Cbc UnivcrsU^ of Chicago
librarics
ICrcflTvital
CatSdfriCCO^
Itmila laturl
BILLINGS COLLECTION
Presented by
Dr. Frank Billings
ecl tiy
Abhandlungen zur Geschichte der Medizin.
Herausgegeben von
Professor Dr. Hugo Magnus, Professor Dr. Max Neuburger
und Professor Dr. Karl Sudhoff.
Die
irgan= und Blut=Therapie
Ein Kapitel
aus der Geschichte der Arzneimittellehre
von
Prof. Dr. Hugo Magnus.
Breslau 1906
J. U. Kern’s Verlag
(Max Müller).
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Abhandlungen zur Geschichte der Medizin.
Herausgegeben von
Professor Dr. Hugo Magnus, Professor Dr. Max Neuburger
und Professor Dr. Karl Sudhoff.
Heft XVII.
Die
Organ- und Blut-Therapie.
Ein Kapitel
aus der Geschichte der Arzneimittellehre
Prof. Dr. Hugo Magnus.
Breslau 1906.
J. U. Kem’s Verlag (Max Müller).
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Die
Organ- und Blut-Therapie.
Ein Kapitel
aus der Geschichte der Arzneimittellehre
von
Prof. Dr. Hugo Magnus.
Breslau 1906.
J. U. Kern’s Verlag (Max Müller).
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EffltogB cousc»»
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85525 »
Seinem
unvergesslichen Lehrer und väterlichen Freund
Heinrich Häser,
weiland ordentlicher Professor der Geschichte der Medizin in der
Universität Breslau.
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Vorwort.
Die Untersuchung des geschichtlichen Entwickelungsganges der
Organtherapie im Allgemeinen und der Blutbehandiung im Be-
sonderen hat die interessante Tatsache ergeben: daß die heil-
künstlerischen Bestrebungen der allermodernsten Zeit keineswegs
nur Produkte des Heute sind, wie man so gern glaubt und mit
solcher Zuversicht behauptet, sondern daß auch das Gestern an
ihnen schaffend mitgewirkt hat. So können wir denn dreist
behaupten, daß ein volles Verständnis der modernen Behandlungs-
formen ohne Hilfe der Geschichte nicht zu erbringen ist.
Breslau, im April 1906.
Magnus.
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Inhalts -Verzeichnis.
•L Abschnitt, Der Auf- und Ausbau der Organtherapie.
S J.
Auf welchem Weg gelangen die von der Therapie benützten
Substanzen zu dem Range von Heilmitteln?
i
§ 2-
Die zu einem allgemeinen pharmakologischen Gesetz erhobene
Grundlage der Organtherapie
4
§ 3-
Die Faktoren, welche den weiteren Ausbau der Organtherapie
gefördert haben
iß
$ 4-
Die Organtherapie der Hundswut, des Schlangenbisses, der Pest,
der pflanzlichen und mineralischen Vergiftungen im Altertum und
Mittelalter
S 5.
Der Begriff der Immunität in der antiken Therapie
12
Abschnitt. Die Blutbehandlung.
S 6.
Das Alter der Bluttherapie
J6
§ 7-
Der Ursprung der Blutbehandlung
12
LA
DasBlut der verschiedenen Lebewesen hat verschiedene therapeutische
i 9r
Kräfte
Die Eigenschaften der verschiedenen Tiere sind bei der thera-
12
peutischen Bewertung des Blutes maßgebend gewesen ....
41
$ IO.
Die Beziehungen der Tiere zu den Naturerscheinungen haben das
Urteil über den therapeutischen Wert des Blutes beeinflußt . . .
42
S "•
Das Aussehen und gewisse funktionelle Betätigungen der Tiere
riefen die verschiedensten Anschauungen über den therapeutischen
Wert ihres Blutes hervor
42
$ 12-
Gewisse Beobachtungen, welche bei dem Genuß dieses oder jenes
Tierblutes gemacht wurden, haben auf die Bluttherapie bestimmend
§ 13-
eingewirkt
Die Beziehungen, in welche die Bekenner der verschiedenen
41
Religionen die Tiere zu ihrem Glauben allzeit gesetzt haben, gaben
reichlichst Gelegenheit, der Tierwelt und dementsprechend auch den
verschiedenen Blutarten die mannigfachsten Fähigkeiten zuzusprechen
11
S_JA-
Der Aberglauben weiß von allerlei magischen und dementsprechend
auch medizinischen Fähigkeiten der Tiere resp. ihres Blutes zu erzählen
42
Lu-
Die Speisegesetze und die Bluttherapie
42
r, i6.
Man setzte bei manchen Tieren gewisse körperliche Vorzüge
voraus, ohne für dieselben irgendwelche sichere Handhaben in dem
Gebahren der betreffenden Geschöpfe zu besitzen
48
S i7-
ln gewissen Zeiten sollten die Ogane und Funktionsprodukte des
Menschen wie der Tiere eine ganz besonders kräftige Heilwirkung
42
14
S i8.
Die therapeutische Benützung des Menstrualblutes
% 19-
Die Ernährung der Tiere sollte auf den therapeutischen Wert des
Blutes von Einfluß sein
62
S 20.
Welchen Einfluß haben Kult-Handlungen auf die Blutbehandlung
ausgeübt? 62
Magnus, Die Organ» und Blut -Therapie. 1
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I. Abschnitt.
Der Auf- und Ausbau der Organtherapie.
§ I. Auf welchem Weg gelangen die von der Therapie
benützten Substanzen zu dem Range von Heilmitteln?
Für den medizinischen Historiker ist es eine ungemein schwie-
rige Aufgabe, zu ermitteln, auf welchem Wege alle die verschie-
denen Substanzen, welche im Lauf der Jahrtausende als Heilmittel
benützt worden sind und von der Volksmedizin zum Teil heut
noch gebraucht werden, wohl in den Arzneischatz gelangt sein
mögen. Bezüglich derjenigen Dinge, welche einen wirklich aner-
kannten pharmakodynamischen Wert haben, liegen ja allerdings
die Verhältnisse erheblich einfacher. Ihnen hat meist die Empirie
zu ihrer Heilbedeutung verholfen, und deshalb braucht es hier nicht
erst besonderer kritisch-analytischer Untersuchungen, um die
Pfade aufzusuchen, auf denen diese Substanzen zu Medikamenten
geworden sind. Dagegen häufen sich die Schwierigkeiten in recht
beträchtlichem Umfang, sobald es sich darum handelt, für die-
jenigen Dinge den pharmakologischen Befähigungsnachweis zu er-
bringen, welche, ohne einen allgemein anerkannten oder einen
sicher erwiesenen Heilwert beanspruchen zu dürfen, Jahrtausende
lang als Heilmittel gegolten haben und häufig heut noch vom Volk
als solche angesprochen werden. Diese Substanzen sind oft aus
gar verschiedenen Gründen zum Rang von Heilkörpern geworden :
zunächst waren wohl meist medizinische Erwägungen maßgebend,
dann haben aber auch religiöse Rücksichten mitgespielt, teils auch
allgemeine kulturgeschichtliche Momente, sowie Faktoren, welche
durch Bodenbeschaffenheit oder Klima gegeben sind u. dg. m. Da
nun aber nicht immer nur eines der genannten Dinge tätig gewesen,
vielmehr häufig erst durch das Zusammenwirken verschiedener
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4
I. Abschnitt.
derselben diesem oder jenem Körper eine Heilwirkung zuerkannt
worden ist, so sieht man daraus, daß der Historiker bei Behand-
lung derartiger Verhältnisse nicht allein recht umfassender, weit
über die Heilkunde hinausgreifender Kenntnisse, sondern auch einer
überaus vorsichtigen und scharfsichtigen Kritik benötigt. Und selbst
wenn ihm Beides, Kritik wie Kenntnisse, in genügendem Umfang
zu Gebote stehen, selbst dann wird es häufig noch recht schwer
sein, endgültig zu entscheiden, welche von all den Möglichkeiten und
Wahrscheinlichkeiten denn nun hauptsächlich irgend einem Körper
zu dem Rang einer Heilsubstanz verholfen haben mögen.
Besonders große Schwierigkeit bereitet in dieser Beziehung
die Durchforschung der uralten Organtherapie, d. h. jener Behand-
lungsmethode, welche durch Benutzung menschlicher wie tierischer
Körperorgane, sowie durch Gebrauch der mannigfachsten Se- und
Exkrete der verschiedenen Lebewesen heilend wirken wollte. Eine
derartige Behandlungsweise existiert schon seit vielen Jahrtausen-
den. Sie tritt uns in den frühesten Phasen der menschlichen Ent-
wickelungsgeschichte entgegen und lebt auch heut noch nicht bloß
im Volke, sondern auch in der Berufsmedizin unserer Tage. Dieses
so unendlich lange Bestehen der Organtherapie hat denn nun eine
so innige Verquickung derselben mit allen möglichen religiösen,
kulturellen, klimatischen und sonstigen folkloristischen Verhält-
nissen bewerkstelligt, daß es wirklich mit zu den schwierigsten
Aufgaben des Historikers gehört, hier nur einigermaßen Klarheit
und ein halbwegs befriedigendes genetisches Verständnis zu er-
bringen. Dies wird uns am ehesten gelingen, wenn wir in der
Weise verfahren, daß wir zunächst den Aufbau resp. die gesetzmäßige
Grundlage und alsdann den auf dieser Basis erfolgten Ausbau der
Organtherapie betrachten.
§ 2. Die zu einem allgemeinen pharmakologischen
Gesetz erhobene Grundlage der Organtherapie.
Die ersten Berichte über die Benutzung von Körperteilen und
Funktionsprodukten der verschiedensten Lebewesen zu heilkünst-
lerischen Zwecken führen in sehr frühe Perioden der Kulturgeschichte
zurück, etwa bis in das dritte vorchristliche Jahrtausend. Denn
die um die Mitte des töten nachchristlichen Jahrhunderts erschienene
große chinesische Arzneimittellehre soll die zurzeit des mythen-
haften Kaisers Shin-nung (lebte in der Zeit von 2838 — 2699 v. Chr.)
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Der Auf- und Ausbau der Organtherapie.
5
bereits benutzten Heilmittel wieder aufs Neue zusammengestellt
haben, wie sie überhaupt eine Übersicht aller bis zum i6ten Jahr-
hundert von den Chinesen gebrauchten Medikamente bietet.
Da nun die chinesische Heilkunde eine uralte ist, einzelne
ihrer Werke sogar vielleicht die ältesten medizinischen Arbeiten
der Welt überhaupt zu sein scheinen, so z. B. das unter dem
Namen Nei-King bekannte Kompendium (soll zwischen 2698 bis
2599 v. Chr. entstanden sein), so können wir aus den genannten
Quellen einen Schluß auf die Beschaffenheit der Therapie in jenen
frühen Perioden gewinnen 1 ).
Die chinesische Literatur lehrt uns nun, daß in jenen urvor-
zeitlichen Kulturperioden die Organtherapie, d. h. die Verwendung
menschlicher und tierischer Organe wie Funktionsprodukte, bereits
in hohem Ansehen gestanden hat. Man scheint eigentlich kein
Körperglied sowie kein Se- oder Exkret als medizinisch unwirksam
angesehen zu haben. Leber, Gehirn, Mutterkuchen, Blut, Hoden,
männlicher Samen 2 ), Kot, Urin und noch vieles andere wird
da als sicher helfendes Mittel angeraten. Es sind das alles Sub-
stanzen, welchen wir dann auch bei anderen Kulturvölkern wieder
begegnen. So nennt z. B. der Papyrus Ebers 3 ), bekanntlich eines
der um 1500 v. Chr. verfaßten hermetischen Bücher, auch Blut,
Urin, Kot u. dergl. als Heilmittel.
l) Scheube. Die Geschichte der Medizin bei den ostasiatischen
Völkern. 1 . Chinesen. In: Puschmann, Handbuch der Geschichte der Medizin.
Jena 1902. Seite 21 u. 29.
>) Im Mittelalter scheint Semen virile sehr häufig als Aphrodisiacum gebraucht
worden zu sein. Denn die zwischen 600 und 1000 erschienenen christlichen Buß-
bücher hielten es für angezeigt, diese Benutzung des Samens durch eine Kirchen-
strafe von 3 Jahren zu ahnden. (Vgl. Seite 60 § 18 dieser Arbeit). Übrigens wurde in
den mittelalterlichen Pharmakopoeen dieses Produkt des männlichen Körpers als Liebe
erweckendes Mittel ganz allgemein empfohlen; so vergl. man z. B. Becher
Parnassus medicinalis oder ein neues Tier-Kräuter und Berg-Buch,
Ulm 1663. Seite 15.
Übrigens ist selbst der modernen Medizin der Tierhoden keine unbekannte
Heilsubstanz. Wird aus ihm ja doch, nach dem Vorschlag von Brown-Sequard,
ein Präparat gewonnen, welches gegen allerlei Schwächezustände und auch gegen
solche seniler Natur gereicht wird. In unseren Apotheken ist dasselbe als
Spermin-Poehl erhältlich (vgl. Seite 16 dieser Untersuchung.)
3 ) Papyrus Ebers. Das hermetische Buch von den Arzneimitteln
der alten Ägypter. Herausgegeben von G. Ebers, mit hieroglyph. lat. Glossar
von S. Stern, Leipzig 187s.
Papyrus Ebers. Die Maasse und das Kapitel über die Augen-
krankheiten. Von Georg Ebers. Leipzig 1889.
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6
I. Abschnitt.
Aber die Kenntnis von dem hohen Alter der Organtherapie
würde, so interessant sie an sich auch immer sein mag, doch wenig
fruchten, wenn wir nicht auch über die Vorgänge, auf Grund deren
jene Dinge zum Range von Heilmitteln aufgestiegen sind, unter-
richtet würden. Das geschieht aber in den chinesischen Pharma-
kopoeen in ausgiebigster Weise. Denn in ihnen wird bei jedem
Medikament alsbald auch immer seine Indikation angegeben. So
hören wir: daß Tierleber bei Leberleiden gereicht wurde, daß man
Tierhöden bei Impotenz brauchen ließ, daß Tierkot zur Erzielung
eines gesunden Stuhles in Ansehen stand, daß man männlichen
Samen gegen Schwächezustände verordnete, daß die Placenta auf
den Geburtsakt befördernd einwirken sollte, daß das Blut bei all-
gemeiner Entkräftung als höchst wirksames Reizmittel galt u. s. w.
Schon aus dieser kurzen Zusammenstellung können wir den
leitenden Gedanken erkennen, welcher in jenen frühen Zeiten dazu
geführt hat, Organe wie Funktionsprodukte der verschiedenen
Lebewesen als Heilmittel aufzufassen. Man glaubte eben einfach,
daß ein Körperglied oder Funktionsprodukt gesunder Tiere oder
Menschen stets in der Lage sei, die entsprechenden kranken Teile
oder Funktionen eines anderen Individuums zu bessern resp. zu
ersetzen. Und dieser Gedanke sowie seine heilkünstlerische Ver-
körperung begegnen uns nun bei allen Völkern und zu allen Zeiten.
Bei den Assyrem, Ägyptern, Juden, Griechen, Römern, Germanen,
Romanen, Slaven, kurz bei allen Kulturnationen dieselbe Benützung
körperlicher Organe zu Heilzwecken. Besonders ausführlich be-
richtet Plinius in den Büchern 28 — 30 seiner Historia naturalis
über diese Art von Behandlung. Da werden empfohlen: Hyänen-
zähne gegen Zahnschmerzen, das rechte Auge des Chamäleon oder
des Frosches gegen Augenleiden, die Blase eines Schweines gegen
Blasenerkrankungen, die Pfote des schnellfüßigen Hasen gegen
Podagra, die Asche eines gesunden Hundskopfes gegen den Biß
toller Hunde, die Asche von Hundszähnen bei Unregelmäßigkeiten
des Zahnens u. dergl. m. Da nun aber die Mitteilungen des
Plinius, wie wir dies nachzuweisen in der Lage gewesen sind 1 ),
nicht etwa nur die Anschauungen seiner Zeit wiedergegeben haben,
vielmehr aus einer uralten Rezeptsammlung übernommen worden
i) Magnus. Die Volksmedizin, ihre geschichtliche Entwicke-
lung und ihre Beziehungen zur Kultur. In: Abhandlungen zur Geschichte
der Medizin. Heft XV. Breslau 1905. Seite jj.
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Der Auf- und Ausbau der Organtherapie. 7
sind, die schon Marcus Portius Cato gebraucht und als sehr alt
gerühmt hat, so weisen die genannten Angaben des Flinius darauf
hin, daß diese Art von Organtherapie auch im Abendland schon
in sehr frühen Zeiten in Ansehen gestanden haben muß.
Aus den Schriften der Alten ging die Organtherapie dann un-
verändert in das Mittelalter über, wo sie sich dauernd zu' erhalten
verstand. In allen aus den verschiedensten Perioden dieser Kultur-
epoche stammenden Handbüchern der Arzneimittellehre finden wir
auch die mannigfachsten Körperorgane und Funktionsprodukte als
Heilmittel angegeben. Auch hier lag der letzte Grund dieser bis zur
Karikatur übertriebenen Heilmethode in der sicheren Hoffnung, ein
krankes Organ oder eine kranke Funktion durch die entsprechen-
den Teile eines gesunden Körpers ersetzen zu können. Schindler 1 )
charakterisiert diese therapeutischen Bestrebungen des Mittelalters
sehr richtig mit den Worten: „Das Gehirn wirkt auf das Gehirn;
die Lunge auf die Lunge; das rechte Auge auf das rechte, das
linke auf das linke. So heilt das rechte Auge eines Frosches die
Augenleiden des rechten Auges und der entsprechende Fuß der
Schildkröte das Podagra. So sucht man, um Liebe zu erzeugen,
Tiere, welche viel lieben, und zwar von ihnen die Teile, in denen
die Triebe sitzen, das Herz, die Testikel, den Samen und zwar
zu einer Zeit, wo sie florieren. Um Mut und Kühnheit zu erlangen,
nimmt man das Herz des Löwen, die Augen, die Stirn, den Kamm
des Hahnes.“
Doch begnügte sich das Mittelalter keineswegs damit, die
therapeutische und funktionelle Ersetzbarkeit eines kranken Gliedes
durch das entsprechende eines gesunden Lebewesens zu einem
Gesetz von allgemeinster Gültigkeit erhoben zu haben, sondern es
machte auch den Versuch, sothanes Gesetz in weitester Ausdeh-
nung selbst auf die pflanzlichen und mineralischen Heilsubstanzen
zu übertragen. Man nahm nämlich an, daß Pflanzen und Mineralien
ihre eventuellen heilenden Kräfte schon durch ihre Gestalt zum Aus-
druck brächten und zwar in der Weise, daß sie diejenigen Körper-
teile, förderen funktionelles Leben sie von Bedeutung werden könnten,
irgendwie in Form, Farbe und Gestalt andeuteten. So sollten also
die verschiedenen den anderen Naturreichen angehörenden Heil-
substanzen gleichsam die vegetabilischen oder mineralischen
Repräsentanten der verschiedenen Organe des Tierleibes sein.
*) Schindler. Der Aberglaube des Mittelalters. Breslau 1858.
Seite 177.
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8
I. Abschnitt.
Besonders war es der Überarzt 1 ) Paracelsus, der in seiner
theosophischen Phantasterei diese Lehre vertrat. So sagt der-
selbe 8 ): „Alle glider des menschen haben ire form dermaßen in
den wachsenden Dingen / Auch in gestein / auch in Metallen / und
Mineralibus“. Mit dieser Anschauung war nun ohne weiteres der
therapeutische Wert eines jeden Dinges, Pflanze wie Mineral,
gegeben. Denn ein jedes sollte eben eine heilende Substanz für
die Körperorgane, welche es in seiner Form und Gestalt zum
Ausdruck brachte, enthalten. Diese Auffassung von der thera-
peutischen Bestimmung aller pflanzlichen und mineralischen
Substanzen hat eben der bekannte medizinische Feuergeist Paracelsus
in seiner Lehre von den Signaturen in einer, wie Häser 3 ) sehr
richtig sagt, gradezu aberwitzigen Weise therapeutisch ausgebeutet.
Auch in der Volksmedizin unserer Tage finden wir die Organ-
therapie genau in der nämlichen Form wieder, wie wir sie soeben
im Altertum und Mittelalter kennen gelernt haben. Ohne jede
Änderung werden da alle, und selbst die widersinnigsten Gebrauchs-
anweisungen, welche die Vergangenheit für die verschiedenen
Körperteile und Funktionsprodukte gegeben hatte, aufgenommen
und befolgt.
Ja selbst die Therapie der modernen Medizin hat kein Bedenken
getragen, die tierischen Organe als Heilmittel anzuerkennen. Dabei
sind die zahlreichen organischen Heilpräparate, auf die wir gleich
noch eingehender zurückkommen werden, weniger auf Grund eines
wohlverbürgten Tatsachenmaterials in die heutige Medizin einge-
drungen, als vielmehr meist auf Grund spekulativer Voraussetzungen.
Man scheint eben auch heut noch den Gedanken, daß ein krankes
Organ durch das entsprechende eines anderweitigen gesunden Lebe-
wesens geheilt, resp. von seinen Funktionsverirrungen zurück-
gebracht werden könne, ohne weitere Beweise für erlaubt zu
halten, wie das Altertum und Mittelalter dies auch getan haben.
So ist denn die moderne Organtherapie, ganz im Gegensatz zu den
1) Über die von mir oben im Text gebrauchte Wendung „Überarzt“ vergl.
Magnus, Paracelsus der Überarzt. Abhandlungen zur Geschichte der Me-
dizin. Heft XVI. Breslau 1906.
2 ) Labyrinthus medicorum. ln: Drey Bücher durch den hochgeerten
Herrn Theophrastum von Hohenheim genannt Paracelsum geschrieben. Cöln 1564,
Cap. 10, Seite 121.
8 ) Häser. Lehrbuch der Geschichte der Medizin und der epi-
demischen Krankheiten. Band 2 , Seite 98. Dritte Bearbeitung. Jena 1881.
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Der Auf- und Ausbau der Organtherapie.
9
Forschungsprinzipien, welchen die heutige Medizin huldigt, zum
nicht geringen Teil spekulativ und deduktiv. Damit soll nun aber
nicht gesagt sein, daß dieser spekulativ-deduktive Charakter für alle
Präparate der Organtherapie in gleicher Weise Geltung haben
müßte. Lassen auch sehr viele derselben bedauerlicherweise
denselben in ganz unverhüllter Weise zu Tage treten, so können
sich doch wieder andere auf die der modernen Naturerkenntnis
allein erlaubte induktive Forschungsmethode mit vollem Recht
berufen. Denn mag vielleicht auch selbst bei diesen hin und wieder
der erste Anstoß zu ihrer Herstellung spekulativer Natur gewesen sein,
so hat man doch hinterher durch Versuche und Beobachtungen das
spekulative Element auszuschalten unternommen, so z. B. beim
Adrenalin. Ja man ist sogar wiederholt noch weiter gegangen, indem
man die tierische Substanz ganz zu beseitigen und durch chemische
Präparate zu ersetzen gesucht hat, durch Präparate, welche der
chemische Ausdruck des wirksamen Prinzipes der Tiersubstanz sein
sollten. So ist solches z. B. mit dem Spermin u. a. geschehen. Trotz-
dem dürfen wir uns aber nicht verhehlen, daß in recht vielen ihrer
Präparate die moderne Organtherapie einen nicht wesentlich berech-
tigteren Standpunkt einnimmt als wie die Organtherapie des Altertums
und Mittelalters. Denn bei gar manchen muß hauptsächlich die durch
ihre Erfinder und Hersteller beigebrachte Versicherung von der
Wirksamkeit des Präparates den wissenschaftlichen Nachweis ihrer
tatsächlichen pharmakodynamischen Berechtigung ersetzen. Das
ist doch aber immer ein Ersatz, welcher dem induktiv geschulten
Vertreter der modernen Medizin gar wenig behagen dürfte.
Trotzdem wir also gewiß allen Grund haben, die Organtherapie,
wie sie uns in den von den großen Fabriken angebotenen
Präparaten entgegentritt, recht skeptisch zu beurteilen, so müssen
wir doch andrerseits zugeben, daß dieselbe gegenüber ihrem früheren
Verhalten ein wesentlich rationelleres Aussehen gewonnen hat.
Zunächst sind all die ekelhaften Substanzen, welche der alten
Organtherapie schließlich ja zu dem sehr verdienten Namen: „Dreck-
Apotheke“ verholfen hatten, verschwunden, und dann nimmt die
moderne Organtherapie auch nur noch einige wenige Tiere für ihre
Zwecke in Anspruch. Denn während früher, so etwa bis in das ^.Jahr-
hundert hinein, eigentlich kein Lebewesen zu schlecht war, um mit
allen seinen Organen die verschiedensten therapeutischen Aufgaben
zu erfüllen, beansprucht die moderne Organtherapie nur noch sehr
wenig Tiere, wie: Hammel, Schwein, Rind.
