ unser Feldprediger, der stets
damit beschäftigt war, seine Gartenanlagen zu erweitern,
einen Feiseti minieren, der ihm hinderlich war. Während
der Nacht stahlen wir nun eine der zu dieser Arbeit
dienenden Zangen. Einmal im Besitz dieses äußerst wich-
tigen Werkzeuges, diente uns eine auf der Insel ge-
fundene Kanonenkugel als Amboß, und bald hatten wir
auch aus dem Leder unserer Tornister einen Blasebalg
fabriziert Unser Enterhaken wurde geschmiedet, verschie-
dene fest an ein andergenietete Kettengelenke wurden in
eine Länge von 8 Fuß daran befestigt, und dazu fugten
wir noch die nötigen Seile, um das der Küste am nächsten
vorbeisegelnde Boot zu kapern.
In meiner Eigenschaft als Seemann gab ich meinen
Kameraden zu bedenken, daß für ein ähnliches Unter-
nehmen ein gewisser Vorrat Lebensmittel und Wasser
unerläßlich sei. Aber dieser Vorschlag hätte beinahe alles
verdürben . . . Unsere Rationen waren so dürftig! Da
man indes im Falle eines Mißerfolgs jenen Vorrat wieder-
finden mußte, hießen wir alles gut, und nach Verlauf
von ungefähr vierzehn Tagen glaubten wir uns in der
Lage, dem Meere trotzen zu können. Ende Juni hatten
wir die hauptsächlichsten Vorkehrungen getroffen.
In der ersten Nacht des Juli 1811 brachten wir in
der Stille unsere Lebensmittel und unsern Enterhaken nach
der Westküste, wo die Boote am häufigsten vorbeikamen,
und versteckten alles in Felslöchern. Unser Handstreich
455
Digitized by Google
konnte nur während der Nacht ausgeführt werden, denn
es galt nicht allein das wachsame Auge der Fischer,
sondern auch die Gefährten unserer Knechtschaft zu täu-
schen. Unser Elend war so groß, daß wohl einer der Un-
glücklichen, in der Hoffnung, ein paar Saubohnen mehr zu
bekommen, uns hätte denunzieren können. Verschiedene
derartige Beispiele machten uns mißtrauisch und ängstlich.
In der folgenden Nacht kehrten wir zu unserm Posten
zurück, um die Ankunft der Boote zu belauern; aber nicht
Drei Wochen lang setzten wir dies mühevolle Treiben
fort. Einmal befanden sich Boote in unserm Bereich ;
schon wollten wir es wagen, aber die Nacht war nicht
finster genug; ich besann mich schnell eines Besseren
und bestand darauf, noch nichts zu unternehmen. Meiner
Meinung nach durften wir nur handeln, wenn wir ganz
sicher waren. Es glückte mir auch meine Kameraden zu
überzeugen, und ich führte sie schnell hinweg, teils aus
Furcht, sie möchten Einwand erheben, teils um nicht
selbst in Versuchung zu geraten, meinen Entschluß zu
Vor allen Dingen mußten wir uns zu einem solchen
Unternehmen gesund und kräftig fühlen. Durch die langen
Nachtwachen, den anstrengenden Weg, den wir jeden
Abend und Morgen über die hohen Berge zu machen hat-
ten, deren kantiges Gestein uns die Füße verwundete,
besonders aber durch den Mangel an Nahrung, den wir
litten, seitdem wir uns die harte Pflicht auferlegt hatten,
nur ein Viertel unserer Ration zu verzehren, aufs äußerste
erschöpft, war es zu fürchten, daß wir mit der Zeit den
Mut verlören.
Aber am 16. Juli kamen wir wieder auf dem Rendez-
vousplatze zusammen. Es mochte ungefähr 9 Uhr sein.
Einer unserer Gefährten, der zuerst auf dem Gipfel des
Berges angekommen war, rief mit verhaltener Stimme:
„Vorwärts! . . . zwei Boote . . . schnell, schnell!" Wer
zuerst bei ihm angelangt war, wußten wir nicht; wir
456
Digitized by Google
kletterten wie die Gazellen. O Freude! O Glück! Zwei
Boote vor unsern Augen- 1 . . . Kaum wagten wir zu atmen
und uns zu bewegen. Uns gegenseitig bei den Händen
fassend, schienen unsere Augen eine beredte Sprache zu
reden und zu sagen : „Werden wir nach all dem Unglück,
nach so viel Leiden endlich frei sein ?" — „Pst! pst! keinen
Einige schlagen mit leiser Stimme vor, Rat zu halten.
„Wieso denn," entgegnete All eigne, „ihr scherzt
wohl? Wissen wir denn nicht schon lange, was ein jeder
von uns zu tun hat? Bedarf es noch einer Wiederholung?
Gehen wir hinab . . . Eine solche Gelegenheit bietet sich
niemals wieder." — „Ja, ja," wiederholten wir alle zu-
sammen, „Wir dürfen nicht zögern. Schnell, schnell!"
Und wir stiegen mit der größten Vorsicht ans Ufer
hinab. Der kleinste rollende Stein konnte die Aufmerk-
samkeit der Fischer erwecken und unsere Hoffnung zu-
nichte machen.
Das Wetter war herrlich, der Himmel mit Sternen
übersät und der Wind frisch und günstig. Unten an der
Küste an der Stelle unseres Verstecks angekommen, trafen
wir sogleich in der größten Stille unsere Vorkehrungen.
Jeder bekam einen Posten angewiesen.
Der Korporal im .121. Orenadierregiment Leroy, der
kräftigste von uns, sollte den Enterhaken auswerfen. Ich
nahm ihn beiseite und versuchte ihm Vertrauen zu seiner
schwierigen Tat einzuflößen, doch er meinte, er sei des
glücklichen Gelingens ganz sieher. „Auf alle Fälle," emp-
fahl ich ihm, „handeln Sie nur dann, wenn Ihnen der Er-
folg unfehlbar erscheint; ist dem nicht so, so bin ich
dafür, noch länger zu warten."
Wir waren im ganzen vierzehn. Sechs, an deren
Spitze der tapfere Alleigne stand, mußten das Sei! halten,
um, sowie der Haken gefaßt hatte, das Boot heranzu-
ziehen. Vier andere, unter denen auch ich mich befand,
sollten die Bewohner der Insel durch einen Hagel von
Steinen in Furcht halten und sofort an Bord springen,
457
Digitized by
wenn es der Absland erlaubte. Weitere vier endlich soll-
ten am Ufer bleiben, um die Spanier aufzuhalten, die
Ohne dieSr VnrüChtsinaHrrgel auf die ISerge steigen und
Hin dort aus durch Zeichen die im Hafen vor Anker
Hebenden Kanonenboote aufmerksam machen konnten.
Aufieiordentlich aufgeteilt warteten wie atemlos, Haid
wechselte eins der Schiffe den Kurs und umsegelte den
I eisen, so daü u ir es aus den Augen verloren. Schon war
die Hälfte unserer Hoffnung entschwunden Ls war uns,
als risse man uns nn Stud< von unsenn Herzen aus dem
Leibe. Aber noch ist ja das andere da! Es entfernt, nähert,
wendet sich bald nach rechts, bald nach links. Wir stehen
wie auf Kohlen, wir zittern, sprechen uns gegenseitig1 Mut
zu — und zittern aufs neue. Bei der geringsten Bewegung
des Bootes erstarrt uns das Blut in den Adern, oder es
flieBt um so rascher. Das Herz schlägt abwechselnd vor
Hoffnung und Angst.
Endlich gegen '/al2 Uhr hielt ich den Augenblick
für geeignet. Alle meine Leute waren auf ihren Posten.
Besorgt und aufgeregt beobachte ich den, der in seiner
Hand unsere ganze Hoffnung halt. Er macht sich bereit,
seinen Füßen auf dem schlüpfrigen Steinboden einen festen
Halt zu geben. Als schwebe über uns ein schweres Ge-
wicht, das uns zermalmen könne, horchen wir vorge-
beugt in die Nacht hinaus . . . Eine halbe Minute, die
uns wie eine Ewigkeit dünkt, ist vergangen . . . Der
Enterhaken ist geworfen ! . . . Uns ist die Brust wie zuge-
schnürt. Eine schreckliche Ahnung. .. Aber nein, ein
klirrendes Geräusch ward hörbar: die Fischer stoßen
Schreie aus — der Haken hat gefaßt! . . . Kräftig wird
das Seil gezogen ; das Boot kommt näher, und wir
stürzen uns auf dasselbe, werfen mit Steinen, springen
an Bord, alles vor uns niederwerfend, was sich uns
entgegenstellt.
Die Spanier, von Schrecken erfaßt, ducken sich längs
des Dahlbords. Sie waren 6 und wir bis dahin nur 4.
Als sie das merken, bewaffnen sie sich mit allem, was
Digitized by Google
ihnen unter die Hände kommt, und stürzen sich auf uns.
Chaze, einer der unsrigen, ist am Bein verwundet, aber
Alleigne und ein anderer eilen herbei, und die Wut
verdreifacht unsere Kräfte. Im Nu ist das Deck gesäubert;
drei der Mallorkaner sind ins Meer geworfen, die andern
flüchten sich durch die Luke in den Schiffsraum, wo wir
sie gefangen halten. „Jetzt ist es an euch!" rufen wir
den an der Küste Zurückgebliebenen zu . . . „Kommt!
Drei Mann über Bord!" . . ., Inzwischen waren 4 von
denen, die das Seil hielten, zu unserm einige Schritte ent-
ferntgelegenen Versteck gelaufen und kamen nun eiligst
mit den Lebensmitteln und unserm kleinen Faß Wasser
zurück.
Jetzt galt es, sich so schnell als möglich von der
Küste zu entfernen. Das Deck des Bootes war mit Angeln,
Netzen, Körben und einer Menge Fischergeräte bedeckt,
die wir natürlich verschwinden ließen. Sobald dies ge-
schehen, beeilte ich mich, das Steuer zu richten, zu be-
masten und die Segel aufzuziehen. Das war bald getan.
Dann entfernten wir uns schleimigst mit Hilfe einiger
Ruder, um Wind zu nehmen.
Da wir keinen Kompaß besaßen, richtete ich mich
nach den Sternen und segelte nordwärts. In dieser Rich-
tung mußten wir in die Nähe von Barcelona und Tarra-
gona gelangen. Es herrschte Südostwind, wie wir es
nicht besser wünschen konnten.
Einmal auf hoher See, dachten wir an unsere Ge-
fangenen. Diese waren über unsere Tat so erstaunt, daß
sie sich kaum von ihrem Schrecken erholen konnten und
unserm Treiben verwundert zusahen. Um sie ein wenig
zu zerstreuen, nötigten wir sie, sich zu entkleiden und
ihre Sachen gegen unsere Lumpen zu vertauschen. Ihre
ärmlichen Röcke waren ganz durchnäßt, besonders von
den dreien, die ins Wasser gefallen waren und die wir
wieder herausgeholt hatten, damit sie nicht schwimmend
das Land erreichten und Lärm schlugen. Glücklicherweise
aber waren ihre dicken Mäntel und breiten Kapuzen im
459
Digitized by (google
Boot geblieben, und wir bedienten uns ihrer, um uns
vor der nächtlichen Kühle zu schützen.
Von diesem Augenblick an war alles gemeinschaft-
lich unter uns, au-L;u nominal diu Lustigkeit, ilir wir an
den Tag legten und die mit uns zu teilen wir ihnen gern,
erließen. Es kostete uns die größte Überwindung, die
armen Leute in ihrem Unglück nicht zu verspotten und
ihnen unsere Freude durch Luftsprünge zu beweisen. Wir
umarmten Leroy, drückten ihm beide Hände, nannten
ihn unser« Retter und fragten ihn, ob er denn keine Angst
gehabt hätte . . . „Ach was," antwortete er, „ich war
meiner Sache sicher; denn ich hatte meine Maßnahmen
zu gut getroffen." Und man beglückwünschle ihn von
neuem.
Unsere Ausgelassenheit nahm kein Ende, wir konn-
ten uns nicht mehr beherrschen. Sollten wir doch das
Vaterland, unsere Waffenbrüder wiedersehen, unsere Uni-
formen wieder anziehen, eine freie Luft atmen und eine
ordentliche Ration Brot und Fleisch mit Genuß ver-
zehren! . . . Welch plötzliche, nie erhoffte Verwandlung
aller Schrecken, alles Elends in den Zauber der Frei-
heit! Und unsere Freuden ausbräche nähme« kein Ende.
Mehrere schlugen mit der Hand ein Kreuz gegen die
Insel: „Verfluchtes Cabrera! verwünschte Insel! Teufels-
felsen I" riefen wir, „du erwischst uns nicht wieder . . .
Adieu, adieu für immer, entsetzlicher Aufenthaft! ... Es
lebe die Freiheit! Es lebe Frankreich ! Es lebe der Kaiser!
. . . Alle unsere Leiden sind nun zu Ende!"
Drei Viertelstunden waren ungefähr vergangen, daß
wir die abscheuliche Insel hinter uns hatten. Da tat ein
Zwischenfall unserm Freudentaumel ein wenig Einhalt
— „Patron, Patron!" rief mir einer von den Leuten zu,
die sich auf dem Vorderteil befanden; „wir sind im Be-
griff, ein Fahrzeug zu übersegeln!" — „Weicht aus, weicht
aus!" — „Wir sind verloren!" rufen die andern ängst-
lich. — „Nein, nein, keinen Lärm, laßt nur." — Indes,
nicht weniger sicher als sie, befehle ich trotzdem meinen
460
Digitized by Google
Leuten, sich zu ducken. Wir segeln im Wind und er-
kennen die englische Brigg, die sonst vor der Insel kreuzte.