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IO
I. Abschnitt.
Daß auch in dieser wesentlich gereinigteren Form die Organ-
therapie nicht von der Berufsmedizin in allen ihren Präparaten an-
erkannt wird, habe ich zwar in dem Vorstehenden schon genügend
angedeutet, doch möchte ich zur Charakterisierung der Stellung,
welche diese Behandlungsmethode heut einnimmt, die Tatsache
erwähnen, daß von all’ den zahlreichen tierischen Heilsubstanzen
die offizielle Pharmakopoe nur wenige erwähnt, so z. B. das
Diphtherie-Heilserum und das Tuberculin *).
Am Besten wird man übrigens das Verhältnis, in welchem die
moderne Organtherapie zu der des Altertums und Mittelalters steht,
zu beurteilen in der Lage sein, wenn wir beide in einer Anzahl
ihrer Präparate einander gegenüberstellen. Solch eine vergleichende
Übersicht über Zweck, Zubereitung und stoffliches Wesen der
tierischen Heilmittel alter und neuester Zeit lassen wir nunmehr folgen.
Die moderne Organ-
therapie 2 ).
Die antike
und mittelalterliche
Organtherapie 5 ).
Adrenalin identisch mit Supra-
nenin. Aus Nebennieren-
substanz gewonnen.
Paraganglin } Pl i ä P arat . e aus
_ ° > Nebennieren-
Paranephrin j Substanz.
Anwendung: als gefäßver-
engende Mittel.
>) Arzneibuch für das deutsche Reich. Pharmacopoea Germanica.
Vierte Ausgabe. Berlin 1900.
2) Gehe. Verzeichnis neuer Arzneimittel. Dresden 1905.
Riedel. Mentor für die Namen, sowie für die Zusammensetzung,
Eigenschaften undAnwendung ncuerArzneimittel. 48. Auflage. Berlin 1904.
Bourroughs Wellcome. Preisliste der feinen Präparate. Berlin 1906.
3 ) Dioskorides. De materia medica. Ed. Kühn. Lipsiae 1829/30.
Galen. De simplicium medicamentorum facultatibus. Opera
omnia. Ed. Kühn. Lipsiae 1821/33.
Plinius. Naturalis historiae Libri XXXVfl Rec. Janus. Lipsiae 1854/55.
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Der Auf- und Ausbau der Organtherapie.
II
Antithyreoidin. Aus dem Blut
schilddrüsenloser Hammel
gewonnen.
Anwendung : bei Morbus Ba-
sedow».
Cerebrin( Wellcome). Cerebrum
siccatum(Riedel).Cepha-
lopin (Gehe). Die beiden
ersten Präparate repräsen-
tieren das entfettete und
getrocknete Grauhirn des
Kalbes, während das dritte
ein kalt bereiteter öliger
Auszug aus frischer Ge-
himsubstanz ist.
Anwendung bei: Neu-
rasthenie, Psychosen, Cho-
rea, Epilepsie, Hysterie,
Neuralgie.
Hypophysis cerebi. Getrock-
neter Gehirnanhang von
Rindern.
Anwendungbei : Akromegalie.
Gehirn vom Löwen. Als spiri-
tuöses, öliges Präparat
oder als Pulver.
„ vom Eichhörnchen.
„ vom Esel.
Anwendung bei : Epilepsie.
1 gekocht
oder
getrocknet
und
pulverisiert
Anwendung bei: Kopf-
schmerz, Schwindel, Epi-
lepsie.
„ vom Schaf, gebraten mit
Zimmt und Muskat.
Anwendung bei : Schlaf-
losigkeit.
Didymin siehe Spermin.
Glandulae Thyroeideae. Pul-
verisierte Schilddrüse der
Schafe.
Schilddrüsen-
Präparate.
Thyroden
Thyreoglandin }
Thyreoidin
Anwendung bei: Myxoedem,
Kropf, Kretinismus, Haut-
krankheiten, Neurasthenie,
cerebraler Anämie,Diabetes.
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12
I. Abschnitt.
Glandulae Thymi. Gepulverte
Thymusdrüse von Kälbern
und Schafen.
Anwendung bei : Struma,
Morbus Basedowii.
Glandulae Prostaticae. Ge-
trocknete Prostata von
Rindern und Schafen.
Anwendung bei : Diabetes,
Menopausis, Neurasthenie.
Glandulen. Gewonnen aus
den Bronchialdrüsen des
Hammels.
Anwendung bei : T uberkulose.
Leber, als getrocknete und ge-
pulverte Rindsleber. Auch
als Heparaden.
Anwendung bei: Lebercir-
rhose, Diabetes, Haemor-
rhagie, Hemeralopie.
Blase mit Harnröhre und
Prostata vom Schaf
und vom Schwein. Ge-
kocht und als Brühe ge-
reicht. Getrocknet als
Pulver.
Anwendung bei : Blasenleiden.
Lunge vom Fuchs. Getrocknet
und pulverisiert oder ge-
brannt und dann pulveri-
siert oder mit Salz ver-
rieben.
Anwendung bei: Lungen-
leiden.
„ vom Hasen.
Anwendung bei : Lungen-
krankheiten aller Art.
Herz vom Hirsch; als spiritu-
öser Aufguß.
Anwendung bei: Herzzu-
ständen.
„ vom Maulwurf; getrock-
net und gepulvert macht
es Herzklopfen.
Leber, vom Bär (vornehmlich
die Galle), Esel, Fuchs,
Hase, Wiesel, Wolf,
Ziege. Getrocknet und
gepulvert, oder mit Peter-
silie, Nüssen gekocht und
mit Honig verrieben, oder
gebraten.
Anwendung bei : Gelbsucht,
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Der Auf- und Ausbau der Organtherapie.
13
Leberleiden , Cachexie,
Wassersucht, Hemeralopie.
Für letztere Krankheit
wurde hauptsächlich die
Ziegenleber benutzt. Die
noch heut von der modernen
Organtherapie empfohlene
Anwendung der Leber bei
Hemeralopie ist aus der an-
tiken Organtherapie ohne
weiteres übernommen.
Leichnam, menschlicher. Ent-
weder frische Leichen
oder Mumien, ln den
verschiedensten Verar-
beitungen als Pulver, Ab-
kochung, Elixir u. dg. m.
Die therapeutische Ver-
wendung der Mumie wurde
besonders von Paracelsus 1 )
empfohlen wie auch die
Herstellung des Mumifi-
kations-Prozesses von ihm
in ein besonderes System
gebracht worden ist. Die
Benutzung der Teile
menschlicher Leichen ist
schon im Altertum nach-
weisbar und hat sich bis
ins 18. Jahrhundert hinein
in allen Ländern desAbend-
landes erhalten. Ja in der
V olksmedizin ist die Mumie
noch heut ein bekanntes
und benutztes Heilmittel.
Anwendung: eigentlich bei
allen Leiden 2 ).
l) Paracelsus Tractatus 111 Philosophiae. Von dem Fleisch und
Mumia. ln: Paracelsus Schrift, Ed. Brigoius IX. Basel 1591. Seite 399.
*) Man vergl. die ausgezeichnete Arbeit von: Wiedemann, Mumie als Heil-
mittel. Zeitschrift des Vereins für rheinische und westlalischeVolkskunde 1906. Heftt.
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1
14 I. Abschnitt.
Lutein. Trockensubstanz der
gelben Körper der Eier-
stöcke von Kühen.
Anwendung bei : Erkrankun-
gen des weiblichen Genital-
Apparates.
Mammal. Getrocknetes und
pulverisiertes Kuheuter.
Anwendung bei : Uterus-
fibromen, Menorrhagien
Metrorrhagien.
Milz. Getrocknete und pulveri-
sierte Hammel- oder
Schweinemilz; auch als
sterilisierter Extrakt.
Anwendung bei: Anaemie,
Chlorose, Malaria, Myxoe-
dem, Syphilis, Typhus,
Morbus Basedow», Ra-
chitis, Geisteskrankheiten
mit verkleinerter Milz.
Medulla ossium rubra. Ge-
trocknetes und gepulvertes
Mark der Rinder-Rumpf-
knochen.
Medulladen.Extraktaus Rinder-
knochenmark.
Anwendung bei : Anämie, per-
niciöser Anämie, Chlorose,
Purpura haemorrhogica,
Psychosen, Rachitis, Gicht,
Harngries, Neurasthenie.
Milz; getrocknet oder als De-
coct oder roh genossen.
„ vomFuchs,Hund,Katze,
Rind.
Anwendung bei: Milzerkran-
kungen; bei Fieber.
Mark der Knochen der aller-
verschiedensten Tiere.
Anwendung: nur äußerlich
als Salben.
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Der Auf- und Ausbau der Organtherapie.
15
Rinds- oder
Schweins-
ovarien her-
gestelltes
Präparat.
Ovaria sicca. Getrocknete und
gepuIverteKälber-Ovarien.
Anwendung bei: Menstrua-
tionsstörungen, klimak-
terischenBeschwerden, Be-
schwerden nachEntfemung
des Uterus, der Ovarien.
Uterus oder Placenta vom
Hasen und vom Hund.
Anwendung: zur Erleichte-
rung der Geburt; bei
Uteruszuständen.
Oophorin
Ovadin
Ovaraden
Ovarian (Wellcome)
Pankreon \
Pankreaden j
Pankreaspräparat.
Peptenzyme. Getrocknete, pul-
verisierte mit Benzoe-
lösung behandelte und mit
Milchzucker und Zitronen-
säure versetzte Teile des
Magens, Pankreas, Spei-
cheldrüsen.
Anwendung bei : Verdauungs-
beschwerden.
Magen des Huhns. Die Innen-
haut wird abgezogen, ge-
trocknet und pulverisiret.
Bei: Verdauungstörungen.
Parotis sicca. Aus der Ohr-
speicheldrüse vonHammeln
bereitetes Pulver.
Anwendung bei: Ovarial-
leiden, Dysmennorrhoe.
Renaden. Präparat aus frischen
Schweinenieren.
Renes siccati. Frische, ge-
trocknete und gepulverte
Schweinsnieren.
Anwendung bei : Nephritis,
Uraemie.
Niere vom Hasen, Hund. Ge-
pulvert und in Wein ge-
nossen.
Anwendung bei : Harnbe-
schwerden, Blasensteinen.
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i6
I. Abschnitt.
Sanguinal i Präparate aus
Sanguinol J defibriniertem
Sanguinoform J Kälber-Blut.
Anwendung: als blutbilden-
des Mittel bei Anaemie,
Chlorose.
Blut aller möglichen Tiere.
Anwendung : sowohl bei aus
der Blutmischung hervor-
gehenden Erkrankungen
als auch bei den verschie-
densten anderweitigen Zu-
ständen.
Spermin. Präparat aus Rinds-
hoden.
Anwendung: alsTonicum bei
den aus den verschieden-
sten Ursachen entstehen-
den Schwächezuständen.
Hoden vom Hasen, Hirsch,
Hahn, Pferd, Schwein.
Anwendung: zur Erhöhung
der Potenz. Bei Blasen-
leiden; zur Beförderung
der Geburt; bei Ge-
schlechtskrankheiten.
Die vorstehende Zusammenstellung, die noch sehr wesentlich
vermehrt werden könnte, ergibt wohl in genügender Klarheit die
Tatsache: daß die moderne Organtherapie, wie sie sich uns in den
Preisverzeichnissen der namhaftesten Fabriken darstellt, genau dem-
selben Prinzip folgt, welches im Altertum und Mittelalter gegolten hat.
Das pharmakodynamische Gesetz, welches sich die antike Volks-
wie Berufsmedizin gebildet hatte und nach welchem ein krankes
Organ des Menschen durch das entsprechende gesunde eines anderen
Lebewesens wieder zu normalen Funktionsverhältnissen sollte zu-
rückgeführt werden können, wird von der modernen Organtherapie
wieder autgenommen. Doch darf dabei nicht übersehen werden,
daß die moderne Organtherapie jenes Gesetz nicht als die alleinige
Grundlage ihres Handelns ansieht, wie dies Altertum und Mittel-
alter getan haben, sondern daß sie die Organe nach ihren physio-
logischen Wirkungen zunächst vielfach prüft und auf Grund derartiger
Untersuchungen dann erst an die therapeutische Nutzbarmachung
herantritt. So versucht die Organtherapie unserer Zeit jenes meist
spekulativ und nur wenig empirisch erbrachte pharmakodynamische
Gesetz des Altertums im Sinne der modernen Forschungsmethode
umzuformen und auszubauen, und das unterscheidet dann natürlich
die moderne Organtherapie doch wieder sehr von der antiken,
trotzdem beide aus demselben Prinzip erwachsen sind.
Von dem, was wir soeben gesagt haben, ist zunächst noch
derjenige Teil der modernen Organtherapie ausgenommen, welchen
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Der Auf- und Ausbau der Organtherapie.
1 7
wir „Serumtherapie“ zu nennen pflegen. Über die hier in Betracht
kommenden Verhältnisse werden wir erst in § 4 Seite 26 ein-
gehender zu sprechen haben.
Wie ist es nun aber möglich, daß ein derartiger Gedanke, wie
er in der Organtherapie sich praktisch verwirklicht hat, eine solche
Ausdehnung und eine solche Bedeutung gewinnen konnte, daß er
mit der Gewalt eines Naturgesetzes Jahrtausende lang die Heilkunst
beherrschen und selbst in die moderne, nach naturwissenschaftlichen
Prinzipien arbeitende Medizin eindringen konnte? Wir werden uns
mit dieser Frage ein wenig zu beschäftigen haben, da wir ohne
Kenntnis der Entstehung des in Rede stehenden Gesetzes kaum
darauf rechnen dürften, die Organtherapie in ihrem Verlauf und
ihrer Bedeutung zu verstehen.
Ein Gesetz, wie das ist, welches in der antiken Organtherapie
zuerst zum Ausdruck gekommen ist, hat nun einen ziemlich ver-
wickelten Bildungsvorgang. Zahlreiche Faktoren gar mannichfacher
Art sind bei dem Auf- und Ausbau solch' eines Gesetzes tätig
gewesen.
Zunächst ist hier wirksam gewesen die allgemeine Erfahrung
von der Ersetzlichkeit eines jeden irdischen Dinges. Daß aber
diese Erfahrung zu einem Gesetz in pharmakodynamischem Sinne
ausgebaut werden konnte, liegt wieder an der Beobachtung, welche
ein Jeder, selbst der ungeschulteste Beobachter, an sich und An-
deren zu machen jederzeit in der Lage war. Denn es gehört doch
kein besonderer Scharfsinn dazu, um zunächst einmal zu bemerken,
daß bei Erkrankung eines der paarigen Körperglieder das andere
sehr oft vikariierend eintritt und einen Teil der Funktion des aus-
geschalteten Organes übernimmt. So werden z. B. bei Erblindung
eines Auges gewisse optische Betätigungen, die sonst Produkte des
binokulären Sehaktes sind, nunmehr nur von einem Auge geleistet,
so z. B. die Beurteilung der Größenverhältnisse, die Schätzung der
Entfernungen u. dergl. m. Bei einseitiger Taubheit pflegt das übrig
gebliebene Ohr nicht bloß das Hören nunmehr allein zu leisten,
sondern es wird sogar gar nicht selten, wenn es früher weniger
funktionskräftig war, jetzt, wo es auf sich allein angewiesen
ist, leistungsfähiger. Bei Lähmung eines Armes vollzieht der
andere stets einen Teil dessen, was der erkrankte Arm resp. die
außer Funktion gestellte Hand früher zu leisten pflegten; so nimmt
z. B. die linke bei Lähmung der rechten meist sehr bald die
Schreibtätigkeit auf, welche diese früher ausgeübt hatte.
Magnns, Oie Organ- und Blut-Therapie. 2
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1 8 I. Abschnitt.
Aber noch in anderer Hinsicht wird ein erkranktes Körper-
glied durch das entsprechend gesunde ersetzt; so kann man wohl
sagen, daß der Blinde mit den Augen seines Führers sehe,
der Lahme mit den Füßen dessen, der ihn fortbewegt, gehe. Der
altersschwache, zum Erwerb unfähige Greis ersetzt die ihm man-
gelnden Körperkräfte durch die jugendlichen Kräfte seiner Kinder
u. dergl. m.
Die Verallgemeinerung derartiger Beobachtungen, ihre Über-
tragung auf alle Körperteile machte nun aber den Menschen der
frühen Zivilisationsepochen keine besonderen Bedenken. Denn es
liegt, wie wir dies schon früher 1 ) nachgewiesen haben, in dem
Erkenntnisprozeß der Heilkunde begründet, daß sie auf dem
Wege des Analogieschlusses gerade in den frühesten Zeiten ihrer
Entwickelung die weitgehendsten generellen Folgerungen aus
einzelnen Beobachtungen oder Voraussetzungen gezogen hat. Wenn,
so schloß man, die Lebersubstanz ein Heilmittel bei Leberleiden, die
Hodenmasse wirksam bei Krankheiten der Zeugungskraft sein könnten,
wenn das Blut bei allgemeiner Blutarmut und Körperschwäche
kräftigend wirkt, wenn männlicher Samen in jener Lebenszeit eine
Hebung des allgemeinen Körperzustandes zu leisten vermag, in
welcher mit Aufhören der Samenproduktion die Altersschwäche
eintritt, so müßten doch ganz mit demselben Recht auch alle an-
deren Körperglieder, alle Se- und Exkrete die gleiche Rolle bei
Erkrankungen der eventuellen Organe spielen.
So ungefähr werden die Vorstellungen und die daraus ge-
zogenen Schlüsse beschaffen gewesen sein, auf Grund deren die
Annahme, daß jedes Körperglied und jedes Funktionsprodukt
eines gesunden Lebewesens für die entsprechenden erkrankten
Teile eines anderen Lebewesens einen unbedingten Heilwert haben,
sich zu einem Gesetz von allgemeinster Geltung entwickelt hat.
§ 3. Die Faktoren, welche den weiteren Ausbau der
Organtherapie gefördert haben.
Mit diesem bis auf den heutigen Tag in Gültigkeit ge-
bliebenen Gesetz hatte man nun aber erst die feste Basis für
ein therapeutisches Verfahren gewonnen. Die Einzelheiten der
i) Magnus. Kritik der medizinischen Erkenntnis. In: Abhand-
lungen zur Geschichte der Medizin. Heft X. Breslau 1904. Seite ji ff.
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j
Der Auf- und Ausbau der Organtherapie.
«9
Methode selbst, die Anwendungsformen der verschiedenen tierischen
Substanzen 1 ), ihre Indikationen und was sonst noch alles erforder-
lich ist, um eine Behandlungsmethode in befriedigender Weise
auszubauen, das wurde erst ganz allmählich und durch das Zu-
sammenwirken gar mannigfacher Dinge erbracht. Wie zahlreich
aber und wie verschieden die bei dem Ausbau der Organtherapie
beteiligten Faktoren gewesen sind, das lehrt uns die geschichtliche
Betrachtung der genannten Verhältnisse.
Zunächst erwiesen sich bei dem Ausbau des organtherapeu-
tischen Grundgesetzes magische und theosophische Voraussetz-
ungen als höchst wirksam. Man war der Meinung, daß es durch-
aus nicht schädlich sein möchte, die Wirkung der als Heilkraft
benützten Dinge noch durch Hinzunahme übersinnlicher Kräfte
zu verstärken. Zu diesem Zweck boten sich nun aber gar vielerlei
Wege zur Auswahl dar; zuvörderst konnte man, und das war
wohl das Einfachste und Billigste, durch Beschwörungsformeln die
heilkräftige Macht der in Anwendung genommenen tierischen Sub-
stanz zu erhöhen versuchen. Solches geschah in früheren Zeiten
denn auch. So wissen wir z. B., daß die Assyrier und Babylonier
es für durchaus geraten hielten, bei der Verabreichung von
Medizinen verschiedene Beschwörungsformeln und Zaubersprüche
in Anwendung zu bringen 2 ).
Auch den Überirdischen dargebrachte Opfer sollten die Heil-
wirkung der in Anwendung gezogenen Mittel wesentlich mehren
können. Nicht selten bestand die Opfergabe nun aber nicht in
irgendeinem den Göttern angenehmen Gegenstand, wie etwa einem
Tier, einer Blume u. dgl. m.; sondern man opferte einen Teil der
zur Behandlung benutzten Medizin. So erzählt z. B. Ofele s ), daß
man in Mesopotamien Knoblauch gern als Heilmittel verwendete;
doch gab man denselben nicht bloß dem Kranken, sondern man
zerpflückte wohl auch einen Knoblauchkopf und verbrannte jede
einzelne Zehe als ein wohlgefälliges Opfer für die Götter. So
hatte eben Jeder Etwas; sowohl der Kranke, welcher seine Portion
Knoblauch geschluckt hatte, wie auch die Himmlischen, denen der
*) Man vergleiche auch: Beauregard. Matiire medicale zoologique.
Histoire des dioges d'origine animale. Paris 1901.
ä) Küchler. Beiträge zur Kenntnis der assyrischen Medizin.
Inaug.-Dissertat. Marburg 1902.
von Öfele. Die Medizin in Mesopotamien zur Keilschriftzeit.
Ärztliche Rundschau 1895. No. 45/49.
2*
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20
I. Abschnitt.
wohlriechende Dampf des verbrannten Knoblauchs zu Ehren ge-
duftet hatte. Dabei konnte es nun aber im Verlauf einer längeren
Zeit wohl auch geschehen, daß der ursprüngliche therapeutische
Gedanke, der bei der Darreichung einer Substanz maßgebend ge-
wesen war, ganz in Vergessenheit geriet und schließlich nur noch
das Opfer übrig blieb, welches anfänglich die Verabfolgung des
Mittels begleitet hatte. Auch ging unter Umständen aus der Vor-
stellung, welche man von der medizinischen Wirkungsweise einer
Substanz ursprünglich gehabt hatte, ein Opferkult derselben hervor.
So etwas Ähnliches geschah dem männlichen Samen 1 ). Dieses
Produkt des tierischen Lebens wurde, wie wir im Beginn dieser
Untersuchung gezeigt hatten, (siehe Seite 5 Anmerkung 2) anfänglich
als ein Stärkungsmittel geschwächter Personen therapeutisch benutzt.
Hatte sich die Heilkunde bei der Darreichung dieses Sekretes von der
Vorstellung leiten lassen, daß diese Leben spendende Feuchtigkeit
zur Auffrischung und Erhaltung geschwächten Lebens wohl
nützlich sein könnte, so hatte sieb dieser Gedanke dann
allmählich in eine Kultform umgewandelt, indem man meinte:
den Überirdischen würde diese dem irdischen Leib so überaus
bekömmliche Substanz wohl auch eine angenehme Gabe sein.
So wissen wir, daß die Religionsparteien der Gnostiker und
Manichäer bei ihren Andachten männlichen Samen sowohl ver-
speisten, als auch zum Opfer darbrachten. Ein jeder dieser
Genossen und Genossinnen nahm dabei eine Portion Samen in die
Hand, aß davon und sagte: „Wir bringen dies Geschenk als den
Leib Christi.“ Ähnlich verfuhren sie übrigens auch mit dem Men-
strualblut. Auch dieses Produkt, das, wie wir späterhin noch sehen
werden, sich eines sehr bedeutenden therapeutischen Rufes und
Gebrauches erfreute, wurde schließlich als Opfer benützt. Auch
dieses nahmen die Gnostiker und Manichäer in die Hand und
sagten: „Dies ist das Blut Christi.“ Man sieht also aus diesen
Beispielen, wie sich der Gedanke von der heilkräftigen Wirkung,
welche dieses oder jenes Ding auf den menschlichen Körper resp.
auf den Lebensprozeß ausüben sollte, zuerst zu einer therapeutischen
Handlung verdichtet hat, um dann allmählich aus der medizinischen
Vorstellung auszuscheiden und in die religiösen Anschauungen
irregeleiteter Phantasten hinüberzugleiten.
i) Strack. Das Blut im Glauben und Aberglauben der Mensch-
heit. München 1900. 5. bis 7. Auflage. Seite 15 ff.
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Der Auf- und Ausbau der Organtherapie. 21
Außer den soeben besprochenen theosophischen Anschauungen,
welche auf den Ausbau der Organtherapie sich von Einfluß er-
wiesen hatten, wirkten nun noch andere Momente gestaltend auf
die Entwickelung der genannten Heilmethode ein.
Vor allem mußten die Beobachtungen, welche man über die
Lebensweise der Tiere, sowie über die Betätigung ihrer einzelnen
Körperteile gemacht hatte, oder gemacht zu haben glaubte, auf die
heilkünstlerische Verwendung der verschiedenen Organe und
Funktionsprodukte einwirken. Natürlich wird man alle solche Lebe-
wesen, die man mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet wähnte,
dann besonders gern zu heilkünstlerischen Zwecken herangezogen
haben, wenn grade die entsprechende Fähigkeit bei dem zu Behandeln-
den erkrankt war. So benützte man z. B. die Augen besonders scharf-
sichtiger Tiere bei Augenerkrankungen u. dgl. m. Dabei spielte
nun aber der Aberglaube keine kleine Rolle. Denn bekanntlich haben
Märchen und Sage den Tieren allerlei körperliche wie geistige
Funktionen zugeteilt, über welche diese oft gar nicht zu verfügen
haben. Und gerade solche, den Lebewesen ganz willkürlich zu-
geschriebene Fertigkeiten wurden ganz besonders gern zum Aus-
gangspunkt der Organtherapie gemacht. Da nun aber das Märchen
wie die Sage sich bei den verschiedenen Völkern ganz verschieden
entwickelt haben, indem sie in engem Anschluß an Klima, Lebens-
weise, Religion, Höhe der kulturellen Entwickelung u. s. w. eine
diesen Faktoren entsprechende Ausbildung erfuhren, so folgt daraus,
daß auch die therapeutische Bedeutung der einzelnen Tiere und
ihrer Organe sich gar mannigfach gestalten mußte. So ist es denn
gekommen, daß das nämliche Tier (man vergl. Abschnitt II § 8 ff.
dieser Arbeit) je nach der Zeitströmung und Volksanschauung, für
ganz verschiedene Krankheitsformen verwendet wurde. Je auf-
fallender ein Tier in seiner Gestalt und Lebensweise war und
je unheimlicher es dadurch dem Menschen wurde, um so mehr
schmückte es die dichtende Phantasie mit allerlei Fertigkeiten
aus; demgemäß sehen wir eine ganze Reihe häßlicher, unheimlicher
Tiere als ganz besonders heilkräftig bewertet, wie z. B. die
Schlange, die Kröte, den Salamander u. a. m.
Auch die Lebensgewohnheiten und der Kulturzustand der
Völker haben einen sehr weitgehenden Einfluß auf die Organtherapie
ausgeübt. So haben Jagd und Viehzucht treibende Nationen eine
wesentlich anders geartete Vorstellung von der medizinischen Nutz-
barkeit der Tiere, als die Ackerbau- und Handeltreibenden. Die
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22
I. Abschnitt.
am Meer wohnenden Kulturträger machen wesentlich andere
Tiere zu Besitzern medizinischer Eigenschaften als die Bewohner
der Gebirge und des Binnenlandes. Und auch in der thera-
peutischen Verwendung der einzelnen Tierglieder unterscheiden
sich die Insassen des Flachlandes erheblich von den Gebirgs-
völkern und den Küstenstämmen.
Sodann hat der allgemeine Bildungszustand in nicht unerheblichem
Umfang auf den Ausbau der Organtherapie eingewirkt. Denn es
ist ja doch wohl unausbleiblich, daß diejenigen Ideen, welche das
geistige Dasein in ausgesprochener Weise beeinflussen, auch
in die praktische Ausgestaltung der verschiedensten Lebens-
verhältnisse mehr oder minder bestimmend eingreifen werden. So
haben z. B. die pythagoräischen wie neuplatonischen Lehren mit
ihrem Geister- und Dämonenglauben die Heilkunde stets auf das
Mächtigste beeinflußt. Von Pythagoras bis auf Paracelsus spielt
der Dämon in der Krankheitslehre eine bedeutende Rolle, und
selbst heutzutage mag das Volk von allerlei überirdischen, mit
dem Kranksein eng verknüpften Wesen gern reden. So ist es
denn weiter nicht zu verwundern, wenn die Dämonen auch in die
Organtherapie pfuschen und für dieses oder jenes Körperglied eine
besondere Vorliebe oder Abneigung haben, welche dann alsbald
von der Organtherapie ausgebeutet werden muß. So erfanden die
Nachbeter des Paracelsus das sogenannte sympathische Ei. Es
war dies ein ausgeblasenes, mit frischem Menschenblut gefülltes
Hühnerei. Dieses Ei wurde zunächst einer Henne zum Brüten
untergelegt, dann nochmals der Hitze des Backofens anvertraut, um
nun seine volle Heilkraft erlangt zu haben. Jeder, in einem kranken
Menschen rumorende Dämon mußte nun, sofern er überhaupt in
irgend einer Beziehung zum Blut stand, für solch ein Blutei eine
gar zärtliche Zuneigung äußern. Diese Vorliebe äußerte der
Krankheitsdämon dadurch, daß er, sobald das Ei in seine Nähe
gebracht wurde, alsbald voller Behagen in dasselbe hineinschlüpfte.
Diese Neigung des Dämons benutzte der Kranke nun in der Weise,
daß er das Blutei auf sein schmerzendes Körperglied legte, um
alsbald des Schmerzes und des unsauberen Krankheitsgeistes
ledig zu sein.
Auch der geistige Tiefstand, der ja stets zu allerlei betrüblichen
Mißgeburten der Phantasie geführt hat, ist stets in der Ausgestaltung
der Organtherapie von maßgebendem Einfluß gewesen. Denn der
Aberglaube ist noch stets der unzertrennliche Begleiter des geistigen
I
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Der Auf- und Ausbau der Organtherapie.
23
Stumpfsinnes und der geistigen Finsternis gewesen. Und so sehen
wir denn auch, wie gerade im Mittelalter der Aberglaube die
allertollsten organtherapeutischen Ideen zutage gefördert hat. Ist
doch z. B. die Lehre von der therapeutischen Wichtigkeit des
menschlichen Leichnams, sowohl in seinem frischen wie mumi-
fizierten Zustand, gerade im Mittelalter in die vollste Blüte getreten.
Spricht zwar auch schon Plinius von dem Heilwert der verschiedensten
Teile einer menschlichen Leiche, so ist es doch das unbestreitbare
Verdienst des Paracelsus, diesen entsetzlichen Unsinn in ein System
gebracht und seiner Verbreitung solchen Vorschub geleistet zu haben,
daß bis in das 19. Jahrhundert hinein der mumifizierte menschliche
Leichnam als ein besonders wertvolles Heilmittel galt. Die Mumie
konnte ganz erstaunliche heilkünstlerische Leistungen vollbringen
und das in einer erfreulichen Vielseitigkeit. So gibt der Leibarzt
des Kurfürsten von Mainz und Bayern J. I. Becher (1630 — 1682)
folgenden Bericht von dem, was eine Mumie alles leisten könne :
Die Mumie resolvirt geronnenes Geblüt
Vor Miltzes stechen und vor Husten es behüt
Blähung und Wind des Leibs, verhaltene Weiberzeit
Zwey Quintlein öffnen dir, zum Pulver seynd bereit 1 ).
So hat denn der Aberglauben die Organtherapie nicht bloß in
ihren Anschauungen bestärkt, sondern auch auf die schauder-
haftesten Abwege geführt. Doch würde es uns zu weit führen,
wollten wir all’ die verschiedenen Spielarten, zu denen Aberglaube
und Organtherapie sich zusammengeschlossen haben, eingehend be-
sprechen. Die Astrologie, die Nekromantie, die Magie und wie
die Ausgeburten des Aberglaubens alle sonst noch heißen mögen,
jede hat für ihren Teil an dem Ausbau der Organtherapie mitge-
arbeitet und schließlich so den entsetzlichen Wust von Unsinn
schaffen helfen, welchen die Pharmakopoeen des Mittelalters bis
in die neue Zeit hinein, enthalten.
Unter den bei dem weiteren Ausbau des organtherapeutischen
Grundgesetzes tätigen Faktoren vermissen wir nun aber während
des Altertums, des Mittelalters, der Renaissancezeit wissenschaft-
liche Einflüsse ganz. Wie ja überhaupt alle die genannten
i) Die von mir mitgeteilten Tatsachen habe ich der schon erwähnten Arbeit
entnommen: Wiedemann, Mumie als Heilmittel. Zeitschrift des Vereins für
rheinische und westfälische Volkskunde 1 906. 3. Jahrgang. Übrigens ist die Schrift
von Wiedemann für die geschichtliche Kenntnis der Arzneimittellehre sehr wertvoll.
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24
I. Abschnitt.
Entwickelungsperioden der Medizin wenig oder gar nicht mit Ver-
suchen gearbeitet, sondern ihre spekulativen Voraussetzungen
meist überhaupt nicht oder doch höchstens nur durch eine sehr
unvollkommene Beobachtung zu erhärten getrachtet haben, so
taten sie dies auch in der Organtherapie. Wie die Vermutung,
auf welche man diese Behandlungsmethode ursprünglich gegründet
hatte, schließlich ja doch auch nur das Produkt einer willkürlichen
durch den Analogieschluß gestützten Spekulation gewesen war, genau
so ging es auch mit dem weiteren Ausbau der genannten Therapieform.
All die folkloristischen Momente, deren man sich bei der weiteren
Entwickelung der Organbehandlung bediente, hatten mit Ver-
such und halbwegs vernünftiger, medizinisch gearteter Beobachtung
gar nichts zu tun. Spekulation und Analogieschluß waren die
einzigen Hilfsmittel, mit denen man eine einwandsfreie und
leistungsfähige Form der therapeutischen Verwendung der Körper-
organe und Funktionsprodukte zu gewinnen bestimmt hoffte. Bei
dieser Art, aus dem organtherapeutischen Grundgesetz die weiteren
therapeutischen Konsequenzen zu ziehen, mußte natürlich jenes
Grundgesetz immer mehr in Vergessenheit geraten. Man war nicht
mehr bestrebt, zu erkennen, ob und warum ein gesundes Körper-
glied das entsprechende kranke eines anderen Lebewesens ersetzen
könne, sondern man suchte in den Organen, in den Se- und Ex-
kreten des tierischen Leibes allerlei therapeutische Leistungs-
möglichkeiten, welche mit dem Prinzip des ursprünglichen Gesetzes
auch nicht das Mindeste mehr zu tun hatten. So verwendete man die
Leber nicht mehr nur bei Lebererkrankungen, das Menstrualblut
nicht mehr bloß bei Uterinzuständen, den Kot nicht ausschließ-
lich bei Stuhlbeschwerden u. s. w., sondern alle möglichen
Körperveränderungen sollten nunmehr durch die dem Tier- und
Menschenleib entnommenen Substanzen zum normalen Verhalten
zurückgefuhrt werden können. Und da man nun diese Bestrebungen
jahrhundertelang emsig betrieb, da die Berufs- wie die Volksmedizin
in größter Eintracht daran arbeiteten, eine möglichst vielseitige
therapeutische Verwendung der Lebewesen zu entwickeln, so
wurde schließlich aus der Organtherapie das, was die Geschichte
unserer Wissenschaft so treffend als Dreckapotheke bezeichnet hat.
Aber dieser Name galt schließlich sogar gar nicht einmal als etwas
Schimpfliches, als etwas die Organ therapie Verunglimpfendes, sondern
man brüstete sich sogar mit demselben, indem man der festen
Ansicht war, daß im Kot, Urin, kurz in allem möglichen
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Der Auf- und Ausbau der Organtherapie.
25
Unrat wirkliche und wahrhaftige, überaus kräftige Heilpotenzen
verborgen seien. Man berief sich dabei auf die ja so über allen
Zweifel erhabenen Vorteile, welche das Düngen des Ackerlandes
brächte. Wie das Feld durch den Kot verbessert und zu reichem
Ertrage befähigt werde, so werde — an der Hand des unseligen
Analogieschlusses wurde diese Folgerung unseren Vorfahren nicht
schwer — auch der Körper aus Schmutz und Dreck heilsame
Kräfte zu gewinnen wissen. Und da der Mensch außerdem
noch — so sagt Paulini 1 ), der Verfasser einer ihrer Zeit viel ge-
brauchten und weit gerühmten Dreckapotheke — aus „Kot und
Leimen“ herstamme, oder wie der fromme Abt Bernard zu
Cläre vall*) in Burgund meinte, aus Dreck bestehe, so lag es ja
doch auf der Hand, daß Kot, Urin, sowie überhaupt aller sonstige
menschliche Unrat ganz fürtreffliche Heilsubstanzen sein müßten.
Da nun aber überdies noch Galen, der medizinische Papst des
Mittelalters, sich dahin vernehmen ließ, daß Kot sehr bemerkens-
werte Kräfte besitze und zwar je nach den verschiedenen
Tierlieferanten gar unterschiedliche, aber stets therapeutisch
sehr brauchbare, so hatte die zur Dreckapotheke entartete
Organtherapie einen Boden gewonnen, wie er wissenschaftlich
gar nicht empfehlenswerter gedacht werden konnte: so meinte
wenigstens die damalige Zeit. Allein das, was die Dreck-
Therapeuten der Menschheit zu bieten wagten, wurde schließlich
wohl doch zu viel. Der gesunde Verstand begann gegen diese
Auswüchse der Behandlung schließlich doch sich zu wehren, und
so klagt Paulini’) in der 5. Auflage seiner Dreck -Apotheke gar
beweglich wie folgt:
Hoc scio pro certo, quod si cum stercore certo,
Seu vinco, aut vincor, semper ego maculor.
So ging denn im Lauf des 17. Jahrhunderts, wenigstens in
der Berufsmedizin, die Organtherapie an der Dreck -Apotheke zu
Grunde. Daß dann in der neuesten Zeit die Organtherapie wieder
in ganz erstaunlichem Umfang erstanden ist und es kaum noch
ein Organ des Körpers gibt, das nicht von den heutigen
r) Paulini. Neue vermehrte heylsame Dreck- Apotheke, wie nem-
lich mit Kot und Urin fast alle, ja auch die schwersten Krankheiten
curiret werden. Frankfurt und Leipzig 1792. 5. Aufl.
s ) Paulini a. a. O. Vorwort Seite 2.
s ) Paulini. Vorwort.
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26
I. Abschnitt.
Arzneimittel-Fabriken zur Herstellung der mannigfachsten Präparate
benutzt würde, haben wir schon Abschnitt I § 2 Seite 9 ff. dieser
Arbeit besprochen.
Jetzt wollen wir zum Schluß dieses Teiles unserer Unter-
suchung noch eine ganz besondere Betätigungsform der antiken
und mittelalterlichen Organtherapie erwähnen. Dieselbe erregt
dadurch unser Interesse in nicht geringem Grade, weil sie gleich-
sam als die Vorläuferin unserer modernsten heilkünstlerischen
Bestrebungen gelten muß. Die folgenden Paragraphen werden
uns nämlich zeigen, daß selbst die neuesten therapeutischen Ge-
danken von der antiken Welt, wenn auch nicht in der exakten
Form unserer Zeit gedacht, so doch wenigstens, wenn auch nur
in noch recht unvollkommener und naiver Weise, bereits geahnt
worden sind.
§ 4. Die Organtherapie der Hundswut, des Schlangen-
bisses, der Pest, der pflanzlichen und mineralischen
Vergiftungen im Altertum und Mittelalter.
Die antike Medizin hat sich nicht damit beruhigt, nur Teile
und Funktionsprodukte gesunder Lebewesen zur Behandlung
kranker Menschen zu verwenden, sondern sie hat auch versucht,
das kranke Tier therapeutisch zu verwerten. In diesem Gedanken
aber, das pathologisch beeinträchtigte Tier zu heilkünstlerischen
Zwecken zu benützen, reichen sich die alte und neue Medizin
wiederum die Hand, wie wir sie dies ja auf anderen Gebieten der
Organtherapie auch schon haben tun sehen. In diesem Sinne also
und in dieser Beschränkung kann das Altertum mit Recht in der
Geschichte des jüngsten Zweiges' der modernen Medizin, in der
Geschichte der Serumtherapie, einen wenn auch bescheidenen Platz
beanspruchen. Doch wird diese Tatsache den Historiker nicht
sonderlich in Erstaunen versetzen können; weiß er ja doch, daß
gerade die antike Medizin in der Produktion origineller, inhalts-
schwerer Gedanken sehr fruchtbar gewesen ist. Ich will hier nur
an die allgemeine Narkose und die lokale Anästhesie erinnern,
welche beide das Altertum gekannt und geübt hat. ')
Magnus. Der Wert der Geschichte für die moderne induktive
Naturbetrachtung und Medizin. In: Abhandlungen zur Geschichte der Me-
dizin. Breslau 1904. Heft XI. Seite 14 ff.
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Der Auf- und Ausbau der Organtherapie.
27
Allerdings hat ja nun aber die alte Heilkunde mit dem Ver-
suche, die Organtherapie auch mittelst pathologisch beeinflußter
Tiere zu üben, gar kläglich Schiffbruch gelitten, während die
moderne Medizin diesen Versuch mit dem glänzendsten Erfolg
durchgeführt und zu einer wohl begründeten Methode ausgebaut
hat ; aber das ändert an der Tatsache nichts, daß beide, die alte
wie die neue Heilkunde, den Gedanken, ein pathologisch beein-
trächtigtes Tier zu heilkünstlerischen Zwecken zu benützen, ge-
meinsam gehabt haben. Leider gebrach es aber der antiken Heilkunde
meist an dem notwendigen wissenschaftlichen Rüstzeug, um einem
inhaltsreichen Gedanken nun auch zu einem lebensfähigen Dasein zu
verhelfen. So ging es eben auch dem Gedanken, das kranke
Tier therapeutisch zu verwerten. Denn indem das Altertum von
Haus aus darauf verzichtete, durch Versuch und Beobachtung für
ihn eine geeignete Anwendungsform zu suchen, vielmehr meinte,
durch allerlei willkürliche Spekulationen über die Wirkungen von
Gift und Gegengift jenen vielversprechenden Gedanken schon ge-
nügend erkannt und geklärt zu haben, hatte sie die mit krankhaft
beeinträchtigten Tieren operierende Organtherapie zunächst auf ein
totes Gleis gefahren und ihr die Möglichkeit eines rationellen Aus-
baues wesentlich erschwert. Demgemäß ist denn auch diese Art
der Organtherapie gleich das erste Mal, wo sie uns in klarer Form
entgegentritt, nichts wie eine rohe, auf spekulative Voraussetzungen
sich stützende Maßnahme.
Dieser früheste antike Versuch, unter Benutzung kranker Tiere
dem Ausbruch einer Krankheit organtherapeutisch vorzubeugen resp.
dieselbe organ therapeutisch zu behandeln, gilt der Hundswut und
findet sich bei Plinius. 1 ) Derselbe rät nämlich, den von einem
tollen Hund Gebissenen den Speichel einzugeben, der sich unter
der Zunge des wütenden Hundes findet oder in Ermangelung
dieser Substanz die Leber des kranken Hundes roh oder gekocht
essen oder eine daraus bereitete Brühe trinken zu lassen. Und
im Mittelalter*) ließ man zur Verhütung des Ausbruches der Wut
das Blut eines tollen Hundes trinken, während Dioskorides 5 ) das
l ) Plinius. Naturalis historiae libri XXXVII. Ree. Janus. Vol. IV.
Lipsiae 1859, Seite 224. Lib. XXIX Kap. J2.
*) Schroederi trefflich versehener Medicinchymischer höchst
kostbahrer Artzney-Schatz. Nürnberg 1695. Seite 15. Buch 5. Class I.
5 ) Dioskorides. De materia medica libri quinque. Ed. Kühn. Leipzig
1829. Vol. I. Lib. II. Kap. 97.
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28
I. Abschnitt.
Blut eines gesunden Hundes als wirksames Heilmittel der Hunds-
wut empfiehlt.
Auch darüber sind wir unterrichtet, wie man sich im Altertum
und auch später im Mittelalter die Wirkungsweise dieser Be-
handlungsmethode gedacht hat. Man glaubte nämlich, daß das
durch den Hundebiß in den Körper gelangte Gift nur durch ein
Gegengift unschädlich gemacht werden könne. Celsus 1 ) und später
auch Galen®) berichten nämlich, daß die wirksamste Behandlung
des Bisses giftiger Tiere die Anwendung eines Gegengiftes sei.
Bekanntlich spielte die Lehre von den Gegengiften im Altertum
eine sehr bedeutende Rolle — ich erinnere z. B. an eines der
berühmten Gegengifte des Mithridates, welche aus 33 verschiedenen
Substanzen bestand, während das des Andromachus gar siebzigerlei
Ingredienzen zählte — und auch im Mittelalter war dieselbe so
verbreitet, daß der Theriak, wie man das landesübliche Gegengift
nannte, zu den unentbehrlichsten Dingen der Pharmakopoe gehörte.
Man erwartete nun von einem Gegengift, also auch von den
giftigen Tieren entnommenen Substanzen, zweierlei Wirkung.
Entweder sollte dasselbe das in den Körper gedrungene Tiergift
an sich ziehen und, ähnlich wie der Magnet das Eisen, aus der
Bißwunde herausreißen. Man glaubte dabei, daß das in den
Menschenleib durch Biß eingeführte Gift zu seinem Hauptquell
einfach zurückkehre. Oder aber die zu therapeutischen Zwecken
dem vergifteten Kranken einverleibten tierischen Substanzen sollten
eine Zersetzung des durch Biß eingedrungenen Giftes veranlassen.
Man vermutete nämlich in den dem tollen Hund entnommenen
Teilen, wie Leber, Speichel, Blut eine besondere Form des Giftes,
und zwar ein unzubereitetes und deshalb noch unschädliches Gift.
Doch sollte dieses, wie wir mit einem modernen Ausdruck sagen
würden, latente Gift die sehr schätzbare Eigenschaft besitzen, das
wirkliche, bereits manifest gewordene Wutgift zu zerstören resp.
es in das Stadium der Latenz zurückzubefördem. 3 )
Klingen diese Vorstellungen von der Zerstörung eines manifest
gewordenen Giftes durch das den tierischen Organen eigene latente
l) Celsus. De arte medica, Ed. Daremberg. Lipsiac Lib. V. Kap. 23.
*) Galen. De antidotis. Tom II. In: Opera omnia. Ed. Kühn. Leipzig
1821/3 ). Dort finden sich zahlreiche Rezepte zur Herstellung von Gegengiften.
Ebenso bei Paulus von Aegina, De re medica. Lib. VII. Kap. 8 und
Kap. lt.
' s ) Curieuse Haus- Apotheke. Frankfurt a. M. 1700. Seite 153.
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Der Auf- und Ausbau der Organtherapie.
29
Gift schon recht vernehmlich an die moderne Serumtherapie an,
so wird die Verwandtschaft der antiken organtherapeutischen
Bestrebungen mit denen der heutigen Medizin durch folgende
Tatsache in ein noch viel helleres Licht gerückt. Man glaubte
nämlich, daß das Blut ganz gesunder, von Haus aus nicht giftiger
Tiere, durch das Futter, von dem sich besagte Lebewesen er-
nährten, schließlich die Fähigkeit eines Gegengiftes gewönne. Das
Blut sollte allmählich in einen solchen Zustand gelangen, daß es
nunmehr die schädlichen Wirkungen, welche die verschiedensten
Gifte auf den menschlichen Körper ausüben, vollkommen zu
neutralisieren vermöge. So erzählt uns Plinius *), daß die berühmte
Wirkung des von Mithridates erfundenen Antidots wesentlich darin
bestanden habe, daß seinem Präparat das Blut von pontischen
Enten*) beigemischt wurde, welche mit Gift ernährt wurden. In
welcher Weise diese Giftnahrung der Enten sich vollzog, ob ihnen
von Menschenhand gifthaltiges Futter gereicht wurde, oder ob man
glaubte, daß die aus dem Schlamm und dem Unrat von der Ente
freiwillig herausgesuchte Nahrung schon an und für sich giftig
genug sei, um das Entenblut zu einem Gegengift zu machen,
darüber steht im Plinius nichts. Die betreffende Stelle unseres
lateinischen Gewährsmannes lautet nämlich: „Illius (nämlich des
Mithridates) inventum sanguinem anatum Ponticarum miscere anti-
dotis, quoniam veneno viverent“. Da wir nun wissen, daß der
giftkundige König Mithridates sich ein ganz gewaltiges Laboratorium
hielt, in welchem er ununterbrochen die mannigfachsten Versuche
anstellte, welche vornehmlich auf die Unschädlichmachung der
verschiedenen Gifte abzielten, so ist es schon möglich, daß er wohl
auch experimentell das Blut einzelner Tiere so zu beeinflussen
gesucht haben wird, daß es antitoxisch wirksam wurde. Dafür spricht
wenigstens die Tatsache, daß er, wie Paulus von Aegina 3 ) berichtet,
ein Antidotum e sanguinibus hergerichtet hatte*).
i) Plinius. Naturalis historiae libri XXXVII. Vol. IV. Rcc. Janus.