In der größten Stille gleiten wir fast unter ihrem Bugspriet
vorbei. Dank der Hüte und Mäntel der Fischer mußte
man uns für Spanier gehalten haben, und wir kamen mit
dem Schrecken davon . . .
Dieser Zwischenfall machte uns vorsichtiger. Ich be-
fahl, daß ein jeder einmal auf dem Vorderteil Wache stand,
um rechtzeitig von dem, was vorging, benachrichtigt zu
werden. Ruhig setzten wir unsere Fahrt bis zum Anbruch
des Tages fort.
Am nächsten Morgen befanden wir uns in der Nähe
von Palma. Der Wind wurde so schwach, daß man zu
den Rudern greifen mußte, was sehr ärgerlich für uns
war, da wir nur drei Seeleute besaßen. Eigentlich hätten
wir vier sein müssen, aber zu unserm großen Erstaunen
merkten wir erst jetzt, daß ein junger Matrose fehlte, der
indes am vorhergehenden Tag beim Stelldichein gewesen
war und geholfen hatte, das Boot herbeizuziehen . . . Wir
vermuteten, daß der junge Mann, der wahrscheinlich das
Unternehmen für ungünstig hielt, sich noch im letzten
Augenblick entschieden hatte zu bleiben. Jeder von uns
wünschte nur, daß er unsern Plan nicht ausplaudere.
Der Wind hatte sich vollkommen gelegt. Ich ließ da-
her unsere beiden Matrosen die hinteren Ruder nehmen
und setzte hinter sie die Soldaten, was für diese eine
große Erleichterung war, weil sie ihre Bewegungen nach
ihren Vordermännern richten konnten. Auf diese Weise
mit 8 Ruderern ausgestattet, ruderten wir schlecht und
recht den ganzen Tag. Gegen Abend aber waren wir so
erschöpft, daß wir nicht mehr konnten. Die armen Sol-
daten, die an eine so harte Arbeit nicht gewöhnt waren,
klagten, ihre Arme und Lenden seien wie zerschlagen.
Ich ermutigte sie so gut ich konnte; wenn jedoch die
Windstille fortdauerte, wußte ich nicht, was werden sollte.
Glücklicherweise ließ der Wind nicht mehr allzu lange
auf sich warten. Eine günstige Brise schaffte unseren
461
Digilized by Google
Ruderern Erleichte rung und brachte uns ein tüchtiges
Stück vorwärts.
Mit Tagesanbruch bemerkten wir hinter uns zwei
Fahrzeuge, die mit erschreckender Schnelligkeit dahinzu-
fahren schienen. Nach einigen Augenblicken sorgenvoller
Aufmerksamkeit erkannten wir sie. Es waren die beiden
Kanonenboote, die Wächter der Gefangenen der Insel.
Sie befanden sich auf der Jagd nach uns! . . . Jeder von
uns sah die Gefahr, die uns bedrohte, und es galt, unsere
Anstrengungen zu verdoppeln und aus Leibeskräften zu
Die Erinnerung an die Insel und ihre Schrecken wirkte
entscheidend. „Vor allem Übereinstimmung!" rief ich
meinen Gefährten zu, „das ist das einzige Mittel, unsere
Kräfte zu schonen und vorwärts zu kommen." Die Sol-
daten ruderten so gut, daß es Matrosen, welche 10 Jahre
dabei waren, nicht besser hätten machen können. Und
nach 2 Stunden unglaublicher Anstrengung, währenddem,
wie ich glaube, nicht ein Wort gesprochen wurde, hatten
wir das Glück, unsere Verfolger ihren Vorsprung voll-
kommen verlieren zu sehen.
Bis zum nächsten Tage nachmittags 3 Uhr ereignete
sich nichts Neues. Aber um diese Zeit sahen wir ein
großes Schiff vor uns, in welchem wir eine englische
Fregatte zu erkennen glaubten. Was tun? Einen falschen
Kurs steuern? Wir konnten es nicht, denn schon fehlte es
uns an Wasser, und wir mußten uns beeilen, unser Ziel
zu erreichen. Meine Gefährten waren aufs äußerste be-
stürzt, und ich war es nicht minder, denn diesmal waren
die Umstände höchst kritisch. Wer konnte mir einen Rat
geben ? Niemand ; es war nicht möglich, sich zu verstän-
digen. Ich fragte meine Leute, ob sie sich mir anvertrauen
wollten und ob jeder bereit sei, meine Befehle auszu-
führen. Dann Heß ich uns den Wind in den Rücken
kommen ; wir waren schon sehr schlaff. Die Fregatte
hatte ihre Halsen am Backbord, und wir segelten stracks
auf sie zu; aber ungefähr in Kanonenschußweite stellte
462
Digitized by Google
ich die Ruderpinne auf Steuerbord; die Barke fuhr gegen
den Wind, und wir lavierten eine Strecke Backbordhalsen.
Wenige Augenblicke später zog die Fregatte neue Segel
auf und machte einige Manöver, wahrscheinlich in der
Absicht, uns zu erreichen. Das war es, was ich wissen
wollte. Sofort ließ ich die Segel einziehen und die Masten
ausnehmen, um weniger leicht gesehen zu werden. Ich
befahl nun, kräftig zu rudern und unser Schiff flog mit
Windeseile dahin. Das Gefühl unserer Verfolgung durch
die Fregatte und der Gedanke an Cabrera gaben uns
Kraft. Wir waren fest entschlossen, lieber unterzugehen
als dahin zurückzukehren. Doch die Gefahr war groß:
die Fregatte war ein guter Segler, und ganz gegen unsern
Wunsch ging die Sonne spat unter. Wir rechneten mit
der Dunkelheit. Endlich kam sie, jene Nacht, die wir so
heiß ersehnten. Man verlor uns aus den Augen, und wir
setzten unsern Weg fort.
Am 20. Juli mit Tagesanbruch sahen wir Land,
worüber große Freude herrschte. Gegen Mittag behaup-
tete der Feldwebel Alleigne die Gegend von Tarragona
wiederzuerkennen, und eine halbe Meile von der Küste
entfernt, ließ ich uns den Wind in den Rücken kommen.
Wir hatten vor unserer Abfahrt aus Cabrera wohl
sagen hören, daß Tarragona in den Händen der Fran-
zosen sei, doch war es wichtig, es genau zu wissen. Mit
Hilfe eines weißen Taschentuches, einer schwarzen Kra-
vatte und eines Stückes von einem rotwollenen Hemd
hatten wir bald eine nationale Fahne zusammengestellt,
die wir, als wir uns der Küste näherten, an einer unserer
Rahen aufhißten. Fast im selben Augenblick fuhr aus
dem Hafen ein kleines Fahrzeug mit einer großen franzö-
sischen Fahne heraus. Unsere Freude war unbeschreib-
lich. „Man hat uns erkannt," riefen wir, „endlich werden
wir unsere Landsleute wiedersehen!"
Das Fahrzeug nähert sich — es sind spanische Sol-
daten, die uns zurufen: „Wer seid ihr? Woher kommt
ihr?" Und wir sehen sie auf uns zielen. Wir waren wie
463
Digitized by Google
versteinert vor Bestürzung. Es war kein Zweifel mehr,
wir hatten uns in die Lowengrube begeben. „Mut!" sage
ich zu meinen Kameraden, „wir müssen siegen oder
sterben!" Alle schworen, ihr Leben teuer zu verkaufen.
Wir bemächtigten uns eilig aller Gegenstände, die als
Waffe dienen konnten, und schlössen die Luke über unse-
ren Gefangenen. — „Alle Mann auf den Bauch!" kom-
mandierte ich, „und rührt euch nicht früher, als bis ich
euch das Zeichen dazu gebe. Und nun vorwärts, in zehn
Minuten sind sie unser." — Unsere Not war groß, aber
wir waren entschlossen. Als einziger, der aufrecht stand,
steuerte ich mit der größten Vorsicht und schickte mich
an, den Feind zu übersegeln. Aber schon zwei Minuten
später rief ich: „Kinder, steht auf! . . . Wir sind ge-
rettet!" Die Spanier hatten ihre feindliche Haltung be-
wahrt, aber auf ihren roten Mützen bemerkte ich die drei-
farbige Kokarde. Vollkommen beruhigt rief ich nun dem
zu, der mich mehrmals angerufen hatte: „Wir sind Fran-
zosen!" — „Franzosen?" wiederholte er. — „Ja . . .
französische Gefangene, die von der Insel Cabrera ent-
kommen sind." Als ich diese Worte sprach, befanden
wir uns Bord an Bord. Bald erkannten wir uns, und die
Unsrigen brachen in ein wahnsinniges Freudengeschrei
aus, während die andern uns Beifall zollten.
Man reichte sich von einem Bord zum andern die
Hände, und der Kapitän ließ mir eine blecherne Feld-
flasche mit Branntwein reichen, die ich reihum gehen ließ.
Nach dieser Aufmerksamkeit kehrte das Boot in den Hafen
zurück, um von seiner Sendung Bericht zu erstatten. Wir
folgten ihm und hielten unsern Einzug in den Hafen
unter dem tausendstimmigen Ruf: „Vive l'empereur!"
Beim Betreten des Hafendammes wurden wir von dem
Platzkommandanten, den Generalstabsoffizieren und einer
Menge Unteroffiziere und Soldaten empfangen, die uns
um den Hals fielen und tausend Fragen an uns richteten.
Alle wollten sie uns mit sich nehmen. Aber es gab noch
Formalitäten zu erfüllen.
464
Digitized by Google
Im Zollbureau wurde sofort auf Befehl des Komman-
danten ein Protokoll aufgenommen. Dann ließ er uns
mehrere Körbe mit Brot und Fleisch bringen, denn unsere
abgemagerten Körper legten genügend Zeugnis ab für
das Elend, das wir ausgestanden hatten. Doch anstatt
mit Heißhunger zu essen, wie man es erwartete, erzählten
wir zuerst alle auf einmal und in fürchterlichster Zusam-
men hangslos igkeit von der schlechten Behandlung, die uns
die Spanier hatten zuteil werden lassen. Die Freude
raubte uns den Appetit; nur einen unerträglichen Durst
hatten wir, den der Wein nicht zu stillen vermochte; man
beeilte sich daher, uns Limonade zu geben.
Zu dieser Zeit waren noch nicht 20 Tage vergangen,
daß Tarragona nach einer zweimonatlichen Belagerung
im Sturm genommen worden war, und die Stadt war noch
ein blutiger Trümmerhaufen. Der schreckliche Anblick,
den sie darbot, gab uns Gelegenheit zu traurigen Betrach-
tungen. Fast kein einziger Einwohner war mehr darin.
Da der Kommandant es uns frei gestellt hatte, wo wir
wohnen wollten, wählten wir ein Haus am Strande, um
besser über unser Boot wachen zu können.
Am nächsten Morgen begaben wir uns nach der Zoll-
niederlage, um unsere Gefangenen aufzusuchen, die man
dort eingesperrt hatte. Wir trafen sie in der größten
Niedergeschlagenheit und in Tränen schwimmend. Die
Unglücklichen! Fast alle Familienväter, schluchzten sie,
als sie von ihren Frauen und Kindern sprachen, und sie
taten uns leid. Wir liefen sofort zum Gouverneur, um
Fürsprache für sie einzulegen. Er erhörte unsere Bitte
und gab uns sein Wort, daß er sie nach Mataro bringen
lassen werde, einem zwischen Barcelona und Tarragona
gelegenen Flecken. Von da würden sie sich leicht nach'
ihrer Heimat einschiffen können. Der General hielt Wort:
die Fischer wurden ihren Familien wiedergegeben. Was
das Boot anlangt, so wurde es zu unserm Vorteil für die
Summe von 1900 Francs verkauft.
30 BwM7: Spin. FttthtHiVunp!.
465
Digitized by Google
6.
Belagerung von Gerona
von
Don Juan Andres Nieto Samaniego
Digitized Google
Vorwort.
Unter den heldenmütigen Verteidigungen der spa-
nischen Festungen während des Freiheitskrieges verdient
besonders Gerona genannt zu werden, das sich im Jahre
1809 mit einem Häuflein tapferer, für die Sache der Frei-
heit Begeisterter vier Monate lang gegen die zahlreichen
französischen Belagerer verteidigte. Die Anstrengungen,
Entbehrungen und Mühseligkeiten der Belagerten, deren
Festung zwar mit regelmäßigen Werken umgeben, indes
nur ungenügend mit Lebensmitteln versehen war, trotzten
lange den furchtbaren Bemühungen der Franzosen, denen
alle Mittel einer bedeutenden Kriegskunst zu Qebote
standen. Selbst die Frauen dieser fanatischen Bevölkerung
stellten sich in den Dienst des Krieges und waren den
Verteidigern unter dem Titel der „Gesellschaft der heiligen
Barbara" nützlich. Erst als Hungersnot und Krankheiten
(besonders der verheerende Typhus) einen großen Teil
der Einwohner dahingerafft hatten, ergab sich die Festung
unter den ehrendsten Bedingungen. Allerdings kamen den
Verteidigern die Verzögerung und die Schwierigkeiten
des Transports, unter denen die Belagerungsheere derFran-
zosen litten, zu statten, indem sie sich dadurch genügend
zu der Belagerung vorbereiten konnten. Dennoch ge-
bührt dieser Episode des spanischen Befreiungskrieges
ein ehrender Platz in der Geschichte, und ich glaube
keinen Fehlgriff getan zu haben, das Tagebuch des Don
Juan Andres Nieto Samaniego in gekürzter Form hier
469
Digitized by Google
wiederzugeben, um so mehr, da die Auswahl unter spa-
nisch geschriebenen Werken über diese Zeit nicht grofl
ist. Es ist mit dem ganzen Bombast spanischer Rhetorik
geschrieben, der allerdings im Deutschen zugunsten des
bessern Stils teilweise wegfallen mußte. Der Verfasser
war Oberarzt während der Belagerung, und seine
Schilderung geht, besonders was den Gesundheitszustand
der Kranken betrifft, sehr ins einzelne. Dies tritt natür-
lich in unserm Auszug nicht in die Erscheinung, da nur
die Beschreibung der Belagerung selbst, sozusagen der
Kern des ganzen Werkdiens heniusgesthrilt ist Nittu
Samaniego veröffentlichte dasselbe im Jahre 1813 in
Tarragona unter dem Titel „Memorial histfjrico de los
sucesos mäs notables de armas, y estado de la salud
püblica durante el Ultimo sitio de Oerona."
F. M. K.
470
Digitized by Google
Am 6. Mai zeigten sieh die ersten Vortruppen der
Belagerer auf den Höhen von Casaroca und Costaroza
auf dem linken Ufer des Ter in der Nähe der Stadt.
Früher schon hatte der Feind den Platz zu überrumpeln
gesucht, jetzt schritt er zur förmlichen Belagerung, und
es wurden dazu in Bascara sowie an andern Orten un-
geheure Anstalten getroffen. Nachdem Rosas genommen
und die catalonische Armee bei Valls geschlagen worden
war, litt es keinen Zweifel, daß der Feind sich nähern
und zur Belagerung schreiten würde. Wirklich nahm man
auch in den folgenden Tagen Schanzarbeiten auf den
höchsten Punkten um Casaroca herum wahr. Sobald der
Feind in die Umwallungslinie der Stadt einrückte, nahm
er vermöge seiner großen militärischen Einsicht die zweck-
mäßigsten Stellungen ohne Widerstand, wählte Lager-
plätze, arbeitete an Brustwehren und Wegen und legte
den Grund zu der Mörserbatterie auf Casaroca, der unser
Feuer, wenn es auch noch so gut gerichtet und unter-
halten war, keinen erheblichen Schaden zuzufügen ver-
mochte. Der Feind beschleunigte die gegen die Außen-
posten von Monjuich gerichteten Werke und fing an,
sein furchtbares Geschütz vor unsern Augen aufzufahren
und auf die gewählten Stellen zu bringen.
Nun wurden die Gemüter unruhig, und man dachte
schon im voraus an das mannigfache Elend, das eine
Belagerung mit sich zu führen pflegt. Dennoch war die
Geistesgegenwart so groß, daß nicht nur in diesem Augen-
blick, sondern auch in der ganzen langwierigen Belagerung
471
Digitized by
nicht das geringste Merkmal von Furcht vor den Ver-
wüstungen wahrzunehmen war, die nach den im Umkreis
der Stadt gemachten schrecklichen Zurüstungen zu er-
warten waren und auch wirklich erfolgten.
Je nachdem der Feind seine Arbeiten fortsetzte,
wurden auch in der Festung die Maßregeln zum Wider-
stande und zur Verteidigung getroffen, so gut als es
ebt-.n dii; liesdirüiiktai I lilismittel gestatteten. Man
besserte die von der letzten Helagerung1) her noch vor-
handenen Werke aus, verfertigte Roßmühlen von schlechter
Bauart und demnach wenig Nutzen, wählte in den zur
Domkirche gehörigen Gebäuden einige Gemächer zur
Betreibung der Geschäfte des Gouvernements aus usw.
Hlt Alilitiiniusschuß sdilug die Aufreißung des
Straßenpflasters vor, aber der Regie rungsausschuß wider-
setzte sich dem. Letzterer trug mir auf, meine Berufs-
genossen zu versammeln und mit ihnen zu beraten, ob
das Aufreißen des Pflasters der Gesundheit nachteilig
wäre oder nicht. Ich erbat mir hierzu die Erlaubnis des
Generalkommandanten, und die Beratschlagung fiel dahin
aus, daß nur die zur allgemeinen Verbindung und für
den Militärdienst erforderlichen öffentlichen Plätze und
Gassen zu entpflastern wären. Hierauf wurden einige
Straßen entpflastert, und es war nicht mehr die Rede
Die Militär- und Zivilgewalt ward von folgenden Be-
hörden ausgeübt:
1. Don Marino Alvarez, damals Generalmajor der
königlichen Armee, Generalkommandeur der Avantgarde
der catalonischeri Armee, Interimsgouverneur der Festung
Gerona, mit seinem Generalstabe, einem Militärausschuß,
einem Beisitzer und 3400 Mann Besatzung.
2. Dem vereinigten Regier ungsausschuß von Gerona
und Figueras.
i) Am 20-21. Juni und 22. Juli bis 16. August 1808 machte
der üencral Duhcsme zwei Angriffe auf Gerona, die beide von
den Spaniern zurückgeworfen wurden.
472
Digitized by Google
3. Einer Abteilung der königlichen Finanzen mit
ihrem Zahlamte.
4. Einem Polizeiausschuß.
5. Einem Ökonomie aus schliß.
6. Für die Gesundheitspflege von mir als Chef und
mehreren Ärzten und Wundärzten.
Als dem üeneralkommandantcn die Stimmung der
Einwohner bekannt geworden war, erließ er mit der bei
dem spanischen Militär üblichen Feierlichkeit folgenden
Befehl, der allgemeine Aufmerksamkeit enegte: „Unver-
zügliche Todesstrafe einem jeden, ohne Unter-
schied der Person oder des Standes, der von
Kapitulation oder Übergabe spricht!"
Dieses Dekret ward von der Besatzung und der
Bürgerschaft mit Enthusiasmus aufgenommen, weil es
gerade zur rechten Zeit erschien; es verschloß denen den
Mund, welchen ihr Eigennutz und ihre Ruhe mehr galt
als der Verlust einer solchen Stadt, es führte alle Ideen
auf eben und denselben Zweck hinaus und war die Ein-
leitung zu der folgenden beispiellosen Verteidigung.
Als die verschiedenen Arbeiten des Feindes vollendet
und viele Batterien zum Feuer in Bereitschaft waren,
erschien am 12. Juni nachmittags der erste Parlamentär
und forderte die Festung zur Übergabe auf. Aber der
Qouverneur, der sie verteidigte, bedeutete ihm, sich zu
entfernen und seinem General zu sagen, er könnte sich
künftig die Mühe ersparen, Parlamentäre zu schicken;
denn da er nichts mit ihm gemein haben wollte, würde
er sie nicht anders als mit Kartatschen empfangen. Dies
ward auch bei den vielen Gelegenheiten, wo der Feind
zu parlamenti eren verlangte, immer ausgeführt.
In der Nacht vom 13. zum 14. zwischen 1 und 2 Uhr
fing der Feind an, die Stadt aus II Mörsern zu bombar-
dieren, deren Feuer ohne Unterlaß Häuser zerstörte und
in Brand setzte und Menschen und Tiere zerschmetterte.
In diesem Augenblick ertönte der schreckliche General-
marsch, den man nachher bei dieser Belagerung noch
473
Digitized by Qpogle
so oft hörte, zum ersten Male. Alt und jung, vom
Schiecken der Verwüstung überrascht, eilte, sich einen
Zufluchtsort zu suchen, wo sie sich wenigstens für den
ersten Augenblick über die große Gefahr hinwegtäuschen
konnten. Währenddessen liefen die rüstigen, in der Oero-
nesischen Brüderschaft vereinigten Bürger und die Frauen
und Mädchen von der Gesellschaft der heiligen Barbara
sowie die Besatzung zu den ihnen angewiesenen Posten.
In dieser Nacht Ward auch das chirurgische Hospital in
der Kirche des heiligen Pedro von Oalicien eröffnet
Der Morgen des 17. Juni zeichnete sich durch die
seltene Tapferkeit und den großen Mut aus, womit ein
Teil unserer Besatzung gegen den Feind durch die Vor-
stadt Pedret ausfiel, ohne das Gewehrfeuer des viermal
stärkeren Feindes in der Front sowie des Feuers der
Kanonen, Bomben und Granaten aus den Batterien von
Casaroca in der linken Flanke zu achten.
Der Zweck dieses gewagten Ausfalls war die Zer-
störung eines großen Werkes, das der Feind zum Schutz
der Mühlen der Vorstadt Pedret errichtet hatte, die er
gleich anfangs nahm, und das, wie man glaubte, zur
Basis einer Batterie gegen das französische Tor dienen
sollte. Dieser Zweck ward erreicht, obwohl wir dabei
einige unserer Tapferen durch Tod oder Gefangenschaft
verloren, da sie sich unerschrocken auf den Feind warfen.
Die Zahl der Verwundeten belief sich auf 110.
Einige Bomben äscherten das Militärhospital ein,
wobei wir viele Gerätschaften verloren; ein Verlust, der
desto wichtiger war, je mehr die Schwierigkeit, sie zu
ersetzen, zunahm.
Im Juli ward das Kastell Monjuich, worauf der Feind
seine Absichten besonders richtete, mit allen in der Be-
lagerungskunst bekannten Mitteln nachdrücklich ange-
griffen. Kanonenkugeln, Bomben, Oranaten, Kartätschen,
Steinkörbe, Kleingewehrfeucr, Einschließung und An-
näherung der Parallelen von seilen der Belagerer, Breschen
und Werke zu ihrer Verteidigung, Beunruhigungen,
474
Digitized by Google
Stürme, nächtliche Angriffe, erschwerte Verbindung mit
der Festung, üble Beschaffenheit des Trinkwassers und
Krankheiten, alles vereinigt« sich allmählich im Laufe des
Monats, den Aufenthalt im Kastell unerträglich zu machen,
und verschaffte den tapferen Leuten die Gelegenheit, sich
mit unsterblichem Ruhme zu bedecken; die zur rechten
Zeil unternommene weise und kluge Räumung setzte ihren
Taten die Krone auf.
Da die drei Posten, die nebst ebenso vielen Redouten
und zahlreichen Türmen die Außenwerke des Forts aus-
machten, zertrümmert waren und notwendigerweise ver-
lassen werden mußten, so legte eine Batterie von zwanzig
Vierundzw anzigpf ündern die Hälfte der nördlichen Kur-
tine in Bresche. Andere Kanonen beschossen die Süd-
seite von dem zwischen den Türmen San Danielo und
San Narciß befindlichen Räume aus, die Mörser und Hau-
bitzen von der Seite von Casaroca, und so befand sich
dieses kleine, nicht geschlossene Fort zwischen drei
schrecklichen Feuern, die es auf drei Seiten beschossen.
Da die Besatzung von so vielem Feuer ermattet und
die Bresche für 40 Mann in der Front gangbar war, so
schwieg das Fort, teils, weil sein Feuer ganz schwach
war, andemteils, um nicht Munition und Arbeit in einem
Flintenfeuer zu verschwenden, das gegen Feinde unnütz
war, die sich hinter ihren Brustwehren vollkommen decken
konnten. Der Feind zog wahrscheinlich aus diesem heil-
samen, wohlüberlegten Schweigen und aus der geräumigen
Bresche günstige Schlüsse für seine Unternehmungen und
beschloß, die Bresche in der Nacht vom 4. zum 5. zu
stürmen und den Angriff auf andern Punkten mit Sturm-
leitern zu unterstützen.
In erwähnter Nacht drangen starke Kolonnen von
Franzosen vor. Die Veliten1) stritten um den Vortritt
!) Veliten waren junge, noch nicht das militärpflichtige Alter
habende Soldaten im Heere Napoleons, die sich freiwillig zum
Kriegsdienste gemeldet hatten. Die ersten beiden solcher Korps,
475
Digitized by Google
im Angriff der Bresche. Aber kaum hatten sie sich auf
Flintenschußwcilc genähert, so verbreitete ein Hagel von
Kugeln aus unsern kleinen Gewehren, verbunden mit
einer Menge Bomben und Granaten, die die Festung
ohne Unterlaß entsandte, Verwirrung und Schrecken unter
ihnen. Dennoch drangen die Kühnsten bis in den Graben,
der ihnen zum Grabe bestimmt war, doch alle erfuhren
zu ihrem Schaden, daß das Schweigen des Forts nur vor-
übergehend gewesen war. Der Feind ward völlig zurück-
geschlagen und ließ im Graben und auf den Wällen viele
Tote und einige Leitern zurück.
Dieses Gefecht warfürunsere Waffen durchaus rühm-
lich, da es gegenüber den großen Vorteilen, die es mit
sich brachte, uns nur 2 oder 3 Tote und 28 Verwundete
kostete.
Natürlich bemühte sich der zurückgeworfene Feind,
sich zu rächen und seine Unternehmungen zu be-
schleunigen, und da es unmöglich war, sein Feuer noch
mehr als in den vorhergehenden Tagen zu beleben, weil
die Geschwindigkeit, womit er durch ununterbrochenes
Schießen von der großen Batterie aus das Fort verwüstete
und die Schutzwehren zerstörte, nicht in Betracht kam,
mußte er sich mit dem verderblichen Geschützkriege be-
gnügen und das Feuer bis in die Nacht vom 7. und 8.
fortsetzen.