Lipsiae 1859. Lib. XXV. Kap. 3.
Actuarius. Medicus sive De methodo raedcndi. Lib. 5. Kap. 6.
>) Man vergl. auch: Higier. Die Grundlagen der Organotherapie
und der antitoxischen Heilmethoden bei den alten Griechen. Deutsche
Ärzte-Zeitung. 1904. Heft 14. Seite 318 ff.
S) Paulus von Aegina. De re medica. Lib. VII. Kap. XI.
*) übrigens führt unter den aus der Organtherapie entnommenen antitoxischen
Mitteln Plinius unter anderem auch den Magen des Storches an (Lib. XXIX
Kap. 33). Ob aber diese Empfehlung mit der Tatsache zusammenhängt, daß der
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30
I. Abschnitt.
Aber ob nun der große Herrscher von Pontus bereits
experimentell versucht haben mag, das Blut der verschiedensten
Tiere durch geeignete Behandlung des betreffenden Geschöpfes zu
einem Antidot umzugestalten oder nicht, das ändert an der Tatsache
nichts, daß die Alten tatsächlich bereits die Möglichkeit ins Auge
gefaßt hatten: aus dem Tierleib durch passende Giftbehandlung
ein Gegengift zu gewinnen. Das ist aber genau der nämliche
Gedanke, welchen die moderne Heilkunde in der Serumtherapie
zu so hoher Vollendung entwickelt hat.
Wenn nun die alte Medizin diesen so vielversprechenden
Gedanken nicht experimentell weiter verfolgt und verallgemeinert
hat — denn wenn auch Mithridates dies möglicherweise getan
hat, so blieb das doch immer nur ein ganz vereinzeltes Geschehnis
und hat niemals Veranlassung zu weiteren Versuchen von seiten der
antiken Ärzte gegeben — vielmehr mit dem rohen Verfahren sich
begnügt hat, wie wir es bei der Behandlung der Hundswut vorhin
beschrieben haben, so hängt das mit den pathologischen Anschau-
ungen der griechischen und römischen Heilkunde zusammen. Man
konnte nicht auf den Gedanken kommen, andere Erkrankungen als
wie Vergiftungen mit den Organen pathologisch beeinflußter Tiere
beeinflussen zu wollen, weil man ja alle Krankheiten nur als Folge-
zustände des abnormen Verhaltens der flüssigen und festen Körper-
bestandteile auffaßte. Die verschiedenen Mischungsverhältnisse aber,
welche Schleim, Blut und Galle erleiden und in den mannigfachsten
Krankheitsformen zum Ausdruck bringen sollten, konnten durch
Gegengifte ebenso wenig geändert werden, wie die Spannungsverhält-
nisse der festen Körperteile. Um dies zu tun, dazu gehörten nach
den Anschauungen unserer alten Kollegen ganz andere Maßnahmen ;
dazu mußte man durch allerlei pflanzliche wie mineralische Mittel
auf Schleim und gelbe Galle, auf Blut und schwarze Galle, auf
Poren und Kanäle zu wirken suchen. Was hätte einen Arzt des
Altertums dazu veranlassen sollen, Tuberkulose oder Diphtherie,
Tetanus oder Typhus organtherapeutisch beeinflussen zu wollen?
Um dies tun zu können, dazu hätte er in den inneren Erkrankungen
eben auch Vergiftungen sehen müssen. Solange dies aber nicht
Storch oft giftige Tiere als Schlangen u. dg. m. verzehre, wie dies Neuburger
(a. a. O. Seite 8) meint, ist doch sehr fraglich, da Pliuius den Storchmagen auch
gegen einzelne Krankheiten empfiehlt, welche mit einer Vergiftung nichts zu tun
haben, so z. B. gegen Furunkeln (Lib. XXX Kap. 34).
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Der Auf- und Ausbau der Organtherapie. 3 1
der Fall war 1 ), konnte von einer Anwendung der mit pathologischen
Organen arbeitenden Therapie auf innere Krankheitsformen gar keine
Rede sein. Wäre aber je einmal ein antiker Arzt auf die Idee ge-
kommen, ein krankes Organ durch das entsprechende kranke Glied
eines Tierkörpers, etwa eine kranke Lunge durch eine kranke Tier-
lunge zu behandeln, so hätte er damit bei allen Krankheitssystemen den
größten Unwillen erregt. So sehr sich im übrigen auch die verschiedenen
Krankheitshypothesen befehdeten, so sehr sie sich haßten und ver-
folgten, wie ein Mann würden sie allesamt gegen den aufgetreten sein,
der da die mit dem kranken oder giftigen Tier arbeitende Organtherapie
hätte bei anderen als Vergiftungen in Anwendung bringen wollen.
Mochte also die alte Medizin den Gedanken der Serumtherapie
auch schon in mehr oder minder klarer Form produziert haben, er konnte
nicht zur Entwickelung gebracht werden, da dies die pathogenetischen
Anschauungen des Altertums nicht zuließen. Nur in dem engen Gebiet
der Vergiftungserkrankungen, wie es ebendie antike Heilkunde kannte,
konnte von einer Art von Serumtherapie oder doch wenigstens von
einer Behandlungsform die Rede sein, welche zu der modernen Serum-
therapie verwandtschaftliche Beziehungen unterhält.
Nach dem Gesagten konnte also außer bei der Hundswut, nur
noch bei anderen Vergiftungen, mochten sie nun tierischen,
pflanzlichen oder mineralischen Ursprungs sein, von einer Organ-
therapie die Rede sein.
So finden wir dieselbe zunächst bei den Vergiftungen mit
Schlangengift. Die Behandlung des Schlangenbisses wurde im
ganzen Altertum wie im Mittelalter genau nach dem Schema der
Wuttherapie mittelst verschiedener Teile der Schlange geübt. So
rät Plinius (Buch XXIX Kap. 21), auf die Bißwunde die Galle einer
giftigen Schlange zu streichen oder die ganze Schlange in Wasser
zu zerstampfen und die so gewonnene Lauge auf die Wunde zu
verbringen. In der nämlichen Weise sollte der Kopf der Schlange
oder deren Eingeweide auf die Wunde gelegt werden, weil sie
bestimmt das Gift an sich ziehen würden. 2 )
1) Von den Krankheitsformen, welche für uns heut bakterieller Natur sind,
scheinen zuerst die sogenannten akuten Infektionen als Vergiltungserscheinungen
aufgefaßt und dementsprechend mit einem entgiftenden Verfahren behandelt worden
zu sein. Man vergl. darüber:
Neuburger. Die Vorgeschichte der antitoxischen Therapie der
akuten Infektionskrankheiten. Stuttgart 1901.
*) Curieuse Haus-Apotheke. Seite 153.
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32
I. Abschnitt.
Diese Anschauungen gestatteten dann einen doppelten Gebrauch
der zu therapeutischen Zwecken benutzten tierischen Teile. Man
konnte sie entweder ohne weiteres auf die Wunde selbst bringen,
also dem kranken Menschen direkt in seine Säftemassen ein-
verleiben. Diese Anwendung könnte man allenfalls als ein Ana-
logon unserer subkutanen Injektion auffassen. Oder man ließ das
tierische Gegengift vom Magen aus wirken.
Neben den tierischen Vergiftungen wurden dann auch die
pflanzlichen und mineralischen mittels Organtherapie in Angriff
genommen. Vornehmlich war es hier wieder das Blut verschiedener
Tiere, welches, wie wir oben bereits gezeigt haben, künstlich durch
besondere Fütterungsarten antitoxische Qualitäten erhalten sollte.
Aber auch Tiere, welche man im Verdacht hatte giftig zu sein,
wurden mit Vorliebe zu antitoxischen Zwecken, zur Bereitung von
Antidotis benützt. So galt z. B. im Altertum wie im Mittelalter 1 )
der Kopf und Leib einer Scinkus genannten Eidechsart als wichtiger
Bestandteil der Antidote.
Übrigens 'fand die Organtherapie auch Verwendung, sobald
es sich um Erkrankungen handelte, die epidemisch auftraten und
durch dieses ihr massenhaftes Vorkommen, sowie durch die Schwere
und die Schnelligkeit des Verlaufes den Verdacht einer Vergiftung
hervorriefen, so gilt dies u. A. auch von den verschiedenen Pestarten *).
Diese behandelte man in der Weise, daß man auf die eiternde
Pestbeule gepulverte Kröten streute, in der Hoffnung, die giftige
Kröte werde das Pestgift aus dem Körper des Kranken ziehen.
§ 5. Der Begriff der Immunität im Altertum und im
Mittelalter.
Der Glaube, daß man sich durch den Genuß irgendwelcher
Substanzen oder durch Vornahme gewisser Handlungen gegen
mannigfache Gefahren wirksam schützen könne, herrschte im
Altertum, im Mittelalter sowie in der neueren Zeit ganz allgemein.
Und zwar konnte man, vorausgesetzt, daß man nur das rechte
Mittel wußte, nicht allein sich selbst gegen Verletzung, Blutung,
Feuerschaden und Gift dauernd sichern, sondern man vermochte
1) Plinius. Naturalis historiae libri XXXVIL Vol. III. Rec. Janus.
Lipsiae 1859. Lib. XXVIII. Kap. 119.
Actuarius. Medicus sive Demethodo medendi. Lib. 5. Kap. 6.
*) Curieuse Haus-Apotheke, Seite 153.
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Der Auf- und Ausbau der Organtherapie.
33
solchen Schutz auch seinem ganzen Haus zu erwerben. Man nannte
das „Festmachen“, und die Mittel dazu waren sehr zahlreich.
Amulette, Beschwörungen, geheimnisvolle Gebräuche, Einnehmen
gewisser Substanzen sehen wir da in bunter Reihenfolge wechseln.
Und manch Einer aus dem Volk trägt noch heut irgend ein ge-
heimnisvolles Etwas an seidener Schnur um den Hals in der
sicheren Meinung, sich damit eines wirksamen Schutzes gegen
allerlei Zufälle versichert halten zu dürfen. In die Kategorie dieser
magischen Sicherung gehört nun auch der antike Begriff der Im-
munität, von dem wir hier zu reden haben. Man glaubte nämlich
im Altertum, daß man mit Hülfe der Organtherapie sich dauernd
gegen die schädlichen Wirkungen des Schlangengiftes sowie gegen
jede Giftwirkung überhaupt zu sichern vermöge. Das über diesen
Punkt Auskunft gebende Material ist das folgende.
Plinius sagt XXIX, 22, daß diejenigen, welche einmal eine ge-
kochte Vipemleber gegessen hätten: „nunquam postea feriri a
serpente.“ Identifiziert man feriri hier, wie dies Wittstein 1 ) z. B.
tut, mit dem Begriff von stechen, treffen, schlagen, so wird man
übersetzen müssen: „kann hinterher niemals mehr von einer
Schlange gestochen werden“. Es sollte dann also gesagt werden,
daß man durch den Genuß von Vipernleber irgend eine magische
Eigenschaft erwürbe, welche die Schlangen veranlaßten, derartige
gefeiete Individuen nicht mehr zu beißen. Daß das Altertum
allerlei derartige phantastische Anschauungen, und zwar in reich-
lichster Menge, produziert hat, muß unbedingt zugegeben werden.
Deshalb kann auch die Übersetzung des „feriri“ mit „gestochen
werden“ keineswegs als unbefugt angesehen werden.
Nun kann „feriri“ aber auch noch in einer wesentlich anderen
Bedeutung gedeutet werden, nämlich : „durch Stich oder Hieb ge-
tötet werden“. Faßt man es in dieser Bedeutung auf, so würde
jene Stelle zu übertragen sein: „kann hinterher niemals mehr durch
den Stich einer Schlange getötet werden“. Daß diese Übersetzung
nun aber unerlaubt oder falsch sei, kann niemand behaupten, und
damit wäre die Möglichkeit gegeben, daß Plinius das, was unsere
zweite Übersetzung besagt, gleichfalls habe mit der Wendung
feriri zum Ausdruck bringen wollen. Und wirklich scheint die
i) Wittstein. Die Naturgeschichte des Cajus Plinius Secundus.
Ins Deutsche übersetzt und mit Anmerkungen versehen. Leipzig 1882. Band 5.
Seite ios, § 22.
Magnus, Die Organ- and Blut-Therapie. >
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34
I. Abschnitt.
mittelalterliche Medizin geglaubt zu haben, die Pliniussche Aussage
bedeute eine durch Genuß von Vipemleber erzeugte Immunität
gegen die Giftwirkungen des Schlangenbisses. Dafür spricht die
im Altertum wie Mittelalter ganz allgemein herrschende Ansicht,
daß derjenige, welcher von dem Pulver einer getrockneten und
zerriebenen Schlange gegessen habe, ohne Furcht vor den Folgen des
Schlangenbisses alle Schlangen greifen und festhalten dürfe. 1 ) Ja
es fehlt sogar nicht an ausdrücklichen Anweisungen, wie man sich
dauernd gegen die Beschädigungen durch Schlangenbiß schützen
könne. So wird in der curieusen Haus-Apotheke gesagt, daß der-
jenige, welcher ein rohes Schlangenherz genossen habe, niemals
mehr durch Schlangenbiß beschädigt werden könne.*)
Zu dieser Vorstellung von einer dauernden Giftfestigkeit war
aber das Mittelalter um so mehr berechtigt, als die namhaftesten
antiken medizinischen Schriftsteller, so z. B. Aetius (Tetr. IV Sermo I,
Kap. 106), Paulus von Aegina (Lib. V, Kap. 27) es als verbürgte
Tatsache berichten, daß der berühmte Giftkenner Mithridates sich
der vollkommensten Immunität gegen alle Giftwirkungen erfreut
haben solle. Ja seine Giftfestigkeit sei sogar soweit gegangen, daß
es nach seiner Gefangennehmung durch die Römer unmöglich
gewesen sei, ihn durch Gift aus dem Wege zu räumen. Nur das
blanke Eisen konnte dem gegen alles Gift gefeiten König den
ersehnten Tod schaffen.
Wir müssen es nun ganz dem Belieben des Lesers überlassen,
welche von den beiden Übersetzungen des „feriri“ ihm angesichts
des bisher Gesagten die annehmbarere zu sein scheint. Je nach
der Wahl wird er in der Lage sein, den Alten die Vorstellung
einer Giftfestigkeit zuzusprechen, welche an den modernen Begriff
der Immunität anklingt, oder sie denselben abzuerkennen.
Unsere Aufgabe konnte hier nur die sein, die Beziehung,
welche die Organtherapie für die Frage des Giftschutzes hat, zu
erwähnen.
Haben wir bis jetzt den Auf- und Ausbau der Organtherapie
nach seinen allgemeinen Bedingungen betrachtet, so hätten wir
nunmehr zu untersuchen, wie sich die Verhältnisse bei der Ent-
wickelung der therapeutischen Verwendung der einzelnen Körper-
organe und Sekrete im besonderen gestalten mögen. Da es uns
*) Schroeder a. a. O. Seite 68.
*) Curieuse Haus-Apotheke a. a. O. Seite 153.
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Der Auf- und Ausbau der Organtherapie.
35
aber viel zu weit führen würde, eine solche Arbeit für alle die in
Gebrauch gekorpmenen resp. noch in Gebrauch stehenden Körper-
teile durchzuführen, so müssen wir uns nur auf eine der zahl-
reichen organtherapeutischen Substanzen beschränken, um an ihr
nachzuweisen, wie sich der Ausbau ihrer heilkünstlerischen Nutz-
barmachung vollzogen hat. Und zwar wollen wir für diesen Zweck
das Blut wählen, weil gerade diese Substanz in dem Leben der
Menschheit allzeit eine ganz besonders hervorragende Rolle ge-
spielt hat.
Übrigens wird auch die spezielle Betrachtung der Entwickelung
der Bluttherapie für das Verständnis der Organtherapie im All-
gemeinen von Wichtigkeit sein. Denn alle die Umstände, welche
bei der Ausbildung der Blutbehandiung tätig waren, sind auch bei
dem allgemeinen Auf- und Ausbau der Organtherapie tätig gewesen.
Wenn wir daher eingehend die therapeutische Verwertung des
Blutes behandelten, so haben wir damit zugleich die Bedingungen
nachgewiesen, welche für die Entwickelung der Organtherapie über-
haupt maßgebend gewesen sind.
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II. Abschnitt.
Die Blutbehandlung. ')
§ 6. Das Alter der Bluttherapie.
Das Blut tritt uns schon in sehr frühen Zeiten der Kultur als
medizinisches Heilmittel entgegen. So wird es in jener, bereits
anfangs dieser Untersuchung erwähnten chinesischen Pharmakopoe*),
deren Ursprung bis in das dritte vorchristliche Jahrtausend zurück-
verlegt wird, als heilkräftige Substanz erwähnt. Dann finden wir
seinen therapeutischen Gebrauch in dem im 15. Jahrhundert vor
Christi verfaßten Papyrus Ebers 3 ). Darauf wird es in dem Penta-
teuch, und zwar im 3. Buch Mose, genannt, allerdings nicht gerade
in einem unmittelbaren medizinischen Hinweis, aber doch in einer
Art, welche indirekt auf die therapeutische Bewertung desselben
einen Schluß zuläßt. Da nun aber die Abfassung des Pentateuch,
wenigstens soweit mir bekannt ist, bis in das 7. vorchristliche
Jahrhundert zurückgefuhrt wird, so ist also auch im Judentum die
medizinische Beurteilung und Einschätzung des Blutes eine recht
alte*).
Auch in der abendländischen Kultur begegnet uns das Blut
in den frühesten pharmakologischen Zusammenstellungen. So wird
in verschiedenen Büchern der Naturgeschichte des Plinius das Blut
als Heilmittel erwähnt und zwar so häufig und in so mannigfacher
Weise, daß man den Eindruck gewinnt : das Blut sei zur Zeit des
Plinius, d. h. also im I. christlichen Jahrhundert, ein in Volks- wie
') Wir wollen nunmehr die therapeutische Benützung des Blutes einer ein-
gehenden Betrachtung unterziehen, weil wir damit am besten den allgemeinen
Entwickelungsgang der Organtherapie zur Anschauung bringen können.
s ) Siehe Seite 5 dieser Untersuchung.
8) Vergl. Seite 5 dieser Untersuchung.
*) Auf Seite 38 dieser Arbeit wird genauer auf diese Stellen eingegangen
werden; man vergl. also dort.
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Die Blutbehandlung.
37
Berufsmedizin gleich beliebtes und viel gebrauchtes medizinisches
Heilmittel gewesen. Da nun aber die pharmakologischen Mittei-
lungen des Plinius keineswegs etwa bloß als Äußerungen seiner
Zeit gelten dürfen, vielmehr Reproduktionen aus weit zurück-
liegenden Kulturperioden sind '), so können wir daraus ent-
nehmen, daß auch im Abendland die medizinische Benützung des
Blutes eine recht alte und lange vor Christus geübte gewesen sein
muß Im Corpus hippocraticum findet sich aber weder eine Spur
der Organtherapie überhaupt, noch ein Hinweis auf die therapeu-
tische Verwendung des Blutes im besonderen. Dadurch unter-
scheiden sich die Verfasser dieses Kanons der griechischen Medizin
höchst vorteilhaft von den ärztlichen Autoren der späteren antiken
Zeiten, welche die tierischen Heilmittel als durchaus gleichberech-
tigt mit allen anderen, auch den bewährtesten pflanzlichen wie
mineralischen Arzneistoffen gelten lassen und sie ohne Kritik für
alle möglichen Zustände empfehlen. Auch in den mittelalterlichen
medizinischen Werken, sowie in den aus der Renaissancezeit und
aus noch viel späteren Perioden stammenden Pharmakopoeen wird
das Blut als ein wichtiges Heilmittel viel genannt. Daß es auch
in der neuen und neuesten Heilkunde als Medikament mit Nutzen
zur Anwendung kommt, wenn auch in ganz anderer Form als
wie früher, ist ja bekannt genug; doch müssen wir von einer
eingehenden Besprechung der modernen Bluttherapie als nicht hier-
her gehörend absehen. Höchstens wollen wir auf die Versuche
hinweisen, welche man vor Jahren mit der Bluttransfusion gemacht
hat. Übrigens ist es ja auch bekannt genug, daß die heutige
Therapie nicht mehr das Blut direkt als Heilmittel verabfolgt,
sondern die aus Bluteiweiß hergestellten Präparate, wie: Tropon,
Plasmon, Roborat u. dergl. m.
§ 7. Der Ursprung der Blutbehandlung.
Alle Schriften, welche des Blutes als eines Heilmittels
Erwähnung tun, und zwar von den frühesten Perioden bis auf die
neue Zeit, schreiben demselben zuvörderst eine belebende, kräfti-
gende, erwärmende und erregende Wirkung zu und preisen es
deshalb als eine überaus heilsame, alle anderen Arzneimittel weit
übertrefifende Substanz. Die Erklärung dieser Tatsache liegt
i) Man vergl. Seite 6 dieser Arbeit.
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3 »
II. Abschnitt.
ungemein nahe. Denn die Erscheinungen, welche mit jedem stärkeren
Blutverlust eintreten, sind ja doch so schwere, daß sie selbst dem
stumpfsinnigsten Urmenschen nicht verborgen bleiben konnten.
Täglich mußte er sich doch im Kampf wie auf der Jagd davon
überzeugen, daß das Bestehen des Lebens unbedingt an die Er-
haltung des Blutes gebunden, daß mit einem größeren Blut-
verlust stets eine schwere Schädigung aller Lebensäußerungen,
wenn nicht gar völliger Verlust des Lebens, gegeben sei. Aus
solchen Beobachtungen erwuchs dann ganz unvermittelt die An-
schauung, daß das Blut der Träger alles Lebens sei, daß das Leben
mit all seinen mannigfachen Erscheinungsformen im Blut sitze, so
daß dieses eigentlich der stoffliche Repräsentant des Lebens sei.
Dementsprechend lesen wir denn auch im 3. Buch Mose, Kap. 17,
Vers II und Kap. 17, Vers 14: „Denn des Leibes Leben ist in
seinem Blut" und bei Plinius 1 ), Buch XI, Kap. 90: „Im Blut liegt
ein großer Teil der Lebenskraft.“ Doch sollte nicht bloß die
Lebenskraft selbst in dem Blut vorhanden sein, sondern auch alle
die psychischen wie körperlichen Eigenartigkeiten, wie sie für die
einzelnen Lebewesen charakteristisch sind, sollten durch das Blut
bedingt werden, in diesem ihre Quelle haben. In diesem Sinne
äußern sich schon seit frühester Zeit alle antiken Autoren, so z. B.
Plinius (Buch XI, Kap. 90), Galen 8 ) u. a. m. (Man vgl. Seite 39 ff.)
Da nun aber, wie wir im I. Abschnitt dieser Untersuchung
dargelegt haben, schon sehr früh die Meinung, daß man ein krankes
Körperorgan durch den entsprechenden Teil eines gesunden Lebe-
wesens ersetzen könne, das therapeutische Denken der Menschheit
mit Gesetzeskraft beherrscht hat, so glaubte man auf Grund dieses
Gesetzes eben auch in dem Blut ein Mittel zu haben, welches bei
allen Minderungen des Lebensprozesses von größtem Nutzen sein
müsse. Man meinte, mit Blut das gesunde Leben in einen kranken
Organismus unmittelbar überführen zu können. So kam also das
Blut zu dem Ruf, wohl das kräftigste Stärkungs-, Reiz-, Belebungs-
und Erwärmungsmittel zu sein, der richtige wahrhaftige Wunder-
trank. So lesen wir in einer alten Pharmakopoe 8 ): „Aus diesem
1) Plinius. Naturalis historiae libri XXXVII. Rec. Janus Lipsiae
1856. Vol. II, Ub. XI. Kap. 38 (90), Seite 196 und deutsch: Wittstein, Leipiig
1881. Band t, Buch 11, Kap. 90, Seite 339.
s ) Galen. De simplicium raedicamentorum facultatibus. Lib. X-
3 ) Curieuse Hauß-Apothece. Frankfurth a. Main 1700, Seite 40 ff.
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Die Blutbehaadlung.
39
Geblüt (eines jungen gesunden Menschen von etlichen dreißig
Jahren) ein Elixir vitae gemacht ist gleichfalls zu allen obgemel-
deten Schwachheiten gut und ob einer gleich sterben wolte und
nichts reden könte so gieb ihm dieses mit gutem Wein eingemacht
ein wenig ein so wird er wieder zu sich selbst kommen und so
viel reden daß er noch seine Disposition kan aufsetzen lassen wie
solches öfters probiret. Nimmt ein alter Mann alle Tage von
diesem ein wenig ein so macht es ihn wieder jung erfreut ihm
das Hertz und gibt Stärcke. Distilliret man dieses Blut 2 a 3 mal
so wird es in seiner Würckung kräftiger und kan der Mensch im
Gebrauch dessen stets ohne Krankheit bisz zu Tode leben. 11
So beruht denn also zunächst die Behandlung mit Blut, genau
so wie die gesamte Organtherapie überhaupt, auf der mißbräuch-
lich zu einem ausnahmslos gültigen Gesetz erhobenen Anschauung
von der Ersetzbarkeit eines jeden kranken Körperorgans resp. eines
jeden Funktionsproduktes durch die betreffenden eines anderen
gesunden Lebewesens.