In dieser Zeit gelang es ihm mit seinen mächtigen
Hilfsmitteln, die tapfere Besatzung zu schwächen und die
ürcsche so beträchtlich zu erweitern und gangbar zu
machen, daß man hinaufreiten und mit mehr als 50 Mann
in der Front eindringen konnte. Der auf dem Glacis
verschanzte Feind zweifelte nun nicht mehr am glück-
lichen Erfolge und glaubte vor allem nach zwei wichtigen
von denen ein jedes aus 800 Mann Fußvolk bestand, wurden im
Jahre 1803 gegründet und 130! kam noch ein Reiterkorps dazu.
Nach dein Sturze des Kaisers wurden diese Regimenter wieder
aufgelöst.
476
Digitized by Google
Dingen streben zu müssen: nach der Einnahme des Forts,
die ihm ausgemacht schien, und dann nach der Wieder-
herstellung seines Ruhmes.
Zu diesem Behufe bestimmte der Oeneral der Be-
lagerer') in der Nacht vom 7. zum 8. mehr als 9000
seiner tapfersten Krieger, die die Bresche angreifen und
andere Punkte des Kastells bedrohen sollten, das von
kaum 900 Mann verteidigt wurde.
In der Morgendämmerung nahm die schreckliche
Arbeit ihren Anfang und kündigte sich durch ein Bataillon-
feuer an, dessen Wirkung fühlbar ward, noch ehe man
den furchtbaren Angriff vermutete.
Unser Kleingewehrfeuer antwortete mit der Würde,
Festigkeit und Sicherheit, die man von dem Helden, der
die Verteidigung leitete sowohl als von dem unbedingten
Gehorsam, der Tapferkeit und Rechtlichkeit der besten
Soldaten erwarten konnte.
Als der Tag schon weit vorgerückt war, um Vi3Uhr,
hatte der mächtige krieggewohnle Belagerer dreimal an-
gegriffen und dreimal war er glorreich zurückgeschlagen
worden. Bei jedem Angriff ließ er unzählige Tote zurück
— Zeugen seiner Tapferkeit, Geistesgegenwart und Kriegs-
zucht; denn ungeachtet der Dunkelheit der Nacht blieb
doch alles beisammen. Unser Ruhm wäre an diesem
Tage des Triumphes vollkommen gewesen, hätte nicht
ein unglücklicher Zufall, dessen Ursache unbekannt ge-
blieben ist, unsere Freude gestört.
Der Zufall wollte, daß bei den letzten Anstrengungen
des Feindes, als er vollkommen zurückgeworfen war, im
Turme San Juan Feuer ausbrach und das dort liegende
Pulver ergriff. Dieser Turm befindet sich zwischen der
westlichen Kurtine des Forts, der Stadt und der Vorstadt
Pedret. Die Explosion hatte nicht nur den Verlust der
') General Jean Antonie Verdier war von Oouvion Saint-Cyr
(siehe 7. Anmerkung-) beauftragt, mit einem Teile seines Heeres
Ocrona zu belagern.
477
Digitized by Gqpgle
sämtlichen Wachmannschaft, sondern auch des wichtigen
Gebäudes und Militärpostens zur Folge.
Der Verlust des Feindes bei diesem Angriff ward
auf 1601) Mann berechnet, mit Einschluß von gefangenen
Veliten, die schwer verwundet im Graben gefunden
wurden und im Hospital starben. Der unsrige betrug
114 Mann an Verwundeten.
Da der Feind durch wiederholte und mit großem
Verlust verbundene Erfahrung belehrt war, daß er mit
seinen zahlreichen Heerhaufen nicht einmal durch die
gangbarste und geräumigste Bresche eindringen konnte,
weil die Tapferen von Monjuich sie bewachten, so sah
er sich genötigt, sich auf den Gebrauch des Geschützes
zu beschränken, um ohne Gefahr das kleine Fort in einen
Steinhaufen zu verwandeln.
Schließlich errichtete er neue Batterien und gab der
großen, welche die Bresche geschlagen hatte, eine andere
Richtung. Er nahm nun den Teil der nördlichen Kurtine,
welche an das Außenwerk stößt, und diese selbst zum
Zielpunkt seiner Schüsse. Und während er das Fort mit
seinem schrecklichen Feuer zu zerstören fortfuhr, umgab
er es mit zahllosen wohl verschanzten Schützen, die den
unsrigen mit anhaltendem Gewehrfeuer so zusetzten, daß
sie uns an manchen Tagen bis zu neun Schild wachen
auf demselben Punkte töteten.
Die Stadt litt gleichzeitig unter der Zerstörung der
Bomben, obwohl sie in geringerer Anzahl fielen, weil
einige Mörser und Haubitzen der Batterien von Casaroca
auf Monjuich gerichtet waren, dessen Umfang seiner Be-
satzung nicht so viel Raum, als die Umstände erforderten,
noch einen vor den Verheerungen des Geschützes ge-
sicherten Ort darbot. Diese erschwerenden Umstände und
die verderbliche Verachtung der Oefahr seitens unserer
Soldaten verursachten viel Unheil.
In diesem Monat begannen auch die endemischen
Fieber, die gewöhnlich in Oerona herrschen, sich zu
zeigen, wodurch die Spitäler einen beträchtlichen Zu-
478
Digitized by Google
wachs erhielten. Die unterste Volksklasse und die Flücht-
linge, die sich nach Qerona gerettet hatten, wurden von
diesen Fiebern am meisten befallen.
Es gelang jetzt dem Feinde, wiewohl nicht ohne
große Anstrengung, seine Parallelen bis an den Rand
des Grabens über der Chaussee vorzurücken, und er be-
mühte sich, große Werke mit Faschinen, Schanzkorben,
Erdsäcken usw. anzulegen. Der Mangel an Erde im Um-
kreis des Forts verdoppelte zu unserm Glück seine An-
strengungen und erschwerte die Arbeiten, die ihm zum
Angriff und zur Verteidigung unentbehrlich waren. Aber
seine in der Entfernung eines Pistolenschusses völlig ge-
deckten Schützen beunruhigten die unsrigen unaufhörlich
mit einem heftigen Gewehrfeuer, das der Besatzung sehr
lästig war und großen Schaden anrichtete. Besonders
war es unmöglich, sich in den zerstörten Verschanzungen
blicken zu lassen, ohne sich einer Menge Schüsse von
denen auszusetzen, die beständig auf der Lauer lagen.
Da sich zu diesem Feuer noch Kanonenkugeln, Bomben
und Granaten gesellten, so war das Außen werk von dem
Ende des Monats an bis zur Räumung des Forts wie
ein Ort des Untergangs für alle, die es besetzten. Dessen
ungeachtet stritten sich die braven Verteidiger von Ge-
rona um diesen Posten wie um alle anderen, wo es
Gefahr gab.
Die Feinde griffen diesen Teil des Forts zu ver-
schiedenen Malen an und jedesmal des Nachts, vermut-
lich um zu versuchen, ob die Besatzung sorglos oder
wenigstens nicht aufmerksam genug wäre ; stets aber war
es vergebens, ausgenommen das letztemal.
Zu dieser Zeit hörten unsere Schnarrposten') im
Graben arbeiten, und da sie sich durch wiederholte Beob-
achtungen davon überzeugt hatten, besorgte man, daß
') Sicherheitsposten der Ksvallcrieteldwachen, welchen die
unmittelbare Sicherheit der Vorposten übertragen ist, auch „Posten
vor dem Oewehr" genannt.
475
Digitized by Google
der Feind das Fort unf erminiere. Viele erwarteten von
dieser Arbeit großes Unglück, obwohl verständige Mili-
tärs nicht zugaben, daß es so bedeutend sein werde —
wenn auch die Mine, wie einige glaubten, gegen das
Tor hin sich befände — , weil der Grund des Forts natür-
licher Felsen sei und man sonst keine Arbeit am Fuße
der Mauer wahrnahm. Und in der Tat, das Werk flog
auf und tat meines Wissens nicht den geringsten Schaden,
weil es bloß aus Erde bestand. Nun war das Tor für
den Feind entblößt, und er fing eine erhöhte Batterie
an, in der Absicht, es zusammenzuschießen. Da indes
dadurch die Verbindung zwischen dem Fort und dem
Außenwerk sehr erschwert ward, erregte der Beginn
seiner Zerstörung große Besorgnis, und es ward des-
wegen für den 8. August ein Ausfall beschlossen, um
die Kanonen der Batterie zu vernageln.
Nachdem sich an diesem Tage die zu einem ebenso
gewagten als ihrer Tapferkeit würdigen Unternehmen be-
stimmten Männer versammelt hatten, einige mit Nägeln
und Hämmern, andere mit Äxten, noch andere mit brenn-
baren Stoffen bewaffnet, warfen sie sich am hellen Tage
in guter Ordnung blitzschnell auf die feindlichen Brust-
wehren und Batterien. Trotz des ziemlich heftigen Oe-
schütz- und Gewehrfeuers, das der Feind vergebens dem
unwiderstehlichen Angriff entgegensetzte, durchbrachen
sie die Brustwehren und erstiegen gleichzeitig die
Batterien. Während einige Blut und Leben dem Vaterlande
opfern und den mächtigen Anstrengungen Widerstand
leisten, die den Angegriffenen von andern benachbarten
Punkten zu Hilfe eilen, werfen andere mehrere Kanonen
um, zerbrechen die Speichen der Lafetten, suchen sie
zu verbrennen und ziehen sich, nachdem sie so den kühnen
Plan größtenteils ausgeführt haben, zurück.
Einer der ersten, welche die Batterien erstiegen, war
der ehrwürdige und brave Qehilfe des Paters Kapellan von
der 1. Legion von Gerona. Er war so unglücklich, einen
Schuß durch die Lende zu bekommen, der ihm das Hüft-
ASO
Digitized by Google
bein zerschmetterte, woran er nach einigen Monaten starb.
Er fiel einem feindlichen Kapitän in die Arme; die feind-
lichen Soldaten wollten ihn ermorden, aber der Kapitän
schützte ihn nicht ohne eigene Gefahr in der Hitze des
Gefechts. Mehrere der Unsrigen kamen hinzu und töteten
den Offizier gerade in dem Augenblick, da er, un-
bekümmert um seine Person, einen seiner Feinde und
unserer Brüder zu retten bemüht war.
Dieses heldenmütige und gefährliche Unternehmen
hätte uns nicht zwei Drittel der wirklich Verwundeten
gekostet, wenn nicht ein Sergeant, dem viele, von miß-
verstandenem Eifer getriebene Soldaten folgten, aus
eigenem Antriebe sich entschlossen hatte, den Feind auf
dem kleinen Fort San Danielo anzugreifen. Dies war
ein unverteidigter Posten, in dessen Besitz die Franzosen
durch Überrumpelung gekommen waren. Die Unsrigen
wurden bei ihrer Annäherung mit unzähligen Kugeln von
den Brustwehren und Dächern empfangen und zurück-
geworfen. Aber wegen seines Diensteifers und der guten
Absicht wurde dem Sergeanten sein Fehler verziehen.
Wir hatten bei dem Ausfall 48 Verwundete. Sein
ganzer Gewinn bestand darin, daß die Fortschritte des
Feindes um einige Stunden aufgehalten wurden. Denn
es erforderte nur wenig Zeit, die vernagelten Geschütze
gegen andere auszutauschen und an Stelle einiger un-
brauchbar gemachter Lafetten neue anzubringen. Der
Feind hatte einige Schritte von dem Fort entfernt Vor-
räte von Kanonen und anderen Artillericbcdürfnissen, un-
gerechnet den Park auf der großen Batterie, die schon
das Fort zerstört hatte und die folglich ihr Feuer gegen
das Außenwerk und dessen Tor fortsetzte.
Zu gleicher Zeit legte der Feind einen bedeckten
Weg an, der von dem Durchschnitt seiner Brustwehren
bis an die Bresche des Außenwerkes führte. Als die
Arbeit vollendet war und während ein Hagel von Ge-
schützen allerart die Besatzung bedrängte und verminderte,
die Stadt ängstigte und die Aufmerksamkeit teilte, schlug
31 BwM7: Span, h'rti]] titstampf. 4SI
Digitized by Google
eine Kolonne kühner Männer unter Begünstigung der
Finsternis jenen Weg ein und drang in das Außenwerk.
Ihre Gegenwart machte sich sehr fühlbar; von den
zusammengeschmolzenen Verteidigern des zerstörten
Postens, deren Anzahl sich etwa auf 40 belief, kam ein
Teil mit seinem Anführer um, obwohl sie ihr Leben teuer
verkauften, der andere ward bis auf einen Soldaten ge-
fangen genommen.
Nachdem die Feinde diesen Vorteil erlangt hatten,
konnten sie sich die peinliche Lage, in der sie sich be-
fanden, nicht verbergen, weil sie unserm Gewehrfeuer
aus nächster Nähe bloßgestellt waren, das durch das un-
geheure feindliche Feuer nicht zum Schweigen gebracht
werden konnte. Der Feind fand es daher geraten oder
war gezwungen, sich in seine alte Stellung zurückzuziehen,
und nun blieb das Aufienwerk verlassen, weil es der
Feind nicht behaupten konnte, dies vielleicht auch nicht
in seiner Absicht lag. Auch war es bei der endlichen
Entscheidung unnütz und dem Fort sogar nachteilig.