Auf der Basis dieses Gesetzes vollzog sich der Ausbau der
Bluttherapie, und waren hierbei eben auch alle jene Faktoren
behilflich, welche wir schon vorhin als Mithelfer bei dem Zustande-
kommen der Organbehandlung überhaupt genannt haben.
Da man nun aber die heilenden Kräfte des Blutes ausschließlich
nach den tierischen Lieferanten desselben beurteilte, so werden
wir zu ermitteln haben, wie und auf welcher Voraussetzung man
denn nun den verschiedenen Tierarten besondere heilkünstlerische
Qualitäten ihrer Blutmasse zuerkannt hat. Es kommen hierbei so
mannigfache Fragen in Betracht, daß wir dieselben einzeln zu
betrachten haben werden. In den folgenden Paragraphen wollen
wir uns dieser Aufgabe unterziehen.
§ 8. Das Blut der verschiedenen Lebewesen
hat verschiedene therapeutische Kräfte.
Zunächst suchte man die speziellen Indikationen für die thera-
peutische Verwendung des Blutes nicht etwa bloß in dem Zustand
des Kranken, der sich der Bluttherapie unterziehen sollte, sondern
man glaubte auch in dem psychischen wie körperlichen Verhalten
der verschiedenen Tierarten die mannigfachsten Vorschriften für
die Benützung des Blutes zu finden. So wurde denn das Blut
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40
II. Abschnitt.
jeder einzelnen Tiergattung mit allen möglichen Eigenschaften
ausgestattet, die man in dem körperlichen wie geistigen Verhalten
der Lebewesen fand oder zu finden meinte. Auf diese Weise
glaubte man dann in den verschiedenen Tierblutsarten die aller-
mannigfachsten Eigenschaften annehmen zu können, welche eine
ungemein vielseitige therapeutische Benützung gestatten sollten.
So äußert sich z. B. Plinius l ) : „Tiere, welche viel und fettes Blut
haben, geraten leicht in Zorn; beim männlichen Geschlecht ist es
schwärzer als beim weiblichen, und zwar in der Jugend mehr als
im Alter, auch hat es in den unteren Teilen mehr Fett. Mit der
Stärke der Tiere wächst auch die Dicke des Blutes; die klügeren
haben dünneres, die furchtsamen wenig oder keins. Das Blut der
Ochsen stockt sehr schnell und wird hart, das Blut der Eber,
Hirsche, Ziegen und Büffel gerinnt nicht. Das fetteste Blut hat
der Esel, das dünnste der Mensch. Fette Tiere haben weniger
Blut.“ Und an einer anderen Stelle sagt derselbe Autor*): „Das
Blut der Pferde besitzt beizende Eigenschaften; auch das der
Stuten, mit Ausnahme der noch nicht beschälten, frißt aus und
nimmt den Geschwüren den Rand. Frisches Ochsenblut gehört
zu den Giften, ausgenommen in Aegira, denn dort trinkt die weis-
sagende Priesterin der Erde, bevor sie in die Grotte hinabsteigt,
Ochsenblut. Der Tribun Drusus soll Ziegenblut getrunken haben,
um durch seine bleiche Farbe seinen Feind Q. Caepio in den Ver-
dacht zu bringen, er habe ihn vergiftet. Bocksblut härtet die
Schneide eiserner Instrumente besser als jedes andere Mittel und
entfernt die Unebenheiten vollständiger als eine Feile. Man kann
daher das Blut der Tiere nicht wohl zu den allgemeinen Mitteln
zählen, sondern muß seine Wirkung bei den einzelnen Individuen,
von denen es kommt, in Betracht ziehen.“
Und in einer älteren deutschen Pharmakopoe 3 ) lesen wir :
„Das Geblüt erwärmet, adstringiret, stillet das Blut mehr oder
weniger nach der Thiere unterschiedene Natur und Nahrung, des-
wegen hat es nicht einerley Kraft.“
i) Plinius. Naturalis historiae libri XXXVII. Rec. Janus. Lipsiac
1856. Vol. II. Lib. XI. Kap. 38 (90) Seite 196 und deutsch von Wittstein. Leipzig
1881. Band I. Buch 11. Kap. 90 Seite 339.
>) Plinius a. a. O. Vol. IV. Lib. XXVIII. Kap. 41 Seite 183 und deutsch
von Wittstein a. a. O. Band 5. Kap. 41 Seite 47.
s ) Schroeder. Trefflich versehener medicin-chymischer höchst
kostbarer Arztney-Schatz. Nürnberg 1693. Seite 83.
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Die Blutbchandlung.
41
Darüber also, daß man den zahlreichen Blutarten, vom Menschen
angefangen bis herab zu den Amphibien und Fischen, ganz ver-
schiedene therapeutische Eigenschaften zutraute, kann nach dem
Gesagten auch nicht der leiseste Zweifel mehr obwalten. An-
gesichts dieser Tatsache sind wir vor die Notwendigkeit gestellt, zu
erklären, wie man denn nuh eigentlich dazu gekommen ist, all
den mannigfachen Tieren und ihrer Blutmasse von einander gar
so abweichende und doch so wertvolle medizinische Eigenschaften
zuzuerkennen. Wir wollen deshalb auf diese für das ganze Verständnis
der Bluttherapie so wichtigen Verhältnisse im Nachstehenden näher
eingehen.
Folgende Dinge sind nach meinen Untersuchungen bei der Be-
urteilung des therapeutischen Wertes der verschiedenen Blutsorten
tätig gewesen.
§ 9. Die Eigenschaften der verschiedenen Tiere
sind bei der therapeutischen Bewertung ihres Blutes
maßgebend gewesen.
Zunächst sind es natürlich Eigenschaften gewesen, welche die
Tiere tatsächlich besitzen, aus denen man eine medizinische Brauch-
barkeit ihres Blutes abzuleiten versucht hat. So hat z. B. die ge-
waltige Gliederkraft des Stieres dazu verleitet, sein Blut als ein
Kraft und Stärke verleihendes Mittel anzusprechen. Der Umstand,
daß die Gemse ungefährdet sich auf den steilsten Felsen zu bewegen
vermag, hat ihr den Ruf der Schwindelfreiheit verschafft, und somit
mußten das Blut und wohl auch anderweitige Teile derselben vor-
treffliche Mittel gegen Schwindel abgeben. Die Tatsache, daß der
Hahn ein Frühaufsteher ist, hat ihn in den Geruch der Wachsam-
keit gebracht und sein Blut als eine wirksame Substanz für geistige
Regsamkeit und Wachsamkeit erscheinen lassen. Der Umstand
ferner, daß man bei einer ganzen Reihe von Vögeln ein besonders
entwickeltes Sehvermögen feststellen konnte, hat es bewirkt, daß
man das Blut derselben als für Augenerkrankungen besonders
wertvoll erachtete. So geschah dies schon sehr früh der Schwalbe,
den Raubvögeln u. dgl. m. Einzeine besonders gründliche Autoren
suchten diese Heilkraft des Vogelblutes dann wohl auch noch durch
allerlei Spekulationen über die Zusammensetzung und den Gehalt
desselben wissenschaftlich — wissenschaftlich natürlich nur nach
den Begriffen jener Zeiten — zu erklären. So sagt z. B. eine
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42
II. Abschnitt.
alte Pharmakopoe 1 ): „Der Vögel-Geblüth, weil es salpetrisch ist,
incidiret, abstergiret, zermalmt den Stein, dienet dem Staar
der Augen und dieses verrichtet meistens, Tauben a ), Weyhe,
Geierblut.“
§ io. Die Beziehungen der Tiere zu den Natur-
erscheinungen haben das Urteil über den therapeutischen
Wert des Blutes beeinflußt.
So wollte man z. B. die den Frühling kündenden Tiere für
allerlei das Wachstum fördernde therapeutische Maßnahmen als
geeignet erachten, auch sollten sie geschwächten Kranken die er-
sehnte Kräftigung bringen. Das Erwachen des neuen Lebens im
Frühling übertrug man hierbei ohne weiteres auf die mit dem
Frühling erscheinenden Tiere und konstruierte auf diese Weise eine
therapeutische Eigenschaft ihres Blutes ; man bewegte sich dabei in
dem nämlichen Gedankenkreis, wie der ist, wenn man die Früh-
lingskräuter als besonders wirksam für chronische, entnervende
Krankheiten anspricht.
§ II. Das Aussehen und gewisse funktionelle
Betätigungen der Tiere riefen die verschiedensten
Anschauungen über den therapeutischen Wert ihres
Blutes hervor.
Indem man der Ansicht war, daß das Blut die Eigenartigkeiten
in der körperlichen Beschaffenheit wie in der Lebensweise der
verschiedenen Tierarten erzeuge, glaubte man, die verschiedenen
körperlichen wie psychischen Eigenartigkeiten jeder einzelnen Tier-
gattung durch ihr Blut auf jedes beliebige andere Lebewesen
übertragen zu können. Damit war aber dann natürlich auch die
Möglichkeit gegeben, die einzelnen Tierblutsorten nun auch für gar
mannigfache therapeutische Zwecke benutzen zu können. So berichtet
z. B. Paulus von Aegina s ), daß das Ziegenblut ganz besonders
i) Schroeder. Trefflich versehener mediein-chymischer höchst
kostbarer Arztney-Schatz. Nürnberg 1693. Seite 83.
*) Über die Wirkungsweise des Taubenblutes vergleiche Seite 48.
3 ) Paulus von Aegina. Totius medicinae Üb. VII. Basileae 1556 Seite 268.
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Die Blutbehandlung.
43
trocken und deshalb imstande sei, vermittelst seiner Trockenheit
bei Wassersucht das ausgetretene Blut wasser gleichsam aufzu-
trocknen. Diese wunderbare Vorstellung ging zweifellos von
der ja bekanntlich zum Sprichwort gewordenen Magerkeit der
Ziege aus. Im Papyrus Ebers ') wird, wie schon erwähnt, das Blut
der Eidechse, von anderen Autoren das der verschiedenen Frosch-
arten 2 ) als Enthaarungsmittel bei gewissen Haarerkrankungen der
Lidränder empfohlen. (Man vergl. auch Seite 64 dieser Arbeit.)
Man soll nach diesem therapeutischen Vorschlag die schief
gewachsenen Wimpern ausreißen und das Wiederwachsen der-
selben durch das Aufpinseln des Blutes der genannten Tiere
verhindern. Hierbei ging man von der Meinung aus, daß
das Blut die Haararmut der betreffenden Tiere bedinge und des-
halb auch die Kraft haben müsse, den Haarwuchs an den Lid-
rändern ganz zu unterdrücken. Noch heut gilt in Schwaben 3 ) das
Bestreichen mit Fledermausblut als ein sicheres Mittel, um das
Sehvermögen auch für die Dämmerung wie für die Nacht ganz
außerordentlich zu erhöhen. Die Fähigkeit der Fledermaus, in der
Dunkelheit sich anstandslos durch die Luft bewegen zu können,
wird auch hier wieder aus dem Blut abgeleitet und deshalb dasselbe
zur Schärfung des Sehvermögens empfohlen.
§ 12. Gewisse Beobachtungen, welche bei dem Genuß
dieses oder jenes Tierblutes gemacht wurden,
werden in willkürlicher Weise gedeutet und dementsprechend dann
der betreffenden Blutsorte die verschiedensten Wirkungsweisen
nachgesagt. So galt z. B. im Altertum das warm getrunkene Stier-
blut als ein heftig wirkendes, todbringendes Gift, und die Geschichte
erzählt wiederholt, daß das warme Stierblut als Todesmittel von
Selbstmördern benützt oder Verbrechern zur Vollstreckung des
Todesurteils gereicht wurde. So erzählt z. B. Herodot *), daß
>) Hirschberg, Aegypten. Leipzig 1890. Seite 70.
2 ) Dioscorides. De Materia medica. Lipsiae 1829. Vol. L Lib. II.
Kap. 28 Seite 179 und: Arzneimittellehre. Übersetzt von Berendes. Stuttgart
1902. Buch II. Kap. 28. Seite 162.
3 ) Birlinger. Volkstümliches aus Schwaben. Freiburg 1861.
*) Herodotus. Historiae. Ed. Kallenberg. Lipsiae 1899, Seite 237,
Vol. I., Lib. III., Kap. 15.
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II. Abschnitt.
Kambyses den Psammenitus durch das Trinken warmen Stierblutes
vom Leben zum Tode gebracht habe, und von Themistokles *)
wird gesagt, daß er sich in Magnesia, als ihn der Perserkönig auf-
forderte, sich an den Unternehmungen gegen die Griechen tat-
kräftig zu beteiligen, durch das Trinken warmen Stierblutes ge-
tötet habe. Diese Vorstellung von der Giftigkeit des Slierblutes
hat sich nach Birlinger 8 ) in Schwaben sogar bis in die neueste
Zeit erhalten, obwohl sich männiglich doch überzeugen kann, daß
täglich Stier- wie Ochsenblut im Fleisch wie in der Wurst ohne
Schaden genossen werden kann. Trotzdem darf man aber die
Möglichkeit, einen Menschen durch einen gewaltigen Schluck
warmen Stierblutes zu töten, den beglaubigten Berichten der Alten
gegenüber nicht ohne weiteres in Abrede stellen. Nur ist die
tötende Kraft des warmen Bluttrankes nicht als Giftwirkung auf-
zufassen, sondern sie ist die Folge eines mechanischen Vorganges,
den schon Paulus von Aegina 5 ) klargelegt hat. Das schnell und in
Menge getrunkene warme Stierblut gerinnt nämlich, wie Paulus
darlegt, im Mund und vornehmlich in der Gegend des Halsein-
ganges. Die durch die Gerinnung erfolgende Verlegung des Kehl-
kopfeinganges bedingt dann den unter Erstickungserscheinungen
eintretenden Tod. Paulus von Aegina scheint derartige Fälle übri-
gens öfters selbst beobachtet zu haben, denn er schildert die Er-
scheinungen, unter denen der Tod erfolgt, sehr anschaulich in der
Weise, daß unmittelbar nach dem Genuß des Bluttrankes
Atemnot eintrete, die schnell zunehme, bis der Tod unter
Erstickungsvorgängen der Szene ein Ende mache. Natürlich ist
der ganze Prozeß nicht etwa nur ein dem Stier- wie Ochsenblut
speziell zukommender, sondern er würde sich wahrscheinlich
genau ebenso abspielen, wenn man schnell, ohne abzusetzen, eine
reichliche Menge beliebigen warmen Tierblutes trinken wollte;
wenigstens wäre diese Möglichkeit gegeben, wenn der Bluttrank
noch tierwarm und ohne Überlegung plötzlich in großer Menge
genossen würde.
!) Plutarch. Vitae parallelae. Rec. Sintenis Lipsiae 1895. Vol. I,
Kap. XXXI, pag. 251.
>) Birlinger. Volkstümliches aus Schwaben. Freiburg i. B. 1861.
>) Paulus von Aegina. Totius medicinae, lib. VII. Basileae 1556.
Lib. V, Kap. 55, Seite 203.
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Die Blutbehandlung.
45
§ 13. Die Beziehungen, in welche die Bekenner der ver-
schiedenen Religionen die Tiere zu ihrem Glauben all-
zeit gesetzt haben, gaben reichlichst Gelegenheit, der
Tierwelt die mannigfachsten medizinischen Fähigkeiten
zuzuteilen.
Besonders fruchtbar beweist sich hierbei das Verhältnis, in
welchem gewisse Tiere zu der Gottheit direkt stehen sollten. Denn
da die Götter und Heiligen all der zahlreichen Glaubensbekennt-
nisse gar oft unter den Tieren ausgesprochene Lieblinge hatten,
so gewannen hierdurch viele Tierarten in den Augen der Gläubigen
besondere geheimnisvolle, aus dem nahen Umgang mit den Göttern
stammende Kräfte, so z. B. die Kuh bei den Indem, das Krokodil,
die Katze, der Ibis bei den Ägyptern, der Adler bei den Griechen
und Römern, die Katze, das Pferd bei den Germanen usw. Sinte-
malen nun aber die Vertreter der Zoologie von den Himmels-
bewohnern der zahlreichen Religionsarten in reichlicher Menge in
Anspruch genommen wurden, so kamen gar sehr viele Tierarten
zu allerlei magischen Fähigkeiten. Derartige Vorstellungen wurden
aber naturgemäß besonders willfährig von der Volksmedizin auf-
genommen, und demgemäß sehen wir denn auch, wie zu allen
Zeiten und in allen Kulturen die Tiere vom Volke mit Kräften
ausgestattet wurden, welche weder in ihrem Aussehen noch ihrer
Lebensweise begründet, vielmehr aus metaphysisch-theosophischen
Vorstellungen hervorgegangen sind. Doch würde es weit über den
Rahmen dieser Arbeit hinausführen, wollten wir auf diese Verhält-
nisse näher eingehen. Denn es ließen sich wohl Bände füllen mit
alle dem, was hier in Betracht kommt, und schließlich sind derartige
Untersuchungen auch vielmehr Sache des Kulturhistorikers als wie
des Arztes. Wir müssen uns daher darauf beschränken, einige
besonders charakteristische Beispiele zunächst aus unserer ger-
manischen Mythologie anzuführen. Da ist vor allem die schwarze
Katze 1 ), welche in der Volksmedizin der modernen, sowie in der
Berufsmedizin der vergangenen Tage eine nicht geringe Rolle spielt
resp. gespielt hat. Gerade dieses Tier mußte als Begleiterin der
Freya in der Phantasie des Volkes ein ganz besonderes Ansehen
t) Wer sich eingehender mit der Katze in ihrer therapeutischen Bewertung
beschäftigen will, den verweise ich auf: Jühling. Die Tiere der deutschen
Volksmedizin alter und neuer Zeit. Mittweida. Seite 99 ff. •
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II. Abschnitt.
genießen und konnte deshalb auch in der Pharmakopoe einen
hervorragenden Platz beanspruchen. Fast alle Körperteile dieses
beliebten Haustieres wußte das Volk fiir die verschiedensten Heil-
zwecke zu benutzen; doch sollte das Blut ganz vornehmlich wirksam
sein, denn es wurde nicht allein als vortreffliches Fiebermittel sehr
gerühmt, sondern man sagte ihm auch allerlei Zauberkräfte nach.
Da ja die Katze den alten Germanen, den mittelalterlichen
Christen, sowie wohl selbst noch dem Volke unserer Tage als ein
zauberkundiges, mit dem Gottseibeiuns in enger Verbindung
stehendes Tier gegolten hat resp. noch gilt, so übertrug man eben
die Zauberkunst ohne weiteres auf das Blut des Tieres, und so
hat das Katzenblut viele Jahrhunderte in der Pharmakopoe wie in
der Phantasie des Volkes eines hervorragenden Rufes sich erfreut.
Und gar mancher Rheumatiker und Gichtiker, der heut noch den
schmerzenden Teil seines Leibes mit einem Katzenfell gut verwahrt,
weiß gewiß nicht, daß er mit dieser Therapie ein Mittel anwendet,
das aus der germanischen Vorzeit stammt.
Ähnliches gilt vom schwarzen Hund, der bei den alten Deut-
schen als Begleiter der drei Schicksalsgöttinnen, der Nornen, in
nicht geringem Ansehen stand und der, wie ja Jeder aus seinem
Faust weiß, auch zu dem Teufel gar gute Beziehungen zu unter-
halten wußte. Diese seine hervorragenden Verbindungen mit den
überirdischen Mächten haben es dann wohl auch bewirkt, daß so
ziemlich alle Körperglieder sowie die gesamten Se- und Exkrete
des Hundes in der Pharmakologie eine Rolle gespielt haben. Das
Hundeblut hat sich aber sowohl in der Berufs- wie Volksmedizin
der Vergangenheit einer ausnehmenden Beliebtheit zu erfreuen
gehabt.
Von den durch das Christentum zu medizinischem Ansehen
gelangten Tieren möchte ich nur des Kreuzschnabels 1 ) gedenken,
der durch seine Beziehungen zu Christus einmal das blutrote Ehren-
kleid sowie auch sehr wertvolle therapeutische Eigenschaften ge-
wonnen haben soll. Kein geringerer wie Julius Moser hat diese
heilkräftige Befähigung des Kreuzschnabels dichterisch verherrlicht,
indem er singt:
*) Wer sich über die religiösen wie medizinischen Beziehungen des Kreuz-
schnabels eingehender zu unterrichten wünscht, den verweise ich wieder auf Jüh-
ling a. a. O. Seite 22 ).
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Die Blutbehandlung.
47
Doch der am grünen Fenster
Der Vogel purpurrot
Mit seinem Kreuzesschnabel
Der half von aller Not.
Wer sich im Wald beschädigt,
Dem sang er zu die Wund’
Und selbst den Fieberkranken
Sein Liedchen macht gesund.
Daß der Kreuzschnabel bei dem Volk aber ein derartiges
therapeutisches Vertrauen genießt, kommt nur daher, weil von der
Sage seine rote Färbung mit dem Blut Christi in die engste
Beziehung gesetzt worden ist.
§ 14. Der A berglauben weiß von allerlei magischen und
dementsprechend auch medizinischen Fähigkeiten der
Tiere zu erzählen.
Oft knüpft die heilkünstlerische Verwertung des Tierblutes
an Geschöpfe an, die durch ihre Lebensweise oder durch ihr
Aussehen dem Menschen irgendwie Mißtrauen einflößen. Deshalb
sind es meist Tiere, die auch in Märchen und Sage ganz ab-
sonderliche Rollen spielen, wie die Schlangen, Kröten, Frösche,
Salamander u. a. m. So wird z. B. vom Salamander schon seit
alten Zeiten erzählt, daß er unverbrennlich sei und das Feuer wie
Eis lösche. Darum sollte auch das Blut dieses Molches ein
sicheres Mittel gegen Feuerbeschädigungen bilden. So berichtet
z. B. Dioskorides 1 ).
§ 15. Auch die Speisegesetze,
welche die verschiedenen Religionen lehrten oder zu denen das
Klima, sowie allgemeine kulturelle Anschauungen zwangen, konnten
nicht ohne Einfluß auf die medizinische Einschätzung der Tierwelt
bleiben. Und diese mußte sich dann wieder in der Beurteilung
des therapeutischen Wertes des Blutes äußern.
i) Dioskorides. Arzneimittellehre. Übersetzt von Berendes. Stutt-
gart 1902. Seite 172, Buch II. Kap. 67.
Dioskorides. De materia medica. Ed. Kühn. Lib. II. Kap. 67
Seite 193. Vol. I. Lipsiae 1829.
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II. Abschnitt.
§ 16. Man setzte bei manchen Tieren gewisse körper-
liche Vorgänge voraus, ohne für dieselben irgendwelche
sichere Handhaben in dem Gebahren der betreffenden
Geschöpfe zu besitzen und glaubte dann auf Grund
dieser rein spekulativ erbrachten Anschauungen das
Blut der betreffenden Tiere als Arzneimittel verwenden
zu dürfen.
So hielt man z. B. schon zu den Zeiten des Aristoteles 1 ) das
Schwalbenblut für ein spezifisches Augenheilmittel, indem man da-
bei von der ebenso eigentümlichen wie willkürlichen Vorstellung
ausging: daß den jungen Schwalben die ausgestochenen Augen
wieder aufs neue nachwüchsen. Dieses phantastische Märchen
genügte, um dem Schwalbenblut den Ruf eines der wirksamsten
ophthalmologischen Heilmittel nicht bloß zu verschaffen, sondern
denselben auch durch viele, viele Jahrhunderte hindurch zu erhalten.
Man ging dabei eben von der Meinung aus, daß, wenn bei den
Schwalben selbst ausgestochene Augen schnell und sicher heilten
und wieder gebrauchsfähig würden, so könne diese wundersame
Kraft eben nur in ihrem Blut liegen. So sagt z. B. Celsus 2 ):
„Das Blut dieser Tiere bekommt daher auch unseren Augen gut
und zwar steht in dieser Beziehung das Blut der Schwalben oben-
an, hierauf folgt das der Ringeltaube; am wenigsten wirksam ist
das der zahmen Taube.“ Ja dieser Glaube an die wunderbare
Befähigung der Schwalben ging schließlich sogar soweit, daß man,
und zwar wiederum ganz willkürlich, glaubte: die Schwalben ge-
wönnen diese merkwürdige Heilkraft von gewissen Pflanzen und
darum seien auch diese Pflanzen Augenheilmittel. So sollte die
Schwalbe dadurch schnell und sicher von allen Augenerkrankungen
befreit werden, daß sie ein bestimmtes Kraut, Chelidonium glaucum
und Chelidonium majus auf ihre verletzten Sehorgane legte.
i) Aristoteles. Tierkunde. Kritisch berichtigter Text mit deutscher
Übersetzung, sachlicher und sprachlicher Erklärung und vollständigem Index.
Herausg. von Aubert und Wimmer. Leipzig 1868. Band II. Kap. 17. § 84.
Aristoteles. Fünf Bücher von der Zeugung und Entwickelung
der Tiere. Übersetzt und erläutert von Aubert und Wimmer. Leipzig 1860.
Buch 4, Kap. 6, Seite 409.
*) Celsus. De medicina libri octo. Rec. Daremberg. Lipsiae 1859.
Lib. VI, Kap. 6, § 39, Seite 238.
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Die Blutbehandlung.
49
So kamen auch die genannten Pflanzen in die okulistische
Pharmakopoe der Alten und aus dieser in die Arzneimittellehre
des Mittelalters und der neueren Zeit 1 ).
§ 17. ln gewissen Zeiten sollten die Organe und Funk-
tionsprodukte der Menschen wie der Tiere eine ganz
besonders kräftige Heilwirkung enthalten können.
Es waren dies stets Perioden, welche mit dem Geschlechts-
leben in irgendwelcher Beziehung stehen.
Zunächst wurden alle solche Individuen, männlichen wie weib-
lichen Geschlechtes, welche den Coitus noch nicht vollzogen hatten,
vom Volke mit mannigfachen geheimnisvollen Kräften ausgestattet.
Märchen und Sage berichten uns, daß die reine Jungfrau, der un-
schuldige Knabe zu allerlei Zaubereien ganz vornehmlich befähigt
seien. So berichtet z. B. Plinius *), daß die Wirkung mancher pflanz-
licher Heilmittel bedeutend erhöht würde, wenn sie die Kranken von
reinen Jungfrauen erhielten. Dementsprechend sollten nun auch
die Körperteile wie die Exkrete jungfräulicher Wesen eine magische,
therapeutisch überaus wertvolle Wirkung entfalten können. So
kam es, daß das Blut der Jungfrau sowie das unschuldiger Knäb-
lein für ganz besonders heilkräftig erachtet und für manche
Krankheitsformen geradezu als Spezifikum angesehen wurde. Be-
sonders sollten die Hautkrankheiten und unter ihnen wieder der
Aussatz durch Bäder, Umschläge oder Einreibungen von Jung-
frauenblut unbedingt zur Heilung gebracht werden können. Nun
ist die dermatologische Verwendung des Blutes und zwar des
Menschenblutes schlechthin ohne Rücksicht auf die Jungfrauschaft
des Blutspenders schon eine uralte. Sie scheint nach den Angaben
des Plinius’) schon in recht frühen Perioden der ägyptischen
Kultur bestanden zu haben, wenigstens sagt er: „Wenn Könige
*) Magnus. Die Augenheilkunde der Alten. Breslau 190t. § 196,
Seite 556 ff.
2 ) Plinius. Naturalis historiae libri XXXVII. Rec. Janus. Lipsiae 1859. Vol. IV.
Lib. XXVI Kap. 60, Seite 116.
3 ) Plinius. Naturalis historiae libri XXXVII. Rec. Janus. Lipsiae 1859.
Vol. IV. Lib. XXVI. Kap. 5, Seite 101. Die Stelle heißt im Text: Aegypti pe-
culiare hoc nialum et, cum in reges incidisset, populis funebre: quippe in balineis
solia temperabantur humano sanguine ad medicinam eam.
Magnus, Die Organ* und Blut-Therapie. 4
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50
II. Abschnitt.
(in Ägypten) von der Elephantiasis befallen wurden, war das für
das ganze Volk verderblich, denn dann wurden zur Heilung die
Sessel der Bäder mit Menschenblut hergerichtet.“
Zunächst ist aus dieser Stelle nicht zu ersehen, was für Blut die
Ägypter zu diesen dermatologischen Zwecken dienenden Blutbädern
gewählt haben, ob Blut schlechthin, oder das Blut von Kindern
und Jungfrauen. Die Vorstellung, daß zu derartigen Bädern durchaus
das Blut geschlechtlich unberührter Individuen, d. h. also das von
Kindern, Jünglingen oder Jungfrauen notwendig sei, tritt erst im
7. christlichen Jahrhundert im Talmud auf, indem dort eine Stelle
des Alten Testamentes (2. Mose 2, 23) in dem Sinne von Bädern
aus Kinderblut gedeutet wird 1 ). Ja der jüdische Interpret weiß
sogar, daß der ägyptische König im Bedürfnisfall täglich
150 israelitische Kinder als Blutspender habe töten lassen.
Natürlich läßt sich aus der Stelle im Plinius wie aus der im
2. Buch Mose heut nicht mehr sicher urteilen, ob die königlichen
Bäder aus Menschenblut schlechtweg oder aus Kinder- resp. Jung-
frauenblut hergestellt worden sein mögen. Doch hat die Deutung
des Talmud auf Kinderblut recht viel für sich, denn während des
ganzen Altertums spielte die geschlechtliche Reinheit gerade in
der Organtherapie eine große Rolle; so wird z. B. der Urin
unschuldiger Knaben für ganz besonders heilkräftig und für viel
wirksamer als der Erwachsener erachtet, welche mit der Liebe
bereits praktisch in Verbindung getreten sind. Übrigens faßte
man dabei die geschlechtliche Reinheit in recht weitherziger Weise
auf; denn man erachtete — vornehmlich galt das vom weiblichen
Geschlecht — selbst Ehefrauen für geschlechtlich rein, sofern
sie niemals einen geschlechtlichen Fehltritt begangen hatten,
vielmehr ihren Ehemännern treu geblieben waren. Der Urin 2 )
t) Strack. Das Blut im Glauben und Aberglauben der Mensch-
heit. München 1900. Seite 37.
Hartmann von Aue. Der arme Heinrich. Hcrausg. von Wacker-
nagel-Toischcr. Basel 1885. Seite 197.
*) Ich erinnere hier an die Geschichte des ägyptischen Königs Pheron, der
zur Behandlung eines langwierigen Augenleidens auf Rat seiner priesterlichen Ärzte
10 Jahre lang den Urin einer ihrem Manne stets treugebliebenen Frau vergeblich
suchte und dieses Heilmittel selbst bei seiner eigenen Frau nicht zu finden ver-
mochte. Da endlich nach langen, schmerzensreichen Leidensjahren fand der ge-
plagte König in einer armen Gärtnersfrau die so lange vergeblich gesuchte treue
Ehefrau und erhielt von ihr den heilenden Urin. Daß der dankbare König diese
heilmittelspendende treue Gattin alsbald in sein königliches Ehebett hinein-, seine
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Die Blutbehandlung.
5i
oder die Milch 1 ) solcher Frauen sollten besondere Heilkräfte
entfalten können.
Wenn also schon von sehr frühen Zeiten an die Geschlechts-
reinheit für die Mittel der Organtherapie von besonderer Bedeutung
war, so ist es möglich, ja vielleicht sogar wahrscheinlich, daß
bereits die Ägypter und nach ihnen dann auch die Kulturträger
des Abendlandes das Blut geschlechtlich unberührter Individuen
für wesentlich wirksamer gehalten haben mögen als wie das ge-
schlechtlich bereits Erfahrener. Daß dies späterhin für die Völker
des Abendlandes bestimmt der Fall gewesen ist, dafür liegen sogar
literarische Beweise vor. So berichtet Plinius *), daß das im Menstrual-
blut vorhandene Gift in besonders reichlicher Menge und in besonders
gefährlicher Form dann sich entwickele, wenn eine Frau das erste
Mal den Beischlaf gestattet habe und nun wieder menstruiere. In
diesem nach dem Coitus das erste Mal produzierten Kata-
menialblut wirke das Gift in geradezu unerhörtem Grade; so sollten
z. B. Tiere, besonders Pferde, verwerfen, sobald sie nur von ferne
eine Frau in dem genannten Zustande wahrnähmen. Doch mag
dem nun sein, wie ihm wolle; das steht jedenfalls fest, daß, schon
vom 6. oder 7. christlichen Jahrhundert an, das Blut von Kindern
und Jungfrauen für dermatologische Zwecke, speziell für die Be-
handlung des Aussatzes, als das beste Heilmittel galt. Zahlreiche
Sagen 3 ) beweisen das.
Wie kommt es nun aber, daß man gerade die Hautkrank-
heiten, speziell den Aussatz mit dem Blut geschlechtlich Unbe-
rührter in so innige therapeutische Beziehungen gebracht hat?
Nun die Erklärung ist nicht schwer zu finden. Zunächst glaubte
man von altersher, daß geschlechtliche Enthaltsamkeit und körper-
liche Reinheit identische Begriffe seien. Die geschlechtlich und
darum körperlich Reinen sollten in ihren Organen und Exkreten
bisherige als untreu befundene Frau aber herausbeförderte, gibt der ganzen Erzählung
den gewünschten harmonischen Abschluß. Wen das Geschichtchen interessiert, der
findet es in: Herodoti historiarum libri IX. Ed. Kallenberg. Lipsiae 1894.
Lib. VI. Kap. 111, Seite 182. Auch Diodor erzählt eine ähnliche Anekdote vom
König Sesoosis: Diodori bibliotheca historica. Rec. Vogel. Vol. I. Lipsiae 1888.
Lib. I. Kap. 59, Seite 101.
1) Wackernagel. Der arme Heinrich. Basel 1885. Seite 196.
8 ) Plinius. Naturalis historiae libri XXXVII. Rec. Janus. Vol. IV
Lib. 28. Kap. 25, Seite 170. Lipsiae 1859.
8 ) Man findet dieselben bei Wackernagel a. a. O. pag. 199 c
4 *
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52
II. Abschnitt.
eine wesentlich höher geartete und darum wirksamere Heilkraft
besitzen, als wie die dem Geschlechtsgenuß bereits Verfallenen. Da
nun schon in frühen Zeiten der Kultur der Aussatz nicht allein als
eine der fürchterlichsten Krankheiten, sondern als ein Gottes-
gericht, 1 ) als eine Strafe für schwere Sünden angesehen wurde, so
mußte er bei dieser Auffassung natürlich als das beredteste Zeugnis der
körperlichen Unreinheit gelten. Erinnern wir uns nun an das all-
gemeine Gesetz, welches sich die Organtherapie für ihren Aufbau
als Grundlage geschaffen hatte und welches in der Vorstellung
gipfelte, daß eine jede gestörte Funktion resp. jede Erkrankung
eines Organes durch das entsprechende Glied oder Funktions-
produkt eines gesunden Lebewesens geheilt werden könne, so
haben wir sofort ein erschöpfendes Verständnis für die Behandlung
des Aussatzes mit dem Blut geschlechtlich unberührter Individuen.
Die höchste körperliche Unreinheit, welche der Aussatz darstellte,
konnte nach den Lehren der antiken und mittelalterlichen Organ-
therapie am ehesten durch das Blut eines körperlich Reinen be-
seitigt werden. So verhalten sich therapeutische Unreinheit und
Reinheit genau ebenso wie die kranke Leber zu der als Heilmittel
gereichten gesunden Tierleber, wie die geschwächten Hoden zu
den verordneten gesunden Tierhoden, wie das kranke Hirn zu dem
als Medikament verschluckten gesunden Tierhim. Da ist nichts von
irgend welchen magischen Wirkungen, nichts von rudimentären Kult-
gebräuchen, nichts von Rückerinnerungen an früher üblich ge-
wesene Blutopfer die Rede; sondern das Blut geschlechtlich Un-
berührter soll an und für sich und zwar lediglich durch das
Fehlen des Coitus eine besonders geartete pharmakodynamische
Wirksamkeit besitzen. Und nur diese macht die Heilkraft aus,
nur sie befähigt das Blut des Reinen als Heilmittel des Aussatzes,
d. h. des Unreinen, aufzutreten. Das war die Auffassung, welche
sich das Volk schon seit undenklich langer Zeit zurechtgelegt
hatte und welche nicht etwa bloß für das menschliche Blut galt,
sondern auch in der Organtherapie überhaupt das größte Ansehen
genoß. Durchblättern wir die alten Pharmakopoeen, so finden wir,
daß selbst die Wirkungsweise der aus der Tierwelt hergenommenen
Heilsubstanzen eine ganz verschiedene sein sollte, je nachdem der
tierische Lieferant bereits geschlechtlich tätig gewesen war oder
i) So wird z. B. Mirjam ob ihrer Sünden vom Herrn mit dem Aussatz ge-
schlagen. 4. Mose. Kap. 12. Vers 9 ff.
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Die Blutbehandlung.
53
nicht. So sollten gewisse Tierglieder oder Funktionsprodukte
anders wirken, wenn sie von einem geschlechtsreifen, anders wenn
sie von einem noch nicht mannbaren Lebewesen bezogen waren.
Das nämliche sollte der Fall sein bei verschnittenen und unge-
schnittenen Tieren, so beim Pferd, Rind, Schwein, Hund u. a. m.
Wir glauben also, daß das von uns beigebrachte Material es
außer allen Zweifel stellt, daß die Organtherapie nur deshalb einen
Unterschied zwischen den von geschlechtsreifen und geschlechtlich
unberührten Lebewesen stammenden Heilsubstanzen gemacht hat,
weil sie von der Vorstellung ausging, daß die Ausübung der ge-
schlechtlichen Funktionen in der Beschaffenheit des Körpers eine
weitgehende Umwälzung hervorrufe, welche dann auch natürlich
in dem therapeutischen Wert der tierischen Heilsubstanzen zum
Ausdruck kommen müsse. Es waren also nur die in dem
tierischen Lebensprozeß gegebenen Vorgänge, mit denen die
Organtherapie rechnete, nicht aber folkloristische Momente, wie
sie z.’ B. Höfler 1 ) für die Bluttherapie gelten lassen will. Ganz
gewiß spielt der Folklorismus bei der Genese der Volksmedizin
und Organtherapie eine Rolle und oft keine kleine; das beweisen
ja aufs deutlichste alle die Angaben, welche ich im Laufe dieser
meiner Arbeit beigebracht habe. Aber der Folklorismus hat sich
fast ausnahmslos nur bei dem weiteren Ausbau der Organtherapie
beteiligt, während die eigentliche Grundlage derselben, wir dürfen
wohl sagen stets, eine medizinische war, nämlich jenes Grund-
gesetz von der Ersetzbarkeit eines kranken durch ein gesundes
Körperglied. Nur auf diesem Gesetz beruht die Bluttherapie des
Aussatzes und nicht auf dem Rudiment eines Kultgebrauches,
nicht auf der symbolischen Nachbildung eines früher geübten Blut-
opfers. Nur diese Auffassung ist die nach dem vorliegenden ge-
schichtlichen und so umfassenden Quellenmaterial erlaubte und nicht
die folkloristische, wie sie eben z. B. Hofier 2 ) für die Bluttherapie
gelten lassen will.
Außer den Pubertätsverhältnissen sind nun aber auch andere
Äußerungen des Geschlechtslebens vielfach zur Bewertung der
Organtherapie herangezogen worden: so die Schwangerschaft, das
i) Höfler. Volksmedizin und Aberglaube in Oberbayerns Gegen-
wart und Vergangenheit. München 1893. Seite 9 und 165.
*) Höfler. Volksmedizin und Aberglaube in Oberbayerns Gegen-
wart und Vergangenheit. München 1893. Seite 9 und 165.
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54
II. Abschnitt.
Geschäft des Säugens, die Menstruation. Vornehmlich war es die
letztere, welche in der Bluttherapie eine ausnehmend hervor-
ragende Rolle spielt und auf die wir deshalb noch näher einzu-
gehen haben.
§ 18. Die therapeutische Benützung des Menstrualblutes.
Schon in frühesten Phasen der orientalischen Medizin 1 ) be-
gegnen wir der Anschauung, daß im Menstrualblut ein schwer
wirkendes Gift sitze, welches nicht nur die Frau zur Zeit des
Monatsflusses unrein mache, sondern auch alle Gegenstände, mit
denen sie in Berührung komme. Ja zuzeiten waren die An-
schauungen über die Unreinlichkeit und Giftigkeit des Katamenial-
blutes so weitgehende, daß man einen Mann, der mit einer
menstruierenden Frau den Beischlaf vollzog, samt seiner Coitus-
gefahrtin tötete. 4 ) In welchem Umfang das Menstrualblut auf die
Stellung der betreffenden Frau gerade bei den Völkern des
Morgenlandes eingewirkt hat, vermag man am besten aus dem
3. Buch Mose Kap. 15, Vers 19 ff., zu ersehen.
Galt also den orientalischen Kulturträgern das Menstrualblut
als eine mit Giftstoffen reichlich geschwängerte Substanz,*) so ging
diese Ansicht in vollstem Umfang auch auf die Kulturvölker des
Abendlandes über. Ja was uns Plinius über die Wirkungen des
Menstrualflusses erzählt, läßt erkennen, daß man gerade dieses
Geschlechtsprodukt für ein wirkliches und wahrhaftiges Gift ge-
halten habe und zwar für eines der gewaltigsten, die es überhaupt
nur geben könne. Ja das, was es alles zu leisten imstande sei,
übersteige eigentlich — so sagt Plinius 4 ) — jedes Maß und Ziel:
„post haec nullus modus est“ so lauten die eigenen Worte unseres
Gewährsmannes. Hören wir einige dieser Wirkungen : Weinstöcke,
die junge Saat, zahlreiche Pflanzen wie Efeu, Raute u. a. m.
sterben ab, wenn menstruierende Frauen mit ihnen in Berührung
kommen; desgleichen verkommen die auf den Pflanzen befindlichen
') Man vergleiche: Trusen. Darstellung der biblischen Krankheiten
Posen 1845. Seite 5.
-) 5. Mose. Kap. 18. Vers 29.
8 ) Übrigens stand das Lochialsekret damals gerade auch in keinem sonder-
lichen Ruf.
4 ) Plinius. Naluralis historiae libri XXXVII. Rec. Janus. Vol. IV.
üb. XXVIII. Kap. 2j. Seite 170 ff. Lipsiae 1859.
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Die Blutbehandlung.
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Käfer, Würmer und Raupen. Bestreicht man mit Menstrualblut
die Bienenstöcke, so verschwinden sofort deren Insassen. Alle
Messer werden stumpf durch dieses Sekret; das Kupfer setzt
Grünspan an; purpurne Stoffe verlieren ihre Farbe, desgleichen
die Blumen. Läßt sich aber gar ein Mann verleiten, mit einer
menstruierenden Frau den Beischlaf zu vollziehen, so setzt er sich
damit den bedenklichsten, Leib und Leben bedrohenden Zuständen
aus. Ja diese Giftigkeit erhält sich nicht bloß, sondern sie nimmt
an Kraft sogar noch zu, wenn man Menstrualblut zu Asche ver-
brennt. Diese Asche ist dann ein Pulver von geradezu erschreckender
Wirkung: so ruft sie bei einer schwangeren Frau sofort Abort
hervor; sie zerstört alle Farben u. a. m. Doch ist dieser furchtbare
Stoff genau so wie alle anderen Gifte schließlich auch als Heilmittel
zu verwerten; so sagt Plinius: „multi vero inesse etiam remedia tanto
malo, podagris inlini, strumas et parotidas, panos, sacros ignis,
furunculos, epiphoras tractatu mulierum earum leniri“, d. h. also:
„Viele aber sind der Ansicht, dieser sonst so verderbliche Stoff
besäße auch medizinische Kräfte; man solle ihn gegen Podagra,
Kröpfe und Ohrengeschwülste auflegen, und Pestbeulen, Rose,
Furunkeln und Augengeschwüre erhielten durch Betasten von Seiten
einer menstruierenden weiblichen Person Linderung.“
Man sieht also, das Menstrualsekret galt im Altertum für ein
wirkliches und wahrhaftiges Gift. Es trug die giftige Wirkung in
sich auf Grund einer ihm stofflich innewohnenden Kraft, genau so
wie die pflanzlichen und mineralischen Gifte. Und nur mittelst
dieser ihm von der Natur gegebenen Kraft wirke es und nur diese
suche die Organtherapie zu benützen, so meinte die antike Medizin.
Daß aber die heilkünstlerische Anwendung etwa auf metaphysische
Vorstellungen zurückzuführen und an Stelle des kulturellen Opfers
einer reinen Jungfrau zu Heilzwecken getreten sei, wie dies Höfler
(a. a. O. Seite 165) meint, davon ist in der ganzen griechischen oder
römischen medizinischen Literatur nirgends etwas zu finden. Überall
da, wo das Menstrualblut von den antiken Heilbeflissenen zu
therapeutischen Zwecken empfohlen wird, geschieht dies nur,
weil man in ihm, genau so wie in den medizinisch benützten
Pflanzen, Mineralien und Tierstoffen, einen an und durch sich wirk-
samen heilkräftigen Stoff voraussetzte.
• An dieser Tatsache ändert nun aber der Umstand ganz und
gar nichts, daß Plinius zur Erhöhung der Wirkungsweise des
öftern noch allerlei magischen Hokuspokus nennt, welcher die
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56
II. Abschnitt.
Darreichung des Menstrualblutes begleiten sollte. Derartiges geschah,
wie wir dies im Laufe dieser Untersuchung schon erwähnt haben,
beim Gebrauch aller Medikamente, sowohl der wirksamsten pflanz-
lichen wie mineralischen Mittel; man war eben schon seit frühester
Zeit der Meinung, daß die Heilwirkung eines Medikamentes nur
in der vorteilhaftesten Weise unterstützt werden könne, wenn man
durch mancherlei metaphysische Zugaben, wie Beschwörungen,
Opfer u. dgl. m. das Wohlwollen der Überirdischen für die vor-
zunehmende Kur gewönne.
Daß derartige folkloristische Momente sich nun gerade bei der
Verwendung eines in seinem Wesen so geheimnisvollen Stoffes,
wie das Blut nun einmal ist — denn geheimnisvoll mußte dasselbe
der Menschheit so lange erscheinen, so lange man seine leben-
erhaltende und lebenspendende Kraft noch nicht analytisch zu
verstehen gelernt hatte — besonders gern eingefunden haben
werden, ist nicht weiter erstaunlich. Aber diese folkloristischen
Momente haben eben zu keiner Zeit den ursprünglichen Anlaß zu
der therapeutischen Verwendung des Blutes abgegeben; dieser be-
ruht vielmehr lediglich, wir betonen und wiederholen dies immer
wieder, in der der gesamten Organtherapie zugrunde liegenden
Vorstellung von der Ersetzbarkeit eines kranken Körpergliedes
oder Funktionsproduktes durch das entsprechende eines gesunden
Lebewesens. Um diese Grundanschauung, diese zu einem volks-
therapeutischen Gesetz erkannte Voraussetzung mag sich nun
wohl folkloristische Beigabe in mehr oder minder reichem Ranken-
werk schlingen, ja dieses Rankenwerk mag zeitweise vielleicht hier
oder da gar so üppig wuchern, daß es die ursprüngliche medizinische
Basis mehr oder minder verdeckt, aber man darf sich dadurch
nicht täuschen lassen und die folkloristische Zutat nicht als den
eigentlichen Beweggrund des organtherapeutischen Handelns an-
sprechen. Es hieße dies das Wesen der Organtherapie gründlichst
verkennen und das Verständnis ihrer geschichtlichen Entwickelung
auf einen toten Strang leiten. Den Vorwurf, dies getan zu haben,
vermögen wir leider einer Reihe von Forschern nicht zu ersparen.
Doch kommen wir auf diesen Punkt im § 20 dieser Arbeit
nochmals eingehender zu sprechen.
Wie ja die pharmakologischen Angaben des Plinius zum größ-
ten Teil unbesehen von den mittelalterlichen Autoren aufgenommen
worden sind, so geschah dies auch mit dem Menstrualblut. Ge-
nau dieselben Vorstellungen, welche die alten Schriftsteller, Laien
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Die Blutbehandlung.
57
wie Ärzte, über die giftigen und heilenden Eigenschaften des
Menstruaiblutes geäußert haben, finden wir in den Pharmakopoeen
des Mittelalters, der Renaissance und zum Teil auch noch der
neueren Zeit wieder. Ja die Volksmedizin unserer Tage bewegt
sich bezüglich dieser Substanz noch vielfach in den Anschauungen
der Alten.