Das feindliche Feuer nahm seinen Fortgang. Aber
die heldenmütigen Verteidiger, die schon auf bloßes
Flintenfeuer und Kasematten beschränkt waren und dabei
keine Gelegenheit versäumten dem Feind mit Steinwürfen
Abbruch zu tun, schienen jetzt nur noch leidende Werk-
zeuge des Kriegs zu sein, denn es war ihnen unmöglich,
den Kampf mit Waffen auszuhalten, die nach Beschaffen-
heit und Anzahl so außerordentlich ungleich waren; folg-
lich wurden sie in ihrer Ungeduld von kriegerischem
Feuer und Diensteifer verzehrt. Deswegen wünschten in
den letzten Tagen der Behauptung des Forts viele einen
Ausfall zu machen, um ihren Mut an den feindlichen
Posten zu kühlen, und sie würden einen glorreichen, ob-
wohl nutzlosen Tod auf dem Kampfplatze gefunden haben,
wenn man sie nicht zurückgehalten hätte. Dennoch hielt
man einige Nachgiebigkeit gegen die Tapfern für ratsam,
und es wurden einer geringen Anzahl von ihnen zwei
kühne Unternehmungen gestaftet, nämlich von dem Oraben
482
Digitized by Google
aus die feindlichen Faschinen werke anzustecken, was sie
beide Maie zur allgemeinen Bewunderung ohne Unfall
bewerkstelligten.
Schon rissen im Fort und in der Stadt die Sommer-
fieber stark ein, auch machten sich die unter dem Namen
Lagerfieber (typhus castrensis) bekannten bemerkbar. Das
Wasser der einzigen Zisterne zum Gebrauch der Besatzung
hatte beträchtlich abgenommen und war unrein, stinkend
und unerträglich, so daß es die Krankheiten vermehrte.
Diese und die täglich hinzukommenden Verwundeten,
die abgelöst werden mußten, verminderten die Vertei-
diger und vermehrten die Arbeit derer, die im Dienst
blieben.
Da endlich alle Vertcidigungsmittel erschöpft, ein
großer Teil des Forts in einen Schutthaufen verwandelt,
alles Feuer erloschen und Mangel an Wasser vorhanden
war, da der wichtigste Teil der Effekten in Sicherheit
gebracht, da Krankheiten herrschten und die Unmöglich-
keit, sich zu halten, ohne die immer mehr bedrohte
Stadt zu entblößen, vorhanden war, so rettete sich nach
glorreicher Gegenwehr und nach Abhaltung eines Kriegs-
rats und nachdem Zündschnüre an die Pulvervorräte ge-
legt waren, die unbesiegte Besatzung am II. August um
4 Uhr nachmittags angesichts des Feindes, der das Fort
ringsum eingeschlossen hatte. Der Generalkommandant
wußte von dieser glücklichen, obwohl schmerzlichen Ent-
schließung nicht früher, als his sie ausgeführt war.
Oberstleutnant Miranda von der Artillerie B), der die
Belagerung mit aushielt, sagt in einem Aufsatz in bezug
auf Monjuich folgendest „Das Fort, oder richtig gesagt
der Steinhaufen, war in jämmerlichem Zustande. 60 Tage
lang hielt es das fürchterlichste Feuer, das sich denken
6) Don Jose Miranda focht tapfer für sein Vaterland als
General in der Armee Blake's, hatte aber wenig Glück und wurde
öfters geschlagen. Endlich, 1811, wurde er bei der Kapitulation
von Valencia gefangen genomrnrn und nach Frankreich gebracht,
das er, wie alte spani sehen Gefangenen, erst 1814 verließ.
31- 483
Digitized by Google
läßt, aus. 20 Batterien mit 66 Kanonen, 7 Haubitzen,
20 Mörsern und 1 St ein mors er beschossen es. Man
rechnet 23100 Kanonenkugeln, 3100 Granaten, 26O0
Bomben und unzählige Handgranaten, Kartätschen und
brennbare Stoffe, die hineingeworfen wurden. 37 Tage
war eine Bresche offen, und zuletzt gab es deren vier."
Der Feind, dem man große Einsicht in die theoretische
und praktische Kriegskunst zugeben muß, betrachtete die
Räumung des Forts als entscheidend in Hinsicht auf den
Hauptplatz. Dies beweist nicht nur die Tätigkeit, womit
er seine Bemühungen und Anstalten gegen dasselbe
richtete, sondern auch ein von den unsrigen aufgefangener
Bericht, den General Verdier für den Kriegs minister in
Paris bestimmt hatte, worin die gute Lage des Forts
und sein Mangel an Erde in seiner Nähe erwähnt wird,
dem man die Verspätung der Angriffsarbeiten beimaß.
Dieser General versprach die Einnahme der Festung in
E — 14 Tagen nach der Räumung des Forts. Wir werden
aber in der Folge der Geschichte sehen, daß Tapferkeit
und heldenmütige Entschlossenheit, von spanischem Pa-
triotismus eingegeben, in dieser denkwürdigen Belage-
rung Ausnahmen bewirkten, welche Lehrsätze der Kriegs-
kunst umstießen, die vorher stets als wahr angenommen
und in Ehren gehalten worden waren.
Während der tätige Belagerer seinen Angriffsplan
erweiterte und neue Linien und Batterien gerade gegen
den Platz errichtete, war er genötigt, uns die sehr kurze
Ruhe zu vergönnen, die die unmittelbare Nähe eines
mächtigen, krieggewohnten Feindes den Verteidigern einer
belagerten Festung gestatten kann, wenn wir einige
Bomben und Granaten nicht in Anschlag bringen, die
von Zeit zu Zeit, bald bei Tage, bald des Nachts unsere
Wachsamkeit rege erhielten.
Er errichtete auf einer steilen Felsenklippe eine
Batterie, deren Zweck war, das fast erloschene Feuer
des Bollwerks von San Pedro vollends zum Schweigen
zu bringen ; denn dahin konnte er leicht Geschütz schaffen,
484
Digitized by Google
weil ihn das Terrain begünstigte. Eine andere ward in
dem Graben von Monjuich gegen Westen hin errichtet
Bei der Anlage seiner Batterien zeigte der Feind seine
Wissenschaft in vollem Glänze, denn sie konnten uns
leicht großen Schaden tun, von unserm Feuer aber fast
gar nicht gefährdet werden. Diese Batterien nebst vielen
andern, die nach und nach auf dem Abhänge des Berges
zum Vorschein kamen, bestrichen den weiten Raum
zwischen dem Turme Gironella und dem Bollwerk San
Pedro und konnten der ganzen Verteidigungslinie und
den Werken in der Ebene großes Ungemach zufügen.
Andere in den Umgebungen des Turmes San Daniela
beschossen das Ka Iva ricn fort, das Fort Connetable und
einen von seinen Außenposten.
Da der Feind so nahe gekommen war und eine so
ungeheure Menge schweren Geschützes hatte, mußte das
Hospital von San Pedro aus verschiedenen Oründen in
das Hospiz verlegt werden.
Da kam dem Generalkommandanten der Gedanke,
auf das Gewölbe der Kathedrale eine Batterie von drei
Kanonen zu bringen. Dieser treffliche Anschlag gelang,
obwohl einiger Einwand und Widerstand zu überwinden
war, und bewirkte viele wesentliche Vorteile, sowohl ver-
möge des dem Feinde dadurch zugefügten Schadens, als
auch, weil der Zugang zu den Breschen in der schwachen
Stadtmauer erschwert ward. Zu diesem Zwecke mußte
das Lazarett der verwundeten Offiziere aus der Kathe-
drale in die St. Martinskirche verlegt werden, wo es bis
zum Ende der Belagerung blieb.
Die während der Belagerung zur Beobachtung der
Bewegungen im ganzen feindlichen Lager und zur Ver-
kündung der Angriffe mittels der Sturmglocke auf der
Kathedrale aufgestellte Wache trat um diese Zeit ihren
Dienst mit Erfolg an, empfing dagegen viele Schüsse,
die ihr jedoch weiter keinen Schaden zufügten. Diese
Wache verrichteten die Geistlichen der Kirche, und ein
Domherr befehligte sie; der Nachteil, den sie dem Feind
485
Digitized by Google
brachte, läßt sich am besten nach der Rache beurteilen,
die er an ihr zu nehmen suchte.
Die schwierige und unter solchen Verhältnissen ge-
fährliche Verlegung der Hospitäler gibt Gelegenheit zu
einer flüchtigen Bemerkung. Da es uns an Leuten fehlte
und wir den Bomben und anderem Feuer ausgesetzt
waren, würde dies nicht so geschwind und nicht mit
so gutem Erfolg vollbracht worden sein, wenn nicht die
Mönche, besonders die Kapuziner und die Frauen von
der Gesellschaft der heiligen Barbara, aus freiem Willen
die Kranken auf ihren Armen fortgetragen hätten. Die
Mitglieder der chirurgischen Anstalt trugen mit unermüd-
lichem Eifer das ihrige dazu bei, den Kranken während
des Fortbringens eine gute Lage und die nötige Er-
leichterung zu schaffen. Die Ausdünstungen der Wunden
verpesteten vermögt ihrer Beschaffenheit und ihrer Menge
die Luft, besonders im Hospital San Pedro und in den
untern Zimmern des Hospitals San Martino, weil es hier
an Lüftung fehlte und von künstlichen Mitteln, die Luft
zu reinigen, nur die gewöhnlichsten und unwirksamsten
zu Gebote standen.
Die Sommerfieber fanden sich außerordentlich häufig
bei der Besatzung und den Einwohnern ein und wurden
zu Ende des Monats besonders heftig. Die Zunahme
der Kranken verminderte natürlich die Zahl der Ver-
teidiger, und die wenigen in der Festung befindlichen
waren nur durch 700 Mann verstärkt, die fast ohne
Hindernis durch die feindlichen Linien in die Festung
gelangten. Der Dienst, welchen die durch den mili-
tärischen Geist des damaligen Oberst O'Donnell') an-
gefeuerten, gebildeten und unterrichteten geronesischen
Kompagnien leisteten, trug nach Verhältnis ihrer Zahl
und der Umstände viel zur Erleichterung der Truppen
hei. Da in das Fort Monjuich, das mit Ordnung und
') Jose Enrique O'Donnell, Oraf von AbispaJ, 1769-1834,
spanischer Oenfral, halte den Oberbefehl über Katalonien.
486
Digitized by Google
ohne Nachteil für die Ehre der Besatzung verfassen worden
war, von den nahegelegenen erhöhten Punkten aus, welche
die Stadt auf dieser Seite beherrschen, einige Breschen
gelegt wurden und der Feind unaufhörlich neue Werke
und Batterien anlegte, so mußte man von einem Tag
zum andern die völlige Öffnung der angefangenen
Breschen befürchten, die bti der Schwäche leicht zu be-
wirken war. Andererseits hatte die Festung eine schwache
und sehr abgemattete Besatzung. Die Toten und Ver-
wundeten ungerechnet fanden sich viele Kranke, an deren
Siechtum der Waffendienst, die Jahreszeit, die außerordent-
liche Anstrengung, die Angst, die Entbehrungen und der
Mangel an Nahrungsmitteln schuld waren. Das Volk,
besonders die Armen und Ausländer, waren in ihrer
Krankheit ganz hilflos, weil das allgemeine Krankenhaus
sie nicht fassen konnte. Die Festung wurde seit beinahe
vier Monaten belagert und bombardiert, und es war keine
Hoffnung auf Entsatz vorhanden. Es war kein Zweifel,
daß sie kapitulieren konnte, wie der Feind oft anbot,
nachdem sie einen Widerstand geleistet hatte, dessen sich
keine Festung dritten Ranges, wie Qerona ist, wird rühmen
können. Aber die Besatzung und die tapferen Einwohner
schöpften selbst im Unglück und harter Bedrängnis noch
neuen Mut, stählten ihre Erbitterung, belebten ihre Tapfer-
keit von neuem und schwuren in ihrem Herzen, daß sie
entweder siegen oder sich unter dem Schutt der von
ihnen verteidigten Stadt begraben wollten.
Dieser Entschluß ward zur Zeit des größten Mangels
gefaßt, der sich so weit erstreckte, daß sich in den könig-
lichen Magazinen nichts mehr befand als etwas Mehl
und Weizen. Während man den traurigsten Ausgang einer
so schrecklichen Lage befürchten mußte, kam der 1. Sep-
tember heran, einer der heitersten Tage, den die Vor-
sehung zur Hilfe und zum Trost der geängstigten Stadt
werden ließ.
Dem General Oarcia Conde war der Ruhm, der
Festung zu Hilfe zu kommen, vorbehalten! Dies
487
Digitized by Google
schwierige Unternehmen setzte allen seinen Verdiensten
die Krone auf und erwarb ihm die Dankbarkeit der ganzen
Provinz. Der General führte mit der unter seinen Be-
fehlen stehenden mutigen Division einen maßigen Trans-
port von Lebensmitteln in die Festung. Ein schweres
Unternehmen! Aber der General zeigte sich des Ober-
befehlshabers der Armee und des ihm gewordenen Auf-
trages würdig.
Der Angriff wurde mit großer Klugheit eingeleitet
und kräftig ausgeführt, und die Feinde wichen, wobei
einige Gefangene gemacht wurden. Andere spanische Ab-
teilungen beschäftigten mit ihrem lebhaften Feuer den
Feind auf der andern Seite des Ter, damit er den in Salt
Geschlagenen nicht zu Hilfe käme, obwohl ihn der
schwierige Übergang über den Fluß schon an und für
sich daran hinderte.
Nachdem das Feld gereinigt war, gelangten die von
den tapfern Spaniern geleiteten Maultiere ohne das ge-
ringste Hindernis in die Festung, und zu gleicher Zeit
zogen 3000 Mann Infanterie, voll Verlangen, an Geronas
Ruhm teilzunehmen, in die Festung als Besatzung ein.
Durch die Ankunft dieser Verstärkung ward die Stadt
in ihrer Entschlossenheit befestigt und neu belebt. Doch
wurde die Freude durch den Gedanken vermindert, daß
die Ankömmlinge nur auf 14 Tage Lebensmittel mit-
brachten, wiewohl die Hoffnung auf neue Unterstützung
dadurch nicht erstickt ward. Die übrige Infanterie und
die gesamte Reiterei, die den Transport begleitet hatten,
gingen glücklich durch die feindlichen Linien zurück, da
sie an anderer Stelle gebraucht wurden.
An demselben Tage beschloß der Kommandant einen
Ausfall von 600 Mann Infanterie unter dem Oberst Don
Blas de Furnas. Sie gingen nach Salt, wie wir vermuteten,
in der Absicht, die Aufmerksamkeit des Feindes auf diese
Seite zu ziehen, während die Eskorte des Transports
sich nach einer andern wendete. Man hatte die Absicht,
den beiden Mühlen der Stadt das Wasser, das der Feind
488
Digitized by Google
ihnen gleich im Anfange der Belagerung abgeschnitten
hatte, wieder zu verschaffen, denn der Mangel an Mehl
war ungemein beschwerlich und nachteilig.
Die erwähnte Mannschaft ging ohne Hindernis auf
ihr Ziel los. Kaum aber hatten die Arbeiter ihr Werk
begonnen, so wurden sie von einer beträchtlichen In-
fanterie und Kavallerie in der Ebene angegriffen. Der
Feind brach aus den umliegenden Gebüschen hervor, und
da die Wiederherstellung des Wasserlaufs schwieriger war,
als man dachte, weil der Damm einen großen Bruch
hatte und der Mühlgraben an vielen Stellen infolge von
Regengüssen zusammengestürzt und verschlammt war, so
konnte man mit so ungleichen Waffen dem Feind nicht
widerstehen. Der kluge Anführer befahl daher den Rück-
zug, doch konnte dieser nicht ohne Verlust ausgeführt
werden, und der Ausfall kostete uns einige Gefangene,
die entweder zu weit vorgegangen waren oder sich zer-
streut oilfcr vorsätzlich verspätet hatten.
Nachdem auf Monjuich die Batterien gegen die
Festung vermehrt, die Brustwehren vervollkommnet, be-
deckte Wege und andere Verteidigungs werke errichtet
worden waren, setzten die Feinde einen auf drei Punkte
zugleich gerichteten Kugelregen fort, nämlich auf Santa
Lucia, San Christoph und die Kaserne der Deutschen,
die auf der Stadtmauer selbst stand. Sie bezweckten,
durch Zerstörung dieses ungeheuren Gebäudes den Ein-
gang durch die Bresche zu erleichtern.
Die Festung antwortete zwar tapfer mit ihrem Feuer
von der Kathedrale, der Sarazenenkirche und dem Giro-
nella-Turme sowie mit kleinem Gewehrfeuer, um das feind-
liche zu schwächen und die Öffnung der Bresche teuer
zu verkaufen. Da aber die feindliche Artillerie der unsrigen
an Kaliber und Zahl unendlich überlegen war, so konnte
die Zerstörung der schwachen Mauern nicht verhindert
werden. Man bewirkte indes dadurch wenigstens soviel,
daß die Feinde aufgehalten wurden und glaubten, die
Breschen würden erst am 18. September gangbar sein.
480
Digitized by Google
Dessen ungeachtet erregte die fortwährende Zerstörung
der Mauern große Besorgnis in der Stadt. Um Zeit zu
gewinnen, den vom Feinde erlangten Vorteilen Hinder-
nisse in den Weg zu legen, sowie die Schwierigkeit und
Gefahr bei den großen Verteidigungsarbeiten hinter den
Breschen zu vermindern, befahl der General einen Aus-
fall, in der Absicht, die Artillerie des Feindes zu ver-
nageln und ihm weiteren Schaden zuzufügen.
Aus jedem Korps der Besatzung ward eine Anzahl
Beherzter gezogen, die den Mut hatten, nicht allein die
Brustwehren, bedeckten Wege, Laufgräben und andere
Werke des Feindes zu nehmen, sondern auch den
Batteriestücken und Hauhitzen Trotz zu bieten und ge-
radewegs darauf loszugehen. Sie versammelten sich auf
dem großen Platze der Stadt, stellten sich in Schlacht-
ordnung auf, und jede Abteilung erhielt ihre Weisung.
Jeder Befehlshaber wurde über den Gegenstand seiner
wichtigen und gefahrvollen Bestimmung, besonders aber
darüber unterrichtet, wie verderblich jede Verzögerung
sei, zumal wenn es darauf ankomme, den Feind vor seinen
Augen zu überfallen.
Nachdem Nägel, Hammer, Äxte und brennbare Stoffe
in Bereitschaft waren, marschierte die Mannschaft rechts
ab und nahm ihre Richtung nach dem Peters-Tore. Dieses
war, seitdem man Monjuich verlassen hatte, zugemauert,
wurde aber von den Sappeuren geöffnet.
Nun marschierten die Soldaten stillschweigend durch
das erwähnte Tor hinaus. Die Schnelligkeit, mit der sich
viele auf den Feind stürzten — sie wurden von Fumas
angeführt — war so groß, daß sie ihn, ehe sie bemerkt
wurden, mit der blanken Waffe auf seinen Posten über-
Als der Feind die außerordentliche und erfolgreiche
Kühnheit der Tapferen wahrnahm, überschüttete er die
mutigen Angreifer mit einem ungeheuren Feuerregen aus
seinen Batterien. Aber nichts vermochte das furchtbare
Ungestüm der Spanier aufzuhalten. Mitten unter dem
400
Digitized by Google
Feuer erstiegen sie die Batterien, vernagelten die Kanonen
und machten die Lafetten unbrauchbar. Viele ernteten
die Früchte ihrer Tapferkeit und großen Anstrengung,
andere hingegen hatten sich ganz zurückgezogen, was
den englischen Oberst Mars hall, der zugegen war, zu
dem Ausruf veranlaßte: „Heute haben wir einen großen
Sieg verfehlt!" — Einige, die mit brennbaren Stoffen
beladen waren, unterließen es — man weiß nicht aus
welchem Grunde — aus dem Fort San Pedro vorzu-
rücken, mischten sich aber dennoch auf dem Rückzug
in die Reihen der Tapferen.
Eine so kühne und gefahrvolle Tat mußte not-
wendigerweise Blut kosten, kam indes, wenn man alle
Urjistiiiiiie erwägt, nicht so teuer zu stellen, als man nach
aller Wahrscheinlichkeit befürchten mußte: wir hatten
nicht mehr als 43 Verwundete.
Der Feind setzte sein schreckliches Feuer gegen die
Breschen aus den vielen Stücken, die ihm unversehrt ge-
blieben waren, fort und brachte in wenig Stunden andere
an die Stelle derer, die die Belagerten unbrauchbar ge-
macht hatten. Drei Tage und ebenso viele Nächte be-
schäftigte er sich damit, die großen Breschen zu er-
weitern und unsere Verteidigungswerke zu zerstören.
Am 19. September rekognoszierten feindliche In-
genieure nicht ohne große Gefahr das Terrain und die
Wege, durch welche die zu dem Sturm bestimmten
Truppen ihre Richtung nehmen sollten. Sie erklärten
sämtlich die Breschen für durchaus gangbar, was man
nachher aus dem Munde eines feindlichen Bataillonskom-
mandanten erfuhr.
Nach dieser von Sachverständigen gefällten Ent-
scheidung ward der Angriffspunkt und die Zeit des
Sturmes bestimmt Da jedoch der Feind in den auf Mon-
juich versuchten Stürmen einige nicht leicht zu ver-
gessende politisch- militari sehe Lehren erhalten hatte, so
suchte er gegen die Festung etwas klüger und vorsichtiger
zu verfahren. Daher erschienen am 18. September, dem
49t
Digitized by Google
Vorabend des denkwürdigen Tags von Gerona, einige
feindliche Offiziere mit einer weißen Fahne; sie kamen
von Monjuich gegen die Batterie, die sieh am Wege vom
Fort linker Hand befand. Als sie sahen, daß man sie in
der Festung nicht bemerken wollte, machten sie andere
Zeichen der Aufforderung und näherten sich etwas mehr.
In diesem Augenblick kam ein mündlicher Befehl vom
Kommandanten, daß der Parlamentär sich sofort und
ohne Verzug zurückziehen sollte. Nichtsdestoweniger ver-
langten die Franzosen, gehört zu werden, aber man drohte,
zu feuern, wofern sie sich nicht augenblicklich zurückziehen
würden. Sie erwiderten, man solle wenigstens ein Papier
annehmen, das sie hervorzogen. Aber in demselben
Augenblick antworteten das Fort Connetable und der
Oironellaturm mit Kanonenkugeln und Granaten, worauf
die Parlamentäre nach Monjuich zurückkehrten.
Kaum war der abgewiesene Parlamentär im Graben
des Forts angelangt, so erweiterte das feindliche Geschütz
die Breschen mehr und mehr und zerstörte zu gleicher
Zeit unsere Werke. Die Bomben verwüsteten die zer-
trümmerte Stadt, und so befriedigte der Feind nicht allein
seinen Verdruß, sondern erleichterte sich auch den be-
schlossenen Sturm.
Gegen yt4 Uhr nachmittags am 19. September ließ
die Wache auf dem Glockenturm der Kathedrale dem
Kommandanten melden, daß einige feindliche Truppen
von Monjuich den Berg herunter gegen San Danielo an-
rückten; gleich darauf trafen von dem Fort Connetable
und dem Kapuziner-Fort ähnliche Meldungen ein; von der
Kathedrale ward ferner gemeldet, daß der Feind von
Monjuich und San Danielo aus gegen die Breschen im
Anzüge sei und viele Sturmgerätschaften mit sich führe.
In demselben Augenblick vernahm man die Sturm-
glocke auf der Kathedrale, der Generalmarsch verkündigte
in den Straßen die Gefahr und den Angriff, und der Schall
der Glocken und Trommeln vermischte sich mit dem
Donner eines fürchterlichen Geschütz- und Gewehrfeuers.
492
Digitized by Google
Alles dies geschah in einem Augenblick, denn da sich die
Feinde schon in der vorhergehenden Nacht in San Danielo
und Monjuich versammelt hatten, war kaum ein Zwischen-
raum zwischen ihrem Ausrücken und der Ankunft auf
den Breschen.
Jeder dieser kühnen und tapferen feindlichen Krieger
schien in seinem Herzen geschworen zu haben, daß er
zuerst in die Festung eindringen wolle. Während des
allgemeinen Angriffs gelang es den Franzosen, mitten
durch das furchtbare Feuer der Belagerten hindurch bis
an das erste Viereck der zerstörten Kaserne der Deutschen
zu gelangen. Die nächsten Verteidiger fielen über sie
her, und eben wollten die Tapferci vom Regiment Ul-
tonia sie niedermachen, als das feindliche Artilleriefeuer
eine große Mauer über sie wegstürzte, die sie mit einem
Teil der Unsrigen begrub und ihnen einen Teil der Arbeit
Unsere Verstärkungen langten zur rechten Zeit an,
und je tapferer und zweckmäßiger der hartnäckige Feind
focht, mit desto größerer Freude sahen wir die Über-
reste der angreifenden ersten Division umkehren und die
Bresche und den Kampfplatz, die mit Toten und
Sterbenden hedeckt waren, verlassen.
Der Angriff wurde indes erneuert. Das Lager, die
Breschen und die zerstörte Kaserne der Deutschen blieben
einem schrecklichen, hartnäckigen Geschütz- und Gewehr-
feuer ausgesetzt. Der grauenvolle Kampf ward immer
hitziger, je länger er dauerte. Lange blieb der Ausgang
unentschieden, allein der Mut der Besatzung trug end-
lich den Sieg davon und die Stürmenden waren genötigt,
sich zurückzuziehen.
Das gleiche Glück hatten die Verteidiger der andern
Breschen, wenngleich ihr Ruhm nicht so groß war, da
sie keine Gelegenheit hatten, so viele Krieger zu über-
winden, obwohl die Angriffe besonders auf Santa Lucia
sehr nachdrücklich waren.
Unter den vielen Leichen um die Breschen herum
4Q3
Digitized by Google
lag noch ein oder der andere Verwundete, und es ging
ein kleiner unbewaffneter Trupp hinaus, um sie aufzu-
suchen und ihnen die Hilfe, die in solchen Fällen die
Menschlichkeit gebietet, zu verschaffen, besonders den
Spaniern. Da aber die Feinde, vermutlich durch ein Miß-
verständnis der Schildwache, von ihren Brustwehren aus
Feuer auf sie gaben, mußten sie sich un verrichteter Sache
wieder zurückziehen. Und so verdammten die Belagerer
einige ihrer Brüder, von allen verlassen in der größten
Trostlosigkeit umzukommen. Aus demselben Grunde
blieben auch die Toten unbcgraben. Sonst wird in der-
gleichen Fällen ein Waffenstillstand geschlossen, um die
Verwundeten wegzuschaffen, da aber alle Verbindung mit
dem Feinde während dieser gamen merkwürdigen Be-
lagerung abgebrochen war, so mußte die Stimme der
Menschlichkeit schweigen.