Aus der Anwendung aber, welche das Altertum, das Mittel-
alter, die Renaissance und selbst die neueste Volksmedizin von
dem Menstruationsblut macht, geht auf das klarste hervor, daß
die erste Ursache für den Gebrauch auch dieses sonderbaren Heil-
mittels in dem organtherapeutischen Gesetz der Ersetzbarkeit eines
kranken Gliedes, Funktionsproduktes oder einer Funktionsbetätigung
durch die entsprechenden Teile eines gesunden Körpers zu
suchen ist.
So wurde im Altertum 1 ) Katamenialblut oft gebraucht, um
bestimmte Vorgänge in den weiblichen Geschlechtsorganen hervor-
zurufen. War z. B. die Menstruation infolge einer eingetretenen
Schwangerschaft verschwunden, so galt als sicherstes Mittel, den
Monatsfluß in vollster Regelmäßigkeit wieder herbeizufuhren, d. h.
mit anderen Worten die Schwangerschaft durch Abort gewaltsam
zu beenden, wenn man die betreffenden Frauen mit der Asche
von Menstrualblut einrieb. Nach Dioskorides*) ist das Menstrual-
blut ein sicheres Mittel, den Monatsfluß zu erhalten, und deshalb
soll es die Empfängnis verhüten.
Aber auch bei zahlreichen schweren Erkrankungen sollte das
Produkt der monatlichen Reinigung nach der Anschauung der an-
tiken Ärzte wie Laien von vortrefflichster Wirkung sein. So emp-
fiehlt ein im übrigen unbekannter Arzt des Altertums Icetidas 3 )
als bestes Mittel bei bedenklichen Fieberformen den Beischlaf mit
einer soeben menstruierenden Frau. Eine römische Hebamme des
Namens Sotira 4 ) rät gleichfalls Menstruationsblut bei Fieber, aber
in Form von Einreibungen, zu benützen. Sodann scheint es eine
im Altertum stark verbreitete Meinung gewesen zu sein, daß die
*) Plinius. Naturalis historiae libri XXXVII. Rec. Janus. Vol. IV
Lib. XXVIII. Kap. 23, Seite 170. Lipsiae 1859.
*) Dioskorides. De materia medica. Lib. II. Kap. 97, Seite 223.
Lipsiae 1829.
s ) Icetidas wird von Plinius an der eben angezogenen Stelle genannt.
4 ) Sotira wird von Plinius im 28. Buch, Kapitel 23, erwähnt.
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5 «
II. Abschnitt.
in Rede stehende Substanz so eine Art von Spezifikum bei Hunds-
wut darstelle.
Ähnlich hat sich, wie die Pharmakopoeen zeigen, der Gebrauch
des Katamenialsekretes im Mittelalter gestaltet. So empfiehlt
z. B. Hildegardis 1 ), die medizinerfahrene Äbtissin des Klosters auf
dem Rupertsberg bei Bingen (1099 — 1179), als sicheres Mittel gegen
Podagra warmes Menstrualblut einer Jungfrau. Nun hatten be-
kanntlich sowohl Plinius wie Dioskorides die gleiche Substanz
gegen das gleiche Leiden empfohlen, nur hatten sie nicht gerade
als die Spenderin des Mittels eine Jungfrau verlangt, sondern
ließen alle, auch die in der Liebe schon hinlänglichst bewanderten
weiblichen Wesen als Lieferanten zu.
Auch die Pest, welche ja bekanntlich im Mittelalter so ge-
waltige Opfer verlangte, sollte mit Menstrualblut, welches in Essig
oder Rosenwasser gelöst wurde, mit Erfolg bekämpft werden
können. Diese sonderbare Therapie darf uns aber nicht weiter
befremden. Denn bei dem unsäglichen Unglück, welches mit den
verschiedenen Pestepidemieen über Europa hereingebrochen war,
ist es weiter nicht befremdlich, wenn die verzweifelte Menschheit
zu allen, auch den widerlichsten Heilmitteln ihre Zuflucht nahm.
Aber nicht bloß Altertum nnd Mittelalter waren warme Ver-
ehrer des Menstruationsproduktes, sondern selbst die Volksmedizin
unserer Tage macht noch ohne Bedenken reichlich Gebrauch von
diesem wunderlichen Heilmittel. So erzählt Strack 2 ), daß in der
Franche-Comtö ein reichbemessener Eßlöffel Menstrualblutes in
heißem, tüchtig gezuckertem Wein genossen als vortreffliches Mittel
gegen gewisse Bluterkrankungen gilt. Wir bemerken, daß hier
also wieder das Blut in dem wahren Sinne der Organtherapie ge-
braucht wird, d. h. daß das Blut eines gesunden weiblichen Wesens
das erkrankte Blut eines anderen Frauenzimmers heilen soll.
Ganz und gar nichts haben mit diesem ursprünglichen Grund-
gesetz der Organtherapie nun aber verschiedene andere Anwen-
dungsformen des Monatsflusses gemein, welche noch heut in den
verschiedensten Ländern geübt werden. So wird im Morgenland
Menstruationsblut in die Augen gestrichen, um etwa vorhandene
') Hildegardis. Physica sanctae Hildegardis. Argentorat. 1535.
*) Strack. Das Blut im Glauben und Aberglauben der Mensch
heit. München 1900. Seite 30.
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Die Blutbehandlung.
59
Hornhautflecke zu beseitigen 1 ). Leberflecke und allerhand Unge-
hörigkeiten der Haut hofft man noch heut in Franken 2 ) durch das
Aufpinseln von Menstrualblut zu beseitigen, während man in Steier-
mark dasselbe Verfahren zur Vertreibung von Warzen in Anwen-
dung bringt*).
Aber auch allerhand Zauberwirkungen hatte man zu allen
Zeiten von dem Menstrualblut erwartet. So bestrich man im Alter-
tum die Türpfosten damit, um das Heim vor allen magischen
Künsten zu behüten 4 ), und im frühen Mittelalter 5 ) bereits, wie in
der modernen Zeit ist das Katamenienprodukt als höchst wirk-
sames Liebesmittel bei dem Volke rühmlichst bekannt. In welchem
Umfang der aus Menstrualblut bereitete Liebestrank z. B. im Mittel-
alter benützt wurde, zeigt der Umstand, daß die sogenannten Buß-
bücher 6 ) es für angezeigt erachteten, die Frauen, welche zur Er-
haltung und Erhöhung der Liebe etwas von ihrem eigenen Uterus-
sekret ihren Ehemännern oder anderen Individuen männlichen Ge-
schlechts beibrachten, zu einer Kirchenpönitenz von mindestens
3 Jahren zu verdammen. Daß übrigens während des Mittelalters
auch Männer Angehörige des anderen Geschlechtes durch zauberisch
i) Zitiert in Strack a. a. O. Seite 30.
*) lamroert. Volksmedizin und medizinischer Aberglaube in
Bayern und den angrenzenden Bezirken. Würzburg 1869. Seite 184.
5 ) Fossel. Volksmedizin und medizinischer Aberglaube in Steier-
mark. 2. Aufl. Graz 1886. Seite 134.
4 ) Plinius. Naturalis historiae Libri XXXVII. Rec. Janus. Vol. IV.
Lib. XXVIII. Kap. 23, Seite 171. Lipsiae 1859.
5 ) Mit welchem Abscheu das Mittelalter über das giftführende Menstrualblut
urteilte, zeigt der Umstand, daß Frauen zur Zeit der Menstruation unbedingt den
Kirchenbesuch unterlassen sollten. So sagt z. B. das Theodor’sche Bußbuch:
„Mulieres menstruo tempore non intret in cedesiam, neque connuicet, nec sancti-
moniales pec laici, si praesumant, III ebdomadas peniteat.“ Schmitz. Die Buß-
bücher und das kanonische Bußverfahren. Düsseldorf 1898. Seite 536.
e ) Unter Bußbüchem versteht man bekanntlich Schriften, welche behufs
Regelung der Bußdisziplin gerade im Mittelalter, und zwar zwischen den Jahren
600 — 1000 in besonderer Menge verfaßt wurden. Uns liegt eins unter dem Titel
vor: Peniteas cito libellas iste nuncupatur. Tractans compendiose
de penitentia et ejus circumstantiis ac vitam peccatis depravatam
emendere cupientibus multum utilis et necessarius. Colonie 1495.
Man vergl. auch: Friedberg. Aus deutschen Bußbüchern. Halle 1868.
Seite 27.
Schmitz. Die Bußbücher und die Bußdisziplin der Kirche.
Mainz 1883.
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6o
II. Abschnitt.
wirkende Liebestranke an sich zu fesseln gesucht haben, vermelden
uns die Bußbücher gleichfalls. Nur benützten die Männer dazu
andere Ingredienzien wie die Weiber. Denn da der männliche
Körper nun einmal kein Katamenienblut produziert, ein Geschlechts-
produkt aber doch als das wirksamste Mittel galt, Frau und Mann
mit unzerreißbaren magischen Banden aneinander zu fesseln, so
blieb dem Mann kein anderes von ihm hervorgebrachtes geschlecht-
liches Sekret als der Samen. Und der wurde denn auch zu Liebes-
tränken eifrigst verarbeitet, sobald ein Mann den dringenden
Wunsch verspürte, eine spröde Schöne auch wider ihren Willen
sich geneigt zu machen. Unsere liebestollen Geschlechtsgenossen
mußten übrigens dieses Unterfangen gleichfalls mit dreijähriger
Kirchenstrafe büßen.
Daß auch die modernste Volksmedizin noch immer diesem
Rezept der Dreck-Apotheke gläubigst huldigt, bestätigt Lammert ').
Dürfen wir einmal das, was in der Oberpfalz das liebebedürftige
Weibervolk gebraucht, um sich den Gegenstand ihres geschlecht-
lichen Begehrens sicher zuzuführen, in einem regelrechten Rezept
unseren Lesern vorführen, so würde ein solches lauten:
R.
Sudoris
Sang, menstrual.
aa gutt. X
Vini aut aquae
quant. sat. ad potum.
Wenn ein solches Rezept in den finstersten Tagen des Mittel-
alters auf gläubige Abnehmer in ungezählter Menge rechnen mochte,
so kann uns dies schließlich nicht weiter wundernehmen. Aber
daß noch in unseren Tagen sich Manche finden, die an die Wirk-
samkeit derartiger Schmutz-Rezepte fest glauben, das ist doch ein
starkes Stück. Und leider fehlt es unserer Zeit keineswegs an
derartigen wundergläubigen Individuen. So kam es z. B. im Jahre
1885 im Landgerichtsbezirk Colmar zu einem Ehescheidungsprozeß,
in dem es auch zur Sprache gelangte, daß der betreffende Ehe-
mann des öfteren mit seinem Frühstücks- oder Vesperkaffee Men-
strualblut seiner Ehefrau zu sich genommen hatte 2 ). Übrigens
t) Lammert. Volksmedizin und medizinischer Aberglaube in
Bayern und den angrenzenden Bezirken. Würzburg 1869. Seite 151.
») Wird erzählt von Strack a. a. O. Seite 21.
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Die Blutbehandlung. 6l
werden ähnliche Vorgänge noch von den verschiedensten Seiten
gemeldet. Überlegen wir uns, daß doch immer nur in ganz ver-
einzelten Fällen derartige Geschehnisse zur allgemeinen Kenntnis
gelangen, da ja die betreffenden Akteure ihre Stückchen meist für
sich behalten, so werden wir uns leider der Erkenntnis nicht ver-
schließen können, daß trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnis
und Erleuchtung die Dreck-Apotheke noch immer auf recht zahl-
reiche Abnehmer ihrer Produkte rechnen darf.
Übrigens besteht der mit Blut arbeitende Liebestrank auch
noch in einer appetitlicheren Form, als der sanguis menstrualis
und semen virile verabfolgenden. Unser Volk meint nämlich, daß
es wohl auch schon genüge, den Gegenstand der Liebesbrunst zu
gewinnen, wenn man demselben nur überhaupt Blut, mag es auch
aus jedem beliebigen Körperteil stammen, beibringt.
Die Vorstellung, auf welcher die ganze Blut-Liebestrank-
geschichte beruht, ist nun etwa keineswegs eine folkloristische,
sondern wurzelt nur in dem Grundgesetz der Organ therapie. Der
Gedanke, welcher in dem Liebes-Rezept zum Ausdruck kommt,
ist nämlich insofern ein rein organtherapeutischer, als beabsichtigt
wird, den mangelhaften Gehalt an Zuneigung und Liebe, den ein
Mensch zur Schau trägt, dadurch auszugleichen, daß ihm ein mit
zärtlichen Gefühlen reichlichst überladenes Blut einverleibt werde.
So hätten wir uns denn überzeugt, daß auch die therapeutische
Verwendung des Menstrualproduktes schon in den frühesten
literarischen Quellen, die uns zu Gebote stehen, auf ein in dem
Blut selbst gegebenes Gift sich gestützt hat, auf eine stofflich
existierende und genau so wie jedes andere pflanzliche oder
pnneralische Gift auch stofflich wirkende Substanz. Nach dieser
durch ein ausgiebiges Material hinlänglich gestützten Erkenntnis
ist also der Ausspruch Höflers (a. a. O. Seite 166): „An Stelle des
kulturellen Opfers einer reinen Jungfrau tritt infolge der Herrschaft
des Rudimentes: das Katamenien-Blut, das Katamenienhemd, der
Hemdsaum allein“ dahin abzuändern, das das kulturelle Opfer mit
der therapeutischen Anwendung des Menstrualblutes gar nichts zu
tun hat, daß dieselbe vielmehr auch heut noch ausschließlich auf den
rein pharmakodynamischen Voraussetzungen beruht, welche Plinius
schon hinlänglichst entwickelt hat. Allerdings hat das Christentum
hinterher die Bluttherapie im allgemeinen und die Benützung des
Katamenienblutes im besonderen so reichlichst mit folkloristischem
Beiwerk versehen, daß man schließlich hinlänglich entschuldigt ist,
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62
II. Abschnitt.
wenn man über diesen metaphysischen Zutaten das auch hier waltende
allgemeine Gesetz der Organtherapie nicht bemerkt hat. Da aber
selbst geübte Forscher in diesen Irrtum verfallen können, so halten
wir es für geboten, noch in § 20 zu untersuchen : welchen Einfluß die
Religionen, speziell das Christentum auf die Bluttherapie ausgeübt
haben mögen.
§ 19. Die Ernährung der Tiere sollte auf den thera-
peutischen Wert des Blutes unter Umständen von Ein-
fluß sein.
Auf Seite 29 haben wir bereits darauf aufmerksam gemacht,
daß man im Altertum der Meinung war, die Nahrung könne dem
Blut antitoxische Eigenschaften verleihen. Wir haben an jener
Stelle auch schon darauf hingewiesen, daß man im Altertum
vielleicht sogar schon den Versuch gemacht haben könne, das
Blut gewisser Tiere, so vornehmlich der Enten, in systematischer
Weise durch Giftfütterung zu einem Antitoxin umzugestalten.
Man vergl. deshalb über diesen Punkt das bereits von uns
Gesagte.
§ 20. Welchen Einfluß haben Kulthandlungen auf die
Blutbehandlung ausgeübt?
Wie wir im § 18 nachgewiesen haben, fehlt es nicht an
namhaften Forschern, welche die therapeutische Verwendung
des Blutes als das Rudiment von früheren Kulthandlungen
ansehen, indem sie meinen, daß aus den den Göttern dar-
gebrachten Menschen- resp. Tieropfern schließlich die Blut-
behandlung hervorgegangen sei. So sagt z. B. Höfler 1 ): „Die
Blutentziehung, das Blutopfer, welches an Stelle des Menschen-
opfers trat, sollte den Göttern den übermenschlich kräftigenden
Göttertrank des rohen, warmen Blutes liefern; das Blut wurde zum
Heilmittel durch das kulturelle Blutopfer; es gab übernatürliche
Kraft und Schutz auch gegen Krankheiten und Verwundungen.“
Nach dieser Vorstellung wäre also die ursprüngliche Quelle der
>) Höfler. Volksmedizin und Aberglauben in Oberbayerns Gegen-
wart und Vergangenheit. München 1893. Seite 9.
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Die Blutbehandlung.
63
Blutbehandlung ausschließlich die Religion und nicht jenes uralte
pharmakodynamische Gesetz, welches wir im I. Abschnitt dieser
Arbeit für alle Substanzen, deren sich die Organtherapie je be-
dient hat, als maßgebend und gleich verbindlich kennen gelernt
hatten. Es wäre deshalb schon von Haus aus äußerst auffallend,
wenn dieses Gesetz gerade für die Blutbehandlung eine Ausnahme
erhalten sollte.
Nun, eine eingehende Prüfung des vorliegenden, überaus reich-
haltigen Materials wird uns ja bald die zwischen Religion und
Bluttherapie obwaltenden Beziehungen aufdecken.
Für die frühesten Kulturepochen lassen sich die zwischen
Bluttherapie und Kulthandlungen von Höfler vorausgesetzten Be-
ziehungen zunächst nicht mit Sicherheit ermitteln. Wenigstens gilt
dies für die Zeiten, aus denen wir Proben der chinesischen und ägyp-
tischen Behandlungsmethode beigebracht haben. Ja wir glauben
sogar, daß sowohl in China wie in Ägypten Beziehungen zwischen
der Blutbehandlung und Kulthandlungen, wie sie Höfler voraussetzt,
überhaupt gar nicht bestanden haben können. Dafür spricht deutlich
die Art und Weise, in welcher die therapeutische Verwendung des
Blutes in den Pharmakopoeen jener Völker besprochen wird. Das
Blut wird nämlich in den uns überkommenen chinesischen wie
ägyptischen Quellen in der nüchternsten Weise genau wie alle
anderen tierischen, pflanzlichen und mineralischen Heilsubstanzen
behandelt. Es werden die pharmakodynamischen Wirkungen,
welche Blut auf den menschlichen Körper und auf einzelne Ge-
webe desselben ausübt, dargelegt und dementsprechend die An-
wendungsweise desselben zu Heilzwecken genau festgestellt. Das
sieht nun keineswegs danach aus, als ob die Chinesen des dritten
oder zweiten vorchristlichen Jahrtausends oder die Ägypter ge-
glaubt hätten: „Das Blut verleihe — wie Höfler dies sagt — über-
natürliche Kraft und Schutz.“ Eine Substanz, die dies imstande
sein soll, die bespricht man nicht in der nüchternsten Weise in
der Reihe aller anderen Heilmittel, bei der sucht man nicht nach
bestimmten physiologischen Formen ihrer Wirkungen, wie man
sie in ihrer Heilkraft auch nicht auf bestimmte Krankheitsformen
beschränkt und nicht durch enge Indikationen bindet. Ein Mittel,
das übernatürliche Kräfte und Schutzmittel zu geben vermag, wird
in den Augen derer, die an dasselbe glauben, eine ganz andere
Stellung einnehmen müssen, als die so prosaische in der Reihe
aller möglichen Pflanzen-, Mineral- und Tiersubstanzen. Oder sieht
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64
II. Abschnitt.
\
es etwa nach einer Erinnerung an frühere Kultformen aus, wenn
der ägyptische Augenarzt des 15. vorchristlichen Jahrhunderts bei
Wimpernerkrankungen jedes einzelne Wimpernhaar aus dem Lid-
rand vorsichtig auszupft und die Stellen mit Froschblut bepinselt?
Sieht eine solche Behandlungsform, so frage ich, irgendwie nach
der Annahme eines übernatürlichen Schutzes aus, der in dem
Froschblut stecken sollte? Ich meine, hier kann gar kein Zweifel
herrschen, daß der alte ägyptische Augenkollege eine höchst ein-
fache und nüchterne therapeutische Handlung vorgenommen hat,
die nicht auf übernatürliche Kraft, nicht auf übernatürlichen Schutz
zugeschnitten war, sondern mit denselben Prinzipien rechnete, wie
die Anwendung der Heilsubstanzen überhaupt, d. h. auf Erzielung
gewisser pharmakodynamischer, in dem Stofflichen des benützten
Mittels gegebenen Wirkungen.
Nur zu einer derartigen Auffassung berechtigt uns das, was
die ältesten chinesischen und ägyptischen Quellen über die Blut-
therapie berichten.
Wenn ich nun auch meine, daß zu einer derartigen Beurteilung
jener uralten Angaben, wie ich sie eben vertreten habe, die Quellen
selbst nötigen, so kann man mir doch entgegnen, daß das von mir
Gesagte immer noch keine direkte Widerlegung der Ansicht sei,
daß man doch vielleicht den Blutgenuß — um denselben handelt
es sich doch aber bei dem innerlichen Gebrauch des Blutes — aus
Kultrücksichten der Medizin einverleibt haben könne. Nun zugegeben
diesen Einwand I Dann bin ich immer noch in der Lage, mit dem
Beweis aufwarten zu können, daß der Blutgenuß — ganz gleich ob zu
Speise- oder therapeutischen Zwecken — von einer Bekenntnis-
form unbedingt verworfen worden istl Und zwar von einer Re-
ligion, welche in ihrer literarischen Grundlage auf das Christentum
den mächtigsten Einfluß ausgeübt hat, nämlich vom Judentum.
Im Alten Testament wird nämlich mit klaren, dürren Worten ge-
sagt, daß der Blutgenuß unbedingt verboten sei. Und da nun
das Alte Testament für die christliche Lehre in so vielen Stücken
den maßgebendsten Einfluß ausgeübt hat, so wird wohl niemand
bestreiten wollen, daß der vom Alten Testament verbotene Blut-
gebrauch nun auch im Christentum einen Widerhall gefunden haben
muß. Wer dies aber doch bestreiten wollte, dem werde ich schon
auf den nächsten Zeilen beweisen, daß für bestimmte Perioden
des Christentums jenes alttestamentliche Verbot des Blutgenusses
ganz allein maßgebend gewesen ist. Doch bevor ich dies tue,
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Die Blutbehandlung.
65
will ich erst die Stelle des Alten Testamentes anführen, welche
von dem Blutgenuß handelt. Sie findet sich 3. Mose 17, Vers 14
und lautet: „Denn des Leibes Leben ist in seinem Blut. Wer es
isset, der soll ausgerottet werden.“ (Man vergl. auch Seite 38.)
Nun, ich denke, dieser Ausspruch stellt außer allen Zweifel, daß
in jenen frühen Zeiten, in denen das 3. Buch Mose verfaßt
worden ist, von einem Genuß des Blutes absolut keine Rede
gewesen sein kann. Und zwar waren es nicht Kultrücksichten,
welche dieses Verbot herausgefordert hatten, sondern genau
dieselbe Beobachtung, welche andere Völker gerade zum Genuß
des Blutes bestimmt hatte, nämlich die Tatsache: daß mit dem
einer Wunde entfließenden Blut das Leben verloren gehe. Die
Juden wurden durch diese Erscheinung, genau so wie andere
Nationen, zu der Annahme geführt, daß das Leben im Blut liege,
daß das Blut der stoffliche Repräsentant des Lebens sei. Während
nun aber andere Stämme sich diese Voraussetzung thera-
peutisch zunutze machten, wurden die Juden durch sie gerade
zu dem Verbot des Blutgenusses geführt. Sie nahmen nämlich
an, daß das von Gott gegebene Leben nun auch dem Ewigen,
dem Spender desselben, zurückerstattet werden müsse und keines-
falls vom Menschen sich selbst einverleibt werden dürfe. So be-
strich denn der Priester mit dem Blut des Opfertieres die Hörner
des Altars, den Vorhang des Allerheiligsten und den Boden des
Brandaltars, unter der Voraussetzung, daß auf diese Weise das im
Blut befindliche Leben an heiliger Stätte Gott zurückgegeben
werde. So hat denn hier also nicht der Kult auf die Verwendung
des Blutes eingewirkt, sondern umgekehrt die physiologische
Vorstellung, die man sich von der Wirkungsweise des Blutes
gebildet hatte, hat auf den Kult bestimmend eingewirkt.
Das Verbot des Blutgenusses ging nun auch in das Christen-
tum über. Denn in der Apostelgeschichte 15, Vers 29 steht:
„Daß ihr euch enthaltet vom Götzenopfer und vom Blut.“ Dieses
Verbot wurde von den Christen der ersten Jahrhunderte ganz
allgemein und pünktlich beachtet, wie die einschlägigen Quell-
werke dies bezeugen 1 ). Man wollte, wie berichtet wird, mit dieser
Vorschrift den in das Christentum übertretenden Juden ent-
gegenkommen, denen eben doch nun einmal der Blutgenuß ein
Greuel war.
1) Man vergl. auch Apostelgeschichte 21, Vers 25.