Dieser schreckliche Sturm kostete uns, ohne die Toten
zu rechnen, 113 Verwundete. Die Folgen der Belagerung
äußerten ihre Verwüstungen in einem schrecklichen, immer
zunehmenden Grade, und während der Hunger die
unterste Klasse verzehrte, lastete der Mangel auf den
physischen Kräften fast aller Wohlhabenden. Denn wenn
schon noch einiger Vorrat an Weizen da war, so fehlte
es doch unglücklicherweise an Mitteln, ihn in Mehl zu
verwandeln.
Die Angst vor der Einschließung, den Bomben, Gra-
naten und Kugeln allerart, die große Abmattung, Mangel,
Elend, Entbehrung, Hunger, Krankheit und Tod — alles
traf in diesem Monat zusammen und förderte das Elend
und das Verderben unserer Stadt. Die Hoffnung auf oft
versprochene, aber nie erfolgte Hilfe fing endlich an zu
erkalten und in einigen Oemütern üble Wirkungen zu
erzeugen.
Um diese Zeit sagte man, daß ein reichlicher Trans-
port von Lebensmitteln in Bereitschaft und alles so ein-
geleitet wäre, daß man an seiner glücklichen Ankunft
nicht zweifeln könne. Diese Nachricht ward durch Briefe
4M
Digitized by Google
glaubwürdiger Personen bestätigt, und niemand zweifelte
an einer Sache, die man für ausgemachte Wahrheit hielt.
So gaben wir uns die größte Mühe, uns zu überreden,
daß die Belagerung aufgehoben werden würde. In dieser
Absicht stand schon ein furchtbares tieer den feindlichen
Waffen gegenüber, das vermöge seiner Übermacht des
Sieges gewiß war. Man zählte schon die Oenerale, die
Divisionen, man kannte sogar den Angriffsplan und die
Signale, die zuvor auf einigen Bergen erscheinen sollten,
und andere vorteilhafte Umstände, die stets gute Auf-
nahme fanden, weil man sehr geneigt ist, zu glauben,
was man wünscht.
So nährte sich unsere gelauschte Hoffnung mit
trügerischen Oedanken von Befreiung und Sieg, sogar
mitten unter den furchtharsten Leiden. Endlich hörte man
eines Morgens Flintenschüsse gegen den Engelsberg, einen
militärischen Posten, zu. Eine starke Abteilung machte
einen Ausfall, der, wie wir nachher erfuhren, die Ein-
bringung des Transports decken sollte.
Jedermann heftete seine Aufmerksamkeit auf das
Getümmel und die Bewegungen der Soldaten: man
glaubte, ein paar beladene Maultiere sich nähern zu sehen;
zwischen ihnen bemerkte man einen feindlichen Ge-
fangenen, und diese tröstliche Aussicht verbreitete überall
Frohlocken.
Aber die Reihe des Transports wurde unterbrochen,
ohne daß man die Ursache wußte, und das verwunderte
Volk, das von den hohen Mauem der Stadt herab, den
stieren Blick auf den Weg gerichtet, gehofft hatte, dieser
Stillstand sei absichtlich, wollte nicht glauben, was es
sab, starrte stundenlang und nahm endlich mit Kummer
und Verdruß wahr, daß die Hereinbringung des Trans-
portes nicht nur aufgehalten, sondern durchaus unmög-
lich geworden war. Endlich war er ganz abgeschnitten!
— Die Beschaffenheit des Terrains begünstigte diese Ope-
ration, und ein guter Teil des Tranports diente dem Feinde
zur Fortsetzung der Belagerung.
495
Digitized by
In allen finsteren oder nebligen Nächten suchte der
Feind unsere Außenposten zu überfallen, und es gelang
ihm einmal zu unserm großen Schmerz. Bei Tage schickte
er Öfters Parlamentäre, aber sie fanden wie gewöhnlich
kein Gehör. Man warf unsern Wachen verführerische,
einschmeichelnde und mordbrennerische Zettel zu, kurz
der Feind versäumte kein Mittel, sich des Platzes zu
bemächtigen, der seine kriegsgewohnten und zahlreichen
Heerhaufen so sehr ermüdete.
Die verschiedenen Krankheiten und die Waffen
brachten eine im Verhältnis zur Volkszahl schreckhafte
Menge von Toten zuwege, und die Straße zum Kirchhof
war beständig voll von Totengräbern und Totenkarren.
Auch im November leistete Gerona heldenhaften
Widerstand. Unter seinen Mauern befand sich ein Heer
von 35000 Mann tapferer, disziplinierter und kriegs-
tüchtiger Truppen in zwei Divisionen, von denen die
eine, 17000 Mann stark, unter dem General Verdier das
Belagerungskorps ausmachte und die andere, 18000 Mann
stark, unter Oeneral Saint-Cyr die Belagerung deckte.
General Saint-Cyr') war indes jetzt nach Paris gerufen
worden und hatte das Kommando dem Marschall Auge-
reau») übergeben.
Die Ankunft dieses Generals und die Übernahme
des Oberbefehls durch ihn ward durch Artilleriesalven
verkündigt, und nachdem er einige Tage das Heer ge-
mustert hatte, ergriff er mit dem Eifer, der sich gewöhn-
lich im Anfang eines neu übernommenen Oberbefehls
äußert, feindliche Maßregeln gegen die Festung.
Nächtliche Angriffe folgten schnell aufeinander: einen
') Laurent Graf Gouvion Saint-Cyr, Marschall von Frank-
reich, 1764-1830, hatte den Oberbefehl Gber Katalonien, muBtc aber
später wegen seines Mißerfolges bei Gerona sein Kommando dem
Marschall Augercau abgeben und wurde erst 1812 von Napoleon
wieder verwendet
>) Pierre Francois Charles Auge re an, Herzog von Castiglione,
französischer Marschall, 1757-lStfi.
496
Digitized by Google
vernachlässigten oder schwachen Punkt zu entdecken, das
Terrain und die Befestigungswerke zu rekognoszieren,
den Widerstand auf die Probe zu stellen, die Besatzung,
die nicht abgelöst wurde, mehr und mehr zu ermüden,
den Verbrauch der Munition des Platzes, wo kein Ersatz
stattfand, zu beschleunigen und die Einwohner zu er-
schöpfen — das waren die großen Zwecke jener An-
griffe. Doch flößten unsere Krieger, an solche Auftritte
gewöhnt, dem Feinde Achtung ein. Sie hielten sich zu
allem bereit, waren wachsam und unbeweglich auf ihren
Posten, schonten das Pulver und die Munition, woran
es zu mangeln begann, und verschwendeten ihre schon
geschwächten Kräfte nicht unnützerweise.
Kein Mittel zur Ängstigung der Stadt ward von den
Belagerern versäumt oder für überflüssig gehalten. Ver-
führerische Schriften, traurige Nachrichten von der po-
litischen und militärischen Lage Spaniens, der Macht und
den Siegen des Feindes, der Abschaffung der Mißbräuche
und Verbesserung der Verfassung, Versprechen voll-
kommener Verzeihung, um den Mut der heldenmütigen
Verteidiger zu schwächen, andererseits unaufhörliche Be-
wegungen des |->irules mit einem gewissen geheimnis-
vollen und drohenden Anschein, hielten die Stadt in be-
ständiger Spannung und beschäftigten ihre Wachsamkeit
ohne Nutzen. Bei der Belagerung selbst zogen die Feinde
die Linie der Einschließung so eng, daß es unmöglich
war durchzukommen, und wer es wagen wollte, wurde
augenblicklich den Schildwachen verraten. Denn an den
gangbaren Stellen hatten sie große Leinen mit Glöckchen
gezogen, damit die Durchdringenden daran stießen und
die Aufmerksamkeit der nächsten Posten erregten. Auch
bedienten sie sich mehrerer Hunde. Durch solche Mittel
und durch Vervielfältigung der Wachen schlössen sie die
Stadt so fest ein, daß man schwerlich ein ähnliches Bei-
spiel finden wird.
Die wenigen zum Schlachten bestimmten Esel und
Maultiere wurden, da es an Futter fehlte, zwischen der
32 B.M7: Span. PrdWUiMipt. 497
Digitized by Google
Mauer von San Francisco de Pucbla und dem Kirchhofe
geweidet. Aber auch dieses Hilfsmittels wurden die Be-
lagerten durch das Feuer aus der Ebene und aus den
Batterien vom Fuße des Montelivi beraubt, und nun litten
die zu unserer Nahrung bestimmten Tiere so groflen
Hunger, daß sie einander die Mähnen abgefressen hatten,
ehe sie zur Schlachtbank geführt wurden. Durch das
unaufhörliche Feuern des Feindes ward auch das Be-
statten der Toten erschwert, wo nicht verhindert.
Oft suchte der Feind zu unterhandeln, in der Hoff-
nung, die Feste werde in so großer Not seine Ratschläge
annehmen. Aber er fand nie Gehör, was eine gewisse
Unzufriedenheit hervorrief. Dennoch gelang es ihm
mehrere Male, zuerst einen kleinen Jungen, dann einen
Apotheker aus Selva, der im Fort Connetable an dem
herrschenden Fieber starb, und zuletzt einen Mönch mit
Papieren herein ziisclunugjrem. Bei einer von diesen Ge-
legenheiten verkündete uns der Feind, daß unsere Armee
bei Santa Coloma, bei Hostairich und in der Nähe von
Labisbal geschlagen worden, daß mit Österreich Frieden
geschlossen und unser hoffnungsloser Widerstand ein
ruhmloser Untergang sei. Obwohl nun dies alles wahr
war, so sah es doch die öffentliche Meinung für Lügen an.
Der Generalkommandant hielt die erwähnten Papiere
sehr geheim, dennoch ward ihr Inhalt bekannt und die
Wirkung war nicht ganz unmerklich. In einer dieser
Schriften bot der Feind einen Waffenstillstand auf einen
Monat und baldige Versorgung der Stadt mit Lebens-
mitteln an ; käme binnen dieser Frist kein Ersatz, so
wollte man über die Kapitulation unterhandeln. Solch
einen Vorschlag in so beschränkten Umständen von der
Hand zu weisen, dazu gehörte der große Charakter des
Generals Alvarcz und der Heldensinn des Volkes und
der Soldaten.
Der Feind versprach der Stadt ferner eine vorteil-
hafte Kapitulation und fügte schreckliche Drohungen
hinzu, wofem sie die Augenblicke des Heils verstreichen
498
Digitized by Google
ließe; aber Schmeicheleien überredeten so wenig, als
Drohungen schreckten: Gerona war über alles Unglück
erhaben.
Der Hunger war jetzt so groß, daß auch die Hilfe-
leistungen der vermögenden Einwohner zu Ende gingen.
Wer sich mit einem Brote auf der Straße sehen ließ,
dem ward es mit Gewalt aus der Hand gerissen ; man
mußte Wachen in die Backstuben und Blickerläden stellen
und zugleich andere polizeiliche Maßregeln ergreifen. Oft
wurden Häuser auf den bloßen Verdacht hin, daß sie
Lebensmittel enthielten, durch die Gewalt des Gesetzes
geöffnet. Katzen und Ratten wurden für Leckerbissen
gehalten und teuer bezahlt. Wenn bisweilen einer oder
der andere mit Lebensgefahr oder als Spion durchkam
und einige Lebensmittel mitbrachte, so wurden ungeheure
Preise dafür bezahlt, und man riß sich darum. Ein Huhn
stieg bis auf einige Unzen Gold»), und für ein paar halb-
verfaulte Krammetsvögel sah ich einen Duro'u) bezahlen.
Ein Krug Branntwein kostete 70 Realen"), ein Krug Wein
40—50.
Bei so großem Elend mußten sich die Gesinnungen
ändern. Es gab Zänkereien, und die Meinung, daß der
Platz nicht länger widerstehen könne und dürfe, ward
schon allgemeiner. Die Verzagten äußerten ihr Verlangen,
zu kapitulieren, hüteten sich aber, es öffentlich zu sagen,
weil der Befehl, daß jeder ohne Ansehen der Person,
der von Kapitulation oder Übergabe spräche, sofort mit
dem Tode bestraft werden sollte, erneuert worden war.
Mancher, dessen Geduld durch die furchtbare Wut
des Hungers erschöpft war und der ihm nicht länger
widerstehen konnte, da es ihm an der zum Dienst nötigen
Ausdauer und Standhaftigkeit fehlte, ging zum Feinde
über. Und um die Neigung zum Desertieren anzufeuern,
») 1 Onza = bü Mark nach damaliger Rechnung.
">> Duro-Piaster (4 M.).
■") I Ki-.il imgi-iahr III l'ii-nlliy.
Digitized by Google
Brot, Käse, Wein und dergleichen zu. Da diese aber
keine Eile hatten, das verführerische Geschenk anzu-
nehmen, ließ man es auf dem Felde stehen. Versuchungen
dieser Art waren ebenso verführerisch als häufig, und
nur der spanische Charakter konnte ihnen widerstehen.
In dieser Zeit erfuhr die Besatzung der Festung eine
Verminderung auf eine Art, von der sich vielleicht kein
Beispiel in der spanischen Kriegsgeschichte findet. Es
gingen nämlich zehn Offiziere am hellen Tage zum Feinde
über: zwei davon waren Edelleute und acht aus dem
Staube zu der Würde erhoben, die sie jetzt schändeten.
Sie wurden von dem Feinde, zu dem sie übergingen,
verspottet und verachtet.
Der Feind vermehrte nun und beschleunigte fast ohne
Widerstand seine Arbeiten und Anstrengungen gegen den
Platz. Die nächtlichen Angritte waren immer gegen den
Teil von Merced und San Francisco de Puebla gerichtet
und bedrohten die Breschen. Da der Feind durch die
desertierten Offiziere erfuhr, daß es uns an Wurf-
geschossen, Pulver, Kartätschen und Mannschaft fehlte,
so erkühnte er sich in einer Nacht, die Karmeliterstraße
zu nehmen, und beschoß von hier aus sehr heftig die
Bastion Merced, die Brücke San Francisco, welche die
einzige Verbindung zwischen der alten Stadt und dem
Marktplatz bildete, sowie die ganze Bastion San Fran-
cisco, wodurch er der Besatzung und den Einwohnern
großen Schaden tat.
Bald darauf ward die Stadtredoute angegriffen und
ohne Verlust genommen. Dies wäre nicht geschehen,
hätten wir genug Geschütz und Pulver gehabt.
Da sich die feindliche Linie bis an die Mauern der
Stadt erstreckte, so war die Verbindung zwischen ihr und
dem Kapuzinerfort und dem Connetablefort gänzlich ab-
geschnitten. Abgesehen davon, daß in beiden nicht mehr
als 160 Mann, nur zur Hälfte dienstfähige Besatzung,
waren, hatten sie nur wenige Kriegs- und gar keine Mund-
500
Digitized by Google
bedürfnisse mehr; sogar an Wasser fehlte es ihnen. Uni
die Forts auf drei Tage zu versorgen, mußte man der
Besatzung der Festung ihre elende Kost schmälern,
die in einer Hand voll Weizen, einem Viertelpfund Brot
und, einen Tag um den andern, fünf Unzen Esel- oder
Maultierfleisch bestand. Zu diesem Behufe beschloß der
General einen Ausfall mit der wenigen Mannschaft, die
noch imstande war, die Waffen zu führen.
Nachdem alle versammelt waren, rückten sie am
hellen Tage durch das Hilfstor aus, in Pistolenschußweite
von den feindlichen Redouten entfernt und in diei kleinen
Abteilungen. Alle stürzten sich auf den Feind und be-
schäftigten ihn so lange, daß die geringe Unterstützung
zu den Forts gelangen konnte; doch kostete es uns einige
Tote und 28 Verwundete. Aber dieser Verlust kommt
nicht in Betracht, weil er kaum den dritten Teil der zu
diesem gefährlichen Unternehmen verwendeten Mann-
schaft ausmachte. Der Feind verlor wenigstens ebenso-
viel, da seine zeitig abgesandte Unterstützung im Freien
fechten mußte.
Don Mariano Alvarez, dessen Gesundheit sich schon
seit einiger Zeit nicht im besten Zustande befand, ob-
wohl er seine schwierigen Pflichten stets ausübte, ver-
fiel in ein heftiges Nervenfieber, das ihn schon seit dem
4. des Monats in Gefahr brachte. Es nahm in allen seinen
Symptomen dergestalt zu, daß sich am 8. eine leichte
und in der folgenden Nacht eine sehr merkbare Geistes-
verirrung zeigte, so daß bei dieser Gefahr die ganze Stadt,
besonders aber die oberen Behörden in große Bestürzung
gerieten. Es wurde daher von der Junta beschlossen,
das Kommando einem andern zu übergeben. Dies ge-
schah am 9. nachmittags; der General legte sein Kom-
mando bei völligem Verstände nieder, ehe die Fieber-
hitze wieder zunahm und nachdem ihm vorher bekannt-
gemadtt worden war, welche Fürsorge die Junta in
bezug auf seine Gesundheit bewiesen hätte. Den Ober-
befehl bekam Don Julian de Balibar, Brigadier der könig-
501
Digitized by Google
liehen Armeen und Leutnant des Königs in der Festung
Gerona.
In der auf diesen Tag (den ').) folgenden Nacht ward
Kriegsrat gehalten. Mit diesem trat der Regierungsaus-
schuß zusammen, und das Ergebnis war, daß am fol-
genden Morgen (den 10.) der Brigadier Don Blas de
Furnas, mit den Vollmachten beider Behörden versehen,
hinausging, mit dem Feinde zu unterhandeln.
Er ging auf die in der Ebene stehenden Posten zu,
ließ Appell schlagen und ward zum Marschall Augcreau
geführt. Es waren indes so wichtige Unterhandlungen,
Erörterungen und Srhwieri;» kciteii zu erledigen, dail der
ganze Tag in der Entwerfung des Kapitulationsplanes
zugebracht ward.
Währenddessen kamen viele feindliche Soldaten un-
bewaffnet an den Fuß der Mauer; einige brachten Brot,
Wein und Käse und boten dies den Unsrigen an, welche
Stricke hinabließen und die Lebensmittel heraufzogen.
Einige, die zum Feinde übergegangen waren, näherten
sich nicht ohne Schamröte und begrößten ihre ehemaligen
Kameraden.
In der Nacht vom 10. zum H. entschlossen sich —
auf das Gerücht hin, daß der Feind am folgenden Morgen
die Festung in Besitz nehmen würde — viele Landleute
und Soldaten, besonders die in der Festung dienenden
feindlichen Überläufer, diese auf gut Glück zu verlassen.
Einige kamen auch durch, weil sich der Feind auf die
Kapitulation verließ, viele aber gerieten in die feindlichen
Lager und wurden entweder niedergeschossen oder ge-
fangen genommen. Andere wieder, die den Eingebungen
ihres Mutes folgten, aber ihre so lange Zeit geschwächten
Kräfte nicht erwogen, unterlagen auf dem Wege der un-
besonnen erweis: fri-wiifiitn Anstrengung.
Endlich brach der denkwürdige II. Dezember an,
und das erste, was man erblickte, war eine große Menge
unbrauchbar gemachter Waffen allerart, die in Winkeln,
Straßen, Torwegen und auf öffentlichen Plätzen herum-
502
Digitized by Google
lagen. Viele wurden in die Ona geworfen, andere ver-
brannt.
Am Morgen zwischen 8 und 9 Uhr nahm der Feind
der Kapitulation gemäß lä) die Festung in Besitz. Ein
Kii\;i]li:ric(iffi/ii.-r LTidiicn mit ciiK'iii starken Knin .i;ando
und machte Front gegen das Arenytor, während eine
zahlreiche liiiatitcncwache dieses besetzte und sechs
Schildwachen dahinstellte, wo die Besatzung nur eine
gehabt hatte. Zwei scharf geladene Kanonen mit
brennender Lunte wurden auf den Marktplatz gegen das
Tor gestellt und IiIIiIhii d^elbsl tili /um 21. sieben.
Unser Häuflein formierte sich auf einem öffentlichen
Platze, marschierte links ab durch das Tor, legte seine
Waffen auf dem (.ilaeis nieder, und wir :;i!-L'.en als Kriegs-
gefangene vor dem in Schlachtordnung aufgestellten feind-
lichen Heere vorüber.
Bei der Überlieferung des Geschützes bemerkte man
nicht ohne Erstaunen, daß die meisten Stücke gesprungen
waren; an den feindlichen und denen des Forts Monjuich
zeigte sich derselbe Umstand.
'S) Kapitulation der Stadt Gerona und zugehörigen
Forts, geschlossen am 10. Dezember 1809, abends 7 Uhr.
Art. 1, Die Besatzung rückt mit kriegerischen Ehrenzeichen
aus und wird als tricgsgeljngen natll i tü n k rt icli ge-
bracht.
Art. 2. Den sämtlichen Einwohnern wird kein Leid zugefügt.
Art. 3 Dil- LiibWulmer koüiiLH Uliisestör! die k.iüiulmlie Hi--
ligion ausüben, und diese wird beschützt.
Art. 4. Morgen früh "/,9 Uhr werden das Hills- und das
Arenytor sowie die Tore der Forts von den franzö-
Oerona, den 10. Dezember 1309.
Digitiz Google
Die erste Verfügung des neuen Gouverneurs war die
Entwaffnung der Einwohner und der Befehl, bei Todes-
strafe alle Waffen in bestimmter Frist an einen gewissen
Ort abzuliefern. Durch einen andern Befehl ward bei
derselben Strafe allen sp;misdien Kri es gefangenen be-
fohlen, sieh beim Gouverneur zu melden. Die feindlichen
Truppen wurden in die Mönchskloster und die Offiziere
in die Stadt einquartiert.
Die bürgerlichen Behörden mußten dem König Joseph
den Eid der Treue leisten und ein kleines gedrucktes
Buch annehmen, das die spanische Konstitution genannt
Bald war die Stadt mit Marketendern und Verkaufern
von Lebensmitteln angefüllt. Mehrere Kaffeehäuser wurden
errichtet, aber fast alle mit der Aufschrift „Militärisches
Cafe". Sie waren alle von schlechten Menschen bedient,
und wer nicht Offizier war, wurde geprellt. Die Mönche
hatten von ihrer Einquartierung nicht wenig auszustehen.
Gleich nach dem Einmarsch bekamen sie in ihren Klöstern
Arrest, nachher wurden sie sämtlich in die Kirche des
heiligen Franz von Assisi verbannt, vor deren Tür man
eine Wache und eine scharf geladene Kanone mit brennen-
der Lunte aufstellte.
Der Gouverneur, Don Mariano Alvarez, bekam in den
ersten Tagen eine Offiziers wache, die später auf einen
Korporal und 4 Mann und 2 Gendarmen herabgesetzt
ward; diese befanden sich beständig in seinem Vorzimmer.
Obwohl die Bomben sein Zimmer nicht verschont hatten,
verlangte doch der General keine andere Wohnung. Wollte
der Sekretär des Generals ausgehen, so verwehrte es ihm
woh! niemand, aber ein Gendarm folgte ihm auf jedem
Schritt. Es durfte niemand zum General kommen, als
seine Adjutanten, ein Priester, mein Kollege, ich als Ober-
arzt und seine Bedienten. Die Oesundheit des Generals
besserte sich, doch blieb ein schleichendes Fieber zu-
rück, weshalb wir ihn zu überreden suchten, daß er die
Stadt verlassen solle, um sich wegen seiner Gesundheit
504
Digitized by Google
von dem Anblick so vieler unangenehmer und trauriger
ausstände zu entfernen.
Er bat daher um die Erlaubnis, zur Herstellung seiner
Gesundheit in eine Seestadt zu gehen, und erhielt zur
Antwort, daß dem französischen General seine Vor-
schriften nicht gestatteten, ihm einen andern Aufenthalts-
ort zu bewilligen, als auf dem Wege nach Frankreich
oder innerhalb dieses Reichs. Der General wünschte,
nach Figueras zu gehen, und da er, vermutlich aus po-
litischen Gründen, nicht diejenigen um ein Fuhrwerk
bitten wollte, die es ihm gern gegeben hätten, forderte
er eins von der Regierung und erhielt /ur Antwort, daß
man es ihm verschaffen und ihm die Zeit seiner Abreise
bestimmen würde. In der Nacht vom 23. zum 24. zwischen
1 und 2 Uhr erhielt er Nachricht, daß dies der zu seiner
Abreise bestimmte Zeitpunkt sei. Er ward in der Tat
in eine Berline gesetzt und ging zu derselben Stunde mit
der Eskorte ab.
Die vielen in den Spitälern befindlichen Kranken
wurden mit ßTufk'r Übern Inn;.» in d;is Furt San [Janielo
gebracht, und das Fortschaffen und der Mangel an Betten
kostete vielen das Leben. Unsere Kranken bekamen zum
Lager nichts als eine Handvoll Stroh. Von San Daniclo
wurden sie nach und nach nach Frankreich abgeführt.")
I!) Hier ein Auszug des [le!;ri:(<, d:i.; /n^urulcn iter Besatzung
und der Einwohner von Gerona erlassen wurde:
Alle Offiziere, welche die Belagerung ausgeholten haben,
werden um einen Orad, und alle Gemeine zu Sergeanten be-
fördert.
Alle Verteidiger und Einwohner von Gerona und ihre
Nachkommen erhalten den persönlichen Adel.
Die Witwen und Waisen derer, die bei der Verteidigung
der Stadt umgekommen sind, erhalten vom Staate ein ihren
Umständen angemessenes Gnadengchait.
Der bloße Aufenthalt in Gerona während der Belagerung
Müll ihr ein Vi-rilimst ^ i- : i l- J 1 1 u r . ii;is /u Ai)-|iii'kliL'ii [it-rfch tiij-t.
Gerona ist, vom Tage des künftigen Friedens an ge-
rechnet, zehn Jahre lang frei von allen Abgaben.
505
Digitized by Google
Zu derselben Zeit wird der Anfang ßemacht, die oftent-
lichcn Gebäude mit aller l'racht auf Kosten des Staats wieder
Auf dem Marktplatz wird ein Denkmal zur ewigen Er-
innerung an die Tapferkeit ihrer Einwohner und die rühmliche
VeMciilifiung der Stadt errichtet.
In allen Hauptstädten des Reichs wird sogleich eine In-
schrift, welche die heldenmütigsten Taten dieser ruhmreichen
Belagerung erzählt, aufgestellt.
Es wird zur Ehre der Verteidiger und als ein Zeugnis der
Dankbarkeit der Nation für so ausgezeichnete Dienste eine
Denkmünze geschlagen.
Digitized by Google
This book should be returned to
the Library on or befure the last date
stamped below.
A fine is incurred by retaining it
beyond the specified time.
Please return promptly.
Digtoed by Googlt