Magnus, Die Organ» und Blut-Therapie. 5
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66
II. Abschnitt.
So etwa vom 4. Jahrhundert an dachte man dann über das
Blutessen wesentlich milder; man verspottete sogar, wie der heilige
Augustin berichtet 1 ), diejenigen, welche sich streng des Blutes
enthielten. Vom 6. Jahrhundert an ging die Kirche dann wieder
in eine schärfere Tonart über, indem auf der Synode zu Orleans
im Jahre 533 der Blutgenuß aufs neue untersagt wurde, und im
Jahre 731 setzte Gregor III. auf den Blutgenuß eine Kirchenbuße
von 40 Tagen, und noch im 12. Jahrhundert, wo doch die Ver-
wendung des Blutes zum Genuß, wenigstens therapeutisch ganz
allgemein geworden war, untersagte Otto von Bamberg den neu-
bekehrten Personen den Blutgenuß energisch.
Doch waren bei allen diesen Erlassen keinerlei Kultrücksichten
im Spiel, sondern ausschließlich nur politische und soziale. Man
gab dieselben, weil man das Blutessen für einen Beweis von Roheit,
Wildheit und Unbildung ansah, und das alles Eigenschaften waren,
welche die neubekehrten Stämme noch in reichlichstem Maße be-
kundeten. Man wollte also durch die Entziehung des Blutgenusses
erziehlich, aber nicht erziehlich in religiöser, sondern erziehlich in
sozialer Hinsicht einwirken; so berichten die hervorragendsten
Kleriker jener frühen Perioden des Mittelalters.
Allein dieses Verbot scheint ein wirkliches Speisegesetz
gewesen zu sein, d. h. sich wesentlich nur auf den Gebrauch des
Blutes als eines sättigenden und wohlschmeckenden Nahrungs-
mittels bezogen zu haben. Wenigstens konnte ich in den mir
zugänglichen Werken keine Stelle finden, welche die Benutzung
des Blutes als Heilmittel untersagt. Dagegen kommen genug
therapeutische Empfehlungen der verschiedensten Blutsorten in
den Werken christlicher Ärzte des 5., 6. und der folgenden Jahr-
hunderte vor, so z. B. bei Alexander von Tralies, bei Aetius u. a. m.
Diese Empfehlung der verschiedensten Blutsorten von christ-
lichen Ärzten und zu Zeiten, in denen der Blutgenuß von der
Kirche mit recht argen Strafen verfolgt wurde,*) spricht nun aber
*) Schmitz. Die Bußbücher und die Bußdisziplin der Kirche.
Mainz 1883. Seite 231, 320, 321.
s) So hatte die zweite zu Konstantinopel im Jahre 692 abgehaltene trul-
lanische Synode verordnet, daß ein Kleriker, der Blut verzehrt, seines Amtes ver-
lustig gehen, während ein Laie für dieses Verbrechen mit Exkommunikation be-
straft werden sollte. Man vergl. darüber auch Schmitz a. a. O. Band I Kap. 1.
Seite 321.
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Die Blutbehandlung.
6 7
dafür, daß man kirchlicherseits gegen die therapeutische Ver-
wendung des Blutes nichts einzuwenden gehabt hat. Denn wäre
die Bluttherapie eine kirchlicherseits verbotene und mit ähnlichen
Strafen belegte gewesen, wie die Verwertung des Blutes als Nah-
rungsmittel, so würde wohl kaum ein christlicher Arzt gewagt
haben, öffentlich das Blut als Heilmittel zu empfehlen und in seiner
Praxis zu gebrauchen.
Die Tatsache, daß man die therapeutische Verwendung des
Blutes ungefährdet besprechen durfte, zeigt nun aber nicht bloß,
daß die mittelalterliche Kirche das Blut als Heilmittel zugelassen
hat, sondern sie beweist des ferneren auch noch, daß die maß-
gebenden kirchlichen Kreise die Bluttherapie unmöglich als das
Rudiment eines Blutopfers, als ein aus früher im Heidentum üblich
gewesenen Menschen- und Tieropfern hervorgegangenes Verfahren
angesehen haben können. Denn hätte man auch nur die leiseste
Ahnung von derartigen Möglichkeiten gehabt, man hätte wahrhaftig
nicht das geringste Bedenken getragen, die Bluttherapie mit
derselben Schärfe zu verfolgen, wie das Speisen von Blut. Ja wahr-
scheinlich wäre man dann mit ganz außerordentlicher Härte gegen
jeden Versuch, mit Blut Krankheiten heilen zu wollen, vorgegangen.
Denn die Kirche hätte ja doch in diesem Fall die Bluttherapie als
eine heidnische Zauberei ansehen müssen. Und wenn auch das
Christentum den übertretenden Heiden in ihren sozialen An-
schauungen, in ihren Gebräuchen und Sitten möglichst schonend
entgegengetreten ist, in Sachen der auf den heidnischen Glauben
oder heidnischen Kult sich stützenden Zauberei ließ sie nicht mit
sich spaßen. Da hörte in der mittelalterlichen Kirche allzeit die
Gemütlichkeit auf.
So geht denn, nach unserer Auffassung, aus der öffentlichen
Empfehlung und Erörterung der Bluttherapie seitens der hervor-
ragendsten und mitten in der ausgedehntesten heilkünstlerischen
Tätigkeit stehenden Ärzte unbedingt die Tatsache hervor, daß
sich die mittelalterliche christliche Geistlichkeit bei der Beurteilung
der Bluttherapie genau von den gleichen Anschauungen hat leiten
lassen, wie das gesamte Altertum. Genau wie dieses in dem Blut
einen heilenden, pharmakologischen Stoff vorausgesetzt und dessen
Wirksamkeit je nach seinen tierischen Lieferanten verschieden
bewertet und gar nicht daran gedacht hatte, die ihm vindizierte Heil-
kraft etwa als aus irgendwelchen Kultrückständen hervorgegangen
aufzufassen, ganz ebenso hat die mittelalterliche Kirche allzeit die
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II. Abschnitt.
Heilbefähigung des Blutes beurteilt. Der Charakter eines stofflich
und nicht metaphysisch wirkenden Heilmittels, welchen all die
großen und vielgelesenen antiken Autoren, wie Plinius, Celsus,
Dioskorides und vor allem der medizinische Papst des Mittel-
alters, Galen, dem Blut in ihren Schriften unzählige Mal zuerkannt
hatten, er galt auch der mittelalterlichen Kirche als bewiesen. Denn
für die Kirche des Mittelalters erschien die Medizin des Altertums
und besonders deren Vertreter Galen, als unfehlbar. Und nur
darum konnte sie zwar das Blut als Nahrungsmittel verbieten,
aber als Heilmittel zulassen.
Ist danach also die Bluttherapie während des ganzen Mittel-
alters, von den frühesten Zeiten desselben an bis zu seinem
Ausgang und von den dann folgenden Kulturperioden in der
gleichen Weise im Anschluß an das klassische Altertum aus-
schließlich pharmakodynamisch aufgefaßt worden, so hat doch
auch die christliche Religion die medizinische Verwertung des
Blutes in verschiedenster Weise beeinflußt.
Zunächst scheint durch das Christentum die Benützung des
Blutes zu Heilzwecken .in gewisser Weise begünstigt worden zu
sein; wenigstens begegnet man dem Gebrauch desselben im Mittel-
alter allerorten. Besonders dürfte dasselbe beim Volk ein un-
gemein beliebtes Heilmittel gewesen sein, dem man ob seiner her-
vorragenden medizinischen Kräfte auch noch allerlei andere Fähig-
keiten zutraute. Es schillert der Gebrauch des Blutes während
des Mittelalters in allen möglichen Variationen: teils gilt es als
medizinisches Spezifikum, teils als magisches Wundermittel, teils
als zauberkräftige Substanz. So hat denn unter der Herrschaft
des christlichen Gedankens sich um die ursprünglich rein
pharmakodynamische Beurteilung des Blutes, wie man sie
aus dem Altertum ursprünglich übernommen hatte, ein viel-
gestaltiges folkloristisches Beiwerk gerankt, das seinerseits
wiederum vornehmlich im Christentum wurzelt. Die Vorstellung
nämlich, daß das heilige Blut des Erlösers ein Heilmittel für die
Sünden der ganzen Welt sei, hat in der Phantasie des mittel-
alterlichen Volkes dem Blut überhaupt zu einer ganz besonderen
Stellung verholfen. Das zu dem Analogieschluß stets so bereite
naive Volksgemüt ließ sich verleiten, analog der alles heilenden
und versöhnenden Wirkung des Blutes Christi, im Blut überhaupt
neben der medizinischen Kraft auch noch allerlei andere Fähigkeiten
zu vermuten.
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Die Blutbehandlung.
69
So kam es denn, daß zu der so nüchternen, ganz medi-
zinisch gearteten Beurteilung des Blutes während des Altertums im
Laufe des Mittelalters noch allerlei andere Auffassungen hinzu-
gekommen sind, an die bei der ursprünglichen Entwickelung der
Bluttherapie in der vorchristlichen Zeit niemand gedacht hatte.
Auch noch in anderer Weise hat das Christentum die ur-
sprüngliche therapeutische Auffassung der Blutwirkung beeinflußt.
Und zwar durch den Marien-Kultus. Die Jungfrau hat durch die
Gestalt der Maria im Volke eine ganz besondere Auffassung ge-
wonnen. Das Reine, Unbefleckte, welches in der Figur der Mutter
Christi so in den Vordergrund tritt, ist im Licht der christlichen
Auffassung zu einer charakteristischen Eigenschaft des Jungfräulichen
überhaupt geworden. Und da man nun, wie wir dies im Laufe des I. Ab-
schnittes dieser unserer Untersuchung gezeigt haben l ), schon seit
früher Zeit für die körperlichen wie geistigen Eigenschaften eines
jeden Lebewesens in erster Linie das Blut verantwortlich gemacht
hat, so vermutete man auch im Blut der Jungfrau ganz besondere
Eigenschaften, die dann wieder zu allerlei therapeutischen wie ander-
weitigen Zwecken dienstbar gemacht werden konnten. So sehen
wir denn, wie unter dem Einflüsse des Marien-Dienstes im christ-
lichen Mittelalter gewisse Heilwirkungen des Blutes lediglich von
dem Blut einer Jungfrau erwartet wurden, während genau die
gleichen Wirkungen im Altertum vom Blut schlechthin erhofft
wurden. Das gilt z. B. von der Anwendung des Blutes bei Podagra:
hier verordnete das Altertum Umschläge mit Menstrualblut einer
beliebigen Frau, während das Mittelalter die heilende Wirkung nur
von dem Menstrualblut einer Jungfrau erwartete. Ähnlich liegen
die Verhältnisse auch bezüglich der Bewertung der magischen
Eigenschaften des Blutes: das Menstrualblut sollte im Altertum
schlechthin nur auf Grund der ihm innewohnenden ganz außer-
ordentlichen Giftwirkungen gegen Zauberei schützen, während im
Mittelalter diese Wirkung vornehmlich in dem Menstrualblut einer
Jungfrau gesucht wurde. So bestrich der antike Bürger die Pfosten
seines Hauses gern mit Menstrualblut schlechthin, um einen
Schutz gegen die Künste der Magier sich zu sichern, während
der zum Turnier sich rüstende Ritter zwar auch eine Schutzkraft
im Katamenienblut voraussetzte, aber nur in dem von einer
Jungfrau produzierten. So trug er denn unter dem rechten,
!) Man vergl. Seite 41.
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II. Abschnitt.
lanzenschwingenden Arm eine mit jungfräulichem Menstruations-
sekret getränkte Binde, um immer Sieger im WafTenspiel zu sein. *)
So dürfen wir denn mit vollster Sicherheit behaupten, daß die
Bluttherapie, genau so wie die gesamte Organtherapie über-
haupt, auf dem uralten pharmakodynamischen, in dieser Arbeit
schon so oft erwähnten Gesetz der Ersetzbarkeit eines Körper-
organes durch denselben Teil eines anderen Lebewesens beruht.
Was die Blutbehandlung von folkloristischem Beiwerk zeigt, das
ist erst später, als die therapeutische Verwendung des Blutes
sich längst auf Grund jenes Gesetzes entwickelt hatte, hinzu-
gekommen.
l ) Curieuse Hausz-Apothec. Frankfurt am Main J700. Seite 45.
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In J. U. Kern '3 Verlag (Max Malier) in Breslau ist erschienen:
Sechs Jahrtausende im Dienste des Äskulap.
Mit 18 Abbildungen im Text.
Von
Dr. Hugo Magnus,
Professor der Universität Breslau.
1905. 228 Seiten gr. 8«. Gebunden. Preis 5 Mark.
Inhalt: Der Krankheitsbegriff in der Vorstellung der Völker. — Der Heil-
vorgang im Wandel der Zeiten. — Die Frau im Dienst des Äskulap. — Der
Heilbeflissene als fahrender Gesell. — Medizin und Christentum. — Der ärztliche
Stand und seine Schicksale. — In den Sternen steht’s geschrieben. — Das Kur-
pfuschertum.
Es ist ein großer Genuß, die lichtvolle, durch kein gelehrtes
Material — und es steckt eine unermeßliche Fülle darin — beschwerte Darstellung
zu lesen; und es wird die Arbeit von Magnus keineswegs nur für den Arzt,
sondern auch für jeden Gebildeten interessant sein. Insbesondere hoffen wir, daß
seine Ausführungen in dem Kapitel über das Kurpfuschertum auch von den maß-
gebenden Stellen gelesen werden “
(Deutsche Medizinische Wochenschrift.)
Es handelt sich um acht elegant und äußerst fesselnd ge-
schriebene, unter sich nur in loserem Zusammenhang stehende Essais, in denen
ein Bild gegeben werden soll nicht in systematischer Form von der Entwickelungs-
geschichte unserer Kunst im allgemeinen, sondern von gewissen Strömungen und
Richtungen, die mit ihr als ständige Begleiterinnen parallel verlaufen sind, teil-
weise allerdings auch so übermächtig geworden sind, daß sie in manchen Perioden
sogar das hervortretendste Merkmal gebildet, ihnen ihr eigentliches geistiges
Gepräge gegeben und die Schulmedizin, d. h. den Gang der Wissenschaft sogar
in den Hintergrund zu drängen versucht haben “
(Deutsche Medizinische Presse.)
Ich habe aus dem hervorragenden Buche mit Absicht eine ganz
oberflächliche Inhaltsskizzierung angegeben, um die Kollegen darauf aufmerksam
zu machen, wie viel des Belehrenden, Interessanten und stellenweise auch Er-
heiternden sie finden, wenn sie sich dasselbe erwerben und durchstudieren. Ich
selbst habe bei der Lektüre der „Sechs Jahrtausende im Dienste des Äskulap“ ein
großes Vergnügen empfunden, und ich kann allen Kollegen dieses Buch auf das
wärmste empfehlen. Gewiß wird mit der Kenntnis dieses Buches manche Lücke
unserer medizinischen Ausbildung ausgefüllt werden “
(Ärztliche Standeszeitung, Wien.)
Nirgends ist er ein nüchterner, trockener Gelehrter, immer bleibt er
großzügig, lebens- und temperamentvoll in der Schilderung. Seine Darstellung ist
im eleganten Vonragston gehalten und mit geistreichen, witzigen Stellen, oft voll
sarkastischen Humors durchwürzt, so daß das Lesen grosses Vergnügen bereitet.
Sein Streben geht nicht bloß dahin, die Geschichte der Medizin vorzutragen,
sondern er hegt dabei den Wunsch, daß seine Leser die Lehren der Geschichte
auch beherzigen, und in den geistigen und Standeskämpfen der Gegenwart als
Kampfesprogramm verwerten sollen “ (Pädagogisches Archiv.)
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In J. U. Kern's Verlag (Max Müller) in Breslau sind erschienen:
Medizin und Religion in ihren gegenseitigen Beziehungen.
Geschichtliche Untersuchungen.
Von Professor Dr. H. Magnus. — 1903. — Preis 2 M. 50 Pf.
„Der Verfasser verfolgt in dieser Studie sein Thema von den Uranfängen des
Zauber- und Fetischdienstes bis zu den Wunderlichkeiten versuchter Qebetsheilung in
unseren Tagen. Namentlich die vielseitigen Beziehungen zwischen Medizin und
Christentum sind lichtvoll zur Darstellung gebracht, mancher neue Baustein ist heran-
gefahren, und das Altbekannte so vielfach in neue Beleuchtung gerückt, daß unbeachtete
Fäden des Zusammenhangs zu Tage treten und wirkungsvolle Aus- und Tiefblicke des
Verständnisses gewonnen werden.
In seiner klaren, fesselnden Schreibweise, in der Gedankentiefe seiner Aus-
führungen und in der genauen Kenntnis aller einschlägigen Veröffentlichungen alter
und neuer Zeit sucht der Verfasser seinesgleichen. Das Buch ist jedem Gebildeten
aufs wärmste zu empfehlen.“
Der Aberglauben in der Medizin.
Mit 5 Abbildungen.
Von Professor Dr. Hugo Magnus. — 1903. — Preis 3 M. 50 Pf.
„Dem bunten Schwarm des vielgestaltigen medizinischen Aberglaubens zieht
der Verfasser auf drei großen Heerstraßen prüfend nach, indem er zuerst der Religion
als Trägerin des medizinischen Aberglaubens nachspürt, weiter die Philosophie und
endlich angebliche Naturwissenschaften, wie die Astrologie, als Erzeuger, Mütter und
Pflegerinnen abergläubischer Richtungen in der Medizin aller Jahrhunderte aufweist
und ins einzelne verfolgt — wahrlich ein Gesamtbild von betrübender Einförmigkeit in
all seiner schillernden Mannigfaltigkeit — Menschliches, Allzumcnschliches in er-
drückender Fülle! — aber lehrreich wie wenige andere Gebiete menschlicher Unkultur
für jeden Arzt und alle, die an dem großen Gedanken einer fortschrittlichen Ent-
wicklung der Menschheit mitarbeiten wollen.“
Kritik der medizinischen Erkenntnis.
Eine medizin-geschichtliche Untersuchung.
Von Professor Dr. Hugo Magnus. — 1904. — Preis 5 Mark.
„Es handelt sich in dieser Schrift um eine historische Darlegung der medizi-
nischen Philosophie, oder, deutlicher ausgedrückt, um eine Darstellung der Beziehungen,
welche zwischen allgemeiner medizinischer und philosophischer Erkenntnismethodik
jeweils in den verschiedenen Entwicklungsstadien der medizinischen Kunst und Wissen-
schaft geherrscht haben. Die Abhandlung liefert ein glänzendes Zeugnis ebenso sehr
für den Historiker wie für den philosophischen Denker Magnus. Sie hätte u. E.
ebensogut auch den Titel führen können „Das Denken in der Medizin, historisch be-
leuchtet“, stellt jedoch ihre beiden kleinen, gleichbetitelten Vorgängerinnen von
Helm hol tz und v. Leyden qualitativ wie quantitativ völlig in den Schatten, die sich
zu Magnus’ Publikationen wie Zwerge zu Riesen verhalten. Für diejenigen, die
Neigung besitzen, die Philosophie der Medizin kennen zu lernen, sowie für diejenigen,
welche Sinn für die Betrachtung der kulturhistorischen Seite der medizinischen Wissen-
schaft haben, ist die Lektüre des Buches unabwcislich.“
Die Volksmedizin,
ihre geschichtliche Entwicklung und ihre Beziehungen zur Kultur.
Von Professor Dr. Hugo Magnus. — 1905. — Preis 3 M. 50 Pf.
„Vorliegendes Werk von Magnus sollte jeder angehende Arzt lesen, um sich
mit Verhältnissen vertraut zu machen, deren Kenntnis zur erfolgreichen Ausübung ärzt-
licher Tätigkeit unerläßlich ist. Der „Volksmedizin“ begegnet man in ärmster wie
reichster Praxis, sie zu kennen, zum Teil selbst anzuwenden, in ihren Auswüchsen aber
zu bekämpfen, ist Aufgabe des Arztes. Daß jahrtausendelange wissenschaftliche Arbeit
nicht imstande war. eDenso alte Vorurteile, Aberglauben und Mißbräuche auszurotten,
ersehen wir aus Magnus’ lichtvoller Darstellung; anderseits aber auch, daß manche
wertvolle Bereicherung, insbesondere in der Therapie, der Volksmedizin zu verdanken ist.
Wie in allen Arbeiten von Magnus ist auch hier die Darstellung sehr interessant. Als
wichtige kulturelle wie soziale Konsequenzen ergibt sich aus der Volksmedizin die Kur-
pfuscherei, die naturgemäß so alt wie die Heilkunde überhaupt ist und deren zweck-
mäßige Bekämpfung nur von Ärzten durchgeführt werden kann, die mit der historischen
Entwicklung der Laiemnedizin überhaupt vertraut sind.“
Druck von GraQ, Barth & Comp. (W. Friedrich) in Breslau.
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Abhandlungen zur Geschichte der Medizin
herausgegeben von Professor Dr. Hugo Magnus,
Professor Dr. Max Neuburger und Professor Dr. Karl Sudlioff.
Bisher sind erschienen:
Heft 1 : Medicin und Religion in ihren gegenseitigen Beziehungen. Geschichtliche
Untersuchungen von Prof. Dr. Hugo Magnus. 1902. Preis MV. 2.50.
Heft II: Iatromathemaliker vornehmlich im 1 ;. und 16. Jahrhundert. Eine Studie
von Karl Sudhoff, Elircnmitglicd der Naturforschenden Gesellschaft in Basel.
1902. Preis Mk. 4.—.
Heft III : Kcilschriltmedicin. Einleitendes zur Mcdicin der Kouyunjik-Collection von
Felix Freiherr von Oefele (Bad Neuenahr). Mit5Tafeln. 1902. PreisMk.4. — .
Heft IV: Die Gvnaekologie des Galen. Eine geschiclulich-gynackologische Studie
von Dr. Johann Lachs, Frauenarzt in Krakau. 1903. Preis Mk. 4.—.
lieft V: Galens Schrift „Ober die säfteverdünnende Diät.“ Obersetzt und mit Ein-
leitung und Sachregister versehen von W. Frieboes und F. WdKobert. 1905.
Preis Mk. 3. — .
Heft VI: Der Aberglauben in der Medicin. Von Prof. Dr. Hugo Magnus. Mit
5 Abbildungen im Text. 1903. Preis Mk. 3.50.
Heft VII: Die Geschichte des Badewcsens. Von Dr. Eduard B&umer, Arzt für
Hautkrankheiten in Berlin. Mit 13 Abbildungen im Text. 1903. Preis Mk. 3. — .
Heft V III : Medicinischcs aus der altfranzösischcn Dichtung. Von Oscar K(lhn,
Dr. phil. 190.1- Preis Mk. 5.—.
Heft IX: Die Anfänge der Anatomie bei den alten Kulturvölkern. Von Dr. Ludwig
Hopf. 1904. Preis Mk. 4.—.
Heft X: Kritik der mcdicinischen Erkenntnis. Eine medicin-geschichtliche Unter-
suchung von Prof. Dr. Hugo Magnus. 1904. Preis Mk. 5. — .
Heft XI: Der Wert der Geschichte für die moderne induktive Naturbetrachtung
und Medicin von Prof. Dr. Hugo Magnus. 1904. Preis Mk. 0.60.
Heft XII: Der Entwickelungsgang der Antiscptik und Ascptlk. Von Dr. Vilmos
Mnnninger in Budapest. Von der ungarischen Akademie der Wissenschaften
(Magyar Tudomänyos Akadimin) preisgekrönte Konkurrenzarbrit. Aus dem
ungarischen Originale übersetzt von Dr. Gustav Adolf Manninger. 1904.
Preis Mk. 5. — .
Heft XIII: Wilhelm Fabricius von Hilden. Sein Leben und seine Verdienste um
die Chirurgie. Studie aus der Geschichte der Chirurgie von Dr. Rom. Job-
Schaefer in Remscheid. 1904. Preis Mk. 2.50.
Heft XIV: Dr. Laurentius Wilde. Leibarzt des Herzogs Albrecht, und die Anfänge
der medizinischen Wissenschaft in Preugen. Von Dr. O. Ehrhardt, Privat-
dozent für Cliirurgie in Königsberg 1 . Pr. 1905. Preis Mk. I. — .
Heft XV : Die Volksmedizin, ihre geschichtliche Entwickelung und ihre Beziehungen
zur Kultur. Von Prof. Dr. Hugo Magnus. Mit 5 Abbildungen im Text.
1905. Preis Mk. 3.50.
Heft XVI: Paracelsus, der Oberarzt. Eine kritische Studie von Prof. Dr. Hugo
Magnus. 1906. Preis Mk. 0.60.
Heft XVII: Die Organ- und Blut-Therapie. Ein Kapitel aus der Geschichte der
Arzneimittellehre von Prof. Dr. Hugo Magnus. 1906. Preis Mk. 2,50.
3
«-so Weitere Hefte in Vorbereitung. *-so
Druck von GnJ), Barth & Comp, (tV, Friedrich) lo BreiUu.
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